„%% Aal. . eigener vieljähriger Beobachtung Von Joh Ulrich Ramseyer, behrer | ' | a - Aarau | 1 we, Druck und Verlag: Emil Wirz vorm. J J. Chriften, i 1908. 5 ngpögel besang, beben und bieben — —ũũc— — — AWA 2 2 PR 1 EEE = D 7 0° } er 6eſang. das beben und kieben unierer Singpögel. Nach eigener vieljähriger Beobachfung von Joh. Ulrich Ramieyer, Lehrer. Narau Druck und Verlag von Emil Wirz vormals J. J. Chriſten 1908. Vorwort. Uen euch, ihr meine lieben, kleinen Freundinnen in Busch und Feld und Wald, von euch will ich etwas schreiben und allen Lesern mitteilen, was ich von euch seit zirka 40 Jahren gesehen, gehört und beobachtet habe! Versteckt euch nur nicht zu sehr; ihr braucht euch nicht zu schämen. Wir Menschen können noch manches von euch lernen, von eurem Frohsinn, eurer Genüg— samkeit und von eurem Kunstsinn. Wie glücklich gestimmt kehrte ich jedesmal aus eurem Bereiche in den Kreis meiner Lieben zurück; auch sie genossen dann die gehobene Stimmung eines reinen durchlebten Glückes. Kein Wirtshaus und kein teuer bezahltes Festleben hätten uns so schöne, kostenlose Freuden verschafft, als wenn die ganze Familie zu euch hinauszog in eure stets grüne Festhütte. Kein Wunder, wenn Dichter und Musiker euren Gesang, euer Leben und Glück immer und immer wieder verberrlichen. Wenn ich meinen Schülern eine recht grosse Freude bereiten will, dann führe ich sie hinaus zu euch, zeige ihnen an einer Tabelle, welche von euch man hört, und sage ihnen auch, von was ihr singet. Es gibt leider noch so viele Menschen, die euren Gesang nicht voneinander unterscheiden können und erst nicht heraushören, was ihr singet. Deshalb will ih den Lesern so manches Schöne von euch mitteilen, dass sie aufmerken, euch hören und verstehen sollen und sie auch eure guten Freunde werden, die euch lieben, beschützen und pflegen. So wandre denn hinaus, Büchlein, zu allen Freunden der Natur, mögen ihnen die Mitteilungen über die Vögel so viel Freude und Genuss bereiten, wie mir das Studium derselben gewährte. Allen denjenigen, die mich bei diesem Studium unterstützten und auch Interesse für den Vogelschutz zeigten, wie namentlich herrn Grimm, Präparator im naturbistorischen Museum in Bern, bier meinen besten Dank. Möge das Büchlein recht viele Vogelfreunde gewinnen. Der Verfasser. Regiſter. Seite Was nützt die Kenntnis der Vögel 1 Weshalb kennt man die Vögel ſo wenig? 2 Die Hilfsmittel zur Vogelkenntnis 3 a) Die Vogeltabellen 3 b) Die Kleidung 4 Geſang der Vögel 5 Geſang des Buchfinken 5 „ „ Gartenlaubvogels 6 10 „ Sumpf- und Teichrohrſängers. 6 Nachahmer: Würger und Eichelhäher 6 Geſangskünſtler: Nachtigall 7 Sproſſer- und Auennachtigall 7 Singdroſſel . 5 7 Rotkehlchen . 1 Schwarzköpfchen 0 Rohrdroſſele. 8 Permanente Sänger: Saufen 9 Goldhähnchen . 9 Hauben⸗, Sumpf⸗ und Tannnteiſe 9 Kohlmeiſe i a . i ER. Erwähnenswerte S en che . „ Spießlerche . i a : 5 1 | Braunkehlchen 5 ö i 10 Weiden⸗, Wald- und Fitislaubvögel . i N 40 Baumrotſchwänzchen . 5 : ; 41 Weißkehlchen g l ; . 3 ä 14 nein der Vͤägßfßfn 5 11 Bleibende Ehe der Vögel . g i 5 5 9 Großes Baumläuferpaar im Winter . ; 5 b 12 Ein Finkenpaar im Winter . . 5 N 5 8 1 Leichte Wahl der Vögel. . 5 n 8 5 13 Werbungsart der Buchjfinken . 1 „ Rotſchwänzchen . 55 des Wendehalſes 0 der Staren und Meiſen Der Neſtbuu ER, Zeit des Neſtbaues 2 f Neſtbau des Diſtelfinken 4 „ Buchfinken 1 „ Gartenlaubvogels 15 be Samen g „ junger Bogelpaare . Auswabl des Neſtortes . Wert des Neſtes für die Vögel Beſchaffung der Polſterſtoffe . Neſtkünſtler: Schwanzmeiſe Goldhähnchen 5 8 Wie Schwanzmeiſen bauen . Wie Goldhähnchen bauen Ort der Finkenneſter Neſt von Rohrammer, Droſſelrohrſänger und Tee ee „ der Laubſänger „ der Singdroſſel „ des Zaunkönigs „ des Schwarzköpfchens der Spatzen . — Bau eines Niſtkaſtens Befeſtigungsweiſe des Niſtkaſtens Die Flitterwochen der Vögel. Der Geſang in den Flitterwochen. Die große Liebeskraft der Vögel Ihr Befinden in den Flitterwochen Wiederholung der Flitterwochen Die eheliche Treue der Vögel Das von der Reiſe geſchwächte Rotſchwänzchen Zu wenig Weibchen Junggeſellen unter den Vögeln und ihr Treiben Überraſchungen bei Zärtlichkeiten Dauer der Junggeſellenzeit . 5 Seite 23 25. 82 — Vi — Seite Freuden und Leiden in der Familie der Vögel. 32 Das Legen der Eier . 2 : x 2 83 Zahl und Ausſehen der Eier ü ; . ; 33 Die Brütezeit 5 / { 2.88 Das hütende Männchen i i : 5 5 0 . 33 Brütezeit und Hungerkur . a 5 ’ . 34 Elternfreuden . ; 5 - ; 5 8 F 34 Die häßlichen Jungen . 5 2 ; $ ü 9 2 Pflege der Jungen . . 1 S . i 5 35 Revierabgrenzung 5 ’ . 8 5 838 Erſchöpfung der Alten . 4 | g ; ; 5 DE Der Ausflug der Jungen . ! 5 5 \ i 38 Brutgefahr und Abwehr : $ 5 5 b ; 39 Schickſale beim Ausflug ; ; g 5 . ; 40 Führung der ausgeflogenen ER : 8 N 45 Zweite Brut : 5 F , f 5 5 45 Die Kuckucksplage a F 8 Seltene Gelegenheit, den Kuckuck zu 1 5 . 46 Erſte Beobachtung, wie der Kuckuck ſein Ei ae 2 i 46 Zweite Beobachtung . ; 5 5 5 : DR Dritte Beobachtung . f 5 l b f 5 A Reben Berwitweter Büge 88 Abgang des Männchens beim Neftbau . a a 39 1 1 5 während der Brütezeit . od 5 8 5 beim Neſtjungen 5 i 5 ro A „ Weibchens beim Neſtbau . f 5 . RR En) A 5 % „ Brutgeſchäft s : i 683 5 1 bei Neſtjungen . i 5 284 Der Spatzenkrieg und Gattinraub 5 ; 64 Das Benehmen der Vögel in Gefa rr 66 Die Warnſignale der Vögeln. b i N Habicht ſignaliſierende und verfolgende Vögel wie: Schwalben, Bachſtelzen, Stare, Meiſen, Buchfinken . . 5 87 Einkugelung der Raubvögel durch Stare 5 . f 889 Wie die Vögel ihre Freunde kennen . i . 102 Arbeiter als Vogelfreunde . 0 : | 73 — VIII — Die Fütterung der Vögel im Winter Mit der Fütterung ſtellt ſich jedermann ein gutes Zeugnis aus Die Futterplätze Die Streubretter, eine Jieche des Hauſes Eine Vogelfreundin Erſtellung und Plazierung von Futterbeeltern Vogelfutter Kinder als eb Moraliſche und ſpekulative Verpflichtung zum del Der große Nutzen der Kleinvögel . Unterhalt der Niſtkäſten x + mw 76 Was nüßf die Kenntnis ger Vögel und ihres kebens ? So fragen wohl viele gefühlsarme Menſchen, die von jeder Sache klingenden Vorteil erwarten. Diesmal bringen meine Mitteilungen keinen materiellen Nutzen. Wenn ich aber durch Feld und Wald wandre, bin ich nie alleine. Da verkündet mir ein Vöglein mit unnachahmlichem Jubel ſeiner Liebe Glück; aus dem Gebüſche flötet ſo geheimnisvoll ein anderes von ſeinem Neſtchen, auf dem das allerliebſte Liebchen ſchon brütend ſitzt. Dort verteidigt ſich hilferufend ein kleines Vöglein gegen einen grauſamen Würger, der es auf einen Dorn aufſpießen möchte. Wie iſt das Vöglein dankbar für die unerwartete Hilfe und freut ſich, daß jemand ſein Rufen verſtanden hat. Vom Aſte eines Baumes ſchmettert ein Buchfinkenmänn— lein ſein Lied hinab, Schlag auf Schlag erfolgt. Iſt es Freude? Ach, nein, wie untröſtlicher Schmerz jammert's aus dem Liedchen. Noch geſtern hat ihm hier auf dieſem Aſte ſein treues Weibchen eine Raupe verzehren geholfen, und ſeither iſt's verſchwunden; es antwortet ihm nicht mehr auf ſein ſchmerzliches Rufen. Eine neſtplündernde Krähe hat es er— wiſcht und getötet. Wie falſch verſteht der lauſchende Wan— derer des Finken Lied, wenn er ihn als luſtigen Vogel taxiert! Einen Tag ſpäter liegt der Fink tot unterm Aſte. Wer würde bei ihm als Todesurſache ein „gebrochenes Herzlein“ ahnen! Liebe und Treue bis zum Tode! So iſt der Vogelkenner nie alleine; immer hat er Geſell— ſchaft, die an Abwechslung nichts zu wünſchen übrig läßt; das wehrt der Langeweile und der daraus erſtehenden Verdrieß— 1 Ba lichkeit, weckt Frohſinn und Heiterkeit und erſetzt viele Freuden. Das ſind wahrlich Vorteile, die auch Geldklang haben. Wenn uns an einem Morgen das Konzert der Vögel begrüßt, denkt man oft leichthin, die ſind halt glücklich. Selten denkt ſo ein Urteiler, daß faſt kein Geſchöpf ſo vielen Gefahren und Leiden unterworfen iſt, als die Vögel es ſind. Auch nicht eine Stunde ſind ſie ihres Lebens ſicher. Welche Zahl von Feinden bedroht ihr Leben! Selbſt der Menſch, der ihr Freund ſein ſollte, erweiſt ſich oft als ihr ſchlimmſter Feind. Geſellen ſich zu den beſtändigen Gefahren noch böſe Witterung und Nahrungsmangel, dann begreift man wirklich ihr Glück und Jubel nicht recht. Sie ſind eben Lebens— künſtler und zeigen auch uns den Weg, trotz und alledem glücklich zu ſein. Der zufriedene Menſch ißt ſein einfaches Mahl und klagt nicht; der Glückliche aber findet das gleiche Mahl herrlich und iſt deshalb glücklich. Solche Lebenskünſtler ſind eben auch die Vögel. Sie zeigen manchem mürriſchen und vergrämten Menſchen den Weg, lebensfreudiger und lebensmutiger ihren vielleicht mit viel mehr Roſen beſtreuten Lebensweg zu wandern. Die Vöglein ſind alſo für uns auch ein Vorbild der wahren Lebens kunſt. Warum kennt man die Vögel nicht beſſer? Überall in Haus und Feld und Wald ſind die Vögel unſere Geſellſchafter. Wenige von ihnen werden gekannt; man gruppiert ſie höchſtens in nützliche und ſchädliche Vögel, nach der Farbe in graue und ſchöne, dem Namen nach ſind es Spatzen oder Buchfinken. Sie nach ihrem Rufe oder Geſange zu unterſcheiden, da haperts noch mehr; aus ihrem Rufe oder Geſang den Gemütszuſtand oder die Zivilſtellung zu beurteilen, ſcheint ſelten vorzukommen. Faſt jedes Schul⸗ kind kennt oft mehr als ein Dutzend Pflanzen; von den ET Vögeln aber, die es doch beſtändig begleiten, vielleicht kaum 2—3. Die Pflanzen ſind eben leichter zugänglich, ſind nicht ſcheu und verſtecken ſich nicht. Es kommen wirklich auch wenige Vögel uns ſo nahe, daß man ſie gut betrachten kann; eine Anzahl findet man nur auf hohen Bäumen oder im dunkeln Gebüſche, wo es ſchwer fällt, ſie deutlich zu ſehen. Oft kehren die Vögel uns nur die Unterſeite zu, an welcher eine große Zahl ganz gleich ausſehen. Wer ſie nicht von oben oder von der Seite betrachten kann, wird ſie ſelten kennen. Welche HHilfsmitfel jind zur Kenntnis der Vögel notwendig? Das einfachſte Mittel, die Vögel nach Leben, Geſang und Ausſehen am ſchnellſten kennen zu lernen, wären Exkurſionen mit einem praktiſchen Vogelkenner bei Haus und Hofitatt, dann zu Hecken, Gewäſſern mit Gebüſch oder Schilf, in Wald— lichtungen zu ſogenanntem Aufwachs und endlich in den Hoch— wald. Man würde aber auch da bald merken, daß es längerer Beobachtung bedarf, bis man ſeiner Sache ſicher iſt. Schon vor 30 Jahren wollte ich meine Erfahrungen und Beobach— tungen veröffentlichen; aber Jahr für Jahr machte ich neue Beobachtungen. Ich hatte eben keinen Führer, und ſo dauerte das Studium auch lange. Gar vieles, das ich aus Be— ſchreibungen über die Vögel las, ſtimmte in Wirklichkeit nicht oder nur in Ausnahmefällen, und das verwirrte mich oft lange, bis ich durch genaue Beobachtung ſelber das Rechte fand. Wer ohne Führer die Vögel will kennen lernen, dem rate ich die Anſchaffung der beiden auf Leinwand aufgezogenen Tabellen: „Die wichtigſten deutſchen Kleinvögel | 1 7 e vom deutſchen Verein zum Schutze der Vogelwelt, Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn, Braunſchweig“. Sie ſind durch jede Buchhandlung zu beziehen. Die beiden Tabellen koſten zuſammen zirka 20 Fr. Die Vögel ſind in Lebensgröße und fein koloriert dargeſtellt; ſie find auch num— meriert und zwei kleine Kommentare teilen das wichtigſte über die Vögel mit. Dieſe Tabellen ſollten in keiner Schule fehlen, und ornithologiſchen Vereinen würden ſie manchen guten Dienſt leiſten. Ich werde deshalb von einer Beſchreibung der Vögel Umgang nehmen, und bei jedem erwähnten Vogelnamen die Nummer angeben, die er auf der Karte und im Kommentar einnimmt. Neben dieſer Karte empfehle ich dem Vogelfreund, ein gutes Fernglas (Opergucker) zu kaufen. Mit einem ſolchen Fernglaſe kann man das kleinſte und ſcheueſte Vögelein auf der höchſten Tanne ſcharf beobachten. Auch mit dieſen Hilfsmitteln ausgerüſtet, empfehle ich dem Anfänger, zuerſt die Vögel in Haus und Hofſtatt, dann bei Hecken, auf freien Feldern, an Gewäſſern und zuletzt im Walde — Waldlichtungen mit Aufwuchs, ſonnig gelegen, find der Lieblingsaufenthalt der meiſten Waldvögel — zu ſtudieren. Bei ſolchen Exkurſionen vermeide man allen Lärm und jede auffallende Bewegung; man trage nicht weiße Hüte und helle Kleider; dunkle, grünliche Kleidung ſichert den ſchnellſten Erfolg. Wo man auch fet, immer muß man durch Zweige oder Aſte gedeckt werden; es gibt Vögel, die ſich ſtundenlang verſtecken, wenn ſie einen Beobachter bemerkt haben. Das roheſte und verwerflichſte Hilfsmittel zum Studium der Vögel iſt das Abſchießen derſelben, und doch wird dasſelbe noch ſo häufig angewendet. Weit mehr Genuß und Befriedigung gewährt es, ſie auch nach ihrem Rufe und [Geſange kennen zu lernen. BE Es iſt ungemütlich, zu Wald-Exkurſionen die früheſten taufeuchten Morgenſtunden zu benützen, wo Gras und Gebüſch naß ſind und Kleider und Hilfsgeräte verderben; die Zeit von 8 Uhr an paßt beſſer. Ferner iſt zu bemerken, daß die beiden Vogeltabellen nur Männchen enthalten, mit wenigen Ausnahmen. Die Weibchen tragen alle mehr oder weniger ein einfaches graues Kleid (comme chez nous). Hllgemeines über den Geſang der Vögel. Auch wer nicht gerade über ein prima Tongedächtnis ver— fügt, wird bald merken, daß ein Vogel je nach Gemüts— ſtimmung ganz verſchieden ſingt. Ein Vogel hat in ſeinem Liede oft mehrere Motive, von denen er nicht immer alle nacheinander ſingt. Oft hört man längere Zeit nur ein Motiv, dann wieder ein anderes, daß man meinen könnte, man habe es mit verſchiedenen Sängern zu tun. Man hat auch ſchon mit Erfolg ihren Geſang in Noten gebracht, wie z. B. der Singdroſſel (I 1), der Schwarzdroſſel (II 2) und des Droſſelrohrſängers (J 4). Ganz genau iſt die Wiedergabe jedoch nicht; denn die gefiederten Tonkünſtler kümmern ſich wenig um halbe oder ganze Intervalle. Ferner gleicht der Ruf eines Vogels oft einem andern. Wie mancher junge Buchfink (J 36) mußte ſchon fein Leben laſſen, weil jemand ſeinen Geſang mit dem eines Spatzen verwechſelte! Das erſte Lied eines Vogels iſt auch kein Kunſtmuſter. Wochenlang probiert der junge Buchfink ſein Lied, und es gelingt ihm nur ſchlecht, bis ihm ein alter vor— ſchmettert: „Fritz, Fritz, trink' de nit z'viel würziges Bieer!“ Viele Vögel bleiben ihr Leben lang Stümper im Geſang. „ Andere dagegen erlernen nicht nur den Geſang ihrer Art, ſondern ahmen auch mit Leichtigkeit die Motive der Vögel ihrer Nachbarſchaft nach. Ich habe mit Entzücken dieſen Geſangskünſtlern ſchon gelauſcht, wie ſie vieltönig, mit farben- reichen Schattierungen der verſchiedenen Kadenzen, mit völliger Treue oder ſogar übertreffend den Geſang anderer Vögel faſt wie mit überlegter Ordnung wiedergeben. Solche Geſangs— künſtler find: Der Gartenlaubvogel, Gartenſpötter oder Baſtardnachtigall (I 5), der hoch auf einem Baumgipfel, aufs rechtſtehend, die gelbe Bruſt und den Hals aufblähend, wie ſich ſelbſt bewundernd, alle Vögel im Gartenrevier nachahmt. Der Sumpfrohrſänger (II 9), deſſen Lieder ein Meiſterwerk melodiſcher Fülle und Abwechslung ſind; der Teichrohrſänger (II 7), der, wie verſchämt über ſeine Kunſtfertigkeit, das nachgeahmte Lied der Lerche und des Droſſelrohrſängers, ſeines Nachbars, mit gedämpfter, weicher Tonfärbung reproduziert. Auch gefährliche Raubvögel, wie der große Würger (Nr. II 27) der rotrückige (I 51) und der rotköpfige Würger (Nr. II 25) ſind talentvolle Nachahmer anderer Vögel, namentlich der rotrückige Würger ahmt mit ſeiner biegſamen, aber etwas belegten Stimme geſchickt andere Vogel- ſtimmen nach. Die erſten zwei find ſehr ſchädliche Raubvögel. Der Eichelhäher (II 1) ahmt das Weinen kleiner Kinder, das Meckern der Zicklein uſw. ſo getreu nach, daß ſchon viele Menſchen nach ſolchen hilfeſuchenden Weſen ſuchten. Von den Vögeln, die mehrere Motive ſingen oder ſogar komponierend vortragen, gehört unſtreitig der Nachtigall (I 6) der erſte Rang. Es iſt unmöglich, in Worten ihren Geſang zu beſchreiben; das weiche, ſeufzende Tremola, wie es keine Orgel feiner hervorbringt, oder den bis zum ſtärkſten Forte anſchwellenden Jubeltriller, oder die langgezogenen Töne wie kriſtalliſierte Liebe, ſo unendlich ſüß, in Worten wieder⸗ Ber ia: zugeben, iſt gegen die Wirklichkeit die reinſte Karikatur. Im alten Aarebett, an den Ufern des Bielerſees, auf der Sankt Petersinſel hat man abends Gelegenheit, dieſen Vogel zu hören. Ihr Rang als Sänger und Komponiſt wird ihr ſtreitig gemacht vom Sproſſer, Auennachtigall (II 10). Ich hatte zwar nur noch ein einziges Mal Gelegenheit, ſeinem Vortrage zu lauſchen, und da wäre ich als Kampfrichter in Verlegenheit geraten, welchem der beiden Sänger der Lorbeer gehöre. Die Auennachtigall hörte ich einſt am Moosſee— dorfſee; leider gaben Fröſche in der Nähe ein Extra-Konzert, ſo daß mir viele feine Nüancen im Vortrag des Sproſſers verloren gingen. Ein vielſtrophiges Lied mit faſt menſchlicher Stimme, ſo voll und doch jo reich, läßt uns auch die Singdroſſel (I 1) hören. Man begebe ſich an eine Waldlichtung mit jungem Aufwuchs, in welchem ſie gerne niſtet; da hört man ſie von den höchſten Tannengipfeln herab ihr Lied vortragen, am häufigſten von 7—8 Uhr vormittags und von 4—5 Uhr abends. Ihrem Liede könnte man folgenden Text unter- ſchieben: „G'ſehſt mi? g'ſehſt mi? g'ſehſt mi? — grüß' di Fritz! wo woſt hi? wo woſt hi? wo woſt hi? — adjb!“ „Grüß di, Fritz“ im gebrochenen Moll-Dreiklang abwärts und „wo woſt hi“ im gebrochenen Moll-Dreiklang aufwärts ſingend. Es iſt übrigens unbeſtritten, daß der Wald und ſeine Umgebung die beſten Sänger aufweiſt; die Sänger in Haus und Hofſtatt können ſich bei weiten nicht mit jenen meſſen. Wie das Echo eines ſüßen Traumes, mit wehmütigem Hauch, flötet das Rotkehlchen (I 9) von der Spitze einer halbgroßen Tanne bei ſonnigem Gebüſch ſein Liedchen. — Wie eine geheimnisvolle Plauderei mit koſendem, flüſterndem Eingang hört ſich aus dem Gebüſche das unermüdlich vor— getragene Lied des Schwarzköpfleins (I 11) an. | 2 Aus dem Schilfrohre hört man vom Juni an die graue Rohrdroſſel (J 4), die mit weicher Altſtimme, meiſt in oktavigen Intervallen, auch zur Nachtzeit, mit ſchnellen Läufen und Stakato die Pauſen der Primſpieler, der Teich- und Sumpfrohrſänger ausfüllt. Gewöhnlich hängt ſie bei ihrem Vortrage faſt zuoberſt an einem Schilfſtengel. Bei der Schifflände in Erlach, ſowie zuoberſt am Moos— ſeedorfſeer kann man an ſchönen Tagen die hier genannten Sänger öfter hören. Es hat mich wiederholt geärgert, daß Badende den Geſang dieſer Schilfrohrſänger kurzweg als Rohrſpatzengeſchwätz bezeichnen, obſchon es > feinen Rohr⸗ ſpatz gibt. Die Rohrammer, die auch in Geſellſchaft dieſer Vögel erſcheint, gleicht wohl dem Hausſperling im Anſehen; ſie hat aber nichts mit dem Spatz gemein. Unter ihrem Irrtume zerſtören ſolche Badende die Neſtchen der Schilfſänger, ſo weit ſie dieſelben erreichen, was ſehr zu bedauern iſt. Es gibt Wäldchen, die eine wahre Singhalle bilden, wo viele vorzügliche Sänger aus hohen Tannen, aus Gebüſchen heraus jubilieren, daß man oft nicht weiß, auf welchen man zuerſt lauſchen ſoll. Die guten Sänger ſcheinen an ihrem Liede viel Gefallen zu finden; ſtundenlang ſitzen ſie an einem leicht ke erhöhten Punkte und fingen. Sie dauern aber nur kurze Zeit, die Geſangswochen dieſer Vögel. Wenn dann 4—6 hungrige Schnäbelchen nach Futter piepen, dann muß Herr Papa die Geige oder Flöte für längere Zeit an den Nagel hängen. Dieſe Muſikkünſtler ſtehen ohnehin im Rufe, nicht gerade die beſten Gatten zu ſein. Es gibt aber auch eine Reihe von Vögeln, die beides können, zu ihren Familienpflichten ſingen, oder auch zu ihrem Singen Familienſorgen abwickeln. Es ſind dies meiſtens nicht gerade Primaſänger; dafür ſingen ſie aber das ganze BERG. Jahr, nicht nur in den Flitterwochen; keine Sorge, weder Sturm noch Froſt kann ihren Humor rauben; es ſind die reinſten Zigeunernaturen. Wir kommen in einen dunklen, dichten Wald, wo Brom— beerſträucher große Flächen bedecken und es auch an Bördern nicht fehlt. Da hört man oft mitten im kälteſten Winter ein Vöglein mit kecker, weithin ſchallender Stimme: „Was möchſt, was möchſt? geh' fort, geh' fort, wit, wit, fort, fort!“ rufen. Wir find in das Reich des Zaunkönigs (I 14) geraten, der, umbekümmert um Schnee und Froſt, Inſpektion abhält, ob noch jemand anders blaue Naſen trage als die rieſigen Menſchen. Über den Boden weg kugelt er mit kurzem, ſenk— recht erhobenem Schwänzchen von Gebüſch zu Gebüſch. Hoch aus den dichten Tannen kichert's fein, wie von einem gläſernen Faden herrührend,: „Li — li — li, Liſeli, wo biſt?“; es iſt das Goldhähnchen (J 15), deſſen Humor auch nie einſchlummert. Ein großes Gefolge, wie es an Königshöfen üblich iſt, begleiten Zaunkönig und Goldhähnchen. Das ſchwatzt, neckt mit ſi ſi, re re und di dä dä, turnend, flatternd und pochend von Aſt zu Aſt, von Baum zu Baum, ſingend und ſchmatzend, als wär's Maienzeit. Es ſind mehrere Arten Meiſen, die ſich mit den genannten zuſammengeſellen und wie im Sommer ihr Liedchen vortragen. Da ſieht man die der Kohlmeiſe ähnliche Tannenmeiſe (J 20), das kleinſte graue, mit ſchwarzem Häubchen verſehene Sumpfmeischen (I 21), die weißköpfige, langgeſchwänzte Schwanzmeiſe (I 23); als Führerin die mutige Haubenmeiſe (I 22), die die Fahne auf dem Kopfe trägt, und nicht ſelten auch das vor— nehme, in ſchönſte Blauſeide gekleidete Blaumeischen (I 19). Die Kohlmeiſe (J 18) begleitet den Zug auch hie und da; aber als erſte Verkündigerin des Frühlings macht ſie ſich ſchon zeitig weg, um mit ihrer Flötenſtimme den Menſchen a mit: „Zit iſt da, Zit iſt da, Zit iſt da“, den Frühling zu verkünden. 1 Sogleich trägt der kleine Baumläufer (I 16) den Ruf weiter und mahnt: „Jetzt muß me bi Zit uf!“ Sind dann die Hecken grün und die Bäume belaubt, läßt ſich auch die unermüdliche Dorngrasmücke (I 12) aus einer Hecke hören, die ſcheinbar im keifenden Tone, oft auf hohen Grasſtengeln ſich wiegend, mit etwas belegter Stimme ſchwatzend ihr Lied vorträgt. Zuoberſt auf einem Baume ſitzend, hört man die mit klangvoller Stimme ſingende Spießlerche (II 19), beim erſten Motiv ſchief aufflatternd und beim zweiten Motiv ſchräg abwärts ſchwebend, auf ihren Standpunkt zurückkehrend. Das zweite Motiv klingt faſt wie „Büſi, Büſi, kumm, kumm!“ Gerne auf Telegraphendrähten ſitzend, oder ſich auf hohen Grasſtengeln wiegend, ſingt mit kurz abgebrochenem Motive das einem Buchfinke ähnliche Braunkehlchen (II 17). Im gemiſchten Walde mit Gebüſchen hört man meiſtens aus höhern Tannen ein Vögelchen eine Reihe von faſt gleich— klingenden Tönen vortragen, die wie: „Zil — zalp, zil — zalp, zil — zalp“ klingen; es iſt das kleine grüngelbe Weidenlaub— vögelchen. (Fehlt auf der Karte, ſieht aber dem Wal d— laubvögelchen (II 13) ſehr ähnlich.) Das letztgenannte Waldlaubvögelchen (II 13) läßt aus einem Gebüſche alle 2—3 Minuten etwa vier Töne hintereinander hören, die klingen, als hätte man in ein drehendes Rad ein Stäbchen gehalten, das an vier Speichen ſpitz anſchlägt. Häufiger hört man im Walde einen feinen, dem Buch- finkenſchlag ähnlichen Geſang. Mit dem höchſten Tone be— ginnt das Liedchen und fällt bis zum Schluſſe; es iſt ein kleines gelbliches Vögelein, Fitislaubvögelein (II 14). Sehr oft trifft man Buchfink und Fitislaubvogel nahe bei— einander, wo ſie dann ſchön abwechjelnd ihre Weiſen zum beiten geben, der Fink kräftig und das Laubvögelchen als feines Echo den Finkenſchlag wiederholend. Es iſt nicht meine Abſicht, den Geſang aller Vögel zu beſchreiben; noch gar gute Sänger, wie Baumrotſchwänz— chen (I 8), Weißkehlchen, Lerche und Diſtelfink wurden nicht erwähnt. Ich wollte dem Leſer nur den Reich— tum, die Schönheit und Anmut des Vogelgeſangs in einigen Beiſpielen anführen. Die Paarung der Vögel. Auf den erſten Seiten der Bibel läßt man Gott jagen, es ſei nicht gut, daß der Menſch allein ſei. Wahrſcheinlich iſt dies den Vögeln auch ins Gemüt gelegt worden, und ſie befolgen den Wink mit Aufbietung aller Kräfte. Faſt allgemein glaubt man nun, die Vögel feiern im Frühling Generalhochzeit, und wenn im Herbſt die Blätter fallen, löſe ſich auch der Liebesbund der Ehe, und eines ſage dem andern Lebewohl auf Nimmerwiederſeh'n. Dieſe Anſicht von der freiwilligen Scheidung der Vögel von Tiſch und Bett iſt aber total falſch. Die einmal geſchloſſene Ehe der Vögel bleibt beſtehen, bis eine äußere Gewalt ſie trennt. Nachdem die Jungen der Zugvögel ſelbſtändig geworden, beſuchen die Alten mit ihnen die Sammelplätze, um vereint die große Reiſe anzutreten. Wir können dieſe Reiſegeſell— ſchaft auf ihrer Reiſe nicht näher betrachten; allein ſchon vor der Abreiſe ſcheinen einige junge Vögel aneinander Gefallen zu finden und vereinigen ſich für das ganze Leben. Gerade heute (15. Oktober), während ich dies ſchreibe, hat ein junges Hausſchwänzchen, dem zwar der ſchwarze Hochzeitsrock noch fehlt, auf der Firſt des Ofenhauſes mit einem flotten Haus— Zr B. we rotſchwänzchenfräulein, dem die Ausſteuer auch noch zu fehlen ſcheint, die Ziviltrauung vorgenommen. Zu einer Flitter— und Schmollwoche mit Eiergelege kommt es zwar nicht mehr; um ſo ſchöner muß aber die Reiſe werden. Die Standvögel bleiben beiſammen und durchziehen vereint mit andern Familien Feld und Wald. Im Frühling beziehen die Alten ihren frühern Niſtplatz, während die Jungen ſich einen neuen ſuchen. Daß die alten Paare ſich nicht trennen, habe ich oft gar wohl bemerkt. Ein großer Baumläufer (I 17) oder Kleiber ſtritt ſich einſt im Frühling mit Staren um ein Aſtloch; der Kleiber mußte den für ihn ſo günſtig gelegenen Niſtplatz verlaſſen. Da be— feſtigte ich ihm vis-a-vis dem verlaſſenen Aſtloche ein Niſt— käſtchen an den Fenſterpfoſten, den das Paar mit großem Dank bezog. Im Laufe des Sommers wurde die Wand des Hauſes neu angeſtrichen, und das Niſtkäſtchen erhielt auch ein neues weißes Kleid. Nach zirka acht Tagen bemerkte ich, daß die roſtbraune Bruſt- und Bauchſeite der Baumläufer weiß ge— worden war; die Farbe blieb auch im Winter an vielen Federn kleben; daran kannte ich nun dieſe Vögel. Schon im Frühwinter ſah ich beide Penſionäre fleißig am erwähnten Aſtloch bauen. Sie trugen Erde, morſches Holz zuſammen, vermengten dies mit ihrem Speichel zu einer zementartigen Maſſe. Wie ich mich ſelbſt überzeugte, war ſie ſteinhart. Das ganze Loch wurde ausgefüttert und deshalb ſo eng gemacht, daß kein größerer Vogel durchſchlüpfen konnte. Als am 18. Februar die Stare anlangten und bald darauf ihre Niſt— plätze aufſuchten, fanden ſie dieſes Aſtloch zu klein. Umſonſt verſuchten ſie den Kitt wegzupicken. Die Kleiber hatten gute Arbeit gemacht. Die Stare mußten dieſen Niſtort den Klei— bern überlaſſen. Dieſe mußten zwar ſpäter noch mit Spatzen, mit dem Wendehals und mit der Kohlmeiſe um das Loch kämpfen. Sie blieben aber Sieger. Ahnliche Erkennzeichen u hatte auch einſt ein Finkenpaar. Dem Männchen fehlte eine Zehe, und das Weibchen hatte ein Klumpfüßchen; auch dieſes Paar niſtete mehrere Jahre auf dem gleichen Baume und teilte im Winter redlich, oft zärtlich das dargereichte Futter auf dem Futterbrettchen. Für die Dauerehe der Vögel gibt es noch viele Beweiſe, die die Anſicht von der Trennung im Herbſte aufheben. Die Paarung ſelbſt erfolgt bereits auf gleiche Weiſe wie bei den Menſchen. Ein heiratsluſtiges Vogelfräulein macht ſich angenehm bemerkbar. Die Vogeljünglinge er: greifen auch die Offenſive. Die Fräulein ſetzen ſcheinbar der Werbung einen Widerſtand entgegen; wahrſcheinlich mehr aus Liſt, um die Werbung zu animieren, als aus wirklicher Ab— neigung gegen die Ehe. So merken die Werber gar bald, daß es der Angebeteten mit ihrer Scheinflucht nicht ſo ernſt iſt und wagen voll freudiger Hoffnung den Liebeskampf. Die Wahl iſt aber bei den Vögeln ſo einfach, tragen doch alle Weibchen der gleichen Art das nämliche Kleid, jedes Fräulein hat zum Verwechſeln ein Köpfchen ſo ähnlich wie das andere; die Ausſteuer iſt auch bei allen die gleiche. Da gibt's keine Ausſteuerprozeſſe und Scheidungen wegen zu magerer Ausſteuer. Auch die häuslichen Tugenden und Fertig— keiten der Angebeteten ſind bei allen gleich, mit der einen lebt er ſo glücklich wie mit der andern. Dem Jüngling kann es alſo egal ſein, heiße ſein Liebchen Röſi oder Tusnelda. Auch dem Weibchen kann es höchſt gleichgültig ſein, mache ihm dieſes oder jenes Männchen den Hof. Ihr Rock ſtammt vom gleichen Schneider, ein Kopf iſt auch wie der andere, die ehelichen Freuden und Pflichten geſtalten ſich auch bei jedem Männchen gleich. Nur in der Art und Weiſe, wie ſie dem Weibchen ihre Verehrung und Liebe darbringen, liegt ein ordentlicher Unterſchied. Buhlen mehrere Männer um das gleiche Weibchen, ſo wird gewöhnlich auch derjenige Sieger, 3 welcher am beſten verſteht, mit ſeiner Huldigungsweiſe raſch die Liebe der angebeteten Dulcinea zu erwerben. 8 Für die verſchmähten Liebhaber war aber das Körbchen eine vorzügliche Schule, um bei einer andern Werbung die ganze Kraft und Liebe einzuſetzen. Wieviel Herzeleid würden ſolche Wahlverhältniſſe bei uns Menſchen erſparen! Es iſt ſehr intereſſant, die Werbungsart der einzelnen Vogelarten zu beobachten. Sie iſt eben ſo verſchieden wie bei uns Menſchen. Merken wir uns zuerſt die Werbung der Buchfinken, den wir am nächſten haben und der ſtündlich vor unſern Augen defiliert. Da ſitzt das elegante Finkenfräulein mit ruhiger Würde in ſeinem grauen Röcklein, in welchem bloß in den Flügeln einige weiße Schleifen ſichtbar ſind, auf einem Aſte und macht Toilette und ſchüttelt dabei einige läſtige Quälgeiſter ab, die ſich reſpektlos auch in ihr Gewand eindrängten. Etwas höher auf den umliegenden Bäumen ſitzen die Freier, alle im präch— tigſten Staatskleide. Nun folgt die Werbung; die Männchen wetteifern mit einem Geſang; Schlag auf Schlag, einer kräf— tiger und vollkommener als der andere, erfolgt, wobei das Fräulein mit unverkennbarer freudiger Unruhe ſich dem etwas zuwendet, deſſen Werbung ihm am beſten gefällt. Da— durch ermuntert, fliegt der Günſtling in die nächſte Nähe ſeiner Herzallerliebſten. Mit ausgebreiteten Flügeln und Schwanzfedern umkreiſt er ſie im eleganteſten Bogen und ſchmettert mit geſtärktem Siegesbewußtſein ihr nochmals ſeine unwiderſtehliche Siegeshymne ins Ohr. Fliegt das Weibchen nicht weg, ſondern erwidert mit zärtlichem, leiſem Liebes⸗ geflüſter ſeine Liebkoſung, ſo iſt die Ehe geſchloſſen. Oft aber muß der Günſtling mit den andern Nebenbuhlern einen harten Kampf beſtehen, an dem ſich aber das Weibchen nie beteiligt. Die Wutausbrüche nützen indeſſen den Verſchmähten A ee auch im Siegesfalle nichts. Um den Beläſtigungen der Neben— buhler zu entgehen, fliegen die Vereinten aus ihrem Bereiche weg; ſie werden aber noch öfter in dieſer Beziehung beläſtigt. Es iſt überhaupt für einen befiederten Freier immer eine ſchwere Lebensaufgabe, ſich ein Weibchen anzueignen, nicht etwa deshalb, weil die Fräulein Vögel ſich ungern freien laſſen, ſondern weil zu wenig Weibchen vorhanden ſind. Durch den harten Winter und beim Brutgeſchäft gehen viele Weibchen verloren. Das neue Ehepaar verläßt ſich nie mehr, begleitet einander von Baum zu Baum und ruft ſich ängſtlich, wenn ſie ſich nicht gerade ſehen. Lebhafter geht die Werbung bei den beiden Rotſchwänz— chen vor ſich. Stunden-, ja tagelang fliegt das Männchen dem Weibchen nach. In allerlei zierlichen Wendungen, über, um und durch Baumkronen flattern unter neckiſchem Ge— zwitſcher die Jagenden. Nie verliert das Männchen die Spur; und kommt es einmal doch vor, ſo ſorgt die Spröde mit ſchalkiger Liebenswürdigkeit ſchon dafür, daß er ihren Spuren errötend folgen kann. Hat das Weibchen ſich nun lange genug geziert, ſo läßt es ſich einholen. Unter freudigem Gezwitſcher umkreiſt das Männchen das Weibchen, mit Flügel und Schwanz ein zierliches Rad ſchlagend, und damit iſt auch die Ehe geſchloſſen. Selbſt bei den Schönen der Vogelwelt wird verpönt, dem erſten beſten Männchen ſich hinzugeben; wie mit Worten: „Da bini, magſt mi? ſä!“ Jede Werbung erfolgt in der keuſcheſten, züchtigſten Form. Not- und Muß— heiraten ſind bei den Vögeln unbekannte Dinge. Höchſt komiſch ſind die Werbungen des Wendehalſes (I 54). Als halber Specht klebt das umworbene Weibchen auf einem Aſte in der Nähe der Stammverzweigung. Die Freier ringsum etwa ein Meter höher. Nun beginnt das reinſte „Wettgrännet“. Einer nach dem andern dreht den Hals wie eine Kurbel ringsum, ſeitwärts, nach hinten, ver— Rn dreht die Augen, macht ebenfalls mit Fuß, Flügel und Schwanz die Drehungen mit. Hat dieſe „ränkevolle“ Wer- bung bei dem Wendehalsweibchen gefallen, jo ſchiebt es fich mit einem Rucke dem Bewerber näher, bei einem andern entfernt es ſich; ſo geht es längere Zeit, bis es ſich endlich für den einen Liebesgymnaſtiker entſcheidet, mit einem Rucke „an ſeine rechte Seite rückt“ und auf ein gegebenes Zeichen mit dem auserwählten Komiker wegfliegt. Die Ehe iſt per— fekt. Betrübt „grännen“ ſich die „trauernd Hinterlaſſenen“ noch eine Weile an und ſuchen dann ebenfalls das Weite. Stürmiſch werben Stare und Kohlmeiſen. Bei dieſen wird dem Liebchen nicht lange Zeit zur Wahl gelaſſen. Keck wird nach fruchtloſem Wettgeſang der Nebenbuhler zum Zwei— kampfe herausgefordert, wütend verbiſſen kollern die Kämpfen— den auf den Boden und werden da nicht ſelten einer Katze zur Beute. Meiſtens iſt der eine von ihnen flügellahm oder halbblind oder bleibt mit durchlöchertem Schädel betäubt liegen und ſtirbt. Niemand trauert um ihn, am wenigſten ſein Nebenbuhler, der als Sieger das Weibchen heimführt. Dem Weibchen iſt es auch gleichgültig, welchem es folgen ſoll, es ändert an ſeiner Zukunft nichts. Ein Zureden und Kuppeln gibt es bei den Vögeln nicht; wer ein Weibchen will, muß ſich ſelber auf die Socken machen und ſchon beizeiten im Welſchland die Manieren als Galant homme ſtudieren. Der Neſtbau. Man würde ſich ſchwer irren, anzunehmen, daß ſofort nach der Paarung mit dem Neſtbau begonnen werde. Die Vögel warten damit ſolange, bis ihnen die Vegetation für das Neſt genügend Schutz und für die Jungen Futter bietet. Der Diſtelfink und der Hänfling, ſowie das Schwarzköpflein — 17 — müſſen oft recht lange warten. Der Diſtelfink baut ſein Neſt in die äußerſten Gabelzweige unter ein Blätterdach von überhängenden Zweigen. Da wird das feine, vom Laub ge— ſchützte Neſtlein weder von Spatzen, noch Staren, Amſeln, Krähen oder Würgern jo leicht bemerkt. Das Schwarz— köpflein baut ſein einfaches Neſtlein auch gerne in einen dichtbeblätterten Strauch; es muß alſo warten, bis die Zeit günſtig iſt. Die Schwalben müſſen ebenfalls ſolange warten, bis die Sommerwärme ſo groß iſt, daß der zum Neſtbau ver— wendete naſſe Straßenkot in möglichſt kurzer Zeit trocknet und nicht das halbfertige Neſtchen infolge ſeiner Schwere herab— fällt. Im Vorfrühling wären auch zu wenig Mücken und Fliegen, um die Brut gehörig zu ernähren. Andere Vögel können ſchon früher mit dem Neſtbau beginnen. So leimt der Buchfink ſein kunſtvolles Neſt oft ſchon in die Aſt— gabeln oder Stammverzweigungen größerer Bäume, bevor dieſe ordentlich Knoſpen tragen. Dieſer Künſtler verſteht halt, ſein Neſt ſo geſchickt mit Moos und Flechten zu garnieren, daß es wie der Auswuchs eines Aſtes ausſieht. Bis dann die Jungen aus dem Ei geſchlüpft ſind, finden die alten Vögel auf Bäumen und im Graſe Raupen genug zur Atzung der Jungen. So ſind die jungen Buchfinken ſchon flügge, bevor ihre Vettern, Grün- und Diſtelfink, mit dem Neſtbau beginnen. Schwanzmeiſe und Gartenlaubvogel ver— ſtehen es ebenfalls, ihr Neſtchen ſo zu geſtalten, daß es ſelten bemerkt wird. Auch die Vögel, die in Höhlen oder auf der Erde ihre Neſter bauen, bedürfen keine ſo lange Wartezeit. Aus dieſem Grunde können dieſe Vögel zwei bis drei Bruten aufziehen, während andere es nur zu einer Brut bringen. Iſt die Zeit zum Neſtbau angerückt, ſo wird ein ge— eigneter Neſtort aufgeſucht. Junge unerfahrene Paare bauen 2 SFR IE ihr Neſt oft recht leichtſinnig an gefährdete Stellen. So fand ich ſchon auf einem viel begangenen Fußweg in einer Höhlung, bloß durch eine Wurzel geſchützt, das Neſt eines Rotkehl— chens; am Wege, leicht ſichtbar, auf einem niedern Aſtchen das Neſt der Dorngrasmücke, und zwiſchen Eiſenbahn⸗ ſchienen dasjenige der Haubenlerche. Es kommt wohl hie und da vor, daß die Vögel den Fehler merken und ihn korrigieren. Ein Fliegenfängerpaar (J 24) hatte einſt auf einem niedern Aſte über der Heuanfahrt ſein Neſt bereits fertig. Als ich nun mit einem Fuder Heu das Neſtchen ſtreifte, brachen die Vögel es ab und bauten es eine Etage höher. Das gleiche Manöver ſah ich einſt auch bei einer Bach— ſtelze, die das fertige Neſt abbrach und beſſer verſteckt neu aufbaute, weil das erſte ihr zu wenig geſichert ſchien. Die Auswahl des Neſtortes wird gewöhnlich vom Männchen beſorgt und das Weibchen ſcheint mit dem Neſtort meiſtens einverſtanden. Die Ausnahmen ſind aber häufiger als man meint. Ich ſah öfter, daß ſich ein Paar auf den Neſtort nicht einigen konnte, und jedes für ſich ein eigenes Neſtchen baute. Ein Baumrotſchwänzchenmännchen baute einſt unter das Dach des Schulhauſes, das Weibchen, wahrſcheinlich eine Witwe, beim Ofenhaus in ein Niſtkäſtchen; keines wollte nachgeben, obſchon beide das Neſt des andern beſuchten. Das Weibchen legte ſogar dem Männchen ein Ei in ſein Neſt und in das ſeine drei, die es ausbrütete. Das Männchen wußte jedoch mit dem geſchenkten Ei nichts anzu— fangen, dasſelbe blieb unausgebrütet. Dagegen half das Männchen dem Weibchen die Brut füttern. Einen ähnlichen Vorfall bemerkte ich einſt auch bei einem Kohlmeiſenpaar. Das Männchen hatte ſich das Niſtkäſtchen vor dem Hauſe und das Weibchen eines hinter dem Hauſe ausgewählt. Beide trugen fleißig Neſtſtoff in ihre Käſtchen; * een. E Er U en ſie ſchienen ſich auch nicht einigen zu können — da gab eines morgens das Männchen nach und half dem Weibchen ſein Neſt fertig bauen. Das Mäunchen verteidigte aber ſein angefangenes Neſt noch lange gegen andere Vögel, wenn ſie Miene machten, es zu beziehen. Für die zweite Brut bezog das Paar dann das Niſtkäſtchen, welches ſich das Männchen ausgewählt hatte. Alle Vögel ſind während der Neſtbauperiode in ſehr fröhlicher Stimmung; ſie iſt ja der Anfang der Flitterwochen. Mit großer Emſigkeit und Vorſicht tragen ſie vom Morgen bis zum Abend Neſtſtoffe zuſammen. Eine ganze Reihe Vögel meiden dagegen das Neſtchen, ſolange ſie ſich beobachtet wiſſen oder rufen kläglich um Hilfe, wenn man ſich demſelben nähert. Eine Beſchädigung oder ein Raub ihres Neſtchens be⸗ deutet für die Vögel einen großen Verluſt. Wie viel Mühe und Zeitaufwand koſtet nicht bei den meiſten Vögeln jo ein Neſtbau! Ein großer Teil füttert es inwendig mit einer Schicht Haare. Wo finden ſich ſolche? Wenn die Vögelchen ſchon hie und da auf der Straße ein Roßhaar, in den Dornen etwas Wolle von Schafen finden, ſo füllt dieſes gar wenig auf. Da fliegen ſie oft weit, um dieſen Polſterſtoff aufzuſuchen. Wenn ich im Frühling die ausgeſtriegelten und ausgebürſteten Kuhhaare den Vögeln zurecht lege, ſind fie nach kurzer Zeit alle fort. Als einſt im Mai unſere Katze des nachts einen beſuchenden Kater tüchtig zerzauſte, weil ſie als ehrbare Mutter von zwei Jungen keine Herrenbeſuche mehr duldete, lagen am Morgen ganze Häufchen Haare im Hof und Garten. Das gab einen Jubel unter den drei im Garten niſtenden Vögeln! Schnell trugen ſie den koſtbaren Stoff in ihre Wohnung. So hatte ihnen hier ſogar ihr Todfeind köſtlichen Neſtſtoff geliefert. Wie viel Neſtſtoffe gehen im Frühling verloren, mit denen man den Vögelchen große Mühe erſparen und ihnen Freude machen könnte! R = RR | Wir Vogelfreunde find den Regierungen recht dankbar, daß ſie im Frühling die Abſtimmungen zur Neſtbauzeit der Vögel anordnen, und ſich die politiſchen Hitzköpfe nicht um— ſonſt in den Haaren liegen. Es gibt unter den Vögeln nicht nur Muſikkünſtler, ſondern auch Neſtkünſtler, die an ihrem Neſte ſo viele Wochen bauen, wie etwa andere Stunden. Wer einmal das höchſt kunſtvolle Neſt der Schwanzmeiſe oder des Goldhähnchens geſehen, wird gerne geſtehen, daß zu einem ſolchen Kunſtge— bilde Wochen nötig waren. Mitte April bemerkte ich in einer ſonnigen Waldlichtung mit jungem Buchen- und Tannaufwuchs, daß tief im Gebüſch ein Schwanzmeiſenpaar auf einem mannshohen Buchen- ſtämmchen den Anfang zu ſeinem Neſtchen legte. Von da an beſuchte ich alle Wochen einmal den Neſtort und ſtudierte von ſicherem Verſtecke aus per Fernglas den Fortſchritt im Neſtbau. Nach ungefähr ſechs Wochen war das Neſtchen fertig. Auf einer Verzweigung des Stämmchens war das Neſt befeſtigt und zudem mit den aufſteigenden Seitenäſtchen verbunden, ſo daß bei deren Belaubung das Neſtchen völlig verſteckt geweſen wäre. Das Neſt war ſchön eiförmig gebaut; das breitere Ende befand ſich oben, ein ſchön gewölbtes Deckelchen verſchloß das Neſt; eine feine 2¼ om kreisrunde Oeffnung auf der Seite war ſogar mit zwei ſeitlich befeſtigten Federn, wie mit Portieren abgeſchloſſen. Das Neſtchen ſelbſt war mit Flechten von der Farbe des Buchenſtämmchens garniert, zirka 15 cm hoch und oben 12 cm weit. Wenn man bedenkt, daß das winzige Vögelchen ſämtliche Neſtſtoffe mit ſeinem Speichel befeuchtet und kittig gemacht hat, wird man begreifen, daß ſchon die Erzeugung einer ſolchen Maſſe Klebſtoff, waſſerdichtem Kitt, längere Zeit erfordert. Beim fünften Beſuch arbeiteten die Vögelchen mit gegenſeitig aufmunterndem Gezwitſcher ſehr emſig. Das Weibchen ſaß in der Vertiefung des Neſtchens und verarbeitete die Stoffe, die ihm das Männchen herbeiſchaffte, zu einem Deckel. Das Männchen ſaß auf dem Rande des Neſtchens und flog jedes— mal eilig weg, wenn ihm das Weibchen den Stoff abge— nommen hatte; es wollte offenbar das Weibchen mit ſeiner Handlangerarbeit nicht ſäumen. Einmal aber wollte das Männchen nicht mehr fort. Mit flatternden Flügeln ſaß es auf dem Neſtrande und bettelte ſo innig um ein Küßchen, daß es nicht mißzuverſtehen war; nur das Weibchen ſchien es nicht zu verſtehen; zweimal ſchon hatte es mit Schnabelhieben geantwortet, als wollte es ihm ſagen: „Wir haben keine Zeit zum Tändeln.“ Das Männchen aber führte wahrſcheinlich keinen Zärtlichkeitskalender und wußte weniger genau, als ſein Weibchen, wie ſehr der Bau preſſierte. Als das Männchen keine Miene machte, die Handlangerei wieder aufzunehmen, willfahrte das Weibchen ihm. Das Männchen ſchien aber ſo vom Liebreiz ſeines Weibchens gefeſſelt zu ſein, daß es ſich nicht mehr von ihm trennen konnte. Nun ſchien das Weibchen über den ſaumſeligen Eheherrn recht erzürnt. Wie der Blitz fuhr es mit ihm zu Boden und bläute ihn ſo jämmerlich durch, daß er ſchrie und ſo bald tunlich der Pantoffelherrſchaft entflog. Bald darauf kehrte das Männchen mit etwas Niſtſtoff zurück. Da es wieder keine Miene machte, wegzufliegen und das Weibchen von ſeiner Arbeit auch müde geworden war, flog es mit einem kurzen Ruf, der klang wie: „So komm“ vom Männchen gefolgt fort, in die Baumkrone, wo ihm das Männchen gar zärtlich mit manchem Leckerbiſſen aufwartete und das Weibchen dann bald in die Rolle der Liebebettelei fiel. Beim 6. Beſuche wurde ich von den Vögeln mit Warn— rufen empfangen; von hoher Baumkrone herab hatten ſie mich bemerkt. Das Neſtchen war fertig, und bei kurzer Be— ſichtigung ſah ich im Innern desſelben ſchon ein Eilein. — 2 —. Den lieben Vöglein in Gedanken Glück wünſchend, zog ich raſch weg und beſuchte zirka 8 Tage ſpäter den Neſtort nochmals. Es war unterdeſſen kaltes, regneriſches Wetter geweſen; die Vegetation ſtund ſtill, und ſo war auch der Strauch mit dem Neſtlein bereits unbelaubt. Wo aber war das Neſtchen? Ach, ich hätte für die armen Vögelchen weinen mögen. Da hing das Kunſtgebilde aufgeriſſen, offen und leer am Strauch herunter. Ein Nußhäherpaar hatte nach ſeiner räuberiſchen Art die Gebüſche nach Vogelneſtern durchſtreift, und alle entdeckten Neſter geplündert. Tod dieſen Räubern! Wie ich ſo in Trauer um das große Unglück der Vögelein vertieft ſtehe, höre ich in der Nähe das Weibchen, das vom Männchen unter zärtlichem Gezwitſcher eine Aetzung abzu— nehmen ſcheint, wie es bei brütenden Vögeln vorkommt. Wirklich, bei ſcharfer Umſchau bemerkte ich auf einem ſehr dicht beaſteten Tännchen, 3 Meter über dem Boden, einen Haufen Heu in die Aeſte eingepreßt, der mit einer Schicht belaubter Buchenzweige bedeckt war, ſo daß kein Regen in das Neſtchen dringen konnte. Ein feines Löchlein führte durch den Neſthaufen, aus dem das Weibchen ſein Köfpchen zeigte, während das Männchen noch einen Buchenzweig auflegte. In der großen Legenot hatte das Paar nur ſchnell einen Haufen Heu zuſammengetragen, eine Höhlung hineingemacht, und den Reſt der Eier noch hineingelegt. Dieſes zweite Neſt glich dem erſten in nichts; aber die Brut kam zum Ausfliegen. Der Kunſtſinn, das Neſt vor Nachſtellungen zu verſtecken, war auch in dieſem Erſatzneſte nicht zu verkennen. Dieſes Neſtchen befindet ſich auch im naturhiſtoriſchen Muſeum zu Bern, wie mehrere andere. Wie ſinnreich und kunſtvoll weiß auch das Gold— hähnchen ſein Neſtchen anzubringen! In ſonnig ſtehenden Rottannen, ſei es in größern Waldungen oder bloß in An- ER lagen, wenn die Tannäſte nur recht mit langem und dichtem Behänge beſetzt ſind, klebt es mitten in das Gehänge, wie eine ſchwebende Wiege, ſein aus Moos gebautes Neſtchen. Die Fichtengehänge ſind ſo geſchickt in das Neſt verflochten, daß es von außen ausſieht wie eine Nadelkugel. Weder von unten noch von oben vermag man das Neſtchen zu entdecken. Eichhörnchen und anderes Raubgeſindel können über den Aſt weg ſpazieren, ohne das unten in den Zweigen taumelnde Neſtchen entdecken zu können, in dem oft 8 bis 12 wie Hummeln ausſehende Junge piepen. Muß man nicht über den Kunſtſinn dieſer Vögelchen ſtaunen, die nur mit dem Schnäbelchen allein ſolche Produkte erzeugen, die wir mit unſern 10 Fingern und mit Hilfe aller zur Verfügung ſtehenden techniſchen Werkzeuge kaum zuſtande brächten! Es würde zu weit führen, die Produkte aller Neſtkünſtler zu beſchreiben. Außer den zwei angeführten Vögeln ſind auch die Finken zu erwähnen, Buch-, Diſtel-, Grün- und Bergfink. Der Grünfink baut ſelten auf Obſtbäume, mehr in Pappeln, Erlen, Weiden u. ſ. w. Der Droſſelrohrſänger, der Schilfrohrſänger und die Rohrammer (II 22) bauen in das Schilf. Ihre aus Schilfblättern geflochtenen und künſtlich an den Schilfſtengeln verbundenen Brutkörbchen ſind ein ſo tadelloſes Flechtwerk, als trüge jedes den Patentſtempel einer prima Flechtſchule. Nicht weniger kunſtreich baut auch der Sumpfrohr— ſänger ſein Neſtchen in hohes Gras oder in ein Gebüſch in der Nähe des Waſſers. Wer das ſeltene Glück hat, eines der Neſtchen von Laub— vögeln zu finden, wird denſelben gerne eine Anerkennung als Baukünſtler zollen. Das weiße Neſtchen des Garten— laubſängers oder Gartenſpötters, das er in niedere, dichte 3 Gebüſche ſetzt, iſt leichter aufzufinden, als das des Fitis- laubvogels, Weidenlaubvogels und Waldlaub— vogels, die ihr Neſt geſchickt im Boden verſtecken. In Verlegenheit geraten könnte man über das Neſt der Singdroſſel, ob es aus der antiken oder modernen Heim— bergertöpferei entſtamme. Töpferei und Garnitur an dieſem Neſte verraten einen künſtleriſch veranlagten Baumeiſter. Statt des Weichpolſters iſt das fein aus Moos gebaute Neſt inn— wendig mit Lehm oder Holzpappe ausgeſtrichen und bewandet; man findet es in niedern, dichten Gebüſchen. Einen Lorbeerkranz muß man gewiß auch dem Zaun- könig für fein Meiſterwerk aufheben; es iſt wirklich könig— liche Arbeit, ſowohl wie er dasſelbe unter Börder oder in Gebüſche zu verſtecken weiß, als der Aufbau ſelbſt. Als ein Muſter liederlicher Kunſt hängt das aus einigen Halmen auf ein ſchwaches Gabelzweiglein in mannshohes Gebüſch angelegte Neſtchen des Schwarzköpfchens. Durch die dünngeflochtenen Hälmchen ſieht man gut in das Innere des Neſtchens. Kann man es aber dem Schwarzkopfweibchen nachtragen, daß es nicht ſolider baute, ſondern wie unter dem Banne der ſüßen, betörenden Melodien, die ſein Gemahl auf ſeiner Zauberflöte ſo wunderbar ſpielte, nur traumhaft die Wiege flocht? Außer den angeführten Baukünſtlern gibt es noch recht viele Vögel, deren Neſt unbeſtritten in den erſten Reihen der tejtbautechnif ſteht. Es ſcheint faſt unmöglich, daß der Herr der Künſte, der Menſch, oft mit ſinnloſer, unbegreiflicher Rohheit ſolche Kunſtgebilde der Vögel raubt oder zerſtört, wo er ſie findet. Ganze Rudel herzloſer Buben durchſtreifen oft an Sonntagen Wald und Flur und verderben alles, ſo weit ihre Augen und Hände reichen. Da tut wahrlich Auf— klärung und Bildung not. ae. 2 Einer Reihe von Vögeln ſcheint das bautechniſche Talent zu fehlen. Wie verſchämt niſten ſie in Erdhöhlen, Löchern und Niſtkaſten. Ein Häufchen Rohmaterial wird zuſammen— getragen, in dieſelbe eine Höhlung gemacht, die mit Haaren, Wolle und mit andern Weichſtoffen gepolſtert wird. Herr und Frau Spatz nehmen ſich aber ſehr wenig Mühe, das Neſtgepolſter zuſammenzutragen; ſie ſtehlen das Leintuch lieber aus den Neſtern anderer Vögel, unbekümmert, ob dabei die innliegenden Eier oder Jungen aus den Neſtern fallen und zu Grunde gehen. Da wo ſich dieſes Diebsgeſindel anſiedelt, können edlere Vögel nicht aufkommen. Fort mit ihnen! Die Neſter dieſer Höhlenbewohner ſind oft ſchon in wenigen Stunden gebaut. Da die Mehrzahl dieſer in Höhlen niſtenden Vögel ſehr nützliche, inſektenvertilgende Tierchen ſind, können wir die— ſelben durch zweckmäßig gebaute Niſtkaſten in unſerer Nähe, Hofſtatt und Garten einquartieren. | Für Niſtkäſten ſehr dankbar find: Staare, Meiſen, Rot— ſchwänzchen, Fliegenfänger, Wendehals und Baumläufer. Für Meiſter Spatz empfiehlt es ſich aber eher, einen Fang- als Niſtkaſten anzubringen. Die größte Zahl der Niſtkaſten entſpricht weder in Bau noch in Platzierung den Anforderungen. Je nach Art und Größe der Vögel müſſen auch die Niſtkaſten gebaut ſein. Am liebſten werden von den Vögeln die Niſtkaſten be— zogen, die äußerlich einem Baumſtamme oder Aſte ähnlich ſind. Ein unentrindeter Stammabſchnitt wird geſpalten, aus— gehöhlt und mit Flugloch verſehen. Solche Niſtkäſtchen ſind vorzüglich, inſofern ſie nicht aus Tannenholz beſtehen. Un— entrindete Tannenholzkäſtchen werden bald der Sammelplatz gefährlicher Käfer, die auch dem Baume, an welchem ſie be— feſtigt ſind, gefährlich werden; ich ſelbſt habe in dieſer Be— ziehung böſe Erfahrungen gemacht. Ausgehöhlte Eichenholz— EN, m abſchnitte gefährden aber den Baum nicht, nur kommen dieſe Niſtkaſtenſtoffe zu teuer zu ſtehen. Billige, zweckentſprechende Niſtkaſten laſſen Sich aus Tann⸗ brettchen erſtellen; fie müſſen aber folgenden Anforderungen entſprechen: Die Innenſeite dieſer Bretter darf nicht glatt ſein, alſo nicht gehobelt werden. Je rauher die Wände ſind, deſto beſſer können die Vögel darin auf und ab klettern. Die Niſtkaſten müſſen in einem Winkel von mindeſtens 45 °, alſo ſchief, das Flugloch nach unten gekehrt, befeſtigt werden. Unter dem Flugloche dürfen ſich keine größern Aſte befinden, auf denen Raubgeſindel, Katzen, Krähen uſw. die ein- und ausſchlüpfenden Vöglein abfaſſen können; kleine, ſchwache Zweiglein unter dem Einflugloche dürfen ſchon vorkommen; die Vöglein benützen ſie gerne als Stützpunkt. Der Deckel muß auf beiden Seiten 2 em über die Wände hinausragen und vorn, auf der Fluglochſeite, mindeſtens 5 cm. Das Flugloch ſollte ſich unmittelbar unter dem Deckel befinden und immer rundlich-oval ſein, nicht viereckig; l em quer unter dem Flugloch befeſtige man gut ein 3 cm langes, ganz rundes, höchſtens 1 cm dickes Stäbchen. Für Meiſen und andere kleine Vögel ſollte die Boden— fläche der Innenſeite nicht über 12 cm?, die Länge des Kaſtens nicht über 30 em, das Flugloch ſollte im Durchmeſſer 3 em hoch und 3½ em breit fein; für Blaumeiſen, Sumpfmeiſen und den kleinen Baumläufer genügen * 27 bis 28 mm Durchmeſſer. Für Staren muß ein Innenraum von 15 em? vorhanden ſein und das Flugloch ſollte einen Durchmeſſer von 4 cm haben. Senkrecht angebrachte Niſtkaſten find die reinſten Marter- kammern für die alten wie für die jungen Vögel. Da der Innenraum zum Auf- und Abfliegen zu eng iſt, plumpſen die Alten auf das Neſt herab und können nur ſchwer wieder BRUST, hinauskommen. Viele Junge finden den Weg nicht hinaus und verhungern elend im Kaſten. Im ſchiefen Kaſten gelangen die alten Vögel leichter zum Neſte und wieder zum Flugloche und auch die Jungen finden beſſer den Weg beim Ausflug. Auch können ſich bei einem ſchief angebrachten Niſtkaſten mit etwas überhängendem Deckel keine größere Neſt- und Vogelräuber feſthalten; ein ſenkrecht angebrachter dagegen, zumal, wenn der Kaſten noch auf einem Aſte aufliegt, wird zur reinſten Vogelfalle. Für Meiſen, Rotſchwänzchen uſw. ſollten die Niſtkaſten in einer Höhe von 3—4 m über dem Boden angebracht werden, das Flugloch nach Nordoſten gerichtet oder, wenn keine günſtige Befeſtigungsſtelle nach dieſer Seite vorhanden iſt, nach Nordweſten, niemals nach Weſten. Die Niſtkaſten bedürfen alle zwei Jahre im Herbſte der Nachſchau. Die faulenden Stoffe müſſen entfernt und der Niſtkaſten neu befeſtigt werden. Im allgemeinen werden viel zu wenig Niſtkaſten ange— bracht. Es gibt noch viele große Ortſchaften, wo nicht ein einziger Niſtkaſten zu ſehen iſt. Aber nicht nur Gärten und Hofſtatten ſollten gute Niſtkaſten aufweiſen; auch in den Wäldern, Hainen und Anlagen ſollten ſie nicht fehlen; die Inſektenplage würde bald zurückgehen. Die Flitterwochen der Singpögel. Auch die Vöglein haben ihre Honig- oder Flitterwochen, in welchen ſie in zärtlichſter Liebe zu einander aufzugehen ſcheinen und eine Liebkoſung der andern folgt, eine inniger und feuriger als die andere. Bei den Singvögeln beginnt dieſe Wonnezeit mit dem Neſtbau und dauert ungefähr bis das letzte Eilein gelegt iſt. — 28 — Das iſt nun die Zeit, aus welcher die Muſiker und Dichter die Motive zu ihren anſprechendſten Frühlingsdichtungen ent⸗ nehmen. Das iſt die Zeit des Frühlings, wo die ganze Natur Tag und Nacht vom Jubel der fröhlichen Sänger widerhallt. Wie viel Lebensglück weiß auch das kleinſte Vögelein in ſein einfaches Liedchen zu legen, als ob es nicht blos mit dem Schnäbelchen, ſondern mit ſeinem Herzen ſänge. Ich habe ſchon viele glückliche Menſchen geſehen und gehört und auch mit ihnen geſprochen, aber ſelten ein ſo reines ge— nügſames Glück bei ihnen wahrgenommen, wie es aus dem Lied des Vögleins herausjubelt. Wenn es ſein Schnäbelein aufreißt und mit voller Kehle und freudig ſtrahlenden Auglein ſingt, als wollte es rufen: „Und mit all' meiner Freud, was fang ich doch an!“ muß dies auch beim gefühlsärmſten Menſchen ein Echo wecken, wie die Vöglein glücklich zu werden. Es ſind zwar nur die Männchen, die ihre Freude und Liebe durch ihren Geſang verkünden; die Weibchen haben nur Lock⸗, Warn- und Hilferufe; aber aus ihrer Lebendig— keit, ſowie aus ihren zärtlichen Locktönen ſpricht auch deutlich ihr ſtilles Glück. Immer deutlicher und mehr hört man zwiſchen dem Jubel— geſang der Männchen das um Liebe bittende Piepen der Weibchen, die zirka 8 Tage vor und während dem Eierlegen die Männchen mit Zärtlichkeitsbettelei beſtürmen. Von Aſt zu Aſt, von Baum zu Baum folgen ſie zirpend nachflatternd, mit zitternden Flügeln und geducktem Leibe den Männchen. Es iſt erſtaunlich, welche Liebeskraft dieſe Tierchen be— ſitzen. Ich habe bei verſchiedenen größern und kleinern Vöglein beobachtet, daß das Männchen dem Weibchen raſch 5 bis 8 mal in Liebe willfahrte und per Tag mindeſtens 6 mal. Dieſe ehelichen Zärtlichkeiten dauern gewöhnlich 10 Tage; ſie werden aber nach und nach ſeltener. NE, ERS Dieſe Flitterzeit Scheint den Liebenden gar nicht zu Schaden. Während andere Weſen unter einem ſo intenſiven Liebesauf— wand erkranken müßten, ſcheint das Wohlbefinden der Vöglein nicht im mindeſten zu leiden; ihre Lebhaftigkeit und ihr Frohſinn bleibt ſich immer gleich; von Verdrießlichkeit oder von momentaner Verſtimmung merkt man bei ihnen keine Spur. Die Zärtlichkeiten werden aber in ſo eleganter, zierlicher und feiner Weiſe ausgeführt, daß dabei nur wenig Liebes— kraft verloren gehen kann. Die Flitterwochen wiederholen ſich bei jeder Brutperiode. Die meiſten Vögel haben zwei Bruten, einzelne nur eine, die Spatzen erlauben ſich dagegen 3—4 Bruten. Zwiſchen den Flitterwochen wird aber jede Zärtlichkeit unterlaſſen; in dieſer Zeit leben die Vöglein nur der Familie und ſind meiſtens wahre Muſter treuer Pflichterfüllung. Die eheliche Treue der Vögel. Nachdem man von dem ehelichen Glücke der Vögel ein ſchönes Bildchen aufgerollt hat, ſcheint es unlogiſch, noch die eheliche Treue in Frage zu ziehen. Da ich nun ſchon über die Flitterwochen der Vögel ſprach, ſo mag auch über die eheliche Treue der Vögel ein Wort fallen. Ein großer Teil Weibchen der Zugvögel kommen im Frühling ſtark erſchöpft an. Ein Baumrotſchwänzchen— weibchen verirrte ſich einſt am erſten Tage der Rückkehr in eine geſchloſſene Laube, wo es durch ein Fenſter geflogen war, um dort Fliegen und Spinnen zu fangen. Der Wind hatte den offenen Flügel zugemacht und das Vöglein war gefangen. Durch das unruhige und ängſtliche Rufen des Männchens wurde ich aufmerkſam gemacht, ſuchte und fand das Weibchen. Währenddem ich ihm mit einem weißen Faden an einer Schwanzfeder ein Erkennzeichen anbrachte, fühlte ich auch, wie leicht und mager es ſich anfühlte; es verwunderte 2 mich, daß es ſo fröhlich war und ihm nichts zu fehlen ſchien. Als aber nach zirka drei Wochen das Brutgeſchäft angefangen hatte, hörte ich das Männchen vor dem Brutkäſtchen ängſtlich mit einer Raupe im Schnabel piepen; bald ſang es raſch und erregt zwei- bis dreimal ſein Lied auf dem Niſtkäſtchen, ſchlüpfte dann hinein und kam wieder unruhig piepend heraus. Als ich im Käſtlein nachſchaute, lag das Weibchen tot auf vier Eiern. Rings um das Neſt lagen Raupen und Fliegen, mit denen das Männchen es ſpeiſen wollte. Das Weibchen war an Erſchöpfung geſtorben; ähnliche Fälle beobachtete ich auch an andern Vögeln. Erſt im Auguſt fand ſich wieder ein neues Weibchen ein; umſonſt hatte das Männchen bis dahin bald klagend, bald lockend auf dem Hausdache ſeine ſchönſten Melodien hören laſſen; es wollte keine Gefährtin mehr kommen, bis dann im Auguſt. Das Brutgeſchäft macht doch an die ſchwachen Vögelein große Anſprüche, ſo daß viele Weibchen dabei erliegen. Eine große Zahl Weibchen werden während dem Brutgeſchäfte von Katzen, Wieſeln und Raubvögeln getötet; deshalb ſind wirk— lich bei den Vögeln zu wenig Weibchen und ſo iſt der Kampf um den Beſitz derſelben immer ſo heiß; es will kein Männchen freiwillig ſich den verſchmähten Hageſtolzen anreihen. Da bei den Vögeln die modernen Heiratsvermittlungen fehlen und eben zu wenig Weibchen vorhanden ſind, trifft es alle Jahre eine Zahl Männchen, die, nicht freiwillig oder durch Wunderlichkeit, Jung geſelle bleiben müſſen. Die Liebe und der Fortpflanzungstrieb bemächtigen ſich aber in grauſamer Weiſe dieſer Junggeſellen auch, und da ſie mit keiner Lebensgefährtin Freud und Leid teilen können, aber doch auch lieben wollen, ſo gehen ſie aufs Naſchen aus. Auf einem Speicherdache huldigte ein Finkenpaar in den Flitterwochen der Liebe. Das Weibchen ſchien nicht leicht befriedigt werden zu können; immer wieder bettelte es in Se bereiter, geduckter Stellung in zirpenden Tönen Liebe. Dem Männchen ſchien die Liebe nicht mehr ſüß zu ſchmecken; in raſchem Bogen flüchtete es ſich in die nächſte Baumkrone. Dieſen Augenblick benutzte ſchnell ein anderes herzugeflogenes Buchfinkenmännchen und ſetzte die Zärtlichkeiten fort, bis es vom zurückkehrenden Ehegatten verjagt wurde. Ein andermal ſah ich ein Bachſtelzenpaar auf einem Eiſenbahndamme ſpazieren; das Weibchen überhüpfte eine Schiene und ſuchte jenſeits derſelben Futter. Da flog von dieſer Seite her ganz über den Boden weg ein anderes Männchen direkt auf das Weibchen. 2 bis 3 mal wiederholte es die Zärtlichkeiten, bis es vom ahnungslos auf der andern Seite ſpazierenden Eheherrn bemerkt und verjagt wurde. Ahnliche Vorfälle ſah ich alle Jahre ein paar mal bei verſchiedenen Vogelarten, jedoch bei Standvögeln, mit Aus— nahme der Amſeln und Spatzen, weniger als bei den Zugvögeln. Während den Flitterwochen habe ich nie bemerkt, daß das Weibchen einem Liebesnäſcher Widerſtand leiſtete; ich ſah aber noch weniger, daß es ſie aufgeſucht hätte; es duldete den Liebesakt ſtill, ohne, wie beim eigenen Männchen, mit zärtlichen Koſetönen und flatternden Flügeln für die erwieſene Liebe zu danken. Ertappt das Vogelmännchen einen ſolchen Liebenäſcher, jo ſtürzt es ſich wütend auf den Böſewicht und verjagt ihn in weite Ferne, kehrt dann zu ſeinem ungetreuen Weibchen zurück und — verdoppelt ſeine Zärtlichkeit; in den erſten paar Stunden läßt es dasſelbe nie mehr allein. Daß ein Männchen ſich an ſeiner ungetreuen Genoſſin anders als mit Liebe, etwa durch Schnabelhiebe oder gar mit Scheidung rächte, habe ich nie bemerkt. In keinem Falle ſah ich aber auch, daß ein Ehemännchen einem andern Weibchen ernſtlich den Hof machte, außer bei Spatzen. 5 a. „en Bei den kleinen Standvögeln, namentlich bei Meiſen, Goldhähnchen, Zaunkönig und bei den Laubvögeln konnte ich nie ſolche Liebesabenteuer wahrnehmen; dieſe Vögelchen begleiten ſich aber fortwährend in ſolcher Nähe, daß keine Liebesnäſcher Gelegenheit zum Naſchen finden; öfter bemerkte ich aber bei Staren, Buchfinken, Bachſtelzen, Braun- und Rotkehlchen und Amſeln ſolche Vorkommniſſe. Die befiederten Hageſtolzen oder Junggeſellen bleiben ihrem Stande nur ſo lange treu, bis ihnen Gelegenheit ge— boten iſt, ihn mit dem Eheſtande zu vertauſchen. Freuden und beigen in der Familie der Vögel. Kaum iſt das Neſtchen fertig und trocken, ſo beginnt das Legen der Eier. Tag für Tag geſellt ſich ein Eilein zum andern, bis die Zahl voll iſt. Es wäre eine kühne Be— hauptung, von der Form und Farbe eines Eileins ſicher auf deſſen Herkunft zu ſchließen, wenn man das Neſtchen nicht auch geſehen hat. Die Eier eines Vogels weichen oft ziemlich ſtark in Form und Farbe von einander ab. Jeder Geflügelzüchter weiß, daß ein und dieſelbe Henne bald rund— liche, bald längliche und je nach Fütterung größere und kleinere Eier legt. Die rundlichen Eier werden vom Ge— flügelzüchter extra ausgeſondert und zum Brüten verwendet, um ja recht viele Hühnlein zu erhalten. Nach der Farbe findet man Vogeleier vom reinſten weiß bis zum dunkelſten grau. Die Grundfarbe iſt weiß, gelb, blau, grün, rot oder braun und häufig mit braunen, roten oder bläulichen Punkten oder Flecken verſehen. Gewöhnlich haben Vögel, die meiſtens in dunklen Höhlen oder Kaſten niſten, weiße oder weißliche Eier, wie z. B. Hausrotſchwänzchen, die verſchiedenen Meiſen, oder gelblich— weiße wie der Fitislaubvogel. a Je offener ihr Neſt iſt, deſto mehr haben die Vogeleier gewöhnlich die Färbung ihrer Umgebung. Die Eier des Schwarzköpfchens ſind in der Farbe den gelbbraunen Heu— halmen, aus denen das Neſtchen beſteht, recht ähnlich. Ein Vogel legt gewöhnlich nur ſoviele Eier, als er Junge zu ernähren vermag; je größer die Vögel, deſto weniger, und die kleinſten Vögelchen, wie Goldhähnchen, Zaunkönig, Blaumeiſe haben ihre Neſtchen ziemlich mit Eilein gefüllt. Die Brütezeit der Singvögel beträgt 14 Tage. Während dieſer Zeit ſitzen ſie während des größten Teils des Tages unbeweglich auf den Eiern. Wenn man weiß, daß die Vögelchen gewöhnlich nicht eine Minute unbeweglich ſitzen können, ſo muß man über ihre große Geduld ſtaunen, mit deren Hülfe ſie mehr als 20,000 Minuten auf den Eiern ſtill brüten. Das iſt wahr— haftig eine Leiſtung, die unmöglich wäre, wenn nicht 80 % der Geduld auf Rechnung der ſchon vorhandenen Mutter: liebe fielen. Über Mittag löſt gewöhnlich das Männchen das Weib— chen auf einige Zeit ab, während welcher Zeit ſich das Weibchen des Kotes entleert, jeine faſt ſteif gewordenen Glieder reckt und ſtreckt und dann auch ſeinem Magen den notwendigen Zoll entrichtet. Zwar bringt ihm das Männchen in der Zwiſchenzeit manchen guten Biſſen und wacht beſtändig für deſſen Sicherheit. Sobald Unberufene ſich dem Neſtchen nahen, verjagt es, was es kann, gibt dem Weibchen das Signal zum Fliehen, wenn Gefahr droht und lockt nicht ſelten mit Liſt den Feind vom Neſte fort, indem es ſich wie flügel— lahm über den Boden bewegt und plötzlich im raſchen Fluge erhebt und fort fliegt, wenn es den Zudringling weit genug weggelockt hat. Während der Zwiſchenzeit ſingt das Männchen dem brütenden Weibchen ſeine ſchönſten Weiſen. Wie viel an— oO En 1 mutiger klingt nun doch fein Liedchen, als der ſtürmiſche Jubel in den Flitterwochen! Eine ſtille innige Freude ſpricht unverkennbar aus dem Liede. Für meine Ohren ſind die Lieder der Vögel während der Brütezeit viel eee als die Werbelieder der Flitterwochen. Es beſtätigt ſich aber, daß die beſten und fleißigſten Sänger nicht gerade die aufmerkſamſten Ehegatten ſind und bei ihrem Geſange oft das Weibchen vergeſſen. Wohl ſcheint dasſelbe mit Entzücken der Tonkunſt ihres Eheherrn zu lauſchen; aber damit wird es nicht ſatt. Eine Hunger- und Entbehrungskur iſt jede Brütezeit, be— ſonders die II. und allenfalls die III. Als Höchſtkomman— dierender hat dann das Männchen bei der II. und III. Brut die Jungen der vorigen Brut mit den praktiſchen Lebens— erfahrungen bekannt zu machen, lehrt ſie ſelbſtändig Futter ſuchen, auf Feinde acht geben und ihnen entfliehen. Da mag es wohl vorkommen, daß die Mahlzeiten des Weibchens etwas lange Pauſen erhalten. So von den Vaterpflichten voll und ganz in Anſpruch genommen, findet das Männchen nicht mehr viel Zeit, die II. und III. Brutzeit dem Weibchen mit ſeinem Geſange zu verſüßen; die Lieder erklingen immer ſeltener, und bei vielen Vögeln hört man ſchon nach der erſten Brut nur noch Lock- und Warntöne. Pflicht, Arbeit und Sorgen verdrängen alſo auch bei Vögeln oft die Poeſie des Familien— lebens. Während der Nacht ſind die Männchen ſelten beim brütenden Weibchen, ſondern übernachten irgendwo in einem Verſtecke in der Nähe. Sobald aber die Tageshelle es erlaubt, ſucht es ſein Liebchen auf und ſagt ihm in den zärtlichſten Tönen: „Guten Tag“. Da flüſtert ihm nach 14 tägiger Brütezeit das Weibchen etwas gar Freudiges ins Ohr und zieht als Dokument eine leere Schale unter ſich hervor; die Liebenden ſind Eltern 8 geworden! Welch gegenſeitig inniger Jubel! Jetzt wiſſen ſie, wohin mit der Freud! Voll Entzücken nimmt das Männchen eine leere Schale nach der andern und trägt ſie fort; das Neſtchen mit dem teuren Inhalt darf auf keinen Fall durch Eiſpuren verraten werden. Mit einem Leckerbiſſen belaſtet kehrt das Männchen bald retour und überreicht ihn der glücklichen und zugleich hungrigen Mutter. Die Kinder dagegen bedürfen am erſten Tag nichts als allein Wärme. Sobald in der erſten Zeit das Weibchen das Neſtchen verläßt, über— nimmt das Männchen die Wärterpflichten. Am 2. oder 3. Tag werden die Jungen über die wärmern Tagesſtunden allein gelaſſen. Werfen wir raſch einen Blick in die Kinderſtube. Enttäuſcht frägt man ſich, ob denn dieſe nackten Scheuſale mit dem klumpigen Leib und dem dicken Kopfe, den ſie nur ſchwach mit wackelnder Bewegung erheben, nicht junge Kröten ſeien; auch nicht die geringſte Aehnlichkeit mit dem ſpäter werdenden Vöglein iſt vorhanden. Doch die alten Vögel haben Elternaugen und finden auch häßliche Kinder wie Engel ausſehend. In den erſten 8 Tagen werden ſie am Tage noch viel von einem der Alten erwärmt; des Nachts iſt die Mutter immer bei ihnen. In dieſer erſten Zeit muß ſich nun das Männchen rühren, um Frau und Kinder genügend mit Braten zu verſehen. 0 Obſchon die alten Vögel die moderne Kinderpflege nicht ſtudiert haben, könnten ſie in Ordnung und Reinlichkeit manch feinem Elternpaar zum Muſter dienen. Die Jungen werden weder verhätſchelt noch verwahrloſt. Wie ſauber und reinlich ſieht es im Kinderſtübchen aus! (Nur beim Wiedehopf nicht). Der Kot der Jungen wird immer fleißig von den Alten weggeſchafft und die Jungen bald angeleitet, ihn ſelber aus dem Neſtchen zu entleeren. Freilich hat ſchon manches junge Vögelein bei dieſem Vorgang das Gleichgewicht verloren und „ iſt rückwärts über das Neſt zu Boden i wo es meiſtens elend ſterben muß. Nach den erſten 8 Tagen tragen nun die jungen Vögel ſchon ein Hemdchen; über und über find ihnen weiße, 1 cm lange Haare gewachſen, die wie ein Flanellhemd ihren nackten Leib umhüllen; nach und nach macht dann auch das erſte, meiſt graue Röcklein Studien, wo es hinauswolle. Von Tag zu Tag wächſt mit den Kindern auch das größere Futterbedürfnis. Kaum finden die Alten noch über Mittag an einem ſchattigen Plätzchen etwas Sieſta, wo ſie auch über die Zukunft ihrer Brut Pläne aushecken werden. Sonſt aber wetteifern ſie im Zutragen von Würmern, Fliegen, Raupen und anderer Leckerbiſſen. Treffen ſich beide Alten zugleich beim Neſtchen, ſo er— zählen ſie ſich raſch, welche hoffnungsvollen Eigenſchaften ſie ſchon bei ihren Jungen entdeckt haben. Ich notierte öfter mit der Uhr in der Hand die Zahl der Futterreichungen per Stunde; im Durchſchnitt kehrten die Kohlmeiſen 50 bis 60 mal, die Gartenrotſchwänzchen 30 bis 40, die Bachſtelzen 30, die Goldammern 4 mal zurück. Es kommt natürlich viel auf die Futtervorräte der Umgebung an, wie bald ſie mit Beute beladen zurückkehren können; deshalb ſichern ſich die meiſten Vögelpaare bei der Neſtanlage ihr Revier; ſo verträglich und friedlich viele Vogelarten ſonſt miteinander auskommen, bei der Revierabgrenzung kennen ſie keine Verwandtſchaftsverhältniſſe oder Humanitätsrückſichten, da entſcheidet der Schnabelſchlag des Stärkern. Wie biſſig werden z. B. Kohlmeiſen, Fliegenfänger, Rotkehlchen u. ſ. w. zu einander; in ihrem Revier werden keine gleichen Vogel— paare geduldet; deshalb verkündet die Kohlmeiſe ſofort nach ihrer Neſtbeſtimmung laut und nachdrücklich: „Das iſt mis, das iſt mis, das iſt mis!“ Eine Ausnahme von dieſer Revierausſcheidung machen die Schwalben, die Spatzen und die Stare. Das Jagdrevier des Goldhähnchens iſt wohl das kleinſte. Als aber wohl ein junges Paar in einer Anlage Miene machte, ſeine Schriften zu deponieren, wo ſonſt Papa und Mama ſeit Jahren reſi— dierten, wurden ſie ohne Rückſicht auf Familienverwandtſchaft weggeſchnäbelt. Das Revier war freilich kaum eine Fläche von 25 Aren; aber eine halbe Stunde in der Umgebung fand ſich keine Niederlaſſungsgelegenheit mehr. Verſchiedene, ſonſt biſſige, unverträgliche Vogelarten ver— tragen ſich dagegen in engſter Nachbarſchaft ganz friedlich. In einem meiner Gärten von kaum einer halben Are Flächen— inhalt niſteten Kohlmeiſe, Bachſtelze, grauer Fliegenfänger, Grün- und Diſtelfink, 10 Meter weiter auf einem Baume noch ein Buchfink. Die Bachſtelzen fliegen oft eine halbe Stunde weit nach Futter; um dies feſtzuſtellen, färbte ich einem Bachſtelzenpaare die Schwänze mit Fuchſin. Mit Hilfe dieſes Erkennungszeichens fand ich ſie oft weit an Orten, wo ich ſie nie geſucht hätte. Die Fütterung der Jungen beginnt des Morgens ſchon bei Tagesanbruch und dauert bis Frau Sonne in ihre Schlaf— kammer verſchwindet. An einen Streik zur Einführung acht— ſtündiger Arbeitszeit haben die Vögel wohl noch nie gedacht! Daß die alten Vögel gegen Abend oft ſo müde ſind, daß ſie ſich kaum mehr weiter ſchleppen können, iſt bei ihrem unermüdlichen Fütterungseifer begreiflich. Ich ſah einmal ein Hausrotſchwänzchen, das im Gartenwege eine Raupe erhaſcht hatte und ſie den Jungen unter der Dachecke bringen wollte. Mehrere Male hatte es vergebens probiert, ſich zu erheben, weiter als bis auf den Zaun kam es nicht, und dort ließ es ſich leicht mit den Händen fangen und in das Neſt bringen. Ein andermal ſah ich gegen Abend eine Kohl— meiſe kurz vor ihrem Niſtkaſten auf den Boden fallen. Im „ Schnäblein trug ſie eine große Fliege, die ſie den Jungen bringen wollte; aber die Kräfte waren aufgebraucht; ich legte das Vöglein ebenfalls in ſein Neſt; es war freilich ſeit zwei Tagen Witwe, was bei den Vögelweibchen mit Neſtjungen. immer eine bittere Zeit iſt; dankbar nahm das Vögelchen das Futter, das ich ihm in der Nähe des Neſtchens auf das Streubrett legte. Die Auffütterung der Jungen iſt für die Vögel immer ein gewaltiges Stück Arbeit; aber die Dank— barkeit und die Anhänglichkeit der Jungen iſt auch rührend und muſterhaft! Da findet ſich keine Unzufriedenheit, keine Vorwürfe werden gegen die Eltern laut. Wie vielen Menſchen— kindern, denen die Eltern Gut und Geſundheit geopfert, könnten von den Vögelchen da noch etwas lernen! Während den 4—6 Wochen, welche die jungen Vöglein. bis zum Ausfluge im Neſte ſitzen, iſt ihnen nun auch das Reiſekleid gewachſen; auch bei Vögeln iſt dasſelbe meiſtens kein Feſtkleid, ſondern iſt grau, Männchen und Weibchen tragen ein ganz ähnliches Kleid. Klettervögel, wie kleiner und großer Baumläufer, verlaſſen oft ſchon recht frühe ihr Neſt; mit ihrer Kletterkunſt dürfen ſie dies ſchon wagen; die Schwalben freilich müſſen mit dem Ausfluge warten, bis ihre Flügelchen groß und ſtark genug ſind. Der Ausflug der jungen Vöglein iſt für die alten Vögel ein gleich freudiges Ereignis wie das erſte Schrittlein unſerer Kinder für uns. Schon längere Zeit vor dem Aus- fluge und namentlich am Ausflugstage zeigen die alten Vögel eine freudige Erregung, die aber auch in große Angſtlichkeit übergehen kann; ſie wiſſen gar wohl, weshalb ſeit einigen Tagen Katzen und Würger ſich ſo häufig in der Nähe des Neſtes einfinden. Iſt aber keine Gefahr vorhanden, ſo überlaſſen ſich die Alten gerne wieder im Sonnenſchein des Familienglückes einer behaglichen Freude; das Männchen ſtimmt ſeine Flöte und ſpielt den erſtaunten Jungen wohl einen Ausflugsmarſch. Eines um das andere begibt ſich auf den Rand des Neſtes, probiert die Kraft ſeiner Flügelchen, und wenn es fühlt, daß ſie tragen, dann flattert's auf den nächſten Aſt, oder ſogar unter Begleitung der glücklich ſtolzen Eltern auf den nächſten Baum, und bald iſt das Neſtchen leer und wird nie mehr bezogen. Sind die Jungen in einem Kaſten, dann ſtreckt eines um das andere ſein Köpfchen aus dem Flugloche, ohne daß eines den Flug wagt. Wenn aber eines der Alten ſie vor dem Loche mit einem Wurme lüſtern macht und ſie lockend auf— muntert, doch einmal draußen im Freien zu tafeln, dann kugelt das Kühnſte aus dem Loche und wie an einer Kette eines dem andern nach. Mir bereitet der Ausflug junger Vögel immer viel Ver— gnügen. Unter dem Neſte voll Junger kommt hie und da eines zu kurz; der Biſſen wird ihm von einem andern Geſchwiſter vorweg geſchnappt und es bleibt in der Entwicklung etwas zurück. Solche „Neſtpuzchen“ bleiben dann oft einen Tag oder zwei länger im Neſte, wo ſie von den Alten gepflegt werden, bis ſie den Ausflug auch wagen können. Obſchon gewöhnlich die Alten den Ausflug führen und leiten, ſo verunglückt er doch hie und da vollſtändig; bei den täppiſchen, unbeholfenen Hausrotſchwänzchen kommt das recht oft vor. Die Gartenrotſchwänzchen ſind viel ge— wandter und ſicherer beim Ausfluge als die Hausrotſchwänzchen. Oft werden die Vögelchen im Neſte von Unberufenen geſtört, oder kommen direkt in Gefahr. Sind nun dieſe Tierlein bald flügge, ſo fliegen ſie in dieſem Falle aus und verſtecken ſich ſo gut als möglich; ſind ſie aber noch nicht flügge genug, ſo ducken ſich die Vögelchen ſo zuſammen, daß 11 ſie ſamt dem Neſte eine unerkenntliche Maſſe bilden. Ein Neſt voll junger Buchfinken ſieht aus wie ein mit Flechten und Moos bewachſener Holzkropf oder Baumkropf; junge, dicht aneinander liegende Rotkehlchen würde man für einen rötlichen Stein anſehen, der mit gelblichen Adern durchzogen iſt. Auf dieſe Weiſe ſuchen die unbeholfenen Vögelchen einer Gefahr zu entgehen. Es kommt auch vor, daß den ungewohnten Fliegern beim Ausflug die Kraft verſagt, bevor ſie ihr Ziel erreicht haben, und unfreiwillige Stationen machen müſſen. Fallen ſie nur ins hohe Gras, ſo werden ſie wieder von den Alten da ge— pflegt, bis ſie ſich heraushelfen können; ſchlimmer geht es ihnen ſchon, wenn die Vöglein ins Waſſer fallen, oder von Räubern bemerkt werden. Die im Schilfe ausfliegenden Vögel ſuchen gerne Gebüſche oder Bäume außenher des Waſſers auf; ſie wiſſen's wahr— ſcheinlich von den badenden Buben, daß das Waſſer meiſtens naß iſt. Ich kam einſt dazu, daß junge Teichrohrſänger ihren Ausflug unternahmen. An der zirka 5 m höher und 15 m vom See liegenden Straße befand ſich ein dichter Apfelbaum, den das vorausfliegende Alte als Ziel für ſeine Jungen aus— erſehen hatte, die ihm wie eine flatternde Kette folgten. Von den fünf Vögelchen erreichten aber nur drei das Ziel, die andern zwei fielen ins naſſe Gras, wo ich ſie aufhob und auf den Baum ſetzte. Als ich nach vier Stunden zurück— kehrte, war die Brut ſchon jenſeits der Straße im dichten Gebüſche, wo ſie gar geſchwätzig und fröhlich ihre Flugkünſte weiter führten. Von acht jungen Kohlmeiſen, die ſich einen großen, 15 m weit von ihrem Kaſten entfernten Kirſchbaum aus— erſehen hatten, erreichten auch zwei das Ziel nicht und fielen in den Hühnerhof, von welchem man ſie auch auf den Baum er u beförderte, wo ſie bereits volle acht Tage ihre erſte Rekruten— ſchule durchmachten. Auf der Weſtſeite des Schulhauſes ſteht ein Apfelbaum mit einem Niſtkaſten. In dieſem Niſtkaſten waren flügge Blaumeiſen. Ich hatte eines Morgens ſchon frühe ihre Reiſevorbereitung gehört; ſie warteten bloß noch auf ihre liebſte Freundin, die ſchalkhaft hinter einer Wolke dem nied— lichen, reizenden Treiben der Auswanderungsgeſellſchaft zu— lächelte. Da der Weſtwind ziemlich ſtark wehte, dachte ich an die Möglichkeit, daß die Vöglein den Reiſekurs gegen das Schulhaus nähmen, und ſo öffnete ich alle Fenſter auf der Weſtſeite unſeres im Erdgeſchoß befindlichen Schulzimmers; dann machte ich meine Schüler (gemiſchte Schule) aufmerkſam, daß wir heute möglicherweiſe einen ganz ſeltenen Beſuch er— halten, den ſie freundlich und mit der größten Ruhe emp— fangen ſollen. Kaum waren die Schüler über das zu er— wartende Vorkommnis aufgeklärt, kam die Reiſegeſellſchaft wie eine Kette herangeflogen; voran die Mutter, die wahr— ſcheinlich im Bogen um das Schulhaus einem dichten Zwetſch— genbaum auf der Oſtſeite des Schulhauſes zuſteuern wollte, wo die Sonne lieblich ſchien und kein Wind wehte. Dicht vor den Schulzimmerfenſtern nahm ſie wirklich den „Rank“ um die Ecke und ſchwenkte von den offenen Fenſtern ab. Die jungen Meiſen konnten aber noch nicht gegen Windeswellen rudern und ſchwenken, ſondern flogen direkt auf die Schüler des erſten Schuljahres, die zunächſt am Fenſter ſaßen und mit großer neugieriger Ungeduld den Ausflug der lieben Dinger erwartet hatten. Ein vielſtimmiges „ee, ee, bo, oo“, vers miſcht mit dem feinen Gezwitſcher der Vögelchen machte ſich hörbar. Behutſam ſetzte ich die ſchönen bläulichen Kügelchen mit den lebhaften Nuglein in einer Reihe auf das Pult, die Front gegen die Schüler. Mit ſolcher Freude hatten die Schüler noch keinen Beſuch begrüßt wie dieſen; mit offenen RE Mäulern und freudig glänzenden Augen betrachteten fie die neuen gefiederten ABC-Schützen. Die Vöglein ſelbſt waren ihrerſeits nicht weniger erſtaunt, ſich in einem noch größern Neſte mit ſo vielen großköpfigen Zwitſchern zu befinden; aber ſie bekundeten nicht die geringſte Angſt; auch die alten Vög— lein zeigten keine Unruhe, daß ihre Jungen „auch in die Schule“ gegangen waren. Ich machte die Schüler nun auf— merkſam, daß ſich die Vöglein unterhalten, wer wohl von ihnen der netteſte und liebſte Schüler ſei; ſie ſollen ſich jetzt ganz ſtille verhalten, ſie werden dann noch etwas Liebliches ſehen. Nun öffnete ich das Pultfenſter und trat hinten in die Stube. Nach kurzer Zeit kamen Vater und Mutter Blau— meiſe ſchon auf das Fenſtergeſimſe, und weil ſie die Schüler ſchon lange als ihre lieben Freunde kannten, flog das Männ— chen mit feinem Räupchen, das ſich in feinem Schnäbelchen krümmte, auf das Pult. Wie der Blitz bildeten die jungen Meiſen einen Kreis um den Vater und bettelten mit offenem Schnäbelchen und flatternden Flügelchen um die Beute. Das Männchen aber zeigte keine Eile mit der Spendung des Würm— chens; es wollte wohl damit den fleißigſten Schüler erfreuen; endlich überreichte es dasſelbe einem Vögelchen, das für das kleine Würmchen mit größerer Freude dankte als viele Kinder für ein großes Stück Brot. Das wollte ich den Schülern zu Gemüte führen. Nun übergab ich die acht Vögelchen den vier größten Knaben, in jede Hand eines, um ſie behutſam auf den Zwetſchgenbaum auf der Oſtſeite des Schulzimmers zu ſetzen. Jeder Schüler wollte aber den Vögelchen zuerſt ein Abſchiedsküßchen mitgeben, und ſo wurden ſie Bank für Bank zart abgeküßt und dann auf den Baum geſetzt, wo ſie den ganzen Vormittag ſich auf den Zweigen tummelten und in jeder Pauſe von den Schüleru umſtanden und bewundert wurden. In den Kopf hatten die Schüler an dieſem Vor— mittag wenig gebracht; der Schulhalbtag ſchien für die Be⸗ „** reicherung des Wiſſens verloren zu ſein; dafür aber hatte das Herz viel gewonnen; die Gemüts- und Gefühlsbildung kommt ſowieſo gegen den Wiſſenskram in der Schule immer zu kurz; das dokumentieren uns leider auch die überfüllten Zuchthäuſer. Ein andermal bemerkte ich eines Morgens, als ich in die Schule wollte, daß die jungen „kleinen Baumläufer“, die oben an der Dachecke gerade über der Terraſſe unter dem Windladen ihr Neſt hatten, ausfliegen wollten. Die alten Baumläufer kletterten zwar immer in umgekehrter Lage, den Rücken abwärts, dem Windladen nach; ihnen war das nicht ſchwer; aber für die jungen Ausflügler bangte ich; denn dieſe unruhigen Kletterer verlaſſen gerne zu früh und voreilig ihr Neſt. Eines der Vögelchen hatte ſchon das Kunſtſtück der Alten nachmachen wollen; aber es hielt immer noch zögernd zurück. Ich beorderte nun zwei Mädchen, mit ausgeſpannten Schürzen die allenfalls herabkollernden Vögelchen aufzufangen. Obſchon die Mädchen ungeſäumt dem Auftrage nachkamen, lag doch Schon ein Vöglein blutend und tot auf der Terraſſe; ſie hatten kaum die Schürzen ausgeſpannt, als die vier andern Geſchwiſter des toten Vögleins das Kunſtſtück auch wagen wollten; es gelang aber keinem, und alle fielen faſt ſenkrecht in die Schürzen der Samariterinnen. Ihre Flügelchen konnten ſie noch wenig gebrauchen, und doch wollten ſie ein ſo toll— kühnes Wagnis unternehmen. Die Mädchen brachten die vier geretteten Vöglein auf das Pult. Aber die queckſilbernen Vögelchen blieben nicht eine Sekunde ruhig. Das gab eine Turnerei! Das Pult auf und ab in allen Stellungen, wag— recht um das Pult herum rutſchten ſie einander pfeifend nach; dann ſetzten ſie vom Pult, mit den flatternden Flügelchen nachhelfend, über auf die nächſte Bank und wie der Blitz an den Kleidern der Schüler empor auf deren Köpfe. Das gab eine Fröhlichkeit und ein Leben unter den Schülern, als ihnen EIER die Vöglein, alle vier hintereinander, von Kopf zu Kopf ſetzten. Die alten Vöglein kamen nicht in die Stube, ſondern kletterten an den nächſten Fenſterpfoſten auf und nieder, um das Schickſal ihrer Kinder zu überwachen. Ich ließ die jungen Vöglein nun wieder auf den bekannten Zwetſchgenbaum ſetzen, wo ſie erſt recht luſtig ihre Turnerei fortſetzten. Als meine Katze ſichtbar wurde, warnte eines der Alten mit einem ſchrillen Pfiff; augenblicklich klammerten ſich die Jungen am Platze, wo ſie ſich momentan befanden, feſt und breit, mit etwas ausgeſpannten Flüglein an; ſo blieben ſie unbeweglich, drehten ſich aber leiſe rutſchend immer auf die entgegengeſetzte Seite des Aſtes von der Katze ab. Ich rief die Schüler herbei, um ihnen das Kunſtſtück dieſer jungen Vöglein zu zeigen; zuerſt ließ ich ſie aber die Vöglein von ihrem Standorte aus ſuchen; ſo ſehr ſie ſich anſtrengten, fanden ſie erſt nach längerer Zeit einige. Als die Katze weg war, wurde von einem der Alten wieder das Signal „der Feind iſt weg“ gepfiffen, und die Jungen wurden ſofort lebendig. Das freute die Schüler ſehr, daß ſie von den Vögelchen nicht auch als Feinde angeſehen wurden. Auch dieſer Schulhalbtag hatte mehr die Gemüts- als Verſtandesbildung unterſtützt. Die Schüler ſind jetzt Männer und Frauen; aber dieſe Schulhalbtage blieben ihnen in beſter Erinnerung und ſie ſprechen bei jeder Gelegenheit mit Ver— gnügen davon. Einige Arten der jungen Vögel, wie Hausrotſchwänzchen, Spatzen, Stare und Diſtelfinken uſw. machen im Neſte und auch nach dem Ausfluge viel Lärm: ſie werden deshalb leicht von Feinden bemerkt, ſo daß die Alten alle Augenblicke um Hilfe rufen oder warnen, was oft recht läſtig iſt, beſonders morgens früh. Sehr ruhige Vögelchen ſind Baumrotſchwänzchen, Schwarzköpfchen, Goldhähnchen und einzelne Laubvögel. Die ausgeflogenen Vögel werden zirka 8—10 Tage von den Alten begleitet. Es iſt ungemein anregend, eine ſolche Vogelfamilie zu beobachten, wie die Jungen dies und jenes zu fragen ſcheinen und von den Alten mit unermüdlicher Ge— duld und Hingebung unterrichtet werden. Von Tag zu Tag wurden die Jungen ſelbſtändiger, und nach acht Tagen wiſſen ſie bereits ſelber ihr Futter zu finden. Die Vögelchen bedürfen aber noch in anderer Richtung der Führung, die dann Herr Papa übernimmt, während Mama wieder Vorbereitungen zu einer neuen Nachkommenſchaft treibt. Das Männchen wird dann gewöhnlich nach 14 Tagen ein zärtlicher Gatte und ſorgender Vater. Die Jungen bleiben auch nach ihrer Selb— ſtändigkeit immer in der Nähe des Neſtes. Gegen Herbſt ſammeln ſich die Zugvögel einer Gattung und fliegen dann zu gelegener Zeit fort. Die Standvögel aber bleiben meiſtens familienweiſe zu— ſammen und teilen miteinander Freuden und Leiden, wie es das Schickſal mit ſich bringt. Die Vögel haben oft recht ſehr unter der Vogellaus, Vogelfliege und unter der Vogelzecke zu leiden; namentlich ſetzt ſich letztere gern um die Augen, ſo daß die Vögel nicht mehr ſehen und verhungern müſſen. Die Ruckucksplage. Ein ſonderbarer Vogel iſt der Kuckuck, der auch in das Familienleben einzelner Kleinvögel mit leicht zugänglichen Neſtern, meiſtens Inſektenvertilger, viel Leiden bringt. Die betreffenden Vogelarten ſind mit ihm übel daran; ſie wiſſen nicht recht, ob ſie den Kuckuck als Feind oder Freund be— handeln ſollen. So machen ſie denn beides; den alten Kuckuck ſignaliſieren ſie als Feind, und den jungen, nach Futter kreiſchenden, können ſie nicht genug hätſcheln. — 1 Mir hat es dieſer Herr ungemein ſchwer gemacht, ſein geheimes Treiben etwas zu ergründen. Jahre lang habe ich ihm nachgeſtellt, habe viel Geld, Zeit und Kleider geopfert, ohne einen einzigen Erfolg verzeichnen zu können. Dafür war mir aber der Zufall einige Male günſtig, aber ge— wöhnlich zu recht ungelegener Zeit. Hoch aus dem Emmenthal wollte ich eines abends mit dem Retourbillet nach Bern zurück. Es war Mitte Mai, und alle Vögel ſchienen es darauf abgeſehen zu haben, mich mit ihrem Wonnegeſang feſſeln und aufhalten zu wollen. Mein Ziel war die Station Zäziwil; aber bis dahin mußte ich wenigſtens 1⅛ Stunden rechnen und fo nahm ich den geradeſten Weg an, über die Heiteregg, Friedersmatt, Nüchtern und Reutenen. Ich ging unter der Heiteregg über eine ſoge— nannte Egg. Zur linken Hand lag der tiefe Buchengraben, deſſen Südabhang total mit Wachholder bewachſen war. Die oberſten Wachholdertännchen erreichten mit ihrer Spitze faſt die Höhe des Grates. Der Ueberblick über dieſen Graben, deſſen unterer Teil zu Ackerbau benutzt wird, iſt großartig. Trotz meiner Eile fand ich an beſonders romantiſchen Stellen zu einer Umſchau Zeit. Da hörte ich unten am Wachholderberge einen Kuckuck rufen; es war halb 5 Uhr. Prächtig ſah ich von oben herab auf den Kuckuck, und ſofort verſteckte ich mich unter einen überhängenden dichten Aſt. Vergeſſen waren Bahn und Reiſe— ziel. Zu meiner Freude näherte ſich der Kuckuck mit jedem Rufe meinem Verſtecke, und nach einiger Zeit war er ſo nahe, daß ich ihn faſt hätte erreichen können. Wie er ſich wiegte, den Schwanz ausgebreitet in die Höhe hob und mit den halb ausgebreiteten Flügeln zum Rufe wippte! Sein Rücken ſchien wie mit großen Schneeflocken überſät. Nach jedem Rufe drehte er ſich, flog ein Stück weit über die Gebüſche, ſtets in einem gewiſſen Umkreis. Ein anderer Vogel ant⸗ a en ale: 5 wortete ihm in einem leiſen „Kü⸗kü⸗kü⸗kü“; ich ſah ihn aber noch nicht. Während meiner Beobachtungszeit hatte ich von meinem Poſten aus, ganz nahe unter mir auf einem Wachholder— gebüſche, das Neſt einer Wachholderdroſſel bemerkt; es lagen zwei Eier darin. Nicht weit davon bemerkte ich auch bald das Neſt einer Goldammer und etwa 50 m ſeitlich von mir in einem Schwarzdornbuſche das Neſt der Dorngras— mücke. Alle drei Vogelpaare ſangen nach ihrer Art im höchſten Glücke. Als ſich aber der Kuckuck näherte, verſtummte ihr Freudengeſang; kampfluſtige, zornige Laute ließen ſie hören und die Vöglein flogen voll Unruhe dem Kuckuck entgegen, ſchoſſen auf ihn, flogen ihm ſchreiend nach, als ob er ihr größter Feind wäre. Dem Kuckuck ſchien die Aufregung der Vögel nur Spaß zu machen; ja es ſchien, als ob er ſie abſichtlich zum Kampfe reize. Alle Augenblicke flog eines der Vögelchen zu ſeinem Neſte zurück, als wäre es um dasſelbe beſorgt. Während dieſes intereſſanten Spieles des Kuckuckmännchens mit den Vögelchen entdeckte ich nun auch den andern Vogel, den ich ſchon gehört, aber nie ſehen konnte; es war das Kuckucksweibchen. Im Gebüſche verſteckt ſchien es ſich die Stellen zu merken, welche die Vögel ſtets aufſuchten; ſobald ſie aber weg waren, flog es leicht wie ein Falke an die nämliche Stelle. So kam es auch zum Neſte der Goldammer; mit ſeitlich geſenktem Kopfe betrachtete es deſſen Inhalt und flog wieder in das Gebüſch. Bei dieſem Beſuche hatte ich deutlich ge— ſehen, daß das Weibchen den Schnabel offen trug und etwas darin hatte. Nach wenigen Minuten machte es der Dorn— grasmücke einen Beſuch, kehrte aber raſch wieder. Als das Wachholderweibchen mit zornigem „Schäck, ſchäck und tſit tſi,“ auch zum Neſte zurückkam und wieder zur Verfolgung des 5 Kuckucks wegflog, war wie der Blitz nachher auch das Kuckucks— Weibchen da. Von Aſt zu Aſt ſchlüpfte es raſch bis zum teite, hielt ſich dort ein wenig auf und flog dann mit einem triumphierenden „Kü, kü, kü, kü“ vom Männchen gefolgt in gerader Linie zur andern Seite des Grabens, die ſchon ganz in Dunkel gehüllt ſchien. Die langen Schatten der Bäume mahnten zum Aufbruche; aber zuerſt mußte ich ergründen, was das Weibchen mit ſeinen Beſuchen bezweckte. Raſch ſtieg ich das ſteile Bord zum Droſſelneſte hinab. In dieſem lagen jetzt drei Eier; der Kuckuck mußte vorhin alſo noch ein Ei hineingelegt haben. Aber welches? Bei dem vorgerückten Abenddunkel fand ich es wirklich nicht ſofort; es war in Größe und Farbe von den andern kaum zu unter— ſcheiden. Nun beſuchte ich auch das Neſt der Ammer und der Dorngrasmücke. Die Ammer hatte fünf Eier und dieſe waren in Form und Farbe dem Kuckucksei unähnlich; auch waren die Eier ſchon ziemlich angebrütet. Im Neſte der Grasmücke lagen auch drei Eier und dieſe differierten in Farbe und Form noch mehr, als die Ammereier. Mit dieſem Reſultate verließ ich die Gegend. Mein Zug war natürlich längſt fort und ich war froh, daß ich im „Bären“ zu Zäziwil noch ein Nachtlager fand. Aber die Frage beſchäftigte mich noch lange in die Nacht hinein: „Warum legte der Kuckuck ſein Ei nicht in eines der andern Neſter? Ich war überzeugt, daß er außer den dreien noch viele andere gefunden hatte. Einen Schluß wagte ich noch nicht, da es das erſte Mal war, daß ich dieſen Vor— gang beobachten konnte. Soviel hatte ich aber geſehen, daß das Kuckucksmännchen durch ſein Spiel zweierlei bewirkte. Die Vögel verrieten mit ihrer Unruhe ihr Neſt und das Weibchen hatte mit den weggelockten Beſitzern keinen Kampf zu a, 198 befürchten. Mit dem leicht zerbrechlichen Eilein im Schnabel hatte es allen Grund, ſich mit keinem Vogel im Kampfe zu meſſen. Zweitens hatte ich den mehrfachen Beweis, daß der Kuckuck die vorhandenen Vogeleier in keiner Weiſe beſchädigte, oder ſie gar auffraß. Ob der Kuckuck das Ei ſchon längere Zeit im Schnabel trug, und ob er berechnend die beginnende Dunkelheit benützte, damit die mit ſeinem Ei beglückten Vögel das Geſchenk weniger raſch bemerken, dieſe zwei Fragen legte ich unbeant— wortet zu der erſten ungelöſten Frage. Ich nahm mir aber vor, dieſe drei Rätſel wenn möglich ſchon das nächſte Jahr zu löſen; denn ich wußte nun, daß, wenn man beim Kuckucks— ruf das leiſe Kü kü kü des Weibchens hört, die beiden auf der Neſtſuche für eines ihrer Eier begriffen ſind. Es ver— gingen aber Jahre, bis mir wieder der Zufall hold war. Wohl hatte ich einmal das leiſe Kü kü kü gehört und die Vögel geſehen; es war aber nur ein Zärtlichkeitsſpiel, das auf ein gelegtes Ei folgt. Ich hatte mir Ort und Datum des gelegten Kuckuckseis genau gemerkt; denn ich wollte nun auch den weitern Vor— gang beobachten. Zirka 20 Tage ſpäter machte ich mich an einem prächtigen Sonntagsmorgen in aller Frühe auf die Beine. Von Trub— ſchachen aus hatte ich zirka vier Stunden in gerader Linie über die Eggiwilerberge. Bald nach meiner Ankunft bemerkte ich von meinem frühern Lauſcherpoſten, daß alle drei Neſter noch vorhanden waren. An allen drei Orten flogen die Vögel fleißig zu und weg; ſie hatten alſo Junge. Faſt mit ängſtlicher Neugier näherte ich mich dem „Kuckucksneſte“. Da „hockte“ der junge Kuckuck allein und im beſten Wohlbefinden darin. Eines der andern Vögelchen lag in ziemlich vorgeſchrittener Verweſung am Boden; zwei andere hingen ebenfalls tot 4 in den dichten Zweigen untenher dem Neſte. Alle toten Vögelein hatten ſchon deutlichen Federanſatz; alſo mußten ſie dem jungen Kuckuck noch einige Zeit Geſellſchaft geleiſtet haben. Während dieſer Beobachtung bemerkte ich endlich auch das vierte Vögelchen. Elend und ſchwach kauerte es unter einem Flügel des Kuckucks. Der Kuckuck füllte ſchon jetzt ziemlich das ganze Neſt aus. Ich verſteckte mich hierauf ganz nahe beim Neſte, um die Fütterung anzuſehen. Als ſich die Droſſeln infolge meines ruhigen Verhaltens beruhigt hatten, kam bald das Weibchen mit einem fetten Nacht- ſchmetterling. Lang ſtreckte der Kuckuck ſeinen Hals mit dem weit geöffneten Schnabel der Beute entgegen und empfing ſie auch. Umſonſt verſuchte auch das Droſſelkind ſich bemerklich zu machen, ſein Stiefbruder raubte ihm alles vor dem Schnabel weg. Schon faſt zwei Stunden hatte ich der Fütterung zugeſchaut und noch nie war die junge Droſſel zu ihrem Rechte gekommen. Der Vogel dauerte mich; ich nahm ihn aus dem Neſte und fütterte ihn. So mußten auch die andern drei Droſſelkinder verkürzt worden ſein. Ich nahm meinen Pflegling mit. Als ich ihn aber nach einer Stunde wieder mit einer gefundenen Raupe füttern wollte, war er tot. Die reichliche Mahlzeit nach der langen Faſtenzeit ſchien ihm nicht zuträglich geweſen zu ſein. Nach ungefähr 3 Wochen machte ich nochmals einen Abſtecher zum Kuckuck. Das Neſt war leer und vom jungen Kuckuck war keine Spur vorhanden. Ich begab mich nun zum nahen Waldſaum wo viel junger Aufwuchs vorhanden war. Da vermeinte ich nämlich einen jungen Sperber zu hören. So leiſe als möglich ſchlich ich durch das Gebüſch dem Gekreiſche nach, bis ich den Vogel zirka zehn Meter hoch auf einem Aſte erblickte, wo er Toilette machte; er ſchien ganz allein zu ſein. Da fing er mit halberhobenen Flügeln wieder an zu kreiſchen. Sofort wurde die Umgebung des — Kuckuck lebendig. Von allen Seiten kamen Vögelein mit Futter befrachtet daher geflogen, die ſich ohne Scheu dem großen Vogel näherten. Die Goldhähnchen und Zaunkönige verſchwanden faſt gänzlich im großen Schnabel des Vogels. Als auch das Wachholderdroſſelmännchen ſich mit Futter einfand und dem großen Vogel zuſteckte, wußte ich nun genau, daß ich meinen jungen Kuckuck vor mir hatte. Lange blieb er nie an einem Orte; aber ſobald er kreiſchte, wimmelte es buchſtäblich von allerlei Vögelchen um ihn, daß er oft nicht wußte, welchem der niedlichen Freunde er ſich zuerſt zuwenden ſollte. Das Droſſelmännchen fand ſich nur einmal ein und blieb dann weg, als es das Waiſenkind ſo gut aufgehoben und bewirtet ſah. Nach und nach flog der Kuckuck wieder in die Nähe ſeiner Wiege; er ſchien mich bemerkt zu haben und ſuchte den Schutz ſeiner Pflegeeltern. Dieſe aber hatten ſich ſchon in der Nähe von neuem häuslich eingerichtet. Das Weibchen ſaß bereits auf den Eiern und brütete, während der Herr Gemahl noch hie und da das Findelkind führte. Dieſe Beobachtungen alle hatten mich ordentlich Mühe und Zeit gekoſtet; aber jetzt wußte ich doch, welche Künſte der Kuckuck aufbietet, um ſeine Nachkommenſchaft zu ſichern. Zirka ſechs Jahre waren verfloſſen. Da führte mich der Zufall wieder zu einem ähnlichen Vorgang. Zwiſchen Tſchugg und Gampelen im Seeland führte die Straße durch einen Wald. Ungefähr in der Mitte war eine Waldlichtung, in welcher ſich noch einige Stockklafter befanden. In einem dieſer Klafter niſteten Bachſtelzen; ſie mußten aber auf der Neſtſeite ſtets durch eine ganz enge Wurzelöffnung ſchlüpfen, bevor ſie das Neſt erreichten. Da ich alle Wochen dreimal dieſen Weg paſſierte, weil ich in Gampelen Muſikſtunden erteilte, hatte ich in derſelben Waldlichtung noch einige andere Vogelneſtchen bemerkt. Da befand ſich das kunſtvolle Neſt des Zaunkönigs, das ſchwach befeſtigte Neſtchen der . ſchwarzköpfigen Grasmücke, an der Wurzel eines Stockes das des Rothkehlchens und auch im dichteſten Gebüſche das der Singdroſſel. Als ich eines Abends zirka um 4½% Uhr dieſe Stelle paſſierte, hörte ich auf einmal wieder den Kuckuck und das leiſe Kü, kü, kü. Schnell verſteckte ich mich unter einem Eichenaſt in der Nähe des Holzklafters. Vergeſſen war die Muſikſtunde. Zuerſt ſchien es, als wollten ſich die Kuckucke entfernen, und ich ſchälte mich ſchon aus dem Verſtecke, als auf einmal der Kuckucksruf ganz nahe ertönte. Das gab Leben in den Winkel! Alle die Vögel, die ein Neſtchen be— ſaßen, ſtürzten ſich empört auf den Eindringling. Dieſer flog wieder herausfordernd kreuz und quer über die Lichtung, ge— folgt von den geängſtigten Vögelchen, die auch hie und da zu ihrem Neſtchen zurückkehrten. Noch hatte ich das Kuckuck— weibchen nur gehört, geſehen nicht. Da auf einmal ſah ich es beim Neſte des Rotkehlchens; hierauf wurde ein Neſtchen um das andere abgeſucht, ohne ſich jedoch dabei lange zu ver— weilen; keines mußte ihm gefallen haben. Zuletzt ſuchte es noch dem Bachſtelzenneſte beizukommen, als es deſſen Neſt bemerkt hatte. Es flog von allen Seiten um das Klafter, um einen günſtigen Zugang zu erſpähen. Hier kehrte es mir einmal die Seite zu, und da ſah ich wieder deutlich den ge— öffneten Schnabel, in dem das Weibchen wahrſcheinlich ſein Ei trug. Als es keinen beſſern Zugang fand, ſtreckte es ſeinen Hals langſam durch die Offnung, zog ihn zurück, rief leiſe ſein Kukuku und flog zum Männchen, worauf beide raſch ver- ſchwanden. Es war mittlerweile wieder dunkel geworden. Rotkehlchen war nur eines zurückgekehrt. Ein raſcher Beſuch des Neſtchens überzeugte mich, daß das Weibchen brütete und an der Verfolgung nicht teilgenommen hatte. Im Sing- droſſelneſt lagen drei Eier, im Neſt des Schwarzköpfchens vier, auch im Neſte der Bachſtelze lagen vier. Hätte ich nicht — 53 geſehen, wie der Kuckuck ſein Ei hineinlegte, ich würde es ſchwerlich gefunden haben; denn es ſah auch dieſen Eiern ganz ähnlich; es war recht verſchieden vom erſten, das ich ſah. Da es Nacht geworden war, kehrte ich wieder heim, er— freut darüber, daß ich diesmal die weitere Entwicklung leicht kontrollieren konnte, da ich ganz in der Nähe wohnte. Ich teilte den Vorfall dem Herrn H., Pfarrer in G., mit, der gerne die Vögel kennen lernen wollte und mich oft begleitete. Gewöhnlich war er an den betreffenden Tagen ſchon zur Stelle, wenn ich den Wald paſſierte und meldete dann ſchon von weitem den Stand im „Hinterſtübli“, wie er das Bachſtelzenneſt nannte. Ich mußte ihn immer er— mahnen, ſeinen Forſchungseifer zu zügeln. Er beteuerte aber, daß er nicht umſonſt ſeinen Namen führe und ſo leiſe auf— trete wie ein diplomierter Studentenkater. Alle fünf Eier im Bachſtelzenneſte gingen aus. Als wir nach zirka 16 Tagen nachſchauten, waren die Jungen zwei Tage alt. Der Kuckuck ſaß zuvorderſt beim Einſchlüpfloch. Nach wenigen Tagen überflügelte er raſch ſeine Stief— geſchwiſter; eines um das andere ſerbelte dahin und wurde wahrſcheinlich von den alten Bachſtelzen fortgeſchafft. Dieſe ſelbſt mußten alle Kräfte aufbieten, um den hungrigen Find— ling zu befriedigen. Nach 14 Tagen war der Kerl ſchon ſo groß, daß er unmöglich durch das Eingangsloch ausſchlüpfen konnte; er mußte ſich zum Ausfluge ein Hintertürchen ſuchen. Da ich Familienverhältniſſe wegen die Stunden ein paar Tage ausſetzte, konnte ich den Ausflug nicht beobachten, dafür war aber mein Adjudant, wie er ſich nannte, auf der Wacht. Eines Tages kam er in die Schule und rief ſchon unter der Stubentüre: Ausgeflogen, ausgeflogen! Die Schüler faßten dies als Schulſchluß auf und wollten auch ausfliegen. In der erſten Schulpauſe berichtete mir Herr Pfarrer H., er habe heute morgen das Hinterſtübli beſucht und geſehen, daß der e Kuckuck ſich zum Löchlein hinauszwängen wollte. Um Mittag habe er nochmals nachgeſehen. Aber der Vogel ſei fort ge— weſen. Er habe jeden Winkel im Walde erleſen, aber keine Spur mehr gefunden; er ſei ganz kaput. Nach der Schule gingen wir zuſammen dem Walde zu. Schon 50 m vor dem Waldſaume hörte ich den jungen Kuckuck kreiſchen. Als ich meinen Begleiter auf dieſe Tone aufmerkſam machte, meinte er, ich könne ihm doch kein X für ein U vormachen; er kenne die Herrenvögel (Nußhäher) ſchon und habe ſie ſchon krächzen gehört, als er zu mir gekommen ſei. Als ich aber ſtill und geduckt durch das Gebüſch dem Gekreiſche zuſchlich, kam er brummend nach. Ungefähr 5 m hoch ſaß nun da der junge Kuckuck auf einem Eichenaſte in einem Schwarm von kleinen Vögeln, die ihn mit Futter ganz beſtürmten. Die Pflegeeltern waren auch dabei und ließen ſich die Mithilfe ihrer Nachbarn gerne gefallen. „Welch wunderbare Ordnung“, rief mein Begleiter ganz entzückt; „wie iſt doch für alle Geſchöpfe ſo väterlich geſorgt!“ Ich machte ihn auch aufmerkſam, daß dieſe Hilfspfleger alle ſelber Familien hätten, und dieſe jetzt während der Gaſt— reiſe des hohen Herrn warten müſſen; er ſei glücklicherweiſe ein ſo unruhiger Vogel, daß er die Gaſtfreundſchaft ſeines Aufenhaltsortes nie lange in Anſpruch nehme. So flog der Kuckuck auch hier bald eine ziemliche Strecke weiter, von den Pflegeltern begleitet, während die andern eiligſt zu ihren Lieben zurückkehrten. „Das werde ich mir noch öfter anſehen“, meinte mein Begleiter. Ein Unfall hinderte ihn aber daran, und ich ſelbſt fand erſt nach 14 Tagen Zeit, meinen Kuckuck aufzuſuchen. Er war jetzt ein fluggewandter Burſche ge— worden. Wenn er zu kreiſchen anfing, war er wieder raſch von allerlei niedlichen Samaritern umgeben und bedient. Das Männchen der Bachſtelze kam auch hie und da auf 5 Beſuch, aber nicht lange. Wie ich ſpäter merkte, errichteten ſie wieder ein neues „Hinterſtübli“; aber diesmal ſo tief in einem Buchenholzklafter, daß auch der langhalſigſte Kuckuck kein Ei einzuſchmuggeln vermochte. Durch Schaden wurden auch ſie klüger. Viele Jahre flogen wieder ohne Bereicherung dieſer Bei— ſpiele dahin, obſchon ich alle Jahre Jagd zu weitern Er— fahrungen machte. Schließlich war mir wieder der Zu— fall hold. Es war Ende Mai. Ich wollte von einer Steigerung heim und wurde auf dem Heimwege von einem Gewitterregen überraſcht. Nicht weit von der Straße befand ſich eine Hof— ſtatt mit einem großen Apfelbaum, um den ſich einige wenige kleinere Bäumchen gruppierten. Der Apfelbaum wurde auch mein Schirmherr vor dem allzu reichlich fließenden Naß. Von da aus gewahrte ich ein Wieſenſchmätzerpaar oder auch Braunkehlchen genannt, das im hohen Graſe (Wieſen— kerbel) wahrſcheinlich ſein Neſt hatte, und wegen des Regen— guſſes beſorgt, flog das Männchen öfter zu und ab. Das Weibchen ſaß nach meiner Vermutung auf den Eiern. Der Regen hatte endlich nachgelaſſen, und ich wollte meinen Gaſt— ort verlaſſen; denn von M.-Buchſee hörte ich ſchon 6 Uhr ſchlagen. Da ertönte ob mir plötzlich der Kuckucksruf, und von einem nahen Bäumchen aus antwortete wieder das be— kannte „Kü kü kü“. Wann waren die beiden eingetroffen? Ich hatte ſie vorher nicht bemerkt. Galt ihr Beſuch dem Wieſenſchmätzerneſtchen? oder ſuchten ſie ein zärtliches Stünd— chen? Schon nach dem erſten Rufe wurde Braunkehlchen unruhig; ängſtlich umflatterte es den Kuckuck, der es zu fürchten ſchien und floh. Einigemale beſuchte es zwiſchen dem Geplänkel ſchnell ſein Neſtchen. Das hatte wieder zur Folge, daß raſch, faſt geiſterhaft das Kuckucksweibchen ganz niedrig über das Gras ſchwebte und, die Neſtſtelle um— BR kreiſend, ebenſo raſch ſich wieder entfernte. Mehreremale hatte ſich dieſes Manöver wiederholt; dann flogen die beiden in großen Kreiſen ganz nahe, über dem Graſe ſchwebend, weiter, das Männchen laut und fleißig rufend. Es war mittlerweile ziemlich dunkel geworden; ſchwarze, gewitterdrohende Wolken bedeckten den Himmel. Nach einer Weile näherten ſich die beiden Vögel wieder Braunkehlchens Neſtchen. Als der Kuckuck ganz hart über dem Neſte ſein Kuckuck rief, erhob ſich auch das Braunkehlchenweibchen und balgte ſich mit dem Kuckucksmännchen herum. Kaum war das Neſt leer, machte ſich das Kuckucksweibchen an demſelben zu ſchaffen, wurde aber von beiden Vögelchen überraſcht und in die Flucht gejagt. Wie ich mich überzeugte, war es doch dem Kuckuck gelungen, ſein Ei in das Neſtchen zu ſchieben. Trotz der Dunkelheit unterſchied es ſich aber deutlich von den andern Eierchen. Die Vögelchen umkreiſten das Neſtchen noch einige Zeit mit zornigem Gezwitſcher. Das Gewitter drohte wieder auszubrechen, und ich mußte weg, wenn ich keine zweite Douche wollte. Nach zirka acht bis zehn Tagen paſſierte ich die Stelle noch— mals. Die Vöglein hatten ihr Neſtchen verlaſſen und weiter davon ein anderes gebaut. Weshalb? Mit dieſen drei Beob— achtungen glaube ich nun, folgende Schlüſſe ziehen zu dürfen: 1. Mit ſeinem Kuckuck Rufen hilft das Männchen dem Weibchen die Neſtchen auffinden, indem die ängſtlichen Vögel— chen ſich verraten. 2. Das Weibchen trägt ſein Ei im Schnabel und ſucht es in ſolche Neſtchen zu plazieren, deren Eier in Farbe und Form dem ſeinen ähnlich ſind. 3. Die Eier weichen in Form und Färbung ſtark von— einander ab; ſo tragen dann verſchiedene Vogelarten die Kuckucksplage. 3 4. Er legt ſeine Eier nur im Notfall in Neſter, die ſchon angebrütet ſind, damit ſie mit den andern ausgehen. 5. Um die Vögel zu täuſchen, wählten ſie alle dreimal die Dunkelheit; im letzten Falle verließen die Vögelchen das Neſt, weil ſie den Vogel überraſchten und den Betrug merkten. 6. Der junge Kuckuck nimmt den Stiefgeſchwiſtern das Futter vorweg, ſodaß dieſe ſchon frühe abſterben. 7. Alle Kleinvögel bringen dem hungernden Kuckuck Futter, wenn ſie ihn hören; da der Kuckuck raſch Ort wechſelt, werden ſie ihn bald wieder los. 8. Die Pflegeeltern führen oder begleiten ihn ſolange, bis er ſelbſt und durch andere Vögel ſeinen Unterhalt findet. Die Fortpflanzung des Kuckucks iſt aber für die Klein— vögel, die das Brütegeſchäft übernehmen müſſen, eine große Plage. Am allerwenigſten könnte aber der Kuckuck die Eier ſelbſt ausbrüten. Das Eierlegen muß bei ihm in großen Zwiſchenräumen vorkommen, daß man ſo ſelten etwas davon merkt. So wäre vielleicht das erſte Ei ſchon bald aus— gebrütet, wenn ſein zweites folgte und ſobald Junge im Neſte ſind, hört das Brüten auf. Mehr als ein Ei würde ſchwerlich ausgebrütet. Würde er aber, wie andere Großvögel, die Eier innert einer Woche legen und ausbrüten, ſo müßten die Jungen wohl infolge der ſpärlich vorhandenen Futtervorräte zu Grunde gehen. Wunderbar iſt aber dabei, daß die Kleinvögel nur dem jungen Kuckuck Futter bringen, wenn er hungrig nach Futter ruft. Läßt ſich aber eine junge, hungrige Krähe oder ſonſt ein junger Vogel hören, ſo findet er bei dieſen gefiederten Samaritern nicht die geringſte Beachtung. Ebenſo wunderbar iſt, daß der große Kuckuck ſeine Eier nicht in die Neſter der Großvögel legt, ſondern ſo weit hinab ſteigt, daß das Neſtchen den Inhalt kaum zu tragen vermag. Be ren Die Großvögel ließen ſich nicht vom Kuckuck vom Neſte weg— locken; er müßte ſich ſtets im Kampfe mit ihnen meſſen, was er abſolut zu vermeiden ſucht. Die Neſter der Grasmücken ſcheinen ihm aber doch zu locker gebaut, um mit ihnen einen Verſuch zu wagen; das ſah ich auch im Gampelenwalde. Mit leichter Mühe hätte er dort ſein Ei dem Schwarzköpfchen beſcheren können. Er hat oft gewiß ſeine liebe Not, bis er das richtige Neſtchen findet. Das beben berwitweter Vögel. Bei den vielen Gefahren, denen die Vögel auch während dem Brütegeſchäft ausgeſetzt find, können natürlich auch Ver— witwungen vorkommen; leider ſind die Fälle häufiger, als man glaubt. Die brütenden Weibchen werden die Beute von Katzen, Wieſeln, Mardern, Füchſen und Eichhörnchen oder von Krähen, Elſtern, Nußhähern, Würgern, Amſeln und auch Staren. Viele Männchen unterliegen im Kampfe um ihre Ehegenoſſin, oder um das Neſtrevier oder mit brutbedrohenden Vögeln. Ein Vogelpaar iſt gegenſeitig immer hörbar oder ſichtbar in Fühlung; iſt dies eine Viertelſtunde lang nicht mehr der Fall, dann ſuchen ſie ſich mit ängſtlichem Rufen. Findet das eine das andere nicht wieder, ſo iſt das Verhalten des verwitweten Vogels je nach Umſtänden verſchieden. Geht während dem Neſtbau, alſo in den Flitterwochen, das Männchen verloren, ſo ruft das Weibchen eine Stunde mit recht klagender Stimme das Männchen herbei; kommt das Männchen nach zwei Stunden nicht, ſo wird der Klagruf nach und nach fröhlicher und geht allmälig in einen zärtlichen Werberuf über, den die freien Männchen gar ſchnell verſtehen und ſich alle Mühe geben, einander bei der untröſtlichen Witwe zuvorzukommen. 8 Das angefangene Neſt wird gewöhnlich nicht weiter aus— gebaut, ſondern zu Ehren des neuen Männchens wird neu angefangen. Verliert das Weibchen ihren Gemahl während der Brütezeit, ſo hört es nach vergeblichem Suchen und Rufen gewöhnlich auch mit Brüten auf, klagt, freit und baut mit dem neuen Gemahl ein anderes Neſt. Das frühere Neſt mit den ſchon angebrüteten Eiern wird verlaſſen. Einem brütenden Ammerweibchen wurde einſt von der Katze das Männchen gefangen. Ich hörte das Hilferufen und jagte es der Katze ab. Es war nur leicht an einem Flügel verwundet; ich nahm das Vögelchen und wuſch ihm die Wunde aus, pflegte es zwei Tage, bis es wieder ordentlich fliegen konnte. Nun entließ ich den Patienten mit der Hoff- nung eines freudigen Wiederſehens. Mit dem Opernglaſe wollte ich den Empfang mit anſehen. Mit den zärtlichſten Koſelauten flog es direkt dem Neſtchen zu, wo es ſein Weibchen zu finden glaubte. Das Neſtchen war aber leer, und ſein Weibchen hielt gerade mit einem neuen Männchen Rat, wohin ſie das Neſt bauen wollten. Wütend packten ſich die beiden Männchen und balgten ſich auf dem Boden herum. Keiner ſiegte, keiner wich. Das Weibchen erkannte ſcheints beide Männchen als ſeine Ehemänner an. Beide Männchen halfen ein neues Neſt bauen. So viel ich aber ſah, vereitelte das eine Männchen dem andern jede Zärtlichkeit; es kam zu keinem Eierlegen. Nach zirka 14 Tagen hörte ich beide Männchen um das verlorne Weibchen trauern. Ob es ihnen wegen unerfüllter Gattenpflichten durchgebrannt war, oder ob es verunglückte, ich weiß es nicht. Es tut eben auch bei den Singvögeln nicht gut, wenn ein Weibchen zweien Herren dienen will. In der Hofſtatt hatte mir ein freches Spatzenpaar aus einem Niſtkaſten ein Baumrotſchwänzchenpaar vertrieben. „ Da mir das ewige „Getſchirge“ der Spatzen unerträglich iſt und weil ſie andern Vögeln in der Umgebung die Neſter plündern, ſo dulde ich gar keine Spatzen; dafür niſten ſtets eine große Zahl anderer Vögel hier, die bei Spatzennachbar— ſchaft nicht kommen. Am andern Morgen ſchoß ich den un ermüdlichen „Tſchirger“ herunter; um Mittag war aber ſchon ein anderes Männchen gefunden, das am Morgen auch ſeinen unendlichen Bräutigamsgeſang anſtimmen wollte; auch er fiel. So ging das vier Tage; alle herabgeſchoſſenen Männchen wurden in kürzeſter Zeit durch neue erſetzt. Sobald das Weibchen merkte, daß ſie Witwe war, ſetzte ſie ſich auf die Dachkändel und ſtimmte ein gar klägliches Witwenlied an, das aber ſchon nach zwei Stunden ein ſchnelleres Tempo annahm und wenig Molldiſſonanzen aufwies, dafür wurden die Locktöne dominierend. Man hätte ihrem Werbegetſchirg gut die Worte unterlegen können: „Eine noch gut erhaltene Witwe, die über einen dito Niſtkaſten als Eigentum verfügt, wünſcht ſo bald möglich ſich wieder zu verehelichen. Nur per— ſönliche, möglichſt kurze Heiratsanträge werden berückſichtigt!“ Bald kam wirklich ein heiratsluſtiger Spatz auf das andere Ende des Dachkendels geflogen, hörte ſcharf, ob kein Mißverſtändnis obwalte, und als er ſeiner Sache ſicher war, hüpfte er ſeitwärts in ſieben langen Sprüngen zu der ſchmach— tenden Witwe und „kam, ſah und ſiegte“ oder berndeutſch: „Da bin ich; wotſch mi? ſä!“ Sie willigte ein; dann ſchienen ſie einander ihre Vorzüge zu rühmen, und zu guter letzt zeigte ſie ihm auch den Niſtkaſten, der ihm vorläufig zu genügen ſchien. Als am fünften Morgen Madame Spatz wieder mit ge— wohnter Nachläßigkeit ihren vom vielen Freien etwas in Un— ordnung geratenen Rock zurecht rupfte und die muſikaliſchen Huldigungen ihres neueſten Gatten entgegennahm, kürzte ein wohlgezielter Schuß ihre faſt chroniſch gewordene „Hochzeit— macherei“ ab. Herr Spatz hörte augenblicklich mit ſeiner Bl Huldigung auf, warf der fallenden Gattin einen kurzen Blick nach und, ohne ſich mit einem Tone zu beklagen, ſchwang er ſich auf und fort. Die Frau war wohl noch keiner Klage wert, da er ſie erſt ſeit einem Tage kannte. Ich konnte nie beobachten, daß freilebende Weibchen, die während dem Brüten. Witwe wurden, das Brutgeſchäft fortſetzten. Könnte man nun verſucht ſein, dem Weibchen als Witwe etwas Leichtſinn vorzuwerfen, ſo iſt dann ſein Verhalten, wenn es als Mutter von Jungen Witwe wird, geradezu rührend und edel. In all den Fällen, wo ich dies in Er— fahrung brachte, ſorgte das Witwenvögelein ſo für ihre Jungen, wie es eine menſchliche Mutter nicht hingebender gemacht hätte. Hier nur ein einziges Beiſpiel. In der Hofſtatt hatte ſich in einem Meiſenniſtkäſtchen ein Kohlmeiſenpaar angeſiedelt. Aus dem Geſang des Kohlmeiſenmännchens merkte ich, daß das Weibchen brütete. Eines Morgens war das Männchen ganz beſonders luſtig, ſteckte den Kopf öfters in das Niſtkäſtchen und flatterte mit den Flügeln freudig erregt. „Sie haben junge Kohlmeiſen“, dachte ich und wirklich, bald darauf flog das Männchen mit einer leeren Eierſchale aus dem Käſtchen; im nächſten Augen— blicke kehrte es förmlich jauchzend zurück, und bald kam es wieder im ſchnellſten Fluge mit einer leeren Schale, nahm aber in ſeiner Freude bei der Hausecke einen zu kleinen Bogen, prallte mit dem Köpfchen an und fiel tot auf die Terraſſe, die Überreſte der Eierſchale noch im Schnäbelchen. Wie mich die Brut dauerte! Es war kaltes Wetter; Regen— und Schneegeſtöber wechſelten ab. Die Kohlmeiſenwitwe konnte die jungen Vöglein nicht gut verlaſſen, ohne daß dieſe von der Kälte ſtark gelitten hätten und doch mußte ſie es tun, wenn ſie ſelbſt nicht verhungern wollte. Ich hörte ſie bald im Käſtchen rufen und klagen; ſie merkte, welches Leid ſie heimgeſucht hatte. Mit paſſender „ Futterreichung half ich ihr über die erſte Not weg; zu meiner großen Freude machte ſie keine Miene, ihre Kindlein zu ver— laſſen. Nach etwa 6 Tagen hörte ich wieder den Bräutigams— geſang eines Kohlmeiſenmännchens. Wirklich, da begleitete ein ſchmuckes Männchen das futterſuchende Weibchen von Aſt zu Aſt, von Baum zu Baum, ihm alle Augenblicke einen Biſſen reichend. „Hat jetzt das Weibchen wohl die Jungen verlaſſen?“ Kaum hatte ich die Frage geſtellt, flog das Weibchen ſchon mit Beute beladen zu den Jungen; das Männchen folgte bis zum Neſtchen, wartete dort mit der Ungeduld eines Liebenden und empfing das Weibchen mit den verlockendſten Bewerbungen, die von dem Weibchen zart, aber kurz erwidert wurden. Ganz deutlich ſah ich die Abſicht des Männchens, das Weibchen ganz für ſich zu gewinnen, aber ebenſo deutlich war der Kampf, den die Mutterliebe des Weibchens mit der Gattenliebe führte. Der Kampf war ein Heldenkampf; denn fortwährend beſtürmte das Männchen das Weibchen mit ſeinen Werbungen; aber ſcheinbar von Tag zu Tag wurde dem Weibchen der Sieg und die Erfüllung der Mutter— pflichten leichter. Das Männchen nahm ſich der Jungen gar nicht an, brachte ihnen nie Futter und ſchlüpfte nie zu ihnen ins Neſt. Indirekt half es ihnen aber doch, da es dem Weibchen ſeine gefundene Beute überreichte. So gingen die Fütterungswochen glücklich vorbei; die Jungen gediehen; es kam zum Ausfluge; aber auch dabei verhielt ſich das Männchen paſſiv. Das Weibchen führte die Jungen noch zwei Tage, ſtatt ſonſt acht. Es erlag nun doch den ſtürmiſchen Werbungen des Männchens, aber die Mutter- liebe regte ſich noch deutlich. Von den Jungen begleitet, half es dem neuen Männchen ein Neſt bauen, zwiſchenhinein unterhielt es ſich zärtlich mit den Jungen und führte ſie, als riefen ihr keine anderen Pflichten. Das Männchen RE re wurde jetzt für feine Liebesungeduld damit beſtraft, daß es den größten Teil des Neſtchens allein bauen mußte. Bis zur Selbſtſtändigkeit blieben die Jungen immer in der Nähe der Mutter. Ihr Stiefvater tat ihnen nichts zu leide, aber auch noch weniger zu ihrer Freude etwas. Solche Mutterliebe beobachtete ich noch öfter bei den Vogelweibchen und dieſe herrliche Eigenſchaft ſöhnte mich mit ihren Schwächen aus. Nicht rühmlichere Wahrnehmungen machte ich bei den verwitweten Vogelmännchen. In einer Hecke hatte ein Dorngrasmückenpaar ſich baulich niedergelaſſen. Da ich alle Tage den Weg paſſierte, ſah ich ohne beſondere Mühe das Fortſchreiten ihres Neſtleins; es war ſo ziemlich bis an die Polſterung fertig. Eines Tages bemerkte ich, daß das Männchen trauernd und zornig einen Buſch umflog; als ich nachſchaute, hing das Weibchen von einem Würger angeſpießt tot an einem Dorn— ſtrauche. Ich ſchoß zwar die mörderiſchen Würger herunter, aber deshalb wurde das Dorngrasmückenweibchen nicht wieder lebendig. | Das Neſt blieb wie es war. Das Männchen verließ aber auch die Hecke nicht, ſondern ſuchte mit ſeinem Geſange eine neue Gefährtin herbeizulocken, nachdem es lange Zeit ge— trauert hatte. Das Glück war dem Witwer hold; eines Tages ſchlüpfte es wieder zu zweien in der Hecke umher. Nicht wenig erſtaunt war ich aber, als das angefangene Neſt fertig gebaut wurde. Ein verwitwetes Vogelmännchen baut nie am Neſt weiter, noch weniger führt es das Brutgeſchäft zu Ende. Ihre Trauer um das verlorne Weibchen dauert oft recht lange, und nicht ſelten gehen ſie dabei zu Grunde; ſie können ſich eben nicht ſo ſchnell mit einer neuen Geſpan tröſten, wie die Weibchen. re Niemals konnte ich bemerken, daß ein verwitwetes Vogel— männchen ſeine Jungen weiter gepflegt hätte. In den meiſten Fällen ging mit dem Weibchen auch das Neſt ſamt Jungen verloren; einen ſo traurigen Verluſt ertragen nicht alle Männchen. So verlor auch einmal ein weißhalſiger Fliegen- fänger (Nr. II 16) über Nacht ſeine Familie. Den ganzen Tag ſang er in einem traurigen Tone ſein Liedchen, ſchlüpfte dann wieder in den Neſtkaſten, wie um ſich zu überzeugen, ob der Verluſt feiner lieben Familie nicht blos ein böfer Traum ſei. Zwei Tage trieb es das Vöglein ſo, dann merkte man es nicht mehr. Als ich im Niſtkaſten nachſchaute, lag es dort tot. Einen ganz ähnlichen Fall beobachtete ich einſt bei einem Buchfinkenmännchen. Ob alſo ein Vogelmännchen bei Abgang des Weibchens die Jungen weiter füttern und pflegen würde, konnte ich in all den vielen Jahren nie bemerken; möglicherweiſe waren die Weibchen tot, ehe ich den Fall wahrnahm und die Jungen aus Mangel an richtiger Pflege geſtorben; zur Ehre aller Männchen will ich aber gerne annehmen, daß ſie den Weib— chen auch in dieſem Falle nicht nachſtehen; es ſoll mich auf— richtig freuen, wenn ſich dieſe gute Annahme beſtätigen ſollte. Nicht ſo ſentimental wie die erwähnten Fälle bei Abgang des Weibchens handelte jeweilen Herr Spatz; er ſcheint auch in dieſer Beziehung ganz dem Pöbel unter den Vögeln anzugehören. 30 Meter vom Schulhaus ſtund inmitten einer Dornhecke ein alter, großer Birnbaum mit unzähligen Aſtlöchern, die alle, ohne Ausnahme von Spatzen beſetzt waren. Ich be— merkte nun öfter, wenn ich beim Hauſe oder beim Brunnen ein Spatzenweibchen wegſchoß, kurze Zeit darauf unter den Spatzen großen Lärm, den ſogenannten Spatzenkrieg. Dieſem mußte ich auf die Spur kommen. Daß es ſich bei ee dieſem Spatzenkriege nicht etwa um ein Stücklein Brot handelte, hatte ich ſchon längſt herausgefunden. Mitten im Spatzenknäuel bemerkt man ſtets ein Weibchen, das ſich an einen Hinterhalt gedrückt, mehr oder weniger gegen einen ſtürmiſchen Liebhaber wehrt, der zugleich mit einem andern Männchen heftig kämpft, während andere neugierige Spatzen recht ſpatzenmäßig den Skandal mit ihrem Geſchrei vergrößern. Unter dem Dache hatte ſich ein Spatzenpaar eingeniſtet. Da ſchoß ich bald darauf beim Hühnerhaus ein Spatzen— weibchen, das ſein Domizil im großen Baume hatte. Als am nächſten Tage das Weibchen vom Dache ſich beim Hühner— futter gütlich tat, kam vom Baume her ein fremdes, wahr— ſcheinlich ein verwitwetes Spatzenmännchen, machte unter allerlei Komplimenten dem Weibchen ſeine Huldigungen, die raſch in arge Zudringlichkeiten übergingen, gegen welche ſich anfangs die keuſche Frau Spatz mit etwas Geſchrei wehrte und als hierauf Herr Spatz mit Gefolge herbeieilte, um den frechen Räuber nach Gebühr zu züchtigen, hätte es dem Ein— dringling ſchlimm ergehen können. Mit wütendem „Getſchirg“ ſtürzte der in der Hausehre beleidigte Spatzengemahl auf den Liebhaber ſeiner „grauern“ Hälfte los, wozu das Gefolge mit Geſchrei tapfer ſekundierte. Das Weibchen wurde all— mälig auch vom Kampfgelüſte ergriffen; aber ihre Hiebe trafen meiſtens falſch, mehr ihren Eheherrn, und als der Zudringling ſich anſcheinend zur Flucht erhob, da — flog, wie drollig,, auch unſere Dame mit. Umſonſt wurden die Flüchtigen vom Ehegemahl ſamt Gefolge verfolgt. — Das Weibchen kehrte nicht wieder, ſondern erfreute den Räuber vom Baume mit ihrem Liebreize. Unſer verlaſſene Spatz ſtudierte ſcheinbar mit ohnmächtigem Grimme einen Tag ſeiner Ungetreuen nach; dann erhob er ſich mit einigen miß— mutigen „Tſchirgen“, flog zum Nachbarhaus und nach kurzem Spatzengezetter kam er, — von einem neuen Weibchen be— 5 N gleitet, zurück. Wahrſcheinlich ahmten einſt die Sabiner ihren Frauenraubzug den Spatzen nach. Zur Ehre aller Spatzenweibchen ſei jedoch erwähnt, daß ſolche Entführungs— künſte bei einer Spatzenmutter mit Neſtjungen wirkungslos abprallen und ſie die mütterliche Würde nicht ſo ganz ver— geſſen und entbehren. Wie ſich die Vögel in Gefahr benehmen. Welchen Nachſtellungen die Vögelchen täglich ausgeſetzt ſind, iſt in einigen Zügen angedeutet worden. Sicher wäre eine große Zahl nicht mehr vorhanden, wenn unter den Vögeln nicht gleichſam eine gewiſſe Schutzpolizei beſtünde, mit deren Hülfe ſie den meiſten Nachſtellungen entgehen; auch kennen die Vögel ihre Feinde inſtinktiv beſſer, als wir Menſchen die unſrigen. Da behauptet z. B. ein Abſtinent, der Durſt ſei der größte Feind, während ein anderer an ihm Freude hat. Da ſich die Vögelchen meiſtens vor überlegenen Feinden zu wehren haben, reicht ihre Kraft zur Verteidigung nicht aus; ſie ergreifen deshalb allgemein die Flucht. Um aber dem Feind rechtzeitig zu entgehen, iſt eine wahre Signalwache vorhanden, die, ſobald ſie einen Feind entdeckt, ihr Warnſignal hören läßt, und alle Vögel, die dieſen Feind zu fürchten haben, nicht nur die Klaſſe, zu denen der Warner gehört, ergreifen eilig die Flucht oder ſchützen ſich auf die zweckmäßigſte Weiſe; auch nicht verwandte Arten verſtehen ſolche Warnſignale und befolgen ſie. Die Warnſignale ſind aber ſowohl nach der Art der Warner, wie nach der Gefährlichkeit des Feindes verſchieden. Durch einige Beobachtungen kommt man nicht unſchwer dazu, dieſe internationale Hilfsſprache zu verſtehen. RS Ich will das bisher Geſagte an einigen Beiſpielen ver: deutlichen. Ein rotköpfiger Würger ſaß zu OB auf einem Baum⸗ gipfel; nicht weit davon weideten Tauben auf einem Felde. Da hörte man mit gedämpfter Stimme den Würger ſein „Weg, weg, weg“ rufen. Wie der Blitz erhoben ſich die Tauben und flüchteten ſo ſchnell als ſie ihre Flügel trugen, in ihr Haus; ſie kannten die untrügliche Warnſtimme ihres Freundes und ſäumten nicht, dieſelbe raſch zu befolgen. Der Würger bezweckte keineswegs die Rettung der Tauben; ſein Signal galt den Kleinvögeln ſeiner Umgebung, die er vor den Krallen ſeiner Vettern ſchützen wollte, um ihre Jungen oder auch per Gelegenheit ein Altes ſelber auf mörderiſche Art Hinzuwürgen. Seine Warnung iſt alſo für die Klein— vögel ein Judasdienſt. Schaut man ſich nach ſeinem „Schäck, ſchäck“-Ruf nach dem Raubvogel um, ſo bemerkt man gewöhnlich ſehr hoch in der Luft einen Habicht als dunkeln Punkt, der ſich zum Stich oder Stoß bereit macht. Das ſcharfe Auge des Würgers hatte ihn trotz der großen Höhe entdeckt; er ſelbſt bringt ſich auch in Sicherheit; denn er hat den Vetter ſo viel zu fürchten, wie andere Vögel. Der Würger iſt aber nicht der einzige Warner, der den Habichten den Raub erſchwert. Dieſe Aufgabe wird auch durch die Schwalben, Bachſtelzen, Stare und Meiſen in uneigennütziger Weiſe beſorgt. Sobald die Schwalben, namentlich die Rauchſchwalben, einen Habicht entdecken, warnen ſie mit anhaltenden lauten „Tſchiri, tſchiri, tſchiri“ und verfolgen ihn furchtlos, ſo weit es ihnen paßt. Der Habicht weiß wohl, daß er dieſen Vögeln | auf keine Weiſe beikommen kann; er macht gar keinen Ver— A ur re ſuch, ſie zu erhaſchen; ſie haben Ha zu Schnelle Flügel. eu: Ein wachſames, gewandtes und tapferes Vögelchen iſt entſchieden die Bachſtelze. Sie nimmt immer das Signal anderer Vögelchen ab und verbreitet es weiter. Ofter aber iſt ſie ſelber Entdeckerin der Gefahr. Furchtlos ſucht ſie den verſteckten Feind auf, verjagt ihn aus dem Verſtecke und ver— folgt ihn mit lebhaftem „tſchiri, tſchiri, tſchäri ja ſä“ bis er verſchwunden iſt. Selten wendet ſich ein Sperber gegen die verfolgende Bachſtelze; es wäre für ihn ein vergebliches Ab⸗ mühen, die fluggewandte, zu raſchen Flugſchwenkungen befähigte Verfolgerin, die ihren langen Schwanz wie ein Luftruder zur Ausführung aller Flugwinkel zu gebrauchen weiß, er= haſchen zu wollen. Ich ging einmal im Oktober neben einer friſch gemähten Wieſe vorbei, auf welcher eine Anzahl weißer Bachſtelzen, wahrſcheinlich ein Elternpaar mit beiden Bruten, ihrem Speiſe⸗ geſchäfte oblagen. Außer ihnen bemerkte ich noch ein paar Spatzen, ſowie ein Goldammerpaar. Plötzlich ſignaliſierte eine Bachſtelze einen nahen Raubvogel. Ich blieb ſofort ſtehen, um den Ausgang dieſes Ueberfalles anzuſehen. Mit dem Signal hatten ſich beide alten Bachſtelzen erhoben und flogen kreiſend und laut Lärm machend dem Räuber entgegen. Die Spatzen ſchnurrten über dem Boden weg ins nahe Gras, wo ſie ſich ſchnell verſteckten; auch die Ammern flogen mit ängſtlichem „tſchirr, tſchirr“ auf das nahe Brachfeld (friſch gepflügter Acker), wo ſie ſpurlos verſchwanden. Nur die jungen Bachſtelzen weideten ruhig weiter und erwiderten in kurzen Tönen das Gezwitſcher ihrer Eltern, das wie ein höh— niſches „Willkomm“ für den pfeilſchnell, 1 m über dem Boden hingleitenden Raubvogel, klang. Das alles ging ſo ſchnell vor ſich, daß ich mit meinen zwei Augen kaum zu folgen vermochte. Der Finkenhabicht ſchoß wie ein Blitz neben den alten, ihn umkreiſenden Bachſtelzen vorbei, direkt auf ein Junges. Wie von einer ſtarken elaſtiſchen Feder aufgeſchnellt, erhob ſich Ir dieſes zirka 5 m hoch ſenkrecht in die Luft. Der Sperber ſchoß vorbei, immer unter Begleitung und Geſchrei der alten Bachſtelzen, erhob ſich auch in weitem Bogen, um durch ge— wohnten Niederſtich das Vöglein zu erfaſſen. Als Schülerin von zwei ſolchen Flugkünſtlern, wie ſeine Eltern ſich jetzt aus— wieſen, entging es geſchickt allen Fangverſuchen des Räubers. Dieſer verſuchte nun ſeine Kunſt beim zweiten und dritten Vöglein, überall ohne Erfolg. Das Warngeſchrei der alten Bachſtelzen hatte unterdeſſen Krähen, ſowie einen endloſen Schwarm Stare herbeigelockt, die mit donnerndem Gebraus und Geſaus den Räuber einkugelten und in die Flucht jagten. Als er aus dem Geſichtskreis verſchwunden war, begaben ſich alle Bachſtelzen wieder an ihre geſtörte Arbeit. Die Alten ſchienen aber mit ihrem Gezwitſcher eine regelrechte Kritik über das Manöver abzuhalten, zu welcher ſich natürlich die Spatzen wohl als Sachverſtändige einfanden; die beiden Ammern kehrten auch wieder mit ein paar Lauten, die wie ein Kompliment klangen, zu den Bachſtelzen zurück. Daß viele ſchwache Kräfte verbunden eine Macht geben, beweiſen auch die Stare. Der Starenfang iſt die Lieblings— räuberei der Habichte. Wegen ihrem ſchwarzen Kleide ſind ſie leicht entdeckbar und werden ſchon aus weiter Ferne be— merkt. Obſchon er ein ſchneller, gewandter Flieger iſt, beſitzt er nicht die Gewandtheit im Ausweichen wie Schwalbe und Bachſtelze; er fliegt faſt immer gerade aus, und ſo wird er immer die Beute der Habichte, wenn ſie ihn ſehen und ver— folgen. Als Knabe hörte ich einmal Stare auf einen Habicht warnen. Hinter ſeinem Hauſe ſtand mein Nachbar, ein guter Schütze, den ich auf den Habicht aufmerkſam machte. Gerade, als er mit ſeinem Gewehr wieder zu mir kam, flog ängſtlich ſchreiend ein Rinderſtar über uns weg, ſchief auf einen friſch gepflügten Acker, wo er ſich hinter einer Knolle verbarg. Kaum war der Star ſcheinbar in Sicherheit, ſchoß auch mit a m eingezogenen Flügeln, einem geſpannten Armbruſtbogen ähnlich, der Habicht über uns her, auf den Rinderſtar los. Mein Nachbar feuerte ihm einen Schuß nach, der ſchön „federte“. Einen Meter vor dem Staren prallte der Habicht tot auf den Boden. Der Star aber ſchien auch leblos. Angſt und Schrecken hatten ihn ſcheinbar gelähmt; er ließ ſich mit dem Fuße ſtoßen; erſt nach einigen Minuten kam er wieder zu ſich, ſchnellte auf und flog wieder zurück, wo er hergekommen war. Seither bemerkte ich öfter, daß der ſonſt ſo kluge und gelehrige Vogel bei plötzlich eintretender Gefahr ſeine Geiſtes— gegenwart zu verlieren ſcheint. Sie müſſen jedenfalls ihre Hilfloſigkeit in der Gefahr kennen; deshalb ſuchen ſie ſich mit der großen Zahl, zu der ſie ſich vereinigen, und mit ihrer Wachſamkeit zu helfen. Ihr Warnruf iſt weithin hörbar; aber auch je nach der Gefahr verſchieden klingend. Für Raubvögel klingt der Warnruf wie „ſpiz, ſpiz“, der mit der Nähe der Gefahr lebhafter wird. Werden fie von Katzen oder andern Raub— tieren bedroht, dann laſſen fie ein ſchnarrendes „Gä gä gä“ hören. So ruft er auch um Hilfe, wenn ſich Menſchen ſeinem Neſte nahen. Viel Intereſſe bieten ihre Flugmanö ver. Ein alter Star bildet den Habicht und ſucht einen Staren von der Schar abzutrennen. Sofort bildet aber die Schar eine Kugel um ihn und brauſt mit ihm auf und ab, links und rechts ſchwenkend davon. Verſucht aber wirklich ein Habicht, ſich aus der Schar einen Staren abzufangen, ſo wird er raſch, wie im Spiel- manöver, eingekugelt, ſo daß er in dem Geſaus und Gebraus alle Mordgedanken vergißt und alle feine Kräfte zum Ent> weichen aufbietet. Ofter verſucht ein hungriger Habicht mehr als einmal, einen Staren abzutrennen. So ſah ich einmal einen vom großen Schwarm verjagten Habicht zurückkehren und zirka ſechs Stare, die ſich ſchon . ſorglos zum Futterſuchen vom großen Haufen abgetrennt hatten, überraſchen. Sie erreichten noch eine Birke, um welche ſich die Schar, dem „ſtechenden“ Vogel ausweichend, immer drehte. Von allen Seiten probierte der Habicht, einen Star abzutrennen. Da aber alle hübſch beieinander blieben und immer die Birke zwiſchen Vogel und ſich brachten, konnte er ſeinen Zweck nicht erreichen. Wie lange der unermüdliche Vogel das mörderiſche Spiel mit den armen Staren fort— geſetzt hätte, war nicht abzuſehen. Da die Stare fortwährend nach Hilfe riefen, wurden ſie von einem Schwarm Staren gehört, welche ohne Säumen den Feind wegbrauſten. Sehr wachſame Warner ſind die Buchfinken. Sobald ein Habicht ſichtbar wird, warnen ſie mit einem hellen, lang— gezogenen „ſii, ſii“. Gut unter Blätterwerk verſteckt, oder im Winter hinter dicken Aſten, laſſen fie dieſen Warnruf fo lange hören, bis der Vogel weg iſt. Während dieſes Warn— rufes iſt unter den Vögeln alles ſtill, bis der Buchfink das Gegenſignal gibt. Wird er ſelbſt vom Habicht verfolgt, ſo verſucht er ſein Heil in dichten Baumkronen, in denen ein Raubvogel nicht leicht einen Finken erwiſcht. Da der Buchfink den lauernden Habicht verrät, hat er mir ſchon manches Hühnchen gerettet; denn ſobald ich dieſen feinen Ruf höre, wird der Habicht mit dem Gewehr auf— geſucht, und wo auf ihn geſchoſſen wird, da kommt er ſobald nicht wieder. Hat der Buchfink aber ein Raubtier entdeckt, einen Fuchs, eine Katze, ein Wieſel, ſo ruft er lebhaft mit ſeinem Namen „Fink, Fink“, welchen Ruf er neben ſeinem „ſii“ auch ver— wendet, wenn ein Habicht einen gefangenen Vogel zerfleiſcht. Ahnliche Mahnrufe haben auch die Kohlmeiſen (auch ſie warnen mit einem langen „ſii“ bei Raubvögeln; für Katzen und bei Neſtraubgefahr rufen ſie dagegen mit lebhaftem, ſchnarrendem „tſchi dä da dä dä“) ſowie die Rotſchwänzchen. . Bewegt man eine kleinere Eiſenzange raſch auf und zu und pfeift dazu „Fink, Fink“, jo iſt der Warnruf der Rot— ſchwänzchen täuſchend nachgebildet. Im Walde hört man oft Töne, als ob man einen Nagel langſam über einen dünngezahnten Hornkamm bewegte. Da, wo man im Sommer dieſe Laute hört, iſt man in der Nähe eines Vogelneſtchens von Rothkehlchen oder Zaunkönigen. So hat jeder Vogel einen Hilferuf, den er in Gefahr hören läßt, gewöhnlich um andere davor zu warnen. So gut wie ihre Feinde, ſo lernen ſie auch ſchnell ihre Freunde kennen und werden zutraulich, fliehen und warnen nicht; im Gegenteil, hat man einem Vögelchen ein paarmal aus der Not geholfen, ſo ruft es nachher immer um Hilfe, wenn es in Gefahr gerät. Es kommt ſogar vor, daß ſie ſolche Freunde in den Zimmern aufſuchen und um ihre Hilfe anrufen. Einem Hausrotſchwänzchen hatte ich öfter auf ſeinen Ruf Folge geleiſtet, wenn die Nachbarkatze, vor der es große Angſt hatte, in die Nähe des Neſtchens kam. Als die Jungen dem Ausfluge nahe waren, ſchlich die Katze öfter her, und jedesmal kamen die Vögelein vor die Fenſter geflogen, bis ſie mich fanden. Flatternd vor dem Fenſter ſchwebend und ſchreiend, flogen ſie nicht eher fort, bis ich aufſtand und die Katze wegpeitſchte. Als ich hart an ihrem Neſte Reben aufband, zeigten die Vöglein nicht die geringſte Unruhe; ſie flogen zum Neſte ein und aus, als wäre ich nicht anweſend; ſie wurden aber ſehr unruhig, als der Nachbar kam. Ein Buchfinkenmännchen rief ſofort um Hilfe, wenn eine Katze, eine Krähe, Würger oder Spatzen ſeinem Neſtchen zu nahe kamen. Das Bürſchchen trieb aber mit der Zeit Mißbrauch mit meiner Hilfe. Wenn ich vor der Tenne, in welcher die Katze ihre Milchſchüſſel hatte, die Hühnchen füt— 5 terte, kam „Manneli“, wie ich den Finken nannte, ſofort her— geflogen und holte ſich ohne Scheu für ſich und ſeine Familie ſeinen Teil. Sah er aber bei einem wiederholten Beſuch des Futtergeſchirrs in der Tenne die Katze, ſo ſuchte er mich auf, um es zu klagen. Die Katze tat ihm nichts; aber auf die Probe ließ er es mit ihr nicht kommen. Stund ich bei der Futterſchüſſel, dann fürchtete er die Katze nicht, und wenn ſie ſchon ganz nahe kam. Als ich einmal von einem Ausgange heimkehrte, hörte ich ſchon von ferne den Buchfinken aufbegehren und um Hilfe rufen. Er mußte mich von weitem erkannt haben; er flog mir entgegen und klagte ſeine Not, kehrte zum Neſtbaum zurück, immer zornig pfeifend. Auf einen Habicht warnte er nicht und eine Katze ſah ich auch nirgends, ſo wenig als etwa eine Krähe. Schon wollte ich, über den Finken ärgerlich, weggehen, als der Fink auf einen großen Würger ſchoß, der auf einem Aſte ſeine Mahlzeit verdaute. Erſt als der Würger auf meinen Schuß fiel, zeigte ſich Manneli wieder fröhlich und ſchmetterte als Dank ſein Liedchen wohl ein halbdutzendmal hintereinander her. Bekanntlich ſuchen die Spatzen die Kohlmeiſen gerne zu vertreiben und ihren Neſtplatz einzunehmen. Auf den Hilferuf der Meiſen jagten wir jeweilen die Störefriede weg; ihr Niſtkaſten befand ſich zunächſt der Schulſtube. Sobald nun die Meiſen Spatzen- oder Starenbeſuch hatten, welch letztere gerne die Eier und kleinen Vögelchen nehmen, kamen die Meiſen jeweilen zum offenen Fenſter und riefen um Hilfe, die ihnen prompt gewährt wurde. Einmal ging ich im kalten Winter durch einen Wald. Da hörte ich meinen Namen rufen. Als ich umſchaute, kam ein Holzarbeiter, in der einen Hand ein Stück Brot, in der andern eine Wurſt haltend, auf mich zu und fragte, ob ich N nicht mit ihm kommen wolle auf den Holzplatz; es ſeien da jo merkwürdige Vögelchen zu ſehen. Meine Liebhaberei für Singvögel mußte dem Manne bekannt fein. Wir waren noch nicht auf dem Holzplatz, da hörte ich die Haubenmeiſe und den Zaunkönig. Nun beſchrieb ich dem Manne die Bögel- chen, die er meinte. Etwas erſtaunt, wie ich ihm Vögel be— ſchreiben konnte, die ich noch nicht geſehen, erzählte er mir, er habe die Holzwürmer, die ſie beim Holzen öfter finden, auf einen Stock gelegt. Da ſeien vier Vögelchen gekommen. und haben dieſe Würmer aufgepickt; zwei Vögelchen haben das Schwänzchen auf dem Kopfe (Haubenmeiſe, I 22) und die andern auf dem Rücken (Zaunkönig). Sie ſeien jetzt gar nicht mehr ſcheu und wenn er pfeifle, ſeien ſie da und freſſen auch Broſamen, Wurſt und Speck. Jetzt ſeien noch zwei andere gekommen mit langen, langen Schwänzchen (Schwanz— meiſe (I 23). Das Experiment begann, aber es gelang nur halb; die Vögelchen kannten mich nicht und kamen nicht nahe. Da begab ich mich in die „Krieshütte“ (eine Hütte von Tann— äſten und trockenem Moos, dienend als Eß⸗, Schlaf- und Proviantzimmer) und verſteckte mich hinter Tannäſten. Als der Arbeiter wieder pfiff und auf einen Stock neben der Hütte Brot, Wurſt und Speck aufſtreute, kamen wirklich eine Schar Waldvögelchen, wie ich ſie auf Seite 9 angeführt habe (zwei Haubenmeiſen mit dem poſſierlichen Türmchen auf dem Kopfe, Männchen und Weibchen, zwei Zaunkönige, ebenfalls ein Pär— chen, das Männchen das Schwänzchen gar ſelbſtbewußt über den Rücken gelegt, vier Schwanzmeiſen nebſt zwei Goldhähn— chen) und fraßen gierig das geſpendete Futter. Die Vöglein blieben beſtändig in der nächſten Nähe der Arbeiter und ſcheuten ſich gar nicht vor ihrem Lärm mit Axt und Säge. Zum Zeitvertreib ſuchten die Holzhauer aus morſchen Stöcken und Baumſtämmen Holzwürmer und fütterten dieſelben den Vögelchen. Die Arbeiter teilten mir auch mit, daß ihre Hütte RE. ee. den Vögelchen als Nachtlager diene, was durch die Kotſpuren derſelben leicht erſichtlich war. Ich freute mich ſehr über das Geſehene und machte den braven Männern für ihre humane Geſinnung mein beſtes Kompliment. Und als ich ihnen auf meine Koſten im nächſten Wirtshauſe einen Liter Wein in Ausſicht ſtellte, den ſie auf das Wohl der kleinen Vögelchen trinken ſollten, verließ ich unter dem fröhlichen Jauchzen der Arbeiter die heimiſche Stätte. Die Fütterung der Vögel im Winter. Ich kann mein Büchlein nicht ſchließen, ohne noch dieſe humane Beſtrebung, die ſich immer mehr Bahn bricht, zu berühren. Wenn ich im Winter durch ein flottes Dorf wandre, das überall Zeichen wohltätiger Beſtrebungen aufweiſt, wie Klei— dung und Speiſung armer Schüler, dann freut es mich doppelt, wenn hie und da auch ein Baum einen ordentlichen Niſtkaſten aufweiſt und auch bei einigen Fenſtern Futter— brettchen für die hungrigen Vögelchen angebracht ſind, auf denen die lieben Tierchen ihren Hunger ſtillen, während hinter den Fenſtern liebliche Kinder ſich ihrer freuen! Wahrlich, das iſt lebendige Religion, ein warmes Herz für die un— verſchuldet Notleidenden; ſie zeugt von Herzensgüte, und dieſe iſt nach meiner Anſicht die beſte Frömmigkeit! Aber auch der Wille, der gute, kann ſchaden und gar manches Vöglein, das man dem Tode entreißen wollte, iſt durch unrichtige Fütterung gerade dem Tode verfallen. Deshalb möchte ich über die Winterfütterung der Vögel einige Anregungen machen. Nicht der erſte beſte Platz iſt immer ein geeigneter Füt— terungsort für die Vögel. Man muß wiſſen, welche Vögel man füttern will; es gibt Vögelchen, die nie auf ein Brett A es fliegen, ſondern ihr Futter auf dem Boden ſuchen; deshalb muß man an dieſe auch denken. Die auf dem Boden befindlichen Futterplätze ſollten Weſt⸗ und Nordwind abgelegen ſein, was durch eine Wand von geſteckten Tannäſten ſchon zu ermöglichen iſt. Überhaupt dürfen Tannäſte oder Tännchen um den Platz nicht fehlen. Damit Katzen und Raubvögel den futterſuchenden Vögel— chen nicht ſchaden können, empfiehlt ſich ein Gehäuſe, wie man es für junge Hühnchen braucht, die vier Wände aus Holzſtäben mit 5— 6 cm Entfernung, oder Wände mit Draht- geflecht mit 5—6 cm Maſchenweite. Das Gehäuſe ſollte ſtets 1 m hoch und mindeſtens auch 1 m? Fläche haben. Daß die Decke nicht fehlen darf, iſt ſelbſtverſtändlich. Dieſes Futtergehäuſe ſollte nie frei und nackt am erſten beſten Platz zu ſtehen kommen, ſondern in windgeſchützter Lage, und zu— dem darf die Einrahmung mit Tannäſten nicht fehlen. Die Vöglein ſchlüpfen gerne durch die Stäbe oder Maſchen des Futtergehäuſes und fühlen ſich ſicher und geborgen darin; denn das Raubgeſindel kann ihnen da nicht ſchaden. Natürlich ſollte wenigſtens alle Morgen früh friſches Futter eingeſtreut werden; denn in den kalten Winternächten werden die Vögelchen hungrig. Zu dieſen Futtergehäuſen würden ſich, inſofern das Ge— ſträuch nicht allzuſpärlich angelegt wurde, Ammern, Rot— kehlchen, verſchiedene Meiſen und Finken einfinden. Es würde jeder Ortſchaft zum Ruhm gereichen, wenn ſie ſolche Futter— plätze aufweiſen könnte. Neben zweckmäßigen Bodenfutterplätzen möchte ich die Streubretter vor den Fenſtern der Wohnzimmer noch ſehr empfehlen. Solche Futterbrettchen ſind nicht nur ein Schmuck für das Haus, ſondern auch ein ſehr ehrendes Zeugnis für den mildtätigen Sinn der Hausbewohner. Und ihr holden Frauen und Töchter, die ihr im Sommer ſo gern euren a idealen Sinn mit prächtigem Blumenflor vor den Fenſtern zeigt, ihr beweiſt euren Sinn für das Schöne und Gute noch in weit höherm Maße, wenn ihr im Winter eure Fenſter oder euer Haus mit Futterbrettchen für die hungrigen Vögel— chen ſchmückt. Wenn ich im Winter ſolche Brettchen ſehe, denke ich immer, die haben ſich das beſte Zeugnis für ihre Herzensgüte ausgeſtellt. Es iſt kaum denkbar, daß es wirk— lich Frauen gibt, die ihren Kindern oder ihrem Manne keine ſolchen Streubrettchen dulden und ihre Herzloſigkeit damit begründen oder beſchönigen, die Brettchen verunſtalten das Haus, oder die Vögel finden Futter genug. Ich kann hier nicht unterlaſſen, mitzuteilen, was mir ein gutbefreundeter Arzt, der eine ſehr glückliche Ehe führte, berichtete. Als ich ſeiner Frau wegen den Futterſtreubrettchen einſt mein Kompliment machte, ſagte ſie mit glücklichem Lächeln auf ihren Mann: „Mit dem Futterbrettchen habe ich mir einſt einen ſehr koſtbaren Vogel gefangen und ſeither ſind mir die Vögelchen erſt recht lieb.“ „Auf die Gefahr hin, daß Du Dich auch in meine Alte verliebſt,“ ſagte mein Freund ſpäter zu mir, „will ich Dir erzählen, wie ich zu meinem Juwel kam.“ Ich kehrte einſt morgens früh im Winter von einem Patienten heim. Frierend und hungrig wählte ich den kürzeſten Weg, der neben einem Gärtchen vorbei führte. Durch die Stauden bemerkte ich ein Mädchen, das mit lieblicher Stimme den Vögeln rief und ihnen Futter hinſtreute. Die Vögel flogen ungeſcheut zu ihr und ließen ſich das Futter trefflich ſchmecken. Obſchon ich Eile hatte, blieb ich doch an die Stauden gedrückt ſtehen und betrachtete das liebliche Bild. Sie ſah mich nicht. Da ſchoß mir der boshafte Gedanke durch den Kopf, das Herz des Mädchens mit einem Schnee— ball der Diagnoſe auf Liebe zu unterwerfen; denn während ae ich ſie beobachtete, hatte ich ſchon die Prognoſe geitellt, daß ſo ein liebetätiges und zartfühlendes Kind eine vorzügliche Ehegenoſſin würde. Wir Arzte,“ meinte der Erzähler, „kommen gar oft frierend, hungrig, naß oder müde nach Hauſe, und ſo eine Vogelſamariterin weiß dann auch prompt ein ange— nehmes Heilmittel. Ich warf den Schneeball zum Futter— platz der Vögel, die natürlich erſchreckt aufflogen. Etwas unwillig blitzte mich das Mädchen an. Raſch entſchloſſen trat ich zu ihr in das Heiligtum, trotz des Proteſtrufens der Vögel und entſchuldigte mich über die Störung; nicht ihre Penſionäre hätte ich treffen wollen; der Schneeball ſei ihr zugedacht geweſen. So ein Schneeball morgens früh auf das Herz gelegt, ſei ein gar vortreffliches antiſeptiſches Schutz— oder auch Heilmittel gegen die Verwundungen durch Amors Pfeile. Da ſie nichts ſagte als: „Auf ſolche Medizin ver— zichte ſie“, ſtellte ich mich auch als einen hungrigen, frierenden Finken vor, der ihr ſehr willig und dankbar zum Futter— brettchen folgen würde. Lachend erwiderte ſie, ich gleiche zwar mehr einem Raubvogel als einem unſchuldigen Finken, aber ich ſei gleichwohl freundlich zu einem Frühſtück einge— laden; ihre Mutter und ſie werden dann mithalten, es habe wahrſcheinlich den Milchmann eingeſchneit gehabt und ſo haben ſie bis jetzt auf die Milch warten müſſen. Noch nie hatte mir ein Frühſtück ſo herrlich gemundet wie dieſes; alles, was meine Papagena tat und ſprach, fachte meine Zuneigung zu heller Flamme an; bald hätte ich meine Sprechſtunde vergeſſen. Daß ich mich gerne morgen nach den geſtörten Vögelein erkundigen möchte, gewährten ſie beide mit der zuvorkommenden Einladung, dann auch nach ihrem Befinden ſich bei ihnen zu erkundigen und ſchalkhaft fügte das Mädchen bei, daß vielleicht morgen ein Schneeball nicht mehr über— flüſſig wäre. So ging ich am nächſten Morgen und nachher alle Tage zu ihnen und als die Vöglein Hochzeit feierten, . machten wir mit.“ Es ſei die beſte Prognoſe geweſen, die er je geſtellt habe. Er möge heim kommen, hungrig, durſtig, naß, müde oder frierend, immer werde er auf die freundlichſte, liebevollſte Art empfangen. Wie lieb ihm ſeine Frau ſei, merke er am beſten daran, daß er ſeine Neigung zur Jaß— höcklerei ohne Mühe quittiert habe. Seine Frau mache ihm das Heim ſo traulich, daß er alle bedaure, die ihre gemütlichen Stunden außerhalb ihrer Familie ſuchen müſſen. Er finde auch die beſte Krankenpflege immer da, wo Streubrettchen beim Hauſe angebracht ſeien. Was der Mann mir da ſagte, war eine Beſtätigung deſſen, was ich ſelbſt auch des öftern beobachtet habe. Auch dieſe Futterbrettchen ſollten immer dem Winde ab— gelegen befeſtigt werden; es empfiehlt ſich, je eines auf der Süd⸗ und Oſtſeite des Hauſes anzubringen. Bei Nordwind ſtreut man auf dem ſüdlich gelegenen und bei Weſtwind auf dem öſtlich befindlichen Futterbrettchen das Futter aus. Gute Niſtkaſten und Futterhäuschen liefert jetzt die Taubſtummenanſtalt in Münchenbuchſee. Die gekauften Streubretter entſprechen gewöhnlich dem Zwecke ſchlecht. Billiger und beſſer macht man ſich ſolche ſelber. Man nehme beim Buchbinder ein Stück Karton oder einen großen alten Bücherdeckel oder beim Spengler billiges, vielleicht altes Blech. Jeder Schreiner beſorgt dann billig ein rechteckförmiges Brettchen von 4 dm Länge und 3 dm Breite und zirka 1 cm Dicke. Auf den beiden ſchmälern Seiten nagle man (oder laſſe es auch befeſtigen) eine 3 bis 4 cm hohe Leiſte an. An den beiden längern Seiten des Brettes wird dann je eine Seite des Kartons befeſtigt, der ſomit ein Dach über das Brett bildet. Unter die Biegungs— ſtelle des Kartons befeſtige man ein Stäbchen, das bei den Enden mit einer Schnur verſehen wird, an der man das Futterbrettchen am gewünſchten Orte an eine Schraube oder rn an einen Nagel aufhängt. Wenn der Deckel beidſeitig etwa 5 cm über das Brettchen hinausragt, iſt das nur ein Vor⸗ teil. Die Vögelchen ſind dann vor Wind und Raubvögeln geſchützt und können es immer von zwei Seiten beſuchen. Soll das Futterhäuschen recht dauerhaft werden, ſo gebe man dem Karton einen Olanſtrich, das ihn vor Näſſe ſchützt. Sehr dankbar ſind die Vögel, wenn ſich in der nächſten. Nähe des Brettes ein Gebüſch oder ein Baum befindet, auf dem ſie gerne das erhaſchte Futter verzehren. Gewöhnlich werden in die Futterkäſtchen Broſamen ge= worfen. Einſt klagte mir ein Mädchen, daß ihm alle Meiſen. geſtorben ſeien, die von ſeinen Broſamen gefreſſen haben. Es brachte mir ein Stücklein Brot; dieſes ſchmeckte nach ſaurer Hefe und war, wie man ſagt, hefeſauer. Solches Brot iſt den Vögeln ſchädlich. Ich ſelbſt habe den Vögeln auch öfter Brot gefüttert, ohne eine ſchädliche Wirkung wahr— zunehmen. Da es aber hie und da tötlich wirkt, iſt es beſſer, man laſſe es weg. Ein beliebtes und leicht beſchaffbares Futter find Apfel- kerne. Beim Moſten oder beim Rüſten der Apfel ſucht man ſolche heraus, trocknet ſie und bewahrt ſie an einem trockenen Orte auf. Meiſen und Finken find große Lieb- haber von Obſtkernen. Abfallweizen iſt ein geſuchtes und nahrhaftes Futter für die Dickſchnäbler, Finken und Ammern. Mit Sonnen- blumen- und Hanfſamen erfreut man auch Finken, Meiſen, Ammern, Rotkehlchen. Da dieſer Samen im Handel ziemlich teuer zu ſtehen kommt, pflanzt man dieſelben lieber ſelber. Wer über eine Hofſtatt verfügt und Hühner hat, kann ſich von Sonnenblumen und Hanf eine Fläche Hofſtatt, 2— 3 m” einfriedigen. Dieſe Pflanzen wachſen ſchnell in die Höhe und bilden für Hühner im Innern einen willkommenen Schattenraum. Im Herbſt nimmt man die Stengel mit den Baar reifen Samen, reibt fie aus, trocknet den Samen und bewahrt ihn auf. Ein Leckerbiſſen für viele Vögel ſind Buchnuß- und Baumnußkerne, die man in extra Nuß- oder Kernbeutel aushängt. Speck und Abgangsfleiſch werden von den inſekten— freſſenden Vögelchen ſehr gerne genommen. Katzen, Krähen, Mäuſe uſw. ſollten aber keinen Zutritt dazu haben. Futterbrett und Futtergehäuſe müſſen alle Wochen einmal geſäubert und von leeren Samenhülſen entleert werden. So ein Futterbrettchen oder Futtertiſch iſt immer ein lieblicher Anblick. Wie bei einem Bienenkorbe fliegt das zu und weg; das ſchnäbelt, klopft und ſchmauſt den ganzen Tag. Wird ihnen das Futter nur einen Augenblick ſpäter als ge— wöhnlich gereicht, ſo betteln ſie laut, bis ihnen der Tiſch gedeckt wird. Ruft man ihnen dann zu Tiſch, fliegen die Gäſte von allen Richtungen herbei, einzelne ohne Scheu, andere vorſichtig den Spender umfliegend. Sobald tunlich, laſſe man die Kinder die Fütterung der Vögel beſorgen; es iſt für ſie ein herrliches Bildungsmittel des Gemütes und auch des Ordnungsſinnes. Solche Kinder werden gewiß ſpäter die Vöglein nicht nur als ein Spielzeug betrachten, mit denen ſie auf rohe Weiſe ſpielen können. Gerade für die Wald-, Baum-, Garten- und Feldbeſitzer iſt dies eine reich verzinsliche Wohltat, wenn ſie mit Futter und geeigneten Niſtkaſten recht freigebig ihrer kleinen Freunde gedenken. Welche Maſſe Ungeziefer, die unſere Kulturen bedrohen und verheeren, wird nur in einem Tage von einem einzigen Paar dieſer Vögelchen beſeitigt! Ich fand einmal ein Spalier— bäumchen mit angefreſſenen Blättern; trotzdem ich den Schäd— lingen nachſpürte, fand ich keine. Eine kleine Stunde ſpäter bemerkte ich eine Meiſe, die von unten nach oben das 6 Bäumchen abſuchte und mehrere Male mit Raupen zu; ihrem Neſte flog. Welch ungeheuer große Zahl von ſehr ſchädlichen Inſekten werden von den ſo wenig beachteten Zaunkönigen, Gold— hähnchen, Tannmeiſen und Schwanzmeiſen vertilgt! Unter einem Buſche verſteckt, beobachtete ich einſt, woher die Schwanz— meiſen ſo raſch ihre Beute nahmen. Da ſah ich, wie ſie es verſtund, eine Maſſe kleiner weißgrauer Motten aufzuſcheuchen und dann im Fluge zu erhaſchen. Erſt jetzt entdeckte ich auf der Unterſeite des Buſches, unter dem ich ſaß, eine ganze Zahl längliche, wie winzige Zigarren zuſammengerollte grau— weiße Stäbchen, die raſch wegflogen, wenn man ſie berühren wollte. Dieſe Dinger hatten keineswegs das Ausſehen wie junge Engelchen, ſondern gehörten zu den ſehr gefürchteten Waldteufelchen, Borkenkäfer und Nonne. Als ich ein andermal auf einer großen dichten Rottanne ein Neſt voll junger Goldhähnchen beobachtete, bemerkte ich, wie nahe bei mir das Weibchen an einem Tannzweige emſig pickte und mit etwas Aufgepicktem zu den Jungen ins Neſt flog. Unzählige Male kamen die alten Vögelchen mit allerlei Beute beladen zum Neſte. Beim Verlaſſen des Spähpoſtens brach ich das erwähnte Tannzweiglein ab und ſtudierte es zu Hauſe unter einer ſtark vergrößernden Lupe. Die kleinen, ſchwärzlichen Pünktlein auf dem Zweige ſahen nun unter dem Vergrößerungsglaſe aus wie Schildläuſe. Die kränkelnden Nadeln dieſes Zweiges legten ein beredtes Zeugnis ab von der Schädlichkeit dieſes Inſektes und ebenſo von der Nütz⸗— lichkeit dieſes Vögelchens. Die Tannmeiſe iſt ebenfalls eine eifrige Vertilgerin von Waldſchädlingen, und gerade dieſem Vögelchen fehlt es ſo oft an geeigneter Niſtgelegenheit. Wie dankbar wäre ſie auch, wenn etwa in Mannshöhe bei Ge— büſch Niſtkäſtchen zur Verfügung ſtünden! Br Leider meinen die meisten Aushänger von Niſtkäſten, wenn ſie in eine Hofſtatt einen Niſtkaſten befeſtigen, ſo ſei das genug. Nein, für ſolche Vögelchen ſollten immer für jedes Paar zwei Niſtkäſten bereit ſtehen. Kein Vogelpaar niſtet gerne im gleichen Sommer im gleichen Käſtchen. Die Neſtchen wimmeln förmlich von Flöhen, Läuſen und Milben, unter denen die Vögelchen ſchwer leiden. Deshalb verſäume man es nie, wenigſtens alle zwei Jahre die Käſten gründlich zu reinigen und neu zu befeſtigen. Als ich einſt um Neujahr eine Niſtkaſtenreviſion vornahm, war ich nicht wenig ver— wundert, daß trotz der großen Kälte die Niſtkaſten noch von Flöhen wimmelten. Ein Finger, den ich in ein Neſt hielt, war auf der Stelle mit zahlloſen Blutſaugern bedeckt, welche ungeſäumt mit ihrer Bohrarbeit beginnen wollten. Die große Kälte tat dem Ungeziefer nichts. Welche Qualen muß das einem Vögelchen bereiten von ſo unzähligen Blutſaugern angebohrt zu werden, gegen die es ſich nicht wehren kann! Sobald aus einem Kaſten die Brut ausgeflogen iſt, ſollte man mit Inſektenpulver den Kaſten gründlich beſtäuben. Es wäre ſehr zu begrüßen, wenn Lehranſtalten, die Land— wirtſchafts- und Forſtdirektionen für den Vogeſchutz zu ge— winnen wären, und die humanen Beſtrebungen der Vereine und Privaten mit aufmunternden Unterſtützungen oder Bei— trägen gefördert würden. Allen Menſchen möchte ich mit dieſem Büchlein zurufen: „Füttert im Winter die Vögelchen, gebt ihnen auch gute Niſtkäſten, beſchützt ſie gegen Feinde und Räuber aller Art; ſie ſind ja unſere guten Freunde, die die Natur ſo lieblich beleben“. —+— — 1. che 11 4 in 1 N Das Türke Universalfutter ist das Beste Auf Grund dreissigjähriger Erfahrung zu- . sammengestellt für alle in- und aus- ländischen, Insekten fressenden Vögel. Per Kiste Fr. 1.80, 2.— und 2.40. Lieferant: Osk. Türke, Clarastrasse, Basel, Vogelschutzgeräte genau nach Frhr. v. Berlepsch - Gratis-Prospekte d. Keller-Herensperger, Frauenfeld P. 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