£ 9EVVSGEZO LY9LL € | Digitized by the Internet Archive in 2011 with funding from University of Toronto http://www.archive.org/details/derbeobachterall00kalt DER BEOBACHTER. Alle Rechte vorbehalten. Druck von BichixGer & Küster ıy Trocken. DER BEOBACHTER. ALLGEMEINE ANLEITUNG BEOBACHTUNGEN ÜBER LAND UND LEUTE TOURISTEN, EXKURSIONISTEN UND FORSCHUNGSREISENDE. NACH DEM „MANUEL DU VOYAGEUR“ D. KALTBRUNNER MITGLIED DER GEOGRAPHISCHEN GESELLSCHAFTEN VON GENF, BERN UND ST. GALLEN UNTER MITWIRKUNG DES VERFASSERS BEARBEITET VON E. KOLLBRUNNER MITGLIED DER SCHWEIZ. NATURFORSCHENDEN UND DER OSTSCHWEIZERISCHEN GEOGRAPHISCH-KOMMERZIELLEN GESELLSCHAFT. ra er ee er ro 3 2” u» . “ Z ZÜRICH. J. WURSTER & C#, GEOGR. VERLAG. 1882. Haunsk ara i A AN rı Er V VORWORT ZUM „MANUEL DU VOYAGEUR“. Bei Bearbeitung des vorliegenden Werkes hatte der Verfasser die Absicht, aus den verschiedenen Wissenschaften in Einem Bande Dasjenige zusammenzustellen, was als all- gemeine Anleitung für Jedermann, der sich mit Beobach- tungen über irgend eine Gegend und deren Einwohner be- fassen will, geeignet schien. Obwohl bereits einige Werke mit ähnlichem Zweck‘) existirten, war die Aufgabe, welche ich mir gestellt, keine leichte: Das Gebiet der Wahrnehmungen, welche man auf Reisen machen kann, der Beobachtungen, die gemacht werden sollten, ist so weit und manigfaltig, das Wissen, dessen es hiezu bedarf, so vielseitig und verschiedenartig, dass es schwer hält, all das in einen Ueberblick zusammen- zufassen und ohne störende Weglassung wesentlicher Partien gemeinverständlich darzustellen. Ich schmeichle mir denn auch nicht, die Aufgabe in vollkommener Weise gelöst zu 1) Col. Jackson. What to Observe or the Traveller’s Remem- brancer. London 1861. — Sir John Herschel. A Manual of Scien- tifie Enquiry. London 1871. — Instructions generales aux voyageurs, publiees par la Societe de geographie. Paris 1875. — Dr. @. Neu- mayer. Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen. Berlin 1875. — A. Issel. Istruzioni seientifiche pei Viaggiatori. Roma 1875. — F. Galton. Hints to Travellers. London 1878. aval haben, wie es möglich gewesen wäre, wenn kompetentere Personen deren Durchführung unternonimen hätten; aber ich hoffe, in diesen Blättern dem Leser des Erspriesslichen soviel zu bieten, dass ich eine nachsichtige Beurtheilung ihrer Unvollkommenheiten erwarten darf. Um übrigens diese letzteren auf ein Minimum zu reduziren, wurde das Manuskript des Buches vom Verleger der Beurtheilung durch höchst kompetente Männer unterbreitet, welche die Güte hatten, eine Durchsicht der je ihr Spezialfach betreffenden Abschnitte vorzunehmen. Allgemein wird heute dem Reisen hoher Bildungswerth zuerkannt. - Dieser Werth aber besteht in dem Gewinn, welchen wir uns verschaffen durch richtiges Beobachten ; er ist daher nicht gebunden an die Reisen in ferne Länder, welche immer ein Privilegium verhältnissmässig Weniger sein werden; er kann vielmehr den Touren und Exkursionen, die fast Jedermann in seiner näheren und entfernteren Um- sebung zu unternehmen Gelegenheit hat, ebenfalls zukommen, — sofern nämlich die Voraussetzung hiefür zutrifft: dass der Tourist und Exkursionist wie der Reisende zu beob- achten weiss. Manchem entgeht solcher Gewinn nur desshalb, weil er jene Vorbedingung nicht erfüllt. Die wesentliche Schwierigkeit ist keineswegs die, dass er nicht über das nothwendige Maass an Geld und Mussezeit verfügt oder dass es ihm an Interesse und gutem Willen gebräche, wohl aber die, dass er nicht methodisch zu beobachten versteht, nicht weiss, .wie er hiebei zu Werke gehen soll und daher — in Ermanglung eines Leitfadens, an welchen er sich hiebei halten könnte — nach unbefriedigendem Ausfall der ersten, mit Eifer unternommenen Versuche davon ablässt, die Sache weiter zu verfolgen. Die wünschenswerthe Ver- vielfältigung der Beobachtungen verschiedener Art und die Mehrung des Gewinnes, welcher hieraus dem einzelnen Be- theiligten wie der Wissenschaft erwachsen würde, kann nur VII erreicht werden durch Beseitigung oder wesentliche Vermin- derung jener besprochenen Schwierigkeit. Ein Versuch dazu ist das vorliegende Buch, welches — wenn auch nur unvoll- kommen — eine Lücke in der Literatur unserer Sprache ausfüllt. Es ergibt sich aus dem Gesagten, dass ich nicht sowohl Gelehrte und Reisende von Fach im Auge habe, als viel- mehr Dilettanten, Touristen und Exkursionisten, mit Einem Wort alle Diejenigen, welchen das Reisen nicht Beruf ist, sondern eine Erholung von den Berufsgeschäften, Ausfüllung der Mussezeit und einiger grösserer Pausen inmitten der alltäglichen Obliegenheiten. Dabei glaube ich immerhin annehmen zu dürfen, dass auch die Männer jener ersten Kategorie, die Entdeckungs- und Forschungsreisenden selbst, doch einigen Nutzen aus der Durchsicht dieses Werkes ziehen könnten. Den verschiedenen Kategorien der Reisenden, von welchen soeben die Rede war, denke ich ferner einen Dienst zu er- weisen durch Bearbeitung eines demnächst erscheinenden Buches, worin sich in Einem Bande das Wissenswertheste aus Geographie, Geologie etc. zusammengestellt findet, das sonst in einer Menge verschiedenartiger Spezialwerke auf- gesucht werden muss, welche dem Reisenden nicht allent- halben zur Verfügung stehen. Dasselbe wird namentlich Denjenigen zu Gute kommen, welche vor der Reise nicht Gelegenheit zu gehöriger Vorbereitung auf dieselbe hatten, aber auch in vielen andern Fällen als Nachschlagebuch erwünscht sein. n Mögen sich die beiden Werke als Rathgeber und Hülfs- mittel für Reisende bewähren! Zürich, 20. September 1878. D. Kaltbrunner. VORWORT ZUM „BEOBACHTER“. Das „Manuel du Vöyageur“ von D. Kaltbrunner ist ab Seite hervorragender deutscher Fachmänner sehr günstig beurtheilt und von mehreren derselben — so den Herren Dr. Chavanne, v. Hellwald, Dr. Kersten, Dr. Schweinfurth — ist hiebei der Wunsch nach einer deutschen Ausgabe des Werkes geäussert worden. Diese Uebertragung liegt in dem „beobachter* vor. Wenn ich, von Verfasser und Verleger des „Manuel‘ mit Besorgung der deutschen Ausgabe betraut, dieselbe hiemit dem Publikum übergebe, nehme ich zunächst auf Dasjenige Bezug, was hinsichtlich der Schwierigkeiten, welche die Bearbeitung eines solchen Werkes bietet, im Vorwort zum „Manuel“ gesagt ist. Die wenigen Worte, die ich beifüge, betreffen theils einzelne Bemerkungen des franzö- sischen Autors, wobei ich namentlich diejenigen über Zweck und Charakter seines Werkes etwelchermaassen zu ergänzen habe, theils speziell die deutsche Bearbeitung. In ersterer Hinsicht darf ich wohl einige Gesichtspunkte, welche die Eigenart des Werkes — oder mit anderen Worten nichts Geringeres als Werth und Berechtigung desselben — betreffen, zur Sprache bringen. Der Autor des „Manuel* legt allen Nachdruck darauf, dass sein Werk ein Leitfaden zu Beobachtungen über Land und Leute sein soll; demgemäss hat er dasselbe näher bezeichnet als „FLecueil instructions indiguant la maniere de recueillir des obser- vations sur une contree quelcongue et sur ses habitants, soit:qgwon reside ou qu’on sejourne dans le pays, soit qu'on le parcoure en touriste, en excursionniste ou en explorateur“ IX und entsprechend ist auch die deutsche Ausgabe als Anleitung zu Beobachtungen über Land und Leute betitelt. Damit wird zwar auf das Wesentliche des Werkes hin- gewiesen; um indess seine Absicht genügend zu be- zeiehnen, dürfte ferner hervorgehoben werden, dass es besonders auch ein Rathgeber sein will in Bezug auf das Anlegen von Sammlungen verschiedener Art, sowie für die Darstellung der Beobachtungen in Bild und Wort. Nament- lich die letztere Seite des Gegenstandes berücksichtigt es in höherem Grade und in gleichmässigerer Weise als andere Werkeähnlichen Inhalts ; sie ist Selbstzweck einiger Abschnitte und mitbestimmendes Moment in anderen Partien, welche nieht sowohl eine materielle Belehrung, als vielmehr den Rahmen und die Gesichtspunkte der Beobachtung wie Schema und Art der Darstellung im Auge haben. Ein anderer bemerkenswerther Vorzug des Buches, welcher mit der umfassenden Anlage desselben in Zusammenhang steht, ist bei Besprechung des „Manuel* in den „Geogra- . phischen Nachrichten* von Dr. O. Kersten gewürdigt worden. Ich darf mir wohl erlauben, mit seinen Worten hier dieser Seite des Werkes zu gedenken. Der betreffende Passus in den „Geogr. Nachrichten“ vom Jahre 1879 lautet: Kaltbrunner’s „Handbuch“, welches in anregender, allgemein verständlicher Weise Anleitungen zum Beobachten und Sammeln gibt, ist in noch höherem Maasse wie sein deutscher Vorgänger: „Anleitung zu wissenschaftlichen Be- obachtungen auf Reisen* von Interesse für unsern handels- geographischen Verein (Zentralverein für Handels- seographie), denn es berücksichtigt zugleich auch prak- tische Interessen, während letzteres sich fast ausschliesslich auf wissenschaftlichem Gebiete bewegt... Wir müssen, vom Standpunkte unserer Bestrebungen aus, einzelnen Kapiteln, die sich speziell mit den nutzbaren Produkten beschäftigen, unsere besondere Anerkennung zollen, weil sie mit wirklich * X kaufmännischem Geiste geschrieben und frei von allen Phantastereien sind, denen junge Reisende in ihrem Streben, etwas Verwerthbares zu finden, nur allzuleicht sich hingeben... Wir würden uns freuen, wenn diese Be- sprechung dazu diente, das in wissenschaftlichen Kreisen so sehr anerkannte Buch auch bei den Freunden unserer Bestrebungen einzubürgern. Andererseits ist das „Manuel* — weil sein Ziel vor- nehmlich darin besteht, zum Beobachten und Sammeln an- zuleiten und: es dieser praktischen Tendenz wegen eine Ergänzung zu den geographischen und natwrhistorischen Lehrbüchern bildet, welche die fertigen Resultate der Wissen- schaft mittheilen, ohne dem Modus des Zustandekommens derselben viel Aufmerksamkeit zu schenken — insbesondere auch für Lehrerkreise empfohlen und ist dabei nur be- dauert worden, dass einer allgemeinen Benutzung des- selben durch Lehrer deutscher Zunge der fremdsprachige Text Schwierigkeiten entgegenstelle. Möge nun das Buch auch in diesen Kreisen freundliche Aufnahme und fruchtbare Ver- wendung finden, nachdem es jetzt in deutschem Texte vorliegt. Wenn ein Buch von der Anlage und dem Charakter des „Manuel* in zwei nach ihrer Bedeutung einander so nahe kommenden, nach ihrer Natur so verschiedenen Sprachen wie Deutsch und Französisch erscheinen soll, so kann die eine Ausgabe unmöglich durchwegs eine blosse Uebersetzung der andern sein. Es existiren daher auch zwischen dem „Manuel“ und dem „Beobachter* im Einzelnen gewisse Verschiedenheiten; im Ganzen aber ist letzterer eine mög- lichst treue Wiedergabe des ersteren Werkes. Die Bear- beitung in diesem Sinne zu halten, schien vor Allem ge- boten mit Rücksicht auf das dem „Manuel“ so günstige Gesammturtheil der Kritik, welches nicht am wenigsten der Selbstbeschränkung galt, die darin waltet. Hinwieder war ich auch bestrebt, einerseits den Anregungen, welche die XI Rezensionen in verschiedenen deutschen Zeitschriften ent- hielten, andrerseits neuen Thatsachen und Auffassungen, welche seit Erscheinen des „Manuel“ veröffentlicht wurden, Rechnung zu tragen. Es erforderte dies eine Anzahl Zu- sätze, und um hiedurch das Volumen des Werkes nicht unge- bührlich zu vermehren, mussten gegenüber dem „Manuel“ auch einige Reduktionen eintreten. Hiebei wurden namentlich der besondere Abschnitt des Manuel ($. 181—221) betr. dietopographische Terminologie und sodann der logarithmisch- goniometrische Theil der Tafel IV im Anhang desselben weggelassen. Von den Zusätzen und Erweiterungen, welche schon mit kücksicht auf Raumersparniss oft als Fussnoten angebracht sind, mögen folgende erwähnt werden: Neu sind im Kontext die Abschnitte über Hypsothermometrie, S. 50—52, und über Bestimmung der temporären Härte (Alkalität) des Wassers, S. 458—460, von grösseren An- merkungen diejenigen auf S. 79 und 85, 99, 104 und 106, 231 und 2835, 510 und 568; im Texte vermehrt die Abschnitte über: Höhenmessung, S. 47—50 und 431, geo- graphische Ortsbestimmung, 8. 79—92, Terrainzeichnung, S. 132—139. Andere Modifikationen finden sich da und dort, so im Abschnitt über Photometeore (S. 439 — 445), Flusssysteme (S. 453— 456), Abbalgen der Säugethiere und Vögel (S. 528—535), Volkszählungen (541—543), Sprachen und Dialekte (586—589), Wohnungen (685— 687), An- stalten (728—730), Gewerbe (731—743) und im Anhang (S. 860—863, 878—888). — Für gefällige Mitwirkung hiebei bin ich meinen Freunden, den Herren Prof. J. Rebstein in Zürich und Gymnasialdirektor Dr. F. Haag in Schaff- hausen (Ersterem in Betreff mathematischer, Letzterem hin- sichtlich der linguistischen Partien) zu Dank verpflichtet. — Die Verlagshandlung ihrerseits hat nicht unterlassen, auch die Ausstattung des Buches noch mehr zu bedenken: Die zwei Bildertafeln (obere Luftspiegelung S. 440, Brocken- XI gespenst S. 445) und die fünf Figuren im Kapitel über die atmosphärischen Lichterscheinungen sind eine neue Bei- gabe, die nicht nur dem Buche zur Zierde gereicht, sondern auch wesentlich zum Verständniss des betreffenden speziellen Kapitels dient. In Taf. VI (S. 136) wurde ein Terrainbild aus einer reinen Kurvenkarte statt der weniger zweck- entsprechenden Darstellung des Diablerets-Gebietes aufge- nommen u. 8. W. — Das Werk, dessen am Schlusse des Vorworts zum „Manuel * gedacht wird, ist seither erschienen. Es führt den Titel Aide-Memoire du Voyageur, contenant des Notions eenerales de Geographie mathematique, de Geographie physique, de&£ographiepolitique, de Geologie, de Biologie et d’Anthropologieä usage des voyageurs, des e&tudiants et des gens du monde, par D. Kaltbrunner (Zürich, Wurster & Cie., 1881) und bildet, unbeschadet der selbständigen Aufgabe eines jeden der beiden Werke, ein Supplement zum vor- liegenden Buche, worauf bei Beurtheilung desselben Rücksicht zu nehmen ist. Wenn z. B. im „Beobachter“ beim Kapitel über den Synchronismus der Gesteine (S. 356--363) keine Aufzählung und Charakteristik der geologischen Formationen und in den ethnographischen Partien (z. B. S. 568) keine solche der verschiedenen Menschenrassen gegeben ist, so findet sich Beides im „Aide-memoire* (8. 413—431 und 234— 244), von welchem ebenfalls eine deutsche Ausgabe — unter dem Titel „Vademecum des Reisenden — ver- anstaltet wird. Frauenfeld (Schweiz), 14. Januar 1882. Emil Kollbrunner. INHALTSVERZEICHNISS. Vorreden . £ - : : . : j ; 2 VE VORBEREITUNG. Umfang der Vorbereitung 3. — Eigenschaften des Reisenden 3. — Wissenschaftliche Vorkenntnisse 7. — Praktische Kenntnisse: Instru- mente 13, Methoden 21, Uebungen 120. — Photographie und Hand- zeichnen 121. — Topographisches Zeichnen 126. — Sprachkenntnisse 145. — Erkundigungen über das zu bereisende Land 147. — Kleidung und Ausrüstung 149. BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN. Beobachtungen im Allgemeinen . ; F F A : 159 DAS LAND. Lage 171. — Grenzen und Grösse 173. — Eintheilung 175. Konfiguration des Landes (Topographie). Definition 176. — Rekognos- ' zirungen 176. — Prüfung und Berichtigung vorhandener Karten 177. — Topographische Aufnahmen 181. — Aufnahme der erforschten (Gegend 137. — Fliegende Aufnahmen 211. — Photographische Auf- nahmen 213. — Entlehnte Karten 213. — Profile 214. — Ansichten 215. — Panoramen 220. — Beschreibung 222. 2 Geologie. Definitionen 222. — Geologie der Erdoberfläche. Niveau- Aenderungen (Hebungen und Senkungen) 223. — Umgestaltung der Küsten 231. — Ursprung und Bildung der Ebenen 239. — Entstehung der Becken und anderer Bodendepressionen 243. — Unebenheiten des Bodens 246. — Abdachungen und Gehänge 248. — Terrassen und Plateaux 250. — Gebirge 251. — Jetzige Gletscher 255. — Spuren alter Gletscher 261. — Vulkane und vulkanische Erscheinungen 267. —— Erdbeben 273. — Thäler 278. — Höhlen und Grotten 282. — Tiefen- XIV temperaturen 284. — Quellen 285. — Fliessende Gewässer 289. — Seen und Lagunen 294. — Resume 297. Geologie des Erdinnern. Vorbemerkungen 298. — Aufschlüsse 299. — Reiseroute und Vorgehen im Allgemeinen 300. — Data, die zu er- heben sind 302. — Stratigraphische Erhebungen 303. — Sammeln von Gesteinsmustern 326. — Sammeln von Versteinerungen 328. —ı Relatives Alter der Gesteine 335 (Schichtgesteine 335, ungeschichtete (Gesteine 347). — Geologischer Synchronismus 356. — Aeltere geolo- gische Aenderungen 363. — Resume 373. Der Boden nach seinen Schätzen und Erzeugnissen. Der Boden in industrieller Beziehung. Bodenschätze 373. —- Zwei Gruppen derselben 375. — Absatz und Kosten 376. — Artikel für weite Transporte 378. — Steinkohle 378. — Erze und Metalle 384. — Edelsteine 393. — Guano 393. — Holz 394. — Verschiedene Produkte 395. — Accessorische Angaben 395. Der Boden in landwirtnschaftlicher Hinsicht. Definitionen 397. — Agrikoler Werth des Bodens 398. — Areal des urbaren Bodens 399. — Topographische Klassifikation desselben 400. — Agronomische Karte 401. — Mineralogische Klassifikation des Bodens 401. — Absatzver- hältnisse 403. — Urbarmachung 403. — Melioration 404. Klima. Wichtigste Faktoren und Gesichtspunkte 405. — Tempe- ratur 406. — Reinheit und Durchsichtigkeit der Luft 416. — Feuch- tigkeitsgehalt der Luft 417. — Verdunstung 421. — Kondensation des Wasserdampfes und Niederschläge 422. — Luftdruck 430. — Winde 432. — Ozon 436. — Elektrizität 437. — Gewitter 438. — Verschiedene meteorologische Beobachtungen (Photometeore) 439. — ‘Tabellen, Karten und Diagramme 450. — Gesammtbild des Klimas 451. Hydrologie. Vorbemerkungen 451. — Fluss- oder Stromgebiete 452. — Flusssysteme 453. — Fliessende Gewässer 461. — Unterir- dische Gewässer 471. — Stagnirende Gewässer 471. — Seen 472. — Flussmündungen 477. — Strömungen und Gezeiten 478. Pflanzenwelt. Aufgabe 481. — Pflanzenformationen 482. — Charak- teristische Pflanzenformen 483. — Zonen und Regionen 484. — Nutz- pflanzen 485. — Schädliche Pflanzen 486. — Veränderungen der Flora 487. — Darstellung der Flora 488. — Abdrücke lebender Pflanzen 488. — Sammlungen 489. — Lebende Pflanzen 490. — Sarnen 493. — Herbarien, Sammlungen von Blüthen und Früchten 495.— Sammlungen von Hölzern 502. Thierwelt. Aufgabe 595. — Allgemeiner Charakter 505. — Beson- dere Verhältnisse 506. — Distrikte und Stationen 507. — Nützliche XV Thiere 507. — Schädliche Thiere 508. — Aenderungen der Fauna 509.— Ansichten und Beschreibung der Thierwelt 511. — Zoologische Samm- lungen 512. — Sendungen lebender Thiere 535. DAS VOLK. Bevölkerungsstatistik. Gesammtzahl 538. — Elemente der Bevöl- kerung 541. — Räumliche Gruppirung 542. — Dichtigkeit der Be- völkerung 542. — Statistik der Stände und Berufsarten 543. — Alters- statistik 543. — Zivilstandsstatistik 544. — Eheschliessungen, Ge- burten und Todesfälle 544. — Bevölkerungsbewegung 545. Rassen und Typen. Die ethnischen Charaktere im Allgemeinen 547. — Anatomische Merkmale 551. — Physische Merkmale 552. — Physio- logische Merkmale 563. — Physiognomische Merkmale 566. — Rassen und Mischlinge 568. — Typen 569. — Geistige Eigenschaften und Mängel 571. — Pathologische Eigenthümlichkeiten 575. Sprachen und Dialekte. Allgemeine Bemerkungen 576. — Einzu- sammelnde Materialien 579. — Vokabulare und Phraseologie 579. — Grammatik 587. — Sprachverwandtschaft 599. — Sprachgebiete 601. — Koexistenz verschiedener Idiome 602. — Dialekte 604. — Schrift 605. — Schriftproben, Schreibweise und Schreibmaterial 608. — Zahlensystem610. Sitten und Gebräuche. Allgemeine Bemerkungen 614. — Begrüss- ungen 616. — Freundschaftsbezeugungen 618. — Verträge und Eid- schwüre 618. — Gastfreundschaft 619. — Anaya 619. — Tabu 620. — Blutrache 620. — Zweikampf 620. — Diebstahl und Raub 621. — Razzias 621. — Entführung 622. — Epigamie 622. — Exogamie 623. — Endogamie 624. — Polygamie 624. — Polyandrie 626. — Mono- gamie 626. — Ehelosigkeit 627. — Brautkauf 627. — Mitgift 628. — Verlobung 628. — Hochzeit630. —- Keuschheit und eheliche Treue 630. — Schwangersehaftund Niederkunft 631.— Männerkindbett 632. — Abortus und Kindermord 632. — Stillen und Entwöhnen 633. — Taufe und Beschneidung 633. — Festgeschenke 634. — Ehescheidung 634. — Gebräuche betreffend den Landbau 635. — Kriegsgebräuche 635. — Kannibalismus 636. — Achtung vor dem Alter 636. — "Achtung vor Geisteskranken 636. — Behandlung von Kranken 636. — Muru 637. — Tod und Leichengebräuche 638. — Bestattung 638. — Trauer und Todtenkult 641. Ideenwelt, Glaube und Religion. Allgemeine Bemerkungen 642. — Vorstellungen über Armuth und Reiehthum 643. — Vorstellungen über Gegenstände und Beschäftigungen 644. — Vorstellungen über fremde Länder und Völker 645. — Kosmogonische Vorstellungen und Systeme 644. — Erklärung der Naturerscheinungen 645. — Glaube an Geister XVl und Götter 647. — Glaube an die Seele 649. — Glaube an ein künftiges Leben 651. — Naturalismus 652. — Totemismus 652. — Fetischdienst 653. — Bilderdienst und Reliquienkultus 653. — Schama- nismus 654. — Spiritualismus 655. — Atheismus 655. — Poly- theismus 655. — Dualismus 656. — Monotheismus 656. — Ursprung der Religion und Dogmen derselben 656. — Konfessionen und Sekten 657. — Tempel und kirchliche Anstalten 657. — Geistlichkeit 658. — Kultus, Ritus, Zeremonien 659. — Religiöse Werke 660. — Charakter der Religion 661. — Aberglaube und abergläubische Gebräuche 662. Kleidung und Schmuck. Allgemeine Bemerkungen 663. — Volks- tracht 664. — Besondere Trachten 665. — Accessorische Bestand- theile der Toilette 666. —- Abzeichen 667. — Waffen 668. — Be- malung 670. — Tätowirung 672. — Narben, Ringe etc. 672. — Künstliche Missbildungen 673. — Haar- und Barttracht 674. Nahrung. Nahrungsmittel 675. — Zubereitung der Speisen 678. — Das Feuer und dessen Unterhaltung 679. — Küchengeräthe 680. — Mahlzeiten 681. — Getränke und Erregungsmittel 682. — Preise der Lebensmittel 683. Wohnungen. Haupttypen 684. — Koexistenz der Typen 687. — Beschreibung 688. — Besondere Wohnungen 689. — (remeinsame Wohnungen 690. — Bienenstockartige Wohnungen 690. — Zerstreute Wohnhäuser 690. — (Gebäudegruppen oder Agglomerationen 691. — Lage der Ortschaften 691. — Ansichten und Pläne 692. — Baustyl 693. — Physiognomie der Stadtquartiere 694. — Strassenbeleuchtung, Wasserversorgung und Reinigung der Städte 694. Lebensweise. Allgemeine Bemerkungen 695. — Häusliches Leben 696. — (seselliges Leben 697. — Politisches Leben 697. — Geistiges Leben 698. Organisation der Familie, der Gesellschaft und des Staates. Familie 698. Verwandtschaft 702. — Familien- und Vornamen 704. — Autorität in der Familie 706. — Stellung des Weibes 707. — Stellung der Kinder 708. — Gesellschaft 709. — Kasten und Klassen 712. — Politische Organisation 714. Recht und Eigenthum. Vorbemerkung 719. — Recht 720. — Strafen 722. — Eigenthum 723. — Erbfolge 726. VerschiedeneEinrichtungen. Staatsverwaltung 727. — Gerichte 727. — Bildungsanstalten 723. — Krippen, Findel- und Waisenhäuser 729. — Armenhänser und Asyle, Herbergen und Hospize 729. — Spitäler 729. — Besserungs- und Strafanstalten 729. — Finanzinstitute 730. — Handels- XV institute 730. — Versicherungsanstalten 730. — Vereinswesen 731. — Innungen und Bruderschaften 731. Gewerbe. Definition 731. — Sammelgewerbe 732. — Urpro- duktion 733. — Handwerk und Fabrikation 735. — Handel 737. — Miethgewerbe 738. — Hülfsgewerbe 739. — Sanitätsgewerbe 740. — Vergnügungsgewerbe 740. — Erziehungsgewerbe 741. — Resume 741. — Räumliche Vertheilung 743. — Gewerbliche Charakterbilder 744. — Influirende Verhältnisse 745. — Werkzeuge und Methoden 748. — Lohnverhältnisse 749. Handel. Allgemeine Bemerkungen 749. — Tausch 751. — Eigent- licher Handel 751. — Binnenhandel 752. — Aussenhandel 752. — Transit 753. — Handelsregime 753. — Verkehrsmittel 755. — Geld 757. — Maasse und Gewichte 759. — Handelsbräuche 760. — Spesen 760. — Cönti finti 760. — Mustersammlungen 761. Literatur. Vorbemerkungen 761. — Regionale Literatur 762. — Lokale Literatur 763. — Unedirte Literatur 763. Kunst und Wissenschaft. Vorbemerkung 765. — Zeichnen und Malerei 765. — Skulptur 766. — Architektur 767. — Musik 767. — Wissenschaften 767. Ursprung und Geschichte. Allgemeine Bemerkungen 768. — Er- kundigungen und Indizien 774. — Höhlen mit Spuren des Menschen 776. — Alte Lagerplätze 792. — Pfahlbauten 797. — Kjökkenmöddinger 803. — Fanggruben und Verstecke 804. — Prähistorische Werkstätten 805. — Megalithische Monumente 806. — Tumuli 814. — Verschiedene Grab- formen 820. — Alte Zufluchtsorte und Befestigungen 821. — Alte Städte 824. — Tempel und Altäre 826. — Skulpturen und In- schriften 827. — Münzen und Medaillen 830. — Sagen 837. — Ver- schiedene Dokumente 833, Allgemeine Betrachtungen. Einfluss der geographischen Verhält- nisse auf den Menschen, abweichende Ansichten &36. — Konnex zwischen Bodengestalt, Klima, Pflanzen- und Thierwelt 838. — Ein- wirkung dieser Faktoren auf den Menschen und Selbstbestimmung desselben 841. XVII ANHANG. I. Erste Meridiane II. Länge der Meridian- Ya Poralleikrandieer IIl. Merkatorprojektion '. IV. a) Zentrische Reduktion eines s Winkels b) Koordinaten von Dreieckspunkten c) Trigonometrische Höhenmessung . Ä V. Barometrische Höhenmessung (graphische Methode) . VI. Vergleichung der verschiedenen Thermometer-Skalen VII. Psychrometrische Tabellen N - VIII. a) Gold- und Silbermünzen der neck Bänder b) Uebersicht der gebräuchlichsten Münzen . IX. a) Metrisches Maass- und Gewichtssystem b) Englische Maasse und Gewichte c) Aeltere Maasse d) Maasse geographischer Kerken ALPHABETISCHES REGISTER 889 — 904. x XI. X1. XI. XIV. XV. VI. XVl. XxvIl. XIX. XIX: XIXb- XX. XXI. XXll. BILDERTAFELN. Planaufnahme . : Messen und Berechnen von "Flächen Menschlicher Schädel Menschliches Skelett : DE Abhängigkeit des Kartenbildes von en Rellaktion S Terrainzeichnung in Kurven — in Schraffen — in Kurven und $ Bchralten Konventionelle Bezeichnungen für Karten and Pläne Kartographische Symbole für die Detailzeichnung . Kartenschrift ß Croquis einer Marschroute . Eintheilung einer Karte in Sektionen . Topographische Profile Ansicht (Matterhorn) Vogelperspektive (Ladäk) Panorama-Zeichnung Geologische Karte Geologische Profile Obere Luftspiegelung (Seogelicht) Brockengespenst . Tabelle für ebsornlagkhel Ehkungen Meteorologische Zeichen Vertheilung der Bevölkerung nach Ehrache; Konfession etc. XXIII. Bevölkerungsdichtigkeit XXIV. Volkstypen, Tracht und Haltung XIX hr » ll # RN 3 127 (6 zu Ri arme f ; “LE en VORBEREITUNG, UMFANG DER VORBEREITUNG. Je nach der zur Verfügung stehenden Zeit wird die Vor- bereitung eine mehr oder minder umfassende sein. Je weiter sie aber gediehen ist, um so mehr Reiz wird das Reisen darbieten. Im Nachstehenden werden wir die gesammten Eigen- schaften, Fähigkeiten und Kenntnisse ins Auge fassen, die dem Reisenden zu vollständiger Ausbildung nöthig sind. Ein Jeder mag dann diejenigen Punkte bei Seite lassen, hinsichtlich deren ihm die Zeit zur Vorbereitung fehlt oder wovon er glaubt Umgang nehmen zu sollen, um seine Kräfte auf die andern konzentriren zu können. EIGENSCHAFTEN UND FÄHIGKEITEN. Es gibt gewisse geistige Eigenschaften, welche für den Reisenden durchaus nothwendig sind, die zu erlangen er sich daher in erster Linie bemühen muss, und daneben andere Fähigkeiten, die ihm, wenn auch nicht gerade un- entbehrlich, doch sehr förderlich sein werden. Wir besprechen sie kurz in Nachstehendem. 1° Beobachtungsgabe. Die gebräuchlichen Unterrichts- methoden pflegen das Gedächtniss auf Kosten des Verstandes und der Uebung unserer Sinne auszubilden und selten zum Be- obachten anzuleiten. Das Beobachtungsvermögen ist durch viel- fache Uebung zu erwerben. Hier gilt, wie in jedem Zweige des Wissens und Könnens, das Sprichwort: Es fällt kein Meister vom Himmel. Was man wissen will, muss gelernt, was man können soll, muss geübt worden sein. Will man sich solche Uebung und Befähigung verschaffen, so beansprucht dies an- fänglich die ganze Aufmerksamkeit und Willenskraft, aber durch öftere Wiederholung eines und desselben Aktes wird 4 VORBEREITUNG uns dieser allmählig so mechanisch geläufig, dass wir ihn schliesslich mühelos und fast unbewusst vollbringen. 2° Forschungstrieb. Das Beobachten besteht lediglich darin, dass wir Dem unsere Aufmerksamkeit schenken, was unserersinnlichenWahrnehmungsich darbietet; der Forschungs- trieb aber lässt uns nicht abwarten, bis der Zufall uns mit der Aussenwelt in Berührung bringt; er veranlasst uns, den Dingen nachzuspüren, unsere Untersuchungen in einem be- stimmten Sinne, gegen ein festes Ziel hin zu betreiben, um Thatsachen aufzufinden, die sonst unentdeckt bleiben würden. Das ist es, was man in der Wissenschaft unter Experimen- tiren versteht. Sein Erfolg hängt ab von dem erfinderischen Geiste, von Scharfsinn und Begabung des Einzelnen. Handelt es sich um Erkundigungen, so begnügt sich der Erforschungsgeist nicht damit, zu hören; er frägt, um zu er- fahren, was er wissen will. Diese Eigenschaft besitzen vor- zugsweise die englischen Touristen; sie wird aber leicht zur Gewohnheit bei Jedem, der sie öfters anwendet. 3° Kritischer Sinn. Der Reisende muss die Thatsachen objektiv zur Darstellung bringen. Unbefangener Blick, ruhiges und gesundes Urtheil sind also von Wichtigkeit für ihn. In Bezug auf naturwissenschaftliche Thatsachen muss er sich hüten vor Fehlern der sinnlichen Beobachtung, vorgefassten Meinungen und Systemsgeist; handelt es sich aber um soziale Facta, so muss er gänzlich vorurtheilsfrei an dieselben heran- treten; dann ist er vielleicht zu einem Urtheil eher befähigt als die Bewohner des Landes selber ; nicht interessirt in der Sache, wird er sie besser zu beurtheilen vermögen. Endlich hat der Reisende hauptsächlich nöthig, in Dem, was er zufällig oder absichtlich erfährt, Wahres und Falsches wohl zu unter- scheiden und auseinanderzuhalten; welches Vertrauen eine Aussage verdient, welche Beweggründe Denjenigen, der zu ihm spricht, bestimmen können, sich mehr in diesem als im andern Sinne zu äussern, muss er wohl zu beurtheilen wissen, um die erlangten Aufschlüsse nach ihrem wahren Werthe zu taxiren. Er soll namentlich nicht unterlassen, die Aussagen der Einen, wenn immer sich dazu Gelegenheit bietet, zu kontroliren durch Angaben Anderer. 4° Accessorische Eigenschaften und Fähigkeiten, die dem Reisenden sehr nützlich sein werden, sind folgende. au EIGENSCHAFTEN UND FÄHIGKEITEN Er muss Comfort entbehren können, um nicht vom Besuch abgelegener Oertlichkeiten abgehalten zu werden durch die Furcht, dort nicht alle die Bequemlichkeiten zu geniessen, deren er sich zu Hause in der Stadt erfreut. Wer Neues sehen will, hat die ausgetretenen Wege zu meiden; wer aber das thut, kann nicht erwarten, überall den Comfort grosser Hötels zu treffen. Er muss also nothwendig mehr oder minder auf Bequemlichkeit verzichten und sich be- gnügen können mit magerer Kost und ärmlichem Lager. Auf solche kleine Entbehrungen aber muss man sich vorbe- reiten; wer gegebenenfalls darunter nicht zu sehr leiden soll, muss bereits daran gewöhnt sein. Haben wir es dazu gebracht, so sind wir nicht mehr gebunden an eine durch Städte markirte Reiseroute; dann können wir überall hin, wohin uns zu gehen gelüstet und können dort weilen, so lang es uns gefällt, ohne ängstlich darauf bedacht sein zu müssen, dass wir zur Essenszeit im Gasthof eintreffen. Und glaube man es nur: kein Gericht kommt an Schmackhaftig- keit der Brodkruste gleich, die wir geniessen, gelagert an sprudelndem Quell. Solche improvisirte Touren mögen zeit- weise Unannehmlichkeiten mit sich bringen; aber diese sind bald vorbei und vergessen, während uns von der Fahrt Er- innerungen der angenehmsten Art bleiben. Der Reisende muss sich überall rasch und so bequem, als die Umstände es zulassen, einzurichten wissen. Ein solches Talent wird für ihn von grossem Vortheil sein. Denn erstens erspart er dabei Zeit, ein auf Reisen besonders kostbares Gut, und zweitens sichert er sich dadurch ein gewisses Be- hagen, das ihn vergessen lässt, was ihm allenfalls abgehen mag. Es handelt sich dabei wirklich um ein Talent; Alles kommt auf die Art an, wie man sich hiebei benimmt. Strapazen aller Art, Kälte, Hitze, Entbehrungen muss man in gewissem Grade ertragen können. In dieser Hinsicht haben die englischen Touristen eine ausgezeichnete Methode, sich durch stufenweise Uebungen (training) aufs Reisen vor- zubereiten. Ohne in ihre Uebertreibungen zu verfallen, muss man in dieser Richtung Etwas thun. Kann man Nichts ertragen, so ist der gute Wille und die beste Absicht um- sonst. Bei dieser physischen Vorbereitung hat man aber weniger die Muskelkraft und die Stärke ihrer Leistung als 6 VORBEREITUNG vielmehr die Dauer der letzteren ins Auge zu fassen. Wesentlich ist, dass man sich befähige, den Strapazen, den Unbilden der Witterung einen gewissen Grad von Wider- stand entgegenzusetzen. Dabei ist aber vor jeder Ueber- treibung zu warnen — man kann in Allem leicht über das rechte Mass hinausgehen. Nicht indem man sich durch Gewaltmärsche oder. allzu ungewohntes Fasten erschöpft, erwirbt man die Fähigkeit, Anstrengungen und Entbehrungen zu ertragen; vielmehr muss der Körper, soll er gesteigerten Anforderungen gewachsen sein, jederzeit eine gewisse Reserve an Kraft und Elastizität besitzen; bringt man doch die elastische Feder auch nicht damit zum Spielen, dass man sie bricht. Die Uebungen, wovon wir sprechen, sollen also anfänglich mässig sein, dann stufenweise gesteigert, nie aber zum Exzess getrieben werden. Kommt der Moment prak- tischer Verwerthung, so werden zur Ueberwindung der Schwie- rigekeiten drei Dinge erheblich beitragen: erstens die Lebens- weise vor und während der Exkursionen, sodann die Stimmung, welche man dazu mitbringt, und endlich der feste Wille, alle Hindernisse zu überwinden. Einige medizinische Kenntnisse sind immer sehr nützlich. Ein Unwohlsein kann äusserst störend wirken und sogar, wenn jede Hülfe fern ist, ernstliche Schwierigkeiten verur- sachen, während zu dessen Beseitigung manchmal nur Weniges erforderlich ist. Erkrankt ein Begleiter, ein Führer oder irgend Jemand von der Reisegesellschaft, so muss man denselben, wenn nicht zu heilen, doch soweit herzustellen wissen, dass er einen bewohnten Ort erreichen kann. Der Reisende in fremden Erdtheilen wird auch oft von den Eingebornen zu Rathe gezogen, die jeden Europäer für einen Gelehrten und Arzt halten. Diesen Irrthum berichtigen zu wollen, wäre ver- geblich und würde nur als Verstellung und Mangel an dienstbereiter Gesinnung betrachtet. Besser zieht man sich aus der Sache, wenn man darauf eingeht; dabei bietet sich Gelegenheit, Dienste zu erweisen und sich beliebt zu machen. Umgangsformen, welche dem Reisenden die Achtung und die Sympathie der Personen erwerben, mit welchen er zu verkehren hat; der nöthige Takt, um diese Leute in keiner Weise — in ihrer Würde, ihren Sitten, Bräuchen und ihrem Glauben — zu verletzen: diese Eigenschaften werden in WISSENSCHAFTLICHE VORKENNTNISSE 73 vielen Fällen wesentlich dazu beitragen, die Schwierigkeiten zu beseitigen, welche entstehen aus dem Misstrauen der Bewohner des Landes, dem Mangel guten Willens bei den Führern, feindlicher Gesinnung der Bevölkerung. Es ist das um so nothwendiger, als eine unwissende Bevölkerung immer misstrauisch ist mit Bezug auf den Zweck von Reisen und Untersuchungen, und die Leute, was man auch immer sagen mag, kaum zu überzeugen sind, dass der Reisende einzig die Absicht habe, sich zu belehren. WISSENSCHAFTLICHE VORKENNTNISSE. Gewisse Vorkenntnisse aus den Wissenschaften, welche auf Geographie und Reisen Bezug haben, sind dem Reisenden unentbehrlich. Treffend sagt hierüber Richard Strachey in einem Vortrag, den er am 26. August 1876 in der Sitzung der britischen geographischen Gesellschaft hielt: „Der Rei- sende ist der Pionier der Wissenschaft. In allen Theilen der Erde sammelt er Beobachtungen, Facta, welche der Ge- lehrte in seinem Kabinet oder Laboratorium analysirt, ver- gleicht, klassifizirt; er liefert dem Gelehrten die Mittel, um induktive Folgerungen und Hypothesen auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Der Reisende, welcher der Pflicht genügen will, die ihm durch die wissenschaftliche Arbeitstheilung auferlegt wird, bedarf einer Bildung, die hinreicht, um beurtheilen zu können, für welche Kategorien von Thatsachen weitere Beobachtungen erforderlich sind. Jugend, Gesundheit und Kraft sind kostbare Eigenschaften; aber ein bestimmtes Mass wissenschaftlicher Ausbildung ist nöthig dazu, um ein nütz- licher Forschungsreisender zu werden.“ Dem Reisenden unserer Tage ist eine doppelte Aufgabe gestellt: 1° Er hat die Thatsachen zu beobachten und zu ver- zeichnen, welche dem von ihm besuchten Lande eigen sind, die charakteristischen Züge der Gegend und ihrer Bewohner ; 2° Er hat aber auch in diesem Lande diejenigen Beob- achtungen fortzuführen, die anderwärts gemacht wurden, um zu erfahren, ob sie überall die nämlichen Resultate liefern oder ob und worin diese Ergebnisse nach den Oertlichkeiten fe) VORBEREITUNG differiren. Er muss also einerseits Aintdeckungsreisender, an- dererseits fachgelehrter Forscher sein. Der Reisende hat das Ganze ins Auge zu fassen und keinen seiner Theile zu vernachlässigen; der gelehrte Forscher mag sich auf sein Fach beschränken und lediglich hierin sein Ziel verfolgen. Selbstverständlich. sind die beiden Rollen nicht scharf getrennt und nicht immer auseinanderzuhalten. Es hielte oft schwer zu bestimmen, wo für den blossen Reisenden das forschende Beobachten aufhöre und in welcher Weise es zu geschehen habe. In der That: soll er sich begnügen mit bloss allgemeinen Wahrnehmungen und Angaben, soll er nicht vielmehr genaue und vollständige Daten zu liefern suchen ? Letzteres wäre wohl das Beste; aber man reist unter so verschiedenen Bedingungen ; so oft mangeln zur Anstellung eingehender Beobachtungen Kenntnisse, Zeit und Gelegenheit, dass man nicht von vornherein eine allgemeine positive Regel aufstellen kann. Wir stimmen daher Hrn. Dr. Güssfeldt bei, wenn dieser sagt: „Nach unserer Ansicht muss es jedem Reisenden überlassen bleiben, für sich selbst diese Grenze zu ziehen, denn sie ist für jedes Individuum eine andere, je nach der Anlage und der Hinneigung zur Universalität“ oder Spezialität, fügen wir hinzu; ferner: „Wir sind der Ueberzeugung, dass der Reisende nur wenige Disziplinen kultiviren kann, dass ihm aber die oberflächliche Kenntniss der übrigen Wissensgebiete nöthig ist, damit er jederzeit stärker bleibe als die äussern Eindrücke und keine der That- sachen übersehe, aus denen sich die grossen Züge der geo- graphischen Charakteristik zusammensetzen.“ Was die Form der Beobachtungsresultate betrifft, so gibt es Dinge, auf die man nur einen Blick zu werfen braucht, um sie zu konstatiren, so der allgemeine Charakter des Landes, Kostüm und Physiognomie der Bewohner; andere muss man messen, da keine Beschreibung sie genau wieder- geben könnte; so Temperatur- und Höhenverhältnisse u. dgl. In solchen Fällen nimmt die Beobachtung einen wissenschaft- lichen Charakter an. Endlich gibt es gewisse Punkte, hin- sichtlich deren auf beide Arten verfahren werden kann; man kann sie nach Schätzung oder nach Messung, approximativ oder ganz genau angeben, so die ethnischen Charaktere. WISSENSCHAFTLICHE VORKENNTNISSE 9 Soll man nur sagen, die Eingebornen haben dunkle Haut- farbe, Langschädel, scharf vortretende Nasen — was eigent- lich nicht viel heissen will, da die dunkle Haut vom Asch- grau bis zur Schwärze des Ebenholzes variiren kann und die andern vorerwähnten Kennzeichen ähnliche Abstufungen aufweisen; ist es nicht vorzuziehen, da doch die Wissen- schaft uns die Mittel dazu gibt, in wenig Worten, mitunter durch eine einzige Ziffer weit genauere Angaben zu liefern ? Diese Frage stellen, heisst sie lösen. Begnügte man sich einfach, als Reisender zu beobachten, d. h. beschränkte man sich darauf, Thatsachen zu konsta- tiren und zu registriren, so hiesse das, sich leichthin zu einer bloss passiven und mechänischen Rolle bequemen. Jeder muss aber Verlangen tragen, das Gesehene verstehen, sich und Andern erklären zu können. Hiezu aber ist eben nöthig, dass man wenigstens einigermassen bewandert sei in den Wissenschaften, welche auf Geographie und Reisen Bezug haben. Alles bietet dem Reisenden Stoff zu Beobachtungen und Forschungen: Gestaltung des Bodens; geologische, hydro- logische, klimatische Verhältnisse; Pflanzen- und Thier- welt des Landes, die Flüsse, Seen und Meere; ethnogra- phische Verhältnisse, Sprachen, Sitten und Gebräuche, Ver- waltung, Regierungsform und andere Einrichtungen; Politik, Religion, Tradition und Geschichte, Archäologie und Numis- matik, Literatur, Industrie und Händel u. dgl. mehr. Es ist ein weites Feld, das Alles umfasst: die Erde und den Menschen. Besitzt man nun in diesem oder jenem Punkte nur ungenügende Kenntnisse, so wird sich dieser Mangel bei Beobachtungen immer fühlbar machen. Jede der ge- nannten Wissenschaften ist ein verschlossenes Buch für den Reisenden, der nicht vertraut ist mit gewissen Grundbe- griffen über die Materie. Damit ist nicht gesagt, dass man, um mit Nutzen zu reisen, ein Universalgenie sein oder die Zeit, die man aufs Reisen verwenden sollte, damit zubringen müsse, sich hierauf vorzubereiten. Die Kenntnisse, deren der Reisende bedarf, sind nicht diejenigen, welche man von einem Gelehrten verlangt; für ihn ist keineswegs nöthig, dass er die Wissenschaften, die wir vorhin nannten, von Grund aus beherrsche. 10 VORBEREITUNG Nehmen wir beispielsweise die Geographie. Wenn irgend eine Wissenschaft in enger Beziehung zum Reisen steht, so ist sie es. Folgt nun daraus, dass man, um mit Erfolg zu reisen, die Geographie kennen soll wie ein Geograph von Fach? Mit nichten. Was man davon wissen muss, sind die Grundprinzipien, die grossen Züge; keineswegs aber soll man sich auf Einzelheiten verlegen, wofern diese nicht gerade dasjenige Land betreffen, das man zu bereisen sich vorge- nommen hat. Fassen wir nun die Meteorologie, die Botanik, Zoologie, Geologie u. s. w. ins Auge, Wissenschaften, welche alle auf Reisen häufig zur Anwendung kommen. Was uns von ersterer wesentlich von Nutzen sein wird, ist der Theil, welcher vom Klima handelt: die Klimatologie. Was die einzelnen athmo- sphärischen Erscheinungen betrifft, genügt es, davon so viel zu wissen als nöthig ist, um sie unterscheiden, verstehen und beschreiben zu können. Was Botanik und Zoologie anbelangt, muss sich der Reisende namentlich in den Stand setzen, eine Pflanze oder ein Thier rasch, auf den ersten Blick, zu erkennen. Es ist nicht seine Sache, seltene Pflanzen und Thiere aufzusuchen, wohl aber, die Charakterzüge der Flora und Fauna des be- reisten Landes, die vorherrschenden Pflanzen und Thiere anzugeben. Daneben kann er immer seine Zuflucht zum Sammeln der Objekte nehmen, um später deren Klassifikation und wissenschaftliche Namen kennen zu lernen. Aehnliches gilt von allen andern Zweigen der Natur- wissenschaften. Was der Reisende nach dieser Richtung bedarf, ist mit einem Wort Scharfblick, Beobachtungsgabe und eine gewisse allgemeine Bildung zum Verständniss des Gesehenen. Der Scharfhblick aber, von dem wir sprechen, ist — von organischen Fehlern selbstverständlich abge- sehen — Sache der Uebung, der Gewöhnung. Wir werden uns später darüber äussern, wie man denselben ausbilden kann. Was die allgemeine Bildung betrifft, die wir meinen, so besitzt diese ein jeder unserer Leser; es handelt sich also nur darum, in Betreff von Punkten, welche in Ver- gessenheit gerathen konnten, das Gedächtniss aufzufrischen, die Kenntnisse systematisch zu ordnen und in gewissen Richtungen zu ergänzen. WISSENSCHAFTLICHE VORKENNTNISSE 11 Indem wir so unsere Kenntnisse Revue passiren lassen, haben wir in jeder einzelnen Wissenschaft vornehmlich auf das zu achten, was man den gegenwärtigen Stand der Frage nennt. Ich will mich hierüber genauer aussprechen. Eine bestimmte Angabe, eine Theorie wird vorgebracht, aufgestellt und verfochten von den Einen, bestritten und angegriffen von Andern; eine gewisse Erscheinung wird von einer Schule dieser, von einer andern jener Ursache zuge- schrieben u. s. f£ Es ist nun wesentlich, dass man diese Meinungsverschiedenheiten kenne. Sie lenken unseren Blick auf die bestätigten, wie auf die bestrittenen, verschiedener Auslegung fähigen Punkte und bewirken so, dass wir auch unsrerseits Beweise suchen und finden für ihr Sein oder Nichtsein, ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit, für die Art, wie sie zu Tage treten, und für ihre wahrscheinliche Ur- sache. Bekannt mit dem Stand einer Frage, sind wir be- fähigt, uns darüber in wissenschaftlicher Weise auszusprechen, und können wir vielleicht Beweismaterial beibringen zur Diskussion für oder gegen allgemein angenommene Theorien und Hypothesen. Solche Beiträge werden, wenn sie aus Gegenden herrühren, in Bezug auf welche man allenfalls noch nicht Gelegenheit hatte, sich dieselben zu verschaffen, fast immer von grossem Werth sein. Was man endlich dem Reisenden nicht genug anem- pfehlen kann, ist: dass er vor der Abreise die ihm bekannten Gelehrten besuche, um ihnen seine Pläne vorzulegen und darüber ihre Ansichten und Räthe zu vernehmen. Der Reisende, welcher zum Voraus weiss, was in dem Lande, das er bereisen will, beobachtet zu werden verdient, wird sich viel unsicheres Umhertasten und manche unnütze Mühe ersparen; er wird mit weit mehr Gewissheit darauf rechnen können, werthvolle Aufschlüsse zu erlangen. & Da vor der Reise oft die Zeit fehlt zu der besprochenen Vorbereitung und deren Ergänzung, und da man gewisse Daten oft dann nicht mehr im Gedächtniss hat, wenn der Moment zu deren Gebrauch, Erprobung oder Diskussion gekommen ist, so hielt ich- es für nützlich, in dem Vade- mecum des Reisenden‘) ein Hülfsmittel zu bieten, zu welchem I) Unter diesem Titel erscheint, im Anschluss an den „Beobachter“, eine deutsche Ausgabe des unlängst veröffentlichten Aide-memoire du Voyageur par D. Kaltbrunner. 12 VORBEREITUNG man bei Bedürfniss seine Zuflucht nehmen kann. Jedes Fach ist darin, um den Umfang des Buches nicht über- mässig auszudehnen, in sehr knapper Form behandelt; aber die bibliographischen Verzeichnisse, welche an die Spitze der einzelnen Abschnitte gestellt sind, werden Denjenigen, welche eine weitere Ausführung wünschen, ihre Aufgabe erleichtern, wie sie auch dem Reisenden, welcher irgendwo einen längern Aufenthalt macht, ermöglichen, die Schriften, deren er bedarf, sich da zu verschaffen oder sich dieselben dorthin kommen zu lassen, ohne dass er sich hiemit schon bei der Abreise bemühen muss. Die beste Art der Vorbereitung besteht indess immerhin darin, vor der Abreise einige Spezialwerke zu durchgehen. Hiebei mache man sich Notizen über all Das, was zu wissen von wesentlicher Bedeutung ist, und stelle diese Notizen zusammen in einem Heft, das man mit sich tragen kann. Um aber diese Sammlung nicht zu volu- minös werden zu lassen und das Gedächtniss nicht über- mässig zu belasten, behalte man auch hiebei seinen be- stimmten Zweck wohl im Auge; man mache sich damit recht vertraut und vergegenwärtige sich beständig, was zum Zwecke unsrer Beobachtungen nothwendig und wichtig ist. Dem Uebrigen schenke man zwar diejenige Aufmerk- samkeit, welche alles das verdient, was an und für sich von Interesse und dessen Lektüre von Nutzen ist; aber da es im gegebenen Fall für uns kein Objekt praktischer Ver- werthung bildet, so lasse man es vorläufig bei Seite und mache es nicht zum Gegenstand eines Auszuges, eines Ein- trags in das Notizbuch. Hienach bleibt dann nur nöthig, sich auf dem Laufenden zu halten. Es gibt keine Wissen- schaft, die nicht von Jahr zu Jahr fortschreitet. Zuweilen lässt eine einzige Thatsache alte Hypothesen als irrig er- scheinen ; dieselbe zu erklären, stellt man Theorien auf, die ihrerseits wieder umgestürzt und durch neue ersetzt werden. Die Diskussion darüber fördert neue Gesichtspunkte zu Tage, und so wird nach und nach die Wissenschaft umgestaltet, ohne dass man je behaupten könnte, dass nun das letzte Wort gesprochen sei. Mit diesen Aenderungen muss man sich auf dem Laufenden erhalten, will man nicht riskiren, einen überwundenen Standpunkt zu vertreten oder aber Ansichten als neu vorzutragen, die schon von andern ausgesprochen wurden. PRAKTISCHE KENNTNISSE — INSTRUMENTE 13 Soll eine Reise oder ein Aufenthalt ziemlich lange dauern, so thut man gut, sich periodische Publikationen zusenden zu lassen, welche wöchentliche oder monatliche Uebersichten der Fortschritte in den verschiedenen Zweigen menschlicher Erkenntniss geben — eine jener Revüen, wie deren die Engländer besitzen in the Atheneum und the Academy‘). Das ist ein einfaches Mittel, um, ohne grosse Bände durch- gehen zu müssen, sich az courant zu halten. PRAKTISCHE KENNTNISSE. Wir haben gesehen, dass beim Reisen die Kunst des Beobachtens hauptsächlich von Wichtigkeit ist. Man kann, ohne gerade in den Wissenschaften sehr bewandert zu sein, recht nützliche Daten sammeln, wenn man genau weiss, was und wie man beobachten muss. Es wird das in dem Abschnitte ‚Beobachtungen und Unter- suchungen‘‘ des Nähern besprochen werden. Hier bemerken wir zunächst, dass blosses Wissen nicht genügt, sondern dass damit die Praxis verbunden werden muss; letztere aber erfordert die Kenntniss der gebräuchlichen Instrumente und Methoden sowie Uebung im Beobachten auf dem Terrain. INSTRUMENTE. Es liegt ganz und gar nicht in meiner Absicht, ein vollständiges Verzeichniss der Instrumente zu geben, deren man sich zum Zwecke der Beobachtungen bedienen kann. Dieselben sind zahllos; es handelt sich, will man sich nicht mit Unnützem und Ueberflüssigem befassen, um eine sorg- fältige Auswahl. Ist ein Instrument zu. verschiedenartigen Beobachtungen verwendbar, so wird man sich seiner vorzugs- weise bedienen, lieber als dass man deren zwei oder drei zu Spezialzwecken bestimmte mit sich führt. 1) Es gibt mehrere deutsche Zeitschriften dieser Art, so: Der Nuturforscher, herausgegeben von Dr. Wilh. Sklarek in Berlin; — Das Ausland, redigirt von Friedr. von Hellwald in Stuttgart; — Die Natur, Organ des deutschen Humboldt-Vereins, herausgegeben von Dr. Karl Müller in Halle; — Kosmos, herausgegeben von Dr. Ernst Krause; — Güäa, herausgegeben von Dr. H. Klein; — Revue der Fortschritte der Naturwissenschaften, herausgegeben von der Redaktion der Gäa, — Als gleich- artige französische Zeitschriften nennen wir folgende: Revue scientifique de la France et de l’Etranger, publiee a Paris sous la direction de MM. Yung et Alglave; — La Nuture. Revue des Sciences, par R. Gaston Tissandier; — Archives des Sciences physiques et nuturelles, Geneve; — Revue Suisse des Beuux-Arts, d’Archeologie, de Litterature etdeBiographie, publieeä Geneve sousla direction de M.JohnGrand-Carteret. 14 VORBEREITUNG An dieser Stelle werde ich nur die wichtigsten Instru- mente erwähnen; von den andern wird bei Besprechung der Operationen noch die Rede sein. Vollständigere Verzeich- nisse der gebräuchlichen Instrumente sind übrigens von Fabrikanten mathematischer und physikalischer Apparate zu beziehen. Für die Anschaffung von Instrumenten ist nur zu empfehlen, dass man, wenn immer möglich, die ge- nauesten und bequemsten wähle. Deim Ankauf lasse man sich, nachdem die Auswahl getroffen, gleich_auch Zusammen- setzung, Gebrauch und Zerlegung der Instrumente zeigen. Mit diesen Details können wir uns hier nicht beschäftigen ; sie würden uns zu einlässlichen Erörterungen führen, die unnütz wären für Den, der weiss, wie er die Apparate zu handhaben hat, und ungenügend für Denjenigen, der darin keine Erfahrung besitzt'). Theodolit und Visir- kompass. Vor Allem bedarf der Reisende eines Instru- mentes zum Winkelmessen. Er wird dasselbe in sehr vielen Fällen anwenden müssen. Das beste Winkelmess- instrument ist unstreitig der Theodolit (A Fig. 1), denn er macht es möglich, direkt die auf die Ebene des Hori- zontes bezogenen . Winkel (Azimuthe) und zugleich die Zenithdistanzen, bezw. die Höhen zu messen (daher die englische Bezeichnung Alt- azimuth für den Theodolit). Zudem ist er ein Präzisions- : Si instrument, dessen man sich Fig. 1. 1) In Bezug auf die geodätischen Messinstrumente verweisen wir auf: Antoine d’Abbadie, Instruments ä employer en voyage et maniere de s’en servir; Paris 1878; — Dr. R. Wolf, Taschenbuch für Mathematik ete. Zürich 1869 (Ausführlicheres in dessen Handbuch); — J. Rebstein, praktische Geometrie; Frauenfeld 1868; — M. Bauernfeind, Elemente der Vermessungskunde; München 1868; — Dr. W. Jordan, Handbuch der Vermessungskunde, I. Band; Stuttgart 1877. — Hinsichtlich der physikalischen Appa- rate findetman das Nöthigeinjedem guten Lehrbuch derPhysik, so beiMousson (Zürich), Keis (Leipzig), Powillet-Miüllers Lehrbuch und Müllers Grundriss (Braunschweig). PRAKTISCHE KENNTNISSE — INSTRUMENTE 15 mit Vortheil bedient für topographische Aufnahmen, für ausgedehnte Nivellements, für Längen- und Breitenbestim- mungen, zu Aufnahmen für geologische Karten und Profile etc. Es gibt Miniatur-Theodolite, die speziell zum Gebrauch für Reisende bestimmt und leicht in einem kleinen Kästchen zu transportiren sind. Zwar ist das Stativ oder Fussgestell für den Transport etwas unbequem; aber diese Unbequemlichkeit haben auch die beiden andern Instrumente, der Messtisch (B Fig. 1) und der Visirkompass oder die grosse Boussole (Ü Fig. 1), die man gewöhnlich anstatt des Theodolits anwendet, die aber denselben nur in sehr unvollkommener Weise ersetzen, indem sie einerseits für grosse Distanzen keine so genauen Resul- tate liefern und andrerseits nur die Richtungswinkel, nicht auch die Höhenunterschiede geben, daher neben ihnen — zum Zwecke von Nivellements und astronomischen Beob- achtungen — noch andre Instrumente erforderlich werden’). Die allerdings. hohen Kosten des Theodolits lohnen sich reichlich durch die Dienste, welche das Instrument im Laufe einer längern Reise leistet; handelt es sich aber um blosse Exkursionen und beansprucht man für die Messungen nicht grosse Genauigkeit, so kann man sich begnügen mit dem Visirkompass, boussole de reconnaissance von Gravet in Paris oder mit einer gewöhnlichen Boussole nebst einem Klinometer?). Wir werden später sehen, dass man bei Operationen auf Reisen Umgang nehmen kann von Messfahnen, Signalen und Nivellirlatten, welche abgesehen von Zeitverlust bei deren Aufstellung — Träger und Gehülfen erheischen würden. Eins der beiden vorerwähnten Instrumente (Theodolit oder Boussole mit Klinometer) und eine einfache Messkette oder ein Messband (Rollmass’) sind für geodätische und trigonometrische Operationen ausreichend. 1) Ein leicht transportables Instrument ist der Spiegelsextant; die Beob- achtungen mit demselben erfordern aber viel Caleül, dasie alle auf den Horizont reduzirt werden müssen. D’Abbadie spricht sich entschieden gegen die Anwendung der Reflexionsinstrumente (Sextant und Prismenkreis) auf Landreisen aus. 2) Eine gute, zu verschiedenen Zwecken verwendbare Boussole wird einfach nach Graden abgetheilt; sie wird noch versehen mit einem Klinometer (Gefällmessecr) zum Messen der Neigung (des Fallens) von Felsschichten und mit Dioptern zum Messen der Winkel. 3) Das Messband (Rollmass) aus Hanf oder Seide mit Firnissüberzug ist weit weniger als metallene Ketten den Dimensionsänderungen durch Temperaturdiffe- renzen unterworfen. Die Messkette wird zudem durch häufigen Gebrauch ver- längert und liefert dann falsche Resultate, Das Messband ist auch transportabler. 16 VORBEREITUNG f- Taschenkompass oder kleine Boussole. Ein Taschen- kompass ist oft von Nutzen, weniger als Messinstrument denn vielmehr zum Zwecke der Orientirung in öden Gegenden und im Nebel. Es gibt phosphoreszirende Boussolen, welche auch Nachts, in der Dunkelheit, das Orientiren ermöglichen. Der Taschenkompass kann auch zu raschen Rekognoszirungen und verschiedenen andern Zwecken angewendet werden. Chronometer. Will man Länder bereisen, wo die geo- graphische Lage wichtiger Punkte noch nicht genau bestimmt ist, so hat man sich mit einem Chronometer zu versehen, das gerichtet ist nach der Zeit der Sternwarte, von welcher aus man die Meridiane zählen will. Für meteorologische Beobachtungen brauchen wir folgende Instrumente: Thermometer, ein oder mehrere, zur Bestimmung der Temperatur der Luft, des Wassers etc. Im Allgemeinen wird man sich der Quecksilberthermo- meter bedienen. Für Beobachtungen in kalten Ländern hat man sich mit einem oder zwei Weingeist-Thermometern aus- zurüsten. Handelt es sich dagegen um heisse Gegenden, so muss man darauf achten, dass die Skala auch auf die Messung hoher Temperaturen berechnet sei. Die besten Thermometer und die, welche zugleich am wenigsten Raum in Anspruch nehmen, bestehen aus einer feinen Glasröhre, welche die Quecksilbersäule enthält, und einer aufder Glasröhre eingravirten oder aufPorzellan angebrachten Skala, die noch !/s (?/ıo) Grad abzulesen gestattet. Man kann sie verwenden zur Messung der Lufttemperatur im Schatten und an der Sonne wie der Temperatur von Wasser, welches Thermometer mit Metallgestell durch chemische Wirkung beschädigen könnte. Damit man nicht in der Nacht. aufstehen oder am Tage sich derangiren muss, um die Temperaturextreme von 24 Stunden zu beobachten, kann man sich ein Minimum- und Maximum- Thermometer (Fig. 2) anschaffen. Zur Messung der strahlenden Sonnenwärme aber gebraucht man ein Maximum- Wenn man Stahlbänder anwendet, so muss man bei wichtigen Messungen die Ausdehnung des Metalles durch die Wärme in Rechnung ziehen. Diese Ausdehnung beträgt 0,12 mm. auf 1 Grad C. Man muss vorerst experimentell die Temperatur bestimmen, bei welcher die auf dem anzuwendenden Instrument bezeichnete Strecke von 10m wirklich genau 10m Länge hat; sodann hat man die Ausdehnung zu berücksichtigen, welehe der Erhöhung der Temperatur über jenen Grad hinaus entspricht — was, wie man sieht, ziemlich umständlich ist. PRAKTISCHE KENNTNISSE — INSTRUMENTE 17 thermometer, dessen Kugel überzogen ist mit einer Mischung von Firniss und Russ und dessen Skala auf der Glasröhre selbst angebracht ist. Dasselbe kann bis zu einem ge- wissen Grad das Aktinometer — ein für unsern Zweck zu komplizirtes Instrument — ersetzen. [TTTTTTTIETETIPTTeTgRTGeTTgeTT 0 10 0 10 TTT 0 Mn Nrt 2 IT 2 V) m 30 20 10 0 10 20 30 Mm Vrrsalsmoorsogalssvalssneltinnkgrne Fig. 2. Federbarometer oder Aneroid. Dieses Instrument leistet uns denselben Dienst wie ein gewöhnliches Barometer, ohne an dessen Zerbrechlich- keit und andern Inkonvenien- zen zu leiden.') Will man sich mit einem gewöhnlichen Aneroid (Fig. 3) behelfen, so wähle man eines Fig. 3. Gewöhnliches Aneroid. vom grössten Taschenformat, das zu finden ist; alsdann ver- gleiche man dessen Angaben mit denjenigen eines gewöhn- lichen Barometers. Man muss aber nicht auf allzulangen Ge- brauch desselben rechnen; sein Mechanismus nutzt sich mit der Zeit ab. Das Aneroid kann auch zu Höhenmessungen dienen; zu diesem Zwecke muss man sich aber mit dem Instrument an die Stellen begeben, deren Höhe über Meer man messen will, während man mit Hülfe des Theodolits die Höhe entfernter und unzuegänglicher Punkte bestimmen kann. Aneroide nach neuen Systemen, welche den gewöhnlichen weitaus vorzuziehen sind, indem sie viel genauere Messungen ergeben, konstruirt Mechaniker.Goldschmid in Zürich. Solche ») Vgl. bei Jordan, a. a. O., den Abschnitt ($$ 146—150) über die Aneroid- barometer. Mit Recht wird daselbst S. 465 getadelt, dass die Instrumente oft durch sinnlose Inschriften wie z. B. ,‚Schön Wetter‘, ‚„‚Sturm‘ etc. verunstaltet werden. 2 18 VORBEREITUNG sind in den Figuren £ und 5 dargestellt. Das eine (Fig. 5) ist sein Taschen-Aneroid, das andere (Fig. £) das Mikroskop- Aneroid nach Weilenmann. Dieses neue Instrument ist vom Erfinder selbst beschrieben in einem besonderen Heft, welches seitens des Verfertigers jedem Instrument beigegeben wird. (Vgl. Jordan, a. a. O., S. 465). Cyanometer zur Messung der Himmelsbläue. Die Cyano- meter von Saussure, Humboldt, Arago etc. sind nichts anders als Cartonblätter, eingetheilt in 40) Abschnitte mit blauer Farbe in Abstufungen von Weiss, Nr. 1, bis Nr. 40, welches sich dem Schwarz nähert. Die Beob- achtung besteht einfach darin, dass man bestinnmt, welcher die- ser Nüancen die Farbe des Himmels im Zenith entspricht und diese Nummer der Skala notirt. Da aber die Farbe der Fig. 4. Mikroskop Aner k. Mikroskop Aneril Einwirkung von Luft und Licht ausgesetzt ist, so schiene es mir zweckmässig, als Cyanometer quadratische Glastäfelchen von blass bläulicher Farbe an- zuwenden und zu bestimmen, wie viel dieser Täfelchen man über einem weissen Papier aufeinanderlegen muss, um die betreffende Nüance zu er- s halten. Andernfalls sollteman wenig- BONS SE TEICHen en stens einen zweiten graduirten Far- benstreifen haben, welcher verschlossen zu halten wäre und als Probemass zu dienen hätte. Man würde dann nicht die Num- mer der durch langen Gebrauch gebleichten Skala notiren, sondern die entsprechende Nummer desjenigen Cyanometers, dessen Farben unverändert erhalten geblieben sind. Feuchtigkeitsmesser. Zur Ermittlung der Luft- feuchtigkeit gebraucht man das Hygrometer und das Psychrometer. PRAKTISCHE KENNTNISSE — INSTRUMENTE 19 Als Hygrometer kann man das aus einer einfachen Glasröhre konstruirte Thermometer ver- wenden, von welchem oben die Rede war. Es genügt, die Kugel desselben mit Musselin zu um- hüllen und darüber einen Ring aus Gold oder Silber anzubringen (Fig. 6a). Mittelst eines kleinen Pinsels tränkt man die Musseline mit Aether ; hier- auf beobachtet man die Temperatur, die vorhanden ist in dem Momente, in welchem der glänzende Ring die erste Trübung durch Wasserbeschlag zeigt. Dies gibt den Thaupunkt. Zieht man aber ein Spezialinstrument vor, so ist als das Beste und Bequemste für den Reisezweck das neue Hygrometer des Dr. ©. Koppe (Fig. 6b) zu empfehlen. Es ist ein Haarhygrometer in einem Metallgehäuse, welches dasselbe vor Stössen sichert und worin das Haar so angebracht ist, dass es sich durch kontinuirliche Ausdehnung verlängern kann. In diesem Gehäuse sind zwei Thermometer aufge- hängt, wovon eines als Reserve zu dienen hat, falls das andere zerbräche. Das transportabelste Psychrometer besteht aus zwei Thermometern der schon beschriebenen Art, die oben (vgl. Fig. 6) durch Charniere verbunden und 1 bis höchstens 2 cm von einander entfernt sind. Sie werden aufbewahrt in einem Etui von 3 cm Breite und einer Länge gleich der- jenigen des Instrumentes. Man umhüllt die Kugel eines dieser Thermometer mit Musseline und be- festigt darunter mit Hülfe von Metallfäden ein kleines Metallgefäss V, das ein wenig weiter als die Kugel LU LU nun des Thermometers und be- Fig. 6b. Haurhygrometer. ıR Müller XA, ARTE} 20 -VORBEREITUNG stimmt ist zur Aufnahme von Wasser, welches dann durch die Musseline emporsteigt. Man notirt die Temperaturdifferenz zwi- schen dem trockenen und feuchten Thermometer und bestimmt mit Hülfe von Tafeln (s. Anhang 7’af. VIT) den Grad der relativen. Feuchtigkeit oder den hygrometrischen Zustand der Luft. Das Koppe’sche Hygrometer kann auch als Psychrometer verwendet werden. Zu diesem Zwecke braucht man nur den zur Anbringung des einen Thermometers bestimmten Ring aus dem Rahmen herauszunehmen und mit dem letzteren so zu verfahren wie eben beschrieben wurde, d. h. dessen Kugel mit Musseline zu umwickeln und ein kleines Wasser- gefäss anzubringen. Thaumesser oder Drosometer. Dieses Instrument, dazu dienend, die Quantität Thau zu messen, welche in der Nacht fällt, ist nicht absolut unent- behrlich. Für den gewöhnlichen Reisenden handelt es sich nicht darum, auf "/ıooe oder auch nur '/ıoo genau die Menge des gefallenen Thaues zu kennen, vielmehr darum, ausserordentlichen Thaufall zu konstatiren, wie man solchen auf den Hochebenen Mexikos, in der Sahara u. s. w. beobachten kann. Das grosse Quantum dieses Thaues ermöglicht es, ihn auf gleiche Weise wie die Regenmenge zu messen. Aus denselben Gründen kann man den Regenmesser (Pluviometer oder Ombro- meter), welcher zur Messung der wässrigen Niederschläge (Regen, Schnee etc.) be- stimmt ist, und das Atmometer, welches zur Messung der Wasserverdunstung dient, ersetzen durch einen im Innern mit graduirter Skala versehenen Rezi- pienten mit flachem’quadratischem oder oblongem Boden von bekannten Dimen- sionen, z. B. von 3 dm Seite oder von 25 cm Breite auf 4 dm Länge. Dieser dm) Rezipient wird, trotz des von ihm in Fig. 6 c. Psychrometer.. Anspruch genommenen Raumes, für den PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 21 Transport nicht gerade lästig fallen, denn er kann zur Unter- bringung kleiner Gegenstände verwendet werden. Ozonometer. Zur Messung des Ozongehaltes der Luft wendet man Jodpapier an, wie unter dem Abschnitt von den meteorologischen Beobachtungen auseinandergesetzt wird, oder man benutzt hiezu den Schönbein’schen Ozonometer. Elektrometer. Meines Wissens gibt es keine Elektro- meter (d. h. Instrumente zum Nachweis und zur Messung der Luftelektrizität), die genau und zugleich für den Reisenden bequem wären. Man wird sich also darauf beschränken, elektrische Erscheinungen zu notiren; will man mehr thun, so verschaffe man sich den Elektrometer von Peltier (beschrieben im Annuaire mötöorologique de France, Band I, p- 161). Was die Instrumente zur Messung des Erdmagnetismus betrifft, so erfordern sie so feine Beobachtungen und so komplizirte Rechnungen, dass man deren Gebrauch dem einfachen Reisenden nicht empfehlen kann.') Instrumente zur Beobachtung von Erdbeben. Ist die Gegend, welche man bereisen will, in besonderem Grade Erdbeben ausgesetzt, so wird man sich zum Zwecke regel- mässiger Beobachtungen mit einem Seismometer („Bewegungs- messer“) versehen. Unten, bei Besprechung der geologischen Beobachtungen, werden wir zeigen, wie man mit wenig Kosten einen vorzüglichen Seismographen herstellt. METHODEN. Im Allgemeinen werden die Methoden, die Arten des Verfahrens, bei Besprechung der anzustellenden Beobach- tungen beschrieben. Hier werde ich nur solche erwähnen, welche vorgängige Uebung erfordern, daher zur Vorbereitung gehören. Lesen der Karten und Pläne. Ich setze voraus, der Leser verstehe eine Karte zu lesen, d. h. er wisse, wenn er die bildliche Darstellung eines Landes vor sich hat, alle die Objekte zu erkennen, welche da bezeichnet sind, und sei also im Stande, sich eine klare Vorstellung zu verschaffen 1) Vgl. übrigens D. Kaltbrunner, Aide-memoire du Voyageur, Zürich 1881, pag. 138—140. DR. VORBEREITUNG von der geographischen Situation einer Ortschaft, von ihrer Lage in Bezug auf Gewässer und Gebirge etec.') Aber man muss weiter gehen. Man muss sich üben, sofort — welches auch der Massstab oder die Verjüngung der Karte sei — die Entfernung zwischen zwei Punkten zu schätzen und die Bedeutung der Terrainschwierigkeiten zu beurtheilen. Hiefür gibt es kein andres Mittel, als wieder- holte Vergleichung von Karten verschiedenen Massstabes mit dem dargestellten Terrain. Die Zeit, welche man braucht, um von einem Punkt zum andern zu gelangen, ist das beste Mass für die wirklichen Distanzen’), und hat man mühsam einen steilen Abhang erklettert, so weiss man —- besser als nach der besten Erklärung — was dichtgedrängte kurze Schraffen, nahe aneinanderliegende Niveaukurven oder benachbarte, aber verschieden grosse Höhenzahlen bedeuten. Uebt man sich ausserdem darin, aus dem Gedächtniss immer grössere Theile Landes zu zeichnen, und diese Skizzen entweder mit dem Terrain selbst oder mit vorhandenen Karten zu vergleichen, so wird man den Formensinn für Auffassung von Bodengestalt ausbilden, wie auch grosse Gewandtheit in Terrainaufnahmen & vue erlangen. Orientirung. Die eben besprochenen Uebungen lehren uns, wie wir mittelst der Karte uns orientiren können. Es genügt, zu diesem Zweck die Gegend um sich wohl anzu- sehen, während man zugleich die Karte zu Rathe zieht. Kennt man auf der Karte den Ort, wo man sich be- findet, so hat man nur in der Ferne irgend einen charak- teristischen Punkt (Thurm, Berg etc.) zu suchen und die Karte zu drehen, bis dieses Objekt und dessen Bild’ in die- selbe Richtung kommen, so ist damit die respektive Lage auch aller andern Punkte gegeben. Da, sofern nicht aus- 1) Hülfsmittel: Terrainlehre und Kurtenlesen, herausgegeben vom eidgenössischen topographischen Bureau, Bern 1875. — V.v. Streffleur, allgemeine Terrainlehre (nach Streflleurs Nachlass bearbeitet von Aug. Neuber, k. k. Generalmajor) Wien 1876. — M. Bauernfeind, Elemente der Vermessungskunde. München 1868. III. Abtheilung. — Heinrich Bach (Ingenieur-Topograph beim k. würtembergischen topographischen Bureau), Theorie der Bergzeichnung inVerbindung mit Geognosie, Stuttgart 1852 u. a. m. 2) Es wird angenommen, dass ein Fussgänger im Gebirge durchschnittlich 1 Stunde brauche, um 1000 Fuss (300 m) höher zu steigen, ob dabei die Abdachung — immerhin innert gewissen Grenzen — stärker oder schwächer sei. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 23 drücklich das Gegentheil bemerkt ist, der obere Rand einer Karte Norden bezeichnet, der untere Rand aber Süden, der beim Betrachten links liegende Westen, der rechte Osten, so hat man damit die richtige Lage zu den 4 Himmelsgegenden. Handelt es sich aber darum, auf der Karte den Ort zu finden, wo man ist, so muss man in der Umgebung einige auffallende Gegenstände suchen und darauf achten, in wel- cher Richtung man sie beobachtet und in welcher Entfernung von uns sie sich befinden. Sucht man sodann diese näm- lichen Punkte auf der Karte, so wird man zunächst an- nähernd die eigene Position in Bezug auf jene Punkte be- stimmen, sodann mit Hülfe der Terrainverhältnisse und ihrer Darstellung nach und nach dazu gelangen, genau den Punkt der Karte zu bezeichnen, wo man sich befindet. Als Mittel zur Verifikation lassen sich einige in der eben beschrie- benen Weise vorzunehmende Alignements anwenden. Zur Orientirung ohne Karte, wie auch zur Bestimmung der Richtung, in welcher sich ein Gegenstand befindet, gibt es verschiedene Mittel. 1° Merkzeichen auf der Erde. Kennt man die Richtung einer Bergkette oder eines Wasserlaufes, die Lage einer Stadt, eines Dorfes, eines isolirten Bergkegels ete., so hat man damit Fixpunkte, wonach die Lage des Ortes, an dem man sich befindet, oder diejenige anderer Stellen erkannt werden kann. In der That kennen wir die eigene Position so ziemlich, wenn wir in einiger Entfernung ein Gebirge, eine Stadt oder ein Dorf bemerken, die uns bekannt sind, oder wenn wir einen Fluss treffen, dessen allgemeine Richtung gegeben ist. 2° Die Gestirne. Sonne, Mond und Sterne gehen alle im Osten auf, im Westen unter. Wir haben also bei hellem Himmel Morgens und Abends ein bequemes Mittel zur Be- stimmung der 4 Haupthimmelsgegenden und folglich auch der Richtung, in welcher von uns aus irgend ein Gegenstand erscheint. Haben wir rechts Osten (Aufgang, Morgen), links Westen (Untergang, Abend), so ist vor uns Norden und hinter uns Süden. Die Zwischenrichtungen sind Nordost und Südost, Südwest und Nordwest (Fig. 7). Steht die Sonne schon hoch über dem Horizonte, so kann man sich orientiren nach dem Schatten, welchen ein 24 VORBEREITUNG senkrecht in den Boden gesteckter Stab wirft. Man weiss ja, dass in der nördlichen Hemisphäre der Schatten Mittags gen Norden fällt, auf der südlichen Erdhälfte gen Süden Nord (so wenigstens mit Ausnahme NW. 1 DSG! derZone zwischen den Wende- AN kreisen, innerhalb welcher die ya \ Schattenrichtung im Laufe Ol \ des Jahres wechselt). Man Wei) Sue NL -Ost hat also nur die Richtung YA | des Schattens zu bestimmen, I | / welchen zur Mittagszeit unser I | V Stab wirft (a Fig. 8). Zu SW. Sale) SO. diesem Zweck zieht man um Süd den Stab als Mittelpunkteinen Fig. 7. Kreis, welchen man in 6 gleiche Abschnitte theilt. Der Abschnitt, worin sich der Schatten befindet, wird seinerseits in 4 gleiche Partien getheilt'); der Schatten durchläuft dann in jeder Stunde eine dieser letzteren 1 Abtheilungen. Man hat also Ba nur die Zeit zu berechnen, X \ die noch verstreichen muss BR 2 bis Mittag, und das entspre- N \ chende Bogenstück nach der N Seite, nach welcher der | Schatten schreitet, abzu- \ / tragen, um in der nördlichen ZEN 73 Erdhälfte den Mitternachts- ER BA punkt (Norden), in der süd- ee lichen Halbkugel aber den “ Mittagspunkt zu erhalten. Setzen wir z. B. voraus, es sei 9 Uhr Morgens und der Schatten des Stabes gehe durch «a, so wird man drei der Bogenstrecken hinzufügen, a Fig. 8. 1) Um auf dem Felde einen Kreis zu ziehen, nimmt man eine Schnur von ca. 1 m Länge. Am einen Ende macht man e’ne Schleife, welche sich rings um einen Stab bewegen lässt; am andern Ende bringt man ein zu- gespitztes Stück Holz an. Mit diesem zieht man dann um den aufgepflanzten Stab, indem man die Schnur gestreckt hält, den Kreis. Die Eintheilung des Kreisumfangs in 6 gleiche Bogenstücke geschieht nun durch einfaches Abtragen der Schnur (des Radius) auf demselben, von irgend einem Punkt aus; dann theilt man jedes dieser Stücke in 4solche durch zweimalige Halbirung, wozu man sich auch wieder der Schnur bedienen kann, die man zu diesem Zweck erst einmal, dann noch einmal zusammenlest. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 25 welche den vom Schatten binnen einer Stunde zu durch- laufenden Weg vorstellen und so den Punkt erhalten, den der Schatten Mittags einnehmen wird. Hat man erst einmal diesen Punkt, so kennt man damit auch die andern. Allerdings ist. das, wie man leicht einsieht, nicht ein streng exaktes Verfahren; aber es genügt zu einer approximativen Bestimmung. Sicher ist, dass Mittags 12 Uhr der Schatten genau nach Norden gerichtet ist auf der nördlichen Halb- kugel, genau nach Süden auf der südlichen Hemisphäre (immer mit der Ausnahme, dass dies zwischen den Wende- kreisen je nur in der einen Hälfte des Jahres stattfindet). Ist nun Mittag vorüber, so wird man verfahren, wie oben beschrieben, nur dass man den Bogen, welcher der seit Mittag verflossenen Zeit entspricht, in dem der Bewegung des Schattens entgegengesetzten Sinne abträgt. Nachts kann man, wenigstens auf der nördlichen Erd- hälfte, sich nach dem Polarsterne orientiren. Um denselben aufzufinden, sucht man am Himmel zunächst das unter dem Namen grosser Bär oder grosser Polarstern Wagen (Fig. 9) bekannte Stern- * bild auf, welches mehr in die Augen fälltals der Aleine bär oder lleine Wagen, dem der Polarstern angehört. Indem man in Ge- danken durch die zwei Sterne ß (beta) und « (alpha) des grossen ZR Bären („Hinterräder des grossen "sen 2» Wagens“)einegeradeLiniezieht, „, ,£ trifft man unfehlbar auf den *, Polarstern, welcher der nächste uf Mr helle Stern in der Richtung f« * Fi ist und sich ganz nahe am den Pares: # wahren Nordpunkte befindet. 3° Die Boussole oder der Kompass. Da die Orientirung mit Hülfe der Gestirne nur bei nicht bedecktem Himmel möglich ist, so gebietet die Vorsicht, falls man ohne Führer in öden Gegenden reist, wo die einförmige Gestaltung des Bodens zuweilen dem Auge keinen natürlichen Anhaltspunkt gewährt, sich mit einem Kompass zu versehen. Bekanntlich besitzt die freischwebende Magnetnadel die Eigenschaft, 26 VORBEREITUNG sich — abgesehen von Störungen aus natürlichen oder andern Ursachen — beständig in eine nordsädliche Richtung zu begeben, d. h. ihr magnetisches (stahlfarbiges) Ende richtet sich gen Nord, das nicht magnetische (silberfarbige) nach Süd. Beim Kompass der See- fahrer ist die Nadel über einer sogenannten Wind- rose (Fig. 10) angebracht, d. h. über einer Art Stern, dessen 32 Spitzen oder Strahlen ebensoviel Richtungen entsprechen und zwar von Nord nach Ost oder von links nach rechts: Nord, Nord Ya Nordost(Nordnordost gen Nord), Nordnordost, Nordost '/a Nord (Nordnordost gen Ost), Nordost, Nordost !/ı Ost, Ostnordost, Ostnordost gen Ost (Ost !/a Nordost), Ost ete. Die Magnetnadel zeigt indess nur an- nähernd (nur an wenigen Orten genau) nach dem wahren Nord- punkt; überall, mit Ausnahme jener wenigen Stellen, weicht sie von der nördlichen (meridionalen) Richtung mehr oder weniger nach links oder nach rechts ab. Diese Abweichung, Missweisung oder Deklination der Magnetnadel (auf englischen Seekarten als Variation bezeichnet), welche für einen und denselben Punkt der Erde jährlich eine andere ist, wird voraus- berechnet, so dass man wissen kann, welche Korrektion anzubringen ist, um den wahren Nordpunkt zu erhalten. Da man indess nicht immer die auf jene Korrektion bezüg- lichen Angaben besitzt und da es natürliche und künstliche Störungen der Nadel gibt — namentlich in Gebirgsländern — so muss man zur Erzielung grosser Genauigkeit den Fehler in der Deklination beseitigen durch Visiren nach dem Polarstern oder nach einem andern bekannten Fixpunkt. Wir werden übrigens später, wenn wir von der Bestimmung des Meridians sprechen, sehen, wie man die nordsüdliche Richtung für irgend einen Ort genau auffindet. Handelt es sich weder um einen zu langen Zeitraum, noch um eine Fig. 10. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 27 sehr ausgedehnte Gegend, so darf man die durch den Kompass gegebene Richtungslinie als hinlänglich beständig ansehen zum Zwecke der Orientirung und flüchtigen Aufnahme (flying survey). Es genügt bei Benutzung des Instru- mentes auf Vermeidung abnormer Störungsursachen (nahe Gegenstände aus Eisen: Waffen, Instrumente, Handwerkszeug u. dgl.) Bedacht zu nehmen; sodann lasse man der Nadel genug Zeit, dass sie den Ruhezustand annehmen kann und notire nun die Richtung oder den Winkel, unter welchem die Gegenstände erscheinen. Nach beendigter Operation muss man die Nadel mit Hülfe des Knopfes in ihrer Richtung fixiren (arretiren), damit sie nicht beständig in’s Schwanken gerathe und dadurch sich abnütze. Das Abstecken von Linien. Hat man auf dem Felde die Richtung einer geraden Linie in ihrer Fortsetzung zu bestimmen, die Gerade also zu verlängern, so benutzt man hiezu gerade Stäbe oder Pflöcke, die unten zugespitzt, oben leicht gespalten sind, so dass man dort eine Karte oder ein Stück weisses Papier anbringen und so den Stab leicht kenntlich machen kann (Fig. 11). Diese Stäbe müssen gut in den Boden gesteckt werden, so dass der Wind sie weder umzuwerfen noch in schiefe Lage zu bringen vermag. Ist der Boden zu hart dazu, so lässt man die Stäbe halten und stellt inzwischen am Fusse derselben aus Erdschollen oder Steinen einen kleinen Hügel her. Die Stäbe müssen aber genau vertikal gestellt werden. Zu dem Ende placiren wir uns in einiger Entfernung mit einem Senkblei, dessen Faden in Stirnhöhe so zu halten ist, dass die Kugel fast bis zum Boden reicht; dann vergewissert man sich, dass die Stäbe nach keiner Seite hin geneigt sind. Es können folgende Aufgaben zu lösen sein. 1° Zwei Stäbe in eine bestimmte Richtung zu bringen. Nachdem der eine Stab in solider Weise aufgepflanzt, lässt man einen andern ungefähr, in der gewünschten Richtung anbringen, stellt sich hinter fi. 7. den ersten und gibt dem Gehülfen, welcher den zweiten Stock zu placiren hat, mit der Hand Zeichen, den Stock je nach seiner Stellung mehr nach rechts oder links zu versetzen, bis er in die gesuchte Richtung kommt, d. h. 28 VORBEREITUNG bis er beim Visiren nach der zu bestimmenden Richtung durch den ersten Stock gedeckt erscheint. 2° Punkte in einer Geraden zwischen zwei Stäben zu be- stimmen. Kann man sich hinter einen der beiden Stäbe begeben und dabei den andern doch im Auge behalten, so ist es leicht, andere in der gleichen Geraden aufzustellen. Man hat nur zu verfahren, wie vorhin angegeben wurde, indem man darauf achtet, dass die Stäbe sich alle decken. — Kann man sich aber nicht hinter einen der äussersten Stäbe begeben um zu visiren, so muss man die Aufgabe durch Versuche lösen. Man pflanzt einen zwischenliegenden Stab auf, begibt sich hinter denselben und lässt einen andern zwischen diesen ersten und einen der äussersten einstellen. Dann tritt man hinter den zweiten Stock, visirt nach dem andern Endpunkt und lässt den mittlern Stab anders placiren, wenn er nicht in der Geraden erscheint. So fährt man fort, indem man abwechselnd vom einen und andern der mittlern Stäbe aus visirt, bis die gerade Linie. hergestellt ist. — Ist einer der beiden Endstäbe vom andern aus nicht sichtbar, so begibt man sich nach einem zwischenliegenden Punkte, von wo aus man beide sehen kann; mit Hülfe einer ebenen Fläche (Tafel, Brettchen) bestimmt man die ver- tikale Ebene, in welcher sich die beiden äussern Stäbe befinden und lässt hierauf demgemäss die mittleren Stöcke aufstellen. 3° Eine abgesteckte Gerade zu verlängern. Man tritt hinter die schon aufgestellten Stäbe und lässt andere in der gleichen Richtung aufpflanzen. In stark geneigtem Terrain muss man hiebei die Stäbe in kurzen Entfernungen von einander anbringen. — Soll die Verlängerung über eine Anhöhe hinüber bewerkstellist werden, so wendet man ein ähnliches Verfahren an, wie wenn ein Stab von einem andern aus nicht sichtbar ist. — Ist das Hinderniss unpassirbar, so umgeht man dasselbe. In der Nähe desselben angelangt, entfernt man sich nämlich davon um eine gewisse Strecke, unter einem rechten Winkel; dann folgt man einer Parallelen zur ersten Linie, bis man über das Hinderniss hinaus ist und kehrt hierauf wieder unter einem Winkel von 90° und mittelst Einhaltung derselben Distanz, um welche man PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 29 seitwärts ausgewichen ist (Fig. 12, a, b, a ec, d, e, f), in die erste Richtung zurück'). Der Theodolit erleichtert all das un- gemein; da sein Fernrohr sich in voll- kommen vertikaler Ebene bewegt, so bezeichnet es genau die Richtung, in welche Stäbe zu stellen sind, auch auf grosse Di- stanzen und bei grossen Niveaudifferenzen, eı wie für Linien, welche über Anhöhen | | | | ’ hinüber fortzusetzen sind. Bei Benutzung des Theodolits oder eines anderen, mit weittragendem Fernrohr versehenen Instrumentes, verwendet man statt der Stäbe Zeichen, die von Weitem sichtbar sind (Stangen mit Fähnchen, Strohwische u. del.), und die (Gehülfen, welche dieselben tragen und aufstellen müssen, werden dirigirt durch Signale mit Taschentüchern, durch Hörnerruf oder Pistolenschüsse, deren Bedeutung vorher verabredet worden ist. Das Schätzen und Messen von Distanzen. Beim Reisen hat man so oft Entfernungen abzuschätzen, dass es gut ist, wenn man sich darin übt. Es gehört viel Uebung dazu, um von freiem Auge Distanzen abzuschätzen. Die Uebungen, die wir oben (pag. 22, Kartenlesen) empfohlen, bereiten indess darauf vor. Bei aller Fertigkeit, die man in dieser Beziehung erworben, muss man immer wohl auf der Hut sein gegen mögliche Fehler, Irrungen und deren Quellen. So z. B. sehen wir bei ver- schiedengradiger Durchsichtigkeit der Luft die Gegenstände bald deutlicher und scheinbar näher, bald unbestimmter, nebelhaft, und dem Anscheine nach in grösserer Entfernung. Sodann täuscht uns auch oft die Art der Beleuchtung eines Objektes: ein hell beleuchteter oder leuchtender Gegenstand erscheint uns näher als er wirklich ist. Darum täuscht man sich Nachts fast immer über die Entfernung, in welcher ein Licht ist oder eine Feuersbrunst stattfindet. Alle solche Fehlerquellen, oft lokaler und zufälliger Natur, muss man zu würdigen wissen. JR Fig. 12. !) In Ermanglung einer Boussole oder eines andern Instrumentes konstruirt man diese rechten Winkel, indem man längs der Ränder einer Tafel, eines Heft:s oder Buches hinvisirt. 30 VORBEREITUNG Man schätzt Distanzen auch nach der Zeit, die man braucht, um sie zu Fuss oder zu Pferd zurückzulegen. Um hiebei eine gewisse Genauigkeit zu erlangen, muss man vorher seinen Schritt oder den des Reitthiers reguliren und zu diesem Zwecke öfters eine gegebene Strecke durchlaufen, um die hiefür benöthigte Zeit kennen zu lernen. Durch wiederholte Uebungen unter verschiedenen Verhältnissen (bergan und bergab, in sandigen oder sumpfigen Gegenden, bei Hitze, Müdigkeit etc.) wird man eine mittlere Strecke kennen lernen, die man in einer gegebenen Zeit zurück- zulegen vermag. Selbstverständlich muss man Haltepausen wie verschiedene Gangarten der Reitthiere berücksichtigen.') Nur en passant erwähne ich das Distanzenschätzen mittelst des Schalles.. — Sieht man, was den Schall erzeugte (z. B. die Axt oder den Hammer, womit gegen einen Baum oder auf einen Stein geschlagen wird, den Blitz beim Abfeuern eines Gewehrs u. s. w.), so kann man die Entfernung berechnen, indem wir wissen, dass der Schall in der atmos- phärischen Luft (bei einer Temp. von 10°) sich mit einer Geschwindigkeit von 337,2 m in der Sekunde fortpflanzt, und dass diese Geschwindigkeit mit jedem Grad des Steigens oder Sinkens der Temperatur um 0,626 m zu- oder abnimmt, während das Licht augenblicklich zu uns gelangt’). Man darf indess nicht vergessen, dass die Schnelligkeit der Fort- pfanzung des Schalles durch den Wind beeinflusst wird. Zur Messung kurzer Distanzen kann man Stangen (Mess- latten) anwenden von bestimmter Länge, die horizontal und mit den Enden an einander gelegt werden. Die zu messende Linie muss, wenn deren Endpunkte ziemlich weit von einander entfernt sind, vorher abgesteckt werden, damit man nicht 1) Das Mittel der menschlichen Gehgeschwindigkeit ist etwa 5 Km pro Stunde, das Minimum 4 Km, das Maximum 6 Km; mehr als 5,5 Km pro Stunde lässt sich auf die Dauer nicht leisten; ein Schritt ist im Mittel 0,8m, etwa mit Grenzwerthen von 0,7 und 0,9m. Wer seinen Schritt wiederholt unter verschiedenen Umständen, auf verschiedenem Boden und bei verschiedenem Zustand der Ermüdung bestimmt und die Aenderungen verfolgt, kann sehr wohl aus seinen Schrittmaassen Resultate ziehen, welche auf 1— 20/0 genau sind. Nach Erfahrungen von Cailliaud, Rohlfs und Güssfeldt hat der Geograph das Recht, die Itinerare von Kameelkaravanen in Nordafrika und Arabien nach dem Massstab 1 Stunde = 4 Km zu verwerthen und wird hiemit bei längeren Strecken Aa um 50/0 fehlen. Jordan, a. a. O. 88 58 und 208. 2) Die Geschwindigkeit des Lichtes in Aer Sekunde beträgt: nach Fizeau 315,000 Kilometer, », Foucault 298,000 O0 »„» Cornu 300,400 s PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN Sp von derselben nach rechts oder links abweicht. Ferner muss man sich über die wagrechte Lage der Messlatten ver- gewissern mittelst einer Libelle, die eine Luftblase enthält (Fig. 13) und die man in der Tasche bei sich führen kann. Bei abschüssigem Terrain wird man sich auch eines Senkbleis bedienen, um sicher zu sein, dass die Enden der Messstangen ein- ander genau entsprechen (Fig. 14). 72,007. 2a DARF Pa a PRREE A 7 Zu Fig. I4. Sind die zwei Punkte, deren Entfernung man bestimmen will, durch ein Hinderniss (Teich, Wäldchen, Fels, Gebäude etc.) getrennt, so stellt man zwischen ihnen die Verbindung her, wovon S. 28 die Rede war, misst ab, cd, ef (Fig. 15) und erhält durch Addition dieser 3 Strecken die Gesammt- länge af, da ja die Linie cd genau gleich sein muss De, wenn man sorgfältig zu Werke gegangen ist, d. h. wenn die Winkel bei 5, ec, d und e wirklich rechte Winkel sind. Fig. 15. Das Hinderniss kann aber- so beschaffen sein, dass eine Umgehung desselben unmöglich ist, so z. B. wenn zwischen den Endpunkten a und b der zu messenden Linie ein breiter Fluss sich hinzieht (Fig. 16). 32 VORBEREITUNG In diesem Falle steckt man . eine beliebig lange Gerade ab, /, welche auf ab in a senkrecht steht. Die Mitte von ad wird durch einen stark in die Augen fallenden Stab bezeichnet. Dann errichtet man in d eine Senk- rechte auf ad und geht in der N Richtung soweit rückwärts, bis N der Stab in ce das Objekt b deckt. \ Diesen Punkt (e) bezeichnet man e wieder durch einen Stab. So m: hat man zwei kongruente recht- Zi zig winklige Dreiecke hergestellt, worin cd = ca und de = ab, der gesuchten Distanz. Wie man sieht, kann dies Verfahren auch angewendet werden, um die Breite eines Flusses zu messen, ohne dass man auf's andere Ufer hinübersetzt. Man braucht nur für den Punkt b (Fig. 16) einen Baumstamm, einen grossen Stein oder irgend einen andern augenfälligen Gegenstand am andern Ufer zu wählen und von der Strecke ab die Distanz ao (bis zum diesseitigen Ufer) zu subtrahiren, so gibt der Rest die gesuchte Breite. Häufig trifft es sich aber, dass das Terrain nicht hinlänelich geeigneten Raum gewährt zur Vornahme des beschriebenen Verfahrens. Dann wendet man ähnliche Dreiecke an, statt kongruenter'). Es sei ab (Fig. 17) die zu messende Breite eines Stromes mit waldigen oder felsigen Ufern, wo dem Fluss entlang nur ein schmaler Streif sandigen Bodens eben ist. Man steckt ad ab, wie vorhin gesagt wurde; dann bringt man einen besonders bemerkbaren Stab in ce so an, dass cd der vierte Theil von ad ist; errichtet in d wieder ein Perpendikel auf 1) Kongruente (identische) Dreiecke nennt man solche, in welchen jedes Stück des einen beziehungsweise gleich ist je einem entsprechenden Stück des andern, so dass die Dreiecke zur genauen Deckung gebracht werden können, wenn man sie auf einander legt. Achnliche Dreiecke hingegen sind solche, die nur in den Winkeln übereinstimmen (was der Fall ist, wenn von zwei Winkeln des einen jeder gleich ist je einem Winkel des andern), während die Seiten ungleich gross sind, so dass das eine dieser Dreiecke vom andern nur zum Theil gedeckt würde. Das Charakteristische der ähnlichen Dreiecke ist, dass ihre korrespon- direnden (homologen) Seiten proportional sind. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 33 ad und geht abermals in der Richtung dm bis zu dem Punkte e, wo der Stab das Objekt 5b am andern Ufer deckt. Die Dreiecke cab und ede sind nun ähnlich, d. h. sie haben gleiche Winkel und propor- tionale Seiten. Da nun «ac das Dreifache von cd, so m ist auch die gesuchte Rg. Distanz ab drei mal so gross als de. Esist klar, dass man cd irgend einem Bruchtheil von ad gleich machen kann; die Regel ist immer die: so oft mal ed in ac enthalten, so viel mal grösser ist die gesuchte Länge ab als die Strecke de. Ist also cd = "/ıo von ad, ac mithin —= ”/io von ad und folglich ed in ac neunmal enthalten, so muss man de neunmal nehmen, um die gesuchte Distanz ab zu bekommen. Ist die zu messende Linie an ihren beiden Enden zugänglich wie ab in Fig. 18, so begibt man sich zu einem Punkt 0, von wo aus a und 5b sichtbar sind. Nachdem man die Linien ao und bo bezeichnet hat, steckt man von einem Punkte c (den man in der Linie @«o so wählt, dass . . 1 . oc ein bequemer Theil, —, von oa) aus eine Parallele zu ab ab, indem man od gleich demselben aliquoten Theil ( =, von ob macht, und erhält so wieder zweiähnliche Dreiecke. Man misst oc, cd und oa; so oft nun oc in oa enthalten ist, so viel mal grösser ist die gesuchte Strecke ab als die Länge cd. Es gibt noch andere geo- metrische Methoden für Kon- struktiorm und Berechnung von Dreiecken; die oben erwähnten sind aber die einfachsten und‘ vollständig genügend zu an- nähernd genauer Messung klei- nerer Distanzen. 34 VORBEREITUNG Was nun die grossen Strecken betrifft, so kann man solche auf Reisen unmöglich so messen, wie es soeben für kleinere gezeigt worden ist. Man muss zu andern Mitteln greifen. Solche Mittel sind: Das Odometer (Hodometer) , Pedometer, der Wegmesser, Schrittmesser oder Schrittzähler, ein Instrument, das bei Beginn der Reise am Knie eines Menschen oder Pferdes an- gebracht oder in der Tasche mitgetragen wird und welches die Länge des zurückgelesten Weges durch die Zahl der Schritte oder Radumdrehungen angibt. Das Instrument ist Störungen unterworfen und nicht immer bequem anzuwenden. Der Distanzmesser, ein Fernrohr mit parallelen Fäden, welche ermöglichen, eine Entfernung zu messen, indem man ein Objekt von bekannten Dimensionen oder eine Nivellirlatte (Nivellirmassstab) anvisirt. Sie hat für den Reisenden das Unbequeme, dass man fast immer an den Punkt, dessen Entfernung man kennen lernen will, einen Mann hinsenden muss,damitersich daselbst aufstelleoder die Messlatteanbringe'). Trigonometrische Messungen. Dieses Mittel ist das zu- verlässigste und bequemste, wenn es auch auf den ersten Blick etwas komplizirt erscheint. In letzter Linie läuft es auf die Messung einer geraden Linie (Basis) hinaus, welche die Seite eines Dreieckes bildet, und auf die Messung eines oder mehrerer Winkel. Die andern Stücke, Seiten und Winkel, die man nicht gemessen hat, und die manchmal unmöglich direkt gemessen werden könnten, bestimmt man dann durch Rechnung oder durch Konstruktion auf dem Papier. Wir haben gesehen, wie man eine gerade Linie, d. h. die Entfernung zwischen zwei Punkten misst. Die Winkel, unter welchen man Gegenstände erblickt, z.B. A und B (Fig. 19) bestimmt man mit Hülfe eines Instrumentes (Theodolit oder Boussole), welches einen gra- duirten Kreis hat. Ist das Instrument in (€, so visirt man nach dem Punkt A. dann nach 3°); die Differenz der beiden auf dem einðeilten Kreise abgelesenen Zahlen ist das Mass für den Winkel. !) Man kann auch den Guaumel’schen Taschentelemeter mit Doppelreflexion (Telemetre de poche, ä double reflexion, du capit. Gaumet) anwenden, welcher beschrieben ist in No. 10 der Comptes rendus de l’Academie des Sciences de Paris, 1376, page 152. 2) Der eingetheilte Kreis (Limbus), muss in genau horizontaler Lage sein ; ebenso die Kippaxe des Fernrohrs. Sind die anvisirten Gegenstände in verschiedener PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 35 Fig. 19. Die Visirrichtung ('A gehe durch 25° 10’ der Kreiseintheilung (des Limbus), die Linie ÜB durch 46° 25’, so findet man durch die einfache Subtraktion: 46° 25° — 25° 10’ die Grösse 21° 15’ für den Winkel ABC. Man kann aber sogar diese Subtraktion ersparen, indem man das Instrument so aufstellt, dass die Visirrichtung (A über den Nullpunkt der Kreistheilung geht. Die Ablesung für die Visirlinie CB gibt dann sofort den Winkel an. Soweit hat also die Sache keine Schwierigkeiten. Höhe, so darf man nicht etwa den Kreis in eine schiefe Lage bringen, sondern man muss sie durch die Oefinungen des Diopters oder durch das Fernrohr visiren, ohne eine Störung der horizontalen Lage des Kreises zu bewirken. Auch muss das Centrum des Instrumentes genau senkrecht über dem Punkt © liegen. Ist das Instrument auf einem Stocke befestigt (Stockboussole), so genügt es, mit Hülfe eines Senkbleies sich von der genau vertikalen Stellung des Stockes zu überzeugen. Ruht aber der Apparat auf einem dreibeinigen Stativ, so ist dieser Dreifuss unter der Mitte seiner Platte gewöhnlich mit einem kleinen Ring ver- sehen, an welchen man ein Senkloth aufhängen kann. Es ist nun nicht immer möglich, das Instrument genau im Punkte (C auf- zustellen; es kann sich an diesem Punkte ein Gebäude (ein Thurm u. dgl.) befinden, oder - A ein anderer Gegenstand, wie ein Baum, ein Bag y Fels, einSignal. Dann begibt man sich etwas BEN A seitwärts, nach links oder rechts, z. B. nach Pe 7 C* (Fig. 20) und visirt um soviel nach links oder rechts von A und B hinweg, indem man c’ > berücksichtigt, dass eine Distanz wie C( in Te der Ferne auf einen sehr geringen Betrag ae ud reduzirt wird. — Im Anhang (Taf. IV B) werden I wir genauere Methoden dieses unter dem ey SB Namen zentrischer Reduktion eines Winkels be- 77 kannten Verfahrens besprechen. Er 36 VORBEREITUNG Wir wollen jetzt einige Grundsätze betrachten, welche uns die Methode klar machen werden. Ein Dreieck ist bekanntlich eine von 3 Seiten begrenzte Figur. Die eine dieser Seiten heisst die Grumdlinie oder Basis des Dreiecks, Spitze der Scheitel des gegenüberliegenden Winkels, Höhe der senkrechte Abstand der Spitze von der Grundlinie, gemessen auf dem Perpendikel, welches man von der Spitze aus auf die Basis oder deren Verlängerung fällen kann. (Fig. 21). Jedes Dreieck hat 6 Stücke: 5 Seiten und 3 Winkel. Ein Dreieck ist nun be- i REN: stimmt, d. h. man kann alle Basis Basis seine Stücke berechnen oder Fig. 21. alien det. konstruiren, wenn man drei dieser Stücke kennt, worunter aber wenigstens eine Seite sein mass. Nehmen wir z. B. das Dreieck abc (Fig. 22). Die drei Stücke, die bekannt sein müssen, können sein: _ Höhe 1° Die drei Seiten ab, be und ac. 2° Zwei Seiten, z. B. ab und ac, und der von ihnen eingeschlossene Winkel (a). 3° Zwei Seiten, ab und bc, und der Gegenwinkel c der grössern Seite. 4° Eine Seite, z.B. ac, und die zwei } anliegenden Winkel (a und e). 5° Eine Seite, z.B. ac, ein anliegender und der Gegenwinkel (a und db). Da es beim Reisen zu zeitraubend wäre, grosse Linien auf dem Terrain direkt zu messen, so werden wir uns auf 2 die Fälle 4 und 5 beschränken, welche Aue nur eine einzige Seitenmessung erfordern. Was die Berechnung der Winkel anbetrifft, so muss man sich erinnern: a) Dass die Summe der 3 Winkel eines Dreiecks immer gleich ist zwei Rechten oder 180". b) Dass man folglich, wenn man zwei Winkel des Dreiecks oder auch nur deren Summe kennt, den dritten erhält, indem man einfach jene Summe von 180° subtrahirt. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 37 c) Beim rechtwinkligen Dreieck ist, da einer seiner Winkel 90° hat, die Summe der beiden andern auch 90°; man braucht also nur einen dieser zwei spitzen Winkel zu kennen, so findet man sofort den andern. Nehmen wir nun an, es handle sich um Bestimmung der Distanz AB (Fig. 23). Eine Linie AC als Basis stecken wir ab und messen wir mit all’ der Sorgfalt, wovon Seite 31 die Rede war. Dann stellen wir unser Instrument der Reihe nach in A und in Ü auf und messen die Winkel CAB und ACB (s. Seite 35). Statt den Winkel bei € zu messen, können wir aber auch, wenn dies für uns bequemer ist, denjenigen bei A messen. Wir brauchen 4# dann nur die Summe der Winkel A und 3 von 180° zu subtrahiren, um den Winkel bei Ü zu erhalten. Im einen wie im andern Fall haben wir 3 bekannte Stücke, worunter eine Seite. Um nun die 3 andern, ins- besondere die gesuchte Länge AB zu erhalten, bedient man sich gewöhnlich trigonometrischer Formeln und der Loga- rithmentafeln. S. Anhang Taf. IV. Da aber nicht Jedermann mit deren Gebrauch vertraut ist, wollen wir hier ein weit ein- facheres und doch hinlänglich genaues Verfahren angeben. Es besteht in Folgendem: Auf ein Blatt Papier zeichnet man die gemessene Basis AC in verkleinertem Massstabe, wozu man sich eines ein- getheilten Lineals oder doppelten Dezimeters (Fig. 24) bedient, wobei ein Millimeter z. B. eine wirkliche Länge von 1 m darstellt, so dass die gemessene Basis auf dem Papier 90 mm lang wird, wenn sie in Wirklichkeit 90 m hat. An den End- _ B: punkten @ und « dieser Linie, welche| 5. | uns die Basis in verjüngtem Massstabe| /; gibt (Fig. 25), tragen wir die Winkel @ | ab. Zu diesem Zwecke bringt man das Centrum des Transporteurs (Fig. 26) zuerst auf den Punkt a und zugleich / _7 die Linie 00° (180—180°) des Instru- et Fig. 24. mentes genau auf die Linie ac. Dann Fig. 25. Fig. 28. ’ 38 VORBEREITUNG bezeichnet man auf dem Papier am Bogenrande des Instru- mentes, den Punkt der Kreistheilung, welcher der auf dem Felde gemessenen Winkelgrösse entspricht. Nachdem man in Bezug auf den Punkt © dasselbe Verfahren angewendet, zieht man die Linien ab und ac, welche sich in einem Punkte D schneiden. Um nun die Distanz AB in ihrer wirk- lichen Grösse kennen zu lernen, hat man nur deren Abbild @b i mit dem Doppel- El | dezimeter (verjüngten DT sta zu mesen u — und die abgelesene en Grösse mit der Zahl zu multipliziren, welche die bei der Zeichnung angewendete Re- duktion angibt. Haben wir also auf dem Papier 1 mm angewendet statt eines Meters auf dem Felde und hat die Linie ab 145mm, so ist die gesuchte Strecke AB im Terrain 145 m lang. Bei Anwendung dieses Verfahrens ist die Basis auf dem Felde so zu wählen, dass die Visirstrahlen von deren Enden 4 und © nach dem. Punkte B nicht einen allzuspitzen Winkel bilden; denn sonst würde der Schnitt der Linien , ab und be auf dem Papier und damit das Endresultat ungenau. B; Umeinen solchen Fehler zu vermeiden, setztman die Basis AC in solcher Weise fest, dass der Winkel bei C nur selten grösser ist als ein rechter und verlängert sie so weit, dass der Winkel bei A nicht mehr als 60° hat; ja man soll so viel als möglich darnach trachten, dass jeder der beiden Winkel A und © un- :A gefähr 60° habe; es ist dies das beste Ver- ce ia’ hältniss zu einer genauen Dreiecksmessung. Fig. 27. Nicht immer ist es möglich, das Instrument im Punkte A aufzustellen und noch weniger, von diesem Punkte A aus passendes Terrain für eine Basis zu finden. In diesem Fall verfährt man folgendermassen. Es sei AB (Fig. 27) die zu bestimmende Distanz. Man stellt einen Stab auf in einem Punkte A’ ihrer Fortsetzung PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 39 und steckt nun eine Linie A’C annähernd senkrecht zu AB ab. Mit dieser Geraden A’C als Basis bestimmen wir das Dreieck BA’C in der vorhin beschriebenen Weise, d. h. durch Messung von A’C und der beiden Winkel in A’ und (. Von der Zahl, die man so für 4’B 4 erhält, zieht man nun die direkt gemessene Strecke A’ A ab und erhält so die gesuchte Distanz A B. | Ein zweites Beispiel: Gesucht sei die. Distanz EF (Fig. 28). Senkrecht zu EF steckt man von F'ıaus eine Gerade FH ab. Mit °: ...\ einem Theil @ H derselben als Basis # @ H bestimmt man das Dreieck EG H, Eu 2 dessen Höhe die gesuchte Distanz E F' ist. Müsste man für jede Distanz, die man bestimmen will, jeweilen zuerst eine Basis messen, so wäre die trigono- metrische Methode kaum zu empfehlen. Glücklicherweise ist das aber nicht nöthig. Die Basis A C (Fig. 29) dient uns zunächst nicht nur zur Bestimmung der Entfernung des Punktes ZA, sondern aller Punkte, die man von A und © aus unter geeigneten Winkeln zu sehen vermag, wie D, E, F,, @, H, I etc. — Dann können wir, nachdem uns einmal A D bekannt geworden, dasselbe als Basis benutzen, um die Distanz AK zu finden, welche uns von A ( aus mit diesem unter einem zu spitzen Winkel erschien. Zu diesem Zwecke brauchen wir uns bloss nach D zu begeben (ohne dass wir etwa AD auf dem Felde zu messen haben, indem wir das- selbe durch Rechnung bereits kennen) und den Winkel ADK zu messen, welcher mit dem in A zu messenden Winkel DAK (oder, wenn man das vorzieht, mit dem Winkel DKA, gemessen in K) die drei Stücke liefert, deren wir zur Kon- struktion oder Berechnung des neuen Dreiecks bedürfen. — Da ferner die gegenseitige Lage der Spitzen aller Dreiecke durch die Zeichnung auf dem Papier bekannt ist, so sind damit auch die Distanzen gegeben zwischen @ und H, H und I etc. Diese Strecken sind-also neue Grundlinien, von wo aus wir die Entfernung oder die gegenseitige Lage wieder andrer Punkte Z, M, N, O u. s. w. bestimmen können, welche man von A und B aus nicht oder aber unter zu spitzen Winkeln sah. 40 VORBEREITUNG A IN UN " 0 \ ' il Y ı Fig. 29. Dieses Verfahren, welches, wie man sieht, darin besteht, die Lage der wesentlichsten Punkte einer Gegend durch ein Netz von Dreiecken zu bestimmen, heisst Triangulation. Dass man dabei von einer Basis auf eine andere über- gehen kann, ist sehr werthvoll aus folgendem Grunde: Die Nachtheile zu spitzer Winkel würden uns nöthigen, behufs Bestimmung grosser Distanzen eine sehr lange Linie als erste Basis zu wählen und zu messen. Um so in direkter Weise Distanzen zu erhalten wie A B (Fig. 30), welches vielleicht über 10 Km betragen mag, würde es nicht PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 41 \ einer langen Grund- linie viel Zeit in Ef \ Anspruch nähme. Ike: \ Um also nicht ge- ünred \ zwungen zu sein, köule x eine solche Basis zu 4 .:C D messen, wird man — Fig. 30. wenn es sich um trigonometrische Bestimmung grosser Distanzen handelt — darnach trachten, eine ausgedehnte Basis zu erlangen, ohne dass man genöthigt wäre. sie auf dem Felde zu messen. Zu dem Ende verfährt man fol- gendermassen: Auf gleichmässig ebenem Terrain steckt und misst man eine Basis Db (Fig. 31) von etwa 1 Km ab. Von dieser kurzen Grundlinie geht man mit Hülfe einer Reihe von Dreiecken zu einer 5 bis 10 mal grössern Basis 97 über. Dazu genügt es, zunächst das Dreieck BbA zu konstruiren oder zu berechnen, dann mit A B als Basis das Dreieck BA C u. s. w. Achtet man hiebei darauf, dass man immer die grösste Seite eines bereits bestimmten Dreiecks als kleine Seite des folgenden Dreiecks nimmt, so nehmen die neuen durch Rechnung oder Zeichnung er- haltenen Grundlinien an Länge sehr rasch zu, biswir endlich solche bekommen, B genügen, dass wir uns nach (€ begäben ; x vielmehr müssten wir wenigstens bis D, etwa 5 Km von A weg, gehen. Nun ist es nicht nur sehr schwierig, ein Terrain r zu finden, das günstig ist zur Absteckung einer so ausgedehnten Basis, sondern es kommt noch dazu, dass, selbst wenn man \ dasselbe fände, die genaue Messung solch Fig. 31. 42 VORBEREITUNG die zur Messung auch der grössten Entfernungen genügen. Das ist was man ‚‚von einer gemessenen Basis zu einer grösseren. übergehen‘ heisst. Ein solches System von Dreiecken wird als Basisnetz bezeichnet. Um ganz sicher zu sein, dass man die so erlangte Basis genau bestimmt habe, geht man durch eine entgegengesetzte Operation (d. h. durch eine Anzahl immer kleinerer Dreiecke) auf eine Basis von mässiger Länge zurück und misst die- selbe auf dem Felde. Das Ergebniss dieser Messung muss der durch Rechnung oder Konstruktion erhaltenen Länge gleich sein. Andernfalls wären die Operationen mit Fehlern behaftet und müssten unter Anwendung grösserer Sorgfalt von Neuem vorgenommen werden. Auf diese Anwendung zweier Grundlinien (einer doppelten Basis) als Mittel zur Verifikation sollte man nie verzichten, trotz der hieraus entspringenden Mehrarbeit; denn ein geringfügiger anfäng- licher Fehler kann, indem er sich von Dreieck zu Dreieck fortpflanzt und vergrössert, das schliessliche Resultat ganz entstellen. Mindestens ist man, bei Unterlassung jener Vorsichtsmassregel, im Zweifel über den Werth der Arbeit, während man andernfalls darüber Gewissheit erhält — und das Bewusstsein, genau gearbeitet zu haben, ist für uns eine gewisse Genugthuung und erfüllt uns mit mehr Sicherheit. Schätzung und Messung von Höhen. Was die Höhen anbetrifft, so kann man kaum vom Abschätzen der- selben sprechen; denn über keine Maasse täuscht man sich so leicht wie über Höhen, wenn man sie nach dem Augen- schein beurtheilt, selbst wenn man hierin geübt ist. Uebrigens handelt es sich bei Reisen und insbesondere bei Bergbesteigungen meistens darum, zu wissen, ob irgend ein bestimmter Punkt tiefer oder höher liegt als der, an welchem wir uns befinden. Dazu gibt es, wenn nicht sehr grosse (enauigkeit gefordert wird, ein ganz einfaches Mittel. Be- kanntlich ist die Oberfläche des Wassers in einem Gefässe horizontal. Man füllt daher ein Glas oder eine Flasche mit Wasser, bringt den Wasserspiegel in Augenhöhe und blickt darüber hin. Jenachdem der Visirstrahl, welcher die Wasseroberfläche streift, unter den beobachteten Punkt oder aber über ihn zu liegen kommt, ist derselbe höher oder niedriger als der, worin wir uns befinden. Man kann auch PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 43 längs der Randlinie einer Libelle- visiren, deren man, ihrer häufigen Anwendung wegen, immer eine bei sich haben sollte. Bei wagrechter Lage des Instrumentes — wobei die Luft- blase die Mitte einnehmen muss — wird man, je nach dem Punkt, nach welchem der Visirstrahl ausläuft, unmittelbar beurtheilen können, ob man sich höher oder niedriger be- findet als der Ort, der in Frage kommt. Man kann auch die Libelle, resp. ihre Achse, nach diesem Orte richten, wie beim Zielen mit einer Schusswaffe. Bewegt sich dabei die Luftblase, die immer den höchsten Punkt aufsucht, nach dem Beobachter hin, so liegt die anvisirte Stelle tiefer; entfernt sich die Blase vom Auge des Beobachters, so liegt hingegen der fragliche Punkt höher als der Ort, an dem man sich befindet und von wo aus man beobachtet. Es gibt wenige Methoden, um Höhen ohne Instrumente zu messen. Setzen wir aber den Fall, man habe keine Apparate zur Hand 4 und wolle sich den- noch eine wenig- stens annähernd richtige Vorstel- lung von der Höhe eines Baumes oder Gebäudes verschaf- fen. Man schätzt oder misst nun die Entfernung biszum Fusse 5 (Fig. 32) des Gegenstandes, dessen Höhe man kennen zu lernen wünscht. Dann bestimmt man mit aus- gestrecktem Arm und mittelst eines Stockes die Punkte b’ und c, worin die Visirstrahlen vom Auge des Beobachters a nach 5’ und nach der Spitze (' des Gegenstandes den Stab treffen. Die Länge b’c auf dem Stabe multiplizirt mit der Zahl, welche angibt, wie oft mal länger AB sei als der ausgestreckte Arm, gibt die Höhe 3’ C, zu welcher man noch 3 5’ addiren muss, d. h. die Höhe des Beobh- achtungspunktes (Auges) über dem Boden. So erhält man die gesuchte Höhe B C'). 1) Auf diesem Prinzip beruhen die Höhenmesser von Faustmann, Weise u. A., die so eingerichtet sind, dass man nach Einstellung des Instrumentes die zu messende Höhe am Index ablesen kann. I = Sen m IZIE === an mZrTS —= A 44 VORBEREITUNG Ein andres Verfahren, das aber kaum erheblich genauer ist, beruht darauf, dass man die Höhe aus Schattenlängen ableitet (Fig. 33). Man steckt einen Stab in « auf, misst AC, ab und ac. Die gesuchte Höhe AB ist nun gleich abe >< - weil die Er Schatten denHöhen el IN proportional sind = =>. (AB:ab=A(Ü:ac). Hiebei muss der Boden, auf welchen die Schatten geworfen werden, vollkommen eben sein. Nur kurz erwähne ich das Höhenmessen mit Hülfe einer Wasserfläche B (Fig. 34), worin das zu messende Objekt sein Spiegelbild hat. Nach einem bekannten optischen Gesetze ist der Einfallswinkel eines Lichtstrahls gleich dem Reflexions- winkel, also auch der Winkel A BC gleich dem Winkel aBc, so dass die beiden Dreiecke ABC und abc (da sie rechtwinklig sind, also noch in einem zweiten Winkel überein- stimmen) ähnlich, folglich ihre Seiten proportional sind. Wenn man nun aB, ac und BA misst, so findet man : r 4 ‚ BA die gesuchte Höhe Al =ac x z- Das sind indess, wie leicht ersichtlich, eher Schätzungs- als Messungsmethoden. Wollte man sie auf ferne Gegen- stände anwenden, so würde man bei dem Missverhältniss, welches dann zwischen den Dreiecksseiten bestünde, ganz unzuverlässige Resultate erhalten. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 45 Will man die Höhe entfernter Punkte bestimmen, so muss man sie durchaus init Instrumenten messen. Beim Höhenmessen unterscheidet man nun die relative Höhe, d. i. die Niveaudifferenz zwischen zwei Punkten, die man niifsinander bezieht; und die absolute Höhe oder Meeres- höhe (altitude), d. h. den senkrechten Abstand eines Ortes vom Niveau des Meeres, das man sich fortgesetzt denkt bis unter oder über diesen Ort. Die relative wie die Meereshöhe werden beide vertikal gemessen, in der Richtung des Senklothes, wie die Entfernung zweier verschieden hoch gelegener Punkte durch den wag- rechten Abstand der Vertikalen dieser Punkte bestimmt wird (Fig. 35). Die relatire Höhe (Niveaudifferenz) heisst positir L = TY a z a | Horizontale Entfernung der Punkte 4 a | Höhenunterschied der Punkte 4# \ A und 2. Bb\ A und 2. a | Absolute Höhen der Punkte A und B. Fig. 35. (+), wenn der Punkt, dessen Höhe man sucht, höher lieet als der von welchem aus man misst; andernfalls heisst sie negativ (—). Die absolute Höhe ist positiv (--) für alle über dem Meeresspiegel gelegenen Orte, negativ (—) aber für diejenigen, die wie z. B. das Jordanthal tiefer liegen als das Niveau des Meeres. Die Höhenzahlen oder Coten auf den Karten geben, wenn nicht ausdrücklich das Gegentheil bemerkt ist, positive, d. h. Höhen über dem Meere an. Zur Messung der Niveaudifferenzen bedient man sich gewöhnlich der Wasser- oder Kanalwaage'), welche aus einer an beiden Enden umgebogenen Glasröhre besteht. Der Wasserspiegel in den beiden Röhrenenden bestimmt eine durchaus horizontale Visirlinie. Eingetheilte Nivellir- 1) Es gibt eine Wusserwaage mit Manometer, erfunden von Ingenieur Gallaud, französischem Strassen- und Brückeninspektor in türkischen Diensten, beschrieben in den „Annales des Ponts et Chaussees, Paris Sept. 1876, pag. 312—314, welches Instrument sehr zweckmässig scheint für kleinere Nivellements; aber man braucht hiefür einen Gehülfen und es ist auch eher geeignet für die Detailoperationen beim Traciren von Eisenbaknen als für Aufnahme von Nivellements einer grössern Landschaft. 46 VORBEREITUNG latten, die man an den beiden Punkten aufstellt, deren Höhendifferenz man ermitteln will, machen es möglich, leicht zu berechnen, um wie viel der eine dieser Punkte höher oder tiefer liegt als der andere. Aber abgesehen davon, dass man diess Verfahren nur auf kleine Distanzen an- wenden kann, ist die Kanalwaage ein so wenig zum Transport geeignetes und so zerbrechliches Instrument, dass man es Reisenden nicht empfehlen kann. Auch kann es andere Instrumente, wie Theodolit und Boussole mit Klinometer nicht ersetzen, wird dagegen durch dieselben entbehrlich gemacht, wesshalb wir nur zeigen wollen, wie man sich jener beiden Instrumente bedient. Es sei A (Fig. 36), der Standpunkt des Beobachters, 5 der- jenige, dessen relative Höhe er man bestimmen will. Man ran stellt in A das Instrument a so auf, dass der Nullpunkt > A des graduirten Vertikal- Fig. 36. kreises in die mittelst der Libelle bestimmte horizontale Gerade a Ü zu liegen kommt. Dann visirt man nach B und liest den durch die beiden Visirstrahlen gebildeten Winkel &@ ab. Die Linie A DB’ bestimmt man auf die vorhin (Abschnitt „Distanzenmessung‘“) angegebene Weise. So haben wir nun ein rechtwinkliges Dreieck a © B, worin wir eine Seite «U = ADB’ und den Winkel &@ kennen. Da C ein rechter Winkel ist (90°), so kennen wir im Dreieck a U B drei Stücke, worunter eine Seite «a €, können also das Dreieck auf dem Papier konstru- iren und DB (C messen oder berechnen; noch einfacher ist es, hiebei Tafeln anzuwenden, die speziell diesem Zwecke dienen'). Zu berücksichtigen ist dabei noch, dass die Niveau- differenz zwischen A und DB nicht BC, sondern BB’ ist, d.h. BC + CB; man muss also zu BC noch BC addiren, welches gleich ist « A oder der Höhe des Instru- 1) Zu empfehlen sind namentlich die hypsometrischen Tabellen von Kaupert, Vermessungsinspektor im Grossen Generalstabe, Berlin 1872. Dieselben geben einleitend eine Gebrauchsanweisung, sodann Cotentafeln zur Ermittlung des „scheinbaren Höhenunterschieds“ zweier Objekte (Tab. I), die wegen Erdkrümmung und Strahlenbrechung anzubringenden Korrektionen (Tab. II), endlich die Werthe (auf 4 Dezimalen) der Sinus, Cosinus und Tangenten für die Winkel von 0 bis 450 (Tab. III) und sind von bequemem Taschenformat. — Zur Verwendung bei der logarithmischen Berechnung eignet sich für unsern Zweck die vierstellige logwrithinisch- trigonomelrische Handtufel von F. G@. Ganss (Berlin). | PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 471 mentes (genauer: des Mittelpunkts seines Vertikalkreises) über dem Boden. Läge Punkt 2 tiefer als A (Fig. 37), so wäre das Verfahren dasselbe, mit dem einzigen Unter- schied, dass man die Instrumentenhöhe (Bodenabstand des Höhenkreismittel- & e punktes) zu subtra- wer ag hiren hätte. Diese Korrekturen (Addi- tion und Subtrak- WDR en tion) vermeidet man, B indem man von a ut aus in Augen- oder Instrumentenhöhe eines in BD ange- nommenen Beobachters visirt. Bei Berechnung des Höhen- unterschieds weit entfernter Objekte hat man zwei kleine Korrektionen anzubringen; eine wegen der Differenz zwischen wahrer und scheinbarer Höhe, welche von der Kugelgestalt der Erde herrührt, — und eine zweite zur Ausgleichung des Refraktionsfehlers, welcher verursacht wird durch die Brechung der Lichtstrahlen bei ihrem Durchgang durch Luftschichten von ungleicher Dichtigkeit. Diese Korrektionen fallen ausser Betracht für Distanzen bis zu 250 Meter und sind auch für etwas grössere Strecken (bis zu 1500 m) so unbedeutend, dass sie vernachlässigt werden können; für Distanzen von 1500 Meter an hat man sie aber zu be- rücksichtigen, indem sie von da an "/ıoooo des Betrages und mehr ausmachen. Handelt es sich weder um grosse Distanzen, noch um grosse Genauigkeit und kennt man wenigstens annähernd den horizontalen Abstand zwischen dem Standort und dem Fusse der durch den anvisirten Punkt gehenden Vertikalen, so kann man zur Berechnung der Höhenunterschiede die umstehende Tabelle benutzen, in Bezug auf deren Verwendung wir Folgendes bemerken. Zieht man zwischen den Schenkeln ab und a Ü eines Winkels Ba ( eine gerade Linie BC senkrecht zu einem Schenkel a (€, so ist der Quotient (Bruch) aus jener Senkrechten und diesem (nunmehr begrenzten) Schenkel die trigonometrische Tangente des Winkels. In dem Dreieck aBC (Fig. 36 und 37) ist also die Grösse 2° die al Tangente des Winkels & (tang.«, tg@). Die Ausdrücke »7 48 VORBEREITUNG und ?y@ sind’ demnach gleichbedeutend. Der erstere (ge- brochene) Ausdruck aber (—) gibt, mit a Ü' (seinem Nenner) multiplizirt, 2 C (seinen Zähler); folglich muss auch der zweite jener gleichwerthigen Ausdrücke (y@) durch Multi- plikation mit a © die Grösse B U ergeben, d. h. es ist BOC=aÜ. tge. Die Tafel gibt nun diese Tangenten für Winkel bis zu 45° (ganze und halbe Grade). Es sind diese Zahlen, wie man sieht, einfach als Faktoren mit den jewei- ligen Horizontaldistanzen zu multipliziren. Haben z. B. zwei Punkte A (Standort) und BD einen Horizontalabstand von 100 m bei einem Höhenwinkel von — 10°, so ist ihr Höhenunterschied = O,res >< 100 = 17,83 m. Haben sie 500 m Distanz bei dem Winkel — 1°, so ist ihr Höhen- unterschied = — 0,0174 > 500 = — 87m. Im ersteren Falle lieet also 5 um 17,6s m höher, im letztern um 8,7 m tiefer als A. — Für den Winkel 45° ist der Höhenunter- schied eleich der Horizontaldistanz. Faktor | Winkel | Faktor Winkel Faktor | Winkel | Faktor ty a | [73 ig [7 tg | [7 tg. a m nn ie he) run ach en ME ee 30° | 0,0087 | 130 — | 0,2309 | 250 30° | 0,4770 | 380 — | 0,7813 1 — 10:0175 30’ | 0,2401 | 260 — | 0,4877 30’ | 0,7954 30' 0,0262 14° — | 0,2493 || 30’ | 0,4986 | 390 — | 0,8098 20 — | 0,0349 30° | 0,2586 | 270 — | 0,5095 || 30’ | 0,8243 30’ | 0,0437 | 150 — | 0,2679 30’ | 0,5206 || 400 — | 0,8391 30 — | 0,0524 30’ | 0,2773 || 280 — | 0,5317 |) 30°) 0,8541 30’ | 0,0612 || 160 — | 0,2867 30° | 0,5430 | 410 — | 0,8693 40 — | 0,0699 30’ | 0,2962 || 290 — | 0,5543 30° | 0,8847 30’ | 0,0787 || 170 — | 0,3057 || 30° | 0,5658 | 420 — | 0,9004 50— | 0,0875 | 30’ | 0,3153 | 300° — | 0,5774 | 30’ 0,9163 30’ | 0,0963 | 180 — | 0,3249 || 30’ | 0,5890 || 430 — | 0,9325 6° — | 0,1051 30’ | 0,3346 | 310 — | 0,6009 | 30° | 0,9490 30’ | 0,1139 | 190 — | 0,3443 | 30’ | 0,6128 || 440 — | 0,9657 7°— | 0,1228 | 30°| 0,3541 || 320 — | 0,6249 | 30’ | 0,9827 30° | 0,1317 | 200 — | 0,3640 | 30’ | 0,6371 || 450 — | 1,0000 8 — 0,1405 | 30’ | 0,3739 | 330 — | 0,6494 || 30’ | 1,0176 30° | 0,1495 | 210 — | 0,3839 | 30”| 0,6619 | 460 — | 1,0355 90 — | 0,1584 | 30’ | 0,3939 || 340 — | 0,6745 | 30’ | 1,0538 30’ | 0,1673 || 220 — | 0,4040 | 30’ | 0,6873 || 470 — | 1,0724 100 — Me \ 30’ | 0,4142 | 35° — | 0,7002 | 30’ | 1,0913 30’ | 0,1853 | 230 — | 0,4245|| 30'| 0,7133 || 480 — | 1,1106 110 — | 0,1944 || 30' | 0,4348 | 360 — | 0,7265 || 30’ | 1,1303 30' | 0,2035 | 240 — 1 0,4452 | __ 30°] 0,7400 | 490 — | 1,1504 120 — | 0,2126 30’ | 0,4557 || 370 — | 0,7536 | 30’ | 1,1708 30’ | 0,2217 | 250 — | 0,4663 || 30° | 0,7673 | 50° — | 1,1918 PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 49 Zur Erlangung genauerer Resultate sind Formeln zu be- nutzen, die wir nebst Rechnungsbeispielen im Anhange (Taf. IV D und E) geben!'). Kennt der Beobachter die wagrechte Entfernung seines Standpunktes von dem anvisirten Punkte nicht, so ist folgendermassen zu verfahren: In A (Fig. 38) aufgestellt, misst man den Winkel &@; dann begibt man sich nach 3 und misst den Winkel $; endlich bestimmt man die Länge 4B. Nun ist der Winkel y = 180 — f, und man kennt also in demDreieck D AB D wieder drei Stücke: eine Seite 4 B sowie die zwei anliegenden Winkel @ und y, was genügt, um Be Dr A das Dreieck aufs NR Papier zeichnen er 5 zu können. Ver- längert man AD und fällt man von D aus einen Perpen- dikel DC, so ist dieses letztere die gesuchte Höhe‘). Die absolrte Höhe oder Meereshöhe findet man 1° Durch eine Reihe von Nivellements, die vom Meeres- ufer ausgehen, wobei man das mittlere Meeresniveau, d. h. den Mittelwasserstand zwischen Fluth und Ebbe, zur Grund- lage wählen muss. Die relativen und absoluten Höhen können auch durch das Barometer und das Hypsothermometer bestimmt werden. Die barometrische Höhen- Messung beruht darauf, dass der Luftdruck nach oben abnimmt. Wir werden hierauf später, bei Behandlung des Luftdruckes noch zu sprechen kommen und beschränken uns hier darauf, eine für Reisende bequeme Formel zur barometrischen Höhenbestimmung mit- zutheilen. Von zwei Stationen habe die untere den Barometerstand 2 u. die Temperatur (Centigr.) 7, die obere den e Diraznz 5 5 t, = » 1) Im Weiteren kann auf die Abschnitte über Zrigonometrische Höhenmessung in den S. 14 zitirten geodätischen Werken verwiesen werden. 2) Hinsichtlich der Berechnung vgl. Anhang, Taf. IV, sowie Lübsen, Lehrbuch der cbenen und sphärischen Trigonometrie zum Selbstunterricht mit Rücksicht auf die Zwecke des praktischen Lebens (Leipzig). 4 50 VORBEREITUNG so ist nach der Fischer’schen (oft nach Babinet benannten‘) Formel ihr vertikaler Abstand in Meter ER B—b ren h = 15976 - 3 (14 —). Es seien z. B. für zwei Stationen durch gleichzeitige Beobachtungen folgende Werthe erhalten worden: untere Station obere Station Barometerstand er ANVemm 600 mm Temperatur . . . a NE CH MC. so ist nach obiger Done die Höhendifferenz 740 — 600 17 h, = (5906 2 er] 740 + 600 500 — 15976. - „— (1/1 17.00) — 15976 - 5 + 1,08« —= 1725 Meter’). Wie schon früher bemerkt, ist dem Quecksilberbarometer wegen der Unbequemlichkeit, welche der Transport desselben verursacht, das Aneroid („Barometer ohne Flüssigkeit“) vorzuziehen, und wir bedienen uns seiner wie zu meteoro- logischen Beobachtungen, so auch zu barometrischen Höhen- bestimmungen. Zur Vermeidung komplizirter Rechnungen geben wir im Anhang eine graphische Tabelle mit Gebrauchsanleitunge. Ein gutes Aneroid gibt sehr genaue Resultate. Man kann sich aber nicht schlechterdings auf die Konstanz eines einzelnen Instrumentes verlassen; bei längeren Reisen genügt es auch nicht, dasselbe zu Anfang und Ende mit einem Quecksilberbarometer zu vergleichen, sondern man muss unbedingt Hülfsmittel für die Kontrole während der Reise selbst zur Hand haben. Hiezu eignet sich das Siede- oder Koch- punkt- Thermometer, Hypsometer (Hypsothermometer’), welches darauf basirt, dass in grösserer Höhe wegen des verminderten 1) vgl. Dr. R. Wolf, Handbuch der Mathematik, I. Bd., Zürich 1870, S. 373. 2) Beispiel aus Bernoulli's Vademecum des Mechanikers, bearbeitet von Fr. Autenheimer. XIV. Aufl., Stuttgart 1872. Man wird gutthun, die Anwendung der Formel auf kleinere Vertikalabstände (bis ca. 1000 m) zu beschränken; dann aber mag der Koeffizient 15976 durch die runde Zahl 16000 ersetzt werden, wodurch der Ausdruck die für eine rasche approximative Berechnung möglichst bequeme Form annimmt. Beispiel: —= 730, b = 635mm; 7 = 20, {= 150C.; h = 1191,5 m. A. Guyot, Meteorologieal and physical tables, 3. ed., Washington 1859, D. VI. — Dr. Bohn, Ergebnisse physikalischer Forschung, Leipzig 1878, S. 139. 3) Dr. A. Mousson, Physik auf Grundlage der Erfahrung II. Band, 3. Aufl., Zürich 1880, S. 169. A. d’Abbadie, Instruetions pour les Voyages d’explorations; Bulletin de la Societe de Geographie de Paris, mars 1867, p. 268. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 51 Luftdruckes das Wasser bei niedrigerer Temperatur zum Sieden kommt. Durch direkte Beobachtung ergaben sich z. B. folgende Zahlen: Höhe -(m)- Siedepunkt (C) Monthlane, ha 45): vu 24773 84° Diervon-Tensrittar 30 38° Seebermhard, ..:.° 2 :,0:2494 92° Ste Gotkhard. u, u 170:76.72075 92,9 Paris (Observatorium) . 65 IIR Bern !2.c}e. 40 998 Auf Grund zahlreicher Beobachtungen sind von Regnault, Moritz und Guyot Tafeln erstellt') worden, welche die Baro- meterstände angeben, die verschiedenen Temperaturen des siedenden Wassers (in ganzen und Zehntelsgraden ausge- drückt) entsprechen. Eine solche Tabelle lassen wir um- stehend folgen. Ihr Gebrauch ergibt sich leicht; hat man z. B. aus einer Reihe von Versuchen für den Siedepunkt den Werth 88° C gefunden, so entspricht diesem ein Barometer- stand (Luftdruck) von 486,64 mm. Einer Siedetemperatur von 92,9° entspricht ein Barometerstand von 586,14 mm; für den Siedepunkt 98,5° gibt die Tabelle 720,0s mm Luftdruck etc. Hiemit vergleicht man den aus gleichzeitigen mehrfachen Ab- lesungen des Aneroids gefundenen Mittelwerth und ersieht so, ob dieses den Luftdruck in anderer Weise messende Instrument erhebliche Veränderungen erlitten habe. Man kann leicht zwei oder drei Hypsothermometer mitführen, daher stets den Siede- punkt des reinen Wassers bestimmen, daraus und mit Hülfe der Tabelle den Luftdruck ableiten und durch Vergleichung desselben mit den Angaben des Aneroids sich vor gröberen Irrthümern beim Gebrauche dieses Instruments schützen’). Die mittelst des Aneroidbarometers direkt bestimmte Höhendifferenz zweier Punkte kann zur Verifikation ihres Horizontalabstandes benutzt werden. Kennt man nämlich den Höhenunterschied 3 5’ (Fig. 39) zwischen A und 5, so braucht man nur noch den Winkel &@ zu messen. Der 1) Annales de chimie et de physique, t. XIV, p. 206; t. XXVIII, p. 123 (Regnault); Journal de l’Institut, Paris, Oct. 1856 (Moritz); Meteorological and physical tables, s. D XXIV — XXVI (Guyot). 2) Neumayer. Anleitung pag. 678. — F. von Richthofen empfiehlt (ebendas. S. 237) statt dessen die Verwendung dreier Aneroide, wovon zwei zur Kontrole. Bei Beobachtungen in dem heissfeuchten Klima der Landenge von Panama fand Bourdiol die Ablesungen zweier Quecksilberbarometer von Gay-Lussae unter sich stärker differirend als mit denen eines Aneroids. D’Abbadie, Instructions, p. 268. 52 VORBEREITUNG Siedetemperaturen und Barometerstände. Gelsius-Grade | 89 90 | Millimeter '0,0/468,17|486,64 505,70 525,39 | 545,71 566,69 588,33 .0,1/469,99|488,52 507,65 |527,40|547,78, 2 590,53 '0,2471,82 490,40 509,59 | 529,41, 549,86 |57C 592,74 0,31473,65 492,29 511,54 5: 2|551,94|573,11|594,96 0,4|475,49|494,19) 513,50 |533,44|554,0: 27.597,18 '0,5477,33) 496,09, 515,47/535,47,556,12|: 599,41 .0,6,479,18/498,00 517,44|537,51 1558,22 579,59 601,65 0,7\481,04|499,92|519,42|539,55 | 560,33 | 581,77 [603,89 '0,8482,90| 501,84 521,40 541,60 562,44 583,95 [606,14 0,9| 484,76 | 503,77|523,39 543,6; 56 586,14 608,401 behntelsgrade (, Gelsius-Gr 96 97 - > Millimeter 0,0 610,66 633,69 657,44 681,93 707,17 |733,19| 760,00 0,1 612,93 636,03 | 659,86 684,42 709,74 |735,84[|762,73 0,2, 615,21) 638,38|662,28 686,92|712,31 738,49 765,46 (0,3 1617,50| 640,74 664,71 689,42|714,90741,15| 768,20 0,4 619,79 643,10 667,15 | 691,94, 717,49 |743,82| 770,95 0,5 622,09 645,48 |669,59 694,46 | 720,08 746,501 773,71 0,6. 624,39 647,86 672,05 696,98 722,69 | 749,18 776,47 0,7 |626,71|650,24|674,51\699,52| 725,30 | 751,87) 779,25 0,8/629,03 652,63) 676,97 | 702,06 | 727,93 | 754,57 782,03 631,36 655,04 | 679,45 | 704,62) 730,55 757,28 | 784,82 | | | hehntelsgrade (, © 1 © ou | I PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 53 Winkel £ ist dann, weil es sich um ein rechtwinkliges Dreieck handelt, gleich 90° — «. Man kennt also in dem Dreieck nun eine Seite BB’ und die zwei anliegenden FE Äh WS Fig. 39. Winkel (# und den rechten Winkel 5°), wonach man leicht die Länge A 5’ bestimmen kann, d. h. die Entfernung des Punktes A von der Horizontalprojektion 5° des Punktes 5. Zur Berechnung derselben kann man En einer Tangenten- tafel (S. 48) bedienen. Es ist nämlich - 0, folglich A. 5’ BB .:tß- Schätzung und Messung von Tiefen. Um die Tiefe einer Schlucht, eines Abgrundes zu messen, lässt man einen Stein hinunterfallen, indem man ihn aber wirklich einfach aus der sich öffnenden Hand frei fallen lässt, ohne ihn zu werfen. Die Dauer des Fallens gibt annähernd die-gesuchte Tiefe, d. h. den Höhenunterschied zwischen dem Punkte, von welchem aus der schwere Körper fiel, und der Stelle, wo er auffiel, nach folgender kleinen Tabelle: Zeitdauer des Fallens Tiefe in runder Zahl ie Sekunden „Arno! 5 Meter 2 Sekunden . . . . 20:7 % 3 N ST RATTE 1 al 4 & MR Ve BOHREN 5 N MER Meer, 54 VORBEREITUNG Zur Berechnung der Tiefe hat man nur die Dauer des Fallens in Sekunden mit sich selbst zu vervielfachen (zu quadriren) und dieses Produkt (Quadrat) noch mit 5 zu multipliziren. Braucht z. B. der Stein 10 Sekunden, um den Boden zu erreichen, so beträgt die Tiefe (Fallhöhe) annähernd unter allen Breitegraden 10 < 10: x 5 = 500 m. Zur Messung der Tiefe von Bächen, Flüssen und seichten Seen bedient man sich mehrerer mit den Enden aneinander- gefügter und zum voraus gemessener Stangen oder Latten. Den Nullpunkt bringt man unten an, damit der Punkt an der Wasseroberfläche unmittelbar die gesuchte Masszahl angebe. Ist aber die Tiefe zu gross, als dass man dieses Mittel anwenden könnte, so bedient man sich eines Senkbleis, d. h. einer durch Knoten in je 10 m Distanz eingetheilten Schnur, an deren Ende ein Stück Blei oder ein Stein befestigt ist, womit man die Schaur bis auf den Grund des Wassers hinabziehen lässt. Der Nullpunkt der Schnur ist wieder am untern Ende, wo das Gewicht angebracht ist; die Anzahl der untergetauchten Knoten gibt ebensoviel mal 10 m an; der Ueberschuss (zwischen zwei Knoten) wird mit einem gewöhnlichen Taschenmassstab ausgemessen. Bei fliessendem Wasser wird das Senkblei mitgerissen, aus der vertikalen Lage abgelenkt (Fig. 40), und man muss dann das abge- lesene Resultat korrigiren. Um nun die durch Ablesen gefundene Länge AB auf den wahren Werth oder den direkten Ahstand A € zu reduziren, misst man mittelst eines Stockes oder Taschen- massstabes die Linie Ace und bildet die Proportion AB AG AU Me n AB.Ac woraus folet A C — p >, Weleher Ausdruck, um A verkleinert, die ge- Fig. 40. suchte Tiefe gibt. Schätzung und Messung des Gefälles. Ueber das Gefälle oder den Neigungswinkel des Terrains täuscht man sich oft in fast unglaublicher Weise, wenn man darüber nur nach dem Eindruck des Gesichtssinnes urtheilt, ohne dass man Ver- PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 55 eleichsobjekte benutzen kann; die Neigung erscheint uns immer viel grösser als sie in Wirklichkeit ist. Um wenigstens ganz grobe Schätzungsfehler zu vermeiden, muss man das Profil der Abdachung oder des Abhangs, wofür man die Neigung schätzen will, mit benachbarten loth- oder wag- rechten Linien vergleichen, es also z. B. beziehen auf Bäume, Mauern, Thürme oder auf Spiegel von Teichen, Seen etc. Auch kann man zu diesem Zweck ein Senkloth (einen Faden mit einem Stein) anwenden, das man von der Höhe der Stirn bis gegen den Boden heruntergehen lässt, und zugleich eine Libelle, wo dann die beiden Richtungslinien einen rechten Winkel bilden (Fig. 41) mit dessen Hülfe man das Gefälle des Bodens oder den Neigungs- winkel (Böschungswinkel) @ziem- lich genau abschätzen kann. Hat man eine mit Klinometer ver- sehene Boussole zur Hand, so legt man einen Stab (eine Latte) auf den Boden, in der Richtung seiner Abdachung, und stellt die Boussole aufrecht darauf; dann kann man den Neigungs- winkel unmittelbar ab- lesen!) (Fig. 42). Man verwendet auch eine Art Klinometer (Fig. #3), bestehend aus einer _ Libelle, die auf einer 7 Messingplatte ruht und am einen Ende mit einem Charniere versehen ist, welches ermöglicht, dass man das andre Ende längs eines einge- Fig. 42. l) Die Boussole muss an den Stab oder an die Latte mit dem Nullpunkt ihrer Theilung angelegt werden. Das Gefälle wird dann angegeben durch den Winkel, welchen der Radius des Nullpunktes mit der Vertikalen (der Lothrichtung) bildet. Es beruht diess auf dem planimetrischen Satze, dass zwei Winkel « (Gefällswinkel des Terrains) und b (Winkel, welcher an der Boussole abgelesen wird) gleich sind, wenn ihre Schenkel aufeinander senkrecht stehen. Diess ist aber der Fall, indem der horizontale Schenkel «ec des Neigungswinkels senkrecht steht auf der Loth- richtung be und der Radius bf senkrecht auf dem schiefen Schenkel ad des Neigungswinkels, weil dieser eine Tangente (Berührungslinie) an den Boussolenkreis im Punkte f (Nullpunkt) bildet. 56 VORBEREITUNG theilten Kreisbogens bewegt. Indem man die flache Messing- platte des Instrumentes auf den Boden legt, dessen Gefälle zu bestimmen ist, oder auf den am Boden angebrachten Stab, von dem oben die Rede war, bewegt ? man die Libelle um ihr Charnier auf- wärts, bis deren Luftblase ihre Mittel- stellung einnimmt („einspielt“) und liest die Anzahl der Grade an dem entsprechenden Punkte des getheilten Kreisbogens ab. Diese Ablesung gibt den gesuchten Neigungswinkel. Am leichtesten gestaltet sich die Messung des Gefälls- oder Neigungswinkels vermittelst des Theodolits. Man braucht nur einen Punkt oben an der geneigten Fläche anzuvisiren, welcher sich ebensohoch über dem Boden befindet wie das Auge des Beobachters. Aufnahme eines Planes. Wer unsere bisherigen Aus- führungen aufmerksam verfolgt hat, der wird unschwer einen Plan aufzunehmen vermögen. Denn diese Operation beschränkt sich in der That darauf, dass die verschiedenen Punkte, deren Lage man kennen will, durch Stäbe bezeichnet, unter sich durch Linien — gedachte oder abgesteckte — ver- bunden und dass diese Linien gemessen werden oder dass man .die Winkel misst, welche sie mit schon bekannten Linien bilden. Dadurch erhalten wir alle Elemente (Be- stimmungsstücke), die nöthig sind, um die Punkte, welche für uns in Betracht kommen, auf dem Papier zu fixiren, so dass ihre Lage auf dem Papier derjenigen auf dem Terrain entspricht und wir nur noch die Linien zu ziehen haben, welche dieselben miteinander verbinden und die Grenzen oder Umrisse der zu bestimmenden Objekte bilden. Wir haben daher nur noch die gebräuchlichsten Methoden anzugeben, unter welchen diejenige ausgewählt werden muss, welche einem gegebenen Fall am besten angepasst ist. 1° Methode der Koordinaten. Man steckt eine Axe H E (Fig. 44) ab, auf welche man von jedem der zu bestimmenden Punkte aus eine Senkrechte (Normale, Perpendikel) fällt. Dann misst man die Perpendikel sowie die Distanzen zwischen ihren Fusspunkten'). Das Fällen der Senkrechten auf dem Fig. #3. !) Die Distanzen auf der Axe HE heissen Abszissen; Die Axe HE selbst hat daher den Namen Abszissenaxe, die Perpendikel heissen Ordinaten. — Dass für die Fig. 44. Felde geschieht am leichtesten mittelst der Kreuz- scheibe (Fig. 45). Den gleichen Dienst wie die Kreuz- scheibe leistet der Winkelspiegel, ein sehr ein- faches Instrument, das wenig Raum beansprucht'). In ganz gleicher Weise verfährt man, um Punkte im Innern der Figur zu bestimmen. Jede Normale kann dabei ihrerseits als Axe benutzt werden. | Sind die Grenzen, statt durch gerade, ganz oder theilweise durch krumme Linien (Kurven) gebildet, wie in Fig. 46, so benutzt man zunächst einen Linienzug aus geraden Strecken, auf welchen sich das vorige Verfahren anwenden lässt; dann behandelt man der Reihe nach AB, BO, CD, DE als Axen, mit Bezug auf welche man die wichtigsten Punkte der gebogenen Linie ABUDE festlegt. Dieselbe Methode kann angewendet werden zur Bestimmung eines Flusslaufes, Fiy.47. Im Vorigen wurde angenommen, das Terrain zwischen den Punkten ABUD etc. (Fig. 44) sei zugänglich und man könne leicht über den Fluss ACB (Fig. 47) hinübergelangen. Nehmen wir nun andre Verhältnisse: Es sei ein Situa- tionsplan zu erstellen über einen See, sumpfiges Terrain, Wald oder über ein fliessendes Gewässer, Fig. 45. das wegen grosser Tiefe oder zu starker Strömung nicht passirt werden könne. In einem solchen Falle umschliessen Messungsoperation dem Messband der Vorzug zu geben sei, wurde bereits bemerkt, mag aber hier noch hervorgehoben werden, 1) Gebrauch des Winkelspiegels und Goldschmieds Doppelwinkelspiegel s. J. Rebstein, praktische Geometrie, $S. 47 — 49. 38 VORBEREITUNG Fig. 47. 5 wir die Fläche, deren Grundriss aufgenommen werden soll, mit einem Rechteck ABCD Fig. 48 und 9. Auf die vier Seiten dieses Rechtecks errichten wir Perpendikel in der Weise, dass diese durch alle diejenigen peripherischen Punkte = der Fläche gehen, welche : uns wesentlich scheinen ; bei dem Flussabschnitte aber bringen wir die Abs- x; zissenaxe so an, dass sie 2 für die ganze Strecke, > welche in Frage kommt, ; auf einer und derselben Seite des Gewässers liegt, und errichten nun die er- D_ forderlichenNormallinien. (@Bug>25.0): derer io 50. ana kun san ana nenn En na nam nn ium man anne man) m mem 2° Umfangsmethode. Man geht von einem Punkte A (Fig. 51) aus und indem man der Grenze A B CD entlang vorrückt, bestimmt man jeweilen Richtung und Länge der einzelnen PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 59 B Dee ee 4 nn ar Re a ST a ee 7; Fig. 51. Linien. Zu diesem Zwecke stellt man die Boussole der Reihe nach in A, B, C u. s. w. auf und misst die Strecken AB, BC, CDau.s. f. Dieses Verfahren ist namentlich passend bei Aufnahmen von Terrains mit Gebüsch, Felsen oder Gebäuden. Statt dass man diese, wie bei der vorigen Methode, durch ein Rechteck umgrenzen müsste — das auf dem Felde nicht immer leicht zu erhalten ist oder zu grosse Dimensionen annehmen könnte — hat man die- selben, bei dem zweiten Verfahren, einfach in ein Vieleck oder Polygon einzuschliessen, von dessen Seiten aus man nöthigenfalls immer Perpendikel nach den Punkten führen kann, die man bestimmen will. Um einen stark gebogenen Flusslauf aufzunehmen ohne allzulange Perpendikel messen zu müssen, stellt man eben- falls einen gebrochenen Linienzug AB CD (Fig. 52) her, Fig. 52. welcher sich dem Laufe des Gewässers anschmiegt, und von welchem aus nur kurze Perpendikel zu errichten sind, um die Punkte abced u. s. f. zu bestimmen. Sehr zweckmässig ist diese Methode ferner bei Aufnahme eines Weges ABCUDE (Fig. 55), den man macht; man 60 VORBEREITUNG braucht sich dabei nicht vom Weg zu entfernen, um eine Axe abzustecken und muss auch nicht umkehren. Namentlich von Wegen, welche durch ausgedehnte Waldparzellen führen, macht man am Besten eine Boussolenaufnahme. E, AR D na C Fig. 53. 3° Methode der Eckstrahlen. Man stellt sich in einem zentralen Punkte O (Fig. 54) auf und visirt nach A, BD, C ete. Das nennt man: Strahlen nach diesen Eckpunkten ziehen. Bestimmt man (z. B. mit der Boussole) die Richtung dieser Strahlen und misst man deren Länge, so ist die Lage der Fiy. 54. Punkte ABCDu. s. w. unzweideutig fixirt. Auf dieselbe Art kann jeder im Innern der Figur befindliche Punkt bestimmt werden. Dieses Verfahren ist indess nur anwendbar bei offenem Terrain, das überall gangbar ist und so gestattet, einen Zentralpunkt auszuwählen, von welchem aus man freie Aussicht hat und nach allen Richtungen operiren kann. 4° Methode der Diagonalen. Die vorerwähnten Methoden haben alle das Unbequeme, dass sie lange und zahlreiche Aufnahmen auf dem Felde erfordern. Viel einfacher ist die Diagonalmethode, die eigentlich dasselbe Verfahren ist, das PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 61 wir oben beim Distanzenmessen beschrieben haben. Man wird ihm denn auch den Vorzug vor den andern geben überall wo es irgend anwendbar ist, d. h. wenn man mit offenem Terrain zu thun hat, sei es zugänglich oder nicht. Es si ABUDEFG (Fig. 55) das aufzunehmende Terrain. Ob es sumpfig sei, einen See enthalte, von einem Fluss durchschnitten werde: dies alles ist unerheblich, wenn 22 e Fig. 55. nur zwei Punkte da sind, F und @ zum Beispiel, von welchen aus man die andern sehen kann. Man misst ganz genau die Linie @ F ab und benutzt sie nun als Basis zur Bestimmung der Punkte ABC etc., indem man dabei in der früher besprochenen Weise zu Werke geht. Da einige Fig. 56, Linien sich unter zu spitzen Winkeln schneiden, so geht man, nach vorgenommener Bestimmung der Position (, von der gemessenen Basis @ F (Fig. 56) zu der konstruirten oder berechneten Basis @ (' über, um die Lage des Punktes 62 VORBEREITUNG A zu fixiren: dann zur Basis A C, um den Punkt Z zu finden. Ebenso sucht man von der konstruirten oder be- rechneten Basis FÜ aus den Punkt #£, weiter von diesem und (€ aus dem Punkt D. Die Vortheile dieses Verfahrens gegenüber der Methode der Eckstrahlen sind hiebei augenscheinlich. Man hätte sich nach letzterer, in (€ aufstellen und nach allen andern Punkten visiren können. Dann hätten wir aber alle Linien, OB, CA, CU G, OF, CE und (€ D messen müssen, während wir jetzt eine einzige Länge @ F' durch direkte Messung zu ermitteln hatten. Selbstverständlich können diese verschiedenen Methoden mit einander Akombinirt werden, wo diess vortheilhaft scheint und der ausschliessliche Gebrauch einer derselben nicht genügt. Hat man z. B. durch die Diagonalmethode die Hauptpunkte A BCD (Fig. 55 und 57) bestimmt, so hindert uns nichts daran, die Lage der sekundären Punkte a b ec d e nun mittelst Koordinaten zu fixiren. B NT BERN Sn \c e Ai N Br N I / Fiy. 57. Um den Grundriss eines Gebäudes aufzunehmen, misst man dessen Seiten mit der Messschnur oder mit Messlatten. Stehen die Mauern und | | Wände rechtwinklig zu ein- Mu B { ander, z.B. ABC (Fig. 58), % so braucht man nur ihre Lern) | € | DLänee zu kennen; ist dies aber, wie bei #.F'G (Fig. 59) nicht der Fall, so theilt man den Raum durch die Diago- Fig. 58. nalen FXK, HK, HIm PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 63 Dreiecke und misst auch F G die Längen dieser Diago- ? nalen, um auf dem Papier ähnliche Dreiecke konstru- iren zu können mit Hülfe ihrer drei Seiten. Ein Grundriss von sehr unregelmässiger Form (Fig. 60) kann auch nach der Koordinatenmethode aufge- nommen werden vermittelst einer beliebig gewählten Axe. Diese Methodensindauch anwendbar, um Grundrisse aufzunehmen von umnterir- Ak dischen Räumen, Souterrains, Erdhöhlen u. s. f., nur dass man, um im Dunkeln zu ; 2 visiren, Kerzen oder Laternen Bi E statt Stäben verwenden muss. Um aber den Grundriss unterirdischer Räume (Tunnel, Höhlen, Stollen und Schachte) in Beziehung zu setzen mit der allgemeinen Aufnahme an der äussern Erdfläche, verfährt man folgendermassen. Die Leuchtzeichen (Laternen oder Kerzen), welche zur Bestimmung einer wesentlichen unter- irdischen Linie gedient haben, lässt man an ihrer Stelle und begibt sich nun hinter dasjenige dieser Zeichen, welches unter all denen, von wo aus ınan die Gegenstände aussen noch wahrnehmen kann, am weitesten vom Eingang absteht. Eines dieser Objekte in der Richtung jener Zeichen oder ein besonderes Signal, das man aussen in dieser Richtung anbringen lässt, wird anvisirt und man begibt sich mit dem Instrument zu demselben. Nun richtet man von hier aus die Visirlinie des Instrumentes wieder auf die Leuchtzeichen, so dass diese sich decken: ist man dieser Richtung (der Deckung) sicher geworden, so visirt man nun — ohne die Stellung des Instrumentes in horizontalem Sinne irgendwie zu ändern — in der gleichen Vertikalebene einen andern Gegen- stand an, welcher an der Erdoberfläche sich befindet und erhält so die äussere (oberirdische) Spur jener unterirdischen Linie. kr >L 64 VORBEREITUNG Einfacher als dieses Verfahren ist die Anwendung des Kompasses (der Boussole), womit man zunächst die Richtung der unterirdischen Linie bestimmt, um dann, vom Eingange des unterirdischen Raumes aus, eine entsprechende Richtung auf der Erdoberfläche aufzusuchen. Um zu erfahren, welcher Stelle der Erdoberfläche oder des Terrainmantels ein unterirdischer Raum entspricht, genügt es übrigens mitunter, wenn man innen mit einem Hammer an die Decke (Wölbung) der Höhle schlägt. Kennt man ungefähr die Richtung, in welcher die Höhle sich hinzieht und horcht man nun aussen am Boden, so vernimmt man unschwer das Geräusch der Hammerschläge; man beobachtet dasselbe nun an verschiedenen Stellen; der Punkt, wo man es am deutlichsten hört, entspricht der Axe des Hohl- raumes'). — e Wie man, nachdem die nöthigen geometrischen Daten erlangt sind, zu Werke geht, um den Plan zu zeichnen und zu koloriren, werden wir später sehen. Inzwischen geben wir an dieser Stelle ein Beispiel einer Planaufnahme in Taf. I, wo die punktirten Linien den bei der Aufnahme ein- veschlagenen Gang bezeichnen. Flächenmessung. „Eine Fläche messen“ heisst ermitteln, wie viel mal grösser dieselbe ist als ein Quadrat, das die Längeneinheit zur Seite hat. Dieses Quadrat ist also die Flächeneinheit, und der /nhalt einer Fläche ist nichts Anderes als eine Zahl, welche angibt, wie oft mal eine gegebene Fläche jene Einheit enthält. Nun wissen wir aus dem eben Gesagten, dass jede gradlinig begrenzte Figur zerlegt werden kann in Dreiecke, Rechtecke und Trapeze; der Inhalt dieser Figuren aber ist nach wenigen geometrischen Regeln leicht zu berechnen, wenn man nur die Längen gewisser Linien kennt. Diese Sätze, die man häufig anzuwenden hat, sind folgende: 1° Der Flächeninhalt eines Parallelogramms ist gleich dem Produkte von Grundlinie und Höhe (ihrer Masszahlen). 2° Der Flächeninhalt eines Dreieckes ist gleich dem halben Produkte aus Grundlinie und Höhe (d. h. dem halben Produkte der Masszahlen von Basis und Höhe). 1) Breton, Traite du lev& des plans et de l’arpentage, Paris 1865, p. 521. LT mon nn 4 | 1 j { a a ES Hurster, Rändesger & C'* Winterthur. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 65 3° Der Flächeninhalt eines Trapezes ist gleich dem halben Produkte aus der Summe der Parallelseiten (Grund- linien) und der Höhe. Höhe ist bekanntlich der senkrechte Abstand von der Grundlinie oder deren Verlängerung zur gegenüberliegenden Spitze (beim Dreieck) oder Parallelseite (beim Parallelogramm und Trapez). Diese Sätze sind so bekannt, dass wir uns darüber nicht weiter verbreiten müssen; dagegen scheint es uns zweck- mässig, dieselben durch nachstehende Figuren zu veran- schaulichen, indem wir nur einige ganz kurze Bemer- kungen beifügen. Andem Rechteck, welches eine besondere Art des Parallelo- gramms bildet‘), sieht man unmittelbar (Fig. 67), dass es so viele der quadratischen 4 F Flächeneinheiten enthält, als 3 das Produkt der Grundlinie 9 CD mit der Höhe AC, angibt. Hat die Basis oder 7 Länge, wie in der Fig. 61, 9 Meter, die Höhe oder Breite 3 Meter, so ist der Inhalt 27 Quadratmeter (m?), d. h. das Rechteck enthält die Flächeneinheit 27 mal. — Fig. 62“ zeigt, dass ein schiefwinkliges Parallelogramm A B CD gleich gs A F ist wie ein rechtwink- E: liges CODEF, wenn es | mit demselben gleiche | Grundlinie (Länge (' D) und gleicheHöhe (Breite, ED oder CF) hat. Diese zwei Figuren sind offenbar gleich gross, weil sie übereinstimmen in dem gemeinsamen grössern Bestandtheil ADCF und in den kleinern Theilen, welche eine jede von ihnen besonders hat; den Dreiecken A DE (Bestand- theil des Rechtecks) und BC F (Bestandtheil des schief- 6 ET Fig. 61. Zu Fig. 62a. 1) Parallelogrumm heisst jedes Viereck, dessen Seiten paarweise einander parallel und gleich sind. Hat es lauter rechte Winkel, so heisst es Rechteck; hat es zudem lauter gleich grosse Seiten, so ist es ein Quadrat. Der Rhombus ist ein schiefwinkliges Parallelogramm mit gleich langen Seiten, B) 66 VORBEREITUNG winkligen Parallelogramms). Also ist auch der Inhalt des schiefwinkligen Parallelogramms gleich Grundlinie mal Höhe. Aus Fig. 62° ersieht man leicht, dass ein Dreieck O. DB oder A BC genau halb so gross ist wie ein Parallelogramm, das mit ihm gleiche Grund- linie (© D) und gleiche Höhe (BE) hat. Sein Inhalt, die Fläche des Dreiecks, ist also gleich der Hälfte desProduktes von Grundlinie und Höhe. Am augenscheinlichsten ist dies übrigens bei der Theilung des Quadrates (Fig. 63) durch eine Diagonale. Wenn die Seiten des Quadrates ABU D je 5m lang sind, so enthält das Quadrat 25, also 5 = 5, Quadratmeter; eines der Dreiecke ABC oder BCD hat aber 12!/e Quadratmeter: 10 ganze und 5 halbe Quadratmeter, alsp. Die Fig. 61 zeigt uns dasselbe. Das Dreieck A CD ist die Hälfte des Rechtecks ABCD, hat also _. —= 13, Quadratmeter. Das Dreieck BDE hat 4!/a Quadrat- meter. Nehmen wir das Letztere vom ersteren weo, so bleibt uns das Dreieck ZU E, dessen Inhalt also 13,5 — 4, m? = 9 Quadrat- meter ist; das aber ist wieder die Hälfte des Rechtecks ACEF, dessen Inhalt 6/>< 3 — 18 m- betracı. Da auch das Dreieck ÜEF den gleichen Inhalt von 9 m? hat, so sehen wir hiedurch den Satz wieder- um bestätigt. Fig. 62 b. Fig. 63. Die dritte Formel für den Inhalt des Trapezes — welches Viereck zum Unterschied vom Parallelogramm nur ein Paar parallele Seiten hat und welche Seiten einander nicht gleich sind — ergibt sich auf einfache Weise aus der Fig. 64. Der Inhalt des Dreiecks ABD ist gleich Fe derjenige des Dreiecks DBC = me: oder ne der Inhalt beider Dreiecke oder also der des Trapezes folglich gleich PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 67 der Summe von an _— und Ze Hier hat man also zuerst AB, dann CD je mit AD zu multipliziren und durch 2 zu dividiren, schliesslich beides zu addiren. addirt man zuerst AB Kürzer und Ü D, vervielfacht dann die Summe mit AD und halbirt dieses Produkt. Es entspricht dies dem Ausdruck Re AB+CD).AD ba cr E oder: pe 1 EKAR-2CD).AD. Fig. 64. Be —— Im, DC, EZ 18 m, AD so ist = OF Dreieck ABD—= = 4m? BD 18.8 6) - - I} 72. Kl Zusammen 116 m? Obige Formel gibt > (11 + 18). 8 — 29 25.4116 MA. | w Beispiele für Berechnung verschiedener Flächen. Dem Cours complet d’Arpentage von D. Puille entnehmen wir folgende praktische Beispiele. Fig. 65. » Zunächst kehren wir zu dem in Fig. trachteten Falle zurück. 44, S. 57 be- (Fig. 65.) Diese Fläche zerfällt in 4 Dreiecke und 4 Trapeze, nämlich: 68 VORBEREITUNG DER > = 2 —. sn DıpC = 20, 409 & ham CpnB = (08 + 1,) 1,8. 2000: } BnHA = + (1 + 0). 2 2,600 „ moG = a — es GouR — + (1,5 + 12).2,9 = 3,95 , HB — Een — 0 500, 14,705 m? wovon abzuziehen ist: AHm = Ber —eUMU Fläche der Figur = 14,210 m? Einen andern Fall bietet Fig. 66. Es sei die Fläche CDEFGHI zu berechnen aus den Abschnitten einer Axe AB und den von allen Eckpunkten auf sie gefällten Perpendikel (Ordinaten). Man berechnet zunächst den Inhalt der drei Trapeze CmoD, oDEs undsEFu. Es ist COmod oDES sEFu nn I (438 +. 23.) . (d2 + 4,1) w|Hmw|mı = (31...) Das) 95 Zusammen Hievon hat man die Fläche der kleinen ausserhalb der Figur liegenden Trapeze abzu- ziehen, mCIn nIHp pHGr rGFu > (23,2 + 21,4). (6,9 + 8,34 5,.) = nämlich: — > (13,8 1 %u) . 52 — 53.80 m- — >(7,4411,3).(4,1+6,9) = 102,350 „ = > (11,8 12 (al #B = bare — + (7,+14,5).(5,49,9)— 161,665 „ Rest 169,725 m? 459,380 „ 170,595 „ 799,830 m? 395,110 „ 404,520 m? PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 69 Ist die zu messende Fläche unwegsam oder un- gangbar, so umschliesst man sie mit einer möglichst ein- fach auszumessenden und zu berechnenden Figur, z.B. mit einemRechteck (Fig. 67), I und zieht dann hievon die Flächenstücke ab, welche dem zu bestimmenden Gebiete nicht angehören. In Fig. 67 wird man also vom Inhalte des Rechtecks IKLM die Dreiecke EDH, EIG, GKA, BLC und das Trapez Fig. 66. CMHD subtrahiren. Der Rest ist die Fläche des Sumpfes ABCDEG. an Ist aber eine >> ee Fläche, statt durch Gerade, durch krumme(gebogene) Linien begrenzt, so wendet man A. verschiedene Me- thoden an: 1° Die Kompen- sations- oder Aus- & z Pe 5; gleichungsmethode. Fig. 68. 70 VORBEREITUNG InABCDE FG (Fig. 68) steckt man Stäbe auf, um ein»Vieleck zu bilden, dessen Fläche der des fraglichen Terrainstückes ziemlich gleichkommt, indem man die Viel- eckspunkte so anordnet, dass jeder der durch seine Seiten von der Figur abgeschnittenen Theile ersetzt und ausge- glichen (kompensirt) wird durch ein hinzugefügtes Stück. Mit einiger Uebung bringt man es bald dazu, das Vieleck in einer für Kompensationen passenden Weise abzustecken. Das weitere Verfahren, die Ausrechnungsmethode , erfolgt dann nach Massgabe der oben ertheilten” K 2° Näherungsmethode. Nachdem man in den Haupt- punkten ABUDEF (Fig. 69) des krummlinigen Umrisses Stäbe gesteckt hat, verbindet man diese Punkte durch ge- rade Linien AB, BC u. s. w.,-auf welche man von allen charakteristischen Punkten der Kurve (da wo dieselbe aus- gesprochene Rich- tungsänderungen er- leidet) Senkreckte fällt, zwischen wel- chen nun lauter sol- :"\ che Abschnitte der ‘| unregelmässig ge- „_ | stalteten Umrisslinie er; Suemeoay/ liegen, die man ohne Bus. — wesentlichen Fehler Fig. 69. als Gerade betrach- ten und behandeln kann. So erhält man eine Anzahl Dreiecke und Trapeze, deren Inhalt demjenigen des eingeschriebenen Vielecks ABO DEF hinzugefügt werden muss. Das nämliche Verfahren wendet man auch auf ungang- bare Terraintheile oder solche mit Visirhindernissen wie Seen, Wälder etc. an, nur dass man hier die Polygonseiten ausserhalb der krummlinig begrenzten Figur anbringt, so dass die Fläche der kleinen Dreiecke und Trapeze vom Inhalt des der Figur umschriebenen Vielecks zu subtra- hiren sind. Bei all diesen Operationen muss man ein Hauptaugen- merk auf die Summe der positiven (additiven) Flächen einer- PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 1 seits, der negativen (subtraktiven) Flächen andererseits, d. h. darauf richten, was hinzuzufügen, was aber hinwegzunehmen sei. 3° Analytische Methode. Selten wird der Reisende eine Fläche mit einer noch grössern Genauigkeit bestimmen müssen, als die beiden eben besprochenen Methoden gestatten. Tritt aber dieser Fall ein, so kann man folgendermassen zu Werke gehen: Die Axe oder Leitlinie A B (Fig. 70) wird in eine gerade (paarige) Anzahl gleicher Stücke abgetheilt ; in jedem Theilungs- Fig. 70. punkt errichtet man auf A B eine Senkrechte, die sich bis zu der gekrümmten Linie erstreckt, welche die Figur begrenzt. Dann ist der Inhalt der Fläche A BC D gleich dem arith- metischen Mittel (der halben Summe) der Endordinaten A D und BC, mehr der Summe aller andern geraden Ordinaten (Nr. 2, 4 u. s. w.), mehr der doppelten Summe der ungeraden ÖOrdinaten (Nr. 1, 3 etc.) all diess zusammen multiplizirt mit ?/3 des Abstandes %h der Perpendikel. Bezeichnen wir also die Ordinaten mit gerader Nummer durch Os, Os, Os u. s. f. die u „ ungerader » „+ 04, 03, O5 u482E die Summe der ersiern mit S,, der letztern mit S;, so ist die fragliche Fläche AD+ BC f= [*37°+(0:4044-06-4..)4200:4084064..] oder f = (= Bag nge Das Resultat ist um so genauer, je kleiner der Abstand oder das Intervall % zwischen den Ordinaten ist. Wir sind nunmehr in den Stand gesetzt, beliebige Flächen messen und berechnen zu können‘). Es mag aber am Platze sein, den Leser, bevor wir diesen Abschnitt schliessen, noch auf einige ziemlich verbreitete Irrthümer aufmerksam zu machen, damit er vor denselben auf der Hut sei. 5; 1) Ueber die Verwendung der Plunimeter vgl. Rebstein, a. a. O., 8. 84 ff. 72 VORBEREITUNG Zunächst ist zu bemerken, dass die Fläche eines ge- neigten Terrainstückes nicht nach der schiefen Fläche auf der Abdachung selber zu bemessen ist, sondern nach seiner Horizontalprojektion, d. h. nach der lothrecht unter ihm in horizontaler Lage befindlichen Fläche, sodass der Inhalt von ABCD (Fig. 71) gleich dem von A’ B’CD ist, wie denn bereits oben (S. 45) gesagt wurde, dass die geneigte Linie AD nicht in dieser ihrer schiefen Richtung, son- dern in der Horizontalen A’ D gemessen wird. Sodann bedeutet die An- \ zahl Quadratmeter des In- € haltes so viele Quadrate von Fig. 71. je einem Meter Seitenlänge. „Vier Quadratmeter“ heisst also nicht etwa, wie umserer Erfahrung nach Manche meinen, „ein Quadrat von 4 Meter Seitenlänge“, sondern vier Quadrate von ein Meter Seite.“ 4 Quadratmeter. Quadrat von 4 Meter. Die Fig. 72 zeigt deut- | lich den Unterschied zwi- | schen „4 Quadratmeter“ und einem Quadrat von ze, | | 1 Meter. 4 Meter Seitenlänge'). | Endlich ist ein Quadrat- r Sal dezimeter nicht etwa der Eil _| zehnte Theil des Quadrat- Fig. 72. meters, sondern "/ıoo des- 1) Man mag vielleicht finden, dass wir hier doch all zu elementare Dinge behandeln, die oben erwähnten Erfahrungen nicht massgebender Art sein dürften und wir bei unsern Lesern doch allzuwenig voraussetzen. Wir erlauben uns daher, auf Erfahrungen hinzuweisen, welche in eben so einfachen, wenn nicht noch elementarern Dingen von Andern gemacht und in einer Sammlung ausgezeichneter Abhandlungen, worin weitgehende Anforderungen an die Leser gemacht werden, zur Verwerthung gelangten. In Dr. @. Neumayers berühmter „mit besonderer Rücksicht auf die Bedürfnisse der kaiserlichen Marine“ verfasster „Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen“ S. 41 sagt ein Prak- tiker wie H. Kiepert über topographische Beobachtung und Zeichnung unter Anderm Folgendes: „Wenigstens in Beziehung auf die betreffende Seite des Weges, ob rechts oder links, sollte man zuverlässige Angaben von einem nur halbwegs auf- merksamen Reisenden um so mehr erwarten, je unentbehrlicher solche für die Kartenkonstruktion sind und je grössere, mitunter unheilbare Verwirrung in dieser Beziehung irrige Angaben verschulden. Gleichwohl zeigt die Erfahrung, dass selbst sonst geübte Beobachter gerade jene einfachsien Beziehungen, so wie die der ent- sprechenden Himmelsgegenden (am leichtesten Ost und West) häufig genug ver- wechseln: ein Wink, die Aufmerksamkeit auf diesen Punkt zw verdoppeln und wo- möglich durch eine wenn noch so roh gezeichnete Skizze, welche gerade solchen Umkehrungen der Richtung nicht unterworfen ist, der Wegebeschreibung zu Hülfe zw echne er ind Bi * \ S_ 208 A A un 2 273 ' x Sheet x > y essen M 21. L_ nn fi 1 {1 » N ee & PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 13 selben; der Quadratcentimeter ist nicht "/100, sondern ?/10000 Quadratmeter. In der That, wenn ABCOD (Fig. 75) einen Quadrat- meter vorstellt, so sieht man leicht, dass es hundert kleinere Quadrate enthält, deren jedes ein Dezimeter Seitenlänge hat, und ebenso enthält der Quadratcentimeter, welchen Fig. 74 in richtiger Grösse gibt, 100 kleinere Quadrate — Quadratmillimeter. Multiplizirt man also zwei Mass- zahlen, welche Dezimeter und Centi- meter enthalten, mit einander, so hat man, um den Inhalt in Quadrat- metern anzugeben, nicht zwei, sondern BE En u 4 Stellen als Dezimalen A nsehnöiden. 4-4 =] Bi. Sind z. B. die in Meter bestimmten D Masszahlen 20,15 und 5,50 miteinander Fe zu multipliziren, so bedeutet das Produkt 1108250 Quadratcentimeter oder 110,8250 Quadratmeter. Und hat man in zwei miteinander zu multiplizirenden metrischen Angaben je eine Dezimalstelle (Dezi- meter), z. B. 4,5. 3,2, so muss man vom Produkte zwei Stellen rechts abschneiden, um Quadratmeter zu haben. Das Produkt im gegebenen Falle ist 1440 Quadratdezi- meter — 14,40 Dale Die sohsrelichende Tafel II gibt Figuren, die als Uebungs- beispiele zur Flächenberechnung verwendet werden mögen. Am Schlusse dieses Abschnitts bemerken wir noch, dass wenn man von einem Gebiete, einem See z. B., dessen Fläche berechnet werden soll, schon einen Plan oder eine Karte in grossem Massstab hat, es oft genügt, die zur Zer- legung in Dreiecke, Rechtecke u. s. w. nöthigen Hülfslinien auf dem Papier zu ziehen und zu messen, ohne dass es nöthig ist, diese Operationen auf dem Felde vorzunehmen. Bestimmung der Mittagslinie. Mittagslinie eines Ortes nennt man den Schnitt seiner Horizontalebene mit der Ebene seines Meridians oder Längenkreises; es ist eine Fig. 74. kommen“. Wer je sich längere Zeit mit irgend einer Art instruirender Thätigkeit zu befassen hatte, weiss, wie oft der Instruirende in den Fall kommt, in einfachsten Dingen falsche Ansichten und Auffassungen zu berichtigen — und auf welchen Irrungen man sich mitunter selbst ertappt! 74 VORBEREITUNG Linie in der genauen Richtung Nord-Süd. Zu deren Be- stimmung gibt es verschiedene Mittel. Erste Methode. Der Polarstern beschreibt scheinbar um den Nordpol einen Kreis von sehr geringer Dimension. Er ist in der Ebene des Meridians, wenn er sich in der Verti- kalen befindet, welche durch den Stern & (epsilon) des grossen Bären oder 7 (gamma) der Kassiopeja (Fig. 75) geht!). Wir B haben aber schon gesehen, dass A man den Polarstern leicht auf- er findet durch Verlängerung der Pa, Der grosse Linie, welche die Sterne $ (beta) x@ Er und « (alpha) des grossen Bären verbindet. Das Dureau des lon- gitudes liefert in seinem. Annuaire + alljährlich eine Tabelle (s. neben- Sr stehende Seite 75) welche es mög- lich macht, den Zeitpunkt zu be- rechnen , in welchem der Polar- stern den Meridian eines Ortes passirt”), dessen Länge man an- nähernd kennt. Man hängt nun z. B. an einem Baumast ein Senk- blei auf, welches bis fast auf den Boden reicht. Im Momente, wo die oben genannten Sterne genau ? in derselben Linie mit dem Senk- 2 ur loth sich befinden, lässt man in 4 "Cassiopeia der durch das Senkloth und den Polarstern bestimmten Richtung in einiger Entfernung einen mit i einem Licht versehenen Stab auf- Fig. 75. stecken. Am folgenden Morgen bezeichnet man die durch diesen Stab und das Senkel gehende Linie auf dem Terrain in genügender Weise: das ist der gesuchte Meridian. Auf der südlichen Hemisphäre verfährt man ähnlich, bedient sich aber, da dort ein Polarstern wie auf der nörd- Senkblei * -# Derkleine Bär Nordpol © .# s @ TPolarstern 1) Vgl. Sternkarte in D. Kaltbrunner, Aide-memoire du Voyageur, Taf. V (pag. 18). 2) Befindet sich ein Gestirn im Meridian eines Ortes, so nennt man dies die (obere oder untere) Kulmination des Sternes für jenen Ort. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 15 Kulmination des Polarsterns für Paris pro 1881 (Mittlere Zeit). Januar ‚Februar . März lösen Kulminat. h. m. s. | 0) 6.83.15 A. Juni 110| 5.53.47 A. Juli 20| 5.14.18 A. | ‚Untere Kulminat., 5.16.17 M. || August 4.36.49 M. | 3.57.22 3.17.55 2.38.29 1.59. 6 1.19.43 M. | Oktober . 0.40.22 M. _v.M. 3 10) r ee 20 | 11.17.51 30 10.38.36 '10| 9.59.22 | 9.20. 9 8.40.58 8. 1.47 7.22.37 6.43.28 . September November Dezember Obere Kulminat. .|29| 2.11.10 M. | 1.31.57 M. 0.52.41 M. 0.13.25°M. | ı 0.1.38 11.57.42 ‚17, 11.30.11 |27 | 10.50.52 | s| 10.11.31 16| 9.32. 8 10 I|26| 8.52.45.A. | 6) 8.13.20 116\ 7.33.53 26| 6.54.26 31| 6.34.42 Es sei p die Zeit des Durchgangs durch den Meridian von Paris, so ist sie für den Ort, dessen Länge in Zeit » Minuten beträgt, gleich p + n .0,16°. Die Korrektion n . 0,164 Sekunden ist additiv (positiv)oder subtraktiv (negativ), jenachdem der fragliche Ort östlich oder westlich von Paris liegt. So ist sie z. B. in Brest, wo n= 27m westlich, gleich —4,4° (minus 4, Sekunden; 4,4° negativ). — Die | Buchstaben M. und A. bedeuten Morgen und Abend. 76 VORBEREITUNG lichen Halbkugel nicht existirt, eines andern der dem Südpol des Himmels nächsten Sterne, indem man diesen zur Zeit seiner beiden Meridiandurchgänge (des obern und untern) beobachtet. (Als Südpolarstern kann am ehesten 0 Octantis — Sigma im Oktanten — betrachtet werden.) Die Zeit des Durchgangs oder Kulminirens — des obern wie des untern — ändert von einem Tag zum andern. Man beobachtet nun bei Anbruch der Nacht, sobald Sterne sichtbar werden, die Bewegung sogenannter Circumpolarsterne, welche nicht auf- oder untergehen, sondern sich beständig über dem Horizonte befinden. Da diese in 24 Stunden einen vollen Kreis über dem Horizonte beschreiben, so kann man bis auf einige Minuten genau die Zeit abschätzen, zu welcher ihr Durch- gang durch den Meridian (die Külmination) stattfinden wird. Zweite Methode. Es sei B (Fig. 76) der Ort, dessen Mittags- linie man bestimmen will; Z der Punkt des Aufgangs und C derjenige des Untergangs der Sonne am Horizont, endlich 2’ der Punkt des Sonnenaufgangs für den nächstfolgenden Tag. Fig. 76. Die Richtungen nach diesen Punkten werden auf dem Terrain bezeichnet durch die Stäbe 7 ce ’. Man halbirt nun die Winkel ZB C und Z2’BC, erhält so die Richtungen Bm und B m’ und halbirt endlich auch den neuen Winkel m Bm’ durch die Linie BM. Dies ist die Mittags- linie. Dieses Verfahren gibt indess nur dann gute Resul- tate, wenn der Horizont sowohl beim Aufgang als beim Untergang der Sonne ganz frei, ohne Wolken und Dünste ist. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 77 Dritte Methode. Dieselbe erfordert ein ganz flaches und ebenes Terrain oder eine horizontale Tafel mit einer verti- kalen Stange, an welcher oben eine mit kleiner Oeffnung m (Fig. 77) versehene schwarze Eisenplatte so angebracht ist, dass sie Mittags die Lichtstrahlen möglichst genau in senkrechter Richtung empfängt. (@no- mon, Sonnenzeiger). Mittelst eines Senkels projizirt man das Zentrum m in m’. Von m’ als Mittelpunkt aus beschreibt man mehrere Kreise pp’, nn’ u.s. w. Indem man sodann den Lauf der Sonne vor und nach Mittag verfolgt, markirt man die Kurve pnon’p’, welche beschrieben wird von dem beleuchteten Punkt, oder blos die Punkte p n n’ u. s. w., Fig. 77. worin diese Kurve die Kreisbogen — einen jeden zweimal — schneidet. Durch die Mittelpunkte dieser Bogen zieht man die Gerade m’ 00’ 0°’, welche die Mittagslinie angibt. Bei richtigem Verfahren müssen die Punkte m’ 00’0” genau in einer Geraden liegen; ist dieses nicht der Fall, so muss man diejenige Gerade nehmen, welche so genau als möglich jenen Punkten entspricht. Zur Bezeichnung der Mittags- linie auf dem Terrain wird man in der Richtung m’ 0” zwei Stäbe anbringen lassen. — Die genauesten Resultate erhält man durch diese Methode beim höchsten Sonnenstand, zur Zeit der Sommersonnenwende; am ungenauesten fallen sie aus in der Zeit des tiefsten Sonnenstandes, im Winter- solstitium. (Vgl. die sachbezügliche Note Seite 80, unten.) Vierte Methode. Sehr genau erhält man die Mittags- linie durch den Theodolit nach der sogenannten Methode der korrespondirenden Sternhöhen (vgl. Note S. 80), indem man folgendermassen zu Werke geht. Man visirt nach einem Fixstern vor seiner Kulmination, d. h. wenn er sich noch ostwärts vom Meridian befindet — was man approximativ nach dem Polarstern oder nach dem Kompass beurtheilt — und liest auf dem Horizontalkreis des Instrumentes (Limbus) ab. Dann richtet man das Fernrohr, ohne seine Neigung gegen den Horizont zu ändern, auf einen Punkt, der vom appro- ximativ angenommenen Meridian in westlicher Richtung an- 75 VORBEREITUNG nähernd denselben Abstand hat wie der Stern in seiner vor- herigen Position, und man beobachtet nun den Stern, bis man ihn — ohne dass inzwischen der Neigungswinkel des Fernrohrs geändert, also dasselbe auf- oder abwärts bewegt worden wäre — wieder in der Mitte des Gesichtsfeldes (des Fadenkreuzes) in der Axe des Fernrohrs erblickt, und liest auf dem Limbus wieder die Fernrohrstellung ab. Das arith- metische Mittel beider Ablesungen (korrespondirenden Azi- muthe, vgl. Note S. 80) gibt den Punkt der Theilung des Horizontalkreises, welcher genau der Meridianrichtung ent- spricht, und es bleibt nur übrig, diese Richtung durch Pflöcke zu markiren, beziehungsweise sich geeignete Gegen- stände in derselben (Meridianzeichen) zu merken. Diese Beobachtungen sind keineswegs auf die Nachtzeit beschränkt, denn mit einem guten Fernrohr sieht man die helleren Sterne auch bei Tage (vgl. Dr. G. Schröder, Sicht- barkeit der Sterne am Tage im Jahre 1881, Natur 1881, Nr. 6). Um aber bei Beobachtungen in der Nacht nicht blos die Uhrzeit, sondern auch die feine Theilung des Kreises ablesen zu können, muss der Reisende einen ange- messenen Vorrath von Kerzen oder leuchtender Bleistifte (nach Bouquet de la Grye, vgl. D’Ahbbadie, Instruments, pag. 6) bei sich haben. Ferner ist für eine Vorrichtung zu sorgen, wonach das Fernrohrfadenkreuz in geeigneter Weise beleuchtet werden kann (vgl. Dr. Joh. Müller, Lehr- buch der kosmischen Physik IV. Aufl., Braunschweig 1875, Seite 25). Die der beschriebenen Operation entsprechende Einstellung des Fernrohrs auf korrespondirende Sonnenhöhen resp. korre- spondirende Sonnen- Azimuthe — wobei vor das Okular des Fern- rohrs ein dunkles Glas, das Sonnenglas, angebracht und auf den obern Sonnenrand visirt wird — ergibt die genauesten Resultate zur Zeit der Solstitien, die ungenauesten um die Zeit der Tag- und Nachtgleiche. Geographische Ortsbestimmung. Als geographische Ortsbestimmung bezeichnet man die Ermittlung der geo- graphischen Breite und Länge irgend eines Punktes der Erdoberfläche'). 1) Aus der Literatur über Ortsbestimmungen empfehlen wir namentlich: Albrecht und Vierow, JIkehrbuch der Navigation, V. Aufl., Berlin 1877, wozu Ta- PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 2g Die geographische Breite eines Ortes, d.i. dessen in Winkelmass ausgedrückter Abstand vom Erdäquator, ist gleich seiner Polhöhe, d. h. der Höhe des Himmelspols über dem Horizont dieses Ortes. Eine jede dieser beiden Grössen (geogr. Breite und Polhöhe) ist nämlich das Komplement des Abstandes, in welchem sich das Zenith dieses Ortes vom Himmelspol befindet und welcher als Poldistanz des Zeniths oder Zenithdistanz (Apozenith) des Pols zu bezeichnen ist'). feln von Domke, 7. Aufl. (1879). (Aelteres, aber treffliches, mehr elementares Werk: v. Freeden, Handbuch der Nautik, Oldenburg 1864); — Ant. d’Abbadie, Instruments vgl. Note S. 14, Instructions pour les voyages d’exploration und @eodesie d’Ethiopie ; — Dr. W. Jordan, physikalische Geographie und Meteorologie der libyschen Wüste, Kassel 1876. 1) Komplement eines Winkels oder Bogens heisst bekanntlich dessen Ergän- zung zu 900. Zenith (Scheitelpunkt Z. Fig. 78 «) ist der Punkt des Himmelsgewölbes genau über dem Haupte (Scheitel) des Beobachters o, in der nach dem Him- melsgewölbe verlängerten Loth- liniie 0 Z des Ortes. Dieser 7 Punkt entspricht in seiner Lage auf der Himmelskugel dem Orte des Beobachters o auf der Erde: Der Winkelabstand 4 Z des Zeniths vom astronomischen oder Himmelsäquator (Dekli- nation des Zeniths) ist gleich dem (ebenfalls in Winkel- oder Bogenmass ausgedrückten) Ab- stand jenes Ortes vom Erd- IS ----|-------- i äquator (geogr. Breite). Durch H IE =)H das Zenith gehen senkrecht zum Horizont HH’ die Vertikalkreise, ZSR,ZS‘ R‘ u. s. w., deren ge- gemeinschaftlicher Durchmesser die Lothlinie ZZ‘ des Ortes ist. Der Ort eines Punktes (Sternes) Sin einem Vertikalkreise kann nun auf zwei Arten bezeichnet werden: entweder gibt man des- sen Abstand # S vom Horizont oder den Abstand ZS vom Zenith DZ an; der erstere Bogen (IS, AR* St) Z ist die Höhe, der andere (ZS,ZS‘) Fig. 78 a. die Zenithdisianz des Punktes. Höhe und Zenithdistanz eines und desselben Objektes machen also zusammen immer 900 (einen rechten Winkel oder Kreisquadranten) aus. — Einer der Vertical- kreise ist der astronomische Meridian HAZPH‘QZ‘ P‘ des Ortes; auf ihm werden Höhe und Zenithdistanz der Himmelspole P und P’ sowie des Himmelsäquators A(0 gemessen, und zwischen diesen Grössen besteht also die Beziehung, dass Aequatorhöhe AH Zenithdistanz des Aequators AZ = 900 Polhöhe 4‘ P Zenithdistanz des Poles PZ — 900 Die Summe der vier aufeinanderfolgenden Grössen HA, AZ, ZP und PH* ist 1800, diejenige der beiden Apozenithe AZ und.Z P (Bogen zwischen Aequator und Pol) allein 900, somit machen Aequatorhöhe 4H und Polhöhe PH‘ zusammen eben- falls noch 900 aus, d. h. sie sind zu einander ebenfalls Komplementarwinkel. — Wir fügen bei, dass die Lage eines einzelnen Vertikalkreises ZSR bestimmt wird durch Angabe des Winkels, welchen er mit dem Meridian HA Z macht; diese Winkel, vom Südpunkte 4 aus gezählt, sind die Azimuthe. Der Stern S hat ein östliches Azimuth von 1200, S‘ ein solches von 1500. Tritt der Stern S bei der scheinbaren täglichen Drehung der Himmelskugel von Ost nach West in den auf der westlichen Halbkugel liegenden Theil des Vertikal- 80 VORBEREITUNG Wenn z. B. (Fig. 78) die Höhe des Pols über dem j Horizont (@) —= 35°, so ist der Zenithabstand des Pols (ß) — 55°; diese beiden Winkel oder Bogen sind komplementär, da sie zusammen 90° oder einen Quad- ranten ausmachen. Zur Bestimmung der geogr. Breite / ee eines Ortes wendet hl ee: \ man namentlich fol- | Ba: ei gende Methoden an. Per, Erste Methode. . Man misst die Höhe eines dem Pole benachbarten Sternes (Cireumpolarsternes) bei dessen beiden Durchgängen durch den Meridian (obere und untere Kulmination) und nimmt das Mittel aus diesen zwei Messungen. Um das Resultat von zufälligen Fehlern zu befreien, nimmt man diese Messungen bei mehr als einem Circumpolarsterne vor und leitet daraus einen Durchschnitts- werth ab. Fig. 78. kreises RSZ (dessen Fortsetzung man sich hinter der Zeichnungsebene zu denken hat, in welcher der Meridian HZH‘Z und vor welcher die Bogen ZS Rund ZS' A‘ liegen), so erreicht er daselbst mit dem westlichen Azimuth von 1200 wieder eine Höhe = RS und ebenso wird sich S‘ wieder in einer Höhe = S‘R befinden, sowie er auf seiner scheinbaren täglichen Bewegung das westliche Azimuth 1500 annimmt. Solche einander entsprechende Stellungen eines Punktes S auf der östlichen und westlichen Halbkugel werden als korrespondirende Höhen und korrespondirende Azimuthe bezeichnet. Ueber die Verwertkung derselben für Ortsbestimmungen vgl. D’Abbadie, Instruments und Instruckons p. 264. — Meist werden übrigens die Azimuthe vom Südpunkte aus nichtnach zweiSeiten, sondern nur nach einer Richtung und zwar im Sinne der Uhrzeigerbewegung (von Süd über West, Nord, H’ ete.) von 0 bis 3600 gezählt. Hienach wäre das Azimuth von S — 2400, das Azimuth von 5° — 2100. In beiden Fällen ist das Azimuth von 4#, H und P‘ = 00, das von P,H‘ und 9 = 1800, Auf Grund vorstehender Erklärungen bemerken wir noch, dass der Gnomon Fig. 77 auch zur annähernden Bestimmung von Höhe (Zenithdistanz) und Azimuth der Sonne in einem gegebenen Moment benutzt werden kann. Ist einmal die Mittags- linie 0 0° 0“ festgestellt, so ist der Winkel p m‘o‘““ das Azimuth der Sonne für den Moment, wo ihre Strahlen die Oeffnung m auf p projiziren. Der Winkel m‘pm (Einfallswinkel der Sonnenstrahlen) gibt die Höhe der Sonne für den gleichen Moment, und p m m‘ ist der Winkelwerth des zugehörigen Zenithabstandes, denn pm m‘ ist in dem bei m‘ rechtwinkligen Dreieck p m‘ m das Komplement zum Winkel! ın‘pm und der „Scheitelwinkel“ der Zenithdistanz (Scheitel m). Be- zeichnen wir für diese Stellung der Sonne den Höhenwinkel m‘pm mit Ah, so ist m m“ ® Er m m“ an = fang h. Wäre z. B. das Verhältniss (der Bruch) Ai =1:3, so be- trüge nach Taf. S. 48 die Sonnenhöhe annähernd 181/20; mittels vollständigerer Tafeln (z. B. Kaupert) findet man für diesen Fall die Höhe genauer = 180 26‘. Von diesem Verfahren unterscheidet sich die Bestimmung der Sonnenhöhe mit einem Sextanten einfachster Art (Müller, a. a. O., S. 93) im Prinzip wesentlich nur dadurch, dass der Fusspunkt p der Linie pm fest bleibt, hingegen dem Punkte m eine nach der Sonnenhöhe wechselnde Lage gegeben wird. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN si Zweite Methode. Um dieses Verfahren (Methode der ein- _ fachen Meridianhöhen) anwenden zu können, muss man ge- wisse astronomische Tafeln zur Hand haben, welche, mit den zu ihrem Gebrauche nothwendigen Erläuterungen versehen, jährlich veröffentlicht werden. Solche Publikationen sind: das nautische Jahrbuch oder Ephemeriden und Tafeln, heraus- gegeben vom deutschen Reichskanzleramt (früher von Dr. Bremiker), redigirt von Prof. Tietjen; das Berliner astrono- mische Jahrbuch, redigirt von den Professoren Förster und Tietjen ; die Connaissance des Temps, herausgegeben von dem französischen Bureau des Longitudes, dessen schon erwähntes Annuaire Auszüge aus jenem voluminöseren Werke gibt; der englische Nautical Almanac und die American Ephemerids. Man misst die Zenithdistanz z eines Gestirnes bei dessen Meridiandurchgang (Kulmination) und sucht in den Tafeln die Deklination d (delta) desselben, d. h. seinen Abstand vom Himmelsäquator. Handelt es sich um die obere Kul- mination eines Fixsterns (wobei derselbe seine grösste Höhe erreicht) und findet sie zwischen Zenith und Aequator statt, so ist die gesuchte Breite @ (phi) gleich Deklination plus Apozenith (pP = d + 2); liegt die Stelle des obern Durch- gangs zwischen Zenith und Pol, so ist die Breite gleich Deklination minus Zenithdistanz (9 = d — Z). Handelt es sich aber — bei einem Cirkumpolarstern — um den untern Durchgang (wobei der Stern den tiefsten Punkt in dem Kreise annimmt, welchen er bei der scheinbaren täglichen Drehung des Himmels beschreibt),. so ist die Breite das Supplement zu der Summe von Deklination und Apozenith, d. h. gleich 180° weniger jene Summe: g = 180 — (6 + 2). Es sei beispielsweise a (Fig. 79) ein Gestirn in seiner obern Kulmination zwischen Zenith und Aegquator ; seine-Zenith- distanz z = aZ sei 15°; seine Deklination d = Ea be- ‚, trage nach den astronomischen Tafeln für die Zeit der Be- obachtung 20°, so gibt die Summe 20 + 15 = 35° die Polhöhe oder geographische Breite (9 = HP) des Beob- achtungsortes; denn die Bogen EZ (Summe von aZ und aE) und HP gehören zu Winkeln, deren Schenkel auf einander senkrecht stehen (S. 55) und ein jeder von ihnen macht mit PZ zusammen die gleiche Grösse (90°) aus. — Steht hingegen ein Stern b in oberer Kulmination zwischen 6 32 VORBEREITUNG Zenith und Pol, ist seine Zenithdistanz Zb — 50°, seine Deklination Eb nach den Tafeln = 85°, so gibt die Dif- ferenz 85° — 50° = 35° die Polhöhe oder geographische Breite — aus demselben Grunde, nur dass vorhin der Bogen EZ als Summe jetzt aber als Dif- ferenz (Eb — Zb) erscheint. — Wird endlich der a Stern in unterer Kulmina- Kr b’ beobachtet, H so ist die Zenith- distanz nun ZD’ — 60°; die! aus den Tafeln zu ent- .- nehmende Dekli- nation ist aber gleich gross wie vorhin, indem sie sich en den dia- metral der Stelle E gegenüberliegenden Punkt E’ bezieht'), und es ist nun die geographische Breite oder Polhöhe 35° — 180° — (85° + 60°). Es ist nämlich immer der Bogen HP = ZE,; dieser Bogen Z E aber erscheint jetzt als Halbkreis ZH E’ — ZE, und ZE ist gleich ZD’ (Zenithdistanz) — D’ E (Deklination), also HP= EZ = 180° — ZV +V’P) Die Deklination eines Gestirnes muss immer korrigirt werden um den Betrag der Präzession (Verschiebung der Nachtgleichenpunkte nach Westen), der Nutation (des Schwan- kens der Erdaxe in Bezug auf den Kreis, welchen ihr Pol zufolge jener Verschiebung am Himmel beschreibt) und der Aberration des Lichtes’). Die erwähnten Tafeln geben aber Fig. 79. 1) In der scheinbaren täglichen Bewegung des Himmels beschreibt jeder Stern einen Kreis parallel zum Aequator, behält also seine Distanz von Aequator und Pol unverändert bei. 2) Betreffend Präzession und Nutation vgl. die treflichen „Grundzüge der mathematischen Geographie“ von Anton Steinhauser, 2. Aufl. (Wien 1830), S. 64, V. ddam, 2. Aufl. (Karlsruhe 1881), S. 28, sowie J. J. v. Zittrow, die Wunder des (Eat aZ): Bey NE ee N a > PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 33 jedes Jahr die scheinbaren Oerter der hauptsächlichsten Sterne für so viele Zeitpunkte (für jeden 10. Tag), dass dadurch jene Rechnungen erspart werden. Vgl. z. B. das Berliner astronomische Jahrbuch für 1881, S. 181 ff. Betreffend die Kulminationszeit vgl. S. 92. Soll diese Methode zu möglichst genauen Resultaten führen, so ist nöthig, dass der Reisende rechtzeitig in Besitz der erwähnten Jahrbücher gelange, beziehungsweise an einem Orte stationire, wo er die zum bezeichneten Zwecke er- forderlichen Verbindungen unterhalten kann, und wir haben die Methode zunächst im Hinblick auf solche Fälle be- sprochen. Da indess die Aenderungen der Deklination bei den Fixsternen im Laufe eines Jahres minim sind im Ver- hältniss zu dem durch einen Theodolit von geringen Dimen- sionen erreichbaren Grade von Genauigkeit — ein kleines Instrument gibt die Winkel kaum genauer als auf Minuten — so kann man sich auch nur mit einer Tabelle versehen, welche die mittleren Oerter der Hauptsterne für das ganze Jahr enthält. Das nautische Jahrbuch gibt die mittleren ÖOerter von 75 Hauptsternen, das Berliner astronomische Jahrbuch die von 47 Hauptsternen und 25 anderen hellen Sternen, das „Annuaire“ von 26 Hauptsternen und über 200 veränderlichen Sternen. Vgl. Anhang und Dr. Wolfs Taf. XIX. Statt der Höhe eines kulminirenden Fixsternes bestimmt man behufs Ermittlung der geographischen Breite auch die Meridianhöhe der Sonne und zwar ihres obern Randes. Man visirt im wahren Mittag. des Ortes, d. h. wenn die Sonne durch dessen Meridian geht, nach dem obern Rande (Gipfel) derselben, indem man, wie schon bemerkt, vorher am Theo- dolitfernrohr ein Sonnenglas anbringt. Die Ephemeriden der astronomischen Jahrbücher geben für jeden Tag die Dekli- nation der Sonne an, d. h. den Abstand ihres Mittelpunktes vom Aequator!). Um aus der direkt gemessenen Meridian- höhe des obern Sonnenrandes diejenige des Sonnenmittel- punktes zu finden, hat man von ersterer den halben Durchmesser der Sonne zu subtrahiren, welcher ca. ‘16 Bogenminuten (16’) beträgt und dessen Werth für die Himmels, 6. Aufl. (von Karl Littrow, Berlin 1878) $$ 183 ff; betreffend Aberration Kap. VI des letzteren Werkes. 1) Je nach 4 Jahren wiederholen sich nahe dieselben Deklinationen. Wolf, Taf. XV. 84 VORBEREITUNG Zeit der Beobachtung nebst der Korrektion wegen Refraktion wiederum den astronomischen Tafeln zu entnehmen ist. (Vgl. auch Wolf, Taf. 16 u.15.) Subtrahirt man nun von dieser Sonnenhöhe die gleichzeitige Deklination des Sonnenmittel- punktes, so erhält man die Höhe des Aequators, zu welcher die Polhöhe Komplement ist. Vgl. S. 79. — Aus der An- merkung auf S. 80 ergibt sich, dass die Sonnenhöhe appro- ximativ auch ohne ein winkelmessendes Instrument bestimmt werden kann. Die Höhe eines Gnomons dividirt durch die Länge seines Schattens in der Mittagslinie (bezw. die Höhe eines vertikal aufgestellten Stabes, dividirt durch die Länge des Schattens, welchen er im wahren Mittag auf eine hori- zontale Ebene wirft) gibt die Tangente der gesuchten Sonnen- höhe, womit die letztere bestimmt ist. (S. 48.) Die geographische Länge eines Ortes ist der Winkel, den sein Meridian mit einem andern bildet, welchen man als Nullmeridian (0°) annimmt, oder also der in Winkelmass ausgedrückte Bogen auf der Erdoberfläche zwischen diesen beiden Meridianen (senkrecht zu denselben genommen). Da die Meridiane der Erdkugel den Stundenkreisen der Himmels- kugel entsprechen, so ist die Züängendifferenz zweier Orte gleich dem Unterschied der Stundenwinkel , welche ein belie- biger Himmelskörper in einem und demselben Zeitpunkte an den beiden Orten hat, oder gleich dem Unterschied der Ortszeiten (Mittagsunterschied), wobeies gleichgültig ist, ob man diesenZeit- unterschied als Differenz der Sternzeiten, Differenz der mitt- leren oder Differenz der wahren Sonnenzeiten auffasse. Endlich kann dieser Unterschied definirt werden als die Differenz, welche zwischen den Rektaszensionen der Scheitelpunkte zweier Beobachtungsorte in einem und demselben Zeitpunkte stattfindet. Dieser Zeitunterschied ist mit 15 zu multipliziren, um den- selben in Winkelmass auszudrücken!). Die geogr. Länge wird nach folgenden Methoden bestimmt: 1° Als Mittagsunterschied durch Beobachtung der Sonnen- kulminationszeit eines Ortes mittelst des COhronometers, das regulirt ist nach dem mittleren Mittag derjenigen Stern- warte, von welcher aus man die Längengrade zählt. 1) Stundenkreise heissen die grössten Kreise, welche man an der scheinbaren Himmelskugel durch die beiden Ruhe- oder Angelpunkte ihrer Drehung, die Pole, gezogen denkt. Solche Kreise durch die Pole P und P‘ senkrecht zum Aequator PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 85 Die Zeitangaben im „Nautischen Jahrbuch“ beziehen sich auf den Meridian der Sternwarte zu Greenwich, diejenigen des „Annuaire“, bezw. der „Connaissance des Temps“, auf Paris, diejenigen im „Berliner astronomischen Jahrbuch“ auf Berlin. Das „Nautische Jahrbuch“ und „Berliner astro- AQ sind PSP‘ und PS’P' Fig. 79 a. Auf ihnen werden die Deklinationen oder Abweichungen DS, D‘S‘ und die Poldistanzen PS, PS’ gemessen, welche letzteren die Komplemente der ersteren sind. Auch der astronomische Meridian ZPNP‘A ist ein solcher Stundenkreis; er gehört eben den beiden Kreissystemen des Hori- zonts (Fig. 78 a) und des Aequa- tors (Fig. 79 a) zugleich an: er ist der Vertikalkreis durch den Pol und der Stundenkreis durch das Zenith; 4Z ist Zenithab- stand des Aequators und Dekli- nation des Zeniths, PZ ist Zenith- abstand des Pols und Poldistanz H des Zeniths. Stundenwinkelheisst der Winkel, welchen der astronomische Meri- dian eines Ortes (Stundenkreis 0) mit einem andern, durch irgend ein Beobachtungsobjekt am Him- melsgewölbe (z. B. durch den Sonnenmittelpunkt)gelegtenStun- denkreise bildet. Diese Winkel werdenin derRichtung der schein- baren täglichen Bewegung des Himmelsgewölbes, also vom Me- ridian aus nach Westen — im Fig. 79 a. gleichen Sinne wie dieAzimuthe — gezählt, in der Regel aber nicht nach Graden (Winkelmass) von 0 bis 360, sondern nach Stunden („in Zeit“) von 0 bis 24; es ist also Ih = 150, und dieselbe Be- ziehung besteht zwischen Zeitminuten und Bogenminuten, Zeitsekunden und Bogen- _ sekunden: Im = 15‘, 1s = 15“. Es haben also die verschiedenen Punkte in unserer Figur folgende Stundenwinkel: Z, 4 und H immer Oh = 00; H', Q und N immer 12h = 1800; S’ : 14h = 2100; S: 16h = 2400 u.s.w. Die Stundenwinkel auf der östlichen Halbkugel, links vom Meridian (in der Zeichnung diesseits der Bildebene oder Papierfläche) können (gleich wie die Azimuthe auf dieser Halb- kugel) vom Meridian aus nach Osten gezählt werden; sie sind dann aber auch ausdrücklich als östliche Stundenwinkel zu bezeichnen. Für S wäre der östliche Stundenwinkel Sh — 1200, für S’ : 10h — 1500; für Z, 4, 4, wie für 4’, Q und N bleiben die obbemerkten Werthe. 3 A Auf eine zweite drt werden die Winkel der Stundenkreise angegeben mit Bezug aufden PunktO des Aequators, in welchem sich am 21. März (Frühlingsnachtgleiche) der Mittelpunkt der Sonne befindet, wenn diese aus dem tiefern Theil der Bahn, welche sie auf ihrer scheinbaren jährlichen Bewegung von West nach Ost be- schreibt, in den höhern Theil derselben übergeht. Dieser Punkt ist der Frühlings- oder Widder-Punkt (00), der Stundenkreis durch denselben das Äolur der Nacht- gleichen. (Dass letzteres, POP‘, in der Figur senkrecht zum Meridian steht, in gleichen Abständen von den Punkten A und 9, ist eine beliebige Annahme; Punkt OÖ könnte auf dem Aequator ebensogut irgendwo anders, in irgend welchem Abstande von A oder Q, angenommen werden). Der Winkel, welchen der Stunden- kreis eines Gestirnes S mit dem Aequinoktialkolur bildet, beziehungsweise der entsprechende Bogen (OD = 300) auf dem Aequator — vom Frühlingspunkt an ostwärts gezählt — heisst die Rektaszension oder gerade Aufsteigung jenes Sternes. Sie kann in Graden ete. oder (als „Rektaszension in Zeit“) in Stunden etc. ange- geben werden. Die Rektaszension des Sternes S’ ist also der Bogen OD’ = 6009 86 VORBEREITUNG nomische Jahrbuch“ zählen die Stunden nach astronomischem Gebrauche von 0 bis 24 ab Mittag, sodass der astrono- mische Tag 12 Stunden später beginnt als der bürgerliche Tag desselben Datums; das „Annuaire“ hingegen wendet die bürgerliche Zeitrechnung an, sofern nicht ausdrücklich etwas Anderes bemerkt ist. — 4h; diejenige des Punktes H’ ist O9 = (nach der erwähnten Annahme) 900 — 6h, und diejenige von Z ist (wieder in jenem Sinne) 004 = 2700 = 18h. Der Ort eines Himmelskörpers in Bezug auf den Aequator (in Aequatorial- Koordinaten) ist also bestimmt einerseits durch Deklination und Stundenwinkel, andrerseits Deklination (Abweichung) und Rektaszension (Gradaufsteigung, Ascensio recta — Alt). Diese Begriffe entsprechen beziehungsweise den geographischen Aus- drücken Breite und Länge, während die astronomischen Begriffe „Länge und Breite* sich auf die scheinbare Sonnenbahn (Ekliptikal-Koordinaten) beziehen. Wuhre Sonnenzeil oder kurz wahre Zeit für einen bestimmten Ort und Moment ist der Stundenwinkel der Sonne (ihres Mittelpunktes) für jenen Ort und Zeit- punkt; wuhrer Mittag eines Ortes ist die Zeit der Sonnenkulmination, wo jener Winkel 0 ist. Die Veränderung des Stundenwinkels der Sonne ist eine ungleich- förmige Bewegung; neben der wirklichen oder wahren Sonne nimmt man daher eine ideelle sogenannte mittlere Sonne an, welche mit gleichförmiger Geschwin- digkeitden Umlaufim Himmelsäquator in derselben Zeit vollendet wie die wahre Sonne mitungleichförmiger Geschwindigkeit ihren jährlichen Umlaufin der Ekliptik. Diese mittlere Sonne ist in Bezug auf die wahre bald voraus, bald zurück ; ihr Stundenwinkel‘ ist die mittlere Sonnenzeit oder kurz mittlere Zeit; muss sie im Meridian des Ortes be- findlich gedacht werden, so hat dieser seinen mittleren Mitiag. Die Zeit zwischen zwei Kulminationen der mittleren Sonne ist der mittlere Sonnentug. Die jeweilige Differenz zwischen wahrer und mittlerer Zeit, oder der Winkel zwischen den Stundenkreisen der wahren und mittleren Sonne in jenem Moment, heisst die Zeilgleichung ; es ist der Stundenwinkel der mittleren Sonne im wahren Mittag oder der Stundenwinkel der wahren Sonne im mittleren Mittag. (Wolf Taf. 17.) Während die bürgerliche Zeitrechnung unter einem 7«y den Zeitraum von Mitter- nacht zu Mitternacht versteht und in dieser Periode zweimal zwölf Stunden zählt, versteht die astronomische Zeitrechnung unter einem Tg den Zeitraum von einem Mittag zum andern und zählt hiebei von O0 bis 24h. Die zweite Hälfte dieser Stunden (13 bis 24), um 12 vermindert, sind also Vormittagsstunden des nächstfolgenden Tuges nach bürger- licher Zeitrechnung; z. B. bedeutet die astronomische Bezeichnung „S. Februar 16h“ in bürgerlicher Zeitrechnung: 9. Februar 4 Uhr Morgens. Denken wir uns in Fig. 79 « unter S die Sonne, so stellt die Figur die 16. Stunde dar, S‘ aber die 14. Stunde (2 Uhr Morgens). Sternzeit heisst der Stundenwinkel des Frühlingspunktes für einen gegebenen Ort und Moment; nach Analogie des Ausdruckes Sonnenzeit wäre derselbe als Frühlingspunktzeit zu bezeichnen. In unserer Figur ist es der Bogen {00 = 18h — 2700. Die Sternzeit ist gleich AR des Zeniths (Gradaufsteigung des Scheitelpunktes) 00-4 der Figur; es wird nur der Winkel oder Bogen nicht beide mal in gleicher, sondern in entgegengesetzter Richtung gemessen. Es ist Oh Sternzeit und 00 AR des Zeniths, wenn der Frühlingspunkt sich im Meridian befindet; die Zeit zwischen zwei solchen Kulminationen des Widderpunktes ist ein Sierntag. Derselbe ist um 3m 55,9s mittlerer Zeit kürzer als der mittlere Sonnentag, oder dieser ist um 3m 56,55 Sternzeit länger als der Sterntag. (Vgl. die Tabelle „Sternzeit in Paris im mittleren Mittag“ Annuaire 1881 pag. 69 und 70, ferner die Tafeln von Domke S. 91/92). — Nimmt man einen beliebigen Himmelskörper S, so ist der Stundenwinkel AOD gleich der Sternzeit des Ortes (AR des Zeniths) 4Q 0 weniger die AR des Sterns, OD. Ist S die Sonne, so folgt hieraus, das die Sternzeit ({Q0 = 18h) gleich der wahren Zeit (dQD—= 16h) plus AR der wahren Sonne (OD = 300 — 2h Rektaszension in Zeit) oder also die wahre Zeit gleich Sternzeit minus Ai der wahren Sonne, folglich die mittlere Zeit gleich Sternzeit minus AR der mittleren Sonne. — Es ist zu empfehlen, dass man sich mit all diesen Begriffen mittelst eines Himmelsglobus gründlichst vertraut mache. Vgl. Littrow, a. a. O. I. Bd. Kap. XIII und für die Verwandlung der verschiedenen Zeitarten in einander die „Geographische Ortsbestimmung“ von Bohnenberger-Jahn $ 70. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 87 Aus der Angabe über die Zeitgleichung ersieht man, wann an einem gegebenen Tage nach mittlerer Zeit die Sonne im angenommenen Nullmeridian kulminirt; dieser Zeitpunkt sei f. Man hat nun lediglich unter Benutzung des Chronometers den Zeitpunkt zu bestimmen, in welchem am Beobachtungsorte die Kulmination stattfindet. Diese Mittagszeit des Ortes, dessen Länge gesucht wird, lässt sich nun ausser in direkter Weise ermitteln durch Beobachtung der Zeitpunkte korrespondirender Sonnenhöhen. Man visirt am Vormittag nach dem obern Sonnenrande und notirt nach dem Chronometer die Zeit, da derselbe eine bestimmte Höhe erreichte. Am Nachmittag stellt man, unter Beibehaltung jenes Höhenwinkels für das Fernrohr, dieselbe Beobachtung an. Das arithmetische Mittel der beiden Chronometer- ablesungen gibt die mittlere Greenwicher (Pariser, Berliner) Zeit für den wahren Mittag des Beobachtungsortes; wir wollen sie mit 7, bezeichnen. Die Differenz zwischen den beiden Zeiten £ und f, gibt die geographische Länge des Ortes mit Bezug auf den angenommenen Ausgangspunkt (Greenwich etc.), ausgedrückt in Zeit; multiplizirt man mit 15, so hat man die Angabe in gewöhnlicher Kreistheilung. Der Ort, um den es sich handelt, hat östliche Länge, wenn seine Zeit derjenigen des Chronometers voraus ist; westliche Länge im entgegengesetzten Fall. Zum Beispiel zeige das Chronometer in dem Momente, da die Sonne im Orte A kulminirt, 11” 19" 55° wahre Greenwicher Zeit (incl. Zeitgleichung), so ist der Längen- unterschied 40” 5° oder (nach Multiplikation mit 15) 10° 1’ 15”. Dies ist die westliche Länge von A mit Bezug auf den Nullmeridian. Zeigte aber das Chronometer für den Moment der Sonnenkulmination im Orte B 2" 45” 20° wahre Zeit Gr., so wäre diese Zahl die Längendifferenz in Zeit; mit 15 ver- vielfacht, gibt sie 41° 20° östliche Länge von Greenwich. 2° Als Zeitunterschied in einem beliebigen Momente durch Bestimmung der Ortszeit voraus berechneter Erscheinungen am Himmel, welche für eine ganze Erdhälfte gleichzeitig sichtbar sind oder bei denen man, wenn sie nicht überall im selben absoluten Moment gleich gesehen werden, den Einfluss der Länge in Rechnung ziehen kann. Solcher Be- 883 VORBEREITUNG obachtungen muss man sich immer bedienen, wenn die Reise längere Zeit — mehrere Monate — dauert, ohne dass man Gelegenheit hat, an einem Orte von bekannter Länge die Uhr zu verifiziren. Zu Ermittlungen dieser Art eignen sich für den Reisenden die Verfinsterungen der Jupiters-Trabanten, ferner die sogenannten Bedeckungen von Fixsternen und Planeten, endlich gewisse Mondbeobachtungen. In den erwähnten Jahrbüchern findet man Angaben über die Zeit der Jupiters- Trabanten- Verfinsterungen nach Anfang und Ende (Eintritt des betreffenden Jupitermondes in den Schatten des Planeten und Austritt aus demselben, so für die beiden innern Satelliten) oder für die Mitte der Ver- finsterung und ihre Dauer (so hinsichtlich der beiden äusseren Trabanten). Vgl. Annuaire 1881 pag. 60 und 61, Berliner astronomisches Jahrbuch 1881 und 1882, S. 168 ff., Nau- tisches Jahrbuch je auf Seite VI der Ephemeriden jedes Monats. — Diese Zeitangaben beziehen sich auf den Null- meridian. Man beobachtet nun jene Erscheinungen am Auf- enthaltsorte durch ein Fernrohr von genügender Stärke (welches den Polarstern deutlich als Doppelstern zeigt!) und bestimmt die Ortszeit ihres Eintrittes, die man vorher durch Beobachtung der Sonnenkulmination verifizirte. Der Unter- schied zwischen der so beobachteten Ortszeit und der für den nämlichen absoluten Moment geltenden Zeitangabe im astronomischen Kalender (Jahrbuch) gibt die Längendifferenz. Man beobachtete z. B. in Calcutta am 27. Februar 1823 den Austritt des ersten Jupitermondes aus dem Schatten des Planeten um 8" 44” 49° mittlerer Ortszeit; nach den Vorausberechnungen erfolgte in Paris das Ende der Ver- finsterung um 3" 0” 47°; es betrug also der Zeitunter- schied 5" 44" 2°, woraus sich für Calcutta eine östliche Länge von 86° 0’ 3’ von Paris ergibt. (Hann und Hochstetter, Allgemeine Erdkunde, 3. Aufl. 1880 S. 14.) Die Beobachtung eines solchen Phänomens ist zugleich ein Mittel, um den Gang des Chronometers zu kontroliren und zu korrigiren. In die zweite der vorhin erwähnten Kategorien — zu den Erscheinungen, welche für weit entfernte Orte nicht genau gleichzeitig sichtbar sind, gehören die Sternbedeckungen. 1) Vgl. Dr. H. Klein, Anleitung zur Durchmusterung des Himmels, Braun- schweig 1880, pag. 581. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 39 In ca. 27°/a Tagen vollbringt der Mond am Himmel in der Richtung von West nach Ost einen vollen Umlauf; im Durch- schnitt legt er täglich einen Weg von über 13°, stündlich also von über 32° (ungefährer Durchmesser der Mond-, sowie der Sonnenscheibe) zurück; dabei geht er nun öfters vor Fixsternen und Planeten (in der geraden Linie zwischen diesen und der Erde) vorüber, sodass dieselben dem Be- obachter durch den Mond für eine Zeit lang entzogen werden. Dieses Verschwinden eines Gestirns hinter der Mondscheibe heisst eine Sternbedeckung (Occultation). Wir geben im Anhang ein Verzeichniss von Sternbedeckungen für das Jahr 1882; hinsichtlich derjenigen im Jahr 1881 verweisen wir auf das Annuaire pag. 62 und das Berliner astronomische Jahrbuch S. 248'). Man ermittelt wieder die Ortszeit des Beginnes (Eintritts) sowie des Endes der Erscheinung und vergleicht die Resultate mit jenen Daten der astronomischen Kalender. Eine Sternbedeckung wird aber nicht an allen Örten, wo sie überhaupt sichtbar ist, im gleichen Moment gesehen; da der Mond einen verhältnissmässig geringen Abstand von der Erde hat, so erblickt man ihn von zwei weit auseinanderliegenden Orten A und BD der Erde auf dem fernen Hintergrunde des Fixsternhimmels an zwei ver- schiedenen Stellen a und b. Befindet sich der Beobachtungs- ort A ostwärts von B, so ist die Stelle a des Firmamentes, an welcher der Mond von A aus erscheint, westlich von D, wo ihn der Beobachter in B sieht; liegt A nördlich von 5, so ist a südlich von b. Ueber diese Verschiebung oder Parallaxe (Höhenparallaxe) des Mondes, welche bei diesen und ähnlichen Beobachtungen berücksichtigt werden muss, findet man Angaben in den Nautischen Jahrbüchern. Durch Anbringung der Parallaxe wird die Beobachtung auf den Erdmittelpunkt reduzirt oder der geocentrische Ort des Mondes (der Punkt des Himmels, in welchem die Erscheinung vom Erdeentrum aus gesehen würde”), bestimmt. Wenn 1) Das Nautische Jahrbuch enthält diese Daten nicht. Mit den obgenannten Verzeichnissen vgl. man die Sternkarten in D, Kaltbrunner, Aide-memoire du Voyageur. 2) Treffend erläutert J. Herschel dieses Verhältniss durch den Vergleich mit einer Uhr. „Der sichtbare gestirnte Himmel ist das Zifferblatt unserer Uhr; die Sterne sind die auf demselben vertheilten festen Zeichen; der Mond ist der be- wegliche Zeiger, welcher einen monatlichen Umlauf unter denselben vollbringt, indem er augenscheinlich theils vor manchen “orübergeht und sie verbirgt oder sie bedeckt, theils neben und zwischen andern sich fortbewegt. Es fehlt nur ein einziger Umstand, um unsern Vergleich vollständig zu machen. Statt dass 90 VORBEREITUNG man diesen geocentrischen Ort für einen und denselben Augenblick in Ortszeit des Punktes A und Ortszeit des Punktes 3 (Nullmeridian) berechnet, so gibt die Differenz dieser Zeiten den Längenunterschied von A und 3. Wegen der anzubringenden Korrektionen gestaltet sich die Berech- nung dieser Beobachtungen etwas umständlich; die Beob- achtung selbst aber ist leicht zu machen, namentlich, wenn sie sich auf den denkeln Rand des Mondes bezieht. Die Fehlergrenze bei einer solchen Längen-, resp. Zeitbe- stimmung lässt sich bedeutend reduziren, wenn bei der Be- deckung eines hellen Sternes nicht nur der Zeitpunkt seines Verschwindens am einen, sondern auch der Moment seines Wiedererscheinens am andern Mondrand bestimmt wird. Auch gewinnt die Beobachtung sehr an Werth, wenn man durch ein mit Mikrometer versehenes Fernrohr zu verschie- denen Zeitpunkten vor und nach der Bedeckung die jeweilige Distanz des Sterns vom benachbarten Mondrande bestimmt. (Vgl. A. d’Abbadie, Instructions pour les Voyages, a. a. O., pag. 266/67.) Was im Weitern den Mond betrifft, so findet man in der „Connaissance des Temps“ für Paris den Zeitunterschied') angegeben zwischen der Kulmination des Mondes und der- jenigen irgend eines Fixsterns; ferner ist angegeben, um wieviel dieser Zeitunterschied stündlich kleiner wird, wenn der Stern östlich vom Monde ist, wieviel er hingegen grösser wird, wenn der Stern sich westwärts vom Monde befindet. Nun beobachtet man an dem Orte, dessen Position zu be- stimmen ist, die Zeitdifferenz zwischen Mond- und Stern- sich die Zeiger ganz dicht am Zifferblatte bewegen, wollen wir annehmen, dass sie beträchtlich von demselben abstehen. Wenn wir nun bei dem Betrachten derselben unser Auge nicht gerade in der Richtung ihrer Achse halten, so können wir dieselben nicht richtig auf die ihnen zugekörigen Orte auf dem Zifferblatte projizirt erblicken. Und wenn uns diese Parallaxe (Verschiebung) unbekannt wäre, so würden wir bei Ablesung der Zeit grosse Fehler begehen, indem wir den Zeiger auf das falsche Zeichen bezögen oder seinen Abstand von dem richtigen unrichtig schätzten. So verhält es sich genau in Bezug auf die Bewegung des Mondes vor den Sternen, welche unermesslich weit von ihm entfernt sind; wenn wir auf der Oberfläche der Erde unsern Ort verändern, so entsteht eine Parallaxe, welche den Mond scheinbar unter den Sternen verschiebt und die in Rechnung gebracht werden muss, ehe wir den wahren Ort bestimmen können, den er ein- nehmen würde, wenn wir ihn aus dem Mittelpunkt der Erde sähen.“ Ueber die bezüglichen Berechnungen vgl. Bohnenberger-Jahn, a. a. ©. $$ 169 — 174. 1) Hinsiehtlich der Angaben von Monddistunzen im „Nautischen Jahrbuch‘, die für Greenwich gelten und vorzüglich zur See angewendet werden, verweisen wir auf die bezüglichen Ephemeriden (S. IX—XIV jedes Monats) und die einschlä- gigen Erläuterungen des Jahrbuchs selbst. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 94 kulmination. Diesen Unterschied subtrahirt man von der Differenz, welche sich in der „Connaissance des Temps“ angegeben findet, dividirt das Resultat durch die angegebene stündliche Aenderung und multiplizirt mit 15. So erhält man die Länge; zugleich kann man nun das Chronometer nach Pariser Zeit korrigiren und dann wieder während einiger Wochen die erste Methode der Längenbestimmung anwenden. Die Monddistanz in Bezug auf einen Stern kann auch als Differenz der gleichzeitigen Azimuthe von Mond und Stern, verbunden mit der Messung ihrer Zenithdistanzen, bestimmt werden. Diese Beobachtungen sind zahlreich und zur Kon- trole wie bei den korrespondirenden Azimuthen je auf beiden Seiten des Meridians, unter genauester Notirung der Zeit jeder einzelnen Beobachtung, vorzunehmen. Nach den Er- fahrungen von A. d’Abbadie gibt eine Reihe von Zenith- distanzen (Apozenithen) des Mondes die gesuchte Länge auf 5 bis 6 Km, beziehungsweise ca. 3 Bogenminuten, genau, und es bezeichnet derselbe‘) dieses Verfahren als die beste gebräuchliche Methode, um auf der Reise durch von einander unabhängige Einzelbeobachtungen die geographische Länge eines Ortes zu bestimmen. 3° Durch Triangulation. Man verbindet den Punkt, dessen Länge gesucht wird, mit einem solchen (Observatorium, Kirchthurm, Leuchtthurm etc.) von bekannter Länge. Zu diesem Zwecke macht man sich vor der Abreise aus einem Werke, das solche Daten enthält’), einen Auszug mit An- gabe der Längen etc. für die Orte der Gegend, die man besuchen will oder der nächsten Punkte von bekannter Länge. Die Tabelle S. 93 ist hiezu bestimmt. In dieselbe soll die Länge, die Breite und womöglich auch die Höhe von Lokalitäten eingetragen werden, welche den Reisenden interessiren, indem sie ihm als Anhalts- oder Ausgangs- punkte dienen können. Nachstehend bringen wir diese Angaben für einige Sternwarten nach A. Auwers (in Behms geogr. Jahrbuch 1878) und Dr. Wolfs Ortstafel. 1) A. d’Abbadie, Instructions pour les Voyages, a. a. O., pag. 265 — 267. 2) Vgl. namentlich Domke, a. a. O., S. 296 — 379 (Taf. XIII: Breite und Länge der wichtigsten Küstenpunkte, Scestädte ete.); — Annuaire du Bureau des Longi- tudes, Abtheilung Geographie et Statistique (1881, S. 280 ff.); v. Klöden, Handbuch der Erdkunde, 3. Aufl., 1. Bd., S. 1293 — 1332 („Tabelle der Länge, Breite, Höhe und mittleren Jahrestemperatur einiger Orte, mit Einschluss meteorologischer Stationen“; „Sternwarten“) und S. 61/62. 92 VORBEREITUNG Ort (Observatorium). Berlin Bern a | Cambridge (Mass.) | Cap d. guten Hoffnung | Genf | Greenwich | Madras | Melboume . . , | Paris En Ari ı Pulkowa bei Petersburg ı Rio de Janeiro . | Washington ı Wien | Zürich . Breite — südlich. 0 + 52.30.17 —+ 46.57. 9 + 42.22.48 — 33.56. 3 — 46.11.59 + 51.28.38 +13. 4. 8 — 37.49.53 + 48.50.11 + 59.46.19 — 22.99.91 + 38.53.39 —+ 48.12.35 + 47.22.42 —-. nördlich —- östlich Länge, von Paris — westlich in Bogen SER 1.11. 3.27 + 5. 6.12 — 73.27.59 +16. 8.26 ION = 92018 + 77.54. 0 1+142.38.27 A + 27.59.21 — 45.29. 0 — 79.23.15 |+14. 2.9 I|+ 6.12.50 in Zeit h ms —+ 0.44.14 + 0.20.25 — 4.53.52 +1. 4.34 —+.0.15.16 — (I il —+ 5.11.36 + 9.30.34 +0.0.0 Se — 85 la — 5217.33 + 0.56.11 + 0.24.51 156 470 Die Längendifferenz wird berechnet nach der Entfernung zwischen dem Orte, dessen Länge bekannt und demjenigen, dessen Länge gesucht ist. Diese Entfernung muss immer senkrecht (normal) zum Meridian gemessen und nach der Taf. II im Anhang berechnet werden, in welcher die Längen der Parallelkreisgrade verschiedener Breiten angegeben sind. — Kennt man einmal die Länge eines Ortes, so kann man mit Hülfe der astronomischen Tafeln ermitteln, wann an diesem Punkte die Kulmination irgend eines Fixsterns stattfindet, die man behufs einer Breitebestimmung beobachten will, S. 83. Die Rektaszension in Zeit gibt, wie wir 8. 86 (Note) sahen, für den Nullmeridian zugleich die Sternzeit der Kulmination eines Sternes; man hat diese nur in Sonnen- zeit umzurechnen (S. 86) und auf den. Meridian des Beob- achtungsortes zu reduziren, um zu erfahren, wann an diesem Orte die fragliche Kulmination stattfindet. Zu einer unge- fähren Ermittlung dieser Zeit genügt eine blos annähernde Kenntniss der Länge des Aufenthaltsortes. Hinwieder kann die durch astronomische Mittel vorge- nommene geographische Ortsbestimmung dazu dienen, die PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 93 Breite. | Längengrade. 94 VORBEREITUNG für eine Triangulation erforderliche grosse Basis zu erhalten, welche dann als astronomische Basis bezeichnet wird. Hiezu eignen sich namentlich Breitenbestimmungen, da bei einer solchen der wahrscheinliche Fehler viel geringer ist als derjenige einer Längenbestimmung. Zeitmessung. Manchmal muss man genau wissen, wie viele Sekunden eine Beobachtung dauert. Hat man nun keine zuverlässige Sekundenuhr, so hängt man einen schweren Gegenstand (Stein, Bleikugel etc.) ans Ende eines Fadens, den man irgendwo, z. B. an einem Baumast, befestigt hat. . Die Länge, welche man diesem Faden geben muss, richtet sich nach der geographischen Breite. Sie beträgt — ge- messen vom Aufhängepunkt bis zum Centrum (Schwerpunkt) des Gewichtes dieses improvisirten Pendels — unter dem Aequator . . O.,9ı m „ , Ab0 Breiter 2, s0leoum in der Polargegend . . 0,996 m. Angaben für die zwischenliegenden Breiten sind überflüssig, da man die Länge des Fadens doch nur bis auf 2 oder 3 mm genau reguliren kann. Wenn man nun das Gewicht aus der vertikalen Richtung hinausbewegt und es dahin zurückkehren lässt, ohne dass man einen zu starken Ausschlag verursacht, so hat man ein Sekundenpendel. Noch einfacher macht man solche Zeitmessungen durch Beobachtung des Pulses, indem man für einen gesunden Menschen ca. 75 Pulsschläge in der Minute annehmen darf. Immerhin ist dieses Mittel weniger genau als das andere, da die Zahl der Pulsschläge bei den einzelnen Individuen verschieden ist und beim gleichen Individuum nach Alter, Gesundheitszustand und zufälligen Verumständungen sich ändert. Durch Uebung kann man sich aber auch daran gewöhnen, zsochrone Sekundenzählungen vorzunehmen, d. h. Zählungen von Sekunden in gleich langen Zeiten. Bestimmen von Felsarten und Mineralien. Gestein oder Fels nennt man in der Geologie jede erhebliche Masse, welche einen Bestandtheil der Erdrinde bildet, ohne Rück- sicht auf Härte oder Ursprung. Sand, Lehm, Torf, Braun- kohle, Guano etc. sind dem Geologen ebensogut Gesteine oder Felsarten, wie der härteste Granit. a ah PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 95 Wenn wir uns in der Natur umschauen, so gewahren vir, dass der Boden ziemlich allgemein in folgender Weise zusammengesetzt ist: 1° Aus der Krume, die wir gewöhnlich Boden oder örde nennen. 2° Aus unzusammenhängenden, beweglichen (losen) Theilen, zesteinstrümmern. 3° Aus anstehendem, gewachsenem Fels. Gewachsenen Fels oder anstehendes (Gestein nennt man eden integrirenden Bestandtheil der Erdrinde, welcher sich 'on dieser nicht abgelöst hat, also z. B. Felsmassen, welche ın der Erdoberfläche sichtbar werden (zu Tage treten) und ın ihrer Basis in Zusammenhang mit der Erdrinde stehen, solirte Felsen, Berge, unterirdische Bänke, Schichten, Lager, stöcke etc. Diese Felsen kommen in grossen Massen oder Mas- iven, über die ganze Erde verbreitet, in zahlreichen Varie- äten vor, welche sich aber nach einigen Haupttypen ordnen assen, so zwar, dass die Felsarten eines jeden Typus auch n sehr weit von einander entfernten Gegenden dasselbe all- remeine Bild darbieten. Mit diesen Grundtypen muss man ich wohl vertraut machen um die verschiedenen Felsarten, velche man beobachtet, darauf beziehen zu können. So verden die Namen, welche wir zur Bezeichnung der Gesteine nwenden, wenn nicht ganz genau, doch im Allgemeinen utreffend sein. Das beste Mittel aber, sich mit den wichtigsten Gesteins- ypen gehörig vertraut zu machen, besteht darin, dass man elber eine kleine Sammlung solcher anlegt, die man immer ur Hand und vor Augen hat. Nur müssen hiezu charak- eristische Handstücke genommen werden, in welchen die laupttypen gewissermassen personifizirt sind, also nicht twa Stücke, welche die Charaktere zweier verwandter Arten ugleich enthalten. Kennt man einmal diese Typen gut, o kann man dann die Varietäten und Uebergänge studiren. ‘is gibt nämlich keine scharfen Grenzen, z. B. zwischen sranit und Gneiss; viele Zwischenglieder vermitteln den Jebergang vom einen zum andern. Es gibt intermediäre "ypen wie Gmeissgranit und Granitgneiss, Thonschiefer ınd Schieferthon, deren Name schon andeutet, welchen der eiden verwandten Grundtypen ein Gestein näher steht. 96 VORBEREITUNG Neben diesen Uebergängen bestehen die Varietäten im engern Sinne, die erhebliche Unterschiede in der Gesteinszusammen- setzung oder in den accessorischen Bestandtheilen, die sie enthalten, aufweisen. Hat man vor Antritt der Reise genug Zeit um diese Varietäten kennen zu lernen, so können als Führer empfohlen werden: Prof. Dr. Th. Simmler, Peträa und Orykta; — Prof. Dr. Senft, Analytische Tabellen zur Be- stimmung der Mineralien und Gebirgsarten, Hannover 1874; — Joh. Leunis, Schul-Naturgeschichte, Il. Theil, und Synopsis der drei Naturreiche, III. Theil (letzteres Werk als „Synopsis der Mineralogie und Geologie“ ebenfalls von Dr. Senft be- arbeitet; von demselben Autor „Fels und Erdboden“, München 1876). Als Mittel zum Studium der mineralogischen Zu- sammensetzung der Gesteine kommt übrigens immer mehr das Mikroskop zur Anwendung. So bizarr noch einem de Saussure die Idee vorgekommen wäre, Berge wie den Mont- blanc unter dem Mikroskop zu studiren, so scheint doch diese Forschungsmethode bestimmt, grosse Dienste zu leisten’). Das Bestimmen der Mineralien erfordert ziemlich viele chemische und krystallographische Kenntnisse, die kaum anders als unter der Leitung eines erfahrenen Mineralogen erworben werden können. Allein der Reisende hat nicht die Aufgabe, seltene Mineralien aufzusuchen und zu ent- decken, sondern vielmehr die, zu konstatiren, welche der gewöhnlichen Mineralien in der von ihm besuchten Gegend vorherrschen oder zu den regelmässigen Vorkommnissen ge- hören. Die Zahl dieser Mineralien aber ist eine beschränkte. Will man weiter gehen, so wird man gut thun, die minera- logischen Sammlungen kennen zu lernen, die unserer Be- nutzung zugänglich sind, oder sich selbst eine Sammlung zu verschaffen, die man stets zur Verfügung hat. Solche Handsammlungen zum mineralogischen Studium — aus 100, 200, 300 oder 500 Mustern bestehend, je nach der Geld- summe, die man darauf verwenden will — sind vielerorts und mit verhältnissmässig geringen Auslagen käuflich zu 1) Vgl. Dr. F. Zirkel, die mikroskopische Beschaffenheit der Mineralien und Gesteine, Leipzig 1873. — Dr. C. Doelter, die Bestimmung der petrographisch wichtigeren Mineralien durch das Mikroskop. Wien 1876. — H. Rosenbusch, Mikroskopische Physiographie der petrographisch wichtigen (gesteinsbildenden) Mineralien; Stuttgart 1873. — H. Rosenbusch, Mikroskopische Physiographie der massigen Gesteine. Stuttgart 1877. — J. H. Whyte, The Mikroscopist, London 1877. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 97 erwerben. Von deutschen Firmen, an die man sich hiefür wenden kann, ist z. B. das Heidelberger Mineralien- Comptoir sehr zu empfehlen’). Man wird sodann selber Mineralien sammeln, die man zu bestimmen sucht, indem man sie mit Musterstücken eines Museums oder der eigenen Sammlung vergleicht oder sich hiezu eines geeigneten literarischen Hülfsmittels bedient, wie der oben erwähnten Peträa und Orykta von Dr. Th. Simmler, der analytischen Tabellen von F. v. Kobell, des dritten (mineralogischen) Theiles verschiedener Ausgaben naturgeschichtlicher Werke von Leunis und Anderer. Die Anwendung dieser Schriften setzt voraus, dass man einige chemische und physikalische Hülfsmittel zur Hand hat. Diese können entweder mit den Mineraliensammlungen oder mit den einschlägigen Schriften zugleich gekauft werden. So wird beispielsweise zu Simmler’s Peträa zugleich ein minera- logisch-geologisches Besteck abgegeben, das ausser den Instru- menten und Chemikalien zum Bestimmen auch Hämmer zum Sammeln (Schlagen) und Formiren von Gesteinsproben enthält. Bestimmung der Fossilien oder Petrefakten. Fossil oder Petrefakt nennt man jeden Körper oder jede Spur vor- weltlicher Organismen (Thiere oder Pflanzen) und Vorgänge (Naturerscheinungen), welche man in der Erde, in Gesteinen findet. Man nennt sie: vollständige Petrefakten, wenn alle Theile erhalten sind; unvollständige Petrefakten, wenn gewisse Theile fehlen; Abdrücke (moules exterieurs), wenn der Körper des orga- nischen Wesens verschwunden ist, aber im einschliessenden Gestein Spuren zurückgelassen hat: Steinkerne (moules Imifdeurs), wenn = innere Raum, die Form des organischen Körpers, z. B. einer Muschel, von Mineralsubstanz erfüllt und in dieser Weise als Abguss erhalten worden ist; Thierspuren (sremies ou vestiges), Fährtenabdrücke (Fuss-Spuren von schreitenden Thieren, Furchen von Kriech- thieren), Bohrlöcher von Muscheln und Würmern u. dgl., endlich I) Die gleiche Bemerkung gilt für Sammlungen von Gesteinsarten, Petre- akten, Conchylien u. a. m. 7 98 VORBEREITUNG Spuren von Naturerscheinungen, wie z. B. von Regentropfen, Hagel, Wirkung des Wassers, des Windes u. s. w. Versteinerte Exkremente Tmaläktelhen Thiere heissen Koprolithen. Man sagt von den Fossilien wie von Mineralien, sie seien 1’an primärer Lagerstätte (en place), wenn man sie da findet, wo die Thiere oder Pflanzen, von denen sie her- rühren, gelebt haben und gewachsen sind; 2° an sekundärer Stelle (remanies), transportirt, wenn sie an Orten gefunden werden, wohin sie zufällig, z. B. durch fliessendes Wasser, gelangten. Das Bestimmen der Fossilien erfordert gründliche Kenntniss der lebenden (jetzigen) und vorweltlichen Pflanzen- und Thierwelt und kann also nicht jedermanns Sache sein. Die wesentliche Aufgabe des Reisenden besteht indessen nicht darin, dass er an Ort und Stelle angeben könne, zu welcher Art oder Abart ein Petrefakt gehört, sondern nur darin, dass er unter den gesammelten Fossilien diejenigen erkennt, welche eine Formation charakterisiren. Diese, die sogenannten Leitfosstlien, bilden aber eine kleine Anzahl. Man muss sich also nur mit verhältnissmässig wenigen Formen vertraut machen, die mit einander nicht zu verwechseln sind. Diese Leitfossilien oder Leitmuscheln freilich muss man so genau kennen lernen, dass man dieselben — wie ein Meister der Geologie, Prof. Marcou, sagt — gleich Münzen auf den ersten Blick erkennt. Hiezu gibt es zwei Wege: 1° Man studirt die Petrefakten in den grossen paläon- tologischen Museen oder in kleinen sorgfältig ausgewählten Sammlungen, die man wie andere, wovon wir sprachen, kaufen kann. Auch in dieser Beziehung kann das Heidel- berger Mineraliencomptoir bestens empfohlen werden. Oder 2° man sammelt selber Petrefakten und sucht sie zu bestimmen. Deren Formen sind dem Gedächtniss einzuprägen. — Sammlungen kann der Reisende nicht überall hin mit sich nehmen; es ist daher sehr gut, wenn man sich im Besitze von Abbildungen, eines Atlas der wichtigsten Petrefakten befindet. Ein solcher ist der Atlas von Dr. @. Laube, be- PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 99 titelt: „Tafeln zur Benutzung beim Studium der Geologie and Paläontologie').“ Bodenanalysen. Die Kenntniss und Beurtheilung der Ackerkrume erheischt einige Uebung in chemischen Analysen, welche übrigens ziemlich einfacher Art sind. Ich werde hier nur kurz angeben, wie man hiebei zu Werke geht, und behalte mir vor, die Frage des Studiums der Erd- krume später noch zu besprechen. Es gibt ein sehr einfaches, rasch zum Ziele führendes Mittel, um die Zusammensetzung des Bodens kennen zu lernen. Man bringt eine Handvoll Erde in ein eylindrisches Glas (ein Bierglas z. B.), schüttet in genügender Menge Wasser hinzu, rührt das Ganze tüchtig um und lässt es dann stehen, damit die schwebenden (suspendirten) Stoffe sich zu Boden setzen. Es bilden sich hiebei mehrere Lagen oder Schichten, welche von oben nach unten folgende Stoffe enthalten : Humus Thon Kalk Sand Kies (Gerölle). Das Höhe- oder Dickeverhältniss dieser Lagen gestattet einen Schluss auf die Zusammensetzung des Bodens. Ein genaueres Verfahren ist folgendes. Man sondert zunächst die Kieselsteine, sowie andere grobe und fremde Bestandtheile aus, trocknet die Erde gut, bis zur Ver- 1) Ferner wird man sich zum Studium folgender einschlägiger und trefllich illustrirter Werke bedienen: von Hochstetter, die feste Erdrinde (aus: Hann, Hoch- stetter und Pokorny, Allgemeine Erdkunde) 3. Aufl., Prag 1880; — A. Credner, Elemente der Geologie, 4. Aufl., Leipzig 1878; — (. W. Gümbel, Kurze Anleitung zu geologischen Beobachtungen in den Alpen, 1878; — v. Saporta, die Pflanzen- welt vor dem Erscheinen des Menschen, übersetzt von C. Vogt, Braunschweig - 1881; — C. Vogt, Lehrbuch der Geologie und Petrefaktenkunde, 4. Aufl., Braun- schweig 1879; — Zittel, Handbuch der Paläontologie, München 1876 ff.; — Oswald Heer, Urwelt der Schweiz, 2. Aufl., Zürich 1879, Fossile Flora der Polarländer, Band I — VI, Zürich 1868 — 1880; Fossile Flora der Schweiz, Zürich 1876 fi.; — F. Sandberger, die Land- und Süsswasserconchylien der Vorzeit; — Aeltere Werke sind die von @Qtenstedt (Jura), Naumann (Geognosie), Dr. Schmid (Petrefakten- buch) ete. — Nachdem man sich mit den nöthigen allgemeinen Vorkenntnissen ausge- rüstet, versuche man, mit den einschlägigen Verhältnissen eines bestimmten Ge- bietes von geringem Umfange an der Hand eines Spezialwerkes (einer geologischen Monographie) über dieselbe sich gründlich vertraut zu machen, indem man die bezüglichen Vorkommnisse in der Natur und deren Darstellung in dem Spezial- werke einem sorgfältigen vergleichenden Studium unterzieht, bis man durch die wiederholten Beobachtungen auf dem Terrain schliesslich in den Stand gesetzt wird, sich über die geschilderten Verhältnisse und die Adäquatheit der Dar- 100 VORBEREITUNG dunstung alles (nicht chemisch gebundenen) Wassers, wägt hievon 1 Kilogramm ab und bringt diese Substanz in reines Wasser, worin man sie umrührt. Der Humus schwimmt obenauf. Man nimmt ihn weg, lässt das Wasser klar werden, trocknet den Rückstand und wägt ihn. Die Differenz gegen die vorige Wägung (was also zu 1000 Gramm fehlt) gibt das Gewicht des Humus. Auf den getrockneten Rückstand giesst man nun langsam Salpeter- oder Salzsäure, so lange bis beim Zugiessen kein Brausen (keine Kohlensäure-Entwicklung) mehr stattfindet. Man trocknet und wägt auch diesen neuen Rückstand. Die neue Differenz gibt das Gewicht des kohlensauren Kalks, welcher durch die Säure zersetzt wurde. Hierauf bringt man die Masse neuerdings durch Um- rühren in Wasser zu feiner Zertheilung (Suspension) und schlämmt sie, d. h. man lässt das trübe Wasser oben ruhig abfliessen. Wenn bei mehrmaliger Wiederholung dieser Operation das Wasser sich nicht mehr trübt, so sammelt man den Sand, welcher auf dem Grunde des Gefässes zurück blieb, trocknet und wägt ihn. Die jetzige Gewichtsdifferenz (gegen- über der vorigen Wägung) gibt das Quantum des T’hons, der Rest ist Sand oder Kieselerde. Will man noch genauer verfahren, so muss man nach Entfernung des Humus die Masse mit dem dreifachen Volum Regenwasser versetzen, umrühren, abgiessen, trocknen und wägen. Der Gewichtsverlust gibt die Menge der löslichen Salze, welche in der Probe enthalten waren. Wenn man das bei der Scheidung von Thon und Sand (beim Schlämmen) abgegossene Wasser filtrirt und den Filter- stellung ein eigenes Urtheil zu bilden, letztere zu ergänzen oder zu berichtigen. Als Gebiet für ein solches Selbststudium wird man womöglich vorab die nächste Umgebung wählen; dieselbe ist aber dazu vielleicht ungeeignet, sei es wegen Dürftigkeit oder wegen Komplizirtheit der fraglichen Verhältnisse. In diesem Falle wählt man sich ein anderes, möglichst nahe gelegenes Beobachtungsgebiet das für unsern Zweck besser geeigenschaftet ist. Man wird gut thun, — und es wird dies nicht schwer halten — hierüber kompetenten Rath einzuholen; denn eine glückliche Wahl des Arbeitsfeldes bedingt zu einem wesentlichen Theile den guten Erfolg solch’ eines autodidaktischen Verfahrens. — Zu einer Verwerthung in diesem Sinne eignen sich beispielsweise manche Bände der „Beiträge zu einer geologischen Karte der Schweiz‘, welche je das Gebiet eines Blattes des topogra- phischen Atlas der Schweiz (in 1/100000) behandeln. Uebrigens gelten obige Be- merkungen mutatis mutandis wie für geologische, so auch "für botanische, z00lo- gische u. dgl. Beobachtungen. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 101 Rückstand trocknet, so erhält man eine zweite Angabe für das Gewicht des Thons, welche zur Verifikation dienen kann. Das Verhältniss zwischen den drei Bestandtheilen Kalk Thon Sand oder Kieselerde kennzeichnet die Bodenart. Noch strengere Untersuchungen als die erwähnten, eigent- liche chemische Bodenanalysen, sind Arbeiten für das Labo- ratorium, womit ein Reisender sich kaum befassen kann'). Bestimmen von Pflanzen. Jeder Reisende, sei er Botaniker oder nicht, sollte lernen, die Pflanzen, welche er trifft, auf den ersten Blick zu erkennen und von einander zu unterscheiden. Es liest in dem Bilde, das ein Gewächs dem Auge darbietet, in Tracht und Färbung, ein gewisses Etwas, welches eine solche Art des Erkennens möglich macht; welches die Ursache dafür ist, dass z. B. ein Landschaftsmaler, ohne in der Botanik stark bewandert zu sein, weiss, zu welcher Art Bäume gehören, deren Umriss er in der Ferne gewahrt — and worauf auch die Richtigkeit der Beurtheilung, der Er- kenntniss beruht, womit Laien, Kinder selbst, eben so rasch als sicher über Arten und Sorten sich aussprechen, die sie häufig zu beobachten Gelegenheit haben, ohne dass sie mit deren wissenschaftlichen Unterscheidungsmerkmalen bekannt wären oder sich davon Rechenschaft gäben. Dieses Talent, dieser coup d’oeil ist um so nützlicher für den Reisenden, als er bei raschem Durcheilen einer Gegend deren Vegetation nicht anders denn nach grossen Zügen der äussern Form, nach dem Aussehen oder Habitus beurtheilen kann. Seine Sache kann es nicht sein, sozu- sagen jeden Augenblick vom Wege abzugehen oder vom Pferde zu steigen, um eine Pflanze analytisch zu studiren; abgesehen hievon wäre ihm dieses wissenschaftliche Be- stimmen auch desshalb nicht immer möglich, weil er die Pflanze nicht gerade mit Blüthen und Früchten, kurz mit allen den Theilen, wovon die spezifischen Merkmale herge- nommen werden, finden könnte. Das Bestimmen nach dem 1) Für den Zweck, den wir im Auge haben, kann die Benutzung von Stöck- hardis Schule der Chemie (Braunschweig) oder Schiblers Agrikulturchemie (Aarau) empfohlen werden. 102 VORBERITUNG blossen Anblick, wenn es auch unter Umständen nicht ganz genau ist, genügt für den Zweck des Reisenden. Für ihm ist auch das Pflanzenkleid einer Gegend nur ein Theil eines grössern Ganzen, eines umfassenderen Bildes. Er muss das- selbe besprechen, mit in Betracht ziehen, weil die Flora einer Gegend wesentlich wie zum Schmucke so zur Phy- siognomie der Landschaft beiträgt. Aber wenn er nicht jede Pflanze mit ihrem lateinischen Speciesnamen bezeichnen kann, wird ihm hieraus Niemand einen Vorwurf machen. Besser ist es jedenfalls, sich mit allgemeinern Benennungen zu begnügen, als zu riskiren, dass man sich auf Details einlasse, wenn man nicht sicher ist vor der Gefahr, unrich- tige Einzelheiten vorzubringen. Besser man berichte nur, Nadelwälder getroffen zu haben, als dass man z. B. sage, es seien Sequoien gewesen und es sich nachher herausstellt, dass es Öypressen waren! Für die Mehrzahl der Leser erweckt zudem die allgemeine Benennung eine bestimmtere Vor- stellung; einem Jeden schwebt das Bild eines Nadelwaldes vor; nicht Jeder aber hat eine richtige Idee von Sequoia- oder Cypressenwäldern. Die Fähigkeit, einen Gegenstand, wie eine Pflanze, nach ihrem Aussehen auf einen flüchtigen Blick hin zu erkennen, wird dadurch erworben, dass man das Objekt, um welches es sich handelt, öfters zu sehen bekommt. Auch besitzt ein Jeder diese Befähigung, nur in verschiedenem Grade und Umfange. Niemand verwechselt eine Pappel mit einer Tanne oder eine Eiche mit einem Weidenbaume; aber verhältniss- mässig Wenige sind im Stande anzugeben, wodurch diese Pflanzen sich von einander unterscheiden. Die natürliche Gabe, die verschiedenen Formen zu unterscheiden, muss durch Uebung entwickelt werden. Die besten Definitionen sind nicht soviel werth wie das einfachste Bild des Objektes. Bei diesen Uebungen beginnt man mit einigen von einander bedeutend verschiedenen Pflanzenformen, wie Eiche, Pappel, Nussbaum, Weide, Linde, Hollunder, Sauerdorn, Salbei, und gewöhne man sich daran, diese überall herauszufinden, wo immer sie zu treffen sind, wie man einen Bekannten mitten aus einer grossen Volksmenge herausfinde. Hat man viele Eichen gesehen, kleine und grosse, so besitzt man, als Ab- straktum der vielen Bilder, eine Idee von dem, was man mit PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 103 dem Ausdruck Eiche bezeichnet, eine Vorstellung von dem Gattungsbegriffe Eiche. Dieses typische Bild ist jetzt geistiges Eigenthum. Nun achte man auf die Eigenthümlichkeiten der verschiedenen Arten von Eichen, auf die Unterschiede zwischen der Sommer- oder Steineiche (Quercus pedunculata) und der Winter- oder Traubeneiche (Quercus sessiliflora) etc. Man dehne diese Studien aus auf andere Gattungen, Arten und Varietäten, erweitere durch solch fortgesetzte Uebungen den Umfang des bekannten Formenkreises, und man wird es dazu bringen, nicht zwar alle Pflanzen — aber doch jede Pflanze von charakteristischem Aussehen kennen zu lernen. Sehr selten sind es niedrige Pflanzen, welche der Flora einer Gegend ihren besonderen Charakter verleihen. Die Typen, welche am meisten dazu beitragen, den Landschafts- charakter zu bestimmen, sind die Flechten (Lichenen) im kalten Norden, in den Polargegenden; dann in den ge- mässigten Breiten Tannen, Eichen und Buchen, Wallnuss- bäume und Kastanien; weiter gegen Süden Oliven und Pinien, und in den heissen Klimaten Palmen, Aloen und Fettpflanzen. ‘Um die Vegetationsformen verschiedener Zonen und Re- gionen kennen zu lernen, besuche man öfters botanische Gärten‘) und Gewächshäuser, durchgehe Herbarien, und achte aufmerksam auf die Pflanzen und ihre Namen. Nöthigen- falls behelfe man sich mit naturgetreuen Abbildungen in illustrirten Werken; immer trachte man darnach, zu sehen, zu beobachten! Um aber die Aufmerksamkeit, das Anschauungsvermögen und Gedächtniss nicht nach allzuvielen Richtungen in An- spruch zu nehmen, wende man sie namentlich den Gewächsen der Zone zu, welcher das zu bereisende Land angehört, und lese man die Schriften, welche auf diese Spezialflora Bezug haben, — immerhin ohne zu übersehen, dass die Vegetation eben auch nach den Höhen (Regionen) verschieden ist und man daher selbst in der Aequatorialzone Pflanzen finden kann, welche einem gemässigten oder sogar kalten Klima 1) Dieselben lassen, von dem hier in Frage kommenden Gesichtspunkte aus betrachtet, allerdings oft viel zu wünschen. Vgl. Ernst Hallier, Ausflüge in die Natur, Berlin 1876 (Kapitel: botanische Gärten und bot. Sammlungen). 104 : VORBEREITUNG angehören. Details hierüber findet man in den Partien der botanischen Lehrbücher, welche die geographische Vertheilung der Pflanzen behandeln, namentlich aber in den pflanzen- geographischen Werken von Dr. Karl Müller und Prof. A. Grisebach'). Ueber die Flora bestimmter Gegenden existiren auch Spezialwerke, von blossen Katalogen der daselbst wild- wachsenden Pflanzen bis zu ganz eingehender Behandlung derselben. Wiederholt hat man den Versuch gemacht, eine phy- siognomische Klassifikätion der Pflanzen aufzustellen, eine Eintheilung der Gewächse nach ihrer Tracht oder ihrem Habitus. Bekannt ist eine Abhandlung Alex. von Humboldt’s in seinen „Ansichten der Natur“, wo siebzehn physiogno- mische Pflanzentypen unterschieden werden. Die beste, ein- gehendste und vollständigste Klassifikation dieser Art ist aber die von A. Grisebach, Vegetation der Erde I. Band, S. 11, vgl. Neumayer, Anleitung S. 336. Wohl ist hiegegen ein- gewendet worden, solche physiognomischen Systeme vereinigen oft in einer Gruppe Arten, welche nach dem Gesichtspunkt 1) Dr. Karl Müller von Halle, das Buch der Pflanzenwelt, eine botanische Reise um die Welt, 2. Aufl. Leipzig 1879; — A. Grisebach, die Veyetution der Erde nach ihrer klimatischen Anordnung, ein Abriss der vergleichenden Geographie der Pflanzen, 2 Bände, Leipzig 1872; Gesummelte Abhundlungen und kleinere Schriften zur Pflanzen- geograuphie von A. Grisebach, herausgegeben von Dr. Ed. Grisebach, Leipzig 1880. — „Die Vegetation der Erde“ ist das wichtigste pflanzengeogr. Werk; die „Gesam- melten Abhandlungen“ enthalten namentlich die Berichte über die Fortschritte der Pflanzengeogruphie, welche A. Grisebach für Behm’s geogr. Jahrbuch schrieb und von welchen E. Behm (Petermann’s Mittheilungen 1880 Nr. 11) mit Recht bemerkt, dass sie allgemein als Muster wissenschaftlicher Jahresberichte anerkannt wurden. Indem wir gerne dem Studium der Schriften A. @risebach’s das Wort reden, empfehlen wir indess unsern Lesern, sich vorher mit dem erwähnten Werke von Dr. Karl Müller vertraut zu machen. Der Schwerpunkt von Grisebach’s Werk liegt, wie schon sein Titel andeutet, in den wissenschaftlichen Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Klima und Flora eines Gebietes; dieselben sind ganz ausgezeichnet und man wird aus ihnen mehr klimatologisches Wissen und Ver- ständniss schöpfen als aus manchem Werke, das sich „Meteorologie“ betitelt; nicht geringere Anerkennung verdienen die Schilderungen der Florengebiete nach Vegetationsformationen und Regionen. Dagegen werden andere Seiten des Gegen- standes, entsprechend dem zielbewussten Streben des Werkes, nur beiläufig be- rührt oder ganz unberücksichtigt gelassen. Ersteres gilt von den Veyetationsformen in physiognomischer Hinsicht (während ihre klimatischen Beziehungen bezw. An- passungen eingehende Würdigung finden), letzteres von den sachbezüglichen geo- gnostischen und geologischen Verhältnissen. Dr. Müller’s Werkist gleichmässiger und allseitiger, indem es in besonderen Abschnitten auch diesen Gesichtspunkten die ge- eignete Würdigung zu Theil werden lässt (vgl. 1. Abthlg., 2. Buch: Geschichte der Pflanzenwelt, 3. Buch: Physiognomik der Gewächse) und die Erreichung seines Zweckes durch seine illustrative Ausstattung wirksam fördert. — Nach der historisch- geologischen Seite hin wird die Darstellung Grisebach’s (ausser durch die S. 99 ge- nannten Werke) ergänzt durch den Versuch einer Entwicklungsgeschichte der Pflunzen- welt von Dr. A. Engler, 1. Theil, Leipzig 1879; für einzelne engere Gebiete sind Schriften wie die von H. Christ (Pflanzenleben der Schweiz, Zürich 1879), A. v. Kerner, Nägeli u. A. zu empfehlen. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 105 der „natürlichen Verwandtschaft“ als sehr verschieden be- zeichnet werden müssen, vertheilen hinwieder genealogisch zusammengehörige Arten in physiognomisch ganz verschiedene Gruppen und erfordern den Gebrauch von Benennungen, die sich nicht von selber verstehen, sondern welche die Kenntniss von Definitionen als eines Schlüssels zu ihrem Verständniss erfordern. Aber trotz dieser nicht zu beseitigenden Inkon- venienzen ist eine Klassifikation wie diejenige Grisebachs und ist das Studium derselben von unbestreitbarem Nutzen. Der Reisende muss aber nicht nur diese Kenntniss der Gewächse nach dem (wesentlich durch die vegetativen Organe bestimmten) Gesammtbilde ihrer äussern Erscheinung, — er muss nicht minder auch eine gewisse Vertrautheit mit dem sogenannten natürlichen System derselben besitzen, d. h. mit der auf die Beschaffenheit der Fortpflanzungs- organe gegründeten Eintheilung, welche Kenntniss der wissen- schaftlichen Charaktere wenigstens soweit gehen muss, dass man die Familie oder Unterfamilie (Tribus) bestimmen kann, zu welcher eine aufgefundene Pflanze gehört, dass man also weiss, was Ausdrücke wie Coniferen, Gramineen, Orchideen u. dgl. bedeuten, welche Pflanzen jenen Kategorien zuge- hören und dieselben bilden. Der Reisende wird ja mitunter Pflanzenformen antreffen, die ihm nach Art und Gattung völlig unbekannt sind, die er noch nie gesehen hat, die vielleicht noch unbeschriebene und unbenannte neue Species sind. Wie soll er dann diese bezeichnen und beschreiben, wenn er es nicht thun kann durch Beziehung derselben auf eine bekannte Familie oder dadurch, dass er die morpho- logischen Merkmale angibt, welche zu deren Einreihung in’s System nöthig sind ? Etwas praktische Botanik, d. h. Uebung im Bestimmen und Beschreiben von Pflanzen ist also unerlässlich. Als geeignete Werke hiefür können namentlich empfohlen werden: Dr. A. B. Frank, Pflanzentabellen zur leichten, schnellen und sichern Bestimmung der höheren Gewächse Nord- und Mitteldeutschlands, 2. Aufl., Leipzig 1874; — Dr. R. Th. Simmler, botanischer Taschenbegleiter des Alpenklubisten, Zürich 1871; — Dr. J. A. Schmidt, Anleitung zur Kenntniss der natürlichen Familien der Phanerogamen (Stuttgart 1865); 106 VORBEREITUNG ferner die illustrirten') naturgeschichtlichen Werke von Leumis (Leitfaden, Schulnaturgeschichte, Synopsis) II. Theil. Der letztere Autor nimmt zugleich überall Rücksicht auf die Eigenschaften und Verwendung, auf Nutzen und Schaden der Pflanzen für den Menschen, wie auch deren Beziehungen zur Thierwelt in diesem Sinne, — während hinsichtlich anderer, erst in neuester Zeit zu rechter Würdigung ge- langter Verhältnisse zwischen Pflanzen- und Thierwelt (gegen- seitige Anpassungen derselben) namentlich auf die Schriften von Dr. Hermann Müller, John Lubbock und Dr. Arnold Dodel zu verweisen ist?). Bestimmen der Thiere. Nach dem, was soeben über das Bestimmen der Pflanzen gesagt wurde, können wir uns in Bezug auf das Bestimmen der Thiere kurz fassen; wir müssten schon Gesagtes wiederholen, wenn wir hier in Details eintreten wollten. Hinsichtlich der Thiere kann sich der Reisende noch weniger als in Betreff der Pflanzen mit genauem, anato- l) Den erstgenannten Werken fehlen Abbildungen. Den Leser, welcher auf die Erleichterung, welche gute Illustrationen beim Bestimmen gewähren, nicht ver- ziehten will, verweisen wir auf Hermann Wagner’s Illustrirte deutsche Flora, Stutt- gart 1871 (Vorbild: Bentham’s Illustrated Handbook of the British flora) und als Ergänzung zur letzten Tabelle Frank’s (S. 169 ff.) auf Moritz Willkomm, Deutschlands Laubhölzer im Winter, 3. Aufl., Dresden 1880. Moritz Willkomm’s Waldbüchlein, ein Vademecum für Waldspaziergänger (2. Aufl., Leipzig 1880), enthält in bequemem Taschenformat die Illustrationen aus dem grösseren Werke: der Wald, von E. A. Lossmässler, dem Autor der bekannten Schriften: die 4 Jahreszeiten, Flora im Winterkleide ete. — Hermann Wagner hat auch verschiedene, durch den Buch- handel zu mässigem Preise erhältliche Herbarien zusammengestellt (Phanerogamen-, Kryptogamen-Herbar; Gräserherbarium u. s. w.). Da es sich hiebei nicht nur um ein Pflanzenstudium handelt, sondern zugleich um Muster der Anlage solcher Sammlungen, so machen wir aufmerksam auf das Herbar: „Schweizerische Krypto- gamen“ von Dr. Wartinann in St. Gallen und B. Schenk in Stein a. Rh. (Ktn. Schaff- hausen), welch letzterer auch anderweitige naturhistorische Sammlungen liefert. — In von Touristen stark besuchten Gebirgsgegenden sind öfters auch Herbarien käuflich zu haben, worüber die gebräuchlichen Reisehandbücher Auskunft geben; diese Sammlungen kommen aber begreiflicherweise oft so hoch zu stehen, dass in solchen Fällen die Beschaffung sachbezüglicher kolorörter Bilderwerke (wie die Alpenpflanzen, gemalt von Jos. Seboth, mit Text von F. Graf, Prag) fast eher zu empfehlen wäre. — Wir wollen an dieser Stelle nicht unerwähnt lassen, dass ausser dem Sammeln der Objekte selbst auch den Volksnamen derselben Beachtung zu schenken ist; es hat dies nicht bloss sprachlich - geschichtlichen, sondern oft auch naturkundlichen Werth. Diese Bemerkung gilt selbstverständlich eben- so gut für zoologische als für botanische Objekte; beispielsweise nennen wir von solchen Sammlungen: Jos. Rhyner, volksthümliche Pflanzennamen der Wald- stätten, Schwyz 1866; Dr. B. Wartmann, Beiträge zur St. Gallischen Volksbotanik, St. Gallen 1874; Prof. Mühlberg, Flora des Aargau, Aarau 1880; v. Siebold, die Süsswasserfische Mittel-Europas, Leipzig 1863 (S. 396—402, S. 181, Note 2 etc.) 2) Dr. Hermann Müller von Lippstadt, die Wechselbeziehungen zwischen den Blumen und den ihre Kreuzung vermittelnden Insekten; Eneyklopädie der Natur- wissenschaften, 1. Abthlg., 1. Lfg., Breslau 1879; — Alpenblumen, ihre Befruchtung. durch Insekten und ihre Anpassung an dieselben, Leipzig 1881; — Dr. Arnold Dodel- Port, illustrirtes Pflanzenleben, Zürich 1880/81. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 107 mischem Studium befassen. Er muss den Vogel im Flug, das vierfüssige Landthier im Sprung zu beobachten wissen. Ein geübter Blick täuscht sich hierin selten; Flug und Ge- fieder, oft auch der Gesang oder das Geschrei charakteri- siren den Vogel; nach Grösse, Gestalt, Gang, Farbe und Stimme können die meisten Säugethiere unterschieden werden; ja Grösse, Gestalt und Farbe reichen meist bei Fischen und Reptilien, oft noch bei Insekten hin zur Erkennung der Thiere. Niemand, der in den Lüften einen Raubvogel kreisen sieht, wird ihn für einen Raben halten; eben so wenig wird man letzteren mit einer Taube verwechseln, selbst wenn man von ihm zu weit entfernt wäre, um Form und Farbe genügend deutlich zuerkennen. Wer einen Löwen, Jaguar oder eine Hyäne auch nur eine Sekunde lang sieht, wird wissen, woran er ist, ohne dass er weitere Belehrung braucht oder unnütz Pulver verschwendet. Indessen wird man Thiere, die man zu sehen nicht alle Tage Gelegenheit hat, in zoologischen Museen'), Thiergärten und Menagerien kennen zu lernen suchen und nicht blos in illustrirten Werken. Im Uebrigen muss man, wie hinsichtlich der Pflanzen, von der Kenntniss einiger weniger wesentlich verschiedener Formen ausgehen und durch Ausdehnung dieser Studien es dazu bringen, selbst nächst- verwandte Thierspecies unterscheiden zu können. Auch wird man, wie die Flora, so die Thierwelt der zu besuchenden Länder oder von Gegenden mit ähnlichen Verhältnissen be- sonders studiren. Hiebei leistet das berühmte Werk von Alfred Russel Wallace (die geographische Verbreitung der Thiere, deutsche Ausgabe von A. B. Meyer, Dresden 1876) die besten Dienste. Da der Reisende ihm unbekannte Thiere, wenn er solche gefangen oder erlegt hat, nicht so leicht mit sich nehmen und einem kompetenten Beurtheiler vorlegen kann, wie dies mit Pflanzen möglich ist, hat er um so mehr eine gewisse Kenntniss der Merkmale nöthig, worauf die zoologischen Klassifikationen beruhen, und eine ‘gewisse Vertrautheit mit deren Gebrauch zum Bestimmen und Beschreiben, sodass man eine wissenschaftliche Beschreibung liefern oder wenig- —. =, Wichtig ist hiebei hinsichtlich der höheren Thiere fast weniger die Reich- haltigkeit einer solchen Sammlung als der Umstand, dass die Thiere in Stellung, Gruppirung etc. möglichst lebenswahr dargestellt seien. 108 VORBEREITUNG stens Ordnung und Familie angeben kann, zu welcher ein Thier gehört. Hiefür sind die Grundzüge der Zoologie von Prof. Claus, das Lehrbuch der Zoologie von Dr. Schmarda, sowie die mehrerwähnten naturgeschichtlichen Bücher von Leunis (Leitfaden, Schulnaturgeschichte, Synopsis) Z. Theil, treffliche Führer. Selbstverständlich ist daneben wieder das Studium von Spezialfaunen (wie z. B. des S. 106 erwähnten Werkes von Prof. Siebold über die Süsswasserfische von Mittel- europa) zu befürworten. Was den Gesichtspunkt des Nutzens und Schadens an- betrifft, die materiellen Beziehungen der Thiere zum Menschen und zu andern Organismen, so ist diese Seite des Gegen- standes auch in den zoologischen Büchern von Leimnis be- rücksichtigt. Uebrigens kommt die Frage des Nutzens bei der Thierwelt weniger in Betracht als bei der Pflanzenwelt, anderntheils ist bei ihr im Gegentheil dies Verhältniss auf- fallender. Es ist z. B. ein Säugethier gesucht wegen seines Pelzes, ein Vogel wegen seiner Federn, ein Fisch wegen seines Fleisches u. s. f.') Unter allen Umständen sollte man von Thieren zum Voraus mehr wissen als ihren blossen Namen; insbesondere kommt ihre Lebensweise in Betracht; ob sie z. B. paarweise oder in Heerden leben; ob sie in bestimmten Jahreszeiten wandern; wie sie gejagt, ob und in welchem Grade sie gezähmt, zum Hausthier gemacht werden können u. s. w. Hierüber findet man reiche Belehrung in dem grossen Werke von Dr. Alfred Brehm: JIllustrirtes Thierleben, dessen vortreffliche Illustrationen separat unter dem Titel „Bilder aus Brehms Thierleben“ systematisch ge- ordnet in 55 Tafeln erscheinen. Von weniger umfangreichen Werken gleicher Richtung nennen wir: Brehm und Ross- müässler, die Thiere des Waldes (Seitenstück zu Rossmässlers Buch: Der Wald); F. vo. Tschudi, das Thierleben der Alpen- welt; Dr. @. Jäger, Deutschlands Thierwelt nach ihren Standorten; Adolf und Karl Müller, Wohnungen, Leben Eigenthümlichkeiten der Säugethiere und Vögel; L. Glaser und C. Klotz, Leben und Eigenthümlichkeiten der mittleren und niederen Thierwelt. — Hinsichtlich der verschieden- artigen Anpassungen im Gebiete der Thierwelt (Mimicry u. s. w.) 1) Vgl. hierüber nöthigenfalls Animal Products, their Preparation, Commercial Uses and Value, by P. L. Simmonds, London 1877. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 109 existirt eine überreiche Literatur; wir kommen in unserm „Vademecum“ auf diesen Gegenstand zu sprechen‘) und ver- weisen hier nur beinebens auf Charles Darwin’s berühmte Werke, die „Darwinsche Theorie“ von Dr. G. Seydlitz und die „Allgemeine Erdkunde“ von Hann, Hochstetter und Po- korny, III. Theil. Anthropometrische Bestimmungen. Unter den zahl- reichen Eigenschaften, durch welche sich die Menschenrassen von einander unterscheiden, gehören die messbaren, welche Dimensionsverhältnisse des Kopfes, die Körpergestalt etc. betreffen, zu den wichtigsten. Wir bringen sie an dieser Stelle zur Sprache, weil viel darauf ankommt, dass man sich rechtzeitig mit diesen Verhältnissen und deren Be- stimmung bekannt macht. Der schwierige Umstand, dass die Individuen, welche man messen will, kaum längere Zeit unbeweglich in einer angewiesenen Stellung bleiben können oder wollen, macht es nöthig, dass man bei diesen Messungen rasch und leicht, wie spielend, zu operiren wisse. Da die Messungen am lebenden Körper von denen ab- geleitet sind, welche man gewöhnlich am Skelett vornimmt, beginnen wir mit diesen letzteren. 4A. Die Messungen am Skelett werden in craniometrische, d. h. Schädelmessungen, und in osteometrische, d. h. Mes- sungen an den übrigen Theilen des Skelettes, unterschieden. a) Die Meinungen über die zweckmässigste Art der Schädelmessung gehen weit auseinander. Es gibt in dieser Frage verschiedene Schulen und nicht einmal die Gelehrten einer und derselben Schule sind hierüber vollkommen einig”). Nachstehend geben wir ein Resum& der von Dr. Topinard nach dem System des Prof. Paul Broca vorgeschlagenen Methode’). Wir beschränken uns darauf, da unmöglich alle Methoden erwähnt werden können, sind auch überzeugt, dass, wenn man nicht das grosse angesammelte Material verlieren will, man genöthigt sein wird, ein Mittel ausfindig zu machen, um die nach den verschiedenen Methoden ge- 1) D. Kaltbrunner, Aide-memoire, S. 450 fi. & 2) Vgl. über diese Verschiedenheiten O0. Peschel, Völkerkunde, Leipzig 1874, E55 f 3) Vgl. L’Anthropologie, par M. le Dr. Paul Topinard. 22me ed, Paris 1877. 1310) VORBEREITUNG lieferten Angaben unter sich zu vergleichen und auf ein und dasselbe Mass zurückzuführen !). Die craniologischen Merkmale, welche genaue Messungen erheischen, sind folgende: 1° Die Schädelkapazität oder Schädelgeräumiekeit; 2° Der Schädelindex, d. h. das Verhältniss zwischen Breite B und Länge Z des Schädels; 3° Die Höhe H des Schädels; 4° Der Umfang desselben nach verschiedenen Richtungen ; 5° Die Breite des Gesichtstheils; 6° Die Länge oder Höhe des Gesichtstheils; /° Der kleinste Stirndurchmesser. Dem Reisenden wird es selten möglich werden, diese verschiedenen Abmessungen mit der wünschenswerthen Ge- nauigkeit vorzunehmen. Um eine Angabe von wirklich wissenschaftlichem Werth zu erhalten, muss die Messung, welche der Reisende macht und die nur als eine provi- sorische zu betrachten ist, wiederholt und kontrolirt werden durch Fachmänner, welchen man die gesammelten Proben einsendet. Bei dem grossen Interesse, welches die For- schungen über vorgeschichtliche Rassen erwecken, muss aber der Reisende lebhaft wünschen, dass er selber seine Funde wenigstens in einer vorläufigen Zusammenstellung verwerthen könne. Zu dem Ende ist folgendermassen zu verfahren”). 1° Messen der Schädelgeräumigkeit. Man füllt die Schädel- höhle mit feinem Schrot sorgfältig und vollständig, schüttet dann das Schrot in ein graduirtes Gefäss, ebnet es oben gut und misst nun so ab’). 2° Bestimmung des Schädelindex. Unter dem Index versteht . a Ä ; man, wie schon bemerkt, das Verhältniss —- zwischen Breite und Länge des Schädels. Diese Dimensionen werden mit dem Tasterzirkel (Compas d’&paisseur, Fig. 80) und mit dem Gleit- oder Schiebezirkel (Craniometer, Fig. 81) gemessen. 1) Wer sich für diese Frage speziell interessirt, findet sachbezügliche Artikel im Archiv für Anthropologie, Braunschweig, und in der Zeitsehrift für Ethnologie, Berlin. 2) Zur Erlangung möglichst genauer Angaben sind die Schädel an warmer Luft zu trocknen, da sie in feuchtem Zustande ihre Dimensionen etwas ändern. 3) Man kann hiezu dasselbe graduirte Gefäss verwenden, womit man die Regen- menge misst. Die Grundfläche desselben multiplizirt mit der Höhe gibt das Volumen. Kennt man das Gewicht eines Liters, d. h. eines Kubikdezimeters vom ange- wendeten Schrot, so kann man aus dem Gewicht der Schrotmenge, welche zur Ausfüllung des Schädelraums diente, das Volum der Schädelhöhle in cem3 ableiten. im tieueh 5 rk rm nie N. Er wer: ons = Are ie der sten se j uy0} PN wer \ > h | S BARESEIE In (8 i Tr nenn Bere. > „it k . # ie £I4B 1 I " ; | | % . s, (. i\ 1.Menschlicher Schädel, Vord en 2 r 4 2.Menschlicher Schädel, Seitenansicht. GA | il \ PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 111 Die Breite B oder der grösste Transversaldurchmesser wird über den Ohren (zwischen A und B Taf. III, 1) ab- gemessen, d. h. zwischen den Bunkien des Schädels, die am weitesten seitlich vortreten i und genau symmetrisch liegen. Die Länge L oder der srösste Schädeldurchmesser in der Richtung vom Vorder- zum Hinterschädel (in der Medianebene, welche den symmetrischen Körper hal- birt) wird abgegriffen zwi- chen (und D (Taf. MI 1. h. zwischen der Stirn- rlatze (Glabella, oder dem Punkte mitten zwischen den A\ugenbrauenknochen) und lem äussersten Vorsprunge les Hinterhauptes. Bezeichnen wir die Breite nit 3, die Länge mit Z, so BIP PRSETERATZFF Fig. 81. 100 B - Ist z. B. die Breite ‚der der kürzere Durchmesser 0,1152 m, die Länge oder der ‚rössere Durchmesser O,ıs27 m, so ist der Index 14,52 : O,ıs27 — 719,47. Die Schädel mit kleinem Index (unter 74) nennt man Dolichocephale, Lang- oder Schmalschädel, die mit grossem st der Schädelindex in Prozenten 112 VORBEREITUNG Index (über 80) Brachycephale, Kurz-, oder Breitschädel, die Mittelformen Meso- oder Mesaticephale (Mittelschädel, Broca; Orthocephale — Rechtschädel nach Welcker). Hin- sichtlich der genauen Grenzen zwischen diesen Formen herrschen indess wieder Meinungsverschiedenheiten. Der Eine nennt einen Schädel noch dolichocephal, welchen ein Anderer schon als brachycephal bezeichnet, und die Einen stellen Unter- abtheilungen zwischen Formen auf, die von Andern nicht anerkannt werden‘). °H. Welker nimmt die Zahlen 74 und 78, Calori, Virchow und Andere nehmen 74 und 80 als Grenzwerthe für die Mittelgeruppe. Prof. Broca unterscheidet folgende Formen: Index Dolichocephale . . . ..75 und darunter _Subdolichocephale .. 2 2. 275,01 U Tlyar Mesaticephale ’ . ... a.0 Mrs 80 Subbrachycephale . . . 80,1 — 83,33 Brachycephale . . . 83,31 und darubenl 3° Messung der Schädelhöhe. als hierin zwischen den verschiedenen Methoden Einigung erzielt ist, gibt man am Besten die absolute Schädelhöhe H an, welche man findet zwischen den Punkten E und F (Taf. III, 2), d. h. zwischen dem Vorderrand des Occipital- oder Hinterhauptloches und dem Bregma, dem höchsten Punkt des Schädels, wo die Nähte der Schädelknochen zusammentreffen. 4° Messung des Schädelumfangs. Der Umfang des Schädels wird in drei verschiedenen Richtungen gemessen, nämlich: in der Medianebene HCfJKLEH (Taf. III, 2); in der Transversalen U’ AFBUTU’ (Taf. III, 1); in der Horizontalen © O D und zurück, doch nicht sowohl in horizontaler Linie, als vielmehr in der Richtung der grössten Schädelbreite. 1) Vgl. hierüber die interessante Zusammenstellung von Dr. H. von Ihering in der Zeitschrift für Ethnologie V, 1873, Heft 3 und 4, pag. 143. — Nach dem H (indess wenig zuverlässigen) Höhenindex m em man hohe und niedrige Schädel (Hypsicephale und Chamae- oder Platycephale). Wichtiger ist die auf das Gesichtsprofil, wie die Stellung der Kiefer, Zähne und Lippen bezügliche Ein- theilung in geradzähnige oder orthognuthe Schädel, bei welchen die Schneidezähne senkrecht in den Kiefern stehen, und schiefz ühnige oder prognathe mit schiefer Zahns stellung und vortretenden Kiefern (Lippen). Durch Kombination dieser beiden Typen mit den drei oberwähnten Abtheilungen erhält man die sechs Schädelformen der schief- und geradzähnigen Lang-, Mittel- und Kurzköpfe. Vgl. den Abschnitt über die Charaktere der Menschenrassen. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 113 Diese Bestimmungen werden meistens mittelst eines Mess- ndes ausgeführt. Bei den zwei ersten muss man die Maasse : die einzelnen Abtheilungen des Umfangs angeben, welch ztere folgende sind: @) Medianer Schädelumfang. Taf. III, 2. bcerebrale Sektion H C, von der Nasenwurzel bis zur Glabella, d. h. bis zum Punkte in der Mitte der Linie, welche die Augenbrauenwölbungen verbindet (Superorbitalpunkt). rebrale Sektion oder Stirnpartie Ü F, bis zum Bregma (Vereinigungspunkt der Kron- und Pfeilnaht). wietale Sektion oder Scheitelpartie FI, vom Bregma bis zum Lambda (Vereinigungspunkt der Hinterschädelnähte). cipitale Sektion oder Hinterhauptspartie IX LE, vom Lambda 7 bis zum Inion X, von hier bis zum Ophistion L (Aussenrand des Hinterhauptkopfes auf der Medianlinie) und endlich Z E, die Länge der genannten Oeffnung, gemessen mit dem Schiebe- oder Gleitinstrument. ıso-Basale Sektion E H, vom Vorderrand des Hinterhaupt- loches bis zur Nasenwurzel, gemessen mit dem Tastzirkel. ß) Transversaler Schädelumfang. Taf. ILL, 1. perauriculare Sektion oder der Kopfbogen U’ F U, zwischen den obern Rändern beider Gehörgänge nach oben über das Bregma gemessen. bauriculare Sektion U U’ zwischen denselben Punkten, aber auf der Unterseite des Schädels gemessen. Sie hat keine grosse Bedeutung. y) Horizontaler Schädelumfang. Taf. III, 2. Derselbe t den Schädeldurchmesser € D in der Medianen zur ossen Axe und wird in zwei Hälften (vordere und hintere) theilt durch die transversale Umrisslinie,- welche den- ben in O zu beiden Seiten des Schädels trifft. Der ganze Umfang wird in Millimetern angegeben, das Mass es jeden der beiden Theile aber (Vorder- und Hinterpartie) Prozenten (Hunderteln) des Gesammtumfangs. Je nach- m die eine oder andere Partie vorwiegt, heisst die Rasse ne frontale (mit entwickelter Stirn) oder eine oceipitale it grösserm Hinterhaupt). 5° Die Gesichtsbreite wird mit dem Tastzirkel gemessen n Z nach Z’ (Taf. III, 1) über die Scheitelpunkte der I) algl2i VORBEREITUNG beiden Jochbogen, wesshalb sie auch Jochbreite oder bizy- gomatischer Diameter heisst. 6° Die Zänge oder Höhe des Gesichts wird gemessen vom schon erwähnten Punkte € bis zum obern Alveolenpunkte V (Taf. III, 1 und 2) am Hals der mittleren Schneidezähne; diess heisst die einfache Gesichtslänge (Höhe). Unter totaler Höhe oder Länge des Gesichtes versteht man die Distanz von € bis zum Unterrande des Kinns. 7° Die Linie M M’ über den schmalsten Theil der Stirn heisst kleinster Stirndurchmesser. Wir beschränken uns auf Hervorhebung dieser wesent- lichsten Messungen; detaillirtere Messungen gehören ins Gebiet der verifizirenden und ergänzenden Operationen, wovon oben die Rede war‘), ausgenommen noch die Ermittlung der Indices für Nasen- und Augenhöhlen. Unter dem Nasalinder versteht man das Verhältniss der Linie D (Taf. III, 1) oder der Breite der vordern Nasen- höhle zu ihrem Längenmaximum, von der Nasenwurzel MN bis m, der herzförmigen Basis der schraffirten Nasenhöhle., 100D _ Der Orbitalindex (für die Augenhöhlung) ist das Ver- hältniss zwischen den Linien R und P (Taf. III, 1) oder der grossen und kleinen Axe der Augenhöhle. Diese Axen haben ihre Ausgangspunkte je bei einer Knochennaht und : ; RN ._, 100R schneiden sich rechtwinklig. Der Index ist —-. Die Projektionsmethode, welche jetzt bei der Schädel- messung immer mehr Anwendung findet, eignet sich nur für die Laboratorien der Gelehrten. Der Reisende ist selten in der Lage, mit der hiezu nothwendigen Genauigkeit ope- riren zu können und er wird besser thun, diese schwierigen Messungen berufeneren Händen zu überlassen”). b) Die osteometrischen Merkmale der übrigen Skelett- partien (Taf. IV) sind: 1° Die Grösse oder Statur — falls man ein Skelett vor sich hat, das in seiner natürlichen Lage, in allen Theilen unverändert, ungestört geblieben ist. Bezeichnen wir das letztere mit /, so ist dieser Index == 1) Näheres findet der Leser, der Solches wünschen sollte, in den /Instructons cruniologiques et craniometriques von Paul Broca, Paris 1875; in der Anthropologie von Dr. Topinard (II. Aufl. Paris 1875) und in dem Resume des Instructions crani- ologiques et craniometriques von Dr. Collineau (Paris 1377). 2) Vgl. das ausgezeichnete Kapitel hierüber in Dr. Topinard, Anthropologie 2e ed. Paris 1877, S. 269 — 305. Ta. MR. in N N DIE R at 333 N \ DS SR JASSTRESIISTIS HS $ SS ZSERSIISSR RB AB N eK N NENNEN IIKÄRSSEDSEIES IS SIKU NES ASS ER I SER Er AS IT RSS RERTE TU Ri ik PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 115 2° Die Längen der wichtigsten Knochen, wie des Schlüssel- beins, Oberarmbeins (Humerus), des Radius und Cubitus (Speiche und Ellbogenknochen), Oberschenkelknochens, Schien- und Wadenbeins. Zu diesem Zwecke legt man diese Knochen auf ein ein- getheiltes Brett und bestimmt mit Hülfe zweier Winkel- hacken die Projektionen der beiden Endpunkte auf dem Brette'). B) Die Messungen am lebenden Körper sind, wie wir schon bemerkten, mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, und um sie mit Erfolg ausführen zu können, muss sich der Reisende darauf vorbereitet haben. Dr. R. Virchow in Berlin äussert sich hierüber (Neumayer, Anleitung pag. 588) wie folgt: „Autodidakten sind nirgends unzuverlässiger als in den messenden Zweigen der Wissenschaft. Jeder Reisende sollte sich bei einem Anatomen oder sonst sachverständigen Anthropologen einüben lassen, selbst die gewöhnlichen Kennt- nisse des Arztes reichen nicht aus, um in jedem Augen- blicke diese Art der Messungen richtig anzustellen oder gar zu lehren.“ — Die am Lebenden vorzunehmenden Messungen sind folgende: «@) Am Kopfe 1° Die Breite oder der grösste Querdurchmesser, über den Ohren, wie am Skelett. 2° Die Länge oder der grösste Mediandurchmesser, von der Glabella (dem Punkt in der Mitte der Linie zwischen den obern Theilen der Augenbrauen) bis zum entferntesten gegenüberliegenden Punkte, wie beim Skelett. 3° Diese beiden Maasse bestimmen den Schädelindex für Lebende. Um hieraus den Index für das Kopftheil des Skelettes abzuleiten, muss man die Dicke der Tegumente (Haut und Muskeln) in Rechnung ziehen; zu dem Ende müssen die am lebenden Körper erhaltenen Zahlen etwa um 2 Maasseinheiten reduzirt werden. 4° Die Schädelhöhe wird bestimmt als Differenz zwischen der ganzen Körperhöhe bis zum Scheitel, wovon wir nach- her sprechen, und der Höhe oder Länge des Körpers von unten bis zu einer Horizontalen durch die Mündung des I) Da über die beste Methode zum Messen von Skelettpartien Meinungsver- schiedenheiten bestehen, so wird man gut thun — welche Methode man auch befolgt — ganz bestimmt zu sagen, wie die betr. Messung zu verstehen sei. 116 VORBEREITUNG Gehörgangs- (welchen man hier als Ersatz für das Hinter- hauptloch nimmt) und die Nasenbasis. - 5° Die verschiedenen Arten des Schädelumfangs oder wenigstens deren wichtigste Abschnitte werden gemessen wie am Skelett, mittelst eines Messbandes, vorbehalten die Re- duktionen, welche mit Rücksicht auf die Dicke der Tegu- mente und des Haarwuchses nöthig sind. Die Breite und die (einfache wie totale) Höhe oder Länge des Gesichts werden auf dieselbe Weise gemessen wie am Skelett, ebenso auch: 6° der kleinste Stirnduwrchmesser. 7° Wenn man von der gesammten Höhe des Körpers diejenige von unten bis zum Kinn abzieht, so erhält man die Höhe des Kopfes. Ihr fügt man, behufs späterer Be- stimmung des Gesichtswinkels, noch 8° die Höhe des zwischen den Augenbrauen gelegenen Super- orbitalpunktes (©, d. h. dessen Abstand vom Boden, bei. Hiebei muss man das zu messende Individuum in gut aufrechter Haltung an eine Wand oder Mauer stellen, an welche man das Messband oder den Massstab anlegt (sodass der Nullpunkt am Boden ist) oder eine metrische Theilung anbringt. Längs der Mauer oder des Massstabes fährt man mit einem Winkelhacken hin, dessen oberer Rand den ge- suchten Punkt auf der Skala bezeichnet. Der Kopf ist so zu halten, dass die Mündung des Gehörganges und die Basis der Nase in eine Horizontale zu liegen kommen. Sind die Punkte, deren Höhenlage man bestimmen will, etwas entfernt von dem Winkelhacken, den man anwendet, so bedient man sich eines zweiten solchen Instrumentes (Winkel, Equerre), legt dasselbe an das erstere so an, dass es mit ihm einen rechten Winkel bildet und bestimmt damit die Lage derjenigen Punkte, welche mit dem erstern sich nicht erreichen lassen. Dieses, das Hauptinstrument, wird oben mit einer Metertheilung versehen und so angelegt, dass der OPunkt an die Wand (Mauer) zu liegen kommt. So kann man zugleich den Abstand wesentlicher Punkte von der Rückenebene (Wand) bestimmen, wie den Abstand des Gehör- ganges, des Superorbitalpunktes (der Glabella, Stirnglatze) und des obern Alveolarpunktes. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN "17 Berührt der Kopf die Wandfläche nicht, ohne dass die Linie durch Gehörgang und Nasenbasis (Nasenlöcher) aus der horizontalen Lage kommt, so bringt man zwischen Wand und Kopf einen Gegenstand an, wie ein Buch oder Brett, und zieht nachher dessen Dicke ab. ß) Am ganzen Körper (Taf. IV). Das Individuum wird in der eben beschriebenen Weise an eine Wand oder Mauer gestellt und muss die sogenannte Grundstellung der Soldaten annehmen, Fersen aneinander, Arme seitlich am Körper gestreckt, die Finger ausgestreckt an die Schenkel angelegt. Dann nimmt man mit Hülfe zweier Winkel — die Anwendung des Meterbandes allein gäbe zu ungenaue Resultate — folgende Maasse ab: 1° Grösse oder Statur, d. h. Abstand des Scheitels vom Boden, wie oben bemerkt. 2° Rumpf, d.i. Distanz vom Halswirbelvorsprung zwischen den Schultern (cc, Taf. IV) bis zum Ende der Wirbelsäule, d. h. bis zum Heiligenbein oder Steissbein (sacrum oder coceyx); auch die Distanz zwischen der Vereinigungsstelle beider Schlüsselbeine (oberer Rand des Brustbeins) und dem Schooss- oder Schambein (oberer Rand). 3° Oberarm (e) — Höhe des Vorsprungs (Akromion) am Schulterblatt (d) oder der Schulter selber, vom Boden aus gemessen, weniger die Höhe des Ellbogens (Aussenende des ÖOberarmbeins) vom Boden aus. 4° Vorderarm. Die letzterwähnte Zahl weniger den Abstand des Endes der Speiche 4 (Vorsprung an der Handwurzel, auf der Seite des kleinen Fingers) vom Boden. 5° Hand ; das letztere Maass weniger den Abstand zwischen dem Boden und dem (untern) Ende des Mittelfingers. 6° Schenkel i (Oberschenkel). Abstand zwischen dem Boden und dem Oberende des Schenkelknochens (dem Ober- rand des grossen Trochanter oder Rollhügels) weniger Knie- höhe (Mitte des Kniees auf der gewölbten Aussenseite m). 7° Unterschenkel. Die letztere Zahl weniger die Höhe des Oberrandes der Fusswurzel » (des Malleolus internus) über dem Boden. . 8° Fuss. Höhe: das eben genannte Maass. Länge: vom hintersten Vorsprung der Ferse bis zur Spitze der grossen Zehe. 118 VORBEREITUNG 9° Klafterweite der Arme: Die Distanz der Mittelfinger- enden bei wagrecht vom Körper abstehenden (zu ihm in Kreuzform gebrachten) Armen. 10° Schulterbreite: Abstand von einem Akromion (Schulter- höhe, Grätenecke) zum andern. 11° Beckenbreite. Abstand von einem Hüftrand (crista ilei) zum andern. Diese 3 Maasse sind mittelst zweier Winkel (Equerres) abzunehmen, während das Individuum mit dem Rücken an die Wand lehnt, an welcher nachher die Entfernung der Equerren durch das Messband ausgemittelt wird. 12° Endlich die Distanz zwischen Kniescheibe (m) und Mittelfinger : die unter Ziffer 5 erwähnte Zahl weniger den Abstand des obern Kniescheibenrandes vom Boden. Um die Proportionen der Glieder zu erhalten, braucht man nur alle jene Maasse in Prozenten der ganzen Körper- höhe anzugeben, diese also gleich 100 zu setzen und die Messungsresultate hienach umzurechnen. Ebenso verfährt man, um die Verhältnisse der Gliederlängen zu einander abzuleiten, z.B. das Verhältniss der oberen Glied- massen (Ober- und Vorderarm) zu den unteren (Ober- und Unter- schenkel), wie dasjenige des Oberarms zum Vorderarm und des Oberschenkels zum Unterschenkel. Man setzt immer die Länge des Gliedes, womit man ein anderes vergleichen will, —= 100 und leitet durch eine Proportion die Verhältnisszahl für das andere in Prozenten ab. Diese Verhältnisszahl gibt Hundertel, wenn man das Vergleichsmaass zu 1 statt 100 annimmt. Diesen Messungen kann man endlich noch folgende bei- fügen, welche leicht mit dem Messband abzunehmen sind: Umfang des Halses, & um die Schultern, n unter den Armen, y um die Mitte des Oberarms, L ums Handgelenk, N um die Lenden (Taille), _ um die Hüften, oben. am Schenkel, N N am Knie, 5 um die Wade, 5 ob den Fussknöcheln. PRAKTISCHE KENNTNISSE — METHODEN 119 Wir schliessen diesen Abschnitt mit der Bemerkung, dass dem Reisenden mit Rücksicht auf die verschiedenen Messungen, die von ihm gewünscht werden, zu empfehlen ist, rechtzeitig einige Dimensionen seines eigenen Körpers zu bestimmen, be- ziehungsweise bestimmen zu lassen, so namentlich seine Höhe, die Höhe (den Bodenabstand) von Auge, Ellbogen und Knie. (Vgl. A. d’Abbadie, Instructions pag. 281.) Statistische Erhebungen. Wenn auch ein Reisender nicht daran denken kann, direkt eine vollständige und detaillirte Statistik der Bevölkerung oder des Handels oder über andere interessante Gegenstände zu erstellen, so wird ihm dagegen der Aufenthalt in fremden Ländern oft Ge- legenheit bieten, amtliche statistische Dokumente zu ver- werthen, die noch nicht veröffentlicht oder doch wenig bekannt sind. Es handelt sich also für ihn weniger darum, zu wissen wie man bei genauen statistischen Aufnahmen verfahren muss, als vielmehr darum, dass er sich in schon vorhandenen Dokumenten über Gegenstände der Statistik zurechtzufinden und so die Materialien zu benutzen wisse, welche durch Personen, die hiefür besser situirt sind als ein Reisender, bereits gesammelt wurden. In dieser Beziehung gibt A. Meitzen in den „Anleitungen zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen“, pag. 153, sehr gute Räthe; wir glauben dem Leser nicht besser dienen zu können als durch wörtliche Wiedergabe derselben: „Der Reisende wird gewiss gut thun, vorher zu Hause, wo er mit Leichtigkeit volle Belehrung finden kann, auch wenn dort die statistischen Arbeiten der Staaten, die sein Reiseziel sind, nicht zu erlangen sein sollten, doch die ähnlichen Werke seiner Heimat auf Inhalt und Gebrauch näher anzusehen. „Er findet da bei jeder höhern Behörde zahlreiche Ta- bellen, Staatshandbücher, Jahrbücher und periodische Schriften über die verschiedenen statistischen Gegenstände. Alle diese Veröffentlichungen werden durch die übereinstimmende Natur der Dinge in den verschiedenen Staaten ziemlich ähnlich gestaltet. „Je mehr er sich mit Zweck und Anordnung solcher Aufstellungen bekannt gemacht hat, desto leichter wird es ihm werden, ähnliche Arbeiten im fremden Lande aus- 120 VORBEREITUNG zunützen, und er wird um so rascher Einsicht in dieselben gewinnen und durch persönliche Rücksprache Grundlagen für die richtige Würdigung erreichen.“ Ich füge bei, dass es dem Reisenden sehr nützlich sein wird, wenn er zum Voraus ein Tableau erstellt über die statistischen Aufnahmen, die er an seinem Bestimmungsorte machen will, d. h. wenn er das Schema mit Kolonnen und Ueberschriften sorgfältig zum Voraus erstellt. Jede ge- sammelte Angabe kommt dann gleich an ihren richtigen Ort; mit einem Blick übersieht man dann, welche Lücken noch bleiben und nach welchen Richtungen man also noch Erhebungen machen muss, um vollständige tabellarische Uebersichten zu erhalten. Diese vorgängige Arbeit wird die Verwerthung umfangreicher Werke, die man zu benutzen Gelegenheit hat, ungemein befördern, und man wird weniger in die Lage kommen, ganze Seiten mit ungeordneten Zahlen zu füllen, unter welchen man sich vielleicht später schwer zurecht finden würde. UEBUNGEN. Welches auch der Grad der Vorbereitung sei, bis zu dem man es gebracht hat, so benutze man Mussestunden zu Exkursionen in der nächsten Umgegend, um dabei die Lehren und praktischen Winke, die wir in Vorstehendem behandelten und in dem Abschnitt „Beobachtungen und Untersuchungen“ weiter geben werden, zu verwerthen. Denn wer sich prak- tische Geschicklichkeit aneignen will, muss sich vorher in den Operationen üben, deren Vornahme am Reiseziel erforder- lich ist. Ein solches Verfahren bringt entschiedene und grosse Vortheile. Zunächst eignen wir uns dabei die Fähigkeit an, zu sehen, was um uns ist. Diese Fähigkeit ist leider keines- wegs eine so allgemeine, wie man erwarten möchte; in sehr vielen Fällen treffen die Worte J. J. Rousseau’s zu: man beobachtet am wenigsten was man beständig vor Augen hat. Lernen wir aber auf die Dinge um uns achten, dann werden wir oft mit freudiger Ueberraschung Erscheinungen sehen, die uns noch unbekannt sind; dann werden wir auch PRAKTISCHE KENNTNISSE — UEBUNGEN 121 in einer Gegend, die wir gut zu kennen glaubten, immer wieder Neues wahrnehmen, das dem ungeschulten Blicke entging,. und überall werden wir Vergleichungspunkte finden. Ein zweiter Vortheil des erwähnten Verfahrens ist der, dass man sein Wissen anwenden, gebrauchen lernt, dass man zum Wissen das Können, zur Kenntniss die Fertigkeit fügt. So kommt man denn auch zur Erkenntniss der Lücken und Fehler, die man noch zu beseitigen hat. Nur so erlangt man auch die Fähigkeit, dass man sich überall einzurichten und zu behelfen weiss, die Fertigkeit des Operirens auf jedem Terrain — unentbehrliche Eigenschaften für einen Jeden, der wirklich in der Natur, im Felde beobachten will. Ebenso lernen wir hiedurch die Eigenschaften und etwaige Fehler unserer Instrumente kennen; wir kommen darauf, ihnen die passendste Form zu geben, sie auf das unumgänglich Nothwendige zu reduziren, ohne Wesentliches wegzulassen. Sonst passirt es Einem nur zu leicht, dass man sich mit überflüssigem Gepäck belastet und dass, wenn der Moment kommt, wo das reiche Arsenal benutzt werden sollte, man auf einmal zu seinem grossen Verdrusse die leidige Wahr- nehmung macht, dass man unter einer Menge unnöthiger Dinge gerade die nützlichsten nicht hat. Nur Uebung, Praxis, lehrt uns mit Sicherheit, was man gegebenen Falls wirklich braucht, was aber nicht. Durch diese Uebungen und nur durch sie verschaffen wir uns auch die Kenntniss der Mittel und Wege — ge- wisser „Kunstgriffe“, einfacher Dinge, auf die man aber nur in der Praxis verfällt — um die Genauigkeit der verwendeten Instrumente und der erhaltenen Resultate zu kontroliren und sich von der Richtigkeit der Operationen zu ver- gewissern. Diese Gewissheit wird später von grossem Werth, wenn die Beobachtungen, aus Mangel an Mitteln zur Veri- fikation, keine andere Garantie bieten ‚als die Genauigkeit der Instrumente und das praktische Geschick des Beobachters. PHOTOGRAPHIE UND KUNSTZEICHNEN. Abgesehen davon, dass gut ausgeführte Zeichnungen den Reiseberichten einen eigenartigen Reiz verleihen, ist es in vielen Fällen von hohem Werth, wenn die Objekte bildlich 122 VORBEREITUNG dargestellt, statt blos in Worten beschrieben werden können. Es ist das recht oft das beste, ja das einzige Mittel, um davon eine richtige und getreue Vorstellung zu erwecken; auch kann man hiebei das Schwierige und Schwerfällige, das den Beschreibungen oft anhaftet, vermeiden. Jeder Reisende "sollte daher im Stande sein, die Dinge bildlich darzustellen, die seine Aufmerksamkeit erregten. Nicht nur werden er und seine Freunde es angenehmer finden, solche Albums zu durchblättern als Notizen zu durch- mustern; auch für die Wissenschaft hat das Bild eines Gegenstandes oft mehr Werth als die Beschreibung aus der Feder eines Laien. Die Mittel, welcher sich der Reisende zur Anfertigung solcher Bilder bedienen kann, sind 1° die Photographie; 2° das Kunst- oder Freihandzeichnen. Unter letzterem verstehe ich das Kreidezeichnen, das Tuschen und die Aquarellmalerei. Von der Oelmalerei spreche ich hier nicht, weil sie ein für den Reisenden zu beschwer- liches Material erfordert. Diese beiden Darstellungsmethoden des Photographirens und des Zeichnens scheinen sich gegenseitig auszuschliessen ; allein ihre kombinirte Anwendung bringt grossen Vortheil. In der That erwecken Photographien nicht dasselbe Interesse, wie eine gut ausgeführte Zeichnung oder gar ein Aquarell. Anderseits haben Photographien den Vortheil grösserer Ge- nauigkeit für sich und bieten sie eine Fülle naturgetreuen Details bis ins Kleinste, so dass Zeichnen und Malen hierin mit ihnen unmöglich konkurriren können. Nun besteht das Verdienstliche bildlicher Darstellungen, welche ein Reisender zurückbringt, weit mehr in ihrer Zuverlässigkeit als in ihrem künstlichen Werth. Naturtreue ist dabei die Hauptsache; allein Eleganz der Zeichnung und schönes Colorit sind zum Mindesten angenehme Beigaben. Es handelt sich also darum, das Verlässliche, Naturgetreue der Photographie zu vereinigen mit den Eigenschaften, welche Vorzüge des Zeichnens als Darstellungsmittel sind. Jedem, der schon nach der Natur gezeichnet oder gemalt hat, ist zur Genüge bekannt, wie schwierig es ist, eine nach Treue und Vollständigkeit befriedigende Ansicht fertig zu PHOTOGRAPHIE UND KUNSTZEICHNEN 123 bringen, wenn man nicht ziemlich viel Zeit hierauf ver- wendet und wiederholt auf den Punkt zurückkommt. Bei einem Aquarell ist die Sache noch schlimmer. Während des Skizzirens verändert sich die Physiognomie der Land- schaft; es verschwinden Lichteffekte, welche dem Bilde einen Hauptreiz verliehen; es ändern sich die Töne und Schat- tirungen, bevor noch unsere ersten Farben zum Trocknen kommen, und es bleibt keine andre Wahl als entweder das Gemälde nach dem Gedächtniss zu vollenden oder die erst begonnene Arbeit verdriesslich auf die Seite zu legen. In der ungünstigsten Lage mit Bezug auf alle diese Momente befindet sich nun der Reisende. Gebunden durch Rücksichten auf seine Route und seine Zeit, darf er oft nicht verweilen und nicht an die Stelle zurückkehren. Ebensowenig kann er sein Gepäck mit Feldsessel und Maler- parasol belasten; will er zeichnen, so muss er das thun ohne Schutz vor den Sonnenstrahlen, auf einem Baumstamme oder Stein als Sitz, unter Bedingungen also, welche ein längeres und genaues Arbeiten erschweren. Führer und Begleiter drängen zum Aufbruch, und wohl oder übel muss man ihnen nachgeben, wenn man in der Eile auch nur eine halbfertige Skizze entwerfen konnte. Man muss auch zugeben, dass der Reisende, wollte er seinen Willen durchsetzen und darauf bestehen, Bilder aufzunehmen und zu vollenden, in einem Tag weder eine grosse Wegstrecke zurücklegen noch viel Aquarelle zu Stande bringen würde. Mit denselben Schwierigkeiten und obendrein mit noch andern hat man zu kämpfen, wenn man das Glück hat, typische Volksgestalten zu treffen, Charakterköpfe von Fischern, Hirten, Aelplern, die man gerne für seine Mappe verwerthen möchte. Wie soll man das thun, wie zu einem guten Bilde kommen, wenn man nicht gewandter Porträtmaler ist? Selbst ein solcher hat noch Schwierigkeiten zu bewältigen, vorab die, dass ihm das Individuum kaum lange genug ruhig in einer Stellung bleibt. Angesichts dieser Schwierigkeiten habe ich mir in solchen Fällen immer damit geholfen und mich dabei am Besten befunden, die Landschaft oder das Individuum vor meinen Augen zu photographiren und dabei rasch auf einem Blatt Papier (Carton) die Färbung, den Teint der verschiedenen 124 VORBEREITUNG Theile meines Bildes anzugeben. Ist dies gethan und bleibt mir Zeit zu Weiterem, so arbeite ich sofort die kolorirte Skizze aus; andernfalls packe ich meine Sachen zusammen, sehe mir aber meinen Gegenstand noch einmal gut an, um mir sein Bild wohl einzuprägen. So bin ich im Besitz der Elemente zu einer natur- getreuen Darstellung: einer photographischen Aufnahme, welche alle wünschbaren Details zu einer genauen Zeichnung der Formen erhält, und von Notizen für die Farbengebung, welche namentlich dann ausreichen, wenn ihnen noch die frische Vorstellung des Gesehenen zu Hülfe kommt. Meines Erachtens empfängt man ein besseres Bild des Ganzen, des Charakters einer Landschaft, ihres eigenthüm- lichen Gepräges, wie auch der Physiognomie von Individuen, wenn man nicht durch materielle Arbeit und viele Details in Anspruch genommen ist. Wenn man, was in der beschriebenen Weise fixirt wurde, später mit Musse zur Erstellung einer sorgfältigen Zeichnung verwerthet, so kann man das photographische Bild hinter eine vergrössernde Linse (Lupe) bringen und hienach eine bis ins Kleinste getreue Zeichnung anfertigen, welche man nach Massgabe der Notizen und der Erinnerung kolorirt; oder man vergrössert das aufgenommene Bild (die Platte wird aufbewahrt) wieder auf photographischem Wege, bezw. man lässt es durch einen Photographen in gewünschter Weise vergrössern und retouchirt es mit Hülfe des Pinsels. Das Material, welches man zu diesem ganzen Verfahren nöthig hat, ist folgendes: 1° Ein Scenograph von Dr. Candeze'), ein photogra- phischer Apparat, dessen sämmtliche Theile enthalten sind in einer Cassette von 28 cm Länge, 17 cm Breite und 91/g cm Höhe und welcher Aufnahmen liefert im Format von 16/11 cm. 2° Ein Stock, welcher sich als Fussgestell für den Sceno- graphen verwenden lässt, wozu man auch das Stativ des Theodolits oder der Orientirboussole verwenden kann. 3° Eine Schachtel mit feuchten Farben von J. M. Paillard in Paris, Winsor und Newton in London oder Schönfeld & Cie. 1) Dieser Apparat ist zu beziehen durch C. Deyrolle fils in Paris, rue du Quatre Septembre 35. PHOTOGRAPHIE UND KUNSTZEICHNEN 125 in Düsseldorf, Schachtel von 11 cm auf 4!/a; ein Wasser- fläschchen und einige Stücke Bristol- oder Harding-Carton, die man in der Tasche trägt. Den Stock ausgenommen, kann man Alles das in der Cassette placiren, die für den Handtransport mit Messinggriff oder Lederriemen versehen ist. Die Glastafeln (Platten) kauft man vollständig präparirt; bei Anwendung gewisser Vorsichtsmassregeln erhalten sie sich gut während mehrerer Monate vor und nach der Ope- ration. Was dann die Entwicklung des Bildes anbetrifft, die Uebertragung auf Papier etc., so kann man das einem Photographen von Fach übergeben, sodass man selber jed- weder langen und heikeln Manipulation enthoben ist. Weitere Auseinandersetzungen können wir unterlassen; man findet das Nöthige in den Broschüren, welche mit den Apparaten zugleich verkauft werden'). Was von Landschaftsbildern und Porträts gesagt wurde, gilt auch von Denkmälern, Inschriften, Trachten, Waffen und Werkzeugen, Jagd- und Fischereigeräthen, Münzen und Schmucksachen, Pflanzen, Insekten u. s. w., von denen man sich ohne allzugrossen Aufwand von Zeit und Mühe eine gute Abbildung verschaffen will. "Was Gruppen von Menschen und Thieren, Szenen aus dem Leben anbetrifft, so ist man vielleicht im Stande, durch eine rasche Aufnahme ein Bild zu fixiren, das, wenn es auch an sich ungenügend ausfällt, doch später zur Unter- stützung des Gedächtnisses dient und in dieser Eigenschaft von Nutzen ist. Oft aber sind derartige Szenen zu rasch vorübergehend; man wird darum gut thun, ihnen für die kurze Zeit, da man sie vor Augen hat, volle Aufmerksamkeit zuzuwenden und nachher aus der Erinnerung ihr Bild zu entwerfen. L Ebenso verhält es sich mit der Darstellung typischer Figuren. Wollte man einen wilden Eingebornen photogra- phiren, so würde dieser nicht die hiezu nöthige Ruhe und Unbeweglichkeit der Gesichtsmuskeln annehmen; der Versuch _ _b Die Broschüre zum Fritz’schen Apparat (VI. Auflage mit 6 Holzschnitten) a 50 Pfg. (70 Cts.). Bei dem Optiker Deyrolle ist auch ein photographischer Apparat zu haben unter dem Namen Polygraph, zu welchem man als Negativ Kollodiumpapier verwendet. Damit wird ein wesentlicher Zuwachs zum Gepäck vermieden: 300 Blätter dieses Papiers erfordern nicht mehr Raum als ein Dutzend Glasplatten. 126 VORBEREITUNG würde hiedurch schon missglücken. Zudem ist der wahre Typus ein Ideal, das man selten oder nie in einem Indivi- duum verkörpert trifft; folglich ist hier die Photographie unzureichend. Zu solch einem Typenbilde muss man die Elemente aus der Beobachtung vieler Individuen sammeln und man muss es verstehen, die verschiedenen Züge, die man da und dort bemerkt hat, in ein Gesammtbild zu ver- einigen. Dazu aber gehört sowohl eine tüchtige Beobach- tungsgabe als auch eine geübte Hand, welche die feinsten Nüancen wiedergeben kann. Zum Schlusse dieses Abschnittes können wir das Gesagte dahin resumiren: Ist der Reisende nicht Zeichner, so kann er doch mit Hülfe der Photographie Bilder zurückbringen, die nicht nur erwünschte Andenken für ihn sein werden, sondern ihm auch möglich machen, seinen Reisebericht mit werthvollen Illu- strationen zu versehen, wenn er sich zu diesem Zweck mit einem Künstler in Verbindung setzt, der die Photographien und zugehörigen Notizen wohl zu benutzen weiss. Ist aber der Reisende im Zeichnen und noch einiger- massen im Malen geübt, so wird er sich leicht und ohne viel Zeitverlust das nöthige Material an Skizzen verschaffen, um mit Musse ein kostbares Album von Zeichnungen und Aquarellen herzustellen — ein Resultat, welches die Mühe reichlich lohnt, die man auf das Zeichnen von Nasen und Mundformen verwenden musste, um die Elemente der Kunst sich anzueignen! Nichts bildet Auge und Hand so wie das Zeichnen nach der Natur, wenn man nur einmal über die ersten Anfänge hinaus ist. Diess verdiente beherzigt zu werden. Wer bei Antritt seiner Reise noch ein mittel- mässiger Künstler ist, wird sich im Verlauf derselben bei nur einiger Beharrlichkeit zu einem guten Zeichner ausbilden. TOPOGRAPHISCHES ZEICHNEN. Das topographische oder Plan- und Kartenzeichnen be- zweckt die bildliche Darstellung der Gestalt und Beschaffen- heit des Bodens mit dessen natürlichen oder künstlichen Einzelheiten. TOPOGRAPHISCHES ZEICHNEN Ka Der topographische Plan einer Gegend ist ein Bild der- selben, welches sie so darstellt, wie sie einem Beobachter erschiene, der sie in einer Höhe von mehreren tausend Metern von einem Luftballon aus betrachten würde. In dieser Höhe würde man in der That die plastischen Bodenformen, stehende und fliessende Gewässer, Kulturland, Wälder, Strassen, Brücken und die Dächer der Häuser so erblicken, wie man sie in topographischen Plänen abbildet. Wenn man statt einer solchen Fläche, die man noch mit einem Male überblicken kann, ein ganzes grosses Land abbilden will, so gestattet das Missverhältniss zwischen der Grösse des Landes und derjenigen des Blattes Papier, worauf es dargestellt werden soll, nicht mehr, dass gewisse Details, kleinere Objekte, gezeichnet werden in der Form und nach dem Aussehen, das sie wirklich haben. Man muss sie dann entweder vernachlässigen oder durch konventionelle Zeichen darstellen. Diess geschieht in den geographischen Karten. Eine Mittelstellung zwischen diesen und den Plänen nehmen die fopographischen Karten ein; sie lassen wohl noch die ein- zelnen Häuser eines Dorfes, die Gassen und Plätze einer Stadt erkennen, bezeichnen aber weder die verschiedenen Kulturen noch die kleineren Terrainunebenheiten der Gegend. Die Abstufung vom Plan zur topographischen und geo- graphischen Karte entspricht der Veränderung, die das Bild, welches eine Gegend dem Auge bietet, erführe, wenn der Beschauer im Luftraum höher und immer höher stiege; die Weiten der Fläche, welche sein Blick uınspannt, würden dabei wachsen, aber die Einzelheiten des Bildes würden mehr und mehr dem Blick verschwinden. Man sähe noch Gebirge, flacheres Land und Wasser; auf dem Lande vielleicht noch als dunklere Flecken die Wälder; aber Strassen, .Kanäle, Eisenbahnen würden höchstens noch als starke Linien, Flüsse und Bäche wie Fäden, die Gebäude als Punkte erscheinen. Wenn nun schon die verhältnissmässig gross zu nennende Darstellung auf einem Plane nicht ermöglicht, dass man z. B. unterscheiden könne, ob eine Brücke aus Holz oder Stein konstruirt, ob ein Gebäude ein Wohnhaus oder eine Mühle oder etwas anderes ist: so wird es um so weniger möglich, solche und ähnliche Unterschiede auf einer Karte, in welcher die Gegenstände noch viel kleiner erscheinen, 128 | VORBEREITUNG anzugeben ausser eben durch Zeichen und Farben besonderer Bedeutung. Ausser diesen konventionellen Symbolen bringt -man auf den Karten soviel als möglich auch die Namen der dargestellten Objekte an oder wenigstens an deren Stelle — wenn die Karte durch Anbringen der vollen Namen über- füllt und die Zeichnung dadurch beeinträchtigt würde — Abkürzungen, deren Bedeutung auch bekannt ist oder in der Karte noch besonders erklärt wird; z.B. Fl. = Fluss; CHE Bap: Das Kartenzeichnen beruht also einerseits auf geome- trischen Prinzipien, andrerseits auf der Verwendung kon- ventioneller Symbole. Um eine lesbare Karte zu erstellen, d.h. eine Karte, die andern verständlich sein soll, muss man jene geometrischen Grundlagen und vereinbarten Zeichen kennen. Wir haben nun schon gezeigt, wie man auf dem Terrain die Distanzen, Winkel und Höhen misst und wie man sie zu Papier brinst, um eine erste Skizze und Fixpunkte zu erhalten, welche der vollendeten Karten- oder Plan- zeichnung zur Grundlage dienen müssen. Es bleibt uns nur übrig, das eigentliche Kartenzeichnen zu besprechen. Hier glauben wir indessen zunächst einige Worte über die Wahl des Massstabes, der Reduktion oder Verjüngung an- bringen zu sollen. Unter der Reduktion einer Karte oder eines Planes versteht man das Verhältniss zwischen den wirklichen (horizontalen) Distanzen auf dem Felde und den entsprechenden Längen auf dem Papier. Die letzteren sind selbstverständlich immer kleine Bruchtheile der wahren Distanzen ; aber eben diesen Bruch muss man kennen, um genau zu wissen, welche Länge auf dem Terrain einer solchen auf dem Papier entspricht. Ist dieser Bruch oder diese Verhältnisszahl (Reduktion) !/ı00, so folgt daraus, dass 1 cm auf dem Papier in Wirklichkeit | 100 cm oder also 1 m vorstellt; ist jene Zahl !/ıoooo, so bedeutet 1 cm der Zeichnung 100 m auf dem Terrain u. s. w. | Man sagt in diesen Fällen, der Plan sei in "/ıoo, !/10000 (in Einhundertel, ein Zehntausendtel) konstruirt, und wie man sieht, hat man die in der Zeichnung enthaltenen Längen einfach mit dem Nenner des betreffenden Bruches zu multi- pliziren, um die Strecken auf dem Felde zu erhalten, welche durch jene Längen repräsentirt werden. B TERN OR N A Mafsstäbe. 10Rdometer t 1,000, 000 et 500,000 ı o 1 £ 3 t soo Meter 100 so o 100 Meter u ee nn Y Ts St ( pieden hen Tal 1:500,000 1:1000,000 1:100,000 RS i ER nk N &% sersihl&2 u — x 1: 25,000 TOPOGRAPHISCHES ZEICHNEN 129 Die Wahl dieser Reduktion nun wird innerhalb gewisser Grenzen durch Zweck und Aufgabe der Zeichnung bestimmt; es kommt zunächst darauf an, ob man ein ganzes Land, eine ziemlich grosse Gegend desselben oder aber die Details eines kleinen Theiles der Erdoberfläche darstellen will. Die gebräuchlichsten Reduktionen sind folgende: 1° Für geographische (General-) Karten : 1/1000000 oder 1 : 1000000, wobei 1 cm —= 10000 m = 10 Km 500000 „ 1: 500000, „ i1cm= 5000m= 5Km 500 „ 1: 250000, „ 1cm=— 2500 m = 2,5Km. 2° Für topographische (Spezial-) Karten: Y/iooo0oo oder 1: 100000, wobei 1 cm = 1000 m = 1 Km Rn „ 1: 5000, „ 1cm— 500m=1sKm 1 2725000, , Incem =. 250m; = Yrkım, 3° Für topographische Pläne: 1/;000o —= 1 : 10000, wobei 1 cm = 100 m so — 1:6650005 N. rem = ;;50.1m ea 2500,05... 1-em..= - 2b na ee AND, u ei ni OF Die nebenstehende Taf. V lässt erkennen, von welchem Einfluss der Massstab auf die Zeichnung ist. Mitunter hat sich die Wahl des Massstabes nach den Dimensionen des Papiers zu richten. Kennt man ungefähr ie Ausdehnung des Terrains, so dividirt man sie durch die Vsntsprechende Dimension des Papierblattes. Handelt es sich 'z. B. um eine Partie Land von 10 Km Länge und 5 Km ‘Breite und hat man Papier von 80 cm Länge auf 50 cm reite, so ergeben sich die Verhältnisse 10800 :40,8,==1 12500 und 5000 : 0,5 = 10000, _ voraus folgt, dass auf dem Papier nicht genug Platz ist ür eine Karte in !/ıoooo‘. Hat man in dieser Gegend die tekognoszirungen von der Mitte (der Route) aus auf 5 Km nach jeder Seite ausgedehnt, so muss man die Zeichnung Inindestens auf !/20000 reduziren, um auf dem Blatte Raum ür sie zu finden. Die Rücksicht hierauf soll indess nicht vesentlich und nicht in erster Linie bestimmend einwirken ; nan kann ja die Karte auf mehreren Blättern zeichnen, die nan nachher zusammenfügt. 9 130 VORBEREITUNG Was nun das Entwerfen der Karte anbetrifft, so muss man vor Allem das Blatt Papier, welches man benutzen will, auf einem Reissbrett oder sehr starken Carton aufspannen. Dann setzt man auf demselben die Richtung Nord-Süd, die Mittagslinie eines zentralen Punktes der abzubildenden Gegend, fest; hierauf die Richtung Ost-West, welche zu jener recht- winklig ist. Genügt für die Zeichnung Ein Blatt, so halbiren diese Linien dasselbe nach Länge und Breite, und ihr Schnitt ist der Mittelpunkt des Blattes. Braucht man zu der Karte vier Blätter, so werden diese Richtungen durch Randlinien des Papiers bezeichnet und die Mitte der Karte ist da, wo die vier einander zugekehrten Ecken der Blätter zusammen- treffen. — (Damit man die Blätter leicht zusammenfügen kann, wird man indess nur bei einem die Zeichnung überall bis zum Rande ausdehnen; auf jedem der andern lässt man je auf einer Seite einen schmalen Streifen frei, auf welchen man dann das benachbarte Blatt aufkleben kann). Man beginnt nun mit der Zeichnung des mittleren Theils des Gebiets. Vom Mittelpunkt aus trägt man die auf dem Terrain gemessenen Entfernungen ab und rückt mit der Arbeit gegen die Ränder hin vor. Zum Abtragen der Linien auf dem Papier hat man Massstab und Transporteur anzuwenden. Letzterer wurde auf S. 33 besprochen. Der Massstab ist einfach eine gerade Linie auf dem Papier, an welcher man die durch die Reduktion bestimmten Bruchtheile der im Terrain angewen- deten Längeneinheiten unter. dem Namen der letzteren auf- trägt. (Vel. Taf. V). Da es aber unzweckmässig wäre, immer auf diesem Massstab mit dem Zirkel die gemessenen Längen abzugreifen, so bedient man sich lieber eines Doppeldezi- meters, d. i. eines flach-abgedachten Lineales, auf welchem die cm- und mm-Theilung angebracht ist. Zeichnet man in !/ıoooo, so ist nach dem oben Gesagten jeder mm des Lineals gleich 10 m auf dem Felde. Man hat also, um eine ge- wisse Länge richtig auf das Papier überzutragen, für die- selbe auf dem Lineal mit dem Zirkel soviel mm abzu- greifen, so viel mal sie 10 m enthält (soviel Dekameter sie hat). Die einzelnen Meter wird man, so gut es geht, noch berücksichtigen durch verhältnissmässige Theilung eines Milli- meters nach dem Augenmass,. Genauer ist es, wenn man y TOPOGRAPHISCHES ZEICHNEN 31 sich zu letzterem Zwecke eines Transversalmassstabes bedient. Einen solchen stellt Fig. 82 dar und zwar für die Reduktion 1:5000. Hiebei repräsentiren also 2 cm eine wirkliche Distanz von 100 m. Sind nun auf diesem verjüngten Mass- tab 207 m abzugreifen, so nimmt man die Distanz mu uf der 7. Parallelen in den Zirkel, für 344 m die Länge es auf der vierten Parallel-Linie; man fasst hiebei im ersten Falle zunächst die Strecke von 200 bis 0 in’s Auge, rückt un mit dem Zirkel bis zur 7. Linie hinunter, indem man en einen Fuss desselben auf der durch 200 bezeichneten enkrechten in m, den andern Fuss auf der durch O0 gehen- en schiefen Linie in « einsetzt; im andern Fall merkt man ich zuerst die Distanzen 300 bis 0 und O0 bis Z0 und ver- olgt wieder die Senkrechte auf der einen Seite (300) und ie schiefe Linie auf der andern (links, 40). Man hat immer is zu der Parallelen hinunter zu rücken, deren Nummer urch die Einerstelle angegeben wird. MWORZZESZLTZSSO 100 200 300 Terme Iomega lelaljalejel 3 | ZIRWanEiR e 1 PIIERS I ] ITE16 1 ai] SIEH ne en) H HH EEs 5 =: | Injmisfala7o ei C D M Fig. 82. Nunmehr haben wir das eigentliche Kartenzeichnen zu besprechen ; dasselbe umfasst: 1° Die Situation ; 2° Die Terraindarstellung ; 3° Das Zeichnen des Details; 4° Die Schrift. . Zu alle diesem kann man entweder blos Feder und Tusch der auch Pinsel und verschiedene Farben anwenden. Je achdem heisst die Karte schwarz oder farbig. Sitwationszeichnung. Nachdem man auf dem Papier alle Fixpunkte aufgetragen, die man auf dem Terrain hatte, zeichnet man mit Bleistift in feinen Linien die Umrisse der verschiedenen Objekte. Sind dieselben in Richtigkeit gebracht, so fixirt man die gültige Kontour durch Federzeichnung, entweder schwarz (mit Tusch) oder farbig (blau für Gewässer, 132 VORBEREITUNG roth für Steinkonstruktionen etc.); gerade Linien zieht ma mit der Reissfeder aus statt mit der Zeichnen- (Architekten- Feder. !) Ist die Situationszeichnung in dieser Weise be endigt, so beseitigt man noch die nun überflüssigen Blei stiftlinien mit Krume von altbackenem Brod, weichem Glace handschuhleder oder Gummi elasticum. Terrainzeichnung. Die blosse Angabe von Höhenzahle: reicht nicht hin, um eine Vorstellung von der plastische: Beschaffenheit des Bodens zu erwecken, und sobald man viel solcher Höhenzahlen oder Coten neh so wird das Karten bild dadurch überladen. Man nimmt daher zu andern Mittel Zuflucht, die ebenso genau sind und dem Zweck besse dienen. Diese Mittel wollen wir in Kürze besprechen. 1° Die Isohypsen, Niveaukurven oder Horizontalkurveı sind Linien, welche Terrainpunkte von gleicher absolute Höhe verbinden. Gibt man für eine solche Linie eine einzig Zahl (Cote) an, so kennt man damit die Höhe aller ihre Punkte. Zudem wählt man in der Regel aegwidistante Hori zontalen, d. h. Niveaukurven, deren Ebenen gleich weit voı einander abstehen, so dass dieser senkrechte Abstand (di Aequidistanz) 10 m, 20 m oder (je nach dem Massstab) ein andere, unzweideutig bezeichnete Höhe hat; dann brauch man nicht einmal für jede einzelne Kurve die Höhe anzu geben; es genügt, wenn dies bei einigen der Fall ist. Wire B. die Isohypse von 100 m bezeichnet und kennt maı noch (nach anderen Zahlen oder nach dem Lauf der fliessen: den Gewässer) die Richtung des Gefälles und der Steigung so weiss man, dass die nächsthöhere Kurve lauter Punkte von 110 oder 120 m Höhe enthält, je nach der zu Grunde gelegten Aequidistanz, welche in der Karte angegeben sein muss Eine Karte mit Isohypsen ermöglicht, nach jeder Richtung Profile anzufertigen, d. h. Zeichnungen derjenigen Linien. nach welchen der Terrainmantel von vertikalen Ebenen (odeı auch von andern Flächen) geschnitten wird, Profile, die natürlich um so genauer ausfallen, in je grösserer Zahl sic auf bestimmtem Raume die Horizontalkurven finden. Die Karte ermöglicht so auch, für jede Stelle des Terrains dit I) Umrisse, welche der Natur der Sache nach keine scharfen Linien seü können, wie Grenzen von Sandbänken, Sümpfen u. dgl., werden nicht durch vol ausgezogene Linien, sondern durch Reihen von Strichen und Punkten bezeichnel' TOPOGRAPHISCHES ZEICHNEN 133 Neigung in Graden oder Prozenten anzugeben. Der Neigungs- oder Böschungswinkel & ist nämlich enthalten an der untern Spitze eines rechtwinkligen Dreiecks, dessen beide Katheten sich aus der Karte entnehmen lassen: die eine, und zwar die Basis b ist die kürzeste wagrechte Entfernung der beiden Horizontalen an der betreffenden Stelle, d. h. deren Abstand, gemessen in der Ebene des Papiers und auf einer Linie, die zu beiden Kurven normal steht; die andere, näm- lich die Höhe h, ist der senkrechte Abstand der Horizon- talen, die Aequidistanz. Durch den rechten Winkel und diese beiden ihn einschliessenden Seiten ist das Dreieck bestimmt, und indem man dasselbe zeichnet, erhält man unmittelbar den Neigungswinkel mittels des Transporteurs in Graden ablesbar. Will man die Neigung in Prozenten kennen, so braucht man nur nach dem Massstab der Karte die Längen der zwei Seiten 5 und h zu bestimmen und zu berechnen, welche Höhe % nun das Dreieck haben müsste, wenn die Basis b —= 100 wäre. Setzt man aber die Grundlinie 5 — 1 (statt 100), so gibt die Höhe die trigonometrische Tangente des Böschungswinkels, welche somit nichts anderes ist als der hunderte Theil der in Prozenten angegebenen Neigung (tg « — - — —: Hienach kann das Gefälle mittels der Tangententafel S. 48 und einer einfachen Rech- nung ohne Zeichnung und Transporteur bestimmt werden. Die dritte Seite (Hypothenuse) des erwähnten Dreiecks gibt zugleich an, wie weit die beiden Endpunkte, zwischen welchen das Gefälle gemessen wurde, auf dem Terrain selber in schiefer Richtung auseinander liegen. Diese Seite (die Hypothenuse) stellt eine Linie dar, welche sich auf dem Terrainmantel selber befindet, während die Katheten des Dreiecks als inner- halb des Bodens befindlich oder unter diesem liegend auf- zufassen sind‘). Da die Höhen im Verhältniss zu den andern 1) Diese dritte Seite des Böschungsdreiecks als Länge zu kennen, hat aus früher bezeichneten Gründen wenig praktischen Werth. Indess mag hier bemerkt wer- den, dass auch sie leicht berechnet werden kann: 1) nach dem pythagoräischen Lehrsatze als Quadratwurzel aus der Summe der Quadrate beider Katheten, 2) nach- dem der Böschungswinkel bestimmt ist, mittels einer Sekanten-, wie auch einer Sinus- oder Cosinustafel. Bezeichnen wir diese dritte Seite (Hypothenuse) mit c, Are c E so ist nämlich ze“ alsoc=b.sec.a, ferner TR = es, folg- : sina cos lich c = = sie 5” 134 VORBEREITUNG Distanzen nur kleine Beträge ausmachen, so zeichnet man sie oft in einem grösseren Massstab als diese. Es muss das, zum richtigen Verständniss des Profils, ausdrücklich bemerkt, d.h. es muss angegeben werden, ob Höhen und Längen im natürlichen (wahren) Verhältnisse aufgetragen oder in welchem Verhältniss die ersteren vergrössert worden seien. Das letztere Verhältniss nennt man die Ueberhöhung des Profiles. — Wie man für gegebene Richtungen mit der Kurvenkarte die Neigungswinkel ermitteln kann, so ist man durch eine solche Karte auch in den Stand gesetzt, die umgekehrte Aufgabe zu lösen: ein Trace auszuwählen und einzuzeichnen, das ein bestimmtes Gefäll hat, beziehungsweise ein vorgeschriebenes (in Graden oder Prozenten angegebenes) Steigungsmaximum nicht überschreitet. Diese Aufgabe kommt indess für unsern Zweck weniger in Betracht; wir halten uns daher hiebei nicht auf, empfehlen hingegen dem Leser, der sich mit Kurven- karten vertraut machen will, zu diesem Zweck ausser Pro- filen auch Modelle nach Kurvenkarten anzufertigen, worauf wir unten noch zu sprechen kommen (S. 139). 2° Wenn die Niveaukurven eine leichte und exakte Be- zeichnungsweise der Terrainformen liefern, so sind sie nicht in gleichem Masse auch ein plastisch wirkendes Darstellungs- mittel. Es bedarf schon ziemlicher Uebung, um aus einem Plane oder einer Karte rasch die Gestaltung des Bodens heraus zu finden, wenn dieselbe nur mittels Horizontal- kurven angegeben ist und diese nicht sehr nahe an einander liegen. In wirksamer, augenfälliger Weise werden aber die Terrainformen hervorgehoben durch Schrajfen, das sind dunkle (meist schwarze) Striche in der Richtung des grössten Ge- fälles (des Wasserlaufes) oder also senkrecht zu den Hori- zontalen, welch’ letztere — auch wenn sie in der fertigen Karte nicht ausgezogen sind — die Grundlage, das Gerippe für die Schraffiirung liefern müssen, so zwar, dass die zwei Linien, innerhalb deren eine Schraffenreihe liegt, Horizon- talen sein sollen. Hieraus folgt, dass die Schraffirstriche um so kürzer sein müssen, je steiler das Terrain ist, weil in solchem Falle der wagrechte Abstand der horizontalen Schnittlinien ein geringer ist. In gleichem Masse, wie die Schraffen sich verkürzen, werden sie aber auch stärker und dichter (enger) gezeichnet. Dabei fallen nun allerdings Terrain- TOPOGRAPHISCHES ZEICHNEN 135 partien mit grossen Neigungswinkeln sehr dunkel aus. Man behilft sich dann damit, dass man für die Schraffen einen bräunlichen Ton (statt schwarz) anwendet, welcher die Terraingestaltung ebensogut reliefartig hervortreten lässt, ohne dass dabei die Niveaukurven, die Schrift und die Details der Karte gestört und unkenntlich werden. Die Art der Schraffenzeichnung hängt indess nicht blos von der Form des Bodens, sondern auch davon ab, wie man sich denselben beleuchtet denkt, d. h. welche Richtung man annimmt für das Einfallen der Lichtstrahlen. Man unter- scheidet zwischen schiefer und senkrechter (zenithaler) Beleuch- tung. Im ersten Falle nimmt man an, die Sonnenstrahlen treffen auf flaches Terrain unter einem Winkel von 45° von links nach rechts, so dass an den Abhängen Licht- und Schattenseiten vorkommen, wobei die letzteren in der Zeich- nung stärkere, die ersteren schwächere Schraffen erhalten. Diese Darstellungsart liefert sehr schöne reliefartige Bilder, namentlich für Gegenden mit ausgesprochenen Kamm- und Kettengebirgen. Diese Art Terrainzeichnung ist sicherlich die am allgemeinsten ansprechende und verständliche. Wir sind uns eben gewohnt, die Landschaft einseitig beleuchtet zu erblicken. Auch weiss ein Jeder, dass im Hochsommer um die Mittagszeit, wo der Einfallswinkel der Sonnenstrahlen sich dem Rechten bis auf !/s und mehr nähert, eine Land- schaft weniger plastisch erscheint, dass ihre Höhen, deren Vorsprünge und Einschnitte weniger scharf von einander sich abheben, als wenn man dieselben im Frühjahr oder Spätherbst oder in Morgen- und Abendstunden betrachtet, wo das Licht der Sonne schiefer auffällt. Von dem Bilde, das uns so die Landschaft selber bietet, unterscheidet sich aber eine nach dem System schiefer Beleuchtung schraffirte Karte kaum wesentlich als durch den Mangel der Schlagschatten. — Im andern Falle, nach dem Systeme der senkrechten Beleuchtung, denkt man sich die Sonne im Zenith, die Strahlen also in vertikaler Richtung auf das Terrain fallend, so dass keine im Schatten befindlichen Flächen vorkommen, sondern nur beleuchtete, und die Stärke der Beleuchtung lediglich vom Gefälle des Bodens abhängt, wagrechte oder nur sehr wenig geneigte Flächen ganz hell, die stärksten Abdachungen aber sehr dunkel (wenig beleuchtet) erscheinen. Bei dieser 136 VORBEREITUNG Zeichnungsweise richtet sich also die Stärke der Schrafirung (Dicke und Dichte der Schraffen) einzig nach der Grösse des Neigungswinkels, dessen Schenkel auch die Richtung der Schraffen bestimmt. Der Unterschied zwischen dieser Schraffen- zeichnung und der Darstellung durch Horizontalkurven hat also seine Entstehung darin, dass die letztere von der Höhen- lage der Punkte des Terrains ausgeht und diese Höhen angibt, während bei der zuletzt besprochenen Schraffirmethode vom Gefälle, vom gemessenen Neigungswinkel ausgegangen und dies darzustellen versucht wird. Diese Darstellung kann indess nicht so genau sein wie diejenige durch Kurven; sie kann nicht jeden beliebigen Winkel andeuten, sondern nur Neigungen in gewissen Abstufungen und zwar höchstens von 5 zu 5 Grad. Es geschieht das nach verschiedenen Schraffen- skalen oder sogen. Böschungsmassstäben, von welchen sich die Müffling’sche oder hessische und preussische Generalstabs- methode durch Verwendung konventioneller Schraffenformen und Kombinationen derselben (punktirte und geschlängelte Schraffen ; in der gleichen Schraffenreihe geradlinige und ganze Schraffen von verschiedener Stärke in bestimmter Zahl) ausge- zeichnet. Auf eine nähere Besprechung dieser Skalen können wir hier nicht eintreten; wir dürfen davon auch um so eher absehen, als die Darstellung durch Kurven sich immer mehr einbürgert. Die ältere Methode der skalamässig schraffirten Karten ent- sprang und diente wesentlich militärischen Rücksichten, für welche die Bezeichnung der Neigungswinkel einerseits sehr wichtig, andrerseits genügend war, auch wenn sie blosin Stufen von 5 zu 5" erfolgte und alles Terrain, dessen Steigung eine gewisse Grenze (45 oder höchstens 60°) überschritt, gleich- mässig behandelte. Mit der Veränderung oder Erweiterung der Aufgabe von Karten sind auch die Methoden und der Werth derselben geändert worden. Genaue Vertrautheit mit den Schraffenskalen und Uebung in deren Gebrauch hat jetzt grossen. Werth fast nur noch für den Kartenzeichner von Beruf. Die Leser, welche sich hierüber noch näher informiren wollen, ver- weisen wir auf den früher erwähnten II. Theil der „Elemente der Vermessungskunde* von Prof. Dr. Bauernfeind, wie auf die, einleitenden Partien der Geographiebücher von Dr. Schacht und E. Sydow. Vgl. auch „Deutsche Rundschau für Geo- graphie“ 1880, Heft 1. is al (39) ber fa 1 z asp! 5 I IA } \ 8} IA ) X Bieietopieg, IN X Neil Hockten. end Han: geler NK v. broösse. | Taf vi hi FAN) ArBihl 7 A ) 17 7 N PR en = Tu DE 33 5. Mettben‘ g 720%. - ‘ Bam} LAT Eu", 143 = : J \ } iW RES 14 A Ai EN | Nr 4 NN ‚Güterka =\ I Freckm! Wurster ‚Randegger &C! Winterthur. Bee | a Dt ed Dr Ba ar Y\ N N NN S Ss \ 3 /, ar ZN de u. I \ N N IR NR 5 III II = FILE II ZIISES z SII=E=SSINGESSS EN N AR ZI isz\ı\ Ne N \ 1 nn nn SUN N N N NN N II NN N ÜN Winterthur 2 TaeVIll ERS un, 2 x.“ 1 Ki u ’ A h a Se Na a 1a Ba rin i TOPOGRAPHISCHES ZEICHNEN St 3° Das Schraffiren ist unter allen Umständen, namentlich aber nach der letztbesprochenen Methode eine mühsame, zeit- raubende und kostspielige Arbeit. Man ersetzt es daher öfters durch eine ähnlich wirkende aber weit bequemer herzustel- lende Tuschirung oder Kreideschummerung, wobei man mit Pinsel oder Wischer die mehr oder minder geneigten Flächen in so verschiedenen Graden schattirt, dass die Zeichnung einen ähnlichen Effekt hervorbringt wie eine schraffirte Karte. Sofern die Bodenformen einzig durch dieses Mittel bezeichnet werden sollen, ist dasselbe nur zulässig für auf dem Terrain selbst erstellte Skizzen. Dagegen ist es allgemein anwendbar auf Karten und Pläne, welche schon Horizontalkurven ent- halten, ja selbst auf schon schraffirte Karten. Das Terrain- bild erhält dadurch mehr Relief; schon durch eine leichte Retouche gewinnt es wesentlich an Plastik. 4° Oefters wendet man auch für die Darstellung der Höhen- verhältnisse auf Karten, um dieselben übersichtlicher zu ge- stalten, verschiedene Farbenschichten an, so zwar, dass eine bestimmte Farbe oder Nüance eine gewisse Höhenregion oder Schicht — oben und unten je durch eine Horizontalkurve begrenzt — bezeichnet, nach einer Skala, die Abstufungen von 200, 500 und mehr Meter enthält. Solche Farbenschichten können ebensowohl zur Darstellung von Tiefenverhältnissen grosser Wasserbecken wie der Höhenregionen des Festlandes dienen. Man nennt solche Darstellungen Schichten-, hypso- metrische und Tiefenkarten. 5° Gemischte oder kombinirte Methoden der Terrainzeich- nung sind solche, wobei mehrere der obgenannten Darstellungs- mittel zugleich angewendet werden. Diese Kombinationen sind oft von glücklicher Wirkung; solche zu erzielen, ist aber wesentlich Sache des guten Geschmackes; positive Regeln lassen sich hierüber nicht geben. Die nebenstehenden Tafeln VI, VII und VIII (zürche- risches Oberland um Wyla im Tössthal, Sentispartie und westliche Umgegend des Wallensees) geben Muster von drei der gebräuchlichsten Arten der Terraindarstellung. Mit Bezug auf dieselben bemerken wir zur Ergänzung des Vorstehenden und des S. 21 über das Kartenlesen Gesagten Folgendes: Felspartien sind schwarz gehalten und auf beiden Blättern, wo sich solche finden (Taf. VII und VIID, in ähnlicher 138 VORBEREITUNG künstlerischer Weise behandelt. Auf Taf. VI sind sämmtliche Gewässer, auf Taf. VIII nur die grössern in blauer Farbe dargestellt; das der Vegetation zugängliche Terrain ist ver- schieden gezeichnet: in Taf. VI durch bräunlich-rothe Hori- zontalkurven von 10 zu 10 m, nebst einem Farbenton für Wald, in Blatt VII und VIII durch schwarze Kurven und durch Schraffen, für welche auf Taf. VII Schwarz, auf Taf. VIII brauner Ton gewählt ist. Dort (Taf. VII, 1: 25000) ist das Terrain wesentlich durch Schraffen dargestellt; es finden sich nur fein gestrichelte Horizontalkurven von 100 zu 100 m; zwischen je zweien derselben sind 10 Reihen Schraffirstriche ; eine solche entspricht also der Aequidistanz von 10 m. Im andern Fall (Taf. VIII, 1:50000) haben wir ein dichtes, vollständiges Kurvensystem vor uns, mit einer Aequidistanz von 30 m; je die 10. Horizontale ist als Hauptkurve ausge- zeichnet durch Strichelung und Beifügung der Höhenzahl (von 300 zu 300 m). Höhenangaben (Coten) für einzelne Punkte finden sich überdiess auf allen drei Kartenausschnitten. — Bei näherer Betrachtung dieser Tafeln wird der Leser sich un- schwer mit diesen Darstellungsmethoden vertraut machen. Er wird z. B. bald wahrnehmen, dass abwärts gehende (d.h. nach der Richtung des Wasserabflusses sich erstreckende) Vorsprünge oder Ausbiegungen der Kurven konvexes Terrain (Bergrücken, gewölbte Gletschertheile etc.) bedeuten, solche nach aufwärts aber (der Richtung des Wasserlaufes entgegen) konkaves Terrain oder Hohlformen: Thalfurchen, mulden- förmige Gletscherpartien u. dgl.; dass ebenso ein Abhang, an welchem sich die Kurven nach oben dichter zusammen- drängen, eine konkave, ein Abhang hingegen mit nach unten näher gelagerten Kurven eine konvexe Form hat, während gleichweit auseinanderliegende Kurven an einer Abdachung ein gleichmässiges, konstantes Gefälle bezeichnen. Er wird unschwer ein Profil zeichnen, z. B. über den Lauf (Thalweg) der Töss oder eines der Bäche (Längenprofil) oder einer Schnitt- linie wie Thalgarten-Käferbuck-Tannacker (Querprofil) — sei es, dass man, um nicht genirt zu sein durch die in der Reduktion von !/25000 nur noch ?/s mm betragende Aequi- distanz, die Höhen etwa in fünffachem Massstab der Längen (also in !/5000) auftrage, wodurch die Aequidistanz im Profil = 2 mm wird, oder dass man, um das richtige Verhältniss \ Meer & See Buschwerk(Buschwald) ST ee BRTNSEDYADTAEN 01 IR I Sun Sa Dun Su SE Sa Yan zu 3a I un a Zu Zu u 5 5 Zu 5) Va Du Dun Sul Ya Su U6 SE SE SE BERSREITEN ‚B SEBSB ER m. 3: SERRBE Prrirtm & NN 5 I : | ! ! = y f Ta: (eschiebe Murster, Randeoger &C’ Winterthur. $ 73 Une ir % x 1; TOPOGRAPHISCHES ZEICHNEN 139 von Höhen und Längen beizubehalten, beide fünfmal grösser zeichne als die Karte sie gibt, also das ganze Profil in 1/5000 zeichne. — Ebenso wird man mit Leichtigkeit ein gutes Modell, z. B. der Gegend westwärts der Töss, herstellen, wenn man Carton oder Laubsägeholz von ?/; mm Dicke nimmt, davon Stücke abschneidet, die begrenzt sind je durch ein Stück der Kurven, welche in dem bezeichneten Gebiet liegen und der Reihe nach auf einander folgen, sodann noch nach einer oder mehreren Seiten durch Gerade oder aber nur durch eine geschlossene (in sich selbst zurücklaufende) Kurve. Indem man mit der untersten, weitesten Kurve beginnt und zu den höheren und engeren fortschreitet, zeichnet man dieselben nebst den zugehörigen geraden Grenzen oder andern die Lage markirenden Punkten auf Pauspapier durch, klebt dieses auf den Carton oder das Laubsägeholz, schneidet nun den durch- gepausten Linien nach die Stücke zurecht und fügt sie (be- ziehungsweise klebt sie) in ihrer richtigen Reihenfolge auf- einander, so zwar, dass die entsprechenden geraden Grenz- linien genau zusammenfallen und, wenn nur noch eine Seite gerade Begrenzung hat, beim Zusammenfügen (Auflegen) die massgebenden Abstände der betr. Kurven auf jener geraden Grenzlinie beachtet werden, wie auch bei ganz geschlossenen Kurven die Merkpunkte für deren richtige Lage. — Solche Uebungen tragen wesentlich bei zur Erlangung von Gewandt- heit im Kartenlesen und entschädigen so reichlich für die hierauf verwendete Zeit und geringe Mühe. Detailzeichnung. Hat man die horizontalen Umrisse und die vertikale Gestaltung des Terrains zur Darstellung ge- bracht, so sind noch die kleineren Objekte zu berücksich- tigen; man hat jetzt im Bilde anzugeben, ob gewisse Flächen von Wasser, Sümpfen, Wäldern eingenommen; ob sie Kultur- land seien und im letztern Falle — bei hinlänglich grossem Massstab — welche Arten Bodenkultur (Wein-, Ackerbau etc.) - hier vorkommen ; auch, was für Bauten sich da vorfinden u. s. w. Zu diesem Zweck wendet man konventionelle Bezeichnungen an, die wir in Taf. IX zusammenstellen, indem wir je für einen Gegenstand zwei Muster geben: die einen für schwarze, und die andern für farbige Karten. Auf einer folgenden Tafel (X) finden sich die gebräuch- lichsten derjenigen Zeichen, welche dazu dienen, Details wie 140 VORBEREITUNG das Vorhandensein von Furten und Fähren ‚ von Mühlen, Sägen, Gasthäusern etc. anzugeben. Selbstverständlich müssen diese Symbole in einer dem Massstab der Karte entsprechenden Grösse angewendet werden; auch kann man sich — immer im Einklang mit dem Reduktionsverhältniss der ganzen Karte — noch anderer Bezeichnungen bedienen, deren Be- deutung dann in der Legende (Zeichenerklärung, explication des signes) zur Karte erläutert werden soll. Kartenschrift. Die Wahl der Schriftarten für Karten und Pläne und ebenso diejenige der Schriftgrössen ist Sache des Geschmacks, der ästhetischen Beurtheilung. Vor Allem soll die Karte klar, nicht mit Namen überfüllt sein. „Nur leer scheinende Karten prägen sich dem Gedächtnisse ein“ lautet ein Ausspruch Alex. von Humboldts. Gegen die Wahrheit, welche in diesen Worten einer grossen Autorität liegt, wird nur zu oft noch arg gesündigt; Jeder wird uns hierin bei- stimmen, der schon Karten benutzen musste, in welchen es so recht von Namen wimmelte, und der daneben einmal eine sogen. stumme Karte (ohne Schrift oder nur mit wenigen und abgekürzten Namen) betrachtete, wie wir deren eine Anzahl besitzen. In der Nomenklatur der Karten ist also Mass zu halten und ist dieselbe auf das Nothwendige zu beschränken. Im Uebrigen kann man nur empfehlen, der Schrift eine Grösse zu geben, welche im richtigen Verhält- niss steht einerseits zum Massstab der Karte und andrerseits zur Bedeutung der Objekte, deren Namen man mit ihr schreibt. Die in Karten und Plänen gebräuchlichen Schriftarten sind auf Taf. XI zusammengestellt. Andere, namentlich sogen. Zier- schriften, wendet man fast nur für Ueberschriften (Titel) an. Die Namen werden soviel möglich parallel zum obern und untern Blattrand geschrieben, nicht in beliebigen Rich- tungen, um zu vermeiden, dass man zum Zwecke des Namen- lesens beständig die Lage des Blattes ändern muss. Indessen schreibt man die Namen von Bergketten, Strömen, Kanälen, Eisenbahnen, Strassen u. dgl. in der Längsrichtung dieser Objekte: ebenso muss man bei Namen von Meeren und Seen die Gestalt dieser Wasserflächen berücksichtigen und danach die Lage oder Stellung der Namen wählen. Wo mehrere Objekte derselben Art und welche durch ganz oder nahezu gleiche Schriftarten bezeichnet werden, E\ \‘ " Sm Moschee 1 /ruedhof’ 8 Kapelle E31 Einsiedelev x [N & % XV © Ihurm u: Rune FU Hofod. Meierei _mm_ Bahnhof 20” Posthalterei DQ Briefpost a Telegraph- 1 Gasthaus =’ Sehenkmwirthschaft Einzelnes Haus u Glashite & Windmihle Steinkon”” x en Holxkon®” — * Aussichtspunkt A Irigonometr. Signal tl Erzbisthaum 1 Bisthum 7 Maännerabtei ) Frauenabtei lo _Mannerkloster ll erre SA Karche KONVENTIO Kreuz Triumphbogen Pyramide Obelisk Heidnuscher Tempel Säule Goötzenbuld Jtanbruch Bergwerk Hüttenrverk Mühle Jagemihle Therme Grotte oder Hohle Altes Schlachtjeld Nexeres Schlachtfeld Gefecht Grenzen. HHHHt HH Hr tr HH HH HH +-+4-4- 4-4 4-4 4-+ Heerstrasse Heerstrasse | Fabrik - od. 1 Schutz 7 ZEICHEN. a ‚Quelle Wasserfall fe Wassersammler |Unterirdischer Lauf” ! Fact dung des Stromlaufs \ J egunn. der | N Pbarkeit Furt = ee. i | > ‚grosse Sehr Be = Fähre k - Archerp B\Dampfichgr | \ < Meeresstromung ie Jehuffbrucke 7 \ Signalthurm (Semaphore) liegende Brucke L & eg y { # > Fischfang = ı Augneti Warster, Randerper # zu , u; A; * 2 | ES Gorls, -. a N 4 v 7 I 24 r 5 RT „Eh 2 Wu / Tr Um ELLLL Arabische Zahlen. | 1.2.54.5.6.7.8.9.10. 50. 100. 500. 12343628.210 50 100 500% sch. ıe) 2 771 A all TÜR AHR PR 0 13 oT Römische Zahlen. 1. IV. V. VI. VIL.VIT. X. X.L.C.D.M. HIV VVIVEVH IX.X.LCDM. TOPOGRAPHISCHES ZEICHNEN 141 z. B. Ortschaften von annähernd gleicher Grösse, ziemlich nahe bei einander sind, ist grosse Aufmerksamkeit auf rich- tige Placirung der Namen zu verwenden, damit nicht bei Benutzung der Karte die Namen auf andere Objekte bezogen werden als diejenigen, zu welchen sie gehören und damit man auch nicht über den richtigen Sachverhalt im Zweifel bleibt. Solche Fehler finden sich mitunter: sie sind aber sehr störend, so sehr, dass man besser thut, den einen oder andern Namen lieber aus der Karte wegzulassen, als durch dessen Aufnahme in jenen Fehler zu verfallen. Um die Karte nicht durch Schrift zu überladen und da es oft an Raum fehlt, um gewisse Worte in ihrem vollen Umfang zu schreiben, gebraucht man Abkürzungen. Die häufigsten derselben finden sich in folgendem Verzeichniss. A. Alp, Amt hsyW .2,.haüs a/ am hsn. ...hausen a/d. an der I. Insel Arch. Archipel In. Inseln B. Ballon, Belchen, Bach K. Kuppe, Koppe B. Bai, Bucht, Busen Kan. Kanal Bez. Bezirk Kant. Kanton Be ...berg Kgr. Königreich Ber ...burg Kl.. Klus C. Cap, Col Kr. Kreis Can. Canal u, Lac, lago, lacus (See) Cant. Canton Lag. Lagune Cl. Clus Ld. Land Dep. Departement M. Meer ‚I. a 2 dorf MB. Meerbusen mei. Dent. Mdg. Mündung 'Fab. Fabrik Mt. Mont, Mount (Berg) Fl. Fluss, fleuve Mts. Montagnes, Mountains Ft Fort. (Gebirge) G. Golf -"Nd: ’ Nieder... Gbg. Gebirge OA. OÖberamt Gl. Gletscher Ob." Obere. Gmde Gemeinde RB; Pass, Pie, Pizzo Gr. Gruppe, Gross... Pl. Plateau H. Hoch... Prof. Profil h. ... horn Prov. Provinz 142 VORBEREITUNG Q. Quelle Schl. Schloss R. Riviere,River,Rio(Strom, Sp. Spitze Fluss) s/ sur Reg. Region Str. Strom, Strasse(Meerenge) Rep. Republik Por Thal Sun 2NSame „ii th. ...thum(Herzogth.,Gr.- St. ° Saint, Sankt herzogth., Fürstenth.) st. ...stock, ... stein Unt. unter.. S. See VW: Vulkan, Val, Vallee Sal. Saline v. von. Nach Bedürfniss können noch andere Abkürzungen an- gewendet werden, wenn sie nur verständlich oder in der Karte erklärt sind. Es hat auch nichts zu sagen, wenn die eine oder andere Abkürzung zwei oder mehr verschie- dene Bedeutungen haben kann, sobald nur die auf diese Weise bezeichneten Objekte so verschieden sind, dass keine Verwechslungen entstehen können, also z. B..B (Bach, Bai), C (Cap, Col), P (Pass, Pic). Vermeidet man aber den Gebrauch solcher mehrdeutigen Abbreviaturen, so ist das um so besser. Behufs gänzlicher Vollendung der Karte bringt man um dieselbe noch einen Rand an, meist eine doppelte Umrahmung, in welche man nach Bedarf die Grade und Minuten für die Meridiane und Parallelkreise einschreibt; ferner am obern Rande oder in einer freien Ecke den Titel und die Reduk- tionszahl oder den Massstab; in einer andern die Legende oder Erklärung der Zeichen und Abkürzungen, sowie allen- falls nothwendige Spezialbemerkungen. Endlich hat man für den Fall, dass die Karte nicht genau nach den Rand- linien orientirt ist, noch die Orientirung anzugeben durch Beifügung eines Pfeiles, dessen Spitze nach Norden zeigt. Am Besten übt man sich im Kartenzeichnen, indem man zunächst gute Muster reproduzirt; freilich darf diese Re- produktion kein sklavisches Nachahmen, kein mechanisches Kopiren sein, sondern man muss die Vorlage studiren, um ihrer Vorzüge bewusst zu werden und sie mit kritischem Sinne zu verwerthen. Kopiren von Karten und Plänen. Die Kopie kann identisch reproduzirt oder in einem andern Massstabe als dem des Originals ausgeführt werden. TOPOGRAPHISCHES ZEICNHEN 143 Die identische Kopie oder die genaue Wiedergabe im Massstab der Vorlage kann angefertigt werden mittels Durchzeichnens, Durchstechens, sowie mit Hülfe eines Netzes von Quadraten etc. Beim Durchzeichnen legt man das Zeich- nungspapier auf die Vorlage und befestigt beide an ein- ander an ihren vier Ecken, hält sie gegen ein Fenster und fährt mit dem Bleistift allen wesentlichen Linien der Original- zeichnung nach. Dieses Verfahren ist indess nicht bequem; man zieht es daher vor, durchsichtiges Papier (Pauspapier, Oelpapier) zu verwenden, welches man auf die Vorlage legt und welches das Nachzeichnen aller ihrer Details ermöglicht. Das Durchzeichnen nach dem einen und andern Verfahren ist indess nur zweckmässig, wenn man rasch eine Repro- duktion in grossen Zügen haben will, nicht aber, wenn es sich um eine sorgfältig auszuführende Arbeit handelt. — Beim Durchstechen legt man die Vorlage auf das weisse Papier und sticht mit einer feinen gestielten Nadel (wie sie häufig die Griffe der Reissfedern enthalten) die Endpunkte aller geraden Linien und überhaupt alle wesentlichen Punkte durch. Dann zeichnet man den Plan oder die Karte, indem man sich einerseits durch die durchgestochenen Punkte auf dem weissen Papier, andrerseits durch das Original, welches man vor Augen hat, leiten lässt. Dieses Verfahren ist, da dabei die Vorlage verdorben wird, natürlich nur anzuwenden, wenn man blos einen Entwurf oder eine schlecht ausge- fallene Zeichnung übertragen will. — Beim Kopiren mit Hülfe eines Quadratnetzes .theilt man durch sehr fein ge- zogene Linien die Vorlage und das Papier in gleiche Quad- rate ein (Fig. 83) und bestimmt mit Hülfe des Zirkels die Punkte, wo die Linien A D ; des Planes die Seiten Fa: der entsprechenden (homologen) Quadrate schneiden müssen, so- wie — als Schnitt- 3 C punkte — die Lage Fig. 83. von Punkten im Innern der Quadrate, Um das Original nicht zu beschädigen, kann man es mit Pauspapier überziehen und die Quadrate auf diesem anbringen. Enthält ein Quadrat viele Einzelheiten, so theilt man dasselbe in kleinere. 144 VORBEREITUNG Uebrigens istes, wenn man einmal ziemliche Gewandtheit erlangt hat, fast ebenso vortheilhaft, die Lage der Hauptpunkte auch blos mit dem Zirkel als Schnittpunkte zu bestimmen, indem n m man die Entfernungen eines neu zu bestim- menden Punktes von zwei schon eingetragenen abmisst. — Ueber verschiedene andere Me- thoden, die zwar sehr förderlich, auf Reisen aber nicht anwendbar sind, gehe ich hinweg. Die reduzirte Kopie oder die Nachbildung in kleinerem Massstabe wird angefertigt, indem man auf Vorlage und Zeichnungs- blatt Quadrate anbringt, so dass die Seiten der letzteren blos Bruchtheile der ersteren sind oder einfacher durch Bestimmung von Schnittpunkten mit Hülfe eines Reduktions- zirkels (Fig. 84), den man so einstellt, dass die Entfernung M N dem Massstab des Ori- ginals, mn aber dem der Kopie entspricht. Hat man aber keinen Reduktionszirkel, so kann man sich auch mit dem gewöhnlichen M N Zirkel behelfen, wenn man zuerst einen Re- Ne duktionswinkel konstruirt (Fig. 85). Zu diesem Zwecke zieht man eine Linie zo, nimmt eine gewisse Länge (z. B. 500) nach dem Massstab des Originals in den Zirkel, beschreibt hiemit von x aus einen Kreisbogen 20, greift nun dieselbe ar (500) auf dem Massstab der orte ab, beschreibt hiemit einen Kreisbogen von o aus und N verbindet den Schnittpunkt # mit x. Die EN Distanzen des Originals werden nun auf \\ 22 und zo abgetragen, wodurch man \ die Punkte /! und /’, m und m’ ete. er- ee a “— hält; dann sind 17’, mm’ u. s. w. die Fig. 85. reduzirten Längen. Die vergrösserte Kopie wird in analoger Weise erstellt mit Hülfe entweder von Quadraten auf dem Zeichnungsblatt, welche grösser sind, als die im Original, oder eines Re- duktionswinkels, wo die Entfernung zwischen zwei Punkten beider Schenkel, welche Punkte man durch Abtragen einer Länge x 2, x 0 (500) nach dem Massstab des Originals erhielt, grösser ist als die abgetragene Länge (Fig. 86). Es sind das N SPRACHKENNTNISSE 145 einfache Anwendungen der Sätze über die Proportionalität der Linien in ähnlichen Dreiecken. Vgl. S. 32, 33 und 37. Es mag noch beigefügt werden, dass man bei Anwendung eines halb oder doppelt so grossen Massstabes als der im Original ist, Karten erhält, die viermal kleiner oder grösser sind als die Vorlage, weil eben jede der beiden Dimensionen, Breite und Höhe, zweimal kleiner oder grösser gemacht wurde. Vgl. S. 72. ‘Der Reisende kommt, wie wir sehen werden, oft in den Fall, vergrösserte und verkleinerte Kartenkopien anzufertigen; die ' ersteren, um Croquis in grossem Massstabe zu zeichnen von den Gegenden, die er be- reist und erforscht; die letzteren, um diese Croquis, nachdem er sie an Ort und Stelle berichtigt, wieder zu reduziren und zu Einer Gesammtkarte zu vereinigen. Um nun die kostbare Zeit auf der Reise möglichst zu sparen, muss man diese Uebung im Zeichnen vorher erwerben. ' Fig. 86. SPRACHKENNTNISSE. Es braucht kaum hervorgehoben zu werden, wie nützlich dem Reisenden die Kenntniss wenigstens der verbreitetsten lebenden Sprachen ist. Man sagt wohl, mit dem Franzö- sischen könne man durch die ganze Welt kommen. Es mag das buchstäblich richtig sein; aber wenn man reist, um zu studiren, sich zu unterrichten, so genügt es nicht, dass man einigermassen sicher ist, in den grossen Hötels sich verständlich machen und überall Ciceroni finden zu können, welche einige Brocken Französisch verstehen ; wer mit Genuss und Erfolg reisen und nicht von Andern abhangen will, muss selbst verstehen, was um ihn herum gesprochen wird und soll hiefür nicht auf die Hülfe eines Dritten, eines Dolmet- schers, angewiesen sein. Wenn, wie in manchen Ländern, die Sprache der höheren Stände („Hochsprache“) eine andere ist, als diejenige der untern Klassen („Mundart“), so muss man die letztere ver- 10 146 5 VORBEREITUNG stehen, um Sitten und Gebräuche, um den Volksgeist kenner zu lernen. Zwar trifft man fast überall in den oberen Schichter der Gesellschaft Offiziere, Kaufleute, Pflanzer etc., mit denen zu verkehren von grossem Werth ist wegen ihrer Kenntnis von Land und Leuten; aber im Umgang mit diesen Personen wird der Reisende schon eher seine eigene Sprache anwender können, und zudem hat er nicht desshalb eine lange Reise unternommen, um Alles nur mit den Augen jener Dritt- personen anzusehen. Es darf nicht vergessen werden, dass man in der „guten Gesellschaft“ selbst bei den Antipoder einen Ton, Ansichten und Vorurtheile findet wie in Paris Berlin und London, vorgefasste Meinungen, welche nothwendig wenn auch in verschiedenem Grade, das Urtheil über die Eingeborenen beeinflussen. Es wäre aber nicht der Mühe werth wenig bekannte Völkerschaften aufzusuchen und kennen zu lernen, wenn man über sie oberflächliche, mangelhafte odeı gar als Berichte zurückbrächte. Um ein Volk wirklich kennen zu lernen, muss man mi und unter ihm in seiner Weise leben, wenigstens mit Den- jenigen verkehren, welche das Volk ausmachen, mit ihner vertraulich sprechen über ihre eigenen Angelegenheiten und kleinen Interessen, theilnehmen an ihren Freuden und Leiden eingehen auf ihre Ideen und Anschauungen. Dazu aber ist nothwendig, dass man mit ihnen direkt verkehren könne, ohne die Umständlichkeiten und oft gar Fehler der Verdolmetschung Die ersten theoretischen Studien in der Sprache odeı Mundart, um welche es sich handelt, wird man vor de Abreise betreiben. Man findet zu diesem Zwecke in den Katalogen der Buchhandlungen F. A. Brockhaus in Leipzig Maisonneuve & Cie. oder Ernest Leroux in Paris eine Aus- wahl von Vokabularien und Grammatikbüchern aller bekannteı Idiome. | An die praktische Erlernung der Sprache kann man sich oft erst machen, wenn man in dem betreffenden Lande selbst angelangt ist, es sei denn, man treffe vorher schon Persone an, welche das fragliche Idiom sprechen. Wie dem abeı auch sei, in jedem Falle soll man bei der ersten sich dar: bietenden Gelegenheit sich keck auf die Konversation ein lassen; unbekümmert und ja nicht ängstlich wegen mögliche! Fehler, die eben für jeden Anfänger unvermeidlich sind y INFORMATIONEN ÜBER DAS LAND 147 Diese Konversation wird anfänglich langsam, in gebrochener Rede, in unzusammenhängenden Sätzen erfolgen und mit fehlerhafter Aussprache; aber in Kurzem wird man — indem man gewisse Worte wiederholen hört, gewisse Laute nach- zuahmen, Sätze und Satzglieder verbinden lernt — sich geläufig und verständlich ausdrücken. Denn eine Sprache mag noch so reich sein, so hat sie doch stets nur eine sehr beschränkte Zahl von Ausdrücken, welche in der ge- wöhnlichen Konversation zur Anwendung kommen ') und diese Ausdrücke, die Kurantmünzen der Umgangssprache, eignet man sich baid an, um so rascher, je mehr man mit und unter dem Volke lebt und je mehr man vermeidet, ein anderes Idiom als das, welches man lernen will, zu sprechen oder zu hören. So dringt man ein in’s Verständniss, in den Geist der Sprache, und für die aufgewendete Mühe wird man reichlich entschädigt durch die vielfache Erleichterung und Förderung, welche die erlangte Kenntniss gewährt, durch die Herzlichkeit in Umgang und Verkehr, welche sie ermöglicht. INFORMATIONEN ÜBER DAS LAND. Ein Philosoph sagt: „Jeder sieht im Verhältniss zu seinem Wissen und Kennen“, und er hat Recht; denn, beim Reisen wenigstens, beobachtet man zuverlässig das am besten, wovon man schon las oder sprechen hörte, und man über- sieht nur zu leicht Dinge,. wovon man noch keine Kunde hat. Es ist daher nichts weniger als unnützer Zeitverlust, sondern es bringt grossen Vortheil, wenn man liest, was über das zu bereisende Land schon geschrieben wurde. Eine solche Darstellung und Kenntnissnahme dessen, was man sehen wird, vermehrt in hohem Grade den Reiz des Reisens, indem sie für die kleinsten Details ein Interesse erweckt, das ihnen sonst nicht in gleichem Masse zu Theil würde; sie ermöglicht oder erleichtert überdiess die Orientirung in dem Labyrinth der 1) Cing cents mots appris par c@ur, et accompagnes de quelques notions sur la maniere de les lier ensemble, suffiront au voyageur pour dire tout ce qu'il veut, au besoin par des periphrases. Si en outre il s’arrange pour avoir des reponses par owi ou par non, il pourra, sans autre bagage linguistique, faire une u pplie de renseignements. D’Abbadie, Bulletin de la Soc. de geogr. 1879, ıpag. 173. 148 VORBEREITUNG erforderlichen Beobachtungen und verschafft uns einen Stock von Einzelheiten, welche zu studiren oder zu verifiziren sind; auch bewahrt dies Vorgehen vor der Gefahr, dass man als neu Dinge veröffentlicht, welche bereits bekannt sind. Verzeichnisse der neuesten Publikationen über jedes Land findet man in den geographischen Mittheilungen von Justus Perthes in Gotha, der Zeitschrift der “Gesellschaft für Erd- kunde in Berlin und in dem zu Paris erscheinenden Annee geographique. Diese Verzeichnisse enthalten öfters kurze Notizen oder Auszüge aus den betreffenden Werken, wonach man den Inhalt der letzteren beurtheilen kann. Man wird nicht Alles lesen, was über die Gegend, welche uns interessirt, geschrieben worden ist, wohl aber einige der besten Darstellungen. Wenn man dazu Gelegenheit hat, so versäume man ja nicht, sich in Sachen zu erkundigen bei Personen, welche das fragliche Land besucht oder in demselben gelebt haben. Von besonderer Wichtigkeit ist es, die Förmlichkeiten bei Vertragsabschlüssen kennen zu lernen. (D’Abbadie Instr. 284.) Ferner verschafft man sich die besten, d. h. genauesten und detaillirtesten Karten der Gegend. Neben den allgemeinen Informationen, von denen wir eben sprachen, sind gewisse Erkundigungen praktischer Art einzuziehen, z. B. solche — und zwar genaue Angaben — über Transportmittel, Fahrtenpläne der Eisenbahnen, Schifffahrts- kurse, Kosten und Bedingungen der Ueberfahrt u. dgl. Man findet das in den allgemeinen Kursbüchern von Hendschel („Telegraph“), Chaix, Bradshaw u. s. w. und in den speziellen Reisebegleitern für einzelne Länder, wie bei den verschiedenen Gesellschaftsagenturen. Eine genaue Kenntniss der Verkehrs- gelegenheiten zwischen zwei Punkten erspart viel Zeit und Geld. Die genannten Hülfsmittel reichen indess mit ihren An-. gaben gewöhnlich nicht weiter als bis zum Landungshafen. für die zu besuchende Gegend und lassen uns in Unkenntniss über die Verkehrsanstalten im Innern jenes Landes. Nun muss man an die Gefälligkeit von Personen, welche dort zu Lande‘ gelebt haben, appelliren, um zu erfahren, welches die empfeh- lenswerthen Gasthöfe und Pensionen seien, welches die üb- lichen Preise, die Tarife für Führer, für Pferde u. del, KLEIDUNG UND AUSRÜSTUNG 149 sowie viele andere Details, deren Kenntniss theuer zu stehen kommt, wenn man sie durch eigene Erfahrungen erlangen muss. Hat man diese Aufschlüsse nicht vor der Abreise erhalten können und auch nicht unterwegs von Personen, mit welchen uns der Zufall bei der Ueberfahrt zusammen brachte, so muss man auf gut Glück ein Hötel wählen; hat man aber das gethan und sich eingerichtet, so suche man bei erster Musse, ohne indess Eile zu verrathen, sich über die Verkehrsgelegen- heiten an Ort und Stelle zu orientiren. Ist man dann über Wege, Transportanstalten und Preise genügend instruirt, so kann man seine Exkursionen so einrichten, dass man in urzer Zeit Vieles sieht. Noch mag bemerkt werden, dass die raschesten Trans- portgelegenheiten nicht immer auch die günstigsten sind. Man beobachtet mehr und besser von einer Kutsche aus oder vom Bankett eines Postwagens herunter, als durch das Fenster eines Eisenbahnwagens. Zu Pferd oder Esel kann man Halt achen, wo es beliebt. Fusstouren endlich sind in vielen Fällen das Vorzüglichste; denn dabei kann man alle Einzel- heiten der Gegend studiren, an jeder Stelle verweilen, die uns interessirt, die gewöhnlichen Touristenwege zur Seite lassen, kurz, die Gegend zwar langsamer, aber mit weit mehr Gewinn durchreisen. KLEIDUNG UND AUSRÜSTUNG. Dieselbe hängt sehr ab von Art und Dauer der Reise, die man unternimmt. Als allgemeine Regel kann man die aufstellen: dass man ja vermeide, Dinge mit sich zu nehmen, welche man sich bensogut am Bestimmungsorte oder Landungsplatze ver- schaffen kann. Thue man das Letztere; selbst wenn man dann diese Gegenstände doppelt so theuer bezahlen müsste als daheim, so wird man dabei immer noch im Vortheil sein, mit Rücksicht einerseits auf die Kosten von Fracht und Zoll, andrerseits auf die Belästigung und die Wider- wärtigkeiten, die man sich so ersparte. Muss man viel Gepäck mitnehmen, so vertheile man es uf verschiedene kleine Felleisen oder Handköfferchen, lieber 150 : VORBEREITUNG als dass man Alles in einen grossen Koffer zusammenpacke, in welchem man mit Mühe findet, was man sucht, und welcher bei Reisen im Lande En sehr lästig fällt. Solide Lederköfferchen mit Starken Riemen leiden weniger durch den Transport, und sie machen eine Unterbringung der Effekten möglich in der Art, dass in einem derselben Alles beisammen ist, was man immer zur Hand haben will oder was man auf kleinen Exkursionen nöthig hat; endlich kann man sie leichter Reit- und Saumthieren aufladen, da man sie hiezu nur, mit Rücksicht auf Gleichgewicht, paarweise verwenden muss. Braucht man mehrere Köfferchen, so wird man sie numeriren, und für jedes ein Verzeichniss seines Inhaltes anfertigen. Gewisse Taxen werden freilich nach der Stückzahl des Gepäcks berechnet, ob dies grösser oder kleiner sei; auch riskirt Jemand, der nur Einen Koffer mitnimmt, weniger, dass ihm Gepäck abhanden komme durch 'Nichtabgabe am rechten Orte. Diese beiden Gründe können dazu führen, dass man bis zum ersten Reiseziel nur einen Koffer mit- nimmt; dann aber verschaffe man sich ein oder zwei Köfferchen für die Exkursionen, die man abseits von den grossen Ver- kehrswegen unternehmen will. Boondere Aufmerksamkeit verdient die Kleidung. Man wähle weite bequeme Kleider, die viele Taschen enthalten! und aus Wolle oder Flanell Basielhenn welche Stoffe gegen rasche Temperaturänderungen Schutz gewähren. Ausser den Kleidern im engern Sinne sind wesentlich: wollene Strümpfe, zwei Jacken (Unterwesten) aus feinem geschmeidigem Flanell, ferner gute Schuhe, die nach Mass angefertigt wurden und in welchen man sich wohl findet. Was die Wäsche anbe- trifft, so kann man diese überall erneuern; es ist also un- nöthig, sie in Dutzenden von Stücken mitzuschleppen. Die Wahl der Kopfbedeckung ist mehr oder minder Geschmacks- sache; aber ein weicher hoher und hellfarbiger Filzhut mit breiten Rändern ist immer bequem. In heissen Ländern wird man daran noch einen Nacken- oder Halsschirm an- bringen, welchen man übrigens ersetzen kann durch ein weisses Taschentuch oder Foulard, das mit zwei Stecknadeln an den Hut befestigt wird. Auch muss der Hut ein Sturm- band haben, womit man ihn unter dem Kinn, oder eine y KLEIDUNG UND AUSRÜSTUNG 151 Elastique-Schnur, womit man ihn an einem Knopfe befestigt, wenn man reitet oder bei windigem Wetter marschirt. Als Mantel oder Plaid ist am besten eine gute Woll- decke, sie muss fein und zugleich dick sein, nicht leicht wasserdurchlassend und muss eine Oefinung haben, um sie über den Kopf anzuziehen, nach Art des Poncho der Süd- amerikaner; statt einer einzigen Decke kann man auch deren zwei verwenden, die an einer Seite so zusammengenäht sind, dass daselbst noch Raum genug bleibt zum Durch- schlüpfen des Kopfes. Ein Mantel dieser Art lässt die Arme frei und schützt Körper und Beine beim Reiten; er hält den Regen genugsam ab, und bei Sonnenschein legt man ihn vierfach zusammen, um ihn auf dem Sattel anzubringen oder auf ein Felleisen zu schnallen. Bei Nacht wickelt man sich in denselben ein oder man rollt ihn zusammen und benutzt ihn als Kopfkissen — in Ermanglung von Besserem. Die Kleidung wird vervollständigt durch solide Leder- handschuhe, die bis zum Handgelenk reichen müssen, um Schutz zu bieten gegen stechende Insekten und Dornen. Alle diese Kleidungsstücke sollen so einfach als bequem sein, von falber, nicht auffallender Farbe, nicht schauspieler- mässig nach Form und Schnitt, aber gut nach Stoff und Arbeit. Als accessorische Ausrüstungsstücke sind zu empfehlen: ein Fernrohr oder guter Feldstecher (wie man deren zum Gebrauch der Stabsoffiziere anfertigt) mit Leder-Etui und Riemen zum Tragen an der Seite; ein Taschenkompass mit phosphoreszirendem Grunde, um sich auch im Dunkeln orientiren zu können, und ein gutes Taschenmesser mit meh- reren Klingen. Für Gletschertouren braucht man ferner einen Alpen- stock, ein Eisbeil, Bergschuhe, Seile aus Manila-Hanf, Tornister, Feldflasche, Schleier etc. Diese Objekte werden fast von Jahr zu Jahr verbessert; um nun das Vollkommenste zu erhalten, wird man gut thun, in Sachen sich mit einem Mitglied eines Alpenklubs zu berathen. Was Waffen anbetrifft, die man in manchen Ländern nöthig hat, so ist ein Revolver sicher die beste Schutz- 152 } VORBEREITUNG waffe‘). Als Jagdfliinten wird man öfters noch die alten Perkussionsgewehre vorziehen, wegen der Schwierigkeit, für andere, nach Spezialsystemen, die erforderliche Munition zu bekommen. Zur weiteren materiellen Ausrüstung wird man vorab das nöthige Schreibzeug beschaffen. Es gibt Schreib- Etwis (Portable writingstand), welche Papier, Tinte, Federn, Blei- stifte etc. enthalten und in einem Koffer wenig Platz ein- nehmen. Soll die Reise lange dauern, so wird man dies Material von Zeit zu Zeit durch neues vervollständigen und ersetzen müssen, oder man muss einen kleinen Vorrath an Papier, Tintenpulver, Federn u. dgl. mitnehmen. Die während des Reisens zu machenden Notizen können ganz wohl mit Bleistift aufgezeichnet werden, wenn man sie nur später mit Tinte zu Papier bringt; desswegen genügt dann auch ein halbes Ries Papier und eine Porte - Crayon mit einem Dutzend Graphitstifte zum Einfügen in denselben. Zum Zwecke des Photographirens versieht man sich mit einem Apparat und präparirten Platten oder mit den Stoffen, welche nöthig sind, um sie herzurichten für die Aufnahme, Entwicklung und Fixirung des Bildes, wenn man diese Zu- richtung selber vornehmen will. Als Material zum Zeichnen und Aquarelliren nimmt man ein Album oder einen Vorrath von Whatmann-Papier oder Harding-Carton, weiche Bleistifte von verschiedenen Nummern, ein Sortiment Pinsel und eine Schachtel Farben von Schön- feld & Cie. in Düsseldorf, J. M. Paillard in Paris oder Winsor & Newton in London, mit zugehörigen plattirten Flacons (japanned water bottles). Ein Faber’scher Porte-Crayon mit zwei oder drei Sorti- menten sibirischer Graphitstifte thut denselben Dienst wie fünf Dutzend gewöhnliche Bleistifte und beansprucht viel weniger Platz. Das Mitnehmen von Reissbrettern erspart man sich durch sogen. Albums-blocs, in welchen die Blätter aufgespannt sind. Es gibt Albums dieser Art von jeder beliebigen Grösse und Papiersorte. Farbenschachteln gibt es sogar welche, 1) D’Abbadie meint nach Erfahrungen aus Afrika, dass in vielen Fällen ein blosser Siock das Beste sei! Instructions pag. 283. - KLEIDUNG UND AUSRÜSTUNG 153 die kaum mehr Umfang haben als eine grosse Taschenuhr; sie sind aber nur zu empfehlen, wenn es sich blos darum handelt, rasch die wesentlichen Farben einer kleinen Skizze zu notiren. Will man nach der Natur Aquarelle zeichnen, so darf weder die Farbenschaale noch die Wasserflasche zu klein sein, weil es sonst schwierig wäre, genug Farbe zu präpariren und die Pinsel reinlich genug zu halten, um reine Töne herzustellen. Die Anzahl der Farben kann be- schränkt werden auf die häufig anzuwendenden; diejenigen, welche man nur ausnahmsweise braucht, kann man be- Isonders, z. B. in einer Tasche, aufbewahren. Zum Zwecke fopographischer Aufnahmen wird man sich /mit den Instrumenten versehen, wovon wir schon gesprochen haben: Theodolit oder Orientirboussole, Messschnur, Libelle Jund Senkblei; ferner mit einem besondern Notizenheft hiefür Jund mit aufgespanntem Papier (album-bloc) für die Croquis. Unter dem Gepäck, das man an seinem Hauptquartier oder |Stationsort hat, soll eine Partie Rollenpapier (sogen. end- | lloses Papier) sowie Pauspapier sein, ferner ein Reisszeug [mit gewöhnlichem und Reduktionszirkel, Reissfeder , Trans- Jporteur u. s. w., ein langes flaches Lineal (Reissschiene) mit |Ecquerre und Doppeldezimeter, sowie ein Stück chinesische Tusche. Dabei setzen wir voraus, es werde überall ein ITisch zu finden sein zum Aufspannen und Befestigen des /Papiers, eine Untertasse oder Tellerscherbe zum Farbenan- reiben, und dass die nöthigen Bleistifte, Pinsel und Farben Jin der Aquarellschachtel sieh vorfinden. Von Instrumenten für verschiedene Beobachtungen war Ischon oben (S. 16 ff.) die Rede, nämlich von Chrono- /meter, Thermometer, Barometer, Hygrometer u. s. w. Wir /erinnern hier nur daran‘) und machen darauf aufmerksam, 11) dass deren Richtigkeit (in Bezug auf Funktion) vor der JAbreise kontrolirt werden muss, indem man ihre Angaben vergleicht mit denen von Normalinstrumenten; 2) dass sie |sehr sorgfältig verpackt werden müssen, namentlich für den Fall eines weiten Transportes. Bei einer Reise über Meer ) Bei der Verschiedenheit der Ansichten in solchen Dingen mag hier auch auf die sachbezügliche Zusammenstellung von D’Abbadie, Instructions pag. 274 und 275, aufmerksam gemacht werden. j 154 ’ VORBEREITUNG thut man gut, alle Metalltheile, die rosten könnten, mit be- fetteter Leinwand zu umhüllen. Man wird ferner mit sich nehmen alle die Objekte, welche man auf vorgängigen übungsweisen Exkursionen als unent- behrlich kennen lernte für geologische, botanische und z00lo- gische Forschungen und Sammlungen, ausgenommen, es seien diese Gegenstände auch am Bestimmungsorte zu haben. Handelt es sich nur um kleine Exkursionen, wovon man jeden Abend nach Hause zurückkehren kann oder um Reisen, wobei man sicher ist, überall ein Nachtlager zu finden, so genügt es, eine Zeisetasche oder Korbtasche mitzunehmen mit einigen Utensilien und dem Tagesbedarf an Mundvorrath. Wenn hingegen in der Gegend, die man durchreisen oder erforschen will, nicht sicher auf die nöthigen Hülfsquellen gezählt werden kann, so muss man sich mit Reisezelt und zu- gehörigem Mobiliar, mit Küchen-Geräthen und Vorräthen ver- sehen. Alles das findet man aber gewöhnlich eben so gut in den überseeischen Kolonien und Landungsplätzen wie m Europa. Will man sie gleichwohl vor der Abreise in den grossen Magazinen zu Berlin, Paris und London und in andern grossen Städten einkaufen, so wird man gut thum diese Gegenstände nach getroffener Auswahl sich direkt an den Bestimmungsort zusenden zu lassen und sich nicht für die Ueberfahrt mit Gepäck‘ zu belästigen, das man noch nicht braucht. Was Zelte, Gurtbetten, zusammenlegbare Tische und Sessel betrifft, so kann es auch genügen, wenn man nur Muster mitnimmt und darnach diese Möbel anfertigen lässt in den paar Tagen, welche zwischen dem Landen und den Expedi- tionen in’s Innere verstreichen. | Für alle Fälle aber verschaffe man sich eine Hängematte aus Aloebast, welche wenig Platz einnimmt und in Ermang- lung eines Bee überall ln werden und so Schutz Ideen kann vor Reptilien und Bodenfeuchtigkeit. An Küchengeräthen wird man selbstverständlich nur die allernöthigsten mitnehmen und nur solche, die man in dem, zu besuchenden Lande nicht erhalten könnte. Diese trans- portabeln Geräthe werden Jahr für Jahr vervollkommnet und bereichert und man hat es dazu gebracht, dass Jemand m 3 KLEIDUNG UND AUSRÜSTUNG 155 seinen Taschen eine demontirte Küchenbatterie mit sich führen kann, die zur Bereitung der unentbehrlichsten Speisen genügt. Unter Mundvorräthen verstehen wir hier komprimirte Ge- müse (Konserven), kondensirte Milch, Chocolade, Kaffee, Thee u. dgl., welche eine Ergänzung bilden sollen zur landes- üblichen Küche und Nahrung (die — wie Wildpret, Eier, Geflügel u. s. w. — an Ort und Stelle beschafft werden müssen) oder welche auch bei eintretendem Mangel an andern Lebensmitteln hiefür Ersatz bieten sollen. Nicht vergessen darf man eine kleine Taschen- oder Feld- apotheke und einen Vorrath an Insektenpulver. Je nach dem Lande, das man aufsuchen will, muss man sich mit zu Tausch und Geschenken geeigneten Gegenständen versehen. Es kann nämlich vorkommen, dass man um Geld nicht oder kaum erhält, was man leicht und vielleicht zehn- mal billiger erwirbt durch Tausch gegen ein Stück farbigen Zeuges, ein Halsband aus Glasperlen, eine Axt, ein Messer etc. Auch kann man sich hiedurch erkenntlich beweisen für ge- nossene Gastfreundschaft und empfangene Dienste, wofür man nicht, ohne zu verletzen, Geld anbieten dürfte. Kurz man wird auf diese Art überall wohl ankommen. Nur muss man nichts sehen lassen als das, was man geben will, auch sich hüten, allzuleicht und viel Geschenke auszutheilen, um nicht Enttäuschungen zu verursachen oder die Habgier der Ein- gebornen zu reizen. Bevor man solche Artikel einkauft, muss man sich da- rüber unterrichten, was in dem betreffenden Lande von den Eingebornen im Allgemeinen am meisten geschätzt wird; denn hier gilt vor Allem das Sprüchwort: über Geschmacks- ; sachen lässt sich nicht streiten; — es ist sehr wohl möglich, dass man mit einem Paar vergoldeter Epauletten, die bei uns ausser Kurs gekommen, viel mehr Freude macht als mit einem sehr werthvollen Gegenstand. Für grosse Expeditionen muss man sich mitunter unge- wöhnliche Objekte beschaffen, wie: demontirte und transpor- table Schiffe für Flüsse und Seen; Schlitten zu Polarreisen ; im Innern gefirnisste Eisenkisten für das Mitführen von Wasservorräthen in Wüsten etc.; aber solche Expeditionen erfordern auch ein eingehendes und spezielles Studium in 156 ; VORBEREITUNG Bezug auf deren ganze Organisation; sie sind auch ge wöhnlich von langer Hand vorbereitet, und man kann darüber Männer zu Rathe ziehen, welche in solchen Unternehmungen erfahren sind. Da es schwer ist, an Alles zu denken und Nichts zu vergessen, da ferner Vorräthe ausgehen, nothwendige Objekte abhanden kommen können, so wird man die Adressen, viel- leicht auch die Preiskourante der Lieferanten aufbewahren, damit man im Stande ist, nachkommen zu lassen, was fehlt und sich als nothwendig erweist. BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN. BEOBACHTUNGEN IM ALLGEMEINEN. Aufgabe des Reisenden ist die Vermehrung der Kennt- nisse über das Land, welches er bereist. Dieses Ziel erreicht er theils durch eigene Beobachtungen, theils dadurch, dass er unveröffentlicht gebliebene Beobach- tungen Anderer sammelt oder Untersuchungen veranlasst durch Männer, deren persönliche Eigenschaften oder Lebensstellung sie hiezu besonders geeignet erscheinen lässt. Hierüber einige Worte. Man trifft in jedem Lande Personen, welche aus Interesse oder Beruf sich mit Forschungen über gewisse Fragen und That- sachen beschäftigen. Manchmal sind es wahre, aber in ihrer Be- scheidenheit unbekannt gebliebene Gelehrte, meist aber einfach Leute von reicher Erfahrung, die zwar nicht viel gelesen, aber dafür um so mehr gesehen und beobachtet haben. Man kann oft eine erstaunliche Summe positiver Kenntnisse über eine Gegend, deren Bewohner, Klima, Pflanzen- und Thier- welt u. s. w. erlangen an einem Abend, welchen man im Pfarrhaus eines kleinen Dorfes, bei einem Pflanzer oder Kolo- nisten, auf einem Waldhofe, in einer Sennhütte, im Gespräche mit den Personen verlebt, mit welchen uns der Zufall zu- sammenführte. Es kann zwar auch im Gegentheil vorkommen, dass man hiebei grober Unwissenheit begegnet oder schlechtem Willen und Misstrauen und dass die Aufschlüsse, welche Einem zu Theil werden, von Absurditäten und Uebertreib- ungen strotzen, so dass sie äusserst wenig Werth haben. Man lasse sich aber dadurch nicht abschrecken; trifft man selbst auf zehn Personen nur eine, von der man etwas Nütz- liches vernimmt, so hat man seine Zeit nicht verloren, hat man gegentheils allen Grund, bei erstem Anlass denselben Versuch wieder zu machen. Wenn man dabei unter einer 160 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN unkultivirten Bevölkerung einen gebildeten Mann findet, so wird sich Dieser freuen, Jemanden zu treffen, mit dem er sich unterhalten kann und man wird in seiner Gesellschaft angenehme Stunden verleben. Er wird gerne auf Wunsch seine Beobachtungen mittheilen, seine Sammlungen vorzeigen und uns zu interessanten Punkten hinführen. Vielleicht dass er seit Jahren mit geduldiger Hingebung- statistische Angaben, seltene Manuskripte u. dgl. gesammelt hat und uns die Benutzung dieser Materialien gestattet. Hat er sich aber mit dem Sehen begnügt, so wird doch die Unterhaltung mit ihm interessant und lehrreich sein und unsere Aufmerk- samkeit auf Dinge hinlenken, die wir sonst leicht unbeachtet gelassen hätten. Um aus einem solchen Verkehre Nutzen zu ziehen, ist es nicht unerlässlich, dass unser Gesellschafter: ein gebildeter Mann sei; nur hüte man sich in solchem Falle wohl davor, ihn von oben herab zu behandeln, seine Un- kenntniss zu belächeln, seiner irrigen oder abergläubischen Meinungen zu spotten oder ihn nach Art eines Verhöres ausfragen zu wollen. Auf diese Weise würde man nur aus- weichende Antworten erhalten. Lasse man ihn also nach seiner‘ Art sprechen über Das, was er am besten kennt und leite' man ihn erst hernach und unvermerkt auf das Thema, das uns‘ beschäftigt, um zu hören, was er darüber denkt. Dass diese Mittheilungen nur mit Vorbehalt weiterer Information aufzu- nehmen sind, ist selbstverständlich. | Diese Art Studien — die Erkundigungen — sind nament- lich von Nutzen mit Rücksicht auf Gegenden, in die man nicht leicht eindringen kann. Von Resultaten, welche auf diese Art erlangt wurden, will ich beispielsweise nur zwei anführen. Zu einer Zeit, wo der Stamm der Kabylen noch nicht unterworfen und wo es sehr gefährlich war, ihr Land zu betreten, unternahm es General Daumas, damals noch Haupt- mann, een einzuziehen von den Eingeborenen, welche Zufall ui Geschäfte nach Algier führten. Als man später das Land eroberte, erwiesen Eh die Berichte und Beschreibungen des Generals Daumas als erstaunlich genau so gut N er sich seiner Aufgabe entledigt. | Das zweite Beispiel betrifft en ns reihen Heinr. v. Maltzan. Wir lassen ihn selber sprechen, da seine BEOBACHTUNGEN IM ALLGEMEINEN 161 Vorte Fingerzeige über das einzuschlagende Verfahren ent- alten. Es handelte sich um Nachrichten über eine Gegend m südlichsten, Aden benachbarten Theile Arabiens, wohin och kein Europäer gekommen war. „Ich eröffnete,“ sagt . Maltzan, „ein Informationsbüreau und arbeitete da drei Ionate lang Tag und Nacht; denn viele Araber hatten erst spät m Abend frei. Zuerst war erforderlich, eine Karte in grossem lassstab zu zeichnen, damit ich mich in dem massenhaften eographischen Material, welches mir die Aufschlüsse der ingebornen lieferten, orientiren konnte. Die Aussagen idersprachen einander oft; aber indem ich sie unter ein- nder verglich, wegliess, was als Uebertreibung erschien, und ur auf die vertrauenswürdigsten Berichte, welche mit ein- nder übereinstimmten, mich verliess: gelangte ich zu einer 'ervollständigung der Karte, welche zum einzigen, aber sichern ‘ührer durch dies Labyrinth und Chaos wurde. Was mir och zu thun blieb, war verhältnissmässig leicht. Nach den ‚ussagen der Araber wurden Beschreibungen der in der (arte angegebenen Ortschaften zusammengestellt, welche den opographischen und politischen Angaben zur Erklärung ienen sollten. So konnte ich ungefähr 1000 topographische unkte notiren : Berge, Thäler, Flüsse, Ebenen, Schluchten, Juellen, Brunnen, dazu eine grosse Zahl von Städten, Dörfern, ‘olksstämmen — und jedem kurze Angaben über seine Be- eutung und Natur, über Gebräuche, Religion und Politik er Eingebornen beifügen.“ Wenn man in Folge gründlicher Vertrautheit mit Sprache nd Sitten eines Landes im Stande ist, als Eingeborner verkleidet u reisen, wie z. B. Vambery und Gerhard Rohlfs es thaten, > kann man Alles selber beobachten, und dies ist allerdings as Beste; reist man aber als Europäer, so kommt es, wie [altzan bemerkt, sehr oft vor, dass die Eingebornen aus (isstrauen die Ortschaften links und rechts der Route nicht ennen und der Reisende nur kennen lernt, was unmittelbar ı seinem Wege liegt, und dies ist zu wenig. In solchen ällen wendet man besser die Methode der Erkundigungen 1, womit man, wie wir sahen, ganz überraschende Resul- te erreichen kann. Es gibt Länder, deren Herrscher die Zustände und Ver- iltnisse ihres Gebietes nach Aussen geheim halten wollen. + nd 162 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Da wäre es natürlich unnütz, sich an Beamte zu wenden oder an Offiziere des Gefolges, welche oft weniger die Auf- gabe haben, den Reisenden zu dessen Schutze zu begleiten, als vielmehr die: zu verhindern, dass er zu viel beobachtet. Aber auch in solchen Fällen gibt es Mittel, um doch den Zweck zu erreichen. Zum Beweise hiefür berufe ich mich auf das prächtige Werk von Aim& Humbert über Japan und auf die Fülle von Einzelheiten desselben über Sitten, Ge- bräuche, Szenen im Innern u. s. f. Wie ihm das möglich wurde in einem Lande, wo den Augen der Europäer Alles so sorg- fältig entzogen ist, sagt er uns selber: „Die vielen Zeich- nungen, Skizzen etc., welche man überall findet, ersetzen zum Theil die Aufschlüsse, welche man umsonst erfragen würde.“ Das sind indessen extreme und zum Glück seltene Fälle, und wenn wir von einzuholenden Erkundigungen sprechen, denken wir mehr an allgemeine oder spezielle Aufschlüsse, die nicht wohl anders als auf diesem Wege erlangt werden können, wie Resultate von Zählungen in verschiedenen Zeit- punkten, Ein- und Ausfuhrtabellen, meteorologische und andere Beobachtungen, welche sich über einen längern Zeitraum er- strecken — alles Dinge, zu deren selbständiger Ermittlung der Reisende nicht Zeit und Gelegenheit hat. Wenn solche Dokumente theilweise und ziemlich allgemein schon bekannt wären, so kann es immer noch gut sein, sich zu unter- richten über Werth und Vertrauen, welche sie verdienen, sowie darüber, wozu, durch wen und wie sie gewöhnlich er- stellt werden. Bei amtlichen Dokumenten werden Zweck und Geist der- selben oft als Kriterium dienen können. Es ist offenbar em Unterschied zwischen unparteiischen Erhebungen über die Hülfsquellen eines Staates und andrerseits solchen Zusammen- stellungen, welche der betr. Staat selbst am Vorabend der Aufnahme eines Anleihens in aller Eile veranstaltete. Auch können politische Rücksichten und Selbstüberschätzung dazu führen, dass gewisse Zahlen (wie die für Land- und Seemacht) zu hoch, andere (so diejenigen über die schwebende Staats: schuld) zu niedrig angesetzt werden. Man muss also di« waltende Tendenz kennen, um die Angaben richtig würdigen zu können. Es ist ferner von Werth, die Personen zu kennen | y BEOBACHTUNGEN IM ALLGEMEINEN 163 velchen die Arbeit anvertraut worden ist, um beurtheilen ‚a können, ob sie durchaus genau und gewissenhaft vorge- yangen sind oder sich mit ungefähren Angaben begnügten, ‚b sie ein Interesse hatten oder nicht, gewisse Zahlen grösser ‚der kleiner zu sehen. Endlich wirken die Verhältnisse, unter velchen die Aufnahme erfolgte, auf das Resultat ein. Man (ann von einer unsichern, ungenügenden und fehlerhaften jasis ausgegangen sein, oder gewisse Umstände können das örgebniss zu einem unrichtigen gemacht haben. Wenn z.B. ine Bevölkerung überzeugt ist, die Zählung werde vorge- ıommen zum Zweck eines Massenaufgebotes, einer Aushe- jung oder einer Steuererhöhung, so wird sie den Personal- ınd Vermögensbestand zu verheimlichen suchen. Als die ngländer im Jahre 1872 eine Volkszählung in Indien ver- ınstalteten, verstieg sich das Misstrauen soweit, dass die ‚eute glaubten, man wolle einen Ueberschuss der Bevölkerung nassakriren oder wenigstens in unbewohnte Berggegenden leportiren. Begreiflich waren sie unter solchen Umständen iicht gerade bemüht, sich zahlreich einzustellen. Wo die Steuern nach der Stärke des Viehstandes bemessen werden, larf man sicher annehmen, es werde vor einer Viehzählung »in Theil der Heerden entfernt ; in Ländern mit hohen Zöllen und ladurch veranlasstem starkem Schmuggel werden die amtlichen Jebersichten der Ein- und Ausfuhr nicht den vollen Waaren- rerkehr an den Grenzen angeben können; wo die Auswan- ierung verhindert oder mit dem Tode bestraft werden will, vie in China, findet sie heimlich statt; wo sie aber frei und nkontrolirt ist, kann man sie auch nicht in vollem Umfang mitteln. Selbst an sich exakte Aufnahmen ergeben falsche sultate, wenn sie nicht im ganzen Gebiet, worauf sie sich ‚eziehen, gleichzeitig erfolgen ; denn die Verschiebungen, Wohn- ınd Standortswechsel, welche inzwischen vorkommen, führen ntweder Lücken oder Doppelzählungen herbei. Gegen Angaben, welche von Privaten gesammelt wurden, auss man noch mehr auf der Hut sein. Es ist persönliche jekanntschaft mit dem Autor der Aufnahmen nothwendig, m darüber ein Urtheil zu haben, wieweit es ihm möglich rar, genaue Resultate zu erlangen. Sein Wissen, seine Ge- auigkeit, sein Charakter, die Mittel, worüber er verfügte, ie Methoden und die Instrumente, welche er anwandte, 164 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN alles dies muss in Betracht gezogen werden, um zu ermessen welchen Grad von Vertrauen sein Werk verdient. Was die nicht veröffentlichten Dokumente betrifft, so muss man, um solche zu entdecken, oft andauernde Nachforsch- ungen in allen Richtungen anstellen, ohne sich durch Miss- erfolge entmuthigen zu lassen. Diejenigen, deren Eigenthun sie sind, wissen oft selbst nicht, dass sie solche besitzen und Diejenigen, welche sie in Verwahrung haben, bemühen sich nicht immer darum, dieselben aufzusuchen. Man muss viele Leute fragen, um zu erfahren, wer in einem Lande sich mit bestimmten Untersuchungen beschäftigt oder beschäftigt hat man muss Archive und ihre Aktenfaszikel durchsuchen, un — mit Hülfe günstigen Zufalls — werthvolle Entdeckunger zu machen. Unabhängig von diesen Erkundigungen über schon ge machte Beobachtungen ist es möglich, andere zu veranlassen Punkte betreffend, worüber man sich informiren möchte, die man aber aus Mangel an Zeit oder aus andern Gründer nicht selbst studiren kann. Hat man mehrere Reisegefährten, so kann eine Arbeits- theilung eingeführt werden, so dass ein Jeder eine bestimmte Aufgabe erhält, die speziell er zu lösen hat: der Eine die Topographie, der Andere die Geologie u. s. f. — Ist man allein, so kann man sich in gewissem Grade durch die Ein- gebornen helfen lassen, z. B. was Anlage von Sammlungen betrifft, indem man ihnen genaue aber einfache Anweisungen gibt. So ist wenigstens Hermann v. Schlagintweit-Sakün- lünski dazu gelangt, Pflanzen der verschiedenen Regionen von Hochasien zu sammeln. Gewisse Gegenden von Tibet welche für Europäer unzugänglich waren, wurden bereist vor Eingebornen, die durch den Major Montgomerie eigens zw Lösung dieser Forschungsaufgabe unterrichtet wurden. Ni französische Regierung lässt die Theile von Marocco, wohit Christen nicht dringen können, durch einen Israeliten, der Rabbiner Mardochee, studiren. Es fehlt also nicht an Beii spielen hiefür, wie man sieht; die Erfolge werden zwar zu wünschen lassen aus Mangel an hinreichender Bildung be den mit solchen Missionen betrauten Eingebornen; um u dieser Beziehung soviel als möglich zu leisten, muss mar die intelligentesten Leute auswählen und sie mit durchau 3 BEOBACHTUNGEN IM ALLGEMEINEN 165 klaren Instruktionen versehen. Das Sicherste wäre, zwei oder lrei derselben gleichzeitig oder successive zu senden und die Aussage des Einen zu kontroliren durch die des Andern. Abgesehen von Gegenden, welche für Europäer unzugäng- ich sind und wohin man besondere Forschungsreisende enden muss, gibt es eine Menge von Beobachtungen, die nan sammeln kann, indem man einfach Männer, deren Stel- ung und Beruf sie zu solchen Arbeiten besonders befähigt, ierauf aufmerksam macht. Mancher ist nur noch nicht auf ine bestimmte Idee gekommen, aber einmal darauf gebracht, vidmet er sich gerne der Sache. Handelt es sich z.B. um ine den Schneeregionen eigene Erscheinung, so spreche man larüber mit einem Gemsjäger oder sonst Jemanden, den sein Metier nach jenen Höhen führt. Will man die Schwankungen les Wasserstands eines Sees oder Flusses kennen lernen, so asse man eine Skala (ein Pegel) anbringen und veranlasse inen in der Nähe wohnenden Schiffer, dass er jeden Tag inen Blick auf die Zahl werfe, welche der Wasserspiegel reicht. Bearbeitete Feuersteine und andere prähistorische "unde werden auf Rechnung des Reisenden von Erdarbeitern esammelt werden, wenn man sie hierauf aufmerksam macht: ler Bauinspektor wird konstatiren, unter welchen Verhält- issen diese Objekte gefunden wurden; der Lehrer wird sich nit meteorologischen Beobachtungen befassen und so wird nan, Dank der Vielzahl von Mitarbeitern und wenn auch ier Beitrag eines einzelnen derselben gering sein mag, zu iner beträchtlichen Masse Beobachtungsmaterial gelangen. Alles das entbindet freilich nicht von der Pflicht, selber u beobachten. Die direkte, eigene Beobachtung wird überall, 0 sie überhaupt möglich ist, das Sicherste und Beste sein; ie ist und bleibt die Hauptaufgabe des Reisenden. “Wir aben davon schon gesprochen im ersten Theile dieses Werkes Vorbereitung); es muss aber Einiges speziell anempfohlen rerden. Ich lasse hierüber Männer sprechen, die kompetenter ind als ich. „Die Natur nach jeder Seite und gut sehen, mit einem Vort: immer und jederzeit beobachten — sagt uns Prof. larcou ') — das ist die Rolle des Reisenden.“ 1) Instruetions gönerales aux voyageurs, publides par la Societ6 de geographie > Paris 1875, pag. 58. 166 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN „Wer um den Preis von Strapazen ein Land zu studiren geht — sagt Baron Nau de Champlouis') — muss nicht blos für sich selbst und in Dingen, welche ihn direkt inte- ressiren, Beobachtungen machen, sondern auch für Diejenigen, welche in den ruhigeren, mehr abwägenden Forschungen der Studirstube den Gewinn an Thatsachen zusammenstellen und vergleichen. Hiedurch kann jede einzelne Beobachtung werth- voll werden; nie soll sich daher ein Reisender von Aufzeich- nungen abhalten lassen durch die Befürchtung, nur etwas Unvollständiges zu liefern; nur muss er dabei immer genau bemerken, unter was für Verhältnissen seine Beobachtungen mit Rücksicht auf die Exaktheit derselben angestellt wurden.“ Es sei mir gestattet, noch folgende Punkte zu betonen: 1° Man beobachte den Thatbestand ebenso aufmerksam als gewissenhaft und notire die Wahrnehmungen unverzüg- lich in ein Heft, nach dem Eindruck, den man davon empfing und solange dieser noch frisch ist. Später, bei ruhigerer Ueberlegung, wird man schon erkennen und ausscheiden, was in diesen ersten Eindrücken und Notizen Uebertriebenes ent- halten sein mag. 2° Ist das Objekt der Beobachtung ein komplizirtes, so zerlege man es in Gedanken, man studire es in seinen ver- schiedenen Theilen, in allen seinen Formen, und achte dabei stets auf seine Beziehungen zum Ganzen; dann füge man wieder zusammen, was man vorher auf dem Wege der Abstraktion zerlegte und schaffe sich so ein Gesammtbild. 3° Man forsche immer nach der tieferen Bedeutung, nach einer wahren und wirklichen Erklärung selbst der scheinbar einfachsten und gewöhnlichsten Thatsachen; mit andem Worten, man suche die Ursachen und Wirkungen zu ergründen. 4° Die Thatsachen ihrerseits konstatire man unter sorg- fältiger Vermeidung gewagter Theorien und Erklärungen. Ist uns Etwas unbekannt oder zweifelhaft, so sage man es rund heraus. Man vermeide ja, etwas als sicher und gewiss hinzustellen, was nur eine Annahme, eine persönliche Mei- nung ist. 5° Man versäume und vernachlässige keine Beobachtung; bei der Rückkehr, wenn man die Resultate sammeln, resumiren —- 1) Instructions generales, pag. 37. BEOBACHTUNGEN IM ALLGEMEINEN 167 und generalisiren will, werden vorhandene Lücken fühlbar und man bedauert dann zu spät, eine Beobachtung unter- lassen zu haben, die man leicht hätte machen können. Es ist kaum möglich, zum Voraus in allgemein-gültiger Weise Gang und Reihenfolge der Beobachtungen zu fixiren. Ganz zufällig können sich vorzügliche Arlässe zu Beobach- tungen darbieten. Wollte man sie unbenützt lassen, weil sie nicht in das Programm passen und daher ungelegen kommen, so wäre das ein grosser Fehler. Andrerseits soll man auch nicht auf’s Gerathewohl auf Beobachtungen aus- gehen. Man muss einen Plan aufstellen, der es möglich macht, viel zu sehen; man muss aber auch gelegentlich davon abzugehen wissen, muss Aug’ und Ohr immer offen halten für Alles, was sich zufällig und ausnahmsweise dar- bieten könnte. | „Unterwegs denke ich, mich zu unterhalten — sagt uns Baron von Hübner in der Vorrede zu seinem schönen Werke „Spaziergang um die Welt“ — d.h. die merkwürdigen und für mich neuen Dinge zu sehen, und jeden Abend schreibe ich in mein Notizheft, was ich am Tage gesehen habe und was man mir sagte.“ Wie oben bemerkt wurde, ist es zu empfehlen, dass man nicht einmal den Abend abwarte, um seine Notizen und Er- innerungen aufzuzeichnen. Inzwischen könnten sich ja Hinder- nisse einstellen, und häufig wird man nach einem anstrengenden Reisetag nicht dazu aufgelegt sein, das Tagebuch nachzu- führen; man würde es dann neuerdings verschieben, diesmal auf den folgenden Tag. Besser man mache nur kurze Notizen, aber diese möglichst bald. Mit vollem Recht sagt Dr. P. Güssfeldt '): „Drei Regeln, dünkt uns, sollten mit goldenen Lettern jedem Tagebuch vorgedruckt sein: Ein Reisender hat kein Gedächtniss’”). Nichts ist so gering, dass es nicht werth wäre, notirt zu werden. 1) Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 1878, Nr. 10, S. 9. { 2) „Trust no memory‘, ruft Ch. Darwin. Vor der Unverlässlichkeit des Gedächt- nisses kann in der That kaum zu sehr gewarnt werden. Viele sind, welche mit C. v. Sonklar (Kettler, Zeitschrift für wissenschaftliche Geographie 1880, S. 215) sprechen: Ich selbst habe die Wahrheit dieser Bemerkung oft erprobt. 168 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Alle Notizen, die im Laufe des Tages genommen sind, müssen am Abend durchgelesen und erweitert werden.“ i So riskirt man nicht, dass man, wenn man tagüber Vieles hörte und sah, die Dinge mit einander verwechselt oder sie zum Theil vergisst; zudem wird man auf diese Art den Geist frei und frisch erhalten für Alles, was neu auftaucht und man wird Abends, wo man Schlaf und Ruhe nöthig hat, nicht durch Gedanken an eine noch- unerledigte Arbeit be- lästigt werden. Zu empfehlen ist es aber, dass man Abends die am Tage gemachten Notizen überlese, um bei noch frischer Erinne- rung allfällige Lücken auszufüllen und unleserliche oder un- genaue Angaben zu korrigiren. Später, in Zeiten unfrei- williger Unthätigkeit, kann man in Musse diese kurzen Notizen weiter ausführen und zu einem Reisetagebuch ent- wickeln. Wir unterscheiden also zwischen 1° den laufenden Notizen einerseits, 2° dem eigentlichen Reisejournal andrerseits. Für jene Notizen genügt ein kleines Taschenbuch mit einem Bleistift, das man im Knopfloch hängen hat, damit es immer zur Hand ist. Bei etwelcher Uebung kann man sogar im Reiten oder Fahren Notizen machen. Nur muss man nicht zu enge ineinander schreiben, sondern Zwischen- raum oder einen freien Rand lassen, um ein Wort oder einen Satz, den man vergessen hat, in leserlicher Weise nachträg- lich anbringen zu können. Für das Reisejournal oder die vervollständigte und de- taillirte Reinschrift der Notizen soll man soviel als möglich die Feder anwenden. In Ermanglung von Tinte oder eines Surrogates derselben bedient man sich hiebei eines harten Bleistiftes, damit die Schriftzüge nicht verwischt und aus- gelöscht werden. Einige Reisende empfehlen den Gebrauch loser numerirter Blätter, statt eines Heftes oder gebundenen Buches. Diese Blätter, sagen sie, bieten den Vortheil, dass man dabei weniger riskirt, sein ganzes Tagebuch zu ver- lieren, und den Verlust einzelner fliegender Blätter kann man eher wieder gut machen, indem man die betreffenden Par- tien neu redigirt an der Hand des Heftes mit den laufenden BEOBACHTUNGEN IM ALLGEMEINEN 169 Notizen, welches man für alle Fälle aufbewahrt.) Wenn man an die grosse Widerwärtigkeit denkt, das Reisetagebuch, die Frucht langer und mühsamer Arbeit, zu verlieren, so wird man die Vorsichtsmassregel nicht überflüssig finden, dass man immer einen Theil des Journals oder einen Doppel desselben an einen sichern Ort in Verwahrung gibt. Man wird daher bei sich darbietender Gelegenheit die schon redigirten Blätter einem Konsulat übergeben. Am Besten wäre es, das Journal mit Kopirtinte zu schreiben (die gewöhnliche Tinte bedarf nur eines Zusatzes von ge- pulvertem Gummi arabicum oder gestampftem Zucker) und Blatt für Blatt auf befeuchtetem Papier zu reproduziren, auf welches man die beschriebene Seite legt, während man mit der Hand über die Rückseite fährt. Man erhielte so ein Duplikat, welches nach Europa gesandt werden könnte, während das Original bis zum Zeitpunkt der Rückreise an einem sichereren Orte deponirt würde. Welches Verfahren man aber auch in dieser Beziehung einschlage, jedenfalls soll das Reisejournal in sorgfältiger Ordnung, in klarer und übersichtlicher Weise geführt werden, sowohl damit man sich selbst darin leicht zurecht finde, als auch damit die Angaben desselben von Andern verwerthet werden können, wenn man selber nicht dazu gelangen würde, sie zu publiziren. — Ein alphabetisches Inhaltsverzeichniss, das stets auf dem Laufenden zu erhalten ist, erleichtert das Nachsuchen und erspart Wiederholungen, die sonst selten ausbleiben; ebenso erleichtert es die Gruppirung des Stoffes, welche später nöthig wird, wenn man einen allgemeinen Bericht oder Abriss der Reiseergebnisse verfassen will. Wir bemerken hier, dass ein Reisejournal, d. h. ein Bericht über die täg- lichen Erlebnisse, über das, was man sah und hörte,- zwar von grossem Nutzen für den Reisenden selbst ist, dass aber die interessantesten Beschreibungen und Erzählungen, in dieser Form dargeboten, ungeniessbar würden und die Leser- welt daran wenig Geschmack findet. Daher hat man nach der Rückkehr die gesammelten Materialien neu zu ordnen, 1) Bedient man sich aber eines Heftes oder Buches, so ist für manche Fälle die kaufmännische Methode zu empfehlen, wonach man in der Buchhaltung dem einzelnen bestimmten Gegenstande je eine ganze Seite widmet und auf jeder solchen Seite Hinweisungsziffern anbringt in Betreff der andern Pagina, welche für den gleichen Zweck bestimmt sind. 170 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN um daraus ein Ganzes zu gestalten. (Vergl. Anmerkung S. 169). Aber vor der Rückreise darf man nicht unterlassen, die Notizen zu durchgehen und sie bis in die kleinsten Einzelheiten zu vervollständigen. Diese Arbeit darf nicht auf eine spätere Zeit verschoben werden; denn ist man wieder zurückgekehrt in die Heimat und ihr Medium, in das zivilisirte Leben, so erblassen die Eindrücke dessen, was man erlebt, bald erscheint Alles, was man gesehen und erfahren hat, nur wie ein Traum; die Einzelheiten des Bildes verflüchtigen sich, wenn man sie auch festhalten will. DAS LAND. LAGE. Zum Ersten, womit sich im Allgemeinen ein Reisender befassen muss, gehört es, dass er die geographische Lage des Ortes, der Gegend oder des Landes, welches er besucht und das er beschreiben will, kennen lernt und angibt. Ich sage, „im Allgemeinen“; denn es gibt Lokalitäten und Gegenden, deren geographische Lage als Jedermann bekannt anzusehen ist, so dass es naiv erscheinen würde, wenn man dieselbe angeben wollte. Solche Fälle ausgenommen, ist es aber immer gut, die geographische Lage, um die es sich handelt, zu bezeichnen. Diese Bezeichnung kann relativ oder absolut sein. Relativ ist sie, wenn sie sich auf andere Orte bezieht, z. B.: Villafranca, am Golf von Genua, 2Km östlich von Nizza; Retimo, auf der Insel Kreta, 70 Km südwestlich von Kandia; der Canigou, ein Hauptgipfel der Ostpyrenäen, in der Landschaft Roussillon; die Insel Oesel in der Ostsee, am Eingang des rigaischen Meerbusens; Copiapo, im nörd- lichen Chile, am gleichnamigen Flusse, 8 Km ostwärts von dessen Mündung. Diese Bezeichnungsweise ist, wie man sieht, höchst einfach; sie besteht lediglich darin, dass man angibt, bei welcher Stadt, bei welchem Berg, Fluss, Golf etc. der in Rede stehende Ort sich befindet oder in welchem Erd- theil und in welcher Gegend das fragliche geographische Objekt liegt. Die absolute oder mathematische Position eines Ortes ist dessen Lage auf der Oberfläche der Erdkugel in Bezug auf das Gradnetz (Parallelkreise und Meridiane, bezw. Aequator und 172 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Nullmeridian), bezeichnet durch die Angabe der geographichen Breite und Länge, man kann noch die absolute Höhe hin- zufügen; diese drei Angaben zusammen (oder auch nur die erstern zwei) heissen die geographischen Koordinaten des Ortes. Z. B. Quito, die Hauptstadt der südamerikanischen Republik Ecuador, liest unter 0° 14’0” südl. Br., 81° 5 30” westl. Lg.. von Paris und 2908 m ü. M.; Teheran, die Hauptstadt von Persien, unter 35° 40’ 44” n. Br., 49° 7’ 15’ ö. Lg. von Paris und 1229 m ü. M. Handelt es sich um einen wichtigen Ort, dessen geogra- phische Lage noch ungenügend bekannt ist, so muss diese ermittelt werden durch astronomische Beobachtung und ge- naue Messung, wie das im ersten Abschnitt (Vorbereitung) auseinandergesetzt wurde hinsichtlich der Breiten und Längen (pag. 79 ff.) wie in Bezug auf die Höhenbestimmung (pag. 49 ff.). Zu diesem Zwecke wählt man einen jederzeit leicht auf- zufindenden fixen Punkt, wie einen Kirchthurm, Leuchtthurm u. dgl. Der Angabe füge man bei, ob es sich um nörd- liche oder südliche Breite (n. Br. oder s. Br.) handelt, d.h. ob die Zahl der Grade (®), Bogenminuten (”) und Bogen- sekunden (’”) vom Aequator aus gegen den nördlichen oder südlichen Pol hin zu zählen sei; auf welchen Anfangsmeridian sich die Länge beziehe, ob auf den von Paris, von Green- wich oder einen andern, und ob die Länge östlich oder westlich (ö. Lg., w. Lg.) sei. Was die Höhe betrifft, so muss gesagt werden, ob sie für den Boden oder für den höchsten Punkt des Gebäudes gilt und im letzteren Fall, wie hoch dieser Punkt über dem Boden sich befindet. Für weniger wichtige Oertlichkeiten genügt eine relative Bezeichnung der Lage, so zwar, dass man sich hiebei auf Punkte bezieht, deren Position festgestellt ist. Man hat dann die Richtung der geraden Linie vom Ausgangspunkt nach der fraglichen Lokalität anzugeben. ‚Die geographische Lage einer Gegend wird bestimmt 1° relativ, durch Angabe der Position von Bergen, Flüssen, Meeren und Grenzgebieten im Norden und Süden, Osten und Westen derselben ; ; 2° absolut, durch Angabe der Parallel- oder Breitenkreise und der Meridiane oder Längenkreise, zwischen welchen sie liegt. y GRENZEN UND GRÖSSE Im -] [S%) GRENZEN UND GRÖSSE. Von der Gegend, ‘die man als Beobachtungsgebiet erwählt hat, wird man nach der geographischen Lage zunächst Grenzen und Grösse angeben. Die Grenzen sind theils natürliche, theils künstliche. Natür- liche oder physische Grenzen sind diejenigen, welche gebildet werden durch Berge und Gewässer, künstliche Grenzen solche, welche durch blos gedachte Linien zwischen zwei Punkten bezeichnet resp. vereinbart werden. Die politischen Grenzen können auf kürzern oder längern Strecken natürliche sein; sehr selten sind sie es in ihrem ganzen Verlauf, es sei denn, dass eine einzelne Insel einen Staat für sich bilde. Zumeist sind die Grenzen grossentheils künstliche. Die nordameri- kanischen Unionsstaaten haben als solche häufig Meridiane und Parallelkreise benutzt, wie ein Blick auf die Karte der- selben sofort zeigt. Der Reisende wird, je nach seinem Zweck, die eine oder andere Grenzbezeichnung anwenden, um das Gebiet zu um- schreiben, auf welches sich seine Beobachtungen erstrecken. Schildert er eine Insel, ein Delta, Thal u. s. f., so machen sich von selbst die natürlichen Grenzen geltend ; beschreibt er aber ein Land, eine Provinz oder einen Kanton, so muss er die künstlichen politischen oder administrativen Grenzen berücksichtigen. Meistens genügt die Betrachtung der Karte, — wenn diese gut ist — um die natürlichen wie die künst- lichen Grenzen zu erkennen, und man braucht sie blos auf- zuführen. Wenn aber eine Karte fehlt oder zu Zweifeln an ihrer Richtigkeit Anlass gibt, so muss man anders verfahren. Die natürlichen Grenzen kann man, da sie augenfällige Dinge sind, bei der Besichtigung des Terrains kennen lernen und topographisch aufnehmen; die künstlichen Grenzen aber fallen — abgesehen von den Punkten, wo Marksteine angebracht sind — nicht so in's Auge und man muss sie desshalb durch Erkundigungen kennen lernen. In der Regel beruhen solche Grenzen auf einem Vertrage zwischen zwei Staaten. In diesen Fällen wird man die genaue Grenzbestimmung aus den amt- lichen Akten entnehmen können. Eine solche Grenze zieht sich anchmal zwischen bestimmten Punkten in gerader Richtung hin, manchmal aber verläuft sie zwischen diesen Punkten 174 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN krummlinig, hin- und hergebogen. So war vor dem Kriege von 1879 —81 die Grenze zwischen Chile und Bolivia eine gerade Linie, welche mit dem Parallelkreis von 24° s. Br. zusammen- fiel; die südöstliche Grenze der zentralamerikanischen Republik Costarica ist eine gerade Linie, welche vom Cap Burica am Grossen Ozean (Golfo Dulce) aus quer durch das Land in der Richtung nach der Insel Escudo de Veragua im Antillenmeer sich hinzieht; im Gegensatz hiezu sind z. B. die Grenzen der Schweiz sehr wunderlich gestaltet. Man muss also nicht allein in Erfahrung bringen, welches die Hauptgrenzpunkte seien, sondern auch, welchen Verlauf die Grenzlinie zwischen denselben nehme. Die politischen Grenzen können zudem wechseln. Man muss sich also auch darüber informiren, ob etwa seit dem Abschluss des Hauptvertrages Zusatzartikel oder eine partiale Revision des Vertrages vereinbart worden seien. Nicht selten, namentlich in noch unzivilisirten Ländern, kommt es vor, dass die Grenzen lediglich auf mündlichem oder stillschweigendem Uebereinkommen beruhen und dass keine Aktenstücke vorhanden sind, die man hierüber zu Rathe ziehen könnte. Auch sind die Grenzen dann oft unbestimmte und willkürlich angenommene, folglich zweifelhaft und streitig, wie z.B. die Grenzen zwischen China und Japan, die zwischen Egypten einerseits, Tripolis und Abyssinien andererseits, die Südgrenze von Algerien u. s. w. In solchen Fällen werden natürlich die Angaben verschieden ausfallen, je nachdem man sie von der einen oder andern inte- ressirten Partei erhält. Will man sich also nicht der Gefahr aussetzen, zu Irrthümern und ungenauen Angaben verleitet zu werden, so muss man Erkundigungen an verschiedenen Quellen einholen und die divergirenden Meinungen erwähnen, welche über die Grenzen der uns beschäftigenden Territorien be- stehen. | Ist einmal das Beobachtungsgebiet genau umschrieben, so erübrigt zunächst die Kenntnissnahme und Angabe seiner Ausdehnung oder Grösse, wenigstens in annähernder Weise, Die Grösse eines Thales, einer Insel, eines Landes wird bezeichnet durch Angabe entweder seiner maximalen und mittlern Dimensionen nach Länge und Breite oder seines Flächeninhalts (Areals). EINTHEILUNG DES LANDES 175 Hat man eine Karte der Gegend oder ein Croquis, welches nach den Aufschlüssen über die Grenzen erstellt wurde, so sind damit die Umrisse, die Form des Ganzen gegeben, und es sind daraus die Dimensionen und der Flächeninhalt zu entnehmen. Wenn man sich hierüber Angaben verschaffen kann, die auf neuern geodätischen Arbeiten und Katastervermessungen beruhen, so wird man es nicht unterlassen, dabei indess sorg- fältig die Quelle bezeichnen, aus der man schöpfte. Sind aber solche Angaben nicht erhältlich, so wird man das Areal des Territoriums aus der Karte oder dem Croquis in der Weise ableiten, wie dies in Betreff der Flächenberechnung oben (pag. 64 bis 71) gezeigt wurde. Sehr bequem erweisen sich hiebei die Planimeter, von welchen Instrumenten nament- lich. der Polarplanimeter des Professor Amsler in Schaffhausen zu empfehlen ist. (Vgl. S. 71, Anmerkung.) Da man immer bestrebt sein muss, vollständigere und genauere Angaben als die schon vorhandenen zu liefern, so darf man nie unterlassen, die Berichte der Vorgänger zu verifiziren und nöthigenfalls zu korrigiren. EINTHEILUNG DES LANDES. Es gibt, wie natürliche und künstliche Grenzen, so auch natürliche (physische) und künstliche (politische oder admini- strative) Eintheilungen eines Landes. Man kann unterscheiden: orographisch und hypsometrisch — ebene, Hügel- und Berg- regionen ; hydrographisch — Flussgebiete; geographisch — nördliche und südliche, östliche, westliche und zentrale Gebiete; nach Beschaffenheit und Kultur des Bodens — Sandebenen, Haiden, Sümpfe und Torfmoore, Steppen, Wiesen-, Acker- und Rebgelände, Wälder, Gebirge, Gletscher u. s. w. Und das Land kann eingetheilt sein: politisch — in Staaten, Provinzen, Herzogthümer, Graf- schaften, Departemente, Kantone und Gemeinden ; administrativ — in Bezirke und Kreise, Diözesen und Kirch- spiele etc. 176 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Die Art der Eintheilung, welche man wählt, richtet sich nach den Gesichtspunkten und der Auffassung des Ganzen. Jenachdem wird man das Gebiet gliedern und ordnen, Lage und Naturcharakter oder aber politische und administrative Eintheilung hervorheben, welche sehr oft ausserhalb des be- treffenden Landes ziemlich unbekannt sind. KONFIGURATION DES LANDES. TOPOGRAPHIE. Unter der Konfiguration eines Landes verstehen wir dessen Gestaltung in Bezug sowohl auf seine Grenzen (Kontouren) als auch auf sein Bodenrelief. Man bezeichnet das Eine als horizontale, das Andere als vertikale Konfiguration. Es handelt sich dabei also sowohl um Linien (Küsten und Grenzen, Richtung von Bergketten und Flüssen etc.), als auch um plastische Formen (Ebenen, Bassins, Gebirge, Tafel- länder, Thäler etc.) Das Bild, das hiemit in grossen Zügen gegeben ist, wird dann vervollständigt durch kleinere, aber immerhin charakte- ristische Elemente wie Schluchten, Hügel, Bäche u. s. w., endlich durch die Linien, welche die Hand des Menschen in der Landschaft zog (Strassen, Eisenbahnen, Kanäle) und durch die Bauwerke, welche er in sie hineinstellt. Das Studium der Konfiguration oder Gliederung eines Landes ist unbedingt nothwendig als Basis für alle andern Beobachtungen; es ist auch unerlässlich, wenn man eine richtige Vorstellung von dem bereisten Lande gewinnen und geben will. Rekognoszirungen. Um sich ein Bild von der Kon- figuration eines Landes zu verschaffen, muss man dasselbe in allen Richtungen bereisen und möglichst viele Höhenpunkte aufsuchen (Kirchthürme, Leuchtthürme, Hügel, Berge), von wo das Auge einen grossen Theil des Gebietes übersieht. Aus dem Chaos von Linien und Formen, welches da vor unseren Augen liegt und welches beim ersten Anblick un- entwirrbar scheinen kann, werden wir bald gewisse Haupt- züge herausfinden. Eine Uferlinie oder eine Bergkette begrenzen KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 177 das Beobachtungsfeld. Wasseradern und grosse Faltungen des Bodens zerlegen es in Unterabtheilungen. Man geht von den grossen Massen zu den Einzelheiten über und erhält so ein Netz, dessen Maschen immer dichter werden und in welches auch isolirte und geringfügige Objekte sich einbeziehen lassen. So gelangt man dazu, das Ganze zu umfassen und sich zurecht- zufinden in dem, was anfänglich ein Labyrinth schien. Man muss durchaus auf Berggipfel steigen, wenn man die grossen Züge der Bodengestalt eines Landes, gewisser- massen das Gerippe oder Gebälke desselben, richtig erkennen will. Von Punkten der Ebene aus überblickt man immer nur zu beschränkte Gebiete; man sieht wohl die Kontouren einer Bergkette, aber man gewinnt keine Vorstellung von ihrem Streichen und ihrer Verzweigung. Befinden wir uns aber auf dem Gipfel eines Berges, so liegt die weite Gegend ausgebreitet vor unsern Augen; die Details verschwinden, und die grossen Züge treten hervor. Je mehr man sich erhebt, um so mehr gleicht das Land zu unsern Füssen einer topographischen Karte; auf diese Weise also, durch Berg- besteigungen, erhält man eine Vorstellung von einem Lande, welche als getreues Bild desselben gelten kann. Prüfung und Berichtigung vorhandener Karten. Wir nehmen an, der Reisende habe sich von der Gegend, die er besucht, die besten Karten verschafft, namentlich die /detaillirtesten. Man findet fast für jedes Land General- oder /Spezialkarten, welche mehr oder minder dem Zwecke des Reisenden entsprechen. Das Erste, was man nun zu thun at, ist, dass man die Karte an Ort und Stelle auf ihre enauigkeit prüft und sie nöthigenfalls') berichtigt oder nn 1) Wir stimmen vollständig überein mit C. v. Sonklar,! wenn dieser (a. a. O. »ag. 215) sagt, dass die „Rektifikation bestehender Karten“ nur jene Kartenwerke zum Gegenstande hat, welche nicht auf dem Wege regelmässiger Landesaufnahmen, ondern nur durch die Compilation dürftiger graphischer Materialien, schwankender tinerarien, von Reiseberichten und dgl. zu Stande gekommen sind, wie es z. B. elbst in Europa mit den Karten von grossen Theilen der türkisch-griechischen Talbinsel noch heutzutage der Fall ist; dass jedoch, was die Karten von Gebieten vie derjenigen Europas (ausser dem genannten Theil) anbetrifft, die Reisenden zu iniger Behutsamkeit aufgefordert werden dürften vor der Lust, die bestehenden, ‚on erfahrenen Fachmännern in Jahre langer Arbeit aufgenommenen und gezeich- eten Karten „zu schulmeistern.“ Indessen weist auch Sonklar an anderer Stelle Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen in den Alpen S. 3) darauf hin, ass z. B. mitunter in einer Karte die Verbindung zweier Gebirgsketten unrichtig argestellt sei. „Dies wird z. B. dann der Fall sein, wenn die Karte als den ‚notenpunkt zweier Ketten nicht den wahren, sondern einen andern nahestehenden ipfel angibt; hier wird die entsprechende Bemerkung am Platze sein.“ Dass die 12 178 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN ergänzt. Während der Reise ziehe man die Karte häufig zu Rathe und mache man keine Exkursionen ohne sie. Vor jeder Exkursion fertige man nach den vorhandenen Karten ein Croquis in grossem Massstabe an über die Gegend, die man dabei erforschen will. Je grösser man den Massstab wählt, desto mehr treten die Ungenauigkeiten der Karte hervor und desto grössern Werth haben die Berichtigungen, welche man — wenn auch nur de visu anbringt, für eine Korrektur der Originalkarte..e. Man kann in dem Croquis die Linien nur schwach bezeichnen und sie dann stärker ausziehen, nachdem man sie als richtig erkannt hat, indem man die- jenigen auswischt, welche korrigirt resp. durch andere ersetzt werden müssen; auf diese Weise bringt man von jeder Ex- kursion eine klare und getreue Skizze der durchwanderten Gegend zurück. An Aussichtspunkten angelangt, von wo man einen weiten Landstrich überblickt, wird man, falls das nicht bereits geschah, den Massstab der Karte wohl in’s Auge fassen, um sich eine richtige Vorstellung zu verschaffen von dem Grössenverhältniss zwischen der Gegend, die vor unsern Augen liegt, und ihrer Darstellung in der Karte. Wenn der Massstab nicht Kilo- meter, sondern Stunden, Meilen, Werste etc. angibt, so ver- wandle man diese in Kilometer, wozu die Reduktionstafeln (IX, d) im Anhang dieses Buches dienen. Ist die Verjüngung (Reduktion) in Bruchform angegeben, so muss man nur den Nenner dieses Bruches durch 1000 dividiren, um eine Zahl zu erhalten, welche die Länge auf dem Terrain bezeichnet, die auf dem Papier durch 1 mm dargestellt ist. Die eng- lischen Karten des Survey Office z.B. sind in 1/s3360 gezeichnet, so dass ein englischer Zoll eine englische Meile repräsentirt (one-inch-map, Einzoll-Karte); hier ist nun 1mm auf dem Papier gleich 63360 : 1000 — 63,360 m auf dem Terrain. Ist gar kein Massstab angegeben, so misst man die wirkliche Distanz zwischen zwei in der Karte bezeichneten Punkten. Die Entfernung dieser Punkte auf dem Papier sei 20 mm, Prüfung der Karte auf ihre Vollständigkeit zu sehr wünschenswerthen Ergänzungen namentlich hinsichtlich der Höhenverhältnisse (Sattelhöhen) führen kann, wird ebendaselbst bemerkt (S. 3); aber auch im ebenen Lande bietet sich nicht selten Gelegenheit zu Ergänzungen von Karten, die oft viele Jahrzehnte nicht fortgeführt - wurden und so manches Neue (Verkehrswege, Aenderungen in Wasserläufen u. dgl.) noch nicht enthalten. Vgl. Jordan, a. a. O. I. S. 696. KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 179 die wirkliche Distanz derselben auf dem Terrain 815 m, so stellen also 20 mm der Zeichnung eine wirkliche Grösse von 815 m vor, 1 mm also 40,75 m. Ist die Aequidistanz der Niveaukurven nicht bekannt, so zählt man die Kurven oder Schraffenreihen zwischen zwei Punkten mit beigefügten Coten (Höhenzahlen); man rundet die Coten ab, bestimmt hierauf die Differenz dieser beiden Höhenzahlen und theilt dieselbe durch die Anzahl jener Kurven oder Schraffenlagen. Es seien z. B. zwei Punkte bezeichnet durch die CGoten 758 m und 1218 m und dazwischen finde man 9 Horizontalkurven oder Schraffenreihen. Da man weiss, dass den Niveaulinien immer eine runde Höhenzahl zukommt, so ersetzt man 758 durch 760, 1218 durch 1210; die Differenz 1210 — 760 =450, getheilt durch 9, gibt eine Aequidistanz von 50 m. Auf diese Weise findet man z. B. für die Schweizerkarte in !/ı00000 (Dufour-Karte), dass eine Schraffenlage im Hochgebirge 40 m, eine solche im Hügellande 25 m Aequidistanz bezeichnet. Man beachte auch die Legende der Karte wohl, damit man weiss, was gewisse Zeichen, Ziffern und Abkürzungen bedeuten, insbesondere aber, ob die Höhenangaben auf den Meeresspiegel bezogen sind oder auf einen andern See und ob sie in Metern ausgedrückt sind oder in andern Einheiten, die man nöthigen- falls umrechnet. Dasselbe gilt von den Zahlen für die Tiefen der Seen u. s. w. — Alles das erfordert weniger Zeit in Wirklichkeit, als für diese Auseinandersetzung nöthig war. Nach diesen Vorbereitungen orientirt man sich, wie das oben S. 22 auseinandergesetzt wurde; dann visirt man nach allen markanten Punkten, um sich zu überzeugen, dass sie sich in der Richtung befinden, welche die Karte für sie angibt. Zu diesem Zwecke bedient man sich eines Kom- passes mit Dioptern zur Aufnahme der verschiedenen Winkel, unter welchen man die Objekte gegeneinander oder in Bezug auf den Meridian erblickt. Diese Winkelbestimmung bezeichnet man als das Peilen der betreffenden Punkte. Mit dem Trans- porteur prüft man nachher, ob man auf der Karte oder den Croquis für dieselben Gegenstände die nämlichen Winkel erhält. In Ermanglung eines Kompasses breitet man die Karte oder das Croquis flach aus, bezeichnet mit einer Nadel den Punkt auf dem Papier, welcher dem Orte der Beobachtung entspricht, und mit einer zweiten Nadel einen zweiten Punkt, woselbst 180 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN sich das Bild eines Objektes befindet, welches man in der Ferne gewahrt, eines Bergegipfels, Thurmes u. dgl. Dann dreht man die Karte so, dass dieser Gegenstand in die Richtung der beiden Nadeln kommt und fixirt sie nun in dieser Lage derart, dass keine Verschiebung stattfinden kann. Hierauf bringt man in den verschiedenen Punkten, deren Lage man verifiziren will, Nadeln an und visirt über sie nach den entsprechenden Punkten. Auf diese Art bemerkt man, ob sie sich in der durch die Nadeln bezeichneten Visir- linie befinden oder nicht. Wenn die Karte genau ist, so muss man jede im Bilde enthaltene Lokalität auf dem Terrain in der Richtung erblicken, welche angegeben wird durch die Nadel, welche den Stationsort und diejenige, welche die dargestellte Lokalität bezeichnet. Trifft dies nun nicht zu, so korrigirt man die Karte, indem man die zweite Nadel so weit nach links oder rechts verschiebt, bis sie beim Vi- siren mit dem fraglichen Objekte koinzidirt. Diese korrigirte Richtung ist so- dann in der Karte vorzu- merken. Man wendet auch ein mit Dioptern oder Fern- rohr versehenes Lineal (Fig. 87) an. Dasselbe wird so placirt, dass seine innere Kante » m durch die beiden Punkte der Karte geht, deren Lage zu einander man prüfen will. Diese Operation wiederholt man nun von andern Stations- punkten aus und man erhält so für einen und denselben Punkt 3—4 Alignements; wo diese Linien sich schneiden, ist die richtige Position des Kartenzeichens für den betreffenden Terrainpunkt, vorausgesetzt, dass man die Stationsorte in der Karte exakt bestimmt habe. Wären diese Stationspunkte falsch angegeben, so würde man dies bald daran wahrnehmen, dass die Visirlinien nach Objekten, deren Lage schon von andern Punkten aus verifizirt wurde, nicht durch die Schnitt- punkte gehen, in welchen die von jenen Punkten aus nach den fraglichen Objekten gezogenen Linien zusammentreffen. In einem solchen Fall müsste man vorerst die Position des neuen Stationspunktes richtig bestimmen, entweder durch KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 181 Abschätzen seiner Entfernung von einigen der früheren Stationen oder durch Messung der Winkel, welche er mit solchen bildet. Mit Bezug auf die so in ziemlicher Anzahl festgestellten Fixpunkte untersucht man nun auch Lage und Richtung von Flüssen, Strassen ete., dabei wird man sich entweder von der Korrektheit der Karte überzeugen, deren Werth bei dieser Kontrole nur gewinnen kann, oder man wird sie in wesentlichen Punkten korrigiren und eine bessere Bearbeitung derselben liefern können. Topographische Aufnahmen. Wenn über eine Gegend keine detaillirten Karten vorhanden sind oder wenn Zweifel bestehen an der Verlässlichkeit der von früheren Reisenden gelieferten Karten, so schreitet man selber zu topographischen Aufnahmen. Es bieten sich hiebei zwei Fälle dar: 1° Entweder beschränkt man sich darauf, das Land in gewissen Richtungen zu durchwandern, ohne sich hievon weit nach links oder rechts zu entfernen; mit anderen Worten man nimmt einfach die Marschroute, das Itinerar auf; 2° oder man stationirt in einigen Punkten, von wo aus man Exkursionen nach allen Richtungen macht und nimmt die so erforschten Gegenden auf. Aufnahme der Marschroute (Wegekarten, Itinerare !). Als Ausgangspunkt wählt man einen Ort, dessen geographische Lage man genau kennt, sei es aus schon vorhandenen Karten oder auf Grund eigener Bestimmung seiner Breite, Länge und, soweit möglich, auch seiner Höhe. Die Wahl eines solchen Ausgangspunktes ist unerlässlich, wenn das Itinerar, welches zu publiziren ist, sich an schon bestehende Karten anschliessen und dieselben ergänzen oder berichtigen soll. Bei der Aufnahme selber wendet man die auf S. 58, Ziff. 2, besprochene Methode an. Die Richtung des Weges, beziehungsweise der Begehungslinie eines Umfangspolygons, /bestimmt man mit dem Kompass°), die Entfernungen durch j 182 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Angabe der Zeit, die man brauchte, um sie zurückzulegen, wobei je die Zeitpunkte der Abreise und der Ankunft, nicht blos die dazwischen liegende Zeit vorzumerken ist, da sich sonst leicht Irrthümer einschleichen könnten, namentlich m Bezug auf den Moment der Abreise an einem Orte. Diese Zeitnotirung soll nicht nur an den beiden Endpunkten eines Marsches vorgenommen werden, sondern bei jedem einiger- massen bedeutenden Punkte des zurückgelegten Weges, ins- besondere bei Ortschaften, an Gewässern und bei Richtungs- änderungen der Route. Bei jedem solchen Richtungswechsel ist der Winkel auf- zunehmen, welche die eben zurückgelegte Wegstrecke mit der vor uns liegenden, beziehungsweise mit dem (magnetischen) Meridian bildet; ebenso misst man (vgl. page. 54) oder schätzt man wenigstens das Gefälle des Weges und des Terrains zu beiden Seiten und entwirft nach dem Augenmasse eine bildliche Darstellung dieser Bodenverhältnisse. Ausser dem auf die einzelnen Strecken verwendeten Zeit- bedarfe muss man auch die Verumständungen vormerken, welche auf die Geschwindigkeit der Reise einwirken, die beschleunigenden oder verzögernden Faktoren, welche bei der Distanzberechnung in Würdigung zu ziehen sind. Die Richtung fliessender Gewässer, längs welcher oder über welche der Weg hinführt, ist durch einen Pfeil anzu- geben, dessen Spitze mit der Richtung des Wasserlaufes übereinstimmend gezeichnet wird. Jedes bemerkenswerthe Objekt, welches man vom Wege aus nach links oder rechts gewahrt, soll aufgenommen werden und zwar soviel möglich immer von zwei oder drei verschiedenen Punkten aus. Namentlich gilt das von den Ortschaften durch die hindurch oder an welchen vorbei der Weg führt. Durch eine solche von verschiedenen Punkten aus wiederholte Auf | nahme erhält man genaue Positionen und kann man die einfache Wegaufnahme kontroliren. Hat man ferne Objekte von verschiedenen Stellen des Weges aus gepeilt, so zieht man nach erfolgter Zeichnung der Marschroute die Peilstrahlen man als Gehstab mit. Sobald man eine Richtung peilen will, stösst man den Stock ‚ in die Erde fest, setzt die Boussole auf und kann dann mit Leichtigkeit jede Richtung auf etwa 10 genau peilen. — Jordan, a. a. O. I. Bd. S., 697. — Ueber die Verwendung von Höhenwinkeln zur Distanzbestimmung vgl. daselbst S. 706. KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 183 für jenes Objekt und erhält nun die Situation desselben aus den mehr oder minder zusammenschliessenden Schnitten der Peilstrahlen. Entfernungen scharf begrenzter Objekte kann man durch Triangulirung auf kleiner Basis rasch bestimmen. Kennt man die Namen der Objekte (Dörfer, Berge etc.) nicht, welche man sieht, so bezeichnet man sie inzwischen durch Buchstaben, wobei selbstverständlich darauf zu achten ist, dass ein und derselbe, von verschiedenen Punkten aus gesehene Gegenstand immer denselben Buchstaben erhalte, z. B. Thurm a, Berggipfel d, Vorgebirge c. Später, nach erhaltenem Aufschluss wird man diese Buchstabenbezeichnung durch die Namen ersetzen. In Bezug auf die Namenangaben einheimischer Führer muss man freilich vorsichtig sein; oft wissen sie die Namen nicht, wollen aber das nicht merken lassen und machen dann irgend eine unrichtige Angabe. Zudem ist es nicht selten, dass verschiedene Namen vorkommen für dasselbe Gewässer oder Gebirge bei den Bewohnern der beiden Ufer oder Abdachungen, für einen Fluss auf ein und der- selben Strecke oder auf verschiedenen Theilen seines Laufes und dass eine Lokalität bezeichnet wird mit einer Kollektiv- benennung, welche der ganzen Gegend gilt. Demnach muss man sich über die geographischen Namen sorgfältig und an verschiedenen Quellen erkundigen. Was die Art und Weise der Orthographie oder Transskription dieser Namen anbelangt, so kann man nicht genug empfehlen, dass man sich soviel als immer möglich an die Orthographie oder — wenn eine Schriftsprache mangelt — an die Aussprache der Eingebornen halte. Im ersteren Fall wird man sich den Namen, wenn er irgend welche Schwierigkeiten darbietet, mit einigen Buch- staben notiren lassen. Ist das Alphabet, welches hiebei zur Anwendung gelangt, nicht das deutsche oder englische (lateinische), so bleibt noch die Aufgabe, den fraglichen Namen mit den uns geläufigen Buchstaben auszudrücken. Man muss dann für die Laute und Zeichen, welche unserem Alphabete fehlen, Aequivalente suchen und hiefür ein Ver- zeichniss sorgfältig ausgewählter Beispiele geben. Im andern Fall — wenn die fremde Sprache kein Schriftsystem hat — muss man sich den Namen wiederholt und von mehr als einem Individuum vorsprechen lassen und ihn hierauf in einer Weise niederschreiben, welche die Aussprache möglichst gut 184 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Rich- Abzu- Ich | Zeitder|Zeitder| Diffe- |ziehen f. Abreise. | Ankunft Aufenth. u. dgl. tung der Rest. Route. nz RE en Schätzungswerth rt de welche auf die e 5 | Ba Geschenkt des BUEoL rn. Richtung. influirten. Weges. Besondere Details betreffend Anvisirte Punkte. Gefälle und Niveau- verhältnisse. die Marschroute. KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 185 wiedergibt‘). Die einheimischen Namen haben oft eine be- achtenswerthe Etymologie oder Bedeutung, die man passend in Parenthese beifügen wird. Die unterwegs gemachten Notizen werden zweckmässiger- weise tabellarisch zusammengestellt. Schemata für solche Tabellen finden sich nebenstehend S. 184. Wo möglich entwirft man gleich während des Marsches ein Croquis über den zurückgelegten Weg und trägt un- mittelbar die Notizen, von denen wir sprachen, wie auch die Terrainbezeichnung ein. Dabei muss man sich aber wohl hüten, in das Croquis Anderes oder mehr einzutragen, als was man wirklich gesehen hat (also nicht z. B. den muthmasslichen Lauf eines Flusses), oder dann muss man wenigstens in unzweideutiger Weise bezeichnen, was blos hypothetisch ist. Besser ist es, man lasse eine Stelle leer der versehe sie nur mit einer Bemerkung (z. B. Hügel- region, nach Angabe der Eingebornen), als dass man die Karte mit Phantasiebildern ausstatte. Die Karte ist, auch wenn sie Lücken hat, doch von Werth; sie beweist so, dass der Reisende es mit den Angaben, die er lieferte, genau nahm. Bei jedem Aussichtspunkte nehme man Alles auf, was zu sehen ist, und zeichne es gleich ein. Eine solche Auf- nahme des ganzen Umkreises, beziehungsweise der Winkel in demselben, heisst Horizontabschluss (tour d’horizon, Rings- wufnahme). Man widmet ihr je ein besonderes Blatt im "Notizbuch oder Album, wobei man die Station so deutlich ezeichnet, dass man sie auf der allgemeinen Skizze über lie Marschroute leicht wieder findet; ferner sind auf dem latte die für dessen Orientirung nöthigen Notizen anzu- ringen. Ist ein einziges Blatt nicht woss genug für die Zeichnung, so ummt man hiezu deren zwei bis vier. m ersteren Falle zeichnet man die Station in der Mitte einer der Lang- eiten des Blattes (Fiy. 88); im an- /lern Falle kommt die Station in den Fig. 88. 1) Vgl. hierüber den Artikel von L. Ewald in Darmstadt: Ueber die Recht- Shreibung der geographischen Numen in Petermann’s geographischen Mittheilungen 876, XIII. pag. 297. 186 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN — Winkel der vier Blätter (Fig. 89). Wen die Bilder der anvisirten Objekte trot Verwendung mehrerer Blätter doch übe den Raum der Zeichnung hinausfaller so trägt man die Richtung der Visi linie ein, fügt einen Pfeil bei und ein Notiz längs der Linie oder am Ran na des Blattes. Behufs Einzeichnung dieser Hori | zontabschlüsse (Ringsaufnahmen) richte | man das Papier so, dass die gezogene Linien in ihrem Verlaufe denjenigen au | | dem Terrain entsprechen (Fig. 90). Fig. 89. Bei der Schwierigkeit, Objekte, dere wahre Form und Dimension im perspektivischen Bilde sie nicht richtig beurtheilen lässt, in Horizontalprojektion day zustellen, zieht man es mitunter vor, die Gegenstände s Fig. 90. — Form des darzu- abzubilden, wiesiedemBlick stellenden Terrains. 5 a erscheinen. NT re Rn Mindestens einmal im Ver > lauf der Reise muss man di Bi Be ‘ MMittagslinie ermitteln (pag ’E ! I \ 65), um die wahre Nord = er / Süd-Richtung zu erhalter ron Bj wozu der Kompass allei ee Pi nicht genügt. n m. nn KR z Endlich hat man überal an wo man sich aufhält — un wenn der Halt nur 24 Stun den dauern sollte — die Dre und Länge zu bestimmen(pag 69), weniger, um so die gec graphische Lage des betre \ fenden Punktes anzugebei Haltune/des Kartenblätfes die vielleicht nicht von Be bennzzeichnen: deutung ist, als vielmehr w die nöthigen Fixpunkte zu erhalten zur definitiven Feststellun des Trac&s unseres Weges. Jeden Tag ist eine Reinschrift und Reinzeichnung de Notizen anzufertigen, entweder während einer längern Ras e h [9 Station... ’ „us ee ud y RE Taf; NB.Die römischen Ziffern bezeichnen Stunden des Vormittags (Morgens,von Mitternacht bis Mittag ); die arabischen solche des Nachmittags (Abends, von Mittag bıs Mitternacht). __ Die wahre Nordrichtung ist vor dem Aufbruch am 21Juni bestimmt worden. Suppon. Flusslauf H { Eingebornen Liegt hinter diesen Hohen | > an sumpfiges Thal. KONFIGURATION DES LANDES — -TOPOGRAPHIE 187 m Mittag oder Abends, im Gasthof oder Bivouak. Zu diesem iwecke überträgt man die Notizen auf ein grosses Blatt apier (vorzüglich eignet sich sogen. endloses oder Rollen- apier auf Leinwand aufgezogen) und konstruirt man die inien und Winkel mit Doppeldezimeter und Transporteur. iese alltägliche Reinschrift und Reinzeichnung der unterwegs emachten Notizen ist unerlässlich; denn wenn über eine ‚ahl, eine Messung u. s. w. Zweifel entstehen, so kann man icht — wie bei gewöhnlichen Aufnahmen bestimmt um- renzter Terrainpartien — zu dem betreffenden Punkte zu- ückkehren, um an Ort und Stelle eine Kontrole vorzunehmen. n muss somit über die Sache in’s Reine kommen, so lange an Alles noch frisch im Gedächtniss hat. Wenn es an Zeit 'ebricht, um auch die Horizontabschlüsse zu übertragen, so ird man bei jeder Station, wo man solche aufgenommen, auf ie Blätter des Albums oder des Notizbuches verweisen, auf elchen sich diese Abschlüsse befinden, und man wird diese jlätter bei Seite legen, um die Arbeit mit Musse zu vollenden. Wenn man mit dem Trac& der Marschroute an den Rand es Blattes kommt, bevor dasselbe (beziehungsweise das auf ieses Blatt gehörende Stück derselben) ganz eingetragen t, so bringt man einen quergehenden "heilstrich an und zeichnet von dessen nderm Endpunkt aus die Fortsetzung er Route unter Beigabe einer deut- ichen Hinweisung (Fig. 91). Der Ueber- ang von einem Blatt zum andern bietet eine Schwierigkeiten dar; es genügt, ie beiden Ränder aneinander zu legen, ‘o dass sie sich berühren, ohne ein- nder zu bedecken. Die Blätter sind Bun 31. u numeriren oder sonstwie so zu bezeichnen, dass man eiss, in welcher Ordnung sie aufeinanderfolgen. Als Beispiel für ein Croquis über eine Marschroute geben ir die nebenstehende Taf. XII. Aufnahme der erforschten Gegend. Wenn statt einer Marschroute der topographische Plan oder die Karte eines ewissen Gebietes aufzunehmen ist, so veranstaltet man unächst eine vorläufige Rekognoszirung, wie das oben gesagt rde (pag. 176). 188 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Nachdem man sich ein Bild von den Hauptlinien | -Formen verschafft hat, zerlegt man die Gesammtfläche des Terrains in wohl umschriebene Theile, die begrenzt sind durch Wasseradern, Strassen und andere scharf ausgesprochene Linien. Dann legt man sich ein Itinerarium so an, dass man denselben Weg nicht mehrmals zu machen hat. '# Will man eine Triangulation vornehmen, so benutzt man die Rekognoszirung zur Auswahl eines Mena welches geeignet ist zur Messung einer Basis und zur Bestimmung von Dreiecks. Punkten. Oben in dem Abschnitt „Vorbereitung“ (pag. 37 und 4) haben wir schon gesehen, wie man die Messung einer Basis auf dem Felde vornimmt ad wie man verfährt beim Ueber- gang von einer gemessenen Grundlinie zu einer grösseren Basis, Es sind das sehr delikate Arbeiten; von der Sorgfalt, die man dabei anwendet, hängt die Genauigkeit der ganzen übrigen Aufnahme ah Vor dem Beginn der Operationen hat man sehr sorg- fältig die Länge der Messlatten zu verifiziren, die man an- wenden will, sowie die Genauigkeit der Libelle. Wenn man | sich statt der Messlatten oder Messstangen — die aus ganz trockenem Holze bestehen müssen und deren Länge mittels einer Hanfschnur jeweilen geprüft wird — eines stählernen Messbandes bedient, so muss man, wie oben bemerkt (pag.16. Note), die Ausdehnung des Metalls durch entsprechende Korrektion berücksichtigen. Die Libelle prüft man, indem man sie so auf einen Gegenstand stellt, dass die Luftbieiei durch den Theilstrich in der Mitte der Röhre genau halbirt wird; dann dreht man sie um 180°, so dass je ein Ende derselben nun an die Stelle kommt, wo vorher das andere Ende war. Hat nun die Luftblase dieselbe Lage wie vorher so ist das Instrument fehlerfrei. Mit dem Senkblei regel — man, wie auf S. 31 gesagt wurde, die Lage der Messlatten a wenn der Boden nicht horizontal liegt. In letzterem Falle also bei geneigtem Terrain, kann man auch direkt auf dem Boden messen, wenn man zugleich den Neigungswinkel er mittelt; die Basis wird dann berechnet nach den im Anhang mitgetheilten Formeln für geneigte und gebrochene Grundlinien Nicht nur ist jede einzelne Messung mit der grössten Sorgfalt zu behandeln, sondern sie ist auch wiederholt (3—4 Mal KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 189 vorzunehmen, bald. in der einen ‘bald in der andern Richtung; die Resultate dürfen von einander nicht namhaft abweichen; schliesslich ist aus ihnen das arithmetische Mittel zu nehmen. Ist die Basis festgestellt, so schreitet man zur Orientirung, d.h. man steckt, wie S. 74 gezeigt, den Meridian durch einen Endpunkt der Basis ab. Endlich bestimmt man womöglich ‘die Breite, Länge und Höhe desselben Punktes, der für alle andern Messungen als Ausgangspunkt dient. Schon mit einem sehr einfachen Theodolit, Sextant oder Prismenkreis kann man eine geographische 5reite in 5 bis 10 Minuten min- destens auf 1° genau messen'). Bei Ausmittlung der geo- graphischen Länge darf man sich nicht allein auf das Chrono- meter verlassen; denn dieses Instrument, das sich auf See- ‚reisen ganz gut bewährt, ist auf Landreisen (zu Fuss und zu Pferd) über unebenes Terrain oft Störungen unterworfen. Sein Gang leidet durch rasche Temperaturwechsel, Erschüt- terung, Staub und Feuchtigkeit. Wenn man auch das Instrument bei jeder Gelegenheit kontrolirt, sei es durch Vergleichung mit andern Chronometern, sei es dadurch, dass man nach demselben Längen berechnet für Orte, deren geo- graphische Lage schon bekannt ist: so ist es doch immer athsam, dass man bei Feststellung einer Triangulationsbasis lie mit dem Chronometer gefundene geographische Länge lerselben verifizirt, indem man diese Basis nach der S. 91 beschriebenen Methode in Verbindung bringt mit einem »"unkte (einem Hafenorte z. B.), dessen Länge bereits genau yestimmt ist. Findet man kein passendes Terrain zur Absteckung einer yasis von genügender Länge, so muss man ‚die Basis am Iimmel messen. (Vgl. S. 94.) A. d’Abbadie hat bei seinen eodätischen Arbeiten in Abessynien folgende Methode an- ‚ewendet. Man bestimmt die geographische Breite zweier Junkte, die unter demselben Meridian so gelegen sind, dass jan von einem jeden aus den andern erblicken kann. Die \reitendifferenz zwischen diesen Punkten gibt nun ihre Ent- mung an, wie man im Anhang findet auf der Tafel (ID) t die Längen der Meridiane und Parallelkreise. So hat 1) Jordan, I. 696. 190 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN man, statt auf dem Boden, am Himmel eine Basis gemessen, | was übrigens für die folgenden Operationen keinen Unter- ' schied ausmacht. . Zunächst nämlich handelt es sich nun um Konstruktion des topographischen Netzes der Karte: das Terrain, welches man aufnehmen will, ist mit einem Dreiecksnetz zu überziehen. Zu diesem Zwecke wählt man gewisse charakteristische Punkte aus (Bergspitzen, Thürme etc.), die man unter sich durch ' gedachte Linien verbindet, so dass man grosse Dreiecke — Dreiecke erster Ordnung — erhält. Von diesen Punkten aus wählt man andere von geringerer Bedeutung und Entfernung (Thürme, Felsen, isolirte Bäume), durch deren Verbindung man kleinere Dreiecke — zweiter Ordnung — erhält. | Nöthigenfalls erstellt man noch ein Netz von Dreiecken ' dritter Ordnung. Dieses Verfahren, vom Grossen ins Kleine zu arbeiten, ist besser, als wenn man gleich Anfangs eine Menge kleiner Dreiecke aufstellen würde. Vermittels der | grossen Dreiecke erhält man sicher festgestellte Fixpunkte, ' die sich zur Verifikation und Kontrole eignen. Zu grösserer | Sicherheit misst man übrigens noch eine Grundlinie, soge- | nannte Verifikationsbasis. (Vel. S. 41 ff.) Da der Reisende nicht auf den Punkten, deren Lage er bestimmen will, trigonometrische Signale alsıiniaen a, so muss er sich behelfen mit natür lichen Signalen N) wie Berae! gipfeln, Baumwipfeln, Dächern, Ecken von Felsen, Küsten- punkten von Inseln und Seen, Kniepunkten von Flusskrüm- mungen u. del. Diese Kukaltepuniek genügen, wenn man Rücksicht nimmt auf den nach dem Sonihmalkı veränderten Anblick der Objekte. Nachstehend geben wir den Gang der Operationen im Allgemeinen an, um sodann — auch auf die Gefahr hin, zu wiederholen — eine jede davon einzeln zu be sprechen. | = T Indem man, den vorstehenden Erörterungen gemäss, eine Basis bestimmt, hat man zwei Punkte, deren genaue Position | gegeben ist. De Basis wird in een Massstabe auf ‘ 1) Ebenfalls nach A. d’Abbadie. Vgl. Vivien de St. Martin. Annee geogra- phique. Paris 1868, pag. 90 ff. J | KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 191 das Papier übertragen. Hierauf stellt man das Messinstrument erst im einen, dann im andern Endpunkt der Basis auf, visirt nach den Objekten, deren Position man bestimmen will und liest die Richtungswinkel (Peilungen, Azimuthe) ab. Man überträgt nun auch diese auf’s Papier, mit dem Trans- ‚ porteur, der an die Basis in der Zeichnung angelegt wird, so zwar, dass sein Uentrum auf den betreffenden Endpunkt der Basis zu liegen kommt. Der Schnitt je zweier Schenkel, ‘ welche die Visirlinien (Peilstrahlen) von den beiden Enden der Grundlinie aus nach demselben Objekt darstellen, liefert ‚ den gesuchten Bildpunkt. \ Gleichzeitig mit dem Direktions- oder Richtungswinkel ‚ misst man den Elevations- oder Höhenwinkel. Dabei ist nach einem Punkte des Objektes zu visiren, welcher der Augen- ‚ oder Instrumentenhöhe eines dort aufgestellten Beobachters ‚ entsprechen würde, womit man sich eine Korrektion des Resultates ersparen kann. Die Entfernung zwischen jenem Objekt und dem Standpunkt ist nach den vorangegangenen Messungen nicht mehr unbekannt; man braucht sie nur auf dem Papier abzugreifen und mit der Reduktionszahl zu ver- ) vielfachen; dann entnimmt man aus den hiefür bestimmten ) Tafeln (pag. 48) die Niveaudifferenz, welche jener Entfernung ) und dem beobachteten Höhenwinkel entspricht. Diese Differenz Jist positiv, wenn das fragliche Objekt über, negativ aber, / wenn es unter unserem Horizonte ist. Im erstern Fall ist sie also zur Höhe (Cote) des Standpunktes zu addiren, im ‘zweiten davon zu subtrahiren. Dieses Verfahren enthebt uns jeder komplizirten Berechnung; man braucht dabei keine ‚Sinus, Cosinus, Tangenten etc. etc., noch auch Logarithmen- ‚tafeln. Wenn man nicht Visirpunkte von zu grosser Entfernung wählt, so ist es auch nicht nöthig, in die Rechnung Kor- rektionen einzuführen mit Rücksicht auf Strahlenbrechung und Erdkrümmung. Bei sorgfältigem Verfahren werden die "Resultate hinlänglich genau. Es gibt zudem ein leichtes Mittel der Verifikation: man muss das Objekt nur noch von Jeinem dritten Punkte aus anvisiren. Die neue Richtungs- linie muss auf dem Papier durch den Schnittpunkt der früher jerwähnten zwei Schenkel gehen und die neue Cote muss der früheren gleich werden, wenn beim Messen genau zu Werke gegangen wurde. 192 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Nach dieser Darlegung des einzuschlagenden Ganges wollen wir. die verschiedenen Operationen einzeln betrachten. Die Bestimmung der Dreieckspunkte erster Ordnung muss mit der grössten Sorgfalt geschehen; von der Genauigkeit dieser ersten Messungen hängt die Zuverlässigkeit alles Uebrigen ab. Wer immer mit Logarithmen umzugehen weiss, thut besser, diese grossen Dreiecke trigonometrisch zu berechnen als sie durch Konstruktion auf dem Papier zu bestimmen. Diese Berechnungen können nach den auf dem Terrain gemachten Notizen bei Musse vorgenommen werden, unter Benutzung der im Anhang (Taf. IV) hiefür gegebenen Formeln. Beim Messen der Winkel ist zu beachten, was S. 35 (Note) über die Aufstellung des Instrumentes gesagt wurde. Wenn das Instrument nicht an dem als Signal dienenden Punkte selbst (zentrisch) aufgestellt werden kann, so halte man sich für Dreieckspunkte erster Ordnung, bei der Reduktion auf das Stationszentrum, nicht an die S. 35 angegebene elementare Methode, sondern berechne die Differenz mit Hülfe der Formeln im Anhang. (Taf. IV). Es kommt mitunter bei starker Erwärmung der Luft, am Morgen und Mittag, vor, dass die anvisirten Punkte zu zittern scheinen, wie Gegenstände, die man durch die Luft- schicht hindurch betrachtet, welche sich unmittelbar über einem flackernden Feuer befindet. Bei solchem Zustand der Luft kann man nicht genau visiren. Eine feine Messungs- operation muss also auf eine andere Tageszeit verschoben werden. Oft auch veranlassen weisse Mauern und Wasser- spiegel eine so starke Reflexion des Lichtes, dass man an jeder Operation gehindert wird, solange die Sonne hoch steht. Wenn die Schwierigkeit aber nur darin besteht, dass die Lichtstrahlen auf das Objektivglas des Fernrohrs geworfen werden, so hilft man sich einfach durch Anbringung einer cylindrischen Röhre (aus Metall oder Carton) vorn am Fern- rohr, als eine Art Verlängerung desselben (Abblenden des Lichtes). Bei einiger Uebung wird man bald wissen, welches in einem gegebenen Lande und bei gegebenem Klima die geeignetste Tageszeit ist zur deutlichen Wahrnehmung mehr oder minder entfernter Gegenstände, d. h. der Zeitpunkt, wo Dünste und Nebel sich auflösen und der Boden noch nicht KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 193 so erhitzt ist, dass dadurch die Luft in jenes scheinbare Vibriren geriethe, von dem wir oben sprachen. — Sind die Gläser des Fernrohrs trübe oder mit Staub bedeckt, so muss man sie mit feinem Stoffe, am besten mit weichem Hand- schuhleder (Hirschleder) reinigen. Genügt das nicht, so reibt man sie leicht mit Schwefelblumen und wäscht sie nachher mit etwas Alkohol. Beim Auseinandernehmen oder Zerlegen des Fernrohrs muss man aber wohl auf die Reihenfolge der Theile achten, damit beim Wiederzusammenfügen der Stücke ein jedes wieder an seine richtige Stelle komme. Die Winkelmessungen auf jeder Hauptstation können auf zweierlei Weise erfolgen: 1° Richtungsbeobachtungen. Man visirt bei irgend einer Lage des Kreises nach den Dreieckspunkten A, DB, CO u. s. w. und liest am Wr ab. Man habe z.B. (Fig. 92): er. 47 Be "7. . 102° Ber... 182° Zn... 221° Ze... ;. 512°, so erhält man daraus dieF Winkel: | u — 47—12 — 35° ZI l == 102 —47 == 55° E0D = 182—102 —= 60° DO E = 227—182 = 45° Bu — 312 —227 = 85° Be A — 372—312 = 80° Total = 360° 2° Winkelbeobachtungen. Man misst successive die Winkel BEE BOC, CODu:s.f.,.2.B. (Pig. 92): Es. na u he + 35° ee ne ie 55° a ee een 60° a ehe a 45° ar 85° a en ee ara: 80° Total 360° 13 194 - BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Wenn man in Folge unbedeutender Beobachtungsfehler etwas mehr oder weniger als 360° erhält, so muss man den Fehler gleichmässig auf die einzelnen Winkel vertheilen. 7Zu diesem Zweck ist die positive oder negative Differenz durch die Anzahl der Winkel zu dividiren. Wenn aber das Gesammtresultat erheblich von 360° abweicht, so darf die Differenz nicht vernachlässigt oder proportional vertheilt, sondern es muss die ganze Messung wiederholt werden. Jedesmal, wenn man den dritten Winkel eines Dreiecks bestimmt, dessen beide erste Winkel schon gemessen sind, hat man nachzusehen, ob die Summe der drei Winkel auch wirklich 180° ausmache. Während man die Vermessung der Dreiecke erster Ordnung vornimmt, misst man zugleich auf jeder Station die sämmt- lichen Winkel, welche hier ihren Scheitelpunkt haben, d. h. also die Direktionswinkel für die Geraden nach Funkten, welche später benutzt werden zur Bildung von Dreiecken zweiter und dritter Ordnung, oder welche sogar eine noch mehr untergeordnete Rolle spielen. Hat man für einen solchen Punkt von drei Stationen aus die Richtungswinkel gemessen, so ist seine Position ganz genau bestimmt, a schon die dritte Messung zur Konrele Gr beiden ersten dient. Ist die Lage der Punkte erster Ordnung genau festgestellt, so konstruirt man im Innern dieser in hersche kleineze Dreiecke zweiten Ranges u. s. f., bis nur noch die Detail: des Terrains aufzunehmen sind. Für diese letzte Operation wendet man die auf S. 56—64 angegebenen Methoden der Planaufnahme an; d.h. man be stimmt die Position der einzelnen Punkte durch auf di Dreiecksseiten gefällte Perpendikel, oder durch Eckstrahlen Diagonalen etc. Die Wasseradern, Strassen, Eisenbahnen Gebäude etc. sind immer bestimmt durch eine gewisse Anzah von Punkten; die Einzelaufnahme derselben besteht also nu in einer mehr oder minder häufigen Wiederholung der Ope- rationen, durch welche man die Lage eines Punktes zu eine Linie oder zu andern gegebenen Punkten fixirt. Sind di . Objekte, deren Lage nehmen werden soll, von den Dreiecks seiten zu weit en, so zieht man im Te dieser Dreieck Hülfslinien, welche von einer Seite bis zu einer zweiten reiche! ö und als Abszissenaxen dienen können (Fig. 93). KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 195 Hand in Hand mit den Triangulationsarbeiten soll das Nivellement vorgenommen werden, insbesondere für die Dreiecks- punkte erster und zweiter Ordnung, damit man nicht auf mitunter schwer zugängliche Stationen zurückkehren muss. Unter dem Nivellement ver- steht man die Gesammtheit der N Operationen, durch welche man Da den senkrechten Abstand (die Höhe) der Punkte von einer idealen Hori- 1a] IE zontal- oder Niveaufläche bestimmt. ren & Diese Fläche kann willkürlich ge- > ri wählt werden, indessen nimmt man " dazu gewöhnlich die Meeresober- Fig. 93. fläche an. Da es aber nicht immer möglich ist, vom Meeresufer auszu- gehen oder von einem Punkt mit schon bekannter Höhe, so muss man oft eine andere Ebene zum Ausgangshorizont wählen. In solchen Fällen nimmt man an, der Punkt, von dem aus man die Operationen beginnt, sei 10, 100 oder 1000 m ü.M. Zu diesen runden Ziffern sind die Niveaudifferenzen zu ad- diren, welche sich ergeben für höher gelegene Punkte, und es sind diejenigen zu subtrahiren für Punkte in tieferen Lagen. Da man nie sicher ist, dass man nicht beim Vordringen in eine noch ziemlich unbekannte Gegend Punkte finde, die 10, 100 oder 1000 m unter dem Ausgangspunkte liegen, so ist es besser, man nehme die Grundfläche in solcher Höhe an, dass man dabei sicher über dem muthmasslichen Meeres- niveau bleibt. Hätte man z. B. eine Grundebene bei 100 m ü. M. angenommen und man fände Depressionen, deren Meeres- höhe weniger als 100 m betrüge, so erhielte man Punkte über und unter der Grundfläche und folglich theils positive theils negative Coten. Wenn man aber das Vergleichsniveau zu hoch annimmt, z. B. auf 4000 m, während es sich nachher nur zu 2812 ergibt, so hätte man von allen berechneten Coten 1188 m abzuziehen. Indem man etwas über dem muth- masslichen Meeresspiegel bleibt, verhütet man die Verwendung von zweierlei Coten — Häsıtivin und negativen — und wenn man nachher die genaue Meereshöhe des Ausgangspunktes kennen lernt, so muss man nur zu allen Coten, um sie richtig zu stellen, eine gewisse Zahl hinzufügen. Dies ist aber 196 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN einfacher und verursacht weniger Fehler, als wenn man bald addiren bald subtrahiren muss. Wie man den Höhenunterschied zweier Punkte bestimmt, haben wir auf S. 45 gesehen. In dem Falle, den wir hier im Auge haben, handelt es sich nur um eine ausgedehnte und vielfache Anwendung jenes Verfahrens, indem man die Höhenunterschiede aufsuchen muss zwischen dem Stationsorte und allen andern ‚namhaften Punkten ringsum, insbesondere denen, welche für das Dreiecksnetz verwendet wurden. Da hiebei das auf S. 47 erwähnte Verfahren keine genauen Re- sultate mehr liefert, sobald es sich um Entfernungen von über 1500 m handelt, so muss man in diesem Falle die Formeln und Rechnungsmethoden anwenden, welche im Anhang (Taf. IV) angegeben sind. Das geodätische oder trigonometrische Nivellement ist das einzige Mittel zur Bestimmung der Höhen einer grossen Anzahl von Punkten, ohne dass man sich auf diese selbst hinbegeben muss. Will man das barometrische Nivellement anwenden, so ist es gut, wenn man zwei Aneroide zur .Verfügung hat, mit denen man gleichzeitig zwei Beobachtungen anstellt, die eine am Fusse der Anhöhe, die andere in dem Punkte, dessen Höhe zu bestimmen ist. Bei der folgenden Operation muss das vorhin im Thale gebrauchte Instrument nun in der Höhe angewendet werden und umgekehrt. (Vgl. auch S. 51, Note 2.) Es soll auch soviel als möglich die obere Station auf einem J freien Plateau oder isolirten Gipfel, die untere auf einer offenen Ebene, nicht etwa in einem engen geschlossenen Thale, angenommen werden. Wenn das geodätische Nivellement nicht vom Meere aus oder wenigstens von einem Punkte mit genau bekannter Höhe ') aus begonnen werden konnte, so muss man es fort- zusetzen suchen bis zu einem Orte, von wo aus man das Meer am Horizonte erblickt; die Niveaudifferenz berechnet man sodann mit Hülfe der Formel im Anhang; oder man muss das topographische Nivellement successive erweitern | bis zu einem Punkt am Meere. Hat man das Nivellement 1) Zum Zwecke dieser Verbindung mit einem bekannten Niveau ist in.der Tabelle - auf S.93 eine Kolonne nicht nur für Längenund Breiten, sondern auch für Höhen aufgenommen worden. Se KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 197 mittels des Aneroids ausgeführt, so müssen dessen Angaben auf 0° Höhe zurückgeführt werden: Nachdem man ein sorgfältiges Nivellement der Dreiecks- punkte erstellt und womöglich nicht nur deren relative, sondern auch die absoluten Höhen ermittelt hat, schreitet man zum Detail-Nivellement. Dieses erfordert keine so grosse Genauigkeit wie das für die Dreieckspunkte erster und zweiter Ordnung, und man kann dabei den Unterschied zwischen wahrem und scheinbarem Niveau wie den Einfluss der Strahlen- brechung unbeachtet lassen. Der Zweck des Detailnivellements ist, Fixpunkte zu erhalten für die Darstellung des Boden- zeliefs. Man muss daher vor Allem die Formen des aufzu- nehmenden Terrains wohl studiren. Dieselben sind bestimmt durch die Richtungen der Bergkämme oder Firsten, der Thal- sohlen oder Thalwege und des grössten Gefälle. Kammlinien nennt man die (gedachten) Verbindungslinien der höchsten Punkte, Thalwege die Verbindungslinien der tiefsten Punkte, und Linien grösster Neigung diejenigen, welche die kürzeste Verbindung zwischen den höchsten und tiefsten Punkten her- stellen. Die Bedeutung dieser Linien tritt am besten hervor in der Rolle, welche sie spielen mit Bezug auf wässerige Niederschläge. Fällt Regen, so funktionirt der Kamm oder First als „Wasserscheide“: von ihm aus fliessen die Meteor- wasser nach verschiedenen Seiten ab ; die Richtung des grössten Gefälles ist zugleich diejenige, in welcher das Wasser am Abhang herunterfliesst; der Thalweg endlich ist die Axe der Rinne, in welcher die Wasser zusammenfliessen. Hiebei wurde vorausgesetzt, das Terrain sei an Form dem Dache eines Gebäudes zu vergleichen. Wie aber das Gebäude auch ein Thurm sein könnte mit spitz zulaufendem Dache, so kann die Kammlinie oder die Wasserscheide sich auf einen Punkt reduziren, so bei einem isolirten spitzen Bergkegel (Pie). Hinwieder kann jene Linie nur schwach ausgesprochen und kaum erkennbar sein, wenn nämlich zu ihren beiden Seiten nicht sofort stark geneigte Abdachungen, sondern fast ebene Flächen liegen: breite Rücken, zu vergleichen mit der Platt- form auf einem Dache. So wie endlich ein Dach stark ab- schüssig oder nach allen Seiten nur sanft geneigt, fast ganz flach sein kann, so auch das Terrain. Fälle dieser Art bieten die Tafelländer, Hochebenen oder Plateaux, die oft vollkommen 198 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN horizontal scheinen und wo nur ein genaues Nivellement eine Abdachung nach einer Seite oder in mehreren Richtungen herausfindet. Hat man diese verschiedenen Linien, natürliche Kanten oder Verschneidungslinien des Terrains wohl erkannt, so be- zeichnet man durch Signale (Stäbe ete.) ihre wesentlichsten Punkte, d. h. die Stellen an ihrem Anfang und Ende und diejenigen, wo die Richtung ihres Streichens oder wo das Gefälle sich ändert. Dann bestimmt man die Position und die Höhe eines jeden dieser Punkte. Wo Theile des Terrains von Wasser bedeckt sind, an Seeufern und Meeresküsten, müssen Tiefenmessungen, Loth- ungen oder Sondirungen vorgenommen werden. In dem ersten Abschnitte (Vorbereitung, S.53) haben wir schon gesehen, wie man die Tiefen misst. Es handelt sich aber weiter darum, wie man die Lage des Punktes bestimmt, an welchem man sondirt hat, wenn derselbe auf einer weiten Wasser- fläche ziemlich entfernt vom Ufer sich befindet. Es gibt hiefür zwei Mittel: 1° Ein Beobachter auf dem festen Lande bestimmt von | dort aus die Position des Fahrzeuges, von welchem aus man lothet. 2° Der Beobachter ist selbst auf dem Schiffe und bestimmt von hier aus diePosition durch zwei Alignements nach Fix- E punkten auf dem Lande, z. B. ABC und ADE (Fig. 94). A sei die Stelle, an welcher B sondirtwird; Bund €, Dund E N D fixe Punkte (Thürme, Bäume, E charakteristische Felspartien), so ist nachher A auf dem Plan leicht zu bestimmen: man AN | braucht nur die Linien (5 Fig. 94. und DE in der Karte zu ziehen und zu verlängern, bis sie sich schneiden. Der Schnittpunkt gibt die Position A. In- dessen wird man nicht immer von der Stelle auf dem Wasser aus so bemerkenswerthe Punkte erblicken, die sich paarweise je in einer geraden Linie befinden ; dann misst man auf der KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 199 Sondirstelle die Winkel, welche die von ihr ausgehenden Strahlen nach drei hervortretenden (schon durch die Triangulation be- stimmten) Punkten, z.B. BC D (Fig. 95) mit dem Punkte auf dem Wasser bilden (pothenotische C R = Bestimmung der Punkte). Diese \ Winkel (Peilungen) zeichnet man OR D. nun auf ein Stück Pauspapier, VG legt dieses auf die Karte oder den 3 se / Plan und bringt es in eine solche T | Lage, dass die Schenkel genau durch die drei Fixpunkte gehen. ax | Dann gibt der gemeinsame a“ Scheitelpunkt in der Karte die Position A an, welche man nunmehr durchsticht. — Nebst den Peilungen nimmt man auch Höhenwinkel und bestimmt die Entfernung vom Lande durch Abfeuern von Schüssen (Beobachtung der Zeit zwischen Schuss und Echo '). Wo immer man Gelegenheit dazu hat, bestimme man die wirkliche Tiefe von Seen an Punkten, wovon die Uferanwohner behaupten, „hier habe man noch nie den Grund erreichen können“ (der See sei „bodenlos“). Man wird dabei oft statt eines unermesslichen Abgrundes einen Seeboden finden, der weit weniger tief liegt und viel flacher ist, als man erwartete. Bei diesen Sondirungen muss man die Tiefenzahlen mit Rücksicht auf die Abweichung, welche die Sonde durch Strömungen erleidet, festsetzen und überdies dieselben in Beziehung bringen mit einem bekannten Niveau, resp. mit den Coten auf dem Lande. Dieses Niveau wird entweder das des betreffenden Sees selber sein oder dann das mittlere Meeresniveau. Mit Hülfe der beschriebenen Nivellements erhält man einen cotirten Plan, d. h. eine Karte, in welcher jedem charakteristischen Punkte seine Höhenzahl (Cote) in Bezug auf den als Norm angenommenen Horizont beigesetzt ist. Die Tiefenzahlen für Seen, welche sich auf den Seespiegel beziehen, können in positive oder negative Coten umgerechnet werden, so dass sie für die gleiche Basis verstanden sind wie die anderen. Fig. 95. !) Hinsichtlich solcher Beobachtungen vom Schiffe aus verweisen wir z. B. auf Petermann’s Geogr. Mittheilungen 1878 $. 228 (norweg. Exped. nach Jan Mayen). 200 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Diese cotirten Pläne geben nun schon eine Vorstellung der wichtigsten Niveaudifferenzen der Gegend und sie können benutzt werden zur Erstellung von Profilen für auszuführende Arbeiten (Strassen, Kanäle, Eisenbahnen). Aber, wie schon bemerkt wurde, bieten sie dem Auge nicht in rascher und genügender Weise ein plastisches Bild der Bodenformen; ja sie sind um so schwerer zu lesen, zu erfassen, je mehr Coten sie enthalten, je vollständiger also sie sind. Desshalb kommt man mehr und mehr dazu, die arithmetische, ziffernmässige Bezeichnung der Coten zu ersetzen durch eine geometrische, graphische Darstellung: statt durch viele Höhenzahlen be- zeichnet man die Niveauverhältnisse durch /sohypsen, Hori- zontal- oder Niveaukurven (für Seetiefen Isobathen, Linien gleicher Sonden), welche Punkte von derselben absoluten Höhe mit einander verbinden. Je nach der Genauigkeit, welche man der Darstellung geben kann und will, ist der vertikale Abstand der Kurven, respektive ihrer Ebenen') von einander grösser oder kleiner anzunehmen. Dieser Abstand soll aber in derselben Karte immer der gleiche sein (Aequi- distanz). Man versteht die Bedeutung dieser Isohypsen am leich- testen und zeichnet sie am besten, wenn man sie in dem Sinne auffasst, welchen der Name Niveaulinien gibt. Die Horizontalkurven einer Terraindarstellung geben in der That an, welches in der Gegend die Grenzlinien zwischen Land und Wasser wären, wenn der Meeresspiegel ansteigen oder sinken würde bis auf die Höhe oder Tiefe, welche durch irgend eine dieser äquidistanten Kurven bezeichnet ist. Ein Thal z. B. würde hiebei zunächst in einen Golf oder eine Bucht verwandelt, in eine Meerenge oder Meeresstrasse aber, wenn das Wasser anstiege bis über die Höhe des Passes, der dieses Thal mit einem benachbarten verbindet. Die Berge würden dabei in Inseln verwandelt, deren Grösse ab- nähme mit dem Wachsen der Höhe des Wasserspiegels, so dass schliesslich nur die höchsten Gipfel als kleine Eilande in der Meeresfluth erschienen. Jeder Wasserstand ergäbe neue Kontouren, immer aber würde ein und derselbe Wasser- stand bezeichnet durch Punkte von gleicher Höhe: die Niveau- I) Dieser vertikale Abstand der Kurvenebenen von einander (Aequidistanz) ist | nicht zu verwechseln mit dem Abstand der Kurven auf dem Papier. KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 201 inien sind die Isohypsen oder Horizontalkurven, durch welche las Land in vertikaler Richtung nach Höhenstufen und Tiefen- chichten gegliedert erscheint. Alle Punkte von derselben Jöhe gehören einem und demselben Horizonte an, nicht aber wich ein und derselben Horizontalkurve. Es ist klar, dass n der nämlichen horizontalen Ebene im gleichen Niveau eine rosse Anzahl geschlossener Linien — Niveaukurven — nöglich sind und dass jede einzelne Niveau-Ebene aus der Wantelfläche eines wechselreichen und mannigfaltigen Terrains iele Isohypsen (Horizontalkurven) herausschneiden muss, die ber alle eine und dieselbe Cote besitzen. Die Vorstellung, lass alles Land unterhalb einer bestimmten Höhe mit Wasser jedeckt sei, gibt uns auch in dieser Beziehung das beste 3jild vom Einzel-Verlauf der Horizontalkurve. Hat man eine \nzahl benachbarter Punkte von gleicher Höhe, von denen nan sicher ist, dass sie von ein und derselben Uferlinie Wassergrenze) berührt würden, so weiss man damit auch, lass sie der nämlichen Horizontalkurve angehören; ist die \equidistanz, welche zur Anwendung gelangt, z. B. 10m, o weiss man ferner, dass jeder 10 m höher oder tiefer ge- egene Punkt in die nächstfolgende Kurve nach oben oder — beziehungsweise — nach unten fallen muss. Was die ’unkte anbetrifft, deren Höhe nicht ein Vielfaches der Aequi- listanz ist, so kann man — vorausgesetzt dass an jener stelle die Abdachung gleichmässig sei — den Verlauf der jenachbarten Kurven in Bezug auf solche Punkte durch Rechnung bestimmen. Es habe z. B. (Fig. 96) der Punkt A die Höhe 74 m und 3 82m, sei also die Höhendifferenz BB’ = 8m; die wagrechte Ent- fernung der Punkte (be- iehungsweise Kurven) A 5’ sei 25m. Nun muss die Kurve on 8Om 6m über A und 2m unter BP sich hinziehen, lurch den Punkt ©. Der Horizontalabstand desselben von 1, nämlich A (’, ist aber = S WHRB" == 3 .25 = 18,5m ind von B = = — = .25 = 6,5m. Man erhält Iso den Punkt © in der Karte zwischen A und B, indem Fig. 96. j N ! i 202 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN man auf der Graden AB von A aus 18,,5m oder von B aus 6,235 m abträgt. In gleicher Weise kann man noch mehr Punkte bestimmen, durch welche die Kurve zu ziehen ist. Bi Und ähnlich verfährt man, wenn ein oder mehr Kurven zwischen solchen Punkten gezo- gen werden sollen. Es sei (Fig. 97) die Höhen- zahl von A = TI die vn B = 12 die Niveaudifferenz also 38 m, so kommen zwi- IB schen A und D hinein Ä @ E' Pr’ 7% 4 Kurven, nämlich die BEN von 80, 90, 100 und 110 m. Die erste davon muss 6 m oberhalb von 4 durch € gehen, die letzte 2m unter B durch D. ABS der wagrechte Abstand des Punktes 3 von A, sei 50 m, so ist 6 ® Pa — 250, — een | | | i \ 38 Te — — = 50 T2resmE | Die Isohypse von SO m muss also die gerade Verbindungs- linie der Punkte A und B in 7,so m Entfernung von 4 schneiden, und im gleichem Sinne muss die Isohypse von 110 m durch einen Punkt D gehen, welcher von B aus, gegen A in 2,ss m Horizontalabstand liegt. Der Zwischen-, raum (’ D’ aber ist nun einfach in drei gleiche Theile zu, zerlegen; durch die beiden Theilpunkte müssen die Kurven, von 90 und 100m gehen. Diese Rechnungen kann man auch durch Konstruktionen. ersetzen: Man zeichnet nach Analogie obiger Figuren ein rechtwinkliges Dreieck, dessen Grundlinie die wagrechte Ent- fernung der zwei Punkte A und B und dessen Höhe ihr vertikaler Abstand ist. Auf der Kathete 5’ B trägt man die Höhen ab, welche Multiple der Aequidistanz sind, und) zieht durch diese erhaltenen Punkte die horizontalen Geraden, welche AB in C, E, F und D schneiden. Von diesen vier: Punkten fällt man Perpendikel auf A B’; deren Fusspunkte, KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 203 0, E', F’, D’ geben dann die Entfernungen für das Ein- zeichnen der Kurven zwischen A und B. Die Anwendung des eben besprochenen arithmetischen and graphischen Verfahrens setzt voraus, dass die Ab- dachung in dem betreffenden Terraintheile gleichmässig sei. Allgemein anwendbar ist aber folgende einfache Methode zur Bestimmung des Verlaufes der Kurven auf dem Terrain. Es sei z. B. die Isohypse von 80 m über der angenommenen Grundfläche zu ermitteln, so benützt man ein Nivellir- instrument , dessen Fernrohraxe horizontal gestellt wird. Sodann stellt man eine Nivellirlatte in einem solchen Terrain- punkte auf, dass die Ablesung der Höhe 80 m entspricht. Ohne das Fernrohr aus seiner wagrechten Lage zu bringen, stellt man sich mit der Latte in verschiedenen Terrain- punkten auf; dann gehören alle diejenigen Punkte der Kurve 30m an, für welche die Lattenablesung dieselbe ist. Man lässt sie durch Pflöcke bezeichnen und nimmt sie dann direkt auf‘). Hierauf verändert man den Standpunkt des Instrumentes und sucht die Terrainpunkte auf, welche eine um 10 m kleinere Lattenablesung ergeben und wiederholt dasselbe Verfahren; so bestimmt man den Verlauf der Niveaukurve von 90 m etc. Diese Methode darf indess nicht auf sehr entfernte Punkte, beziehungsweise auf grosse Distanzen angewendet werden. Die horizontale Fläche ist nämlich, genau genommen, nicht eine Ebene, sondern eine sphärische oder sphäroidale Fläche, das Fernrohr aber, mit dem man die Kurvenpunkte anvisirt, beschreibt bei seiner Drehung eine Ebene, welche die sphäroidale Niveaufläche in einem Punkte berührt (tangirt); für kleinere Entfernungen darf angenommen werden, es falle die Ebene mit der erwähnten Fläche zusammen. Bei der Terraindarstellung mittelst Isohypsen setzt man wenigstens den Hauptkurven ihre Höhenzahl bei, z. B. 9) Dieses Verfahren hat in gewissem Sinne ein Gegenstück an der Art und Weise, wie man die Höhe der Schneelinie (untere Grenze des ewigen Schnees) in einem Gebirge bestimmt. (Vgl. Sonklar, Anleitung zu Beobachtungen in den Alpen, S. 13.) Hier handelt es sich um eine physisch gegebene Linie; es ist mit dem Instrumente deren Höhe aufzunehmen. Da die Schneelinie einer Berglehne sich am besten aus einiger Entfernung erkennen lässt, so begibt man sich mit dem Winkelinstrument (Theodolit) womöglich an eine gegenüberliegende Thal- wand und sucht an dieser Berghalde auf der andern Seite des Thales — dessen Existenz hiebei vorauszusetzen ist — solche Punkte auf, von welchen aus man rlsontsler Stellung des Fernrohrs durch dieses die gegenüberliegende Schnee- sieht. 204 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | 800 m ————————. Diese Zahl gilt also für den ganzen Verlauf der Niveaulinie; bei längerer Erstreckung der Kurven wiederholt man indessen mitunter die Höhen- angaben. Auch bringt man hie und da bei den wichtigsten Punkten die Coten an. | Diese Niveaukurven lassen nun nicht blos auf bequeme Weise die Höhenverhältnisse erkennen, sondern sie geben überdies auf den ersten Blick ein plastisches Bild der Boden- gestaltung, und zwar um so mehr, je kleiner im Verhältniss die Aequidistanz angenommen ist, je näher oder dichter die Kurven zu liegen kommen. Wie wir bei der Besprechung des topographischen Zeichnens S. 134 erwähnt haben, ver- einigt man mit der Kurvenzeichnung die Schraffirung, um das Terrainbild noch plastisch wirksamer, noch mehr relie- artig zu gestalten. Selbstverständlich werden die Karten nicht auf dem Terrain vollendet; aber man trägt an Ort und Stelle in ein Notizenbuch alle Angaben ein, ‚die nöthig sind, um später mit Musse die aufgenommene Gegend kartographisch dar- zustellen. Es ist nicht gleichgültig, wie diese Notizen- sammlung angelegt wird; die spätere Arbeit wird erleichtert oder schwierig, jenachdem man hierin ein gutes und klares System befolgt oder nicht. Nachstehend geben wir hiefür ein Schema und einige sachbezügliche Rathschläge; ein Jeder mag beides nach Massgabe seiner Erfahrungen modifiziren., Auf dem Terrain füllt man nur die Kolonnen 1, 2, 3, 5 und 8 aus. Hiebei müssen die Stationen und anvisirten, Punkte leserlich und unzweideutig bezeichnet und ebenso die Ziffern gut geschrieben sein. Auf jeder Station ist der Visirpunkt Nr. 1 immer eine der, früheren Stationen, auf welche man gewöhnlich den Nullpunkt der Kreistheilung einstellt; der Direktionswinkel für 1 z.B. wird daher O° sein. Es folgt der Winkel, unter welchem von der Station aus die Entfernung der Visirpunkte Nr. 1 und 2 erscheint; dieser Winkel (der Sehwinkel für jene, Distanz oder das was man in der Astronomie die Parall- axe nennen würde, vgl. S. 89) wäre 0°, wenn die beiden Punkte 1 und 2 mit der Station in derselben Geraden liegen. So fährt man fort, bis man die Winkel ringsum abgemessen) („den Horizont abgeschlossen“) hat, d. h. zum Ausgangs- KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 205 punkte zurückgekehrt ist, wobei die Ablesung nun 360° ergeben muss. Die Höhen- oder Niveaudifferenz wird bestimmt aus dem Höhen- oder Elevationswinkel, unter welchem man den ein- zelnen Punkt (1, 2, 3 etc.) erblickt. Wenn der anvisirte Punkt höher liegt als der Horizont des Instrumentes, so ist der Winkel positiv (+), sonst aber negativ (—). Im ersten Falle hat man die Niveaudifferenz zur Cote der Station zu addiren, im andern Falle ist sie zu subtrahiren. | % 3 = Hönhendifferenz. | z Richtung. Distanz. | solute | Winkel. Meter) 6 — — 2 Höhe. | | Winkel. | Meter. | Meter. BzuEh (7 w Anvis.Punkte - Station. Bm fer A. Nordwestlich. Endpunkt der Basis. Lat. 250 4’ n. | Long. 100 5° östl. von Paris, | Höhe ü. M. 415 m 1. Signalam Süd- | ende der Basis. ı 2. Leuchtthurm... Südöstlicher | Endpunkt der Basis. 1. Signalam NW Ende der Basis | Die Rubriken 4, 6 und 7 werden später ausgefüllt, wenn man Zeit hat, die Dreiecksseiten zu konstruiren oder zu berechnen. 206 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Um nicht durch Raummangel genirt zu sein, kann man die Rubriken 1 bis 7 auf eine Seite bringen und die nebenstehende Seite für „Bemerkungen“ reserviren. In Bezug auf die Bezeichnung der Lokalitäten beachte man was auf S. 183 gesagt ist über die provisorische Notirung, die Be- stimmung, Orthographie und Transskription geographischer Namen. | Man wird gut thun, neben dieser Notizensammlung auf leeren Seiten des Heftes oder eines Albums nach dem Augen- masse ein Croguis anzufertigen über die vorgenommenen Operationen, die Basis, Winkel und Dreiecke. Die Stationen und anvisirten Punkte sollen in diesem Croquis dieselben Bezeichnungen erhalten wie im Notizen- buch. Auch soll die Länge der Basis und die Grösse der einzelnen Winkel notirt E werden. Letztere Massangabe kann man y in den Winkel selbst hineinschreiben, wenn 50 10" das Croquis gross genug ist (Fig. 98) ; so- Fig. 98. bald aberUndeutlichkeit befürchtet werden muss, so ist es besser man bringe ein Zeichen an, das nur als Hinweiszeichen dient, und notire das Winkelmass am Rande (Fig. 99) oder be zeichne den Winkel durch d = 150 5 200). den Vortheil, dass dadurch den Unannehmlichkeiten vor- gebeugt wird, welche ent- a — soıo- Buchstaben und Ziffern (Fig. mg: Diese doppelte Notirung, im Heft und im Croquis, hat % stünden, wenn in einem dieserDokumente — wenn 3 142=8 10° nur das eine existirt — 7° 243=150 5° eine Ziffer vergessen, ver 14 3A4—= 21045 . { 9 wischt oder sonst unleser- u ne. ‘ lich wäre, wodurch der Fig. 100. € R hindert werden könnte. Bei der Detailaufnahme genügt die Notirung im Crogquis, wenn man dieses in ziemlich grossem Massstabe zeichnet und Abschluss der Arbeit ver- KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 207 sowohl die Winkel als die Distanzen mit etwas hartem Bleistift einträgt, sodass kein Auswischen zu riskiren ist. Unter allen Umständen ist es durchaus nothwendig, dass man im Notizenbuch wie auch im Croquis klare und voll- ‚ständige Angaben eintrage und sich ja nicht auf das Ge- dächtniss verlasse, denn man wird im Bivouak und überhaupt an Haltestellen sich nicht immer damit befassen können, in grossem Massstab das trigonometrische Netz oder gar in sorgfältiger Ausführung die Kontouren und die vertikale Gestaltung des Terrains abzubilden. Die Reinzeichnung wird vielmehr verschoben werden müssen bis zum Aufenthalt an einer Hauptstation oder gar bis zur Rückkehr von der Reise; dann aber dürfen die gesammelten Notizen zu keinen Zweifeln Anlass geben. Selbstverständlich ist es immer gut, diese Reinzeichnung so schnell als möglich vorzunehmen und am besten, wenn dies so rechtzeitig geschieht, dass man, falls Zweifel auftauchen, noch an die betreffende Stelle zurückkehren kann, um sich über Form- oder Massverhältnisse zu vergewissern. Sobald als nur immer möglich unternimmt man also an Hand des Notizenbuches und des Croquis die Reinzeichnung ‚der topographischen Aufnahme auf starkem Zeichnungspapier von grossem Format. Dabei werden die Dreiecke konstruirt mit Hülfe des Doppeldezimeters und des Transporteurs oder berechnet nach den im Anhang enthaltenen Formeln und Tabellen. Auf ein erstes Blatt trägt man nur das Dreiecksnetz und die hierauf bezüglichen Masszahlen ein. Dieses Blatt leet man nun auf ein zweites, welches für die Terrain- darstellung bestimmt ist, sticht die Dreieckspunkte durch und bringt nun an Hand des Notizenheftes und der Spezialeroquis die minder wesentlichen Punkte an; die Verbindungslinien derselben deutet man nur mit sanften Bleistiftstrichen an. Sind auf diese Weise alle Punkte in ihre richtige Position gebracht, so hat man schliesslich noch die Umrisse und Terrainformen darzustellen, wie es im ersten Theile dieses Buches (Abschnitt Topographisches Zeichnen) auseinander- gesetzt worden ist. Da man auf eine Reise nicht Papier von sehr grossem Format mitnehmen wird und auch Tische oder sonstige ebene 208 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | Flächen und Unterlagen zum Zeichnen auf solchem Papier) fehlen würden, so muss man oft mehrere Blätter anwenden, um eine Karte in etwas grossem Massstabe zu zeichnen. In einem solchen Falle vorab ist es nöthig, das Dreiecksnetz auf einem besondern Blatte darzustellen. Dann aber kann man nicht die Dreieckspunkte durchstechen, sondern man) muss die Dreiecke in grösserem Massstabe auf neue Blätter übertragen, z. B. auf jedes Blatt ein Dreieck, sodass man eben so viele Blätter verwendet als Dreiecke erster Ordnung, vorhanden sind. Nur muss man alle Dreiecke in derselben. Vergrösserung übertragen, z. B. alle Seiten in doppeltem oder‘ alle im fünf- oder im zehnfachen Massstabe. Auf jedem! Spezialblatt zeichnet man alle Positionen in dem vom be- treffenden Dreieck umschlossenen Raume und führt in diesen Grenzen auch die Terrainzeichnung aus. Dann kann man, entweder die Dreiecke genau herausschneiden, um sie später aneinander zu fügen oder man kann die Blätter intakt auf-| bewahren, um die Zusammenstellung derselben zu einer ein-| zigen Karte nach der Rückkehr von der Reise vorzunehmen. Man kann auch das Blatt mit dem Dreiecksnetz in| Quadrate eintheilen durch rechtwinklig sich schneidende Linien, die parallel sind zum untern Rande und zu den Seitenrändern des Blattes. Jedes Quadrat stellt dann ein | Spezialblatt vor; auf diese einzelnen Blätter überträgt man in vergrössertem Massstabe die Dreiecke oder Dreiecksstücke, welche enthalten sind in den Abtheilungen des Triangulations- blattes. Dieses Verfahren ist namentlich am Platze, wenn | man — wie dies im Anhang gezeigt ist — die Koordinaten der Dreieckspunkte bestimmt hat. | Die Bedingungen, welche die Karte erfüllen soll, sind in erster Linie die, dass sie genau, vollständig und doch klar sei. Vollkommenheit der Ausführung bis in die kleinsten Details kann man von ihr nicht verlangen, wenn sie nur leserlich ist und angenehm in die Augen fällt. Die Genauigkeit aber hängt wesentlich ab von der Sorgfalt, die man auf die vorhin behandelten Operationen verwendet. Vollständig ist sie in Bezug auf den Reisebericht, wenn sie alle in demselben erwähnten Orte, Flüsse, Berge etc. enthält. Klar oder über- sichtlich ist sie endlich, wenn der Massstab gross genug ist, um alle Details und deren Namen mitzutragen, ohne dass | TE X { b m 0 Rx ARE or denmeae| RR Taf. XI. KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 209 daraus Ueberladung und Verwechslungen entstehen und wenn man zudem die Marschroute des Reisenden leicht verfolgen kann. Die Benutzung der Karte wird wesentlich erleichtert durch Beigabe eines alphabetischen Namensverzeichnisses, wo neben jedem Namen die Sektion der Karte angegeben ist, in welcher sich der betreffende Ort, Fluss oder Berg befindet. Zu dem Ende wird die Karte in Vierecke einge- theilt entweder durch die Meridiane und Parallelkreise oder durch beliebige andere sich rechtwinklig schneidende Linien, und diese Sektionen werden bezeichnet durch Buchstaben von links nach rechts und Ziffern von oben nach unten, wie dies Taf. XIII darstellt‘). Das alphabetische Verzeichniss bekommt dann nachste- hende Form Bei-Binckt: Hedi, aumdaranı; b Bleisas verdas Curchettaz-Firn Frisal, Piz Geissbützistock . Glaridenhorn etc. Auf diese Weise findet man leicht die weniger wichtigen Punkte auf. Um diese Kreuz- und Querlinien auf der Karte zu ver- meiden, kann man auch die Eintheilung nur am Rande der Karte andeuten. Mit Hülfe des Buchstabens und der Ziffer, welche die Stelle des betreffenden Objektes bezeichnen, findet man dieses unschwer auf, indem man mit dem Finger oder blos mit dem Auge die nn verfolet, um welche es sich handelt. Nicht selten ist eine Vereinigung von Karten über ver- schiedene Gegenden, die nicht unmittelbar aneinanderstossen, vorzunehmen, so zwar, dass die in ein Blatt verschmolzenen Karten zu einander ihre richtige natürliche Lage haben. Auf Exkursionen wurde etwa da ein Thal, dort ein Ge- wässer, anderorts ein Gebirge, eine Meeresbucht etc. aufge- aommen. Nun möchte man einen Ueberblick haben über las, was erforscht und das, was noch zu erforschen ist. Zu diesem Zwecke müssen zunächst die verschiedenen Partial- Prars] DBDERBEE 1) Vgl. auch J. M. Ziegler, hypsometrische, geologische und Reisekarte der Schweiz 1 : 300000. Zürich, Wurster & Cie. 14 210 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN karten auf einen und denselben Massstab gebracht werden, wenn dies nicht schon der Fall war; dann muss man zwischen ihnen eine Verbindung herstellen, entweder durch eine rasche Triangulation des zwischenliegenden Gebietes oder mit Hülfe der Meridiane, Längen und Breiten, welche man für je einen Punkt dieser Karten bestimmt hat. Auf ein Blatt Paus- papier zeichnet man dann das Dreiecksnetz oder — mit Hülfe der Taf. IT im Anhang über die Länge der Parallel- kreise — jene Kartenpunkte, deren geographische Koordi- naten bestimmt wurden, sowie den Meridian (die Nord-Süd- linie) dieser Punkte; hierauf bringt man die fraglichen Karten unter dieses Blatt, so zwar, dass die entsprechenden Dreiecks- punkte oder Meridiane einander decken, und befestigt nun Karte und Pauspapier aneinander mit Nadeln oder Mund- leim. Mittels Durchzeichnens erhält man schliesslich eine allgemeine und einheitlich gestaltete Karte der erforschten Gebietstheile. Selten wird der Reisende geographische Karten zu zeichni haben; die wenigsten werden ihre Forschungen so weit aus- dehnen , um be der Darstellung des Celisie die Kugel gestalt der Erde in Betracht ziehen zu müssen. Wenn dies aber geschieht, so ist folgendermassen zu verfahren. 1° Für die Zone zu beiden Seiten des Aequators bis 20° Breite wendet man die sogenannte cylindrische Karten- projektion und zwar Plattkarten an, d.h. Karten, worin die sphärischen‘ Trapeze des Gradnetzes auf der Kugelobertläche ersetzt sind durch Quadrate, sodass also die Grade de Parallelkreise gleich gross erscheinen wie diejenigen = Meridiane. 2° Für die Zonen von 20—60° Breite kann man entweder die Merkator’sche Projektion anwenden — wobei man sieh der im Anhang beigefügten Taf. III bedienen muss — odei die Flamsteed’sche Projektion. Bei ersterer sind Meridiant und Parallelkreise gerade Linien, auf einander senkrecht; alle Parallelkreisgrade = gleich gross gezeichnet, die Meridian: grade aber — um sie uber mit der ern Paralleler im richtigen Verhältniss zu haben und so die Konformitä, der a d. h. die Aehnlichkeit in den kleinsten Theile zu Selen — in höheren Breiten entsprechend vergrössert Bei letzterer (Flamsteed’scher Projektion) sind die Parallel KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 211 kreise gerade Linien, senkrecht auf dem ebenfalls geraden mittleren Meridian. Auf den Parallelkreisen werden vom mittleren Meridian aus die Grade in ihrem wahren Grössen- verhältniss abgetragen. Indem man die so erhaltenen zu einander gehörigen Punkte verbindet, erhält man für die Meridiane gebogene (nach aussen konvexe) Linien, deren Krümmung um so stärker, je weiter der betreffende Meridian vom mittleren entfernt ist. Es ist dies eine sogenannte iquivalente Projektion, bei welcher alle Flächentheile gleich stark reduzirt sind’). 3° Für die Zone (Calotte, Kugelmütze) zwischen 60 und 90° endlich wendet man die Polarprojektion an — wobei die Parallelkreise als konzentrische und äquidistante Kreise srscheinen mit dem Pol als Mittelpunkt, die Meridiane aber ıls Radien dieser Kreise. Noch einfacher ist es, einer guten Karte’) derselben Gegend die dort eingetragenen Längen- und Breitenkreise zu entnehmen und in das so gewonnene Gıadnetz mittels der erhaltenen Zahlen die Fixpunkte einzutragen, welche die Grundlage bilden für das Zeichnen der horizontalen and vertikalen Konfiguration. Ist die erforschte Gegend noch wenig bekannt, so thut man cut, dem Reisebericht eine allgemeine Situations- oder Vebersichtskarte beizugeben, nach welcher man mit Einem Blick die Lage jenes Gebietes auf der Erdoberfläche, in dem betreffenden Kontinent oder Lande erkennt. Zu dem Ende nimmt man einfach ein Planiglob oder sine gute Karte des fraglichen Erdtheils oder Landes und bezeichnet darauf in augenfälliger Weise das enge Gebiet, von welchem die Rede ist, Fliegende Aufnahmen. Oft hat der Reisende weder Zeit 1och Möglichkeit zur Vornahme sorgfältiger Operationen, wie wir deren welche beschrieben haben; er muss sich dann begnügen mit sogenannten flüchtigen oder fliegenden Auf- 1) Näheres hierüber s. in Anton Steinhauser, Grundzüge der mathematischen deographie und der Landkartenprojektion. Wien 1880. 2) Solche sind ausser nach einer der oberwähnten gewöhnlich noch nach jolgenden zwei Projektionsarten gezeichnet: nach de /’Isie, wobei die Meridiane zerade und konvergirend, die Parallelen Kreisbogen, unter sich parallel und zu len Meridianen rechtwinklig sind, oder nach Bonne, wo die Parallelen Kreisbogen m richtigen Grössenverhältniss, die Meridiane Kurven sind (sogenannte ver- besserte Flamsteed’sche Projektion). Siehe hierüber Gretschel, Kartenprojektionen, sowie die einschlägigen Partien bei Bauernfeind, Jordan ete. 212 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN nahmen (flying surveys, leves expedies et leves d vue). Die- selben können entweder rasch mit den einfachsten Instru- menten oder nur nach dem Augenmass bewerkstelligt werden. Im ersteren Falle bestimmt man rasch einige Haupt- linien und beschränkt sich für den Rest auf Schätzungen. Im zweiten Falle gibt man so genau wie möglich die Wasser- adern, Strassen etc. an, welche gewisse Gebiete begrenzen; die Objekte, welche innerhalb dieser Demarkationslinien liegen, placirt man nach Schätzung der Verhältnisse. Bei gehöriger Uebung im Schätzen und schnellen Messen von Distanzen, Winkeln, Höhen etc. kann man auch in solchen Aufnahmen Gutes leisten. Zum Beweise dessen zitiren wir , hier unter Bezugnahme auf $. 181, was Prof. Jordan (a. a. 0. S. 697) über die flüchtige Aufnahme eines Itinerars während des Marsches sagt. Die Stockboussole lässt sich nur anwenden, wenn der Beobachter auf dem Boden stille steht. Nun al man aber auch oft Richtungen peilen, auf einem Reitthier sitzend, oder wenn man zu Fuss geht, ohne stille zu stehen. Hiezu dient die Taschenboussole von der Grösse einer Taschenuhr mit Theilung von 10 zu 10°. Man hält dieselbe in freier Hand, lässt die Nadel auf 0° und 180° einspielen und visirt mit freiem Auge über die Theilung hinweg nach dem Zielpunkt, dessen Richtung man haben will. Diese Methode erscheint auf den ersten Blick unge- heuer roh; man wird sich aber nach einigen Versuchen über- zeugen, dass man damit auf etwa 10° genau peilen kann, und das reicht für flüchtige Aufnahmen meist aus. Bedenkt man, dass man diese Methode zu Pferd oder Kameel, zu aan, zu Schiff, während des Gehens, kurz überall | mean kann, wo alle andern Mittel den Dienst versagen, so wird man diese einfache Peilmethode bei fortgesetzter Beschäftigung mit flüchtigen Aufnahmen hauptsächlich an wenden, und durch Uebung auszubilden suchen.“ Der ge- nannte Autor hat verschiedene „Peilungen nach Augenmass mittelst des kleinen Taschenkompasses“ direkt mit genauern | Theodolitpeilungen verglichen und sich dabei überzeugt, „dass man durch die erstere Methode sehr wohl Richtungen auf 10° genau abschätzen kann und dass, wenn man dabei ruhig stehen kann, der mittlere Pelunz ichlen nur etwa 5 bis 10° ist.* ee aber, deren eneieinecken auf etwa. KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 233 [0° genau gepeilt sind, ergeben sehr befriedigende Resul- ate, sofern nur die Zahl der Peilungen genügend gross ist & a. 0. S. 699). Dass selbst geographische Breiten- und trigonometrische Jistanzbestimmungen approximativ in sehr kurzer Zeit be- verkstelliot werden können, wurde bereits (S. 189) bemerkt. Jiese Methoden verdienen sehr beachtet zu werden; denn ft kommen Reisende — wegen Mangel an Zeit und n Instrumenten oder wegen Feindseligkeiten der Einge- jornen — in eine Lage, die es ihnen unmöglich macht, n augenfälliger genauerer Weise zu operiren. Wenn immer nöglich wird man zwar eine regelrechte Triangulation ornehmen. Wird aber eine genaue Detailaufnahme absolut inmöglich, so ist eine beschleunigte oder approximative \ufnahme erwünscht, welche sich an die trigonometrisch jestimmten Fixpunkte anschliesst. Dabei können dann die ‘ehler nicht mehr sehr gross werden; die Formen sind venigstens annähernd gegeben, und nachfolgende Reisende ‘önnen immer die angefangene Arbeit in ihrem Detail veiter führen. Photographische Aufnahmen. Da ein räumliches ebilde durch zwei mathematisch orientirte perspektivische ‚eichnungen geometrisch bestimmt ist, so kann man auch hotographische Aufnahmen zur Kartenkonstruktion benützen. )ieses Verfahren ist in der Militärwissenschaft, beziehungs- veise in der Topographie, unter dem Namen Photogrammetrie ekannt. Wir müssen davon Umgang nehmen, hier auf lasselbe einzutreten, und verweisen den Leser, welcher sich arüber zu unterrichten wünscht, auf bezügliche Spezial- bhandlungen, wie diejenige Jordans in der „Zeitschrift für 'ermessungswesen“ 1876 S. 1— 17. Entlehnte Karten. Wenn es dem Reisenden ganz un- nöglich geworden wäre, irgend eine Karte aufzunehmen, so järe dies kein Grund, um der Reisebeschreibung gar keine (arten beizugeben; denn es ist für den Leser sehr unan- enehm und störend, wenn er Namen von Orten, Flüssen etc. or sich hat, ohne dass er sich ihre Lage vergegenwärtigen ann. Es wird auf diese Weise unmöglich, sich die Reise, eren Verlauf und die Erlebnisse dabei klar vorzustellen; 214 . BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN ein Reisebericht ist für uns nur dann von Interesse und von Nutzen, wenn man die Erzählung leicht verfolgen und sich im Detail zurechtfinden kann. Zu dem Zweck muss man der Reisebeschreibung eine Karte beigeben; nur darf man dazu nicht die erste beste Karte des betreffenden Gebietes, wie sie ist, nehmen; die Karte würde sonst in den meisten Fällen mit dem Text nicht übereinstimmen, sei es in den Positionen oder, in der Schreibart der Namen. Die Karte muss also als Beilage zum Reisewerke besonders bearbeitet und mit diesem letzteren in Uebereinstimmung gebracht werden. Man muss darin alle Oertlichkeiten, Flüsse, Berge u.s.f., welche die Beschreibung anführt, leicht und unter denselben Namen auffinden können. Freie Hand hat der Reisende aber in Bezug auf die nicht beschriebenen Partien des Gebietes. Es geziemt sich, ausdrücklich zu bemerken, dass die Karte nicht durch den Reisenden aufgenommen und wo sie entlehnt wurde, einerseits, damit nicht die Uebereinstimmung zwischen Text und Karte irrthümlich als ein Beweis aufgefasst werde von der Genauigkeit der beiden Karten, andrerseits, damit man nicht sich selber das Verdienst zuschreibe, welches dem Autor der ersten dieser beiden Karten gebührt. Profile. Die Karte allein, wenn sie noch so vollkommen ist, genügt nicht immer, um eine genaue Vorstellung deı Bodenkonfiguration zu geben. In gewissen Fällen muss man Längen- und Querprofile beifügen, so z. B. um eine richtige Idee zu erwecken vom Gefälle eines Thales, von seinem Querschnitt, von den Kontouren einer Bergkette, eineı Meeresküste u. dgl. Die Erstellung dieser Profiie an der Hand der Angaben welche das Nivellement, und von Anhaltspunkten, welche die Geometrie uns liefert, bietet keine Schwierigkeiten Man zieht eine wagrechte Linie als Grundhorizontale;, dieser Horizont kann derselbe sein wie derjenige für die Karte oder ein ganz beliebiger, z. B. ein höherer. Auf dieser Geraden trägt man im verjüngten Massstab die Distanzer ab zwischen den einzelnen Punkten der Linie, nach welche! das Profil gezeichnet werden soll. In jedem dieser Punkt errichtet man auf jene Gerade ein Perpendikel, dessen Längt gleich gemacht wird der Höhe des betreffenden Punktes iı Bezug auf den angenommenen Horizont und Massstab. Di Profilan der Richtung a=b. Unetan BRandammpn'a[0 Ofusemrhu Pas MATT ERHORN. KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 215 Endpunkte dieser Senkrechten werden mit einander ver- bunden; so erhält man die Profillinie.e Um zu verhüten, dass die Profile allzu lang werden und um andrerseits die vertikale Gliederung des Bodens mehr hervorzuheben, nimmt man zumeist einen kleinern Massstab für die Längen an und einen (10-, 20-, 100 mal) grössern für die Höhen, z. B. für die Längen !/ıoooo, für die Höhen aber !/ıooo, 1/500, Y/ıoo. (Vgl. Taf. XIV, 1.) Hat man äquidistante horizontale Kurven angewendet, so braucht man nicht die Länge jedes Perpendikels besonders abzutragen, sondern man zieht dann in gleichen Abständen Gerade parallel zur angenommenen Horizontalen oder man wendet hiezu linirtes Papier an. Die Distanzen für die einzelnen Punkte werden aufgetragen wie vorhin, und die Perpendikel werden dann gezogen bis zu derjenigen wagrechten Linie, welche der Isohypse des betreffenden Punktes entspricht (Taf. BuV, 2). Will man endlich (siehe oben S. 138) Profile erstellen auf Grund einer Karte oder eines Planes, so zieht man die Linien (Profilrichtungen), nach welchen man sich das Terrain durchschnitten denkt und zieht von jedem Schnittpunkte dieser Linien mit den Kurven Gerade senkrecht zum Karten- rande über diesen hinaus in der erforderlichen Länge. Wel. Taf. XIV, 3.) Will man ein Bild geben von der Form eines Berges, von dem Anblick, den er bietet, ohne dass man Zeit hat zur Erstellung eines genauen Profils, so zeichnet man eine Skizze oder eine Ansicht desselben, wie solche in Fig. 105 und Taf. XV gegeben sind für das Matterhorn. Ansichten. Das Vorige führt uns naturgemäss zur Besprechung der Ansichten als eines der besten Mittel zur Darstellung der Physiognomie einer Gegend oder eines Landes. „Sehr selten,“ sagt ein Maler'), „bieten Ansichten, die von einem sehr erhabenen Punkte aus aufgenommen werden, von wo das Auge mit Entzücken nach allen Richtungen zahl- reiche und wechselvolle Einzelbilder erblickt, in der Zeichnung so viel Reiz dar, wie man von vornherein anzunehmen geneigt .) A. D. Vergnaud, Manuel de Perspective, du Dessinateur et du Peintre. Paris 1835. 216 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | ist; die Kunst, so vollendet sie sein mag, reicht eben nicht: hinan an -die unerschöpflichen Hülfsmittel der Natur.“ | In der That treten gewisse Details, welche das Auge in der Landschaft deutlich und mit Wohlgefallen wahrnimmt, in einer kleinen Zeichnung so zurück und werden sie so undeutlich, dass die Darstellung bei aller Treue bei Weitem kein der Wirklichkeit entsprechendes Bild gibt. Und doch‘ haben auch solche Ansichten ihr Gutes: sie geben einen Ueberblick im Grossen, den man nicht ersetzen kann durch Das Hörnli 2893 m Matterhorn 4482 m Fig. 105. — Das Matterhorn von NO aus gesehen. die Betrachtung spezieller Darstellungen einzelner Land- schaften. Solche Ansichten werden aber am besten als Panoramen behandelt, wovon sogleich die Rede sein soll. Was die Wahl der darzustellenden Objekte betrifft, so, muss man wohl unterscheiden zwischen der Aufgabe des| Reisenden und derjenigen des Malers. Der Letztere sucht‘ für seine Darstellungen nur das Schöne auf; der Reisende ist an seine Marschroute gebunden und hat uns die Ge- genden vorzuführen, welche er besuchte. | KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 217 Im ersten Theile dieses Buches (Vorbereitung, pag. 122') haben wir schon gesehen, welche Bedingungen zu erfüllen sind durch die Zeichnungen, die ein Reisender sammelt, und wie man in kurzer Zeit ein Bild herstellen kann, welches zur Treue der Kontouren und zur Genauigkeit des Details die Vorzüge des Kolorites hinzufügt. Aber bei aller Raschheit des Verfahrens kann der Reisende nicht Alles zeichnen, was sich ihm auf seinem Wege darbietet. Er muss sich auf das Bemerkenswertheste, auf Charakteristisches beschränken. Jede Gegend hat ihr eigenes Gepräge; man suche nun die Ansichten bildlich darzustellen, worin solch Eigenthümliches besonders ausgeprägt ist; ferner wird man sich womöglich Ansichten verschaffen von bedeutenden Orten und durch ihre Lage wichtigen Landschaften. Ehe man die Zeichnung beginnt, hat man zu prüfen, welcher Standpunkt die günstigste Ansicht gewähre. Da ferner Tageszeit und Beleuchtung hiebei von wesentlichem Einfluss sind, so nehme man wo immer möglich auch hierauf Rücksicht. Ferner hat man sich zum Voraus recht klar zu machen, was man in den Rahmen des Bildes aufnehmen will und ob dieser Theil, vom Ganzen abgelöst, wirklichen Werth habe. Falls man hiefür nicht schon ein geübtes Auge besitzt, so thut man gut, wenn man mit vier Papier- streifen oder Holzstücken einen Rahmen bildet von der Grösse des Zeichnungsblattes und dann die Landschaft durch diesen Rahmen betrachtet, so zwar, dass man demselben verschiedene Entfernungen vom Auge gibt, bis man für das projektirte Bild eine Umgrenzung gefunden hat, die ge- eignet scheint. Es ist .diese letztere Aufgabe weniger leicht als man gemeinhin annimmt. Man darf ferner nicht vergessen, dass die Ansichten, die Zeichnungen überhaupt, welche man zurückbringt, als Beilagen für das Reisewerk bestimmt sind und dabei folglich auch das Format berück- sichtigt werden muss. Dieser Umstand influirt aber wieder auf die Grösse, in welcher einzelne Objekte — wenn eine gewisse Harmonie herrschen soll — dargestellt werden. Die Ilustrationen des „Tour du Monde“ können in mehrfacher 1) Zur Ergänzung des dort Gesagten empfehlen wir die „Grundsätze der Per- spektive im Dienste des Zeichnens nach der Natur“ von Prof. U, Schoop (Frauen- feld 1868). 218 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | Beziehung als Muster angeführt werden, so auch in Bezug | auf das Format, dessen Dimensionen sind: 24 und 16 cm. bei grossen und 16 und 8 cm bei kleinen Bildern‘). | Nachdem man den Standpunkt gewählt hat, von wo aus das Sujet sich am günstigsten darstellt; nachdem man hiebei vor- und rückwärts, auf- und abwärts gegangen ist, um zu sehen, welche Modifikationen das Bild erleidet durch die Wahl — in .der Sprache des Malers verstanden — von Distanz und Horizont, bleibt noch die Ausführung des Bildes. Ich nehme an, man habe sich den Charakter der Landschaft und der Darstellungsmittel reiflich vergegenwärtigt mit Rück- sicht darauf, dass ein Bild auf den Beschauer annähernd denselben Eindruck mache, den die Naturszenerie hervor- brachte. Diess ist nicht leicht. Die Eindrücke, die wir von den Objekten der Aussenwelt empfangen, sind bestimmt durch die Ideen, welche diese hervorrufen. Manchmal ist | das Objekt selber und direkt Ursprung und Quelle des Eindruckes, unter dem wir stehen, und dann ist dieser qualitativ derselbe für alle Individuen; oft aber beruht der Eindruck auf einer ganz zufälligen Ideenassociation, auf persönlichen Stimmungen und Erinnerungen; dann ist er individuell sehr verschieden. Zwischen diesen Arten der Wirkung — derjenigen der Sache und dem Antheil der Ideen, die wir mit ihr verbinden — muss wohl unter- schieden werden, wenn dasselbe Objekt auf Andere den gleichen Effekt hervorbringen soll wie auf uns. Auch über die Art der Behandlung des Sujet muss man mit sich zu Rathe gegangen sein, z. B. bei einem Aquarell darüber, welche Töne man verbinden will, wie Luftperspektive und Halbdunkel wirken. Wohl muss man lediglich die Natur nachahmen und ihren Charakter wieder- geben; aber die Wahl der Mittel hiebei ist nicht un- wesentlich. Es gibt zudem Fälle genug, wo diese Nach- ahmung keine ängstliche, sklavische sein darf. Nicht Alles ist schön, was man erblickt, und Niemand wird den Zeichner tadeln, der im Bilde eine Telegraphenstange weglässt, welche in der Landschaft sich unschön ausnimmt, oder Bäume, die | 1) Le Tour du Monde. Journal de Voyages, publi@ sous la direction de M. Edouard Charton, Paris 1860 & 81. ' KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 219 keine gute Figur machen, etwas besser darstellt. Ebenso darf man, ohne der Treue des Bildes nahe zu treten, grosse gleichförmige Flächen durch eine Einzelheit unterbrechen ; solche Details sind z. B.: ein Kahn mit Fischern auf einem See, Rinder auf einer Weide, ein Wagen oder Fussgänger auf einer ebenen Strasse. Soll die Gegend als unbelebt oder verödet dargestellt werden, so darf man als Mittel der ge- nannten Art wenigstens Wolkenschatten verwenden. Meist aber ist es passend, die Landschaft belebt erscheinen zu lassen: einsame Wälder durch Raubvögel und Rothwild, Sümpfe durch Wasservögel, den Meeresstrand durch eine Barke und eine Fischergruppe, eine Stadt — einen Hafen- platz vor Allem — durch eine grosse geschäftige Menge mit Mannigfaltigkeit der Stellungen und Haltung. Die Oede einer Lokalität, welche selten ein Mensch betritt, wird da- durch noch mehr hervorgehoben, dass man in ihr Bild den Reisenden hineinstellt, der sie aufsucht. Zudem liefert eine Figur ein Mass zur Schätzung und Beurtheilung der Dimen- sionen anderer Objekte. Es versteht sich aber von selber, dass man bei dieser Belebung und Bevölkerung eines Land- schaftsbildes mit kritischem Urtheil nur Dasjenige wählen darf, was der Gegend, die man darstellt, wirklich zukömmt und angehört, resp. mit ihr vereinbar ist, dass ferner diese Einzelbilder gut angeordnet und — handle es sich um Menschen oder Thiere — in'naturgemässer, lebendiger und wechsel- voller Stellung gehalten sein müssen. Der Beschauer soll aus dem Bilde herauslesen können, was jedes der dar- gestellten Wesen thut und will. Nichts verleiht einer Land- schaftszeichnung mehr Lokalcharakter als diese Einführung von Figuren, die allerdings vielleicht im gegebenen Moment nicht da sind, die aber in einem andern Zeitpunkt da zu- sammentreffen können. Von dieser Freiheit abgesehen, soll die Darstellung durchaus genau naturgetreu sein, so dass Personen, welche jene Orte besucht haben oder später be- suchen, sich nach der Zeichnung selbst im Einzelnen zurecht- finden können. Was Ansichten von Städten und andern merkwürdigen Orten betrifft, so wird man sie vorzugsweise von der Seite aufnehmen, von welcher der Ankömmling sie gewöhnlich erblickt und von einem Punkte aus, der ein Gesammtbild 220 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN bietet; dieser Ansicht können dann immerhin solche beigefügt werden von andern Punkten aus, die vielleicht Bilder von grösserer malerischer Wirkung liefern. Zeichnungen in Vogel- perspektive haben den Vortheil, dass sie zugleich als Ansicht und Plan dienen können, wie die nebenstehende Taf. XVI zeigt, die dem Berichte von Rob. Shaw über seine Reise in | der hohen Tartarei ') entnommen ist. Panoramen. Die Panoramen haben, wie schon bemerkt, den Vorzug, dass sie ein allgemeines Uebersichtsbild einer ausgedehnten Gegend bieten. Sie erleichtern die Orientirung in gewisser Hinsicht mehr als die Karte, weil sie die Objekte so darstellen, wie man dieselben in Wirklichkeit erblickt. Man kann zudem in die Panoramen wie in Karten die Namen der Orte, Flüsse, Berge (und namentlich die der Hauptgipfel) eintragen. — Die wesentlichste, man darf fast sagen, die einzige Anforderung an ein Panorama ist die: dass es exakt sei; schöne Ausführung ist nicht absolutes Erforderniss; | man kann sich auf eine Zeichnung in blossen Linien be- schränken; es wird dabei manchmal eher möglich, die Um- risse genau anzugeben und Details hervorzuheben. Es wäre eine sehr zeitraubende und schwierige Arbeit, wollte man ein inhaltreiches, viel umfassendes Panorama nach dem blossen Anblick und doch genau erstellen; man wendet daher hiezu verschiedene Instrumente an, wie die camera obscura, die camera lucida, eine Glastafelı etc., komplizirterer Instrumente?) nicht zu gedenken. Der Reisende wird sich indess nicht — blos in der Voraussicht, dass er allfällige Panoramen zu zeichnen habe — mit solchen Instrumenten beladen; er muss trachten, auch hiezu diejenigen Instrumente zu verwenden, womit er ohnehin versehen sein soll: den photographischen Apparat und den Theodolit. Mit dem ersten kann man ein vollständiges Panorama erstellen, wenn man denselben absatzweise auf seinem Gestelle als um eine vertikale Axe dreht, so dass man einen Cyclus aufeinanderfolgender Bilder erhält, Abschnitte des Gesammt- panoramas, welche den ganzen Horizont umfassen. Mit dem Theodolit nimmt man von einem zentralen Standpunkte aus 1) Rob. Shaw, Reise nach der hohen Tartarei, Yarkand & Kaschgar, Jena 1876. 3 Vgl. z. B. den Teleiconograph von Revoil und Violet-le-Duc, beschrieben in des letzteren Werke: Le Massif du Mont Blanc, Paris 1876. Introduction pag. XI. Tat RVE Im Hintergrund die Gebirge südlich vom Indus. (Nach einer Photographie von Dr. Henderson). BRBERE: Se ze | ER INH =, 2 2 Te Tsler alas ee m rzeeR SEN Wurster Randegger &C* Winterthur. 2 KONFIGURATION DES LANDES — TOPOGRAPHIE 2321 die Winkel auf, unter welchen man die Objekte zu einander erblickt, um ihre gegenseitige Lage festzustellen und die nöthigen Anhaltspunkte für eine gute Skizze zu gewinnen. Für einen jeden Punkt bestimmt man den Direktions- und den Höhenwinkel. Es ist zu berücksichtigen, dass bei einem Panorama alle Gegenstände, ob nah oder fern, in Einer Ebene dargestellt werden, so dass deren Entfernung als konstanter Radius betrachtet wird und die Höhenunterschiede in der Zeichnung nur von dem grössern oder kleinern Betrag des Winkels abhängen, unter welchem man die anvisirten Objekte erblickt. Um die wirkliche Höhe des Punktes handelt es sich nicht: ein naher Thurm kann einen fernen Berg von einigen tausend Meter Höhe verdecken. Das Verfahren bei der Aufnahme und Zeichnung ist folgendes. Es sei 0, Taf. XVII, Fig.1, der Standort, 0’ der Ausgangs- oder Anfangspunkt, O0 A Visirstrahl nach einer Bergspitze A, Direktionswinkel 15°, Elevationswinkel 20°, OB WVisirstrahl nach einem Leuchthurm 2, Direktionswinkel 35°, Elevationswinkel 10°, O0 C Visirstrahl nach einem Gipfel (, Direktionswinkel 50°, Elevationswinkel 25°, OD Visirstrahl nach einem Kirchthurm D, Direktionswinkel 65°, Elevationswinkel 15° u.s.f. Nun nimmt man linirtes Papier, z. B. sogen. Com- mercial (Taf. XVII, Fig. 2), wobei die Höhen der Rechtecke doppelt so gross sind als die Längen, damit das Panorama nicht zu flach erscheine ; jedes Feld stelle etwa 5° vor, so ist es sehr einfach auf diesem Papier die Punkte A, B, C, D _ete. zu bezeichnen, welche als Fixpunkte für das Entwerfen der Skizze dienen. Fixirmittel. Um in Kreide oder weichem Bleistift aus- geführte Zeichnungen vor dem Verwischen und Abreiben zu schützen, bedient man sich verschiedener Mittel, den Graphit ' oder die Kreide auf dem Papier zu fixiren. Das beste ist folgende Mischung: 4 Theile fettes Oel, tan Terpentinessenz, Beh‘ Firniss. 222 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN In Ermanglung dieser Stoffe kann man auch schwarzen Kaffee, Milchkaffee oder Milch, Gummi- und Zuckerwasser und selbst gewöhnliches reines Wasser anwenden. Das Papierblatt wird mit diesen Flüssigkeiten befeuchtet (z. B. unter einer Brunnen- röhre) oder in dieselben eingetaucht — beides rasch — und dann lässt man es trocknen, am besten aufgespannt, damit es nicht Blasen wirft. Beschreibung. Der Karte und den Ansichten, die aufgenommen wurden, hat man endlich die topographische Beschreibung der Gegend beizufügen. Positive Vorschriften hierüber lassen sich nicht geben. Der Werth der Beschreibung hängt zunächst ab von der Vollkommenheit in der erlangten Kenntniss des Landes; sodann von dem Anschauungs- oder Auffassungsvermögen in Bezug auf die räumlichen Formen; endlich vom Geschick, in wirksamer, anschaulicher und an- sprechender Weise wiederzugeben, was wir zu unserm geistigen Eigenthum gemacht haben. Vor allen Dingen trachte man nach Klarheit der Darstellung, damit dem aufmerksamen Leser nicht Zweifel aufsteigen über das, was thatsächlich dargelegt werden wollte — Zweifel, welche ein Gefühl der Unsicherheit, Misstrauen und Unmuth wecken. Man gebe einen genauen und vollständigen allgemeinen Ueberblick über die zu be- schreibende Gegend, und vergegenwärtige sich dabei neuer- dings lebhaft alle Verhältnisse der Form und Lage, die man durch Rekognoszirungen und topographische Aufnahmen kennen lernte. Aber man hüte sich, diese Vertrautheit mit der Gegend — trotz Karten und Ansichten, die man beifügt — auch schon beim Leser vorauszusetzen. Vielmehr halte man möglichst darauf, dem Text, bei aller Bezugnahme auf die graphischen Beilagen, Verständlichkeit, Anschaulichkeit und so zu sagen plastische Wirksamkeit zu geben, als ob er selbständig, für sich allein, da wäre. Daneben wird es Aufgabe des Verfassers sein, aus der Darstellung Trockenheit fern zu halten, um auch in dieser Hinsicht den Leser zu fesseln. GEOLOGIE. Es gibt ein Gebiet der Geologie — und nicht das un- wesentlichste — welches ein Jeder, ohne dass er Geolog von Fach ist, in der Gegend, welche er besucht, studiren GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE PB) kann; es ist dasjenige, was wir die Geologie der Erdober- fläche nennen werden und worunter wir die Erscheinungen und Veränderungen an der Erdoberfläche verstehen, welche in relativ neuer Zeit stattgefunden haben und fortwährend noch stattfinden. Ihr stellen wir gegenüber die Geologie des Erdinnern, welche sich mit der Struktur des Bodens, mit den verschiedenen geologischen Formationen und deren Alter befasst und welche zu ihrer Anwendung und ihrem Ver- ständniss viele Spezialkenntnisse und viel Uebung erfordert. GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE. Niveau-Aenderungen. Bekanntlich findet man an den Abhängen und auf Gipfeln sehr hoher Berge versteinerte Muscheln des Meeres; am Himalaya z.B. bis zu 4600 m absoluter Höhe. Daraus folgt, dass entweder einmal das Meer bis zu diesen Höhen hinanreichte und sich nachher um diesen un- geheuer grossen Betrag zurückzog und verkleinerte, oder aber dass die Felsen, welche jene Muscheln einschliessen, früher in der Tiefe sich befanden und später emporgehoben wurden auf die Höhe, wo wir sie jetzt finden. Auf die eine oder andere Weise müssen jene Felsen einmal unter dem Meeresspiegel gewesen sein, so dass marine Muscheln sich auf und in denselben einfinden konnten. Nun ist aber der erste Theil der Alternative zum Vornherein unwahrscheinlich ; wenn die Berge früher schon die Höhe gehabt hätten wie jetzt, wenn der Ozean diese Höhen erreicht und bedeckt, dann aber durch Verdunstung und Rückzug sich auf seinen jetzigen Stand reduzirt hätte — wohin sollten so ungeheure Wassermassen gekommen, welches sollten die Ursachen einer so unbegreiflichen Verdunstung gewesen sein? Die Hypothese, von der die Rede ist, könnte auch offenbar nur angenommen ' werden, wenn die Gesteinsschichten mit eingeschlossenen Meermuscheln nur aus wagrechten regelmässigen Bänken be- stünden, nach Art der Ablagerungen, die sich jetzt auf dem Meeresgrunde und an den Küsten bilden. Allein dies ist nicht der Fall; vielmehr sind jene Schichten und Bänke in schiefe, oft sehr stark geneigte, oft senkrechte Stellung gebracht, gehoben, dislozirt. Diese Thatsache allein schon spricht ent- 224 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN scheidend für die zweite Erklärungsart: das Material der Kontinente und Berge, die Gesteine mit Ueberresten von Meeresthieren, sind aus dem Schoose des Ozeans, auf dessen Grunde sie entstunden, sammt den organischen Einschlüssen emporgestiegen, emporgehoben worden. Bei dieser Bewegung, die mehr oder minder schnell oder langsam, ruckweise oder stetig erfolgen mochte, wurden viele Schichten aus ihrer ur- sprünglichen annähernd horizontalen Lage herausgebracht und traten grosse Störungen ein. Welches immer die Ursache (die causa efficiens) dieser Bewegung sei: wir sind durch die erwähnten Thatsachen gezwungen anzunehmen, dass im Laufe der geologischen Perioden eine Gegend bedeutende Aenderungen ihres Niveaus erleiden konnte und musste. Solche Veränderungen — Hebungen und Senkungen des Bodens — gehen noch vor sich; die Erdkruste ist keineswegs so stabil, wie man gewöhnlich glaubt. Zahlreiche Traditionen sprechen von Landgebieten, welche dem Schoosse des Meeres entstiegen und von früherem Festland, das jetzt Meeresboden sei. Ausserdem gibt es positive Beweise, zuverlässige Beob- achtungen, welche konstatiren, dass solche Bewegungen in geologisch neuer Zeit vorkamen und noch vorkommen in der Gegenwart. Um bei dem bekanntesten Beispiel stehen zu bleiben, erwähnen wir nur die Beobachtungen von Celsius, Linne und andern Gelehrten über die Küsten von Schweden und Norwegen. Celsius und Linne brachten 1731 an Felsen der Ostseeinsel Loöffgrund Merkzeichen an, womit sie kon- statiren konnten, dass diese Insel in 13 Jahren um 18 cm gehoben worden war. Im Jahre 1849 betrug die Differenz 91 cm. Andrerseits bewies Nilson 1837, dass der Boden von Schoonen, des südlichsten Theiles von Schweden, sich gesenkt habe, dass ein Felsblock, dessen genaue Entfernung vom Meere Linne 1749 gemessen hatte, nunmehr .30,5 m näher am Meeresufer sei. Es beweist dies wiederum, dass diese Veränderungen nicht in Schwankungen (Steigen oder Sinken) des Meerespiegels bestehen; sonst wäre die Aenderung überall, jedenfalls wenigstens an derselben Küste, die nämliche nach Art und Betrag, während in Wirklichkeit nachgewiesen ist, dass in hundert Jahren der Hintergrund des bottnischen Golfes (bei 66° n. Br.) um 1,6 m, die Küste bei den Aalands- inseln (61°) um 1 m gestiegen, die Südspitze Schoonens aber GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 225 (bei Malmö, 56°) seit den Beobachtungen Linne's um 1,5 m gesunken ist. Es ist das also nicht ein allgemeines Sinken des Landes, sondern eine Schaukelbewegung desselben um eine gewisse Axe. Seit man auf diese Schwankungen aufmerksam gemacht hat, sind die Beispiele von solchen sehr zahlreich geworden; man hat sich überzeugt, dass sie sozusagen in keiner Gegend fehlen. Der nachgewiesene Betrag dieser Niveauänderungen ist ein geringer; allein man muss wohl bedenken, dass die Geologie eine noch junge Wissenschaft ist und die ersten Beobachtungen über diese Oszillationen des „festen“ Bodens aus dem Jahre 1749 datiren; mit Rücksicht auf die ver- hältnissmässig kurze Zeit, die seit jenen ersten Messungen dieser Art verflossen ist, sind die Zahlenwerthe der in Rede stehenden Bodenbewegungen erheblich genug. Wenn es eines mehrere Generationen umfassenden Zeitraums bedarf, um jene langsamen sogenannten säcularen Aenderungen recht be- merkbar werden zu lassen, so sind andrerseits die jetzt schon erlangten Resultate hierüber derart, dass die Er- 'scheinung, der Vorgang an sich, als eine unzweifelhaft nach- 'gewiesene Thatsache bezeichnet werden muss. Wir sprechen nicht von den plötzlich eingetretenen Niveauveränderungen, deren einige unter den Augen der Bewohner des betreffenden ‚Gebiets sich ereigneten, wie die Bildung des Monte Nuovo ‚bei Neapel im Jahr 1538, die des Vulkans Jorullo in Mexico 1759, das Erscheinen und Verschwinden vulkanischer Inseln etc., sondern von den langsamen oder säcularen Schwan- kungen des Bodens, deren Effekt erst nach längerer Zeit be- merkbar wird. Es gehört zu den Aufgaben des Reisenden, zu erforschen ob die Gegend, welche er besucht, solche Niveauschwankungen aufweist oder nicht. Dies zu konstatiren, ist im Binnenlande sehr schwierig; denn gesetzt, man hätte für gewisse Punkte, deren Höhe schon bestimmt war, durch neue Messungen andre Resultate erhalten, so wüsste man nicht, soll man diese einer Niveau- veränderung oder aber Fehlern in der (alten) Messung zu- schreiben. Erst auf Grund sehr genauer Nivellements (Prä- zisionsnivellements) wird man später solche Veränderungen nachweisen können; zudem muss dabei vorausgesetzt werden 15 226 _ BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN dürfen, dass der Anfangs- oder Ausgangspunkt des Nivelle- ments selber unveränderlich, unbeweglich sei. Inzwischen kann man Bodenschwankungen in Binnenländern nur nach- weisen, wofern sie Veränderungen im Laufe fliessender Ge- wässer hervorgebracht haben. Wenn eine Wasserader all- mälig immer mehr nach einer und derselben Seite hin verlegt wird, so beweist dies, dass auf dieser Seite eine Senkung, oder auf der andern eine Hebung des Bodens stattfand. Wenn ein Gewässer seinen Lauf so ändert, dass er vom frühern, unter Durchbruch des alten Ufergeländes, senkrecht‘ abbiegt, so muss unzweifelhaft der Boden nach dieser Seite hin gesunken sein. Wenn ein Fluss in seinem Unterlauf ein trockenes, verlassenes Bett aufweist, das Wasser sich im Boden verliert oder Seen, Lagunen und Moräste bildet, kann man daraus auf eine stattgefundene Hebung der Küsten- gegend schliessen. Uebrigens können Niveauveränderungen, ausser durch Bodenschwankungen, auch durch Ablagerungen und Abtragungen (Erosion) de Wassers und andrer Agentien verursacht sein. Die egyptischen Tempel sind halb bes im Wüstensand; der alte Boden, worauf sie erbaut sind, liegt also in einer gewissen Tiefe unter dem jetzigen. Die Seitenterrassen der "Thäler andrerseits zeigen uns, wie wir später sehen werden, dass früher der Thalboden höher waı | g als jetzt. I Leichter sind die in Rede stehenden Nachweise in Küsten- landschaften, wo der Meeresspiegel eine Basis für Verglei- chungen bildet. Allein die Methode, deren sich Linne be- diente, wäre kaum anwendbar für einen Reisenden, der selten so lange in einem Lande bleiben wird, dass allfällige Boden- schwankungen inzwischen messbare Beträge liefern würden Alles wäs er in dieser Richtung thun könnte, bestünde darin: dass er Fixpunkte anbrächte, deren Entfernung vom Meere oder deren Höhe über dem mittleren Meeresspiegel genat bestimmt würde; den Bewohnern des Landes oder künftiger Reisenden läge es ob, nach Verfluss einer mehr oder minder langen Zeit zu ern n. ob sich Veränderungen in deı Lage dieser Merkzeichen nachweisen lassen oder re | Es gibt aber glücklicherweise andere Mittel, um diest Niveauänderungen zu erkennen und oft auch zu messen Hieher gehört vorab die Kenntniss des früheren Zustand‘ GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE Ban der Dinge nach mündlichen Ueberlieferungen, alten Karten und Schriften. Auf diese Weise konnte der berühmte Geo- loge Leopold von Buch die Hebung der Nordküste des bott- nischen Golfes konstatiren; er brachte nämlich in Erfahrung, dass an der Stelle, wo jetzt die Strasse dem Meeresufer entlang läuft, ehemals die Fischerbarken sich tummelten. Felsen, die jetzt im gleichen Niveau mit dem Meeresspiegel liegen, während sie früher, etwa nach Beobachtungen alter Lootsen, über die Wasserfläche emporragten ; seichte Meeres- buchten, an deren Stelle früher, wie Greise sich erinnern, Kulturland war, oder Vorkommnisse entgegengesetzter Art sind Anzeichen von Schwankungen des Bodens in der einen oder andern Richtung, Schwankungen, deren Betrag (Ampli- tüde) man wenigstens annähernd bestimmen kann, wenn man den Zeitraum kennt, in welchem sie vor sich gingen. Städte, welche alte Geographen als Hafenplätze nennen, die aber jetzt in einiger Entfernung vom Meere und über dessen Niveau liegen, sind gewichtige Beweise einer Hebung der Küsten. So befindet sich der alte römische Hafen Alaterva (Cramond), dessen Quais man noch sieht, heute 7,5; m über dem Meere in ziemlich grosser Entfernung von der Küste. Andrerseits ist die Abtei Saint-Nicolas-de-Grave, von der die Chroniken des 13. Jahrhunderts sagen, sie sei auf einem Vorgebirge erbaut, verschwunden — untergetaucht! nur ein Theil des Vorgebirges ist sichtbar geblieben; es ist der rocher de Cordouwan, welcher 7 Km von der Küste entfernt ist, mit welcher er nach der Tradition noch gegen das Jahr 1500 durch eine Landzunge verbunden war. Man wird ferner die alten Hafenbücher und hydrographischen Karten zu Rathe ziehen, um zu sehen ob ihre Angaben, Tiefenzahlen u. s. w. dem jetzigen Zustand entsprechen. Beim Nachmessen der Tiefen muss man namentlich sondiren über Klippen und Felsgrund überhaupt, d. h. an Stellen, wo eine Tiefendifferenz nicht von Versandung oder von Aus- waschung durch fliessendes Wasser herrühren kann. In manchen Fällen können die Schwankungen direkt nachge- wiesen werden ohne Zuhülfenahme von Zeugenaussagen und historischen Anhaltspunkten. Hat z. B. das Meer untere Quartiere einer Stadt oder eines Dorfes am Gestade ver- schlungen oder bedeckt es zum Theil eine Strasse, welche | 228 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | der Küste entlang geht, so muss an diesen Stellen eine Senkung vorgekommen sein; wenn ein Hafen die nöthige Tiefe nur beibehält in Folge von Baggerungen und ähnlichen Wegräumungsarbeiten, so ist es wahrscheinlich, wenn nicht gewiss, dass der Boden sich hebt. Ebenso zeigen Fluth- marken über dem jetzigen Wasserstand, frühere Hafenplätze, die nun im Lande liegen, Ringe, die zum Anbinden der Schiffe dienten und jetzt vom Wasser weit abstehen, sowie ähnlich gelegene alte Anker und andere Schiffsüberreste eine stattgefundene Hebung an; während andrerseits vom Wasser verschlungene Gebäude, römische Gräber, Strassen, Mosaik- boden u. dgl., die jetzt vom Meere bedeckt sind, offenbar eine Senkung des Bodens verrathen, der sie trug. Endlich gibt es natürliche Merkzeichen stattgefundener Oszillationen des Bodens. Solche sind einerseits die Spuren des früheren‘ Meeresspiegels, welche an den gehobenen Strandfelsen durch Bohrmuscheln (Lithophagen) sowie durch die Wirkung des Wassers entstanden und die alten Küstenumrisse, welche) bezeichnet sind durch Dünenwälle und landeinwärts lie-: sende alte Uferlinien; andrerseits Spuren von unter Wasser! versenkten Wäldern, bestehend in Ueberresten von Land- pflanzen. Gewisse Schalthiere des Meeres wie die Stein- und Messer- muscheln (Pholaden und Balanen) bohren in die Felsen Löcher, worin sie wohnen, und sie thun das namentlich an der Wasser- grenze. Solche Löcher findet man ausser an dem gewachsenen‘ Fels der Küste auch an Gebäuden, deren Fuss lange vom Meere bespült wurde. Beobachtet man nun diese Bohr-' muschelspuren in einem Niveau, welches vom Meeresspiegel nicht mehr erreicht wird — an Felsen des Strandes, am Fuss eines Leuchtthurmes, an einem Damme, Quai oder einem Gebäude: so weis man, dass hier der Boden gehoben worden ist. Ja wenn das Gebäude, um welches es sich handelt, seiner Bestimmung gemäss ursprünglich ausser dem Bereich! des Meeres gewesen sein musste, so kann man aus solchen Bohrlöchern auf eine zweimalige Niveauveränderung schliessen: es musste eine Senkung eintreten, damit die Fluthen F | Gebäude bespülen konnten, und dann eine Hebung, welche, es wieder ausser den Bereich des Wassers brachte. Ein klas-' sisches Beispiel hiefür bietet der Serapistempel bei Neapel. GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 229 Diese langsamen Bodenschwankungen bewirken keineswegs den Einsturz der Gebäude; und aus dem guten Zustand, in welchem solche sich befinden, darf man nicht ohne Weiteres den Schluss ziehen, dass seit deren Bau der Boden, ihre Unterlage, stabil geblieben sei. Sind die Bohrlöcherreihen am Ufer, an Gebäuden u. s. w. nahe an einander, so muss die Hebung eine langsame, all- mälige gewesen sein; stehen sie aber von einander ziemlich weit ab, so beweist dies, dass die Hebung rascher vor sich ging, es wäre denn, dass Hebungen mit Senkungen gewechselt hätten. Unter der steten Einwirkung der Wellen bilden sich an Steilküsten Höhlen oder Grotten, deren Niveau gegeben ist, indem es da liegt, wo die Wogen brandend an die Küsten schlagen: zwischen dem Wasserspiegel und derjenigen Höhe, in welcher die Kraft der Wellen sich verliert, indem diese in Schaum zerstieben. Wenn man also in einer Höhe, wohin jetzt die Wellen nicht mehr gelangen, solche Höhlungen bemerkt, so kann man daraus auf eine Hebung der Küste schliessen. Würde man im Gegentheil dergleichen Grotten wahrnehmen, welche sich unter Wasser befinden, so wäre damit eine Senkung nachgewiesen. Indem die Meereswogen beständig die Felsen des Strandes benagen, bilden sie ferner in der Ebene des Wasserspiegels oder etwas höher oben eine Art Gesimse oder Plattformen, mehr oder minder ausgedehnte Terrassen: „horizontale Ein- schnitte an den Felsabhängen der Küste, welche sich, wenn gut erhalten, wie Wege ausnehmen, die man durch Ein- sprengung in die Felswand eingelegt hat“ '). Die Felsen unter dem Wasser sind geschützt; die obern werden erodirt; zwischen beiden bildet sich in wagrechter Richtung, im Niveau des Meeres, eine gesimsartige Fläche. Wo die Gezeiten sich geltend machen, entstehen gewöhnlich zwei solcher Terrassen : wovon eine der Fluth und die zweite der Ebbe entspricht. Beobachtet man nun solche Formationen über oder unter 1) Ueber ehemalige Strandlinien in anstehendem Fels in Norwegen von Dr. R. Lehmann, Halle 1879. Vgl. Naturforscher 1879, Nr. 39. Zur Strandlinienfrage von Dr. R. Lehmann; Giebel’s Zeitschrift für die Gesammten Naturwissenschaften 1880, S.280. Ebendaselbst (S. 246—279): C. Petersen, Scheurungserscheinungen in der gegenwärtigen Littoralzone. — Gäa 1880, XII. Heft, S. 701: Graf F. Berg, .- Bien Norwegens. — Studer, physikalische Geographie I. Bd. S. 177 ff. und 365 ff. | | 230 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | dem jetzigen Wasserspiegel, so sind das werthvolle Anzeichen stattgehabter Schwankungen des Bodens. An Flachküsten führen die Wogen bei ihrem Rückzug Kies und Sand mit sich und bilden so zusammenhängende Wälle oder einzelne Hügel von Sand und Geröll, Strand- oder Uferwälle und Dünen’). Findet man nun an einer und derselben Küste mehrere solcher Wälle oder mehrere Reihen von Dünen, so muss die Küste gehoben worden sein; denn jede Düne be zeichnet eine Meeresgrenze für eine bestimmte Periode. Sind die Strandwälle und Dünenketten weit von einander entfernt, so muss die Hebung rasch, ruckweise vor sich gegangen sein; langsam aber, wenn die Hügel nah aneinander, nicht scharf getrennt und hervortretend sind. Meeres- oder Küstenterrassen finden sich oft tief im Binnen- lande. Man muss aber sehr aufmerksam beobachten, um sie zu erkennen, denn oft sind sie verdeckt durch Wald und Buschwerk, oft durch Schutthalden, die an ihrem Fusse in | | Folge Verwitterung der obern Partien sich gebildet haben; | | oft auch sind sie tief durchfurcht von Wasserrinnsalen, so dass der Zusammenhang unterbrochen, die Wand zerstückt ist. m allen solchen Fällen wird man genau prüfen, ob man es mit einer alten Steilküste zu thun hat oder nicht. Die Kenn- zeichen, welche eine solche nackte Felsmauer als früheren Strand charakterisiren, sind: Spuren von Erosion durch Wellenschlag;; Löcher von Bohrmuscheln ; Grotten am Fuss steiler Wände; fest verkittete Konglomerate aus Sand und Strandgeröllen (platte und glatte Steine), mitunter gemischt. mit Meermuscheln — welche Konglomerate sich in den er- wähnten Grotten und am Fusse der Steilwände vorfinden. Enge, nach dem Meere zu ausmündende Thäler können alte Fjorde?) einer gehobenen Küste sein; es sind daher deren Seitenwände aufmerksam zu beobachten; die Spuren einstiger Bespülung durch das Meer sind hier sehr oft besser erhalten als anderwärts. | An Küsten mit Korallenriffen sind Bewegungen des Bodens leicht zu konstatiren; da die Polypen nicht ausserhalb des 1) Vgl. unten S. 238, ferner Peschel-Leipoldt, Physische Erdkunde, I. Band, N Banzis 1879, 8. 447 ff. B. Studer, physikalische Geographie und Geologie, 1. Bd- | S. 186 ff. | 2) Vgl. Peschel-Leipoldt, a. a. O. S. 352 ff. und 461 ff. Desor, der Gebirgsbau | der Alpen. | | GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 234 Wassers und nicht in grosser Tiefe leben können, so be- weisen Korallenriffe, die sich über dem Meeresspiegel befinden, — da sie nur unter Wasser entstanden sein können — dass eine Hebung stattgefunden hat; grosse Tiefen aber in der Nähe von Korallenriffen sind ein Beweis für ein all- mäliges Sinken des Meeresgrundes; denn die Polypen konnten ihren Bau nur beginnen auf einem nicht tief unter Wasser gelegenen Fundamente. Für den Reisenden handelt es sich in all’ diesen Fällen um genaue Beobachtung der Thatsachen. Was die Ursachen dieser langsamen, säkularen Oszillationen der Erdrinde an- betrifft, so ist man dafür immer noch auf Hypothesen an- gewiesen. Der Beobachtung entgehen sie, ausgenommen, wenn es sich um lokale und mehr zufällige Niveauänderungen handelt !). Umgestaltung der Küsten. Hebungen und Senkungen verändern selbstverständlich die Küstenumrisse; es gibt aber Umgestaltungen der Grenzlinien zwischen Land und Wasser, die von andern Ursachen herrühren. Eine Meeresbucht, ein Hafen können versanden; die Küste zieht sich dann zurück, ohne dass eine Niveauänderung stattgefunden hätte. Vielleicht hat man aber, gestützt auf einzelne solche Vorkommnisse, zu sehr generalisirt und ist es wahrscheinlich, dass unter den Fällen, die man als hiehergehörig aufgezählt findet, mehrere sind, wobei langsame Hebungen des Bodens mit- 1) Wir geben diesen Abschnitt unverändert nach der Fassung des französischen Originals. Es kann dies um so eher geschehen, als darin nachdrücklich betont wird, dass die Beobachtung der Thatsachen das Wesentlichste sei. Immerhin wollen wir in Betreff der einschlägigen geologischen Theorien beifügen, dass sich in denselben ein wichtiger Umschwung bemerkbar macht. Schmiek, Trautschold und Petersen haben in neuerer Zeit die Ansicht verfochten, nicht das Land ändere sein Niveau, sondern das Meer; ihnen schliesst sich nun der berühmte österrei- ekische Geologe Ed. Süess an. Derselbe erregte grosses Aufsehen durch einen in den Sitzungen der geologischen Reichsanstalt zu Wien mitgetheilten Vortrag „über die vermeintlichen säkularen Schwankungen einzelner Theile der-Erdober- fläche“, worin er die Ueberzeugung aussprach, dass es keinerlei vertikale Bewe- gungen des Festlandes gebe. Die Erscheinungen, welche als Belege für die säku- laren Hebungen und Senkungen angesehen werden, erklärt Süess (wie Schmick) durch fortdauernde Veränderungen in der Gestalt der flüssigen Hülle des Erd- körpers. Eine grössere Arbeit des geistvollen Wiener Geologen über diesen Gegen- stand — die eigentliche Vertheidigung seiner Lehre und Diskussion der gegen dieselbe unverzüglich entstehenden Einwendungen — sollnachfolgen. Vgl. Verhand- lungen der k. k. geologischen Reichsanstalt 1880 Nr. Il. Petermann’s geogra- phische Mittheilungen 1880 Nr. 4. — Die bis anhin herrschende Anschauung über diesen Gegenstand findet man kurz dargelegt in einem Vortrag vor Dr. Toula über säkulare Hebungen und Senkungen. Vgl. auch Heer’s „Urwelt“ und Darwin’s „Korallenriffe.“ 232 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | | \ wirkten. Die Stadt Adria in Venetien, von welcher das adriatische Meer seinen Namen hat, liegt jetzt 18 Km von ü der Küste entfernt; Ostia am Tiber wurde, wie sein Name andeutet (Ostium, Mündung) an der Mündung des Flusses erbaut; die Stadt wurde auch wiederholt näher ans Meer verlegt, und doch ist sie jetzt davon ziemlich weit entfernt; in diesen Fällen darf man annehmen, die Landstriche zwischen bildet worden: Der Detritus, den Po und Tiber mit sich Meer und Stadt seien durch Ablagerungen der Flüsse ge d ' führen, kann hiezu genügen. Wenn aber der alte Hafen- platz Utica in Tunis vom Meere jetzt durch eine weite Ebene getrennt ist, so scheint es kaum statthaft, dass dies ohne mitwirkende Küstenhebung blos durch Alluvionen, eines so unbedeutenden Flüsschens wie der Medjerda geschehen sei. Ebenso scheint es unwahrscheinlich, dass Einbrüche des Meeres wie die Bildung der Zuydersee ohne Bodensenkung, bloss durch Wasserwirkung, verursacht worden seien. Wie dem auch sei: Vorgänge, deren Wirkung weniger in einer Aenderung des Niveaus als vielmehr in einer Um- gestaltung der Küstenumrisse besteht, besprechen wir unter letzterem Titel und rechnen also hieher die Versandungen ' und Auffüllungen (Colmatirungen) einerseits wie Meeresein- brüche andrerseits. Dem Reisenden bleibt es überlassen, in jedem Spezialfall die verwickelten Ursachen der Erscheinung zu erforschen. Streng genommen gibt es keine Küste, die bei der bald 'zerstörenden bald aufbauenden Wirkung des Wassers un- verändert bleibt. Eine jede wird im Laufe der Zeit mehr oder weniger umgestaltet. Für den Reisenden ist es von Interesse, diese Veränderungen zu studiren, sei es vom rein geologischen Standpunkt aus, sei es mehr mit Rücksicht auf die historische Seite der Sache: die Frage nach der früheren Konfiguration des Landes. Den Aenderungen, wovon wir sprechen, ist eine Küste in um so höherem Grade unterworfen, je mehr Vorsprünge und Einschnitte sie hat. Die Wellen üben ihre zerstörende Thätigkeit namentlich an den zungenartigen Vorsprüngen des Landes, und das Gerölle und den Sand, welche sie mit- führen, setzen sie namentlich in den Buchten mit ruhigem Wasser ab. Die Küstengestalt, welche am meisten Wider- GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 233 standsfähigkeit besitzt, ist indessen nicht die gradlinige, sondern eine regelmässig hin- und hergebogene. Die hohen Steilküsten sind den Angriffen des Wassers mehr ausgesetzt als die niedrigen Flachküsten ; die ersteren bieten den anprallenden Wogen eine grössere Angriffsfläche dar. Dabei wirkt das Wasser nicht blos durch seine eigene Kraft, sondern auch durch die Gesteinstrümmer, welche die heranrollenden Wogen mit sich führen und gegen die Felsen schleudern. Diese unaufhörliche Thätigkeit der Wellen unter- höhlt die Felsen am Strande, sodass obere Theile derselben herunterstürzen; schmale Spalten werden verbreitert und ganze Blöcke des anstehenden Gesteines lösen sich ab; die Trümmer werden von den brandenden Wogen gewissermassen als Widder gegen die Felswände geworfen und helfen so mit an dem Werke der Zerstörung. Die Grundwellen er- reichen die Küste mit ausserordentlicher Höhe und Gewalt, die oft noch vermehrt wird durch Stürme, sodass ihr Anprall den Fels in seiner ganzen Masse fort und fort erschüttert. Zu dieser grossen mechanischen Wirkung (Erosion) kommt hinzu, dass das Meerwasser bei seinem Salzgehalt auch eine grössere lösende Kraft hat als süsses Wasser, dass mithin ein starkes chemisches Erosionsvermögen dem mechanischen noch Hülfe leistet. Der Widerstand der Küsten ist ver- schieden nach Härte, Kompaktheit und Schichtung des Gesteins. Alle Steilküsten aber werden erodirt und rückwärts gedrängt. Kleinere und grössere Inseln und Klippen in der Nähe der Küsten sind gewöhnlich abgelöste Theile des Kontinents, mit welchem sie früher fest verbunden waren und zu welchem von ihnen aus oft noch untermeerische Felsrücken hinüber- leiten. Bei aufmerksamer Prüfung der Formen und des Reliefs dieser sogenannten kontinentalen Inseln, der Richtung ihrer Bergekämme und Felsschichten, kann man öfters die früheren Landumrisse in grossen Zügen rekonstruiren. In- dessen können solche Lostrennungen auch verursacht werden durch rasche, gewaltsame Dislokationen ; einen solchen Vorgang wird man annehmen müssen, wenn die Schichtung der beiden Theile (der Insel und des gegenüberliegenden Landes) eine ungleichartige (diskordante) ist. Endlich ist nicht zu über- ' sehen, dass durch Senkung und Hebung Halbinseln zu Inseln werden können und umgekehrt. 234 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Von allen Seiten der Wirkung des Wassers ausgesetzt, | nehmen die Inseln mit steilen Küsten fortwährend an Grösse ab; umgekehrt werden aus gleichen Ursachen Meerengen | mit steilen Ufern durch Wogen und Strömungen beständig verbreitert. Das Material, welches die Wellen von Steilküsten abe lösen, wird entweder in der Tiefe des Meeres abgelagert oder zu neuen Uferbildungen verwendet. In weiten Buchten, wo auf wenig geneigtem Strande die Wellen sich verflachen und besänftigen, wird der Sand und das Geröll abgelagert, welches das stark bewegte Wasser mit sich brachte. Die Tiefe nimmt ab, der Boden erhöht sich, wird fester und bedeckt sich schliesslich mit Vegetation. Dieser Landzuwachs kompensirt den anderwärts eingetretenen Landverlust. Zu- weilen lagern Wellen und Meeresströmungen die Stoffe, welche sie mitführen, nicht unmittelbar an der Küste, sondern | in einiger Entfernung von derselben ab. Auf diese Weise entstehen die Nehrungen oder lidi, welche sich der Küste entlang hinziehen, manchmal den Eingang zu einer Bucht absperren und so Lagunen oder Strandseen (etangs) bilden, \ deren stagnirendes Wasser sich mit Pflanzen bedeckt, ver- | dunstet und bald ersetzt wird durch mehr oder minder sumpfiges Terrain. Die Ströme führen namentlich in Zeiten des Anschwellens viele suspendirte Theile, Sand und Schlamm, bei ihrer Mündung ins Meer. Wenn der Fluss eine starke Strömung hat, so trägt diese die schwebenden festen Theile weit hinaus; aber bei geringer Wassermasse und Geschwindigkeit des Flusses gewinnt die stauende Wirkung des Meeres die Oberhand, sie verhindert den Weitertransport der Sinkstoffe und bewirkt, dass diese nahe der Mündung abgelagert werden. Es bilden sich dann Barren quer zur Richtung des Flusses, Sandbänke an der Strommündung. Es kann hinzukommen, dass in Folge von Meeresströmungen die Mündung und der unterste Theil des Flusslaufes allmälig verlegt wird. Die vom Strome mitgeführten Sinkstoffe müssen nothwendig auch zur Aus- füllung (Colmatirung) der Lagunen und Aestuarien (Mündungs- trichter) mitwirken, und die Flussdeltas müssen sich ins Meer hinaus und seitwärts vergrössern, je mehr erdige Theile der Strom herbeibringt. GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 235 Diejenigen sandigen und erdigen Theile, welche sich nicht hier absetzen, sondern noch schwebend (suspendirt) bleiben und von Wellen und Strömungen weitergetragen werden, bilden dann ihrerseits Inseln, Sandbänke und Verlandungen längs der Küste, und sie tragen viel bei zur Colmatirung der Golfe, zur Verstopfung der Meer-Engen. Umgekehrt kann die See durch fortgesetzte Erosion Hinder- nisse beseitigen, welche sie von tiefer gelegenem Terrain trennen, und kann so weit ins Festland eindringen, indem sie Flächen, die vordem von Wäldern oder Ortschaften bedeckt und der Kultur dienstbar waren, in Meeresbuchten ver- wandelt. Die Küsten sind also in beständiger Umgestaltung be- griffen; ewig wechseln ihre Kontouren, und nie ist ihnen Dauer beschieden. Der Topograph, der sie zeichnet, stellt uns dar, was momentan ist, nicht aber, was war und sein wird. Es ist aber geologisch und historisch sehr interessant, wenigstens die namhaftesten dieser Aenderungen zu kennen, welche die Gegend erfuhr, die man besuchte. Wer mit den Ursachen dieser Vorgänge vertraut ist, kann nach Unter- suchungen an Ort und Stelle durch Rückschlüsse zum Theil die Modifikationen ermitteln, welche in der Küstenmodellirung vorgekommen sein müssen; aber es ist gut, dass man auch hierüber die Erinnerungen der Einwohner, Ueberlieferungen und Dokumente zu Rathe ziehe. Das Andenken an solche Vorgänge kann sich erhalten, sich verewigen, wenn es sich um grosse Ereignisse handelt wie Einbrüche des Meeres, Durchbrüche von Landengen, Ueberfluthungen von Städten und Dörfern, Zerstörung von Inseln und Felsküsten. Was die Verlandung von Lagunen (Haffen), Meeresbuchten und Flussmündungen, sowie das Anwachsen der Deltas betrifft, so sind das Erscheinungen, die viel langsamer vor sich gehen und daher weniger bemerkt werden. Man muss Zu- stände aus verschiedenen Perioden vergleichen, um hierüber Gewissheit und genauen Aufschluss zu erlangen. Alte Karten genügen selten; denn ihre Exaktheit kann zweifelhaft sein; aber man wird mitunter Anhaltspunkte finden bei alten geographischen und geschichtlichen Schriftstellern. Ihre Worte muss man indess oft mit vieler Vorsicht aufnehmen. Hiefür nur zwei Beispiele. Man liest, das Delta der Rhone 236 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN und dasjenige des Nils haben sich meerwärts verlängert, da der hl. Ludwig in Aigues-Mortes und in Damiette sich ein- und ausschiffte, während jetzt diese Stätte beide in einiger Entfernung vom Meere liegen. Nun ist aber bewiesen worden, dass zur Zeit des hl. Ludwig auch keineswegs die grossen Seeschiffe bis Aigues-Mortes kamen, sondern dass man in diesem Orte Fahrzeuge von geringerem Tiefgange bestieg, um sich so an Bord der Schiffe zu begeben. Und was Damiette anbetrifft, so mussten die Kreuzfahrer einen alten Kanal öffnen, um dorthin zu gelangen. Auch ist das heutige Damiette nicht das aus der Zeit Ludwigs des Heiligen; das letztere wurde geschleift und, nach dem arabischen Historiker Abu’l-Feda, weiter oben wieder auferbaut. Wir erinnern hier zudem an das, was wir oben über die Versandung von Häfen sagten: dass zu prüfen sei, ob dabei nicht auch Hebung mitgewirkt. Zu diesem Zwecke wird man sich ver- gewissern, ob die Höhenlage eines früheren Hafenplatzes noch so sei, dass die Meerwasser in denselben eindringen könnten und müssten, wenn die trennende Barriere .nicht existirte, dass z. B. seine Quais nicht mehr als 1 bis 1!/a Meter über dem mittleren Spiegel der See liegen. Ist der Höhen- unterschied grösser, so ist das Verlanden sicherlich einer Hebung zuzuschreiben'). Die Küsten bieten, vom geologischen Gesichtspunkt aus betrachtet, öfters noch andre interessante Eigenthümlich- keiten dar. Wir erwähnen zuerst die Fjorde, enge spalten- artige Thäler mit senkrechten, ja überhängenden Wänden, oft vielverzweigt und weit ins Land hinein sich erstreckend. Die Ansichten über ihre Entstehung sind noch sehr getheilt. Einige Geologen schreiben ihre Bildung, das Aushöhlen oder Ausgraben der Fjorde, der Thätigkeit alter Gletscher zu. Andere hingegen bestreiten die Möglichkeit eines solchen Auspflügens der Fjorde durch Gletscher und sind der Ansicht, die Gletscher haben vielmehr in der Weise gewirkt, dass sie diese Küsteneinschnitte vor Zerstörung bewahrten; ihre Thätigkeit sei also eine konservirende gewesen; die Fjorde selbst aber seien entstanden durch Spaltenbildung, durch Dislokation bei der Hebung der Kontinente oder durch die erodirende Thätigkeit fliessender Gewässer. Die Fjord- oder l) Credner, Die Deltas; Geographische Mittheilungen 1878 (Ergänzungsheft). GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 237 Splitterküsten kommen namentlich in den hohen Breiten beider Hemisphären vor, zwischen den Polen und 50° Breite; sie sind zahlreicher und mehr entwickelt an westlichen Küsten. Selten finden sie sich in der gemässigten Zone, und zwischen den Wendekreisen kommen sie nicht vor. Desshalb ver- muthet man eine Beziehung zwischen den Fjorden und den Gletschern, welche einstens grosse Theile der Erde bedeckten. Die Fjorde hätten sich besser erhalten, wo die alten Gletscher länger bestanden, während in Gegenden, wo Gletscher nie oder nicht lange existirten, jene Spalten und Einschnitte in die Küsten wieder verwischt und zerstört wurden durch lang andauernde chemische und mechanische Erosionswirkung der Luft und des Wassers. Der Reisende unterlasse nicht, wenn er dazu Gelegenheit hat, in erster Linie zu konstatiren, ob nicht Ausnahmen vorkommen in Bezug auf das oberwähnte „Gesetz“ der geographischen Vertheilung der Fjorde. Dann aber forsche er nach den Ursachen, welche Fjorde bilden konnten; er untersuche zu diesem Zweck die Wände jener Thäler, um womöglich zu ermitteln, welchen Agentien die Ausfurchung und Ausweitung dieser Küstenspalten zuzuschreiben sei, ob der Erosion und welcher Art derselben. Geglättete und ge- streifte Felsflächen, wovon unten noch die Rede sein wird, zeigen Gletscherwirkung an!), und eine sorgfältige Unter- suchung weist oft nach, dass die Tiefe des Fjords an seiner Ausmündung ins Meer geringer ist als binnenwärts; dass der Boden des Fjords am Ausgange erhöht ist durch alte submarine Gletscherwälle (Frontmoränen). Flachküsten ihrerseits haben oft erratische Blöcke. Das Vorkommen solcher „Findlinge“ muss man zu erklären suchen, wobei dieselben ja nicht verwechselt werden dürfen mit Trümmern von Felsstürzen, vulkanischen Eruptivgesteinenu.dgl. Die erratischen, Findlings-, Irr- oder Wanderblöcke können hergetragen und abgesetzt worden sein durch Gletscher — frühere oder jetzige — aus dem Innern des Landes. In diesem Fall muss ihre Gesteinsart den Bergmassiven des Landes angehören. Sie können aber auch über das Meer, durch Eisberge, an den Strand getragen worden sein. Dann 1) S. indessen die S. 129 erwähnte Abhandlung des Dr. C. Petersen. Vgl. auch Kollbrunner, Morphologie der Thalbildungen S. 20. 238 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN ist zu untersuchen, woher das Eis stammen konnte, welches Blöcke brachte von Gesteinen, die von den Felsarten des Landes verschieden sind. Einen ersten Fingerzeig über die Richtung, in welcher man nachforschen muss, gibt die Lage der Küste. Unterrichtet man sich dann über die geologische Beschaffenheit der Gegenden, aus welcher möglicherweise die Blöcke stammen können, so wird man ihren Ursprungsort oft ganz genau zu ermitteln im Stande sein. Die Blöcke können auch von den Eisbergen nach langem Umhertreiben beim Abschmelzen des Eises auf Meeresgrund gefallen sein, der später durch Hebung zur Küste wurde. Die Frage nach der Herkunft der Findlinge wird desshalb eine komplizirte, um so mehr als der Weg des Treibeises bestimmt sein konnte durch Meeresströmungen, die vielleicht andere Richtungen hatten als jetzt. Auf sandigen Flachküsten finden sich ziemlich allgemein Dünen, das sind Sandhügel, welche gewöhnlich da entstehen, wo ein sanft geneigter Strand, zusammengesetzt aus klein- körnigen losen Gesteinstrümmern, welche durch Wind und Wellen leicht in Bewegung gebracht werden, sich weit ins Meer hinaus erstreckt. Diese Sande, welche der Wechsel von Fluth und Ebbe bald unter Wasser, bald an die Luft bringt, werden im letzteren Falle sehr rasch trocken, und an einer offenen Küste werden sie, ein Spiel der Winde und der Wellen, landeinwärts getrieben. Tritt dieser Bewegung irgend ein Hinderniss entgegen, so entsteht an dieser Stelle sofort eine Anhäufung von Sand. Durch beständigen Nach- schub neuen Materials wächst der Haufen, die Erhöhung, zum Hügel oder Walle an. Die Sandmassen oben am Scheitel oder Kamm der Düne, welche ausserhalb des Bereichs der Wogen liegen, sind die trockensten, daher die leichtesten und beweglichsten, und vorzugsweise eine Beute des Windes, dessen Angriffen sie infolge ihrer Lage ohnehin mehr aus- gesetzt sind. Der Wind weht sie von der Stossseite weg; entweder gleiten und fallen sie nun an der andern, vom Winde abgekehrten Seite (Leeseite) hinunter oder sie werden in dieser Richtung weit forttransportirt. Weht der Wind lange Zeit und stark in derselben Richtung, so wird in dieser immer wieder dieselbe Bewegung der Theilchen wiederholt, die Düne selbst verändert ihre Stelle, sie wandert. Es ist GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 239 mit Rücksicht auf die Veränderungen, welchen eine Küste im Laufe der Zeit unterworfen sein konnte, von Interesse, an Ort und Stelle selber die Art der Bildung und des Wanderns der Dünen zu studiren und sich zu erkundigen über das Maass des Fortschreitens derselben in geschicht- licher Zeit. — Keine Dünen finden sich auf Flachküsten, die bestehen aus thonigem Boden, aus kompaktem Schlamm, aus Sanden, die reich mit organischen (pflanzlichen oder thierischen) Stoffen gemischt oder die verkittet sind durch Ab- sätze aus Kalk- und eisenhaltigem Wasser. Der Sand kann auch nicht die zur Dünenbildung erforderliche Beweglich- keit erlangen, wenn er zu grobkörnig ist oder zu viel grobe Gerölle enthält. An solchen Küsten bilden sich @Geschiebe- hügel und Wälle, welche den Dünen ähnlich, aber niedriger sind und — weil ihr Material zu schwer ist für die Stoss- kraft des Windes und nur starker Wellenbewegung folgt — sich nicht weiter hinaus erstrecken als bis zu den Stellen, wo die stärksten Wellen sich verlaufen. Ursprung und Bildung der Ebenen etc. Jeder flache Boden, welches auch seine Ausdehnung und seine Höhe sein mag, verräth Wasserwirkung. Die Tiefebenen sind entweder langsam emporgehobener Meeresboden oder Seeboden, der trocken gelegt wurde durch Vertiefung des Ausflusskanales oder Alluvialbildungen, welche allmälig die früher vorhandenen Depressionen des Bodens ausfüllten. In jeder Ebene, scheine sie noch so gleichmässig und sei sie noch so reichlich bewachsen, wird man natürliche oder künstliche Einschnitte finden — Gräben, Fluss- und Bachbetten und kleine Wasserrinnsale, Wegeinschnitte, Sand- und Kiesgruben etc. — welche die Struktur des Bodens blosslegen (geologische „Aufschlüsse“). Ist das Material fein- körnig und regelmässig geschichtet, so muss es sich in ruhigem Wasser abgesetzt haben, und zwar auf Meeresgrund, wenn die eingeschlossenen organischen Reste marinen Pflanzen oder Thieren angehören, hingegen auf dem Boden eines Süss- wasserbeckens, wenn die organischen Einschlüsse von Land- oder Süsswasser-Pflanzen und -Thieren herrühren; beobachtet man eine Mischung der beiderlei Fossilien, so hat man ein aus- gefülltes Aestuarium vor sich. Gröberes Material, unregel- mässigere, nicht ganz wagrechte Schichten sind Zeugen der 240 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Thätigkeit fliessenden Wassers; aus der Grösse des Geschiebes kann man. auf Geschwindigkeit und Stärke der Strömung schliessen. Es sind sogar bis zu gewissem Grade Schlüsse möglich in Bezug auf Herkunft und Richtung der Strömungen; zu diesem Zweck sammelt man Geschiebsmaterial an ver- schiedenen Punkten und vergleicht dasselbe in Bezug auf die Grössenverhältnisse. Da fliessendes Wasser zuerst die grössten Gesteinstrümmer, die Blöcke, absetzt, dann die Fragmente von mittlerer Grösse, das Geröll oder Geschiebe, zuletzt Sand und Schlamm, so werden jene Proben und deren umsichtige Vergleichung werthvolle Fingerzeige geben. Ist die Ebene gehobener Meeresgrund, so ist es wahr- scheinlich, dass sich an ihrem Rande Spuren alter Ufer- bildungen vorfinden. Ist sie durch Kolmatirung aus einem Aestuarium entstanden oder durch Vergrösserung eines Deltas, so zeigt der Boden in vertikalen Durchschnitten (Profilen) eine Reihe geneigter Schichten, die nach unten dicker (mäch- tiger), nach oben dünner und zudem von einer fast wag- rechten Bank groben Gerölles überlagert sind (Fig. 102). EENN Ist aber die Ebene alter nn Seeboden, trocken gelegt See durch Abfluss oder Ver- er \ a dunstung des Süsswas- N ran RR sers, so hat sie becken- artige Form, d. h. sie ist in der Mitte etwas tiefer, und an ihren Rändern gewahrt man noch Spuren jener Uferabstürze, die man Seehalden nennt. Wenn ein Meeres- arm, ein. Golf, ein Haff (Strandsee, Lagune) zufällig ge- schlossen, vom offenen Meere abgetrennt wird und durch Fig. 102. Verdunstung austrocknet, so zeigt das Terrain die vorhin erwähnten Merkmale, ist aber mit Salz-Efflorescenzen bedeckt und durch Einschlüsse mariner Pflanzen- und Thierreste aus- gezeichnet. Wenn endlich die Ebene zu Stande kam durch Ausfüllung (Kolmatirung) früherer Bodendepressionen, durch Absatzbildungen aus Gewässern, die chne Abfluss waren, so fehlen marine Reste und der Boden besteht aus horizontalen Schichten, die nach oben sehr feinkörnig sind, indem das Material der obersten Lagen entweder feiner Sand oder hart gewordener Schlamm ist. Ein Durchschnitt, z. B. ein tiefer GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 241 Wegeinschnitt, wird öfters unter den hier besprochenen Schichten den alten Boden erkennen lassen, auf welchem jene Sedimente sich bildeten. Auf welche Art immer eine Ebene sich gebildet haben mag, so wird sie selten intakt geblieben sein. Fliessende Gewässer schneiden in sie Furchen ein, die verschieden weit und tief sind je nach der Menge und Geschwindigkeit des Wassers, der Dauer seiner Thätigkeit und der Beschaffenheit des Bodens. Bald sind es einfache Bach- und Flussbetten und -Thäler, bald tiefe und enge Schluchten wie die Canons des nördlichen Amerika, die „Klammen“ der Ostalpen, bald breite Erosionsthäler, durch deren Sohle heute vielleicht nur noch eine unbedeutende Wasserader sich durchschlängelt. Es kommt vor, dass der alte Thalboden durch die erodirende Thätigkeit der Gewässer bis auf wenige isolirte Fragmente abgetragen und fortgeführt wird; jene Reste, die noch Zeugniss ablegen für den alten Zustand der Dinge, bestehen aus den festesten Gesteinen oder tragen wenigstens eine Decke aus resistenterem Material, wodurch sie geschützt wurden und er- halten bleiben konnten. In diesen verschiedenen Fällen wird man eine gewisse Uebereinstimmung finden für das Niveau der beiden Seiten eines und desselben Querprofils durch das Thal oder die Schlucht, sowie für die Höhenverhältnisse der Reste eines früheren Thalbodens im Längenprofil desselben '). Ein senk- rechter Querschnitt (Fig. 103 — 105) wird im Allgemeinen oben eine annähernd wagrechte Linie aufweisen, die unterbrochen ist durch Einschnitte von grösserer oder geringerer Breite und Tiefe; man kann im Geiste die alte Ebene rekon- struiren, so wie sie war vor ihrer Umgestaltung durch erodirende Ge- wässer: das alte Niveau der Ebene wird angegeben durch die wag- rechte Oberfläche; die Lücken muss man sich ausgefüllt denken. Bei genauerer Betrachtung der Fig. 104. g 1) Die im Querprofil einander entsprechenden Thalbodenreste gehören zu einer und derselben Terrasse; die im Längenprofil zusammengehörenden Theile bilden eine Thalstufe. A. Heim, Untersuchungen über den Mechanismus der Gebirgs- bildung, Basel 1878, I. Bd. S. 282. A. Bodmer, Terrassen und Thalstufen der Schweiz, Zürich 1880. 16 242 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Struktur des Bodens wird man bemerken, dass die Seiten- wände von Schluchten und Thälern und isolirten Felsresten übereinstimmende Schichten aufweisen. Wenn derart hori- zontale Bänke in entsprechender Lage und gleicher Anord- nung auf einander folgen, so ist es augenfällig, dass die Bodenformen nur durch Erosion entstanden sein können, An welche sie aus dem Vollen heraus- 4, urbeitete wie der Meissel des Bild- NOTE m hauers aus dem rohen Block eine Fig. 105. Figur schuf. Das oben Gesagte bezieht sich auf Ebenen jeder Art: Steppen, Prairien, Pampas, landes etc. Die Unterschiede, welche die Art ihrer Vegetation bewirkt, hängen weniger zu- sammen mit der Art ihrer Entstehung als vielmehr mit der Bodenbeschaffenheit, wie mit Mangel oder Reichthum an Feuchtigkeit. So beruht die traurige Oede der südwest- französischen Heiden (landes) darauf, dass ihr Untergrund aus einer kompakten Sandschicht ln, welche das Regen- wasser zurückhält in stagnirenden chen und so den Boden kulturunfähig macht. | Die Wüsten unterscheiden sich von andern Ebenen nur durch ihre Unfruchtbarkeit, welche aus vollständigem Mangel an Feuchtigkeit und Regen entspringt und sie unbewohnbar macht. ') Was aber die Bildung, den Ursprung derselben betrifft, so ist dem oben Gesagten nur beizufügen, dass die) Wüsten sich manchmal bilden, beziehungsweise sich aus- dehnen, auf Kosten fruchtbarer Landstriche, indem Sande, welche aus der Zertrümmerung (Verwitterung) von Sandstein- gebirgen sich bilden, in der Richtung der vorherrschenden Winde verbreitet werden. Wenn solche fortschreitende Wüsten- bildungen neueren Datums sind, wird man sie zu konstatiren vermögen mittels Spuren menschlicher Ansiedlungen , Dörfer und Städte, oder von Wäldern, die nun durch Sandmassen verschüttet sind; oder man,wird sie konstatiren auf Grund von Ueberlieferungen und von Aussagen der Eingebornen. — Auch der umgekehrte Fall ist zu beachten: dass die Wüste —ı | 1) vgl. Alfred R. Wallace, Tropical Nature and other Essays. London 1878. „Wherever the soil is sandy and there are no lofty mountain chains to supply ample irrigation, the result is a more or less perfect desert,“* welchen Satz ein Rezensent E. D) in der Allgemeinen Augsburger Zeitung (April 1879) für einen „Humboldt’schen Irrthum“ erklärt. ı | | GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 243 an Terrain verliert, z. B. durch Vordringen der Vegetation auf natürlichem Wege, auch ohne Zuthun des Menschen '). Besondere Aufmerksamkeit verdienen die Oasen, welche als grüne Inseln im Sandmeere überall auftreten, wo der Boden genug Feuchtigkeit hat. Es ist werthvoll, zu kon- statiren, welchen speziellen Ursachen sie ihre Existenz ver- danken, welche Veränderungen sie im Laufe der Jahrhunderte erlitten, welche früheren Oasen verschwanden, welche andere und wie dieselben geschützt werden mussten gegen das Vor- dringen des Flugsandes, welche dritte endlich durch Erstellung artesischer Brunnen neu entstanden sind. Es ist ferner interessant in den Wüsten, an Ort und Stelle, Binnenlanddinen zu studiren. Die einen derselben wandern unter dem Einfluss vorherrschender Winde und bedecken allmälig Alles, was sich auf ihrem Wege vorfindet. Andere sind stationär ; sie scheinen einen Kern festen Gesteins zu ent- halten, um und über welchen die Sandmassen aufgehäuft werden. Es gibt endlich Steinwüsten, d.h. Flächen, die übersäet sind mit scharfkantigen Felstrümmern, von welch’ letzteren man annimmt, sie entstehen in Folge einer Zertrümmerung des Gesteins durch raschen Wechsel zwischen grosser Wärme am Tage und kalten Nächten, in welchen das Thermometer öfters unter Null sinkt. Entstehung der Becken und anderer Boden- depressionen. Ein Becken unterscheidet sich von einer Ebene nur dadurch, dass es konkav statt flach ist. Die typische Form des Beckens ist die einer Schale mit erhöhten Rändern. Die Entstehung der kontinentalen Becken ist eines der schwersten Probleme der Geologie. Gewisse Becken sind entstanden durchSenkung des zentralen Theiles oder durch Hebung der Rand- zonen. Das Nähere hier- über wird im Abschnitt Fig. 106. über die Stratigraphie zur Sprache kommen. Hier bemerken wir nur, dass in beiden Fällen die Felsschichten des Beckens im senkrechten Durchschnitt (Profil, Fig. 106) konkav erscheinen, ohne dass man sagen könnte, ob der tiefste Punkt a — durch 1) vgl. E. Kollbrunner, Morphologie der Thalbildungen, Frauenfeld 1877 S. 15. 244 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Senkung — oder die höhern Punkte 5b’ — durch Hebung — ihre Höhenlage geändert haben. Zur Beurtheilung dieser Frage müssen Anhaltspunkte gewonnen werden durch geo- logischesStudiumder Umgegend. Wennz.B. (Fig. 107) die Schich- ten zu beiden Seiten der Hohlform wag- recht sind, so ist an- Rand des Beckens deutliche Spuren von Brüchen der Fels- und 109). 4 gegen zu beiden Sei- ten des Beckens Ter- rainfalten bemerkt, Fig. 110. bänke und von Ver- | - schiebung der Schich- ten längs dieser Spal- | ten trifft. (Fig. 108 zunehmen, dass eine Senkungdermittleren Beckenpartie stattge- funden habe, nament- lich wenn man am Wenn man hin- wulstartig erhöhte Stellen (Fig. 110), so wird man, auch | wenn Brüche oder Spalten vorhanden sind, auf eine statt- gefundene Hebung der Ränder des Beckens Punkte b und b7 schliessen, sei es, dass diese Hebung verursacht wurde durch eine vertikale von unten nach oben wirkende Kraft oder durch seitlichen Druck,-der Falten erzeugte. Ein Becken kann auch entstanden sein durch ungleiche Senkung des Bodens. Wenn die Mittelpartien eines ursprünglich horizontalen Gebietes aus sandigen, leicht beweglichen Theilen bestehen, die Ränder aber aus hartem Fels, so wird ein solches Terrain Störungen seiner gleichmässigen Oberfläche erleiden schon durch blosse Wirkung der Regen, welche Jahrhunderte lang auf die Fläche fielen und allmälig den Boden im Zentrum | abgetragen haben, während die Randpartien intakt blieben. GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 345 Ist der Untergrund durchlassend, so kann die minera- lische Substanz der mittleren Partien in unterirdischen Wasser- läufen, chemisch gelöst, langsam fortgeführt und dadurch die Fläche, auch wenn sie von allen Seiten geschlossen scheint, durch Wasser unterspült, unterhöhlt worden sein. Bei denjenigen Becken, welche nicht vollständig geschlossen sind, muss die Erosion eine grosse Rolle gespielt haben. Das kleinste fliessende Gewässer reicht hin, um die Erde nach und nach wegzuführen und eine Schlucht zu furchen. In diese rollt das Material von den begrenzenden Seitenwänden hinab ; es bildet so ein Hinderniss, welches das Wasser staut; es entsteht ein kleiner See; eines Tages durchbricht dieser. die Barriere und strömt mit grosser Gewalt ab. Ist der See leer, so gibt die Erde, welche bisher durch den Druck des Wassers, zurückgehalten wurde, nach, kommt auf den Boden des schmalen Thales und wird hier vom fliessenden Wasser fort- geführt. Dieser Vorgang wiederholt sich; der zentrale Theil! des Beckens wird vertieft; seine Ränder werden zu Gehängen, die mehr oder minder sanft geneigt sind, je nach der Be- weglichkeit oder Verwitterbarkeit des Bodens, woraus sie bestehen. Aber wenn auch Becken durch das Wasser geformt wurden oder selbst früher Seegrund waren, so kann ihr Boden jetzt ganz trocken oder blos sumpfig sein. So nehmen die Torf- moore sehr häufig die Stelle alter Seen ein. Es ist das eine Umwandlung, deren Spuren und Ursachen der Reisende zu ermitteln suchen muss. Die früheren Quellen können versiegt sein; der Bach oder Fluss, welcher das Becken durchströmte, kann seinen Lauf geändert haben; es kann ein Damm oder Wall, welcher das Wasser zurückhielt, durchbrochen und so der hinterliegende See abgeflossen sein; es konnte endlich das Wasser, welches ehemals den Hohlraum des Beckens einnahm, langsam verdunsten, etwa in Folge von Entwaldungen, welche den Feuchtigkeitsgehalt der Luft und damit das Mass der Wasserzufuhr zum See verminderten. Was die Aushöhlung von Becken durch alte Gletscher betrifft, so herrschen hierüber sehr widerstreitende Ansichten. Zur Beurtheilung dieser Frage muss vorerst die Art der Wirkung jetziger Gletscher studirt werden. Dann erst sind wir im Stande, zu entscheiden, ob ein Becken von einem 246 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN früheren Gletscher, wenn nicht ausgefurcht, so doch mit Eis erfüllt war, mit Eis, welches das Becken vergrössern oder ausweiten oder geradewegs zu dessen Bildung beitragen konnte durch Abschluss des Ausganges mittels einer Stirnmoräne. | Kleiner und unbedeutender als die Becken sind die nur lokalen Hohlformen wie die Trichter (entonnoirs), auf deren Grund eine Quelle sprudelt, welche erdige Bestandtheile löst und auf unterirdischen Bahnen wegführt, so dass eine Aus- höhlung entsteht in Trichter-, d. h. umgekehrter Kegelform. In Kalkfelsen sieht man unregelmässig gestaltete Löcher und Furchen, Karren oder Schratten genannt, die entstanden sind durch chemische Erosion, welche die löslichen Theile des Gesteins wegführte. Wasser, welches aus einiger Höhe hinunterstürzt, erzeugt bisweilen am Fusse alter Wasserfälle Vertiefungen oder Becken, deren Form ihnen den Namen Kessel verschafft hat. Man trifft solche auch in den Betten schnell fliesender Gewässer; in diesem Fall sind sie entstanden durch rotirende Bewegung fester Theile, Felsstücke, Kieselsteine, welche der Fluss mit sich führt. Riesentöpfe heissen Löcher von runder, oft kreisrunder ' Form, welche in den Fels eingegraben wurden entweder durch Gletschermühlen oder durch Giessbäche, die viel Sand führen und hiedurch an den Wänden dieser Höhlen eine beständige Abreibung verursachen oder welche Steinblöcke in anhaltende drehende Bewegung versetzen. Die Blöcke, welche man sehr oft auf dem Grunde dieser Höhlen findet, sind glatt und ge- rundet wie Kugeln. Unebenheiten des Bodens. Wir besprechen hier kurz diejenigen Unebenheiten des Terrains, welche nicht so grosse Dimensionen haben, dass sie als Berge und Gebirge bezeichnet werden müssen. Der Boden, namentlich der nackte, erscheint oft wie zerrissen und zeigt klaffende Spalten oder Schlünde von verschiedener Tiefe. Man wird die Ursache dieser Erscheinung zu erforschen sich bemühen. In vulkanischen oder Erdbeben ausgesetzten Ländern rühren diese Spalten von den unterirdischen Be- wegungen her. Anderswo entstehen sie durch übermässige| Hitze und Trockenheit, welche in thonigem Boden Risse bildet, oder durch ungleiche Hebung und Senkung, welche die GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 24aN Schichten in ihrer Lage störten. Diese Spalten unterscheiden sich von den Schluchten durch den Mangel eines Ausgangs, welcher es unmöglich erscheinen lässt, dass die Risse durch fliessendes Wasser entstanden seien, obwohl letzteres zu ihrer Erweiterung beigetragen haben kann. Die Schluchten, Flussbetten und Flussthäler sind bekanntlich ein Ergebniss der Wasserwirkung („Auskolkung“). Indem das Wasser immer nach dem tiefsten Punkte strebt, durchfurcht es beständig selbst scheinbar ganz flachen Boden, und die Furchen, die es einschneidet, werden fort und fort erweitert. Die verschiedenen Terrainfalten haben, wenn sie nicht durch Erosion und die so veranlasste Senkung der an- grenzenden Schichten entstanden sind, ihre Entstehungs- ursache tief im Erdinnern ; sie wurden gebildet durch lokale Hebung oder Faltung der Schichten, welche die Erdkruste zusammensetzen. Schon erwähnt haben wir (S. 243) die Sandhügel oder Dünen, welche ähnlich wie die Küstendünen (S. 238), aber im Innern des Landes infolge des Einflusses herrschender Winde sich bilden, da, wo staubiger, pulveriger Boden auf- gewirbelt wird durch Winde und wo heftige Stürme die fein- körnigen Theile weithin tragen. Die Hügel und Anhöhen sind gewöhnlich andern Ur- sprungs. Sie können ihre Existenz einem vorragenden Fels verdanken, der mit der Zeit an seiner Aussenfläche verwittert und zerfallen ist. Manchmal sind es auch Reste eines im Uebrigen durch Erosion beseitigten Bodens. In andern Fällen sind sie von umliegenden Höhen heruntergestürzt. Seltener sind es alte Gletscherwälle (Moränen) oder Haufen von Ge- steinstrümmern, welche an einer Küste oder auf dem Boden eines Meeres abgelagert wurden durch schwimmende Eisberge, die, beladen mit Steinen und Erde, hier strandeten. _ Die isolirten Felsen stehen, sofern sie nicht von Berg- stürzen oder sonstigen Dislokationen in einzelnen Gebirgen herrühren, an ihrer Basis im Zusammenhang mit dem geo- logischen Gebälke des Gebietes; sie sind, wie die Berge, die vorragenden, sichtbaren Punkte seines Skelettes. Den Gegensatz zu ihnen bilden die Blöcke, indem diese losgetrennte, abgelöste Massen sind, dem Boden aufgelagert oder bis zu einer gewissen Tiefe in denselben eingesenkt, 248 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN nicht aber in Zusammenhang mit den Schichten in der Tiefe. | Der Ursprung dieser Blöcke ist sehr verschieden; die einen sind heruntergestürzt von den benachbarten Felswänden, andere sind hergetragen worden durch festes oder flüssiges) Wasser. Im ersteren Fall haben sie, abgesehen von der oberflächlichen Verwitterungsrinde, scharfe Ecken und Kanten. Die Untersuchung an Ort und Stelle, in Bezug auf äussere Form und mineralogische Zusammensetzung, lässt meist die Herkunft dieser Felstrümmer erkennen. Die von fliessendem Wasser hertransportirten Steine haben abgestumpfte Kanten und Ecken, gerundete Formen. Die von Gletschern herge- tragenen Blöcke endlich haben mit den abgelösten, herunter gestürzten Felsen die scharfen Kanten gemeinsam: sie sind aber mineralogisch verschieden von dem in der Gegend an- stehenden Gestein. Nur kurz erinnern wir hier an die vulkanischen Blöcke, welche Auswurfsprodukte sind. | Hie und da findet man verworrene Anhäufungen von Fels blöcken, theils aufrecht, theils umgestürzt, in phantastischen | Formen, wahre Felslabyrinthe, welchen man die malerischen | Namen Blockwüsten, Blockmeere, Teufelsmühlen u. s. w. ge- geben hat. Es sind meistens Ueberreste weit umfangreicherer Felsmassen, die dislozirt und zertrümmert wurden und wovon ein Theil verschwunden ist. Nackte Felsflächen, die durch Einwirkung von Luft und Wasser so zerfressen sind, dass sie nur eine verworrene Masse von stehenden und liegenden n | ; Pyramiden, Säulen, Obelisken u. s. f. darstellen, heissen Zapiaz. Lavawüsten sind Flächen, bedeckt von Lavaströmen, vul- kanischen Schlacken etc., welche scharf geformte Erhebungen des Bodens bilden. Abdachungen und Gehänge. Die Abhänge oder Thal- wände sind fortwährend in Umbildung begriffen, deren Effekt eine Herabminderung des Gefälles ist. Die steilsten Wände und '% Böschungen verwandeln sich schliesslich in sanfte Abhänge | obern Randlinien oder Kanten leiden, durch die erodirenden Gewässer, durch die Schutt- und Alluvialbildungen, welche | sich in den tiefsten Punkten ansammeln. Das Regenwasser reisst Erde aus höheren Lagen mit sich, durchfurcht die Ab- hänge und gibt Anlass zu Rutschungen und Felsstürzen. durch den Wechsel der Witterung, worunter namentlich die | GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 249 Auf diese Weise kommt eine Ausebnung oder Nivellirung zu Stande: die Höhen werden abgetragen; an ihrem Fusse aber findet Auftragung statt. Sehr steile Böschungen, senkrechte Wände findet man in Gegenden mit kompaktem, hartem Fels und an Stellen, wo fliessende Gewässer den Fuss der Gehänge abspülen oder Schuttmassen, in dem Verhältniss, wie sie angehäuft werden, wieder forttragen. Ueberall sonst bilden sich am Fuss steiler Wände Schuttkegel oder Schuttprismen ; erstere sind Massen von konischer Form, deren Spitze dem Ausgang, der Mündung einer Schlucht oder eines Bachtobels entspricht; die letzteren erreichen eine bedeutende Länge und sind einem Walle oder liegenden dreiseitigen Prisma vergleichbar, dessen obere Kante längs der Felswand sich hinzieht. Es ist zu unterscheiden zwischen Schuttkegeln und -Prismen, gebildet aus herunter- gestürzten Massen, und solchen aus Alluvionen, d.h. aus Materialien, die im Wasser transportirt und hernach abgesetzt wurden. Diese letztern sind kenntlich an sanfterem Gefälle und daran, dass die gröbsten Materialien (Blöcke etc.) sich oben befinden, weil das Wasser dieselben zuerst ablagern musste; bei den andern (eigentlichen) Schuttkegeln und -Prismen ist das Gefälle grösser und die gröbsten Theile (Blöcke) finden sich am Fusse vor. Diese Kegel und Prismen erreichen mitunter bedeutende Dimensionen, überziehen sich schliesslich mit einer Pflanzen- decke und werden als Baugrund für menschliche Wohnungen benutzt, so dass man sich nur schwer vergegenwärtigen kann, dass an tiefen Stellen einmal nur eine steile Wand existirte. Eine besondere Form der Anschwemmungskegel sind die- jenigen der Wildbäche : Geschiebeablagerungen, welche weithin vordringen und auf welchen zur Zeit der Schneeschmelze oder bei starken Regengüssen die Wildwasser in einem höheren Niveau fliessen als dasjenige der anstossenden Gelände ist. Die Abhänge können auch umgestaltet werden durch Dislokationen und Spaltenbildung mit Bergstürzen oder Rutschungen , die verursacht sein können durch Erdbeben, durch unregelmässige Lagerung, durch lokale Erschütterung oder durch Sturz in Folge des Eigengewichts der Felsen. Selten gibt es Gehänge, die, auch wenn sie noch so gleich- mässig scheinen, nicht von Wasserrinnen durchfurcht sind. 250 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN 118 Denn das Regenwasser, welches auf einen Abhang fällt, spült nicht gleiehmässig dessen ganze Oberfläche ab, vielmehr gräbt es Furchen ein. In diese Hohlräume fällt von deren Seiten-\ wänden Erde hinein; neue Regengüsse schwemmen diese fort; andere Massen nehmen aber sogleich ihre Stelle ein; so ver- schwindet allgemach der Kamm zwischen zwei solchen Furchen und an dessen Stelle tritt eine grössere Schlucht, deren Wände sehr steil sind, falls der Boden aus festem Fels gebildet ist, sanfter abgedacht aber in beweglicherem Boden. Wechseln an einem Abhang Bänke. festeren Gesteins mit weicheren Schichten, so wirken auf diese ungleich resistenten Theile die umformenden Agentien in verschiedenem Masse ein, und es bilden sich mehr oder minder hohe Stufen, so dass nicht mehr eine gleichmässige Profillinie, sondern eine solche mit vorspringenden Stellen vorhanden ist. Demselben Umstande, d. h. ungleichem Effekte der zer- störenden Agentien, sind gewisse bizarre Felsbildungen zuzu- schreiben, wie die hängenden Blöcke, Felstische u. dgl., die, man mitunter auf den Kämmen zwischen zwei Abdachungen trifft. Es sind Ueberreste von Felsen, die auf Erdpyramiden, auf unsicherer Unterlage ruhen, nachdem das umliegende Gestein fortgeführt worden ist durch Regen oder nachdem | der Fels, worauf die Blöcke ruhen und welcher von geringerer | Resistenz war als diese, durch den Einfluss der Atmosphärilien langsam verwitterte und verkleinert wurde. Terrassen und Plateaux. Die Küstenterrassen sind im Allgemeinen frühere Ufer oder Reste von Tiefebenen, die langsam auf ihr jetziges Niveau gehoben wurden. Die Terrassen, welche sich im Binnenlande an den Berghalden vorfinden, können gleichen Ursprungs sein; noch öfter aber sind die- selben Reste alter, durch Wasser abgetragener Thalböden oder Felsbänke, welche durch die Thätigkeit der Atmosphärilien blossgelegt wurden. Terrassen in den Thälern und überhaupt solche von entsprechendem Niveau sind zumeist alte Alluvial- bildungen, in welche die Gewässer sich ein tieferes Bett von mehr oder minder bedeutender Breite eingegraben haben. Was die Plateaux, Hochebenen oder Tafelländer betrifft, so haben sie in der Regel denselben Ursprung wie die Tief- ebenen (vgl. S. 239), von welchen sie sich nur durch ihre höhere Lage unterscheiden. Mitunter indess verdanken sie, GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 251 ihre Existenz Lava-Ergüssen, wobei vulkanische Gesteine über weite Flächen eine solide Decke bildeten und dieselben auf diese Weise vor zerstörenden Einflüssen schützten. Die Terrassen und Plateaux sind um so weniger tief durchfurcht, je mehr ihr Boden wasserdurchlassend ist. Gebirge. Die wichtigsten Ursachen der Gebirgsbildung sind: 1° Ungleiche Zusammenziehung der Erdkruste in der Periode ihrer allmäligen Erkaltung; 2° Hebungen, welche durch unterirdische Kräfte bewirkt wurden; 3° Seitendruck, welcher Faltungen und Aufrichtung von Felsschichten veranlasste; 4° Ungleiches Aufquellen der verschiedenen mineralischen Bestandtheile der Erdrinde; 5° Grossartige Erosion (Denudation) alter Hochebenen, von welchen die heutigen Berge nur Reste darstellen ; 6° endlich, mit Bezug aufVulkane, eine eruptive Thätigkeit, deren Auswurfstoffe zurückfallen und sich um den Krater ansammeln. Welcher dieser Ursachen die Bildung eines bestimmten Gebirges zuzuschreiben sei, kann meist nur entschieden werden auf Grund stratigraphischer Studien, die wir unten besprechen. Die nächste Aufgabe des Reisenden ist aber eine einfachere: sie betrifft nicht die innere Struktur, sondern die äusseren Eigenthümlichkeiten des Gebirges und die Ursachen, welche diese äusseren Formen beständig verändern. Die Wirkung dieser umgestaltenden Agentien ist nirgends augenfälliger als auf hohen Berggipfeln; dort muss man sie studiren, um eine richtige Vorstellung zu erlangen von den ewigen Um- änderungs-, Umlagerungsprozessen, welchen die feste Erdrinde unterworfen ist. f Stetsfort allen Einflüssen der Atmosphäre ausgesetzt, verändern sich auch die festesten Gesteine; es entstehen in denselben feine Risse und Spalten, und sie zerbröckeln so an ihrer Oberfläche. In die Risse dringt Wasser; es ver- grössert sie, und beim Gefrieren zersprengt es den Stein. Aehnlich wirken Pflanzen-, namentlich Baumwurzeln, welche sich in die Spalten hineinzwängen und durch Wachsthum an Dicke wie an Länge zunehmen. Unter diesen zerstörenden 252 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Kräften spielt auch der Blitz eine Rolle, namentlich auf hohen Gipfeln, wo die Gewitter sehr häufig sind; wenn er einschlägt, trennt er Felsstücke ab. Das Rollen des Donners, vertausend- fältigt durch den Wiederhall, erschüttert die Berge und löst Gesteinsfragmente ab. Dasselbe geschieht in grösserem Mass- stabe durch Erdbebenstösse, partielle Hebungen und Senk- ungen, Wildwasser und Lawinen, welche Felsen unterspülen, enorme Blöcke mitführen und auf ihrem Wege Alles nieder- reissen. Daneben kommen Bergstürze und Rutschungen vor, sei es als Folge von Stössen und Erschütterungen, sei es, dass die Felsen, die an ihrem Fusse vom Wasser angegriffen wurden oder auf Schichten ruhten, welche vom Wasser durch- weicht und ausgelaugt worden sind, durch ihr Eigengewicht in Bewegung gerathen. Alles, was auf diese Weise an = Höhen oben abgetragen wird — von den Staubpartikelchen der Verwitterungsschicht, welche der Wind von den Gipfeln weg- feot, bis zu den gewaltigen Blöcken, welche durch Lawinen und Erdbeben herabgestürzt, durch Wildwasser mitgerissen werden — Alles wird in’s Thal, in die Ebenen hinunter be- fördert, um dort die Verne sen auszufüllen und folglich auch dort die Bodenformen Ennubesihen, Beachtung verdient der Zusammenhang zwischen Berg- formen und en ten. Jedermann weiss, dass ein Granit- gebirge anders aussieht als vulkanische Ba Kalkgebirge; diese wie jene haben ihre besonderen Gestalten und charak- teristischen Verwitterungsformen. Indessen handelt es sich hiebei oft um Nüancen, die man mehr instinktiv herausfinden muss, als dass man sie definiren könnte, die aber werth sind, dass man sie beachtet und studirt, um sich vielleicht zu vergewissern, dass die Abhängigkeit der Form von der Gesteinsart, die Uebereinstimmung zwischen beiden, allge- meinen Gesetzen unterliegt'). Der Reisende hat im Weitern Beobachtungen anzustellen und Thatsachen zu erheben nach folgenden Gesichtspunkten. Erstens in Bezug auf das Streichen oder die Föchtung der Gebirgsketten, d. h. auf die Richtung, welche die Axe 1) Vgl. hierüber das schöne Werk von J. M. Ziegler: Ueber das Verhältniss der Topographie zur Geologie, ferner das $. 22 erwähnte Werk von H. Bach; Dr. Baltzer, der Glärnisch, ein Problem alpinen Gebirgsbaus, Zürich 1873; A. Heim, Gebirgsbildung (I. Bd.) und dessen kleine Schrift über Verwitterung. | GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 253 les Gebirges — eine ideale Linie von einem Ende derselben ‚um andern — in Bezug auf die Himmelsgegenden hat. Zweitens in Bezug auf den Unterschied der beiden Ab- lachungen eines Gebirges. Oft ist der Abhang auf einer seite steil, während auf der andern Seite das Gebirge sich anft abdacht. Man hat — wie uns scheint, etwas vor- :chnell — allgemeine Regeln aufgestellt darüber, wo bei einer jestimmten Richtung des Gebirgs der Steilabhang sich be- inden muss, sowie darüber, welche Ursachen diese Ver- chiedenheiten bewirken. Um so mehr ist Werth darauf zu egen, dass aus allen Welttheilen hiefür Thatsachen beige- jracht werden, welche entweder die Regel wirklich als all- remein gültig bestätigen und zum Gesetz erheben oder velche sie widerlegen und lediglich als vorgefasste Meinung rscheinen lassen. Eine Regel ist ferner aufgestellt worden über das Zu- ammentreffen oder vielmehr Gegenüberliegen der tiefsten Pässe md der höchsten Gipfel. Sie lautet dahin: die niedrigsten Pässe, d. h. die Einschnitte, welche am weitesten unter die Xammlinie des Gebirgs hinabreichen, entsprechen in ihrer sage im Allgemeinen den höchsten Gipfeln des gegenüber- iegenden Massivs, und umgekehrt. — Der Reisende wird darauf ıchten, ob seine Beobachtungen dieses angebliche Gesetz be- tätigen oder ob die Ausnahmen häufiger sind als die Regel. In Gebirgen, auf welchen das ganze Jahr Schnee liegt, yestimme man die Schneelinie, d. h. die untere Grenze dieses wigen Schnees. Sie liegt gewöhnlich an den zwei Berg- eiten nicht in gleicher Höhe und variirt von Jahr zu Jahr; n einiger Entfernung erscheint sie als ziemlich scharf aus- esprochene horizontale Linie; je mehr man aber sich ihr ähert, desto unregelmässiger stellt sich ihr Verlauf dar; ie steigt oder fällt, jenachdem die Lokalitäten den Sonnen- trahlen, herrschenden Winden u. dgl. mehr oder minder wusgesetzt sind'). 1) Vgl. oben $. 203. Für Weiteres über diesen Gegenstand verweisen wir auf >. Studer, Lehrbuch der physikalischen Geographie und Geologie II. S. 336 („Die ‚chneelinien“) und I. S. 226. Sonklar, allgemeine Orographie S. 107 und 108 und füller, Kosmische Physik, 4. Aufl. S. 522 ff. Die bei Studer ausgesprochene Ver- authung, dass man in den höchsten Breiten der Polargegenden vielleicht auch im iveau des Meeres eine niemals wegschmelzende Schneedecke finde, hat sich für lie nördliche Halbkugel nicht erwahrt. Vgl. Grisebach, Vegetation der Erde I. Bd. tollbrunner, über die Urwelt des Nordens, St. Gallen und Zürich 1881. 254 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN An dieser Stelle wollen wir auch den Lawinen') einige Worte widmen; sie sind eines der wirksamsten Agentien füı den Transport. Man unterscheidet drei Arten: Stein-, Eis- und Schnee-Lawinen. Die Steinlawinen sind herunterstürzende Massen von Fels- trümmern, welche namentlich von Mitternacht bis zur Morgen- dämmerung sich von den höchsten Ber ggipfeln ablösen, ohne Zweifel in Folge Gefrierens des Wassers in den F elsspalicH wie Wilder stürzen diese Steinregen von den schroffen Felswänden herab und durch die en derselben herunter: Sie liefern das Material zu den Gletscherwällen (Moränen). Die Eislawinen sind herabstürzende Eismassen, welche sich im Frühling ablösen von steilen Wänden, wo sie während des Winters Gesimse, Stallaktiten und überhängende Wölk bungen aller Art gebildet haben. Mitunter ist es auch T Theil des Gletschers, welcher sich vom andern abtrennt und am Abhang niedergleitet oder der, wenn der Gletscher bei seinem Vorrücken auf einen Abgrund trifft, in diesen, übe den Rand desselben en bene Die Schneelawinen sind oft nur Schneemassen , weich vom Winde in die Höhe gejagt wurden oder, durch ihre eigene Schwere in Bewegung gesetzt, von den Höhen heral sich bewegen. Aber die eigentlichen Lawinen sind Schnee- massen, welche unter furchtbarem Tosen und Krachen längs der Gehänge in die Thäler hinunterstürzen, auf ihrem Wege Alles mitreissen und in Folge des gewaltigen Luftdrucks welchen sie verursachen, sogar Bäume und Hütten nieder- werfen, welche nicht eier ala im Bereiche ihrer Bahr liegen. Die Staub- oder Winterlawinen entstehen aus frisch ge fallenem Schnee, der auf eine Eiskruste zu liegen kam, we er keinen Halt findet; der geringste Anstoss setzt grosse Massen dieses staubigen Schnees in Bewegung; sie wirken sehr zerstörend durch ihren eigenen Fall wie auch durch die Luftbewegungen, die hiedurch verursacht werden. Die Grund- oder Sommerlawinen bilden sich aus Schneemassen an den Berglehnen, deren Adhäsion an den Boden im Frühling 1) Vgl. F. v. Tschudi, Thierleben der Alpenwelt (Abschnitt Alpenregion); Heim! a.a. 0.8. 331 („Steinschläge und Lauinenzüge“); J. Coaz, die Lauinen der Schweizer: alpen, Bern 1881, und B. Studer, a. a. ©. S. 229 und 230, woselbst weitere Angabeı über einschlägige (ältere) Literatur. GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 255 und Sommer aufgehoben wird durch unter der Masse durch- sickerndes Schmelzwasser. Sie bestehen aus kompaktem, halb gefrornem, halb nassem Schnee, Felsblöcken, ent- wurzelten Baumstämmen u. dgl., welche sie in ihrem Laufe mit fortreissen. Die Lawinen sind periodische Erscheinungen, d. h. sie treten jedes Jahr an gewissen Stellen auf, welche den Berg- bewohnern bekannt sind; die Wege, welche sie einschlagen und welche zum Theil Wasserrinnsale und Runsen sind, heissen Lawinengänge; in den Thälern werden durch sie Massen von Schnee und Eis aufgehäuft, welche die Sommer- wärme kaum wegzuschmelzen vermag. Ihr Volum und ihre Wirkung sind verschieden; ihre Spur haben manche tief eingegraben in den Boden, und dauernd erhält sich im Ge- dächtniss der Bergbewohner das Andenken an Lawinenver- heerungen. So wird es dem Reisenden, auch wenn er nicht selber das grossartige Schauspiel des Lawinensturzes mit- ansehen könnte, nicht schwer fallen, deren zerstörende Aktion nachzuweisen, sei es aus den Spuren ihrer Bahn, sei es durch Aussagen der Bewohner des Landes. Von Interesse ist es auch, festzustellen, welche Vorsichts- und Schutzmassregeln gegen diese Plage ergriffen wurden. Als solche dienen bald Bannwälder, Bestände hundertjähriger Bäume, die Niemand anzugreifen wagt und die eine schützende Mauer bilden zwischen den Höhen, von welchen Lawinen herabstürzen, und den menschlichen Wohnungen; bald Mauern aus Stein oder vereistem Schnee, an welchen die Lawinen sich brechen ; bald Pfahlreihen und Stufen, welche die Lawinen in ihrem Laufe aufhalten oder doch deren Anprall abschwächen. Bei manchen Bergpässen wird der Weg an den gefährlich- sten Stellen geschützt durch Galerien und Tunnels. Die besten Vorkehrungen gegen die Lawinenbildung sind Reihen alternirend (quincuncial, „im Verbande“) in den Boden ge- schlagener Eisenstäbe am obern Ende eines Ganges und steinerne Sperren an den Berglehnen, von wo die Lawinen kommen. Diese Vorkehrungen können die Lawinen festhalten am Orte ihrer Bildung, bevor sie Dimensionen angenommen haben, welchen Nichts mehr widersteht. Jetzige Gletscher. Gletscher nennt man die Eisfelder oder Eisströme, welche sich in gewissen Hochthälern vorfinden 256 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN und oft in die tieferen Thäler hinabreichen. Der eigentliche Gletscher (die „Eiszunge“) liegt unterhalb der Firnlinie oder. der Grenze, an welcher das im Sommer schneefreie Eis auf hört: oberhalb dieser Linie befinden sich die Schneefelder, | welche die Gletscher alimentiren und welche Firn heissen, Der Firn besteht aus harten und körnigen Schichten alten Schnees, welcher über die Plateaux und obere Seitenflächen der Hochgebirge eine weisse oder schmutziggraue Decke bildet oder die Thalmulden und Vertiefungen erfüllt. Diese Schnee- massen werden mit Wasser durchtränkt, wenn die Sonne deren oberste Lage zum Schmelzen bringt; in der Nacht gefrieren sie wieder und verwandeln sich so in Eis; durch ihr Eigen- gewicht wie durch den Druck höher liegender, ihnen auf gelagerter Massen werden sie in den verschiedenen Thalformen abwärts bewegt und bilden hier die Gletscher , welche weit thalabwärts vorrücken N): Nicht alle Gebirge, welche über die Sährlesaretiäs empor- ragen, enthalten Gletscher. Die Gletscherbildung ist an gewisse meteorologische und orographische Bedingungen geknüpft. Die Schneeregion des Gebirgs muss Raum genug bieten zur Entstehung grosser Schneefelder; die Luft muss feucht und die Temperatur tief genug sein zu reichlichem Schneefall; die Thalgründe müssen schwaches Gefälle haben, damit die Schneemassen sich nur langsam abwärts bewegen; es müssen mehrere Thäler in ein gemeinsames Sammelbassin einmünden; die Temperatur in den verschiedenen Jahreszeiten muss er- hebliche Differenzen aufweisen, so dass in den obern Schnee- feldern Aufthauen und Wiedergefrieren mit einander wechseln. Ist die Luft trocken, das Klima zu gleichmässig und fehlt es an sanftem Gefälle der Thalböden, so entstehen keine Gletscher, selbst wenn die Berggipfel mit ewigem Schnee bedeckt sind. Es ist von Wichtigkeit, dass Reisende unter allen Klimaten und in den verschiedensten Ländern die Ursachen studiren, welche Gletscherbildung veranlassen und begünstigen; es ist das von hoher Bedeutung für die Geologie, weniger noch der jetzigen Gletscher wegen als mit Rücksicht auf die Frage nach den Faktoren, welche die sogenannte Gletscherperiode } ’ I) Vgl. Kaltbrunner, Aide-memoire p. 54: ferner machen wir aufmerksam auf die Abschnitte betreffend Gletscher in folgenden Werken. B. Studer, a. a. 0. S. 121 ff. F. v. Tschudi, a. a. ©. Müller, kosmische Physik S. 526 ff. Peschel- Leipoldt, Bd. II, S. 336 ff. v. Sonklar, Allgemeine Orographie, Wien 1873, S. 109, GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 257 oder Eiszeit und später den Rückzug jener Gletscher bewirkt haben. Wer sich mit dieser Materie genauer vertraut machen will, muss nothwendig einige der zahlreichen Spezialwerke über die Gletscherfrage studiren. Hier sprechen wir nur von solchen Beobachtungen, welche kein Reisender unter- lassen darf, namentlich wenn es sich um ferne, noch ziemlich unbekannte Gegenden handelt, wo die Gletscher vielleicht eigenthümliche Erscheinungen darbieten, die anderwärts nicht in gleicher Weise beobachtet wurden oder werden konnten. Schon die blosse Feststellung der Thatsache, dass Gletscher vorhanden seien oder nicht, ist von Bedeutung mit Bezug auf die geographische Vertheilung der Gletscher auf der Erd- oberfläche. Situationspläne, Durchschnitte (Profile), Ansichten von Gletschern gehören zu den auf die Konfiguration des Bodens (s. daselbst) bezüglichen Materialien. Gewisse Eigenthümlichkeiten der Gletscher, wie Gletscher- tische, Mittagslöcher, Gletschermühlen u. dgl. sind sich überall gleich '). Wesentlich ist vorab die Messung der Höhe des untern Gletscherendes und der Firnlinie; sodann die Bestimmung der Geschwindigkeit für die Fortbewegung (das Fliessen) der Eismasse; endlich die Beantwortung der Frage, ob sie im Vorrücken oder im Rückzug begriffen seien, d.h. ob ihr vorderes (Stirn-) Ende sich thalabwärts weiter vorschiebt oder ob es im Gegentheil thalaufwärts zurückverlegt wird, ob also der Gletscher an Terrain gewinnt oder verliert. Die untere Grenze der Gletscher ist sehr variabel und wird wesentlich durch lokale Einflüsse bestimmt. Ausser dem Klima wirken auf sie ein die Bodengestalt und die Mächtigkeit (Dicke) des Gletschers. Falls kein Hinderniss der Vorwärtsbewegung des Gletschereises im Wege steht, muss die untere Grenze des Gletschers da liegen, wo die Bewegung und das Abschmelzen des Eises sich das Gleichgewicht halten. Ausser der Meeres- höhe der Gletscherbasis wird man womöglich die Mittel- temperatur des Thales ermitteln, in welches er hinabsteigt. — Die Lage der Firnlinie ist weit konstanter und sicherer zu 1) Vgl. unten S. 264, sowie Sonklar, Anleitung zu Beobachtungen in den Alpen S. 16. 17 258 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN ermitteln als der übrige Theil der Schneegrenze, daher ihre Bestimmung von Wichtigkeit. Die Bewegung der Gletscher, das Fliessen des Eisstroms ist eine so wohl konstatirte Thatsache, dass nur die Aufgabe übrig bleibt, für jeden einzelnen Gletscher die Schnelligkeit dieser Be- wegung zu ermitteln und die Ursachen des Vorgangs zu studiren. Diese Bewegung, das Vorschieben der Eismassen nach tieferen Lagen, wird von den Einen aufgefasst als ein blosses Herabgleiten, welches bewirkt werde durch die eigene Schwere des Eises und durch den Druck der aufgelagerten Massen; Andere nehmen als fernere Ursache eine Volumvergrösserung an, bewirkt durch Wasser, welches in die Spalten des Eises eindringt, hier gefriert, nun eine Ausdehnung zur Folge hat, der nichts widerstehen kann und die sich eben nach der Seite geltend macht, wo am wenigsten Widerstand entgegen- wirkt, d.h. nach dem untern Ende des Gletschers hin, in welcher Richtung das Eis sich bewegen muss. Namhafte Ge- lehrte endlich schreiben die Bewegung der Gletscher einer Plastizität der Masse zu, welche sich längs des Abhangs hinunterbewege in Folge des Druckes ihrer Theilchen, wie dies bei einem zähllüssigen Körper, einer geronnenen Masse der Fall wäre, wobei de durch one bewirkte Aus- dehnung die Bewegung noch vergrössert. | Die Gletscherbewegung findet auch statt auf Abdachungen, deren Gefälle ganz schwach, ja fast null ist. Sie scheint weniger vom Neigungswinkel abzuhangen als von der Mächtigkeit (Dicke) des Gletschers und der ihn alimentirenden Schnee- felder, so dass ein mächtiger Gletscher bei schwachem Gefälle sich schneller bewegt als ein schwacher Gletscher auf stark geneistem Abhang. Die shake dieser Bewegung ist aber nicht Hi verschieden von erse zu Gletscher, sondern auch bei einem und demselben Gletscher, je nach Jahres- und Tages- zeit und den Theilen des Gletschers. Im Winter ist die Be- wegung nur ungefähr halb so gross wie im Sommer. ni Verschiedenheiten nach der Tageszeit sind minder wichtig das Mass der Bewegung wird gewöhnlich für einen Zeitamm von 24 Stunden angegeben, so dass jene Differenzen sich hiebei ausgleichen. Was die verschiedenen Punkte auf dem Gletscher betrifft, an welchen die Geschwindigkeit gemesser GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 259 werden soll, so ist zu bemerken, dass der Gletscher sich rascher bewegt in seiner mittleren Parthie als in den obern und untern Theilen, rascher an verengten Stellen als da, wo ihn die Wände seines Felsenbettes nicht auf schmäleren Raum einzwängen; rascher in der Längsmittelzone als an den Rändern, rascher an Stellen, wo er konvex als da, wo er konkav ist. Um diese Messungen anzustellen, wählt man sich einen Standpunkt auf einem der hohen Uferfelsen des Gletscher- bettes und einen Fixpunkt am andern Ufer; zwischen beiden lässt man quer über den Gletscher eine Reihe von Stäben oder Pfählen solid aufpflanzen, wie dies beim gewöhnlichen Linienabstecken S. 27 geschieht. Man notirt den Zeitpunkt, in welchem ein Pfahl eingeschlagen worden ist, und Tags darauf misst man, wie weit die Pfähle oder Stäbe von der geraden Linie zwischen den zwei Fixpunkten sich entfernt haben. Diese Zahl wird dividirt durch die inzwischen ver- strichene Zeit, und man erhält so die Bewegungsgeschwin- digkeit für die betreffende Zeiteinheit. Wenn die Oberfläche des Gletschers unzugänglich ist, so sucht man die Geschwindigkeit gewisser charakteristischer Punkte desselben (Gletschertische u. s. w.) zu bestimmen durch Messung von Winkeln, deren Scheitel jene Punkte sind, während die Grundlinien der betreffenden Dreiecke auf den Felsen angenommen werden, welche den Gletscher seitlich begrenzen!),. Um aber auch die Geschwindigkeit an den Rändern zu ermitteln, bringt man auf das Eis spitze Steine, die einem Felsvorsprung oder einer Blockkante entsprechen, und misst Tags darauf die Distanz, um welche sie sich mittlerweile von diesen Stellen entfernt haben. Es ist gut, wenn man diese Operation während mehrerer Tage wiederholt vornehmen kann; man erlangt so einen Mittelwerth, der nicht oder wenig mehr durch zufällige Fehler beeinträchtigt ist. In jedem Falle aber muss man das eingeschlagene Verfahren genau beschreiben und sorg- fältig angeben, zu welcher Zeit, an welchen Punkten und unter welchen Umständen man die Messungen vornahm. Das Vorrücken oder Zurückweichen eines Gletschers lässt sich konstatiren auf Grund von Ueberlieferungen und Aus- I) Vgl. v. Sonklars Anleitung pag. 17. 260 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN sagen der Bewohner des Gebietes, von Terrainbesichtigungen und endlich von genauen Messungen. Die Chroniken erzählen z. B. von gewissen Alpenpässen, die heute unpassirbar sind, dass sie früher mit Saumthieren begangen und von Prozessionen benutzt wurden. Aehnliche Berichte kommen anderorts als Traditionen statt in Form schriftlicher Dokumente vor. Im Allgemeinen wird man von Bewohnern hoher Thäler, von Greisen besonders, werthvolle Angaben über alte Gletschergrenzen erhalten ; immerhin sind dabei Uebertreibungen zu riskiren und thut man daher gut, so viel als möglich durch eigene Beobachtung von der Sach- lage sich zu überzeugen. Hiebei ist hervorzuheben, dass die End- oder Stirnmoräne eines Gletschers — entstanden aus Gesteinstrümmern, die auf die Gletscheroberfläche gelangten und am vordern Ende des Gletschers auf den Boden hinunterfielen — immer dessen grösste Ausdehnung bezeichnet. Wenn der Gletscher vorrückt, so stösst er diesen Steinwall vor sich her, zerstört ihn theilweise und wirkt dabei auf den Boden ein wie eine Pflugschaar; ist aber die Moräne zu mächtig, als dass der Gletscher sie bewältigen könnte, so staut er sich an diesem Hinderniss und übersteigt es endlich. Im einen wie im andern Falle besitzt der Gletscher, wenn der Vorgang neueren Datums ist, keine regelmässige Endmoräne, die im Verhältniss wäre zur Masse der Felstrümmer auf der Gletscheroberfläche. Zieht hingegen der Gletscher sich zurück, so entsteht zwischen der alten Frontalmoräne und dem neuen Stirnende des Gletschers ein Raum, der durch augenfällige Eigenschaften früheren Gletscherbodens') sich als solcher charakterisirt. In der That ist das freigewordene Bett eines durch Ab- schmelzen zurückgegangenen Gletschers leicht an folgenden Merkmalen zu erkennen: Mangel an aller Vegetation, der Boden bedeckt mit feinem Sand oder Gletscherlehm und besäet mit eckigen scharfkantigen Gesteinstrümmern von allen Dimensionen und in allen Lagen; Felsflächen mit Rund-. höckern (roches moutonnees), durch die Reibung des Eises 1) Den besten Ersatz für die Anschauung der Naturverhältnisse — das beste| künstliche Mittel, sich mit denselben vertraut zu machen — bieten in diesem wie! in einigen anderen Fällen (Küsten- und Thalbildungen, Vulkane) die geologischen | Reliefs von Prof. Albert Heım in Zürich, unter den bildlichen Darstellungen die-| jenigen von Prof. Simony in Wien, f GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 261 geglättet (polirt), und gekritzt (gestreift) durch ins Eis ein- gefrorne harte Steine, welche in den anstehenden Fels Kritze einrissen wie Diamant in Glas; kleine Teiche in den Ver- tiefungen des Bodens; grauliche Färbung des Ganzen, — ein Aussehen gleich einer Wüstenei. Wenn einerseits, wie dargethan wurde, die oben ange- gebenen Merkmale hinreichen, um zu konstatiren, ob Vor- rücken oder Rückzug des Gletschers stattfand, so liefern dieselben andrerseits nur ein unvollkommenes Mass für den Betrag dieser Bewegung. Ein solches kann nur erlangt werden mittels fixer Punkte und Marken verbunden mit Beobach- tungen, welche sich über einen langen Zeitraum erstrecken. Wenn auch der Aufenthalt eines Reisenden in einer Gegend nicht so lange dauert, dass er selber solche Beobachtungen anstellen kann, so darf er doch nicht unterlassen, genau den Punkt zu markiren, bis zu welchem in der Zeit seiner An- wesenheit der Gletscher reichte. Spätere Beobachter sind dann in der Lage, die inzwischen stattgefundene Veränderung zu konstatiren. Wenn ein Gletscher vorschreitet oder zurückgeht, so darf man hieraus nicht den Schluss ziehen, dass alle benach- barten Gletscher sich nun gleich verhalten und .dass die Bewegung dieses einen in regelmässiger Weise und andauernd sich vollziehe. Im Gegentheil kann von zwei benachbarten Gletschern der eine Tendenz zum Vorschreiten, der andere zum Rückzug haben; und was die Dauer der Bewegung im einen oder andern Sinne betrifft, so scheinen variable Peri- oden von Vergrösserung und Abnahme dieser Eisströme mit einander zu wechseln. Spuren alter Gletscher. Es ist bekannt, dass die Glet- scher früher weit ausgedehnter waren als jetzt. Sie bedeckten nicht nur den grössten Theil Europas, sie erstreckten sich überdies auf beiden Hemisphären bis in Gegenden, deren heutiges Klima jede Möglichkeit der Gletscherbildung aus- zuschliessen scheint. Es ist denn auch das Studium früherer Eisverbreitung vom höchsten Interesse. Oben wurde gesagt, woran das von einem abgeschmol- zenen neueren Gletscher occupirt gewesene Terrain als Gletscher- boden erkannt werden könne. Im Laufe der Jahrhunderte werden aber die charakteristischen Gesteinstrümmer fort- 262 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN transportirt und anders gelagert (remanie) und der Boden überzieht sich mit einer Pflanzendecke; es werden also die Gletscherspuren theils verwischt, theils maskirt. Aber einige Merkmale, welche auf diese Spuren leiten, wird der kundige Beobachter selbst in einer solchen Gletschergegend entdecken, die jetzt einer reichen und vielseitigen Kultur unterworfen ist. Es hat die Moränenlandschaft ihre eigenthümliche Phy- siognomie, die Niemandem entgehen kann, der mit den Alpen- | regionen einigermassen vertraut ist'). Da zeigen sich dem Blicke zahlreiche rundliche Hügel, die keine bestimmte oro- graphische Anordnung erkennen lassen; mehr oder minder regelmässig gestaltete Vertiefungen mit kleinen Seen und Teichen oder mit Torf und Schlammgrund, Felsblöcke der verschiedensten Form und Grösse, welche die Hand des Zufalls über die Gegend ausgesäet zu haben scheint, in welcher diese Felsarten sich nicht anstehend (als „gewachsenes“ Gestein) finden. | An entblössten Stellen, in Strassen- und Bachein- schnitten etc., beobachtet man, dass der Boden aus unge schichteten Massen von Sand, Lehm und Steinen („Kies“) besteht, in welchen sich hie und da grosse Blöcke mit scharfen Kanten und Ecken vorfinden. Bei genauerem Zu- sehen gewahrt man, dass die einzelnen Steine glattgeschliffene glänzende Flächen und auf diesen eingekritzte Streifen auf- weisen. Findet man solche Steine in einem Fluss- oder Bachbette, so kann man hieraus auf die Nähe von Gletscher- ablagerungen schliessen: vom Wasser fortgerollt, verlieren sie diese Streifen bald und erhalten ein mattes Aussehen. Geschiebe, die noch deutliche Kritze zeigen, können also nicht weit her transportirt worden sein. Ein anderer Beweis für stattgehabte Gletscherwirkung sind die erratischen Blöcke, von denen wir schon S. 248 sprachen. Diese Findlinge sind oft auf enorme Distanzen transportirt worden. Das Merkmal, welches sie am meisten charakterisirt, besteht darin, dass sie mineralogisch ver- schieden sind von dem in der Gegend anstehenden Gestein. | 1) Sehr gut charakterisirt dies Desor in seiner Schrift „Le Paysage morainique“ | Paris und Neuchätel 1875. Vgl. auch Rütimeyer, Pliocen und Eisperiode zu beiden | Seiten der Alpen. Mühlberg, die erratischen Bildungen im Aargau. Gutzwiller, ' die löcherige Nagelfluh und ihre Beziehungen zu den tertiären und quartären Ab- | lagerungen; Basel 1880. GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 263 Die Hügel, wovon oben die Rede war, sind die Reste alter End- oder Stirnmoränen. Sie sind oft überzogen mit Pflanzenwuchs, bedeckt mit Wohnungen und ganzen Dörfern. Sie sind nicht zu verwechseln mit den Ablagerungen ange- schwollener Wildbäche, noch mit den Gletscherschutt-Massen, welche sich gewöhnlich weiter unten als die Erdmoränen finden. Aechte Moränen haben gewöhnlich Lücken, leere Zwischenräume, in ihrer Masse; die scharfkantigen Blöcke, welche einen wesentlichen Theil ihres Materials bilden, stossen oft nur mit ihren Eckpunkten oder Kanten zusammen und lassen so Hohlräume, welche durch Sand und kleinere Steine nur unvollkommen ausgefüllt werden. In den hügeligen oder haufenweisen Ablagerungen hingegen, welche durch ange- schwollene Wildwasser erzeugt werden, sind die Blöcke und kleineren Geschiebe, durch Reibung abgerundet, eingebettet in Massen von Schlamm, der, weil das Wasser daran sehr reich war, alle Zwischenräume ausfüllte. Endlich gibt es Gletscherbildungen, die einem festen Cement gleichen, wo eckige Fragmente wie eingegossen sind in den kompakten kalkigen Sand, welcher sie als Grundmasse umhüllt und zu- sammenkittet. Dieselben sind zudem oft ausgezeichnet durch konische Hohlräume, die man in den Wildbachablagerungen nicht trifft — Höhlen, welche dadurch entstunden, dass im Moränenmaterial auch Eisblöcke mitgeführt wurden, die dann langsam schmolzen, während die Masse um sie herum trock- nete und fest wurde, sodass der Raum leer blieb, den die Eisblöcke einnahmen. Oft haben Gewässer wie Gletscherbäche die alten Moränen theilweise zerstört und umgelagert (remanirt), aber Reste davon finden sich gewöhnlich noch an den Thalseiten und diese Reste können ausreichen, um in Gedanken die alte Moräne und ihren früheren Verlauf zu rekonstruiren. Hat man diese Linie erkannt und betrachtet man auf- merksam den Boden oberhalb ihres konkaven Theiles, so wird man beobachten, dass die Felsen, welche zumeist von Rasen überzogen, stellenweise aber durch fliessendes Wasser blossgelegt sind, gerundete Formen aufweisen, die herrühren von der Wirkung des vorrückenden Gletschers; es sind dies die sogenannten Rundhöcker (roches moutonndes); die nakten Felsflächen sind zudem oft noch gestreift, d. h. durchzogen 264 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | von gradlinigen Furchen oder Kritzen, die eingeschnitten‘ wurden durch harte Steine, welche das Gletschereis mit sich führte. Hie und da trifft man auch „Riesentöpfe oder Gletschermühlen“, rundliche oder trichterförmige Höhlungen im Fels auf dem Boden eines alten Gletscherbettes, die ein-' gegraben wurden durch Steine, welche in fortwährende roti- | rende Bewegung versetzt wurden durch die unter dem Eis‘ hervorströmenden Gletscherbäche oder die Wasser, welche in Kaskaden über Eiswände herabstürzten. Endlich, aber seltener findet man „Gletscherstrassen“, d. h. lange und enge Ver- tiefungen, die gleich Römerstrassen bedeckt sind mit zu- sammengepressten und nivellirten kleinen Blöcken. | Ist das alte Gletscherbett von steilen Felswänden ein-' geschlossen oder steigt man in das Thal hinauf, aus welchem, der Gletscher kommt, so wird man bemerken, dass die Wände bis auf eine gewisse Höhe bearbeitet sind durch die Reibung, welche der Gletscher ausübte. Ausser den Streifen, wovon, oben die Rede war, beobachtet man „Schliffe“, d. h. polirte, | glatte, oft hell glänzende Flächen. Die scharfen Ecken und) Kanten sind wie abgefeilt, namentlich wo ein Felsvorsprung dem Gletscherstrom entgegentrat und seinen Lauf änderte. Die Existenz mehrerer Endmoränen, die von einander ziemlich weit abstehen und deutlich zu unterscheiden sind, beweist, dass der Gletscher sich ruckweise verkleinert hat. | Andernfalls, d. h. wenn der Gletscher gleichmässig langsam zurückgegangen ist, erscheint der ganze Raum zwischen der äussersten Stirnmoräne und dem jetzigen Gletscherende übersäet mit Materialien, welche während der Zeit des all- mäligen Rückzugs hier überall abgelagert wurden. | Um sich gehörig Rechenschaft zu geben über Ursprung und Bedeutung der Felstrümmer, die man im alten Gletscher- bette trifft, muss’man in Betracht ziehen, dass auf den seit- lichen Rändern des Gletschers, längs der angrenzenden Fels- wände, sich Gesteinshaufen und Wälle bilden, welche Seiten- | oder Randmoränen (Seitengandecken) heissen und dass solche Seitenmoränen da, wo zwei Gletscher zusammenstossen, auf dem vereinigten Eismeere sich als Mittelmoräne (Mittelgandecke, Guferlinie) fortsetzen. Eine Mittelmoräne entsteht also da- durch, dass die linke Seitenmoräne eines Gletscherarmes sich | vereinigt mit der rechten Seitenmoräne des (links) anstossenden GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 265 Armes; ein Hauptgletscher hat demnach eben so viele Mittel- moränen als ihm seitliche Eisströme zukommen. Man unter- scheidet ausserdem Moränen der Gletscheroberfläche und Grundmoränen; erstere sind die ausschliesslich auf der Ober- fläche des Eismeeres befindlichen ; letztere sind gebildet durch Materialien, die sich zwischen Eis und Fels, auf dem Grunde und an den Seiten des Gletschers, vorfinden. Aus der Anordnung, aus der lokalen Vertheilung der Materialien im alten Gletscherbett wird man hienach schliessen können, ob dieselben zu Seiten- oder Mittelmoränen gehören und aus der Entfernung der letzteren von einander kann man annähernd die Mächtigkeit der Affluenten des Gletschers beurtheilen. Die Bestandtheile der Grundmoräne werden beim Abschmelzen der Gletscher mit denjenigen der Moränen auf der Gletscheroberfläche vermischt; die beiderlei Gesteins- trümmer sind aber insofern noch zu unterscheiden als die- jenigen, welche den Öberflächenmoränen angehörten, nicht durch Reibung abgenutzt und nicht gestreift sind und, ab- gesehen vom Einfluss der Verwitterung, ihre scharfen Kanten und Ecken beibehalten haben, während die andern — in- folge des enormen Druckes und der Reibung, welchen sie ausgesetzt waren — abgekantet, abgestumpft, geglättet und gekritzt erscheinen. Diese Materialien zeigen zudem hie und da Spuren von Schichtung oder wenigstens Sichtung oder Sortirung, herrührend von der Wirkung der unter dem Gletscher fliessenden Wasser. Mitunter, wenn man eine Moränenlandschaft oder eine Gegend, die offenbar ehemals von Gletschern bedeckt war, trifft, kann man im Zweifel sein über die Herkunft des Gletschers. In solchen Fällen hat man sich zu vergegen- wärtigen, dass die Endmoräne im Allgemeinen aus bogen- förmig gruppirten Hügeln besteht und der Gletscher in der Richtung der Axe dieses Bogens von dessen konkaver Seite ‚herkommen musste. Die Linie, in welcher der Gletscher sich bewegte, wird auch angedeutet durch die Streifen oder Kritze im anstehenden Fels; es handelt sich also nur noch um die Richtung der Bewegung in dieser Linie. Diese lässt sich erkennen an den Rundhöckern, welche glatte Flächen haben nach aufwärts, nach der Stoss-Seite des Gletschers, während sie an der thalabwärts liegenden oder Lee- Seite 266 _ BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | oft von splittriger und unregelmässiger Beschaffenheit sind. Zur Erklärung fügen wir die Fig. 111 bei. Es sei A ein. Fels, dessen Fläche abgerieben, gerundet worden ist durch‘ die Reibung des sich bewegenden Eises. Ist das Eis in a an-' gekommen, so kann £ | es auf die Wand 5 GG HL desHohlraumskeine yH72 322772 Wirkung ausüben, AT EG da diese nicht in der Richtung der Stoss- kraft liegt; die Felsfläche «aD bleibt also intakt, die Höhlung wird lediglich mit Gletscherablagerungen erfüllt. Hätte sich, aber der Gletscher in entgegengesetzter Richtung bewegt, so wäre der Vorsprung bei A der Stosskraft des Eises aus- gesetzt gewesen und abgerieben worden. Ist die Richtung, der Gletscherbewegung ermittelt, so prüfe man das Terrain zu beiden Seiten der Quermoräne, die man vorgefunden hat, da diese Moräne leicht nur eine sein dürfte unter mehreren, welche die Etappen des Gletscherrückzuges bezeichnen, da dem- nach die äusserste Endmoräne viel weiter unten liegen könnte. Die Mächtigkeit eines vorzeitlichen Gletschers erkennt‘ man an der Höhe, in welcher man über dem Thalweg an, den Felsen zu beiden Seiten noch Gletscherspuren trifft. Aus denselben kann man auch ermitteln, welches das Ge-) fälle (die Abdachung) der Gletscheroberfläche war. Die grösste, Ausdehnung des Gletschers wird, wie schon bemerkt, be- zeichnet durch die am weitesten vorgeschobene Endmoräne. Diese äussersten Grenzen sind indess nicht immer leicht zu, bestimmen; oft entdeckt man sie nur durch Zufall oder durch beharrlich fortgesetzte Nachforschungen. Die grossen) Gletscher jener vorhistorischen Zeit bedeckten eben, wie die Eismeere der Polarregion, das ganze Land mit einem un-' geheuren Eismantel, aus welchem nur die höchsten Berge‘ hervorragten; die Blöcke, welche von diesen Gipfeln sich, ablösten, waren nun im Ganzen spärlich an Zahl und Masse, die Moränen also verhältnissmässig viel schwächer als die- jenigen der heutigen Gletscher; nur die Grundmoräne war) bedeutender. Auch konnte der Gletscher in jener Periode in einen heute nicht mehr bestehenden Meeresarm ausmünden; in einem solchen Fall lösten sich von ihm ungeheure Eis-, Fig. 111. GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 267 massen ab, auf welchen das hergeführte Gesteinsmaterial weithin verfrachtet und zerstreut wurde. War das Gestade sanft abgedacht, so rückte der Gletscher in das Meer hinaus vor, bis zu einer Stelle, wo das Wasser so tief war, dass die Eismasse von ihm getragen, zum Schwimmen gebracht wurde. Hier nun bildeten sich Eisberge gleich denen, welche in unsern Tagen die Meeresströmungen aus den Polargegenden weithin transportiren und welche die mitgeführten Felstrümmer erst ablagern unter Breitegraden, wo die Eisberge schmelzen. Vulkane und vulkanische Erscheinungen. Das Studium der Vulkane ist nicht minder interessant als das der Gletscher'). Der Reisende versäume nicht, bei Gelegen- heit auch hierüber Beobachtungen anzustellen und Auf- schlüsse zu erlangen. Jeder Vulkan hat seine Geschichte. Man wird sie zu rekonstruiren versuchen aus Traditionen, alten Chroniken und aus Erinnerungen der Landesbewohner, wobei man sich indess zu hüten hat vor Uebertreibungen, welche aus Furcht und Aberglauben entsprangen. Die Angaben müssen sorg- fältig geprüft, die einen durch die andern kontrolirt werden. So wird man so genau als möglich bestimmen, wann der Vulkan, falls er aus historischer Zeit datirt, in Thätigkeit trat; welches seine wichtigsten Ausbrüche waren; welche besondern Erscheinungen ihnen vorangingen oder auf sie folgten; seit wann der Vulkan ruht, welche Veränderungen er erlitt und seit wann er die jetzige Form hat. Hierauf schreitet man zu eigenen direkten Beobachtungen; man rekognoszirt zunächt die Umgegend, nimmt dann den Berg topographisch auf und gibt davon einen Situations- plan, Profile (Durchschnitte) und wo möglich auch Ansichten ‚von verschiedenen Punkten aus. Man notirt auch die Dimen- 'sionen des Kraters, seine Form und Lage, sowie Länge ‘und Gefälle der wichtigsten Lavaströme. Die Vulkane haben im Allgemeinen die Form steiler ab- ter Kegel. Oben auf dem abgestumpften Gipfel / 1) Hinsichtlich der Frage im Allgemeinen verweisen wir auch auf die ein- schlägigen Darstellungen in den $. 99 genannten geologischen Werken, ferner bei F. v. Hauer, die Geologie und ihre Anwendung auf die Kenntniss der Boden- beschaffenheit der österreichisch-ungarischen Monarchie, Wien 1875; C. von Cotta, ' Geologische Bilder (Leipzig 1871), Peschel-Leipoldt a. a. O. I. Bd., S. 201, sowie auf die S. 260 erwähnten (je von einem kurzen Kommentar begleiteten) geologi- schen Reliefs von Prof. A. Heim. 268 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN zeigt sich eine trichterartige Vertiefung oder ein Cirkus mit steilen Wänden: der Krater. Der Krater befindet sich indess nicht immer auf der Scheitelläche; er kann auch an den Seiten des Berges vorkommen. Oft existiren mehrere Krater; dann heisst der oberste Haupt- oder Gipfelkrater, die andern sekundäre oder Nebenkrater. | Ein Vulkan muss aber nicht nothwendig ein Berg, er kann ein blosser Hügel oder gar einfach ein Krater mitten im ebenen Lande sein, denn der Krater ist es, der den Vulkan ausmacht. Der Eruptionskanal oder das Kamin des Vulkans, welches für die feuerflüssigen unterirdischen Stoffe einen Weg nach der Erdoberfläche bildet, öffnet sich im Innern des Kraters, aber nicht immer im Centrum, sondern manchmal an den Rändern und manchmal mit vielfachen Mündungen an ver- schiedenen Stellen. Um dieselben bilden die ausgeworfenen Stoffe kleine Kegel, die oft durch nachfolgende Eruptionen wieder zerstört werden. Wenn die Gänge oder Schlote ver- stopft sind oder die feuerflüssigen Massen auf deren Wände einen zu starken Druck ausüben, so kann bei einer Eruption der Vulkan theilweise zerstört werden oder es kann die Lava sich Bahn brechen durch eine Spalte an den Flanken des Berges. Berücksichtigt man ferner, welch grosse Wirkung auf das bewegliche Material eines Vulkans die Regenwasser !) und die stossweisen Erschütterungen haben müssen, so begreift man leicht, dass die Form eines Vulkans sehr wandelbar ist. Ist der Feuerberg von erheblichem Umfang, so findet man an ihm fast immer Spuren einer Verlegung seiner Thätigkeit: erloschene Krater und Spalten oder mehrere kon- zentrische Zirkusse. Geleitet durch das Aussehen dieser Spuren — ob alt oder frisch — und die Angaben der An- wohner kann man unter Umständen in Gedanken den Vulkan in seiner frühern Form rekonstruiren. Ist man am Kraterrande angekommen, so wird es nicht immer leicht, zu beobachten, was hier vor sich geht. Wenn’ Gasentwicklung stattfindet, so darf man sich nur auf der‘ Seite aufhalten, von welcher der Wind herweht und die Gase nach der andern Seite treibt. In den Zeiten relative I) Die vom Wasser gegrabenen Thäler an dem Vulkan werden als Burancas bezeichnet. | GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 269 Ruhe, zwischen den einzelnen Ausbrüchen, wird man ein Sieden oder Kochen der Lava bemerken, gewissermassen das Athmen des Vulkans, untermischt durch das Pfeifen ausströmender Gase. Nur wenn der Vulkan lange Zeit in Ruhe verharrte, darf man wagen, in den Krater hinabzusteigen, um hier genauer zu beobachten. Um die Exhalationen, die sich ent- wickelnden Gase und die Sublimationsprodukte zu studiren, muss man freilich Chemiker sein; einem Jeden aber ist es möglich, die verschiedenen Arten vulkanischer Thätigkeit zu konstatiren: die Bildung von Schwefelmassen der Solfa- taren, das Auswerfen von Wasser und Gas bei den Fuma- rolen ete., Dinge, die man nicht nur im Innern der Krater, sondern auch an Spalten der Bergseiten beobachten kann. Leicht zu konstatiren ist ferner, mit welcher Langsamkeit die Lava sich abkühlt; man notirt einfach die Temperatur von Lavaströmen, deren Alter bekannt ist. Zu dem Ende braucht man nur einen Platinfaden, welchen man in die noch zähflüssige Lava für einen Moment eintaucht. Die Farbennüance, welche das Platin beim Herausnehmen zeigt, gibt die Temperatur an und zwar: SehwächesBötbhrden), sl ad). 525 En lrel ia 018 ı BITWER TREFFERN Era FE TCBRRE 700 9 schwaches Kirschroth” . . . . 800 Kirschroth eragerhenneeN . 900° helles »Kirschrothäut: ale aeiaemr. 1,1000, Hainkeli Oräuge viiladiresu nrw um,sEL00® ER Orangen: ; ul 1200 et ebil elite rin Blahmeiss ln hie il. 10‘ blendend weiss . . 1500° C. ‘ Die ausgeflossenen Lavamassen nehmen die verschiedensten Formen an; bald gleichen sie einem im Fliessen erstarrten Strom; bald bilden sie weit ausgedehnte Flächen, welche eine mächtige Decke über die Gegend bilden. Erkaltung und Zersetzung modifiziren zudem die Aussenfläche dieser Ströme und Felder von Laven. Man trifft zuweilen grosse Stellen, an welchen die Lavamasse verschwunden ist, sodass Höhlen und Gänge entstanden sind, oder Lavaflächen mit zahlreichen und ansehnlichen Höckern und Hügeln, welche das Bild eines chaotischen Trümmerhaufens darbieten. — 270 _ BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | Unter den übrigen vulkanischen Auswurfsprodukten unter- scheidet man die Schlacken (Scories), das sind unregelmässig gestaltete, gewundene und löcherige Fragmente, und die vulkanischen Bomben, das sind länglich-eiförmige, zuweilen im Fallen abgeplattete Massen. Kleinere Stücke heissen Lapilli oder Rapilli, wenn sie ungefähr Nussgrösse habe vulkanische Asche aber, wenn sie Teinem Sand oder Staub gleichen. Wenn diese Aschenmassen in Wasser kommen, so entsteht ein Schlamm, welcher beim Austrocknen sehr hart wird und den vulkanischen Tuff oder — indem er Gesteinsschutt aus Bestandtheilen der verschiedensten Di- mensionen verkittet — vulkanische Konglomerate bildet. Unter Bimsstein verstebt man poröse Schlacken aus fein- körnigem Material, die so leicht sind, dass sie auf dem Wasser schwimmen. Vulkanische Blöcke sind grosse Fels- trümmer, welche aus dem Erdinnern, von den Kraterwänden herrühren und bei der Eruption nen werden. Die Entfernung von der Auswurfsstelle, in welcher man diese Blöcke und die Bomben findet, womit a Boden übersäet ist, sowie Volum und Gewicht derselben geben einen Massstab zun Beurtheilung der Stärke des Ausbruches. Hat man Gelegenheit, eine Eruption zu beobachten, so versäume man nicht, sorgfältig Notizen zu machen über alle ihre Phasen; das Zeugniss eines kundigen und objektiven Beobachters wird immer von grossem Werth sein. Uebertreibungen walten gew öhnlich und namentlich in Bezug auf die Vorboten eines Ausbruches; Jeder will irgend etwas Ausserordentliches bemerkt haben, Jeder pflegt die Aussagen Anderer zu überbieten. Die wirklichen Vorkommnisse dieser Phase sind zumeist am wenigsten konstatirt; gewöhnlich denkt man erst nach dem Ereigniss an die Anzeichen des- selben und man kann dann die Thatsachen nur noch nach vagen Erinnerungen rekonstruiren. Wer in einer vulkanischen Gegend reist, thut daher gut, sich vorzusehen und, wie wenn er a auf eine eh Eruption rechn würde, tagtäglich Alles zu notiren, was er Auffallendes und Ungewohntes "bemerkt, das Bezug haben könnte auf wieder- erwachende vulkanische Thätigkeit. Zu den Erscheinungen. die Vorboten eines Ausbruchs sein können, gehören das plötzliche Versiegen von Quellen, ungewöhnlich reichliches GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 2 Fliessen von Thermen, ein abnormer Zustand der Atmosphäre, Erschütterungen des Bodens, unterirdisches Getöse, auffallende Unruhe von Vögeln und andern Thieren, endlich reichliche Entwicklung von Dampf und Rauch aus Fumarolen und Vulkangipfeln. Die Stösse und das unterirdische donnerartige Rollen nehmen gewöhnlich an Stärke zu bis zum Momente, wo mit schrecklichem Getöse die Eruption eintritt. Dann steigt eine ungeheure Rauchsäule in die Lüfte; sie breitet sich oben langsam aus zu einer Wolke, sodass sie die Form einer Pinienkrone annimmt. Der Himmel wird verfinstert: die Luft nimmt einen eigenthümlichen Geruch an, und ein feiner Aschenregen fällt auf die Erde nieder. Durch den schwarzen Rauch gewahrt man blitzartig aufleuchtende Streifen, herrührend von weissglühenden Lavamassen, welche in die Luft geschleudert wurden. Findet die Eruption Nachts statt, so wird die Rauchsäule erhellt durch den Wiederschein der im Krater kochenden Lava; sie bietet dann das Bild einer ungeheuren Feuersbrunst. Oft auch häufen sich die Wolken an, sie ballen sich zusammen, ein Gewitter bricht los, Blitze zucken durch die Wolken, in das Getöse der vulkanischen Detonationen mischt sich das Rollen des Donners, und immense Regenmassen ergiessen sich sündfluthartig auf den Vulkan hernieder; sie durchfurchen die Abhänge, und indem sie das bewegliche Material auf ihrem Wege mitreissen, verwandeln sich diese Wassermassen — denen sich häufig noch solche beigesellen, welche der um den vulkanischen Gipfel gelagerte, durch den Ausbruch geschmolzene Schnee lieferte — in Schlammströme. Sobald die Lava den Kraterrand erreicht oder sich durch Spalten im Berge Bahn bricht, so ergiesst sie sich am Abhang hinunter wie ein Strom geschmolzenen Metalles aus dem Hochofen; aber in Kurzem bedeckt sie sich mit einer starren Hautkruste und mit Schlacken; sie fliesst langsamer und nach einiger Zeit nur noch stossweise, wenn die noch feuerflüssige Lava stellenweise die Kruste durchbricht und die Hemmnisse beseitigt, welche sie selber vor sich her an- häufte. Gewisse Vulkane haben das Eigenthümliche, dass sie Massen von Schlamm auswerfen, welche Lavaergüssen ähnlich sind; man nimmt an, dass hiebei Sickerwasser tief 272 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN ins Innere des Vulkans gelangten und dann mit grosser Energie ausgeworfen wurden, vermischt mit Gesteinstrümmern, vulkanischen Aschen und mitunter, wie angegeben wird, auch mit Resten von Organismen. Uebrigens bietet jede Eruption bemerkenswerthe Eigenthümlichkeiten dar, wenn auch das vorstehend in grossen Zügen entworfene Bild den gewöhnlichen Gang des Phänomens zeichnet. Hat man einen Vulkan an und für sich, als isolirtes Objekt, studirt, so ist weiter die Beziehung zu prüfen, in welcher er zur Umgebung steht, ob er einer Gruppe oder Reihe von Vulkanen angehört und, wenn ja, ob die Perioden seiner Thätigkeit zusammenfallen oder abwechseln mit den- jenigen der benachbarten Vulkane; ob der Vulkan in der Nähe des Meeres oder sonstiger grosser Wasserbecken ist und so durch ihn die Ansicht bestätigt würde, wonach die vulkanischen Ausbrüche hauptsächlich Sickerwassern zuzu- schreiben wären, welche sich beim Kontakt mit heissem Gestein in Dampfmassen verwandeln von unwiderstehlicher Expan- sionskraft, oder ob eine wesentlich kontinentale Lage in einer trockenen Gegend diese Hypothese ausschliesst. Ueberdies wird man nachforschen, ob in einem gewissen Umkreis andere Spuren vulkanischer Thätigkeit, Erschei- nungen, die hierauf bezogen werden könnten, sich finden. Dazu gehören z. B. die heissen vulkanischen (Quellen, welche sich von normalen Thermen durch höhere und veränderliche Temperatur unterscheiden; die Geysir, heisse intermittirende Springquellen, die Soffioni, welche aus Erdspalten unter Getöse heisse Dämpfe ausstossen; die Mofetten, aus welchen Gase ausströmen wie z. B. in der bekannten Hundsgrotte bei Neapel. Was die Salsen oder Schlammvulkane betrifft, so kann man ihre Produkte, falls sie eine hohe Temperatur besitzen, als Erzeugnisse von Fumarolen betrachten, deren Entweichen gehemmt war durch Thon, Tuff und vulkanische Asche, durch welche die Gase und Dämpfe sich gewaltsam Bahn brechen mussten. Andernfalls, d. h. wenn ihre Tem- peratur nicht höher ist als die Lufttemperatur, so sind diese Miniaturvulkane und deren Eruptionen lediglich zu betrachten als Produkt der Expansion von Gasen, erzeugt durch Zer- setzung organischer Stoffe oder durch chemische Reaktion gewisser Mineralsubstanzen. GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 273 Erdbeben. Wenn wir die Erdbeben im unmittelbaren Anschluss an die Besprechung der vulkanischen Erscheinungen behandeln, so wollen wir damit der Frage, ob die beiden Gruppen von Erscheinungen im ursächlichen Zusammenhang stehen — worüber die Meinungen sehr getheilt sind — in keiner Weise präjudiziren. Die Erdbeben sind, wie ihr Name andeutet und welches uch ihre Ursache sei, Erschütterungen der festen Erdkruste der wenigstens des (unsern Beobachtungen allein zugäng- ichen) äussersten Theiles derselben, den man die Epidermis ler Erde nennen könnte. Die Stärke dieser Erschütterungen st sehr ungleich; die Erscheinung äussert sich manchmal n plötzlichen heftigen Stössen, manchmal nur in einem eisen, kaum wahrnehmbaren Erzittern. Bei den stossweise auftretenden Erdbeben unterscheidet man: vertikale Bewegungen, in welchen der Boden sich zu heben ınd zu senken scheint, als würde er das eine Mal von einem interirdischen Stosse emporgetrieben, das andere Mal durch Jlötzliche Belastung herabgedrückt ; wellenförmige Beweg- ingen, in welchen der Boden zu oszilliren scheint wie wogendes Wasser; ferner, wie versichert wird, auch rotirende Beweg- ingen, welche als horizontal erfolgende Drehungen fühlbar verden ; endlich gemischte Bewegungen, worin alle die vor- zenannten auftreten. Die Fortpflanzung des Bebens heisst: konzentrisch, wenn lie Erschütterung von einem Punkte auszugehen und von ier aus nach allen Seiten, kreisförmig sich ausdehnend, ortzuschreiten scheint, wie Wellen in einem Teiche, in dessen uhiges Wasser ein Stein geworfen wird; transversal, wenn lie Bewegung von einem Zentrum aus in parallelen Wellen ich verbreitet; linear, wenn sie von einem Punkte aus in iner geraden Linie nach den zwei entgegengesetzten Rich- ungen sich ausdehnt. ] Der Reisende wird sich bemühen, die Ueberlieferungen zu sammeln, welche in einer Gegend mit Bezug auf die in ihr orgekommenen Erdbeben existiren. In Ländern mit häufigen srdbeben wird man sich auf die Traditionen beschränken, velche sich auf die wichtigsten und jüngsten dieser Phä- . ıomene beziehen, die sich am besten im Gedächtniss der 3ewohner des Landes erhalten haben. Hinsichtlich der Erd- 18 274 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN beben aus älterer Zeit darf man sich nur auf die glaub- würdigsten Zeugnisse verlassen; in allen Fällen sind die Spuren, welche von den Erdbeben blieben, durch den Beob- achter selbst zu prüfen. Es handelt sich nun noch um Beobachtungen solcher Erdbeben, welche allenfalls in der Gegend vorkommen, während der Reisende darin verweilt. Hier wie bei den vulkanischen Erscheinungen muss man stets auf Alles achten, was in der Folge sich als Anzeichen oder Vorläufer eines Erdbebens herausstellen könnte. Es ist von wesentlichem Interesse zu wissen, ob ein Erdbeben ge- wissermassen angekündigt wurde durch unterirdisches, über- haupt ungewöhnliches Getöse ; ob die Atmosphäre durch irgend etwas Ausserordentliches sich auszeichnete ; durch hohen Baro- meterstand, drückende Luft, Gewitter ; ob grosse elektrische Spannung vorhanden und die Magnetnadel Störungen unter- worfen war; ob das FEreieniss eintrat nach einer langen Regenzeit!) oder zusammenfiel mit einer Periode besondere Thätigkeit naher Vulkane; ob gewisse Thiere, wie gewarnt durdl ihren Instinkt, sichtliche Unruhe an den Tag legten u. s. £ Ob man nun auf den Eintritt des Erdbebens gefasst und vorbereitet sei oder nicht, so ist es von Wichtigkeit, dass man nicht unterlasse, genau Ort und Zeit zu notiren, wo deı erste Stoss bemerkt wurde. Diese Angabe ist von grossem Werth für die statistischen Ermittlungen über die Häufigkeit der Erdbeben, ihreVertheilung nach Monaten, Jahreszeitenu.s.f Es ist ferner anzugeben, ob man sich hiebei an einem hoch: gelegenen Orte oder im Flachlande befunden habe um ob im obern oder untern Theil eines Gebäudes. Was der Zeitpunkt anbetrifft, so suche man, wenn der erste Eindruel der Ueberraschung und Verwirrung vorüber ist, möglichs > 1) Eine Einwirkung oder doch wenigstens ein Zusammenhang der Erdbebe' mit dem Zustand der Atmosphäre gehört zu den weitverbreiteten und tief eing wurzelten Annahmen, hat sich aber bis jetzt wissenschaftlich noch nicht nach weisen oder begründen lassen. Erdbeben sind bei allen Barometerständen un) ebensowohl beim Steigen wie beim Fallen derselben beobachtet worden. Die noc, immer auf manchen gewöhnlichen Barometern gegenüber von 27 Zoll angebracht Angabe „Erdbeben“ ist daher eine absolut falsche und unsinnige.... Merkwürdi hartnäckig haftet im tropischen Amerika und auch andernorts noch der Glaubt dass Regen und besonders der Eintritt der Regenzeit in einigem Zusammenhan mit dem Erscheinen von Erdbeben stehe und man wird die gewöhnliche Annahm dass kurz nach Eintritt der Regenzeit auch Erdbeben folgen, wenigstens in vul kanischen Gegenden wohl nicht so ohne Weiteres als eine ungereimte a prio, verurtheilen dürfen. X. v. Seebach, Erdbebenkunde (Neumayer, Anleitung, S. 312 GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 275 genau das Zeitintervall zu schätzen, welches man verstreichen liess, ohne dass man daran dachte, nach der Uhr zu sehen. Die von der Uhr angegebene Zeit ist später, da sie öfters nicht die Zeit des betreffenden Ortes oder Meridianes sein wird, auf einen bestimmten Meridian zu reduziren. Die Richtung der Bewegung wird im Allgemeinen ange- geben durch das Sehwingen frei hängender Gegenstände, wenn man nämlich den Beginn dieses Schwingens beobachten kann, d.h. wenn man die Gegenstände vor Augen hat im Momente, da man den ersten Stoss wahrnimmt. Ist dies nicht der Fall, so notirt man, nach welcher Himmelsgegend, nach welcher Stelle des Horizöntes Gegenstände hingefallen sind, die an einer Wand oder sonstwo in der Höhe angebracht waren. Bei sehr starken Erdbeben soll man auch beobachtet haben, dass die Bäume sich successive neigten; diese Bewegung könnte die Richtung bezeichnen, um welche es sich handelt. Ist die Gegend reich an Erdbeben, so dass man darauf zählen kann, während des Verweilens in derselben Erdbeben beob- achten zu können, so verschaffe man sich eines der unter dem Namen Seismographen bekannten Instrumente. Es gibt deren sehr verschiedene. Die einfachsten bestehen in einem trogartigen Gefäss, das halb angefüllt ist mit Wasser, auf welches man Kohlenstaub oder Aschentheile streut, oder in einem Senkloth, an dessen Ende ein Gewicht sich befindet, das in feine Spitzen ausläuft und damit bei seiner Bewegung eine Schicht Asche berührt. Dieses Gewicht kann ersetzt sein durch einen Bleistift, an welchen man zur Beschwerung noch einen Stein befestigt und dessen Spitze sich frei be- wegen kann über ein Blatt Papier, das man an den Rändern erhöht, damit der Stift sicherlich das Papier berühren müsse. Sobald nun eine Erschütterung eintritt, so geräth bei dem erst erwähnten Instrumente das Wasser in's Schwanken ; die feinkörnigen Partikelchen auf demselben kommen an dieWand des Gefässes in der Höhe, welche das Wasser dort erreicht, und sie bleiben dort haften. Hieraus erkennt man dann, in welcher Richtung das Schwanken des Wassers, also auch das- jenige des Bodens erfolgte. Die andern Instrumente aber ziehen Furchen in die Asche oder Striche auf dem Papier, woraus man wieder ersehen kann, nach welcher Richtung die Bewegung sich fortpflanzte. 276 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Die Stärke des Stosses ist nach seinen Wirkungen zu beurtheilen ; oft erzeugt er nur ein schwaches Zittern ähnlich demjenigen, welches verursacht wird durch das Vorüberfahren eines Bahnzuges oder schwer beladenen Wagens; manchmal eine Erschütterung gleich der, welche entsteht durch den Fall eines sehr schweren Körpers; in noch andern Fällen sieht und hört man Alles um sich her schwanken, stürzen, krachen. In Er- manglung von Instrumenten, welche ein genaues Mass der Intensität des Stosses liefern könnten, wird die Beschreibung der Vorgänge eine Idee geben von a Grade der Heftigkeit des Erdbebens und seiner einzelnen Stösse. Die Geschwindigkeit der Fortpflanzung könnte nur dadurch genau ermittelt werden, dass an verschiedenen, ziemlich weit von einander entfernten Orten gleichzeitig Beobach- tungen erfolgen, woraus sich die Unterschiede ergäben ir der Zeit, in welcher man an den verschiedenen Stellen der Stoss wahrnahm. Der Reisende kann aber dieses Mittel nicht anwenden, noch kann er sich verlassen auf die Aussagen von Leuten, die an genaue Beobachtungen nicht gewöhn sind und deren Uhren hiezu nicht taugen, weil sie mit ein- ander nicht übereinstimmen. Er muss sich daher in diesen Punkte mit blosser Schätzung begnügen. Die Dauer eines Erdbebens ist schwer anzugeben, went es in einem einzigen Stoss besteht. Wenn mehrere Stösse eintreten, so kann man die Zeit berechnen zwischen den ersten und letzten; dabei darf man sich aber nie auf bloss Schätzungen verlassen, denn hiebei wird gemeiniglich die Dauer des Ereignisses übertrieben gross angenommen. Wenr es sich endlich um Erdbeben handelt, die Wochen und Monate lang andauern, so hat man zu notiren, welche Anzahl voı Stössen auf eine gegebene Zeit fiel. Die Ausdehnung oder der Erschütterungskreis eines Erd: bebens ist sehr verschieden. Die Grenzen können ermitteli werden nach Aussagen von Personen, welche an verschiedeneı Orten das Erdbeben wahrnahmen oder auf Grund der sicht baren Spuren desselben. Von grosser Wichtigkeit ist es zu erfahren, ob ein in gewisser Tiefe (in einem Bergwerk zum Beispiel) beobachteter Stoss auch an der Erdoberfläche wahrgenommen wurde, und umgekehrt; ferner ob zwischeı zwei Ortschaften, wo das Erdbeben bemerkt wurde, solche GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE DIR liegen, an denen man davon nichts spürte. Die Ursachen einer solchen Anomalie sind zu suchen in der Lage dieser Oertlichkeiten, in der Natur des Bodens etc. Selbstverständlich sind auch die Erscheinungen zu notiren, welche das Erdbeben begleiten oder demselben nachfolgen. Sie bestehen gewöhnlich in unterirdischem Getöse, Spalten- bildung des Bodens, Rutschungen, Bergstürzen u. dgl. Quellen versiegen an den einen Orten; an andern kommen solche neu zum Vorschein oder die schon vorhandenen fangen an reichlicher zu fliessen. Die Temperatur der Thermen steigt oder fällt momentan. Aus Bodenspalten dringt Schlamm und Sand heraus, Haufen bildend, oder es entströmen jenen Spalten Gase. Meere und Seen überfluthen ihre Ufer, oder sie ziehen sich zurück und kehren dann wieder in einer ungeheuren Woge, die auf ihrer Bahn Alles wegspült. Alles dies zu sehen und aufzuzeichnen, ist freilich in jenem Moment selber nicht möglich; aber manche dieser Vorgänge hinter- lassen dauernde Spuren, sodass man darüber später Erhe- bungen machen kann, indem man die Gegend bereist und auf diese Punkte achtet. So wird man z. B. untersuchen, ob die Spalten des Bodens strahlenförmig angeordnet sind, in welchem Falle es wahrscheinlich ist, dass sie entstanden durch Einsinken der obersten Erdschichten in Folge Bildung eines unterirdischen Hohlraums, der durch vulkanische Erup- tionen, aber auch auf dem Wege der Auslaugung durch Wasser entstanden sein kann. Sind die Spalten linear (parallel) geordnet, so untersuche man, ob deren Ränder gegen einander verschoben seien und wie (in horizontalem oder vertikalem Sinne). Man notire auch die Art des Bodens, in welchem die Risse entstanden, ob er lose oder kompakt, harter Fels sei etc. Die Gewässer der Gegend können Aenderungen er- litten haben in ihrem Wasserquantum oder in ihrem Laufe. Endlich zeigen namentlich die Gebäude sehr häufig deutliche Spuren der stattgefundenen Erschütterung: Mauern sind ge- spalten, zum Theil eingefallen, Thürme umgestürzt u. s. w. Wenn diese Indizien der Heftigkeit des Erdbebens Charak- teristisches an sich tragen, so zeichne man eine Skizze der- selben; ebenso in Bezug auf Säulen, Statuen und andere Monumente, deren Theile Veränderungen der gegenseitigen Lage erlitten haben können, ohne dass sie zu Falle kamen ; 275 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN man wird solche Vorkommnisse zu erklären versuchen, indem man auf-Alles achtet, was eine Erklärung möglich macht. Die Meinungen über die Ursache oder besser die vielerlei Ursachen der Erdbeben sind sehr verschieden; genau beob- achtete Thatsachen sind werthvolle Beiträge zur Aufklärung der streitigen Punkte'). Thäler. Die Thäler sind von Anhöhen eingeschlossene Landstriche mit beträchtlichem Niveauunterschied zwischen ihren beiden Enden. Man findet sie in sehr verschiedenen Höhenlagen und theilt sie hienach ein in Hochthäler und Thäler des Flachlandes. Die Frage über Ursprung und Entstehung der Thäleı wird in der Geologie sehr verschieden beantwortet. Die Autoren schreiben sie bald mehr bald weniger der Faltung des Erdbodens, seinen Dislokationen und Spaltenbildungen, deı Erosion durch Gletscher und flüssiges Wasser zu. Die Einen nehmen eine einzelne dieser Ursachen als mehr oder mindeı ausschliesslich wirkende an; Andere lassen deren zwei und mehr mitwirken. Ueber die Entstehung eines bestimmten Thales, das &ı erforschte, wird sich der Reisende ein Urtheil erst bilden können nach stratigraphischen Studien, von welchen wi später sprechen. Fürs Erste wird er sich aber mit eineı Prüfung der Oberflächenverhältnisse begnügen, deren Zweck ist, zu konstatiren, welche relativ neue Veränderungen eit Thal erlitten hat. Wir haben schon gesehen, an welchen Merkmalen mar erkennt, ob ein Thal einen Gletscher beherbergt hat, welcht Spuren eine solche Gletscherbedeckung hinterliess auf der Felsen des Thalbodens und der Thalwände. Wir wissen auch, wie die fliessenden Gewässer wirken wie sie Furchen graben und die Thalwände modifiziren. Dies wird in vielen Fällen hinreichen zum Verständniss der Former des Thalbodens und der Gestaltung seiner Seitenwände, Die Form eines Thales hängt wesentlich ab von der Be schaffenheit des Terrains und von seiner Lage. Thäler zwischer Be | 1) Hinsichtlich der Beobachtung von Erdbeben ist die von Prof. A. Heim ii Zürich im Auftrage der schweizerischen Erdbebenkommission verfasste, gemeinver ständliche Anleitung (die Erdbeben und deren Beobachtung, 1879) sehr zu empfehlen — Eine mathematische Behandlung des Gegenstandes findet man in Dr. Neumayer „Anleitung zu wissenschaft. Beobachtungen aufReisen“ (Erdbebenkunde, v. Seebach) GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 279 Hügeln und niedrigen Bergen haben gewöhnlich gleichmässige, gerundete Formen, solche in höheren Bergen haben schärfer ausgesprochene Formen, malerischen Charakter. Die Thäler des eigentlichen Hochgebirges endlich haben zerrissene Ge- hänge von wildem Charakter. Der Thalgrund reduzirt sich manchmal fast auf eine Linie, in welcher die beiden Seitenwände zusammentreffen ; oft aber ist es ein breiter flacher Boden, in welchen das Wasser ein Bett gegraben hat. Dieses Flussbett repräsentirt oft die ganze Geschichte des Thales. Untersuchen wir seine Verhältnisse in Bezug auf seine Längenausdehnung, so bemerken wir, dass sein Gefälle im Allgemeinen stark ist an seinem Ursprung; das Wasser fällt dort in Kaskaden herab oder fliesst wenigstens auf stark geneigtem Terrain. Im weiteren Lauf vermindert sich aber das Gefälle und im Unterlauf des Flusses wird es ganz un- bedeutend. Dies ist die allgemeine Regel. Es gibt aber Ausnahmen. Mitunter hemmen resistentere Felsschichten an gewissen Punkten die erodirende Thätigkeit des Wassers, welche erst weiter unten in einem leichter angreifbaren Boden wieder mit Erfolg wirkt. Das Thal zeigt in einem solchen Falle mehrere treppenartig angeordnete Stufen, d. h. mehrere ziemlich ebene Flächen, die verschieden hoch liegen und getrennt sind durch Querwände mit starkem Neigungswinkel. Solche Hindernisse (Riffe oder Querriegel) verursachen nicht selten die Bildung von Seen, indem sich hinter ihnen das Wasser ansammelt, bis es über die Barriere abfliessen, die- selbe durchbrechen oder durchnagen kann. Auch die Breite des Thales ist in unverkennbarer Beziehung zum Gefälle des Thalwegs. Seine Seitenwände stehen nahe zusammen und das Flussbett ist enge an Stellen mit grossem Gefälle; die Thalwände sind weiter von einander entfernt, das Thal wird breiter, wo das Gefälle abnimmt. Immer aber arbeitet das fliessende Wasser auf eine Beseitigung schroffer (diskontinuir- licher) Gefällsungleichheiten hin, so zwar, dass schliesslich der Thalweg in seinem Längenprofil eine regelmässig ge- staltete Kurve bildet, die steil ist am Ursprung oder im Hintergrunde des Thales und nur noch sanft geneigt an seiner Mündung. 1) | | 280 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | | Betrachten wir die Thalfurche in ihrer Breitenausdehnung oder im Querprofil, so bemerken wir zunächst, dass hier die Form eines V vorhanden ist, das eine mehr oder minder weite Oeffnung zeigt je nach der Resistenz des Bodens. In. losem Terrain, das kein starkes Gefälle haben kann, weil seine Theile Araber durch ihr eigenes Gewicht in Bewegung, gerathen würden, ist der Einschnitt breit, weit offen stehend, von sanft geneigten Thalwänden eingerahmt; in kompaktem Boden aber, welcher der Erosion grossen Widerstand ent- gegensetzt und der nicht nachgleitet, auch wenn er vom Wasser an seinem Fusse angegriffen ist, wird man einen von steilen Wänden begrenzten engen Thaleinschnitt finden; in hartem Fels endlich trifft man enge Schluchten mit senk- rechten Wänden. Es kommt aber im Weitern vor, dass der Boden und die Wände des Thales nicht durchwegs denselben Grad von Widerstandsfähigkeit aufweisen, dass as Schichten abwechseln mit harten Relebänken. Da wird der Querschnitt des Thales unregelmässig; an den beiden Seiten erscheinen Terrassen oder Absätze!). Ist das Gestein der beiden Thal- wände von einander verschieden, so wird die eine Seite, mit dem härteren Gestein, stärker abschüssig sein, die andere, mit dem loseren Material, sanfter geneigt. Man achte darauf, ob solche Unterschiede sich insbesondere bei meridional ge- richteten Thälern zeigen, ob sie hier am rechten und linken Ufer vorkommen und sich erklären lassen aus der Boden- beschaffenheit oder ob regelmässig das eine (rechte) Ufer das steilere ist, was nach der Ansicht einiger Autoren’) auf Rechnung der Erdrotation zu setzen wäre, indem das Wasser zufolge des Beharrungsvermögens, wenn es in meridionaler Richtung fliesst, stets mehr dem rechten Ufer zugetrieben würde, d. h. (für die nördliche Halbkugel) dem westlichen 1) C. v. Sonklar (Allgemeine Orographie $. 129) bezeichnet als „Thalabsätze oder Thalstufen“ den Steilabfall von einem Thalboden zum andern. Es ist dies kaum eine glückliche Bezeichnung. Wir wenden die Ausdrücke Stufen und Terrassen in dem S. 241 erwähnten Sinne an. Dabei kann immerhin, wie es auch Sonklar thut, zwischen Fluss- oder Uferterrassen einerseits und Bergterrassen andererseits unterschieden werden. Gehören letztere auch genetisch je einer gewissen Thal- stufe an, so hindert dies nicht, sie als Terrassen am Berge zu bezeichnen, so wenig als man wegen einer geologischen Theorie die malcrische Darstellung F. v. Tschudis bemängeln wird, der von den Bergterrassen spricht als „weidenreichen Stufen, in denen die Höhenlust, der Höhentrieb des Gebirges auszuruhen scheint.“ Aber das Wort Thalstufe eignet sich nicht zu einer wissenschaftlichen Bezeichnung in der Bedeutung, welche ihm Sonklar geben will. 2) K. E. v. Bär über Flüsse und deren Wirkungen. (Studien aus dem Gebiete der Naturwissenschaften II. Theil, I. Hälfte, Petersburg 1373). GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 281 Ufer, falls das Gewässer südwärts strömt, dem östlichen aber, wenn der Lauf nordwärts gerichtet ist. Die Grenze zwischen Thalwänden und Thalgrund ist oft schwer zu bestimmen, da durch Rutschungen an den Ge- hängen und Schuttbildung an deren Fusse Uebergänge ge- bildet werden!). Wenn die Grenze scharf ausgesprochen ist, so spricht dies dafür, dass einst das Thal in seiner ganzen Breite Flussbett war. Diese Annahme hat um so mehr für sich, w.nn der Thalboden relativ flach, gleichförmig ist. Wenn unterhalb dieser Parthie Spuren von Barrieren oder Querriegeln getroffen werden, Terrainanschwellungen, Thal- verengungen u. dgl., welche einst den Wasserabfluss gehemmt haben müssen, so ist jene weiter thalaufwärts gelegene Partie höchst wahrscheinlich alter Seegrund. Finden sich aber keine Anzeichen solcher Hemmnisse und ist das Terrain auch in dieser Gegend thalauswärts deutlich geneigt, so muss man annehmen, es sei dasselbe ehemals in seiner ganzen Breite das Bett eines fliessenden Gewässers gewesen. In diesen Thal- böden findet man oft mehr oder minder tiefe Furchen, durch welche jetzt nur noch unbedeutende Wasseradern sich hin- ziehen; auch trifft man zu beiden Seiten des fliessenden Ge- wässers je einige Terrassen, welche fast immer die verschie- denen Niveaux oder Thalböden bezeichnen, in welchen früher das Wasser strömte. Wo die Terrassen beider Thalseiten in entsprechenden Höhen liegen und nicht verursacht wurden durch einen Wechsel losen Bodens mit festem Gestein — welcher die Entstehung gleichmässiger Ufer verhindert hätte — da müssen sie einer ruckweisen Abnahme des Gewässers zugeschrieben werden, welches ehemals das Thal durchfloss. Eine langsame, unmerkliche Abnahme in einem Boden von gleichmässiger Zusammensetzung hätte eine regelmässige Ufer- bildung, mit einerlei Ufer und Gefälle, bewirkt, ausgenommen, es seien periodisch, starke Hochwasser eingetreten > deren Niveaux successive immer geringere Höhenlagen einnahmen und jeweilen die Böschung bis zu einer gewissen Höhe ab- trugen oder auf den Ufern Bänke von Alluvium bildeten, welche nachher über dem Wasserspiegel lagen. Die Grösse 1) Hinsichtlich der orometrischen Wichtigkeit einer richtigen Ausmittlung des Thalanfangs (Ursprungs) vgl. Sonklar, Anleitung zu Alpenreisen $. 5, sowie dessen Allgemeine Orographie $. 126 und 185. 282 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN der Geschiebe dieser Flussterrassen gibt ein Maass der Ge- schwindigkeit oder Intensität, mit welcher ehemals das Wasser die verschiedenen Thalstufen durchströmte. Die Thäler erleiden im Allgemeinen eine fortwährende Verbreiterung in Folge des Verwitterns, der Zersetzung und Erosion ihrer Flanken, der Rutschungen und Bergstürze an denselben. Infolge dieser Vorgänge müsste ein nicht von Wasser durchflossenes Thal offenbar allmälig erhöht und aus- gefüllt werden, ebenso ein Thal, das in seiner Längsrichtung nur ganz schwach geneigt ist; denn im letzteren Falle hätte das fliessende Wasser nicht die Kraft, welche nöthig ist zur Fortschaffung des Schuttes, der sich im Thalboden anhäuft. Ist aber das Thal von einem rasch strömenden Gewässer, wie einem Wildbache, durchflossen, so wird es nicht nur nicht ausgefüllt, sondern immer tiefer gelest. Wenn die von den Höhen ins Thal gelangten Gesteinstrümmer den Strom im seinem Marsche aufhalten, so wird diese Schranke bald durch- brochen von dem aufgestauten Wasser, welches, indem es mit grosser Gewalt sich Bahn bricht und abfliesst, das Bett tiefer als vorher einschneidet. Selbstverständlich kann die Ver tiefung und die Ausweitung in einem und demselben Thale sehr verschieden sein, je nach den Strecken und ihrer Ge- steinsbeschaffenheit'). Nur kurz erwähnen wir hier der vulkanischen Thäler. Es sind das Vertiefungen, umgeben von Lava- und Basalt- Mauern, manchmal dadurch entstanden, dass zwei diver- girende Lavaströme zwischen sich einen freien Raum ge- lassen haben. Höhlen und Grotten. So nennt man im Allgemeinen jeden Hohlraum an und in einem Berge. Wird derselbe nur. gebildet durch eine überhängende Felswand, so heisst er Balm; Höhle oder Grotte im engern Sinn aber, wenn er sich tief ins Innere des Berges erstreckt?). Diese Höhlen können sehr verschiedene Entstehungsur- | sachen haben. Sie können herrühren von der Wirkung des 1) vgl. C. Pestalozzi, die Geschiebsbewegung und das natürliche Gefäll der Ge- birgsflüsse, welche Schrift am Schlusse einen Ueberblick gibt über die „Beobach- | tungen, welche noch nothwendig sind, um die Art und das Maass der Geschiebs- bewegung und Gefällsbildung in Gebirgsflüssen kennen zu lernen.“ 2) Vgl. Desor, Die Grundformen der Höhlen des Jura. Verhandlungen der \ schweizerischen naturforschenden Gesellschaft in Frauenfeld 1871. GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 283 Wellenschlages, der Brandung an früheren oder jetzigen Steil- küsten; von der Unterspülung alter Ufer an ihrer Basis (vgl. oben S. 229); von Dislokation der Felsschichten, von Einsturz solcher, wodurch Hohlräume, leere Zwischenräume entstanden ; von der Ausweitung, die vorhandene Spalten durch fliessendes Wasser erlitten; von Auslaugung durch unterirdisch ver- laufende Wasseradern, wie von Entleerung durch vulkanische Ausbrüche; von Aufblähung durch feurigflüssige Gesteine oder durch ungleichmässigen Rückzug derselben; von der Entleerung der innern Masse in Lavaströmen, deren Aussen- schichten, mit der Luft in Berührung, erstarrten, während die noch heissen Massen im Innern ausflossen etc. etc. Gründliche Untersuchung wird ergeben, welcher dieser vielerlei Ursachen eine gegebene Höhle oder Grotte zuzu- schreiben ist. Wenn eine solche in durchwegs unterirdisch zu heissenden Tiefen entstand, so muss noch untersucht werden, auf welche Weise sie mit der Aussenwelt in Ver- bindung trat und zugänglich wurde. So verschieden die Entstehungsweise, so verschieden sind auch Form und Vertheilung der Höhlen. Oft spotten diese Verhältnisse aller Beschreibung. Viele Höhlen sind mit Krystallen austapezirt, noch mehr aber mit Konkretionen, Absatzbildungen aus Sickerwasser, das erdige Theile enthält, welche beim Abtropfen und Ver- dunsten des Wassers sich an Decke, Wände und Boden der Höhle ansetzen. Diese Konkretionen sind besonders reich und vielgestaltig in Kalkgebirgen. Fliesst das Wasser den Wänden entlang, so setzt es dort den gelösten Kalk in höckerigen Konkretionen ab; tropft es aber von der Decke herab, so bilden sich von dort aus Absätze ähnlich den Eiszapfen:: ihre breite Anheftungsstelle ist an der Decke, ihre Spitze ist dem Boden zugekehrt, nach welchem hin sie sich immer mehr verlängern; das sind die Stalaktiten oder Tropfsteine im engern Sinne. Das herniedertropfende Wasser ist aber noch nicht frei von Kalk; aus ihm entstehen noch Absatzbildungen auf dem Boden, unter den Stalaktiten, so dass sie den letztern in Form von Pyramiden oder Kegeln aufwärts entgegenwachsen; das sind die Sfalagmiten. Beim Fortgang des Prozesses treffen die entsprechenden Stalak- titen und Stalagmiten aufeinander und wachsen zusammen; 284 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | so entstehen Säulen, welche die Decke zu tragen scheinen. Mitunter endlich ist der Boden der Höhle bedeckt mit einer verschieden dicken Kruste, die entweder ähnlich entstanden ist wie die vorhin besprochenen Tropfsteinbildungen oder die aus Quellwasser abgesetzt wurde. Wie wir später sehen werden, spielt diese Kruste eine sehr wichtige Rolle bei prähistorischen Forschungen, indem sie häufig die Deck- schicht bildet für Spuren und Ueberreste des Urmenschen und ausgestorbener Thiere und diese schützt vor Vermischung, mit ähnlichen Ablagerungen neuerer Perioden. Man darf nicht unterlassen, auch die andern Materialien (Thon, Sand, Gerölle ete.) zu’ studiren, welche einen Theil der Höhle er- füllen, und gleichzeitig zu untersuchen, wie sie hieher ge- langen konnten. Manche Höhlen haben das Eigenthümliche, dass aus ihrem von Spalten durchsetzten Boden Gase aufsteigen, seien es vulkanische Gasausströmungen (Mofetten), seien es Pro- dukte einer durch die Bodenfeuchtigkeit begünstigten che- mischen Reaktion. Tiefentemperaturen. Das Vorstehende führt uns natur- gemäss zur Besprechung der Wärmeverhältnisse, welche in gewisser Tiefe unter der Erdoberfläche bestehen und auf die man zu achten hat in Höhlen, die ausnahmsweise tief ins Erdinnere sich erstrecken, sowie in Schachten von Berg- werken, zu welchen man Zutritt erhält. Bekanntlich nimmt im Allgemeinen die Temperatur zu mit der wachsenden Tiefe, d. h. sie steigt, je weiter man in die Erde eindringt. Wir kommen auf diese Thatsache zurück. An dieser Stelle beschränken wir uns auf die Be merkung, dass jene Wärmezunahme nicht überall in selbem Maasse stattfindet; da aber sachbezügliche Angaben aus weit von einander entfernten Gegenden verhältnissmässig selten sind, so ist es von Werth, dass hierüber allenthalben, wo sich dazu Gelegenheit bietet, genaue Beobachtungen gemacht“ werden. | Hiebei handelt es sich nicht um die Temperatur der Luft am Grunde einer Höhle oder eines Schachtes, sondern um die Temperatur des Gesteins. Diese muss so gemessen werden, dass die Thermometerkugel nicht influenzirt wird durch Luftströmungen, durchsickerndes und tropfendes Wasser, GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 285 Wärme-Strahlung von Lampen u. s. fe Man muss daher zum Zwecke solcher Messungen Stellen wählen, wo das Gestein nicht zerklüftet ist und kein Wasser durchdringen lässt. Hier bringt man nun im Fels eine eylindrische Höhlung an, in welche man das Thermometer einsenkt; die Mündung der Höhle wird dann verstopft, so dass nur die Röhre des In- strumentes noch vorragt. Man lässt das Thermometer so lange in dem Raume, bis es die Temperatur desselben an- genommen hat und notirt dann die Ablesung. Dieses Ver- fahren wiederholt man mehrmals und nimmt das arithme- tische Mittel der verschiedenen Ablesungen. Auf diese Weise _ werden zufällige Fehler ausgeglichen. Quellen. Wenn Infiltrationswasser nach mehr oder minder langem unterirdischem Lauf zu Tage tritt, so entsteht eine Quelle. Die Gesammtheit der unterirdischen Wasseradern, durch welche eine Quelle alimentirt wird, heisst das Quellensystem. Regen- und Schneeschmelzwasser dringen in den Boden, in die Poren und feinen Spalten der Felsen ein‘); wenn sie 1) In jüngster Zeit hat Dr. G. H. Otto Volger („Die wissenschaftliche Lösung der Wasserfrage; Vortrag einer neuen Quellenlehre“; Zeitschrift des deutschen Ingenieurvereins XXI. 11) die Ansicht entwickelt, dass keinerlei Wasser, welches wir in den Schichten des Erdbodens finden, vom Regenwasser oder meteorischen Niederschlägen herrührt, dass noch nie eine Quelle ihr Wasser vom Regen be- zogen habe und desshalb die bisherige Quellenlehre als unhaltbar und unzulässig aufgegeben werden müsse. Auch der stärkste Regenguss dringe nur unbedeutend tief in den Boden ein, nie bis zu jenen Tiefen, in welchen wir das Grundwasser finden; ebenso vermögen stehende und fliessende Gewässer ihre Uferwandungen nur auf ganz kurze Strecken in horizontaler Richtung zu infiltriren; der Boden sei für Wasser undurchlässig, wie Grundbauten neben Flüssen, trockene Tunnel- bauten, das Aufführen von Dämmen in Holland und Anderes mehr beweisen; der wahre Ursprung jeglichen Bodenwassers liege in dem Durchstreichen der warm- feuchten Luft durch die Poren und Zwischenräume des Bodens. Das Luftmeer erstrecke sich in den Erdboden hinein bis in unbekannte Tiefen, vielleicht bis zum Mittelpunkt, und die mit Wassergas beladenen Luftmassen strömen durch den Erdboden frei hindurch, setzen in dem Untergrund ihr Wasser ab und erfüllen alle Sehichten des Bodens mit demselben. Daher müsse man das Hygrometer und nicht den Regenmesser zu Rathe ziehen, um Steigen und Fallen des Grundwassers zu verfolgen und zu erklären. — Diese Theorie wird indess von Prof. Dr. J. Hann als physikalisch unzulänglich angefochten. Vgl. Gäa 1880, S. 703—714, 1881 8. 83 ff. Es sprechen gegen dieselbe, beziehungsweise gegen die Behauptungen be- treffend Undurchlässigkeit des Erdbodens für Wasser, auch Beobachtungen wie diejenigen des Gotthardgeologen Stapff über Bakterien im Gotthardtunnel. Vgl. Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften 1880, S. 848. Ernest Favre, Revue geologique Suisse pour l’annde 1880, Geneve 1881, pag. 140. Andrerseits würde die Volger’sche Theorie Erscheinungen erklären von der Art derjenigen, die Ingenieur Lauterburg in seiner Darstellung der schweizerischen Stromabfluss- mengen (Verhandlungen der schweizerischen naturforschenden Gesellschaft zu Frauenfeld 1871, S. 152; vgl. dessen 1876 erschienene einschlägige Broschüre) zur Sprache bringt. — Wir geben auch diesen Abschnitt unverändert nach der Fas- sung des französischen Originals dieses Werkes. Von anderweitigen Darstellungen derselben Theorie mögen hier erwähnt werden diejenigen bei Leipoldt-Peschel a. a. O., Bd. II., S. 287 ff. und bei Dr. O. Ule, die Erde und die Erscheinungen ihrer Oberfläche (nach Reclus), I. Bd., Leipzig 1874, S. 196 ff. 286 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN auf ihrem Wege nach der Tiefe auf ein Hinderniss stossen, suchen sie seitlich einen Ausweg und kommen an die Ober- fläche, sie treten zu Tage. In festem nacktem Fels erfolet ‚dieses Austreten am untern Ende der Spalten oder Klüfte; in. losen Schichten sickert das Wasser hinab bis zu einer undurchlassenden Schicht, welcher es dann folgt (Fig. 112 tritt, ansteigt, so folgt das Wasser auch dieser Gegensteigung und quillt dann vielleicht auf der Scheitelfläche einer Anhöhe empor (Fig. 114). Es geschieht dies nach dem Gesetz der = kommunizirenden Röhren oder Kanäle, wonach das Wasser im einen Schenkel einer gebogenen Röhre eben so hoch steigt als im andern und in einem auf- steigenden Strahle ausfliesst, wenn der eine Schenkel kürzer ist als der andere (Fig. 115 a und b). Wenn ein Quellensystem zu jeder Jahreszeit durch reichliche Mengen von in die Erde sickerndem Wasser gespeist wird, so fliesst die Quelle beständig und mit ziemlich konstantem Wasserschatz: es ist eine permanente oder Dawerquelle.e \Nenn aber zu gewissen Zeiten wenig oder kein Infiltrationswasser vorhanden ist, so ist das Wassergquantum der Quelle veränderlich und dieselbe hört zeitweise zu fliessen auf; es ist eine temporäre Quelle. Die Periode, in welcher solche Quellen versiegen, ist be- GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 287 stimmt durch die Entwicklung des Adernetzes derselben, d. h. durch die Länge des unterirdischen Laufes desjenigen Wassers, welches solche Quellen bildet. Ist dieser Lauf sehr kurz, so fliesst die Quelle nur in Zeiten mit öfterem Regenfall und unmittelbar nach der Schneeschmelze; ist er sehr lang, so kann es im Gegentheil vorkommen, dass die Quelle in regen- reicher Jahreszeit versiegt und am reichlichsten fliesst in Perioden der grössten Trockenheit. Unter den temporären Quellen sind hervorzuheben die seit- lichen Ausflüsse eines unterirdischen Wasserlaufes, welcher — geschwellt durch überreichen Zufluss — sich Bahn bricht, um seinen Ueberschuss an Wasser vor der Ankunft an der Hauptquelle zu entleeren. (Estavelles Fig. 116). Es gibt ferner temporäre Quellen oder Brunnen, die nur in ganz ausserordentlich regenreichen Jahren Wasser liefern, — > so dass ihr Fliessen zusammenfällt mit schlechten Eıntejahren; sie heissen ZI desshalb Hungerbrunnen (Bramafan). 7 7> Mit den vorgenannten sind nicht Fig. 116. zu verwechseln die intermittirenden Quellen, welche nur in gewissen bestimmten Intervallen fliessen, welche Erscheinung auf wesentlich andern Ursachen beruht als die obgenannten. Der Wechsel zwischen Fliessen und Versiegen, um den es sich hier handelt, rührt, wie man annimmt, davon her, dass die Infiltrationswasser bei ihrem Laufe nach der Quelle auf eine Höhle treffen und sich - hier sammeln, welche Höhle mit der Erdoberfläche durch einen heberartigen Kanal (Siphon) in Verbindung ist N GA) N 1:99 (Fig. 117). Indem das Wasser \Ü zunächst auf diese Höhle == ZA « uf tritt, füllt es dieselbe all- Zn mälig. Sobald der Wasser- spiegel bei a, in der Höhe des Heberscheitels b, angekommen ist, fängt das Wasser an, durch den heberartigen Kanal auszufliessen und dieses Fliessen dauert so lange, bis der sinkende Wasserspiegel den innern Endpunkt c des Hebers erreicht. Dann aber entleert sich Fig. 117. 288 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN dieser plötzlich und die Quelle beginnt nicht eher wieder zu fliessen, bevor in der Höhle sich ein so grosses neues Wasserquantum angesammelt hat, dass es abermals bis zum Niveau bei a reicht. Quellen, deren Temperatur höher ist als diejenige des Bodens oder die Mitteltemperatur des Ortes, heissen warme (Quellen oder T’hermen. Diese höhere Wärme rührt, wie man an- nimmt, davon her, dass die Wasser, bevor sie an der Erd- oberfläche ausfliessen, in grosse Tiefen gelangten und die Temperatur eben in der Erde mit der wachsenden Tiefe zunimmt. Man muss sich in einem solchen Falle den unter- irdischen Lauf des eingesickerten Wassers vorstellen als eine Art umgekehrten Hebers (Fig. 118), dessen Bogen sich in einer tiefen Gesteinsschicht von hoher Tem- peratur befände. Es käme dies im Effekt gleich heraus, wie wenn der Heber an jener Stelle durch eine Flamme erwärmt, das im Schenkel a herab- steigende Wasser bei b geheizt würde und dasselbe einen Theil seiner Wärme bis zum Austritt bei c behielte. | Ob nun das Quellwasser kalt oder warm sei, immer hat es die Tendenz, sein früheres Niveau zu erreichen, es wird also im Schenkel be steigen und bei ce mit um so grösserer Kraft in einem Strahle emporgeschleudert, je grösser die Niveau- differenz zwischen a und b. So entstehen die Spring- quellen. | Die Geysir sind solche Springquellen und zwar gewöhnlich Thermen, deren heisses Wasser intermittirend in starkem Strahle hoch über die Erdoberfläche emporsteigt. Man findet sie in vulkanischen Gegenden und nimmt an, sie entstehen dadurch, dass Wasser welches tief in vulka- nische Schlote (Krater) hineindringt, unter dem Einfluss hoher Temperatur sich massenhaft in Dampf verwandelt, welcher die auf ihm lastende Säule flüssigen Wassers als kochenden Strahl emporschleudert. Nach diesem Ausbruche fällt das nunmehr in der Luft etwas abgekühlte Wasser in sein Sammelbecken zurück, gelangt wieder in die unter- irdischen Gänge, presst durch seinen Druck die sich fort- entwickelnden Dämpfe zusammen, bis deren Spannung so Fig. 118. GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 289 stark geworden ist, dass die Wassersäule neuerdings empor- geschleudert wird. Dass die Geysir den Charakter vulka- nischer Quellen haben, ergibt sich aus den verschiedenen Entwicklungsstadien, in welchen sie in der nämlichen Gegend in verschiedenen Perioden sich vorfinden, namentlich daraus, dass einige derselben, die kein Wasser mehr haben, Wolken heissen Rauches und Dampfes, sowie Asche auswerfen. Das Wasser aller Quellen, der kalten wie der warmen, ist mehr oder minder mineralhaltig, indem es auf seinem unterirdischen Laufe erdige Stoffe auflöst oder als suspen- dirte Theilchen mit sich führt!). Den Namen einer Mineral- quelle gibt man indessen nur solchem Wasser, welches so reich an diesen Stoffen ist, dass es hiedurch einen besondern Geruch oder Geschmack oder andere charakteristische Eigen- schaften erhält. Nach dem vorwiegenden Stoffe heissen die Quellen dann Stahlwasser (eisenhaltig), Schwefelquellen, Säuer- linge oder Sauerbrunnen etc. Führt das Wasser reichliche Mengen mineralischer Stoffe mit sich, so setzen sich diese im Umfang der Quelle ab als Konkretionen, gewöhnlich kalkige oder kieselige, welche fremde Körper im Bereiche dieses Wassers mit einer Kruste über- ziehen. Dies sind die sogenannten inkrustirenden Quellen. Endlich gibt es Erdpech-, Naphta-, Erdöl- Quellen u. dgel., welche zu betrachten sind als Entleerung von mehr oder minder (zäh- oder leicht-) flüssigen Mineralsubstanzen, die sich im Innern der Erde bilden und sich dort oft über grosse Flächen erstrecken. Fliessende Gewässer. Wir betrachten hier die flies- senden Gewässer wesentlich. mit Rücksicht auf ihre geolo- sische Thätigkeit. Wir haben bereits gesprochen von der Wirkung des Regenwassers, welches über den Erdboden hinfliesst und von dessen Aktion seine oft dunkeln, schlammigen Fluthen, wie z. B. hochangeschwollene Wildbäche, Zeugniss geben. Nicht geringer ist die erodirende Thätigkeit desjenigen Wassers, welches in die Erde einsickert. Man braucht nur annähernd zu berechnen, welche Massen mineralischer Stoffe eine einzige durchsichtig klare Quelle zu Tage fördert, um 1) Vgl. hierüber unten, Abschnitt Hydrologie. 19 290 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN eine Vorstellung davon zu erhalten, welche Auslaugung und Aushöhlung im Erdinnern stattfindet bei der unsichtbaren ewigen Zirkulation dieser Gewässer. Der stillste Bach greift seine Ufer an; er thut es aller- dings nicht mit der zerstörenden Kraft eines Wildwassers: seine Wellen fliessen ruhig ihre Bahn dahin und wälzen nicht, wie jene, Felsblöcke daher, welche gegen die Ufeı anstürmen wie ‚Widder gegen Festungsmauern; dafür abeı wirkt der Bach konstanter, indem er ununterbrochen fliesst, Am Rande einer Schlucht edlen einer Felswand angekommen stürzt der Bach in Kaskaden abwärts; er nagt an dem Felser oben, und das wirbelnde Wasser unten greift die Basis deı Wand an und verursacht Einstürze höherer Partien. Sc wird mit der Zeit der Wasserfall umgewandelt in eine bloss Stromschnelle (einen „Laufen“) a er wird rückwärts ver- legt, der Quelle zu. Dieselbe Erscheinung zeigen in grösseren Massstab die Katarakte der Flüsse a Ströme. | Trifft ein Gewässer in seinem Lauf auf ein Hinderniss so arbeitet es an dessen Beseitigung. Der Erfolg diese) Aktion ist eine Frage der Zeit. Die kleinste Lücke odeı Spalte, welche dem Wasser Zutritt und Durchgang gewährt wird in Kurzem erweitert zu einer Bresche, oder Ar Dame wird an der Basis durchgenagt, sodass er nur noch eine Ar Brücke bildet, unter welcher das Wasser dahinrauscht. Wirt die hemmende Schranke, der Querriegel, nicht in der eine oder andern Weise durchbrochen, so bildet sich dahinte ein See; das Wasser steigt so lange, bis entweder sein erodirende Thätigkeit vereint mit dem mechanischen Drucd die Barriere beseitigt oder bis es über diese hinweg ab fliesst. Im letzteren Falle beginnt sofort ein mächtiger Ero sionsprozess: das strömende Wasser durchsägt den Wall schneidet sich tief in und durch denselben ein Bett, D welchem der frühere Damm nur noch eine Art Schwell bildet. | Wenn zwei fliessende Gewässer sich vereinigen, vo welchen das eine einen rascheren Lauf oder eine grösser Wassermasse hat als das andere, übt jenes auf das letzter einen Druck aus, sodass dieses ans entgegengesetzte Ufe hingedrängt wird. Besteht nun das Ufer aus losem Boder/ so wird es abgetragen und rückwärts verlegt. Auch wen GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 291 die beiden Konfluenten ziemlich gleichbedeutend sind, so werden doch in ihrem Regime Unterschiede bestehen; die Hochwasser des einen werden nicht gleichzeitig sein mit denen des andern; demzufolge werden die Wassermassen ab- wechselnd bald gegen das eine, bald gegen das andere Ufer hingedrängt; die Linie der stärksten Strömung, der Strom- strich, wird hin und her verlegt; die Landzunge zwischen den beiden Konfluenten, bald rechts, bald links angegriffen, wird verschmälert und durch diese Abtragung zum Zurück- weichen gebracht. Selten ist der Lauf eines Flusses oder Stromes grad- linig; Zufälligkeiten der Bodenbeschaffenheit veranlassen Richtungsänderungen und mehr oder minder bedeutende Ausbiegungen. In diesen mäandrischen Krümmungen (Ser- pentinen): kommt der Stromstrich bald auf die eine bald auf die andere Seite zu liegen, immer nämlich in die Nähe der (vom Strom aus betrachtet) konvexen Theile seiner Rand- oder Uferlinien; diese Uferstrecken benagt er; am andern, mit Bezug auf den Strom konkaven Ufer ist ruhiges Wasser, und dort wird Sand und Geröll abgelagert. Die beiden Enden eines solchen Querschnitts verhalten sich also sehr verschieden: am einen findet Abtragung, am andern Auftragung statt. Hiebei ist es von Interesse, zu verifiziren, ob ein meri- dional — nordsüdlich oder südnördlich — fliessendes Ge- wässer eines seiner Ufer mehr erodire als das andere. Nach einer schon öfters ausgesprochenen Ansicht’), die aber heute noch sowohl Gegner als Anhänger hat, würde nämlich die Erdrotation auf meridionale Wasserläufe so einwirken, dass der Stromstrich auf der nördlichen Halbkugel ans rechte, auf der südlichen Halbkugel ans linke Ufer gedrängt würde, dass somit auf unserer Hemisphäre bei Flüssen der bezeich- neten Richtung rechts das steile oder Bergufer, links das niedrige oder Flach-Ufer läge. ; Wo die Geschwindigkeit des fliessenden Wassers und damit dessen lebendige Kraft abnimmt, werden die mitge- führten Gesteinstrümmer und suspendirten Mineralstoffe ab- gesetzt. Zuerst bleiben — am Fuss von Strecken mit starkem Gefälle — die grossen Blöcke liegen, dann grobe I) Vgl. oben, S. 280. 292 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Geröllsteine, hierauf kleineres Geschiebe (Kies), Sand und zuletzt der feinste Schlamm. Wirbel im Wasser befördern das Entstehen solcher Ablagerungen, die man als Bänke oder Flussinseln überall da trifft, wo durch ein Hinderniss die Kraft der Strömung gebrochen oder die letztere von ihrer Bahn abgelenkt wird. Die letzten festen Theile, die es führt, setzt ein fliessendes Gewässer ab bei seiner Einmündung im stehendes Wasser, Seen oder Meere. Die fliessenden Gewässer sind also in doppelter Richtung thätig: sie tragen an den einen Orten ab und an andern auf; was sie an ersteren zerstören, führen sie weg und ver- wenden es anderorts zu neuem Aufbau; das Volum der Ab- lagerungen muss genau dem Gesammtbetrag der Erosions- wirkungen gleichkommen; wenn diese letzteren uns mehr auffallen, so erklärt sich dies dadurch, dass ein Theil der Absatzbildungen, die Alluvionen auf dem Grunde der Seen und Meere, sich unsern Blicken entziehen. Da die Materi- alien, welche durch fliessendes Wasser transportirt werden, den höheren Gegenden der Erdoberfläche entstammen und die daraus entstehenden Sedimente in tieferen Lagen abge- setzt werden, so kann man sagen, es gehe die zweiseitige Thätigkeit des fliessenden Wassers dahin, die Niveauunter- schiede auf der Erdoberfläche zu vermindern und auszu- gleichen, indem sie Höhen abträgt und Tiefen ausfüllt. Mit den allgemeinen Verhältnissen, die wir im Vor- stehenden besprochen haben, vertraut, wird der Reisende den geologischen Veränderungen nachforschen, welche in der von ihm besuchten Gegend hervorgebracht wurden durch die Aktion fliessender Gewässer. Er wird untersuchen, ob sich Spuren finden von ehe- maligen Flussbetten. Es kann ein fliessendes Gewässer früher eine grössere Breite besessen haben ; in diesem Falle bleiben Spuren übrig von alten Ufern, zwischen welchen man jetzt nur noch un- bedeutendes Gewässer in schmalem Bette fliessen sieht. Mit solchen ehemaligen oder erloschenen Flussbetten darf man aber nicht die Hochwasserbetten oder Inundationsgebiete jetziger Gewässer verwechseln: Gebiete, welche von einem Fluss gegenwärtig noch regelmässig bei Hochwassern erreicht und bedeckt werden. | GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 293 Hat das Gewässer im Gegentheil die Tendenz, sein Bett zu verbreitern, so zeigen sich den Ufern entlang Fels- inselchen, Ueberreste früherer Landzungen, die jetzt abge- schnitten sind; Flussterrassen, die nur wenig unter der Wasseroberfläche liegen und einen tiefen Kanal begrenzen; Reste endlich von alten Ufern, die .jetzt zerstört oder vom Wasser bedeckt sind. Das Bett kann tiefer gelegt wie auch erhöht (aufge- landet) worden sein. Im erstern Fall, wenn das Wasser an der Vertiefung seines Bettes arbeitet, erscheint der Bach oder Fluss eingeschlossen von hohen und steilen Ufern, deren Seiten- und Oberflächen Spuren des alten Wasser- standes zeigen. Im andeın Fall, d. h., wenn das Bett in Erhöhung begriffen ist, indem sich auf seinem Boden die Materialien ablagern, welche das Wasser herführt, kommt es vor, dass der Fluss oder Bach höher liegt als das Ge- lände zu beiden Seiten und dass er seitlich eingeschlossen ist durch natürliche oder künstliche Erdaufwürfe, beziehungs- weise Dämme. Zu konstatiren und zu notiren sind ferner Aenderungen des Wasserlaufes und deren wahrscheinliche Ursachen. Steigt man in einem alten, nun trocken gelegten („er- loschenen“) Flussbette oder demselben entlang aufwärts und beobachtet man sorgfältig, was dem Gewässer eine andere Richtung gegeben haben kann, so wird man mitunter be- merken, dass die Verlegung des Laufes bewirkt wurde durch einen Felssturz, welcher das Flussbett absperrte, in andern Fällen einfach dadurch, dass beständig wiederholte Abla- gerungen und Aufschüttungen einen Arm des Gewässers ver- stopften. Wieder in andern Fällen kann das Wasser in fort- gesetzter Erosionsthätigkeit eine Halbinsel, um welche der Fluss früher herumlief, an ihrer schmalen Verbindungsstelle mit dem Hinterlande abgeschnitten und nun den geraden kürzern Lauf eingeschlagen haben; bei diesem Durchbruch kann die Bresche so erweitert worden sein, dass das eine der frühern Flussufer an dieser Stelle gänzlich verschwand. Solche Vorkommnisse bleiben gewöhnlich lange erhalten im Gedächtniss, in den Erzählungen der Bewohner einer hievon betroffenen Gegend, und indem man diese lokalen Tradi- tionen zu Nutzen zieht, wird man öfters auch noch im 294 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Stande sein, wenigstens annähernd die Zeit zu ermitteln, in welcher solche Aenderungen stattgefunden haben. Seen und Lagunen. Die Seen sind geologisch inte- ressant durch Natur und Ursprung, durch die ganze Bildungs- weise der Becken, in welchen sie sich befinden. Indessen handelt es sich hiebei um sehr schwierige, komplizirte Pro- bleme; über die Art und die Ursache der Entstehung gewisser Seen sind die Geologen ganz verschiedener Ansicht, und ein Reisender, der nicht selbst Geologe von Fach ist, kann schwerlich zur Klärung dieser Differenzen beitragen. Leicht begreiflich ist es, dass in vorhandenen Depressionen, mochten diese durch Faltung oder Einsenkung u. del. ge- bildet sein, durch Ansammlung von Wasser Seen entstunden, sowie dass zur Bildung andrer Seen Anlass gegeben wurde durch ein zufällig entstandenes Hinderniss des Wasserabflusses, einen Erdrutsch oder Bergsturz, der ein Thal absperrte. Wie aber gewisse schalen- und kahnförmige Becken ausgehöhlt wurden, ist eine schwer zu lösende Frage. Die erodirenden Agentien, welche wir kennen, bringen wohl vor unsern Augen Wirkungen gleicher Art hervor, nicht aber solche von nur annähernd gleichem Grade oder Betrage; wenn man nun auch annimmt, dass in früheren Perioden, als die Gewässer und die Gletscher Dimensionen hatten, die weit über die jetzigen hinausgingen, auch die Wirkungen grössere gewesen seien als in der Jetztzeit, so reicht das noch nicht hin zur Erklärung, wie Seebecken entstanden, deren Umfang oft über 100 Km beträgt und deren Tiefe ganz ‘bedeutend ist. Was die mechanische Wirkung des fliessenden Wassers betrifft, so sehen wir wohl, dass es tiefe und breite Furchen, Kanäle gräbt, nicht aber dass es schalen- oder kahnförmige Ver- tiefungen bildet, die es im Gegentheil, wo sie schon vor- handen, durch Alluvionen ausfüllt. Die Art aber, wie Gletscher auf felsigen Grund einwirken, hat mehr Aehnlichkeit mit der Arbeitsleistung eines Hobels als eines Hohlmeissels, und wenn es auch richtig ist, dass ein Eisstrom an einem Ab- hange hinaufsteigen und eine Schwelle, welche ihn von einem andern Bassin trennt, zu überschreiten vermag, so ist noch nicht bewiesen, dass er auch selber diese kahnförmige Höhlung bilden kann. Der Reisende wird daher gut thun, Alles zu sammeln, was Anhaltspunkte liefern kann in Bezug auf die GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 295 Frage der primären Entstehungsursache von Seebecken, ohne darauf Anspruch zu erheben, selber eine Theorie aufzustellen. Uebrigens gibt es, wie bereits angedeutet wurde, Fälle, wo der Ursprung eines Seebeckens nicht zweifelhaft sein kann; so z. B. wenn die umgebenden Felsschichten deutliche Biegungen zeigen, derart, dass man unschwer erkennt, sie haben durch Faltung, durch Dislokation ein Becken, einen Hohlraum gebildet, worin dann das Wasser sich ansammelte; ferner, wenn von steilen Felsen aus grosser Höhe herab- stürzendes Wasser ein Reservoir ausgrub, oder wenn irgend eine Querriegel- oder Barrierenbildung — ein Erdschlipf, eine Moräne — das Wasser rückwärts staute. Auch muss sich das Regenwasser vorzugsweise ansammeln in bereits vor- handenen Depressionen, wie alten Kratern, Einsturzbecken, Spalten u. del. Der Reisende wird vor Allem auf vorgekommene Ver- änderungen achten. Hatte der See früher grösseren Umfang oder höheres Niveau, so wird man dies erkennen an Resten alter Ufer oder Spuren früherer Wasserstände'). Weit schwie- tiger wäre der gegentheilige Fall zu konstatiren, weil dann die alten Ufer sich unter Wasser befinden müssten. Oft bemerkt man längs der Ufer eines Sees, unter dem Wasser- spiegel desselben, zwischen dem Lande und dem tieferen Theile des Seebeckens, eine Art Terrassenbildung ; diese Terrassen dürfen aber nicht ohne Weiteres als untergetauchte alte Ufer betrachtet werden. Es scheinen das vielmehr säku- lare Auffüllungen oder Alluvionen zu sein, herrührend von Erosion der Ufer, der Wellenbewegung des Sees; Auffüllungen, deren Material durch den Seitendruck des Wassers am Herab- gleiten in das innere Seebecken gehindert wird. Bekanntlich unterliegen alle Seen einer langsamen Aus- füllung. In den Seen der Gebirge und Thäler, welche in der Regel nur von einer Seite Zufluss haben, findet die fortwährende Verkleinerung vom obern Ende her statt, wo sich aus den gelösten und suspendirten Stoffen der zu- fliessenden Gewässer stetsfort Ablagerungen bilden. In den ‘Seen der Ebene kann dieser Kolmatirungsprozess von ver- 1) vgl. z. B. Steudel: „Welche wahrscheinliche Ausdehnung hatte der Boden- see in der vorgeschichtlichen Zeit?* E. Favre, Revue geologique Suisse pour Vannee 1876, pag. 166. 296 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | schiedenen Punkten des Seeufers ausgehen, indem er überall da stattfindet, wo ein Zufluss einmündet; seine Wirkung wird sich um so rascher fühlbar machen, je mehr erdige. Theile, Felstrümmer, Geröll, Sand und Schlamm die fliessenden Gewässer mitführen. Ergiesst sich ein Fluss in einen See nahe an dessen unterm Ende, so wird er diesen untern Theil des Sees ausfüllen und nun nicht mehr in das so verkleinerte, Seebecken, sondern in dessen Abfluss einmünden. Es darf denn auch fast in allen Fällen, wo der Abfluss eines Sees. bald nachdem er diesen verlassen hat, einen Zufluss erhält, angenommen werden, dass der See früher weiter abwärts reichte und hier allmälig ausgefüllt worden sei. Empfängt' der See einen seitlichen Zufluss in ziemlich grosser Ent- fernung von beiden entgegengesetzten Endpunkten seines, Beckens, so bilden sich leicht zwei verschiedene, durch eine, Ebene aus angeschwemmtem Land getrennte Seen, wofür zahlreiche Beispiele zu finden sind'). Dieselbe Ursache kann) Anlass geben zur Bildung der sogenannten rosenkranzförmigen Seen, d.h. von Seen, welche in einem und demselben Bassin auf einander folgen wie Perlen an einer Schnur. Hievon ist wohl zu unterscheiden die stufenweise Aufeinanderfolge von Gebirgsseen. Diese Bergseen, welche ihre Existenz ge- wöhnlich einem vorliegenden Querriegel verdanken, verkleinern ihr Areal und verschwinden allmälig entweder durch Aus- füllung von oben her oder durch Entleerung in Folge Durch- brechens der Felsbarriere am untern Ende. Das so aus- strömende Wasser ergiesst sich so weit thalabwärts bis es auf ein neues Hinderniss trifft. So entsteht eine Reihe von. Seen, die gleichzeitig oder nacheinander existiren können, die aber in verschiedenen Höhenstufen liegen und damit die Annahme ausschliessen, dass sie ursprünglich Theile eines und desselben Sees gewesen seien. Seen, welche in grosser Zahl auf verhältnissmässig kleiner Fläche vorkommen — man könnte sie gesellige Seen nennen, | wie man von geselligen Pflanzen spricht — sind entwedegi einfache Ansammlungen von Regenwasser, welches die ein- | zelnen Vertiefungen des Bodens ausfüllt, oder sie können I | 1) Vgl. Heer „Urwelt der Schweiz“, II. Aufl., S. 230, Kollbrunner, Morpho- | logie der Thalbildungen und Flusssysteme, pag. 24. GEOLOGIE DER ERDOBERFLÄCHE 297 dadurch entstanden sein, dass der Boden eines früheren Meeres zum Theil über das Niveau des Wassers emporge- hoben wurde. Fingerzeige für die Beurtheilung ihrer Bildungs- weise gibt die Natur ihres Wassers und ihrer Fauna. Mass- gebend ist namentlich die letztere. Was das Wasser selber anbetrifft, so kann aus dem Umstande, dass ein See salziges Wasser hat, noch nicht mit genügender Sicherheit geschlossen werden, er sei Ueberrest eines früheren Meeres. Der Salz- gehalt des Wassers kann von andern Ursachen herrühren. Andrerseits gibt es Seen mit süssem oder doch höchstens als brackisch zu bezeichnendem Wasser, deren mariner Ursprung bewiesen wird durch das Vorhandensein von Meeres- thieren, mariner Crustaceen oder selbst — wie beim Bai- kalsee — von Meeresthieren höherer Klassen wie Fische, Robben etc. Die Teiche unterscheiden sich von den Seen wesentlich nur durch geringere Tiefe. Diejenigen im Binnenlande, sofern sie nicht die letzten Reste allmälig ausgefüllter Seen sind, werden gebildet durch Ansammlung von Tagewasser ohne Abfluss, oder in Folge seitlichen Durchsickerns von Wasser aus einem See oder Fluss. Die Strandseen aber rühren, wie wir gesehen haben, davon her, dass die Landbildungen an der Küste einzelne Theile des Meeres isoliren oder aber dem Einmünden des zufliessenden süssen Wassers ins Meer hindernd entgegentreten und auf diese Weise jenes zwingen, sich hinter dem Querwalle auszubreiten. Diese Binnen- und Strandteiche unterliegen alle einer fortschreitenden Verlandung. Die Meteorwasser, welche die- selben speisen, führen feste Theile hinein, welche langsam die Vertiefungen des Bodens ausfüllen; Sumpfpflanzen veran- ‚ lassen Torfbildung ; endlich verschwinden solche Wasserbecken ‚in Folge ungenügenden Wasserzuflusses durch Verdunstung. | Resume. Die verschiedenen Beobachtungen, welche wir sammelten, werden uns lehren, dass die Gegend in verhältniss- mässig neuer Zeit mehr oder minder bedeutende geologische Veränderungen erlitten hat, deren Ursachen theils äusser- liche wie atmosphärische Einflüsse, Erosion u. dgl., theils innere (unterirdische Kräfte, Vulkane, Erdbeben etc.) sind. Wo immer man diese Veränderungen genugsam nachzu- weisen vermag, trachte man darnach, die frühere Konfigu- =P 298 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN 2 | ration des Landes im Vergleich zur jetzigen kartographisch darzustellen. Solche Karten über frühere Verhältnisse sind sehr werthvoll für prähistorische Forschungen; sie dienen hiebei als Wegweiser und helfen zur Erklärung von That- ) sachen, welche ohne sie unverständlich blieben. + | GEOLOGIE DES ERDINNERN, 4 Vorbemerkungen. Die Kenntnisse, die wir uns von, einem Lande in Bezug auf seine Bodengestalt, die Geologie, seiner Oberfläche, erworben, werden uns vielfach Gelegenheit dargeboten haben, uns in grossen Zügen ein Bild zu ent- werfen von der geognostischen Zusammensetzung des Bodens, | und einzelne interessante Thatsachen bezüglich geologischer Aenderungen älteren Datums vorzumerken. Wo immer wir) dabei auf nacktes Gestein treffen, beachten wir dessen Vor-, kommen und besondere Art; wenn es auch nicht den Gegen-) stand unsers speziellen Studiums bildete, so werden wir) doch verschiedene Beobachtungen gemacht haben über Lage- rung, Schichtung und petrographische Natur desselben. Nun-, mehr handelt es sich darum, näher auf die Sache einzu- gehen. Wie für unsere topographischen Studien, so werden wir auch zu diesem Zwecke vor der Abreise ein in grossem Massstab ausgeführtes Croquis der zu bereisenden Gegend. entwerfen, worin die Konfiguration des Bodens nur schwach, angedeutet und in leichter Kolorirung die Art und Ver- breitung der von unsern Vorgängern konstatirten Gesteinen, bezeichnet sind. Die Genauigkeit dieser Angaben haben wir zu verifiziren, unrichtige Daten zu korrigiren. Was wir als) richtig erkennen, wird sodann in stärkeren Farben in die‘ Karte u nainngen. \ Wenn Ei he Angaben schon vorhandener Karten und. der Wirklichkeit sich wesentliche Widersprüche zeigen, sO' thut man am besten, die früheren Arbeiten bei Seite zu legen und mit Ignorirung derselben durchaus selbständiäl vorzugehen, um sich so seine eigene Meinung zu bilden, nicht beeinflusst durch diejenige früherer Forscher. Ins Standquartier zurückgekehrt vergleicht man dann die selbst GEOLOGIE DES ERDINNERN 299 gezeichnete Karte mit den andern und konstatirt das Ueber- einstimmende wie die Unterschiede derselben. Besitzt man bereits ein Croquis der Gegend in grossem Massstab für die topographischen Aufnahmen, so fertigt man für die geologischen Zwecke einfach eine Pause desselben an. Dabei vermeide man, dies Croquis resp. die Pause mit zu vielen Namen und unnützen Details zu überladen; wohl aber merke man darin alle Objekte vor, die bei geologischen Aufnahmen als Fixpunkte dienen können: Flüsse, Bäche, selbst ganz kleine Wasseradern; sodann Thürme, Wind- mühlen u. dgl. Um diese Karte möglichst bequem zum Mitführen zu machen, zerlegt man sie in Blätter von Oktavformat; besser noch wird sie tale quale aufgezogen auf Leinwand oder grobe Mousseline; sie ist dann eher gegen Zerreissen gesichert und kann in dieser Form als Rolle an einer Schnur mitge- tragen werden. Beobachtungen, Aufschlüsse. Um die geognostische Zusammensetzung einer Gegend kennen zu lernen, muss man von allen Aufschlüssen Gebrauch machen, von denen dies nur immer möglich ist; jede Terrainfalte, jede Spalte des Bodens, Felswände und Felskämme, Schluchten und Tobel, Trancheen, Gräben, Grubenschachte, Trümmer, die vom anstehenden Gestein heruntergefallen und solche, die vom Wasser forttransportirt worden sind — all’ das hat man zu untersuchen. Alle Punkte, wo nackter Fels zu Tage tritt, sind geologische „Aufschlüsse“. Achten wir darauf, welche Steine in dem Lande für die gewöhnlichen Bauten verwendet werden '); sammeln wir, wenn wir auf ein Tobel oder einen Wildbach treffen, Proben der Gesteine, welche die Wasser hinwegführen vom Fusse der Thalwände, und studiren wir in Musse diese Stücke: so werden wir schon orientirt über einen Theil der Felsarten des Landes, und wir werden dieselben leicht wieder erkennen, wenn wir sie anstehend treffen. Das Studium von Gesteins- fragmenten aus den Betten der fliessenden Gewässer gibt mitunter Kunde über das Vorkommen von Gängen, Lagern 1) Ich sage: die gewöhnlichen Bauten; denn für Paläste, Villen ete. lässt man oft die Bausteine weit her kommen. In Zweifelfällen wird es übrigens nicht schwer halten, zuverlässigen Aufschluss über die Herkunft dieser Materialien zu erlangen. 300 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN und Stöcken, die sonst vielleicht unbekannt geblieben wären, und die genaue Besichtigung der Materialien in den ver- schiedenen Moränen liefert oft Aufschlüsse über die Felsarten, woraus die höchsten, zuweilen unzugänglichen Gipfel bestehen. Reiseroute und Vorgehen im Allgemeinen. Selbst- verständlich kann man, um zu Aufschlüssen zu gelangen, sich nicht dem Zufall überlassen; vielmehr muss man dieselben nach einem vorbedachten Plane aufsuchen. Man stellt also eine Reiseroute fest, welche über Punkte geht, wovon mit der grössten Wahrscheinlichkeit angenommen werden darf, dass daselbst interessante Beobachtungen zu machen seien. So wird man beispielsweise nicht im Thale und in der Ebene bleiben, sondern einen Weg einschlagen, welcher über die Terrainfalten hin nach den Höhen führt; man marschirt Flüssen und Schluchten entlang nach Berg- gipfeln und Kämmen. Es ist bereits oben bemerkt worden, dass die Küsten, insbesondere Steilküsten, häufig einen Ueberblick der geo- gnostischen Struktur einer Gegend ermöglichen; sie bieten zahlreiche natürliche Profile, in welchen Felsen sichtbar werden, die anderorts durch aufgelagerte Schichten verdeckt sind und die den Schlüssel geben zur Beurtheilung der Lagerungsweisen, der Schichtenfolge. In Küstenlandschaften wird man daher die Felsbildungen, die Aufrisse am Strande, mit besonderer Sorgfalt studiren. In ausgedehnten Ebenen ist weit seltener Gelegenheit zu geo- gnostischen Beobachtungen geboten ; um so grösser ist die Wich- tigkeit eines jeden Aufschlusses. Ein Erdeinschnitt, ein Tobel, Bachufer lassen öfters die unterirdischen Felsschichten er- kennen, und bei der Gleichförmigkeit, welche gewöhnlich m ebenen Ländern auf grossen Flächen herrscht, ist es wahr- scheinlich, dass dieselbe Schichtenfolge sich weithin erstrecke. Gelangt man zu wechselvoller gestaltetem Terrain, so muss man schon die ersten Anhöhen und Böschungen, den Fuss der gebirgigeren Landschaft, aufmerksam untersuchen. Diese vorgelagerten Höhen und Uebergangspartien haben häufig Aufrisse, in welchen bis zu grossen Tiefen anstehendes Gestein beobachtet werden kann. Wenn werthvolle Aufschlüsse eher an den Gehängen als im Thalboden zu finden sind, so kann immerhin der letztere GEOLOGIE DES ERDINNERN 301 durch fliessendes Wasser tief eingefurcht sein; dann ist es von Werth, dass man die abschüssigen Ufer des Fluss- oder Bachbettes untersuche, besonders an Punkten, wo das Ge- wässer von einer Thalstufe zu einer tieferen abfällt und durch eingeengte Stellen sich Bahn bricht. Sanfte, gleichmässige Abdachungen sind in der Regel arm an Aufschlüssen; um so weniger darf man diejenigen vernachlässigen, welche vorhanden sind; vielmehr muss man hier die kleinsten Anrisse, Steinbrüche, Gräben, Brunnen- schachte etc. wohl beachten. Viel leichter ist die Aufgabe an wechselvoll gestalteten Berglehnen, welche in Felsvorsprüngen, Terrassen, Wänden und meist tief eingerissenen Schluchten ein reiches Beob- achtungsmaterial darbieten. Bergpässe, Schluchten und Thalengen erschliessen in der Regel ein Bild der Felsen, welche sie umgeben. Nähert man sich den Gipfelpunkten, so ist die Aufmerk- samkeit zu verdoppeln; die Felsschichten haben hier oft die stärksten Störungen erlitten und es ist deren Aufeinander- folge desshalb schwerer zu erkennen. Man kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwarten, hier älteres Gestein anzutreffen als in den Thälern und Pässen. Man versäume nie, die höchsten Gipfel zu erklimmen, um das Ganze der Gebirgslandschaft zu überblicken und mit einem guten Fernrohr das Streichen, den charakteri- stischen Zug der Bergketten, zu beobachten. Von hier aus wird man das Gerippe und Gebälke der Gegend, die Grundzüge ihres Baues erkennen, hier namentlich üben, was Prof. Marcou den „geologischen Blick“ nennt, den er definirt als „eine Art Intuition, welche bewirkt, dass ein zum ersten Mal auf dies Terrain gekommener Beobachter sofort dessen stra- tigraphische, orographische und lithologische Schwierigkeiten herausfindet, auf den ersten Blick die Massive nach ihrer Zusammengehörigkeit klassifizirt, mit einem Wort, sogleich das terrestrische Manuscript entziffert, welches vor ihm aus- gebreitet liegt, ähnlich wie der Architekt ein Monument, der Maler ein Bild, der Musiker eine Symphonie be- urtheilt“'). 1) Texte explicatif d’une seconde £dition de la Carte geologique de la terre; par M. Jules Marcou. Zürich, Londres, Paris etc. 1875, pag. 7. 302 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Die geologische Erforschung einer neuen Gegend ist natürlich in ihrem Gelingen bedingt durch die individuelle Befähigung des Beobachters; aber immer wird sie reich sein an fruchtbaren Resultaten, wenn man nur. aufmerksam und gewissenhaft die Thatsachen konstatirt. Wir schliessen diese Andeutungen mit dem Hinweis auf zwei von kompetenten Geologen herrührende Bemerkungen, Die erste derselben empfiehlt, dass man beim Abstieg mit derselben Aufmerksamkeit wie beim Hinansteigen Aufschlüsse suche und geognostische Aufnahmen mache, obschon dies’ beim Heruntersteigen mehr Schwierigkeiten hat, man auch. gewöhnlich ermüdet ist und sich beeilen muss, den Be- stimmungsort zu erreichen. Zweitens wird empfohlen, man solle, wenn man genöthigt war, den Marsch während der Nacht fortzusetzen, diesen Uebelstand soweit möglich dadurch wieder gut machen, dass man bei Tagesanbruch mit einem Fernrohr den in der Dunkelheit zurückgelesten Weg be- obachte und zu diesem Zweck in der Nachbarschaft der Halt- stelle den günstigsten Standpunkt aufsuche. Die Notizen über das Bild, welches die Gegend bietet, und über deren wahrscheinlichen geognostischen Bau macht man sodann auf Grund der Beobachtungen vom vorigen Tage und derjenigen, die man jetzt über die Umgebung anstellt. Selbstverständlich ist es noch besser, wenn man den zurückgelegten Weg noch einmal machen kann. Data, die zu erheben sind. Die geologischen An- gaben, welche beizubringen sind, zerfallen in 1° strati- graphische, 2° petrographische oder lithologische und 3° palä- ontologische. Die stratigraphischen Angaben beziehen sich auf Ver- breitung und Lagerung der Felsen, die petrographischen (lithologischen) auf deren mineralogische Zusammensetzung, die paläontologischen endlich auf die organischen Einschlüsse, die Reste und Spuren vorweltlicher Pflanzen und Thiere, die gelebt haben in den verschiedenen Erdperioden, während welcher diese Felsen gebildet wurden. | In unserer Darstellung müssen wir diese inhaltlich ver- schiedenen Aufnahmen getrennt behandeln; auf dem Terrain sind sie aber selbstverständlich nicht auseinander zu halten, sondern hat man sie alle gleichzeitig zu berücksichtigen GEOLOGIE DES ERDINNERN 303 und vorzunehmen, da man selten im Falle sein wird, zum Zwecke systematisch verschiedener Aufnahmen an einem und demselben Orte diesen wiederholt zu besuchen. Dabei kann nicht genug empfohlen und kann diese Be- merkung nicht genug wiederholt werden: dass der Reisende sich zunächst darauf beschränke, genau die Thatsachen zu erheben, dass er konstatire was ist, ohne Voreingenommen- heit und ohne verfrühte Schlussfolgerungen. Andernfalls, d. h. wenn er an diese Studien herantritt mit vorgefassten Meinungen und sich durch Hypothesen leiten lässt, so läuft er Gefahr, unvollkommen, weil befangen, zu beobachten, und auf Kosten gewisser Thatsachen, welche der Theorie zuwider sind, den Werth anderer Fakta zu übertreiben. Sehr triftig sagt A. Favre, der gelehrte Genfer Professor: Für die Geo- logie ist die Zeit gekommen, wo es besser ist, gar keine Erklärung zu geben und lieber eine Frage pendent zu lassen als Hypothesen zu konstruiren die auf schlechter Grund- lage ruhen. Stratigraphische Erhebungen. Diese haben zumZweck: 1° In der erforschten Gegend die Verbreitung der ver- schiedenen Felsarten an der Erdoberfläche zu bestimmen und deren Grenze in die Karte einzutragen. 2° Die Reihenfolge in der Lagerung dieser Felsen auf- zufinden und in einer Anzahl Profile (Durchschnitte) dar- zustellen. Um die Grenzen für die Verbreitung der Gesteine zu bestimmen, kann man auf zwei Arten verfahren. Die erste Art besteht darin, dass man das Terrain in verschiedenen Richtungen durchreist nach einer Marschroute, die man zum Voraus festgesetzt hat, um ein öfteres Begehen derselben Lokalität zu vermeiden. Jedes Mal, wenn man einen Wechsel in der Felsart wahrnimmt, z. B. zwischen 'Alluvium und Thon oder diesem und Kalk, Sandstein, Granit ete., so macht man hierüber eine Notiz, entweder in der Karte selbst durch Abkürzungen, Farben und be- sondere Zeichen oder im Taschenbuche durch Ziffern und Buchstaben, womit auf die Karte verwiesen wird. Diese Notiz muss die Felsarten zu beiden Seiten der Grenzlinie genau bezeichnen. Man erhält so eine gewisse Anzahl von "Punkten, worin die Grenzen der Felsarten den zurückgelegten 304 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Weg schneiden (Fig. 119). Die zu einer und derselben Gesteinsgrenze gehörenden Punkte verbindet man nun mit einander, wobei man sich aus dem Gesammtbilde klar zu abcdef Zurückgelegter Wes, 1 Gneiss. 2 Sandstein. 3 Thon. 4 Alluvium. Fig. 119. machen hat, welchen Verlauf die Linie zwischen zwei auf- einander folgenden Punkten nehmen muss (Fig. 120). Die zweite Art, welche besonders anwendbar ist in un- kultivirten Gegenden , besteht darin, dass man eine und : dieselbe Felsart in allen Richtungen verfolgt, um genau die Grenzen ihrer Verbreitung zu bestim- men. Wenn sie aufhört, so sucht man nach, ob nicht weiterhin wieder Spuren von ihr sich finden. Indem man aul diese Weise einer Ge- steinsart nachgeht, ge- langt man zu Punkten, wo sie plötzlich ver- schwindet oder auch zu Stellen, wo sie allmälig und fast unmerklich in eine andere Felsart übergeht. Im einen dieseı Fälle hat man also eine scharf ausgesprochene Grenze vol sich, im andern eine unbestimmte, eine Uebergangszone, die man auf der Karte durch punktirte Linien bezeichnet. Wenn ein Gestein an einer Stelle dem Auge des Beobachters entrückt wird und an andern Punkten wieder zu Tage tritt, so muss untersucht werden, ob es auf der Zwischenstrecke GEOLOGIE DES ERDINNERN 305 nur durch Dammerde (Verwitterungsprodukt und Boden mit Vegetation) oder durch eine andere Gesteinsart bedeckt ist. Ist letzteres der Fall, handelt es sich also um das Auftreten eines zweiten Gesteins, so bestimmt man nöthigenfalls auch die Verbreitung desselben durch Aufsuchen und Angabe seiner allseitigen Grenzen. Hernach geht man zu einer andern Felsart über und verfährt in Bezug auf diese in gleicher Weise, bis die ganze Serie durchgenommen ist. Es muss wohl kaum besonders bemerkt werden, dass dieses Verfahren nur empfehlenswerth ist für Detailaufnahmen in einem beschränkten Gebiete, in welchem die verschiedenen Fels-Schichten in sehr unregelmässiger Weise auftreten. Ist das Vorkommen ein regelmässigeres, erstreckt sich viel- leicht ein und dasselbe Gestein ununterbrochen über hunderte von Kilometern, sind seine Grenzen gerade Linien oder nur schwach gebogene Kurven, so ist es weit besser, wenn man nicht diesen Grenzen nachgeht, sondern sie, wie diejenigen der höhern und tiefern Schichten, kreuzt und dann ihr Verbreitungsgebiet auf oben angegebene Weise aus den erhaltenen Schnittpunkten bestimmt. Welchen Gang man auch einschlage, so ist die unmittel- bare Eintragung in die Karte von grossem Vortheil; sie nöthist uns zu methodischerem Vorgehen und macht oft jede andere Notiz entbehrlich, indem einige Bleistiftstriche in der Karte Manches schneller und besser bezeichnen als eine lange Beschreibung. Damit aber diese Mappirung (Kartirung) genau sei, muss, der Beobachter jederzeit rasch und sicher die eingeschlagene Richtung und den Standort zu bestimmen wissen. Dies erfordert eine gewisse Uebung, um so mehr, als der Geologe häufig von der vorgesteckten Route abgehen muss, um gewisse Vorkommnisse, welche Fingerzeige über die Natur des Bodens geben können, — wie Steinbrüche, Gräben, Teiche, Trancheen, Brunnenschachte ete. — in nächster Nähe zu besichtigen. Das erste, auf dem Terrain selbst entworfene geologische Croquis enthält gewöhnlich nur unzusammenhängende An- gaben, d. h. nur eine Anzahl zerstreuter Punkte, welche die entblössten Stellen, Einschnitte u. dgl. bezeichnen, wo anstehendes Gestein sichtbar war. Diese sporadischen Flecken hat man nun mit einander zu verbinden, vorab diejenigen, 20 306 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN welche die Grenzen einer Gesteinsart, einer Felsschicht be- zeichnen. Hier nun ist die Uebung, der coup d’oeil von unschätzbarem Werthe. Zwar kann man in gewissen Inter- vallen mit dem geologischen Hammer (Fig. 121) sich darüber vergewissern, was für ein Gestein unter der Dammerde liege, welche die oberste Schicht des Bodens bildet; aber zumeist ist man doch auf Konjekturen ange- wiesen, die man ableitet aus den mehr oder minder engen Beziehungen zwischen ANZ der Gestalt des Bodens und dem Gestein, woraus derselbe besteht. Um nur ein Beispiel anzuführen, sei bemerkt, dass rasche Aenderungen im Gefälle (Gefälls- brüche) gewöhnlich einen Wechsel der Gesteinsart anzeigen. Die Detailkarten, die wir besitzen und die topographischen Aufnahmen, die wir selbst machten, werden uns hier sehr zu Statten kommen, indem sie uns ein Gesammtbild geben über das allgemeine System der Bodenerhebungen und über deren Formen in der zu untersuchenden Gegend; es ist dies in um so höherm Grade der Fall, je mehr wir Uebung erlangt haben in Beurtheilung des Zusammenhangs zwischen äusserer Gestalt und innerer Konstitution des Bodens. Hiebei ist auch die Analogie ein ziemlich sicherer Führer; in einer und derselben Gegend manifestirt sich der Wechsel zwischen angrenzenden Schichten in der Regel nicht in wesentlich verschiedenen Formen; haben wir daher die Stellen, wo eine Felsschicht bloss liegt, und ihre sichtbaren Grenzen kennen gelernt, so werden wir dieselbe in Gedanken auch da verfolgen können, wo sie verborgen liest unter Dammerde und Vegetation. Die Zeichen und Abkürzungen, womit im Croquis die Gesteinsarten angedeutet werden, sind beliebige; Jeder nimmt diejenigen, welche ihm am besten konveniren; wesentlich ist nur, dass deren Bedeutung genau angegeben sei und nicht zu Missverständnissen Anlass gebe. Ist man über eine Felsart im Zweifel, so bezeichnhe man sie nur provi- sorisch durch eine Ziffer oder einen Buchstaben und bringe diese auch auf den gesammelten Proben (Muster- stücken) des Gesteins an, um letzteres später mit Musse zu bestimmen. | ” 4a. AV. Geologische Karte. Wor ster Randegger #4 Winter nm Gneiss Granit GEOLOGIE DES ERDINNERN 307 Wenn man statt der Zeichen und Buchstaben zur An- gabe der Felsart Farben benutzt, so thut man gut, jeweils am Rande der Skizze mit dem Pinsel- oder Farbstift, den man brauchte, einen Strich und unmittelbar daneben den Namen des auf diese Weise bezeichneten Gesteins anzu- bringen. Statt auf dem Croquis kann das auch auf dem Papier geschehen, mit welchem man das entsprechende Ge- steinsstück einwickelt. f Hat man für die Zeichnung der Grenzen aller aufge- fundenen Felsarten eine genügende Zahl von Anhaltspunkten, so bemalt man die ganze von der nämlichen Gesteinsart erfüllte Fläche mit der entsprechenden Farbe. Jede Felsart wird dabei durch eine eigene Farbe oder einen besondern Farbenton bezeichnet. So erhält man eine Karte wie die nebenstehende Taf. XVIII, auf welcher man in einer Er- klärung (Legende) die Bedeutung jeder Farbe und Nüance angibt. Wenn man die Gegend durchreist, ohne dass man dabei viele Abstecher von der Marschroute nach links und rechts machen kann, so markirt man auf der Karte lediglich die Stellen des Weges, wo das Gestein einen andern Charakter annimmt. Diese Notirung ist durchaus auf dasjenige Gebiet zu beschränken, in welchem man sichere Beobachtungen hat machen können. Die geognostische Karte bezeichnet zunächt nur die hori- zontale oder geographische Verbreitung der Felsarten, ihr Vorkommen — nach Reihenfolge und Areal — an der Ober- fläche; sie stellt die Gegend dar in einem Bilde, wie es etwa erschiene für einen Beobachter hoch über derselben in der Luft, wenn dessen Auge durch die Decke von Felsschutt und Vegetation das drunter liegende Gestein erblicken oder wenn diese bergende Hülle, der Mantel von Pflanzen und Damm- erde, plötzlich entfernt werden könnte. Es ist nun eine weitere Aufgabe, die Aufeinanderfolge oder Lagerungsweise der Ge- steine unter der Erdoberfläche, deren Verbreitung in verti- kaler Richtung zu bestimmen und darzustellen. Diese Dar- stellung betrifft also die Reihenfolge und Mächtigkeit der einzelnen Felsarten, die Art und Weise, wie sie an einzelnen Punkten zu Tage treten, anderorts unterteuft, von andern Gesteinen überlagert werden. Behufs Lösung dieser Aufgabe 308 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN wenden wir unsere Aufmerksamkeit den Stellen zu, wo deı Boden eingeschnitten, gespalten oder durch Abrutschunger entblösst ist; alle Steinbrüche, Erdeinschnitte, Felswände läng Wasserläufen und Steilabfälle der Gebirge sind genau zu untersuchen. | Wir werden bald bemerken, dass diese vertikalen Auf risse oder natürlichen Profile nicht auf ihrer ganzen Flächt aus einer einzigen Felsart bestehen, dass vielmehr das Gesteit mehr oder minder ausgesprochene Unterschiede in Farbe un Zusammensetzung erkennen lässt, woraus hervorgeht, das: die in der geologischen Karte bezeichnete oberflächlich Schicht Gesteinslagen anderer'Art bedeckt. Wir konstatirei nun die Lagerungsweise dieser Gesteine und stellen sie da in einem Beognostischen Profil (Durchschnitt), dessen Position in der Karte wir durch einen Strich und Buchstaben ode, Hinweisziffern angeben. Bei der Aufnahme dieser Profil‘ müssen die Grenzen der verschiedenen Felsarten möglichs genau bestimmt und zu diesem Zweck muss untersucht werden welches in Erdeinschnitten, Gräben etc. die Gesteinsart is unter der Decke von Schutt, der sich an Fusse solcher ent blösster Stellen anhäuft. Dieser Detritus stammt gewöhnliel von höher gelegenen Felspartien her, von denen er durel Verwitterung abgelöst wurde, um Schuttkegel und sonstig Trümmeranhäufungen zu bilden, welche dann die tiefere Gesteinslagen überdecken. Durch zahlreiche derartige Untersuchungen gelangen wi dazu, uns ein Bild der gesammten architektonischen Glie derung des Bodens machen und allgemeine Profile erstelle zu können. Eine besondere Wichtigkeit für diese Studien komm den geschichteten Felsarten oder Sedimenten zu, d. h. den jenigen Gesteinen, welche mehr oder minder scharf von ein ander unterschiedene Schichten (Strata), Bänke oder Lage: bilden. Nicht nur sind diese geschichteten (stratifizirten Gesteine am häufigsten, sondern sie liefern auch durch ihr U sseihreiesen wie wir später sehen werden, die wich tigsten alellesmallu zur Beurtheilung des Alters der nicht geschichteten Felsarten oder Massengesteine (plutonische um vulkanische oder Eruptivgebilde), sowie über die in der Gegen! vorgekommenen geologischen Veränderungen älterer Ordnung r GEOLOGIE DES ERDINNERN 309 Es mag hier daran erinnert werden, dass diese Schichten ‚der Bänke von Ablagerungen herrühren, die sich in ver- chiedenen geologischen Perioden im Wasser und durch Wirkung des Wassers gebildet haben. Ursprünglich müssen ie daher im Ganzen wagrechte Lagerung gehabt haben wie lie heutigen Wasserabsatzbildungen in Depressionen des Bodens, uf dem Grunde der Seen und Meere. Ihre normale Lagerung yar also in annähernd horizontalen übereinanderliegenden schichten, nach Art des Durchschnitts in Fig. 122. In vielen fällen ist aber diese zursprüngliche ‚agerung nicht geblieben, sondern sie st gestört, die Sehichten sind dislozirt vorden. In Folge der Bewegungen, "altungen, Hebungen, Senkungen, all- ‚emeiner oder lokaler Dislokationen ind die mannigfachsten Störungen der infänglichen Schichtenlage eingetreten und haben sich die erschiedensten Lagerungsformen gebildet, deren wichtigste n nachstehender Uebersicht enthalten sind. Wellenför- Wagrechte mige (horizontale (wellige) oder söhlige) Schichten. Schichten. . Gebogene Geneigte 22 (schiefge- Schichten. stellte) Schichten. | Ziekzackför- | mige = | (paarweise Va Boksig oder saigere) Schichten. Schichten. | Aufgerich- Muldenför- tete mige(synkli- Schichten. nale) | Schichten. | | Dachförmige | Ueberkippte (antiklinale) | Schichten Schichten. (links). 310 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Die Art dieser räumlichen Anordnung der Gesteinsbänke an und für sich wie in Beziehung auf einander, nennt man die Schichtung, Lagerung oder Stratifikation und man charak- terisirt sie durch technische Ausdrücke, deren Bedeutung die 3 | | Figuren erklären. Se u 2 | > res /) a > 70 NH 5 Fig. 123. Fig. 124. Schiefe oder geneigte Lagerung. = Ze == 77T, /, ® re == X UN ) N Fig. 125. Vertikale Lagerung. Eine Linie, welche man sich über die Scheitelpunkte ge- wölbter (konvexer) Schichten gezogen denkt und von wo aus die Schichten nach beiden Seiten hin abfallen, nennt man eine Fig. 126. Gewölbte oder sattelförmige Schichten. Antiklinale. Sie ist also mit der Kammlinie oder dem Firste eines Daches zu vergleichen. In Fig. 126 bezeichnet a den Schnittpunkt (die Spur) dieser Linie in der Zeichnungs- ebene. Die davon nach beiden Seiten abfallenden Schichten heissen die Schenkel oder Flügel des Gewölbes. | Analog wird als Synklinale eine Linie bezeichnet, die man! sich durch die tiefsten Punkte konkaver (kahn- oder mulden- GEOLOGIE DES ERDINNERN 311 Fig. 127. Mulden-, kahn- oder schalenförmige Schichtung. förmiger) Schichten gelegt denkt und von welcher aus die Schichten nach beiden Seiten ansteigen, sodass die Linie wie die Antiklinale als eine Axe erscheint, welche die Punkte in sich fasst, wo die Richtung der Schichten in eine andere übergeht. Punkt s in Fig. 127 ist wieder der Schnitt oder die Spur dieser Axe mit der Bildebene, auf welcher sie senkrecht steht. Fig. 128. Mantelförmige Lagerung. Bei der durch Fig. 128 dargestellten Stratifikation ist das eruptive Massengestein von den Schichten, welche es emporgehoben hat, wie von einem Mantel umhüllt. Fig. 129. Schildförmige Lagerung. Bei der schildförmigen Lagerung Fig. 129 ist das empor- gedrungene Massengestein nur auf einer Seite durch von ihm gehobene Sedimente bedeckt. Bei der fächer- oder garbenförmigen Schichtenstellung (Fig. 130) sind Sedimente durch eine zentrale Masse (be- ziehungsweise mit derselben) so gehoben worden, dass sie 312 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN ; Se des Kerngesteins nach dem Innern hin sich einander nähern. gleichförmig oder konkordant gelagert, gleich- Fig. 130. Fächerförmige ” . ö 9 o "schichten ser viel, ob und wie sie geneigt und ge- .—-„ bogen sind. Die Fig. 151 bis '133 sowie diejenigen auf S. 309 \ selbst geben Beispiele für kon- HITS. _ kordante Schichtung. wre u Bl Wenn aber benachbarte N Schichten in ungleicher Weise geneist sind (verschieden fal- len) und somit, statt einander parallel zu liegen, unter Win- 77. keln aufeinandertreffen, so nennt man das eine wungleich- förmige oder diskordante Schichtung (Fig. 134 und 135). In der Natur erscheinen nun freilich die einzelnen Schichten oder Gesteins- lagen nicht so scharf aus- gesprochen und so be- stimmt von einander un- terschieden wie in den vorstehenden schemati- schen Zeichnungen. Wenn die Grenzen der Schichten et | : ı ZINN auf den beiden entgegengesetzten Seiten Wenn zwei oder mehr Schichten zu einander parallel sind, so heissen sie GEOLOGIE DES ERDINNERN Si leicht und sicher zu erkennen sind, wird die Schichtung als eine deutliche bezeichnet, als wmdeutlich oder unbestimmt, wenn die Grenzen schwer kenntlich und nicht mit Sicherheit zu verfolgen sind. Noch haben wir gewisser Unregelmässigkeiten der Schichten Erwähnung zu thun. Eine der wesentlichsten dieser Un- regelmässigkeiten ist der Nichtparallelismus der beiden Schich- tungsflächen einer und derselben Gesteinsbank oder der Flächen, welche eine ganze Gruppe (Stufe, Stockwerk, &tage) von Schichten beiderseits begrenzen. In solchen Fällen ist ent- weder der Parallelismus von Ursprung an nicht vorhanden gewesen oder der anfänglich bestehende Parallelismus ist später zerstört worden. Hierüber ist Folgendes zu be- merken. Die Materialien, welche auf einem unebenen Boden ab- gelagert wurden, mussten sich diesen Unebenheiten anpassen, welche letztere hinwieder — gerade in Folge der Tendenz sich ablagernder Sinkstoffe zur Ausfüllung von Hohlformen und in Folge der Bewegung des sie transportirenden Wassers — von weniger Ein- fuss waren auf die Bildung nachfolgen- der Schichten. Man- che Felslagen muss- ten auf diese Art an Fig. 136. gewissen Stellen dicker werden als an andern (Fig. 136). Absatzbildungen an Flussmündungen erstrecken sich nur auf bestimmte, mehr oder minder kurze Distanzen und werden Fig. 137. gegen ihre Grenzen hin nothwendig immer dünner. Eine so gebildete Ablagerung (Fig. 137) kann also nicht von parallelen Flächen begrenzt sein. Ebenso müssen Ablagerungen von Gesteinstrümmern an steilen Halden Schichten bilden, deren Dicke oder Mächtigkeit nicht im ganzen Verlauf gleich, sondern sehr verschieden ist (Fig. 138). | 314 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | Wirbel und Strö- mungen, welche bald. nach dieser, bald nach. jener Richtung sich OS; bewegen, stören nor- male Absatzbildungen. 2 und geben Anlass zu vielen Unregelmässig- UT, keiten in den Abla- : gerungen (Fig. nr. 139).KeineAblar N m gerung erstreckt JUNI: Sich über El cn ganze Erdober- en fläche; diese ist also von den Sedimenten nicht etwa in der regelmässigen, Weise umhüllt, wie z. B. Zwiebelschalen angeordnet sine Jede Schicht ist lokal, d. h. sie ist begrenzt durch die, UTHENEIDENTNNHL WARDMINDDRNMIMMNDIMMG Fig. 140. \ Ränder des Bassins, worin sie abgelagert wurde. Alle Schichten müssen also entweder durch allmäliges Dünner- werden langsam ausgehen (sich auskeilen, Fig. 140 linke Seite, auch 137 und 138) oder plötzlich abbrechen (Fig. 140 rechts), je nachdem die Grenzen gebildet sind durch solche für den Bereich der Wirkung sedimentbildender Kräfte oder durch Ränder des Bassins, worin die Ablagerung erfolgte. Terrains, welche unter Wasser entstanden, dann gehoben wurden und während kürzerer oder längerer Perioden über Wasser geblieben, endlich aber in Folge von Senkungen wieder untergetaucht worden sind, mussten zur Zeit, da sie neuer- dings vom Wasser bedeckt wurden, eine vielfach erodirte' Oberfläche haben, da auf sie mittlerweile dieselben Kräfte eingewirkt hatten, die wir heute an der Modellirung des‘ festen Landes thätig sehen. Die Schichten, welche damals Hl HN GEOLOGIE DES ERDINNERN 315 — vor der abermaligen Bedeckung durch Wasser und der Bildung neuer Sedimente in diesem — die obersten waren, können also nicht mehr parallele Grenzflächen besitzen; viel- mehr muss die äussere Fläche Unebenheiten haben, welche nun von der nächstfolgenden Schicht ausgefüllt und ausge- glichen wurden (Fig. 141). Durch chemische Wirkungen kön- nen Partien aneinandergrenzender Schichten sich mit einander ver- kitten, sodass aus Theilen zweier ver- schiedener Gesteinsbänke sich eine dritte Masse (ein Lager, Gang oder Stock) bildet und nun der anfänglich vorhandene Parallelis- „— Se ee mus der Grenzflächen mn: ee zerstört ist (Fig. 142). Sillll mm Manchmal sind die Schichten unterbro- "= :- chen durch Spalten, Z<- welche ausgefüllt wur- — den von Trümmern der verschiedenen aneinan- derstossenden Gesteine (Fig. 145). Manchmal auch ist eine grössere Partie der Schichten gegen die andern, zu beiden Seiten anstos- senden, nach oben oder unten verschoben worden, sodass die Gesteinsbänke plötzlich endigen (abbrechen) und ihre Fig. 143. _ Fortsetzung in einem andern Niveau zu treffen ist. Eine solche Störung des ursprünglichen Schichtenbaus- nennt man eine Verwerfung (glissement, faille); die von der Dis- lokation betroffene Partie oder deren Grenze gegen die anstossenden Schichtenkomplexe wird als Verwerfungsspalte bezeichnet (Fig. 144). Der Parallelismus der Schichten bleibt dabei zuweilen erhalten, manchmal aber auch wird er zerstört und beobachtet man ein verschiedenartiges Fallen der Schichten zu beiden Seiten der Spalte, welche 316 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN oft mit dem Schutt der dislozirten Ge- =: steine ausgefüllt ist - (Fig. 145). Diese Verwer- fungen sind oft von Einfluss auf die i | \ il il | RITIT il! | INN) \ stalt, indem die eineSeiteoder Lippe der Spalte über die andere hin- ausragt (Fig. 146). Der obere Endpunkt dieser Erhebung (a, - Fig. 146) heisst dann der Kopf, deruntere (d, Fig.146) der Fuss dieser Verwerfung; die abgebrochenen Flächen (ab) der Felsbänke werden als Schichtenköpfe bezeichnet. Nicht selten werden indess solche Bildungen ausgeglichen _ und verwischt durch Erosion. Unter der oder dem Streichen . einerVerwerfungsspalte versteht man deren Winkel mit dem Meridian, unter der Neigung oder dem Fallen derselben aber den Winkel, welchen sie mit der vertikalen Richtung bildet. Die Wände einer Verwerfungsspalte sind mitunter von der Reibung, welche sie erlitten, geglättet; solche Stellen werden als Spiegelflächen (miroirs de faille) bezeichnet. Wenn ein Schichtenkomplex, ohne dass eine Verwerfung eintritt, einfach gehoben wird, die obern Lagen aber zu start sind, als dass sie der Bewegung unter Beibehaltung ihres Zusammenhangs zu folgen vermöchten, so wird durch die Dislokation ein Bruch, eine Zerreissung bewirkt; es entsteht ein aufgerissenes Gewölbe (Fig. 147). = N N Fig. 146. äussere DBodenge- GEOLOGIE DES ERDINNERN air Durch Wasser- wirkung können Par- ‚tien einer oder meh- ‚rerer Schichten weg- ‚transportirt werden (Fig. 148). Dieser Fig. 147. Vorgang wirdals = DL Auswaschung (Erosion im en- gern Sinne) be- zeichnet. Unter Denu- dation versteht man den Prozess, wobei Schichten, die ehemals von andern bedeckt waren, durch Wegführung des Materials der letztern blossgelegt wurden (Fig. 149). Die Ablation endlich ist eine Abtragung in grösstem Massstabe, welche sich horizontal nach allen Richtungen über ein weites Gebiet erstreckt, so dass hiedurch gewaltige Massen von Gestein verschwunden sind (Fig. 150). An dieser Stelle mag noch die Bedeu- tung einiger geologi- A scher Ausdrücke er-/ wähnt werden. Als Schichtungsflächen bezeichnet man die Flächen, durch welche eine Schicht unten und oben begrenzt und von andern Schichten getrennt wird. In den Fig. 151 und 152 318 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Fig. 151. Fig. 152. stellen die Linien de und fg die Schichtungsflächen für die Gesteinsbank D dar. Die Schicht unmittelbar über einer andern heisst in Bezug auf letztere das Hangende, die unter derselben das Liegende. So ist in den Fig. 150 und 151 die Schicht A das Hangende oder Dach und C das Liegende oder die Basis von 5. Die Mächtigkeit oder Dicke einer Schicht an einer gege- benen Stelle ist der kürzeste Abstand der Schichtungsflächen oder also die Entfernung zwischen Liegendem und Hangendem an jener Stelle. In den Fig. 151 und 152 ist diese Distanz für die Bank DB mit a bezeichnet. Dieser Abstand muss immer in senkrechter Richtung zu den beiden Schichtflächen gemessen werden; wo dieselben nicht vollkommen parallel sind, wird ein Mittelwerth angenommen. Wenn eine Schicht an entblössten Stellen des Bodens und nichtnur mitihrer Oberfläche sicht- bar wird, so nennt man dies ihr zu Tage treten. Die als Bruchstellen und Quer- schnitte erschei- Fig. 133. nenden Enden der Gesteins- bänke heissen die Schichten- köpfe (Fig. 153, aa, DD, Ca c’’; Fig. 154 d, Ndr, di, A GEOLOGIE DES ERDINNERN 3 Fallen und Streichen. Wenn eine Schicht nicht ganz wagrecht liegt, sondern mit der horizontalen Ebene einen Winkel bildet, so wird dieser das Fallen der Schicht genannt. Die Richtung der Fall-Linie ist diejenige, in welcher das Wasser abfliessen würde, das auf die Oberfläche der Schicht käme. Unter dem Streichen einer Schicht versteht man die Richtung, nach welcher sie sich erstreckt, bezogen auf die Eintheilung des Horizontes, beziehungsweise des Kompasses. Die Streichungslinie ist senkrecht zu der Richtung des Fallens. Bei einer vollkommen wagrechten Schicht kann also weder vom Fallen noch vom Streichen gesprochen werden. Bei einer geneigten Schicht (Fig. 155) findet das Fallen statt in der Richtung, welche der schiefe Schenkel (ab) des Neigungswinkels angibt, «der ja immer die Linie des stärksten Gefälls (die- jenige des Wasser- abflusses)bezeichnet. Diehieraufsenkrecht stehende Horizontale cd gibt die Richtung des Streichens an. Wenn nur eine Fläche der Schichten gesehen werdenkann, so ist es nicht immer leicht, das Fallen und Streichen der- selben zu bestimmen. Man muss sich dann bemühen, eine Spalte oder Bruchstelle aufzufinden, die erkennen lässt, in Fig. 155. ‚welcher Richtung das Fallen stattfindet. Die Felswand A in Fig. 156 z. B. erscheint als aus horizontalen Lagen zusammengesetzt; der Anschnitt bei 3 aber zeigt, dass sie durch schiefe Schichten gebildet wird. 320 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Manchmal kann man das Fallen einer Sedimentschicht bestimmen, von der man nur einen kleinen Theil zu sehen bekommt, wenn man nämlich die Lage der eingeschlossenen Geschiebe und Fossilien beobachtet. Die Geschiebe nämlich müssen bei Bildung der Sedimente auf ihre breite Fläche und nicht etwa auf ihre schmälere Seite zu liegen gekommen sein, und in entsprechender Weise müssen sich auf dem Boden des Wasserbeckens die organischen Theile gelagert haben, Stellen ausgenommen, wo Wellenschlag und Strö- mungen dieselben aufrichten und die Geschiebe zusammen- häufen konnten. In der Regel wird also die Art der Lagerung von Geschieben, Blattabdrücken u. del. anzeigen, um welchen Betrag, in Winkelmass ausgedrückt, die Schicht von der ur- sprünglichen horizontalen Lage abgekommen ist; d. h. es wird hiedurch das jetzige Fallen angegeben. Der Punkt des Horizonts, nach welchem hin eine Schicht fällt, wird unter Berücksichtigung der magnetischen Dekli- nation mit dem Kompass bestimmt. Man gibt seine Lage an entweder mittels der Benennungen der. Windrose oder in Graden. Die letztern werden vom Nordpunkte aus gezählt, sei es nach Osten und Westen hin oder fortlaufend in einer Richtung von OÖ bis 360° Welcher Methode der Reisende sich bedienen wolle, hängt von dessen Belieben ab, nur muss während der ganzen Dauer einer Aufnahme durchwegs die gleiche Methode angewendet und es muss dieselbe zu Handen derer, welche später diese Beobachtungen benutzen, aus- drücklich angegeben werden. Das Fallen oder der Neigungswinkel einer Schicht wird bestimmt, indem man in der bereits auf S. 56 für Messung von Gefällen angegebenen Weise die Klinometerboussole anlegt \ und abliest, um wie viel Grade \ Horizont die Sealkreclike zur Schichtfläche vom Senkloth abweicht. Wie bereitsoben S. 55 bemerkt wurde, ist dieser Winkel (adb Fig. 157) gleich dem Neigungswinkel dea (oder Ace). Ist eine Schicht nicht gleich- Fig. 157. mässig geneigt, so bestimmt man GEOLOGIE DES ERDINNERN 32 das Gefälle im Allgemeinen nach einem Mittelwerth. Das Strei- chen wird sodann gemäss dem bereits oben Gesagten bestimmt. Die Schichten können in Form von Calotten (Kugelhauben) über einander gelagert sein und so eine dom- oder kuppel- förmige Erhebung bilden. In diesem Fall würde ein hori- zontaler Schnitt eine Reihe von Kreisen oder Ellipsen zeigen, welche ein gemeinsames Centrum, eine als Kern in der Mitte be- findliche Masse umgeben. Diese Kurven wären die Streichungs- linien, und da der Schenkel des Neigungswinkels für irgend einen Punkt der Streichungslinie auf dieser senkrecht stehen muss, so findet von den Kreisen und Ellipsen aus ein Fallen statt nach allen Punkten des Horizonts. Dabei können die Schichten nicht blos nach aussen, sondern auch (Fig. 158) nach dem Innern der Kurven oder also der Er- hebung hin fallen. Wenn ein Boden flach und eben ist, so darf aus diesem Umstande nicht ohne pn Weiteres geschlossen werden, il dass er aus regelmässig und horizontal gelagerten Schich- ten bestehe. Früher vor- handene Unregelmässigkeiten oder Höhenungleichheiten können durch Denuda- tionabgetragen worden sein, und es ist mög- lich, dass unter der berfläche eine Spalte iegt, deren Ränder aus- geehbnet worden sind (Fig. 159) oder dass man die Schichten im Innern stark und verschiedenartig gebogen findet (Fig. 160)). Um die Eigenthümlichkeiten der Stratifikation in einem zewissen Gebiete auf der geologischen Karte oder im Notizen- ‚such kurz anzugeben, bedient man sich verschiedener Zeichen mm IN l HN |! li | Fig. 160. - =) Ueber Biegungen von Schichtenenden und andere Unregelmässigkeiten als IGlaeialerscheinungen vgl. Giebel, Gesammte Naturwissenschaften 1880, S. 660. 2] 322 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN und Abkürzungen. Dieselben können mehr oder minder be- liebig gewählt werden. H Horizontale Schichten. Geneigte Schichten. Vertikale Schichten. Diskordante Lagerung. Gebogene Schichten, de- ren allgemeines Strei- chen durch die gerade Linie bezeichnet wird. Schichten, die solche Stö- rungen erlitten haben, dass wederihrStreichen noch ihr Fallen be- stimmt werden kann. Pfeile bezeichnen die Richtung des Fallens. Eine beigesetzte Ziffer gibt dieGrade desselben (d.Neigungswinkels)an. Wellenförmig gebogene Schichten, welche im Ganzen nach dem durch den Pfeil bezeichneten Punkte hin fallen. Der lange Strich bezeich- net die Richtung des Streichens, derPfeil die- jenige des Fallens. Antiklinale Linie (Axe). — Synklinale Linie (Axe). Nachstehend folgen einige Beispiele solcher Bezeichnungen. Was die Art der Ueberein- anderlagerung (Superposition) von Schichten betrifft, so zeich- net man dieselbe, wie man sie in natürlichen (lokalen) Profilen sieht, in das Taschenbuch oder auf lose Blätter, wobei durch eine Hinweisziffer oder eine an- dere Bezeichnung mit gleichem Zwecke anzugeben ist, für wel- chen Punkt der Karte das Profil silt. Diese Profilskizzen können mit wenigen Bleistiftstrichen angefertigt werden; denn es handelt sich dabei nur um die Darstellungnatürlicher Terrain- durchschnitte zu geologischen Zwecken und nicht um eine vollendete Zeichnung wie bei einer Ansicht oder Landschaft. Dieverschiedenen Felsarten kön- nen mitFarbstiften oder mit kon- ventionellen Aquarellfarben wie in der geologischen Karte deı Gegend angegeben werden. Aus- gedehnte und komplizirte Pro- filenimmt man am besten photo- graphisch auf; dieses Verfahren empfiehlt sich sowohl in Bezug auf Raschheit als Genauigkeit der Aufnahme; das so erhaltene Bild ist eine treue Darstellung, welche auch die kleinsten Einzel- heiten, auch die geringsten Bruchlinien desGesteins wieder- gibt. GEOLOGIE DES ERDINNERN 323 Die Daten, welche in Betreff der geschichteten Felsen aufdem Terrain zu erheben sind, sollen also — um das hierüber Ge- sagte kurz zu resümiren — womöglich umfassen: 1° das Streichen, 2° das Fallen, 3° die Mächtigkeit, 4° die Lagerungsweise der Schichten. Was die amgeschichteten oder massigen Gesteine anbetrifft, so soll deren Lagerung zu den andern bestimmt werden und muss man zu diesem Zwecke Skizzen aufnehmen über alle natürlichen Profile, wo die Grenzen und Kontaktstellen der beiderlei Felsarten zu sehen sind, wie dies Fig. 161 darstellt. Sehen wir nun, wie man diese Daten benutzen kann, um den unterirdischen Verlauf der Schich- 195 ee ten in einer Gegend a ; festzustellen. SE Vorab darf als Regel angenommen werden, dass die Mäch- tigkeit und das Fallen einer Schicht vom Beobachtungspunkte aus eine Strecke weit nahezu gleich bleiben und dass Ver- änderungen derselben eher allmälig oder stufenweise als plötzlich und ohne Uebergang eintreten. Wenn wir also die Grenzen und die Neigung gewisser nur an der Erdoberfläche sichtbarer Schichten kennen, so werden wir, ohne grosse Fehler zu riskiren, den unterirdischen Verlauf derselben anzugeben im Stande sein. Es sei A B(Fig.162) das Terrain , welches wir begangen ha- ’ ben; abcd seien f die verschiedenen Felsarten, die wir vorfanden und deren Fallen wir kennen: so sind die beob- achteten Grenzen in der Weise, wie die Abbildung zeigt, nach dem Erdinnern hin zu verlängern. Fig. 162. 324 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Oder es sei in Fig. 163 das Croquis eines natürlichen Profils gegeben, so werden wir die Fortsetzung der Schichten, abced in der durch Vegetation bedeckten Partie in der Richtung nach a’b’c’ angeben können, immer- hin mit der Bedingung, dass diese Konjekturalkonstruktion nicht auf, zu grosse Entfernung hin ausge- dehnt werde. | Hiebei kommt nun aber weiter in Betracht, dass die verschiedenen Aufnahmspartien (Sektionen) .ein- ander gegenseitig ergänzen, wodurch es oft möglich wird, den Verlauf von Schichten auch auf grössere Distanz, und. wenn er selbst ziemlich unregelmässig ist, zu bestimmen. | Vorausgesetzt, wir haben die drei Sektionen AB, CD und EF (Fig. 164) aufgenommen und in allen dreien das Vorkommen Fig. 164. h einer und derselben Schicht a konstatirt, so werden wir die wahrscheinliche Lagerungsweise der sämmtlichen Schichten in einem Durchschnitte A & darstellen können, wenn wir die. entsprechenden Theile der drei Sektionen mittels naturge- mässer Kurven (in der Figur durch punktirte Linien an- gedeutet) verbinden. j So wird es möglich, mit Hülfe der Daten über das Streichen, das Fallen und die Mächtigkeit der Schichten, sowie mit, Hülfe der Skizzen über natürliche und Kin siliene An- und Einschnitte des Terrains, sehr ausgedehnte geologische Profile, zu zeichnen, welche die unterirdische Lagerungsweise der Gesteine esialllen so wie sie auf Grund de Beobachtungen als wahrscheinlich angenommen werden muss (theoretische oder Konjektural-Profile). FR Ri; Geologische Profile. En EEE DE FT HE BE BE Thon Sandstem Kalk. Schuefer. Gneiss. Granit. Taf: XIX. GEOLOGIE DES ERDINNERN 325 Es kann nicht genug empfohlen werden, dass man solche Konstruktionen — Verallgemeinerungen der erhobenen That- sachen und Verbindungen verschiedener wirklich beobachteter Profile — auf dem Terrain selbst vornehme ; die Schwierig- keiten und Zweifel, die sich hiebei erheben und die kaum ausbleiben werden, kann man am besten oder einzig an Ort und Stelle lösen; zu Hause in seinem Arbeitszimmer wird man auf Hypothesen angewiesen sein. Uebrigens muss schon beim Aufnehmen der einzelnen Daten und beim Zeichnen der isolirten Profile darnach gestrebt werden, einen Ueberblick über das Ganze, ein Gesammtbild zu erhalten, und zu diesem Zwecke in Gedanken die einzelnen Schichten, wo sie sich dem Blick wieder entziehen, auf ihrem muthmasslichen Ver- laufe zu verfolgen und zu errathen, wo sie wieder zu Tage treten werden. Treffen wir sie später wirklich da, wo wir sie vermutheten, so ist dies eine werthvolle Bestätigung unserer Annahmen; andernfalls erkennen wir diese als un- zureichend und werden uns zu einer Revision derselben ver- anlasst finden. Es ist nicht leicht, die Lagerungsweise der Felsarten, welche sich unterhalb der äussersten Kruste befinden, auf dem Papier darzustellen. Zur Erreichung dieses Zweckes hat man nur ein Mittel; man erstellt theoretische Profile nach verschiedenen Richtungen, welche auf der Karte durch gerade Linien angegeben sind, deren Enden je mit einem Buchstaben bezeichnet werden. Diese Durchschnitte werden dann selber durch die Ausdrücke „Profil oder Durchschnitt ab, cd“ etc. bezeichnet, und zur Angabe der Gesteine in denselben verwendet man dieselben Farben und Symbole, die man brauchte, um in der geologischen Karte der Gegend die Verbreitung derselben Felsarten an der Erdoberfläche anzu- geben. Beispiele solcher Profile enthält Taf. XIX. Bei der Konstruktion dieser Durchschnitte verfährt man wie bei derjenigen topographischer Profile (pag. 138 und 214); den Verlauf der Felsschichten zeichnet man, wie oben auseinandergesetzt wurde, nach den Beobachtungen auf dem Terrain. Dabei ist zu empfehlen, dass der Massstab für die Höhen nicht allzu verschieden von dem für die Längen an- genommen werde, weil man sonst ein verzerrtes Bild erhält, das der Wirklichkeit allzuwenig entspricht. 326 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Das Sammeln von Gesteinsmustern. Während man sich mit ‘dem Studium der stratigraphischen Verhältnisse , beschäftigt, sind auch diejenigen Erhebungen zu machen, | welche nothwendig sind, um die Art und Zusammensetzung | der Gesteine, d. h. ihren lithologischen oder petrographischen | Charakter, zu bestimmen. | Es wäre sehr zu wünschen, dass man eine Kenntniss der ' Felsarten besässe, welche in den Stand setzte, auf den blossen Anblick derselben zu erkennen, welcher Kategorie sie ange- hören. Man würde dadurch viel Zeit ersparen und wäre | der Beschwerlichkeit überhoben, zahlreiche Muster mitzu- nehmen, die später untersucht und bestimmt werden müssen. Da es aber dem Reisenden — ausgenommen, er sei perfekter ' Geolog und habe sein Auge für diesen Zweck in hohem Grade geübt — nicht möglich ist, an Ort und Stelle in exakter Weise die mineralogische Zusammensetzung eines. jeden Gesteines zu bestimmen, so ist derselbe in den meisten Fällen darauf angewiesen, Proben oder Musterstücke der vor- gefundenen Felsarten mitzunehmen, und hiefür glauben wir | in Nachstehendem einige Fingerzeige geben zu sollen. | Die Gesteinsproben müssen dem anstehenden Fels ent- nommen werden und nicht abgelösten Blöcken und Trümmern, ' es sei denn, dass man genau wahrnehmen kann, woher ein solches Fragment gekommen, welcher Stelle es entstammt. Die Proben müssen ferner aus noch unverwittertem Ge- stein herausgeschlagen werden. An der Oberfläche, die lange | den atmosphärischen Einflüssen ausgesetzt war, erleidet jede Felsart Veränderungen in Farbe und Zusammensetzung. Man entnimmt demnach dem Fels, um welchen es sich handelt, ein grosses Bruchstück und schlägt nun aus diesem, unter Entfernung aller Partien, wo die Zersetzung schon stattge- funden oder doch begonnen hat, ein kleineres Stück frischen Gesteines heraus, welches als charakteristisches Muster und typischer Repräsentant der fraglichen Felsart gelten kann. Gesteine, die weit verbreitet und in mächtigen Lagen vorhanden sind, zeigen mitunter in ihrer Zusammensetzung Verschiedenheiten, sei es in der horizontalen oder in der vertikalen Richtung ihres Vorkommens. In solchen Fällen muss man mehrere Proben mitnehmen und diese an Stellen heraus- schlagen, welche unter sich die schärfsten Differenzen aufweisen. GEOLOGIE DES ERDINNERN 327 Den Musterstücken gibt man eine möglichst bequeme und regelmässige Form. Wenn man immer kann, haut man sie auf eine rechtwinklige Grundfläche von 8—10 cm Länge und 6-=-8 cm Breite und eine nicht zu grosse Dicke zu, so zwar, dass die grössern Flächen den Schichtungsebenen entsprechen. Indess muss man mit diesem Formen an Ort und Stelle nicht so viel Zeit verlieren, es sei denn, dass man es zu dem Zwecke vornehme, um das Gestein durch allseitige Betrachtung kennen zu lernen und sich zu ver- gewissern, dass man nur gute, wirklich typische Proben mit- nehme. Kann man unterwegs nicht längere Zeit verweilen, so beschränkt man sich darauf, nur kleine Stücke abzuschlagen, die wenigstens auf einer Seite frischen Bruch zeigen. Ausser den Gesteinsproben, welche die im geognostischen Croquis angegebenen Felsarten zu repräsentiren haben, sammle man auch Mineralien, Geoden, Krystalle etc., die man unter- wegs findet und die von Interesse zu sein scheinen. | Die gesammelten Stücke sind in Papier einzuwickeln und zwar so, dass diejenigen von geringer Festigkeit nicht be- schädigt werden. Zu diesem Zweck umhüllt man sie auch mit Watte (in Ermanglung von solcher mit Moos oder Gras) und stopft damit ferner die Zwischenräume der einzelnen Stücke aus, so dass diese sich nicht verschieben und sich nicht an einander reiben können. Die weniger widerstands- fähigen Stücke (zerbrechliche, zerreibliche und leicht ab- bröckelnde, auch pulverige Substanzen) werden übrigens zweck- mässig besonders verpackt in kleinen Kistchen oder Schachteln, die so vollständig als möglich auszufüllen sind. Bevor man die Stücke einwickelt und einpackt, muss man sie etiquettiren und ihnen eine Ordnungsnummer geben, welch letztere übereinstimmen soll mit den Notizen im_Tage- buch, betreffend die Herkunft des Gesteins und sachbezüg- liche Details. Ein Stück, dessen Ursprung später ungewiss wäre, hätte fast keinen Werth. Die Verweisungsziffern dürfen also nicht verwischt und verwechselt werden. Um dies zu erreichen, versieht man die Stücke, wenn sie weit und nament- lich wenn sie über Meer zu transportiren sind, mit unaus- löschlichen Nummern aus Oelfarbe, die auf dem Gestein selbst angebracht werden; wenn man aber Etiquetten an- 328 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN wendet, so muss man die Sammlung von Zeit zu Zeit durch- gehen, um sich zu vergewissern, dass die Aufschriften nicht ' durch Feuchtigkeit unleserlich geworden sind. Verwechs- lungen könnten entstehen durch doppelte Anwendung der nämlichen Nummer. Man kann dem, ausser durch Aufmerk- samkeit, dadurch vorbeugen, dass man auf der Etiquette nicht nur die Ordnungsnummer, sondern auch nach Tag und Stunde den Zeitpunkt notirt, in welchem man das Stück getroffen und für die Sammlung bestimmt hat. Dabei kann man Vormittags- und Nachmittagsstunden dadurch unter- scheiden, dass man erstere mit römischen, letztere mit arabischen Ziffern bezeichnet. Diese Zeitangaben haben auch . noch das Gute, dass sie später oft die besondern Umstände | in Erinnerung rufen, unter welchen das Sammeln der be= treffenden Stücke erfolgte. Das Sammeln von Versteinerungen. Zur Vervoll- ständigung unserer Daten müssen wir auch Nachforschungen | darüber anstellen, welches die Pflanzen- und Thierwelt der zu erforschenden Gegend in den verschiedenen Epochen war, da die Gesteine, deren Vorkommen wir konstatirten, sich gebildet haben. Zu diesem Zweck suchen wir auch die Ver- | steinerungen (Petrefakten, Fossilien) der Gegend auf und. legen uns eine Sammlung derselben an, um später bei Musse die einzelnen Arten derselben zu bestimmen. Die Säugethierreste finden sich gewöhnlich in Höhlen, Alluvialbildungen, Torfmooren, Schiefer-- und Braunkohlen- und anderen relativ jungen Formationen'). Ueberreste von Vögeln sind ziemlich selten. Höhlen, | Guano- und Torflager enthalten mitunter Rudimente von | solchen, und in Felsen, welche aus einem feinen Schlamm entstanden sind, entdeckt man etwa Zehen-Abdrücke (Fuss spuren). In Sandformationen hat man auch schon fossile Eier gefunden. | Weit häufiger kommen Versteinerungen von Reptilien vor und zwar nicht nur einzelne Knochen, sondern ganze Skelette. Reptilien werden auch die Koprolithen (fossile Exkremente) | zugeschrieben. 1) In sehr kalten Gegenden kommen auch ausgestorbene Säugethiere vor, die | eingefroren im Eise oder Boden, vollkommen erhalten geblieben sind. f GEOLOGIE DES ERDINNERN 329 Von fossilen Fischen finden sich meist nur Abdrücke, Schuppen, Zähne etc. Die Insekten sind meist von so zarter Beschaffenheit, dass sie selten versteinert erhalten bleiben. Gewöhnlich ‚hinterlassen sie als Spuren ihrer Existenz nur Abdrücke, Bruchstücke von Flügeldecken u. dgl. Eine Ausnahme bilden namentlich die in Bernstein, d. i. fossilem Harz, eingeschlossenen Insekten, welche prächtig erhalten bleiben. Repräsentanten der andern Klassen des Thierreichs (Kruster, Mollusken ete.), namentlich solche, die durch eine Art Panzer, Schale oder sonstige harte Körperdecke geschützt sind oder deren Körper widerstandsfähige feste Theile enthält, finden ‚sich in den Schichtgesteinen häufig, so dass diese dem Sammler reiche Ausbeute gewähren. Von Pflanzen trifft man, trotzdem deren Erhaltung schwierig scheint, nicht nur Abdrücke, sondern selbst ganze Bäume (Stämme und Wurzeln) in der Kohlenformation. In Sand- massen finden sich auch verkieste Baumstämme, d. h. solche, deren pflanzliche Masse (Cellulose) durch Kieselsäure ersetzt worden ist. Immer ‘aber finden sich Versteinerungen nur in geschich- teten Felsen ; siein Massengesteinen wie Granit, Basalt u. s. w. zu suchen, wäre verlorene Mühe. Die Schichtgesteine ihrerseits sind in Bezug auf ihren Gehalt an Petrefakten ungemein verschieden. In den einen finden sich nur spärliche Exemplare von Fossilien, andere sind erfüllt mit solchen, ja bestehen oft wesentlich aus Schalen und aus Resten mikroskopischer Thiere.. Es kann auch ein und dieselbe Schicht an einem Orte ganze Haufen von Ver- steinerungen enthalten, anderorts aber an solchen arm sein. Durch Misserfolg beim Sammeln muss man sich daher nicht zu rasch entmuthigen lassen, und dass eine Schicht petre- faktenleer sei, darf man erst erklären, nachdem man sich hievon durch beharrliche Untersuchungen überzeugt hat. Auch um Fossilien zu entdecken und in reichlicher Menge einzusammeln, bedarf es des Finderblicks, einer gewissen Kunst. Oft lässt das Gestein keine Spur des Vorhandenseins von Petrefakten erkennen; man mag sich alle Mühe geben, es in tausend Stücke zerschlagen, — man findet nichts. In derartigen Fällen untersuche man aufmerksam solche Theile des 330 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Gesteins, welche lange dem Wetter ausgesetzt waren; man wird dann oft wahrnehmen, dass auf unebenen Flächen die vorragenden Höcker von ebenso vielen Versteinerungen her- rühren, die man auf dem frischen Bruche nicht bemerkte, die aber nun hervortreten, weil sie der Witterung besser widerstanden als das Muttergestein. | Aus demselben Grunde findet man Petrefakten am ehesten in den Schutt- und Trümmermassen am Fuss steiler Fels- wände, auf dem Thalboden von Schluchten, längs der Wasser- adern wie in Steinbrüchen unter den als mangelhaft auf die Seite gelegten Stücken (Ausschuss). Beim Einsammeln solcher Fossilien muss man sich indessen sorgfältig Gewissheit ver- schaffen über deren eigentliche Herkunftsstelle; andernfalls ist es besser, die Petrefakten nur aus anstehendem Gestein | zu gewinnen. Um die Versteinerungen aufzufinden und herauszuschlagen, bedient man sich eines Hammers und, wenn der einschlies- ' sende Fels sehr fest ist, eines Meissels. Besteht das Mutter- gestein aus Kalk, so löst man ein geeignetes Stück desselben in Salz- oder Salpetersäure oder auch in starkem Essig auf. Von mürbem Gestein zerreibt man ein Stück zwischen den Fingern und untersucht mit der Loupe, ob es nicht mikro- skopische Fossilien enthalte. Wie zum Auffinden der Versteinerungen eine gewisse Kunst gehört, so gibt es eine solche, die darin besteht, dieselben mit richtigem Urtheil und in genügender Zahl auszuwählen ' und einzusammeln. Nicht leicht zwar kann man zu viel Petrefakten sammeln, namentlich in einer geologisch noch ' unerforschten Gegend; aber man hat schon mit Rücksicht auf die Transportschwierigkeiten doch gewisse Grenzen ein- zuhalten. Hierüber lassen wir am besten Herrn Professor Marcou sprechen '): „Trifft der Reisende auf ein reiches Lager von Knochen grosser Säugethiere und stehen ihm nur beschränkte Trans- portmittel zur Verfügung, so kann man ihm lediglich rathen, die Knochen bei Seite zu lassen urd nichts einzusammeln als Zähne und Kieferstücke; sind diese Theile gut erhalten, so genügen sie fast immer zur Bestimmung der Thiere, 1) Instructions generales aux voyageurs. Paris 1875, pag. 60. GEOLOGIE DES ERDINNERN 3341 welchen sie angehörten. Wenn aber der Reisende sich davor hüten muss, zu grosse Knochen mitzunehmen, so ist ihm andrer- seits dringend anzuempfehlen, von ganz kleinen Petrefakten recht viele zu sammeln, solche z. B. von der Grösse einer Haselnuss, eines Fünffranken-, eines Halbfrankenstückes oder auch solche blos von der Grösse der Erbsen und Bohnen ... Hat man das Glück, auf eine versteinerungsreiche Lokalität zu treffen, so benutze man unverzüglich die günstige Ge- legenheit und verlasse die Stelle nicht, bevor man sich eine schöne Sammlung angelegt hat. Wenn man sich sagt, dass dieselbe Formation ein wenig weiter wieder zu finden sei und wenn man aus diesem Grunde das Einsammeln der Petrefakten, die man jetzt zur Hand hätte, auf einen andern Zeitpunkt des Reisetages oder gar auf einen andern Tag der Reise hinausschiebt, so ist das eine Unklugheit begleitet von der hohen Wahrscheinlichkeit, dass eine Gelegenheit unbenutzt bleibe, die oft während der ganzen Reise nicht wiederkehrt, wodurch man denn auch der Früchte einer grossen Zahl anderer Beobachtungen verlustig wird. Die anzulegende Sammlung soll aber eine gute Auswahl enthalten und nicht belastet sein mit zu voluminösen oder beschädigten Objekten; auch soll sie nicht zu viel gleichartige Stücke enthalten; ein oder zwei gute Exemplare derselben Art genügen vollständig.“ Kurz gesagt, wird man also — wenn man nicht über ausnahmsweise günstige Transportgelegenheiten verfügt, wie dies der Fall ist, wenn man zu Schiffe den Lauf eines Flusses oder die Ufer eines Sees erforscht — sich damit begnügen, von grossen fossilen Säugethieren Zähne zu sammeln, von grossen Platten, welche Abdrücke von Thieren und Pflanzen, Fuss- und Regenspuren etc. enthalten, Photographien anzu- fertigen oder Aufnahmen durch eines derjenigen Mittel, von welchen weiter unten in Bezug auf alte Inschriften die Rede ist; von petrifizirten Baumstämmen ein Querstück zu nehmen, gleichzeitig aber von denselben Zeichnungen anzufertigen, die Dimensionen, Zahl und Stellung der Bäume zu no- Itiren u. s. w. Was die kleineren Petrefakten betrifft, so wird man, wenn sie selten sind, auch defekte Stücke nicht verschmähen; sobald sie aber in grösserer Zahl vorhanden sind, so wählt man die besten Exemplare aus und nimmt von jeder Art deren zwei bis drei mit. 332 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | Soviel als möglich ist auf gut erhaltene, wirklich charak-' teristische Exemplare zu sehen, die nicht leicht zu Ver- wechslungen mit ähnlichen Formen aus andern Gegenden oder zu sonstigen Zweifeln Anlass geben. Desshalb wählt man in erster Linie Exemplare solcher Arten aus, welche in der Felsschicht, die man studirt, am häufigsten vorkommen; | denn Formen, die massenhaft (gesellig) auftreten, sind be- zeichnend für gut charakterisirte geologische Horizonte, | während ein Fossil, das in einer Schicht vereinzelt gefunden | wird, zu derselben in mehr oder minder zufälliger Beziehung stehen kann, sei es nun Vorläufer oder Nachzügler einer Form oder sei es, durch Wasser z. B., an eine sekundäre Lagerstätte gebracht worden. Je mehr Petrefakten man aus einer Felsschicht sammmelt, desto sicherer wird man in der Bestimmung oder Einreihung | dieser Schicht; das gemeinsame Auftreten gewisser Arten in einer Gesteinsbank garantirt uns, dass es sich nicht um ein ausnahmsweises Vorkommniss handle. Um nicht auf der Reise unnütz Zeit zu verlieren, lässt man die Fossilien vorerst noch in ihrem Muttergestein und löst sie aus diesem erst später heraus, um auf diese Ope- ration all die Sorgfalt und Vorsicht verwenden zu können, die sie braucht. Petrefakten in kompaktem Kalkgestein | bringt man zweckmässig heraus, indem man das Gesteins- stück leicht erhitzt und es dann in eine heissgesättigte | Lösung von borsaurem Natron taucht. Versteinerungen, die man aus feuchtem Boden genommen | hat, dürfen nicht sogleich an einen trockenen Ort gebracht | werden; sie erhalten sonst viele kleine Risse oder zerspringen | gar in Folge zu rascher Austrocknung. Gewisse Fossilien werden an der Luft mürbe oder be- kommen viele kleine Risse. Hiegegen kann man dieselben oft schützen, wenn man sie sofort in eine schwache Lösung | von Gummi oder Fischleim oder auch in eine solche von Natronsilicat taucht, wonach sie beim Trocknen mit einer Art von durchsichtigem Firniss überzogen werden, der sie gegen die Atmosphärilien schützt. Versteinerungen aus porösen Felsen marinen Ursprungs legt man zweckmässig während mehrerer Wochen zu wiederholten Malen in süsses GEOLOGIE DES ERDINNERN 333 Wasser, um die Bildung von Rissen und salzigen Efflores- zenzen zu verhüten. So geringfügig diese Vorsichtsmass- regeln scheinen mögen, so wird man sicherlich deren An- wendung nicht bereuen, wenn man damit den Zweck erreicht, seltene oder weither transportirte Exemplare, die sonst durch Jirgend einen Unfall werthlos werden könnten, zu konserviren. Jedes Stück der Sammlung wird numerirt und etiquettirt oder mit einer Bemerkung versehen, betreffend seine Herkunft, /d. h. die Stelle und die Felsart, der es entnommen wurde, Junter Bezugnahme auf die geologische Karte und die zuge- !hörigen Profile. Selbstverständlich müssen die Petrefakten noch sorgfäl- tiger eingepackt werden als die Gesteinsmuster. Jedes Exem- plar wird in Watte oder Moos gewickelt, sodann werden sie /in besonderen Kisten untergebracht und nicht etwa mit den /Felsstücken in die gleiche Kiste zusammengepackt, es sei ‘denn, dass diese verschiedene Abtheilungen enthalte, in /welchen Gesteine und Petrefakten getrennt placirt werden "können; sonst würde man riskiren, dass Petrefakten durch den Druck der Felsstücke leiden müssten. Zartere Fossilien /bewahrt man wohl auch in Glasröhren auf, die man mit ‘Fliedermark verkorkt. Da man unterwegs, auf dem Felde, nicht immer Zeit |hat zu einer so sorgfältigen Verpackung, wie sie Petrefakten erfordern, so kann man dieselbe — wie wieder Hr. Prof. |Marcou’) anräth — auf den Abend verschieben und bis /dahin alle während des Tages gesammelten Fossilien in einem einzigen gut zugebundenen oder zugenähten Paket mit einer Pinzigen Etiquette unterbringen; immerhin muss dann jedes Stück numerirt und gut mit Papier umwickelt werden, sonst /würden dieselben durch Reibung so leiden, dass sie nachher /blos noch zum Wegwerfen gut wären. Auf langen Reisen tief im Innern von Kontinenten und ın Gegenden, wo die gewohnten Verkehrsmittel fehlen, kann man sich genöthigt sehen, einen Theil des Gepäckes EEE zulassen und anfzugehen;, um die Lastthiere oder Träger, leren Zahl sich reduzirt haben kann, zu entlasten. Da man aun in der Regel blos die nothwendigsten Effekten und Vor- j ) A. a. O. pag. 62. 334 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN a räthe mit sich führt, so kann die Last nur durch Aufgabe, eines Theils der Sammlungen reduzirt werden. So schwer dieses Opfer wird, muss es doch gebracht werden, da ee sich hiebei oft um das Leben des Reisenden und der Leute in seinem Gefolge handelt. „In solchen Fällen höherer Gewalt, sagt der schon erwähnte Autor, opfere man zunächst die minder wichtigen Partien der Gesteinssammlung, dann die Mineralien, aber man behalte so lange als möglich die Petre- fakten. Muss man .sich auch dieser zum Theil entledigen, so werfe man in erster Linie alle Doubletten und die nicht ganz gut erhaltenen Exemplare weg. Oft hat man zwar, ich weiss es wohl, auch nicht mehr die Musse oder sonstige, Möglichkeit, eine solche Auswahl vorzunehmen; abgemattet und durchnässt ist man um ein Feuer gelagert, das unsere einzige Lichtquelle ist. Unter solchen Umständen hält es sehr schwer, Kisten zu öffnen, um zu untersuchen und aus- zuscheiden was man behalten und was man aufgeben will.“ Wir fügen hinzu, dass es gut sein wird, in Voraussicht solcher Fälle schon beim Einpacken Alles das gesöndert unter- zubringen, was man so lange als möglich behalten und erst‘ in der äussersten Noth preisgeben möchte. Vielleicht erweist sich diese Vorsicht später überflüssig; wenn man aber in die Nothlage versetzt werden sollte, einen Theil des Gepäcks weg- zuwerfen ohne im Momente seiner Preisgabe noch Zeit zu einer Auswahl zu haben, so wäre man dannzumal sehr froh, wenn man sich daraufhin vorgesehen und sich so ermöglicht hätte, wenigstens den kostbarsten Theil der Sammlungen zu retten. Kommen die Objekte wohlbehalten am Bestimmungsorte an, so erübrigt uns, sie möglichst gut zu verwerthen für die geologische Erforschung der durchwanderten Gegend. Von der Reise zurückgekehrt, wird man nun zunächst ein Verzeichniss der mitgebrachten Arten von Gesteinen und Fossilien anfertigen und dabei nöthigenfalls die provisorischen Ueberschriften durch definitive und detaillirtere Etiquetten ersetzen. Man thut gut, wenn man bei dieser Arbeit die Stücke der Sammlung in derjenigen Reihenfolge vor sich‘ hinlest, in welcher sie gesammelt wurden; man erinnert sich dabei eher an die besondern Beobachtungen, die an Ort und Stelle gemacht wurden. GEOLOGIE DES ERDINNERN 335 Die genaue Bestimmung der Felsarten und Petrefakten ist eine schwierige Aufgabe, an welche sich der Reisende nur wagen kann, wenn er über Musse und über eine Anzahl 'Spezialwerke zu verfügen im Falle ist. In Ermanglung solcher Werke oder ausreichender eigener Kenntnisse, sowie in allen zweifelhaften Fällen muss man sich an kompetente Personen wenden, diesen die zu bestimmenden Stücke zusenden und sie bitten, die wissenschaftliche Bestimmung vornehmen zu wollen. Es ist überdies gut, wenn man auch das, was man selber bestimmt hat, noch Fachmännern zur Verifikation vorlegt. Auch wenn wir nicht im Stande sind, die von uns ge- sammelten Objekte selbst zu bestimmen oder wenn wir uns wenigstens hinsichtlich ihrer definitiven Bestimmung nicht einzig auf unsere eigenen Kenntnisse verlassen können, so werden wir dennoch aus unsern geologischen Exkursionen Nutzen ziehen, wie wir gleich sehen werden. Relatives Alter der Gesteine. Um die geologische Geschichte einer Gegend, d.i. die Geschichte der in und mit dieser Gegend vorgekommenen Veränderungen, zu ermitteln, muss man vor Allem das relative Alter der verschiedenen daselbst vorfindlichen Felsarten kennen lernen; d. h. man muss die geologische Reihenfolge der in dieser Gegend auf- tretenden Gesteinsschichten ermitteln, ohne dass man dess- wegen sofort feststellt, dass dieselben eocen, jurassisch, triasisch ete. seien. Zur Lösung dieser Aufgabe dienen uns wesentlich die stratigraphischen Beobachtungen, die wir machten, und die geologischen Profile, die wir aufnahmen. Es erübrigt uns nur, zur Wegleitung einige allgemeine Regeln aufzustellen. SCHICHTGESTEINE. Zuförderst erinnern wir daran, dass die geschichteten Felsen von Ablagerungen herrühren, die unter Einwirkung des Wassers successive in Bodendepressionen oder auf dem Grund der Seen und Meere gebildet wurden. Sie sind charak- terisirt durch ihre Anordnung in Schichten (Lager, Bänke), welche ursprünglich horizontal ausgebreitet waren und ein- ander überdeckten, während dann später die Regelmässigkeit dieser Lagerungsweise vielfach gestört und zerstört wurde. 336 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Hieraus ergibt sich durch ein einfaches Raisonnement Fol- gendes: Die geschichteten Felsen, welche ihre ursprüngliche Lagerung ganz oder fast ungestört beibehalten, welche also horizontale oder nur schwach geneigte Schichten haben, sind immer älter als der Boden, auf dem sie ruhen und der sie umgibt (dr Liegendes) ; die auf ihnen lagernden Schichten (ihr Hangendes) sind jünger und zwar um so mehr, je höher in der Reihe ihre %, n . Stelle vst. So hat nothwendig das Becken A (Fig. 165) oder dessen felsiger Boden existiren müssen, bevor die Ablagerungen (a—d) sich darin bilden konnten; von jeder der Lagen a, b unde musste die untere da sein, bevor die nächst höhere auf ihr sich absetzen konnte. Das Vorhandensein der Schichten a, b, e und d setzt die Präexistenz desjenigen Gesteins voraus, auf dem sie ruhen (ihres Liegenden). Es kommt aber selten oder fast nie vor, dass man in natürlichen Ein- und Anschnitten des Terrains die ganze Reihe der Gesteinsschichten antrifft, welche in der zu er- forschenden Gegend vorkommen; man muss desshalb die Reihenfolge der Lagerung herauskonstruiren aus den unzu- sammenhängenden Daten, die man da und dort sich ver- schaffen konnte. Zu dem Ende bestimmt man in jedem Spezialfall das relative Alter, d.h. die zeitliche Aufeinanderfolge der Schichten nach folgendem Kriterium: Von zwei oder mehr horizontalen oder schwach geneigten Schichten, die aufeinander liegen, ist die obere jünger als: die untere. GEOLOGIE DES ERDINNERN 337 Die Schicht e in Fig. 166 und 167 ist also jünger als b, diese hinwieder jünger als a. Ein anderes Profil (Fig. 168) bietet uns eine andere Reihe verschiedener Schichten, e, f und 9. Wir bestimmen wieder deren relatives Alter und wissen, dass die Schicht g jünger sein muss als /, diese jünger als e. Das sagt uns nun freilich noch Nichts über das zeitliche oder Alters- verhältniss, in welchem die beiden Schichtenserien zu einander stehen. Dieses kön- nen wir aber bestimmen und so unsere Profile durch ein- anderergänzen, wenn wirin einem natürlichen Terrain- Anschnitt ein oder mehrere Glieder auffinden, die zwei oder mehr Profilen gemeinsam angehören. Es sei Fig. 169 ein solches natür- liches Profil, bei welchem wir im untern Theil die Felsschicht ce erkennen, welche in den obigen Durchschnitten (Fig. 166 und 167) das Hangende bildet, und eine Gesteinsschicht e, die auch dem Durchschnitt Fig. 168 (als Liegendes) angehört, so schliessen wir daraus, dass die Serie efg jünger ist als die Schichtenreihe abc und dass noch ein Zwischen- glied d existirt, welches wir in keiner der beiden Schichtenserien vorgefun- den haben. Die Reihenfolge derselben Schichten ist überall die nämliche, wenn nicht, was unschwer zu erkennen sein wird, Dislokationen und Umkehrung stattgefunden haben. Fig. 169. 22 338 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Wenn man also an einer einzigen Stelle konstatiren konnte, dass die Schicht d auf «e liegt und selber wieder von e überlagert wird — und zwar unter der eben genannten Voraussetzung — so ist man sicher, dass nirgends in der ganzen zu erforschenden Gegend die Schicht c über d und e zu treffen sein wird (Stellen ausgenommen, wo durch eine starke Störung die normale Lagerung umgekehrt wurde). Andere Abweichungen können vorkommen, z. B. dass stellen- weise die Schicht d fehlt (sei es, dass sie an jenen Orten nie existirt hat, d. h. nie abgelagert worden ist, oder dass sie gebildet, aber wieder zerstört wurde) und dass nun @ direkt auf c folgt. Es kann sich ferner treffen, dass man an einem Orte zwischen zwei Schichten ce und d eine Ge- steinsbank (Thon, Lehm, Kalk etc.) eingeschoben findet, die man nirgends anderswo beobachtet hat. Im ersten Falle wird man die Bezeichnung der fehlenden Ablagerung (d) keines- wegs aus der Liste der Zeichen für die Schichtenfolge aus- merzen; denn man hat das Fehlen dieses Gesteins lediglich als ein zufälliges lokales Vorkommniss zu betrachten, welches an dem relativen Alter oder dem Zeitverhältniss in der Auf- einanderfolge der Schichten ce und e nichts ändert. Im zweiten Fall muss man für die neu beobachtete Ablagerung ein neues Zeichen (c”* oder c’) anbringen oder die ganze Bezeichnungs- weise abändern, um in der Schichtenserie die neue Beob- achtung zu berücksichtigen. Indem wir so fortfahren, gelangen wir nach und nach zur Kenntniss der ganzen Serie geschichteter Felsen, welche in der zu erforschenden Gegend sich finden und der regel- mässigen Reihenfolge ihrer Lagerung; d. h. wir erhalten die chronologische Stufenfolge der sämmtlichen Schichten, worin wir einer jeden derselben ihre wahre Stelle anweisen können und einen Massstab für ihr relatives Alter haben. Die Regeln, die oben aufgestellt wurden, sind indessen, zunächst wenigstens, nur auf solche Schichten anwendbar, die unmittelbar auf einander folgen, nicht ohne Weiteres aber auch auf isolirte Schichten, die ohne Zusammenhang mit einander in verschiedenen Niveaux getroffen werden. So z. B. müssen in dem Erosionsthal (Fig. 170) die Ab- lagerungen a und a’, obschon höher gelegen als b und b’, offenbar älter sein als letztere, denn sie wurden schon ge- GEOLOGIE DES ERDINNERN 339 bildet, als die Thalsohle noch bei op lag, während b und D’ erst entstehen konnten, nachdem das Wasser sein Bett tiefer eingegraben hatte. Wenn aber der Höhenunterschied zwischen isolirten Schichten nicht immer Schlüsse auf die Differenz im rela- tiven Alter der letztern erlaubt, so ist hinwieder die Ueber- einstimmung im Niveau mancher Ablagerungen ein Indicium für die Gleichzeitigkeit derselben. In dem durch die obige Fig. 170 dargestellten Falle z. B. vermuthen wir sofort, dass die Bildungen a und a’ gleich alt, dass sie Theile einer und derselben Ablagerung seien; ähnlich, wenn wir, wie in Fig. 171, anstatt der beiden Seiten eines Thales, die Ueberreste grossen- theils zerstörter Ablagerungen vor uns haben. Selbstverständlich dürfen Schlüsse über einen solchen Zusammenhang, die Identität getrennter Ablagerungen sich nicht blos auf eine mehr oder minder grosse Ueberein- stimmung in ihren Niveauverhältnissen stützen, sondern es ist dabei die Beschaffenheit, die Zusammensetzung der Schichten mit zu berücksichtigen. Hiemit kommen wir auf die Merkmale zu sprechen, an welchen man erkennen kann, dass und ob zwei oder mehr verschiedene Durchschnitte dieselbe Schicht oder mehrere gemeinsame Glieder enthalten. 340 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Aus dem Gesagten ergibt sich, wie wichtig es ist, eine solche Identität konstatiren zu können; denn dies ist der Ausgangspunkt, um nach oben und unten die Reihenfolge der Gesteine in der Gegend festzustellen. Alles hängt von der Zuverlässigkeit dieser Identitätsbestimmung ab. Ist die angenommene Identität wirklich vorhanden, so haben wir in dieser Ermittlung eine sichere Grundlage für die Konstruk- tion der Schichtenfolge; ist aber die Annahme jener Ueber- einstimmung und Zusammengehörigkeit ungenügend begründet oder gar falsch, so ist alles Uebrige zweifelhaft oder irrig. Nehmen wir an, wir haben vor uns zwei Serien A und B (Fig. 172 und 173) mit einer gemeinsamen Schicht e. Wenn Fig. 172. es uns nicht gelingt zu erkennen, dass in beiden Profilen das Element e enthalten ist, so können wir dieselben nicht zu einander in Beziehung bringen; nur dadurch aber, dass wir eine solche Beziehung herausfinden, gelangen wir zur Ermittlung der ganzen Schichtenfolge b bis 9. Ohne das bleiben wir im Ungewissen. Wenn wir aber fälschlich e und b als einander entsprechende, beziehungsweise identische Glieder betrachten, so kommen wir damit zu dem unrich- tigen Ergebniss, ce und d seien jünger als e (Fig. 172) und bringen so Alles in Verwirrung. Man kann also nicht genug darauf halten, einerseits die Aehnlichkeit räumlich getrennter Ablagerungen herauszufinden, andrerseits die Zusammenge- hörigkeit solcher genau nachzuweisen. Demgemäss stellen wir folgende Grundsätze auf: Bei jedem neuen Durchschnitt, den man studirt, «st sorg- fältig zu prüfen, ob in demselben nicht eine Gesteinsschicht vor- komme, welche man schon in einem früheren Profil antraf und mittels welcher die beiden Durchschnitte zu einander in Be- ziehung zu bringen sind. GEOLOGIE DES ERDINNERN 341 Die Identität einer Schicht an verschiedenen Stellen ihrer Erstreckung, d. h. die Zusammengehörigkeit von Theilen der- selben, die man am verschiedenen Orten getroffen hat, muss dargethan werden durch positive Nachweise, welche so viel als möglich aus der Uebereinstimmung von Merkmalen verschiedener Art (stratigraphischen, petrographischen und paläontologischen) hergenommen sein sollen. Der letztere Punkt, d. h. die Nothwendigkeit, sich nicht blos auf Charaktere von einerlei Art zu stützen, kann nicht genug betont werden. Wollte man sich einzig auf das strati- graphische Verhältniss, die Lagerung, verlassen, so könnte man leicht irre geführt werden durch das zufällige Fehlen eines Zwischengliedes oder durch das lokale Auftreten einer neuen Stufe. Blos die stratigraphische Anordnung berück- sichtigend, müsste man in dem durch Fig. 174 dargestellten Falle zu der Ansicht kommen, die Gesteinspartien », m’ und 0 gehören einer und derselben Schicht an, während der durch die Zeichnung veranschaulichte Zustand dadurch herbeige- führt werden konnte, dass die aus mürbem Material be- stehende Schicht n, die wir bei A vorfinden, an der Stelle B unter einer gewaltigen &esteinsmasse m’ in der Schicht m ) erdrückt und die Trümmer durch Wasser forttransportirt ) wurden, sodass hier die Schicht n vollständig verschwand. } Eben so kann bei Ü in einer Höhe, welche derjenigen ent- spricht, in welcher bei A die Schicht n und in B die Schicht m’ vorkommt, eine Thonschicht o auftreten, die an den andern Stellen nicht gebildet oder aber, wenn sie vorhanden war, durch Wasserwirkung wieder beseitigt wurde. Wenn man nun », m’ und o identifiziren würde, so brächte dies in unsere Ergebnisse die grösste Konfusion. Solche Fehler können wir verhüten, wenn wir ausser den Lagerungsverhältnissen auch die Gesteinsbeschaffenheit 342 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN in Rechnung ziehen. Trotz des aus der Lagerung sich ergebenden Anscheins einer Zusammengehörigkeit von n, m’ und 0, werden wir eine solche nicht annehmen, wenn wir bemerken, dass n Mergelfels, m’ Kalkstein und 0 eine thonige Schicht ist. Diese Ungleichheit der mineralogischen Komposition wird uns dazu führen, dass wir die verschiedenen Stücke m, m’ und m’’ der diesen Profilen gemeinsamen Schicht in verschiedenen Niveaux aufsuchen. Konstatiren wir in denselben noch das Vorkommen gleicher Fossilien, so haben wir damit eine weitere Garantie für die Richtigkeit unserer Schlüsse. Die Uebereinstimmung oder Verschiedenheit der petrographischen und paläontologi- schen Merkmale lässt sich übrigens in den meisten Fällen ohne fachliche Detailkenntnisse nach dem blossen Anblick beurtheilen. Es ist zu diesem Zweck nicht nöthig, dass man das Gestein chemisch analysire oder die Petrefakten nach ihren einzelnen Arten bestimme; es kann genügen, wenn man den Fels und die Versteinerungen, die er enthält, einer aufmerksamen vergleichenden Beobachtung unterzieht. Andrerseits sind auch die stratigraphischen Verhältnisse nicht zu unterschätzen und soll man die Identität, von der wir sprechen, auch nicht allein nach lithologischen und paläontologischen Charakteren beurtheilen. Damit würde man sich zuvörderst eines Hülfsmittels berauben; denn wenn auch die Stratigraphie allein nicht immer einen sichern Nachweis der Schichtenidentität liefert, so dient sie wenig- stens als Wegweiser hiebei, indem sie zeigt, wo wahrschein- lich die Fortsetzung einer schon studirten Schicht zu finden sei. Sie kann demzufolge ein längeres unsicheres Umher- suchen ersparen. Sodann sind die petrographische und paläontologische Beschaffenheit einer Schicht nicht immer von der Art, dass sie für sich allein ausreichende Merkmale bieten, um die Identität leicht und sicher zu konstatiren. Eine Schicht behält nicht immer auf grosse Strecken eine solche Uebereinstimmung der Gesteinsbeschaffenheit, dass sie überall dasselbe Bild böte; vielmehr können Färbung, Textur und Zusammensetzung derselben sich ändern. Die Petrefakten ihrerseits sind am einen Ort häufig, fehlen aber oft gänzlich an einer andern Stelle; öfters auch gehören sie nicht ausschliesslich einer Schicht allein an, sondern GEOLOGIE DES ERDINNERN 343 finden sich sämmtliche in mehreren derselben. Wenn man sich also auf die petrographischen und paläontologischen Merkmale beschränken wollte, so würde man sich damit die Aufgabe nicht vereinfachen und wäre weit davon entfernt, hiedurch die Resultate zuverlässiger zu gestalten. Aus all’ dem Gesagten ergibt sich vielmehr die Nothwendigkeit, dass man sich auf alle drei Arten von Merkmalen (stratigraphische, lithologische und paläontologische) stütze und sie gegen- seitig durch einander kontrolire. Stimmen sie überein, so ist man damit der Sache gewiss; stimmen sie nicht zusam- men, so sucht man nach den Ursachen dieser Erscheinung und wägt alle Umstände gegen einander ab, bevor man sich ein definitives Urtheil bildet. Wenn wir länger bei den Grundsätzen verweilten, nach welchen das relative Alter von Schichten zu bestimmen ist, deren ursprüngliche Lagerung gar nicht oder nicht zu sehr gestört wurde, so geschah es, weil — wie wir sehen werden — die nämlichen Prinzipien auch auf diejenigen geschich- teten Felsen anzuwenden sind, welche starke Lagerungs- störungen erlitten haben. In der That können wir Folgendes als Regel hiefür aufstellen: Die geschichteten Felsen, deren Schichten stark dislozirt (geneigt, aufgerichtet, umgekippt) erscheinen, müssen in Ge- danken in ihre ursprüngliche Lagerung zurückversetzt werden. Hernach ist nach den oben aufgestellten Prinzipien in den einzelnen Durchschnitten das relative Altersverhältniss der Schichten und das Verhältniss der einzelnen Sektiomen zu ein- ander auszumitteln. Die ursprüngliche Lagerung der Gesteinsbänke wird sich in den meisten Fällen unschwer rekonstruiren lassen. Wir werden die Lagerung selten überall in einem Grade gestört finden, dass wir bei genauer schrittweiser Verfolgung der Schichten nicht noch die eine oder andere Stelle antreffen, wo dieselben ziemlich horizontal geblieben sind. Mit dem Profil an einer solchen Stelle, die schwach geneigte Schichten zeigt, vergleichen wir nun unter den drei Gesichtspunkten der Lagerung, der Gesteinsbeschaffenheit und der Petrefakten die Durchschnitte von Orten mit starker Schichtenstörung und so werden wir zur Kenntniss der wahren Reihenfolge auch dieser Schichten gelangen. 344 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN So bietet z. B. die Sektion A in Fig. 175 ein schwie- riges Problem; finden wir aber bei B und C dieselben Schichten in weniger gestörter Lagerung, so gestaltet sich "die Lösung jenes Problems zu einer ziemlich einfachen. Fig. 175. Indessen gibt es freilich Fälle, die verwirren können und schwer zu enträthseln sind. Wir wollen einige derselben behandeln. Die ursprüngliche Lagerung vertikaler Schichten, die man nirgends anderswo in weniger abnormer Stellung findet, “st nach zufälligen Charakteren (wie nach der Beschaffenheit ein- geschlossener Bruchstücke etc.) zu bestimmen. In Fig. 176 mögen a, b und e Schichten vorstellen, die sich in der bereisten Gegend weiter nicht vor- finden. Nichts zeigt uns, welches die jüngste der- selben sei. Bei näherer Untersuchung finden wir aber in € z. B. Gesteinspartien (Kiesel, Gerölle ete.), welche aus der Schicht 5 stammen und früher ihr angehörten. Bedenken wir nun, dass jede Sedimentschicht sich auf Kosten schon vorhandener Gesteine, aus dem Material dieser schon früher bestandenen Massen bildet, so ist das Räthsel gelöst: wir dürfen als gewiss annehmen, dass ursprünglich die Schicht b auf a ruhte und dass sie den Boden und die Wandung eines Beckens bildete, in welchem später die Schicht e ab- gelagert wurde. Fig. 177 veranschaulicht in idealer Dar- stellung diese Rekonstruktion der früheren Verhältnisse, aus welchen die späteren entstanden, indem die Schichtenpartie 4 Fig. 176. GEOLOGIE DES ERDINNERN 345 vertikal aufgerichtet und damit in die Lage gebracht wurde, in welcher sie nun die Fig. 176 zeigt. Zueinemähnlichen Ergebniss gelangen wir, wenn wir beob- achten, dass die Schicht c stellenweise in das Niveau und die Masse derjenigen von b eindringt. In diesem Falle müssen wir ebenfalls annehmen, dass letztere Schicht vormals einen Boden gebildet habe, auf welchem sich c absetzte, wobei das Material dieser neuen Schicht in Vertiefungen und Lücken der unregelmässig ge- stalteten Oberfläche von b eindrang und dieselben ausfüllte. Das theoretische Profil (Fig.178) veranschau- licht diesen Fall, wo- bei indess die Unregel- mässigkeiten der obe- ren Grenzfläche von b “übertrieben erschei- nen, damit sie dut- im licher hervortreten. ee Jedes Mal, wenn eine Aufeinanderfolge Iı lu ähnlicher Schichten- = N gruppen zu beobachten ist, muss die Ursache dieser Erscheinung genau untersucht werden, damit man nicht die Wiederholung einer solchen Gruppe jeweilen als eine neue Schichtenreihe betrachte. Fälle solcher Art A können sich unter -..°>8 verschiedenen For- men darbieten. Wenn man z. B. das Terrain AB Fig.179 durchgeht, m ui | Fig. 177. r in I If Br 178. EN N N “ x STÄN NUN BET R N \ N >.272. | EKCSRNÄN h ..r 346 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN so wird man leicht im ersten Moment zu der Meinung kommen, es seien da zahlreiche verschiedene Schichten vorhanden. Bei genauerem Nachsehen finden wir aber, dass die Schichten bei 1, 4 und 6 identisch sind, eben so unter sich die- jenigen an den Stellen 2 und 5. Wir sehen mithin, dass hier einige wenige Schichten in einer Wiederholung auf treten, die durch Verwerfungsspalten und lokale Senkungen. verursacht wurde. Wenn wir ferner in dem Profil Fig. 150 beobachten, dass mit einander überein- (dieselbe „unterteufe“) undälter sei als a, b und Fig. 180. c, sondern wir kommen nun zu dem Schlusse, dass hier . eine Verwerfung stattgefunden hat. Mitunter ist eine Wiederholung derselben Schichten in der Weise zu beobachten, dass dieselben zu beiden Seiten @ einer Axe a b (Fig. 181) sprüngliche Schichten- VD gruppe aufzufassen, a: IN AN) deren Glieder früher in 2008997 NE} N 't materiellem Zusammen- * Id 2 3 # hang standen, welcher später unterbrochen wurde durch Abtragung und Beseitigung des Materials in den vormaligen Verbindungs- stücken. Die Fig. 151 deutet dies an durch die punktirten Linien des ursprünglichen Zusammenhangs der Schichten. Einen solchen Fall in andrer Form — nämlich verbunden mit Umkeh- rung oder Umkippung der Schichten — stellt die Fig. 182 dar. (Vgl. auch die fächerförmige Schichtenstellung, S. 312.) » x OR o Fig. 181. die Schichten a und d stimmen, so werden wir, nicht — wie es sonst ge- -d schehen würde — an nehmen, dass dsich unter die Schicht ce fortsetze SE symmetrisch angeord- x netsind. In diesem Fall Ks a sind die beiden Serien E als eine einzige ur GEOLOGIE DES ERDINNERN 347 N En zz N nm ee Fig. 182. UNGESCHICHTETE (MASSIGE) GESTEINE. Die geschichteten Felsen sind, wie wir bemerkten, im Allgemeinen Sedimente, aus Wasserabsatzbildungen entstan- dene Gesteine. Die ungeschichteten oder massigen Gesteine sind andern Ursprungs oder wenigstens sind sie, wenn ihre Bildung die- selbe war wie die der Sedimente, seither durch andere Ur- sachen so umgewandelt worden, dass sie jede Spur von Schichtung verloren. Zu den ungeschichteten Felsarten gehören die Erstarrungs- gesteine, welche aus feurigflüssigen Massen durch Abkühlung entstanden. Sietreten aufin Massiven, welche vom anstossenden Gestein deutlich abgegrenzt sind; in Ketten, welche andere Felsmassen fast senkrecht durchbrechen; den letzteren ein- geschlossen als Adern oder Gänge, welche vielfach verzweigt und als eine Art Injektionen in umgebenden Gesteinen er- scheinen; endlich auch flächen- oder deckenförmig ausgebreitet zwischen oder über Sedimentschichten, nach Art von aus- gebreiteten Lavamassen. Man theilt diese Erstarrungsgesteine, übrigens ziemlich willkürlich, in plutonische und vulkanische Massengesteine ein, jenachdem sie in grossen Tiefen oder an der Oberfläche (beziehungsweise nahe an dieser) gebildet wurden. Die einen wie die andern enthalten keine Petrefakten. Die plutoni- schen Massengesteine haben aber eine mehr krystallinische Textur als die vulkanischen und enthalten auch nicht Tuffe, Breccien und poröse Massen mit zelligen Höhlungen wie letztere. 348 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN I Nach diesen Vorbemerkungen wenden wir uns wieder der Aufgabe zu, das relative Alter der verschiedenen Ge- steine zu bestimmen, welche wir bei unsern geologischen Forschungen antreffen. | Hier stossen wir auf eine wesentliche Verschiedenheit | der plutonischen Gesteine gegenüber den geschichteten. Die letzteren bilden sich aus successiven Ablagerungen, so dass | die ältesten zu amterst und von den jüngeren bedeckt sind. Bei den plutonischen Gesteinen sind im Gegentheil die älte- sten zu oberst und sie bedecken die neueren, insofern sie entstehen durch Abkühlung und Erstarrung feurig flüssiger Massen des Erdinnern, von welcher Abkühlung vorausge- setzt wird, sie gehe an der Aussenfläche des feurigen Zen- tralkerns oder gluthflüssiger Massen vor sich. Es würde hienach die Erdrinde an Dicke auf zweierlei Art zunehmen: 1) Nach Aussen, durch successive Ablagerung von Sedi- ment- oder geschichteten Gesteinen (a, BWe AED): | 2) Nach Innen, indem sich unter einer ersten festen Kruste neue Massen bilden durch Er starrung infolge allmäliger Ab- kühlung der feuerflüssigen Stoffe | | yo os 3 2. wo &ı im Erdinnern. Zwischen Lage- DS rungsweise und Alter besteht also | bei den plutonischen Felsen ein | Verhältniss, welches das Gegentheil desjenigen bei Sediment- gesteinen ist. Geschichtete Felsen, welche auf andern lagern, gelten für jünger als die letzteren; bei plutonischen Ge steinen hingegen wird aus einer solchen Ueberlagerung auf ein höheres Alter geschlossen. Denken wir uns einen Durch- schnitt durch die ganze Erdkruste, wobei wir indess der Deutlichkeit halber absehen von den später zu besprechen- den metamorphischen Gesteinen und bezeichnen wir (Fig. 189) durch Ziffern das Alter der Felsmassen, so erhalten wir für die geschichteten und plutonischen Gesteine zwei einander | entgegengesetzte Reihen. Die Darstellung in Fig. 194 zeigt auch, dass ein neueres | plutonisches (IV) und ein neueres Sedimentgestein (4), wie- ) wohl vielleicht einer und derselben geologischen Epoche GEOLOGIE DES ERDINNERN 349 Jangehörend, räumlich weiter von einander abstehen als die |früheren Formationen und dass die Wahrscheinlichkeit ge- /ring ist, plutonische Gesteine zu finden, die nicht schon sehr alt sind. Wir können also ohne grosse Gefährde für unsere Alters- /bestimmung folgende Regel aufstellen: Die plutonischen Gesteine, welche der Geologe antrijft, sind Jälter als alle, selbst die untersten, Sedimente. In der That muss nach der allgemein geltenden An- |schauung die erste Kruste der Erde durch Erstarrung des Jäussersten Theils der feuerflüssigen Masse, die den Erdball |bildete, entstanden sein. Offenbar viel später erst konnten sich die ersten Sedimente ablagern und zur Entstehung des lältesten aller Schichtgesteine Anlass geben. Es ist übrigens allgemein bekannt, dass Granit, Gneiss etc., d. h. die plu- tonischen Gesteine, die der Erforschung zugänglich sind, ein höheres Alter haben als die auf ihnen lagernden Sandsteine, /Kalke u. s. w. Obwohl die plutonischen Gesteine sozusagen Has Knochengerüst des Erdkörpers bilden, trifft man sie weniger bei tiefem Eindringen in die Erde als vielmehr in len Gegenden mit stark ausgeprägtem Bodenrelief, und auf len höchsten Berggipfeln. Ebenfalls daselbst beobachtet nan die ältesten Sedimentgesteine, und zwar in Schichten, welche an den Flanken des Gebirges aufgerichtet anstehen, während die jüngeren die Thäler und Ebenen bilden und 350 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | auf dem Grunde von Seen und Meeren Schichten der jetzigen Periode in Entstehung begriffen sind. I Hat man zwei oder mehr plutonische Gesteine vor sich, so muss man zum Zwecke der Bestimmung ihres relativen Alters untersuchen, in welcher Weise sie einander durchsetzen, welches‘ davon in das amdere eindringt und welches von ihmen Bruch-. stücke eines andern derselben einschliesst. h Unter diesen Gesteinen ist dasjenige das älteste, welches vom (beziehungsweise von den) andern durchsetzt ist, welches. also das letztere oder die letztern injizirt enthält. Was ein- geschlossene Fragmente betrifft, so ist klar, dass die Felsart, der‘ sie entstammen, älter sein muss als diejenige, welche sie einschliesst., Eine zweite Kategorie der Erstarrungsgesteine bilden, wie schon bemerkt, die »wulkanischen oder Eruptivgesteine.' Sie treten auf in Form von horizontalen tafelförmigen Flächen‘ oder Decken, als Adern oder Gänge, dykes oder Mauern, als Säulen oder Massen, welche in regelmässige Prismen, zuweilen, auch in kugelförmige Abschnitte getheilt sind, endlich als vulkanische Kegel und Lavaströme. In stratigraphischer Beziehung unterscheiden sie sich von den plutonischen Gesteinen dadurch, dass sie die höheren Felslagen durchbrochen und sich einen Weg gebahnt haben bis zur Aussenfläche der Felsmasse, welche zur Zeit der‘ Eruption die äusserste war und über welcher sie sich dann ausbreiteten, oder dass sie wenigstens nahe bis an diese, Oberfläche emporgedrungen sind. Wir können daher folgenden Satz aufstellen: Ein vulkanisches Gestein, welches auf Sedimentgestein lagert, ' ist jünger als letzteres. Die Richtigkeit dieses Satzes ist evident. Damit die aus vulkanischem Gestein bestehende Decke o (Fig. 185) sich über der Sediment- schicht ce ausbreiten konnte, musste selbst- verständlich diese letz- tere schon vorhanden sein. Wenn hingegen das vulkanische Gestein überlagert wird von ge- Zg.) 189. GEOLOGIE DES ERDINNERN 351 schichtetem, so kann man hieraus keinen Schluss auf das rela- tive Alter der beiden ziehen, sondern muss zu anderen Kenn- zeichen Zuflucht nehmen. In der That kann eine von unten heraufkommende ge- schmolzene Masse in sedimentäres Gestein eindringen, ohne die Oberfläche zu erreichen, oder es kann sich dieselbe einen Weg zwischen zwei Schichten hindurch bahnen, dann er- kalten und erstarren, ohne dass eine Störung der Schichten- lagerung stattfindet. So z. B. kann sich die vulkanische Gesteinsmasse o (Fig. 186) über der Schicht 5b eben- sowohl vor als nach der Ablagerung des Sedimentes € ausgebreitet haben. Dass sie jünger als b sein muss, ist sicher; ob sie aber älter oder jünger als c, kann nur beurtheilt werden, wenn sich achweisen lässt, dass die Schicht e durch das vulkanische Gestein Störungen (Hebungen ete. Fig. 187) erlitt, in welchem Falle ce älter ist also. Wenn \ die Schicht € über o eine regel- mässige, vollkommen horizon- le Oberfläche zeigt, so ist es allerdings wahrscheinlich, ass sie erst nach dem Aus- treten der Masse 0 abgesetzt : 7 rde (Fig. 188). Fig. 187. Es gibt eine zweite Art von Indizien, welche die vor- rwähnten stratigraphischen in ihrer Bedeutung verstärken der abschwächen können. ieses Kriterium besteht in der petrographischen Verän- Zu: 188: erung oder Nichtveränderung des Sedimentgesteins an den Stellen seiner Berührung mit der vulkanischen Masse. Wenn lie Schicht c an den Kontaktstellen gegen o petrographisch nodifizirt erscheint, so ist es ziemlich gewiss, dass sie schon or dem Empordringen des vulkanischen Gesteins existirte. 352 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Zeigt sie sich aber an den Berührungsstellen unverändert, so muss angenommen werden, dass die Eruptivmasse o schon da und schon abgekühlt war, bevor das Sediment darüber sich ablagerte. | Lässt sich das vulkanische Gestein auf weite Erstreckung verfolgen, so können vielleicht alle Zweifel gehoben werden. Es habe dasselbe z. B., nachdem es bei A (Fig. 189) zwi- schen die Schichten D und c eingedrungen, bei, 5 die Schicht e durch- brochen und sich über. die Aussenfläche derselben hin ergossen, so ist dies ein augenscheinlicher Be- weis dafür, dass die Erup- tivmasse o nicht nur jünger als db, sondern auch jünger als c ist. \ Sind geschichtete und vulkanische Gesteine nicht überein- ander, sondern blos an-, respektive nebeneinander gelagert (in Juxtaposition), so besteht das beste Kriterium für die Ermitt-, lung des relativen Alters in der Veränderung oder Nichtver- änderung der Sedimente an den Stellen ihres Kontaktes mit dem Eruptivgestein. N Eine vulkanische Felsmasse 0 (Fig. 190) sei von verschie- 202222000... denen Sedimentschichten «a, b, ce und) de "SER LERIOZSS fankirt. Wenn nicht diese Schichten, = NN wenigstens ein Theil derselben, z. B.. CR N a und db, an ihren Enden gegen o hin \ Lagerungsstörungen (Hebungen) auf- weisen, so haben wir keine stratigra- phischen Anhaltspunkte zu Beurthei- lung des Altersverhältnisses zwischen sedimentärem und eruptivem Gestein. Das letztere konnte in geschmolzenem Zustande durch eine vorhandene Spalte aufsteigen, ohne die Schichten a, db, ce und din ihrer Lage zu stören; sie konnte aber auch schon vorhanden sein, ehe diese Sedimente ab- gesetzt wurden. Ueber den wirklichen Sachverhalt werden wir aber nicht länger im Zweifel sein, wenn wir beobachten, dass die Schichten «a und b an den Kontaktstellen petro-' Fig. 190. GEOLOGIE DES ERDINNERN 353 graphisch verändert sind, während c und d bei ihrer Be- rührung mit 0 keine solche Gesteinsmetamorphose wahrnehmen lassen. In diesem Falle muss das eruptive Gestein 0 jünger sein als die Schichten a und b, aber älter als c und d, trotzdem es scheinbar auch diese durchbrochen hat. Dieses Kennzeichen dient uns auch zur Bestimmung des Alters von Gängen vulkanischen Gesteins in geschichteten Felsen. Diese Gänge oder Adern (Dykes) rühren davon her, dass geschmolzene Massen in Spalten und Risse anderer Felsen eindrangen und dieselben ausfüllten. Indem sich das vul- kanische, gluthflüssige Material in solche Spalten und Risse ergiesst, nimmt es je nach der Gestalt derselben die ver- schiedensten Formen an. Die Fig. 191 zeigt solches Aus- füllungsgestein in Form eines Kamines, Fig. 192 anderes in astförmiger Ver- zweigung. Oft bildet es, wenn die Spalte in senkrechter Flä- che sich weithin er- streckt, eine Art von Wand; mitunter Fig. 191. wird später das umgebende Gestein zersetzt und wegtransportirt und es bleibt allein die frühere Ausfüllungs- masse in Form einer Mauer übrig (Fig. 193). In andern Fällen findet umgekehrt die Zersetzung und Be- seitigung des Ganggesteins rascher tatt als diejenige der Felsen, von welchen es umgeben ist; es entstehen lann zunächst leereKamine undGänge “Fig. 194), die sich später zum Theil wieder mit verschiedenartigem Trüm- nergestein ausfüllen können(F4.195). Es ist wahrscheinlich, dass die Schichten, welche in dieser Weise on Eruptivgestein durchsetzt er- ‚cheinen, älter sind als letzteres, dass ie zur Zeit des Ausbruches der vul- anischen Massen eben schon exi- tirten und diese in sie eindrangen. 354 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Indessen können seither Partien der : Sedimentgesteine, namentlich der oben ' Schichten verschwunden und durch an- deres Material ersetzt worden sein. Um‘ nun seiner Sache sicher zu sein und. namentlich zu wissen, bis zu welchem |) Niveau ein versand Ganggestein "reichte, muss man genau nach den Spuren von Gesteinsumänderungen, welche die Sedimente im Kontakt mit der vulka-. nischen Masse erlitten, forschen. Sedimentgesteine, die solche Modifikationen aufweisen, sind älter als das Gansse die intakt gebliebenen Schichten aber sind wahrscheinliel| jünger. | Wenn ein Sediment und ein vulkanisches Gestein einander | gegenseitig durchsetzen, so ist im Allgemeinen ein gleiches Alter derselben anzunehmen. | Diese Regel ist keine absolute und ausnahmslose; demn wenn sich z. B. eine Lavamasse ins Meer ergiesst, so wird sie sich durch den weichen Schlamm und Sand hindurch ein Bett oft bis zu ziemlich tief gelegenen Schichten eingraben. Die Gleichzeitigkeit (Gleichalterigkeit) sedimentärer und vul- kanischer Gesteine ist nur sicher zu ermitteln, wenn dieselben ‘ Merkmale haben, die beiden gemeinsam sind. R So können bei den Ausbrüchen eines Vulkanes Schlacken und vulkanische Asche ins Meer fallen und hier abwechseln mit Lagen von Sand, Thon etc., welche in den Intervallen zwischen den einzelnen Eruptionen abgesetzt wurden. Die‘ Gleichzeitigkeit derselben ergibt sich nun aus den strati- | graphischen Verhältnissen und wird evident, wenn die beiderlei Gesteine Reste der nämlichen Muscheln, Korallen, Kruster, Fische u. s. w. einschliessen, also in ihrem paläontologischen Charakter übereinstimmen. | Da die vulkanischen Gesteine in andere eingedrungene' oder ausgeworfene Massen (Intrusions- oder Eruptionsprodukte) ı und ebensowohl von oben herab als von unten herauf ge- kommen sein können, so ist ihr Niveau nicht entscheidend für die Beurtheilung ihres Alters. Ebenso lässt a das Alter nicht mit Sicherheit nach, ihrem petrographischen Charakter bestimmen, welcher sich‘ IE | IN ISS58 I Fig. 195. GEOLOGIE DES ERDINNERN 355 nicht so nach der Epoche des Ausbruchs oder des Empor- dringens (der Eruption oder Intrusion) richtet, dass hier- über feste Regeln aufgestellt werden könnten. Indessen ist zu bemerken, dass Laven von gleicher mineralogischer Zu- sammensetzung, die man an verschiedenen Punkten derselben Gegend trifft, wahrscheinlich einer einzigen, früher zusammen- hängenden Masse angehören und von der nämlichen Erup- tion herrühren. Was das Altersverhältniss der vulkanischen und pluto- nischen Gesteine zu einander anbetrifft, so sind von den unserer Beobachtung zugänglichen Felsarten die plutonischen weit älter als die vulkanischen. Wir haben ja auch bereits gesehen, dass plutonische Gesteine neueren Datums sich tief unter allen andern bilden müssen; sie sind also unserer Wahrnehmung entzogen. Bei den vulkanischen Gesteinen findet, wie bei den Sedimenten, gerade das Gegentheil statt: die jüngsten erscheinen an der Erdoberfläche oder doch in deren Nähe. Von den ungeschichteten oder Massengesteinen haben wir noch der metamorphischen Felsarten zu gedenken. Es sind das Gesteine, welche ursprünglich wahrscheinlich Sedimente, d. h. aus denselben Materialien und auf gleiche Weise wie jene gebildet waren, später aber mehr oder weniger wesent- liche Veränderungen durch Wärme, Thermen etc. erlitten, eine Umformung oder Metamorphose (daher der Name meta- morphische Gesteine), welcheihre chemische und mineralogische Zusammensetzung, Textur, Färbung, ihr ganzes Aussehen umgestaltete und sogar, bei weitgehendster Veränderung, jede Spur von Schichtung und: von Versteinerungen beseitigte. Wir haben schon von Metamorphosen im Kleinen ge- sprochen, nämlich von den petrographischen Veränderungen sedimentärer Gesteine an Stellen, wo sie mit plutonischen und vulkanischen Massen in Kontakt geriethen. Zum Ver- ständniss der metamorphischen Massengesteine müssen wir uns nun vorstellen, dass solche und andere Umänderungen in grösstem Massstabe stattfanden, sodass sie ganze Schichten- gruppen betrafen. Das Alter der metamorphischen Massengesteine ist fast immer sehr schwierig zu bestimmen. Man muss dasselbe zu ermitteln suchen aus ihren Lagerungsverhältnissen in Bezug auf die sie 356 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | bedeckenden Sedimente oder das metamorphische Gestein bis zu. einem Pumkte verfolgen, wo seine ursprüngliche Beschaffenheit noch besser zu erkennen, d. h. noch weniger verändert ist. Wenn wir glaubten, die vorstehenden Erörterungen so einlässlich halten zu sollen, wie es geschehen ist, so war dies der Fall, weil es sich um Details handelt, die auf dem Terrain durch den Reisenden selbst beobachtet werden müssen. Diese Aufgabe kann nicht anderen Personen übertragen werden; der Reisende muss sich also in den Stand setzen, sie selbst zu lösen. Diese Chronologie der Gesteinsarten ist überdies die Grundlage für das so höchst interessante Studium der ältern geologischen Umgestaltungen, welche eine zu erfor- schende Gegend erlitten hat. i Synchronismus der Gesteine. Der Wunsch, das Alter von Gesteinen, die man in einer Gegend beobachtete, genauek) anzugeben, führt dazu, diese Bildungen in Beziehung zu. bringen und zu parallelisiren mit Gesteinsformationen von Ländern, die schon geologisch untersucht sind. So kommt es, dass man sagt, es seien selbst bei unsern Antipoden' devonische, jurassische Schichten etc. aufgefunden worden, Damit soll gesagt werden, dass man sie für gleich alt hält’ wie die Schichten, deren Typus in der englischen Grafschaft Devon vorkommt, oder für ein Analogon derer, welche in charakteristischer Weise im Jura entwickelt Sa) Es ist kaum nöthig, hier ausdrücklich zu bemerken, dass’ man bei diesem Bestreben, die Sache genauer bezeichzäi zu wollen, leicht Gefahr läuft, ungenau zu werden. Wenn’ alle Schichten, die nacheinander an der Erdoberfläche ab- gesetzt wurden, sich um die ganze Erde erstrecken würden; wenn jede dieser Schichten in ihrer ganzen Ausdehnung die- selbe mineralogische Zusammensetzung aufwiese ; wenn endlich während jeder geologischen Periode, in der sich solche Schichten bildeten, über die ganze Erde gleichmässig die selbe Pflanzen- und Thierwelt verbreitet gewesen, diese Flora und Fauna aber verschieden wäre von derjenigen aller‘ andern, frühern und spätern, Perioden: dann allerdings wäre es sehr leicht, die geognostischen Formationen einer Gegend mit denen einer andern zusammenzustellen; wie weit sie auch von einander entfernt wären, so müssen doch die 1) vgl. D. Kaltbrunner, Aide-memoire, pag. 416 sq. GEOLOGIE DES ERDINNERN 357 gleich alten Gesteine in ihren stratigraphischen, petographi- schen und paläontologischen Merkmalen übereinstimmen. Von den drei obigen Voraussetzungen trifft aber nicht eine einzige zu. Nirgends findet sich die ganze Reihe aller Schichten vollständig und lückenlos vor. Gewisse Schichten, welche am einen Orte vorkommen, fehlen anderorts gänzlich. Es kann dies nicht anders sein, weil die Meere, in welchen die Ablagerung der wichtigsten Formationen vor sich ging, beständig deplacirt wurden und die verschiedenen Theile der Kontinente in wahrscheinlich sehr ungleichen Intervallen bald untergetaucht, bald wieder über den Wasserspiegel emporgehoben wurden. Die Sedimente, welche auf diese Art während derselben geologischen Periode in diesen ver- schiedenen Bassins abgesetzt wurden, konnten unter ein- ander nicht gleich sein; denn das Material der einen stammte von der Erosion alter Kontinente, das der andern von der Auswaschung neuerer, erst vor Kurzem über Wasser ge- hobenen Formationen her. Man kann also nicht erwarten, dass Schichten von gleichem Alter sich petrographisch, in ihrer mineralogischen Zusammensetzung , gleichen. Die Pflanzen- und Thierwelt einer Periode aber erscheint von derjenigen eines andern Zeitraums nur dann scharf geschie- den, wenn man blos die Schichten einer einzigen Gegend betrachtet. Zwischen der Bildung einer dieser Schichten und der Bildung der folgenden Stufe verfloss im Ganzen eine so lange Zeit, dass inzwischen die Flora und Fauna der Gegend einen andern Charakter annehmen konnte. So- bald man aber die für eine Gegend aufgestellte Eintheilung der Formationen verallgemeinern will, so gewahrt man bald, dass unmerkliche Uebergänge vorkommen und dass nur das örtliche Fehlen solcher vermittelnder Zwischenformen die Verschiedenheiten so scharf und deutlich erscheinen. liess, dass man glauben konnte, es haben sich die Verhältnisse von einer Formation zur andern plötzlich geändert. Ein einfaches Räsonnement sagt uns übrigens, dass die Pflanzen- und Thierwelt zu jeder Zeit und überall variiren musste nach Massgabe der lokalen Verhältnisse und ihrer Medien'). 1) Derartige durch abweichende Lebensbedingungen herbeigeführte Ungleich- heiten werden (nach Amanz Gressly) als Fuacies-Unterschiede bezeichnet, als erschiedenheiten der geologischen Provinzen aber, wenn sich in denselben die 358 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | Nehmen wir auch an, dass irgend einmal vollständige und allgemeine Uniformität der Flora und Fauna bestanden hätte, so musste doch diese Pflanzen- und Thierwelt ihre Vorläufer und ihre Nachzügler haben. Denn ob man von der Hypothese einer langsamen stufenweisen Umformung der Arten ausgehe, nach welcher alle lebenden Wesen von einigen wenigen Typen oder sogar von einer einzigen Grundform abstammen, womit das organische Leben auf der Erde be- gonnen hätte, oder ob man zur Annahme successiver Schö- pfungen und Schöpfungsakte hinneige, wonach jede Art als besondere Form eigens erschaffen worden wäre: immer muss man doch ein oder mehrere Zentren annehmen, an welchen eine bestimmte Art zuerst auftrat und von wo aus sie sich. nach andern Gegenden hin ausbreitete. Und wie eine Species. nicht an allen Orten ihres nachmaligen Verbreitungsgebietes gleichzeitig auftrat, so sind auch die ausgestorbenen Arten nicht an allen Punkten, wo sie früher vorkamen, zugleich‘ verschwunden. Verschiedene Ursachen konnten bewirken, dass sie von einer Lokalität nach einer günstigeren über- siedelten und nun an letzterer noch lange existirten, nach-' dem sie an ersterer gänzlich verschwunden waren. Ihr Vorkommen und ihr Fehlen entsprechen also nicht überall dem nämlichen geologischen Horizont. Nach dem Gesagten wird man leicht begreifen, dass wenn auf Grund ähnlicher Charaktere ein Synchronismus oder Parallelismus zwischen den geologischen Formationen der zu erforschenden Gegend und denjenigen einer geogno- stisch bereits gut bekannten festgestellt werden soll, dies nur mit grosser Umsicht geschehen kann und darf, wenn man nicht riskiren will, ganz zufällige und werthlose Zu- sammenstellungen zu liefern. Die Benennung und Charakteristik der geognostischen Stufen, Schichten etc. haben meist nur Gültigkeit für das Land, in welchem sie aufgestellt und in Gebrauch gekom- men sind. Wenn man sich in engen Grenzen bewegt, d. h.' | Differenzen der geographischen Lage, beziehungsweise vorweltlicher Klimate, aus-| sprechen. Vgl. v. Hauer, Geologie, S. 159. — Eine systematische Unterscheidung und Terminologie dieser chorologischen Verhältnisse nach den Bildungsmedien, | den Bildungsräumen und den Facies-Unterschieden der versteinerungsführenden | Sedimente hat in neuerer Zeit Mojsisovics aufgestellt. Vgl. Hann, Hochstetter und Pokorny, Allgemeine Erdkunde, 3. Aufl., S. 399. GEOLOGIE DES ERDINNERN 359 wenn man eine noch weniger bekannte Partie solcher Länder oder an sie angrenzender Gebiete studirt, so darf man an- nehmen, dass die Aehnlichkeit in verschiedenen Merkmalen ein genügender Beweis für die Gleichzeitigkeit der Forma- tionen sei. Denn es ist wahrscheinlich, dass die Sedimente, welche in einem und demselben Bassin oder in zwar ge- trennten, aber einander benachbarten Becken abgelagert wurden, wenn nicht ganz, so doch annähernd gleich be- schaffen seien. In solchen Fällen mag man sich um so eher durch diese Aehnlichkeiten oder Analogien leiten lassen, als man die so erlangten Resultate verifiziren kann durch die stratigraphischen Charaktere, die hier, wo man die wichtigsten Schichten von einem Gebiet bis zum andern verfolgen kann, von entscheidendster Bedeutung sind. Je weiter man sich aber von einer schon durchforschten Gegend entfernt, desto mehr schwindet der Werth jener Analogien. Wohl herrscht unter den Formationen derselben Periode eine gewisse vage Aehnlichkeit der Zusammensetzung, die ein sehr geübtes Auge herausfinden mag, so dass die litholo- gischen Merkmale in ihrer Gesammtheit, in ihren grossen Zügen, für den bewanderten Fachmann ein Mittel zur Alters- bestimmung werden können; aber diese Anhaltspunkte in ihrer Allgemeinheit haben doch nur soweit Werth, als sie nicht in Widerspruch treten mit Ergebnissen, die aus andern Faktoren abgeleitet wurden, als welche die Aufeinanderfolge der Schichten und der Reste von Lebewesen, die sie ent- halten, zu nennen sind, welche Reihenfolge überall dieselbe sein muss und nirgends umgekehrt sein kann. So z. B. wird man nie Schichten, welche Aehnlichkeit mit gewissen Stufen der Juraformation haben, als jurassisch ansehen, wenn sie in ursprünglicher Lagerung auf solchen Schichten ruhen, welche charakteristische Eigenschaften zeigen, die unzweifelhaft nur der Kreideformation zukommen; ebenso wenig wird man Gesteine, welche embryonäre Formen orga- nischer Wesen einschliessen, für neuere Bildungen oder Schichten mit Resten höherer Thierformen (Knochen von Säugethieren u.-dgl.) als ältere Formationen ansehen‘). Handelt es sich um eine Gegend in Europa, so mag man sich zunächst auf die Lagerungsverhältnisse — die 1) Vgl. D. Kaltbrunner, Aide-memoire, pag. 116 sq. 360 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Stratigraphie — stützen, sodann auf die petrographischen und paläontologischen ennzeichsn, wobei die von Herrn Professor Renevier veröffentlichte neeraiiaste Tafel gute Dienste leisten wird'). In Gebieten, welche an europäische Länder angrenzen oder in deren Nähe liegen, sind, soweit immer möglich, etappenweise die Modifikationen zu studiren, welche eine gegebene Schicht erleidet auf ihrem Verlaufe bis zu einem Punkte, der schon den bereits gut bestimmten Formationen des für die Geologie klassischen Europa angehört. Ist ein trennender Meeresarm da, so muss untersucht werden, ob die geologische Stufe, die man verfolgt, an beiden Gestaden mit übereinstimmendem petrographischem und paläontologi- schem Charakter vorkommt. Bei solchem sozusagen schritt- weisem Vorgehen werden die Unterschiede in der mineralo- gischen Zusammensetzung und andere successive hervor- treten; man wird die Uebergänge erkennen und zu verfolgen im Stande sein und so dazu gelangen, den Synchronismus oder Parallelismus zweier Formationen festzustellen, wenn sie auch durch weite Räume von einander getrennt sind und grosse Differenzen zwischen denselben sich geltend machen. i Wenn aber ein so streng exaktes Verfahren sich nicht anwenden lässt, wenn insbesondere die zu bereisende Gegend von Europa geschieden ist durch Meere oder ausgedehnte Länder, die geologisch noch nicht erforscht wurden, so muss man in seinem Urtheil sehr vorsichtig sein. Am besten ist es alsdann wohl, man unterscheide in der fraglichen Gegend zunächst nur eine Anzahl grosser, vielumfassender Forma- tionen, von denen jede Gesteinsgruppen umschliesst, die gewisse charakteristische Eigenschaften gemeinsam haben. Nachher würde man diese Formationen oder Schichtensysteme nach Massgabe ihrer Lagerungsverhältnisse, ihres Gesteins- charakters und ihrer eigenthümlichen Petrefakten in Haupt- und Unterabtheilungen (Glieder, Etagen oder Stockwerke, Stufen und „Zonen“) zerlegen. Man erhält so eine voll- ständige mehr oder minder detaillirte Scala der Gesteins- massen in der bereisten Gegend. Wenn man nun für die 1) Tableau des terrains ete. Lausanne 1874. Man vergleiche auch die Charak- teristik der geologischen Formationen in D. Kaltbrunner, Aide-memoire, p. 416 Sq. GEOLOGIE DES ERDINNERN 361 einzelnen Stufen dieser Scala durchaus diejenigen Benenn- ungen anwenden will, welche bei der geognostischen Klassifi- kation in Europa gebräuchlich sind, so hat man nach zu- verlässigen Anhaltspunkten für eine solche Parallelisation zu suchen; diese wird man kaum in etwas Anderem erwarten dürfen als in einer gewissen Uebereinstimmung der Petre- fakten. Das ist selbstverständlich nicht so zu verstehen, als ob es z. B. genügen würde, in einem tausend Meilen von Europa entfernten Terrain zwei oder drei entschiedene Kreidepetrefakten zu finden, um nun, gestützt hierauf, zu erklären, dass man es hier mit der Kreideformation zu thun habe. Um ein solches neuerforschtes Terrain einer be- stimmten Formation zuzutheilen, müssen in demselben die charakteristischen Fossilien der letztern vorherrschen und überdies mit solchen Petrefakten zusammen vorkommen, mit denen sie in jener Formation vergesellschaftet zu sein pflegen. Je zahlreicher und manigfacher die Petrefakten der Stufe, um die es sich handelt, sind, destö zuverlässiger wird die Bestimmung dieses ersten geologischen Horizontes. Immer- hin ist damit das Ziel noch nicht erreicht. Da, wie oben bemerkt wurde, die Reihe der geologischen Formationen nirgends vollständig zu treffen ist, so sind wir nicht sicher, ob nicht unmittelbar unter der Schicht, deren Stelle im System der Formationen wir soeben bestimmten, eine Lücke sei oder im Gegentheil eine neue, in Europa noch unbe- kannte Stufe erscheine. Man muss also einen zweiten: und dritten Horizont bestimmen. Diese erste Arbeit erleichtert dann allerdings die weitere Aufgabe wesentlich. Denn sobald konstatirt ist, dass eine gewisse Anzahl untersuchter Schich- ten unzweifelhaft solchen Formationen angehören, die bereits chronologisch klassifizirt und allgemein bekannt sind, so weiss man damit auch, dass alles Gestein über einem sol- chen Horizonte jüngeren und alles tiefer liegende älteren Formationen angehört. Dadurch aber ist die Zahl der Formationen, Etagen, Gruppen etc., womit man diese Par- tien noch zu vergleichen hat, in. gewisse Grenzen einge- schränkt. Wenn man nun innerhalb der Grenzen zwischen zwei geologischen Horizonten weitere Analogien findet, so stellt man hienach Stufen fest, welche solchen in Europa äquivalent sind und wird dann bald bemerken, ob die 362 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Schichtenscala gegenüber der vollständigen Formationsreihe Lücken aufweist, und welche, oder ob umgekehrt zwischen zwei Stufen, die in Europa unmittelbar aufeinander folgen, in der erforschten Gegend eine neue vorhanden sei, welche die allgemeine Scala vervollständigen würde. Man darf nicht erwarten, überall scharf unterschieden Stufen zu finden, welche sollen der europäischen Geologie genau entsprechen. Die Gegend, welche man studirt, kann in einer gegebenen geologischen Periode länger unter Wasser geblieben sein als der Theil Europas, welchen man zur Vergleichung wählte; die obere Grenze der fraglichen Etage in jener Gegend bezeichnet dann einen höheren geo- logischen Horizont als die obere Grenze der entsprechenden europäischen Stufe. Die Zeiträume, während welcher zwei verschiedene, auf der Erdoberfläche weit auseinander liegende Partien jetzigen Festlandes vom Meere bedeckt waren, d.h. die Intervalle zwischen den Zeitpunkten, da jene Länder durch Senkung unter Wasser kamen und denjenigen, da sie wieder über den Meeresspiegel emporgehoben wurden — diese Zeiträume sind so sehr verschieden, dass es vielleicht nicht zwei räumlich entlegene Stellen gibt, wo solche korrespon- dirende Ablagerungen gleichzeitig begonnen und gleichzeitig beendigt worden wären. Wiewohl man sie „gleichzeitig“ nennt, so sind sie es streng genommen nicht in ihrer ganzen vertikalen Ausdehnung, und es kann mitunter gut sein, wenn man soweit möglich von einer solchen neu erforschten Schichtengruppe angibt, welcher Theil. derselben der als analog bezeichneten und zur Vergleichung benutzten Stufe genauer und insbesondere entspricht, welche andern Theile hingegen die Grenzen der letzteren zu überschreiten scheinen. Dieser Ueberschuss zu Gunsten der Ablagerung, die wir erforschen, der geologische Excess ihrer Mächtigkeit gegen- über der typischen Stufe, wird, wenn er sich auf die Basis derselben bezieht, Anhaltspunkte liefern zur Kenntniss der Thier- und Pflanzenwelt desjenigen Zeitraums, welcher dem Absatze des typischen Sedimentes unmittelbar vorherging; wenn aber dieser Excess die obere Grenze der Abtheilung betrifft, so wird man daraus ersehen, welche Flora und Fauna unmittelbar auf die Bildung der typischen Stufe folgte. Eine solche Unterscheidung wird oft sehr schwierig sein; GEOLOGIE DES ERDINNERN 363 sie ist aber von grosser Bedeutung namentlich in Fällen, wo zwei Stufen, die anderwärts und nach der üblichen Klassifikation als gegen einander gut begrenzt gelten, in der bereisten Gegend mit einander eng verbunden erscheinen, sodass hier eine zusammenhängende Ablagerung sich bildete in einer Zeit, innerhalb deren anderwärts eine Unterbrechung der Sedimentbildung stattfand. Wir hätten also hier ein Verbindungsglied von einer Stufe zur andern vor uns. Ich kann diese Arbeit mit nichts besser vergleichen als mit dem Unternehmen einer Anzahl Gelehrter, die von einem seltenen Werke, von welchem in den verschiedenen Bibliotheken nur unvollständige, halb zerrissene Exemplare mit einer Menge fehlender Blätter existiren, ein vollständiges Exemplar her- stellen wollen. Jeder Einzelne dieser vereint arbeitenden Männer hätte zu untersuchen, welche Kapitel des defekten Exemplares, das er in Händen hat, in dem zu kompletiren- den Exemplare schon vorkommen, und er müsste sorgfältig Alles aufzeichnen, was im ersteren Exemplare mehr vor- handen wäre, jeden kleinsten „Excess“ desselben. Indem der Eine den Anfang oder das Ende eines Kapitels auffände, der Andere einige Blätter, ein Dritter die Seiten, die zur Ausfüllung einer gewissen Lücke fehlten, würde schliesslich das Werk vollständig rekonstruirt und ein Jeder könnte es nun als Ganzes im Zusammenhang lesen. Das Buch nun, um dessen Rekonstruktion es sich in unserm Falle handelt, ist kein geringeres als das Werk, welches die Geschichte der Erde enthält; zu demselben einige noch fehlende Blätter aufzufinden, ist ein nicht zu unterschätzendes Verdienst. Die Bestimmung des geologischen Alters der Schichten — die Feststellung, welcher Formation und welcher Forma- tionsstufe eine bestimmte Ablagerung angehört — hat zudem nicht blos wissenschaftlichen, theoretischen Werth, sie ist vielmehr von ganz eminent praktischer Bedeutung: auf ihr beruht die rationelle Aufsuchung von fossilen Kohlen, Erzen, und nützbaren Mineralien überhaupt, die als Flötze den Sedimentschichten eingelagert sind'). Aeltere geologische Aenderungen. Mit Hülfe un- serer geognostischen Beobachtungen und von Raisonnements, I) v. Hauer, a. a. O., S. 159. 364 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN die sich darauf stützen, vermögen wir bis zu einem gewissen Grade zu erkennen, welche physische Beschaffenheit die er- ! forschte Gegend in den verschiedenen geologischen Perioden hatte. Besonders werthvoll ist in dieser Hinsicht das Studium der Sedimentbildungen und ihrer Petrefakten. Wir müssen uns dabei stets vergegenwärtigen, dass eine jede der übereinander lagernden und verschieden geneigten Schichten, die wir jetzt vor Augen haben, seiner Zeit die oberste war und dass sie eine annähernd horizontale Lage hatte, die erst später geändert wurde. Wenn nun eine dieser Schichten Eigenschaften besitzt, welche darauf hin- weisen, dass sie auf dem Boden eines Meeres entstanden sein muss, so ist anzunehmen, dass zu jener Zeit an dieser Stelle kein Festland existirte, sondern diese einem Ozean, Meeresarm oder Golf angehörte. Aus der Beschaffenheit der Sedimente und der Versteinerungen ersehen wir, ob deren Ablagerung fern von der Küste und in grossen Tiefen oder ob sie am Strande, an einer Flussmündung etc., erfolgte ' (pelagische und litorale Bildungen). Ablagerungen, die auf festem Lande oder in Seen entstanden sind (subaörische, fluviatile und lacustrine Bildungen) bieten wieder besondere Merkmale dar, an welchen sich erkennen lässt, welche Ge- genden Festland, welche andern aber von Seen eingenommen waren. Die Versteinerungen geben uns eine Vorstellung von Flora und Fauna und bis zu gewissem Grade auch von dem Klima der Periode, um welche es sich handelt. Die Eigenthümlichkeiten der Schichtenlagerung endlich ermög- lichen Schlüsse auf die Zeit und die Ursache der Hebungen und andrer Vorgänge, welche die Physiognomie des Landes bestimmten. Die Meeresabsatzbildungen sind durch ihre Fossilien charakterisirt, welche wesentlich aus solchen Arten bestehen, die im Meere selber leben. Da einzig die feinsten Theilchen der im Wasser suspendirten Stoffe weit ins Meer hinaus getragen werden, so bestehen die Tiefseebildungen aus feinkörnigem und dichtem Material, einer Art verhär- teten Schlamms, vermischt mit Resten von Schalthieren, Korallen u. s.w. Zuweilen sind sie chemische Niederschläge oder ganz aus Resten von Organismen gebildet. Sie be- stehen gewöhnlich aus regelmässigen, mächtigen Schichten, GEOLOGIE DES ERDINNERN 365 deren petrographische Beschaffenheit auf weite Strecken die gleiche ist. Ausnahmsweise können sich darin grosse Fels- fragmente finden, welche von schwimmendem Eise herge- tragen wurden und beim Schmelzen desselben in den Schlamm der Tiefe versanken. Die am Strande gebildeten Ablagerungen sind von um so gröberem Korn, je näher der Küste sie entstanden. Da die mittleren Wassertiefen dem organischen Leben sehr günstig sind, sodass in denselben sehr viele Arten leben, so erweisen sich diese Sedimente reich an Petrefakten, und es sind die letztern meist gut erhalten. Nicht selten be- gegnet man hier einem Wechsel oder einer Mischung von _ Bildungen organischen Ursprungs, welche für tiefe Meere _ charakteristisch, und von mechanisch entstandenen Ablage- rungen, welche den Küstengegenden eigen sind. Die Existenz vormaliger Korallenriffe verräth sich im Auftreten eines undeutlich geschichteten Kalkgesteins, welches wesentlich aus an Ort und Stelle gewachsenen Korallen, sowie aus gerollten Bruchstücken solcher besteht (Korallen- facies). Die alten Ufer sind kenntlich durch Ablagerungen aus grobem Material: aus grossen Geröllsteinen, Blöcken, die vom Fels der Steilküsten herunterstürzten u. s. w. Diese Trümmergesteine, welche am Fuss der Strandfelsen und Böschungen Schuttwälle bildeten und dann durch Wellen- schlag und Strömungen vielfach deplacirt und umgelagert wurden, erscheinen in unregelmässigen Schichten von wech- selnder Dicke, deren Material die starke Abnutzung durch Reibung beim Transport in bewegtem Wasser deutlich er- kennen lässt. Versteinerungen sind hier selten und bestehen nur aus den widerstandsfähigsten Theilen von Organismen, deren Erhaltung durch die Reibung an anderem Material in dem stark bewegten Wasser schwierig war (Strandfacies). Mitunter trifft man hier Ueberreste von Pflanzen und Thieren des Festlandes, welche durch Flüsse und Strömungen hieher gelangten. Das Streichen dieser Ablagerungen gibt die Richtung der Küste an; nach welcher Seite das Meer lag, ergibt sich, wenn man in der Senkrechten zur Streichungs- linie nachsieht, in welcher Richtung die Schichten allmälig feineres Material aufweisen. 366 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Die alten Strandgegenden und morastigen Uferstriche, | welche abwechselnd vom Wasser bedeckt und von demselben wieder verlassen wurden, machen sich kenntlich durch ihre sandige oder schlammige Beschaffenheit. Regelmässige Wellen- linien (ripplemarks) auf den obern Schichtenflächen, welche ' der Wogenschlag erzeugte, geben kund, dass hier einst | seichtes Wasser war. Massenhaftes Vorkommen von Blättern, welche unzweifelhaft vom Winde zusammengehäuft wurden, ferner von Thierresten aus den Klassen der Insekten und Amphibien verrathen, dass Festland in unmittelbarer Nähe lag. Fussspuren von Landthieren, Abdrücke von Regen- tropfen, nach allen Richtungen sich erstreckende leichte Spalten und Risse der Oberfläche zeigen an, dass ein naher, weicher Boden öfters Perioden raschen Austrocknens durch- zumachen hatte. Wo früher ein Strom sich ins Meer ergoss, finden wir Reste von Thieren und Pflanzen des Festlandes, welche der Fluss mitführte, gemischt mit solchen mariner Arten, welche | von den Wellen hergetragen wurden. Zudem treten die ‘ Ablagerungen hier nicht in regelmässig geschichteten und wohl abgegrenzten Bänken auf, sondern es sind dieselben auf unregelmässige Weise in einander verkeilt und sie tragen die Spuren oftmaliger Umlagerung ihres Materials an sich, welches bei dem Kampfe zwischen bewegtem Meer- und einströmendem Flusswasser nicht in normaler Weise abgesetzt werden konnte. Sedimente ehemaliger Seebecken haben in ihrer Bildungs- weise viel Analoges mit marinen Ablagerungen, nur dass hier, bei den Binnenseen, die Verhältnisse nicht so grossartige sind. Auch hier wird das Gesteinsmaterial feinkörniger in der Rich- tung vom Ufer hinweg nach dem Innern des Wasserbeckens; aber die einzelnen Bänke sind von geringerer Mächtigkeit; die Schichtung selbst ist sehr deutlich, da die Schichten wesentlich zur Ablagerung gelangten in der Zeit des Anschwellens der Flüsse, zwischen welchen Perioden hinein je eine solche relativer Ruhe, d.h. einer starken Verminderung, ja fast völligen Unter- brechung der Sedimentbildung fiel. Im Uebrigen ist die Be- schaffenheit dieser lacustren Ablagerungen weniger regelmässig als die mariner Absätze: sie sind minder homogen, öfters mit fremdartigen Materialien untermischt. Die sumpfigen GEOLOGIE DES ERDINNERN 367 Uferstriche der Seen sind nicht wie die Flachküsten der Meere dem Wechsel der Gezeiten ausgesetzt; aber sie zeigen ana- loge Erscheinungen, die hier von den sonstigen Schwankungen des Wasserstandes herrühren. Als Petrefakten treten Süss- wasserorganismen oder marine Arten auf, je nach der Be- schaffenheit des Wassers in dem Seebecken; in beiden Fällen finden sich auch Reste solcher Thiere und Pflanzen, welche anderwärts im Wasser oder auf dem Lande lebten und von Flüssen hertransportirt wurden. Die Fossilien der in Salzseen gebildeten Ablagerungen zeigen öfters gewisse Verschiedenheiten gegenüber den entsprechenden marinen Arten; namentlich sind sie im Allgemeinen kleiner, gewissermassen verkümmert. Wenn solche charakteristische Petrefakten mangeln, so ist die Existenz früherer Salzseen zu erkennen an den Ablagerungen von Koch- salz, Gyps und Dolomit, welche sie hinterlassen haben. Die terrestrischen, d. h. auf festem Lande entstandenen Bildungen kommen den marinen und lacustren Ablagerungen an Umfang und Mächtigkeit selten gleich. Sie sind im All- gemeinen Produkte der Zersetzung und Erosion von Gesteinen durch atmosphärische Agentien; mitunter aber sind sie auch _ erzeugt durch vulkanische Eruptionen, durch Absterben von Pflanzen, welche den Boden bedeckten, durch Anhäufung von thierischen Exkrementen u. s. f£. Demgemäss sind diese Bil- dungen mehr oder minder grobe Konglomerate oder Breccien aus scharfkantigen Gesteinstrümmern, Alluvionen mit Fos- silien, die nur terrestrischen und fluviatilen Arten — mit Aus- schluss mariner und lacustrer Organismen — angehören; vom Winde angehäufte Sandmassen ; verhärtete Gletscherablage- rungen, sodann vulkanische Tuffe, Lavafelder, Decken von Ackerkrume oder Humus, zuweilen auch dicke Lagen von Torf, Braun- und Steinkohle, in welchen man Baumstämme, die noch aufrecht stehen, sowie zahlreiche Abdrücke von Land- und Sumpfpflanzen trifft, die mit Reptilien u. dgl. untermischt sind; endlich gehören hieher die Guanolager. Es können indessen an Stellen, wo zu einer gewissen Zeit un- zweifelhaft Festland war, terrestrische (suba@rische) Bildungen fehlen; denn wenn die Oberfläche eines Kontinentes während einer langen Periode allen zerstörenden Einflüssen ausgesetzt war und dann plötzlich überfluthet wurde, so musste dies ihre Beschaffenheit stark alteriren. Die oberflächlichen Schichten 368 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN können durch die denudirende Thätigkeit des Regens und anderer Agentien verschwunden und es kann so zwischen zwei offenbar marinen Ablagerungen nichts geblieben sein als etwa hie und da eine Masse festen Materials, die zu kompakt war, um aufgelöst oder suspendirt und zu schwer, um sonst fortgeschafft zu werden. Eine solche Zwischenbildung kann der einzige Ueberrest eines verschwundenen Landes sein. Einen Beweis für einstiges Vorhandensein von Festland kann man zwar auch erblicken in dem gänzlichen Fehlen jeder Spur mariner oder lacustrer Bildungen auf grossen Strecken. Dieses negative Kriterium ist besonders dann von Werth, wenn man zu beiden Seiten des fraglichen Areals marine oder lacustre Ablagerungen findet, die, obwohl gleichen Alters, zwei ganz verschiedene Faunen einschliessen ; in diesem Falle muss man annehmen, dass die Wasserbecken, in welche jene Absätze sich bildeten, durch Land geschieden waren. Auf Grund dieser Unterschiede in gleichzeitig, aber unter ungleichen Verhältnissen entstandenen Gesteine — Unter- schiede, die man als Facies bezeichnet hat!) — können wir er- mitteln, welches die Konfiguration und physische Beschaffenheit einer Gegend in verschiedenen geologischen Perioden war. Selbstverständlich handelt es sich dabei nur um ein in grossen Zügen zu entwerfendes Bild. Die Grenzen der alten Meere, im Laufe der Zeiten verwischt, können nur annähernd be- stimmt werden, da die Ufer durch Erosion und Denudation vielfach modifizirt und zerstört worden sind. Die organischen Einschlüsse der Gesteine geben uns auch Fingerzeige zur Beurtheilung des Klimas, welches in der Periode ihrer Entstehung herrschte. Gewisse Arten weisen auf ein nordisches Klima hin, andere auf ein südliches. Dabei ist freilich nicht zu übersehen, dass in einer und derselben Gegend zufolge der Höhenverschiedenheiten meh- rere Klimate — klimatisch verschiedene Regionen — ver- treten sein können, welche in vertikaler Richtung auf ein- ander folgen, und dass diese Regionen in Flora und Fauna differiren. Die Pflanzen- und Thierwelt des Landes ändert sich nach der absoluten Höhe, diejenige des Meeres nach der Tiefe. Ihr Charakter ist um so mehr ein nordischer, I) Vgl. S. 357, Anmerkung. GEOLOGIE DES ERDINNERN 369 nicht nur je kälter das Klima der Gegend im Ganzen war, sondern aus je grösseren Bergeshöhen und Meerestiefen sie stammen. In den Meeren und Ozeanen konnten über- oder nebeneinander hinfliessende Strömungen bestehen, welche an Stellen von geringer Tiefendifferenz ganz verschiedene unter- ' meerische Temperaturen verursachen konnten. Wenn es sich ‚ endlich um sehr alte Schichten handelt, deren sämmtliche Petrefakten solchen Arten angehören, die jetzt ausgestorben sind, so können wir nur nach Analogie schliessen, welche Verhältnisse für ihr Leben am günstigsten waren, für welches Klima also ihr Vorkommen spricht. Die Grösse des Zeitraums, welcher zur Bildung einer Schicht erforderlich war, ist keineswegs nach deren Mächtig- keit zu bestimmen; jenachdem die Zufuhr von Material für die Sedimentbildung stärker oder schwächer war, bedurfte es mehr oder weniger Zeit für die Erzeugung einer Ab- lagerung von bestimmter Mächtigkeit. Anhaltspunkte zur Würdigung dieser Frage liefert auch der Zustand, in welchem sich die organischen Einschlüsse der Schicht befinden. Sind zarte Schalthiere gut erhalten und finden sich noch Para- siten, welche auf schwimmendem Holz, auf oder in Thier- gehäusen u. s. w. lebten und sich entwickelten, so muss die Absatzbildung sehr langsam erfolgt sein. In diesem Falle ist grosse Mächtigkeit einer Formation gleichbedeutend mit langer Bildungszeit derselben. Anders, wenn das Sediment starke Conchylienschalen zertrümmert enthält und Thiere einschliesst, welche in demselben lebendig begraben wurden ; denn dies verräth, dass der Transport des zugeführten Ma- terials in ungestümer Weise vor sich ging und der Absatz desselben rasch, plötzlich erfolgte. Die Veränderungen sind oft nicht mit Schichtenstörungen verbunden. Die Schichten können eine Hebung oder Sen- )kung erlitten und dabei doch ihre horizontale Lage beibe- halten haben. Wenn aber zwei unmittelbar auf einander folgende Schichten erhebliche Verschiedenheiten erkennen lassen, so kann hieraus gefolgert werden, dass die eine unter anderen Verhältnissen als die zweite abgelagert wurde, dass also inzwischen Veränderungen eingetreten seien. Wenn 2. B. auf eine terrestrische Bildung marine Sedimente folgen, so muss zwischen der Ablagerung beider eine Senkung des 24 3z7o BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Gebiets eingetreten sein; wenn umgekehrt Meeresabsätze von terrestrischen (beziehungsweise lacustrinen) Bildungen über- lagert werden, so zeigt dies an, dass in der Zwischenzeit der Meeresboden gehoben und Land, resp. ein Binnenwasserbecken, | gebildet wurde. Die übereinstimmende (konkordante) Lagerung der Schichten sagt uns noch nicht, dass die neuere Formation unmittelbar auf die ältere, mit ihr gleichförmig lagernde, gefolgt sei. Die, Zwischenzeit kann Jahrhunderte umfassen; die Ablagerungen aber, welche in dieser Periode entstanden, können durch Strömungen und meteorisches Wasser beseitigt worden sein. Wenn die Horizontalität von Schichten nicht ausschliesst, dass mit denselben seit ihrer Ablagerung Veränderungen vor sich gegangen seien, so beweist dagegen eine stattge- fundene Störung der ursprünglich horizontalen Schichten- lage unbedingt, dass eine Bewegung der Erdrinde, also eine Veränderung erfolgt ist. Die Ursache eines solchen Vor- | gangs ist nicht immer leicht herauszufinden; denn die schiefe Stellung der Schichten kann ebensowohl von einer | Hebung durch eine nach oben wirkende Kraft als durch eine Senkung an einer andern Stelle verursacht worden sein, und ebenso kann ihre Faltung sowohl herrühren von einem seit- lichen Druck auf noch weiche Schichten als auch von der Hebung einer Masse, die nicht bis zur Oberfläche zu dringen vermochte, oder endlich davon, dass eine zu Tage liegende Partie einer Schicht gepresst und gefaltet wurde durch den Druck von Massen, welche die Schicht in ihrer Fortsetzung , nach rechts oder links überlagern. Uebrigens liegt uns weniger daran, den Grund der Veränderung, als vielmehr den Zeitpunkt kennen zu lernen, in welchem dieselbe statt- fand; diese Zeitbestimmung aber wird ermöglicht durch die Eigenthümlichkeiten, welche die Schichtung darbietet. Eine Hebung oder Faltung habe inB (Fig. 196) einen | Theil der Schicht b in die Höhe ge trieben. Wir sehen | sofort, dass diese | Bewegungnach der ‚Das Profil Fig. 198 N GEOLOGIE DES ERDINNERN a Bildung der Schichten a und b, aber vor dem Absatz von c, d und e vor sich gegangen sein muss, da ja einzig die Lagerung der beiden ersten dadurch affizirt wurde, während die andern daran nicht theilnahmen und offenbar sich erst gebildet haben und modellirt worden sind auf und nach den Formen, welche durch jene Veränderung entstanden waren. In gleicher Weise ist die Epoche zu bestimmen, in welcher eine Bergkette gehoben wurde. So existirte das Gebirge A (Fig. 197) noch nicht zur Zeit des Absatzes der Schichten a und d; denn als das Gebirge durch Hebung entstund, richtete es a und b mit auf, waren also diese Schichten schon gebildet. Andrerseits hat die Gebirgsbildung statt- gefunden, bevor die Schichten e und d abgelagert waren; diese wären sonst von der Bewegung mit ergriffen worden. Wenn der Aufrich- tung eine Ueberschie- bung oder Umkippung der Schichten folgte, so ist die Zeit eines jeden der beiden Vor- gänge zu bestimmen. zeigt uns z. B., dass die Aufrichtung nach AblagerungderSchicht Fig. 198. ce und vor dem Ab- satze der Schicht d stattgefunden, dass aber die Umstürzung erst später stattfand, und zwar nachdem die Schicht e be- reits gebildet war. 372 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Im Allgemeinen ist jede Ungleichförmigkeit (Diskordanz) in der Lagerung ein Zeichen dafür, dass zwischen der Bil- dung der einen und der andern Schichtengruppe eine Aen- = derung eintrat. Die beiden Schichtenreihen A und B (Fig. 199) sind discordant gelagert; nun ist es augen- Serie Aschon Störungen(Ver- änderungen der ursprüng- lichen Lage) erlitten hatte, ehe die obere Gruppe 2 zur Ablagerung gelangte. In dem Profil Fig. 200 tenreihe PD ihre Horizon- besteht, mit Rücksicht auf eine dritte Schichtengruppe €, zwiefache Diskordanz. Dar- aus ist zu schliessen, dass eine partielle Hebung oder Sen- kung stattfand zu einer Zeit als die Gruppe B schon, € aber noch nicht gebildet war. Der Zeitpunkt eines vulkanischen Ausbruchs lässt sich bestimmen nach der Stellung, welche die Laven und andere Eruptionsprodukte zu den Sedimentgesteinen einnehmen. Die Epoche des Ausbruchs muss jünger sein als die Zeit des Absatzes derjenigen Schicht, auf welcher das eruptive Material sich ausbreitete, aber älter als die Bildungszeit derjenigen Schicht, welche selber jene Materialien überlagert. Wir brauchen hier nur an Das zu erinnern, was wir oben über das relative Alter vulkanischer Gesteine sagten. Ein weiteres Kriterium liefern mitunter Organismen, welche von vulkani- schen Auswürfen bedeckt wurden. Es kommt nämlich vor, dass die Schlacken und Aschen, welche in der Nachbarschaft eines feuerspeienden Berges als vulkanischer Regen nieder- fallen, die Pflanzen, womit der Boden bewachsen war, und Thiere, welche von dem Ereigniss überrascht wurden, be- graben; wenn der Ausbruch am Ufer eines Meeres oder Sees stattfindet, so bedecken die Auswurfsstoffe den Grund des Wasserbeckens und schliessen Fische, Conchylien, Ko- rallen u. s. w. in ihre Masse ein. scheinlich, dass die untere hat auch die obere Schich- talität eingebüsst und es ns DER BODEN IN INDUSTRIELLER BEZIEHUNG 313 Nach solchen Anhaltspunkten und Fingerzeigen können wir in grossen Zügen eine Geschichte der alten geologischen Veränderungen geben, welche eine Gegend erlitt, wie wir andrerseits eine Geschichte der neueren Vorkommnisse dieser Art herzustellen vermögen; da diese sich gegenseitig er- gänzen, so gelangen wir so zur Kenntniss aller der ver- schiedenen Phasen, welche die in Rede stehende Gegend durchmachte, bevor sie ihre heutige Gestalt annahm. DER BODEN NACH SEINEN SCHÄTZEN UND ERZEUGNISSEN. Wir verstehen unter dem Boden die äussere, oberfläch- liche Partie der Erdrinde, auf welcher der Mensch sich be- wegt, die ihm zugänglich ist und die er ausbeuten kann, sei es durch Gewinnung der Naturprodukte, welche in und auf demselben sich vorfinden, sei es durch Erzielung von Erträgnissen der Pflanzenkultur und Viehzucht. Der Boden kann also unter zwiefachem Gesichtspunkt studirt werden, nämlich nicht nur, wie wir es bei unserer Beschäftigung mit der Konfiguration des Landes thaten, rein deskriptiv, topo- graphisch, sondern auch volkswirthschaftlich, d.h. mit Rücksicht auf die Hülfsquellen, die Schätze und Erzeugnisse, welche er bietet. In dieser Hinsicht ist zu unterscheiden zwischen dem industriellen und dem agrikolen Werth des Bodens, wonach wir denn auch das folgende Kapitel in zwei Abschnitte theilen. A. DER BODEN IN INDUSTRIELLER BEZIEHUNG. Der industrielle Werth eines Bodens, seine Bedeutung für ein Gewerbe, ist bedingt durch die Summe natürlicher -Reich- thümer, welche sich im Innern oder an der Oberfläche des- selben vorfinden. Unter diesen natürlichen Reichthümern oder Bodenschätzen und Bodenerzeugnissen versteht man die Baumaterialien wie Werk- und Bruchsteine, Pis6-Material, Lehmerde zu Platten, Back- und Ziegelsteinen, Dachsteine ete., gewöhnlicher und hydraulischer Kalk, Cement, Stoffe zur Mörtelbereitung wie ‚Sand, Puzzolanerde und andere, Gyps, Asphalt und bituminöse 374 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Erdarten, Pflästerungs- und Beschotterungsmaterialien ; Mine- ralien für Industriezweige wie die Rohstoffe für die Fabrikation von Porzellan, Fayence und gewöhnliche Töpferwaaren (Kaolin, Pfeifenerde, Thon u. s. w.); schmelzbare Stoffe zur Fabrikation von Glas und Krystall; Walkererde, Okererde u. dgl.; Mühl- und Schleifsteine; Lithographiesteine ; Marmor, Alabaster und andere Stoffe für Skulpturen ; Stoffe zu landwirthschaftlichen Bodenameliorationen: Mergel, Kalkphosphate, Guano u. s. w.; Rohstoffe für chemische Produkte; Brennmaterialien (Brenze) wie Torf, Braun- und Steinkohle, Anthracit, Erdpech (Bitumen), Erdöl, Naphta u. s. f.; Edelmetalle wie Gold, Silber und Platin; unedle Werkmetalle wie Eisen, Blei, Kupfer, Zinn u. s. f.; Edelsteine; Schwefel, Salz, Salpeter, Alaun u.s. w. In einer andern Kategorie hätten wir zuerst die Schätze des Waldes: Bau- und Werkholz, die harten Hölzer für feinere Tischler- arbeiten u. dgl., Farbhölzer, Brennholz u. s. w., endlich die Mineralwasser und selbst das Eis. Es gehört nicht zur Aufgabe dieses Werkes, alle diese Bodenschätze und deren verschiedenartige Anwendung zu beschreiben. Wer sich hierüber näher unterrichten will, findet Aufschlüsse in Lehrbüchern der technischen Geologie wie: „Die technische Geologie oder die Geologie in Anwendung auf Technik, Gewerbe und Landbau,“ von Dr. D. Brauns, Halle 1878; die Economic Geology von David Page, welche von Stanislas Meunier in seiner Geologie techmologique frei in’s Französische übersetzt wurde; ferner in The Eixplorers’, Miners’ and Metallurgists Companion und, was Waldprodukte anbetrifft, in dem Werke Les Bois indigenes et etrangers der Herren Dupont und Bouquet de la Grye. Der gewöhnliche Reisende bedarf selten so umfassender und spezieller Kenntnisse. In dicht bevölkerten Ländern, wo die Industrie schon stark entwickelt ist und jedes Naturprodukt unmittelbar nutzbringend gemacht werden kann, sind gewöhnlich schon Leute vorhanden, welche an solchen Nachforschungen und Untersuchungen direkt interessirt und dazu besser befähigt sind als der Reisende, Für den Lezteren wird es dann ge- nügen, sich genauen Aufschluss geben zu lassen und sich von der Richtigkeit desselben durch eigene Beobachtung zu über- zeugen, um sodann ein hinlänglich vollständiges Verzeichniss DER BODEN IN INDUSTRIELLER BEZIEHUNG 375 der Naturprodukte dieser Gegend zu liefern. Was aber ferne Länder, entlegene Gegenden anbetrifft, worüber nicht leicht Aufschlüsse erhältlich sind, so wird dem Reisenden dasjenige Wissen zu Gebote stehen, das nöthig ist, um das Vor- handensein jener Produkte zu konstatiren; dabei wird er nach Erforderniss seine Zuflucht nehmen zum Sammeln von Mustern, die er bei Musse selber prüfen oder durch Andere mag analysiren lassen. Hiebei kommen solche Mineralien und Walderzeugnisse, welche nur vereinzelt zu finden sind, nicht in Betracht; für den Zweck, um welchen es sich hier handelt, verliert ein Objekt durch seine Seltenheit die Bedeutung. Nur insofern diese Dinge in grossen Quantitäten und Massen sich finden, soll dies Vorkommen konstatirt werden; dann aber machen sie sich eben auch durch ihr massenhaftes Vorhandensein jedem einigermassen aufmerksamen Reisenden bemerklich und ist kaum zu riskiren, dass sie übersehen werden. Wir bemerken im Weitern, dass wenn vom rein geo- graphischen beschreibenden Standpunkt aus zwischen den ) verschiedenen Arten der Naturreichthümer, von denen wir oben eine kurze Uebersicht gaben, nicht unterschieden werden müsste, dies ganz anders ist, wenn man sie vom praktischen, } utilitarischen Gesichtspunkt aus behandelt. In einer Reise- beschreibung, namentlich wenn sie ferne und schwer zugäng- liche Gegenden betrifft, interessirt weniger ein vollständiges Verzeichniss der Bodenschätze des Landes als die Hervor- hebung derjenigen unter ihnen, welche sich zu unmittelbarer Ausbeutung eignen. Wo sich eine dichte, aufgeklärte, reiche und gewerbfleissige Bevölkerung vorfindet, sind alle die Ein- gangs erwähnten Objekte wahre Reichthümer, weil an Ort und Stelle oder in nächster Nähe zahlreiche Konsumenten da sind, somit für sie sicherer und günstiger Absatz besteht; ganz anders aber verhält es sich mit den meisten dieser Gegen- stände in entfernten, wenig bevölkerten Gegenden, weil dann der Mangel an Arbeitskräften, der höhere Preis für die Hand- arbeit, der Mangel an allen Hülfsmitteln und die Schwierigkeiten eines langen Transportes die Gewinnung oder Ausbeutung der Waare so vertheuern, dass dieselbe auf dem Markte nicht konkur- riren kann mit dem gleichen Produkte aus andern Gegenden. Der Reisende wird also, wenn er auch auf Vollständigkeit seines Verzeichnisses Bedacht nimmt, unterscheiden zwischen 376 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN denjenigen Landesprodukten, welche sich zu unmittelbarer Ausbeutung oder Verwerthung eignen, und denen, welche gewissermassen eine Reserve für die Zukunft bilden, deren Ausbeutung nämlich erst unter veränderten Verhältnissen lohnend sein wird, z. B. wenn einmal die Gegend dichter bevölkert, der Verkehr in und mit ihr leichter geworden ist. Er wird sich also mit dem Studium der Baumaterialien, welche sich in der Gegend finden, nur befassen, wenn sie in unmittelbarer Nähe ihrer Fundstellen verwendet werden können oder sehr gesucht sind, wie dies der Fall ist mit schönem Marmor, Porphyr u. dgl. Steinen, deren hoher Preis den Transport auf grosse Distanzen ermöglicht. Ebenso wird man bei den Brennstoffen die Aufmerksamkeit wesentlich denjenigen von höherer Qualität zuwenden, wie der Steinkohle, mit Ausschluss von Torf, Schieferkohle u. dgl. Stoffen, welche keine grossen Transportkosten ertragen und daher nur zum lokalen Verbrauch geeignet sind. Es ist also die Frage nach dem Absatzgebiet und dem Selbstkostenpreise, welche vorab in Betracht fällt bei Wür- digung des Vortheils, welchen man aus den in einer Gegend vorhandenen Produkten ziehen kann. Das Absatzgebiet oder der Markt für ein Produkt besteht aus den Ländern und Orten, wo für dasselbe Konsumenten oder Käufer vor- handen sind. Der Selbstkostenpreis setzt sich zusammen aus den Kosten der Gewinnung und des Transportes mit Inbegriff aller Nebenkosten (accessorische Spesen). Es muss ‘ also zuvörderst berechnet werden, wie hoch es komme, wenn ein Produkt gewonnen und nach auswärtigen Absatzorten geliefert werden soll; hierauf ist zu untersuchen, ob diese Gesammtkosten es ermöglichen, dass man das Produkt zu niedrigerem Preise verkaufe als ähnliche Produkte von an- derer Herkunft, die auf jene Märkte gebracht werden. Wir sagen: „zu niedrigerem Preise“ ; denn die Gleichheit des Preises wird selten dazu führen, dass ein neues Produkt mit andern seiner Art konkurriren kann; einerseits nämlich ° drückt ein vermehrtes Angebot in der Regel die Preise herab, und andrerseits wird ein neues Produkt, wenn es nicht von namhaft besserer Qualität ist, nur bei niedrigerem Preise | vorgezogen. Die Berechnung der Gewinnungskosten ist nicht ' immer so einfach, wie man meinen könnte, denn die Normal- DER BODEN IN INDUSTRIELLER BEZIEHUNG 371% preise von andern Orten sind oft nicht anwendbar in einer Gegend, wo Alles anders ist als dort. Man muss den lokalen Verhältnissen gebührend Rechnung tragen und ziemlich viel für Unvorhergesehenes ansetzen. Was die Transportkosten betrifft, so hängen dieselben bekanntlich nicht blos von der Länge des Weges ab, sondern ebenso sehr von der Art der Waare, Verkehrsschwierigkeiten und verfügbaren Mitteln. Im Allgemeinen sind alle Produkte von geringem innern Werthe, alle schweren und viel Raum beanspruchenden Waaren nur für den Konsum an Ort und Stelle geeignet, es sei denn, dass günstige Verkehrswege (Flüsse, Kanäle, Eisenbahnen) bestehen oder das Produkt in der Nähe des Meeres, beziehungsweise von Hafenplätzen, gewonnen werde. Der geringste Land- transport durch Gegenden ohne gute Strassen erhöht die Selbstkosten in ungemessener Weise. Die Kosten des Trans- portes auf gewöhnlichen Strassen und Eisenbahnen sind im Allgemeinen proportional zum durchlaufenen Weg, mit der Ausnahme, dass gewisse Spesen (für Wägen, Auf- und Abladen etc.) gleich hoch kommen, ob nun der zurückzu- legende Weg kürzer oder länger sei, wesshalb die Transporte auf kurze Distanzen verhältnissmässig die theuersten sind. Beim Transport zu Wasser und namentlich über Meer ist die Fracht selten proportional zur Distanz; z. B. zahlt man bei 2400 Seemeilen Weges nicht das Dreifache der Kosten für einen Transport auf 800 Meilen. Hier kommt weit mehr ein anderer Umstand in Betracht, ob nämlich die Schiffe, welche den Transport zu besorgen haben, den Weg hin und her befrachtet zurücklegen oder denselben in der einen Richtung leer machen müssen, sei es dass sie im letztern Falle eine Strömung nicht überwinden, sei es dass sie keine Rückfracht finden können. Es ist leicht einzusehen, dass dieser Umstand auf die Fracht stark influirt, dieselbe sogar verdoppeln kann. Wenn die Schiffe, welche Landesprodukte als Ladung ein- nehmen, leer zurückkehren müssen und sich für den Rück- weg nicht befrachten können mit Waaren, deren Absatz zu gutem Preise gesichert ist, so müssen sie offenbar für ihre Dienste weit mehr verlangen als sonst, denn im andern Fall wird ihnen das auf der einen Fahrt erzielte Benefiz billige Ansätze für die Rückfracht gestatten. Es ist sogar möglich, dass sie in Ermanglung anderer Ladung sich dazu verstehen, 378 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN schwere und viel Raum beanspruchende Waaren zu sehr mässigen Frachtsätzen mitzunehmen. Es ist daher die rich- tige Veranschlagung der Transportkosten eine ziemlich kom- plizirte Sache; am einfachsten gestaltet sie sich für Natur- produkte, die bei geringem Volum oder Gewicht einen grossen Werth repräsentiren oder in beliebigem Grade theilbar sind. In diesem Falle kann man ziemlich genau schätzen, wie hoch die Last eines Trägers, eines Maulthiers etc. komme, die durch unebenes Terrain nach einem bestimmten Platze zu trans- portiren ist und wie hoch noch von hier bis zum definitiven Bestimmungsorte, nach den Tarifen der verschiedenen Trans- portunternehmungen. Mitunter sind die Kosten der Gewinnung und des Transportes eines Produktes im Verhältniss zu dessen Werth so gering, dass man auf jede Kalkulation derselben verzichten kann, so z. B. bei Diamant, Goldstaub u. dgl. Unter den Bodenprodukten gibt es einige, welche die Kosten eines langen und schwierigen Transportes ertragen und lohnen können. Mit dieser kleinen Gruppe wollen wir uns speziell befassen, da sie die besondere Aufmerksamkeit des Reisenden verdient. Es ist in der That von Wichtigkeit, wenn es sich um eine ferne, selten besuchte Gegend handelt, dass man nicht nur konstatire, es seien sehr werthvolle, leicht aus- zubeutende und zu transportirende Bodenschätze vorhanden, sondern dass man auch Angaben liefere, welche ein Urtheil darüber gestatten, ob es sich verlohne, dass man nach den erwähnten Oertlichkeiten hingehe und die Gewinnung jener Produkte unternehme. Wir werden nun ein jedes der Produkte betrachten, welche die in Rede stehende Gruppe bilden, indem wir noch einmal bemerken, dass die Grenzen derselben um so enger zu ziehen sind, je entfernter und schwerer zugänglich die Gegend ist, deren Ausbeutung unternommen werden soll, d.h. dass in diesem Verhältniss die Zahl der Naturprodukte, die einer unmittelbaren und lohnenden Ausbeutung fähig sind, sich reduzirt. Steinkohle. Die Entdeckung vou Steinkohlenlagern in günstigen Verhältnissen für die Gewinnung der Kohle ist immer von grossem Werth. Wenn man bedenkt, dass heute jährlich beinahe 300 Millionen Tonnen Steinkohle verbraucht werden und dass man ernstlich befürchtet, die bisher bekannten DER BODEN IN INDUSTRIELLER BEZIEHUNG 379 Kohlenlager könnten dem wachsenden Bedürfniss nicht mehr genügen, so begreift man leicht, wie werthvoll in vielen Fällen die Steinkohle als Ausfuhrartikel ist. Ihre Hauptbedeutung hat die Steinkohle in Gegenden, die bereits Grossindustrie besitzen. Sie macht oft erst die Einführung von Fabrikation möglich und wird so für das Land, um welches es sich handelt, zu einer wahren Quelle des Reichthums. Da alsdann sozusagen ein Konsum an Ort und Stelle stattfindet, so braucht man sich nicht mehr um Schwierigkeiten und Kosten des Transportes zu beküm- mern; denn dann handelt es sich nicht mehr um die Ver- sendung dieser schweren und viel Platz erfordernden Waare, sondern um den Transport der Fabrikationsartikel, zu deren Herstellung sie diente. Auch Kohle in entlegenen, öden oder doch dünn bevöl- kerten Gegenden ist von grossem Werthe, wenn sie sich an Schiffsrouten, an zugänglichen Küstenpunkten oder Inseln findet, wären letztere auch scheinbar verloren mitten im Meer; denn in solchen Fällen ermöglicht das Vorkommen der Kohle die Anlage von Depots zur Verproviantirung der Dampfer. Es ist bekannt, dass die Steinkohle entstanden ist aus Pflanzen und eigentlichen Wäldern, welche in fernen geologischen Epochen die Erde bekleideten und entweder an Ort und Stelle fielen oder durch fliessendes Wasser in Nie- derungen transportirt wurden, wo sie manchenorts unge- heure Lager bildeten. Diese Lager findet man in alten Sedimentärgesteinen, besonders in Ablagerungen aus der Periode, die man als Steinkohlenzeit (carbonische Periode’) bezeichnet hat. Selten I) Die Ablagerungen der produktiven Steinkohlenformation treten in zwei Typen auf, deren Verschiedenheit wichtig ist und die man als parulische und lim- nische Form der Ausbildung oder als paralische und limnische Facies bezeichnet ) hat. Die puralischen Ablagerungen, zu welchen die reichsten und ausgedehntesten Kohlenfelder gehören, ruhen auf einer Meeresbildung, welche die untere Gruppe der Formation ausmacht (Kohlenkalk) und haben auch zwischen ihren Schichten mitunter marine Sedimente; es sind Uferbildungen, entstanden an Flachküsten alter Kontinente und Inseln, bei wiederholten Niveauschwankungen und unter Verhältnissen, wie sie uns jetzt einerseits die Torfmoore an der Ost- und Nordsee, andrerseits die Sumpfwälder an den Mississippimündungen darbieten. Die limni- schen Ablagerungen, von beschränkterem Umfang, haben keine marine untere Ab- theilung und entstanden in kontinentalen Binnenbecken, jedoch nicht sowohl als Absätze in Landseen denn vielmehr als Bildungen in flachen, von Flüssen durch- strömten, oftmaligen Ueberschwemmungen ausgesetzten Sumpflandschaften ähnlich denen am oberen Nil, bei dessen Zusammenfluss mit dem Sobat, wo mächtige ' Pflanzenbarren die Schifffahrt hindern. Vgl. Hann, Hochstetter u. Pokorny, S. 416. 380 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN tritt die Kohle in horizontalen Lagen auf, sondern meist in konkaven, mulden- oder uhrglasförmigen Schichten, die von neueren Bildungen überlagert sind. Oefters wiederholen sich die Kohlenschichten in verschiedenen Niveaux, d. h. es können mehrere über einander befindliche Lager vorkommen. Oft auch trifft man sie dislozirt und verdreht, mit Unter- brechungen der Schichten durch Verwerfungsspalten. Eine blos aus (plutonischen und vulkanischen) Erstar- rungsgesteinen bestehende Gegend enthält keine Kohle. Was aber die älteren Sedimente betrifft, so ist die Wahrschein- lichkeit, dass man in ihnen Steinkohlenlager finde, um so grösser, je näher sie der Gruppe stehen, die man als Stein- kohlenformation (Carbongruppe) bezeichnet hat. Ist diese Grenze überschritten, so nehmen die Chancen mehr und mehr ab, in dem Masse als neuere Formationen auftreten; wenigstens ist in diesem Falle Steinkohle, wenn sie über- haupt in der Gegend vorhanden, nur in grosser Tiefe zu finden. Wenn indessen die Formationsreihe in dieser Gegend Lücken hat, so kann.allerdings die Kohle auch unmittelbar unter verhältnissmässig jungen Bildungen sich finden. Ist die Steinkohle von andern Gesteinsformationen über- lagert, so wird sie nur durch günstigen Zufall zu entdecken sein; indess sind die Kohlenschichten oft so verbogen, dass sie mit einem Ende zu Tage treten. Trotz der Veränderungen, welche die zu Tage tretenden Flächen der Kohle erleiden, ist dieselbe durch ihr ganzes Aussehen und namentlich ihre Farbe überall kenntlich, wo immer sie dem Reisenden bei seinen geologischen Streifereien entgegentritt, seien es nun Kopf- oder Schichtflächen, die zu Tage liegen. Aus der Mächtigkeit der Kohle an diesen entblössten Stellen wird man auf die Mächtigkeit der unter- irdischen Lager schliessen, wobei zu berücksichtigen ist, dass bei mulden- oder kahnförmigen Schichten die sicht- baren Ränder im allgemeinen einen geringeren Dickedurch- messer haben als die mittleren Partien. Wenn man zudem den allgemeinen Verlauf der Schichten in der Gegend kennt, so kann man oft — indem man die verschiedenen Punkte, wo Kohle beobachtet wurde, durch hypothetische Linien veI- bindet — die Ausdehnung eines Lagers bestimmen und ideale Durchschnitte desselben anfertigen, ohne dass Son- DER BODEN IN INDUSTRIELLER BEZIEHUNG 381 dirungen nöthig würden, deren Vornahme für den Reisenden kaum möglich wäre. Dabei darf nicht übersehen werden, dass Störungen durch vulkanische Ausbrüche, Verwerfungen und Rutschungen grosse Partien einer scheinbar ununter- brochenen Schicht zerstört oder dislozirt und in letzterem Falle auch so angeordnet haben können, dass man eine Reihe von Kohlenlagen zu erblicken glaubt, wo in Wirk- lichkeit nur eine Schicht vorhanden ist. Der Verlauf der Schichten, welche die Kohlenlager ein- schliessen oder auch nur derjenigen, welche sich über ihnen befinden (des Hangenden) gibt Anhaltspunkte zur Beurthei- lung des Verlaufes der kohlenführenden Schichten selbst. Ist das Hangende regelmässig geschichtet, so darf ange- nommen werden, es verhalte sich ebenso mit den Kohlen- lagern, und umgekehrt. Dagegen sind die Kohlenschichten wahrscheinlich gestört, wo in ihrer Nähe Eruptivgesteine auftreten, welche jünger sind als die Kohlenlager. Es kann aber auch eine solche Störung stattgefunden haben, ohne dass Eruptivgesteine an die Oberfläche gelangten, z. B. durch Erdbeben, Hebungen, Senkungen, unterirdische Dislokationen, die oft keine äusserlich wahrnehmbaren Spuren zurückge- lassen haben. Die günstigsten Bedingungen zur Ausbeutung eines Koh- lenlagers sind vorhanden, wenn die Kohle nicht in zu grosser Tiefe liegt, in wagrechten, regelmässigen und mächtigen Bänken auftritt und überlagert ist von festem, nicht nach- stürzendem Gestein. Es ist leicht einzusehen, dass mächtige Schichten von überlagerndem (hangendem) unproduktivem oder „todtem“ Gestein, das durchbrochen werden muss, bevor man zur Kohle gelangen kann, den Abbau des Lagers sehr vertheuern müssen und dass der gleiche Effekt ausgeübt wird, wenn das Hangende nicht aus festem, sondern aus mürbem Gestein besteht, welches man durch Schutzbauten vor dem Einstürzen und Nachrutschen sichern muss, oder wenn endlich dieses Gestein viel Wasser führt, sodass Ab- leitung des letztern nöthig wird. In allen diesen Fällen ist die Ausbeutung des Lagers mit Kosten und ebenso auch mit Gefahren verbunden. Wenn die Kohle in grossen Massen auftritt, so ist dies auch ein weit günstigeres Verhältniss als wenn sie in zahl- 382 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN reichen, aber getrennten und unbedeutenden Lagen vorkommt, welche dazu nöthigen, den Abbau an vielen Stellen zugleich in Angriff zu nehmen und für jeden dieser Punkte eine vollständige Ausrüstung mit allem nöthigen Werkzeug zu beschaffen. Endlich wird die Ausbeutung eines Kohlenlagers sehr erleichtert durch regelmässigen, ungestörten Verlauf der Bänke; wo hingegen die Kohlenschichten sich auskeilen, arbeitet man mit wenig lohnendem Erfolg oder gar mit Verlust; ebenso werden kostbare Arbeiten nöthig, wo infolge von Verwerfungen die Fortsetzung einer Schicht in einem andern Niveau gesucht werden muss. Die Steinkohlen sind von sehr verschiedener Qualität und müssen wohl unterschieden werden von anderen fossilen Kohlen minderen Werthes wie Anthracit und Braunkohle (Lignit). Man wird sich desshalb vor Allem Musterstücke derselben verschaffen, die genau untersucht werden müssen. Solche findet man aber erst in einer gewissen Tiefe; denn an der Oberfläche trifft man meist nur eine erdige, zer- fallene Masse. Bei muldenförmigen Schichten. ist zudem das Material an den Rändern in der Regel geringer als dasjenige der zentralen Theile des Beckens. Zeigen sich mehrere über einander befindliche oder parallele Bänke, so muss jede Schicht einzeln untersucht werden, denn sie können quali- tativ stark verschieden sein, wiewohl sie am gleichen Orte gebildet wurden. Die Braunkohlen oder Lignite gleichen ausgetrocknetem oder verkohltem Holze; die Anthracite erscheinen als schwarze, glänzende und undurchsichtige Steine; ihr Glanz ist bald mehr der des Glases, bald halbmetallisch. Die Steinkohlen werden unterschieden in Hart-, Pech-, Fett- und Mager- kohlen. Die Verbrennung dieser verschiedenen Kohlenarten im verschlossenen Tiegel gibt folgende durchschnittliche Resultate: Fester Rückstand Flüchtige Bestandtheile (Kohle und Asche) (Wasser, Bitumen, Gase) Braunkohle. IWW na 45 55 % Magere Steinkohlen .... 55 45 „ Rettkohlen=. ak aa 65 1) \ Pechkohlen Sa Van 70 30mB Hartkohlen ZEsrlize rer 80 208 Anthrachtemt Ana: oe 90 NE: DER BODEN IN INDUSTRIELLER BEZIEHUNG 383 Ihrem Aussehen nach sind diese verschiedenen Kohlen- sorten auch daran zu unterscheiden, dass die Lignite ge- wöhnlich noch Holz-Struktur zeigen, die Mager-, Fett- und Pechkohlen erdig aussehen und an den Fingern abfärben, die harten Steinkohlen und Anthrazite das Aussehen von Steinen haben und an den Fingern nicht abfärben. Der Werth der Kohlen richtet sich selbstverständlich in } erster Linie nach ihrer Heizkraft, in zweiter Linie sodann “nach dem Grade ihrer Festigkeit (Kohäsion) oder Zerreib- lichkeit, wodurch sie sich mehr oder minder geeignet er- weisen, transportirt zu werden, ohne dass sie zerschlagen werden. Zu berücksichtigen ist ferner der Prozentgehalt und die Zusammensetzung ihrer Asche, ferner ihre Agglo- merationsfähigkeit, d. h. die Eigenschaft, vermöge welcher sie unter Einwirkung der Hitze zum Theil weich werden und selbst schmelzen. Nicht jedem Reisenden werden die Spezialkenntnisse oder die Musse zu Gebote stehen, welche nöthig sind zur Bestim- mung der Qualität von Kohlen die er entdeckte; alsdann wird er sich eben damit begnügen, Muster mitzunehmen und diese zur Untersuchung Fachmännern zu übermitteln. Womöglich wird der Reisende auch Sondirungen oder Bohrungen vornehmen, sei es um Proben zu erhalten, die ein wirklich zuverlässiges Urtheil über die Qualität der Kohlen des Lagers gestatten, sei es um Lage und Mächtigkeit der unterirdischen Schichten konstatiren zu können. Hiebei ist zuerst nach Massgabe der äusserlichen Indizien ein geologisches Profil über die muthmassliche Lage der Kohlenbänke anzufertigen. Dann wählt man aufGrund desselben( Fig. 201) für die Bohrung einen EG Punkt a oder b Fig. 201. aus, unter wel- chen die Kohle wahrscheinlich in geringer Tiefe anzutreffen ist. Dabei darf nicht vergessen werden, dass eine einzige Bohrung nicht genügt, falls Verwerfungen der Kohlenlager 384 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN stattgefunden haben. So würde eine Bohrung oder ein Probeschacht in a (Fig. 202) eine grössere als die wirkliche Mächtigkeit er- geben; eine solche b ind würde zudem Ergebniss führen, dass hier keine Kohlen vorhanden seien,weilhier das Lager zufällig von einemtodtenGang durchsetzt ist; nach einem Versuch in ce endlich hätte es den Anschein, es seien zwei Kohlenbänke vorhanden, während in Wirklichkeit nur eine Schicht existirt. Zur Vermeidung solcher Irrthümer muss man wenigstens drei Bohrungen oder Probeschachte vornehmen und zwar so, dass die drei Punkte je 50—100 Meter auseinander liegen und ein gleichseitiges Dreieck bilden. Stimmen die so erhaltenen Resultate mit einander überein, so ist die Lage und die mittlere Mäch- tigkeit der Kohlenschichten in genügender Weise bestimmt. Erze. Unter Erz versteht man jede mineralische Sub- stanz, aus welcher man ein Metall oder mehrere in demselben vereinigte Metalle erhalten kann. Findet sich ein Metall in der Natur rein vor oder doch fast frei von jeder Beimischung, so wird es als gediegen bezeichnet (gediegenes Gold etc.) Ueber den Ursprung der Metalle ist man nicht im Klaren. Die herrschende Meinung geht dahin, - sie entstammen dem | Erdinnern, aus welchem sie in verschiedenen geologischen Epochen flüssig oder dampfförmig in die Spalten der festen Erdrinde emporgedrungen seien und dieselben, zu festen Körpern kondensirt, ausgefüllt haben. Andrerseits sind im | den Felsen injizirte und sporadisch enthaltene Metalltheil- . chen oft auf mechanischem und chemischem Wege ausge- schieden und an gewissen Stellen angehäuft worden. Uebrigens kommt für unsern Zweck weniger der Ursprung als das Vor- kommen der Metalle in Betracht und hierüber ist Foigendes zu bemerken. Die Metalle finden sich: 1° Imprägnirt in gewissen Erstarrungsgesteinen, in weche die Metallpartikelchen injizirt wurden als die Masse Fig. 202. DER BODEN 385 noch feuerflüssig war, so dass sie gleichzeitig mit dieser an die Erdoberfläche oder in deren Nähe gelangten. 2° In Gängen oder Adern, d.h. als Ausfüllungen von Spalten der Erdrinde. In diese können sie von untenauf gelangt sein als metallische Dämpfe oder als Lösungen in Thermen mit andern Mineralsubstanzen, welche dann das sogenannte Gang- oder Muttergestein bilden. Sie können aber auch aus dem angrenzenden Gesteine stammen und sich gebildet haben als Sublimationen an den Wänden der unterirdischen Spalten. Endlich rühren sie oft her aus zersetztem Gestein an der Erdoberfläche, aus welchem sie in Lösung zur Tiefe gelangten, um hier Spalten der Erdkruste auszufüllen. 3° In Stöcken oder unregelmässigen Massen, die erzeugt sind durch starke lokale Imprägnationen, durch Aus- füllung unterirdischer Hohlräume oder endlich durch örtliche Ansammlung von Rückständen der Zersetzung metallhaltiger Gesteine. 4° In Lagern oder Bänken, die eingebettet sind zwischen Sedimentschichten oder in Alluvialbildungen an der Erdoberfläche. Diese Ablagerungen sind im Allge- meinen entstanden durch Wassertransport oder durch einfachen Niederschlag aus stagnirendem Wasser, wobei die schweren Metalltheilchen von den andern Mate- * rialien mechanisch getrennt wurden. Als gediegene Metalle finden sich Gold, Silber, Platin, Juecksilber und Kupfer. Gold und Platin kommen selten ınders als gediegen vor und zwar meist als Blättchen, Körner ınd Klumpen von der Grösse eines Stecknadelknopfes bis zu ler einer Kokosnuss. Das gediegene Silber tritt in formlosen lassen auf oder aber in baumförmigen Gestalten, welche an arrenwedel erinnern; öfter indess erscheint das Silber in fängen kombinirt mit andern Metallen, namentlich mit Blei. Jas Quecksilber findet sich zuweilen gediegen in kleinen Kugeln der Tropfen, meist aber als Schwefelmetall (Zinnober) von chön rother Farbe oder in Verbindung mit Silber. Gediegenes ‚upfer ist ziemlich verbreitet und findet sich namentlich in usbuchtungen und Höhlen der Gänge, sowie da, wo diese u Tage treten; es kommt aber auch in vielfachen Ver- indungen mit andern Metallen vor. 25 386 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Eisen, Blei, Zinn und Zink erscheinen nur ausnahmsweise als gediegene Metalle. Vom ersteren kennt man eine Menge Erze, in welchen es als Oxyd, Oxhydrat (Hydroxyd), Ses- quioxyd, Sulfurat, Karbonat etc. enthalten ist. Das Blei tritt am häufigsten als Schwefelverbindung (Bleiglanz) auf und enthält gewöhnlich Silber. Das Zinn findet sich meist “= elta Oxyd (Zinnstein) und das Zink als SchwejSg J- verbindung (Blende). Oft on in den Gängen und Adern diese verschie Metalle mit einander ee, aber immer in bestimmten Gruppirungen nach gewissen Gesetzen. So z.B. kommen. Silber und Blei zusammen vor, Silber und Zinn aber nicht. Ebenso bestehen gewisse Beziehungen zwischen den Erzen’ und dem Ganggestein; das Gold z. B. findet sich gewöhnlich‘ in Quarz. Y Enthält ein Erz verschiedene Metalle, so gibt man ihm, den Namen des vorherrschenden oder ee, indem man von den sekundären Bestandtheilen absieht. in diesem. Sinne spricht man von Silberadern, Kupferbergwerken u. s. w.. Die Gänge und deren selig (Adern) haben nicht, wie man glauben könnte, eine cylindrische Form. Es sind Ausfüllungen von mehr oder minder breiten Spalten, deren‘ horizontale Ausdehnung aber immer weit grösser ist als der Abstand der Spaltenwände. Mit einem Baume kann man daher nur ihren Durchschnitt vergleichen. Die Mineralmasse, welche die Gänge und Adern erfüllt, erschiene für sich allem‘ — befreit vom umschliessenden Gestein — in Form grosser Mauern oder Tafeln, die unter verschiedenen Winkeln zusammen- treffen und zusammenhängen, nicht aber in Form eines Baumes: mit seinen Aesten. ) Bei Weitem nicht alle Gänge und Adern enthalten nutz- bare oder werthvolle Metalle. Meistens sind dieselben von. Mineralien ohne technischen Werth ausgefüllt, und unter den metallhaltigen Gängen gibt es arme, deren Erze nicht so viel Metall führen, dass dessen Gewinnung sich lohnen würde. Ob ein Erz als reichhaltig zu bezeichnen sei oder nicht, hängt übrigens von der Art des Metalls ab. Ein Golderz z.B. ist reich, sobald es über 0,01 °/o Gold enthält, ein Eisenerz arm, wenn es nicht mehr als 30 °/o Eisen liefert. Beim jetzigen Stande der Montanindustrie müssen die ver- T DER BODEN 387 schiedenen Erze, wenn die Ausbeutung lohnend sein soll, folgenden Metallgehalt haben: 0,01 °/o Gold, 3,5 °/o Blei, 0,10 ,„ Silber, 5,00 „ Zink, 2,00 „ Kupfer, 35,00 „ Eisen. Dabei ist selbstverständlich, dass der Gehalt noch grösser sein muss, wenn zu den Kosten der Metallgewinnung noch solche in grossem Betrage für lange und mühsame Trans- porte kommen. Man unterscheidet zwischen Injektionsadern und Gängen mit Konkretionen. Die erstern sind diejenigen, welche mit feuerflüssigen Substanzen erfüllt wurden, die gewöhnlich eine homogene Masse bilden und selten Metalle enthalten. Die letztern hingegen sind angefüllt mit Substanzen, die sich langsam an den Wänden abgesetzt haben und nun, da sie im Laufe der Zeit ungleich waren, eine Masse bilden, welche aus verschiedenen Lagen besteht, die parallel und mit Bezug auf eine Axe symmetrisch angeordnet sind. Die einen dieser Lagen können Metalle oder Erze, die andern todtes oder taubes Gestein sein. Mitunter ist auch die Regelmässigkeit / der Bildung gestört worden durch Bruch des einschliessenden | Gesteins, dessen Trümmer sich mit dem ausfüllenden Ganggestein mischten, so dass ein Konglomerat oder eine Breccie entstund. Selten sind die Metalladern auf ihrer ganzen Erstreckung gleich reichhaltig. Oft sind die zu Tage tretenden Kopf- enden der Gänge reicher als die übrigen Partien, oft aber auch sind jene verhältnissmässig arm; namentlich ist letz- teres der Fall bei den sogenannten rosenkranzförmigen Adern, in welchen Erweiterungen und Verengungen mit einander ab- wechseln, in denen man aber oft Stellen oder Nester von grosser Reichhaltigkeit findet. Manche Gänge nehmen in ihrem Verlaufe an Gehalt stufenweise oder auch plötzlich ab, '/ namentlich an Stellen, wo sie in ein anderes Gestein über- | setzen oder mit andern Gängen zusammenstossen. Selten ist ein Gang genau vertikal, vielmehr ist er in } der Regel mehr oder minder geneigt; dann nennt man die | Felsfläche, auf welcher er ruht, „Mauer“, diejenige aber, / welche ihn überdeckt, „Dach.“ Die Neigung eines Ganges ist der Winkel, welchen die ) Richtung seines grössten Gefälles mit der Vertikalen bildet: 388 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN das Streichen desselben wird bestimmt durch den Punkt des Horizontes, nach welchem er sich hinzieht. j Ein Gang heisst „gekreuzt“, wenn er unter irgend einem. „Winkel von einem andern Gang geschnitten wird, welch letz- terer dann der durchkreuzende Gang heisst;* zurückgeworfen wird er genannt, wenn er durch einen andern Gang deplacirt und zurückgedrängt, aber nicht durchschnitten wurde. Endlich heisst er „unterbrochen“ oder „abgeschnitten“, wenn er da aufhört, wo er auf einen andern Gang stösst. Die Kenntniss, dieser Mona erweist sich nützlich bei Beschreibung des Verlaufes von Gängen, die man allenfalls entdeckt. Da die Bildung ee Metall-Lager und Gänge keinem positiven Gesetz unterliegt, so ist deren ANEUENUS ausser- ordentlich schwierig ; nur Zufall oder eine in’s Einzelne gehende geologische Unersueng führen ihre Entdeckung herbei. Um- somehr ist auf Alles zu achten, was irgend ni die Spur leiten könnte. In erster Linie handelt es sich dabei um Erkundigungen bei den Bewohnern der Gegend. Vielleicht machen sie ein Geheimniss daraus, an welchem Orte sie ein Erz gefunden oder die Existenz eines Ganges bemerkt haben; aber schon | die Thatsache, dass ein solcher Fund gemacht wurde, genügt, um das Vorkommen von Metall-Lagern in dem Lande zu verrathen und man wird dann erfahren können, in welcher Richtung ungefähr nachzusuchen ist. Ist man soweit gelangt, so begibt man sich an die angezeigten oder muthmasslichen Stellen, um hier das Terrain genau zu erforschen. | Zu gleichem Zwecke muss man die Gerölle der Schluchten, Flussthäler und Flussbetten untersuchen. Findet man unter diesen Geschieben Erzstücke, so wird man thalaufwärts nach deren Herkunft forschen. | Eine besondere Aufmerksamkeit ist dem Fluss-Sande zu widmen; denn hiebei hat man Chancen, Edelmetalle in Körnern und Blättchen zu finden. Das Gold im Alluvium stammt aus | zersetzten Felsen her; die Körner insbesondere scheinen da durch entstanden zu sein, dass sich um einen kleinen Quarz- | kern Metallpartikelchen niederschlugen, welche in Mineral- | wassern aufgelöst waren. In der Regel existiren in einer Gegend mehrere Niveaux von Alluvialbildungen, welche ihre Entstehung successiven Erosionen verdanken; in Bezug auf die ii} [ | DER BODEN 389 Ausbeutung derselben hat man nun zu unterscheiden zwischen oberflächlichen Ablagerungen, die nur von einer dünnen Sand- oder Kiesschicht bedeckt sind, und tiefgelegenen Ablagerungen, welche überdeckt sind von mächtigen Schichten im Laufe der Jahrhunderte gebildeten Alluviums. Diese Ablagerungen hat ) man sich nicht als regelmässige Schichten vorzustellen, welche grosse Becken einnehmen; vielmehr bestehen sie in einem Netz von Streifen und Bändern, welche — bald breit, bald schmal — allen Vertiefungen des Bodens und allen Krüm- mungen des Thalwegs folgen, in welchen die Gewässer flossen oder noch fliessen. Selbstverständlich wird man zuerst die Ablagerungen an ' der Oberfläche untersuchen und hier zuerst wieder die am stärksten gekrümmten Partien des jetzigen Flussbettes oder / verlassener Arme desselben. Handelt es sich um ein tiefes } Gewässer, so kann man kaum anderswo als in alten Fluss- / armen Untersuchungen anstellen. Es kommt hiebei viel auf richtige Erfassung des Bodenreliefs an, so dass man ohne } langes Herumsuchen die tiefsten Stellen der Flussbetten auf- findet. Hier gräbt man nun im Sand oder Gerölle, bis man auf den Felsgrund trifft, oder auf die Thonbänke, worauf ‚ vormals das Gewässer floss. Namentlich sind solche Punkte auszuwählen, an welchen — nach der Bodengestalt zu schliessen — die Strömung an Geschwindigkeit abnehmen musste, indem sie auf ein Hinderniss traf und wo sie folglich die mitgeführten schweren Theile zu Boden sinken liess. Es sind das besonders solche Punkte, wo die Gewässer, nachdem sie ein enges und tiefes Bett passirt, plötzlich zwischen weiter auseinander- tretenden Ufern sich ausbreiten können; solche ferner, wo eine | starke lokale Vertiefung im Stromstrich oder ein Hinderniss | Wirbel erzeugte; weiter solche, wo ein Felsriegel die Strömung /hemmte oder wenigstens die auf dem Flussbette sich hin- ) bewegenden Stoffe aufhielt; endlich solche, wo das Wasser am "Fusse einer Kaskade ein Becken ausgrub. | Um zu untersuchen, ob Alluvialbildungen Gold enthalten, /braucht man nur ein eimer- oder kufenförmiges Gefäss. Man ‚füllt dieses halb mit Sand und Wasser und gibt ihm bei letwas schiefer Lage eine drehende Bewegung, so dass das Wasser langsam ausfliesst. Dies bewirkt eine Scheidung der \erdigen Stoffe von den schwereren: die ersten werden vom j | 390 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Wasser mitgerissen, die letzteren sinken zu Boden. Man schöpft nun von Neuem Wasser in das Gefäss und fährt fort wie vorher, indem man grobes Geschiebe mit der Hand entfernt, b bis auf do Boden BR Gefässes ein Rückstand bleibt, der ih im Glücksfalle metallisches Aussehen zeigt. Der Grad des Erfolges bei dieser are. der ober- flächlichen Ablagerungen muss darüber entscheiden, ob man die Untersuchungen aufgeben oder aber auch auf die tiefer gelegenen Bildungen ausdehnen soll. So lange man nur auf Thon gestossen ist, muss man nicht glauben am Ziele zu sein; gegentheils soll man bis auf den Felsgrund zu gelangen suchen, denn hier finden sich zumeist die reichhaltigsten Ablagerungen. Wo die Alluvialbildungen, welche man als metallführend er- kannt hat, aus verschiedenen superponirten Schichten bestehen, die durch Thonbänke geschieden sind, muss man die Geschiebe untersuchen, welcheaufdiesen Thonlagen ruhen, sowie die, welche direkt auf dem Felsgrunde lagern; denn oft sind die Metallpar- tikelchen durch dieThonschichten hindurch in dieTiefe gedrungen N und haben sie sich in den Fugen des felsigen Bettes angehäuft. Der Metallgehalt solcher Alluvialbildungen ist ungemein verschieden; die reichsten Partien finden sich gewöhnlich an vereinzelten Stellen, wo (wie oben bemerkt wurde) besondere Umstände die Strömung beeinflusst und den Absatz der schweren Theile bewirkt haben. Wenn der Felsgrund aus einem durch ein Bindemittel verkitteten Konglomerat besteht, so ist es wahrscheinlich, dass dieses Konglomerat sehr reich- haltige Partien habe. Es kann vorkommen, dass die Gewässer nicht immer den jetzigen Lauf hatten und man die älteren Alluvionen an andern Stellen suchen muss. In solchen Fällen werden die Studien über Aenderungen in der Bodenkonfiguration von praktischem Werthe; denn sie geben uns die Antwort auf die Frage, ob die Gewässer sich immer tiefer eingeschnitten haben — in welchem Falle man die Reste des alten Alluviums auf den Plateaux suchen muss, welche die jetzigen Thäler beherrschen, oder auf den Seitenterrassen längs dieser Thäler — und die Metallpartikelchen vielleicht einzig von der Ab- tragung dieses alten Alluviums und den Umlagerung oe) durch fliessendes Wasser herrühren. Wenn die Thäler verlegt wurden, so muss man sich im Geiste Li DER BODEN 391 _ die frühere Gestalt der Gegend vergegenwärtigen und die alten ' Wasserläufe, von welchen sie nicht durchzogen war, Schritt - für Schritt verfolgen, um womöglich deren Ursprungs-Stelle zu ermitteln, von welcher her sie aus verwitterndem Gestein mit ; Metallpartikeln versehen wurden. | Die Metalle befinden sich in diesen Bänken oder placers ‚ an sekundärer Lagerstätte; sie kommen aus Felsen, wo sie in Adern oder Blättchen enthalten waren. Diese Felsen können in Vergleich mit der metallführenden Bank sehr arm sein; eine Unze Goldstaub des Alluviums (Schwemmlandes) ist oft das Resultat der Zersetzung einer grossen Gesteins- masse, in welcher das Metall in kaum wahrnehmbaren Par- tikelchen zerstreut enthalten war. Aber wie dem auch sei, so ist es immerhin der Mühe werth, dass man sich über den Sachverhalt orientire und untersuche, ob nicht jenes Ge- stein selbst die Ausbeutung lohne. In den placers oder Seifen findet man, je nach den Ländern, folgende Erze: gediegenes Gold und Platin als Staub, Blättchen und Körner; Magneteisen als feinen Staub; Zinnoxyd in kleinen Krystallen. Die andern Erze findet man mehr in Gängen und Lagern. Erinnern wir uns, dass die Gänge nachträglich ausge- füllte Spalten der Erdkruste sind und ziehen wir ferner in Betracht, dass diese Spalten von unten her entstanden; so kommen wir zu dem Schlusse, dass die ältesten Gesteine am meisten Gänge und Adern enthalten müssen; denn die- jenigen Spalten, welche in den ältern Perioden entstanden, konnten sich nicht in die neueren Formationen hinein fort- setzen, die ja noch nicht existirten; und diejenigen, welche später entstanden sind, fanden ihr Ende in verschiedenen Niveaux, so dass sie nicht alle in die jüngeren Bildungen hineinreichten. t Im Allgemeinen sind daher die Chancen, in einer Forma- tion viele und reiche Erzgänge zu finden, um so grösser, je älter die Formation ist. Wir wissen aber, dass man keineswegs nöthig hat, in die Tiefen der Erde einzudringen, um diese alten Formationen anzutreffen, sondern dass man sie in den grossen Bodenerhebungen, in Gebirgsländern, schon an der Oberfläche findet. Unsere Untersuchungen erden daher vorab solchen Gegenden gelten; Eruptivgesteine, 392 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN welche unter Hebung des Bodens an die Oberfläche gelangten, und deren Nachbarschaft werden wir zunächst ins Auge fassen, insbesondere wieder die Stellen, wo dieselben in Kon- takt sind mit anderm, von ihnen durchsetztem oder dislo- zirtem Gestein; ferner die weichen Schichten, welche E| der Einwirkung feuerflüssiger Massen metamorphosirt mi Metallpartikeln imprägnirt oder von Adern durchsetzt wurden. Ein günstiges Anzeichen ist das Vorkommen von Mine quellen, namentlich von Thermen, in der Gegend, weil dies einen tiefgespaltenen Boden verräth, in welchem das Wasser Metalle in Lösung aufnehmen kann. | Beim Durchwandern solcher Gegenden hat man sorg- fältig auf alle nackten Felspartien zu achten. Entdeckt man hiebei Mineralien, welche als Ganggesteine charakteristisch sind, so untersuche man, nach welcher Richtung sie ab- oder zunehmen und verfolge letztere Richtung, um wo- möglich die Erzlagerstätte zu entdecken. Oft auch ragt das Ausgehende derselben über die Umgebung empor und macht sich in dieser Weise bemerklich. | Mit Bezug auf das Eisen speziell ist zu bemerken, dass es in verschiedenen Formen und Formationen nicht nur m Gängen, Lagern und Stöcken vorkommt, sondern auch als oberflächliche Absatzbildung an Stellen, wo sich lange Zeit stagnirende eisenhaltige Wasser befanden. Man kann vom Reisenden nicht erwarten, dass er die gesammelten Erze analysire; um so mehr aber ist es nöthig, dass er in seinem Tagebuch Alles aufzeichne, was auf diese Funde Bezug hat, dass er die Fundstellen in der Karte notire und die nöthigen Angaben zu deren leichter Wieder- auffindung beibringe. | In Ländern mit alten aufgegebenen Bergwerken darf der Reisende nicht unterlassen, Proben des Erzes mitzunehmen, welches daselbst ausgebeutet wurde, und ebenso Reste des ausgeschmolzenen Metalles und Schlacken. Bei der Unvoll- kommenheit des früheren Verfahrens kommt es nicht selten vor, dass diese Schlacken jetzt noch eine lohnende Aus- beutung gestatten. Dasselbe gilt von Bergwerken, deren Abbau durch Eingeborne des Landes betrieben wurde, die nur ein unvollkommenes Verfahren kannten oder nicht die nöthigen Geldmittel besassen. DER BODEN 393 An Orten hinwieder, wo Bergwerke in vollem und voll- kommenem Betriebe stehen, wird man durch die Gefälligkeit ihrer Direktoren interessante Angaben erhalten können. Edelsteine. Hinsichtlich der Edelsteine wäre in vieler Beziehung zu wiederholen, was über die Erze gesagt wurde. Man schreibt ihnen die gleiche Bildungsweise zu wie letztern, und sie finden sich meistens auch in Gängen, Höhlen oder einfachen Spalten in Eruptivgesteinen oder deren Nähe, es sei denn, dass diese Gesteine bereits zersetzt wurden und nun die Edelsteine im Schwemmland vorkommen. Die Ent- deckung der Edelsteine hängt aber noch in viel höherem Grade als diejenige der Erze vom Zufall und von Aufschlüssen der Eingebornen ab. Guano. Der Guano ist bekanntlich ein sehr wirksamer Düngstoff, bestehend aus einem Gemenge von phosphor- saurem Kalk mit organischen Resten und entstanden aus der Ansammlung von Excrementen ungeheurer Schaaren von Meeresvögeln. Er findet sich in mehr oder minder ausge- dehnten und mächtigen Bänken an den Küsten, wo die Meeresvögel nisten und brüten; seine werthvollen Eigen- schaften behält er aber nur in regenlosen Gegenden. Je nach seinem Alter erscheint er als braune oder graue erdige Masse; es wird daher unterschieden zwischen braunem und weissem Guano. Der letztere bildet sich noch heutzutage, während der erstere aus ältern Zeiten stammt. In Gegenden mit Regenfall verliert der Guano seine stickstoffhaltigen Bestandtheile und es bleiben ihm nur die Phosphate; diese genügen nun allerdings noch, um ihn zu einem guten Dünger zu -machen; aber als Ausfuhrartikel hat dieser erdige Guano nur geringen Werth. Der Reisende wird also in regenreichen Gegenden nicht nach Guanolagern forschen, ausgenommen es sei in der Nähe Verwendung für denselben. u In den regenlosen oder doch regenarmen Gegenden, in welchen einzig guter Guano zu finden ist, wird der Reisende die von Meervögelschwärmen besuchten Ufer fischreicher Ge- wässer untersuchen; ferner aber auch — da ja die Verhält- nisse im Laufe der Zeit wechseln — binnenwärts gelegene alte Ufer und Steilküsten, wo der braune Guano, erkenntlich an seinem üblen Geruche, unter einer üppigen Pflanzendecke 394 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN liegen kann. In manchen Höhlen findet sich auch Guano von Fledermäusen ; wiewohl diese Lager weniger mächtig sind als die des Vogelguanos, lohnen sie doch mitunter die Aus- beutung. Holz. Da die Wälder sich ohne Weiteres bemerkbar machen, so hat der Reisende nur darauf zu achten, dass er Lage, Umfang, Ort und Dichtigkeit derselben angibt. Ihre Lage ist in die Karte einzuzeichnen, und die Aufnahme ihrer Grenzen ermöglicht zugleich die Berechnung ihres Areals. Was die Art der Wälder') anbetrifft, so bestehen die- selben selten aus einer einzigen Baumspecies; in der Regel sind mehrere Baumarten in wechselndem Verhältniss mit einander gemischt oder es finden sich isolirte Gruppen, welche von den übrigen Beständen verschieden sind. Der Reisende wird seine Aufmerksamkeit zuerst der vorherrschen- den Baumart oder den mehreren wesentlichsten Species zu- wenden, hierauf den seltenern, wenn diese immerhin in be- achtenswerthem Maasse vorkommen. Nach der Verwendung, welcher das Holz fähig ist, unterscheidet man Bau- oder Werkholz, Farbholz, Holz für Parqueterie und eingelegte Arbeiten etc. Wenn man nun auch über die Art der Ver- wendbarkeit einer Holzspecies nicht im Zweifel ist, so wird man gleichwohl gut thun, davon Muster zu nehmen, um sie Fachmännern zur Prüfung mitzutheilen; denn die Qua- lität und der technische Werth einer und derselben Baumart kann je nach dem Lande, dem Klima, Boden und Standort sehr verschieden sein. Die Proben, welche man entnimmt, sollen aus einem Querabschnitt (einer abgesägten Scheibe des Stammes) und einem oder mehreren Längsabschnitten (Tafeln oder Brettchen) bestehen. Bei der Verschiedenheit in der Dichtigkeit der Waldungen genügt die Angabe ihres Umfangs nicht zur Bestimmung des Werthes oder Reichthums derselben; vielmehr müssen Angaben über deren Bestand beigebracht werden, d. h. über die durchschnittliche Anzahl Bäume, welche auf eine Hek- tare entfallen, über die Grösse derselben etc. Zu dem Ende durchwandert man den Wald nach verschiedenen Rich- . ) Vgl. hierüber das Kapitel „Regions et grands aspects“ in D. Kaltbrunner, Aide- memoire du voyageur, p. 150— 232. DER BODEN 395 tungen, wählt sich eine Partie aus, welche am ehesten die mittlere Bestandsdichtigkeit repräsentirt und zählt hier die Bäume auf der Fläche einer Hektare; dann misst man bei einigen als typisch anzunehmenden Bäumen mit einem Mess- band den Stammumfang in einer Höhe von etwa 1 Meter “über dem Boden oder bestimmt auf die S. 43 angegebene Weise die Höhe der Bäume. Wenn der Wald in seinem Bestande sehr verschieden ist, wenn er z. B. stellenweise Liehtungen, anderwärts blos Gebüsch oder vereinzelte Bäume enthält, während manche Partien desselben dichter Hoch- wald sind, so muss man denselben in Zonen oder Reviere eintheilen, jedes dieser Gebiete auf der Karte nach Lage und Umfang besonders zeichnen und überhaupt so behandeln als ob es ein Wald für sich wäre. Verschiedene Produkte. Die anderen Bodenschätze, wie mineralische Oele (Petroleum, Naphta u. s. w.), Schwefel, Borax, Salpeter, Alaun, Steinsalz, Kaolin, fossiles Elfenbein, Kalkphosphate und sonstige Düngstoffe verdienen ein be- sonderes Studium ab Seite des Reisenden nur dann, wenn sie in der Gegend ungewöhnlich reichlich vorhanden sind. Immerhin wird der Reisende von ihrem Vorkommen Notiz nehmen und auch Muster derselben sammeln. Accessorische Angaben. Der Reisende muss seinen Aufenthalt im Lande benutzen, um sich über Alles zu unter- richten, was von günstigem oder nachtheiligem Einfluss auf die Ausbeutung oder Verwerthung der natürlichen Reich- thümer des Landes sein kann, und im Interesse Derer, welche sich hiemit befassen wollen, muss er Alles mittheilen, was er Sachbezügliches beobachtet oder erfahren hat. Zunächst wird er sich darüber erkundigen, welche Schritte zu thun und welche Formalitäten zu erfüllen sind, um eine Konzession oder eine Erlaubniss für die fragliche Ausbeutung zu erhalten. In manchen Gegenden kann Jeder einfach und ohne Weiteres Hand ans Werk legen, und seine blosse Prio- rität bildet einen unanfechtbaren Rechtstitel; hinwieder muss dieses Recht nöthigenfalls mit eigener Kraft und Ge- walt geschützt werden, wenn Andere Lust zeigen, sich am gleichen Orte zu etabliren. Oft aber ist es nöthig, dass man sich einen Erlaubnissschein verschaffe; dieser wird bald ohne Weiteres ertheilt, bald aber muss das Gesuch durch 396 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | | | | | | so viele Hände gehen und von so viel Personen geprüft und begutachtet werden, dass Jahre verstreichen können, bevor es erledigt ist. } Die schönste Konzession, welche in einem Lande ohne feste Regierung oder in einem despotischen Staate auf Gut- dünken hin ertheilt wurde, hat'in der Regel keinen Werth, weil keine bestimmte und gesicherte Dauer; der Unternehmer kann es erleben, dass sie ihm plötzlich entzogen wird, nachdem er grosse Installationskosten hatte. Sogar in Staaten von ge- | ordneter Regierungsform kommt es vor, dass die Verwaltungs- organe Schwierigkeiten machen und den Unternehmer in Allem zu hemmen suchen. Der zweite, wohl zu prüfende Punkt ist die Frage nach Qualität und Preis der Handarbeit. Wenn das Land volk- arm ist, wird es schwer halten, die nöthigen Arbeiter zu bekommen, und selbst wenn Leute im Ueberfluss vorhanden, so sind diese vielleicht ungeeignet für die Arbeit, welche man | von ihnen verlangt. Wenn man nun ausser den Ingenieuren und Oberaufsehern auch noch die gewöhnlichen Arbeiter mit | grossen Kosten kommen lassen und sie theuer bezahlen müsste, damit sie bleiben, so könnte das Unternehmen schwerlich lohnend sein. Die Frage nach den Unkosten bei der Gewinnung und ' dem Transport der Produkte ist, wie bereits bemerkt, ein wesentlicher Faktor zur Beurtheilung der Rendite eines solchen Unternehmens. Sie hängt aber eng zusammen mit der Frage nach den Absatzgebieten oder Märkten für das Produkt, weil hiedurch, d. h. durch die Entfernung des Absatzortes, die Länge des Transportes bedingt ist. Ist der Reisende nicht in der Lage, diesen Gegenstand mit genügender Sachkenntniss zu behandeln, so suche er wenigstens Angaben zu liefern, welche annähernde Berechnungen gestatten. Solche Angaben haben sich zu beziehen auf die Lage des Platzes, die Zu- fahrten zu demselben, den Stand der Verkehrswege, die Distanzen, sowie auf Art und Zahl (ob viel oder wenig) der Transportmittel. Man muss auch wissen, ob das Land die nöthigen Hülts- mittel bietet, damit ein Unternehmen in grossem Massstab betrieben werden kann; hievon hängt der Erfolg zu einem grossen Theile — mehr als man gewöhnlich glaubt — ab. DER BODEN 397 Wenn man alles Nöthige, Geräthe, Nahrungsmittel u. s. w., von weit her muss kommen lassen, dem Aufsichtspersonal und den Arbeitern Logis beschaffen und für die Hülfsindustrien, die jeweilen nöthig werden, selber sorgen muss, so wird das Unternehmen in vielen Fällen zu kostspielig oder es erfordert doch sehr grosse Kapitalien. Selten zieht man den Mangel ' lokaler Hülfsquellen genugsam in Betracht; man ist zu sehr daran gewöhnt, alles Nöthige bei der Hand zu haben oder sich leicht verschaffen zu können und denkt so nicht an die einfachsten Erfordernisse, z. B. dass man, um Brod zu bekommen, einen Ofen haben muss und einen Arbeiter, der einigermassen das Backen versteht; dass man, um für frisches Fleisch und Gemüse zu sorgen, nothwendig Vieh halten, etwas Landbau treiben, einen Metzger und Gärtner haben muss; dass scheinbar unbedeutende Werkzeugreparaturen den Besitz einer Schmiede und eines Schmiedes erfordern, wenn man nicht einen Arbeitstag damit verlieren soll, die nächste Schmiedewerkstätte aufzusuchen. Diese Kleinigkeiten, die so unbedeutend scheinen, verursachen Auslagen, welche schliesslich insgesammt grosse Posten bilden. B. DER BODEN IN LANDWIRTHSCHAFTLICHER HINSICHT. In agricoler oder kultureller Beziehung versteht man unter Boden die lose Erdschicht zwischen der äusseren Erdfläche und dem anstehenden oder gewachsenen Fels in der Tiefe. ‚Diese Schicht zerfällt in zwei verschiedene Partien. Die obere ist die Humusschicht oder der eigentliche Boden, die Damm- oder Ackererde (sol vegetal). Sie besteht aus einer Mischung loser Mineralsubstanzen mit zersetzten organischen Ueber- resten. Die tiefere Lage heisst der Untergrund und besteht zumeist aus Fragmenten aller an der Oberfläche vorkommenden Gesteinsarten des Landes. Diese beiden Bodenschichten unter- scheiden sich gewöhnlich schon durch ihre Farbe von ein- ander. Die Humus- oder Dammerdeschicht, die in Gegenden mit noch jungfräulichem Boden oft in reichlichem Maasse vorkommt, ist eine braune oder schwärzliche Substanz an der Oberfläche des Bodens, welche ihr Dasein der Zersetzung thierischer und pflanzlicher Stoffe verdankt. | | 398 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | | Der agrikole Werth des Bodens ist bedingt durch dal Umfang und den Grad der Fruchtbarkeit des kulturfähigen Landes: Die Fruchtbarkeit des Bodens kann zunächst beurtheill werden durch die Beschaffenheit der stehenden Ernten auf kultivirtem Lande und durch das kümmerliche oder üppige Aussehen der auf noch unbebautem Lande wildwachsenden Pflanzen. Im letzteren Falle darf man jedoch nicht nach Sumpfpflanzen oder Dornen urtheilen. welche ein üppiges Dickicht bilden können, wiewohl der Boden für Kulturgewächse‘ zu nass oder zu wenig tiefgründig ist. Im Allgemeinen ist jeder Boden fruchtbar, der lose, nicht zu grobkörnig, tief, nicht übermässig feucht, hingegen den Sonnenstrahlen genugsam zugänglich ist; denn in einem! solchen Boden können die Wurzeln der Pflanzen sich ent- wickeln und genügend Nahrung finden; Luft und Wasser können gehörig zirkuliren, Wärme und Feuchtigkeit in ge- nügendem Maasse eindringen, um das Keimen und Reifen zu bewirken, ohne dass der Boden zu sehr dem Froste und der’ Trockenheit ausgesetzt ist. | Die Tiefe des Bodens ist die Dicke der Acker- ac Dammerdeschicht, von der Bodenoberfläche bis zum Unter- srunde. Diese Tiefe steht gewöhnlich in naher Beziehung zur Fruchtbarkeit des Bodens; denn je grösser sie ist, desto‘ eher finden die Pflanzen ihre Nahrung, selbst wenn der Boden an Nährstoffen nicht reich ist. Die Dammerde darf weder zu grob sein, noch aus zu feinen Theilchen bestehen. Grobe Felstrümmer und Steine hemmen die Bearbeitung des Bodens und die Entwicklung der Pflanzen; andrerseits hat ein zu feinpulveriger, staub- artiger Boden den Fehler, dass er schon nach schwachem Regen eine teigige Masse bildet, die beim Trocknen hart wird. Der Aggregatszustand des Bodens muss so sein, dass das Wasser in demselben langsam zirkulirt, ohne allzulandl | zurückgehalten zu werden. | Die Bodenfeuchtigkeit kann aus der Atmosphäre stammen, d. h. von Regen, Schneeschmelze, Dünsten und Nebeln her- rühren. Dann dringt sie also von oben her in den Boden ein; wenn aber das Wasser den Untergrund erreicht, s0 muss es entweder von diesem absorbirt werden oder ab- DER BÖDEN 399 fliessen können. Die Beschaffenheit des Untergrunds ist daher nicht bedeutungslos. Ist er undurchlässig, so hält er das Wasser zurück und dieses, stagnirend, schadet den Pflanzen; ist er zu stark durchlassend, so wird der Boden kaum die nöthige Feuchtigkeit beibehalten. Das Wasser des Bodens kann aber auch von seitlichen Infiltrationen der Flüsse und Seen oder aus unterirdischen Wasseransammlungen herstammen. In diesem Falle kann es vermöge der Kapillarität des Bodens bis an dessen Ober- fläche gelangen; wenn aber dieses unterirdische Wasser in zu geringer Tiefe angesammelt ist, so wirkt es schädlich. Das Wärmequantum, welches ein Boden empfängt und absorbirt, hängt von mehreren Faktoren ab, deren wesent- lichste das Klima, die Höhe über Meer und die Lage zu den Himmelsgegenden (die Exposition) sind. Die beiden letzteren können den Effekt des Klimas zum Theil paraly- siren; bei geringer Höhe über Meer und einer mittäglichen (der „Sonnenseite“ oder südlichen Partie des Horizontes zu- gekehrten) Lage (auf der nördlichen Halbkugel) ist der Boden gegen strengen Frost geschützt, bei grosser Höhe und nördlicher Lage (auf der Schattenseite) gegen grosse Hitze'). Das Areal des urbaren Bodens einer Gegend kann auf folgende Arten bestimmt werden. 1° Von der Gesammtfläche zieht man das Areal des- jenigen Bodens ab, welcher der Kultur entzogen ist, also das Areal der nackten Felsen, Gletscher, Sandwüsten und Dünen, stehenden und fliessenden Gewässer, Sümpfe, Torfmoore, überbauten Stellen (Städte, Dörfer etc.), Eisenbahnen, Strassen und Kanäle. 2° Man fasst im Gegentheil die einzelnen Komplexe kul- turfähigen Landes ins Auge und addirt deren Flächeninhalte. 1) Für die rasch vorübergehenden, aber nichts desto weniger gefährlichen Spätfröste des Frühjahrs und vorzeitigen Fröste im Herbste (Reifbildungen) gelten besondere Regeln. Die Frühjahrsfröste sind sehr oft am gefährlichsten für die tiefer liegenden Gegenden. Es hängt dies zum Theil von ganz lokalen Verhält- nissen ab, z. B. ob eine Oertlichkeit im Bereich der nächtlichen Thalnebel liegt oder nicht, gegen den Wind geschützt ist oder nicht; in manchen Gegenden gelten gewisse windgeschützte Stellen als „Reiflöcher” ; auch ist die Gefährlich- keit solcher Fröste für die Lokalitäten mit Exposition gegen die Morgensonne gefährlicher als für solche, welche nicht schon von den ersten Sonnenstrahlen des Tages erreicht werden. Vgl. unten, Abschnitt „Klima“. 400 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Da aber die verschiedenen Partien kulturfähigen Bodens von sehr ungleichem Werthe sind, so wird es nöthig, sie zu klassifiziren. “In Hochthälern und Hochebenen besteht meist nur eine dünne Schicht Ackerkrume unmittelbar über dem Fels- grunde. In diesem wenig mächtigen urbaren Boden macht sich der Wechsel von Frost und Hitze für die Pflanzen stark fühlbar und finden diese wenig Nahrung zu ihrem Wachs- thum. An ziemlich stark geneigten Halden wird die Dammerde oft von Regengüssen und austretenden Gewässern wegge- schwemmt und bei starkem Gefälle wird das Pflügen des Bodens schwer, wo nicht unmöglich. Schwach geneigtes Terrain hingegen ist bei günstiger Exposition sehr vortheil- haft; das Regenwasser von den Höhen her unterhält hier eine genügende Feuchtigkeit und findet auch wieder hin- reichenden Abfluss. Boden unmittelbar am Fusse eines Berges lässt oft in Bezug auf seinen Aggregatszustand, d. h. die Grösse seiner Bestandtheile, zu wünschen übrig, indem die Dammerde hier oft mit groben Gesteinsbruchstücken untermischt ist. Zudem sind die Kulturen hier der Gefahr ausgesetzt, dass sie über- schüttet und begraben werden durch Bergschlipfe oder durch Geröllmassen, welche Regengüsse und ausgetretene Wild- wasser ins Thal herabschwemmen. Die fruchtbarste Ackererde findet man gewöhnlich in den breiten Thalböden, Ebenen und Flussbecken. Sie besteht aus Alluvium, dessen auf langem Transporte zerriebenes Material den richtigen Grad der Zerkleinerung hat und meist reich ist an fruchtbaren Stoffen, welche die Gewässer in die Niederungen führten. Mitunter aber sind diese Gegenden wegen zu geringer Abdachung übermässig feucht oder von stehenden Gewässern bedeckt. Eine erste und allgemeine Klassifikation des urbaren Bodens kann also erstellt werden nach Massgabe seiner Situation. Der Reisende wird sodann jede einzelne dieser Kategorien einer weitern vergleichenden Prüfung unterziehen, um ihre Vor- und Nachtheile kennen zu lernen und durch einen Mittelwerth bezeichnen zu können. DER BODEN 401 Wiewohl die Ackerkrume von der Zersetzung der Ge- steine herrührt, welche die feste Erdrinde bilden, so besteht nicht immer eine unmittelbare Uebereinstimmung zwischen der Dammerde einer Gegend und dem Gestein, auf welchem sie liegt. Die Ackerkrume kann allerdings an Ort und Stelle entstanden sein, durch langsame Zersetzung des ge- wachsenen Felsens; sie kann aber auch durch Wasser, Winde etc. hertransportirt sein und steht dann natürlich nicht in Beziehung zu dem Fels, der ihre Grundlage bildet. Die geologische Karte gestattet daher keine sichern Schlüsse auf die mineralogische Zusammensetzung der Ackerkrume einer Gegend. Um diese Zusammensetzung kennen zu lernen, nimmt ‚man Bodenproben, wobei man bis zu 15 cm Tiefe geht, und analysirt dieselben gemäss dem auf S. 99 angegebenen Ver- fahren; kann das aus Mangel an Zeit nicht unmittelbar an Ort und Stelle vorgenommen werden, so packt man diese Muster, nachdem sie sorgfältig etiquettirt wurden, ein, um sie später zu untersuchen. Auf einer in grossem Massstab erstellten Karte der Gegend bezeichnet man die Grenzen des urbaren Bodens, sowie die Punkte, von welchen man Muster nahm. Zu diesem Zwecke kann man sich nur in grossen Zügen eine Pause des topographischen Croquis der Gegend anfertigen. Sind die Bodenproben analysirt, so klassifizirt man die | Bodenarten nach ihrer mineralogischen Zusammensetzung und stellt sie allenfalls auch in der Karte oder Pause mittels verschiedener Farben dar. Die Hauptbestandtheile der Ackerkrume sind Thon, Kalk, Sand und Humus. Das Verhältniss derselben ergibt folgende Klassifikation : Thon Kalk Sand Humus 0/0 0/0 0/9 > 00 BeRhonboden. !... . u. 0% über 40 unter 5 unter 50 5—10 II. Sand. Thonboden (Lehmboden) über 30 unter 5 50— 70 5—10 III. Kalkthonboden (Mergelboden) . über 30 5—10 unter 50 5—10 IV. Humöser Thonboden . . . . über 30 unter 5 unter 50 über 10 VW. Sandboden. . -. -. » 2 2. unter 10 unter 5 über 80 5—10 VI. Thoniger Sandboden . . . . 10—20 unter 5 über 70 5—10 VII. Kalkhaltiger Sandboden. . . unter 10 5—10 über 70 5—10 VII. Humöser Sandboden . . . . unter 10 unter 5 über 70 über 10 BR Ralkboden. . . . . . . . unter 10 über 10 50—70 5—10 X. Humusboden . . . . . . . unter 10 unter 5 unter 50 über 20 26 402 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Man gibt auch die Dicke der Ackerkrume an und ebenso | annähernd die Dicke des Untergrunds oder man bezeichnet diese letztere etwa folgendermassen: | fach — bei weniger als 0,3 m Dicke, mittelmässig — bei 0,3 bis 0,5 m 2 tief — bei über 0,5 m Die Qualität des Untergrundes wird eh als: sandig, kalkig, steinig, mergelig, felsig, thonig (lehmig). Man bemerke auch, ob der Boden kompakt oder locker | und namentlich, ob er durchlassend oder undurchlässig sei. Hinsichtlich der Bodenfeuchtigkeit kann man etwa 5 Klassen ' aufstellen, die in folgender Weise durch Nummern bezeichnet werden: 1. sehr trockener Boden, 2. 3. , mittlere Feuchtigkeitsgrade, 1 5. nasser oder sumpfiger Boden. | Dabei wäre mit Nummer 3 ein Boden von mittlerem oder normalem Feuchtigkeitsgehalt zu bezeichnen und die Nummern 2 und 4 hätten anzuzeigen, ob der in Rede stehende Boden dem einen oder andern Extrem näherstehe. Mit Bezug auf die Nutzbarmachung disponiblen Bodens in der fraglichen Gegend müssen die vorerwähnten Angaben ergänzt werden durch solche über Absatzorte (Märkte) und Transportmittel; denn sie bedingen die Möglichkeit, den Boden zu Nutze zu ziehen, sowie die beste Art dieser Be- nutzung. Das fruchtbarste Land hat wenig Werth, wenn es für die gewonnenen Produkte an Absatz fehlt. Liegt es weitab von jeder grossen Ortschaft und sind die Verbindungen schlecht, so kann man den Betrieb nicht auf solche Produkte einrichten, deren Transport kostspielig ist; man wird sich dann wesentlich | mit Viehzucht befassen, weil das Vieh selbst den Weg nach | den Märkten, beziehungsweise nach den Schlachthäusern machen kann oder davon nur Theile wie Häute und Wolle zu trans- portiren sind. Die Nähe eines bedeutenden Absatzortes, einer grossen Stadt, der gute Zustand der Strassen und ungewöhnlich günstige Transportgelegenheiten (auf Flüssen, Kanälen, Eisen- DER BODEN 403 bahnen etc.) können hingegen selbst mittelmässigen Ländereien grossen Werth verleihen; denn indem sie den Betrieb der vor- theilhaftesten Kultur gestatten, ermöglichen sie eine sichere Rendite. Die Nähe volkreicher Städte macht auch eine Garten- oder Gemüsekultur in grossem Massstabe möglich; und da hiebei die Beschaffung von Dünger leicht ist, so kann die kleinste Landparzelle zu einer unerschöpflichen Goldgrube werden, indem sie weit mehr Produkte zu liefern vermag als ein ausgedehntes, aber ungünstig situirtes Landstück. Auch mit Bezug auf agrikole Unternehmungen muss man sich, wie hinsichtlich der industriellen, nach den Schritten und Formalitäten erkundigen, die erforderlich werden zum Erwerbe von Rechten auf die Benutzung des Bodens, ferner nach den Garantien gegen die Gefahr des Depossedirtwerdens. Wenn der Absatz der Bodenprodukte hinlänglich ge- sichert und als Folge der Bevölkerungsvermehrung eine wachsende Nachfrage zu erwarten ist, so richte man sein Augenmerk auch darauf, ob für die fragliche Kultur noch Ländereien gewonnen werden können, die jetzt dazu noch ungeeignet sind, oder ob die Produktivität von Ländereien, die zu wünschen lässt, gesteigert werden kann. Das Erstere kann erreicht werden durch Urbarisirung von Wäldern, Sümpfen, seichten Weihern und Seebuchten, ferner durch Errichtung von Teichen oder Dämmen, welche das Flach- land gegen das Eindringen von Wasser schützen. Zu diesen Vorkehrungen ist auch die Korrektion und Kanalisation der Flüsse zu rechnen, sowie die Anlage von Pflanzungen, welche dem periodischen Austreten der Gewässer entgegenwirken sollen. Bevor man solche Anordnungen trifft, wird man sich aber darüber Gewissheit verschaffen, ob das zu gewin- nende Land an sich diejenigen Eigenschaften und den- Werth hat, dass es als Kompensationsobjekt für die Kosten gelten darf, und ob das Abholzen von Wäldern, sowie die Aus- trocknung grösserer Wasserbehälter nicht von nachtheiliger Wirkung auf den Boden, resp. dessen Feuchtigkeitsgrad, sind. Eine Steigerung der Produktionsfähigkeit des Bodens wird bewirkt durch Beseitigung seiner wesentlichen Fehler. So 2. B. haben die artesischen Brunnen, welche man in der Sahara grub, wüste Sandflächen in fruchtbare grüne Oasen 404 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN umgewandelt. Von solchen extremen Fällen abgesehen, könnten noch viele Ländereien verbessert werden entweder durch eine rationelle Bewässerung, wenn sie an Trockenheit leiden, oder durch Entwässerung, wenn sie zu feucht und sumpfig sind. Mitunter kann man unfruchtbaren magern Boden verbessern durch Kolmatirung, durch Anschlämmen von Bestandtheilen, die ihm fehlen. Die Operation besteht bekanntlich darin, dass man über jenes Land Wasser hin- leitet, welches mit feinem Schlamm und organischen Resten beladen ist, welche Bestandtheile sich dann ablagern und den Boden fruchtbarer machen müssen. Diese Kolmatirungen sind indess seltener anwendbar als andere Bodenamelio- rationen. Zur Vornahme der letztern findet man bei einiger Aufmerksamkeit meistens in der Nachbarschaft mittelmässigen Bodens die Elemente, welche derselbe nöthig hat, um eine fruchtbare Erde zu bilden. Oft sind diese Elemente schon im Untergrund enthalten; dann sind sie durch tiefes Um- arbeiten desselben (Rigolen) in die Höhe zu bringen und mit der Ackerkrume zu mischen. Anderorts muss man sie aus einiger Entfernung herbeischaffen, auf dem Boden aus- breiten und sie mit demselben mischen durch Umpflügen und kräftiges Eggen. Was man im Allgemeinen als Boden- meliorationen, im Speziellen als Kalken, Mergeln u. dgl. bezeichnet, beruht Alles auf dem nämlichen Prinzip, nämlich darauf, dass man einen Boden verbessert durch Mischung mit den Bestandtheilen, welche ihm fehlen; dass man so, jenachdem, bewirkt, dass er weniger kompakt wird und leichter zu bearbeiten ist oder geeigneter, Feuchtigkeit zu- rückzuhalten und Pfanzennahrstoffe zu absorbiren, oder dass seine chemisch - mineralogische Zusammensetzung korrigirt wird durch Zusatz von Kalk, Thon u. s. f., je nachdem ihm dieser oder jener Bestandtheil fehlte. Wenn endlich in der Gegend selbst Stoffe vorkommen, die als Düngmittel brauchbar sind, wie Seealgen oder Tange, marine Sande mit organischen Ueberresten, Muschellager, Guano (wenn auch von geringer Qualität), Phosphate, Karnalit u. s. w., so unterlasse der Reisende nicht, dies zu erwähnen, weil diese Stoffe, wiewohl als Ausfuhrartikel ohne Bedeutung, von grossem Werthe sind für die Steigerung der Produk- tivität des Landes. KLIMA 405 KLIMA. Als Klima eines Ortes oder eines Landes bezeichnet man die Witterungsverhältnisse desselben, d. h. den Zustand der Atmosphäre und des Himmels daselbst. Die sachbezüglichen Beobachtungen erstrecken sich also auf Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck, Richtung, Stärke und sonstige Beschaffenheit der vorherrschenden Winde, Be- wölkung des Himmels, atmosphärische Niederschläge u. s. w. Die Faktoren, welche das Klima bedingen, sind sehr verschieden: die geographische Lage, die Höhe über Meer, die Exposition, grössere oder geringere Nähe am Meer oder Entfernung von demselben, Richtung und Höhe der Berg- ketten, Reichthum oder Armuth an Vegetation sind von solchem Einfluss auf das Klima, dass vielleicht nicht zwei Gegenden der Erde ganz dasselbe Klima haben und es von Wichtigkeit ist, dass die Eigenthümlichkeiten des Klimas eines Ortes oder einer Gegend genau erforscht und darge- stellt werden. Wo meteorologische Observatorien oder Stationen vor- handen sind, welche mit guten Instrumenten wissenschaft- lichen Beobachtungen obliegen, wird sich der Reisende selbstverständlich damit begnügen, die schon vorhandenen Angaben zu rekapituliren; wo wenigstens einzelne individuelle Beobachtungen gemacht wurden, wird er diese sammeln und angemessen verwerthen. Direkte eigene Beobachtungen werden also auf Lokalstudien in noch ziemlich unbekannten Ländern oder in entlegenen Ortschaften beschränkt sein. Ist die Gegend, um welche es sich handelt, kolonisations- fähig, so hat man ihr Klima, namentlich vom hygieinischen Standpunkte aus, zu studiren, weil von dem gesunden oder ungesunden Klima Erfolg oder Misserfolg künftiger koloni- satorischer Unternehmungen abhängen kann. Bleibenden Werth erlangen die meteorologischen Beob- achtungen freilich erst, wenn sie sehr lange Zeit fortgesetzt werden ; denn nur so kommt man zur Kenntniss der normalen oder durchschnittlichen Witterungsverhältnisse, der Mittel- werthe für die verschiedenen klimatischen Faktoren. Gleichwohl vernachlässige der Reisende die isolirten Beobachtungen, die 406 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN er en passant anstellen oder sammeln kann, nie; denn diese Angaben können einerseits als Ausgangspunkte, als erste Elemente, dienen und von andern Reisenden ergänzt werden, um daraus Mittelwerthe abzuleiten; andrerseits können sie beitragen zur Kenntniss der Abweichungen von schon er- mittelten Durchschnittsverhältnissen, der sogenannten Ano- | malien, welchen in neuerer Zeit nicht weniger Beachtung zu Theil wird als den Mittelwerthen, während sie früher diesen gegenüber von der Meteorologie vernachlässigt wurden. Temperatur. Die Temperatur, d. i. der Wärme- oder Kältegrad eines Punktes zu einer gegebenen Zeit wird, wie bekannt, mit dem Thermometer gemessen. Da hiefür drei verschiedene Gradeintheilungen oder Skalen bestehen, so muss man jeweilen angeben, welche derselben benutzt wurde. Ist man genöthigt, bei den Beobachtungen ein Thermometer zu verwenden mit einer anderen Eintheilung als derjenigen, die man zu gebrauchen wünschte, oder sind die indirekt ' erhaltenen Temperaturangaben nach einer solchen Skala ge- macht — nach Reaumur oder Fahrenheit, während man | Centigrade wünschte — so können mit Hülfe der Taf. VI‘ im Anhang dieses Buches leicht die nöthigen Umrechnungen vorgenommen werden. Wir setzen voraus, der Reisende habe sich vor der Ab- fahrt mit einem guten Instrument versehen und dessen An- gaben bei jeder vorkommenden Gelegenheit mit denen andrer Thermometer verglichen. Eine solche Verifikation muss sich, damit sie zuverlässig sei, auf mindestens zwei Punkte der Skala beziehen. Zu dem Ende taucht man das zu prüfende Instrument und ein Normalthermometer in warmes Wasser von etwa 40°, sodann in Wasser von gewöhnlicher Tem- peratur oder noch besser in schmelzenden Schnee, und notirt die Differenzen, welche das zu untersuchende Thermometer gegenüber dem als Norm dienenden Instrument aufweist. Diese Korrektionen bleiben für mehrere Jahre unverändert. Es kann indess vorkommen, dass man ein Instrument anwenden muss, hinsichtlich dessen Zuverlässigkeit wir keine Garantien haben und das man nicht durch Vergleichung mit einem Normalthermometer verifiziren kann. Es mag desshalb am Platze sein, hier anzugeben, wie man sich in solchen Fällen vergewissern kann, dass keine merklichen Fehler vor- KLIMA 407 kommen. Zu dem Ende taucht man die Kugel und den untern Theil der Röhre des Instrumentes in ein Gefäss, in welchem Eis oder Schnee mit Wasser zu einem dicken Brei vermischt sind. Ist das Instrument genau, so muss das Quecksilber bei jeder Wiederholung des Versuches bei dem Theilstrich stehen bleiben, welcher der Temperatur schmel- zenden Eises entspricht, d. i. bei 0° nach der Celsius’schen und Reaumur’schen Skala, bei + 32° nach Fahrenheit. Andernfalls kennt man nun die Differenz, welche man den Angaben des Instrumentes hinzufügen oder von denselben abziehen muss, um die wahre Temperatur zu erhalten’). Noch besser bringt man zerstossenes Eis in ein durch- löchertes Gefäss, aus welchem das Schmelzwasser abfliessen kann, wobei in einem Lokal von über 0° Temperatur zu operiren ist. — Ferner verifizirt man das Instrument, indem man dasselbe in den Dampf bringt, welcher bei einem Luft- druck von 760 mm siedendes Wasser erzeugt. Ist das Instrument richtig, so muss es um 100 Centigrade, 80° nach Reaumur und 212° nach der Fahrenheit’schen Skala zeigen. — Während bei den Quecksilberthermometern die Verifi- kation für längere Zeit und erst nach ziemlich langen Inter- vallen wiederholt werden muss, sollten Weingeistthermometer, welche bei Reisen viel mehr Störungen unterworfen sind, vor jedesmaligem Gebrauche mit einem Quecksilberthermo- meter verglichen werden. Wenn die Quecksilbersäule des Thermometers sich auf der Reise in zwei oder mehr Partieen trennt oder Quecksilber- tropfen oben an der Glasröhre hängen bleiben, so muss man dem Instrument leichte Stösse ertheilen oder es vorsichtig erhitzen, bis die verschiedenen Quecksilberpartieen sich wieder vereinigt haben. Die Abkühlung des erhitzten Instrumentes darf, wie die Erwärmung, auch nur langsam erfolgen. Vor jedem Gebrauche hat man Kugel und Röhre des Thermometers sorgfältig von Staub und Feuchtigkeit zu reinigen, wenn dies im geringsten nöthig scheint. Da man auf der Reise nicht jeden Augenblick am In- strumente Ablesungen machen kann, so merke man sich, dass 1) Bei den meisten neu angefertigten Thermometern rückt der Nullpunkt mit der Zeit — und zwar besonders stark im Anfang — hinauf, sodass alle abgelesenen Temperaturen zu hoch sind. Die Nullpunktskorrektion ist dann von den positiven Temperaturen zu subtrahiren, den negativen aber hinzuzufügen. | 408 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | in der Regel das Maximum der Tagestemperatur zwischen 2 und 3 Uhr Nachmittags eintritt, das Minimum aber etwa !/g Stunde vor Sonnenaufgang, und dass die halbe Summe | .dieser beiden Zahlen von der Mitteltemperatur der 24 Stunden des Tages nur wenig abweicht. Folglich kann man sich auf 2 tägliche Temperaturbeobachtungen beschränken, wenn man diese in den genannten Zeitpunkten macht. Konvenirt es nicht, die eine Beobachtung so früh anzustellen oder ist. man nicht sicher, dass man in dem Zeitpunkt, wo die andere gemacht werden sollte, wieder am Beobachtungsorte sei, so wendet man Maximum- und Minimumthermometer an. Es ist indessen gut, dass man soviel möglich auch in der Zwischenzeit Beobachtungen mache, z.B. von 3 zu 3 Stunden, um so ein Bild zu erhalten von dem Gange oder den Schwan- kungen der Temperatur im Verlaufe eines Tages. Als Zeit- punkte für solche Beobachtungen wird man etwa die folgenden | wählen: 3", 6°, 9" Vormittags; 12" Mittags; 3", 6', 9" Nach) mittags und 12" Mitternacht, wobei man die Beohachtungen zur Nachtzeit einem Wächter überträgt, beziehungsweise | Denen, welche nächtlicherweile die Runde um das Lager zu | machen haben. Hat man sich einmal für bestimmte Zeit- punkte entschieden, so ändere man dieses System nicht ohne Noth und jedenfalls nicht ohne eine bezügliche Notiz im Reisejournal. Die Mitteltemperatur eines Ortes zu bestimmen, ist schwieriger als man oft glaubt. Die Exposition desselben, Strahlung, Luftströmungen etc., wirken auf den Stand des | Thermometers ein. Man muss daher hierauf Rücksicht nehmen | und alle störenden Einflüsse zu vermeiden suchen. Das In- strument bringt man in einer Höhe von etwa 1 m über dem Boden und wenigstens !/a m von jeder Mauer oder Felswand entfernt an. Es muss immer im Schatten, auf der nördlichen Halbkugel also gegen Norden, auf der südlichen gegen Süd, gerichtet sein. Wenn es aber geschützt werden soll vor Sonnen- strahlen und Regen wie auch vor kalten und warmen Winden, so muss es doch wieder genügend der Luft ausgesetzt sein. Diese verschiedenen Bedingungen sind nicht immer leicht zu erfüllen. Bei Aufstellung des Instrumentes im Freien möchte man etwa hiezu eine schattige Stelle in einem Walde am Saume desselben wählen; aber die Temperatur unter den | KLIMA 409 Bäumen ist nicht dieselbe wie im offenen Lande: sie ist im Sommer niedriger und im Winter höher. Auch sind dort die Zeitpunkte für die Temperaturextreme andere und zwar spätere. Unter einem Zelte kann man das Instrument auch nicht an- bringen, denn dabei würde man wieder nicht die Temperatur der Luft im Freien erhalten. In solchen Fällen bleibt nichts andres übrig, als an dem Instrument eine Schnur anzubringen (es zu einem Schleuder-Thermometer zu machen) und es nun so lange lebhaft in der Luft zu schwingen, bis das Queck- silber einen festen Stand annimmt. So erhält man selbst in vollem Sonnenlichte ziemlich genau die richtige Lufttemperatur. Ist einmal das Thermometer an einer bestimmten Stelle angebracht, so muss man es ziemlich lange dort lassen, damit es die Temperatur seiner Umgebung annimmt. Das Ablesen muss schnell und ohne Berührung des Instrumentes geschehen, damit nicht der Athem und die ausstrahlende Körperwärme den Stand des Quecksilbers verändere. Bei nächtlichen Be- obachtungen hüte man sich, ein Licht in die Nähe des Instrumentes zu bringen; zum Ablesen bediene man sich hiebei einer kleinen Phiole, die ein Stück Phosphor in sie- dendem Olivenöl enthält, mit welch letzterem ?/3 des Gefässes gefüllt sind. So oft man die Phiole entkorkt, leuchtet der Phosphor auf und man kann dann die Ablesung machen. Bei dieser sind — ob sie am Tage oder in der Nacht vor- genommen werde — zuerst die Bruchtheile (Zehntel) der Grade abzulesen und erst dann die ganzen Grade; auf diese Weise ist man am ehesten gesichert gegen den störenden Einfluss der Annäherung des Beobachters. Gibt die Skala keine Zehntel an, so schätzt man diese ab nach dem Stande des Quecksilbers zu den nächsten Theilstrichen. Dabei wird es kaum der Bemerkung bedürfen, dass die Zehntel bei Wärmegraden (über 0°) nach oben, bei Kältegraden (unter 0°) nach unten zu nehmen sind. Bei Placirung eines Minimumthermometers bringt man das Instrument in etwas geneigte Lage, so dass die Kugel sich höher befindet als das andere Ende der Glasröhre. Hiebei rückt der Schwimmer bis an’s Ende der Weingeistsäule vor, wo er Halt macht. Nunmehr legt man das Instrument hori- zontal und lässt es in dieser Lage während des ganzen Zeitraums, für welchen man die Minimaltemperatur bestimmen 410 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN j 1 will, also z. B. während der ganzen Nacht. Da, nach der Konstruktion dieses Thermometers, der Index (Schwimmer) gegen die Kugel gezogen wird, wenn die Weingeistsäule sich .zurückzieht, aber in Ruhe bleibt, wenn die Flüssigkeit sich ausdehnt und gegen das andere Ende der Glasröhre vorrückt, , so bezeichnet das von der Kugel abgekehrte Ende des Schwim- mers die niedrigste Temperatur der Beobachtungsperiode, welche Position auch im Momente der Ablesung die Alkoholsäule einnehme. Das Maximumthermometer hingegen bringt man so an, dass die Kugel unten ist und gibt ihm leichte Stösse bis, der Index (Stahlstift oder Bolzen) dicht auf die Quecksilber- säule zu liegen kommt. Dann legst man auch dieses In- strument wagrecht und lässt es in dieser Lage bis nach gemachter Ablesung. Das der Kugel abgewendete Ende des Index bezeichnet nun die höchste Temperatur der Beobachtungs- zeit; es ist das der Punkt der festen Skala, bis zu welchem der bewegliche Index (Stift) von der Quecksilbersäule vor- geschoben wurde und wo das Quecksilber denselben liegen liess, als es sich zurückzog. Zweck der thermometrischen Beobachtungen ist die Kenntniss der Temperaturextreme, der täglichen Wärme-! schwankungen, d.h. der Temperaturveränderungen innerhalb 24 Stunden, endlich der täglichen, monatlichen und jähr- lichen Temperaturmittel. Wir haben nun soeben angegeben, wie man die Temperaturextreme ermittelt. Was die täglichen Schwankungen der Temperatur betrifft, so sind zu deren, Kenntniss Beobachtungen in kurzen Intervallen nöthig, | z. B. allstündliche oder solche von 2 zu 2 Stunden, und zwar sollten diese Beobachtungen mindestens den Zeitraum eines ganzen Jahres umfassen. Solches kann man nun nicht von einem Reisenden erwarten, sondern nur von Personen, die während langer Zeit in einem Lande verweilen. Der Reisende soll aber doch soviel Beobachtungen dieser Art machen als ihm nur möglich ist; dabei wechsle er mit den Stationen ab, operire bald an der Meeresküste, bald im Innern, bald im Flachland und bald im Gebirge, das eine Mal bei hellem, ein andres Mal bei bedecktem Himmel etc. Kann man an ein und derselben Station zum zweiten Mal, in einer andern Jahreszeit, Beobachtungen anstellen, um so besser. KLIMA 411 Behufs Veranschaulichung der Resultate überträgt man dieselben auf carrirtes Papier nach der in Fig. 203 dar- gestellten Art. Am linken Rande bringt man als Skala die Thermometergrade an, unten die Stunden. Die vom Beginn der Beobachtung an verflossenen Zeiten erscheinen somit als Abszissen ; auf der Ordinate (Senkrechten) welche einem ge- gebenen Zeitpunkt zugehörte, trägt man die entsprechende | | | Mitternacht 2 4 6 S 10 Mittags 2 4 6 8 10 Mitternacht Fig. 203. Temperatur auf; die so erhaltenen Punkte verbindet man durch eine Kurve, welche nun die Schwankungen (Variationen) oder den Gang der Temperatur während des Beobachtungs- zeitraums vorstellt. Die Mitteltemperaturen erhält man ganz einfach, indem man die (algebraische) Summe der sämmtlichen abgelesenen Temperaturen durch die Anzahl der Beobachtungen dividirt'). _ Kennt man nur die Temperaturextreme eines Tages, d.h. ines Zeitraums von 24 Stunden, so ist die halbe Summe erselben (das arithmetische Mittel) als Mittelteraperagut nzusehen, z. B.: an 25° —- 15° 4 7° Minimum = u — 17° Summe 349 —- 12° — 10° Mittel ER —- 6° — 50 1) Ausser den $. 40 erwähnten 2 täglichen Beobachtungen und denjenigen ‚on 3 zu 3 Stunden können hiezu auch solche von 6 zu 6 Stunden benutzt werden, 'erner 3malige Beobachtungen im Laufe eines Tages: 6h, 2h, 10h oder Th, Ih, 9h. 412 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | In entsprechender Weise wird die Mitteltemperatur be-. stimmt, wenn man im Laufe der 24 Stunden 4 oder 6 Be- obachtungen machte, z. B.: | 109 4 9 2 0 | 15° + 100 — 2 j 10) a Se 9 | g0 = 5 m ! Summe 449 -- 169 ed Mittel 110 — .W Ban Summe —-120 Mittel - — 20 } In ähnlicher Weise erhält man die Mitteltemperatur eines Monats oder eines Jahres, indem man die Summe der abge lesenen Temperaturen durch die Gesammtzahl der Ablesungen. dividirt; einfacher addirt man die Tagesmittel und dividirt diese Summe durch die Zahl der Tage des betreffenden Monats oder des Jahres. Zu dem Ende wäre aber nöthig,' dass der Reisende während langer Zeit täglich Beobachtungen machte, was in den meisten Fällen unmöglich ist. Da zudem) die einzelnen Jahrgänge verschieden sind, so kann die wahre‘ Mitteltemperatur eines Ortes nur erhalten werden aus mehr-' jährigen ununterbrochenen Beobachtungen‘). Um nun die mittleren Temperaturen der besuchten Orte wenigstens an-' nähernd kennen zu lernen, muss der Reisende Mittel an- wenden, die rascher zum Ziele führen als die erwähnte‘ genaue Methode. Ein solches Mittel bieten Beobachtungen der Bodentemperatur in einer Tiefe von 15—25 m oder, was dem Reisenden weit leichter fällt, Beobachtungen über die Temperaturen der Quellen in der Gegend (selbstverständlich‘ mit Ausschluss der Thermen) oder nicht zu tiefer Brunnen und endlich unterirdischer Räumlichkeiten (Souterrains). Die Temperatur des Erdbodens muss in um so grösseren Tiefe gemessen werden, je grösser für die betreffende Gegend der Unterschied zwischen Sommer- und Wintertemperatur ist. | Unter den Tropen, wo die Jahreszeiten sich nicht sehr von | 1) In den Aequatorialgegenden sind die Abweichungen der einzelnen Beob- achtungen von den mittleren Werthen sehr geringfügig; dort stellen schon ein- Jährige Beobachtungen fast genau die mittleren Wärmeverhältnisse eines Ortes dar; je weiter aber ein Ort vom Aequator entfernt liegt, einer um so längern Beobachtungsdauer bedarf es, um dessen durchschnittliche Temperaturverhältnisse festzustellen. Vgl. Hann, Hochstetter und Pokorny, Allgemeine Erdkunde S. 75. KLIMA 413 einander unterscheiden, hören die Schwankungen im jähr- lichen Gang der Wärme schon in geringer Tiefe auf. In der gemässigten Zone muss man schon tiefer in die Erde eindringen, um auf eine Schicht mit konstanter Temperatur zu treffen. Indem man eine solche aufsucht, hat man — wie schon oben, S. 285, bemerkt wurde — sich zu hüten vor Stellen, an welchen das Thermometer störenden Einflüssen ausgesetzt wäre, z. B. durch Sickerwasser, benachbarte heisse Quellen, Mofetten u. dgl. An der gewählten Stelle gräbt man ein Loch und versenkt das Thermometer, nachdem man dessen Kugel mit einem schlechten Wärmeieiter (Wolle, Werg, Wachs, Harz etc.) umgeben und das ganze Instrument zu dessen Schutze in eine Schachtel gebracht hat. Hierauf verstopft man das Loch wieder angemessen mit Erde, wobei vorzu- sorgen ist, dass nicht Tagwasser in dasselbe fliessen kann. Man lässt das Thermometer wenigstens 12 Stunden in der Erde, bevor man es zum Zwecke des Ablesens der Boden- temperatur herausnimmt. Zur Bestimmung der @kellentemperatur sucht man Quellen auf, die sich in normalen Verhältnissen befinden; solche dürfen also nicht unmittelbar von schmelzendem Schnee oder Gletscher- wasser genährt werden, noch in der Nähe thätiger Vulkane sich befinden; ebenso sind von diesen Beobachtungen Quellen auszuschliessen, deren Wasser sehr tief in die Erde einge- drungen ist, bevor es wieder zu Tage trat. Die Temperatur der Quelle wird sodann bestimmt, indem man das ganze Ther- ometer in dieselbe eintaucht und zwar möglichst nahe an der Stelle, wo das Wasser hervorsprudelt und indem man das Instrument lange genug im Wasser lässt, damit es dessen Temperatur annimmt. Dann zieht man es soweit heraus, dass die Ablesung gemacht werden kann und wiederholt das Verfahren noch ein- oder zweimal; sind zwischen den Be- »bachtungen Differenzen vorhanden, so nimmt man das Mittel lerselben. Die Ablesung muss selbstverständlich sehr rasch folgen, sodass inzwischen das Instrument nicht durch die ufttemperatur beeinflusst werden kann. Die Quellentemperatur ınd die mittlere Lufttemperatur eines Ortes stimmen indessen ıur genau überein in den Zonen zwischen 30° und 40° ıiördlicher oder südlicher Breite; näher am Aequator ist die ittlere (Luft-) Temperatur eines Ortes etwas höher als die 414 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Quellentemperatur; zwischen 40 und 55° ist die erstere etwas tiefer, und diese Differenz nimmt jenseits des 55. Breite- grades merklich zu. Auch gilt die Uebereinstimmung zwischen Luft- und Quellenwärme nur bis zu 1000 m absoluter Höhe; in grösseren Höhen sind die Quellen um mehrere Grade wärmer als die Luft. Ausserhalb des Gebietes, in welchem die Mitteltemperatur eines Ortes mit seiner Quellentemperatur übereinstimmt, muss man womöglich in verschiedenen Jahreszeiten gewöhnliche Temperaturbeobachtungen vornehmen. Diese werden durch Angaben andrer Reisenden vervollständigt werden, und indem man die Daten aus gleich weit von einander abstehenden Monaten vergleicht, wird man einen approximativen Mittel- werth konstruiren können. Eine Aufgabe des Reisenden wird es auch sein, Beob- achtungen zu machen über die Abhängigkeit der Lufttempe- ratur von der Höhe‘). Das beste Verfahren hiefür wäre das, dass man mit vorher verglichenen Thermometern an ver- schiedenen Punkten, welche in horizontaler Richtung nicht weit auseinander liegen, in vertikaler aber je zirka 300 m Abstand zeigen, gleichzeitige Beobachtungen vornähme. Da dies aber nicht immer möglich ist, so wird der Reisende wenigstens notiren, in welcher Höhe gewisse Kulturpflanzen, Baumarten, die Wälder aufhören und der ewige Schnee be- ginnt (vgl. S. 253). In manchen Fällen wird der Reisende auch die Zuft- temperatur auf hohen Bergspitzen bestimmen oder doch deren Extreme, letztere, indem er ein Maximum- und ein Mini- mumthermometer anbringt, das später von ihm oder seinen Nachfolgern beobachtet wird. Die Messungen der Lufttemperatur, von welchen bisher die Rede war, müssen im Schatten und an Stellen, welche vor Wind geschützt sind, gemacht werden. Aber um alle Faktoren des Klimas einer Gegend, Alles, was auf ihre Pflanzen- welt und ihre ganze organische Natur einwirkt, kennen zu lernen, muss man auch die Temperatur in freier Luft bei I) Das Maass dieser Abnahme in Gebirgen und Bergländern hat man ziemlich gleichförmig, in den Tropengegenden wie bei uns, zu 0,60 C. für je 100 m gefunden, so dass die Jahreswärme um 10 C. abnimmt für je zirka 170 m Zunahme der Höhe. Ueber die Verschiedenheiten dieser Abnahme nach Bodengestalt (Plateau- Erhebungen etec.), Exposition, Jahres- und Tageszeit vgl. Hann, a. a. 0. S. 80. KLIMA 415 voller Sonnenstrahlung ermitteln, d.h. die Wärmegrade ab- lesen, an einem Thermometer, welches in keiner Weise ge- schützt ist, weder gegen die Sonnenstrahlen noch gegen Winde, seien diese kalt oder warm. Stellen zu solchen Beohbach- tungen wird man leicht finden; an denselben braucht man einfach das Thermometer in ungefähr 1 m Höhe über dem Boden frei aufzuhängen. Als Ursachen, welche die Temperatur eines Ortes be- dingen, kommen in Betracht die Zustrahlung von Sonnen- wärme (Radiation, Insolation, Sonnenstrahlung) und die terrestrische Wärmeausstrahlung. Die Präzisionsinstrumente, womit man die einem Orte durch die Sonne zugestrahlte Wärmemenge (solare Wärme, Insolation') misst, sind sehr kostbar und schwierig zu trans- portiren; der Reisende ist desshalb kaum in der Lage, dies- fallsige genaue Beobachtungen zu machen; es ist aber sehr zu wünschen, dass er wenigstens approximative Angaben über die Intensität der durch die Sonnenstrahlen bewirkten Wärme und über den Wärmeverlust durch Ausstrahlung in der betreffenden Gegend liefere. Zu diesem Zwecke kann man Extremthermometer (Minimum- und Maximumthermo- meter) anwenden, deren Kugeln mit Kienruss geschwärzt wurden. Setzt man ein Maximumthermometer mit geschwärzter Kugel auf einer Wolldecke oder einem andern schlechten Wärmeleiter, welcher dasselbe vor dem Einflusse der terrest- rischen Wärmestrahlung schützt, der Sonne aus, so gibt es ziemlich genau die solare Radiation, d. h. das ausschliess- lich den direkten Sonnenstrahlen zuzuschreibende Wärme- Quantum an. Damit das Resultat ganz exakt ausfiele, müsste man freilich das Instrument noch der Einwirkung der äussern Luft entziehen und es zu diesem Zwecke in einen Cylinder einschliessen, aus dem nachher die Luft herauszupumpen wäre. Die Ausstrahlung von Erdwärme geht namentlich während der Nacht vor sich; um sie zu messen, bringt man ein Maximum- und ein Minimumthermometer in horizontaler Lage entweder direkt auf dem Boden an, wenn er nackt oder 1) Vgl. hierüber Hann, a. a. O., Seite 69; ferner: Dr. Karl Remeis, die Strahlung und die Temperatur der Sonne; eine Darstellung und Erörterung der einschlägigen Messungen und erlangten Resultate. Gäa 1880, Heft X bis XII. 416 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN mit Schnee bedeckt ist, oder placirt sie auf zwei kleinen Stützen 2—3 cm hoch über kurz geschnittenem Rasen, da wo es sich um bewachsenen Boden handelt. Gegen Morgen - kann man dann ablesen, welches das Maximum der Wärme gewesen ist, die von der terrestrischen Ausstrahlung her- rührte und welchen Grad nächtlicher Abkühlung der Boden erlitt. Zu solchen Beobachtungen muss man Tage und Nächte mit klarem Himmel und ruhiger Luft wählen, da die solare Radiation wie die Erdwärmeausstrahlung in hohem Grade durch den Zustand der Atmosphäre, namentlich durch Wolken: und Nebel, beeinflusst werden. Reinheit und Durchsichtigkeit der Luft. Da die normale Zusammensetzung der Luft überall die gleiche ist, so braucht man nur die Aenderungen zu notiren, welche dieselbe an einem gegebenen Orte zu gegebener Zeit erleidet; die Reinheit der Luft kann gestört werden durch fremde Bestandtheile wie Gase, Miasmen, Rauch und Staub. Die Gasausströmungen, die Miasmen und der Rauch sind rein örtliche Vorkommnisse und affıziren den Geruchsinn, sobald sie einen namhaften Theil der Luft ausmachen. Der Rauch wird zudem sichtbar, sobald er in bemerkenswerther Menge vorkommt. Die Staubtheilchen in der Luft — wenig- stens die grösseren‘) — werden ebenfalls sichtbar, wenn man durch eine kleine Oeffnung Sonnenlicht in den Raum eindringen lässt; zuweilen trüben sie die Atmosphäre und setzen sich in reichlicher Menge auf allen festen Körpern ab; dies ist der Fall mit den vom Winde aufgewirbelten Staubwolken und vulkanischen Aschen. Die Durchsichtigkeit der Luft hängt zum Theil von ihrer Reinheit ab, zum Theil auch von ihrem Gehalte an Wasser- dampf. Man beurtheilt dieselbe nach dem Grade der Sicht- barkeit entfernter Objekte wie der Kontouren von Bergen, und die Durchsichtigkeit der höhern, zwischen dem Auge des Beobachters und dem Zenith befindlichen Luftschichten misst man mit dem Cyanometer (vgl. pag. 18), wobei man 1) Nach Untersuchungen von John Aitken in Edinburgh (Vortrag vor der Royal Society daselbst, 20. Dezember 1880) ist zu unterscheiden zwischen diesen grös- seren Staubtheilchen, welche uns sichtbar werden, indem sie das Sonnenlicht reflektiren, und unendlich kleinen unsichtbaren Theilchen, die eine wichtige Rolle spielen bei der Bildung von Nebel und Wolken und hinsichtlich der blauen Farbe des Himmels. Vgl. Naturforscher 1881, Nr. 8; Gäa 1881, S. 208. KLIMA 417 von dem Grundsatze ausgeht, dass die Durchsichtigkeit der Luft um so grösser sei, je dunkler das Blau des Himmels erscheint. Feuchtigkeitsgehalt der Luft. Die Luft enthält immer, auch wenn sie noch so trocken scheint, ein gewisses Quantum Wasserdampf, welcher sichtbar wird, sobald die Temperatur so tief sinkt, dass der Wasserdampf konden- sirt wird'). Die Wasserdampfmenge, welche die Luft enthalten kann, hängt von der Temperatur ab. Je wärmer die Luft ist, um so mehr Wasser kann sie in Form unsichtbaren Dampfes enthalten; je kälter sie aber ist, um so weniger Dampf bedarf sie zu ihrer Sättigung, d. h. um den Zustand anzu- nehmen, in welchem das dampfförmige Wasser verdichtet und sichtbar wird. Die Temperatur, bei welcher dies ge- schieht, heisst der Thaupunkt. Man weiss, wie viel Wasserdampf ein bestimmtes Quantum Luft bei jeder Temperatur enthalten muss, um gesättigt zu sein. Man drückt sie aus, indem man das Gewicht des in einem Kubikmeter enthaltenen Wasserdampfs angibt oder aber den Druck (die Tension oder Spannung), welchen dieser Dampf auf Alles, was ihn umgibt, ausübt und der gemessen werden kann durch die Höhe der Quecksilbersäule, welche ihm das Gleichgewicht hält. Zwischen jenem Gewicht, in Grammen ausgedrückt, und dem in Millimetern angegebenen Dunstdruck besteht ein Verhältniss, welches konstant ist, soweit es sich wenigstens um die in der Praxis vorkom- menden Fälle handelt. Bei iO Gramm Gewicht ist die Spannung = 10 mm; 15 mm Spannung entsprechen einem sewicht von 15 Gramm u. s. w. Als absoluten Feuchtigkeitsgehalt der Luft bezeichnet man las in der Volumeneinheit Luft wirklich enthaltene Dampf- I) John Aitken stellt auf Grund mehrfacher (vor der Royal Society in Edin- ‚urgh wiederholter) Versuche folgende Sätze auf: 1) Wenn überhaupt Wasser- ampf in der Atmosphäre kondensirt, so geschieht dies stets auf irgend einem ten Kern; 2) Staubtheilchen bilden in der Luft die Kerne, auf welchen der ampf kondensirt; 3) wenn kein Staub vorhanden wäre, würden auch keine Nebel, eine Wolken, keine Dünste und wahrscheinlich kein Regen existiren, und die bersättigte Luft würde jeden Gegenstand auf der Erdoberfläche in einen Konden- ator verwandeln, auf dem sie sich abscheiden würden; 4) wenn in kalter Luft nser Athem sichtbar wird und jeder Dampfstrahl, sowie er in die Luft entweicht, 0 beweist dies den unreinen und staubigen Zustand unserer Atmosphäre, Vgl. ie in voriger Note (S. 416) angeführten Zeitschriften. 27 415 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN quantum; unter der relativen Feuchtigkeit aber, oder dem hygrometrischen Zustand der Luft, versteht man das Ver- hältniss zwischen der absoluten Feuchtigkeit und derjenigen “ Menge Wasserdampf, welche die Luft bei der gegebenen ı Temperatur enthalten müsste, um gesättigt zu sein; sie) wird ausgedrückt in Prozenten, d. i. in Hunderteln des zuletzt erwähnten Wasserdampfquantums. Analog verwendet man die Ausdrücke absoluter Dunst- druck und relativer Dunstdruck. Da bei den in freier Luft vorkommenden Temperaturen die Dichte des Wasserdampfes stets nahzu °/s von jener der Luft gleicher Temperatur und Spannkraft ist, so drückt annähernd dieselbe Zahl die rela- tive Feuchtigkeit und den relativen Dunstdruck aus. Unter den Instrumenten, welche, wie S. 19 bemerkt wurde, dazu dienen, die hygrometrische Beschaffenheit der Luft zu beobachten, befindet sich in erster Linie ein Ther- mometer, welches dazu bestimmt ist, die Temperatur anzu- geben, bei welcher die umgebende Luft gesättigt wäre (den Thaupunkt); die Lufttemperatur wird durch das gewöhnliche | Thermometer bestimmt. Aus diesen beiden Angaben be- rechnen wir nun die relative Feuchtigkeit in Prozenten. Es sei z. B. die Lufttemperatur 20°, so braucht der m? Luft 18,77 gr. Wasserdampf zu seiner Sättigung. Das zweite Thermometer sei auf 4° gestanden, als der silberne Ring desselben mit Wasserdampf beschlagen wurde; bei dieser Tem- peratur enthält gesättigte Luft nur 7,82 gr. Wasserdampf; die relative Feuchtigkeit ist daher -, — 0,42 oder 42 %o, Ein andres Beispiel. Der Thaupunkt sei bei 12° eingetreten, die Lufttemperatur aber sei 16°. Nun ist die Spannung des Wasserdampfs bei 12° Wärme — 10,5 mm und bei 16° — 13,5 mm. Die relative Feuchtigkeit ist daher ar — 0,78 oder 78°). Tabellen, welche diese Berech- nungen erleichtern, finden sich im Anhange (Taf. 7). Das Haarhygrometer von Dr. C. Koppe (S. 19) gibt die relative Feuchtigkeit in Prozenten, resp. Hunderteln, direkt an; man braucht blos die Zahl abzulesen, welche ein Zeiger auf einem Zifferblatte bezeichnet. Ein sorgfältig konstruirtes und kontrolirtes Haarhygrometer ist ein Instrument, das in manchen Fällen (bei Temperaturen unter O und Schwankungen Es : KLIMA 419 derselben um O herum) den Vorzug vor dem Psychrometer ‚verdient; es ist aber zu empfehlen, dass man sich rechtzeitig durch einen geübten Beobachter in dessen korrekter An- wendung und Kontrole unterrichten lasse. Das Psychrometer, welches wir auf S. 19 beschrieben, beruht auf dem Prinzip, dass in einer mit Feuchtigkeit ge- sättigten Luft keine Verdunstung erfolgen kann; das trockene und das befeuchtete Thermometer müssten hier die gleiche Temperatur zeigen; die Verdunstung ist um so stärker, je trockener die Luft; um so grösser ist auch der Wärme-Entzug aus dem befeuchteten Thermometer, um so tiefer also sinkt dasselbe. Dieses Sinken und die Differenz zwischen den beiden Thermometern (dem trockenen und benetzten) stehen also unter übrigens gleichen Umständen in geradem Ver- hältniss zur Trockenheit der Luft, von welcher man auf die relative Feuchtigkeit, ihr Komplement, schliesst. Bei der Anwendung des Psychrometers ist einige Vorsicht nöthig. Zunächst muss man sich vergewissern, ob die Thermo- meter in ihren Angaben übereinstimmen. Zu diesem Zwecke taucht man beide bis zum gleichen Theilstrich in Wasser, das man successive auf verschiedene Temperaturen gebracht hat und das man gut umrührt, damit die ganze Menge möglichst denselben Wärmegrad habe. Wird dies mehrmals wiederholt, so muss man dabei für jede einzelne Temperatur auf beiden Thermometern dieselben Angaben erhalten. Zeigen sich Unterschiede, so notirt man dieselben, um sie bei den Be- bachtungen zu berücksichtigen. Solche Verifikationen werden amentlich dann nothwendig, wenn etwa ein Thermometer zerbricht und durch ein andres ersetzt werden muss, das ielleicht keines von den besten ist. Die Mousseline, womit an die Glaskugel des zu befeuchtenden Thermometers ımgibt, darf nicht zu dick und muss gut gewaschen sein. an befestigt sie am Thermometer, indem man sie über und ınter der Glaskugel mit einem Faden bindet, so dass sie ich gut anschmiegt, Falten und Doppellagen aber möglichst rermieden werden. Diese Mousselinehülle muss erneuert werden, ‚obald sie steif wird und das Wasser nicht mehr leicht absorbirt, uch, sobald sie zerrissen oder schmutzig ist und irgend einen "unkt der Glaskugel unbedeckt lässt. Das Wasser, womit man as Gefäss füllt, in welches der untere Theil der Mousseline 420 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN wie ein Docht eintaucht, muss möglichst rein sein. In Er- manglung nicht zu kalkreichen Trinkwassers verwendet man Regen- oder destillirtesWasser oder solches, das durch Schmelzen aus Eis und Schnee gewonnen wurde. Die Füllung des Gefässes soll nicht zur Zeit der Beobachtung erfolgen, sondern das Wasser soll einige Zeit darin sein, bevor man sich dessen be- dient. Auch hat man sich zu vergewissern, dass der Mousseline- docht das Wasser gut absorbirt und während der ganzen Dauer der Operation mit demselben in genügender Berührung bleibt. ° Ist die Temperatur sehr niedrig, so muss man die Thermo- meterkugel und ihre Umhüllung mehrmals in ein Glas Wasser tauchen, das man von unten heraufbewegt, und muss warten, bis sich um die Kugel eine dünne Eisschicht gebildet hat. Hinsichtlich der Aufstellung oder Exposition des Psychro- meters ist Dasselbe zu sagen wie mit Bezug auf das ge- wöhnliche Thermometer (pag. 408). Es ist besonders noth- wendig, dass die Luft frei um das Instrument herum zir- kuliren könne, ohne dass letzteres einer Luftströmung oder einem Winde ausgesetzt ist, wodurch die Verdunstung über- mässig beschleunigt würde. Die definitive Ablesung am Thermometer soll erst gemacht werden, wenn das benetzte Instrument den tiefsten Stand erreicht hat, wovon man sich überzeugt durch wiederholte Ablesungen, welche dasselbe Resultat ergeben müssen. Bei grosser Kälte und sehr feuchtem Wetter braucht es ungefähr eine halbe Stunde, bis das benetzte Thermometer das Minimum erreicht, wenn man es nicht schon vorher sorgfältig befeuchtet. Wenn etwa die Kugel desjenigen Thermometers, das trocken bleiben soll, benetzt würde durch Regen oder Schnee, welchen der Wind zuwehte, so müsste man sie sorgfältig abtrocknen und mit der Beob- achtung von Neuem beginnen. Die Ablesung an den beiden Thermometern, woraus das Psychrometer besteht, muss mit derselben Vorsicht stattfinden wie die des gewöhnlichen Thermometers (pag. 409). Bei starkem Nebel, wie bei kaltem ruhigem und hellem Wetter kommt es vor, dass das benetzte Thermometer weniger tief sinkt als das trockene, weil seine Umhüllung es gegen die Ausstrahlung schützt. In diesem Fall abstrahirt man von dieser kleinen inversen Differenz und nimmt an, die Luft habe den Sättigungszustand oder die relative Feuchtigkeit 100 erreicht. KLIMA 421 Sobald die Ablesung erfolgt ist, notirt man die an beiden Thermometern beobachtete Temperatur, ohne sich darauf zu verlassen, dass man sie im Gedächtniss behalten könne; die Ablesung am trockenen Thermometer bezeichnet man mit fı, die am befeuchteten mit fe. Die Berechnung der Differenz und der weiteren Werthe kann später, bei Musse, erfolgen; immerhin sollen diese Operationen nicht zu lange verschoben werden. War das Wasser auf der Kugel des be- netzten Thermometers gefroren, so bezeichnet man die be- zügliche Ablesung im Notizbuche mit dem beigefügten Buch- staben 9, also z. B.: #—4%g. Im Anhang findet man die Tabellen, um mit Hülfe der Temperaturdifferenz die relative Feuchtigkeit zu berechnen. Besitzt man zwei Hygrometer von verschiedener Kon- struktion oder ein Hygrometer und ein Psychrometer, so verwende man beide gleichzeitig behufs gegenseitiger Kontrole der Resultate. Da der hygrometrische Zustand der Luft und die Wasser- dampfspannung nach Zeit und Höhe sich ändern, so muss empfohlen werden, dass man möglichst zahlreiche Beob- achtungen und diese an verschiedenen Stationen anstelle. Insbesondere trachte man darnach, vollständige Serien von Beobachtungen für einen und denselben Tag zu erhalten und zwar zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Temperaturen, um so die Amplitüde der Temperatur- schwankungen und auch die Zeitpunkte, wo Maxima und Minima eintreten, zu ermitteln. Verdunstung. Die Feuchtigkeit oder der Wasserdampf in der Luft rührt von der Verdunstung her. Das Wasser der Meere und Seen, Regen, Schnee und andere Niederschläge werden durch die Sonnenstrahlen und die Atmosphäre über- haupt — um einen trivialen Ausdruck zu gebrauchen — in die Höhe gepumpt. Die Verdunstung findet selbst bei kalter Witterung, sogar in den Polarregionen und auf den beeisten Gipfeln der Hochgebirge statt, lebhafter aber natürlich bei heissem und trockenem Wetter in der tropischen und gemässigten Zone. Gar keine Verdunstung findet nur dann statt, wenn die Luft mit Feuchtigkeit ganz gesättigt ist. . Es wäre sehr interessant, konstatiren zu können, ob eine Gegend ihre Feuchtigkeit unmittelbar der Verdunstung aus 422 “ BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN den Wasserbecken und anderen sie bildenden Flächen verdankt oder ob dieselbe vielmehr von den Winden hergetragen wird, welche anderwärts mit Wasserdampf beladen wurden. In der Regel wirken beide Ursachen zusammen; die Luft — - ausgenommen diejenige über regenlosen Wüsten, deren Feuch- tigkeit fremden Ursprungs ist — erhält ihren Wasserdampf zum Theil direkt durch die Verdunstung, zum Theil aus der Ferne durch Winde; das Verhältniss dieser beiden Theile aber ist ein sehr verschiedenes. Da man zwischen diesen zwei Quellen der Luftfeuchtigkeit praktisch nicht scharf unter- scheiden kann, trachtet man wenigstens nach Ermittlung der hauptsächlich wirksamen Ursachen besonders da, wo die hygrometrischen Verhältnisse abnorme Erscheinungen dar- bieten; namentlich wird man Beobachtungen über das Mass der direkten Verdunstung anstellen. | Bei Besprechung der Instrumente (Seite 20) wurde gesagt, dass man die Verdunstung genau genommen messen könnte | mit einem kleinen Rezipienten, der im Innern eine graduirte Skala enthielte. Dieser Rezipient wird bis zu irgend einem Theilstrich der Skala mit Wasser gefüllt und dann in horizon- taler Lage der freien Luft ausgesetzt, nöthigenfalls geschützt gegen Regen und Thiere. Die Verdunstung wird nun bezeichnet durch das in Millimetern ausgedrückte Sinken des Wasser- spiegels. Die Kondensation des Wasserdampfes und die wässerigen Niederschläge. Die Kondensation des Wasser- dampfes und die Bildung wässeriger Niederschläge sind der Gegensatz zu dem Verdunstungsprozesse. Das vorher un- sichtbar gewordene Wasser nimmt nun wieder sichtbare Gestalt an in Form von Nebeln und Wolken oder als Thau, Regen, Schnee u. s. w. Wenn die Luftschichten sich abkühlen, so scheidet sich ein Theil des in ihnen enthaltenen Wasserdampfes als Dünste, Nebel und Wolken aus. Die Dünste steigen in Form leichter Schleier von der Erde auf oder schweben in der Luft; die Nebel sind kompakter und bilden sich unmittelbar über dem Erdboden. Die Wolken unterscheiden sich vom Nebel nicht wesentlich; der Unterschied besteht nur in der Höhenlage. Wenn man auf einem Berge oder im Luftballon eine Wolke passirt, so erscheint sie uns als Nebel, und wenn man von KLIMA 423 einer Bergspitze aus Nebel betrachtet, welcher über der Ebene in der Tiefe lagert, so kommen sie uns wie Wolken vor. Hier aber hört die Aehnlichkeit auf; ihre klimatischen Wirkungen sind nicht dieselben. Die Bildung, Beschaffenheit, Stärke und Häufigkeit der Dünste und Nebel sollen sorgfältig beobachtet und beschrieben werden. Man notire auch, in welcher Jahreszeit sie am häufigsten sind; zu welcher Tageszeit sie gewöhnlich ent- stehen, wie lange nach Sonnenaufgang sie verschwinden und wie lange nach Sonnenuntergang sie wieder erscheinen; ob sie in die Höhe steigen und hier bleiben oder ob sie am Boden hinziehen: welcher Wind sie bringt und zerstreut etc. Mitunter sind noch spezielle Eigenthümlichkeiten zu beob- achten, so Nebel mit besonderem Geruch, herrührend von eigenthümlichen Dünsten, womit sie imprägnirt sind; leuch- tende Nebel, das sind Abendnebel, welche eine gewisse Helligkeit verbreiten; endlich trockene Nebel, sogenannter Höhenrauch, welche wesentlich aus Rauchmassen bestehen, die hoch in der Luft schweben. Eine Wirkung des Nebels ist auch der Rauhfrost („Duft“, „Gischt“, „Ghick“ u. s. w.), der entsteht, wenn bei kalter Witterung Nebeltheilchen an Stengeln, Aesten und Zweigen der Pflanzen, an den Haaren der Menschen, dem Stoff der Kleider u. s. w. krystallisiren. Besondere Erwähnung verdienen die Wolken; denn ihre An- oder Abwesenheit bedingt die Helligkeit oder Dunkelheit des Himmels und indirekt das Quantum an Licht, Sonnen- wärme und Regen, welche die betreffende Gegend erhält. Die Bewölkung oder Nephelie (Grad der Bedeckung des Him- mels mit Wolken oder das Ver- hältniss, in welchem letztere zu einem bestimmten Zeitpunkte verbreitet sind) kann auf zwei Arten geschätzt werden. Die erste Art besteht darin, dass man das Himmelsgewölbe in 4 Quadranten eintheilt (Fiy. 204) und nun der Reihe nach abschätzt, welcher Bruchtheil eines Quadranten mit Wolken bedeckt sei. Indem man die Resultate Nord Fig, 204. 424 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN addirt, bekommt man eine Verhältnisszahl für den ganzen sichtbaren Himmel; die zweite besteht darin, dass man den. Umfang jeder Wolkengruppe in’s Auge fasst und hienach ab- schätzt, den wievielten Theil des Firmamentes sie zusammen. einnehmen. | In beiden Fällen wird die Bedeckung durch die Ziffern 0,1, 2, 3 bis 10 ausgedrückt, wobei O0 ganz klaren wolken- freien, 10 ganz bedeckten Himmel bezeichnet. Die Inten-/ sität der Bewölkung oder die Dicke der Wolken wird durei a q mr Ir. or Cirrus Cumulus Stratus Nimbus Fig. 205. eine in Exponentenform beigesetzte Zahl angegeben; z. B. be- deutet 5°, dass der Himmel zur Hälfte von leichten Wolken überzogen, 10? dass er ganz mit dichten Wolken bedeckt sei. Ist keine kleine Ziffer beigesetzt, so bedeutet dies, dass die Intensität der Bewölkung keine besonders bemerkenswerthe sei. Die Wolken unterscheiden sich von einander in hohem Grade durch ihr Aussehen. und man bezeichnet den allgemeinen Cha- rakter einer jeden Art durch besondere Namen. (Vgl. Fig. 205). ir KLIMA 425 Die Cirrus- oder Federwolken sind weissliche Wölklein, welche gewissermassen wie aufgelöste Fasern aussehen. Die Cumulus- oder Haufenwolken sind rundliche Massen, Baum- wollballen ähnlich. Die Stratus- oder Schichtwolken erscheinen als Streifen oder Bänder parallel zum Horizont. Die Regen- wolke (nimbus) hat keine charakteristische Form, wohl aber - eine eigenthümliche graue Färbung und gefranste Ränder. Zwischen diesen vier Haupttypen kommen Uebergangsformen und verschiedene Kombinationen vor, wodurch es oft sehr schwierig wird, den Charakter der Wolke zu bestimmen. Oft kommen auch gleichzeitig zwei oder mehr dieser Formen in ver- schiedenen Höhen vor, z. B. Federwolken (cirri) in den oberen Luftregionen, Haufen- und Schichtwolken in geringerer Höhe. Durch häufige Beobachtungen soll namentlich der ge- wöhnliche Zustand des Himmels konstatirt werden: die oft vorhandene Regelmässigkeit in Bezug auf die Tagesstunden, da der Himmel sich bedeckt oder aufhellt; die Dauer und Persistenz der Bewölkung während ganzer Tage und Wochen; der Konnex zwischen dem Aussehen des Himmels und der nachfolgenden Witterung. Auf Grund solcher Beobachtungen wird es möglich, festzustellen, welches in einem Lande der tägliche und jährliche Gang der Bewölkung ist '). Der Thau ist bekanntlich ein Niederschlag, welcher in hellen Nächten bei ruhiger kalter Luft auf der Bodenober- fläche sich bildet. Wiewohl man gemeiniglich von während der Nacht „gefallenem“ Thau spricht, so besteht doch keine Analogie zwischen der Bildung von Thau und Regen: der Thau fällt nicht aus der Luft herab, sondern entsteht an Ort und Stelle, wo er sich’ findet, in Folge der nächtlichen Ausstrahlung. Den Namen Thau (rosee) wendet man übrigens peziell für denjenigen Thau an, welcher sich gegen Morgen bildet, während man den bald nach Sonnenuntergang ent- stehenden als Abendfeuchtigkeit (serein) bezeichnet. Fehlt ein Instrument zur Messung dieser Abendfeuchtigkeit und des Morgenthaus (Drosometer), so schätzt man die Quan- ität derselben. Ihr spärliches oder reichliches Vorkommen wird durch folgende konventionelle Bezeichnungen angegeben: 1) vgl. Zeitschrift der österreichischen Gesellschaft für Meteorologie 1881, 3. 99, und Gäa 1881, S. 193: Untersuchungen von Renon über die durchschnitt- iche Bewölkung in Europa. (La Nature 1880, aoüt 21.) 426 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN kein Thau, schwacher Thau, mittelstarker „ starker r sehr starker „ In Ländern mit ungewöhnlich starkem Abend- und Morgen- thau kann man denselben mit Hülfe des oben besprochenen Rezipienten messen. Derselbe wird vollkommen trocken und leer an einem Punkte aufgestellt, der sich unter freiem Himmel befindet, d.h. nicht von Mauern umgeben, nur gegen Wind geschützt ist. Das Wasserquantum, welches sich nun in dem Gefässe sammelt während der Stunde unmittelbar nach Sonnenuntergang, gibt die Menge des Abendthaus; das. Quantum, das man Morgens bei Sonnenaufgang vorfindet, ist die Menge des in der Nacht entstandenen Thaus. Diese, PomwmHo “jee .. .. . . .171° 1A Quantitäten können schätzungsweise in Millimetern angegeben | werden nach dem Niveau, bis zu welchem das Wasser im Rezipienten reichte; genauer aber bestimmt man dieselben, | indem man sie sorgfältig in einen graduirten Glascylinder (Messglas) giesst; die Quantitätsbestimmung geschieht dann durch eine sehr einfache Rechnung. Die Grundfläche des | Rezipienten habe O0, m Länge und 0,5 m Breite, also O,ı Quadratmeter Inhalt, und das Wasser im Messcylinder erreiche den mit „0,15 Liter“ bezeichneten Theilstrich. Da nun 1 Liter = 1 Kubikdezimeter, so handelt es sich um eine Wassersäule von 15 mm Höhe und 1 Quadratdezimeter Grundfläche; da aber die Fläche, auf welcher dieses Wasser in Wirklichkeit sich abgesetzt und von welcher man es gesammelt hat, nämlich die Grundfläche des Rezipienten, 10 Quadrat- dezimeter beträgt, so ist die Höhe der Thauschicht nur 1,5 mm. Der Reif ist gefrorner Thau, indem bei intensiverer nächtlicher Ausstrahlung der Niederschlag feste Form an | nimmt. Ausser den Notizen über die spärliche oder reichliche Menge des Abend- und Morgenthaus sollen auch solche ge- macht werden über die Häufigkeit des Thaus, die Bedin- gungen, welche ihn veranlassen, begünstigen oder verhindern; die Zeit von Sonnenaufgang bis zum Verschwinden des Thaus oder Reifs; die Wirkung dieser Niederschläge auf die Vege- tation und auf den Gesundheitszustand der Bewohner ete. KLIMA 427 Besondere Aufmerksamkeit verdient seiner klimatischen Wichtigkeit halber der Regen, und zwar nicht nur in Bezug auf die Quantität, sondern auch in Betreff seiner Verthei- lung auf die einzelnen Stunden von Tag und Nacht und über das ganze Jahr. Das Pluviometer (Udometer, Ombrometer) oder, in dessen Ermanglung, unser Rezipient mit graduirter Skala, dient zur Messung des während eines Regengusses oder eines Tages gefallenen Niederschlag- Quantums. Die ausgewählte Stelle darf nicht zu sehr lokalen Einflüssen ausgesetzt sein, also nicht in einem speziellen Regenstrich liegen, sondern muss normale (mittlere) Verhältnisse darbieten. Der Rezipient muss genau „ins Blei“ gebracht werden, sodass seine Axe lothrecht, sein Boden horizontal ist, und es ist Alles zu entfernen, was dem Zutritt des Regens — selbst des vom Winde hergewehten — hinderlich sein könnte. Die Ablesung Höhe des gefallenen Regens in Millimetern) muss sofort vorgenommen werden, sobald der Regen aufhört, damit nicht das Resultat durch Verdunstung alterirt werde. Um die Temperatur des Regenwassers zu bestimmen, stellt man in der Nähe des Rezipienten ein zweites Gefäss wf, in welchem ein Thermometer angebracht ist, das über lie ganze Dauer des Regenfalls dort belassen wird. Vor ınd nach dem Regen wird auch die Lufttemperatur notirt. Endlich macht man Notizen über den Rückstand, welchen tegen mitunter zurücklassen, sowie über besondere Erschei- ungen, wie Regen bei heiterm Himmel, sogenannte Blut- nd Schwefelregen u. dgl. Zu erwähnen ist auch das Vorkommen von Glatteis ; stzteres ist nichts anderes als Regen, der in Berührung mit ehr kaltem Boden gefror. Hagel, Graupen (Riesel) und Schnee sind drei besondere 'ormen wässeriger Niederschläge. Das Quantum eines solchen iederschlags kann angegeben werden durch Messung des Vassers, welches man im Rezipient durch Schmelzen erhält. ıdessen ist das Resultat hiebei nur annähernd richtig. Die ıtensität des Hagelfalles wechselt zumeist stark von Stelle ı Stelle, und es ist nicht leicht, bei der Abschätzung ücksicht zu nehmen auf die Hagelkörner, welche beim ffallen zurückschnellten und so ausser das Sammelgefäss 428 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN geriethen. Der Schnee seinerseits wird unter dem Einflus bestimmter Winde in gewissen Strichen reichlicher angehäuft während derselbe Wind anderorts den schon zu Boden ge fallenen Schnee wegführt; je nach der Lokalität, in welche der Rezipient angebracht ist, kann der Schnee in letzterer aufgehäuft oder im Gegentheil aus demselben hinausgewe wenden Uebrigens ist die Feuchtigkeitsmenge, welche Hal und Schnee der Erde zubringen, von geringerer Bedeutung als die sonstigen Wirkungen, welche starker Hagel ode reichlicher Schneefäll verursachen. Was speziell den Hagel anbetrifft, so suche man genau Angaben zu erhalten über seine Häufigkeit, ferner darüber in welchen Zeiten des Jahres namentlich Hagel fällt un« welche Theile des Landes von demselben am meisten heim gesucht werden. Man mache auch Bemerkungen über dit mittlere Grösse der Hagelkörner (Schlossen), ihre Form une Struktur wie über die beigemengten fremden Stoffe und der Rückstand, welchen sie mitunter beim Schmelzen lassen über ihre Wirkungen auf die Pflanzenwelt, die Ernteerträg; nisse u. A. m. } Mit Bezug auf den Schnee notirt man die Häufigkeit oder Seltenheit des Schneefalls; die Winde, welche Schne bringen (Schneewinde); die Mächtigkeit der Schneedecke des Bodens; Höhe und Exposition der Stellen, an welchen deı Schnee bleibt und derjenigen, wo er sofort wegschmilzt ; seine Wirkungen auf Boden und Vegetation; seinen hinderlichen oder förderlichen Einfluss auf den Kreislauf des Wassers u. s. w. Wo möglich — wenn man genaue und vertrauenswürdige: Angaben hierüber erhalten kann — notirt man auch, zu welcher Zeit im Jahre der erste Schnee fällt und wann An Schnee wieder gänzlich verschwindet. Im weitern achte man auf die verschiedenen Formen (Körner und Flocken) wie auch auf ausnahmsweise Färbung desselben. Die Form der Schneekrystalle untersucht man am besten, indem man solchen Schnee, welcher auf einen olkarminsen Stoff, z. B. einen Rockärmel, gefallen, mit der Lupe Baal der hygrometrische ad kann be-' urtheilt werden, Aalen man eine Hand voll Schnee zusam- mendrückt, um Sin zu ballen. Ist er trocken, so zerfällt, er hiebei in Staub; ist er feucht, so lässt er sich ballen KLIMA 429 und behält die Form, die man ihm gab; ist er mit Feuch- igkeit gesättigt, so gibt er wie ein Schwamm beim Zu- sammendrücken einen Theil des in ihm enthaltenen Wassers ıb, wird halbdurchsichtig (durchscheinend) und hart. — Die Färbung des Schnees rührt, soweit sie nicht blosse Wir- sung der Reflexion ist, von beigemengten fremden Stoffen er, die unter Lupe oder Mikroskop zu prüfen sind; nöthigen- alls schmilzt man eine Partie Schnee und untersucht den ich ergebenden Rückstand. Zur Abkürzung der Notizen über die wässerigen Nieder- chläge können diese mit Buchstaben bezeichnet werden ie folgt: D = Dünste N = Nebel Ri Reit AT —= Abendthau MT = Morgenthau Rr — Rauhreif W == Wolken R = Regen G —= Glatteis Gr = Graupen H = Hagel S = Schnee. Anfang und Ende einer Erscheinung, wie eines Regen- der Schneefalls, werden bezeichnet durch Beisetzung der tunde und der Buchstaben m (Morgen) und s (Abend). B. bedeutet R 10 m — 4 s einen von 10" Vm bis " Nm andauernden Regen. Was oben vom Regen bemerkt urde: dass nicht nur seine Quantität, sondern auch die ertheilung derselben über das Jahr von grösster Bedeutung 1, gilt von den wässerigen Niederschlägen im Allgemeinen. ach der Jahreszeit, in welche der meiste Regen fällt, unter- ‚heidet man Gebiete mit Sommer- oder Winter-, Frühlings- ler Herbstregen und spezieller mit Rücksicht auf die Ver- iltnisse der einzelnen Monate (wobei vorab diejenigen der egetationsperiode wichtig sind) vorherrschende Mai-, Juni-, li-Regen etc. Zählt man jeden Tag, an welchem ein essbarer Niederschlag (Regen, Schnee, Hagel) stattfand, als gentag und dividirt man die mittlere Zahl der Regentage nes Monats (aus einer längeren Beobachtungsreihe) durch e Zahl der Tage dieses Monats, so gibt der Quotient die ittlere Regenwahrscheinlichkeit in diesem Monat an, während an als Regendichtigkeit für einen bestimmten Monat den ıotienten bezeichnet, den man aus der Niederschlagsmenge egenhöhe) dieses Monats und der Zahl seiner Tage erhält. ir die Beurtheilung der Vegetationsverhältnisse sind diese 430 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Zahlen charakteristischer als diejenigen über die blossen Regenmengen'). Luftdruck. Der Druck, welchen die atmosphärische Luft ausübt, wird bekanntlich mittels des Barometers ge- messen. Welche Art von Barometer oder Luftdruckmesser man anwende (das Aneroid oder Holosterik, das Quecksilberbaro- meter oder ein anderes), immer muss man so oft als möglich die Ablesungen an demselben vergleichen mit den Angaben von Normalinstrumenten, z. B. derjenigen Barometer, welche in den Observatorien und meteorologischen Stationen, die man besuchen kann, gebraucht werden. Im Uebrigen wende man alle Vorsichtsmassregeln an, welche für das betreffende Instrument empfohlen werden; insbesondere hüte man sich davor, ein Barometer, womit man Beobachtungen anstellen will, den Sonnenstrahlen oder der Wärme eines Lagerfeuers im Bivouak auszusetzen. War aber das Instrument während des Transportes einer abnormen Temperatur ausgesetzt, so lasse man dasselbe den Wärmegrad des neuen Mediums, in dem es sich befindet, annehmen, bevor man damit Beobach- tungen anstellt. Diese Beobachtungen müssen möglichst zahlreich, in kleinen Zeitintervallen, gemacht werden, da der Luftdruck Schwankungen unterworfen ist, sowohl im Verlaufe eines Tages als im Laufe der Jahreszeiten und bei Gewittern grosse Störungen erleidet. Womöglich nimmt man stünd- liche Beobachtungen vor und lernt so die Amplitude dieser Schwankungen kennen, d. h. deren Grenzwerthe (Maxima und Minima), und die Zeitpunkte, in welchen sie bei Tag oder Nacht eintreten. Ebenso sollten die Beobachtungs- stationen möglichst zahlreich und über die Gegend vertheilt sein; denn der Gang des Barometers, der Betrag seiner Schwankungen und die Zeit des Eintritts von Maximum und Minimum differiren, je nachdem man am Meere oder im Binnenlande, in Ebenen oder auf Bergen beobachtet. Die Abnahme des Luftdrucks mit der Höhe erfolgt in einer geometrischen Progression. Als durchschnittlichen Baro- meterstand am Meeresniveau nimmt man (für 0% Temperatur) 1) Vgl. Hann, Hochstetter und Pokorny, S. 120. Ei; KLIMA 451 760 mm an; dieser Normaldruck würde ausgeübt durch eine Luftsäule von 7991 Meter, wenn die Luft überall dieselbe Dichte und dieselbe Temperatur (0°) hätte. Man hat diese Grösse (7991 m) als die Höhe der homogenen Atmosphäre bezeichnet. Mit Hülfe derselben findet man die Höhen- differenz für 1 mm Aenderung des Luftdrucks (Barometer- standes), indem man jene Grösse (7991 m) durch den beob- achteten Luftdruck (Barometerstand) dividirt. Man findet dabei, dass bei mittleren Luftverhältnissen und geringer Erhebung über den Meereshorizont das Barometer um 1 mm fällt auf circa 11 m Höhendifferenz'). Es ermöglicht dies eine bequeme approximative Berechnung von Höhenunterschieden. Für diesen Zweck haben Yu zu S. 50 die Formel gegeben h= 16000 . 55 (14 5) 500 Hiebei ist vorausgesetzt, die Barometerstände beziehen sich uf eine Temperatur von 0°. Ist bei t° ein Barometerstand b abgelesen worden, so wird Jesselhe auf 0° reduzirt durch Bezeichnen wir diesen 5550 } 5550 + t Um auch die in verschiedenen Meereshöhen beobachteten 3arometerstände in Bezug auf die Vertheilung des Luft- ruckes auf einander beziehen und mit einander vergleichen u können, reduzirt man sie auf einerlei Niveau, dasjenige es Meeres (0 Meter Höhe). Bezeichnet man sen bei einer Iöhe und einer Temperatur ft abgelesenen Barometerstand it 5b, den auf 0° und das Meeresniveau reduzirten Werth ieser Ablesung mit B, so ergibt sich der Logarithmus des tzteren aus demjenigen der Ablesung durch Addition der Grösse h: 18382 (1 + 2). 1000 ı sehr einfacher Art können übrigens auch diese Reduk- ‚onen, wie die Höhenermittlungen, vorgenommen werden mit ülfe der Taf. V im Anhang und verweisen wir für Weiteres af dieselbe, wie auf die ihr beigegebenen Erläuterungen d Beispiele’). 1) Vgl. Kaltbrunner, Aide-mömoire, pag. 96; Hann S. 88. Eine Formel für die barometrische Höhenmessung, deren Anwendbarkeit * Bezug auf Höhen und geographische Breite) nicht den Beschränkungen der en mitgetheilten unterliegt, Fa h= 18400 log —- (\ T- =) > (\ +0,0028 cos 2 P), J ultiplikation mit dem Bruche .,;, = " eduzirten Barometerstand mit bo, so ist also bb =b. 432 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Winde !). Wind ist eine durch eine Störung im Gleich- gewichtszustande der Atmosphäre verursachte Luftbewegung. Die Winde sind nach drei Gesichtspunkten zu betrachten, - nämlich nach Richtung, Art und Stärke. Die Richtung des Windes wird beurtheilt mit Hülfe einer Windfahne oder eines Wimpels oder auch, in Ermanglung dieser Mittel, nach dem Rauche eines Kamines, einer Fackel oder eines Strohwisches, den man eigens zu diesem Zweck anzündet. Die Windfahnen haben den Nachtheil, dass sie eine bestimmte Richtung zeigen, auch wenn gar kein Wind weht; dass sie oft zu wenig empfindlich, d.h. zu schwer beweglich sind, und dass sie auf- und absteigende Luft- strömungen nicht anzeigen. Die Richtung des Windes wird bezeichnet durch Angabe der Himmelsgegend, von welcher her er kommt, nicht der- jenigen, nach welcher er hinweht. N, Nordwind, bezeichnet also einen aus Norden, N E einen aus Nordosten wehenden Wind. Eine andere Bezeichnungsweise ist die durch Pfeile, deren Spitze nach der Himmelsgegend gerichtet ist, nach welcher hin der Wind weht und deren Fahne je nach der Windstärke mehr oder minder Striche hat. Werden 6 Stärke- grade unterschieden, so würde | einen heftigen Nordwind bezeichnen (N5), => einen mittelstarken Westwind (W 3), „ einen sanften Nordostwind (N E12) u.s. f. So in Bezug auf die Richtung zum Horizonte; was die Richtung in der vertikalen Ebene anbetrifft, d.h. den Winkel, welchen auf- und absteigende Luftströmungen mit dem Horizonte bilden, so kann man dies abschätzen oder mit Hülfe eines getheilten Kreises abmessen nach der schiefen Richtung des Wimpels oder einer Rauchsäule, wobei man nur die Angabe von Winkel- graden durch einen Buchstaben oder einen Pfeil erläutern muss, durch welche die Richtung (ob auf- oder abwärts) bestimmt wird, z. B. a (aufsteigend, ascendant), d (descendant, absteigend) oder „' und „X. wo (P die geographische Breite bezeichnet. Vgl. übrigens Bohn, Ergebnisse phy- sikalischer Forschung, S. 139 ff. Jordan, a. a. O., S. 514. = h Dean logB=logb 4 jeggpt Lat E00 n 0001] bei Hann, S. 95. 1) Auch in Betreff dieses Abschnittes ist auf Xallbrunner, Aide-memoire (p. 100 sq) als ein wesentliches Supplement zu verweisen. Ferner machen wir aufmerksam auf die einschlägige Darstellung in Dr. A. Wettstein’s Werke: die Strömungen etc. (Zürich 1880). KLIMA 433 Oft herrschen in höheren Regionen der Atmosphäre Luft- strömungen in andrer Richtung als in den tieferen Schichten. Man erkennt sie meist am Zuge der Wolken. Diese oberen @eyenströmungen (contre-courants) sind sehr wichtig, denn sie bestimmen das Wetter; der Reisende muss auf dieselben um so mehr achten, als er Windfahnen und Wimpel kaum in grosser Höhe über dem Boden anbringen kann und daher durch dieselben nur die (oft abgelenkten) Winde kennen lernt, welche nahe am Boden hinziehen. Die Höhe dieser obern Luftströmungen bestimmt man annähernd nach der Form der Wolken und folgender Skala: Die Haufenwolke (Cumulus) entspricht einer mittlern Höhe von 1000 m; die federige Haufenwolke (Cirro-Cumulus, Schäfchen) und die streifige Haufenwolke (Cumulo -Stratus) entsprechen einer mittlern Höhe von 6000 m, die Federwolke (Cirrus) und federige Schichtwolke (Cirro -Stratus) einer solchen von 10000 m. Da man die leichten Wölklein, welche in der Luft schweben, von freiem Auge oft kaum recht wahrzunehmen vermag, so bedient man sich eines doppelten gelbgefärbten Glases, durch welches man auch die leichtesten Wolken sehen kann. Rich- tung und Geschwindigkeit dieser Luftströmungen beurtheilt man nach dem scheinbaren Ausgangspunkte der wandernden Wolken am Horizont und nach der Schnelligkeit, mit welcher dieselben über dem Haupte des Beobachters dahinziehen. Mitunter sind in Bezug auf Richtung und Geschwindigkeit der Winde nicht blos zwei, sondern drei Regionen zu unterscheiden. Die Stärke des Windes ist theoretisch verschieden von seiner Geschwindigkeit, indem erstere gemessen wird durch den auf eine gegebene Fläche durch die bewegte Luft aus- geübten Druck, die zweite aber durch den in gegebener Zeit zurückgelesten Weg. In der Praxis indessen braucht man oft den einen dieser Ausdrücke für den andern; man sollte aber dabei nicht übersehen, dass die Stärke nicht der Geschwindigkeit selbst, sondern dem Quadrate derselben proportional ist. Die Stärke des Windes wird auf zwei Arten angegeben ; »ei der ersten, approximativen, wendet man Zahlen an, .B. von 0—4, nach folgender Skala: ) = ruhige Luft: der Rauch steigt senkrecht in die Höhe, Wasserflächen und die Blätter der Bäume sind gänzlich bewegungslos. 28 434 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN 1 = schwacher Wind: der Rauch steigt nicht so direkt in die Höhe, die Wasserflächen erscheinen leicht gekräuselt und die Blätter der Bäume leicht bewegt. 2 = mittelstarker Wind: der Rauch erhebt sich in ganz schiefer Richtung; das Wasser ist ziemlich bewegtäi ebenso das Zweigwerk der Bäume. 3 — starker Wind: Rauch und Staub werden in wagrechter Richtung hingetrieben ; der Wind bildet auf lem. Wasser Wellen und Name) an den Bäumen starke Aeste. 4 — Sturm, Orkan: die ganze Natur erscheint in wildem Aufruhr;. die Stämme der Bäume selbst biegen sich oder es werden diese entwurzelt. ' Genauer wird die Windstärke bezeichnet, wenn man den‘ Weg angibt, welchen der Wind in einer Sekunde durchläuft, also mittels Angabe der Geschwindigkeit des Windes. Zu. dem Ende bedient man sich eines Instrumentes, welches Anemometer (Windmesser) genannt wird. Dasselbe kann bei Bedarf an Ort und Stelle selbst konstruirt werden, denn in seiner einfachsten Form ist es ein Windhaspel oder Drehkreuz. mit 4 Flügeln, deren jeder an seinem Ende eine hohle Halb-' kugel trägt, so dass immer eine solche Höhlung dem Winde offen steht, während die andern ihm die seitliche oder die konvexe Fläche darbieten. Die Zahl der Umgänge, welche nun eine dieser Halbkugeln in gegebener Zeit macht, ist immer proportional zur Geschwindigkeit des Windes, d.h. zum Wege, welchen er in dieser Zeit zurücklegte. Das Verhältniss zwischen beiden ist ziemlich genau 1:3. Der Weg, welchen der Wind zurücklegt, ist zu berechnen nach der Formel ah ea m worin R = Länge eines Flügels (Arms) des Kreuzes vom een an, 2 R also dessen Durchmesser, | ıı — 3,1 oder genauer 3,14159265, | 3 = die Zahl für das Verhältniss zwischen den Um drehungen des Apparats und der Geschwindigkeit des Windes, nT = Anzahl der Umdrehungen (Umgänge) des Apparats, m = die Dauer der Beobachtung in Sekunden. KLIMA 435 Diese beiden Bezeichnungsarten für die Windstärke stehen zu einander in der Beziehung, dass: die Ziffer 1 einer Geschwindigkeit von 0,, —2 m per Sekunde (1800— 7200 m in der Stunde), 2 einer Geschwindigkeit von 5—10 m (18—36 Km per Stunde), 3 einer Geschwindigkeit von 15—25 m (54—90 Km), 4 endlich einer Geschwindigkeit von 30—50 m (108—180 Km) entspricht. Weht der Wind stossweise, so ist dies zu bemerken und es ist dessen Stärke oder Geschwindigkeit in ihrem Maximum anzugeben. H. Mohn gibt in seinen „Grundzügen der Meteorologie“ folgende sechstheilige Skala: Geschwindigkeit des Windes Windstärke Winddruck Wirkungen des Windes 0—6 Meter in der Kilogramm auf Sekunde den Quadratmeter 0 Stille 0—0,5 0—0,15 Der Rauch steigt ge- rade oder fast ge- rade empor. 1 Schwach 0,5—4 0,15— 1,37 ' Für das Gefühl be- ' merkbar, bewegt ' einen Wiinpel. 2 Mässig 4—7 1,37—5,% | Streckt einen Wim- pel, bewegt die, Blätter d. Bäume. | 3 Frisch 7—11 . | 5,96 —15,27 | Bewegt die Zweige | der Bäume. 4 Stark 11—17 | 15,27—34,355 | Bewegt grosse Aeste| und schwächere Stämme. > 5 Sturm 27—28 34,55—94,4 | Die ganzen Bäume werden bewegt. 6 Orkan über 28 über 94,4 | Zerstörende Wirk- | ungen. Die Art, der Charakter des Windes kann nicht eigentlich durch Messungen, sondern mehr nur nach Schätzung ange- geben werden und zwar nach folgender zweifacher Skala: 436 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Warmer — lauer — kühler — kalter Wind, Sehr trockener — trockener — feuchter — Regen-Wind. Bei der Beurtheilung kann man Thermometer und Hygro-. meter zu Hülfe nehmen, um sich nicht blos auf das Gefühl zu verlassen. | Durch längere Zeit fortgesetzte Beobachtungen lernt man | die in einer Gegend herrschenden Winde kennen. Man addirt hiebei die Zeiten, in welchen ein jeder Wind wehte und drückt die Summe in Bruchtheilen des ganzen Beobachtungs- zeitraumes aus. | Ist man durch eine Reihe von Beobachtungen dazu ge- langt, zu erkennen, welche allgemeinen oder lokalen Winde in der Gegend eine gewisse Periodizität oder eine gewisse Regelmässigkeit in ihrem ganzen Charakter zeigen, so wird man diese Eigenthümlichkeiten möglichst genau angeben. Z. B. wird man Folgendes notiren: | 1° Dauer des Windes; es gibt Winde, welche 3, 6, 9, 12 Tage und mehr ununterbrochen wehen; N 2° den Zeitpunkt des Tages oder der Nacht, wo sie nach einer Pause zu wehen beginnen oder wo wieder eine Pause eintritt; 3° die Zeitpunkte, in welchen etwa eine Veränderung im Charakter des Windes fühlbar wird (in Richtung, Stärke, Temperatur, Trockenheit oder Feuchtigkeit, Abnahme oder Zunahme in dieser Hinsicht); 4° das Gesetz der Winddrehung, d.h. in welcher Weise die Winde verschiedener Richtung aufeinander folgen. oder mit einander abwechseln ; 5° welche Aenderungen des Wetters sie bewirken, und welchen Einfluss sie überhaupt ausüben, auf Klima, Vegetation, auf das Befinden der Bewohner u. s. w. Aus den ermittelten Thatsachen wird man die Ursachen abzuleiten, die regelmässigen Erscheinungen wie die Ano- malien zu erklären versuchen. Ozon. Das Ozon ist Sauerstoff in einem Zustand gesteigerter chemischer Wirksamkeit. Reichlich vorhandenes Ozon befördert die Lebensprozesse. In waldigen Gegenden und in der Land- luft kann das Ozon zuweilen schon durch den Geruch wahr- genommen werden, während es in Städten oft schwer hält, dessen Gegenwart nachzuweisen. Zu diesem Nachweis und KLIMA 437 um zu konstatiren, in welchem Verhältniss Ozon sich in der Luft vorfindet, wendet man besondere Instrumente (Ozono- meter) oder ozonometrisches Papier an, welches folgender- massen angefertigt wird. Man stellt sich aus 11 Wasser, 50 gr Stärkemehl und 5 gr Jodnatrium eine Flüssigkeit her, tränkt in dieser Papierstreifen von 7 cm Länge und 15 mm Breite und lässt dieselben nun trocknen. Nach dieser Zu- bereitung bewahrt man die Papierstreifen in einer Schachtel auf. Um damit Beobachtungen vorzunehmen, setzt man sie 12—24 Stunden der Luft aus; bei Anwesenheit von Ozon wird das Natriumjodür zersetzt, das freiwerdende Jod wirkt auf das Stärkemehl und färbt dieses violett, — um so dunkler, je mehr Ozon vorhanden ist. Zur Vergleichung hat man als Skala zehn Proben farbigen Papiers, vom Weiss bis zum tiefsten Violett. Bei der Wahl des Beobachtungsortes sieht man auf eine Stelle, an welche der Wind nicht von bewohnten Lokalitäten herweht, weil an Stellen letzterer Art der Ozon- gehalt im Allgemeinen geringer ist als anderwärts. Die Zeit, während welcher das ozonometrische Papier der Luftwirkung ausgesetzt bleiben muss, ist verschieden je nach Ort und Witterung. In der Nähe des Meeres, wo dies Papier sich rascher färbt, genügen einige Stunden für den bezeichneten Zweck; im Binnenlande aber braucht man hiezu mehr Zeit. Von der Witterung hängt die Dauer des Experiments insofern ab, als das Jodpapier bei Sturm und nahendem Ungewitter sich rascher, bei ruhiger Luft sich langsamer färbt. Elektrizität. Beobachtungen über die Luftelektrizität sind sehr interessant, aber kaum ausführbar für einen Rei- senden, der seinen Aufenthalt in rascher Folge ändert und nicht bei jedem Halt Apparate aufstellen kann, wie sie zu Beobachtungen im Grossen und von der nöthigen Vollkommen- heit erforderlich sind. Der Reisende wird sich daher — den Fall ausgenommen , dass er im Besitze eines Elektro- metersist, womit wenigstens annähernd die elektrische Spannung in den untern Luftschichten bestimmt werden kann — damit begnügen, das Vorkommen oder Fehlen der Luftelektrizität nach gewissen Anzeichen zu beurtheilen. Man kann z. B., wenn die Luft viel Elektrizität enthält, beobachten, dass die Schweifhaare der Pferde sich. mehr oder minder von ihrer normalen Stelle oder Lage entfernen und dass grob- 438 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN wollige Kleidungsstücke beim Reiben oder Schütteln Funken geben. Es ist auch wohl, namentlich auf Berggipfeln, die Ausströmung von Elektrizität aus dem Boden in die Luft . von einem summenden Geräusch begleitet und es scheint hiebei der Mensch als Konduktor zu wirken; wenigstens sträuben sich die Bart- und Kopfhaare. Mitunter nimmt man in der Luft eine Detonation wahr wie einen Donner- schlag aus wolkenlosem Himmel. Auffallender und bekannter sind aber andere elektrische Erscheinungen wie das St. Elms- feuer (eine Art spitze Flamme auf Masten und Thürmen), das Wetterleuchten, der Blitz, das Nordlicht und die Stö- rungen der Magnetnadel }). Gewitter’). Die Gewitter verdienen eine aufmerksame ' Beobachtung, denn sie sind durch ihre Natur, Häufigkeit, ' Dauer und Stärke von ganz wesentlichem Einfluss auf das Klima einer Gegend. Sie sind bald einfachere, bald komplizirte Erscheinungen ; ersteres, wenn sie lediglich in einer grossen Bewegung der Luft bestehen, die auch bei ganz hellem Himmel vorkommen kann; letzteres, wenn die Winde von Regen, Schnee, Hagel und elektrischen Entladungen begleitet sind. Der Wind oder Sturm weht hiebei selten in kontinuir- licher Weise und gleichmässiger Stärke; es gibt vielmehr Ruhepausen, nach welchen der Wind von Neuem, oft mit | etwas veränderter Richtung auftritt. Die Luftbewegung macht sich in Sfössen geltend (welche in der französischen Sprache je nach ihrer Stärke — ob Winde oder Stürme — als bouffees und rafales unterschieden werden). Der Wind weht auch nicht immer in gerader Linie. Sei es, dass er abgelenkt werde durch das Bodenrelief oder durch Luftströmungen in andrer Richtung: es bilden sich Wirbelwinde, welche den Staub der Strassen und das dürre Laub der Hecken und Wälder aufwirbeln, d. h. in schrauben- förmigen Linien bewegen. Diese Wirbel nehmen oft grosse Dimensionen an und treten dann im Hochgebirge als Schnee- stürme (Guxeten), in Wüsten als Sandstürme auf. Grosse kreis- oder spiralförmige Luftbewegungen sind auch die ge- fürchteten Phänomene der Wasserhosen oder Tromben, der 1) Vgl. unten S. 448 und Dr. Wettstein’s Strömungen S. 95 ff. 2) Vgl. Anmerkung S. 432 (betreffend Aide-memoire und Wettstein). ı Teifune (Typhoons), Tornados und Cyklonen. Als Orkan (eng- lisch hurricane) bezeichnet man alle ausserordentlich heftigen Stürme, wobei die ganze Natur in wildem Aufruhr scheint, ohne dass es sich um wohl charakterisirte Wirbelwinde handelt. Der französische Sprachgebrauch unterscheidet wohl zwischen ouragan und tempete, je nachdem der Schauplatz des Sturmes Land oder Meer ist. Im einen wie im andern Fall tritt der Orkan nicht immer mit Wolken, Regen oder Blitz als begleitenden Erscheinungen auf, sondern oft zeichnet er sich nur durch die Intensität der Luftbewegung aus, die auch bei heiterm Himmel eintreten kann. Es hat übrigens sozusagen jede Gegend ihre besondere Art von Gewitter, Winden und Stürmen, welche in Gang und Entwicklung eine gewisse Regelmässigkeit erkennen lässt'). Diesen Erscheinungen ist daher in dem Lande, welches man bereist, eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen und es sind deren einzelne Phasen genau zu beschreiben. Man notire auch deren Häufigkeit und Dauer, Jahres- und Tages- zeit ihres Auftretens, beziehungsweise ihrer grössten Häufig- keit, ihre geographische Ausdehnung und ihre gewöhnlichen oder zufälligen Wirkungen. Verschiedene meteorologische Beobachtungen. Es bleiben uns noch einige meteorologische Erscheinungen zu besprechen, welche, wenngleich nicht von nachweisbarem Einfluss auf das Klima, doch von grossem Interesse sind und zum Theil in gewissem Grade die Gegend charakteri- siren, indem sie zur besondern Physiognomie derselben bei- tragen. Es sind das gewisse atmosphärische Lichterscheinungen oder Photometeore. Wir gedenken hier in erster Linie der Zuftspiegelung. Bekanntlich handelt es sich dabei um optische Täuschungen, deren Ursache auf ungleicher Dichtigkeit der verschiedenen Luftschichten infolge ungleicher Temperatur derselben beruht. Diese Phänomene sind nicht auf Wüsten und Steppen der heissen Zone beschränkt, sondern kommen, wie es scheint, nicht selten auch auf Meeren und in den Polarregionen vor. Man unterscheidet die, gewöhnliche oder untere Luftspiegelung, bei welcher man verkehrte (abwärts gerichtete) Bilder gleich KLIMA 439 1) Als Beispiel einer trefflichen Lokalstudie dieser Art nennen wir „die Hagel- schläge des Kantons Aargau“ von Oberforstmeister Ayniker (Berlin 1881). | | 440 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | denjenigen in einem Wasserspiegel oder aber ferne Objekte in phantastischen Formen erblickt, sowie auch Bilder von Gegenständen, die sich unter dem Horizonte befinden '); die obere Luftspiegelung zeigt das umgekehrte (abwärts gerichtete) Bild eines Gegenstandes in der Höhe über dem Objekte, oft letzteres allein, oft mit einem zweiten und aufrechten Bilde; die seitliche Luftspiegelung (Fig. 206) lässt das Bild (a1, bı, ci) eines Gegenstandes (a, b, c) links oder rechts von diesem er- scheinen. Die Fata morgana ist eine Luftspiegelung, bei welcher die Bilder der Objekte nach jeder Richtung verzerrt, gebrochen. oder in mehrfacher Wiederholung, in wechselnden Formen, Dimensionen und Abständen erscheinen). | welche nur pro memoria genannt werden mögen, neben selteneren, die eine nähere Bezeichnung erfordern. | Der Regenbogen, in unsern Gegenden eines der häufigsten Phänomene, ist anderwärts seltener; denn er ist bedingt durch einen besondern Zustand des in der Atmosphäre ent 1) Vgl. das Reich der Luft, frei nach C. Flammarion, von Wilhelm Schütte, Leipzig 1875, S. 144—147. Aa 2) Vgl. Schütte, a. a. O., S. 151 ff. Hayes, das offene Polarmcer, Jena 1868, S. 366. Ei KLIMA q 441 haltenen Wassers. Er wird immer an dem Theil des Hori- zontes oder Himmelsgewölbes sichtbar, welcher dem Orte der Sonne gegenüber liest. Mitunter ist er doppelt, seltener vielfach ; d. h. der Hauptregenbogen (mit Roth nach Aussen) hat über sich einen zweiten (Nebenregenbogen) oder deren mehrere (Fig. 207). Die Reihenfolge der Farben (Roth, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett‘) in zwei Fig. 207. der benachbarten Regenbogen ist entgegengesetzt, d. h. die Reihe im einen Bogen ist das Inverse der Farbenserie des andern. Wenn dabei zwei Regenbogen sich theilweise decken, so entsteht durch das Aufeinandertreffen komplementärer 1) Betreffend weitere (meist grüne und rothe) Farbenstreifen über das Violett hinaus (sekundäre oder überzählige Bogen) vgl. Müller, kosmische Physik $. 423. 442 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Farben Weiss. Der Mondregenbogen entsteht in ganz ana- loger Weise wie der gewöhnliche Regenbogen, wird aber seltener beobachtet, schon weil er weniger intensiv ist. Als Höfe oder Ringe („grosse Höfe“, Halones !) bezeichnet man leuchtende Kreise um Sonne oder Mond, welche unter gewissen atmosphärischen Verhältnissen diese Gestirne in bestimmten Abständen (gewöhnlich von 22, seltener von 46%, Fig. 208) umgeben. In Bezug auf die Häufigkeit verhalten sich die Höfe um Sonne und Mond umgekehrt wie die beiden Arten von Regenbogen: der Mondhof ist häufiger zu beobachten Fig. 208. Be = als der Hof um die Sonne, denn jener ist auffallender, weil er durch das blasse Licht des Mondes nicht so überstrahlt wird, wie dieser durch das grelle Sonnenlicht. Die Höfe entstehen infolge einer durch Schnee- und Eiskrystalle in 1) Die Terminologie dieser und anderer Lichterscheinungen der Atmosphäre lässt viel zu wünschen. Der deutsche Sprachgebrauch bezeichnet als Höfe die Licht- und Farbenkreise unmittelbar um Sonne oder Mond, und insofern ist ein entsprechender Vorschlag von Dr. Müller (kosmische Physik S. 425) gerechtfertigt; in der Wissenschaft dominirt aber die gegentheilige Bezeichnung, die wir mit Klöden, Bohn, Schütte u. A. nachstehend acceptiren. KLIMA 443 der Luft bewirkten Brechung der Lichtstrahlen. Wenn die Kreise farbig erscheinen (was nicht immer der Fall ist, be- ziehungsweise nicht immer deutlich genug hervortritt), so ist das Roth auf ihrer innern Seite, dem Gestirne zugekehrt, das Violett (Blau) aussen. Mitunter hat der Hof infolge optischer Täuschung eine elliptische Form, wobei er um so kleiner wird, je höher das Gestirn steigt. Das blendende Licht der Sonne macht es oft unmöglich, den Hof um die- selbe zu sehen; man nimmt ihn aber in solchen Fällen wahr, wenn man das im Wasser reflektirte Bild der Sonnenscheibe oder aber diese selbst durch ein geschwärztes Glas betrachtet. Zuweilen zeigen sich neben dem Hof Bogen, welche den- selben berühren (Tangentialbogen, Fig. 208). Parhelien oder Nebensonnen, falsche Sonnen, sind leuch- tende und farbige — rothe, gelbe oder hellgrüne — Flecken, welche in bestimmten Entfernungen (denselben wie die Höfe) links oder rechts von der Sonne erscheinen und mit dieser selbst eine entfernte Aehnlichkeit haben (Fig. 208). Die Ur- sachen dieser Erscheinung sind die gleichen wie die der Höfe; sie zeigt sich auch gleichzeitig mit letzteren. Mitunter sind die Nebensonnen ungemein glänzend, sodass sie hierin der Sonne nahe kommen. Zuweilen, freilich selten, erzeugt dann jede Nebensonne zwei neue, welche alsdann selumdäre Nebensonnen genannt werden. Unter dem parhelischen Kreis oder Hori- zontalkreis versteht man einen leuchtenden Streifen, welcher durch den Sonnenmittelpunkt und rings um den Horizont geht, so zwar, dass auf diesem die Nebensonnen erster und zweiter Ordnung sich befinden müssen !). Die Nebenmonde, Paraselenen oder falschen Monde sind Phänomene, welche ganz den Nebensonnen entsprechen, nur dass sie an Intensität diesen nachstehen, wie das Licht des Mondes demjenigen der Sonne. Einige Aehnlichkeit mit den Höfen haben die @lorien oder Kränze (Coron®, Kronen, „kleine Höfe“) um Sonne und Mond; ihre Entstehungsweise ist aber eine andere. Sie bilden sich nämlich, wenn leichte Wolken vor der Sonne oder dem Monde hinziehen, durch Beugung des Lichtes; die Sonne sieht dann aus wie wenn man sie durch ein \) Vgl. Mousson Physik (Optik, 1881, S. 433) und Bohn, Ergebnisse, S. 612. 444 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN mittels Anhauchens getrübtes Glas betrachtet. Die rothe oder röthliche Farbe befindet sich hier auf dem äussern, von dem Gestirne entfernteren Rande, dessen Abstand indess nicht über 5° beträgt. Diese Erscheinung (Fig. 209) ist beim Monde nicht selten, wird vom Volke als „Mondhof“ be- zeichnet und gilt als Vorbote von Regen. Fig. 209. Pseudhelium heisst ein Doppelbild der Sonne, wovon das eine wirklich, das andere durch die Wolken reflektirt ist. Man beobachtet diese Erscheinung zuweilen auf hohen Bergen, wenn man sich über den Wolken befindet. Kurz vor dem Auf- oder Untergang der Sonne sieht man auch mitunter Bündel von Lichtstrahlen, welche dadurch erzeugt werden, dass dem Beobachter unsichtbare Wolken 'ISNI4SIDONFNOOUHK ESS GG = ök ®G©®Ö— KLIMA 445 ‘oder Berggipfel einem Theile der Sonnenstrahlen in den | Weg kommen und nun die Stellen mit freier Fortpflanzung }des Lichts um so heller erscheinen. Zu andern Zeiten \ wieder gewahrt man Lichtsäulen und verschiedene Bilder wie Sonnenkreuze (Fig. 210), welche durch Reflexion der' Licht- "strahlen an Eiskrystallschichten in der Luft hervorgebracht \ werden. | Ein Paranthelium ist ein weissliches, mehr oder minder }verschwommenes Bild der Sonne, welches ziemlich genau "dieser gegenüber am Himmel sich befindet. m 4 | I N || T Fig. 210. Als Anthelien oder Gegensonnen bezeichnet man über- aupt die Lichterscheinungen, welche nach Art des Regen- bogens am Himmel zur Sonne in Opposition sich befinden. Dahin gehören z. B. die Schatten, welche die Berge bei Sonnenauf- und Untergang auf Wolken- und Nebelschichten werfen. Hieher gehört auch das unter dem Namen „‚Brocken- gespenst, Rigigespenst‘‘ bekannte Phänomen, bei welchem ein auf einem erhöhten Punkte zwischen der Sonne und einer Nebelmasse befindlicher Beobachter auf dieser letztern sein 446 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Bild oder vielmehr seinen Schatten von hellen Kreisen wie von einem Heiligenschein umgeben sieht!). Sind mehrere Beobachter bei einander, so sieht jeder das Bild oder den Schatten des andern, aber den leuchtenden Ring, die Gloriole, sieht er nur um sein eigenes Abbild. Dieselbe Wahrneh- mung kann man übrigens machen, wenn man, während man! die Sonne im Rücken hat, vor sich auf einen Wasserspiegel blickt oder am frühen Morsen auf eine reichlich bethaute Ebene. i Bei Sonnenauf- und Untergang kann man nicht selten Deformationen der Sonne am Horizonte beobachten, welche Gestaltverzerrungen durch ungleiche Dichte der ak Luft- schichten und dadurch verursachte Strahlenhrechung ent- stehen’). | Die Dämmerung ist bekanntlich die Helligkeit vor Son- nenauf- und nach Sonnenuntergang und unterscheidet man! hienach Morgen- und Abenddämmerung. Die verschiedenen Gegenden der Erde haben verschieden lang andauernde und verschiedene Effekte mit sich bringende Dämmerung. Ami Aequator und überhaupt in der mern follenn Tag und Nacht rasch und unvermittelt auf einander; u gibt, es keine Dämmerung. In der gemässigten Zone dauert uw Dämmerung ungleich lange, je nach der Jahreszeit. In den Polarregionen endlich sind Tag und Nacht eigentlich nichts anderes als eine lange Dämmerung. Die Farbe des Himmels, bei Auf- und Untergang der Sonne und die sie begleitenden Erscheinungen variiren nach dem Klima und dem Zustand der Atmosphäre. Wer je einen schönen Sonnenauf- oder Untergang sah, wird erfüllt gewesen sein von Bewunderung über os immer grossartige und unendlich wechselreiche Bild. In der bunten Manigfaltigkeit, welche diese Erschei- nung überall bietet, gibt es aber gewisse charakteristische Züge, die in jedem Lande andere und ihm eigen sind. Ein Sonnenuntergang in der Wüste ist weit verschieden vom Sonnenuntergang im hohen Norden; aber auch benachbarte 1) Brockengespenst heisst diese Luftspiegelung in Deutschland, weil sie daselbst zuerst vom Brocken, dem viel besuchten Höhepunkt des Harzgebirges, bekannt wurde. Dieselbe Erscheinung kennt man aber auch vom Schafberg im Salzkam- mergut, Piz Currer in Graubünden, vom Rigi, Pilatus ete. 2) Vgl. Schütte, a. a. 0. S. 137. KLIMA 447 Gegenden haben in dieser Hinsicht Eigenthümlichkeiten auf- zuweisen. Eine der hauptsächlichsten Wirkungen des Sonnenunter- gangs ist in Gebirgsländern das sogenannte Alpenglühen, ein Erglühen der Berggipfel in reflektirtem Lichte, welches etwa 20 Minuten nach Sonnenuntergang stattfindet, d. h. 20 Mi- nuten von dem Zeitpunkte an, da die Sonne unter den Horizont sank und die direkte Beleuchtung der Berge durch sie aufhörte. Nachdem sich so die Berge kurze Zeit im Schatten befunden, erglänzen sie in einem leuchtenden Roth, gleich demjenigen glühender Lava oder flüssigen Metalls, das aus den Hochöfen ausströmt. Allmälig erlöscht dann das prachtvolle Phänomen und weicht den Schatten der Nacht. Das Zodiakallicht ist eine helle Region des Himmels, die eine Ellipse bildet, in deren Zentrum sich die Sonne befindet. Die grosse Axe dieser Ellipse fällt ziemlich zusammen mit der Ekliptik; das Zodiakallicht erscheint daher unter dem Aequator und unter den Tropen in fast vertikaler Stellung. Ueberall zeigt sich dasselbe als eine langgezogene Ellipse; in der südlichen Halbkugel erscheint die grosse Axe nach Norden, auf der nördlichen Halbkugel nach Süden gerichtet. Die Frage nach der Natur des Zodiakallichtes ist noch nicht entschieden; es bestehen hierüber zahlreiche Theorien. Es zeigt sich am Himmel vor Sonnenauf- und nach Sonnen- untergang. Auf der nördlichen Halbkugel kann man es zur Zeit des Herbstäquinoctiums am besten vor Sonnenaufgang beobachten, um das Frühlingsäquinoctium am besten nach Sonnenuntergang. Auf der Südhemisphäre hingegen sieht man es im September Abends, im März Morgens. ‘In den tropischen Gegenden zeigt es sich als eine glanzvolle Er- scheinung bei hellem Wetter jeden Abend. Seine Grenzen sind aber nur dann deutlich wahrzunehmen, wenn der Himmel zwar unbewölkt, aber dunkel, d. h. weder durch Dämmerung noch durch Mondschein erhellt ist. Zur Beobachtung des- selben bedient man sich wohl auch eines Cylinders von 30 cm Durchmesser und Länge, dessen Inneres geschwärzt oder mit schwarzem Papier ausgekleidet wurde. Bei der Be- schreibung des Zodiakallichtes hat man namentlich anzu- geben, welche Sterne dessen Grenzen bezeichnen; hienach trägt man dann diese Grenzen in eine Sternkarte ein, wobei 448 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN auch so gut als möglich die Lichtstärke der verschiedenen Partien zur Darstellung gelangen sol). Die Polarlichter, welche man mit Unrecht blos „Nord- lichter“ genannt hat, — man beobachtet sie gegen den Südpu ol hin ebensowohl wie gegen den Nordpol — sind optische Phänomene, welche en, gleich dem Wiederschein einer ungeheuren Feuersbrunst, in der Nacht den Himmel erhellen und alle erdenklichen Formen annehmen. Man schreibt sie einem Ausströmen von Luftelektrizität zu, welche sich, statt , plötzlich in Gewittern, langsam in den obern Schichten der Atmosphäre vollziehen soll. Die Erscheinung ist am häufigsten in den Polarregionen”) zu beobachten, indessen mitunter auch in en Breiten. Hiebei nn folgende Momente zu konstatiren: der Zeitpunkt des En der Erscheinung; die Dauer derselben; die Himmelsgegend, in welcher sie sic zeist. Im Weitern sind ihre verschiedenen Phasen zu be- schreiben und soweit möglich nach Formen und Farben bildlich darzustellen. Dauert das Phänomen bis gegen Tages- anbruch, so beobachte und notire man, wie der Theil des Himmels aussieht, an welchem vorher das Polarlicht sich zeigte. Das Funkeln der Sterne oder das Flimmern und schein- bare Zittern derselben ist eine durch einen eigenthümlichen j 1) Vgl. Beobachtungen über das Zodiakallicht von Henry Corvill Lewis in Germantown; „Sirius,“ Zeitschrift für populäre Astronomie 1881, S. 87. Auf Grund 5jähriger Beobachtungen (bei 400 n.Br.) werden hier am Zodiakallicht 3 Theile unter- schieden: der Zodiakalkegel, der Zodiakalstreifen und der Gegenschein. Der Zodiakalkegel ist das „Zodiakallicht“ der meisten Autoren. Seine Höhe über dem Horizont und seine Helligkeit stehen in direktem Zusammenhang mit der Däm- merung und der Schiefe der Ekliptik. Die günstigste Zeit, denselben zu sehen, ist stets unmittelbar nachdem die letzten Spuren der Dämmerung verschwanden, Der Unterschied von der Dämmerung, mit welcher er oft verwechselt wird, liegt darin, dass die letzten Spuren der Dämmerung eine seitliche Lichtausbreitung längs des westlichen Horizontes bilden, während der abendliche Zodiakalkegel, von etwa derselben Farbenabschattirung, sich schräger erhebt als der Kegel, der je nach der Jahreszeit mehr oder weniger zugespitzt ist. In jedem der 5 Jahre . war der abendliche Zodiakalkegel am glänzendsten von Mitte Februar bis Mitte März. Anfangs Dezember wird er so hell wie die Milchstrasse, übertrifft diese dann bald an Helligkeit — kann sogar Schatten werfen — bis er im April das, blassere der beiden Objekte zu werden beginnt. Der Zodiakalstreifen ist eine ungemein schwache Lichtzone längs des Thierkreises (Zodiacus) quer durch den Himmel von Horizont zu Horizont, der Gegenschein ein rundlicher oder ve Lichtfleck, welcher nächtlich an der Stelle des Zodikalstreifens erscheint, die 18 von der Sonne entfernt ist. — Ohne physischen Zusammenhang mit dem 7,odiakal- licht, aber wesentlich für die Beobachtung des letzteren sind: 1) „das Horizon licht, ein blasses Band weissen Lichtes mit parallelen Seiten rings um den Horizont, am hellsten unten, wo der Rand etwa 50 über dem Horizont scharf begrenzt ist: 2) der Absorptionsstreifen, ein dunkler Raum unter dem Horizontlicht, auf dem | Horizonte ruhend. 2) Vgl. ©. Weyprecht, praktische Anleitung zur Beobachtung der Polarlichter und der "magnetischen Erscheinungen in hohen Breiten. Wien 1881. } | KLIMA 449 Zustand der Atmosphäre bewirkte Interferenz-Erscheinung. Wenn die verschiedenen Luftschichten von wesentlich un- gleicher Dichte sind und von der Erde warme Dünste auf- steigen , so entsteht in der Luft eine zitternde oder wim- ielnde Bewegung ähnlich derjenigen, die man am Tage über ark erhitzten Flächen beobachten kann; die Sterne glänzen dann in raschem Wechsel bald stärker bald schwächer; sie scheinen, einen vulgären Ausdruck zu gebrauchen, am Himmel zu tanzen. Letztere Erscheinung kann aber ihren Grund auch im Beobachter haben, dessen Auge durch längeres charfes Beobachten des Himmels den nöthigen Grad von uhe verliert. Die Sternschnuppen oder fallenden Sterne scheinen abge- ste Kometenpartikelchen zu sein. Ihre Häufigkeit richtet ich nach der Jahreszeit und ist übrigens in ein und der- selben Nacht sehr verschieden; bald treten sie nur selten nd vereinzelt, bald als wahre Sprühregen von Sternen auf). ist namentlich auf die Richtung ihrer Bewegung zu echten und dabei anzugeben, von welchem Sternbild sie aus- ingen und nach welchem andern sie sich hinbewegten; ‘erner mache man Notizen über deren Anzahl, Grösse, Ge- chwindigkeit, besondern Glanz und Farbe. Die Feuerkugeln sind feste Körper, welche, wie ihr Name Jesagt, am Himmel in Gestalt feuriger Kugeln erscheinen ; ie lassen eine leuchtende Spur hinter sich und zerspringen zuweilen mit einem Knall gleich riesigen Raketen. Auch in 3ezug auf diese Vorkommnisse hat man die Region des Jimmels zu bezeichnen, in welcher sie erscheinen, sodann ie Richtung ihrer Bahn?) und die ungefähre Höhe, in welcher ie explodirten, endlich die besondern begleitenden Erschei- ıungen. Die auf den Boden gefallenen Trümmer einer Feuer- ugel nennt man Meteorsteine oder Aerolithen; da sie mit iner sehr grossen Fallgeschwindigkeit auf dem Erdboden nkommen, so dringen sie oft tief in denselben hinein. Bei ich darbietender Gelegenheit unterlasse man nicht, solche 1) Vgl. Schütte, a. a. O. S. 154 ff. 2) Sorgfältige Analysen der Schallwahrnehmungen bei Meteoritenfällen machen s möglich, den beiläufigen Weg des Meteors abzuschätzen, auch wenn dasselbe *hlecht oder gar nicht gesehen und beobachtet worden. Sirius 1881, S. 133 Intersuchungen über die Bahnverhältnisse des Meteoriten von Orgueil in Frank- ich, vom 14. Mai 1864). Vgl. auch Schütte, a. a. O. 8.159 ff. 29 450 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | Aerolithen zu sammeln; können sie wegen grossen Umfangs und Gewichts nicht transportirt werden, so beschreibe man sie genau, mache eine photographische Aufnahme und nehme Handstücke von denselben mit. IN Tabellen, Karten und Diagramme. Die meteoro- logischen Daten, welche der Reisende gesammelt hat, wird derselbe in übersichtlicher und anschaulicher Weise zur Dar- stellung bringen. Als Mittel zu diesem Zwecke sind Tabellen, Karten und Den zu ‚bezeichnen. Die Tabellen en eine summarische Rekapitulation deı täglich beabachi ion Elemente oder Faktoren. Jeder wird diese Tabellen nach seinem speziellen Zweck einrichten, Beispiele hiefür geben wir in Taf. XX. Man kann sich derselben bedienen, um darnach Spezialtabellen für kürzere oder längere Perioden anzufertigen. Die Rücksicht auf Raum- ersparniss macht es oft wünschbar, dass gewisse Angaben statt in Worten durch Zeichen gemacht werden. Eine Zu- sammenstellung solcher Zeichen ist in Taf. XXI enthalten, Man wird indessen auf alle Fälle gut thun, am Fuss odei Kopf der Tabellen, die man anfertigte, eine Erklärung dei hiebei gebrauchten Zeichen und Abkürzungen beizufügen, sowie auch angegeben werden soll, welcher Instrumente ma2 sich bei den Beobachtungen bediente. Hinsichtlich der No- tizen, die in einer solchen Tabelle nicht aufgenommen werden können, verweist man auf die betreffenden Spezialblätter. Die Karten sind namentlich geeignet zur Darstellung von Erscheinungen mit örtlichen Modifikationen, d. h. solchei Phänomene, die nur einzelne Partien der Besen betreffen, um welche es sich handelt, oder deren Wirkungen wenig stens nach diesen nz Partien verschieden sind. 8 wird man z. B. in Karten durch konventionelle Farben Zone: von Hagelschaden bezeichen, ebenso durch abgestufte Tönk die Vertheilung des Regens, wobei man dann mit eine Blicke sieht, welche Se wenig, welche andern hingegen reichlich Regen erhalten. Diagramme eignen sich zur Darstellung aller Er scheinungen, deren Intensität gemessen werden kam. Eine solche ora- phische Darstellung gibt oft eine bessere Idee von der Sache als lange Zahlenreihen. Ein Beispiel hievon hatten wi schon bei Besprechung des täglichen Ganges der Temperatul en nd Te we > 22 "® ee ER BR ner sense surf al rar tu ‘31 se - # ne a a Da ee tz Kazar 1 NIErIOKBH un un ke = AN u wirt Hr Luftdruck Barometer untere Schichten DIS... Meter Höhe ım Schatten | ınder Sonne Min.| Max. Mittel! Mın.| Max. Mitell obere Regionen Mittel Min. | Max. | Richtung Stärke horiz. | vert. Meter ............... Meter Accessorische Beobachtungen: a SCHE BEOBACHTUNGEN. TAEXK. keit Luftfeuchtigkeit und atmosph. Niederschläge. | z | igkeit ach Danupf‘ Verdun, Dünste Wolken | Abend.) Morgen] Bis NR! | Ka | | he en| C nee age Bere Bi spann?”s| stung | Nebel Menge | Art en | . | | | | | | | Bali | | | | | | N | | ) | | | | | | | | | | | a |. |: EEE ze a De | | | | | | | | | | | | | | | | | | eier jewitieı Bemerkungen u.dır. rscheinun gen Wenn une Beobachtung aus irgend enem (runde nicht | ‚gemacht rvırd, so lasse man.dıe betr ‚Stelle leer, Weber als | dass man sie nach Schatzung ausfülle. | I | a METEOROLOGISCHE ZEICHEN. EHlektrisches Tosen.... Folarlicht. Regenbogen... Doppelter Regenbogen... Sonnenhof”... (0) OB Mondhof’ b) ’« DENE “.. x & oder u Nebensonnen ®® Sannenkrone (oder (1) latteı. s Mondkrone. oder N ® __ see > Gemüter a Sturm en Wirbelmind u 4 Windhose, Wasserhose...... 2 esturm.. Qyclone ÖNGoN: r Die Intensität der Erscheinung wird durch. eine Ayfer rechts ber dem Feichen angegeben, x: B. n_° Schwacher Thau a Leichte Dünste =" Jehr starker Nebel _ 0’ Strimender Regen Wurster Banderraer &£C° Winterthur I HYDROLOGIE 451 (S. 411); nachfolgend geben wir ein zweites Beispiel, woraus zu ersehen ist, wie die Monatsmittel der Niederschläge eines Jahres angegeben werden. I DE IV a VEN VIEL STR X IH Mul- |! meter 100 so | | 60 Fig. 211: Diese beiden Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, wie solche Diagramme zu erstellen sind. Es geschieht immer nach einem und demselben Prinzip: Man hat eine gewisse Zahl von Kolonnen für Stunden, Tage oder Monate (als Abszissen), andrerseits eine Skala, wonach man die Intensität der Er- scheinung bezeichnet (als Ordinaten); durch die so erhaltenen Punkte zieht man eine Kurve, welche den Gang der Er- scheinung, die Schwankungen derselben, repräsentirt. Gesammtbild des Klimas. Nachdem man in der beschriebenen analystischen Weise die einzelnen meteoro- logischen Faktoren des Klimas betrachtet hat, bleibt uns die synthetische Arbeit, das Klima in seiner Gesammtheit aufzufassen, nach seinen Ursachen wie nach seinen Wirkungen, insbesondere was seinen Einfluss auf die Lebenserscheinungen, auf Landwirthschaft und Gesundheitsverhältnisse betrifft. HYDROLOGIE. Unter diesem Titel fassen wir alles Dasjenige zusammen, was sich auf die Erforschung der Gewässerverhältnisse des besuchten Landes bezieht. Wir sprachen bereits von den Niederschlägen, welche das Land in Form von Thau, Regen, Schnee und Hagel erhält. 452 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Unter dem Einfluss der Luft und der wärmenden Sonnen- | strahlen verdunstet ein Theil dieser Niederschläge; ein anderer Theil wird absorbirt durch Sandboden und Damm- erde, welche er momentan befeuchtet, oder von Pflanzen, in deren Säftemasse er übergeht und deren Wachsthum er ver- mittelt; der Rest fliesst an der Erdoberfläche in kleinen Wasseradern, in Bächen, Flüssen und Strömen, um entweder dem Meere zugeleitet zu werden oder in tiefere Erdschichten einzusickern und im letzteren Falle bald wieder hervorzu- treten als Quellen, die selber auch Wasserläufe alimentiren, bald jene unterirdischen fliessenden und stehenden Gewässer zu bilden, deren Kenntniss noch so mangelhaft ist. Es wäre von hohem Interesse, für jede Gegend den Ge- sammtbetrag der atmosphärischen Niederschläge zu kennen, die sie im Laufe eines Jahres erhält und ebenso den Verlust an Wasser, welchen sie auf verschiedene Weise, namentlich durch Verdunstung und fliessende Gewässer erleidet; aber dies zu bestimmen, wäre eine schwierige und undankbare Aufgabe. Wir beschränken uns daher auf eine Betrachtung der Hauptwirkungen dieser Niederschläge; der Bewässerung und Entwässerung des Landes, welches wir zu diesem Zwecke in hydrographische Bassins — Flussgebiete oder Flussbecken — eintheilen. Fluss- oder Stromgebiete. Das gesammte Areal, dessen aus Quellen, Regen, Schnee und Gletschern stammende Wasser sich in ein bestimmtes (stehendes oder fliessendes) Gewässer ergiesst, heisst bekanntlich das Gebiet, Becken oder Bassin jenes Gewässers. Wenn es sich um Flüsse und Ströme handelt, so kann ihr Becken oder Bassin als das Gebiet bezeichnet werden, dessen natürliche Entwässerung oder Drainirung durch jene Flüsse oder Ströme stattfindet, indem dieselben für dieses Gebiet ein grosses System des Wasserabflusses bilden. Diese hydrographischen Bassins, Fluss- und Stromgebiete sind gegen einander abgegrenzt durch die Wasserscheiden, das sind Verbindungslinien von Punkten — oft unmerklichen Terrainanschwellungen — von denen aus die meteorischen Wasser nach (zwei oder mehr) verschiedenen Richtungen abfliessen. Diese Linien erscheinen als vielgestaltete und oft sehr unregelmässige Kurven; mitunter sind dieselben voll- kommen geschlossen, in sich selbst zurücklaufend, wenn HYDROLOGIE 453 nämlich die Gewässer sich in Sand oder einem Sumpf ver- laufen oder sich in ein abflussloses Wasserbecken — Binnen- see, Binnenlagune — ergiessen; meist aber sind dieselben an einer Stelle offen, indem zwischen Anfangs- und- End- punkt eine Küstenstrecke liegt. Die Wasserscheiden fallen durchaus nicht immer zusammen mit den Kamm- oder Firstlinien der Gebirge, d.h. jenen ebenfalls blos gedachten Linien, welche die aufeinander- folgenden höchsten Punkte eines Gebirges verbinden. Nicht selten kommt es vor, dass ein Höhenzug, von dem man glauben sollte, er müsse den natürlichen Rand eines hydro- graphischen Beckens bilden, von den fliessenden Gewässern umgangen oder in einer engen Schlucht (Klus, Canon), zu- weilen selbst in unterirdischem Laufe, durchbrochen wird, so dass die Wasseradern ihren Anfang hinter jener Kette auf niedrigeren Höhen haben, oft auf Ebenen, wobei dann die Wasserscheide nur durch unbedeutende Bodenerhebungen gebildet werden kann. Die Grenzen der verschiedenen hydrographischen Gebiete werden in der für topographische Aufnahmen im Allgemeinen beschriebenen Weise bestimmt; auf Grund einer solchen Dar- stellung erhält man sodann den Flächeninhalt derselben nach Methoden, dieebenfalls bereitsdargelegt worden sind (vgl.S.175). Fluss-Systeme. An die Bestimmung von Grenzen, Umfang und Inhalt eines hydrographischen Beckens schliesst sich die Untersuchung der Art seines Flussnetzes oder Stromsystems an. Man versteht hierunter das Gesammtbild der Wasser- adern dieses Beckens, welches im Allgemeinen dem Bilde eines Baumes mit seinen Aesten und Zweigen oder mit seinem Wurzelsystem gleicht. Das Analogon zum Stamm des Baumes ‚ist der Hauptstrom ; den grössten Aesten oder Hauptwurzeln entsprechen die Nebenflüsse und den kleineren Aesten oder Wurzeln die Zuflüsse, welche ihrerseits wieder Zuflüsse zweiten, dritten und weiter untergeordneten Ranges haben, wie die Aeste sich in gröbere und feinere Zweige ausgliedern.” So im Allgemeinen. Es gibt indessen Ausnahmen. Mit Berücksich- tigung dieser haben wir vier Typen von Flusssystemen zu unterscheiden: Erster Typus. Mehr oder minder gleichlaufende Wasser- adern ziehen sich durch eine Abdachung hinunter und er- 454 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN giessen sich in ein stehendes Gewässer (Meer oder See) ohne Zuflüsse aufzunehmen: einfache Küstenflüsse oder Querströme (Fig. 212). Das Bild, das diese bieten, gleicht nicht einem Baume, sondern mehr den Zähnen eines Kammes (@), den divergirenden Speichen eines Rades (b) oder den konvergirenden Fig. 212. Furchen einer Schale mit kannelirten Rändern (ec). Wir können | diese Wasserläufe als parallele, radial-divergirende und radial- konvergirende Küstenflüsse bezeichnen, wofern wir nur be- merken, dass die Bezeichnung radial nicht nur auf eine kreisförmig begrenzte, sondern auch auf elliptische oder durch unregelmässige Kurven umschriebene Wasserbecken zu beziehen ist. Zweiter Typus. Eine am Fusse eines Abhangs sich hinziehende Wasserader er- hält nur von einer Seitenam- hafte Zuflüsse (Fig. 215). Es UN ist dies Oskar Peschel’s') „Längenstrom mit Nebenflüssen auf Einem Ufer“, ein Typus, den wir auch als einfaches und einseitiges Fluss-System be- zeichnen können. Dritter Typus. Eine Wasserader, welche die Sohle eines Thales annähernd in der Mitte derselben durchzieht und von beiden Seiten des Thales her einfache (d. h. nicht weiter ver- 1) Neue Probleme der vergleichenden Erdkunde. 1870. S. 133. Sonklar. HYDROLOGIE 455 zweigte Zuflüsse empfängt (Fig.214); — Peschel’s „Längenstrom mit Nebenflüssen an beiden Ufern“ (a.a. 0.8. 135), ein Typus, den wir als einfaches ‚zweiseitiges Flusssystem ER Eu bezeichnen wollen. Vierter Typus. Das Flusssystem, von wel- chem schon die Rede Pi; war: wo ein Haupt- strom von beiden Seiten her Nebenflüsse erhält, die selbst wieder seitliche und sich weiter verzweigende Zuflüsse auf- nimmt (Fig. 215), ein Typus, der als zusammengesetztes oder ausgebildetes Flusssystem bezeich- net werden mag. Erhielte die Hauptader eines solchen Fluss- | — -_ netzes nur von einer Seite Zu- AT, B Wi 5 Fig. 214. flüsse, so wäre dasselbe als zu- sammengesetztes, aber nur ein- seitig ausgebildetes System zu be- zeichnen und diesem gegenüber das Netz, welches wir vorhin in’s Auge fassten, als normal-zusam- mengesetztes oder beidseitig ent- wickeltes Stromsystem. Die Seitengewässer können je nach der Stufe, welche sie in dem System einnehmen, als solche I. Ordnung (Neben- flüsse), II. Ordnung (Zuflüsse), III. Ordnung etc. betrachtet werden. Wichtiger als die Aufstellung solcher Rangstufen im hydrographischen Netz. ist die Unterscheidung der Ge- wässer und einzelner Strecken derselben einerseits in Längen- ‚ströme und andererseits in Querströme, jenachdem sie mit dem Streichen des Gebirgs wesentlich parallel oder dazu an- nähernd senkrecht gerichtet sind und demnach ihre Thäler den Charakter von Längs- oder aber von Querfurchen im Gebirge haben. Ferner ist es von Bedeutung, verschiedene Wasser- adern und Theile von solchen — beziehungsweise deren Thäler — nach den Beziehungen in ihrer räumlichen An- ordnung zu betrachten. Es ist dies um so wichtiger, als die morphologischen Verhältnisse von heute, um deren Kon- statirung es sich zunächst handelt, das derzeitige Resultat Fig. 215. 456 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN einer geschichtlichen Entwicklung sind, als solches auf frühere Zustände hindeuten undunsauch hieranregen sollen, das Seiende als ein Gewordenes, ein Entwicklungsstadium, zu betrachten. Nicht alle parallelen Flussstrecken sind, wie dies Fig. 212a darstellt, auch gleichgerichtete; vielmehr kommen Fälle vor, wo die Gewässer in den parallel nebeneinander liegenden Fluss- linien nach entgegengesetzter Richtung sich bewegen; solche Flüsse oder Flussstrecken mögen antiparallel genannt werden, zum Unterschied von den eigentlich parallelen der ersten Art. Zwei oder mehr Flüsse können eine Flussreihe bilden, indem die Gewässer in einer und derselben Linie nach einer Seite oder nach entgegengesetzten Richtungen — im letztern Falle von einander hinweg oder auf einander zuströmen. Beispiele für diese Typen bietet fast jede Landkarte, wenigstens fast jede gute Karte eines Gebirgslandes, und man wird, indem man sie verfolgt, an Einsicht in das System der natürlichen Entwässerung des Gebietes gewinnen. Die Strecken einer Flussreihe werden sich meistens als Theile eines frühern Ganzen nachweisen lassen, als Stücke eines Thales, welches durch nachträgliche geologische Verände- rungen — durch Terrainbewegungen oder Wasserwirkung — in verschiedene Partien abgegliedert wurde). Von Wichtigkeit für den Charakter eines fliessenden Ge- wässers ist ferner die sogenannte (räumliche) Entwicklung seines Laufes und dessen Gefälle. Unter dieser Entwicklung eines Flusslaufes versteht man das Verhältniss der Zauflänge zu dem direkten Abstand zwischen Quelle und Mündung. Auf Grund unserer topographischen Aufnahmen und Zeichnungen können wir die in Rede stehenden Werthe leicht ermitteln. Die Lauflänge erhalten wir, indem wir den Flusslauf auf der Karte in so viele Stücke eintheilen, dass jedes davon als eine gerade Linie betrachtet werden darf, diese Stücke einzeln messen und ihre Summe mit der Reduktionszahl der Karte multi- pliziren, beziehungsweise den wahren Werth der Stücke und ihrer Summe mittels des Massstabes der Karte bestimmen. Die Lauflänge ist demnach die rektificirte (zu einer geraden Linie ausgezogene) Horizontalprojektion des Flusses, wie letz- tereimKartenbild erscheint. Es gibt besondere Instrumente zur 1) Vgl. E. H. Wichmann, die Elbmarsch und die Flüsse der deutschen Tief- ebene. Gäa 1881. S. 193 ft. HYDROLOGIE 457 raschen und genauen Messung solcher unregelmässigen Linien- züge ; dasangegebene Verfahren kann aber genügen. Der direkte Abstand zwischen Quelle und Mündung oder die Luftdistanz zwischen diesen beiden Punkten wird mittels eines Mass- stabs oder eines Zirkels abgemessen, wieder unter Berück- sichtigung der Verjüngung, welche für die Karte angewendet wurde. Diese Reduktionszahl, beziehungsweise der Karten- massstab, kommt freilich nur in Betracht für die Angabe des absoluten Betrages der Lauflänge und des erwähnten direkten Abstandes, ist dagegen selbstverständlich uner- heblich, wenn man nur das Verhältniss dieser beiden Werthe, die relative Laufentwicklung bestimmen will. Das Gefälle des Flusses oder einer Strecke desselben ist das Verhältniss der Höhendifferenz zweier Punkte des Flusslaufes zur Lauf- länge zwischen diesen beiden Punkten. Dieses Verhältniss wird gewöhnlich in Prozenten (/o») oder Promille (P/oo) an- gegeben, d. h. auf eine Flusslänge von 100 oder 1000 be- rechnet. Es sei z. B. eine Flussstrecke gegeben mit den Endpunkten « und b, wovon ersterer 750 m und letzterer 678 m absolute Höhe (Cote) habe, so. ist also die Höhen- differenz dieser Endpunkte 72m. Die Laufiänge des Flusses zwischen denselben sei 3600 m, so ist das Gefälle 72 , 6 ——yd 270: auf 100m Lauflänge . 1000, R 72.100 _ 99 0/0, 3600 - 1] ; nr de: Letztere Zahl (die also auf eine Laufläinge = 1 Bezug hat) ist die trigonometrische Tangente des Neigungswinkels, elchen der Flusslauf mit der Horizontebene bildet. Da as Gefälle der verschiedenen Strecken eines Flusses meist esentlich verschieden ist, so muss für die Ausmittlung dieser Werthe darauf gehalten werden, dass man den Fluss in solche Strecken eintheile, deren Gefälle ein ziemlich leichmässiges ist. Quellen. Bei den Quellen handelt es sich um Qualität nd Quantität des Wassers, wobei wir unter Qualität die Ihysikalische und chemische Beschaffenheit desselben ver- stehen. 458 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Wir haben schon (S. 413) davon gesprochen, wie die. Temperatur der Quellen bestimmt wird. Die genaue Angabe dieser Temperatur ist selbstverständlich von grösserem Werthe als die blosse Unterscheidung zwischen kalten oder gewöhn- lichen und warmen Quellen oder Thermen. | Die Zusammensetzung des Quellwassers ist nicht immer | leicht zu bestimmen. Das Wasser ist nie chemisch rein, sondern enthält immer ein gewisses Quantum mineralischer, Stoffe in Lösung. Bei starkem Gehalt an solchen Stoffen | heisst es ein’ Mineralwasser. Dieselben können ihrer Natur nach meist auf leichte Art unterschieden werden durch Unter- suchung der Absatzbildungen an ihren Rändern oder durch. Kosten derselben auf der Zunge; dabei wird sich oft, auch. wenn sie völlig hell scheinen, ein besonderer Geschmack oder | Geruch — nach Eisen, Schwefelwasserstoff, Kohlensäure, Salzen ete. — herausstellen. Will man die Zusammensetzung des Quells genau kennen lernen, so muss man eine vorher gut gereinigte Flasche mit diesem Wasser füllen und sorg-) fältig verschliessen, um später den Inhalt zu analysiren oder analysiren zu lassen. Hinsichtlich solcher Quellen, welche nur wenig mineralische Stoffe enthalten, genügt es, zu unter-, suchen, ob das Wasser trinkbar, d. h. für den häuslichen | Gebrauch tauglich ist. Sie sind das nicht, oder doch nicht genügend, wenn Seife darin nicht löslich ist; es beweist dies, | dass sie zu viel Gyps (Kalksulfat) enthalten; sie heissen, dann Gypsquellen. ' Von Professor Dr. V. Wartha in Budapest ist kürzlich | auf die Wichtigkeit und Leichtigkeit einer Untersuchung) der Alkalität oder „Härte“ von Quellen und anderen Ge-' wässern aufmerksam gemacht worden. Es ist ihm gelungen, | eine Methode zu finden, wonach der Gehalt eines Wasseıs, an alkalischen Erden bei Anwendung von nur 10 cm? des-, selben mit Hülfe einer einzigen Reagenzflüssigkeit innerhalb weniger Minuten bei gewöhnlicher Temperatur fast ebenso, genau bestimmt werden kann wie bisher durch umständlichere' Methoden, welche ein Kochen und Titriren des Wassers in besonderen Schalen nöthig machten und sich daher mehr | nur für das Laboratorium als für den Reisenden eigneten. Der Geologe Ludwig Loczy hat auf seiner letzten Reise m| China und Tibet das von Dr. Wartha empfohlene Verfahren HYDROLOGIE 459 vielfach erprobt und dargethan, dass dessen Anwendung den Reisenden, für welche das Mitschleppen von Wasserproben lästig und oft unmöglich wird, zu empfehlen ist. Wir wollen desshalb nicht unterlassen, diese Methode hier zu erwähnen. Zur Ausführung bedient man sich einer etwa 30—40 cm langen, an einem Ende rund abgeschmolzenen Glasröhre, an welcher eine untere Marke den Rauminhalt von 10 cm? be- zeichnet. Von dieser Marke an gegen die Mündung soll die Röhre in Zehntelskubikcentimeter (0,1 &m?) eingetheilt sein. Zur Bestimmung der temporären Härte füllt man nun die Röhre bis zur untern Marke mit dem zu untersuchenden Wasser und setzt ein kleines Stückchen vorher mit Campecheholzextrakt getränkten und dann wieder getrockneten Filtrirpapiers hinzu, wodurch das Wasser eine violette Färbung erhält. Hierauf fügt man aus einer Tropf-Flasche so lange Hundertelnormal- salzsäure bei, bis die Farbe der Flüssigkeit sich mehr dem Orange nähert. Man schliesst sodann die Röhre mit dem Daumen zu und schüttelt tüchtig durch. Dieses Schütteln ersetzt das bisher angewendete Kochen vollständig. Der grösste Theil der Kohlensäure entweicht und die Flüssigkeit wird wieder roth. Man kann auch die Entfernung der Kohlensäure durch Hineinblasen in das Glasrohr nach dem Schütteln befördern. Hierauf setzt man wieder von der Reagenzflüssigkeit (Hundertelnormalsalzsäure) zu, schüttelt abermals, und wird nun dieselbe Erscheinung wie früher wahrnehmen, aber jetzt in schwächerem Masse. Dieses Ver- fahren wird fortgesetzt, bis der nächste Tropfen der Säure die Farbe der Flüssigkeit in ein helles Zitrongelb umwandelt. ieser Punkt ist schon bei ganz geringer Uebung mit grosser chärfe zu treffen. Die Anzahl der verbrauchten Kubik- sentimeter (cm?) von Normalsäure wird an dem Schüttel- :ohre abgelesen. Diese Zahl bezeichnet den Grad der Alkalität les Wassers’). Wie man sieht, braucht man nur eine Messröhre, ein ?läschehen mit Hundertelnormalsalzsäure und ein Stück mit !) Aus dem Verbrauch an Normalsalzsäure kann man auf bekannte Art (durch 'hemische Proportionen) die Menge der chemisch gebundenen Kohlensäure, be- iehungsweise des kohlensauren Kalkes, berechnen, welche das Wasser enthält. ’rof. Wartha schlägt aber der Einfachheit wegen vor, die Alkalität des Wassers ü bezeichnen durch die Anzahl cem3 von Hundertelnormalsalzsäure, welche man ur Neutralisation von 10 em3 Wasser braucht. Man erhält dieselbe Zahl, wenn aan nach der früheren Methode 100 cm? Wasser mit Zehntelnormalsäure titrirt. 460 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Campecheholzextrakt getränkten Filtrirpapiers mit sich zu führen, um auf einer Exkursion den alkalischen Grad einer. ganzen Reihe von Quellen oder Brunnen bestimmen zu‘, können. | Die Alkalität eines Wassers ist nicht nur von Interesse in geologischer Beziehung, sondern auch vom hygieinischen Standpunkt aus, zur Beurtheilung der Güte eines Trink- wassers, und sie ist exakter und leichter zu ermitteln als. das spezifische Gewicht, das man auch zur annähernden. Beurtheilung von Trinkwasser benutzt. Das Grundwasser. löst um so mehr alkalische Erden, es schliesst auch die, Alkali-Silikate des Bodens um so mehr auf, je reicher an Kohlensäure die mit dem Wasser in Berührung kommende Grundluft ist. Da nun diese Kohlensäure fast ausschliess- lich von zersetzten organischen Substanzen herrührt, so, erlaubt die Bestimmung der Alkalität in den meisten Fällen’ (abgesehen von den Mineralquellen) einen Schluss auf den | Ursprung, beziehungsweise die Güte des betreffenden Grund- wassers. Professor Wartha hat gefunden, dass die Alkalität‘ derjenigen Brunnenwasser, welche in Budapest als gut be-, zeichnet werden und die sich durch die Geringfügigkeit‘ ihres Chlor- und Amoniakgehaltes auszeichnen, zwischen 3 und 6° schwanke, während dieselbe bei amoniak- und: chlorreichem Wasser, welches von der Bevölkerung als schlecht‘ bezeichnet und nur im Nothfall getrunken wird, bis zu 15° stieg !). Unter der Stärke einer Quelle versteht man die von der-. selben in einer bestimmten Zeit gelieferte Wassermasse, Dieselbe ist gleichmässig oder veränderlich, regelmässig oder unregelmässig, je nachdem sie entweder das ganze Jahr‘ N 1) Vgl. W. Wartha, über eine einfache Methode zur Bestimmung der temporären Härte des Wassers. Zeitschrift für Untersuchung von Lebensmitteln und Verbrauchs- gegenständen, herausgegeben von Dr. Max Biechele. Eichstätt und Stuttgart, } IlI. Jahrgang (1850) Nr. 7 S. 98 ff. — Ueber die Wichtigkeit derselben Untersuchung hinsichtlich des Wassers von Flüssen und Seen s. unten. — Wir fügen hier bei, | dass nach Versuchen von H. Langfeldt im Trinkwasser befindliche Infusionsthiere getödtet und beseitigt werden können, indem man solchem Wasser 1/2000 Zitrone säure (l/2 Gramm englische Zitronsäure für 1 Liter des von Infusorien belebten Wassers) zusetzt, es hierauf einige Minuten ruhig stehen und beim Trinken einen kleinen Rest im Gefässe lässt. Mit wenig Ausnahmen sterben die mikroskopischen Thiere auf den Zitronsäurezusatz binnen 2 Minuten, und in ca. einer Minute nach dem Absterben sinken sie zu Boden. — Der Säuregeschmack ist in dieser Ver- | dünnung nicht unangenehm und auch der Preis dieses Mittels erlaubt dessen all- gemeinen Gebrauch. Vgl. Pharmaceutische Zentralhalle, 1830, S. 280. Gäa 18381, S. 189. h HYDROLOGIE 461 hindurch ziemlich gleich bleibt oder grossen Aenderungen unterworfen ist, ja in gewissen Zeiten sogar zu fliessen aufhört. Man unterscheidet in dieser Hinsicht einerseits permanente oder perennirende, andrerseits variable und perio- dische (intermittirende) Quellen. Die Stärke einer Quelle in einem gegebenen Moment wird bestimmt, indem man alles Wasser, welches dieselbe zu dieser Zeit liefert, in einem Gefäss auffängt und dessen Masse (Anzahl Liter) durch die in Sekunden ausgedrückte Zeit der Operation des Wasser- auffangens dividirt. Lieferte die Quelle in 5 Minuten 3 Liter, so ist also deren Stärke ?/soo = 0,01 Liter. Die Wasser- massen sehr reichlich fliessender Quellen sind in gleicher eise zu bestimmen wie die fliessender Gewässer. Fliessende Gewässer. Bei jedem fliessenden Gewässer andelt es sich zunächst um die Art seiner Alimentation der Speisung. Nicht alle haben eigentliche „Quellen“ ; anche entstehen durch blosses Zusammenfliessen des ober- ächlich abströmenden Regen- oder Schmelzwassers; andere urch Vereinigung vieler kleiner Fäden von Sickerwasser, die zusammen eine ansehnliche Ader bilden, deren eigentlicher rsprung schwer zu bestimmen wäre; wieder andere brechen ls wasserreiche Bäche oder Ströme aus Gletscherthoren und #elsenspalten hervor oder bilden den Abfluss von Mooren ınd Seen, ohne dass man diese Stellen als eigentliche „Quellen“ jener Gewässer zu bezeichnen hätte. Die Kenntniss des Alimentationsmodus eines Gewässers st von Nutzen; sie erklärt oft gewisse Eigenthümlichkeiten lerselben, die sonst räthselhaft erscheinen könnten. Die Temperatur des Gewässers muss für verschiedene iefen desselben mit aller Sorgfalt ermittelt werden; dabei t auch die Temperatur der Luft in einiger Entfernung on dem Flusse zu bestimmen, nämlich an einem Punkte, er nicht mehr unter dem Einfluss der durch die Wasser- erdunstung bewirkten Temperaturerniedrigung in nächster ähe des Flusses steht. Der Grad der Durchsichtigkeit wird wenigstens annähernd ‚ezeichnet durch Angaben wie: klar, durchsichtig, trüb, Auch die Fürbung des Wassers ist zu notiren; ebenso, enn sie besondere Eigenthümlichkeiten aufweist, die Ursache, 462 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | welcher man sie zuschreibt, wie: Ursprung des Gewässers, Beschaffenheit des Flussbettes und seiner Umgebung, Be- leuchtungsverhältnisse, Tiefe des Wassers, Gehalt an suspen- dirten Rbeiler ehe: Die Kenntniss der chemischen Zusammensetzung des Wasch hat meist praktisches, technisches Interesse. Es zeigt sich dabei, dass Wasser von bläulicher Farbe, womit ein eigen- thümlicher Glanz verbunden ist, sich am besten zur Speisung. von Brunnen, zur Verwendung für häusliche Zwecke, eignet, wogegen grünliche glanzlose (matte) Gewässer für industrielle’ Zwecke sich eignen und einigermassen trübes Wasser, das organische Reste und suspendirte Mineraltheilchen enthält, die sich als feiner und fetter Schlamm niederschlagen, für die Landwirthschaft nützlich ist. \ Eine interessante Arbeit von Prof. Dr. Weith in Zürich!) weist nach, dass der Kalkgehalt des Fluss- und Seewassers in een: steht zu a Tauglichkeit für das Fisch-; leben, dass unter sonst gleichen Bedingungen der Kalkgehalt eines Gewässers als Massstab für dessen Fischgehalt gelten‘ könne. Hieraus geht hervor, dass dem oben (S. 459) mit- getheilten einfachen Verfahren für die Bestimmung der tem- porären Härte als Beitrag zur Statistik des Wassers wesent- liche Bedeutung zukommt. Es wäre in der That sehr erwünscht, auch in dieser Hinsicht möglichst viele Daten aus grossen Stromgebieten zu erhalten’). Der Gehalt an suspendirten und vom Wasser mechanisch transportirten Massen (abgesehen von grobem Geschiebe) kann ermittelt werden, indem man eine Flasche von hellem farb- losem Glase und von bestimmtem Inhalt, z. B. einem Liter, füllt und nachher so lange ruhig stehen Be bis die suspeii dirten Theile sich zu Boden gesetzt haben ar das Wasser ganz klar erscheint. Dann misst man die Dicke des Ab- satzes, der sich auf dem Boden der Flasche gebildet hat und berechnet hieraus das Volum desselben (in Bruchtheilen des Liters). Statt dessen kann man auch das Gewichts verhältniss angeben; man filtrirt das Wasser und wieg! | 1) Chemische Untersuchung schweizerischer Gewässer, Zürich 1880. £ 2) Der schon (S. 458) erwähnte Geologe L. Loczy hat z. B. gefunden, dass der | ca. 10000 Fuss hoch gelegene, den Bodensee an Oberfläche vielmals übertreffende und sehr fischreiche Ku-Ku-nor (-See) eine sehr hohe Alkalitit besitzt. Vgl. Wartha, a. a. O, HYDROLOGIE 463 sowohl das Filtrat als den getrockneten Filtrirrückstand. Die Art des Absatzes nach seinen hauptsächlichsten Bestand- theilen wird sich unschwer beurtheilen lassen; dagegen ist eine genaue Prüfung (Analyse) desselben Sache eines Che- mikers von Fach; ebenso auch die genaue Angabe der im Wasser chemisch gelösten Stoffe; wir bemerken in dieser Hinsicht nur, dass ein und dasselbe Gewässer in Bezug auf Menge und Zusammensetzung dieser letzteren (in demselben chemisch gelösten) Stoffe ziemlich konstant ist; während Menge und Komposition der mechanisch mitgeführten (suspen- dirten) Theile starken Aenderungen unterliegt, je nach dem Quantum der atmosphärischen Niederschläge und deren Ver- theilung über die verschiedenen Partien des Einzugs- oder Sammelgebiets eines Flusses. Führen die Gewässer grobes Geröll, Felsstücke, Baumwurzeln, Stämme und ganze Bäume, Eisschollen u. dgl. m. mit sich, so ist das zu erwähnen mit Rücksicht auf die Gefahren, welche durch solche Vor- kommnisse für die Uferanwohner und ihr Grundeigenthum, für Brücken- und andere Bauten, sowie für die Schifffahrt entstehen. Die Strömung oder die Art der Bewegung eines fliessenden Gewässers ist eine gleichförmige; der Stromstrich, d. h. die Linie scheinbar schnellster Bewegung der Wassertheilchen, befindet sich nicht immer in der Mitte des Flusses, in gleicher Entfernung von beiden Ufern, sondern liegt — in grösserem oder geringerem Grade — näher an einem derselben, und zwar oft abwechselnd bald nach diesem, bald nach jenem Ufer hin. Er ist nämlich dem Ufer am nächsten, nach welchem hin der Fluss am tiefsten ist, in Windungen also näher am konkaven (ausbiegenden) Theil der Flussrinne. Dies gilt als Regel; man wird nun prüfen, ob sie überall zutreffen oder ob und inwiefern sie Ausnahmen erleide durch den Umstand, dass, wie behauptet werden will, in meridional fliessenden Gewässern der Stromstrich durch die Erdrotation nach ein und demselben Ufer (dem zur Rechten) hingedrängt werde. Die Geschwindigkeit strömenden Wassers wird mit einem, den Seeleuten wohlbekannten Instrumente (Log) oder mit Kugeln und ziemlich schweren Holzstücken bestimmt, die etwas unter der Oberfläche schwimmen. Man beobachtet, wie viel Zeit ein solcher Gegenstand bedarf, um eine gewisse Strecke schwimmend zurückzulegen und berechnet nun, wie | | 464 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN viel Meter Weg auf eine Zeitsekunde fallen; diese Zahl gibt die Geschwindigkeit der Strömung. Solche Messungen müssen. auf geraden Strecken des Flusses vorgenommen werden, um Kurven und Wirbel zu vermeiden, in welchen der Verlauf der Strömung ein anderer ist als derjenige der Uferlinien; das Instrument, beziehungsweise der zur Messung verwendete, Gegenstand, ist in die stärkste Strömung zu bringen, also. in den Stromstrich oder in das Wasser über dem tiefsten Theil des Flussbettes (welchen man dessen T’halweg nennt) und darf nicht über die Oberfläche hervorragen, weil sonst Wind und Luftwiderstand störend einwirken. Hat der frag- liche Gegenstand in dieser Weise z. B. während einer Viertel- stunde 270 m zurückgelegt, so ist die Geschwindigkeit an der Oberfläche 0,3 m in der Sekunde. \ Will man, ohne Vornahme genauer Messungen, nur einen allgemeinen Begriff von der Schnelligkeit einer Strömung geben, so kann dies geschehen durch die Bezeichnungen: Strömung unmerklich — schwach — lebhaft — stark — sehr stark — reissend, welche annähernd folgende Ge- schwindigkeiten bedeuten: schwache Strömung 0,5 m starke R 1,5 „ (Beispiele: Rhone und Rhein) sehr starke „ 2—5, reissende 4 5 „ und mehr. Wie schon bemerkt ist die Geschwindigkeit eines flies- senden Gewässers nicht in allen Theilen eines und desselben Querprofils (Querschnitts) gleich gross; vielmehr ist die Ge- schwindigkeit an der Oberfläche, deren Kenntniss für Schiff- fahrtszwecke Bedeutung hat, grösser als diejenige der ganzen Masse, weil sie grösser ist als die Geschwindigkeit des Wassers am Rande und unten in der Tiefe, welches durch Ufer und ” Boden des Flussbettes, Reibung und Wirbel daselbst, in seiner " Bewegung gehemmt wird. Die mittlere Geschwindigkeit der ganzen Wassermasse in einem bestimmten Theile (Querschnitt) des Flusses ist annähernd ?/s der Geschwindigkeit an der 7 Oberfläche. Genauere Resultate erhält man durch Benutzung ziemlich komplizirter Formeln, welche man in Lehrbüchern der Hydraulik findet !). E 1) Vgl. „Der Mississippi“ von Humphry Abbot, deutsch von J. G. Kohl. HYDROLOGIE 465 Annähernd kann die Geschwindigkeit auch abgeschätzt werden nach den Ablagerungen des Flusses auf dem Grunde seines Bettes. Bei den nachfolgend angegebenen Geschwindig- keiten (pro Sekunde) setzt der Fluss das daneben bezeichnete Material ab: 0,06 m — Dammerde (Ackerkrume), 0,12 „ — suspendirte Thontheile, 0,24 „ — feinen Sand, 0,32 „ — groben Sand, O,ss „ — haselnussgrosses Kies, 0,96 „ -—— Geschiebe von der Grösse eines Eies. Um die Wassermasse, welche in einer gegebenen Zeit bei einem bestimmten Punkte des Flusses durchströmt, oder die Abflussmenge desselben zu finden, berechnet man zunächst einen (Querschnitt des Gewässers: man misst die Breite des @Wasserspiegels zwischen beiden Ufern und die verschiedenen Tiefen längs dieser Querlinie ; mittels dieser Zahlen konstruirt an das Querprofil (Fig. 216) und berechnet dessen Flächen- Fig. 216. /nhalt. Indem man diesen nun mit der mittlern Geschwindigkeit nultiplizirt, erhält man die Wassermasse. Der Reisende, welcher eine Gegend rasch durchzieht, vird sich auf die erwähnten Angaben beschränken müssen ; ıält er sich aber einige Zeit in dem Lande auf, so wird er lieselben durch wiederholte Messungen vervollständigen; denn ie Höhe des Wasserstandes eines Flusses ist Schwankungen anterworfen; damit ändern sich die Geschwindigkeit und die ro Sekunde durchfliessende Wassermasse in hohem Grade; s bedarf daher einer ganzen Reihe von Beobachtungen in en verschiedenen Jahreszeiten, um das Regime des Stromes ennen zu lernen, d.h. sowohl seinen gewöhnlichen Stand Is auch die Art und den Grad seiner Veränderungen: die 30 | 466 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | @ | Zeitpunkte und die Raschheit ihres Eintritts, die Dauer und die Extreme derselben. Will man das Regime eines Gewässers erforschen, so hat man vor Allem einen hiezu geeigneten Punkt ausfindig zu machen. Man wird diesen im Allgemeinen unter der Bin- mündung des letzten Zuflusses zu eben haben, indess nicht: zu nahe an der Einmündung des Gewässers = ein anderes, fliessendes oder stehendes, da im letztern Falle der Wasser- stand beeinflusst würde durch Rückstauung von dem Strome' her, in welchen sich unser Gewässer ergiesst oder durch die Bewegungen (Gezeiten und „Seiches“) des stehenden Wassers (Meeres oder Sees). Nachdem die Wahl einer passenden Stelle getroffen ist, schreitet man zu einer sorgfältigen Aufnahme des Quer-' profils und zwar des vollständigen Querschnitts an dieser Stelle, der nicht auf die momentane Höhe des Wasserspiegels beschränkt werden, sondern die Ufer wenigstens bis zu den grössten bekannten Hochwasserständen enthalten soll. An einem geeigneten Punkte dieses Profils bringt man hierauf einen sduirten Pfahl (Fluviometer oder Peoel an), welchen. man an der rechten Stelle und im richtigen Verhältniss in die Profilzeichnung einträgt. Da man an zum Voss das Niveau der Minimal- niederwasserstände des Flusses kennt, so muss der Nullpunkt der Fluviometer- oder Pegel-Skala dem tiefsten Punkt des‘ Flussbettes entsprechen; auch soll derselbe wo möglich, um dessen absolute Höhe zu erhalten, mit dem geodätischen Nivellement der Gegend in Verbindung gebracht werden. Ist der Fluviometer in dieser Weise angebracht, so liegt, uns noch ob, zu beobachten, bis zu welchen Punkten der Skala in verschiedenen Zope das Wasser steigt und welche) mittlere Geschwindigkeit diesem Wasserstande entspricht. Die Flächenberechnung für die verschiedenen Querprofile ist sehr einfach, da nur die obere Grenze derselben sich ändert. Die, Multiplikation dieser Flächen mit den entsprechenden mitt leren Geschwindigkeiten gibt die Abflnssmengen des Gewässels | für die Fotnunkee der en Beobachtungen! | Fortgesetzte Beobachtungen dieser Art führen zur Kenntnis. der Nieder-, Mittel- und Hodies ser der Ab- und Zu nahme oder des Fallens (Sinkens) und een (Wachsen, . HYDROLOGIE 467 Anschwellens) eines Flusses, wie seiner Geschwindigkeit und Abflussmenge beim mittleren Niveau und bei den extremen (minimalen und maximalen) Wasserständen. So lernt man alle erforderlichen Faktoren kennen: die einem gegebenen Wasserstande entsprechende Ab- oder Durchflussmenge; die Dauer des Bestandes eines solchen Niveaus; die Zeitpunkte des Eintritts der Hoch- und Niederwasser; die Art der Wasserstandsänderungen: ob dieselben langsam oder rasch, ja plötzlich, regelmässig oder unregelmässig, periodisch oder zufällig erfolgen; die jährliche Gesammtabflussmenge und die mittlere Abflussmenge, welche man aus jener erhält durch Division mit der Zahl der Sekunden eines Jahres (31,557,600); endlich den gewöhnlichen oder normalen Wasserstand des Flusses, als welchen man dasjenige Niveau zwischen Hoch- und Niederwasser erklärt, welches der Fluss die meiste Zeit des Jahres einnimmt (einhält). Kennt man diese einzelnen Phasen des Flusses, sowie das Quantum der in seinem Wasser chemisch gelösten oder suspendirten Bestandtheile, so kann man weiter berechnen, welche Massen fester Stoffe er jährlich aus dem Lande heraus- führt, welches demnach der Betrag der Auslaugung und Ab- tragung im höher gelegenen Theile des Flussgebietes ist. Alle diese Angaben werden um so richtiger, je mehr un- mittelbar aufeinanderfolgende Jahre die Beobachtungen um- fassen, weil auf diese Weise die zufälligen Einflüsse eliminirt oder ausgeglichen werden. Die Anordnung der Notirungen wird ein Jeder nach Gut- finden einrichten. Wir geben indess schematische Tabellen hiefür auf S. 468 und 469, sowie in den Fig. 217 und 218 uster von Diagrammen zur graphischen Darstellung der bemerkenswerthesten Erscheinungen. Ein Gewässer hat den Charakter des Wildwassers, wenn erioden von Trockenheit seines Bettes rasch mit grossen ochwassern wechseln. Wenn Operationen im Grossen vorzunehmen sind, so ann man die Werke von Revy und Allan Cunningham zu Rathe ziehen '); dieselben geben ausgezeichnete Beispiele über 1) Hydraulics of Great Rivers. The Parana, the Uruguay and the La Plata Estuary, »y J, J. Revy, London 1874; — Hydraulics Experiments at Boorkee, by Capt. Allan Junningham. 1876. 468 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Abflussmenge des .... Flusses. Kubikmeter © pro Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. Sekunde. 6000 5000 4000 3000 2000 1000 Fig. 217. Wasserstandsänderungen des .... Flusses. Jan. Febr. März April Mai Juni Juli Aug. Sept. Okt. Nov. Dez. | | Meter Fig. 218. Beobachtungen über das Regime des .... Flusses. TAG INHALT | Mittlere | Abfluss- a | ee en enge BEMERKUNGEN STAND Quer- 7 pro STUNDE profils digkeit | Sekunde HYDROLOGIE 469 Rekapitulation. Gesammt- Quer- Mittlere | Abfluss- abfluss- menge für die ange- A \ fläche digkeit | Sekunde gebene Niveau | Dauer | Dausr Andauernde Wasserstände Bemerkungen | schnitts- |Geschwin- menge pro Normaler Stand EEPCTI EAMGE Jährliche Ge- | ' | ] ' sammtabfluss- menge. Niederwasser (Epoche: ... - 0.» | Mittlere Abfluss- menge. , | Mittelwasser (Epoche: . . B | Hochwasser (Epoche: .. . | Art des Anschwellens (..... .) die Organisation des Materiellen und Personellen, sowie über das Ganze der zu treffenden Anordnungen. Die Ursachen des Anschwellens der Gewässer verdienen ein sorgfältiges Studium. Sie sind natürliche oder durch den Menschen (durch unvorsichtige Entwaldung einer Gegend) herbeigeführte. Eine und dieselbe Ursache erzeugt nicht immer auch die gleiche Wirkung. Selbst ein bedeutendes Hochwasser macht sich bei manchen Flusssystemen im untern Theile derselben kaum bemerkbar, wenn sie auf ihrem Laufe grosse Wasserbecken durchfliessen, welche als Regulatoren wirken; indem sie den plötzlichen Wasserüberfluss in sich aufnehmen und nur langsam wieder abgeben. In andern Fällen trifft das Anschwellen der einen Zuflüsse zusammen mit der Abnahme andrer, so dass die Veränderung des Wasser- standes in der Hauptader des Netzes nur unbedeutend ist. Wenn aber alle Wasseradern eines und desselben Systems AO BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN gleichzeitig anschwellen, so resultiren hieraus grosse Hoch- wasser: die Flüsse treten aus und überschwemmen das Land. Die Ueberschwemmungen sind in ihrer Wirkung ungleich; bei den einen werden durch rasches Anschwellen der Ge- wässer Dämme durchbrochen, Schutt und Trümmer abge- lagert und die Gegenden aufs Schwerste verheert; bei anderen, die durch langsam eintretendes, aber andauerndes Hoch- wasser verursacht sind, wird im Gegentheil ein fruchtbarer Schlamm abgesetzt. Es genügt also bei Ueberschwemmungen nicht, deren Ursache, Zeit und Periodizität oder Unregel- mässigkeit anzugeben; man muss auch genau die Stellen bezeichnen, an welchen sie eintreten, den Perimeter, d. h. den Umfang des Gebietes, welches von ihnen betroffen wird, und endlich die schädlichen oder nützlichen Folgen derselben. VerweiltderReisendenichtsolangein demLande, dasser diese verschiedenartigen Beobachtungen selber vornehmen könnte, so hat er Indizien aufzusuchen oder Informationen einzuziehen. Indizien dafür, dass eine Gegend Ueberschwemmungen ausgesetzt ist, sind z. B. auf Pfählen gebaute Hütten, auf Anhöhen erstellte Wohnungen. Spuren von Hochwassern wird man überdies längs der Flüsse und in einiger Ent- fernung von denselben öfters an Felswänden und isolirten Felsstücken (Säulen, Zeugen), ja selbst an Stämmen und in Kronen von Bäumen auffinden. Die Erinnerung an grosse Hochwasser erhält sich bei den Einwohnern der betroffenen Gegenden meist sehr lange; durch Befragen älterer Leute wird man sachbezügliche Ueber- lieferungen kennen lernen oder aufmerksam gemacht werden auf Thatsachen, die niedergelegt sind in den Annalen des Landes oder auf Steine und andere Zeichen, welche das Niveau angeben, das von Hochwassern in ausserordentlichen Jahrgängen erreicht wurde. Aus Spuren früheren Wasserstandes oder durch Erkundi- gungen wird man auch zu erfahren suchen, ob das Gewässer, um welches es sich handelt, wesentliche Veränderungen in seinem Regime erlitten hat, ob eine merkliche Ab- oder Zunahme seines Wasserreichthums eingetreten ist und welches dessen Ursachen seien'). 1) Vgl. Schill, geologische Beschreibung der Umgebungen von Waldshut, Karls- ruhe 1866; Kollbrunner, thurgauische Fischfauna und bezügliche Gewässerver- hältnisse, Frauenfeld 1879, S. 84 ff. HYDROLOGIE 471 Von grosser praktischer Bedeutung sind Beobachtungen über die Schiffbarkeit der Gewässer. Man unterlasse daher nie, die hierauf bezüglichen Verhältnisse vorzumerken und namentlich die Punkte anzugeben, wo die Schiffbarkeit be- ginnt für Flösse (Flossbarkeit), für kleine Fahrzeuge, für Dampfboote und endlich für Schiffe von grossem Tiefgang. Wenn das Gewässer sich in mehrere Arme theilt, ist anzu- geben, welcher derselben unter den bestehenden Verhält- nissen am besten für die Schifffahrt geeignet sei. Unterirdische Gewässer. Es kommt zuweilen vor, dass in den Boden einsickernde Regenwasser nicht wieder (als Quellen) an die Oberfläche gelangen und dass Flüsse an Stellen, wo der Grund ihres Bettes durchlässig ist, ver- schwinden, wobei das Bett in seiner Fortsetzung trocken gelegt wird; das Wasser dringt, statt an der Oberfläche weiter zu fliessen, in den Boden ein, bis es auf eine un- durchlassende Schicht trifft, fliesst nun auf dieser fort und bildet so unterirdische Wasserläufe. Wenn diese in geringer Tiefe liegen, so sind sie von wesentlicher Bedeutung; vor starker Verdunstung geschützt, liefern sie den Wurzeln der Pflanzen das erforderliche Wasser und ermöglichen sie dem Menschen, durch Graben von Brunnen sich das Wasser für seinen hauswirthschaftlichen Bedarf und für Bewässerung von Gegenden, die sonst unfruchtbar und unbewohnbar bleiben würden, zu verschaffen. Es ist nicht immer leicht, diese unterirdischen Gewässer, ihre Vertheilung und ihren Umfang, zu verfolgen; ihr Vor- handensein ist nicht immer an der Erdoberfläche wahrzu- nehmen, und man ist daher oft auf Voraussetzungen ange- wiesen. Wo indessen Spalten, Gruben u. dgl. es ermöglichen, unterirdische Wasserläufe wahrzunehmen, versäume der Rei- sentle nicht, aufmerksam zu beobachten, in welcher Tiefe sie’sich befinden, welche Temperatur, Farbe, Zusämmen- setzung und andere Eigenthümlichkeiten sie haben. Stagnirende Gewässer. Als stagnirende Gewässer sind solche zu bezeichnen, welche keinen oder doch nur mangelhaften Abfluss haben. Sie sind verschieden nach Ent- stehung, Charakter und Wirkung. Die einen sind Ansamm- lungen von Regenwasser in Vertiefungen eines wenig durch- lassenden Bodens: andere von Flusswasser, das sich über 472 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN ein flaches Terrain ergoss und zurückblieb, nachdem di Hochwasser sich verlaufen; dritte endlich von Wasser, welches. durch die Poren des Bodens zwischen einem See oder Fluss und dem anstossenden tieferen Terrain seitlich durchsickerte — nicht zu gedenken der stagnirenden Gewässer in zeit- weise verlassenen Flussläufen oder Abzweigungen von solchen | (wie der Bayous von Louisiana). Je nach ihrem Umfang heissen diese Wasseransamm- lungen Pfützen, Lachen, Tümpel, Teiche, Weiher, Sümpfe, Moore und auch wohl Seen; zuweilen tragen sie eine Pflanzen- decke wie die schwimmenden Inseln Mexikos. Ihre Grenzen lassen sich oft nicht genau angeben, da sie oft nach den Jahreszeiten stark variiren. Es ist auch weniger wichtig, den Flächeninhalt dieser Gewässer fast bis auf den Quadratmeter genau, als vielmehr deren Wirkungen zu kennen. Die meisten entwickeln Fäulnissgase, Miasmen, welche die Gegend ungesund machen für Menschen und Thiere, was sich im kränklichen Aussehen derselben zeigt. Andere sind lediglich ein Hinderniss für die Ausdehnung | der Landeskultur und den Verkehr. Es gibt auch solche von nur temporärem Bestande wie die Schotts oder Sebkhas im nördlichen Afrika, welche sich in der Regenzeit mit Wasser füllen, im Sommer aber austrocknen und dann ent- weder mit einer Salzschicht bedeckt oder auch mit grüner Pflanzendecke bekleidet werden. Von Interesse ist es, anzugeben, auf welche (mitunter oft einfache) Weise die Trockenlegung (Drainirung) dieser Becken bewirkt und damit die Gegend gesund gemacht, der Kultur neues Areal gewonnen werden könnte. Seen. Seen sind mehr oder minder umfangreiche Wasser- becken von grösserer Tiefe als die vorgenannten stagnirenden Gewässer; wiewohl sie als stehende Gewässer bezeicHnet werden, können sie einen mehr oder minder starken Zu- und Abfluss und auch im Innern des Beckens eine mehr oder minder rasche fliessende Bewegung haben; ihr Wasser kann süss, salzig oder brackisch sein. Lage, Umfang, Meereshöhe und Tiefe derselben gehören der Topographie an; die Art ihrer Bildung ist mehr eine Frage der Geologie als der Hydrologie. Die einen dieser Wassermassen füllen — ganz oder theilweise — alte Krater HYDROLOGIE 473 aus, andere Längs- und Querthäler (Mulden, Comben, Klusen), Trichter oder beliebige Einsenkungen und Vertiefungen des _ Bodens. Die einen werden durch Gletscher gebildet, welche - ihre Schmelzwasser zwischen sich und Felswänden einschliessen:; andere durch Querriegel, z. B. Moränen, welche nur ee die Wasser zurückzuhalten vermögen, allmälig aber von diesen durchschnitten und durchbrochen werden, Seen der letzteren Art befinden sich oft auf Terrassen in verschiedener Höhe über einander. Viele endlich sind nur mehr oder minder bedeutende Erweiterungen von Flussbetten. Nach ihrer Lage und Höhe unterscheidet man Seen des Gebirgs, der Thäler und der Ebene (Berg-, Thal- und Flach- landseen). Von den letzteren unterscheiden sich die ringsum geschlossenen Meere nur durch weit grössere Ausdehnung. Ein jeder See hat sein hydrographisches Bassin, für welches er der Wassersammler ist, wohin alles Wasser fliesst, welches ‚im Umkreise (Einzugsgebiet) des Beckens zur Erde fällt oder aus der Erde quillt. Hinsichtlich dieser Speisung der Seen wären die gleichen Bemerkungen zu machen wie in Betreff der Speisung fliessender Gewässer. Zu berechnen, welche Wassermasse ein See empfängt und abgibt, ist eine schwierige Aufgabe; in beiden Beziehungen sind Faktoren vorhanden, die sich der Wahrnehmung oder Ermittlung entziehen können. Hieher gehören in gewissem Grade die auf die Seefläche selber entfallenden atmosphärischen Niederschläge und auf dem Grunde des Beckens entspringende Quellen, andrerseits der Wasserverlust durch Verdunstung und durch Versicke- rung im ganzen benetzten Umfang des Beckens. Neben der Speisung dieser Wassersammler ist die Art ihres Abflusses zu betrachten. Manche zeigen keinen sicht- baren Abfluss: oft ist auch wirklich kein Abfluss vorhanden, dann nämlich, wenn dem See nicht mehr oder nur_unbe- deutend mehr Wasser zufliesst, als ihm die Verdunstung ent- zieht, so dass sein Niveau dabei ziemlich konstant bleibt. Wenn aber ein See reichliche Zuflüsse empfängt, so muss er einen sichtbaren oder verborgenen (unterirdischen) Abfluss besitzen ; andernfalls müsste er nothwendig austreten. Hat man die Tour um den See gemacht, ohne dabei einen Aus- fluss zu finden, so muss man den Verlauf der Strömungen im Seebecken untersuchen und namentlich auf Punkte achten, 474 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN wo das Wasser und auf demselben befindliche Gegenstände in Wirbeln sich bewegen und in die Tiefe gezogen werden; an solchen Stellen muss ein unterirdischer Abfluss vorhanden sein, dessen anderes Ende vielleicht bei einer Erforschung der De entdeckt werden kann. e Die Niveauveränderungen, die mit einem See stattfanden oder noch stattfinden und was damit zusammenhängt: seine allmälige Verlandung, seine alten Ufer, sein langsames Aus- trocknen oder plötzliches Verschwinden — all’ das gehört der Geologie an und wir haben uns damit an dieser Stelle nur insoweit zu befassen, als es sich um solche Schwankungen des Wasserstandes handelt, welche die Folge langer Trockenheit oder ausserordentlicher Niederschläge sind. Neben diesen Niveauveränderungen erheischen zuweilen noch solche ganz anderer Art sorgfältige Beobachtungen, nämlich die sogenannten Intermittenzen und die „seiches“ (Ruhssen) gewisser Seen, welch letztere Erscheinung namentlich vom Genfer See bekannt ist, Dank den Studien des Professors Forel von Lausanne; hieher gehören ferner die Gezeiten ge wisser ringsum abgeschlossener Meere. Diese Niveauverände- rungen lassen sich am Ufer mit blossem Auge wahrnehmen, wenigstens an den Enden des Sees, wo die Schwankungen eine grössere Amplitüde aufweisen und dadurch sichtbarer ' werden; auch können dieselben an einem vertikal aufge pflanzten graduirten Stabe gemessen werden. Aber um diese verschiedenen Phänomene wissenschaftlich zu verfolgen, sind spezielle Instrumente nöthig, welche nicht zum gewöhnlichen Gepäck eines Reisenden gehören. | ur In gewissen Seen beobachtet man mitunter auch ‚plötzliche Niveauschwankungen oder Bewegungen, einen Aufruhr der Wasser, wobei die Ursachen meist unbekannt sind, in der Regel aber auf unterseeische, senkrecht wirkende Erdstösse oder auf partielle Einstürze zurückgeführt werden. E Die Wellenbewegung auf den Seen ist eine andere als ad dem Meere, insofern die Wellen der Seen kürzer, aber vie ed stärker als die des Meeres sind. Die Gründe dieser Erscheinung | bestehen darin, dass einerseits die Wellen auf einem See sich ) nicht so erden können wie auf der weitgedehnten Meeres- | Häche und dass andererseits das süsse Wasser ein geringeres ” = HYDROLOGIE 475 Gewicht hat und sich daher durch den Wind leichter heben lässt als das Salzwasser. Gewöhnlich haben auch die scheinbar stillsten Seen ihre Strömungen, die theils durch die in dieselben sich ergiessenden Zuflüsse und den Abfluss, theils aber durch Temperatur- differenzen der verschiedenen Wasserschichten verursacht werden. Unter den übrigen Eigenthümlichkeiten mancher Seen erwähnen wir auch das blühen derselben, eine Er- scheinung, die namentlich den Gebirgsseen eigen ist und dadurch hervorgerufen wird, dass die tausend Wasserfäden im Einzugsgebiete des Sees heruntergefallenen Blüthenstaub mit- führen, welcher nun auf dem Seespiegel lange Streifen gelb-, lila- oder rosafarbigen Schaumes bildet. Eine andere Er- klärung schreibt dieses Blühen der Seen mikroskopischen Thierchen zu, welche sich zu Zeiten fabelhaft rasch ver- mehren. Oelguellen oder Oelflecken sind glatte Stellen auf der Oberfläche eines leicht vom Winde bewegten Sees. Sind diese Flecken stark in die Länge ausgedehnt, so heissen sie Wege. Ihre Entstehungsweise ist noch nicht genügend bekannt; die Einen erblicken in ihnen eine Modifikation der leichten Wellen, welche durch die Brise oder das Fallen der Regen- tropfen entstehen; Andere schreiben sie einer dünnen Schicht einer öligen Substanz zu, welche ungleichmässig über die Oberfläche des Wassers ausgebreitet ist. Die Farbe der Seen ist verschieden, fast bei jedem See eine andere Nüance, bald tiefdunkel, fast schwarz (so beim Titisee im Schwarzwald), bald schmutzig gelb oder bräunlich (wie bei kleinen Schwarzwaldseen), bald — und zwar in der grossen Mehrzahl der Fälle — himmelblau oder grün. Diese verschiedenen Färbungen können bedingt sein durch die Be- schaffenheit des Wassers, von welchem der See gespeist wird, durch die mehr oder minder grosse Tiefe, die Farbe des Seegrundes und der Ufer, sowie durch den Lichtreflex von den Höhen aus, welche den See einrahmen. Zudem kann die Farbe wechseln nach dem Zustand des Himmels und der Wasseroberfläche: ob jener hell oder bewölkt, diese ruhig oder bewegt sei. Auch zeichnen mitunter die Strömungen ines Sees auf demselben ein Band, eine Zone mit einer on der übrigen Wasserfläche verschiedenen Farbe. 476 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | Die Durchsichtigkeit des Seewassers ist gemeiniglich grösser als die des Flusswassers, weil die in letzterem suspendirten Stoffe zu Boden sinken, wenn sie in ruhigeres Wasser ge- langen. Je weniger solche Stoffe suspendirt bleiben, desto grösser ist die Durchsichtigkeit des Wassers. Schon aus diesem Grunde ist die Durchsichtigkeit auch nach den Jahres- zeiten verschieden; denn nach starken Regengüssen und zur Zeit der Schneeschmelze müssen den Seen durch ihre Zuflüsse nothwendigerweise mehr solche Sinkstoffe zugeführt werden als sonst; auch ist die Dichtigkeit der einzelnen Wasserschichten im Winter eine andere als im Sommer und in dichterem (schwerem) Wasser können Theilchen noch schweben bleiben, welche in spezifisch leichterem Wasser zu Boden sinken würden. Die Durchsichtigkeit kann bis zu einem gewissen Grade ge- messen werden mittels einer Blechscheibe von etwa 25cm Durchmesser, die man mit weisser Oelfarbe bemalt und, an einer Senkschnur befestigt, in’s Wasser hinab sinken lässt, bis sie sich dem Blicke entzieht. Man misst dann die Länge der abgewickelten Schnur für den Moment, da die Scheibe unsichtbar wurde. Hierauf zieht man diese langsam wieder empor und bestimmt wieder die Länge, welche die gespannte Schnur in dem Zeitpunkt hat, wo die Scheibe zuerst wieder sichtbar wird. Das Mittel dieser zwei Messungen gibt die Grenze der Durchsichtigkeit für den gegebenen Moment und Ort. Damit solche Messungen vergleichbar seien, muss immer eine und dieselbe Scheibenfläche (von konstantem Durchmesser) angewendet und müssen die äussern Umstände (wie die Be schaffenheit der Wasseroberfläche, Höhe der Sonne über dem Horizont etc.) berücksichtigt werden. Die Temperatur des Seewassers ist verschieden je nach den Klimaten, Jahreszeiten, Tiefen und namentlich nach der Temperatur des Wassers der Zuflüsse: ein See, welcher im Sommer direkt Gletscherschmelzwasser erhält, hat selbstver- ständlich niedrigere Temperaturen als ein anderer, dessen Zuflüsse ihr Wasser auf einem langen Laufe durch Flachland erwärmten. Zur Messung der Temperatur in verschiedenen Tiefen bedient man sich eines Metallcylinders, welcher an beiden Enden von unten nach oben sich öffnende Ventile hat. Dieser Cylinder wird an einer Schnur in die bestimmte Tiefe herunter- HYDROLOGIE AT gelassen. Sowie man ihn heraufzieht, schliessen sich die Ventile, und wenn das Heraufziehen rasch geschieht, so behält das eingeschlossene Wasser seine Temperatur, die man nun durch Eintauchen eines gewöhnlichen Thermometers misst. Je nach seinem @eschmacke wird das Wasser süss, brackisch oder salzig genannt. Brackisch ist im Allgemeinen das Wasser von Seen, welche eine geringe Tiefe und keinen Abfluss haben; salzig ist es, wenn Gewässer, welche sich in den See ergiessen, über salzhaltigen Boden fliessen, wie das der Fall ist bei gewissen Steppenseen und anderen Binnengewässern, welche oft als Reste früherer Meere in Depressionen des Festlandes sich finden. Wenn ein solches Gewässer nur geringe Tiefe hat und starker Verdunstung ausgesetzt ist, so kann sein Salzgehalt wesentlich grösser sein als der des Meerwassers. Um zu entscheiden, ob ein Wasser süss, brackisch oder salzig ist, braucht man es nur zu kosten; wenn es sich hiebei als stark salzig herausstellt, so bestimme man den Salzgehalt, indem man z.B. einen Liter dieses Wassers fasst, dieses Quantum verdunsten lässt und nun den salzigen Rückstand misst. Es gibt Seen, wo nur noch das Wasser der tiefsten Schichten salzig ist; man darf also nicht nur Proben von der Oberfläche kosten, sondern muss solche aus verschiedenen Tiefen untersuchen, um zu erfahren, ob diese verschiedenen Proben gleiche oder ungleiche Resultate liefern. Flussmündungen. Haben wir die stehenden Gewässer der Gegend kennen gelernt, so begeben wir uns an die Küste, um unsere Aufmerksamkeit den Erscheinungen zuzuwenden, welche die fliessenden Gewässer an ihren Mündungen zeigen. Es handelt sich hier nicht-um die Deltabildung u. dgl., was in's Gebiet der Geologie einschlägt, sondern um die Wasser- verhältnisse an den Mündungen und insbesondere um die- jenigen Verhältnisse, welche die Schiffbarkeit beeinflussen. Es ist also zu prüfen, ob das Einfliessen eines Stromes in ein Wasserbecken, das Einmünden desselben, in normaler Weise erfolge oder ob es gehemmt werde durch Winde, Strömungen an den Küsten und Gezeiten. Manche Flüsse werden durch die vom Meere herwehenden Winde gestaut; bei andern wird dieselbe Erscheinung bewirkt durch lebhafte Strömungen längs der Küsten, wodurch oft der Fluss ge- zwungen wird, einen andern Lauf zu nehmen; bei einer ANs BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN dritten Kategorie von Flüssen endlich wechseln zwei ver- schiedene Erscheinungen mit einander periodisch ab: bald strömen ihre Gewässer frei in das Meer hinaus, bald dringt im Gegentheil die Fluth ein und wälzt dieselben rückwärts, den Fluss hinauf, indem sie dergestalt das als Rastern, Barre oder Bore (mascaret, proroca) bekannte Phänomen ver- ursacht. Es sind also Klippen und Sandbänke, die wir bei topographischen und Tiefenmessungen kennen lernten, nicht die einzigen Hemmnisse an Flussmündungen, sondern es gibt auch ähnlich wirkende Hemmnisse rein hydrologischer Art, welche in Bezug auf die Schiffbarkeit der Gewässer wesentlich in Betracht kommen. Strömungen und Gezeiten. Es ist von Bedeutung, ob an den Küsten Meeresströmungen und Schwankungen des Meeresniveaus (Gezeiten) vorkommen oder nicht. Die Existenz von Strömungen lässt sich erkennen an der Bewegung von Gegenständen, die auf oder besser — damit sie der Einwirkung des Windes entzogen werden — in dem Wasser hintreiben. Mit solchen Gegenständen sind Versuche‘ in verschiedenen Tiefen zu machen, da oft verschiedene Strömungen — obere und untere — übereinander vorkommen und diese sogar in entgegengesetzter Richtung fliessen können. Zu diesen Experimenten wendet man sogenannte Schwimmer an, das sind Kugeln aus schwerem Hartholz, welche im Wasser untersinken und an einer Schnur befestigt sind, deren Länge der gewünschten Tiefe entsprechen muss und an deren oberem Ende ein Stück Kork angebracht ist, welches gerade die richtige Grösse haben soll, um der untergetauchten Kugel als Gegengewicht zu dienen und sie in der richtigen Tiefe zu erhalten. Noch besser versieht man die Kugel mit einer starren senkrechten Stange, deren oberes Ende ein Fähnchen trägt. Diese Schwimmer zeigen durch ihre Be wegung die ee wie auch die Geschwindigkeit der Saas an, nur ist er der Einfluss der Wellenbewegung und der Geräten zu berücksichtigen, welche die Schwimmer nach einer bestimmten Richtung treiben können, wenn auch keine oder gar eine anders gerichtete Strömung vorhanden ist. Falls man einen Schwimmer anwendet, welcher aus Kork und Kugel besteht, so kann man aus dem Versuch | nur dann sichere Schlüsse ziehen, wenn dabei die Schnur. E HYDROLOGIE 479 genau vertikal gerichtet, der Kork also senkrecht über der Holzkugel bleibt. Die Existenz wie die Richtung und Geschwindigkeit von " Küstenströmungen können auch ermittelt werden, indem man ein Schiff verankert oder sonst an einer Stelle fixirt und nun das Log anwendet oder einen Schwimmer an einer sich leicht abwickelnden Schnur. Die Länge des in einer be- stimmten Zeit abgewickelten Theiles dieser Schnur gibt den innerhalb dieser Zeit zurückgelegten Weg oder also die Ge- schwindigkeit an. Es gibt veränderliche und temporäre Strömungen. Dazu gehören diejenigen, welche abhängen von der Windrichtung, von den Gezeiten; von der Wassermenge, welche die ein- mündenden Flüsse ins Meer ergiessen; von Ungleichheit der Temperatur zwischen dem Wasser der hohen See und dem- jenigen einer mit ihr durch eine schmale Strasse verbundenen Bucht; endlich von stärkerer Verdunstung in einer solchen Bucht oder Lagune, welche Verdunstung ein Zuströmen des Wassers nach der Bucht, zur Ausgleichung der sich bildenden Niveaudifferenzen, bewirken muss. Nur zahlreiche, zu ver- schiedenen Tages- und Jahreszeiten vorgenommene Beob- achtungen können zu einer genauen Kenntniss dieser Strö- mungen und ihrer Ursachen führen. Gezeiten (norddeutsch Tiden!) nennt man das wechselsweise Steigen und Sinken des Meeresniveaus, welches sich in einem Zeitraum von etwas mehr als 24 Stunden (im Mittel 24" 50" 28°) zweimal vollzieht. Während 6 Stunden steigt das Meer: es kommt die Fluth; während 6 andern Stunden wieder sinkt sein Niveau: es tritt Ebbe ein. Zwischen zwei solchen entgegengesetzten Bewegungen gibt es einen Moment, wo das Niveau des Wassers weder steigt noch fällt, sondern „steht“, das eine Mal beim Hochwasser, das andere Mal beim Niedrigwasser, d. h. beim höchsten und tiefsten im aufe eines Tages eintretenden Wasserstand. In Bezug auf die Küste, welche man erforscht, ist zu- nächst zu konstatiren, ob sich an derselben die Gezeiten I) Leser, welche sich eingehender mit diesem Gegenstande, insbesondere mit der mathematischen Theorie desselben, befassen wollen, verweisen wir auf Hann, a.a. 0., S.179 ff., und die Abhandlung von Peters (über Fluth und Ebbe) in Neu- ayers mehrerwähnter Anleitung. + 450 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | | bemerkbar -machen. Wo sie stark ausgeprägt sind, wird. man darüber bald ein Urtheil haben; denn das Bild, welches. die Küste hier bietet, ändert sich in wenigen Stunden; wo sie aber nur in geringem Grade vorkommen, können sie durch die Wellenbewegung maskirt werden und es muss dann eine genauere Untersuchung stattfinden. Zu diesem) Zwecke bezeichnet man einige Fixpunkte: man pflanzt Stäbe auf an den äussersten Stellen, bis zu welchen die Wellen- schläge reichen und markirt an Felsen die Höhe, welche das Wasser erreicht. Nach einigen Stunden sieht man nach, ob die Grenzen des Wassers noch dieselben sind. Wenn sich nach einer Reihe von Beobachtungen zeigt, dass keine Niveauänderungen zu konstatiren sind und wenn dies nament- lich zur Zeit von Voll- und Neumond (der Syzygien), sowie | der Tag- und Nachteleiche der Fall ist, so darf man an- nehmen, dass die fragliche Küste keine Gezeiten hat. Nimmt) man aber im Gegentheil derartige Niveauschwankungen wahr, so ist die Amplitüde derselben festzustellen, indem man die‘ wechselnde Höhe des Wasserstandes an solchen Punkten misst, ' hinsichtlich welcher die Ermittlung dieser Verhältnisse das meiste Interesse bietet. Man bedient sich hiezu einge- | theilter Stäbe, die man an Stellen, von welchen sich das Meer niemals — auch nicht bei tiefstem Niedrigwasser — zurückzieht, senkrecht aufpflanzt und mit einem Flechtwerk umgibt, damit die Oberfläche des Wassers um den Stab | weniger durch den Wellenschlag gestört werde. Die Ab lesungen müssen in um so kürzeren Zwischenräumen vorge- nommen werden, je näher der Zeitpunkt eines extremen Wasserstandes (höchste Fluth oder tiefste Ebbe) heranrückt, damit man genau die Zeitpunkte ausfindig macht, in welchen \ die Maxima und Minima erreicht werden. 4 Ein und dasselbe Stadium der Gezeiten tritt nicht jeden Tag zur gleichen Stunde, sondern jeweilen mit zirka 50 Mi= nuten Verspätung von einem Tag zum andern ein. An einem bestimmten Orte treten die analogen Erscheinungen von Fluth und Ebbe (einander entsprechende Wasserstände beim Steigen oder beziehungsweise beim Sinken) nur an den Tagen des Voll- und Neumonds zur gleichen Stunde ein, d.h. in gleichen Intervallen von der Kulmination des Mondes an. Dieses Intervall — die Zeit zwischen dem Meridiandurchgang des ' A > PFLANZENWELT 481 Mondes in den Syzygien und dem Eintritt des Hochwassers der Fluth — heisst die Hafenzeit des Ortes. Der Verlauf der Gezeiten ist bedingt durch die Gestaltung der Küsten und des Meeresbodens; die Gleichzeitigkeit der Erscheinungen, welche sonst vorhanden wäre, wird hiedurch gestört, und es treten an den Punkten einer Küste Fluth und Ebbe zu verschiedenen Zeiten auf. Linien, welche Punkte verbinden, die zu gleicher Zeit Fluth und zu gleicher Zeit Ebbe haben, heissen Isorachien (cotidal lines). Die Höhe entsprechender Stadien der Gezeiten wechselt am gleichen Punkte im Laufe eines Tages; zwei unmittelbar aufeinanderfolgende Fluthstände ergeben nicht den nämlichen Wasserstand; das Gleiche gilt hinsichtlich der Ebbe. An zwei verschiedenen Tagen sind diese Differenzen noch grösser. Der Niveatiunterschied zwischen Hoch- und Niederwasser ist bedingt durch die Mondphasen; er ist grösser zur Zeit er Syzygien, d. h. von Voll- und Neumond (Springfluth), m kleinsten zur Zeit der Quadraturen, d. h. des ersten nd letzten Viertels (Nippfluth, taube Fluth). Die Syzygien der Springfluthen sind wieder verschieden von einem Monat um andern und werden am grössten zur Tag- und Nacht- leiche. Die Amplitüde der Gezeiten für einen gegebenen Ort sestimmt man als die Differenz zwischen dem Durchschnitt ler Wasserstände zweier unmittelbar aufeinander folgender Tochwasser einerseits und dem Stand des dazwischen fallenden Niedrigwassers andrerseits. Um diese Daten mit solchen andere Punkte vergleichen zu können, gibt man die ima der Amplitüde an, welche zur Zeit der Aequinoktien intreten. > PFLANZENWELT. : Die Flora einer Gegend umfasst die Gesammtheit der elbst wild wachsenden Pflanzen. Um sie darzustellen, üsste man also alle Familien, Arten und Spielarten dieser Hanzen aufzählen und nöthigenfalls beschreiben. Dies wäre yer meist eine riesige, jedenfalls eine schwierige und nur ırch Fachgelehrte zu bewältigende Aufgabe. Der gewöhnliche 31 482 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Reisende kann nicht so weit gehen; seine Sache ist es nur, das Charakteristische einer Flora hervorzuheben, dieselbe in ihren grossen Zügen zu schildern; die Erstellung eines Katalogs der in einem Lande wachsenden Pflanzen wird er dem Botaniker von Fach überlassen. Eine der ersten Autoritäten!) sagt hierüber: „Ein stati- stisches Tableau, welches das räumliche Verhältniss zwischen Wald, Kulturland, Wiesen, Sumpf etc. angibt, liefert ein besseres Bild von der Vegetation des Landes im Allgemeinen als manche gelehrte Floren, von welchen die Botaniker viel Aufhebens machen.“ Ein solches statistisches Tableau kann leicht erstellt werden durch Verwerthung der Beobachtungen, welche der Reisende auf seinen verschiedenen Exkursionen gemacht haben wird. Pflanzenformationen. Man betrachtet, dem Obigen gemäss, die Vegetation eines Landes zunächst nach der Vergesellschaftung ihrer Formen zu Pflanzenformationen?). Als solche kommen namentlich in Betracht: 1° Die Wälder — Hochwald, Niederwald und Buschwald (Maquis, Knie- holz u. dgl.), Laub- und Nadelwald in reinen und gemischten, dichten oder lichten Beständen, einerseits als ausgedehnte Waldungen (in grossen kompakt-geschlossenen lückenlosen Komplexen oder unterbrochen und gegliedert durch Auen und Lichtungen), andrerseits als isolirte Gehölze; bald mit ziemlich gleichmässiger Wuchshöhe, bald mit einer Anzahl Baumgestalten, welche, die andern überragend, einen „Wald über dem Walde“ bilden; 2° Röhricht oder Dickicht aus hohen Gräsern (Dschungeln, Schilfrohr, Bambus); 3° Steppen mit Zwiebelgewächsen, hohen Stauden, Kräutern und Gräsern; 4° Wiesen ; 5° Sumpfebenen mit Rietgräsern und andern Wasser- pflanzen ; 6° Haödeland mit Ginster und Haidekraut; 7° Tundren 1) M. Alph. de Candolle. Des curacteres qui distinguent la vegetation d’ume contree (Archives des sciences physiques et naturelles. Geneve 1854, p. 286). 2) Künstliche Pflanzenformationen bietet die Kulturlandschaft. Dr. Karl Müller (das Buch der Pflanzenwelt1. Buch: der Pflanzenstaat) unterscheidet als Haupttypen der „Pflanzengemeinden“: die Wälder, die Grasdecke, die Haide, die Moosdecke, die Meer- und Seeschaft, die Krautflur; — A. Meitzen (in Neumayers Anleitung $. 155): Wald dicht oder licht, Gestrüpp, Schilf, Gras, Haide, Moos oder der dürre harte oder fliegende Boden (vgl. ebendaselbst S. 342 ff. Grisebachs Vegetationsforma- tionen); — Max Haushofer: die Wüstenlandschaft, Haide und Steppenlandschaft Waldlandschaft, Sumpflandschaft, Kulturlandschaft („Pflanzenleben u. Landschafts- charakter. Ein Beitrag zur Theorie der Landschaftsmalerei, Westermanns Monats- hefte, Jan. 1880, S. 498 ff.“). er eh ee DE Bere ı PFLANZENWELT 483 mit Moos und Flechten; 8° Sand und Felswüsten mit einzelnen Oasen. Durch Zahlen oder besser noch durch konventionelle Farben auf einem Croquis in grossem Massstab gibt man das Areal dieser einzelnen Pflanzenformationen an. Charakteristische Pflanzenformen. Nachdem man sich den Ueberblick verschafft hat, von dem wir eben sprachen, untersucht man, aus welchen wesentlichen Bestandtheilen jene Formationen bestehen, welche Gewächse den Hochwald und das niedere Gehölz, welche andern die Pflanzendecke der Ebenen bilden oder auf unkultivirtem Lande, an den Ge- staden der Flüsse, in Teichen, Sümpfen etc. wachsen. Dabei handelt es sich, wie bereits angedeutet, nicht um seltene und nur vereinzelt vorkommende, sondern um die nach Zahl und Masse vorherrschenden Pflanzen, welche dazu beitragen, der Landschaft ihren eigenthümlichen Charakter zu verleihen !). Diese Pflanzenformen aber gehören meist allgemein bekannten oder leicht zu bestimmenden Arten an. Man erleichtert sich diese Aufgabe, wenn man zunächst die pflanzenarmen,, unfruchtbaren Gegenden studirt, wie hohe Berggipfel und die Ränder von Wüsten, felsigen Hoch- ebenen u. s. w. Hier wird man nur auf eine geringe Anzahl von Planzenarten stossen, deren Bild man bei wiederholtem Anblick derselben sich leicht einprägt. Man geht sodann zu solchen Landstrichen über, deren Vegetation zwar reicher an Individuen, aber auch arm an Spezies, also von mono- tonem Charakter ist, wie Haiden und Steppen; hier wird man die wenigen Pflanzenarten, welche die vegetative Decke des Bodens ausmachen, wohl unterscheiden lernen. Nun- mehr kann man sich Gegenden zuwenden, deren Pflanzen- welt eine reichere und manigfaltigere ist. Dabei beschäftigt man sich in erster Linie mit den vorherrschenden Arten; zuletzt studirt man die selteneren Pflanzen. . 1) Solcher Pflanzenformen unterscheidet Max Haushofer (a. a. O., von dem dort bezeichneten Gesichtspunkt aus) nur folgende: Moose und Flechten, Gräser, Blumen und Kräuter, Sträucher, Palmen, Bäume. — Karl Müller (a. a. O., 3. Buch: die Physiognomik der Gewächse) stellt 17 Formen auf: Palmen, Bananen, Orchi- deen, Lilien und Aroideen, Gräser, Farren, Moose, Flechten, Pilze, Nadelhölzer, Weiden, Form des getheilten Blattes, Haide, Cactus , Lippenblütler, Lianen, Form des Riesigen; also gleichviel, aber zum Theil nicht dieselben Typen, wie sie Alex. von Humboldt in seinen „Ansichten der Natur“ (Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse) charakterisirte. — Die Grisebach’schen Vegetationsformen s. die Vege- tation der Erde I. S. 11 — 14 und Neumayers Anleitung S. 336 — 339. 484 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Auch die Kulturgewächse sind zu erwähnen, namentlich wenn grosse Flächen mit ihnen bepflanzt sind, sodass sie dem Lande eine eigenthümliche Physiognomie verleihen. Falls dieselben Arten angehören, welche in dem Lande nicht wild- wachsend vorkommen, so ist womöglich anzugeben, durch wen und wann sie eingeführt wurden. N Wenn in einer Gegend solche Arten, deren Vorkommen nach den klimatischen Verhältnissen an werden muss, sich nicht oder nur ausnahmsweise finden, so ist auch diesem Mangel vorzumerken. Desgleichen nl die wesentlichen. Unterschiede in den Floren zweier benachbarter Länder oder. Inseln anzugeben. ! Zonen und Regionen'). Das Studium der Pflanzen- welt eines Landes lehrt uns, dass die Vegetation in dem, Maasse, als wir an Gebirghn auf- und niedersteigen oda uns süd- oder nordwärts begeben, einen andern Charakter zeigt; es gibt, mit andern Area ee für die Vertheilung der. Pan nach der generäpkischen Breite und der Meeres- höhe. Darnach unterscheidet man Pfanzenzonen und Pflanzen- regionen. Es ist von Wichtigkeit, dass man dieselben nach ihrer Eigenart gehörig unterscheide und deren Grenzen mög- lichst genau bestimme. Innerhalb einer Zone oder einer Region sind die Pflanzen nach der Verschiedenheit der Standorte gruppirt, d.h. nach, der physischen und chemischen Beschaffenheit des Terrains: nach seiner Gestaltung und Exposition, seinen Wärme- und . Feuchtigkeitsverhältnissen ; in letzterer Beziehung ist nicht ' nur ein Gegensatz zwischen dürren und bewässerten Gegenden vorhanden, sondern es kommt namentlich auch darauf an, ob eine Gegend von klarem Wasser getränkt, mit stagnirendem Wasser bedeckt, ob sie von einem See oder Meere bespült werde. g Bei solchem Studium wird man innerhalb der durch klimatische Faktoren bedingten Breitenzonen ?) und Höhen- auf die einlässliche Darstellung bei D. Kaltbrunner, Aide-memoire pag. 150 sq. (Regions et grands aspects) aufmerksam machen. ; 2) Vgl. hiefür z. B. Grisebachs Ueberblick über die Vertheilung der Baum- formen: Es lassen sich vier Hauptformen von Büumen in der Richtung von der nörd- lichen Baumgrenze bis zum Aequator unterscheiden, von denen zwei durch alle Breite- grade vertreten, die beiden andern auf die wärmeren Gegenden eingeschränkt sind. Die ersteren sind die Nadelhölzer und die periodisch belaubten Laubhölzer, die i 1) Den Leser, der sich hierüber genauer unterrichten will, dürfen wir wohl | | \ | j! PFLANZENWELT 485 regionen mehr oder minder zahlreiche kleinere Vegetations- gebiete und Unterabtheilungen von solchen bestimmen, von ‚denen je zwei benachbarte durch besondere, vielleicht ganz lokale Verhältnisse sich von einander unterscheiden. Es ist freilich oft schwer, für solche Gebiete genaue Grenzen anzugeben; gewisse Pflanzenarten werden in meh- reren derselben vorkommen und diejenigen Spezies, welche nicht durch mehrere Gebiete hindurchgehen, haben oft ziemlich verschiedene Verbreitungsgrenzen. Man wird daher beim Unter- scheiden solcher Abtheilungen immer den Gesammtcharakter einer Flora im Auge haben müssen und nicht ausser Acht lassen dürfen, was bei der Verbreitung einer Pflanze als Regel, was hingegen als Ausnahme erscheint. Jedenfalls sind Abtheilungsgrenzen da zu ziehen, wo mehrere der erwähnten Vegetationslinien nahe zusammenfallen. Bei längerem Verweilen in einem Lande unterlasse der Reisende nicht, dieselben Lokalitäten zu verschiedenen Jahres- zeiten in Augenschein zu nehmen; denn hiebei wird er sowohl die Veränderungen, welche die Flora im Laufe des Jahres erleidet, kennen lernen als auch solche Pflanzen, die bei blos einmaligem Besuch der Gegend seiner Wahrnehmung entgehen könnten; viele Spezies sind zur Zeit ihrer Blüthe, viele bei der Fruchtreife weit auffallender als sonst, und es sind dann ihre Verbreitungsgrenzen leichter zu bestimmen. Nutzpflanzen. Nachdem man die Flora einer Gegend nach ihren allgemeinen Merkmalen studirt hat, wird man sie auch von dem praktischen Gesichtspunkte ihres Nutzens aus betrachten. Gewisse wildwachsende Pflanzen können zu einer lohnenden Verwerthung als Betriebs- oder Handelsartikel geeignet sein. ls Beispiel nenne ich nur die Alfa, eine Pflanze, welche osse Flächen Nordafrikas bedeckt. Noch vor Kurzem wurde ie als ein ziemlich unnützes Gewächs betrachtet, das höchstens en Eingebornen zur Herstellung groben Flechtwerks diente. letzteren tragen immergrüne Blätter und zerfallen in dikotyledonische und mono- otyledonische Formen... Um in einem grossen Ueberblick die Vertheilung der Wälder von Lappland bis zum Aequator aufzufassen, darf man sich vorstellen, dass lie Zone der nördlichen Baumformen im westlichen Europa bis zum 45. Breitengrade »der noch einige Grade weiter hinabreicht, dass die immergrünen Laubhölzer die 'üdliche Hälfte der Hemisphäre einnehmen und dass in den Tiefebenen des Nordens lie Nadelhölzer diesseits des Ural von der Baumgrenze bis zum 60. Parallelkreise, enseits bis zu den Steppen (500) oder bis zum Amurgebiete (530) vorherrschen. Vegetation der Erde, I. S. 127.) 456 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Nun aber hat man in ihr ein treffliches Material zur Papier- fabrikation erkannt und sie ist für das Land zu einer Quelle des Reichthums geworden ; das Einernten derselben beschäftigt zahlreiche Hände, und Eisenbahnen sind eigens mit Rücksicht auf die Ausbeutung der Alfa-Felder gebaut worden. Die jährliche Ausfuhr Algiers an. diesem Artikel übersteigt den Werth von 9 Millionen Franken. Eine kleine Stadt in Tri- polis, die auf den Karten nicht einmal angegeben ist — Omz, in der Nähe der Ruinen von Leptis magna — exportirt jetzt jährlich über 100,000 Ballen Alfa, während sie früher gar keine Industrie hatte. Einen solchen Umschwung hat die Entdeckung der nützlichen Eigenschaften einer Pflanze bewirkt. Oft ist die Verwerthbarkeit eines Gewächses schon be- kannt und es weiss der Reisende, dass die und die Pflanze als Nahrungsmittel, medizinischer oder technischer Artikel dienen kann; oft aber ist dies dem Reisenden oder überhaupt unbekannt, wie dies so lange Zeit bei der eben erwähnten Alfa und für zahlreiche andere jetzt als Nutzpflanzen ver- wendete Gewächse der Fall war. Dann kann nur systema- tische Beobachtung oder ein glücklicher Zufall die Entdeckung herbeiführen. Kommt eine Pflanze so massenhaft vor, dass sie hiedurch zu einer Quelle des Reichthums für die Gegend würde, falls sie zu Nutzen gezogen werden könnte, so handelt es sich darum, in dieser Richtung Versuche, Studien zu machen. Hiezu bedarf es freilich eines erfinderischen Geistes; da gibt. es keine positiven und allgemeinen Methoden; Alles hängt von dem individuellen Scharfsinn ab. Indessen wird der Reisende in manchen Fällen eine Wegleitung erhalten können, wenn er beobachtet, wie die Eingebornen eine Pflanze ver- wenden oder wenn er sich bei denselben nach den Eigen- schaften solcher erkundigt. Auf diese Art sind verschiedene Textil- und Farbstoffe, ebenso die Harze, Guttapercha u. s. w. entdeckt worden. Schädliche Pflanzen. Neben den nützlichen Eigen- schaften sind dann auch die Nachtheile zu erwähnen, welche durch gewisse Pflanzen oder die Vegetation im Allgemeinen bewirkt werden. Mitunter ist der Pflanzenwuchs so üppig, dass er zu einem schweren Hinderniss für die Kommunikation und die PFLANZENWELT 487 Bodenkultur wird. In tropischen Gegenden bilden die Ge- wächse oft kompakte Massen, wie Mauern, so dass man sich nur mit der Axt einen Weg bahnen kann. Dicht verflochtene "Lianen, sowie Bäume, welche vor Alter gefallen sind und deren Stämme nun jeden Augenblick den Weg versperren, bilden ebensolche Hindernisse. Die stete Feuchtigkeit unter solchen dunkeln vegetabilischen Gewölben macht gut unter- haltene Strassen unmöglich, und wenn nicht ein sehr leb- hafter Verkehr stattfindet, so sind die Wege bald überwuchert durch eine verschwenderisch reiche Vegetation, welche in kurzer Frist jede Spur einer Passage verschwinden lässt. In Australien wächst ein Strauch von 4—5 m Höhe, die Maalypflanze (Eucalyptus dumosa) auf ungeheuren Flächen in so dichten Massen, dass es überaus schwer hält, durch diesen Buschwald zu dringen. Im Innern von Westaustralien ist das grösste Hinderniss für Reisen ein blosses Kraut (Triodia irritans), welches die Beine der Lastthiere so sehr verwundet, dass diese zum Weitermarsch untauglich werden. Endlich gibt es Pflanzen, wie in Algier die Zwergpalmen, welche sich des Bodens in einer Weise bemächtigen, dass man die grösste Mühe hat, sie auszurotten und das Land urbar zu machen, oder es haben solche, wie die Disteln, eine so enorme Fähigkeit der Vermehrung, dass sie in einer für den Landmann trostlosen Weise überhandnehmen und alle andern Pflanzen unterdrücken. Veränderungen der Flora. Das Pflanzenkleid einer Gegend kann in verhältnissmässig neuer Zeit Aenderungen erlitten haben. So wurde z. B. durch die Einführung der Merinoschafe in gewissen Distrikten Südafrikas das dortige Vegetationsbild wesentlich umgestaltet. Anderorts sind Be- standtheile der Flora verschwunden in Folge von Erschöpfung des Bodens oder Aenderungen des Klimas. Es bedarf hiezu keiner allgemeinen Temperaturerniedrigung; eine einzige sehr kalte Nacht kann die zartern, gegen Frost empfindlichsten Gewächse vernichten !). Wenn man sichere Zeugnisse über verschwundene oder dem Verschwinden entgegengehende Arten erhalten kann, so notire man dieselben sorgfältig und er- 1) Vgl. Ch. Martins, Sur l’origine pal&ontologique des arbres, arbustes et arbris- eaux indigenes du Midi de la France sensibles au froid dans les hivers rigoureux. ontpellier 1877, pag. 93. 488 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | mittle auch soviel als möglich die Ursachen dieser Erscheinung. | Solche Zeugnisse bestehen nicht nur in Aussagen der Ein-' wohner, in lokalen Traditionen; es gibt deren oft direktere‘ und zuverlässigere. Man hört oft davon sprechen, dass früher! Bäume in Höhen gewachsen seien, wo sie nun nicht mehr)’ vorkommen, oder von Pflanzen, die man im Boden der Torf-) moore finde, während jetzt in der Gegend nicht mehr die- selben Arten existiren. Der Reisende muss trachten, solche Daten zu verifiziren und deren Ursachen zu erforschen. Darstellung der Flora. Die Mittel, welche der Rei sende anwenden kann, um eine Vorstellung vom Aussehen des Pflanzenkleides einer Gegend zu geben, bestehen in charakteristischen Beschreibungen oder Schilderungen und bildlichen Darstellungen („Landschaften“, Gruppenbildern) für bestimmte Regionen. Hinsichtlich der einzelnen Pflanzen genügt bei vielen die Angabe des Namens. Was die andern anbetrifft, so kann sich der Reisende nicht damit aufhalten, sie in minutiöser ' Weise zu zergliedern und zu zeichnen; oder jenachdem er nur eine Vorstellung von ihrem Aussehen (Habitus, Tracht) geben oder ihre botanischen Merkmale darstellen will, wird er sich Photographien (womöglich kolorirte) oder Abdrücke und sorgfältig behandelte Sammlungen beschaffen. Abdrücke lebender Pflanzen. Für die Anfertigung von Pflanzenabdrücken gibt M. Bertot in den Comptes rendus de l’acad&mie des Sciences (Paris 1876, pag. 998) folgendes Verfahren an: Man versieht sich mit Papier von grossem Format, Oliven- oder anderem Oel, Bleiweiss, Asche und Harz oder Kolo- phonium. Ein Bogen des Papiers wird auf einer Seite leicht geölt und dann vierfach zusammengelest, die befettete Seite nach innen gekehrt. F Die Pflanze oder der Pflanzentheil, wovon man einen ‘ Abdruck anfertigen will, wird nun zwischen die nicht be fetteten Vorderseiten des zusammengefalteten Papiers gebracht, so dass sie nicht direkt mit dem aufgetragenen Oel in Be- rührung kommt, sondern nur mit solchem, das durch die | Poren des Papiers gedrungen ist. PFLANZENWELT 489 Nun bringt man das zusammengelegte Papier mit der darin befindlichen Pflanzenpartie in eine gewöhnliche Enve- loppe (Briefsack, Couvert) und streicht mit der Hand unter ‚sanftem Druck wiederholt nach allen Richtungen darüber hin. Dabei wird die Pflanze mit Oel getüncht. Nachdem dies geschehen, wird dieselbe aus dem geölten Papier herausgenommen und vorsichtig auf reines weisses Papier gelegt oder noch besser zwischen zwei Blätter (Bogen) von solchem, da die Pflanze auf beiden Seiten befettet ist und also zwei Abdrücke liefern kann. Man fährt wie vorhin unter sanftem Drücken mit der Hand über das Papier hin, wobei aber darauf zu achten ist, dass die Lage der Pflanze durchaus unverändert bleibt. Wenn man nun die Pflanze wegnimmt, so existirt auf dem Papier schon ihr Bild; nur ist es noch nicht sichtbar. Man bestreut hierauf das Papier mit Bleiweiss, und zwar ausgiebig, nach allen Richtungen, ähnlich wie man beim Sanden eines frisch überschriebenen Blattes verfährt. Mit Pastellfarben (in Pulverform) kann man, wenn man will, noch die Färbung der Pflanzentheile wiedergeben. Zur Beseitigung des überflüssigen Bleiweiss, welches mitunter das Papier beschmutzt, wendet man Asche an, die ebenfalls auf das Papier gestreut wird. Um das so erstellte Bild zu fixiren, mischt man vorher dem Bleiweiss oder den anderen Farben Harz oder Kolo- phonium zu gleichen Gewichtstheilen bei. Schliesslich setzt man dann das Papier — entweder auf einem Ofen oder mittels eines heissen Eisens — einer Wärme aus, die zum Schmelzen des Harzes hinreicht; dann bilden das Oel, die Bleifarbe und das Harz ein dauerhaftes inniges Gemenge. Diese Abdrücke liefern allerdings nicht immer ganz korrekte nd sauber ausgeführte, aber doch getreue Bilder. _ Ver- esserungen in Einzelheiten, die man daran noch wünschens- erth finden sollte, können leicht durch Handzeichnung an- gebracht werden. Indessen sind in vielen Fällen die blossen Abdrücke, ohne jede Nachbesserung — wenn auch unvoll- stommener — einer vervollständigten Zeichnung vorzuziehen. Sammlungen. Was lebende Pflanzen und Samen, Samm- ungen getrockneter Pflanzen (Herbarien), von Hölzern und ihnlichen Objekten betrifft, die man nach Hause senden oder 490 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN selbst zurückbringen will, so theilen wir nachstehend die kurzen Instruktionen mit, welche Professor Milne Edwards in den „Archives des missions scientifiques et littöraires“ (Band IV, Jahrgang 1877) für solche Reisende gab, welche, ohne dass sie Naturforscher wären, zum Fortschritt der Naturwissen- schaften beitragen wollen. Lebende Pflanzen. Unterirdische Theile — Zwiebeln und Knollen — von Liliaceen, Irideen, Erdorchideen, Aroi- deen u. s..w. werden am besten versandt, indem man sie in trockenes Moos oder noch besser in recht trockene Erde oder Sand verpackt und zwar so, dass die Kiste, welche die Gegenstände enthält, vollkommen gefüllt ist. Die soge- nannten parasitischen oder epiphytischen Orchideen mit grünen oberirdischen Knollen versendet man in hölzernen, durch- löcherten und ganz trocken gehaltenen Kisten, nachdem man alle alten Blätter, welche durch Zersetzung Feuchtigkeit ent- wickeln könnten, entfernt und die Wurzeln mit dürrem Moose oder alten Leinwandstücken umgeben hat. Aehnlich verfährt man mit Fettpflanzen wie Oactus; als Verpackungsmaterial wendet man dabei wohl auch Rosshaar, Wolle oder ähnliche Stoffe an, welche nicht durch Feuchtigkeit alterirt werden, Wenn diese Fettpflanzen voluminös sind, so muss man sie von andern, in die gleiche Kisten verpackten Pflanzen gut isoliren, damit die letzteren nicht durch die Feuchtigkeit verdorben werden, welche bei allfälliger Zersetzung der ersteren entsteht. Auch muss auf die Umhüllung und Ver- packung dieser Fettpflanzen besondere Sorgfalt verwendet werden, damit ihr Gewebe, das zarter und wasserreicher ist als dasjenige der Zwiebeln und Knollen, nicht durch ihr eigenes oft sehr bedeutendes Gewicht gequetscht und ver- letzt werde. Für den Transport anderer lebender Pflanzen, der längere Zeit (einige Monate) dauern soll, muss man nothwendig die so- genannten Ward’schen Kisten verwenden, das sind Glaskästchen von besonderer Konstruktion, welche durch einen Hrn. Ward zuerst in England angewendet wurden. Diese Kästchen können nach Form und Grösse verschieden sein. Die im Allgemeinen übliche Form derselben, sowie die Anordnung der Pflanzen in denselben findet sich in nachstehender Fig. 219 dargestellt. Damit sie für den Transport, namentlich für die Aufbewahrung PFLANZENWELT 491 auf dem Verdeck des Schiffes, wo sie nothwendig bleiben müssen, nicht unbequem sind, dürfen folgende Dimensionen nicht überschritten werden: 9—11 Dezimeter Länge, 5 dm Breite und 7—10 dm Höhe. N SE ER SIx r RD RE Ihr Boden darf nicht unmittelbar auf der Unterlage auf- liegen, sondern muss davon um einige Centimeter — die Höhe der Füsse in den vier Ecken — abstehen, damit er nicht durchnässt wird von dem auf das Verdeck gespritzten Meerwasser. Die nach oben spitz zulaufenden Schmalseiten tragen zwei dachförmig angeordnete Glasfenster. Boden und Seitenwände bestehen aus gut trockenem Eichen- oder anderem Hartholz von 25>—30 mm Dicke und müssen genau zusammen- gefügt sein. Die Glasfenster sind durch von oben nach unten laufende 4—5 mm breite Querstäbe in Abtheilungen (Scheiben) von 7—8 mm Breite eingetheilt. In die Fälze dieser Stäbe sind dicke starke Glasscheiben eingefügt, die dachziegelartig auf- einanderliegen und gut verkittet sein müssen. Das Glas- fenster der einen Seite ist festgenietet, also in einer nicht zum Wegnehmen bestimmten Weise angebracht; an dessen oberem Rande und den Seitenwänden wird das andere Fenster aufgeschraubt, nachdem die Schrauben gut geölt wurden, amit sie leicht herauszunehmen sind und nicht einrosten. Die Kisten müssen zudem in allen Fugen gut verkittet und ussen mit Oelfarbe angestrichen sein. An den beiden Schmalseiten sind in solider Weise starke siserne Handgriffe befestigt, damit die Kästen leichter trans- yortirt und auf dem Verdeck des Schiffes festgebunden werden 492 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN können. Endlich sind zum Schutze der Glasscheiben — durch Eisenstäbe in einigem Abstand von denselben gehalten — starke engmaschige Eisengitter angebracht. Um nun die Pflanzen in diese Kisten zu placiren, belegt man den Boden mit einer 4—5 cm dicken Schicht schwerer lehmiger Erde, die so befeuchtet wird, dass sie sich gut an das Holz anschmiegt; darauf bringt man eine 15-—20 cm starke Lage guter, Ackererde, die weder zu schwer noch zu leicht und womöglich mit einem Quantum der bei den Gärtnern gebräuchlichen Dammerde (Modererde) vermischt sein soll. In diese Erde pflanzt man die zu transportirenden Gewächse sorgfältig ein, entweder direkt oder in Töpfen und Binsen- oder Weidenkörben, welch letztere die einzelnen Stöcke iso- liren und dabei den Vorzug haben, dass sie nicht zerbrechen. Damit die Pflanzen bei den Stössen, welchen der Apparat auf See- und Landreisen ausgesetzt ist, nicht in Unordnung kommen und Beschädigungen erleiden, bedeckt man die Erde noch mit einer Schicht Stroh oder Binsen, welche man an- presst mittels Querhölzern, die man an den: Wänden fest- nietet. In einem Kästchen von den bezeichneten Dimensionen können 15—30 Stöcke — je nach der Grösse derselben — untergebracht werden. Auch kann man zwischen denselben noch Pflanzensamen aussäen, was namentlich zu empfehlen ist hinsichtlich solcher Samenkörner, welche ihre Keimkraft nicht lange behalten, wie dies der Fall ist bei Palmen, Lor- beeren, Eichen, manchen Coniferen, Rosaceen u. s. f. Die Pflanzen, welche auf die bezeichnete Weise in jenen Kisten transportirt werden, müssen gut angewurzelt sein; es ist daher zu empfehlen, dass man sie womöglich vorher eine Zeit lang in Töpfen kultivire. Sollten sie erst kürzlich vom freien Felde hereingebracht und verpflanzt worden sein, so ist es nöthig, dass man dieselben erstarken und sich erholen lasse, bevor man die Kiste definitiv schliesst. Beim Schliessen — wobei das bewegliche Glasfenster nun auch solid befestigt wird — muss man darauf halten, dass die Erde gut, aber doch nicht zu reichlich getränkt sei. Ist dies der Fall, so soll für hermetischen Verschluss — mittels Verkittens aller Fugen — gesorgt und die Kiste während der ganzen Reise nicht geöffnet werden. Wenn der PFLANZENWELT E 493 Apparat einmal für den Seetransport verladen ist, so hat man nur dafür zu sorgen, dass er auf dem Verdeck, in vollem Tageslichte, bleibt, dass zerbrochene Scheiben sofort ersetzt und Spalten, welche im Holz entstehen, verkittet werden. Nur wenn die Kiste Pflanzen warmer Länder ent- hält und man bei der Fahrt in Gegenden kommt, wo sie zur Zeit der Reise durch starken Frost gefährdet sein könnten, muss man dieselbe vom Verdeck weg in einen wärmeren Raum bringen. Gegen leichte Nachtfröste schützt ein über die Kiste geworfenes Tuch. Den Pflanzen soll so wenig als möglich das Tageslicht entzogen werden. Bei dieser Behandlung bleiben die Gewächse in dem Apparat meist wohl erhalten; selten gehen von zehn Exem- plaren vielleicht eines oder zwei zu Grunde; oft kommen alle in gutem Zustande an und manche blühen selbst in den Kisten. Freilich kann nicht genug empfohlen werden, die Sen- dungen so einzurichten, dass sie in Europa während der bessern Jahreszeit, zwischen dem 1. April und 1. Oktober, eintreffen; sonst können leicht noch Pflanzen durch Frost zu Grunde gehen, nachdem sie die Reise wohlbehalten zu- rückgelegt haben. Wenn es möglich gemacht werden kann, dass die Ankunft der Pflanzen in Europa im Mai oder Juni stattfindet, so ist dies das Beste. Samen. Ueber den Sendungen lebender Pflanzen soll man nie diejenigen von Samen vernachlässigen; denn diese sind immer das einfachste und sicherste Mittel zur Ver- pfanzung und Kultur exotischer Gewächse. Viele Samen bleiben ein Jahr und länger gut erhalten und keimkräftig, wenn man sie bei vollkommener Reife ein- gesammelt und trocken aufbewahrt hat. Wenn so viele Samen, welche Reisende nach Hause bringen, sich in schlechtem Zustand befinden, so liegt die Ursache darin, dass die Samen- körner beim Einsammeln nicht recht reif waren oder nicht recht trocknen konnten, bevor sie verpackt wurden. Man ist nur dann sicher, dass die Samen wirklich vollkommen reif seien, wenn sie sich ganz leicht („von selbst“) von der Pflanze lösen oder wenn die Früchte, in denen sie enthalten sind, sich ebenso leicht (selber) öffnen. Aber auch die an- scheinlich reifen Samen, selbst solche ohne Fruchtfleisch, 494 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN enthalten zur Zeit der Reife oft noch ein gewisses Quant Wasser und werden schimmlig, wenn man sie in diesem Zustand verpackt. Sie müssen einige Tage lang getro werden, entweder an der Sonne oder ech ee an einem trocknen luftigen Ort, sei es offen der freien Luft ausgesetzt, | sei esin Säcken von dünnem hellfarbigem Stoffe oder graue ungeleimtem Papier. Noch mehr bedürfen einer solcheill Vorbereitung auf den Transport fleischige Früchte wie die Beeren. Man muss dieselben zerquetschen und sie dann an der Sonne oder — wie die Pflanzen eines Herbariums — in Fliesspapier trocknen. Samen, welche derart in ihrem sorgfältig getrockneten Fruchtfleisch aufbewahrt und ver- sandt werden, bleiben im Allgemeinen sehr gut erhalten, so die Samen von Cactus, Solanum, Bromeliaceen u.a. Erst wenn sie vollkommen Be geworden sind, soll man sie in Säcke von geleimtem Papier bringen ; ren sind. sie stets gegen Feuchtigkeit geschützt zu halten; zu diesem Zweck verpackt man sie in gutverschlossene Blech-, Glas- oder Thongefässe oder aber in getheerte Säcke, die selbst wieder in verschlossenen Kisten aufbewahrt werden. Wendet man aber eine solche Verpackung an, bevor die Samen voll ständig lufttrocken sind, so gehen sie an Feuchtigkeit und Schimmelbildung zu Grunde. Die meisten Samen bleiben, selbst bei sehr langem Trans: port, ganz gut erhalten, wenn man dieselben, nachdem sie so gut als möglich getrocknet wurden, in dickes ungeleimtes Papier und dieses selbst in grobe Leinwandsäcke verpackt welche man dann an einem trockenen und luftisen Orte aufhängt. Samen mit öligen Stoffen, welche sich leicht zersetzen und solche Samen, welche bald nach ihrer Reife keimen müssen für den Transport in solcher Weise verpackt werden, dass während desselben die Keimung erfolgen kann. Dies ist der Fall bei Samen von Thee, Kaffee, Guayava, Lorbeer, vielen Palmen und Coniferen. Diese Samen werden am besten transportirt, indem man dieselben in die oben beschriebenen Glaskästen aussäet entweder in Kisten mit Pflanzen zwischen die letzteren, oder in besondere Kästchen, welche dann nicht so hoch sein müssen wie jene. In Ermanglung solcher Ap- parate wendet man gewöhnliche Kisten oder Fässer an, Feen a \ PFLANZENWELT 495 welche schichtenweise mit Erde und Samen gefüllt werden. Die Erde soll leicht und wenig feucht sein; statt derselben kann man sich zerriebenen morschen Holzes bedienen. Auf den Boden der Kiste oder des Fasses bringt man eine 5—6 cm dicke Schicht Erde; auf diese werden die Samen gelegt, in Abständen, welche ihrem Durchmesser gleich sind. Hierauf folgt wieder eine Erdschicht von 3 cm Dicke, eine neue Lage von Samen u. s. f., bis das Ganze 3 oder 4 Dezimeter Höhe hat. Bei dieser Gesammtstärke aller Schichten soll die Kiste oder das Fass ganz angefüllt sein, damit die Samen nicht in Unordnung gerathen können. Das Gefäss muss an einem trockenen Orte mit frischer Luft aufbewahrt werden und geschützt sein vor Meerwasser, dessen Zutritt die Samen und Pflanzen zu Grunde richtet. Herbarien, Sammlungen von Blüthen und Früchten. Im Herbarium müssen die Pflanzenarten soviel als möglich einerseits durch Exemplare mit Knospen und Blüthen, anderer- seits durch solche mit Früchten vertreten sein. Kleine Pflanzen, und solche, welche sich in einem Bogen Papier durch ge- eignetes Zusammenlegen (Biegen und Einknicken) des be- treffenden Exemplars noch zweckmässig unterbringen lassen, nimmt man ganz, mit allen ihren Theilen, selbst die Wurzel inbegriffen; von grösseren schneidet man Zweige ab bis zu 40 und 50 cm Länge. Da bei grossen krautigen Pflanzen oft die Blätter der verschiedenen Höhenabschnitte (Regionen) des Stengels verschieden sind, so nimmt man von ihnen sowohl einen untern oder basalen Theil mit den an ihm sitzenden Blättern, als auch Zweige mit Blättern und Blüthen. Die Sammlung ordnet man so an, dass je auf ein Heft, welches aus einigen in einandergelegten Bogen Löschpapiers besteht, eine Pflanze kommt oder eine Mehrzahl von solchen, wenn sie sehr klein sind und auf einem Bogen Papier nebenein- ander Platz haben, ohne sich zu berühren; hierauf eine neue Lage Fliesspapier mit neuen Pflanzenexemplaren u. s. f. Ist auf diese Art ein Paket von 2 bis höchstens 3 Dezi- meter Dicke gebildet worden, so presst man dasselbe zwischen zwei Brettern oder starken Kartondeckeln durch Zuschnüren mit Stricken oder Lederriemen, welche Schnallen haben. Das Zusammenpressen muss mässig sein, d. h. stark genug, damit die Pflanzen nicht zusammenschrumpfen können, aber 496 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN nicht so stark, dass durch den Druck ihre Form verunstaltet und ihr Gewebe zerquetscht wird. Die Pakete sollen, so lange die Pflanzen trocknen müssen, an einem trockenen Orte aufgestellt oder noch besser aufgehängt werden, und zwar so, dass die Papierflächen vertikal gerichtet sind, nicht wagrecht, indem erstere Anordnung das Verdunsten befördert, Die Papierlagen müssen von Zeit zu Zeit gewechselt werden; anfänglich (die ersten paar mal) sehr bald nach dem Ein- legen und beginnenden Trocknen der Pflanzen. Bei diesem Wechseln des Papiers nimmt man jeweilen die schon ganz dürr gewordenen Exemplare heraus. Das Trocknen der Pflanzen kann befördert werden, wenn man kleine Pakete von je nur 8—10 Exemplaren (beziehungs- weise Lagen) und wenig dazwischengelegtem Papier bildet, und diese einzeln presst, indem man statt massiver Deckel Rahmen mit eingefügten Gittern von Eisendraht anwendet. Dabei muss unter jedes dieser Gitter zunächst eine 4-5 Bogen starke Papierlage kommen, damit die Pressung gleich- mässiger und das Zusammenschrumpfen der Pflanzen ver- hindert wird. Setzt man diese kleinen Pakete der Sonne oder dem Luftzuge aus, so trocknen die Pflanzen sehr rasch; oft muss man nicht einmal das Papier wechseln, worin sie liegen. Wenn man aber nicht eine grössere Zahl der er- wähnten Rahmen oder Gitter hat, so kann man nur eine geringe Zahl von Pflanzen gleichzeitig trocknen; das Ver- fahren empfiehlt sich daher am meisten für solche Personen, welchen die Anlegung von Herbarien ein Nebenzweck und nicht die Hauptaufgabe ist. Aber auch für den Botaniker von Fach, der ohne einen bedeutenden Papiervorrath eine grosse Zahl von Pflanzen trocknen will, kann dieses Ver- fahren sehr vortheilhaft gemacht werden, wenn man in der angegebenen Weise Pakete mit 15—20 Exemplaren (Lagen) bildet und diese in einen von erhitzter Luft durchströmten Tröckneraum bringt. Als solchen kann man einen Kasten benutzen, in welchem man die Luft bis zu 50°C. erwärmt mittels einer Lampe, die unten angebracht und von den Pflanzenpaketen getrennt wird durch ein querlaufendes durch- löchertes Eisenblech. Nach 12 bis 24 Stunden sind die Herbariums-Exemplare vollkommen trocken. Diese Methode ist zuerst und mit bestem Erfolg von einem Assistenten des PFLANZENWELT 497 Pariser Museums (M. Doyere) angewendet worden und ist namentlich von Vortheil in feuchtwarmen Klimaten, sowie bei der Präparation schwer zu trocknender Pflanzen. Die eisernen Rahmen und Gitter können durch solche von Bam- busstäben ersetzt werden, welche man in den heissen Län- dern überall leicht erhält. Noch vortheilhafter in Bezug auf Papierersparniss und ebenfalls sehr förderlich ist folgendes Verfahren, dessen An- wendung aber erfordert, dass man von Zeit zu Zeit ein grosses und trockenes Zimmer zur Verfügung habe. Man lest die Pflanzen je nur in einen Bogen Papier und presst sie so; am Abend breitet man diese Bogen nebeneinander am Zimmerboden aus und lässt sie während der Nacht so liegen; am Morgen nimmt man sie auf und bringt sie wieder in die Presse. Es findet abwechselnd ein Zusammenpressen der Pflanzen in den Papierbogen und ein Trocknen derselben durch Verdunsten auf offen liegendem Papier statt. Dieses Verfahren liefert indess weniger schöne Exemplare als die oben beschriebenen Methoden, und soll daher nur angewendet werden, wenn man Mangel an Papier hat. Es muss eben dem Reisenden überlassen werden, jeweilen das Verfahren zu wählen, welches für ihn nach den Umständen das geeignetste ist. Sehr saftige Pflanzen wie Zwiebelgewächse, Orchideen u. dgl. bleiben in den Herbarien oft noch Monate lang lebend. Hat man daher diese Pflanzen in dem Zustand eingesammelt, in welchem man sie zu konserviren wünscht, so thut man gut, sie eine Minute lang in siedendes Wasser zu halten oder für einige Stunden in Weingeist zu bringen. Auf diese Weise werden sie getödtet; beim Herausnehmen trocknet man sie zwischen Löschpapier und hat nun weiter mit den- elben keine Schwierigkeiten. Die Pflanzen einiger Familien erfordern besondere Kon- servirungsmethoden. So können die Organe der Palmen oft ‚hrer Grösse wegen nicht den gewöhnlichen Herbarien ein- rerleibt werden. Und doch ist sehr zu wünschen, dass die Xenntniss dieser interessanten Familie durch vermehrte Samm- ungen erweitert werde. Zu diesem Zweck sind folgende Cheile derselben zu sammeln und zu konserviren: 1° Blätter; wenn sie nicht sehr gross sind, bringt man sie unter Beibehaltung der natürlichen Form und Lage 32 | | | 498 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN ihrer Theile in Fliesspapier und trocknet sie so; sind. dieselben aber zu gross, so legt man sie fächerförmig zusammen, trocknet sie an freier Luft und verpackt sie sodann in Löschpapier, das gut zusammengebunden wird. | 2° Blüthenstände mit der umgebenden Scheide (spatha); bei getrenntgeschlechtigen Pflanzen sind sowohl die männlichen als die weiblichen Blüthen zu sammeln; man muss dieselben rasch an der Luft trocknen und sie dann in Papier oder Leinwand verpacken; auch die abgefallenen Theile derselben sollen aufbewahrt werden. ‘Sind die Blüthenstände nicht zu gross, so konservirt man sie zweckmässig in schwachem Wein- geist; jedenfalls soll man auf diese Art einige Zweige derselben aufbewahren, die man mit reifen Früchten der nämlichen Pflanze in das gleiche Gefäss bringt; 3° Fruchtstände, mit reifen Früchten, an der Luft ge- trocknet, und einige Früchte in Alkohol. Die grossen unter dem Namen Tange bekannten Meer- pflanzen trocknet man einfach durch Aufhängen im Schatten an freier Luft, ohne dass man sie in Papier presst; hierauf bringt man sie in Papiersäcke mit Angabe der Fundstelle und der Färbung, welche sie in frischem Zustand hatten. Die Präparation derselben erfordert viel Sorgfalt und wird besser erst zu Hause (in Europa) vorgenommen, wenn der Reisende darin nicht Erfahrung besitzt. Für die anatomische Untersuchung derselben bewahrt man einige Stücke in Al kohol auf. ; Die kleinen Algen werden ebenfalls an freier Luft ge- trocknet; vorher aber presst man sie leicht zwischen Lösch- papier, um alles Meerwasser an denselben zu beseitigen. Die meisten andern blüthen- oder samenlosen Pflanzen (Kryptogamen), wie Farne, Moose, Flechten und Pilze, seien sie von zarter oder derber Beschaffenheit, können ähnlich wie andere Gewächse für das Herbarium zubereitet werde Die fleischigen Pilze aber sind nur im Weingeist zu konser- viren, indem man sie durch Baumwolle oder Werg von ein ander isolirt; da sie aber auf diese Art nur ihre Form und Struktur, nicht auch die Farbe beibehalten, so muss man über diese einige schriftliche Notizen machen oder sie m ‘iR PFLANZENWELT 499 einer Zeichnung angeben. Im Uebrigen ist hinsichtlich dieser Pflanzen zu empfehlen, dass man lieber junge als zu alte Exemplare nehme. Bei all den besprochenen Sammlungen soll einem Exemplar jeder Art eine Aufschrift (Etiquette) mit Notizen über folgende Punkte beigegeben werden: 1° Die Fundstelle; wenn ‚dieselbe wenig bekannt ist, so 9° 3° 4° 5 6° 1 muss man ihre Lage mit Bezug auf einen allgemein bekannten Ort angeben; die Zeit, in welcher die Objekte gesammelt wurden, unter besonderer Angabe für Pflanzen mit Blüthen und solche mit Früchten; den einheimischen Namen der Pflanze; man lässt sich denselben wiederholt angeben und deutlich vorsprechen ; womöglich ermittelt man auch seine Bedeutung und notirt diese ebenfalls !); die Anwendung der Pflanze zu häuslichen, industriellen oder medizinischen Zwecken, wenn man hierüber zu- verlässige Daten haben kann; die Farben der verschiedenen Theile, namentlich der Blüthe; Geruch derselben ; Konsistenz der Frucht, sowie Art und Weise des Oeffnens (Aufspringens) derselben bei erlangter Reife; endlich andere nur an der frischen Pflanze bemerkbare Eigenschaften; Grösse, Richtung oder Stellung (Lage) und Konsistenz der Pflanzen; bei Bäumen von bestimmtem Habitus fertige man womöglich eine Zeichnung an, aus der sich die Tracht erkennen lässt; es ist dies besonders wesentlich für Palmen und andere Monokotyledonen; hinsichtlich anderer Bäume kann man sich, in Ermang- lung einer Skizze, darauf beschränken, sie mit einer der bekannteren Baumformen Europas zu vergleichen ; eine Ordnungsnummer; dieselbe ist bei allen Exem- plaren und Theilen — Blüthen, Samen, Früchten, Holz- mustern — einer Pflanze anzuwenden, welche einen Theil der Sendung ausmachen oder vom Reisenden auf- bewahrt werden; ebenso im Katalog oder Reisejournal, so dass hienach später genaue Aufschlüsse über die I) vgl. oben, S. 106. 500 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN gesandten Pflanzen ertheilt werden können. Die während einer und derselben Reise angewandten Nummern sollen eine einzige Zahlenreihe bilden und nicht in Serien wieder früher schon gebrauchte Zahlen enthalten. Wenn der Reisende die Höhen der Oertlichkeiten, durch welche ihn sein Weg führt, misst oder sonst kennt, so soll unter den über eine Pflanze gemachten Notizen auch die Höhe der Fundstelle angegeben werden. Die trockenen Früchte werden in Kisten gesandt, ver- sehen mit der Nummer und Aufschrift, welche im Herbarium der Zweig des Gewächses hat, von dem sie stammen. Alle trockenen Früchte, welche so gross sind, dass sie nicht wohl dem Herbarium einverleibt werden können, müssen in solcher Weise separat verpackt werden, man soll sie stets nur in gutreifem Zustande einsammeln, vollkommen trocknen lassen und sorgfältig in Papier einhüllen. Die fleischigenFrüchte werden inBranntwein oder schwachem Weingeist (von 18°), Essigsäure oder Holzessig versandt; in Ermanglung dieser Flüssigkeiten wendet man .Wasser an, in welchem reichlich — bis zur Sättigung — Meersalz auf- gelöst wurde; diese Salzlake soll aber wirklich nur in Abgang der andern Mittel verwendet werden, denn sie eignet sich zur Konservirung der Objekte weniger als jene. Die Früchte jeder Art sollen in ein besonderes Gefäss kommen, umhüllt mit Leinwand, Werg oder Baumwolle; wenn man solche von mehr als einer Art in demselben Gefässe zusammen unterbringt, so müssen diejenigen einer jeden Species je in einen besondern Sack gethan und mit besonderer Aufschrift versehen werden. Es ist sehr zu wünschen, dass in Flaschen mit schwachem Branntwein oder wasserfreier Essigsäure auch Blüthen gesandt werden, welche zu zart oder zu fleischig sind, als dass man sie in getrocknetem Zustande analysiren könnte. Auch hiebei soll ja nicht unterlassen werden, aufdem betreffenden Fläschchen eine Etiquette mit dem Namen der Pflanze oder wenigstens die Nummer anzubringen, welche im Herbarium die Pflanze hat, von der diese Blüthen stammen. Da auf die Flaschen geklebte Etiquetten sich oft ablösen, sind Nummern zu empfehlen, welche in Oelfarbe an jenen Gefässen selbst an- gebracht werden. Noch besser ist es, man lege in die Flasche ein kleines Holztäfelchen oder Pergamentblättchen mit der PFLANZENWELT 501 betreffenden Nummer oder Aufschrift; diese soll mit Bleistift (Graphit) geschrieben werden; Tinte kann man benutzen, wenn der Gegenstand in Alkohol kommt; ferner eignen sich zum gleichen Zwecke dünne Bleiblättchen, auf welche man mit einem Stichel schreibt. Wenn Theile mehrerer Pflanzen- species in dasselbe Gefäss kommen, so muss wieder für jede Species eine besondere Etiquette der genannten Art beigegeben werden; sonst wäre die Sammlung nutzlos. Soviel als möglich vermeide man, Blüthen verschiedener Art in ein Fläschchen zu bringen; muss es doch geschehen, so ist auf die erwähnte Weise dafür zu sorgen, dass keine Verwechslungen entstehen. Zu letzterem Zwecke kann man auch die Blüthen einzeln in Couverts aus geleimtem Papier verpacken, diese mit Auf- schriften versehen und sie nun in die Gefässe legen. Hat man weder Flaschen noch Alkohol zur Verfügung, so trocknet man die Blüthensträusse ungepresst an der Luft, bringt sie in Briefsäcke mit Etiquette und verpackt dieselben dann so, dass die getrockneten Blüthen gegen Druck ge- schützt sind. Pflanzen, welche auf den Wurzeln anderer schmarotzen (Wurzelparasiten), konservirt man — mit der Wurzel selbst oder einem Stück derselben — in Branntwein oder Essig oder gesättigtem Salzwasser; soweit möglich nimmt man hiebei die ganzen Pflanzen mit Blüthen und Früchten und zwar — wenn sie getrennten Geschlechtes („zweihäusig“, diöcisch) sind, was oft der Fall ist — sowohl männliche als weibliche Exemplare. Diese Schmarotzerpflanzen zeichnen sich in der Regel aus durch Mangel an Blättern und grünen (ehlorophylihaltigen) Theilen, Neischige Konsistenz und ge- ringe Wuchshöhe. Die Herbarien und Fruchtsammlungen sollen, wenn die Objekte gut getrocknet sind, in Kisten verpackt werden, welche mit Eisenblech beschlagen oder mindestens gut getheert und gegen Mäuse wie gegen Insekten geschützt sein müssen. Die Papierlagen mit Pflanzen formirt man, bevor man sie in Kisten verpackt, zu Paketen, die zwischen Brettern, Cartons oder Lagen leeren Papiers gut gepresst und zu- sammengebunden werden. Beim Verpacken kann man in jeden Bogen Papier, wenn man an solchem Mangel hat, mehrere Stücke der Sammlung 502 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN bringen und die Zahl der dazwischengelegten Bogen kann reduzirt werden; nur müssen die Pakete kompress und gut gebunden sein. Für diese Verpackung ist jede Sorte Papier tauglich; man kann dieses sogar durch Stücke von trockenen Bananen- oder anderen grossen Blättern ersetzen; unerlässlich ist nur, dass die Pflanzen sorgfältig geordnet werden und jedes en Paket durchwegs dieselbe Dicke hat. \ Sammlungen von Hölzern u. dgl. In erster Linie nennen wir die Nutzhölzer, insbesondere diejenigen für Kunst- tischlerei (Ebenisten) und Färberei; es ist sehr interessant, von solchen vollständige Querstücke mit Splint und Rinde zu haben, sowie Zweige mit Blüthen oder Früchten, welche zur wissenschaftlichen Bestimmung dienen. Ferner verdienen die unter dem Namen Lianen bekannten kletternden Holzgewächse die Aufmerksamkeit des Reisenden. Sie zeichnen sich meist durch bemerkenswerthe Eigenthüm- lichkeiten des Baues (der Struktur) aus, und ihr Studium kann ein bedeutsames Licht auf die Wacksthums- und Eı- nährungsweise der Pflanzen werfen. Schon haben Samm m lungen dieser Art zur Aufhellung und Abklärung der er- wähnten Fragen beigetragen; aber es bleibt in dieser Hinsicht noch viel zu thun, und Personen, welche warme Länder be- wohnen, können ein kostbares Material liefern durch Sammeln | nicht nur einzelner Stücke von allen derartigen Pflanzen, sondern auch grösserer Partien ziemlich grosser Stämme, Basistheilen mit Wurzeln von den ältesten Exemplaren; dann von weniger alten Stengeln, von jungen (ein- und zweijäh- rigen) Zweigen und endlich von blüthen- und fruchttragenden Same sn een die verschiedenen Altersstufen repräsentiren: von den ein- jährigen Zweigen mit Blättern, Blüthen und Früchten bis” zu den ältesten Stamm- oder Stengelgebilden. Behufs Ge Bäume um, auf welche die Lianen hinaufklettern. Sowohl ' hinsichtlich dieser Bäume als in Betreff der Schlinggewächse” notirt man sorgfältig die einheimischen Bezeichnungen (Volks namen), sowie die Eigenschaften, welche die Eingebornen® ihnen zuschreiben, und den Gebrauch, welche sie davo machen. Bei den meisten Lianen, auch denen, welche nicht PFLANZENWELT 503 sehr voluminös sind, namentlich aber bei den saftreichen, wie Cissus, thut man besser, Stengelabschnitte von nur einigen Centimetern Dicke zu nehmen als solche von grös- 'serem Umfang; denn die ersteren behalten ihre Organisation eher unverändert bei. Alle Stücke von derselben Pflanze müssen dieselbe Nummer tragen. — Als weitere interessante Objekte empfehlen wir der Aufmerksamkeit des Reisenden die pflanzlichen Faser- stoffe, welche zu Geweben und Seilereiartikeln benutzt werden, ferner vegetabilisches Wachs und Gummi, sowie Rinden, Wurzeln und Früchte, welche arzneilich oder technisch ver- wendet werden. Jedem Objekt soll eine Etiquette mit Nummer beigegeben werden, und womöglich sollen die Pflanzen, von welchen diese Produkte stammen, auch durch Herbariumexemplare vertreten sein. Es sollen die Volksnamen angegeben werden sowohl für diese Pflanzen als auch für die Produkte, welche von ihnen herrühren; ebenso ist mitzutheilen, welcher Gebrauch davon gemacht wird. Hinsichtlich der Sammlungen von Stengelgebilden der wichtigster Gewächse ist verschieden zu verfahren, je nachdem es sich um Baumfarne und Monokotyledonen oder um Dikoty- ledonen handelt. Was die ersteren anbetrifft: Baumfarne, Palmen, Drachen- bäume u.s. w., so ist ihr Bau (die Struktur) ungleich je nach den Höhenabschnitten (Regionen) und dem Alter des Baumes, und es ist zu wünschen, dass davon vollständige Stämme erwachsener Exemplare — von der Wurzel bis zum Gipfel — geliefert werden, wenn das ohne zu grosse Kosten und Transportschwierigkeiten geschehen kann. Falls dies wegen der Grösse des Stammes und der erwähnten Schwierig- keiten nicht möglich ist, so sende man von einem Exemplar drei Partien, jede von etwa 50 cm Länge; den Basistheil mit Wurzeln, ein Mittelstück und die Gipfelpartie mit den Basaltheilen der Blätter. Sind die Stammstücke zu volu- minös, feucht und schwer zu trocknen, so spalte man sie der Länge nach mitten entzwei, sende aber beide Hälften und nehme davon auch einige Querabschnitte (Scheiben) von 5—10 cm Dicke. 504 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Bei den Dikotyledonen genügt es, von einem Exemplar einen recht gesunden, weder durch Fäulniss noch von In- sekten angegriffenen Stamm oder Hauptast auszuwählen und davon einen 40 bis 50 cm langen Abschnitt zu nehmen; hinsichtlich der Dicke dieser Stücke ist die passendste Dimen- sion ein Durchmesser von 10 bis 20 cm. Der Stamm oder Ast soll so alt sein, dass derselbe vollkommen ausgebildetes Holz (Kernholz) und Splint enthält, und bei Weırkhölzern müssen Stammabschnitte genommen werden, die stark genug sind, um darnach die physikalischen Eigenschaften der Holzart gut beurtheilen zu können. Diese Stücke müssen mit vollstän- diger Rinde eingesandt werden. Steht zu befürchten, dass sie nicht gut austrocknen und desshalb verderben, so sägt man sie der Länge nach entzwei, aber nicht mitten durch, sondern in einiger Entfernung vom Marke, damit dieses in einem der Längstheile (Scheiter) intakt ist; ausser den beiden Längshälften sende man dann ein vollständiges Querstück (Scheibe) von 5 bis 6 cm Dicke. | Alle diese Hölzer, seien es Farne, Monokotylen oder Dikotylen, sollen Be in Kisten ne und versandt werden, bevor sie vollkommen lufttrocken geworden sind. Y Bis dahin müssen sie auch soviel als möglich gegen Insekten geschützt werden. Damit die Holzstücke wissenschaftlich und praktisch nutzbar gemacht werden können, müssen sie durch Nummern bezeichnet sein, die solchen von getrockneten und dem Her- barium einverleibten Zweigen mit Blättern und Früchten \ entsprechen; sonst können sie nicht genau bestimmt werden. Diese Nummern bringt man auf einer glatten Schnittfläche des Holzes selbst an, mit Tinte, Bleistift oder (was besser ist) mit Oelfarbe. Sind der Stücke nur wenige, so kann man sie durch Kerben oder eingeschnittene römische Ziffern bezeichnen. % Sehr wichtig ist es, dass auf den Etiquetten im Her- barium oder in Katalogen angegeben wird, welche Volks- namen diese Hölzer in der Gegend tragen, von wo sie her- stammen; diese Namen sind viel allgemeiner bekannt als”, diejenigen kleinerer Gewächse, und sie können zur Erlangung neuer Aufschlüsse dienen. | — rue THIERWELT 505 THIERWELT. Unter der Fauna einer Gegend versteht man die Gesammt- heit der Thiere, welche daselbst im Naturzustande oder wenigstens in Freiheit leben. Eine vollständige Aufzählung und Beschreibung derselben zu geben, wäre ebenso schwer als dieselbe Aufgabe für die Flora, ja vielleicht noch schwie- riger, denn das Thier entgeht der Beobachtung leichter als die Pflanze. Aber der Reisende kann sich, wie schon be- merkt wurde, darauf beschränken, von den wichtigsten Re- präsentanten der lokalen Fauna Kenntniss zu erlangen und zu geben, ein allgemeines Bild derselben zu entwerfen und die wenig bekannten Eigenthümlichkeiten hervorzuheben. Allgemeiner Charakter. Der allgemeine Charakter der Thierwelt einer Gegend ist viel schwieriger zu erfassen und darzustellen als derjenige ihrer Flora. Die Individuen der Fauna stellen sich nicht so dem Blicke dar, wie die- jenigen der Pflanzenwelt; man kann bei jenen nicht wie bei diesen mit einem Blicke sich eine Gesammtansicht von den Massen verschaffen ; vielmehr bedarf es hier langer und mit geduldiger Ausdauer fortgesetzter Studien, um die grossen Züge des Bildes zu erkennen. Hinsichtlich der Hausthiere und derjenigen, welche den Menschen nicht fliehen, kann die direkte eigene Beobachtung genügen; aber in Betreff der wilden Thiere und solcher Arten, welche abgelegene Oertlichkeiten und Verstecke bewohnen, muss man Erkundigungen einziehen. Ebenso benutze man vorhandene naturhistorische Sammlungen, vorab die speziell oologischen Museen, sowie die Märkte, auf welchen Jagd- d Fischereiprodukte zum Verkauf gelangen. Eine Menge ützlicher Aufschlüsse kann man sich von Jägern und Fischern erschaffen, in der Unterhaltung mit denselben und durch heilnahme an ihren Jagden und Zügen, wobei man nicht ur das Wild und die Wasserthiere beobachtet, welchen ieselben nachstellen, sondern auch diejenigen, welche sie ‘erschmähen. Für die Beobachtung der niedern Thierwelt ‚nutze man jede Gelegenheit, auf Spaziergängen und Aus- ügen nach verschiedenen Punkten und Gegenden des Landes, 'm Meere wie im Innern, in der Ebene wie auf dem Gebirge, elbst in Höhlen, die man besucht. # 506 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Erkundigungen hat man insbesondere auch einzuziehen hinsichtlich. solcher Thierarten, die nur zu gewissen Jahres- zeiten erscheinen, wie dies z. B. der Fall ist bei Wölfen und Bären, welche der Winter aus ihren Verstecken heraus- treibt, bei Murmelthieren, welche nur im Sommer zum Vor- schein kommen; bei Zugvögeln wie den Schwalben, Wander- fischen wie den Häringen, Insekten wie den Wanderschrecken, deren Invasionen mehr oder minder periodisch sind. Die Vergleichung der Fauna einer Insei mit derjenigen des nahen Kontinentes oder der Faunen zweier durch eine Meerenge getrennter Gegenden wirft oft ein Licht auf frühere Verhältnisse, wie die vormalige Konfiguration des Landes. Die Aehnlichkeit derselben kann darthun, dass heute ge- trennte Erdtheile einst mit einander verbunden waren, und ihre Unterschiede können in manchen Fällen erkennen lassen, in welcher Epoche die Trennung stattfand. In gleicher Weise kann durch sorgfältige Erforschung der Seen die Existenz früherer Meere oder Meeresverbindungen nachgewiesen werden. Ein paar Beispiele!): Wenn man im Baikalsee Robben trifft, so beweist dies, dass in der Vorzeit — und zwar in einer geologischen Periode, die nicht weit zurückliegen kann, sondern nahe an die geschichtliche Zeit heranreichen muss — an Stelle der heutigen Tundren und Steppen Sibiriens noch Meer war. Der Hauptfisch des Boden- sees (der Felchen) lässt gewisse Rückschlüsse zu auf die Geschichte des Flusssystems, welchem der See angehört?). Marine Krustenthiere in der Tiefe des Gardasees, wie ın schwedischen Süsswasserbecken, beweisen, dass diese Bassins früher Meerwasser enthielten). Den überraschendsten Fall dieser Art haben die Untersuchungen von Louis Agassiz und ' Garman, sowie die neueren von Taxon ergeben, indem durch dieselben konstatirt wurde, dass die Krustenthiere des Titi- cacasees (3824 m über Meer!) einen ausgesprochenen marinen Charakter habe. 1) Lehrreiche Beispiele dieser Methode findet man vielfach in geologischen und thiergeographischen Werken, deren wir früber ($S. 99) einige erwähnten: Heer, Wallace etc. Vgl. auch Rütimeyer, über die Herkunft unserer Thierwelt. Basel 1867. 2) Weismann, Thierleben des Bodensees 1876. Kollbrunner, thurgauische Fisch- fauna pag. 50. 3) Solche Thbiergesellschaften, welche als Ueberbleibsel und Zeugniss ver- gangener Zustände betrachtet werden müssen, sind (durch Leukart) als Relikien- faunen — und demgemäss dergleichen Seen als Reliktenseen — bezeichnet worden. nn Ee -= Es .- Far= THIERWELT 507 Hinwieder sind in der Fauna einer Gegend solche Be- standtheile zu unterscheiden und anzugeben, welche derselben erst durch Einführung und Einschleppung (in neuerer und neuester Zeit) zukamen, wie dies der Fall ist mit dem Dro- medar in Nordafrika, den Ratten in der polynesischen Insel- welt u. s. w. Distrikte und Stationen. Wie es botanische Zonen und Regionen gibt, so zoologische Distrikte und Stationen, d. h. Gebiete, welchen gewisse Thierarten nach ihren ge- wöhnlichen Aufenthaltsorten angehören und dadurch einen bestimmten zoologischen Charakter verleihen; nur besteht der Unterschied, dass den freibeweglichen Thieren nicht in der Weise wie den in ihrem Substrat wurzelnden Pflanzen ein so scharf bestimmter Standort eigen ist; immerhin haben auch die Thiere, da sie vorzugsweise die Orte aufsuchen müssen, wo sie am leichtesten und sichersten ihre Nahrung finden, ihre Aufenthalts-, Wohn- oder Standquartiere und sind sie insofern an gewisse Distrikte und Stationen ge- bunden: der Meeresstrand, die Küstengegenden, sumpfige Niederungen, Höhlen, Hochthäler, die Schneeregionen der Gebirge, sie alle haben ihre Spezialfaunen, beherbergen je eine ihnen eigenthümliche Thierwelt. Die Grenzen dieser zoologischen Bezirke und Stationen sind wesentlich durch die Bodenkonfiguration bestimmt und fallen zumeist mit physischen Linien zusammen. Man thut daher gut, zum Zwecke zoologischer Untersuchungen das Land in natürliche Gebiete einzutheilen und nun bei jedem einzelnen derselben zu erforschen, welches daselbst die Haupt- repräsentanten des Thierlebens seien. So hat man eine Fauna des Meeres, der Küste, des Littorals, eine Fauna der Ebenen, der Sümpfe und Moore, der Thäler, der Gebirge u. s. f., je wieder mit spezielleren Abtheilungen, in deren Unter- scheidung man mehr oder minder weit gehen kann. Nützliche Thiere. Unter den nützlichen Thieren sind in erster Linie die zähmbaren zu erwähnen, sodann die- jenigen, welche durch Fleisch, Eier etc. den Eingebornen einen wesentlichen Theil ihrer Nahrung liefern ; endlich solche, deren Häute, Felle, Bälge, Waffen (Hörner, Zähne), Haare, Federn u. s. w. Tausch- oder Ausfuhrartikel bilden oder zu solchen sich eignen. | 508 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Mitunter wird zu prüfen sein, ob gewisse Thiere nicht dadurch nutzbar gemacht werden könnten, dass man des selben in lebendem Zustande nach andern Ländern versendet oder dass man ihr Fleisch für die Ausfuhr präparirt. So sind z. B. ganze Heerden Strausse aus dem Innern Afrikas | nach dem Kapland gebracht worden, wo man jetzt diese Thiere ihrer Federn und Eier wegen züchtet. Die Ameri- kaner ihrerseits haben reichen Gewinn zu ziehen gewusst aus den Fischen, welche in Menge nach dem Columbia- und Oregonfluss kommen; im Jahr 1875 haben sie 40 Millionen Pfund Lachs geliefert, wovon 16 Millionen bis nach England, Australien, Neuseeland und Südamerika versandt worden sind. Diese Ausfuhr repräsentirt einen Werth von 2,500,000 Dollars oder 121/e Millionen Franken. In Südamerika wurden früher ungeheure Mengen von Hornvieh blos der Häute wegen geschlachtet, während das Fleisch den Geiern übher- lassen blieb, bis ein junger Hamburger Arzt, Dr. Giebert, auf die Idee kam, dieses’ Fleisch oder doch dessen Nähr- bestandtheile nutzbar zu machen. Nach Europa zurück- gekehrt, sprach er hierüber mit dem berühmten Chemiker Liebig und begab sich dann wieder nach Uruguay, wo nun Fleischextraktfabriken die ehemaligen Saladeros oder Schlacht= stätten ersetzen, welche früher die Luft verpesteten. Diese Erfindung ist seither allgemeiner angewendet worden im ‘ Ländern mit geringer Volkszahl und reichem Viehstand, und sie wird — weiter vervollkommnet, früher oder später — dem zahlreichen Arbeiterstande Europas billiges Fleisch liefern, sodass die Verwirklichung der Idee des Dr. Giebert als eine wahre Wohlthat anzusehen ist. Schädliche Thiere. Die Faunen vieler Länder ent- | halten Thiere, welche eine grosse Plage für Mensch und Vieh sind. So wurden anno 1876 in Englisch-Indien 21,391 Menschen und 48,234 Stück Vieh durch reissende Thiere und die Bisse von Schlangen getödtet. Im europäischen Russland erliegen den Wölfen Jahr für Jahr im Durchschnitt, nach offiziellen Erhebungen, 180,000 Stück Grossvieh, 560,000 Stück Kleinvieh und 125 Menschen. Aber nicht nur die reissenden Thiere und die Schlangen sind zu fürchten; eine Menge Thiere verursachen in anderer Weise grossen Schaden. Die Wildschweine durchwühlen das bebaute Land; Affen THIERWELT 509 plündern die Getreidefelder; Termiten und Heuschrecken richten arge Verheerungen an. Die Tsetse-Fliege macht gewisse Gegenden des äquatorialen Afrikas unbewohnbar für Mensch und Vieh. Die Kultivirung anderer tropischer Länder wird verhindert oder erschwert durch die Mosquitos und Garrapatos (eine Art Motte oder Schabe), welche den Eingewanderten, die sich als Pionniere der Kultur dort ansiedeln wollen, keine Ruhe lassen. Die Ernten und selbst ganze Pflanzungen werden manchmal ruinirt durch Insekten von unbedeutender Grösse oder sogar mikroskopischer Klein- heit; es genügt, als Beispiele hiefür den Kolorado- oder Kartoffelkäfer (Doryphora decemlineata) und die Reblaus zu nennen. Aenderungen der Fauna. Zu erforschen, welche Aenderungen eine Fauna erlitten haben kann, ist von grossem Interesse. Die Thierarten einer Insel, welche schon lange Zeit vom Kontinente getrennt sind, können sich wesentlich anders entwickelt haben als die analogen Arten des Festlandes. Thiere, welche bei Gründung von Kolonien oder Nieder- lassungen eingeführt und dann ganz oder theilweise sich selbst überlassen wurden, verwildern oft, d.h. sie kehren zu ihrem früheren Naturzustand zurück; es ist von Werth, dass man sich Exemplare von solchen verschaffe oder doch wenigstens deren Skelette und Felle, damit hienach der Einfluss der veränderten Lebensweise studirt werden kann. Die bisherigen Beobachtungen in den verschiedensten Gegenden haben bekanntlich gezeigt, dass aus jedem Lande frühere Thierarten verschwunden sind, die man nun blos noch in fossilem Zustande findet. Weniger allgemein bekannt ist, dass man z. B. durch Erforschung der Tiefenfauna eines Sees öfters die letzten noch lebenden Ueberbleibsel- einer Fauna auffinden kann, welche früher in der Gegend unter anderen als deren jetzigen Naturverhältnissen lebte (marine Thiere — Fische, Mollusken etc. — in jetzigen Süsswasser- becken, vgl. S. 297 und 506). Es gibt Thierarten, welche in einer Gegend erst ver- schwanden oder ausstarben, seitdem dieselbe von Menschen bewohnt und stets mehr kultivirt wurde, wovon Tradition oder Geschichte noch Kunde geben. Der Biber findet sich 510 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN nicht mehr an den Ufern des Delaware, sowenig als der Löwe in Europa; aber am Delaware leben Leute, deren | Ahnen — frühere Trapper und Squatters — dem Biber nach- stellten, und Herodot erzählt uns, dass zu Xerxes’ Zeiten | der Löwe in Macedonien vorkam. | Sehr viele Thiere ziehen sich zurück und Ver mehr und mehr in Folge zunehmender Entwaldung und Ur- barisirung des Landes, welche ihr Wohngebiet stetsfort ver- kleinert. So ist jetzt der Löwe in Nordafrika sehr selten ge- worden; aus den Schweizeralpen ist der Steinbock fast ganz verschwunden, und der Gemse wird es mit der Zeit kaum besser ergehen. Gegen manche Thiere führt der Mensch einen unerbittlichen Vernichtungskampf. Den Büffel oder Bison Amerikas jagen die Rothhäute stetsfort; der Strauss wird überall verfolgt, wo er sich zeigt; alljährlich gehen den Gerbereien der Vereinigten Staaten 20,000 Allisatorhäute zu; fischreiche Seen und Flüsse werden entvölkert durch die Eingebornen, welche die Gewässer vergiften. „Ueberall,“ sagt Professor Rütimeyer !), „kann ein für Thiergeschichte aufmerk- sames Ohr den Ruf vernehmen: Ave Caesar, morituri te salutant!“ Der Reisende wird soweit immer möglich Indizien und Zeugnisse für das Vorhandensein einer ältern Fauna und positive Angaben über verschwundene oder im Verschwinden begriffene Arten sammeln ?). Das allmälige Zurückgehen der 1) Ueber die Herkunft unserer Thierwelt. Eine zoogeographische Skizze, Basel und Genf 1867, S. 46. \ 2) Zu den Indizien für das einstige Vorkommen von Thier- und auch Pflanzen- arten an Stellen, wo dieselben nun nicht mehr zu finden sind, gehören auch ge- wisse Lokalnamen: Bezeichnungen für Berge und Thäler, Wälder und Gewässer, sowie Flurnamen im engeren Sinne und auch Ortsnamen. So findet man die Namen Gemsberg und Thierberg oft in solchen Alpengegenden, wo jetzt keine Gemsen] oder „Thiere“ mehr vorkommen; die Namen Wolfsschlucht, Hirschensprung u. dgl. in Gebieten, woraus die Wölfe und Hirsche verschwunden Sind; Bibern, Biberach, Krebsbach für Gewässer, an und in welchen keine Biber und Krebse mehr vor- kommen. Aus alten Jagd- und Fischereivorschriften lässt sich in solchen Fällen ott beweisen, dass die fraglichen Thiere vor verhältnissmässig kurzer Zeit noch in der Gegendlebten und um welche Zeit sie verschwanden. Man’ achte desshalb auf dergleichen Namen. Mitunter sind dieselben nicht mehr leicht kenntlich; es ist ihr ursprüngliche Bedeutung dem Volksbewusstsein verloren gegangen und desswegen der Name — oft einer irrigen Auslegung wegen — verändert worden. So eibt es im deutschen Sprachgebiete Ortschafts- und Flurnamen, die jetzt geschrieben werden, als wären sie von „Wiese“ abgeleitet, während sie auf das einstige Vor- kommen des Wisent (Auerochsen) in jener Gegend zurückgeführt werden können und müssen (Wiesendangen bei Winterthur, Wiesensteig bei Ulm, Wiesenthau bei Forchheim: Wisentwangen, Wisentsteig, Wisent-Au.) Yel. W. Wackernagel, über den Ursprung und die Entwicklung der Sprache. Basel 1872. S. 50. oft sind solche Namen zugleich von Thieren und Pflanzen hergenommen, ist aber ihr einer THIERWELT ll letzteren stellt man auf einer Karte .der Gegend in anschau- licher Weise dar, indem man durch verschiedene Farben angibt, welches Areal eine bestimmte Species zu verschiedenen Zeiten einnahm. Ansichten und Beschreibung der Thierwelt. Zur bildlichen Darstellung der Fauna eines Landes lässt sich die Photographie nicht so leicht anwenden wie bei der Pflanzen- welt; indessen ist es doch möglich, durch Augenblicksauf- nahmen Szenen des Thierlebens darzustellen, wie sich deren darbieten am Meeresstrande mit dessen Heerden von See- vögeln, in Waldlichtungen mit weidenden (äsenden) und ruhenden Thieren, welche den Jäger noch nicht wahrge- nommen haben oder noch nicht fürchten, ferner in der Nähe von Städten und Dörfern mit den ab- und zugehenden Last- thieren für Personen- und Waarentransport, sowie mit dem Vieh, welches zur Feldarbeit, zur Tränke, auf die Weide geführt und getrieben wird oder nach den Ställen zurück- kehrt. Für die Darstellung von Jagdszenen muss man noth- wendig zum Zeichnen nach dem Gedächtniss, der Erinnerung Zuflucht nehmen. Eine Nachhülfe ist es, wenn man dem erlesten Thier momentan eine gewohnte, an demselben be- obachtete Stellung gibt. Handelt es sich dabei um ein wenig bekanntes Thier, so nehme man, bevor man es ent- häutet oder ausweidet, eine Photographie desselben auf, nachdem man ihm zuvor so gut als immer möglich eine natürliche Haltung gegeben, oder man zeichne dasselbe nach dem Gedächtniss in den verschiedenen Stellungen, die man an demselben in der Natur beobachtet hat. Solche Photo- graphien und Zeichnungen ermöglichen dem Präparator, welcher das Fell oder den Balg des Thieres für ein Museum aus- stopft und herrichtet, demselben eine natürliche Haltung zu geben, statt daraus eine Karrikatur zu machen. Es gibt übrigens öfters Thiere, die so wenig scheu sind, dass man sich gute Photographien derselben verschaffen kann, sei es dass man sie in Gruppen oder aber in Einzelbildern auf- nehme. oder anderer Bestandtheil nicht sofort ohne Weiteres verständlich, z. B. „Bären- troos“ für eine Alp, auf welcher früher Bären hausten und ein dichter Buschwald von „Troos“ (Alpenerlen, Alnus viridis) bestand, während jetzt daselbst weder Bären noch Alpenerlen mehr vorkommen. Analoge Fälle finden sich in andern Sprachgebieten. 512 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Bei diesen Thierbildern ist auch auf eine angemessene Umgebung oder @esammtszenerie Rücksicht zu nehmen. Wenn es nicht möglich sein sollte, das Thier in seinem Medium oder einer seinen Lebensverhältnissen und Gewohnheiten ent- sprechenden Umgebung zu photographiren und zu zeichnen, so wird man diese erste Darstellung später nach der be- zeichneten Seite ergänzen, d. h. nach derselben ein Bild anfertigen, auf welchem das Thier in einer seiner spezifischen Eigenthümlichkeiten angemessenen Umgebung erscheint. Was die Darstellung in Worten anbetrifft, so beschränke | man sie nicht auf eine blosse Beschreibung der körper- lichen (somatologischen) Verhältnisse, die immer mehr oder minder trocken und dürftig bleiben wird, sondern gebe nach eigenen Beckachian sen, oder slaubwindisen Berichten auch ee über die Lebensweise des Thieres, Jagd und Fang, Zähmung, sowie die Verwerthung der Produkte und Theile desselben. Solche Mittheilungen sind immer von grossem Interesse; nur hüte man sich, in dieselben ohne Vorbehalt solche Angaben aufzunehmen, die sich bei genauerem Nachforschen als unrichtig herausstellen, d. h. man lasse sich bei der Darstellung nicht sowohl durch die „Merkwürdigkeit“ als durch die Zuverlässigkeit der berich- teten Details leiten; andernfalls wird dieselbe zwar eine anziehende Lektüre, aber ohne wissenschaftlichen Werth sein. Zoologische Sammlungen. Wir theilen auch hier- über mit gefälliger Erlaubniss des Autors die kurzen In- struktionen mit, welche Milne Edwards in den „Archives des missions scientifiques et litteraires* (T. IV, 1877) gegeben hat. Könnte doch dieser Gegenstand kaum von einer kom- petenteren Feder als der seinigen behandelt werden. 1° Höchst wichtig ist bei allen naturhistorischen Samm- lungen das Etiquettiren der Exemplare: jedem derselben muss in einer vor Verschiebung oder Verwechslung gesicherten _ Weise eine genaue Angabe des Fundortes beigegeben sein; die von verschiedenen Lokalitäten stammenden Exemplare dürfen nicht vermengt werden, und es sollen Notizen vorhanden sein über den Hauptcharakter der Fundstelle, z. B. für Wasser- thiere darüber, ob sie im Meere, in Brack- oder Süsswasser vorkommen, in welcher Tiefe, und von welcher Beschaffen- heit der Grund des Gewässers ist, worin sie leben; für | | | | N | THIERWELT 513 Landthiere darüber, ob sie auf Wiesen, im Walde, an Felsen etc. leben, beziehungsweise gesammelt wurden, und in welcher Höhe. Grosse Sorgfalt ist ferner dem Verpacken der Samm- lungen zu widmen. In den Kisten dürfen keine leeren Räume bleiben, wobei die naturhistorischen Objekte oder die Schach- teln und sonstigen Gefässe, in welchen dieselben sich befinden, hin- und herbewegt, gerüttelt und gerollt werden könnten. Jeder Zwischenraum, den die Objekte und Gefässe lassen, muss mit Papier, Heu, Tangen u. dgl. Material ausgefüllt werden. Kleie, Sägmehl, Sand und ähnliche Stoffe, welche leicht eine Verschiebung ihrer Theile. erleiden, eignen sich zu diesem Zwecke nicht; die Gegenstände in denselben gerathen in Folge der Stösse und Erschütterungen, welchen die Kisten beim Transport ausgesetzt sind, nach und nach tiefer hinab, bis auf den Boden derselben, sind nun ganz ungleichmässig angeordnet und beschädigen einander. Das Verpacken ge- wisser Sammlungen erheischt spezielle Vorsichtsmassregeln, die wir später besprechen. 2° Unter den zoologischen Sammlungen sind diejenigen von Conchylien und Insekten am leichtesten anzulegen und zu konserviren. Was die Couchylien betrifft, so hat man, wenn die Schalen noch von den Thieren (Mollusken) besetzt sind, welchen sie angehören, zuvörderst diese aus dem Gehäuse zu entfernen; man zieht das Weichthier mit einer grossen Nadel, einem Sezir- oder Federmesser heraus, wascht die Schale und verpackt sie so, dass keine Reibung an andern Gegenständen statt- nden kann. Sehr zerbrechliche Schalen müssen sorgfältig it Baumwolle (Watte) oder einem ähnlichen Stoff umhüllt nd in einer Schachtel oder in Papier gesöndert verpackt erden. Die Gehäuse von Landmollusken, selbst die scheinbar nbedeutendsten, wie diejenigen der gewöhnlichen Schnecken- rten, sollen ebenso gut gesammelt werden als diejenigen ler Schalthiere des Süsswassers und des Meeres. Bei den weischaligen Weichthieren (Bivalven, Muscheln) soll das Schloss oder Charnier intakt erhalten bleiben, und bei den ’inschaligen (Univalven, Schnecken) ist der Deckel des Ge- 1äuses beizufügen, wenn dieses einer solchen Molluskenspeeies ıngehört, deren Fuss mit einer Scheibe versehen ist, womit 33 514 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN das Thier die Schalenöffnung, den Eingang seines Wohn- hauses, verschliessen kann, wie dies bei vielen Gasteropoden des Meeres der Fall ist. Hat der Reisende Weingeist zur Verfügung, so soll er. darin einige Exemplare von jeder gefundenen Molluskenart aufbewahren. Vor dem Einlegen derselben in den Weingeist sind deren Schalen zu zerbrechen, damit die Flüssigkeit zu dem Körper des Thieres von allen Seiten Zutritt hat und auf alle Theile desselben wirken kann. In Ermanglung von Weingeist oder anderer alkoholreicher Spirituosen kann man gewöhnlichen Branntwein mit einem Zusatz von 6—7 Gramm Borsäure auf den Liter benutzen oder eine Salzlösung von folgender Zusammensetzung: 1 Liter Regenwasser, 115 Gramm Kochsalz, 60 x Alaun, 12 Centigramm Aetzsublimat. 3° Die Landmollusken (Landschnecken wie die Schnirkel- schnecken, Wegschnecken etc.) kommen gewöhnlich an feuchten | und schattigen Orten vor, in Moos, am Fuss der Bäume, und Sträucher, unter dürrem Laub und Steinen, in Fels- | spalten und an altem Gemäuer. Es sind meistens Nacht- Theil ihres Körpers eine kleine Schale haben) leben unter- irdisch. Die Süsswassermollusken finden sich zumeist in Quellen, z. B. von Zweischalern (Bivalven) die Unionen oder soge- n nannten Flussmuscheln und Anodonten oder Entenmusche deren Varietäten ungemein zahlreich und für die Zoologen sehr interessant sind. Die Land- und Flussmollusken hat man | nicht nur an und unter den Wasserpflanzen aufzusuchen, , an und auf welchen sie herumzukriechen lieben, sondem | auch am und im Boden des Gewässers, auf und unter den Steinen in demselben, wie an dessen Rande. E THIERWELT 5l Te Zum Fange die- ser verschiedenen Weichthiere wen- det man soge- nannte Küäscher oder Kötscher an Fäy. 220. (Fig. 220), Instru- mente, die bestehen aus einer Art Sack, dessen Rand oder Saum an einem ovalen Gestell und mit diesem an einem langen Stock befestigt ist. Wenn der Reisende diese Fischerei- geräthe nicht besitzt, so kann er sie selbst anfertigen; den Sack erstellt man aus Packleinwand oder irgend einem lockeren (maschigen) Gewebe, das Gestell aus einem ziemlich kräftigen Streifen oder Zweige grünen biegsamen Holzes, indem man dasselbe in die Form eines Reifes bringt und dessen beide Enden. mit einer Schnur zusammenbindet. Meeresconchylien, welche‘ von den Wellen an den Strand geworfen werden, findet man oft so gut erhalten, dass sie für den Sammler geeignet sind; im Allgemeinen ist es aber besser, wenn man die Schalen in ganz frischem Zustande bekommen kann, und zu diesem Zwecke muss man die Weich- thiere, welchen sie angehören, lebend zu erlangen suchen. Manche derselben, namentlich Muscheln, halten sich im Sand und Schlamm auf; diese muss man zur Ebbezeit ausgraben, wozu Instrumente wie Spaten und Schaufel oder Schippe u benutzen sind; andere kriechen auf den Felsen und Steinen herum, welche zur Ebbezeit ausser Wasser kommen ; wenn man in den Lachen, welche sich bei dem Zurückziehen les Meeres bilden, grosse Steine trifft, deren Basis nicht in Sand begraben ist, so thut man gut, dieselben umzuwenden; lenn fast immer findet man hiebei an ihrer untern Fläche Wollusken und andere für den Naturforscher interessante Chiere. Gewisse Schalthiere leben in mehr oder minder tiefen ‚öchern, welche sie in die Felsen graben (Bohrmuscheln, etricola, Saxicava, Lithodomus etc.); um sie zu bekommen, ıuss man das Gestein mit dem Hammer zerschlagen. Die fahlmuschel (Teredo, Schiffsbohrwurm) greift in ähnlicher Veise das im Wasser befindliche Holz an, in welchem sie ınge Kalkröhren von oft beträchtlicher Länge baut; wenn 516 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN ——— man solche Thiere !) entdeckt, so versäume man nicht, Exem- plare derselben zu sammeln; dabei ist zu empfehlen, dass man sie in dem Holze lasse, welches sie bewohnen. In den Meeren der heissen Zone kommen oft in geringem Abstand von der Küste Korallenriffe vor, die zeitweise in so geringer Tiefe unter der Wasseroberfläche sich befinden, dass man dieselben begehen kann und sich dabei nur etwa bis an die Knie. im Wasser befindet. Diese Stellen sind namentlich reich an Mollusken, aber auch an anderen höchst interessanten und für Sammlungen erwünschten Thieren, wie Meerwürmern, Seeigeln, Seeanemonen (Aktinien) und Polypen, von welchen wir noch sprechen werden. Wenn man mit dem Hammer einzelne Theile dieser Korallenbänke zerschlägt, so findet man in deren Zwischenräumen eine Menge dieser verschiedenen Thierarten. Um sich Mollusken zu verschaffen, welche in grösseren Tiefen leben, muss man zumeist Fischereigeräthe anwenden wie das Scharrnetz (die Dredge), Quastenschlepper und Schwebnetze. Das Scharr- oder Schleppnetz (Dredge, Dredsche) besteht aus einem eisernen Rahmen in Form eines Kästchens, der als eine Art Krücke oder Rechen dient, und einem daran befindlichen sackförmigen Netz nebst einem langen Seil oder Tau, womit man den Apparat auf den Boden des Gewässers hinablässt und ihn sodann längs desselben hinzieht, damit das Scharrnetz den Boden aufkratzt, abräumt und die Ob- jekte in sich aufnimmt, welche auf seinem Wege vorkommen. Das Instrument soll beim Hinunterlassen zufolge seiner Kon- struktion eine solche Lage annehmen, dass der als Rechen dienende Rahmen mit einer Breit- resp. Langseite auf den Boden zu liegen kommt; um es nun in Funktion zu setzen, muss das Boot, woran es befestigt ist, sich langsam vor- wärts bewegen. Mit solchen Schleppnetzen wird von den Fischern gewöhnlich der Austernfang betrieben. Diese Apparate kommen in verschiedenen Konstruktionen vor; diejenige, welche unsere Zeichnung (Fig. 221) darstellt, wird namentlich von den amerikanischen Naturforschern 1) Die Pholaden oder Bohrmuscheln in engerem Sinn (Pholas L.) bewohnen in solcher Weise sowohl Steine als Holz. THIERWELT 517 _ empfohlen, welche dieselbe bei ihren Seetiefenforschungen sehr häufig anwenden. Fig. 221. Diese Dredsche enthält 1° einen Eisenrahmen, der an seinem hintern Rand mit einer Reihe kleiner Oeffnungen, am vordern Rand aber mit zwei Henkeln versehen ist, die einestheils nach dem Innern des Apparates hin zurückgelegt, andern- theils in der Weise, wie die Figur zeigt, vereinigt und an einem Seil (Zugtau) befestigt werden können; 2° ein engmaschiges Sacknetz, das mit seinem Vorderrand (Saum) ‚ an dem Eisenrahmen befestigt, am hintern Ende geschlossen ist, letzteres durch Zubinden mit einer starken Schnur in der Weise, dass es unschwer wieder geöffnet und dadurch ent- leert werden kann. Wenn der Boden, auf welchem man dredscht, uneben Jist, so placirt man das Netz in einen zweiten Sack aus grober } Leinwand, der am Grunde offen (ohne Boden) sein muss, / damit er das Wasser durchlässt (in der Figur ist von diesem }damit das Netz in demselben sichtbar bleibt). Der eine / Henkel wird an die Zugleine gut befestigt, an den andern aber nur mit einer dünnen Schnur, die unschwer zerrissen werden kann; denn oft trifft der Rahmen des Scharrnetzes \so auf Steine, dass er nicht mehr losgemacht werden könnte, wenn beide Henkel unter sich und mit dem Seil in fester Verbindung wären; der Apparat ginge verloren ; so aber kann /in derartigen Fällen durch einen raschen Ruck an der Zug- \leine die schwache Schnur zerrissen und der Rahmen, welcher nun nur an einem Henkel gezogen wird, losgeschnellt werden. 5185 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Zu bemerken ist noch, dass der Apparat um so grösser sein muss, je bedeutender die Tiefe ist, in welcher man dredschen will, und dass die Länge des Zugtaus doppelt so gross sein muss als diese Tiefe, wenn das Instrument eine passende Lage haben soll. rk N alılslernanı nen \\\N. ga LCLLIRNEN Be ua! nen at, FERNEN ET Hana NERTTRERÜÄCERSRN RN un EIRON Ba... TI mi SHE un Ki TU Fig. 222. Auf felsigem Grund lässt sich kaum oder gar nicht dredschen; hier aber leistet der Wuastenschlepper (salabre) gute Dienste, welches in vorstehender Zeichnung (Fig. 222) dargestellte Instrument seit undenklichen Zeiten von den Korallenfischern angewendet wird. Es besteht aus einem hölzernen oder eisernen Kreuz, das an einem langen Tau befestigt, mit THIERWELT 519 einem Stein beschwert ist und an seinen Armen Quasten trägt aus Schnüren und Fäden, die nur unvollkommen zu- sammengedreht, daher zottig-gefranst sind, so dass in diesem - faserigen Maschenwerk die Objekte, auf welche es trifft, leicht hängen bleiben. Man lässt den Apparat auf den Grund des Wassers hinab, hebt ihn dann ein wenig und lässt ihn wieder sinken; dies setzt man eine Zeit lang so fort: jedesmal nun, wenn das Instrument hinuntergesenkt wird, gehen die Fäden und Zasern auseinander und breiten sie sich am Boden aus; sowie man aber den Apparat emporhebt, streichen sie über den betreffenden Theil des Meeresbodens hin wie ein Besen oder Wischer und bringen nun in ihrem Faserwerk eine Menge von Thieren, wie Mollusken, Seeigel, Polypen und Schwämme herauf !). Man wendet diese Vorrichtung auch an, um sich Objekte zu verschaffen, welche an den Seiten untermeerischer Felsen sitzen; um aber hiebei den Apparat gut zu hand- haben, muss man darin schon geübt sein, während die An- wendung desselben unter gewöhnlichen Verhältnissen auf den ersten Versuch gelingt. Um die ganz kleinen schwimmenden Weichthiere zu fangen, welche sich bei ruhigem Meer nahe an der Oberfläche des Wassers herumtreiben, wendet man ein kleines Schwebnetz an, das aus einem Reif und grober Musseline oder einem andern ähn- lichen Gewebe besteht, welches wie ein Sieb das Wasser durch- lässt, aber die darin befindlichen Thierchen zurückhält. Dieses Instrument eignet sich auch zum Fange der kleinen pelagischen Crustaceen, welche in Weingeist aufbewahrt werden müssen. Uebrigens können alle in der zu erforschenden Gegend von den Fischern angewendeterr Fangmethoden gute Dienste leisten. Auch ist dem Reisenden zu empfehlen, dass er mitunter die Fischer begleite, um die Objekte einzuheimsen, welche dieselben in ihren Netzen finden, aber vernachlässigen, weil es keine Verbrauchsartikel sind. Die grossen Gephalopoden (Kopffüssler — Weichthiere, deren Kopf Fangarme oder Tentakeln trägt, die als Be- 1) Die Seeigel tragen Kalkstäbehen oder Stacheln, die oft sehr lang sind; die Verpackung derselben, wie auch diejenige anderer Strahlthiere (der Seesterne) muss mit grosser Sorgfalt erfolgen. Jedes Exemplar ist zunächst mit Watte zu umhüllen und dann erst in Leinwand oder Papier einzuwickeln; denn diese Objekte sind ungemein zerbrechlich. Die baumartigen Gorgonen oder biegsamen Horn- 'korallen und die Schwämme werden getrocknet oder in Weingeist aufbewahrt. 520 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN wegungsorgane dienen) wie z. B. die achtfüssigen Seepolypen, in Spiritus oder in der erwähnten Salzlösung aufzube- wahren. 4° Die Krabben, Hummer, Langusten und andere Thiere, welche von den Zoologen als Crustaceen bezeichnet werden, finden sich an denselben Lokalitäten wie die Mollusken, von denen wir eben gesprochen haben, und sie können nach den gleichen Methoden gefangen, aber in anderer Weise konservirt werden. Ist die harte Schale oder Kruste, welche bei diesen Thieren die Haut vertritt, dick, so braucht man nur die äussern harten Theile langsam trocknen zu lassen, nachdem man die innern weichen Theile (Fleisch und Eingeweide) heraus- genommen hat; letzteres aber geschieht in der Weise, dass man die Rückenplatte, welche dem Thiere als Schild oder Panzer dient, an ihrem Vorderrande aufhebt und nun mit einem Messer die darunter befindlichen Weichtheile entfernt. Die Kruster können auch in Kochsalz oder Weingeist auf- bewahrt werden, nicht aber in der oben erwähnten Salz- lösung; denn diese würde den Hartgeweben einen Theil ihrer kalkigen Stoffe entziehen und dieselben zu weich machen. Die Füsse und sonstigen Glieder oder Anhängsel der Krusten- thiere sind sehr zerbrechlich; daher muss man sie vor dem Trocknen durch Anlegen an den Rumpf des Thieres in eine geschützte Lage bringen ; zudem ist jedes getrocknete Exemplar einzeln in Leinwand oder Papier zu verpacken. Wo Süsswasserkrebse, Landkrabben und dergleichen Thiere vorkommen, sind dieselben nicht minder sorgfältig zu sammeln und aufzubewahren. 5° Die Zoophyten oder Pflanzenthiere (Echinodermen und Ocelenteraten; Thiere, welche durch ihre Bildungsweise Pflanzen gleichen; auch als Strahlthiere oder Radiaten be- zeichnet) müssen getrocknet werden, wenn sie von steiniger Konsistenz sind wie die meisten Stachelhäuter (Seeigel, See- sterne) und Steinkorallen (Madreporen); wenn sie aber weich sind wie die Seewalzen oder Holothurien (zu denen die Thierart gehört, welche die Chinesen Trepang nennen), s0 hat man dieselben in Alkohol oder der öfters genannten Salzlösung zu konserviren; für kleine Arten von sehr zarter Substanz verwendet man mit Vortheil Glycerin. | die zehnfüssigen Tintenfische und Kalmars, sind entweder { THIERWELT 521 Allverbreitet, selbst im Sand und in den schlammigen Ablagerungen am Strande und auf dem Boden des Meeres, sind kleine Organismen, die vom unbewaffneten Auge nicht mehr unterschieden werden können, deren Studium durch das Mikroskop aber unerlässlich ist zur Lösung verschiedener wissenschaftlicher Fragen von hohem Interesse. Es sollen desshalb Proben dieser Ablagerungen, welche ein wesent- licher Bestandtheil submarinen Bodens sind, genommen und den zoologischen Sammlungen beigefügt werden. 6° Die Insekten oder Kerbthiere (Kerfe, Sechsfüssler) sind in allen Ländern reichlich vertreten. Ihr Fang ist leicht und macht nur wenige Instrumente nothwendig. Das beste Verfahren, um diese Thiere in Menge zu fangen, besteht darin, dass man mit einem Käscher — Fang- oder Streif- sack, der an einem eisernen Ring und durch diesen an einen langen Stock befestigt ist — rasch über die Pflanzen der Fluren, Wiesen und Waldlichtungen hin- und herfährt. Indem man das Instrument ähnlich wie der Mäher seine Sense, jedoch abwechselnd nach links und rechts bewegt, gelangen die Insekten, welche der so gehandhabte Sack trifft, auf den Grund desselben und wird auch den schnellsten das Ent- kommen aus demselben unmöglich gemacht. Nach beendigtem Fange nimmt man die Thiere Stück für Stück — von Hand oder mit einer Pincette — aus dem Sack heraus und spiesst sie an Nadeln, welche der Grösse des Thieres angepasst sein müssen, auf. Bei Käfern oder Coleopteren, deren Vorderflügel oder Decken (elytra) hart und fest sind, wird die Nadel durch die rechte Flügeldecke oder Flügelscheide durchgestossen, bei den Zweiflüglern (Dipteren, Fliegen), Haut- oder Ader- flüglern (Hymenopteren, Immen) und den Schmetterlingen oder Faltern (Lepidopteren) durch die Mitte des Bruststücks, bei den Gradflüglern oder Helmkerfen (Orthopteren: Heu- schrecken, Grillen u. dgl.) und den Netz- oder Gitterflüglern (Neuropteren: Libellen und ähnlichen Insekten mit zartem Körper und durchsichtigen Flügeln, deren „Nerven“ ein Gitternetz gleich feinem Spitzenwerk bilden) etwas hinter dem Brusttheil, mitten zwischen den Ansatzstellen der Flügel hindurch. Hinsichtlich der kleineren Insekten ist das Aufspiessen weniger geeignet; sofern dieselben, wie die Käfer und die 522 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN meisten Halbflügler oder Schnabelkerfe (Hemipteren: Wanzen, Zirpen u. dgl.), von genügend starker Konsistenz sind, be- wahrt man sie einfach in kleinen mit Papierspänen oder Watte gefüllten Schachteln und Fläschchen auf. Diese Methode ist auch auf grosse Exemplare anwendbar und namentlich für den Fall zu empfehlen, dass man zum sorgfältigen Auf- spiessen der erbeuteten Thiere nicht Zeit hat. Auch zum Aufbewahren der Schmetterlinge braucht man sich nicht nothwendig der Nadeln zu bedienen: eine der besten Me- thoden, welche dem Reisenden für das Konserviren solcher Thiere empfohlen werden kann, besteht darin, einfach jedes Exemplar derselben mit ausgespannten Flügeln in ein Stück Papier einzuschliessen, welches einmal zusammengelegt und an den Rändern umgeschlagen wird, wie man dies in den Samenhandlungen und Apotheken beim Verpacken kleiner Portionen mancher Früchte, Samen und Pulver macht. Kleine Insekten aber, deren Tegument weich ist, legt man in Spi- ritus; denn durch das Austrocknen werden sie oft bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet. In Weingeist sind ferner auf- zubewahren die Raupen und andere Larven, sowie — behufs anatomischer Untersuchungen — eine Anzahl solcher In- sekten, von denen man bereits getrocknete Exemplare besitzt. Die Schmetterlinge fängt man mit dem Hamen, einem ähnlichen Instrument wie der Käscher, nur dass der Sack durch ein Netz aus feinerem Stoffe (Gaze) ersetzt ist. Diese Insekten finden sich namentlich auf blumenreichen Fluren und an Waldrändern; man muss sie aber auch an dunkeln Orten aufsuchen, da die Nacht- und Dämmerungsfalter sich am Tage an solchen Stellen (an Mauern, Baumstämmen u. s.f.) versteckt halten. Bei einiger Gewandtheit kann man die Thiere da spiessen, ohne sie vorher zu ergreifen ; fürchtet man aber, dass dies nicht gelinge, so deckt man sie zuerst mit dem Schmetterlingsnetz und sticht dann die Nadel durch dessen Maschen hindurch. Bei ruhiger Luft und dunkler Nacht bedient man sich mit Vortheil der Fackeln; eine einzige Flamme an einer tiefen und freigelegenen Stelle zieht eine Menge Phalänen und andere nächtliche Kerbthiere an. Sehr zu empfehlen ist es auch, dass man Raupen sammle, diese mit Blättern der Pflanze, auf welcher man sie fand, füttere, bis der Schmetterling ausschlüpft, und den letzteren nun THIERWELT 523 — also unmittelbar nach vollendeter Metamorphose — spiesse. Es ist das die beste Art, sich recht schöne Exem- plare von Faltern zu verschaffen ; denn die Exemplare, welche man im Freien (im Fluge) fängt, sind selten mehr ganz frisch. Hinsichtlich der Käfer genügt es nicht, in der oben be- schriebenen Weise Krautpflanzen und Büsche abzusuchen, über die ersteren mit dem Netz hinzustreifen und die letzteren zu schütteln; man muss diese Kerfe auch unter Baum- rinden und Steinen, in Pilzen und selbst im Boden suchen. Zu diesem Zweck benutzt man ein Instrument, welches dem Stemmeisen der Schreiner gleicht, aber etwas gebogen ist und in einem zugespitzten Spatel endigt. Die Wasserinsekten fängt man mit einem ähnlichen Apparat wie die übrigen; nur dass der Sack oder die Tasche des- selben aus grobmaschigem Gewebe (Stramin) statt dichteren Stoffes bestehen muss. Zum Fange der Wespen, Bienen und anderer Hymenopteren, deren Stich oft zu fürchten ist, bedient man sich eines Schlagnetzes aus Tüll oder Draht- geflecht. Die Konservirung der aufgespiessten Insekten erfordert einige Sorgfalt. Um zu verhindern, dass die Schmetterlinge durch Zappeln sich beschädigen, kann man ihnen gleich nach dem Fange den Thorax unten zusammendrücken; im Allge- meinen muss man aber alle gefangenen Insekten gleich nach Beendigung der Jagd und Rückkehr von derselben rasch tödten; das beste Verfahren ist das, dass man die Thiere in ein von siedendem Wasser umgebenes trockenes Gefäss bringt; eine hohe Temperatur tödtet dieselben in einigen Minuten. Wenn man sie in eine Flasche bringt, die etwas Aether ent- hält, sterben sie ebenfalls bald. Die Schachteln zur Aufnahme der entomologischen Sammlungen müssen aus weichem, leichtem Holz verfertigt und mindestens 7 cm tief sein; auf dem Boden derselben bringt man Korktafeln oder Platten aus einer ähn- lichen weichen Pflanzensubstanz an, in welche man die Insekten- nadeln möglichst tief hineinsteckt. Bei grossen Kerbthieren muss man rings um dieselben Nadeln anbringen, damit sie in ihrer Stellung fest bleiben; denn wenn ein Exemplar ab- fällt, so verdirbt es sich und die andern, welche mit ihm zusammen eingepackt sind. Sobald eine Schachtel voll ist und die Insekten trocken genug sind, so verschliesst man 524 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN dieselbe und verklebt alle Fugen mit Papierstreifen. In heissen Ländern, wo zerstörende Insekten in Menge vor- kommen, genügt dies nicht einmal; vielmehr wird es mit- unter nöthig, diese Schachteln noch in Blechkistchen einzu- schliessen, welche man nachher ringsum verlöthet. Hiezu können alte Sardinen- oder Appert’sche Konservenbüchsen verwendet werden. Die Spinnen und andern Thiere derselben Klasse (Arach- niden) sind weniger zahlreich als die Insekten, verdienen aber ebenfalls Beachtung und Aufmerksamkeit ab Seite der Reisenden. Gewisse Arten leben im Wasser; die meisten aber sind Landthiere und halten sich an Gebüschen oder in Löchern alter Mauern sowie auch des Bodens auf. Der Kunsttrieb, welchen manche Spinnen in der Konstruktion ihrer Wohnungen oder ihrer Netze zum Fang anderer Thiere zeigen, erregt die Bewunderung des Beobachters ; sehr merk- würdige Nester haben z. B. die Mauer- oder Minirspinnen; es sind cylindrische in die Erde oder in Rinden gegrabene Höhlen, an deren Eingang sich eine Art Fallthür befindet: ein mit Charnier versehener Deckel ähnlich einem Bier- kannendeckel, der beim Oeffnen zurückgeschlagen wird. Zu erwähnen sind die giftigen Spinnen und die parasitischen Arten dieser Klasse. Das Konserviren der Spinnenthiere ist etwas schwierig: beim Trocknen verlieren sie ihre Form und im Alkohol die Farbe; man muss daher so viel als möglich Exemplare der- selben Species auf beide Arten aufbewahren, wobei dieselben so zu numeriren sind, dass sie mit Sicherheit identifizirt werden können. 7° Die Fische des süssen Wassers sind nicht nur ver- schieden nach den einzelnen Ländern, sondern selbst nach den einzelnen Flüssen und Seen, worin sie leben. Daher ist es sehr wichtig, deren möglichst viele zu sammeln. Unter den Meerfischen gibt es weitverbreitete Arten, welche aus verschiedenen von einander entfernten Gewässern in den nämlichen Formen bekannt sind; aber die meisten sind doch gewissen Gegenden, Buchten und Küstengewässern eigenthümlich. Man sammle daher Exemplare der Fische von Gegenden, die naturhistorisch noch nicht genügend THIERWELT 525 erforscht sind, selbst von den Arten, welche auf den Märkten feil geboten werden. Die Fische sind in Spiritus oder in Branntwein mit Borsäurelösung aufzubewahren; damit diese Flüssigkeiten leicht ins Innere der Thiere dringen, macht man auf ihrer Bauchseite, an der Mittellinie, einen kleinen Schnitt. Sehr zu empfehlen ist auch, dass man jedes Exemplar mit Lein- wand, Heu oder einem andern passenden Stoff umhülle, damit dieselben sich nicht an einander reiben. Wenn die Exemplare zu gross sind als dass man sie in dieser Weise aufbewahren könnte, so beschränkt man sich darauf, ihre Haut abzuziehen und zu trocknen, wobei immerhin dafür Sorge zu tragen ist, dass Kopf, Zähne und Flossen gut erhalten bleiben. Die Flossen müssen beim Trocknen aus- gespannt sein; zu diesem Zwecke klebt man sie auf Papier oder man hält ihre Strahlen dadurch auseinander, dass man die letzteren einzeln an Fäden befestigt. Die Reptilien werden ebenfalls in Branntwein gelegt, soweit ihre Grösse das ermöglicht; wenn sie aber hiefür zu gross sind, so nimmt man die Haut derselben und legt diese in Branntwein, was besser ist als das Trocknen derselben. Die Schildkröten werden für das Konserviren zugerichtet durch vorheriges Wegschneiden des Bauchschildes oder Brust- beines: mittels einer Säge löst man dieses (das sternum) ab im Niveau der seitlichen Fortsetzungen, welche dasselbe mit dem Rückenschild verbinden. Von den Gliedern bewahrt man nicht nur die Haut, sondern auch die Knochen auf; aber das Fleisch (die Muskel») derselben beseitigt man. Ebenso ist zu verfahren hinsichtlich des Halses, der mit dem Kopfe aufbewahrt werden soll; zu konserviren ist ferner die Haut der übrigen Körperpartien, welche nicht vom Knochenpanzer bedeckt sind. Beim Abhäuten oder Ausbälgen der Schlangen muss man sich vor Beschädigung ihrer Schuppen hüten; der Kopf ist an der Haut zu lassen und mit dieser zu konserviren. Bei den Eidechsen ist eine sorgfältige Behandlung nöthig, damit nieht der Schwanz abbricht. Es wäre zu wünschen, dass von denjenigen Fischen und Reptilien, die wegen ihrer Grösse nicht in Spiritusgefässen 526 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN aufbewahrt werden können, die Skelette genommen und den Sammlungen einverleibt würden. Um diese Skelette zu präpariren, braucht man nicht in minutiöser Weise alle, auch die kleinsten Fleischtheile zu entfeınen; es genügt, dass man die massigeren Partien derselben beseitigt und dann das Knochengerüst als solches — ohne dass seine einzelnen Theile von einander getrennt werden — gut trocknet. Das so präparirte Skelett wird in eine Kiste mit Watte oder Papierschnitzeln verpackt. Ist es hiefür zu lang, so zertheilt man es in zwei oder drei Partien. Sowohl in Alkohol als beim Trocknen entfärben sich die Fische und Reptilien schnell und in hohem Grade. Es ist daher sehr wünschenswerth und wichtig, dass der Reisende kolorirte Abbildungen dieser Thiere anfertigt, sollten sie auch als zoologische Zeichnungen sehr unvollkommen sein. Ist ihm aber die Anfertigung solcher Skizzen unmöglich, so nehme er wenigstens darauf Bedacht, dieselben so gut als möglich zu ersetzen durch Notizen über die bemerkens- werthesten Eigenthümlichkeiten der Färbung dieser Thiere. 8° Sammlungen von Vögeln und Säugethieren (Vierfüssern) sind schwierig zu erstellen. Kleine Thiere dieser Klassen können in Spiritus aufbewahrt werden, wobei dieselben Vor- kehrungen zu treffen sind, wie bei den Fischen ; meist aber muss man die Thiere sorgfältig abhäuten (ausbälgen) und das Fell oder den Balg zum Schutze gegen Fäulniss und Insektenfrass eigens präpariren. Diese Operationen können aber nicht wohl in genügender Weise von Personen vorge- nommen werden, welche darin keine Erfahrung haben; es ist desshalb jedem Reisenden, welcher ein fernes Land er- forschen will, anzurathen, dass er vorher einigen Unterricht in der Taxidermie nehme bei dem Präparator, beziehungs- weise in dem Laboratorium eines naturhistorischen Museums, wo er freundliche Aufnahme finden wird). Im Allgemeinen kann man sich Vögel leicht durch Jäger des betreffenden Landes beschaffen. Damit die Vögel nicht 1) Als umfassendes literarisches Hülfsmittel kann empfohlen werden: Ph. L. Martin, Die Praxis der Naturgeschichte, Weimar 1876, 3 Theile mit Atlas (I. Taei- dermie, II. Termoplastik und Museologie, III. Naturstudien); einen trefflichen Artikelüber Zuxiderimie enthält ferner der „Dietionnaire universel d’histoire naturelle® von Ch. d’Orbigny. THIERWELT 527 schadhaft werden, ist es nothwendig: 1° Schrot oder Kugeln zu nehmen von einer Grösse, welche zu derjenigen des Thieres, das man jagt, im Verhältniss steht; 2° das aus der Wunde fliessende Blut mit Baumwolle aufzutrocknen und auf die Stelle ein absorbirendes Pulver zu streuen, wie Gypsmehl oder feine Asche; 3° die natürlichen Oeffnungen des Körpers mit Watte oder Werg zu verstopfen, um Ent- leerungen zu verhindern; 4° die Federn, wenn sie nass sind, ebenfalls zu trocknen, was auch mit pulverigen Substanzen geschehen kann; 5° die Federn in ihre natürliche Lage zu bringen und sie vor Druck oder Quetschung zu schützen; 6° den Vogel — mit dem Kopf voraus — in einen Papier- sack (Düte) zu bringen. In den heissen Ländern müssen die Vögel sobald als nur immer möglich ausgebälgt werden; denn sowie die Fäul- niss beginnt, fallen die Federn ab. Die Säugethiere verursachen weniger Schwierigkeiten. Grosse Exemplare, die schwer zu transportiren wären, ent- häutet man an Ort und Stelle; es wird das Fell längs der Mittellinie der Bauchseite aufgeschnitten und müssen die Knochen der Füsse und des Kopfes darin belassen werden (letztere nach Beseitigung des Gehirnes, beziehungsweise Leerung des Gehirnschädels, vgl. unten). Da die Vögel einer Species nach Geschlecht und Alter sehr variiren, ist es erwünscht, dass man sich von derselben Art männliche und weibliche, sowie jüngere und ältere Exem- plare verschaffte. Hat man mehrere gleiche Exemplare, so konservire man eines derselben in Alkohol. Ist aber das Exemplar für diesen Zweck ‘zu gross, so skelettire man das- selbe, um den Sammlungen das Skelett beizufügen. Wenn ein Vogel einen fleischigen Kamm besitzt, so ist dessen Kopf in Weingeist aufzubewahren. Sehr zu empfehlen ist auch das Sammeln von Eiern und Nestern. Die Eier entleert man durch kleine Oeffnungen an beiden Enden und verpackt sie in Gefässe, die mit Kleie der Sand u. dgl. gut angefüllt sind. Welcher Art ein Ei angehört, bezeichnet man dadurch, dass man auf ihm die- selbe Nummer anbringt, wie auf dem Balge oder dem Spi- itusexemplare des Vogels, von dem das Ei stammt. Nur wf diese Art werden die Eier zu nützlichen Bestandtheilen 528 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN einer ornithologischen Sammlung; sonst haben sie keinen Werth. Dasselbe gilt von den Nestern, welche immer in einer besondern Kiste, nicht mit den Eiern zusammen, ver- packt werden sollen. . Die Bälge der Vögel sowie die Felle der Säugethiere würden bald der Zerstörung durch Insekten anheimfallen, wenn man nicht hiegegen besondere Vorkehrungen träfe. Das gewöhnlichste dieser Mittel besteht darin, dass die Häute auf ihrer Innenseite mit Arsenikseife (Savon de Becoeur) ein- gerieben werden. Dieselbe ist von Museumsverwaltungen oder Präparatoren zu bekommen; auch kann man sie leicht nach folgendem Rezept selbst herstellen : Weisse Seife... .... . 1000 Gramm Weinsteins#r Weed. a5 u Kalkpülver. malen. BA 2B 0ER Arsenikpulven . 2... ... 1000 ß Kampheruiue ee ” Man zerschneidet die weisse Seife in kleineStücke, legt dieselben in eine steinerne Schale (Terrine), giesst ein wenig Wasser darauf und erhitzt nun langsam während man mit einem Holz- spatel umrührt und successive so viel Wasser zusetzt, als zum Auflösen der Seife nöthig ist. Dann entfernt man das (Grefäss ebenso allmälig vom Feuer, setzt unter stetem Um- rühren — sodass eine vollkommene Mischung der Theile stattfindet — den Weinstein hinzu, dann den Kalk und endlich das Arsenik. Die Zugabe des Kamphers, den man zu diesem Zweck vorher in Weingeist auflösen kann, ge- schieht erst, nachdem die übrige Masse vollständig er- kaltet ist!). ) Ganz kleine Vierfüsser können in Weingeist konservirt werden; dabei ist die Haut- und Muskeldecke des Bauches aufzuschneiden, damit die Flüssigkeit ins Innere dringe. 1) Ph. L. Martin (Die Praxis der Naturgeschichte, I, Weimar 1876, S. 25) gibt ein etwas anderes Mengenverhältniss für die Ingredienzien der Becoeur’schen Arsenikseife: „Weisse Seife 1/2 Kgr. wird mit 1 Kgr. Wasser (und wenn die Seife sehr aufquillt, noch mehr Wasser) zu einem Brei gekocht, alsdann 250 Gr. frisch- gelöschter Kalk dazu gerührt und wenn dieses geschehen 1/2 Kgr. gepulverter weisser Arsenik nebst 250 Gr. Kampher mit der Masse innig vermengt.“ Uebri- gens empfiehlt Martin an Stelle dieser Seife das arseniksaure Natron, arsenik- sauren Thon und Arseniksand; von ersterem (Natron arsenicosum, zu beziehen aus chemischen Fabriken und von W. Schlüter, Naturalienhändler in Halle a/S). sagt er: „Reisenden ist sehr anzurathen, mit diesem Salze sich zu versehen, indem 11/2 Kgr. davon so viel betragen als etwa 5 Kgr. Arsenikseife und viel leichter aufzuheben geht als letztere.“ A.a. O., S. 27 fl. THIERWELT 529 Ist aber ein Thier zu gross als dass es auf diese Art auf- bewahrt und mitgenommen oder versandt werden könnte, so skelettirt man dasselbe und fügt den Bälgen das gut getrocknete Skelett (mit den Zähnen) bei. Die Skelette und Theile derselben (Schädel) müssen aber besonders verpackt werden, da sie Insekten anlocken können, von denen die Felle zu leiden hätten. — Das Abbalgen der Säugethiere und Vögel betreffend, geben wir nachstehend die einschlägige Anleitung in Martins Taxi- dermie (a. a. O., S. 73 ff.). „Diese noch ziemlich umfang- reiche Beschäftigung des Sammlers lässt man entweder gleich nach dem Tode des Thieres, wenn solches noch warm, oder nach überschrittener Todtenstarre eintreten. Grosse Süugethiere legt man auf den Rücken, schneidet unter Schonung der Bauchmuskeln vom After aufwärts über Bauch und Brust zur Brustspitze und von dieser den Hals entlang bis an’s Kinn, so dass dieser Schnitt die Haut gänzlich breit legen lässt. Hierauf werden die Beine an ihrer hinteren Seite, von den Sohlen oder Hufen in der Scheitelung der Haare aufwärts, ebenfalls aufgeschnitten. An den Vorderbeinen lasse man diesen Schnitt über die Ellenbogen hinweg nach der Armhöhle und von dieser nach dem grossen Längsschnitt auf der Brust einfach verlaufen. Bei den Hinterbeinen wird der Schnitt über die Achilles- sehnen (Hessen) hinweg entweder nach dem After zu oder zwischen diesem und dem Bauch in den Hauptschnitt ein- Ich mache darauf aufmerksam, dass diese Auf- ‚ wenn sie mehr nach der inneren Seite der Beine geführt wurden, sehr schwierig zuzunähen sind und stets vielmehr in das Auge fallen als an der hinteren Kante, wo ie Scheitelung der Haare sie leichter verdeckt. Hodensäcke mgehe man mit dem Schnitt, indem solche beim Ausstopfen immer einige Schwierigkeiten verursachen und schlecht aus- ehen, wenn sie getheilt wurden. Ausserdem ist auch der Schwanz vom After aus bis zu seiner Spitze aufzuschneiden. Ist solchergestalt die ganze Thierhaut aufgeschnitten, ;o kann das Abstreifen beginnen, indem man an den Füssen ınfangend die Haut löst und vorn an den Hufen, Sohlen »der Händen die Gelenksbänder durchschneidet, wodurch die Jaut von den Beinen frei wird. Sind alle vier Beine durch 34 530 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Abbalgen entblösst, so kommt der Rumpf an die Reihe u wird der Kopf vom Halse getrennt, worauf die Haut vo Kadaver entfernt werden kann. Ist dieses geschehen, so wird der Kopf abgebalgt, w, namentlich an den Augen mit grosser Vorsicht gescheh muss, da ohne dieselbe die Augenlider leicht sehr ärgerliche ' und entstellende Schnitte erhalten können. Ebenso sei man vorsichtig beim Ablösen des Schädels von der Nase, da au hier leicht unangenehme Einschnitte vorkommen können. Hatte das Thier Hörner, so muss man vom Nacken einen Schnitt bis zwischen die Hörner und von da aus jedes Horn herum schneiden, durch welchen Gabelschn hindurch der Schädel herauszunehmen ist. Wenn dies geschehen, balge man die Ohren ab, was bei der Verdopp lung der Haut an ihnen durchaus nothwendig wird, we anders sie nicht faul werden sollen. Man hilft dabei seh vortheilhaft mit einem stumpfen Meisel oder dgl. und er so eine hohle Tasche, die später gut gesalzen wird. Ausse dem müssen die Lippen und die Nasenknorpel dünner schnitten werden, da es sonst sehr riskant ist, dass die Theile gehörig vom Salze durchdrungen werden können. Elephanten, Nashörner, Flusspferde und noch mane andere Thiere sind wegen ihrer Grösse und ihres kolossal Gewichtes für viele Reisende wahre „noli me tangere“. N dem bisher üblichen Sammelsystem war es auch in der Th unmöglich, der Häute solcher Ungeheuer in auch nur eini massen genügender Weise habhaft zu werden. Nach d von mir vorgeschlagenen Weise wird die Haut solcher @ schöpfe noch auf dem frisch erlegten Thiere in passend | grosse Stücke geschnitten. Fast jedes grosse Thier besi natürliche Hautfalten, welche benutzt werden können, un die Haut nach ihnen zerlegen zu können. Das indisch Rhinoceros z. B. ist für solchen Zweck wie geschaffen uı braucht nur nach seinen Schildern aufgeschnitten zu werden Ist die Haut nicht allzu dick und ist sie fettlos kann sie nach kurzem Auswässern eingesalzen werden. man es mit fetten Häuten zu thun, so müssen sie vor Einsalzen von ihrem Fette durch Abkratzen desselben geeigneten Instrumenten möglichst vollständig befreit werde Ist die Haut aber ausserdem noch sehr dick, so wird THIERWELT 531 zur Nothwendigkeit, sie mit einem Gerbemesser dünner zu schneiden, wozu aber Eile und grosse Vorsicht gehören. Kleine Säugethiere werden insofern abweichend von den ‚grossen abgebalgt, als man bei ihnen in der Regel die Beine und den Schwanz nicht aufschneidet, sondern dieselben her- auszieht. Thut man dieses, so müssen die Sohlen dennoch aufgeschnitten werden, um die Hände, Tatzen u. s. w. zu entfleischen. Ingleichen vergesse man niemals, jeden einzelnen Finger oder Zehe an der Spitze mit einem kleinen Einschnitt zu versehen und ferner den ausgezogenen Schwanz an der Spitze zu durchstechen, sowie einen kleinen Schnitt oder Nadelstiche an die Ohrspitzen zu machen. Diese Vorsicht ist überall da gut, wo Verdoppelungen der Haut sind, in welchen sich leicht das freigewordene Wasser der Haut an- sammelt und Faulstellen veranlassen kann, wodurch natür- lich die Haare ausgehen. Alles Uebrige geschieht in der- selben Weise wie bei der Behandlung grosser Säugethiere. Vögel sind ihres Gefieders wegen bedeutend schwieriger abzubalgen als Säugethiere, und wenn Blut in die Federn gedrungen, so ist solches ebenfalls viel mühsamer aus ihnen zu entfernen als aus den Haaren. Das Blut geschossener Vögel vor dem Abbalgen auszuwaschen, wie Viele thun, ist nicht zweckmässig, weil gerade durch das Abbalgen aus der Wunde, selbst wenn sie gut verstopft worden, häufig neues Blut dringt und Alles wieder gewaschen werden muss. Deshalb ist es hier wie bei allen Thieren gut, das Waschen erst nach dem Abbalgen vorzunehmen, weil dadurch jedes Nachbluten unmöglich wird und man im Stande ist, die ut auch von innen blutrein zu machen. Eine der wichtigsten Proceduren an einem todten Vogel ist aber das Verstopfen der Speiseröhre vor dem Abbalgen, weil durch dieselbe nicht selten der Magensaft sich in solcher Menge ergiesst, dass nach dem Abbalgen Kopf und Hals oft anz schmutzig davon werden. Um solches, zugleich aber uch die schnell eintretende Fäulniss der Epidermis dieser Theile zu verhindern, stopfe ich jedem Vogel, sowie er in eine Hände kommt, durch den geöffneten Rachen trockene Sägespäne ein. — Noch besser thut man, wenn man schon uf der Jagd, gleich nach dem Schuss, den Vögeln den Schlund verstopft, wodurch sich dieselben ungleich länger 532 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN frisch erhalten lassen. Es kann dies geschehen mit Lösch- papier, Werg etc. und mit trockenem Sand oder Erde. Vögeln mit kurzem und dickem Schnabel ziehe man vor dem Abbalgen einen Faden durch die Nasenlöcher, da dieser beim Umkehren des Kopfes und später grosse Erleichterungen gewährt und sehr zur Schonung des Gefieders beiträgt. Was nun die Zeit des Abbalgens betrifft, so bin ich stets dafür, es so zeitig als möglich vorzunehmen, weil jede gewonnene Zeit zugleich ein Vorsprung gegen die Fäulniss ist. Kann man es haben, so balge man auch die Vögel‘ noch warm ab, was die Arbeit sehr beschleunigt; im anderen ' Falle suche man dies gleich nach beendigter Todtenstarre zu thun. Wenn man aber nicht Zeit hat, dieses abzuwarten, so kann man durch gewaltsames Biegen und Recken das betreffende Thier für de Präparation efubık machen. Vor zwei Lieblingsmanieren beim Aufschneiden der Vögel muss ich dringend warnen; es sind dies der von den Fran-. zosen eingeführte Schnitt am Bauche der Vögel und der in Süddeutschland beliebte Aufschnitt unter einem Flügel. Alle‘ ! N Ir Land- und Sumpfvögel ohne Ausnahme schneide man längs dem Brustbeine auf, wo dieselben eine federlose Stelle (Rain) zeigen und die sich darüber kreuzenden Deckfedern seit- wärts abgebogen werden. Ist der Schnitt erfolgt, so löse { N man die Haut vom Körper mittels Finger und Messer los, was leicht geht. Hierbei ist aber sehr auf die Reinhaltung des Gefieders zu achten, was Anfängern viele Mühe macht und bei essbaren Kadavern mittels Zwischenlagern von Papier, Blättern ete., sonst aber durch Aufstreuen von Sägemehl, ' Moos etc. und im Nothfall Sand u. dgl. geschieht. — Hat man die Haut von den Brustmuskeln abgelöst, so suche man den Hals sammt Luftröhre und Schlund etwas heraus zuziehen, damit sie zusammen mit einer Scheere und bei grossen Vögeln mit einer Kneifzange abgetrennt werden können. Hat man Gelegenheit, so hänge man den Vogel an einer Schnur mit daran befestigten Drahtliaken so auf, dass der Haken unter dem Gabelbein ins Muskelfleisch gestossen wird. — Solches Aufhängen der Vögel (und selbst der meisten | Säugethiere) erleichtert die Arbeit sehr, indem man immer beide Hände frei hat, und nur bei kleinen Vögeln und kleinen = THIERWELT 533 Säugethieren ist deren Halten mit der linken Hand fast vorzuziehen. Nachdem also der Hals durchschnitten und die Haut behutsam abwärts gezogen worden, sind die Flügel im Achselgelenk abzutrennen und wird die Haut, namentlich am Rücken, mit Vorsicht bis an die Schenkel abwärts ge- streift, wonach die Beine im Kniegelenk durchschnitten werden, worunter aber nicht das fälschlich so benannte Fersengelenk zu verstehen ist. Ist dieses geschehen, so kommt die Bauch- partie an die Reihe, wobei man wieder recht Acht zu geben hat, dass man das Bauchfell nicht verletzt, und ist man bis zum After gekommen, so durchschneide man auf der Rücken- seite oberhalb zweier runder Körper (den Bürzeldrüsen) die Schwanzwirbel und zuletzt den After, nachdem man den Körper abgehakt und waagrecht hingelegt hat. Diese Vor- sicht ist höchst nöthig, indem viele Vögel, namentlich Raub-, Sumpf- und Wasservögel, ihre flüssigen Exkremente beim Durchschneiden des Afters auslaufen lassen, was schwierig auszuwaschen ist. — Schneidet man die Schwanzwurzel zu tief ab, so fallen die Federn aus, weshalb man lieber etwas höher durchschneidet und das sitzengebliebene Fleisch mit einem stumpfen Messer von der Haut abschält. Natür- lich haben alle die Operationen unter möglichster Fern- jaltung des Gefieders und häufigerem Aufstreuen von Säge- mehl ete. auf die blosse Haut zu geschehen, was doppelt nothwendig, wenn der Vogel fett ist. Hierauf werden Hals und Kopf abgebalgt, indem man Gurgel und Schlund nebst dem Hals fasst und die Haut egen den Kopf rückwärts streift, bis dieser auch allmälig zum Vorschein kommt. Ist man an die Ohren gekommen, so sind die Ohrhäute, welche sich beutelartig in das Ohr insenken, mittels eines Pfriemens oder stumpfen Messers eitlich zu unterstechen und durch Aufsetzen des Daumens erauszuheben. Diese Vorsicht ist deshalb nöthig, weil sonst as Ohrloch der Haut blossgelegt und durch dasselbe das räservativ hindurchdringen und das Gefieder verunreinigen ürde. Nach den Ohren kommen die Augen zum Vorschein, vo man die Nickhaut behutsam durchschneidet und den \ugapfel vorsichtig heraushebt. — Bei den Eulenarten rathe ch den Augapfel fest sitzen zu lassen, mit einer Scheere ie Hornhaut abzuscheiden und durch dieses Loch das Auge 534 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN zu entleeren. Man hat durch dieses Verfahren den grossen Vortheil, ‘die sonst so schwierige Physiognomie des Eulen- ' kopfes leichter und sicherer zu erzielen. — Die meisten Schwimmvögel, viele Sumpfvögel und Spechte müssen wegen zu dicken Kopfes, welcher durch den meist sehr engen Hals nicht hindurchgeht, entweder am Hinterkopf oder an der Gurgel aufgeschnitten und abgebalgt werden, wobei letzterer Aufschnitt meist ‚vorzuziehen ist. Ist der Kopf bis über die Augen abgebalgt, so erweitert man den Zugang zur Schädelhöhle durch Vergrösserung des Hinterhauptloches nach dem Gaumen zu, um das Hirn her- ausnehmen zu können. — Kommt die Haut in Flüssig- keit, so wird der Kopf einfach zurückgestreift; wird sie aber zu Balg gemacht, so muss die Kopfhaut gut mit Aı- senikthon vergiftet werden und sind die Augäpfel durch eingelegte Werg- oder Baumwollkugeln zu ersetzen, und thut man gut, auf die Wangen auch einige Fasern aufzu- legen. Das Zurückstreifen der Haut über den Kopf ist oft ein mühsames Geschäft und erfordert vor allen Dingen ruhige Behandlung durch langsames Vorrücken, wobei der Faden durch die Nasenlöcher von wesentlicher Bedeutung und die Sache sehr erleichtern hilft. Ist der Kopf zurückgestreift, so ist das Ordnen des Kopfgefieders das erste Geschäft, was durch leichtes Rückwärts- und Vorwärtsbürsten der Federn, unter richtiger Beobachtung der Lage der Haut an ihre ursprüngliche Stelle, geschehen muss. Ich rathe an, alle Sorgfalt darauf zu verwenden. Nach Beendigung dieses Geschäftes kommen die Flügel an die Reihe, welche man ganz einfach bis ans Handgelenk abstreift, worauf die grossen Schwungfedern grosser Vögel mit einem stumpfen Messer von den Armknochen abgestossen und die Muskeln abgeschnitten werden. Sind die Armknochen gereinigt, so wird für den Balg die Flügelhaut gut vergiftet und der Flügel zurückgestreift. Ausserdem muss zuletzt aber das Handgelenk der Flügel aller Vögel von Rabengrösse an äusserlich aufgeschnitten, entfleischt und vergiftet werden, was ferner noch an den Wurzeln der grossen Handschwingen, nach Aufheben der kleineren Deckfedern, nothwendig ge- schehen muss. Nach den Flügeln folgen die Beine, wo die Eigenthümlichkeit vorkommt, dass sie nur so weit abgebalgt ® THIERWELT 535 werden können, als sie mit Federn -bewachsen sind. Des- halb lassen sich die Beine der Steinadler und Eulen bis an die Fusswurzeln abstreifen und vergiften, während dies bei allen anderen Vögeln im Fersengelenk aufhört. Bei allen kleinen Vögeln hat man das Tarsenbein an der hinteren Seite in seiner ganzen Länge mit einem entsprechenden Draht zu durchstechen und nach Entfernung des Drahtes einen Tropfen arseniksaures Natron hineinzubringen. Diese kleine Vorsicht, die man guten Bälgen schuldig ist, belohnt sich doppelt und zwar durch Erhaltung der Schilder beim spä- teren Aufstellen und durch den Schutz gegen Insektenfrass. Bei grösseren Vögeln, wie kleinen Raubvögeln, Raben, Tauben, Wasserläufern etc. etc. genügt diese Vorsicht schon nicht mehr und man ist genöthigt, solchen Beinen, nach dem Durchstechen derselben mit Draht, einen Gegenstand einzu- führen, der sie vor dem Zusammenschrumpfen bewahrt. Ein solcher besteht in einer entsprechend langen und starken Schwung- oder Schwanzfeder eines defekten Vogels. Man schneidet die Spitze etwas ab, taucht solche vor dem Ein- schieben in das Gift ein und lässt sie an den Fusssohlen etwas herausragen, damit sie nach einigen Tagen herausge- zogen werden kann. Holz dazu zu nehmen, ist gefährlich, weil es abbrechen kann, es müsste denn Rotang sein. — Noch grössere Beine, wie solche der Geier, vieler Adler, Har- pyen, vieler Sumpfvögel, Trappen, Strausse u. a. müssen nothwendig aufgeschnitten und entfleischt werden, so weit es irgend geht, und dürfen sogar die Zehen nicht vergessen werden. Alsdann vergifte man_sie gut und streue ausser- dem noch ein wenig Alaunpulver hinein. Schwimmhäute und Lappenfüsse sind gleichfalls zu vergiften. Wenn so der ganze Vogel entfleischt ist, wird die innere Haut, falls sie kein Fett besitzt, mit Arsenikthon gut aus- gestrichen, zusammengeklappt und einige Stunden oder einen Tag lang an einem schattigen Ort ruhig liegen gelassen. Besitzt aber die Haut Fett, so muss dieses entfernt werden, wie bei den fetten Säugethierhäuten. Kommt eine Haut in Weingeist oder Alaun, so fällt natürlich alle Behandlung mit Arsenik weg.“ Sendungen lebender Thiere. Reisenden, welche in der Lage sind, sich lebende Thiere zu verschaffen und die- 536 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN selben heimzusenden, ist dringend anzuempfehlen, dass sie dies nicht unterlassen. Die kleinen Vierfüsser bekommt man unschwer von Ein- gebornen, welche deren Aufenthaltsorte kennen und Thiere zu fangen wissen. Man braucht ihnen nur zu sagen, dass man die Thiere lebend haben wolle. Namentlich kann man durch sie leicht ganz junge Thiere solcher Arten (Säuger und Vögel) erhalten, deren Verstecke und Nester sie kennen. Die Jungen gewöhnen sich im Allgemeinen leicht an das Leben in der Gefangenschaft, im Käfig. Anfänglich erfordern sie viele Mühe und Sorgfalt; man darf sie nicht einschiffen, bevor man sie einige Wochen auf dem Lande gefangen ge- haiten, gefüttert und möglichst gezähmt hat. In dieser Hinsicht darf man sich die Mühe nicht reuen lassen. Ein Thier, welches beim Anblick der Personen, von denen es gepflegt wird, nicht erschrickt, befindet sich immer viel besser und erträgt die Strapazen eines Transportes zur See weit leichter als ein solches, das wild und scheu ist; auch gibt es fast kein Thier, das nicht durch gute Behandlung mehr oder minder zahm gemacht werden könnte. Gefangene Thiere, welchen die gewohnte freie Bewegung fehlt, dürfen ja nicht zu reichlich gefüttert werden. Das erste Erforderniss und das beste Mittel, sie am Leben zu erhalten, besteht darin, dass man ihnen nur die nothwendige Nahrung gibt. Das zweite Erforderniss ist Reinlichkeit. Man wird auf dem betreffenden Schiffe sicherlich Jemanden finden, welcher die Pflege der Thiere gegen eine kleine Ent- schädigung oder, aus Interesse an der Sache, auch sonst übernimmt. Hiebei ist namentlich auch dafür zu sorgen, dass die Thiere nicht durch Passagiere gereizt werden. Ebenso ist zu empfehlen, dass man jedem Thiere eine be- sondere Abtheilung im Käfig gebe. Die körner-, frucht- und fleischfressenden Vögel sind im Allgemeinen leicht zu ernähren und verursachen wenig Mühe an Bord des Schiffes; wir empfehlen sie desshalb der Auf- merksamkeit des Sammlers ganz besonders. Alljährlich ge- langen deren durch den Handel vom Senegal aus Tausende nach Europa, und es wäre sehr interessant, solche ebenfalls zu bekommen von andern Theilen der afrikanischen Küste, sowie von ostindischen und australischen Inseln, China und | | Ki an u Fu THIERWELT 537 Japan etc. Die verschiedenen Fasanen und andere Hühner- arten, Tauben und Papageien gehören zu den interessantesten Vögeln eines jeden zoologischen Gartens. Zumeist sind auch die Kommandanten staatlicher Schiffe gerne bereit zur Ueber- nahme von derartigen Sendungen für die Unterrichtsmini- sterien, und die Verwaltungen zoologischer Gärten vergüten gerne die geringen Kosten, welche dabei entstehen. Die nicht giftigen Reptilien wie Schildkröten, Krokodile, Eidechsen und die meisten Schlangen sind noch leichter zu transportiren als die erwähnten Vögel. DAS VOLK.. BEVÖLKERUNGSSTATISTIK. Gesammtzahl. Der Reisende soll wenigstens approxi- mativ die Gesammtzahl der Bewohner eines von ihm besuci x Landes angeben können. In Er manglung 9 amtlicher Volkszählungen ist es allerdings E nicht leicht, auch nur annähernd richtig zu bestimmen, wie viele Bewöhner eine Gegend hat. Man muss das aber doch versuchen, und zwar nach zwei Methoden, wobei das Eı- gebniss der einen zur Kontrole oder Probe für die Richtigkeit des andern dienen und aus beiden Resultaten ein Mittelwerth erhalten werden kann, der jedenfalls der Wahrheit nähe kommt als die Zahl, welche man blos nach der einen 7 bekommen hätte. Die erste Methode ist die Schätzung de visu, d.h. nach direkter Beobachtung. Beim blossen An- und Ueberblick einer Gegend sieht man bald, in welchem Maasse dieselbe als öde oder als bevölkert gelten kann. Der gänzliche Mangel an menschlichen Woh- nungen einerseits, eine mehr oder minder grosse Zahl von Häusern, Dörfern En andererseits; Art und Grad der Boden- kultur; die grössere oder Berner Lebhaftigkeit des Ver- kehrs in den Ortschaften, auf den Strassen und Märkt eine mehr oder minder starke Frequenz von Festen: di und andere Faktoren sind ebensoviele Anhaltspunkte zu einer ersten approximativen Beurtheilung der Volkszahl eines Landes- theiles. Indessen sind das allerdings blos Indizien, die kein absolut sicheres Urtheil ermöglichen; denn es gibt einerseits” BEVÖLKERUNGSSTATISTIK 539 Bevölkerungen von sehr häuslichem Sinne, die wenig in Zirkulation sind, und andererseits solche, die sich fast fort- während in Bewegung und Wanderung befinden, so dass wenn auch die Volkszahl in beiden Fällen ziemlich gleich wäre, doch der Eindruck, welchen der Reisende empfängt, ein ganz verschiedener sein müsste. Man muss also die Sache genauer untersuchen. Zu dem Ende wählt man eine Lokalität, welche die mittlere Bevöl- kerungsdichtigkeit am besten zu repräsentiren scheint, zählt die Wohnungen auf einem gewissen Areal, z.B. einem Quadrat- kilometer, und bestimmt die Zahl der Bewohner einer solchen nach einem Mittelwerth, so gut als dies möglich ist. Die auf diese Weise für einen Quadratkilometer erhaltene Seelen- zahl multiplizirt man mit dem Flächeninhalt des Landes und bekommt so ungefähr die Gesammtzahl der Bevölkerung. Hiebei darf nicht übersehen werden, dass es Ortschaften gibt, die zu gewissen Zeiten des Jahres von ihren Bewohnern verlassen sind, so z. B. wenn die Heerden auf entfernte Weiden getrieben werden müssen, in Zeiten des Fischfangs, der Jagd u. del. Wenn die Bevölkerung sehr ungleich über das Land vertheilt ist, so unterscheidet man hienach in demselben ver- schiedene Gebiete und sucht die Volkszahl eines jeden der- selben separat zu ermitteln. Man kann auch zunächst die Bewohnerzahl derjenigen Ortschaften schätzen, in welchen ein grosser Theil der Bevöl- kerung konzentrirt ist (Bevölkerungszentren: Städte, Flecken, Dörfer; — Lagerplätze bei Wilden) und nachher ein Mittel nehmen für den Rest des Territoriums. Die zweite Methode besteht im Einziehen von Erkundi- gungen, beziehungsweise von Angaben, die nach allgemeinem Urtheil als offenkundige Thatsachen (notorisch) gelten. Zu dem Ende fragt man Häupter der Stämme und andere Eingeborne, von welchen zufolge ihrer Stellung, Erfahrung, Sach- und Menschenkenntniss vorausgesetzt werden kann, dass sie am besten im Stande seien, zutreffende Angaben zu machen. Um den Erhebungen möglichste Zuverlässigkeit zu geben, wendet man sich hinsichtlich einer jeden derselben an verschiedene Personen, so dass man für eine Angabe mehr als eine Quelle hat. 540 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Durch diese Erkundigungen lernt man freilich mitunter nicht direkt die Gesammtzahl der Bevölkerung kennen, sondern diejenige der Haushaltungen, Familien, Zelte, Steuerpflichtigen oder Wehrfähigen. Bei den Kirgisen z. B. wird nach „Zelten“ gerechnet, bei den nordamerikanischen Indianern nach der Zahl der „Krieger“ eines Stammes; die Kabylen geben die Bevölkerung eines Dorfes nach der Zahl seiner „Gewehre“ an, d. h. sie zählen nur die Männer, welche fähig sind, die Waffen zu tragen. In allen diesen Fällen muss der Reisende ermitteln, welchen Werth eine solche Einheit hat. Er wird z. B. durch Vergleichung finden, dass durchschnittlich auf eine Haushaltung oder ein Zelt 5 Personen kommen, auf eine Familie 3, auf ein Gewehr 4 u.s.f. Der Ansatz für die Einheit wechselt natürlich je nach den Lokalitäten; die Haushaltungen und Familien sind namentlich verschieden nach der Zahl von Weibern und Kindern; auf ein Zelt kommt hier eine kleinere, dort eine grössere Durchschnittszahl; der Zifferwerth, den „ein Gewehr“ repräsentirt, hängt unter Anderm davon ab, in welchem Alter die Angehörigen eines Stammes anfangen und aufhören, die Waffen zu tragen. Wenn amtliche Volkszählungen existiren, ist die Aufgabe leichter, oft aber auch delikater. Wir haben bereits (S. 163) von den Fehlern gesprochen, welche mitunter solchen Daten anhaften, und erinnern hier daran, um dem Reisenden zu empfehlen, dass er nicht alle diese Zahlen ohne Vorbehalt acceptire, sondern sich damit bekannt mache, wodurch diese Erhebungen veranlasst und wie sie bei der Bevölkerung auf- genommen wurden. Wenn man weiss, ob und welche Gründe einerseits zu hohe, andererseits zu niedrige Angaben — Ueber- treibungen und Verheimlichungen — veranlassen konnten, so wird man auch darnach einigermassen den Werth der Zahlen bemessen können. Ausserdem fällt in Betracht, welche Mittel angewendet wurden und in welchem Grade den mit der Zählung beauftragten Personen Vertrauen zu schenken ist. Im Allgemeinen kann man nur die Zählungsresultate der zivilisirtesten Staaten als unbedingt glaubwürdig betrachten; die anderen sind kaum mehr als Näherungswerthe und oft auf blosse Annahmen basirt. Immerhin wird man sich die bestehenden Daten zu verschaffen suchen, aber aus erster Hand, d.h. aus den amtlichen Aktenstücken, nicht aus BEVÖLKERUNGSSTATISTIK 541 Reproduktionen und Auszügen, welche fehlerhaft und un- vollständig sein können. Es ist rathsam, bei Angaben über die gesammte Volks- zahl wenigstens zwei Gruppen derselben zu unterscheiden: die sesshafte und die flottante Bevölkerung. Die sesshafte oder ansässige Bevölkerung einer Ortschaft oder Gegend um- fasst die Personen, welche wohnhaft, d. h. für eine längere Zeit, auf eine gewisse Dauer, niedergelassen sind: Grund- besitzer, Industrielle, Handwerker und andere Gewerbsleute, Beamte und Angestellte, Arbeiter, Gesellen, Lehrlinge, Dienst- boten u. dgl. Die /lottante Bevölkerung besteht aus den Per- sonen, welche sich nur zufällig und für kürzere Zeit in der Ortschaft oder Gegend aufhalten, wie Reisende, Touristen, Künstler u. a. m. Es soll bemerkt werden, ob und wie man hiebei die Mannschaft von Truppentheilen und Schiffen, Post- und Eisen- bahnangestellte, Zöglinge von Spezialschulen, die Insassen von Heilanstalten und Gefängnissen etc. mitgerechnet hat, in welcher Zahl und zu welcher der zwei Gruppen. Die Gesammtheit der Personen, welche sich an einem Orte im Momente der Zählung befinden, macht die orts- amwesende oder faktische Bevölkerung desselben aus; scheidet man hievon die nur zeitweilig oder vorübergehend Anwesenden (Durchreisende und Gäste) aus und rechnet man statt der- selben die vorübergehenden Abwesenden hinzu, so erhält man die Wohn- oder politische Bevölkerung. Es ist klar, dass die Personen, welche an einem Orte als „vorübergehend ab- wesend“ notirt werden, anderorts in die Kategorie „vor- übergehend Anwesende“ (Durchreisende und Gäste) kommen, wenn die Volkszählung in einem grossen Gebiete gleichzeitig und nach den nämlichen Grundsätzen erfolgt. Elemente der Bevölkerung. Es ist anzugeben, welches die Zusammensetzung der gesammten Volks- oder Einwohner- zahl nach den einzelnen Bestandtheilen ist. Solche Bestand- theile oder Elemente der Bevölkerung können nach mehreren Gesichtspunkten unterschieden und gebildet werden: man kann das Volk eintheilen nach Geschlecht und Alter (männlich und weiblich, Kinder und Erwachsene: Knaben und Mädchen, Männer und Frauen), nach Rassen und Sprachen, ferner — was namentlich in Kolonien von Wichtigkeit ist — nach 542 - BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Einheimischen (Eingebornen) und Fremden mit Unterabthei- lungen der Letzteren nach ihrer Nationalität, sodann nac Religionen und Konfessionen, in Gegenden mit Truppen auch nach Zivil umd Militär. . kerungsverhältnisse eines Landes soll zeigen, wie die Bevöl- kerung über das Territorium vertheilt ist. Man gibt die Vertheilung nach natürlichen oder nach den politisch- administrativen Abtheilungen des Landes an, d. h. einerseits nach physischen Abschnitten desselben: Zonen oder Regionen, andrerseits nach den politischen Bezirken, Provinzen ete., wobei man in jeder dieser Abtheilungen wieder unterscheidet zwischen der städtischen Bevölkerung, d. h. derjenigen der Be völkerungszentren, und der Zandbevölkerung, d. h. derjenigen welche nicht wie jene in einige grosse Ortschaften zusammen gedrängt ist, sondern in gleichmässigerer Vertheilung über‘ die Landschaft, mehr vereinzelt, die Gegend bewohnt. 4 Die räumliche Vertheilung nach Rassen, Sprachen, Kon- fessionen wird am zweckmässigsten kartographisch dargestellt durch verschiedene Signaturen und Farben, wie die neben- stehende Taf. XXII zeigt. Dichtigkeit der Bevölkerung. Die Devölkerungsdich- tigkeit oder relative Bevölkerung ist das Verhältniss zwischen der Einwohnerzahl (absoluten Bevölkerung) eines Landes und seinem Areal. Man bezeichnet dasselbe in approximativer Weise durch Ausdrücke wie „schwach oder dünn bevölkert, mässig bevölkert, stark oder dicht bewohnt“ u. del., oder aber ganz genau durch Angabe der auf eine Flächeneinheit (Quadratkilometer) entfallenden Einwohnerzahl. Da die Bevölkerungsdichtigkeit zumeist in den ver- schiedenen Theilen eines Landes sehr ungleich ist, sind hierüber speziellere Mittheilungen zu machen. Man gibt also nicht nur die durchschnittliche Volksdichtigkeit des ganzen Landes an, sondern auch diejenige seiner einzelnen Abtheilungen, und fügt diesen Mittelzahlen unter Umständen noch Grenzwerthe (Minima und Maxima) bei. Auch diese Verhältnisse werden am besten veranschaulicht durch kartographische Darstellungen, wobei ein höherer Grad der Bevölkerungsdichtigkeit durch einen dunkleren Farbenton bezeichnet wird. Als Beispiel für eine solche Darstellung‘ Sprachenkarte der Schweiz. Französisch Jtalienisch \ s __|Rhato-Romanisch “ Mafsstab 1:3500000 Wurster, RandesgeraC’* Winterthur Religionskarte der Schweiz. er yn e-a ost qn FR tofty Oo aad JOUNOMULT (euoguey op my USTyezRm m) ZIIMH)S op LEDIOLLEDIASMTOA ln ur ver \ BEVÖLKERUNGSSTATISTIK 545 auf Grund der politischen Eintheilung eines Landes, nach der mittleren Volksdichtigkeit dieser verschiedenen Gebiete, geben wir die Taf. XXIII; für die andere Art der Dar- stellung, diejenige nach natürlichen Zonen oder Regionen, verweisen wir auf die Karten zu Dehm und Wagner, die Bevölkerung der Erde, II. (Ergänzungsheft Nr. 35 zu Peter- mann’s geographischen Mittheilungen; Gotha 1874.) Statistik der Stände und Berufsarten. Wenn man sich genügende Angaben verschaffen kann, so erstellt man auch eine Statistik: der Kasten, wo die Gesellschaft noch in solche von und gegen einander sich scharf abgrenzende Klassen getrennt ist; der Stände, wo zwischen den Klassen der Gesellschaft zwar nicht die grellen Gegensätze und stabilen Grenzen wie bei den Kasten, aber doch noch deutlich ausgesprochene Unterschiede existiren, welche Namen auch die einzelnen Klassen tragen: Herren und Diener oder Sklaven; Lehens- herren und Vasallen; Adel, Geistlichkeit, Bürgerstand u. s. w.; der Berufsarten oder Professionen, wo Klassen der Gesell- schaft kaum in anderer Weise unterschieden werden können als nach der Beschäftigung der Einzelnen. Eine Statistik dieser Art ist leicht zu erstellen für wenig zivilisirte Länder, wo der grössere Theil des Volkes aus Jägern und Fischern besteht; unschwer auch noch für Gebiete, deren Bevölkerung überwiegend von Hirten und Ackersleuten gebildet wird; schwer aber für Länder mit grösserer Zivilisation und Ar- beitstheilung, und zwar um so schwerer, je weiter diese Kulturentwicklung gediehen ist, je zahlreicher mit der fort- geschrittenen Arbeitstheilung die Derufsarten (Urproduktionen, Gewerbe, Handel u. s. w.) geworden sind und je manigfaltiger sich innerhalb derselben die Unterschiede zwischen Klein- und Grossbetrieb (bei Gewerben durch Hand- und Maschinen- arbeit) und selbstständigem oder dienstweisem Betriebe derselben (auf eigene Rechnung oder im Lohne Anderer) gestalten. Altersstatistik. Wenn nicht eingehende und genaue amtliche Aufnahmen existiren, kann eine Gruppirung der Be- völkerung nach Altersklassen nur in höchst approximativer Weise vorgenommen werden, indem man etwa angibt, ob die Zahl der Greise und ebenso diejenige der Kinder relativ 544 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN gross oder klein und welches etwa das Zahlenverhältniss der drei Abtheilungen ist, die man hienach unterscheidet. Nur auf Grund sehr vollständigen und genauen Materials kann man soweit gehen, dass man eine grössere Zahl von Alters- klassen, von 10 zu 10 oder von 5 zu 5 Jahren mit Unter- abtheilung nach den Geschlechtern, aufstellt. Dass der Rei- sende von sich aus eine solche Aufnahme mache, daran ist gar nicht zu denken; denn bei den wilden und halbzivili- sirten Völkerschaften können die Individuen ihr Alter nicht genau, sondern nur annähernd bezeichnen; höchstens von den jüngeren Kindern wissen sie die Zahl der Jahre anzu- geben. Man kann aber das Alter auch nicht nach dem Aus- sehen der Leute abschätzen; denn die Männer altern oft ungewöhnlich rasch in kümmerlicher und schwerer Existenz, die Frauen vorzeitig in gewissen Klimaten bei frühem Hei- rathen, Entbehrungen und schlechter Behandlung. Standes- oder Zivilstands-Statistik. Es sollte, wenn es auch nur in approximativer Weise möglich wäre, ange- geben werden, in welchem Zahlenverhältniss (Prozentsatz) folgende Kategorien vertreten sind: Ve \ Zusammenlebende. | Geschiedene oder Getrenntlebende. Verwittwete (Wittwer und Wittwen). \ Junggesellen. ! Jungfrauen. Zu dem Ende zieht man bei Stammeshäuptlingen, Dorf- ältesten etc. Erkundigungen ein, aus welchen man approxi- mative Verhältnisszahlen berechnet. | Existiren amtliche Volkszählungen mit Angaben hierüber, so braucht man die letzteren nur auszuscheiden und zu rekapituliren. Eheschliessungen, Geburten und Todesfälle. Wenn immer möglich, wird man wenigstens summarische Angaben über diese Zivilstandsfälle nach den drei Kategorien machen. Eine vollständigere ‚statistische Darstellung hätte sich auf folgende Punkte zu beziehen: Jährliche Zahl der Ehen: Total — nach Altersklassen , zwischen Einheimischen — zwischen Einheimischen und Fremden. ‚Ledige [bi BEVÖLKERUNGSSTATISTIK 54 Verhältniss der Ehen zu den Scheidungsfällen. Jährliche Zahl der Geburten: Total!) — männlich — weiblich, Zahl der Zwillinge — Zahl der unehelichen Kinder. Verhältniss zwischen Ehen- und Geburtenzahl. Verhältniss zwischen Einwohner- und Geburtenzahl (Procent- satz der Geburtsfälle). Jährliche Zahl der Todesfälle: Total!) — nach Jahreszeiten — nach dem Geschlecht — nach dem Alter. Verhältniss zwischen Geburts- und Todesfällen. Verhältniss zwischen Einwohnerzahl und Todesfällen (Prozent- satz der letzteren: Sterblichkeit oder Mortalitätsziffer). Mittlere Lebensdauer. Fälle hohen Alters. Todesursachen : gewöhnliche (Alter, Krankheiten etc.), ausserordentliche (Epidemien, Krieg, Hungersnoth ete.). Die erhaltenen Zahlen werden gewöhnlich in tabellarische Form gebracht, wobei die verschiedenen Kolonnen Ueber- schriften tragen, welche die Bedeutung derselben genügend bezeichnen müssen. Die Resultate können aber auch graphisch veranschaulicht werden, z.B. der Gang der Sterblichkeit nach den Jahreszeiten durch eine Kurve, wie dies für den Gang anderer Erscheinungen gezeigt worden ist (vgl. oben S. 411). Bevölkerungsbewegung. Wenn Volkszählungen aus verschiedenen Epochen vorhanden sind, so ist durch Ver- gleichung derselben zu ermitteln, ob eine Vermehrung oder Verminderung, Zu- oder Abnahme der Bevölkerung stattge- funden hat. Es ist dies sehr einfach, wenn die Zählungen in gleichmässiger Weise vorgenommen worden sind. Dies wird aber selten der Fall sein, und dann hat man vorerst zu untersuchen, wodurch sie von einander abweichen, welches die Differenzen sind in ihrer Anordnung, sowie namentlich in der Ausdehnung, welche zu verschiedenen Zeiten einem und demselben Titel oder Begriffe gegeben wurde. Die ver- schiedenen Arrangements sind auf Einen Plan zu reduziren, 1) Es ist anzugeben, ob die Todtgeburten mitinbegriffen sind und welche Ziffer sie bilden. 35 a 546 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN 3 und jede einzelne Kategorie, für welche bald weitere bald engere Grenzen angenommen waren, muss nun einen und den- selben Begriffsumfang erhalten. Wenn z.B. eine ältere Zählung nur Ziffern en bloe für die Gesammtbevölkerung enthält, während spätere zwischen sesshafter und flottanter Bevölkerung unter- scheiden, so sind zum Zwecke der Vergleichung vorerst die letzteren Zahlen wieder in Eine zusammenzufassen; wenn in die eine Zählung Truppen (Garnisonen, einquartirte Mann- schaft ete.) aufgenommen sind, in die andere nicht, so hat man die bezüglichen Zahlen aus der ersten zu beseitigen, damit sie mit der zweiten dieselbe Grundlage erhalte. Sind diese Vorarbeiten gemacht, so können nun die Ver- gleichüngen vorgenommen und Schlüsse gezogen werden. Aus den Berechnungen wird sich ein Mittel (Durchschnitt) der Bevölkerungs-Zu- oder Abnahme ergeben für den ganzen Zeit- raum seit der ersten Volkszählung oder je für die Zeit zwischen zwei aufeinanderfolgenden Zählungen. Womöglich berechnet man die bezüglichen Werthe, positive und negative: Zuwachs und Abnahme für zehn- oder fünfjährige Perioden und drückt dieselben in Prozenten aus. Es zeigt sich hiebei, ob die Bewegung (Zu- oder Abnahme) mehr oder minder gleich- oder ungleichmässig und wann sie am stärksten war. ® Es ist von Werth, die Ursachen dieser Erscheinung kennen zu lernen, namentlich wenn dieselben ausnahmsweise sind. Der Bevölkerungszuwachs kann verursacht sein durch einen Ueberschuss der Geburten über die Todesfälle, eine mehr oder minder starke Einwanderung und bei wilden Stämmen durch Einkauf oder Raub von Sklaven. Die Abnahme kann herrühren von einem Ueberwiegen der Todesfälle über die Ge burten, sei dasselbe normal oder — bei Hungersnoth, Seuchen, Krieg u. s. w. — ausnahmsweise, von Auswanderung (ver einzelter oder massenhafter) und von Menschenhandel (Sklaven- jagden, Negerhandel). — Die Ein- und Auswanderung ist wohl zu unterscheiden von solchen Bewegungen, welche nur in Verschiebung eines Theiles der Bevölkerung innerhalb‘ der Grenzen des Landes oder der Gegend bestehen: dem Zur), strömen der ländlichen Bevölkerung nach den Städten odemenjl; dem zeitweisen Wandern eines Bevölkerungstheiles von ge | wissen Punkten nach bestimmten andern Stellen des Terıi- toriums. Nur die eigentliche Ein- und Auswanderung — EEE GAR 2 EEE EIER RASSEN UND TYPEN 547 als Bewegungen, welche die Grenzen des Landes überschreiten — influiren auf das Total der Einwohnerzahl; jene andern Vorgänge aber, als blos interne Deplacirungen eines Theils des Volkes, modifiziren lediglich die räumliche Vertheilung der Bevölkerung in dem Territorium. RASSEN UND TYPEN. Die ethnischen Charaktere im Allgemeinen. Oft erscheinen die Eingebornen eines Landes auf den ersten Blick einander alle im höchsten Grade ähnlich; aber selten ist eine Bevölkerung durchaus homogen, und bei aufmerksamer Beobachtung wird man bald Differenzen und Nüancen wahr- nehmen, welche die Unterscheidung von zwei oder mehr Gruppen veranlassen. Das Vorherrschen oder ausschliessliche Vorkommen einer solchen Gruppe in gewissen Theilen des Landes, einer andern Gruppe in bestimmten andern Gegenden führt zur Ermittlung der geographischen oder ethnographischen (d. h. rassenweisen) Vertheilung des Volkes in dem Territorium, welche wiederum zweckmässig kartographisch dargestellt wird. Vor Allem aber handelt es sich nun darum, zu bestimmen, wodurch denn die Individuen, die wir beobachten, von andern Rassen und Typen abweichen. Wenn es nicht schwer ist, diese Unterschiede und Abstufungen wahrzunehmen, so ist es dagegen keineswegs leicht, anzugeben, worin sie bestehen, um so weniger, als Eigenthümlichkeiten, die vorab in die Augen fallen, wie die Verschiedenheiten der Hautfärbung, nicht auch die wesentlichsten Merkmale sind. Neben den zunächst hervortretenden Unterschieden der Hautfarbe, der Form des Kopfes (des Schädels und Gesichtes) und des ganzen Körpers (Wuchses), der Haare u. s. w., welche zwischen einem Europäer, einem Neger, dem Kalmüken, Javanesen und neuweltlichen Indianer bestehen, gibt es feinere Nüancen, welche zwar weniger bemerkbar als jene, aber doch in solchem Grade fühlbar werden, dass man weder zwei benachbarte Völker, noch die verschiedenen Bewohner derselben Gegend mit einander verwechselt. Hierauf beruht die Eintheilung des menschlichen Geschlechts in Rassen, Varietäten und Typen, nach Werth und Bedeutung der Merk- male, welche zur Unterscheidung dieser Gruppen dienen. 548 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Eintheilungen in Rassen sind schon mehrfach aufgestellt worden ; leider existiren so viele Systeme als Autoren und bringt fast jedes Jahr eine neue Klassifikation. Die Wissen- schaft hat hier noch lange nicht ihr letztes Wort gesprochen. Deshalb hat man nicht dahin zu streben, die Völkerschaften, welche man kennen lernt, in eine der bestehenden Eintheilungen unterzubringen, sondern sie nach allen Gesichtspunkten zu studiren und zu beschreiben, einerseits das Uebereinstimmende und Aehnliche, andrerseits das Unterscheidende aufzusuchen und hervorzuheben, ohne sich viel darum zu bekümmern, ob die Gruppen, welche man so erhält, den bisherigen Vor- stellungen und Schablonen entsprechen oder nicht. Es gilt das nicht nur für das Studium der Völkerschaften ferner Länder, die noch nicht ethnographisch klassifizirt sind, son- dern auch benachbarter Völker, die für ganz bekannt gehalten werden. Im einen wie im andern Falle soll der Reisende einzig darnach trachten, frei von vorgefassten Meinungen eine gute Charakteristik der Volksstämme zu geben, welche er besuchte. Die Merkmale, wonach das menschliche Geschlecht in Rassen einzutheilen ist, können unterschieden werden in anatomische, physische, physiologische und physiognomische. Mitunter fügt man diesen Kategorien noch andere bei, wie pathologische, intellektuelle, moralische Eigenschaften u. s. w. Die anatomischen Merkmale bestehen in der Bildung und den Dimensionen des Schädels, der Grösse des Gesichtswinkels, dem Vorspringen von Kinn und Backenknochen, der Insertions- weise der Zähne, dem Wuchse oder der Statur, den Dimen- sionen der verschiedenen Theile des Knochengerüstes u. s. w. Als physische Merkmale bezeichnet man die Hautfarbe, Form, Stellung und Farbe der Augen und Haare, reichliche, dürftige oder fehlende Bartbildung etc. Physiologische Merkmale sind diejenigen, welche sich darauf beziehen , wie die Organe funktioniren: auf Differenzen in Blutumlauf, Athmung, Verdauung etc., sowie in der allge- meinen organischen Entwicklung der Individuen. Physiognomische Merkmale sind die Verschiedenheiten in Gesichtsausdruck , Mienenspiel, Gesten, Körperhaltung und Bewegungen. Diese verschiedenen Charaktere haben sehr ungleichen Werth. Offenbar kommt den ersteren die grösste und wesent- RASSEN UND TYPEN 549 lichste Bedeutung zu; gleichwohl sollen die übrigen nicht vernachlässigt werden. Ich habe absichtlich die physiognomischen Merkmale mit- erwähnt, während dieselben in den meisten Klassifikationen der Menschenrassen nicht genannt werden. Die Methode von M. Rochet !) scheint mir sehr verdienstlich, wenn ich auch nicht alle seine Folgerungen acceptire. In der That hat jede Rasse ihre eigenthümliche Physiognomie, desgleichen jeder Typus, den sie enthält, die seinige. Auch handelt es sich hier nicht um zufällige Dinge; denn wenn etwas sich vererbt, so sind es diese Familienähnlichkeiten. Hinwieder habe ich oben die sprachlichen Merkmale un- erwähnt gelassen, auf welche sich einige Klassifikationen gründen, und noch weniger habe ich die Religionsunterschiede u. dgl. berücksichtigen wollen; denn es sind das keine natür- lichen, einer Rasse, einem Volke oder Individuum inhärirenden Charaktere. Die Sprache wird nicht ererbt, sondern erlernt. Aehnlich verhält es sich mit dem Religionsbekenntniss u. dgl.; das sind Dinge, welche der Einzelne sich aneignet. Ein Kind europäischer Abstammung, das unter Wilden aufwächst, wird die Sprache dieser Wilden sprechen, ihren Glauben und ihre Gewohnheiten annehmen, wie ebenso ein Negerkind, das ganz jung zu Weissen kommt, deren Sprache und Denkweise sich aneignet, so dass in beiden Fällen die Abstammung nur an den anatomischen, physischen, physiologischen und physiognomischen Merkmalen erkannt werden kann. Von den Völkern gilt dasselbe wie von den Individuen. Es fehlt ja nicht an Beispielen, dass ganze Völker eine andere Sprache und Religion, damit aber auch ganz andere Sitten ange- nommen haben. Auch braucht man nur die Bevölkerung eines Landes nach Sprache und Religion zu klassifiziren, um sofort zu sehen, dass man hiebei Abtheilungen erhält, welche mit den auf die körperlichen Merkmale gegründeten selten übereinstimmen. Völker, welche ihrer Abstammung nach sehr verschieden sind, haben oft dieselbe Religion und Sprache, und umgekehrt finden wir bei Angehörigen einer und derselben Rasse ganz verschiedene Sprachen und Religionssysteme. Es mag in ersterer Hinsicht nur daran 1) Bases de la classification ethnographique, par M, Rochet, Paris 1876. 550 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN erinnert werden, dass in Asien und Afrika Volksstämme verschiedener Rassen die arabische Sprache und die muhame- danische Religion angenommen haben; ein Beispiel für den zweiten Fall aber bieten die verschiedenen Zweige der bas- kischen Rasse, wovon die Einen das Französische, Andere das Escuara und noch Andere das Spanische sprechen; ferner gewisse afrikanische Völkerschaften, von denen je ein Theil zum Christenthum, ein anderer zum Muhamedanismus sich bekennt, während ein dritter noch dem Fetischdienst anhänst. Hiemit soll nicht behauptet werden, dass den Eigenthüm- lichkeiten in Sprache, Religion u. s. w. für den Zweck, welchen wir im Auge haben, gar keine Bedeutung zukomme; aber zwischen diesen und den früher genannten Eigenschaften besteht ein wesentlicher Unterschied. Die letzteren sind an- geboren; sie zu erwerben oder zu verlieren, ist nicht Sache von Willensakten, und wenn wirklich — was noch nicht sicher ist — an solchen Eigenschaften eine Rasse, welche dieselben sonst nicht besitzt, im Verlaufe der Zeit theilnimmt, so kann das jedenfalls nur geschehen in Folge von Mischungen (Kreuzungen) und erst nach vielen Generationen. Die Euro- päer erhalten durch langen Aufenthalt in Afrika nicht die körperlichen Eigenschaften — das krause Haar, die platte Nase und die wulstigen Lippen — des Negers, und die nach den Unionsstaaten verpflanzten Neger sind dort nicht zu Weissen geworden. Nichts aber ist leichter, als dass ein solcher Europäer oder Neger eine andere Sprache und Religion annehme; er braucht dazu nicht einmal sein Land zu ver- lassen; dazu genügt der menschliche Wille, der eigene oder derjenige eines Andern (eines Eroberers z. B.). Im einen Fall handelt es sich eben um wesentliche oder inhärirende, im andern um zufällige Eigenschaften ; die ersteren haben deter- minativen, die letzteren blos deskriptiven Werth. Von den Eigenthümlichkeiten der ersteren Art darf keine vernachlässigt werden. In treffender Weise bemerkt hierüber ein kompetenter Gelehrter !): Weder die Form und Dimen- sionen des Schädels und der Glieder, noch die Farbe von Haut und Haaren können einzeln als sicheres Kennzeichen 1) Dr. Julius Jolly, Völkerkunde und Anthropologie ; „Im neuen Reich“ 1874, RASSEN UND TYPEN 551 zur Bestimmung der Menschenrassen dienen, ebenso wenig Form, Querschnitt, Fülle oder Mangel der Haare etc. Nur gestützt auf die Gesammtheit aller dieser Merkmale, selbst der scheinbar unbedeutendsten, kann man zu einer guten Klassifikation gelangen. Für den Reisenden handelt es sich, wie bemerkt, nicht sowohl darum, dass er klassifizire, sondern darum, dass er die Eigenthümlichkeiten der von ihm besuchten Völker und Volksstämme, eine nach der andern, bestimme und notire. Hierüber haben wir noch einige Bemerkungen zu machen, wobei wir uns an die oben erwähnte Eintheilung und Reihen- folge der Kennzeichen in anatomische, physische, physio- logische und physiognomische halten. Anatomische Merkmale. Die Messungen am lebenden Körper sind bereits (Vorbereitung, S. 115) besprochen worden. Für dieselben ist eine gute Auswahl von Individuen zu treffen : als ungeeignet sind alle Diejenigen bei Seite zu lassen, welche abnorme und unförmliche Bildungen, künstliche Verunstal- tungen u. dgl. aufweisen; die zu wählenden Individuen müssen den Typus der Rasse oder Varietät, welcher sie angehören, repräsentiren. Da aber dabei immer noch die individuellen Verschiedenheiten sich geltend machen, so sind die Messungen in möglichst grosser Zahl vorzunehmen, damit Durchschnitts- resultate erzielt werden können, welche die wahren Mittel- werthe möglichst befreit von jenen Zufälligkeiten darstellen. Die aus solchen Messungen sich ergebenden Zahlen sind erheblich verschieden , jenachdem sie von Männern, Frauen oder Kindern entnommen sind. Man hat daher die Messungen nach diesen drei Gruppen. auseinander zu halten, für jede derselben eine Anzahl Individuen zu wählen und hiefür drei besondere Verzeichnisse anzufertigen. Die tabellarische Einrichtung der Verzeichnisse soll — auf Papier von grossem Format — schon vor den Messungen erstellt werden. Am linken Rande derselben bezeichnet man auf den einzelnen Horizontalzeilen kurz, aber doch genau, die Art der Messung; am Kopfe der folgenden vertikalen Kolonnen bringt man, als Ueberschrift einer jeden derselben, die Bezeichnung des Namens, der Nationalität, des Geschlechtes und soweit möglich des Alters der betreffenden Person an. In der so überschriebenen Kolonne sind die einzelnen Messungs- 552 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN resultate genau auf der Stelle einzutragen, auf welcher links die betreffende Messung benannt ist. Handelt es sich dabei ‘um Individuen einer wenig bekannten Völkerschaft, so notire man auf dem Blatt oder dessen Rückseite den Namen, welchen dieser Stamm sich selbst gibt, womöglich mit Angabe seiner sprachlichen und sachlichen Bedeutung, resp. seines Ursprungs. Wir haben schon früher bemerkt, dass der Reisende sich durch Vorübungen in den Stand setzen soll, solche Messungen rasch vorzunehmen. Aber auch wenn das geschehen ist, wird er noch mitunter zu kleinen Versprechen und kleinen Ge- schenken seine Zuflucht nehmen müssen, um die Abneigung zu überwinden, welche die Leute gegen die Vornahme dieser Messungen an ihnen haben und sie dahin zu bringen, dass sie solange als nöthig die erforderliche Stellung beibehalten. Mitunter wird es sich als schlechterdings unmöglich heraus- stellen, an einem Individuum alle wünschbaren Messungen vorzunehmen; man beginne daher mit den wesentlichsten: den drei Dimensionen des Kopfes') und der Grösse (Wuchs- höhe). Wenn man in Folge von Kämpfen sich Schädel oder Skelette verschaffen kann von Individuen einer noch ziemlich ungenügend bekannten Rasse, so sende man sie einem anthropo- logischen Museum oder Fachgelehrten zu. Für den Trans- port verpackt man sie tale quale in ein Fässchen Weingeist oder man lässt sie von den Weichtheilen befreien und bringt sie nun in eine Holzkiste, welche im Uebrigen mit Gras und Moos ausgefüllt wird. Die wichtigsten Skelett-Theile nach dem Schädel sind die Beckenknochen, sodann Oberarmknochen (Humerus) und Schienbein (Tibia). Können solche Sendungen, z. B. wegen Mangel an Trans- portgelegenheit, nicht gemacht werden, so misst man die verschiedenen Theile nach Massgabe des früher (S. 109) Ge- sagten und nimmt Photographien der Schädel auf (Ansichten von vorn, von der Seite und von oben). Physische Merkmale. Als in die Augen fallende äusser- liche Eigenschaften können die physischen Kennzeichen be- schrieben werden. Immerhin hat die Beschreibung ihre 1) Hinsichtlich der Dolichocephalie (S. 111) unterscheide man zwischen fron- taler und oceipitaler (durch grössere Entwicklung des vordern Kopftheils oder aber des Hinterhauptes veranlasste) Ausbildung derselben. HI RASSEN UND TYPEN 553 Grenzen: eine Darstellung durch die Feder kann die ver- schiedenen Nüancen kaum genügend bezeichnen; vielmehr leidet eine solche immer an einer gewissen Unbestimmtheit und Willkür. Die beste Darstellung der physischen Kenn- zeichen sind Photographien der verschiedenen Individuen (Vorder- und Seitenansicht), auf welchen man einen Mass- stab für die Grössenverhältnisse, ferner Bemerkungen über die Farbe der Haut, Augen und Haare anbringt. Wenn der Beschreibung solche Photographien beigegeben sind, erlangt sie erst ihren vollen Werth; denn auch sie kann ihrerseits die bildliche Darstellung ergänzen, namentlich indem sie hervorhebt, was an den Bildern in Folge ihrer Kleinheit und aus andern Gründen sich nur schwer oder gar nicht wahr- nehmen lässt. Was den Wuchs oder die Körperform im Allgemeinen betrifft, so ist zu bemerken, ob die Individuen von kurzem, gedrungenem oder aber von hohem und schlankem Wuchse, korpulent oder mager seien, wohlgestaltet oder unschön, mus- kulös oder schlaff u. s. w., vorausgesetzt, dass die einen oder andern dieser Eigenschaften nicht blos bei einzelnen Indi- viduen auftreten, sondern bei ihrer grossen Mehrzahl, so dass sie typische Bedeutung haben. Die Hautfarbe vührt bekanntlich von einem Farbstoff (Pigment) in der Schleimschicht zwischen Epidermis und Lederhaut her; die Beschaffenheit dieses Pigments verursacht die wesentlichen Farbenverschiedenheiten der Menschenrassen ; dessen Menge sowie auch die Verschiedenheit der Epidermis (ob diese mehr oder minder zart und durchscheinend ist) bedingt den helleren oder dunkleren Ton der Farbe. Auch die Ungleichheiten im Blutgehalt der Lederhaut (grosse Blut- fülle oder Blutarmut) bewirken gewisse Nüancen. Dagegen ist die Hautfärbung nicht in dem Maasse, wie nach einer weit verbreiteten Meinung angenommen wird, vom Klima (beziehungsweise der geographischen Breite) abhängig, dass eine einfache Relation zwischen diesem Faktor und der dunk- leren Hautfarbe behauptet werden könnte. Neugeborne, Kinder, Männer, Frauen und Greise haben je ihre Besonderheiten in der Hautfärbung; ferner ist diese bei einem und demselben Individuum nach den Körpertheilen verschieden. Die inneren Handflächen und die Fusssohlen 554 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN sind im Allgemeinen von hellerem Ton als die übrigen Par- tien, und die der Sonne und Luft ausgesetzten unbekleideten Körpertheile sind dunkler als die bekleideten. h Diese Verschiedenheiten sind so gut als möglich darzu- | stellen, sei es durch Vergleichungen mit Farben von Natur- ale, die sich hiezu (als bekannt und konstant) eignen, und künstlichen Skalen, sei es dadurch, dass man zwei oder mehrere Farben mise bis man an der Palette den richtigen Ton erhält und nun durch einen Pinselstrich diese Farbe in die Papiere (Albums oder Notizbücher) einträgt. Wir sprechen später von dem Tätowiren und Bemalen verschiedener Körpertheile und erwähnen hier nur die natür- lichen Flecken, welche sich, wie die sogenannten Sommer- | sprossen, bei manchen Individuen finden. | Zwischen dem Geruch der Haut (Ausdünstung derselben) | und den Rassen scheint eine gewisse Beziehung zu bestehen. | Man notire sich dieses Merkmal, ohne dessen Werth zu überschätzen. Dieser Geruch tritt namentlich hervor nach \ starken Anstrengungen wie einem langen Marsche; er ist. aber nicht zu verwechseln mit dem durch Unreinlichkeit entstehenden übeln Geruche. Die Farbe der Augen, d. h. der Regenbogenhaut oder Iris (um die Pupille oder den Augenstern herum) ist bei | den einzelnen Individuen ungleich. Eine bestimmte Augen- farbe ist nicht das ausschliessliche Erbtheil einer Rasse, kann aber bei einem Volke so vorherrschen, dass sie die ‘ Bedeutung eines ethnischen Merkmals erlangt. Es ist also | zu untersuchen, welche Augenfarbe sich bei den meisten Angehörigen einer Völkerschaft vorfindet. Zu dem Ende notirt man sich diese Farbennüance für z. B. 100 zufällig herausgegriffene Personen und gibt nun durch einen Bruch (Prozentsatz) das Verhältniss an, in welchem eine jede der hiebei beobachteten Farben vertreten ist. Wenn eine dieser | Zahlen alle andern weit übertrifft, so ist die betreffende Farbennüance als die vorherrschende anzusehen; man wird aber immerhin noch verifiziren, ob das mit weiter zu be- obachtenden Thatsachen übereinstimmt oder ob so viele Aus- nahmen vorkommen, dass die Aufstellung einer Regel un- möglich wird. RASSEN UND TYPEN 555 Oft hält es schwer, die Augenfarbe genau zu bestimmen. Bei manchen Individuen hat die Iris mehrere verschiedene Farben, sowie Flecken und Streifen oder Strahlen von einer andern Nüance als Grundfarbe. In solchen Fällen muss man aus einiger Entfernung beobachten, damit man einen Gesammteindruck erhält und die Einzelnheiten keine störende Wirkung ausüben. Da ferner der von Augenbrauen und Wimpern geworfene Schatten auf die Beurtheilung der Augen- farbe influiren kann und diese zuweilen mit dem Befinden des Individuums wechselt — sodass Zorn und leidenschaft- liche Erregtheit von Einfluss auf dieselbe sind — so ist auch diesen Verhältnissen bei der Wahl der Beobachtungs- zeit Rechnung zu tragen. Die Farbe der Augen ist, wie diejenige der Haut, ent- weder durch die zutreffende Nummer einer Farbenskala oder durch einen Pinselstrich anzugeben. Es soll auch bemerkt werden, welches Aussehen „das Weisse des Auges“ hat; dasselbe ist nämlich öfters nicht rein weiss, sondern gelb- lich oder von rothen Äderchen durchzogen. Die Farbe der Haare steht nicht unbedingt in Beziehung zu derjenigen der Augen. Allerdings findet man sehr oft blaue Augen gepaart mit blonden Haaren und andererseits schwarze Augen mit dunkelfarbigen Haaren; es gibt aber auch zahlreiche Ausnahmen. Die Haarfarbe hängt ferner nicht schlechtweg von der geographischen Breite (beziehungs- weise dem Klima) ab und ist ebensowenig in absoluter und ausschliesslicher Weise Erbtheil einer Rasse. Dieselbe ist daher in analoger Weise zu ermitteln wie die Augenfarbe ; d. h. man hat zu bestimmen, ob und in welchem Grade eine gewisse Nüance vorherrsche. Diese ist auch ebenso zu notiren wie die Hautfarbe (pag. 554), unter Anwendung der nämlichen Skala. Die Farbe der Haare ist nicht nur verschieden nach den Individuen und Geschlechtern, sondern auch bei einer und derselben Person nach dem Alter: selten bleibt einem Kinde die Färbung der Haare, welche es hatte, als es noch ganz jung war; in der Regel wird sie nach und nach dunkler, zuweilen aber auch heller; später, bei vorgerückterem Alter, werden die Haare (sogar, ja insbesondere die dunkelsten) grau oder weiss. 556 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Wichtiger noch als die Farbe ist die Deschaffenheit der Haare nach deren Bau oder Bildung. In dieser Hinsicht _ theilt man dieselben nach Beobachtung von freiem Auge ein in straffe oder ganz glatte, wellige, lockige, gekräuselte und wollige oder krause; andrerseits — auf Grund der Beob- achtung durch das Auge oder das Gefühl — in feine und grobe, glänzende und matte, geschmeidige und harte oder rauhe. Nach der Form ihres Querschnittes, beobachtet mit dem Mikroskop, unterscheidet man die Haare in cylindrische mit kreisrundem Querschnitt und bandförmige mit länglich- rundem Querschnitt. Es stellt sich heraus, dass diese Formen des Querschnitts der Haare — kreisrund, eirund, mehr oder minder länglich elliptisch — nach den Rassen verschieden sind. Man bezeichnet sie durch das Verhältniss zwischen dem kleinen und grossen Durchmesser eines Querschnitts: d —— den Grad der D 100 Abplattung des Querschnitts angibt. Diese Bestimmung ist nicht leicht; sie erfordert ein starkes Mikroskop, und der geringste Fehler bei Anfertigung des Schnittes — in der Haltung des Instrumentes oder des Haares — macht das Resultat falsch, indem ein schiefer Schnitt statt eines senk- rechten erzeugt wird. Man thut daher gut, womöglich von Haaren, die als vollkommen entwickelt gelten können (d. h. die Individuen angehören, welche das zweite Zahnen hinter sich haben und den Typus des Volksstammes repräsentiren), Muster zu nehmen, um diese einem Fachgelehrten zur Unter- suchung vorzulegen !). Leicht zu konstatiren ist die natürliche Länge der Haare bei vollkommenem Wuchse derselben. Man hat ferner die Siellung der Haare zur Haut und zu einander — die Vertheilung derselben — zu beobachten. Im Allgemeinen bilden die Haare schiefe Winkel zur Haut; bei einigen Rassen stehen sie aber senkrecht zu derselben. Meist sind sie über den obern und hintern Theil des Kopfes gleichmässig vertheilt; in andern Fällen aber auch sehr ungleich, sodass sie in dichtem Wuchse aus gewissen Stellen hervorsprossen, welche durch kahle Zwischenräume von wobei man D = 100 setzt, sodass 1) Professor Ernst Häckel in Jena und Brunner-Bey in Paris gehören zu den Gelehrten, welche sich am meisten mit dieser Frage beschäftigt haben. RASSEN UND TYPEN 557 einander getrennt sind (büschelförmige Vertheilung der Haare !). Alle diese Faktoren — Querschnittsbildung, Länge und Stellung der Haare — sind von Einfluss auf deren äusser- liche Anordnung, die Haartracht; bald hangen sie in langen glatten Strähnen vom Haupte herunter, bald fransenartig; bald sind sie aufgerichtet oder stehen vom Kopfe nach allen Richtungen ab. Dabei ist selbstverständlich wohl zu unter- scheiden, was natürlich und was künstlich ist; manche Völker rasiren sich das Haupt kahl und lassen nur einen Zopf wachsen; andere kräuseln künstlich ihre Haare, die sonst glatt (schlicht) wären u. dgl. m. Im Ferneren ist zu achten auf die Fülle und Ausdehnung des Wuchses der Kopfhaare, sowie der übrigen Behaarung (Bartwuchs und Behaarung des Körpers). Die Haupt- oder Kopfhaare können reichlich oder spärlich vorhanden sein, ebenso die Haare des Bartes und diejenigen an verschiedenen andern Stellen des Körpers. Es scheinen in dieser Beziehung ziemlich ausgesprochene und bezeichnende Rassenunterschiede vorhanden zu sein. Die einen sind gänzlich bartlos; andere haben nur einige wenige Haare am Kinn; dritte sind durch vollen und starken Bartwuchs ausgezeichnet. Aehnliche Unterschiede zeigen sich in der Behaarung verschiedener Stellen des Körpers; dieselben Theile sind bei den einen ganz kahl, bei andern dicht behaart; einige Rassen weisen an Brust, Rücken, Armen und Beinen ein starkes Haarkleid auf. Indem man sich solche Unterschiede merkt, darf man nie ausser Acht lassen, dass manche Stämme die Gewohn- heit haben, sich die Haare des Bartes und gewisser Stellen des Körpers auszureissen, sodass daselbst jede Spur von Haar- wuchs beseitigt wird. Ferner ist nicht zu vergessen, dass eingeführt oder gebildet wurden. e| Interessant sind auch die Wandhuıngen der fremden Wörter in einer Sprache. . Wir brauchen im Deutschen für Speise- wirthschaft das Fremdwort „Restauration“; im Französischen heisst sie aber nicht „restauration“, sondern „restaurant“. Aehnlich verhält es sich mit hen andern Entlehnungen“ j! aus dem Französischen: die Deutschen brauchen sie in einem andern Sinne als demjenigen, welchen das Wort in der fremden 1 Sprache hat und bedienen sich des fremden Wortes nicht, ! welches die Franzosen in letzterem Sinne verwenden. Solche Fälle sind beispielsweise: „Galanterie* und gquincaillerie, „Delikatessen“ und comestibles, „Briefeouvert“ und enveloppe. Ein Substantiv „Parterre“ für Erdgeschoss (rez-de-chaussee kommt im Französischen gar nicht vor u. s. f. Andrerseits kann auch innerhalb einer Sprachgemein-' schaft bei den verschiedenen Genossen derselben ein Wort in ungleichem Sinne angewendet werden. In den süddeutschen Dialekten finden wir „laufen“ und „springen“ in der Be- deutung von gehen und hüpfen, für welch’ letzteres Zeitwort ein Dialektausdruck gebraucht wird, der mit dem englischen Verb fo jump verwandt ist; „Luft“ ist daselbst synonym mit Wind; Alpenbewohner verstehen unter „Alpen“ nicht dieses Gebirge, sondern hochgelegene Weiden, und in Gegenden der Pyrenäen wird als „colline® ein von zwei Berggipfeln eingerahmtes enges Thal bezeichnet. Oft besteht die Ver; schiedenheit nur in ungleicher Ausdehnung des Begriffes, welcher durch ein Wort bezeichnet wird, in Erweiterung oder Einschränkung desselben. So versteht man in Süd- deutschland unter „Tannen“ sowohl Fichten („Rothtannen*) als eigentliche Tannen („Weisstannen“) und hört man i den Dialekten daselbst den Ausdruck „reiten“ („rite“) nicht blos angewendet auf das Reiten (welches die Franzosen durch die Kombination „monter ä cheval“ ausdrücken müssen), SPRACHEN UND DIALEKTE 587 sondern auch vom Fahren gebraucht; hinwieder wird die Bezeichnung „Kind“ im Volke da und dort eingeschränkt auf die Kinder weiblichen Geschlechts („ein Kind, kein Knabe‘), und der Gemsjäger versteht unter „Thier“ einfach die Gemse, welche in seinen Augen Repräsentant sämmtlicher Wildthiere, das „Thier“ par excellence ist. Endlich gibt es in jeder Sprache, namentlich bei rasch fortschreitenden Völkern, veraltete Ausdrücke und überlebte Wörter, die erhalten bleiben, obwohl sie den Ideen oder dem jetzigen Zwecke der Objekte, welche sie bezeichnen, nicht mehr entsprechen. Solche Wörter werfen ein gewisses Licht auf alte Gebräuche, Glaubensmeinungen u. s. w. Dahin ge- hören die deutschen Wörter „Federmesser“ und „Buchstaben“, da man sich jener Messer kaum mehr zum Federnschneiden, wohl aber zum Bleistiftspitzen u. dgl. bedient, die Buch- drucklettern aber in der durch jenes Wort bezeichneten pri- mitiven Form von Stäbchen nicht mehr existiren ; ferner die deutschen und entsprechenden französischen Ausdrücke „hul- digen“ (presenter ses hommages), „das Loos werfen“ (jeter un sort), „bezaubern* (ensorceler) u. dgl. Grammatik. Der Reisende soll sich nicht auf das Sam- meln von Wörtern und Redensarten beschränken, sondern wenn immer möglich seine Kenntnisse der Sprache vertiefen und den Bau und Mechanismus derselben kennen lernen. Dabei wird er seine Aufmerksamkeit zunächst der Phonologie uwenden, d. h. den Lauten, welche zur Bildung der Wörter, um Ausdruck der Gedanken verwendet werden. In allen Sprachen sind Vokale und Konsonanten zu unter- scheiden; aber Art, Zahl und Zeichen derselben sind bei en einzelnen Sprachen sehr verschieden. So haben das ranzösische und Portugiesische Nasenlaute, welche wir bei en benachbarten Völkern nicht oder nur ausnahmsweise ‚als Provinzialismen) treffen; das Französische, Spanische and Italienische mouillirte Laute, welche in der deutschen ınd englischen Sprache nicht vorkommen; das Englische jesitzt seinen eigenthümlichen s-Laut (th), das Polnische ‚eine verschiedenen /etc.; das deutsche und französische r sind ıtwas verschieden; die chinesische Sprache kennt das r gar icht, und die Chinesen können es nicht aussprechen; die taliener, noch mehr aber die Franzosen haben Mühe, bei 588 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Erlernung der deutschen Sprache sich das A derselben an- zugewöhnen, und sowohl ihnen als den Deutschen bereitet die Aussprache gewisser Kehllaute des Spanischen und Ara- bischen Schwierigkeiten. Die französische Sprache hat ver- schiedene e und dafür auch verschiedene Schriftzeichen (£, &,e); das Deutsche besitzt jene e-Laute ebenfalls, unterscheidet | sie aber nicht durch verschiedene Buchstaben (abgesehen von. der inkonsequenten mehr oder minder regellosen Ver- wendung des ä). Aehnlich verhält es sich mit dem Schwe- dischen und Englischen hinsichtlich des & der ersteren Sprache. ' Der Buchstabe « bedeutet im Französischen nicht denselben Vokal wie im Deutschen ; seinen französischen Laut bezeichnen wir durch ii, seinen deutschen geben die Franzosen durch ot. Das Schriftzeichen s als Anlaut ist im Französischen und Deutschen nicht derselbe Konsonant: dort scharf, hier weich und jenem Laut entsprechend, welchen die Franzosen, Eng- länder und Andere durch z bezeichnen, während der deutsche und italienische Buchstabe 2 wieder einen andern Laut (ts) bedeutet u. s. f. Es muss daher die erste Sorge des Reisenden sein, ein genaues Verzeichniss der in einer Sprache vorkommenden Laute, | sowie der allenfalls vorhandenen Schriftzeichen aufzunehmen, so zwar, dass Werth und Bedeutung der einen und andern in unzweideutiger Weise zur Darstellung kommen. Dies er- fordert oft Angaben darüber, wie der Laut durch die Sprach werkzeuge gebildet wird, welches das zu seiner Erzeugung nöthige Spiel der Organe ist, ob z. B. die Zungenspitze an) PER wie etc. Die Vokale können unterschieden werden als einfache und nasale, kurze und lange, betonte und unbetonte, mit offener und geschlossener Aussprache. Wichtiger als die | Klassifikation an sich ist dabei die richtige Wiedergabe der Laute durch ein ausreichendes Zeichensystem. Diesen Zweck kann man erreichen, indem man zur Darstellung der Modi= ih; fikationen eines Vokals Accent- und andere Zeichen anwendet? e (stummes, d.h. kurzes und dumpfes e), & (helles e), e (U 6: a, ü, d, a ete., oder indem man dem Zeichen einen dessen, Aussprache erläuternden Zusatz beifügt, z. B. e nasal, @) wie das erste e in „sehen“, € wie das erste e in „geben“, | SPRACHEN UND DIALEKTE 589 e wie das zweite e in „sehen, geben“ u. s. w., oder endlich durch Gebrauch besonderer Zeichen, deren Bedeutung ein für allemal erklärt und festgestellt wird. Die Konsonanten können zunächst unterschieden werden in die Sonorlaute (m, n, I, r) und die Geräuschlaute, welch’ letztere die Spiranten (f, v, s, sch, ch) und die Erplosivlaute (b, p, d, t, 9, k) umfassen, wie folgende Uebersicht !) zeigt. I ; | labiale dentale palatale gutturale S ® ‚, der k-Laut, wel- | = a | p t chen dieSlaven vor k Z | = rsenie —_ = ä, e, 1 bilden > | 2 5 | a! 3| | der entsprechende & a) b h j reiche 5 Bis: || ern > | th (engl.) 5 (unser sch, frz., ch der S = f > (meu-gr.) |chete. deutsch ch | Deutschen > u S | nach i nach a | | u © || v | m S| Re th (engl) |z (russ. IC, fr. j Be z (franz.) | etc.) \ 1} = TIER | | | | n vor | neraen Ni | Gutturalen ) | 3 || | = )35| | 1 'ital. gl, span.11, | pol. I < an | port. Ih _ russ. Ab ° | | a © | i 5; = Y (das schnar- | Kur || | rende) | Es gilt hiebei dieselbe Bemerkung, welche hinsichtlich er Vokale gemacht wurde: dass es hauptsächlich auf treue fiedergabe der Laute ankommt, erfolge diese durch Buch- ‘aben und Kombinationen derselben, durch besondere Zeichen 1) Vgl. die vollständige Konsonantentabelle bei Sievers Grundzüge der Pho- tik, 2. Auflage. Leipzig 1881, S. 106; ferner Max Müller, Vorlesungen über die issenschaft der Sprache, II. Theil, Leipzig 1870, S. 167. 590 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN oder durch eines der Transskriptionssysteme, wovon oben | (S. 582) die Rede war. Einige südafrikanische Sprachen haben ausser den eigent- lichen Konsonanten gewisse Laute, die entstehen, wenn die Zungenspitze an Zähne oder Gaumenpartien angelegt und dann plötzlich zurückgezogen wird. Diese eigenthümlichen Schnalzlaute werden durch besondere Zeichen oder Buch- staben dargestellt z. B. | oder ce dentaler Schnalzlaut == „ v palataler 3 t || » 2 lateraler a, „ 9 cerebraler , Um wohl zu unterscheiden, was an der Aussprache allge- mein, also Norm, was hingegen blos individuell ist, muss man sich dieselben Worte von verschiedenen Personen vor sprechen lassen. Das Verzeichniss der Vokale und Konso- nanten wird, je nach der Sprache, mehr oder minder reich- haltig ausfallen. | Mitunter kann ein Laut den andern ersetzen oder vertreten; d. h. von zwei verschiedenen Lauten wird ohne Unterschied der eine für den andern verwendet (Permutation). So z.B. hat die Kabylensprache für „Mann“ die Wörter argaz und / ergaz, für „Frau* thamet’tuth und themet’’uth; in Dialekten der Tuaregs findet man für „Tag“ : ahel und achel, für „Bock“: achular, ahular und afular. Die Eskimosprache (Innok) verwandelt e zu i im Plural von ame-rk, „Haut“ (ami-t Häute) und g zu r im Plural von kigut, „Zahn“ (kirut-d, Zähne) ete. Einige solcher Aenderungen erklären sich aus Gründen des Wohllauts, der Euphonie. Es bewirken solche‘ in gewissen Sprachen ganz regelmässige Aenderungen der Vokalisation, die dahin gehen, den einen Selbstlaut mit einem andern in Einklang zu bringen (Vokalharmonie, Homophonie | 2 So nimmt im N milsolhen die Endung, womit der Plural gebildet wird und welche aus den Konsonanten I-r nebst einem inlautenden Vokal besteht, als solchen regelmässig den Selbstlaut des Wortes, welchem sie als Suffix angefügt wird axa-lar, die Väter; 020-Jor, die Kinder, äsä-lär, die Bären. | ae 1) Vgl. Max Müller, Vorlesungen über die Wissenschaft der Sprache; deutsch von Dr. C. Böttger; Leipzig 1363, S. 250. SPRACHEN UND DIALEKTE 591 In einigen Dravida-Dialekten hingegen wird der Vokal eines Wortes durch denjenigen seiner Endung bestimmt; so bildet man aus den Wörtern katti (Messer) und pulu (Tiger) die -Pluralformen kattulu und pululu, anstatt katti-Iu, und puli-Iu). Dergleichen Eigenthümlichkeiten sind zu konstatiren und mit zahlreichen Beispielen zu belegen. Vom Gesichtspunkt der Morphologie aus, d. h. mit Rück- sicht auf die Formen der Wörter und die Bildung derselben unterscheidet man drei Gruppen von Sprachen. 1° Einsilbige oder isolirende Sprachen. Die Wörter dieser Sprachen, deren typischer Repräsentant das Chinesische ist, bestehen aus unveränderlichen, in- flexibeln Wurzeln, die einfach aneinander gefügt werden. So bildet man aus ?se (Kind) einerseits, nan (Mann, männ- lich) und »i« (Weib, weiblich), die Ausdrücke nan tse (Sohn) und ziu tse (Tochter); aus fa (Vater) und mu (Mutter) ebenso: fu mu, Eltern (Vater und Mutter). Da die Zahl dieser Wurzeln verhältnissmässig gering ist und jede mehrere Bedeutungen hat, so präzisirt man deren Sinn entweder durch besondere Betonung oder durch Zusammenschweissen von zweien derselben, welche in ihrer Bedeutung überein- stimmen. So kann ao bedeuten: Fahne, Weizen, bedecken, Weg u. s. w.; lu: Thau, Edelstein, schmieden, Weg etc.; aber fao !u kann nur die Bedeutung „Weg“ haben, weil nur in ihr die beiden Ausdrücke übereinstimmen. — Eine solche Sprache hat weder Deklination noch Konjugation, und ob ein Wort Substantiv, Adjektiv oder Verb, Subjekt, Objekt etc. sei: das hängt lediglich ab von dessen Stellung im Satze und von der Beifügung gewisser accessorischer Redetheile. 2° Agglutinirende oder polysynthetische Sprachen. Bei diesen findet die Bildung der Wörter dadurch statt, dass einer invariablen Wurzel, welche ihren vollen eigen- hümlichen Sinn und Werth beibehält, eine oder mehrere Wurzeln angefügt werden, deren individuelle Bedeutung ab- eschwächt wird und welche nur noch dazu dienen, den Hauptausdruck in Bezug auf gewisse Verhältnisse (Zustand, Thätigkeit) näher zu bestimmen. Diese Beifügung heisst m 1) Diese Rückwirkung von Lauten auf einen vorangehenden Vokal erinnert ?inigermassen an die Erscheinungen des Umlauts in der deutschen Sprache. 592 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | Präfix, Suffie oder Infix, je nachdem sie vor dem Hauptaus- druck, dessen Beziehungen durch sie angegeben werden sollen, oder an das Ende desselben zu stehen kommt oder aber in denselben aufgenommen wird. Die Präfixe und Suffixe zusammen, welche darin übereinstimmen, dass sie den Wurzeln | nur äusserlich angefügt werden, heissen Affixe. Die einen ) wie die andern dieser Zusätze (Affixe und Infixe) bilden mit der Wurzel je ein Ganzes, indem sie mit derselben zu Einem Gebilde verwachsen oder verschmelzen. Einige Beispiele hiefür wollen wir zunächst dem Japanischen entnehmen, dessen Wortbildung dem vorhin (sub. 1) betrachteten Falle noch ziemlich nahe steht, aber doch schon den charakteri- stischen Unterschied erkennen lässt. Mit der Wurzel neko einerseits, den Präfixen o und me andererseits werden ge- bildet: oneko Kater, meneko Katze; mit der Wurzel hito, den 4 Suffixen de und no, sowie dem Infix tatsi: hito der Mensch, hitode mit dem Menschen; hitono des Menschen; hitotatsino der Menschen. Einige agglutinirende Sprachen zeichnen sich aus durch die Verschmelzung oder Einverleibung mehrerer Vorstellungen in Ein Wort und den Polysynthetismus oder die Vereinigung einer grossen Zahl von Ideen in einem einzigen Ausdruck. Es ist dies der Fall bei den amerikanischen Sprachen (der Indianer und Eskimos); so heisst im Algonkin das Wort‘ nindawema: weine Schwester; in der Tscherokesensprache kutwwo.: ich wasche mich, fakungkaldä ich wasche meine Kleider, und der grönländische Ausdruck aulisariartorasuarpok be- deutet: er ist schnell fischen gegangen. | 3° Flektirende Sprachen. In diesen Sprachen findet die Wortbildung nicht nur durch ein Zusammenfügen (Agglutiniren, „Aneinanderleimen“) verschiedener Elemente, sondern auch dadurch statt, dass die Wurzel — die fast immer ihre selbständige Bedeutung) verloren hat — noch ihren Lautbestand ändern und dass hiedurch verschiedenen Beziehungen Ausdruck gegeben werden kann: ich finde, ich fand, ich habe gefunden; wir lesen, wir lasen; ich kenne, ich kannte, ich habe gekannt; esse, du issest u. s. w. Aehnlich wird in der Kabylensprache von efk „geben“ gebildet: efkir ich gebe, thefkidh du gibst, I ifka er gibt. — $ SPRACHEN UND DIALEKTE 593 Der Reisende hat also zu untersuchen, in welche dieser drei Klassen die Sprache gehört, womit er sich beschäftigt; welchem dieser drei verschiedenen morphologischen Systeme ‚sie entspricht. Zu dem Ende muss er prüfen, welche Laut- ‚gruppen oder Silben in der betreffenden Sprache die Be- deutung von Wurzeln haben, d. h. welche dieser Laute und einfachen (einsilbigen) Lautkomplexe für sich allein einen Sinn geben, selbständige Bedeutung haben oder als Grund- bestandtheil eines Wortgebildes übrig bleiben, nachdem die Affixe und Infixe eliminirt wurden, welche es enthielt, und nachdem man ferner auch die Lautveränderungen berück- sichtigte, mit welcher dessen Flexion verbunden ist. In den Sprachen, deren Wurzeln ihre Bedeutung erhalten bleibt, sind diese unschwer herauszufinden. Da in nan tse, niu tse, fu mu (s. S. 591) jede Silbe ihren selbständigen Sinn hat, so sind dies ebenso viele Wurzeln. In oneko, meneko, hito, hitode, hitono, hitotatsino (s. S. 592) lassen sich leicht die Wurzeln ‚neko und hito erkennen. Schwieriger ist aber das Aufsuchen der Wurzeln in den flektirenden Sprachen; man muss dabei oft in mehrfachen Versuchen zahlreiche Wörter zusammenstellen, die ein gemeinsames Element zu haben scheinen. Eine aufmerksame Vergleichung und besonnene Kritik werden zur Entdeckung der Wurzeln oder Stämme führen, auch wenn diese keine selbständige Bedeutung mehr haben und durch die Affixe maskirt sind. So tritt uns in den französischen Wörtern heureux, bonheur, malheur die gemeinsame Silbe „heur“ entgegen, welcher ihre selbständige Bedeutung erhalten geblieben ist in der Wendung „heur et malheur“ (Glück und Unglück); man muss aber uch einsehen, dass es fehlerhaft wäre, wenn man — nur er Lautgleichheit wegen — die gleiche Wurzel in heurter ‚stossen) und heure (Stunde, Zeit) annehmen wollte. Stellt nan die deutschen Wörter finden, ich fand, Fund, Findling, Erfindung zusammen, so lässt sich nicht verkennen, dass lenselben eine gemeinsame Idee zu Grunde liegt, als deren [räger sich die Konsonanten und ein Inlaut der Silben „find“, „fand“, „fund“ darstellen, in welchen aber jene Idee ücht scharf ausgedrückt, sondern nur vag angedeutet er- cheint. Das Verfahren, welches einzuschlagen ist, besteht Iso darin: Es sind Wörter zusammenzustellen und zu ver- 38 594 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | gleichen, welche in Form und Sinn eine gewisse Ueberein- stimmung zeigen; sodann ist aus denselben ihr gemeinsames Element, ihr Grundbestandtheil, herauszuschälen durch Be- seitigung aller Partikeln, Vor- und Nachsilben und unter Ausschluss von Lautveränderungen, die nachweislich jüngeren Datums sind und daher das Zurückgehen auf einen früheren Lautbestand nothwendig machen. In den semitischen Sprachen | sind es die Konsonanten, welche die Wurzel ausmachen und auf deren Aehnlichkeit folglich Alles ankommt. So liegt den arabischen Wörtern gatala (er tödtete), gutila (er wurde getödtet), gat! (Mörder), git! (Feind) die Konsonanten - Trias qt! mit dem Begriff „tödten“ zu Grunde. Wenn die Wurzeln, welche man erkannt hat, in der Sprache eine selbständige Bedeutung haben und bei der Wortbildung unverändert bleiben, indem sie hiebei nur an- einander gereiht werden, so ist die Sprache, um welche es sich handelt, als eine einsilbige zu betrachten; als eine agglutinirende aber, wenn die Wörter gebildet werden durch Verschmelzung einer invariabeln Wurzel mit Partikeln ohne eine klar ausgesprochene selbständige Bedeutung; als eine flektirende endlich, wenn die Wurzeln selbst variabel sind, denselben nur vage Ideen zu Grunde liegen und die Wörter gebildet werden einerseits aus diesen in ihren Bestandtheilen modifizirten Wurzeln, andererseits aus accessorischen Ele- menten, wie dies die Affixe und Infixe sind. Dieses Aufsuchen der Wurzeln führt zur Erkenntniss einer Anzahl interessanter Thatsachen: es ergibt sich dabei, welche Rolle eine Wurzel bei der Wortbildung spielt; welches die trennbaren Partikeln sind; wie sie verwendet werden, als Präfixe, Suffixe und Infixe; wie sie die Idee modifiziren, welche in der Wurzel ausgedrückt ist; welche Tragweite die mit gewissen Aenderungen in Vokalen und Konsonanten verbundene Flexion oder Biegung der Wörter hat; wann eine Kontraktion oder Elision stattfindet, d. h. der Wegfall eines Lautes oder die Reduktion mehrerer Laute zu einem einzigen etc. etc. Das Auffinden der Wurzeln selbst ist vom grossem Werth, indem sie den alten Fond an Ideen und Worten repräsentiren, welchen die Sprache besass, um die‘ es sich handelt, oder das Volk, das dieselbe redet, und ein bedeutsames Licht werfen auf die Verwandtschaft von Idiomen, SPRACHEN UND DIALEKTE 595 welche infolge der späteren selbständigen Entwicklung dieser letzteren nach verschiedenen Richtungen maskirt wurde, sodass sie an den Sprachen in ihrer jetzigen Form nur schwer und nicht ohne weiters zu erkennen ist. Bei diesen Studien achte man auch darauf, ob die be- treffende Sprache reich oder arm ist an omomatopoetischen Wortbildungen oder Schallnachahmungen, d. h. an Wörtern, deren Klang die Vorstellung erwecken soll von der Sache, welche sie bezeichnen, wie Krach, Glucken u. dgl. Ebenso ist es von Interesse, die gebräuchlichen und oft sehr be- zeichnenden Interjektiomen kennen zu lernen. Oft hängt die Bedeutung der Wörter von deren Betonung oder Accent ab; man unterlasse nicht, zu ermitteln und anzugeben, welche Regeln in dieser Hinsicht herrschen. Volle Berücksichtigung und Erwähnung verdient ferner ‚ der Umstand, ob eine Sprache reich an Vokalen oder Kon- sonanten ist. Es handelt sich dabei weniger um die Anzahl ı der Vokale oder Konsonanten, welche in dieser Sprache über- haupt vorkommen, als vielmehr um die Häufigkeit oder Seltenheit ihres Gebrauches in derselben. Eine Sprache kann ‚ eine verhältnissmässig geringe Zahl von Vokalen haben, diese aber bei Bildung der Wörter in reichem Maasse verwenden; eine andere kann ihre Wörter mit Konsonanten überladen und dadurch deren Aussprache erschweren, wenn sie auch keine grössere Anzahl von Mitlauten besitzt als jene. In den grammatischen Kategorien zeigen die Sprachen vielfache Verschiedenheiten. Manche haben keinen Artikel vor den Substantiven oder nicht die Unterscheidung des Geschlechts, an welche wir gewöhnt sind. So bedeutet das Kabylische ar’orum unterschiedslos „das Brod“, „ein Brod“ oder „Brod“. In der zentralafrikanischen Fulahsprache gibt es kein Masku- linum und Femininum, aber alle Wesen und Gegenstände werden in die zwei Klassen getheilt: 1° Was zur Menschheit gehört; 2° was nicht zu ihr gehört: Thiere und leblose Gegenstände. Uebrigens brauchen wir nicht soweit zu gehen, um ähnliche Verschiedenheiten zu finden; es bestehen ja schon grosse Differenzen in der Auffassung und Bezeichnung des gram- matischen Geschlechtes zwischen dem Französischen, Deutschen und Englischen. Die beiden letzteren unterscheiden männliche, weibliche und sächliche Substantiven (Masculina, Feminina und 596 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Neutra); das Französische kennt die letztere Kategorie, das Neutrum, nicht. Die Geschlechtsunterscheidung für Sonne und Mond ist im Französischen wie im Englischen (und in fast allen anderen Sprachen) gerade das Gegentheil derjenigen, welche die deutsche Sprache hiefür hat: „Sonne“ ist in den anderen Sprachen männlich und „Mond“ weiblich. Die Unterscheidung von Fällen oder Kasus (Nominativ, Genitiv, Dativ, Accusativ etc.) hat für das Französische, Italienische u. s. w. kaum noch eine Bedeutung, ist dagegen von Wichtigkeit für diejenigen Sprachen, deren Substantive, Pronomen und Adjektive deklinirt werden, d.h. besondere Formen oder Endungen annehmen, jenachdem sie als grammatisches Subjekt oder Objekt ange- wendet werden oder die Idee des Besitzes, der Trennung u. s.f. ausdrücken. Die Zahl dieser „Fälle“ oder vielmehr derjenigen, welche an den Wörtern durch Aenderung in deren Form oder durch Endungen bezeichnet werden, ist bei den einzelnen Sprachen verschieden. Die einen beschränken sich auf die vier Kasus: Nominativ, für das existirende oder handelnd auftretende Subjekt; Genitiv, welcher Art und Gattung be- zeichnen und oft auch Ausdruck des Besitzverhältnisses sein muss; Dativ, für das Geben oder Ertheilen oder Verleihen; Aceusativ, zumeist als Bezeichnung des Gegenstandes, auf welchen die Thätigkeit übergeht oder an welchem sie aus- geübt wird. Andere haben ferner einen Vokativ als Fall des Anrufens, den Ablativ, welcher ein Trennen oder Entfernen ausdrückt; weiter einen Locativ, um ein Verhältniss des Ortes, der Bestimmung anzudeuten; Instrumentalis und Cau- sativ zur Bezeichnung des Mittels, des Werkzeuges, der Ursache für eine Thätigkeit etc. etc. Als Pronomen der zweiten Person finden wir im Französischen und Englischen je nur zwei | Wörter (fa, vous, thou, you, entsprechend dem deutschen dır und ihr), bei deren Gebrauch es nicht darauf ankommt, ob man mit Männern oder Frauen spreche, sondern zunächst — abgesehen von den Anforderungen der Etiquette, welche hiebei im Deutschen und Italienischen wieder andere sind als im Französischen und Englischen — nur darauf, ob man sich an Eine Person oder deren mehrere wende. Die Kabylensprache aber hat hier in Einzahl und Mehrzahl je zwei verschiedene Formen, von denen die eine gegenüber , männlichen, die andere gegen weibliche Personen anzuwenden SPRACHEN UND DIALEKTE 597 ist: ketsch und kem im Singular, um und kumemthi im Plural. Die Eskimosprache (das Innok) hat für die dritte Person zwei Pronomen, um An- und Abwesenheit zu be- zeichnen: omo, „er“ als Anwesender: fabioma, „er“ als Ab- wesender. Ferner gibt es Sprachen, welche neben Einzahl- und Mehrzahlform noch einen Dual und selbst einen Trial haben zur Bezeichnung der Zwei- und Dreizahl im Sinne der Verbindungen: Du und ich, er und ich, das Deine und Meine, das Seinige und Meinige; Du, er und ich; das Meine, Deine und Seine etc. Ebenso bestehen grosse Verschiedenheiten hinsichtlich der Zeit- und Modusformen des Verbums. Im Arabischen, überhaupt in den semitischen Sprachen, zeigt die Form des Verbums an, ob die Thätigkeit vollendet oder noch nicht abgeschlossen ist. Gewisse Idiome haben ein besonders accentuirtes Präsens in der Bedeutung: ich bin im Begriff das zu thun, ich bin damit gerade beschäftigt; ein Immediat-Perfekt: ich habe soeben das und das gethan; ein Immediat-Futurum für das unmittelbar bevorstehende: ich werde das sogleich thun etc. Der Conditionalis als spezielle Form für die bedingende Rede kommt nicht in allen Sprachen vor, noch weniger der Conjunctiv; hinwieder besitzen die Eskimo neben unserem Imperativ eine besondere Form von verbietender Redeweise (Prohibitiv), die wir wieder- zugeben hätten durch: ich will nicht, dass Du das thust. Unsere passiven und reflexiven Zeitwörter sind in andern Sprachen nicht durch Analoga vertreten; hinwieder haben diese mitunter Spezialformen aufzuweisen zur Bezeichnung des gewöhnlichen Zustands u. dgl. Wenn wir von Jemandem sagen: „er trinkt“, so kann das heissen : „er stillt den Durst“ oder auch „er fröhnt der Trunksucht“; „er zeichnet“ be- deutet bald: „er kann zeichnen“, bald „er ist mit Zeichnen beschäftigt“, und auch: „das Zeichnen ist seine Beschäftigung, ein Beruf“; „er arbeitet“ will keineswegs immer ausdrücken, dass der Betreffende gerade jetzt, wo man davon spricht, arbeite, sondern oft nur, dass er dies gewöhnlich thue; hinwieder sagt man offenbar nur in diesem letzteren Sinne (der Bezeichnung des gewöhnlichen Zustandes): „ich schlafe gut“, „ich träume wenig“ u. del. Für diesen Unterschied at also unsere Sprache keine besonderen Formen ; in andern ber ist das der Fall. So sagen die Kabylen ikrez für: er 598 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN arbeitet; d’a ikerrez für: er ist eben an der Arbeit; ikerrez für: er arbeitet gewöhnlich, er ist arbeitsam. Ebenso gibt es daselbst, wie auch in andern Sprachen, Verbalformen für den Gedanken, den wir durch „machen“ oder „lassen“, die Franzosen durch „faire“ oder „rendre“ ausdrücken : seknef, braten machen (von eknef, braten), sekchem eintreten lassen, „faire entrer* (ekchem, eintreten); selhou, gut machen, „rendre bon“, zu elhow, gut sein u.s. w. Der deutschen Sprache fehlt ein Analogon hiezu allerdings nicht ganz; aber das- selbe ist auf gewisse, nicht sehr zahlreiche Fälle beschränkt: trinken, tränken; stehen, stellen ; liegen, legen ; sitzen, setzen; härten — hart machen, schwärzen = schwarz machen u. a. m. Diese Vergleichungen und Beispiele könnten leicht ver- mehrt werden; vielleicht sind sie aber schon zu zahlreich; ihr Zweck ist kein anderer als der, nach verschiedenen Seiten zu erinnern und darzuthun, dass die verschiedenen Sprachen nicht nach einem Modell zugeschnitten oder nach einer Form gegossen seien und man die Erscheinungen derselben nicht dem Schema und Rahmen der grammatischen Kategorien an- passen soll, welche uns von der Muttersprache her geläufig sind. Der Reisende muss vielmehr darnach trachten, ohne vorgefasste Meinung bei jeder Sprache oder Mundart die gram- matischen Formen wohl zu erfassen und dieselben, wenn sie eigenthümlich sind, gut zu definiren, womit die Anführung zahlreicher na zu verbinden ist. Die Syntax betrifft die Verbindung ‚der ayorten zu Sätzen, die Stellung und Reihenfolge der ersteren in diesen, die Modifikationen, welche sie zufolge ihrer gegenseitigen Be- ziehungen erleiden u. s. w. In den einsilbigen Sprachen, wie dem Chinesischen, ist die Syntax Alles; denn hier hängt von der Stellung eines Wortes dessen Werth und Bedeutung als Substantiv oder Adjektiv, Subjekt oder Objekt ab. Demgemäss ist denn auch die Wortfolge etwas Unveränderliches. Diejenigen Sprachen hingegen, welche für die Kasus verschiedene En- dungen und für das Verb eine formenreiche Konjugation haben, geniessen hinsichtlich der Wortfolge einer grossen Freiheit. Es kann hiebei die normale Aufeinanderfolge mannigfach geändert, ja gänzlich umgekehrt werden, ohne dass dabei Sinn und Verständniss des Satzes Schaden leiden; SPRACHEN UND DIALEKTE 599 gegentheils erfolgen diese Umstellungen oder Inversionen im Interesse und zur Verschärfung des Sinnes, welchen man in dem Satz darstellen und hervorheben will. Zwischen diesen beiden Extremen finden sich Abstufungen in grosser Zahl. Wie verschieden die Reihenfolge der einzelnen Wörter schon in Zusammenstellungen der einfachsten Art ist, mögen zwei Beispiele zeigen. Im Baskischen sagt man nicht: an die Frau, sondern „Frau an die“; in der Kabylensprache nicht: mein Maulthier, sondern „Maulthier mir“. Dabei erleidet oft fast jede Regel zahlreiche Ausnahmen, welche im Sprach- gebrauche nicht minder fest begründet sind als jene. Der Reisende hat die syntaktischen Eigenthümlichkeiten einer Sprache durch vielfache und mannigfaltige Sätze dar- zustellen. Bei Anlage solcher Sammlungen wird man mit einfachen Sätzen beginnen, die nur aus Subjekt, Verb und einem Objekt bestehen; dann ist zu entwickelteren Satzbil- dungen überzugehen, in welchen Adjektive, Adverbien u. s. w. als Attribute und verschiedenartige Bestimmungen (Adverbiale des Ortes, der Zeit u.s. w.) enthalten sind, sowie auch diverse Objekte vorkommen. Ein und derselbe Satz soll in „verschiedenen Formen auftreten: bejahend und verneinend, fragend und befehlend, in direkter und indirekter Rede, als bestimmte Aussage oder Behauptung, wie als blosse Annahme oder Vermuthung, Wunsch oder Bedingung etc. Von grossem Interesse sind auch treue Aufzeichnungen (Transskriptionen) von Fabeln und Erzählungen, Sagen und Liedern oder auch blos Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten, welche der Reisende zu hören bekommt, und denen er wörtliche Uebersetzungen beigibt. Sprachverwandtschaft. Man hüte sich davor, in den Fehler zu verfallen, dass man zu schnell und ohne genügende positive Nachweise behauptet, eine Sprache, die man studirte, sei mit einer bestimmten andern „verwandt“. Die Frage der Verwandtschaft zweier Sprachen ist sehr delikat und weit schwieriger zu beurtheilen, als man gewöhnlich meint. Sprachen, welche zu einer und derselben morphologischen Klasse gehören, müssen keineswegs unbedingt mit einander verwandt sein. Die Einsilbigkeit, die Agglutination und die Flexion sind drei Zustände, welche von Einer Sprache suc- cessive angenommen und passirt werden können, wenn sie 600 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN B| nicht ihre Entwicklung abschliesst und stabil wird, bevor sie die höchste dieser Stufen erreicht hat. So finden wir denn in der nämlichen morphologischen Klasse Sprachen bei einander, zwischen welchen keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen herrschen. Zu den einsilbigen Sprachen gehören das Chinesische, Annamitische, Siamesische, Tibetanische und, wie versichert wird, gewisse Idiome der Eingebornen Mittelamerikas. Die Wurzeln dieser Sprachen sind so ver- schieden, dass dieselben nicht als verwandt betrachtet werdeı können; auch machen es schon geographische Gründe nicht wahrscheinlich, dass die sämmtlichen Idiome dieser Klasse durch gemeinsame Abstammung (genetisch) mit nt verbunden seien. . Die agglutinirenden Sprachen sind die ver- breitetsten der Erde und umfassen zahlreiche Familien. Hieher gehören die ural-altaischen, dravidischen und kaukasischen Sprachen, das Baskische, viele afrikanische Idiome, die austra- | lischen und malayisch-polynesischen Sprachen, das Japanische, Koreanische, die meisten Idiome derEingebornen Amerikas u.s.f. Zwischen ihnen besteht nur morphologische Uebereinstim- mung; ein gemeinsamer Ursprung derselben kann nicht angenommen werden; ebensogut könnte man sonst alle Er- wachsenen als Geschwister betrachten, blos weil sie darin übereinstimmen, dass sie erwachsen sind. Die flektirenden Sprachen endlich umfassen die semitischen, hamitischen und indo-europäischen Idiome, d.h. die Hauptsprachen Vorder- asiens, Nord- und Nordwestafrikas und fast ganz Europas. Eine entfernte Verwandtschaft aller Glieder dieser Sprachen- klasse ist allerdings nicht ‘unmöglich und nicht unwahr- scheinlich ; immerhin sind ihre Wurzeln so verschieden, dass sie kaum alle miteinander in Beziehung gebracht werden können. Das Kriterium der Verwandtschaft zweier Sprachen liegt also weder in der Aehnlichkeit gewisser Wörter, die zufällig sein kann, noch in deren Bildungsweise oder Morphologie, welche nur ein bestimmtes Entwicklungsstadium bezeichnet. Will man die Verwandtschaft, eine genetische Uebereinstimmung zwischen zwei Sprachen ergründen, so erfordert dies ein tiefes Ein- dringen in dieselben: das Auffinden und den Nachweis von Aehnlichkeiten in ihrem grammatischen Bau und in ihren Grundbestandtheilen, den Wurzeln. Wenn die Individuen, welche eine und dieselbe Sprache reden, sich von einander # u Eins 2 2 2 E Be, EEEETETERLLTTIETEIEAH PIE U EEE EFFREIENEN ve SPRACHEN UND DIALEKTE. 601 trennen, so nehmen sie einen gemeinsamen Sprachschatz mit sich, der von nun an in verschiedener Weise behandelt wird. Dabei ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass der Satzbau bedeutende Veränderungen erleide, wiewohl es Beispiele für solche Fälle gibt. So enthält die Kabylensprache gewisse Wen- dungen, welche offenbar dem Arabischen entlehnt, beziehungs- weise nachgebildet sind. Die Wörter unterliegen allmäligen Veränderungen in Aussprache und Endungen; es entstehen neue Wörter; aber der aus den Wurzeln der gebräuchlichsten ‘Wörter bestehende Grundstock des Sprachschatzes bleibt immerhin erkennbar. Unter diesen gebräuchlichsten Wörtern verstehe ich dabei diejenigen, welche ein Volk schon auf einer sehr frühen Stufe seiner geistigen Entwicklung, bei Beginn der Zivilisation, sozusagen beim Morgenroth der- selben, besitzt; Wörter wie: Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Bruder, Schwester, Kopf, Hand, Fuss, ich, du, mein, dein, Tag, Nacht, eins, zwei, drei. Das sind Ideen, die sehr früh, auf einer noch ungemein primitiven Stufe der Kultur, be- standen haben müssen, und Wörter, die nicht leicht vergessen werden. Hat man in den Wurzeln solcher Wörter, wie im Sprach- bau und in grammatischen Formen zweier Idiome Indizien einer Verwandtschaft derselben entdeckt, so kann man diese Unter- suchungen auf weitere Gruppen von Wörtern ausdehnen, so auf diejenigen, welche primitive Waffen und Geräthschaften, Hausthiere, Arbeiten u. dgl. bezeichnen. Solche Forschungen können nicht nur neue Nachweise für die Verwandtschaft zweier Sprachen liefern, sondern selbst Aufschlüsse über die Stufe der Zivilisation, welche die Glieder einer Sprachgemeinschaft vor ihrer Trennung erreicht hatten. Sprachgebiete. Der Reisende soll sich genau er-. kundigen, welche Ausdehnung das Gebiet einer Sprache hat, d. h. wie weit sie verbreitet ist. Die Eingebornen werden ihm sicherlich sagen können, ob eine bestimmte Sprache der- selben auch auf benachbarten Inseln herrscht, ob auf beiden Seiten eines Flusses oder Stromes, an beiden Abhängen eines Gebirges, in verschiedenen Thälern das gleiche Idiom ge- sprochen wird, und welches die Grenzen desselben sind. Womöglich sind diese Angaben durch eigene Beobachtungen zu verifiziren. 602 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Die Eingebornen, namentlich Greise, werden vielleicht auch sagen können, ob die Sprache früher über ein grösseres Gebiet verbreitet war als jetzt oder ob sie im Gegentheil an Terrain gewonnen hat. Ist ihre Einführung verhältnissmässig neuen Datums, so wird sich vielleicht ermitteln lassen, wie, durch wen, um welche Zeit oder seit wie viel Menschenaltern sie eingeführt wurde, wobei selbstverständlich sachbezüglichen Angaben und Traditionen nicht mehr Werth beizulegen ist, als sie verdienen. Es kann sein, dass man auf diesfallsige Fragen die Antwort erhält: die Sprache sei immer dagewesen, es habe in dem Lande nie eine andere gegeben; oder: sie sei den Menschen von übernatürlichen Wesen gebracht wor- den u. dgl., andrerseits können aber auch die Namen Derer, welche die Sprache einführten, und des Landes, woher sie kamen, im Gedächtniss des Volkes erhalten geblieben sein. Koexistenz verschiedener Idiome. In jüngst er- oberten Ländern und in Gegenden mit scharf getrennten Kasten und Klassen können auf demselben Gebiete zwei oder mehr Sprachen nebeneinander vorkommen: das Idiom der Eroberer und dasjenige der Besiegten oder die Sprache der höheren Kasten und diejenige der unteren Volksklassen. Es wird sogar behauptet, dass auf den Antillen, wo die Karaiben den männlichen Theil der Bevölkerung erschlugen, den weiblichen aber gefangen nahmen, nun die Sprachen nach den Geschlechtern verschieden sind, indem die Männer das eine, die Weiber das andere Idiom sprechen. Gewiss ist, dass überall, wo die Bevölkerung aus zwei nach Ursprung oder Abstammung verschiedenen Schichten zusammengesetzt ist, es eines langen Zeitraums bedarf, bis die Sprachen sich miteinander vermischen und ineinander verschmelzen oder die eine durch die andere besiegt und verdrängt wird. Wo ver- schiedene Volksklassen bestehen, welche zwar die Sprache ge- meinsam haben, aber die gegenseitige Berührung möglichst ver- meiden und einander fremd bleiben, da wird jene Sprache in den so getrennt lebenden Gruppen ein ungleiches Schicksal haben; ihre Entwicklung oder ihr Verfall wird in der einen Gruppe nicht denselben Gang nehmen wie in der andern, der eine Prozess nicht Schritt halten mit dem andern. Nur unter gleichen Verhältnissen kann die Sprache ihre Uniformität bei- Selelien. Der Reisende kann also in einem und demselben SPRACHEN UND DIALEKTE 603 Lande zwei oder mehr Sprachen von verschiedenem Rang treffen, d.h. Sprachen, deren Träger gesellschaftlich nicht gleich, sondern in einem Verhältniss der Ueber- und Unter- _ ordnung stehen. Die eine dieser Sprachen — man könnte dieselbe als superponirte bezeichnen — wäre die feudale, aristokratische, amtliche oder gouvernementale, die andere die National- oder Volkssprache ; es kann aber auch unterschieden werden zwischen einer Kirchensprache, einer Schriftsprache und einer Profan- oder Vulgärsprache. Bei genauem Zusehen findet man wohl fast überall in den einzelnen Kreisen der Gesellschaft — selbst durchgängig hoch zivilisirter Völker — Verschiedenheiten, wenn nicht der Sprache, so doch der Sprechweise: eine solche der Geist- lichkeit, eine zweite der Literaten und anderer Leute von allgemeiner Bildung, eine dritte als Sprache des Volkes. In den grossen Städten gibt es neben dem allgemein gebräuch- lichen Idiom noch ein besonderes (Argot) der Werkstätten und Arbeitsplätze aller Art, welches reich ist an eigenthümlichen, zum Theil da und dort entlehnten Ausdrücken; auf dem Lande neben der in den Schulen gelehrten Sprache oft ein Patois, das nur in den Familien und im Verkehr des Land- volkes unter sich angewendet wird. Die Handelsverbindungen geben Anlass zur Entstehung von Mischsprachen, wie man solche als sabir in Afrika und als lingua franca in den Häfen der Levante kennt. Im politischen Verkehr endlich wird oft eine andere als die Landessprache oder diese mit eigenthüm- lichen Formeln und Wendungen gebraucht, so dass es eine besondere diplomatische und Kanzlei-Sprache gibt. Merkwürdig sind die Mittel, deren sich wilde oder halb- zivilisirte Völkerschaften bedienen, um sich ihren Nachbarn verständlich zu machen. Die Indianer der Prärien haben eine Zeichen- und Geberdensprache, wobei mit den Panto- mimen und Gesten eigenthümliche Rufe und lautes Geschrei verbunden werden, oder sie wenden Feuersignale an, deren Zahl und Grösse eine bestimmte Bedeutung zukommt. Die Lu-tseu-Nomaden im Westen Chinas bedienen sich im Verkehr mit den benachbarten Stämmen verschiedener Symbole. Sie übersenden z. B. in rothem Papier ein Stück Hühnerleber, drei Stücke Fett und eine Pfefferschote, um zu sagen: „Macht euch kriegsbereit.“ 604 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Dialekte. Die Verschiedenheit der Idiome einer Gegend nach deren einzelnen territorialen Abschnitten verdient die besondere Aufmerksamkeit des Reisenden. Es ist diese Ver- schiedenheit öfter sehr beträchtlich, in Neu-Guinea z. B. von einem Dorf zum andern so gross, dass die Einwohner solcher benachbarter Ortschaften Mühe haben, einander zu verstehen. Aehnlich verhält es sich im Allgemeinen überall da, wo die Stämme über ein weites Land zerstreut sind und in feindlichen Beziehungen zu einander stehen, ferner in Gebirgsländern, wo die Menschen, vom Verkehr mit der Aussenwelt abgeschlossen, in Weilern leben, die von einander durch unübersteigliche Schranken geschieden sind. Die Dialekte in solch’ abgelegenen und fast unzugäng- lichen Oertlichkeiten sind für die Studien, um welche es sich hier handelt, von grösstem Interesse; hier zumeist finden sich noch die Reste verschwindender Idiome, Spuren früherer Sprachen, deren Träger die Urbevölkerung des Landes war. Zwar kommen auch im Flachlande Sprachinseln vor, doch weit seltener als im Gebirge. Immerhin erkundige man sich in allen Fällen bei den Bewohnern eines Landes, ob sie sich nicht erinnern, in ihrer Jugend und auf ihren Wanderzügen irgend eine andere Sprache oder Mundart als die ihrige gehört zu haben, und bejahenden Falls, ob es in der Gegend noch Leute gebe, welche jenes Idiom sprechen oder sich dessen noch wohl erinnern, sodass sie über dasselbe Mit- theilungen machen könnten. Hat man einen Dialekt entdeckt, der besondere Aufmerk- samkeit zu verdienen scheint, d. h. der nicht blos eine verdorbene Form der Landessprache ist, sondern sich durch originelles Gepräge auszeichnet, so wird man denselben in der Weise studiren, wie es oben von der Sprache im Allge- meinen dargelegt worden ist. Handelt es sich aber nur um Verschiedenheiten in der Aussprache und einige andere lokale Spracheigenthümlichkeiten (Provinzialismen), so beschränkt man sich darauf, diese zu konstatiren. Es ist die geographische Verbreitung eines jeden Dialekts | zu ermitteln und auf einer Karte anzugeben; ferner zu prüfen, ob benachbarte Dialekte zu einer Gruppe gehören, worin sie von einander abweichen und ob die Leute, welche diese verschiedenen Mundarten sprechen, einander verstehen SPRACHEN UND DIALEKTE 605 oder nicht. Endlich ist — nach Massgabe des oben (S. 599) Gesagten — zu untersuchen, zu welcher bekannten Sprache oder Sprachfamilie diejenigen dieser Dialekte gehören, die - von der herrschenden Landessprache gänzlich verschieden zu _ sein scheinen. Schrift. Unter Schrift versteht man die verschiedenen Arten bildlicher, für das Auge bestimmter Darstellungen der Sprachlaute und Gedanken, deren gemeinsamer Zweck ist, den Ideenaustausch mit abwesenden Personen zu er- möglichen, da die Mittheilung der Gedanken durch das gesprochene Wort auf die Anwesenden (Hörer) beschränkt ist. Abgesehen von mnemonischen Mitteln, wie Schnüre mit aneinander gereihten Körnern von verschiedenen Farben (Colliers), Schnüre mit Knotenreihen (Quipos), Kerbhölzer u. dgl. Dinge, welche an eine bestimmte Gedankenreihe erinnern sollen, gibt es folgende Schriftsysteme: 1° Die Bilderschrift, Pietographie oder Ikonographie, wobei Bilder der verschiedenen Gegenstände angewendet werden; ein System, das bei den nordamerikanischen Indianern noch in Gebrauch ist. In ihrer ursprünglichen Form ist sie reine Bilder- oder Fiyurenschrift, wobei die zu beschreibenden Szenen oder die Dinge, von welchen gesprochen werden will, so gut als möglich abgebildet werden, sodass eine Idee durch eine Reihe von Zeichnungen oder ein einziges ziemlich kompli- zirtes Gemälde dargestellt wird. Mehr oder minder ideo- graphisch ist sie, wenn ein Theil der Figuren nicht die abgebildeten Gegenstände selber, sondern eine mit diesen Objekten verbundene Vorstellung repräsentiren soll, sodass z. B. eine Thür und ein Ohr „hören“ oder ein Auge und Wasser „Thränen“ oder „weinen“ bedeuten. Symbolisch endlich heisst sie, wenn die Bilder einen abgeleiteten, kon- ventionellen Sinn haben, wonach beispielsweise „Wachsam- keit“ durch einen Hahn, „Krieg“ durch zwei gekreuzte Schwerter, „Gerechtigkeit“ durch eine Waage dargestellt wird. Der Unterschied zwischen diesen drei Stufen der Ikonogra- phie ergibt sich vielleicht am besten aus folgendem Beispiel. Das Zeichen & würde bedeuten: nach der ersten Art — Auge, nach der zweiten Art — sehen, nach der dritten Art — Vorsehung. 606 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Es fehlt auch nicht an Uebergängen oder Zwischenstufen, wobei die Zeichnungen theils in der einen, theils in der andern Weise — als Bilder, Ideogramme und Symbole — verwendet werden. 2° Die phonetische oder Lautschrift, welche durch kon- ventionelle Zeichen die Laute der Wörter darstellt, entweder die Silben oder die einzelnen Vokale und Konsonanten. Letztere Methode, die alphabetische oder Buchstabenschrift erfordert das geringste Material an Zeichen; etwa 30 solcher (Buchstaben oder Lettern, deren Gesammtheit das Alphabet der Sprache bildet) genügen, um mit Hülfe verschiedener Kombinationen derselben alle Wörter einer Sprache darzu- stellen; oft bedarf es hiezu deren noch weniger. Die Silben- schrift hingegen, erfordert ein grosses Material, da sie z. B. für ab, ad, at...., ba, da, ta... ebensoviele verschiedene Zeichen haben muss. So ist berechnet worden, dass die chinesische Schrift nicht weniger als 43496 Zeichen umfasst, wovon allerdings ein grosser Theil selten oder gar nicht gebraucht wird. Auch hier gibt es eine Zwischenstufe; so hat die japanische Schrift besondere Zeichen für die einzelnen Vokale, aber auch solche für die Silben wie ka, kt, ko u. s. w. 3° Endlich gibt es gemischte Systeme, wobei Lautzeichen, Bilder, Ideogramme und Symbole gleichzeitig angewendet werden, wie dies in den altägyptischen Hieroglyphen der Fall war. Auch in der chinesischen Schrift kommen Fälle vor, wo den phonetischen Elementen ideographische Zeichen bei- gegeben werden; die letzteren, welche dann allerdings jeder Aehnlichkeit mit dem durch sie dargestellten Objekte bar sind, dienen dazu, den Sinn zu präzisiren, den im gegebenen Falle ein phonetisches Element haben soll, welchem an und für sich verschiedene Bedeutungen innewohnen. Sogar in der eigentlichen Lautschrift finden sich zuweilen noch Bilder von Objekten, die aber ihre ursprüngliche Bedeutung gänzlich verloren haben und nur Homophone sind, d. h. einen dem Namen des Objektes ähnlichen Laut darstellen, wie dies mit den Figuren unserer Bilderräthsel (Rebus) der Fall ist. Die Buchstaben sind auch zum Theil nichts anderes als verein- fachte schematisirte Bilder bestimmter Gegenstände; so das Zeichen & für den Anfangsvokal von ahu, dem alt-ägypti- schen Worte für „Adler“, welches Zeichen eine gewisse Aehn- lu SPRACHEN UND DIALEKTE 607 lichkeit mit dem Bilde des Adlers %& hat, während M (Mnitial von mulach, Eule) dem Bilde einer Eule mit halb ausge- breiteten Flügeln A nicht unähnlich ist. Uebrigens sind die Lautzeichen und Alphabete nach den einzelnen Ländern und Sprachen sehr verschieden. Es müssen das nicht Buch- staben oder Lettern nach Art der unsrigen sein; sie können vielmehr, wie die alte Runen- und Keilschrift, blos in Kom- binationen verschiedener Striche bestehen. Morse’s telegra- phisches Alphabet zeigt, dass man auch die heutigen Kultur- sprachen Europas, das Deutsche, Französische u. s. w. ebenso gut mit blossen Punkten und Strichen als mit unseren Buch- staben schreiben könnte. Andererseits gibt es Sprachen ohne jede Schrift, die nur gesprochen und nicht geschrieben werden. Dies war z. B. der Fall mit der Eskimosprache bis zur Ankunft der Dänen in Grönland ; die Eskimos kannten kein anderes Mittel des Ge- dankenausdruckes als das mündliche Verfahren: das Sprechen: selbst die Bilderschrift der nordamerikanischen Indianer war ihnen unbekannt; erst die Missionäre haben in Grönland eine Schrift eingeführt. Sprachen ohne eigene Schrift — wozu wir alle diejenigen rechnen, die wenigstens heutzutage kein eigenes Schriftsystem mehr haben — gibt es viele. So wird z. B. das Malayische mit arabischen Buchstaben geschrieben; welches sein altes Alphabet war, ist unbekannt. Für die dravidischen Sprachen (das Tamul, Kanara, Telinga u. s. w.) verwendet man drei Alphabete, die ziemlich spät nach fremden Zeichen gebildet und dabei den dravidischen Lauten mehr oder minder an- gepasst wurden. Das Annamitische hat einst dem Chinesischen eine Figuren- oder ideographische Schrift entlehnt, deren Zeichen aber seither merklich verändert. Ebenso scheint das tibetanische Alphabet aus dem nördlichen Indien zu stammen. Man trifft also Sprachen mit entlehnter Schrift; in solchen Fällen wird die Aehnlichkeit der Lautzeichen Anhaltspunkte geben zur Beurtheilung der Herkunft des fremden Schrift- systems, wobei freilich wohl zu berücksichtigen ist, dass die Zeichen nicht den Lautwerth beibehalten mussten, welchen sie in der andern Sprache hatten, dass hierin vielmehr nam- hafte Aenderungen und Vertauschungen haben stattfinden können. 608 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Das Verhältniss der Schriftsysteme zweier Sprachen — deren Aehnlichkeit oder Verschiedenheit — sagt uns, wie leicht einzusehen ist, nichts über das Verwandtschaftsver- hältniss der Sprachen selber. Verschiedene Idiome können sich der gleichen Schrift bedienen; hinwieder kann eine Sprache in einem Theil ihres Gebiets oder in einer Periode ihrer Geschichte mit andern Lautzeichen geschrieben werden als in andern Ländern und zu andern Zeiten. Das Malayische verwendet, wie oben bemerkt wurde, arabische Buchstaben; aber andere Sprachen derselben Gruppe (das Javanische, Talaga, Makassar etc.) bedienen sich. alter hindostanischer Zeichen. Das Japanische wurde ehemals mit einem koreani- schen Alphabet geschrieben, später mit einer ideographischen Schrift, welche den Chinesen entlehnt und etwas modifizirt ° wurde; jetzt beabsichtigt man in Japan unser lateinisches Alphabet einzuführen. Dass die deutsche Sprache nicht immer die „deutsche Schrift“ hatte und diese auch jetzt nicht ausschliesslich Anwendung findet, ist bekannt. In Fällen, wo man es mit einem Schriftsystem neueren Datums zu thun hat, wird man zu ermitteln suchen, durch wen und unter welchen Umständen dasselbe eingeführt wurde; ob es einem andern Volke entlehnt wurde und ob vorher nichts Aehnliches existirte. So ist konstatirt, dass das jetzige armenische Alphabet aus dem Jahre 400 unserer Zeitrechnung stammt und von Sankt-Mesrop geschaffen wurde; dasjenige der Tscherokesen gar ist erst im Jahre 1830 er- funden worden. Den jüngsten Fall der Neu-Einführung eines Alphabets hätten wir in Japan vor uns, wenn es dort wirk- lich — wie angestrebt wird — dazu kommt, dass die jetzige Schrift durch die lateinische ersetzt wird. Schriftproben, Schreibweise und Schreibmaterial. Trifft der Reisende eine noch ziemlich unbekannte Schrift an, so hat er dies zu erwähnen und Proben oder Muster derselben beizubringen. Handelt es sich um Figuren und Zeichen, die auf Felsen gemalt, in Baumstämme oder Steine einge- schnitten, auf Thontafeln eingegraben oder in ähnlicher Weise noch auf anderem Material angebracht sind, so stellt man sich Photographien oder Abdrücke derselben her, wovon unten (bei Besprechung der Inschriften) noch die Rede sein wird. ) E | \ Fa SPRACHEN UND DIALEKTE 609 Der Reisende wird auch ganze Syllabarien oder Alphabete sammeln und bei den einzelnen Zeichen angeben, welches ihr Sinn und Lautwerth ist. - Zu erwähnen sind allfällige Eigenthümlichkeiten in der Art des Schreibens, von denen es abhängt, wie die Schrift gelesen werden muss. Bekanntlich wird in einigen Sprachen (Arabisch, Hebräisch u. a.) von rechts nach links geschrieben und nicht, wie wir es thun, von links nach rechts. Bücher und Manuskripte in solchen Sprachen beginnen mit der Seite, welche nach unserm Gebrauch die letzte wäre. Auch gibt es Schriften oder wenigstens Inschriften (wie die alt-griechi- schen), deren Zeilen abwechselnd von links nach rechts und umgekehrt gelesen werden müssen, indem auf eine von links nach rechts gehende Zeile eine solche folgt, die von rechts nach links geschrieben wurde, auf diese wieder eine von links nach rechts u. s. f., — ein System, das als Furchen- schrift (Bustrophedon) bezeichnet worden ist, weil dieser Gang des Schreibens und Lesens an denjenigen der gewöhn- lichen Art des Pflügens erinnert. Das Chinesische und Japanische werden in Kolonnen, deren erste diejenige rechts ist, von oben nach unten Gösehriehan! In den semitischen Sprachen, z. B. im Arabischen, schreibt man nur die Konsonanten; die Vokale werden nur durch sogenannte diakritische Zeichen (Punkte) angedeutet. So wird das Wort Kitab (Buch) wesentlich nur durch die drei Konsonanten Ktb geschrieben, zu denen dann als Andeutung der Vokale einige Punkte hinzukommen, ein Verfahren, womit die Vokalbezeichnung verschiedener Stenographie - Systeme einigermassen analog ist. Ebenso gibt es Sprachen, worin die Worte unmittelbar, ohne Zwischenräume, aneinander ge- reiht werden und keine Interpunktion angebracht wird. Zu beachten ist auch eine allfällige Koexistenz verschiedener Schriftsysteme, wie eine solche im alten Aegypten vorhanden war, wo drei Schriftarten (die hieroglyphische, hieratische und demotische) neben einander bestunden, und wie sie heute noch in Japan vorkommt, wo neben der Kursivschrift (Hirakana) noch ein besonderes System (Katakana) ange- wendet wird. In solchen Fällen hat man die Unterschiede dieser Systeme zu bezeichnen und auch anzugeben, welches Zweck und Gebrauch des einen und andern derselben ist. 39 610 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Manchmal handelt es sich nur um eine Formverschiedenheit der Buchstaben mach ihrem technischen Zwecke: ob sie als Druckschrift in Büchern, als Zierschrift zur kalligraphischen Ausfertigung werthvoller Manuskripte oder als Kursivschrift für die Geschäfte des Alltagslebens dienen sollen. Man erkundige sich auch nach alten Dokumenten und Inschriften mit archaischen Schriftformen, d. h. mit Buch- staben, die — wenn sie auch nicht als uralt gelten können — doch ausser Gebrauch gekommen und als veraltet zu bezeichnen sind. E Es kann auch in dem Lande ein in Vergessenheit gekom- menes Schriftsystem existirt haben, dessen Entdeckung von Interesse wäre. So besass die Berbersprache ein Alphabet (Tifinar), welches sich jetzt noch bei den Tuaregs findet, das aber bei den Stämmen in Marocco, Algier und Tunis gänzlich in Vergessenheit gerathen zu sein scheint; denn sie bedienen sich jetzt der arabischen Schrift, obwohl diese der Berbernsprache nur unvollkommen angepasst werden kann. a Ausser den Schriftproben wird der Reisende auch Muster des gebräuchlichen Schreibmaterials für seine Sammlungen zu erhalten suchen oder wenigstens die nöthigen Angaben hier- über beibringen. Man weiss ja, dass Feder und Papier nicht überall bekannt und das an ihrer Statt zur Verwendung kommende Material sehr verschieden ist. Es werden die Schriftzüge mit Pinsel oder Schilfrohr, die man in Farbe oder in den Saft gewisser Pflanzen taucht, auf Holz, Rinden, Gewebestoffen ete., mit einem Stift auf Muscheln, Schiefer oder Metall, selbst auf Gold und Elfenbein angebracht. ‘ Der arabische Taleb mit seinem Schilfrohr und sonstigem Schreibzeug, das er in seinem Burnus bei sich trägt; der japanische Schreiber mit seiner Rolle von Maulbeerpapier, chinesischer Tusche und dem Pinsel in einem Futteral, das neben Pfeife und Tabaksbeutel an seinem Gürtel hängt: das sind originelle Gestalten, die wohl verdienen, dass ihnen eine Beschreibung oder Zeichnung gewidmet wird. Zahlensystem. Die Namen und Zeichen der ersten Sprachgeschichte zurück; es hat daher das Zahlensystem | noch grösseren Werth als das Alphabet. ” SPRACHEN UND DIALEKTE 611 Noch gibt es Völkerschaften, welche nur für die Zahlen 1, 2 und 3 besondere Namen haben, alle weiteren aber ins- gemein mit einem Ausdruck bezeichnen, welcher unserem - „viel“ entspricht, wie denn auch wir sehr häufig für eine über 3 hinausgehende Anzahl das Wort „mehrere“ gebrauchen. Auf der Stufe dieses primitivsten Zahlensytems behilft sich der Mensch beim Rechnen mit dem Abzählen der Glieder eines Fingers. Andere Völkerschaften zählen an den Finger- spitzen einer Hand und gelangen so bis auf 5, wofür oft der bezeichnende Name „Hand“ vorkommt. Dieses Verfahren kann in verschiedener Weise weiter entwickelt werden. Durch Ausdehnung desselben auf beide Hände ergeben sich die Zahlen bis 10, diejenigen bis 20 aber, indem es analog auch auf die Zehen der Füsse angewendet wird. Es können indess die Finger der Hand, mit welcher gezählt wird, selber ausser Berechnung bleiben, wodurch man auf 15 gelangt. Ueber die bezeichneten Grenzen hinaus werden weitere Zahlen gebildet, indem man je 1, 2 etc. hinzufügt. So fahren die Grönländer, bei 5 angekommen, in der Weise weiter, dass sie sagen: fünf und eins von der andern Hand, fünf und zwei von der andern Hand etc. In mehreren Sprachen sind die Wörter für 6, 7 u.s. w. Ausdrücke, welche den Formeln 5+1, 5+2etc. entsprechen, und bedeutet das Wort oder das Zeichen für 10 „die beiden Hände.“ Von diesem gwi- nären oder Fünfersystem finden sich noch Spuren in den römischen Ziffern I, V und X, welche einen Finger, eine Hand mit ausgestreckten Fingern und die beiden Hände (die Ge- lenke aneinandergelegt, von da aus entgegengesetzt gerichtet) darstellen. In dem Dezimal- oder Zehnersystem ist die Grund- zahl 10; die Wörter für die nächstfolgenden Zahlen bedeuten 10-+1,10-+-2 etc., diejenigen für 20, 30 u. s. w. entsprechen den Ausdrücken 2.10, 3.10 etc. (deutsch: zwei, drei, vier Zehner oder „zig“; zwanzig — zwei- oder zween-zig; dreissig — drei-zig; vier-zig; ein und vierzig, zwei und vierzig etc.; dreizehn, vierzehn u. s. w. statt „vierzig und eins“, „zehn und drei“ etc.) Das gwindecimale oder Fünfzehnersystem ist Seltener; es kam bei einem Stamm der alten Kelten vor, deren Bezeichnungen für 16, 17 u. s. w. den Summen 15 +1, 15-2 entsprachen, während ein anderer Stamm hiefür Aus- drücke nach den Formeln 10 +6, 10-+-7 etc. hatte. Bei 612 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN dem vigesimalen Zahlensystem kommen besondere Namen für die Zahlen bis 20 vor; diese selbst wird zuweilen mit dem Ausdruck „Mensch“ (Repräsentant der 20 Finger und Zehen) bezeichnet ; erst bei den weiteren Zahlen kehren die Worte für 1,2, 3 u. s. f. wieder; diejenigen für 40, 60, 80 u. s. w. bedeuten 2.20, 3.20, £.20 etc. Eine Spur dieses Systems findet sich m dem französischen Ausdruck „quatre-vingt“ für 80. Es können auch besondere Ausdrücke für 30, 40, 50 ete. vorkommen, wie die gebräuchlichen französischen soixante- dix, quatre-vingt-dix für 70 und 90, welchen gegenüber die veralteten Wörter „septante“, „huitante“ und „nonante*, weil systematischer, als Fortschritt zu betrachten sind. N Endlich finden sich Spezialbezeichmingen für 100, 1000 ete., seltener für die grossen Zahlen, die wir Million, Milliarde, Billion, Trillion u. s. w. nennen. i Was die Mittel zum Ausdruck der Zahlbegriffe anbelangt, so ist wohl zu unterscheiden zwischen den Zahlwörtern einerseits und den Zahlzeichen oder Ziffern andererseits, also z. B. zwischen dem Worte „fünf“ und der Ziffer 5 oder V. Es kann ein Volk Zahlwörter besitzen ohne entsprechende Zeichen für die schriftliche Darstellung und umgekehrt. Streng genommen könnten ja sämmtlichen Zahlen durch ein einziges Wort oder Zeichen, das nur wiederholt anzuwenden wäre, ausgedrückt werden; ist doch z. B. 3 nichts anderes als „eins eins + eins“ (1+1-+-1). So findet man in Sennhütten, Kellern, Fruchtspeichern ete. über die (ein- oder ausgegangenen) Quan- titäten Milch, Most, Wein, Obst, Getreide u. s. f. Buch ge- führt durch Kreidestriche auf Brettern oder Einschnitte auf } Holzstäben, wobei die Zahl der Striche und Kerben gleich ist derjenigen der verwendeten Einheitsmaasse. Anderwärts bringt man zum gleichen Zwecke (Bezeichnung der Quantitäten, resp. der Einheiten, die zu verrechnen sind) Änoten in einer Schnur an (Quipos) oder man legt Körner, Steinchen u. dgl. an einen hiefür bestimmten Ort. Ein besonderes Zeichen, — ein längerer Strich oder Kerbeinschnitt, ein dickerer Knoten, ein Korn oder Steinchen von anderer Farbe als die übrigen repräsentiren dabei eine gewisse Anzahl, z.B. 10, wodurch das Verfahren einfacher und übersichtlicher wird. — Die kleinen Zahlen unter 10 werden wohl auch bezeichnet durch Aus- strecken der Finger, die Zehner aber durch die Hände, indem SPRACHEN UND DIALEKTE 613 man diese so oft mal öffnet und schliesst oder hebt und senkt oder (was bei den Komantschen der Fall ist) klatschend zu- sammenschlägt, als Zehner anzugeben sind. Als mmemonische Mittel werden Vorrichtungen nach Art der Rosenkränze u. dgl. verwendet, endlich auf höheren Stufen der Kultur die Ziffern. Dieser sind meist nur wenige; aber durch verschiedene Kombination derselben können sehr viele und grosse Zahlen dargestellt werden. Alle die besprochenen Eigenthümlichkeiten des Zählens und Zahlensystems sind von grossem Interesse; der Reisende unterlasse nicht, dergleichen Beobachtungen zu machen und mitzutheilen. Womöglich wird er ein Verzeichniss der Zahl- wörter und der Zahlzeichen des von ihm besuchten Volkes geben, sowie Beispiele der Kombinationen, womit bei einer geringen Anzahl von Ziffern die verschiedensten Zahlen ausgedrückt werden. Nicht bei allen Völkern werden, wie wir es thun, die Zehner vor die Einer, die Hunderter vor die Zehner ge- stellt u. s. f., einige geben die Anzahl der Zehner, Hunderter oder Tausender durch eine entsprechende Ziffer unter dem Zeichen für 10, 100 oder 1000 an. In den Sprachen, welche von rechts nach links geschrieben werden, gehen wohl die höheren Zahlen den niedrigeren voraus; aber von unserem Gesichtspunkt aus betrachtet befinden sich jene hinter diesen (z.B. 83 statt 38). Zu erwähnen ist auch, wie die Brüche geschrieben werden. Endlich wird man untersuchen, ob das Volk, mit dem man sich beschäftigt, eigene Zahlwörter und Ziffern besitzt oder ob (eventuell woher) es diese entlehnt hat. Dabei können die Zahlwörter einerseits. und die Ziffern andererseits ver- schiedenen Ursprungs sein. Unsere Ziffern heissen bekanntlich arabische, stammen aber aus Indien; wir haben sie von den Arabern als den Vermittlern zwischen Orient und Occident entlehnt; sie sind nun z. B. bei den Romanen (Franzosen, Italienern u. s. w.) ebenso wohl im Gebrauch als bei uns, während die Zahlwörter dieser Völker der lateinischen Sprache entstammen. Hinsichtlich dieser historischen Beziehungen verweisen wir auf die „Ilustrirte Geschichte der Schrift“ (Entwicklung der Schrift, der Sprache und der Zahlen) von Karl Faul- mann (Wien 1880). 614 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN SITTEN UND GEBRÄUCHE. Das Studium der Sitten und Gebräuche eines Volkes ist von grossem Werthe in Bezug auf die Erkenntniss seiner Vergangenheit, auf Ursprung und Geschichte desselben. Eingelebte Gebräuche bleiben lange erhalten, und sie haben alle oder hatten einmal, so bizarr sie uns jetzt erscheinen mögen, Sinn und Berechtigung. Wenn man sie nicht mehr befriedigend zu erklären weiss, wenn die Einsicht und das lebendige Gefühl ihrer Bedeutung sich verloren hat, so ist dies nur ein Beweis hohen Alters derselben. Die Persistenz der Sitten, Gebräuche und eingelebter Gewohnheiten zeigt sich z.B. in Indien, wo die Eingebornen ihren alten Gewohnheiten treu bleiben trotz täglicher Be- rührung mit den Engländern und langer Dauer der Herrschaft dieser letzteren. Es waren Gesetzesvorschriften, Machtmittel nothwendig, um die Wittwen von Malabar zu hindern, dass sie auf den Gräbern ihrer Herren und Gatten sich selbst ver- brennen, und ein gleich energisches Einschreiten wird nöthig werden, um den Fällen freiwilligen Opfertodes unter den Rädern des Wagens Jaggernaut ein Ende zu machen. Die Gebräuche bleiben oft noch erhalten, nachdem der Ideenkreis, die Weltanschauung eines Volkes sich gänzlich N | geändert hat; bei einiger Aufmerksamkeit und Sachkenntniss können wir bei uns noch Bräuche entdecken, welche aus den Zeiten des Heidenthums herrühren. “Ebenso finden wir bei andern Völkern Gewohnheiten und Uebungen aus alter Vorzeit, die noch von den Urbewohnern des Landes oder von dessen ersten Eroberern herstammen. Es ist zu unterscheiden zwischen natürlichen Gewohnheiten und blossen Nachahmungen von solchen. Die ersteren sind eine Folge gegebener Verhältnisse, oft 2 | so sehr, dass sie sich aus diesen als etwas Nothwendiges und Unvermeidliches ergeben. Man trifft sie daher bei allen Völkern, welche sich auf derselben Kulturstufe befinden oder 1 unter den nämlichen Lebensbedingungen stehen. Blutrache, Frauenraub etc. bezeichnen transitorische Zustände, Stadien, welche von fast allen menschlichen Gesellschaften durchge- macht werden mussten oder müssen; auch findet man die- l SITTEN UND GEBRÄUCHE 615 selben auf den verschiedensten Stellen der bewohnten Erdober- fläche. Die Sitte, Wohnungen auf Pfählen im Wasser zu errichten, konnte an Flachküsten und sumpfigen oder Ueber- schwemmungen ausgesetzten Ländern zur Nothwendigkeit werden; sie kann daher bei verschiedenen Völkern aufge- kommen sein, die miteinander in keinen Beziehungen standen und kein Wissen von einander hatten. — Wesentlich ver- schieden hievon ist der Sachverhalt bei blos angenommenen, überkommenen oder nachgeahmten Bräuchen, wie Beschneidung, Männerkindbett, solchen Pfahlbauten, zu deren Errichtung kein Grund RR u. dgl. Solche En, welchen es unter den Verhältnissen, in denen man sie findet, an innerlicher Be- rechtigung, an „raison d’etre“ fehlt, können in einem Lande eingeführt worden sein durch die ersten Ansiedler oder von Eingebornen in sklavischer, nicht einem wohl erkannten und mit Bewusstsein angestrebten Zwecke dienender Nachahmung dessen, was sie bei andern Völkern und Individuen sahen, mit welchen sie in Berührung kamen. Diese zwei Kategorien von Sitten und Gebräuchen sind nach ihrer wissenschaftlichen Bedeutung sehr verschieden: die ersteren haben lediglich den Werth eines deskriptiven Elements, eines charakteristischen Bestandtheils der Beschrei- bung von Land und Volk; den letzteren aber kommt eine geschichtliche Bedeutung zu, denn sie sind Indizien alter Beziehungen, wo nicht gemeinsamer Abstammung, der Bluts- verwandtschaft zwischen den Völkern, welche in diesen Sitten übereinstimmen. Wenn verschiedene Stämme eines Volkes sich von einander trennten, brachten sie die Sitten ihrer Heimat mit in ihre neuen Wohnsitze und sie blieben ihnen treu aus Anhänglichkeit an dies Erbtheil ihrer Vorfahren oder durch die Macht der Gewohnheit, wenn auch die alten Bräuche in den Verhältnissen der neuen Heimat nicht begründet und insofern nicht weiter berechtigt waren. Andererseits werden durch den Kontakt mit fremden Völkern Neuerungen veran- lasst. Friedliche Beziehungen haben einen Ideenaustausch und gegenseitige Entlehnungen in Brauch und Sitte zur Folge; bei feindlichen Verhältnissen aber zwingt der Eroberer dem Besiegten seine Sitten auf, und es bleiben Spuren eines solchen Zustandes in den Gewohnheiten eines Volkes oft länger er- halten als in seiner Erinnerung. Es ist das nicht in Wider- 616 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN spruch mit dem, was oben von dem geringen Einfluss der englischen Herrschaft in Indien gesagt wurde: nicht alle Eroberer haben Religion, Sitten und Gebräuche der unter- worfenen Völkerschaften so respektirt, wie dies in unsern Zeiten zu geschehen pflegt. Dr Reisende wird also nicht nur eine Beschreibung der Sitten und Gebräuche des von ihm besuchten Volkes geben, sondern auch nach einer Erklärung oder nach dem Ursprung — derselben suchen. Er wird finden, dass diese Bräuche zum Theil Folgen eines jetzigen oder früheren sozialen Zustandes, zum Theil durch eigenthümliche Naturverhältnisse bedingt sind, eine dritte Gruppe derselben aber fremdes Produkt ist, das entlehnt oder eingeführt wurde und dessen Herkunft nun ermittelt werden soll. Hiebei kann auf Mitwirkung der Eingebornen kaum ge- rechnet werden, ausgenommen, es handle sich um erst kürzlich in Aufnahme gekommene Sitten. Meistens wird man die Er- klärungsgründe für die einen und die Quelle der andern Bräuche selbst ausfindig machen müssen. Die Zahl der Per- sonen, die genaue Angaben hierüber liefern könnten, wird immer eine kleine sein, und auf Fragen nach dem Grunde oder Ursprung irgend einer auffallenden Erscheinung dieser Art wird man gewöhnlich die Antwort erhalten: „Das wissen wir nicht“ oder „Das ist immer so gewesen.“ Wie Wenige gibt es ja verhältnissmässig selbst bei uns, die derartige Fragen nach Gründen und Ursachen in befriedigender Weise zu be- antworten vermögen! Nach diesen Vorbemerkungen geben wir nachstehend eine Uebersicht verschiedenartiger Volksbräuche, welche in Betracht kommen können. Dabei handelt es sich indess weder um eine vollständige Liste, noch um eine ausführliche Darlegung derselben; vielmehr haben wir lediglich den Zweck im Auge, die Aufgabe des Reisenden zu erleichtern durch den Hinweis auf eine Anzahl bemerkenswerther Eigenthümlichkeiten, die beobachtet zu werden verdienen, und welche sodann die Auf- merksamkeit auch auf andere Erscheinungen des Volkslebens lenken werden. Begrüssungen. Wir entblössen das Haupt, die Chinesen aber bedecken sich, um zu grüssen. Bei Empfang von Gästen stehen wir auf, die Polynesier und Malayen aber SITTEN UND GEBRÄUCHE 617 setzen sich. Kehrt man Jemandem den Rücken, so betrachten wir das als eine arge Unhöflichkeit; auf einigen Inseln des grossen Ozeans aber gilt das als Respektsbezeugung; das Küssen der Hand oder des Kleides ist bei vielen Völkern ein Zeichen der Achtung, das zu geben nicht unterlassen werden darf. Einem Höhergestellten, den man anredet, die Hand zu reichen, würde bei uns als eine zu familiäre Umgangsform betrachtet, während das in den Vereinigten Staaten üblich ist. Nicht weniger verschieden sind die Höflichkeitsformeln bei der Anrede. Im Orient überschüttet man den Ange- sprochenen mit einer wahren Litanei von Segenswünschen für ihn und seine Vorfahren; dann erkundigt man sich nach der Gesundheit seiner Familienmitglieder; dabei darf aber ja nicht auch von den Frauen gesprochen werden, was ein ganz unverzeihlicher Mangel an Takt wäre. Bei uns hin- gegen sind die Begrüssungsformeln kurz, und wenn man mit der Familie des Angesprochenen einigermassen bekannt ist, so wäre es unhöflich, wenn man sich nicht auch nach dessen Mutter, Frau oder Schwester erkundigen würde. Wir wenden fast nur „Herr“ als Titel an, das Fürwort „Du“ aber nur gegenüber Freunden; der Muselmann ver- schwendet den Titel „Sidi“ (gnädiger Herr, Seigneur), redet aber dabei Jedermann mit „Du“ an. Uebrigens hat der Gebrauch dieses Fürworts (das „Dutzen“) in vielen Ländern gar nicht den Charakter familiärer Vertraulichkeit oder eines Mangels an Respekt. Bei den Indianern, Eskimos etc. redet man sich nicht mit dem Namen, sondern mit dem Verwandt- schaftstitel an; sind zwei Männer nicht verwandt, so ge- brauchen sie statt dessen ‘die Anrede „Freund.“ Wir grüssen nur unsere Bekannten; an vielen Orten auf dem Lande wird aber jeder Vorübergehende ohne Unterschied gegrüsst und zwar oft unter Beifügung von Grussformeln, welche etwas Rührendes haben. ; In Tibet tauschen Personen gleichen Ranges, die sich zum ersten Mal sprechen, mit einander leichte Schärpen von weisser oder karmoisinrother Seide aus; ein Höhergestellter erhält die Schärpe beim Kommen, eine Person tieferen Ranges beim Gehen. Wir verbeugen uns gegenüber Höhergestellten; in vielen Gegenden aber darf ein solcher erst dann angeredet werden, 618 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN nachdem man sich vor ihm auf die Erde geworfen hat, oder man muss selbst während des Sprechens in dieser Lage bleiben und darf auch nicht zu ihm aufblicken. Vor dem Eintritt in ein Haus oder in die Kirche nehmen wir den Hut vom Kopfe; der Japanese aber zieht die Schuhe ab, wenn er in ein Haus, der Muselmann, wenn er in eine Moschee eintreten will. Freundschaftsbezeugungen. Die Art und Weise, freund- schaftliche Gesinnungen auszudrücken, verdient bei noch wenig bekannten Völkern wohl studirt zu werden; man kann damit späteren Reisenden unliebsame Missgriffe ersparen und es ihnen möglich machen, sofort zu verstehen zu geben, dass sie in friedlicher Absicht kommen. Die Freundschaftsbezeugungen sehen feindlichen Demonstrationen oft zum Verwechseln ähnlich: oft sind es Schreie, Sprünge und Gesten, die keineswegs beruhigender Art scheinen, wenn man mit ihrer Bedeutung nicht vertraut ist. Bisweilen werden Freundschaftsversiche- rungen bekräftigt durch Zeremonien wie die Opferung eines Hundes bei den Papuas, den Austausch injizirten Blutes oder einen blossen Tausch der Namen bei verschiedenen andern Völkern. Et Verträge und Eidschwüre. Es ist sehr wichtig, die Formen kennen zu lernen, welche bei Vertragsabschlüssen und Verabredungen allgemein angewendet zu werden pflegen, damit diese perfekt und gültig sein sollen; zu wissen, welche Zeremonien oder Formeln dazu gehören, dass die vertrag- schliessenden Parteien sich für unbedingt gebunden erachten. Ebenso hat man sich zu erkundigen, ob es verschiedene Eides- oder Betheuerungsformeln gibt und welches die höchste derselben, beziehungsweise eine solche ist, wonach die Ein- gebornen den geleisteten Schwur nicht mehr zu brechen wagen. | Eine Uebereinkunft bedarf mitunter zu ihrer Verbind- lichkeit der Gegenwart von Zeugen oder, was besonders bemerkt zu werden verdient, es wählen die Kontrahenten, z. B. zwei Volksstämme, einen stummen Zeugen, d. h. sie bedienen sich eines Gedenkzeichens (eines aufgehobenen Steines u. dgl.), das später als Nachweis für die Gültigkeit der getroffenen Vereinbarung angerufen wird. SITTEN UND GEBRÄUCHE 619 "Gastfreundschaft. Bei manchen Völkern findet man eine weit gehende Gastfreundschaft. Die Bewohner Schott- lands waren in dieser Hinsicht ehemals sprichwörtlich; heute noch sind es die Kabylen: obgleich arm, stellen sie dem Fremden reichlich und ohne davon Aufhebens zu machen, zur Verfügung, was er nöthig hat; wenn Jemand die Mittel nicht besitzt, um seinen Gast angemessen zu bewirthen, so trägt das ganze Dorf hiezu bei, und das dargebotene Mahl geht im Allgemeinen weit über das hinaus, welches der Wirth für sich selbst zu verwenden gewohnt ist. Einen ähnlichen gastfreundlichen Sinn trifft man bei anderen Ge- birgsvölkern und Nomaden; nur muss man sich mit dem begnügen, was bei ihnen zu finden ist. Anaya. Die Gastfreundschaft schliesst meistens auch die Pflicht zum Schutze des aufgenommenen Fremden in sich. Jemandes Gast sein, unter seinem Dache geschlafen haben, ist im Allgemeinen gleichbedeutend mit „unter dessen Schutze stehen.“ Dieser Schutz reicht aber oft nicht über die Schwelle der Wohnung hinaus, und Mancher, der das Leben des an seinem Herde weilenden Gastes respektirt, trägt kein Bedenken, denselben zu tödten, wenn Dieser das Haus verlassen hat. Bei den Kabylen des Gebirges erstreckt sich der Schutz des Gastes weiter und der Wirth übt ihn wirksam aus, indem er, sein Bruder oder sein Sohn den Gast bis zu den Grenzen des Stammes begleitet und ihn dem Nachbarstamme empfiehlt. Es ist aber zum Schutze nicht immer eine Begleitung nothwendig; vielmehr genügt es, wenn der Gast Träger eines Gegenstandes (Stockes etc.) ist, welchen die Bewohner der Gegend als Eigenthum Dessen kennen, der die Gastfreundschaft gewährt. Ein solcher Gegenstand ist ein Talisman, ein symbolischer Geleitbrief, welcher als gleichbedeutend mit der Anwesenheit seines Eigenthümers gilt; es ist sein Anaya. Wer den Träger dieses Zeichens angreift, beraubt oder sonst unangemessen behandelt, fügt dadurch dem Beschützer einen Schimpf zu und hat dessen Rache zu gewärtigen. Das Anaya findet noch in andern Fällen Anwendung. Ein Mensch begeht z. B. einen Mord, um seine Ehre zu rächen, und flüchtet sich zu einem andern Stamm. Das Anaya, das ihm ge- währt wird, ist nun gleichbedeutend mit Verleihung des 620 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Asylrechts. Droht Jemandem von seinen Feinden unmittel- bare Todesgefahr, so kann er gerettet werden durch die Dazwischenkunft eines Dritten, selbst einer Frau, wenn er das Anaya dieser Drittperson anruft und erhält. Die Er- theilung desselben kommt hiebei der Ausübung des Begna- digungsrechtes gleich. In andeın Fällen ist das Anaya ein Aequivalent des „Tabu“, von welchem wir sofort sprechen werden. Bei Zwistigkeiten und Unruhen im Innern wie bei Bürgerkriegen, wird ein Weg, Brunnen, Marktplatz etc. durch das demselben ertheilte Anaya zu einer neutralen, gewissermassen geheilisten Stätte, wo selbst die unversön- lichsten Feinde ruhig zusammentreffen dürfen: denn wehe dem, welcher zuerst den Frieden und das Schutzrecht bräche, dessen Symbol das Anaya ist! Tabu. Das „Tabu“ der Südsee-Insulaner ist eine Art Heiligung einer Person oder Sache durch die Priester oder Häuptlinge. Ein Mensch, ein Nahrungsmittel, ein Fleck Erde können als „Tabu“ an werden, a alkalnın wagt Nie- mand sie zu berühren. Fast überall ist der Herrscher ‚Tabu‘, E d. h. geheilist; man wagt nicht, ihn zu berühren, noch iz Augen zu Ar zu Schalen. Die Verletzung des Tabu hat die schwersten Strafen, fast immer den Tod zur Folge. Blutrache. Die Sitte der Blutrache (Vendetta) findet sich noch in vielen Ländern und hat wahrscheinlich früher überall geherrscht. Sie besteht in einer Verpflichtung u N n) R Glieder einer Familie oder eines Stammes, den Tod eines der Ihrigen an dem Mörder oder dessen ala zu rächen, ohne Bi die Gerichte angerufen werden. Wo sie nicht beschränkt ist, veranlasst sie begreiflicher Weise Repressalien, und der Ehre beider Familien oder Stämme ist nicht eher Genüge geleistet, als bis dieselben sich sozusagen gegen- seitig ausgerottet haben. In manchen Fällen aber hat diese” barbarische Gewohnheit bestimmte Grenzen, indem man sich gegen die Ausübung der Blutrache sichern kann durch Bezah- lung einer Busse (Did der Araber, Wergeld der alten Germanen). Zweikampf. Mit der Blutrache ist der Zweikampf oder das Duell insofern analog, als auch er bezweckt, eine Be leidigung direkt zu rächen, ohne dass man sich an die Gerichte wendet. Ob diese Sitte gut und wirksam sei oder nicht, kommt hier nicht in Betracht; der Reisende hat einfach $ 4 SITTEN UND GEBRÄTCHE 621 zu konstatiren, ob sie noch existire oder nicht, wo und in welcher Form dies der Fall sei, ob als Duell nach unsern Begriffen, als Einzelkampf mit beidseitig gleichen Chancen ‚oder mit Entscheidung durch das Loos, sodass nur einer der Gegner sich der Gefahr aussetzt. — Hier ist auch das Bauchaufschlitzen (Harikiri) zu erwähnen, welches bekannt- lich in Japan ein Jeder an sich zu vollziehen hat, wenn er beleidigt oder entehrt wurde. Diebstahl und Raub. Auf Diebstahl und Raub ist nicht überall Strafe gesetzt wie in der zivilisirten Gesell- schaft; sie gelten vielmehr in manchen Ländern als etwas Verdienstliches, falls sie kühn und mit Erfolg unternommen wurden, und den Personen, welche sie ausüben, fehlt es selt- samer Weise oft nicht an Gefühlen, die mit solchen Lebens- gewohnheiten unvereinbar scheinen. Ein kurdischer Brigant fiel eines Tages unversehens einen methodistischen Geistlichen an und forderte demselben seine Kleider ab. Der Geistliche fragte ihn kaltblütig, ob er sich nicht schäme, einen alten Mann anzufallen, der sich nicht vertheidigen könne, worauf sich der Brigant ganz verwirrt unter Entschuldigungen ent- fernte. Zwei Amerikanerinnen, welche nur in Begleit ihrer Diener in Armenien reisten, wurden am Van-See von Räubern überfallen. Zur Ablieferung ihres Geldes und Schmuckes aufgefordert, antworteten die Damen, dass Ehrenmänner alleinreisenden Frauen Schutz angedeihen lassen, und sie wussten diese Seite so gut zu berühren, dass die Cavaliers sie wohlbehalten an ihren Bestimmungsort brachten. Razzias, Sklavenjagden. In manchen Ländern sind Razzias oder bewaffnete, zum Zweck der Plünderung ver- anstaltete Ueberfälle an der Tagesordnung. Dabei bricht man unversehens in einen Stamm oder ein Dorf ein, tödtet die Menschen, zündet die Wohnungen an und be- mächtigt sich des Viehes wie aller Gegenstände, die von Werth scheinen. Am häufigsten sind diese Razzias in Zentral- afrika, wo sie von den Häuptlingen veranstaltet werden, welche selber die Lieferanten der Sklavenhändler sind. Die Wegnahme des Viehs ist dabei Nebensache; der Hauptzweck ist zugestandenermassen die Sklavenjagd. Von den Gräueln, welche diese Raubzüge zur Folge haben, kann man sich kaum eine Vorstellung machen. 622 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Entführung. Hiebei handelt es sich nicht um Massen von Menschen, sondern mehr um Einzelfälle, meist um Frauen und Kinder, welche gefangen genommen und bei dem Stamme, der sie wegführte, als Sklaven gehalten werden. Oft ist der Menschenraub die Handlung eines Einzelnen: jeder Mann, der eine Frau will, muss eine solche aus einem benachbarten Stamme durch List oder Gewalt entführen. Als mehr oder minder simulirter Frauenraub bleibt diese Sitte ihrer Form nach oft noch lange erhalten, wenn sie im Wesen längst erloschen ist, so zwar, dass der Gatte sich lächerlich machen würde, wenn er seine @efährtin nicht durch Entführung erhalten zu haben. schiene. Epigamie. Die Epigamie im weitern Sinne ist das Recht, eine eheliche Verbindung einzugehen. Dieses Recht ist den verschiedenartigsten Beschränkungen unterworfen. Zunächst können Altersgrenzen festgesetzt sein. Bei den alten Peruanern durften die Männer sich erst mit 24 Jahren verehelichen, die Frauen mit 18 Jahren. Auch bei den Abiponen am Paraguay ist die Ehe erst für Personen reiferen Alters gestattet. Sehr frühe Eheschliessung findet man hin- gegen bei den Eskimos, den Arabern etc., bei letzteren sogar solche im Alter von 9 oder 10 Jahren. Mitunter besteht blos ein gewisses Altersvorrecht: am manchen Orten gestattet die Sitte nicht, dass eine jüngere Tochter vor ihren älteren Schwestern sich vereheliche. : Fernere Einschränkungen beziehen sich auf die Verwandt- schaftsgrade,; sie sind theils in besondern Vorschriften aus- gesprochen, zum Theil beruhen sie nur auf der bei einem Volke herrschenden Ansicht über Ehen zwischen einander nahestehenden Personen, wobei gewisse Verbindungen infolge der herrschenden ungünstigen Meinung selten oder gar nicht vorkommen. Es sind aber diese Schranken sehr ungleich gezogen. Bei den Veddahs auf der Insel Ceylon kann der Bruder seine jüngste Schwester heirathen; die Hindus aber verbieten die Ehe zwischen Verwandten bis zum sechsten Grad, die Chinesen diejenige zwischen Personen gleichen Namens, die Araber diejenige zwischen Personen, welche von derselben Frau gestillt wurden (Milchbruder und Milch- schwester) u. s. f. Pe RETRRE: E23 SITTEN UND GEBRÄUCHE 623 Endlich unterliegt das Recht des Eheabschlusses Bedin- gungen besonderer Art. Bei einigen Indianerstämmen am Amazonenstrom muss der künftige Gatte vorerst beweisen, dass er in der Handhabung des Bogens hinlänglich geübt ist, um durch Jagd und Fischfang den Unterhalt seiner Familie zu sichern. In Europa fehlt es nicht an einem Analogon hiezu: dass der Heirathskandidat sich ausweisen muss über den Besitz der Mittel, die für unumgänglich nöthig gefunden werden zur Ernährung einer Familie, als eine Garantie gegen die Gefahr, dass die Kinder der Ge- meinde zur Last fallen. Was die Frauen anbetrifft, so sind bei Völkern, wo die Ge- sellschaft sich Rechte auf die Töchter des Landes vindizirt, diese zuweilen gehalten, sich hievon loszukaufen durch eine Periode des Hetärismus, der Prostitution. Meist ist indessen die Pflicht dieser Preisgebung nur gegenüber dem Repräsentanten der Gottheit oder dem Landesherrn zu erfüllen. Ein Ueberrest dieser im Alterthum sehr verbreiteten Sitte war das jus prime noctis, „le droit du seigneur“, welches ehemals in Frankreich !) bestand. Der Reisende wird sich nicht auf die Konstatirung dieser verschiedenen Eigenthümlichkeiten ‘beschränken, sondern die Gründe und Vorwände für XWieselben zu erfahren suchen, d. h. er wird sich einerseits bemühen, eine natürliche und logische Erklärung derselben zu geben, andererseits mit- theilen, was bei dem betreffenden Volke zur Rechtfertigung eines solchen Gebrauches angeführt wird. Ferner sind un- verkennbare Wirkungen solcher Eigenthümlichkeiten zu er- wähnen, z. B. wie sich frühe Heirathen und Ehen zwischen nahen Blutsverwandten äussern in Folgen für die Nach- kommenschaft, deren Lebenskraft oder Verfall. Exogamie. Die Vorschrift oder Sitte, dass die Männer eines Volksstammes ihre Frauen aus einem andern Stamme zu nehmen haben, wird als Exogamie bezeichnet. Eine solche Vorschrift kann die Vermeidung von Ehen zwischen Bluts- verwandten bezwecken; die Sitte kann ihren Grund haben im Mangel an Frauen beim eigenen Stamme, so zwar, dass sie wenigstens ursprünglich hiedurch veranlasst wurde, wenn 1) Vgl. die zweifelnde Bemerkung von Bluntschli; Ed. Osenbrüggen, Studien zur deutschen und schweizerischen Rechtsgeschichte, Schaffhausen 1868, S. 88. 624 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN auch später diese Ursache aufhörte. Oft ist diese Sitte ein Ueberrest des Brauches, die Frauen aus einem fremden Stamme zu entführen. Bei kriegerischen Völkern war es lange Zeit eine Ehrenpflicht des Mannes, seinen Muth durch Raub von Frauen bei einem benachbarten Stamme zu beweisen ; die- jenigen, welche nicht fremde Frauen besässen und sich die- selben durch solche Entführung verschafft hätten, wären nicht als berühmte Krieger betrachtet worden. Später trat an die Stelle des wirklichen Frauenraubes eine blosse Simu- lation desselben; sodann wurde auch auf diese verzichtet, aber es erhielt sich die Sitte, Frauen von auswärts zu nehmen. So ist es manchenorts, z. B. in der Herzegowina, zwingender Brauch, dass die Jünglinge ihre Lebensgefährtinnen in einem andern Stamme oder Clan suchen. Endogamie. In direktem Gegensatz zur Exogamie steht die Vorschrift oder Sitte, dass die Männer ihre Frauen aus dem eigenen Volksstamme zu nehmen haben: die Zndogamie. Die Beweggründe hiefür können verschiedener Art sein. In | mächtigen und stolzen Volksstämmen, Kasten oder Klassen, welche sich für edleren Ursprungs als andere hielten, wollte man hiedurch die „Reinheit des Blutes“ bewahren und „Miss- heirathen“ vermeiden. Die Verletzung des Brauches durch Eingehung einer „m£salliance“ zieht oft den Verlust der Standesrechte und förmliche Degradation, d. h. die Ver- setzung in eine niedrigere Kaste oder Klasse, nach sich. Schwache Stämme aber verboten ihren Angehörigen, sich fremde Frauen zu nehmen, um sich nicht durch Entführungen Repressalien der hievon betroffenen Nachbarstämme zuzu- E ziehen. So erklärt sich die Koexistenz der beiden einander entgegengesetzten Bräuche in einem und demselben Lande: $ die mächtigeren Stämme erlaubten sich ihre Frauen aus den schwächeren wegzuholen ; diese aber fanden es gerathen, R ihre Angehörigen in der Wahl ihrer Lebensgefährtinnen auf die Frauen des eigenen Volkes zu beschränken, damit nicht E der ganze Stamm durch die Handlungen eines Einzelnen in Gefahr komme. "| Polygamie. Die Sitte der Vielweiberei (Polygamie oder | Polygynie), welche einem Manne mehrere Frauen zu nehmen | erlaubt, ist weniger verbreitet als man gewöhnlich annimmt, indem manchenorts, wo die Vielweiberei gestattet ist, dieses SITTEN UND GEBRÄUCHE 625 Recht nicht oder nur von Wenigen benutzt wird. Polygamie herrscht gewöhnlich bei den Völkerschaften, wo die Stellung des Weibes eine niedrige, nach unserer Auffassung geradezu -empörende ist, indem das Weib schwere Arbeit verrichten muss wie ein Sklave oder Lastthier, während sein Herr und Meister der Jagd und dem Fischfang nachgeht oder an der Sonne faullenzt; unter solchen Verhältnissen bedeutet eben eine Mehrzahl von Frauen ebensoviele Dienerinnen, die beinahe gratis zu arbeiten haben. _ In den Küstenländern Afrikas, wo die Väter ihre Kinder verkaufen, läuft die Vielweiberei — schrecklich, aber wahr! — auf eine niedrige kommerzielle Spekulation hinaus. Bei kriegerischen Stämmen, welche einen hohen Ruhm darin erblicken, dem Feinde Gefangene abzunehmen und die Frauen benachbarter Völkerschaften oder sogar diejenigen schwächerer Glieder des eigenen Stammes zu entführen, ist das Weib eine Trophäe; je mehr Frauen Jemand hat, um so grösser ist sein Ansehen. Ueberdies befindet sich das Weib auch hier in der Rolle einer Sklavin oder ist wenigstens von Nutzen für häusliche Arbeiten. Wo hingegen die Frauen ein müssiggängerisches Leben führen, da ist die Polygamie mit grossen Kosten verbunden und daher nur den Reichen möglich. Auch gilt sie als ein Luxus, als ein Zeichen der Macht und des Reichthums. Thatsächlich ist also in solchen Fällen die Vielweiberei, obwohl gestattet, nicht allgemeiner Brauch; vielmehr haben die meisten Männer nur Eine Frau. Gewöhnlich ist auch vorgeschrieben, dass Jemand nicht mehr Weiber ehlichen dürfe, als er angemessen zu unterhalten vermag. In Afrika ist die Polygamie sehr verbreitet; für einen Fürsten ist es gewissermassen obligatorisch, sich eine grosse Zahl Frauen zu halten; diese Anzahl nimmt aber von den obern nach den untern Stufen der gesellschaftlichen Rang- ordnung rasch ab. In Asien war die Vielweiberei fast bei allen Völkern gestattet; thatsächlich kommt sie aber daselbst fast nur bei den Reichen vor. Mit der Vielweiberei ist die Sitte nicht zu verwechseln, welche in China existirt, sich sogenannte „kleine Frauen“ (ftsiei) zu halten, eine Art Beischläferinnen, welche von der rechtmässigen Ehefrau ab- hängig sind. Die Polygamie findet sich ferner bei den 40 626 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Mormonen in den Vereinigten Staaten (Utah); aber ihre Frauen haben wesentlich die Rolle von Haushälterinnen und als solche in mancher Beziehung eine ähnliche Stellung wie die „Squaws“ der Rothhäute. Was die Wirkungen der Vielweiberei betrifft, so wird gesagt, dass diese Sitte namentlich Entzweiungen und In- triguen im Schoosse der Familie zur Folge hat oder vielmehr auf die Zerstörung des Familienbegriffes hinausläuft. Dies | ist allerdings der Fall, wo die Frau ein müssiges Leben führt, ohne Arbeit und einen bestimmten nützlichen Zweck, und demnach vollauf Zeit hat, sich mit Eifersüchteleien und Intriguen abzugeben, womit siein Ermanglung von Besserem die Leere ihres Daseins auszufüllen versucht sein wird. Anders aber verhält es sich, wo das Weib Sklavin oder Dienerin ist; hier wird eine neue Frau von den bisherigen Weibern gern \ gesehen; bringt sie ihnen doch Erleichterung, Hülfe bei den Arbeiten, welche denselben insgesammt obliegen. Aufgabe \ des Reisenden wird es sein, die Wirkungen kennen zu lernen, | welche die Polygamie im einen oder andern Lande hat; dies” wird erleichtert durch den oben erwähnten Umstand, dass oft im selben Lande polygame und monogame Haushaltungen nebeneinander vorkommen, womit Anhaltspunkte zu Vergleich- ungen gegeben sind. 1 Polyandrie. Weit seltener als die Vielweiberei ist die Polyandrie, wonach ein Weib die Ehefrau mehrerer Männer sein kann. Man findet diese Sitte in Tibet, in Südafrika und bei den Todas der Nilgherris im südlichen Indien, wo, | sie unter Brüdern oder durch Assoziation praktizirt wird und ihren Grund in der Armut hat. h Nach den Berichten der Reisenden zu schliessen, äussern sich die Wirkungen der Polyandrie nicht, wie man glauben sollte, in häuslichen Zwistigkeiten dieser ehelichen Gemein schaften. Br Bei den Nairs in Indien und einigen andern wilden 2 zu heirathen. Monogamie. Im Gegensatze zu den beiden soeben be= sprochenen Fällen der mehrfachen Ehe steht die Monogamie |) oder Monogynie, wonach der Mann nur eine Frau haben soll | SITTEN UND GEBRÄUCHE 627 und umgekehrt die Frau nur einen Mann. Diese Einerehe ist Sitte und Gesetz in unseren zivilisirten Gesellschaften, findet sich übrigens, wie bemerkt, aus ökonomischen Gründen auch ‘oft in Ländern, wo die Vielweiberei gestattet ist. Ehelosigkeit. Die Ehelosigkeit kann kaum als eine Sitte betrachtet werden. Indessen ist zu beobachten, ob sie häufig sei und sind deren Ursachen zu ermitteln. In einigen Ländern ist sie durch die Gesetze oder .die öffent- liche Meinung verpönt und untersagt, anderwärts im Gegen- theil gewissen Klassen oder Berufsarten vorgeschrieben (Cölibat der Geistlichen etec.). Kauf der Frauen. In vielen Gegenden werden die Frauen den Eltern oder ihrem Stamme abgekauft. Die Be- dingungen werden oft verabredet, ohne dass man die haupt- sächlich Interessirte zu Rathe zieht; sie wird hinweggeführt, wenn die Andern sich über den Handel geeinigt haben. Mit- unter wird auf etwas mehr Form gehalten; aber die Sache selbst bleibt sich gleich. Hat der Kauflustige, beziehungs- weise der Bräutigam, nicht die nöthigen Mittel zur Bei- bringung der verlangten Geldsumme oder Naturalien (Stücke Vieh etc.), so leistet er hiefür Ersatz durch Arbeit, indem er für eine gewisse Zeit lang in der Familie der Braut dient, wie dies von Laban aus der Bibel bekannt ist. Es ist nur eine andere Einkleidung der Sache, wenn an die Stelle eines Kaufpreises Geschenke treten, deren Werth und Vertheilung vorher genau bestimmt wurde. Im einen wie im andern Falle kann der Leistung, welche der Bewerber übernimmt, eine verschiedene Bestimmung gegeben werden: entweder bleibt dieselbe in den Händen der Eltern, oder sie kommt der Braut als Eigenthum zu, oder es findet zwischen der Braut und ihren Eltern eine Theilung dieser Summe statt. Falls zur Gültigkeit des ganzen Uebereinkommens die Zustimmung der Braut gehört, ist dies zu bemerken. Durch den Kauf der Frau wird nicht überall das Recht erworben, diese hinwegzuführen. Bei einigen Völkern muss er Mann in der Familie oder dem Stamme seiner Frau leben. Eine ähnliche Sitte soll noch bei den Basken vorkommen: die älteste Tochter verlässt das väterliche Haus nicht; ihr Mann muss bei ihr wohnen und selbst ihren Namen an- nehmen, damit Haus und Name erhalten bleiben. 628 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Der Kauf einer Frau sichert dem Mann oft nicht einmal das Eigenthumsrecht auf die Kinder dieser Ehe. Bei einigen afrikanischen Völkern muss der Mann seine eigenen Kinder bei deren Geburt erkaufen oder dafür zum Voraus eine bestimmte Summe entrichten, ansonst dieselben seinem Vater (ihrem Grossvater von väterlicher Seite) gehören. Auf einer der Sunda-Inseln (Timor) steht das Eigenthumsrecht auf die Kinder ihrem Grossvater mütterlicherseits zu, und der Ehe- mann hat von diesem (seinem Schwiegervater) den Verzicht auf jenes Recht zu erkaufen. An der Küste von Guinea gehören die Kinder ihrem Onkel von mütterlicher Seite, und dieser kann sie verkaufen, ob die Eltern wollen oder nicht. Eine weniger verbreitete Form des Frauenkaufs, die bei den Malayen und einigen abyssinischen Völkerschaften vor- zukommen scheint, ist der Tausch: wer sich ein Weib ver- schaffen will, gibt dafür seine Schwester oder eine andere Frau, die er etwa aus einem benachbarten Stamme ent- führt hat. Mitgift. In einigen Ländern ist es Brauch, dass die Jungfrau bei der Verheirathung von ihrer Familie eine Möt- gift erhält, sei es in Baar, sei es in natura (Vieh, Land), sei es als Aussteuer in Kleidern und Mobiliar, welche ent weder nur für den eigenen (persönlichen) Bedar: der Frau oder für den ganzen Haushalt der neuen Familie u ist. In einigen Schweizerkantonen wird diese Aussteuer auf einem Wagen mit gewissem Pomp durch die Gassen des Dorfes” zum Hause des künftigen Gatten geführt (Brautfuder, Braut- fahrt !). Anderswo hat im Gegentheil der Bräutigam die | Aussteuer oder wenigstens den "Brautschmuck (Corb.alk de | mariage) auf die Hochzeit zu liefern. Es bestehen hierin | manigfach gestaltete Volkssitten, deren Erwähnung stets vom) Interesse ist. a | 1) Bei der Abfahrt vom Hause oder aus dem Dorfe der Braut wird IE durch Kinder, welche sich in den Weg stellen, die Strasse gesperrt und ist durch F| kleine Geldspenden der Durchpass zu erwirken. Anderswo findet dies am Hoch- | zeitsmorgen statt, wenn die Brautleute zur Trauung gehen — ein Nachklang zu den im vorigen Paragraphen besprochenen Sitten und Gebräuchen. SITTEN UND GEBRÄUCHE 629 werden; man verlobt sie oft, wenn sie noch in der Wiege liegen, ja man verpflichtet sich hiezu eventuell schon vor ihrer Geburt. Wo aber mit der Verlobung zugewartet wird, bis die Kinder herangewachsen sind, erfolgt sie häufig ohne Befragung des Mädchens, ohne Berücksichtigung ihres Willens und oft auch ohne dass der Bräutigam vorher seine Braut sehen durfte; in noch andern Fällen hat auch der Bräutigam nichts Wesentliches zur Sache zu sagen: die Eltern der beiden Betheiligten arrangiren die Ehe, und diese haben zu gehorchen ; wenn allenfalls noch nach ihrer Ein- willigung gefragt wird, so ist dies blosse Formalität. Die eigene und freie, auf gegenseitige Sympathien und den Willen der beiden künftigen Gatten begründete Wahl ist, abgesehen von unserer zivilisirten Gesellschaft, mehr Ausnahme als Regel. a Auch die Formen, welche bei der Anfrage um die Hand eines Mädchens beobachtet werden, sind von Land zu Land verschieden. Bald wird diese Aufgabe einer Mittelsperson (Brautwerber) übertragen, bald hat der Heirathslustige selbst sich an die Eltern des auserwählten Mädchens zu wenden. Das eigentliche Verlöbniss, d. h. die Eingehung des Ehe- versprechens durch die beiden Betheiligten, ist oft ein feier- licher Akt, begleitet von allegorischen Zeremonien. Das Verlöbniss hat mitunter den Werth eines Rechts- geschäftes, selbst wenn es nur ein mündliches Versprechen war. In den Vereinigten Staaten hat Derjenige, welcher einem Mädchen die Ehe verspricht, dasselbe beim Bruche dieser Verpflichtung mit einer Geldsumme zu entschädigen. In verschiedenen Gegenden Deutschlands erbt die Braut das Vermögen des Bräutigams ganz oder theilweise, wenn dieser vor der Trauung stirbt. In Lika (österreichische Militär- grenze) hat die Braut bei Bruch des Verlöbnisses dem Bräu- tigam eine Summe zu entrichten vom doppelten Betrage der Auslagen, welche letzterer bei Anlass der Verlobung hatte; enn aber der Bräutigam sein Eheversprechen nicht halten will, muss er das Dreifache jener Auslagen als Entschädigung zahlen. Auch hinsichtlich der Dauer des Verlobungsverhältnisses oder Brautstandes, d.h. der Zeit zwischen der Eingehung les Eheversprechens und der Trauung, bestehen verschiedene un u a ii. \ wm - 630 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Gebräuche. In manchen Ländern folgt die Eheschliessung sehr bald auf das Verlöbniss und würde man sich kaum zu der Sitte eines langdauernden Brautstandes verstehen, die hingegen anderwärts (z. B. in Deutschland) Regel ist und den Vortheil hat, dass die Verlobten sich in dieser Zeit besser kennen lernen, was dazu angethan sein kann, die Zahl un- >| glücklicher, voreilig abgeschlossener Ehen zu reduziren. Ganz verschieden sind endlich die Sitten der einzelnen | Völker, was den Verkehr der Verlobten anbetrifft. In manchen | Ländern sind Braut und Bräutigam in dieser Hinsicht ganz frei: sie können sich nach Ermessen besuchen, so oft sie es wollen, und sich dabei allein sprechen, wenn es ihnen beliebt; anderwärts dürfen diese Besuche nur in Gegenwart der Eltern stattfinden, und in Montenegro darf der Bräutigam nach der Verlobung nicht mehr im Hause seines Mädchens erscheinen bis zur Hochzeit. In einigen Theilen der Schweiz hingegen wie auch in Schottland ist es Sitte, dass die Land- mädchen ihre Verlobten Samstag Abends heimlich empfangen (Kiltgang). r Hochzeit. Es gibt wohl nichts Manigfaltigeres als die” Zeremonien bei der Hochzeit, die Verschiedenheiten in Bezug auf das Hochzeitsgefolge, die damit verbundenen Freuden- bezeugungen u. s. w. Die Bräuche wechseln hier nicht nur von Land zu Land, sondern oft von Ort zu Ort. Dem Rei- senden wird es um so leichter werden, diese Sitten zu be- obachten und zu beschreiben, als im Allgemeinen der Fremde bei Hochzeiten ein gern gesehener Gast ist. ' Keuschheit und eheliche Treue. Ueberall ist die Frau zur Treue gegen ihren Mann verpflichtet, und es ist ohne Zweifel irrig, wenn einige Reisende berichten, dass bei gewissen Völkerschaften die Männer den Gästen ihre Frauen zur Ver- fügung stellen. Auf Verifikation hin hat es sich hiebei jeweilen herausgestellt, dass’ es Wittwen und nicht Ehefrauen waren, welche den Fremden in dieser Weise angeboten wurden. Auf einem ähnlichen Irrthum beruht wahrscheinlich die Angabe, dass bei einigen arabischen Stämmen. am Weissen Nil die Frauen nur an bestimmten Tagen jeder Woche die Verpflich- | tung haben, ihren Gatten „treu“ zu sein, während ihnen an den übrigen Tagen der Umgang mit andern Männern gestattet sei. Es ist nicht wahrscheinlich, dass, wo immer PT SITTEN UND GEBRÄUCHE 631 die Frau als ein Eigenthum betrachtet wird, der Mann einen solchen Eingriff in seine Rechte dulde. Hiefür sprechen die vielen und weitgehenden Beschränkungen, welche den Frauen -in Bezug auf den Verkehr mit Männern oder das Zusammen- treffen mit solchen auferlegt sind. Bei vielen Völkern darf sich die Frau nicht vor Fremden zeigen; wenn sie auf der Strasse Männern begegnet, so muss sie denselben den Rücken kehren oder die Augen niederschlagen und es kommt selbst vor, dass es ihr untersagt ist, an andere Mitglieder der eigenen Familie als an ihren Mann das Wort zu richten. In den Ländern mit Polygamie lebt die Frau gewöhnlich unter einem strengen System der Klausur; sie darf nur in Begleitung einer Verwandten oder Sklavin und wohlverschleiert ausgehen. Bei den Kabylen wird ein Jeder mit Busse be- straft, den man im Gespräche mit einer Frau antrifft oder der sich zu dem Brunnen begibt, wo die Frauen Wasser holen. Diese Strenge und diese Vorsichtsmassregeln gegenüber den verheiratheten Frauen kontrastiren seltsam mit der Gleichgültigkeit, welche gewisse Völker in Bezug auf die Vergangenheit der Frau, auf deren Verhalten als Mädchen, an den Tag legen. Manche sind allerdings auch hierin sehr streng, andere aber erstaunlich nachsichtig. Die Mädchen der Ouled Nails, eines arabischen Stammes in Algier, leben als Tänzerinnen von Beruf in freiester Weise; sie geben käuflich ihre Reize preis, und bei der Rückkehr zu ihrem Stamm werden sie gleichwohl zur Ehe begehrt; ihrer ge- sammelten Ersparnisse wegen sind sie sogar als Frauen sehr gesucht, obgleich Jedermann weiss, wie diese Mitgift er- worben wurde. In Japan werden die Mädchen von den Vätern für eine gewisse Zeit gegen Lohn öffentlichen Freudenhäusern übergeben; Niemand tadelt das im Geringsten; im Gegen- theil sind diese Mädchen nachher wegen der so erworbenen gesellschaftlichen Talente als Frauen gesucht. z Der Ehebruch hingegen wird bei den meisten Völkern bestraft, manchmal in schrecklicher Weise, wie durch Steini- gung und Lebendigbegraben u. dgl. Schwangerschaft und Niederkunft. Der Reisende beachte auch die Gebräuche, welche bei verschiedenen Völ- kern hinsichtlich der Schwangerschaft und Entbindung üblich sind. Die Neuigkeit, dass eine junge Frau sich Mutter fühlt, WW En ae ke _ 632 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN gibt in manchen Familien Anlass zu Freudenbezeugungen, und das Rögime, unter welchem die Frau lebt, wird für diese etwas sanfter, wiewohl sie im Allgemeinen die Hausgeschäfte bis zum letzten Augenblick, wo ihr dies noch möglich ist, weiter besorgt. Sehr seltsam ist es, dass hie und da auch der Mann in dieser Zeit seine Lebensweise modifizirt, indem er z.B. den Genuss des Fleisches gewisser Thiere unterlässt, aus Furcht, es könnten die Fehler derselben sich auf das Kind vererben oder auf dasselbe von nachtheiligem Einfluss sein, oder indem er in den paar Tagen unmittelbar vor und nach der Entbindung sich jeder schwereren Arbeit enthält, als ob seine Person es wäre, die zu dieser Zeit der Ruhe bedürfte. Männerkindbett. Dies führt uns zur Erwähnung der sonderbaren Sitte des Männerkindbettes oder der (Cowmwade, welche bei verschiedenen Völkern herrscht und darin besteht, dass der Mann sich zu Bette legt und sich sogar stellt, als erlitte er die Geburtswehen, wenn für seine Frau die Zeit der Entbindung heranrückt. Für diesen bizarren Gebrauch sind verschiedene Erklärungen und Auslegungen versucht worden, ohne dass es bis jetzt gelang, den wahren Grund seiner Entstehung zu finden. Es ist daher den Reisenden zu em- pfehlen, dass sie sich hierüber möglichst gut informiren; — vor Allem aber hat man sich davor zu hüten, diesen Brauch — wie dies in Bezug auf die Basken der Fall gewesen ist ” — Völkern zuzuschreiben, welche denselben nicht haben oder wenigstens seit sehr langer Zeit nicht mehr üben. Abortus und Kindsmord. Bei einigen Völkern, deren Existenz eine prekäre und welchen daher ein Familienzuwachs sehr unerwünscht ist, sind Abtreibung der Leibesfrucht und Kindsmord im Schwange. Die Schwierigkeit, ein kleines Kind ohne Mutter zu ernähren, hat dazu geführt, dass wenn die Mutter an den Folgen der Niederkunft stirbt, das Neuge- borne mit ihr begraben wird. In vielen Ländern wird bei” der Geburt von Zwillingen einer derselben dem Tode aus- gesetzt. Die barbarische Sitte, neugeborne Mädchen zu tödten, — ist noch sehr verbreitet; die Mädchen werden vielerorts als eine Last für die Familie betrachtet, und in vielen Stämmen, welche sie nicht tödten, steht ihnen dafür das harte Loos bevor, dass man sie nur erzieht, um sie später zu ver kaufen. SITTEN UND GEBRÄUCHE 633 Stillen und Entwöhnen. Landesbrauch und Sitte machen es der Mutter zur Pflicht, dass sie ihre Kinder stillt, oder geben es ihrem Ermessen anheim, ob sie dies -thun wolle. In manchen Ländern würden die Leute nicht begreifen, dass man das Stillen einer Amme überlasse, wenn es der Mutter nicht geradezu unmöglich ist. In diesem letzteren Falle hat eine muhammedanische Frau auf ihre eigenen Kosten für eine Amme zu sorgen. Charakteristisch ist mitunter die Art, wie das Kind in den ersten Zeiten seines Lebens eingewickelt und von der Mutter, wenn sie ihren Geschäften ausser dem Hause nach- geht, getragen wird. In ersterer Hinsicht kann man hie und da Bräuche beobachten, deren Zweck ist, dem Schädel eine bestimmte Form zu geben oder die normale Entwicklung der Glieder zu hemmen. Was das Tragen der Kinder an- betrifft, so wechselt der Modus desselben zuweilen von Ort zu Ort; oft ist er durch den Umstand bedingt, dass die Mutter für ihre Arbeit den freien Gebrauch der Arme nöthig hat. Wie oben (S. 565) schon bemerkt wurde, ist die Dauer des Stillens sehr verschieden. In manchen Ländern werden die Kinder sehr spät entwöhnt. Bei den Papuas z.B. soll es nicht selten vorkommen, dass man Kinder von 4 Jahren auf die Mutter zulaufen sieht, um die Brust zu nehmen. Die lange Dauer des Stillens hat namentlich zwei Ursachen: Völkerschaften, die keine milchliefernden Hausthiere besitzen, sind darauf angewiesen, die Säuglinge mit Muttermilch zu ernähren; ferner wirkt die Idee bestimmend ein, dass eine Frau nicht schwanger wird, solange sie still. Nun ist aber eine gewisse längere Dauer des Intervalls zwischen zwei Schwangerschaftsperioden nicht nur erwünscht, sondern hie und da sozusagen ein Gebot der herrschenden Volksanschauung. Auf den Fidschi-Inseln z. B. gilt es als Schande für eine Frau, wenn sie Kinder schneller als in Intervallen von min- destens drei oder vier Jahren bekommt. Taufe und Beschneidung. Es kann nicht in der Aufgabe dieses Werkes liegen, auf alle die Zeremonien ein- zutreten, welche üblich sind für die Kinder, Jünglinge und Jungfrauen bis zu deren Eintritt in das Alter, mit welchem die Erlaubniss zur Verehelichung beginnt, oder bis zu deren Aufnahme unter die Erwachsenen. Die Zeremonien sind in 4 634 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN 5 den einzelnen Ländern sehr verschieden. Bei den Ange- hörigen der christlichen Religion findet die Taufe mit einer gewissen Feierlichkeit statt, bei den Muselmannen das erste Haarschneiden, dann die Beschneidung, welch’ letztere anderswo durch analoge Operationen (unter dem Namen ıcharepin, sallh, mahele u. s. w.) ersetzt wird. Wir müssen uns darauf beschränken, zu bemerken, dass auch hier reichlicher Stoff zu Beobachtungen für den Reisenden vorhanden ist. Festgeschenke. Zahlreich und maniefaltig sind die Festanlässe, bei denen es üblich ist, einander Glückwünsche und Geschenke darzubringen. Es genüge hier an die Oster- eier, das Fest St. Niklaus, den Christbaum, die Neujahrs- geschenke und Neujahrsgratulationen zu erinnern. Jedes | Volk hat in dieser Hinsicht mehr oder minder eigenthüm- liche Bräuche und Uebungen, deren Ursprung und Bedeutung erforscht zu werden verdienen. 4 Ehescheidung. Nachdem oben vielfach von der Ehe die Rede war, müssen wir hier auch einige Worte über die Trennung oder Auflösung derselben anbringen. Das Verfahren bei derselben ist in den einzelnen Ländern ganz ungleich; am häufigsten ist der Mangel jeglicher Formalität, die zu beobachten wäre, die Herrschaft der Willkür. Von „Schei- dung“ ist kaum zu reden bei den wilden Horden, wo der Mann sich von seiner Frau trennt, sobald es ihm nicht mehr konvenirt, mit ihr zu leben; ebenso, wo der Mann über Leben und Tod seiner Frau zu verfügen hat. Wo die Frau nicht gefangen genommen, sondern gekauft wird, kommt die Verstossung derselben seltener vor: es wird nicht gerne auf das Eigenthum verzichtet, das bezahlt worden ist, wäre hiefür auch kein anderer Grund vorhanden als der, dass wenigstens ein Theil der ausgelegten Summe zurückverlangt wird. In den Ländern mit Vielweiberei ist die Auflösung einer Ehe mehr oder minder in’s Belieben des Mannes gestellt; mit- unter ist es zu einer gültigen Scheidung genügend, dass der Mann seiner Frau erklärt: „Ich verstosse Dich!“ In Japan sendet der Mann seine Frau einfach, unter Anzeige an den Stammeshäuptling, zu ihren Eltern oder Verwandten zurück. Anderswo hingegen bedarf es zu einer Scheidung triftiger Gründe. Als ein genügender Grund wird fast überall die Unfruchtbarkeit betrachtet. In den meisten einigermassen SITTEN UND GEBRÄUCHE 635 zivilisirten Ländern sind für die Scheidung, das Verfahren hiebei und die Massnahmen zur Sorge für die Frau und die Kinder aus der zu trennenden Ehe bestimmte Vorschriften - aufgestellt. Gebräuche in Bezug auf den Landbau. Die mit dem Landbau verbundenen Uebungen und Zeremonien sind mehr als blosse Merkwürdigkeiten. Oft haben sie ihre Wurzeln in einem alten Kultus, der Verehrung von Gottheiten des Feldes, der Flur. Der Reisende achte daher wohl auf diese Gebräuche namentlich in Gegenden, wo eine neue Religion den alten Volksglauben verdrängte. Die Volksbräuche, welche sich auf die Bodenkultur beziehen, erhalten sich am längsten von allen alten Sitten; denn die landbautreibenden Völker- schaften sind im Allgemeinen konservativ, dem Alten treu zugethan. Die gewohnte Wiederkehr derselben Arbeiten und Erscheinungen im stetigen Kreislauf der Jahre, eine antheil- volle Achtsamkeit auf die Entwicklung der kultivirten Pflanzen und Thiere, der viele Aufenthalt im Freien und Umgang mit der Natur, die Liebe zu diesem einfach-friedlichen Leben bilden einen stillen Sinn, der wenig zu Neuerungen geneigt ist. Da bricht man nicht so leicht wie anderswo mit den Bräuchen der Vorfahren; wie die Väter thaten, so thun auch die Söhne, ohne sich viel um die Gründe und die Zweck- mässigkeit einer bestehenden Uebung zu kümmern; so er- halten sich dergleichen Zeremonien oder allegorische Hand- lungen Jahrhunderte lang, oft ohne dass Jemand in dem Lande um deren Bedeutung weiss. Kriegsgebräuche. Unter kriegerischen Völkerschaften bleiben aus Verehrung gegen die tapfern Ahnen deren Sitten ebenfalls lange erhalten, so zwar, dass diese erst bei einer tief greifenden Aenderung der Lebensweise aufgegeben werden. Hieher gehören die üblich gewordenen Formen der Kriegs- erklärung an feindliche Stämme, die Kampfweise, die Ver- theilung der Beute und der Gebrauch, welchen der Sieger von seinem Triumphe macht. In dieser Hinsicht bestehen noch barbarische Sitten, wie das Skalpiren der Feinde, das Erdrosseln und Lebendigverbrennen derselben; der Brauch, sie bis an den Hals in die Erde zu vergraben, um sie dann den Qualen von Durst und Hunger zu überlassen; sich mit Theilen des feindlichen Körpers als Trophäen zu behängen u. dgl. 636 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Kannibalismus. Bei manchen wilden Stämmen ist es noch üblich, die besiegten Feinde zu verzehren. Dabei sind mit dem Genuss des Menschenfleisches Vorstellungen ver- bunden wie diejenige der Befriedigung von Rache oder wie der Wunsch, Eigenschaften des Verstorbenen zu erwerben. Man erzählt, dass zur Zeit des Aufstandes der Ta&-pings in China ein chinesischer Bedienter, von seinem Herrn ge- fragt, was er mit dem blutenden Menschenherz machen wolle, das er in den Händen trug, die Antwort gab: „Das ist das Herz eines Rebellen, und ich will es essen, um muthig zu werden.“ Seltener wird die Menschenfresserei (Anthropophasie, Kannibalismus) unter andern Verhältnissen geübt. Sie kann als ein Ausfluss des Aberglaubens im Gefolge religiöser Zere- monien vorkommen oder als letztes Mittel zur Erhaltung des Lebens bei Hungersnoth ; dass sie aber irgendwo die blosse Folge einer Vorliebe für Menschenfleisch sei, ist nicht wahrscheinlich. Achtung vor dem Alter. Sehr ungleich denken die verschiedenen Völker über ihre Greise. Wilde Horden be- trachten dieselben als unnütze Mäuler und setzen sie dem Tode aus. Anderswo wird dem Alter Achtung gezollt. Die „Aeltesten“ haben den Vorsitz im Rathe und die Leitung der öffentlichen Angelegenheiten. „Jugend ist Stärke, aber Alter ist Weisheit,“ sagen die Serben. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es Abstufungen in Menge; im Allgemeinen aber wird selbst bei Völkern, die man nicht zu den zivili- sirten zählt, Mangel an Respekt vor dem Alter als ein Ver- stoss gegen die gute Sitte betrachtet. Die Südslaven reden die Greise nie mit du an und vermeiden in ihrer Gegenwart selbst Scherze und Spiele. Achtung vor Geisteskranken etc. In vielen Ländern herrscht eine abergläubische Achtung vor Irren und Blöd- sinnigen. Man lässt ihnen volle Freiheit und hütet sich wohl, dieselben mit Gewalt zu entfernen, selbst wenn ihre Gegenwart lästig ist. Aehnlich verhält es sich mit den Albinos an der Westküste Afrikas; dieselben sind nach den Berichten von Reisenden an Höfen afrikanischer Fürsten unter dem Namen dondos Gegenstand einer gewissen Ver- ehrung. Behandlung von Kranken. Zu einer Menge bizarrer Gebräuche, in welchen der Aberglaube eine grosse Rolle spielt, SITTEN UND GEBRÄUCHE 637 geben die Krankheiten und das Verfahren bei solchen Ver- anlassung. Wenn bei den Tarim am Karakul-See in Asien eine Person von den Blattern befallen wird, so verlässt der Stamm dieselbe, um — nachdem er dem Kranken noch für etwas Nahrung gesorgt hat — sich anderorts anzusiedeln. Wenn der Kranke genest, so findet er sich wieder bei seiner Familie ein; wo nicht, so bekümmert sich Niemand darum, was aus ihm geworden sei. Bekanntlich werden bei wilden Stämmen und halbzivili- sirten Völkern die Krankheiten gewöhnlich übernatürlichen Ursachen zugeschrieben, bösen Geistern, die in dem Körper des Erkrankten eingezogen sind. Die Aerzte oder „Medizin- männer“ sind dann Zauberer oder Hexenmeister, welche mit magischen Formeln, Beschwörungen und Zeremonien aller Art den Kranken angeblich heilen. Mitunter besteht die Behandlung darin, dass man einige kabbalistische Zeichen auf Papier bringt, das man dann abwäscht oder kocht, um nun dieses Wasser dem Kranken als Arznei zu reichen. Bei Verletzungen presst der Medizinmann seine Lippen auf die Wunde und stellt sich, als habe er aus derselben einen fremden Körper herausgeschafft, welchen er vorher im Munde verborgen hatte. In Marocco wird das Brennen an- gewendet, ohne Zweifel ein wirksameres Mittel, zu dem aber auch bei Wunden aller Art ohne Unterschied Zuflucht ge- nommen wird, sodass man die fahrenden Heilkünstler nie ohne ihr Eisen und Kohlenbecken sieht. Chirurgische Ope- rationen werden daselbst mit schlechten Messern vorgenommen; wenn die Patienten dabei mit dem Leben davonkommen, so verdanken sie das ihrer robusten Natur. Muru. Auf Neuseeland besteht unter dem Namen Muru die Sitte, dass, wenn einem Maori ein Unfall oder Unglück begegnet, dessen Verwandte, Nachbarn, Freunde und Bekannte truppweise zu ihm ziehen, nicht etwa um ihn zu trösten, wie man glauben sollte, sondern um sein Haus und seine Vorräthe zu plündern. Man bestraft ihn so für sein Un- glück als einen durch Unklugheit herbeigeführten Fehler, und man fügt, wie berichtet wird, der Plünderung noch eine tüchtige Tracht Prügel bei, um den Unglücklichen auf wirksame Art zur Erkenntniss der Weisheit zu bringen. 638 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Tod und Leichengebräuche. Die bei Todesfällen üblichen Gebräuche gehören zu den Sitten, welche am meisten Beachtung verdienen; kein Volk gibt dieselben leicht freiwillig auf. Wenn sie nicht immer ein untrügliches Zeichen ge- meinschaftlicher Abstammung derjenigen Völker sind, welche in diesen Sitten übereinstimmen, so kann doch eine sorg- fältige Interpretation derselben auf alte Glaubensanschauungen einiges Licht werfen. Die Leichenzeremonien sind zu zahlreich und manigfaltig als dass sie hier beschrieben werden könnten; um aber dar- zuthun, dass oft auch die kleinsten Details dieser Art von Bedeutung sind, genügt es, an die chinesische Sitte zu er- innern, vom Trauerhause bis zum Orte der Bestattung kleine Stücke vergoldeten und versilberten Papiers auf den Boden zu weıfen, welcher Brauch den Zweck haben soll, dafür zu sorgen, dass der Verstorbene den Weg finde, wenn er seine Familie besuchen will. Die Bekleidung und sonstige Ausstattung des Todten ver- dient beachtet zu werden, da sich hierin oft gewisse reli- giöse Ideen aussprechen, wie der Glaube an die Fortdauer des Lebens im Jenseits. In einigen Ländern ist das Einbalsamiren üblich, das bei den alten Egyptern und den Inkas von Peru im Brauche war und auch den Vissayas auf den Philippinen bekannt gewesen zu sein scheint, da man auch dort ausgetrocknete einbalsamirte Leichen (Memien) gefunden hat. Bestattung. In Bezug auf die Beisetzung der Todten werden verschiedene Systeme befolgt. Bei der Aussetzung lässt man die Leichen unbestattet den Raubvögeln und andern reissenden Thieren zur Beute, welche die Fleischtheile verzehren. Die Gebeine werden nachher zerstreut oder werden gesammelt und begraben. Dies war Brauch bei den alten Guebern und ist es noch bei den Parsen Indiens, welche ihre Todten aussetzen in schweren Steingehäusen, die „dakmas“ oder „Thürme des Schweigens“ heissen. In manchen Ländern werden nur die Leichen der Verbrecher ausgesetzt und deren Gebeine zerstreut, zur Strafe für ihre Missethaten. Die Wasserbestattung (Immersion) besteht darin, dass die Leichen in’s Wasser geworfen und der Strömung überlassen SITTEN UND GEBRÄUCHE 6539 werden. Mitunter bringt man die Leiche in einen kahn- artigen Sarg, welcher dann in’s Wasser gebracht und dem Getriebe der Wellen ausgesetzt wird. Die Feuerbestattung oder Leichenverbrennung (Cremation) ist der Gebrauch, die Leichen auf Holzstössen oder Scheiter- haufen zu verbrennen, wobei die Asche entweder gesammelt oder nach allen Winden zerstreut wird. Bei der Beerdigung wird die Leiche unmittelbar in ein Grab oder zunächst in einen Sarg gelegt, welchen man dann in das Grab, resp. eine natürliche oder künstliche Grube oder Höhle bringt (Begräbniss). Es kann aber auch die Leiche unmittelbar oder eingeschlossen in einen Sarg nur auf die Oberfläche des Erdbodens gelegt und durch Steinplatten mit oder ohne darüber und dazwischen gehäufte Erde und Steine geschützt werden. Die Sioux-Indianer bringen den Sarg auf vier hohen Pfählen an. Manchmal trifft man bei einem Volk eine Koexistenz ver- schiedener Bestattungsarten. Die alten Griechen z. B. scheinen sowohl die Leichenverbrennung als die Beerdigung angewandt zu haben!). Im alten Peru und Mexiko wurden die Könige und Stammeshäuptlinge (Kazikan) begraben; hinsichtlich der gemeinen Leute aber begnügte man sich damit, die aus- getrockneten Knochen in einem Korbe an einen Baum auf- zuhängen und zwar in augenfälliger Weise, damit der Todte bei der Auferstehung seine Gebeine leicht finde. Aufmerksamkeit verdient die Lage oder Stellung der Leiche. Dieselbe wird horizontal auf den Rücken oder die Seite gelegt, und auch senkrecht in das Grab gestellt. In beiden Fällen ist zu beachten, ob eine Regel eingehalten wird hinsichtlich der Seite (der Himmelsgegend), nach welcher hin der Kopf oder das Gesicht gerichtet werden. Auch eine kauernde Stellung der Leiche findet sich vor, wobei Kinn und Knie sich berühren. Es war das der Fall bei den Berbern Nord- afrikas bis zur Einführung des Islam und bei den alten Pimas in Arizona (Vereinigte Staaten); heute noch findet man diese Sitte auf der Insel Wuap (Karolinen), wo nur die Kinder mit ausgestrecktem Körper, die Erwachsenen aber in zu- sammengekauerter Haltung beigesetzt werden. 1) Vgl. auch Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen in den Alpen. II. Abthlg. (Dr. J. Ranke, anthropologisch-vorgeschichtl. Beobachtungen) 8. 420. 640 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Es ist ferner nicht ausser Acht zu lassen, welche Gegen- stände in oder auf das Grab gelegt werden (Waffen, Schmuck, Geräthe und andere „Beigaben“ in das Grab; Speisen ete.). Die Verbrennung und Beerdigung sind oft mit Opfern. verbunden. Bald schlachtet man Thiere, einen Stier oder Bock als Sühnopfer, ein Kameel, Pferd oder einen Hund für die Bedürfnisse des Verstorbenen, damit er sich in das Land der Seelen begeben könne; bald aber auch werden Menschen geopfert, entweder zu dem Zwecke, dass der Todte auch ferner diejenigen um sich habe, welche demselben im Leben ange- hörten, oder auch blos zur Erhöhung der Bestattungsfeier- lichkeiten. Bei einigen Negerstämmen werden, wenn ein Fürst stirbt, dessen Frauen und Sklaven auf seinem Grabe geopfert. Ebenso wurde es früher in Japan beim Tode des Mikado oder seiner Gattin mit deren nächsten Dienern gehalten; später begnügte man sich damit, die als Opfer bestimmten Menschen durch Thonfiguren zu ersetzen, welche in’s Grab geworfen werden. In Indien hat die Sitte der Wittwenver- brennung (Selbstverbrennung der Frauen beim Tode ihres Gatten) erst vor Kurzem aufgehört. Beim Tode des Rajah Suchet Singh in Kaschmir wurden dessen 300 Wittwen ver- brannt. Wo der Brauch nicht herrscht, dem Todten in’s Grab mitzugeben was ihm gehörte, fallen mit dem Erbe auch die Wittwen dem Sohne oder Bruder des Verstorbenen als Eigenthum zu. Von Bedeutung ist auch die Wahl des Ortes der Bestattung. Wenn man die Leiche nicht in der Nähe beisetzt, sondern weithin transportirt, damit sie daselbst sich in gewissen Ver- hältnissen befinde, so ist die mit diesem Brauche verknüpfte Idee zu ermitteln. Die Visajas auf den Philippinen brachten die Särge auf hohe Felsen an der Meeresküste, damit ihnen # Verehrung gezollt werde durch Diejenigen, welche sie von Weitem sehen. Einige Südsee-Insulaner tragen die Leichen auf hohe Berge; andere Völker bringen sie in Höhlen unter. Wahrscheinlich stehen diese Gebräuche in Zusammenhang‘ mit der Vorstellung vom Lande der Seelen, ob dieses im Himmel oder unter der Erde oder in fernen Gegenden jenseits des Meeres angenommen wird; Zweck des Leichentransportes auf einen Berg, nach einer Höhle oder nach der Küste wäre SITTEN UND GEBRÄUCHE 641 dann immer der, den Verstorbenen seinem Bestimmungsorte näher zu bringen. Selbst die Art der Anlage und Schliessung des Grabes steht in Konnex mit der Vorstellung vom künftigen Leben oder wenigstens mit der Idee einer Fortdauer des Empfin- dungsvermögens der Verstorbenen. Die Guarani begraben ihre Todten nicht tief in den Boden, damit nicht zu viele Erde schwer auf ihnen laste. Die Indianer von Peru graben ihre in den Kirchen beigesetzten Todten wieder aus, weil sie denken, dieselben fühlen sich wohler an der freien Luft. Anderwärts waltet das Streben, den Verstorbenen eine kühle und dauer- hafte Wohnstätte zu bereiten; man bringt dieselben daher in eine Gruft oder Todtenkammer, und errichtet über den Gräbern Hügel, Steinhaufen und riesige Denkmäler wie die egyptischen Pyramiden. Trauer und Todtenkult. Auf Neuguinea ist es Sitte, den Körper mit einem Gemisch von Kohle und Oel schwarz zu bemalen, um zu zeigen, dass man um einen Verwandten trauert; während der Trauerzeit ist das Tragen lebhafter Farben verboten. In Cochinchina trägt man zur Trauer Kleider, deren Saum nicht genäht ist und sich in Fransen auflöst. Anderswo wird die Trauer nicht nur durch eine besondere Farbe der Kleider und durch Enthaltung von lärmenden Vergnügungen an den Tag gelegt, sondern auch durch ab- sichtliche Verwahrlosung der Haartracht und der ganzen Toilette. Bei den Visayas musste nach dem Tode eines Helden die Menge während der ganzen Trauerzeit Schweigen beob- achten. Die Chinesen hingegen äussern ihren Schmerz in lauten Trauerbezeugungen und halten einige Monate lang im Trauerhause offene Tafel; sie glauben, dass der Verstorbene ‚um so glücklicher sei, je mehr Geld verwendet wurde auf das Leichengefolge und die Festlichkeiten zu seinem Andenken. An dieser Stelle wollen wir auch an den Kultus erinnern, welcher den Todten oder den Manen der Vorfahren erwiesen wird. Er spricht sich aus in der auf den Unterhalt der räber verwendeten Sorgfalt, ferner dadurch, dass zu be- stimmten Zeiten Speisen und. Getränke auf die Gräber ge- bracht werden; in Japan durch Illuminationen, Feuerwerke und reichliche Trankopfer, in Afrika noch vielfach durch barbarische Menschenschlächtereien. a y ner 41 642 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN IDEENWELT, GLAUBE UND RELIGION. Um ein Volk recht kennen zu lernen, muss man sich mit seinem Denken möglichst vertraut machen. Seine Auffassung der Dinge, die Eigenschaften und Kräfte, welche es ihnen beilegt, sein Glaube und Aberglaube bestimmen seine Hand- lungen. Nur eine genaue Kenntniss der Anschauungen eines Volkes gibt uns die Mittel zum Verständniss seiner Entschlies- sungen, seines ganzen Verhaltens, und lässt uns den Geist seiner Institutionen erfassen. Es ist der einzelne Mensch von seinem Nachbar vielleicht am meisten verschieden durch seine geistigen Anschauungen, und von Volk zu Volk bestehen in dieser Beziehung ausge- sprochene Unterschiede. Zwar sind die Gedanken individuell; aber bei genauerem Zusehen erkennt man, dass jedes Volk seine Besonderheiten der geistigen Auffassung, seinen eigen- thümlichen Ideenkreis hat. Glaubensvorstellungen fehlen keinem Volke. Der geistig tief stehende Mensch ist allem Aberglauben zugänglich und schafft sich dementsprechende Gestalten seiner Einbildungskraft. Ein Mangel allen Glaubens, ein absoluter Skepticismus kann nur bei zivilisirten Völkern vorkommen, und auch da ist er oft nur äusserer Schein, der von Manchem zur Schau getragen wird, um als starker Geist zu gelten, aber in Wahrheit dem inneren Menschen nicht entspricht und nicht Stand hält in Tagen der Prüfung. Der absolute Skeptieismus wäre die Verneinung alles Denkens; man kann in Glaubenssachen die herrschenden Ansichten nicht theilen, und auf Das, was allgemein gelehrt wird, keinen Werth legen; aber man glaubt an das Gute; man glaubt, wenn nicht an einen persönlichen Gott und Schöpfer, doch an eine schöpferische und schaffend weiter gestaltende Kraft; man verwirft vielleicht die Idee, dass eine Vorsehung die Geschicke des Menschen leite, aber man muss zugeben, dass sie beherrscht werden durch un abänderliche Gesetze oder durch die Launen eines grossen Meisters, welchen man den Zufall nennt. Die Skepsis ist nicht der Geist der Massen; für diese sind Zweifel und Un- glaube höchstens ein Uebergangsstadium zwischen einem Glauben, der als falsch aufgegeben wird, und demjenigen, der ihn zu ersetzen bestimmt ist. IDEENWELT, GLAUBE UND RELIGION 643 Es ist allerdings nicht leicht, sich mit dem Denken und Fühlen der Völker vertraut zu machen. Wie Sir John Lub- bock in seinem Werke über den Ursprung der Zivilisation sehr gut bemerkt, weicht die ganze Geistesrichtung anderer Völker (und namentlich der Wilden) von der unseren so sehr ab, dass es oft ungemein schwer hält, ihrem Gedankengang zu folgen und die Motive ihres Handelns zu erfassen. Oft ist uns ihr Thun und Denken unverständlich; Gründe, welche sie ganz natürlich und einleuchtend finden, kommen uns absurd vor, und umgekehrt. Bei den gebildeteren Völkern ergeben sich weitere Schwierigkeiten. Hier trifft man oft auf eine gewisse Zurückhaltung aus Furcht vor Spott, die bewirkt, dass die Gedanken nicht unbefangen ausgesprochen werden. Gerade die innersten Ueberzeugungen treten am wenigsten zu Tage. Um die Denk- und Sinnesweise, Glaube und Aberglaube der Einzelnen kennen zu lernen, erscheint eine direkte Be- fragung kaum als geeignetes Mittel; besser ist es, die Leute gesprächsweise zur Meinungsäusserung zu veranlassen. In freier Darlegung der Gedanken kommt am ehesten die wahre Ueberzeugung, die ganze Denkweise zum Ausdruck. So beachtenswerth die Uebereinstimmung wie die Ver- schiedenheit der Ideenwelt zweier Völkerschaften sind, so sehr hat man sich auch in dieser Hinsicht vor übereilten Schlüssen zu hüten. Der gelehrte Max Müller !) warnt mit Recht vor verfrühten Verallgemeinerungen dieser Art. Ich kann, sagt er, nicht zugeben, dass wenn zwei Mythologien in etwas Irrationellem oder Absurdem übereinstimmen, nun daraus folge, sie müssen gemeinsamen Ursprungs sein oder während irgend einer Periode ihrer Geschichte miteinander in Kontakt gestanden haben. Auf den ersten Blick erscheinen solche Uebereinstimmungen allerdings auffallend. Aber wenn man der Reihe nach mehrere solcher Götterlehren kennen gelernt hat, machen diese Analogien weniger Eindruck und wird man vorsichtig gegen Zusammenstellungen, welche wesentlich auf solcher Grundlage ruhen. Vorstellungen über Armuth und Reichthum. Die Begriffe von arm und reich sind nach Ort und Zeit ver- 1) Vgl. dessen Vorrede zu Nyths and Songs from the South-Pacific by Rev, W. Wyatt Gill. 644 BEOBACHTUNGEN UND. STUDIEN schieden. Die Eingebornen am Orinokö sagen: „Dieser Mensch ist so arm, dass er nicht einmal die Hälfte seines Körpers bemalen kann.“ In den Ländern zwischen Gambia und Niger gilt ein Mensch für reich, wenn er zum Mahle Salz geniesst (vgl. Peschel, Völkerkunde, S. 175 und 180). In den Städten verbindet man mit den Worten „arm“ und „reich“ andere Vorstellungen als auf dem Lande. Wenn man vor einem Jahr- hundert sagte: „er besitzt eine Million,“ so glaubte man damit einen ganz ausserordentlichen Reichthum zu bezeichnen. Heute wird Derjenige, dessen Vermögen nur eine Million be- trägt, nicht mehr als ein Nabob angestaunt. Vorstellungen über Gegenstände und Beschäf- tigungen. Bei den Wilden begegnet man oft den seltsamsten Ideen über verschiedene Objekte und deren Benutzung. Be- kannt ist, dass Solche eine Musikdose für die Tochter einer Orgel hielten und die Eingebornen von Taheiti eiserne Nägel aussäeten, in der Hoffnung, dieselben wachsen und sich vermehren zu sehen. Solche und ähnliche Irrungen — z. B. dass eine Uhr oder ein Kompass für lebende Wesen ge- halten werden — scheinen uns noch mehr oder minder be- greiflich; aber seltsam muss es uns vorkommen, wenn wir bizarre Ideen über ganz bekannte Gegenstände treffen. So ziehen nordamerikanische Indianer eine einzelne Angel, an welcher schon ein grosser Fisch gefangen wurde, einer grössern Zahl von noch ungebrauchten Angeln vor, und sie legen nie zwei Netze nebeneinander, aus Furcht, dieselben könnten auf einander eifersüchtig werden. Die Chinesen legen hohen Werth auf beschriebenes oder bedrucktes Papier; alte Bücher, Hefte und Zeitungen werden von ihnen nie zu Pack- material u. dgl. verwendet, sondern verbrannt aus Achtung vor den Gedanken, deren Ausdruck die Zeichen auf dem Papier sind. Ein anderes Beispiel für den Glauben an die Kräfte beschriebenen Papiers ist jener Neger, welcher einen ihm, übergebenen Brief unter einem Steine verbarg, damit der Brief nicht sehe, dass der Neger das Brot esse, mit dessen Spe- dition man ihn beauftragt hatte. Wenn. der Reisende unter ganz unzivilisirten oder halbwilden Völkern in einem Buche liest, Notizen schreibt oder sich seiner Instrumente bedient, so macht dies oft auf die Zuschauer einen erstaunlichen Ein- druck; leider Nösst dies ihnen auch leicht solche Furcht ein, IDEENWELT, GLAUBE UND RELIGION 645 dass sie den weiteren Verkehr mit dem Fremden meiden oder sich seiner zu entledigen suchen. Vorstellungen über fremde Länder und Völker. Unrichtige und baroke Ideen über ferne Länder und deren Bewohner trifft man nicht blos bei Wilden; manche Europäer — und nicht blos solche, die nie über die Grenzen ihres Dorfes hinauskamen — haben es in dieser Beziehung nicht viel weiter gebracht als irgend ein Südsee-Insulaner. Nach den Vorstellungen des Einen sind alle Länder einander ziemlich gleich; ein Anderer bevölkert dieselben mit Wesen, welche in dem Maasse phantastischer werden, je grösser die Ent- fernung des Landes ist. Es ist von Interesse, die Ideen der Bewohner einer Gegend in diesen Punkten kennen zu lernen, nicht wegen deren grösserer oder geringerer Fehlerhaftigkeit an und für sich, sondern weil sich hienach bemessen lässt, wie weit der geographische Horizont und die gewöhnlichen Verbindungen dieser Leute reichen. Die Länder, welche sie am besten kennen, sind wahrscheinlich die Quellen eines Theils ihrer Bildung in Gewerben, Künsten und gesell- schaftlichen Zuständen. Kosmogonische Vorstellungen und Systeme. Sehr wichtig ist die Kenntniss der bei einem Volke vorkommenden Ideen über Erschaffung der Welt und deren Geschichte, die Entstehung der Berge, Thäler und Gewässer, sowie namentlich auch der ersten Menschen. Dabei handelt es sich selbst- verständlich wieder nicht darum, alles das zu korrigiren, was an diesen Vorstellungen nach unsern Ansichten falsch ist, sondern vielmehr darum, die Wege kennen zu lernen, welche der menschliche Geist wandelte bei Spekulationen über Dinge, deren Wesen zu ergründen seiner Intelligenz nicht vergönnt war. Erklärung der Naturerscheinungen. Der Reisende macht oft die Erfahrung, dass Eingeborene auf Fragen über die Ursachen alltäglicher Naturerscheinungen nicht zu ant- worten wissen; dass ihnen noch nie der Gedanke gekommen ist, nach einer Erklärung für diese Vorgänge zu suchen. Dass die Sonne täglich in der ÖOstgegend des Horizontes aufgeht, auf der gegenüberliegenden Seite untergeht, dass dann am Nachthimmel Mond und Sterne sichtbar werden und eine analoge Bewegung machen: das ist ja ebenso selbst- 646 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN verständlich, wie dass die Bäche und Ströme immer abwärts fliessen; nach Gründen zur Erklärung dieser Vorgänge zu suchen, kommt Vielen gar nicht in den Sinn. Anders ver- hält es sich mit selteneren und ungewöhnlichen Phänomenen, wie Finsternissen, Gewittern, Erdbeben, Vulkanausbrüchen. Diese sucht sich auch der Wilde zurechtzulegen, und er thut es in Erklärungen, die von Stamm zu Stamm verschieden lauten, in der Regel aber sich durch alles Andere eher aus- zeichnen als durch Scharfsinn und eine Tiefe des Gedankens, welche auf den Grund der Sache dringt. So halten die Be- wohner der Futuna-Inseln (Hern-Inseln) dafür, die Erdbeben werden durch den Gott Mafuikefulu verursacht, wenn er sich auf seinem unterirdischen Lager umwendet. In Kamtschaka gelten die Blitze als Feuerbrände, welche die Bewohner der himmlischen Jurten auszuschleudern pflegen. Die Araukaner schreiben die Stürme Schlachten zu, welche die Geister ihrer verstorbenen Landsleute mit ihren Feinden zu kämpfen haben. Solche Erklärungen sind aufzuzeichnen; gerade ihres bizarren und originellen Charakters wegen sind sie von Werth, und oftmals liefern sie Indizien für Verwandtschaftsverhält- nisse oder sonstige frühere Beziehungen jetzt getrennter Völkerschaften. Es bestehen nämlich bei einem Volke auf einer tiefen Stufe der Kultur keine Meinungsverschieden- heiten über die Ursachen einer Erscheinung. Ist einmal irgend welche Erklärung aufgestellt worden, so geht sie vom Vater auf den Sohn und vom Ahn zum Enkel über, ohne Zweifel und Widerspruch hervorzurufen, und wenn die Fa- milien eines Stammes sich trennen, so nehmen sie. die er- worbene Auffassung mit sich als ein Erbstück ihrer bis- herigen Gemeinschaft, das unter ihren Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht weiter überliefert wird. Sehr selten befassen sie sich damit, die bei einem benachbarten Stamme über den gleichen Punkt herrschende abweichende Ansicht zu diskutiren und in Würdigung zu ziehen; Jeder bleibt bei seiner Meinung und betrachtet die andere als absurd. Wer nicht ein Mann von grossem Einfluss ist, käme auch übel an, wenn er bei seinem Stamme über irgend Etwas eine andere als die bisher übliche Ansicht aufbringen, neue Lehren predigen und sich also anmassen wollte, klüger zu sein als die Andern und mehr zu wissen als die Vorfahren. IDEENWELT, GLAUBE UND RELIGION 647 Allseitig freie Forschung und Kritik sind ausschliessliche Attribute der fortgeschrittensten modernen Gesellschaften. Gewisse Interpretationen von Naturvorgängen zeigen eine Uebereinstimmung, welche keineswegs auf gemeinschaftlichen Ursprung oder frühere Beziehungen der Völker zu deuten ist. So werden die Gewitter fast überall bei den Naturvölkern als eine Manifestation des Zornes der Götter betrachtet; Ueberschwemmungen und Dürre, Misswachs, Hungersnoth und Seuchen als Züchtigungen u. s. f. Ideen dieser Art haben ihren Grund in einer allen Menschenstämmen gemeinsamen - Geistesrichtung. Glaube an Geister und Götter. Der Glaube an un- sichtbare Wesen ist weit verbreitet; er findet sich nicht blos bei wilden und halbwilden Völkern, sondern auch noch unter unsern Landleuten und selbst bei Städtern. Er wird be- günstigt durch Unwissenheit, welche die wahren Ursachen nicht kennt oder erkennen lässt, und eine geistige Apathie, welche denselben nicht nachforscht, sondern sich mit der ersten besten Angabe begnügt, die darüber von irgend wem vorgebracht wird. Ein Stein rollt einen Abhang hinunter, ohne dass man wahrnimmt, wie er in Bewegung kam; ein Glas springt entzwei ohne wahrnehmbare äussere Veran- lassung; aus einem Zimmer, in welchem Niemand sich auf- hält, lässt sich ein Krachen hören, während sonst Alles ruhig ist; ein Fensterladen schliesst sich plötzlich, während kein Wind zu beobachten ist ... was liegt da näher als diese Vorkommnisse einem unsichtbaren Geist zuzuschreiben, der da umgeht. Der Wilde wendet diese Auffassung nur in einer grösseren Zahl von Fällen an als die Geistergläubigen zivilisirter Völker. Wenn ihm auf einen Ruf in einsamer Gegend das Echo antwortet, so ist dies die Stimme eines Geistes: es war ja sonst Niemand da, welcher den Ruf hätte er- widern können. Er beobachtet das Wehen des Windes: woher dies kommt, weiss er nicht; aber er sieht, dass er im Kleinen dasselbe bewirkt, wenn er in’s Feuer bläst; nun liegt es nahe, im Winde den Hauch von Geistern zu sehen, welche da ihr Wesen treiben. Ist aber der Mensch darauf gekommen, einen Schlauch als Blasebalg zu benutzen, so denkt er sich einen unsichtbaren Schlauch als Quelle des Windes. Mit- unter werden die Winde selbst als Geister betrachtet, welche 648 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN eine unsichtbare Hand „entfesselt“, wie wir noch sagen. Geister schleudern die Blitze und sprechen ihren Zorn aus im Rollen des Donners. Nächtlicher Weile hört man im Walde seltsame Töne ; selbstverständlich sind wiederum Geister die Urheber derselben. So wird das ganze All mit Geistern bevölkert, und bildet sich ein Glaube, von dem uns Reste erhalten sind in den Sagen von der wilden Jagd, von guten Bergmännchen und Zwergen, bösen Hexen und Kobolden, von Erscheinungen Verstorbener, von, vielfachem Geister- und Gespensterspuk. Es bedarf dazu keines besonderen Hanges zum Wunderbaren; sonst würde man vielleicht diesen Glauben bei den Wilden nicht treffen; Unwissenheit und Leichtgläubigkeit sind ge- nügende Quellen desselben. Ist einmal der Glaube an be- stimmte Geister vorhanden, so steht nichts im Wege, die Zahl derselben in unbegrenzter Weise zu vermehren; sie haben, wiewohl Geister, ihre bestimmten Aufenthaltsorte in Luft und Wasser, auf Bergen, in Höhlen und Wäldern etc. Von diesen Wohnsitzen aus entfalten sie eine lebhafte Thätigkeit und mischen sich vielfach, fördernd oder hindernd, in die Angelegenheiten der Menschen; Glück und Unglück, auch Krankheiten aller Art sind oftmals ihr Werk. Es gibt gute und böse Geister; der menschliche Geist beschäftigt sich aber weit mehr mit den letzteren, aus Furcht vor denselben. Ein Stamm fürchtet auch die guten Geister des andern; wenn er mit letzterem in Zwiespalt geräth, so hat er es auch mit diesen Geistern zu thun. Zu dem Glauben an Geister, Hexen u. dgl. gesellt sich derjenige an Zauberer, Magier, Hexenmeister, Teufelsbe- schwörer u. dgl., d.h. an Menschen, welche über die Geister eine gewisse Macht ausüben, dieselben beschwören oder bannen, kommen lassen oder gehen heissen und Mittel gegen deren bösen Einfluss liefern können. Stellung und Ansehen dieser Zauberer beim Volk; die Leistungen (Exorzismen, Wunderetc.), wozu sie sich anheischig machen, um der leichtgläubigen Menge ihre übernatürliche Macht zu beweisen; die Zeremo- nien, welcher sie sich als Mittel hiezu bedienen, um die Sinne der Zuschauer und Hörer zu berücken: all’ das ist von Volk zu Volk und von Stamm zu Stamm verschieden ; der Reisende achte darauf, wo immer sich ihm hiezu Ge- legenheit bietet; denn es ist einerseits charakteristisch er N IDEENWELT, GLAUBE UND RELIGION 649 durch wie einfache Mittel oft sich die Menge bethören lässt; andrerseits von Interesse zu sehen, wie weit es die Zauberer in ihrer Kunst gebracht haben. Von den Geistern zu den Göttern ist nur ein Schritt: die letzteren sind ursprünglich weiter nichts als mächtigere Geister. Es hält oft schwer, zwischen den Geistern und Göttern eine Grenze zu ziehen, wie es ja auch nicht leicht ist, einen Unterschied zwischen Glaube und Aberglaube fest- zustellen und anzugeben, ob eine bestimmte Vorstellung in den Bereich des Aberglaubens oder in das Gebiet der Religion zu weisen sei. Wie die Zauberer den Verkehr mit den Geistern besorgen, so gibt es auch Mittelspersonen für die Beziehungen zwischen dem Menschen und seinen Gottheiten; diese Vermittler sind die Priester im weiteren Sinne des Wortes; sie offenbaren den Willen der Götter und in gewissem Grade werden ihnen auch Eigenschaften derselben beigelegt. Nur bei den vor- geschrittensten Völkern ist die Aufgabe des Priesters be- schränkt auf die bescheidenere, aber schöne Rolle, durch Lehre und Beispiel für das Gute zu wirken. Glaube an die Seele. Allgemein ist der Glaube, dass der Mensch eine Seele habe, d. h. dass sein Körper der Sitz eines von demselben mehr oder minder unabhängigen Wesens sei. Der Wilde glaubt, es bestehe der Schlaf darin, dass während desselben die Seele, dies andere Ich, als selbständiges Wesen den Körper verlassen und den Vorgängen beigewohnt habe, welche die Szenen seiner Träume bildeten. Anders weiss er sich nicht zu erklären, dass er so lebhaften Antheil an derartigen Ereignissen nahm, während sein Körper sich in Ruhe befand; eher als dass er in diese Auffassung Zweifel setzte, würde er glauben, er sei während des Schlafes auf wunderbare Weise in eine andere Gegend, auf den Schauplatz der Szenen seiner Träume, getragen worden, wenn nicht unverdächtige Zeugen da wären, die ihm bestimmt erklären, dass er die ganze Zeit über seine Lagerstelle nicht ver- lassen habe. Bei mehreren Völkern findet man die Vorstellung, dass die Seele sichtbar sei: sie ist der Schatten, welcher den Körper begleitet, auch das Spiegelbild des Menschen, wie denn mitunter die Annahme vorkommt, dass der Mensch zwei 650 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Seelen habe: der dunkle Schatten ist die eine, das helle Spiegelbild die andere. Der Glaube an mehrere Seelen im Menschen kommt, wie versichert wird, bei den Karaiben und nordamerikanischen Indianern vor, welche die Unbeständigkeit des Charakters, die Wandelbarkeit der Gesinnung auf diese Art erklären. Die Krankheiten werden vielfach dem Umstande zuge- schrieben, dass die Seele oder der Schatten nach Trennung vom Körper strebt, und die Vorsichtsmassregeln, welche als- dann den Genesenden empfohlen werden, gehen von der An- schauung aus, dass deren Schatten noch nicht fest genug an demselben hafte. Auf analoge Weise werden Ohnmacht, Lethargie und Tod leicht erklärt: die Seele hat den Körper verlassen; der Tod ist nichts als ein langer Schlaf. Die Seelen, Schatten oder Geister der Todten weilen, nach allverbreiteten Vorstellungen, oft an den Stätten ihres früheren Aufenthalts; da durchirren sie die Gegend und besuchen zuweilen die Lebenden. Im Allgemeinen unsichtbar, können sie doch mitunter Form und Gestalt annehmen. Phanta- stische Schatten auf Friedhöfen in heller Mondnacht, Irrlichter, Nachtvögel und Fledermäuse haben daher fast überall Anlass gegeben zur Auffrischung und Befestigung des Glaubens an zurückkehrende und wandelnde oder umherschweifende Geister der Abgeschiedenen, Gespenster und Phantome (spectres, revenants etc.). Schlangen und Skorpionen, welche Nachts unmerklich in die Hütten der Neger und anderer Wilden dringen, sind in deren Augen ebenfalls Verkörperungen der Geister, welche ihre früheren Bekannten, Verwandte, Freunde und Feinde besuchen. In einigen Ländern werden den Seelen der Todten Rück- sichten und Aufmerksamkeiten erwiesen, nach welchen anzu- nehmen ist, dass man diese Geister nicht für ganz ätherische Wesen hält. Es gibt Volksstämme, welche Wasser und Mund- vorräthe auf die Gräber bringen, damit die Todten sich daran laben. In China stellen die Familienhäupter zu ge- wissen Zeiten vor ihren Häusern Tische auf mit Speisen, und es waltet der Glaube, dass die Schatten der Todten | kommen, um an den gedeckten Tafeln Platz zu nehmen und sich zu erquicken. Selbst in Europa soll sich etwas Aehn- IDEENWELT, GLAUBE UND RELIGION 651 liches erhalten haben, indem es noch hie und da vorkomme, dass die Bewohner eines Hauses am Abend vor Allerheiligen sich frühzeitig zu Bette begeben , indem sie den Tisch ge- ‚deckt — vollständig zum Essen eingerichtet — lassen, damit die Verstorbenen daran Platz nehmen und geniessen, was für sie bestimmt ist. Glaube an ein künftiges Leben. Der Glaube an die Seele oder Seelen im Menschen ist nicht identisch mit demjenigen an ein künftiges Leben. Gewisse Völkerschaften stellen sich vor, dass die Geister noch einige Zeit an den Orten umgehen, wo die Verstorbenen sich aufhielten, dass sie aber wie ein verglimmender Docht allmälig erlöschen. Der Glaube an ein anderes Leben, welches dem gewöhn- lichen ziemlich ähnlich sei, spricht sich in der Sorge aus, die sich verschiedene Völker geben, in der Nähe des Todten Gegenstände anzubringen, welche er zu seinen Lebzeiten benutzte und die er, wie sie glauben, noch weiter nöthig hat. Bemerkt der Reisende Anzeichen eines Glaubens an die Fortdauer der Seele nach dem Tode des Menschen, so er- kundige er sich darüber, welche Vorstellung über das Schicksal der Verstorbenen oder ihrer Seelen hiemit verbunden ist. Irren die Geister der Abgeschiedenen in infinitum an den Stätten ihrer frühern Heimat umher ? bewohnen sie Gebüsche, Höhlen, Berge? oder kommen sie an einen besonderen Be- stimmungsort, in eine entlegene Gegend, in den Himmel, in die Hölle? Welcher Zustand wartet ihrer dort als Be- lohnung oder Strafe? Geht die Seele in ein Thier, eine Pflanze oder in andere Individuen über, d. h. glauben die Eingebornen an die Seelenwanderung oder Seelenverwandlung Metempsychose) , oder nehmen sie an, dass einst die Seele wieder von dem früheren Körper Besitz nehmen werde, . h. dass eine Auferstehung stattfinde? Der Glaube an sine Seelenwanderung wird sich in der Verehrung gewisser hiere u. dgl. äussern, der Glaube an die Auferstehung in lem Bemühen, die zerstreuten Glieder und Körpertheile von erwandten und Freunden, die durch Feinde oder reissende hiere getödtet wurden, zu sammeln und beisammen zu talten. Dem gleichen Grundgedanken entspricht auch der zebrauch, die Leichname von Verbrechern zu zerstückeln 652 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | und die Theile nach allen vier Winden zu zerstreuen, damit ) ihre Auferstehung verhindert werde. Naturalismus. Als Naturalismus bezeichnet man auf | religiösem Gebiete die Anbetung der Naturkräfte und Natur- erscheinungen, sowie von Gegenständen der sichtbaren Aussen- i welt, welchen der Mensch Intelligenz, Kraft und Willen zu- ] schreibt, welche diesen Eigenschaften seiner selbst gleich oder nen sind. Bald besteht diese Religion nur in einer abergläubischen und unbestimmten F ah bald aber 3 beruht sie auf gewissen Personifikationen, auf einer positiven ee Gilt dieser Kultus Gestirnen (der Sonne, dem Monde oder Sternen), so wird er als Sabäismus be- zeichnet. Oft bezieht er sich auf Naturkräfte, wie die Wärme, die Fruchtbarkeit der Erde, oder auf N Naturerscheinungen wie Regen, Regenbogen u. s. w. Zuweilen findet sich auch die Verehrung von Bergen (hohen Gipfeln, Vulkanen), Seen, Flüssen und Strömen, des Meeres, oder von Quellen, Brunnen und Teichen: es gibt heilige Seen und Ströme, heilige „ Quellen und Brunnen. Anderswo betet man das Feuer oder gewisse Pflanzen und Thiere an. Auch Gegenstände des ° menschlichen Gewerbfleisses, Werkzeuge u. dgl. können Ob- jekte des Kultus sein. Totemismus. Der Totemismus ist ein in Bezug auf seinen Gegenstand und seine Anhänger beschränkter Natur- kultus: er gilt nur der Pflanzen- oder Thierart, wovon ein Stamm oder eine Familie den Namen hat, und wird auch nicht als Nationalkult vom ganzen Volke geübt, sondern nur von den Angehörigen desselben (Stamm oder Familie), welche jene Pflanzen- oder Thierart zum Emblem (Totem” der Rothhäute) haben. Die Biber-Indianer z. B. verehren den Biber, nicht aber auch den Alligator und Schlangen- arten, welche Gegenstand des Kultus (Totems) anderer In- dianerstämme und einzelner Indianerfamilien sind. Derselbe Naturdienst findet sich bei den Australiern, wo das Totem den Namen Kobong hat. | Dieser Kultus entspringt ohne Zweifel aus der Achtung oder abergläubischer Furcht vor den Geistern der Vorfahren, welche Namen wie grosse Schlange, Prärienhund, Känguru, Opossum u. dgl. trugen; die gleichnamigen Wesen werden angebetet, weil man die Uebereinstimmung im Namen als IDEENWELT, GLAUBE UND RELIGION 653 eine Art Verwandtschaft betrachtet („Namensvettern“) oder weil der Glaube herrscht, es seien die Seelen der Verstor- benen in diese Wesen übergegangen (Metempsychose). Wenn ein Thier, welches Gegenstand dieses Kultus ist, von einem Anbeter desselben auf der Jagd durch Zufall getödtet wird, so entschuldigt sich der Wilde bei demselben für das Ver- sehen, dem es zum Opfer fiel, oder er sucht wenigstens sein Gewissen zu beschwichtigen unter Berufung auf die harte Nothwendigkeit, sich Nahrung zu verschaffen. Fetischdienst. Dieser Kultus kann irgend einem mate- riellen Gegenstand gewidmet sein; aber dieses Objekt — welches oft auch nur der Gott (Fetisch) eines Stammes, einer Familie oder eines Einzelnen ist — wird nicht in Beziehungen zu den Ahnen gedacht, und die Verehrung, welche ihm erwiesen wird, gilt ihm nur als Einzelngegen- stand, schliesst aber nicht den Kultus anderer Exemplare gleicher Art in sich. Wenn also ein Thier, eine Pflanze, ein Stein als Fetisch angebetet wird, so ist das Individuum, Exemplar oder Stück Gegenstand des Kultus, nicht die Species. Wird ein Stein weggeworfen, welcher als Fetisch verehrt wurde, so gilt derselbe nachher auch in den Augen seines früheren Anbeters nicht mehr als irgend ein andrer Stein. Vom Götzen- oder Bilderdienst unterscheidet sich der Fetischismus dadurch, dass der Fetischverehrer glaubt, seinen Gott zur Erfüllung seines Willens und seiner Wünsche zwingen zu können und denselben unter Umständen bestraft, beseitigt oder zerstört, wenn er nicht leistet, was man von ihm erwartet. Die Neger der Guineaküste schlagen ihre Fetische, wenn diese sich’ widerspenstig zeigen, d. h. die ‘Wünsche ihrer Verehrer nicht erfüllen, und wenn die Neger twas Unrechtes begehen wollen, so verbergen sie ihren Fetisch, damit er nicht Zeuge der bösen That sei. Es gibt uch Völkerschaften, welche bei gewissen Anlässen ihre Fetische verspeisen. Götzen- oder Bilderdienst und Reliquienkultus. Als Götzendienst (Idiolatrie, Abgötterei) bezeichnet man die Anbetung von bildlich und plastisch dargestellten Göttern, ın welche die Gläubigen Gebete richten, die ihrer Meinung ach durch die Gottheiten erfüllt werden können, ohne dass liese Erfüllung (wie der Fetischanbeter meint) zu erzwingen ist. 654 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN So werden Statuen errichtet, vor denen man sich nieder- wirft, um von ihnen Beistand, Schutz und Hülfe zu erflehen. Bald sind diese Bildnisse oder Idole selbst die Götter (Götzen), bald sind es nur Darstellungen derselben, ein Unterschied, welcher in der Theorie oft als wesentlich bezeichnet, ebenso oft aber von den Gläubigen in der Praxis selbst nicht ge- macht und nicht beachtet wird. Das Idol ist oft nur eine unförmliche Masse, ein auf- recht gestellter Stein oder eine ganz rohe und ungeschlachte Darstellung des Gottes (Mensch oder Thier), wovor die Gläu- bigen sich noch immer niederwerfen, nachdem sie längst gelernt haben, bessere Bilder anzufertigen. Die Anbetung von Thieren oder Darstellungen von solchen wird als Zoolatrie, diejenige von Schlangen speziell als Ophio- latrie bezeichnet; analog ist unter Phytolatrie die Verehrung von heiligen Bäumen und andern Pflanzen zu verstehen. Anthropolatrie heisst sowohl die Anbetung berühmter Menschen, Helden oder Heroen, als auch diejenige von Bildern, welche Gottheiten in Menschengestalt (anthropomorph) darstellen. Anstatt einer Darstellung des Heros oder Gottes werden manchmal Gegenstände verehrt, die angeblich von denselben herrühren und die man als Reliquien bezeichnet. Damit geht der eigentliche Bilderdienst in den Reliquienkultus über. Schamanismus. Der Ausdruck Schamanismus oder Schamanenthum kommt her von der Benennung Schamanen (Korruption des sanskritischen scramanas) für die Personen, welche bei den Volksstämmen im nördlichen Sibirien die Vermittler zwischen Menschen und Göttern spielen. Das Schamanenthum unterscheidet sich vom Fetisch- und Bilder dienst, indem es weder materielle Götter, noch Bildnisse von solchen kennt; seine Götter werden als vom Menschen gänz lich verschieden, weit mächtiger und nicht die Erde be wohnend gedacht. Mit diesen Gottheiten kann der gewöhn- liche Mensch nicht direkt in Beziehung treten, vielmehr muss er sich hiefür an die Schamanen wenden. Der Scha- mane allein verkehrt unmittelbar mit seinen Göttern; unter konvulsivischen Anfällen beschwört er sie; in der Extase wird‘ sein Geist zu ihnen versetzt und vernimmt er ihre Stimme. Diese Religionsform ist nicht auf Sibirien beschränkt; sie kommt auch bei den Eskimos vor, wo der Angekok nichts IDEENWELT, GLAUBE UND RELIGION 655 anderes ist als der sibirische Schamane; ferner findet sie sich bei den Abiponen am Paraguay und auf einigen Inseln des Stillen Ozeans. Spiritualismus. Als Spiritualismus kann jede Religion bezeichnet werden, deren Gottheit als ein Geist gedacht wird, d. h. als wesentlich verschieden vom Menschen und den Dingen der Aussenwelt, und die man nicht anbetet in diesen Dingen, noch in symbolischen Bildnissen und Idolen. Als Differenz zwischen dem Spiritualismus und dem Scha- manenthum ist der Umstand zu bezeichnen, dass ersterer den Menschen mit seinem Gotte direkt in Verkehr treten lässt durch das Gebet, während letzteres hiefür eine Ver- mittlung durch einen andern Menschen (den Schamanen oder Angekok) als nothwendig annimmt. Atheismus. Als Atheisten bezeichnen wir nicht Völker, welche die Existenz eines Gottes oder verschiedener Götter leugnen, denn, wie schon bemerkt, kommt wahrscheinlich eine solche Negation als Volksanschauung gar nicht vor; sondern wir verstehen unter Atheisten diejenigen (noch ziem- lich zahlreichen) Völkerschaften, welche sich mit der Frage, ob es einen Gott gebe, nicht beschäftigen, welche aus diesem Grunde keinen Gott kennen oder hierüber nur vage Ideen haben und sich nicht damit befassen, dieselben zu präzi- siren. Diesen Zustand trifft man selten auf der untersten Stufe geistiger Entwicklung, denn für die Wilden, die Natur- völker par excellence, ist die Welt voller Geister; die Gleich- gültigkeit gegen diese nichtmateriellen Dinge, der Mangel eines bestimmten Glaubens, den man als Atheismus be- zeichnen kann, findet sich vielmehr in den Stadien des Uebergangs aus Barbarei zu Bildung, eines eigenthümlichen Gemisches von Halbbarbarei und Halbzivilisation, gleich dem Dämmerschein, worin die Schatten der Nacht sich ver- schmelzen mit dem Lichte des nahenden Tages. R Polytheismus. Unter Polytheismus versteht man den Glauben an eine Mehrzahl von Göttern (die Vielgötterei). Diese Gottheiten haben oft ein ganzes Gefolge von Halb- göttern, Heroen und allerlei geistigen Wesen tieferen Ranges, deren Gesammtheit ein mehr oder minder kompli- zirtes mythologisches System bildet. Für die Zahl der- selben gibt es kaum bestimmte Grenzen. Die alten Mexi- 656 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | kaner hatten 2000 Götter, ohne die Dämonen, Geister und Seelen der Todten, welche nur Gegenstand des Lokalkultus waren. Die indische und japanische Mythologie sind noch reicher. Für diese manigfachen Gottheiten ist fast immer eine bestimmte Rangordnung oder Hierarchie vorhanden. ) Die einen sind nur Geister der Ahnen, denen kaum gött- 1 licher Charakter beigelegt wird; die andern Heroen oder Halbgötter; dann folgen die Hauptgottheiten oder grossen Götter mit verschiedenen Attributen, und endlich kommt bisweilen noch ein oberster, höchster Gott vor, ein Gott aller Götter. 1} Dualismus. ‚Eine Religion heisst dualistisch, wenn sie ; den Glauben lehrt, dass zwei entgegengesetzte Gottheiten die Welt regieren, von welchen die eine der Urquell des Guten, die andere aber Quell alles Bösen ist, oder den Glauben an zwei rivalisirende Götter, wovon der eine Be- schützer und Wohlthäter, der andere Feind und Verführer des Menschen ist. Bei den alten Persern war Ormuzd das gute und Ahriman das böse Prinzip, Jener Gott des Lichtes, Dieser der Finsterniss. Die Rothhäute kennen Kitchi Manitu als den guten Geist und Matchi Manitu als seinen unver- söhnlichen Gegner. Bei den Negern von Loango ist Zambi der höchste und gute, Zambi-Ambi der feindlich ge- sinnte Gott. Monotheismus. Der Monotheismus ist der Glaube an einen einzigen oder doch einen höchsten Gott, der weit erhaben ist über alle niederen Götter und Geister, der allein Himmel und Erde geschaffen hat, regiert und erhält. Die unteren Götter und Geister monotheistischer Religionen (Genien, Engel) haben keinen selbständigen Wirkungskreis; sie sind nur Vollstrecker der Gebote des höchsten Gottes, des Weltenmeisters, den die Völker verschieden benennen und sich auf verschiedene Art vorstellen, immer aber als den allmächtigen Beherrscher von Himmel und Erde. Ursprung der Religion und Dogmen derselben. Falls der Reisende eine Religion kennen lernt, von der man noch wenig Genaues weiss, hat er sich nach deren Ursprung und Lehren zu erkundigen und hierüber zu berichten. Für die Forschungen über Ursprung und Geschichte einer Religion kommen in Betracht: Nachrichten über den Stifter IDEENWELT, GLAUBE UND RELIGION 657 dieser Religion, seine Zeit und die Stätten seines Lebens und Wirkens; die Veranlassung zu seinem Auftreten als Apostel oder Reformator (Inspiration, „Offenbarungen“ be- - treffend seine Sendung), sein Leben vor und nach diesem, endlich die Mittel, welche zur Ausbreitung des neuen Glau- bens angewendet wurden. Hieran schliessen sich auch all- fällig mögliche Ermittlungen über heilige Schriften dieser Religion, ihre Entstehung, sowie die späteren Auslegungen und Erklärungen (Kommentare) derselben. Die Kenntniss der Dogmen oder Glaubenslehren einer Religion verschafft man sich aus den heiligen Büchern der- selben oder, in Ermanglung solcher, von Priestern und andern Personen, welche in dem betreffenden Lande einen Ruf als Gelehrte in religiösen Dingen besitzen. Die religiösen Schriften werden dem Reisenden selten verständlich sein ; daher hat er sich dieselben erklären zu lassen oder sich womöglich eine Abschrift derselben zu verschaffen, um sie einem Fachgelehrten zu übermitteln. Konfessionen und Sekten. Handelt es sich um Religionen, welche im Allgemeinen schon bekannt sind, so kann sich der Reisende darauf beschränken, kurz an die Hauptdaten und Grundzüge derselben zu erinnern; einläss- licher hat er hierüber nur zu berichten, hinsichtlich ein- zelner Punkte, die nicht oder nur ungenügend bekannt und beachtet wurden oder welche in neuer Auffassung darzu- stellen sind. Besondere Aufmerksamkeit ist den einzelnen Hauptrichtungen innerhalb einer Religion, den Konfessionen und Sekten zuzuwenden, d.h. Gruppen von Personen, welche sich zu einem Glauben bekennen, der in gewissen Punkten von den herrschenden religiösen Anschauungen und Ge- bräuchen abweicht. Es soll ermittelt werden, worin die Verschiedenheiten der Konfessionen und Sekten bestehen, wann diese Differenzen ihren Anfang nahmen und die kon- fessionelle Trennung (Glaubensspaltung, Schisma) oder Sekten- bildung stattfand. Tempel und kirchliche Anstalten. Unter Tempeln hat man nicht nur zum Gottesdienste bestimmte Gebäude (Kirchen, Moscheen, Pagoden etc.) zu verstehen, sondern auch alle die Stätten (Höhen, Waldlichtungen, Uferplätze), welche dem Zwecke ler Gottesverehrung gewidmet sind. Das Betreten dieser 42 | 658 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN | | Gebäude und Plätze ist häufig den Fremden verboten; der Reisende muss sich dann meist mit der Beschreibung be- gnügen, welche ihm Eingeborne davon geben. Wenn aber irgend ein günstiger Zufall ihm den Besuch jener Stätten ermöglicht, so unterlasse er nicht, eine genaue Beschreibung und wo immer möglich Ansichten derselben mitzutheilen. Als körchliche Anstalten bezeichnen wir alle Gebäude und Einrichtungen, welche zwar nicht für den Gottesdienst oder Kultus im engern Sinne bestimmt sind, aber anderweitigen religiösen oder konfessionellen Zwecken dienen, wie Klöster, Priesterwohnungen, Fondationen unter kirchlicher Leitung und Verwaltung etc. { Geistlichkeit. In Ermanglung eines bessern Kollektiv- namens bezeichnen wir hier als Geistlichkeit oder Klerus die Gesammtheit der Personen, welche die (selbstgestellte oder von Andern ihnen übertragene) Aufgabe haben, sich in irgend einer speziellen Weise mit religiösen oder kirchlichen Angelegenheiten zu befassen. Wir zählen also hieher die Zauberer, Wahrsager, Opferpriester etc. unzivilisirter Völker, die Derwische und Marabuts, die Ulemas oder Doktoren des Gesetzes: Imans, Muftis etc.; die katholischen Pfarrer (curös), Bischöfe und Erzbischöfe, wie die Mitglieder der verschiedenen Orden: Mönche, Kapuziner etc.; die prote- stantischen Pfarrer (pasteurs), die Strassenprediger (street preachers) der Städte und Wanderprediger der Landschaften in den Vereinigten Staaten; endlich die Missionäre, welche die Religion den Ungläubigen in fernen Ländern, in den fremden Erdtheilen verkünden. Der Reisende hat die Aufgabe, möglichst genau festzu- stellen, welche Rolle, Attribute und Prärogative die einzelnen Personen haben, denen es in dem besuchten Lande obliegt, sich in ihrer Stellung auf irgend eine besondere Art mit dem Gottesdienst und den religiösen oder kirchlichen In- teressen zu befassen. Soll dieser Aufgabe in genügender Weise nachgekommen werden, so wird es für den Reisenden oft nöthig sein, seine persönlichen Ansichten und vorgefassten Meinungen über diese Dinge in den Hintergrund treten z lassen, um unparteiisch und korrekt die Thatsachen zu konstatiren und zu würdigen. IDEENWELT, GLAUBE UND RELIGION 659 Kultus, Ritus, Zeremonien. Noch grössere Ver- schiedenheiten als im Glauben der Menschen finden wir in der Manifestation dieses Glaubens, in der Art, wie der Mensch mit seinen Göttern verkehrt. Völker, welche derselben Religion angehören, können in ihrem Kultus oder kirchlichen Zere- moniell von einander ziemlich abweichen. Der katholische Kultus in Frankreich ist ein anderer als der in Spanien, Mexico oder gar in den Dörfern bekehrter Indianer. Der Kultus besteht keineswegs überall in Huldigungen gegen die Götter. Es gibt Völker, welche ihren Gottheiten nicht Lob und Dank, sondern Vorwürfe und Verwünschungen zukommen lassen. Wenn uns dies ungeheuerlich erscheint, so ist es nichtsdestoweniger natürlich; denn jene Völker kennen nur böse oder schwache Götter, welche es verdienen, dass man sie mit Vorwürfen und Injurien überhäuft für ihre Bosheit oder mangelhafte Pflichterfüllung. Anderswo besteht der Kultus namentlich in Opfern, womit die Götter besänftigt und günstig gestimmt werden sollen. Tänze spielen eine grosse Rolle bei den religiösen Zere- monien der Wilden, und dieselben sind häufig mit lärmenden Aufführungen verbunden: Geschrei, Geheul und eine betäu- bende Musik sollen die Aufmerksamkeit der Götter erregen und denselben zur Ehre gereichen. In Mexico und im ganzen spanischen Amerika wird der Gottesdienst an vielen Orten sehr oft mit Prozessionen, Feuer- werk und Schüssen verbunden. Die Chinesen werfen Raketen und verwenden massenhaft kleine Papierstücke, die angezündet werden. Sehr verbreitet ist der Gebrauch von Lampen, Kerzen und Fackeln zu .Kultuszwecken; seltener derjenige von Blumen, welcher immerhin in verschiedenen Ländern Sitte ist. Gesang und Musik bilden selbst bei den meisten zivilisirten Völkern ein integrirendes Element des Gottes- dienstes. N Womöglich wohne der Reisende den religiösen Zeremo- nien der von ihm besuchten Völker bei, nicht blos um eine genaue Beschreibung derselben liefern zu können, sondern auch, weil er hier Gelegenheit finden wird zur Erklärung von Einzelheiten, die ihm sonst entgangen wären und die aus Diskretion nicht zum Thema des Gesprächs gemacht werden können. In den religiösen Gebräuchen finden sich 660 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN auch am ehesten Ueberreste aus ferner Vergangenheit, Sym- bole, für deren Herkunft aus altersgrauer Vorzeit der Umstand spricht, dass ihre Bedeutung mit dem jetzigen Glauben nicht mehr im Einklang steht. Religiöse Werke. Eine Religion verlangt von ihren Bekennern meist nicht nur die Bethätigung ihres Glaubens durch Theilnahme am öffentlichen Gottesdienst und dessen Zeremonien, sondern auch religiöse Werke, wie Deten, Almosen- spenden, Waschungen etc. Hier kann man denn namentlich oft sehen, wie der Geist, welcher diese Werke vorschrieb, in Vergessenheit kam und an dessen Stelle der Buchstabenglaube trat. Palladius, der im vierten Jahrhundert nach Christus lebte, erzählt, dass ein gewisser Abt 300 Mal im Tag dasselbe Gebet hersagte und sich dies zu einem grossen Verdienst an- rechnete. Eine derartig mechanisch-repetirende Gebetsver- richtung trifft man in manchen Ländern. Zu Benares in Indien hört man in allen Tonarten den Namen eines Gottes: „Ram- Ram-Ram“, was — wie ein geistreicher englischer Geistlicher bemerkt — die Gläubigen nicht hindert, diese Gebete zu zählen, als ob es ebenso viele Ruppien wären, die ihrem auf der himmlischen Bank deponirten Kapital beigefügt würden. In Tibet wird die Formel „Om mani padme hum“ (Gott im Lotus! Amen!) unzählige Mal wiederholt. Sicher wird kein anderes Gebet täglich so oft Mal wie dieses ge- sprochen ; denn kein Volk betet soviel wie die Tibetaner. Um diesem Bedürfniss zu genügen, nehmen sie ihre Zuflucht zu Gebetsmühlen, welche mit Hülfe einer Papierrolle und eines Uhrwerks die mystische Formel eine unbestimmte Anzahl Mal wiederholen. Anderswo besteht das Gebet darin, dass alle Anrufnamen eines Gottes nacheinander aufgezählt oder aus- gesprochen werden. Nun besitzt Allah 99 solcher Namen, Wischnu 1000, Siva 1008; die Liste ist also mitunter sehr gross und es werden mechanische Hülfsmittel nöthig (Rosen- kränze, tasbih der Muselmanen, japa-mala und smarani der Hindu), um sich zu vergewissern, dass man keinen jener Namen auslässt. Zudem hat es den Anschein, dass, wenigstens in Indien, angenommen wird, die Wirksamkeit des Gebetes stehe im Verhältniss zur Grösse der Perlen oder Körner und Steine dieser Rosenkränze; denn man sieht daselbst solche Kugeln von der Grösse eines Kinderkopfes, sodass deren Handhabung IDEENWELT, GLAUBE UND RELIGION 661 selber wieder mechanische Hülfsmittel erfordert. In Bezug auf die Almosen besteht meist ein starkes Missverhältniss zwischen den religiösen Vorschriften und deren Beobachtung. Wer lebt dem Gebote der Bibel nach, sein Gut mit den Armen zu theilen und sich so einen Schatz im Himmel an- zulegen? Was die Waschungen betrifft, welche der Koran vorschreibt, so werden dieselben sehr häufig nur simulirt: um dem Schein zu genügen, macht man einige Manipulationen, welche das Waschen vorstellen: in Wirklichkeit aber zeichnen sich die Anhänger Mohammeds nicht gerade durch Reinlichkeit des Gesichts und der Hände aus. In verschiedenen Gegenden sind Enthaltsamkeit, Fasten, Busse, Geisselung und Verstümmelungen vorgeschrieben oder doch als verdienstliche Werke erklärt. Die Tonga-Insulaner sollen sich den kleinen Finger abschneiden, um ihn den Göttern zu opfern, und Indien hat die Selbstaufopferungen unter den Wagenrädern des Gottes von Jaggernaut (S. 614). In manchen Ländern endlich kommen Wallfahrten oder Pilgerzüge vor als ein Mittel, den Himmel zu verdienen, Ver- gebung der Sünden oder den Ruf der Heiligkeit zu erlangen. Charakter der Religion. Unter dem Charakter einer Religion verstehen wir den Geist, welcher in deren Ausübung zu Tage tritt. Es gibt Religionen, welche von unverträglicher und ex- klusiver Natur sind oder wenigstens in diesem Sinne gelehrt werden, daher Unduldsamkeit, Fanatismus und Verfolgungen hervorrufen; andere sind propagandistisch, eifrig bemüht um Bekehrungen, Gewinnung neuer Anhänger (Proselyten). Diese Charakterzüge hat eine Religion oft nicht sowohl an und für sich, zufolge ihres innern und eigentlichen Wesens, als viel- mehr zufolge des Verhaltens der einen und andern ihrer Be- kenner und des Geistes, welcher dieselben beseelt. Der Katholi- zismus z. B. hat in Spanien die Inquisition und die Auto- dafes erzeugt, während er sich in Frankreich gegen andere Bekenntnisse toleranter zeigte und in der Schweiz viele Kirchen regelmässig jeden Sonntag der Reihe nach von beiden Konfessionen (Katholiken und Protestanten) benutzt werden. Es ist selbst der muhammedanische Fanatismus kaum zu fürchten als in Zeiten, wo das Volk wegen besonderer Verhältnisse zum Hasse gegen die Ungläubigen aufgestachelt wird. Der pro- 662 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN pagandistische Eifer endlich ist mehr eine individuelle Eigen- schaft als eine solche der Religion. Gewisse Religionen begünstigen den Formalismus durch die hohe Bedeutung, welche sie den äusserlichen Kultus- handlungen beilegen; andere führen zum Fatalismus, indem sie lehren, dass der Mensch keinen Einfluss habe auf sein Geschick, das vorher bestimmt und unabänderlich sei. So hat jede Religion ihr eigenthümliches Gepräge; meist ist aber wohl zu unterscheiden zwischen dem Geist und Charakter ihrer selbst, ihrer Formen und Lehren, auf der einen Seite und andererseits derjenigen Physiognomie, welche sie durch die Eigenschaften ihrer Bekenner und Ausleger erhält. Aberglaube und abergläubische Gebräuche. Die Religion ist selbst in denjenigen ihrer Formen, welche als die höchsten gelten, noch mit Aberglauben verbunden. Wir wollen hier nicht von den absurden Meinungen sprechen, welche im Mittelalter die Judenverfolgungen, Hexen- prozesse u. dgl. verursachten; es genüge, zu bemerken, dass man heute noch bei uns, namentlich auf dem Lande, den Glauben trifft an Hexenkünste, an Verzauberung von Menschen und Vieh, an den bösen Blick, Gespenster u. dgl. Gewisse Personen werden für unheilbringend gehalten; der jettatore und die jettature in Italien (mit dem bösen Blick Behaftete) sind Analoga zu den Zauberern (jeteurs de charmes), wofür man den letzteren Ausdruck nicht mehr verwenden mag. Noch an vielen Orten glaubt man mehr oder weniger, bewusst oder instinktiv, dass gewisse Wochentage von übler bedeutung seien, so der Freitag; dass gewisse Daten als Schicksalstage verhängnissvoll seien, so der dreizehnte eines Monats. Morgens einem Leichenzuge zu begegnen, verdirbt Manchem den ganzen Tag; zu dreizehn am Tische sitzen, stört das Mahl. Man lässt läuten gegen Blitzschlag, trägt eine Reliquie als Talisman: gegen Unglück, begräbt ein Thier unter dem Herde, um reich zu werden u. dgl. m. Auf Gerathewohl ein Buch zu öffnen und die auf diese Art zufällig aufgeschlagenen Worte zu deuten, gilt als ein Mittel zur Erforschung der Zukunft, wie andererseits die T’raum- deuterei, und in der That wird die Auslegung fast immer bestätigt, wenn sie nur — geschickt ist. Der Messmerismus KLEIDUNG UND SCHMUCK 663 (thierische Magnetismus) und die Somnambülen hatten ihre Zeit, wie das Tischklopfen und Tischrücken und heute sehen wir grosse Gelehrte mit Medien, Geistern (spirits) u. dgl. be- schäftigt, überzeugt, dass es zwischen Himmel und Erde mehr Dinge — auch mehr Dimensionen — gibt, als unsere Philosophie sich bisher träumen liess. Lourdes in Frankreich, Marpingen in Deutschland u. dgl. Stätten und Vorfälle mehr haben auf's Neue gezeigt, wie sehr der Glaube an Wunder und Waundererscheinungen noch verbreitet und festgewurzelt ist. Kann man sich also wundern, bei Wilden und Halb- barbaren den Glauben an übernatürliche Dinge, an Zauberer, Auguren, Orakel w. dgl. überall in Blüthe zu finden ? Ist die Religion der Völkerschaft, welche ein Reisender besucht, schon genügend bekannt und bietet sie ihm keinen Stoff zu Studien dar, so wende er seine Aufmerksamkeit dem Aberglauben, dessen Formen und Bräuchen zu: auf diesem Felde findet er sicherlich noch reiche Ernte, sei er Schnitter oder Aehrenleser. Gewisse Formen des Aberglaubens sind namentlich deshalb von grosser Wichtigkeit, weil ihnen ein sehr hohes Alter zukommt. Wenn es z.B. richtig ist, dass bei den Bauern der Bretagne jetzt noch der Brauch herrscht, die Steine von Carnac mit Oel zu salben und mit Blumen zu schmücken, so muss angenommen werden, dass, was heute Aberglaube ist, ehemals Religion und Kultus war. KLEIDUNG UND SCHMUCK. Die Sitte des Kleidertragens entspringt einerseits dem Bedürfnisse nach Schutz des Körpers gegen die Unbilden der Witterung, andererseits einem gewissen Anstands- oder Schick- lichkeitsgefühle. In den heissen Ländern kann wesentlich nur Schamhaftigkeit oder Freude an Schmuck dazu veranlassen, den Körper in grösserem oder kleinerem Maasse zu bekleiden, und von diesen beiden Beweggründen scheint‘ der letztere — die Lust am Schmuck — der vorherrschende zu sein; dafür spricht wenigstens der Umstand, dass bei Völkerschaften, welche den Körper ganz zu tätowiren pflegen, die Frauen sich für gut bekleidet halten, wenn sie mit Tätowirungen bedeckt sind. 664 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Die Begriffe über das, was hinsichtlich der Bekleidung die Schicklichkeit gebietet, sind sehr verschieden. Bei einigen Völkern gehen nur die Männer einigermassen bekleidet, und. bei vielen andern sieht man die Kinder beiderlei Geschlechts. bis zu einem gewissen Alter ganz nackt. Auch darüber, welche Theile des Körpers zu bekleiden seien, welche andere aber unverhüllt bleiben dürfen, weichen die Ansichten bei verschiedenen Völkern sehr von einander ab. Bei den Hotten- totten muss die Frau den Nacken verhüllen; in China darf sie den Fuss nicht sehen lassen; im ganzen Orient hat eine Frau, welche im Bade überrascht wird, nur ihr Gesicht zu bedecken, um die -Decenz zu wahren. Mit der Sittlichkeit eines Volkes hat dies nichts zu thun. Es gibt Völkerschaften, welche sehr sittlich denken und leben, aber es gar nicht für nöthig finden, ihre Nacktheit zu ver- bergen; andere hüllen den ganzen Körper in Kleider, sind aber keineswegs besonders tugendhaft. Der Reisende wird diese verschiedenen Eigenthümlich- keiten konstatiren, ohne daraus vorschnelle Schlüsse zu ziehen. Sodann hat er das Kostüm zu beschreiben und womöglich durch Zeichnung oder photographische Aufnahmen darzu- stellen; im letzteren Falle kann die Beschreibung sehr kurz gehalten werden: es sind lediglich die einzelnen Stücke an- zugeben, woraus die Kleidung besteht, ferner die Stoffe, Farben und Namen derselben. Die bildlichen Darstellungen sollen die Personen in einer natürlichen Haltung zeigen (Taf. XXIV); man hüte sich davor, dass es den Anschein hat, als wäre denselben für die Aufnahme eine besondere Stellung angewiesen worden. Volkstracht. Dem Reisenden muss daran liegen, aus den importirten Moden und den Liebhabereien der Einzelnen hinsichtlich ihrer Toilette herauszufinden, was der Volkstracht angehört. Selten findet man diese in Städten; hier ist sie zumeist entweder fast gänzlich verschwunden oder — wie bei den Ammen, Kindermädchen und Kellnerinnen der Schweizer- städte — durch ein Phantasiekostüm ersetzt. Oft werden städtische Moden selbst in den kleinsten Dörfern nachgeahmt, und findet man die Nationaltracht kaum noch bei alten Leuten und in abgelegenen Gegenden. Oft aber auch wird das Kostüm, welches die Landleute in den Tagen ihrer Taf. XXIV. I % E41 7) Ward) : & < 3 = = x - N >) an. EN INN S2 ei NR AÄPPENZELLER MIRTENKNABEN. we KLEIDUNG UND SCHMUCK 665 Jugend trugen, von denselben wie eine Reliquie aufbewahrt, und zuweilen sind sie auf die Bitte von Gästen hin bereit, sich vor denselben in dieser Tracht aus ihren jungen Jahren -zu zeigen. Die aussereuropäischen Völker legen mehr Werth auf die Beibehaltung des traditionellen Kostüms, was nicht wenig dazu beiträgt, Szenen des Volkslebens eine charakteristische Lokalfärbung zu geben. Die Tracht ist mitunter höchst einfach. Bei einigen wilden Stämmen beschränkt sie sich auf eine Art Schürze oder kurzen Rock (jupon) aus Blättern, Gras, Schilf oder Federn. Anderswo besteht sie aus Thierhäuten, Schaffellen, Stücken weicher Rinde und Geweben. Einige Völker haben eine sehr komplizirte und reiche Tracht. Wie oben schon bemerkt wurde, hat der Reisende an- zugeben, welches die Bestandtheile des Kostüms, die ver- schiedenen einzelnen Kleidungsstücke, deren Stoffe, Farben und Namen seien. Dabei ist namentlich auch zu erwähnen, ob die Leute barhäuptig und barfuss gehen oder nicht. Die Sitte, keine Kopfbedeckung oder keine Fussbekleidung zu tragen, kontrastirt manchmal seltsam mit dem sonstigen Reichthum des Kostüms. In Japan würde man es als etwas Extravagantes betrachten, wenn eine Frau Strümpfe tragen wollte. Die Art des Kopfputzes und der Kopfbedeckung — der Mützen, Hauben, Frauen- und Herrenhüte, mit hohen und niedrigen Formen, breiten und schmalen Rändern, weichen oder harten, hellen oder dunkeln Stoffen, der Turbane, Pelz- mützen etc. — sowie diejenige der Fussbekleidung — San- dalen, Espadrillen, Mocassins, Schuhe und Stiefel aus Leder, Pelz etc. — ist als charakteristisch ebenfalls zu beschreiben. Besondere Trachten. Manchmal tragen die einzelnen Kasten, Klassen, Stände oder Berufsarten besondere Trächten. Der Reisende wird sowohl konstatiren, ob und inwieweit dies der Fall sei, als auch die Gründe solcher Sitten zu er- mitteln suchen. Dieselben sind oftmals nicht blos zufälliger Natur. In gewissen Ländern gibt es strenge Gesetze, die vorschreiben, welche Stoffe, Farbe und Form die einzelnen Personen je nach ihrem Range anwenden dürfen. In Cochin- china z. B. ist dem Volke durch die Luxusgesetze das Tragen 666 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN BG ; von Seide verboten. Im Königreich Annam hat nur der Herrscher das Recht, sich mit Stoffen von lebhafter gelber Farbe zu bekleiden; das Roth ist für die Mandarinen von hohem Rang bestimmt, das Blau für untergeordnetere Beamte. Von diesen hierarchischen Unterschieden abgesehen, be- stehen in der Tracht Differenzen nach Geschlecht und Alter; wo dies nicht der Fall sein sollte, wäre das als eine Aus- nahme zu betrachten, welche notirt zu werden verdiente. Die Tracht wechselt auch nach den Jahreszeiten: es gibt 3 Sommer- und Winterkleider, wie besondere Anzüge für Früh- ling und Herbst. “ Oft kann namentlich unterschieden werden zwischen der Werktags- und der Sonntags- oder Festkleidung, Haus- und Gesellschaftskleid, Morgen- und Abend-Anzügen. Endlich sind die Spezialkostüme für besondere seltenere Anlässe zu erwähnen: Galakleider für Hochzeiten und Taufen, die Trauerkleidung, die Hoftracht und bei wilden Völkern das Kriegskostüm. Von allen diesen verschiedenen Trachten sind kurze, aber ausreichende Beschreibungen zu geben. Es ist zu bemerken, ob sich eine ausgesprochene Vorliebe für gewisse Stoffe und ) Farben zeigt und ob etwa einige der letzteren eine besondere Bedeutung haben. Weiss und Rosa gelten bei uns als Farben von freudiger Bedeutung; in China hingegen ist das Weiss Trauerfarbe. In einigen Schweizerkantonen haben die Bänder, welche Frauen und Mädchen sich in die Haare flechten, be- stimmte Farbenverschiedenheiten, woran zu erkennen ist, ob die betreffende Person ledig oder verheirathet sei und ob sie der Aristokratie des Dorfes angehöre oder nicht. Accessorische Bestandtheile der Toilette. Als solche bezeichnen wir die Gegenstände, welche nicht gerade zum Kostüm gehören, aber eine mehr oder minder übliche Bei- gabe und Ergänzung zu demselben bilden. Fast alle wilden Völker lieben es, sich mit Hals- und Armbändern, sowie mit Ringen an den Fingern, Armen, Beinen und selbst um den Körper zu schmücken. Dabei kommt es ihnen nicht gerade auf den Stoff an: Kupfer, Messing, Eisen, Elfenbein, Leder, Steine, Muscheln, Glas, Körner, Knochen, Zähne — alles ist ihnen recht. KLEIDUNG UND SCHMUCK 667 Mitunter tragen sie Diademe aus Federn, riesige Steck- nadeln in den Haaren und unverhältnissmässig grosse Ohr- gehänge. Die alten Japanesen trugen eine Kette von Mata- gamas oder verschieden geformten Kleinodien an der Seite; ihre Frauen hatten ähnlich zusammengesetzte Halsbänder. Die Australier an der Botanybai hatten eine Art Ringkragen (hausse-col) aus grossen Muscheln, die vom Halse bis auf die Brust hinunter reichten. Endlich beobachtet man bei verschiedenen Völkerschaften den Gebrauch einzelner Knochen, Amulete oder Rosenkränze, welche am Halse oder an der Seite getragen werden. Als Komplemente der Kleidung sind zu erwähnen: die Handschuhe, welche in kalten Gegenden aus Pelz bestehen; Ohrenwärmer (cache-oreilles), Schnee- und Schlittschuhe, um Schnee- und Eisflächen zu passiren. Anderswo gelten als unvermeidlich Stock, Sonnenschirm und Fächer (diese auch für Männer, z. B. in Japan für ge- wisse als Yakumins bezeichnete Militärpersonen). Taschentücher werden nicht überall für nothwendig er- achtet; sie fehlen bei ganzen Völkern oder doch Ständen von solchen. In Japan verwendet man an Stelle unserer Taschen- tücher quadratische Stücke vegetabilischen Papiers, welche in einer Kleiderfalte getragen und nach dem Gebrauche weggeworfen werden. Für die Horden, welche sozusagen zu Pferde leben, wie lie Nomaden Innerasiens, die Gauchos in Südamerika etc., sowie für andere Völker, wo der Mensch von seinem Reit- ‘hiere fast unzertrennlich ist, wie Araber, Tuaregs, Mexi- taner u. A., sind auch Sattel und Reitzeug als Accessorien les Kostüms zu betrachten. Abzeichen. Es ist zu bemerken, was an dem Anzuge ind dessen Accessorien zur Bezeichnung der Funktionen- oder es Ranges einer Person dient, also den Werth von Abzeichen ‚der Insignien hat. Bei den wilden Stämmen ist oft eine Feder auf dem Kopf ie einzige Auszeichnung, welche der Häuptling trägt. Auf er Insel Wuap (Karolinen) erkennt man die Häuptlinge daran, ass sie sich mit gewissen Muscheln und geschnittenen Steinen shmücken, welche Andern zu tragen nicht erlaubt ist. 668 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Wo Spezialkostüme oder besondere Farben zur Bezeichnung des Ranges und der amtlichen Funktion dienen, sind jene Kostüme und Farben selber als Abzeichen zu betrachten. In der Regel hat aber nur ein bestimmtes Kleidungsstück oder Accessorium die Bedeutung eines Abzeichens. Bei ge- wissen Insulanern ist es eine Art Königsmantel, in Marocco der Sonnenschirm, in Indien der von einem Sklaven getragene Fächer, in Frankreich die Schärpe des Präfekten oder Maires, im Königreich Annam ein Elfenbeintüfelchen, welches die Man- darinen auf ihrem Kleide tragen und auf welchem Rang und Funktion derselben durch eine Inschrift bezeichnet sind. Waffen. In Ländern, deren Kultur noch nicht sehr entwickelt ist, wo die Bevölkerung vom Rauben und Plündern oder doch noch ausschliesslich von Jagd und Fischfang lebt, sind Waffen unentbehrliche Begleiter des Menschen, Bestand- | theile seiner gewöhnlichen Ausrüstung. Diesen Charakter verlieren sie erst in Staaten, wo eine öffentliche Sicherheit besteht, deren Störung ein seltenes und ausnahmsweises Ereigniss ist. Dabei ist zu bemerken, dass auf einer pri- mitiven Stufe der Kultur die Waffe dem Menschen nicht nur ' als solche, sondern auch als Werkzeug dient. Der Wilde erlegt Thiere und tödtet seinen Feind mit derselben Axt, womit er seine Hütte baut und sein Boot zimmert. Da der Mensch zunächst für Nahrung und Sicherheit, für Schutz gegen wilde Thiere und Seinesgleichen zu sorgen hat, muss er auf Vervollkommnung seiner Waffen bedacht sein; Art und Beschaffenheit derselben, wie der Jagd- und Fischereigeräthe, sind denn auch Indizien für den Grad geistiger Entwicklung bei wilden und halbwilden Völker- schaften. Auf den untersten Stufen der Kultur sind die Waffen sehr einfach; sie bestehen z. B. in einer Art Keulen aus knorrigen Baumästen, die später mit Spitzen versehen werden; in einer Art Speer oder Spiess, Pike oder Lanze aus einem langen Stock, an dessen Ende ein starker Dorn, ein spitzes Horn oder Geweihstück und andere Waffen der Thierwelt angebracht sind. Auf diese primitivsten Mittel zu Angriff und Abwehr folgen Aexte aus flachen scharfkantigen Steinen, die je durch irgend ein Band an einen hölzernen Stiel be- festigt oder in ein Loch am Ende eines starken Baumastes KLEIDUNG UND SCHMUCK 669 eingetrieben sind. Das Bedürfniss, Wild oder Feinde aus der Ferne zu erlegen, führt auf die Erfindung der Wurf- spiesse, Assagaien u. dgl., deren Enden im Feuer gehärtet oder mit spitzen Knochenstücken und scharfen Splittern harter Steine versehen sind. Es gibt Wurfwaffen, die so eingerichtet sind, dass sie an den Ausgangspunkt der Wurf- bewegung zurückfliegen, wie der Dumerany des Australiers. In Waldgegenden werden Dblasrohr, Pfeil und Bogen ange- wendet, wobei öfters das Vergiften der Pfeilspitzen durch Eintauchen derselben in gewisse Pflanzensäfte vorkommt. In weiten Ebenen bedient man sich des Lasso, eines Leder- riemens, an dessen Ende eine Schlinge oder Bleikugeln (Bolas) angebracht sind. In Berggegenden kommt als ge- fährliche Waffe die Schleuder zur Anwendung. Die Kenntniss der Metalle und ihrer Bearbeitung bewirkt eine grosse Revolution im Gebiete des Waffenwesens. An die Stelle von Holz, Knochen und Stein treten für die Hieb- und Stosswaffen, wenigstens für deren Schneiden und Spitzen, Bronce, Eisen und endlich Stahl, dessen Verwendung für die Fabrikation der Dolche, Schwerter, Säbel, Yatagans etc. die Entwicklung dieses Zweiges der Waffentechnik abschliesst, während dieselbe andrerseits in den Fexerwaffen auf den verschiedenen Stufen ihrer Ausbildung eine Fülle von zum Theil kunstvollen Formen hervorbringt. Neben den Waffen im engern Sinne sind die Mittel zur Abwehr gegen dieselben, zum Schutze des Körpers gegen deren Wirkungen, ins Auge zu fassen: die Schilde aus Holz, Schildkrot, Alligatorhaut, Leder oder Metall; die Helme aus Fellen mit dem natürlichen Schmuck derselben (Mähne, Schweif, Hörner ete.) oder aus verschiedenen andern Stoffen ; die Panzer aus Rinden, Kork, thierischen Häuten und Fellen, Leder und endlich Metalle. Die Fischereigeräthe zeigen eine ähnliche Stufenfolge von Formen wie die Waffen: Speer, Wurfspiess und Pfeile dienen für Fischfang und Jagd, wie als Kriegswaffen, bis sie auf einer höhern Entwicklungsstufe durch besondere Instrumente, Harpune, Angel und Netze, ersetzt werden. Im Jagdwesen spielen die Fallen eine grosse Rolle. Alles das erfordert Beachtung und volle Aufmerksamkeit von Seite des Reisenden. Derselbe hat Beschreibungen oder 670 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Abbildungen (Photographien) dieser Gegenstände zu geben und womöglich Musterexemplare von solchen zurückzubringen. In seinem Tagebuch wird er Notizen machen über die Art der Anfertigung (Fabrikation) und des Gebrauches dieser Objekte; in letzterer Hinsicht sind Beispiele mitzutheilen, die erkennen lassen, welche Geschicklichkeit die Bewohner in der Handhabung dieser Instrumente an den Tag legen. Was speziell en Waffen betrifft, so erkundige der Reisende nach der Substanz, womit die Vergiftung vor- genommen wird, nach Herkunft, Zubereitung und Wirkung derselben. Bemalung. Alle wilden Völker, die einen grossen Theil ihres Körpers unbekleidet lassen, pflegen sich zu bemalen, und zwar meist mit grellen Farben. Die Bewohner der Andamanen-Inseln begnügen sich indessen mit einem Zehm- anstrich; die Eingebornen von Neuguinea schwärzen, wie schon S. 641 Br den Körper mit einem Bee von Kohle und Oel, wenn sie den Tod eines Verwandten oder Freundes en im Uebrigen aber bemalen sie sich ebenfalls mit lebhaften Farben. Bei vielen Stämmen dienen rothe und gelbe Okererde und ähnliche Stoffe zur Bereitung der Fa rben, womit die Wilden sich Gesicht oder Körper mit ebenso grosser Sorgfalt einreiben, als nur von gewissen Schönen des hochzivilisirten Europa auf das Schminken verwendet wird. Nicht selten kann man die Krieger der Rothhäute mit dem grössten Ernste diese delikate Operation vornehmen sehen. Jedes Volk und jeder Stamm hat seine besondere Art der Bemalung mit einzelnen Zinien, Flecken und Punkten oder mit ganzen Zeichnungen und Figuren aller Art. Die Angehörigen ein zelner Völkerschaften begnügen sich mit zwei- oder meh farbigen Linien auf Stirne oder Wangen; andere bedecken das ganze Gesicht oder den ganzen Körper mit mehr oder weniger symmetrischen Zeichnungen; zuweilen wird auch eine Hälfte des Körpers (nach Form oder Farbe der Zeich- nung) anders bemalt als die zweite Hälfte. | Dergleichen Seltsamkeiten sollen beobachtet, erwähnt und genügend dargestellt werden. Am besten sind selbstver- ständlich farbige Abbildungen, welche dem Original ent- sprechen; sodann Photographien mit textueller Angabe der KLEIDUNG UND SCHMUCK 671 vorkommenden Farben. Ausserdem hat der Reisende mit- zutheilen, wie die Operation bewerkstelligt und auf welche Zeitpunkte oder Anlässe sie erneuert wird; ob sie von Zere- monien begleitet ist oder nicht; ob Vorschriften bestehen über die Zeichnung (das Dessin), die Farbe, die Zahl der Striche oder Punkte etc., oder ob all’ das dem Belieben der Einzelnen überlassen wird; ob der ganze Körper bemalt wird oder nur einige Theile, und welche; ob einige dieser Malereien eine besondere Bedeutung haben, indem sie etwa den Rang oder die Kriegsthaten ihres Trägers anzeigen; endlich welche Unterschiede in der Bemalung vorhanden sind nach Stand, Geschlecht und Alter. Erwünscht sind. auch Bemerkungen über die verwendeten Farbstoffe oder Pigmente und die Ingredienzien für deren Zubereitung. Die Bemalung des Gesichtes kommt nicht nur bei Wilden, sondern in geringerem Grade auch bei Kulturvölkern vor, z. B. Bemalung des ganzen Gesichts mit schwarzer Farbe bei den jungen Tibetanerinnen, das Fürben der Augenbrauen bei den Orientalinnen, das Fürben der Lippen mit Karmin bei den jungen Japanesinnen, welche damit das Weiss ihrer Zähne hervorheben wollen. In Japan entfernen die Damen überdiess die Haare der Augenbrauen und bringen als Ersatz dafür zwei grosse Flecken oder Fliegen an, je drei bis vier Fingerbreiten über dem Auge. Ebenso ist die Fürbung einzelner Körpertheile weit ver- breitet. Die Orientalinnen färben sich mit Hennablättern die Fingernägel in Safrangelb oder Orange. In der Provinz Bagdad und bei den Frauen der Fellatahs im äquatorialen Afrika wird diese Färbung auf die Finger und Zehen aus- gedehnt. Der Glanz der Augen sucht man oft zu erhöhen durch Färbung der Lider mit Schwefelantimon. Die Fidschi- Insulaner färben die Haare schwarz, weiss, flachsgelb oder grellroth, mitunter sogar für dieselbe Person auf zwei ver- schiedene Arten. Auch wird berichtet, dass die Frauen der Fellatahs ihre Zähne abwechselnd blau, gelb und purpurn färben, indem sie nur ein Paar oder auch nur einen der- selben des Kontrastes wegen in seiner natürlichen Farbe belassen. Die Zähne der Malayen sind häufig geschwärzt durch das Betelkauen; in Japan ist es Sitte, dass die ver- heiratheten Frauen ihre Zähne schwarz färben. & |] [89] BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Tätowirung. Das Tätowiren geht weiter als die Be- malung und das Färben: gewisse Zeichnungen werden nicht nur aufgetragen, sondern in die Haut eingestochen und sodann durch Einreiben von Farbstoffen hervorgehoben und unzerstörbar gemacht. Die Sitte des Tätowirens ist weit verbreitet, aber auch sehr verschieden sowohl nach der Art als nach dem Umfang der Zeichnungen. Manche Individuen bringen nur ein Zeichen, ein Emblem auf dem Vorderarm an; andere tätowiren die ganze Körperoberfläche, sogar die Fusssohlen. Zwischen diesen Extremen gibt es zahllose Abstufungen. Die Bedeutung des Tätowirens liegt nicht einzig in der Tendenz, den Körper zu schmücken; manchmal verbinden sich damit religiöse Ideen, mystische Vorstellungen ver- schiedener Art. Ueber die Beobachtungen, welche der Reisende hinsicht- lich des Tätowirens zu machen hat, kann auf dasjenige verwiesen werden, was oben über die Bemalung gesagt wurde. Gesicht und Körper werden auf ihre Kosten oft noch in anderer als der bisher erwähnten Art geschmückt, resp. verunstaltet. Gewisse Völkerschaften bringen auf Stirne, Schläfen, Wangen, Brust, Armen oder Schenkel Einschnitte und infolge dessen Narben an, welche einige Aehnlichkeit mit dem Täto- wiren haben, indem man auch hiebei Farben oder andere Stoffe einreibt, während die Wunde noch frisch ist, um sie auf diese Art sichtbar zu erhalten. Diese Narben sind bisweilen Erkennungszeichen des Stammes, welchem deren Träger angehören; mitunter auch Gedenkzeichen von Heldenthaten. Bei den Frauen von Dekhan (Vorderindien) sind es lediglich Verzierungen; sie stellen ® Blumen mit deren lebhaften Farben dar. Weit verbreitet ist die Durchlöcherung der Knorpeln oder en des Fleisches von Nase, Ohren und Lippen zu dem Zweck, in diesen Löchern Gegenstände anzubringen, welche als R N Schmuck dienen sollen. Die Australier an der Botany-Bai pflegten sich einen Knochen von Fingerdicke und 50 Centimeter Länge durch > Narben, Ringe u. dgl. an gewissen Körpertheilen. # | E | KLEIDUNG UND SCHMUCK 673 die Nase zu stecken. Die westlichen Stämme der Eskimos (jenseits des Mackenzie) bringen in jeder Wange ein Loch an, welches sie nach und nach vergrössern und in welchem sie als Schmuck einen Stein tragen nach Art eines grossen _ Manschettenknopfes. Die Eingebornen des südlichen Theiles der Insel Formosa durchbohren sich die Ohren, um darin entweder mit Schnitzereien versehene Holzstücke oder polirte Muscheln von lebhaften Farben anzubringen. Die Wuap- Insulaner (Karolinen) durchbohren sich Nase und Ohren an zwei Stellen, oben und unten; in der Nasenscheidewand tragen sie wohlriechende Blumen und sonstige aromatische Pflanzentheile, in den Ohren grosse Ringe von Schildkrot. Die Sitte, die Unterlippe zu durchlöchern und darin ein Stück Holz zu tragen, besteht in Südamerika (bei den Boto- kuden) wie in Zentralafrika. Man macht hiebei schon in der Kindheit eine kleine Oeffnung in die Lippe und erweitert dann diese Oeffnung nach und nach bis zur gewünschten Grösse. Die Nyambanas in Zentralafrika erzeugen künstlich eine Reihe von erbsengrossen Fleischauswüchsen oder Warzen vom obern Theil der Stirne bis zur Nasenspitze. Künstliche Missbildungen. Bei vielen Völkern herrscht die Sitte, dem Schädel künstlich eine andere als seine natürliche Form zu geben; man presst den Schädel des Kindes in einer Weise, dass er die Form annimmt, welche bei jenen Völkern als Typus der Schönheit gilt. Dieses Ideal gestaltet sich nach den einzelnen Völkerschaften sehr verschieden. Bald wird der Schädel zuckerhutförmig verlängert oder nach hinten gedrängt, bald wird er im Gegentheil abgeplattet oder in seiner Mittellinie nach unten gepresst, sodass rechts und links Höcker entstehen. Sehr verbreitet ist die Verlängerung des Ohrläppchens, die mitunter so weit geht, dass die künstlich vergrösserten Lappen bis zu den Schultern reichen. Seltener ist das Flachdrücken der Nase, das meines Wissens nur bei den Wuap-Insulanern vorkommt, welche eine vorspringende Nase als eine Verunstaltung des Gesichtes betrachten und daher die Operation des Abplattens derselben an den ganz jungen Kindern monatelang vornehmen, bis der Zweck erreicht ist. Deformationen der Zähne kommen in vielen Gegenden vor und in verschiedener Weise. Bei einigen Stämmen der 43 674 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Inseln Java und Sumatra werden die Zähne bis zum Zahn- fleisch abgefeilt. Anderorts bricht man sie ab oder formt sie auf verschiedene Art zu. Die Australier und Papuas reissen den Halberwachsenen die Schneide- oder Vorderzähne aus; bei den Dinkas am obern Nil werden nur die untern Schneidezähne, bei den Batokas am Zambesi im Gegentheil die obern entfernt. Gewisse Dayaken von Borneo sollen die Zähne durchbohren und in denselben kleine Metallstäbchen mit kugeligen Enden anbringen. Die Fingernägel werden bei einigen Stämmen scharf und spitz zugeschnitten. Die Siamesen, Annamiten und Chinesen lassen dieselben wachsen und pflegen deren Entwicklung sorgfältig; die langen Nägel gelten bei ihnen als Schönheit und ein Zeichen vornehmen Wesens; man lässt daher die Nägel Dimensionen erreichen, wovon wir keine Idee haben und wonach die Hände aussehen, als trügen sie Ranken oder Pfropfenzieher. Bekannt ist, dass die Chinesen der vornehmen Klassen die Füsse künstlich verunstalten, indem sie einem Vorurtheil zu Liebe mit einer Sorgfalt, die buchstäblich als eine peinliche bezeichnet werden muss, deren Entwicklung hemmen und eine unbegreiflich raffinirte Verkrüppelung derselben betreiben. Haar- und Barttracht. Eines der hauptsächlichsten Mittel für Schmuck und Putz des Menschen besteht in der Haartracht, und man findet denn auch bei einigen Südsee- Insulanern und Völkern des innern Afrikas die extravagan- testen Formen dieses Kopfputzes, die jeder Beschreibung spotten und nur durch Zeichnung oder Photographie so dargestellt werden können, dass man eine richtige Vorstel- lung derselben erhält. Man braucht übrigens nicht weit zu gehen, um namentlich bei den Bäuerinnen verschiedene merk- würdige Moden zu treffen, wonach die Haare in Flechten und Locken getragen werden, zu denen Bänder und Maschen und andere Beigaben hinzukommen, derart, dass sich zu- weilen auf dem Haupte ein ganzes Gerüst aufbaut. Es liegt aber ein bemerkenswerther Unterschied zwischen Natur- und Kulturvölkern darin, dass bei letzteren in der Regel nur die Frauen besondere Sorgfalt auf die Tracht des natür- lichen Kopfschmuckes verwenden, während dies bei ersteren mit beiden Geschlechtern der Fall ist. NAHRUNG 675 Im Gegensatz zu dem Bestreben, ein mehr oder minder seltsames und umfangreiches Haargebäude zu errichten, steht die Sitte einiger Völkerschaften, die Haare kurz geschnitten - oder das Haupt kahl rasirt zu tragen. Die Muselmanen und Chinesen, welche sich die Kopfhaare abrasiren, lassen dabei eine Partie als zentralen Zopf stehen: ebenso behalten die Rothhäute einen Haarbusch bei. In Japan tragen die Kinder den Kopf rasirt, dabei aber einige Zöpfe von verschiedener Länge und Anordnung: die einen frei hängend, die andern zu einem Chignon vereinigt. Die Kaffern lassen eine Haar- krone stehen, gewisse Insulaner an der Torresstrasse einen Querstreifen in Form einer Bürste. Es ist nicht uninteressant, auch zu erfahren, welche Mittel verwendet werden einerseits zum Einreiben der Haare (Fette, Pommade, Cosmetiques), andererseits um sie in der gewünschten Anordnung zu erhalten; namentlich, was für Stoffe (Wolle, Haare, Werg etc.) zu voluminöser Gestaltung der Haartracht dienen müssen. . Der Reisende wird sich auch danach erkundigen, ob die Haartrachten, welche er bei fremden Völkern trifft, namentlich die exzentrischen derselben, überlieferte Sitte oder Gegenstand der Laune des Einzelnen oder der Mode sind, und im letz- teren Fall, von wem der Impuls ausgeht, wer hierin den Ton angibt. Es kann die Art der Haartracht durch Befehl vorgeschrieben sein. Aehnliches gilt in Bezug auf den Bartschmuck, das Tragen von Voll-, Backen-, Kinn- und Schnurrbart einerseits, die Bartlosigkeit durch Rasiren etc. andererseits. In manchen Ländern lässt man den Barthaaren ihren natürlichen Wuchs in vollem Maasse; anderswo reisst man mit peinlicher Sorgfalt jedes Härchen aus oder rasirt das Gesicht kahl oder man lässt an gewissen bestimmten Punkten Haarbüschel stehen, deren Anordnung und Zuschnitt von Sitte, Laune oder Mode abhängt. NAHRUNG. . Nahrungsmittel. Die Art der Nahrung ist kaum weniger charakteristisch als die der Kleidung. Einige Völkerschaften leben von .wildwachsenden Wurzeln und Früchten, andere blos vom Ertrage der Jagd und des Fischfangs, dritte von Milch 676 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN und Fleisch ihrer Heerden oder von Getreide und Garten- gewächsen; aber ausschliesslich vegetabilische und ausschliesslich j animale Kost ist doch selten; meist herrscht die eine vor und wird sie durch die andere ergänzt. Bei wilden und halb- \ zivilisirten Völkern beobachtet man hierin allerdings keine 4 grosse Abwechslung, sondern im Allgemeinen Einförmigkeit 1 in Kost und Küche. So z. B. bildet Reis den Hauptbestand- theil jeder Mahlzeit in einem grossen Theil von Asien, Maniok- mehl in Mittelamerika, die Banane in Tropenländern; Milch- produkte spielen dieselbe Rolle bei den Nomaden Innerasiens, Büffelfeisch und Mais bei den Indianern Nordamerika’s. Eine weitgehende Verschiedenheit der Gerichte findet man fast aus- schliesslich bei Kulturvölkern. Während ein Eskimo, um sich gütlich zu thun, einige Kilogramm Fett verschlingt und ein Wilder ein ganzes Schaf verzehrt, stellt der Chinese bei seinen Mahlzeiten eine grosse Menge verschiedener Gerichte in sehr kleinen Portionen auf. Es Die Ernährungsweise hängt viel davon ab, welches Nah- rungsmittel am leichtesten beschafft werden könne: es ist das mehr eine Frage der Mittel, des Geldes, als des Ge- schmackes. Sicherlich würden z. B. die armen Irländer lieber Fleisch als nur Kartoffeln geniessen, wenn nicht das Fleisch für sie ein unerreichbarer Luxusartikel wäre. Wenn in unsern Städten kaum Jemand zu finden ist, der sich nicht einige Abwechslung in den Speisen gönnen kann, so verdanken wir das den Verkehrserleichterungen und ausgedehnten Handels- beziehungen, welche in jedem grösseren Orte Produkte aller Art konzentriren. In einiger Entfernung von den Städten wird die Nahrung schon einförmiger, weil die Beschaffung der selteneren Lebensmittel nicht mehr so leicht ist. Je unzivilisirter ein Land, desto mehr ist die Auswahl der Nahrungsmittel auf die Produkte der nächsten Umgebung beschränkt, und hierunter werden die Meisten auswählen, was für sie mit dem geringsten Aufwand an Mühe und Kosten verbunden ist. Der Reisende hat nun seine Auf- merksamkeit namentlich auf Ausnahmen von dieser Regel zus richten, d.h. zu beachten, ob sich ein Streben nach Ab- wechslung in der Kost geltend macht, wenn auch diese Auf- wand an Zeit, Mühe und Geld erfordert, oder ob es.im Gegen- theil verbotene Speisen gibt, deren Genuss man sich untersagt, NAHRUNG 677 obschon man sie zur Hand hat. In letzterer Hinsicht ist bekannt, dass Israeliten und Muhammedaner kein Schweine- fleisch geniessen. Eine Völkerschaft im Thale von Kaschmir, die Dardi oder Chin, verabscheuen in gleicher Weise (als _ unrein) das Kuhfleisch, die Kuhmilch und die Butter von solcher, auch Geflügel. Ebenso ist bei den Hindus der Genuss von Kuhfleisch verpönt, aber aus einem andern Grunde, nämlich wegen der Verehrung, welche sie für dieses Thier haben. Die Abneigung gegen gewisse Fleischspeisen kann auch herrühren von der Furcht, sich mit Fleisch und Blut eines Thieres dessen Fehler anzueignen. Wohl aus diesem Grunde geniessen die Männer der Dayaken auf Borneo kein Damhirsch- fleisch: sie wollen nicht furchtsam werden; — den Frauen und Kindern ist dieses Gericht gestattet. Der Widerwille gegen den Genuss gewisser Dinge, der Ekel vor solchen, hat nach Ländern und Völkern sehr verschiedene Grenzen; der Reisende achte darauf, was der Geschmack und der Magen eines Eingebornen vertragen kann. Ein Grön- länder stillt seinen Hunger mit einem Stück rohen Specks von einem gestrandeten Wallfisch und geniesst Fette, die uns widerstehen würden. In Australien und Afrika leben Völker, welche — ohne Zweifel in Ermanglung von Besserem — Kröten und Schlangen, auch Fledermäuse, Würmer und Raupen verspeisen. Auch in Amerika hat man beobachtet, dass Eingeborne Insekten und deren Larven verzehren. Die Anthropophagie oder Menschenfresserei, dienoch einigen- orts vorkommt, kann wohl als Folge eines Fehltritts betrachtet werden. In Ermanglung anderer Nahrung, um sich vor dem Hungertod zu retten, tödtete und verspeiste der Mensch Seines- gleichen. War das unter solchen Umständen einmal geschehen, so wurde es später auch geübt gegen Feinde, Kriegsgefangene und selbst Stammesangehörige. Gewöhnlich aber ist diese ‚ abscheuliche Unsitte mit gewissen abergläubischen Vorstel- lungen verbunden (S. 636). Als Ausnahme können Fälle des Genusses von Menschenfleisch in verzweifelten Situationen vorkommen, wie zur Zeit der grossen Hungersnoth in China, in den Jahren 1877 und 1878. (Vgl. auch O. Peschel, Völker- kunde, S. 166 ff.) Eine grosse Verschiedenheit herrscht auch hinsichtlich der als Delikatessen besonders beliebten Gerichte. Die Völkerschaften 678 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Hinterindiens und des indischen Archipels scheinen eine eigen- thümliche Vorliebe für faule Fische zu haben. Die Chinesen betrachten nicht nur ihre Schwalbennester, sondern auch gemästete Ratten als Leckerbissen. Ueber solche Besonder- heiten in der Geschmacksrichtung eines Volkes kann sich der Reisende leicht informiren: er braucht nur die Märkte der Eingebornen und Lebensmittelverkäufer zu besuchen. Gewisse Speisen sind bei einigen wilden Stämmen dess- wegen ungewöhnlich beliebt, weil man ihnen besondere Kräfte zuschreibt. Die Dakotah-Indianer glauben, dass der Genuss von Hundeleber klug mache; nach Ansicht der Javanesen wird man muthig, wenn man das Fleisch vom Tigerherz geniesst !). Endlich hat jedes Volk sein Nationalyericht: der Italiener seine Polenta und Maccaroni, der Nordafrikaner sein Kus- kussu etc. Zubereitung der Speisen. Das Kochen der Speisen ist ziemlich allgemeiner Brauch; indessen gibt es Stämme, welche dieselben roh — einfach an der Sonne oder im Rauche getrocknet — geniessen. Die Tataren machen, wie behauptet wird, das Fleisch dadurch mürbe, dass sie es beim Reiten unter den Sattel legen. Die Art des Kochens ist verschieden. Zuweilen wird ein ganzes Thier am Spiesse gebraten, oder es wird, mit Blättern umhüllt, in ein als Backofen dienendes Loch gebracht, das man in die Erde gegraben und mit Brennstoffen versehen hat, die angezündet werden, bevor man das Thier in diese Grube bringt; oder es wird auch mit heissen Steinen um- geben, die man so lange durch neue ersetzt, bis das Fleisch gar geworden ist. Meist aber wird das Thier ausgeweidet und in Stücke zertheilt, die auf einen Rost oder in ver- schiedene Kochgefässe gebracht werden. Die Flüssigkeiten lässt man gewöhnlich in Gefässen über Feuer sieden; es gibt aber auch Fälle, wo das Sieden bewirkt wird durch in die Flüssigkeit gelegte heisse Steine, Nach dieser Sitte ist ein Indianerstamm im Norden der Prairien mit dem Namen der Steinkocher (Assinniboin) bezeichnet worden. In Irland ° t) In der Ostschweiz kann man oft (halb scherz-, halb ernsthaft) sagen hören, dass man durch Genuss der zähen Flechsen oder Sehnen („Schihohr“) von Rindern singen lerne! 3 NAHRUNG 679 wurden noch um’s Jahr 1600 glühende Steine zum Erwärmen von Milch benuzt, und Linne berichtet, dass sich im finnischen Ostbotlande das Kochen mit Steinen als Rest einer grauen Vorzeit noch bis 1732 erhalten habe !). Das Wüäürzen der Speisen bietet noch mehr Verschieden- heiten dar als ihre sonstige Zubereitung. Die Papuas, Malayen und Hottentotten gebrauchen dazu nicht einmal Salz ?); andere Völker verwenden neben dem Salz eine Menge von Gewürzen, um die Schmackhaftigkeit der Speisen zu erhöhen. Essig und Senf sind vielerorts unbekannt; Oel vertritt die Stelle unserer Butter, und bisweilen werden Honig und Zucker gebraucht, wo wir Salz und Pfeffer verwenden. Das Feuer und dessen Unterhaltung. Wo das Kochen der Speisen gebräuchlich ist, zeigen sich Verschiedenheiten in der Art, wie das Feuer angelegt und unterhalten wird. (Gewisse wilde Stämme verschaffen sich Feuer, indem sie zwei trockene Holzstücke kräftig an einander reiben, was in der Art geschehen kann, dass ein Stück fest angebracht und mit einer Höhlung oder einer Rinne versehen und nun in dieser das zugespitzte Ende eines harthölzernen Stabes schnell und unter kräftigem Druck hin- und herbewegt wird; man versetzt auch wohl den Stab in drehende Bewegung, sei es direkt durch Drehen desselben zwischen den Händen, sei es mit Hülfe irgend einer mechanischen Vorrichtung wie einer Kurbel. Oder man schlägt aus harten Steinen (Quarz, Feuer- stein) Funken heraus, die leicht brennbare Stoffe (dürre Blätter, Feuerschwamm) entzünden. Zum gleichen Zwecke kann man Gläser anwenden, welche die Sonnenstrahlen in einem Punkte konzentriren. Endlich bedient man sich ver- schiedener chemischer Feuerzeuge, Phosphorstreichhölzchen etc. Da die Beschaffung von Feuer, die uns so leicht gemacht ist, den Naturvölkern oft schwer fällt, treffen sie allerlei Vor- kehrungen zum Unterhalt des Feuers, damit ihnen solches nicht ausgehe, was für sie von grosser Wichtigkeit ist. Beim Wechseln des Lagerplatzes werden wohlverwahrte Bränder mitgenommen. Das Brennmaterial ist in den einzelnen Erdstrichen sehr verschieden. Meist werden Holz, Torf und Kohlen angewendet, 1) Vgl. Peschel, Völkerkunde 1874, S. 172. 2) Vgl. Peschel, a. a. ©. S. 175 und oben $. 644. 680 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN aber in den Polargegenden müssen oft Wallfischseiten diesen Dienst leisten, in Steppen und Wüsten aber thierische Exkremente.. Wo verschiedene Arten von Brennmaterial vor- handen sind und sich Vorliebe für das eine oder Abneigung gegen das andere zeigt, sind die Gründe dieses Verhaltens zu ermitteln. So sind gewisse Holzarten beliebt, weil ihre Verbrennungsprodukte dem Fleisch einen angenehmen Ge- schmack verschaffen; wo reichlich Holz vorhanden ist, pflegt man dieses dem Torfe und Mineralkohlen vorzuziehen. Die schon erwähnten Dardi oder Chin, welche die Kuh als ein unreines Thier betrachten, verschmähen es, getrockneten Kuhmist zu brennen, wie ihre Nachbarvölker thun, bei welchen der Kuhmist das wichtigste Brennmaterial ist. Küchengeräthe. Das Koch- und sonstige Küchengeschirr ist mitunter, namentlich bei Naturvölkern, origineller Art. Als Gefässe dienen bald Muscheln, Schildkrötenschalen, Straussen- eier, Fruchtschalen oder Kalebassen; bald ausgehöhlte und mit einem thönernen Rand versehene Steine, mit Lehm über- strichene Weidenkörbe, sowie mehr oder minder grobe Töpfer- waaren. Diese letzteren verdienen besondere Aufmerksamkeit wegen der Analogie mit den irdenen Geschirren der Höhlen- und Pfahlbaubewohner Europa’s aus der sogenannten vor- geschichtlichen Zeit. Es ist namentlich zu beachten, ob sie blos von Hand oder mit Hülfe der Töpferscheibe erstellt, ” blos an der Sonne getrocknet oder dem Ofenfeuer ausgesetzt gebrannt) werden; ob die Masse derselben fein oder grob, rein (d. h. frei von fremden Elementen) oder mit Steinchen, kleinzerschnittenem Stroh oder den holzigen Abfällen von Hanf und Flachs („Ageln“) vermischt ist ete.; ob die Gefässe ganz schmucklos sind oder aber Verzierungen haben, wie Eindrücke von Muscheln, von Fingernägeln, Schnüren oder von einer Art Grabstichel; ob diese Verzierungen nur linear (wellenförmig, spiralig etc.) angeordnet sind oder in Zeichnung und Relief Menschen- und Thierfiguren darstellen sollen, endlich ob diese Töpferwaaren ihre natürliche Farbe haben oder aber bemalt, gefirnisst und glasirt sind. 3 Die Utensilien zur Aufbewahrung der Vorräthe sind sehr manigfaltig. Als soiche dienen Gefässe aus Rinde, Blasen, Kalebassen und selbst Schädel; Holzgeschirre, Weiden- und Binsenkörbe, Krüge, Amphoren, Schläuche etc. Wo NAHRUNG 681 reichlich Holz vorhanden ist, findet man kleinere und grössere Tröge, Kisten, Fässer, Kufen etc. in jeder Form. Mahlzeiten. Der Reisende wird darauf achten, ob bei dem Volke, das er besucht, wie bei uns regelmässige Mahl- zeiten gebräuchlich sind, d. h. ob man übungsgemäss zu be- stimmten Zeitpunkten speist oder aber, ob hierin keine Regel herrscht, vielmehr Jeder zu beliebiger Zeit isst, wenn er hiezu Lust und Gelegenheit hat. Sind regelmässige tägliche Mahlzeiten im Gebrauch, so variiren dieselben nach Anzahl und Vertheilung, wie nach Bedeutung und Komposition derselben. Mitunter gibt es nur Eine tägliche Mahlzeit, die auf die Mittagszeit oder auf den Abend fällt. Bei den wilden Stämmen, deren Nahrung vom Erfolge der Jagd oder des Fischfangs abhängt und nicht durch grössere Vorräthe für eine längere Zeit gesichert ist, wechseln Tage des Ueberflusses mit solchen des Mangels, und es ist merkwürdig genug zu beobachten wie diese Natur- menschen sich im einen und andern Falle benehmen. Es verdient bemerkt zu werden, mit welchem Minimum an Nahrung die Angehörigen verschiedener Völkerschaften sich für gewöhnlich genügen lassen, und wie grosse Quanti- täten sie aber andererseits verzehren können. Der Araber begnügt sich täglich mit einigen Datteln, der Kabyle mit seinem Brodkuchen, während der Eskimo in derselben Zeit einige Kilogramm Fleisch verschlingt und der Siamese seinen Magen mit einer erstaunlich grossen Masse von Reis beladet. Der Reisende hat ferner mitzutheilen, wie das Essen ge- nommen wird, wie man dasselbe servirt, welche Formalitäten und Zeremonien dabei vorkommen. Oft nimmt man das Mahl stehend und nicht immer zu Hause, sondern wo man sich gerade befindet. In anderen Fällen werden wenigstens die Hauptmahlzeiten nicht ausserhalb der Wohnung genommen oder doch nur dann, wenn die Familie mit Feldarbeiten in ziemlich grosser Entfernung vom Hause beschäftigt ist. Wieder anderwärts speist man im Freien in der Nähe des Hauses oder an einer Stelle, die für diesen Zweck mehr oder minder gut eingerichtet ist. Die Körperhaltung während des Essens ist sehr ver- schieden; es gibt Völker, bei denen es gebräuchlich ist, hiebei auf die Fersen niederzukauern oder mit gekreuzten 2 682 “ BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Beinen auf dem Boden zu sitzen; bei andern legt man sich auf die Seite nieder, den Kopf auf den einen Arm („auf den Ellbogen“) stützend; bei uns endlich und bei den Völkern, welche unsere Sitten angenommen haben, setzt man sich um einen Tisch, dessen Platte sich in einiger Höhe über dem Boden befindet. Tischtuch, Servietten, Löffel und Gabeln sind in vielen Ländern unbekannt; statt letzterer beiden bedient man sich kleiner Stäbchen oder der Finger; einige wilde Stämme gebrauchen indess auch Muscheln als Löffel. Die Speisen werden bald alle miteinander aufge- tragen, bald successive, in bestimmter Reihenfolge der ein- zelnen Gerichte, entweder je in besondern Gefässen (Schüsseln, Platten, Tellern etc.) oder in einem einzigen, aus dem Jeder der Reihe nach seinen Theil nimmt. Bei vielen Völkern speist zuerst das Familienhaupt; dann kommen die Frauen und Kinder an die Reihe, zuletzt die Diener und Sklaven. Zuweilen werden die Frauen vom Tisch ausgeschlossen, wenn Fremde da sind; auch kommt es vor, dass auch der Fami- lienchef bei Änwesenheit von Gästen sich nicht zu Tische setzt und die Speisen nicht berührt, bis die Gäste ihr Mahl beendigt haben, an welchem er nur auf deren dringende Einladung theilnimmt. In manchen Ländern gehört es zum guten Ton, sich sehr reichlich zu bedienen und sodann durch ein gewisses Geräusch im Schlunde, das bei uns für höchst unpassend gelten würde, zu bezeugen, dass man in vollem Maasse gesättigt sei, worauf der Wirth sich dankend verneigt. — Mancherorts werden vor und nach dem Essen Gebete oder sakramentale Formeln gesprochen; diese ach- tungswerthe Sitte herrscht namentlich noch in Amerika, England und bei den wohlhabenden Schweizerbauern; auch jeder gute Muselman pflest vor und nach dem Essen zu beten. Getränke und Erregungsmittel.e. Abgesehen vom Wasser, welches eigentlich genügen würde, den Durst zu stillen, findet man fast überall gewisse vorherrschende Ge- fränke: Milch bei den Hirtenvölkern, Oel bei den Eskimos; Most (von Aepfeln und Birnen), Bier und Thee in nörd- lichen Gegenden, Wein und Kaffee in südlicheren Ländern. In vielen Gegenden bereitet man gegohrene Getränke aus Milch, gewissen Pflanzensäften, Wurzeln oder Körnern wie NAHRUNG 633 Reis, Mais, Gerste etc. Die Mongolen haben ihren Kumys (gegohrne Milch), die Südamerikaner ihre aus Manioc herge- stellte Chicha, die Mexikaner ihre Pulque aus dem Safte der Agave; die Chinesen bereiten Wein aus Reis und die Polynesier ihre Kava durch Gährung einer bestimmten Pflanze. Eine Menge verschiedenartiger Getränke stehen in den ame- rikanischen Cafes oder Bars dem Konsumenten zu Gebote: Brandy, Whisky, Gin, Sherry, Rhum und mehrfache Mischungen, bekannt unter den Namen Grog, Julep, Cocktail, Sangrie, Cobler, Punch etc. etc. Der Reisende wird erwähnen, welches das gewöhnliche oder Nationalgetränk eines von ihm besuchten Volkes ist, woraus und wie es bereitet wird; ob es blos zur Löschung des Durstes oder als Erregungsmittel dienen soll und in diesem Falle mässig oder in excessiver Weise genossen wird. Wenn Enthaltsamkeit von gewissen Getränken zu beobachten ist, so erkundige man sich nach den Gründen derselben, welche religiöse sein können — wie bei den Mohammedanern in Betreff des Weines — oder moralische, wie bei denjenigen, welche aus freien Stücken auf den Genuss starker geistiger Getränke verzichten. Auch ist zu bemerken, ob das Volk im Allgemeinen sich durch Mässigkeit auszeichnet oder aber dem Trunke fröhnt, in welchen Klassen das der Fall ist und welches die Folgen dieser Exzesse sind. Zu den stimulirenden, exzitirenden oder Erregungsmitteln sind auch die Betel- Blätter zu rechnen, welche die Malayen kauen; ferner diejenigen der Coca, welche von den südameri- kanischen Indianern in gleicher Weise gebraucht werden; sodann die verschiedenen Sorten Tabak, welchen man in allen Erdtheilen verwendet findet; endlich Opium und Haschisch. Die Art ihres Gebrauches und Missbrauches, sowie dessen Wirkungen verdienen zum Gegenstand einiger Mittheilungen gemacht zu werden. Preise der Lebensmittel. Es ist sehr zu wünschen, dass der Reisende Angaben beibringe über die Preise der hauptsächlichsten Nahrungsmittel in einem Lande; denn darnach lassen sich in komparativer Weise die Existenz- bedingungen der verschiedenen Länder beurtheilen. Um diese Vergleichungen zu erleichtern, verwandle man die im 684 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Lande üblichen Angaben (Quantitäten und Preise) in metrische. Wenn nur Tauschhandel betrieben wird, so ist mitzutheilen, welches Quantum (Maass oder Gewicht) der einen Waare für ein bestimmtes Quantum der andern gegeben werden muss. WOHNUNGEN. Das Bedürfniss nach Obdach ist, wie das nach Speise und Trank, Menschen und Thieren gemeinsam; es gibt kein Volk, welches dieses Bedürfniss nicht empfände; aber in dessen Befriedigung zeigen sich grosse Verschiedenheiten. Haupttypen. Der Mensch, welcher ausschliesslich vom Ertrage der Jagd lebt, begnügt sich mit einem natürlichen Obdach, wie es ihm überhängende Felsen und Höhlen, sowie dichte Baumkronen und Wälder gewähren. Bewohnt er weite Ebenen, so legt. er sich unter freiem Himmel auf den Boden, indem er sich mit einer Thierhaut umhüllt oder mit Sand bedeckt, um sich gegen die nächtliche Kälte zu schützen. Der Fischer seinerseits sucht einen Zufluchtsort am Ufer; in Ermanglung eines solchen stürzt er seinen Kahn um und legt sich unter denselben. Gewisse umherschweifende Horden kennen kein anderes Schutzmittel als Tafeln von Baumrinde, woraus sie eine Schirmwand gegen die jeweilige Wetterseite errichten oder aber eine Art Dach, unter welches sie kriechen. Statt Rindenstücken werden auch grosse Blätter verwendet, die flach auf in den Boden gerammte Pfähle gelegt werden. Das sind aber nur temporäre und passagere Zufluchtsstätten, mit denen sich der Mensch nur auf den untersten Stufen und auch nur in der Jahreszeit begnügt, wo die Sorge um Nahrung ihn zwingt, von Ort zu Ort zu schweifen. Ein solches Obdach kann den Menschen nicht mehr be- friedigen, sobald er sich einigermassen über den thierischen Zustand erhebt. Sowie er nicht mehr vereinzelt, sondern familienweise lebt, einige Vorräthe, Jagd- und Fischereige- räthe besitzt, so bedarf er nothwendig eines besseren Ob- daches, eines Ortes, wo er Alles aufbewahren kann, was er auf seinen Ausflügen nicht mit sich nimmt. -Die Raubthiere nachahmend, sucht er zunächst die Höhlen auf oder gräbt er sich selbst solche. Wohnungen dieser Art sind noch WOHNUNGEN 685 sehr häufig; die Menschen, welche solche zu benutzen pflegen, werden als Höhlenbewohner oder. (nach dem griechischen „Troglos“, Loch, und dem alten Namen einer »afrikanischen Völkerschaft) „Troglodyten“ bezeichnet. £ Unterirdische Wohnungen zu bauen ist noch üblich in Nordchina, wo Millionen Menschen in Höhlen leben, welche in den Löss gegraben wurden, der in den tief eingeschnit- tenen Flussthälern ungeheure senkrechte Wände bildet. Ferner scheint dieser Brauch geherrscht zu haben bei den „cliff- builders“ oder Ureinwohnern von Colorado und Ost-Utah in Nordamerika, wie aus den zahlreichen (zum Theil natür- lichen, zum Theil aber künstlichen) Höhlen zu schliessen ist, welche man in den Steilwänden der Thalschlünde (canons) daselbst findet. Völkerschaften in Gegenden, die ein kon- tinentales Klima mit exzessiven Temperaturextremen haben, legen sich unterirdische Wohnungen an, um sich darin — wie dies in unsern Kellern der Fall ist — eine gleichmäs- sigere, von der Luft im Freien nicht zu sehr beeinflusste Temperatur zu verschaffen. Nomaden, die häufigihre Aufenthaltsorte wechseln müssen, sind genöthigt, sich transportable Wohnungen anzulegen. Gemeiniglich sind dies Zelte. Das Zelt ist vorab die Wohnung der Hirtenvölker, welche ein Obdach mit sich führen müssen, weil sie zu öfterem Wechsel ihrer Wohnsitze genöthigt sind, um neue Weideplätze zu gewinnen, und weil sie zumeist in weiten Ebenen leben, die keine Höhlen und nur selten gutes Material zum Bau von Hütten darbieten. Die Zelte variiren nach Form, Stoff und innerer Einrichtung; bald sind sie kreisrund, bald länglich; als Stoff dienen Rinden, Thierhäute, Leder, Filz und Gewebe !). Die Einrichtung ist im Allgemeinen höchst einfach ; zumeist findet sich eine Art Vorhang oder deren mehrere, um das Innere in zwei oder mehr Gemächer einzutheilen. Für den Transport wird das Zelt entweder auf einem Wagen angebracht, wie die Kibitka der Kosaken, bald auf einem Lastthier, wie bei den Kal- müken. In den Gegenden, wo sich keine natürlichen Zufluchts- stätten finden, bauen die sesshaften Bewohner und Halb- I) Rindenzelt der Ostjaken, Lederzelt der Lappen, Yurten der Tartaren, Wig- wams der Rothhäute ete. Vgl. Peschel, Völkerkunde, Leipzig 1874, S. 185. 686 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN nomaden Hütten, wie solche mit den Materialien, welche gerade zur Hand sind, erstellt werden können. Die Hütte in ihrer einfzchsten Form unterscheidet sich vom Zelt wesent- lich nur durch etwas grössere Stabilität. Sie kann blos aus verschlungenen Zweigen gebildet sein, wie die Gurbi der Araber und Kabylen, und wenn das Klima es erlaubt, bleibt sie an den Seiten offen, besteht also nur aus einem von Stangen (z. B. Bambus) getragenen Dache, wie die Ajupa der Tropenbewohner. Bei den fest angesiedelten Völkern werden solidere Hütten hergerichtet, sei es, dass man dieselben aus einem Flecht- oder Etterwerk mit Lehm erstellt, sei es, dass man für den untern Theil gestampfte Erde (Pise), ungebrannte und nur an der Sonne getrocknete Ziegelsteine (Adoben, Luftziegel), unregelmässige oder roh zubehauene Steine ohne Mörtel (Trockenmauern) oder mit Mörtel verwendet oder aber (wie bei den Block- und Senn- hütten) Balken, deren Enden durch Pfähle, Kerben ete. an- und ineinander befestigt sind; für das Dach werden ver- schiedene Materialien verwendet, wie sie sich in den einzelnen Gegenden als zu solchem Zweck geeignet darbieten: Blätter, Schilf und Stroh, Schindeln, Bretter, Schiefer etc.; zur Befestigung derselben dienen Ligamente aus Pflanzenfasern, Nägel und Pflöcke, Stangen und flache Steine. Zuweilen werden aber die Hütten ganz aus demjenigen Material erstellt, welches gerade am Bequemsten zur Hand ist, so die Ton- hütten Mittelafrika’s, die aus Nilschlamm errichteten Woh- nungen der egyptischen Fellahs, diejenigen der irländischen Bauern, die aus Erdschollen, und diejenigen der schottischen Hochländer, welche aus Steinen ohne Mörtel erstellt sind, die Rindenhütten gewisser Indianer, die Schneehütten der Eskimos. Als Grundriss der Hütten findet man sowohl den Kreis, als auch Quadrat und längliches Rechteck. — Wenn die einfachsten dieser verschiedenen Formen (huttes der Fran- zosen) den Zelten nahe stehen, so unterscheiden sich die höheren Formen (cabanes) hievon durch Oeffnungen für Luft und Licht (Fenster), wie durch grössern Umfang und Ein- theilung des Innern in verschiedene Räumlichkeiten (Ver- schläge, Zellen) durch feste Scheidewände. Die Rindenhütten der Indianer im Osten der heutigen Union sind je für etliche Familien eingerichtet, und anderwärts wohnen oft ganze WOHNUNGEN 657 Horden in einem einzigen, gewissermassen klosterähnlichen (aus aneinandergereihten Zellen bestehenden) Bau dieser Art. (Vgl. Peschel, a. a. O., S. 186.) In der Regel sind die Hütten unmittelbar vom Boden aus auferbaut; zuweilen aber haben sie aufeinandergeschich- tete Steine zur Unterlage (wie manche Sennhütten der Alpen und des Himalaya), sodass die eigentlichen Hütten in etwas erhöhter Lage über dem Boden angebracht sind, oder sie ruhen auf Pfählen, was in feuchten und sumpfigen Gegenden der Fall ist. In Neuguinea findet man solche Pfahlbauten nicht nur an der Küste, wo diese Konstruktion durch die Bodenbeschaffenheit veranlasst ist, sondern auch im Innern, _ auf trockenem, festem Baugrunde (vgl. S. 615) Hütten auf Bäumen (Rhizophoren etc.) scheinen ziemlich selten zu sein, aber solche auf Flössen sind in China häufig, weil daselbst für die dichte Bevölkerung Mangel an Boden und vorab an Bauplätzen herrscht. Im „fernen Westen“ Amerika’s endlich findet man Hütten oder Blockhäuser, die auf Rollen oder Rädern transportirt werden können und nach Massgabe des Vordringens der Kultur dislozirt werden. Hat ein Volk sich bleibend angesiedelt; ist ihm dieses sesshafte Leben an definitiv gewählten oder ererbten festen Wohnsitzen als Sitte in Fleisch und Blut übergegangen; ist es geistig verwachsen mit dem Fleck Erde, den es bewohnt als das Land seiner Wahl oder das Erbe seiner Väter, und gelangt es hiebei zu einem gewissen Wohlstand: so treten Häuser an die Stellen der Hütten. Diese beiden Arten von Wohnungen können in der Form des Grundrisses und im Material überein- stimmen; ihr wesentlichster Unterschied besteht aber darin, dass beim Haus Stockwerke vorhanden sind, d. 'h. zwei oder mehr Stufen von Gemächern übereinander sich befinden. Selbstverständlich nehmen wir davon Umgang, an dieser Stelle die verschiedenen Formen zu besprechen, in "welchen sich uns das Haus darbietet von seiner einfachsten Gestalt bis zu den grossen Wohnungen unserer Städte, die kasernen- gleich eine Mehrzahl von Familien beherbergen. Koexistenz der Typen. Die verschiedenen Wohnungs- typen, welche wir soeben besprochen haben, schliessen ein- ander nicht unbedingt aus, vielmehr kann man solche in derselben Gegend, sogar am gleichen Orte, nebeneinander 685 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN treffen. So hat Egypten moderne Paläste und daneben die elenden Hütten der Fellahs. Von Paris bis Sologne kann man die verschiedenartigsten Wohnungen sehen, von den elegantesten Gebäuden bis zur Hütte und Höhle. London hat Paläste, Häuser und Hütten, sodann seine Diebsnester und Krıypten, welche allem schlechten Gesindel als Stell- dichein und Versteck dienen. Bei den Naturvölkern sind die Wohnungen freilich gleichförmiger; immerhin werden sich fast immer Verschiedenheiten zwischen den Wohnungen der Häuptlinge einerseits und denjenigen der übrigen Stammes- angehörigen andererseits finden, wie bei uns ein fühlbarer Unterschied zwischen dem Herrenhaus und der Pächterwohnung besteht. Eine gewisse Bauart ist zuweilen ein Vorrecht des Herrschers. Im Königreich Annam z. B. hat nur der Monarch das Recht, eigentliche (zwei Stockwerke enthaltende) Häuser zu bauen und nur für das Gebälk der königlichen Gebäude darf Eichenholz verwendet werden. Die Koexistenz zweier Typen kann ihren Grund auch in einem von den Jahreszeiten abhängigen und durch sie be- dingten Wohnungswechsel haben. Gewisse Völkerschaften be- gnügen sich im Sommer mit Laubhütten und ziehen sich auf den Winter in Höhlen zurück. Die Lappen bringen die günstige Jahreszeit in Hütten oder Zelten zu, welche sich auf Pfählen befinden; bei grosser Kälte benutzen sie aber unterirdische Wohnungen. Endlich können Liebhabereien, Gewohnheit und Mode dazu veranlassen, zwischen Wohnungen verschiedener Art zu wechseln. So haben in Algier die Häuptlinge der Eingebornen oft noch ein Zelt oder ein Gurbi neben dem Hause, welches die französische Regierung ihnen bauen liess, wie mancher reiche Engländer, der einen Palast besitzt, noch ein einfaches Haus oder eine Hütte erstellen lässt, um darin einige Monate zuzubringen. Beschreibung. Der Reisende hat die hauptsächlichsten Wohnungstypen der von ihm besuchten Gegend zu erwähnen und darzustellen. Die Bauart oder Architektur derselben ergibt sich aus einer Zeichnung oder Photographie; hin- sichtlich der verwendeten Baumaterialien sind die nöthigen Angaben im Texte zu machen. Die äussere Verzierung wird wenigstens zum Theil aus der Zeichnung ersichtlich sein; bi EEE BEER «: u. Zn ES ka +7 Konz 2”, nn WOHNUNGEN 689 soweit dies nicht oder nur ungenügend stattfindet, sollen darüber einige Worte in die Beschreibung aufgenommen werden, z.B. über einen Farbanstrich in Rosa, Hellgrün oder zartem Blau; über Spiralornamente, Wellenlinien und Thierfiguren an den äusseren Wand- und Mauerflächen, sowie über daselbst angebrachte Trophäen (Thierfelle, Geweihe, Feindesschädel etc.). Die innere Eintheilung ist durch einen Grundriss und nöthigenfalls durch Längs- und Querschnitte darzustellen. Dabei soll die Bestimmung einer jeden Räum- lichkeit angegeben werden, wenn deren mehrere sind; bei- zufügen ist ferner, ob die blosse (gestampfte) Erde als Boden dient, oder ob dieselbe mit Backsteinen belegt ist oder endlich ein besonderer mehr oder minder weit über der Erde ange- brachter Fussboden vorkommt, und wie dieser beschaffen ist. Details, wie die Lage des Herdes, Stellung der Thüren und Fenster und die Art des Verschlusses und Stoffes derselben, namentlich bei letzteren (Gitter, Läden, auf Rahmen gespannte Gewebe, geöltes Papier, Fischmembranen, Blätter oder Tafeln von durchsichtigem Glimmer, Glas etc.) sind theils in Zeichnungen, theils durch Beschreibung darzustellen. Besondere Aufmerksamkeit verdient die Möblirung ; es soll von derselben ein Bild gegeben werden durch eine Ge- sammtansicht des Innern der Wohnung; daneben sollen ge- wisse Möbel und Accessorien von originellem Charakter noch separat abgebildet oder beschrieben werden. Auch sind Mittheilungen zu machen über die Art der Heizung (Kohlen- becken, brasero, in Südamerika; monumentale Oefen im nörd- lichen Europa etc.) und der Beleuchtung (gefangene Leucht- käfer bei den Negern in Brasilien, Kerzen, Lampen mit Dochten etc.). Der Vollständigkeit wegen sollen in der Beschreibung auch Angaben gemacht werden über die Zugänge zur Wohnung und die nächste Umgebung derselben: ob diese ein Hof oder Garten ist, ob Zäune und Mauern angebracht sind, die zum Schutz gegen Feinde und Raubthiere dienen sollen etc. Endlich dürfen die Nebengebäude nicht unerwähnt bleiben, welche mehr oder minder wesentlich zur Wohnung gehören, wenn sie auch von derselben getrennt sind. Besondere Wohnungen. In der Regel wird eine Woh- nung von einer Person und den sämmtlichen Gliedern ihrer 44 690 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Familie (in engerem oder weiterem Sinne dieses Wortes) be- nutzt; es gibt dann also so viele besondere Wohnungen, als ein Volk oder Stamm Familien zählt. Diese Regel hat aber zahlreiche Ausnahmen. Diener und Sklaven wohnen nicht immer mit ihren Herren zusammen unter einem Dache, und in den Ländern mit Polygamie hat mitunter jede Frau ihre eigene Wohnung. Gemeinsame Wohnungen. Im Gegensatz zu den vorhin erwähnten Ausnahmen kommt es auch vor, dass mehrere Fa- milien zusammen eine und dieselbe Wohnung benutzen. Dies findet oft statt in Höhlen; ferner ist in vielen Gegenden — z. B. in Neuguinea, auf Borneo, sowie bei den Ostjaken — eine Hütte, die einer ungeheuren Scheune gleicht, von einer grossen Zahl Personen bewohnt. Die Minatarees und Man- danen in Nordamerika haben polygonale Bauten, welche mehrere Haushaltungen beherbergen, und in den langen Hütten der Indianer am Columbiafluss halten sich jeweilen hunderte von Personen zusammen auf. Bienenstockartige Wohnungen. In einer dritten Art von Wohnungen befinden sich ebenfalls sehr viele Leute unter einem Dache, aber in mehr oder weniger getrennten Gruppen und Haushaltungen auf mehrere Stockwerke vertheilt. So gibt es in Neumexiko Riesenbauten aus 5 bis 6 terrassen- — förmig angeordneten Stockwerken, die zusammen 300 bis 400 Personen beherbergen. In Nordchina sind ähnliche, aus E. 4 bis 5 Etagen bestehende Wohnungen in den Löss gegraben. Die grossen Häuser in unsern Städten sind unter dem Gesichtspunkt, der hier in Betracht kommt, den eben be- sprochenen Wohnungen nicht so ganz unähnlich; nur ist dabei jede Gruppe von Gemächern, welche einer besonderen Haushaltung angehört, von den andern besser abgegrenzt. Zerstreute Wohnhäuser. In dünn bevölkerten Gegenden und namentlich bei wilden Stämmen findet man die Wohn- häuser, Hütten und Zelte vereinzelt über das Land zerstreut. Der Grund hiefür kann darin liegen, dass mehrere Familien F in einer Gegend schwerer ihren Unterhalt fänden, wenn sie unmittelbar nebeneinander wohnen würden; oder dass’ die Be- völkerung aus Grossgrundbesitzern besteht, von denen jeder auf seinem arrondirten Gute (Hof) leben will. In jedem Fall” verdient die Thatsache notirt und erklärt zu werden. WOHNUNGEN 691 ” Gebäudegruppen oder Agglomerationen. Meist sind eine Anzahl von Zelten, Hütten oder Häusern zu kleineren oder grösseren Komplexen — Duars oder Zeltkreisen, Weilern, - Dörfern, Flecken und Städten — gruppirt. Diese Agglomera- tionen enthalten gewöhnlich verschiedene Wohnungstypen ; wie um das Herrenschloss sich am Fusse des Burghügels die Bauernhäuser lagern, so um des Häuptlings Wohnung die Hütten und Zelte der Angehörigen seines Stammes. Aber auch das Gegentheil kommt vor: dass solche Gruppen oder Komplexe aus Wohnungen eines und desselben Typus be- stehen, sei es dass diese Uebereinstimmung auf Gleichheit der Beschäftigung und des Vermögens beruht, sei es dass Sklaven, Leibeigene und Lehensleute als Wohnsitze besondere Lokalitäten angewiesen erhalten, deren elende Hütten einen scharfen Kontrast bilden zu den von der wohlhabenden Klasse bewohnten Ortschaften. Wenn auch Agglomerationen jener Art blos aus Hütten bestehen, werden sie doch öfter durch eine starke Umzäunung gegen einen Handstreich gesichert. Zu gleichem Zwecke werden die bedeutenderen Häuserkom- plexe mit Mauern und Wällen umgeben und so in geschlossene Städte verwandelt. Lage der Ortschaften. Der Reisende achte auf die Eigenthümlichkeiten der geographischen Lage von Dörfern und Städten, und die Vortheile, welche aus derselben für eine Ortschaft entspringen; er wird dabei oft die Gründe er- mitteln können, welche bei der Wahl eines Platzes zur Anlage eines Häuserkomplexes, wie für die Entwicklung desselben bestimmend einwirkten. Dass die Dörfer und Städte sich bald auf Anhöhen, bald in Ebenen befinden, ist nicht blosser Zufall. Wenn in einer Gegend die ersten Gebäudegruppen an bestimmten Punkten angelegt wurden, zum Theil an solchen, wo wir jetzt noch die namhaftesten Agglomerationen finden, und nicht an andern Stellen, wo solche nie vorkamen, so gab es dafür Gründe; diese Gründe können im Laufe der Zeit dahin- gefallen sein; aber sie waren massgebend bei Auswahl der Punkte für die ersten Niederlassungen, und die Erforschung der- selben kann ein helles Licht auf eine ferne Vergangenheit werfen. Wenn wir Dörfer und Städte auf schwer zugänglichen Höhen finden, so erblicken wir hierin einen Beweis dafür, 692 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN dass zur Zeit ihrer Anlage sich ein Mangel an Sicherheit geltend machte, dass auf Schutz gegen Feinde Bedacht zu nehmen war. So ist es bei den Kabylendörfern, die wie Adlerhorste auf steilen Felsen angelest sind; ferner mit Dörfern in Südafrika wie Humbi, Kalamba u. A., die uns der berühmte Reisende Cameron beschrieben hat; so verhielt es sich ferner mit den ältesten Städten in Spanien, Italien, Griechenland und Kleinasien, wie mit alten Städten und Schlössern unserer Gegenden. Wahrscheinlich aus ähnlichen Gründen legen gewisse wilde Stämme ihre Dörfer mitten in grossen Wäldern an, wo die- selben den Blicken der Feinde verborgen bleiben. In Ländern, wo heutzutage diese Gefahren als verschwunden gelten, bestehen die Ortschaften, welche in der besprochenen Weise angelegt wurden, nun in der Regel aus zwei sehr ungleichen Theilen: dem alten auf der Höhe, der mehr und mehr verlassen wird, und dem neuen am Fusse des Hügels oder Felsens, wohin sich der Verkehr und das Leben der Ortschaft konzentrirt. 4 In Gegenden, wo vollständige Sicherheit herrscht, werden die Stellen für Niederlassungen nach andern Gesichtspunkten ausgewählt. Ackerbauer werden in fruchtbarem Lande oder doch in nächster Nähe desselben ihren Wohnsitz nehmen, Fischer am Meeresstrande oder an Flüssen und Strömen. Sodann ist namentlich eine für den Verkehr und Handel günstige Lage von grosser Wichtigkeit; unter ihrem Einfluss können aus Gruppen von Hütten bedeutende Städte sich 4 entwickeln. | Zu den Ursachen, welche die Wahl und den Entwicklungs- ang einer Niederlassung bestimmen, gehört auch die Nähe ol >) ru von Stätten, die für heilig gehalten werden. Es kann dieser Umstand ein geographisches oder ein historisches Motiv sein. Hinsichtlich all’ dieser Beziehungen verweisen wir auf das anregende Werk von J. @. Kohl: „Die geographische — Lage der Hauptstädte Europa’s“ (Leipzig 1874). 8, Ansichten und Pläne. Das Bild einer jeden Stadt und eines jeden Dorfes hat etwas Eigenthümliches an sich; dieses Charakteristische ist zum Ausdruck zu bringen in einer Ansicht, die man von einem Punkte aus aufnimmt, wo man die Ortschaft deutlich sieht und ihr doch nicht zu 2 WOHNUNGEN 693 nahe ist. Wie wir schon (S. 219) bemerkten, sollen diese Ansichten vorzugsweise von der Seite aufgenommen werden, von welcher her man sich gewöhnlich der Ortschaft nähert, was nicht ausschliesst, dass man Ansichten beifügt von Stand- punkten aus, wo die Stadt oder das Dorf sich vortheilhafter darstellen. Die Dörfer haben in ihrem Plan, d.h. in der Anordnung oder Vertheilung der Gebäude, wenig Formenreichthum; man wird daher bei diesem Gegenstande nur verweilen, wenn es sich wirklich um eine charakteristische Eigenthümlichkeit handelt. Gewöhnlich sind die Wohnungen ziemlich regel- mässig zu beiden Seiten einer langen Strasse angeordnet oder aber unregelmässig zerstreut um einen Platz, auf dem sich ein öffentliches Gebäude (Kirche, Moschee etc.) befindet. Gewisse Dörfer zeichnen sich aus durch ein Gebäude, das geräumiger ist als die andern und als Versammlungslokal, Rathhaus und Herberge für Gäste dient, so das Pangah bei den Dayaks auf Borneo, die Marna auf Neu-Guinea und den pacifischen Inseln, das Bai-Bai auf den Karolinen und die Djemäa der Kabylendörfer. Die Anordnung der Gassen und Quartiere in den Städten ist im Allgemeinen sehr verschieden und manigfaltig. Fast nur die Städte der Vereinigten Staaten und des spanischen Amerika’s sind nach dem gleichen einförmigen Plan gebaut, wonach sie in der Vogelperspektive einem ungeheuren Schach- brett gleichen; so in Chicago, St.-Louis etc., ferner die peruanische und die chilenische Hauptstadt, Lima und San- tiago, mit ihren rechtwinkligen Häuserinseln oder Quadras. In Europa und den übrigen Erdtheilen ausser Amerika trifft man diesen monotonen Charakter selten und nur in verhält- nissmässig neuen Städten oder Quartieren. Die alten Städte aber, namentlich die orientalischen, haben oft ein wahres Labyrinth von Strassen, Plätzen und engen Gassen. Hierüber wird eine Planzeichnung mehr sagen als eine lange Be- schreibung. Baustyl. Gewisse Städte erhalten durch Styl und Material ihrer Häuser ein eigenthümliches Gepräge. Eine arabische Stadt mit ihren terrassenförmigen Dächern, fenster- losen Mauern und engen Gässchen, die durch vorspringende Stockwerke oben fast geschlossen sind, ist grundverschieden 694 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN von einer europäischen Stadt; Paris, dessen Häuser aus Bruch- und Sandsteinen erstellt sind, hat einen wesentlich andern Charakter als das aus Ziegelsteinen erbaute London. Der Baustyl ist bald massiv und schwer, bald leicht und gefällig; hier athmen mit Erkern, Spitzbogenfenstern und monumentalen Thüren versehene Bauten den Geist des Mittel- alters; dort verrathen schmucklose Gebäude mit monotonen Linien den allzu nüchternen Charakter unserer Zeit. Solche Eindrücke lassen sich freilich leichter empfinden als wiedergeben; das beste Mittel, sie Andern mitzutheilen, sind charakteristische Ansichten aus dem Innern der ver- schiedenen Städte.. Physiognomie der Stadtquartiere. In der Regel hat - jedes grössere Quartier seine eigenthümliche Physiognomie, namentlich wo eine hochgelegene Altstadt und ein neuerer Stadttheil in tieferer Lage vorhanden oder wo einzelne Quartiere vorherrschend oder ausschliesslich von gewissen Kasten und Ständen bewohnt sind. Eine solche Vertheilung der Einwohnerschaft ist manchmal vorgeschrieben; in den orientalischen Städten z. B. sind den Israeliten besondere Quartiere angewiesen, ebenso den Franken oder Europäern etc. In andern Fällen findet eine derartige Gruppirung der An- gehörigen einer Volksklasse in spontaner Weise statt als Folge der Ideen- und Interessengemeinschaft oder einer Gleichheit der Lebensweise und Beschäftigung; so wird oft ein Quartier von den Rentiers bevorzugt, ein anderes von den Kaufleuten, während in einem dritten die Arbeiter wohnen, und es gibt ganze Quartiere, die von einander nach der Profession ihrer Bewohner unterschieden werden können. Dieselben Differenzen machen sich in noch schärfer ausgesprochener Weise geltend zwischen den eigentlichen Städten einerseits und den Vor- städten anderseits. Diese Physiognomie der verschiedenen Quartiere einer Stadt oder desselben Quartiers zu verschiedenen Tageszeiten ist für den aufmerksamen Reisenden von grossem Interesse und bietet ihm reiche Gelegenheit zur Beobachtung der ver- schiedenen Volkstypen. Strassenbeleuchtung, Wasserversorgung und Rei- nigung der Städte. Der Reisende achte auf die Art der Beleuchtung, der Wasserversorgung und der Reinigung einer LEBENSWEISE 695 von ihm besuchten Stadt oder sonstigen grösseren Ortschaft. Es gibt Länder, wo jede Strassenbeleuchtung fehlt, so dass die Dörfer und Städte von Sonnenuntergang an in Finsterniss gehüllt sind, wenn nicht Mond und Sterne oder starkes Dämmer- licht die Gegend erhellen; Länder ferner, wo das Trinkwasser in Zisternen angesammelt oder von weither geholt wird; wo Staub und Schmutz in den Strassen angehäuft sind und die Beseitigung des Aases, sowie anderen Unraths den Hunden, Schweinen, Geiern und Insekten überlassen wird, welche die von den Menschen vernachlässigte Gesundheitspolizei aus- üben. In andern Ländern wird den öffentlichen Bedürfnissen und Interessen nach diesen verschiedenen Richtungen in mehr oder minder vollkommener Weise Rechnung getragen, oft mit einer Umsicht und Opferwilligkeit, welche dem Volke und dessen Behörden zur hohen Ehre gereichen. LEBENSWEISE. Ueber die Lebensweise eines Volkes im Grossen und Ganzen werden mitunter von Reisenden keine Angaben gemacht als die, ob dieselbe eine nomadisirende oder sesshafte sei. Zwischen diesen beiden Extremen des Lebens als Wandervolk oder mit festem Wohnsitz gibt es aber einen Mittelzustand, der regel- mässig wiederkehrenden (periodischen) Wanderschaft eines Thheils der Bevölkerung, welchen Zustand man z. B. bei den Piemon- tesen und Tessinern findet, die in der günstigeren Jahreszeit Arbeit in der Fremde suchen, den Winter aber in der Heimat zubringen, wie auch bei den Kabylen, welche zur Zeit der Ernte, um hiebei Dienste zu leisten, von ihren Bergen nach den Ebenen ziehen. In andern Gegenden, wie in der Au- vergne, Maurienne und im Bündnerlande (namentlich Engadin) kommt eine längere einmalige (temporäre) Landesabwesenheit vieler Bewohner vor, welche zum Betrieb verschiedener Ge- _ werbe (als Dienstboten, zur Schaustellung von Murmelthieren: „montreurs de marmottes“, als Kaminfeger, Maurer und Gypser, als Zuckerbäcker und Wirthe etc.) nach den grossen Städten des Auslands gehen, um später mit ihren Erspar- nissen in ihr Vaterland zurückzukehren und den Abend ihres Lebens in der Heimat zuzubringen, die sie nie aus dem Sinn 696 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN verloren. — Unter den Nomaden sind auch verschiedene Kategorien zu unterscheiden. Es gibt umherirrende oder um- herschweifende Völker, welche in beständiger Wanderung be- griffen sind, wie die Zigeuner; andere, die wahren Nomaden, verlassen eine Gegend erst, wenn dieselbe — als Jagd-, Fischerei- oder Weidegebiet — erschöpft ist, und sie bleiben zudem bei ihren Zügen in den Grenzen ihres bestimmten Territoriums; dritte führen als Halbnomaden nur zu gewissen Jahreszeiten ein Wanderleben, z. B. um der Büffeljagd oder dem Fange von Wanderfischen obzuliegen zur Zeit der Züge dieser Thiere, oder um im Frühling ihr Vieh in die Alpen zu treiben und daselbst als Sennen oder Hirten den Sommer zuzubringen, während sie für den Rest des Jahres zum Familienherde zurückkehren. Es genügt nicht, diese Lebensweise einfach nach den er- wähnten Kategorien zu bezeichnen ; es sind auch die Ursachen derselben, die treibenden Kräfte der vorkommenden Beweg- ungen zu nennen. Sodann soll man sich auch nicht mit diesen Kategorien begnügen, dabei nicht stehen bleiben. Ebense, ja in noch höherem Maasse charakteristisch sind die feineren Nüancen, welche zu Tage treten im „farniente“ der Südländer, im beschaulichen Dasein der Orientalen, im vegetativen schläfrigen Wesen der Chinesen, im thätigen und ernsten Leben der Engländer, in der Lebhaftigkeit und Leich- tigkeit des Franzosen, der fieberischen Hast, dem Geldmachen („money-making“) der Amerikaner. Es ist eine wichtige Auf- gabe des Reisenden, das Volk, unter dem er sich aufhält, nach allen diesen Gesichtspunkten kennen zu lernen und davon ein Gemälde zu entwerfen, das wahrheitsgetreu und sprechend genug ist, um uns einen Einblick in dieses Leben zu verschaffen. Häusliches Leben. Welch’ ein Unterschied zwischen der Existenz des Wilden in seiner Ajupa, des Negers in seiner Hütte, des Indianers in seinem Wigwam, dem Leben des Patriarchen in seinem Zelte, der Deutschen und Engländer in ihrem „Heim“ und „home“ und dem Hötelleben ameri- kanischer Familien! Die Zeit ist wohl verwendet, die der Reisende in solcher Umgebung zubringt, um das häusliche Leben eines Volkes mit all’ seinen kleinen, aber charakteri- stischen täglichen Vorkommnissen kennen zu lernen! LEBENSWEISE 697 Wo bei einem Volke verschiedene Kasten oder Klassen bestehen, muss man trachten, eine jede derselben einzeln und besonders kennen zu lernen. Wenn man vom Leben im Palaste als Gegensatz zu demjenigen in den Hütten spricht, so ist nicht zu übersehen, dass auch erhebliche Unterschiede vorhanden sind zwischen dem Leben des einfachen Stadt- bürgers und demjenigen der Bauern. Gleichheit oder Ver- schiedenheit der Beschäftigung spricht sich im ganzen Dasein der Einzelnen aus; jene gibt Berufsgenossen ein mehr oder minder übereinstimmendes, diese Leuten von verschiedenem Handwerk je ein eigenartiges Gepräge. So liefern — um beispielsweise nur einige in der Schweiz vorkommende Be- rufsarten zu erwähnen — Köhler, Flösser, Mähder, Hirten und Gemsjäger Stoff zu ebensovielen verschiedenen Gemälden aus dem Volksleben. Geselliges Leben. In Bezug auf geselliges Leben, Feste, Spiele und Vergnügungen sind von Land zu Land grosse Verschiedenheiten zu beobachten. Der Japanese hat seine Theehäuser, der Engländer seinen Klub, der Franzose seine Bälle und Konzerte. Als nationale Belustigungen, Feste und Spiele findet man hier Hahnenkämpfe und Stiergefechte, anderswo Pferderennen, Wettkämpfe der Boxer und Ruder- wettfahrten ; in der Schweiz Ring- und Schwingkämpfe, eid- genössische und kantonale Schützen-, Turn- und Gesang- feste etc. Der Chinese liebt seine fliegenden Drachen und Feuerwerke, der Araber Kampfspiele (Fantasias) ; ein anderes Volk hat mehr Freude an Gesang und Musik: ein jedes amüsirt sich auf seine Weise. Politisches Leben. Im politischen Leben zeigen sich die denkbar grössten Unterschiede; in despotisch regierten Ländern ist dasselbe meist null; anderswo spielt es eine sehr wichtige Rolle. Sonntägliche, vor der Kirchthüre zusammen- tretende Versammlungen der Gemeinde-Einwohner zur Be- sprechung ihrer genossenschaftlichen Interessen, Wahl ihrer Beamten, Dekretirung von Steuern etc.; unter freiem Himmel tagende „Landsgemeinden“, Zusammenkünfte der Sachems, die gravitätisch diskutiren, während das Calumet herumgeht: tumultuarische Meetings der Irländer, die regelmässig mit allgemeinem Streit endigen; spanische und mexikanische Pronunciamentos: das sind wahrlich Szenen, die ein Volk 698 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN charakterisiren in der Art, wie es seine Rechte und Pflichten versteht und übt. Geistiges Leben. In Hinsicht auf das geistige Leben macht sich nicht gerade eine solche Vielgestaltigkeit be- merkbar, wie in andern Beziehungen, und man könnte wohl die Völker von diesem Gesichtspunkt aus lediglich in zwei grosse Gruppen bringen: einerseits solche, welche ihre Geistes- kräfte pflegen und entwickeln; andererseits solche, die das nicht thun. Aber bei näherem Zusehen nimmt man auch hier mehrfache Abstufungen wahr. In gewissen Ländern genügt es den Leuten, wenn sie einigermassen lesen und schreiben können; anderswo wird durchgängig auf sorgfältige. Erzieh- ung gehalten; alle Klassen geniessen eines guten Unterrichts, und ein reicher Schatz von Wissen findet sich nicht nur bei Gelehrten von Beruf, sondern selbst bei Handwerkern und Krämern. Zum Beispiel erzählt ein Reisender, dass er das Chamounithal besuchte in Gesellschaft eines Touristen, mit welchem er zufällig zusammengetroffen und hinsichtlich dessen er nach den geführten Gesprächen im Zweifel war, ob der- selbe Theologe, Jurist oder Geologe, während sich schliesslich herausstellte, dass sein Begleiter, der sich in den verschie- denen Wissensgebieten so bewandert erwiesen hatte, ein.ein- facher Genfer Uhrenarbeiter sei. ORGANISATION der Gesellschaft — des Staates. der Familie Familie, Gesellschaft und Staat, wie wir dieselben ver- stehen, sind nicht überall vorhanden. In dieser Hinsicht bestehen zwischen einzelnen Ländern und Völkern fundamen- tale Verschiedenheiten. Familie. Die Familie in ihrer eigentlichen und wahren Bedeutung ist begründet auf ein dauerndes Ehebündniss und das Zusammenleben der Verehelichten. Sie kann also nicht existiren bei den wilden Horden mit Weibergemeinschaft und auch nicht bei den Völkern, welche nur temporäre Ehen kennen, die vom einen oder andern Theil nach Belieben aufgelöst werden und die höchstens bis zur Geburt oder bis ORGANISATION 699 zum Entwöhnen eines Kindes als gültig und verbindlich betrachtet werden. Zu diesen vorübergehenden Verbindungen kann man das Konkubinat zählen, d. h. eine illegale, heim- liche oder offenkundige Geschlechtsgemeinschaft mit oder ohne Zusammenwohnen der Betheiligten. Das Konkubinat der alten Römer und die morganatische Ehe (Trauung „zur linken Hand“) der modernen Gesellschaft können — bei ihrem weniger ephemeren Charakter — zur Gründung einer Familie führen. Wie die Dauerhaftigkeit eines Ehebundes, so erscheint auch das Zusammenleben seiner Glieder als unerlässlich zur Bildung einer wahren Familie. Wenigstens kann man diesen Namen nicht wohl auf solche Verbindungen anwenden, wo — wie dies bei einigen wilden Völkerschaften vorkommt — die Gatten nach wie vor getrennt leben, jeder Theil bei seinem Stamm, wobei die Kinder dem Stamme der Mutter angehören. Die wahre Grundlage der Familie ist also die Ehe, als auf die Dauer eingegangene und mit Zusammenleben ver- bundene Vereinigung von Repräsentanten der beiden Ge- schlechter. Wir sind freilich gewöhnt, als drittes Erforderniss die Legalität der Verbindung, eine gewisse Sanktion derselben, vorauszusetzen. Allein dieser legale Charakter kann dem ehe- lichen Bunde abgehen, ohne dass desswegen die Gründung einer Familie verhindert wird. Ist die Frau in dauernder Weise Genossin („Lebensgefährtin“) des Mannes, lebt sie mit ihm unter demselben Dache und werden daselbst die aus der Verbindung entspringenden Kinder erzogen: so ist die Familie konstituirt, in welcher Weise auch der Mann in den Besitz seiner Frau gekommen sei. Frauenraub, Brautkauf, gegenseitige Einwilligung, Beob- achtung gewisser Formalitäten — diese Umstände geben der Ehe nach unsern Begriffen einen verschiedenen (in den einen Fällen unmoralischen, andernfalls geweihten oder geheiligten) Charakter; aber sie fallen ausser Betracht, wenn es sich um die Folgen der Ehe, die Begründung eines Familienstandes handelt. Für die Familie als solche ist es auch unerheblich, ob die Ehen nach Vorschrift und Sitte stattfinden zwischen Verwandten und Stammesgenossen (Endogamie S. 624) oder zwischen 700 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Fremden und Angehörigen verschiedener Stämme (Exogamie, S. 623). Hinsichtlich des Verhältnisses zwischen den Reprä- sentanten der beiden Geschlechter finden sich drei Kombi- nationen: die Ehe zwischen Einem Manne und Einer Frau — Monogamie (S. 626); die Ehe eines Mannes mit vielen Frauen: Polygamie oder besser Polygynie (S. 624); die Ehe mehrerer Männer mit einer einzigen (ihnen gemeinsamen) Frau: Polyan- drie (S. 626). Da wir oben (8.628 und 634) schon über die Schliessung und Scheidung der Ehe gesprochen haben, so betrachten wir hier lediglich die Familie als solche, d. h. nach ihren Verhältnissen, deren Begründung und während der Dauer ihres Bestandes. Die Familie hat gewisse typische Formen aufzuweisen, von denen wir die hauptsächlichsten erwähnen. Trifft der Reisende eine Form derselben, die nicht zu einem dieser Typen gehört, so wird er dieselbe signalisiren und beschreiben. Die Terminologie, deren wir uns hier bedienen, mag etwas ungebräuchlich, vielleicht sogar prätentiös erscheinen. Wir stellen sie auch nur auf in Ermanglung von etwas Besserem und überlassen es dem Ermessen Derer, welchen eine sach- bezügliche Terminologie erwünscht sein müsste, ob sie die nachfolgende anzuwenden für gut finden oder nicht. 1° Die ngetheilte Familie (famille indivise) ist eine Gruppe von meist blutsverwandten Personen, worin die Frauen und Kinder nicht einem bestimmten Gatten oder Vater speziell, sondern mehr oder weniger allen zusammen angehören. Von der wilden Horde unterscheidet sie sich dadurch, dass sie eine engere, beschränkte Gemeinschaft darstellt, dass die Ver- mischung nicht illimitirt ist, sondern ihre bestimmten Grenzen hat. Wenn diese Gemeinschaft ihrem Verbande fremde Ele- mente beitreten lässt, so assimilirt sie sich dieselben. Die Familie als Ganzes nimmt neue Individuen in ihren Schoos auf, heirathet Frauen und adoptirt Kinder, wie dies noch auf der Insel Ceylon stattfindet !). 2° Wenn ein Verband von der Art des eben Besprochenen sich in zwei oder drei Gruppen theilt und die Vermischung nur innerhalb dieser Unterabtheilungen stattfindet, so haben wir die segmentarische Familie, in derselben besitzt das 1) Les Origines de la famille, par M. Giraud-Teulon, Geneve et Paris, 1874, pag. 60. ORGANISATION 01 Familienhaupt seine eigenen Frauen; die Brüder haben die ihrigen gemeinsam und die Schwestern gehören kollektiv denselben Gatten an; die Kinder sind nicht mehr Eigenthum - des Gesammtverbandes, sondern einer einzelnen Gruppe des- selben. Diese Form der Familie findet sich z. B. in Hindostan bei den Todas. 3° Die Individual- Familie unterscheidet sich von den beiden vorgenannten Formen dadurch, dass es sich hier nicht mehr um Kollektivbeziehungen, sondern um persönliche Sonder- verbände handelt: jedes Individuum besitzt für sich allein eine oder mehrere Frauen (beziehungsweise einen Mann oder — in der Polyandrie — deren mehrere). Diese Form allein gestattet leicht eine Trennung der Familie (im weitern Sinn des Wortes) in mehrere gesönderte Haushaltungen. — In Bezug auf den Umfang des Verbandes, welchen man als Familie bezeichnet, ist vorab zu unterscheiden zwischen Einzelnfamilien und Kollektivfamilien. Als besondere oder Einzelnfamilie (famille distincte) kann man diejenige bezeichnen, welche aus einem Vater mit einer oder mehreren Gattinnen und deren Kindern besteht. Dabei ist in der Regel nur Eine Generation von Kindern vorhanden; wenn diese letztern sich verheirathen, so verlassen sie ihre Eltern und gründen eine neue besondere Familie. Die Kollektivfamilie hingegen besteht aus einer Anzahl ehelicher Verbände mit mehr oder minder scharfen oder ver- wischten Grenzen und den hieraus entsprossenden Kindern. Hieher gehören die ungetheilten und die segmentarischen Familien, welche wir oben (sub 1 und 2) besprochen haben; ferner die patriarchalischen Familien, in welchen das Haupt einer solchen (der Patriarch) mit seinen Kindern, nächsten Verwandten und den verschiedenen Generationen, die um ihn aufgewachsen sind, zusammenlebt, eine Familienform, die sich da findet, wo die sich verheirathenden Söhne und Töchter bei ihren Eltern bleiben und keinen eigenen Hausstand gründen. Hieher kann man ferner auch die durch Assoziation gebildete Familie rechnen, welche aus verschiedenen Personen (mit Bluts- verwandtschaft oder nicht) besteht, die sich freiwillig untereinem erwählten Chef zu einer häuslichen Gemeinschaft verbinden. Mitunter werden in den Begriff der Familie auch die Diener und Sklaven einbezogen. 702 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Andrerseits denkt man sich unter Familie im weiteren Sinne des Wortes ausser den Personen, welche Einen Haus- halt führen, auch die Gesammtheit Derer, die von der einen oder andern jener ersteren Personen abstammen oder sonst mit ihr gemeinsamen Ursprungs sind und mit diesen Anver- wandten in Beziehung bleiben. Verwandtschaft. In der ungetheilten Familie mit Frauen- gemeinschaft und einer fast unbegrenzten Vermischung der Geschlechter wendet: der Einzelne die Namen Vater und Mutter gegenüber allen bejahrteren Personen an; die Namen Bruder und Schwester gegenüber allen Denen, welche ungefähr gleich alt sind wie er; die Namen Sohn und Tochter endlich auf alle Personen jüngeren Alters. In der segmentarischen Fa- milie sind diese Bezeichnungen kaum weniger willkürlich, aber auf enger begrenzte Gruppen beschränkt. Nur in der Individualfamilie gestalten sich die Abstammungsverhältnisse und damit auch die Benennungen derselben in präziser Weise. Bei den Völkern mit Polyandrie, wo mehrere Brüder oder auch Genossen ohne Blutsverwandtschaft gemeinsam eine Frau haben, werden die Kinder als solche des ältesten der Brüder, resp. des Chefs der Gemeinschaft, betrachtet oder aber in beliebiger Weise den Einzelnen zugetheilt, z. B. das Erstgeborne dem Aeltesten der Genossen, das folgende dem Zweitältesten u. s. w. Herodot (IV, 180) und Aristoteles (Pol. I, 4, 13) erzählen auch, dass bei gewissen Völker- schaften Lybiens die Kinder zu bestimmten Zeiten denjenigen Stammesgenossen zugesprochen wurden, mit welchen sie die meiste Aehnlichkeit hatten. Viele Völker anerkennen nur eine Verwandtschaft von mütterlicher Seite. Auf den untern Stufen der Familien- bildung, von denen wir gesprochen haben, setzt man einzig die Abstammungsverhältnisse von mütterlicher Seite nicht in Zweifel. Die Frau, welche ein Kind unter dem Herzen trug, ist sicherlich dessen Mutter; welcher Mann des Stammes aber der Vater sei, ist eine keineswegs mit Sicherheit zu beantwortende Frage. Für die Genealogie ist dann lediglich die Deszendenz von mütterlicher Seite (in weiblicher oder uteriner Linie) massgebend. Der Titel Onkel (von mütter- licher Seite) bezeichnet in diesem Falle einen wichtigeren Verwandtschaftsgrad als der Titel Vater. ORGANISATION 103 Andere Völker nehmen nur eine Verwandtschaft in männ- licher Linie an; d.h. ihre Genealogie berücksichtigt aus- schliesslich die Deszendenz von väterlicher Seite, von den Männern, während dabei von den Frauen ganz abgesehen wird. Es kann auch vorkommen, dass (wie das ehemals hin- sichtlich der Erstgebornen bei den Basken der Fall gewesen sein soll) für die Söhne die Abstammung vom Vater, für die Töchter aber diejenige von der Mutter als massgebend gilt. Wo die Frau bei der Verehelichung in den Stamm über- geht, welchem ihr Mann angehört, ist es nicht selten, dass sie nach der herrschenden Anschauung nun der Verwandtschaft zu dem Stamm, aus welchem sie hervorging, verlustig wird. Die aus einer solchen (exogamen) Ehe entspringenden Kinder gehören dann ausschliesslich dem Stamme des Vaters an, d.h. es wird nur eine Verwandtschaft mit diesem Stamme angenommen, der selber nur aus Deszendenten eines gemein- samen Ahnherrn in männlicher Linie besteht. — Das Um- gekehrte findet statt, wenn der Mann bei der Verheirathung mit einer Angehörigen eines andern Stammes in diesen über- gehen und seine frühere Stammesangehörigkeit aufgeben muss. Die Kinder haben dann nur Verwandte in weiblicher Linie. Die eheliche Verbindung zweier Personen, die verschie- denen Volksstämmen angehören, zieht indess nicht immer den Verlust aller Verwandtschaft mit dem Stamme, welchem Jemand entsprossen ist, nach sich; alsdann bestehen für die Kinder, wiewohl sie einem Stamme enger angehören (dem des Vaters oder dem der Mutter, je nach dem Falle), Bande der Ver- wandtschaft mit dem andern Stamm, mit Grosseltern, Onkeln und Tanten in demselben. In unsern zivilisirten Gesellschaften ist die Verwandtschaft ebenfalls eine zweiseitige, d. h. sie gilt sowohl für die Familie des Vaters als für diejenige der Mutter. Der Reisende unterlasse nicht, die Verwandtschaftsysteme, welche er beobachten kann, wohl zu definiren, deren ver- schiedene Stufen zu bezeichnen und die Ausdrücke dafür zu sammeln. Ein Punkt, der ebenfalls Aufmerksamkeit verdient, ist der Verwandtschaftsgrad, welchen man Kindern beilegt, die zwar den gleichen Vater, aber verschiedene Mütter, oder dieselbe Mutter, aber verschiedene Väter haben. 704 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Neben der natürlichen gibt es eine fiktive Verwandtschaft. So kommt in einigen Stämmen der sogenannte Brudereid vor, welcher zwischen zwei Personen 'eine Verbindung her- stellt, die als gleichbedeutend mit einer gemeinsamen Ab- stammung gilt. Die gegenseitige Infusion von Blut aus einer leichten Wunde schafft ebenfalls eine konventionelle Verwandtschaft zwischen Personen verschiedener Familien oder Stämme, eine Verwandtschaft, die als eine enge ange- sehen wird. Auf den Umstand, dass zwei oder mehr Indi- viduen von derselben Amme genährt wurden, basirt die An- schauung verschiedener Völker eine unauflösliche Verwandt- schaft, und diese Anschauung spricht sich noch aus in unsern, ohne Zweifel früher bedeutsameren Worten „Milchbruder“ und „Milchgeschwister.“ Die Adoption, durch welche ebenfalls eine fiktive oder besser rein zivile Verwandtschaft geschaffen wird, bietet oft bemerkenswerthe Eigenthümlichkeiten dar. So können, wie versichert wird, bei den Irokesen und Huronen einzig die Frauen Kinder adoptiren. Bei andern Stämmen, welchen daran liegt, die Zahl ihrer Krieger zu vermehren, werden nicht blos Kinder und junge Leute, sondern Männer reifen Alters — inder Regel Flüchtlinge oder Ueberläufer — adoptirt. Ferner ist es da und dort üblich, Kinder von Sklavinnen zu adoptiren oder vielmehr zu legitimiren. — In welchem Umfange immer die Adoption vorkommt, so informire sich der Reisende über die Zeremonien, mit denen sie verbunden ist, und über die Rechte, welche durch sie erworben werden. Bald wird dieselbe perfekt durch eine blosse Erklärung, bald muss diese Erklärung durch einen feierlichen Eid oder durch Bespritzen mit Blut bekräftigt werden. In Abyssinien wird dabei das Säugen nachgeahmt, indem der Adoptivvater dem zu adoptirenden Kinde eine Fingerspitze in den Mund hält. Was die mit der Adoption verbundenen Rechte anbelangt, so wird in gewissen Gegenden der Adoptivsohn einziger Erbe, mit Ausschluss der wahren und legitimen Söhne. Familien- und Vornamen. Als äussere Zeichen der gemeinsamen Abstammung und also der Verwandtschaft von | \ Abkömmlingen desselben Ahnen werden Familiennamen, Wappen || und Totems angewendet. ORGANISATION D 105 Wir haben uns hier nicht über den Ursprung der Familien- namen im Allgemeinen auszusprechen. Der Reisende wird aber in jedem Einzelfall festzustellen suchen, ob bei ‘dem von ihm besuchten Volke die Erinnerung an die Zeit, in welcher diese Namen eingeführt wurden, noch vorhanden und lebendig sei. Für Japan z.B. ist geschichtlich erwiesen, dass die Namen einer jeden Familie gegen das Jahr 80 v. Chr. festgestellt wurden. Bei vielen nordamerikanischen Indianerstämmen und bei den Eingebornen Australiens ist jener Vorgang viel jüngeren Datums. In manchen Gegenden wird die Abstammung im Namen einfach dadurch bezeichnet, dass man dem Namen des Sohnes denjenigen des Vaters beifügt; „Achmed ben Jussef“ z.B. be- deutet: Achmed Sohn Josephs. Will man die Abstammung weiter zurückverfolgen, so wird noch der Name des Gross- vaters (von väterlicher Seite) hinzugefügt u. s. w. Beispiels- weise heisst es dann: Amu ben Aisa ben Malek etc. (Amu, Sohn des Aisa, des Sohnes Maleks etc.), und für Frauen: Fatma ben’t Ali ben Kaleb etc. (Fatma, die Tochter des Ali, des Sohnes Kalebs etc.). Mitunter werden die Namen, statt von dem des Vaters (patronymisch), von demjenigen der Mutter (matronymisch) gebildet, sodass statt „N., Sohn des N“ gesagt wird: N., Sohn der N. Auch findet sich eine Mischung dieser beiden Systeme vor, wobei die Kinder der Häuptlinge und Vor- nehmen nach den Vätern, diejenigen der Armen und der untern Klassen nach den Müttern benannt werden. Gar sonderbar muss uns der Gebrauch erscheinen, den Namen der Eltern nach denjenigen der Kinder zu gestalten. Diese bizarre Sitte findet sich in Australien und Amerika. Wird einem australischen Ehepaar ein Sohn geboren und erhält dieser den Namen Kadli, so heisst nun der Vater Kadlitpinna (Vater des Kadli) und die Mutter Kadlingangki (Mutter des Kadli); ein Indianer, welcher den Namen Que- ech-et hat und einen Sohn bekommt, den er Sah-neu nennt, verliert nun seinen Namen Que-ech-et und heisst fortan Sah- neu-tee (Vater des Sah-neu). Die patronymische Familienbezeichnung ist oft nach dem Namen eines berühmten Vorfahren oder Clanhäuptlings ge- bildet. Bei den alten Griechen z. B. wurden die Nachkommen des Atreus als Atriden benannt. Die schottischen Namen 45 706 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Mac-Donald, Mac-Gregor (Sohn des Donald, Sohn des Gregor) bezeichnen Angehörige von Clans, deren Häuptlinge (lairds) Donald und Gregor hiessen. Den Prozess der Bildung von Familiennamen, die nicht patronymische sind, kann man oft noch vor sich gehen | sehen in der Anwendung gewisser Zpitheta, Bei- oder Ueber- namen, die eine einzelne Person bezeichnen, nach und nach aber auf deren ganze Familie, auf deren sämmtliche Nach- kommen übertragen werden. In gewissen Ländern trifft man den Brauch, dass der Ehemann seinen Namen aufgibt und denjenigen der Frau annimmt. Es soll das früher auch bei den Basken vorge- kommen sein, wenn eine Tochter das elterliche Haus erbte; in diesem Falle sei ihr Familiennamen auf den Gatten und die Kinder übergegangen. Die Tauf- oder Vornamen, welche in zivilisirten Ländern gebräuchlich sind, bezeichnen oft in charakteristischer Weise die zur Zeit dieser Namengebung (Taufe) herrschende Ideen- richtung. In Frankreich z. B. findet man von der Revolution her vielfach noch die Vornamen Regulus, Cajus, Brutus u. del. Ein wunderlicher, meines Wissen nur in China existi- render Gebrauch ist der, statt des Vornamens eine Nummer anzuwenden. Es gibt Gegenden, wo eine und dieselbe Person neben dem unveränderlichen Familiennamen successive verschiedene Namen trägt. So erhält bei einigen Indianerstämmen der Mensch zunächst einen Namen für die Dauer seiner Kinder- zeit (Milchname, milk-name), sodann einen andern für seine reiferen Jahre und endlich einen dritten für sein Greisen- alter; daneben aber trägt er während seines ganzen Lebens stets denselben Familiennamen und zwar denjenigen seines Stammes. Autorität in der Familie. Bei den meisten wilden Stämmen hat der Vater oder Familienchef eine unumschränkte Autorität, selbst das Recht, über Tod und Leben seiner Frauen und Kinder zu verfügen. Einen analogen Zustand findet man, wenn auch wesentlich gemildert, in der patriarchalischen Familie. Der Patriarch hat zwar nicht über Tod und Leben der Seinigen zu verfügen, aber er kann sie verstossen ; jeden- falls haben sich alle andern Glieder der Familie, auch alle ORGANISATION 7107 Erwachsenen, seinem Willen zu fügen, — es wäre denn, dass es sich um eine freiwillige Vereinigung handelte, deren er- wählter Chef nur „primus inter pares“ ist und die Ver- pflichtung hat, seine Genossen zu Rathe zu ziehen. Bei den alten Römern war der pater-familias als Repräsentant der Götter, der Stadt und des Gesetzes unumschränkter Herr am häuslichen Herde. Nach alter russischer Sitte ist der Familienvater Herr im Hause gleich, wie der Czar Herrscher über das Reich. Bei den russischen Bauern hört die väterliche Gewalt über die Kinder nicht auf, wenn auch diese herangewachsen und in’s reife Alter eingetreten sind; der erwachsene und ver- heirathete Sohn bleibt unter der väterlichen Gewalt, bis er selbst erwachsene Kinder hat oder seinerseits Chef seines Hauses geworden ist. Die Allmacht des Vaters wird in verschiedenen Ländern durch den Einfluss der Familie oder durch Satzungen gemildert. Es gibt Völkerschaften, wo Mutter und Kinder nicht in unbe- schränkter Weise als Eigenthum des Gatten und Vaters gelten, vielmehr die Oheime von mütterlicher Seite deren geborne Pro- tektoren gegen die Macht des Vaters sind. Die Gewalt des Oheims von mütterlicher Seite geht mitunter so weit, dass der- selbe das Recht hat, die Kinder (seiner Schwester) zu verkaufen. Wieder anderorts gilt der Schwiegervater (Vater der Frau) mehr als der Gatte oder Familienvater. — Da, wo die Auto- rität über die Familie dem Vater zusteht, ist sie oft durch Sitte oder Gesetz beschränkt. Bei den Komantschen z. B. dürfen die Eltern ihre Söhne nur züchtigen mit Zustimmung des Stammes. In Kalifornien sind die Kinder nach erlangter Reife nur den Häuptlingen gegenüber zum Gehorsam ver- pflichtet, und bei den Beduinen steht der Sohn nur solange unter der Autorität des Vaters, als er mit diesem im gleichen Zelte lebt; die väterliche Gewalt über ihn hört auf, wenn er ein eigenes Zelt hat. Es kommt auch der Brauch vor, dass der Frau die Autorität über die Familie (Mann und Kinder) zusteht, wobei der Mann wenig mehr als der Sklave seiner Frau und gewissermassen Eigenthum ihrer Familie ist. Stellung des Weibes. Bekanntlich ist die Stellung der Frau in den einzelnen Ländern sehr verschieden. Bald 708 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN wird die Frau als Sklavin oder Lastthier behandelt und zu den schwersten Arbeiten gezwungen; bald gilt sie als Luxus- objekt, führt ein müssiges Leben in einem gewissen Comfort und unter eifersüchtiger Bewachung; bald ist sie die ver- diente und geachtete Hausmutter, die in allen wichtigen Angelegenheiten zu Rathe gezogen wird — und zwischen diesen Extremen finden sich zahlreiche Abstufungen. Der Reisende suche sich daher über die Stellung des Weibes bei einem von ihm besuchten Volke genau zu informiren. Leider am häufigsten ist das Weib eine oft brutal be- handelte Sklavin oder unterwürfige Dienerin. Um so be- merkenswerther ist es, dass einige unzivilisirte Völker doch die Frau rücksichtsvoll behandeln, sie dem Manne gleich- stellen, ja ihr noch mehr Rechte zuerkennen. Zu erwähnen ist auch, welches die Rechtsstellung der Frau im Falle von Verstossung und Scheidung sei, sowie im Falle des Wittwenthums. Stellung der Kinder. Bei wilden Stämmen ist das Verhältniss zwischen Vater und Kind ziemlich gleich wie das zwischen einem Thiere und seinen Jungen. Der Vater hat gegen das Kind keine moralische Verpflichtung; er kann es verlassen, fortjagen oder tödten, ganz nach seiner augen- blicklichen Laune. Die Beziehungen zwischen Vater und Kind beruhen nicht wie bei uns auf gegenseitiger Liebe, sondern nur auf egoistischen Motiven, brutaler Gewalt, physischer Ueberlegenheit. Daher sind denn auch die Fälle so häufig und weitverbreitet, dass Kinder ausgesetzt, misshandelt, ver- kauft oder geopfert werden. Fast nur in unserer zivilisirten Gesellschaft werden die Kinder mit Liebe behandelt, und wenn sie herangewachsen sind, fast den Eltern gleichgestellt. Im Allgemeinen bleiben die Kinder sehr lange von ihren Eltern abhängig; in den Vereinigten Staaten jedoch erlangen oO) Söhne und Töchter schon frühzeitig die Selbständigkeit. Der Reisende unterlasse nicht, sich darüber zu erkun- digen, ob die Kinder einer und derselben Familie je nach dem 3 gegenseitigen Altersverhältniss ungleiche Rechte besitzen. In manchen Ländern haben die Erstgebornen, anderswo im Gegentheil die Jüngsten gewisse Privilegien (Majorat und Minorat). ORGANISATION 709 Ferner ist zu bemerken, wie sich das Verhältniss gestaltet, wenn zwischen Vater und Mutter eine Standes- (Kasten- oder Klassen-) Verschiedenheit besteht. Wenn z. B. der eine Eltern- theil frei, der andere Sklave oder leibeigen ist, welchem folgt nun das Kind in seiner bürgerlichen Stellung? dem Vater oder der Mutter? oder bilden die Kinder aus solchen Misch- ehen eine besondere Kaste oder Klasse ? Gesellschaft. Wie die Familie auf der Ehe beruht, so die Gesellschaft auf der Familie. Auf der untersten sozialen Stufe, im Zustande fast thierischer Rohheit, bilden die Menschen nur Gruppen von Individuen, welchen die Familie unbekannt ist; Agglomerate von Personen beiderlei Geschlechts, welche in einem solchen Zustand von Vermischung leben, dass unser Gefühl sich darob empört. Die Frauen und Kinder gehören Allen und Niemandem. Diese Agglomerationen, welche denen der heerdenweise lebenden Thiere gleichen, verdienen den Namen „Gesellschaften“ nicht; es sind wilde Horden. Als eigentliche Gesellschaften können auch zufällige oder erzwungene Vereinigungen nicht angesehen werden, selbst wenn sie aus Individuen bestehen, welche mit einander durch das Band der Ehe verbunden sind. Truppen von Auswan- derern, exilirte oder deportirte Familien, Internate oder Kon- vikte, Militärkolonien etc. sind keine wahren bürgerlichen Gesellschaften, solange sie wenigstens nicht die Organisation der gewöhnlichen Gesellschaft haben. Die eigentlichen Gesellschaften bestehen aus einer frei- willigen mehr oder minder zahlreichen Vereinigung von Familien und Individuen mit gemeinsamen Interessen, gegen- seitigen Rechten und Pflichten, sowie einer gewissen Organi- sation, die auf Uebereinkommen und Satzungen beruht. Die primitiven Gesellschaften bestehen in der Regel aus einer kleinen Anzahl von Individuen, welchen weite. Räume zur Verfügung stehen. Die Feuerländer z. B. treffen in Gruppen von 15—20 zusammen und die Australier schweifen in Truppen von 20—50 Köpfen umher. Aehnlich verhält es sich und muss es sich nothwendig verhalten mit allen noch in den Anfängen der Zivilisation befindlichen Völkerschaften. Bei denjenigen, welche sich ausschliesslich von Jagd und Fischfang ernähren, müssen die Individuen einzeln oder in kleinen Gruppen leben; 710 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN würde sich deren eine grössere Zahl auf einer Stelle kon- zentriren, so müsste Mangel und Hungersnoth eintreten. Ebenso sind bei Hirtenvölkern die Familien genöthigt, sich über ein weites Areal in grossen Abständen von einander zu zerstreuen; sonst hätten sie nicht hinlängliche Weideplätze für ihre Heerden. Nur die Völker mit Ackerbau, Gewerben und Handel können in zahlreichen Gesellschaften dicht zu- sammen wohnen. Familie und Gesellschaft sind ursprünglich identisch. Die ursprüngliche Gesellschaft war nur eine mehr oder minder zahlreiche Familie, deren verschiedene Glieder unter einem Oberhaupte zusammenlebten. Diese primordialen Gesellschaften vergrössern sich auf drei Arten: 1° durch Zunahme der Nach- kommenschaft des gemeinsamen Ahnherrn ; 2° durch Aufnahme fremder Individuen (Flüchtlinge, Ueberläufer etc.) in den Ge- sellschaftsverband; 3° durch Vereinigung mehrerer vorher getrennter Gruppen. Es sind vier Haupttypen gesellschaftsbildender Elemente zu unterscheiden: 1° Die Tribus, in welcher die Einzelnen in der Regel blutsverwandt sind und das Eigenthum gemeinsam ist. Es ist das ursprünglich nichts anderes als die kollektive (un-. getheilte oder segmentarische) Familie. Der Häuptling (Krieger, Patriarch, Domacin etc.) sorgt für alle Interessen und Niemand besitzt Etwas als sein Eigen. Allmälig aber entwickelt sich der Eigenthumsbegriff; neben dem Zelte des Vaters erhebt sich das des Sohnes, und bald besteht die Tribus aus meh- reren Familien, die je ihre besonderen Interessen haben, aber unter einem Oberhaupte beieinander leben. — Die Tribus oder der Stamm heisst homogen, wenn er blos Abkömmlinge eines und desselben Ahnherren enthält, heterogen aber in jedem andern Falle. — Die Tribus erlangt zuweilen einen bedeu- tenden Umfang. Ein Kabylenstamm z. B. umfasst mehrere Dörfer mit gegenseitigen Rechten und Pflichten; er besteht aus verschiedenen Familien (harouba), wovon jede ihr eigenes Dorf oder in einem Flecken ihr besonderes Quartier bewohnt und ihrerseits je in mehrere Haushaltuugen zerfällt — eine | Organisation, die mehr politisch als sozial ist. | 2° Der Clan unterscheidet sich vom vorigen Typus weniger durch das Vorwiegen fremder Elemente als durch Verschieden- | ORGANISATION 734 heit der Lebensweise und Beschäftigung der Stammesgenossen. y Diese letzteren können gemeinsamen Ursprungs nah gleichen Namens oder nur verbunden sein durch Interessen und alte Traditionen!); was den Clan charakterisirt, ist eine gewisse Individualität in den Privatangelegenheiten seiner Mitglieder, in deren Eigenthumsverwaltung, verbunden mit der Sub- ordination unter ein Oberhaupt in Allem, was die gemein- samen Interessen und speziell die Bedürfnisse der Verthei- digung betrifft. Das Oberhaupt des Clans wird oft durch Wahl bestimmt. 3° Die Feudalgesellschaft (groupe feodal) wird von Guizot?) folgendermassen charakterisirt. Die Bevölkerung, welche den Lehnsherr umgibt, ist demselben vollkommen fremd; sie trägt nicht seinen Namen; zwischen ihr und ihm bestehen weder verwandtschaftliche, noch historische, noch auch nur moralische Beziehungen. Der Lehnsherr hat nicht die Lebens- weise und nicht die Beschäftigung der Leute um ihn; er ist Krieger oder Müssiggänger, während seine Leute Arbeiter sind. Seine Familie ist nicht zahlreich, besteht lediglich aus Frau und Kindern und lebt getrennt von der übrigen Bevölkerung des Schlosses oder der Residenz. Die Bauern und Leibeigenen gehören ihr nicht an; ihr Ursprung ist verschieden, der Unterschied in der Stellung sehr gross. 4° Die Gemeinde besteht aus mehr oder minder hetero- genen Elementen, aus verschiedenen Familien, je mit eigener Haushaltung und gesöndertem Eigenthum, welche unter sich nur verbunden sind durch nachbarliche Beziehungen und ge- wisse gemeinschaftliche Interessen. Diese letzteren und die mit Rücksicht auf dieselben erforderlich scheinenden Mass- nahmen werden in Versammlungen der Gemeindemitglieder oder ihrer Repräsentanten besprochen, und wenn die Gemeinde sich ein Oberhaupt gibt, so ist das kein Krieger, noch ein Patriarch oder sonstiger Herr, vielmehr einzig ein Verwal- tungsbeamter. Von sozialer Organisation kann nur die Rede sein, wenn innerhalb einer Gruppe (Tribus, Clan etc.) eine Theilung der Rollen und der Arbeit zwischen den verschiedenen Mitgliedern stattfindet, sodass die Einen für Beschaffung, die Andern für 1) Vgl. Herbert Spencer, staatliche Einrichtungen ; Kosmos 1881, pag. 294 (Note). 2) Guizot, Histoire de la Civilisation en Europe, Paris 1859, pag. 105 und 106. 72 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Zubereitung der Lebensmittel zu sorgen, Dritte über die öffentliche Sicherheit zu wachen haben u.s. w. Nur in diesem Falle gleicht die soziale Gruppe einem organischem Körper, dessen Theile die verschiedenen Funktionen besorgen, indem sie einander gegenseitig ergänzen. Nur in diesem Fall haben wir ein organisirtes Gebilde vor uns, andernfalls blos ein Aggregat von Individuen. Ueberall, wo Spuren einer solchen Organisation vorhanden sind, suche der Reisende deren Grundlage und Mechanismus kennen zu lernen. Solange die sozialen Gruppen isolirt und ohne gegen- seitige Beziehungen leben, heisst die Gesammtheit derselben eine Völkerschaft; ein Volk oder eine Nation heisst sie aber, wenn die verschiedenen Gruppen miteinander verbunden sind und unter gemeinsamen Gesetzen leben. Kasten und Klassen. Die sozialen Gruppen bestehen ursprünglich, wie schon bemerkt, fast nur aus Individuen mit ziemlich denselben Beschäftigungen, worunter die ge- meinsame Noth eine gewisse Gleichheit bewirkt. Aber Glieder der Gesellschaft, welche sich durch physische Kraft, Ge- wandtheit und Intelligenz auszeichnen, erlangen bald grössern Einfluss als die andern oder verschaffen sich durch List und Gewalt eine besondere Stellung, sodass zwischen ihnen und der Masse ihrer Genossen ein Unterschied eintritt, der noch fühlbarer wird, wenn in Folge von Feindseligkeiten eine Gruppe sich vergrössert durch Gefangene, die sie zu ihren Sklaven | macht, oder die zwei Gruppen der Sieger und Besiegten sich in eine Gruppe verschmelzen. Eine Ungleichheit der Stellung zwischen den einzelnen Gliedern der Gesellschaft entsteht auch schon durch die sich manigfaltiger gestaltenden Beschäfti-- gungen, durch eine Theilung der Arbeit, infolge deren in dem Stamme Krieger, Priester, Ackerbauer, Hirten, Hand- werker etc. als Klassen zu unterscheiden sind. Wie die Bevölkerung sich vermehrt und diese Klassen zahlreicher werden, theilen sich dieselben ihrerseits wieder, die Hirten z. B. in Pferdehirten, Küher, Schafhirten ete., die Hand- werker in Schmiede, Schreiner, Weber u. s. w. Diese Ab- theilungen haben, neben den allgemeinen Interessen der Ge- sammtheit, in ihrem Rayon je gewisse übereinstimmende Ideen und Ansichten, Spezialinteressen und engere Be- m ORGANISATION 13 ziehungen, welche einen Corpsgeist erzeugen, wobei die einen sich besser dünken als die ändern, auf diese herab- sehen und sich von ihnen fernhalten, sodass hiedurch die sonst vorhandene Ungleichheit noch vermehrt und zu schär- ferem Ausdruck gebracht wird. Diese Abtheilungen des Volkes werden als Kasten be- zeichnet, wenn sie gegeneinander durch Tradition, Sitte oder Satzung scharf abgegrenzt sind, sodass diese Schranken weder durch Heirathen, noch durch persönliche Verdienste oder anderswie leicht überschritten werden können. Innungen (Zünfte, Korporationen) heissen sie, wenn sie je die Personen von gleicher Berufsart umfassen und diesen gegenseitige Pflichten auferlegen ; blos als Klassen werden sie bezeichnet, wenn die Grenzen nicht scharf gezogen und leicht zu über- schreiten sind. Der Reisende hat wohl zu beachten, welche Verhältnisse in dieser Beziehung das von ihm besuchte Land aufweist. Fast immer wird er eine gewisse soziale Hierarchie finden mit den Kategorien von Regierenden und Regierten. Die ersteren bestehen aus den politischen, militärischen und kirchlichen Führern: Häuptlingem, Kriegern und Priestern. Die letzteren werden in der Regel nach ihrer Beschäftigung klassifizirt. Andere Unterschiede beruhen auf dem Besitz (Reichthum), auf der Geburt oder Abstammung (dem „Blut“), zuweilen auch, doch seltener, auf Geschlecht und Alter. Oefter kommen nur zwei Klassen vor: Adelige und Bürger- liche, Patrizier und Plebejer, Herren und Bauern, Freie und Leibeigene, Reiche und Arme etc.; mitunter aber gibt es vielfache Haupt- und Unterabtheilungen. In einigen Ländern unterscheidet man hohen und niedern Adel. Zwischen Freien und Leibeigenen kann eine Mittelstufe vorkommen; dahin gehörten die ehemaligen „colliberts“ in einigen Theilen Frank- reichs, welche entweder die volle Freiheit erlangen oder — zur Strafe für irgend einen Fehler — wieder in Knechtschaft fallen konnten. Unter den Sklaven sind auch verschiedene Kategorien zu unterscheiden: zu Sklaven gemachte Kriegs- gefangene; Leute, die wegen Schulden Leibeigene geworden, die ihre Verpflichtungen nicht anders als durch solche Dienst- barkeit abtragen können und oft derselben Rasse und dem- selben Volke angehören wie ihre Herren; Kulis oder als Ar- 714 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN beiter engagirte Sklaven, welche ihre Freiheit erst wieder erlangen, nachdem sie die Kosten des Transportes und ersten Unterhaltes abverdient haben; ferner die gewöhnlichen, durch den Handel gelieferten und auf den Märkten gekauften Sklaven. Der Vollständigkeit wegen sind noch die freiwilligen und die freigewordenen Sklaven zu erwähnen. Der Reisende achte darauf, ob in dem von ihm besuchten Lande für unrein gehaltene Kasten vorkommen, wie die Parias Indiens, oder verachtete Rassen, wie die Cagots in Frankreich ; welchen Ursprung sie haben und welches die Gründe der vorhandenen Geringschätzung seien. Welche Volksklassen, Kategorien und Fraktionen bestehen mögen : wesentlich ist immer, dass die verschiedenen Gruppen scharf bestimmt und auseinander gehalten, sowie dass die Gründe oder Vorwände für die Unterscheidung derselben erforscht werden. Oft sind die untern Kasten und Klassen die Nachkommen einer Urbevölkerung, die höheren Kasten und Klassen aber Abkömmlinge und Rassenangehörige von Eroberern. Beruhen jedoch die Kategorien nicht auf Rassenverschiedenheiten, so ist zu prüfen, welche andern Ursachen Grund oder Anlass derselben sein können. Ferner soll näher ermittelt werden, welches die Stellung der verschiedenen Kasten und Klassen ist, welche Vorrechte den einen derselben zukommen, welche Hinder- nisse für den Uebergang von einer Kategorie zur andern be- stehen, in welchen Fällen eine Versetzung in eine höhere oder niedrigere Klasse eintritt. Für Länder, wo noch Sklaverei und Leibeigenschaft herrscht, sind ebenfalls genaue Mittheilungen zu machen über die Stellung der Sklaven und Leibeigenen, über deren Behandlung und die Mittel, wodurch dieselben ihre Frei- lassung erwirken können. Ueber die Stellung der Eingebornen sind besondere An- gaben beizubringen hinsichtlich solcher Länder, wo die Euro- päer dauernd Fuss gefasst haben. Politische Organisation. Die primitivsten Gesell- schaften haben keine Spur von politischer Organisation. Sie sind nur Aggregate von Individuen (Männern, Frauen und Kindern) ohne feste Ordnung, allein beherrscht durch das Recht des Stärkern. Indessen kommen sehr selten Gesell- schaften vor ohne ein Oberhaupt, das sie sich gegeben haben ORGANISATION : 715 oder das ihnen aufgenöthigt wurde. Dieser Chef ist bald der gemeinsame Ahnherr, der Patriarch!).; bald ein Krieger, welcher als der würdigste erklärt wurde; bald irgend ein Ehrgeiziger, welcher sich durch List oder ‘Gewalt den Besitz der Macht _ verschaffte. Es ist bemerkt worden, dass die patriarchalische Regierung mehr den Nomadenstämmen eigen sei, während Fischer und Jäger meist unter erwählten Häuptlingen stehen, deren Macht mit Ausnahme von Kriegszeiten eine sehr be- schränkte ist, und dass die absolute oder despotische Re- gierungsform namentlich bei solchen sesshaften Völkern vor- komme, die zumeist aus Ackerbauern bestehen. In dem Maasse, als die Gesellschaften fortschreiten und sich entwickeln, bildet sich in den Regierungsorganen eine Arbeitstheilung aus. Die Regierung, welche sich anfänglich auf Alles erstreckte, wird in eine militärische und bürger- liche getheilt; die religiösen Angelegenheiten werden einem besondern Stande anvertraut, Fragen der Gewerbe und des Handels den Korporationen, Innungen etc. oder gar den Einzelnen überlassen. Benachbarte soziale Gruppen (Tribus, Clans u. s. w.) vereinigen sich zu einer politischen Gemeinschaft; sie bilden einen Staat, ein Volk, eine Nation. Dabei kann das einigende Band, das politische System sehr verschiedenartig sein; in- dessen gibt es gewisse Hauptformen, die häufig vorkommen. Das Ganze bildet einen Bund (Staatenbund) oder eine Kon- föderation, wenn die Gruppen unter Beibehaltung ihrer Auto- nomie (ihrer eigenen Regierung und Souveränetät) sich nur zu Zwecken gemeinsamer Vertheidigung und der Wahrung gewisser Kollektivinteressen verbunden haben. Dabei wird über Krieg und Frieden, wie über die sonstigen gemeinsamen Angelegen- heiten verhandelt in den Räthen, worin die verbündeten Gruppen oder Staaten repräsentirt sind. Die Vollziehung ' der Beschlüsse, die militärische und staatliche Oberleitung werden einem Einzelnen oder einem Kollegium anvertraut (General, Präsident, Bundesrath etc.), dessen Befugnisse aber begrenzt und temporäre sind, wobei es von den Gruppen (Staaten), welche den Inhaber der vollziehenden Gewalt er- I) Auf den zentralen Karolinen (Mortlockinseln) gilt die älteste Frau des Stammes als dessen soziales Haupt; das politische Haupt ist der älteste Mann der ältesten Familie. Vgl. F. v. Hellwald, Naturgeschichte des Menschen; Stuttgart 1881, S. 149. 716 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN nannt haben, abhängt, ob sie demselben die ihm verliehene Macht weiter anvertrauen oder aber abnehmen wollen. Wenn die einzelnen Gruppen oder Staaten auf Kosten ihrer Souveränetät die Bande unter sich vermehren und stärken, die Zentralgewalt kräftigen und sich durch diese allein politisch nach Aussen vertreten lassen, so bilden sie in ihrer Gesammtheit einen Bundesstaat. Im feudalen oder Lehensstaut ist das Land im Besitze von Herren, welche als Vasallen von einem Oberherrn ab- hängig sind, und von demselben das Grundeigenthum zu Lehen erhalten haben. Diese Lehensträger können Glieder einer mächtigen Familie oder Tribus sein oder Abkömmlinge von Waffengefährten eines Eroberers, unter welche das Land vertheilt wurde, oder Clanchefs, welche einen der Ihrigen zu ihrem Oberhaupt gemacht haben. Sie können ihrerseits von ihnen belehnte Vasallen unter sich haben; die grossen Vasallen werden dann gegenüber dem Oberherrn als Suzeräne bezeichnet. Lehnsherr und Lehenträger (Vasall) stehen zu einander in ganz bestimmten Verhältnissen in Bezug auf gegenseitige Rechte und Pflichten, namentlich betreffend die Lieferung von Truppen; thatsächlich ist aber in der Regel die Macht der grossen Vasallen eine ziemlich unbegrenzte; es sind dieselben mitunter reicher und mächtiger als das höchste Staatsoberhaupt. Der theokratische Staat vereinigt die weltliche und geist- liche Macht in denselben Personen, sei es, dass der Herrscher als Gott oder unmittelbarer Stellvertreter Gottes gelte, wie der Dalai-Lama in Tibet; sei es, dass die Regierung in den Händen der Priesterschaft liege, wie im alten Egypten oder bei den heutigen Mormonen. Monarchisch (Monarchie, Alleinherrschaft) heisst der Staat, wenn die weltliche Macht einem Einzelnen als Regenten zu- steht, der sie entweder direkt ausübt oder sie in gewissem Umfang an Grosswürdenträger (Statthalter von Provinzen, Satrapen ete.) delegirt, welchen er sie nach Belieben wieder entziehen kann. Die Monarchie heisst «absolut oder unum- schränkt, wenn der Wille des Herrschers in Allem massgebend, wenn er das oberste Gebot ist, von welchem das Schicksal der Unterthanen gänzlich abhängt; sie heisst komstitutionell oder beschränkt, wenn dem Willen des Monarchen Grenzen ORGANISATION #17 gezogen sind durch eine Verfassung (Konstitution, Charte), d. h. durch eine Akte, welche die Rechte und Pflichten des _ Herrschers und des Volkes festsetzt, oder durch die Mit- _ wirkung gewisser Räthe (Parlamente, Kammern, Cortes etec.). Je nach dem die monarchische Gewalt beim Tode eines Herrschers zufolge vorhandener Bestimmungen an ein andres Glied derselben Familie (einen Leibeserben) oder aber durch die Wahl auf einen Nachfolger übergeht, haben wir es mit einer Erb- oder aber mit einer Wahl- Monarchie zu thun. In der Republik oder dem Freistaat ruht die Macht in den Händen der Bürger. Die republikanische Staatsform heisst aristokratisch, wenn das Gemeinwesen durch einige be- vorrechtete Familien oder eine privilegirte Kaste regiert wird; oligarchisch, wenn eine kleine Anzahl von Personen alle Macht an sich gerissen haben; demokratisch, wenn die Mehrheit oder gar die Gesammtheit aller Bürger (das Volk) an staat- lichen Angelegenheiten sich betheiligen können. Keine oder absolute Demokratie heisst die Republik, wenn deren Bürger in allgemeinen Versammlungen die hohen Beamten wählen, vorgeschlagene (Gesetze annehmen oder verwerfen und selbst solche vorschlagen, sowie auch über Krieg und Frieden ent- scheiden; repräsentative Republik aber heisst sie, wenn die Bürger Vertreter (Repräsentanten) ernennen, welche in ihrem Namen jene Rechte (Wahl der hohen Beamten, Erlass von Gesetzen etc.) ausüben. Als föderative Republik bezeichnet man den republikanischen Bundesstaat. Der Reisende darf nicht erwarten, dass jede Staatsform, welche er vorfindet, genau in eine dieser bekannten Kate- gorien gebracht werden könne. Er wird daher, anstatt sich an eine starre Klassifikation zu halten, vielmehr darauf Bedacht nehmen, die Vertheilung der Gewalten genau kennen zu lernen, zu erfahren, wie dieselben regulirt und begrenzt sind, in welchem Umfang und in welcher Weise die Bürger oder gewisse Klassen sich an der Entscheidung von Fragen des Gemeinwesens betheiligen können. Es sollen Irrthümer vermieden werden von der Art desjenigen, in welchem man sich lange Zeit hinsichtlich Japans befand, von welchem Staate man auf Aussagen der Missionäre und der älteren Reisenden hin glaubte, er habe zwei Herrscher, einen welt- lichen (Taikun) und einen geistlichen (Mikado) — ein Irrthum, 718 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN der so eingelebt war, dass die Mächte von 1854 his 1858 immer mit dem Taikun verhandelten und erst später ent- deckten, dass dieser angebliche zweite Kaiser nur der erste Vasall sei und in Wirklichkeit den Titel Shogun, d.h. Obergeneral, führe. | Es genügt indessen nicht, zu konstatiren, wer Inhaber der staatlichen Gewalt ist; der Reisende muss auch zu er- fahren trachten, welche Einflüsse (häusliche, innere, äussere) die Handlungen und Schlussnahmen der Regierung bestimmen. Er muss ferner eine Charakteristik des Regierungssystems oder Regime’s geben können, d. h. eine Charakteristik der Art und Weise, wie die Macht ausgeübt wird und welche Wir- kungen dies hat. Das absolute Herrscherthum spiegelt sich wieder in der Hierarchie: Die Rangstufen oder Grade sind scharf bestimmt und, wie sehr triftig bemerkt wurde, ist ziemlich jeder Macht- antheilhaber ein Sklave nach oben, ein Despot nach unten. Anderswo ist Alles im Staate Kriegszwecken (der Ver- theidigung oder Eroberung) dienstbar gemacht; die Privat- interessen werden denjenigen der Gesammtheit geopfert; es herrscht eine strenge Disziplin: eine starke Macht verlangt unbedingten Gehorsam. Gewisse Regierungen haben die Manie, sich in die kleinsten Dinge des täglichen Lebens einzumischen. In Japan z. B. schrieb die Regierung vor den letzten Revolutionen vor, zu welcher Stunde ein Jeder, vom einfachen Krämer bis zum Statthalter einer Provinz, aufzustehen, zu speisen, zu spa- zieren, Besuche zu empfangen und schlafen zu gehen habe. Der Diktator Francia in Paraguay verschmähte es nicht, die Haushälterinnen zu überwachen und denselben, wenn sie sich nachlässig zeigten, Stockschläge ertheilen zu lassen. Im Gegensatz hiezu respektiren andere Regierungen die Freiheit des Einzelnen in weitgehender Weise und erlassen nur Bestimmungen gegen den Missbrauch dieser Freiheit. Dabei gewöhnt sich dann der Bürger, in vielen Dingen sich selber zu behelfen, die anderwärts in den Bereich staatlicher Thätigkeit gezogen werden. | Das System der Nachfolgerschaft (Sueccession) in der öffent- lichen Gewalt ist wohl zu beachten. Wie bereits bemerkt, kann der Nachfolger ein Leibeserbe des früheren Inhabers RECHT UND EIGENTHUM 719 der öffentlichen Gewalt sein, d. h. der gleichen Familie an- gehören wie dieser, oder er kann durch Wahl bestimmt werden. Weniger bekannt ist, dass es Gegenden gibt, wo - im ersteren Falle auf den Vater nicht der Sohn folst, sondern bald ein Schwiegersohn, bald ein Bruder des Ver- storbenen, der älteste Sohn seiner Schwester oder auch der- jenige, welcher die hinterlassene Wittwe heirathet. Die Erb- folge kann auf die männliche Linie beschränkt sein oder sich auf beide Linien erstrecken. Es gibt sogar Länder, wo die öffentliche Gewalt nur Frauen übertragen wird. Der Reisende hat ferner die Beziehungen eines Staates nach Aussen ins Auge zu fassen, d. h. einerseits die Be- ziehungen des Staates zu seinen Kolonien, Vasallenländern, tributären, mediatisirten oder unter sein Protektorat ge- stellten Staaten, andrerseits diejenigen zu den übrigen souve- ränen Mächten. Endlich hat sich der Reisende bekannt zu machen mit den Hülfsquellen eines Staates, den Einkünften von Domänen, Grundrenten, Steuern und Abgaben der verschiedenen Arten (mittelbaren und unmittelbaren, von Vermögen und Ein- kommen ete.), wie mit dessen Vertheidigungsmitteln oder Wehrkraft: Land- und Seemacht auf Friedens- und Kriegs- fuss, Festungen etc. RECHT UND EIGENTHUM. Man würde sich sehr täuschen, wenn man sich vorstellte, dass bei den wilden oder halbwilden Völkern Jeder nach Belieben handeln und über die Frucht seiner Arbeit ver- fügen könne. Nirgends mehr als gerade bei diesen Völker- ‘schaften ist die persönliche Freiheit durch Satzungen aller Art eingeschränkt und gehemmt, Satzungen, welche gleich- wohl pünktlich befolgt werden müssen, wenn sie auch nicht geschrieben sind. Nirgends so wie hier muss der Bürger über seine geringfügigsten Handlungen Rechenschaft geben; nirgends anderswo steht er so sehr unter der Tyrannei von Meinungen und Sitten. Gleichheit der Rechte trifft man nirgends weniger als unter den Menschen im wilden oder Naturzustande. 720 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Recht. Unter Recht verstehen wir die Gesammtheit der (geschriebenen oder ungeschriebenen) Satzungen, welche die Stellung der Glieder des Gemeinwesens zu einander, die gegenseitigen Beziehungen derselben regeln!). Es ist @e- wohnheitsrecht, wenn es blos auf Brauch und Herkommen (Uebung) beruht, Gesetz oder kodifizirtes Recht, wenn es niedergeschrieben und öffentlich bekannt gemacht wurde. Bekanntermassen haben viele Völker keine geschriebenen Gesetze; es bestehen aber alte Satzungen, die durch Ueber- lieferung (Tradition) von einer Generation auf die andere kommen ; die Stammesältesten oder gewisse Klassen sind die Aufbewahrer und Ausleger dieser Bestimmungen. Solche Ge- wohnheitsrechte sind in der Regel sehr alt, und ihr Ursprung ist dunkel; sie haben sich allmälig entwickelt; mitunter aber wird berichtet, dass sie zu einer bestimmten, in den Annalen des Landes genannten Zeit von einem Einzelnen, fix und fertig, als Gesetz aufgestellt worden seien?). Zuweilen auch stammen sie aus den heiligen Schriften des Volkes und sind nur eine Anwendung ihrer Dogmen auf die Vorkommnisse des Alltagslebens. Auch das geschriebene Recht hat gewöhnlich seinen Ursprung in der Sitte, indem es einfach alte Bräuche und Uebungen sanktionirt. Als öffentliches Recht bezeichnet man die Gesammtheit der Bestimmungen über die öffentliche Gewalt, die Bezie- hungen der Einzelnen (Privaten) zum Staat und der Staaten unter einander. Es umfasst: das politische Recht oder das öffentliche Recht im engern Sinne, welches die Organisation der Gewalten feststellt und die Verfassung zur Grundlage hat, wenn eine solche besteht; das internationale Recht oder Völkerrecht, welches auf Staatsverträgen oder Herkommen und Praxis beruht; das Strafrecht (Kriminalrecht), welches die Verbrechen und Vergehen gegen die soziale Ordnung definirt, die Strafen für dieselben festsetzt und das Verfahren bestimmt, welches zur Ahndung jener Rechtsverletzungen einzuschlagen ist; endlich das Verwaltungsrecht (administra- ” 1) Vgl. von Holtzendorf, Eneycelopädie der Rechtswissenschaft, I. Theil, Leipzig 1870, S. 11 u. ff. (Entwicklung der Rechts- und Staatsidee). 2) Vgl. Herbert Spencer, a. a. O. (Kosmos 1881) S. 296, Note. RECHT UND EIGENTHUM Ta tive Recht), welches die Beziehungen des Staates und seiner verschiedenen Behörden zu dem Einzelnen (Privaten) regelt. Als Privatrecht bezeichnet man die Gesammtheit der Be- - stimmungen über die Beziehungen der Einzelnen (Privaten) unter sich!). Es umfasst das Zivilrecht und das Handels- recht ; letzteres regulirt die besonderen Rechtsverhältnisse der Handeltreibenden, ersteres in allgemeiner Weise die Rechtsverhältnisse der Privaten überhaupt in Bezug auf ihre persönliche Stellung zu einander wie auf Eigenthumsfragen (Personen- und Familienrecht, Erbrecht etec.). Wo Sammlungen geschriebener Gesetze bestehen, ist es dem Reisenden leicht, sich über das im Lande geltende Recht nach den verschiedenen Seiten des Gegenstandes zu orien- tiren; im andern Fall muss er namentlich darauf halten, seine Erkundigungen nur aus den besten Quellen zu schöpfen; in erster Linie trachte er darnach, zu erfahren, welche Sicherheit die Einzelnen für ihre Person und ihr Eigenthum geniessen, wie sie gegen Gewaltthätigkeiten, Erpressungen, Beleidigungen u. dgl. geschützt werden. Nicht überall besteht ein öffentliches Recht im eigent- lichen Sinne des Wortes, sondern vielerorts kann der Herrscher nach Belieben über Leben und Eigenthum seiner Unterthanen verfügen. Wenn auch Rechtssatzungen bestehen, so ist manch- mal Niemand im Stande, denselben Nachachtung zu ver- schaffen, falls ein Mächtiger sie verletzt und mit Füssen tritt. Anderswo dagegen ist die Heilighaltung der persön- lichen und politischen Rechte das erste und höchste Gebot, und wehe Dem, der dieselben antasten wollte! Was das Straf- und Zivilrecht anbetrifft, so gibt es Ge- genden, wo dasselbe in einem einzigen Grundsatze besteht, jenem Prinzip der Vergeltung (Talion?), welches die Bibel in den Worten ausdrückt: Aug um Auge, Zahn um Zahn; wer Menschenblut vergiesst, dessen Blut soll wieder ver- gossen werden. Alle Jägerstämme leben diesem Grundsatz nach und wenden ihn mit unerbittlicher Strenge an. Andere Völkerschaften lassen eine pekuniäre Vergütung des began- genen Unrechts zu, blosse Geldbussen sogar für schwere Verbrechen. 1) Vgl. von Holtzendorff, a. a. O. S. 44 u. ff, 2) Vgl. Osenbrüggen, rechtsgeschichtliche Studien, Schaffhausen 1868, 8. 150 ff. 46 122 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Strafen. Die Strafen, welche in den einzelnen Ländern vorkommen, sind nach Art und Anwendung sehr verschieden. Vielerorts findet sich die „Lynchjustiz“, wonach der Er- griffene ohne Weiteres gehängt oder sonstwie umgebracht wird, und sind schreckliche Steinigungen im Gebrauch. Anders- wo sind zwar die Strafen weniger hart; aber Schuld oder Unschuld werden nicht beurtheilt nach Thatsachen, welche zu dem Vergehen in Beziehung stehen, nach den nähern Umständen des Verbrechens, sondern nach gewissen dem Angeklagten auferlegten Proben (Ordalien, „Gottesurtheile* des Mittelalters). Der Angeklagte muss z. B. einen Gift- trank nehmen oder wird einer Tortur unterworfen ; wenn er dabei umkommt, so war er eben schuldig; im andern Fall wird er für unschuldig erklärt. In Travancore (Indien) muss der Angeklagte durch einen Fluss schwimmen, der von Kro- kodilen wimmelt; erreicht er wohlbehalten das jenseitige Ufer, so wird er freigesprochen. In Zivilstreitigkeiten wird oft beiden Parteien eine Probe auferlegt oder sie müssen eine Art Zweikampf bestehen; wer sich am besten aus der — Sache zieht, erhält Recht. In andern Fällen wird wenigstens der Schein einer Urtheilssprechung gewahrt, wenn auch das Verfahren ein höchst summarisches ist. Kläger und Ange- klagte erscheinen vor dem Herrscher oder vor dem Richter: sie setzen ihre Gründe auseinander; es werden einige Zeugen Mr vernommen; hierauf wird das Urtheil gefällt und sofort vollzogen. Die Strafen sind bald entehrende: Pranger, Knute, Baston- nade ete.; oft verbunden mit Entzug der Freiheit für einen kleineren oder grösseren Zeitraum: Bagno, Deportation, Ge- fängniss, Bergwerksarbeit ete.; bald sind sie vorwiegend materieller Natur: Verbannung, Busse, Konfiskation des Ver- mögens u. s. w. Eine bei den Kabylen übliche seltsame Strafe besteht darin, dass man die Ziegel der Wohnung des Schul- digen zerbricht. Uebrigens kann in zwei Ländern der näm- lichen Strafe ein ganz verschiedener Charakter beigelegt werden. Die Bastonnade z. B., gegen welche sich unser Gefühl empört, ist eine Art täglichen Brodes und führt weiter keine besondern Folgen mit sich in gewissen Ge- genden, wo sie allgemein angewendet wird „vom Herrscher, der sie gibt, ohne sie zu empfangen, bis zum Hund, der sie empfängt, ohne sie zu geben.“ RECHT UND EIGENTHUM 123 Zwischen den Gesetzen und der Art ihres Vollzuges ist wohl zu unterscheiden. Die Gesetze können ausgezeichnet sein; wenn aber die Justiz bestechlich ist, wenn die Richter - durch soziale oder politische Verhältnisse beeinflusst, vor- eingenommen und verblendet sind: so hilft das gute Gesetz wenig; die Parteien können sammt demselben fast so übel daran sein, wie wenn gar kein Gesetz bestünde. Ein und dasselbe Gesetz kann mehr oder minder streng gehandhabt werden. Eine missbräuchliche Annahme mildernder Umstände benimmt den Strafgesetzen oft einen so grossen Theil ihres Werthes, dass sie fast wirkungslos werden. Eigenthum. Die Annahme, dass die Bewohner gewisser Gegenden kein Eigenthum kennen, ist irrig. Es gibt keinen Stamm, der nicht seine Weide- und Jagdgründe mit ihren Quellen und ihrem Wild für sein ausschliessliches Eigenthum hält. Die Wüste selbst hat ihre Herren, welche den Rei- senden, der sie betritt, trefflich zu brandschatzen wissen. Dem Grundsatze nach besteht überall Eigenthum; Verschie- denheit waltet nur in den Bestimmungen darüber, in den Gesetzen, welche die Eigenthumsverhältnisse reguliren. In dieser Hinsicht sind drei Hauptsysteme zu unter- scheiden: 1° der Kommunismus, nach welchem die Güter unvertheilt der Gesammtheit angehören ; 2° der Separatismus, wobei die Güter unter verschiedene soziale Gruppen vertheilt, aber gemeinschaftliches Eigenthum der sämmtlichen Glieder einer solchen Gruppe sind; 3° der Individualismus, wo die Einzelnen als solche Eigenthum besitzen können (privates oder individuelles Eigenthum). Kommunismus herrscht, wo der Stamm eine ungetheilte oder patriarchalische Familie bildet. Hier gehört Alles und Jedes der Gesammtheit; wer diese verlässt, hat keim Recht, etwas mit sich zu nehmen. Der Separatismus findet sich mehr bei den segmentarischen und bei solchen patriarchalischen Familien, welche auf dem Wege der Assoziation gebildet wurden. Jede Gruppe besitzt gewisse Güter für sich; aber der Grund und Boden gehört Allen gemeinsam an. Ebenso können bei den Jägervölkern die einzelnen Gruppen als solche separates Eigenthum be- sitzen, und die Waffen sind sogar privates oder indivi- duelles Eigenthum; die Erde aber, d. h. das Jagdrevier, 724 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN gehört dem ganzen Stamme in seiner Gesammtheit. Unver- theilt ist das Grundeigenthum im Allgemeinen auch in den monarchischen Gesellschaften, deren Chefs für göttlichen Ursprungs gehalten werden oder despotisch, mit unum- schränkter Macht, herrschen. Dieser Stand der Dinge hat sich in muhammedanischen Reichen erhalten: das Land gehört dem Sultan; die Einzelnen besitzen es nur als Nutzniesser, so lange es dem Sultan beliebt. Privateigenthum im vollen Sinne des Wortes findet sich fast nur bei den aus Ackerbauern, Handwerkern und Indu- striellen bestehenden Gesellschaften mit festem, bleibendem Wohnsitz. Dasselbe bezeichnet aber keineswegs eine be- stimmte Stufe der Zivilisation; denn man findet es einerseits bei den vorgeschrittensten Völkern, andrerseits bei den un- kultivirtesten Stämmen. So besitzt bei den Eingebornen Australiens jedes männliche Individuum ausser seinen Waffen und Geräthen ein Stück Land, dessen Grenzen ihm genau bekannt sind. Der Vater ordnet, wenn seine Söhne noch in zartem Alter stehen, bereits an, wie sein Eigenthum unter dieselben vertheilt werden soll, und nach seinem Tode über- nehmen die Söhne sein Erbe nach Massgabe jener Bestim- mungen. Neben diesen drei Haupttypen bestehen noch gemischte Systeme, namentlich in Bezug auf den Grundbesitz. In Neuseeland z. B. gibt es dreierlei Grundeigenthümer: Stamm, Familie und Individuum. In manchen patriarchalischen Ge- sellschaften gehört zwar das Land im Ganzen dem Stamme an; aber daneben besitzen die Einzelnen kleine Grundstücke zu eigen, die sie in ihren Mussestunden bebauen und deren Ertrag sie allein einheimsen. Auch da, wo oft der Privat- besitz die herrschende Regel bildet, sind oft noch beträcht- liche Partien des Bodens Kollektiveigenthum öffentlicher Ge- meinwesen; es sind dies die Allmenden, Gemeinde- oder Genossenschaftsgüter '). Sehr häufig findet man Ländereien reservirt zum Zwecke der Vorsorge für allgemeine Bedürfnisse.- Im Orient werden die Kosten für den Unterhalt der Moscheen aus dem Er- trage solcher Grundstücke bestritten, in den Vereinigten 1) Vgl. z. B. Aug. v. Miaskowski, die schweizerische Allmend in ihrer ge- schichtlichen Entwickelung vom 13. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Leipzig 1879. mm u v0 no as RECHT UND EIGENTHUM 125 Staaten die Kosten für Schulen; anderswo sind dieselben für die Armen der Gemeinde reservirt oder beim Wachsen der Bevölkerung zur Vertheilung an die neuen Familien bestimmt. Auch der Staat als solcher hat Landbesitz (Do- mänen), um aus dem Ertrag einen Theil seiner Ausgaben zu decken. Das Eigenthum an Grund und Boden kann, obwohl zu Recht bestehend und anerkannt, ein blos temporäres sein, sodass die Ländereien nach Ablauf einer gewissen Frist oder nach Bedarf unter die Glieder der Gemeinschaft neu ver- theilt werden. In solchen Fällen ist zu konstatiren, welches der Modus dieser Vertheilung ist und ob für dieselbe be- stimmte Perioden festgesetzt sind. Mit dem Eigenthum an Land ist nicht immer auch das Recht verbunden, dasselbe zu veräussern; wenigstens ist dieses Recht oft gewissen Einschränkungen unterworfen. Es kann z. B. vorgeschrieben sein, dass das Land nur an ein Mitglied des Stammes, nicht aber an einen Fremden verkauft werden dürfe. Dieser Punkt ist von wesentlicher Bedeutung für Ko- lonisten, welche sich in einem solchen Lande ansiedeln wollen. Die für Handänderungen des Grundbesitzes bestehenden Hemmnisse kommen manchenorts einem Verbote des Ver- kaufes gleich. Selbst in Ländern, wo das Grundeigenthum rein privat und erblich ist, kann der Besitzer darüber selten ganz frei verfügen. Es gibt Gegenden, wo es zwingende Sitte ist, dass die Landgüter nicht vertheilt und veräussert werden; sie gehen vom Vater auf den ältesten Sohn über, und auch dieser hat nur die lebenslängliche Nutzniessung, muss aber das Gut wieder intakt seinen Nachkommen hinter- lassen. So ist es noch in einigen Gegenden der Schweiz Brauch, dass die Güter einer Familie in einer Hand bleiben; beim Tode des Vaters hat das Kind, welches das Heimwesen übernimmt, die andern Erben zu entschädigen (auszulösen). An den Grundbesitz knüpfen sich oft gewisse Verpflich- tungen. In den Feudalstaaten werden Ländereien zu Lehen gegeben als Belohnung oder Remuneration für geleistete Dienste; damit ist aber die Pflicht verbunden, dem Lehns- herr im Kriegsfalle ein bestimmtes Mannschaftskontingent zu stellen. In vielen Fällen haftet auf dem Grundbesitz Frohndienstpflicht. 726 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Alle diese Punkte — Rechte und Pflichten des Grund- eigenthümers; Vorschriften über die Handänderung; Art der Besitznahme, Formalitäten hiebei, sichernde Rechtstitel ete. — hat der Reisende wohl zu beachten. Es ist ferner zu kon- statiren, ob mit dem Grundbesitz auch das Eigenthums- recht auf allfällige Funde und Schätze in dem Boden ver- bunden oder ob dies (das Recht auf Mineralien, Quellen etc.) dem Gemeinwesen vorbehalten sei. Hierüber sind oft ganz genaue Bestimmungen vorhanden. Wenn der Grundeigenthümer (Staat, Stamm, Private) den Boden nicht selbst bebaut, ist zu konstatiren, unter welchen Bedingungen er an Arbeiter (Fellahs, Leibeigene, Pächter, Meier etc.) überlassen wird, wie viel den Letzteren vom Ertrage ihrer Arbeit zukommt und welche Garantien dieselben hiefür haben. Erbrecht. Die hinsichtlich des Nachlasses der Verstor- benen herrschende Praxis ist von Land zu Land verschieden. Hie und da geht beim Tode des Familienvaters dessen ganze Verlassenschaft auf den ältesten Sohn über; bei den Tataren soll im Gegentheil der Jüngste einziger Erbe sein; meist aber wird die Erbschaft unter die verschiedenen Familienglieder mehr oder minder gleichmässig oder ungleichmässig vertheilt. Die Erbfolge ist nicht überall diejenige in direkter Linie. Bei manchen Völkern ist der Neffe auf Kosten des Sohnes erbberechtigt (Neffenerbrecht) ; anderswo erbt der Bruder die sämmtlichen Güter des Verstorbenen, auch dessen Frauen, oder er ist wenigstens verpflichtet, die hinterlassene Wittwe zu heirathen. Auch der Fall kommt vor, dass nicht die Verwandten erben, sondern die Personen, welche bei der Arbeit mitwirkten, deren Resultat das angesammelte Ver- mögen ist; ferner dass Adoptivsöhne oder von Sklavinnen geborne Kinder auf Kosten der legitimen Nachkommen erben. Die Frauen und Töchter haben in gewissen Ländern kein Erbrecht; in andern hingegen sind gerade sie allein erbbe- rechtigt, mit Ausschluss der männlichen Verwandten. Nach unsern Vorstellungen kann Jemand erst nach seinem Tode beerbt werden. Auf den Tonga- und Fidschi-Inseln besteht aber die Sitte, dass der Neffe sich das Eigenthum des Onkels (von mütterlicher Seite) schon zu Lebzeiten des letzteren ganz oder theilweise aneignen kann. VERSCHIEDENE EINRICHTUNGEN 7127 VERSCHIEDENE EINRICHTUNGEN. Neben den Institutionen von prinzipaler Bedeutung, welche wir oben — in dem Abschnitt über Familie, Gesellschaft und Staat — ins Auge fassten, finden sich in grosser Zahl verschiedene Einrichtungen, auf welche wir hier nur in aller Kürze aufmerksam machen, wohl wissend dass der Gegen- stand an dieser Stelle noch weniger als die bisher bespro- chenen Materien erschöpfend behandelt werden kann. Die wichtigste Differenz, welche zwischen den einzelnen Völkern hinsichtlich dieser Institutionen vorhanden ist, besteht darin, dass in den einen Ländern es der Staat ist, der sich mit alledem zu befassen hat, während anderswo die Haupt- rolle der privaten Initiative zukommt. Staatsverwaltung. Bei Völkerschaften, deren Häupt- linge alle Macht in ihrer Person vereinigen und oft ohne Drittpersonen regieren, sind Stellen für öffentliche Dienst- leistungen unbekannt; dagegen erlangen solche bei etwas zahlreichen Gesellschaften und namentlich bei zivilisirten Völkern eine grosse Bedeutung; sie bilden da in ihrer Ge- sammtheit zumeist einen sehr komplizirten Mechanismus, dessen Zusammensetzung und Wirkungsweise der Reisende klar zu legen hat. Man unterscheidet z. B. den Sicher- heits- und Polizeidienst, Strassen- und Postdienst, Finanz- dienst etc. etc. Um mit ein paar Worten nur des ersteren zu gedenken: wie gewaltig verschieden sind nicht die Verhältnisse zwischen einer arabischen Stadt, wo eine im Schatten zerfallender Mauern halb eingeschlafene Schildwache mit Schlappschuhen den Schutz der öffentlichen Sicherheit vorstellt — einem Dorfe oder Flecken, wo der Feldhüter, der Nachtwächter, sowie allenfalls einige Runden diesen Dienst versehen — und endlich einer Grossstadt,. wie Paris oder London, mit wohl organisirter Polizei, Policemen, Konstablern, Detektives und Agenten aller Art, welche für die öffentliche Sicherheit vielfach in einer Weise sorgen, die sich der Wahrnehmung Nichteingeweihter entzieht. Gerichte. Hieher gehören die verschiedenen Institu- tionen für die Zivil- und ‘Strafrechtspflege, die Gerichte im 728 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN engeren Sinn mit ihren verschiedenen Instanzen, Fachgerichte (z. B. Handelsgerichte), Schwurgerichte oder Jury’s etc. Bildungsanstalten. Es gehören in diese Kategorie vorerst alle Erziehungs- und Unterrichtsanstalten oder Schulen. von den Kleinkinderschulen bis zu den Universitäten. Dabei ist jeweilen zu bemerken, ob es öffentliche (staatliche) oder private (sei es von Einzelnen, sei es von Gesellschaften und Korporationen unterhaltene) Einrichtungen und ob sie im letztern Fall unter staatlicher Aufsicht oder aber ganz freie Schulen sind. Die Anstalten unterscheiden sich in solche für allgemeine und solche für berufliche oder Fachbildung; nach der Unter- richtsstufe ferner in niedere, mittlere und höhere Schulen; nach besondern Verhältnissen in Bezug auf die Unterrichts- zeit spricht man von Nachts- und Sonntags-, Alltags-, Halb- jahrs- (Sommer- oder Winter-) Schulen. Der Schulbesuch ist allgemein oder nicht; ersteres kann die Folge bestehender Vorschriften (eines Obligatoriums, der „allgemeinen Schul- pflicht“) oder blos der öffentlichen Meinung sein, sodass immer- hin noch zwischen obligatorischem und fakultativem Schul- besuch zu unterscheiden ist. Es können ferner die Zöglinge einer Schule Wohnung und Nahrung im Anstaltsgebäude (Konvikt, Internat) oder ausserhalb desselben haben (interne und externe Schüler). Hienach gibt es in den einzelnen Ländern eine Menge verschiedener Schulen und Bezeichnungen für deren Arten und Stufen: Volks- und Bürgerschulen, Elementar- oder Primar-, Ergänzungs- und Fortbildungsschulen; Sekundar-, Real- und Lateinschulen (Realgymnasien, humanistische oder Literargymnasien, „collöges“, „lyc&es“ ete.), technische Mittel- schulen; Akademien, Universitäten und polytechnische Hoch- schulen; — weibliche Arbeitsschulen, Handwerker-, Land- wirthschafts-, Thierarznei-, Handels- und Industrieschulen, Lehrerseminarien etc.; militärische Institute (Kadetten- schulen etc.), See- oder Navigationsschulen; niedere und höhere Spezialschulen für bildende Kiinste, Gesang und Musik („Akademien“, „Konservatorien“ ete.); — Blinden- und Taubstummenanstalten u. a. m. An die verschiedenen freieren Formen der Schulen und ihrer Kurse reihen sich an: die öffentlichen Vorträge und VERSCHIEDENE EINRICHTUNGEN 729 Vorlesungen, „Wandervorträge“, „Fortbildungskurse‘, „cours publiques“ u. dgl. Zu den Bildungsanstalten rechnen wir ferner öffentliche - Bibliotheken und Sammlungen, Museen, botanische und 2z00lo- gische Gärten etc. Krippen, Findel- und Waisenhäuser. Die Krippen haben wie Kindergärten und Kleinkinderschulen den Zweck, Kindern von Fabrikarbeitern und Leuten verwandter Berufs- arten für die Zeit, wo die Eltern ausser dem Hause be- schäftigt sind, die nöthige Obsorge angedeihen zu lassen. Die Findel- und Waisenhäuser übernehmen Pflege, Er- ziehung und Berufsbildung von Kindern, deren Eltern un- bekannt geblieben oder die elternlos geworden sind, bezie- hungsweise Vater oder Mutter verloren haben. Armenhäuser und Asyle; Herbergen und Hospize. Unter diese Kategorie gehören verschiedene Wohlthätigkeits- und Rettungsanstalten: einerseits die von ihren Insassen in der Regel für längere Zeit beanspruchten Armenhäuser, Invaliden-, Kranken- und Greisenasyle, andrerseits die für Hülfe von mehr vorübergehender Art bestimmten Herbergen und Hospize: Nachtquartiere für Obdachlose, Herbergen für zeitweise arbeitslose Dienstboten (Mägdeherbergen), Hand- werker und Emigranten; Anstalten für gefallene Mädchen, Hospize für Reisende etc. Spitäler. Wir rechnen hieher die Gebär-, Kranken- und Irrenanstalten. In manchen Ländern haben die Spitäler keinen andern Zweck oder leisten sie kaum einen bessern Dienst, als die mit ansteckenden und ekelerregenden Krank- heiten Behafteten (Aussätzige etc.) von ihren Mitmenschen ab- zusondern („Siechenhäuser“ des Mittelalters). Anderswo ge- niessen in diesen Anstalten die Kranken eine vortreffliche Be- handlung und Pflege, welche man denselben im Schoosse ihrer Familien unmöglich in dieser Weise angedeihen lassen könnte. Oft auch werden sie gratis behandelt und verpflegt. Besserungs- und Strafanstalten. Es gehören hieher gewisse, mit Landwirthschaft und Gewerbebetrieb verbundene Schulen für verwahrloste Kinder, Rettungsanstalten für jugend- liche Verbrecher, Institute zur Besserung von Trunksüchtigen, Zwangsarbeitsanstalten für Liederliche und Vagabunden; so- dann die Gefängnisse, Arbeits- und Zuchthäuser zur Be- 130 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN strafung mehr oder minder schwerer Vergehen und Ver- brechen. Zu letzterem Zweck wenden manche Staaten die Deportation oder die Versetzung in Strafkolonien und Berg- werke an. Finanzinstitute. Als solche kommen namentlich in Betracht: die Banken aller Art (Notenbanken, Diskonto- banken etc.) des Staates und der Privaten; die Börsen für den Handel mit Wechseln und Effekten (Obligationen und Aktien von Eisenbahnen, industriellen Unternehmungen, Bank- geschäften etc.); die clearing houses für die Scontration, d. h. die Ausgleichung gegenseitiger Schulden unter mehr als zwei Personen ‚mittels Delegationen und Kompensationen. Handelsinstitute. Hieher rechnen wir im Anschluss als Seitenstücke zu den eben genannten Anstalten: Die Zeih- oder Lombardbanken, welche Darlehen auf Börseneffekten und Waaren geben, letzteren Falls in Verbindung mit Zager- häusern auf Lagerscheine zur Abtretung des Eigenthums an Waaren und Lagerpfandscheine (warrants) zur Verpfändung von solchen; die Waarenbörsen, wo sich die Käufer und Ver- käufer einer und derselben bestimmten Waare einfinden, um ihre Geschäfte abzuschliessen — Institute (Getreidebörsen, Baumwollbörsen etc.), die sich von den Märkten und Messen dadurch unterscheiden, dass die Waaren gar nicht oder höchstens in Mustern mitgebracht werden. Hier ist auch der in verschiedenen Ländern mit der speziellen Sorge für die Interessen des Handels betrauten Handelskammern zu gedenken. Versicherungsanstalten u. dgl. Unter dieser Rubrik sind ausser den Rentenanstalten und Lebensversicherungs- gesellschaften, Feuer-, Transport- und Unfallversicherung etc., die verschiedenen gegenseitigen Hülfsgesellschaften, Kranken-, Alters- und Sterbekassen zu erwähnen; ferner die Sparkassen und Depositenbanken (caisses de depöts et de surete, safe deposits). Vereinswesen. Bereits ist der gegenseitigen Hülfsge- sellschaften und ähnlicher Verbindungen gedacht. Daran anschliessend, nennen wir von den verschiedenen Vereinen aller Art beispielsweise die folgenden: Konsumvereine zur Beschaffung billiger Lebensmittel für ihre Mitglieder, Wohl- thätigkeitsgesellschaften wie solche für freiwillige Armen- GEWERBE a1 unterstützung, Volksküchen oder Sparsuppenanstalten, Vor- sorge gegen den Missbrauch geistiger Getränke, Verschaffung von Arbeit; Schutzaufsichtsvereine für entlassene Sträflinge ; _ Thierschutzvereine etc. Innungen und Bruderschaften. Die Innumgen sind (obligatorische oder freiwillige) Verbände von Berufsgenossen, wie die Zünfte in Deutschland, die alten gailds und corps de metiers in England und Frankreich, die artells in Russ- land ete. Oft sind aber diese Vereinigungen nur noch dem Namen und nicht mehr ihrem Wesen nach erhalten, indem sie lediglich aus den Nachkommen ihrer Begründer und frü- heren Mitglieder bestehen, sodass die jetzigen Theilnehmer den verschiedensten Berufsarten und Gesellschaftsklassen an- gehören. Die Bruderschaften beruhen weniger auf materiellen, als auf moralischen Beziehungen und Verpflichtungen; das eini- gende Band ist wesentlich ein gemeinsamer Grundgedanke; so bei den religiösen Orden, dem Bunde der Freimaurer mit seinen „Logen“ und verschiedenen geheimen Gesellschaften. Die letzteren sind z. B. in China zahlreich; „weisser Lotus“, „weisse Wolke“, „Dolch“ sind die Namen einiger derselben. Die Kuans oder Brüder in Marocco, Algier und Tunis ge- hören verschiedenen Orden an, deren Affiliirte in ganz Nord- afrika verbreitet sind. GEWERBE. Als Gewerbfleiss oder Industrie im weitern Sinne des Wortes bezeichnet man jede Art nutzbringender Thätigkeit des Menschen, ob sie in Hervorbringung materieller Erzeug- nisse oder in Dienstleistungen bestehe. So sprechen wir von dem Gewerbe (der Industrie) des Wilden, der täglich seiner Familie Fische und Wildpret liefert, sich eine Hütte, einen Kahn, Bogen und Pfeile anfertigt; von den Gewerben oder Industrien der Viehzüchter, Ackerbauer, Weber, Schneider und Schuster ; der Verfertiger von Geräthschaften aller Art, auch wenn diese ganz primitiv sind; der Goldwäscher, Diamantengräber, wie Derer, welche Erze gewinnen und 132 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN daraus die Metalle herstellen; nicht minder von dem Ge- werbe oder der Industrie der Fuhrleute, der Pferde-, Esel- und Droschkenvermiether, der Fremdenführer, Dienstboten, Wasserträger etc. etc. Die Thätigkeit der Individuen aller dieser verschiedenen Gruppen hat das gemeinsame Ziel der Befriedigung eigener Bedürfnisse; dieselbe ist in den einen Fällen eine direkte, indem der Mensch sich das benöthigte -unmittelbar selber verschafft oder erzeugt; in den andern Fällen ist sie eine indirekte, indem durch Dienstleistungen Lohn erworben wird, welcher als Mittel zur Befriedigung der Bedürfnisse dienen muss. Als Industrie eines Landes in diesem umfassenden Sinne ist also die Gesammtheit der Beschäftigungen zu verstehen, durch welche die Bewohner desselben direkt oder indirekt für ihren Lebensunterhalt, ihr Fortkommen, für die Befrie- digung ihrer Bedürfnisse sorgen. Indessen wird das Wort Industrie oder Gewerbe meist in engerm Sinne gebraucht. Arbeiten, die Jemand selten vornimmt, wie die Erstellung einer Hütte oder eines Kahnes für den eigenen Gebrauch, werden in der Regel nicht als ein Gewerbe desselben bezeichnet. Oft schränkt man den Begriff noch mehr ein und schliesst von demselben alle die Thätigkeiten aus, deren direktes Ziel der Unterhalt des Indi- viduums und seiner Familie ist, sodass er nur auf diejenigen Beschäftigungen angewendet wird, welche in Erzeugung von Produkten für den Handel (Tausch und Verkauf) und in bezahlten Dienstleistungen bestehen. Bei dieser Auffassung werden Thätigkeiten wie das Weben und die Anfertigung von Kleidern für den eigenen Bedarf, Kultur und Zube- reitung von Gemüsen etc. für den täglichen Gebrauch in der eigenen Familie u. dgl. mehr, als Hausarbeiten (häus- liche Beschäftigungen) angesehen, nicht aber als eigentliche Gewerbe bezeichnet oder dies doch nur insofern, als sie eine den Hausbedarf übersteigende Quantität von Produkten liefern und dieser Ueberschuss einen Gegenstand des Handels bildet. Im einen wie im andern Falle wird es nöthig, die vielen Gewerbe nach ihren verschiedenen Arten zu betrachten. Sammelgewerbe. Als solche bezeichnet man alle Thätig- keiten, die wesentlich in der Gewinnung (im Einsammeln) von blossen, ohne Zuthun des Menschen erzeugten Natur- GEWERBE 133 produkten bestehen. Das Sammeln von wildwachsenden Beeren, Harzen, Balsam, Gummi, von Arzneipflanzen und deren Theilen (Rinden, Blüthen etc.), von essbaren Schwämmen (Trüffeln, Morcheln u. s. w.), Schnecken und Muscheln (Austernfang oder „Austernfischerei“), von Perlmuscheln, Schwämmen und Korallen („Korallenfischerei“), von Blutegeln, Fluss- und Seekrebsen (Hummernfang etc.), wie die eigentliche Fischerei (auf Sardellen, Häringe, Thunfische, Kabeljau, Wale u. s. w.) — all’ Das gehört in die Kategorie der Sammelgewerbe. Des- gleichen ist die Jagd hieher zu rechnen, sofern sie die un- mittelbare Nutzniessung des erbeuteten (lebenden oder todten) Wildes, beziehungsweise gewisser Theile desselben, zum Zwecke hat; also die Jagd auf wilde Pferde und andere Thiere, die man lebend erhalten und verwenden will; die Jagd auf Hasen, Wildenten, Schnepfen, Krammetsvögel u. dgl. Thiere mehr, bei denen es sich lediglich um das Fleisch handelt; die Jagd auf Eidergänse und Strausse zur Ge- winnung ihrer Federn, auf Robben und Walrosse wegen Fett und Fell derselben, auf Elephanten zur Erlangung des Elfen- beins, aufPelzthiere wieFüchse, Fischottern, Biber, Zobel u. s. w. Als Sammelgewerbe hat man ferner zu betrachten die Aus- beutung der Wälder zur Gewinnung von Bau- und Nutz- holz aller Art (Marquetterie-, Farbhölzer etc.); ebenso den Bergbau, die Gewinnung von Bruchsteinen, Marmor, Schiefer, Steinsalz, Eis, Salpeter, Gyps, Phosphaten, Guano, Erdöl, Naphta, Torf, Kohlen, gediegenen Metallen (Gold), Edel- steinen (Diamanten) u. s. w. Urproduktion. Darunter verstehen wir solche Gewerbe, welche Naturerzeugnisse gewinnen, an deren Entstehung oder Ausbildung der Mensch einen gewissen Antheil hat und die nicht ohne sein Zuthun und seinen Willen bereits in der Natur vorhanden (präexistent) waren. Die Arbeit des Menschen besteht hier nicht mehr einfach in der Besitznahme von Ge- 'genständen, welche Natur und Zufall in seine Hand geben; vielmehr sind die Objekte (Thiere und Pflanzen), um welche es sich hier handelt, selbst in gewissem Grade Resultat seiner Bemühungen, Frucht seines Fleisses. So verhält es sich mit den Gewerben der Viehzucht und Landwirthschaft. Jene — die Gewerbe der Vieh- oder Thierzüchter — vereinigen an einem gegebenen Orte Thiere einer bestimmten 734 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Art zur Gewinnung gewisser Produkte: der Wolle von Schafen, der Milch von Ziegen und Kühen, des Fleisches von Ochsen, der Eier von Hühnern, des Honigs von Bienen etc. Danach sondern sich diese Gewerbe in verschiedene Spezialitäten: Viehzucht im engern Sinne (Rindvieh-, Pferde-, Schaf-, Schweinezucht etc.), Geflügelzucht, Bienenzucht, künstliche Fischzucht u. s. w. Diese — der Landbau, die Boden- oder Pflanzenkultur — bestehen darin, dass der Mensch Samen, Knollen und Steck- linge in die Erde bringt, woraus sich nun durch die Kräfte der Natur und seine fördernde Arbeit (Bodenbearbeitung, Düngen, Jäten, Giessen etc.) Nutzpflanzen entwickeln, die Nahrung liefern für Mensch und Vieh (Getreide mit mehl- reichen Körnern, Knollengewächse und andere Gemüse- oder Küchenkräuter, Futterpflanzen etc.) oder aber Stoffe zu Ge- weben (Faser- oder Gespinnstpflanzen: Hanf, Flachs u. dgl.), Oele u.s. f. Die einzelnen hiehergehörenden Spezialgewerbe werden bald nach den Pflanzen, welche Gegenstand der Kultur sind, beziehungsweise nach Produkten derselben, bald nach der Art des hiefür zu verwendenden Landes benannt: Ge- treide- und Futterbau, Obst- und Weinbau, Acker- und Gartenbau, Forstwirthschaft, Blumenzucht, Spargelzucht etc. Von den Sammelgewerben unterscheiden sich die ver- schiedenen Zweige der Urproduktion immer dadurch, dass bei ersteren der Mensch die Naturerzeugnisse da nehmen muss, wo er sie durch Aufsuchen oder zufällig gefunden hat und ganz so, wie eben die Natur sie giebt, während er bei letzteren diesen Objekten gewisse Standorte anweist, wie sie ihm geeignet scheinen, und er dieselben für seine Zwecke zu vervollkommnen sucht, was ihm in den meisten Fällen und oft in grossartiger Weise gelingt, sodass die Pflanze oder das Thier, welches unter seiner Pflege und Wartung sich entwickelte, von der wilden Stammform sehr erheblich verschieden sein kann. Für die Sammelgewerbe ist die Natur eine Quelle, aus welcher der Mensch schöpft; für die Urproduktionen aber ist dieselbe ein Hülfsmittel, Werkzeug oder Arbeiter. Daher ist in den beiden Fällen der Effekt wie qualitativ so auch quantitativ verschieden: der Mensch, welcher ein Sammelgewerbe betreibt, kann die Quantität des Naturproduktes, das er zu seinem Gebrauche GEWERBE 135 in Besitz nimmt, nur vermindern; der Landwirth und Thier- züchter hingegen trachtet auf Vermehrung dieser seiner Schätze, und es wird auch das Streben nach Vermehrung, wie das- _ jenige nach Vervollkommnung der in Rede stehenden Pro- dukte zumeist von Erfolg gekrönt. Handwerk und Fabrikation. In diese Kategorie kann man alle Gewerbe einreihen, welche die Naturprodukte ver- ändern, kombiniren und umwandeln, sodass hiedurch den- selben bestimmte gewünschte Eigenschaften verliehen oder aus denselben neue Objekte gebildet werden. Die meisten Naturerzeugnisse, welche uns von den Sammelgewerben und der Urproduktion geliefert werden, sind nicht unmittelbar zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse geeignet; mit wenigen Ausnahmen — wie roh geniessbaren Früchten, Austern u. dgl. — müssen sie, um den genannten Zweck zu erfüllen, eigens hergerichtet oder zubereitet werden: man muss die Getreidekörner zu Mehl verarbeiten und hieraus das Brod backen, die Wolle spinnen und das Garn ver- weben etc. Die Veränderung, welcher hiebei die Natur- produkte unterworfen werden, kann entweder blos deren Aeusseres, die Form, oder aber auch die stoffliche Beschaffen- heit des Körpers betreffen, mit andern Worten wesentlich blos mechanischer oder aber chemischer Art sein; im ersteren Falle ist wieder zu unterscheiden zwischen den einfacheren Formänderungen, welche das Objekt lediglich in eine zweck- mässigere, respektive beliebtere Gestalt bringen sollen, und der weitergehenden kombinirenden Bearbeitung, deren Re- sultat neue Objekte sind, worin die vormaligen als integri- rende Bestandtheile erscheinen. So erhalten wir drei Kate- gorien dieser form- und stoffverändernden Gewerbsthätig- keiten. Die erste derselben — einfache Formänderung — finden wir z. B. vertreten beim Schleifen (Faconniren) der ı #9 Diamanten und mancher Halbedelsteine, beim Graviren und » #9 Ziseliren, im Färben und Bedrucken von Geweben etc.; in fi # manchen Fällen hat sie es mit der (mechanischen) Zer- 4 #9 legung eines Ganzen in seine Theile, einer Zerkleinerung des Rohmaterials zu thun, so beim Mahlen des Getreides, beim Gewerbe des Metzgers, beim PBretterschneiden in der Sägemühle, beim Zuschneiden von Kleidern u. s. f. Eine Umgestaltung der zweiten Art — Kombination der 136 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Theile eines Stoffes oder verschiedener Materialien zu einem neuen Objekte, worin die konstituirenden Bestandtheile mehr oder minder leicht zu erkennen sind — findet statt bei den Flechtarbeiten (Korbmacherei, Strohhutfabrikation u. dgl.), beim Spinnen und Weben, in verschiedenen Baugewerben, der Fabrikation vieler Geräthe und Werkzeuge, Maschinen, Uhren u. s. w. Gewerbsthätigkeiten der dritten Art — mit Verwandlung der zu bearbeitenden Stoffe in neue Produkte, welche dem angewendeten Material durchaus nicht mehr gleichen — haben wir in der Milchwirthschaft (Käserei), in der Bereitung von Most und Wein aus Obst und Trauben, der Brauerei, der. Branntweinbrennerei und Essigfabrikation, der Farbenindustrie, Metallurgie etc. Unter den Erzeugnissen der Fabrikation werden Fabri- kate und Halbfabrikate unterschieden, jenachdem dieselben das definitive Endprodukt der ganzen Reihe von Umwand- lungen sind, welche die verschiedenen Stadien der Bear- beitung eines Objektes (Rohstoffes) in sich schliesst, oder aber noch weiterer Bearbeitung unterliegen. Bei der grossen Zahl von Gliedern, welche die Kette der Umformungen eines Objektes haben kann, und da jeder Fabrikationszweig seine Erzeugnisse als sein Fabrikat, das Material dazu aber — in derjenigen Form, in welcher es zur Verarbeitung an ihn gelangt — als Rohstoff bezeichnet, haben die drei Ausdrücke mehr nur relative Bedeutung als einen fest bestimmten Sinn. Z. B. wird in den Spinnereien aus roher Wolle, roher Baum- wolle ete. Garn angefertigt; dieses wird durch eine andere Industrie zu Geweben verarbeitet und ist also „Halbfabrikat*; ähnlich verhält es sich aber auch mit den Geweben, inso- fern dieselben wieder als Stoff dienen, woraus erst eine dritte Industrie (der Schneider, Näherinnen etc.) das Endprodukt der Reihe (Konfektionsartikel) herstellt. Andrerseits sind die Garne das „Fabrikat“ des Spinners und Rohstoff für den Weber etc. Eine speziellere Klassifikation der einzelnen Zweige des Handwerks- und Fabrikbetriebs kann vorgenommen werden nach Analogien und Verschiedenheiten in dem zu bearbei- tenden Material, den Erzeugnissen und deren Bestimmung, sowie in dem von jenen beiden Faktoren bestimmten Cha- rakter der Arbeit; ob die zu verarbeitenden Stoffe mineralische Ben en ng re LEER RR Rn REUETE Zn — u en - (ut u a a Se Fe Fra [ws GEWERBE at pflanzliche oder thierische Rohmaterialien oder selbst schon Fabrikate seien; ob die Erzeugnisse physischen oder gei- stigen Bedürfnissen dienen, als Nahrungs- und Genussmittel, -für Wohnung, Kleidung, Heizung, Beleuchtung, Schmuck, für Zwecke der Mittheilung und des Austausches von Ge- danken, der Kunst, der Vervielfältigung etc. — Die Art des Betriebes (Handwerk, Kleingewerbe, Hausindustrie einer- seits; Fabrikbetrieb, Grossindustrie andrerseits), die Pro- venienz ihres Materials und die Absatzgebiete (wonach zwischen bodenständigen und Exportindustrien unterschieden werden kann), die Lohnverhältnisse etc. sind Gesichtspunkte, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen und die wir theil- weise unten noch zur Sprache bringen. Handel. Als Handel bezeichnen wir die Gewerbsarten, wobei der Mensch Objekte von Denjenigen, welche sie ge- sammelt, kultivirt, fabrizirt, eingetauscht oder angekauft haben, erwirbt, um sie sodann an Konsumenten oder andere Käufer abzusetzen, ohne dass hiebei irgendwelche erhebliche Veränderungen dieser Objekte vorgenommen werden müssen. Zum Unterschied von den bisher betrachteten Gewerben hat es der Handel nicht mit Erzeugung von Gütern, sondern mit deren Austausch oder Umsatz durch Uebertragung des Eigenthumsrechts zu thun. Hiebei findet entweder ein Kauf und. Verkauf von Waaren gegen Geld statt oder ein Tausch von Waaren gegen Waaren (Tauschhandel). In Nordamerika tauschen die Trapper gegen Glaswaaren, Gewebe, Spirituosen und Waffen von den Indianern Bären-, Biber- und Büffel- felle ein, welche sie dann in den Forts und Comptoirs ver- kaufen, wo man sich mit dem Pelzhandel beschäftigt. Die Händler in Afrika tauschen gegen Freifrachtartikel Goldstaub, Elfenbein, Ebenholz und andere Kostbarkeiten ein, welche sie nachher in den Faktoreien der Küste verkaufen. Auf dem Mississippi und den übrigen schiffbaren Flüssen "Nord- amerikas erscheinen zahlreiche Fahrzeuge, um von den Farmern gegen Bedarfsartikel derselben landwirthschaftliche #Produkte einzutauschen und diese alsdann auf die Märkte der grossen Städte zu bringen. In Holland, Frankreich, der Schweiz durchziehen Händler das Land, um Vieh und andere Produkte für den Konsum der grossen Ortschaften u kaufen. Die Hausirer hingegen versehen sich in den 47 7138 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Städten mit Artikeln, welche sie auf dem Lande absetzen. Der Krämer nimmt seine Artikel bei einem Engros-Geschäfte, um sie sodann in kleinen Quantitäten (en detail) wieder zu verkaufen; das Engros-Geschäft (der Grossist) seinerseits bezieht die Waaren von den Produzenten und gibt sie an kleinere Häuser (Detaillisten) ab. Sofern dieser Güter- austausch sich innerhalb der Grenzen des betreffenden Landes vollzieht, ist er Binnenhandel, andernfalls Aussenhandel ; der letztere umfasst den Export (Ausfuhr von Produkten und Fabrikaten des eigenen Landes) und den Import (Einfuhr der Waaren aus fremden Ländern). Hiebei ist von Wich- tigkeit, auf welchem Wege der Waarentransport vor sich gehe, ob zu Wasser oder über Land, mit Eisenbahnen, Wagen, Karavanen etc. Wenn der Aussenhandel seine Ab- satz- oder Bezugsorte in fremden Kontinenten hat, mit welchen er zu Schiff verkehrt, heisst er überseeischer Handel; dahin gehört der direkte Bezug von Kolonialwaaren. Falls ein Volk seine Produkte und Fabrikate auf eigenen Schiffen ausführt und fremde ebenso einführt, sagt man, es treibe Aktivhandel ; lässt es aber die Handelsobjekte durch andere schifffahrttreibende Völker aus- und einführen, so wird dies als Passivhandel bezeichnet. — Objekt des Handels können die verschiedensten Waaren oder Güter sein: Land, Häuser, Lebensmittel, Fabrikate, Edelmetalle, Werthpapiere, Bücher, Kunstgegenstände etc., und danach unterscheidet man Güter- und Häuserhandel, Waarenhandel, Geld- und Effektenhandel, Buch- und Kunsthandel ete. Unterscheidungen wie Eigen- handel und Auftrags- oder Kommissionshandel, Einzelhandel und Gesellschaftshandel beziehen sich auf die Art, wie die handeltreibenden Personen sich an dem Geschäfte betheiligen. Miethgewerbe. Sie bestehen darin, dass derjenige, welcher eine solche Industrie betreibt, gewisse Objekte er- wirbt, die er zur Benutzung gegen Entgelt Andern über- lässt. Es wird hier also lediglich das Nutzungsrecht und nicht (wie beim Handel) das Eigenthumsrecht abgetreten, was Denjenigen, welche diese Einrichtungen benutzen, den Vortheil gewährt, dass sie die grössere einmalige Ausgabe für kaufsweise Aneignung der bezüglichen Objekte, sowie den oftmals erforderlichen Aufwand an Mühe und Kosten für Unterhalt und Besorgung derselben vermeiden können. Fr a en a ou GEWERBE 739 Je nach der Besonderheit des Falles wird eine solche Be- nutzung als Miethe im engeren Sinn oder als Pacht und Leihverhältniss bezeichnet, wobei für manche Fälle ziemlich unterschiedslos der eine wie der andere Ausdruck zur An- wendung kommt. In allen Städten findet man Unternehmer, welche das Vermiethen von Reitthieren als Geschäft betreiben (Pferdehalter etc.); Andere vermiethen Fahrzeuge, Wagen und Schiffe. In Leihbibliotheken und Lesezimmern stellt man deren Benutzern Bücher, Zeitungen und Zeitschriften zur Verfügung; anderswo geschieht dasselbe mit Zeichnungs- mustern, Musikalien etc. Man vermiethet möblirte und un- möblirte Zimmer oder ganze Häuser, Werkstätten, Magazine, verpachtet Landgüter, Gärten, Weinberge u.s. w. In manchen Städten sind Möbel aller Art, selbst Kleider und Toiletten- gegenstände, miethweise zu haben. Auf dem Lande werden von einzelnen Unternehmern oder Vereinen landwirthschaft- liche Maschinen an Kleinbauern und Pächter vermiethet. Zu diesen Gewerben gehört auch dasjenige des Geldverleihens. Die Entschädigung, welche in diesem Falle an den Darleiher zu zahlen ist, wird Zins genannt; in analoger Weise bedient man sich der Ausdrücke Mieth- und Pachtzins. Hülfsgewerbe. Als solche bezeichnen wir die gewerbs- mässigen Verrichtungen von Personen, welche sich gewisse Kenntnisse und Fertigkeiten erworben, sich Fähigkeiten und Mittel angeeignet haben, womit sie nun Dienste leisten, welche Andern Zeit oder Mühe ersparen. Der an den Strassen- ecken von Paris stationirte Auvergnat verdient sein Brod durch Besorgung von Aufträgen, als Packet- und Wasser- träger etc.; hiezu hat er sich befähigen müssen, indem er einerseits eine genaue Kenntniss des betreffenden Stadt- quartiers erwarb, andrerseits seine physischen Kräfte ent- wickelte.. Der Holzhacker, blos ausgerüstet mit Säge und Bockgestell, verrichtet eine Arbeit, die wir wohl selbst auch besorgen könnten, die wir uns aber durch Anstellung und Bezahlung eines Andern ersparen wollen. Der Fälle, welche in diese Kategorie zu rechnen sind, gibt es eine Menge; wir nennen weiter die Gewerbe der Kaminfeger, Gassen- kehrer, Stiefelputzer, Packer, der Wäscherinnen und Glät- terinnen, der Barbiere und Coiffeure.. Auch die Geschäfts- und Vermittlungsbureaux aller Art, von den Dienstboten- 740 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN und Annoncen- bis zu den Heiratsbureaux, haben denselben Zweck: Andern gegen Entgelt gewisse Schritte, Bemühungen und Zeitverlust zu ersparen; ebenso verhält es sich mit Wallfahrten, die für Andere in deren Auftrag nach Einsiedeln, Mekka u. s. w. gemacht werden. Die Transportgewerbe der Maulthier- und Kameeltreiber, der Droschken- und Omnibus- besitzer, der Kahnführer, der Posten wie der grossen Schiffs- und Eisenbahngesellschaften gehören ebenfalls hieher, inso- fern es sich bei denselben nicht blos um Benutzung von Gegenständen, sondern auch um persönliche Dienstleistungen handelt. Sanitätsgewerbe. Das Gewerbe des Arztes besteht darin, dass er seine Kenntnisse, Fertigkeiten und gewisse Mittel dazu verwendet, uns von körperlichen Uebeln zu be- freien oder doch dieselben zu lindern, wofür wir ihn hono- riren. Unter die Mittel zu diesem Zwecke sind auch die verschiedenen ärztlichen Etablissements zu rechnen, worin Kranke und Schwache im Interesse ihres Wohlbefindens und der Wiederherstellung ihrer gestörten Gesundheit, beziehungs- weise eines normalen Zustandes, eine besondere Pflege und Behandlung finden. Hiefür reicht die Thätigkeit des Arztes nicht aus; er hat Wärter oder Krankenpfleger beizuziehen, und wenn das Etablissement einen grossen Umfang annimmt, wird für dasselbe ein zahlreiches Verwaltungspersonal (für Korrespondenz und Buchhaltung, Besorgung der Küche, Zimmer, Gartenanlagen etc.) nothwendig. Die Verschieden- heiten der ärztlichen Gewerbe und Anstalten ergeben sich aus der Spezialität der zu behandelnden Gebrechen und des Verfahrens zu ihrer Beseitigung oder Linderung; jenach- dem spricht man von Wundärzten, Augenärzten, Zahn- ärzten etc., von gymnastischen Heilanstalten, Wasserheil- anstalten u. s. w. Vergnügungsgewerbe. Die Gewerbetreibenden dieser Kategorie wenden gewisse Kenntnisse, Fähigkeiten und Mittel an, um Andern Vergnügen oder Ergötzungen und sich selbst damit Einnahmen zu verschaffen. Es gehören hieher die Taschenspieler, Seiltänzer, Bänkel- sänger, wandernden Musikanten etc., wie die vielen Buden- besitzer, welche an Messen, Märkten und Festanlässen auf öffentlichen Plätzen irgend welche Merkwürdigkeiten zur GEWERBE 741 Schau stellen (Riesen und Zwerge, Panoramen, „Museen“, Menagerien u. s. w.); ferner Besitzer oder Unternehmer von cafes-chantants und mancher Bäder, welche ihre Besucher - mehr durch Spiel und andere Vergnügen als zur Erquickung oder Heilung anziehen. Enthält diese Gruppe nicht wenige Spezialitäten von Gewerben, welche einfach darauf ausgehen, dem Publikum mit allerlei Mitteln Geld abzunehmen, so fehlt es auch nicht an solchen, die ihre Aufgabe in grösserem Sinne auffassen, die eine ernsthafte Unterhaltung mit Be- lehrung oder einem moralischen Zweck zu verbinden, dem Hörer oder Zuschauer einen geistigen Genuss von nachhal- tiger Wirkung zu verschaffen streben und dadurch einen erzieherischen Einfluss ausüben. Dies ist der Fall bei guten Schaustücken verschiedener Art, Theatern, Konzerten etc. Erziehungsgewerbe. Sie bestehen in der Verwendung von Kenntnissen, Fertigkeiten und materiellen Mitteln zur Belehrung, geistigen und körperlichen Ausbildung Anderer durch berufsweise Unterrichtertheilung und Anleitung. Bietet schon das Lehrpersonal an den verschiedenen Unterrichts- anstalten, wie diese selbst (vgl. S. 728) eine grosse Manig- faltigkeit dar, so wird letztere noch vermehrt durch die verschiedenen Spezialitäten des Lehrberufes, welche an jenen Anstalten nur ausnahmsweise oder gar nicht vertreten sind, wie Tanz-, Schwimm-, Fecht- und Reitlehrer. Eine Menge von Personen beiderlei Geschlechts finden ihren Lebensunter- halt in Ertheilung von Privatunterricht auf den verschie- densten Gebieten des Wissens und Könnens (Sprachen, Ma- thematik, Gesang und Musik, Kalligraphie, Zeichnen und Malen etc.); als Hauslehrer, Hofmeister, Erzieher, Gouver- nanten und wie die Bezeichnungen alle heissen; als päda- gogische, technische und administrative Leiter von Erziehungs- instituten und Pensionaten, wie als Lehrer und Gehülfen an solchen in den verschiedensten Stellungen. n Resume. Wir sehen, dass die Gewerbe ihrem wesent- lichen Charakter nach uns entweder materielle Dinge — Produkte — oder immaterielle Dinge — Dienste — zur Verfügung stellen. Die Produkte werden direkt oder indirekt aus der Natur bezogen: direkt durch blosses Sammeln von schon Vorhan- denem (Sammelgewerbe) oder durch Kultur und Aufzucht 742 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN an bestimmten Orten und in gewissen Quantitäten (Urpro- duktion); indirekt, d. h. aus zweiter Hand, vom Sammler oder Urproduzenten, zu dem Zwecke, sie umzuändern und in dieser neuen Form zu verkaufen (Fabrikation) oder die- selben ohne eine solche Aenderung an die Konsumenten ab- zusetzen (Handel). Die Dienste beziehen sich einerseits auf die Oekonomie, anderseits auf das körperliche und geistige Wohl; auf die Oekonomie, indem sie uns die Ausgaben für selbsteigene Be- schaffung gewisser Produkte vermeiden lassen (Miethgewerbe) oder aber Mühen und Zeitverluste ersparen (Hülfsgewerbe) ; auf das Wohlbefinden, indem sie Krankheiten und Gebrechen heilen oder lindern (Sanitätsgewerbe), durch Vergnügungen zer- streuen, erheitern und anregen (Vergnügungsgewerbe), durch Ausbildung körperlicher und geistiger Fähigkeiten fördern und Kenntnisse und Fertigkeiten verschaffen (Erziehungs- gewerbe). Dieser Klassifikation der Gewerbe nach den beiden vor- stehend unterschiedenen Gruppen sind in Bezug auf die zweite derselben einige Bemerkungen beizufügen. Wir haben schon angedeutet, dass die Miethgewerbe sich dem Handel anschliessen, insofern auch sie uns Gegenstände verschaffen, nur nicht als Eigenthum, sondern zur zeitweisen Benutzung; unter diesem Gesichtspunkt werden sie denn auch in die Kategorie der Handelsgewerbe eingereiht (Miethhandel). Als- dann pflegt man von ihnen und den verschiedenen Gewerben, welche wir oben als in Dienstleistungen bestehend charak- terisirt haben, einige auszuscheiden, wobei es sich nicht nur um Ueberlassung von Gegenständen als Nutzobjekt oder Kon- sumartikel, sondern auch um Dienstleistungen handelt, wie dies der Fall ist einerseits beim Personen- und Waaren- transport (Verkehrsgewerbe),, andrerseits bei derjenigen In- dustrie, welche es vornehmlich mit Beherbergung und Er- quickung zu thun hat (Wirthsgewerbe, Industrie der Gast- höfe, Pensionen, Restaurants, „Fremdenindustrie“). Danach bleiben für weitere Abtheilungen der zweiten Gruppe (Heilungs-, Vergnügungs-, Erziehungs- und Hülfsgewerbe) nur noch solche Industrien, wobei unzweifelhaft die Leistung von Diensten, beziehungsweise das persönliche Element derselben, die Haupt- sache ist. GEWERBE 743 In sehr vielen Fällen beschäftigt sich das einzelne Indi- viduum nur mit Einer bestimmten Gewerbsthätigkeit und ist diese seine Berufsart blos ein kleiner Zweig eines grossen Gewerbes, herrscht also eine weitgehende Arbeitstheilung, wie dies z. B. bei Spezialärzten, Fachlehrern, vielen Uhren- arbeitern etc. der Fall ist; sehr oft aber auch betreibt ein und dasselbe Individuum mehr als eine Gewerbsart (z. B. Landwirthschaft und einen Handwerks- oder Fabrikations- zweig), wovon jedoch eine zu dominiren pflegt, sodass für Zwecke der Berufsstatistik (vgl. S. 543) zwischen Haupt- und Nebengewerbe der Einzelnen zu unterscheiden ist. Räumliche Vertheilung. Selten findet sich eine und dieselbe Industrie gleichmässig über eine Gegend von nam- hafter Ausdehnung verbreitet; vielmehr ist die Vertretung und Gruppirung der einzelnen Gewerbe oft von Ort zu Ort verschieden. Den besten Ueberblick dieser Verhältnisse gibt man durch eine kartographische Darstellung mittels konven- tioneller Zeichen und Farben!); immerhin ist dieses Bild zu ergänzen durch eine erklärende und beschreibende Darstellung im Texte des Reisewerkes. In diesem sind unter Anderm die Faktoren zu besprechen, welche bewirkten, dass eine bestimmte Industrie ausschliesslich oder vorherrschend an gewissen Orten sich entwickelt hat oder hier doch früher als an andern, dass manche Länder oder Gegenden in Bezug auf einzelne Gewerbszweige sich einer Art Monopol erfreuen. In der That ist die räumliche Gruppirung der Gewerbe nicht immer blos eine leicht erklärliche Folge von Naturverhält- nissen, sodass sie sich aus bekannten Grössen errechnen und konstruiren liesse, wie die Unbekannte einer Gleichung. Wohl müssen, wo ein Produkt gewonnen werden soll, die Bedingungen dazu vorhanden sein; Betrieb von Viehzucht setzt die Existenz von Weiden, Wiesen, Matten _voraus, Ackerbau das Vorhandensein urbaren Landes. Nur wo diese Grundbedingungen erfüllt sind, werden jene Gewerbe der Urproduktion sich entwickeln. Dagegen kann man nicht ‚auch behaupten, dass die letzteren überall vorkommen, wo die Bedingungen dazu gegeben, wo sie durch die Verhält- nisse ermöglicht wären. Die Handwerks- und Fabrikgewerbe 1) Vgl. Dr. H. Wartmann, Atlas über die Entwicklung von Industrie und Handel der Schweiz, Winterthur 1873. 744 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN sind weniger an die Scholle gebunden, vom Boden und dessen Schätzen abhängig; doch bevorzugen sie im Allge- meinen, aus naheliegenden Gründen, solche Lokalitäten, wo das Rohmaterial gewonnen wird, welches sie verarbeiten, oder die wenigstens in der Nähe derartiger Fundstätten liegen. Aber diese Regel erleidet zahlreiche Ausnahmen. Die Hochöfen, wo aus den Erzen die Metalle bereitet werden, findet man wohl in der Nachbarschaft der Minen, die Säge- mühlen in waldreichen Gegenden und deren Nähe; aber die Baumwolle wird nicht in den Gegenden versponnen und ver- woben, wo sie wächst; sie kommt in verarbeitetem Zustande erst nach langem Transporte zurück in ihr Ursprungsland. Die Uhrenmacherei hat ihre Hauptsitze in Genf, Neuenburg und den Jurathälern, hätte sich aber eben so gut ganz anderswo entwickeln können. Aehnlich verhält es sich mit der Art von Monopol, welches Lyon, Zürich und Basel in der Seidenindustrie (Lyon in Luxusartikeln, Zürich in kuranten Stoffen, Basel in Bändern) haben, wie mit denjenigen von St. Gallen für Stickereien, von Marseille für Seifen, von Elbeuf für Tücher, von Sheffield für Rasirmesser u. s. w. Gewerbliche Charakterbilder. Der Reisende hat sich mit den Hauptgewerben des von ihm besuchten Landes bekannt zu machen, d. h. mit denjenigen, welche je von einem starken Bruchtheil des Volkes betrieben werden und wesentliche Einnahmsquellen des Landes sind. Sowohl von ihrer Be- deutung als von der Art ihres Betriebes ist ein charakteri- stisches Bild zu entwerfen. Jedes Gewerbe verleiht einer Gegend — selbstverständlich in um so höherem Grade, je mehr es darin vorherrscht — gewisse Eigenthümlichkeiten, besonders charakteristische Züge. Ein Jägerdorf hat eine andere Physiognomie als ein Fischerdorf oder eine Nieder- lassung von Bergleuten; eine Gegend, deren Bewohner blos Viehzucht treiben, bietet ein ganz anderes Bild dar als eine solche, wo Ackerbau, Handwerk und Fabrikation eine Rolle spielen. Diese Seite der Sache verdient mehr Berück- sichtigung als ihr oft zu Theil wird. Man kann auf genaue statistische Angabe (über die Zahl der Arbeiter, die Höhe der Produktion, die Arbeitslöhne etc.) halten und sich dabei nicht minder angelegen sein lassen, von einer Beschäftigung, von der Art eines Gewerbebetriebs, die man zu beobachten GEWERBE 745 Gelegenheit hatte, eine lebendige Darstellung zu geben. Welche Fülle charakteristischer Bilder bietet sich uns dar in Scenerien und Beschäftigungen wie indianischen Büffel- jagden, dem Häringsfang der Holländer, in den Marmor- brüchen von Carrara, dem Bergwerksbetrieb auf Elba, der Viehzucht Australiens oder der südamerikanischen Pampas, der Theekultur in China, dem Reisbau Indiens und der lombardischen Ebene, der Käserei in den Alpen, der Uhren- fabrikation in Genf und Besancon, der Hüttenwerke in Creuzot, dem grossartigen Fabrikwesen von Birmingham, Sheffield und andern Hauptplätzen der Industrie. Ein und dasselbe Gewerbe kann uns unter manigfachen Formen ent- gegentreten. Die Bodenkultur z. B. ist in den einzelnen Ländern und Erdtheilen überaus verschieden. Der Tatare düngt die Erde durch Abbrennen der Vegetation, welche sich auf ihr entwickelt hat; dann säet er den Buchweizen aus; hat er seine Ernte eingeheimst, so begibt er sich weiter, um für die nächste Aussaat ein andres Stück Erde zu benutzen als jenes, das er nun achtzehn bis zwanzig Jahre in Ruhe lässt. In Nordafrika findet man dicht neben einander den Araber, der sich zumeist darauf beschränkt, mit einem als Pflug dienenden krummen Ast den Boden etwas aufzureissen, und den Kabylen, welcher keine Mühe scheut, um sein Feld gründlich zu bearbeiten und auf nackten Felsen Kulturen anzulegen, indem er die nöthige Erde auf seinem Rücken herbeischafft. Wie verschieden wurden und werden noch — nach Zeiten und Ländern — das Spinnen und Weben betrieben! In China sind es Haus- industrien, womit die Bauernfamilien sich an den langen Winterabenden beschäftigen und deren Produkte sie im fol- genden Sommer in die nächste Stadt auf den Markt bringen. Ganz ähnlich verhielt es sich einst noch in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts — mit dem Betrieb dieser beiden Gewerbe in der östlichen Schweiz. Wie anders ist es nun hier! Maschinenbetrieb in Fabriken hat die Hand- und \ Hausarbeit ersetzt und verdrängt. Dieselbe Sachlage finden ‚wir vielerorts im westlichen Europa, vorab in England. Influirende Verhältnisse. Verschiedene Faktoren be- dingen die Entwicklung der Gewerbe in einem Lande; die persönlichen Eigenschaften ihrer Vertreter dürfen dabei in erste 746 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Linie gestellt werden. Es hängt ja das Gelingen einer jeden Unternehmung gutentheils von der Befähigung des Unter- nehmers ab; so ist es auch für die Gewerbe von grösster Be- deutung, dass an ihrer Spitze Männer stehen von grosser intel- lektueller und moralischer Tüchtigkeit, Männer von unterneh- mendem Geist und praktischem Sinn, die Kenntnisse und Arbeitslust, Energie und Umsicht zugleich besitzen. Ein zweiter wesentlicher Faktor ist die Tüchtigkeit der Arbeiter, durch welche die Leistungen in hohem Grade beeinflusst werden. Gute Arbeiter, sagt H. Taine!), sind diejenigen, welche Be- dürfnisse haben und diesen durch andauernde Arbeit zu ge- nügen trachten, welche weder die Anstrengung noch die Einförmigkeit einer Arbeit scheuen, weil sie die letztere an und für sich lieben und die moralische Energie besitzen, womit der Mensch Mühen und Strapazen ertragen kann; Eigenschaften, die vor Vergnügungssucht, überspannten Ideen und einem launenhaft wechselnden Sinn bewahren. In dem Wettkampf der Gewerbe verschiedener Länder spielen die Eigenschaften ihrer Arbeiter eine bedeutende Rolle; das Land, welches über fleissige, mässige und intelligente, mit guter Schulbildung ausgerüstete Arbeiter verfügen kann, ist hie- durch gegenüber Konkurrenten, welche in dieser Hinsicht weniger günstig situirt sind, in grossem Vortheil. Einen dritten wichtigen Faktor bilden die Geldverhältnisse. Wenn viele Kapitalien disponibel und dieselben leicht erhältlich sind, wird das Gedeihen der Industrie befördert; umgekehrt sind ihrer Entwicklung enge Grenzen gezogen, wo das Ka- pital spärlich vorhanden und dieses nur zu drückenden Bedingungen, gegen übermässigen Zins, erhältlich ist. Ausser diesen drei Faktoren wirken aber noch gar manche Verhältnisse auf die Stellung der Gewerbe in einem Lande ein. Zu diesen Umständen gehört vorab das Ansehen, dessen sich in der öffentlichen Meinung die Handarbeit zu erfreuen hat, der Grad von Achtung, welcher ihr gezollt wird. In Ländern, wo diese Arbeit als erniedrigend gilt und blos von Sklaven, Leibeigenen oder untern Kasten und Klassen ver- richtet wird, kann die gewerbliche Entwicklung keine hohe Stufe erreichen ; vollends fehlt es an jedem frischen Impuls 1) H. Taine, Notes sur l’Angleterre, Paris 1872, pag. 32. A GEWERBE 747 für sie, wo einzig das Waffenhandwerk als ein edler Beruf angesehen wird, wo Jagd und Krieg als das Höchste, Plün- derung und selbst Raub als erlaubt oder gar als ruhmvoll - gelten, während die Beschäftigung mit ehrlicher Arbeit für eine Beeinträchtigung der Würde des Menschen gehalten wird. Von nicht geringem Einfluss sind ferner die Besonder- heiten in den Eigenthumsverhältnissen. Wo diese so ge- staltet sind, dass sie Anlass geben zu Zweifeln darüber, ob man die Frucht langer Arbeit werde ernten können oder nicht, da muss der unternehmende Sinn erlahmen, welcher nöthig ist, um den Boden zu erschliessen und ihm nach- haltig Schätze abzugewinnen; die ganze Thätigkeit des Pro- duzenten wird alsdann nur darauf berechnet sein, möglichst rasch Erträge zu bekommen; aber eine Bearbeitung und Verbesserung des Bodens von der erst nach längerer Zeit eine vortheilhafte Wirkung zu erwarten stünde, wird unter solchen Umständen selten sein. Die Urproduktion kann ferner beeinträchtigt werden sowohl durch eine übermässige Zerstückelung (Parzellirung) des Grundeigenthums als durch das andere Extrem: wenn das Land sich ausschliesslich oder überwiegend in den Händen einiger weniger Grossgrundbe- sitzer befindet. Von nachtheiliger Wirkung auf die Industrie erweist sich oft der Bestand örtlicher oder allgemeiner Gewerbesteuern ; der Mangel jedweden Schutzes des Produzenten gegen die fremde Konkurrenz; oft aber auch ein Uebermaass solchen Schutzes, wobei der Produzent jener Impulse verlustig geht, die nur der Kampf ums Dasein gebiert. Von den Hindernissen, welche die Beschaffenheit der Verkehrswege und Transportmittel, sowie der Mangel an Absatz (Märkten) mit sich bringt, haben wir oben (Abschnitt „der Boden“, S. 377) schon gesprochen. Es bleibt uns noch übrig, des grossen Einflusses zu gedenken, welchen die politischen Zustände eines Landes, Freiheit und Rechts- sicherheit auf. dessen gewerbliche Entwicklung haben. „Die Kultur des Bodens steht im Verhältniss zur Freiheit seiner Bewohner“, sagt Montesquieu. In der That wird man unter einem despotischen Regiment, unter einer drückenden Herr- schaft keinen blühenden Landbau finden. Wenn Afrika nicht mehr der „Kornspeicher Roms“ ist, so trägt daran das 748 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Regierungssystem einen grossen Theil der Schuld. Aehnlich wie mit der Bodenkultur verhält es sich aber mit andern Gewerben. Ihre Entwicklung in einem Lande wird mitbe- stimmt durch die Freiheit und Rechtssicherheit, durch die geordneten Zustände, deren seine Bewohner sich erfreuen; an ihrer Industrie erkennt man nicht allein ihren Thätig- keitssinn, sondern auch, ob derselbe in Freiheit schalten kann oder durch allerlei Schranken und Fesseln mehr oder minder gehemmt ist. Werkzeuge und Methoden. Die Instrumente und Arbeitsmethoden oder Arten des Verfahrens, welche in den Gewerben eines Landes zur Anwendung kommen, sollen dem Leser in Wort und Bild vorgeführt werden. Eine solche Darstellung ist von mehrfachem Interesse. Sie hat zunächst ihre pittoreske, ethnographische Seite. Beispiele, welche dies darthun, sind überaus zahlreich. Wir erinnern nur an einige derselben. Die Erntegeräthe Sense und Sichel sind bei uns in ihrer Form seit Jahrhunderten gleich ge- blieben und haben nur im Material Verbesserungen erfahren; die Formen aber, in welchen sie bei den einzelnen Völkern auftreten, sind sehr verschieden, sodass eine Zusammen- stellung der Sicheln und Sensenblätter ein interessantes ethnographisches Objekt ist. Für den Fischfang wird in China der Kormoran verwendet, in Südamerika der Wurf- \ spiess, in Nordschottland ein Dreizack ete. Wenn in den Haciendas von Columbien die Reiskultur einfach dadurch betrieben wird, dass man einige Handvoll Saatkörner in die Löcher wirft, welche durch die Hufe des Viehes entstanden, und diese Körner in die Erde treten lässt: so ist dies ein- fache Verfahren des Getreidebaus nicht minder charakte- ristisch als jene verschiedenen Methoden des Fischfangs. Die Kenntniss der Werkzeuge und gewisser Manipulationen | von Naturvölkern ist ferner das beste und mitunter das einzige Mittel zur richtigen Auffassung urgeschichtlicher Funde in unsern Gegenden. Die Sache hat aber auch ihre praktische Seite. Unter Umständen wird man die Frage prüfen, ob ein von einem fremden Volke mit eigenen Instrumenten in seiner gewohnten Weise betriebenes Gewerbe nicht bessern Erfolg bringe, wenn man jene Werkzeuge und Methoden durch die unsrigen ersetzt. 4 HANDEL 749 Lohnverhältnisse. Mittheilungen über die Arbeits- löhne und die sachbezüglichen Verhältnisse in einem Lande sind immer von grossem Interesse. Genaue Angaben hier- über können in Betreff von Ländern, die Reiseziele von Aus- wanderern sind, den letzteren als Führer dienen, wenn sie Arbeit suchen; ebenso werden dergleichen Zahlen Unter- nehmern und Kapitalisten, welche in solchen Ländern indu- strielle Etablissemente errichten wollen, gute Dienste leisten. In allen Fällen erhält man dadurch Aufschluss über die Lage der arbeitenden Klassen in dem besuchten Lande; nur darf man sich dabei nicht auf eine blosse Angabe des Lohnes beschränken, sondern muss die Lebensverhältnisse der Arbeiter mit in Betracht ziehen; denn von diesen Um- ständen hängt es ab, ob der Lohn für den Arbeiter eine grosse oder kleine Summe darstellt. In China z. B. verdient ein gewöhnlicher Arbeiter im Jahre 60 bis 90 Franken brutto; daraus muss er seinen Lebensunterhalt bestreiten. Bei uns wäre das schlechthin unmöglich; der chinesische Arbeiter kann aber so wohlfeil leben und ist so genügsam, dass er mit jener geringen Summe alle seine Auslagen deckt und sich noch Etwas erübrigt. In manchen Gegenden sind die Arbeiterfamilien trotz niedriger Löhne doch verhältniss- mässig gut situirt, weil auch Frauen und Kinder verdienen können und nicht der Mann allein für die Kosten des Haus- halts aufzukommen hat. Anderswo wird dasselbe erreicht durch Verbindung von Fabrikarbeit mit etwas Landwirth- schaft, welche einen namhaften Theil der Lebensmittel für den Bedarf der Arbeiterfamilie liefert. HANDEL. Bei der Uebersicht über die verschiedenen Erwerbszweige war bereits (S. 737) auch vom Handel die Rede. Seine grosse und vielfache Bedeutung erfordert aber, dass wir auf denselben etwas einlässlicher zu sprechen kommen und das dort Gesagte nach mehreren Richtungen ergänzen, wess- halb wir dem Gegenstand ein besonderes Kapitel widmen. Immerhin können wir nur in Kürze auf die verschiedenen Gesichtspunkte, welche hiebei wesentlich in Betracht kommen, 750 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN aufmerksam machen. Auf Erörterungen über die besondere Wichtigkeit des Handels glauben wir hier verzichten zu können. Jedermann weiss, welche grosse Rolle er spielt in Bezug auf die, menschliche Wohlfahrt im Allgemeinen, wie hinsichtlich der Beziehungen zwischen den einzelnen Ländern und Völkern und mit Rücksicht auf Reiseunternehmungen insbesondere. In den primitivsten menschlichen Gesellschaften besteht kein Handel; die Individuen beschäftigen sich da kaum mit etwas Anderem als damit, sich direkt die Dinge zu ver- schaffen, welche zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse nöthig sind. Jagd, Fischfang, Viehhaltung und Anbau von Pflanzen haben da nur den Zweck, für den Haushbedarf zu sorgen; ebenso verhält es sich auf dieser sozialen Stufe mit dem Spinnen, Weben, Färben, mit der Anfertigung von Geräthen und mit andern Gewerben. Von Handel kann erst die Rede sein, wenn die Indi- viduen in ihrem Gewerbe mehr produziren als sie für sich selbst und ihre Familie bedürfen, um diesen Ueberschuss gegen andere Objekte oder gegen Dienstleistungen auszu- tauschen; so, wenn der Jäger mehr Wild, als für ihn und die Seinigen zur Ernährung nöthig wäre, tödtet, um mit einem Theil davon Korn oder Salz einzutauschen oder aber Arbeit von Menschen, die ihm eine Hütte bauen, Fallen und Netze verfertigen helfen; wenn er Thiere erlegt, nicht blos, um aus ihrem Fleische zu leben, sondern um für ihre Haut Waffen, eine Flinte, Pulver, Glasschmuck, Branntwein ete. zu bekommen, d.h. Dinge, die er sich nur verschaffen kann, wenn er dafür andere in Tausch gibt. Wenn aber in einer Gegend, bei einem Volksstamme, Handel gar nicht oder nur in embryonärem Zustande vor- kommt, so folgt daraus keineswegs dass sich derselbe hier nicht entwickeln könne. Wenn die Individuen nur so viel erzeugen, als sie für sich und ihre Familien unumgänglich“ brauchen, so hat dies seinen Grund mitunter lediglich darin, dass sie mit einem Ueberschuss nichts anzufangen, denselben nicht zu verwenden wussten. Man offerire ihnen, einen Vorrath an Erzeugnissen umzutauschen gegen Artikel, welche ihnen konveniren, und sie werden sich bald mit einer regel- mässigen Produktion solcher Vorräthe befassen. Ja man HANDEL 751 braucht ihnen nur Dinge vorzuweisen, die nach ihrem Ge- schmack sind und sie werden bald selbst Tauschangebote machen. Der Reisende hat in Betreff von Gegenden, welche dem Handel noch nicht erschlossen sind, die Aufgabe, zu kon- statiren, welche Produkte mit Vortheil von dort bezogen und welche Artikel dafür an Zahlungsstatt dorthin geliefert werden könnten. Es handelt sich dabei selbstverständlich nicht um eigentliche Ein- und Verkäufe; denn Geld hat in solchen Gegenden oft nicht mehr Werth als eine glänzende Medaille aus einem ganz gewöhnlichen Metall, und man zieht ihm auffallende Stoffe, Glasschmuck, Nägel, Angeln, Waffen, Pulver etc. bei Weitem vor. Bei Beurtheilung der Frage, welche Artikel den Eingebornen als Tauschobjekte angeboten werden können, dürfen wir uns nicht durch unsre eigenen Ideen vom Werthe dieser Gegenstände leiten lassen, sondern nur durch die Erfahrungen, welche wir hierin mit den Ein- gebornen machen; Artikel, von denen man noch nicht weiss, ob und in welchem Maasse die Eingebornen ihnen Werth beilegen, muss man denselben vor Allem einmal vorzeigen, ehe man irgend welchen Schluss auf ihr Urtheil darüber zieht. Tausch. Derselbe wird überall da angewendet, wo nicht Geld oder andere Dinge, die gleich demselben als allgemeiner Werthmesser dienen (wie Kaurimuscheln, Steinsalzstücke etc.), in Gebrauch sind und besteht eben darin, dass die eine Waare direkt (ohne Vermittlung durch Geld) gegen eine andere Waare gegeben wird (Naturalwirthschaft). In solchen Fällen hat der Reisende zu konstatiren, mit welchen Artikeln namentlich Tausch getrieben wird, welcher Ausdehnung der- selbe fähig ist und welche Gegenstände die Eingebornen namentlich gegen ihre Produkte einzutauschen suchen. Eigentlicher Handel. Darunter verstehen wir den Einkauf und Verkauf von Waaren gegen Geld. Letzteres — das übrigens, wie wir sehen werden, sehr verschiedener Art ist — spielt für diese Art des Produktenumsatzes die Rolle eines Mittels, indem es für jede Art von Waare genommen oder gegeben und der Werth jeder Waare in Geld ausge- drückt wird. Wer sich einen Gegenstand verschaffen will, braucht bei diesem System (der Geldwirthschaft) nicht für eine andere Waare zu sorgen, welche dem Geschmacke des 752 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Verkäufers jenes Gegenstands zusagen müsste, um den letztern hiemit einzuhandeln; an die Stelle dieser Waare tritt ein Quantum Geld. Ebenso braucht sich der Verkäufer hiebei nicht darum zu bekümmern, ob seine Abnehmer Produkte besitzen, welche den Gegenwerth für seine Waare bilden und seinen Wünschen entsprechen würden: den Gegenwerth erhält er in Geld. Auf diese Weise erlangt der Handel eine Regel- mässigkeit, welche er vor dem Tausch voraus hat. Wir haben schon erwähnt, dass der eigentliche Handel nach Ausdehnung und Richtung desselben weiter unterschieden werde und fügen hierüber noch einige Bemerkungen bei. Binnenhandel. Den im Innern des Landes vor sich gehenden Umsatz von Waaren — wobei die Produkte also nicht über die Grenze gehen, sondern in dem Lande kon- sumirt werden, das sie erzeugte — bezeichnet man als innern oder Binnenhandel. Das Studium desselben ist von stati- stischem Interesse, aber nur von mässiger Bedeutung in Hinsicht auf Handelsverbindungen, die mit der betreffenden Gegend angeknüpft werden könnten. Indessen soll es doch nicht vernachlässigt werden; denn eine genaue Kenntniss dieser Branche in einem Lande — insbesondere der Artikel, welche daselbst den Gegenstand von Angebot und Nachfrage bilden — kann unsere Geschäftsleute dazu führen, dort Ein- käufe zu machen und sich so — nicht selten mit gutem Erfolg für sich und ihre Abnehmer — eines Theils des früher internen Handels zu bemächtigen, oder auch versuchsweise und als Muster Waaren dorthin zu liefern, welche geeignet wären, mit daselbst begehrten Artikeln eigener Produktion zu konkurriren und sie zu ersetzen. Aussenhandel. Derselbe bestehtin dem über die Grenze gehenden Waarenverkehr zwischen In- und Ausland, umfasst also die Ein- und Ausfuhr oder den Import- und Exporthandel. Gegenstand des ersteren sind Produkte des Auslands, welche an inländische Konsumenten abgesetzt werden; Gegenstand des letzteren inländische Erzeugnisse, welche als Konsum- artikel ins Ausland gehen. Möglichst vollständige Verzeichnisse dieser Ein- und Aus- fuhrartikel mit Angabe ihrer Herkunft und Bestimmung, sowie der in den Handel gebrachten Quantitäten sind von grossem Werth. Wenn amtliche Daten dieser Art vorhanden HANDEL 753 sind, so braucht man sie nur zu reproduziren und vielleicht mit einigen Erläuterungen zu begleiten; sind aber keine solchen Dokumente vorhanden, so muss man bei kundigen - Personen — Zollbeamten und Geschäitsleuten — möglichst zuverlässige Aufschlüsse über den Import und Export zu erhalten suchen. Sofern der Aussen- oder auswärtige Handel die Waaren zu Schiffe übers Meer bezieht oder versendet, wird er als Seehandel bezeichnet. Die Bedeutung, welche derselbe in einem bestimmten maritimen Lande erlangt, wird mitunter be- messen nach Zahl und Kapazität (Tonnengehalt) der Handels- schiffe, welche während eines gewissen Zeitraums (eines Jahres z. B.) in dessen Häfen ein- und ausfahren. Man liefert zu diesem Zwecke tabellarische Uebersichten des Schiff- verkehrs oder der Schifffahrtsbewegung mit Angaben über die Zahl der Schiffe, Tonnengehalt, Nationalität oder Flagge, Provenienz und Bestimmungsort derselben. Transit. Man nennt Transit oder Durchfuhr eines Landes — nur uneigentlich als Transit- oder Durchfuhrhandel des- selben bezeichnet — den Verkehr in Waaren, welche vom Auslande über die Grenze hereinkommen, aber nicht im Lande konsumirt werden, sondern wieder über die Grenze ins Aus- land gehen. Es hält oft schwer, diese transitirenden Waaren für statistische Zwecke vom Import und Export scharf zu trennen; die Ein-, Aus- und Durchfuhrtabellen unterscheiden, trotz ihres Titels, in den Ziffern keineswegs immer zwischen diesen drei Kategorien. Es soll aber dieser Unterschied so viel als möglich beachtet und hervorgehoben werden; die Kaufleute finden hierin oft nützliche Fingerzeige, was die Vermeidung unnützer und kostspieliger Zwischenhändler, die Anbahnung direkten Verkehrs mit Produzenten und Konsu- menten solcher Artikel betrifft. Handels-Regime. Selten ist der Handel, insbesondere der auswärtige, ganz frei. Alle Einrichtungen nun, wodurch in einem Lande diese Freiheit beschränkt wird, bezeichnen wir in ihrer Gesammtheit als das Handelsregime des be- treffenden Landes. Hieher gehören vorab die Handelsverbote oder Prohibi- tionen. In einigen Gegenden ist jeder Handel mit dem Aus- lande absolut verboten; meist aber beschränken sich die 48 754 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Verbote auf gewisse Artikel (partielle Prohibition, z. B. Verbot der Einfuhr von Waffen, der Ausfuhr von Getreide etc.); auf eine gewisse Zeit als Ausnahmemassregel, deren Auf- hebung von bestimmten Verhältnissen abhängig gemacht wird (temporäre Prohibition); auf Artikel von einer gewissen Pro- venienz oder Bestimmung, wobei der Handel mit denselben Waarengattungen erlaubt ist, sofern diese aus andern Ländern kommen oder nach andern bestimmt sind als denjenigen, welche das Verbot betrifft (bedingte Prohibition); endlich auf gewisse Plätze der Grenze oder Küste, während die Ein- und Ausfuhr an den übrigen Punkten gestattet ist (lokale Prohibition). Eine jede solche Massregel kann be- stimmten Handelszweigen sehr gefährlich werden, nicht am wenigsten die temporären Prohibitionen, namentlich, wenn es ins Belieben des Herrschers gelegt ist, von einem Tag auf den andern die Ein- oder Ausfuhr irgend eines Artikels zu verbieten. Weiter haben wir hier der Monopole zu gedenken. In gewissen despotisch regierten Staaten wird das Recht, mit den Fremden Handel zu treiben, vom Souverän für sich allein in Anspruch genommen. So kauft und verkauft er zu Preisen, wie es ihm beliebt („Monopolpreisen“), ohne dass die Unterthanen wagen dürfen, sich darüber zu beklagen. Oft wird die Ausbeutung dieses Alleinhandels Günstlingen und Grosswürdenträgern überlassen, oft um eine bestimmte (jährliche oder einmalige) Gegenleistung an Einzelne oder Gesellschaften vergeben. Mitunter besteht zwar kein rechtlich anerkanntes, wohl aber ein faktisches Monopol, indem ge- wisse Kasten, Klassen oder Korporationen sich eines be- stimmten Geschäftszweiges bemächtigen, und alle davon fern zu halten wissen, die sich ihrem Einfluss zu entziehen ver- suchen. Selbstverständlich ist das Monopol nicht immer ein absolutes und unbegrenztes, sondern auf spezielle Artikel und den Handel mit gewissen Gegenden beschränkt. Als Beispiel solcher Privilegien erwähnen wir die den verschie- denen ostindischen Kompagnien verliehenen Monopole des auswärtigen Handels?). dem Fiskus vorbehält oder Privaten verleiht, um aus denselben Einnahmen zu erzielen, sind die Regalien oder Hoheitsrechte nicht zu verwechseln, welche der Staat sich im Interesse der Öffentlichen Ordnung vindizirt. Dieser Unterschied (zwischen fiskalischen Interessen und solchen der öffentlichen Ordnung) tritt z. B. hervor in der Gegenüberstellung von Tabaksmonopol und Münzregal. HANDEL 755 Eine sehr gebräuchliche Einrichtung ist das Institut der Zölle, wonach Ein- und Ausfuhr gestattet sind gegen Entrichtung gewisser Abgaben. Letztere, die eben als Zölle bezeichnet werden, sind meist dusch feste Tarife regulirt (Zolltarife), bald nach dem Quantum der Waare (Stückzahl; Gewicht, letzteres mit Einschluss der Verpackung oder ohne dieselbe: Stückzölle; Gewichtszölle, — Brutto- und Netto- zölle), bald nach dem Werth der Artikel (Werthzölle, Zölle ad valorem), oft auch nach anderweitigen Gesichtspunkten, wie Art und Volum der Waare, Herkunft und Bestimmung derselben. Ihrer Höhe und Bestimmung nach erscheinen die Zölle bald nur als Kontrolgebühr (droit de statistique) oder Finanzmassnahmen, indirekte Steuern, welche einen Theil der für staatliche Zwecke erforderlichen Gelder liefern sollen (Finanzzölle), bald als Mittel zur Begünstigung der ein- heimischen Gewerbe durch Erschwerung oder faktischen Aus- schluss fremder Konkurrenz (Schutzzölle, Prohibitivzölle), bald als zollpolitische Repressalien gegen einzelne Länder (Kampfzölle). In einigen Ländern werden Zölle, die bei der Einfuhr von Waaren erhoben wurden, zurückerstattet, wenn dieselben Waaren binnen einer gewissen Zeit wieder ausge- ‘führt werden oder es sind solche transitirende Güter gänzlich zollfrei. Dergleichen Rückzahlungen kommen unter den Be- zeichnungen Rückzölle, drawbacks, Ausfuhrprämien ete. auch zur Anwendung für Produkte, die als Rohstoffe eingeführt und in veränderter Form („veredelt“) ausgeführt werden. v Ausser an der Landesgrenze werden die Waaren oft noch mit Abgaben belastet bei der Einfuhr in eine Stadt (Octroi) oder beim Transport über gewisse Strassen und Brücken (Weg- und Brückengelder oder Strassen- und Brückenzölle). Im Gegensatz zu den Grenzzöllen werden diese internen Ab- gaben wohl auch als Binnenzölle bezeichnet. ö Verkehrsmittel. Im Hinblick auf Handelsverbindungen, die mit einer noch ziemlich unbekannten Gegend angeknüpft werden könnten, hat der Reisende mitzutheilen, auf welche Weise daselbst der Verkehr zu bewerkstelligen ist, insbe- sondere der Transport von Waaren an bestimmte Orte im Innern des Landes oder an solche Küstenplätze, welche nicht in direktem Schiffsverkehr mit Europa stehen. 756 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN In den fremden Kontinenten vermisst man oft bitter die bequemen Verkehrsmittel, an die wir gewöhnt sind, vor Allem gute Strassen. Da muss der Händler seine Waaren bald auf Wagen, die von Ochsen gezogen werden, bald auf Lastthieren, bald mit Hülfe von Trägern durch wüste und schwer zugängliche Gegenden transportiren; oft muss er sich Andern beigesellen und auf die Abreise einer. Karawane warten, um die Märkte im Innern des Landes zu besuchen; oft mit von Eingebornen bemannten Fahrzeugen einen Fluss hinaufschiffen und die Waaren partieen- und etappenweise absetzen in dem Maasse als ihm Tauschartikel offerirt werden. Der Reisende hat die namhaften Handelsplätze der Küste und des Innern anzugeben und mitzutheilen, worin deren Bedeutung liegt, welches ihre Spezialität ist; er hat ferner genaue Daten zu liefern über Messen und Märkte, Tag und Stunde, wann Käufer und Verkäufer sich zusammenzufinden pflegen; ebenso über allenfallsige Comptoirs und Faktoreien des Landes, deren Geschäftszweige und Jahresumsatz. Hinsichtlich der Strassen, welche zu den wichtigsten Städten und Marktplätzen führen, sind Angaben zu machen über deren Länge, die täglichen Etappen, geeignete Halt- stellen (Karavanserais etc.), sowie über die Sicherheit der Wege, beziehungsweise über Vorsichtsmassregeln, die man zu treffen hat, um sich gegen einen allfälligen Handstreich zu schützen. Ebenso sind die Wasserstrassen zu beschreiben. Dabei ist namentlich zu bemerken, ob die Flüsse und Ströme immer oder nur in einzelnen Jahreszeiten schiffbar sind und worin letzteres seinen Grund hat: in periodischen Hoch- wassern mit allzustarker Strömung, in zeitweise zu nied- rigem Wasserstande oder in Eis; ferner ob die Schiffbarkeit eines solchen Gewässers an einzelnen Stellen unterbrochen ist durch Sandbänke, Stromschnellen und Wasserfälle und ob diese Hindernisse umgangen, die Fahrzeuge an jenen Stellen zu Lande bis nach der nächsten schiffbaren Fluss- strecke befördert werden können. Die Beschiffung eines Ge- wässers kann auch gefährdet werden durch den Fremden feindselige Uferanwohner; in diesem Falle hat man den Ver- hältnissen entsprechende Vorsichtsmassregeln, unter Umständen eine ziemlich starke Entfaltung bewaffneter Macht zu treffen. HANDEL 757 Für Transporte zur See längs der Küste, zwischen dem Kontinent und einer Insel oder zwischen den verschiedenen Theilen eines Archipels muss man sich häufig der Einge- bornen bedienen, deren Fahrzeuge ihres geringen Tiefgangs wegen allein geeignet sind, gewisse seichte Stellen oder Untiefen zu passiren und die Landung auf flachen Küsten zu bewerkstelligen. Es ist daher anzugeben, ob Küstenfahrer vorhanden sind, welche die verschiedenen Hafenplätze und Inseln besuchen oder, andernfalls, wie und unter welchen Bedingungen man nach diesen Punkten gelangen kann. Es ist hiebei ferner zu bemerken, dass gewisse Jahreszeiten vorzuziehen, andere zu vermeiden sind mit Rücksicht auf herrschende Winde und der Schifffahrt drohende Gefahren. Die Handelsplätze sind zu besprechen in Bezug auf Ein- richtungen für den Personen- und Waarenverkehr (Gasthöfe, Lagerhäuser, Bazars etc.), — auf die Sicherheit, welche man geniesst, oder auf Gefahren, die zu befürchten sind, und auf den Schutz, welchen man in letzterem Falle an- rufen kann, — auf die spezifischen Elemente ihrer Besucher und die lokalen Handelsgebräuche. Es darf auch nicht unerwähnt gelassen werden, welche lokalen Publikationsmittel dem Kaufmann zu Gebote stehen. In manchen Gegenden versehen öffentliche Ausrufer diesen Dienst, anderswo Maueranschläge oder Plakate auf Tafeln, welche in den Strassen herumgetragen werden ; ferner Zirku- lare, die man in den Häusern und an die Passanten aus- theilt; endlich Anzeigen in den Lokalblättern. Geld. Unser Geld dient infolge einer gewissen Höhe und Konstanz seines Werthes, leichter Transportabilität, Auf- bewahrungsfähigkeit und weitgehender Theilbarkeit als all- gemeines Werthmaass, Umlaufs-, Tausch- und Zahlungs- mittel. Diese verschiedenen Dienste und Zwecke des Geldes werden in manchen Ländern mehr oder minder vollständig oder unvollständig, vollkommen oder unvollkommen durch gewisse Waaren erfüllt, so durch Felle, Salzstücke in Form von Wetzsteinen, Bretter, geschnittene Steine von bestimm- ter Form, Kakaobohnen, Kauris und verschiedene andere Muscheln; Barren oder Stangen Silbers, wovon man ein Stück abschneidet, dessen Werth demjenigen des anzukau- fenden Objekts entspricht; an einer Schnur gereihte Metall- 758 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN stücke, von denen man bei einem Kaufe eine gewisse Anzahl ablöst und hergibt; Goldstaub ete. Gewöhnlich versteht man unter Geld Stücke von Gold, Silber und andern Metallen, die ein Bild oder ein Gepräge tragen, welches ihren Werth und zugleich ihre Herkunft bezeichnet; es sind das die Münzen. Dieselben weichen in den einzelnen Ländern vielfach von einander ab in Stoff (Gold- und Silbermünzen, Bronce-, Kupfermünzen ete. — Goldwährung, Silberwährung etc.), Gewicht oder Schrot und Feingehalt oder Korn (Münzfuss), Form und Grösse. Der Reisende gebe ein genaues und vollständiges Verzeichniss der Münzen eines von ihm besuchten Landes; sind dieselben noch wenig bekannt, so lege er sich eine Sammlung der- selben an oder wenigstens eine Sammlung getreuer photo- graphischer Nachbildungen der Münzen unter Angabe des Werthes einer jeden (in Franken und Rappen, Mark und Pfennig). Mitunter dienen auch dann, wenn schon Münzen einge- führt sind, gewisse Waaren noch immer als Werthmesser. So schätzen die Osseten im Kaukasus nach „Kühen“ ab (ein Artikel ist 2, 3, 4 Kühe, "/ıo, Y/ıoo Kuh werth), die Wogulen in Sibirien nach „Eichhörnchen“ ; in Afrika spricht man von „halben Sklaven“ etc. In solchen Fällen hat der Reisende zu konstatiren, welches der in Münzeinheiten aus- gedrückte Geldwerth des Artikels ist, der als Norm gilt. Es können in einer Gegend — entweder neben einhei- mischem Gelde oder ausschliesslich — fremde Münzen kur- siren. Dies ist in der Levante und einem grossen Theil Afrikas mit den Maria-Theresia-Thalern der Fall; aus den- selben werden oft durch blosse Theilung in zwei oder vier Stücke kleinere Münzen hergestellt. Der spanische Piaster ' kursirt in den Vereinigten Staaten und manchen afrika- nischen Ländern, so in Bornu, Wadai, Darfur, Kordofan, Abyssinien und (unter dem Namen „Bu-Medfa“ und „Abu- Amud“) Marocco. In Algerien sind die französischen Münzen gebräuchlich ; dabei werden von den Kabylen die Goldstücke vorgezogen, während die Araber nur silberne Fünffranken- stücke wollen. In Zanzibar geschehen die Zahlungen in Maria-Theresia-Thalern oder amerikanischen Dollars. In allen diesen Ländern sind die Geldstücke um so beliebter, je matter HANDEL 759 und schmieriger sie aussehen; ein glänzendes Stück wird mit Misstrauen betrachtet. Nicht selten findet man uralte Münzen im Verkehr; so zirkulirten 1863 in Malaga neben dem spanischen Gelde noch maurische, römische und sogar phönizische Münzen. Als symbolisches Geld findet man verschiedene Werth- zeichen, meist auf den Inhaber lautende Papiere (wie Münz- scheine, eigentliches Papiergeld, Bons, Schatzscheine, Bank- noten), die entweder zu mehr oder minder hohem Preise („Kurs“) direkt an Zahlungsstatt gegeben werden können und deren Annahme öfter vorgeschrieben ist (Zwangskurs) oder die wenigstens an gewissen Kassen gegen reales Geld (Kurantmünze) ausgewechselt werden. Der Reisende gebe an, was für Papiere dieser Art sich in Umlauf befinden, ob sie viel oder wenig Vertrauen (Kredit) geniessen, welches die Differenz zwischen dem Nenn- und Kurswerth der- selben ist etc. Maasse und Gewichte. Noch manigfaltiger als die Systeme der Werthmaasse (Münzsysteme) sind diejenigen der Mengenmaasse (eigentliche Maasse, im Sinne der Geometrie, und Gewichte). Vielerorts werden die Quantitäten in höchst ungenauer Weise nach Stücken, Körben, Säcken, Lasten u. dgl. angegeben. In manchen Ländern findet man gewisse über- einstimmende Namen für Maasse und Gewichte verbreitet; aber in einem solchen Gebiete bezeichnet oft ein und der- selbe Ausdruck nicht durchwegs und überall das nämliche Quantum ; vielmehr machen sich hierin provinzielle und lokale Verschiedenheiten geltend. In andern Fällen trifft man ein wohlfixirtes Maass- und Gewichtssystem, worin jede einzelne Benennung unzweideutig eine gut bestimmte Quantität be- zeichnet. Wie es sich auch hiemit in dem Lande verhalte, das man besucht: stets gebe man möglichst genau an, welches die Aequivalente der Gewichts- und Maass-Einheiten nach unserm metrischen System (in Gramm, Liter oder Meter) seien. Es ist festzustellen, welche Waaren nach dem Gewichte, welche hingegen nach geometrischen Maassen verkauft werden; im ersteren Falle kommt in Betracht, ob die Verpackung (Emballage) im Gewichte bei der Preisberechnung inbegriffen ist (Bruttogewicht) oder hiefür ein Abzug gemacht und nur 760 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN das eigentliche Waarenquantum (Nettogewicht) in Anschlag gebracht, eventuell wie viel Abzug (Tara) berechnet wird. Handelsbräuche. Jedes Land und fast jeder einzelne Handelsplatz hat seine besondern kaufmännischen Gebräuche oder Usanzen. Zu den lokalen Bräuchen (Platzusanzen) ge- hören die an den einzelnen Orten verschiedenen Preisnormen, Kreditfristen und Verkaufsbedingungen. Es werden z. B. die Geschäfte gegen Baarzahlung (per comptant) oder auf Zeit abgeschlossen, mit oder ohne Sconto: mit Rabatt in dieser oder jener Form: durch Drauf- oder Dreingabe (13 für 12, 110 oder 105 für 100;.d. h. es wird stillschweigend angenommen, man liefere 13, 105 oder 110 Einheiten, wenn man von 12 oder 100 sprach), durch einen Abzug für den Verlust, welchen der Kleinhändler erleidet, wenn er Flüssig- keiten in geringen Quantitäten verkaufen, verschiedene Waaren in kleinen Partieen auswägen muss etc. Spesen. Der Waarenhandel ist mit einer Menge von Unkosten ausser denen für Fracht und Zoll verbunden; dazu gehören die Gebühren, welche unter dem Namen „Kaplaken“ an Schiffseigenthümer oder Kapitäne zu entrichten sind, Ge- bühren für das Messen und Wägen, Laden und Entladen (Löschen), Lagergebühren, Kommissionsgebühren, Provision und Courtage etc. Conti finti. Der Kaufmann bildet sich ein Urtheil über den Kostenpreis einer Waare und den Gewinn, welchen er mit derselben muthmasslich machen könnte, an der Hand eines (onto finto, d. h. einer detaillirten Rechnung über ein bestimmtes Quantum (z. B. 1000 Kilogramm, 20 Ballen oder 40 Säcke von bestimmtem Gewicht) der Waare und alle Kosten, womit eine solche Sendung oder Lieferung verbunden wäre, wenn sie effektuirt würde. Diese „fingirten Rechnungen“ sind also einfach Ein- und Verkaufsrechnungen über sup- ponirte Bezüge oder Lieferungen; als solche müssen sie der Reihe nach alle die Ausgaben enthalten, welche vom Ankauf eines Waarenquantums bis zu dessen Verkauf und Bezahlung entstehen: den Betrag der Note des Waareneigenthümers, Kosten für Verpackung und Verschiffung, Fracht und Zoll, Kommissionsgebühren etc. Zahlreiche Muster derartiger Be- rechnungen („Proforma-Fakturen“ und „Proforma-Verkaufs- rechnungen“) findet man z. B. in den fachmännischen Be- LITERATUR 761 richten über die österreichisch-ungarische Expedition nach Siam, China und Japan!). Mustersammlungen. Der Reisende welcher Gegenden besucht, die noch ziemlich unbekannt sind, unterlasse nicht, Sammlungen anzulegen von Produkten, die zur Einführung in den Handel geeignet sein dürften, sowie von Gewebe- stoffen und andern Artikeln, für welche die Eingebornen eine ausgesprochene Vorliebe zeigen. Dergleichen Sammlungen nebst Notizen über Bezugsquellen und Absatzorte, Kaufs- und Verkaufspreise, beliebte Formen und Farben etc. sind für den Handel von grossem Nutzen. LITERATUR. Als Literatur eines Volkes bezeichnet man im Allge- meinen die Gesammtheit seiner in Wort oder Schrift zum Ausdruck gebrachten Geisteserzeugnisse. In der Literatur eines Landes offenbaren sich die geistigen Eigenthümlich- keiten seiner Bewohner. Das Studium der Landesliteratur ist daher ein wichtiges Mittel zur Kenntniss des Volkes. Dabei handelt es sich für den Reisenden weniger um die grossen oder Hauptliteraturen, als um die einem kleineren Gebiet eigenen Erzeugnisse, für welche die Ausdrücke lokale und unedirte Literatur gestattet sein mögen. Unter der Bezeichnung grosse Literaturen verstehen wir hier jene Erzeugnisse von Kultursprachen wie der franzö- sischen, englischen, italienischer etc., die mehr oder weniger einem jeden Gebildeten bekannt sind und über welche man sich .in gewissem Grade leicht aus Fachschriften unterrichten kann. Wir setzen voraus, der Reisende habe solche für den speziellen Fall in Betracht kommende Darstellungen (Literatur- geschichten) zu Rathe gezogen und die hauptsächlichsten Werke, welche sie behandeln, in ihrem Originaltext gelesen, sodass er sich mit den wichtigsten Autoren der betreffenden Literatursprache in einer Weise bekannt machte, welche ihn zu einem Urtheil über dieselben befähigt. Er wird aber gut thun, wenn seine Zeit es erlaubt, diese Werke in dem Lande I) Dr.K.v.Scherzer, fachmännische Berichte über die österreichisch-ungarische Expedition nach Siam, China und Japan (1868 — 1871). Stuttgart 1872. 762 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN ihrer Entstehung nochmals zu lesen; Manches kann hiebei in neuem Lichte erscheinen, Manches so erst recht vollem Verständniss sich erschliessen. Der Gewinn an Allseitigkeit und Reife des Urtheils, den er hiebei macht, wird ihm zu Statten kommen bei einer Umschau unter den Erzeugnissen neuerer Schriftsteller, die sich noch nicht eines anerkannten und bereits gesicherten Rufes erfreuen, der Tagesliteratur, deren Werth nicht schon von einer massgebenden Kritik ab- gewogen und festgestellt wurde. Regionale Literatur. Die literarischen Erzeugnisse eines Landes, welchem in der üblichen Literaturgeschichte, die ihren Gegenstand ‘nach den grossen Sprachgebieten zu be- messen und sich auf dieser breiten Grundlage aufzubauen pflegt, keine besondere Stellung zuerkannt wird, bezeichnen wir als regionale Literatur, insofern sie durch eine gewisse Eigenart etwas für sich Bestehendes bilden. Dies gilt z. B. von der belgischen Literatur, welche gewöhnlich einfach der französischen beigerechnet, beziehungsweise zugleich mit dieser besprochen und nicht getrennt behandelt wird. Aehnlich verhält es sich mit der Schweiz: die Literatur dieses Landes wird gemeinhin der deutschen, französischen oder italie- nischen zugetheilt, je nach dem die Schweizer, um deren Werke es sich handelt, der Sprache nach als deutsche, fran- zösische oder italienische Autoren zu betrachten sind. In diesen und andern Fällen wird eine aufmerksame Verglei- chung erkennen lassen, dass eine solche Literatur ihr eigen- thümliches Gepräge hat, welches — eine Folge besonderer landwirthschaftlicher und ethnischer Faktoren, der poli- tischen und kirchlichen, sprachlichen und sozialen Verhält- nisse, der Geschichte des Volkes und seiner ganzen Geistes- richtung — derselben ihren einheitlichen Charakter gibt und sie von den Schöpfungen anderer Völkerschaften trotz Sprach- und Stammverwandtschaft unterscheidet). Der Reisende wird ferner auf die Presse eines von ihm besuchten Landes nach den wesentlichsten Gesichtspunkten (politische Tendenz, Ernst und Würde der Sprache oder Masslosigkeit des Tones etc.), sowie der Beredtsamkeit in ihren verschiedenen Gattungen (der forensischen, parlamen- I) vgl. z. B. Dr. H. Semmig, Die französische Schweiz und Savoyen, ihre Ge- schichte, Literatur, Kunst und Landschaft. Zürich 1881. 2 LITERATUR 763 tarischen, Kanzelredner etc.) kennen zu lernen und zu charakterisiren suchen. Zur Ergänzung des Bildes, welches die literarische Pro- duktion eines Landes gibt, ist auch der literarische Konsum desselben zu berücksichtigen. Hiebei kann die importirte Literatur von wesentlicher Bedeutung sein; sie wird natur- gemäss in den Vordergrund treten, wenn das Land an eigenen literarischen Erzeugnissen arm ist. In jedem Falle ist die Art der entlehnten Literatur, welche in einer Gegend vorherrscht, und sind die gesammten Verhältnisse ihrer lite- rarischen Konsumtion von charakteristischem Werthe. Lokale Literatur. Ohne dass diese Kategorie von der vorigen scharf zu trennen wäre, kann man von ihr sagen, dass in derselben noch mehr als bei jener die eigenartigen Verhältnisse eines engumschriebenen Gebietes hervortreten, sodass sie nicht nur eine sekundäre Rolle spielen, sondern zum Hauptfaktor und wesentlichsten Element des Ganzen werden. Im Einklang mit dieser spezifischen Eigenthüm- lichkeit derartiger Produkte wird für dieselbe oft die Volks- mundart der bestimmten Oertlichkeit verwendet, deren Boden das Substrat, deren Menschen mit ihren Besonderheiten den Kern der Darstellung bilden. Solche mundartliche Erzeug- nisse sind meist nur in engen Kreisen bekannt, nicht selten aber weiterer Verbreitung werth, sodass dem Reisenden empfohlen werden kann, sein Augenmerk auch hierauf zu richten. Unedirte Literatur. Als unedirte Literatur bezeichnen wir diejenige, deren Erzeugnisse nicht gedruckt oder nicht einmal niedergeschrieben und daher im Allgemeinen unbe- kannt sind. In vielen Gegenden existiren Denkschriften, Gedichte u. s. w. nur als Manuskript, ferner zahlreiche Sagen, Märchen, Erzählungen, Volkslieder, Sprüchwörter ete., die sich bisher nur durch mündliche Ueberlieferung erhalten haben. Es kann ein Volk auch ohne Schriftsprache eine eigene und selbst eine reiche Literatur besitzen. Gerade dieser unedirten Literatur hat der Reisende seine Aufmerksamkeit zu schenken, um uns mit ihr bekannt zu machen. Man wird von ihm keine vollständige Sammlung erwarten; wohl aber darf man verlangen, dass er einige charakteristische Produkte dieser Art mittheile. Er unter- 764 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN lasse nicht, sich zu erkundigen nach Manuskripten, die von Interesse sein, nach epischen Gedichten, die eine historische Grundlage haben könnten, nach volksthümlichen Sagen, Märchen und Erzählungen, deren Verfasser oft unbekannt ist und die zumeist das Werk mehrerer Dichter sind, welche nacheinander oder zu gleicher Zeit, aber von einander unab- hängig, denselben Stoff bearbeiteten. Er sammle ferner Volkslieder, Balladen, Sprüchwörter etc. Die Erzeugnisse der einen und andern Art, ob episch, lyrisch oder didaktisch, können von grossem Werth sein. Die Sagen und Erzählungen haben sehr oft, wenn sie auch noch so phantastisch ausgeschmückt sind, einen reellen ge- schichtlichen Kern; Mythen und Märchen, die uns vielleicht kindisch erscheinen, sind mitunter von grauem Alter und können Anhaltspunkte geben zur Würdigung früherer Ver- hältnisse, eines primitiven Zustandes der Gesellschaft. Die Sprüchwörter ihrerseits enthalten einen reichen Schatz von Volksweisheit, der die Frucht langer Erfahrungen und einer oft höchst originellen Auffassung der Dinge ist. Man darf allerdings nicht meinen, dass es eine leichte Sache sei, zu sammeln, was am meisten des Sammelns werth ist. Die Lösung einer solchen Aufgabe erfordert ein besonderes Talent, eine gewisse Kunst. Direkte Fragestellung ist nicht immer das beste Mittel zu diesem Zweck, und eine Haupt- schwierigkeit liegt darin, die wichtigsten Personen zu finden, an welche man sich mit Erfolg wenden kann. Man findet nicht alle Tage einen wahren Erzähler, sagt Julien Vinson !) mit Recht. Fast jede Familie und fast jeder Freundeskreis enthält indess ein Mitglied, das sich in dieser Richtung vor den andern auszeichnet; nicht immer wird das älteste Glied der Gesellschaft ihr bester Erzähler sein. Es handelt sich also darum, zu entdecken, wer in einem kleineren oder grösseren Kreise der treue Hüter dieser alten Schätze ist, ein ungelehrter Historiker, naiver Poet oder Künstler, der sich des Werthes seiner Gaben kaum bewusst ist. Hat man zur guten Stunde ihn gefunden, so nehme man in Thun und Lassen darauf Bedacht, ihn nicht zu stören, sondern soviel möglich im Flusse der Erzählung zu erhalten. Dazu 1) Mythologie basque (Revue de Linguistique, Paris, oct. 1875, pag. 112—128). KUNST UND WISSENSCHAFT 765 ist nöthig, dass man der Sache ein wirkliches und warmes, unverkennbares Interesse entgegenbringe, ihr jenen Glauben schenke, welchen der Dichter für die poetische Wahrheit seiner Schöpfungen in Anspruch nimmt; dass man sich aber ja nicht in den Ruf eines Gelehrten und zweifelnden Kritikers bringe, vor dem der Mund des Erzählers sich schliessen würde. Bei der Aufzeichnung des Gehörten muss der Sammler sehr genau zu Werke gehen und vor sich selbst auf der ‚Hut sein; er halte streng darauf, so viel als möglich die eigenen Worte — ipsissima verba — des Erzählers zu geben. Wenn ihn auch vielleicht Dies oder Jenes in Idee oder Wort- laut choquirt, so darf er diese Einzelheiten gleichwohl nicht ändern oder unterdrücken; denn es könnte dies kaum anders als auf Kosten des originellen Charakters der Erzählung geschehen; man riskirt, dass ein erster Schritt auf diesem Wege weiter führt und man schliesslich dem Leser eine Re- produktion vorlegt, welche dem Original kaum mehr gleicht. KUNST UND WISSENSCHAFT. Hinsichtlich dieses Gegenstandes gelten in analoger An- wendung die allgemeinen Bemerkungen, welche in Betreff der Literatur gemacht wurden: es handelt sich wesentlich um die einheimische Kunst, in dem Sinne, wie wir von regio- naler oder Landesliteratur gesprochen haben, und um die lokale Pflege der Wissenschaft. Jene eigenartige Kunst einer Gegend kann sich aber in Erzeugnissen äussern, die wir nach unsern Begriffen nicht schön oder erhaben finden; die Pflege der Wissenschaften ihrerseits kann eine sehr einseitige und lückenhafte sein, sodass mehr über Mangelndes zu be- richten wäre, als über Das, was vertreten und vorhanden ist, Zeichnen und Malerei. In manchen Gegenden findet man von Eingebornen herrührende Zeichnungen auf Fels- wänden, Baumrinden, Schiefertafeln u. dgl. Materialien. Der Reisende hat solche als Proben einheimischer Kunst zu reproduziren, mögen sie auch noch so unförmlich sein. Behufs getreuer Wiedergabe wird er sich der Photographie bedienen. Handelt es sich um farbige oder bemalte Zeich- 766 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN nungen, so hat man auf den photographischen Nachbildungen möglichst genau die entsprechenden Farben anzubringen. Bei künstlerisch etwas weiter vorgeschrittenen Völkern findet man mitunter originelle Leistungen, welche Talent und gute Naturauffassung verrathen, oft aber auch eine traditionelle Routine in stereotypen Formen, gewissermassen nach einer und derselben Schablone. Von Interesse sind Angaben über die Fortpflanzung der Kunst, wenn wir uns so ausdrücken dürfen, d. b. Angaben. betreffend die Uebertragung derselben, die Ueberlieferung ihrer Bräuche, Regeln und Lehren von einer Generation zur andern, sowie Mittheilungen über das Kunstschüler- oder Lehrlingswesen und die Stellung der Künstler. Es gibt Länder, wo es Regel ist, dass die künstlerische Berufs- thätigkeit vom Vater auf den Sohn übergeht, dieser die Ausübung derselben als eine Art Erbe übernimmt; es gibt andere, wo der Schüler oder Lehrling für eine Anzahl Jahre sozusagen der Sklave seines Meisters sein muss, und wie- derum Länder, wo der Maler kaum besser behandelt wird als bei uns irgend ein Arbeiter: es wird demselben eine Aufgabe in der Weise übertragen, dass er während der Dauer seiner Arbeit Kost, Logis und einen bestimmten Taglohn erhält; wurde doch seiner Zeit der junge Murillo zu Sevilla in ähnlicher Weise honorirt, was ihn nicht hinderte, unsterb- lichen Ruhm zu erlangen! Endlich sind noch Angaben beizufügen über die vor- herrschende Art der Malerei (ob Fresco-, Oel-, Pastell- oder Aquarellmalerei) und die gebräuchlichen Materialien (Seide, Elfenbein, Pergament etc.). Skulptur. Den besten Begriff von der Entwicklungs- stufe, welche diese Kunst in einer Gegend erreicht hat, geben Photographien einiger der namhaftesten ihrer dortigen (einheimischen, inländischen) Erzeugnisse. Diese Produkte können blos eine Art roher Basreliefs sein, wie manche in Felsen gehauene allegorische Darstellungen, ferner hässliche Bildnisse von Göttern, grob aus einem Steinblock heraus- gemeisselt oder in einen Baumstamm geschnitzt, sowie un- förmliche Statuetten aus Thon, Knochen, Elfenbein oder Metall; es kann aber auch die inländische (einheimische) Kunst zu grösserer Vollendung gediehen sein, sodass ihre KUNST UND WISSENSCHAFT 767 Produkte sorgfältiges Studium der Form und wahren Schön- heitssinn verrathen. Architektur. Der Reisende hat soweit möglich durch Zeichnung und Photographie von Wohnungen und öffent- lichen Gebäuden die Baukunst eines Landes (die bürger- liche wie die monumentale) zur Anschauung zu bringen. Dabei hat er nicht sowohl die Objekte, welche nach seinem Geschmacke die schönsten sind, als vielmehr das am meisten Charakteristische, das Typische, aufzusuchen und auszu- wählen. Bauten in ausnahmsweisem Styl, durch Eleganz von allem Uebrigen unterschieden, sind oft nur Denkmäler fremder Kunst, etwa Monumente früherer Eroberer, oder Nachahmungen von Vorbildern, die sich bei irgend einem andern Volke finden. Die wahre einheimische (regionale) Architektur ist diejenige, deren Charakter uns in dem Lande überall entgegentritt, in den bescheidensten Wohnungen wie in den grossartigsten Bauten. Musik. Was in einem Lande unter Musik verstanden und produzirt wird, scheint uns oft jede andere Qualifikation eher als die einer Kunstleistung zu verdienen; der Gedanke an Das, was wir Katzenmusik nennen, mag dabei mitunter am nächsten liegen. Fast immer wird der Reisende viel Zeit und Aufmerksamkeit verwenden müssen, um den be- stimmenden Charakter der Musik eines Landes, sowie die Unterschiede zwischen profaner, kirchlicher und Militär- oder Kriegsmusik desselben zu erfassen. Es soll erwähnt werden, ob die Vokal- oder die Instru- mental-Musik vorzugsweise gepflegt werde; ob die eine oder andere ziemlich allgemein verbreitet oder als eine Art Ge- werbe auf bestimmte Klassen und Personen beschränkt sei; sodann, welche soziale Stellung Sängern und Musikern zu- komme. - Die üblichen Musikinstrumente sollen beschrieben werden, wenn sie nicht schon genügend bekannt sind. Wissenschaften. Verschiedene, der Wahrheit mehr oder minder nahe kommende Ansichten und Begriffe, mehr oder minder irrige Vorstellungen und zum Theil abergläu- bische Meinungen eines Volkes werden bei Besprechung der Ideenwelt desselben (S. 642) ihre Stelle gefunden haben. 768 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Es können aber einzelne Zweige der Wissenschaft zu verhältnissmässig hoher Entwicklung gediehen sein bei Völkern, die wir im Uebrigen als Barbaren betrachten. Wir finden schifffahrttreibende Völker alter Zeit und Nomaden einer frühen Epoche der Kulturentwicklung im Besitz sehr nam- hafter astronomischer Kenntnisse, sehen aber allerdings oft auch diese Disziplin in Astrologie ausarten. Die Botanik kann auf Kenntniss einiger Arzneigewächse beschränkt sein, und oft verbindet: sich mit diesem Wissen noch allerlei Aberglaube. Wir wollen diese paar beispielsweisen Bemer- kungen nicht durch ähnliche über andere Disziplinen ver- mehren, sondern nur noch darauf hinweisen, dass der Reisende bei Besprechung dieses Gegenstandes namentlich auch die Faktoren zu würdigen hat, welche hemmend oder fördernd auf die Entwicklung der Wissenschaften bei einem Volke, beziehungsweise auf einzelne derselben, einwirkten. Ursachen der ersteren Art werden sich ihm häufig genug bemerkbar machen. Zu den allgemeinsten derselben gehören ungenügende Volksbildung und übermässige Inanspruchnahme der Kräfte für den harten Kampf ums Dasein. Bei günstiger situirten Völkern und Klassen fehlt es nicht an Hindernissen anderer Art; bei der Abneigung Vieler gegen jegliche Neuerung, bei der weitverbreiteten Tendenz zum Autoritätsglauben erstarrt zu Zeiten auch in der Wissenschaft eine Lehre zum Dogma, ein weitreichender Zirkel ihrer Vertreter zu einer Art ortho- doxer Hierarchie, wogegen die freie Forschung oft lange anzukämpfen hat, bis dem Fortschritt wieder Bahn ge- brochen wird. URSPRUNG UND GESCHICHTE. Der Reisende hat nicht eine vollständige und einlässliche Geschichte des Landes oder Volkes zu schreiben, das er besucht; aber er muss sie kennen, an deren wesentlichste Begebenheiten erinnern, die wichtigsten Phasen, welche Land und Volk in ihrer Entwicklung durchgemacht haben, den Lesern vorführen und wohl auch auf Grund der bei seinem Aufenthalt gemachten Wahrnehmungen Irrthümer berichtigen, welche mitunter in Aufnahme gebracht werden von Autoren, URSPRUNG UND GESCHICHTE 769 denen eine genügende eigene Kenntniss der Menschen und Verhältnisse abgeht, wenn sie auch sonst anerkennenswerthe Verdienste erworben haben. Ein vorgängiges Studium der Geschichte des Landes und Volkes, die ein Reisender zu besuchen gedenkt, wird dem- selben zur reichen Quelle des Genusses, sowie er die Stätten betritt, welche Schauplatz der Ereignisse waren, wovon er sich Kenntniss verschaffte, und mit den Menschen verkehrt, die selbst oder deren Vorfahren hiebei eine Rolle spielten. Das Interesse an Land und Leuten wird durch solche vor- bereitende Studien in hohem Grade gesteigert und wesentlich vertieft; ein Land zu bereisen ohne Kenntniss seiner Ge- schichte, heisst auf einen grossen Theil des Werthes ver- zichten, welchen die Reise andernfalls haben kann. Nicht alle Länder sind so reich an geschichtlichen Er- innerungen, wie etwa Egypten und Hellas; aber wenige gibt es, welche nie die Bühne wichtiger Begebenheiten gewesen wären oder deren dunkle Vergangenheit nicht Anlass gäbe zu Fragen von höchstem Interesse. Es ist z. B. die Geschichte von Nordamerika erst neueren Datums; aber schon bietet sie in den Anfängen der Kolonisation, dem Freiheitskampf unter Washington und Franklin, der fortschreitenden Staaten- bildung, dem Sezessionskrieg etc. weltgeschichtliche Momente dar; andrerseits drängen uns Reste einer merkwürdigen alten Zivilisation, die daselbst nicht selten sind, eine Reihe von Fragen auf: woher kamen die Völker, welche die Tumuli und die symbolischen Monumente im Norden errichteten ? was ist aus jenen geworden, welche in Colorado und Mexiko Ruinen von Städten und .Tempeln hinterlassen haben ? Ob der Reisende auf klassischem Boden wandle, ob er ein jung- fräuliches Land erforsche: immer wird es ihm zu Statten kommen, wenn er sich über das Gebiet seines Aufenthalts und Studiums zum Voraus so gut als immer möglich auch in historischer Beziehung unterrichtet hat. Bei dieser, der Ausführung einer projektirten Reise voran- gehenden Beschäftigung mit der Geschichte der Länder und Völker, die man besuchen will, soll man sich nicht auf klassische Werke älteren und neueren Datums beschränken, sondern auch periodische Fachschriften zu Rathe ziehen, um sich vertraut zu machen mit Untersuchungen auf den 49 770 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Gebieten der Ethnographie, Archäologie und Linguistik. Es hat z. B. die Geschichte der alten Egypter, Assyrer und Babylonier eine völlige Umgestaltung erlitten, seitdem man die alten Denkmäler und Inschriften jener Länder erforschte, statt sich blos auf die Zeugnisse griechischer und römischer Schriftsteller zu stützen. Die Geschichte eines Landes oder Volkes hat in der Regel mehrere Perioden oder Epochen, in welchen sie aus nächtlichem Dunkel frühester Vergangenheit ins Zwielicht der Dämmerung und endlich in volle Tageshelle tritt: Der zeitgenössischen und historischen Epoche positiver Geschichte geht eine zum Theil sagenhafte und mythische, nur dürftig aufgeklärte, zum Theil in tiefes Dunkel gehüllte Periode voraus, welche die vorgeschichtliche oder prähistorische Zeit genannt wird. Diese Periode, über welche die historischen Lehrbücher kurz hinwegzugehen pflegen, umfasst die langen Jahrtausende, welche verflossen, bevor es eine geschriebene Geschichte gab — ungemessene Zeitabschnitte, in welche uralte Völkerwanderungen und Städtegründungen fallen, wie die ersten Anfänge noch heute bestehender Einrichtungen. Ueberall, selbst in den kultivirtesten Ländern, findet der Kundige noch Spuren dieser grauen Vorzeit, wo der aus einem thierähnlichen Zustande sich herausarbeitende Mensch die ersten Schritte that auf der Bahn der Zivilisation. Nur selten, ausnahmsweise und unvollständig sind diese Zustände erwähnt bei Geschichtsschreibern von Nationen, welche Zeit- genossen solcher Völker, aber bereits weiter vorgeschritten waren. Aufgabe des Forschungsreisenden ist es, die Spuren der vorgeschichtlichen Zustände in dem Lande selbst, worin diese herrschten, nachzuweisen und zu sammeln, um damit Beiträge zu liefern zur Erkenntniss jener für die Geschichte des menschlichen Geschlechtes so bedeutsamen Periode. Die ersten Bewohner einer jeden Gegend wurden — selbst wenn diese ein Schöpfungscentrum gewesen wäre — in zahl- reiche Wanderungen mithineingezogen, wurden verdrängt und vertrieben durch Andere, an deren Stelle später wieder neue Elemente traten; öfter entstand hiebei ein Gemisch der verschiedenen Völkerschaften, die successive auf dem gleichen Boden sich einfanden. Eine und dieselbe Gegend wurde derart im Laufe der Zeit von Menschenstämmen ver- 5 N A y URSPRUNG UND GESCHICHTE Tr schiedenster Herkunft in Besitz genommen und sah zu öfteren Malen den Typus ihrer Einwohnerschaft wechseln, gleichwie in einem Meeresbecken im Verlaufe der Ablagerung einer Reihe von Sedimentschichten die Thierbevölkerung wieder- holt sich wesentlich änderte. Und wie wir uns von Wechsel- fällen der letzteren Art, von geologischen Aenderungen, ein Bild machen nach den Spuren, welche sie in Gesteinen hinterlassen: so haben wir die Aufgabe, die prähistorischen Vorgänge, die Schichtenfolge der Bevölkerungen zu ermitteln nach den Indizien, welche geblieben sind von Invasionen, Deplazirungen und Mischungen verschiedener Volksstämme, die successiv den gleichen Schauplatz betraten und auf dem- selben kürzere oder längere Zeit eine Rolle spielten. Als Urbevölkerung oder Ureinwohner (Autochthone, Ab- origines) eines Landes müsste man im strengen Sinne des Wortes die ersten Menschen bezeichnen, welche in dem Lande selber ihren Ursprung gehabt hätten und nicht als Ein- wanderer von Aussen in dasselbe gekommen wären. Da aber, wenn man nicht zahlreiche Schöpfungszentren annehmen will, vorausgesetzt werden muss, dass die meisten Gegenden ihre Bewohner von Aussen — durch Wanderungen — erhalten haben, so legt man jenem Ausdruck (Urvolk, Autochthone) nur eine relative Bedeutung bei, indem man darunter die frühesten Bewohner eines Landes versteht, von welchen man Kunde hat, die Ersten, welche unseres Wissens von einer Gegend Besitz nahmen, im Gegensatz zu späteren Ein- wanderern. Ein tiefes Dunkel liegt über Ursprung, Herkunft oder Ab- stammung der autochthonen Bevölkerung einer Gegend, wenn man auch diesem Ausdruck nur den erwähnten relativen Sinn und Begriff beilegt:: die ältesten Wanderungen, durch welche in ein Land diejenigen Menschen kamen, die wir als dessen Urein- wohner betrachten dürfen, verlieren sich meist in unergründ- licher Nacht vorgeschichtlicher Zeiten; bei allen Wanderungen, die wir kennen, von den ältesten bis zu den neuesten, von fernen prähistorischen Perioden bis auf unsere Tage, wurden die invahirten Gegenden schon von andern Völkerschaften besetzt gefunden ; die alten Arier stiessen zur Zeit ihrer Invasion in Indien auf dravidische Stämme, welche sie zurückdrängten, und nichts berechtigt uns zu dem Glauben, dass die ersten Arier, 772 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN welche nach Europa kamen, diesen Erdtheil unbewohnt fanden. Wo immer sodann in geschichtlicher Zeit europäische Ent- decker in entlegene, bisher unbekannte Gegenden den Fuss setzten: stets fanden sie das Land schon bewohnt von Völker- schaften, deren Herkunft selbst wieder unbekannt ist; so in Amerika, in Australien und anderwärts. Eine Ausnahme hievon bilden gewisse Atolle der Südsee und vulkanische Inseln, deren Entstehung neueren Datums ist. Was die jetzt unbewohnbaren Gegenden um die Pole betrifft, so darf an- genommen werden, dass sie nie von Menschen besiedelt waren, obwohl die vielen Reste einer reichen vorweltlichen Flora, welche an manchen Punkten des hochnordischen Gebietes auf- gefunden wurden, unwiderleglich darthun, dass in früheren geologischen Perioden auch diese jetzt vereisten Gegenden sich eines günstigen Klimas erfreuten, wobei sie zum Wohn- sitz für Menschen wohl geeignet gewesen wären‘). Im Ueb- rigen ist nicht gesagt, dass Gegenden, welche in neuerer Zeit unbewohnt waren oder dies noch sind, sich immer in diesem Zustande befunden haben. Wenn die Besiedlung einer öden Gegend, eines entlegenen Thales, unseres Wissens erst in historischer Zeit erfolgte, so ist das noch kein genügender Grund, um a priori anzunehmen, dass eine solche Land- oder Thalschaft früher nie bewohnt gewesen sei. In den Ebenen von Colorado und den Wüsten Innerasiens geben uns einzig Ruinen ehemaliger Städte Kunde von verschwun- denen Völkerschaften, und sorgfältige Nachforschungen können auch anderwärts in Gegenden, die jetzt verödet liegen, Spuren früherer Bewohner derselben zu Tage fördern. In solchen Fällen muss man annehmen, dass jene Bevölkerungen aus- gewandert seien, es wäre denn, dass eine grossartige Kata- strophe ihnen den Untergang gebracht hätte, wobei aber wohl auch die Werke zerstört worden und spurlos ver- schwunden wären, welche von ihrer Existenz Kunde zu geben hätten. Die Erinnerung an spätere Wanderungen hat sich noch erhalten in Traditionen, in denen oft Wahres und Falsches wunderbar vermengt ist, das Thatsächliche durch sagenhafte Zuthaten überwuchert wird, sodass sie mit Bezug auf den 1) Vgl. E. Kollbrunner, Prof. Dr. Oswald Heer’s Studien über die Urwelt des hohen Nordens. St. Gallen 1831. URSPRUNG UND GESCHICHTE 773 wirklichen historischen Sachverhalt zumeist nur dann von erheblichem Werth sind, wenn unter den Stämmen, in deren Mitte diese Ueberlieferungen kursiren, noch Greise leben, - die noch Augenzeugen der Ereignisse, um welche es sich handelt, gekannt und die Berichte darüber unmittelbar von solchen Personen erhalten haben. Auch die Ereignisse, welche Gegenstand der eigentlichen Geschichte bilden, in die historische Zeit fallen, sind aus verschiedenen Gründen oft vielfach entstellt worden. Die Ge- schichtsschreiber, welche als älteste Gewährsmänner für Vor- gänge einer bestimmten Zeit gelten müssen, sind eben oft Angehörige einer gewissen Kaste oder Klasse und als solche mehr oder minder Partei, mehr oder minder befangen und voreingenommen oder geradezu im Dienste bestimmter Per- sonen und Interessen, sodass sie bewusst oder unbewusst in ihrer Darstellung den Thatsachen mehr oder weniger Zwang anthun. Die Schmeichelei vergrössert die Verdienste eines Herrschers oder Feldherrn und stellt alles im gün- stigsten Lichte dar; sie weiss selbst von Siegen zu erzählen, wo in Wahrheit Misserfolge und Niederlagen vorlagen. Oft auch war der Autor einer Zensur unterworfen und durfte nicht schreiben, wie er wollte; und was die Berichte über fremde Völker anbetrifft, so fehlte nicht selten Alles, was nöthig gewesen wäre, um sie verlässlich zu machen: genü- gende Beziehungen oder Verbindungen von Volk zu Volk, Verständniss der Sprache und Denkweise einer fremden Völker- schaft ete. Wissen wir doch, dass im griechischen Alter- thum „fremd“ und „barbarisch“ ziemlich dasselbe bezeich- neten. Was die Geschichtsschreiber jener Zeit uns zu be- richten wissen, betrifft ein verhältnissmässig engumschriebenes Areal: Nordeuropa, das nördliche, mittlere und östliche Asien, wie Innerafrika sind dabei nicht vertreten. Durch das ganze Mittelalter hindurch stand es in dieser Richtung nicht viel besser: erst mit den grossen Entdeckungen an der Schwelle der Neuzeit bricht die Periode einer umfassenderen Kenntniss der Völker des ganzen Erdenrunds an. Dasjenige nun, worüber Tradition und Geschichte uns nicht oder kaum in verläss- licher Weise berichten, ist womöglich zu erforschen nach einer Methode gleich derjenigen, womit der Geologe die Ge- schichte der Erde konstruirt. Im Nachstehenden werden wir 774 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN auf diesen Gegenstand näher eintreten; vorher mag noch daran erinnert werden, dass in unserer Zeit die grössten Leistungen auf dem Gebiet der Geschichte des Alterthums reisenden Forschern zu danken sind; es genügt, in dieser Hinsicht einige Namen zu nennen wie Champollion, Mariette- Bey, Brugsch, Lepsius, Layard, George Smith und Schliemann. Erkundigungen und Indizien. Anhaltspunkte dafür, wo prähistorische Ueberreste in einem Lande zu finden sein dürften, wird man zunächst in den Publikationen dortiger archäologischer Gesellschaften finden, wenn solche vorhanden sind; sodann in Mittheilungen von Personen, welche das Land durchstreift und dabei auf Vorkommnisse dieser Art geachtet haben: auf Ruinen, Ueberreste einer früheren In- dustrie, Sagen von einem verschwundenen Volk ete. Von solchen Personen lasse man sich die Punkte angeben, wo sie dergleichen Wahrnehmungen machten, und die Namen von Männern, welche darüber weitere Aufschlüsse geben können. Es sind ferner die alten Autoren, Karten und Itinerarien zu berathen mit Bezug auf die Lage früherer Städte und Denkmäler, wie dies z. B. in Betreff von Ithaka und Troya, Dodona und Delphi durch Schliemann und Andere ge- schehen ist. Die archäologische Erforschung von Ländern, welche keine geschriebene Geschichte haben und deren alte Städte unter einer Decke von Schutt oder Vegetation verborgen liegen, ist sehr schwierig, da man sich hiebei fast blos durch Hypothesen und den Zufall muss leiten lassen. Oft findet man werthvolle Angaben über ein Volk bei den Geschichtsschreibern und in Denkmälern anderer Völker, so bei Herodot und Strabo, in den Annalen und Hieroglyphen Egyptens über die alten Lybier und verschiedene Völker Asiens und Afrikas, bei Tacitus über die alten Germanen, bei Cäsar über die Gallier, in Schriften der Seefahrer des Mittelalters über die Azteken und Incas, in Reiseberichten von Weltumseglern der Neuzeit über die Südsee-Insulaner. Dergleichen Materialien sollen zu Rathe gezogen, aber nur mit Vorsicht und nach sorgfältiger kritischer Prüfung benutzt werden. URSPRUNG UND GESCHICHTE 175 Befindet man sich einmal in dem zu erforschenden Lande, so frage man bei Einwohnern desselben nach, ob ihnen darin Höhlen, Ruinen oder irgend welche Alterthümer bekannt seien. An solche Orte und Objekte knüpfen sich fast immer alte Sagen; von manchen heisst es im Volke, dass daselbst Geister umgehen; so waren in den ersten Zeiten nach Ein- führung des Christenthums namentlich die Orte, wo die Heiden noch ihren Göttern opferten, Gegenstand derartiger Erzählungen. Alte Monumente, deren Ursprung und Be- stimmung das Volk nicht zu erklären weiss, werden ge- wöhnlich von der Sage einem Riesengeschlechte zugeschrieben. Mitunter sind schon die Namen solcher Stätten bezeichnend, z. B. Wall, Burg, Castrum (Gaster), Heidenmauer, Baal, Bel, Melkart, Nimrud (Birs Nimrud), Cheiton, Devils ete. etc., ferner Feengrotte, Teufelskammer u. dgl. Erdarbeiten zur Fundamentirung von Häusern und Brücken, zur Anlage von Strassen, Eisenbahnen, Kanälen, zur Aus- beutung von Steinbrüchen, Kiesgruben und namentlich auch von Torfmooren fördern oft merkwürdige Funde zu Tage. Es ist sehr zu empfehlen, dass man solchen Arbeiten bei- wohne oder sich doch bei den Arbeitern erkundige, ob und welche Funde etwa gemacht worden seien. Häufig rühren die zur Erstellung neuerer Gebäude ver- wendeten Steine von alten Bauten und Ruinen her, welche von der Bevölkerung einer Gegend als eine Art Steinbruch benutzt werden. Wenn die aufmerksame Besichtigung von Wohnhäusern und anderen Bauten der Landeseinwohner Grund gibt zur Annahme, dass ein solcher Fall vorliege, so er- kundige man sich, woher das Material derartiger neuerer Gebäude stamme und suche sodann den Ort auf, welcher als Bezugsstelle angegeben wird. Wenn der Reisende nicht in der Lage sein sollte, sich selbst mit eingehenden derartigen Untersuchungen zu be- schäftigen, so erkundige er sich wenigstens darnach, was Andere auf diesem Felde geleistet haben; er besichtige die öffentlichen und privaten Sammlungen von Alterthümern, sei aber auf der Hut vor Händlern, welche oft allerlei irgend- wo aufgefundene Dinge und Falsifikate als Alterthümer von berühmten Fundstellen zum Verkaufe anbieten. 776 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Will aber der Reisende auf archäologische Entdeckungen ausgehen, so ziehe er Einheimische zu Rathe, die ebenfalls dergleichen Forschungen obliegen; in Ermanglung solcher befrage er Hirten, Jäger und andere Personen, welche öfter abgelegene Lokalitäten besuchen; denn letztere bieten im Allgemeinen die besten Chancen für dergleichen Funde; so hat man unlängst in Nordafrika zahlreiche Dolmen entdeckt, 500 bei Tebessa, je ca. 2000 bei Mozela und Ain bu Merzug, gegen 3000 bei Roknia. Auch während der Reisende zu irgend einem andern Zweck — z. B. in der Absicht, topographische und geolo- gische Aufnahmen zu machen — das Land durchreist, achte er auf Alles, was dafür spricht, dass die Gegend in ferner Vorzeit eine Wohnstätte des Menschen und Schauplatz seiner Thätigkeit war. Zur Erleichterung dieser Aufgabe werfen wir in Nach- stehendem einen Blick auf Objekte, welche für die prähi- storischen Untersuchungen, die uns hier beschäftigen, von Wichtigkeit sind; dabei soll in Kürze, soweit möglich, auch die Rede sein von den Lokalitäten, an welchen man die zu besprechenden Gegenstände findet, von den Merkmalen der- selben und von den Indizien, wonach die wahrscheinlichen Resultate genauerer Nachforschungen dieser Art zu beur- theilen sind. Wenn es dem Reisenden unmöglich ist, diese Gegenstände genau zu untersuchen, so bestimme er wenigstens deren Fundort in genügender Weise, um entweder später zu dem- selben zurückzukehren oder Andern weitere Nachforschungen zu erleichtern. Wo immer möglich, nehme er aber eine ge- naue Untersuchung vor, gebe eine detaillirte, mit Ansichten und Plänen versehene Beschreibung, nehme Ausgrabungen vor und theile deren Resultat mit. In letzterem Fall müssen die einzelnen Objekte genau abgebildet und beschrieben werden, damit Andere die Richtigkeit der Schlüsse, die man daraus zieht, prüfen oder eine bessere Erklärung geben können. Höhlen mit Spuren des Menschen. Seit den ältesten Zeiten scheinen die Höhlen als Wohn-, Zufluchts- und Be- gräbnissstätten benutzt und aufgesucht worden zu sein. Oft sind dieselben schwer zu entdecken, sei es dass ihr Eingang durch Buschwerk verdeckt, durch Erdschlipfe und URSPRUNG UND GESCHICHTE A77 Trümmerfälle verschüttet ist oder dass dieselben sich in den Felsen steiler Küsten befinden, wo sie nur vom Meere aus sichtbar sind. Für prähistorische Forschungen sind bei Weitem nicht alle Höhlen von Interesse. Die einen wurden nie von Menschen benutzt; andere befinden sich in Verhältnissen, welche all- fälligen Spuren und Resten früherer Bewohner zum Voraus jeden Werth benehmen. Es ist also in dieser Beziehung zwischen verschiedenen Kategorien von Höhlen wohl zu unter- scheiden. Höhlen, welche Mündungen von Mineralquellen sind oder kürzlich noch waren, oder solche mit Gasausströmungen sind, weil für Menschen und Thiere unbewohnbar, ohne Ueberreste dieser Organismen. Höhlen, in welche sich Gewässer stürzen oder welche erst unlängst vom Wasser frei wurden, konnten ebenfalls nicht bewohnt werden oder enthalten doch nur Reste neuerer Zeit. Höhlen, die entstanden sind durch fliessendes Wasser, lassen keine sichern Schlüsse zu auf das Alter allfälliger organischer Reste, welche sie enthalten, da diese von dem Wasser, welches sie mitbrachte, in buntem Durcheinander abgelagert werden konnten. - Solche Höhlen endlich, deren Boden auf irgend eine Weise in seiner Integrität gestört, durchwühlt und umge- lagert worden ist — von höhlengrabenden Thieren, von Menschen etc. — eignen sich wiederum nicht für die For- schungen, von welchen wir sprechen; denn auch in diesem Falle können aus den Funden keine zuverlässigen Folgerungen gezogen werden. Höhlen in Form langer und enger Gänge mit dunkelm Ende dienten zumeist nur wilden Thieren, kaum aber einmal Menschen als Zufluchtsort. , Als Wohnungen von Menschen (Troglodyten) benutzte Höhlen sind im Allgemeinen leicht zugänglich, beim Eingang hoch und breit, fast überall ziemlich hell und nicht zu feucht. Dabei scheinen diejenigen bevorzugt worden zu sein, welche einen Ausblick in das Land, sowie zugleich Schutz vor Ueberfällen gewährten, und in kalten Gegenden solche auf der Sonnenseite des Berg- oder Hügelzuges. 778 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Die als Begräbnissplätze benutzten Höhlen haben gewöhn- lich enge und niedere Räume, die als Grabkammern dienen, vor welchen ein überhängender Fels einen geschützten Raum (eine Balm) bildet; da und dort findet man in denselben aber auch ein weites Gemach, welches als Lokal zur Be- gehung der Todtenfeierlichkeiten diente. Der Eingang solcher Höhlen war öfter oder ist noch durch eine schwere Stein- platte verschlossen. Die Stationen der Höhlenbewohner (Troglodyten) bestehen aus einer oder einigen Höhlen, die als Wohnung benutzt wurden, und einer, die als Grabstätte diente; sodann finden sich in der Nähe der Wohnstellen meist noch Vertiefungen und Aushöhlungen, deren Zweck nicht bekannt ist. Entdeckt man eines dieser drei Vorkommnisse, so darf vermuthet werden, dass in der Nähe auch die beiden andern zu finden seien. Mitunter aber besteht eine solche Station blos aus einer Balm, d. h. einem durch ein Felsdach geschützten Raum. Wenn die eben genannten Verhältnisse zutreffen und das Vorhandensein der Spuren oder Reste von Menschen wahr- scheinlich machen, so ist damit noch nicht gesagt, dass nun ein Fund von wirklichem archäologischem Werth vor- liege; damit letzteres der Fall sei, müssen die fraglichen Ueberreste auch ein genügend hohes Alter haben. Das Alter einer Höhle im prähistorischen Sinne des Wortes bezieht sich aber auf die Zeit, da dieselbe bewohnbar wurde, nicht auf die Periode ihrer Entstehung. Höhlen, welche sich an Steilküsten durch brandende Wellen bildeten, wurden erst bewohnbar, wenn sie einmal davor gesichert waren, ganz unter Wasser gesetzt zu werden, wenn also die Gewässer einigermaassen zurück-, die Höhlen in dieser Weise aus deren Bereich heraustraten. Sie können dann Fischern als Zufluchts- stätte dienen, eignen sich aber nicht zu dauerndem Auf- enthalt, wenn sie nicht einen besondern Ausgang nach der Landseite haben. Diese Küstenhöhlen konnten also erst bewohnt werden, wenn eine Hebung des Bodens sie dem Bereiche der Meereswellen entrückt hatte oder zwischen ihnen und dem Meere durch Erdschlipfe und Trümmerfälle von den steilen Felsen ein Damm gebildet worden war. Die Höhlen einer und derselben Küste sind um so älter, in je höherem Niveau sich dieselben befinden, da die höchstgele- URSPRUNG UND GESCHICHTE 779 genen zuerst vom Wasser frei wurden. Wenn im Binnen- lande alte Küsten vorkommen, so enthält die innerste, vom Meere entfernteste derselben auch die ältesten Höhlen. Das Alter von Höhlen, welche durch Bodendislokationen, Einstürze, Verwerfungen etc. in Kommunikation mit der Aussenwelt gelangt sind, kann nicht nach ihrer Lage, sondern — als identisch mit der Chronologie jener Vorgänge — nur nach den einlässlich zu untersuchenden Gesammtverhältnissen der dislozirten Schichten (namentlich nach den stratigra- phischen Momenten) beurtheilt werden. Höhlen, die erschlossen wurden durch die Reibung, welche ein Gletscher auf die Felsen seines Bettes ausübte, konnten erst bewohnbar werden, wenn der Gletscher mindestens bis zum Niveau jener Höhlen abschmolz. Ihr Alter reicht vielleicht in die Zeit der ersten grossen Ausdehnung des Gletschers hinauf; während der interglacialen Periode können sie offen geblieben und nachher wieder (durch Eis) abgesperrt oder ver- schlossen worden sein, ohne dass letzterer Fall nothwendig eintreten musste. Je grösser ihre Höhe über dem Gletscher und ihre Entfernung von demselben, d. h. ihr vertikaler und horizontaler Abstand von dessen jetzigen Grenzen, desto grösser ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie aus der Zeit der bedeutendsten Ausdehnung des Gletschers zu datiren sind. Höhlen, deren Eröffnung auf die erodirende Thätigkeit des Wassers zurückzuführen ist, wurden um so früher bewohnbar, je grösser ihr jetziger Abstand von dem betreffenden Gewässer, beziehungsweise dem Bette eines solchen ist. Wenn aus irgend einem Grunde — wegen Ab- nahme der Wassermasse oder Tieferlegung des Bettes durch Erosion — der Spiegel des Wassers sank, so konnten vor- handene Höhlen nach Maassgabe dieses Sinkens trocken gelegt werden. Das Verhältniss bleibt dasselbe auch für den Fall, dass ein solches Gewässer gänzlich verschwunden und nur ein wasserloser Thal- oder Seeboden geblieben ist. Ebenso evident ist, dass Höhlen, welche als unterirdische Theile fliessender Gewässer funktionirt haben, erst be- wohnbar wurden, wenn nur noch ein kleiner Theil derselben vom Wasser eingenommen war; im Allgemeinen wurden sie sicherlich erst dann bewohnt, wenn das Gewässer versiegt war oder sich einen andern Weg gebahnt hatte. 780 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Eine Höhle kann seit Langem bewohnbar und doch erst in neuerer Zeit wirklich bewohnt worden sein; aber die Wahrscheinlichkeit, in ihr Spuren von Bewohnern derselben zu finden, ist doch um so grösser, je weiter ihre Bewohn- barkeit zurückreicht. Sehr alte Höhlen verdienen in der Regel erforscht zu werden, sofern wenigstens ihr Boden noch intakt oder normal (im Sinne der früheren sachbezüglichen Bemerkung) ist. Enthalten sie keine Reste von Menschen und der Thätigkeit: von solchen, so können sich Knochen von Thieren finden, welche die Gegend bewohnten, ehe der Mensch in derselben auftrat, und auch diese Funde sind von hohem Interesse. Dass eine Höhle als Schlupfwinkel von Thieren und nicht als Wohnung von Menschen diente, erkennt man rasch und leicht. Den Thierknochen, welche auf dem Boden der Höhle umherliegen, fehlen in einem solchen Falle die Epiphysen, d. h. die Enden, welche mit der Hauptmasse des Knochens durch Knorpeln verbunden waren, während dieser letztere Theil (das Haupt- oder Mittelstück, Diaphyse der Röhren- knochen) oft ganz geblieben ist, aber an den Enden die Zahnspuren fleischfressender Thiere zeigt. Die Raubthiere pflegen nämlich nur die Epiphysen zu verzehren und jene Diaphysen liegen zu lassen, weil sie ihnen schwer oder gar nicht beizukommen vermögen. Ein Unterschied im Verhalten der grossen Fleischfresser gegenüber dem Menschen in Bezug auf erlegte Thiere besteht darin, dass jene die Beute, wenn sie dieselbe nicht an Ort und Stelle verzehren, als Ganzes in ihre Höhle schleppen, während der Mensch ein Thier von bedeutender Grösse zerlegt und nur gewisse Theile (Kopf, Glieder etc.) mit sich nimmt. Die Höhlen der Raubthiere werden daher gegenüber denjenigen, welche von Menschen bewohnt wurden, verhältnissmässig mehr Rumpfknochen er- legter Thiere aufweisen. Auch finden sich daselbst mitunter die Skelette der Fleischfresser, welchen die Höhle zum Auf- enthalt diente, in natürlicher Lage ihrer Theile. Kommen daneben zufällig angenagte Menschenknochen vor, so zeigt dies, dass der Mensch selbst die Beute jener Räuber wurde. Eine solche Höhle kann successive oder gleichzeitig von verschiedenartigen Raubthieren benutzt worden sein. Ersteres ist der Fall, wenn die Skelette der verschiedenen Arten und URSPRUNG UND GESCHICHTE 7s1 ihrer Beutethiere sich in verschiedenen Niveaux — d.h. die Arten nach Schichten oder Lagen getrennt, nicht in einer Schicht beisammen — finden oder wenn zwar die ver- - schiedenerlei Skelette in derselben Lage (Schicht) bei- sammen, die einen derselben aber beschädigt, zerbrochen und in Unordnung gebracht sind durch die späteren Höhlen- bewohner, deren Skelette ailein die natürliche Lage ihrer Theile zeigen. Der zweite Fall (gleichzeitige Bewohnung einer Höhle durch zwei oder mehr Raubthierarten) fand wahrscheinlich statt, wenn in einer und derselben Schicht Skelette der beiden oder mehrerer Arten intakt (d. h. in natürlicher Lage der einzelnen Theile) gefunden werden, ohne dass dieselben durch irgend einen zufälligen Umstand (Ver- schüttung z. B.) vor Angriffen geschützt gewesen wären. Die gleichzeitige Benutzung einer Höhle durch Thierarten, welche sich auszuschliessen scheinen, erklärt sich oft durch die Beschaffenheit der Höhle, welche jeder Species einen be- sondern Zufluchtsort gewährte, sodass nur der Eingang ge- meinschaftlich war. Dabei kann übrigens später das eine Raubthier durch die andere Art vertrieben worden sein, was öfter wieder an den Knochenresten der Thiere zu erkennen ist, welche die gewöhnliche Nahrung des einen oder andern Fleischfressers bildeten. Es ist nicht gesagt, dass hiebei etwa stets der schwächere Räuber durch den stärkeren ver- trieben wurde, vielmehr fand mitunter — durch List des ersteren — das Gegentheil statt. Ausgrabungen in solchen Höhlen, behufs Erforschung dieser alten Fauna, sind mit gleicher Sorgfalt zu betreiben wie dergleichen Arbeiten. bei Höhlen, die von Menschen benutzt wurden. Kennzeichen der Anwesenheit des Menschen in den Höhlen sind folgende: L Spuren einer früheren Feuerstelle, rauchgeschwärzte Wände, verkohlte Knochen und verschiedene Küchenabfälle, Ueberreste von Erzeugnissen einer primitiven Industrie: zurechtgeschlagene (behauene) Feuersteine, bearbeitete Knochen etc.; Knochen, die offenbar absichtlich (zur Gewinnung des Markes aus Röhrenknochen) zerschlagen wurden, welche die 182 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Spuren solcher Schläge oder Kerben von schneidenden Werk- zeugen an sich tragen; das Vorherrschen der Knochen gewisser Körpertheile, welches zeigt, dass unter den Theilen der erbeuteten Thiere eine Auswahl getroffen und nur bestimmte Partien benutzt wurden. Die Feuerstellen oder Herde sind, weil die Menschen vom Rauche möglichst wenig belästigt werden wollten, ge- wöhnlich nahe beim. Eingang der Höhle; man erkennt sie am Vorkommen von Kohlen, Asche und Küchenabfällen ; auch finden sich in deren Nähe oft grosse flache Steine, die als Sitze, als Fleischbänke zum Zerstücken der Thiere, Zer- schlagen der Knochen u. dgl. Zwecken mehr gedient haben. Die Knochen, welche man in von Menschen bewohnten Höhlen fand, gehören immer nur einzelnen bestimmten Theilen grosser Thiere an, auf welche der Mensch Jagd machte; dieser zerlegte die Beute an Ort und Stelle, brachte gewisse Fleischstücke und markhaltige Knochen (Kopf, Glieder ete.) nach seiner Höhle, liess aber den Rest liegen. Die Knochen tragen Spuren von Schlag- oder Schneide- Instrumenten. Wenn Knochen durch Steine oder Erdmassen, die auf sie fielen, zerdrückt wurden, so brachen sie nur der Quere nach entzwei. Dagegen können gewisse atmo- sphärische Einflüsse die Bildung von Knochenbruchstücken in Form langer Splitter bewirken, gleich denen, welche der Mensch durch Zerschlagen der Knochen erzeugt. Das Vor- kommen solcher Splitter für sich allein ist also kein genü- gender Beweis für die Anwesenheit des Menschen, wenn nicht an den Knochen Spuren von Schlägen vorkommen. Gewöhnlich findet man auch die Werkzeuge, welche zum Zerschlagen der Knochen dienten und oft nur Kieselsteine waren. Verkohlte Knochen oder Gegenstände menschlichen Ge- werbfleises beweisen für sich allein schon die Anwesenheit des Menschen, lassen aber in Ermanglung anderer Indizien Zweifel darüber, ob die Höhle als Wohnung oder zur Be- stattung diente. Die für Bestattungen verwendeten Höhlen bestehen ge- wöhnlich aus zwei verschiedenen Räumlichkeiten, einer solchen für die Bestattungen und einer zweiten zur Begehung der URSPRUNG UND GESCHICHTE 183 hiemit verbundenen Feierlichkeiten; dem letzteren Zwecke dient mitunter ein durch den vorspringenden Fels geschützter Raum (Balm) vor der Höhle. Der Zugang zu dem Todtengewölbe oder der Räumlichkeit für die eigentliche Bestattung (Beisetzung) ist in der Regel durch eine Felsplatte verschlossen ; öfter auch trifft man in der Nähe des Eingangs einen den Dimensionen des letztern entsprechenden Stein auf oder in der Erde. Ferner kommen hier mitunter Ueberreste von Opfergaben vor. Die Todten- kammer selbst enthält menschliche Skelette, die mehr oder weniger intakt sind, sowie Gegenstände, welche den Ver- storbenen gehörten, Objekte, denen der Sammler alle Auf- merksamkeit zu schenken hat. In dem Raume für die Bestattungsfeierlichkeiten findet man Objekte, welche auf den Bestand einer Feuerstelle hin- weisen, Kohle, Asche, Küchenabfälle; zufällig wohl auch WerkzeugeundandereGegenständemenschlichen Gewerbfleisses. Dem Reisenden und Sammler muss dringend empfohlen werden, nichts wegzunehmen oder zu disloziren, bevor alle Maassnahmen zu einer wirklich wissenschaftlichen Erforschung der Fundstätte getroffen sind. Behufs Vornahme einer solchen Erforschung ist vor Allem nahe beim Eingang der Höhle ein Schacht oder Graben zu erstellen, um sich darüber zu vergewissern, dass die Schichten, welche den Boden der Höhle bilden, intakt geblieben, nicht durch Wasser oder sonstwie umgelagert und mit einander vermengt worden sind. Dieser Schacht oder Graben ist bis auf den anstehenden („gewachsenen“) Fels hinunter zu treiben. Sind die Schichten von einander deutlich unterschieden, getrennt durch dünne Lagen von Thon oder Schlamm, welche auf wiederholt stattgefundene Ueberschwemmungen hinweisen, oder durch stalagmitische Ueberzüge des Bodens und Trümmer- lagen, die von der Decke des Gewölbes herrühren: so ver- spricht die Untersuchung lohnende Resultate, weil in solchen Fällen jede Schicht nur die wirklich ihr eigenthümlichen Reste enthält. Ereignisse, wie Ueberschwemmungen und das Herabfallen von Felspartien der Gewölbedecke, wodurch die Materialien zur scharfen Trennung der einzelnen Schichten geliefert wurden, mussten auch die Höhlenbewohner (Menschen und Thiere) zeitweise vertreiben, was hinwieder dazu beitrug, 784 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN die verschiedenen Zeitabschnitte der Geschichte des Lokals in den Rückständen desselben erkennen und hervortreten zu lassen. - Es ist ferner ein Plan der Höhle aufzunehmen (nach der S. 62 gegebenen Anleitung); ebenso sind ZLängen- und Quer- profile derselben anzufertigen. Weiter ist die Frage zu prüfen, wie die Materialien, welche die Bodenschichten der Höhle bilden, in diese gelangten und sich ablagerten. Es sind das Ablagerungen von Erde, Geröll, Sand u. dgl. Material, welches das durch Felsspalten eindringende Wasser in die Höhle brachte; ferner Kiesel- und Kalkbildungen, die sich absetzten aus dem von der Gewölbedecke herabtropfenden Sickerwasser oder aus Quellen, welche aus dem Boden der Höhle hervorsprudeln, sowie auch Alluvionen von Flüssen, welche bei hohem Wasserstande den Boden der Höhle überschwemmten. Endlich sind die Schichten des Höhlenbodens geologisch mit denjenigen des Terrains ausserhalb der Höhle in Beziehung zw bringen, um Herkunft und Alter der ersteren zu ermitteln. Nach diesen Vorarbeiten kann man zur Vornahme der Ausgrabungen übergehen. Diese müssen mit grösster Sorgfalt betrieben werden, um die Gegenstände, auf die man trifft, weder zu beschädigen noch mit einander zu vermengen, sondern dieselben in der Lage zu erhalten, die sie wirklich hatten. Letztere Bedingung ist in vielen Fällen von grosser Wichtigkeit wegen der Folgerungen, die man aus der gegen- seitigen Lage der Objekte zu einander ziehen kann. Obwohl die unteren Schichten als die älteren das grösste Interesse darbieten, dürfen doch auch die ihnen aufgela- gerten jüngeren nicht vernachlässigt werden; denn das ver- gleichende Studium der verschiedenen Lagen nach ihren Ein- schlüssen und sonstigen Verhältnissen liefert einen Maass- stab zur Beurtheilung der Aenderungen, welche in der Thier- welt jener fernen Zeit vorgekommen sind, sowie der Fort- schritte in Gewerben, Sitten und Lebensweise des prähisto- rischen Menschen. Die Nachgrabungen müssen sich immer bis auf das an- stehende Gestein erstrecken; man hat sich hiebei davor zu hüten, dass man Stalagmitschichten für gewachsenen Fels halte, wozu oft ihre Härte und Farbe verleiten könnten, URSPRUNG UND GESCHICHTE 185 während gerade unter ihnen die ältesten Ablagerungen sich be- finden. Diese festen Kalkdecken müssen also durchbrochen werden, es sei denn, dass eine genaue Prüfung schon der ersten mit der Pickedavon abgeschlagenen Stücke zeige, dass man es wirklich mit anstehendem Fels zu thun hat. Damit man nicht Gegenstände, welche primitive Werkzeuge und von Menschenhand bearbeitet sind, für blosse Fragmente und Split- ter von Steinen ohne weitere Be- deutung halte, fügen wir hier einige Abbildungen bei, die sol- che Objekte der primitivsten menschlichen Kunstfertigkeit dar- stellen, indem wir uns auf die ungeschlachtesten derselben be- schränken, d. h. auf solche, die am ehesten zurerwähntenVerwechs- lung Anlass geben könnten. Unge- formte Feuersteinsplitter ( F7g..223) in der Nähe einesBlockes (Fig. 2.24) desselben Materials sind untrüg- liche Zeugen menschlicher Thätig- keit, wenn der Block Spuren von Schlägen zeigt, welche geführt wur- den, um von demselben jene Splitter abzutrennen. Steine, welche als Hämmer benutzt wurden (Fig. 225) unterscheiden sich von gewöhnli- chen Steinen durch Spuren langen Gebrauches und dadurch bewirk- ter Abnutzung. Pfeil- und Lanzen- spitzen (Fig. 226, 227 und 228) sind an ihrer Form kenntlich, die letzteren (Lanzenspitzen) auch an ihren bedeutenden Dimensionen. 786 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Steine zur Zubereitung der Thierhäute (Schabmesser , Fig. 229), solche zum Durchbohren der Häute, um diese dann mit Lianen oder Riemen zusammen- zubinden (Fig. 230), Sägen (Fig. 231) und Beile oder Celte (Fig. 232 und 233) werden schon weniger mit beliebig ge- formten Steinfragmenten ver- wechselt; sie lassen, ob sie nun als Werkzeuge oder Waffen be- nutzt wurden, die an ihnen behufs Zuschärfung der Spitze '\ oder Schneide vorgenommene Manipulation erkennen. Die mit den Ausgrabungen betrauten Arbeiter sind sorg- fältig zu beaufsichtigen, damit sie die Gegenstände nicht auf- heben, bevor konstatirt ist, welche Lage dieselben hatten, und damit Beschädigungen zer- brechlicher Objekte vermieden werden. Die ausgegrabene Erde ist zu sieben, ansonst kleinere und schwer herauszufindende Gegenstände leicht unbeachtet bei Seite geschafft und verloren gehen könnten. Im Verlaufe und nach Maass- gabe des Fortschreitens der Ar- beit mache man Notizen über die Beschaffenheit, Ausdehnung und Mächtigkeit der Schichten, sowie über die Lage der ein- zelnen gefundenen Gegenstände, was Alles auch durch Zeichnun- gen (Situationspläne und Pro- file) darzustellen ist, sodass hie- URSPRUNG UND GESCHICHTE 1857 nach später zu jeder Zeit in unzweideutiger Weise konsta- _ _ tirt werden kann, welches die Verhältnisse der ausgebeuteten Schichten im Ganzen und Ein- zelnen, welcher Punkt die Funrd- stelle irgend eines Gegenstandes (Petrefakts oder Artefakts) und welches die Lage des letz- teren war. Wo immer möglich ziehe man zu den Ausgrabungen un- parteiische Zeugen bei. Es ist das der beste Schutz gegen Zweifel, welche später gegen die Authentizität der Entdeckungen erhoben werden könnten. Der Forscher mag ein noch so glaubwürdiger Mann sein, so schützt ihn dies nicht vor dem Verdachte, dass seine Phantasie mit im Spiele sein könne; das Zengniss eines unparteiischen Mannes, der einfach auf- merksam zugeschaut hat und nun berichtet, was er selbst gesehen, ist in solchen Fällen mehr werth, als dasjenige des Gelehrten. Wenn einzelne Objekte Zeichnungen und Skulp- turen enthalten, so nehme man hievon Photographien auf; keine andere Darstellung gewährt, selbst beim besten Willen des Zeichners, dieselbe Genauigkeit, keine daher auch den- selben Schutz gegen Anzweiflung ihrer Richtigkeit und Zu- verlässigkeit. Das relative Alter der Fundstücke wird bestimmt: 1° nach der Stellung der Fundschicht im Profile des Höhlen- bodens; 2° nach den Beziehungen der Fundschicht zur Geologie der Umgegend, ihrer Beschaffenheit, Bildungsweise und deren Ursachen. 3° nach den Thierresten, welche gewöhnlich (regelmässig, nicht zufällig) mit den betreffenden Objekten zusammen vorkommen. Für Thierarten, welche ganz ausgestorben sind, ist ein höheres Alter anzunehmen, als für solche, die zwar in der bestimmten Gegend nicht mehr, wohl aber anderwärts noch vorkommen, also nur aus der in Fig. 233. 788 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Rede stehenden Gegend verschwunden sind; diese hin- wieder müssen für älter gehalten werden als die Spezies, welche noch jetzt in dem Lande vorkommen. 4° nach dem Charakter der Kunstfertigkeit, von der sich Produkte finden, nach der mehr oder minder alterthüm- lichen und primitiven Form dieser Objekte. Wenn sich in einer Schicht Reste verschiedener Art und Natur vorfinden, so dürfen dieselben nicht unter allen Um- ständen als gleichzeitig betrachtet werden. Gewisse Schichten bedurften zu ihrer Bildung einer langen Zeit, sodass sich in denselben Reste verschiedener Generationen ansammeln konnten, die man- nun nebeneinander trifft. Dagegen ist diese Gleichzeitigkeit oder Koexistenz offenbar vorhanden, wenn dieselbe Vergesellschaftung von Formen in zwei oder mehr deutlich unterscheidbaren Schichten eines Profils sich vorfindet. Ein zeitliches Nacheinander ergibt sich aus dem Umstand, dass in untern Schichten gewisse Reste fehlen, welche sich in den obern einstellen; die Richtigkeit der Schlussfolgerung wird aber nur in dem Maasse gesichert, als sich dieselbe Aufeinanderfolge in mehreren verschiedenen Höhlen nach- weisen lässt. Was die als Begräbnissplätze dienenden Höhlen betrifft, so sind die Reste (Skelette und Artefakte) der Grabstelle mit denjenigen des Vorraumes für die Leichenfeierlichkeiten in dem Falle gleichzeitig, wenn die einen und andern auf der nämlichen Schicht abgelagert sind. Diese letztere kann in dem Vorraume (der Balm) oft von neueren Ablagerungen bedeckt sein, welche im Innern der Höhle fehlen. Die Schlüsse, welche sich aus den in Höhlen gesammelten Resten ergeben, sind höchst instruktiv. Wir können hier nur einen kurzen Ueberblick solcher Resultate geben, dessen Ergänzung im einzelnen Fall Sache des Forschers ist. Aus den Menschenknochen erkennt man, wie die Rasse der Höhlenbewohner beschaffen war. Es ist in dieser Hin- sicht auf den Abschnitt über anthropometrische Bestim- mungen (S. 109 bis 115) zu verweisen. Die Knochen gestatten bisweilen auch Schlüsse auf die Lebensweise und Gewohnheiten der urgeschichtlichen Menschen. So sind starke Muskeleindrücke an den Becken- und Schenkel- URSPRUNG UND GESCHICHTE 189 knochen als ein Merkmal grosser Kraft und Behendigkeit zu betrachten; horizontale Abnutzung der Zähne deutet auf die Gewohnheit hin, das zur Nahrung dienende Fleisch zu zerreiben statt zu kauen. Wenn Menschenknochen mit Speiseresten gemengt sind und zudem Spuren von Schlägen, von Verkohlung etc. zeigen, so spricht dies dafür, das die Höhlenbewohner Kannibalismus trieben. Immerhin darf eine solche Folgerung nicht vor- schnell gezogen werden. Bei den Eskimos z. B. kommt es vor, dass Hunde und Füchse die Leichen ausgraben, zur Vermischung ihrer Reste mit Küchenabfällen Anlass geben, auch wohl dieselben nach den Feuerstellen schleppen. Schlag- spuren sodann können von verschiedenen Ursachen herrühren. ‚ Die Thierknochen zeigen, welches die Fauna dieser ur- geschichtlichen Zeiten und die Nahrung des prähistorischen Menschen war. Wenn Fischgräthe und Fischereigeräthe fehlen, so wird der Schluss gestattet sein, dass man es eher mit einem Jägervolk als mit Fischern zu thun hat. Jenachdem Knochen von Thieren, welche gezähmt werden können, ganz oder zerschlagen sind, kann angenommen werden, dass die Thiere gezähmt, d. h. als Hausthiere gehegt wurden oder nicht. Wenn an den Enden angenagte Knochen sich mit Hundeknochen zusammen finden, so ist hieraus auf das Vorkommen des Haushundes zu schliessen. Aeltere Knochen, namentlich solche von ungewöhnlicher Grösse (Mammuthknochen z. B.) können als Anzeichen von Fe- tischdienst betrachtet werden. Der Altersunterschied zwischen diesen und den übrigen Knochenfunden ist nach dem Er- haltungszustand der einen und andern zu beurtheilen. Das Vorkommen der Knochen von Thieren, welche nicht zur Nahrung dienten, weist darauf hin, dass die Körpertheile, von welchen diese Knochen stammen, zur Gewinnung eines Nebenproduktes (z. B. des Rosshaares) benutzt wurden. Auf welche Art die Höhlenbewohner sich Feuer ver- schafften, ergibt sich mitunter auch aus Funden, z. B. aus dem Vorkommen von Schwefelkies- und Feuersteinknollen, aus welchen sie mit Kieseln Funken herausschlugen. Wozu die Sandsteinplatten dienten, welche man in der Nähe von Feuerstellen findet (ob als Sitze oder Fleisch- bänke), ist noch ungewiss. 790 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Das Fehlen von Waffen, welche zur Erlegung der grossen Thiere geeignet waren, die als Nahrung verwendet wurden, spricht dafür, dass die urgeschichtlichen Menschen Gruben, Fallen u. del. Fangmittel anwendeten. Art und Beschaffenheit der Werkzeuge sind Indizien für das relative Alter der Völkerschaft, den Grad ihrer Kunst- fertigkeit, die Art ihrer Bekleidung etc. Das Vorkommen von durchbohrten Muscheln und Knochen verräth eine gewisse Liebe zu Schmuck; wenn sich Farb- mittel vorfinden, so darf vermuthet werden, dass die Be- wohner der Gegend sich zu bemalen oder zu tätowiren pflegten. Scherben von Töpferwaaren sind von grossem Interesse. Die Thongefässe können gröber oder feiner, gebrannt oder ungebrannt, mit Örnamenten versehen oder ohne Verzierungen sein, und sowohl die Formen der Thonwaaren als diejenigen etwaiger Zeichnungen auf denselben erscheinen bald roh und unbeholfen, bald geschmackvoll und fein ausgeführt, sodass hiedurch die gewerbliche Kunstfertigkeit der Ureinwohner einer Gegend charakterisirt wird. Dieselbe ist im Weitern zu beurtheilen nach Zeichnungen an den Wänden der Höhle, auf Steinen, Knochen und Geweihstücken (Rennthiergeweih). Spuren solcher prähistorischen Zeichnungen und Gravirungen sind namentlich dann werthvoll und lehrreich, wenn sie den Charakter einer primitiven Schrift tragen. Sehr wichtig ist die Kenntniss der Stoffe, woraus die Instrumente, Waffen, Schmuckgegenstände u. s. w. bestehen. Die Verwendung, beziehungsweise Verarbeitung der Metalle (Bronze, Eisen) bezeichnet eine höhere Kultur als der aus- schliessliche Gebrauch von Stein, Holz und Knochen, sodass in der Darstellung solcher urgeschichtlichen Zustände durch- wegs zwischen einer Stufe ohne und einer solchen mit Kenntniss der Metalle zu unterscheiden ist; erstere, für welche der Name Steinzeit in Uebung gekommen ist, wird passend als vormetallische Periode, letztere als Metallzeit bezeichnet. Bei den Steingeräthen ist sowohl die Art des Gesteines als die- jenige seiner Bearbeitung (ob diese durch Behauen oder durch Schleifen erfolgte) und bei den Metallwerkzeugen ebenso- wohl die Form (der Styl) als das Material zu beachten). 1) Vgl. hierüber die Abhandlungen der Professoren Fischer und Ecker im Archiv für Anthropologie, Bd. VIII, IX und XII, Augsburger Ztg. 1376 (Beilage Nr. 68) und Westermanns Monatshefte 1880, sowie Dr. Ranke, Anleitung zu anthropo- logisch-vorgeschichtlichen Beobachtungen, S. 275 fi. URSPRUNG UND GESCHICHTE 19 Es drängen sich hiebei namentlich folgende Fragen auf: Findet sich die Gesteinsart in dem Lande selbst vor oder erst in einer weitentfernten Gegend, sodass in letzterem Fall die Stücke derselben eingeführt werden mussten und also auf uralte Handelsbeziehungen und Wanderungen hindeuten ? Ist das Gestein so beschaffen, dass es offenbar gewisser Eigen- thümlichkeiten wegen (Leichtigkeit der Bearbeitung, Härte etc.) zu bestimmten Zwecken gewählt wurde? und ist dasselbe als Rohmaterial in die Höhlen gebracht, mit andern Worten haben die Bewohner der letzteren die betreffenden Geräthe am Fundorte derselben, in der Höhle selbst, angefertigt ? In letzterem Falle werden Splitter, als untauglich bei Seite geworfene Stücke, sowie Steinkerne oder Reste grosser Blöcke vorkommen. Die Funde werden auch zeigen, ob mit dem Material sparsam umgegangen wurde oder nicht, woraus ein Schluss darauf gestattet ist, ob dasselbe schwer oder leicht zu beschaffen war; ebenso wird das reichliche oder seltene Vorkommen gewisser als Zierrath verwendeter Steine, Muscheln und dergleichen mehr andeuten, ob dieselben in dem Lande selbst zu finden waren oder nicht. Es ist von hohem Inte- resse, die nächstgelegenen Ursprungsstellen, die wahrschein- lichen Bezugsquellen aller dieser Materialien zu erkunden und auszumitteln, auf welche Art sie dahin gelangen konnten, wo man sie jetzt findet. Es ergeben sich hiebei Aufschlüsse und Nachweise hinsichtlich ältester Handelswege und Wan- derungen. Bei Höhlen mit Leichenfunden ist namentlich auf die Lage der Skelette zu achten, auf die Bestattungsart, die angewandt worden sein muss, und Alles, was darauf Bezug hat (Vgl. S. 638). Aus dem Befund hierüber können Schlüsse auf gewisse Ideen und Gebräuche gezogen werden. Man konstatire, ob die frühere Bestattungsart mit derjenigen übereinstimmt, welche in der Gegend jetzt noch üblich ist, oder ob sie eine andere war; im letzteren Fall beschreibe man das Verfahren, welches ehedem angewendet worden zu sein scheint, so genau als möglich, d. h. soweit die Funde dasselbe erkennen lassen. Nachdem man die Beobachtungen gemacht, deren Vor- nahme an Ort und Stelle wünschenswerth oder nothwendig ist, geht man daran, die Knochen und Artefakte sorgfältig 792 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN zu sammeln und aufzuheben, um die auf dem Lokale ange- stellten Beobachtungen später entweder selbst durch ein näheres Studium der einzelnen Fundstücke zu ergänzen oder diese Fachkundigen vorzulegen, kurz sie — auf die eine oder andere Art — wissenschaftlich zu verwerthen. Zu letz- terem Zwecke ist namentlich auch eine systematische Klas- siikation und Aufstellung der verschiedenen Funde nach sachgemässen Gruppen nothwendig. Es sind z. B. die ein- zelnen Theile desselben Skelettes zusammenzulegen und von Anderm getrennt zu halten; ebenso ist ein Steinwerkzeug mit dem Block, von welchem das Material stammt, und den dazu gehörenden Splittern in eine Gruppe zu bringen; ferner würden die ineinem und demselben Grabe gefundenen Schmuck- sachen eine besondere Gruppe bilden. Jede dieser Abthei- lungen ist von andern gleichen Alters, namentlich aber von solchen verschiedenen Alters wohl zu trennen. Durch Auf- schriften, Nummern und entsprechende Bemerkungen in einem Notizbuche ist dafür zu sorgen, dass später zu jeder Zeit konstatirt werden kann, unter welchen Verhältnissen irgend eines der Objekte aufgefunden worden ist. | Was die Verpackung und Aufbewahrung der Fundstücke betrifft, verweisen wir auf das oben (S. 327 und 333) über die Behandlung von Gesteins- und Petrefaktensammlungen Gesagte. Alte Lagerplätze. Von den Lagern nomadisirender Stämme verschwand meist nach kurzer Zeit jede Spur. Es traten aber im Leben dieser Horden Momente ein, wo sie bei Aufsuchung neuer Jagd- und Weidegründe von Stellen, die ihnen zusagten, in dauerhafterer Weise als gewöhnlich Besitz ergriffen. Dabei war ihre erste Sorge die, gegen Ge- fahren, die ihnen drohen konnten, Schutzmassregeln zu treffen. Schwache Stämme suchten ihre Lager versteckt zu halten und schlugen sie daher in abgelegenen Waldlichtungen oder schwer zugänglichen Gebirgsthälern auf. Starke Stämme hingegen wählten sich als Lagerplatz eine dominirende Stellung aus, von wo man die Gegend überschauen und sich gegen einen Handstreich schützen konnte. Zum Zwecke der Entdeckung solcher alten Lagerplätze ist es wichtig, zu ermitteln, welches die Richtung einer Wanderung war. In den meisten Fällen wurde bei letzterer URSPRUNG UND GESCHICHTE 193 von verschiedenen Wegen derjenige eingeschlagen, welcher der bequemste und zugleich am günstigsten für die Fristung der Existenz während der Dauer des Wanderzuges war; es wurden also Flachländer den gebirgigen vorgezogen, weite Thäler den engen, die Thalwege den Bergabhängen und Kämmen; in allen Fällen war die Nähe fliessenden Wassers, das Trank und Speise gewährte, von grosser Wichtigkeit. Einem auf der Wanderung befindlichen Stamme hätte es lästig fallen müssen, sich nur auf Wild angewiesen zu sehen; die Jäger hätten sich sehr oft von den Uebrigen trennen müssen auf die Gefahr hin, in die Irre zu gehen und den Stamm nicht mehr einzuholen, Hievor blieb man bewahrt, wenn man einen Stromlauf verfolgte. Es konnte der wan- dernde Stamm hiebei rasch vorrücken; an einer Haltstelle angekommen, machte sich Alles ans Werk: die einen fischten, andere jagten, Frauen und Kinder suchten dürres Holz, schöpften Wasser, zündeten Feuer an und bereiteten die Speisen. Das Trinkwasser spielt an und für sich in der- artigen Fällen eine so grosse Rolle, dass in den Ländern, wo man heute noch auf gleiche Weise — in Truppen oder Karawanen auf ungebahnten Wegen — reist, die Marsch- route und die Eintheilung derselben in einzelne Strecken (nach Etappen) durch das Vorkommen oder Fehlen von Quellen, Brunnen und Bächen bedingt ist. Je zahlreicher eine wandernde Truppe, desto nothwendiger ist es für sie, darauf Bedacht zu nehmen, dass sie auf ihrem Marsche reichlich Wasser vorfinde; dies namentlich dann, wenn es sich um Nomaden handelt, die Heerden von Vieh mit sich führen. Bodengestalt und Bewässerung eines Landes werden also Anhaltspunkte bieten zur Erkenntniss der Richtungen für die Wanderzüge, der Betten und Bahnen für die Völker- ströme grauer Vorzeit. Wenn eine solche Route ermittelt ist, so hat man nun weiter zu präfen, welche Punkte zu beiden Seiten der Linie als Lagerplätze besonders geeignet waren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in jenen Zeiten die Flüsse und Ströme wasserreicher waren, daher Lager weniger nahe an denselben aufgeschlagen wurden als dies heutzutage der Fall sein möchte und demnach Punkte ins Auge zu fassen sind, von denen ausser Zweifel stehen 794 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN kann, dass sie schon damals nicht im Bereiche der Ueber- fluthung lagen. Es ist ferner nicht zu vergessen, dass viele Thäler seit den prähistorischen Zeiten vertieft worden sind und dass vormals das Wasser auf einem bedeutend höhern Niveau floss als jetzt. Man hat also nicht die Thalsohle oder den Thalweg von heute, sondern die alten Flussterrassen auf beiden Seiten eines Gewässers als den Boden zu betrachten, auf welchem die Menschen der urgeschichtlichen Periode sich bewegten. Die alten Lichtungen auf diesem Boden sind mitunter zu erkennen durch: ihren geringen Gehalt an Dammerde und die Unfruchtbarkeit, welche Folge dieses Umstandes ist. Es sind im Allgemeinen Terrains, die sich heute noch als un- kultivirbar erweisen. Was die abgelegenen Thäler anbetrifft, so sind sie heute weit auffälliger als zu einer Zeit, da die Landschaft noch sehr stark bewaldet war; sie können aber Veränderungen (remaniements) erlitten haben, welche den Erfolg von Untersuchungen beeinträchtigen. Einige Wahrscheinlichkeit für Funde ist vorhanden, wenn in einer alten Lichtung Spuren von Gräben, Erdwällen und Trockenmauern (aus Steinen ohne Mörtel) wahrnehmbar sind, und in einem abgelegenen Thale in der Höhe seiner ehe- maligen Ausmündung ins Hauptthal Reste analoger Bauten sich zeigen, die zur Absperrung und Vertheidigung des Thaleingangs dienten. Unter den dominirenden Punkten scheinen die Stämme der Naturvölker namentlich isolirte Hügel und Felsvorsprünge (Promontorien) mit steilen Wänden als Lagerplätze aufgesucht zu haben, die einen freien Blick auf die Umgegend gestat- teten, von drei Seiten her nicht oder nur schwer zugänglich waren und blos auf einer Seite einen bequemeren, aber leicht zu vertheidigenden Zugang (Isthmus) hatten. Wo diese Bedingungen erfüllt sind, ist eine gewisse Wahrschein- lichkeit für Erfolg der Untersuchungen vorhanden, wenn man Reste von Trockenmauern bemerkt, die quer über den Isthmus oder längs der Steilwände hinführen, oder wenn der Zugang von Menschenhand verengt erscheint. Indessen sollen die Nachforschungen nicht auf dergleichen ausgezeichnete Stellen beschränkt werden ; denn in Ermanglung URSPRUNG UND GESCHICHTE 195 von Punkten, welche gewissermaassen natürliche Festungen vorstellen, wurden oft auf gewöhnlichen Hügeln und Hoch- ebenen Lager aufgeschlagen, die umgeben waren von Trocken- - mauern oder Erdwällen, sowie mit Gräben und mit in ge- wissen Abständen angelegten (ohne Zweifel leicht mit Ast- werk zugedeckten) Fallgruben. Diese Lager waren oft durch mehrfache Umwallungen befestigt und von grossem Umfang. Ausnahmsweise konnten auch an verschiedenen andern Orten Lager aufgeschlagen werden, so am Meeresstrande, auf Kiisten-, See- und Flussinseln, auf Deltas und in Sümpfen ; an solchen Stellen sind aber die Reste der alten Werke nur durch Zufall oder durch besonders sorgfältige Untersuchungen aufzufinden. Wenn von Punkten dieser verschiedenen Kategorien nach ihrer topographischen Eigenthümlichkeit und nach andern Indizien vorauszusetzen ist, dass sie alte Lagerplätze waren, so erstelle man einen Plan derselben und ordne man Aus- grabungen an. Zur Vornahme der letzteren wird man sich eine Erlaubniss der kompetenten Behörde oder des Grund- eigenthümers verschaffen müssen; in einer Gegend, wo keine solchen Formalitäten erforderlich sind, wird man hingegen mit den Anschauungen und Vorurtheilen des Volkes zu rechnen und sich abzufinden haben. Auch ist es auf alle Fälle angezeigt, sich durch einen Versuch über die Chancen einer systematischen Ausgrabung zu orientiren und die Be- wohner der Gegend für die Sache zu interessiren, sei es durch die Aussicht auf Arbeitsverdienst, sei es durch kleine wohlangewandte Geschenke. Die Lokalität, auf welcher Nachgrabungen vorzunehmen sind, ist durch die Reste von Mauern und Gräben bezeichnet; es sind namentlich innerhalb dieser Grenzen Funde zu er- warten; immerhin sollen die Arbeiten nicht auf dieses Areal beschränkt, sondern über dasselbe hinaus fortgesetzt werden; denn hiebei kann man auf Waffen und andere Gegenstände treffen, welche anstürmenden Feinden gehörten. Was die Frage betrifft, wie tief man graben soll, so ist zu empfehlen, dass man hiebei womöglich bis auf den an- stehenden (gewachsenen) Fels gehe; die einzelnen Schichten, von den obersten und jüngsten bis zu den untersten oder ältesten auf dem ursprünglichen Boden, sind der Reihe nach 796 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN sorgfältig zu studiren. Es kann sich treffen, dass eine solche Schicht absolut keine Fundstücke enthält und nur aus Schutt besteht, der nach dem Verlassen des Lagers entstand, dass aber die nächst tiefere Schicht reich ist an Funden, welche Zeugniss ablegen vom Leben und Treiben des Menschen an dieser Stätte. Selbstverständlich sind bei diesen Aus- grabungen die nämlichen Vorsichtsmassregeln zu treffen wie bei denjenigen in Höhlen (S. 784 bis 787). Durch Erdeinschnitte und andere Aufschlüsse wird es nicht selten möglich, das geologische Verhältniss zwischen den Schichten, auf welchen die Ueberreste menschlicher Industrie ruhen, und denjenigen des umliegenden Terrains festzustellen. In solchen Fällen sind genaue Profile aufzunehmen und alle Umstände zu notiren, welche zu einer approximativen Alters- bestimmung dieser Lager dienen können. Die Schlussfolgerungen, welche aus den beobachteten T’hat- sachen gezogen werden können, sind zum Theil dieselben, von denen oben bei Besprechung der Höhlen die Rede war. Dazu tritt hier mitunter die Möglichkeit, Art und Form der Woh- nungen zu ermitteln. Spuren von Pfählen in bestimmten Zwischenräumen machen es wahrscheinlich, dass Hütten vor- handen waren, die aus einem leichten Gebälk und einer Ver- kleidung aus Thierhäuten oder Astwerk bestanden. Wenn sie durch Feuer zerstört wurden, trifft man oft noch Reste eines Lehmbestichs mit Abdrücken des Flechtwerks, welches damit überzogen war!). Solidere Pfähle und Reste morschen Holzes lassen darauf schliessen, dass die Gebäude aus Baum- stämmen bestanden. Mauerreste werden zeigen, ob Back- steine, Feld- und Bruchsteine mit Mörtel oder Trocken- mauern angewendet wurden, und die grössere oder gerin- gere Menge des Schuttes wird ein Urtheil darüber gestatten, ob das Mauerwerk einen wesentlichen oder nur unbedeu- tenden Theil der Baute ausmachte. Die Figur der Fläche zwischen den Pfahl- und Mauerspuren lässt erkennen, ob das Gebäude rundlich, quadratisch oder rechteckig war; selbst in Ermanglung solcher Reste kann oft noch nach andern Indizien (z. B. nach dem Areal, auf welchem Küchenabfälle vor- kommen) ein Schluss auf die Form der Baute gezogen werden. 1) Wände oder Mauern aus einem derartigen Geflecht von Aesten mit Lehm- bewurf (Etterwerk) trifft man in der Nordostschweiz hie und da bei alten, noch jetzt in Gebrauch stehenden Hütten und Häusern. URSPRUNG UND GESCHICHTE 197 Finden sich nur wenig oder keine ganzen Waffen und Werkzeuge vor, so ist anzunehmen, es sei das Lager frei- willig aufgegeben worden. Kommen die genannten Objekte -in grosser Zahl vor, so deutet dies darauf hin, dass ein schleuniger Abzug stattfand. Ob dieser durch eine Feuers- brunst oder eine Schlacht verursacht war, wird nach dem Vorkommen von Asche und Kohle oder menschlicher Gebeine beurtheilt werden können. Bei genauer Untersuchung der Umfassungsmauern und Wälle wird man nicht selten noch Anzeichen einer stattgefundenen Belagerung entdecken: die Existenz von Breschen und Spuren einer Einschliessung oder Bezwingung des Platzes durch das Feuer angezündeter Reis- wellen, welche man um das Lager herum aufhäufte, wobei das Feuer die Erdwälle geschwärzt, die äusseren Mauersteine aber caleinirt und verglast hat. Pfahlbauten u. dgl.!) Ein anderes Bausystem der nicht höhlenbewohnenden Naturvölker bestand und besteht zum Theil noch in der Anlage von Bauten, die auf einem Roste von Pfählen ruhen. In dieser Weise wurden ganze Dörfer erstellt. Die einzelnen Hütten sind zuweilen von einander ganz getrennt, isolirt und selbständig, meist aber in Gruppen zusammengestellt, so zwar, dass die Hütten einer Gruppe eine gemeinschaftliche Plattform haben, die auf Pfählen ruht. Wo Felsgrund vorhanden war, der es unmöglich machte, Pfähle in den Boden zu schlagen, befestigte man die letzteren, indem man sie mit Steinen umgab oder aus Steinen, Pfählen und Lehm eine künstliche Insel erstellte. Dieser Art sind die tenevieres der Schweizerseen und die crannoges („Sumpfburgen“ ) in Irland. Als Mardellen oder Margellen ( „Kesselgruben * , bauves) bezeichnet man Vertiefungen im Boden, die eigens zum Zwecke der Erstellung von Pfahlbauten angebracht zu sein scheinen. Die Terramaren endlich sind Bauten, wie die eben erwähnten? die aber nicht in Gewässern von erheblicher Tiefe, sondern in Torfmooren und seichten Lagunen angelegt waren. Diese Bauart findet sich noch in verschiedenen Gegenden. Wo sie prähistorisch ist, d. h. in geschichtlicher Zeit nicht mehr angewendet wurde, hat die Entdeckung derselben ihre Schwierigkeiten; denn es sind davon oft nur einige Pfähle 1) Vgl. hierüber die Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich, Band IX, XII bis XV und XX, 1856 bis 1879 (Berichte von Dr. Ferd. Keller). 798 BEOBACHTUNGEN UND. STUDIEN geblieben, welche im Schilfe oder unter einer Alluvial- schicht (Kies, Schlamm ete.) verborgen sind. Die der atmosphärischen Luft ausgesetzten Pfähle erlagen der Zer- setzung; diejenigen, deren Köpfe fast bis zur Oberfläche des Wassers reichten, haben durch den Wellenschlag gelitten: gut erhalten sind meist nur die unteren, im Boden befind- lichen Theile. Auch werden die Entdeckungen oft nur möglich bei Vornahme von Ausgrabungen oder doch sorgfältiger Unter- suchungen des Bodens an Stellen in geeigneter Lage. | Man hat bemerkt, dass die Pfahlbauten sich im Allge- meinen an- gut gewählten Orten befinden, z. B. in ruhigen Seebuchten mit flachem Ufer, wo der Verkehr mit dem festen - Lande leicht bewerkstelligt werden konnte. In den Schweizer- seen trifft man sie fast immer nahe bei den jetzigen Uferort- schaften, sei es nun, dass die Lokalverhältnisse, welche für die erste Wahl einer Stelle (bei Anlage der Pfahlbauten) massgebend gewesen waren, auch später (bei Anlage der Dörfer) den Ausschlag gaben, sei es dass die Pfahlbaube- wohner bei zunehmender Zahl und infolge irgend welcher Um- stände, die nun dem Festlande den Vorzug verschafften, ihre Hütten eben am nahen Ufer errichteten, wo sie alsdann durch die heutigen Dörfer ersetzt worden sind. Indess darf nicht vergessen ‘werden, dass der Spiegel eines Sees heute eine wesentlich andere Lage haben kann als vormals. Bald ist das Niveau des Sees durch natürliche oder künstliche Stauung erhöht worden und befinden sich nun die Pfahl- bauten tief unter Wasser, bald ist durch Abfluss oder Ver- dunstung eine Senkung desselben eingetreten und liegen nun die Stationen in einem vom jetzigen See mehr oder minder weit entfernten Sumpfe. Uebrigens findet man die Pfahlbauten nicht nur an den Gestaden der heutigen Seen, sondern auch in Aestuarien, an Flussufern, überhaupt an den verschie- densten Stellen, die von Wasser bedeckt sind oder es früher waren, in sumpfigen oder trocken gelegten Niederungen, alten Torfmooren u. s. w. Man hat demnach die Ufer der Seen und Flüsse zu unter- suchen, wo die Gewässer nicht tief sind, und den Boden, wo Spuren von Pfahlwerk oder künstliche Erhöhungen wahr- nehmbar sind. Wenn Grund vorhanden ist zu der Annahme, dass die Lage des Wasserspiegels sich in erheblicher Weise URSPRUNG UND GESCHICHTE ls) m geändert habe, so sind die muthmasslichen alten Ufer zu unter- suchen. Ferner erforsche man Torfmoore und sumpfiges Terrain, das sich von Weitem durch seine eigenthümliche Vegetation be- ‘ merklich macht, sowie auch mulden- und beckenförmige Depres- sionen des Bodens, welche früher von Wasser bedeckt seinkonnten. Wenn man Spuren von einer Pfahlbaustation findet, so suche man in der Nähe, am jetzigen oder früheren Ufer, nach den Grabstätten, welche zu der Niederlassung gehörten. Das Aufsuchen von Fundstücken auf und in einem unter Wasser befindlichen Boden hat eigenthümliche Schwierigkeiten. Wenn die Gegenstände auch unmittelbar auf dem Boden, in dem Schlamme desselben liegen, so sind dieselben derart mit einer Tuffkruste umgeben, dass es eines geübten Auges bedarf, um sie zu unterscheiden. Die tieferen Schichten aber kann man nur auf Gerathewohl mit der Dredsche oder anderen Werkzeugen durchsuchen, da nichts die Gegenwart der gesuchten Objekte verräth. Indessen bezeichnet es Prof. Desor!) als ein Indizium für die Wahrscheinlichkeit des Vor- kommens der in Rede stehenden Objekte, wenn beim Graben in dem Schlamm zahlreiche Kohlenstücke zu Tage gefördert werden. In diesem Falle ist anzunehmen, dass die Station durch eine Feuersbrunst zerstört wurde, welche die Bewohner zur Flucht zwang, ohne dass ihnen Zeit blieb, ihre Haus- geräthe, Werkzeuge, Waffen u. s. f. mitzunehmen. Zeigen sich keine Kohlen, so wird die Untersuchung aller Wahr- scheinlichkeit nach nur eine magere Ernte liefern. Bevor man mit dem Herausschaffen des Materials am Grunde des Gewässers (Schlamm, Sand, Kies etc.) beginnt, müssen Pfähle eingeschlagen werden, an welche das Schiff in zuverlässiger Weise zu befestigen ist; sonst würde man sich der Gefahr aussetzen, dass das Fahrzeug unter den Anstrengungen der Arbeiter, welche jenes Material herauf- schaffen sollen, umschlüge. > Von den besonderen Instrumenten für diese Ausbeutung von unter Wasser befindlichen Pfahlbauten erwähnen wir die- jenigen, welche in der Schweiz gebräuchlich sind und von Prof. Desor?) empfohlen werden. Das eine (Fig. 234) ist 1) Le Bel Age du Bronze lacustre en Suisse, par M. E. Desor, dessins par L. Favre. Paris et Neuchätel, 1874, p. 2. 2) E. Desor, die Pfahlbauten des Neuenburger Sees, Frankfurt a. M. 1866, p. VIII und IX. BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN ein Scharrinstrument für den Handgebrauch, das andere (Fig. 235) eine langgestielte Zange zum Ergreifen der kleinen Gegenstände, welche man unter Wasser sieht. Die wichtigsten Schluss- folgerungen aus den beobach- teten Thatsachen und gefun- denen Objekten betreffen einer- seits die geologischen Aen- derungen, die seit der Zeit, aus welcher die Niederlassung stammt, vorgekommen sind, andrerseits die Bedeutung der Station und ihrer Bevölke- rung in jener fernen Zeit, deren Kulturstufe und Ge- schichte. Wir haben schon gesehen, dass das Niveau, in welchem diePfahlstücke unddieSchicht mit Resten menschlicher In- dustrie(Fundschicht, Kultur- schicht) vorkommen, zuweilen auf stattgefundene Aenderun- gen in den hydrologischen Verhältnissen der Gegend hin- weist. Bei Anlage dieser Woh- nungen muss sich der Boden unterWasser befunden haben; das letztere kann aber aneiner solchen Stelle nicht sehr tief gewesen sein, da sonst sehr lange Pfähle nöthig gewesen wären. Wenn nun derselbe Boden heute entweder trocken gelegt oder aber tief unter Wasser ist, so beweist das eine wesentliche Aenderung Fig. 235. URSPRUNG UND GESCHICHTE 801 der Verhältnisse; noch augenscheinlicher tritt eine solche hervor, wenn man z. B. in einem Torfmoor Reste von Kähnen _ (ausgehöhlte Baumstämme, Einbäume) findet oder durchbohrte _ Steine, die als Anker benützt worden sind. Die Untersuchung des Holzes der Stämme, welche zu Pfählen verwendet wurden, gibt Aufschluss über die dama- lige Baumvegetation, welche eine namhaft andere gewesen sein kann als diejenige der heutigen Wälder in derselben Gegend. Ebenso liefern die Thierknochen der Pfahlbauten Material zur Beurtheilung der Fauna jener Zeit. Die Bedeutung einer Station bemisst sich zunächst nach ihrem Umfang, d. h. nach dem Areal, auf welchem sich Pfähle finden; ferner danach, ob die Station zum Wohnen oder blos zur Aufbewahrung von Vorräthen diente. Im ersten Fall muss zwischen ihrem Umfang und der Anzahl der Fa- milien oder Haushaltungen in derselben eine gewisse Beziehung herrschen; im zweiten Fall aber sagt uns der Umfang nichts über die Bevölkerungszahl. Dass eine Station Wohnplatz gewesen sei, ist wahrscheinlich, wenn man zwischen dem Holzwerk Scherben von Thonwaaren, Küchenabfälle, Bruch- stücke von Waffen, Schmucksachen u. dgl. findet. Wenn aber diese Gegenstände in grosser Zahl und fast intakt an einer Stelle beisammen gefunden werden, so ist anzunehmen, die Station sei als Magazin für Vorräthe benutzt worden. Die Menschenknochen ergeben Anhaltspunkte zu Schlüssen über die Rasse, welcher ein Pfahlbauvolk angehörte; sie sind aber im Allgemeinen selten; ihr Vorkommen in den Stationen ist nur ein zufälliges, denn die Bewohner der Pfahlbauten hatten ihre Begräbnissplätze auf dem festen Lande. Aus Küchenabfällen oder Speiseresten lassen sich Schlüsse ziehen auf die Art der Nahrung und bis zu einem gewissen Grade auf die Lebensweise eines Pfahlbauvolkes. Finden sich in Menge Fischgräte und offene Muscheln, so haben wir es mit einer Fischerkolonie zu thun; Knochen wilder Thiere weisen auf Jagdbetrieb, Kornquetscher oder Mahlsteine, die zum Zerreiben von Getreidekörnern dienten, auf ein acker- bautreibendes Volk hin, dem die Kultur der Zerealien bekannt war. Mangel an Knochen von Hausthieren — ausgenommen von Hund, Katze und Ziege — beweist nicht, dass noch 51 802 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN keine Viehzucht bestand; denn grosses Vieh, wenn solches vorhanden war, musste ohne Zweifel auf dem festen Lande untergebracht werden. Wenn eine Station durch Feuersbrunst unterging, so hat man einige Chancen zur Ermittlung der für die Hütten angewendeten Bauart. Bestanden die Hütten nur aus Holz, Astwerk und Schilfrohr, so beseitigte das Feuer jede Spur derselben; waren sie aber mit einem Lehmbewurf versehen, so kann man noch caleinirte Stücke desselben finden, welche Abdrücke des übrigen Materials (von Aesten und Schilf- stengeln) enthalten und durch gewölbte oder flache Form zeigen, ob die Hütten rundlich oder viereckig waren. Aus den Resten an Geräthen, Waffen, Schmucksachen u. s. w. kann auf den Grad der Kultur und den Wohlstand der Be- wohner geschlossen werden. Ein massenhaftes Vorkommen von Asche und verkohlter Stoffe beweist, dass die Station durch Feuer zerstört wurde. Jenachdem über der Kohlen- und Aschenschicht wieder Erzeug- nisse des Gewerbfleisses sich finden oder nicht, ist zu schliessen, dass die Niederlassung nach dem Brande wieder bewohnt oder aber infolge der Katastrophe gänzlich aufgegeben wurde. In jedem Falle wäre es höchst interessant, die Aus- beutungs-Arbeiten so betreiben zu können, dass die Funde nach den einzelnen Schichten eingeheimst und zusammen- gestellt werden könnten; denn es kann eine Niederlassung von vielen Generationen benutzt worden sein, und eine solche nach den verschiedenen Fundschichten erstellte Sammlung gäbe ein Bild über den Fortschritt menschlicher Kunst- fertigkeit und Zivilisation. Die drei Hauptarten menschlicher Wohnungen, von denen im Vorstehenden die Rede war (Höhlen, Lager und Pfahl- bauten) scheinen keiner besondern Rasse oder Periode eigen- thümlich zu sein. Alle drei entsprechen einem natürlichen Bedürfniss des primitiven Menschen; sie hängen mehr mit dessen Lebensweise und den Hülfsmitteln des Landes als mit überlieferten Ideen zusammen. Das Vorkommen von Höhlen veranlasste den Menschen, in denselben Zuflucht zu ° suchen; in Ermanglung von solchen und bei einer höheren Stufe der Kultur schlug er sein Lager unter freiem Himmel URSPRUNG UND GESCHICHTE 803 auf; wo Seen vorhanden waren und sowohl zum Fischfang als zur Jagd sich Gelegenheit bot, erstellte der Mensch Woh- nungen in der Nähe der Ufer, auf Pfählen im Wasser oder auf dem Lande. Wenn aber in der nämlichen Gegend alle drei Arten von Wohnungen gefunden werden, so ist es wahr- scheinlich, dass sie von verschiedenen Volksstämmen oder aus verschiedenen Perioden herstammen. Kjökkenmöddinger. Die Existenz von Urbewohnern eines Landes wird uns nicht nur aus Resten von Wohnungen derselben offenbar; neben diesen und in Ermanglung solcher gibt es noch andere Anzeichen dafür; so z. B. die Haufen von Muschelschalen und Speiseresten, welche die Archäologen mit dem dänischen Worte „Kjölskenmöddinger“ bezeichnen. Solche Funde sind zuerst an den Küsten Dänemarks, seither aber auch in Asien, Australien und Amerika gemacht worden. In Brasilien heissen sie sambaquis, in Patagonien paraderos. Sehr zahlreich sind sie an den Küsten von Oregon und Kalifornien; ebenso traf man sie am Golf von Mexico und auch im Mississippibecken. Diese Haufen kommen in Form von Hügeln in verschie- dener Grösse am Meeresstrande, in Aestuarien und zuweilen auch an den Ufern grosser Ströme vor. Infolge von He- bungen oder Senkungen des Bodens und anderer Ursachen können sie sich auch in einiger Entfernung von den jetzigen Ufern, auf dem Lande oder im Wasser, vorfinden. Oft sind sie von Vegetation überzogen. Es gibt auch Muschelhaufen, die zufällig vom Wasser gebildet sind und mit den „Kjökkenmöddinger“ nicht ver- wechselt werden dürfen.‘ Die charakteristische Eigenschaft der künstlichen Muschelanhäufungen liegt darin, dass letztere blos aus solchen Schalen bestehen, welche augenscheinlich geöffnet worden sind, um den Inhalt derselben herauszu- nehmen. Die beiden Schalen einer Muschel sind von ein- ander getrennt und selten neben einander zu finden. Zudem enthalten die Haufen ein Gemisch von Arten, welche im Leben nicht zusammen („gesellig“) oder auch nur unter gleichen Verhältnissen vorzukommen pflegen, sodass offenbar ein künstlicher Transport derselben nöthig war, um diese Ansammlungen zu bilden. Endlich findet man in diesen Muschelhaufen verschiedene Spuren der Existenz des Menschen: 504 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Asche, Kohlen, Geräthe, Waffen, Schmucksachen, mitunter auch menschliche Skelette. Zur Erklärung des Vorkommens solcher Muschelhaufen nimmt man an, dass gewisse Volksstämme zu bestimmten Zeiten des Jahres sich an einem günstigen Punkte einfanden, um hier so viel Muscheln als möglich zu sammeln, dass sie die ganze Zeit über von diesen Muscheln lebten und die- jenigen, welche nicht unmittelbar verzehrt wurden, öffneten, um den Inhalt zu trocknen und in dieser Form für später aufzubewahren. Indess muss bemerkt werden, dass im indischen Archipel, wo sich Pfahlbauten vorfinden, unter diesen Wohnungen mit der Zeit Haufen von Muschelschalen entstehen, indem die Eingebornen letztere vorwegs ins Wasser werfen, sowie sie dieselben geöffnet und den Inhalt ver- speist haben. Ein Anschnitt wird es möglich machen zu konstatiren, ob diese Haufen in Beziehung stehen zu zeitweise benutzten Wohnungen; denn wenn sie periodisch für längere Zeit sich selbst überlassen waren, so lagerte sich darauf Flugsand ab, und sie bestehen alsdann aus einer Folge von Muschel- schalenlagen, die von einander durch dünne Sandschichten getrennt sind. Die unter Pfahlhütten entstandenen Muschel- ansammlungen bilden mehr einzelne isolirte Haufen als eine zusammenhängend über einen grössern Raum sich er- streckende Masse. Fanggruben und Verstecke. Mehr durch Zufall als auf positive Indizien hin entdeckt man zuweilen Gruben, welche zahlreiche Thierknochen enthalten, sowie unterirdische Verstecke mit verschiedenen Gegenständen und Vorräthen. Jene Gruben können von urgeschichtlichen Volksstämmen erstellt worden sein, welche von der Jagd lebten und diese in der Weise betrieben, wie es noch heute in Südafrika geschieht, wo ganze Heerden wilder Thiere (Girafen,, Anti- lopen etc.) von allen Seiten eingeschlossen und dann auf grosse Gruben zu getrieben werden, in welche sie hineinstürzen. Die Verstecke mit archäologisch interessantem Inhalt, welche man zuweilen unter Steinplatten und Blöcken findet, stammen ohne Zweifel aus Zeiten, wo frühere Bewohner einer Gegend durch eine feindliche Invasion zur Flucht veranlasst wurden und vor derselben in der Hoffnung auf einstige URSPRUNG UND GESCHICHTE 305 Rückkehr ihre Kostbarkeiten vergruben. Es können diese Verstecke aber auch eine ähnliche Bestimmung gehabt haben wie diejenigen der Indianer, Trapper und Händler des ameri- kanischen Westens, welche als temporäre Depots zur vorüber- gehenden Aufbewahrung von Gegenständen dienen, die später vertauscht, verkauft oder sonstwie verwerthet werden. In einem solchen Falle sind die Gegenstände sorgfältiger ge- ordnet, als wenn sie vor einer eiligen Flucht vergraben wurden. An’ einigen Orten trifft man auch unterirdische Magazine nach Art der arabischen Silos, in welchen sich Vorräthe befinden oder befunden haben. Dergleichen Entdeckungen sind indess selten und gewöhnlich ist der Inhalt solcher Räumlichkeiten — welcher allein die Bestimmung dieser letzteren in genügender Weise erkennen liesse — der Ver- nichtung durch Insekten oder chemische Zersetzung anheim gefallen. Prähistorische Werkstätten!). Bei den Nachgrabungen in Höhlen und den übrigen Stätten vorgeschichtlicher An- siedlungen, von denen wir sprachen, entdeckt man in der Regel Spuren prähistorischen Gewerbebetriebs, einer inlän- dischen oder bodenständigen Industrie jener Zeiten. Wenn man z. B. Feuersteinblöcke trifft, die umgeben sind von un- geformten Splittern, misslungenen oder unvollendeten Pfeil- spitzen u. dgl., so folgt daraus, dass diese Waffen und sonstigen Steingeräthe an Ort und Stelle verfertigt wurden. Ebenso ist das Vorkommen von Gussformen und von Pro- dukten der Metallgiesserei, die schlecht gerathen oder an denen noch die Gussformnähte vorhanden sind, ein Beweis für die Existenz prähistorischer Metallverarbeitung in dem betreffenden Lande. Es finden sich aber nicht nur Ueber- bleibsel eines sozusagen als damalige Hausindustrie betrie- benen Kleingewerbes der Vorzeit, sondern auch grosser Werk- stätten, wahrer prähistorischer Fabriken, falls nämlich die Gegend das erforderliche Rohmaterial in genügender Quantität und vorzüglicher Qualität enthielt. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren diese Werkstätten in der Nähe derjenigen Oertlichkeiten erstellt, wo sich das jeweils nöthige Rohmaterial fand. In dieser Hinsicht vorab 1) Vgl. hierüber Dr. Ranke, a. a. O. (S. 790 oben) Kap. III. 806 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN sind daher Nachforschungen zu veranstalten; alle Spuren alten Steinbruch- und Bergwerkbetriebs, Stollen, Schlacken- haufen, alle Reste primitiver Metallgewinnung und Verar- beitung, unvollendete oder ausgemusterte Exemplare und Theile von Waffen und Geräthe verschiedener Art sind wohl zu beachten. So hat man in England in einem Stollen, dessen Decke eingestürzt war, Knocheninstrumente gefunden, - womit in den Kreidelagern nach Feuersteinknollen gegraben wurde. In diesem vielleicht seit 3000 Jahren verlassenen Stollen war in dem Staube, der alle Gegenstände bedeckte, noch ein Abdruck der Hand eines Arbeiters zu sehen! Aus mancherlei Faktoren lassen sich Schlüsse ziehen auf die Bedeutung solcher vorhistorischer Werkstätten und ergibt sich, dass dieselben nicht nur für den lokalen Bedarf ar- beiteten, sondern namhaften auswärtigen Absatz hatten, also Handel trieben. Weitere Studien können dazu führen, dass in verschiedenen Gegenden gemachte Funde an Alterthümern sich als Produkte einer bestimmten Stätte vorgeschichtlicher Industrie erweisen und uns dadurch die Wege jenes uralten Handelsverkehrs bekannt werden. Megalithische Monumente. Als megalithische Mo- numente oder einfach Megalithe (vom griechischen ueyag, gross, und Audog, Stein) bezeichnet man urgeschichtliche Denkmäler aus rohen oder nur grob behauenen aufge- richteten oder doch auf eine schmale Stützfläche gestellten Steinblöcken, über welchen mitunter noch eine ebenfalls. rohe Steinplatte angebracht ist. Man “unterscheidet drei Gruppen derselben: 1° Blöcke; 2° Pfeiler oder aufgerichtete Steine; 3° Tische oder Dolmen. Diese Monumente, welche zuerst aus dem nordwestlichen Europa (Carnac in der Bretagne, Stonehenge bei Salis- bury in England etc.) bekannt geworden sind und die man lange als keltische und Druidensteine erklärt hat, finden sich fast in allen Erdtheilen; von wem sie herrühren, hat man bis jetzt nicht ermitteln können. In öder, abgelegener, ehemals waldbedeckter Wildniss namentlich erheben sich diese in ihrer rauhen Grösse und Einfachheit imponirenden Denk- mäler. Sie sind selten in Gegenden, wo Findlinge und andere Felsblöcke nur spärlich vorkommen, und aus dichtbevölkerten Ländern mit weitgediehener Bodenkultur sind sie fast gänzlich URSPRUNG UND GESCHICHTE 807 verschwunden. In Belgien ist das letzte derselben ums Jahr 1828 zerstört worden, und die Pfeilersteine (Menhirs) von Carnac, deren im 16. Jahrhundert durch den Chorherr Moreau nicht weniger als 12000 bis 15000 gezählt wurden, sind nun auf wenige tausend reduzirt. Bei fortschreitender Kultur sind diese Denkmäler als Baumaterial, Feldmarken und Strassenrandsteine benutzt worden. Im Allgemeinen sind die Megalithen schon von Weitem als solche kennbar; indessen soll man sie aufmerksam unter- suchen, um sie mit ähnlich aussehenden Steinen und Blöcken, die kein Werk von Menschenhand sind, nicht zu verwechseln. Die schwebenden Steine, welche die Engländer /log- han oder loggan (Fig. 236) nennen, sind Felsblöcke, die auf eine ihrer Ecken gestellt und so im labilen Gleichgewicht befindlich sind, sodass sie dem An- scheine nach mit geringer Mühe ins Schwanken ge- bracht werden müssten. Sie können Naturspiele sein. Einigeruhen aber auf einem rundlichen Stein, der sich zur Hälfte in einer Höhlung des oszillirenden Blockes, zur andern Hälfte in dem die Unterlage bil-' dendenFelsboden befindet, und esistsehr wahrschein- lich, dass es sich hiebei um ein Werk des Menschen handelt. Die Schalensteine (Fig. 237) sind Felsblöcke, in welchen oben schalen- oder tassenförmige Höhlungen und zuweilen Furchen oder Rinnen angebracht sind. Letzterer Umstand hat Anlass gegeben zu der Vermuthung, es seien das Altäre gewesen, auf welchen man lebende Wesen geopfert hätte, deren Blut in die Höhlungen geflossen und durch 808 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN die Rinnen abgelaufen wäre (daher die Benennungen Opfer- und Altarsteine, sowie Druidensteine). Indessen ist seither konstatirt worden, dass viele dieser Schalen in einer Weise angebracht sind, die eine solche Annahme als unstatthaft erscheinen lässt. Die Parasolsteine (Fig. 238) bestehen aus einem Fun- = damentvon 4 oder5 Steinen A und einer grossen nach = : -# allen Seiten vortretenden MIN | | Platte oder einem in ana- au) loger Weise angebrachten Block, sodass sie von Wei- tem einem riesigen Hutpilz oder einem „Gletscher- tisch“ gleichen. Die einfachen Pfeiler oder Monolithe (Fig. 239) sind aufgestellte Steine von den verschiedensten Dimen- sionen. Als Peulvans oder aufgestellte Blöcke bezeich- net man die kleineren von 1 bis 2,5 m Höhe, als Men- hirs die grösseren (man kennt solche bis zu 23m Höhe). Bilitheoder Doppelsteine (Fig. 240) heisst das durch Auflagerung eines Quer- steins auf den Pfeiler ge- bildete T-förmige Denk- mal, Zrilith oder dreifacher Stein (Fig. 241) ein sol- ches, bei dem ein horizon- taler Stein auf zwei Pfeilern ruht. Analog sind die Aus- drücke Wuadrilith, Penta- lith etc. zu verstehen. All- gemein bezeichnet man als Polylithen die verschiedenen Am, ss ING NN URSPRUNG UND GESCHICHTE 809 Denkmäler, welcheausmeh- reren Pfeilern und einem auf denselben ruhenden (Nachliegenden) Stein be- stehen. Steintische oder Dolmen (Fig.242) sind Monumente, bei denen eine Steinplatte auf rohen oder grob be- hauenen Blöcken ruht; diese kehren ihre rauhe- sten Flächen nach aussen: die glatteste Seite eines Fig. 241. jeden ist nach dem Innern des Denkmals gerichtet. Das Monument ist bald frei auf offenem Felde angebracht (dolmen apparent), bald von einem Erdwalle umgeben oder unter einem künstlichen Hügel verborgen (dolmen couvert). Die Platte a in m jr N EN { Br er Fig. 242. kann ferner nur an ihren Enden auf Tragsteinen ruhen, nach Art einer gewöhnlichen Tischplatte (wobei sich das Monument von einem Trilith etc. nur dadurch unterscheidet, dass die als Träger dienenden Steine plumper, der Querstein aber breiter ist) oder sie kann auf einer grossen Zahl im Kreise angebrachter Steine lagern; die letzteren lassen zwischen sich offene Räume (offene Dolmen) oder schliessen \ dicht zusammen (geschlossene Dolmen). 810 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Der Halb- Dolmen (Fig. 243) ist ein Denkmal, dessen Steinplatte nur an einem Ende auf einem Blocke, mit dem andern Ende aber auf dem Boden ruht. Diese verschie- denen Monument- formen sind nun auf manigfache Weise mit einan- E> — der kombinört. Bald — trifft man unförm- Fig. 243. liche Blöcke im scheinbar regelloser Gruppirung oder zu einem Kreise ge- ordnet, in dessen Mitte sich zuweilen ein Pfeiler (peulvan oder menhir) erhebt — ein Gebilde, das man in der Bre- tagne Carneillon nennt. Bald sind die Pfeiler in zwei oder mehr gradlinige Sfeinreihen zusammengestellt und bilden eine Riesenallee (avenue, allee de geants, jayantiere), an deren Ende sich zuweilen ein Dolmen befindet, oder es sind die Pfeiler und Steine zu verschiedenen grad- und krummlinigen Figuren zusammengestellt: in Dreiecken, Rechtecken, Quad- vaten, in Kahnform, zu Halbkreisen, Ellipsen etc., und diese Steinsetzungen (Cromlechs) können ein-, zwei- oder mehrfach sein, umgeben auch wohl ein oder mehrere Menhirs, Bilithen, Dolmen u. s. w. Mitunter sind dabei die Steine so nahe zusammengestellt, dass sie eine zusammenhängende Umwallung oder Mauer bilden. Eine dieser Kombinationen, Nemedh ge- nannt (Fig. 244), besteht in einer ein- oder mehrfachen NE en am ] Eh i I nl A BAR esscar., rg m E — TR URSPRUNG UND GESCHICHTE sil Steinpallisade mit einem in der Peripherie, statt im Centrum, angebrachten Dolmen. Es ist sehr zu wünschen, dass an den Stätten solcher Denkmäler Nachgrabungen vorgenommen werden; denn sie allein können uns einigen Aufschluss über den Zweck dieser primitiven Bauwerke verschaffen. Es ist aber schwer zu sagen, an welchen Punkten mit Ausgrabungen zu beginnen ist, wenn die Megalithen einen grossen Raum einnehmen. Im Allgemeinen sind die Umgebungen der Blöcke, die Stellen am Fusse einzeln stehender Pfeiler, die Zentren der Stein- setzungen und Dolmen als solche Punkte zu bezeichnen. Bei den Dolmen hat man vorher zu untersuchen, ob der Boden noch intakt sei. Bei Steinkreisen, in deren Mitte sich ein grösserer Block oder höherer Pfeiler befindet, sind die Ausgrabungen gegen die Peripherie hin vorzunehmen ; denn dort sind die Gräber angebracht, über welche die durch den zentralen Block oder Pfeiler repräsentirte Gottheit wachen sollte. Selbstverständlich sollein Plan und eine Ansicht (Zeichnung oder Photographie) des Denkmals oder der Monumentengruppe aufgenommen werden. Dabei ist besonders auch auf die Örientirung zu achten und diese in dem Plane durch einen nach Nord gerichteten Pfeil anzugeben. Ferner soll genau untersucht werden, ob sich Spuren von Schriftzeichen oder Buchstaben vorfinden; ist dies der Fall, so ist eine treue Abbildung oder ein Abdruck derselben anzufertigen. Zur Erklärung dieser Denkmäler sind die verschiedensten Ansichten ausgesprochen worden. Die einen sehen in den Blöcken und Pfeilern Idole oder Göttersymbole, in den Dolmen Altäre und Tempel, in den Steinkreisen geweihte Einfas- sungen. Andere sind der Meinung, dass die Blöcke und Pfeiler Denkzeichen seien zur Erinnerung an wichtige Er- eignisse (Schlachten z. B.) oder Zeugen für Vertragsabschlüsse und dass die Steinkreise Stätten bezeichnen, wo feierliche Versammlungen gehalten wurden. Eine dritte Ansicht geht dahin, die Megalithen seien Denkmäler für Verstorbene und zwar die Blöcke und Pfeiler Grabsteine für Häuptlinge oder doch Monumente zu deren Gedächtniss, die Dolmen Todten- kammern, und die Steinkreise Friedhöfe. Der Forschungs- reisende wird sich bemühen, in jedem Einzelfall aus der Be- 812 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN schaffenheit des Denkmals und aus den Ergebnissen der Ausgrabung zu ermitteln, welches wohl der Zweck dieser Bauwerke war, die nicht selten riesige Dimensionen aufweisen. Gewisse Trilithen mögen nur die massiven Hauptthore (Pylone) von Bauten sein, deren weniger solide Mauern nicht erhalten blieben. Andere Tri- lithen können Theile einer Säulenreihe gewesen sein, die von einem Architrav gekrönt war. Aber es gibt auch Tri- lithe, welche augenscheinlich jederzeit für sich allein beste- hende Denkmäler waren. Der Unterschied zwischen diesen drei Fällen spricht sich namentlich in den Verhältnissen des Quer- steins (Architravs) auf den bei- den Pfeilern aus. Im ersten Fall, bei Pylone-Trilithen (Fig. 245), deckt der Architrav die obern Pfeilerenden genau, ohne seitwärts über dieselben hinaus- zureichen; im zweiten Fall, bei den von einer Säulenreihe(Colon- nade) oder Einfassung herrüh- renden Trilithen (Fig. 246), be- deckt der Querstein nur die Hälfte eines Pfeiler- oder Säulen- kopfes; die andere Hälfte ist frei, weil sie als Stützfläche für den nächstfolgenden Architrav dienen musste ; im dritten Fall, bei den als selbständige Monu- menteerrichteten Trilithen (Fig. 247), vagt der Querstein mit seinen beiden Enden über die Pfeilerköpfe hinaus. Ein bedeckter Dolmen kann durch athmosphärische Einflüsse frei gelegt worden sein. Hier- URSPRUNG UND GESCHICHTE 813 über muss die Beschaffenheit des umliegenden Terrains Auf- schluss geben. Hinsichtlich der Deckplatte soll aufmerksam untersucht werden, ob sie nicht. Spuren von Vertiefungen und Rinnen zeige, woraus geschlossen werden könnte, dass auf ihr blutige Opfer dargebracht worden seien. Gewisse Dolmen haben in einer der Steinplatten ein Loch; es scheinen das Gräber gewesen zu sein, wobei jene Oeffnung dazu diente, dem Verstorbenen die vermeintlich nöthigen Speisen zu ver- schaffen, oder aber nach dem Glauben der Erbauer dieser Monumente das Thor war, durch welches die Seele des Todten ihren Weg nach dem Jenseits nehmen musste. Wenn sich auf den Steinen keinerlei Schriftzüge oder Buchstaben finden und jede Spur einer mit Hülfe metallener Werkzeuge vorgenommenen Bearbeitung fehlt, so berechtigt dieser negative Befund für sich allein noch nicht zu dem Schlusse, dass die Völkerschaften, von welchen jene Mega- lithen herrühren, weder ein Schriftsystem noch Kenntniss der Metalle besassen; denn die Nichtanwendung des einen und der andern bei diesen Denkmälern kann Folge gewisser Vorurtheile sein. Es scheint, dass einige Volksstämme in Indien, Belut- schistan und Kurdistan jetzt noch megalithische Denkmäler errichten und in Nordafrika unter den Eingebornen die Er- innerung noch lebendig ist an Zeiten, da bei ihnen dieser Brauch geübt wurde. In solchen Fällen ist es von Werth, bei den Stammesältesten Erkundigungen über diese Sitte einzuziehen. Indessen soll man sich nicht auf diese Infor- mationen beschränken, sondern gleichwohl Nachgrabungen vornehmen. Findet man: dabei Skelette intakt erhalten, so folgt daraus, dass die Megalithen der betreffenden Gegend Grabstätten bezeichnen. Aus dem Vorkommen zerstreuter menschlicher Gebeine lassen sich verschiedene Schlüsse ziehen: es kann sich um einen Opferplatz handeln oder um Gräber, die von Menschen, Thieren und Ueberschwemmungen be- schädigt wurden. Der gänzliche Mangel an Skeletten und Knochen beweist nichts; es können die Leichname verbrannt worden oder infolge der besondern Bodenbeschaffenheit längst gänzlich verwest sein. Was sachbezügliche Schlussfolgerungen anbetrifft, so er- geben sich solehe aus der Stellung der Leichname (S. 791), 814 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN wenn intakt gebliebene Skelette zum Vorschein kommen, sodann aus vergleichenden Untersuchungen der in verschie- denen Gräbern gefundenen Gegenstände. Wenn letztere (Gräber mit Inhalt) sich in mehreren Lagen übereinander befinden, so liefern die Funde einen Maassstab zur Beur- theilung der Fortschritte in der Zeit, da die Errichtung megalithischer Denkmäler Sitte war. Eine lange Dauer dieser Periode verräth sich oft schon in dem verschiedenen Aus- sehen der Denkmäler, in den Aenderungen, welche die Bau- art derselben (namentlich der Dolmen) an einem und dem- selben Orte erlitt. Megalithische Denkmäler von grossen Dimensionen müssen von einer zahlreichen Bevölkerung errichtet worden sein; denn bei der Einfachheit der mechanischen Hülfsmittel, welche dabei zu Gebote standen, bedurfte es gewiss vieler Hände, um die zuweilen riesigen Blöcke an den für sie bestimmten Platz zu bringen. Eine schwierig zu lösende Frage ist die: ob diese Arbeiten von unterworfenen Völkerschaften und Sklaven aufgeführt werden mussten, oder ob jeder Angehö- rige einer Gemeinschaft dazu beitrug, ähnlich wie anderswo beim Frohndienste. Tumuli u. dgl. Unter der allgemeinen Bezeichnung Tumulus (Mehrzahl Tumuli) fassen wir hier die verschie- denen Arten von Hügelgräbern und künstlichen Erd- oder Steinhaufen zusammen. Dieselben werden nach den einzelnen Ländern und Besonderheiten ihrer Konstruktion verschieden benannt: Kurgane („Tschudengräber“) in Russland, Mounds in Nordamerika, Cairns oder Galgals in Grossbritannien ete. Br ——G SER or y oh FO ser LG: U > T IS SEZEIIZII FIN Fig. 249. — Durchschnitt eines Cairn. URSPRUNG UND GESCHICHTE 815 Fig. 250. — Durchschnitt eines Tumulus. Die meisten dieser künstlichen Erd- und Steinhaufen sind Grabhügel; es gibt deren aber auch andere. So scheinen die Chirons oder Chirats von Saintonge, Steinhaufen oder Blöcke in gewissen Abständen von einander, als eine Art Wegweiser die Richtung einer Verkehrslinie bezeichnet zu haben, wie ähnliche von Strecke zu Strecke sich erhebende Steinhaufen (Kerkur) der heutigen Araber den Karavanen in der Wüste ihren Weg weisen. Viele Steinhaufen oder ungeformte Blöcke dienten zur Bezeichnung der Landes- und Grundeigenthumsgrenzen an Stelle unserer heutigen Mark- steine. Andere Steinhaufen, wie die Aidjm der syrischen Beduinen, sind Gedenkzeichen, und manche Erdhügel in flachen Gegenden waren Hochwachten, von denen aus man einen heranziehenden Feind schon auf grosse Distanz wahr- nehmen oder weithin Signale geben konnte. Ob ein Tumulus Grabhügel gewesen sei oder nicht, kann nur durch Nachgrabungen ermittelt werden, wobei zudem ein nega- tiver Befund nichts beweist, da es möglich ist, dass die Leichname unbedeckt und ungeschützt auf den blossen Boden gelegt worden und in Staub zerfallen, spurlos verschwunden sind. Meistens jedoch wurden zum Schutze der Leichen oder der Aschen- krüge (Urnen) Steinplatten angebracht, und bildeten diese eine Grabkiste oder Todtenkammer (eist oder cella) von sehr verschiedenen Dimensionen, manchmal bedeckte Dolmen oder einen geräumigen Saal, zu welchem ein unterirdischer Gang führte. Hier findet man dann Skelette in der Stellung oder Lage, welche dem Verstorbenen gegeben wurde, nebst den Waffen und Abzeichen, die er bei Lebzeiten getragen, und verschiedenen andern Gegenständen, die man ins Grab zu legen pflegte („Beigaben“). Die Stelle der Waffen und anderer kostbarer Objekte vertreten manchmal kleine Modelle der- selben, Nachbildungen von geringem Werthe, und statt der Skelette trifft man — je nach der Bestattungsart — oft 816 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN die Asche der Verstorbenen oder unvollständig calcinirte Knochen in Gefässen von gröberer und feinerer Arbeit. Die steinernen Grabkisten (eists oder kistvaens) befinden sich nicht immer in der Mitte des Hügels, oder wenigstens kommen ausser einer mittleren Kiste, die als erstes und ältestes Grab anzusehen ist, noch solche über und neben derselben vor, ein Umstand, der wahrscheinlich so zu er- klären ist, dass für spätere Begräbnisse schon vorhandene Erdhügel benutzt wurden. Die Grabhöhlen, Todtenkammern und Sääle nehmen in der Regel die Mittelpartie des künstlichen Hügels ein und befinden sich auf gleichem Niveau mit dem angrenzenden Boden oder etwas höher. Eine Ausnahme hievon machen die langgestreckten Hügel (lony barrows), in welchen ein unterirdischer Gang zu der am einen Ende des Hügels ange- brachten Steinkammer führt. Bald ist diese Kammer oder Stube selbst der Bestattungsraum und findet man im Innern oder an den Wänden derselben die Skelette angebracht; bald ist das eigentliche Grab unter dem Boden und sind Nachgra- bungen nöthig, um es aufzufinden. Nicht selten ist an der Aussenseite des Denkmals eine falsche Thüre angebracht, der wahre Eingang aber mit einer Steinplatte verschlossen oder durch Gebüsch maskirt. Ein besonderer Typus dieser Ge- bilde ist der, welcher aus einer Reihe verschiedener Höhlen besteht, die durch mächtige Steinhaufen von einander getrennt sind und wovon jede ihren eigenen unterirdischen Zugang hat. Zuweilen befindet sich auf dem Tumulus eine rohe Statuette (Kamenyja baby, Kumir oder Bolvani), die vielleicht eine Gottheit darstellt, manchmal auch ein Altar-Dolmen oder Cenotaph, und ist derselbe mit einer ein- oder mehrfachen Einfassung aus aufgestellten Steinen umgeben. Die Ein- fassung unmittelbar um den Hügel, welche zweifelsohne die aufgeschüttete Erde zurück- und zusammenhalten musste, nimmt zuweilen den Charakter einer Trocken- oder Mörtel- mauer an. Die Tumuli sind sehr verbreitet. Sie finden sich fast in allen Ländern. In manchen Gegenden, z. B. in Algier und dem Mississippi-Becken, haben sie bizarre Formen, die Schlangen, Menschen u. s. w. darstellen sollen und als sym- bolische Monumente bezeichnet werden (Fig. 251). URSPRUNG UND GESCHICHTE 817 aa uni Me Fig. 251. Wenn die künstlichen Hügel mit Sträuchern und Bäumen bewachsen sind, kann ihr Alter nach seinem Minimalbetrage aus der Anzahl Jahresringe jener Holzpflanzen bestimmt werden. Bekanntlich entspricht die Anzahl der konzentrischen Holzringe eines dikotyledonischen Baumes oder Strauches seinem Alter (nach Vegetationsperioden, beziehungsweise Jahren), wenn man nämlich die Ringe zählt auf einem am untern Ende des Stammes, nahe der Wurzel, geführten Querschnitt. Bei einem hohlen Stamm schätzt man die Zahl der Jahrringe, welche auf die Höhlung entfallen müssen, ab nach der Zahl der Ringe im noch vorhandenen Holz. Selbstverständlich ist das Verfahren nur ein approximatives und geben die erhaltenen Zahlen nur ein Altersminimum für das Denkmal; wie viel Jahre verflossen zwischen der Errichtung des Hügels und dem Zeitpunkt, da Samen von Holzpflanzen auf demselben zu keimen begannen, das können wir ja nicht bestimmen. Auch nimmt oft schon die Er- richtung eines solchen Monumentes einen beträchtlichen Zeit- raum in Anspruch ; denn viele derselben sind nicht auf einmal erstellt worden, sondern ganz allmälig in der Weise, dass nach einer frommen Sitte jeder Vorübergehende einen Stein oder eine Handvoll Erde hinzufügte. Was den Ursprung dieser Denkmäler anbetrifft, darf man sich nicht durch die sachbezüglichen Traditionen und Benennungen wie Hünengräber, Riesengräber, Druidensteine, keltische Monumente u. dgl. leiten lassen. Vereinzelte Tumuli in einer Gegend, die keine Spur vorgeschichtlicher Wohn- 52 815 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN oder Lagerstätten aufweist, können Nomadenstämmen zuge- schrieben werden, welche für ihre Häuptlinge oder Patri- archen diese Bestattungsart anwendeten. Die Pfeilersteine, womit solche Grabhügel zuweilen geschmückt sind, waren ohne Zweifel- Siegeszeichen. Die konzentrischen Steinsätze, welche den Hügel in einiger Entfernung vom Fusse desselben N Alleine ee u — ee — en ER jjemzen (cam. morgen Apr Gem = fen Tem m = —= Zur dmg: 7 I] SE ! SIHHRHHIEREER SHAll.. ae a un En Bi Ä IM — —m— — Fig. 252. umgeben, bezeichnen vielleicht die Grenzen, bis zu welchen das Volk und die Stammeshäuptlinge sich dem Grabe nähern durften, um den verehrten Todten ihre Opfergaben darzu- bringen. In die gleiche Kategorie wie die Tumuli können die Topen oder Stupas (Fig. 252) gerechnet werden, buddhistische Grab- und Kultusdenkmäler, welche in Indien und Afcha- nistan und von da bis ins südliche KURS Sibirien verbreitet sind ; namentlich IS gilt dies von den besondern Formen derselben, welche Daghobas genannt werden. Die Eingebornen haben hie- Fig. 253 a. für die Bezeichnung Bihta, was „Haufe“ oder „Hügel“ bedeutet. Ferner sind die algierischen Bazinas und Medracen hieher zu zählen. Die ersteren (Fig. 253) bestehen aus einer oder mehreren Einfassungen von stufenförmig angeordneten URSPRUNG UND GESCHICHTE s19 Steinen; in der Mitte befinden sich gewöhnlich drei grosse aufgestellte Steine, welche drei Seiten eines Rechtecks bilden, und der Innenraum ist mit Geschieben und zerschlagenen Steinen gepflastert. Die zweiten (Fig. 254) sind Tumuli mit etwas flacher Böschung auf einem Unterbau aus Mauerwerk. jsl.keleiwikrei Die Naos (Fig. 255 a,.b, c) auf den Balearen sind lange kahnförmige Cairns („nao“ = Kahn, kleines Schiff) ; die berühmten Pyramiden Egyptens endlich können als in riesigen Di- mensionen erstellte Cairns betrachtet werden. 1 T ae =L GTEEEEHHLSHSEDE EHI DIESE ERRIDIDREEDIDDREDIDIIIDDIDEIDHRDGDICG} \ 820 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Verschiedene Grabformen. Ausser den charakteri- stischen Hügelgräbern, von welchen soeben die Rede war, kommen noch Todtengrüfte verschiedener Art vor, deren wichtigste wir in Nachstehendem kurz erwähnen. Als Steinkiste, Oist oder Kistvaen (Fig. 256) bezeichnet man einen auf ebener Erde errichteten Koffer oder Trog aus Steinplatten. Innerhalb der Kiste ist der Boden oft mit Geröllsteinen und Fliesen gepflastert. Die algierische Chucha ist ein kleiner, 2 bis 3 Meter hoher Thurm, welcher aus mehreren Steinlagen gebildet und oben meist durch eine grosse Steinplatte abge- schlossen ist. Mausoleum wird eine monu- La mentale und mit Skulpturen ge- Fig. 257. schmückte Gruft aus behauenen Steinen genannt. Als Grab bezeichnet man eine im Boden angebrachte Höhle (Grube), deren Formverhältnisse sehr verschieden sein können; es gibt längliche Gräber, in welchen die Skelette horizontal ausgestreckt liegen; ferner solche von kubischer Form, wobei den Leichen eine kauernde (hockende) Stellung gegeben wird; endlich vertikale Gräber mit aufrechter Stellung der beigesetzten Leichname. Vertikale Gräber von ceylindrischer Form, in welche man die Leichen hinunterlässt, werden Zeichenschachte oder Brunnen- gräber genannt. In Felsen angebracht, gleichen sie Zisternen. URSPRUNG UND GESCHICHTE 821 Silo heisst ein solcher, oft mehrere Skelette enthaltender Schacht, der sich nach unten flaschenförmig erweitert. Urnen sind mehr oder minder grobe Thongefässe. Es gibt deren zwei wesentlich verschiedene Arten: die grossen Leichenurnen dienen zur Aufnahme eines Leichnams in sitzender oder aufrechter Stellung, die Aschenurnen nur zur Aufnahme theils der Asche, theils der mehr oder minder unvollkommen caleinirten Knochen eines Verstorbenen. Diese Urnen finden sich nicht immer in der Erde, sondern mit- unter in Baum- und Felshöhlen. Als Leichengrotte bezeichnet man eine natürliche oder künstliche Höhle, welche zur Bestattung verwendet worden ist. Oft enthält sie längs ihrer Wandungen eine Art Bänke, worauf die Todten liegen. Das Hypogäum ist eine ausschliesslich für die Glieder einer Familie oder für einige wenige privilegirte Familien bestimmte unterirdische Gruft. Die Katakomben sind unterirdische Gänge und Hohl- räume (meist verlassene alte Steinbrüche), die als Nekropolen oder gemeinschaftliche Begräbnissstätten der Angehörigen eines grösseren Verbandes benutzt wurden. - Alte Zufluchtsorte und Befestigungen. Die drei Arten von Ansiedlungen, welche oben beschrieben wurden (Höhlen, Lager und Pfahlbauten) konnten nur für solche Völkerschaften genügen, die fast ausschliesslich von Jagd und Fischfang lebten. Wie aber diese Beschäftigungen durch andere ersetzt oder die Jäger- und -Fischerstämme durch Hirten und Ackerbauer verdrängt wurden, konnten abge- legene Thäler und Waldlichtungen, steile Felsen und Pfahl- bauten als Wohnplätze den neuen Bedürfnissen nicht mehr entsprechen, da sie theils von den Weiden und urbaren Ländereien zu entfernt, theils zur Unterbringung von Vieh- heerden nicht geeignet waren. Statt der Rücksicht auf die Terraingestaltung wurde nun die Nachbarschaft der Weiden und bebauten Felder ausschlaggebend für die Anlage der Wohnungen. Diese waren ohne Zweifel häufig Hütten aus Astwerk und anderem wenig dauerhaftem und widerstands- fähigem Material, sodass sich davon keine Reste erhalten haben. Von andern Wohnstätten hingegen sind Spuren ge- blieben. So findet man in verschiedenen Gegenden Anzeichen 822 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN der einstigen Existenz von ganz oder halb unterirdischen Wohnungen. : Hieher gehören z. B. die creuttes, crouttes oder boves im Departement de l’Aisne, eine Art Höhlen im weichen Fels, die mit einer Steinfacade versehen sind; ferner die weems und wamha in Schottland und die penpits in England, Wohnungen, die ganz oder zum Theil unter der Erde an- gelegt waren. Vielleicht waren solche Bauten den Nach- kommen der früheren Höhlenbewohner eigen, die eine ge- wisse Vorliebe für dunkle unterirdische Wohnräume bewahrt haben mögen; vielleicht auch machte das Klima und Rück- sichten auf Sicherheit diese Bauart nothwendig. Die Pfahlbaubewohner ihrerseits liessen sich bei ihrer späteren Uebersiedlung auf das feste Land ohne Zweifel meist in der Nähe der bisherigen Stationen nieder, welche nun blos noch zur Aufbewahrung von Vorräthen und als Zufluchtsorte verwendet wurden. Es wäre interessant zu wissen, welche Art Wohnungen diejenigen Völkerschaften erstellten, welche sich an leicht zugänglichen Orten, in freier Flur, ansiedelten. Bei dem herrschenden Mangel an Sicherheit mussten sie jedenfalls Reduits und Refugien anlegen. Die Reduits waren bestimmt, Vorräthe aufzubewahren und dieselben vor Feinden zu verbergen, wie dies jetzt noch durch Fruchtgruben (Silos der Araber) geschieht. Die Refugien waren geräumigere und solide Bauwerke, eine Art Citadellen, wohin die Bewohner einer Gegend sich selbst und ihre Fahrhabe flüchteten, zum Schutze für Leben und Eigenthum. Diesen Zweck hatten ohne Zweifel die nurhags (Fig. 258 und 259) auf der Insel Sardinien, die URSPRUNG UND GESCHICHTE 823 Pict’s houses in Grossbritannien, welche in ihrem Durchschnitt (Fig: 260) den nurhags gleichen, die falayots auf den bale- arischen Inseln (Fig. 261) und die Rumdthürme (Fig. 262), deren Ueberreste man fast in allen Ländern findet. DH HE, ZÄT, WR WW DZ (u 2 Fig. 260. In seiner Weiterentwicklung wurde aus einem solchen Bau ein Fort oder eine Feste mit Umwallungen, Graben und Souterrains. Zur Vertheidigung wurden ferner Schanzen und grosse Mauern erstellt, wie diejenige von Bristol zum Flusse q le RO NN \b LEERE EL erssen 824 “ BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Dee zwischen England und Wales, die kaledonische Mauer zwischen England und Schottland, die Trajansmauer, die chinesische Mauer etc. Diese alten Schanzen und Mauern kommen in der Regel am Rande fruchtbarer Ebenen vor. Eine sterile Gegend ohne Weiden und Kulturland und ohne Bewässerung reizte kein fremdes Volk zur Besitznahme und bedurfte daher keiner solchen Vertheidigungsmittel gegen Invasionen. Hatte aber ein Stamm von einem ihm zusagenden Terrain Besitz ge- nommen, so erstellte er bald Refugien und verschanzte Lager; später, wenn er durch Vermehrung zu einem Volke geworden war, hatte er ein grösseres Territorium zu vertheidigen, und nun wurden die einzelnen Forts bei Engpässen und auf dominirenden Höhen angelegt, wie ausgedehnte Verschan- zungen und Mauern, welche ganze Länder abschliessen sollten. Alte Städte. Die Existenz einstiger Städte und den Ort derselben erkennt man meist nur an Resten der früheren Mauern und Ruinenhaufen. Solche Ueberbleibsel findet man in der Regel auf Höhen, welche die Umgegend beherrschen, oder in Hochthälern, da eben in den fernen Zeiten, aus welchen diese Trümmer stammen, offene Städte in weiten Ebenen zu unsicher waren. Die Aussenmauern bestehen gewöhnlich aus groben Stein- blöcken, die mehr oder minder regelmässig auf einander gelegt sind und an ihrer Stelle entweder blos durch ihr Gewicht oder mit Hülfe dazwischen befindlicher kleinerer Steine, nicht aber durch Mörtel und Cement festgehalten werden. Man nennt solche Bauten (Fig. 263) cyklopische URSPRUNG UND GESCHICHTE 825 Mauern und unterschei- det mehrere Typen der- selben, nämlich 1° solche aus grob vierkantig zu- M behauenen Blöcken von } ungleicher Grösse, deren Fugen bald auf andere . Fugen, bald auf Stein- flächen treffen ; 2° solche aus unregelmässig viel- eckigen Blöcken, die so gut als möglich zusam- mengefügt sind und eine Fig. 263. ebene Aussenfläche haben; 3° solche aus viereckigen Blöcken in regelmässigen horizontalen Lagen, deren Fugen aber zum Theil schief statt vertikal sind. — In seinen Ausgrabungen zu Mycen® hat Schliemann auch Häuser von solch soge- nannter cyklopischer Bauart entdeckt. Die alten 7hore sind meist mittels einer grossen Stein- platte erstellt worden, deren beide Enden auf der Mauer oder auf Pfeilern (Pfosten) ruhen. Wo der für das Thor be- stimmte Raum zu breit war, als dass man denselben oben mit einem einzigen Stein hätte abschliessen können, behalf Fig. 264. man sich mit der Vorsperrung (Fig. 264), wobei die oberen Lagen der Mauersteine, aus welchen das Portal besteht, der Reihe nach mehr und mehr vorragen, bis sie einander so nahe kommen, dass die Oeffnung nun durch einen Stein 826 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN abgeschlossen werden kann. Erst später wurden Thorbogen und Gewölbe erstellt, die einen wesentlichen Fortschritt der Baukunst bezeichnen. In Gegenden, wo kein Baumaterial von der Dauer- haftigkeit des Steins zur Verfügung stand, trifft man selten noch aufrechte Mauerstücke, sondern meist nur Trümmer- haufen. Ausgrabungen im Gebiet alter Städte müssen in grosse Tiefen gehen. Der Boden eines bewohnten Ortes wird be- ständig, wenn auch langsam erhöht; denn man führt immer wieder neues Baumaterial zu, während selten aller Abraum beseitigt wird; Material von abgebrochenen Häusern, Kohlen- reste, Detritus und Unrath verschiedener Art bleiben theil- weise auf dem Boden liegen, und neue Bauten werden auf diesem Terrain angelegt, welches, etwas höher ist als das ursprüngliche. Um nun bei Nachgrabungen an solchen Stätten die Spuren frühester Kultur zu entdecken, muss man bis auf den natürlichen Boden hinunter graben, den die älteste Ansiedlung benutzte. Man darf nicht bei den ersten, Reste menschlichen Gewerbfleisses einschliessenden Schichten aufhören und sich auch nicht entmuthigen lassen durch die Armuth oder Inhaltlosigkeit einer Schicht, unter welcher eine reichere und interessantere folgen kann. Erst wenn man auf den gewachsenen Boden trifft, ist man sicher, tief genug hinunter gegraben zu haben. Die Zugänge der alten Städte sind mitunter durch Ruinen von Wasserleitungen (Aquädukte) bezeichnet, und bei den ehemaligen Hauptthoren, sowie auch auf dem offenen Lande findet man noch da und dort Theile der alten Strassen, welche die wichtigsten Ortschaften mit einander verbunden haben. Tempel und Altäre. Die alten Tempel befanden sich nicht alle innerhalb der Stadtmauern, sondern häufig ausser- halb derselben und zuweilen an abgelegenen einsamen und unwirthschaftlichen Orten. So kann man nahe der Quelle eines Flusses Altäre finden, welche in vorgeschichtlicher Zeit zu Ehren des Flussgottes errichtet wurden; in Wald- lichtungen die Grenzen der geweihten Räume, in welchen man die Gottheiten der Wälder anbetete; auf Berggipfeln Tempel für den Sonnen- und Monddienst, auf Vorgebirgen URSPRUNG UND GESCHICHTE 827 Monumente, welche den Göttern des Meeres gewidmet waren. Nicht selten kommen Tempel und Altäre an Orten vor, die als besonders denkwürdig galten, sei es, dass man sie für den Sitz einer Gottheit oder Zeugen einer Offenbarung ihrer Macht hielt, sei es, dass sie Stätte eines Kampfes waren, dessen glücklicher Ausgang die Sieger vermochte, ihren Göttern ein Denkmal zu weihen. Endlich gibt es Gegenden, wo Tempel in den Fels gehauen sind, so die von Ghirsche und Ibsambul in Nubien, von Salsette in Indien; in solchen Fällen hat man die Felswände genau zu unter- suchen, an deren Fuss die oft verschütteten Eingänge dieser einstigen Tempel liegen. Skulpturen und Inschriften. In Felsen gehauene Figuren und Schriftzeichen finden sich in den verschie- densten Gegenden. Bald sind es Darstellungen von Menschen und Thieren, bald räthselhafte Zeichen. Meist ohne künst- lerischen Werth, sind diese Skulpturen archäologisch von hoher Bedeutung. Wenn sie eine Episode aus dem Leben primitiver Völkerschaften darstellen, sind es kostbarere Annalen als alte Pergamente, da sie uns die Typen, Waffen, Kleider- trachten u. s. w. kennen lehren. Selbst die blosse Dar- stellung einer Jagdscene kann grossen Werth haben: es ist möglich, dass die abgebildeten Thiere längst nicht mehr Bewohner der Gegend sind oder überhaupt nicht mehr lebend vorkommen und erst die Bildnisse uns beweisen, dass in dem betreffenden Lande der Mensch Zeitgenosse jener Thiere war. Zeichen werden, auch wenn sie unver- ständlich sind, dennoch von Bedeutung durch Analogie mit andern, an verschiedenen und weitentfernten Orten entdeckten Zeichen; denn der Zufall allein erzeugt keine solchen Aehn- lichkeiten. Nicht alle Zeichen haben die Bedeutung einer Inschrift ; einige dienen blos zur Andeutung von Eigenthumsverhält- nissen; so haben nomadische Völkerschaften auf Steinen, Zisternen, Felswänden u. s. w. Zeichen, welche ausdrücken, dass das Recht auf die Weiden und Tränkplätze der be- treffenden Gegend dem und dem bestimmten Stamme zustehe. Die eigentlichen Inschriften bestehen in der Regel aus einer Reihe von Figuren und Schriftzeichen in einer be- stimmten Anordnung. Man kann sie nicht immer unmit- 828 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN telbar entziffern; es ist schon desshalb nöthig, aber auch ohnehin höchst wünschenswerth, dass getreue Reproduktionen derselben angefertigt werden. Die besten Reproduktionen sind aber diejenigen durch die Photographie und durch Ab- drücke. Zwar erklärt S. Sharpe, das Zeichnen sei dem Photographiren vorzuziehen; aber derselbe Autor!) bemerkt später, dass es nicht möglich gewesen sei, die egyptischen Hieroglyphen in genügender Weise zu kopiren, so lange man sie nicht entziffern konnte; nun wird es aber der Reisende meistens mit Schriftzügen zu thun haben, welche ihm unverständlich sind und zu denen der Schlüssel erst noch gefunden werden muss; es wird also unerlässlich, sich der Photographie zu bedienen, wenn man eine Garantie für die Treue der Nachbildung haben will. Freilich ist die Photographie nicht in allen Fällen anwendbar. Wenn eine Inschrift sich im Schatten oder an einem dunkeln Ort be- findet, kann man sie nur dann auf deutliche Weise photo- graphisch reproduziren, wenn man sie mit Spiegeln oder mit elektrischem Licht beleuchten kann; ist sie auf einer Felswand angebracht, zu der man von unten her auf Leitern oder von oben her an Seilen gelangen muss, so kann man den photographischen Apparat kaum benutzen. Das Ver- fahren bei der Anfertigung von Abdrücken ist folgendes?). Man befreit zuerst die Inschrift von Allem, was sie verdeckt und verbirgt: von Erde, Staub, Moos, Gras etc. und reinigt sie mit einer starken Bürste oder einem grossen Wasch- schwamm. Der Stein soll hiebei feucht bleiben ; andrerseits ist dafür zu sorgen (namentlich bei flacher Lage desselben), dass in den Vertiefungen kein Wasser liegen bleibt. Dann lest man über die Inschrift befeuchtetes Papier von grossem Format, das man durch Druck mit der Hand oder der vorher benutzten Bürste so fest gegen den Stein presst, dass es in alle Vertiefungen eindringt und dieselben ausfüllt. Zu dem Ende legt man je nach Erforderniss eine kleinere oder grössere Anzahl Bogen aufeinander und bestreicht sie auf der obern (beziehungsweise äussern) Seite mit Leim oder Gummilösung, sodass sie nach dem Trocknen eine zusammen- 1) Vgl. Samuel Sharpe, the Sinaitie Inscriptions, Athenaeum 1876 p. 433 (23. September). 2) Vgl. Instructions generules aux voyageurs, Paris 1875, p. 266; sowie Voyage dans le Lazistun par Theophil Deyrolle (Tour du Monde 1876 p. 390). SERIEN, URSPRUNG UND GESCHICHTE 829 hängende feste Masse bilden. Selbstverständlich hat man unter Umständen einen Gehülfen nöthig, z. B. um das Papier an vertikalen Flächen gut auszuspannen oder um bei Wind dessen Ränder festzuhalten. Diese Papiermasse darf nun nicht eher abgenommen werden, als bis sie gut trocken geworden ist, sodass sie die erlangte Form beibehält. Der Reisende soll die Anfertigung solcher Reproduktionen der einen oder andern Art nicht etwa aus dem Grunde unter- lassen, dass er schon andere Inschriften aufgenommen habe; denn wie zahlreich diese auch sein mögen, so hat doch jede ihren eigenartigen Werth, sei es wegen ihres Inhaltes, sei es wegen ihrer mehr oder minder alterthümlichen Formen. Namentlich zu beachten sind aber die Bilinguen und Tri- linguen, d. h. Inschriften, welche den nämlichen Text in zwei oder drei Sprachen geben, wie das der Fall ist in Ländern, wo Eroberer Inschriften nicht nur in ihrer eigenen Sprache, sondern auch in derjenigen des unterworfenen Volkes anbrachten, damit sie dem letzteren verständlich seien, ferner in Ländern, wo die Koexistenz mehrerer Rassen oder Stämme die gleichzeitige Anwendung verschiedener Idiome nöthig macht. Dergleichen mehrsprachige Inschriften erleichtern die Entzifferung von solchen, deren Schriftzeichen noch unbe- kannt sind, durch Vergleichung der beiderlei Texte. Wenn z. B. in einem solchen Falle ein Text, den wir verstehen, gewisse Namen oder sonstige Wörter in mehrfacher Wieder- holung enthält, so wird man prüfen, welches in dem andern, uns noch unverständlichen Texte die Buchstabengruppen sind, die ebenfalls wiederholt vorkommen; auf diese Weise ergibt sich eine erste Uebereinstimmung zwischen beiden Texten; mit deren Hülfe wird man weitere einander entsprechende Partien derselben ermitteln und so endlich den Schlüssel zu der unbekannten Sprache finden. Dabei ist zu bedenken, dass nicht alle Sprachen in der gleichen Richtung geschrieben werden. Wir haben hierüber oben (S. 609) gesprochen und fügen hier bei, dass es auch Inschriften gibt (wie diejenigen von Safa südöstlich von Damaskus), welche in wunderlicher Weise bald von rechts nach links, bald von links nach rechts geschrieben sind und am Ende einer Zeile bald höher oben, bald weiter unten sich fortsetzen, sowie solche, deren Zeilen umbiegen, sich schneiden und sich in einander ver- 830 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN schlingen. Enthält die Inschrift hieroglyphische Figuren von Menschen und Thieren, so ist die Richtung der Zeilen ge- wöhnlich diejenige, in welcher die Figuren sich vorwärts zu bewegen scheinen. Es muss weiter bemerkt werden, dass die alten Inschriften nicht immer korrekt geschrieben sind. Mancher Bildhauer, der ein. Wort oder einen Buchstaben vergass, unterliess eine Korrektur an der rechten Stelle, um dadurch nicht das Aussehen seiner Arbeit zu ver- schlechtern, und fügte dann das Vergessene an einer andern Stelle der Inschrift bei, unbekümmert darum, ob hiedurch Verwirrung in den Text komme oder nicht. Münzen und Medaillen. Alte Münzen, Medaillen, Gemmen, öffentliche und private Siegel liefern nicht selten werthvolle Aufschlüsse über die Geschichte eines Landes. Wir sprechen hier nicht von primitiven Münzen, wie solche die alten Egypter hatten und welche einfach in metallenen Ringen oder runden Metallstücken, in denen ein Loch an- gebracht war, bestanden, sondern von Münzen und Me- daillen, die ein Zeichen oder ein Bild enthalten. Solche übermitteln uns oft den Namen einer Stadt oder eines Herrschers, der in der Geschichte nicht erhalten geblieben ist. Die Medaillen insbesondere haben häufig die Bestimmung, ein Ereigniss zu verewigen. Ferner dienen Münzen und Medaillen oft als Anhaltspunkte zur Ermittlung des Alters einer Schicht mit Ueberbleibseln menschlicher Industrie. Wenn man nämlich unter solchen Fundstücken beim Aus- graben auch Münzen oder Medaillen trifft, welche mit jenen in unzweifelhaft natürlicher Vergesellschaftung erscheinen — d. h. nicht erst später durch Zufall oder Absicht an diese Stelle gekommen sind — so hat man damit eine äusserste Grenze für das Alter der Fundschicht: die letztere kann aus keiner früheren Epoche stammen als derjenigen, in welcher die betreffende Münze angefertigt wurde. Leider haben auch die frühesten Münzen nur ein mässig hohes Alter, indem sie kaum weiter als bis zum Jahre 600 v. Chr. zurückreichen. Zudem tragen sie selten - eine Jahreszahl, sodass man zuerst nach andern Faktoren ausmitteln muss, in welcher Zeit sie geschlagen wurden. Das Alter der- jenigen, welche keine bekannten Namen, Bilder und Zeichen enthalten, muss nach den eingravirten, mehr oder minder URSPRUNG UND GESCHICHTE 831 alterthümlichen Buchstaben, ferner nach der Legirung und ihrem Feingehalt, sowie nach dem ganzen Charakter der Arbeit beurtheilt werden. Münzen mit dem Namen oder Bildniss eines bekannten Fürsten sind sicherlich zu Leb- zeiten desselben angefertigt worden; ihr Alter kann also ziemlich genau ermittelt werden, da sein Maximum und Minimum durch Anfang und Ende der Regentschaftsperiode des betreffenden Herrschers bestimmt sind. Das Münzzeichen einer Stadt unterrichtet uns weniger genau über das Alter der Münze, es sei denn, dass letztere an Orten gefunden werde, wohin sie kaum vor deren historisch bekannten Er- oberung gelangen konnte. Der Reisende, welcher nicht Numismatiker von Fach ist, wird selten aus einer Münze, Medaille, Gemme oder einem Siegel alles das herauslesen können, was Jemand, der in solchen Dingen gründlich zu Hause, daraus abzuleiten im Stande ist. Um so mehr soll er sich’s angelegen sein lassen, eine Sammlung solcher Objekte mit genauer Bezeichnung der Fundorte anzulegen und nach seiner Rückkehr von der Reise diese Sammlung Fachmännern vorzulegen. Wird es ihm nicht möglich, diese Gegenstände selbst zu erwerben, so unterlasse er wenigstens nicht, sich Adbdrücke derselben in Wachs oder noch besser Abgüsse in Gyps oder geschmol- zenem Schwefel zu verschaffen. Mit Hülfe solcher Ahgüsse kann später eine galvanoplastische Nachbildung des be- treffenden Objektes erstellt werden. Ein bekanntes Mittel, um rasch und leicht bildliche Darstellungen einer Münze zu erhalten, besteht darin, dass man ein Stück dünnes Papier auf dieselbe legt und dieses mit dem stumpfen Ende eines Bleistifts oder mit irgend einem ziemlich harten Körper so lange reibt, bis das Gepräge der Münze auf dem Papier (in Schwarz oder bossirt) möglichst deutlich hervortritt. Sagen. Sagenhafte Ueberlieferungen können, wenn kritisch verwerthet, von wesentlicher Bedeutung sein. Soweit sie sich auf den Ursprung eines Volkes beziehen, sind sie meist dunkel und unverständlich; in andern aber lebt die Er- innerung an Begebenheiten aus längst verflossenen Zeiten im Volke fort von Geschlecht zu Geschlecht. So war im Jahre 1869 bei den Bewohnern der Jupiter- Ammon -Oase 832 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN (Siwah) die Erinnerung daran, dass einst Alexander der Grosse in diese Gegend gekommen, noch nicht erloschen ! Der Reisende wird gegenüber dergleichen Traditionen kritische Umsicht walten lassen; andrerseits haben wir uns davor zu hüten, solche Sagen aus dem Grunde, weil ihr Inhalt uns auf den ersten Blick unwahrscheinlich vorkommt, ohne nähere Prüfung von der Hand zu weisen und sie als vermeintlich werthlos nicht weiter zu beachten. Die Volks- erinnerung hat oft einen Namen getreu erhalten, während um denselben allmälig die Sage ihre Fäden spann und ihn zum Mittelpunkte eines Netzes fabelhafter Begebenheiten machte. Ein solches Beispiel erwähnt F. Lenormand!); es betrifft die Sage vom Ring des Gyges. Lediglich auf einige unter sich nicht harmonirende und zum Theil märchenhafte Erzählungen der Griechen (Herodot, Plato) über Gyges an- gewiesen, durfte man wohl annehmen, es sei dieser nicht mehr als eine mythische Person. Nun aber fand man auf einem assyrischen Denkmal des Assurbanipal den Namen Gugu, König von Ludi (Gyges, König von Lydien) als den eines Zeitgenossen des ninivitischen Herrschers erwähnt; damit ist Gyges als eine geschichtliche Persönlichkeit nach- gewiesen. Ebenso bergen die Sagen von Melkart, dem Her- kules der Phönizier, von Ulysses etc., sowie die Tellsage ohne Zweifel je einen geschichtlichen Kern wirklicher Bege- benheiten:: bei jenen handelt es sich um Erlebnisse der ersten Seefahrer, bei dieser um die That eines Helden, der sein Vaterland von einem verhassten Joch befreite. Der Einwand, dass ähnliche Erzählungen sich auch bei andern Völkern finden, vermag diesen Sagen nicht jeden Werth zu benehmen ; gab es doch sicherlich noch anderwärts als nur im Mittel- meergebiet Schiffer, deren Erlebnisse ganz ähnliche waren wie diejenigen von Melkart und Ulysses, und noch anderswo als in der Schweiz Männer, die handelten wie Wilhelm Tell. Bei dieser Auffassung setzt man sich ohne Zweifel weniger der Gefahr schwerer Täuschungen aus, als wenn man in jenen Analogien Beweise eines gemeinsamen Ursprungs ver- schiedener Völker sehen will, d. h. wenn man (ohne ander- weitige Beweise für die Richtigkeit einer solchen Hypothese) annimmt, die Völker mit solch ähnlichen Ueberlieferungen 1) vgl. Les Antiquites de la Troade, Gazette des Beaux-Arts, Paris 1876, p. 440. URSPRUNG UND GESCHICHTE 833 seien Zweige derselben Familie und haben nach ihrer Trennung in jenen Sagen die Erinnerung bewahrt an bestimmte ein- malige Begebenheiten, die sich bei ihnen in der Zeit vor ihrer Trennung zugetragen hätten. Letzteres kann der Fall sein, wenn eine solche Uebereinstimmung in den Einzel- heiten herrscht, dass hiedurch die Annahme einer parallelen Entwicklung ausgeschlossen ist, und namentlich wenn die Völker, um die es sich handelt, unter sich stamm- oder sprachverwandt sind. Wenn man aber eine Analogie der Sagen bei den alten Iren und Griechen!) oder gar bei Ungarn, Arabern und Aschantis?) trifft, kann man doch hierin nicht mehr ein Zweigsystem der selben, vormals einheitlichen Mythe erblicken; vielmehr ist man in solchen Fällen zu der Annahme genöthigt, dass diese einander so ähnlichen Sagen in verschiedenen Gegenden, bei mehr als einem Volke, sich spontan gebildet und entwickelt haben oder dass die eine Völkerschaft sie von der andern entlehnte und sich aneig- nete, zuerst als Bericht über Ereignisse, die sich anderwärts zugetragen haben, nach und nach aber — durch eine Art geistiger Assimilation — als Erzählung von Begebenheiten, deren Schauplatz das eigene Land gewesen sein soll. Verschiedene Dokumente. Eine andere Quelle von Aufschlüssen sind alte Gedichte, Chroniken und Memoiren, sowie die Werke von Geographen, Geschichtschreibern, Red- nern U. S. W. In den alten Gedichten tönt oft gleich fernem Wieder- hall ein Nachklang fort von noch älteren Sagen und gewahrt ein kundiges Auge Reflexe entschwundener Glaubensanschau- ungen. Chroniken sind von grösstem Werth, soweit ihr Ver- fasser zeitgenössische Begebenheiten darstellt. Memoiren machen uns nicht blos mit Leben und Thaten der Per- sonen bekannt, welche ihre Erinnerungen aufzeichnen, sondern auch mit den Sitten ihrer Zeit und mit manchen Einzeln- heiten aus dem Leben historischer Persönlichkeiten. Die Geographen und Geschichtschreiber älterer Zeit geben oft bis ins Kleinste gehende Mittheilungen über Sitten und Ge- bräuche der Völker, welche Gegenstand ihrer Darstellungen 1) vgl. Esquisse de la Mythologie irlandaise par H. D’Arbois de Jubainville (Revue Archeologique, Paris 1878, pag. 384). 2) Vgl. Märchentheorie (Ausland 1877, pag. 113—115). 53 834 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN sind. Aus Reden endlich, die uns erhalten geblieben sind, gewinnen wir je nach dem (politischen oder forensischen) Zweck und Charakter derselben ein Bild der öffentlichen Zustände und des Privatlebens gewisser Mitbürger der Redner. Was speziell die Geographen und Historiker betrifft, wird man nicht blos die Werke der jeweiligen Landesliteratur zu Rathe ziehen, sondern auch solche auswärtiger Schrift- steller über das Land und Volk, womit man sich beschäftigt. Ein kritisches Studium dieser verschiedenen Dokumente kann wichtige neue Beiträge zur Geschichte eines Volkes liefern, in bisher dunkel oder unbekannt gebliebenen Partien derselben Licht bringen und Irrthümer berichtigen, welche in Unkenntniss dieser Quellen ihren Grund haben. Aber allerdings bedarf es hiezu, wie wiederholt bemerkt wurde, einer umsichtigen besonnenen Kritik bei Benutzung dieser verschiedenen Materialien. Um die Aufschlüsse, welche uns ein Autor an die Hand gibt, nach dem Grade ihrer Ver- lässlichkeit angemessen zu würdigen, muss man ihn selbst recht kennen gelernt haben ; kennen in Bezug auf Charakter, Bildung, Wahrheitsliebe und Unparteilichkeit; wissen, wer und was er war, aus welchen Quellen er schöpfte, in welcher Gesellschaft er lebte und wirkte, welche Ideen zu seiner Zeit diese Umgebung und weitere Kreise bewegten und welche Gesinnungen er hegte in Bezug auf die Völker, von denen er uns berichtet ete. Von alten Autoren sind oft verschiedene Ausgaben vorhanden, und es ist nicht gleich- gültig, welche derselben man wähle. Im Allgemeinen ist zu warnen vor Berichten aus zweiter Hand und zu empfehlen, dass man auf die Quellen zurückgehe. Mit blosser Gelehr- samkeit, welche Berichte sammelt und zusammenstellt ist - es nicht gethan; zu ihr müssen sich — wie Edmond Scherrer bemerkt !) — Scharfsinn und Methode gesellen, welche Gehalt und Tragweite der Zeugnisse zu beurtheilen und dieselben, söndernd und ordnend, in lichtvoller Darstellung trefflich " zu verwerthen wissen. h Die Urkunden, von denen wir sprachen, sind nicht immer leicht zu erlangen ; oft müssen sie eigentlich entdeckt werden. Es sind mitunter Manuskripte, welche in alten Kloster- und 1) Vgl. Ed. Scherrer, Me&langes d’histoire. Paris 1877, p. 216. URSPRUNG UND GESCHICHTE 835 Familienarchiven liegen, ohne dass noch Jemand um die- selben weiss, oder seltene Editionen in öffentlichen und Privatbibliotheken, mit denen es sich ähnlich verhalten kann. Zur Auffindung solcher verschollenen Dokumente bedarf es vielfacher Erkundigungen und oft mühsamer Nachforschungen. Wenn man ein solches Dokument aufgefunden und als Geschichtsquelle von Belang schätzen gelernt hat, wird man es zu erwerben suchen; ist dessen Ankauf nicht möglich, so trachte man danach, einen Auszug aus demselben oder eine Abschrift wenigstens seiner interessantesten Partien an- zufertigen. Es gibt Manuskripte, deren altersblasse Schrift kaum noch gelesen werden kann. Für solche Fälle empfiehlt Baron von Bibra!) die Anwendung des nachstehend beschriebenen Verfahrens. Man bestreicht die stark verblassten, unlesbar gewordenen Stellen mit einem Pinsel, den man in eine frisch präparirte Lösung von Ammoniakhydrosulphat taucht. Nach wenigen Sekunden tritt die Schrift deutlich hervor. Nun spült man das Papier oder Pergament mit reinem Wasser ab und lässt es trocknen zwischen Fliesspapier, das man so oft erneuert als nothwendig ist. Hierauf fertigt man die Kopie an. Es muss dies indess bald geschehen oder aber das Verfahren wiederholt werden; denn die Schrift verblasst schon nach einigen Wochen wieder. Ein anderes Mittel besteht in der Anwendung einer schwachen Tanninlösung, wobei das Verfahren im Uebrigen dasselbe ist wie das eben erwähnte, nur dass man hier das Trocknen des Papiers auch bewirken kann, indem man dasselbe einer Wärme von 60 bis 75°C. aussetzt. Pergament wird immer am besten nach dem oben genannten Verfahren getrocknet. Beide Me- thoden der Auffrischung verblasster Schrift sind nur dann von Erfolg, wenn Galläpfeltinte zum Schreiben benutzt. worden ist; auf Tusche wirkt weder das Ammoniakhydrosulphat noch das Tannin. Das minutiöse Kopiren von Manuskripten und seltenen Drucken ist in vielen Fällen zu zeitraubend; ein bequemeres Mittel der Reproduktion ist die Photographie. Ein berühmtes Beispiel hiefür lieferte Sevastianoff, welchem es gelang, ein photographisches Facsimile zu erstellen von einer 112 Blätter 1) Vgl. Journal für praktische Chemie, Leipzig 1878, p. 83. 836 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN umfassenden Handschrift der Geographie des Ptolemäus, welche in dem Kloster auf dem Berge Athos aufbewahrt wurde. Dieses Verfahren hat den wesentlichen Vortheil, dass längst erloschene Schriftzüge des Originals in der Re- produktion wieder sichtbar werden, sodass eine solche Kopie oft leichter lesbar ist als das Original und Stellen, welche das Auge in letzterem nicht zu entziffern vermag, im Fac- simile (namentlich .mit Hülfe einer Loupe) deutlich gelesen werden können. Die Reproduktion eines Manuskripts auf photographischem Wege ist übrigens einer Auffrischung desselben durch Tannin auch desshalb vorzuziehen, weil letzteres die Manuskripte beschädigt, sodass es nicht immer angewendet werden darf. ALLGEMEINE BETRACHTUNGEN. Mit Recht ist gesagt worden, dass keine Seite der geogra- phischen Wissenschaft grösseren Reiz gewährt als das Studium der Beziehungen zwischen dem Menschen und der ihn um- gebenden Natur!). Man kann hinzufügen, dass dieses Studium eben so lehrreich als anziehend ist, indem der sinnende Geist in Kausalbeziehung stehende Thatsachen eher zu erfassen ver- mag als solche ohne wahrnehmbaren ursächlichen Zusammen- hang. Unstreitig besteht ein gewisser Zusammenhang zwischen der Bodengestalt eines Landes und seinem Klima, zwischen dem Klima einerseits, der Pflanzen- und Thierwelt andrerseits, sowie zwischen diesen letzteren unter sich. Die Existenz mancher Thierarten ist durch das Vorkommen gewisser Pflanzen bedingt. Infolge physischer und geistiger Eigen- schaften ist nun freilich der Mensch von allen Geschöpfen am wenigsten von seiner Umgebung abhängig oder an dieselbe gebunden; in allen Klimaten und von den verschiedensten Nahrungsmitteln lebend, scheint er vermöge seiner höheren Begabung den Einflüssen der Aussenwelt nur in geringem Grade unterworfen zu sein. Indess haben zu allen Zeiten, von Hippokrates bis auf unsere Tage, Männer von grossem Ruf solchen äusseren Verhältnissen eine hochbedeutsame 1) vgl. Revue critique d’histoire et de litterature, Paris 1874 p. 217. ALLGEMEINE BETRACHTUNGEN _ 837 Rolle in der Entwicklung des menschlichen Geistes zu- erkannt. Es genügt, zum Beweise hiefür die Namen Mon- - tesquieu, Bossuet, Buckle und Ritter zu nennen und daran zu erinnern, dass selbst der Versuch gemacht wurde, die Geschichte irgend eines Volkes, den Gang der Zivili- sation in irgend einer Gegend aus den Verhältnissen des betreffenden Landes zu erklären. Von andern Autoren sind diese Theorien, wonach die Geschicke der Einzelnen und ganzer Völker wesentlich durch geographische und mefteoro- logische Faktoren bestimmt wären, scharf kritisirt worden. Sie bestreiten, dass Land und Volk zu einander in dem Verhältnisse von Ursache und Wirkung stehen, und für diese Auffassung fehlt es nicht an gewichtigen Gründen. Wenn der Mensch so sehr von seiner Umgebung beein- Husst würde, so könnten die aufeinanderfolgenden Genera- tionen der Bewohner eines Landes von einander nicht er- heblich verschieden sein, und ihre Geschichte müsste aus einer Reihe annähernd gleicher Evolutionen bestehen. Nun sehen wir aber im Gegentheil, dass mitunter ein Volk ohne Wechsel seines Wohnsitzes sich von Grund aus ändert, und dass die geschichtlichen Ereignisse auf einem und demselben Schauplatz sozusagen nie sich wiederholen. Es haben die Völker wie die Einzelnen ihre Perioden der Kindheit, der jugendlichen Entwicklung, der Reife und des Verfalls. Wir sehen Nationen, die ehemals in der Weltgeschichte eine glänzende Rolle gespielt, im Niedergang begriffen, während die geographischen Verhältnisse ihres Wohngebietes dieselben geblieben sind. Andrerseits kann bemerkt werden, dass die Angehörigen irgend eines Menschenstammes bei einem Wechsel ihres Wohnsitzes, der sie in neue und erheblich anders ge- staltete Verhältnisse bringt, wesentliche Aenderungen erleiden müssten, wenn zwischen Land und Volk so mächtige Kausal- beziehungen herrschten, wie eine gewisse Schule darthun - will. Wenn man aber die Engländer Australiens, Kanadas oder Indiens und diejenigen in Grossbritannien vergleicht, so findet man, dass sie von einander nicht merklich verschieden sind: in den britischen Besitzungen wie im Mutterlande treffen wir denselben Typus, dieselbe Sprache und dieselben Sitten, wiewohl seit der Gründung jener Kolonien geraume Zeit verflossen ist. Es ist damit nicht gesagt, dass der 838 _ BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Mensch von den Verhältnissen seiner Umgebung gar nicht. beeinflusst werde, dass er hievon ganz unabhängig sei. Wer jede Existenz solcher Beziehungen leugnen wollte, müsste verzichten auf das Verständniss von Erscheinungen, die ebenso unzweifelhaft konstatirt und ebenso bemerkens- werth sind wie die vorhin berührten Thatsachen; zu diesen Erscheinungen gehören die oft grossen Differenzen zwischen den Bewohnern flacher Landschaften einerseits, Gebirgs- völkern andrerseits, dem Menschen der Tropen und dem- jenigen gemässigter Klimate, ferner die überraschenden Ana- logien in Geschichte und Zivilisation von Völkern, die ein- ander ganz fremd sind, aber in nahezu gleichen Verhält- nissen leben. Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die besprochene Frage noch nicht abgeklärt ist. Zur Lösung derselben kann der Reisende mitwirken durch Beibringung neuer Beweise und Argumente für die eine oder andere der abweichenden Meinungen, die sich den Rang streitig machen. Die ver- schiedenen Gesichtspunkte, welche hiebei namentlich in Betracht kommen, wollen wir in Nachstehendem kurz be- sprechen; wir beginnen dabei mit dem Land als der Bühne, auf welcher die historischen Begebenheiten sich abspielen, alsdann werden wir unsere Aufmerksamkeit den Bewohnern des Landes als den in diesem grossen Drama der Geschichte auftretenden Personen zuwenden. Die jetzige Konfiguration einer Gegend ist Resultat der manigfaltigen geologischen Vorgänge, deren Schauplatz sie seit alter Zeit bis auf unsere Tage war. Ihrerseits aber ist die Bodenkonfiguration von Einfluss auf das Klima einer Gegend. Dieses hängt, wie jedermann weiss, ebenso sehr von der Meereshöhe und Exposition des Bodens als von der . geographischen Breite ab; ferner gestaltet es sich ver- schieden, jenachdem grosse Wasserflächen (Seen, Meere und Ozeane) in der Nähe sind oder nicht: im ersteren Fall sind die Temperaturverhältnisse weit gleichmässiger als im letz- teren, der sich durch starke Extreme von Frost und Hitze charakterisirt. Ebenen, Hügel und Gebirge sind von sehr ungleichem Einfluss auf Stärke und Richtung des Windes. In weiten Ebenen wehen ungestüme Winde oft wochenlang ALLGEMEINE BETRACHTUNGEN 839 in stets derselben Richtung. Wüsten, über welchen die Luft sich erwärmt und in die Höhe steigt, wirken als Aspira- tionscentra, nach welchen von allen Seiten her kältere Luft in der Tiefe hinströmt. Hügel vermögen Winde von ihrem Wege abzulenken und die Gewalt derselben abzuschwächen. Gebirge wirken durch Richtung, Form und Umfang in be- stimmender Weise auf herrschende Winde und auf die Quan- tität der atmosphärischen Niederschläge ein. Indem die feuchten Winde an den Gebirgen in die Höhe zu steigen gezwungen sind, wird deren Wasserdampf kondensirt und bilden sich reichliche Niederschläge von Regen oder Schnee. Langgestreckte Gebirgszüge, deren Richtung diejenige herr- schender Luftströmungen kreuzt, bilden wahre Wetterscheiden, sodass die klimatischen Verhältnisse der beiden Seiten von einander sehr verschieden sind: die Gegend auf der einen Seite ist geschützt vor kalten Winden, von der andern werden durch das Gebirge die warmen Luftströmungen ab- gehalten; die eine empfängt viele Niederschläge, die andere deren nur wenige; die eine ist Wetterseite, die andere liegt im Wind- und Regenschatten. Bei einem Hochgebirge unter- scheiden sich in solchen Verhältnissen die beiden Ab- dachungen auch durch ungleiche Lage der Schneelinie. Ferner ist das Klima verschieden, jenachdem das Gebirge reich ist an Schluchten, in welche die Sonnenstrahlen kaum auf kurze Zeit Zutritt haben, oder dasselbe bedeutende Hochebenen und geräumige Thäler enthält, von deren Boden aus die Luft über ihnen erwärmt wird. Nicht geringe Ungleichheiten des Klimas werden auch zwei Länder zeigen, die beide am Meere liegen, deren Küsten- bildung und Bewässerung aber wesentlich verschieden ist, indem das eine durch Reichthum an Buchten und tief ein- schneidenden Fjorden wie an Seen und Flüssen sich aus- zeichnet, während das andere einförmige Gestade und nur spärliche, zeitweise trocken liegende Wasseradern hat. Wie die Bodengestaltung von Einfluss ist auf das Klima, so das letztere auf die Vegetation. Wohl bedürfen die Pflanzen zu ihrem Gedeihen auch eines ihnen zusagenden Bodens, aber in der geographischen Vertheilung der Ge- wächse spielt das Klima die erste Rolle. Uebereinstimmung oder wesentliche Verschiedenheit in klimatischen Faktoren 840 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN bestimmt die grossen Florengebiete; erst innerhalb derselben kommt die Beschaffenheit des Bodens als des Substrates für verschiedene Pflanzengesellschaften zur Geltung. Im Weitern ist zu berücksichtigen, dass die Zusammensetzung der Flora eines Landes nicht einzig auf den jetzigen Ver- hältnissen desselben beruht, sondern auch durch seine geo- logische Geschichte bedingt ist, daher zwei Gegenden mit annähernd demselben Klima in ihrer Vegetation nicht identisch sein müssen. Die Thiere sind zufolge ihrer Beweglichkeit weniger als die Pflanzen auf bestimmte Gegenden angewiesen, aber doch mehr oder minder von Klima und Flora abhängig. Affen und Papageien sind charakteristisch für die Tropenländer, Rennthier und Seehunde für die Polargegenden. Eine Thier- spezies kann nicht in jedem beliebigen Klima leben; aber einzelne Individuen derselben finden sich oft weit ausser- halb des normalen Wohngebietes der Art. So dringt der indische Königstiger oft bis in die Steppen Innerasiens vor und — weit seltener zwar — der Löwe aus .der Sahara bis zu den afrikanischen Küsten des Mittelmeers. Es kann sogar die Fauna einer Gegend beim Wechsel der Jahres- zeiten Aenderungen ihres Bestandes aufweisen, welche das Bild derselben wesentlich anders gestalten: Repräsentanten warmer Klimate können dabei durch solche kalter Länder ersetzt werden, und umgekehrt. Aber gerade dieser Umstand beweist, dass die Thiere ein bestimmtes Klima, das ihnen am besten zusagt, aufsuchen und dass hierin eine Lebens- bedingung derselben liegt. Hinwieder gibt es unverkenn- bare Beziehungen zwischen der Fauna eines Gebietes und seiner Vegetation. Bei fortschreitender Entwaldung einer Gegend verschwinden die grossen Raubthiere; Büffel und Antilopen sind auf weite Grasflächen angewiesen, Rennthier- heerden auf Moose und Flechten. Die Frage nach Herkunft oder Ursprung der Thierwelt eines Landes führt übrigens, wie die gleiche Frage hinsichtlich der Elemente seiner Flora, auf frühere Perioden der Geschichte des organischen Lebens zurück. Den erwähnten Beziehungen zwischen Konfiguration, Klima, Vegetation und Fauna eines Landes stehen solche in umgekehrter Richtung zur Seite: zwischen den verschie- ALLGEMEINE BETRACHTUNGEN 841 denen geographischen Objekten findet eine gewisse Wechsel- wirkung statt. Es ist z. B. das Abhängigkeitsverhältniss zwischen Pflanzen- und Thierwelt kein so einseitiges, dass nur die letztere von der ersteren beeinflusst würde und nicht auch das Umgekehrte einträte. Es ist z. B. in Folge der Einführung von Schafheerden in Australien daselbst die Vegetation grosser Gebietstheile von Grund aus geändert worden. Durch jene Schafe wurden, in deren Wolle steckend, Samen einer Distelart eingeschleppt, welche nun rasch über- hand genommen und auf weiten Flächen die frühere Flora verdrängt hat. Die Vegetation ihrerseits wirkt in erheblicher Weise auf das Klima ein. Unbewachsener Boden, Sand und nackter Fels erlangen, der Sonnenstrahlung ausgesetzt, rasch eine bedeutende Wärme, die sich auch den Luftschichten über ihnen mittheilt, wogegen die Luft über bewachsenem Boden (Rasen, Gebüsch etc.) frischer bleibt und grosse Wälder, ähnlich wie Wasserflächen, eine moderirende Wirkung auf das Klima ausüben. Endlich sind die klimatischen Verhältnisse nicht ohne Einfluss auf die Gestaltung des Terrains. Häufiger Wechsel von Frost und Hitze, Gefrieren und Aufthauen befördert die Verwitterung auch der härtesten Felsen in hohem Grade. Die Meteorwasser erodiren das Gestein und führen enorme Mengen desselben gelöst oder suspendirt zu Thal. Winde bilden stellenweise grosse Sandanhäufungen (Dünen etc.) und begünstigen die mechanische Erosion der Brandung an Steilküsten. Die horizontale und vertikale Gliederung des Bodens ist daher zu nicht geringem Theil eine Funktion klimatischer Faktoren. Der Mensch nun steht unter dem Einfluss aller dieser manigfachen Verhältnisse. Die Konfiguration des Bodens hat unstreitig in manchen Fällen bestimmend eingewirkt auf des Menschen Lebensweise und Beschäftigung, auf die Ent- wicklung gewisser Fähigkeiten, Ideen und Einrichtungen des- selben, mit andern Worten auf seine Geschichte. Dem Naturmenschen stehen nur wenige Mittel zu Ge- bote für die Befriedigung seiner Bedürfnisse. Will er nicht blos von Wurzeln und Beeren wildwachsender Pflanzen leben, 842 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN so muss er Jagd oder Fischfang, Viehzucht oder Ackerbau treiben; das sind die wenigen Beschäftigungen, unter welchen er zu wählen hat. Auf diese Wahl nun kann die Beschaffen- heit seines Wohngebietes einen ganz wesentlichen Einfluss üben; es muss das aber nicht unter allen Umständen der Fall sein. Bewohner unfruchtbarer Inseln sind zum Fisch- fang genöthigt; aber im Allgemeinen werden Lebensweise und Beschäftigung des Menschen nicht einzig und aus- schliesslich durch die Natur des Landes bestimmt. Die grossen Ebenen machen ihre Bewohner nicht noth- wendig zu Hirten; denn sie sind nicht nur zu Weiden geeignet, sondern können ebensowohl als Jagdgründe oder als Kulturland benutzt werden. Im Gedanken an Zentral- asien scheint uns zwar der Begriff Steppe innig verbunden mit demjenigen nomadisirender Hirtenvölker; gleichwohl müssen wir uns sagen, dass diese beiden Dinge nicht noth- wendig zusammengehören. Die Steppen Südafrikas und Australiens z. B. sind nur von Jägerhorden bevölkert. Die weiten Ebenen Mesopotamiens waren ehedem sorgfältig bebaut; diejenigen Vorderindiens sind es noch jetzt; die Prärien Nordamerikas, vormals Jagdgebiet der Rothhäute, werden mehr und mehr für den Ackerbau der Yankees in Besitz genommen. Die Bewohner der Ebenen müssen auch nicht nothwendig Nomaden sein oder werden. Ob die Lebensweise eine sesshafte oder nomadisirende sei, hängt nur insofern vom Boden ab, als dieser die Beschäftigung seiner Bewohner bedingt. Der Fischer muss sich an die Orte be- geben, an welchen sich zu verschiedenen Zeiten des Jahres die Fische einfinden. Der Jäger muss neue Reviere auf- suchen, wenn in den alten das Wild selten wird. Der Hirte hat von Zeit zu Zeit mit seinen Heerden die Weidegründe zu wechseln. Nicht aus blosser Lust am Wandern, sondern nur aus Noth schweift der Mensch unstet von Ort zu Ort; was ihn zum Nomaden macht, ist also nicht die Bodenform der Ebene als solche, sondern der Mangel an Nahrung, der bei gewissen Beschäftigungsarten durch Verweilen an einem Orte eintritt und ihn zwingt, eine andere Stelle der näh- renden Erde aufzusuchen. In diesem Sinne allerdings üben die Naturverhältnisse des Landes auf Beschäftigung und Lebensweise seiner Bewohner einen gewissen Einfluss; dieser ALLGEMEINE BETRACHTUNGEN 843 ist aber mehr negativer als positiver Art, indem von den wenigen Beschäftigungen, auf welche der Naturmensch als solcher sich in seiner Berufswahl beschränkt sieht, einzelne ausgeschlossen und dadurch die Annahme einer der andern nothwendig gemacht wird. Jagd und Fischfang sind nicht überall ergiebig; der Betrieb von Viehzucht erfordert die Existenz von Weiden; der Ackerbau lohnt sich nur, wenn fruchtbarer Boden vorhanden ist. Auf einer Insel von ge- ringem Umfang, in einem Archipel und ebenso in einem von vielen Strömen oder grossen Bergketten durchzogenen Lande wird kein Nomadenleben bestehen. Es entwickelt sich überhaupt der Geist des Menschen oft nur desshalb in einer bestimmten Richtung von vielen, weil Schranken da sind, welche ihn daran hindern, irgend eine andere Bahn einzu- schlagen, in welcher er sich sonst eben so wohl ergehen könnte, oder welche doch einer andern Entwicklung hemmend entgegentreten. Hätten z. B. die Phönizier, als sie sich an den östlichen Gestaden des Mittelmeers festsetzten, hier fruchtbare Ländereien oder weniger mächtige Nachbarn vor- gefunden, so wären vielleicht aus ihnen statt berühmter Seefahrer bescheidene Ackerbauer geworden oder Länder- Eroberer statt Beherrscher des Meeres. Reichgegliederte Küsten, hat man gesagt, machen ihre Bewohner zu tüchtigen Seeleuten. Gewiss ist unverkennbar, dass solche Küsten, deren Gewässer man in einzelnen Strecken von Kap zu Kap befahren kann und wo vorliegende Inseln in dem Festlandbewohner den Wunsch rege machen, nach denselben zu gelangen, dadurch frühe auf den Gedanken und den Versuch führen, das Meer zu befahren. Aber das gliederlos kompakte Arabien befand sich nicht in solchen Verhältnissen, und doch spielten die Araber ehemals im indischen Ozean dieselbe Rolle wie die Phönizier im mittel- ländischen Meere. Es ist ferner behauptet worden, dass die grossen Wasser- adern als leicht benutzbare Verkehrswege die Länder ihres Gebietes frühzeitig der Zivilisation erschliessen. Aber es ist das nicht der Fall gewesen in den beiden amerikanischen Kontinenten, die doch Flusssysteme besitzen, welche in der alten Welt nicht Ihresgleichen haben, und ebenso verhält 844 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN es sich mit dem südlichen Afrika, dessen mächtigen Ge- wässern gegenüber unsere europäischen Ströme als unbe- deutende Bäche erscheinen. Die alte Kultur Amerikas und Afrikas, im Reiche der Inkas und der Azteken wie im alten Egypten, erstand nicht in den Gebieten jener grossartigen (rewässersysteme. Aus einer Reihe geschichtlicher Thatsachen hat sich die Ansicht gebildet, dass Gebirgsländer die Wiege republika- nischer Institutionen und Heimstätten der Volksfreiheit seien, während die einförmigen Flächen weitgedehnter Ebenen den stolzen Aufschwung des Geistes hemmen und die Bildung despotisch regierter Reiche begünstigen. Es ist richtig, dass den Gebirgsvölkern in der Regel starkes Vertrauen auf die eigene Kraft, lebhaftes Selbstbewusstsein und glühende Frei- heitsliebe eigen sind; aber dieselben Eigenschaften finden wir in kaum geringerem Grade bei den Beduinen der Wüste, und was den Kausalnexus zwischen Landesnatur und Staats- einrichtungen betrifft, so finden wir Völker- oder Stammes-. bündnisse, welche an die Eidgenossenschaft im Herzen des Alpengebirges erinnern, auch in der Wüste, eine absolute Theokratie im Hochlande von Tibet wie im alten Egypten, in Amerika Republiken neben einem Kaiserreich, nicht selten auch in einem und demselben Lande einen Wechsel der Regierungsform, von der Republik zur Monarchie, wie in Griechenland und Rom, oder umgekehrt von der Monarchie zur Republik wie in Frankreich. Der Einfluss des Klimas auf den Menschen tritt mehr hervor als derjenige der Bodenkonfiguration. Die Klima- Verschiedenheiten, sagt Montesquieu, bewirken eine Ver- schiedenheit der Bedürfnisse, woraus die Unterschiede in der Lebensweise entspringen. Der Mensch milder „paradisischer“ Himmelsstriche braucht sich weder gegen brennende Sommer- hitze noch gegen eine strenge Winterkälte zu schützen; ein Bedürfniss nach Kleidung, nach heizbaren Wohnräumen und zur Ansammlung von Vorräthen für eine Jahreszeit, die keine Früchte bringt, fühlt er kaum oder gar nicht; er braucht nur die Hand auszustrecken um sich Nahrung zu verschaffen, während in andern Gegenden diese einzige Sorge fast die ganze Kraft des Menschen absorbirt. Offenbar sind das bedeutungsvolle Ungleichheiten. Eine höhere Geistes- nt ei DT nn ALLGEMEINE BETRACHTUNGEN 845 kultur, das freie Spiel der schaffenden Phantasie, kann sich nur entwickeln, wenn die Sorge um die materielle Existenz nicht alles Sinnen und Denken in Anspruch nimmt. Aber wie ein Uebermass dieser Sorge, so hemmt auch ein gänzlicher Mangel derselben die geistige Vervoll- kommnung des Menschen, und es sind keineswegs die als Schoosskinder einer überreichen Natur begünstigten - Völker, welche auf der langen Bahn der Kulturentwicklung unseres Geschlechtes die grössten Fortschritte gemacht haben. Die Eingebornen von Brasilien und Südafrika, wo ein äusserst fruchtbarer Boden in einem glücklichen Klima ohne Zuthun des Menschen eine Fülle von Produkten liefert, sind nicht höher zivilisirt als die Eskimos und Feuerländer. Ein Zustand der Barbarei ist also nicht einem bestimmten Klima oder einer gewissen geographischen Breite eigen. Mannigfaltigkeit der Bedürfnisse wirkt stimulirend. Ausdauernde Arbeit gewinnt auch einem kargen Boden Ernte ab; der Umstand, dass man nicht auf regelmässige und genügende Erträge zählen kann, veranlasst zur Vorsorge für die Zukunft; diese Eigenschaften aber sind ebensoviel oder mehr werth als blosse Vortheile des Klimas. So zeigt sich denn der grösste Fortschritt da, wo der Mensch die Ungunst der Verhältnisse siegreich überwindet, und nicht da, wo die Verhältnisse von Natur am vortheilhaftesten zu sein scheinen. Zur Erklärung dieser Thatsache wird gewöhnlich gesagt, das Klima beeinflusse den physischen, intellektuellen und moralischen Zustand des Menschen; starke Hitze wirke ent- nervend, lähmend auf Körper und Geist; aber man findet in der heissen Zone leidenschaftlich-energische Naturen, und die Ruinen von Indien, Java, Kambodscha und Zentral- Amerika beweisen, dass die Tropenhitze kein absolutes Hinderniss der Kultur ist. Als ein solches erweist sich dagegen ein übermässig kaltes Klima; denn da ist der Erdboden zur Unfruchtbarkeit verurtheilt, wird der Geist abgestumpft, kann sich kein geselliges und politisches Leben entwickeln. Welch ein Kontrast zwischen dem Polarmenschen, den erstarrender Frost in eine niedrige, rauch- und dunst- erfüllte Hütte bannt, deren engen Raum seine Familie mit den Hausthieren gemeinsam bewohnt — und dem Leben in Griechenland und Rom mit ihren olympischen Spielen und Volksversammlungen! 846 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN Armuth oder Reichthum des Bodens sind oft von ent- scheidender Bedeutung. Grössere oder geringere Frucht- barkeit desselben vermag die Art der Beschäftigung des Menschen zu bestimmen, und die Bodenschätze können eine feste Grundlage der Landeswohlfahrt werden, wo der Mensch sie weise zu benutzen versteht. Aber die fruchtbarsten Länder sind nicht immer auch die bestkultivirten; Gold und Silber haben so wenig dem spanischen Reiche Heil gebracht als der armseligen Urbevölkerung von Kalifornien oder Austra- lien, und nicht ohne den britischen Unternehmungsgeist haben Eisen und Kohle Englands industrielle Grösse begründet. Flora und Fauna — die, wie wir sahen, in enger Be- ziehung zum Klima stehen — üben auch einen namhaften Einfluss auf den Menschen aus. Ob ein Land an Dürre leide oder sich einer üppigen Vegetation erfreue, ob es mächtige Hochwälder oder weite Gras- und Krautfluren be- sitze, muss bestimmend auf die Lebensweise seiner Bewohner einwirken. Die Verschiedenheit der Kulturgewächse bedingt auch Verschiedenheiten der Beschäftigung zu deren Pro- duktion und gewerblicher Verwendung. Reichthum an Wild ermöglicht dem Menschen eine Existenz ohne Bodenkultur: auch hängt es von der Fauna ab, ob der Mensch einzelne Repräsentanten derselben zu bekämpfen hat oder solche durch Zähmung seinen Zwecken dienstbar und zu seinen Hausgenossen machen kann. Umgekehrt übt aber auch der Mensch Einfluss auf die Pflanzen- und Thierwelt eines Landes durch Ausroden von Wäldern, Entwässerung von Seen und Sümpfen, durch die ganze Bodenkultur einerseits, andrerseits durch Ausrottung schädlicher und Einführung nützlicher Thiere. Alles in Allem genommen, erscheint uns die Einwirkung der Naturverhältnisse auf den Menschen nicht so gross und massgebend, dass sie allein genügen würde, um die vielen und bedeutenden Differenzen zwischen den verschiedenen Gruppen des menschlichen Geschlechtes zu erklären oder die Geschicke der Bewohner eines Landes vorherzubestimmen. Mehr als andere Organismen kann der Mensch gegen diese Einflüsse reagiren und sich denselben entziehen; es ist das um so mehr der Fall, je weiter er in der Kultur fort- ALLGEMEINE BETRACHTUNGEN 547 schreitet. Hindernisse, die zu überwinden sind, können Anlass werden zur Entwicklung seiner Fähigkeiten; umge- kehrt bewirkt die Gunst der äussern Umstände oft Stillstand und Verfall. Wesentlich in sich selbst und nicht in den gün- stigen Verhältnissen ihres Wohngebiets haben diejenigen Völker, welche jemals in der Weltgeschichte eine hervor- ragende Stellung erlangten, den Grund ihrer Grösse ge- funden, und Entartung trat ein, wenn keine Aufgaben mehr zu lösen waren, an deren Bewältigung die Kraft sich gestählt hätte. Die Natur bietet dem Menschen gewisse Mittel dar; von ihm aber hängt deren Verwerthung ab. Diese erfordert einen bestimmten Kraftaufwand, dessen nicht alle Menschen fähig sind. Hierin liegt ein erster Unterschied zwischen den Völkern: die einen scheuen eine gewisse Mühe und An- strengung, die sie weiter bringen könnte, und verharren auf niederer Stufe; die andern arbeiten an ihrer Vervollkommnung, indem sie an den Schwierigkeiten ihre Kraft versuchen und dieselben siegreich überwinden. Die Schicksale eines Volkes den Naturverhältnissen allein zuzuschreiben, ist durchaus ungerechtfertigt: wohl hat die Natur ihren Antheil daran, aber auch der Mensch den seinen. Ein Geschenk der Natur sind des Menschen Anlagen; aber ob er dieselben entwickelt oder schlummern lässt, ist sein Verdienst oder Fehler. Zu weit geht indessen die Behauptung, dass alle Menschen und Völker das Loos haben, welches sie verdienen. Erfolg und Misserfolg werden oft durch äussere Verhältnisse bedingt, um nicht zu sagen: vom Zufall. Ganzen Völkern wie Ein- zelnen gegenüber thürmen sich oft Berge von Schwierigkeiten auf, während Andern das Glück lächelt und die Wege vor ihnen wie von selbst sich ebnen. Die bessere Kraft kann einer Verkettung von Widerwärtigkeiten erliegen, die ge- ringere einem Zusammentreffen günstiger Faktoren ihre Erfolge verdanken. Manch ein unterdrückter Stamm wäre eher als seine Besieger des Looses werth, dessen diese sich erfreuen. Ein hochzivilisirtes Volk konnte sicherlich nicht ohne tüch- tige Begabung die Stufe erreichen, auf welche es gelangt ist; aber der Anstoss zu manchem seiner Fortschritte kann doch ein zufälliger gewesen sein. Viele Völker wären un- kultivirt geblieben, hätten nicht — ohne ihr eigenes Zu- thun — vorgeschrittenere Nationen mit ihnen Verbindungen 848 BEOBACHTUNGEN UND STUDIEN angeknüpft, oder hätte sich nicht unter ihnen ein Mann erhoben, welchen eine grosse Idee begeisterte. Nichts wirkt mächtiger auf ein ganzes Volk als ein zündender Gedanke, ein gewaltiges Vorbild, im Guten oder Bösen. Nationen sind in Verfall gerathen, weil sie die Fehler ihrer Nachbarn kopirten; Völker sind gross geworden, die andere zum Muster nahmen und zu übertreffen suchten; gross vor Allem sind sie geworden, wenn sie ihre Kraft bethätigten im Dienste einer treibenden Idee. “ &5 2 _ EN e _ TAFEL 1. Erste Meridiane. Es kann beliebig (konventionell) irgend ein Meridian als derjenige angenommen werden, von welchem aus man die andern oder also die geographischen Längen zählt. Als solchen Anfangsmeridian betrachten die Engländer denjenigen durch die Sternwarte zu Greenwich, die Franzosen denjenigen durch das Observatorium zu Paris. Die Deutschen gehen bei der Zählung bald von einem dieser beiden Meridiane aus, bald von demjenigen der Insel Ferro (20° westl. von Paris), die Russen von Pulkowa, die Amerikaner von Cam- bridge in Massachusetts oder Washington, die Spanier von San Fernando bei Cadix etc. Behufs Reduktion verschiedener Längenangaben auf den- selben Anfangsmeridian muss man die Längendifferenz zweier Hauptmeridiane zu den gegebenen Zahlen addiren oder von denselben subtrahiren. Nach der neuesten ‚Zusammenstellung von A. Auwers in Behms geographischem Jahrbuch pro 1880 (wonach die oben S. 92 mitgetheilten Zahlen etwelche Aenderungen er- leiden!) bestehen folgende Längenunterschiede: Greenwich liegt 2° 20’ 15” westlich von Paris. San Fernando . 8° 32’ 34’ 4 e R Ferro 21209 R “ $ Cambridge M. . 73% 28° — A s e Washington a og E A a Be Br BIT ZUG" östlich _ „ x Pulkowa . . 27° 59’ 25” I . 1) Ueber die Genauigkeit der nunmehrigen Angaben vgl. a. a. OÖ. S. 304. 54* 852 ANHANG Man hat also die Längenangaben einer Karte, welcher der Meridian von Greenwich zu Grunde gelegt ist, folgender- maassen zu ändern, damit sie sich auf Paris beziehen: a) zu den westlichen Längen muss 2° 20’ 15’ addirt, b) von den östlichen muss dieselbe Zahl subtrahirt werden. Beispiele: a) 35° 40° 0” westlich von Greenwich, 4 2° 20’ 15” 38° 0’ 15” westlich von Paris. b) 72° 15’ 20” östlich von Greenwich, — 20 20’ 15’ 69° 55’ 5’ östlich von Paris. Betrüge die östliche Länge eines Ortes P weniger als die 2° 20° 15”, so hätte man dieselbe von jener Differenz (2° 20° 15”) zu subtrahiren und erhielte so die westliche Länge des Punktes P von Paris: c) 1° 15’ 10’ östlich von Greenwich, Fe Bar I 1° 5’ 5” westlich von Paris. Analog ist immer zu verfahren, wenn Längen auf Paris zu reduziren sind, die sich auf einen Anfangsmeridian westlich von Paris beziehen. Liegt aber der gegebene Anfangs- meridian östlich von demjenigen, welcher bei der Reduktion zu Grunde gelegt werden soll, so ist das Verfahren einfach umzukehren, z. B. 70° 20° 0’ westlich von Pulkowa, — 21° 59’ 25” 42° 20’ 35” westlich von Paris. 10° 16’ 12” östlich von Pulkowa, + 270 597 25” 38° 15’ 37’ östlich von Paris. 12° 10’ 5” westlich von Pulkowa, 210 5298 15° 49’ 20” östlich von Paris. GRAD-LÄNGEN 853 Breite. SOUND mAO , 110569,0 TAFEL II. Länge der Meridian- und Parallelkreisgrade. (Abplattung der Erde = Meridian- grad. m 110563, 7| 110564,0 110565,0 110566,7) 110572,0) 110575,8 110580,1 110585,1 110590,8 110597,0 110604,0 110611,6 110619,7 110628,5 110637,9 110647,8 110658,4) 110669,4 110681,1 110693,3 110706,0 110719,2 110732,9 110747,1 110761,7 110776,7 110792,2 110808, 1 110824,4 Parallel- £|M | grad. m | 111306,6[30 111289,7]31 111239,2|32| 111155,0[33 111037,2[34) 110885,5 35, 110700,9136 110482,4 37 110230,5138' 109945,2]39 109626, 6[40 109274,9141 108890,0142 108472,1143 108021.4 44 107538,045, 107022,0146. 106473,4 47 105892,6]48 105279,949 104634,9 50 103958,3 51 103250,1 52 102510,6 53, 101739,9|54. 100938.3 55| 100105,9]56. 90243,2]57| 98350,2]58 97427,4 59 1 299,15 ER grad. | | Parallel- grad. m 110841,0 110858,0. 110875,2, 110892,8 110910,7. 110928,8) 1109472) 110965,8, 110984,6, 111003,5, 111021,6, 111041,8, 111061,1) 111080,5. 111100,0 111119,4 111138,9 111158,4 111177,8, 111197,2) 111216,4 111235,6 111254,6 111273,4 111292,1) 111310,7) 111322,9) 111347,0 111364,7) 111382,0\ m 96474,8 95492,0 94481,9 93442,0 GAST 91277,1 90152,7 89000,8 87821,6 86616,1 35383,7 84125,1 82840,8 sı531,1 80196,5 78837,3 177453,9 76046,8 74616,3 73162,9 71687,0 70189,1 68669,6 67129,0 65567,7 63956,3 62385,1 60764,7 59125,6 57468,1 angenommen.) |Meridian- grad. m 61) 111415,8 62| 111432,3| 63 111448,3| 64 111463,9| 65, 111479,1 66 111493,9 67, 111508,2 68 111522,1 69| 111535,4 70| 111548,3) 71) 111561,3) 72| 111572,4| 73 111583,8| 74| 111594,4, 111399,1 75 111604,5 76, 111614,0 77| 111622,9) 78| 111631,3| 79| 111638,9 80| 111646,0, 81| 111652,6 82| 111658,1 83| 111663,3) 84 111667,6 85, 111671,4| 86) 111674,4 87 111676,7 88) 111678,4 39) 111679,4 90) 111679,9) Parallel- grad. m 55793,1 54100,8 52391,8 50666,5 48925,6 47169,7 45399,1 43614,4 41816,3 40005,3 38181,8 36346,5 34499,9 32642,7 30775,2 28898,4 27012,5 25118,2 23216,2 21306,9 19391,1 17469,2 15541,8 13609,7 11673,3 9733,38 7790,3 5844,8 3897,5 1949,1 0,0 ANHANG 854 TAFEL M. 1. 00,2 1.02 1. 05,9 1.12,8 1.24,2 1. 43,4 2.19,4 3. 44,6 1,1 110.277 Grössenverhältniss der Meridiangrade im Gradnetz mit wachsenden Breiten. (Merkatorprojektion, S. 210 oben). 1. 00,5 1. 02,9 1.077 1.157 1. 28,8 1.51,4 2. 36,8 4. 37,4 23. 04,3 MERKATOR- PROJEKTION 855 Die Zahlen der vertikalen Kolonne links geben die geo- graphischen Breiten von 10 zu 10 Grad, diejenigen am Kopfe der übrigen 10 Kolonnen die einzelnen Grade. Der Abstand des ersten Parallels (1) vom Aequator (0°) ist die Einheit (1,00), welche den Zahlen der zehn Kolonnen zu Grunde liegt. Diesem Abstand muss derjenige zwischen den einzelnen Meridianen gleich sein. Wie gross man ihn an- nehmen will (ob z. B. gleich 1 mm), hängt davon ab, welchen Inhalt und Umfang die Karte haben soll. Wenn nun also dieser Abstand (zwischen Aequator und erstem Parallelkreis) als 1 bezeichnet wird, so muss derjenige zwischen dem 'ersten und zweiten Parallel gleich 1,001 sein, der Abstand vom vierten zum fünften Parallelkreis aber 1,002, vom achten zum neunten 1,006, von neunten zum zehnten 1,009 u. s. f. — Hat man den 30. Parallelkreis konstruirt und soll nun die Lage des 31. in der Zeichnung bestimmt werden, so findet man hiefür auf der vorn mit 30 bezeichneten Zeile in der mit 1 überschriebenen Kolonne die Zahl 1,096. Diese gibt also an, wie gross der 31. Meridian- oder Breitegrad in der Karte erscheinen soll, wenn dem ersten der Werth 1 beigelegt wird. — Ist der 31. Parallelkreis gegeben und wollen wir nun den 33. auftragen, so benutzen wir die Summe der Zahlen für den 32. und 33. Breitegrad. Für jene finden wir (Zeile 30, Kolonne 2) 1,104 für diese (Zeile 30, Kolonne 3) 1,111 Summa 2,215 Dieser Werth (2,215) muss nun der Distanz zwischen dem 31. und 32. Parallel gegeben werden. Man ersieht aus der Tabelle, dass die Werthe für die hohen Breiten rasch zunehmen. Die Merkatorprojektion lässt z. B. den 61. Breitegrad doppelt, den 72. dreimal, den 79. fünfmal, den. 81. sechsmal so gross erscheinen als den ersten. 856: ANHANG TAFEL IV a. Zentrische Reduktion eines Winkels. Die zentrische Reduktion eines Winkels (vgl. oben S. 35) ist dann vorzunehmen, wenn die Aufstellung des Instru- mentes nicht im Scheitel des zu messenden Winkels erfolgen kann, wenn z. B. ein Thurm oder Baum den betreffenden Dreieckspunkt bildet. 1% Es sei der Winkel ABO (Fig. 265) zu bestimmen, in dessen Scheitel 5 das ia sonne nicht aufgestellt werden kann. Man placirt sich mit dem Instru- ment in einem möglichst nahe an D gelegenen Punkt D des Schenkels BA, visirt nach einem Punkte F', der so liest, dass DF den Schenkel BC \ schneidet, lässt den Schnittpunkt E Ä @‘ ‘ec durch einen Stab bezeichnen, misst Fig. 265. den Winkel ADF und hernach, indem man sich in E aufstellt, auch den Winkel OEF. Nun ist der zu bestimmende Winkel A BC gleich der Differenz der beiden gemessenen Winkel (ADF— CEF); wie nämlich die Figur zeigt, besteht folgende Gleichung: ABO=AÄADG = ADF— GDF= ADF-— (ER. & 2° Es sei der Winkel DCG (Fig. 266) zu be- stimmen, in dessen Schei- telpunkt € das Instru- mentnicht aufgestellt wer- den kann. RZ H Man placirt sich mit a Sl Instrument in einem Fig, 266. Punkte. OÖ nahe bei (, misst O0 C, visirt nach zwei Punkten D und @ der Schenkel des zu bestimmenden Winkels, liest die Winkel @OC und DOC ab und bestimmt annähernd (durch Schätzung) die beiden Distanzen CD und 0 @. KOORDINATEN - BERECHNUNG 857 Die Visirlinien OD und O@ bilden mit den Schenkeln CD und ÜG die Winkel « und £. Es ist nun der zu be- stimmende Winkel DC G gleich dem gemessenen Winkel @OD plus der Differenz jener beiden Winkel @ und £, also DCG =DOG Le —L. Die Hülfswinkel & und $ aber können leicht berechnet werden. Es verhalten sich nämlich nach einem bekannten trigonometrischen Satze zwei Seiten eines Dreiecks zu ein- ander wie die Sinus (vgl. oben S. 133) der gegenüber- liegenden Winkel; man hat also folgende Proportionen: ED2.C0=:nB0C.:.sina G : CO= snCO0@G : snPß und demnach zur Bestimmung von @ und ? die Gleichungen Ye ei el; sina =.smDO.C..: er 3 EN co snß = snCOG. GE TAFEL IV b. Berechnung der Koordinaten von Dreieckspunkten. Die nachstehende Fig. 267 stelle das Dreiecksnetz einer von AM als Basis ausgehenden Triangulation vor. Man ziehe in der Zeichnung durch einen Dreieckspunkt E den Meridian (vgl. oben S. 73) YY als Ordinatenaxe und dazu die Normale X X als Abszissenaxe (vgl. oben S. 56). Nun hat der Punkt M die Koordinaten M1 = E2 (Abszisse) und M2 — E1 (Ordinate). Dieselben können bestimmt werden aus der Dreiecksseite M E und dem Winkel MEY, welchen dieselbe mit dem Meridian bildet. Dieser Winkel (das Azimuth von M) sei 35° 25’ so ist Mi== ME. sin35’ 25’ und M2 = ME. cos35° 25’ (vgl.obenS.133). Die Koordinaten des Punktes A ergeben sich in ana- loger Weise aus dem rechtwinkligen Dreieck E3A, von welchem man wieder die Hypothenuse (A E) und den einen 858 ANHANG Fig. 267. ihr anliegenden Winkel (AEX) kennt. Der letztere ist nämlich gleich AEY — 90°; AEY aber (das Azimuth von 4) ist die Summe des Azimuthes MEY und des Dreieckswinkels AEM, also AEX= MEY-+ AEM — %° —,35%257 7-1580834 90% Hinsichtlich des Punktes S finden wir Winkel SAA=SAM—4AM 4AM—=AM2 i AM2=AME—-2MZE ZME=MENG SAM— (AME— MEY 479 40’ — (48° 37’ — 350 25’) 47° 40’ — 13% 12’ —= 340 28°. also SA4 TRIGONOMETRISCHE HÖHENMESSUNG 859. Man kennt also von diesem rechtwinkligen Dreieck wieder die Hypothenuse nebst einem anliegenden Winkel und kann somit die Katheten S£ und A# berechnen. Die Abszisse von 5, d. h. der senkrechte Abstand dieses Punktes vom Meridian Y'Y, ist aber gleich S4-+- E3, und seine Ordinate ist A4—- 43. Bei Punkt 2 fällen wir von D aus eine Senkrechte 35 auf S4 und erhalten so ein rechtwinkliges Dreieck mit der bekannten Hypothenuse BS; der Winkel BS5 ist gleich BSA-+ 4AS4. Aus diesen Elementen lassen sich 35 und 55 bestimmen. Nun ist aber die Abszisse des Punktes 3 gleich derjenigen von S minus S5, die Ordinate von B gleich B5 minus der Ordinate von 8. In ähnlicher Weise wird die Lage jedes der übrigen Punkte durch seine Koordinaten bestimmt. Beim Notiren dieser Zahlen ist jeweils eine Bezeichnung dafür anzubringen, in welchem Quadranten des Koordinatensystems (Nordwest, Nordost, Südwest oder Südost) der betreffende Punkt liegt. TAFEL IV c. Trigonometrische Höhenmessung. 1° Es sei O (Fig. 268) eine Station, von welcher aus der Meeresspiegel in Ki ‚0 M sichtbar ist. Es soll die absolute Höhe derselben, ON = x, bestimmt werden. Man misst den Zenithwinkel MOZ sowohl bei Hochwasser als beim darauf Mr folgenden Niedrigwasser des Meeres und N, ; nimmt aus den Messungen das arith- > metische Mittel 2. Für die gesuchte = Höhe gilt nun die Formel ;r z = !a (m 4 1)? R.tang? (2 — 90). en Hier bedeutet R den Erdradius OM —= 7a ON = 6366200 Meter (Logarithmus dieser Zahl — 6,8038803). Die Grösse N . 860 ANHANG m ist der Refraktionskoeffizient. Derselbe wird entweder durch andere gleichzeitige Beobachtungen direkt bestimmt oder —= 0,08 + 0,02 angesetzt (+ 0,02 bei kaltem, — 0,02 bei warmem Wetter). Nimmt man für m den Werth 0,08, so lautet die Formel x = 0,5832 R. tg? (2 — 90). Setzt man aber für m den Werth 0,06 ein, so ist (m + 1)? = 1,06? — 1,1236, somit !/a (m + 1)? = 0,5618. Es sei nun z. B. der Zenithwinkel 2 für den Mittel- wasserstand des Meeres 92°, also 2 — 90 — 2°, so ist = (BEL get log 0,5618 = 0,74958 — 1 J log R —= 6,80388 2 logtig2° = 1.08617 — 10 log x —= 3,63963 Er — 4631,4 Meter. 2° Der Höhen- unterschied D zweier Punkte mit dem Höhenwinkel ö und dem Hori- zontalabstand X ist zu berechnen nach der Formel Fig. 269. D=H+h-XK worin H die vertikale Kathete des rechtwinkligen Dreiecks, dessen Hypothenuse die schiefe Visirlinie zwischen beiden Punkten, und dessen andere Kathete die Horizontale in der Augenhöhe des Beobachters, A die Instrumentenhöhe und K die Korrektion für Strahlenbrechung und Erdkrümmung (Refraktionsfehler und Differenz zwischen wahrer und schein- barer Höhe, vgl. oben S. 47). Da 2 —rtg d,sist ak 1.0190) als Werth für FM einzusetzen; %k aber ist gleich zz wobei R den Erdradius bedeutet. Die Formel lautet daher 2 De Um für die Anwendung dieser Formel ein Beispiel zu geben, nehmen wir 2 = 2000 Meter OL — 1502107 h —= 1,4 Meter. TRIGONOMETRISCHE HÖHENMESSUNG 861 log K = 3,30103 logtgd = 9,43408 — 10 Num. 2,73511 — HUSSM log 0,42 = 0,62378 — 1 2 llgkK = 6,22584 6,22584 — bg K ==—6,80388 Num. 0,57804 —1 — 0,264 Rh —= 1,400 D — 545,051 3° Es soll die Höhendifferenz 2 zweier Punkte A und B (Fig. 270) bestimmt werden aus den beiden (möglichst gleichzeitig gemessenen) Zenithdistanzen & und ß. — Ist s die Entfernung der beiden Punkte, Bi a die approximative Höhe des einen derselben (A) und r der Erdradius, . so gilt die Formel u & [7 == Je an). u ® TS . 3 Beispiel. Es sei: x y © — .. 1850. Meter, \ f s — 27570,7 Meter, \ fi sa 1 AS. ) Ä R — 870.587 277 re alsop — a = 4°16’ 4” ap Bea —= 2.8.2” 7 Zur Vornahme der Berechnung un. zerlegen wir die obige Formel durch Auflösung der Klammer in a ee DR und berechnen nun die zwei Glieder wie folgt: ne —= 4,44045 > log y Pe — 8,57128 — 10 1) Num. 3,01173 = 1027,4 Meter. loga = 3,26717 6,27890 — logr = 6,80388 2) Num. 04502? —1= 03 z = 1027,7 Meter. 862 ANHANG 4° Die Höhendifferenz der beiden Punkte kann aus einer einzigen Zenithdistanz berechnet werden unter Einführung eines Hülfswinkels (05). Marne I 180° Eirerzıst. PUs— oder in Sekunden 180 . 60. 60” == wonach PL Log M == 5,31443. Die Grösse » bezeichnet wieder den Refraktionskoeffizient 0,08 + 0,02 (0,1 bei kaltem Wetter, 0,06 bei warmem Wetter; Mittelwerth 0,08). Die Formel lautet nun z=(1+)s.cy(@e —g). Für deren Berechnung, beziehungsweise Zerlegung, gilt das vorhin Gesagte; r und s haben die gleiche Bedeutung wie in der vorangegangenen Formel. N Erstes Beispiel: Der Punkt A, von welchem aus operirt wird, sei tiefer gelegen als B, dessen Höhe über A bestimmt werden soll. a = 2000’ s —= 18427’ (Schweizerfuss, 10’ == 3m) a —= 88017’4”n = 0,06, also 0,5 — n = 0,44. Hülfswinkel. Hauptformel. y = Fr 2=s.cgy (e—9Y) + 7 eig (e — 9) log0,44 = 0,64345 —1 logs — 4,26545 logs == 4,26545 log cty (e —Y) —= 8,48194 — 10 loegM = 5,31443 log v. Glied 1 = 2,74739 9,22333 log a — 733012 oe 2 77,282049 6,04842 logp == 1,89654 er — 1,326419 0, = 78,8” log v. Glied 2 = 0,72163 —2 — 1713.84 1.1.Glied —-77558,9%7 er 05 83H A Da 0,05’ z = 559,09 TRIGONOMETRISCHE HÖHENMESSUNG 863 Wie man sieht, hat diese Methode den Vortheil, dass man gleichzeitig den von der Refraktion befreiten Zenith- winkel (« — @) kennen lernt. Zweites Beispiel. Der Punkt A, von welchem aus operirt wird, sei höher gelegen als BD. a. 2558 s — 18427’ a = 91° 45’ 34” n = 0,06. Hülfswinkel. Hauptformel. log 0,44 — 1.64345 log s — 4,26545 log s — 4,26545 log cty (a — Y) = 2.48194 logM = 5,31443 log von Glied 1 = 2,74739 log r —U 320 19 log a =—r3,410790 log — 1,89654 log r — 7,32679 Diebe, Rt logvon Glied 2 — 2.832840 @—Q = 91° 44’ 15’ 1, Glied =1558397 2: ah. nr OR 2 — 559,03’ In Bezug auf die Cotangente des Winkels @ — @ mag, da — @ > 90°, bemerkt werden, dass sie ihrem abso- luten Werthe nach gleich ist der Cotangente des Supple- mentarwinkels 180 — (@ — @) oder der Tangente von @ — @ — 90, also der Cotangente von 88° 15’ 45’’ oder der Tangente von 1° 44’ 15”. 864 ANHANG TAFEL V. Graphische Methode der barometrischen Höhenmessung. Von Prof. A. Weilenmann in Zürich. Die beigegebenen Tabellen sind für den Gebrauch des Aneroidbarometers berechnet. Die senkrechten Linien, be- ziehungsweise die Zahlen am Fusse, bezeichnen die Mittel- temperatur der Luftschicht zwischen den beiden Stationen, deren Höhenunterschied ermittelt werden soll (vgl. S. 50 oben); die wagrechten Linien, respektive die Zahlen links, geben die absolute Höhe in Metern, und die schiefen Linien mit den Ziffern rechts und oben geben den Luftdruck (Baro- meterstand) in Millimetern. Rechts findet man vier Rub- riken für Korrektionen, wobei die Zahlen Meter bedeuten; die erste Rubrik, mit W überschrieben, gilt für den Winter, die zweite (F) für den Frühling, die dritte (S) für den Sommer und die vierte (H) für den Herbst. Diese Korrek- tionen gelten für das westliche Alpengebiet, sind aber auch für Beobachtungen in andern Gegenden brauchbar, wenn man nur die dem jeweiligen Klima entsprechende Rubrik nimmt, z. B. für Aequatorialgegenden immer die Kolonne Sommer (S). Diese Korrektionen müssen zu den gefundenen Höhen addirt werden. Ein Beispiel: Untere Station. Barometer 723 mm. Lufttemperatur im Schatten a Obere Station. Barometer 556 mm. Sommer. Lufttemperatur im Schatten 10° Summe der Temperaturen 34° Mittel „ 3 170 Man sucht nun auf der ersten Tafel, welche rechts Barometerstände von 680 bis 760 mm notirt hat, die senk- rechte Linie auf, die der Temperatur + 17° entspricht; man verfolgt sie bis zur schiefen Linie, welche den (rechts angegebenen) Luftdruck oder Barometerstand von 723 mm. bezeichnet, und merkt sich die Horizontale in der Nähe dieses Punktes. Die erwähnte Horizontale nach links ver- BAROMETRISCHE HÖHENMESSUNG 865 folgend, sieht man, dass sie eine Höhe von 420 m bedeutet; allein jener Schnittpunkt der senkrechten und schiefen Linie liegt etwas über dieser Horizontalen und zwar nahezu um !/s des Zwischenraums bis zur nächsten Horizontalen (von 430°); er entspricht also einer Höhe von 423 m. Rechts daneben findet man als Feuchtigkeitskorrektion für den Sommer 2m angegeben. Die Höhe der untern Station beträgt demnach 425 Meter. Nun nimmt man auf der dritten Tafel (mit den Baro- meterstandsangaben 550 bis 600 mm) wieder die Senkrechte 17° und verfolgt sie bis zur schiefen Linie von 556 mm. Die Horizontale durch diesen Punkt entspricht, wie man am Rande links sieht, einer Höhe von 2654 Meter. Als Feuchtigkeitskorrektion findet man rechts 11 m, also ist die Höhe der obern Station 2665 m über Meer, und die Differenz der Höhen beträgt demnach 2665 — 425 = 2240 Meter. Die ganze Rechnung beschränkt sich auf folgende An- gaben: Unterer Barometer 723 mm. Temperatur 24° | Oberer = 556 mm. 4 107 Mittel 17° Höhe. Korrektion. 42234 2 = 425m 2654 4 11 = 2665 m Differenz 2240 m. Wenn es sich um Zehntel von Graden und Millimetern handelt, kann damit ebenso verfahren werden wie mit Ganzen. Am günstigsten für die barometrische Höhenbestimmung ist die Zeit von Mittags 12 bis 3 Uhr an einem schönen Sommertag, wenn eine entsprechende Beobachtung in der Ebene angewendet werden kann. Man braucht in diesem Falle nur die Lufttemperatur aus der Ebene zu kennen; diejenige in der Höhe kann berechnet werden, indem man weiss, dass unter den angegebenen Verhältnissen die Tem- peratur in freier Luft um 1° auf je 101 Meter Höhe ab- nimmt. Beispiel: Sommer. 55 866 ANHANG 1878, Juli 17, 1 Uhr Nachmittags. Zürich, _ Barometer 727,2 mm, Temperatur 23,2° Glärnisch Y 543,3 mm, e 8,00 Mitteltemperatur 15,6" Höhe. Korrektion. Zürich 372-4. = ln Glärnisch 2836 4 12 = 2848 m | Differenz 2474 m. Temperaturabnahme in freier Luft = 2474 : 101 = 24,5°; also Lufttemperatur senkrecht über Zürich in der Höhe des Glärnisch = 23,2 — 24,4 = — 1,2°; Mittel der beiden Temperaturen von 23,2 und — 12 = 22°:2 = 11°. In den Tafeln findet man bei Verfolgung der Vertikalen 11° Zürich (727,2mm) 367 4 2= 369m Glärnisch (543,3 mm) 2792 + 12 —= 2804 m Differenz 2435 m. Nimmt man dazu die absolute Höhe der Station Zürich = 470 m, so erhält man als Höhe für den Glärnisch 2435 + 470 = 2905 m, d. h. nur 8 Meter weniger als die wirkliche Höhe. — Die Beobachtung wurde mit einem Goldschmid-Weilenmann’schen Aneroid gemacht. Wenn man keine Hülfsstation hat, kann man die Höhe bis auf etwa 100m genau bestimmen, indem man den Luft- druck im Niveau des Meeres = 760 mm annimnt. Beispiel: Eine Station habe im Sommer 634mm Luft- druck und 14° Lufttemperatur. Die senkrechte Kolonne für 14° gibt uns 1523m 4 7m (Korrektion) = 1530 m. Im Sommer findet eine Temperaturabnahme von 1° durch- schnittlich auf 135 m Erhebung statt. 15302: 1352 1,31 Die Temperatur im Niveau des Meeres ist hienach 14 + 11,3 = 25,3%, und das Mittel der beiden Luft- temperaturen (von 14° + 25,3%) beträgt also 19,6%. Auf der Vertikalen von 19,6° aber findet man für 634 mm eine approximative Höhe von 1552 m. — BAROMETRISCHE HÖHENMESSUNG 567 Die Tafel erweist sich für Reisezwecke auch dadurch nützlich, dass man mit ihrer Hülfe einen bestimmten Betrag der Höhenänderung innehalten kann. Nehmen wir z. B. an, das Aneroid zeige 656 mm Luftdruck bei einer Tempe- ratur von 15° und man wolle sich um 120 m höher hinauf begeben. Welches wird der Stand des Aneroids sein, wenn wir diese Höhe erreicht haben und woran wir erkennen, dass wir sie erreichten? Um diese Frage zu beantworten, verfolgt man die Vertikale 15° bis zur schiefen Linie von 656 mm, welcher die Horizontale 1241 m entspricht; 120 m mehr sind 1361 m. Dieser Horizontalen aber (1361 m) entspricht bei 15° ein Luftdruck von 646,7 mm. Endlich kann man sich der Tafel auch mit Vortheil bedienen, um zu ermitteln, welcher Luftdruck im Meeres- niveau einem anderswo beobachteten Barometerstande ent- spricht. Zu diesem Zweck muss man wissen, welche mittlere Temperaturzu- oder Abnahme in freier Luft einer bestimmten Höhendifferenz (100m) entspricht. Diese Temperaturänderung auf 100 m Höhe beträgt für Westeuropa durchschnittlich 0, 3530 im Winter 0,6710 im Frühling 0,740° im Sommer 0,419° im Herbst. Die Zahl 0,740 ist auch für die Aequatorialgegenden zu gebrauchen, d. h. es ist anzunehmen, die Lufttemperatur steige daselbst durchschnittlich um diesen Betrag, wenn man sich um 100 m abwärts begibt, und falle um eben soviel für eine Erhebung von [O0 m. Man habe nun z. B. im westlichen Europa bei 840 m Höhe über Meer und 9° Grad Lufttemperatur einen Baro- meterstand von 681 mm beobachtet. Welches wird der gleich- zeitige Luftdruck im Meeresniveau sein ? Die Temperaturzunahme bis zum Meer beträgt 0,419 .8,4 —= 3,5°; es ist also die wahrscheinliche Lufttemperatur am Meere 9 + 3,5 = 12,50 und demnach das Mittel der beiden Temperaturen !/a (9 —+ 12,5) = 10,8°. Wir ver- folgen die Vertikale 10,8 bis zur Schiefen 681 mm und finden die Horizontale 912m. Das ist aber (gegenüber 840 m) um 72m zu viel. Wir gehen daher auf der Verti- 368 ANHANG kalen 10,8 bis zur Horizontalen 72 m. und treffen so auf die schiefe Linie, welche einem Luftdruck‘ von 753,5 mm entspricht. Das ist der gesuchte Barometerstand für das Meeresniveau (Om absolute Höhe). m Hat man PBarometerstände von mehr als 700 mm, so kann die Tafel gleichwohl angewendet werden. Es geschieht dies in folgender Weise. Man denkt sich an der Stelle von 750 die Zahl 770 und für 740 die Angabe 780 mm und betrachtet die zugehörigen Höhenzahlen als negative, also die entsprechenden Punkte als unterhalb des Meeres- spiegels gelegen. Beispiele hiefür: 1° Untere Station. Barometer 773 mm Temp. 27° | S Obere Station. 2 596mm „ 90 | ze Mittel 18° Höhe der untern Station — 148 m, Korr. — 1m, — 149m obern „ —2074m, „ —10m, 2084m Niveaudifferenz 2233 m. | 2° Bei 840 m Höhe hat man im Frühling 696 mm Luftdruck und 4,7° Temperatur. Welches ist der entsprechende Luft- druck am Meeresniveau ? Temperaturzunahme bis zum Meere 0,671 . 8,4 = 5,79. Lufttemperatur am Meere also 4,7 + 5,7 = 10,4°. Mittel (von 4,7 und 10,4) = 7,5°. Auf der Vertikalen mit 7,50% BJ n findet man für 696 mm die Horizontale 722 m, was (gegen- über 840 m) 118m zu wenig ist. Diesen 118 m aber ent- spricht ein Barometerstand von 770,8 mm und das ist der gesuchte Luftdruck bei Om Höhe. ‘ @_ m ————— un + Zu © “ z-o 2 ee cc n in {2} Mo. “ nad - ‚bo & ”30 a = o [a2 = n & IF 5 wE o n m 5 33 x r > > 4 + ” FR IF - 02) n on nn 2% = a a m w Ei w e = > 23 ON oa NM DEKAN N UN A \ \ N \_ N N} \ \ [1 S o_= Es NIE ar = — 2:0” = = 3 > Su on a a tn - - re es o a = {2} Es u 2 35% ı hai > © us 5 [> - Rn x & ie 2 = = > 7 < Re} nm l ih n if i ir BESE=ES BAROMETRISCHE HÖHENMESSUNG. | _ ses —w 9 “Er —smM lim FEUCHTIGKEITS- " KORRECTION =» ILS 7 +4 14 Apr a iy/ Wi „SIHY= 3; Z Ahr & X 0 e ’ / KIA 7 SHFHZ 7 IN 717 Y 7 TA Y 7 7:7 777 m YA uf ı VA a £ 1 A 7 B% /} VeakeEe ae Ber ER 22 Kane) /! LE, EB ArAy. 7 zen j 4 Sl N ISIN IN } z Tr x > - SION IR Ihe N “ MIT a af arm. NEUN E NISCRD Se un IR j TS N : TTS Pt II IN SI abe Nur BL KINN 8 { ISIS > dt T\ N ge En I <] > Pr J TS r NIIN 3‘ INS NIN ] < Nm Immıı S| S h IR I En A ne DA BEER Bit Bi 3900 5 h 5 8. 128. |. 3800 WaeSScHl KORRECTION. uf - a “ na E-} “ ın n r 5 Bi /4 Be A VE: Ba: Bau 14 7A 1/ een 1 N is N DIN H 7 BR 717 EZ 2 Bi | "Erz near || | II ee A087 k: 6.40: 71 Kr oT Millim FEUCHTIGKEITS= ur Ss- EN iS NN S EN SERIEN 9 WER SH. FEUCHTIGKEIT D lim. KORRECTION. THERMOMETER-SKALEN 869 TAFEL VI. Vergleichung der verschiedenen Thermometer - Skalen. 0° Celsius = 0° Reaumür = —-32°Fahrenheit. KO > 804 2020 4 REDUKTIONSTAFEL. Fahrenh. Fahrenh. Fahrenh. Reaumür. Celsius. Reaumür. Celsius. © o o to IwBo-ıa ISO San OS 0 -I-1-1-1-1-1-1 u PBunHmo u © STOSS 9UPPOD m 4 3 2 1| 0 1l \ 3 4| au 6 za 8 9| 52.) 65,00 53 | 66,25 54 | 67,50 155 | 68,75 56 | 70,00 23|— 5,00|| 60 [15,56 97 | 36,11 | 28 | 35,00 65 | 81,25 24|—- 4,44| 61 |16,11 || 98 | 36,67 | 29 | 36,25 || 66 | 82,50 25|— 3,89 | 62 |16,67| 99 37,22] 30 | 37,50 | 67 | 83,75 26|— 3,33|| 63 | 17,22100: | 37,78| 31 | 38,75|| 68 | 85,00 27|— 2,78 || 64 | 17,78 101 | 38,33| 32 | 40,00| 70 | 87,50 28|— 2,22 | 65 |18,33| 102 | 38,89 | 33 | 41,25 | 72 | 90,00 29|— 1.67 66 18.89 103 | 39,44] 34 | 42,50| 74 | 92,50 30|— 1,11|| 67 | 19,44 1104 | 40,00| 35 | 43,75|| 76 | 95,00 31 |— 0,56 | 68 | 20,00 1105 | 40,56 | 36 | 45,00 | 78 | 97,50 32|— 0,00. 69 | 20,56 106 | 41,111 37 | 46,25 | 80 | 100,00 8370 ANHANG TAFEL VI. Psychrometrische Tabellen. Die folgenden Tabellen sind für einen Luftdruck von ‘60 mm berechnet; sie können aber ohne merklichen Fehler auch für Barometerstände bis auf 700mm herunter gebraucht werden, und selbst bis zu 600 mm sind die Fehler, welche ihre Anwendung verursacht, nicht beträchtlich. Nehmen wir z. B. an, die Ablesung am befeuchteten Thermometer habe 10° ergeben und die Differenz zwischen beiden Thermo- metern sei 5°. Nun liefert die Tabelle für 760 mm Luft- druck folgende Zahlen: Dunstdruck 6,2 mm. Relative Feuchtigkeit 48 °/o. Thau- punkt 4,1° (vgl. oben S. 418). Bei denselben Angaben des Psychrometers, aber einem Luftdruck von 660 mm hat man: Dunstdruck 6,5 mm. Relative Feuchtigkeit 58 °/. Thau- punkt 4,9°. Die anzubringenden Korrektionen sind folgende: 1° Die Dunstdruck- Korrektion ist für alle Temperaturen die- selbe, nämlich für je 100 mm Verminderung des Luftdrucks unter 700mm und für je 1° Temperaturdifferenz — +-0,06mm. So z. B. hat man bei 500 mm Luftdruck und 7° Tempe- raturdifferenz die Angaben der Tabelle zu vermehren um 0.06.2602 7 = m. 2° Die Korrektion für die relative Feuchtigkeit variırt mit der Temperatur. Für je 100 mm Verminderung des Luftdrucks unter 760 mm und 1° Temperaturdifferenz des trockenen Thermometers hat man folgende Prozente zu addiren: PSYCHROMETRIE 871 Grad Grad /o Grad °/o — 30 8,6 — 1.232 17-04 — 29 8,4 a 18 0,4 — 28 82 —5 19 79792 — 2% 80 — 4 18 20° 0,3 Eh 7,8 —3 186 21 0,3 5. 7,6 —2 15 22. 0,3 en 74 — 1 14 23 0,3 —23 72 0 13 24-03 SE] 10 51,2 25 0,3 — 21 6,8 21 26 0,2 20. 6,6 a 21208 9) 6 471.0 28 0,2 18 59 5 09 29,82 —:10* 5,4 6 0,9 30 0,2 — 16 5,0 7 08 31402 at 8 0,7 32002 — 14 43 9 0,7 Ds ‚8 — 13 40 10.0,7 34 0,2 — 12 3,6 11 0,6 5. .048 — iM 3,2 12- 0,6 36 0,1 — 10 2,9 13-..0,5 are! — 9 2,7 14 05 38 : 0,1 — 8 25 15 0,5 SQ — 8 24 16 0,4 40 01 Es wird also die Korrektion bei 500 mm Luftdruck, 15° Lufttemperatur und 7° psychrometrischer Differenz (Ab- lesung am befeuchteten Thermometer — 8°) folgende sein: Dar me gehn. IseTabelle sibt. ... .- . _...........30 0 Korrektion + 9 "Yo Relative Feuchtigkeit 39 °/o. 872 ANHANG Psychrometrische Tabellen. Differenz der beiden Thermometer. oO [=) nn o o Feuchtes T Relative © Feuchtigkt. & Relative © Feuchtigkt. Relative 5 Feuchtigkt. > er o oO LOS DS OO NND [e oiXo 2IIo sido 2] Or OO m DD m [02] (>) Bamon- orovım m vr [0 >) rg oile oile oe >) ww & DD nn Goudon suannı wm an wm oX SHND we Pros own. PSYCHROMETRIE 373 Psychrometrische Tabellen. Differenz der beiden Thermometer. - © na #ı = E 00 | 10 20 28 eä|:5| ar 25145 Beer ze Dee 2] a5 ee I |[druk| S$ | A © [druck 93 | 5 © [druck| 5 © = | PR go eo Centi- = | Centi- = | Centi- = | Centi- grad | mm 0/0 grad mm 00 | grad mm 0/0 gra I | f a 0 os: 2 Price Be NT ya Bern I — ol #6 | 100 |-00| 41 | 2 |- 17] 35 | 67 |-35 — 1|| 43 | 100 |-1.0| 3.7 | 8ı |—2.8| 32 | 65 |— 4.6 —2| 40 | 100 |-2.0| 3.4 | so |—- 3.81 2.9 ı 63 |—5.9 5 37 | 100 12301 3.1 | 79 |=5.01 2,6 | 61° I— 73 — 4 || 34. | 100 —-4.0| 2.9. | 78 |—6.1| 23 | 59 |—8.6 — 5| 31 | 100 |-5.0]| 2.6 | 77 |-7.3| 2.1 | 57 |—9.9 | | | = = Z® | — 6| 29 | 100 |— 6.0| 24 | 76 |— 84. 1.9 | 55 |—114 — 7 27 | 100 |— 7.0] 22 | 74 |— 36 1.6 | 52 |-13.0 — 8 35 | 100 |— 8.0] 1.9 | 73 |—-10.9| 14 | 49 |—147 731.23 | 100 |- 9.0717 | 71 |—-122] 12 | 46 |-—165 —10| 2.1 | 100 |—100| 1.6 | 69 |-13.6| 1.0 | 42 — 18,5 — 11) 1.9 | 100 |—11.0| 1.4 | 67 |—14.9| 0.9 | 39 120.4 — 12| 1.8 | 100 |-12.01 1.3 | 65 |—-16.2| 0.7 | 35 |—22.6 = a3 16 | 100 I—42.0] 1.1 | 63 |-17.71 0.6 | 31 |—248 = 14| 1.5 | 100 |-14.0| 1.0 | 61 |—19.0| 0.5 | 27 |—27.5 —75|| 1.4 | 100 |—15.01 0.9 | 58 I—20.61 0.4 22 130.3 —16|| 1.3.| 100 |—16.0| 0.8 | 55 |—22.1| 0.3 | 16 ‚—33.9 —_17|| 1.2 | 100 |—-17.0| 0.7 | 52 |-23.7] 02 | ı1 Zi8| 1.1 | 100 |—18.0| 0.6 | 48 |-25.41 0.1 4 — 19) 1.0 | 100 |—19.0| 0.5 | 45 |—27.3 — 200.9 | 100 /—20.0| 0.4 | 40 |—29.2 21, 0,8 | 100 |—21.0| 0.3 | 36 |—31.2 — 292 0.8 | 100 «—22.0] 0.3 31 |—33.3 Z — 23|| 0.7 | 100: |-23.0| 0.2 | 25 —94| 0.6 | 100 1-24.0| 0.1 | 19 — 25| 0.6.| 100 |—25.0| 0.1 | 12 | — 26 0.5 | 100 |—26.0 — 27|| 0.5 | 100 |—27.0 — 28|| 0.5 | 100 |—28.0 — 29| 0:4 | 100 |—29.0 — 30|| 0.4 | 100 |—30.0 ANHANG Feuchtes u Q Kaas Bi Bir Psychrometrische Tabellen. Differenz der beiden Thermometer. or o : Thermometer, VDEDENWD Ne) STINE SHDnwiosı e Relative | © Feuchtigkt.| o Relative © Feuchtigkt. -1-1-1-23-17 ul SE SSL) VO ww BROS li SOSE UI FB ass Oro wen ww Relative © © Feuchtigkt. Prongn II -.IN X mp OO momon .- & iv Di os Bwwug DOowaQag-m PSYCHROMETRIE 875 Psychrometrische Tabellen. “|| Differenz der beiden Thermometer. sa = 30 | g0 | 50 = 5| 3 = ren e2|ı.s. |.$ - > 58 & | & 5 = = |Dunst-| = = = E Dunst- 3 = E E Dunst- 3 5 | = E = druck | 5 $ | S @ [druck © 3 |) 5 = [aruck SS | & x Kol “no | Centi- & | Centi- | 5 | demti- | & | Genti- grad | mm 00 | grad mm | 00 | grad | mm |, %o | grad — 0030| 53 I- 55| 25 | 0 |— sl 20 | 30 105 — 11 27 | 51 = 69 22 | 38 |— 951 1.6 | 27 |—12.9 — 2 24 | 48 |— 84] 19 | 35 |—114| 13 | 23 |-155 — 3121| 45 |— 99 16 | 32 |-135] 10 | 19 18.4 — 4| 1.8.| 43 ı—11.61 1.3 | 28 15.8 0.8 15: 1-27 116 | 40 I—135] 10 | 24 |—18.5 | | al ‚8 20 |—21.4 a ae 11.7 0.6: | 16: 1—25.0 2,03 12081-202504] 11. )— 29.8 — 91 0.7 | 24 |—23.1| 0.2 6 4 — 10) 0.5 | 20 1—26.4 | | 36 i 08 7 876 ANHANG Psychrometrische Tabellen. Differenz der beiden Thermometer. ee 60 | 70 0 En: STE Wr ET ER: = 5 \Dunst- 3 = E = Dunst- 3 E E = Dunst- = = s® = druck| © 3 = = | druck = FH = Idruck S S = zZ Bo Ko Bo Centi- = | Centi- = | Centi- Ian) Centi- grad mm | 0 grad mm 0/0 grad mm 0/0 grad 27 22.8 | 61 | 244 26-1213 | 60 1 23.321 20:6 | 55710228 25..11918°1759 71022214192) 754 215231,621718:6: | 50 we 24 |185.| 59 21.021 172981705 20.4 117.2 | 49 IE) 233 117.2| 58 | 19.8 116.6 | 53 | 19.2 116.0| 48 |186 22° 11 16,0.) #57. 18:67 19:4 1.523 18.0 1 14.7 | 47 176: 21 1448| 56 117.0: 1182.31 16.7 113.6 | 46 16,0 20 |113.7| 55 1710:2: 1.1351 10.49 155[125| 4 14.7 19a 12,70 54 14.9 1121| 48 14.2 111.4 | 43 13.4 18217 | 755. 1.13.0 WEIST 12.971 10.971242 12.0 174 1:10:83 | 52 12.51 10.2]| 46 115 95| 40 |,.10.6 16 99| 50 | 111 931 4 10.2 erhal a 92 15.1 91|:9.1 981].84| 431 se zei Su 14 83 | 47 el 1.3 7.0| 36 6.1 13 Dos A6 za! 6.9 | 40 5.8 6.3 | 34 45 12 1.6.8) 4 5.6 Ho 4.3 9.6.1198 2.8 11 1162| 43 41 5.6 | 36 21 5.012230) 1.0 10 1.65| 4 | 26| 49| 3 1.0.1<4.3 | a8 | 08 9 5.0 | 839 111 4.4.7327 1 —10.2002. 3:8 2682 eo 3 1: 44| 37 |—-0651 38 1830 251 32 1722 7 32.9| 35 |—-221 33| 23 |-441 27| 21 |— 69 6 34| 33 |—40| 28| 25 |—64| 22| 18 |— 93 5 2.3 11:30 .1—-581.2.3 1.22 er 861 171 16 |—12.2 4 25| 28 — 7. 19-19 |—18.0°1.3 | 41821 =35.7 3 2.1! 23 |— 3.831 151716 |—-1391 0,9 9 1—20.0 2 127011222 12.3) 11| 13 |—175| 05 6 |—26.2 1 14) 18 —-125.1| 0.3| 10 |—21.8] 0.2 2 0 1.01 15 |—185] 04 6 1—28.0 —0| 14| 20 |-151| 09| 22 —1 1.120177 \— 15 | } —2| 08| 13. |—21.5 PSYCHROMETRIE 3517 Psychrometrische Tabellen. Differenz der beiden Thermometer. punkt Thau- punkt Feuchtes : Thermometer. Relative © Feuchtigkt) Relative © Feuchtigkt —] „S ank —_ 9 INS DEI WW | wenn NP O1 S2 90 gr Hu pn u ©) A Id =>, SIE= NE 261) ou ee ee Hoammniv > _ s75 ANHANG TAFEL VID. MÜNZEN. a) Gold- und Silbermünzen der wichtigsten Länder. In nachstehendem Verzeichniss geben wir den Werth der Rechnungsmünze, beziehungsweise der Münzeinheit, eines jeden der genannten Länder sowohl in Franken als in deutschen Reichsmark. Unter a) sind die Goldmünzen, unter b) dieSilbermünzen aufgeführt. Die demNennwerth in Klammern oder nach Gleichheits- zeichen beigesetzten Zahlen geben in Franken den Metallwerth der einzelnen Stücke nach deren Feingehalt an. Belgien. Rechnungsmünze: der Franc von 100 Centimes = 0,81 Mark. a) Goldstücke von 20 und 10 Frances im Werthe von 20 und 10 Fr. b) Silbermünzen von 5 Frances (5 Fr.), 2 Frances (Fr. 1.86), 1 Frane (Fr. 0. 93) und 50 Centimes (Fr. 0. 46). Brasilien. Rechnungsmünze: der Milreis = Fr. 2,5316 = 2,2936 Mark; a) 20000Reis=F'r. 56.63; 10000 Reis= Fr. 28.32; 5000 Reis =Fr. 14.16; b) 2000 „ = „ 5.19; 1000 „ = „ 2.60; 50 „ = „ 130. Britisch-Indien. Rechnungsmünze: die Ruppie = Fr. 2,3757 = 1,9243Mk. a) 15 Ruppien‘1Mohur) = Fr. 36.83; 10 Ruppien(?2/3Mohur) = Fr.24.55; 5 2 (jeMohur)= 7, 12.28. b) 1Ruppie = Fr. 2.38; 1/2 Ruppie = Fr. 1.19; t/a Ruppie = Fr. 0.59; is 08a, Chili. Rechnungsmünze: der Peso von 100 Centavos = Fr. 5 = 4,05 Mk. a) 10 Pesos (1 Condor) = Fr. 47.28; 5 Pesos (1 Doblon) = Fr. 23. 64; 2277 tERseudo) = 2,2945: Besor mA b) 1 Peso = Fr. 5. —; 50 Centavos = Fr. 2. 50; 20 Centavos Fr. 1. —; 1 Deecimo = Er. 0.) 50; Ya Decimo Er. 0,23. Columbien (Vereinigte Staaten von Columbien). Rechnungsmünze: der Peso d’oro = Fr. 5. — = 4,05 Mark. a) 20 Pesos (1 Doppel-Condor) = Fr. 100. —; 10 „ (1 Condor) = 50 b) 1ıPso = Fr. 5. —; 2 Decimos = Fr. 0. 93; 1 Deeimo = „0.46; 1/2.Deemo =r 70223 Dänemark. Rechnungsmünze: die Krone von 100 Oere = Fr. 1,3888 —51,1253 Marke a) 20 Kronen Ein oe: 10 Kronen = Fr. 13. 89. B).2 & regen 17Krones ==s 33: 50.0ere 7 .207710.0672 40: Deere vl, 085 DR — E02 Or —E ROT: Deutschland. Rechnungsmünze: Die Reichsmark v. 100 Pfg. = Fr. 1,2345. a) 20 Mark (1 Doppelkrone) = Fr. 24. 69; 10 „ (1 Krone) N 5 er Bahr b) 5”Mark = Hr. 5. 56+ 2 Mark = Fr. 2. 22.717 Mayk = #r. 12195 in „un 0250 (00 Pienme) Pr 02 MÜNZEN 579 Egypten. Rechnungsmünze: der Piaster von 40 Paras = Fr. 0,2573 = 0,2184 Mark. a) 100 Piaster = Fr. 25. 73; 50 Piaster = Fr. 12. 86; 25 > uhr 6.43. b) 10 Piaster = Fr. 2. 50; 5 Piaster’ = VPr.’# 1. 25; Bi N, = Pr. 0. 68; 1 4 =, IF England. Rechnungsmünze: der Livre Sterling von 20 Shilling = Fr. 25,2213 = 20,4292 Mark. a) 1 Sovereign (Livre Sterling) = Fr. 25. 22; 1/2 r (10 Shillingss) = „ 12. 61. b) 1 Crown (5 Shillings)= Fr. 5.81; 1/2 Crown (21/2 Shillings)=Fr.2.91; 1Floiin2 „ =. 2:32; 1Shillıng (12 Bene) = 1216 6 Pence = Fr. 0. 58; 4 Pence = Fr. 0. 39; 3 Pence = Fr. 0. 29; Bea 7270439; 71, Penny = , 0:10; Frankreich. Münzeinheit der France von 100 Centimes = 0,81 Mark. a) Goldstücke von 100 Frances, 50 Frances, 20 Franes, 10 Franes und 5 Francs (vollwerthig); b) Silbermünzen von 5 Francs (Fr. 5), 2 Frances (Fr. 1.86), 1 Frane (Fr. 0. 93), 50 Centimes (Fr. 0. 46) = 20 Centimes (Fr. 0. 19). Griechenland. Rechnungsmünze: die Drachme von 100 Lepta = 1 Fr. = 0,81 Mark. a) Goldstücke von 100 Drachmen (100 Fr.), 50 Drachmen (50 Fr.), 20 Drachmen (20 Fr.); 10 Drachmen (10 Fr.) u. 5 Drachmen (5 Fr.); b) Silbermünzen von 5 Drachmen (5 Fr.), 2 Drachmen (Fr. 1. 86), 1 Drachme (Fr. 0. 93), 50 Lepta (Fr. 0. 46) u. 20 Lepta (F. 0. 19), ganz entsprechend den französischen Münzsorten. Italien. Rechnungsmünze : die Lira von 100 Centesimi = 1Fr. = 0.81 Mk. a) Goldstücke von 100 Lire (100 Fr.), 50 Lire (50 Fr.), 20 Lire (20 Fr.), 10 Lire (10 Fr.) und 5 Lire (5 Fr.); b) Silbermünzen von 5 Lire (5 Fr.), 2 Lire (Fr. 1. 86), 1 Lira (Fr. 0. 93), 50 Centesimi (Fr. 0. 46) u. 20 Centesimi (Fr. 0. 19), ganz wie in Frankreich. Japan. Rechnungsmünze: der Yen v. 100 Sen = Fr. 5,1664 = 4,1847 Mk. a) 20 Yeu = Fr. 103. 33; 10 Yen = Fr. 51. 67; 5 Yen = Fr. 25. 83; Bene ii, — „ 35.1; b) 1 Yen (Handelsmünze) = Fr. 5. 39; 50 Sen = Fr. 2. 22; 20 Sen = Fr. 0. 89; 10 Sen = Fr. 0. 44; 5 Sen = Fr. 0.22. Mexiko. Rechnungsmünze: der Peso von 100 Centavos = Fr, 5,4308 = 4,3989 Mark. a) 20 Pesos = Fr. 101. 99; 10 Pesos = Fr. 50. 99; Be 2785,39; 2 „ =,1273; 5,10; b) 1Peso = Fr. 5.43; 50 Centavos = Fr. 2.71; 25 centavos = Fr. 1.35; 10 Centavos = Fr. 0. 54; 5 Centavos = Fr. 0. 27. s50 ANHANG Niederlande. Rechnungsmünze: der holländische Gulden (Florin) von 100 Cents = Fr. 2. 10 = 1. 70 Mark. Doppeldukaten = Fr. 23. 66; Dukaten Fr. 11. 83; Doppel Wilhelnd’or = Fr. 41. 72; Wilhelmd’or = Fr. 20. 86; t/2 Wilhelimd’or = Fr. 10. 43; 10 Gulden = Fr. 20. 83; b) Rixdaler (21/2 Gulden) = Fr. 5. 25; 1 Gulden = Fr. 2. 10; 1/2 Gulden = Fr. 1. 05; 25 Cents = Fr. 0. 51; 10 Cents = Fr. 0, 20; 5 Cents = Fr. 0. 10. In den Kolonien (Holländisch Indien) : 1/; zulden = Fr. 0.51; 1/10 Gulden = Fr. 0.20; 1/20 Gulden = Fr.0.10. Norwegen. Rechnungsmünze: der Speeiesdaler (4 Kronen) = Fr. 5,5555 = 4,50 Mark. a) 5 Speciesdaler (20 Kronen) = Fr. 27. 78; BUerSNe (ONE TRETEN b) 2 Kronen = Fr. 2.67; 1 Krone a 30 Skillings od. 100 Oere = Fr.1.33; 24 Skillings = Fr. 1. 07; 15 Skillings od. 50 Oere =Fr. 0.67; 12 s od. 40 Oere=F'r. 0.53; 3Skillings od. 100ere=Fr. 0.13. Vgl. Dänemark. a Oesterreich-Ungarn. Rechnungsmünze: der Gulden von 100 Kreuzer = Fr. 2,4691 = 2 Mark. a) 4 Dukaten = Fr. 47. 41; 1 Dukaten = Fr. 11. 85; 8 Gulden (20 Fr.) = 20 Fr.; 4 Gulden (10 Fr.) = 10 Fr.; b) 2 Gulden = Fr. 4. 94; 1 Gulden (100 Kreuzer) = Fr. 2. 47; Urere —u 7 0.02 20 Kreuzer (geprägt von. 1868 an) = Fr. 0. 29; 10 n ( ” ” ” n ) = n 0. 15; Maria-Theresia-Thaler, sog. Levantiner, Handelsmünze = Fr. 5.20; Persien. a) Thoman, 100 Schahis = Fr. 11. 86; 1/2 „ Bo are IE b) Sachib-Keran, 20 Schahis = Fr. 2.08; Banabat, 10 Schahis=F'r. 1. 04; Abassis, AL =, 0541! Peru. Rechnungsmünze: der Sol von 10 Dineros oder 100 Cents = 5 Er. = 4,05. Mark. a) 20 Sols = 100 Fr.; 10 Sols 50. Er.; 5 Sole 25 Hr. ng Abe N dr 24, b).. 12.801 = Fan; Er: 16 „ =. 1 „;'YDimero= Fr. (. 50; 1/2 Dinero-—= Fr.0°23, Philippinen (Spanien). Rechnungsmünze der Duro von 100 Centavos = Fr. 5,096 = 4,127 Mark. a) Doplon de oro, 4 Pesos = Fr. 20. 39; Bseudo, de, 010,2, 7.0 322103205 Escudilledeoro,.t 7.7 "5,105 b) 50 Centavos = Fr. 2. 60; 20 Centavos = Fr. 1. 04; Ten = „205. MÜNZEN 881 Portugal. Rechnungsmünze: der Milreis = Fr. 5,60 — 4,536 Mark. a) Krone (Corda), 10 Milreis = Fr. 56. —; 1/2 Krone, 5 Milreis = Fr. 28. —; 1/5 Krone, 2 Milreis = Fr. 11. 20; er — 160 b) 5 Tostöes, 500 Reis = Fr. 2.55; 2 Tostdes, 200 Reis = Fr. 1.02; 1 Tostäo, 100 „ = „ 0.51;172Tostäo, 50 „ —= „0.25; Rumänien. Rechnungsmünze: der Leu v. 100 Bani = 1Fr. = 0,81 Mk. a) 20 Lei = 20 Fr.; 10 Läi = 10 Fr.; 5 Lei = 5 Fr.; b) 2 Lei = Fr. 1.86; 1 Leu =Fr. 0.93; 1/2 Leu = Fr. 0. 46. Russland. Rechnungsmünze: der Rubel von 100 Kopeken = 4 Fr. = 3.24 Mark. a) ik Imperial, 5 Rubel= Fr. 20. 66; 3 Rubel = Fr. 12. 40; b) 1 Rubel, 100Kopeken = Fr. 3.99; 1 Poltinnik, 50 Kop. = Fr. 1. 99; i2schetvertak,25, = „ 0.99; 1Abasis, 20 „ = „0.45; 1Poln.Gulden 15, = „ 0.34; 1Grivenik, 10 „ = „0.23; 1Pietak, 5, =,,0H. Schweden. Rechnungsmünze: die Krone von 100 Oere = Fr. 1,3888 = 1,125 Mark. a) 20 Kroner = Fr. 27. 78; 10 Kroner = Fr. 13, 89; er Eur I Krone: = 5 I Bullerer ne :,.1:0>67725:0ere = 0. 32; 10 EN-E:502.18; Vgl. Dänemark "und Norwegen. Schweiz (Schweizerische Eidzgenossenschaft).. Rechnungsmünze: der Franken von 100 Rappen = 1 Fr. = 0,81 Mark. Silbermünzen: Fünffrankenstück = 5 Fr.; Zweifrankenst. = Fr. 1. 86; Frankenstück = Fr. 0. 93; Halbfranken = Fr. 0. 46. Spanien. Rechnungsmünze, neue: die Peseta = 1 Fr. = 0,81 Mark; ältere: der Peso duro (Piaster) = Fr. 5. 20 = 4,212 Mark. a) Doblon, 10 Esceudos = Fr. 26. —; 4 Escudos = Fr. 10. 40; 2 Escudos = Fr. 5. 20; '25 Pesetas — Fr. 25. —; b) Duro, — Fr. 5. 20; Eseudo, 10 Realen = Fr. 2. 60; 5 Pesetas = Fr. 5. —; 2 Pesetas = Fr. 1. 86; fabeseta 2% = 0.93;4$ Peseta = „0.465 Vgl. für letztere Münzen Columbien und die Länder der latei- nischen Münzunion (Belgien, Frankreich, Italien, Griechenland, Rumänien). Türkei. Rechnungsmünze: der Piaster = Fr. 0,2278 = 0,1845 Mk. a) 500 Piaster (Beutel) = Fr. 113. 92; 250 Piaster = Fr. 56. 96; 1006. 6 (Pfund) =-,; 22.78; 50 = „=, 11:89 25 = 5 70; b) 20 Per — Fr. 4. 44; 10 Piaster = Fr. 2. 22; 5 Era: 2 2 a Mc 1 8 (40 Paras) = Fr. 0.22; Ar Piast. (20 Paras) — — N EA BR 56 882 x ANHANG Tunis. Rechnungsmünze: der Piaster = Fr. 0,6194 = 0,5017 Mark. a) 100 Piaster = Fr. 60. 45; 50 Piaster = Fr. 30. 23; a le AT, 10 ae Bose 0038.02; b);2 Piästen ft = 0 A940 Piaster 0 08062 Uruguay. Rechnungsmünze: der Piaster od. Peso = 5 Fr. = 4,05 Mk. Silbermünzen: 1 Peso = 5 Fr.; 1/2 Peso, 50 Centesimos = Fr. 2. 50; 20 Centesimos = Fr. 1. —; 10 Centesimos = Fr. 0. 50. Vgl. Chili lit. b. Venezuela (Vereinigte Staaten von Venezuela). Rechnungsmünze: der Venezolano = Fr. 5. — = 4,05 Mark. a) Bolivar (20 Venezolanos) = Fr. 100; 10 Venezolanos = Fr. 50; 5 Venezolanos —=' Fr. 25; 1 Venezolano = Fr. 5; b) 1 Venezolano = Fr.5. —; 1/2 Venezolano, 5 Decimos = Fr. 2. 32; 2 Decimos = Fr. 0. 93; 1 Deceimo = (0. 46; 5 Centavos = Fr. 0. 23. Vgl. die Bemerkung bei Spanien betreffend Columbien und die Staaten der lateinischen Münzunion. Vereinigte Staaten von Nordamerika (Nordamerikanische Union). Rechnungsmünze: Der Dollar von 100 Cents = Fr. 5,1825 = 4,1978 Mark. a) Doppeladler (20 Doll.) = Fr. 103. 65; Adler (Eagle, 10 Doll.) = „ 51.83; Halbadler (1/2»Eagle,5D.)= „ 25. 91; 3 Dollars = Fr. 15. 55; 1/ Eagle (21/2 Dollars) = Fr. 12. 95; ID Ham 5 18: b) Tradedollar (Handelsmünze) 1/2 Dollar (50 Cents) = AST 20 ) - 1.25 20 Cents = Fr. 1. —; Dime (10 Cents) Fr. 0. 50. B. Alphabetisches Verzeichniss der gebräuchlichsten Münzen. (Werth in Franken.) Abassis, Silber, Persien, 4 Schahis, Fr. 0. 41. — Abassis, Silber, Russ- land, 20 Kopeken, 0. 45. Banu, Kupfer, Rumänien, 0. 01. — Beschlik, Silber, Türkei, 5 Piaster, h 1. 11. — Budju, Silber, Algier, 1. 80. Carolin, Gold, Schweden, 10.00 — Cent, Kupfer, Holland, 1/10o Gulden, R. I 0. 02. — Cent, Kupfer, Union, t/ıoo Dollar, 0. 05. — Centime, | Kupfer, Frankreich, Belgien, Schweiz, 0. 01. — Centesimo, Kupfer, Italien, 0. 01. — Christiand’or, Gold, Dänemark, 21. 03. — Condor, MÜNZEN 58: wi I Gold, Chili, 10 Pesos, 47. 28. — Condor, Gold, Columbien, 10 Pesos, 50. 00. — Coröa, Gold, Portugal, 10 Milreis, 56. 02. — Crown, Silber, England, 5 Shillings, 5. 81. Decimo, Silber, Chili, 1/10 Peso, 0. 50. — Dime, Silber, Union, 10 cents, 0. 50. — Dinero, Silber, Peru, 0. 50. — Doblon, Gold, Chili, 5 Pesos, 23. 24. — Doblon, Gold, Spanien, 10 Escudos, 26. —. — Doblon de oro, Gold, Philippinen, 4 Pesos, 20. 34. — Dollars, Gold, Guate- mala, 5. 07. — Dollars, Gold, Union, 100 cents, 5. 18. — Dollars, Silber, Union (Trade-dollar), 5. 44. — Drachme, Silber, Griechen- land, 1. 00. — Ducat ad legem Imperii, Gold, Dänemark, Deutsch- land, Holland, Oesterreich, Schweden, 11. 83. — Duro, Silber, Spanien, 2 Escudos, 5. 20. — Eagle, Gold, Union, 10 Dollars, 51. 82. — Escudo, Gold, Chili, 2 Pesos, 9. 46. — Escudo, Silber, Spanien, 10 Realen, 2. 60. — Escudo de oro, Gold, Mexico und Philinpinen, 2 Pesos, 10. 20. — Escudillo de oro, Gold, Mexico und Philippinen, 1 Peso, 5. 10. — Florin, Silber, England, 2 Shillings, 2. 37. — Florin, Silber, Holland und Oesterreich, vgl. Gulden. — Franc, Silber, Frankreich, Belgien, Schweiz, 1. 00. — Franken, Silber, Schweiz, 1. — Friedrichsd’ or, Gold, Dänemark, 20. 48. — Friedrichsd’or, Gold, Preussen, 20. 78. Gersch, Silber, Türkei, 1 Piaster, 0. 22. — Groschen (Silbergroschen) Silber, Norddeutschland, 1/30 Thaler, 0.125. — Guinee, Rechnungs- münze, England, 26.48. — Gulden, Silber, Holland, 100 cents, 2. 10. — Gulden, Silber, Oesterreich, 100 Neukreuzer, 2. 47 (2 Mark). — Gulden, Silber, Süddeutschland, 60 Kreuzer, 2. 12. Halb-Imperial, Gold, Russland, 20. 66. — Jirmilik, Silber, Türkei, 20 Piaster, 4.44. — Jüslik (Medschidieh), Gold, Türkei, 100Piaster 22. 80. Kopeke (Kopeika), Kupfer, Russland, 1/4100 Rubel, 0.04.— Kreuzer, Kupfer, Süddeutschland, 1/60 Gulden, 0. 035. — Kreuzer (Neukreuzer) Kupfer, Oesterreich, 1/ı0o Gulden, 0. 025. Krone, Rechnungsmünze, Däne- mark, Schweden und Norwegen, 1. 39. — 10 Kronen, (old, Däne- mark, Schweden und Norwegen, 13. 89. — Lepton, Kupfer, Griechenland, !/ıoo Drachme, 0. 01. — Levantiner Thaler, vgl. Maria-Theresia-Thaler, S. 758. — Lira, Silber, Italien, 1. 00. — Lira (Medschidieh), Gold, Türkei, 22. 80. — Livre Sterling, Rechnungsmünze, England, 25. 22. — Leu, Silber, Rumänien, 1. 00, Maria-Theresia-Thaler, Silber, Oesterreich, 5. 20. — Mark, Silber, Deutsches Reich, (1/3 Thaler) 1. 23. — 20 Mark, Gold, Deutsches Reich, 24. 72. — Medschidieh (türkische Lira, Livre turque), Goll, 100 Piaster, 22. 80. — Milreis, Silber, Brasilien, 1000 Reis, 2. 50. — Milreis, Gold, Portugal, 1000 Reis, 5. 60. — Mohur, Gold, britisch- Indien, 36. 82. Onca, Gold, Mexiko und Südamerika, 16 Pesos, 81. 37. — Onlik, Silber, Türkei, 10 Piaster, 2. 22. Pagode, Gold, Britisch-Indien, 12. 24. — Para, Kupfer, Türkei, 1/so Piaster, 0. 006. — Penny, Bronze, England, 0. 11. — Peseta, Silber, Spanien, 1. — Peso duro (Peso fuerte, Piaster), Silber, Spanien, 554 ANHANG 2 Escudos, 5. 20. — Peso oder Piaster, Silber, Mexiko und Süd- amerika, 8 Reales de Plata, 5. 40. — Peso oder Piaster, Silber, Südamerika (Columbien, Uruguay, Chili), 5. — Pfennig, Kupfer, Deutschland, 0. 01. — Pfund Sterling, vgl. Livre Sterling. — Pfund (Medschidieh), Gold, Türkei, 22.80. — Piaster, Silber, Kgypten, 0.25. — Piaster, Silber, Türkei, 40 Paras, 0. 22. — Piaster, Silber, Tunis, 0. 62. — Pistole, Gold, Mexiko, 4 Pesos, 20. 38. Quadrupel, Gold, Amerika, 16 Pesos, 81. 37. Rappen, Kupfer, Schweiz, 0. 01. — Real de plata, Silber, Amerika, 0. 68. — Real de vellon, Rechnungsmünze, Spanien, 0. 26. — Reichsmark, vgl. Mark. — Rigsdaler, Silber, Dänemark, 2. 81. — Rixdaler, Silber, Holland, 21/2 Gulden, 5. 25. — Rixdaler species, Silber, Schweden, 5. 63. — Rubel, Silber, Russland, 100 Kopeken, 3. 99. — Ruppie, Silber, Britisch-Indien, 2. 33. Silbergroschen, Silber, Norddeutschland, 1/30 Thaler, 0. 12. — Shilling, Silber, Iingland, 1. 16. — Skilling, Kupfer, Dänemark, 0. 12. — Skilling, Kupfer, Norwegen, 0. 05. — Sol, Silber, Peru, 5. 00. — Sovereign, Gold, England, 20 Shillings, 25. 22. — Speciesdaler, Silber, Norwegen, 5. 54. Tostäo, Silber, Portugal, 100 Reis, 0. 51. — Thaler (Vereinsthaler), Silber, Norddeutschland, 3. 70 (3 Mark). — Two-annas, Silber, Britisch-Indien, 0. 29. Venezolano, Silber, Venezuela, 5. 00. Wilkelmd’or, Gold, Holland, 20. 85. Yen, Gold, Japan, 5. 16. — Yen, Silber, Japan, 5. 39. MAASSE UND GEWICHTE 885 TAFEL IX. Einige Notizen über Maasse und Gewichte. a) Metrisches System. Die Grundlage desselben, als Einheit der Längenmaasse, bildet der Meter (Stab), definirt als der zehnmillionte Theil des Erdmeridian- quadranten und hienach im letzten Decennium des vorigen Jahr- hunderts zu 443,296 Pariser Linien festgesetzt. Letzterer Werth ist noch heute der allgemein gültige. Er beruht auf den Resultaten der französischen Gradmessung, die sich von: Dünkirchen bis Barcelona erstreckte und wonach der Erdmeridian-Quadrant zu 5 130 740 Toisen berechnet wurde. Seitherige Messungen haben jedoch hiefür einen grösseren Werth geliefert und zwar 10000 855,765 anstatt zehn Milli- onen Meter (nach Bessel). Der Dezimeter (dm) = 0,1 Meter, der Centimeter (cm, Neuzoll) = 0,01 m, „ Millimeter (mm) = 0,001 m. Der Dekameter (Bm, Kette) = 10m, der Hektometer (Hm) = 100 m, „ Kilometer (Km) = 1000 m, der Myriameter (Mm) = 10000 m. Die Flächenmaasse sind Quadrate der Längenmaasse: Quadrat- meter (m?) ete.; Einheit der Landmaasse ist die Ar (a), ein Quadrat von zehn Meter Seitenlänge oder der Quadratdekameter (Dm?) = 100 m?. Die Centiare (ca) ist gleich 1 Quadratmeter, die Hektare 1 Quadrat-Hektometer (Hm? = 100 Dm? = 10000 m2, vgl. oben Seite 72 u. 73). — Der Flächeninhalt ganzer Länder wird durch Quadrat- kilometer (Km?) und Quadratmyriameter (Mm?) ausgedrückt. Die Körpermaasse sind Würfel der Längenmaasse: Kubikmeter (m3) etc. Einheit der Hohlmaasse ist der Ziter (l, Kanne), ein Würfel von 1 Dezimeter Kantenlänge öder der Kubikdezimeter (dm3) = 0,001 m3. Der Deziliter ist 1/ıo Liter, der Centiliter 1/00 1, der Milli- liter 1/io0o 1 = 1 Kubikeentimeter (em3); 1 Dekaliter (DI) = |, 1 Hektoliter (Hl, Fass) = 100 Liter, 1 Kiloliter (Kl) = 1000 1 = 1 Kubikmeter. — Als Einheit für die übrigen Raummaasse — Fest- maasse — erhielt der Kubikmeter die Bezeichnung Ster (s); 1 Dezi- Ster (ds) = 1/1o Ster, ein Centi-Ster (cs) = t/ıo Ster, 1 Milli-Ster (ms) = 1/1ooo Ster = 1 Liter; 1 Deka-Ster (Ds) = 10 Ster, 1 Hekto- Ster = 106 Ster, 1 Kilo-Ster = 1000 Ster = 1 Kubikdekameter. Einheit der Gewichte ist das Gramm (g) als Gewicht eines Kubik- centimeters (Milliliters) destillirten Wassers im Zustande seiner grössten Dichtigkeit (bei 4 4% C oder — 3,20 R). Seine Unterabtheilungen sind das Dezigramm (dg = 0,1 g), Centigramm (eg = 0,01 g) und Milligramm (mg = 0,001 g = Gewicht eines Kubikmillimeters Wasser); seine Vielfachen sind das Dekagramm (Dg = 10 g, Neuloth), Hektogramm (Hg = 100 g) und Kilogramm (Kg = 1000 g = Gewicht eines Liters oder Kubikdezimeters Wasser. Das Kilogramm ist als Normalgewicht zu betrachten. Zehn Kilogramm sind ein Myriagramm (Mg), 100 Kilogramm der metrische Centner (C), 1000 Kilogramm die Tonne (T = Gewicht eines Kubikmeters oder Kiloliters Wasser). 836 ANHANG Die französischen Münzen (beziehungsweise diejenigen der latei- nischen Münzunion) schliessen sich hieran in der Weise, dass der Franc als Einheit derselben 5 Gramm Münzsilber von ®/ıo Feinheit enthält. Es ist also das Gewicht von 100 Francs gleich 500 gr (ein Pfund), von 200 Franes ein Kilogramm. B) Englische Maasse und Gewichte. I} Längenmaasse. Inch, Zoll (1/ss Yard) = 2,5400 em; 1 cm = 0,3937 engl. Zoll Foot, Fuss (1/s Yard) = 3,0479 dm; ı dm = 0,3281 engl. Fuss Yard, Elle = 0,9144 m; 1m = 1,0936 Yards Fathom, (2 Yards) = 1,8288 m; im = 0,5968 Fathom Pole od. Perch (Ruthe) = 5,0291 m; lm = 0,1988 Perch Mile, (1760 Yards) — 1,6093 Km; 1 Km = 0,6214 Mile. 2) Flächenmaasse. : Quadrat -Yard = 0,8361 m?; 1 m? 1.1960 Q.-Yards m Rod (Quadrat-Ruthe) = 0,2529 a ; 1a Rood (1210 Q.-Yards) = 10,1168 a ; 1a Acre oh Q.-Yards) = 0,4047 Ha; lat 3) Hohlmaasse. Pint (!/s Gallon) = 0,5679 ]; il 3,9541 Rods 0,0988 Rood 2,4711 Acres. lEiEhe Iı Il 1,7608 pints Quart (1! Gallen) = 1,1359 1]; 1 DI 2,2100 Gallon (rallon le 1 Hl 22,0097 Gallon au Peck (2 Gallons) 9,0869 1; 1 m3 Bashel(& ey 56,8477° 1; Sack (3 Bushels) = 1,0904 Hl; Quarter(8 7) =29078 El: 4) Gewichte. 1) Troy (Gold-, Silber-, Juwelen- und Medizinalgewicht). 35,3166 engl. Kubikfuss 1 Pound-troy & 12 ounces (02) = 373,2419 gr. 1 Ounce-troy a 20 pennyweights = 31,1035 gr. 1 Pennyweight (dwt) a 24 grains = 1,5552 gr. 1 Grain (gr) — 776,47 99,007: 2) Avoirdupoids (Handelsgewicht). ı Ton zu 20 Hundredweishts = 1016,048 Kgr (1,016 Milliers) 1 Hundredweight (Cwt) zu 2 @ = 50,502 Kgr. ı Pound avoirdupoids zu 16 oz = 453,592 gr, 1 Ounceavoirdupoidszu 16drams = 28,349 gr. ı Dram = 1,772 gr. Umgekehrt ist 1 Gramm = 15,432 Grains-troy 0,643 Pennyweight, Kilogramm — — 2,679 & troy — 2,205 % avoirdupoids. - MAASSE 887 C) Aeltere Maasse. I) Französische. ı Pariser Linie —22,256 nm ı Pariser Zoll zu 12 Linien = 2,707 cm 1 Pariser Fuss zu 12 Zoll = 0,32484 m ı Toise zu 6 Fuss — 1,94904 m 1 Toise carre Umgekehrt ist 1m = 2,1127 Pariser Fuss (pieds de roi). Dass 1m = 443,296 Pariser Linien, wonach Iomm= 0,443 Pariser Linien, wurde schon oben bemerkt. 2) Deutsche. 3,79868 m?. 1 badischer (und schweizerischer) Zoll 3 em 1 rheinischer (preussischer) Zoll 2,615 cm 1 badischer (u. schweizer.) Fuss zu 10 Zoll 0,3 m 1 hessischer Fuss 0,25 m 1 nassauischer Werkschuh 0,3 m 1 nassauischer Feldschuh 0,5 m 1 rheinischer (preussischer) Fuss zu 12Zoll!) 0,314 m 1 wiener (österreichischer) Fuss zu 12 Zoll 0,316 m 1 badisches (u. schweizer.) Klafter zu 6 Fuss 1,8 m 1 hessisches Klafter zu 10 Fuss 25 m 1 badische (u. schweizer.) Ruthe zu 10 Fuss 3 m 1 nassauische Werkruthe 3 m 1 nassauische Feldruthe 5 m 1 preussische Ruthe zu 12 Fuss 3,766 m 1 badische (u. schweizer.) Wegstunde 48 Km =0,48 Mm 1 deutsche (geographische) Meile 7,4204Km = 0,742 Mm 1 sächsische Postmeile Tape ekın 1 preussische Meile?) 7,532 Km 1 deutsche (geographische) Quadratmeile 55,063 Km? = 0,5506 Mm? 1) Ebenso gross ist der dänische Fuss (fod), wovon 6 einen Faden (favn), 10 eine Ruthe (rode) bilden. 2) Ebenso gross ist die dänische Meile (miil). 835 ANHANG D) Maasse, welche in geogr. Karten häufig angewendet werden. I) Für horizontale Entfernungen. Kilometer. Myriameter : x ‘ g ; 10,000 Deutsche geogr. Meile (1/15 rad) > ® ! 7,420 Portugiesische Legoa (t/ıs Grad, 3 milhas) ; 3 i 6,173 Lieue marine (1/20 Grad, 3 Seemeilen!) . ; ; ı 5,556 Lieue moyenne de France . t 5 ! 5,000 Englische League (lieue anglaise, 3 Den miles) ; . 4,827 Schweizer Wegstunde (16000 schweizer Fuss) . - 4,300 Alte französische Wegstunde (Lieue communedeFrance, 1 [280) 4,445 Neue französische Wegstunde (Lieue nouvelle de France) . 4,000 Seemeile (Sea mile, engl. geogr. Meile, mille marin, 1/6oGrad!) 1,855 Englische Landmeile (statute mile, british mile, mille anglais) 1,609 Russische Werst zu 500 Saschen oder 1500 Arschin : 1,067 Kilometer . 2 \ - s > - - ö ; 1,000 2) Für Seetiefen. Meter. Russischer Faden, Saschen zu 3 Arschin . } : ; 2,134 Deutscher „ 6 preussische Fuss F Ä ; : 1,383 Dänischer ER N ai ir ; - . 3 4 ; 1,883 Englischer „. Fathom ö i ' e ‘ Ä 1,829 Schwedischer Faden, Famn : : : - 1 ; 1,781 Holländischer FUSVadern. ’ E t e h 1,699 Spanischer „ Braza : ; ö : x & 1,672 Portugiesischer „ Braga & e y £ ? ö 1,650 Französischer „ DBrasse 5 ; i : ; ; 1,624 l) Bei allen zivilisirten Seestaaten in Geltung. ALPHABETISCHES REGISTER. Abassis 832. Abdachungen, Gefälle 55. 2 Veränderungender- selben 248 — 250. Abdrücke, natürliche (Fossile) 97. — künstliche (von leben- den Pflanzen) 4833—489. —_ künstliche (von Inschrif- ten u. Münzen) 328, 831. Aberglaube 662. Abhäuten von Thieren 525—535. Ablation 317. Abkürzungen, topographische 141. — geologische 321. — meteorolog.421,429. Abnahme der Bevölkerung 546. — der Lufttemperatur mit der Höhe 414. 865, 867. Aborigines 771. Abortus 632. Absatz für Produkte 375-— 377, 402, 750, Abschriften und Auszüge 835. Absolute Höhe 45, 49, 172, 859. Absolutismus 716. Abstecken von Linien 27—29. Abszissen 56, 451. Abweichung, astronomische 80. magnetische 26. Abzeichen 667. Acre 886. Ackerbau 734, 747. Ackererde 397, 465. Adoption 704. Adressen von Lieferanten 156. Aehnliche Dreiecke 32. Aenderungen, ältere geologische 363 — 372. _ der Flora 487. Aenderungen d. Fauna 509—510. — d. Küsten 2331—239. — d.Niveauss.Niveau. _ v.Wasserläufen 293. Aequivalente Projektionen 211. Aerolithen 449. Aestuarien 234. Affekte 567. Affixe 592. ' Agglutinirende Sprachen 591—592, 600. Aktivhandel 738. Album 126, 152, 554. Alfa-Felder 485, 486. Alkalität des Wassers 458 — 460. Alkohol (Konservirmittel) 500, 514, 525, 552. Allgemeine Betrachtungen 826 — 843. Allmenden 724. Almosen 661. Alpenglühen 447. Alphabete 606, 609. Altäre, vorhistorische 827. Altarsteine, vorhistorische 808. Altazimuth 14. Alter, relatives, der Gesteine 335 —363. Alter, relatives, von prähistorischen Funden 787— 788. — von Höhlen 778—779. — von Holzpflanzen 817. Altersstatistik 545, 566. Anatomische Merkmale 548, 551—532. Anaya 619. Anemometer 434. Aneroid 17. Anpassung 106, 108—109. 390 Ansässige Bevölkerung 541. Ansichten (Zeichnungen)215—220. Anstalten, kirchliche 657. _ verschiedene 727—731. Anstehendes Gestein 95. Anthelien 445. Anthropolatrie 654. Anthropometrie 109— 118, 551. Anthropophagie 636, 677. Antiklinale Schichten 309, 310,322. Antiparallele Flüsse 456. Antlitz 558. Apotheke des Reisenden 155. Apozenith 79. Aquadukte, alte 826. Aquarelle 123, 152. Arbeiter, Eigenschaften 746. — Greräthe u. Methoden 748. — Löhne 749. Archäismen 587. 610. Archäologische Forschungen 774 — 830. Architektur 767. Ar 885. Argot 603. Arme s. Gliedmaassen. Armenhäuser und Asyle 729. Armuth, Begriffe 643 — 644. Arseniksaures Natron 528. Artefakte, prähistorische 785, 788. Aschenumen 821. Atheismus 655. Atmometer 20, 422. Auferstehungsglaube 651. Auffrischung verblasster Schrift 835. Aufnahme von Plänen 56 — 64. — topographische 181 — 206. | — fliegende 211 — 213. — photographische 213. — geologische 298 — 325. — statistische 538 — 547. Augen 110, 113—114, 554—555. Ausbalgen (der Säugethiere und Vögel) 529—535. Ausbrüche, vulkanische 270, 271. Ausfuhr 163, 752, 755. REGISTER Auskolkung 247. Ausrüstung für Reisen 151— 156. Aussenhandel 738, 752. Aussteuer 628. Auswanderung 163, 546. Autochthonen 791. Autorität in der Familie 706. Azimuth 14, 79. ı Azimuthe, korrespondirende 80. Bälge (der Säugethiere und Vögel) 529 —535. Bär (Sternbilder) 25, 74. Balm 282, 778, 783, 788. Banken 730. Barancos 268. Barometer 17, 52, 430. Barometrisches Höhenmessen 49. 431, 864. Baumformen 484—485, 503—504. Basis u. Basismessung 36—42, 188. Bassin 452, 473. Bauten (Styl und Material) 688, 695, 775. Bazinas 818. Becken (Anthropologie) 118, 552. — (Geologie) 243—245. Begrüssung 616. Behaarung 557. Beigaben ins Grab 640, 815. Beinamen 706. Beine s. Gliedmaassen. Bemalung des Körpers 670—671. Beobachtungen, Aufgabe des Rei- senden 7—10. — Allgemeines 159—170. — botanische 481—504, 817. — ethnographische 533-—848. — geologische 222—404. — hydrologische 451—481. — meteorvlogische 405—451. — zoologische 505—537. Beobachtungsgabe 3. Beredtsamkeit 762. Berufsarten 543, 731—749. Beschneidung 615, 633. Bestimmen von Felsarten 94—97. von Petrefakten 97—99. von Pflanzen 101—106. von Thieren 106—109. Ausgrabungen 776, 781, 783, 7S4—787, 795, 811, 826. | = Ausgrabungen unter Wasser I = 799. .8U0.2, 0 REGISTER 891 Bevölkerungsstatistik 538—547, Bewegung des Gletschereises 256. des Wassers 463, 474, 478. der Luft 432—437. der Bevölkerung 545—547, Bezeichnungen, konventionelle, s. Zeichen und Abkürzungen. Bilderdienst 653. Bilderschrift 605. Bildungsanstalten 728. Bilinguen 829. Bilithen 808. Blöcke, erratische 237, hängende 250. Blut (Beschaffenheit und Zirku- lation) 563, 564. Blutrache 614, 620. Blühen der Seen 475, Blüthen und Früchte, Sammlungen 495 — 502. Bodenamelioration 404. Bodenanalyse 99— 101. Bodenarten 401, 402. Bodentemperatur 412, Botanik 101—106, 481—504. Boussole 15, 16, 55, 212, 320. Brachycephale 112. Brasse s. Faden. Bräuche 614—643, 663, 760. Brautkauf 627. Breite, astronomische 86. geographische 79—84, 172, 186, 189. Brennmaterial 679—680. 248, 262. Cairns 814. Camera 220. Cassiopeja (Astronomie) 74. Castizen 568. Centavos s. Münzen. Cephalopoden 519—520. Charaktere, ethnische 547—576. Chronometer 16, 84—87, 189. Cirrus 424, 425, 433. Cist 816, 820. Clan 710. Coelenteraten 520. Conchylien 513. Conti finti 760. Corona (Photometeor) 443. | Crustaceen 520. | Dekagramm ete. s. Cosinus 133. Coten 45, 195, 199, 200. Couvade 632, Crannoges 797. Cromlechs 810. Croquis, topogr. 177, 183, 206. geologische 298—299, [303—307. Cumulus 424, 425, 433, Cyanometer 18. Cyklonen 439. ‘ Cyklopenmauern 825. Daghobas 818. Dämmerung 446. Dammerde 397, 465. Decimo s. Münzen. Maasse, Deklination, astronomische 85. magnetische 26. Deltas 234, 235. Denkmäler s. Monumente. Denudation 317. Depressionen des Bodens 243— 245. ı Detailzeichnung, topogr. 139. Dezigramm etc. s. Maasse. Dezimales Zahlensystem 611. Dia (Wergeld) 620. ' Diagramme, meteorolog. 411, 451. hydrologische 468. Dialekte 578, 604. ' Diaphysen 780. Dichtigkeit der Bevölkerung 542. | Diebstahl 621. ı Dikotyle Hölzer 504. Dinero s. Münzen. Diskordanz, geolog. 312, 322. Distanzen, Schätzen und Messen 29—42, | Dogmen 657. Dokumente 119, 162— 164. historische 833—836. Dolichocephalen 111, 552. Dollar 882, 883. Dolmen S09— 814. Dredsche 516—518. Dreieck 36—39. Dreiecksnetz 190—194, 207. Dreieckspunkte, Koordinaten 857. Drosometer, 20, 425—426. Druidensteine 808, 817. 392 REGISTER Dschaggernath-Kultus 614, 661. Dualismus 656. Duell 620. Dukaten 883. Dünen 230, 238, 243. Dünste 423. Dunstdruck 418, 870--877. Durchschnitte s. Profile. Durchsichtigkeit der Luft 416. Dynamometer 564. Ebenen, Ursprung und Bildung 239—243. Wirkungen ders. 838, 842, Ebbe 479. Echinodermen 520. Edelsteine 393. Ehe 629. Ehehindernisse 622. Eheliche Treue 630, Ehelosigkeit 627. Ehescheidung 634. Eheschliessungen, Statistik 631. 544, 545. Eide 618. Eigenschaften des Reisenden 3—7. ethnographische 571—575. Eigenthum 723. Einbalsamirung 638. Einfluss geographischer Verhält- nisse 826— 348, Einfuhr 163, 752. Eingeborne 542, 576, 714. Einrichtungen, verschied.727—731. Einsilbige Sprachen 591, 600. Eintheilung des Landes 175. Elektrizität 437. Elektrometer 21, 437. Elterliche Gewalt 706. Endogamie 624, 699. Entfernungen, Schätzen u. Messen 29—42. Maasse 888. Entführung 622. Entlehnte Schrift 607. Wörter 584, 613. Ziffern 613. Entomologische Sammlungen 513— 524. Entwöhnen 565, 633. Epigamie 622. Epiphysen 780. Erbrecht 726. Erdbeben 273—278. Erdwärme 284—285. Ausstrahlung 415. Erkundigungen über das Land 147 —149. im Allgemeinen 159—162. prähistorische 774— 776. statistische 539. Erosion 232, 233, 317, 779. Erratische Blöcke 237, 248, 262. Erstarrungsgesteine 347—356. Eruptionen, vulkanische 270, 271. Eruptivgesteine 350—356. Erzähler 764, 765. \ Erze 384—393. Erziehungsgewerbe 741—742, Escudo s. Münzen. Ethnische Charaktere 547 — 576. Etiketten für Sammlungen 327, 499, 500-501, 512. Etymologien 583. Exogamie 623, 700. Exploitation 373—397, 7 Export 752. Exposition eines Ortes 399, 405. 732. | Extremthermometer 16—17, 409—410. Fabrikation 735—737. prähistorische 805. Facies, geologische 357, 368, 379. Facsimile, photographische 835. Faden (Maass) 888. Faktische Bevölkerung 541. Fakturen pro forma 760. Fallen und Streichen 319, 388. Fallen u. Fanggruben 669, 795,804. Fallhöhen 53. Familie 540, 698— 702. ı Familiennamen 704—706. Fanginstrumente 515—520, 521-522. Farbe der Haut 553, 567. des Himmels 416. der Seen 475. ‘ Farben, konventionelle (Topogra- phie) 139. REGISTER 893 Farben, konventionelle (Geologie) 307, 325. Fatalismus 662. Fata morgana 440. Fathom 838. Fauna, Vorbegriffe 10, 106—109. Beschreibung 505—537. Prähistorische 789, Kausalbeziehungen 840, Federbarometer 17. [841, 846. Federwolke 425. Felsarten s. Gesteine. Feste 634, 697. Fetischdienst 653, 789. Fettpflanzen 490. Feuchtigkeit der Luft 417—421. 870—879. Feudalgesellschaft 711, 716. Feuer 679, 789. Feuerbestattung 639. Feuersteingeräthe 781, 785. Feuerkugeln 449. | Figurenschrift 605. Firn, 256, 257. Fische 524—525, 526. Fischerei 733. Fischereigeräthe 515—519, 669, Fischervölker 842. [748. Fixirmittel 221. Fjorde 236—237. Flachküsten 230, 237—239. Flächeninhalt 64. Flächenmaasse 385, 886, 837. Flächenmessung 64—73. Fleischige Früchte 494, 500. Flektirende Sprachen 592 — 600. Fliessende Gewässer, Geologie 289 — 294, 388— 391. Morphologie 453— 457. Verkehrsmittel 471,843. Flottante Bevölkerung 541. Flussbetten, Entstehung 247. ehemalige 292. Flussgebiete 452. Flusssysteme 453—456. Flussmündungen 477. Fluth 349. Fluviometer 466. Flying surveys 27, 212. Formalitäten 148, 395, 617. Hydrologie 461 — 470. Formationen, veolog. 356—363. Fossilien, Bestimmen 97—99. Sammeln 328—335. Schlüsse 364—369. Frau, Entführung 614, 622, Kauf und Tausch 627, 628. Mitsift 628. Stellung 707. Frühjahrsfröste 399. Frühlingspunkt 85. Fuss s. Maasse. — des Menschen 117, 562, 569. Galgal 814. Gandecken 264. sastfreundschaft 619. (sebäude, Planaufnahme 62—63. Gebete 660. (Gebirge, Geologie 251— 255. Wirkungen 839, 844. Gebräuche 614—643, 663. Geburten, Statistik 544. Gedichte 764, 833. (ediegene Metalle 334, 385. Gefälle, Schätzung und Messung 54—56, 456—457. (regensonnen 445. (rehänge s. Abdachungen. Geistiges Leben 698, (reistlichkeit 658. Geldverhältnisse 746, 757. (senossenschaften 713, 724, 731. Gemeinde 711, 724. Geographische Karten 129. (Geologie, Vorbegriffe 94—98. Beobachtungen 223—373. Gerichte 727, 762. Geruch 554, 565. Geschenke 155, 634. Geschichte 768—826. Geschiebe 239, 465. (Geschwindigkeit, von Fussgängern des Lichtes 30. [30. des Schalles 30. des Wassers 464—465. des Windes 435. | Geselliges Leben 697. Gesellschaften 731. Gesellschaftliche Organisation 709—712. 894 _ REGISTER Gesicht 555 — 560, 566—567. (resichtssinn 565. Gesteine, Bestimmen 94—97. Sammeln 326 —328. relat. Alter 335 — 363. (rewachsener Fels 95. (rewässer 451—481. (Gewalten, öffentliche 717. Gewerbe 543, 731—749. Gewichte 759. Gewitter 433—439. Gewürze 679. Geysir 272—288. Gezeiten der Seen 474. - des Meeres 478—479. Glatteis 427. Glaube 642—663. Gletscher 255—267, 779. Gliederthiere 521—524. Gliedmaassen 117—118, 561, 562 —563. Glorie (Photometeor) 443. (znomon 77. Götzendienst 653. (roldsand 388—391. (Gottesurtheile 722. (Grab, Anlage und Formen 641, Gradlängen 853. [814—821. Gradzähner 112, 561. (Grammatik 587—599. (Grenzen des Landes 174. Grösse des Landes 174. Grotten s. Höhlen. Graupen 427. Gruben (Fallen) 804. Grundlawinen 254. (Grundrisse (Pläne) 63—64. Guano 393. Haare 555—558, 566. Haar- und Barttracht 674—675. Härte des Wassers 458—460. Häusliches Leben 696 —697, 732. Haffe 235, 297. Hagel 428. Halo 442. Haltung des Körpers 567. Hamen 522. Hammer, geologischer 306. Handarbeit 375, 396, 746, 749. Handel 737, 742, 749—761. Handschriften 834—836. Handwerk 735—737. Handzeichnungen 121—126. Hautbeschaffenheit 553—554. Haus 687. Hebungen u. Senkungen 223—231. Heizung 689. Herbarien 106, 495—502, Herbergen 729. Hetärismus 623, 631. Hieroglyphen 606. Höfe (Photometeore) 442. Höhe, absolute und relative 42, 45, 46, 172. Schätzung und Messung 42 —53, 172, 191,195 — 200, 431, 859—868. Höhentemperaturen 414, 865. Höhenwinkel 14, 79, 191. korrespondirende 80, 87. Höhlen 232—2S4, 684. mit prähistorischen Resten 776—1792, 802. Höhlenbestattung 640, 778, 782, Holzarten 394, 502. [821. Holzpflanzen, Alter 817. Homophonie 590. Horden 709. Horizont, mathematischer 79. geologischer 361. Horizontabschluss 185, 186. Humus 99— 100, 397, 400. Hügelgräber 814—819. Hülfsgewerbe 739, 742. Hünengräber 817. Hydrologie 451—481. Hygrometer 19, 418. Hypogäum 821. Hypsometrie 50—52. Hypsometrische Karten 137. Tabellen 46. Hypsothermometer 50. Ideenwelt 642—663. Ideogramme 605, 606. Idiome 602—605. Idolatrie 653. Industrie 731—749. Infixe 592. Informationen s. Erkundigungen. Innungen 713, 731. REGISTER Inschriften 827— 830. Insekten 521—523. Insignien 667—668. Isolation 415. Institutionen, diverse Instrumente 13—21. Isobathen 200. Isohypsen 132, 200—204. Isoklinale Schichten 309, 322. Isolirende Sprachen 591, 600. Isorachien 481. Itinerar 181, 212. Jagd 512, 733. Jagdgeräthe 668—670, 748. Jalonnage 25. Jargons 603. Journal (Tagebuch) 168—170. Journale (Presse) 762. Jupiter, Trabantenfinsternisse 88. Jus primz noctis 623. Kalkgehalt des Bodens 99, 100, [401. des Wassers 462. Kannibalismus 636, 677. en Maassstab 128—131. Tesen 212 13% Zeichnen 126, 142. Kopiren 142— 145. Verifiziren 177—181. Aufnahme 187. Entlehnung 213. Vereinigung 209. Katakomben 821. Kenntnisse, praktische 13—120. Keuschheit 630, 631. Kies (Gerölle) 99, 465. Kiltgang 630. Kindbett 632. Kindermord 632. Kirchliche Anstalten 657. Kisten für Transporte 491, 500. Kjökkenmöddinger 803. Klassen der Gesellschaft 712— 714. Kleidung und Schmuck 663—675 des Reisenden 150. 727—131. Verpackung derselben 153. Projektionen210,853— 855. Kasten und Klassen 543, 712— 714. | Körperhaltung 567, Klerus 658. Klima. 405—451. Kausalbeziehungen des- selben 838—841. Klimate, geologische 368—369. Klinometer 55, 320. Knochenfunde 780—782, 789. Knollen (Pflanzen-) 490. Kochen 678. Körper, Messungen 117, 118. Körperform 118, 553, 562. 664—681. ' Kohlenlager 378—384. Kolmatirung 232, 234. ‘ Kommunisrnus 723. Kompass 25—27. ı Konfessionen 657. ' KonfigurationdesLandes176— 222. Kostenpreis 376— 378, Kausalbeziehungen 838 — 844, Konforme Projektionen 210. Konkordanz geolog. 312. Konnex geographischer Verhält- nisse 826— 848. Konservirmittel 500, 514, 520, 528. Konsonanten, Eintheilung 589. Konventionelle Bezeichnungen s. Farben und Zeichen. Konzessionen 396. Koordinaten 56. sphärische 86. geographische 172. — von Dreieckspunkten 857. Korporationen 713, 724, 731. Korrespondirende Azimuthe 80. Höhen 80, 87. 761. Kraftmesser 564. ‘ Kraniometrie 109— 114. ' Krankheiten 575—576. Behandlung derselben 637. Kreolen 568. Kreuzscheibe 57. ı Kriegsgebräuche 635. Kritik 4, 834. Kritze, glaciale 262, 264. Krone (Photometeor) 443. (Münze) 883. Kryptogamen 498. Krystallhöhlen 283. ‚ Küchengeräthe 680. 596 REGISTER Künftiges Leben (Glaube) 651. Künste 765— 1767. Künstliche Missbildungen 673. Küsten, Geologie 231—239. Küstenflüsse 454. Kulmination 74, 76. Kultus 659. Kurgane 814. Kurs (Geld) 759. Kurven in Diagrammen 451. Länge, geographische 84—94, 172, 186, 189. Lage, geographische 171, 172, 691, 692. Lager (Guano-) 393. (Kohlen-) 378—384. (Metall-) 385—393. Lagerplätze, alte 792, 802. Lagerstätte, geologische 98. Lagerungsformen 309—312. Lagunen 297. Landbau, Gebräuche 635. Landesbeschreibung 222. Landesgrenzen 173. Lautlehre 579, 587—591. Lawinen 254. Lebensdauer 566. Lebensweise 695—698, 842. der Thiere 108, 512. Lehensstaat 716. Leibeigene 713, 714. Leichenschachte 820. Leichenurnen 821. Leichenverbrennung 639. Leichenzeremonien 638. Leitfossilien 98, 361. Lianen 502, 786. Libelle (Instrument) 29, 42—43. (Kerbthier) 521. Lichtungen 482, 794. Lidi 234. Limbus des Theodolits 34, 35. Limnische Kohlenlager 379. Linien abstecken 25. Lissotrichen 557. Literatur 761— 765, 774. Loghan 807. Lothungen 54, 198—199. Einfluss derselben 572, 843. in Karten 132, 200—204. | | | | | | Luftfeuchtigkeit 417—421, 870— 877. ‚ Luftspiegelung 439—440. Maasse und Gewichte 759, 885. , Maasse in geogr. Karten 888. Maassstäbe (Reduktionen) | Magnetismus 21, 448. 128131, 178179. (Böschungs-) 136. Mächtigkeit (Geologie) 318. + Männerkindbett 615, 832. Magier und Medizinmänner s. Zauberer. Magnetnadel 25—27, 438. Mahlzeiten 681—682. Majorat 708. Manuskripte 764, 834—835. Mardellen 797. Marine Bildungen 364. ı Markt (Absatzorte) 375—377, 402. Marschroute, Aufnahme 181-—-187. geologische 300—302. Massengesteine308, 329, 347—355. ‚ Mauern, alte 323—824. Mausoleum 820. ' Maximumthermometer 410. Maximalgefälle 197. Medaillen, alte 831. ı Mediane 112. Medizinische Kenntnisse 6._ ' Medracen 819. Meeres-Erosion 232—233. Megalithen 806—814. ‚ Mehrsprachige Inschriften 829. Meile s. Maasse. Menhirs 808. Meridian 73. Meridiandurchgang 74, 80. ' Meridiane, erste 851. Meridiangrade 853. Meridianhöhen 81, 83. Meridianzeichen 78. Merkatorprojektion 210. Mesocephale 112. Messband und Messkette 15. Messtisch 15. Messen und Märkte 756. Mestizen 568. Metalle 354—393. Metallzeit 790. REGISTER 897 Metamorphische Gesteine 355. Metempsychose 651. Meteorologie 405—451. Methoden (Vorbereitung) 21— 120. Mineralien, Bestimmen 96. Miveralquellen 289. Minorat 708. Minimumthermometer 409. Mischlinge 568. Missbildungen 575, 673. Mitgift 628. Mittagslinie 73, 186. Mitteltemperaturen 411—412. Mofetten 272. Mollusken 228, 329, 513—520. Monarchie 717. Mondbeobachtungen 89—91. Mondhof 442. Monogamie 626, 700. Monokotyle Hölzer 485, 499, 503. Monolithen 808. Monopole 754. Monotheismus 656. Monumente, megalithische 806— 814. — symbolische 816. — sog. keltische 817. Moränen 247, 263—267. Morphologie, grammatische 579, 591—598. | — hydrographische 453—457, 473. — orograph. etc. s. Geologie. Mounds 814. Münzen, alte 831. — gebräuchliche 758, 878. — Abdrücke 332. Mulatten 568. Muru 637. Muscheln 513—515, 673, 682, 3803— 804. Musik 659, 767. Muskelkraft 564, 789. Muster s. Sammlungen. Mythologie 643, 655—656. Nahrung 675—634. Namen, geographische 183—184, 175. — Personen- 704— 706. "Naos 819. Namen, Pflanzen- und Thier- 106, 499, 502, 504, 510. Narkotische Genussmittel 683. Nase 114, 557—560, 567, 673. Nation 712. Naturalwirthschaft 751. Naturalismus (Religion) 652. Nebel 423. ‚ Nebenmonde 443. Neffenerbrecht 726. Nehrungen 234. Nekropolen 821. Nemedh 810. Nephelie 423— 424. Netze s. Fanginstrumente. ' Niederkunft 631. Nimbus (Wolke) 424, 425, ‘. Nippfluth 481. ‘ Niveau-Aenderungen 223—231, 466—471, 474, 778779. Niveaudifferenz 45, 53, 191, 195—200, 860— 868. Niveaulinien 132, 200— 204. Nivellement 42, 191, 195—200, 860— 868. Nomaden 695—696, 842. Nordlicht 448. Notizen, laufende 167, 168. — topograph. 184, 204, 205. Nurhags 485. Nutzpflanzen und nützliche Thiere 485, 507—508. Oasen 243. ‘ Oceultation 89. ' Odometer 34. _ Oeffentliche Gewalten 717. ' Ombrometer 20, 427. ' Opfer 640, 659—661. Opfersteine 808. ‘ Ordalien 722. 3 Orden, religiöse 731. Organisation d. Familie 698— 709. — soziale 709—714. — politische 714—719. Orientirung, topographische 22— 27, 142. — geologische 319—320. Orkane 439. Orthocephale 112. [>71 1 898 Orthognathe 112. ÖOrthographie geographischer Na- men 183— 184. Ortsanwesende Bevölkerung 541. | Ortschaften 691—695. ÖOsteometrie 114, 115. Öszillationen der Erdrinde 223—231. Ozon 436—437. ÖOzonometer 21, 437. Palmen 483, 497—498, 499. Panoramen 220—221. Parallaxe 89, 90, 204. Parallelkreise, Gradlängen 853. Paranthelium 445. Parasolsteine 808, Patois 603. Pedometer 34. Pegel 466. Peilungen 179, 191, 199, 212. Pendel 94. Peulvan 808. Pfahlbauten 615, 797, 803. Pfeilersteine 808, 810, 811. REGISTER Pluviometer 20, 427. ‘ Polarlichter 448. Polarstern 25, 74—76. Politische Organisation 714— 719. Politisches Leben 697. Polizei 727. Polyandrie 626, 700. Polygamie 624—626, 700. ' Polygraph 125. Polysynthetische Sprachen 591, 592 — 600. Polylithen 808. ' Polytheismus 655. Populationistik 538 — 547. Position, geographische 171. Pothenotische Bestimmung von Punkten 199. Präfixe 592. Prähistorische Periode 770. Forschungen 774—830. | Praktische Kenntnisse 13—120. ı Prediger 658. Pflanzen, Abdrücke und Verstei- | nerungen 329. Bestimmen 101— 106. Sammeln 439— 504. Pflanzenwelt s. Flora. Phonologie 579, 587—591. Photographie und Zeichnen 121—126. Material 152. Photometeore 439—449. Phraseologie 581. Physische Merkmale des Menschen 548, 552, 563. Physiognomische Merkmale des Menschen 548, 566—567. Physiologische Merkmale des Menschen 548, 563—556. Placers 391. Planaufnahme 55—64. Planzeichnen 126—145. Pläne, cotirte 199, 200. Planimeter 175. Plateaux 250—251. Plutonische Gesteine 308, 347—350. Presse 762. Priester 649, 658. Produkte 373—395. Professionen 543, 731—749. Profile, topographische 132, 214—215. geologische 324—325. — hydrologische 465. | Prognathismus 112. Prohibitionen 753. Projektionen, kartographische 210, 853—855. Prostitution 623, 631. Provinzen, geologische 357. Provinzialismen 604. Pseudhelium 444. Psychrometer 19, 419—421, 870—879. Publikationsmittel 757. Pubertät 565—566. Pulsfrequenz 564. Pyramiden 819. Quadratnetz 143. Quarter 886. Quarteron 568. Quartiere (Stadt-) 694. Quastenschlepper 518—519. Quellen 285 —289, 457—461, 826. REGISTER Querströme 454, 455. Quinärsystem 611. Quipos 605, 612. Radiation 415, 419. kadiaten 520. Rassen u. Typen, Charaktere imAll- gemeinen 109-—118, 547—576. Rassen u. Typen, kartogr. Darstel- lung ihrer Vertheilung 542. Rastern 478. Raub 621. der Frauen 622. Raubthier-Höhlen 780— 781. Razzias 621. Recht 720—723. Rechtschreibung geographischer Namen 319—320. Reduits 822. Reduktionszirkel 144. Refraktion 47. Refugien 822. Regalien 754. Regen 427, 429. Regenbogen 441. Regendichtigkeit 429. Regenmenge 427, 451. Regenmesser 20, 427. Regenwahrscheinlichkeit 429. Regierungsform 714—719. Regionen 484. Reichthum (Begriffe) 644. (Boden-) 373. Reif 399, 426. € Reinheit der Luft 416. Reise-Ausrüstung 149— 156. Reise-Journal 168—170. Rekognoszirungen, topographische 176—177, 187. geologische 298—302. Rektaszension 85. Reliefkarten 139. Religion 642—663. Reliktenfauna 506. Reliquien 654. Remaniement 98, 262, 263. Reptilien 525. Republik 717. Respektsbezeugungen 617. Respiration 564, 899 Restauration v. Manuskripten 835. Revüen, wissenschaftliche 13. Richtungsbeobachtungen 193. Richtungswinkel 191. Ridjm 815. Riesengräber 817. Riesentöpfe 264. Ringsaufnahme 185, 186. Ritus 659. Roches moutonnees 263. Röhrenknochen 780, 781. Rollmass 15. Ruhssen 474. Rundthürme 823. Sabäismus 652. Säkulare Schwankungen 223—231. Säugethiere, Abbalgen 529—531. Reste 328, 359, 780. Sagen, 764, 775, 831-833. Salsen 272. Salz (Gewürz) 679. (Konservatif) 500, 501, 514. Salze des Bodens 100. Samen, Aufbewahrung 493—495. Sammelgewerbe 733, 741. Sammlungen von Gesteinen 326—328. von Petrefakten 328—335. von Pflanzen 489—504. von Thieren 512—537. anthropologische 552. literarische 763— 764. merkantile 761. numismatische 831. prähistorische 775. sprachliche 579—587. Mitwirkung d. Eingebornen 164, 165, 764, 776. 99, 100, 401, 465. goldführender 388—391. Sandhügel 247. Sandstürme 438. Sand, ' Sanitätsgewerbe 740, 742. Scenograph 124. Schabmesser 786. ' Schachteln (Insekten-) 523. Schädelmessungen 109—114. Schädelsammlungen 552. Schädelverunstaltungen 673, 900 Schädliche Pflanzen 486—437. Thiere 508-509. Schätzungen (statistische) 538. Schalensteine 807. Schallgeschwindigkeit 30. Schalthiere 228, 513—520. Schamanismus 654. Schamhaftigkeit 664. Schanzen, alte 823, 824. Schlammvulkane 272. Scharrinstrumente 516—518, 800. Schichtgesteine 3085—323, 329, 335 —346. Schiehtwolken 425. Schiefzähner 112, 561. Schiffbarkeit 471, 756— 757. Schiffsverkehr eines Hafens Schleppnetz 516—518. Schlichthaarige 557. Schliffe, glaciale 262, 264. Schneeken 513—516. Schnee 428—429, Schneelawinen 254. Schneelinie 253. Schotts 472. Schmuck (Toilette) 663—675. Schraffen 134. Schratten 246. Schrift 605—610. für Karten 140. Schrittzähler 34. Schulen 728. Schuttkegel 249. Schwangerschaft 565, 631—632. Schwankungen, säkulare223—231. Schwebnetz 519. 753. Sedimentgesteine 308—323, 329, | 335— 346. Seele (Glaube) 649—650. Seelenwanderung 651. Seen 294—297, 472—477, 506, Sehwinkel 204. Seiches 474. Seifen (Geologie) 391. Seismograph 21, 275. Seismometer 21. Sekten 657. Sekante, trigonometrische 133. Sektionen einer Karte 185, 186, 208— 210. des Schädelumfangs 113. REGISTER Selbstkostenpreis 376— 378. Senkblei 31. Senkungen 223—231. Sense und Sichel 748. Sensibilität 565. Separatismus 723. Sesshafte Bevölkerung 541. Sextant 15, 80. Sichel, Formen 748. Sicherheitsdienst 727. Siedetemperaturen 52, Signale, 29, 63, 190, Silbenschrift 606. Silo 805, 821. Sinne 565. Sinus 133. ‘ Sitten und Gebräuche 614—643. Situationszeichnung, topogr. 131. Skelette, menschl. 109—117, 552. in Höhlen 780—731. ‚ Skelettiren von Reptilien 526. Sklaven 546, 713, 714. ' Sklavenjagden 546, 621. Skeptizismus 642. Skulptur 766. , Skulpturen 827—830. ' Soffioni 272. Sonnendienst 652. Sonnenhöhen 87. Sonnenkreuz 445. Sonnenwärme 415. | Sonnenzeiger 77. ı Sonnenzeit 86. Souterrains, Planaufnahme 63—64, 754. Temperatur 412, Soziale Organisation 714—719. Spalten (geolog.) 315. Spesen 376, 760. Spinnenthiere 524. Spiritualismus 655. Spitäler 729. Sprachen und Dialekte 549— 550, 576—613. kartogr. Darstellung 542. Sprachkenntnisse 145—147. Springfluth 481. Sprüchwörter 764. Staatsform 714—719. Stadia 34. Städte u, Stadtquartiere 693—695. REGISTER 901 Städte, alte 824—826. Stände (Volksklassen) 543. Stagnirende Gewässer 471. Stalagmiten .und Stalaktiten 283. Standorte (von Pflanzen u. Thieren) 484, 507, Statistik 119, 163, 538—547, 575. . Statur 117, 553. Staublawinen 254. Steatopygie 562. Steilküsten 229, 233. Steine, aufgestellte 808. schwebende 807. Steinkocher 678. Steinkohle 378, 384. Steinreihen 810. Steinringe 810, 811. Steintische 809. Steingeräthe 668, 785, 786. Steinzeit 790. Stellung der Familienglieder 707. der Gewerbe (influirende Faktoren) 745—747. der Kasten 714. Steppen 242, 482, 842. Sternbedeckung 89. Sterndienst 652. _ Sternschnuppen 449. Sternzeit 86. Stillen 565, 633. Stimme 565. Stockboussole 181, 212. Stossseite 238, 265. Straffhaarige 557. Strahlthiere 520. Strahlung 415, 416. Strandbildungen 364. Strandhöhlen 229. Strandlinien 229. Strandseen 297. Strassen 756. alte. 826. Stratigraphie 303—325. Stratus 424, 425, 433: Streichen (Geologie) 319, 388. Streifen, glaciale 262, 264. Ströme 291, 452, 756. Strömungen 475, 478—479. Stürme 434, 438. Stunde (Wegmaass) 887, 888. | | | | | | I | I Stundenkreise 84. Stundenwinkel 85. Stupas 818. Subaörische Bildungen 364, 367. Succession (Erbfolge) 718. Suffix 592. Synchronismus, geologischer 354, 356— 363. archäologischer 788, Synklinale Schichten 309, 310. Syntax 579, 598—599. System, metrisches 885. natürliches, d. Pflanzen 105. physiognomisches, d. Pflan- zen 104—109. Systeme, kosmogonische 645. des Körpers 567, 664, 682. | der Numeration 611, 612. Tabellen, meteorologische 450. Tabu 620. Tätowirung 663, 672, Tagebuch 168—170. Taille 118, 562. Talayots 823. | Talion 721. Tange 498. Tangente, trigon. 47, 48, 133, 457. Tangententafel 48. Tangentialbogen (Meteor) 443. Taschenkompass 16, 212. Tasterzirkel 111. Tauschartikel 155, 751. Taufe 633. Taufnamen 704, 706. Teiche 297, 472. Teifun 439. Tempel 657, 826. Temperatur 284—285, 406—416, 461, 476. Terrainfalten 247. Terrainmantel 64. Terrainzeichnung 132—139. Terramare 797. Terrassen 230, 241, 250, 251, 280. Terzeron 568. ' Teufelsmühlen 248. Thäler 247, 278—282. Thalstufe 241, 280. Thalweg 464. | Thau 425, 426. 902 REGISTER ia m ae ET Fl Sr a RE Thaumesser 20, 425—426. Thaupunkt 19, 417. Theodolit 13, 34, 46. Theokratie 716, 844. Thermen 272, 288. Thermometer 16—17, 406—416, 869. Thiere, Bestimmen 106—109, Sammlungen 512—537. Versteinerungen 329. Thierwelt s. Fauna. Thon 99, 100, 401, 465. Tiefen, Schätzen und Messen 53, ‘54, 198. Maasse 888. Tiefentemperaturen 284—285. Tiefseebildungen 364. Tischgeräthe 682. Tod 638. Todesfälle, Statistik 544, 545. Todtenkult 641. Todtenurnen 821. Toilettenstücke 666—667. Topen 818. Topographie 176—222. Topographische Abkürzungen 141. Aufnahmen 181—213. Beschreibung 222. Karten und Pläne 127. Topographisches Netz 190— 194, 207. Notizenbuch 204—205. Zeichnen 126—145. Totem 652. Traditionen 772, 831—832. Trachten 664, 666. Training 5. Transit 753. Transporteur 37, 38. Transportgewerbe 740, 742. Transport lebender Pflanzen 490—493. Thiere 535—537. Transportverhältnisse 755—757, 740. Transskription, phonetische 582. Transversalmaassstab 131. Trauer 641. Treue, eheliche 630, 631. Triangulation 40, 91, 190—194, 207, 857. Tribus 710. Trichter (Geologie) 246. Trinkwasser 460, 793. Trilinguen 829. Trilithen 808. Trocknen der Pflanzen 496—497. Troglodyten 684, 777—-778, Tromben 438. Tschudengräber 814. ' Tumuli 814—819. Tundren 482. Typen 126, 569—571. Udometer s. Pluviometer. Uebergang (Basismessung) 188. Ueberlieferungen 772, 831—833. Ueberschwemmungen 470. Uebungen (Vorbereitung) 120, 121. Ulotrichen 557. Unebenheiten des Bodens 246— 248, ' Ungeschichtete Felsen 323, 347 —355. Unkosten 396, 760. Unterirdische Gewässer 779. Räume, Planaufnahme 63. Temperatur 412. Unterhalt des Feuers 679. ' Unterrichtsanstalten 728. Urboden 783, 826. Urgeschichte 768—826. Urnen 821. Urproduktion 543, 733, 742, 747. Ursprüngliche Lagerung (Geo- logie) 309. Usanzen 760. \ Väterliche Gewalt 707. Vegetation s. Flora. Vegetationsformationen 482. Vegetationsformen 103, 104, 483, Veränderungen s. Aenderungen. Verbotene Speisen 677. Verdunstung 421, 422. Vereine 730, 731. Vergeltungsrecht 721. Vergiftete Waffen 669, 678. Vergnügungsgewerbe 741, 742, Verifikationsbasis 190, REGISTER 903 ‘ Verkehrsgewerbe 742. Verkehrsmittel 755 — 757. Verlandung 232, 234. Verlobung 629. Verpackung von Instrumenten 153. — von Gesteinen 327, 328. — von Petrefakten 333, 334. — von Pflanzen etc. 500—504. — zoologischer Sammlungen 512—537. — anthropologischer Objekte 552. — prähistorischer Funde 792. Versandung 232—234. Verschneidungslinien 198. Verschwinden von Sprachen 577. Verstecke 805. Versteinerungen s. Petrefakten. Vertikalkreis 47, 79. Verträge 148, 618. Verwandtschaft 622, 702—704. — der Sprachen 599—601. Verwerfung (Geologie) 315. Vielweiberei 624—626, 700. Vigesimales Zahlensystem 612. Visirkompass 15. Vögel, Abbalgen 531—535. — fossile Reste 328. Vogelschau 220. Vokabularien 579—586. Vokale 588. Vokalharmonie 590. Völkerschaft 712. Volksfeste 697. Volksglaube 642—663. Volkslieder 764. Volkssagen 764, 831—833. Volkssitten 614—643. Volkssprache 145, 603. Volkszählungen 162, 163, 540. Vorgeschichte 770. Vorkenntnisse 7—13. Vormetallische Periode 790. Vornamen 704—706. Vorstellungen (Begriffe) 643—645. Vulkane 267—272. Vulkanische Gesteine 308, 347, 350—356. Wärmestrahlung 415, 416. Waffen 123, 668— 670, | Wagen (Astronomie) 25, 74. Wald 394, 482. Wallfahrten 661, 740. Wanderungen 595, 696. — vorhistorische 771, 792. Ward’sche Kisten 491. Wasserbestattung 639. Wasserscheide 198, 452. Wasserstandsmessungen 165, 466. Wasserstrassen 756. Wasserwaage 45. Wechselwirkung der geographi- schen Objekte S26—848. Wegekarten 181, 212. Wegmaasse 888. Wegmesser 34. Wehrfähige 540, 719. Weibergemeinschaft 626, 698. Weichthiere 513—520. Wellenbewegung der Seen 474. Wergeld 620. Werke, religiöse 660. Werkstätten, prähistorische 805. Werkzeuge 748, 785—786. Werst 888. \ Wildbäche 249. Wimpern 559. Winde 432—436. Windrose 26. Winkel 35, 191—194, 856. Winkelspiegel 57. Wirbelwinde 438. Wirthsgewerbe 742. Wissenschaften 767. Wohnbevölkerung 541. Wohnungen 684—695. — unterirdische 685, 822. | Wollhaarige 557. Wolken 423—425, 433. Wüsten 242, 243, 248, 483. ' Wurzeln (Sprach-) 593—594. Wurzelparasiten 501. | Yard 886. Yen 879. Zähne 112, 561, 565, 566, 673, 789. Zahlensystem, Zahlwörter u. Zahl- zeichen 610—613, 904 r REGISTER Zauberer 637, 648, 658, 663. Zehen 563. Zeichen, geologische 322. — meteorologische 432, 450. topographische 139. Beichnen und Photographie 121— 126. — von Karten und Plänen 126— 145. — Material 152. — und Malerei 765. Zeitmessung 94. Zeitrechnung 86. Zeitschriften, wissenschaftliche 13. Zeitungen 757, 762. Zelt 685. Zenith 79. | Zenithdistanzen 14, 79, 859. Zentrische Reduktion 35, 856. Zeremonien bei Begrüssungen 617. — bei Trauerfällen 638. “ — beim Kultus 659. Ziffern 612—613. Zirkel 111, 144. Zivilstand, Statistik 544—545. Zölibat 627. Zölle 755. Zonen (Pflanzen-) 484. Zoologische Distrikte 507. . Zoophyten 520—521. ' Zunahme der Bevölkerung 546. ' Zunamen 706, | Zweikampf 620, 722. Be Kaltbrunner, David Der Beobachter PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY „ı 0 0 zz w EL 6€ I WILI SOd JIHS AVg 39NVY Q M3IASNMOG Lv ıın