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THE ELMER BELT LIBRARY OF VINCIANA

A gift to the Library of the University of California, Los Angeles, from Elmer Belt, M.D., 1961

THE LIBRARY

OF

THE UNIVERSITY

OF CALIFORNIA

LOS ANGELES

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CHLEDOWSKI / DER HOF VON FERRARA

ISABELLA D'ESTE

BILDNIS VON TIZIAN. WIEN, GALERIE

AUTORISIERTE UBERTRAGUNG VON ROSA SCHAPIRE

FttNFTES BIS SIEBENTES TAUSEND COPYRIGHT 1921 BY GEORG MtTLLER VERLAG A.-G., MCNCHEN

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Library

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INHALTSVERZEICHNIS

I. Land und Leute i

II. Niccolo III 19

III. Lionello 38

IV. Borso 52

V. Ercole 1 70

VI. Matteo Maria Bojardo no

VII. Das junge Ferrara .. .. : 133

VIII. Lucrezia Borgia 158

IX. Ariosto 206

X. Renata di Francia 240

XI. Alfonso II 310

XII. Torquato Tasso 336

XIII. Finis Ferrariae 393

XIV. Hofisches Leben 407

XV. Die Kunst wird weltlich 475

Literaturnachweis 527

Register 535

Verzeichnis der Abbildungen 543

Stammtafel der Este am SchluB

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Dieses Werk wurde im Auftrag des Verlages Georg Miiller in Munchen bei Manicke und Jahn in Rudolstadt im Jahre 1921 gedruckt. Titelrahmen von Eugen Staib. Den Einband besorgte die Buchbinderei Hiibel und Denck in Leipzig nach Entwiirfen von Professor Peter Halm

FRANCESCO COSSA: ALLEGORIE DES HERBSTES BERLIN, KAISER-FRIEDRICH-MUSEUM

ERSTES KAPITEL

LAND UND LEUTE

i

Is bescheidener FluB kommt der Po nach Pavia, aber nachdem er sich dort am Tessin gesattigt, durch die zahlreichen Zufliisse aus Alpen und Apenninen ver- groBert, Adda und Trebbia in der Gegend von Pia- cenza und Cremona verschlungen, wird er zum Herrn der ganzen lombardischen Ebene, er verleiht ihr ein be- sonderes Geprage, gestaltet sie zum ungeheuren Facher, zu einem Stuck fruchtbaren Landes, dem er neueKrafte aus den Bergen zutragt. Mailand, Brescia, Verona, Padua und Venedig auf der einen, Piacenza, Parma, Modena, Bologna und Ravenna auf der anderen Seite sind die Edelsteine, die diesen Facher doppelt einfassen. In der Mitte strahlen noch zwei Brillanten besonderer Art: Mantua und Ferrara. Reist man im Friihling durch diese Ebene, so hat man das eintonige Bild eines fast uberschwemmten Landes. Uberall Wasser; aus den Siimpfen steigen kahle Erlen auf; auf den mit Axt und Schere zurechtgestutzten, zwergartigen Stammen sitzen seltsame Medusenhaupter, dazwischen stehen schlanke, bis auf die Krone beschnittene Pappeln Wandervogeln auf ihrer Reise gen Norden eine beliebte Rast. Vertrocknete Weinranken, die sich traurig an Baumen festgeklammert, oder starrende Stengel von blassem Mais verstarken den Eindruck der Verwahrlosung und Ode an diesen verschlammten Teichen. Aber iippige, gelbe Blumen und lachelnde Pfirsichbaume im Bliitenschmuck verraten, daB das Wasser des gesegneten Po nur voriibergehend die Gegend iiber- schwemmt, daB eine reiche Reis- und Weizenernte bevorsteht,

2 ERSTES KAPITEL

daB uort, wo heute trages Wasser steht, im Herbst ein Quell purpurnen Weines flieBen wird. In der Sonne liegt die Zukunft, im strahlenden Himmel, der der Landschaft einen heiteren, hoffnungs- freudigen Zug gibt, trotz aller Einsamkeit und Verwahrlosung. Schon im nachsten Monat, im Mai, hat die Sonne iiber das Wasser gesiegt; in der Luft feuchte, dufterfiillte Diinste, und das Summen der Insekten klingt wie ein leises Spiel. Die Atmosphare zittert unter den Strahlen eines wechselnden Lichtes, das die feuchte, schwiile Luft durchdringt.

Vielleicht ist die Landschaft im Herbst am schonsten: das Wasser ist in das FluBbett des Po und in die Kanale, die die ganze Ebene durchschneiden, zuriickgetreten; warme, gelbe und blutig- braunliche Farben decken das Gelande, zwischen Himmel und Erde hangt ein ruhiges, rdtliches Licht. Nach der Arbeit ruht die Natur, lebt der Kontemplation. Von Baum zu Baum ranken sich Wein- reben, dazwischen stehen Menschen in bunten Kleidern und weiBen Strohhiiten, und ein melancholischer Esel rupft trockene Krauterr ohne seiner Umgebung zu achten. Hier und da liegen auf den Ackern prachtvolle Melonen von seltsamen Formen, und schon wirft der von vier oder sechs Ochsen gezogene Pflug die zur winter- lichen Aussaat bestimmten fetten, schwarzen Schollen auf. Auf den flachen Dachern der gemauerten, rot oder blau gestrichenen Hauser hangen lange Maiskranze, um in der Sonne zu reifen. Auf den Kanalen gleiten schwere Barken, mit Korben voll Weintrauben be- laden, langsam treiben sie nach dem Po, den Lebensnerv des Landes.

Ackerland ohne Industrie; erst in der Gegend von Bologna, Ravenna und Ferrara, dem Meere nahe, ragen Fabrikschlote.

Anders hat die Po-Ebene im XV. und XVI. Jahrhundert aus- gesehen, sie war dicht bewaldet und reich an Wild. Im Dickicht bargen sich Hirsche, Rehe und Hasen, im Gebusch Rebhuhner und Fasane, Wildschweine verheerten die Gegend, und Fuchs und Bar waren nicht selten. Ein wirklicher Schmuck der Felder waren wilde Pfauen. Benvenuto Cellini erzahlt, daB er im Jahre 1540, krank und angegriffen, iiber Felder in der Nahe der Estensischen Palaste ging. Meilenweit kahle Strecken, dort nisteten wilde Pfauen. Der Kiinstler lud seine Flinte mit Pulver, das nur wenig

LAND UND LEUTE 3

Larm machte, lauerte den jungen Vogeln auf und brachte taglich ein Tier in die Kiiche. Er versichert, daB das Pfauenfleisch ausgezeichnet geschmeckt und ihn von all seinen Schmerzen schnell befreit habe.

Damals, im Beginn des XVI. Jahrhunderts, konnte man Italien noch nicht das Land nennen, wo „im dunkeln Laub die Goldorangen gliihen", denn die siiBe Orange (Citrus aurantium dulcis) wurde erst zu Anfang des XVI. Jahrhunderts aus Spanien nach Italien eingefiihrt. Das Klima der Po-Ebene war ziemlich rauh, haufig fror der FluB im Winter zu, und uber Schneestiirme in den Stadten berichten die Chronisten nicht eben selten.

Es gibt eine Art von Fischadlern mit Raubtieraugen (Aquila heliaca), die ihre Nahrung uber dem Wasser suchen und in alten Baumen nisten. Rittergeschlechter, die diesen Adlern gleichen, hatten sich damals in dem gesegneten Lande angesiedelt und un- geheure Nester gebaut; Schldsser, mit Graben von faulendem Wasser umstanden, wurzelten tief im Boden. Nahrungsmittel gab es im UberfluB, denn damals, als man nur wenig Getreide aus fernen Landern einfiihrte, als Amerika noch nicht Europas Ge- treidemarktwar, war die Po-Ebene Italiens unerschopflicher Speicher, und die kraftige und umsichtige Bevolkerung ein zuverlassiges Arbeitskapital. Ein tiichtiges Volk, dem der geniale Zug nicht fehlte; eine nicht geringe Anzahl bedeutender Manner stammt aus der Po-Ebene. Das Menschenmaterial neigt dort nach Carduccis Wort zum Uberschaumen.

Das groBte Nest der Adlerritter am unteren Po war im XV. und XVI. Jahrhundert Ferrara, an jenem Punkte gelegen, wo der FluB anfangt sich in zahlreiche Arme zu spalten und ein morastiges Delta zu bilden. Die Gonzaga siedelten sich uber dem Minciosee in Mantua an, die kleineren Geschlechter der Pio, Pico, Palla- vicini, Correggio verschanzten sich hinter SchloBmauern in Carpi, Mirandola, Corte Maggiore und Correggio, andere zogen bis auf den Apennin, wie die Bojardo in Scandiano.

Wie iiberall in der Po-Ebene kampften auch in Ferrara lange Zeit die freien Gemeinden mit den ubermiitigen Rittergeschlechtern, bis die Stadte unterlagen. Die Ferraresen, friedfertig wie jede ackerbautreibende Bevolkerung, wenig im Kampfe geiibt, waren

4 ERSTES KAPITEL

nicht schwer zu besiegen. Frdsche wurden sie in Italien genannt, da sie sich zwischen Kanalen und Siimpfen angesiedelt hatten; der dem Ohr gelaufigste Klang war das Quaken der Frdsche, und als besonderer Leckerbissen gait ein Froschragout.

Quanto e felice dun que il ferrarcie

U' canton d' ogn' intorno in mille tempre

Botter rane e ranocchi alle sue spese.

Die Ferraresen pflegten zu antworten, daB nicht allein ihre Frosche gut seien, auch ihr Wein sei beruhmt, und Wurste und Salami schmackhaft. Ubrigens fing man in den Lagunen, in Co- macchio, Aale in groBer Zahl, die mariniert und nach ganz Italien verschickt wurden. Als Eleonora von Aragon zu den Herren von Rimini in freundschaftlichen Beziehungen stand, schickte sie ihnen jahrlich an hundert eingemachte Aale und bekam ausgezeichnete getrocknete Feigen als Gegengabe. Die durch den Aalfang erzielte Einnahme floB wahrscheinlich urspriinglich der Gemeinde zu, spater eigneten die Markgrafen sie sich an; sie war so bedeutend, daB es allgemein hieB, wer nur fur ein Jahr von der Regierung das Recht erlange, diesen begehrten Fisch zu fangen, werde zum reichen Mann. Gegen Ende des XV. Jahrhunderts erzahlte man von einem Bartolommeo di Orlando, der dies Recht fur kurze Zeit gepachtet und 30 000 Dukaten verdient hatte. Im Po wurden auch Store gefangen, und ihr zu Kaviar verarbeiteter Rogen war ein bedeuten- der Handelsartikel. Ferner gehorten die Salzsiedereien zwischen Comacchio und dem Stadtchen Adria zu den Schatzen des Landes. Unter Ercole I. berichtet der venezianische Gesandte seiner Regie- rung, daB der Herzog eine jahrliche Einnahme von 200000 Dukaten aus seinen Salzwerken beziehe. Venedig hatte es noch nicht ver- schmerzt, daB diese Lagunen an Ferrara gefallen waren, da diese Stadt im Salzhandel ein nicht zu unterschatzender Rivale im Orient geworden war. Uberhaupt hat Comacchio, ein heute verfallenes Stadtchen, seine Epoche des Glanzes gehabt und sich in byzan- tinischer Zeit sogar mit Venedig messen konnen. Aus diesen Tagen des Glanzes stammt ein verfallener Dom und ein Campanile, der fast Ruine ist.

LAND UND LEUTE 5

Beides brachte der Po dem Lande: Reichtum und Ungliick. Auf dem Architrav eines der Domportale ist die Inschrift ein- gegraben, gleichsam als Schmerzensschrei der Bevolkerung:

,,Ab aquis multis libera nos Domine"

Vor den groBen Uberschwemmungen schiitze uns, Herr.

Im Ferraresischen wurde Vieh geziichtet, es gab viel Wiesen- land, und Pflanzen zum Farben der Wolle wurden angebaut; wie in den iibrigen Hauptstadten des nordlichen und mittleren Italiens gehorte das Verarbeiten der Wolle ,,1'arte della lana" zu den altesten und den bedeutendsten Gewerbezweigen. Weben war die Haupt- beschaftigung der Frauen, und auch in Ferrara war es der Ruhm der Frau, das Haus zu hiiten und Wolle zu spinnen ,,domum mansit, lanam fecit". Selbst nach England und Holland wurde Tuch ex- portiert, und die Bevolkerung von Ferrara gait seit jeher als gewerbe- treibend und fleiBig: Stecknadeln, Nadeln und Waffen wurden her- gestellt, und im Gerben von Fellen hatte man es zu einer gewissen Beriihmtheit gebracht.

II

Wenn Ferrara amHorizontauftaucht, so sieht manschon aus der Feme ein groBes Gebaude, von vier breit ausladenden Turmen flankiert, das sich iiber der Stadt erhebt und fast die ganze Ebene beherrscht. Es ist das Kastell der Este, drohend und finster, in seiner Bauart verwandt den Schlossern der Visconti und Sforza in Mailand und Pavia, der Burg der Gonzaga in Mantua, aber geschlossen, da nach einem einheitlichen Plan errichtet. Das Gebaude tragt das Geprage der hier herrschenden despotischen Regierung. Das Rathaus in Florenz und Siena oder der Palast der Dogen zu Venedig offenbaren trotz ihrer Strenge die stadtische Republik, die nicht durch eine Mauer-vom Volk geschieden war, das SchloB zu Ferrara, das wie eine befestigte Burg von der Stadt abgegrenzt ist, verkundet schon von weitem die rucksichtslose Herrschaft des Schwertes. Das SchloB ist aus Backsteinen errichtet,

6 ERSTES KAPITEL

da das Land wenig Sandstein hergibt, umgeben von Graben mit griinlich schimmelndem Wasser, das aus dem nahen Po stammt, der die Gegend mit Fieberdiinsten schwangert. Unmittelbar iiber die Oberflache des Wassers sehen winzige vergitterte Gefangnis- fenster aus den Mauern; Schlangen und Ratten waren die alleinigen Gefahrten der hier Eingekerkerten. Hoch iiber diesen Tranen- lochern ragen die schonen breiten Fenster der Fiirstenzimmer, dort wurden Feste und Gastmahler gefeiert und iiber den Kopfen der Gefangenen getanzt.

Zugbriicken fiihrten friiher iiber die Graben, heute verbinden ge- wohnliche Briicken die Stadt mit dem Sitz des Prafekten und den Gerichtsgebauden. Auch die Schutzmauer, die die Graben einfaBt, existierte friiher noch nicht; jetzt sitzen dort friedlich angelnde Ferraresen iiber dem stehenden Wasser. Noch im Jahre 1506 waren diese fehlenden Mauern der AnlaB eines groBen Ungliicks. Im eisernen Kafig hing ein Gefangener an der AuBenmauer des Kastells; als die Signora Turchi Sacrati mit vier Donzellen vorbsifuhr, fesselte dieser seltsame Anblick den Kutscher so sehr, daB er mit Pferd und Wagen in den SchloBgraben hineinfuhr ein Teil der Ge- sellschaft kam dabei urns Leben.

Die Kastellmauern sehen heute weniger finster aus als gegen Ende des XV. Jahrhunderts, als sie nach den Planen eines bekannten Architekten, Bartolino da Novara (1385), errichtet wurden. Die vordringende Renaissance hat ihnen ihre Strenge genommen, zweimal wurden groBere Veranderungen vorgenommen, einmal nach der Feuersbrunst im Jahre 1554, dann nach dem Erdbeben von 1570. Namentlich der letzte Architekt, Alberto Schiatti, hat die alten Formen liebenswiirdiger gestaltet, die Basteien wurden niedriger, und Fenster und Tiiren durch Renaissanceornamente ab- gerundet. Damals verschwanden die prachtvollen Treppenstufen, die ,,cordonata", auf denen die Este zu Pferde bis in den ersten Stock des Schlosses gelangen konnten; selbst in die unterirdischen Gelasse der Gefangenen drang seit 1592 ein Klang der AuBenwelt, da man aus Flandern eine Uhr einfiihrte, die nach nordischer Art jede Stunde mit Glockenmusik verkiindete; sie fand ihren Platz auf dem SchloBturm ,,di Rigobollo". Trotz dieser Anderungen

LAND UND LEUTE 7

verlor das Schlofi nichts von seiner Wucht, es driickt in seltsamer Weise das Wesen der Herzoge aus, denen es diente.

Dem alten SchloB der Este gegeniiber steht der Dom, eines der eigenartigsten Gebaude Italiens. Namentlich die Fassade, an der Jahrhunderte gearbeitet haben, hat etwas so Phantastisches und gleichzeitig so Harmonisches mit ihren leichten lombardischen Galerien, daB die mittelalterliche religiose Strenge angesichts dieser Mauern zu schwinden scheint. Die Priester haben hier mehr von christlicher Liebe und Mildtatigkeit gesprochen, als das Volk mit den Qualen der Holle geschreckt. Kein Maler hatte gewagt, auf diesem roten Marmor den Totentanz darzustellen, hier ware hoch- stens fur eine Verkiindigung Platz gewesen. Heiterkeit spricht aus dieser Fassade, namentlich wenn ihre rotlichen Tone in der Sonne leuchten. Besonders reizvoll ist das Hauptportal. Die Saulen ruhen nach romanischer Art auf zwei sitzenden Riesen, denen als Sockel zwei groBe sanfte Lowen dienen, gleichsam das Symbol des ruhigen, schweigenden und starken Volkes von Ferrara.

Der Dom stammt aus dem Ende des XII. Jahrhunderts und wurde schon 1135 dem heiligen Georg, dem Schutzpatron der Stadt, geweiht. Ein Relief, das ihn im legendarischen Kampf mit dem Drachen darstellt, zeigt, daB wir hier unter dem Zeichen jenes Heiligen stehen, der gewissermaBen mit den Begriffen mittelalter- lichen Rittertums verwachsen ist. II cavalier dei santi, il santo dei cavalieri. tiber dem Portal in streng romanischem Stil er- heben sich drei Arkaden, die schon spateres gotisches Geprage tragen. In der Mittelnische verbirgt sich die Statue einer Ma- donna, tiber den Arkaden ein breiter, skulpierter Fries mit Szenen aus dem Jiingsten Gericht, dariiber ein dreieckiges Tympanon mit dem segnenden Christus. Sehr interessant ist die Wand rechts vom Hauptportal. Aus einem runden Medaillon taucht die groBe Biiste einer schonen, weltlichen Frau auf, und dieses ratselhafte Haupt hat keinen eigentlichen Zusammenhang mit der Heiligkeit der Mauern. Die gedruckten Fiihrer nennen sie die Madonna von Ferrara und halten sie fur die Personi- fikation der Stadt. Dieser Einfall ist jedoch am griinen Tisch

g ERSTES KAPITEL

ersonnen, das Volk kennt die Bezeichnung Madonna von Ferrara nicht, und wen der Kopf darstellt, ist unbekannt.

Der Dom hatte fiinf Portale von symbolischer Bedeutung. Durch das Hauptportal trat Christus ein, urn seine Lammer zu weiden, gemaB den Worten, daB er das Himmelstor fur seine Herde sei. Die kleineren Seitentiiren waren fiir das Volk bestimmt, die eine fur die Manner, die andere fiir die Frauen. Durch die vierte Tur ,,delle guide" kamen die Pilger, die ins Heilige Land oder nach anderen wunderbaren Orten wallfahrten wollten; das letzte Tor, die ,, porta del Giudico", hatte den traurigsten Zweck: die Toten wurden von hier aus auf den Friedhof getragen. Im Innern gleicht das Heiligtum den Kathedralen von Modena und Piacenza. Wie in vielen anderen romanischen Domen beruht das Prinzip des Baues von Ferrara auf dem agyptischen Dreieck; den Hauptarm bildet die untere Breite des Gebaudes, die beiden kleineren Arme ver- einigen sich vor dem Gewolbe des Heiligtums. Die Basis der geo- metrischen Figur verhalt sich zu den zwei auf ihr ruhenden Armen wie 8:5. Der Zweck dieses dreieckigen Verhaltnisses ist unbekannt, vielleicht haben die auf diese Weise auseinandergezogenen Mauern die Kraft des Gebaudes verstarkt, jedenfalls stiitzt es sich auf die architektonische Tradition der Komasken.

Ferrara war eine Palast- und Gartenstadt, das ist noch heute erkenntlich, aber die langen schnurgeraden StraBen machen einen auBerordentlich melancholischen Eindruck, namentlich im neueren Teil, der nach der Regierung Ercoles I. im Ende des XV. Jahr- hunderts angelegt wurde. Zwischen den Pflastersteinen stehen Grashalme; selten huscht eine verlorene menschliche Gestalt iiber die StraBe, oder eine Katze, aufgescheucht durch die Schritte des Fremden, verschwindet hinter dem Pfeiler des nachsten Hauses. In den wenigsten StraBen standen ansehnliche Gebaude. Hinter dem Palast stehen kleine Hauser, dahinter ragt das Gitter des stolzen Parkes mit seinen weitausgreifenden alten Baumkronen, dann kommt wieder ein Palast und wieder elende Mietshauser. Ferrara ist die Stadt stolzer, reicher Geschlechter und einer armen Be- volkerung. In jenen Palasten und Garten spielte sich einst ein buntbewegtes Leben ab, am Abend Musik und Gesang, durch die

SE1TENP0RTAL DES DOMES ZU FERRARA

LAND UND LEUTE 9

langen Strafien drangte sich frohliches Volk; die Este sorgten dafiir, daB auch der gemeine Mann seine Freude habe.

Onde stagione fu di gloria, e corse Con il tuo fiume, o fetontea Ferrara Ampio, seren, perpetuo, sonante 1' italo canto.

(Carducci.)

Weder so groB noch so gewaltig wie in Rom und Florenz sind Ferraras Palaste, aber durch das schimmernde Griin der Garten sind sie jenen iiberlegen. Der vorziiglich erhaltene ,, Palazzo dei Diamanti", in dem die Gemaldegalerie untergebracht ist, gehort zu den allerschonsten. Nach einem seltsamen Einfall Ercoles I. wurde die marmorbekleidete Fassade nach Art geschliffener Diamanten bearbeitet. Zwdlftausendsechshundert Marmorbldcke wurden in diese „Diamant"-Wande eingelassen; dieser Stein war Ercoles Wahrzeichen. Die geschlossene Harmonie dieser stolzen Fassade wurde durch an sich gute, aber einen ganz anderen, leichteren Charakter tragende Eckpilaster zerstort. Dagegen ist der Hof des Palastes von groBem Reiz, beim Anblick der schlanken Saulen, die sich vom frischen Griin abheben, vergiBt man den Widerspruch der Fassade.

Ein gemeinsames kiinstlerisches Geprage eignet alien Palasten in Ferrara: sie sind nicht so hoch aufstrebend wie in Rom, Genua oder Siena und bestehen nur aus einem Parterre und ersten GeschoB; harmonische Verhaltnisse, groBe Fenster, schone, strenge und reiz- volle Hofe bilden ihren Schmuck. In seinen architektonischen Ver- haltnissen steht dem ,, Palazzo dei Diamanti" am nachsten der Palazzo Sacrati Prosperi mit schonen Ornamenten. Das Portal ist von zwei korinthischen Saulen eingefaBt, auf denen ein Balkon ruht. Es ist ein kostbares Werk der Renaissance von wundervoller Har- monie und Freiheit in der Komposition. Ich erinnere mich keines zweiten Tores in Italien, das ein so kostliches Dokument jener Zeit ist. Der Palazzo Roverella, mit Terrakottapilastern und Friesen, ist ein typisches Beispiel fur die Hauser der reichen Geschlechter Ferraras. Der Palazzo Naseli Crispi mit schdnem Hof zeichnet sich gleichfalls durch Harmonie der Verhaltnisse aus; wahrend die

I0 ERSTES KAPITEL

sogenannte ,,Palazzina", ein niedriges Gebaude, das letzte, das die Este in Ferrara errichteten, in trostlos verfallenem Zustand ist. Der Palazzo Bentivoglio dagegen ist schon der Typus des Barock- hauses; aus der Renaissance haben sich zwar die Hauptformen er- halten, aber die schweren, iiberladenen Ornamente der Fassade atmen anderen Geist.

Ill

Die Este waren ein strenges, kriegerisches, begabtes Geschlecht. Manner, die sich im Krieg und Rat bewahrt und Italiens Ruhm gemehrt haben, entstammen diesem Hause.

I capitani e i cavalier robusti

Quindi uscivan che col ferro e col senno

Ricuperar tutti gli onor vetusti

Dell' Arme invite alia sua Italia denno.

(Ariost.)

Ariosts Worte sind nicht iibertrieben. Markante Gestalten sind aus diesem Geschlecht, das Ferrara drei Jahrhunderte beherrscht hat, hervorgegangen, und wenn wir die sieben Fiirsten, in deren Handen die Herrschaft im XV. und XVI. Jahrhundert gelegen hat, an uns vorbeiziehen lassen, es sind in sich geschlossene Charak- tere, Manner aus Stahl und Eisen. Die Este haben ihre ausge- sprochene Eigenart, in der Politik geschickt und verschlagen, im Kriege tapfer und kiihn; die Gabe zu herrschen eignet ihnen trotz ihres unbeugsamen Despotismus in hohem MaBe, sie waren rach- siichtig bis zur Grausamkeit, und ging es um Macht oder um ein Weib, so kannte ihr Zorn keine Grenze. Nach damaliger Auf- fassung religios, alien neuen Stromungen in Kunst und Literatur zugangig, fanatische Verehrer von Musik und Gesang, liebten sie Luxus, glanzende Feste, grandiose Empfange und waren leiden- schaftliche Jager.

Nach den Schmeichlern entstammte das Geschlecht der Este den Helden aus Karls des GroBen Kreis. Im XIV. Jahrhundert

LAND UND LEUTE H

erweiterten ihre Feinde die Uberlieferung dahin, daB ihr Stammvater der Treubriichige aus Roncesvalles, Gano, der Verrater sei, der Judas des Epos; nach dieser Tradition hatten sie urspriinglich im Wappen nicht den Adler, sondern nur einen Falken gefiihrt. Das Geschlecht entstammt dem Stadtchen Este.

Die Markgrafin Mathilde hatte Ferrara der romischen Kurie verschrieben, aber da die Papste ihre unmittelbare Gewalt dort nicht behaupten konnten, muBten sie das Land als Lehen vergeben. Neben den Fiirsten von Savoyen gehorten die Este zu den altesten Geschlechtern im Norden Italiens; ein Zweig der Familie hatte sich in Ferrara niedergelassen, war zu groBer Macht gelangt und hatte dort mit nur geringen Unterbrechungen schon seit dem Beginn des XIII. Jahrhunderts geherrscht. Ihr Hof war seit undenklichen Zeiten von den Sitten und Legenden der westlichen Ritterschaft durchsetzt. Die Este gefielen sich in Turnieren und lebten in fran- zosischen Traditionen. Da die Lombardei Frankreich so nahe liegt und zahlreiche vornehme Geschlechter dort ihren Wohnsitz haben, war franzosischer Sitte und dem Ritterroman seit jeher im Norden eine Statte bereitet. Durch die Po-Ebene zogen die Kreuz- ritter aus dem Westen ins Heilige Land, und ihre Erzahlungen gingen von Mund zu Mund. Zu Beginn der Kreuzziige, als noch heiBes Feuer in der Ritterschaft brannte, bildeten sie ihr Ideal nach den Gestalten aus dem Kreise Karls des GroBen und dem Rolandslied. Ihrer Stimmung entsprachen die heldenhaft-patrio- tischen Kriege und Taten der Gefahrten des groBen Kaisers; aber als das Feuer erlosch und ihre Sitten sanfter wurden, geschah ein gleiches mit ihren Romanen, an Stelle der ehernen Paladine Karls des GroBen traten Tristan und Lancelot, Konig Artus' Gefahrten, und die Losung der Ritter ward Mut, verbunden mit hofischer Sitte, der cortesia. Das Ziel ihrer Kampfe war nicht mehr Vernichtung der Unglaubigen, eher Kampf zum Schutze einer geliebten oder bedrangten Frau, nicht feindliche Heere beherrschten ihre Vor- stellung, sondern Drachen, Riesen und Zauberer. Der neuen Sitte und dem neuen Roman fehlte bereits der hohe Schwung der chanson de geste. Der Helm wurde durch das Samtbarett verdrangt, und das Turnier lockte mehr als der Krieg.

12 ERSTES KAPITEL

Dieser Umschwung der Ritterschaft vollzieht sich im XIII. Jahr- hundert und wird in Norditalien so allgemein, daB er selbst in das Volk dringt. Wahrend der Feste, die 1267 in Venedig anlaBlich der Wahl des Dogen Lorenzo Tiepolo gefeiert wurden, huldigten alle Handwerkerkorporationen dem neuen Machthaber. Die Barbiere, die bekanntlich mit ihrer Zeit zu gehen wissen, hatten zwei Mit- glieder ihrer Innung als irrende Ritter verkleidet, zu Pferde mit vier Jungfrauen erschienen sie vor dem Dogen. Befragt erklarten sie, daB sie diese Unschuldigen soeben aus den Handen der Unglaubigen befreit hatten und bereit waren, ihre Ehre gegen jeden Verleumder zu schiitzen.

Um jene Zeit erstarkte die Macht der Este, in der gesamten Lombardei waren sie beruhmt. Als erste fiihrten sie die Trouba- dours aus dem sudlichen Frankreich ein und interessierten sich fur provenzalische Poesie, zur Zeit als in der Mark von Treviso Amorosa e gioiosa Marca Trevigiana , dem Ziel der Troubadours, diese Poesie noch ganz unbekannt war.

So war der kluge, schone und beredte Azzo VI. von Este (gest. 1212) ,,pulcher, formosus, sapiens, eloquens, animosus" im ersten Jahrzehnt des XIII. Jahrhunderts bekannt als Verehrer proven- zalischer Poesie. An seinen Hof kam der Troubadour Aimeric de Peguilhan und besang die Reize seiner Tochter Beatrice, die er die schonste Bliite ihrer Zeit nannte.

Na Beatrix d' Est, anc plus bella flor De nostre tempo no trobei meillor; Tan ez bona, cum plus lanzar vos voill, Ades i trop plus de be qu' eu no soill.

Trotz all dieser weltlichen Vorziige ging Beatrice ins Kloster, vielleicht aus ungliicklicher Liebe zu einem Troubadour. Sie griindete das Kloster Johannes des Taufers in Padua und wurde nach ihrem Tode heilig gesprochen. Die Herrschaft der Este steht von Anbeginn an im Zeichen des Frauenkultus, der ritterlichen Tugenden von Konig Artus und im Bilde des heiligen Georg, der die Jungfrau vom Dracheh befreit hat. Der estensische Hof wird sehr bald zum Vorbild ritter- licher Sitte, er ist der typische Renaissance-Hof im nordlichen Italien.

LAND UND LEUTE 13

Die dort herrschende Sprache war ein franzosbrter venezia- nischer Dialekt, voll provenzalischer Ausdriicke und Wendungen, die norditalienischen Ritter machten sich diese Ausdrucksweise zu eigen. In der Bibliothek zu Mantua befindet sich ein auBerordent- lich wichtiger Kodex; der provenzalische Canzoniere, eine Art Anthologie der Troubadours aus dem Jahre 1254 ist in den Kreisen der Romanisten bekannt. Nach der Tradition soil er von Ferrarino da Ferrara angelegt sein, einem der letzten italienischen Trouba- dours, der am Ende des XIII. Jahrhunderts lebte und der Verfasser des beruhmten ,,Florilegio", einer Sammlung provenzalischer lyrischer Gedichte ist. Ferrarino sang am Hofe Azzos VII. und Obizzos II. ,,e fo giullar et intendez meill de trobar proensal che fos en Lombardia".

Obizzo II. war der Enkel Azzos VII. und der gesetzmaBige Begriinder der Dynastie der Este in Ferrara. Vor ihm herrschten die Este zwar tatsachlich in Ferrara, aber erst Obizzo II. hat seine Macht auf legalen Unterlagen begriindet. Am 17. Februar 1264 war der tote Azzo mit groBem Pomp in der Kirche von S. Francesco best at "et worden; man beeilte sich mit der Wahl des neuen Marchese, da nach altem Brauch die Ratsglocke das Volk und die ,,banditore" berief und auf den StraBen verkiindete, daB man sich zur neuen Wahl riiste, ehe der tote Herrscher begraben war.

Zum Vormund seines minder jahrigen Enkels, dessen Vater in Siiditalien vergiftet worden war, hatte Azzo VII. Aldingheri de Fontana ernannt, einen einfluBreichen Edlen und Freund der Familie. Aldingheri tat auch sein moglichstes, damit Obizzo ge- wahlt werde. Den Platz, auf dem abgestimmt werden sollte, lieB er von Bewaffneten umstellen, Verdachtige und Manner mit Waffen wurden nicht zugelassen. Der Vormund selbst sprach zu den Ver- sammelten, pries die Vorziige der Este und beschwor die Ver- sammelten, fur Obizzo zu stimmen, der, trotz seiner siebzehn Jahre, schon ein Muster an Verstand und Umsicht sein sollte. Den An- hangern des jungen Marchese wurden Vergiinstigungen versprochen, seinen Gegnern mit Vernichtung gedroht. Das Volk fiigte sich der Obermacht, wahlte den Jiingling zum Herrscher und iibertrug ihm, nach Aussage der Chronisten, mehr Gewalt als sie selbst

14 ERSTES KAPITEL

Gott eignet, denn Gott kann keine Ungerechtigkeiten begehen, der Marchese aber durfte alles tun, was ihm beliebte, Boses und Gutes, ,, omnia possit, justa vel injusta pro suae arbitrio volun- tatis".

Die Este standen in Ferrara an der Spitze der Guelfen und galten als einer der Pfeiler der romischen Kurie, daher hatte der Papst Urban II. nichts gegen die Wahl und bestatigte Obizzo als seinen Statthalter in temporalibus. Obizzo nannte sich durch die Gnade Gottes und der apostolischen Kurie ewiger Herr von Ferrara, Gouverneur, Rektor und ,,generalis et perpetuus Dominus civitatis Ferrariae", verpflichtete sich angesichts des Volkes, die stadtischen Institutionen und Freiheiten zu schiitzen, und berief als Zeugen dieses Vertrages die heilige Dreifaltigkeit, die Mutter Gottes und den heiligen Georg, den Schutzheiligen der Stadt. Der Vertrag wurde mit zwei Wachssiegeln versehen, mit dem Siegel der Stadt in Gestalt des heiligen Georg und dem Siegel der Este mit dem weiBen einkopfigen Adler. Das Ansehen von Obizzos Vormund Aldingheri stieg jedoch im Laufe der Zeiten dermaBen, daB der Marchese seine Macht und seinen Erfolg fiirchten muBte, ,,gloriam et magnitudinem tolerare non potuit", so lieB er ihn auf die da- mals iibliche Weise, durch Gift, beseitigen und verbannte einen Teil seiner Familie aus dem Bereich des Landes. Einer der Al- dingheri nahm seinen Wohnsitz in Florenz und war miitterlicher- seits ein Vorfahre Dantes. Seinen Namen und Adel trug der groBe Dichter. Die Herkunft des Dichters erklart auch, weshalb er die Este leidenschaftlich haBte. Zu seinen personlichen kamen auch noch politische Griinde; fur Dante gait der Kaiser als der Befreier Italiens, wahrend die Este sich als Guelfen auf das Papsttum stiitzten. Deshalb setzt Dante Obizzo in die Holle neben Ezzelino, den Beherrscher der Mark Treviso und den groBten Tyrannen des mittelalterlichen Italiens, und befiehlt dem Kentauren Nessus, auf denjenigen von ihnen, der sich aus dem mit kochendem Blut ge- fiillten Abgrund herauslehnen wurde, den Pfeil abzudriicken. Der Dichter weiB keinen anderen Unterschied zwischen ihnen zu finden als den, daB Ezzelino schwarze Locken habe, wahrend man Obizzo an seinem blonden Haar erkennen konne.

LAND UND LEUTE 15

Obizzo hatte zwei Frauen, aber die Chronisten berichten weniger von seinen Gattinnen als von seiner Geliebten, der schonen von Dante besungenen Ghisolla. Dante verbannt Caccianimico Venedico in die Holle, weil er die Frau durch List bewogen hat, sich dem Marchese hinzugeben.

Die Art, wie die Papste die ferraresischen Herrscher mit ihrer Wurde belehnt haben, wurde der AnlaB vieler blutiger Tragodien. Rom hielt sich namlich nicht an den Erstgebornen unter den Sohnen des verstorbenen Herrschers, betrachtete selbst die Nachfolge in direkter Linie nicht als verbindlich, sondern bestatigte willkiirlich je nach der momentanen Lage entweder den unehelichen Sohn oder sogar die Briider des verstorbenen Herrschers. Deshalb entbrannte nach dem Tode eines jeden Markgrafen in der Familie der Kampf um die Herrschaft. Spater suchten die Este dem zu entgehen, indem sie noch zu Lebzeiten ihrem geliebtesten ehelichen oder unehelichen Sohn das papstliche Lehen sicherten. Das erste Opfer dieses ungliicklichen Grundsatzes war Obizzo selbst, da dem Vernehmen nach zwei seiner Sonne ihn im Bett erwiirgt haben, weil er den jungsten dritten zum Nachfolger be- stimmt hatte.

Diesen Kampfen um die Nachfolge verdanken wir es, dafl Ferrara Ariost erzeugt hat. Als Obizzo III. (1294 1352) infolge eines blutigen Streites mit seinen Briidern das Vaterland verlassen mufite und in Bologna Schutz suchte, lernte er die schone Lippa Ariosti, die Tochter einer dort ansassigen Patrizierfamilie, kennen. Obizzo hatte ein Verhaltnis mit Lippa, das zwanzig Jahre dauerte; elf Kinder, sieben Sonne und vier Tochter, entstammten diesem Bund. Als er den Thron von Ferrara bestieg, heiratete er die Frau und legitimierte seine Nachkommen. Die Po-Ebene war nicht nur reich an Getreide und Wein, auch die dortigen Familien er- freuten sich einer besonderen Fruchtbarkeit. Bei den Este erreichten die ehelichen und unehelichen Nachkommen bisweilen die stattliche Zahl von zweihundert, und einer der Wiirdentrager des Hofes hatte es bis zu vierzig Sohnen gebracht. Noch mehr, der Arzt Michele Savonarola versichert, daB Niccolo Pallavicini noch als Hundertjahriger einen Sohn gezeugt hat.

16 ERSTES KAPITEL

An die schone Lippa aus Bologna erinnert Ariost stolz im ,, Roland", als er von den bertihmten und bedeutenden Frauen aus dem Hause der Este spricht. Lippas Vetter, Niccolo Ariosti, lieB sich in Ferfara nieder und ward zum Begriinder jener Linie der Familie, aus der der Dichter stammt.

Schon diese ersten Este hatten einen Hang zu Luxus und Ver- schwendung. Als Obizzo III. sich nach Venedig aufmachte, um mit der Republik nach heifiem Kampf seinen Frieden zu schlieBen, lieB er sich eine besondere mehrstockige Galeere erbauen, von der sein Kammerherr Ser Dino eine Zeichnung gemacht hat. Die Galeere war mit unerhorter Pracht ausgestattet, das kostbarste Material wurde zu ihrer Ausschmuckung verwandt. Zu den beruhmten Turnieren Ferraras kam die Ritterschaft aus dem gesamten ita- lienischen Norden. An seinem Hofe unterhielt Obizzo den Narren Gonella, den Franco Sacchetti in sieben Novellen verherrlicht hat. Die Gutmiitigkeit des Marchese tritt in der einen zutage. Gonella hatte sich etwaszu schulden kommen lassen, Obizzo befahl ihm, Ferrara unverziiglich zu verlassen, sollte der Narr jedoch wagen, noch einmal auf seinem Boden zu stehen, so wurde es ihn den Kopf kosten. Gonella ging nach Bologna, kaufte einen Wagen, lieB ihn mit bolognesischer Erde fiillen und kehrte so nach Ferrara zuriick. Der Markgraf lachte und verzieh Gonella seine Schuld.

Der Luxus am Hofe gab AnlaB zu haufigen Unruhen, da die Bevolkerung, durch Steuern und vielfache Abgaben bedrangt, den finanziellen Druck nicht zu ertragen vermochte, um so weniger als die Verwalter des Schatzes ,,Fattori generali" ihre Stelle miB- brauchten, um sich zu bereichern. Unter Niccolo II., Obizzos III. Sohn (1338 1388), den man ,,11 Zoppo" nannte, kam es zu starken Unruhen. Am 3. Mai 1385 warf sich das Volk, das infolge der Ubergriffe des Schatzmeisters Tommaso di Tortona zur Verzweiflung gebracht war, auf das Haus, in dem die Steuerlisten aufgehoben wurden, verbrannte sie und demolierte die Wohnung des verhaBten Beamten. An der Spitze des Aufstandes stand der Notar Francesco Montelino, der die Losung ausgegeben hatte: ,,Es lebe der Mark- graf! Tod dem Verrater Tommaso." Aber Tommaso fliichtete ins SchloB und versteckte sich dort. Niccolo II. versuchte die

PALAZZO DIAMANTI ZU FERRARA

TOR DES PALAZZO PROSPERI ZU FERRARA

LAND UND LEUTE

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Menge, die gegen das Tor drangte, zu beruhigen; sein Bruder Alberto ging sogar auf die StraBe, urn auf die Tumultuanten einzusprechen, aber das Volk wollte nicht weichen und verlangte die Herausgabe des Blutsaugers. Zufallig kam einer der Sohne des Marchese herzu, der nicht wuBte, was hier vorging. Das Volk ergriff ihn als Geifiel und bedrohte ihn mit dem Tode, falls der Marchese Tommaso di Tortona nicht auslieferte. Niccolo II. hat den Giinst- ling dem eignen Sohn geopfert, er lieferte seinen Schatzmeister aus, den das Volk in Stiicke riB.

Dies war noch vor dem alten SchloB der Este geschehen, vor dem heutigen Munizipalpalast, dem Dom gegeniiber. Dieses SchloB war nicht genugend befestigt; nach der gemachten Er- fahrung beschloB der Marchese ein Gebaude zu errichten, in dem er der Menge trotzen konne. Auf diese Weise entstand das Kastell. Am Tage des heiligen Michael 1385 legte der Bruder des Marchese, Alberto d'Este, den Grundstein, und man baute so rasch, daB das SchloB innerhalb 16 Monaten fertig war. Das Geld fur den Bau, 25000 Dukaten, hatte Niccolo bei seinem Nachbar, Francesco I. Gonzaga, aus Mantua, entliehen, und da er seine Schuld nicht zu bezahlen vermochte, wurden die Abgaben noch unertraglicher als jene waren, die das Volk unter Tommaso di Tortona zu leisten hatte.

Einen Platz, unmittelbar vor den Mauern Ferraras, hatte der Marchese fur das Kastell gewahlt, damit im Falle der Not die Be- wohner der Festung aus der Stadt fliichten konnten. Dem SchloB wurden spater groBartige Garten angebaut, die sich bis zum Po hinzogen.

Niccolos Nachfolger war Alberto d'Este (1388 1393); er stand hart an der Grenze zwischen Barbarei und Kultur und war aus lauter Widerspruchen zusammengesetzt. Diesem Markgrafen hat das Kastell noch bessere Dienste als seinem Vorganger geleistet. Als der Tyrann, nachdem er einen Teil seiner Familie hatte ermorden lassen, zur Herrschaft gelangt war, lieB er seinen Neffen Obizzo Aldobrandino und dessen Mutter kopfen, unter dem Vorwand, daB sie eine Verschworung gegen ihn angestiftet hatten. Giovanni von Brescia, der im Einverstandnis war, lieB er von Pferden durch die StraBen schleifen und dann aufkniipfen, dessen Gattin,

j$ ERSTES KAPITEL

Costanza di Quintavalli, sowie seinen eignen Bruder, den Bastard Alberto, der Abwechslung halber auf dem Scheiterhaufen ver- brennen. Die iibrigen Verschworenen wurden mit gliihenden Zangen gezwickt und auBerhalb der Stadt, um des abschreckenden Beispiels willen, aufgehangt.

Alberto d'Este heiratete im Jahre 1388 aus Liebe Giovanna de Roberti, die Tochter Cabrianos, seines Kammerdieners, doch war er ihr nicht lange treu, da er sich bald darauf in ihre Mutter, Margherita dal Sale, verliebte; sie gait als die schonste Frau ihrer Zeit und hatte sich aus HaB gegen ihre Tochter dem Schwieger- sohn hingegeben.

Derselbe Alberto war, als er sich seiner Herrschaft sicher fiihlte, einer der besten Fiirsten Ferraras. Gegen Ende seiner Regierung wallfahrte er nach Rom, legte das BiiBergewand an und kleidete dreihundert Berittene, die ihn begleiteten, in gleicher Weise ein. In Rom kamen ihm funf Kardinale entgegen, der Papst Bonifaz IX. verlieh ihm die goldne Rose, als Tugendpreis, und gestattete die Grundung einer Universitat in Ferrara, nach dem Muster der Universitaten zu Paris und Bologna. Aus Rom kam Alberto krank zuriick; da er seine Schwache Margherita zu- schrieb und glaubte, daB die Geliebte ihn verzaubert habe, lieB er sie

ins Gefangnis im Castelvecchio werfen und dort erwiirgen.

Das dankbare Ferrara hat seine Statue im Pilgergewand

an der Fassade der Kathedrale anbringen lassen,

wo man sie noch heutebewundern kann.

Solcher Art waren Ferraras

erste Markgrafen.

ZWEITES KAPITEL

NICCOLO III.

i

n der Stadtbibliothek zu Ferrara befindet sich eine Miniatur, auf der man den Platz vor dem Palazzo della Ragione mit einer auBerordentlich treu dargestellten Hinrichtungsszene sieht. Die Miniatur stammt aus dem XV. Jahrhundert. Die damalige Welt war Anblicke dieser Art gewohnt, so nahm niemand daran AnstoB, daB blutige Exekutionen vor den Fenstern des Schlosses stattfanden, in dem die fiirstliche Familie lebte. Auf einem Geriist, hoch genug, damit das Publikum das letzte Zittern der Korper beobachten konne, steht ein kraftiger Mann, die Hande auf den Riicken gefesselt. Vor ihm ein Mdnch mit erhobenem Kruzifix, hinter ihm holt der Henker mit Wucht zum Schlage aus. Auf dem Geriist stehen die Richter, be- waffnete Knechte und die Mitglieder einer frommen Briiderschaft in Kapuzen mit schwelenden Kerzen in den Handen. Zwei ab- gehauene bartige Kopfe liegen bereits am Boden, und die Arme der Leichen hangen herunter. So ward mehr oder weniger jede neue Regierung im beginnenden XV. Jahrhundert eingeleitet, nicht allein in Ferrara, sondern auch an den meisten anderen Renaissancehofen. Herzen und Sinne hatten sich verhartet.

Nach Albertos Tode kam sein Sohn Niccolo III. auf den Thron ; da er noch nicht volljahrig war, wurde ihm ein Rat, ,,consiglio", an die Seite gestellt, der die Regierungsgeschafte bis zum vollendeten neunzehnten Jahre des Markgrafen leiten sollte. In diesem Rat wollte auch das Volk seine Vertreter haben, jede Innung fur sich: die Backer, Schmiede, Schneider, Goldarbeiter usw. schickten ihre

20 ZWEITES KAPITEL

Delegierten. Eine so geartete Versammlung konnte sich nicht be- wahren, und das Resultat war, daB vier Vormiinder des Mark- grafen die Macht an sich rissen und sie bis zu Niccolos Volljahrig- keit etwa in der Weise ausiibten, wie die Miniatur es darstellt.

Der Marchese jedoch war voll Feuer und Energie, und es ver- langte ihn nach Taten. Das heiBeste Sehnen des jungen Burschen war, einen Krieg zu sehen. Da sich jedoch eine Gelegenheit dazu langere Zeit nicht bot, bat er Azzo, den Anfiihrer seiner Heere, ihm im SommerschloB Belfiore ein Kriegsschauspiel zu arrangieren. Es nahm ein trauriges Ende, da Azzo, von einem WurfspieB seines Gegners verwundet, es mit seinem Leben bezahlte.

Aus politischen Griinden verheirateten die Vormiinder den kaum 13 jahrigen Niccolo 1397 mit der isjahrigen Gigliola da Carrara, der Tochter des Fiirsten von Padua. Die Ehe war un- glucklich, die krankliche Gigliola hatte keine Kinder, der junge Marchese rachte sich an jenen, die ihn so friih in die Fesseln der Ehe gezwungen und brachte es, nach Aussage des Chronisten, im Laufe der Jahre auf achthundert Liebesverhaltnisse.

De le femene qui el dir se tase

Octocento donzele el signore habe in so vita.

(Caleffino Cronaca.)

Nur der Abt von Pomposa war ihm darin noch iiberlegen; ihm wurden tausend Liebesverhaltnisse nachgesagt, die schlecht genug zum ernsthaften Monchshabit passen.

Es hieB in Ferrara, daB sich auf beiden Seiten des Po nur Niccolos Kinder herumtrieben, ,,Di qua e di la del Po, tutti figli di Niccolo", aber die Geschichte hat uns nur die Namen von zwei- undzwanzig unehelichen Kindern iiberliefert, abgesehen von jenen, die Niccolo spater mit zwei legitimen Gattinnen gezeugt hat.

Gigliola starb im Jahre 1406; noch zu ihren Lebzeiten hatte Niccolo ein Vcrhaltnis mit der schonen Stella dell' Assassino, aus der bekannten sienesischen Familie Tolomei. Ein Teil der Tolo- mei war infolge brudermorderischer Kampfe mit dem angesehenen Geschlecht der Salimbeni nach Ferrara und spater nach Assisi ubersiedelt. Nach dieser Stadt nannte man sie Assasini, woraus

NICCOLO HI, 21

sich spater der Name Assassini entwickelt hat. In einem alten Vers heiBt es von ihnen:

Mutantes patriam, mutabunt nomina: riicent Namque Assassinos Ptholomea stirpe creates.

Die Zeitgenossen finden nicht Worte des Lobes genug fur Stella, sie schreiben ihr alle erdenklichen Vorziige zu, sie war der Trost der Armen, gerecht, umsichtig, sittsam, groBmutig und gait als Muster der Schamhaftigkeit, ,,pudicitiae flos". Der Dichter Galeoto Marzio da Narni verfaBte ihr zu Ehren ein langes Gedicht, in dem er auch ihren Vater, Giovanni Tolomei, preist; keinem Geringeren als Niccolo III. widmet er seine Verse. Aus diesem Gedicht erfahren wir, daB Giacomo, einer der Assassini, Rechts- gelehrter und Podesta in Ferrara war und fur seine Gerechtigkeit bekannt. Der beste Beweis dafur, daB Stella eine ungewohnliche Frau war, ist der Umstand, daB der in seinen Liebesverhaltnissen so unbestandige Niccolo sie etwa achtzehn Jahre fast als seine Gemahlin betrachtet hat. Er hatte drei Sonne mit ihr: Ugo Aldo- brandini (geb. 1405), Lionello (geb. 1407) und Borso (geb. 1413). Dies Verhaltnis hinderte aber vorubergehende Liebeleien nicht; Catarina degli Albersani, die Tochter eines Arztes in Ferrara, gebar ihm einen Sohn Meliadus (geb. 1406) und die Ehefrau Camilla della Tavola zwei Kinder, Alberto ufid Gurona Maria.

In Ferrara und auch an den befreundeten norditalienischen Hofen hielt man nach Gigliolas Tod (1406) Stella Assassini fur die kommende Gemahlin des Marchese; man glaubte, daB Niccolo sich kirchlich mit ihr trauen wiirde. Stellas Sonne hat er wie seine recht- maBigen Kinder behandelt; die Taufe des Erstgeborenen Ugo war in Ferrara feierlich begangen worden, der Kardinallegat aus Bologna war gekommen, die Herren aus Modena und Rimini hatten Abgesandte geschickt. Trotzdem heiratete Niccolo Stella nicht; vielleicht haben politische Griinde den FiinfunddreiBigjahrigen bewogen, 141 8 die junge und schbne Parisina de Malatesta zu ehelichen, die Tochter Andreo de Malatestas und Lucrezia degli Ordelaffis aus Ravenna. Aus Kummer starb Stella ein Jahr darauf, und Caleffini pries sie: ,,Quanto fo bella e bona! de ogni virtu la.portd corona."

22 ZWEITES KAP1TEL

Niccolos Verhaltnis zu Stellas Sohnen anderte sich infolge dieser Heirat kaum; den altesten, Ugo, seinen Lieblingssohn, be- trachtete er sogar als seinen Nachfolger auf dem Throne und zeich- nete ihn als solchen vor Lionello und Borso aus. Ugo war immer um ihn, wahrend er die beiden jiingeren Sohne unter verschiedenen Vorwanden aus dem Hause entfernte.

Parisina, erfiillt von Lebenslust und Giite, hat sich die Liebe ihrer Umgebung rasch erworben. Sie war eine leidenschaftliche Tierfreundin und liebte namentlich Pferde, sie brachte ihren eigenen Rennstall mit, schickte ihre Pferde zum ,,Palio" von Verona, Mantua, Modena, Bologna und Mailand, und ihr Jokei, Giovanni da Rimini, war iiberall Sieger. Ihre Farben, WeiB und Rot, waren auf alien Bahnen bekannt. Seltene Vogel lieB sie in Venedig kaufen, wie es damals an den groBen Hofen Brauch war. Teure Stoffe, Kleinodien, wohlriechende Ole und Essenzen bezog sie aus Mailand und Venedig. Ihre Hoffraulein, die ,,damigelle", waren ihr zu- getan, da sie ihnen reiche Geschenke machte und sich giitig gegen sie erwies. Namentlich Pelegrina, die Tochter Giacomo Rubinos, eines vertrauten Hoflings Niccolos, war ihr LiebUng; als die Don- zella heiratete, uberschiittete sie sie mit Geschenken. Parisina las wie alle Damen der damaligen groBen Welt Ritterromane, Tristans und Isoldes Los war ihr wohlbekannt, sie las den Roman ,,Girone il Cortese", und gab sich leidenschaftlich der Musik, namentlich Lautenspiel hin. Auch ging sie fleiBig zur Kirche, ihr Hauskaplan, Fra Maginardo, las ihr den Psalter, und sie beniitzte ein schones, in schwarzen Samt gebundenes Gebetbuch.

Parisina hatte drei Kinder, doch starb ihr Sohn bald, und es blieben nur zwei Tochter, Ginevra und Lucia, am Leben; sie gab sich viel mit ihnen ab und lieB sie fruh in der Musik unterweisen. Von Stella del Assassinos Sohnen bevorzugte sie Ugo, den Liebling des Vaters. Der Markgraf lieB Ugo im Luxus aufwachsen, schenkte ihm die kostbarsten Kleider, Pferde und Falken, wahrend er Lio- nello, Borso und Meliadus an Sparsamkeit gewohnte. Als 1424 in Ferrara eine ansteckende Seuche ausbrach, schickte Niccolo Meliadus nach Modena und Borso nach Argenta, indem er strenge Vorschriften iiber die Anzahl der Diener, die sie halten durften,

NICCOLO III.

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machte; ferner verbot er den jungen Herren, offene Tafel fur ihre Freunde zu halten. Parisina iiberraschte Ugo mit einer schonen Harfe, so hat wohl auch er eine Vorliebe fur Musik gehabt.

Nach den Chronisten war Ugo Parisina zuerst wenig sym- pathisch; dies krankte Niccolo so, daB er ihr den Sohn, als sie nach Loreto zu einer Wallfahrt aufbrach, zum Begleiter gab, damit er Gelegenheit habe, ihre Gunst zu erwerben. Diese Annaherung hatte mehr Erfolg als der Markgraf wiinschen konnte: Ugo kam als Parisinas Geliebter von der Wallfahrt zuriick, und dies Verhaltnis unterhielten sie auch in Ferrara. Ob der Liebesbund auf diese Weise entstand, bleibe dahingestellt. Es fehlt jeder positive Hinweis fur den HaB, der erst zwischen den beiden bestanden haben soil. Die Frage, wie die Liebe zwischen ihnen entstanden ist, kann der Histo- riker nicht beantworten. Alles, was bis jetzt iiber den Ursprung dieser Liebe geschrieben wurde, entstammt der Phantasie der Dichter und Romanschreiber. Genug, Ugo und Parisina standen in einem Liebesverhaltnis zueinander; Ugos Vertrauter war Aldo- brandino Rangoni, sein Hofling und Freund, die Vertraute der Markgrafin war eine ihrer Hofdamen, die das Geheimnis an Gia- corao Rubino, Niccolos treuesten Diener, verriet. Rubino ging sofort zum Markgrafen und erzahlte ihm alles. Die Rache des Tyrannen war unverziiglich und furchtbar. In der Nacht vom 20. auf den 21. Mai 1425 lieB Niccolo beide ins Gefangnis werfen, Pari- sina in den Turm, der noch heute ,, Torre Marchesana" heiBt, Ugo in den ,,L6wenturm" des Kastells. Das Urteil des Marchese lieB nicht lange auf sich warten, nach wenigen Stunden verurteilte er den Lieblingssohn und seine Gattin, die Mutter zweier kleiner Tochter, zum Tode. Einer seiner treuesten Ratgeber, Ugaccion Contrario, von dem es hieB, daB er alles iiber den Markgrafen ver- moge, und ein alter bewahrter Minister, Alberto dal Sale, be- schworen Niccolo auf den Knien mit tranenden Augen, seinen Urteilsspruch aufzuschieben. Niccolo lieB sich nicht erweichen, er wollte weder den Sohn, noch die Gattin sehen, und schon in der folgenden Nacht, vom 21. auf den 22. Mai, vollzog der Henker sein blutiges Werk. Ugo starb zuerst, dann begab sich Rubino, der Verrater, in Parisinas Gefangnis und forderte sie auf, ihm zu

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ZWEITES KAPITEL

folgen. Parisina glaubte, daB er sie ins Trabocchetto, das unter- irdische Gefangnis, fiihren wolle, und fragte, was mit Ugo ge- schehen sei. Als man ihr sagte, er sei tot, antwortete sie, daB auch sie nicht mehr leben wolle. Im Gefangnis wartete der Henker ihrer bereits; als sie ihn sah, nahm sie selbst ihren Schmuck ab und legte den Kopf auf den Block.

In der gleichen Nacht wurden beide Kdrper in San Francesco bestattet. Als man dem Markgrafen sagte, daB sein Wille erfullt sei, geriet er in Verzweiflung, zerbiB den Stock, den er in der Hand hielt, weinte und schrie nach Ugo. Aber noch war der Rache kein Ende gesetzt. Am nachsten Morgen erlieB er den Befehl, Aldobrandino Rangoni zu verhaften; in Modena wurde er hin- gerichtet. An die italienischen Hofe lieB er ein Dokument aus- fertigen, worin er seine Tat meldete. Als der venezianische Doge, Francesco Foscari, die Schrift erhielt, gab er Befehl, das Turnier auf dem Markusplatz , an dem der Markgraf teilnehmen sollte, zu vertagen. Das fragliche Dokument war leider in keinem italie- nischen Archiv auffindbar.

Niccolo raste in seinem Schmerz und Zorn, er beschloB, daB alle Frauen Ferraras, die wie Parisina gesiindigt hatten, dem Henker verf alien sollten, ,,damit die Gerechtigkeit sich nicht nur an seiner Gattin vollziehe". Laudania Romei, die Gattin eines hohen Wiirden- tragers am Hofe, war das erste Opfer dieser wilden Gerechtigkeit, aber der Rausch verflog, und nach Laudanias Tod zog Niccolo seinen Befehl zuriick. Ferraras Ehefrauen konnten wieder nach Herzens- lust siindigen, und der Markgraf selbst unterstiitzte sie ehrlich darin.

Der alternde Niccolo hatte nach Parisinas Tod noch eine An- zahl unehelicher Kinder, Knaben und Madchen. Beatrice, die er mit Anna de' Roberti gezeugt hatte, war um ihrer Schonheit willen beriihmt. Sie war die Konigin der Feste in Ferrara, und ein altes Sprichwort sagt von ihr: ,,Wer das Paradies auf Erden sehen wolle, moge Donna Beatrice betrachten." Nach dem Tode ihres Vaters vermahlte sie sich mit dem Graf en Niccolo da Correggio; ihr zweiter Gatte war Tristan Sforza. Ihr Sohn, Niccolo Correggio (geb. 1450), hat in der Geschichte der italienischen Renaissance eine bedeutsame Rolle gespielt.

PISANELLO: PILGER INS GELOBTE LAND

VERONA, S. ANASTASIA

NICCOLO III.

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143 1 heiratete Niccolo zum drittenmal, Parisinas Geschick schreckte die Tochter des Markgrafen Saluzzo Ricciardi nicht ab, ihm ihre Hand zu reichen. Im Ehekontrakt sah Niccolo jedoch vor, daB, wenn Riccarda einen Sohn gebaren wiirde, die Nachfolge in Ferrara nicht ihm zufallen sollte, sondern Lionello, den der Papst Martin V. bereits 1429 legitimiert hatte. Im Jahre 1431 gebar Riccarda einen Sohn, jenen Ercole, der Lionello und Borso auf dem ferraresischen Thron f olgte und einer der bedeutendsten italienischen Fiirsten am Ende des XV. Jahrhunderts war. Riccarda schenkte 1433 einem zweiten Sohn, Sigismondo, und unmittelbar vor ihrem Tode 1440 einer Tochter, Bianca Maria, das Leben; unter Borsos Regierung heiratete die Tochter den Condottiere Galeotto Pico della Mirandola.

II

1413, als Stella Assassini noch das Herz des Markgrafen be- herrschte, beschloB er eine Wallfahrt ins Heilige Land. Die Feinde der Dynastie waren unterworfen, im kleinen Reiche herrschte Frieden, so ward es dem Despoten zu eng in der ferraresischen Ebene, der Geist des fahrenden Ritters regte sich in der jungen Brust, und wie einst die Kreuzfahrer wollte er auf Christus Grabe BuBe tun. Von fiinfzig Freunden und Hoflingen begleitet, verlieB Niccolo Ferrara am 6. Mai. Zur Expedition gehorten: der Ferra- rese Alberto della Scala, mit zwei Gefahrten, Pietro Rosso, ein Edelmann aus Parma, der auch zwei Leute von seinem Hof mit- gebracht hatte, Feltrino Bojardo, der GroBvater des groBen Dichters aus Scandiano mit einem Diener, und mehrere Mitglieder bekannter Familien. Als Sekretar diente dem Markgrafen Lucchino del Campo, der uns eine sehr anschauliche Beschreibung dieser Reise hinter- lassen hat. Die Wallf ahrer trugen schwarze Mantel mit rotem Kreuz auf der Brust, und die Republik Venedig stellte ihnen eine ihrer Galeeren zur Verfiigung.

Der Marchese wollte alle Sehenswiirdigkeiten, die auf seinem Wege lagen, besichtigen, und so machte man, unmittelbar nachdem man den Hafen San Niccolo de Lido verlassen hatte, in Pola Station

26 ZWEITES KAPITEL

wegen der dort vorhandenen romischen Altertiimer. Die Arena scheint den Markgrafen besonders interessiert zu haben, er hatte sich in seiner Jugend oberflachlich mit humanistischen Studien befaBt, sein Lehrer war der beriihrnte Donato degli Albanzani aus Prota- vecchio. Niccolo gehorte jedoch keineswegs zu Donatos besten Schiilern und hat es im Lateinischen trotz der Miihe des Huma- nisten nicht weit gebracht. Die Galeere nahm ihren Weg an den Ionischen Inseln, spater am Archipel entlang, machte Halt in Corfu, wo der venezianische Gouverneur den Reisenden ein Gastmahl in einem Orangenhain gab, griechische Monche sangen zu ihrem groBen Entziicken wahrend der Tafel. Im weiteren Verlauf der Reise besuchten die ferraresischen Pilger die Insel Rhodos, kamen an Cypern vorbei, stiegen in Syrien am II. Mai ans Land und gingen von dort aus nach Jerusalem. In Jerusalem blieb der Markgraf vier Tage, vom 15. bis zum 19. Mai, und pilgerte zweimal zum Heiligen Grab. Einmal lag er eine ganze Nacht mit ausgebreiteten Armen wie am Kreuzesstamme da, ein anderes Mai verbrachte er zwei Stunden dort in heiBem Gebet. Nach diesem Gebet gab er Alberto della Scala, Feltrino Bojardo und Pietro Rossi den Ritter- schlag, giirtete ihnen selbst das Schwert um und gab ihnen goldene Sporen auf dem Kalvarienberge. Die Wallfahrer verdroB es sehr, dafl sie imGelobten Lande fur jedenSchritt den ,,tiirkischen Hunden," wie sie sie nannten, zahlen muBten, den Wachtern auf dem Berge Zion gaben sie vier Dukaten, fur das Betreten des Tales von Josaphat, wo ,, Nostra Donna" begraben ist, muBten sie einen halben und fur das Grab des Heilands anderthalb Dukaten entrichten.

Auf dem Riickweg hielt der Markgraf sich sechs Tage in Cypern auf, um den dortigen Konig zu besuchen, und muBte als echter Sohn der Renaissance auf der Insel Kythera die Stelle betrachten, wo der Tradition nach die griechische Helena geraubt ward. Sechs- unddreiBig Tage fuhren die Wallfahrer von Cypern nach Venedig, am 6. Juli kamen sie in Ferrara an, so daB die ganze Reise drei Monate gedauert hatte.

Die haufigen frommen Pilgerfahrten der Renaissance-Fiirsteri waren zum groBen Teil nur ein Vorwand, um zu reisen und Aben- teuer zu suchen, oder sie entsprangen dem Wunsch, fremde Ver-

NICCOLO III. 27

haltnisse kennen zu lernen. Es schickte sich fur den regierenden Fursten nicht, ohne einen gewichtigen Grund sein Land zu ver- lassen, viel Geld auszugeben und den Schatz des Reiches zu be- lasten, so fand sich denn immer ein Vorwand fur teure Pilger- fahrten. Das eine Mai gelobte der Fiirst ein goldenes Exvotum an heiliger Stelle niederzulegen, damit eine Seuche erldsche; ein nachstes Mai bot ein beendeter Krieg den Vorwand zu einer frommen Reise.

Auch Niccolo hielt es nicht lange in seinem SchloB aus. Ein Jahr nach der Reise nach Jerusalem pilgerte er nach Loreto und legte dort das Modell des ferraresischen Doms, aus Silber gefertigt, nieder. Die Berichte verschweigen, was fur Gewander sein Hofstaat fur diesen Zweck anlegen muBte, dagegen wissen wir, daB inn, als er noch im gleichen Jahre (am 19. Juni 1414) zur Reliquie des heiligen Antonius in Vienne in der Dauphine pilgerte, vierundzwanzig Hoflinge in lichtgrunen Gewandern begleiteten. In Frankreich ,,liebten die Frauen ihn mehr als ihre eigenen Manner", wie der Chronist hinzufugt. Von Vienne aus begab er sich nach Mont- Saint- Michel in der Normandie, aber auf der Riickreise passierte ihm doch ein ungewohnliches Abenteuer. In den Piemonteser Bergen iiberfiel ihn Manfredo de Carreto, der Marchese de Ceva, und nahm ihn und seine Begleiter gefangen in Erwartung eines groBen Losegeldes. Aber der Graf von Savoyen, von diesem Oberfall unterrichtet, schickte eine Abteilung seines Heeres, das Niccolo befreite und den Raubritter ins Gefangnis warf. Der Marchese de Ceva be- zahlte seinen Anschlag auf den Herrn von Ferrara mit dem Leben, und sein SchloB ward dem Erdboden gleich gemacht. Als nach diesem Ereignis Niccolo III. nach Ferrara kam, war, nach Caleffinis Bericht, die Freude so groB, daB alle Kranken genasen.

Dieser Pilgerfahrt sollten noch weitere folgen: in Vienne hatte es ihm so gut gef alien, daB er im Jahre 1434 wieder zum heiligen Antonius wallfahrte; ein Jahr darauf pilgerte er in die S. Annun- ziata nach Florenz, um ein Wachs-Exvoto zu stiften. Es war ein groBes Pferd, fur das er dem Kiinstler fiinfzig Gulden bezahlt hat.

Der Marchese gehort zu jenen Renaissancemenschen, bei denen sich Verbrechen und Zerknirschung seltsam eng beriihren.

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Die Zerknirschung war nur von kurzer Dauer, die ungeziigelte Grausamkeit und das leidenschaftliche Ungestiim seines Charakters brachen bei der erstbesten Gelegenheit wieder durch. Ethische und moralische Begriffe fehlten vollkommen, Religion war eine schone Form, ein vererbter Brauch, sehr haufig der Deckmantel fiir Verbrechen; in goldenen Rahmen wurde das Bild ziigelloser menschlich-unmenschlicher Triebe eingefaBt. Eine Wallfahrt ins Heilige Land, zum heiligen Jakobus von Compostella und man fiihlte sich all seiner Siinden quitt.

In Niccolo III. waren die Traditionen franzosischer Kultur lebendig. Seine Kenntnis des Lateinischen war, wie schon er- wahnt, nur mangelhaft, und Donato hat wohl endgiiltig die Hoff- nung aufgegeben, seinem Schiiler klassische Sprachen beizubringen; denn er iibersetzte fiir ihn zwei Werke ins Italienische: Petrarcas Buch ,,Von beriihmten Mannern" und Boccaccios Abhandlung „Von beriihmten Frauen". Die Lieblingslektiire Niccolos und des gesamten estensischen Hofes bildeten franzosische Romane, ,,Istorie francesi", und der beste Beweis dafiir, wie lebendig diese Ritter- geschichten waren, ist der Umstand, daB man den Kindern mit Vorliebe Namen aus dem Kreise Karls des GroBen und Konig Artus' Tafelrunde gab, wie Meliadus, Ginevra, Rinaldo, Isotta usw. Niccolo hatte eine Vorliebe fiir schone franzosische Biicher, die er zum Teil von seinem Vater geerbt und zum anderen hatte ab- schreiben und mit Miniaturen schmiicken lassen. In seiner Biicher- sammlung befanden sich ,,die Geschichte des heiligen Gral", ,, Merlins Prophezeiungen", ,, Meliadus", ,,Lancilotto", ,,Chronique de Saint Denis" und viele andere. Der Katalog der estensischen Bibliothek aus dem Jahre 1474 fiihrt den ,,Lancilotto" in vier Exemplaren auf, den Roman ,,Gutifre de Boion" in zweien, und in ebenso vielen ,,die Geschichte Alexanders". Den Donzellen und der weniger ge- bildeten mannlichen Jugend am Hofe waren diese franzosischen Handschriften unzuganglich. Die Mehrzahl der Ritter lauschte neu- gierig den Berichten der Sanger, die die franzosischen Romane in italienischer Sprache und italienischer Art angemessen vortrugen.

Niccolos Bibliothek war schon so umfangreich, daB der Fiirst einen eigenen Raum in der Torre di Rigobollo, wo sich auch das

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geheime Archiv der Este befand, dafiir bestimmt hatte. Er HeB das erste Handschrifteninventar anlegen, das sich bis auf den heu- tigen Tag erhalten hat. Giovanni Falconi und Jacopo d'Arezzo versahen die Biicher mit Miniaturen.

Auch franzosische Mode war mafigebend am Hofe, und man bezog nicht wenig Toiletten und Einrichtungsstiicke aus Paris oder Flandern. In der franzdsischen Hauptstadt versah man sich mit schoner Wasche, in Brugge bestellte Niccolo Arazzi mit seinen Wappen und seiner Devise, und Silber zum Schmucke der Tafel wurde zumeist in Paris gekauft. Da aber die flandrischen Arazzi sehr teuer waren, grundete Niccolo in Ferrara eine Teppichfabrik nach flamischem Muster, die sich iiber ein Jahrhundert erhalten hat. Aus Flandern HeB er auch Kirchensanger kommen; sie wurden die Begriinder des beriihmten Chores, auf den der ferraresische Hof sehr stolz war. Unter Niccolo erwarben die Este zwei neue Palaste, Belriguardo und Consandolo, auBerdem HeB der Markgraf den Palast der Este in Venedig umbauen und restaurieren; der Senat der Republik hatte ihn bereits 1382 Niccolo II. fur geleistete Dienste geschenkt. Dieser Palast hat die verschiedensten Schicksale durch- gemacht. Von den Este hat ihn im XVII. Jahrhundert der Kardinal Aldobrandini erworben, dann diente er unter dem Namen ,,Fondaco dei Turchi" den tiirkischen Kaufleuten, die nach Venedig kamen, als Wohn- und Lagerraum; 1880 wurde er zur Aufnahme der Sammlung Correr bestimmt, aus der das heutige Museo Civico sich entwickelt hat. Jenes Gebaude, das in jungster Zeit in be- scheidener Weise erneuert wurde und jedem Besucher Venedigs bekannt ist, war im XIV. und XV. Jahrhundert der stolze Wohn- sitz der Este. So oft ein Mitglied der Familie nach Venedig kam, sei es, um mit der Republik zu unterhandeln oder um in der Stadt der schonen Kurtisanen der Lust zu fronen, wohnte es in diesem Palast. Niccolo III. war einigemal in Venedig gewesen; mit dem groBten Luxus trat er 1415 auf, als er in Begleitung von zwei- hundert Rittern kam und am groBartigen Turnier auf dem Markus- platz teilnahm.

Zu den glorreichsten Augenblicken unter Niccolos Regierung gehbrte der Empfang des Kaisers Siegmund im Dezember des

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ZWEITES KAPITEL

Jahres 1433, als der Monarch von seiner Kronung zuruckkam. Er gab Lionello, Borso und Ercole den Ritterschlag und hielt Sigis- mondo zur Taufe. Aber ein wichtigeres Ereignis war das be- ruhmte Konzil zu Ferrara 1437. Seine Aufgabe war die Wieder- vereinigung der griechischen und romischen Kirche, die sich 858, seit den Tagen des Photius, gespalten hatte; ferner gait es, Mittel zur Bekampfung der Turken zu finden, die das Ostliche Kaiserreich bedrohten. Zu den Griinden, die den Papst bewogen hatten, Ferrara fiir das Konzil zu wahlen, soil auch der gehort haben, dafl das Studium des Griechischen damals dort bliihte, und man sich daher leichter als anderswo mit den ostlichen Gelehrten verstandigen konnte.

Zum Konzil war selbst der Papst Eugen IV. gekommen, ferner der Kaiser des Ostens Johannes Palaeologus, Demetrius, der Be- herrscher Moreas, Joseph, der Patriarch von Konstantinopel, und viele Gesandte und Pralaten. Aber weder der Papst noch Niccolo waren imstande, langere Zeit die ungeheuren Kosten zu tragen, die der Unterhalt der Gaste verursachte, so ubersiedelte das Konzil im nachsten Jahre nach Florenz, das sich erboten hatte, die er- forderlichen Mittel aufzubringen. Dazu wurde Ferrara von einer Seuche heimgesucht, und der plotzliche Tod eines der ostlichen Bischofe verursachte einen panischen Schrecken unter den Ver- sammelten, die Ferrara urn jeden Preis zu verlassen wiinschten. Auch Niccolo ging nach Florenz. Drei Jahre darauf starb er plotzlich in Mailand am 26. Dezember 1441 wahrend seines Aufent- haltes als Friedensvermittler zwischen Mailand und Venedig. Zu seinem Nachfolger hatte er Lionello bestimmt, bei dessen etwaigem Tode Borso; erst nach ihrem Ableben sollte der Thron seinen legi- timen Sohnen, Ercole und Sigismondo, zufallen. In seinem Testa- ment bezeichnete der Markgraf Lionello als den der Herrschaft wiirdigsten, ,,in quern praeclarissimum suum natum semper totam suam mentem et totas cogitationes locavit et fixit".

Die Leiche des Markgrafen wurde nach Ferrara gebracht, dem Wunsch des Toten entsprechend ward sie nackt in den Sarg gelegt und in S. Maria di Belfiore ohne jedes Geprange beigesetzt. In tiefer Stille bewegte sich der Leichenzug nachts durch die StraBen

NICCOLO III. 3I

der Stadt, und nur Tausende von Menschen und Fackeln verrieten die Bedeutung der Stunde. Am Hofe der Este trug man lange tiefe Trauer nach dem Tode dieses ungewohnlichen Herrschers, noch ein Jahr darauf waren die Wande und Mobel des Schlosses tnit schwarzem Tuch ausgeschlagen, die Markgrafen und der ge- samte Hofstaat trugen schwarze Samtanziige und Hiite und Hand- schuhe in gleicher Farbe. Zahllose Epitaphe entstanden an- laBlich des Todes des Fiirsten, da jeder der ferraresischen Huma- nisten sich fiir verpflichtet hielt mit Schmeicheleien hervorzutreten, die den Sohnen des Verstorbenen angenehm sein konnten. Guarino hatte nicht weniger als vier Inschriften fiir den Grabstein ent- worfen.

Niccolo hatte groBe Vorziige, sie entsprangen einem richtigen Begreifen dessen, was seinem Geschlecht von Nutzen sein konnte. Eine starke Dynastie ist ohne strenges Regiment unmoglich, dessen war er stets eingedenk, und in diesem Sinne hat er gehandelt. Ernst- haft bemiihte er sich, Kunst und Wissenschaft zu fdrdern. Es gait, Gelehrte und Kiinstler nach Ferrara zu ziehen, um den Glanz des Hofes zu erhohen , dies Streben beherrschte damals jeden Fiirsten. Namentlich lag Niccolo die Erziehung seiner Sonne am Herzen, deshalb berief er Guarini Guarino aus Verona, den be- kanntesten Humanisten im damaligen Italien. Durch seine Wirk- samkeit wurde der Hof von Ferrara zu einem der bedeutendsten Mittelpunkte humanistischer Studien.

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Guarino war der erste Italiener, der im Griechischen unter- richtete. Langere Zeit war er in Konstantinopel gewesen, nach seiner Riickkehr lehrte er in Florenz, Venedig, Verona und schlieB- lich in Ferrara Lateinisch und Griechisch. In Venedig war er 1414 wie ein regierender Fiirst empfangen worden oder wie ein heim- kehrender Triumphator. Einer seiner Lobredner schreibt, es scheine, daB der Kaiser nach Venedig gekommen sei, soviel Menschen seien dem beruhmten Gelehrten entgegengezogen ; und mag auch manches

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ZWEITES KAPITEL

Ubertriebene in diesen Worten liegen, so beweisen sie doch den all- gemeinen Eifer, der der neuen Wissenschaft gait. Nach der Tra- dition soil Guarino zwei StoBe von Handschriften aus Griechenland mitgebracht haben; als der eine beim Untergang des Schiffes im Meer versank, soil der arme Gelehrte vor Kummer graue Haare bekommen haben. Als Guarino infolge einer Seuche 1416 aus Venedig nach Verona kam, versuchte die Heimatstadt alles, um ihn an sich zu fesseln, und da kein Mittel verfing, beschloB man ihn dort zu verheiraten. Mit Hilfe von Guarinos Mutter, die in Verona lebte, gelang die Intrige, er wurde mit Taddea Cendrata di Niccoli zusammengetan, und der ungliickliche Humanist klagt, ihm sei so stark zugesetzt worden, daB er nicht anders konnte, ,,ita ut manus dederim". Guarino begriindete in Verona eine sehr gut besuchte Privatschule, aber infolge einer wiederholt ausbrechen- den Seuche muBte er dreimal nach Valpolicella fluchten, wo seine Frau einen kleinen Besitz hatte. Niccolo d'Este beniitzte diesen AnlaB, um ihn nach Ferrara zu Ziehen, mit veranlaBt von seinem Ratgeber Giacomo Giglioli, der auch heranwachsende Sonne hatte und ihnen eine bessere Erziehung zu geben wiinschte. Verona wollte aber Guarino nicht so leicht hergeben, erst nach langeren Unterhandlungen gestattete man dem Gelehrten, mit seiner Familie den neuen Wohnort zu beziehen.

Im Mai des Jahres 1429 kam der damals schon sechzigjahrige Guarino nach Ferrara; da auch dort eine Seuche herrschte, entfloh er der Stadt so schnell als moglich und fiihrte acht Monate hin- durch in umliegenden Dorfern ein trauriges Leben in Begleitung von elf Kindern, seiner Frau, die wieder Mutterfreuden entgegen- sah, und einigen Dienstboten. Daran nicht genug, anvertraute ihm auch Giacomo Giglioli seine Sonne, da er fur deren Gesundheit in Ferrara fiirchtete; so hatte der ungliickliche Padagoge ein voll- standiges Pensionat und Spital, da stets ein Teil der Gesellschaft krankelte. Als im Winter die Gefahr endlich voriiber war, er- schien Guarino in Ferraras stillen StraBen (1429) und wie es bei seinem Lobredner heiBt:

Mansurum placida statione recepit Pacis et aligeri Ferraria mater amoris.

NICCOLO III. 33

Hier begriindete er ein Privatinstitut ; sehr bald iibertrug ihm der Markgraf Lionellos Erziehung und lieB ihm dafiir 350 Du- katen jahrlich iiberweisen, eine fur damalige Zeiten fiirstliche Be- lohnung. Er war ein beruhmter Padagoge und Lehrer; seine Schriften sind jedoch trocken und langweilig, und seine Briefe und Reden gleichen in dieser Beziehung alien ubrigen literarischen Er- zeugnissen der Humanisten. Aus seinem beruhmten an Lionello nach dem Tode des Markgrafen gerichteten Brief spricht jene kriecherische Gesinnung vor dem neuen Fiirsten, die alle hofischen Schriftsteller der Renaissance kennzeichnet. Guarinos sympathische Ziige sind dagegen das Sehnen nach griechischer Kultur, nach jenem Ideal der Menschheit, um dessen Wiedereroberung es zu kampfen gait, wie einst die Kreuzfahrer um Christi Grab gekampft hatten. Fur Guarino und die ersten Humanisten war Griechen- land das heilige, das gelobte Land.

Die griechischen Padagogen begriindeten damals in Italien Privatschulen und hatten damit viel Erfolg, denn die Eltern waren nicht langer gezwungen, ihre Sonne in dieKlosterschulen zu schicken, die immer mehr verfielen. In Padua eroffnete im Jahre 1408 der Grieche Barzizza eine Schule nebst einer Privaterziehungsanstalt; er beschaftigte tiichtige Lehrer, und die venezianischen Patrizier- sdhne stromten in dies Institut. Die Schiiler bezahlten jahrlich fur Unterricht und Unterhalt vierzig Skudi. Nach dem Muster dieser Anstalt begriindete Guarino seine Schule in Ferrara, an der er selbst unterrichtete; aufierdem hatte er offentliche Vorlesungen an der dortigen Universitat. Die Abende widmete er den jungen Leuten, die bei ihm wohnten, und der Wissensdurst war so groB, daB, wie einer seiner Schiiler berichtet, er und seine jungen Freunde, die im gleichen Zimmer schliefen, zumeist bis um Mitternacht lernten und um drei Uhr morgens schon wieder vor den Buchern saBen. Selbst im Sommer am Lande war der Lern- eifer nicht zu stillen. Wir besitzen einen Brief eines anderen Schiilers von Guarino, in dem der Jiingling schildert, mit welcher Freude ,,incredibili voluptate" er sich auf dem Lande humanistischen Studien hingebe; selbst wahrend korperlicher Obungen konnen sich die Schiiler nicht vom Buche trennen, bei jeder Gelegenheit sprechen

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34 ZWEITES KAPITEL

sie mit den Lehrern von Griechen und Romern, so dafl jeder Spazier- gang ihr Wissen bereichert. Grolien Eindruck machte den Pa- dagogen das Buch von Pierpaolo Vergerio, das 1404 unter dem Titel erschien ,,De ingenuis moribus ac liberalibus studiis ad Ubertinum Carrariensem" und Vorschriften iiber Erziehung und Unterricht enthielt. Dieser Traktat sollte als Grundlage fur die Erziehung des jungen Ubertino dienen, des Sohnes Francesco Novellos II., des Herrn von Carrara. Pierpaolo stiitzte sich auf Theorien, die er griechischen und romischen Autoren, wie Plato, Aristoteles, Plu- tarch, Cicero (De oficiis) und Quintilian entnommen hatte. Ver- gerio legte das Hauptgewicht auf Literatur, Musik, Zeichnen und Fechten. Guarino gliederte diesem System weitere korperliche Ubungen an: Jagen, Schwimmen und Tanzen waren Vorschrift, wahrend der Tanz gegen Vergerios Grundsatze war. Hauptsachlich lag es Guarino daran, seinen Schulern gesunde moralische Grund- satze einzuimpfen, gerade darin war man damals sehr lax. Er hielt an den Satzungen der Kirche fest und fiihrte im Gegensatz zu vielen Humanisten seine Schuler taglich vor dem Unterricht in die Kirche. DaB er ein guter Padagoge war, bewies er an seiner eigenen Familie, denn elf von seinen dreizehn Kindern hat er zu brauchbaren Menschen erzogen. Guarinos Schule besuchten Fran- zosen, Deutsche, Englander, Polen und Ungarn; als Knaben schon kamen sie nach Ferrara, so Giovanni di Cisinge, mit dem Bei- namen Pannonius, der als dreizehnjahriger gekommen war und bis zu seinem vierundzwanzigsten Jahr bei Guarino verblieb. Auch altere Leute besuchten seine Vortrage, darunter Ferraras einfluB- reichste Manner.

Die Schule zerfiel in drei Abteilungen; auf einen Elementar- kursus baute sich das Studium von Grammatik und Rhetorik auf. Das Ziel dieser Kurse war: griindliche Unterweisung im Latei- nischen und Griechischen und Kenntnis der alten Schriftsteller; ferner war es dem Lehrer um eine gewisse Gewandtheit zu tun, so muBten die Schuler taglich iiber die verschiedensten Gegenstande debattieren. Beredsamkeit wurde von der Jugend verlangt; sie sollte in gewahlter Sprache jede These verteidigen konnen, ein- fache, ja bizarre so gut wie streng philosophische. Eine beliebte

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Aufgabe war unter anderen der Streit iiber die Jungfraulichkeit der Dido, iiber die es in Poesie und Geschichte der Alten wider- sprechende Berichte gibt.

Den Padagogen war es im Beginn der Renaissance darum zu tun, daB sich die Jugend in ihren Instituten wohl fiihle, heiter und witzig sei; die Anfange humanistischer Erziehung standen noch nicht im Zeichen der Pedanterie. Unter den Schiilern trieb die Satire iippige Bliiten. Nicht wenig AnlaS dazu boten die Pro- fessorenfrauen, die sich gern einen der Studenten als kiinftigen Gatten fur ihre Tochter gekodert hatten; auch die ferraresischen Madchen, jene Lelien und Lucien, gingen so wenig leer aus wie die „Griechin". Guarino selbst wuBte seine Wiirde zu wahren. Als die Schuler ihn zu einem Bankett einluden, weigerte er sich zu kommen, da ein alter Mann wie er die Ausgelassenheit ihrer Feste nicht storen solle.

Um 1425 hatte Vittorino da Feltre seine beruhmte Schule in Mantua eroffnet, die ,,Casa gioiosa", das frohliche Haus, so genannt wegen des heiteren Tones, der dort unter der Jugend herrschte. Gianfrancesco II., der Markgraf von Mantua, hatte Vittorino be- rufen; er unterrichtete nicht nur die Sohne und Tochter der furst- lichen Familien, sondern auch die Kinder Unbemittelter, und selbst aus der Fremde strdmten ihm Schuler zu.

Dies waren die gliicklichsten Zeiten des einsetzenden Huma- nismus, und in den Schulen dieser beiden Manner zeitigte er seine besten Friichte. Das humanistische Schulwesen trug aber den Keim des Verderbens schon in sich, denn es wurde auf den Stamm scholastischer Schulweisheit gepfropft; die neuen Safte klassischen Wissens, die diesem morschen Stamm zugefiihrt wurden, belebten ihn nur fur einen Augenblick. Kaum waren die beiden Padagogen aus Ferrara und Mantua tot, so wurde ihr System von der furcht- barsten Pedanterie durchsetzt, und der Beiname eines Pedanten, eines Menschen, der an der schwersten Dummheit trug hatte er sie sich doch durch langjahriges Griibeln iiber Biicher angeeignet , ward in den folgenden Jahrhunderten der Schrecken aller ver- niinftigen Menschen. Von den Pedanten erzahlte man sich folgende Anekdote: Eines Tages war ein groBer Streit unter ihnen auf dem

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ParnaB entstanden; die einen behaupteten, daB sich das Wort consumptum mit p schreibe, die anderen wollten des p entraten. Da wollte der erziirnte Apoll alle Pedanten aus seinem Reich ver- bannen, und nur auf die Bitten Ciceros und Quintilians, die ihnen nicht den geringsten Teil ihres Ruhmes verdankten, lieB er sich erweichen.

Der beriihmteste Humanist in Ferrara neben Guarino war Giovanni Aurispa, er war etwas friiher an den Hof der Este als Meliadus ,,precettore" gekommen. Ein ganz anders gearteter Mensch als Guarino, gehort er zu jenem unter den Humanisten verbreiteten Typus, der Karriere machen wollte, fiir den die neue Wissenschaft nur ein Mittel war, urn Beziehungen zu den Hofen anzukniipfen und sich moglichst vorteilhafte geistliche Pfrunden zu sichern. Aus diesem Grunde hatte Aurispa auch die geistlichen Weihen genommen, doch hinderte ihn dies durchaus nicht, welt- lichen Freuden nachzugehen. Sein Freund war Beccadelli Panor- mita, der sich eine Zeitlang in Ferrara aufhielt. Sie stimmten in ihren Anschauungen iiberein, nur war Panormita begabter und ehrgeiziger. Als Beccadelli einst von Neapel aus Aurispa vor- stellte, daB er dort Bischof werden konne, wenn er sein Sybariten- leben in Ferrara aufgeben wolle, erklarte Aurispa, daB er sein be- quemes Dasein in Ferrara den Miihen vorzoge, die mit hohen Amtern verkniipft seien. Aurispa hat sehr wenig geschrieben, sein ganzer literarischer NachlaB besteht aus sieben kurzen Ge- dichten und einigen kleineren aus dem Griechischen iibersetzten Schriften. Er war trage und be quern; sein Versprechen, eine kurze Biographie Homers innerhalb vierzehn Tagen zu iibersetzen, hat er selbst im Laufe eines Jahres nicht erfullt, obgleich er nach Panormitas Aussage nichts anderes zu tun hatte, als ,, seine Nagel zu putzen und seinen fetten Bauch zu kratzen".

Seiner griindlichen Kenntnis des Griechischen und seiner be- deutenden griechischen Bibliothek hatte Aurispa seine Stellung unter den Humanisten zu danken. Es war fiir ihn leichter als fiir andere Gelehrte, kostbare Biicher zu sammeln, da er groBe Ein- kiinfte hatte; auBerdem vermehrte er seine Sammlung durch ent- liehene Handschriften, die er nicht wiedergab. Filelfo hat es ihm

NICCOLO III. 37

nie verziehen, daB er ein von ihm entliehenes Buch trotz nicht ubermaBig hoflicher Mahnungen dreiundzwanzig Jahre behalten hat. Wahrscheinlich hat er als echter Humanist auch Handel in Handschriften getrieben, und er verstand es, gelegentlich fiir seine Biicher wirkliche ,,Liebhaber"-Preise zu erzielen.

Ein anderer ernsthafterer Vertreter unter den damaligen Ge- lehrten war Ugo Benzi, Arzt, Physiker, Philosoph und Literat; Niccolo III. hat ihn nach Ferrara berufen, damit er an der dortigen Universitat lese. Benzi konnte auf eine beruhmte Dozentenver- gangenheit zuriickblicken. Er hatte in Padua, Bologna, Pavia, Florenz, ja selbst in Paris an der Universitat gelesen ,,ubi im- mortali cum laude docuit". Uberall war er der Fiirst unter den Arzten und Philosophen genannt worden.

Wahrend des ferraresischen Konzils hatten diese Humanisten

eine glanzende Gelegenheit, sich durch ihr Wissen hervorzutun.

Damals gab Benzi den griechischen Gelehrten ein Fest, an dem selbst

Niccolo III. teilnahm. Nach dem Essen wurden dieTische auseinander

geriickt und Aristoteles' und Platos Anhanger begannen die Debatte.

Der Wirt bat seine Gaste, ihm Fragen iiber philosophische Probleme,

die damals im Mittelpunkt des Interesses standen, zu stellen; ohne

vorbereitet zu sein beantwortete er jede einzelne mit iiberraschender

Belesenheit, obgleich das Gesprach bis tief in die Nacht dauerte. Prak-

tischer als Ugo gewann Aurispa zwar nicht unsterblichen Ruhm bei

diesen gelehrten Versammlungen, wurde aber dafur vom Papst zum

Sekretar der romischen Kurie ernannt. Niccolo hat auch

MicheleSavonarolaausPaduanachFerraraberufen;

er war ein beriihmter Arzt und Schrift-

steller und der GroBvater des Flo-

rentiner Kanzelredners

und Reformators.

DRITTES KAPITEL

LIONELLO

i

wei Tage nach Niccolos Tod trat der Adel im Kastell im Saal der ,,zwei Kamine" zusammen und ernannte Lionello zumHerrn vonFerrara, Modena, Reggio und samtlichen dazu gehdrigen Ortschaften und Schlossern. Dann durchzog die Versammlung, Lionello an der Spitze, die StraBen der Stadt zu Pferde, und das versammelte Volk rief: ,,Viva lo illustrissimo messer Leonello signore nostro!"

Ein Portrat von Giovanni Oriolo in der National Gallery zu London, ein zweites von Pisanello in der Sammlung Morelli zu Bergamo, sowie einige Medaillen sind von Lionello erhalten. Er hat einen eigenartigen Kopf mit lockigem Haar, einer seltsam ab- geschragten Stirn, kleinen aber scharfen Augen, einer schmalen, langen Nase, sinnlichen Lippen der Gesamteindruck ist nicht unsympathisch. Besonders das Londoner Bildnis, das Lionello in jugendlichem Alter darstellt, nimmt fiir diese Personlichkeit ein, von der die Zeitgenossen so viel edle Ziige uberliefert haben. Auf dem Revers zweier Medaillen Pisanellos befindet sich ein Mast mit stark geschwelltem Segel. Es scheint dies ein Zeichen von Bestandigkeit zu sein, die jedem Sturm trotzt: Lionellos Symbol. Niccolo hat diesem Sohn eine besonders sorgfaltige Erziehung angedeihen lassen. Guarino war fiinf Jahre hindurch sein Lehrer, bis zur Heirat des jungen Markgrafen mit Margherita Gonzaga. Vergil, Cicero, Valerius Maximus, Justinian, Ovid und Terenz hat er mit seinem Schiiler gelesen und ihn in alien korperlichen

LIONELLO 39

Fertigkeiten unterwiesen. Lionello konnte reiten, schwimmen, laufen, springen, tanzen und mit dem Schwert fechten. Damit der Thron- folger auch in der Kriegskunst erfahren sei, schickte ihn der Vater 1422 nach Perugia, in das Lager des beriihmten Condottiere Braccio dei conti di Montone. Zwei Jahre lernte Lionello das Kriegshand- werk und blieb bis zum Tode des Fuhrers im Lager. Damals hatte er ein Verhaltnis mit Braccios schoner Tochter, das seine um die Tugend ihres Helden allzu angstlich besorgten Biographen nicht zugeben wollen. Trotz dieses Romanes vergaB Lionello in der Feme seines Lehrers nicht, vielmehr berichtete er ihm regelmaBig iiber seine Reisen. Diese Briefe beweisen seine Anhanglichkeit an Guarino. Er meldet ihm einmal, daB er keinen geringen Anteil am Siege habe, den Braccio errungen, ein andermal schickte er ihm Rehbocke und Fasanen, oder ein eben erworbenes Buch, oder bittet ihn, ihm einen Passus in einem alten Autor auszulegen, den er nicht verstanden. Er beschreibt seine Zeiteinteilung auf dem Lande: auf Jagdfreuden folgen Lektiire, Musik und Gesang. Auch Guarino kargt mit Beweisen seiner Sympathie fur den ehemaligen Schiiler nicht. Er wollte, daB man ihn in Zukunft Guarino Lionelli nenne, und auf eines seiner Biicher schrieb er stolz: ,,Hoc libello me Guarinum Veronesem donavit Leonellus Estensis." Guarino und anderen Gelehrten, so Pier Candido Decembrio, schrieb Lionello lateinisch, seinen iibrigen Bekannten italienisch, im ferraresischen Dialekt, und als echter Sohn seiner Zeit machte er naturlich auch Gedichte. Er hinterlieB einen Band lateinischer und italienischer Gedichte, aber nur zwei Liebessonette sind auf uns gekommen. In dem einen beklagt sich der Dichter, daB Amor ihn, der Seh- kraft beraubt, blind am Wege irren lasse und hohnisch zu ihm spreche: ,,Gehe nur hin, Ubermiitiger, der seiner Kraft vertraut." Und der Dichter sucht seinen Weg und harrt eines Mitleidigen, der ihn an der Hand fassen und leiten wiirde. Aber vergebens wartet er, er muB Amors Spott, der ihm auflauert, tragen und ihn beschamt bitten, ihm wieder Fuhrer zu sein. In einem anderen Sonett schildert Lionello eine wunderbare Quelle, die am Helikon entspringt, wer Stirn und Hande in sie taucht, verhartet sich gegen die Glut der Liebe. Auch der Dichter ist hingepilgert, aber Amor

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wartet seiner dort mit gespanntem Bogen, und als er am Quell schopfen will, vergiftet der Gott das Wasser mit seinem Pfeil. So entziindet die Quelle die Wunde, die sie heilen sollte, zu neuem Brand. Petrarcas EinfluB, der die damalige italienische Lyrik be- herrschte, ist in diesen Sonetten unverkennbar.

Nach seiner Riickkehr aus Perugia war Lionello Zeuge der furchtbaren Tragodie: des Todes von Parisina und Ugo, an dem er sehr hing. Dieser Vorfall scheint eine leise Schwermut erzeugt zu haben, die immer mehr in seinem Wesen durchbrach. Lionello blieb aber dem Vater zugetan, auch Niccolo hatte den Sohn auf Reisen immer um sich und erwies ihm viel Liebe.

Noch zu Lebzeiten des Vaters vermahlte sich Lionello 1435 mit Margherita Gonzaga aus Mantua. Sie stand ihm geistig nahe, war Vittorino da Feltres gelehrte Schulerin und traumte gleich ihrem Gatten von Griechen und Rdmern. Guarino freute sich dieser Heirat so sehr, daB er zweiBiographien von Plutarch fur Lionello als Hochzeitsgeschenk iibersetzte; brieflich sprach er ihm seine Freude dariiber aus, daB er eine so gebildete Fiirstin eheliche. Schon im Verlobungsvertrag, den Niccolo III. und Gonzaga schlossen, ward, wie Niccolo dem venezianischen Senat berichtet, Lionello die Nachfolge in Ferrara gesichert. Die freundschaftlichen Beziehungen, die schon seit langerer Zeit zwischen den Este und Gonzaga bestanden, befestigen sich vermoge dieser Heirat, und zwei Jahre spater fand Carlo Gonzagas Trauung mit Lucilla, Lio- nellos Schwester, statt.

Margherita war keine Schonheit, aber die Chronisten finden nicht Worte genug, um ihre gute Erziehung, ihre Bescheidenheit und Gute zu preisen. In Ferrara zog sie am 6. Februar 1435 ein, alter Sitte gemaB, wie alle jungen Markgrafinnen, auf weiBem Zelter, doch der Tag war kalt und die Felder mit Schnee bedeckt. Sie trug einen scharlachroten, hermelinverbramten Samtmantel, und wirkte wahrhaft koniglich unter dem Baldachin.

Die Feste dauerten drei Tage und verschlangen ein Vermdgen; die Stadt, die hoheren Beamten, selbst Privatpersonen beteiligten sich mit bedeutenden Betragen an den Kosten fur die Hochzeits- feierlichkeiten, um sich die Gunst des Markgrafen zu sichern. So

LIONELLO D'ESTE BILDNIS VON PISANELLO. BERGAMO, AKADEMIE (GALLERIA MORELU)

UONELLO

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schickten unter anderen die Stadt Modena Niccolo fiir diesen Zweck 2000 Lire, der Bischof von Modena 259, Ugo Bed, ein bekannter Humanist und Gelehrter in Ferrara, 166, und der Hofarchitekt Giovanni da Siena 100. Es war allgemein bekannt, daB Niccolo kein Barvermogen hatte, bei Gianfrancesco von Mantua hatte er 44000 Dukaten geborgt, zum Teil waren sie schon zuriickgezahlt, wahrend sie zum andern Teil in Margheritas Mitgift verrechnet wurden.

Fiir das junge Paar wurde im SchloB eine Wohnung her- gerichtet. Ein Schlafzimmer fiir den Winter nach Siiden, ein 2weites fiir den Sommer nach Norden gelegen. Im Winterschlaf- zimmer, der Camera dei pavoni, stand ein grosses Himmelbeet, ein neuer NuBbaumtisch, zwei Banke, eine Truhe mit Samtbehang und Ornamenten aus vergoldetem Zinn und ein Wandleuchter; der groBte Schmuck dieses Raumes waren zwei Bankchen mit schwarz - griiner Atlasdecke, darauf Lionellos Wappen und sein Wahlspruch in Diamanten. Schwarz und Griin iiberwogen in der Einrichtung, die prachtig, aber nach heutigen Begriffen nicht iibermafiig be- quem war. Doch war das Bett mit weichen, mit Wolle gestopften Matratzen versehen, die Kissen aus Daunen, und das Deckbett hatte einen gestreiften Oberzug. Tagsiiber lag eine schwarz-griine Atlasdecke auf dem Bett, die mit Ornamenten und Figuren reich bestickt war, darunter befand sich eine musizierende Frau. An den Wanden hingen wahrscheinlich Bilder venezianischer, ferra- resischer und mantuanischer Maler. Die Guardacamera und die Guardaroba stieBen an das Schlafzimmer; in der ersten wurden Kleider und Hausgerat aufbewahrt; so befand sich dort eine Uhr mit Zifferblatt aus vergoldetem Zinn und einem schwebenden Engel, auBerdem ein Schachbrett mit Lionellos Wappen; Schach war des jungen Markgrafen Lieblingsspiel. In der Guardaroba stand ein zweites Schachbrett in schwarz mit weiBem Elfenbein und einem dazugehorigen Tischchen. AuBerdem standen dort Truhen, Banke, ein Tisch aus NuBbaumholz, Kupferkriige und Schiisseln. Der Humanismus hatte der Antike alles abgelernt bis auf die Sauberkeit der Rdmer. Wahrend das kleine Pompeji groBartige Badeanstalten hat und Bleirohren das Wasser in die

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Hauser leiten, sind Badevorrichtungen in der Renaissance eine seltene Ausnahme, und die Ferraresen muBten den Sommer ab- warten, um im Po baden zu konnen. Zu Ehren des Markgrafen soil nicht verschwiegen werden, daB sich in der Guardaroba ein groBes Becken mit seinem Wappen zum FuBwaschen befand.

Das Speisezimmer, ein langer Saal mit zwei Kaminen, wurde auch bei groBen Empfangen beniitzt. Sechs Banke, zwei Biifetts und zwei Tische, der eine aus Zypressenholz, bildeten die Ein- richtung. Vier groBe Leuchter erhellten den Raum. Wahrschein- lich waren die Wandbehange und Teppiche der Hauptschmuck des Speisesaals und der Schlafzimmer. Uber die Wanddekoration in Lionellos Raumen sind wir nicht unterrichtet, aber nach damaliger Sitte hatte der Speisesaal wohl eine Holztafelung, dariiber Fresken oder aus Flandern importierte Arazzi. Den SteinfuBboden deckten orientalische Teppiche, die venezianische Kaufleute nach Europa gebracht hatten. Lionellos Hofstaat speiste in einem kleineren Raum, in der ,,Sala dei lincorni", so genannt, da der Markgraf das Einhorn in seinem Wappen hatte. Am schonsten scheint jedoch die ,, camera dei cimieri" eingerichtet gewesen zu sein, Lionellos Studio. Dort war ein Biicherschrank aufgestellt, der friiher Paolo Guinigi, dem Fiirsten von Lucca, gehdrt hatte. Niccolo hatte ihn erworben, als das Eigentum des Tyrannen nach seinem Sturz ver- kauft worden war. Es muB ein mit kiinstlerischem Schnitzwerk versehener Schrank gewesen sein, sonst hatte der Transport von Lucca nach Ferrara nicht gelohnt. Lionellos Kammerdiener und vier andere Bediente hatten bescheidene Kammern, ebenso war die weibliche Dienerschaft in zwei Raumen untergebracht: in der ,, stanza delle donne vecchie" und in der ,, stanza delle donne vedove". Margherita krankelte haufig, sie scheint von ihrem Vater ein schweres Magenleiden geerbt zu haben. Da sie wahrend der ersten zwei Jahre ihrer Ehe kinderlos blieb, gelobte sie der Kirche von S. Francesco in Assisi ein Exvotum, fur den Fall, daB sie Kinder bekame. Nach der Geburt ihres Sohnes am 28. Juni 1438 schickte sie, um ihr Geldbnis zu erfiillen, ein Wachsbild nach Assisi. Aber ihre Gesundheit verschlimmerte sich. In den Brief en an ihren Vater baklagte sie sich iiber ein ,,anhaltendes Kaltegefuhl im Kopf",

LIONELLO

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sie habe einen verdorbenen Magen, vertriige Fleisch iiberhaupt nicht mehr und konne sich allein von weichen Eiern und Suppen ernahren. Die Luft in Ferrara bekam ihr schlecht, so ging sie im Sommer 1439 nach Governolo, der Sommerresidenz der Gonzaga, aber dort verschlimmerte sich ihr Zustand; nach vierjahriger Ehe starb sie am 7. Juli. Auch ihr Vater starb an einem Magenleiden im neunundvierzigsten Lebensjahre.

Lionello hat Margherita sehr geliebt, ihr Tod ging ihm so nahe, daB er sein Leben fur zerstdrt hielt. Seine neu aufgenommenen Devisen bezeugen diesen Kummer: ein Schwert mit zerbrochenem WurfspieB, ein AmboB mit geborstenem Hammer, ein Schild, in dem einige Pfeile stecken, wahrend die iibrigen zerbrochen am Boden liegen.

Fiinf Jahre blieb Lionello Witwer; politische Griinde, be- sonders die Notwendigkeit sich einen Bundesgenossen gegen die drohend angewachsene Macht Venedigs zu sichern, veranlaBten ihn eine zweite Ehe einzugehen. Die kiinftige Markgrafin von Ferrara war Maria von Aragon, die uneheliche Tochter Alfonsos und einer spanischen Maurin. In Lionellos Namen leitete Agostino Villa 1443 die Verhandlungen. Alfonso versprach seiner Tochter eine Mitgift von 30000 Dukaten, Lionello sicherte seiner Gattin die Halfte dieser Summe als ihr Eigentum zu ,, propter ejus virgini- tatem".

Fur die Kosten der Obersiedlung der Markgrafin und der Feste anlaBlich der Hochzeit muBten wieder die ferraresischen Stadt- gemeinden, die Bischofe und die iibrigen Wiirdentrager des Reiches aufkommen. Es war ein driickender Brauch, der die Freude der Bevblkerung iiber die Verbindung der Dynastie mit dem Konigs- haus von Neapel nicht wenig schmalerte.

Die Vorbereitungen zum Empfang der Neapolitanerin ver- schlangen ein Vermogen. Die verstorbene Markgrafin war Vitto- rino da Feltres bescheidene Schiilerin, fur die Konigstochter, die den Luxus des vaterlichen Hofes gewohnt war, gait es, das SchloB anders herzurichten. Obrigens sollte Maria von Aragon nicht mehr die bescheidenen Raume der Thronnachfolgerin be- ziehen, sondern jenes Appartamento, das Niccolo friiher mit seinem

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Hofstaat bewohnt hatte. So wurden groBe Neuanschaffungen ge- macht: silberne und emaillierte Tafelgerate, figiirliche Teppiche aus Flandern, seidene Wandbehange, silberne Stickereien, vier Schilde mit dem Wappen ,,di Madama", zierliche Ketten zur Befestigung der Falken, Pferdegeschirr, eine kiinstlerische Kassette fur das papstliche Agnus dei, silberne Spiegel- und Bilderrahmen, Wasche und kostbare Mobel. Nicht allein der Palast sollte neu eingerichtet werden, die junge Markgrafin sollte in Ferrara eine groBe Anzahl von Toilettegegenstanden, ja fast eine ganze Ausstattung vorfinden. Ein kostbarer Rubinring und andere Kleinodien wurden fur sie bestellt, ganze StoBe von Seidenstoff und Brokat aufgestapelt, selbst der Handschuhe wurde gedacht: Handschuhe aus Alpenziegen- leder, mit Gold und Silber gestickt, Handschuhe zum Pallospiel, sowie acht Kamme aus Elfenbein. Bei dieser Gelegenheit bekam das Hofgesinde karmoisinrote Handschuhe, damit wurden auch die Universitatsprofessoren begliickt, die den Baldachin iiber der ein- ziehenden jungen Frau tragen sollten. Fiir sich selbst lieB Lionello einen gelben Anzug anfertigen.

Der Markgraf lieB die Verlobte von seinem Bruder Borso und mehreren Adeligen abholen. Zwei bewaffnete Schiffe wurden aus- geriistet, das fiir die Braut bestimmte hatte Purpursegel und war inwendig mit flandrischen Arazzi ausgeschlagen. Die venezia- nische Signoria lieB einige ihrer Schiffe und Capitani dazustoBen, und die gesamte Flotte verlieB Venedig am 24. Marz des Jahres 1444. Fast einen Monat spater, am 20. April, zog Maria von Aragon in Venedig ein, der Doge, die Dogaressa und vornehme Venezianerinnen in kostbar geschmiickten Barken empfingen die Braut und geleiteten sie in den estensischen Palast. Am Ponte Rialto war das Gedrange so groB, daB die Briicke zerbrach, zwei- hundert Personen fielen ins Wasser, zwanzig davon ertranken, und es gab iiber vierzig Verwundete.

Damit Ferraras kiinftige Markgrafin einen giinstigen Ein- druck von Venedig bekomme, verehrte ihr die Signoria ein kost- bares Kleinod im Werte von 300 Dukaten. Als die Neapolitanerin einige Tage spater sich Ferrara von der Seeseite naherte, kam ihr Meliadus, der Bruder ihres Verlobten, zu Schiff entgegen, mit ihm

LIONELLO

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die ferraresische Ritterschaft und die schonsten Frauen der Stadt, deren Barken Meliadus' Schiff wie ein Kranz umgaben. Allgemeine Aufmerksamkeit erregte ein groBer Kahn, in dem festlich ge- schmiickte, schone Landmadchen aus Polesina saBen. Bei Glocken- gelaute, Gesang und Bollerschiissen zog die Aragonierin am 24. Mai ins Castel nuovo ein, in den Palast der ehemaligen Geliebten Nic- colos III., Philippa della Tavola. Dort ruhte sie drei Tage aus, dann fand der feierliche Einzug in Ferrara am 27. Mai statt. Die Braut saB auf einem weiBen Zelter unter dem Brokatbaldachin, den die Universitatsprofessoren in ihren neuen karmoisinroten Handschuhen trugen. Bei Musikklangen bewegte sich die Kaval- kade durch die StraBen der Stadt, die Feste wahrten fiinfzehn Tage: Balle, Lanzenstechen und Turniere folgten einander. Der Platz vor dem SchloB war in Wald und Wiese verwandelt, Jagden auf wilde Tiere, die man dort ausgesetzt hatte, fanden statt, und die Neapolitanerin konnte sich dieses Spiels vom Fenster aus erfreuen. Am nachsten Tage wurde der Platz vor der Kathedrale in einen Eichenhain verwandelt, und S. Giorgio, Ferraras Schutzheiliger, er- legte dort einen furchtbaren Drachen.

Das Festmahl nach der Trauung war eines der groBartigsten, dessen man sich in Ferrara entsann. Es gab soviel Lichter, daB der Saal zu brennen schien, und die Gerichte lieBen sich nicht mehr zahlen. Die markgrafliche Kiiche exzellierte besonders durch ihre groBe Anzahl von Fleischspeisen. Schiissel folgte auf Schiissel, Fasanen, Rebhuhner, Pfauen wurden aufgetragen, ganz abgesehen von Ochsen, Kalbern und Hiihnern.

Wahrend der Hochzeitsfeste wurden etwa tausend Ochsen und Kalber, 40000 Hiihner, 15000 Pfund Zucker und zahlloses Ge- fliigel verzehrt und allein 12 000 Pfund Wachs verbraucht.

Maria von Aragon erwarb sich die Herzen der Bevolkerung schnell, auch ihren Mann verstand sie zu fesseln, sie glanzte jedoch trotz ihres lebhaften Geistes mehr durch ihre Schonheit und Liebens- wiirdigkeit als durch ihr Wissen. Sie lebte nicht lange. Ferraras ungesunde Lage scheint ungiinstig auf sie gewirkt zu habsn; sie starb nach fiinfjahriger Ehe, am 9. Dezember 1449. Fast ein Jahr spater, am 1. November 1450, starb Lionello, er litt seit langerer

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Zeit an starken Kopfschmerzen. Nach dem Chronisten Caleffini waren diese Schmerzen die Ursache seines Todes. ,,E1 male de la testa el condusse a morte." Er hinterlieB zwei Sonne, Fran- cesco, einen illegitimen Sohn, der am burgundischen Hofe erzogen wurde, und Niccolo, das noch unmiindige Kind der Margherita Gonzaga.

Lionello war vielleicht der erste wirklich menschliche Herrscher unter den Renaissancefursten. Eine Art Vorrede zu dem von ihm fur Ferrara erlassenen Gesetz ist fur ihn bezeichnend. Er sagt, alles Menschenwerk zerfalle in Staub, die Weisheit allein sei ewig und sie allein beherrsche die Welt. Darum miisse der Fiirst sich von ihr leiten lassen, auf das Wohl seiner Untertanen bedacht sein, unter Hintansetzung seines eigenen Vorteils.

Der Dichter Janus Panonius feiert ihn:

. . . cultam studiis Leonellus cultior alma Sic in pace regit patriam, sic iure quieto Temperat, ut, reliquis late cum ferrea volvat Urbibus, huic uni vehat aurea tempora Titan.

(I. Panonis Paneg. p. 25.)

II

Nach Niccolos III. Tode begann fur die Humanisten das goldene Zeitalter in Ferrara. Lionello hatte zwar in seiner Jugend italie- nische Gedichte gemacht, doch beschaftigten ihn spater haupt- sachlich philosophische und theologische Studien; in der klassischen Literatur brachte er es so weit, daB er als erster die Aufmerksam- keit der Gelehrten darauf richtete, daB die Korrespondenz zwischen Petrus und Seneca, mit der sich die Humanisten damals abgaben, nicht authentisch sei. Die alten Autoren sammelte er mit Leiden- schaft und war auf die VergroBerung der vaterlichen Bibliothek sehr bedacht. In seinen Diensten stand ein Bibliothekar, der unter anderen das Buch ,,De re uxoria" fur ihn abschrieb; das Einbinden von Buchern wurde eifrig betrieben, das Leder dazu lieferte der Introligator Nigrisolo dei Nigrisoli.

LIONELLO 47

Lionello bereicherte seine Bibliothek auch durch Abschriften von Plautus' Komodien, die kurz vorher in Deutschland gefunden worden waren; sie sollten spater in Ferraras hofischer Kultur eine groBe Rolle spielen. Selbst in den offiziellen Verfiigungen des Markgrafen brach seine Vorliebe fur das klassische Altertum durch, so in jenem Dekret, in dem er dem Arzt Savonarola die Einkiinfte einer Liegenschaft schenkte. Er sucht seine Freigebigkeit ge- wissermaBen zu rechtfertigen, indem er sich auf das Beispiel der beruhmtesten Manner des Altertums beruft; seit Alexander dem GroBen hatten bei alien Herrschern Arzte und Gelehrte in hohem Ansehen gestanden.

Die Humanisten drangten sich an den Markgrafen, so wurde unter seiner Herrschaft die Universitat in Ferrara zu einer der bedeutendsten Italiens. Lionello berief beriihmte Manner: Teodor Gaza aus Saloniki als Lehrer des Griechischen, Basinio di Parma, Francesco d'Arezzo, Lionello und Lodovico Lardi. Den Huma- nisten Angelo Decembrio zeichnete er in einem solchen MaBe aus, daB er ihm aus Dankbarkeit ein Denkmal in seinem Werke ,,Politia litteraria" gesetzt hat. Auch Leon Battista Alberti, der zu jenen gehorte, die das gesamte Wissen ihrer Zeit beherrschen, war ihm befreundet. Alberti kam 1438 zum beriihmten Konzil nach Ferrara, als tibersetzer aus dem Griechischen und Sekretar Eugens IV.; er erkannte bei naherem Verkehr, daB es Lionello Ernst damit war, seine Untergebenen zu begliicken. Er widmete ihm 1442 seine „Teogenia", in der er sich dariiber verbreitet, was dem Lande mehr schade, Niederlagen oder bestandiger Wohlstand, die Schlechtig- keit der Menschen oder politische Revolutionen. Die ,,Teogenia" war gewissermaBen das Versprechen Albertis, sich langere Zeit in Ferrara aufzuhalten, da er sich in Lionellos Staat sehr wohl ge- fiihlt hatte. ,,Dort begriff ich" schreibt er nach jenem Be- such ,, welches Gliick es ist in einem Staate zu leben, in dem nichts den Frieden des Geistes triibt, unter der Herrschaft des besten Vaters, der Gesetz und Gewohnheiten respektiert." Zwei Modelle ferraresischer Kiinstler fiir Niccolos III. Reiterdenkmal wurden von Alberti begutachtet; der Gelehrte beniitzte diesen An- laB, um seine Abhandlung zu schreiben ,,De equo animante", iibei

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Pferdezucht und Rassenkreuzung, das Material dazu ergab der reichbesetzte Marstall des Markgrafen. Aus den Gesprachen mit Lionello entstand ein weiteres Werk Albertis, jener beriihmte Traktat iiber Baukunst ,,L'arte d'edificare". Selbst einen Mann von Albertis Bedeutung regte die Atmosphare an Lionellos Hof an.

Ferrara ward zum wichtigsten literarischen Sammelpunkt im damaligen nordlichen Italien. Im SchloB versammelten sich die Gelehrten und Literaten nach Tische oder ,, inter potandum", zu- weilen lud der Markgraf sie in seine Schlosser Belfiore oder Bellos- guardo ein, wo sie im Schatten von Eiche und Lorbeer iiber wissen- schaftliche und literarische Fragen debattierten, oder er arrangierte Jagdfeste, wohl weniger fiir Guarino und Gaza als fur ihre jugend- lichen Begleiter. Diese Zusammenkunfte waren durch Platos Dialoge angeregt. Die Humanisten glaubten die Gepflogenheiten der alten Weisen in Ferraras schattige Garten verpflanzen zu konnen. Eine der markantesten Personlichkeiten dieses Kreises war Uguccione Contrari, ein Mensch von scharfem Verstand und groBer Erfahrung, dem Markgrafen sehr zugetan und in politischen Dingen so geschickt, daB zuweilen nicht nur das Schicksal Ferraras, sondern das ganz Italiens von seinen Planen abhing. Der Mark- graf unternahm keinen entscheidenden Schritt ohne seinen Rat Feltrino Bojardo aus Scandiano, der aus einer den Este sehr zu- getanen Familie stammte, Alberto Costabili, Giovanni Gualengo, die meisten der Universitatsprofessoren gehorten zu den regelmaBigen Besuchern dieses Kreises; unter den jiingeren zeichneten sich namentlich aus die Briider Niccolo und Tito Strozzi und Alberto Pio aus Carpi.

Die Strozzi, denen wir noch wiederholt am estensischen Hofe begegnen werden, waren Florentiner Verbannte, ,,fuorusciti". Carlo Strozzi und sein Sohn Giovanni waren als Fiihrer der guel- fischen Partei gezwungen, die Vaterstadt zu verlassen, als die Ghibellinen fiir kurze Zeit die Macht hatten; unter Niccolo III. hatten die Strozzi sich in Ferrara niedergelassen. Die Legende will wissen, daB einer ihrer Vorfahren seinen Gegner, einen Riesen, erwiirgt habe (strozzare), daher bekam ihre Familie den Beinamen ,,Wiirger", ,,Strozza", woraus sich der Name Strozzi entwickelt hat.

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Giovanni war mit Costanza de Costabili verheiratet, einer Frau aus angesehenem ferraresischem Geschlecht, ihre vier Sonne haben den Este gute Dienste geleistet. Der jiingste Tito Vespasiano (geb. 1425) war wie Lionello Guarinos Schiiler, ein leidenschaft- licher Latinist, der friih begann lateinische Verse zu machen. Er war der begabteste unter den Jungen, die sich urn Lionello sam- melten. Alberto Pio stammte aus der Condottiere-Familie aus Carpi in der Po-Ebene, den Nachbarn der Carpi aus Mirandola. Er ist nicht identisch mit Alberto III. Pio, einem beriihmten Ge- lehrten und Diplomaten, dem wir an Ercoles I. Hof begegnen werden. Zu dieser kunstbeflissenen Jugend gehorte auch Francesco Ariosto aus derselben Familie, aus der spater der groBe Dichter hervorging.

Die Zusammenkiinfte bei Lionello waren zwanglos und heiter. Starker als aller Klassizismus war die Jugend; neben Debatten wissenschaftlicher Natur erzahlte man sich die im XV. und XVI. Jahrhundert beliebten, oft reichlich gepfefferten ,,Facetien", zu- weilen, selbst am Abend, spielten Flotenspieler, ,,tibicines", auf, was Guarino in einem seiner Briefe damit rechtfertigt, daB es auch im Altertum nicht anders war. Beschonigend fiigt der Padagoge hinzu, daB die Musik nicht sinnlich sondern schlicht und ernst gewesen sei, ,,non lascivientem sed sobriam convivis solebant ad- hibere musicam". Der Tisch war nur einfach besetzt, das Essen wurde durch Witz und Scherz gewiirzt, indem man es auch darin Sokrates gleich tun wollte.

Die Geselligkeit stand im Zeichen der ,,urbanitas", einer in sehr gesuchten Formen sich bewegenden Hoflichkeit, die spater, be- sonders bei Spaniern und Franzosen, zu lacherlichen Ubertreibungen fiihrte. Guarino lehrte, daB der Mensch nicht nur geschaffen sei, um zu leben, ,,vivere", sondern um mit anderen leben zu konnen. ,,convivere". AuBerdem legte man groBes Gewicht auf die Fahig- keit sich gut, ja elegant auszudriicken, da nach Guarino der Mensch nicht nur die Pflicht habe, verstandig zu sein, sondern auch seine Gedanken verstandig und klar zu auBern.

Die Antike hat diese Menschen ganzlich hypnotisiert, sie ver- loren die Fahigkeit, unbefangen zu denken. Guarino schreibt aus

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Valpolicella an einen Freund, wie sehr ihn die Natur begliicke, sofort fiigt er quasi als Rechtfertigung hinzu, daB auch Fabritius und Cato sich des Landlebens erfreut hatten. Beim Spazieren- gehen, Reiten, Jagen, selbst beim Fischen hatte er seinen Vergil in der Tasche, er hielt es fur seiner unwiirdig, iiber die Felder ohne diesen Fiihrer zu gehen, der Ackerland und Vieh so poetisch ge- schildert hat. Die Beschreibung seines Landhauses in Valpolicella ist fast wortlich Plinius entlehnt, der uns die Schilderung seines groBen Landsitzes in Toskana hinterlassen hat.

Selbstverstandlich haben die Humanisten die franzosischen Ritterromane verachtet; ihnen galten jene, am Hof der Este so viel gelesenen Biicher als unmoralisch, sie betrachteten es als unter ihrer Wiirde, sich mit diesen Dingen abzugeben angesichts der Werke von Ovid. Darin stimmten sie vollkommen mit der Geistlichkeit iiberein, die auch in den Erzahlungen der StraBen- sanger den Quell des Ubels fand. So kampfte man gemeinsam gegen die Romane, und es ist schon seltsam genug, daB der hitzigste Gegner der Ritterliteratur ein Arzt in Ferrara war, Michele Savona- rola, den die Merlin und Rinaldo so erbosten, daB er in seiner Abhandlung ,,Confessionale" den Priestern riet, jenen ihrer Beicht- kinder keine Absolution zu erteilen, ,,die sich vergniigen mit dem Horen und Lesen uberfliissiger Liebesgeschichten, zuviel Zeit fur Musik und weltlichen Gesang verschwenden und an den Feiertagen, anstatt zur Vesper zu gehen, den StraBensangern lauschten". Aber weder die Vorstellungen der Humanisten noch die Ermahnungen der Geistlichkeit schufen Wandel, das Volk wuBte mit den neu- modischen Gelehrten, die seine Phantasie nicht befriedigten, nichts anzufangen und zog die Geschichten heldenmiitiger Ritter Platos Lehren vor.

Infolge des Einflusses der Humanisten war selbst Petrarcas Kult in Ferrara geringer als anderswo, mit Florenz, z. B. das zum eigent- lichen Sitz der Petrarkisten wurde, gar nicht zu vergleichen. Unter Lionello herrschten die Latinisten in Ferrara unumschrankt, mit geringen Ausnahmen machte man nur lateinische Verse, das Ideal der Dichter war Ovid, den man in Form und Inhalt kopierte. Und dieser Latinisten gab es so viele, daB in Italien der Spottvers zirku-

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lierte, in Ferrara gabe es so viel Reimschmiede wie Frosche in den Siimpfen. Bartolommdo Prignano Paganelli (gest. 1493) schrieb:

.... tot Ferraria vates

Quot ranas tellus Ferrariensis habet.

Der bekannteste dieser Dichter war Giovanni Cesinge, Janus

Pannonius, und der klugste wohl jener Arzt, Girolamo

Castelli, auch er ein Schiiler Guarinos, der

selbst noch in seinem Testament

verbot, seine Verse je

zu drucken.

VIERTES KAPITEL

BORSO

i

h gloria d'Este! nennt Annunzio in seinem Roman „I1 Piacere" den Palazzo Schifanoja in Ferrara. Von auBen betrachtet zeichnet sich der Palast weder durch seinen Umfang noch durch seine architektonischen Verhaltnisse aus, nur das Hauptportal mit dem groBen Wappen der Este macht einen durchaus eigenartigen Eindruck. Das Gebaude, das schon von Alberto Este errichtet worden war, hat durch Borsos Umbau sein heutiges Gesicht erhalten. Den ,,Ruhm der Este" muB man innerhalb der bescheidenen Wande, im ersten Stock des groBen Saales suchen, wo die beriihmten Fresken mit Szenen aus Borsos Leben sich befinden.

Die Fresken gehoren zu den kostbarsten Dokumenten hofischer Kunst aus der zweiten Halfte des XV. Jahrhunderts, und es ist sehr zu beklagen, daB nur ein Teil erhalten ist. Im XVIII. Jahrhundert, in der Zeit von Tunche und Kalkbewurf , wurden sie uberstrichen, und erst zwischen 1830 und 1839 teilweise aufgedeckt, als man Vor- bilder zu einem Kostiimfest, einer Jagd zu Borsos Zeiten, brauchte. Da erst iiberzeugte* man sich vom groBen Wert der Malereien, und zwei Jahre spater reinigte der Bolognese Alessandro Compa- gnoni das, was noch nicht ganz verdorben war.

1450, nach Lionellos Tod, iibernahm Borso die Regierung; er hat bis 1 47 1 in Ferrara geherrscht. Seine Regierung war eine Epoche des Friedens, da das Reich dank dem glucklichen Lauf der Ereignisse und der Umsicht des Herrschers keine Kriege zu fiihren hatte. Ferrara wurde damals die ,, Terra della pace" genannt. Borso

BORSO

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bemuhte sich, in alien politischen Verwicklungen seine Neutralitat zu wahren, und die italienischen Nachbarlander haben ihn mehr- fach zum Richter ernannt in Fallen, die zu kriegerischen Ver- wicklungen hatten fiihren konnen. Ohne Blutverlust vergroBerte er sein Reich, obgleich infolge des Erloschens der Dynastie der Visconti in Mailand und der Feindseligkeiten der Venezianer, die Ferraras wachsende Macht nur ungern sahen, die Verhaltnisse schwierig genug waren. Borso verstand es, die Feinde unter- einander zu veruneinigen und Nutzen aus ihrem Streit zu ziehen. Der Papst Paul IV. hat einmal gesagt, Borso fiihre ohne Schwert- streich und Geld, wenn er mit seinen Falken auf die Jagd ginge, Krieg mit wem er wolle und dazu vorteilhafter als irgendein anderer mit fiinftausend Berittenen. Borso hatte, auf Herrschaft und Ruhm bedacht, viele Vorziige, aber diese Vorziige resul- tierten in der Hauptsache aus dem Egoismus des Herrschers. Darin war er den Medici verwandt: war Gerechtigkeit nicht mit Nach- teilen fur ihn verbunden, so iibte er sie gem, aber mehr als um Recht ging es ihm um den Ruhm des Gerechten. Er stand sehr friih auf; nachdem er mit seinem Hauskaplan gebetet hatte, ging er in die Stadt, umgeben von Raten und Sekretaren, um die Streitig- keiten unter der Bevolkerung zu schlichten und in patriarchalischer Weise Gerechtigkeit in jenen Fallen zu iiben, die man nicht erst dem Gericht vorlegen mufite. Fur gewdhnlich begleiteten ihn Teofil Calcagnini, den er 1465 zum Ritter des goldenen Sporn mit dem Stern ernannt hatte, und die geheimen Rate Lorenzo Strozzi, Agostino de Bonfranceschi da Rimini und Prisciano de Prisciani. Die Bevolkerung drangte sich an ihn, auf der StraBe konnte sich jeder bei ihm beklagen und seine Bitte vortragen. So sehr geizte er um den Ruhm des ,, Gerechten", daB er gelegentlich das Theatra- lische nicht scheute. So wird folgendes Geschichtchen von ihm erzahlt: Als der Hofmarschall eines Tages Handwerker fur von ihnen ins SchloB gelieferte Dinge nicht bezahlt hatte, wandten sie sich an Borso; er selbst iibergab die Sache dem Gericht, lieB sich verurteilen, bezahlte den Handwerkern was ihnen zukam und machte dem Hofmarschall Vorwiirfe, daB er ihn in eine solche Lage gebracht habe. Ein andermal hatte sich ein begiiterter Ferrarese

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in Venedig eine boshafte Bemerkung iiber Borso gestattet. Als er zuriickkam, forderte ihn der Markgraf vor das Gericht der „Zwdlf"; der Urteilsspruch lautete: Verbannung und Einziehung seiner Giiter. Einer von Borsos Schmeichlern geriet wahrend der Gerichtsverhandlung in solchen Zorn, daB er auf den Angeklagten beinahe mit dem Dolch losging. Der Markgraf begnadigte den Verurteilten zwar, doch muBte der arme Teufel mit dem Strick um den Hals zu ihm gehen und um Gnade bitten. Es ware ein- facher gewesen, von vornherein zu verzeihen, ohne die ganze Ge- richtskomodie zu inszenieren, aber Borso hatte eine Schwache fur fiirstliche Reklame. Die Ebene von Ferrara erschien ihm zu flach, so lieB er, um seiner Phantasie Geniige zu tun, einen Hiigel in Montesanto aufschiitten. Der kunstliche Hiigel verschlang un- niitze Arbeit und Geld, und die Bevolkerung murrte.

Er unterstiitzte Dichter und Gelehrte, um von ihnen gepriesen zu werden. Obgleich er nicht gelehrt war wie Lionello, gab er doch nicht unbedeutende Summen fur die Universitat und seltene Biicher aus, auBerdem interessierte er sich angelegentlichst fur die Einfiihrung der Buchdruckerkunst. Tito Strozzi, der die Eitelkeit des Markgrafen kannte, verfaBte eine lateinische Dichtung ,,Bor- siada", die ihn verherrlichte, doch braucht die Menschheit nicht dariiber zu klagen, daB nur Bruchstucke dieses Epos erhalten sind. Borso verstand es glanzend, seinen Ruhm zu mehren. ,,Tiirken und Inder" versichert ein Chronist ,,haben ihn fur den alleinigen Beherrscher Italiens gehalten und ihm Geschenke ge- macht." Uberall gait er als der Kliigste unter den Herrschenden in der zweiten Halfte des XV. Jahrhunderts.

Luxus und Jagd waren seine Hauptpassionen, er teilt sie frei- lich mit alien Angehorigen seines Geschlechts. Von den iibrigen Este unterschied ihn eine seltsame Gleichgiiltigkeit den Frauen gegeniiber, die in seinem Leben keine Rolle spielen. Einer seiner Biographen, der von groBer Bewunderung fur ihn erfiillt ist, legt ihm diese Eigenheit als Vorzug aus.

Am meisten wurde Borsos groBe Gastfreundschaft genihmt. Sein Haus stand alien bekannten Personlichkeiten offen, das SchloB war mit besonderem Prunk ausgestattet, er selbst trug stets

BORSO 55

Goldbrokat. Giraldi sagt, daB Borso in seinem Anzug ,,piu ambitioso, che non conveniva" sei, selbst seine Beinkleider waren aus Brokat oder Atlas, und den Kopf deckte eine hohe, spitze Miitze, die mit Gold und Edelsteinen ausgenaht war. Der Markgraf hatte die beriihmtesten Hofnarren, die schonsten Pferde, Hunde und Falken, und in ganz Italien las man die Beschreibungen der von ihm ver- anstalteten Feste. Uberdies war er sehr baulustig, er legte den Grundstein der beruhmten Certosa von Ferrara, befestigte die Mauern der Stadt und erneuerte den Palazzo Schifanoja. Frei- gebig gegen seine Freunde, lieB er fur Teofilo Calcagnini einen Palast bauen und schenkte ihm auBerdem einige Hauser. Von seinen Hoflingen zeichnete er Casella aus, den er sein rechtes Auge nannte, und Lodovico Carbone, von dem noch die Rede sein wird. An Casellas Begrabnis nahm er in Trauerkleidern teil, was den bisherigen Gepflogenheiten der Este widersprach.

In Borsos Leben haben zwei Tatsachen oder richtiger zwei Feste die Historiker am meisten beschaftigt: der Empfang des Kaisers Friedrich III. in Ferrara und Borsos Aufenthalt in Rom. Beide Ereignisse beweisen, daB der Herrscher, der sich einen gut- miitigen Anstrich gab, ein sehr geschickter Diplomat war. Fried- rich III. kam Anfang des Jahres 1452 mit einem Gefolge von zwei- tausend Mann, dem Erzherzog Albrecht und dem Konig Ladislas zur Kronung nach Rom; in Siena sollte er seine Braut Eleonora von Portugal treffen. Das Geld war knapp am kaiserlichen Hofe, und so verteilte Friedrich gern Titel unterwegs, um als Gegengabe seinen Schatz zu fiillen. Borso begehrte den Herzogstitel seit langer Zeit, er wollte auch den Kaiser durch einen prachtigen Empfang und reiche Geschenke fur sich einnehmen. So ritt er ihm entgegen, umgeben von den Fiirsten der kleineren norditalienischen Hofe, den Edelleuten und der Geistlichkeit; drei Standarten wurden ihm voran getragen: eine griine mit schwarzem und weiBem Adler trug Francesco Sforzatello di Rovigo, die zweite, die auch griin war, trug Venceslao Rangoni da Modena, eine dritte, rote, Pietro Maro- cello di Ferrara. Ein kostbarer Baldachin wurde uber dem Platz errichtet, auf dem der Kaiser und der Markgraf sich trafen. Friedrich war sehr gnadig; Borso bewirtete ihn und sein zahlreiches Gefolge

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wahrend voller zehn Tage, suchte ihn durch Banketts und Lanzen- stechen zu zerstreuen, und die Musikklange verstummten kaum wahrend des Aufenthalts des Monarchen in Ferrara. In der Um- gebung des Kaisers befanden sich auch die Gesandten der Stadt StraBburg mit ihrem Gefolge. Ihnen verdanken wir eine Be- schreibung des Empfanges in Ferrara, sie finden nicht Worte ge- nug fur Borsos Gastlichkeit. In ihre Wohnung hatte ihnen der Markgraf sechzehn verschiedene Weinsorten geschickt, so viel Brot wie zwei Knechte schleppen konnten, zehn Konfektkisten, dreierlei Wachskerzen, dreiBig Kapaune, zwei lebendige Kalber, und Hafer fiir ihre Pferde im UbermaB. Ja noch mehr, der Fiihrer des Zuges und sein Sohn bekamen goldene Ringe und jeder der Gefahrten einen kostbaren Rosenkranz. Dem Kaiser schenkte Borso die schonsten funfzig Pferde aus seinen Stallungen und fiinfzig der besten Falken. Damit nahm Borso den Kaiser so sehr fiir sich ein, daB er auf der Riickreise aus Rom in Ferrara wieder Halt machte und dem Markgrafen den heiBbegehrten Titel eines Herzogs von Modena und Reggio verlieh. Zum Herzog von Ferrara konnte er ihn nicht ernennen, da dieser Titel vom Papst abhing, dessen Lehnsvasall der Markgraf war. Die Papste beobachteten aber die Machterweiterung der Este, die den Interessen der romischen Kurie entgegen war, mit scheelem Auge.

Am Himmelfahrtstage fand die Feier zu Ehren der Verleihung des Herzogstitels statt. Am Vorabend des Feiertages gab es ein groBes Fest im SchloB, selbst der Kaiser tanzte, die ganze Stadt war illuminiert und Pechfasser brannten auf den freien Platzen. Vor dem Dome, an der Rigobolloturmseite, stand ein mit ver- schiedenen ,,Historien" bemaltes Leinenzelt, darin ein Thron mit Goldbrokatdecke. Uber die iibrigen Sitze waren agyptische Teppiche gebreitet. Der Kaiser zog einen mit Gold und Kleinodien bestickten Mantel an und setzte die mit kostbaren Edelsteinen geschmiickte Krone auf, ihr Wert soil 150 000 Gulden betragen haben. Auf den Tribiinen, an den Fenstern des bischoflichen Palastes und des Palazzo della Ragione waren so viele Edelleute, so viel schone Frauen in kostbaren Gewandern und solche Volksmassen, daB selbst der Kaiser sich dieser Pracht gev/undert und gesagt haben soil, das

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Reich wiirde auf eine Stadt wie Ferrara stolz sein. Uber den Borgonuovo kam Borso auf den Platz vom Castello Vecchio her, in einem Goldbrokatanzug, starrend von Kostbarkeiten, um den Hals trug er eine Kette, die allein 20 000 Gulden wert war. Nament- lich vier seiner Edelsteine erregten allgemeine Bewunderung, zwei auf dem linken Armel und zwei auf dem Hute: es waren Steine von nie gesehener Schonheit. Dem Markgrafen voran ritten vier- hundert Edelleute auf wundervollen Pferden, mit dem Herzog- schwert folgte einer der bekanntesten Burger Ferraras: Cristiano Francesco Bevilacqua. Als Borso auf dem Platz erschien, erscholl es von alien Seiten: Borso! Borso! Duca! Duca! Vor dem kaiser- lichen Zelt machte Borso Halt und stieg die Stufen der Tribune zum Monarchen heran, wahrend die Ritterschaft sich im Halb- kreis aufstellte. Der Markgraf kniete vor Friedrich nieder, der ihn zum Herzog von Modena und Reggio und Graf en von Rovigo ernannte. Dann wurde dem neuen Herzog ein langer scharlach- roter, hermelinbesetzter Mantel umgelegt, in die Hande gab man ihm ein goldenes Zepter und ein bloBes Schwert, zu seinen FiiBen legte man die Fahnen der drei Stadte, iiber die er herrschen sollte, dann kuBte der Kaiser Borso und setzte ihn an seine Seite. Nach besndeter Zeremonie gab der Kaiser noch einigen der Anwesenden den Ritterschlag, darunter auch Niccolo da Correggio, Borsos Neffen, einem einjahrigen Kinde, und dem vierzehnjahrigen Galeotto della Mirandola.

Dann begab sich der ganze Zug in den Dom; vor dem Haupt- altar gelobte der Herzog dem Kaiser Treue und verehrte dem Monarchen als Zeichen seiner Ergebenheit ein Kleinod aus sieben Steinen, das einen Wert von 40 000 Gulden hatte. Borso durfte den kaiserlichen Adler in seinem Wappen fiihren und erhielt den Titel ,, Principe del S. R. J." und ,,Duca con suprema giurisdizione ".

Dann sprach auf kaiserlichen Befehl Aeneas Sylvius Picco- lomini, der Bischof von Siena, zum versammelten Volk, indem er die Bedeutung der neuen, Borso verliehenen Wiirde erklarte und die Tugenden und Verdienste der Este beleuchtete. Dies war der BeschluB des fur die Geschichte von Ferrara denkwiirdigen Tages. Am 19. Mai fuhr der Kaiser nach Venedig, wo er im Palast der

58 VIERTES KAPITEL

Este residierte. Borso, umgeben von der Ritterschaft und einer bewaffneten, etwa tausend Mann zahlenden Eskorte, unternahm eine Triumphreise im neuen Herzogtum. Unterwegs berauschte er sich an den Zurufen: Duca! Duca!, am Glockengelaute, an Ge- sang, Musik und festlichen Ansprachen. In Modena und Reggio wurde er feierlichst empfangen, Tausende von Kindern kamen ihm mit Blumen entgegen, die beriihmtesten Redner priesen seinen Ruhm, und Triumphwagen durchzogen die Straflen. Der Verfasser und Regisseur des allegorischen Festspiels in Reggio war Malatesta Ariosto, ein Notar aus Ferrara, Mitglied des Rates und Gelegen- heitsdichter.

Borso kopierte Alfonso von Neapel, der auch ahnliche Triumph- zuge durch sein Reich liebte. Diese Ansprachen und Huldigungen, die dem neuen Herzog wurden, fanden ihren Niederschlag in einem Verse Bojardos, in dem ihn der groBe Dichter feiert: ,,Sei gegriiBt, Zier der Este, Borso, Ruhm der Welt!"

Borsos Traum war, auch Herzog von Ferrara zu werden, und als Pius II. nach Mantua reiste, um den Feldzug gegen die Tiirken vorzubereiten, glaubte der Markgraf, daB der geeignete Augenblick gekommen sei, um diesen Wunsch zu verwirklichen. Er ver- sprach denn auch dem Papst, der am 17. Mai 1459 in Ferrara auf der Durchreise weilte, 300 000 Gulden fur die tiirkische Expedition, ohne im entferntesten daran zu denken, diese groBe Summe zu zahlen. Den Papst empfing er mit dem groBten Aufwand, den er aufzubringen vermochte. Begleitet von den Herren von Forli, Cesena, Rimini, Mirandola, Correggio und Carpi, fuhr er ihm ent- gegen; im Gefolge befanden sich unter anderen sieben estensische Bastarde, drei Briider von Borso, Francesco, Lionellos unehelicher Sohn, und drei Sohne von Meliadus. Vor der Porta di San Pietro saB der Herzog vom Pferde ab, kniete vor dem Papst nieder, kiiBte ihm den FuB und iibergab ihm die Schlussel der Stadt, Bei Glocken- gelaute zog der Papst durch die StraBen, die mit Tausenden von Fackeln erleuchtet waren. In Ferrara blieb Pius II. elf Tage und beging dort die Fronleichnamsprozession. Zum Abschied schenkte Borso dem Papst noch einen silbernen Tafelaufsatz im Werte von 8000 Dukaten.

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Dem heimkehrenden Papst bereitete der Markgraf wieder einen groBartigen Empfang. Er war ihm auf dem Po entgegengefahren, erwartete ihn in einem prachtvollen Bucentaur, mit Fahnen und Musik, umgeben von tausend Barken, die die gesamte Breite des Flusses einnahmen. Am Ufer erwarteten den Papst weiBgekleidete Kinder, die ihm Blumen und Kranze zuwarfen. Die SlraBen der Stadt, durch die der Papst fuhr, waren mit Blumen und Grun ge- schmiickt, und bunte Stoffe waren zwischen den Hausern gespannt. Mit einer kiinstlichen Briicke wurden SchloB und Dora verbunden, damit der Papst die Kirche unbehelligt betreten konne. Aber die vielen Vorbereitungen und Kosten waren vergebens, Pius blieb nur einen Tag in Ferrara, schlug Borso den erbetenen Herzogstitel ab, und erst sein Nachfolger, Paul II., der den Este wohlgesinnt war, entschied die Frage im Sinne des Herrschers von Ferrara.

II

Im Besitz der neuen Wiirde brach Borso im Friihling 1471 nach Rom auf mit einem wahrhaft koniglichen Gefolge. Ihn be- gleiteten Alberto d'Este, die Herren von Carpi, Correggio, Mirandola, Scandiano und Teofil Calcagnini, sein treuer Ratgeber, auBerdem gehorten etwa funfhundert Ritter und Hoflinge in Samt- und Brokatgewandern zum Zuge. Am 13. Marz verlieBen sie Ferrara auf siebenhundert Pferden in kostbarem Geschirr, zweihundert- fiinfzig Mauleseln mit purpurnen Samt- oder Tuchdecken mit dem Wappen der Este. Die silbernen Glocken der Maulesel stimmten lustig zur Musik der Trompeter und Pifferari. Neben den Maul- eseln schritten achtzig Knechte in WeiB-rct-grun, mit dem ge- stickten Zeichen ,,di Sua Eccellenza", jeder von ihnen fiihrte zwei Koppeln Jagdhunde vornehmster Rasse.

Siebzehn Tage dauerte die Reise iiber Ravenna, Rimini, Pesaro, Perugia, Todi und Narni, und als sich der Zug der Porta del Popolo naherte, kam ihm ganz Rom entgegen. Den neuen Herzog be- griiBten siebzehn Kardinale; die StraBen, durch die der Gast ein- zog, waren mit frischen, eigens zu diesem Zweck verpflanzten

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Baumen eingefaBt, Girlanden aus Laub und Blumen waren da- zwischen gespannt. Aus den Fenstern der Hauser hingen Teppiche und kostbare Stoffe, dazwischen Schilde mit Borsos und des Papstes Wappen. Triumphbogen mit entsprechenden Inschriften fehlten nicht, und zur Freude des Volkes schenkten die Springbrunnen an jenem Tage nicht Wasser sondern Wein. Niemals war der Kaiser in Rom so feierlich empfangen worden. Der dankbare Herzog von Ferrara lieB Silbergeld unter das Volk werfen.

Als Wohnung hatte der Papst seinem Gast den schonen Palast in der Nahe des Vatikans bestimmt, der fur den Kardinal Longueil gebaut worden war. Die feierliche Verleihung der Herzogswiirde fand am Ostertage in der Peterskirche statt. Seine Eindrucke be- schreibt Borso am 15. April 1471 in einem an seinen treuen Sekretar Giovanni di Compagno in Ferrara gerichteten Brief. Er ist hochst bezeichnend fur den aufgeblasenen, um Ruhm und Namen geizen- den Fiirsten; aus jeder Zeile spricht das Gliick uber den groBartigen Empfang, die Freude daruber, daB Tausende seine Gewander, seine Pracht, seine Schatze bewundern und Zeugen seiner Triumphe sind. Besonders stolz ist er darauf, daB er die Wiirde eines Herzogs von Ferrara von jenem empfangt, der der Nachfolger Christi auf Erden ist, eine groBere Ehre kann ihm also nicht mehr zuteil werden. Da ihm der Herzogstitel durch Gottes Gnaden geworden ist, wird Gott seine Stellung bestatigen und ihm und seinen Unter- gebenen seinen Segen schenken. Zur Feier, daB er zum Ritter der Kirche geschlagen und mit dem Herzogstitel in der Peters- basilika belehnt wurde, legte Borso ein purpurnes, golddurch- webtes Ehrenkleid an, das bis an die FiiBe reichte. Sein ganzes Gefolge begleitete ihn und bewunderte, wie er, um Ruhm und Ehre zu mehren, ,,per nostra honorificentia et gloria", die Schleppe des papstlichen Pluviale trug.

Kopf an Kopf drangten sich in der Basilika Romer und Fremde, kein Apfel hatte zur Erde fallen konnen. Nach verschiedenen einleitenden Zeremonien begann die groBe Messe mit dem Chor der papstlichen Sanger. Der Papst trat nach dem ,,Kyrie eleison" an den Altar, um Borso zum Ritter zu schlagen; nach den Evan- gelien, die lateinisch und griechisch gelesen wurden, kniete der

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Herzog vor dem Papst nieder und leistete den Treuschwur nach vorgeschriebener Formel, dann sprach der Papst feierlich zu ihm ,,accipe gladium", gleichzeitig umgiirtete ihn Thomas, der Tyrann von Morea und Bruder des letzten Kaisers von Byzanz, mit dem Schwert, und die Generate der heiligen Kirche, Costantino Sforza und Napoleone Orsini, legten ihm die goldenen Sporen an als Zeichen wahren Rittertums, ,,in signum verae militiae". Zuletzt driickte ihm der Papst den FriedenskuB auf die Stirn ,,osculum pads", und Borso umarmte alle Kardinale der Reihe nach, ihrer Wiirde entsprechend. Borso empfand die Weihe der Stunde so stark, dafi er auch spater diese Feier als etwas Aufierordentliches betrachtete, dessen Erinnerung bis zu seinem Tode nachwirken wiirde. Nach der Zeremonie empfing Borso das Abendmahl aus den Handen des Papstes und jetzt erst erfolgte der eigentliche Akt der Titeliiber- tragung. Man legte ihm einen sehr weiten purpurnen Damast- mantel um, der nur auf der rechten Seite geoffnet war, ,,mit be- sonders langer Schleppe" fiigt Borso hinzu ,,der furstlichen Wiirde entsprechend". Ober die Arme hing man ihm einen breiten Hermelinkragen, auf den Kopf setzte ihm der Papst selbst eine Mitra ,,oveta" von spitzer Form, mit auf die Ohren fallenden Klappen, mit Perlen und einem auBergewohnlich schonen Rubin ge- schmiickt. Als der Papst ihn mit diesem Attribut der Herzogswiirde bekleidete, sprach er die in diesen Fallen vorgeschriebene Formel ,,accipe insigne ducalis proeminentiae", und bei der Obergabe des kunstlerischen Zepters fiigte er die Worte hinzu: ,,directionis et justitiae". SchlieBlich legte ihm Paul II. eine kostbare Kette um den Hals, so daB der neue Fiirst ,,aussah wie ein Kardinal".

Nach dem Gottesdienst erteilte der Papst dem Volk den Segen, schwang das SchweiBtuch der heiligen Veronika und verkiindete einen allgemeinen AblaB. Der Chronist berichtet, daB sich zwei- malhunderttausend Menschen auf dem Platz angesammelt hatten, was jedenfalls ubertrieben ist. Es geniigt, daB die StraBen, Fenster und Dacher der umliegenden Hauser bis zum Kastell S. Angelo von Neugierigen belagert waren, und als Borso von samtlichen Kardinalen geleitet in seinen Palast zuriickkehrte, konnte er sich des Zurufs erfreuen, der ihm von alien Seiten entgegenschlug:

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Duca! Duca! Borso! Borso! Trotz all seines Gliickes bekennt der neue Herzog, daB die Feierlichkeit zu lange gedauert habe und er tniide und hungrig nach Hause gekommen sei. Am meisten freute ihn, daB man weder einem Konig noch einem Kaiser zu Ehren je solche Feste in Rom gefeiert hatte.

Nachdem er geschlafen und ausgeruht, muBte Borso sich zu einer neuen Feier riisten: die Ehrungen, die ihn in Rom erwarteten, fanden kein Ende, Der Papst verlieh ihm am zweiten Ostertag die goldene Tugendrose, ,,psr nostra gloria et exaltatione", wie Borso sich ausdriickt. In seinem hermelinbesetzten Mantel, der ihm anscheinend groBe Freude machte. mit der Mitra auf dem Haupt, dem Zepter in der Hand und der kostbaren Kette um den Hals, begab sich der Herzog nach S. Peter zu dieser neuen Ehrung. In der Kirche erklarte der Papst nach vollzogenem Gottesdienst die Bedeutung der goldenen Rose. ,,Eine solche Rose" schreibt Borso seinem Sekretar ,,wird nur dem wiirdigsten Herrscher auf Erden verliehen." Die Rose war mit Edelsteinen im Werte von funfhundert Dukaten geschmiickt, und als Borso sich aus der Kirche in den Palazzo di S. Marco begab, wo der Papst ein groB- artiges Festmahl ihm zu Ehren gab, hielt er den neuen Beweis der papstlichen Gunst in der Hand, und wieder begriiBte ihn das Volk mit lauten Ovationen. Zu diesem Mahl waren fiinfzehn Kardinale geladen, und die Kirchenfursten ergingen sich in lebhaften Ver- mutungen dariiber, weshalb Paul II. Borso in dem MaBe feiere. Die Neugier wuchs, als der Papst Borso in geheimer Audienz emp- fing und der Inhalt der Unterredung nicht bekannt ward. Spater erst kombinierte man, daB ein neues Konzil nach Ferrara berufen werden sollte. Dort sollte man iiber Anderungen innerhalb der kirchlichen Hierarchie und die Vernichtung der turkischen Macht verhandeln. Der Papst sah voraus, daB die Kardinale sich der Einberufung dieses Konzils energisch widersetzen wiirden, deshalb wollte er sein Geheimnis wahren. In seinen Planen sollte Borso ihn unterstiitzen.

Borso hatte nicht vorausgesehen, daB dieser vom Papst emp- fangene Herzogstitel einst die rechtliche Grundlage werden wiirde, um den Este Ferrara zu nehmen. Aufs neue war er Lehnsvasall

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der Kirche geworden, hatte seine Abhangigkeit vom Papste an- erkannt, die Bande zwischen Ferrara und Rom enger gekniipft, wahrend sie unter Obizzo II., der 1264 ,,durch den Willen des Volkes" gewahlt worden war, sich sehr gelockert hatten. Als Rom etwa ein Jahrhundert spater (1598) Don Cesare d'Este Ferrara nahm, stiitzte es sich in der Hauptsache darauf, daB Paul II. Borso zum Herzog von Ferrara ernannt habe.

Fast einen Monat blieb der Herzog in Rom; vor seiner Abreise lieB er viertausend Dukaten unter die papstliche Dienerschaft ver- teilen. Wahrend seines Aufenthalts in der Hauptstadt der Welt war sein Palast der Mittelpunkt des diplomatischen und gesell- schaftlichen Lebens. Hocherfreut dariiber schreibt der Herzog dem treuen Giovanni, er wurde sich wundern, sahe er, wieviel Kardinale und Pralaten ihn besuchen, wieviel Menschen beiderlei Geschlechts ihn zu sprechen wiinschen, wie man ihn feiere, obgleich man in Rom den Anblick von Kaisern und Konigen gewohnt sei. Auch Francesco Ariosto schrieb, daB Borsos Triumph in Rom dem Triumph der rdmischen Casaren gleiche.

Wie hatte der estensische Herzog ahnen kdnnen, daB er sich in Rom den Todeskeim geholt hat? Er holte sich dort das Fieber, dem er einige Monate spater erlag. Noch konnte er auf der Riick- reise in Loreto haltmachen, aber krank schon kam er nach Ferrara, der Krafteverfall war schnell, und am 19. August war der Fiirst tot. Paul II. war noch vor ihm gestorben, er erlag einem apo- plektischen Anfall am 26. Juli 1471.

Borso hatte alle moglichen Vorkehrungen getroffen, damit Ercole, den er sehr liebte, ihm ohne Hindernisse auf dem Thron folge.

Den Tod fast eines jeden Herrschers glaubte man damals auf Gift zuriickfuhren zu konnen; so hieB es auch von Borso, er sei an einem langsam wirkenden Gift, das man ihm in Rom verabreicht habe, gestorben. Diese Geruchte entbehren jeder Grundlage, Fieber war eine der haufigsten und furchtbarsten damals herrschenden Krankheiten.

In der Certosa, wo sein Sarg heute noch steht, wurde Borso bei- gesetzt. Noch zu seinen Lebzeiten hatte Ferrara ihm 1451 ein

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Marmordenkmal vor dem Dom errichtet. Auf der Saule, auf der der erste ferraresische Herzog stand, war in goldenen Lettern Tito Strozzis Vierzeiler zu lesen:

Hanc tibi viventi Ferraria grata columnam Ob merita in patriam, Princeps justissime Borsi Dedidat, Estensi qui Dux a sanguine primus Excipis imperium, et placida regis omnia pace.

Dieses Denkmal wurde spater vor den Haupteingang des esten- sischen Palastes gesetzt und wahrend der Revolution im Jahre 1796 zertriimmert.

Ill

Unter Borsos Regierung ging der EinfluB der Humanisten zu- riick. Mit der Herrschaft des Lateinischen war es zu Ende; poli- tische Intrigen, Jagden und Feste beschaftigten den Fiirsten; er kiimmerte sich weder urns Lateinische noch urns Griechische, die Universitat jedoch unterstiitzte er, so daB sie in dem von Lionello festgelegten Umfang weiterbestand. Guarino behielt sein Lehramt, und da Aurispa seine Pfriinden bezog, hatte er keinen AnlaB, Ferrara zu verlassen, aber allmahlich starben Lionellos Schiitzlinge aus oder suchten ihr Gliick an anderen Hofen. Jene, die sich bei Borso in Gunst setzen wollten, iibersetzten lateinische Werke ins Italienische. Tonangebend wurde der ,, sermon moderno". Carlo di San Zorzo iibersetzte fiir Borso die Biicher, die man damals gelesen haben muBte, wie ,,Vita di Niccolo Piccinino", oder Decembrios ,,Le laudi della citta di Milano". In der dem Fiirsten gewidmeten Vorrede heiBt es, es bedeute keineswegs eine Zuriicksetzung, daB ,,Fortuna, die jedem wahrhaft Tugendhaften entgegenwirke, dem Fiirsten zu seinen vielen Vorziigen nicht auch das Interesse fiir Literatur gesch enkt habe. ' ' Eine groBe Anzahl italienisch schreibender Autoren schickte Borso ihre Werke, in der Annahme, daB ihre Arbeit in Ferrara gut aufgenommen werden wurde. So brachte ihm Lorenzi Spirito di Perugia seine Dichtung ,,L' Altro Marte" dar, Candido de' Bontempi widmete ihm sein poetisches Elaborat ,,11 Salvador". Ob Borso

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all diese umfangreichen und langweiligen Machwerke auch ge- lesen hat, bleibe dahingestellt, aber die Literaten hatten die Absicht, seine Kenntnis der klassischen Literatur zu fdrdern und iibersetzten fur ihn Plutarchs ,,Biographien", Ciceros ,,Briefe" und verschiedene andere antike Autoren, wie Appian, Prokopios, Herodot, Xenophon, Plautus, Apulejus usw. Auch Borsos Giinstlingen, Teofilo Cal- cagnini, Alberto und Ercole d' Este wurden Ubersetzungen aus dem Griechischen und Lateinischen gewidmet; das scheint die Humanisten strenger Observanz nicht wenig geargert zu haben, und Messer Teofilo machte Carlo da San Zorzo Vorwiirfe, daB er Unrecht an der Menschheit tue, indem er italienisch und nicht latei- nisch schreibe. Die Sprache dieser Ubersetzer war nicht gerade korrekt, sie wimmelte von ferraresischen Provinzialismen, aber die Ferraresen waren arrogant genug zu behaupten, daB ihr Dialekt dem Toskanischen nicht nachstande, ,,non ha mancho elegantia da alzuno altro Italiano parlare". Stolz schreibt Polizmagna einmal an den Fiirsten: ,,Ferrarra, Italiens Kleinod, hat uns beide geboren und erzogen, darum sollen wir auch nicht anders denn ferraresisch sprechen." Da es sehr bequem war, sich nicht mit dem Lateinischen zu qualen, folgte das gesamte Ferrara dem Vorbild seines Fiirsten. Als ein Podesta den Befehl erhielt, ,,accipitrem bene legatum in sacculo", einen in einen Sack verschnurten Falken zu schicken, lieB der gewissenhafte Beamte einen Geistlichen aufgreifen und schickte ihn im Sack an die aufgegebene Adresse. Vielleicht ist das Ganze nur eine boshafte Anekdote, jedenfalls ist sie bezeichnend fur den Verfall der lateinischen Kultur in Ferrara.

Mit der Entwicklung des ,, sermon moderno" wuchs auch die Vorliebe fur franzosische Romane. Aus den Buchern der herzog- lichen Kammer, in die genau eingetragen wurde, wer Biicher aus der hofischen Bibliothek entliehen hat, ergibt sich, daB Ritter- romane am meisten gelesen wurden. Bianca d' Este las ,,Gothofred de Boion", der Conte Lodovico da Canno entlieh ,,Galooth le Brun", Jacopo Ariosti und Gian Francesco della Mirandola ,, Lancelot", Meliadus ,,Tristan in lingua Gallica", Francesco d' Arezzo ,,Gral", ,, Merlin", „Meliadus" und ,,Lancilot". Eifrige Leser der Romane aus dem bretonischen Zyklus waren Galeotto di Campo Fregoso,

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Sigismondo d' Este und Alberto della Scala. Auch Borso scheint viel franzosische Biicher gelesen und franzosische Handschriften gern gesammelt zu haben. ,, Merlin" und ,,Lancilot", ins Volgare iibersetzt, lieB er mit Miniaturen versehen, Giovanni di Niccolo Biondo und Scipio Fortuna empfahl er, Abschriften der ,,Storia di Francia" zu beschaffen, und erwarb ins Italienische iibersetzte Biicher wie ,,Spagna", ,,L' Aspromonte", ,,Merchino".

Man konnte den Markgrafen keine groBere Freude bereiten, als indem man sie den Paladinen aus Konig Artus' Tafelrunde verglich. Die Panegyriker und Schmeichler des Hauses, wie Ugo Caleffini, versaumten nie zu betonen, wenn sie von den jungen Markgrafen sprachen, von Ercole, Sigismondo, Lionello, Rinaldo, daB sie ,,vollendete Paladine" seien, ,,che sono paladini perfetti".

Der einzige beriihmte Humanist, der Borso nahe stand, war sein Giinstling Lodovico Carbone (1435 1482), der iiber vier Ge- dichtbande veroffentlicht hat; beide Strozzi feiern ihn als be- riihmten Dichter und Gelehrten. Tatsachlich war Carbone der Typus des humanistischen Scharlatans, ein eingebildeter, miB- giinstiger Neidhammel, der keine literarische GroBe neben sich gelten lieB. Seine ganze Kunst bestand, wie bei der Mehrzahl der Humanisten, in der glatten Form des Verses; er gait als Autoritat in der Metrik und hieB der ,,Magister syllabarum". Liebesge- schichten erfullten sein Leben; als ihn die Ungarn zum Professor beriefen, konnte er sich nicht entschlieBen, Ferrara zu verlassen, da ihn Francesca Fontana fesselte, der seine Gedichte galten. Fran- cescas Lippen schienen ihm begehrenswerter als kaiserliche und furstliche Ehrenbezeugungen.

Fontanina vetat insita pectori Quae fixa est animo et visceribus meis Magnis principibus hanc ego praefero Regum delitiis regnaque persica Franciscae superant oscula dulcia Ludentes oculi, risus aureus ....

Der Francesca folgte eine Lucia, die ihn so in Anspruch nahm, daB er kaum zu seinen in der Universitat angekiindigten

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Vorlesungen kam. Die Schiiler kannten den Abhaltungsgrund und verfaBten ein Epigramm ,,An die schonste Lucia, Lodovico Carbones kiinftige Gattin, die ihm den Besuch der Universitat untersagt". Die Studenten bitten die Geliebte des Professors, ihn nicht mit ihren Zartlichkeiten im Hause zuriickzuhalten, sondern mit ihm in die Vortrage zu kommen und sie durch ihre schonen Augen fur seine Faulheit zu entschadigen.

Als Pius II. in Ferrara war, hielt Carbone in der Kirche der Madonna degli Angeli eine so groBartige Ansprache, daB der Papst ihm den Titel ,,conte palatino" beilegte. Der Dichter war so stolz auf seine Werke und seine Bedeutung, daB er glaubte, ganz Ferrara sei von seinem Ruhm erfullt.

lam mea Ferrariam celebratur fama per urbem Cantatur tota nomen in urbe meum.

Als er nach einem einjahrigen Aufenthalt in Bologna nach Ferrara zunickkam, verglich er sich in einer offentlichen Rede mit Achill, der sich auf sein Schiff zuriickgezogen hatte, und die ferrare- sische Universitat mit dem griechischen Heer, sie sei fiihrerlos wie jenes, wenn sie nicht wiedergewanne ,,il suo ardente Carbone". 1469 kam Friedrich III. nach Ferrara. Wieder hielt Carbone eine feierliche Ansprache, diesmal dem Kaiser zu Ehren und nicht weniger zu eigenem Lob. Er riihmte sich, er habe 10000 Gedichte gemacht, und wahrend seines Lebens sei kein beriihmter Mann ge- storben, keine Tochter aus vornehmem Hause habe geheiratet, ohne daB er sie besungen hatte. Seiner Beredsamkeit vertrauend, bat er den Kaiser, ihm den Grafentitel zu bestatigen und den Lorbeer zu verleihen. Der Schmeichler erreichte alles. Lionello wiinschter daB Carbone der Lehrer seiner beiden fur den geistlichen Stand bestimmten Briider werde. Nach dem Tode des Markgrafen haben die Minister aber einen Notar aus Ferrara dazu ernannt. Der Professor rachte sich; bei der Wahl des neuen Universitatsrektors hielt er eine groBe Rede im Beisein Borsos, des gesamten Hofes, der Professoren und Studenten, in der er den anwesenden Ministern die unglaublichsten Beleidigungen ins Gesicht warf, er nannte zwei unter ihnen ,,monstra turpissima", Verrater, Vernichter der

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Republik, da sie Lionellos Willen, der Carbone zu schatzen ge- wuBt, gefalscht hatten.

Sehr bezeichnend fiir ihn ist sein Dialog zwischen Ferrara und Bologna, wohl um 1460 wahrend seines Aufenthaltes in Bologna geschrieben. Ferrara klagt, daB Giacomo Grati, der bolognesische Gesandte in Ferrara, den geliebten Rhetor entfuhrt habe, Bologna antwortet, da Ferrara soviel beruhmte Redner besaBe, konne es ihm doch den groBen Professor leihen, aber Ferrara verteidigt sich: gewiB gabe es Literaten genug, aber das waren zum groBten Teil eingebildete Streithahne oder Flegel und Esel von so schlechten Manieren, daB die Stadt sich ihrer schamen musse. Carbone je- doch, der hofliche, liebenswiirdige, zuvorkommende, giitige sei Ferrara entrissen. Sicher habe die Natur ihn geschaffen, damit er des groBen Borso gewaltige Tugenden besinge und feiere. Bologna stimmt in den Ruhm des Fiirsten ein, ja es ware gliicklich, kame es los vom Joch der ,,gesegneten Kirche", die auf weltliche Macht nicht verzichten will. Ware nicht die Furcht vor Rom, mit Freuden wiirfe sich Bologna in die Arme Borsos, dieses edlen, gesetzten, frommen und gerechten Herrschers.

Carbone veroffentlichte auch scherzhafte Geschichtchen in Art der Facezien des Poggio Bracciolini unter dem Titel ,,Le Cento trento novelle o facetie de Lodovico Carbone". Es ist die erste italienische Nachahmung lateinischer Schriften dieser Art; das Genre war in der Renaissance sehr beliebt.

Eine der interessantesten Personlichkeiten aus Borsos Um- gebung war der Hofmedikus und Universitatsprofessor Michele Savonarola, den noch Niccolo III. nach Ferrara berufen hatte. Er war ein sehr streng denkender Mensch und wurde in spateren Jahren zum Asketen; da ihm die Verbreitung seiner medizinischen Theorien am Herzen lag, schrieb er mehrere Abhandlungen. Die Este haben ihn fiir seine Dienste glanzend entlohnt, Lionello gab ihm den Zehnten der sanctae Helenae, Borso das feudum Madelane und Papst Nikolaus V. ernannte ihn zum Ritter von Jerusalem. Savo- narolas beruhmtestes Buch war die ,,Practica major", eine Enzyklopadie des damaligen medizinischen Wissens: er gibt hygienische Vorschrif ten, empfiehlt eine vernunf tgemaBe Ernahrung,

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lehrt die Zubereitung von Speisen, gibt einzelne Rezepte und beschaftigt sich mit samtlichen moglichen Krankheiten vom Kopf bis zu den FuBen ,,de omnibus aegritudinibus particularibus a capite usque ad pedes et earum curis". Er schrieb auch iiber Balneologie ,,De balneis", fur die es in Italien stets viel Verstandnis gab, war man doch selbst in Zeiten groBter Barbarei nach Abano, Poretta und in viele andere Badeorte in Toskana gereist. Savonarola hatte den bekannten Condottiere Gattamelata nach Abano begleitet, Niccolos III. Gicht durch Bader geheilt, Bader galten ihm als wesent- licher Faktor in der Medizin, und zwar nicht allein kalte und warme Bader, sondern auch Bader in Wein, 01, Milch usw. Sein Buch enthalt auch Rezepte zum Destillieren des Aquavit, der ihm als wichtige Medizin gilt, ,,medicarum calidarum magistra ac parens", maBig gebraucht ist er ,,sanitatis humanae conservatrix optima ac deperditae mirabiliter restaurativa". Savonarola beherrschte die ge- samte damalige griechische und lateinische medizinische Literatur, am meisten aber huldigte er den Arabern, und Avicenna stellte er hoher als Galenos.

Seltsam genug ist es, daB dieser Arzt und Gelehrte, der die Natur zu erforschen suchte, unter seinen Schriften zwei Biicher iiber die Beichte hinterlassen hat, ,,Confessionale" und ,, Delia Confessione". Das erste enthalt Vorschriften, wie man sich fiir die Beichte vorzubereiten und wie man zu beichten habe, das zweite Lehren, auf welche Weise Gott um Vergebung der Siinden zu bitten ist. Savona- rola schrieb noch verschiedene Biicher moralischen und politischen In- halts, die aber fiir uns be- deutungslos sind.

FONFTES kapitel ERCOLE L

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it Blut muBte auch Ercole wie viele seiner Vorganger den ferraresischen Thron erkaufen. Lionellos Sohn Niccolo hielt sich fur Borsos rechtmaBigen Nachfolger und wollte sich mit Hilfe seiner Anhanger der Herr- schaft und des Kastells bemachtigen. Zwei Parteien standen einander gegeniiber: das Segel ,,Vela", Niccolos Zeichen, und der ,,Diamant", Ercoles Wappen. Der Diamant er- freute sich beim Volke groBerer Beliebtheit. Ercole, liebenswiirdig, gewinnend, heiter, von stattlichem Aussehen, den noch dazu die in Neapel verbrachte Jugend und seine Beziehungen zum Hofe von Aragon mit einer gewissen Glorie fur die Volksphantasie umgaben, trug den Sieg leicht davon. Siebzigtausend Menschen sollen sich fur ihn ausgesprochen haben, und das Volk war dieses Sieges so froh, daB es alter Sitte gemaB den Palazzo della Ragione gestiirmt, die Sitze der Gerichtspersonen zertrummert und die vorhandenen Papiere verbrannt hat. Die damaligen Gerichtshofe scheinen sich nicht tibermaBiger Sympathie erfreut zu haben.

Niccolo zog sein ,, Segel" ein und suchte Schutz in Mantua bei seinem Verwandten Lodovico II. Gonzaga. Ercole schickte ihm zum Beweise, daB er das Vergangene vergessen habe, ein schones Trauergewand, das Niccolo nach dem Tode des Oheims brauchte. Dies Geschenk verbesserte jedoch die Beziehungen zwischen dem Herzog und dem Kronpratendenten nicht; da Ercole einen plotz- lichen Uberfall fvirchtete, schickte er den Grafen Niccolo di Rinaldo Ariosti nach Mantua, damit er Niccolo zu vergiften versuche. Fur

ERCOLEI. yi

diesen ,,Dienst" versprach der Herzog Ariosti zwei Schlosser, einen Palast in Ferrara und eine jahrliche Pension. Unter dem Vor- wand, der Markgrafin Geschenke von Ercole zu bringen, kam Ariost; es gelang ihm, Niccolos Hofmarschall Cesare Pirandoli zu gewinnen, der seinem Herrn ein vergiftetes Gericht vorsetzen sollte. Durch einen seltsamen Zufall erkrankte Pirandoli an jenem Abend, an dem er seinen verbrecherischen Plan ausfuhren wollte; in der Annahme, daB auch er vergiftet sei, gestand er Niccolo und Federigo Gonzaga alles. Ariost gelang es, aus Mantua zu ent- fliehen und Ferrara zu erreichen; Pirandoli wurde dffentlich hin- gerichtet.

Natiirlich trug dies Ereignis nicht dazu bei, das Verhaltnis zwischen Niccolo und Ercole zu verbessern. Der Pratendent lauerte auf einen geeigneten Augenblick, um sich zu rachen und Ferraras zu bemachtigen.

Nachdem Ercole seine Herrschaft befestigt hatte, dachte er seiner in Neapel verbrachten Jugend und beschloB, Eleonora von Aragon, Ferrantes Tochter, zur Gattin zu wahlen. Er war damals einundvierzig Jahre alt. Eleonora war die Braut des Fiirsten Sforza von Bari, aber Sixtus IV. hob diesen Vertrag durch eine besondere Bulle im Jahre 1472 auf. So war Eleonoras Hand frei, und das Biindnis mit dem Aragon bot,abgesehen von allem anderen, nament- lich deshalb fur Ercole viele Vorteile, weil es Ferraras Macht gegen Venedig, seine gefahrlichste Nachbarin, starkte. Eleonora wurde eine Mitgift von 80000 Dukaten versprochen.

Der Hof von Neapel war wegen seiner spanischen Pracht und seines groBen Luxus bekannt. Auch Ercole hatte Sinn fur Pracht- entfaltung, und so wurden die glanzendsten Vorbereitungen zum Empfang der Braut in Ferrara getroffen. Um Eleonora nach Ferrara zu geleiten, gingen im Juni 1473 Sigismondo und Alberto, Ercoles Briider, nach Neapel; in ihrer Gesellschaft befanden sich Galeotto Pico della Mirandola, Niccolo da Correggio, Marco Pio aus Carpi, der Dichter Maria Bojardo, Nino Contrari und Lodovico Carbone, dem die feierlichen Ansprachen bei der BegriiBung zu- fielen. Der Zug bestand, abgesehen von der Dienerschaft, aus iunfhundert Berittenen. In Neapel wurden die Ferraresen aufs

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glanzendste empfangen; zweihundert bekannte Personlichkeiten Neapels, Fiirsten, Ritter und Hofdamen, gaben der scheidenden Fiirstin das Geleite.

Eleonora zu Ehren wurden in Rom Feste gegeben, die zu den glanzendsten der Renaissance gehoren. Der Arrangeur war der junge Kardinal S. Sisto, Pietro Riario, der Nepote Sixtus IV., der aus einem armen Monch ein groBer Kirchenfiirst gev/orden war und als einer der groBten Verschwender der ganzen Epoche gait. Er war der Typus des hochmiitigen Pralaten, erpicht auf Macht und Ruhm, und riB mit Hilfe des Papstes die reichsten Pfriinden an sich. Seine Einkiinfte betrugen nach heutigem Gelde etwa zwei und eine halbe Million Franken. Sie flossen ihm zu aus dem Erzbistum von Florenz, dem Patriarchat von Konstantinopel, der Abtei S. Ambrogio und einer Reihe anderer Bistiimer, die ihm der Papst, sein Vetter, iiber- wiesen hatte.

Die gesamte Palasteinrichtung des Kardinals, seine Wagen und die Anziige der Dienerschaft waren aus Samt und Brokat, reich mit Gold gestickt. Der ehemalige Franziskaner besaB die schonsten Pferde in Rom, kleidete seine Dienerschaft in Scharlach und urn- gab sich mit einer Schar von Verseschmieden, die ihn in den Himmel hoben. Seine bevorzugte Kurtisane, Teresa, iiberschiittete er mit Perlen und Edelsteinen; er gab Turniere und Bankette, wie sie das Rom der Papste noch nicht geschaut hatte.

Sein Gast war Eleonora.

Ferraras Herzogin naherte sich am 5. Juni 1473 den Toren der ewigen Stadt. Die Kardinale Caraffa und Anxias de Podio kamen ihr mit einem groBen Gefolge von Pralaten entgegen und geleiteten sie in den Later an, wo ein Friihstuck bereitet war. Dort erwarteten sie die beiden papstlichen Nepoten: die Kardinale Riario und Giuliano della Rovere, der nachmalige Julius II. In ihrer Gesellschaft begab sich Eleonora zu S. Sisto. Da der Palast des Kardinals zu eng war, um die ferraresischen und neapolitanischen Gaste aufzunehmen, lieB Riario auf dem Platz vor der Kirche ein groBartiges Holzgebaude errichten, versehen mit offenem Atrium. Auf der einen Seite des Platzes hatte er eine Buhne, die fur offent- liche Auffuhrungen bestimmt war, aufschlagen lassen. Vor dem

ERCOLE I. D'ESTE KOPIE DOSSIS NACH TIZIAN. MODENA, GALER1E

ERCOLE I.

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Palast stand ein Springbrunnen, der sein Wasser aus einer Zisterne auf dem Dach der Basilika empfing. Der provisorische Palast wirkte wie ein Gebaude aus Stein; Wande, Decken und FuBboden der groBen Zimmer waren mit golddurchwirkten Tapeten und flan- drischen Teppichen gedeckt. Ein groBartiger Teppich mit der Er- schaffung der Welt, der von Nikolaus V. bestellt worden war, er- regte allgemeine Bewunderung. Es wurde behauptet, daB in der gesamten christlichen Welt kein schonerer Arazzo vorhanden sei; leider ist dieser kostbare Schatz nicht auf uns gekommen. Diese provisorischen Raume waren mit einem derartigen Luxus ausgestattet, daB selbst die Zeitgenossen, die den Pomp der Kirchen- fursten gewohnt waren, AnstoB an dieser Verschwendung nahmen. Um Eleonoras Raume kuhl zu erhalten, waren drei groBe, ver- steckt angebrachte Blasebalge in Tatigkeit.

Am Pfingstsonntag wurde die Geschichte der ,, Susanna" am Nachmittag auf dem Platz vor dem Palast aufgefuhrt, und am Mon- tag gab der Kardinal ein Festessen, das sich den raffiniertesten der romischen Kaiserzeit vergleichen lieB. Von Trommeln und Pfeifen begriiBt, betraten die Gaste den Saal. Die Dienerschaft in seidner Livree gab eine Vorahnung des zu erwartenden Luxus. Am Haupt- tisch saBen auBer der Fiirstin nur noch neun Personen, acht aus ihrem Gefolge, und der Kardinal Riario, der Gastgeber, war der Zehnte. Allgemeine Bewunderung erregte das Biiffett mit den Meisterwerken der Kochkunst, mit zwolf auBerst wertvollen Tafel- aufsatzen aufgeziert. Zuerst wurden SiiBigkeiten gereicht, kandierte Orangen mit Malvasierwein und Rosenwasser zum Waschen. Es gab vierundvierzig Gerichte, darunter in einem Stiick gebratene Rehe, Hirsche, Hasen, Kalber, wahrend das Gefliigel: Kraniche, Fasanen, Pfauen in seinem Federkleid gleichsam lebendig serviert wurde. Das seltsamste Gericht war ein Bar in seinem Fell, mit einem Stock im Maul, ,,damit er nicht beiBe". Die Schuppen der Fische waren versilbert, das Brot vergoldet, und die Kuchen, Torten und SiiBigkeiten, die in ungeheuren Mengen gebracht wurden, hatten die seltsamsten kunstlichen Formen. Die Meisterwerke der Zuckerbackerkunst waren ein Herkules, fast lebensgroB, im Kampf mit Ungeheuern begriffen, und eine groBe Schlange, die

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sich auf einem Zuckerberg walzt und den Gasten ihren auf- gesperrten Rachen zukehrt. Auch ein reichbeflaggtes Konfekt- schloB wurde hineingebracht, dann schleppte man zwolf groBe, mit Zucker-Eicheln beladene Schiffe herbei, als der Frucht der Rovere, die eine Eiche im Wappen fiihren. Den Schiffen folgte Venus in stolzem, von ausgestopften Schwanen gezogenem Ge- fahrt, schlieBlich zeigte sich in der Tiir ein bewaldeter Berg, daraus schritt ein lebendiger Zwerg heraus und driickte in Versen seine Verwunderung dariiber aus, sich unvermutet in so erlesener Ge- sellschaft zu befinden. Die Einformigkeit des sechs Stunden wahrenden Mahles unterbrachen allegorische Gestalten, die durch Rezitation von Gelegenheitsgedichten und Gesang das Bankett verschonten. Unter anderen trat ein Jiingling auf und sang mit schoner Stimme ein lateinisches Gedicht, in dem er den Gasten vorhielt, daB sie von solchen Herrlichkeiten umgeben selbst den Gdttern den Olymp nicht zu neiden brauchten, um so weniger als Jupiter selbst unter ihnen weile.

Wer sollte dieser Jupiter sein? Der Gastgeber und Kardinal, der Franziskaner ?

Ein Ballett beschloB das Fest. Auf der Biihne tanzten antike Helden mit ihren Geliebten. Den wolliistigen Tanz unterbrachen Kentauien, die die schonen Balletteusen rauben wollten, aber Herkules ergriff ihre Partei und verjagte die wilden Kraftmenschen. Dem Ballett folgten noch einige Auf f iihrungen, deren Inhalt aus dem My thus geschopf t war.

Die Feste der Renaissance kannten kein MaB, es gait den Becher bis zur Neige zu leeren, bis die Teilnehmer der Feste vor Miidig- keit fast umsanken.

Die Herzogin blieb fiinf Tage in Rom, und es ist mehr als zweifel- haft, ob sie wahrend dieses Empfanges sich von den Reisestrapazen zu erholen vermochte. Ein Trost in ihrer Abspannung mogen die reichen Geschenke gewesen sein, mit denen Sixtus IV. und die Kar- dinale sie iiberschiitteten.

In Ferrara traf man groBartige Vorbereitungen zum Empfang der Herzogin. Fiinf der beriihmtesten Maler und Bildhauer arbeiteten an einem fur sie bestimmten Caroccio, iiber den Po wurde eine neue Briicke geschlagen, und eine Kunstlerschar schmiickte die Stadt.

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Zu Pferde zog Eleonora unter dem Baldachin ein, in einem Kleid aus Goldbrokat mit kostbaren Edelsteinen und einer stolzen Krone auf dem Haupt. In den StraBen Griin, Blumen, bunte Stoffe so daB die Herzogin durch unabsehbare Zelte einzuziehen schien. Triumphbogen waren errichtet, und auf Estraden suchten Tanzer bei Musikklangen die Aufmerksamkeit auf sich zu Ziehen. Am nachsten Tage traute der Kardinal Bartolommeo Roverello das herzogliche Paar im Dom, dann begannen die acht Tage wahrenden Feste. Die stadtischen Korporationen machten Eleonora reiche Geschenke, deren Wert auf 28444 Lire berechnet wurde, auBerdem brachte ihr jede vornehme Familie und jeder groBere Wurdentrager des Landes seine Huldigung in Form eines Ge- schenkes dar.

Eleonora war eine ungewohnliche Frau von groBen Verdiensten und groBer Energie. Sie war sehr musikalisch, spielte selbst Harfe, las viel und sammelte die Werke der beriihmtesten damaligen Maler. Sie besaB Bilder von Mantegna und Bellini; in ihrer Hand- bibliothek befanden sich Casars Kommentare in italienischer Uber- setzung, Plinius' Schriften, die ,,Fioretti" des heiligen Franziskus, eine groBe Anzahl spanischer Geschichten und unter anderem der damals viel gelesene Roman ,,11 Career d'Amore".

In schweren Tagen bewies Eleonora viel Mut und Geistes- gegenwart, namentlich als Niccolo, um den an ihm versuchten Mord zu rachen, in Ferrara einfiel. Ercole war in Belriguardo, und Niccolo hielt den Augenblick fur geeignet, um durch einen kiihnen Streich Ferrara zu erobern, wo Eleonora mit den kleinen Kindern allein verblieben war. Im Einverstandnis mit dem Mark- grafen von Mantua und Giovanni Maria, dem Fiirsten von Mai- land, hatte der Pratendent siebenhundert Bewaffnete in Kahnen, die mit Stroh bedeckt waren, verborgen und landete mit dieser Schar in Ferrara. Ehe die Kunde des Uberfalls ins Kastell gedrungen war, erklang schon Niccolos Kriegsruf: vela! vela! durch Ferraras Gassen. Aber diese Losung fand auch diesmal bei der Bevolkerung keinen Widerhall, Eleonora sammelte, unterstiitzt von ihren Schwagern Ercole, Sigismondo, Alberto und Rinaldo, ein Heer; Niccolo wurde aus der Stadt vertrieben, mit seinen Begleitern in

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die Siimpfe gedrangt und dort gefangen. Niccolos Haupt fiel unter dem Beil; zweihundert seiner Anhanger lieB Ercole zur Warnung unter den Fenstern des Palazzo della Ragione aufhangen, fiinf an den Zinnen des Castell Vecchio, den iibrigen schenkte er das Leben unter der Bedingung, daB sie ihm den Treueid leisteten. Alle waren damit einverstanden, nur ein alter Koch, Lucca, wollte seinen Herrn nicht verleugnen; als man ihm sagte, er miisse, um seine Freiheit zu erlangen, ,, diamante" rufen, schrie er ,,vela!" und biiBte seine Treue mit dem Leben.

In den beiden ersten Jahren ihrer Ehe hatte Eleonora zwei Tdchter: Isabella (geb. am 18. Mai 1474) und Beatrice (geb. am 29. Juni 1475), spater kamen vier Sonne dazu, von denen der alteste, Don Alfonso, als Alfonso I. dem Vater auf dem Throne folgte, Ippolito wurde spater Kardinal.

Ercole und Eleonora lebten in einer Musterehe, nach den Be- griffen der Renaissance. Der Herzog gait als treuer Ehemann, und nur einmal, um den Traditionen seines Geschlechtes treu zu bleiben, hat er seiner Frau die Treue gebrochen. Als Eleonora im Mai des Jahres 1477 fur einige Monate zu ihren Eltern nach Neapel reiste, kniipfte der Herzog ein Verhaltnis mit einer Hof- dame an, Isabella Arduino, die ihm im Marz 1478 einen Sohn Giulio geboren hat. Drei Monate spater wurde Isabella an einen Giacomo Mainente in Ferrara verheiratet, und Ercoles einmalige Eheirrung hat sein gutes Verhaltnis zu Eleonora nicht getriibt. In dieser Beziehung waren die damaligen Frauen iibrigens sehr nachsichtig. Wenn z. B. der Markgraf Gonzaga von Mantua, der Gatte Isabellas und Schwiegersohn Ercoles, sich fur eine langere kriegerische Expedition riistete, wahlte ihm die sorgende Gattin selbst eine schone, gesunde Mantuanerin zur Reisegefahrtin.

Vor seiner Heirat mit Eleonora hatte Ercole mit Lodovica Condolmieri eine Tochter Lucrezia d'Este. Sie heiratete 1487 den Grafen Annibale Bentivoglio, den Sohn des Tyrannen von Bologna, und war eine ungewohnliche Frau.

Eleonora war eine gute Mutter und gab ihren Kindern eine sorg- faltige Erziehung. Battista Guarino unterrichtete die Madchen im Lateinischen, nach ihm Jacopo Gallino, der es so gut verstand,

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die jungen Herzoginnen fur die trockenen Studien zu interessieren, daB Isabella auch spater als Markgrafin von Mantua sich gem der Zeiten entsann, wo sie nach Chrysoloras Grammatik gelernt und Vergils Eklogen, Ciceros Briefe oder die Aeneis aus dem Ge- dachtnis rezitiert hatte. Ein sehr von ihr verebrter Lehrer war auch Mario Equicola d'Alveto, der Verfasser der 1521 in Ferrara er- schienenen ,,Geschichte von Mantua" und der Abhandlung ,, Delia natura d'amore". Die jiingere, wenig begabte Beatrice konnte diesen Stunden nicht viel Reiz abgewinnen, sie ritt lieber oder futterte die Tiere im Park. Isabella dagegen gait als ungewohnliches Kind, ,,deliziosa creatura", und man gab sich stets viel mit ihr ab.

Ein wesentlicher Faktor in der Erziehung war der Musik- unterricht. Aus Konstanz lieB der Fiirst einen deutschen Geist- lichen und beriihrnten Musiker, Don Giovanni Martin, kommen, damit er seine Kinder unterrichte und gleichzeitig die Sanger der fiirstlichen Kapelle ausbilde. Isabella hatte eine gute Stimme und sang gem zur Laute. Die jungen Damen spielten auch Klavier und waren so musikalisch, daB Trissino, einer der Hofdichter, Isabellas Stimme mit Sirenengesang verglich, ja, er ging noch weiter: sie vermoge wie einst Orpheus wilde Tiere mit ihrer Stimme zu zahmen. Auch Baldassare Castiglione pries ihre Talente. Vor fremden Gasten riihmte sich der Fiirst gern des Gesanges seiner Tochter, und bei einem Feste, das zu Ehren des Gesandten Ludwigs XII. gegeben wurde, entziickte Isabella durch ihr Lautenspiel die ganze Gesellschaft.

Auch in kdrperlichen Ubungen wurden die jungen Madchen unter- wiesen, sie muBten reiten und tanzen, daneben auch handarbeiten, besonders kunstvolle Stickereien in Gold und Seide ausfiihren.

II

Nach Burckhardt war Ferrara der erste moderne Staat; diesen Satz miiBte man dahin korrigieren, daB Ferrara am deutlichsten zeigt, wie ein Staat in der Renaissance organisiert war. Die admi- nistrativen Grundsatze der damaligen despotischen Staaten waren in ganz Italien fast die gleichen, in Ferrara treten sie besonders

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hervor, weil eine Dynastie sich drei Jahrhunderte hindurch be- hauptet hat. Infolgedessen hatten alle politischen Einrichtungen dort mehr Bestand und bekamen allmahlich eine festgeschlossene Form.

Uberall, in Ferrara, Mantua, Bologna oder Verona, bildeten die friiheren Gemeindestatuten die Grundlagen der Regierung und des richterlichen Verfahrens. Die Kommune bestand weiter, aber sie bestand unter dem Schwerte des herrschenden Fiirsten oder Con- dottiere, der ihr so viel von der friiheren Autonomie belieB, als es mit Riicksicht auf seine Finanzen und Ziele notwendig war. Der Furst veranderte im allgemeinen die Institutionen der Gemeinde nicht, aber er kontrollierte sie und beschrankte ihre Tatigkeit durch seine Macht. In Ferrara regierten noch im XIII. Jahrhundert zwolf ,,weise Manner", ,,Savi", an ihrer Spitze stand der ,,aller- weiseste", ,,Giudice de' Savi", er war der Prasident des Stadtischen Rates und Vertreter des Volkes. Das Statut der Stadt nennt ihn ,, Pater moderator que patriae et praefectus universitatis". Der Giudice de' Savi hatte dieselben Obliegenheiten zu erfiillen wie die friiheren Konsuln, die noch unter Friedrich I. der Republik Ferrara vorgestanden hatten. Zuerst bekleidete ein fremder Rechts- gelehrter diese Stelle, seit dem XV. Jahrhundert ein Mitglied eines der aristokratischen Geschlechter Ferraras. Die zwolf Savi wurden aus den Biirgern der Stadt, ohne Unterschied des Standes, gewahlt, ihnen halfen in ihrer Arbeit Beamte, Aggiunti. Den Vorsitzenden der Savi ernannte der Herzog oder setzte ihn nach Gutdiinken ab; obgleich der Giudice der hochste Beamte im Staate war, iibertrug er dem neuen Thronfolger den Oberbefehl iiber das Heer und iiber- gab ihm die Herrschaft iiber das Volk.

Dem Kollegium der Savi unterstand die zivile, wirtschaftliche und finanzielle Verwaltung der Gemeinde sowie die Gerichtsbarkeit in Zivil- und Strafsachen, soweit sie durch die Macht des Podesta nicht beschrankt war. Die Savi erlieBen Gesetze, die ihre Rechts- kraft erst erhielten, wenn der Herzog sie bestatigte, auferlegten stadtische Abgaben, sorgten fur die offentliche Sicherheit, die Er- haltung der StraBen, Kanale und Briicken; zum Bereich ihrer Tatigkeit gehorte ferner hoheres und niederes Schulwesen, Ge- sundheitspolizei, selbst das Pragen der Miinzen.

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Aus friiherer Zeit hatte sich die Wiirde eines Podesta erhalten. Wahrend in freien Gemeinden der Podesta der hochste, fur eine bestimmte Zeit gewahlte Beamte war, dem die Volksversammlung eine fast diktatorische Gewalt iibertragen hatte, war der Podesta in Ferrara zu Zeiten der Este ein festangestellter, vom Herzog ernannter Beamter. Er war Gerichtsvorsitzender in einzelnen wichtigen Strafsachen, die dem Rechtsspruch der Savi entzogen waren, und fiihrte die Befehle des Herzogs aus. Uber jene Dinge, auf die es dem Herzog wenig ankam, saBen die Savi zu Gericht und fallten ihr Urteil. Der Giudice konnte sich daran freuen, in Wachs sein groBes Siegel con San Giorgio pragen zu lassen, aber wehe dem Richter, der sich dem Willen des Herrschenden wider- setzt hatte. Dann trat der Podesta, der exekutive Gewalt besaB, in Wirksamkeit, und der verdachtige oder hartnackige Giudice wurde im besten Falle in das VerlieB unterhalb des Kastells ge- worfen, wenn ihn seine Halsstarrigkeit nicht den Kopf kostete. Und in diesen italienischen Tyrannenstaaten herrschte eine riihrende Vielfaltigkeit in der Art, sich der der Regierung unbequemen Menschen zu entledigen. Gewohnliche Verbrecher wurden gehangt oder der Kopf wurde ihnen mit einer der franzosischen Guillotine verwandten Vorrichtung abgeschlagen. Die Franzosen haben nam- lich keinen AnlaB, sich ihres Doktors Guillotin, als des Erfinders dieses Mordinstrumentes, zu riihmen, es war schon in Ferrara unter dem Namen ,,mannaia" bekannt fehlte die ,,mannaia", so wurde der Kopf mit dem Schwert abgeschlagen oder der Delin- quent im Gefangnis erwiirgt. Wollte man sich jemandes in aller Stille entledigen, so bediente man sich des Dolches, fur Ver- wandte und Freunde jedoch hatte man Gift im Vorrat. Ubrigens gehdrte auch das Einmauern eines Menschen in eine enge Zelle nicht zu den Seltenheiten; noch im Jahre 1507 ward Madonna Laura disonesta auf diese Weise unschadlich ge- macht. Sie wurde in der Bischofskirche, an der linken Seite des Hauptaltars eingemauert; die Nische war so klein, daB sie sich kaum in ihr umdrehen konnte, und nur durch einer! schmalen Spalt in der Mauer wurde ihr die notwendigste Nah- rung zugefuhrt.

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Ferrara war wegen seines ausgezeichnet verwalteten Staats- schatzes beriihmt, und seine finanziellen Institutionen waren vorbildlich fiir die tibrigen Staaten. Die ferraresischen Herzoge galten als vermogend, ,,danarosi", und trieben neben Venedig und Florenz, deren Finanzwirtschaft ebenfalls ausgezeichnet war, die beste Finanzpolitik. Unter Borso und Ercole I. war das ferra- resische Finanzsystem schon vollkommen ausgebildet. An der Spitze der Verwaltung fiir die Einnahmen und Ausgaben des Reiches standen zwei ,,Generalfaktoren", denen der gesamte Beamten- stab unterstand. Die Faktoren ernannte der Herzog; dem einen unterstand das Finanzwesen der Hauptstadt, dem andern das der Provinz. Die Reichseinkiinfte flossen in die allgemeine herzog- liche Kasse, in die ,,Bank", und bestanden in der Hauptsache aus den Zinsen, die die zum groBten Teil verpachteten herzoglichen Giiter abwarfen, aus Zollen, Monopolen, dem Verkauf der Amter, den Einkiinften der herzoglichen Fabriken (Tuch, Teppiche, Majolika), ja selbst aus dem Erlos fiir Getreide. Die Gemeinden stellten jahrlich zur Bestreitung ihrer eigenen Ausgaben eine sogenannte ,,Kollekte" auf, eine Abgabe, die nach MaBgabe der vorhandenen Vermogen erhoben wurde. Wenn die Gemeinden ungewohnlich groBe Ausgaben hatten infolge von Oberschwem- mungen, Seuchen und Erdbeben, oder selbst infolge of fentlicher Feste, so kam die herzogliche Kasse, ,, camera ducale", ihnen haufig zu Hilfe, um sie zu entlasten. Aus dem herzoglichen Schatz wurde das groBe Soldnerheer der Este entlohnt, die Anfuhrer jedoch, die zumeist aus der begiitertsten Ritterschaft gewahlt wurden, erhielten keine Bezahlung und dienten nur um der Ehre willen. Die Erhaltung der Festungen, der Ankauf von Waffen, Schiffen und samtlichen Kriegsausriistungen lastete gleichfalls auf dem herzoglichen Schatze.

Die Rechenbucher wurden in den Generalfaktoreien mit er- staunlicher Ubersicht und Ausfiihrlichkeit gefiihrt; es gab getrennte Biicher fiir die offentlichen Ausgaben, ,,Spese publiche dello Stato", und fiir die Ausgaben des herzoglichen Hofes, ,,della corte ducale". Nicht nur die bedeutenden Summen, die die Bezahlung der Diener- schaft, der Bau von Schldssern, Kirchen, die Instandhaltung der

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Palaste, die Fiihrung der Kiiche, der Stalle, die herzoglichen Reisen usw. verschlangen, wurden in diese Biicher eingetragen, sondern selbst die geringfiigigsten Posten wurden aufgefiihrt, wie z. B. Reparaturen der Beinkleider des Herzogs und des Hofgesindes: , ,raperrature di abiti e di calzi per uso del signore et della corte". Das Budget war sehr genau und scharf ausgearbeitet, und wurde in ruhigen Jahren vielleicht weniger uberschritten als heutzutage.

Unter den Gemeindeausgaben figurieren bereits ganz betracht- liche Posten fur wohltatige Zwecke; unter Ercole I. wurde in Ferrara eine ,,Wohltatigkeits-Gesellschaft" begriindet, ,,Associa- zione dei poveri di Christo", und sogar eine Vereinigung zur Unter- stutzung verschamter Armer, ,,Scuola o regola dei poveri ver- gognosi". Die Stadtverwaltung suchte der Bettelei auf der StraBe zu steuern und ging so streng vor, dafi es in der zweiten Halfte des XVI. Jahrhunderts gegen eine Geldstrafe von zwei Scudi ver- boten war, den Bettlern Almosen auf der StraBe zu geben. Vielleicht dankt man es diesem Verbot, daB man selbst heute in Ferraras StraBen weniger Bettler als im ubrigen Italien sieht.

Auch fur ein anderes sehr zweifelhaftes Verdienst muB man Fer- rara den Vorrang einraumen; es war eine der Brutstatten der heutigen Bureaukratie. Zur Politik der Este gehorte es, sich mit einfluB- reichen und ihnen ergebenen Familien zu umgeben. Durch Gunst- beweise, freigebige Stiftungen fesselten sie bedeutende Menschen an sich, deren Nachkommen mit dem Herrscherhause verwuchsen. Selbstverstandlich iibertrugen die Herzoge am liebsten den Sohnen jener Familien die zu vergebenden Amter, da sie ihnen mehr als ganz Fremden vertrauten. Im Laufe der Zeit entstand eine Phalanx von Wiirdentragern und Beamten, die den Este verbunden waren, alle groBeren Amter an sich rissen, sich bereicherten und eine un- durchdringliche Mauer um die Dynastie bildeten. So entwickelte sich eine Beamtenhierarchie, die dem Staat teuer zu stehen kam. Eine amiisante Illustration dieser Zustande geben uns Ausweise iiber Fische, die unter die Beamten zu Weihnachten verteilt wurden. Der Giudice dei Savi bekam vierundsechzig verschiedene Fische, wahrend die Savi nur zweiunddreiBig erhielten, den stadtischen Advokaten wurden zwolf Fische geschickt, den Syndici zehn, den

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Notaren sechzehn, und die unteren Beamten, wie die Kanzlisten, Unterkanzlisten, Buchhalter, Rechnungsbeamten bis hinunter zu den Portiers, Kutschern und Trommlern, muBten sich mit einigen Karpfen oder Hechten begniigen.

Der Schrecken der ganzen Stadt war der Capitano di giustizia, eine Art Polizeidirektor, umgeben von einem Stabe von Geheim- polizisten. ,,Un amicho sechreto" war eine Personlichkeit, durch die der Herzog von alien Geschehnissen in der Stadt unterrichtet wurde. Der Capitano di giustizia legte dem Herzog taglich die Liste der Durchreisenden vor, und Ferrara gebiihrt das zweite ,,Verdienst", daB dort das PaBwesen vervollkommnet wurde. Jeder Fremde muBte eine Taxe entrichten fur die Erlaubnis, sich in Ferrara aufzuhalten, verlieB man den Umkreis der Mauern, so war eine besondere Erlaubnis von der Stadtverwaltung erforder- lich und auch dafiir muBte eine kleine Taxe bezahlt werden. Einem anderen stadtischen Departement dem ,,Uffizio delle Bollete", unterstanden sanitare Dinge, wie zu treffende Einrichtungen wahrend einer Seuche; zu seinem Ressort gehorte auch ,,maresciallo delle meretrici", ein Beamter, der die Aufsicht iiber die Kurti- sanen fiihrte, deren es in Ferrara unzahlige gab.

Der bestgehaBte Polizeidirektor war unter Ercoles Herrschaft Gregorio Zampante aus Lucca. Im allgemeinen hielten die Este es fur richtig, dieses Amt Fremden zu iibertragen, die zur Be- volkerung in keinerlei Beziehung standen. Unter Zampante ging, nach Aussage der Chronisten, den groBen Spitzbuben alles unge- straft durch, wahrend er bei den kleinen auch die geringfugigste Ubertretung grausam bestrafte. Mit Torturen setzten seine Nach- forschungen ein, und die Strafgelder flossen in seine Tasche. Er hatte eine solche Machtstellung, daB selbst die Sonne des Herzogs vor ihm zitterten. Zampante wagte sich nur von Bewaffneten umgeben auf die StraBe; in seinem eignen Garten gezuchtete Tauben waren das einzige Fleischgericht, das er aB, so groB war seineAngst vor Gift. Die Emporung iiber ihn war allgemein, schlieBlich fanden sich drei junge Leute, die sich am 18. Juni 1490 in seine Wohnung einschlichen, den Tyrannen, der nach Tisch schlummerte, toteten, auf bereitstehende Pferde sprangen und jubelnd durch die StraBen.

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zogen: ,,Freut euch, wir haben Zampante erschlagen!" Als der Herzog von diesem Vorfall erfuhr, waren die Morder, die die offent- liche Dankbarkeit schiitzte, schon auBerhalb der Reichsgrenzen. Die Ubergriffe der Beamten waren bisweilen so unerhort, daB, als Ercole einst aus eigener Initiative einen dieser Blutegel aufhangen HeB, das Volk die Glocken lautete und am Abend Freudenfeuer zu Ehren des Herzogs abbrannte. AuBer den Polizeidirektoren be- driickten das Volk namentlich die ,,fattori generali", von denen schon die Rede war. Als einer von ihnen, Bonvicino della Corte, mit dem Beinamen Lupo Malvagia, ein Giinstling Borsos, 1475 seines Amtes entsetzt wurde, feierte die ganze Stadt den Tag durch Glockengelaute und abendliche Illumination. Selbst der strenge Strozzi verfaBte damals ein Festgedicht, worin er sich ruhmt, dazu beigetragen zu haben, den ,,grausamen Wolf" zu entfernen.

Perniciosa tamen rabies latronis iniqui,

Laesa Malum quern turba Lupum cognomine dixit,

Sermonis nostri gladio iugulata repente

Corruit aeternum stygiis damnata tenebris.

Ubrigens gab Ercole das schlechte Beispiel selbst, er verkaufte offentliche Amter an Manner, die unter mannigfachen Vorwanden der Gesellschaft dreifach das dem Herzog bezahlte Geld abpreBten. Der Verkauf der Amter war eine der wichtigsten Einnahme- quellen des herzoglichen Schatzes.

Der offentliche Kredit litt ungeheuer infolge der Obergriffe des Fiskus und der Habgier der Beamten. Das Geld verbarg sich, um Leuteschinder wie Malvagia nicht zu reizen, da sie mit be- sonderem Behagen den Reichen ihre Schrauben anlegten. Der ZinsfuB stieg enorm, die Gemeinde berechtigte die Kapitalisten, bis zu vierzig vom Hundert zu fordern, und dreiBig vom Hundert gait als ein absolut fairer, legaler Satz. Da infolge derartiger Zu- stande die Bevolkerung unter Geldknappheit litt, bemiihte man sich in Ferrara wie in anderen Stadtgemeinden im XV. Jahr- hundert, jiidische Bankiers zur Ansiedlung zu gewinnen, da sie kiihner als die Christen im Geldverleihen waren. Im XV. und XVI. Jahrhundert lebte fast in jedem italienischen Nest ein Jude,

84 fOnftes kapitel

der gegen Pfander Geld lieh, und in groBeren Stadten gab es ihrer mehrere. Die Regierung iibertrug ihnen die Fiihrung der Bank- geschafte, haufig in der Form eines absoluten Monopols, sicherte ihnen religiose Toleranz zu und gestattete ihnen zu wohnen, wo es ihnen gefiel, ohne sie auf bestimmte StraBen zu beschranken. Diese jiidischen Bankiers in Ferrara waren nicht gezwungen, auf ihrem Mantel das Zeichen ,,0" zu tragen, das alien iibrigen Juden vorgeschrieben war. Der Bankier wurde in der Stadt zur privi- legierten Personlichkeit, ,,tamquam civis habeatur", und dem- zufolge zum Beschiitzer der iibrigen Juden, die allein in bestimmten Stadtteilen wohnen durften. Unter Ercole gab es im gesamten Herzogtum zwolf- und in Ferrara allein sechstausend Juden.

Die unredlichen Glaubiger wurden zusammen mit den ge- meinen Verbrechern eingesperrt, erst Ercole I. lieB einen besonderen Schuldturm fur sie bauen. Bankerott gait seit jeher als groBe Schande. Auf einem der Platze Ferraras lag seit undenklichen Zeiten ein groBer Marmorblock ,,pietra" genannt, ein formloses Denkmal auf einem Unterbau, der aus einigen Stufen bestand. Von diesem Stein aus verkiindete der Gerichtsdiener neue Ge- setze, spater bekam der Block eine sonderbare Bestimmung, da dem Volke die Bankerotteure darauf vorgefiihrt wurden. Diese Sitte scheint etruskischen Ursprungs zu sein und hat sich unter verschiedenen Formen in italienischen Stadten erhalten. Der Bankerotteur wurde aus seinem Haus geholt, ein leerer Sack wurde vorangetragen, eine neugierig gaffende Menge folgte, dann muBte der arme Teufel auf jenen Stein steigen, und ein griiner Hut wurde ihm als Zeichen der Schande aufgestiilpt. Von diesem erhohten Standpunkt muBte er dem Volke verkiinden, daB er auf alles, was sein Besitz gewesen war, verzichte, und so wurden ihm fur den Preis der Schande all seine Schulden erlassen. Nahm man auf demselben Platz dem ehemaligen Bankerotteur den griinen Hut ,,il cappel verde" ab und setzte ihm einen schwarzen auf, so be- deutete es, daB er seine Schulden bezahlt und aufs neue Anleihen machen konnte.

Unter Ercole erreichte Ferrara seine grdBte Entwicklung. Die Stadt zahlte einmalhunderttausend Einwohner, und obgleich neue

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StraBen angelegt und Hauser und Palaste im Bau begriffen waren, war der Wohnungsmangel grofi. Borso hat die alte Stadt bedeutend nach Siiden erweitert, aber erst Ercole wurde Ferraras Baumeister. Da Bauen seine Leidenschaft war, widmete er sich dieser Aufgabe mit Liebe. Unter Ercole entstand ein ganzer Stadtteil, von der HauptstraBe, der Strada della Giudecca, nach Norden, der groBer war als das gesamte altere Ferrara. Lange, breite, einfache StraBen entstanden, und damit gab Ercole das erste Beispiel einer modernen Stadtanlage, in der es im Winter sehr kalt und im Sommer unertrag- lich heiB ist.

Ercole hatte auch schwere Zeiten zu iiberstehen; die Haupt- ursache seines Ungliicks war das Seesalz, das man seit langer Zeit am ferraresischen Ufer gewann. Neidisch blickten die Vene- zianer auf den Aufschwung der estensischen Salinen, sie wollten Ferrara zwingen, Salz aus den Salzbergwerken der Republik zu kaufen. Der Streit um das Salz und wegen des Fischfanges am Ufer des Adriatischen Meeres bot den auBeren AnlaB zu einem Kriege zwischen Ercole I. und Venedig. Die Franzosen und der Papst haben zwar Ferraras Untergang verhindert, aber der Krieg mit der gewaltigen Republik hat den Wohlstand des Herzogtums fur lange Zeit vernichtet.

Auf Ercoles Seite stand Frankreich und die von Frankreich beeinfluBte Lombardei, daher sah man in Ferrara erst mit sehr viel Gelassenheit dem Ausgang des Kampfes entgegen. Die Dichter schilderten bereits den Tod der Republik: der Papst komme, um ihr die letzte Olung zu geben, der Konig von Frankreich und der Kaiser Maximilian wollen Zeugen dieses Sterbens sein, der Konig von Spanien halte die Exequien. Der Herzog von Ferrara bereite der verhaBten Nachbarin das Grab, und der Markgraf von Mantua ordne einen feierlichen Gottesdienst fur ihre Seele an. Jubelnd verbreitete man ein Gedicht iiber Venedig, das mit dem Vierzeiler begann:

O Venezia, o Venezia pingua e grassa Ogli altru' regni or la tua fama abassa! La tua superbia non ha fin ne' fondo: San Marco tuo non e' maggior di Christo.

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Die Venezianer dagegen verspotteten das schwache Ferrara und sangen: ,,0 guerra, o nonguerra, Ferrara andera' per terra . . ." ja mehr noch, sie warfen Ercole I. vor, Italien verraten zu haben, da er zusammen mit Lodovico Moro Karl III. in die Lombardei gerufen habe. Auch die durch Tradition tiberlieferte Herkunft vom Geschlecht der Maganza wurde ihm vorgehalten, das, wie schon friiher erwahnt, den Ursprung alles Bbsen in Ritterromanen reprasentiert.

Marchese di Ferrara di la casa di Maganza, tu perdera '1 stado al dispetto di re di Franza.

San Marco, auf seine Macht pochend, warf sich in die Brust und tat, als wenn er neben Jupiter im Himmel die Erde beherrsche:

Jove e in ciel e Marco sol in guerra, 1' uno guberna il ciel, 1' altro la terra.

Ercole war ein Diplomat, kein Heerfiihrer; er folgte Borsos Traditionen, veruneinigte seine Gegner und zog Nutzen aus ihren Fehlern. Niemand traute ihm, aber der allgemeine HaB gegen Venedig war die beste Hilfe. Dieser HaB wurde seine Rettung, trotzdem er wiederholt zuviel auf eine Karte gesetzt hat.

Aus dem Krieg mit Venedig resultierten furchtbare wirtschaft- liche Niederlagen. Die Heere der siegreichen Republik belagerten Ferrara langere Zeit, die Po-Uberschwemmungen fugten unermeB- lichen Schaden zu, zu Hunderten erlagen die Ferraresen der Seuche, zuletzt erkrankte Ercole. Als es schien, daB die Macht der Este fur immer vernichtet sei, ubernahm Eleonora mit starker Hand die Ziigel der Regierung. Sie schickte ihre Kinder nach Modena, brachte den kranken Gatten an einen sichern Ort, stachelte das Volk zur Verteidigung des Vaterlandes an und rettete das Reich vor dem Untergang durch ihre Energie und die spatere Intervention des Papstes. Es waren Ferraras schwerste Zeiten, der estensische Hof versetzte fast all seine Kostbarkeiten: goldene Ketten, Rubinen und Diamanten, man war gezwungen, das groBte Kleinod des Familienschatzes zu verkaufen, ,,gran Zolielo del diamante tri- angolare". Als 148 1 die Ernte miBriet, fehlte es selbst dem Hof an Brot, und das Volk starb Hungers.

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Die Fehler in der Verwaltung, die alle damaligen Tyrannen- staaten begingen, zeigten sich in solchen Zeiten in ihrer ganzen Furchtbarkeit. Die Einrichtungen zielten mehr darauf ab, die Macht des herrschenden Geschlechtes zu verstarken als dem ganzen Volke eine auch nur ertragliche Existenz zu schaffen.

Der Krieg mit Venedig hat insofern die wirtschaftlichen Ver- haltnisse des ferraresischen Hofes umgestaltet, als Ercoles Nach- folger einen kriegerischen Reservefonds anlegten. Er muBte jedoch, wie wir sehen werden, zumeist als Anleihe fiir die Papste verausgabt werden.

Ill

In den Jahren 1487, 1490 und 1491 verheiratete Ercole drei Tochter und einen Sohn, es gait vier Ausstattungen anzuschaffen, und so gab es Gelegenheit genug, um den Glanz des Hofes zu ent- falten. Lucrezia wurde als erste verheiratet, als uneheliche Tochter bekam sie die relativ bescheidenste Mitgift von nur 10 000 Dukaten. Auch wurde ihre Hochzeit durch weniger glanzende Feste gefeiert. Doch erzahlte man sich viel von den kostbaren silbernen und goldenen Tafelaufsatzen beim Hochzeitsbankett. Der beruhmte Francia, der sich damals mehr mit Goldschmiedekunst als mit Malerei beschaftigte, hat sie geschaffen. Glanzender waren die Vorbereitungen zu Isabellas Hochzeit, die, noch nicht sechzehn- jahrig, Francesco Gonzaga, dem Sohn des herrschenden Mark- grafen von Mantua, einem zweiundzwanzigjahrigen Jiingling, vermahlt wurde. Diese Heirat schuf fiir viele Jahre eine groBe Annaherung zwischen den Dynastien der benachbarten beiden Landchen und wurde in Venedig nicht ubermaBig gern gesehen. Schon 1480 hatte Federigo Gonzaga Beltramino Cusastro nach Ferrara geschickt und um die Hand der damals sechsjahrigen Isabella fiir seinen zwolfjahrigen Sohn angehalten. Cusastro berichtete seinem Herrn begeistert von der ungewohnlichen Intelligenz der kleinen Isabella. Gleichzeitig schickte er das von Cosimo Tura gemalte Bild der jugendlichen Braut, das aber leider untergegangen ist, nach Mantua. Einen nicht weniger giinstigen

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Eindruck als Cusastro empfing spater ein anderer mantuanischer Gesandter, der Madonna Isabella mit ihrem Tanzlehrer, Messer Ambrogio, tanzen sah, einem Juden, der in den Diensten des Herzogs von Urbino war. Er konnte ihre graziosen Bewegungen nicht genug riihmen.

Um Isabellas Hand hatte auch die Furstin Bona Sforza aus Mailand fiir ihren Sohn Lodovico Sforza gebeten. Da Isabella schon verlobt war, trug Ercole Lodovico seine jiingere Tochter Beatrice an; sie wurde am Hofe des GroBvaters in Neapel erzogen, zusammen mit den Kindern der Ippolita Sforza, der Furstin von Kalabrien, einer der gebildetsten Frauen ihrer Zeit. Lodovico Sforza, mit dem Beinamen II Moro, kam 1479 nach Neapel, und da auch der Konig von Neapel fiir diese Verbindung war, iibertrug er ihm das Fiirstentum Bari, das durch den Tod des alteren Sforza frei geworden war. Am 22. Mai des Jahres 1483 wurde Isabellas und Beatrices Verlobung in Ferrara auf dem Platz vor dem Kastell verkiindet.

Im Friihling des Jahres 1484 kam der Markgraf von Mantua mit seinem Sohn Francesco zum San Georgstag nach Ferrara. Mit sechshundert Rittern und Hbflingen war er iiber den Po ge- kommen, und der Herzog feierte ihn wahrend seines viertagigen Aufenthaltes mit allem Prunk, den der ferraresische Hof auf- bringen konnte. Die Verlobten lernten sich kennen, traten ein- ander naher, und von diesem Zeitpunkt an stand Isabella mit Francesco in regelmafiiger Korrespondenz, machte ihm sogar Ge- schenke und schickte ihm Verse, die die Hofpoeten ihm zu Ehren gemacht hatten.

Isabellas Hochzeit sollte im Friihling des Jahres 1490 statt- finden. Ein ganzes Heer von Malern, Bildhauern, Gold- schmieden, ferraresischen und spanischen Stickern wurde fiir die Ausstattung aufgeboten. Eleonora schickte den bekannten Maler Ercole Roberti nach Venedig, um Einkaufe zu machen. In Venedig wurden auch die meisten Tapezierarbeiten bestellt, und bei Fra Rocca, einem bekannten Goldschmied in Mailand, wurden Gebetbucheinbande gekauft und ein tragbares, silbernes Altarchen im Werte von sechshundert Dukaten. Isabella bekam

BEATRICE D'ESTE DETAIL AUS ZENALES „LA VERGINE IN TRONO". M. Ml, AND, BRERA

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25 000 Dukaten in bar als Mitgift, ihre Aussteuer war 2000, ihre Juwelen 3000 Dukaten wert. Es war dies keine auBergewdhnlich groBe Mitgift, Eleonora hatte ihrem Gatten 80 000 Gulden mit- gebracht.

Die Trauung fand in Ferrara am 11. Februar 1490 in der SchloS- kapelle statt. Nach der Zeremonie ritt die junge Braut, mit der Krone geschmuckt, von einem zahlreichen Gefolge umgeben, durch die Stadt. Zu ihrer Rechten ritt der Herzog von Urbino, zu ihrer Linken der neapolitanische Gesandte. Am Abend fand das Fest- mahl statt im groBen Saale des Kastells, der mit flandrischen Tep- pichen, die Eleonora aus Neapel mitgebracht hatte, ausgestattet war. Die silbernen Tafelaufsatze waren von erlesener Pracht, ein venezianischer Goldschmied, Giorgio da Ragusa, hatte sie nach Cosimo Turas Zeichnungen ausgefuhrt. Zur Tischdekoration ge- horten auch zweihundertfunfzig Fahnchen, die Giovanni Bian- chini, Torello genannt, gemalt hatte. Was auf diesen Fahnen dargestellt war, ist unbekannt.

Am nachsten Tage fuhr die Braut mit ihren Eltern und Briidern: Alfonso, Ferrante und Ippolito iiber den Po in ihre kiinftige Haupt- stadt. Trotz des Winters (am 15. Februar) waren alle StraBen mit frischen Blumen geschmuckt und die Hauser mit Girlanden friihlingsmaBig aufgeputzt. Die Markgrafin Elisabetta Gonzaga empfing die Schwiegertochter, umgeben von Nachbarn und Ver- wandten. Kostbare Geschenke wurden ihr iiberreicht, Gobelins mit der Darstellung des trojanischen Krieges, die Gabe des Herzogs von Urbino, erregten allgemeine Bewunderung. Bis zum SchluB des Karnevals wahrten die Feste und Feierlichkeiten, und Isabella war wohl, trotz ihrer Jugend, froh, als sie sich ruhig in ihrer neuen Hauptstadt umschauen konnte.

Beatrices und Isabellas Trauungen sollten am gleichen Tage stattfinden, aber Sforza schob die Zeremonie unter verschiedenen Vorwanden hinaus. Er entschuldigte sein Zogern, weil er angeblich auf den venezianischen Senat, der gegen diese fur die Republik ge- fahrliche Vereinigung der Hauser Este und Sforza war, Rucksicht nehmen musse. Der Hauptgrund war sein Verhaltnis zur schonen Cecilia Gallerani; mit alien Mitteln suchte sie die Heirat ihres

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Geliebten zu verhindern. Fast schienen die Beziehungen zu den Este endgiiltig abgebrochen. SchlieBlich besann sich Moro, und im August des Jahres 1490 schickte er Francesco da Casate nach Ferrara mit groBartigen Geschenken fur seine Verlobte, er brachte ein Hals- band mit aus groBen Perlen und stilisierten Blumen von meister- hafter Arbeit, sowie Ohrringe aus Rubinen, Perlen und Smaragden. Die Trauung wurde auf den 16. Januar 1491 im Kastell zu Pavia festgesetzt. Unmittelbar vor Beatrices Abreise aus dem Eltern- hause kam auf Moros Veranlassung ein junger Bildhauer, Christo- foro Romano, nach Ferrara, um ihre Biiste in Marmor zu fertigen. Romano war ein ebenso begabter Kiinstler als geschickter Hof- mann, der Giinstling Moros, auch in Mantua und Urbino war er wohl gelitten. Der Kardinal Ascanio Sf orza hatte ihn in Rom kennen gelernt und nach Mailand empfohlen. Beatrices Biiste, die damals entstand, befindet sich heute im Louvre, das Werk, das Qualitaten hat, gait friiher als Arbeit Leonardo da Vincis.

Auch Beatrice war nicht schon so wenig wie Isabella, da sie aber lebhaft und gut gewachsen war, gefiel sie iiberall. Sie war eine passionierte Jagerin und Reiterin. Stolz und ehrgeizig, litt sie keine Nebenbuhlerin neben sich; so entstand auch ihre Eifer- sucht, zu der sie nur Grund genug hatte.

Die Jahreszeit war fur den Hochzeitszug nicht giinstig. Der Winter des Jahres 1490/91 war ungewohnlich streng, Weih- nachten lag der Schnee drei FuB hoch in Ferraras StraBen. Der Po war fest gefroren, das Eis begann erst Ende Februar aufzutauen, so daB der Hochzeitszug den Landweg nach Pavia einschlagen muBte. Die Braut begleiteten die Mutter, Messer Sigismondo, der Kardinal Ippolito und ihr Bruder Alfonso. Moro hatte Vorkehrungen getroffen, damit die ferraresischen Gaste unterwegs gutes Quartier und Essen und Trinken vorfanden. Am 29. Dezember kamen sie nach Mailand, von dort aus ging es erst nach Pavia. Infolge der schlechten Wege fuhren die Frauen im Wagen nach Brescello, wahrend die Manner es zu Pferde erreichten; dort war der Po schiffbar. Die Hochzeitsgesellschaft bestieg das Schiff; in Piacenza machte man eine kurze Rast, und erst am nachsten Tage, um vier Uhr nachmittags, erreichte man Pavia. Lodovico hatte einen anderen

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Weg am Ticino entlang gewahlt und traf seine Braut erst in Piacenza. Die Strecke von Mailand nach Pavia, die heute in kaum einer Stunde zuriickgelegt wird, erforderte damals fast drei Tage.

Die Training wurde mit groBem Pomp in Pavia am 17. Januar 1 49 1 begangen; am 22. begab sich die ganze Gesellschaft nach Mailand zur Hochzeit von Alfonso d' Este und Anna Sforza. Alfonso, der im Palazzo Schifanoja am 21. Juni 1471 geboren war, war damals 14 Jahre alt, aber schon ein Jahr nach seiner Geburt war seine Heirat mit der mailandischen Herzogstochter eine beschlossene Sache. In Ferrara war der Ehekontrakt ratifiziert worden, im Beisein des Kindes, das Manuele Bollaia wahrend dieser Zeremonie auf den Armen trug.

Anna Sf orzas Ankunft in Ferrara war der AnlaB prachtiger Feste. Schon der Einzug der Gattin des Thronerben gestaltete sich sehr groBartig. Ercole erwartete sie mit zahlreichem Gefolge am Ufer des Po. Die Herzogin kam im Bucentaur; in den gefrorenen FluB hatte man einen Kanal gehauen, um der jungen Frau die Strapazen zu ersparen, die Eleonora und Beatrice kurzlich zu iiberstehen hatten. Am 12. Februar zog Anna zu Pferde unter dem Baldachin in die Stadt ein, vier Triumphbdgen, nach Zeichnungen des Archi- tekten Biagio Rosetti, waren zu ihrem Empfange errichtet worden. Auf dem Triumphbogen in der Nahe des Palazzo Schifanoja stand Apoll auf einem von stattlichen Pferden gezogenen Wagen. Eine erlauchte Versammlung erwartete sie in Ferrara; Gesandte aus Florenz, Lucca und Neapel waren erschienen, um das junge Paar zu begluckwunschen. Die venezianischen Gesandten hatten ein Gefolge von fiinfzig Berittenen; die gesamte Ritterschaft des ferrare- sischen Landes war in die Hauptstadt gekommen, so daB die Hof- kiiche wahrend der Hochzeitstage funfundvierzigtausend hundert und elf Pfund Fleisch verbraucht hat.

Die Herzogin-Mutter empfing die Schwiegertochter vor dem SchloBportal und geleitete sie in die fur sie bestimmten Gemacher. Am nachsten Morgen hielt der ferraresische Bischof den Gottesdienst in der SchloBkapelle ab, und am Abend gab Ercole zu Ehren Anna Sf orzas einen groBen Ball, darauf folgte die Auffiihrung von Plautus' ,,Menaechmi" in italienischer Bearbeitung. Die Dekorationen zur

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Komodie hatte Nicoletto del Cogo gemalt, als Sohn des Hof- koches trug er diesen Spitznamen. An den beiden folgendenAbenden wurden wieder zwei Komodien von Plautus aufgefiihrt, in den Zwischenakten fiihrte man Moresken auf , die mit dem Inhalt der Stucke in gar keinem Zusammenhang standen. In einer der Moresken sturzten beim Klang idyllischer Musik etwa zehn junge Leute tanzend mit Efeuzweigen in den Handen auf die Biihne, sie ver- schlangen die Girlanden zu einer Art Altan. Dann erschien Apott im Gefolge der Musen, er griff in die Saiten seiner Leier und sang eine Ode zu Ehren des jungen Paares, des estensischen Hauses und der versammelten Gaste. Als er Ercoles Tugenden und Verdienste pries, entzog sich der Fiirst durch eine leichte Handbewegung gewissermaBen den ihm gespendeten Schmeichelreden. Ein anderes intermezzo" war eine landliche Szene mit Ballett: verkleidete Bauern stellten tanzend dar das Bestellen der Felder, Aussaat und Ernte. Mythologische Szenen mit Choren antiker Gotter fehlten nicht. Juno, Venus, Apoll, Bacchus und sein Gefolge sangen zum Klang der Musik. Damit war die Reihe der Moresken noch lange nicht erschopft,doch ware ein weiteresAufzahlennurermudend. Anna Sforza hatte eine groBe Zahl von Kleinodien und kost- baren Geraten mitgebracht, vergoldete und bemalte Truhen, Schatullen aus Elfenbein und Zypressenholz. Das Verhaltnis schien ein gutes zu werden, aber Anna war leidend, und Don Alfonso zu jung, zu sehr auf neue Liebesgeniisse bedacht und zu ziigellos, um ein ruhiges Leben fuhren zu konnen. So blieb das Gliick aus, besonders da Anna kinderlos war; 1497 starb sie nach sechs- jahriger Ehe. An peinlichen Vorfallen war ihre Ehe reich genug; einige Monate vor ihrem Tode verzeichnet der bekannte venezianische Chronist M. Sanuto einen kecken Jugendstreich Don Alfonsos: fast nackt habe er mit den Gefahrten seiner Ausschweifungen Ferraras StraBen durchzogen. In seinem Ausgabebuch sind iiberdies sorgsam die Posten gebucht ,,per Venere lasciva", und in seinem ,, Studio" hingen von Cosimo Tura gemalte liisterne Bilder nackter Weiber. Er unterschied sich ubrigens in seinen Lebensgewohn- heiten durchaus nicht von den iibrigen gekronten Hauptern, deren Dasein an Ausschweifungen reich war.

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Zwei Jahre nach Alfonsos und Anna Sforzas Hochzeit starb Eleonora von Aragon 1493. Infclge ihres plotzlichen Todes ent- standen unwahrscheinliche Geriichte: ihr Gatte habe sie ver- giften lassen, da sie sich seiner auf ahnliche Weise hatte entledigen wollen. Vergiftungen waren bei Fiirstengeschlechtern damals etwas so Alltagliches, daB das Volk fast bei jedem plotzlichen Todes- fall ein Verbrechen gewittert hat. Die Geschichte des ferraresischen Hofes bietet aber nicht den mindesten AnlaB, um an Eleonoras gewaltsamen Tod zu glauben; im Gegenteil, die Fiirstin lebte in einer nach damaligen Begriffen besonders gliicklichen Ehe und war allgemein geachtet. Von alien Dichtern wurden ihre Tugenden besungen, und unter den Elaboraten der Hofpoeten zu Ehren der Verstorbenen gebiihrt Tito Strozzis Gedicht das groBte Interesse, denn ehrliche Trauer um die Herzogin spricht daraus.

IV

Ercole war zwar nicht so gebildet wie Lionello, aber die litera- rische Bewegung interessierte ihn bedeutend mehr als Borso, der nur auf seine Titel, Pferde und Jagden bedacht war. Schon seine leidenschaftliche Vorliebe fur Musik und Theater und sein Be- streben, in Ferrara eine erstklassige Biihne zu schaffen, schlug Briicken zur Literatur. Selbst als er alt und krank war, lieB er sich von Vincenzo aus Modena, einem damals beruhmten Musiker, auf dem Klavier vorspielen. Mehr noch als Ercole interessierte sich Eleonora fur Literatur, auBerdem entsprach es den Traditionen ihres Geschlechtes, Dichter und Kiinstler an den Fiirstenhof zu ziehen. Unter Ercoles und Eleonoras Herrschaft war der ferrare- sische Hof ein Mittelpunkt fur Italiens literarisches Leben und von groBtem EinfluB auf die Entwicklung der Ideen der Hochrenaissance. Eine ganze Reihe interessanter Personlichkeiten war in Ferrara zu finden. So Tito Vespasiano Strozzi (1422 1505), dem wir bereits als Jiingling in Lionellos Umgebung begegnet sind. Auch Borso liebte und schatzte ihn sehr und suchte ihn bei jeder Ge- legenheit auszuzeichnen. Er hat ihm Domicella zur Frau gegeben,

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die vermogende Tochter des Grafen Guido Rangone, des General- kapitans seiner Armee. 1470 verlieh er ihm einen goldenen Ritter- degen und nahm ihn ein Jahr spater nach Rom mit, dort hat das Kardinalkollegium Strozzi mit dem Dichterlorbeer gekront, um die Gunst des neuen Herzogs zu gewinnen. Wie die iibrigen Ty- rannen der Renaissance suchten auch die Este Emigranten an sich zu fesseln, da sie ihnen, aus Dankbarkeit fur die gewahrte Zufluchts- statte, treuer dienten als die angesessenen Geschlechter. Die Strozzi waren besonders begabt, so waren im Jahre 1422 allein drei Mit- glieder dieser Familie als Gesandte verschiedener Fiirsten bei der Signoria in Venedig tatig: Palla Strozzi als Vertreter der Floren- tiner Republik, Uberto hatte der Markgraf von Mantua und Giovanni, Vespasians Vater, der Markgraf von Ferrara entsandt. Gemeinsame Jugenderinnerungen bestanden zwischen Titus, Borso und Ercole. Sie waren samtlich Guarinos Schiiler, Titus war um neun Jahre alter als Ercole, und sie hatten tolle Jugend- streiche begangen. In einem seiner Gedichte wendet sich Strozzi an den Herzog:

Cujus ego tecum viridi nutritus in aevo.

Ercole hat wie Borso Strozzi sehr geschatzt und ihn auch im Staatsdienst beschaftigt. So gehorte Titus dem Gefolge an, das 1473 Eleonore aus Neapel abholte, spater wurde er Gouverneur von Rovigo und der Provinz Polesine und stand im Krieg mit Venedig auf bedeutendem Posten. Er war auch Gesandter bei In- nocenz VIII. und gegen Ende seines Lebens, als Sechsundsiebzig- jahriger, Vorsitzender der Savi. Abgesehen von Jugenderinnerungen verbanden auch gemeinsame Passionen Titus mit Borso und Ercole. Er war wie die beiden Herzoge ein leidenschaftlicher Jager. Die Walder neben Racano, wo sich Titus haufig im Sommer aufhielt, waren reich an Hirschen, Wildschweinen und Hasen. Seine Jagd- hunde, die er aus Thrakien kommen lieB, waren um ihrer Ge- schicklichkeit willen bekannt, und Falken und Habichte ver- stand er selbst vortrefflich abzurichten. Bagarino, den einen Falken, lieB er von Cosimo Tura malen und besang den Lieblingsvogel in lateinischen Versen. Titus hatte eine Vorliebe fur das Landleben;

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auBer Racano besaB er noch dreiVillen auf demLande,Borsohatte ihm zwei davon geschenkt. In der Villa Quartisano befand sich seine Bibliothek. Titus Sohn, Ercole, der auch dichtete, schildert in einem lateinischen Gedicht das Landleben des Vaters, wie er fur Pferde und Ochsen sorge, in der Wirtschaft nach dem Rechten sehe und dabei eifrigst dichte und studiere.

Sub lucemque toro exurgit dumque aspera mollit Pectora, nunc libros versat, nunc carmina condit, Nee sinit in cessum labi irrevocabile tempus.

Titus gehort zu den bekanntesten lateinischen Dichtern seiner Zeit, hatte er italienisch geschrieben, so stiinde er an erster Stelle unter den Renaissancedichtern. Seine Sprache ist weniger rein als die Pontanos und Polizians, die das Lateinische wie eine lebende Sprache beherrschten. Hofisches Wesen und das fremde Idiom haben sein Talent erstickt. Es fehlt ihm weder an starkem Natur- sinn, noch an Beobachtungsgabe, so schildert er die damaligen Zustande anschaulich, hat Schwung und Leidenschaft, was selbst in den Epigrammen, die er als Achtzigjahriger an Lucrezia Borgia richtet, durchbricht.

Nach Guarinos Tod stand er an der Spitze der Humanisten in Ferrara; leidenschaftlich nahm er Partei gegen das Italienische als Schriftsprache, selbst seine Liebesgeschichten wurden nur in lateinischen Versen besungen. Er hat in der Hauptsache Liebeslieder verfaBt, aber sie sollten den Beifall ihm verwandter Humanisten finden und waren nicht fur die Frauen bestimmt, die er geliebt hat. Kein leidenschaftlicher ErguB heiBer Empfindungen, eher ein Kokettieren mit der Liebe.

Auf einem Wettrennen in Ferrara, im Friihling des Jahres 1 44 1, lernte er, als Neunzehnjahriger, ein reizendes Madchen mit goldblondem Haar kennen, das er Anthia nannte. An sie richtet er einen Zyklus von Elegien, die unter dem Titel ,, Erotica" er- schienen und zu seinen bekanntesten Werken gehoren. Aber seine eigenen Empfindungen in Worte zu fassen, hielt der Schiiler Guarinos nicht mit seiner Wiirde vereinbar, so entlieh er einem griechischen Roman des Xenophontes aus Ephesos Bilder und

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Wendungen und gab selbst seiner Ferraresin, die wahrscheinlich Maria oder Bettina hieB, den Namen einer antiken Heldin. Ein anderer, dem der Jiingling im Wege stand und der Macht und Ein- fluB hatte, scheint gleichfalls Anthia-Bettina geliebt zu haben; so wurde der verHebte Latinist aufgefordert, Ferrara zu verlassen. Da Anthia nach Florenz iibersiedelt zu sein scheint, durfte Titus nach geraumer Zeit wieder nach Ferrara zuriickkehren. Nur Elegien waren die Frucht dieser Jiinglingsliebe. Anthia scheint sich fur Strozzis Verse, die sie sicherlich nicht verstanden, nicht erkennt- lich gezeigt zu haben. Uber sehr sinnliche, ja liisterne Abschnitte hat das Lateinische seinen schutzenden Mantel gebreitet. Diese Gedichte erschienen spater in einem Lucrezia Borgia gewidmeten Bande. Strozzi durfte die Widmung riskieren, ohne die Herzogin zu verletzen, da auch sie so wenig wie Anthia die Gedichte zu lesen imstande war.

Strozzi gehort zu jenen Hoflingen, die stets bereit sind, Weih- rauch abzubrennen. Mit Freuden ergriff er jede Gelegenheit, um Lobeshymnen an den Herzog und die herzogliche Familie loszulassen. Alfonsos Trauung mit Anna Sforza, Eleonoras Tod, Lucrezia Borgias Einzug in Ferrara, ja selbst der seltene Anblick des ge- frorenen Pos (im Jahre 1443) begeisterten ihn zu Gedichten. Zu Borsos BegruBung schreibt er: Bei der Ankunft des Fiirsten er- hellt sich der Himmel, das Gewitter verzieht sich, und frisches Griin deckt die Erde. Brauchte man Gelegenheitsgedichte, so wandte man sich an Strozzi, selbst wenn es sich darum handelte, Aufschriften fur die von den Herzogen errichteten Gebaude zu ver- fassen, war er zur Hand. Selbstverstandlich sind seine Schmeiche- leien nicht frei von den seltsamsten Vergleichen und Bildern. Der afrikanische Lowe in Borsos Tierpark folgt dem Beispiel seines Herrn, er wirft sich nicht auf schwachere Geschopfe, wie Hunde oder Hasen, sondern miBt seine Kraft mit Biiffel, Bar und Wild- schwein. Leider hat der Lowe sehr bald die Behauptungen des Dichters Liigen gestraft, indem er das Tochterchen des Park- wachters, das ihm Futter brachte, zerriB. Um Ercole zu ehren, gab Titus seinem altesten Sohne den gleichen Namen, doch werden wir noch sehen, daB die herzogliche Familie ihm diese Schmeichelei

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ebenso vergalt, wie der Lowe dem Tochterchen des Parkwachters das Futter.

Titus heiratete erst als Fiinfundvierzigjahriger, er hatte also Zeit genug, urn eine zweite Blondine zu besingen, der er den klas- sischen Namen Phylloroe beilegte. Strozzi hat diese Frau sehr geliebt, sie hat in einer Villa am Po gewohnt, die er gleichfalls besang. Nach seiner Schilderung war es ein altes, efeuumranktes Hauschen, mit verblichenen, halb vom Regen verwaschenen Heiligenfresken. Es verbarg sich hinter Baumen, daneben stand eine verfallene Kapelle, und in der Nahe pfliigte der Kaplan seine diirftigen Felder mit geliehenen Pferden. Phylloroes Tage waren gezahlt, sie fiel einer Seuche zum Opfer, und der Dichter hat ihren Tod bitter beklagt.

AuBer diesen Liebesliedern begann Titus ein Gedicht zu Ehren Borsos, doch blieb es unvollendet, da er nach dem Tode dieses Beschutzers schleunigst ein Gedicht auf seinen Nachfolger machte.

Erst im spateren Alter bekleidete Titus offentliche Amter. Als Statthalter von Polesina holte er sich ein hartnackiges Fieber; da alle Mittel vergebens waren, diktierte er seinem Diener ein demiitiges Gedicht an den heiligen Bellino, den Schutzpatron der Diozese Adria-Rovigo, und bat ihn flehentlich, ihn von dieser schweren Krankheit zu befreien. Nach seiner Genesung stiftete er aus Dank- barkeit eine Gedenktafel auf dem Grabe des heiligen Bischofs. In den schwersten Zeiten, im Jahre 1497, war er Vorsitzender der Savi, wahrend venezianische Soldner das ferraresische Land ver- wiisteten, wiederholte Erdbeben die Bevolkerung in Schrecken versetzten und eine Seuche furchtbare Verheerungen anrichtete. Kaum war das Ungliick abgewandt, so verschwendete der Herzog trotz des herrschenden Elendes ein Vermogen fur luxuriose Ge- baude, glanzende Feste und Jagden. In sozialer Beziehung geschah gar nichts, um die Wunden, die der Krieg dem Lande geschlagen, zu heilen, da der alternde Herzog sich auf die Vorsehung verlieB und nur Andachten fur das Wohlergehen des Volkes anordnete. Im Jahre 1500, als man einen Oberfall der Tiirken befiirchtete, lieB er taglich Prozessionen veranstalten und fur das Abwenden der drohenden Gefahr beten, anstatt die Miindung des Po zu befestigen.

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Da die Bevolkerung infolge der schweren Abgaben und der konstanten Durchmarsche des franzosischen Heeres zu erschopft war, urn neue Lasten tragen zu konnen, wandte sich der HaB gegen die Regierung. Strozzi, der als hochster Beamter mehr das Interesse des Herzogs und des Hofes als des gesamten Landes im Auge hatte, wurde zur bestgehaBten Personlichkeit. Man nannte ihn den ,,Menschenfresser", und es hieB, daB Messer Tito schlimmer sei als selbst der Teufel, ,,e peggio voluto dal Popolo, che non e il Diavolo". Vielleicht trug zu diesem HaB der Glaube bei, Titus habe den Herzog zur Griindung eines neuen Stadtteils ,,Terra nuova", ,,Addizione Ercolea", der unerhdrte Summen verschlang, veranlaBt.

Titus hat den Herzog iiberredet, seinen noch jungen Sohn Ercole 1498 zum richterlichen Beirat der dodici savi zu ernennen, sehr bald sogar zum Vertreter des Vaters. Die Bevolkerung von Ferrara nahm an diesem Protektionswesen AnstoB, auf diese Weise wurde das wichtigste Amt im Reiche beinahe erblich.

Titus iiberlebte Ercole I. und starb ein halbes Jahr nach dem Herzog, am 30. August 1505, an einer pestilenzartigen Seuche. Noch am 20. Januar des gleichen Jahres war er von seiner Besitzung Rocano nach Ferrara gekommen, um seine Amtspflichten zu er- fullen; er fehlte bei Ercoles Sterbelager nicht, ernannte Alfonso zum rechtmaBigen Nachfolger und belehnte ihn mit dem Herzogs- stab und Schwert.

Wir besitzen kein Portrat von Titus; in der Br era zu Mailand hat sich nur eine Medaille erhalten mit der Aufschrift ,, Titus Strozzius". Sie zeigt die harten und gewohnlichen Ziige eines kraftigen Mannes.

Am estensischen Hofe gehorte Strozzi zu den Literaten ,,in floribus", wahrscheinlich aber gab es mehr Dichter ,,in herbis", die sich mit einem viel kummerlicheren, haufig sogar traurigen Schicksal bescheiden muBten. Darunter ware zu nennen Pandolfo Collenuccio (1449 1504), der sich an den verschiedensten Hofen herumtrieb: in Bologna, Pesaro, Florenz und am langsten in Ferrara. Fur Ercole I. iibersetzte er ,, Amphitryon", der 1487 in Ferrara aufgefuhrt wurde, ihm widmete er auch seine beriihmte Verteidigung

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des Plinius gegen die brutalen Angriffe Niccolo Leonicenos, des Lektors fur Mathematik und Philosophic in Ferrara. Der Herzog schickte ihn als Gesandten zu Maximilian und zum Papst Alexan- der VI. Auch andere italienische Fiirsten vertrauten ihm als einem gewandten Mann diplomatische Missionen an, aber der hagere Poet fiihrte diese Unterhandlungen nicht immer zu einem giinstigen Ende. 1488 lieB ihn Sforza wegen irgendeines politischen Ver- gehens fur fiinfzehn Monate ins Gefangnis werfen und dann des Landes verweisen. 1504 gestattete ihm der Tyrann zwar nach Pesaro zuriickzukehren, aber nur urn ihn aufs neue gefangen zu nehmen und wegen seiner Sympathie fur den Fiirsten Valentino zu ermorden.

Collenuccio hat verschiedenes veroffentlicht, unter anderem ein religioses Stuck ,,Commedia de Jacob et de Joseph", sowie ein historisches Buch „Compendio della storia del regno di Napoli". Aber sein bestes Werk ist die ,, Canzone alia morte". Der Schmerz eines Menschen, der von Hof zu Hof wandert, nirgends Ruhe findet und im Tod den alleinigen Ausweg des ihm drohenden Schicksals sieht, ist ergreifend zum Ausdruck gebracht. Viel poetische Kraft, viel echter Schmerz spricht aus diesem Gedicht; nicht in der Ver- derbtheit derGesellschaft sieht der Dichter den Grund seines Kummers, sondern in der Natur, die den Menschen geschaffen, um ihn zu qualen von der Wiege bis zum Grabe.

Questa acerba matrigna

Natura, in tanti mal questo sol bene

Pose per pace, libertade e porto:

A' piu savi diporto,

Che '1 fine attendon delle mortal pene.

Eine sehr charakteristische Personlichkeit, die dem Hofe Ercoles I. sein eigentliches Geprage verlieh, war der Kardinal Ippolito d'Este, ein Renaissance- Kirchenfiirst in der

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vollen Bedeutung dieses Wortes, umgeben von einem zahl- reichen Gefolge von Hoflingen und Gelehrten. Zu seinem lite- rarischen ,,Hofgesinde" hat eine Zeit hindurch auch Ariost gehort.

Als dritter Sohn Ercoles und Eleonoras von Aragon war Ippolito am 20. Februar 1479 geboren. Der Vater hatte ihn von friih auf zum Kardinal, wenn nicht zum Papst bestimmt. Schon der siebenjahrige Knabe erhielt die Tonsur und das geistliche Ge- wand in Ferrara; kaum ein Jahr nach dieser Zeremonie ward das Kind zum Erzbischof von Gran und Primas von Ungarn ernannt. Seine Tante, Beatrice von Aragon, war die Gemahlin des ungarischen Konigs Matthias Corvinus, daher diese Protektion. Innozenz VIII. machte zwar erst seine Einwande gegen diese in der Kirchen- geschichte unerhorte Ernennung, aber trotz alledem bestatigte er sie ein Jahr darauf unter der Bedingung, daB die Weihen erst spater vollzogen werden sollten. So ging der achtjahrige Ippolito nach Ungarn, begleitet von einem Gefolge von hundertfiinfzig Hoflingen und Rittern; in seinem Reisesack befand sich Vergils Aneis, und es fehlten ihm, als einem echten Este, auch Plautus' Komodien nicht.

Sieben Jahre blieb der junge Kirchenfiirst in Ungarn, und wahrend die alteren Geistlichen die kirchlichen Pflichten fur ihn erfiillten, jagte er Wildschwein und Hirsch und las in seinen freien Stunden Vergil und Ritterromane. Das hinderte ihn jedoch nicht, die Stufenleiter der romischen Hierarchie schnell zu erklimmen, schon 1493 ernannte der Papst Alexander VI. den Vierzehnjahrigen zum Kardinal.

Das Erzbistum in Gran warf freilich dreiBigtausend Dukaten jahrlich ab, aber der Unterhalt der bischoflichen Miliz verschlang die Halfte dieser Summe, auBerdem muBte Ippolito als Primas von Ungarn im adoptierten Vaterlande residieren. Dazu schien er keine Lust zu haben, er sehnte sich nach dem heimatlichen Italien. Freudig tauschte er daher das ungarische Erzbistum gegen die gleiche Wurde in Mailand ein, die nur fiinftausend Dukaten abwarf. Lodovico Moro hat ihn damit belehnt. 1496 kam er nach Italien zuriick und blieb nur noch Titularbischof von Gran. Sein ganzes Leben war er Sforza dankbar, daB er ihm

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die Ruckkehr in die Heimat ermoglicht hatte, wie das Ariost in seinem Roland bezeugt:

. . . Ora in pace a consiglio con lui siede, Or armato con lui spiega i colubri, E sempre par d' una medesima fede, O ne' felici tempi o nei lugubri: Nella fuga lo seque, lo conforta Nell' afflizion gli e nel periglio scorta.

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Nach Corvinus Tode muBte Beatrice von Aragon Ungarn ver- lassen, sie kam nach Ferrara, und Ippolito begleitete seine Tante und Protektorin nach Neapel. Diese friihzeitige Gewohnung an hohe Wiirden und die Sorge um offentliche Angelegenheiten war auf Ippolito von groBem EinfluB, ihm eignete sehr bald die Wiirde seines Standes; an Ercoles Regierungsangelegenheiten nahm er beratend teil, und der Herzog bediente sich seiner wiederholt bei diplomatischen Missionen. Er stand an der Spitze der Gesandt- schaft, die nach Rom ging, um Lucrezia Borgia abzuholen, und iibergab ihr kostbare Geschenke im Namen seines Bruders. Alex- ander VI. zeigte sich ihm fur diese Liebenswiirdigkeit und Miihe erkenntlich, schenkte ihm einen Palast in Rom und iibertrug ihm auch das Erzbistum von Capua. Unter Julius II., dem eingefleischten Gegner der Este, war seine Stellung als Kardinal sehr schwierig, deshalb ging er zeitweilig nach Ungarn zuriick. Er wollte Ariost mitnehmen, doch der Dichter konnte sich, wie wir noch sehen werden, nicht entschlieBen, ihn zu be- gleiten. Im Jahre 1518 kam der Kardinal aus Ungarn zu Bonas Trauung nach Krakau, an der Spitze eines groBartigen Gefolges von Klerikern und Hoflingen mit insgesamt dreihundert- siebenundsechzig Pferden. Er kam als papstlicher Gesandter nach Polen und uberbrachte dem Konig Sigismund Leos X. Wiinsche in Form eines Breve. Infolge von MiBverstandnissen wegen des Zeremoniells, die sich zwischen ihm und Prosper Colonna, Bonas Vormund und Hofmeister, auf der Reise ergeben hatten, nahm er an den Kronungsfeierlichkeiten nicht teil und kehrte ziemlich ver-

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stimmt nach zweiwochentlichem Aufenthalt in Krakau nach Ungarn zuriick.

Nach Castigliones Berichten hat der Kardinal zu den an- ziehendsten Personlichkeiten seiner Zeit gehort. Benehmen, Sprache, Gebarden waren edel; trotz seiner Jugend machte er einen so ernsten Eindruck, daB er selbst unter den altesten Kirchenfiirsten auffiel. Im Verkehr mit Mannern und Frauen jedes Standes hatte er so viel Einnehmendes, daB jeder, der mit ihm in Beruhrung kam, seinem Zauber erlag. Es gebrach ihm weder an Umsicht, noch an Mut, und in alien geschaftlichen Dingen bekundete er eine ungewohnliche Geschicklichkeit. Wie alle Este war auch Ippolito ein groBer Musik- freund; er spielte Violine, und an seinem Hofe hielten sich immer die bekanntesten Kiinstler auf. Auch Literaten scharten sich um ihn, vielleicht berief er sie mehr, um den Glanz seines Hauses zu steigern, als aus personlichem Interesse an Literatur, wenigstens drangt sich dieser SchluB auf auf Grund seiner Beziehungen zu Ariost, von denen noch die Rede sein wird. Er gait als sehr gebildet, und daB er gerne las, beweisen die vielen Biicher, die er auf Reisen mit sich zu fiihren pflegte.

Dies waren die Vorziige des geschickten Kardinals, aber er hatte auch Fehler genug. Er war gewalttatig, hochmiitig, rach- siichtig so lieB er den papstlichen Gesandten in Ferrara wegen irgendeiner ihm zugefiigten Beleidigung durchpriigeln, dann floh er aus Angst vor seinem Vater nach Mantua zu seinem Schwager Francesco Gonzaga. Trotzdem die ihm iibertragenen Bistumer und Abteien eine jahrliche Einnahme von iiber 47 000 Talern ab- warfen, kiimmerte er sich um kirchliche Dinge gar nicht. Da er nicht aus eigenem Willen Geistlicher geworden, fiihrte er ein voll- kommen weltliches Leben, und seine Liebeshandel waren be- riihmt. So sein Roman mit Sanzia, Joffro Borgias Frau; man erzahlte sich von seiner Schwache fiir Veronika, eine einfache Frau aus Brescia; in Ferrara war Dalila Putti eine seiner zahlreichen Geliebten. Seine natiirliche Tochter, Elisabetta, verheiratete er mit Giberto Pio und gab ihr eine Mitgift von 10 000 Gulden.

Der Kardinal starb in Ferrara im Jahre 1520 und wurde im dortigen Dome beigesetzt.

ERCOLE I. IOg

VI

Je alter Ercole I. wurde, desto mehr trat sein Hang zur From- migkeit zutage, haufig unternahm er Wallfahrten und schickte Exvota an heilige Statten: nach Loreto, an San Niccolo in Bari, an Santa Maria dell' isola di Eremiti, ja er wollte sogar zu San Gia- como di Galizia pilgern, doch der Papst war gegen diese Reise. In dem neuen Stadtteil lieB er mehrere Kirchen errichten, sehr zum Schaden der Kunst, denn die Fonds wurden fiir Gebaude zer- splittert, die in den meisten Fallen weder kiinstlerisch ausge- schmuckt, noch selbst zu Ende gefiihrt werden konnten. Dem Vorbild des Herzogs folgten die privaten Stifter, sie bauten kleine, unansehnliche, schlecht fundierte Kirchen, die spater der armen Bevolkerung nur zur Last fielen. Die Zahl der Kloster stieg fort- wahrend, und auch daraus erwuchsen der Bevolkerung neue Lasten. Das relativ kleine Ferrara hatte uber hundert Kirchen, zu ver- schiedenen gehorten Kloster. Soviel Monche zu ernahren war die Bevolkerung nicht imstande; Neid und MiBgunst zwischen den ver- schiedenen Orden einerseits, zwischen den Monchen und den welt- lichen Klerikern andererseits, sowie der Kampf um das tagliche Brot schadigte das Ansehen der Geistlichkeit und tat der Reli- giositat Abbruch.

Bis zu welchem Grade Ercoles Wiinsche in dieser Beziehung sich verstiegen hatten, beweisen seine amiisanten Bemiihungen um die Dominikanerin, die Schwester Lucia da Narni, die, da sie in ihrer Ehe ungliicklich war, Nonne geworden und um ihrer From- migkeit willen beriihmt war. Wie Katharina von Siena sollte auch sie seit ihrem zwanzigsten Jahre Stigmata auf ihren Handen haben, die jeden Donnerstag bluteten. Die Nonne lebte in einem Kloster zu Viterbo, und Ercole neidete dem Stadtchen den Besitz dieser heiligen Frau. AuBerdem nahm er in seinem Aberglauben an, Lucias Anwesenheit in Ferrara wiirde dem Lande und seiner Familie Segen bringen, Lucias Mutter, Gentilina, und ihr Onkel Antonio Mei, die in Narni lebten, wurden vom Herzog gewonnen, und der Nonne versprach er ein eigenes Kloster in Ferrara zu er- richten, wenn sie hinzukommen sich entschlosse. Lucia hatte groBe

104 fOnftes kapitel

Lust, nach Ferrara zu kommen, aber Viterbos gesamte Bevolkerung war dagegen aus Furcht, die Abreise der Nonne konne der Stadt Ungluck bringen. Antonio Mei, der die Intrige leitete, iiberzeugte sich bald, dafi er Lucia gutwillig nicht aus Viterbo frei bekame, daher beschloB er, sie heimlich zu entfuhren. Die Nonne war im Komplott, er kam als Abgesandter aus Narni zu ihr, mit einem Brief, Gentilina liege im Sterben und wiinsche ihre Tochter noch einmal vor dem Tode zu sehen. Um Mitternacht war er im Kloster, um die Flucht mit Lucia zu besprechen; ungliicklicherweise belauschte eine zweite Nonne die Unterredung und alarmierte sofort die stadtische Obrigkeit. Die Signori fuhrten Antonio als Gefangenen aufs Rat- haus, und der arme Teufel hatte Miihe genug, um wieder frei- zukommen. Der geschickte Onkel hatte unterdessen Lucias Beichtvater gewonnen, er vertraute ihm seine Plane an, und der Nonne wurde empfohlen, wie bisher zum Gottesdienst nach S. Maria della Quercia zu gehen, einem Kirchlein auBerhalb der Mauern der Stadt. An Ercole schrieb er, ihm nach Narni vierundzwanzig berittene Bogenschiitzen und ein ruhiges Pferd fur die Nonne zu schicken. Diesen Brief brachte Giannino, der Diener des Herzogs, der von Anfang an im Geheimnis war, nach Ferrara. Ercole erfiillte Antonios Wiinsche und am Stephanstage des Jahres 1498 brach unter Alexander da Fioranos Leitung eine kleine Schar von Arm- brustschiitzen aus Modena auf ; sie erreichten Orte, sollten von dort aus nachts bis in die Nahe Viterbos gehen und im Walde versteckt bis um zwei Uhr nach Mitternacht warten. Fiorano hielt sich an seine Vorschriften ; von Orte aus schickte er in die Nahe von S. Maria della Quercia vier tapfere Manner und zwei Frauen zur Ge- sellschaft fur die Nonne, wahrend er selbst an der Spitze der Arm- brustschiitzen in einer gewissen Entfernung wartete. Aber der Anschlag miBlang; die Boten fanden in der Nahe des Kirchleins nur Lucias Beichtiger, der ihnen sagte, daB man im Magistrat Wind von den Absichten der Nonne bekommen haben musse, da sie nicht aus den Mauern der Stadt gelassen werde. Aber es sollte noch schlimmer kommen: als ein Hirte die fremden Bewaffneten neben S. Maria della Quercia sah, lief er in die Stadt, schlug Larm und er- schreckte die Bevolkerung in dem MaBe, daB Sturm gelautet wurde.

ERCOLE I.

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Die Einwohner, die urn den beabsichtigten Anschlag der Ferra- resen wuBten und gerustet waren, waren sofort zur Stelle, machteii einen Ausfall und zweihundert Berittene umgaben Fiorano und seine Handvoll Leute. Nicht leicht war es dem Ferraresen, seinen Angreifern klar zu machen, daB ihm jede bose Absicht fern sei, er kehre aus Rom heim und einige seiner Soldaten und zwei Frauen, die zum Gefolge gehorten, hatten in S. Maria della Quercia beten wollen. Zwar glaubten die Manner aus Viterbo kein Wort von alle- dem, aber sie liefien Fiorano weiterziehen und dem Herzog melden, daB, was ihm anscheinend gefalle, auch ihnen lieb ware, deshalb empfehlen sie ihm, seine phantastischen Plane aufzugeben, da sie ihn anderenfalls als Feind der Stadt behandeln wiirden.

Da es auf diese Weise nicht gegliickt war, ging Fiorano nach Rom, um mit Hilfe des Kardinals von Este das Ziel zu erreichen, das dem Herzog so sehr am Herzen lag. Der Kardinal wandte sich an Monsignore Felino, den Sekretar Alexanders VI., der sich der Sache warm annahm. Er veranlaBte den Papst zu einem Breve an die Prioren der Stadt Viterbo, das ihnen die hochste Ungnade an- drohte, wenn sie die Schwester Lucia nicht nach Ferrara Ziehen liefien. Auch dem Prokurator der Dominikaner wurde von Alex- ander VI. empfohlen, alle Kindernisse aus dem Wege zu raumen. Doch diese papstlichen Befehle niitzten nichts; die Bewohner er- klarten kurz, daB sie die Nonne nicht herausgeben wiirden. Diese Widersetzlichkeit argerte die Herren in Rom, und der Kardinal d'Este veranlaBte den Papst, den Prioren von Viterbo mit dem Bann zu drohen,wenn sie es wagen sollten, Lucia zuriickzubehalten. Aber mit der Bevolkerung einer aberglaubischen Stadt laBt es sich nicht so leicht verhandeln; einige der Prioren kamen nach Rom und erklarten dem Kardinal, daB das Volk von Viterbo unter gar keinen Umstanden die Nonne herausgeben und mit Gewalt gegen alle MaBnahmen vorgehen wurde, um so mehr, da Lucia selbst in Viterbo bleiben wolle. So spitzte sich diese Angelegenheit immer mehr zu, besonders da Ercole I. Brief auf Brief schrieb, daB sich der Kardinal und der papstliche Sekretar Felino Sandei der Sache an- nehmen sollten, ,,sino alia desiderata expeditione". Ercole ward immer verbissener; um den Papst zu seinen Gunsten zu stimmen,

I06 fOnftes kapitel

schickte er ihm den jahrlichen Tribut aus Ferrara und befahl, das Geld in Rom nicht zu sparen, da Fiorano sich beklagte, daB man dort fur alles zahlen miisse, ,,perch6 ogni cosa val danari qua". Fiorano brachte dem Papst den Tribut, Alexander empfing ihn sehr liebenswiirdig, freute sich des Geldes und sagte: ,,Quantunque tardi, sempre bene".

Unterdessen beschloB Frate Timoteo aus Modena, den Herzog zu uberraschen und auf eigene Faust Lucia aus Viterbo zu stehlen, in der Annahme, daB ihr Beichtvater bei diesem Plane helfen wiirde. Aber der Monch verdarb in seinem Eifer alles, der Beicht- vater wollte nichts mehr von diesem gefahrlichen Unternehmen wissen, und der neue Anschlag des Herzogs von Ferrara sprach sich herum. Darum lieB auch Ercole mit Hilfe des ferraresischen Inquisitors den Bruder Timoteus bei seiner Riickkehr ins Gefangnis werfen, da er Schritte in seinem Namen unternommen habe, zu denen er nicht ermachtigt war.

Lucia aber wurde ungeduldig, es verlangte sie nach einer Ab- wechslung, und so verlieB sie zusammen mit vier befreundeten Nonnen das Kloster und zog in die Stadt zu ihren Verwandten. Sie erklarte, daB sie unter gar keinen Umstanden in Viterbo bleiben wiirde und lieber sterben wolle, als ins bisherige Kloster zuriick- kehren; der Mutter und dem Onkel empfahl sie, dem Herzog zu versichern, daB sie in ihrem EntschluB, nach Ferrara zu kommen, beharre, ja in einem sehr unorthographischen Brief e erklarte sie Ercole, bis jetzt sei sie zwar gezwungen in Viterbo, aber ihr heiBestes Sehnen sei, dieses dumme Volk zu verlassen, ,,separarsi da questo populo ignorante". Dagegen wurde im Rat beschlossen, die eigen- sinnige Nonne eher zu toten als fortzulassen. Fiorano gab jedoch in Rom die Hoffnung nicht auf, den Wunsch des Herzogs zu er- fiillen; es reizte die Pralaten, daB sie in Sachen der Kirche nicht Festigkeit und EinfluB genug hatten, um sich ein elendes Weib zu sichern, ,,ad avere una femminuccia". Doch wurde es dadurch nicht besser; der Papst, des Kampfes um die Nonne mude, erklarte, das Volk in Viterbo nicht mit Gewalt zwingen zu wollen, sie herauszugeben.

Unverhofft gewann der Herzog in Viterbo selbst einen sehr nutzlichen und einfluBreichen Bundesgenossen. Antonio, der dortige

ERCOLE I. 107

Podesta HeB insgeheim Ercole erklaren, er sei bereit, dahin zu wirken, daB Lucia in absehbarer Zeit aus Viterbo freikame, voraus- gesetzt, daB er Podesta von Ferrara wiirde. Der vorsichtige Wurden- trager bat jedoch, daB Ercole ihm das Dekret seiner Ernennung mit der entsprechenden Klausel im voraus schicke. Der Herzog war bereit und HeB ihm das gewiinschte Papier ubermitteln. Nun ging die Intrige rasch ihren Lauf. In einem Weinberg hatten Lucia und ihr Onkel aus Narni eine geheime Zusammenkunft, es wurde beschlossen, daB sie sich am 13. April bereit halten solle, um aus der Stadt entfiihrt zu werden. Die Verschworung leitete derpapst- liche Sekretar, Felino Sandei, der nach Viterbo gekommen war, um im Einverstandnis mit dem Podesta dieVorkehrungen fur Lucias Flucht zu treffen. Es ging auch alles glatt vonstatten. Die Nonne wurde unter Wasche und Gemuse in einem Korb versteckt. Der kostbare Schatz wurde einer Mauleselin umgebunden und einem erkauften Fiihrer anvertraut, der ihn in Narni im Hause von Lucias Mutter ablieferte. Als der Herzog erfuhr, daB Lucia in Narni sei, schickte er eine bewaffnete Eskorte, und so kam sie endlich nach Ferrara. Vielleicht war Frate Timoteo am gliicklichsten iiber den Ausgang, der Herzog setzte ihn in Freiheit und als Entschadigung fur die erlittene Unbill bekam er ein Zeugnis, daB er sich im Ge- fangnis so gefiihrt, wie es sich fur einen guten Kleriker schicke.

Lucia wurde, wie ihr von Ercole versprochen, die Oberin des neuen Klosters, sie HeB ihren Beichtvater, Christopho da Viterbo, nach Ferrara kommen, aber gliicklich war sie in ihrer neuen Wiirde nicht, sie sehnte sich sogar, wie wir noch sehen werden, ins alte Kloster zuruck.

Ercole geniigte der mystische Glanz, der von Schwester Lucia iiber Ferrara ausging, nicht, ihn verlangte auch nach der beruhmten Schwester Colomba, die von der ,,Eucharistie lebte, die ihr ein Engel vom Himmel bringt", auch diese ,,wunderbare" Frau gewann er fur Ferrara. Ercole beschaftigte sich namentlich damit, die geist- lichen Orden zu vergroBern, und die erhaltenen Rechnungen zeigen, welch stattliche Summen fur diesen Zweck verausgabt wurden. Beinahe taglich wurden aus der herzoglichen Speisekammer groBe Posten von Lebensmitteln in die Kloster geschickt: Fisch,

108 FUNFTES KAPITEL

Gemiise, gerauchertes Fleisch, Kase, Konfekt und marinierte Sachen. Wahrend der Hochzeitsfeierlichkeiten von Alfonso und Anna Sforza wandten sich die Frati di Santo Spirito an die herzogliche Ver- waltung, damit auch sie ihren Karneval feiern konnten, ,,ad cio possiamo etiam nui fare lo nostro carnevale".

In schreiendem MiBverhaltnis zu dieser Freigebigkeit den Klostern gegenuber stand die Riicksichtslosigkeit, mit der man der wirklichen Not im Volk begegnete. Konnten die Abgaben nicht entrichtet werden, so pfandete die herzogliche Kammer selbst Bettstelle und Kissen. Am Tage von Isabellas Trauung liefi man um der allgemeinen Freude willen einen armen Teufel frei, der wegen riickstandiger Abgaben eingesperrt war; auch das mit Beschlag belegte Bett wurde ihm wiedergegeben, aber nach den Festen muBte das Bett wieder ins fiskalische Magazin zuriickwandern.

Die Geistlichkeit stand bei Ercole in einem gewissen aber- glaubischen Ansehen, namentlich jene Menschen, von denen er der t)berzeugung war, daB sie iibernatiirliche Gaben hatten und mit prophetischem Geist begabt seien. Auch die zwischen ihm und Savonarola herrschenden freundschaftlichen Beziehungen sind auf diese Ehrfurcht zuruckzufuhren, obgleich der Jiingling seiner Zeit das ferraresische SchloB mit Fliichen und den Worten ver- lassen: ,,Heu fuge crudeles terras, fuge litus avarum." Damals, 1472, schrieb er seine beriihmte Kanzone ,,De ruina mundi", aus der am deutlichsten seine Empdrung iiber die Verderbnis der dortigen Hofkreise spricht. ,,Gliicklich, wer vom Raub lebt und sich von fremdem Blute nahrt" dies seinUrteil iiber die Welt, die ihn umgab:

Felice ormai chi vive di rapina!

E chi dell' altrui sangue piu si pasce.

Angesichts dieser Erinnerungen, die der junge Savonarola aus Ferrara mitbrachte, sind die herzlichen Beziehungen zwischen dem allvermogenden Monch in Florenz und Ercole um so uberraschender. Aber der Herzog von Ferrara brauchte Savonarolas politische Unterstiitzung wiederholt, iiberdies wollte er sich das Wohlwollen des im Himmel in besonderer Gunst stehenden Monches sichern. Eifrig las Ercole jede neue Schrift Savonarolas, und als er erfuhr,

ERCOLE I.

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daB der finstere Dominikaner sein ,, Compendium Revelationum" geschrieben, bemiihte er sich, die Abhandlung handschriftlich zu bekommen, ehe sie im Druck erschienen war. Der Herzog stand zuletzt in dem MaBe unter dem EinfluB des Dominikaners, daB er 1496 Ferrara in einen religidsen Staat nach Savonarolas Ideal umwandeln wollte. Mit groBer Strenge ordnete er allwochentlich ein zweitagiges Fasten fiir die Bevolkerung an, lieB zur Entscheidung politischer Fragen Prozessionen veranstalten und betrachtete es als seine Pflicht, religiose Brauche einzufiihren. Um auf die Sitt- lichkeit der Bevolkerung zu wirken, erlieB er vom Balkon des Palazzo della Ragione ein Edikt, daB Gotteslasterungen, Sodomie, auBereheliches Zusammenleben und andere Ubertretungen der guten Sitte hart bestraft werden sollten. Den Juden gegeniiber ver- scharfte er die friiheren Vorschriften, er erinnerte sie der Pflicht, ein gelbes Zeichen auf dem Mantel zu tragen, zwang sie, Predigten imDom beizuwohnen, und war sehr begliickt, als der eine nach solch einer stiirmischen Kirchenlehre bat, zum Katholizismus iibertreten zu diirfen.

Savonarola war mit Ercole sehr zufrieden; als er ihm sein Buch ,,De simplicitate Christianae Vitae" schickte, auBerte er die Hoffnung, daB ,,die darin enthaltenen Lehren dem Herzog infolge seiner groBen Tugenden unschatzbare geistige Vorteile bringen wiirden". Dem ferraresischen Gesandten erklarte Savonarola, daB er Gott bitte, er moge dem Herzog stets seine Gnade zuteil werden lassen. Ercole blieb seiner Verehrung fiir den Monch treu, auch als sein Stern schon im Sinken war und Rom ihn mit dem Bann belegte. Er ergriff leidenschaftlich die Partei des Angeklagten und

veranlaBte seinen Verwandten, Gian Francesco della Miran-

dola, die Verteidigung zu schreiben, die gedruckt

unter dem Titel erschien ,,Joannis Francisci

Pici Mirandolae Opusculum de sen-

tentia excommunicationis injusta

pro Hieronymi Savone-

rolae viri prophetae

innocentia".

SECHSTES KAPITEL

MATTEO MARIA BOJARDO

i

ie Bojardo lebten im XIV. Jahrhundert in Rubbiera, einem zwischen Modena und Reggio gelegenen Gut; erst Niccolo III. d' Este verlieh ihnen das Bergstadtchen Scandiano nebst den dazu gehorigen Landereien an Stelle von Rubbiera. Schlecht fuhren sie bei diesem Tausche nicht, Scandiano war eine der groBten Be- sitzungen im Ferraresischen. Der Chronist Salimbene, ein Franzis- kaner aus dem XIII. Jahrhundert, erzahlt, daB Bonifazio Bojardo bewaffnet das Zisterzienserkloster S. Prospero di Reggio iiber- fallen habe. Dem Kloster stand damals ein auBerordentlich geiziger Abt vor, der seine Monche hungern lieB. Daher emporten sich einige unter ihnen, wollten den Geizkragen los werden und an seiner Stelle einen anderen Abt wahlen. Die Unzufriedenen setzten sich mit Bojardo, ihrem Nachbar, ins Einverstandnis, er iiberfiel im Jahre 1286 das Kloster, verjagte den Abt, nahm die Gelegenheit wahr und raubte, was sich nur rauben lieB. Kaum war Bojardo fort, als auch der Abt wieder auf der Bildflache erschien, vor die Kloster- pforte postierte er vierzig ihm zugetane Burger aus Reggio, die das Kloster Tag und Nacht bewachen sollten. Aber der Geizhals gab der Wache nichts zu essen, und als sie hungrig in die Stadt zogen, um einen warmen Bissen zu kriegen, erschien Bojardo abermals und half den rebellischen Monchen bei der Wahl eines neuen Abtes. Den Este war das Geschlecht der Bojardo ergeben, es hat dem Herzogtum eine stattliche Anzahl verdienstvoller Kondottiere, Podesta und Bischofe gestellt, und Feltrino Bojardo gehorte zu

MATTEO MARIA BOJARDO III

Lionellos literarischem Kreise. Fast bei alien groBeren Gesandt- schaften der Este waren die Grafen von Scandiano vertreten und galten als Zierde des Hofes. Titus Vespasianus Strozzis Schwester ward die Gattin Giovanni Bojardos; dieser Ehe entstammte im Jahre 1434 Matteo Maria Bojardo, Italiens groBter Dichter im XV. Jahrhundert. Sein Ritterroman ,, Orlando Innamorato" spiegelt den Geist hdfischer Kultur in der Po-Ebene am deutlichsten. Matteo Maria bildete sich in Ferrara unter dem EinfluB seines Oheims Strozzi, so ward er ein tiichtiger Latinist und verbrachte seine Jugend im Kreise ferraresischer Humanisten. Seine Kenntnisse im Grie- chischen waren unbedeutend.

Scandiano hatte damals zwei Besitzer: Matteo Marias Vater, Giovanni, und den Oheim Giulio Ascanio, der mit Cornelia Taddea Pio aus Carpi vermahlt war. 1452 starb Giovanni, da auch seine Gattin tot war und Matteo Maria erst achtzehn Jahre zahlte, uber- nahm Giulio Ascanio die Verwaltung des gesamten Vermogens. Als auch Giulio Ascanio zwei Jahre darauf starb, muBte Matteo Maria Bojardo Ferrara verlassen und sich mit der Landwirtschaft beschaftigen. Er blieb elf Jahre in Scandiano, es war wohl die gliicklichste Zeit seines Lebens. Ercole d'Este, der aus Neapel, wo er aufgewachsen war, nach Ferrara zuriickkam, wurde 1462 zum Statthalter des Herzogtums von Modena eingesetzt. In Modena hatte er einen auBerordentlich glanzenden Hof, auch sein Bruder Sigismondo d' Este, der in Reggio residierte, versammelte einen groBen Kreis um sich. An beiden Hofen war Bojardo ein haufig gesehener Gast, besonders schloB er sich an Ercole an, der ihm sehr zugetan war.

Wahrscheinlich hat Bojardo schon in Ferrara Verse gemacht, aber erst in Scandiano wurde er als Dichter beruhmt. Noch stand er unter Strozzis EinfluB, daher begann er mit lateinischen Nach- ahmungen Vergils und mit ,,Pastoralien", in denen er Borso und Ercole pries. Glucklicherweise ging er weder im Lateinischen noch in hofischen Schmeicheleien unter: der Neffe ward dem Oheim untreu, verliebte sich, und die Liebe war seine Rettung.

Am 4. April des Jahres 1469 gab es in Reggio Wettrennen und Turniere. Dabei lernte Bojardo die achtzehn jahrige Antonia Caprara kennen in jenem Augenblick, ,,wo die Liebe gleich einem

112 SECHSTES KAPITEL

Gewitterregen vom Himmel fiel, um die Herzen der Edlen zu erfreuen und siiBe Flammen zu schiiren ... als Frauen in festlichen Ge- wandern sich durch Spiel, Tanz und Gesang verjiingten, als man iiberall nur heiter Liebende sah und frohlichesVolk im FestesgenuB" x) .

Bojardo entbrannte in einem Augenblick des Rausches in leidenschaftlicher Liebe. Fur die Italiener der Renaissance bot eine solche Liebe den AnlaB zu einem ganzen ,,Canzoniere" oder we- nigstens zu einigen Sonetten. Bojardo geniigte das Sonett nicht. Sein Gefiihl fur Caprara hielt einige Jahre an, er sang der Geliebten einen umfangreichen ,,Canzoniere", der die ganze Skala einer heiBen Leidenschaft begreift. HeiBe Wunsche wurden laut, es kom- men Augenblicke des Gliickes und vollstandiger Gemeinsamkeit, dann das Weh der Enttauschung, da Caprara einen anderen liebt, den sie wohl geheiratet hat. Auch auBere Umstande scheinen das Ende dieses schonen Traumes herbeigefuhrt zu haben. Mit Borso ging Bojardo nach Rom, wahrend dieser Trennung scheint Antonia ihr Herz einem andern geschenkt zu haben, vielleicht einem jiingeren, da Bojardo damals schon siebenunddreiBig Jahre alt war.

Die italienischen Kritiker sind sich dariiber uneinig, ob der ,,Canzoniere" Caprara allein gewidmet ist oder ob auch andere jugendliche Liebesabenteuer Bojardos darin besungen wurden. Ich neige zu der ersten Annahme, da Bojardo wiederholt bekennt, daB Caprara seine groBte Liebe war, ja er sagt sogar, daB nur zwei starke Gefiihle ihn beherrscht haben: seine Anhanglichkeit an Ercole und seine Liebe fur Caprara.

Doe cose for mia spene e sono ancora:

Ercule l'una, il mio Signor zentile

L'altra il bel volto ove ancor il cor se posa.

l) Piovea da tutti e cieli Amore in terra E ralegrava i' anime gentili Spirando in ogni parte dolcie foco

Le donne in festa, in allegrezza, in gioco,

In danze peregrine, in dolci canti;

Per tutto leti amanti

Zente lezadre, e festigiar giocondo.

MATTEO MARIA BOJARDO H3

Ein seltsames Zusammenstellen von Empfindungen, bezeichnend genug fiir den Hofling.

Der Canzoniere besteht aus Sonetten, Kanzonen, Madrigalen und Gedichten in anderer Form, die sich durch Einfachheit der Sprache und Aufrichtigkeit der Empfindung auszeichnen. An- lehnungen an Petrarca kommen selten vor, die Selbstandigkeit des Verfassers und eine mannliche Kraft, frei von jeder Sentimen- talitat, geben dem Canzoniere sein charakteristisches Geprage. Klar, deutlich und plastisch spiegelt sich jeder Eindruck wider, nichts nebelhaft Verschwommenes, Unsicheres in diesen Versen. Uberall went gesunde, kraftige Landluft. Der Dichter freut sich seiner Liebe.

Qualunque piu de amar fu schiffo in pria, E del camin de Amor piu dilungato, Cognosca 1* alegrezza del mio stato, E tornarese ala amorosa via.

Qualunque in terra ha piu quelch' ei disia. Di forza, senno, e di bellezza ornato; Qualunque sia nel mondo piu beato, Non se pareggia a la fortuna mia.

Bojardo bedarf als offene, aufrichtige Natur des Vertrauten und Freundes. Von seiner Liebe und seiner Caprara muB er er- zahlen, und da er wie jeder Verliebte den Frauen das groBte Ver- trauen entgegenbringt, gesteht er seinen Kusinen, Marietta und Ginevra Strozzi, all seine Freuden und Leiden.

Aber nicht Liebe allein, alles, was schon und groB ist, erhebt seine Seele, trifft seines Wesens innersten Kern. Als er zum ersten- mal in Borsos Gefolge nach Rom kommt, erfullt ihn die ewige Stadt mit Entziicken. Der gewaltige Eindruck findet seinen Nieder- schlag im Gedicht ,,In prospectu Romae", den er gleichfalls in den Canzoniere aufgenommen hat.

Ecco 1' alma citta che fu regina

Da 1' unde Caspe a la terra Sabea;

La triomfal citta che impero avea

Dove il Sol se alza insin la dove inchina.

H4 SECHSTES KAPITEL

1 471 bestieg Ercole Ferraras Thron, ein Jahr darauf heiratete Bojardo seinem Stande und seiner gesellschaftlichen Stellung gemaB. Die Erwahlte war Taddea di Giorgio aus dem Hause der Grafen von Gonzaga in Novellara, einer Seitenlinie der in Mantua herrschenden Gonzaga. Taddea hat nicht durch Schonheit geglanzt, sie hatte zwar hiibsche, aber sehr kleine Augen, einen sanften Ge- sichtsausdruck und im iibrigen war sie ,,moribus et forma felix". Bojardo hat gliicklich mit ihr gelebt, und ihr Haus war seiner Gast- lichkeit und Wohltatigkeit wegen beruhmt. ,,M6ge dir Gott die Bojardo ins Haus schicken, mit ihnen wird das Gliick einkehren." „Iddio ti mandi a casa i Boiardi" hieB es in Scandiano und Reggio.

Trotz alledem gab es im Schlosse zu Scandiano Sorgen genug. Nur zur Halfte gehorten die Giiter Matteo Maria, der Besitzer der anderen Halfte war sein Vetter Giovanni Bojardo, Giulio Ascanios unmiindiger Sohn. Im Namen des Knaben herrschte seine Mutter Cornelia Taddea, die den Dichter und seine junge Frau offenbar gehaBt hat. Verwickelungen aller Art haben den HaB geschiirt. Cornelia Taddea stammte, wie erwahnt, von den Pio aus Carpi; diese Familie war seit undenklichen Zeiten mit der Gemeinde von Reggio im Streite wegen des Wassers aus dem Kanal des Flusses Secchia. Im Sommer stand das Wasser sehr niedrig, Reggio wollte den AbfluB des Wassers in einen Nebenkanal, der nach Carpi ging, nicht gestatten, fur Carpi war aber das Wasser der Secchia beinahe eine Lebensfrage. 1473 iiberfielen plotzlich etwa zweihundert Manner aus Carpi das Gebiet von Reggio, schnitten den nach Reggio flieBenden Kanal ab, und lieBen das Wasser in ihren Kanal ein- stromen. Matteo Maria, der sich den Traditionen seines Geschlechts gemaB fiihlte als ,, defensor et propugnator Reipublicae Reginae", riickte an der Spitze seiner Leute aus und gab Reggio sein Wasser wieder. Daher der Zorn der Tante, die das Interesse ihrer Familie, der Pio aus Carpi, gewahrt wissen wollte. Die rachsiichtige Frau beschloB im Einverstandnis mit ihrem Bruder, Marco Pio, Bojardo zu vergiften. Der Notar Simone Boione aus Reggio war mit im Komplott, auch Bojardos vertrauter Diener wurde gewonnen, der unter einem Vorwand nach Carpi ging und von dort aus Gift mitbrachte. Diesen Diener verlieB aber im entscheidenden Augen-

MATTEO MARIA BOJARDO H^

blick der Mut, das Verbrechen auszufiihren, er gestand seinem Herrn alles und zerstorte den Anschlag. Bojardo bemachtigte sich Boiones sofort und fiihrte ihn samt dem Zeugen nach Ferrara zum Herzog. Ercole lieB das Gift untersuchen und gleichzeitig Marco Pio aus Carpi gefangen nehmen. Da es sich jedoch um die machtige Familie der Pio handelte und gar um Bojardos Tante, wurde die ganze Sache vertuscht, nur Simone Boione aus dem Ferraresischen ausgewiesen, und auch das fur nicht gar zu lange Zeit. Simones Bruder gehorte zu den Altesten Reggios, so erwirkte er ein Jahr darauf dem Giftmdrder die Riickkehr ins Vaterland.

Der Dichter hatte seinen Glauben an Richter, Notare und an Gerechtigkeit eingebiiBt :

Attendi ala giustizia,

E ben ti guarda da procuratori,

E giudizi e notai: che han gran tristizia,

E pongono la gente in molti errori.

Stimato assai e quel ch'ha piu malizia,

E gli avvocati sono anche peggiori,

Che voltano le leggi a lor parere:

Da lor ti guarda, e ferai tuo dovere.

(Orl. In. II. XXVIII, 51.)

Nach diesem Anschlag auf sein Leben war ein weiteres Zu- sammenwirtschaften mit der Tante in Scandiano fast unmoglich. Fur seine Halfte Scandianos bot ihm Ercole entsprechende Giiter auf dem Territorium von Ferrara an, aber Matteo Maria wollte sich des Familienbesitzes nicht entauBern und bat den Herzog, die Giiter zwischen ihm und dem jungen Giovanni Bojardo zu teilen. Der Herzog willigte ein, und 1475 wurde das Dominium den beiden Linien zugesprochen, wobei Scandiano im Besitze des Dichters blieb. Trotzdem war der Aufenthalt im elterlichen Schlosse Matteo verleidet, er iibersiedelte noch im gleichen Jahre mit seiner Familie nach Ferrara, bewohnte einen Palazzo auf der via Ripa Grande bis zum Jahre 1478 und konnte in Ruhe seiner Arbeit nachgehen. Wieder lebte er im Krefse der Humanisten, und ihrem Einflusse ist es wohl zuzuschreiben, daB er Herodot und auch Xenophons

8*

H6 SECHSTES KAPITEL

,,Cyropedie" iibersetzte, wahrscheinlich aus dem Lateinischen, da seine Kenntnisse fur den griechischen Originaltext nicht reichten. Auch gab er in gekiirzter Form Apulejus ,,Asino d' oro" heraus. Gleichzeitig begann er sein bedeutendstes Werk, den ,, Orlando Innamorato"; Abschnitte daraus las er an Ercoles Hof vor.

1478 entschloB sich Bojardo nach Scandiano zuriickzukehren. Doch war sein Aufenthalt von nur kurzer Dauer, denn Ercole er- nannte ihn 1481 zum ,,Kapitan", nach unserer Terminologie zum Gouverneur von Modena; dort residierte er iiber zwei Jahre. Die Verhaltnisse waren schwierig, Bojardo scheint nicht energisch genug gewesen zu sein, urn die Parteien in Schach zu halten, deshalb hieB es spater, daB Modena schlecht regiert werde, ,,che era male conducta". Auch der Herzog scheint mit dem Dichter nicht zu- frieden gewesen zu sein, so nahm Bojardo gegen Ende des Jahres 1482 mit Ercoles Zustimmung seinen Abschied. Roberto Strozzi wurde an seiner Stelle ernannt. Bojardo lebte in Scandiano wieder seiner Poesie.

Aber nach funf Jahren trat er wieder in den Dienst der Regie- rung. Im Januar des Jahres 1487 ernannte ihn Ercole zum Kapitan von Reggio, dort waren die Bojardo beliebt, und die Verhaltnisse lagen einfacher als in Modena. Bis zu seinem Tode blieb der Dichter dort. Doch waren es fur ihn traurige Tage. Von Anbeginn klagte er dariiber, daB er in einer alten Zitadelle wohnen miisse, in einem diistern Hause, ,,una trista casa". In Reggio muBte der neue Ka- pitan im Beisein eines herzoglichen Delegierten schwdren, indem er die Hand aufs Evangelium legte, daB er seines Amtes walten wurde ohne Furcht, ohne den Wunsch sich zu bereichern, ohne Vendetta- Geliiste, und daB er bereit sei, fur die Macht und die Ehre des Herzogs sein Leben einzusetzen. Nach dem Schwur wurde er in die Sala del Consiglio geleitet, hier begruBten ihn die Anziani mit dem Prior Bartolommeo de' Cartari an der Spitze, angesichts des versammelten Volkes. Bojardo hielt bei diesem AnlaB eine kurze Ansprache, die einen sehr guten Eindruck machte Er selbst fiihlte sich in dieser neuen Stellung gar nicht wohl. Sein Gehalt war viel zu klein, er hatte ein Einkommen von nur fiinf- undsiebzig Lire monatlich, war gezwungen, funf Pferde und ebenso-

MATTEO MARIA BOJARDO 117

viel Diener zu halten, von denen drei imstande sein muBten, Kriegs- dienst zu tun, auBerdem mufite er auch fur den Unterhalt seines Sekretars, des Cancelliere del Reggimento sorgen. Bei ihm wurden die Schliissel der Stadttore deponiert, ihm unterstanden die Tor- wachter und das Heer, das die Mauern Tag und Nacht bewacht, auBerdem standen die Besatzungen der Schlosser des gesamten Urn- kreises unter seinem Kommando. Er war der Vertreter des Kerzogs, wachte iiber die offentliche Ordnung in der Stadt und in dem zur Stadt gehorigen Territorium, mit ihm muBten sich der Podesta und die stadtische Verwaltung, die Anziani, ins Einvernehmen setzen. Aber gemaB der herrschenden Sitte schickte der Herzog von Zeit zu Zeit auBerordentliche Kommissare aus Ferrara, die fur den Augenblick die hdchste Gewalt inne hatten und sich in poli- tische, militarische und richterliche Angelegenheiten einzumischen berechtigt waren. Es war dies gewissermaBen eine Kontrolle der stadtischen Obrigkeit, und die Kommission war sehr wohl in der Lage, ihr Mandat zu miBbrauchen und die Kapitane zu qualen. Zwei Mitglieder der Kommission, Beltramino und Lodovico Orsini, machten Bojardo genug zu schaffen. Wenn Beltramino, ein ferrare- sischer Notar, erwartet wurde, so war die ganze Stadt in Aufruhr, die allerbeste Wohnung wurde fur ihn vorbereitet, ausgestattet mit Mobeln, die bei den wohlhabenden Biirgern zusammengeliehen wurden, denn man fiirchtete ihn mehr als den Herzog.

Bojardo, ein gerechter, ritterlicher, sanfter, vornehmer Mensch, ,,mehr zum Dichten, als zum Strafen geeignet", muBte sich fort- wahrend in langen Briefen vor dem Herzog wegen der gegen ihn erhobenen Vorwurfe rechtfertigen. Einmal wurde er verdachtigt, daB er Rauber beschiitze, die sich in seinen Giitern in Scandiano verborgen hatten, ein andermal beklagte sich Venedig, daB in Reggio eine Falscherbande venezianisches Geld nachmache. So schreibt Bojardo Brief auf Brief an seinen Herzog, befordert sie bald mit der Post, bald mit einem Boten, ,,sehr wichtig", ,,per posta, cito, cito", und nennt ihn seinen ,,einzigen", seinen ,,besten Herrn", ,,meo unico", ,,meo singularissimo Domino". Der Herzog bleibt ihm auch gnadig und bewahrt ihm sein Vertrauen, da er ihm wahrend des Krieges mit Venedig auftragt, einige Festungen zu besichtigen,

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um den Bestand der Waffen und den Zustand der Mauern zu priifen. Nach dem Kriege erteilt er ihm sogar das von Bojardo sehr er- wiinschte Privileg, in Scandiano wahrend der Ostertage zehntagige Jahrmarkte abzuhalten.

Aber die Tage des Gliickes waren fiir immer vorbei. Seit 1494 begann Bojardo zu krankeln, dazu erlitt Italien eine Niederlage nach der anderen, die er vielleicht starker als jeder andere empfand. In jenem denkwiirdigen Jahre hat Lodovico Sforza Karl VIII. nach Italien gerufen. Ercole I., Sforzas Schwager, gestattete den Durch - gang des franzosischen Heeres durch Reggio und versprach, fiir einen sehr maBigen Preis Sorge fiir den Unterhalt zu tragen. Die ganze Last des Durchmarsches der Franzosen fiel auf Bojardo. Er klagt iiber diesen Durchmarsch, schildert dem Herzog das fran- zosische Heer eingehend : die Leute seien zwar gut bewaf fnet und be- ritten, doch rmiBten sie mit dem Teufel im Bunde sein, so haufig wie Ercoles Heer diamante" rief, schrien sie ,,diable". Das franzosische Heer habe friiher sogar eine Fahne mit einem ge- hdrnten Damon ,,Demonio cornuto" gehabt, erst jetzt, wohl um in Italien kein Argernis zu erwecken, sei der heilige Martin darauf gemalt worden. All das schmerzte den Dichter. Italiens Ungliick be- nahm ihm die Lust zum Dichten und drangte ihn doch wieder dazu. Mit zerrissener Seele gibt er seinem Orlando den beriihmten SchluB:

Mentre che io canto, o Dio Redentore, Vedo 1' Italia tutta a fiamma e foco Per questi Galli, che con gran valore Vengon, per disertar non so che loco, Pero vi lascio in questo vano errore Di Flordespina ardente a poco a poco: Un' altra fiata, se mi fia concesso, Raccontervovi il tutto per espresso.

(Ill, IX, 26.)

Indes ich dieses sing o Gott der Giite! Seh ich Italien rings in Flamm und Brand Durch diese Gallier, deren Kriegsgewiite Verheeren will, ich weiB nicht welches Land.

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Drum laB ich Flordespinen, die ergliihte Von eitler Liebe, nach und nach entbrannt. Ein andermal begiinstigt Gott mein Streben Hoff ich von allem Euch Bericht zu geben.

Das Schicksal seiner Heldin konnte er nicht weiter besingen. Er war den ganzen Herbst schwer krank, ,,graviter aegrotans", und starb am 19. Dezember 1494.

II

Zwischen 1475 und 1478, wahrend seines Aufenthaltes in Ferrara, schrieb Bojardo die beiden ersten Biicher seines Ritterromanes ,, Orlando Innamorato". Die hofische Atmosphare hat ihn sicher- lich mit beeinfluBt. Damals wie heute war der Roman eine der beliebtesten literarischen Formen, deren man sich bediente, um zu einem groBen Leserkreis zu sprechen, zu Hoflingen, schonen Frauen, tapfern Rittern: ,,signori e dame e bella baronia". Noch iiber das XVI. Jahrhundert hinaus beherrschen Italien Erzahlungen aus dem Sagenkreis Karls des GroBen, aus Kdnig Artus' Tafelrunde und dem bretonischen Zyklus. Diese Themen, in verschiedenster Weise bearbeitet und mit den seltsamsten Zutaten ausgeschmiickt, lebten im Munde der StraBensanger, die sie dem Geschmack, den Anspriichen und der Phantasie ihrer Horer anpaBten. Um die Wende des XV. Jahrhunderts hatte Italien seinen beruhmten maestro di canto, Andrea dei Magnabotti, aus Barberino im Val d'Elsa, eine Art Alexander Dumas. Von ihm stammen die beruhm- testen Ritterromane ,,Reali di Francia" und ,,Guerino il Meschino", die Jahrhunderte iiberdauert und bis auf den heutigen Tag ihre Leser haben, ahnlich wie ,,Der Graf von Monte Christo" und ,,Die drei Musketiere". In den ,,Reali di Francia" leitet dieser siidliche Barde in phantastischer Weise die Abstammung der frankischen Konige von den Romern ab, berichtet von ihren ritterlichen Taten bis zu Karl dem GroBen, indem er die franzosische Literatur aufs grau- samste pliindert. Seine Geschichte von Guerino, dem angeblichen

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Sohn Milons von Tarent, zeichnet sich durch eine besonders kiihne Phantasie aus. Als Milon seinen Thron verloren und von Feinden ins Gefangnis geworfen wurde, rettete die Amme seinen kleinen Sohn und nahm sich des Kindes an. Aber die Korsaren raubten und verkauften ihn als Sklaven nach Konstantinopel. Hier erwarb er sich die Gunst des byzantinischen Kaisers und ward zu einem im ganzen Osten beriihmten Ritter. Schrankenlos war sein Mut, er befreite Griechenland vom Joche der Tiirken, und auf der Suche nach seinem gefangenen Vater kam er in die verschiedensten Lander und gab iiberall Proben seiner Tapferkeit. Er bekampfte die Araber und riistete sogar zu einer Reise nach Sonne und Mond, um Apoll und Diana zu befragen. Nachdem er dies Abenteuer bestanden, ging er nach Irland, um einen beruhmten, wunder- tatigen Ort, das Purgatorium des heiligen Patricius aufzusuchen. Nach einer dreiBig Jahre wahrenden Wanderschaft, nach Nach- forschungen mannigfachster Art, bei denen er sogar bis in die Holle gedrungen, fand er seinen Vater und gab ihm die so lange entbehrte Freiheit wieder.

Dieser Art waren die Geschichten der Cantastorie, Abenteuer, die in nur sehr losem Zusammenhange standen, ohne jede kiinst- lerische Form. In den Romanen des XV. Jahrhunderts spielen namentlich zwei Geschlechter eine groBe Rolle: die Chiaramonti und die Maganzesi; der ersten Familie entstammen die tapferen, groBmiitigen Helden, wahrend jeder Maganzese ein Feigling, Betriiger und Lump ist und das komische Element im Roman reprasentiert. Diese Romane wurden im XIV. und XV. Jahr- hundert zumeist in Stanzen geschrieben, doch war der nicht durch- gefeilte Vers fast barbarisch in seiner Form. Erst Luigi Pulci, der Florentiner (geb. 1432), gab diesen Romanen gewissermaBen die literarische Weihe. In seiner Dichtung ,,11 Morgante", die 1481 erschien, beniitzte er zum groBten Teil den Roman ,, Orlando" eines unbekannten Verfassers, den die StraBensanger dem Volke sangen. In diesem Roman iiberwogen Episoden aus Karls des GroBen Sagenkreis, die am meisten zur Phantasie des Volkes sprachen. Die Helden sind grausam und wild, der Begriff ritter- licher Ehre fehlt noch. Kriege, Heldentaten, Kampfe mit den

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Unglaubigen bilden den Hauptinhalt. Pulci schrieb fiir die Floren- tiner Burger, nicht fiir Hofe und Ritter, deshalb lag ihm dieses Thema naher als die Gestalten aus Konig Artus' Kreis, die damals in den franzosischen und norditalienischen Romanen dem Ideal fahrender Ritter immer ahnlicher wurden. Ja, Pulci entging das Lacherliche dieses Rittertums nicht, er trieb seinen Spott mit Lanci- lottos edlen Nachkommen, und sein Morgante ward so gewisser- maBen zum Vorlaufer Don Quichottes und Sancho Pansas. Wenn der Riese Morgante und sein Gefahrte, der Riese Margutto, die gefesselte Prinzessin befreien, so glaubt man schon den spanischen irrenden Ritter mit seinem Knappen zu sehen:

Disse Morgante: amedue siam giganti, Da te a me vantaggio veggo poco: Koi andiam pel mondo cavalieri erranti Per amor combattendo in ogni loco.

(XIX, 37.)

Jener Margutto ist eine die Volksphantasie fesselnde Gestalt: ein verschlagener Halunke, der sich zu den sieben Todsiinden bekennt und sich freut, wenn es ihm gelungen, jemand geschickt zu bestehlen oder zu betriigen, dabei ist er gelegentlich ganz gut- miitig. Beide sind gefrafiig wie Rabelais' Gargantua. Auf einen Satz verschlingt Morgante einen Biiffel, ein Einhorn, einen Basi- lisken, ein Kamel und einen Elefanten, eine zersplitterte Fichte be- niitzt er als Zahnstocher; er ist so stark, daB er Mauern mit seiner Faust zertrummert, ein eisernes Tor als Schild beniitzt, und wenn er auf dem Schiffe stramm auf dem Verdeck steht, kann er im Not- fall als Mast dienen. Margutto stirbt den Tod eines VielfraBes: nachdem er sich vollgefressen, sieht er einen Affen, der in seine gelben Stiefel fahrt er lacht aus Leibeskraften und platzt.

Fiir die Markgrafen und Damen des estensischen Hofes war ein solcher Roman zu wild und urwiichsig, zu wenig knupfte er an die glorreiche Vergangenheit der groBen Geschlechter, zu niedrig stellte er die Frau und die Liebe, zu wenig wurden schone Konigs- tochter und ritterliche Heldentaten gefeiert. Solchen Wiinschen entsprach Matteo Bojardo schon besser, er, der Dichter, der am

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Hofe in ritterlichen Traditionen groB geworden, von den Gesangen der Troubadours gewiegt. Er begann seinen Roman etwas spater als Pulci seinen Morgante, aber ganz unabhangig vom Florentiner. Bojardos Phantasie standen, wie dem estensischen Hofe, die Gestalten des bretonischen Sagenkreises, die Helden von Konig Artus' Tafelrunde naher als die wilden Recken aus Karls des GroBen Umkreis. Der Hof des groBen Kaisers verschloB der Liebe seine Pforten, seine Ideale waren nur Glauben und Vaterland :

Perche tenne ad Amor chiuse le porte E sol si dette alle battaglie sante.

(Orl. In. II. XVIII, 2.)

Je verfeinerter Sitten und Brauche wurden, desto mehr erwarb die Liebe sich Heimatrecht in der Literatur. Der bretonische Zyklus siegte. Das Eindringen des Liebeselementes und des Abenteuers in den Kreis Karls des GroBen begann in Frankreich eher als in Italien, was sich an franzosischen Romanen aus dem Ende des XII. Jahrhunderts wie ,,Huon de Bordeaux" oder ,, Jehan de Lanson" beobachten laBt.

Zwei Elemente, zwei Zyklen, die Jahrhunderte hindurch die Phantasie der nordlichen und sudlichen Volker beschaftigt haben, begannen sich gegenseitig zu durchdringen, eine organische Ein- heit zu bilden. Seltsam genug, die Liebe als allgewaltige Herr- scherin im Ritterroman hat ihren Ursprung im Norden, in Konig Artus' Kreis, nicht im Siiden. Das Ideal der spateren Ritterschaft ist Tristan, sein Leitstern die Liebe, seine Waffen Mut, Kiihnheit und Frauenverehrung. Die Welt, in der Matteo lebte, hat die Tugend der Keuschheit, die den friiheren Roland zierte, nicht begriffen; Bojardo wahlt ihn zwar zu seinem Helden, doch der treue Kampe Karls des GroBen, der Streiter des bedrohten Christen- tums, schmachtet in Liebesfesseln.

Bojardo nennt sein Gedicht den ,,Verliebten Roland", ,, Orlando Innamorato", und fiihlt sich gewissermaBen verpflichtet, sich vor sei- nen Lesern zu rechtfertigen, weil er sich dem bretonischen Kreise zu- gewandt und Roland zum Liebeshelden gemacht hat. Aus der Bretagne

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holt er den Inhalt seines Gedichtes, denn dort ist der Ursprung des Liebeskultus, dort leben Ritter, die die Ehre der Frauen schiitzen :

Fu gloriosa Bretagna la grande Una stagion per 1' arme e per 1' amore, Onde ancor oggi il nome suo ai spande Si che al re Artuse fa portare onore, Quando i buon cavalieri a quelle bande Mostrarno in piu battaglie il suo valore, Andando con lor dama in avventura Ed or sua fama al nostro tempo dura.

(Orl. In. II. XVIII, 1.)

DaB er vom „Verliebten" Roland erzahlt, ist nur selbstverstand- lich. Turpin, jener Chronist und Bischof, der von Karls des GroBen Heldentaten berichtet, verschweigt Rolands Liebesgeschichten, „um seiner Ehre nicht Abbruch zu tun". Aber selbst diese Ritter ver- mogen sich der Liebe nicht zu erwehren, jeden zieht sie in ihren Taumel, jung und alt, vornehm und gering, gegen den Tod und gegen die Liebe ist kein Kraut gewachsen.

Gioveni e vecchi vanno alia sua danza, La bassa plebe col signore altiero: Non ha rimedio amor e non la morte; Ciascun prende ogni gente, e d'ogni sorte.

(Orl. In. I. XXVIII, 2.)

Im ,,Verliebten Roland" wiirde man vergebens naoh einer ein- heitlichen Handlung, die einem bestimmten Ziele zustrebt, suchen. Es ist ein Bukett seltsamer Kriegs- und Liebesgeschichten. Liebe ist die Triebfeder, die die phantastischen Gestalten dieser erdachten Welt bewegt, und wenn der Dichter auch seine Helden aus alten, verstaubten Rittergeschichten holt, das Gefiihl, das sie eint und bindet, quillt aus seinem eigenen Herzen, aus der Erinnerung an seine erste starke Leidenschaft. Nicht wendet er sich nach Hem Vorbild antiker Schriftsteller an die olympischen Gotter um Bei- stand, aber die Heldin seiner Jugendtraume, Caprara, beschwort er, seine Begeisterung anzufachen. ,,Licht meiner Augen'%

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ruft er, ,,Leben meines Herzens, dem ich einst anmutige Reime gesungen und schone Liebeslieder gedichtet, begeistere mich, daB ich die Geschichte kiinde":

Luce degli occhi miei, spirito del core, Per cui cantar solea si dolcemente Rime leggiadre e bei versi d' amore Spirami aiuto alia storia presente.

(Orl.In. II. IV, i.)

Die Heldin, der dieses UbermaB von Empfinden gilt, ist in Bo- jardos Dichtung Angelika, die Tochter Galafrones, des Konigs der Tataren; am Hofe Karls des GroBen, und wo immer sie auf- taucht, erobert sie alle Herzen im Sturm. So wird hier zum ersten- mal die Frau zur wichtigsten Gestalt des Ritterromanes.

Im Mai ,,a la Pas qua rosata" hat Karl der GroBe die gesamte Ritterschaft zu einem groBen Turnier nach Paris berufen. Christen und Unglaubige kamen in Scharen. Der machtige Monarch saB auf seinem goldenen Throne, um ihn tafeln zweiundzwanzig- tausenddreiBig Gaste: die Christen an den Tischen, die Sarazenen, die Heiden, wie Hunde am Boden auf Teppichen. Wahrend des Mahles betritt den Saal eine Jungfrau von wunderbarer Schonheit, ,,wie der Morgenstern, wie die Lilie im Garten, wie die Rose im Hain":

La qual sembrava mattutina stella E giglio d' orto e rosa de verzieri.

(Orl.In. I, 21.)

Vier gewaltige Recken und ein junger Ritter in kostbarer Riistung begleiten sie. Angelika stellt den Ritter dem Kaiser als ihren Bruder, Uberto del Lione, vor und bittet, daB er am Turnier teilnehmen diirfe. Der Sieger wiirde zum Lohn ihre Hand erhalten.

Die ganze Ritterschaft entbrennt vor Verlangen, die schone Frau zu besitzen. Ferragu, ein wilder Sarazene, springt als erster auf, ihm folgen die Paladine, der feurige Rinaldo und Roland, sein Verwandter, der Neffe Karls des GroBen, der erste Ritter der Christenheit, und viele andere. Das Los entscheidet, in welcher Folge sie in die Schranken treten diirfen. Ferragu ist der gliick-

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lichste, als erster soil er mit dem fremden Ritter kampfen; Roland ist leider erst der dreiBigste. Aber Ferragu wird bezwungen, denn er hat einen uniiberwindlichen Gegner vor sich. Der Zauberer Malagise entdeckt das Geheimnis des fremden Paares. Angelika ist Galafrones Tochter, des Konigs der Tataren auf Catajo, und ihr Bruder heiBt Argalia. Im Auftrag ihres Vaters sind sie nach Frankreich ge- kommen, um Karls des GroBen kiihnste Ritter in den Osten zu ent- fuhren und dem Kaisertum seine starkste Stiitze zu nehmen. Argalia kampft mit verzauberten Waff en, Angelika besitzt einen Ring, der sie im Notfall unsichtbar macht. Der schwarzhaarige Ferragu miBfallt Angelika, denn die launische Konigstochter liebt die Blonden. Ohne den Ausgang des Kampfes abzuwarten, entzieht sie sich vermoge ihres Ringes den Blicken der Ritter, besteigt ihr RoB und zieht heimwarts in den Osten. Ihren Spuren folgen Ferragu, Roland und Rinaldo; der Weg fiihrt durch den Ardenner Wald. Dort stillt die mude Angelika ihren Durst an einer Quelle, die die Liebe anfacht, wahrend sich Rinaldo an einer andern Quelle starkt, die die Liebe loscht. Angelika verliebt sich in Rinaldo, doch sein Feuer fur sie erkaltet. Roland dagegen brennt wie ein Vulkan fur Angelika, er jagt ihr nach, besteht die seltsamsten Abenteuer, erreicht sie endlich, findet sie schlafend am Flusse, und wahrend er die Schlafende bewundert, sieht er den heransturmenden Ferragu. Ein furchtbarer Zweikampf beginnt, doch wahrend des Kampfes erfahrt der Sarazene, seine Herrschaft in Spanien sei bedroht, der indische Konig Gradasso am Ufer der Halbinsel gelandet, das Reich Karls des GroBen in Gefahr, Valencia eingeaschert, Aragon zerstort, Barcelona belagert. Als treuer Vasall kehrt Ferragu auf schnellstem Wege in die Heimat zuriick, der verliebte Roland jedoch laBt nicht ab in seiner Verfolgung der tatarischen Konigs- tochter. Auch Rinaldo kehrt nach verschiedenen Abenteuern nach Frankreich zuriick, um sich an die Spitze von Karls Heer zu stellen.

Seltsame Verwicklungen, eigenartige Zufalle spielen sich nun im fernen Osten ab; irrende Ritter, verlassene, hilfesuchende Frauen Ziehen am Leser vorbei. Eine der interessantesten Gestalten ist der tatarische Konig Agricano, der naturlich gleichfalls in heiBer

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Liebe fur Angelika entbrannt ist; er will sie mit Gewalt gewinnen und belagert die Festung Albracca, in die sich die verfolgte Jungfrau vor ihm gefliichtet hat. Zu ihrem Verteidiger erwahlt Angelika Roland, der rettungslos in ihren Schlingen zappelt. Der nachtliche Zweikampf zwischen Agricano und Roland ist vielleicht die schonste Episode des Romans. Angelika liebt Rinaldo, sehnt sich nach ihm und beschlieBt, nach Frankreich zu gehen, um ihn wiederzusehen. Der naive Roland begleitet, schiitzt, verteidigt sie in alien Gefahren, kampft fur ihre Ehre. Wieder fiihrt uns der Dichter in den Ardenner Wald und laBt Angelika und Rinaldo abermals aus den Zauber- quellen trinken, aber diesmal starkt Angelika sich am Quell des Vergessens, Rinaldo am Liebesquell. So wird Rinaldo Rolands leidenschaftlicher Rivale; die Paladine, die dem Geschlecht, dessen Stammvater der trojanische Hektor ist, angehoren, werden er- bitterte Feinde. Da Karl der GroBe seiner beiden tapfersten Ritter nicht entraten will, ersinnt er einen Ausweg : dem Sieger im Kampf mit den Sarazenen verspricht er Angelikas Hand. Mit diesem Schicksalsspruch des groBen Kaisers bricht Bojardo seine Erzahlung ab; hier hat Ariost spater mit seinem Rasenden Roland eingesetzt.

Am meisten weichen in Bojardos Dichtung von den fruheren fran- zosischen Romanen ab Roland selbst und die vielen neuen Frauen- gestalten, die die Erzahlung beherrschen. Dieser veranderte Roland ist das Symbol des veranderten Rittertums um die Wende zwischen dem XIV. und XV. Jahrhundert. Es ist nicht langer jener starke Held, der bereit ist, sein Vaterland Frankreich und den Kaiser zu schutzen, der im EngpaB von Roncesvalles mit seiner letzten Kraft Karls Durchgang von Spanien nach Frankreich verteidigt. Nicht jener Roland, der die Liebe nur als weibische Schwache und Krankheit estimiert und keusch lebt, sondern ein liebestoller Ritter, der Gott anfleht, die heiligen heimatlichen Standarten, Frankreichs goldene Lilien zu zerstoren, Karl den GroBen und sein Heer zu vernichten, denn nur auf Frankreichs Trummern und den Leichen seines er- lauchten Geschlechtes kann Angelika sein werden. Der groBe Roland ist klein geworden aus dem Helden der irrende Ritter.

Aber er ist auch nicht der hofische liebenswiirdige, galante Frauenverehrer und Ritter des estensischen Hofes, sondern ein

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ziigelloser Held des Lagers, aus dessen Herz Flammen schlagen, ein unverdorbenes, seltsam naives Kind, das nichts von Frauenlisten ahnt. Im Zorn zittern seine Lippen, und sein Mund spriiht Feuer; nach dem Zweikampf mit Rinaldo erregen seine haBverzerrten Ziige, selbst da er schlaft, noch Grausen.

Frauen gegeniiber, und namentlich, wenn es eine so raffinierte Kokette ist wie Angelika, ist er schiichtern, ungeschickt und begeht eine Albernheit nach der andern. Nach seiner Riickkehr aus dem Gefangnis in Dragontino lost ihm Angelika selbst den Panzer, richtet ihm das Bad, salbt seinen Korper, kiiBt ihn voller Zartlich- keit, Roland ist beschamt, schiichtern, beherrscht seine Leiden- schaft und geht zu Bett. In Angelikas Handen ist er nichts als ein gutwilliges Werkzeug ihrer Eitelkeit und ihrer egoistischen Plane.

Und doch ist dieser Roland, der sich selbst seiner Liebe wundert, trotz seiner Naivitat und brutalen Kraft schon ein Renaissance- Mensch, der absolut ,,fortschrittliche" Begriffe von ritterlichen Tugenden hat. Sehr bezeichnend dafiir ist seine Unterhaltung mit Agricano, der behauptet, es sei eines Ritters unwiirdig, sich mit Wissenschaften abzugeben. Der tatarische Konig berichtet, er habe in seiner Jugend seinem Lehrer den Kopf zerspalten und sich auf diese Weise der Zudringlichen entledigt, die ihm die Kunst des Schreibens und Lesens beibringen wollten. Ein Ritter miisse reiten, jagen, fechten, aber es stehe ihm schlecht, iiber Buchern zu bruten:

Ne mi par che convenga a gentilezza Star tutto il giorno ne' libri a pensare.

(Orl. In. I. XVIII, 43.)

Roland dagegen erklart zu unserer groBen Uberraschung, Wissen schmiicke den Ritter wie die Blume die Wiese, Wissen allein erhebe Herz und Sinn zum Schopfer aller Dinge, und wer es verachte, gleiche einem Stein, einem Stuck Holz, einem Ochsen.

Ed e simile a un bove, a un sasso, a un legno, Chi non pensa a 1' eterno creatore ; Ne ben si pud pensar, senza dottrina.

(Ibid. 44-)

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Trotz dieses neuzeitlichen Anstriches ist Roland von italienischer Kultur ganzlich unberiihrt. Er sieht furchtbar aus; schielt auf einem Auge, seine dichten, gestraubten Brauen starren wie bei einem Luchs; im Schlafe schnarcht er, daB die Mauern zittern, benagt seine Nagel mit den Zahnen, und sein Geruch verrat ihn schon von weitem. Was Wunder, dafi die schone, leichte, launische Angelika sich nicht in ihn verlieben kann?

In Angelika personifiziert Bojardo eine jener koketten, verdor- benen Salonldwinnen, wie er sie an italienischen Hofen haufig genug gesehen haben wird. In der Schilderung ihres Charakters racht er sich fur Capraras Untreue, die ihm ihr ganzes Geschlecht verleidet hat. Von der Treue der Frau hat er einen sehr schlechten Begriff, er glaubt, daB ihre Liebe kaum einen Tag wahre.

Io non credo apena,

Che un giorno intiero amore in donna dura

heiBt es in einer seiner Kanzonen.

Das Bild, das er von Angelika entwirft, entspricht ihrem Cha- rakter vollkommen:

Candido ha il viso e la bocca vermiglia,

Suave guardatura et affalata,

Tal che ciascun mirando il cor gl' impiglia

La chioma bionda al capo rivoltata,

Un parlar tanto dolce e mansueto

Ch' ogni triste pensier tornava lieto.

(Orl. In. I. XXVII, 60.)

Trotz ihrer siiBen, einnehmenden Blicke schickt Angelika Roland im Augenblicke, wo sie ihn nicht mehr braucht, zur Zauberin Morgana, in der Hoffnung, daB er dort seinen Tod finden wird.

Angelikas Gegenstiick im Gedicht ist die Konigin Marfisa, eine heldische, schone, kiihne, mutige, stolze Frau, kraftig wie ein Mann, ein Typus, wie man ihn bisweilen im Mittelalter und in der Renais- sance findet. Sie kampft mit wirklichen Waffen, nicht mit List und Koketterie, und als sie Roland mit der Faust insGesicht schlagt, spritzt ihm das Blut ausNase undOhren. Sie hat einen Eid geschworen, ihren

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eisernen Panzer nicht eher abzulegen, als bis der groBe Kaiser ihr Gefangener geworden. Deutlich, plastisch schildert sie Bojardo:

Vom Helm entblofit zeigt sie ihr Antlitz hier, Nichts Schdn'res sah man auf dem Erdenrunde. Das Haupt umflicht der blonden Locken Zier, Ihr Auge gibt von Sternenklarheit Kunde. Und diesem Reiz ist alles gleich an ihr; Gewandt in jeder Regung, kiihn von Munde, GroB von Person, ein wenig braun von Haut, So stellt Turpin sie dar, der sie geschaut.

(Orl. In. XXVII, 59.)

Bojardos ritterliches Ideal ist nicht Roland, sondern der Sarazene Brandimarte. Mit besonderer Liebe hat der Dichter diese Gestalt gezeichnet, ein kiihner, gewandter Ritter, voller Gentilezza, den Roland im Gefangnis zum Christentum bekehrt. Es ist fur die damaligen Anschauungen von Ritterlichkeit sehr bezeichnend, daB der Sarazene eine der sympathischsten Gestalten des Gedichtes ist. ,,La Cavalleria", die Ritterlichkeit, stand fast hoher als die Religion, dank ihr wurden Christ und Mohammedaner gleich, und der wahre Ritter hatte ein Anrecht auf religiose Toleranz. Ge- wissermaBen zwischen Roland und Brandimarte stehen: der Paladin Rinaldo, ein Riese von unerhorter Kraft, der im Zweikampf mit Roland solche Streiche fiihrt, daB er ihm ohne den Stahlhelm unfehlbar ,,das Gehirn ins Maul geschlagen hatte", sowie Rogier, ein Jiingling edelster Abstammung, in dem vaterlicherseits das Blut Alexanders des GroBen und mutterlicherseits das des trojanischen Hektor flieBt. Rogier liebt Rinaldos Schwester, heiratet sie und wird zum Ahnherrn des estensischen Geschlechtes. Es war Brauch am ferraresischen Hof, Rogier als Stammvater der Este zu feiern, schon Tito Strozzi und Priscianus in seinen ,,Annales ferrarienses" kennen diese Genealogie. Schon sie haben gegen jene fur die Este beschamende Tradition Einspruch erhoben, als wenn der Stamm- vater des Geschlechtes Gano ware, der Verrater von Roncesvalles.

In Bojardos Gedicht darf man so wenig nach psychologisch durchgefiihrten Charakteren suchen, wie den inneren Triebfedern

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des Handelns der Menschen nachgehen. Die auftretenden Persdn- lichkeiten sind so dargestellt, wie ihre Handlungen sie nach auBen spiegeln, ihre Portrats sind nur mit einigen kiihnen Pinselstrichen hingesetzt; aber in kulturhistorischer Beziehung ist das Gedicht sehr fesselnd, wir finden viele Ziige der Gesellschaft wieder, in der Bojardo gelebt hat. Viel Kraft und Phantasie, und der grdBte Vor- zug der Dichtung ist ihre Jugend, die in jeder Zeile lebendig ist, Jugend der Epoche, Jugend der Phantasie, Jugend im Ausdruck. Im Friihling spielen sich die Hauptereignisse ab, und dieser Friih- ling prangt im Bliitenduft, strahlt in siidlicher Sonne. Mit dieser Jugendlichkeit einen sich Heiterkeit, Humor und eine leichte Ironie, die wie eine leise Melodie iiber dem Ganzen schweben. Trotz ihrer unmoglichen Unternehmungen wirken Bojardos Helden nicht lacher- lich, denn die Phantasie des Verfassers ist so stark, daB sie iiber Natur- gesetzen zu stehen scheint. Im Zauber der Dichtung glauben wir gut- willig, daB ein Walfisch zwei Meilen lang ist, oder daB neunzig Ritter gegen das zwei Millionen starke Heer Agricanos gekampft haben. Bojardos Dichtung gleicht jenen Bildern der Friihrenaissance, die trotz mancher Seltsamkeit in der Zeichnung und in den Details durch ihre Kraft und Urspriinglichkeit stark auf uns wirken. Die Phantasie des Dichters erfindet die merkwurdigsten Geschichten und Gestalten, mit vulkanischer Kraft wird eine farbige, schdne, seltsam schillernde Welt herausgestoBen. Das Gedicht hat keinen Zweck irgendwelcher Art, es lehrt nichts und will nichts beweisen, es ist Spiel und Scherz. Bojardo schreibt fur eine Gesellschaft, die im OberfluB und Luxus lebt, sich weder um religiose noch soziale Fragen kiimmert, er schreibt nur, um seinem Schaffensdrang Geniige zu tun und das Verlangen nach Schdnheit bei den Menschen, unter denen er lebt, zu stillen. ,, Nichts mehr verlange ich," sagt er, ,,als daB Ihr mich anhdrt in Heiterkeit und Freude." Erst am SchluB des Romanes umwdlkt sich seine Stirn angesichts der Stiirme, die Italien bevorstehen, er ahnt andere Zeiten, andere Mdglich- keiten, und das Gedicht klingt elegisch aus. Bojardos Wunsch ging in Erfiillung, er wurde gelesen ,,in Heiterkeit und Freude". Seine Gesange wurden, unmittelbar nachdem sie entstanden, fur Ercole und andere Persdnlichkeiten des estensischen Hofes

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abgeschrieben. 1491, wahrend Isabella d'Estes Aufenthalt in Mai- land, entspann sich ein lebhafter Streit zwischen ihr und Galeazzo Visconti, welcher der Paladine, Roland oder Rinaldo, in ritter- lichen Tugenden, in Mut und Ehre hoher stiinde. Isabella trat fur Rinaldo ein, wahrend Galeazzo Rolands Partei ergriff. Der Streit begann im Augenblick, da die Markgrafin, Visconti und der gesamte Hof Pavia mit dem Schiff verlieBen; Isabella geriet in solche Hitze,daB sie laut schrie ,, Rinaldo! Rinaldo!", wie der StraBenpobel, der wah- rend der Revolution ,, Diamante! Diamante!" oder ,,Vela! Vela" gerufen hatte. Selbstverstandlich iiberzeugten die literarischen Gegner einander nicht, und als Isabella Mailand verlieB, wurde brief- lich weiter gekampft. Einige Briefe von Galeazzo an Isabella sind auf uns gekommen, sie sind ein interessanter Beweis, welches Interesse Bojardos Roman bei den Zeitgenossen erweckt hat. AuBerordentlich energisch und mit viel Humor tritt Galeazzo fur Roland ein, er glaubt, daB auch Isabella das Zwecklose einsehen wiirde, einen Verrater und Verbrecher wie Rinaldo zu verteidigen. Roland ist der wahre Christ, ,,christianissimo", bestandig, tapfer, klug, gemaBigt, mit- leidig, gerecht, giitig, der Verteidiger der Kirche, der Schutz der Witwen und Waisen, dessen Platz im Himmel sicherlich neben den Heiligen sein wird. Rinaldos Leben dagegen ist eine Kette von Verbrechen, er ist ein hochmutiger Abenteurer,der nur StraBenhandel sucht, ein Liigner und Rauber, und ware er nicht mit Karl demGroBen und Roland verwandt er faulte langst im Gefangnis. Zwar Hebe Roland Rinaldos Gesellschaft, aber nur um Rinaldos Heiterkeitwillen.

Halb im Scherz kampft die Markgrafin hartnackig fur Rinaldo. Sie droht ihrem Gegner, er wiirde, wenn er ihren Helden so beschimpft, jetzt um Ostern, wo man dem Nachsten seine Siinden verzeihe, Schaden nehmen an seiner Seele. Um Galeazzos Argu- mente um so eindringlicher zu bekampfen, bittet Isabella im August 1 49 1 Bojardo um die Fortsetzung seines Gedichtes, und als sie von ihm erfahrt, daB er nichts Neues geschaffen, verlangt sie zum mindesten die beiden ersten Biicher des ,,Verliebten Roland".

Als Vollblut-Italienerin muBte Isabella Rinaldo hoher schatzen als Roland. Der Streit um die beiden Romanhelden zwischen der Markgrafin und Galeazzo scheint die Hofe in Mantua und Mailand

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SECHSTES KAPITEL

lebhaft beschaftigt zu haben; in Galeazzos und Lodovico Sforzas Urn- gebung muB es sogar zwei Parteien gegeben haben, und Bellincioni, MorosHofdichter, verherrlicht diesenliterarischen Kampf in Sonetten. Der Dichter steht erst auf Rinaldos Seite, dann ergreift er Rolands Partei und versucht Isabella zu veranlassen, ihre Ansicht zu andern und ihren Irrtum einzugestehen, denn irren ware menschlich. Umana cosa 6, dice la scrittura, L' errare, e cosa angelica ancor pone, L' emendarsi, e non far qual Faraone, Con 1' ostinata mente cieca e dura. Daher „Markezana", schlieBt Bellincioni, ,,laB Rinaldo, diesen Auswurf der Natur, fahren, che fu proprio uno scandal di natura, und bekehre Dich zu Roland."

Isabella hatte fur Bojardo, den sie als Dichter und Kavalier schatzte, eine besondere Vorliebe. Nach den Absichten des Ver- fassers sollte ,,1' Innamorato" Isabella gewidmet sein. Die kaum zweiundzwanzigjahrige Herzogin und der greise Dichter schrieben sich gegenseitig bewundernde Briefe.

Bojardos Roman strotzt von Provinzialismen. Die Sprache ent- spricht den Anforderungen der jungen Generation nicht mehr, die die toskanische, durch klassische Vorbilder gereinigte Mundart ein- zufiihren begann. Nach Aretins Urteil ist der ,,Verliebte Roland" von heroischerSchonheit,aber dieSpracheist trivial und einzelneAusdriicke direkt plebejisch und veraltet. Es fehlte nicht an Literaten, die Bojar- dos Werk verbessern und umarbeiten wollten, wie Berni und Lodovico Domenichi, aber das italienische Publikum verwarf den verbesserten Bojardo und schdpfte am wahren Quell der Kraft und Poesie. Ziem- lich viel Erfolg hatte Francesco Bello,Cieco benannt, ein armer elender Dichter, der zumeist bei den Gonzaga lebte, mit seinem Roman ,,Mambriano" (1490 96), der den ,,Verliebten Ro- land" weiter ausbaut, aber erst Ariost verstand es, den goldenen Faden der phantasti- schen Begebenheiten von Bo- jardos Helden weiter zu spinnen.

SIEBENTES KAPITEL

DAS JUNGE FERRARA

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rasmus Rotterdamus kam 1508 nach Venedig, um bei Aldo Manuzio eines seiner Werke herauszugeben; es wunderte ihn nicht wenig, daBverschiedenederdortigen Gelehrten nicht lateinisch mit ihm sprechen wollten, trotzdem sie die Sprache vollkommen beherrschten. Auch der Florentiner Historiker, Bernardo Rucellai, war damals in Venedig, und als Erasmus ihn in Gesellschaft traf, sprach er ihn lateinisch an. Der Florentiner gab ihm eine liebens- wurdige italienische Antwort, als aber Erasmus sagte, daB ihm das Italienische so fremd sei wie das Indische, und er zu ihm wie zu einem Tauben spreche, erwiderte Rucellai kein Wort mehr und gab vor, Erasmus nicht zu verstehen, obgleich er lateinisch nicht weniger rein als Sallust schrieb.

Die Italiener waren zur Uberzeugung gekommen, daB der Ge- brauch der alten Sprachen der Entwicklung des ,,Volgare" Abbruch tue, deshalb fiihrten sie im Alltag wie in der Literatur einen heiBen Kampf mit dem Lateinischen. In den letzten Jahrzehnten des XV. Jahrhunderts begann dieser Sprachenkampf und wurde in Ferrara vorbereitet. Tito Strozzis schriftstellerische Begabung, seine heftige Opposition gegen die Einfiihrung des Italienischen in die Literatur war, wie wir gesehen haben, die Hauptstutze der Humanisten in Ferrara, selbst Ercole hat auf ihn Riicksicht ge- nommen. Strozzi hatte an der im humanistischen Sinne ge- leiteten Universitat eine Stiitze, namentlich da dort der sehr tiichtige Lehrer alter Sprachen, Battista Guarino, der Sohn des alten

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SIEBENTES KAPITEL

Veronesen, tatig war. Aber der in den Rahmen der Universitats- wissenschaften eingespannte Humanismus war nicht mehr jener ziindende Funke, den Filelfo, Valla oder der alte Guarino entfacht hatten. Die Korporationen der Gelehrten, die Akademien und haufig auch die Universitaten waren nur die Begrabnisstatten grofier Gedanken. Sobald eine Idee in akademischen Kreisen Eingang gefunden hatte, gehorte sie der Geschichte an und wurde steril. Die Professoren sangen ihr noch das de profundis.

Andere Stromungen waren in Italiens j lingerer Generation wirksam. Man strebte nach einer klaren Vorstellung der Antike, begann die Autoren in reineren Texten zu lesen, suchte in ihren Geist einzudringen, die alte Kultur mit den Errungenschaften der christlichen Welt zu vergleichen und begann den eroberten Schatz von alien Seiten eingehend zu betrachten. Man verstand jetzt unter philologischer Arbeit etwas anderes als zu Beginn der Re- naissance, wo die Geister von der GrdBe der neuentdeckten, antiken Schriftsteller so geblendet waren, daB sie, ohne Riicksicht auf das Bestehende, die alte Kultur sklavisch nachahmen wollten. Jetzt begann man dariiber nachzudenken, wie sich das errungene Wissen am besten verwerten lieBe. Die Epoche der riickhaltlosen Nach- ahmung war zu Ende. Die ferraresische Jugend begann zu forschen, und von nicht geringem Nutzen war ihr dabei die Bibliothek der Este, die neben den Werken klassischer Autoren provenzalische und andere Handschriften bewahrte. Neben der kritischen Arbeit regte sich bei erlesenen Geistern die schopferische. Fast die gesamte jiingere Generation der Dichter und Literaten hatte unter dem EinfluB der Antike lateinisch zu schreiben begonnen, und ging spater zum Italienischen iiber.

Der alten Schule am nachsten stand Ercole Strozzi, Titus Vespa- sianus Sohn, den der Vater im Kult des Lateinischen erzogen hatte. Einige Historiker der Renaissance stellen ihn als lateinischen Dichter hoher als den Vater. Jedenfalls hatte Ercole mehr Phantasie und Gestaltungskraft als Titus, der Vater dagegen erreichte die alten lateinischen Schriftsteller fast im leichtfliissigen Vers und in der gewahlten Sprache. Obgleich Ercole auf einem FuB hinkte, war er der beriihmte Held unzahliger Liebesgeschichten, sie ver-

DAS JUNGE FERRARA 135

mehrten zwar die Zahl seiner erotischen Gedichte,wurdenaber auch, wie wir spater sehen werden, die Ursache seines tragischen Todes. Es hieB von ihm, daB ihn leichte Romane und leichte Elegien be- schaftigten, ,,i facili amori e intorno a questi, le facili e piu culte elegie". Sein beriihmtestes, in Hexametern verfaBtes Gedicht war ,,Genethliacon", das von Schmeicheleien fur die Este, Borgia und das Haus von Aragon iiberfloB. Jenes hdfische Wesen und das Kriechen vor den machtigsten Geschlechtern fraB wie ein Krebsschaden an den bedeutendsten Geistern der Renaissance. Auch Ercole war nicht unter jenen, die die Zukunft bezwungen haben. Anders Giovanni Pico della Mirandola (1463 1494), er gehorte jenem humanistischen Kreise an, den Titus Vespasianus mit seinem klassischen Obergewicht erdriickte. Pico war als Polyhistor und Philosoph beriihmt, es hieB von ihm, daB der Geist eines ganzen Jahrhunderts nur einen Mann von solchem Wissen und Wert er- zeugen konne. Die Zeitgenossen nannten ihn den Phonix unter den Genies, ,,fenice degl' ingegni", und Polizian pries ihn als das Licht aller Wissenschaften, ,,Picus omnium doctrinarum lux". Pico hatte sein Wissen in Ferrara erworben.

Die Familie der Pico aus Mirandola gehorte zu jenen Geschlech- tern, die den Hof der Este umkreisten, haufig nach Ferrara kamen und sich fast als ihre Vasallen betrachteten; sie hatten eine Be- sitzung Corbula auf ferraresischem Gebiet, und ihre Beziehungen zu Ercole waren besonders eng, da Bianca Maria, des Herzogs natiirliche Schwester, mit Galeotto Pico della Mirandola ver- heiratet war. Galeottos junger Neffe, Giovanni, Gianfrancesco Picos und Giulia Bojardos Sohn, kam studienhalber nach Ferrara, war Guarinos eifriger Horer und Tito Vespasiano Strozzis Freund. Giovanni studierte nicht nur griechisch, sondern auch chaldaisch und hebraisch, lieB in Ferrara die Werke der Alten fur sich ab- schreiben und gait sehr bald als Autoritat in klassischen Sprachen. Nach Tito Strozzis Aussage war er alien Zeitgenossen in der Kenntnis des Griechischen und Lateinischen iiberlegen. Niemand hat die Gesetze der Natur tiefer erforscht und niemand kannte den Lauf der Gestirne besser. Pico war Meister in Marthematik und sprach trotz seiner Gelehrsamkeit so flieBend, daB ihm auch darin niemand

136 SIEBENTES KAPITEL

gleichkam. ,,Wer gehdrt hat, wie Du iiber theologische Fragen sprichst," schreibt ihm Strozzi, ,,konnte Dich fiir einen ausgezehrten Greis halten, und doch deckt kaum leichter Flaum Deine rosigen Wangen." Diese rosigen Wangen und das lange Blondhaar trugen dazu bei, daB Giovanni als der Anmutigste unter der damaligen ferraresischen Jugend gait. Ebenso schnell wie sein Wissen urn die Sterne erwarb er sich die Herzen der Frauen.

Das Resultat dieser Abenteuer waren Liebesgedichte ; prak- tischer als Strozzi besang er seine Geliebten italienisch, so daB sie die Gedichte auch lesen konnten. Er scheint sich dieses Oberschreitens der Vorschriften der alteren Humanisten jedoch geschamt zu haben, vielleicht auch des gar zu leichtfertigen Tones seiner Gedichte, jedenfalls hat er diese Seitenspriinge seiner jugendlichen Phantasie spater verbrannt, ,,religionis causa", wie es hieB.

Studienhalber ging Pico von Ferrara aus nach Bologna, spater nach Paris und Florenz, wo er Lorenzo Medici kennen lernte. Er verschlang jegliches Wissen und lieB sich sogar insgeheim aus dem Osten einen in der Kabbalistik erfahrenen Mann kommen, der ihn bei verschlossenen Tiiren in die von der Kirche verworfene Lehre einfiihrte. Seine Anschauungen iiber die ostliche Kabbala legte er spater im Werke nieder ,,Conclusiones Cabalisticae". Aus Florenz schickte Giovanni alien hervorragenden Gelehrten neunhundert Thesen, die er in Rom im Jahre i486 der ganzen Welt gegeniiber zu verteidigen sich verpflichtete, indem er die Gelehrten auf- forderte, auf seine Kosten hinzukommen.

Das Ergebnis dieses Auftretens war ein ungeheures Aufsehen, viel Feindschaft unter den Gelehrten, Innozenz' VIII. Zorn, der ihn der Heresie bezichtigte da packte ihn der Ekel vor der Welt, er widmete sich theologischen Studien und lebte von jetzt an wie ein Klosterbruder auf seinen landlichen Besitzungen in Corbula im Ferraresischen oder in seiner Villa Quarceto bei Fiesole. Er begann sich zu kasteien, durch Fasten zu qualen, sein Vermogen unter die Armen zu verteilen, hatte die Absicht in ein Dominikaner- kloster einzutreten und barfuB im harenen Gewande Gottes Wort zu verkunden.

DASJUNGE FERRARA 137

Sein Korper vermochte dem kiihnen Flug seines Geistes nicht standzuhalten, und Giovanni starb als EinunddreiBigjahriger am 14. November 1494.

Auf seinen Tod schrieb Giovanni Battista Mantovano ein Distichon, das den Bruch in der Seele dieses ungewohnlichen Men- schen mit wenigen Worten charakterisiert. Der Gelehrte hatte sich in einen Heiligen gewandelt:

Picus Joannes, coelos elementa Deumque Doctus, adhuc iuvenis, sanctificatus obit.

Giovanni della Mirandola steht als erster in der Reihe jener kranken Renaissancemenschen, die, unzufrieden mit sich und den religidsen und sozialen Zustanden, sich der Mystik ergeben. Aus den Werken, die er hinterlassen, spricht ein Mensch von un- erhdrtem Gedachtnis, der das gesamte damalige Buchwissen ver- schlungen, dabei aber seinen gesunden Verstand eingebiiBt und in ein Chaos von Theologie, Philosophic, Kabbalistik, Magie und Naturwissenschaft versunken ist, ohne einen Ausweg zu finden. Er wollte, wie viele seiner Zeitgenossen, Platos Philosophic mit dem Christentum vereinigen, das Wissen mit dem Glauben. Ein un- mogliches Unterfangen, das weniger robuste Geister zur Zerruttung gefiihrt hat.

Die meisten Familien der norditalienischen Hofe waren unter- einander verwandt. So war Giovannis Schwester Catherina mit einem Nachbarn, Lionello Pio aus Carpi, verheiratet, aus jener stillen, heute verfallenen Stadt, wo nur das stolze SchloB der Pio und einige Kirchen als Zeugen einer jetzt versunkenen Kultur iibrig- geblieben sind. Die Hofe zu Mirandola und Carpi wetteiferten in der Pflege von Wissenschaft und Kunst. Die Pio gehoren zu den alten ghibellinischen Geschlechtern und hatten dem Kaiser Heeres- folge geleistet. Catherina Pio war eine ungewohnlich gebildete Frau; friih verwitwet, lebte sie der Erziehung ihrer Sonne Alberto und Lionello. Fur den kaum vierjahrigen Alberto hatte sie aus Rom den jungen Humanisten Aldo Manuzio als Lehrer kommen lassen, der damals schon wegen seiner grundlichen Kenntnis des Griechischen bekannt war. Einige Jahre unterrichtete Aldo Alberto in Carpi,

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urn 1 48 1 ging er mit seinem Zogling nach Ferrara, wo auch ein Onkel des Kr.aben, Giovanni Pico, lebte. Durch Aldo Manuzio und seinen Schiiler ward der Kreis der Humanisten in Ferrara ver- grbfiert, und Ercole Strozzi nahm sofort beim beriihmten Florentiner Unterricht im Griechischen. Aldos Aufenthalt in Ferrara war dies- mal nur von kurzer Dauer, er muBte vor den venezianischen Sold- nern, die 1482 die Stadt belagerten, fliichten. Die Beziehungen Aldos zu den Este waren von Bestand, auch Alberto war ein haufiger Gast in Ferrara, muBte er doch die Interessen seines kleinen Land- chens wahren, da der Herzog ein Auge auf Carpi geworfen und die Absicht hatte, es zu annektieren und Ferrara einzuverleiben.

Aldo blieb furs erste in Carpi. Lehrer und Schiiler wurden all- mahlich Freunde; dies Verhaltnis hat ihr ganzes Leben angehalten und wurde ein wichtiger Faktor in der Entwicklung des Studiums alter Sprachen in Italien. Beide waren gleich eifrig, und so war Carpi kurze Zeit ein wichtiger Mittelpunkt fur wissenschaftliche Arbeit. Alberto geniigte das Studium der Antike nicht, er wollte sich auch in Naturwissenschaften, in Astronomie und Astrologie vertiefen. Die vatikanische Bibliothek bewahrt einen lateinischen Kodex, die Ubersetzung eines hebraischen Werkes iiber Astrologie, die ein franzosischer Jude Izaak gemacht und die Alberto Pio abschreiben lieB. Er beniitzte jede Gelegenheit, um sein Wissen zu vermehren. In Carpi lebte Jacopo Berengario, der Sohn eines dortigen Chirurgen, der um fiinfzehn Jahre alter als Alberto war; als Entgelt fur Aldos griechischen Unterricht unterwies er Alberto in Anatomie, das Demonstrationsobjekt war ein geschlachtetes Schwein. Berengario war spater als Arzt geschatzt und gait als einer der beruhmtesten damaligen Anatomen.

Auch Giovanni Pico war 1485 einige Zeit in Carpi. Damals scheinen die drei jungen Leute den Plan gefaBt zu haben, eine Druckerei zu griinden, um textlich einwandfreie Ausgaben griechi- scher und lateinischer Klassiker herzustellen. Damit sollte einem empfindlichen Mangel abgeholfen werden. Lateinische Biicher waren zwar schon in groBer Anzahl erschienen, aber die Ausgaben wimmelten von Fehlern, griechische Biicher existierten jedoch kaum.

DAS JUNGE FERRARA 139

Mit welchem Eifer sich Aldo an die Arbeit machte, geht aus einem Passus seiner Dedikation einer griechischen Ausgabe hervor. ,,Gott ist mein Zeuge," schreibt er, ,,daB ich nichts sehnlicher wiinsche, als zu niitzen. Ich schmeichle mir, daB mein bisheriges Leben dies bewiesen hat, und ich werde suchen, es zu beweisen, solange Gott mich in diesem Jammertal erhalt. Zwar kdnnte ich ein ruhiges, sorgenfreies Leben fiihren, aber ich ziehe Miihe und Arbeit vor, denn die Aufgabe des Menschen besteht nicht in Freuden und Lustbarkeiten, die des Gelehrten unwiirdig sind, sondern miihselige Arbeit ist seine Bestimmung. ..."

Die neue Druckerei griindeten die Freunde nicht in Carpi, sondern in Novi, einem kleinen, gleichfalls den Pio gehorenden Stadtchen. Carpi sollte der Sitz einer Akademie, als Sammelpunkt humanisti- scher Studien werden. Es waren kuhne Plane; Alberto Pio versprach Aldo die Einkiinfte seiner groBen Landereien fur den Bestand der Druckerei zu opfern und die Zukunft des Humanisten sicher- zustellen.

Die Druckerei in Novi konnte sich nicht lange halten; Albert os Vetter, Gibert Pio, bemachtigte sich Carpis und vertrieb Alberto, der 1496 nach Ferrara fliichten muBte. Aldo hatte in Novi Aristo- teles ,,Organon" herausgegeben, das Buch war Alberto gewidmet, und die Vorrede klang nicht weniger zartlich als jene, die Horaz an Macenas gerichtet: ,,Oh, mein Schutz, oh, meine Zierde."

Aldo blieb langere Zeit in Ferrara, dann beschloB er seine Druckerei nach Venedig zu verlegen, da man dort am ruhigsten und sichersten seiner Arbeit leben konnte. Das triibte jedoch sein freundschaftliches Verhaltnis zu seinem einstigen Schiiler in keiner Weise, Alberto Pio blieb zeitlebens Protektor von Aldos Ver- lag und war immer bereit, ihn mit Geldmitteln zu unterstiitzen. Im Januar des Jahres 1513, kurz vor Julius II. Tode, setzte Alberto beim Papst ein wichtiges Privileg fur Aldo durch: der Nachdruck seiner Biicher war bei Androhung des Bannes verboten. Dank Albertos Bemuhungen bestatigte auch Leo X. diesen Gnadenakt. Alberto schatzte und liebte Aldo so sehr, daB er ihm im Jahre 1504 sogar sein Wappen zuerteilte und ihm die Fiihrung des Namens Pio gestattete. Seitdem zeichnete der venezianische Drucker Aldus

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SIEBENTES KAPITEL

Pius Manutius Romanus und beniitzte den silbernen Adler im roten Feld als Wappen. Auch nach Aldos Tod unterstiitzte Alberto den beriihmten Verlag, der in die Hande von Albertos Schwieger- vater, Andreo Asolano, iibergegangen war.

Das geniigte Alberto nicht; er war in dem MaBe von der Wichtig- keit des Unternehmens, klassische Autoren herauszugeben, durch- drungen, daB, als 1505 Carpi wieder in seine Hande kam und er einige Gelehrte urn sich versammeln konnte, er auch auf seinen friiheren Plan, die Druckerei zu erhalten, zuruckkam. Zu diesem Zwecke lieB er Benedetto Dolcibolo kommen, den ehemaligen Schiiler Aldos, der spater eine selbstandige Druckerei in Corte Maggiore, am Hofe von Roland II. Pallavicini eingerichtet hatte. Wie im XV. Jahrhundert jeder der italienischen Tyrannen seinen Ehrgeiz darein gesetzt hatte, Handschriften abschreiben zu lassen und aufzuhaufen, so wollte im beginnenden XVI. Jahrhundert jeder seine eigene Druckerei habenc Alberto Pio kommentierte damals Duns Scotus und gab seine Arbeit in einer kostbaren Ausgabe, mit eigenen Typen gedruckt, heraus. Carpis Schicksale waren aber zu unbestandig, das kleine Landchen ging von einer Hand in die andere, schlieBlich rissen die Este es ganz an sich. Als es nun 1508 Dolcibolo an einem machtigen Protektor fehlte, iibersiedelte der unternehmende Drucker nach Ferrara und gab dort klassische Werke heraus.

II

Zusammen mit Alberto Pio war 1498 auch der Venezianer Pietro Bembo in Ferrara. Er war ein leidenschaftlicher Verehrer antiker Literatur und Ercole Strozzis Freund, bei dem er haufig zu Gaste war. Seit vielen Jahren hatte Venedig seinen Gesandten in Ferrara mit dem Titel eines Vizedomino, er war wenig beliebt, da er sich in alles hineinmischen wollte; die venezianischen, in Ferrara lebenden Untertanen unterstanden seiner richterlichen Gewalt, und als Beobachter der ferraresischen Regierung war er dem Herzog unbe quern. Mit Riicksicht auf die Macht der benachbarten Re- publik muBte man ihn dulden. Gegen Ende des XV. Jahrhunderts

DASJUNGE FERRARA I41

nahm der alte Bernardo Bembo, der fruhere venezianische Ge- sandte in Florenz, diese Stelle ein; seine Familie gehorte zu den angesehensten der Republik, und er war um seiner Gelehrsamkeit willen bekannt. Sein Sohn Pietro, ein hiibscher, ansehnlicher, sehr begabter Jiingling, lebte von 1498 bis 1500 bei ihm.

Pietro war im Griechischen bewandert und hatte sich in Pe- trarca, Boccaccio und in provenzalische Literatur vertieft. Er sammelte die Werke provenzalischer Dichter, und ein von ihm zu- sammengestellter Kodex befindet sich in der Bibliotheque nationale zu Paris (Nr. 12473). Trotz aller Gelehrsamkeit und Philologie war Bembo zu tollen Streichen aufgelegt, bei den Frauen sehr beliebt, ,,gentiluomo galante e bello", und gait als Stern unter der ferrare- sischen Jugend.

Sein Wunsch war, die Volkssprache, das ,,Volgare", zu reinigen und es zur Schriftsprache zu erheben. Ihn, der die glatten Satze der alten Autoren gewohnt war, reizten Bojardos Provinzialismen und sprachlichen Verballhornungen. Mit seinen Planen stieB er bei den Gelehrten auf nicht geringen Widerspruch. Ercole Strozzi war einer seiner scharfsten Gegner, er sagte, Bembo kame ihm vor wie jemand, der, an Wildbret gewohnt, sich plotzlich von Sau- bohnen nahren wolle. Bembo verwies auf Dante und erwiderte, wer das Lateinische pflege, gleiche einem Menschen, der seine eigene Mutter verhungern lasse, um eine fremde Frau zu ernahren. Italienisch sei die Sprache ihrer Vater, Mutter, Schwestern, und es sei eine viel groBere Schande, diese ihre Muttersprache nicht zu beherrschen, als im Lateinischen oder Griechischen zu versagen. Bembo hatte die Frauen fur sich.

Mit noch einem gefahrlichen Feind hatte die junge Generation zu kampfen, mit der Pedanterie. Die Pedanterie, eine wahre Krank- heit, wucherte auf den Feldern der Humanisten und wuchs sich zum seltsamen Unkraut aus. Ein reines Lateinisch schreiben, war die Losung der alteren literarischen Zirkel was man schrieb, war gleichgiiltig. Der eine HeB ein lateinisches Gedicht iiber die Zucht der Seidenraupen drucken, der andere iiber das Schachspiel, und die Partner waren Apoll und Merkur. Es gab sogar einen lateinischen Dichter, der ein didaktisches Gedicht ,,De morbo gallico" verfaflt

142 SIEBENTES KAPITEL

hatte, in dem er Arzneien gegen die neue Krankheit empfahl. Auch in der Prosa versuchten diese Latinisten sich so sklavisch an die antiken Ausdriicke zu halten, daB sie es zu rechtfertigen suchten, wenn sie Worte anwandten, die die Antike nicht kannte, wie dux, comes oder marchio. Cicero war natiirlich das Ideal dieser Phrasendrescher.

Bembo war kein Dichter, das hinderte ihn nicht, italienische und lateinische Gedichte zu machen, die sich durch ihren fehlenden Inhalt auszeichnen. Beriihmt war sein Dialog ,,Gli Asolani", den der Verfasser in Ferrara begann. Es sind Gesprache uber Liebes- theorien. Die venezianische Republik hatte Cyperns entthronter Konigin, Catherina Cornaro, eine sehr schone Besitzung, das Castel Asolo im Trevisanischen, zum Wohnort angewiesen. Die Cornaro empfing dort ihre Gaste und entfaltete einen koniglichen Luxus. Auch Bembo war eine Zeitlang in Asolo, er wahlt ihren Hof zum Schauplatz fur sein Gedicht. Dort finden drei Jiinglinge drei Vene- zianerinnen, die dem Hofstaat der Konigin angehoren. Nach Tisch versammelt diese kleine Gesellschaft sich im Garten und setzt sich in den Schatten von Lorbeerbaumen neben eine rieselnde Quelle. Der eine der Jiinglinge stellt die Frage, ob die Liebe gut oder vom Ubel sei. Der melancholische Perrottino ist ein Feind der Liebe und glaubt, daB sie die Wurzel alles Bosen auf der Welt sei. Am nachsten Tage verteidigt Gismondo die Liebe, und am dritten Tage nimmt selbst die Konigin teil am Gesprach. Lavinellos Beweis- fiihrung ist die schlagendste: die Liebe ist weder gut noch bdse, doch kann sie das eine oder das andere sein, je nach dem Gegen- stande, dem sie gilt. Gut ist eine Liebe, deren Ideal eine schone Seele in einem schonen Korper ist, schlecht und tierisch die bloB sinnliche Liebe, die nicht auf die Erhaltung des menschlichen Geschlechtes aus- geht. Lavinello erzahlt auch von einem Gesprach, das er mit einem Einsiedler uber diesen Gegenstand gefiihrt: nach dessen Ansicht gibt es nur eine wahre Liebe, die Liebe zu Gott.

So haben wir wieder Petrarcas Theorien, verbramt mit plato- nischen Ideen. Bembo lehnt sich iiberhaupt in seinen italienischen Gedichten eng an Petrarca an; die Dialogform der ,, Asolani" entlehnt er Boccaccio, indem er sie erweitert und ausspinnt. Immer

DAS JUNGE FERRARA 143

folgt er jemandes Vorbild: in seiner Prosa Cicero und Boccaccio, in seinen Gedichten Petrarca. Seine Verse entstehen nicht aus innerem Zwange; an Veronica Gambara richtet er leidenschaftliche Sonette, obgleich er sie nie gesehen.

Mit Bembo beginnt jene literarische Krankheit, die wie ein jeden Organismus zerfressender Pilz in Italien, namentlich im XVI. Jahrhundert, um sich gegriffen und jede literarische Selb- standigkeit zerstort hat. Diese Krankheit nannte man Petrarkis- mus. Petrarca wurde zum literarischen Gott erhoben, dagegen ver- blaBte Dantes Ruhm, auch an Fiirstenhofen wurden die Werke des grofien Florentiners kaum noch gelesen. Wahrend dreier Jahrhunderte, von der Erfindung der Buchdruckerkunst bis ins XVIII. Jahrhundert, sind in Italien kaum zwanzig Dante-Ausgaben erschienen, wahrend Petrarcas ,,Canzoniere" vom Ende des XV. bis zum Beginn des XVII. Jahrhunderts hundertsiebenund- fiinfzig Neudrucke erlebt hat.

Es ist nur zu begreiflich, daB der Petrarkismus seinen Ursprung an italienischen Fiirstenhofen hat. Raffinierte Kunst und gesuchte Formen wurden am Hof gewiinscht. Nach den Ansichten einer solchen Gesellschaft war Petrarca allein wiirdig, den Platz neben Ovid und Horaz zu behaupten. Dante war fur Fiirsten und Hof- linge zu dunkel, zu philosophisch und brutal. Monsignore Delia Casa erklarte in seinem ,,Gabot", daB man aus der Gottlichen Ko- mbdie hofische Art ,,1'arte di essere grazioso" nicht lernen konne. Dieser Begriff ,, grazioso" war aber das Wesentlichste, und Petrarcas Canzoniere stimmte gut dazu. Der Petrarkismus wurde der ver- zauberte Kreis, aus dem die Geister langere Zeit nicht herauszutreten vermochten. Es ging so weit, daB Petrarca nicht nur nachgeahmt, sondern umgearbeitet und verbessert wurde. Ein Dichterling aus Mailand verfaBte in der ersten Halfte des XVI. Jahrhunderts eine Dichtung ,,11 bel Laureto" zu Ehren von Donna Laura, im Glauben, daB Petrarca ihre Schonheit und Tugend zu wenig gepriesen. Petrarca gleichen, ja iiber ihn hinausgehen, wird zum Losungswort. Pietro Aretino wuBte sich vor Freude nicht zu lassen, als ihm der Mark- graf von Mantua schrieb, daB er in einer Kanzone selbst den Meister ubertroffen habe.

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SIEBENTES KAPITEL

Was Wunder, daB Bembo, durchdrungen von hofischer Art, und vom Wunsch beseelt, die italienische Sprache zu reinigen, zum riickhaltlosen Verehrer Petrarcas wurde. Unter Scharteken und verstaubten Handschriften forschte er nach seinen Schriften, denn Petrarca sollte zum Ideal des Jahrhunderts werden. Aldo Manuzio behauptet, daB Bembo Petrarca popular gemacht habe , vor ihm kannte man in Venedig und der Lombardei den „Canzoniere" kaum.

Bembo schrieb ein Sonett nach dem anderen; wahrend Petrarcas reine Liebe und Begeisterung Laura gait, war Bembos Muse eine gewohnliche Rdmerin, die bekannte Morosina, mit der er drei Kinder hatte.

Bembos Ziel, die Gesellschaft zu petrarkisieren, gelang voll- standig. Als er alt geworden, konnte er zu seinem Ergotzen sehen, daB alle romischen und venezianischen Kurtisanen den ,,Petrar- chino", eine kleine Ausgabe des ,,Canzoniere", auf der StraBe gewissermaBen als Gebetbuch in der Hand hielten, ebenso war der ,,Petrarchino" der unzertrennliche Gefahrte jedes Elegants. In Venedig konnte man die Creme der mannlichen Jugend sehen, eine Blume hinter dem Ohr, in parfumierten Handschuhen, den Petrarca halb aus der Tasche heraussehend, wie sie auf dem S. Marco-Platz spazieren ging, die FuBe mit zierlicher Bedacht- samkeit setzte und den vorubergehenden Frauen verliebte Blicke zuwarf . Wie es heute gewissermaBen zum guten Ton gehort, Klavier zu spielen, so war damals das Reimeschmieden ein Zeichen hoherer Kultur. Auf dem Tische jedes ,,Dichters" lagen kleine Worterbiicher und Reimpaare, die aus dem ,,Canzoniere" herausgeschrieben waren.

Nach Bembos Tode verkiindete einer seiner Schiiler, der vene- zianische Dichter Domenico Venier, die Tranenflut ware so groB, daB eine neue Sintflut der Welt drohe.

Per la morte di Bembo un si gran pianto Piovea da gli occhi de 1' umana gente, Ch' era per affogar verecemente, Come diluvio, il mondo in ogni canto.

Bembos wirkliche und groBe Verdienste beruhen natiirlich nicht in seinen Dichtungen, sie liegen in seinem Streben, das Italienische

DAS JUNGE FERRARA I4^

aus seiner miBachteten Stellung zu befreien und ihm seinen Klang und seine Reinheit wiederzugeben.

So feiert Ariost Bembo in seinem Orlando:

Piero Bembo, che '1 puro e dolce idioma nostro Levato fuor del volgare uso tetro Quale esser dee, ci ha co'l suo esempio mostro.

(Orl. fur. XLVI, 15.)

Aus Bembos Studien in Ferrara erwuchs sein spateres Werk ,, Prose della volgar lingua", als Grundlage fur den weiteren Aus- bau des Italienischen aus den verschiedensten Dialekten. Seine Arbeit setzte Bembo in Rom als Sekretar Leos X. fort (1513), in Rom verkehrte er mit Castiglione, Fregoso und Angelo Colocci, einem der beruhmtesten Gelehrten der Renaissance. Colocci, der die klassischen Sprachen grundlich kannte, war gleichfalls ein leiden- schaftlicher Verehrer der lingua volgare. Wie Bembo hatte er sich in das Studium provenzalischer Poesie vertieft und be- herrschte das Spanische und Portugiesische; er sammelte griechische, lateinische, hebraische und provenzalische Handschriften und antike Miinzen; leider wurden seine groBartigen Sammlungen wahrend des Sacco di Roma zerstort. In Coloccis beruhmten Garten ,,Orti Colocciani" versammelten sich die Sprachreformer und be- griindeten die ,,Accademia Romana", die der Mittelpunkt des lite- rarischen Lebens in Rom wurde. Wir finden dort fast alle jene Literaten, die gegen Ende des XV. Jahrhunderts in Ferrara, Mantua und Urbino tatig waren.

Dieser ferraresischen Jugend hatte sich auch Jacopo Sadoleto (1477 1547) angeschlossen, der Sohn eines beruhmten Juristen aus Modena. Er wurde spater Sekretar bei Leo X. und Kardinal, interessierte sich lebhaft fur Cicero und war fur seinen eleganten lateinischen Stil bekannt. Sadoleto besuchte zusammen mit Alberto Pio die Vortrage des beruhmten Humanisten und Arztes, Niccolo Leoniceno, der Aristoteles kommentiert hat.

Celio Calcagninis (1479 1541) Elegien waren weit verbreitet, er laBt sich fast mit Ariost vergleichen und iiberragt dank seiner ziin- denden Phantasie all seine Zeitgenossen.

146 SIEBENTES KAPITEL

Calcagnini gehort zu den Universalgenies der Renaissance, als Jurist und Astronom war er in ganz Europa beriihmt. Als Heinrich VIII. von England seine Scheidung durchsetzen wollte, fragte man ihn und noch einige andere beriihmte Gelehrte der da- maligen Welt um ihre Ansicht. Etwa die Halfte der groBen Manner der Renaissance waren uneheliche Sdhne. So auch Calcagnini. Sein Vater, Calcagnino di Francesco Calcagnini, gehorte zu Ferraras angesehensten Familien, von der Mutter, Lucrezia Con- stantini, weiB man kaum mehr als den Namen. Der Vater soil, als ihm die Geburt des Sohnes gemeldet wurde, Ciceros Brief an den Adilen M. Celio gelesen und hocherfreut gerufen haben, daB der Knabe Celio heiBen musse. Ein echt humanistisches Historchen! Auch bei der Taufe sollte Celio einen Beweis seiner kiinftigen kraftigen Organisation geben: als das einige Tage alte Kind zur Taufe in die Kirche getragen wurde und der Priester ihm Wasser iiber den Kopf goB, wehrte es sich heftig mit seinen kleinen Hand- chen gegen das Kalte und ergriff das Gebetbuch des Kaplans. Celio wuchs in Ferrara auf; zu seinen beruhmtesten Lehrern gehoren Pietro Pomponazzo, der Philosoph, und Niccolo Leoniceno, der be- kannte Arzt. Friihzeitig ubertrugen die ferraresischen Herzoge ihm Wiirden und beniitzten ihn als Gesandten bei den verschiedensten Hofen. Celio begleitete den Kardinal Ippolito nach Ungarn und Polen, war Gesandter in Venedig und Rom bei Julius II. und Leo X., dann muBte er wieder nach Ungarn, um Zwistigkeiten, die unter den Magnaten nach dem Tode des Konigs Ladislaus ausgebrochen waren, zu schlichten; in Ferrara trug er an der Universitat Mathe- matik und Astronomie vor. Von seinen Verdiensten auf diesem Ge- biet wird noch die Rede sein. Celio wurde spater Domherr in Ferrara; da er jedoch fur die Dominikaner eine besondere Vorliebe hatte, ver- machte er ihnen seine Bibliothek, seine mathematischen und astronomischen Instrumente, sowie fiinfzig Skudi jahrlich fur die Erhaltung der Sammlungen. Ferner verfiigte er testamentarisch, daB das Maultier, das ihn lange Jahre getragen hatte, bis zu seinem Tode im gewohnten Stall bleiben und Gnadenbrot genieBen sollte.

Naturlich hatte das Hoflingswesen, der iibertriebene Frauen- kult der hoheren Kreise einen schadlichen EinfluB auf die Literatur,

DAS JUNGE FERRARA j^y

besonders auf die Poesie. Nichts durfte einfach gesagt werden, man ersann Schmeicheleien, sonderbare Vergleiche, die mit dem gesunden Menschenverstand im seltsamsten Widerspruch standen. Gegen Ende des XV. Jahrhunderts nahm diese Krankheit immer mehr iiberhand, im XVI. und XVII. wurde sie zur verheerenden Epidemie, zum sogenannten Seicentismo.

Einer der Hauptvertreter dieser Richtung am Hofe von Ferrara, ja gewissermaBen ihr Schdpfer war Antonio Tebaldi; da ihm dieser Name nicht poetisch genug erschien, nannte er sich Tebaldeo. In Ferrara 1463 geboren, wuchs er dort auf, schrieb dort seine ersten Gedichte, und war sehr bald so beruhmt, daB er zum Poesielehrer der kleinen Isabella d' Este ernannt wurde. Die Schulerin befriedigte den Lehrer in hohem MaBe, er auBerte sich einst iiber sie, sie beganne Wunder in der Poesie zu tun, ,,ad fare miraculi in poesia", was wohl nicht ganz wortlich zu nehmen ist. Tebaldeos Liebeshandel erfreuten sich bald einer gewissen Beriihmtheit, um so mehr, als sie in seinen Sonetten verherrlicht wurden, seine Verse gefielen so gut, daB einer der estensischen Hofpoeten an ihn schrieb:

Remembrati di noi tu che trascendi Con l'ali isnelle d'un stil raro e bello, Dal mondo al cielo; tal che questo e quello, Stupiscon dil gran che fra noi prendi.

Nach Isabellas Vermahlung ging Tebaldeo zu den Bentivoglio nach Bologna, dort studierte er Medizin und schickte seiner friiheren Schulerin nur von Zeit zu Zeit Sonette. Doch die Markgrafin sehnte sich nach ihm, wenn sie sich als Dichterin fiihlte, wiinschte sie, daB Tebaldeo ihr die Pforte zum ParnaB offne. AuBer- dem war ihr seine Gesellschaft sympathisch, da er nach ihren Worten ein Mann war, ,,di tanto honore et piacere". Der liebens- wiirdige Hofling kam nach Mantua, hier unterwies er die Mark- grafin nicht nur darin, wie man in Wahrheit zur Dichterin wiirde, sondern schrieb in aller Stille Sonette, die der Markgraf als sein eigenes Elaborat veroffentlichte !

Sonette machen gehdrte zum guten Ton; da der arme Markgraf diese Forderung absolut nicht erfiillen konnte, half er sich, so gut

148 SIEBENTES KAPITEL

es eben ging, selbst spater, als Tebaldeo nicht mehr in Mantua lebte, lieB er sich noch Sonette fur seinen eigenen Bedarf von ihm schicken.

Der Dichter erfiillte seine Aufgabe zur vollsten Zufriedenheit des Markgrafen, aber Gonzaga entlohnte Tebaldeo nicht seinen beschei- denen Anspriichen gemaB. Antonio litt Mangel, er wurde am Hof ungeniigend und schlecht ernahrt, bekam den ,,traurigsten" Wein und verdorbenes Fleisch. So bat er den Markgrafen, ihm wenigstens zehn Dukaten monatlich auszusetzen, da er sonst in Mantua nicht leben ikonne und einen anderen Dienst suchen miisse. Dem Markgrafen erschien diese Summe zu hoch, Tebaldeo ging deshalb nach Ferrara zuriick, trat in Ippolitos Dienste und huldigte spater dem neuen Stern am ferraresischen Hofe, Lucrezia Borgia, deren Sekretar er wurde.

Seine Beziehungen zum Hofe von Mantua wurden nicht abge- brochen, er schickte nach wie vor seine Gedichte, fur die ihm be- scheidener Lohn ward. Einmal bat er die Markgrafin, ihm wenigstens vier Hemden zu schenken, wenn auch aus elendem Leinen, er wurde sie in Gedichten bezahlen, da er nichts anderes besitze.

Endlich im Jahre 1513, als Leo X. Papst wurde und samtliche Dichter und Kunstler ihr Heil in Rom suchten, iibersiedelte auch Tebaldeo in die papstliche Residenz. Er wurde Geistlicher, lebte in Castigliones, Bembos und Raffaels Gesellschaft, und seine Traume sollten wenigstens zum Teil in Erfiillung gehen, er kam auf den ParnaB wenn auch nur auf den gemalten. Raffael brachte nam- lich sein Bildnis auf dem ParnaB-Fresko in den vatikanischen Stanzen an. Es gab einen Glanzpunkt in seinem Leben: Leo X. schenkte ihm einst 500 Dukaten fur ein Epigramm. Wahrend des Sacco di Roma verlor der Dichter sein gesamtes Hab und Gut, er blieb in der Stadt, und fluchte bis zu seinem Tode am 4. No- vember 1537 Karl V. und seinen Soldnern.

Seine gesammelten Gedichte gab Jacopo Tebaldi 1498 in Modena heraus, offenbar ohne Wissen des Verfassers; sie waren Isabella von Mantua gewidmet. Der Dichter selbst wollte seine an eine Flavia gerichteten Liebeslieder der Offentlichkeit nicht preisgeben. Die Gedichte strotzen von Ubertreibungen. Die Vergleiche wirken

DAS JUNGE FERRARA 149

lacherlich, soweit sie dem heutigen Geschmack nicht geradezu unertraglich sind. Des Dichters Tranen flieBen in Stromen, so daB der aufgeweichte Erdboden abrutscht; wenn er liebt, so verzehrt dieser Brand seine Kleider, und Rauchsaulen steigen gen Himmel; ungewiB, ob dies Feuer ihn ganz verzehren wird, bittet er seinen Freund vorsichtshalber, Briefe an ihn zu adressieren; an den lebenden oder schon toten Tebaldeo. Fast noch schlimmer wird es, wenn er Francesco Gonzagas Gefuhle schildert: der Markgraf weint aus Liebe, seine Tranen bilden die Seen, die Mantua umgeben, ja der Po steigt infolge dieses Ergusses, und der ungluckliche Gonzaga seufzt so sehr, daB der aus seinen Klagen entstandene Wind den Mast der Barke bricht, die ihn zu seiner Geliebten fuhrt. Tebaldeo selbst magerte einmal aus Liebeskummer so ab, daB er wahrend des Karnevals keine Maske vorzubinden brauchte, da niemand sein skelettartiges Gesicht erkannte.

Seine politischen Sonette, nach Italiens Niederlage geschrieben, verraten echten Patriotismus, doch wiirde man auch hier vergebens nach einem einfachen Gefiihl suchen.

Ill

Neben dieser glanzenden Jugend, die eine mehr oder weniger behaglichesoziale Stellung undverfeinerteKultur hatte, trieb sich unter den Dienern der Este in Kiichen und Vorzimmern, in ab- genutzten Kleidern, ein sehr origineller Dichter herum, Antonio Cammelli (1440 1502), Pistoja benannt. Aus ihm sprach der Witz der Armen und die Satire des Volkes.

Fast jeder Hof hatte damals einen derartigen Dichter, er rangierte bei Tische hoher als der Hofnarr und niedriger als der fur sein Kloster sammelnde Franziskaner; alle spotteten seiner, am wenigsten vielleicht der Fiirst, der wegen seiner Schmeicheleien fur ihn ein- genommen war. Eine ahnliche Rolle spielte in Mailand, an Lodo- vico Moros Hof, Bernardo Bellincioni, er steckte voller Witz und Sarkasmus und war seinem Herrn ehrlich zugetan. Pistoja hatte eine groBe Familie; da er in Ferrara keine feste Beschaftigung hatte,

150 SIEBENTES KAPITEL

lebte er von den Brocken der herzoglichen Tafel. Unausgesetzt bettelte er urn Getreide und andere Lebensmittel, einmal schrieb er demiitig, daB er vom Herzog Nahrung erwarte wie ein Kind von seiner Mutter. Wahrscheinlich hat er eine kleine monatliche Unter- stiitzung bekommen, beklagt er sich doch in einem seiner Sonette, daB er ,,gegen Monatsende" zerrissene Striimpfe trage, Hab und Gut sei beim Juden, er lebe auf Borg, Regen und Sonne kbnnten ungehindert in seine elende Wohnung dringen, Schwamm decke den FuBboden und Schimmel die Wande. Den Mauleseltreibern wurde vom Herzog mehr Gnade als den Dichtern erwiesen. Wird ihm im SchloB Essen gereicht, so muB er mit den Hofnarren und Fuhrleuten vor einem widerwartigen Tischtuch niedersitzen in einem kalten, schmutzigen Raum, wo ihm die Decke fast auf den Kopf fallt. Salat mit verdorbenem 01, trockenes verschimmeltes Brot, saurer Wein und das nicht gar gewordene Fleisch einer alten Kuh bilden das Mahl.

SchlieBlich erbarmte der Herzog sich seiner und gab ihm eine Anstellung. Im Jahre 1487 ernannte er ihn zum Capitano des Tores di Santa Croce in Reggio und setzte ihm eine kleine Pension aus. Aber der arme Dichter muBte in einem Turm wohnen, der ihm beinahe iiber dem Kopf zusammenbrach und den Ercole nicht restaurieren lieB, auch die allernotdurftigsten Lebensmittel wurden ihm versagt. Der Capitano bettelte sich bei den Biirgern etwas Wein und Brot zusammen. Man nannte ihn auch ,,Fiirstendiener auf fremde Kosten", ,, servo del duca all' altrui spese". Zwar ver- sprach ihm der Herzog Geld, doch wurde der Sold nie ausgezahlt. Nach zehn Jahren verlor Pistoja auch diese Anstellung, bekam sie aber 1499 wieder, da die Markgrafin Isabella, die seine Verse sehr schatzte, sich fur ihn verwandte. Ein Jahr spater hieB es wieder den einstiirzenden Turm verlassen, und der arme Dichter trieb sich abwechselnd an den Hofen von Correggio, Mantua, Novellara und Ferrara umher, hungernd und klagend, bis er elend im Jahre 1502 gestorben ist. Auf Veranlassung der Markgrafin Isabella sammelte Niccolo da Correggio seine Gedichte.

Diese Gedichte verraten viel Kraft, Sarkasmus und ehrlichen Schmerz iiber das Ungliick des Landes. Das emporte Gewissen meldet

DAS JUNGE FERRARA 151

sich sehr selten bei den Dichtern jener Periode, die alle in Phrase und Schmeichelei ersticken dieser arme Hungerleider allein hat den Mut zur Wahrheit. An Alexander VI. wendet er sich in einem geharnischten Sonett:

Ruina de' Christian, tu, falso prete Per simonia comprasti il divin culto, Da cui e fatto il templo santo stulto Con omici, stupri e con monete.

Du, Ruin der Christen, falscher Priester, Gottes Stuhl hast du durch Simonie erkauft, Die heilige Kirche geschandet Durch Mord, Raub und Wucher.

II femelico verme iniquo e tristo, Che divora la croce e Jesu Christo.

Gieriger, boser, finsterer Wurm,

Du schandest das Kreuz und Christus.

Als Ferrara-Anhanger haBte Pistoja Venedig und warf der Re- publik ihre Habsucht und Treulosigkeit vor. San Marco kennt keine Freundschaft, wiederholte er immer wieder.

Jedes wichtigere politische Ereignis, jede markante Personlichkeit unter den Zeitgenossen spiegelt sich in Pistojas Sonetten. In Augen- blicken derLeidenschaft benutzte er die wirksameFormkurzerFragen und Antworten. Ausgezeichnet in dieser Hinsicht ist das Gedicht, wie der beriichtigte Lucca Gregorio Zampante, den die Ferraresen hassen, in den Himmel eindringen will, aber S. Peter weist ihn in die Holle, und der Teufel Fanfarello ubernimmt die Fuhrung:

Toe chi batte? Amici, aprimi un poco.

Come ti chiami? Da Lucca Gregorio.

Ah, ah! io el so, il tuo nome S notorio; Su su, a la forca, a la manara, al foco, Par te non fu fondato questo loco.

Piu giu te aspetta un altro concistorio.

Lasciami venir qui col tuo aiutorio.

152 SIEBENTES KAPITEL

No, no, altro ti vuol cociere il coco.

Bu, bu. Chi abaia? Pier fammi ragione.

Chi sei tu che mi chiami? Fanfarello.

Che cosa vuoi da me? Questo latrone, Che al ciel per crudelta si fe rebello;

Io ti dico da parte di Plutone,

Che gli e per carta suo: ecco il libello.

Io non voglio esser quello,

Che a nissun patto l'altrui preda toglia: Piglialo, menal via fa la tua voglia.

Cavati for la spoglia, Cammina, traditor, che ogni martire, Sara poca vivanda al tuo fallire.1)

Wohl Ercole zu Gefallen schrieb Pistoja eine fiinfaktige Tra- godie: ,,Filostrato e Panfila", den Inhalt schdpft er aus Boccaccios Novelle von Ghismonda und Guiscard. Aber hier verlaBt ihn sein Witz, er kann nicht auf Stelzen gehen. Das Ganze strotzt von Uber- treibungen und ist erschreckend trivial. Doch wurde diese Tragodie in Mantua in der Fastenzeit im Jahre 1499 aufgefuhrt.

*) Wer klopft? Freund, mach auf.

Wer bist du? Lucca Gregorio.

Nun weiB ich's, bekannt ist dein Name; Hinunter zur Holle, in Pech und Schwefel, Nicht fur dich ist dieser Ort,

Deiner harrt ein andrer Spruch.

Hilf mir und laB mich ein.

Nein, nein, deiner wartet schon der Koch.

Bu, bu. Wer bellt da? Petre, Gerechtigkeit.

Wer ruft mich? Fanfarello.

Und dein Begehr? Diesen Rauber, Der sich gegen Gott emport.

Pluto laBt dir sagen,

Er sei ihm zu eigen hier die Schrift.

Nicht der will ich sein, Der andern Rechte raubt,

Nimm ihn und tu nach deinem Begehr.

Mach hurtig, Verrater.

Fur deine Missetaten langt keine Strafe.

DAS JUNGE FERRARA I53

IV

Wahrend an der italienischen Sprache gearbeitet wurde, taucht auch das Verlangen nach der italienischen Biihne auf. Die alten Mysterienspiele geniigten nicht mehr, sie zogen sich in die Klostermauern zuriick, und die Volksauffiihrungen, die in Siena stattfanden, entsprachen dem Geschmack der klassisch geschulten gebildeten Gesellschaft nicht. Die neue Generation verlangte eine Komodie nach dem Muster der alten, Szenen, die menschliches Leben und menschliche Schwachen spiegeln. Natiir- lich gait es erst Anleihen bei Plautus und Terenz zu machen, ehe man die Biihne und ihre Anforderungen begriff. Die antiken Komodien aufzufiihren, war nicht leicht und namentlich mit nicht unerheblichen Kosten verbunden; die italienischen Hofe begriff en, daB die Initiative von ihnen ausgehen miisse, die vermogenden Fiirsten waren die einzigen, die diesen Versuch unternehmen konnten.

Es wird erzahlt, daB Ercole, der als Knabe wahrend einer Krank- heit die alten Autoren griindlich gelesen, schon damals die Wieder- geburt des Theaters geplant hat. Er steht an der Spitze der Be- wegung, und ihm gebiihrt das grofite Verdienst in der Belebung der modernen Biihne. Theaterauffuhrungen liebte er leidenschaftlich, und mit Eifer machte er sich an ihre Ausstattung, weder Miihe ncch Kosten sparend. Sein Wunsch war, in Ferrara die erste Biihne Italiens zu schaffen, und er hat dieses Ziel zum Nutzen der Literatur erreicht:

Quae fuerat Latiis olim celebrata theatris Herculea . . . scena revixit ope.

Ercole hat eine ganze Schar ferraresischer Literaten angefeuert, antike Komodien zu iibersetzen, umzuarbeiten, Eklogen zu ver- fassen, Pastoralen und Ballettspiele zu ersinnen. Im Einverstandnis mit ihm arbeiteten an der Wiedergeburt der Biihne: Bojardo, Bat- tista Guarino, Niccolo da Correggio, Collenuccio, Tebaldeo und viele andere, und Architekten und Maler wie Fino de' Marsigli, Trullo, Segna, Giovanni da Imola, Pellegrino da Udine und spater die Briider

154 SIEBENTES KAPITEL

Dossi und ihre Schiiler ersannen Biihnenapparate, zeichneten Kostume und malten Dekorationen.

Als erstes Theaterstiick wurden i486 Plautus' Menaechmen aufgefiihrt. Die Biihne war im SchloBhof aufgeschlagen. Ein Jahr darauf, zu Ehren von Lucrezia d'Este und Annibale Bentivoglios Hochzeit wurde ein Original-Lustspiel, Correggios ,,Cefalo", mit sehr viel Pomp gespielt. Die Biihne war in ein SchloBchen verwandelt, dort agierten die Schauspieler. Das erwies sich als unpraktisch, da man infolge des Regens eine Auffiihrung abbrechen mufite. Spater fanden Auffuhrungen abwechselnd im Garten oder in Schi- fanoja statt, schlieBlich wurde 1499 mit nicht unbedeutenden Kosten eine Biihne im grofien Palastsaal errichtet. Ballette, Farcen und Burlesken schob man zwischen die Akte der klassischen ,,Ko- mddien" ein, die alles andere eher denn amiisant waren. Ferrara errang eine Stellung, wie sie heute etwa Bayreuth hat. Aus weiter Feme kam man zu diesen Auffuhrungen, iiberall wurde davon gesprochen, ja die Auffuhrungen in Ferrara gehorten zu den be- deutendsten kunstlerischen Ereignissen der damaligen Zeit. Den Glanzpunkt bildete die Auffiihrung des gesamten Zyklus von Plautus' Komodien anlaBlich der Feste bei Don Alfonsos Trauung mit Lucrezia Borgia. Doch wird davon noch die Rede sein.

Ferraras Biihne war gewissermaBen das Vorbild fur alle iibrigen Hofe. Namentlich die Gonzaga in Mantua und Lodovico Moro waren leidenschaftliche Theaterenthusiasten; die Auffuhrungen brachten in die Monotonie des hofischen Lebens viel Abwechslung. In Ferrara und Mantua wurden allmahlich Schauspieler aus- gebildet, die man sich gegenseitig lieh. Der schon siebzigjahrige Ercole unternahm 1493 eine muhselige Reise nach Mantua, um dort eine Auffiihrung zu leiten. Er nahm zwanzig junge Leute mit, die gewohnt waren, auf der Biihne aufzutreten, darunter befand sich auch Ariost.

Im Anfang des XVI. Jahrhunderts entstand unter den Juden in Mantua eine Gesellschaft von Gelegenheits-Schauspielern, sie spielten am Hofe des Markgrafen, und ihre Gesellschaft blieb lange bestehen. Fiir ihre Auffuhrungen hatten die Juden ihr eigenes Orchester.

DAS JUNGE FERRARA 155

V

Eine von Ercoles Hauptstiitzen im Arrangieren von Theater- auffuhrungen war Niccolo da Correggio, eine sehr ausgepragte Personlichkeit, die etwa Castigliones Idealbild eines Hofmannes entsprach. Ansehnlich, tapfer, der Held der Turniere und Ver- ehrer des schonen Geschlechts, tanzte er so gut wie wenige seiner Zeitgenossen; dank seiner eleganten Kleidung gait er der Jugend als Modevorbild, war die Seele der Feste, verfaBte Lustspiele mit unglaublicher Geschicklichkeit und machte im Fluge Madrigale, Sonette und Inschriften fur Impresen. Saba da Castiglione nennt ihn einen der beruhmtesten Ritter Italiens, ,,uno delli piu famosi, honorati et virtuosi cavalieri, che in tutta Italia si trovarsero", und Carretto feiert ihn in seiner Dichtung ,,Tempio d'Amore":

... II cavalier de tanto preggio Che con stil elegante et amoroso E col valor de Marte orna Correggio.

Er war mit den Este verwandt; seine Mutter Beatrice war Niccolos III. natiirliche Tochter und hatte 1448 Niccolo di Gherardo da Correggio geheiratet. Man nannte sie ,,regina delle feste", und ein vielzitiertes Wort hieB: ,,um leicht aus dieser Welt in jene uberzugehen, miisse man Pierobonos Musik lauschen, um den Him- mel offen zu finden, Herzog Borsos Gnade erfahren, und um das Paradies zu sehen, Donna Beatrice auf einem Ball beobachten." Einige Monate nach der Hochzeit starb Niccolo da Correggio. Der Sohn Niccolo, den Beatrice nach dem Tode des Gatten in den ersten Monaten des Jahres 1450 geboren, bekam den Beinamen Postumus, um ihn vom Verstorbenen zu unterscheiden. Kaiser Friedrich III., der 1452 in Ferrara war, hat das Kind, wie bereits erwahnt, zum Ritter geschlagen. Um das Kriegshandwerk zu lernen, diente Cor- reggio als Kondottiere im Heer der venezianischen Republik unter Bartolommeo Colleoni. 1472 heiratete er dessen Tochter Cassandra, eine beruhmte Schonheit, trat aus dem venezianischen Heer aus und lebte abwechselnd in Ferrara, Mantua und Mailand. Bei Moro und Beatrice d'Este stand er in besonderer Gunst. FiirFrauen-

I56 SIEBENTES KAPITEL

toilette hatte er ein scharfes Auge, und Beatrice lieB sich gem von ihm beraten. Uberall war er ein begehrter Gast, er belebte die Gesell- schaft durch seinen Witz, machte Sonette und Lieder, die Isabella d' Este zur Laute sang. Fiir sie schrieb er audi eine psychologische Dichtung ,, Psyche" allerdings von nur geringem Wert.

Als es im Jahre 1482 zum Kriege zwischen Ferrara und Venedig kam, kampfte Niccolo auf Seite der Este. In der Schlacht bei Argenta geriet er in venezianische Gefangenschaft ; die Republik vergafi es ihm nicht, daB er vor zehn Jahren ihr Kondottiere gewesen war und eine Venezianerin zur Frau hatte, und behandelte ihn als gemeinen Gefangenen. Er wurde in die Toricella eingesperrt und schrieb sehr ungluckliche Briefe von dort aus, er beklagte sich iiber den unerhorten Schmutz, iiber Flohe und anderes Ungeziefer, das ihn nicht schlafen lieB, iiber das ekelhafte Essen und auch dariiber, daB er nicht einmal einen Tisch habe.

Als sichMoro und Isabella d'Este fiir ihn verwandten,lieBen ihn die Venezianer nach einigen Monaten frei; Correggio war des Kriegessatt und ging nach Frankreich alsMoros Gesandter. Am haufigsten hielt er sich in Ferrara auf und half Ercolel. bei seinen Theaterauffuhrungen.

Im venezianischen Gefangnis beklagte er in seinem besten und tiefst empfundenen Sonett Ferraras Niederlage. Da er Venedigs Macht kannte, bat er die geliebte Stadt, sich dem Lowen zu beugen.

Io t'amo. Tu sai ben, ch' io n' ho cagione Deh! perche non deponi omai l'orgoglio? Che sai: sol umilta vince il Leone. Piu che di mia prigion di te mi doglio; Che poi che vedi in l'arme la ragione Vogli schivare il porto e dar nel scoglio.

Sein literarisch bedeutendstes Werk war ein mythologisch- pastorales Drama ,,Favola di Cefalo". Es wurde 1487 in Ferrara zum erstenmal aufgefiihrt und war eines der ersten fiir die Biihne bestimmten italienischen Originalwerke. Es ist jedoch ein sehr verungliicktes Drama; der Inhalt ist aus Ovids Metamorphosen geschopft. Niccolo war auch der Verfasser der dramatischen Ekloge ,,Favola di Callisto", die 1501 in Mantua aufgefiihrt wurde.

DAS JUNGE FERRARA I57

Correggio reiste fast immer in Gesellschaft seines Sekretars, des Messer Niccolo, der auch dichtete, oder eines anderen ,,Fa- miliaris", des sogenannten Prete da Correggio. Der letztere, ein sonderbarer Mensch, war am Hofe zu Ferrara und Mantua wegen seines Witzes und seines groBen Diensteifers sehr beliebt. An ihn wandte man sich in alien schwierigen Familienangelegenheiten, er verstand es, Geschafte zu ordnen, Gaste zu unterhalten und ge- legentlich bei einem Bankett trat Prete als fahrender Sanger auf und trug seine eignen Gedichte vor. Isabella hat ihn sich einmal schriftlich bei Correggio ,,per nostra recreatione" ausgeliehen.

Trotz seiner gesellschaftlichen Erfolge scheint Correggio nicht

glucklich gewesen zu sein; in seinen Sonetten klagt er iiber sein

Geschick und die Frauen. Das eine beginnt mit den Worten: ,,Sotto

la croce che mi da la sorte". Auch scheint er schwer darunter ge-

litten zu haben, daB seine Liebe unerwidert blieb. Natiirlich hat auch

er einen ,,Canzoniere" hinterlassen, er hat ihn Isabella d' Este

zwar angeboten, aber nicht geschickt. Nach dem Tode des Dichters

scheint die Markgrafin erfahren zu haben, daB Correggios Sohn,

Gian Galeazzo, diese Gedichtsammlung Lucrezia Borgia widmen

wolle. Das emporte Isabella, infolgedessen reklamierte sie den Nach-

laB energisch; ob sie den ,,Canzoniere" bekommen hat, wissen wir

nicht, aber ihr Arger ist begreiflich, denn einmal war ihr Lucrezia wenig

sympathisch, auBerdem empfandsie GianGaleazzosVorgehen als Un-

dankbarkeit, da sie sich der Correggio stets angenommen hatte.

Selbst als Galeazzo sich mit Ginevra Rangoni vermahlte,

schenkte sie ihm ein schones Klavier, ,,un magni-

fico Clavicordio". Niccolo Correggio starb

in Ferrara in der Nacht vom i. auf den

2. Februar 1508; es waren nicht

weniger als sieben Arzte

an sein Krankenbett

gerufen worden.

ACHTES KAPITEL

LUCREZIA BORGIA

i

orenzo Pucci, der Florentiner Gesandte am romischen Hofe, schrieb am 24. Dezember 1493 an seinen Bruder, er wolle Madonna Giulia Farnese besuchen und sich ihre weitere Protektion beim Papste sichern, als Ent- gelt fiir die Dienste, die er ihrer Familie geleistet habe. Pfrunden, die ihm ansehnliche Einkiinfte eintrugen, verdankte Pucci Giulias Verwendung bei Alexander VI. Giulia lebte bei Lucrezia Borgia, Alexanders Tochter, der der Vater in S. Maria in Porticu ein Haus in der Nahe des Vatikans abge- treten hatte.

Lucrezia war damals dreizehn Jahre alt, Giulia, die etwas altere, war Orsinis Gattin und Mutter der kleinen Laura. Giulias Schwieger- mutter, Adriana Ursina oder Orsini, stand Lucrezias Haus vor; Alexander hatte es nicht als zweckmaBig erachtet, seine Tochter bei ihrer Mutter, Vanozza Catanei, erziehen zu lassen. Als Kardinal hatte er Vanozza verheiratet, zuerst an den Mailander Giorgio da Croce, dann nach dessen Tode an den unbedeutenden Mantuaner Dichter Carolus Canale, dem er eine kleine Anstellung als Solli- zitator der papstlichen Bullen verschafft hatte.

Aus dem Hause des Sollizitators konnte die Tochter des Kar- dinals Borgia nicht ihren Eintritt in die Welt feiern. Es lieB sich auch anders einrichten. Alexander hatte Beziehungen zu Adriana, Lodovico Orsinis Witwe, die im Jahre 1489 ihren Sohn mit der schonen Giulia Farnese verheiratet hatte. Der Kardinal verliebte sich in die junge Giulia und stand bereits zwei Jahre nach ihrer

LUCREZIA BORGIA i$q

Trauung in intimen Beziehungen zu ihr, Adriana, Orsinis Mutter, unterstiitzte dieses Verhaltnis, damit der Kardinal die finanziell zerriittete Lage ihres Geschlechtes hebe. Sie entfernte ihren Sohn auY eines der Schlosser der Orsini und leistete dem Kardinal und spateren Papst Borgia Dienste, die schlecht mit den Traditionen ihres vornehmen Geschlechtes im Einklang standen.

Pucci kam in Lucrezias Haus, um Giulia Farnese zu sehen. Die drei Frauen saBen vor dem Kamin, da Madonna Giulia gerade ihre Haare trocknete. Sie begriiBten Lorenzo freudig, und Giulia bat ihn, neben ihr Platz zu nehmen.

Pucci hatte Giulia langere Zeit nicht gesehen, er berichtet, sie sei etwas voller geworden und das schonste Geschopf der Welt. Ein Battisttiichlein hatte sie iiber den Kopf gebunden, und ihr Haar war durch ein spinnwebdiinnes Netz, das mit goldenen Faden durchwirkt war, zusammengehalten. Im Beisein des Gastes lieB sie sich kammen und loste ihr Haar. ,, Etwas Ahnliches", schreibt Lorenzo, ,,habe ich nie gesehen. Ihr goldblondes Haar reicht bis zu ihren FiiBen, Giulia leuchtete wie die Sonne." Sie lieB ihr einjahriges Tochterchen bringen, das Kind war dem papst- lichen Vater auffallend ahnlich, ,,adeo ut vere ex ejus semine orta dici possit".

Wahrend Pucci mit Giulia und Adriana sprach, entfernte sich Lucrezia, um sich umzukleiden, sie kam in einem Morgenkleid aus veilchenfarbenem Samt wieder, das nach neapolitanischer Mode gearbeitet war. Auch sie hatte goldblondes Haar; die Farbe war sicherlich kunstlich erzeugt, denn die Tochter Vanozza Cataneis aus dem Trastevere-Viertel und Rodrigo Borgias, des Mauren aus der Gegend von Valenzia, war kaum von Natur blond. Lucrezia war lange nicht so schon wie ihre Gefahrtin, ihre Ziige waren nicht regelmaBig, aber sie hatte einen besonders reizvollen Aus- druck, war lebhaft, nicht frei von Koketterie und im Gesprach anmutig und gewandt. Die Heiterkeit und das Gewinnende ihres Wesens waren vater liches Erbteil, auch der Papst bezwang die Menschen durch seine Liebenswiirdigkeit. Diese Vorzuge eigneten auch ihrem Bruder, Cesare Borgia, der trotz seiner Grausamkeiten und Verbrechen die Menschen an sich zu fesseln wuBte.

l6o ACHTES KAPITEL

Die Umgebung der 13 jahrigen Lucrezia war alles andere eher als moralisch. Der alte Vater, der Papst, in ein Liebesabenteuer mit Giulia, der Frau eines anderen, verstrickt, und dieses Verhaltnis von der Haushofmeisterin und Schwiegermutter der jungen Frau begiinstigt. In einem anderen Stadtviertel Lucrezias Mutter, ihr ferngeriickt, von einer neuen Familie und neuen Kindern urn- geben, und in Lucrezias Haus das kleine Schwesterchen, Giulias und des Papstes Tochter. Die Verhaltnisse waren selbst fur die Renaissance kompliziert genug.

Lucrezia war trotz ihrer dreizehn Jahre schon zweimal verlobt gewesen, beidemal mit Spaniern, da Borgia in Italien einen dem Range seiner Familie entsprechenden Verlobten fur seine Tochter nicht finden konnte. Noch gait es in Rom als Makel, die Tochter eines Kardinals zu sein, in Spanien war Lucrezias groBe Mitgift ausschlaggebend. Ihren ersten Verlobten, Cherubin de Centelles, hat Lucrezia nie gesehen, dem elf jahrigen Kinde war mitgeteilt worden, daB iiber sein Schicksal bestimmt sei. Bald traten Urn- stande ein, die die Vollziehung dieser Ehe hinderten, deshalb suchte der Kardinal fur seine Tochter einen anderen Spanier zum Manne, den Grafen Aversa. Ehe Lucrezia erwachsen war, wurde ihr Vater Papst (am 11. August 1492), und Alexander VI. geniigte Graf Aversa als Schwiegersohn nicht mehr, er wiinschte die Borgia durch seine Tochter mit einer groBen italienischen Familie zu verbinden, um ihren politischen EinfluB auf der Halbinsel zu ver- starken.

Zum Brautwerber wurde diesmal der Kardinal Ascanio Sforza ausersehen, dem Rodrigo Borgia seine Papstwiirde in der Haupt- sache zu danken hatte. Ascanio gehorte zu den intimsten Vertrauten des Papstes und war allvermogend im Vatikan. Er kam auf den Gedanken, Lucrezia mit Giovanni Sforza, dem Grafen von Cotignola und kirchlichen Vikar zu Pesaro, das die Sforza als papstliches Lehen verwalteten, zu verheiraten. Giovanni war sechsundzwanzig Jahre alt, Witwer, seine erste Frau Maddalena, die Schwester von Eli- sabetta Gonzaga aus Urbino, war im Wochenbett gestorben, tapfer, gebildet, die Vorbedingungen f iir das Gliick der papstlichen Tochter schienen gegeben. Die Verbindung mit der machtigen

PINTURICCHIO: DIE HEILIGE KATHARINA VON ALEXANDRIEN

ANGEBLICHES PORTRAT VON LUCREZIA BORGIA

DETAIL AUS DEM APPARTAMENTO BORGIA 1M VAT1KAN

LUCREZIA BORGIA I6I

Familie Sforza war ein wichtiger Schritt in der Geschichte von Alexanders VI. Familienpolitik; Lodovico Sforza, der Mailander, wurde so zum Anhanger des Papstes.

Kaum hatte Graf Aversa erfahren, daB sein zukunftiger Schwiegervater den papstlichen Thron bestiegen habe, als er nach Rom kam, um an seine Rechte zu mahnen. Gleichzeitig erschien Sforza, und die Anwesenheit dieser beiden Bewerber gab AnlaB zu verletzendem Gerede liber den Papst und die Braut. Lucrezia hat an diesen Intrigen keine Schuld, der Papst hat despotisch iiber ihre Hand verfiigt. Als der Spanier sah, daB Sforza mehr Chancen hatte, trat er ihm gegen eine Abfindungssumme von dreitausend Dukaten seine Rechte auf Lucrezias Hand ab und verlieB Rom.

Die Stadt Pesaro freute sich des Sieges ihres Herrn, da sie ver- schiedene Begiinstigungen vom Papst erhoffte. Sforza veranstaltete einen groBen Ball im SchloB, die tanzenden Paare schritten zum SchloBhof hinaus, durchzogen im Reigen die StraBen und mischten sich tanzend unter das Volk. Der Bevollmachtigte des Papstes, Monsignore Scaltes, fuhrte den lustigen Reigen.

Dieses Hinuntersteigen der Tanzenden aus dem fiirstlichen SchloB zum Volke ist ein charakteristischer Beweis fur das be- stehende Verhaltnis zwischen italienischen Despoten und ihren Untergebenen. Niemals war der Klassenunterschied in Italien so groB wie in anderen Landern. Das Volk hatte seine alte Kultur, einen auBeren Schliff und eine gewisse angeborene Liebenswiirdig- keit, die es im gesellschaftlichen Verkehr den hoheren Klassen fast gleichstellte. Deshalb hatten Maskenfeste nirgends eine solche Bedeutung wie in italienischen Stadten. Wenn sich die SchloB- herrin in ihrer Maske unter das Volk mischte, so wuBte sie, daB sie sich in ihrer Sphare bewegte, in einer Masse, die gesellschaftlicher Manieren nicht entbehrte.

Am 12. Juni 1494 fand im Vatikan Lucrezias Trauung mit Sforza statt. Die Neuvermahlte zahlte vierzehn Jahre. Der Papst und die Sforza waren befriedigt: Lodovico Moro war im Begriffe, Karl VIII. nach Italien zu rufen, damit er die Macht Ferdinands von Neapel breche, der Papst und Venedig strebten nach dem gleichen Ziel, so war es ein leichtes, ein Biindnis gegen den Neapolitaner zu schlieBen.

l(,2 ACHTES KAPITEL

Lucrezia begab sich fur kurze Zeit nach Pesaro. Bei stromendem Regen zog sie am 8. Juli 1494 ein und nahm ihren Wohnsitz in Gradara, dem Lieblingsaufenthalt ihres Gatten. Auf Alexander VI. lastete die Trennung von seiner Tochter, er verlangte unablassig nach Nachrichten, und aus jener Zeit hat sich ein eigenhandiger Brief des Papstes an sie erhalten, uberstromend von Ausdriicken vaterlicher Zuneigung. Der Papst empfiehlt Lucrezia, auf ihre Ge- sundheit zu achten und fleiBig zur Madonna zu beten.

Sehr bald anderte Alexander VI. seine Politik; Spanien ver- mittelte zwischen dem Papst und Konig Ferdinand von Neapel, und das Biindnis mit Lodovico Moro und den Venezianern ward dem Papst zum Hemmschuh. Die Stellung der Sforza am papstlichen Hofe war erschiittert, Alexander VI. vereinigte sich mit der arago- nischen Dynastie und wurde zum Gegner von Karls VIII. geplantem Zug nach Italien, an dem Moro arbeitete. Selbst Ascanio Sforza, der Gunstling des Papstes, fiihlte sich infolgedessen in Rom nicht sicher und floh nach Ganezzano zu den Colonna, die in franzosischem Sold standen.

Giovanni Sforza blieb als Kondottiere der Kirche noch eine Zeitlang im Lager der neapolitanischen Armee, aber auch seine Stellung wurde unmoglich. Er mufite entweder gegen die Franzosen kampfen und gegen den Vorteil der eignen Familie, deren Haupt Moro war, arbeiten, oder mit dem Papst brechen. Alexander VI. erleichterte ihm diesen Konflikt; als Giovanni nach Rom kam, wo auch Lucrezia sich damals befand, verlangte der Papst von ihm, in eine Trennung von seiner Frau einzuwilligen, mit dem Eingestand- nis, daB die Ehe infolge seiner Schuld nie vollzogen worden sei.

Giovanni wollte von all dem nichts horen, aber hinter dem Papst stand Cesare Borgia, der derartige Angelegenheiten mit Gift oder Dolch zu erledigen pflegte. Er soil seiner Schwester gesagt haben, daB sich Mittel genug finden wiirden, um sie von dem un- be quern gewordenen Gatten zu befreien. Schnell benachrichtigte Lucrezia Giovanni von der ihm drohenden Gefahr, er warf sich auf sein turkisches Pferd und erreichte Pesaro im Verlauf von vierundzwanzig Stunden. Das Pferd brach erschbpft zusammen, aber Sforzas Leben war gerettet.

LUCREZIA BORGIA 163

Es wird erzahlt, daB Giacomino, Sforzas Diener, sich bei Lucrezia befand, als Cesare zu ihr kam, um ihr mitzuteilen, der Befehl, ihren Gatten zu ermorden, sei schon erlassen. Lucrezia verbarg den Diener hinter dem Bettvorhang, damit er Zeuge ihres Gespraches mit Cesare sei, und schickte Giacomino, als ihr Bruder das Zimmer verlassen, zu Sforza, um ihn von den Anschlagen der Borgia zu unterrichten. Ehrlich war Lucrezia gegen ihren Mann vor- gegangen, den sie vielleicht nie geliebt hat, aber dessen Frau sie schlieBlich war. Nach Sforzas Flucht zog sie sich in das Kloster San Sisto zu Rom zuriick, das sie am 4. Juni 1497 be^og. Ob sie sich aus eignem Willen hinbegeben hat oder auf Befehl des Vaters und Bruders, die erfahren haben muBten, daB sie Giovannis Flucht bewirkt hatte, muB dahingestellt bleiben.

Im September 1497 berief der Papst eine Scheidungskommission, die erkannte, daB die Ehe ungultig sei, da sie nicht vollzogen worden war. Lucrezia muBte bezeugen, daB sie diese Tatsache beschworen konne.

Als Sforza dies erfuhr, fuhlte er sich selbst in Pesaro nicht mehr sicher und floh verkleidet nach Mailand. Er legte Protest ein gegen die Aussagen erkaufter Zeugen, doch gegen die Borgia lieB sich nicht kampfen. Lodovico Moro und Ascanio Sforza drangten in ihn, nachzugeben. Giovanni fiigte sich ihren Wunschen und gab eine schriftliche Erklarung, daB Lucrezias Aussagen auf Wahrheit beruhen.

Am 22. Dezember 1497 wurde die Scheidung ausgesprochen, und Sforza gab Lucrezia ihre Mitgift, 31000 Dukaten, heraus. Von diesem Augenblick an wurde er der groBte Widersacher seiner friiheren Gattin und verbreitete die schamlosesten Geriichte iiber ihr Verhaltnis zum Papst. Damals, wo die Verkehrsverhaltnisse schwerfallig waren und Zeitungen fehlten, wurde jedes Gerede, auch das unwahrscheinlichste, leicht geglaubt. Die von ihm ausgesprengten Nachrichten gelangten in Briefe und Chroniken und haben sich bis auf den heutigen Tag erhalten.

Der iiberzeugendste Beweis dafiir, daB blutschanderische Be- ziehungen zwischen Alexander VI. und Lucrezia nie bestanden haben, ergibt sich daraus, daB der Papst ein sehr guter Vater war;

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seine groBen Fehler entstanden gerade aus dieser Liebe und Ver- blendung fur seine Kinder. Obrigens war Alexander eine durchaus normale, gesunde Natur, nur fehlten ihm alle Qualitaten, die ihn zum Papst befahigt hatten. Feinde oder ,,Unbequeme" zu ver- giften oder zu ermorden, gait unter den damaligen Herrschern nicht als unmoralisch oder unerlaubt.

Die politischen Plane des Papstes und namentlich Cesare Borgias drangten zu einer engen Vereinigung mit dem Hof von Neapel. Wieder sollte Lucrezia zum gefiigigen Werkzeug werden. Der Papst forderte Carlotta, Federigos Tochter, zur Frau fiir Cesare. Zu einem solchen Opfer konnte sich der Konig von Neapel nicht entschlieBen, besonders da auf Cesare ein neues blutiges Ver- brechen lastete: man bezichtigte ihn der Ermordung seines Bruders Gandia. Nach langeren Unterhandlungen gab Federigo seine Ein- willigung zur Heirat von Don Alfonso, des natiirlichen Sohnes Al- fonsos II., mit Lucrezia. Don Alfonsos Schwester, Donna Sancia, war bereits mit Cesares jiingerem Bruder, Don Jofr6, vermahlt.

Alfonso, der als der schonste Jungling in Rom gait, war sieb- zehn Jahre alt. Lucrezia war um ein Jahr alter. Am 20. Juni 1498 wurde die Vermahlung dieses jungen Paares in aller Stille, ohne laute Festlichkeiten, vollzogen. Lucrezia wurde zu oft verheiratet, als daB man ihre Trauung durch rauschende Feste dem Gedachtnis des Volkes einpragen wollte. Die Tochter des Papstes bekam 40 000 Dukaten als Mitgift, und der Konig von Neapel gab seinem Neffen das Herzogtum Bisceglia als Morgengabe.

Die Ehe war glucklich; aufrichtig liebte Lucrezia den Neapoli- taner, der sich viel Zuneigung in Rom erworben hatte. Soviel wir wissen, war Alfonso Lucrezias erste Liebe; iiber ihr Herz hatte man immer verfiigt wie iiber einen Geldbeutel, der in der vatikanischen Schatzkammer niedergelegt war. Das kostbare Kleinod wurde je nach Bedarf verkauft oder versetzt.

Auch diesmal ergab sich eine Moglichkeit, das Pfand besser zu Geld zu machen. Ein Jahr nach Alfonsos Vermahlung wurde der Papst der Feind der neapolitanischen Dynastie. Alexander VI. trat der Liga bei, die Ludwig XII. und Venedig geschlossen hatten; ihr Ziel war, Lodovico Sforza aus Mailand zu vertreiben. Als Gegen-

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leistung verpflichtete Frankreich sich, Cesare Borgia in der Er- oberung der Romagna beizustehen.

Abermals fliichtete Ascanio Sforza aus Rom, aus Furcht, daB man ihn als nunmehr iiberfliissigen Kardinal aus dem Wege raumen wiirde. Dem jungen Alfonso drohte Cesares Dolch, da Borgia von der Unterwerfung des Konigreichs Neapel mit Frankreichs Hilfe traumte.

Wieder muBte Lucrezia ihrem Mann zur Flucht helfen. Dies- mal mit blutendem Herzen, sie liebte den schonen Neapolitaner, sah zudem ihrer Niederkunft entgegen. Alfonso floh am 2. August 1499, Lucrezia weinte ihm fassungslos nach.

Aber Alexander VI. war ein ,,guter" Vater; um seine Tochter zu trosten, ubergab er ihr Nepi und ernannte sie zur Regentin von Spoleto und Umkreis, wo bis dahin papstliche Legaten geherrscht hatten.

Mit einem groBen Hofgesinde begab sich Lucrezia in ihr neues Lehngut, sie blieb aber nur kurze Zeit dort, da sie gezwungen war, ihrer Niederkunft wegen sich nach Rom zu begeben. Am 1. No- vember 1499 schenkte sie einem Sohn das Leben, er wurde zu Ehren des Papstes Rodrigo genannt.

Unterdessen kehrte Alfonso Bisceglia nach Rom zuriick, um sich seines ehelichen Gliickes zu freuen; er glaubte, daB die Gefahr fur ihn voriiber sei. Es mag sein, daB auch Lucrezia Cesare nicht langer gefiirchtet hat, im Glauben, ihr Mann stehe den politischen Planen des Bruders nicht mehr im Wege.

Aber darin bestand ihr Irrtum. Cesare haBte die ganze arago- nische Dynastie und schloB seinen jungen Schwager nicht aus, auBerdem hatte er bereits andere Absichten fur seine Schwester. Bisceglia war iiberfliissig, in den dunklen Gemachern der Borgia war sein Todesurteil gesprochen.

Als der Fiirst am 15. Juli 1500 gegen elf Uhr abends den Vatikan verlieB, iiberfielen ihn fiinf Sbirren auf dem Petersplatz und ver- wundeten ihn schwer. In der Annahme, daB der Oberfall Cesares Werk sei, wollte Alfonso, aus Furcht vor Vergiftung, sich nicht einmal von rdmischen Arzten verbinden lassen und lieB sich einen Arzt aus Neapel kommen.

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Ludwig Pastor nimmt an, indem er sich auf Creightons ,,Ge- schichte des Papsttums" stiitzt, die Urheber des Uberfalles seien die Orsini gewesen, da sie glaubten, daB Alfonso sich mit ihren Feinden, den Colonna, verbinden wolle. Alfonso jedoch war der Oberzeugung, Borgias Dolche hatten ihn verwundet, und uns will scheinen, daB Alfonso und Lucrezia diese Dinge richtiger gesehen haben mussen als spatere Historiker.

Alfonsos Durst nach Rache war so groB, daB er eines Tages auf den voriibergehenden Cesare zielte und einen Pfeil abdruckte. Da schickte Cesare seine Henkersknechte und lieB Alfonso nieder- machen. Sein Korper wurde in Stiicke zerrissen.

Lucrezia war Witwe. Nach den furchtbaren Vorkommnissen erkrankte sie am Fieber, und damals scheint es zu einem Zerwurfnis zwischen ihr und dem Vater gekommen zu sein.

Gebrochen reiste sie am 20. August 1500, von 600 Pferden be- gleitet, nach Nepi. Aber ob nun Alexander sich nach seiner Tochter gesehnt oder sie Langeweile in der Provinzstadt empfunden hat im September oder Oktober war sie wieder in Rom.

II

Schon im November 1500 sprach man davon, daB Lucrezia Alfonso, den 23jahrigen Witwer und Thronfolger von Ferrara, heiraten wiirde. Die Borgia hatten diesen Plan ausgebriitet, und der Kardinal Ferrari aus Modena schrieb sofort dariiber an Ercole. Natiirlich machte diese Absicht den Este den peinlichsten Ein- druck. Eine Absage konnte sie Ferrara kosten, da das Land papst- liches Lehnsgut war und sie Rom einen Tribut zu entrichten hatten. AuBerdem war Cesares Macht so gestiegen, daB es der groBten An- strengungen bedurfte, um sich seiner zu erwehren. Andererseits erschien Ercole und Alfonso die Demiitigung unertraglich , in ihr Haus die Tochter des Papstes aufzunehmen, eine Frau, von der die schlimmsten Dinge erzahlt wurden. Auch hatte man in Ferrara die Absicht, sich dem franzosischen Hof zu verschwagern, Alfonso sollte sich mit Louise, der Witwe des Fursten von Angouleme, vermahlen.

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Mehr noch als den Vater empdrte Alfonso der bloBe Gedanke an diese Verbindung; er war ein starker, unbeugsamer Charakter und wollte sich dieser Forderung nicht fiigen.

Abschlagig beschied Ercole den Brief des Kardinals Ferrari. Aber so leicht gab der Papst nicht nach, er sicherte sich die nach- driickliche Unterstiitzung des franzosischen Hofes, eine ganze Schar einfluBreicher Agenten machte dem Fiirsten von Ferrara die Vorteile dieser Verbindung klar und verwies auf die Gefahren, denen sich die Dynastie der Este im Falle einer Absage aussetzte. Ercole sah bald ein, daB er sich der Macht der Borgia nicht wiirde widersetzen konnen, doch Alfonso wollte nichts von der Ver- bindung horen; erst als der Vater ihn darauf hinwies, daB, wenn nicht der Sohn, er, Ercole, Lucrezia wiirde heiraten miissen, wurde er in seinem Widerstand schwankend.

Am meisten zum Gelingen der Plane von Alexander VI. sollte bei- tragen der Statthalter der Romagna und Vertraute Cesares, Don Ramiro de Lorgna, ,,uomo crudele et espedito", wie ihn Machiavell charakterisiert hat.

Schon am 8. Juli 1501 lieB Ercole Ludwig XII., der als Mittels- person vorging, mitteilen, daB er mit dem Papst in Unterhandlungen einzutreten bereit sei.

Die Unterhandlungen waren schwierig, Ercole verlangte viel, der Papst argerte sich zwar, war aber bereit nachzugeben, da ihm darum zu tun war, seine Kinder mit der vornehmsten Familie Italiens zu verbinden. Obrigens drangten Cesare und Lucrezia den Vater, fur den Preis dieser Ehe selbst schwere Opfer zu bringen.

Als Mitgift sollte Lucrezia 200 000 Dukaten erhalten, zu- gestanden wurde ferner eine ErmaBigung des Tributes, den Ferrara der Kirche zu entrichten hatte, und eine Reihe anderer der Familie Este vorteilbringender Vereinbarungen.

Um Lucrezia fur die wichtige Rolle, die ihr zu spielen bevor- stand, vorzubereiten, setzte sie der Papst, als er im Juli nach Ser- moneta ging, zu seiner Stellvertreterin im Vatikan ein. In seiner Abwesenheit hatte sie eine Art Regentschaft iiber den Kirchenstaat, sie durfte Briefe eroffnen und sollte in wichtigen Fallen den Rat des Kardinals Lisbona einfordern.

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Im Schlofl der Este in Belfiore wurde am i. September 1501 der Ehekontrakt unterschrieben, und als diese Nachricht am 4. Sep- tember nach Rom kam, ordnete Alexander eine Illumination des Vatikans an. Am nachsten Morgen begab sich Lucrezia in bischof- licher Begleitung, mit einer Eskorte von dreihundert Berittenen, nach S. Maria del Popolo, um der Madonna, zu der fleiBig zu beten der Vater ihr anbefohlen hatte, ihren Dank zu entrichten. Das kostbare Kleid, das sie an jenem Tage trug, schenkte sie einem der Hofnarren, als er iibermutig auf die StraBe lief und schrie: Es lebe die Herzogin von Ferrara!

Als die ferraresischen Gesandten nach Rom kamen, befriedigte sie der ihnen vom Papst gewordene Empfang im hochsten Grade, nur Cesare Borgia zeichnete sich nicht durch iibermaBige Hoflich- keit aus. Das erstemal, am 23. September, nahm er sie zwar an, empfing sie jedoch im Bette. Die Ferraresen glaubten, er sei krank, da er die ganze vorhergehende Nacht getanzt hatte, spater erfuhren sie, daB ihm nichts gefehlt habe, und er Kraft und Laune genug gehabt hatte, um die folgende Nacht wieder zu durchtanzen. Zwar versuchte er spater den schlechten Eindruck zu verwischen und bewilligte den Gesandten eine abermalige Audienz es gait dies als besondere Gunst, da er nicht gern Gehor erteilte und sich im allgemeinen hofischem Zeremoniell entzog , aber er empfing sie nicht. Die Gesandten beklagten sich beim Papst, Alexander gab vor, dem Sohne zu ziirnen und antwortete, daB Cesare unberechen- bar sei, auf seine Art lebe und die Nacht zum Tage wandle; die Ge- sandten von Rimini hatten unlangst zwei Monate in Rom warten mussen, ehe sie ihn zu Gesicht bekommen hatten.

Als es sich darum handelte, die Liste der Fiirsten und Wurden- trager festzusetzen, die Lucrezia nach Ferrara abholen sollten, nannten die Gesandten auch Annibale Bentivoglio, Giovannis Sohn, den der Papst nicht liebte. Alexander besann sich, aber schlieBlich sagte er: wenn Ercole d'Este ihm selbst Tiirken als Gesandte schicken wurde, so hatten sie einen guten Empfang zu gewartigen. Nur einmal wurde er ungeduldig, als der Herzog von Ferrara immer neue Bedingungen stellte, und nannte ihn einen ,, Kramer", ,,un merca- tante".

LUCREZIA BORGIA ^9

Schon nach Alfonso Bisceglias Tode hatte man, namentlich in Neapel, nicht wenig boshafte Gedichte auf die Borgia und Lucrezia gemacht, in den Epigrammen von Sannazaro und Pontano wurde sie zur schamlosen Hetare gestempelt; kaum war die Heirat zwischen Alfonso d' Este und Lucrezia bestimmt, so erschienen wieder zahl- lose Schmahschriften auf die Borgia. Besonderes Aufsehen machte ein kleines Buch, in Brief form an Silvio Savelli gerichtet, der sich damals vor dem Papst bei Kaiser Maximilian in Deutschland ver- barg. Der Papst hatte Savellis Giiter konfisziert, und der Ver- fasser der Broschiire begliickwiinschte ihn, daB er wenigstens sein Leben vor den Borgia gerettet habe. Er rat Savelli, dem Kaiser und alien deutschen Fiirsten von den Verbrechen der Borgia zu berichten und von dem gottlosen Leben, das der Papst fiihre. Zu diesem Zwecke berichtet er ihm iiber alle Mitglieder der verhaBten Familie: iiber Alexander, Cesare, Lucrezia und die iibrigen. Alle Beleidigungen und Klatschgeschichten, die die Feinde der Borgia in Mailand, Venedig und Neapel verbreitet hatten, wurden wieder aufgetischt. Die Schrift war ein Werk des Zornes und der Rache. Unter anderem berichtete der Verfasser iiber jenes Bankett am letzten Oktobertag, wo im Beisein des Papstes, Cesares und Lucrezias fiinfzig Kurtisanen getanzt hatten, erst in Kleidern, dann splitter- nackt.

Der Papst las die Broschiire; da er jedoch aus seiner Kardinals- zeit an romische Satiren und Schmahschriften gewohnt war, lachte er und seine Umgebung iiber diese Beleidigungen. Aber Cesare ver- stand keinen SpaB, er spiirte dem Verfasser der Broschiire nach, der dem Vernehmen nach ein Neapolitaner Jeronimo Mancione war, lieB ihm die Hand abhacken und die Zunge herausreiBen. Gleichzeitig lieB er auch den Verfasser einer anderen Schmahschrift, den papst- lichen Bibliothekar Fra Gian Lorenzo, bestrafen und einen Vene- zianer einsperren, weil er eine gegen den Papst gerichtete Schrift aus dem Griechischen ins Lateinische iibersetzt hatte.

An der Spitze der Gesandtschaft, die nach Rom gekommen war, um Lucrezia abzuholen, stand der Kardinal Ippolito d'Este, Alfonsos Bruder, der als Salonheld, Diplomat, Frauenverehrer und Jager gleich beriihmt war. AuBer ihm gehorten noch fiinf Mitglieder der

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Familie Este zum Gefolge: Don Ferrante, Don Sigismondo, Niccolo Maria, der Bischof von Adria, Meliadus d' Este, der Bischof von Comacchio und Don Ercole, der Neffe des Fiirsten. Die bekanntesten Mitglieder der Aristokratie von Ferrara, die Herren von Correggio, Mirandola, Strozzi, Bevilacqua und viele andere nahmen an der Gesandtschaft teil, die auf fiinfhundert Pferden in Rom einzog. Als die Este in den Vatikan kamen, ging Lucrezia ihren zukiinftigen Schwagern bis auf die Treppe entgegen, und franzosischer Sitte gemaB kiiBte sie sie nicht auf die Wange, sondern markierte nur einen briiderlichen KuB, indem sie ihr Antlitz gegen das ihre neigte. Sie trug ein weiBes, goldgesticktes, wollenes Kleid mit offenen Armeln aus weiBem Goldbrokat, die nach spanischer Mode ge- schlitzt waren. Dariiber einen Umhang aus dunkelbronzefarbnem Samt, mit Zobel verbramt, den Kopf schmiickte ein grimes Schleier- arrangement, mit Goldfaden und Perlenschnuren. Perlen hatte sie um den Hals. Sie sah bezaubernd aus, und einer der Ferraresen schrieb, daB dem Kardinal Ippolito die Augen zu glanzen begannen. ,,A1 nostro cardinale Ippolito scintillavano gli occhi: ella e donna seducente et veramente graziosa."

Ercole schickte seiner Schwiegertochter unerhort kostbare Ge- schenke. Es hieB damals in Italien , daB das Haus Savoyen die schonsten Kleinodien auf der Halbinsel besaBe, deshalb schrieb Ercole nach Rom, ,,er sei freilich nicht so reich wie der Herzog von Savoyen, aber dennoch wiirde er Lucrezia Kleinodien verehren, die sich mit jenen messen kdnnten". Auch der Papst stand nicht zuriick, als er mit dem Gesandten von Ferrara sprach, tauchte er seine Hand in eine mit Perlen gefiillte Schale und sagte: ,,A11 dies fur Lucrezia, ich wiinsche, daB sie die schonsten Perlen in ganz Italien besitze."

Mit Er coles Geschenken war der Papst durchaus zufrieden, und El Prete, Isabella Gonzagas Berichterstatter, teilt seiner Herrin mit, daB Alexander VI., als er aus den Handen des ferraresischen Gesandten die fur Lucrezia bestimmten Geschenke in Empfang genommen, sich sehr dariiber gefreut, sie den Kardinalen und Frauen gezeigt und sie auf dunkeln Samt gelegt habe, damit sie um so schoner wirkten. Unter den Kostbarkeiten gab es prachtvolle Ringe,

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Ohrgehange, Steine in kiinstlerischer Fassung und ein Perlen- halsband von seltener Schonheit.

Um sich dem Papst gefallig zu erweisen, strahlte Rom im Festesglanz. Im Vatikan wurde getanzt und musiziert. Abend fur Abend wurde gefeiert, und Alexanders vaterliche Eitelkeit konnte sich nicht genug darin tun, den Ferraresen zu riihmen, wie schon seine Tochter tanze, wie anmutig und klug sie sei, wie gut sie in Spoleto herrsche, wie geschickt sie ware, wenn sie ihm einen Vor- teil ablisten wollte. ,,Unser Spiel ist ungleich," fugte er hinzu, ,,Lucrezia gewinnt immer." Laut riihmte er ihre Bescheidenheit und ihre reinen Sitten; die Gesandten von Ferrara bestatigten all dies und schrieben dem Fiirsten: je langer sie Lucrezia betrachteten, desto mehr schatzten sie ihre Giite, Tugend und Frommigkeit.

Vor der Abreise nach Ferrara beschaftigten Lucrezia die Reise- vorbereitungen in hohem MaBe. Am Stephanstag besuchte sie El Prete. Sie saB in ihrem geraumigen Schlafzimmer neben dem Bette, an der Tiir standen etwa zwanzig Romerinnen, a la romanesca gekleidet, mit gewohnlichen Tuchern auf dem Kopf. AuBerdem warteten etwa zehn Hofdamen im Zimmer ihrer Befehle. Die hofischen Donzellen machten den ferraresischen Gesandten keinen groBen Eindruck, ihrer Ansicht nach waren Ferraras Frauen den Romerinnen an Schonheit ebenbiirtig. Nur eine, Angela Borgia, erregte das Entziicken der Fremden, und El Prete legte sich schon Liebesplane mit Bezug auf sie zurecht. Zu Beginn des Karnevals wurde jeden Abend bei Lucrezia getanzt. Die Ferraresen wunderten sich, daB es in den StraBen Roms vom Morgen bis zum Abend von maskierten Hoflingen wimmelte.

In den letzten Tagen drangten sich Karnevalfeste, Wettrennen, Stierkampfe, Theaterauffuhrungen, Ballett und Moresken.

Am 6. Januar riistete man zum Aufbruch, der Papst schenkte seiner Tochter eine schone Sanfte fur zwei Personen und stattete den ganzen Zug mit groBter Pracht aus. Cesare gab der Schwester eine Ehreneskorte, die aus zweihundert Reitern, Musikanten und Hofnarren bestand, damit sie Lucrezia auf der Reise durch ihre Scherze erheiterten. Einer zahlreichen bewaffneten Eskorte fiel die Aufgabe zu, den Hochzeitszug vor einem eventuellen tjberfall

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von Giovanni Sforzas Soldnern zu schiitzen, da man dessen An- schlage fiirchtete.

Unter Lucrezias Frauen befand sich auch Adriana Orsini, ihre friihere Haushofmeisterin, und die schone Angela Borgia, deren Reize die Dichter besangen. Hundertfiinfzig Maultiere und viele eigens zu dem Zweck hergerichtete zweiradrige Karren waren mit Lucrezias Ausstattung bepackt, ihre personliche Umgebung be- stand aus hundertachtzig Menschen.

Rom verlieB die Tochter des Papstes an einem Nachmittag auf einem Schimmel mit goldenem Geschirr; sie trug ein scharlach- rotes Samtkleid mit Hermelin und einen federgeschmiickten Hut. Samtliche Kardinale und die Gesandten fremder Fiirstlichkeiten gaben ihr bis zur Porta del Popolo das Geleit, iiber tausend Menschen nahmen am Zug teil.

Aus dem Vatikan sah Alexander VI. den Fortziehenden nach,, bis sie seinen Augen entschwunden waren.

In den letzten Wochen ihres Aufenthaltes in Rom setzte sich Lucrezia fur die Verwirklichung eines heiBen Wunsches ihres zukiinftigen Schwiegervaters ein.

Es wurde schon erwahnt, daB Ercole mit groBen Schwierigkeiten die Nonne Lucia aus Viterbo nach Ferrara hatte kommen und fur ihren Orden ein prachtiges Kloster errichten lassen. Er hatte zwar eine Oberin, doch die Zahl der Nonnen geniigte ihm nicht; einige Sch western aus Piacenza und Brescia kamen dazu, und in Ferrara traten einige junge Madchen ins Kloster, die spater Geliibde ab- legten, aber jene alteren Nonnen wollten sich der Macht einer so jungen Oberin wie Lucia nicht beugen, im Kloster entstanden Uneinigkeiten, die sie sehr schmerzten. Ercole beschloB daher, aus Narni und Viterbo einige Nonnen, die Schwester Lucia befreundet waren, kommen zu lassen, um ihr eine Stiitze gegen die Rebellinnen zu schaffen. Sein Gesandter Bartolommeo Bresciani sollte sich mit dem Prior der Dominikaner ins Einvernehmen setzen und sieben Nonnen nach Ferrara bringen. Der Prior machte energisch Front: nicht genug, daB Ercole ihnen die Schwester Lucia ,,geraubt" habe, wolle er dem Kloster zu Viterbo jetzt noch seine besten Schwestern nehmen. Bresciani ging nach Rom, um die Angelegen-

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heit beim Papst zu fordern, und kam am 11. Oktober 1501 anT als Lucrezia zur Reise nach Ferrara riistete. Der Gesandte begab sich sofort zur zukiinftigen Schwiegertochter seines Herzogs, die sich der Sache sehr warm annahm. Gleich nach der ersten Audienz erhielt Bresciani den besten Eindruck von Lucrezia, er schrieb dem Fiirsten, sie sei ,,una madonna molto gentile et da bene et a resonare excelente".

Lucrezia bat den Papst sofort, Ercoles Wunsch zu erfiillen, doch war die Sache nicht so einfach, da Messer Adriano, Alexanders VI. Sekretar, seine Zweifel hatte, ob man ohne groBen Schaden dem Kloster in Viterbo sechs Nonnen entziehen diirfe. So beschloB Adriano, die Angelegenheit in der Weise zu erledigen, daB Viterbo vier und das Kloster zu Narni zwei Nonnen abtrete. Lucrezia jedoch lieB nicht locker, sondern wollte Ercoles Wunsch in vollem MaBe erfullt sehen. Sie drangte den Papst, so daB Alexander VI. befahl, sechs Nonnen aus Viterbo nach Ferrara zu schicken und auBerdem noch zwei aus Narni. Aus der papstlichen Kanzlei wurde ein Breve an den Statthalter der beiden Stadte erlassen, der jene Nonnen mit dem Fluche bedrohte, die nicht innerhalb sechs Tagen nach Rom aufbrachen, um von dort aus ihren Weg nach Ferrara zu nehmen. Ercoles Gesandter konnte nicht genug die Energie riihmen, die Lucrezia aufgewandt hatte, um den Herzog zufriedenzustellen. Aber die Opposition in Viterbo gegen den Befehl des Papstes war groB; die Priorin des Klosters, Suor Diambra, eine zweite Nonne, Suor Lionarda, kamen von einem Dominikaner, dem Bruder Martin, geleitet, sofort nach Rom, um zu erklaren, daB sie nicht nach Ferrara gehen wurden,um so weniger, als einige junge und schone Schwestern fur Ferrara gewahlt worden waren, und ihre machtigen Familien fiirchteten, daB ihnen Boses widerfahren konne. Die Nonnen er- wirkten sich Gehor beim Papst, doch Alexander VI. empfing sie sehr streng und sagte nur drei Worte: ,,Siete mandate a Ferrara", Ihr seid nach Ferrara bestimmt. Der Papst hatte aber nicht bedacht, daB er es diesmal mit Frauen zu tun habe; die Nonnen gebardeten sich eigensinniger als der Teufel, ,,ustinate piu che il diavolo", fiihrten Klage bei Lucrezia, vergossen Tranen vor dem Obersten der Dominikaner, drangten Bresciani, aber Lucrezia gab nicht nach.

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Am 21. Dezember bereits berichtete Bresciani aus Viterbo an Ercole, daB alle von ihm gewiinschten Nonnen in Rom seien, unci ,,daB auch nicht eine fehle". Da der Prior der Dominikaner nicht wiinschte, daB die Schwestern die Reise in Gesellschaft einer milita- rischen Eskorte zuriicklegten, versicherte ihn Bresciani, Lucrezia wiirde Sorge tragen, daB ihnen unterwegs jeder angemessene Schutz zuteil wiirde. Der Gesandte selbst traf alle Vorbereitungen fiir diese Expedition und begleitete die Nonnen. Leinenmantel, mit einer Wachsschicht iiberzogen, damit sie unterwegs nicht naB wiirden, wurden fiir sie angeschafft, Maultiere und Lebensmittel hergerichtet. Zuerst sollten sie sich dem Zuge anschlieBen, der Lucrezia nach Ferrara geleitete, aber Ercole war dagegen; zwar bestimmte er ihnen den gleichen Weg, den der Hochzeitszug zuriickzulegen hatte, aber er empfahl ihnen, Lucrezia stets um einen Tag voraus zu sein. Die Schwestern waren launisch und eigensinnig, ,,noiose", der Maggiordomo der Fiirstin beklagte sich lebhaft iiber sie, sie er- reichten Ferrara jedoch gliicklich, als die Stadt ihre Vorbereitungen zum Empfang der Tochter Alexanders VI. traf. Ercole war begliickt iiber die Ankunft der so sehnsiichtig erwarteten Nonnen; aber seine Freude war nicht von langer Dauer, da die Unzutraglichkeiten im Kloster in dem MaBe stiegen, daB man nach wenigen Tagen fiinf der neu hinzugekommenen Schwestern zuriickschickte, sicherlich im Einverstandnis mit dem Herzog.

Ill

Haufig erstatteten die ferraresischen Gesandten dem Herzog Bericht iiber den Verlauf der Reise; es war kalt, die Frauen des Reisens zu Pferde ungewohnt, so kam die Kavalkade nur langsam von der Stelle. In Spoleto, in Terni, in Foligno, uberall wurde die Tochter des Papstes feierlichst empfangen. Zwei Meilen vor Gubbio schloB sich die Fiirstin Elisabetta von Urbino dem Zuge an; fiir sie war der zweite Platz in der Sanfte vorgesehen, die Alexander VI. Lucrezia geschenkt hatte. Die stolze Montefeltro erniedrigte sich, um ihr kleines Herzogtum vor Cesare Borgias Habgier zu retten,

LUCREZIA BORGIA 175

aber ihre Demiitigung war umsonst, der furchtbare Sohn des Papstes vertrieb sie einige Monate spater aus diesem Urbino, an dem sie so sehr hing. Elisabetta und Guidobaldo, ihr Gemahl, muBten als Fliichtlinge Schutz beim gastlichen Hofe von Mantua suchen. Die Fiirstin leistete Lucrezia bis nach Ferrara Gesellschaft, unterwegs berichtete sie nur kurz an Isabella d' Este, daB sie es fur uberfliissig erachte, ihr die Reise zu beschreiben, da sie ja wisse, daB El Prete ihr ausfuhrlich iiber alles Bericht erstatte.

In Pesaro begriiBten hundert Kinder mit Olzweigen in den Handen Lucrezia, sie trugen Rot und Gold, die Farben der Borgia. Dort muBte sich Lucrezia einen ganzen Tag aufhalten, um ihr Haar zu waschen und vermutlich aufs neue zu farben; wenn sie diese Prozedur nicht haufig vornahm, bekam sie Kopfweh.

Auch in Cesena gab es einen prachtigen Empfang. Cesares Generalstatthalter, die Altesten der Stadt und ein Zug, der nach Tausenden zahlte, begriiBten und geleiteten sie in den prachtigen Palast der Malatesta; alle Glocken klangen, und aus Bollern wurde geschossen. Francesco Uberti, ein lokaler Dichter und Verehrer Cesares, besang in seinen Versen jenen feierlichen Augenblick und freute sich, daB die ,,bescheidene Venus", wie er Lucrezia nannte, das boshafte und beleidigende Gerede besiege.

Je naher sie Ferrara kamen, desto trauriger wurde die Braut; sie wuBte von allem Feilschen um ihre Person, wuBte, daB der Papst sie Ferrara aufgedrangt hatte, und muBte die Demiitigung tief emp- finden. Die Gesandten berichten, daB sie die Einsamkeit aufsuche; in Pesaro hatte sie ihre Frauen am Abend tanzen lassen, wahrend sie selbst in ihrem Gemach verblieben war. In Rom hatte sie ihr Sohnchen Rodrigo gelassen; dort hatte sie ihre stiirmische Jugend verlebt, jetzt fiirchtete sie den kiihlen Empfang in Ferrara. Auch Sforza beunruhigte sie, der im nahegelegenen Mantua weilte und Rache briitete. Zwar hatte Alexander VI. Ercole empfohlen, Gio- vanni zu beobachten, aber der rachsiichtige Sforza konnte doch Lucrezia auf die eine oder andere Weise zu nahe treten.

Physisch erschopft durch die beschwerliche Reise, moralisch gebrochen durch die UngewiBheit der Zukunft, so naherte sich Lucrezia dem Ziel ihrer Fahrt. Aber schon im Kastell Bentivoglio

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trat ein unerwartetes Ereignis ein, das ihr Mut gab. Verkleidet war Alfonso gekommen, um sie zu begriiBen und vor dem feier- lichen Einzug in Ferrara kennen zu lernen. Er war ihr ganz fremd, es lafit sich nicht einmal nachweisen, dafl er ihr geschrieben hat, wahrend die Eheverhandlungen gepflogen wurden. Im Kastell Bentivoglio empfingen die kiinftigen Galten in einer zwei Stunden wahrenden Unterhaltung einen giinstigen Eindruck voneinander. Das Eis war gebrochen, Lucrezia kam Alfonso nach den Versiche- rungen eines Anwesenden ,,mit groBer Fiigsamkeit und Grazie" entgegen, er reiste befriedigt fort, sicherlich hat ihm die reizvolle Frau, die alle durch ihre Anmut besiegt hat, Eindruck gemacht.

Eine zweite weniger angenehme Begegnung wartete Lucrezias in Malalbergo. Isabella Gonzaga, die Markgrafin von Mantua, Alfonsos Schwester, war ihr dort entgegengereist. Sie war gegen diese Heirat gewesen, die ihr als Demiitigung der estensischen Familie erschien. ,,In frohlicher Wut", wie sie ihrem Manne schrieb, empfing sie die Schwagerin, aber wahrend der Hochzeitsfeierlich- keiten langweilte sie sich, war mit allem unzufrieden und verlangte schnellmoglichst nach Mantua zuriickzukehren.

Die Feste in Ferrara gehoren zu den allerprachtigsten der Renaissance. Ercole sparte nicht, um den Fremden durch den Glanz seines Hofes die Wunde zu verbergen, die ihn brannte: die Aufnahme dieser Schwiegertochter in das alte Geschlecht der Este. Aber Lucrezia erleichterte ihm seine Aufgabe; durch ihre strahlende Anmut und Liebenswiirdigkeit, die alle Herzen gefangen- nahm, schien sie die boshaften Geriichte, die man iiber sie ver- breitet hatte, Liigen zu strafen.

Alexanders Tochter zog auf einem Schimmel ein, iiber den eine Decke aus Scharlach gebreitet war; sie trug ein schwarzes gold- gesticktes Samtgewand, dessen breite Armel in malerischen Falten hinunterfielen. Ihre Schultern deckte ein Mantel aus Goldbrokat und Hermelin, das geloste Haar umschloB ein zartes, diamanten- geschmucktes Netz, ein Geschenk Ercoles I., und ihren Hals schmiickte eine Kette von Perlen und Rubinen, die ferraresisches Erbgut war. Die Professoren der Universitat zu Ferrara hielten einen purpurnen Baldachin iiber die Herzogin.

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Vor dem Tore des Castell Tebaldo scheute das durch die Schiisse erschreckte Pferd, Lucrezia glitt auf den Boden, erhob sich jedoch im namlichen Augenblicke. In jenen aberglaubischen Zeiten hat der Zwischenfall sicherlich AnlaB zu traurigen Vorhersagungen gegeben.

Der Hoclizeitszug war auBerordentlich lang und farbig. An der Spitze waren berittene Bogenschutzen in WeiB und Rot, den Farben der Este, daneben Trommler und Pfeifer. Ihnen folgte Don Alfonso, umgeben von acht Pagen und einem stattlichen Gefolge ferrare- sischer Edier. Er trug ein Kleid aus rotem Samt, auf dem Kopfe saB ein schwarzes Samtbarett mit goldener Agraffe. Sein kastanien- farbenes Pferd war mit einer karmoisinroten goldgestickten Decke bedeckt. Die Mitte des Zuges bildete Lucrezia, ihr folgte in ge- messenem Ernst Fiirst Ercole I. in schwarzem Samtgewand, auch sein Pferd hatte schwarzsamtnes Geschirr. Hinter Ercole Lucrezias Hofstaat, ihre Hofdamen und Donna Adriana, die ehemalige Haus- hofmeisterin und Vertraute Alexanders VI. Als der Zug sich dem Platz vor dem Schlosse naherte, HeBen sich zwei Seiltanzer mit unerhorter Geschicklichkeit an langen Stricken von den SchloB- turmen herab und begriiBten die Braut. Ohne Hofnarren ging es eben in der Renaissance nicht ab.

Isabella erwartete Lucrezia auf der Palasttreppe und geleitete sie beim Klange der Musik in den Thronsaal, wo die junge Herzogin neben ihrem Gemahl unter einem goldenen Baldachin (capo cielo) Platz nahm und eine lange Ansprache anhoren muBte. Der Saal war mit fiinf groBen, aus Seide, Gold und Silber gewebten Teppichen geschmiickt.

Der erste Festtag war voriiber. Auf die Bevolkerung hatte die junge Herzogin den besten Eindruck gemacht; man erzahlte, sie sei schlank, habe wunderschones, blondes Haar, weiBe Zahne, eine zierliche Nase, lebhafte frohliche Augen von schwer zu bestimmender Farbe, und pries ihre Liebenswiirdigkeit und Anmut. Cagnola, der aus Parma zu den Hochzeitsfeierlichkeiten gekommene Ge- sandte, der sehr ausfiihrliche Aufzeichnungen iiber alles hinter- lassen hat, notiert, Lucrezia habe helle Augen, einen etwas groBen Mund, einen gutgeformten, weiBen Hals, und Heiterkeit und Froh-

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sinn gehen von ihr aus. Ihre schone Gesichtsfarbe, dolce ciera, riihmt in ihren Brief en auch die Marquise von Cotrone, Isabellas Hofdame, obgleich sie sich ziemlich unfreundlich iiber Lucrezia ausgesprochen hat und der Ansicht war, daB ihre Herrin Isabella wahrend dieser Feste das Schonheits-,,Pallio" erringen wiirde. All diese Beschreibungen stimmen mehr oder weniger uberein mit Lucrezias Bildnis auf einer Medaille, die ,,a l'amour captif" genannt wird, weil auf der Riickseite ein an einen Lorbeerzweig gefesselter Amor dargestellt ist, neben dem verschiedene Musik- instrumente liegen. Diese Medaille ist wohl ziemlich unmittelbar nach Lucrezias Ankunft in Ferrara geschlagen worden und zeigt uns ihr authentischstes Portrat.

Angesichts des Zaubers, der von Lucrezia ausging, verstummte selbst die damals sehr scharfe Satire, und anstatt die Tochter des Papstes, die geschiedene Frau und Witwe zu kritisieren, begann man dem alten Herzog vorzuwerfen, daB er allzu viel Geld fur die Festlichkeiten verschwende. Ober den Theatersaal des Palazzo della Ragione, wo Plautus' Komodien aufgefiihrt wurden, ergoB sich eine Flut von Sonetten, die auf den alten Herzog wegen seiner Verschwendungssucht stichelten, an diesen Lasten hatten dann die Untertanen zu tragen. Um seine Einnahmen zu vergroBern, pflegte der Herzog die Amter zu verkaufen, vor Lucrezias Hoch- zeit waren die Preise fur die offentlichen Anstellungen hoher denn je gewesen. Fur eine sehr hohe Summe bestatigte Ercole damals Titus Strozzis Wahl zum giudice de savi, obgleich das Volk ihn haBte.

Den Glanzpunkt des Hochzeitsfestes bildeten Balle, Theaterauf- fiihrungen, Moresken und Turniere. Auf dem groBen Ball im SchloB tanzte Lucrezia romische und spanische Tanze beim Klang des Tamburins. Sie liebte es, durch Solotanze, die damals sehr beliebt waren, zu glanzen. Ohne schweren Zwischenfall waren die Turniere abgelaufen, nur Guido Vaino da Imola hatte dem Pferd seines Gegners Aldovrandino Piatese drei schwere Wunden beigebracht; da das Tier gemietet war, muBte Piatese fiinfzig Dukaten dafur bezahlen.

Ercoles schwache Seite war, wie schon erwahnt, das Theater, er gab dafiir Unsummen aus. Im Saale des Palazzo della Ragione,

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In dem sonst der Podesta amtierte, war eine Biihne errichtet worden, Von vierzig Ellen Lange und fiinfzig Ellen Breite. Die Dekorationen bestanden aus gemalten Hausern, Felsen, Baumen und verschiedenen anderen Dingen. Von den Zuschauern trennte die Biihne eine niedrige Holzwand. In dem fur das Publikum reservierten Teil des Saales safien vorn die Herzoge und der Hof, dahinter die ubrigen Zu- schauer in dreizehn amphitheatralisch aufgestellten Bankreihen. Dreitausend Menschen fanden Platz; in der Mitte die Frauen, zu beiden Seiten die Manner. Mit griinem Stoff waren der Saal und die Banke ausgeschlagen. Fiinf Wappenschilde strahlten an der Decke: in der Mitte das Wappen des Papstes, rechts das des Konigs von Frankreich und der Este, links das der Borgia und ein altes estensisches. Vor dem Beginn der Vorstellung hatte der Herzog die Kostiime, die bei den Auffuhrungen beniitzt wurden, aus- gestellt, damit die Gaste sahen, daB jedes Stuck seine besondere Kostiimausstattung habe. Es gab insgesamt hundert Anziige fiir Manner und Frauen, zumeist aus leichtem Wollstoff gefertigt. Lite- raten und Kiinstler hatten fiir die Theaterauffiihrung gearbeitet, Maschinen und Zuriistungen erdacht, Dekorationen gemalt. Be- sonders hatten sich um den Glanz der Auffuhrungen verdient ge- macht Fino de Marsigli, Trulo, Giovanni da Imola, Pelegrino da Udine und Dosso und seine Schuler. Die Musik hatte Maestro Alfonso della Vinola komponiert, und zu den Hauptsangern und Sangerinnen gehorten Madonna Dalida, Maestro Alfonso Lanto und Giovanni Michele.

Die szenischen Auffuhrungen dieses Hochzeitsfestes waren von epochemachender Bedeutung in der Entwicklung des modernen Theaters. Aus alien Gegenden Italiens hatte Ercole Kiinstler kommen lassen, er lieB den ganzen Zyklus auffiihren, fiinf Stiicke von Plautus, denen ein fiir diesen AnlaB gedichteter Prolog voranging. Bis auf einen Abend wurde vom 3. bis zum 8. Februar taglich Komodie gespielt, die Auffuhrungen wurden durch Konzert, Moresken oder Seiltanzer unterbrochen, um sie mannigfaltiger zu gestalten. Plautus ,,Bacchides" dauerten fiinf Stunden; Isabella Gonzaga vermochte es vor Langerweile nicht auszuhalten und schrieb ihrem Manne, diese ganze Hochzeit sei so langweilig und kalt, daB sie schon

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tausend Jahre zu wahren scheine. Die Auffiihrungen dauerten von sechs oder sieben Uhr abends bis um Mitternacht. Die Moresken, eine Art von Pantomime mit Musik und Tanz, waren fur das Pu- blikum eine Erholung, aber an Plautus' Komodien begeisterten sich hochstens Ercole und die Universitatsprofessoren.

In einer der Moresken kam ein grofier Wagen auf die Buhne, dem ein Einhorn, das Symbol der Este, vorgespannt war. Eine schone Jungfrau hielt die Ziigel, und auf der Plattform des Wagens spielte sich die ganze ,,Historie" ab. Die Nymphe befreite einige an Baume gefesselte Gefangene, und sie, froh der errungenen Freiheit, be- gannen beim Klang der wahrscheinlich eintonigen und langweiligen Musik zu tanzen. Auch zehn Neger tanzten mit brennenden Fackeln zwischen den Zahnen und zehn Gladiatoren zeichneten sich durch einen Kriegstanz aus.

Unter den Zuschauern nahmen die alteren Leute AnstoB am Tanz von Mannern und Frauen in fleischfarbenen Trikots, in denen die Tanzenden wirkten, als wenn sie ganz nackt waren. Die Tanzerinnen streuten ein wohlriechendes Pulver auf den Boden, so daB der ganze Saal von wunderbarem Duft erfiillt war. Mit Raffinement wollte man auf Sinne und Phantasie wirken. Ercole liebte schliipfrige Ko- modien, selbst Isabella fand des Unmoralischen zuviel auf der Buhne und schrieb nach der Auffuhrung der ,,Casina" ihrem Mann einen Brief voll boshafter Anmerkungen.

Im kleineren Kreise lieB die Markgrafin ihre Stimme horen, namentlich um den franzosischen Gesandten zu erfreuen, gegen den sie sich sehr huldreich erwies. Nachdem sie sich langere Zeit mit ihm unterhalten hatte, zog sie ihren Handschuh ab und verehrte ihn ihm als Erinnerungszeichen.

Ihre Stimme pries Trissino in seiner Kanzone ,,Gentil signora":

,,Ma quando le sue labbra al canto muove, Tanto dolcezza piove

Dal ciel, che 1' aere si rallegra, e il vento A si dolce armonia s' afferma intento."

Der letzte Tag der Festlichkeiten war zur Ubergabe der Geschenke an die Neuvermahlten bestimmt. Die Gaben waren seltsam genug.

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Der franzosische Konig schickte Lucrezia einen Rosenkranz aus goldenen Kugeln, die mit Bisam gefiillt waren, es war dies damalseine groBe Kostbarkeit; fiir Don Alfonso fiigte er einen Schild hinzu, auf dem in Email Maria Magdalena dargestellt war dazu schenkte er ihm eine Vorschrift fiir das GieBen der Geschutze. Die Gesandten der iibrigen Lander legten zu Lucrezias FiiBen Brokatstoffe nieder und silberne GefaBe von kostbarer Arbeit. Mit einem eigenartigen Geschenk bedachten sie die Venezianer. Sie lieBen fur ihre Gesandten Dolfin und Foscolo besonders kostbare Mantel aus Karmoisinsamt mit Hermelin verbramt arbeiten, ehe die Gesandten nach Ferrara reisten, muBten sie in den groBen Ratssaal gehen und sich in diesen Manteln dem versammelten Senat und viertausend Zuschauern prasentieren. Fiir den einen dieser Mantel waren zweiunddreiBig, fiir den anderen achtundzwanzig Ellen Samt erforderlich. Eben diese Mantel boten die Gesandten Lucrezia zum Geschenk dar. Zuerst prasentierten sie sich der Herzogin darin, hielten lange italienische und lateinische Ansprachen, dann verschwanden sie im Vor- zimmer, legten die kostbaren Mantel ab und lieBen sie Lucrezia iibergeben. Ganz Ferrara hat die Venezianer ausgelacht.

Wahrend der Feste schrieb Isabella ihrem Manne taglich; ihre Briefe verraten ihre schlechte Laune und ihre Unzufriedenheit dariiber, daB Lucrezia einen gunstigern Eindruck macht, als sie erwartet hatte. Dagegen behaupten Isabellas Anhanger, daB sie schoner als Lucrezia sei und ihr auch iiberlegen in der Fahig- keit, sich in dieser glanzenden Gesellschaft leicht und sicher zu benehmen. Die Marchesa de Cotrone berichtet ihrem Verlobten Francesco Gonzaga, Isabella iiberstrahle alle Frauen an Schonheit und Grazie, mit ihr verglichen waren alle nichts, ,,una niente". B. Capilupo schreibt dem Marchese von Mantua, Isabella gebuhre die Palme. Wahrend der Feste zu Ferrara wurden fiinf Frauen am meisten genannt: Lucrezia, Isabella, Elisabetta von Urbino, Emilia Pia und die Marchesa de Cotrone. Capilupo, ein befangener Zeuge, weist Lucrezia unter ihnen den letzten Platz an. Als Isabella sich mit dem franzosischen Gesandten unterhielt, erregte sie die Bewunderung aller durch ihre iiberlegene Art und die Eleganz ihrer Beredsamkeit. Boshaft fiigt Capilupo hinzu, obgleich Lucrezia

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mehr mitMannern zu tungehabt habe als dieMarchesaundElisabetta, konne sie sich ihnen im verstandigen Gesprach nicht vergleichen.

Die Trauung zu Ferrara war ein groBes Ereignis in der eleganten Welt. Die geringfiigigste Kleinigkeit in der Kleidung von Mann oder Frau, die man bei einer festlichen Versammlung beobachtete, wurde beschrieben und analysiert, die Striimpfe a la Sforzesca wurden ebenso angestaunt wie die Baretts a l'antiqua und eine Fiille anderer Details. Die Frauen interessierten sich besonders fur die Spanier, die in Lucrezias Gefolge nach Ferrara gekommen waren. Um jene Zeit fingen die Spanier an, eine tonangebende Rolle in der rdmischen Gesellschaft zu spielen italienische Hoflich- keit und italienische Sitte hat nicht wenig Schaden daran genommen.

In dem MaBe als die Macht der Borgia stieg, wuchs die Zahl der Spanier, die sich in Rom niederlieBen und dort nach Stellung und Verdienst suchten. Selbst spanische Hoflinge begannen in Mode zu kommen; auf den StraBen und in Gesellschaft horte man fort- wahrend spanisch sprechen, man las spanische Romane, kutschierte a la spagnola, kleidete sich auf spanische Art und eignete sich eine Menge spanischer Ausdriicke und Wendungen an. Jeder Kramer und Diener wurde ,,Don" angesprochen, und die Zahl der Duelle stieg.

Dieses spanische Element war ein Verhangnis fur Italien. Soweit wirkliche Kultur und Charaktereigenheit in Frage kamen, standen die Spanier viel tiefer als die Italiener. In den Jahrhunderte wahrenden Kampfen mit den Mauren hatten sie auBerlich die aus- gesuchte Hoflichkeit und Ritterlichkeit der Mauren angenommen, aber die wirklichen Tugenden und die hohe Kultur des unter- jochten Volkes hatten sie sich nicht zu eigen gemacht. Die lang- wahrenden religiosen Rassenkampfe hatten blutgierige Raubtier- instinkte in ihnen entwickelt, die sich hinter auBerem Firnis verbargen. Ihre Religion war Aberglauben, ihr Ehrgefiihl Durst nach Rache und Vendetta, jeder Moralbegriff fehlte ihnen. Sie waren beriichtigt wegen ihrer Unehrlichkeit und ihrer widerlichen Angewohnheiten .

Dem Reiz der fremdlandischen Galanterie erlagen die jungen Italienerinnen jedoch am haufigsten und zeichneten lange Zeit die Spanier aus. Wahrend der Hochzeitsfeste in Ferrara beob-

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achtete man, daB Lucrezias Donzellen im Gansemarsch, eine hinter der anderen, einherritten, um ihr Kostum in all seinen Besonder- heiten von den Spaniern bewundern zu lassen, die die Gewohn- heit hatten, sich dort aufzustellen, wo die Frauen vorbeikamen, und ihnen zudringlich nachzusehen.

Als die Feste voriiber waren, fuhren die Gaste auseinander, nur Donna Adriana mit ihren rdmischen Damen und ihrem gesamten Gefolge riistete nicht zum Aufbruch. Ercole I. war verzweifelt, es gait infolge ihres verlangerten Besuches fiir den Unterhalt von vierhundertfiinfzig Menschen und dreihundertfiinfzig Pferden zu sorgen. Die Vorrate an Lebensmitteln und Futter waren bereits wahrend der Hochzeitsfeste aufgebraucht, und die Last, diesen fremden Hofstaat langere Zeit zu erhalten, war unertraglich. Ercole schrieb sogar an seinen Gesandten nach Rom, damit der Papst Adriana zur Riickkehr auffordere, aber Lucrezias ehemaliger Hofmeisterin schien es in Ferrara sehr gut zu gefallen, da sie sich erst im Mai zur Abreise verstand. Die Bevolkerung von Ferrara fiihrte bittere Klage, da die Hochzeitstage allein 25 000 Dukaten verschlungen hatten.

Das junge Paar bezog das Castel Vecchio. Eine unfreundliche Residenz: in den Kellern Gefangene, und iiber dem stehenden Wasser, das das SchloB umgab, zahllose Miickenschwarme. Der Papst er- kundigte sich, ob Lucrezia gliicklich sei; als ihm berichtet wurde, daB Don Alfonso nur am Tage Vergniigungen auBerhalb des Hauses nachgehe und die Nachte bei seiner Gattin verbringe, war er zu- frieden. Der beruhmte Ritter Bayard, Lucrezias heiBer Verehrer, bezeugt in einem seiner Briefe die Zufriedenheit des Papstes, indem er hinzufiigt, daB Alexander Don Alfonso gelobt habe. „I1 signor Don Alfonso va a piacere in diverse loci come giovane, il quale, dice Sua Santita, fa molto bene."

IV

Ob Lucrezia mit diesem Vorgehen ihres Mannes ganz ein- verstandcn war, ist fraglich, aber die Tochter des Papstes fiihlte die starke Hand eines Gatten, mit dem nicht zu scherzen war.

^4 ACHTES KAPITEL

Bonaventura Pistofilo, der langjahrige Sekretar, Biograph und Vertraute von Alfonso, schildert den Herzog als einen groBen, starken Mann, der physische Anstrengungen liebte. Sehr scharfsinnig und von sanfter Gemutsart, hatte er viel gelernt, in seiner Jugend Frankreich und England bereist; er war musikalisch und hat es auf der Geige zu groBer Virtuositat gebracht; besonders liebte er ritterliche Spiele, Jagd und Pferde und schwamm wie ein Stor in seinem Po. GroBe Gesellschaften vermied er, aber mit Leuten niedrigeren Standes gab er sich gem ab, mit Ingenieuren und Ar- beitern, die ihm in seinen Beschaftigungen beistanden. Er baute unablassig, arbeitete an der Verbesserung der Geschiitze und an der Hebung der Fayenceerzeugnisse. Er war ein auBerordentlich gewissenhafter, gerechter Herrscher und verlangte auch von seinen Untertanen Gerechtigkeit.

Alfonsos, von Pistofilo uberlieferte Charakteristik deckt sich mit dem Eindruck, den das Portrat des Herzogs in der estensischen Galerie zu Modena macht, es ist die Kopie eines Originalbildes von Tizian. Der Herzog, ein kraftiger, breitschulteriger Mann mit langlichem Gesicht, starkem Bart, stiitzt sich mit der Rechten auf eine Kanone, vielleicht eines jener drei Geschiitze, die seinen Ruhm bildeten: ,,Grandiavolo", ,,Terremoto" und ,,Giulia". Das letzte war aus der ungeheuren Statue Julius' II. gegossen, dem Werke Michelangelos, welche das Volk von Bologna, das den Papst haBte, wahrend der Revolution am 30. Dezember 151 1 zertriimmert hat.

Ferrara bedurfte um jene Zeit eines ernsten, starken Herrschers. Nacheinander haben drei Papste nach der estensischen Herrschaft gestrebt: Julius II. mit Gewalt und List, Leo X. und Klemens VII. durch Treubruch und Verrat. Die Zeiten waren sehr schwer, es gait nicht nur sich der Papste zu erwehren, sondern fortwahrend Schutz zu suchen bei einem der beiden europaischen Potentaten, dem Konig von Frankreich oder dem Konig von Spanien, die sich unablassig befehdeten. Ein Lavieren in Gefahren.

All das iiberstand Alfonso; es kamen Zeiten, wo er Modena, Reggio, Polesina verloren, wo Julius' II. Bann auf ihm gelastet, wo die Pest die Bevolkerung von Ferrara dezimierte, und Erdbeben Land und Leute zerstorten, und schlieBlich kam jener Augenblick,

ALFONSO I. D'ESTE KOPIE DOSSIS NACH TIZIAX. MODENA, GALERIE

LUCREZIA BORGIA

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wo der Herzog nach der Schlacht bei Bastia, an der Schlafe von einem Stein, der aus dem eigenen GeschoB stammte, getroffen, wie tot am Boden lag. Es waren schwere Zeiten: bei Giacomo d'Am- brogio, dem Bankier zu Verona, mufite er fiir 450 Lire 2883 Medaillen versetzen, die seine Vorfahren gesammelt hatten, spater selbst Lucrezias Kleinodien verpfanden; Alfonso hat all dem die Stirn geboten, sich der Papste erwehrt, den denkwiirdigen Sieg bei Ra- venna (am 11. April 1512) erfochten, die Medaillen und Kleinodien eingelost, den verlorenen Besitz zuriickerworben, und nach langer und glanzvoller Herrschaft hinterlieB er sein Reich dem altesten Sohne, Ercole II., im Jahre 1534.

Einem so tatigen Fiirsten blieb nicht viel Zeit und MuBe zur Pflege der Literatur, besonders da seine Interessen eher bildender Kunst: Architektur und Malerei, gehorten. Dafiir bemiihte sich Lucrezia in Friedenszeiten ein Zentrum fiir das geistige Leben zu schaffen, und in der Tat gehorte der Hof von Ferrara wahrend ihrer Herrschaft in dieser Beziehung zu den beruhmtesten und glanzendsten der Renaissance.

Lucrezia iibte einen besonderen Reiz aus: sie wurde von ihrer ganzen Umgebung geliebt, und die Literaten, deren es in Ferrara soviel gab, priesen in lateinischen und italienischen Versen ihre Tugenden und ihren Verstand, teils aus Verehrung, teils um ihr zu schmeicheln. Durch ihre Giite und Zuvorkommenheit besiegte sie alle, nur Isabella war uneinnehmbar, und Lucrezia vermochte trotz ihres ernsthaften Strebens sich hier keine Zuneigung zu erringen.

Um sich gegen die Markgrafin von Mantua liebenswiirdig zu erweisen, schrieb sie ihr kurz nach der Trauung (am 14. Mai 1502), daB sie sehr wiinsche, ihre Biiste in Marmor zu besitzen, und da Gian Giacomo, ein romischer Goldschmied und Bildhauer, in Ferrara aufgetaucht sei, bat sie sie, ihm sitzen zu wollen. Ob diese Biiste jemals in Angriff genommen wurde, wissen wir nicht, aber die Be- kanntschaft mit diesem romi6chen, wahrscheinlich untergeordneten, Kiinstler nahm ein peinliches Ende, da der Bildhauer-Goldschmied, nachdem er sich ein Jahr in Ferrara aufgehalten, Lucrezia zwei kostbare Steine, einen Rubin und einen Diamanten, gestohlen und sich

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insgeheim nach Mantua begeben hat, wo man ihn jedoch nicht er- wischen konnte.

In Ferrara huldigte alles Lucrezia, selbst der alte Titus Strozzi war ihr Verehrer. Er sandte ihr ein iiberschwengliches Epi- gramm, obgleich er die Grenze des Alters, das Menschen bestimmt ist, erreicht und langst der Liebe vergessen habe, sei er bei ihrem Anblick in Liebe entbrannt und lage gefesselt zu ihren FuBen. Ihr Bild habe zwar ein beriihmter Meister gemalt, aber menschliche Kunst vermoge diese gottliche Schonheit nicht wiederzugeben. Lucrezias Linke schmiicke ein Armband in Gestalt einer Schlange; wenn, wie man sagt, der SchlangenbiB eine namenlose Sehnsucht erwecke, so sei dieser Reif ein bezeichnendes Symbol. Im BewuBt- sein ihrer Tugend und Reinheit brauche die Fiirstin den BiB des Neides nicht zu gewartigen, da alle Herrlichkeiten des Himmels und der Erde sich in ihr vereinigt hatten. Wer sie nicht gesehen habe, sei zu bedauern, wer sie jedoch gesehen habe, wiirde in Ewig- keit von Liebessehnsucht verzehrt werden.

Nicht nur der Vater, auch Ercole Strozzi, der Sohn, huldigte der bezaubernden Fiirstin. Obgleich Ercole hinkte, hatte er viel Gliick bei Frauen, und sein Gebahren Lucrezia gegeniiber begann bereits Alfonsos MiBtrauen zu erwecken. Lucrezia scheint dem jungen Strozzi eine Rose geschenkt zu haben, die sie vorher an ihre Lippen gefiihrt hat; dies bot den AnlaB zu einem leidenschaftlichen Epi- gramm Strozzis:

Laeto nata solo, dextra, rosa, police carpta;

Unde tibi solito pulcrior, unde color? Num te iterum tinxit Venus? an potius tibi tan turn

Borgia purpureo praebuit ore decus?

,,Rose, dem Boden der Freude entsproBne, vom Finger gepfliickte, Warum scheinet als sonst schoner dein farbiger Glanz?

Farbt dich Venus aufs neu? hat eher Lucreziens Lippe Dir im Kusse so hold schimmernden Purpur verliehn?"

Ercole Strozzi sang auch vom marmornen Cupido, der in Lucrezias Schlafgemach stand und sich zum Stein gewandelt, als er seine Herrin geschaut. Ihr Anblick wirkt wie der der Meduse;

LUCREZIA BORGIA 1S7

zum Stein wird jeder, der sie sieht, aber die Liebesglut brennt weiter in ihm und entlockt dem Stein noch Tranen.

Schon um 1505 und 1506 scheint Alfonso auf Ercole eifersiichtig gewesen zu sein, er haBte und verdachtigte ihn, und damals scheinen Eifersucht und Zorn in ihm entstanden zu sein, die zwei Jahre spater eine furchtbare Tragodie zur Folge hatte.

Jener KuB auf die Rose, die Ercole geschenkt ward, war nichts als Tandelei, und Alfonso brauchte sich daruber nicht zu beun- ruhigen; zum Hofstaat der Herzogin gehorte aber damals schon ein anderer gelehrter Dichter, der den hauslichen Frieden im Schlosse zu Ferrara hatte triiben konnen: es war kein anderer als PietroBembo.

In der Ambrosiana zu Mailand befinden sich Briefe, die dort nach vielen Irrfahrten gelandet sind. Es sind im ganzen neun, sieben italienische, zwei spanische, und ihre Oberschrift: ,,A1 mio carissimo M. Pietro Bembo" gibt so manches zu denken. Sie tragen die Unterschrift: ,,Lucretia Estense da Borgia", ihre Herkunft steht also auBer Zweifel. Diese Briefe sind vorsichtig abgefaBt, in Worten und Wendungen, aus denen sich nicht unbedingt folgern laBt, daB ein intimeres Verhaltnis zwischen der Furstin und dem jungen Venezianer bestanden habe. Aber Don Alfonso hatte die beigelegte blonde Locke so wenig begliickt wie die Liebesgedichte in spanischer Sprache.

Lucrezia hat sich am Hofe zu Ferrara einsam gef iihlt ; ihren Mann hat sie nie geliebt, ihrer Umgebung konnte sie, vielleicht abgesehen von einigen Frauen, die mit ihr aus Rom gekommen waren, nicht unbedingt vertrauen. So konnte sie dazu kommen, Pietro Bembos Liebe zu erwidern. DaB diese Liebe bestanden hat, beweisen die erwahnten Briefe, wenn man sie mit Bembos Briefen an A*** ver- gleicht, die in seine gesammelten Schriften aufgenommen wurden. Diese Briefe waren an Lucrezia gerichtet; die Vermittlerin der Korrespondenz zwischen Bembo und der Herzogin war die schone Angela Borgia, die Bembo einmal ,,angelo intercessore", den ver- mittelnden Engel, nennt.

Bembo hatte ein sehr einnehmendes AuBere, eine sympathische Stimme, er war weich und liebenswiirdig im Umgang und hatte Frauen gegeniiber ein unerschopfliches Gesprachsthema, da er gerade

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damals in Ferrara ,,Gli Asolani" schrieb, die Lucrezia gewidmet waren. In Liebessachen scheint er erfahren gewesen zu sein, da ihn an Venedig noch ein altes Verhaltnis aus dem Jahre 1501 band, das sich infolge seiner Entfernung allmahlich ldste.

Als Bembo sich im Friihling des Jahres 1505 mit seinem Vater und der venezianischen Gesandtschaft zu Julius II. begab, machte er zum erstenmal Station in Urbino und erregte dort die besondere Aufmerksamkeit der klugen Emilia Pia. Sie schrieb, er sei ein Mann, mit dem man rechnen miisse, ,,che veramente e uomo da fame conto." Wahrend seines Aufenthaltes in Mantua, im gleichen Jahr, machte er Isabella den besten Eindruck; er berichtet, daB er dort sehr geehrt worden sei, ,,accarezzato et honorato".

Er war ein Mensch besonderer Art, was ja auch die Zukunft bestatigt hat.

Schon zwei Jahre nach Lucrezias Hochzeit, im Juni 1503, klingt in Bembos Briefen ein heiBes Gefuhl an. Er war damals in Ostalleto bei den Strozzi, sie hatten dort ein Landhaus mit groBen Garten und einer kostbaren Bibliothek, die jedoch in verwahrlostem Zustand war, da Bembo sich beklagt, daB die Mause die Umschlage von Aristoteles' Schriften zernagt hatten. Er bittet seine venezianischen Freunde, agyptische Katzen zu besorgen, die bekannt dafiir waren, im Mausefang zu exzellieren. Heute fehlt jede Spur der Villa und der schonen Garten der Strozzi.

Am 3. Juni schickt Bembo der Herzogin aus Ostalleto zwei Sonette und berichtet bei diesem AnlaB: ,,Nichts Neues kann ich melden, ich konnte hochstens dieses ruhige Leben beschreiben, die Einsamkeit, den Schatten der Baume, die Stille, die mir friiher siiB und lieb waren jetzt erscheinen sie mir langweilig und weniger schon. Was bedeutet das? 1st es der Beginn eines t)bels? Ich wollte, Ew. Herrlichkeit suchte in ihrem Biichlein nach, ob Ihre Gefiihle den meinen entsprechen. Ew. Herrlichkeit Gnade empfehle ich mich so viele mal, als es Blatter gibt in diesem Garten, in den ich hinaussehe, gelehnt an jenes Hebe Fensterchen."

Das erwahnte Buch bezieht sich wahrscheinlich auf ein spanisches Buch mit Sentenzen und Prophezeiungen, das Lucrezia haufig befragte.

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Aus Bembos Gedichten aus jener Zeit spricht seine Zuneigung fur die Herzogin. Die Gedichte stromen ihm zu; auch wenn er auf die Jagd geht, denkt er mehr an ein zierliches Sonett als an das zu belauschende Wild. In einem dieser Gedichte preist er Lucrezia: nimmt die Fiirstin die Feder zur Hand und schreibt Verse, so gleicht sie den Musen, beriihrt sie die Harfe mit ihren schonen Fingern, so rauscht das Instrument sanft und milde wie der Po, tanzt sie, so schreitet sie so leicht, daB man furchten muB, eine Gottheit wiirde sie entfuhren und in einen Stern verwandeln.

Das Schlangenarmband, das Lucrezia trug, inspirierte Bembo wie Strozzi zu Hexametern: als man einst eine Natter in das gold- bringende Wasser des Tajo geworfen, wandelte sie sich zur goldenen Schlange. Der spanische FluB wuBte nicht, was er mit diesem Kleinod tun sollte, da fand er eine wurdige Frau, die sich damit schmucken wollte, und diese Frau war Lucrezia.

Das ihr gesandte Sonett beantwortete die Herzogin mit einer leidenschaftlichen spanischen Kanzone, fur die der Dichter mit spanischen Versen dankte. Er entschuldigte sich, daB er die Sprache nicht ganz beherrsche, und bat sie, diese Verse niemandem zu zeigen.

Fortwahrend wurden Briefe zwischen Ferrara und Ostalleto ge- wechselt; am 8. Juli bat Lucrezia den Dichter um eine Imprese. Mit zwei Worten erfiillte Bembo diesen Wunsch: ,,Est animum" (sic !) , sie sind fur uns nicht ganz verstandlich. Der Inhalt der Briefe wurde heiBer, Lucrezia wagte spater nicht mehr mit ihrem eigenen Namen zu unterschreiben, sie zeichnete mit den Buchstaben F. F. Bembo versichert sie in einem seiner Briefe, das grdBte Gliick des Menschen bestiinde darin, als Eigenwesen zu sterben, um in einem andern, in der Geliebten, weiterzuleben; an anderer Stelle nennt er sie das ,,Licht seines Seins" oder ,,kiiBt ihre Hand, die schonste, die er in seinem Leben an die Lippen gefiihrt".

Auf dem Lande war es Bembo zu einsam, er zog nach Ferrara, aber dort erkrankte er in den ersten Augusttagen und muBte das Bett hiiten. Lucrezia besuchte ihn und weilte lange beim Kranken. Am nachsten Tage schrieb er ihr: ,,Euer Besuch hat die Schwache von mir genommen, die meistens dem Fieber folgt, plotzlich ward

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ACHTES KAPITEL

ich gesund wie nach einer gottlichen Medizin. Durch einen Blick und die Beriihrung der Hand ward mir die Gesundheit wieder- gegeben; da Eure mir so teuren Worte Liebe, Heiterkeit und Trost spendeten, erweckten sie mich zum Leben."

Einige Tage nach diesem Besuch, am 18. August 1503, starb Alexander VI., drei Tage nach seinem Tode kam die Trauerbotschaft nach Ferrara. Es war ein schwerer Schlag fur Lucrezia, um so schwerer, als nicht vorauszusehen war, welche Wendung ihr Schick- sal jetzt nehmen wiirde. Bembo teilte ihren Schmerz, er begriff ihre Angst und Sorge und ging sofort ins SchloB, um sie zu sehen und zu trosten. Doch befriedigten ihn seine Worte nicht; da sie auf- richtig waren, versagten sie in der Form, und am nachsten Tage schrieb er ihr aus Ostalleto, um sich zu rechtfertigen: als er sie in Tranen, in ihrem schwarzen Kleid gesehen habe, habe er keine Worte gefunden, sondern empfunden, daB er selbst des Trostes bediirfe, so sehr habe ihr Anblick seinen Sinn verwirrt. Ein zweiter leidenschaftlicher Brief folgte, er riet Lucrezia, den Frieden ihrer Seele in diesem wichtigen Augenblick zu wahren, trostete sie so gut er vermochte, in sehr herzlicher Weise. ,, State sana", mit diesen Worten beschloB er seinen schmerzerfullten Brief. Ein Satz am SchluB dieses Briefes wirft ein trauriges Licht auf Lucrezias Stellung am ferraresischen Hof: „Da die heutigen Umstande dies verlangen," schreibt er, ,,musset Ihr niemand erkennen lassen, daB Ew. Gnaden nicht nur iiber den jetzt erlittenen Verlust weint, sondern auch aus Furcht, ob Euer Gliick am Hofe von Dauer sein wird." Dieser Ausdruck ,,ancora la stante vostra fortuna" be- weist, daB Lucrezia fiirchtete, ihre Stellung in Ferrara wiirde sich nach dem Tode des Papstes andern, da sie weder der Liebe des Gatten, den fortwahrend neue Liebesabenteuer beschaftigten, noch der Zuneigung des alten Ercole sich sicher fiihlte. Und ihre Furcht konnte berechtigt sein, da sie keine Nachkommenschaft hatte; ein unglucklicher Zwischenfall hatte sie zweimal der Kinder beraubt, und erst fiinf Jahre spater, am 4. April 1508, hat sie Alfonso den ersten Sohn geboren. In diesen schweren Augenblicken war Bembo vielleicht ihr einziger Vertrauter. Die UngewiBheit, wie die Este sie nach dem Tode ihres Vaters behandeln wiirden, war durchaus

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begreiflich, denn Lucrezia wuBte, daB der alte Ercole sich iiber den Tod des Papstes freue. Wahrend Bembo Lucrezia Worte des Trostes sagte, schrieb der Herzog aus Belriguardo an Giangiorgio Seregni, seinen Gesandten beim franzosischen Statthalter in Mailand, und dankte Gott, daB er ihn von diesem Papst befreit habe, von dem er trotz der neuen Familienbande nichts Gutes zu erwarten habe. Den Widerwillen des Papstes gegen Ferrara schrieb Ercole nament- lich Cesare zu, der die Este stets als Fremde betrachtet und ihnen nie seine Plane anvertraut habe.

Drastischer driickt seine Freude iiber den Tod des Papstes der Marchese von Mantua aus, der seiner Gattin Isabella d' Este am 22. September 1503 schreibt aus Isola Farnese, in der Nahe Roms, dem Hauptquartier der franzosischen Armee. Er berichtet, der Papst habe nach dem Tod seines Vorgangers Innocenz VIII. einen Pakt mit Satan geschlossen und den papstlichen Stuhl mit seiner Seele erkauft. Zwolf Jahre der Herrschaft waren Alexander VI. vom Teufel garantiert, er hat sein Versprechen gehalten, ja dem Papst sogar vier Tage iiber die bestimmte Zeit zugestanden. In Alexanders Todesstunde warteten sieben Teufelchen seiner, und sein Mund schaumte wie kochendes Wasser im Kessel. Aus diesem Grunde wollte niemand den Toten anriihren, so daB der Toten- graber ihm einen Strick um die Beine band und ihn daran aus dem papstlichen Schlafgemach ins Grab schleppte.

Es wurde allgemein geglaubt, daB der Teufel sich persdnlich eingestellt habe, um Alexanders VI. Seele in Empfang zu nehmen. Diese Nachricht drang jedenfalls auch nach Ferrara und erleichterte Lucrezias Stellung nicht; man darf sich auch nicht wundern, daB sie sich in ihrer absoluten Verlassenheit und Furcht vor dem Kom- menden immer mehr an Bembo anschloB, und daB ihre Freund- schaft noch inniger wurde. Am 4. Oktober anvertraute Bembo sich ihr: ,,Nach keinem Schatz verlangt mich so wie nach jenen Worten, die ich gestern von Euch horte . . . die Flamme, die mich erfaBte, kann nicht starker und leuchtender brennen." Lucrezia schien ihm nicht ganz zu trauen, und aberglaubisch wie alle Frauen jener Zeit holte sie sich Rat bei Karten, auf denen Sentenzen standen. die ihr die Zukunft kiinden sollten. Aus dem ersten Karten-

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spiel, das sie zur Hand nahm, wollte sie sich GewiBheit iiber das Schicksal ihrer Liebe holen. Bembo fiihlte sich ihrer Neigung schon sicher, er antwortete ihr, er hoffe, daB ein spanisches Wort sich erfiil- len wiirde, ,,quien quiere amatar perro, spesso ravia le levante", indem Lucrezia seine wahnsinnige Liebe zu ihr damp fen wolle, wiirde sie selbst dieser Liebe erliegen. Und es scheint, daB die Karten richtig prophezeit hatten, Lucrezia wehrte sich zwar, aber die Liebe siegte.

Am 10. November muBte Bembo infolge wichtiger hauslicher Angelegenheiten Ferrara verlassen, zum Abschied schickte er Lucrezia einige Zeilen, in denen er sie ,,sein teuerstes Leben" nannte; gleich alien Verliebten lieB er ihr sein Herz zum Pfande, bat, daB sie lieb und gut damit umgehe, und empfahl sich ihrem Gebet. Bis Ende des Monats hielt die Krankheit seines Vaters ihn fern, und als er nach Ferrara fur kurze Zeit zuriickkam, muBte er infolge des Todes seines Bruders Carlo, den er sehr liebte, Lucrezia abermals verlassen.

1504 war Bembo noch in Ferrara, aber seine Brief e werden vorsichtiger, auch Lucrezia sc.heint der hofischen Umgebung nicht zu trauen. In der zweiten Halfte des gleichen Jahres reiste Don Alfonso mit seinem Sekretar Pistofilo und einem groBen Gefolge von Hoflingen nach Frankreich, um die guten Beziehungen zu jener Dynastie zu unterhalten, die Ferrara hauptsachlich in Italien unterstiitzte und um neue Errungenschaften im Geschiitzwesen, die ihn iiber alles interessierten, kennen zu lernen. Lucrezia blieb allein im SchloB, denn der alte krank- liche Ercole hielt sich namentlich in Belriguardo auf. Wie weit damals ihr Verhaltnis zum Dichterfreund gediehen ist, wissen wir nicht.

Das Jahr 1505 ist entscheidend in Lucrezias Leben, die Bande, die sie an Bembo fesselten, muBten sich lockern. Man begann sich zu sehr mit diesem Roman zu beschaftigen, der in Hofkreisen kein Geheimnis war, auBer Angela Borgia wuBten noch drei Hoffraulein darum, Bembo nennt sie in seinen Briefen Polixena, Climena und Cintia. Lodovico Aristo und Tebaldeo wuBten um diesen Roman, und Titus Strozzi schrieb sogar ein recht ungeschicktes Epigramm,

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in dem er des Netzes spottete, mit dem Lucrezia den in sie ver- liebten Freund gefangen hat. Es folgt hier:

Ad Bembum de Lucretia

Si mutatum in x. c. tertia nominis huius

Littera 1 u x fiet quod modo 1 u x fuerat Retia subsequitur, cui t u h a e c subiunge parat que

Sic scribens: lux haec retia, Bembe parat.

Dazu kam, dafl nach Er coles Tod am 25. Januar 1505 Alfonso Herzog von Ferrara wurde; Lucrezias Stellung wurde dadurch exponierter und erforderte viel Vorsicht. Am S. Paulstag iibergab der alte Titus, als guidice de' dodici savi, Alfonso nach alter Sitte Szepter und Schwert als Abzeichen der Herrschaft. Als der neue Herzog im Purpurmantel auf dem Schimmel durch Ferraras StraBen ritt, gab es einen solchen Schneesturm, daB man es allgemein als Prophezeiung einer sehr stiirmischen Regierung auffaBte. Pest, Krieg und Erdbeben sollten diese Prophezeiung nur zu sehr erfiillen.

Unverziiglich nach Alfonsos Thronbesteigung spielte sich ein furchtbares Drama im herzoglichen Palast ab. Angela Borgia bezwang durch ihre Schonheit ihre ganze Umgebung. Fast noch als Kind hatte man sie in Rom mit Francesco Maria Rovere ver- lobt, aber die Verbindung wurde gelost, und der Erbe des Herzog- tums von Urbino vermahlte sich mit Eleonora Gonzaga. Zu Angelas heiBesten Verehrern in Ferrara gehorten der Kardinal Ippolito d'Este und Giulio, Ercoles natiirlicher Sohn. Giulio gefiel Angela besser als der Kardinal, und das lebhafte Madchen riihmte einst in Ippolitos Gegenwart seine schonen Augen. Der Kardinal geriet vor Eifersucht auBer sich, mietete zwei ,,bravi" und lieB seinem Stief- bruder die Augen ausstechen. Am 3. November 1505 lauerten die Henker dem von der Jagd Heimkehrenden auf, und warfen sich in Ippolitos Beisein auf ihr Opfer. Der Anschlag geriet nur halb, der arme Giulio verlor ein Auge, das andere vermochten die Arzte zu retten.

Der gesamte estensische Hof schaumte vor Wut gegen Ippolito, am gleichgiiltigsten nahm jedoch der Herzog das Verbrechen auf, er verbannte den Kardinal zwar vorubergehend, bestrafte ihn aber

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nicht so, wie es dieser verschlagene Wiiterich verdient hatte. Giulio sann auf Rache und wartete nur auf einen geeigneten Augen- blick, um sie an Alfonso zu nehmen.

Donna Angela heiratete ein Jahr nach diesem Zwischenfall den Grafen Alexander Pio von Sassuolo, und ihr Sohn vermahlte sich spater mitElisabetta, einer natiirlichenTochterdesKardinals Ippolita

Giulio ruhte nicht, er setzte sich mit Don Ferrante, Alfonsos leiblichem Bruder, ins Einvernehmen, der den Herzog leidenschaft- lich haBte und ihm Ferraras Thron entreiBen wollte. Der Ver- schworung traten mehrere Unzufriedene bei, unter anderen der Graf Albertino Boschetti und dessen Schwiegersohn, der Kapitan der SchloBgarde. Es wurde beschlossen, Alfonso auf einem Masken- ball zu ermorden und Ippolito durch Gift aus dem Wege zu raumen. Der Kardinal, der infolge seiner Verschwendungssucht viel Freunde in Ferrara hatte, wurde rechtzeitig von diesem Anschlag benach- richtigt und hat jedenfalls auch Alfonso gewarnt. Im Juli 1506 lieB der Fiirst Don Ferrante und den Grafen Boschetti gefangen nehmen, Giulio gelang es, sich durch Flucht nach Mantua zu retten. Als Ferrante ins SchloB gebracht wurde, geriet Alfonso in solchen Zorn, daB er dem Bruder mit dem Stock ein Auge aus- schlug und ihn ins BurgverlieB verbannte. Giulio wurde vom Mark- grafen von Mantua an Alfonso ausgeliefert, gegen beide Este wurde ein HochverratsprozeB angestrengt, und die Schuldigen zum Tode verurteilt.

In Ferrara war alles ein AnlaB zu glanzenden Festen, selbst die Hinrichtung zweier Mitglieder der herrschenden Familie sollte zum offentlichen Schauspiel werden. Im Hofe des Kastells wurde eine Estrade errichtet, auf der die beiden Prinzen hingerichtet werden sollten, ringsum wurden Tribiinen fur das Publikum auf- gestellt. Als man die Gefangenen herbeifiihrte, gab Alfonso, der nicht aus der Art geschlagene Sohn Ercoles, des groBen Theater- regisseurs, den Henkern ein Zeichen, sie traten zur Seite, und er begnadigte die Bruder zu lebenslanglicher Gefangenschaft in den Kellern jenes Schlosses, in denen der eine zu herrschen sich ver- messen hatte. Noch unter Alfonsos Nachfolger, Ercole II., hat Fer- rante dort geschmachtet, er starb erst im Jahre 1540. 1559 wurde

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Don Giulio seine Freiheitwiedergegeben, da er, ein fast achtzigjahriger Greis, dem Thron von Ferrara nicht mehr gefahrlich werden konnte. Unterdessen erlitt Lucrezia einen Schicksalsschlag nach dem andern; es ging mit der GroBe der Borgia schnell zu Ende. In Spanien, in der Nahe von Pampelona, war Cesare am 12. Marz 1507 zugrunde gegangen als Abenteurer und Kondottiere, in fremdem Solde, der fiir die Sache eines andern kampfte. Als die hofischen Schmeichler sahen, daB Cesares Ruhm Alfonso nicht mehr Abbruch tat, begannen sie Lobeshymnen zu Ehren des Verstorbenen zu dichten. Ein Heldengedicht wurde 1508 von Ercole Strozzi verfaBt, in dem er Cesares groBe Taten pries, er ruhmte ihn als den von der Vorsehung Auserwahlten, um das Kaisertum und den Glanz Roms zu erneuen, als den Mann, der bestimmt war, das zerrissene Italien unter einem Szepter zu vereinigen, als den von Machiavell vorher- gesagten Fiirsten. Selbst von Alexander VI. heiBt es bei Strozzi, er verdiene, einst der GroBe genannt zu werden. Iamque novos titulos, nobis, nova regna parabat Sextus Alexander, merito qui nomine quondam maximus apellandus erat . . .

Zu friih hatte Jupiter Alexander in den Olymp berufen! Als die Gotter iiber Cesares Schicksal berieten, war Pallas vor Jupiter in die Knie gesunken und hatte gefleht, daB er ihm Macht und ein langes Leben schenke. Doch Venus war dagegen, daB die Herrschaft iiber Rom einem fremden, spanischen Geschlecht zufalle, sie schaumte vor Eifersucht, da eine Spanierin, Lucrezia Borgia, ihr an Schonheit iiberlegen war. Venus war starker als Pallas; wie Achilles muBte Cesare sterben, aber sein Mut und sein gewaltiger Geist sind unsterblich, aus der Vereinigung beider Geschlechter, deren Ursprung in Hellas zu suchen ist, aus den Este und Borgia wird der Held entstehen, der Italien befreien wird. Strozzi geht viel weiter als Machiavell; wahrend der Sekretar von Florenz sich kiihl iiber die Unterwerfung Umbriens, der Marken und der Ro- magna ausspricht, ist Strozzi voller Begeisterung fiir Cesare und preist ihn:

Qui rem romanam ingenio et praestantibus armis restituit . . .

Caesenam et multa in tumulis castella propinguis

Debellavit agens properanti milite castra.

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Seine Dichtung hat Ercole Strozzi der Herzogin gewidmet, ,,alla diva Lucrezia l'epicedio".

Als Strozzi dieses Gedicht verfaBte, liebte er Lucrezia nicht mehr, er hatte damals ein Verhaltnis mit Barbara Torelli, Ercole Bentivoglios Witwe, einer schonen Frau, die zuweilen Sonette schrieb, wie damals fast alle Damen von Stand. Barbara hatte ein Tochter- chen geboren, das Strozzi zum Vater hatte. Der jungen Witwe gefiel es in Ferrara sehr gut, selbst Alfonso I. hatte sich urn ihre Gunst bermiht. Sie aber hatte jenen erwahlt, den sie heiraten konnte: Ercole Strozzi. Ihre Trauung fand am 24. Mai statt; drei- zehn Tage spater, am 6. Juni 1508, fand man Ercole, der am Mittag ermordet worden war, in der Nahe von San Francesco. Er lag in seinen Mantel eingehullt, mit durchschnittener Kehle und zwei- undzwanzig Wunden am Korper, ganze Haarbiischel, die die Morder ihm ausgerissen hatten, deckten den Boden.

Einer seiner Dichterf reunde sah den f urchtbar miBhandelten Korper.

Vidi ego divulsos crines a vertice, humique

Undique dispersos . . .

Cernite quam turpes nunc sunt in pectore plagae.

Am Tage des Mordes schrieb Bernardino Prosperi an Isabella von Mantua, neben dem Leichnam habe Strozzis Hut gelegen und der Stock, auf den er sich zu stiitzen pflegte. Es schien, daB Ercole an anderer Stelle ermordet worden war, und daB man den Korper auf einen offentlichen Piatz niedergelegt hatte, um die Spuren des Verbrechens zu verwischen. Aus Bernardinos Brief kann man schlieBen, daB Strozzi Barbara unmittelbar nach der Geburt des Kindes geheiratet hat. Die Gonzaga in Mantua waren iiber diesen Mord emport, der Marchese erbot sich, die Waise zur Taufe zu halten, und lieB sich vom Dichter Tebaldeo bei der Zeremonie vertreten. In ganz Italien sprach man von diesem Verbrechen, gehorte Strozzi doch zu den beriihmtesten Mannern von Ferrara; er war zwei Jahre vor seinem Tod giudice de' savi gewesen, also einer der ersten Wurdentrager des Staates. In Ferrara ahnte man, wer die Schuldigen waren, und erwartete eine unverziigliche Untersuchung. Aber Alfonso, der bei solchen Anlassen mit aller Strenge vorzugehen

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pflegte, gebot der Gerechtigkeit Schweigen. Es hat nicht an Stimmen gefehlt, die Lucrezia Borgia verdachtigten, sie habe Ercole er- morden lassen, damit er Alfonso ihr Verhaltnis zu Bembo, von dem er mehr wuBte als andere, nicht verrate. Aber dieser Ver- dacht entbehrte jeder Grundlage; sehr bald wies die ganze Stadt auf den Morder auf dem Throne hin.

Barbara Torelii selbst schien Alfonso fur den Urheber des Ver- brechens zu halten, dies beweist ein Sonett, das sie auf den Tod ihres Mannes geschrieben, und in dem sie trotz ihres Schmerzes nicht wagt, den Morder zu nennen. Dieses Sonett gilt als eines der schonsten, das in der Renaissance von einer Frau gedichtet wurde.

Auch die Literaten von Ferrara schienen genau zu wissen, wo der eigentliche Morder zu suchen war, fast alle verfaBten Trauergesange, aber keiner wagte auf den Urheber des Verbrechens hinzuweisen, Ariost so wenig wie Celio Calcagnini, Aldo Manuzio oder Bembo.

Strozzis Tod war fur Bembo eine blutige Warnung, er ward sich bewuBt, daB Alfonsos Eifersucht ihm jeden Augenblick ein gleiches Los bereiten konne. Bald nach diesem Vorfall verlieB er Ferrara und weilte abwechselnd am Hof zu Urbino, in Bologna, Rom und Padua.

Lucrezias Liebe zu Bembo war die letzte Leidenschaft dieses Herzens, das viel geliebt und viel durch seine Schwachen gesiindigt hat. Ein wichtiger Abschnitt begann im Leben der Tochter Alex- anders: am 4. April 1508 hat sie einen Sohn geboren, den man zur Erinnerung an den GroBvater Ercole nannte. Jetzt erst schien sie unloslich mit der Dynastie der Este verbunden. Im nachsten Jahre wurde ihr zweiter Sohn Ippolito geboren, und einige Jahre spater, 151 5 und 16, schenkte sie ihrem Gatten noch eine Tochter Eleonora und einen Sohn Francesco.

Lucrezia begann stark zu werden und tat es darin ihrer Rivalin Isabella von Mantua gleich, die auch zu friih iibermaBig runde Formen bekommen hat. Lucrezias Bildnisse aus jener Zeit, be- sonders das Portrat im Museum von Nimes, das nach Yriarte die Herzogin darstellt, sowie ein Bild, in der Sammlung Gugenheim in Venedig, stellen, wenn sie uberhaupt Anspruch auf Authentizitat haben, Lucrezia ganz anders dar, als sie damals aussah, da, der

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Tradition gemafJ, Pinturicchio sie als h. Katherina von Agypten im Appartamento Borgia im Vatikan gemalt hat, oder als man die Medaille ,,a l'amour captif" nach ihr machte.

Auf jenen Portrats, schlechten Kopien verlorener Originate, sieht Lucrezia unsympathisch und schwerfallig aus. Ihr kastanien- braunes Haar mit goldigem Glanz ist a la lombarde frisiert, mit den charakteristischen Locken zu beiden Seiten des Gesichts, die Augen blaC und hell. DafJ sie helle Augen von undefinierbarer Farbe hatte, wird in alien Schilderungen ihrer Person erwahnt; aber ihre Augen hatten einen strahlenden Reiz, von dem in diesen elenden Bildnissen auch keine Spur zu entdecken ist. Pinturicchios Bildnis scheint mir authentischer, schon deshalb, weil zwischen seinem Bild und der Medaille zweifellos eine ge- wisse Verwandtschaft vorhanden ist. Wenn man beriicksichtigt, dafJ Pinturicchio die noch sehr junge romische Lucrezia gemalt hat und die Medaille aus ihren ferraresischen Jahren stammt, so lassen sich gewisse Unterschiede, die diese beiden Bildnisse aufweisen, leicht begreifen.

Die Fiirstin war giitig und hat allmahlich an Takt und Umsicht gewonnen. Ein Franzose, der Biograph Bayards, kann sie nicht genug riihmen, um der Aufnahme willen, die sie dem franzosischen Heer bereitet hat. Sie verstand die Franzosen durch ihre Liebens- wiirdigkeit, durch Feste und Bankette so einzunehmen, dafi sie sagten, Lucrezia sei die schonste, reizendste und liebenswiirdigste Frau ihrer Zeit und habe durch ihre Vorziige ihrem Manne und Ferrara unschatzbare Dienste geleistet.

Dank Strozzi und Bembo lebte Lucrezia in einem Kreise lite- rarisch tatiger Menschen; auBer jenen intimeren Freunden und Ariost scharten sich Manner um sie, die in der damaligen Geisteswelt etwas galten. Lucrezias Neigungen war en lite- rarischer Art, wahrend Alfonso sich mehr fur bildende Kunst interessierte.

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Unter ihrem Zauber stand Antonio Tebaldeo, Bembos ungefahr- licher Nebenbuhler, er war damals etwa vierzig Jahre alt und kam Bembo an gesellschaftlichen Vorziigen nicht gleich. Zu ihren Verehrern gehorte auch Celio Calcagnini, ein Polyhistoriker, von umfangreichem Wissen. Celio machte Gedichte, studierte die Antike, war Latinist, Historiker, Philosoph, verstand sich auf Numismatik und beschaftigte sich sogar mit Naturwissenschaften, gegebenen Falles iibersetzte er auch antike Lustspiele fur das Theater von Ferrara. Er war in Liebesdingen sehr erfahren, da er zu den stan- digen Begleitern des Kardinals Ippolito gehorte und mit ihm nach Ungarn gegangen war. Ein geschickter Hbfling, der sich bei Lucrezia in Gunst setzen wollte; noch ehe sie Ferrara erreicht hatte, hatte er ihr Kommen in einem Gedicht gefeiert.

Eine noch einnehmendere Personlichkeit, die langere Zeit der Umgebung der Furstin angehort hat, war Giangiorgio Trissino, der Abkdmmling einer bekannten Patrizierfamilie aus Vicenza, ein vielgereister Mann, der spatere Gesandte Leos X. und Kle- mens VII. Im April des Jahres 1512 kam Trissino zum erstenmal nach Ferrara, Familienbeziehungen kniipfen ihn an die Stadt. 1478 geboren, war er damals etwas iiber dreiBig Jahre alt, er hatte kurze Zeit vorher seine Gattin ,,dilettissima consorte" verloren und gehorte dank Abstammung, Benehmen und Bildung zu den glanzendsten Gestalten jener Welt, ,,prestantissimo per nobilta di natali e moltiplicita di dottrina". Trissino kannte Deutschland, war langere Zeit in Mailand gewesen und hatte dort viel Inter- essantes erlebt. Er hatte in seiner Jugend haufig als Gast im Hause der Cecilia Gallerani geweilt, der beruhmten Geliebten Lodovico Moros; ihr schbnes, wahrscheinlich von Leonardo da Vinci gemaltes Bildnis befindet sich im Museum der Fiirsten Czartoryski zu Krakau.1)

Bei Cecilia versammelten sich allabendlich fast alle bedeutenden Persbnlichkeiten Mailands, es wurde musiziert, die Dichter trugen ihre neuesten Werke vor, die Gelehrten disputierten iiber Philo- sophic und Naturwissenschaften, Architekten, Bildhauer und Maler

1) Nach Annahme von Professor Jan Botoz Antoniewicz in seiner Ab- handlung iiber dies Bildnis (III. KongreB polnischer Historiker in Krakau).

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wiesen ihre Skizzen vor. Der Dominikaner und Novellist Bandello gehorte zu den regelmaBigsten Gasten der schonen Frau. Haufig korrigierteTrissinodie Sonetteder Gallerani, dieauch Gedichtemachte.

Fur Lucrezia war Trissino die geeignete Personlichkeit, schon deshalb, weil er von Cecilia erzahlen konnte, die damals alle inter- essierte, da die etwas altlich gewordene Schone auch nach ihrer Heirat mit dem Grafen Bergamino ein fur Gelehrte und Dichter offenes Haus in San Giovanni in Croce bei Cremona fuhrte. Tris- sino gefiel der Herzogin, sie lernte seinen Verstand und seine Er- fahrung schatzen und lieB sich, wenn Alfonso im Lager war, in alien wichtigen Familienangelegenheiten von ihm beraten. Ihre Briefe an ihn tragen die Uberschrift ,,al amico nostro carissimo". Trissino wohnte in Ferrara bei den Obizzi, einer der vornehmsten Fa- milien, die zu Lucrezias Umgebung gehorten. Trissinos Schwester, Maddalena, war mit Antonio Obizzi verheiratet, der den Este sehr ergeben war. Sehr befreundet war den Obizzi die Familie Castelmo, Fiirsten von Sora aus dem Neapolitanischen, die des Vaterlandes ver wiesen, sich in Ferrara niedergelassen hatten. Bei den Obizzi und Castelmo versammelte sich eine vornehme und anregende Gesellschaft. Beruhmt wegen ihres Witzes und ihrer Beredsamkeit, glanzte dort Margherita Moroscelli, die Mutter jenes Ercole Castelmo, dessen tragischer Tod ganz Italien be- wegt hat.

Wahrend des Krieges zwischen Ferrara und Venedig kampfte der junge Castelmo unter Ippolito d'Este auf Alfonsos Seite, er fiel in die Hande slawischer Soldaten, die in Venedigs Sold standen. Da die wilde Horde sich nicht dariiber einigen konnte, welcher ihrer Abteilungen der reiche Gefangene zugeteilt werden sollte, schlug man ihm den Kopf ab. Diese Grausamkeit veranlaflte Ariost zu einigen schonen Versen, die sich gegen die slawischen Barbaren wandten. Der Dichter setzt mit der wuchtigen Frage ein:

Schiavon crudele, onde hai tu il modo appreso Delia milizia?

Zu den entthronten Herrschern, die sich in Ferrara nieder- gelassen hatten, gehorte auch Aeneas Pio, der, aus Carpi vertrieben,

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in den Dienst der Este getreten war. Er wohnte im Palazzo del Paradiso, der heutigen Volksbibliothek, den der Fiirst ihm an- gewiesen hatte, um ihn sich zu verpflichten. Auch der Palast der Pio war ein Zentrum fur Ferraras gesellschaftliches Leben. Gra- ziosa Maggi, eine Verwandte Pios, bildete den glanzenden Mittel- punkt der dortigen Versammlungen; sie war eine jener beruhmten Frauen, die Ariost im letzten Buch seines Rasenden Roland er- wahnt. Wie in Mailand bei der Gallerani, oder bei den Atellani in den Breragarten, versammelte sich auch hier im Garten des Paradiso eine Gesellschaft schoner Frauen und beriihmter Manner, darunter waren Ariost und Claucio Tolomei, wahrend seines Aufent- haltes in Ferrara. Diana d'Este schien Graziosa Maggi die Sieges- palme streitig zu machen, und Celio Calcagnini stand unter ihrem Zauber :

II dotto Celio Calcagnin lontana Fara la gloria e'l bei nome di quella.

Gern gesehen waren die gelehrten Professoren der Universitat zu Ferrara in dieser Gesellschaft, und besonders schatzte man dort Nicolo Leoniceno, der neben Pomponazzi in Bologna zu den ersten Vertretern der neuen skeptisch-philosophischen Richtung gehorte, die die geistige Bewegung der letzten Epoche der Renaissance charakterisiert. Diese rationalistische Schule verwarf die mittel- alterliche Mystik und begann sich langsam dem Erforschen der Natur zuzuwenden. Niccolo stammte wie Trissino aus Vicenza, war eine Zeit hindurch in England gewesen und hatte sich schlieBlich in Ferrara niedergelassen, wo er offentliche Vortrage iiber Mathe- matik, Philosophic und Medizin hielt. Bezeichnend fur die damalige Wissenschaft war die Verbindung von Philosophic und Medizin, was sich aus der auf Erfahrungstatsachen begriindeten Richtung ergibt. Leonicenos Verdienst bestand darin, daB er an der Unfehlbar- keit von Galenos' und Plinius' Theorien, die bisher unumschrankt die Naturwissenschaften beherrscht hatten, geriittelt hat. Der ferraresische Gelehrte hatte den Mut weiterzugehen, sich auf die eigene Erfahrung zu stiitzen. Diese naturwissenschaftliche, auf Erfahrung aufbauende Bewegung beschaftigte die damalige Welt in

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hohem Grade, in den Salons wurde dariiber gesprochen, und wahrend unter Lionello, Borso und selbst noch unter Ercole Philologie geherrscht hat, wurden jetzt die Naturwissenschaften zum Lieb- lingsstudium erhoben la natura delle cose occulte. Einer der damaligen Gelehrten erwahnt ein interessantes Gesprach zwischen Trissino und Leoniceno iiber heilkraftige Pflanzen, besonders iiber die Eigenschaften des Rhabarbers. Ein heutiger Arzt und Gelehrter wurde wahrscheinlich iiber ein solches Thema nicht mit einem Men- schen verhandeln wollen, der nicht zum mindesten seine medizi- nischen Priifungen bestanden hat.

Leoniceno verstand seine Theorien auch in die Praxis um- zusetzen, er lebte auBerst enthaltsam und erreichte ein Alter von neunzig Jahren.

Zu Lucrezias Verehrern, die jedoch Alfonso keinerlei Grund zur Eifersucht boten, gehorte Jacopo Caviceo, der Vikar des Bis- tums, ein Pralat von stiirmischer Vergangenheit. Er war in der Gegend von Parma 1443 geboren und hatte in Bologna studiert. Von auffahrendem Wesen, kraftig und bereit sich mit der Faust sein Recht zu verschaffen, wurde er zum Helden eines nachtlichen StraBenkampfes, muBte aus Bologna fluchten und nach Parma zuriickkehren. Als er nach einiger Zeit Geistlicher wurde, erregte er allgemeinen AnstoB wegen seines ztigellosen Lebens. Nachdem er eine Nonne verfiihrt, einen Menschen todlich verwundet und eine Reihe anderer Ubertretungen begangen hatte, wurde ihm der Boden in der Heimat zu heiB, er muBte nach Venedig fluchten, schiffte sich ein und trieb sich einige Zeit hindurch im Osten, in Konstanti- nopel und auf den Inseln des Archipels umher. 1469 begegnen wir ihm wieder in der Heimat; im Kampfe mit dem Erzbischof steht er an der Spitze des emporten Bistums. Der Bischof laBt ihn ein- sperren, die Freunde des Herzogs befreien ihn jedoch gewaltsam aus dem bischoflichen Turm. Caviceo geht nach Rom, setzt den Kampf gegen seinen Feind fort, der augenscheinlich aus Angst vor dem Papst einen Hascher nach Rom schickt, damit er den auf- riihrerischen Geistlichen in aller Stille beiseite schaffe. Der ,, Bravo" verwundet Caviceo, aber der viel geschicktere Geistliche macht den Morder auf der Stelle mit seinem Messer nieder. Dann geht er

LUCREZIA BORGIA 203

zum Papst, wirft sich ihm zu FiiBen, erklart, daB er den Feind in Notwehr erschlagen habe, und erlangt Verzeihung. Triumphierend kehrt er als Sieger nach Parma zuriick; mit der Macht des Erz- bischofs, auf dessen Seite der Herzog von Mailand Galeazzo Sforza stand, hatte er aber nicht gerechnet. Sehr bald sitzt er wieder hinter eisernem Gitter, aber er weiB sich frei zu machen und fliichtet. Nach verschiedenen dramatischen Episoden wird ihm 1477 das Kirch- spiel von San Michele in Padua iibertragen, und damit beginnt ein ruhigeres Leben. Er erhalt immer bessere Pfriinden, steigt in geist- lichen Ehren, im Jahre 1489 begriiBt er im Namen seiner Heimat- stadt Friedrich III. in Italien und wird in offentlichen Urkunden bereits Doktor der Rechte genannt. 1494 wird er in Ferrara bischof- licher Vikar, weiB sich Ercole I. gefallig zu erweisen und ist bei Hofe sehr gut angeschrieben.

In Ferrara schrieb Caviceo seinen Roman ,,Peregrino" ; er widmet ihn ,,alla savia ad accostumata Lucrezia Borgia". ,,Peregrino" gehort zu den beriihmtesten Romanen des beginnenden 16. Jahr- hunderts, er beruht nicht auf bloBer Erfindung, der Verfasser hat einen groBen Teil der Ereignisse, durch die er gegangen und seine selbstandigen Beobachtungen der Natur hinein verarbeitet. Es war ein Buch, das das Leben der Zeit spiegelt.

Caviceo war in einem ruhigen Hafen gelandet; als ehrwiirdiger Pralat schrieb er nicht langer Romane, sondern Belehrungen fiir seine Beichtkinder, ,,11 Confessionale".

Als Leo X. Papst wurde, schrumpfte Lucrezias literarischer Kreis zusammen; Italiens Dichter und Gelehrten pilgerten damals nach Rom wie ins Gelobte Land und erwarteten Ehren und goldenen UberfluB vom Mediceer. An den papstlichen Hof iibersiedelten damals Tebaldeo und Bembo, der in Urbino weilte. Bembo wurde papstlicher Sekretar, und seine Korrespondenz mit Lucrezia bricht im Jahre 1513 ab. Er verliebte sich in Morosina, eine Romerin niederer Herkunft, und hatte drei Kinder mit ihr. Bis zu seinem Tode lebte er mit ihr zusammen, und die schbne Morosina hat durch ihre bose Laune und ihr ordinares Betragen Rache fiir alle die Untreue geiibt, durch die der gelehrte Dichter in jungen Jahren an anderen Frauen gesiindigt hat.

204 ACHTES KAPITEL

Ferraras Krieg mit Venedig, Ungliicksfalle, die das Land be- trafen, hausliche Sorgen, die Erziehung der Kinder all das be- wirkte, dafi die in ihrer Jugend leichtsinnige Lucrezia immer ernster wurde; sie begann wie alle Frauen, die viel gelebt und viel Ent- tauschungen erfahren haben, Trost in der Religion zu suchen. In ihren letzten Lebensjahren wandelte sich ihre Frommigkeit in Bigotterie. Alexanders VI. Tochter beichtete taglich und ging drei- oder viermal monatlich zum Abendmahl. Es verletzte sie, daB die Frauen in Ferrara, alter Sitte gemaB, mit bloBen Armen gingen und den Hals bis zur Brust entbloBt trugen. Sie fiihrte daher eine Art Tuch ,,gorgiere" ein, das bei den Frauen aus dem Volke die BloBe deckte, an der sie AnstoB nahm. Die Zeiten hatten sich geandert. Als Lucrezia als Braut nach Ferrara kam, trug sie ein Hemd mit durchbrochenen Einsatzen, das die Briiste durch- schimmern lieB; Isabella schrieb in heller Emporung einen ent- rusteten Brief an ihren Mann iiber diese Schamlosigkeit.

So lange Rodrigo, Lucrezias Sohn aus erster Ehe, lebte, bestand ein Band, das sie an die Vergangenheit kniipfte. Rodrigo, der Fiirst von Bisceglia, wuchs erst unter der Obhut des Kardinals Lodovico Borgia auf, dann nahm sich seine Tante Isabella von Aragon, die Witwe Giangaleazzo Sforzas aus Mailand, seiner an. Als Dreizehnjahriger starb Rodrigo, und damit war das letzte Band zerschnitten, das Lucrezia an ihre sturmische Jugend ge- fesselt hat. Zu Vanozza scheint Lucrezia in gar keinen Beziehungen gestanden zu haben, und vielleicht hat erst die Nachricht ihres Todes die Herzogin von Ferrara daran erinnert, daB sie bis vor kurzem noch eine Mutter hatte. Vanozza starb am 26. November 151 8 in Rom, und da sie ihr bedeutendes Vermogen frommen Stiftungen verschrieben und der Briiderschaft del Gonf alone angehort hatte, wurde sie mit dem Pomp, der eines Kardinals wiirdig ware, beige- setzt; das gesamte geistliche Rom nahm an der Trauerzeremonie teil.

Durch eine seltsame Laune des Schicksals wurde Lucrezia Julius II. verschwagert, der die Borgia haBte und der groBte Feind der Este war. Giulia Farnese, die zu Beginn des XVI. Jahrhunderts eine noch junge und reizvolle Frau war, gefiel dem Papst so sehr, daB er seine Zustimmung gab zur Heirat seines Neffen Niccolo

LUCREZIA BORGIA 205

Rovere mit ihrer Tochter Laura, jenem schonen Kinde, das wir in Rom in Lucrezias Haus gesehen haben. Aber diese Verbindung trug durchaus nicht dazu bei, das Verhaltnis zwischen dem Hof von Ferrara und dem Papst zu verbessern.

Lucrezia starb neununddreiBig Jahre alt, am 24. Juni 1519,

bei der Geburt eines toten Kindes. Sie hat ihren Tod geahnt und

zwei Tage, bevor sie starb, an Leo X. geschrieben; dieser Brief be-

schlieBt in einer fiir jene Zeit charakteristischen Art ihren Lebens-

lauf. Jenem Papst, der Ferrara fiir die Medici annektieren wollte,

empfiehlt sie sich, als dem Schutzherrn der Kirche, in christlicher

Demut. Nach zweimonatlichen Leiden, wie es in diesem letzten

Briefe heiBt, habe sie am 14. Juni bei Morgengrauen eine Tochter

geboren, sie habe gehofft, daB dies sie von weiteren Schmerzen

befreien wiirde. Sie erkenne jedoch, daB ihre Krankheit sich ver-

schlimmert habe und sie sterben miisse. In wenigen Stunden

wird sie vor dem hochsten Richter stehen, und darum

bittet sie wie eine Siinderin in Demut um den

heiligen Ssgen und empfiehlt dem Heiligen

Vater ihren Mann und ihre Kinder.

Sie verschied in der Nacht vom

24. Juni ; ihr Mann war in

ihrer Todesstunde

bei ihr.

NEUNTES KAPITEL

ARIOST

i

Ipiia^ H asch beriihmt ward unter der Jugend, die unter Ercole I.

in Ferraras StraBen groB wurde, Lodovico Ariosto. Er war nicht der erste Dichter seines Geschlechts; schon unter Lionellos Regierung haben wir den Ge- legenheitsdichter Francesco kennen gelernt, und unter Borso hat Malatesta Ariosto gelegentlich als Poet gesiindigt. Nur Lodovicos Vater Niccolo fuhlte sich auf den Niederungen der Erde heimischer als auf dem ParnaB. Er war iibrigens ein haBlicher, gewalttatiger, sehr unbeliebter Mann, der hinter Titeln herjagte und Geld zusammenraffte, wo es nur zu kriegen war. Als Kaiser Friedrich III. 1460 in Ferrara war, be- warb sich Niccolo um den Titel eines Conte del sacro lateranense palazzo e del santo romano imperio. Der Kaiser gestattete dem neugebackenen Graf en, seinem Familienwappen, drei silbernen Bandern auf blauem Felde, einen schwarzen, gekronten Adler auf Goldgrund hinzuzufiigen. Seitdem fiihrten die Ariosto ein sehr aristokratisches Siegel mit kaiserlichem Zeichen. Niccolo verstand es, sich den Herzogen unentbehrlich zu machen, und war zu jedem Dienst bereit. Ercole I. ernannte ihn zu seinem Hofmeister, mag- giordomo, verwandte ihn bei Gesandtschaften an den Papst, den Kaiser und Kdnig von Frankreich und betraute ihn sogar im Jahre 1471 mit der verbrecherischen Mission, Niccolo di Lionello d'Este, seinen rankespinnenden Rivalen, in Mantua zu vergiften.

Wahrscheinlich als Entgelt fur dieses gefahrliche Unternehmen ernannte ihn Ercole I. im folgenden Jahre zum Kapitan der Zitadelle

ARIOST

207

und zum Schatzmeister in Reggio. Niccolo bezog dort ein Ein- kommen von 137 Lire monatlich, und sollte dreiBig Soldaten davon erhalten, indem pro Kopf vier Lire gerechnet wurden. Er wollte an den armen Teufeln verdienen und lieB sie hungern; als der Herzog davon erfuhr, wurde Niccolo zur Rechenschaft gezogen. Niccolo bekam eine bessere Frau, als er verdient hat. Im September 1473 heiratete er Daria, die Tochter von Gabriele Malaguzzi, einem Edelmann aus Reggio; sie braehte ihm tausend Dukaten mit, eine nach damaligen Begriffen nicht unbedeutende Mitgift. Fur diesen Betrag kaufte er Land in Gavassetto, in der Gegend von Reggio.

Daria war eine ungewohnliche Frau; Lodovico glaubt, daB er seine Gaben von ihr geerbt habe. Sie suchte die Riicksichtslosigkeiten ihres Gatten gutzumachen, wo sie konnte; alle Herzen flogen ihr zu, aber seinen Charakter vermochte sie nicht zu andern.

Lodovico war das alteste Kind, er wurde in Reggio am 8. Sep- tember 1474 geboren und verlebte dort seine Kindheit. 1481 iiber- trug Ercole Niccolo zwar das Kapitanat von Polesina di Rivigo, aber kaum ein Jahr spater muBte er seine friihere Stelle in Reggio wieder einnehmen. Bis zum Jahre i486 hat Ariost dort den Ober- befehl behalten, dann iibersiedelte er nach Ferrara, da Ercole ihm das wichtigste Amt im ganzen Reich anvertraut hatte: er ernannte ihn zum Prasidenten der zwolf Savi. Diese Ernennung machte viel boses Blut, es hieB allgemein, sie sei der Lohn fur einen von Ariost dem Herzog erwiesenen pekuniaren Dienst, er soil ihm zweihundert Goldskudi zu einer Wallfahrt zum heiligen Jakob di Compostella geliehen haben.

Ganz Ferrara haBte den neuen Giudice de' savi, selbst die Amts- kollegen konnten ihn nicht leiden. Boshafte Gedichte zirkulierten in der Stadt, und Pistoja schrieb allein dreiundzwanzig Sonette, die die allgemeine Emporung iiber Ariosts Ubergriffe und Plackereien zum Ausdruck bringen. In diesen Sonetten nennt ihn der Dichter den dummen Vorsitzenden von zwolf Klugen, den Wiirger von Ferrara, einen unersattlichen Rauber, eine allgemeine Landplage, und legt ihm noch eine Menge anderer beleidigender Namen bei, die aus dem ferraresischen Dialekt zu iibertragen seine Schwierigkeiten hat.

208 NEUNTES KAPITEL

Pistoja nimmt an, daB Ariosts Magen alles verdauen konne: Holz, Marmor, Sand, selbst Eisen.

Tu mangi il legno, il marmore, il r,abbione, II ferro, e s' egli e cosa ancor piu dura.

Wenn der neue Giudice de' savi iiber die StraBe geht, schreien ihm alle wiitend nach: ,,Mdrder, Lump, Verraterl"

Che ti gridano dietro a gran furore: Al ladre, al manigoldo, al traditore.

In einer anderen Satire, die die Runde in der Bevolkerung machte, beklagt sich die gute Daria bei ihrem Gatten, sie schame sich, den FuB iiber die Schwelle zu setzen, denn jeder, der sie sieht, ruft: ,,Hier kommt die Frau des bosen Raubers."

Magnifico marito mio dolcissimo, Io non ardisco piu di casa uscire, Perch' io mi sento dietro a ciascun dire: Ecco la moglie del ladro atrocissimo.

Doch solche Lappalien machen Niccolo keinen Eindruck; scham- los erklart er der Gattin, er stehle und wiirde stehlen, nur den heiBe man dumm, der kein Geld habe.

Io rubo e rubero, che in fra le genti Chi e senza roba matto dir si suole.

SchlieBlich begann sich auch der Herzog seines Giinstlings zu schamen und muBte sich dem Druck der offentlichen Meinung fiigen. 1489 entsetzte er ihn seines Amtes in Ferrara, iibertrug ihm aber gleichzeitig die Stelle eines Kapitans in Modena. Diese Ernen- nung rief in Modena keine geringe Bestiirzung hervor, und die Satire regte sich auch dort gegen ihn. In einem boshaften Gedichl beklagt sich Modena, daB das Raubtier schon zum Sprung aus- hole und sich auf die Stadt zu stiirzen bereit sei.

Vedi la mala bestia che si move

Ver' me tanto rabiosa divenuto

Che par che mai la non mangiasse altrove.

ARIOST BILDNIS VON TJZIAN. LONDON, NATIONAL-GALLERY

ARIOST 209

Fiinf Jahre hat das ungliickliche Modena unter AriostsUbergriffen gelitten, schlieBlich befreite der Herzog 1496 die Stadt vom verhaBten Kapitan und ernannte ihn zum Statthalter von Romagna di Lugo.

Nun war es um Lugos Frieden getan, aber diesmal sollte eine Liebesgeschichte Ariost sein Amt kosten. Eines Tages fliisterte man sich emport zu, daB eine der Burgersfrauen ihren Geliebten, einen Jiingling, bei sich empfange und daB ihn der Ehemann auf frischer Tat ertappt habe. Der betrogene Gatte wollte seine Ehre mit erhobenem Kniittel schiitzen, aber der Jiingling suchte das Weite und lieB nur seinen Mantel zuriick. Als Ariost von diesem Vorfall erfuhr, lieB er in Zorn entbrannt den verratenen Gatten rufen und verlangte den Mantel als corpus delicti zu sehen. Der Mann wollte, verstandiger als der Statthalter, seine Hausehre wahren, er bestritt alles und erklarte, von einem verlorenen Mantel nichts zu wissen. Der allzu tugendhafte Gouverneur lieB ihn auf die Folter legen, doch das Mittel verfing nicht, der arme Kerl wahrte sein Geheimnis. Aus dem Gefangnis entlassen, ging er nach Ferrara und erzahlte dort die ganze Geschichte. Ercole, emport iiber Ariosts Vorgehen, entsetzte ihn seines Amtes und verurteilte ihn zu einei Geldstrafe von funfhundert Skudi; dieser Betrag war aber nicht etwa als Entschadigung fur den zu Unrecht gefolterten Ehemann be- stimmt, sondern floB dem Staatssackel zu.

So iibte man in der Renaissance Gerechtigkeit.

Aber dieses Ereignis hatte sein Gutes: Ercole rief Ariost aus Lugo zuriick und vertraute ihm kein Amt mehr an.

Solcher Art war Lodovico Ariostos Vater, aber vielleicht hat gerade dieses Beispiel es bewirkt, daB der Sohn ein ganz anderer war. Lodovico nannte Reggio sein ,,nido natio", das fur ihn voller Kind- heitserinnerungen war. Der Knabe war zwolf Jahre alt, als die Eltern i486 nach Ferrara zogen. Er besuchte die Lateinschule von Lucca Ripo; Ercole Strozzi und Gaspare Sardi waren seine Schulkollegen.

Das Haus, das der kleine Ariost mit seinen Eltern bewohnt hat, existierte noch bis vor kurzem in der StraBe ,,Giuoco del Pallone" und gehdrte 1474 den Erben der Familie Ughi. Noch erinnert man sich eines Zimmers mit Freskeniiberresten aus dem XV.Jahrhundert mit gefliigelten Hippogryphen und Gruppen kleiner Amoretten,

14

210 NEUNTES KAPITEL

Der Tradition nach gait dieses Zimmer als Lucca Ripos Schule. Der alte Ariost scheint demnach einen Raum seines Hauses zu Schul- zwecken hergegeben zu haben, dafiir sprechen auch die vielen lateinischen Inschriften, die die Moral der jungen Gemiiter festigen sollten, wie z. B.: Loqui cum hominibus tamquam dii audiant. Der HaB und Spott seiner Mitburger zwang den alten Ariost 1489 Ferrara zu verlassen. Lodovico war damals funfzehn Jahre alt, der Vater lieB ihn in der Hauptstadt, damit er sich dem Studium der Rechtswissenschaften unter Giovanni Sadoletos Leitung an der Universitat widme und spater ein offentliches Amt bekleiden konne. Lodovico hatte an diesem Studium wenig Freude, doch gab es keine Widerrede, da der Vater in solchen Dingen nicht mit sich scherzen lieB. Nach funf Jahren war er Doktor der Rechte. Seine freie Zeit widmete Lodovico humanistischen Studien, die ihn sehr anzogen. Gliicklicherweise hatte damals Rinaldo d'Este, Ercoles Bruder, einen beriihmten Humanisten, Gregor da Spoleto, als Lehrer fur seine Sonne nach Ferrara berufen. Gregor war in seiner Jugend Augustinermonch gewesen, seit 1459 war er Lektor an der Universitat in Siena, da ihm das Klosterleben miB- fiel, hatte er die Kutte abgelegt und war weltlicher Lehrer ge- worden. Rinaldo d'Este bewohnte damals den Palazzo del Paradiso, und der junge Ariost nahm teil am Unterricht des beriihmten Humanisten. Gregor hat ihm die Pforte zur antiken Welt ge- bffnet und dem begabten Schuler einen starken Eindruck gemacht. ,,Fortuna war mir giinstig", schreibt Ariost, ,,und schenkte mir Gregor di Spoleto, den ich immer segnen werde."

Fortuna molto mi fu allora arnica Che mi offerse Gregorio di Spoleto Che ragion vuol ch' io sempre benedica.

Lodovico las „seine Dichter": Ovid, Vergil, Horaz, Plautus, Terenz und schrieb lateinische Gedichte wie seine Freunde Ercole Strozzi und Alberto Pio. Virginio, der Sohn des Dichters, berichtet, sein Vater sei nicht sehr fleiBig gewesen und habe wenig gelesen, ,,non era bibliomane", aber zu seinen Lieblingsdichtern hatte er immer gegriffen.

ARIOST 211

Auch Alberto Pio war Gregors Schiiler und etwa bis urn 1500 mit Ariost innig befreundet, dann verlieB er Ferrara voller Groll gegen Ercole I., der ihm Carpi, sein vaterliches Erbe, entreiBen wollte. Gibert Pio, der Mitbesitzer Carpis, hatte seine Rechte an Ercole abgetreten, Alberto war Ferraras Herzog gegeniiber fast wehrlos, er suchte beim Papst, beim Kaiser, beim Konig von Frank- reich Schutz gegen ihn, bis er schlieBlich erschopft und zermiirbt in den Franziskanerorden eintrat; er starb fast in Verbannung in Paris im Jahre 1531. Einige lateinische Verse Ariosts an Alberto aus den gliicklichen ferraresischen Tagen haben sich in seinem literarischen NachlaB erhalten.

1500 verlor Ariost den geliebten Lehrer, da Isabella von Aragon Gregor als Erzieher ihres Sohnes berief. Ariost betrauerte die Ab- reise des Humanisten und klagte, daB die Herzogin ihn ihm ent- rissen.

Mi fu Gregorio dalla sfortunata Duchessa tolto, e dato a quel figliuolo A chi avea il zio la signoria levata.

Ariost trat zuerst mit lateinischen Gedichten vor die Offentlich- keit, er stand unter dem EinfluB seines beriihmten Lehrers und ver- nachlassigte das Volgare. Bis zum Jahre 1503 hat er nur lateinisch gedichtet, doch ist seine Sprache nicht ubermaBig rein. Schon zu Beginn zeigt sich ein gewisser Hang zu Sarkasmus und Satire und er rebelliert gegen das herzogliche Joch, das andere willig trugen. Diese Stimmung spiegelt am deutlichsten eine an Ercole Strozzi gerichtete Elegie, anlaBlich des Todes von Michele Marullo, eines latinisierten griechischen Dichters. Marullos Tod ware fur sie als Dichter fast ebenso schrecklich wie der Anblick Italiens, das vor ihren Augen zerfallt. Die Fiirsten erlegen ihnen kein weniger schweres Joch auf als die fremden Barbaren. Es ist ebenso schwer, der Diener des franzosischen Konigs als der eines italie- nischen Fiirsten zu sein.

Quid nostra an gallo regi an servire latino,

Si sit idem hinc atque hinc non leve servitium?

Barbarico ne esse est pejus sub nomine quam sub moribus?

14*

212 NEUNTES KAPITEL

Ariost liebte damals eine Spanierin, Pasifilia, die mit ihm koket- tierte und ihn gleichzeitig mit einem andern betrog. Pasifilias boser Geist war ihre Mutter, und Ariosts Freunde, namentlich Bembo, bemuhten sich, seine Gefiihle fur das unwiirdige Geschdpf abzukiihlen. Es war nicht ganz leicht, und erst nach geraumer Zeit lieB sich Lodovico iiberzeugen, daB ,,die Alte" die Reize ihrer Tochter verkaufe. In einer leidenschaftlichen Satire ergieBt er seinen Zorn liber sie. ,,Geh, Alte, mit deinem Liebesgefliister, geh zum Teufel, gefraBige Bestie. Mich ekeln Eure Versicherungen, die ich so spat erst erkannt."

Va, rea vecchia, con questi carezzevoli Sussuri tuoi, va ingorda vecchia, al diavolo. Assai la vostra fede, oh assai, m'k cognita Se ben tardi. . . . x)

In diesem Ton apostrophiert Ariost in einem ziemlich langen Gedicht die alte Spanierin; zum SchluB faBt er seine Emporung noch einmal in dieWorte zusammen: ,,Vada la scellerata a tutti i diavoli!"

II

Im Februar des Jahres 1500 starb Niccolo Ariosto; auf dem jungen Lodovico lastete die Sorge um neun Geschwister und die Mutter. Es gait, vier Briider zu erziehen und funf Schwestern zu verheiraten. Gliicklicherweise war die Mutter erst sechsund- vierzig Jahre alt und beherrschte die Familie durch ihre Giite und ihren Verstand. Niccolo, der sie im Leben genug gequalt hat, konnte die Klausel im Testament nicht unterdriicken, ,,ob fidem et prudentiam", um doch im letzten Augenblick ihre Vorziige anzuerkennen. Das vaterliche Vermogen war nicht groB, und Lo- dovico muBte sich auf Grund seiner juristischen Studien um ein Amt bewerben, das ihm und seinen Angehorigen den Unterhalt einigermaBen sicherte. Anstatt Sonette und Kanzonen zu schreiben, bewirtschaftete er das Gut, das fur die Mitgift der Mutter in der

*) Nach Carduccis Ubersetzung aus dem italienischen Original.

ARIOST 213

Nahe von Reggio erworben worden war, und trug emsig in die Wirt- schaftsregister ein, daB er zwei Bullen an Guido di Guastello ver- kauft und Bernardo di Vanzo einen Sack Hanfsamen gegeben habe. Zwei Jahre nach dem Tode des Vaters iibertrug ihm Ercole das Amt eines Kastellans oder Capitano della Rocca di Canossa, des historischen Schlosses der Grafin Mathilde. Der arme Lodovico muBte wie die anderen Dichter seine poetischen Huldigungen an den Hof entrichten, und das Gedicht, das er im Januar 1502 zu Alfonsos Verlobung mit Lucrezia Borgia verfaBt hatte, wird wohl zu jener Ernennung beigetragen haben. Das Amt in Canossa lieB ihm viel freie Zeit, denn er war haufig in Ferrara oder Reggio.

In Reggio hat ihn eine Livia gefesselt, die der Empfindungen des jungen Dichters wiirdiger war als die kokette Spanierin, auch Ginevra, der er eine schone Kanzone gewidmet hat, hat er gehuldigt, ebenso Glicera und Veronica. Fuhr er nach Ferrara, so konnte er den Reizen der Maria, des Dienstmadchens seiner Mutter, nicht widerstehen; sie hat ihm 1503 einen Sohn, Giovanni Battista, ge- boren. Fiinf Jahre spater hatte er einen zweiten unehelichen Sohn Virginio; seine Mutter war Arsina Vitali da Magliarino, ein Madchen aus dem Volke, das dann Antonio Manfredini, einen Landmann, der sich in der Nahe der Besitzung der Ariosto angesiedelt hatte, heiratete. Der junge Vater hat beide Sohne legitimiert; Virginio war sein Liebling, und ihm verdanken wir eine gute Biographie des Vaters.

Das Leben in Canossa, fern von Ferrara, muBte auf jemand, der den geistigen Verkehr mit den Humanisten gewohnt war, schwer genug lasten, so beniitzte auch Ariost die erste Gelegenheit, um nach Ferrara zuriickzukehren. Sie bot sich bald. Alfonsos I. Bruder, der Kardinal Ippolito, wurde zum Bischof von Ferrara ernannt, und umgab sich als prachtliebender Herr dort mit einem groBen Hofstaat. Die Ernennung des Kardinals feierte Ariost durch ein Epigramm, das gewiB dazu beitrug, daB Ippolito den Dichter an seinen Hof begehrte. Gegen Ende des Jahres 1503 finden wir ihn im Dienst des Kardinals, in der Eigenschaft eines ,,familiaris", also mit hoherem hofischen Rang, da die niedrigeren nur ,,Commen- sale" genannt wurden. Die letzteren durften nur auf die Ehre rechnen,

ai4 NEUNTES KAPITEL

ron Zeit zu Zeit am Tisch des Herrn mitzuspeisen; die ersteren sollten den Hausherrn und seine Gaste unterhalten, also teil an der Gesellschaft haben. Der Kardinal bestimmte dem Dichter kirchliche Pfriinden, die jahrlich 240 markgrafliche Lire abwarfen (etwa 2000 Lire nach heutigem Gelde) , dafiir muBte Ariost das geist- liche Gewand anlegen. Das Gehalt wurde ihm in drei viermonat- lichen Raten ausgezahlt, unter Abzug der Kosten fiir den Anzug, der aus der Kardinalsgarderobe geliefert wurde. Der Kardinal suchte Ariost zu bestimmen, geistlich zu werden; in diesem Falle hatte er ihm mit der Zeit groBere kirchliche Pfriinden zuwenden konnen. Aber der Dichter, der sich nicht berufen fiihlte, straubte sich, die Weihen zu nehmen. Ippolito nahm ihm ,,diese Laune" iibel, auch Ariosts Briider verargten ihm dieses Verlangen nach Freiheit. In einer, an seinen Bruder Galeazzo gerichteten Satire rechtfertigt sich Ariost, vielleicht ist sein Vorgehen unverniinftig, die Tonsur wurde ihm den Weg zu hohen Einnahmen und Ehren bahnen, aber jeder moge seiner Uberzeugung gemaB handeln, auch die vorteilhafteste Anstellung in Rom kdnne ihm die verlorene Freiheit nicht ersetzen.

Ognun tenga la sua (opinion); questa e la mia: Se a perder s' ha la liberta, non stimo II piu ricco cappel che in Roma sia.

Als familiaris des Kardinals hatte Ariost wohl nicht iibermaBig schwere Pflichten, aber auch die erschienen ihm unertraglich, und er fiihlte sich in seiner Freiheit gehemmt. Wie jeder andere Hofling muBte er der Suite seines Herrn angehoren, ihn auf Reisen begleiten, so z. B. nach Mailand zur BegriiBung Ludwigs XII., Gelegenheitsgedichte verfassen und iiberhaupt zur Zierde des Hofes beitragen. Wiederholt muBte Ariost als Gesandter des Kardinals reisen, so 1507 nach Mantua zur Markgrafin Isabella, der der Dichter besonders gut gefiel. Er scheint sich bei solchen Anlassen als sehr brauchbar erwiesen zu haben, denn auch der regierende Herzog Alfons begann sich allmahlich seiner bei wichtigen diplomatischen Missionen zu bedienen. Als es sich darum handelte, in guten Be- ziehungen zum kriegerischen und launischen Julius II. zu bleiben, ging Ariost zweimal nach Rom, um den Papst umzustimmen und

ARIOST 215

zu besanftigen, ,,la grande ira del Secondo". Das eine Mai gelang es, aber als Ferrara sich von Frankreich trennen und der heiligen Liga beitreten sollte, war die Sache schon schwieriger.

Der Papst begann den Kampf mit dem Herzog mit Qualereien gegen den Kardinal Ippolito, fur den er wenig iibrig hatte. Der Kar- dinal lieB sich zum Abt von Nonantoli wahlen, der Papst annullierte die Wahl, warf dem Kardinal Simonie vor und befahl ihm bei Ver- lust der Kardinalswiirde, sofort nach Rom zu kommen. Ippolito beeilte sich nicht, diesen Wunsch zu erfiillen, aus Furcht, daB der Papst ihn im Kastell S. Angelo als Gefangenen zuriickbehalten wiirde, er befahl Ariost, der damals in Rom war, vermittelnd bei Julius II. vorzugehen. Aber der alte Mann haBte die Este und drohte dem armen, ganz unschuldigen Gesandten, ihn im Tiber zu ersaufen, wenn die Este der Liga nicht beitreten wiirden. Da sich Alfonso nicht von Frankreich trennen wollte, bedrohte der Papst ihn mit dem Bann; Ariost gelang es gliicklich, aus Rom zu entkommen, und aus dem Gesandten ward ein Soldat. Der Dichter nahm an den Kampfen gegen Ferraras Feinde teil, er diente in der Abteilung, der Aeneas Pio da Carpi vorstand, und zeichnete sich in der Schlacht bei Pontecchio (am 24. September 1 510) bei der Eroberung einer venezianischen Galeere aus.

Nach der Schlacht bei Ravenna, als Alfonso mit jenem Geleitbrief desPapstes,der ihm wenig niitzte, nach Rom ging, nahm er Ariost mit.

Damals muBte Alfonso vor Julius Zorn zu den Colonna fluchten, die ihn drei Monate im Castello di Marino verbargen. Von dort aus stahl er sich in der Verkleidung eines Jagers, Dieners und Monchs uber Florenz nach Ferrara. Ariost begleitete ihn auf dieser aben- teuerreichen Flucht und schrieb am 1. Oktober an einen der Gon- zaga aus Florenz: ,,Endlich habe ich die Schlupflocher und Hohlen wilder Tiere verlassen und kann wieder mit Menschen sprechen. Von unseren Gefahren noch kein Wort: animus meminisse horret luctuque refugit. Noch habe ich meine Angst nicht iiberwunden, noch glaube ich, die papstlichen Hunde, vor denen mich Gott bewahrt hat, hinter mir zu spiiren. Die Nacht habe ich in einer einsamen Hutte, unweit von Florenz, verlebt, verkleidet, mit Herz- klopfen lauschend, ob sie nicht hinter uns her jagen."

2i6 NEUNTES KAPITEL

Bei Julius II. Tod atmete Italien auf, und alle Dichter, Literaten und Kiinstler freuten sich iiber die Wahl Leos X. Zu jenen, die nicht wenig Hoffnungen auf den neuen Papst setzten, gehorte auch Ariost. Er kannte den neuen Papst noch aus seiner Kardinalszeit, und damals hatte ihm Giovanni dei Medici Versprechungen gemacht fur den Fall, daB er gewahlt werden wiirde. Lodovico hatte als echter Dichter diese schonen Worte fur bare Miinze genommen, er ging mit dem Herzog nach Rom zur Kronung des Papstes, und malte sich in seiner lebhaften Phantasie aus, daB Leo X. ihn zuriickbehalten und ihm eine seinen Fahigkeiten entsprechende Stelle geben wiirde, damit er endlich zur Ruhe komme und seiner Dichtkunst leben konne.

Vergebliche Hoffnungen. Schon am 17. April 1514 schreibt Ariost an Benedetto Fantino, den Kanzler des Kardinals Ippolito, einen sehr enttauschten Brief. Er habe dem Papst zwar den FuB gekiiBt, aber Leo X. habe ihn nicht einmal bemerkt, denn hier trage er seine Brille nicht mehr, non porta piu V occhiale. Weder der Papst noch die alten Freunde, die jetzt hohe Wiirdentrager ge- worden, wie Bembo oder Bibbiena, hatten auch nur ein Wortchen von einem Amt gesagt. Ubrigens besuche er wenig Bekannte, denn sein Kleid sei nicht mehr schon, und in Rom beurteile man mehr denn anderswo die Leute nach ihrem AuBern. ,,Dazu glaube ich," fiigt der Dichter boshaft hinzu, ,,daB hier alle den Papst ko- pieren und kurzsichtig geworden sind."

Ariost muBte darunter leiden, daB der neue Papst fur die Este und fur Ferrara so wenig iibrig hatte.

Auf der Ruckreise hielt Ariost sich ziemlich lange in Florenz auf, besonders da die Festlichkeiten, die am S. Giovannitage statt- fanden, heranriickten. In Florenz lernte er Alessandra Benucci kennen, die Witwe von Tito Strozzi, einem ferraresischen Hofmann. Sie machte ihm einen starken Eindruck. Sie gehorte nicht zu den gelehrten Frauen der Renaissance, sie konnte weder lateinisch sprechen noch lesen, aber sie hatte wunderschones blondes Haar, das sich vom schwarzen Samt ihres Kleides prachtvoll abhob, und bezauberte ihn durch ihre Reize.

Ariost besuchte sie zum erstenmal, als sie ,,una sopraveste" fur einen ihrer Sonne stickte, in der er beim bevorstehenden Feste

ARIOST

217

paradieren sollte. Sie war Meisterin in der Kunst des Stickens, und Ariost preist in einem seiner Sonette Seide und Gold gliicklich, die ihre geschickte Hand beriihrt:

Avventurosa man, beato ingegno Beata seta, beatissimo oro.

Im Pantheon schdner und beriihmter Frauen in Rinaldos SchloB, die er in seinem „Furioso" beschreibt, stehen die Statuen von Lucrezia Borgia, Isabella, Elisabetta, Eleonora d'Este, Lucrezia Bentivoglio und daneben die Statue einer ernsten, giitigen, be- scheidenen Frau, in schwarzem Gewand mit verschleiertem Haupt. Weder Gold noch Kleinodien schmiicken sie, und doch strahlt sie so hell zwischen den reichgekleideten Frauen wie der Stern Venus unter den anderen Sternen. Bei ihrem Anblick weiB man nicht, was sie am meisten schmiickt, der Ernst ihrer Ziige, ihre Bescheiden- heit oder die Scharfe ihres Geistes (Furioso, Canto 42, 93, 94). Dieser Statue fehlt der Name. Es war die vom Dichter vergotterte Alessandra.

Die schone Florentinerin folgte Ariost nach Ferrara, einige Jahre spater liefien sie sich heimlich trauen. Die Ehe durfte nicht offent- lich vollzogen werden, da der Dichter als Presbyter einige geist- liche Pfriinden bezog, die er eingebuBt hatte, wenn seine Ehe be- kannt worden ware. Alessandra wohnte der Kirche di S. Girolamo gegeniiber, in einem andern Hause als Ariost. Der Dichter war mit ihr wahrhaft gliicklich.

Der Dienst beim Kardinal schien das eheliche Gliick zu gefahrden. 1517 riistete sich der Kardinal fur einen langeren Aufenthalt in Ungarn und wollte, daB ihn der Dichter als Sekretar begleite. Ariost lehnte ab und nannte seine Griinde in einer Satire oder richtiger in einem Brief, den er an seinen Bruder Alessandro und an seinen Freund Lodovico da Bagno richtete, die als Hoflinge des Kardinals mit ihm nach Budapest gingen. Der Dichter klagt, wie sehr ihn der Dienst bei Ippolito und iiberhaupt das ganze hofische Leben qualten, er habe genug der Reverenzen und der Sklaverei. Er konne es nicht ertragen, dem ,,Herrn auch dann zustimmen zu mussen, wenn er behauptet, daB er um Mitternacht

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die Sonne am Himmel und am Tage die Sterne gesehen habe". Ubrigens sei er schon vierundvierzig Jahre alt und habe seine Ge- sundheit im Dienste des Kardinals zugesetzt. Darum wolle er sich dem nordischen Frost nicht aussetzen und noch weniger dem geheizten Zimmer, denn der schwarze Tod sei ihm lieber als Ofen- hitze und die stickige Luft, in der Kopfweh und Katarrh entstiinden. Und wie erst, wenn er an den schweren Wein denke, den die Ungarn dem Gast vorsetzen, an die mit Pfeffer und Paprika zubereiteten Gerichte, die das Blut schwer machen. Einen eigenen Koch aber konne er sich in Ungarn nicht leisten, denn Reichtiimer habe er im Dienste des Kardinals nicht gesammelt. Und wozu solle er auch mitgehen? Der allein habe Gliick bei Ippolito, der es verstiinde, das Rebhuhn auf der Gabel zu zerschneiden, Hunde und Falken zu dressieren, geschickt die Sporen zu befestigen, dem Herrn die Stiefel auszuziehen und Wein in die Glaser zu schenken. Dazu fehle es ihm an Lust, denn zum Mundschenk sei er nicht geboren. Wer dem Herrn gefallen wolle, miisse ihm Schritt fur Schritt auf der Strafie folgen, den Wein zu kiihlen verstehen und nachts nicht schlafen. Lieber wiirde er wie die ersten Menschen von Eicheln leben, als am Herrentische niedersitzen. Leicht wiirde er die Armut ertragen, weil er die Freiheit so hoch schatze! . . . Gedachte er der Qualen, die er in den letzten funfzehn Jahren im hofischen Dienst erlitten, der Miihen, deren er sich unterzogen, als er nach Rom geritten, um den Papst zu beruhigen, gedachte er dessen, wie er nach der Laune seines Herrn frieren muBte oder schwitzen, dann wolle er lieber sterben, als ein so schweres Joch noch einmal auf sich nehmen. Und wenn der ,,heilige" Kardinal glaube, daB er ihn fur die Ewig- keit mit seinen Geschenken erkauft habe, so wolle er ihm gem alles wiedergeben, um nur seine Freiheit zuruckzugewinnen. Ariost nahrte tiefen Groll und nahm sogar das Wappen an, das auf dem Revers einer Bronzemedaille zu sehen ist: einen Bienenstock, unter den Feuer angelegt wird. Die Bienen fliegen davon, und Ariost kann weder Wachs noch Honig ernten. Auf dem Wappen die Inschrift: Pro bono malum.

Per esser ape, muoie

Ho mal per bene.

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In seinem ,,Furioso" gibt Ariost Rinaldo das gleiche Wappen.

Delia schiera di mezzo fu maestro Rinaldo, chi quel dl molt'era adorno D'un ricco drapo di color cilestro Sparso di pecchie d'or dentro e d'attorno, Che cacciate parean dal natio loco Dall' ingrato villan con fumo e foco.

Der Kardinal lieB den Diener seine Halsstarrigkeit entgelten. Als Ariost sich ihm vor seiner Reise nach Ungarn empfehlen wollte, wurde er nicht angenommen, zwei Benefizien, die Ippolito ihm erteilt hatte, wurden ihm wieder genommen, und Ariost aus dem Dienst entlassen. Der Dichter muBte sich bald iiberzeugen, daB er sich aus eigener Kraft nicht erhalten konne; er bemuhte sich um ein Amt beim Herzog Alfonso, obgleich er auch gegen ihn viel Groll nahrte. Ein Verwandter Lodovicos, Rinaldo Ariosto, war kurz vorher gestorben, ohne ein Testament und direkte Erben zu hinter- lassen. Trotzdem Lodovico und seine Briider sich berechtigte Hoff- nungen auf den NachlaB machten, der aus drei schonen Grund- stiicken in Bagnolo bestand, belegte die Camera ducale die Giiter mit Beschlag, da die Familie angeblich ausgestorben war. Am 15. April 1519 schreibt Ariost emport an Maria Equicoli in Mantua, il Duca und il Cardinale hatten ihm einen Besitz im Werte von 10 000 Dukaten geraubt, der schon seit drei Jahrhunderten seiner Familie gehore; ihm geben sie den Rat, sich mit Marchen und Geschichten die Zeit zu vertreiben. Die Not zwang Ariost, dieses Unrecht zu vergessen, und sich um eine Anstellung zu bewerben. Lucrezia Borgia scheint dem Dichter geholfen zu haben, da sie sich gem mit beruhmten Leuten umgab. Alfonso ernannte Ariost am 23. April 1 51 8 zu seinem Cameriere und Familiaris mit einem Ein- kommen von 25 Lire monatlich und freiem Unterhalt fiir drei Diener und zwei Pferde.

So hatte es der Dichter mit dem Wechsel seines ,,Dienstes" ganz gut getroffen, aber bald fielen ihm mit der neuen Stelle schwere Pflichten zu. Die monatliche Bezahlung scheint nicht gereicht zu haben, er bat daher den Herzog um ein vorteilhafteres Amt,

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und da die Provinz Garfagnana den Este wieder zufiel, schickte ihn der Herzog im Februar des Jahres 1522 als Statthalter an der Spitze einer kleinen Schar von Bogenschiitzen nach Castelnuovo, damit er in der dortigen ,,Hauptstadt" die Regierung iibernehme. Die Garfagnana, ein Stuck Gebirgsland, in den Apenninen, war friiher estensischer Besitz gewesen, unter Julius II. und Leo X. stand sie unter romischer Herrschaft, nach Leos Tod ergab sie sich wieder den Este. Aber nicht die gesamte Bevdlkerung verlangte nach ferraresischem Schutz, ein Teil pladierte dafur, daB man sich der Florentiner Republik anschlieBe, ein anderer war fiir Unterwerfung an den Papst. Den Raubertruppen war im Gebirgsland schwer beizukommen, die ruhigsten Leute wurden aus Angst ihre Ver- biindeten. Die alte Sitte, daB Kirchen und Kloster ein sicherer Schlupfwinkel fiir Verbrecher waren, erschwerte das Aufgreifen der Rauber in unerhorter Weise, weil sie einmal iiber der Schwelle der Kirche jeder Macht spotteten.

Pekuniar ging es Ariost nicht schlecht, sein Einkommen war dreimal so groB wie am Hofe, aber er trug schwer an Regierungs- sorgen und an der Einsamkeit in dieser unwirtlichen Gegend. Die Langeweile in Castelnuovo war furchtbar, dem Dichter war zu Mute, als ware er schon tot.

Da si noiosa lontananza domo Gia sarei morto . . .

Durch Ferraras Gassen mochte er gehen, am Domplatz vor den Denkmalern ,, seiner Markgrafen" stehen bleiben, und er neidet es den Freunden, daB sie im Gasthaus ,,al Moro"1) fette Tauben und Kapaunen essen konnen.

In einer Satire, die er Sigismondo Malaguzzi, Annibales Bruder, schickte, schildert er seine Not.

Namentlich lastet ihm die Trennung von der geliebten Alessandra Benucci, die ihm nicht nach Castelnuovo folgen konnte. ,,Schnee und Berge, Walder und Abgriinde trennen mich von der, die mein Herz besitzt," klagt der Dichter; ,,mein Wohnhaus und die Um-

a) Bis auf den heutigen Tag besteht ein Cafe im erzbischdflichen Palast in den Arkaden unter diesem Namen.

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gebung machen mich nicht froh. Mein SchloB steht in einem tiefen Graben, und bei jedem Schritt aus dem Gefangnis gilt es im un- wirtlichen Apennin zu klettern. Wo immer ich bin, im Haus oder unter freiem Himmel nichts als Klagen, Zank und Fluch, iiberall dringen Stimmen zu mir, die Kunde bringen von Mord und Tot- schlag, HaB, Zorn und Vendetta."

Quest' e una fossa ove abito, profonda, D'onde non muovo pie senza salire Del selvoso Appenin la fiera sponda; O siami in Rocca, o voglia all' aria uscire Accuse e liti sempre e gride ascolto, Furti, omicidi, odi, vendette ed ire.

Das Land sollte beruhigt werden, und Ariost ist diese Aufgabe in der Hauptsache gelungen. Seine Verfiigungen gegen die Unter- stiitzung des Rauberwesens sind so gut,daB sieheute nochin einzelnen Gegenden Siziliens angewendet werden konnten. Wer einem Ban- diten Obdach gegeben, muBte eine Geldstrafe von fiinfzig Dukaten entrichten oder eine korperliche Zuchtigung erleiden. Einer ahn- lichen Strafe setzte sich aus, wer verborgene Waffen fuhrte. Wer verdachtige Leute sah, sollte in der nachsten Kirche dreimal Alarm schlagen. Zwei Drittel der Geldstrafen flossen der herzoglichen Kasse zu, das letzte Drittel bekam der Anklager. Ein volliges Aus- rotten des Rauberwesens wuBte die Geistlichkeit zu verhindern, die die Vereinigung von Garfagnana mit dem Kirchenstaat anstrebte und der daher die vollige Beruhigung der Provinz unter estensischer Herrschaft nicht willkommen war.

Auch die Regierung unterstiitzte den Statthalter nicht geniigend, man glaubte in Ferrara mit der bloBen Entsendung Ariosts nach Castelnuovo ein iibriges getan zu haben. Ariost klagt in seinen Be- richten, daB, wenn der Herzog ihm nicht helfe, die Ehre der Regie- rung zu wahren, er es aus eigenem Vermogen nicht konne, und wenn in Ferrara jene freigesprochen werden, die er bestrafen wolle, so untergrabe dies nur sein Ansehen. Ein Rauber, Moro del Silico, war aus Ariosts Gefangnis in das herzogliche Lager gefluchtet und wurde dort mit offenen Armen als Soldat empfangen. Der arme

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Statthalter klagte ferner dariiber, daB die Grenzen zwischen der administrativen und der richterlichen Gewalt nicht fest umschrieben seien, so daB man haufig nicht wisse, was dem Gouverneur oder was dem Gericht unterstande, am meisten aber leide er darunter, daB die weltliche Gewalt nichts iiber die Geistlichkeit vermoge, die infolgedessen selbst bei schweren Verbrechen straffrei ausgehe. Ein Geistlicher, Job, hatte der Mutter seiner Geliebten den Kopf zer- spalten und verbreitet, sie ware eines friedlichen Todes gestorben. Der Capitano machte ihm einen ProzeB und verurteilte ihn zu zehn Lire Geldstrafe, aber der Bischof von Lucca annullierte das Urteil, und der verbrecherische Geistliche verblieb nach wie vor in seinem Kirchsprengel. Sehr viel zu schaffen machte Ariost das SchloB S. Donnino, das der Familie de Madalena und den Grafen S. Donnino gehorte. Die Vendetta schwebte wie ein schwarzes Ge- spenst iiber jenen Mauern. Ehe Ariost in die Garfagnana gekommen war, hatte Genasio de Madalena den Grafen Giovanni di S. Don- nino ermordet und war nach Lucca gefliichtet. Die wirtschaft- lichen Zustande zwangen zu irgendeinem Einvernehmen, daher schlossen beide Familien Frieden; wer als erster die Vertrage brechen wiirde, hatte eine hohe Geldstrafe zu bezahlen. Bald nach Ariosts Ankunft totete Genasio Madalena, der Sohn des Familienober- hauptes Piero, die Witwe des Grafen Giovanni di S. Donnino und ihren Sohn Carlo. Nachdem er ihr Hab und Gut an sich gerissen, fliichtete er ins Lucchesische, um nach einiger Zeit, als wenn nichts geschehen ware, ruhig nach S. Donnino zuriickzukehren.

Damaligem Gebrauch gemaB hatte Ariost das Haus des Ver- brechers Genasio Madalena vernichten miissen, das tat er nicht und erlieB nur einen Haftbefehl gegen den alten Piero, als den moralischen Urheber des Mordes. Piero ergab sich nicht, sondern verteidigte sich in seinen wehrhaften Mauern. Die Grafen von S. Donnino bemachtigten sich Genasios und behielten ihn als Geisel, bis ihnen Gerechtigkeit widerfahren ware. Ariost verlangte die Herausgabe Genasios, aber die Donnino, die auf die Gunst des Herzogs pochten, erwiderten, daB ihnen das Urteil des Gouverneurs wenig vertrauenerweckend erscheine, und behielten ihren Ge- fangenen. Ariost bat den Herzog, ihn nicht im Stich zu lassen

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und auf Genasios Freilassung zu bestehen; wolle er aber seine Bitte nicht erfullen, so mdge er einen anderen Gouverneur schicken, der einen gesiinderen Magen habe, und die Beleidigungen verdauen konne, die die Regierung ihren Dienern zufiige. So lange er diesen Posten behaupte, ware er niemandes Freund als nur der der Ge- rechtigkeit. ,, Finch' io staro in questo ufficio non sono per avervi amico alcuno, se non la Giustizia".

Ariosts festes Auftreten blieb nicht ohne Erfolg, der Herzog zwang die Donnino, Genasio herauszugeben ; er wurde hingerichtet, die Madalena verlieBen das SchloB und fliichteten ins Florenti- nische.

Angesichts dieser Verhaltnisse fuhlte Ariost sich immer ungliick- licher. In einer seiner Satiren vergleicht er sich mit jenem Matrosen, dem der Konig von Portugal ein feuriges maurisches RoB ge- schenkt hat. Dankbar nahm der Matrose das Pferd an, aber ge- wohnt, das Segel und nicht die Ziigel zu handhaben, verstand er es nicht, sich im Sattel zu halten, und lag bald mit zerbrochenen Glie- dern am Boden.

Der Herzog lernte zwar Ariost schatzen, muBte aber zur Uber- zeugung kommen, dafi der Dichter nicht zum Gouverneur eines wilden Landes geschaffen sei. Als am 18. November 1523 KlemensVII. zum Papst gewahlt wurde, lieB der Herzog den Dichter durch seinen Sekretar, Bonaventura Pistofilo, fragen, ob er ferraresischer Gesandter beim neuen Papst werden wolle. Alfonso fiirchtete, daB er wie Julius II. und Leo X. einen Ferrara feindlichen Stand- punkt einnehmen wiirde. In der sechsten Satire antwortet Ariost Pistofilo, er dankt dem Freunde, daB er fur sein Fortkommen be- dacht sei, aber er konne in Rom nur wenig niitzen, da er es dank Leo X. verlernt habe, Hoffnungen auf die Medici zu setzen. Auch fehle es ihm an Mut, seinen Wohnsitz so fern von Ferrara zu neh- men. Wenn ihm der Herzog eine Gnade erweisen wolle, so moge er ihn wieder in die Hauptstadt berufen oder zum mindesten nicht weiter als nach Bondeno schicken, das nur zwolf Meilen von Ferrara entfernt ist. Zu langen Reisen fehle es ihm an Lust und Kraft. Der Herzog drangte nicht langer, lieB Ariost aber in Castelnuovo nur bis Mitte Juni 1525. Alfonso scheint Ariost nicht fur energisch

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genug gehalten zu haben, um die Provinz ganz zur Ruhe zu bringen, denn an seiner Stelle schickte er als Gouverneur eine sogenannte ,,eiserne Hand". Die Rauber scheinen Ariosts Gedichte bewundert, aber den Dichter wenig gefiirchtet zu haben; es wird erzahlt, daB einige Strauchdiebe ihm einst begegnet sind, den groBen Dichter voller Hochachtung begriiBt haben und ihn ruhig seines Weges ziehen lieBen.

Ariost wurde endlich die so heiB ersehnte Ruhe; sein Wohnort wurde wieder Ferrara, wo die geliebte Alessandra lebte. Ein Jahr, nachdem er sich dort niedergelassen, lieB er sich ein kleines Haus- chen bauen, kaufte Gartenland dazu und schrieb in der dort er- richteten Grotte seine Gedichte. Uber seiner Tur lieB er die Inschrift anbringen.

Parva sed apta mihi, sed nulli obnoxia, sed non Sordida, parta meo sed tamen aere domus.

Und da ihm das Dichten leicht fiel, wurde gleich noch ein zweiter Vers angebracht:

Piccola, adatta, e d' ogni signoria Scevra, e redenta sol col mio denaro Non sei sordida e vile, o casa mia!

Ariosts Sohn, Virginio, hat schlieBlich dem vaterlichen Hause eine dritte Inschrift hinzugefugt:

Sic domus haec Areosta Propitios habeat Deos Olim ut Pindarica.

Virginio berichtet in den Aufzeichnungen iiber seinen Vater, daB Ariost jeden iiberschussigen Soldo seines Einkommens dem Bau geopfert habe und immer andern und erweitern wollte. Er sagte, die am eigenen Herd mit 01 und Essig bereitete Rube sei ihm lieber als das Rebhuhn oder Wildschwein am fremden Tisch, und ebenso gut schlafe er unter einer Wolldecke als unter einer seidenen, gold- gestickten.

Ariosts Haus steht heute noch und gehort seit 1815 der ferrare- sischen Gemeinde. Es entspricht dem Charakter des Dichters:

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bescheiden, aber bequem, hell mit kleinem Hofchen und Garten, nicht viel groBer als die Behausung eines Kamaldulensermonchs. Platz genug gab es, um Rosen und Jasmin zu pflanzen und die Beete immer umzugestalten. Virginio neckte den Vater: wie er an seinen Versen feile, sie umarbeite, so gehe er auch im Garten vor. Keiner Pflanze gestatte er langer als drei Monate am gleichen Platz zu bleiben; einmal setze er Pfirsichkerne, ein andermal Samen, be- obachte die jungen Keime, gieBe, jate, grabe um, lockere den Erdboden, bis die armen Pflanzen inf olge ubergroBer Sorgf alt welken. Da er den Samen zu wenig kenne, erwarte er anderes als das, was aufgegangen. Einmal habe er Kapern gesetzt, sie taglich beobachtet und sich gefreut, daB sie so uppig wuchsen, bis sich herausstellte, daB die vermeintlichen Kapern wilder Flieder gewesen waren.

Wahrend der Dichter seine Beete begoB, hatten sich in Ferrara giinstige politische Veranderungen vollzogen. Der Herzog, der gewundene Pfade in der Politik ging, wurde Karls V. Alliierter, der ihm Modena und Carpi zusicherte. Klemens VII. suchte vergebens dies zu hintertreiben, der Marchese del Vasto unterstutzte den Herzog gegen den Papst, so daB die den Este feindlichen Plane der romischen Kurie zerstort wurden.

Zu diesem Marchese, der in Correggio als Veronica Gambaras Gast weilte, schickte Alfonso Ariost 1531 als Gesandten, zwecks AbschluB der Vertrage mit Karl V. Der Dichter wurde aufs liebens- wiirdigste empfangen, und da der Markgraf ihn fur den Kaiser einnehmen wollte, schenkte er ihm einen kostbaren Lapis Lazuli in Gold gefaBt, mit Kette und Kreuz, ja er setzte ihm sogar eine lebenslangliche Pension von zweihundert Dukaten aus. Als Karl V. im Herbst 1532 einige Tage in Mantua weilte, wurde Ariost von Alfonso dem Kaiser vorgestellt. Der Dichter iibergab dem Kaiser eine neue, umgearbeitete Auflage des ,,Furioso'a), und Karl V. kronte ihn eigenhandig, im Beisein des ganzen Hofes, mit dem Lorbeer.

Diese Ehrungen verrieten, wie es zumeist zu gehen pflegt, daB das Ende des groBen Dichters nahe sei. Ariost krankelte schon lange, und sein Tod ward durch die Arzte beschleunigt, die ihm so viel Medi-

x) Erschienen in der Druckerei von Francesco Rossi zu Valenza 1532.

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kamente verschrieben, dafi audi eine kraftigere, jiingere Kon- stitution diese langsam wirkenden Gifte auf die Dauer hatte nicht aushalten kdnnen.

Ein trauriges Ereignis machte ihm in seinen letzten Tagen starken Eindruck. In der Silvesternacht des Jahres 1532 entstand im ferraresischen Kastell ein starkes Feuer; die Loggia, die dem bischoflichen Palast gegeniiber lag, und der Saal mit der pracht- vollen Biihne, die Alfonso I. fur Theaterauffuhrungen hatte errichten lassen, brannten vollkommen ab. Auf der Biihne waren Ariosts Lustspiele aufgefuhrt worden, und ihr Untergang erschien ihm als Todesbotschaft.

Ariost hatte in seinem Testament um ein bescheidenes Begrabnis gebeten. Dieser Wunsch wurde erfiillt, weder die Herzoge, zu deren Ruhm er nicht wenig beigetragen, noch die Stadt, die er besungen, erwiesen ihm die letzte Ehre. Nachts, beim Licht von nur zwei Fackeln, ward der Korper des Dichters von vier Mannern aus dem Hause in die alte Kirche San Benedetto getragen, wo er im Beisein der engsten Familie beigesetzt wurde. Weder der Hof, noch das Volk von Ferrara waren bei der traurigen Feier zugegen. Lange dachte man nicht einmal daran, dem grdBten Dichter der Renaissance ein Denkmal zu setzen, und erst Ariosts Urenkel errichtete 161 1 jenes banale Grabdenkmal, das heute im langen Saal der Stadt- bibliothek in Ferrara steht. Urspriinglich befand das Denkmal sich in San Benedetto, aber als 1801 unter franzosischem Regime die Kirchen in Pferdestalle verwandelt wurden, respektierte der General Miolis wenigstens das Grabmal und lieB es in die Bibliothek iiberf iihren x) .

Ariost war in rangierten Verhaltnissen gestorben. Er hinterlieB zwei Hauser und ziemlich viel Kostbarkeiten und Silber. Zum Universalerben ernannte er seinen Sohn Virginio; seiner Frau ver-

x) Dem Magistrat von Ferrara erschien es im XIX. Jahrhundert Ariosts nicht ganz wiirciig, daB dies Denkmal gegen die kahle Bibliothekswand lehne. Infolgedessen wurde um das Denkmal eine phantastische, architek- tonische, griinrote Dekoration gemalt, eine der Verirrungen im Kunst- geschmack des vergangenen Jahrhunderts. Zum Schmuck des alten Denk- mals wurde eine Dekoration geschaffen, die hochstens in einer Jahrmarkts- bude angebracht ware.

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machte er die Einkunfte aus einem Laden, der unter dem Portikus des Palazzo della Ragione lag und an einen Handschuhmacher vermietet war, ferner alles bewegliche Hab und Gut, unter der Bedingung, daB sie Virginio zweihundert Goldskudi auszahle. Dem zweiten Sohn Gian Battista sicherte er Kost in Virginios Hause zu und zwei Golddukaten monatlich. Fur die Armen hinter- lieB er zehn markgrafliche Lire in Silber.

Nur soweit der Mensch der allgemeinen Kultur gedient hat, hat er ein Nachleben. Ein gleiches gilt fur Lander und Stadte. Zu Hunderten sind sie untergegangen, und jegliche Spur ihres Seins ist verwischt; nur jene bleiben lebendig, die GroBes geschaffen. Frsgen wir, wodurch sich Ferrara seinen Platz fur Jahrhunderte sicherte, so kann die Antwort kurz lauten: es ist Ariosts Werk. Die hohe Marmorsaule, die heute auf einem der grasbestandenen Platze steht als Postament fur einen lorbeergekronten Mann, ist das Symbol der geistigen Arbeit der Stadt, das sichtbare Zeichen ihrer Verdienste urn die Zivilisation.

Diese Saule hat eine interessante Geschichte. Um Ercoles I. Gedachtnis durch ein kostbares Denkmal zu ehren, hat die Ge- meinde von Ferrara noch zu seinen Lebzeiten zwei groBe Monolith- saulen kommen lassen. Die eine wurde durch Unvorsichtigkeit zertriimmert, die andere lag lange unbeniitzt da, da es nicht zur Aufstellung des Monumentes kam. Erst in der Mitte des XVII. Jahr- hunderts lieB der papstliche Legat sie aufrichten und darauf das Standbild des Papstes Alexander VII. anbringen, der iibrigens keinerlei Verdienste um Ferrara hat. Ein Jahrhundert spater, 1796, in der Revolutionsepoche, haben die Republikaner das Denk- mal des Papstes gestiirzt und eine Statue der Freiheit aus Gips auf die Saule gesetzt. Der General Bonaparte war bei dieser Feier- lichkeit zugegen. Als Ferrara 1799 in osterreichische Hande kam, wurde das zerbrechliche Freiheitsgebilde zertriimmert, und die Saule blieb leer. 1810, als die Republikaner wieder an der Spitze der Regierung standen, wurde Napoleons Marmorbild dort an- gebracht, wo einst die Statue der Freiheit gestanden hatte. Auch Napoleon war nicht lange Zeuge der wechselnden Schicksale der Stadt, da die Reaktion 1814 die verhaBte Statue entfernen lieB und

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wohl nicht sehr glimpflich mit ihr verfuhr. SchlieBlich besann sich Ferrara 1833 auf seinen groBen Dichter und setzte auf die hohe Saule den, dem dieser Platz zukam Ariost.

Ill

Das schone Portrat von Ariost, das die National Gallery in London 1904 aus einer Privatsammlung erworben hat, hat die gesamte kunstlerische und literarische Welt, die sich fur Italiens Vergangen- heit interessiert, auBerordentlich beschaftigt. Die Frage nach dem Urheber dieses auBerordentlichen Werkes wurde laut: Tizian oder Giorgione? sowie die zweite, ist ' die dargestellte Personlichkeit wirklich Ariost?

Auf die kritischen Erorterungen, welchem der beiden Maler dieses Portrat zuzuschreiben ist, kann ich hier nicht eingehen-; nach meinem Dafiirhalten ist es ein Werk von Tizian. Anders liegt die Frage, ob der Dargestellte, der etwa in den DreiBigen sein diirfte, Ariost ist oder nicht. Meiner Uberzeugung nach: Ja. Es wurde freilich darauf hingewiesen, daB Tizians Bildnis sich unterscheidet von dem allgemein als authentisch anerkannten Portrat des Dichters, das uns im Holzschnitt in der Ausgabe des ,,Rasenden Roland" von 1532 erhalten ist,aber es ist immer eine miBliche Sache, beiBildnissen, die um Jahre auseinander liegen, die Frage nach der schlagenden Ahnlichkeit zu stellen. Es kann sich nur darum handeln, ob die Form des Kopfes, die Nase und die allgemeinen Ziige beider Mo- delle solche Verschiedenheiten aufweisen, daB sie nicht nach der gleichen Personlichkeit gemacht sein konnen. Diese Verschieden- heiten fehlen hier, ja man kann sogar im verwitterten Kopf des fast Sechsundsechzigjahrigen leicht die Ziige des Tizianschen Jiinglings erkennen. Gliicklicherweise besitzen wir ein drittes Portrat von Ariost: Domenico Pogginis Medaille, der Dichter ist als Vierzigjahriger dargestellt, als er aus dem Dienst des Kardinals Ippolito ausschied. In diesem Bronze-Ariost ist der Tiziansche Kopf vollig wiederzuerkennen, und vom Holzschnitt laBt sich nur sagen, daB der Dichter friih gealtert ist und iiber seine Jahre verfallen

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wirkt. Pogginis Medaille zeigt auf dem Revers eine ziingelnde Schlange, der eine von oben hineinreichende Hand mit der Schere den Kopf abschneiden will, und die Aufschrift: ,,Pro bono malum." Diese Devise bezog sich auf die Ungerechtigkeiten, die Ariost von Ippolito erfahren hat.

Auf dem Londoner Portrat sieht Ariost den Beschauer friedlich, wenn auch etwas melancholisch an, und eine unsagbare Giite liegt iiber seinem Antlitz. Es ist eins der schonsten mannlichen Portrats aus der Renaissance. Dieser melancholische Ausdruck, diese groBen vertraumten Augen, ,, grand occhi di sogni", wie sie Ercole Strozzi genannt hat, vergiBt man nicht wieder. Das Portrat mag fur uns um so wertvoller sein, als es Ariost darstellt urn die Zeit, da er den ,,Rasenden Roland" geschrieben hat und im Dienste des Kardinals stand. Es bestatigt unsere Vorstellung vom Dichter vollstandig. Sanft und bescheiden, ohne groBe Forderungen an Welt und Gesell- schaft, nur nach Ruhe verlangend. ,,LaBt mich schreiben und arbeiten, stort mich nicht" das war sein Wunsch in jener Zeit der Feste und des Glanzes. Nur ein Gefiihl, eine leidenschaftliche Liebe, vermochte sein Gleichgewicht zu storen; unter ihrem EinfluB regte sich das heiBe Blut des Siidlanders, er war eifersiichtig und empfand sogar die Freude der Vendetta.

Ercole Strozzi beschreibt in einem seiner besten Gedichte ,,Venatio" eine Jagd, die 1496 von Karl VIII. veranstaltet wurde, als er sich zu seiner zweiten Expedition nach Italien riistete. Gegen jede Chronologie und Geschichte beteiligen sich an dieser Jagd: Ippolito d'Este, Cesare Borgia und die beruhmtesten damaligen Dichter: Bembo, Tebaldeo, Pontano, Tito Strozzi und wahrschein- lich auch Ariost. Jeder der Dichter hat schon ein Stuck Wild er- legt, nur der letzte, Ariost, ist nicht bei der Sache; anstatt der Fahrte des Wildes nachzugehen, treibt er die Hunde leidenschaftlich an:

Divisusque alio mentem committere tristeis Intempestivis elegis meditaris amores . . .

Dieser Ariost mit der hohen Stirn und dem vertraumten Blick tritt uns im Londoner Portrat entgegen. Wahrend der Jagd fesseln ihn seine Elegien.

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All seine Bekannten spotten seiner Zerstreutheit. Bei Pio in Carpi stent er friih auf und geht hinaus in die Felder in Pantoffeln und leichtem Morgenkleid. In Gedanken geht er immer weiter, bis er miide und hungrig in Ferrara ankommt. Ein andermal kommt ein Freund zu ihm im Augenblick, wo der Dichter sein Mittagbrot verzehrt hat. Der Wirt laBt zwar eine neue Schiissel auftragen, vergiBt aber ganz, daB das Gericht fur den Freund bestimmt war, und macht sich noch einmal iiber das Essen her, ohne dem Gast etwas anzubieten.

Oder er erzahlt seinen Freunden so viel phantastische Ge- schichten, daB der eine, der das Gesprach auf den nuchternen Boden der Wirklichkeit bringen will, boshaft unterbricht: ,,Was braucht man notwendig zu gekochten Eiern?" Ariost verstand die Frage nicht und sprach ruhig weiter, aber als er nach einem Jahre dem Fragenden begegnete, begriiBte er ihn mit der Antwort: Salz brauche man an erster Stelle zu gekochten Eiern.

Melancholie und Schmerz gehen zumeist mit einem vertraumten Wesen zusammen. Beim jungen Ariost fehlt diese Note nicht. Zwischen 1501 1503 schreibt er viel Epitaphe und dichtet auch sich selbst die Grabschrift, die mit den Worten beginnt:

Lodovici Ariosti humantur ossa Sub hoc marmore . . .

Fur gewohnlich schreibt man mit dreiBig Jahren noch nicht an seiner Grabschrift. Ariost empfand jedes Ereignis, jeden Schmerz tiefer als andere, und der Dichter sagt selbst von sich, daB er einen unsteten Geist habe, ,,mens impar". Diese Reizbarkeit fiihrte spater zu einer diistern Auffassung von V/elt und Menschen, zu der iibrigens die damaligen sozialen Zustande AnlaB genug boten.

Ariost faBte schon 1503, ehe er in den Dienst des Kardinals trat, den Plan zu einem Gedicht, das ,,con tromba eterna" das Rittertum und seine Kampfe verherrlichen sollte. Seine Freunde kannten diesen Plan, und Bembo riet ihm, seine Dichtung lateinisch zu schreiben, da er, der in seiner Jugend sich nur des Lateinischen in gebundener Sprache bedient hatte, im Volgare keine Ubung habe. Doch Ariost kummerte sich um diesen Rat nicht. Da das Italienische

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noch ein ungeschliffener Edelstein war, glaubte er, daB jener Dichter dem Volke dienen wiirde, der als erster wieder anfinge, im Volgare zu dichten. Lateinisch schreiben, hieBe Eulen nach Athen tragen.

Lodovico war schon iiber dreiBig Jahre alt, als er 1506 die ersten Biicher seines ,,Rasenden Roland" vollendete. Er las sie seinem Kardinal vor, der ihn gefragt haben soil: ,,Dove avete trovato, messer Lodovico, tante corbellerie?". Aus dieser Frage folgerte man, daB Ippolito Ariosts Dichtung wenig geschatzt habe. Zwar kommt es der Folgezeit wenig auf die Kritik eines Kardinals an, den Frauen, Pferde und Politik mehr als Literatur interessiert haben, aber da Ariosts Biographen Ippolitos Worten ein gewisses Gewicht beimessen, lohnt es, sie auf das MaB zuruckzufiihren, das ein Urteil dieser Art verdient. Man kann etwas Derartiges sagen, ohne die Dichtung im geringsten zu miBachten. DaB der Roland Marchen aller Art enthalt, ist nicht zu leugnen, doch der Kardinal hat das Ungewohnliche dieser Marchen begriffen, da er gleich den Anfang des Gedichtes fur seine Schwester, die Markgrafin von Mantua, hat abschreiben lassen. Isabella dankt brieflich fur die Zusendung, Ariosts Gedicht habe ihr groBe Freude bereitet, und sie habe zwei schone Tage bei der Lektiire verbracht.

Ariost hatte Bojardos Plan aufgegriffen und weiter gesponnen. Der Roman des Dichters aus Scandiano hatte groBen Erfolg gehabt, er entsprach dem literarischen Sehnen der Zeit, und da Bojardo seine Geschichte nicht zu Ende gefiihrt hatte, da seine Sprache veraltet klang, muBte jeder Dichter von groBerer Begabung da- nach streben, das Ideal des Ritterromanes zu vollenden. Schon Agostini hatte sein Bestes versucht, aber seine Gestaltungskraft langte nicht; die verfeinerte Gesellschaft der Renaissance verlangte nach etwas Besserem. Die Ritterromantik eignete sich besonders fur die damalige Epoche; diese Welt stand vor dem Auge des Dichters schon als geschlossenes Ganzes, sie begann allmahlich neue For men anzunehmen, andererseits bestanden die Bedingungen noch, die es moglich machten, sie sich in ihrem verflossenen Glanz vorzustellen. Zwar verkiindeten Alfonsos Waffen bei Ravenna schon eine ganz andere politische und kriegerische Ara, aber noch kampfte dort ein junger Fiihrer, der sich, als er einer schonen Frau

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denLiebesschwur geleistet, mit entbloBtem Arm ins Kampfgetiimmel geworfen, und niemand wagte dariiber zu lacheln.

Noch strahlte das Rittertum, die cavalleria, in einem gewissen Glanz. Als Karl V. wahrend seiner Kronung in Bologna den Ritter- schlag erteilte, indem er die Haupter mit dem Schwert beriihrte und die alte Formel sprach: ,,Esto miles" umdrangte die Jugend, die dieser Ehre teilhaftig werden wollte, den Kaiser in solchem MaBe, daB der ermiidete Monarch sich an seine Umgebung mit den Worten wandte, seine Krafte waren erschopft, ,,non puedo mas", und da er sich nicht anders zu helfen wuBte, schwang er das Schwert in der Luft iiber die sich drangende Menge und rief: ,,Estote milites, todos, todos!" ,,Seiet Ritter, alle, alle." Eine unbewuBte Vorhersagung Don Quichottes! Aretin, der damals in Bologna weilte, sammelte schon Material, um die Ritter zu ver- spotten, obgleich er sich wie ein Pfau blahte, als ihm Karl V. eine kostbare Kette um den Hals legte.

Ob Ariost mit seiner Dichtung irgendeinen politischen oder moralischen Z'weck verfolgt und ob die gesamte Komposition eine innere Einheit habe um diese beiden Fragen streiten sich seit jeher seine Kritiker: Voltaire, Guinguen6, Settembrini, de Sanctis, Rajna, Carducci, Monnier. Jeder sucht das Ratsel auf seine Weise zu losen. Die Tatsache allein, daB geistvolle Manner, die tief iiber Ariosts Gedicht nachgedacht, diese Frage nicht ohne weiteres zu losen vermogen, ist der beste Beweis, daB der ,,Rasende Roland" kaum eine Einheit hat, und daB die Ziele der Dichtung nicht klar sind. Uber Dinge, die klar liegen, entsteht kein Streit.

Wenn man an Ariosts Epos nicht mit dem Gedanken heran- tritt, einen bestimmten politischen oder moralischen Zweck finden zu miissen, so findet man das, was der Dichter in seiner schonen Anfangsstrophe verspricht: ,,Die Schilderung von Frauen, Rittern und Waffentaten, von Liebe, Cortesia und wichtigen Begebenheiten."

Le Donne, i Cavalier, l'arme, gli amori, Le cortesie, l'audaci imprese io canto . . .

Er will ein treues Abbild des Rittertums geben, den Leser erfreuen. Der Dichter folgt nur seinem kunstlerischen Zwang, er will schildern,

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was seine Phantasie beschaftigt, was seinen Geist genahrt hat Noch deutlicher als in jenen Versen driickt Ariost seine Absicht in einem Briefe an den Dogen von Venedig aus, den er um die Er- laubnis bittet, den ,,Rasenden Roland" drucken zu lassen. Er versichert den Dogen, daB er ,,in langer Arbeit und schlaflosen Nachten seinen Roman geschrieben, um Herren und Damen von edlem Geist zu erfreuen und zu erheitern", ,,per spasso e ri- creazione de' Signori e persone di animo gentile e madonne", und daB er ,,darin mannigfache Liebesgeschichten und krie- gerische Begebenheiten schildere, damit jeder sie mit Vergniigen lesen konne".

Die ritterliche Welt in ihrer Fiille und Schonheit darzustellen, die Gefuhle zu schildern, die diese farbige Welt beherrschen, Ehre und Liebe besonders, und die Natur in ihrer GroBartigkeit zu feiern das war Ariosts eigentlicher Zweck. Weder politische noch mora- lische Ziele haben ihn angefeuert, er gehorcht nur dem innern Zwang, unter dessen BotmaBigkeit er steht. Und da Ariost durch- drungen war vom Kult des Schonen, stromte in sein Gedicht seine ganze Seele, sein innerstes Sein, und seine Auffassung der damaligen Verhaltnisse von Politik, Familie und Frauen fand ihren Niederschlag in kostbaren Versen, obgleich dies nicht in der ursprunglichen Ab- sicht des Dichters lag. Trotz der groBen Objektivitat im Stil und in der Darstellung hat sich in der Dichtung das Ziel von selbst durch- gesetzt; die Einheit des Empfindens und der Phantasie geben dem Werk seine Geschlossenheit. Ariosts Gedanken schweifen zwar in feme Welten, aber er war trotzdem eine positive Natur, mit gesundem Menschenverstand und klarem Blick fur seine Um- gebung. Dafiir sind seine Satiren der deutlichste Beweis. Auch der ,,Furioso" enthalt eine Fiille gesunder Grundsatze und An- schauungen, und trotz seines phantastischen Anstriches gibt er ein vorziigliches Bild der Renaissance- Gesellschaft.

Rajna hat auf die Anleihen hingewiesen, die Ariost bei klassi- schen, mittelalterlichen und selbst zeitgenossischen Verfassern ge- macht hat. Er hat aus Ovid, Horaz, Catull, Tibull, Properz und Statius geschopft; Sallust, Livius, Cicero, Valerius Maximus, Apulejus haben ihm Inhaltliches geliefert. Der bretonische Sagenzyklus und nament-

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NEUNTES KAPITEL

lich der Roman ,,Giron le courtois" waren ihm reiche Fundgruben, und unter seinen unmittelbaren Zeitgenossen haben ihn Bojardo, Cieco da Ferrara und besonders der damals vielverbreitete Roman ,,Tirante el bianco" angeregt.

Diese Anleihen nehmen der Dichtung weder ihren Wert noch ihren Reiz, so wenig wie man Shakespeare Plagiate vorwirft, weil er Stoffe, die von anderen behandelt wurden, dramatisiert hat. Der ,, Orlando furioso" laBt sich mit dem Dom von Pisa vergleichen, auch dort wurden Saulen verschiedenster Herkunft zusammen- getragen, und doch ist ein einheitliches Werk daraus entstanden. Wie das Feuer im Hochofen, so schmilzt auch das Genie die ver- schiedenartigsten Metalle zur einheitlichen Masse zusammen. Jede Geschichte, jedes entliehene Faktum nimmt in Ariosts Phan- tasie ,,ariostisches" Geprage an.

Im allgemeinen ist das Kapital der Einfalle, der Imagination, der Vorrat an Inhalt in der Literatur der Volker erstaunlich klein, kleiner, als man im ersten Augenblick glaubt. Von der Bibel, dem Buch der Biicher, von Homer bis zu Goethe und Dumas gibt es gewisse Motive, die immer wiederkehren, nur die Aufmachung ist jedesmal eine andere.

Ariost schrieb zu einer Zeit, da der Islam das Christentum be- drangte und Karl V. die Volker des westlichen und mittleren Europa zusammenschloB, in der Absicht, ein Reich zu begriinden, das sich der im Osten drohenden Gefahr zu widersetzen vermochte. In dieser Beziehung glichen die Zeiten jener Epoche, da Karl der GroBe unter seinem Szepter halb Europa zusammenhielt und mit den Sarazenen kampfte. Die Themen aus Karls Zyklus waren bis zu einem gewissen Grade der Gegenwart angenahert, und der Dichter konnte sie mit neuem Leben fullen. Daher geht der Kampf gegen die Unglaubigen als politischer Grundgedanke durch die Dichtung. Daneben steht ein engerer, patriotisch-italienischer. Schon Bojardos Gedicht schloB mit dem Klage iiber Italiens Un- gliick; der Einfall der Franzosen hat Bojardo empfindlich ge- troffen. Italiens politische Lage hatte sich seitdem durchaus nicht gebessert, der fremde EinfluB wurde dem Volke immer ge- fahrlicher. Das Geschlecht der Este erscheint dem Dichter als der

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Felsen, an den Italien sich halten muB; Ariost verherrlicht das Haus von Ferrara, vielleicht auch deshalb, weil er in seinem Dienst steht, namentlich aber, weil Alfonso der Vertreter der starksten und altesten italienischen Dynastie ist, unter deren Standarte das Volk sich sammeln kann. Wie Vergil das £5>eschlecht der Julier gefeiert hat, so preist er die Este als das von der Vorsehung erkorene Herrscherhaus, das im Kampf mit den Feinden der Chri- stenheit die erste Rolle zu spielen berufen ist. Merlins Grabes- stimme verkiindet Bradamanta, daB sie die Stammutter dieses ritterlichen Geschlechts werden wird.

Rogier totet am Tage seiner Hochzeit mit Bradamanta Rodo- monte, den letzten Feind der Christenheit, und die Christenheit und die Familie der Este triumphieren.

Voltaires Behauptung, der „Orlando furioso" sei die „Ilias" und die ,,Odyssee" zugleich , ein heroisch-religioses Gedicht wie die ,,Ilias" und daneben in der Schilderung von Rogiers und Bradamantas Zusammenleben ein Bild aus dem Familienleben wie die ,,Odyssee" besteht zu Recht. Die Elemente des offent- lichen und des privaten Lebens der Renaissance schlieBen sich hier zu einem poetischen Bild zusammen. Carducci wundert sich, daB Ariost, der in Ferrara und seiner Umgebung gelebt und nur einen ganz kleinen Ausschnitt der Welt gekannt hat, trotz dieses begrenzten Horizontes kostliche Schilderungen einer Natur, die der Dichter so nie gesehen, geben konnte. Carducci pragt, um diese Tatsache zu erklaren, das schone Wort, daB ahn- lich wie in Karls V. Reich die Sonne nicht untergegangen ist, auch Ariosts Seele einen unendlichen lichtumflossenen Horizont hatte.

Ariost hatte ein scharfes Auge fur menschliche Schwachen. Fur ihn ist nicht wie fiir Bojardo die Liebe der Ursprung alles GroBen, sie ist nicht das sieghafte, allbezwingende Gefiihl. Sie be- deutet ihm mehr, sie ist die Grundlage der Familie, auf ihr baut sich menschliche Gemeinschaft auf. Dantes gottliche, Petrarcas platonische Liebe beginnen menschlichere Formen anzunehmen. Der vielhundertjahrige Gesang der Troubadours verstummt, das individuelle Empfinden muB sich den Pflichten gegen Familie

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und Vaterland unterordnen, damit es nicht wie die Liane, die Schlingpflanze des Sudens, wuchere und den starksten Baumen ihr Mark entziehe. Ein italienischer Schriftsteller vermutet, die Renaissance-Menschen hatten daran gekrankt, daB sie der Liebe zuviel Gewicht beigelegt haben; wichtigere politische Ziele traten in den Hintergrund, und die Not des Volkes fand weibische Manner.

Befreiend wirkt nach den Theorien eines verlogenen Platonis- mus, nach Petrarcas Klagen und Bembos Sonetten Ariosts Satire auf seinen Vetter Annibale Maleguccio, als er von dessen Absicht zu heiraten erfuhr. Zum erstenmal finden wir in der Renaissance- Poesie verstandige Worte iiber Weib und Ehe.

Nuchterne Erwagungen iiber die Frauen, wie in dieser Satire, fehlen im Roland, aber man fiihlt den Wechsel in der Auffassung der Liebe. Sie ist nicht mehr der Quell alles Guten, sie kann groBe Taten hindern, den Mann verweichlichen und zur Raserei. bringen.

Che non pud far d'un cor ch'abbia suggetto

Questo crudele e traditore amore,

Poi ch'ad Orlando pud levar del petto

La tanta fe che debbe al suo Signore?

Gia savio e pieno fu d'ogni rispetto,

E della santa Chiesa difensore:

Or per un vano amor, poco del zio,

E di se poco, e men cura di Dio.

(Orl. fur. IX, I.)

Rolandos und Rinaldos Liebe zur Heidin Angelica hat die ge- samte Christenheit in groBe Gefahren gestiirzt, Rinaldos Familien- gliick, der Frau und Kinder hatte, zerstort, Schande iiber seinen guten Namen gebracht und seinen klaren Sinn getriibt.

La gran belta che al gran signor d'Aglante Macchio la chiara fama e Palto ingegno.

(Orl. fur. VIII, 63.)

Ariosts Dichtung steht an der Grenze zweier Jahrhunderte und Auffassungen; der groBe Ferrarese beschlieBt die Periode der

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Ritterpoesie, den Umkreis der Ideale der Signori und Capitani di Ventura, und man ahnt den Beginn einer neuen Zeit mit neuen sittlichen Idealen. Ariost ist nicht mehr Ghibelline wie Dante, er strebt nicht mehr danach, die Macht des Kaisers zu erweitern, die italienische Dynastie der Este mochte er an der Spitze des Vblkes wissen. Als Dichter und Asthet liebt er die Ritterwelt, die dem Untergang geweiht ist, er verehrt ihre Grofie, ihre Tugenden and Vorziige. In einer wunderschonen Stanze schildert er, wie der Sarazene Ferragu und Rinaldo nach einem furchtbaren Zwei- kampf, der unentschieden geblieben ist, beschlieBen, Angelica zu folgen, um ihre Spur nicht zu verlieren. Beide steigen voller Ver- trauen, als Ritter sonder Furcht und Tadel, auf ein RoB damit yerleiht er seiner Verehrung ritterlicher Tugenden lebendigsten Ausdruck.

O gran bonta de' Cavalieri antiqui!

Eran rivali, eran di fe diversi,

E si sentian degli aspri colpi iniqui

Per tutta la persona anco dolersi;

E pur per selve oscure e calli obliqui,

Insieme van senza sospetto aversi.

(Orl. Fur. I. 22.)

Mit wundervoller Anschaulichkeit schildert Ariost jede Szene, jede Landschaft. In hochstem MaBe ist sein Gefuhl fiir die Natur entwickelt, deshalb sagt auch Galilei, indem er ihn mit Tasso vrergleicht, daB Tasso Worte und Ariost Dinge sage.

Rogiers Fahrt auf dem Hippogryphen, seine Jagd durch die Liifte auf dem gefliigelten Renner ist so phantastisch, so groB- artig und zugleich so anschaulich, daB wir glauben, an diesem vvilden Ritt teilzunehmen. Und wie farbig sind diese paradiesischen Gegenden, die sich vor uns entrollen, wie iippig und von siidlicher Sonne durchgluht! Die Beschreibung von Rogiers Aufenthalt auf der Insel Aretusa ist ein Meisterwerk.

Als der Roland fertig war, im Jahre 1515, war Ariost ein- undvierzig Jahre alt, aber er hat sein ganzes Leben weiter daran gearbeitet. Er las ihn seinen Freunden vor, bat, daB man ihn auf

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Provinzialismen oder Holprigkeiten im Vers aufmerksam mache. Zu diesen vertrauten Korrektoren gehorten Bembo, Molza, Na- vagero, Sadoleto und Marc Antonino Magno. Das in Florenz ge- sprochene Italienisch erschien Ariost als das reinste, er hat seine Sprache dem Toskanischen immer mehr angegliedert, norditalie- nische Ausdriicke durch Florentiner ersetzt, gefeilt und jeden Vers harmonisch und sangbar gestaltet.

Die schone Sprache, die farbigen, so plastischen Bilder, die scharfe Beobachtung der Natur bilden den Hauptreiz von Ariosts Dichtung. Er war der groBte Dichter der Renaissance. Italien hat, von Dante abgesehen, keinen volkstiimlicheren Dichter als Ariost, und auf der gesamten Halbinsel gibt es kaum einen Landmann, kaum einen Schuler, der nicht wenigstens einige Stanzen des ge- liebten ,,Furioso" auswendig wiiBte. In Sizilien sind die kleinen zierlichen zweiradrigen Wagen zumeist mit Szenen aus Ariost oder Tasso bemalt, in Ariosts Oktaven, die im Gedachtnis des italie- nischen Volkes haften, ist das Bild der ritterlichen Vergangenheit des Volkes lebendig.

Es ist seltsam genug, daB in dem kleinen Ferrara, diesem heute vergessenen Landchen, fiinfzig Jahre nach Bojardo das groBte Rittergedicht entstanden ist, und daB wieder fiinfzig Jahre spater Tasso dort sein ,,Befreites Jerusalem" geschrieben hat. Im Jahre i486 war ,, Orlando Innamorato" vollendet, 1532 ,, Orlando Furioso", 1581 ,,Gerusalemme Liberata". Es wurde darauf hingewiesen, daB es im Laufe von drei Jahrtausenden nur fiinf groBe Epiker gegeben hat, und davon stammen zwei aus Ferrara. Griechenland hat Homer, Rom Vergil, England Milton und Ferrara Ariost und Tasso erzeugt.

Ariosts Epos war von ungeheurem EinfluB auf die europaische Literatur und hat befruchtend auf groBe Talente gewirkt. Im XVI. Jahrhundert hat Edmund Spenser seine ,, Faerie Queene" ge- schrieben, im XVIII. Voltaire seine ,,Pucelle" und Wieland seinen „Oberon", im XIX. Byron seinen „Don Juan". Im XVI. Jahr- hundert gab es noch eine Reihe spanischer Nachahmungen Ariosts. Nur der polnische Dichter Mickiewicz ist in seinem „Pan Tadeusz" andere Wege gegangen.

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1515 erschien die erste Ausgabe des ,,Furioso". Leo X., von

dem Ariost so viel erhofft und der ihm so wenig gehalten hat,

erlieB wenigstens eine Bulle, um das literarische Eigentum des

Dichters zu schiitzen. Jedem, der das Buch nachdrucken oder ohne

Erlaubnis des Verfassers verkaufen wurde, war der papstliche Bann

angedroht. Sadoleto kontrasignierte das papstliche Doku-

ment, und in Bibbienas Bureau wurde es auf Kosten

des Dichters ausgefertigt und verschickt. Dies

veranlaSte ihn zur satirischen Bemerkung:

Mi fu, della quale ora il mio Bibbiena Espedito m' ha il resto alle mie spese.

ZEHNTES KAPITEL

RENATA DI FRANCIA

errara, Ferrara, corpo di Dio, ti avro!" „Beim Leichnam Christi, du wirst mein, Ferrara!" rief Julius II. in seiner soldatischen Ausdrucksweise, aber die Wiinsche des kriegerischen Papstes sollten nicht in Erfullung gehen. Alfonso I. verteidigte Ferrara mit den Waffen so gut wie mit seiner diplomatischen Geschicklichkeit. Leo X. hatte keinen anderen Wunsch wie sein Vorganger, Julius II., wenn er ihn auch zahmer ausgedriickt hat. Aber auch dieser Papst starb, ohne seine Plane verwirklichen zu konnen. Da lieB Alfonso in seiner Freude eine Medaille schlagen mit einem Schafer, der ein Lamm den Klauen des Lowen, Leone, entriB, darunter stand die Aufschrift aus dem Buch der Konige: De manu Leonis.

Aus diesen Kampfen mit zwei Papsten ging Ferrara machtiger hervor, als es je gewesen war. Das Land erstreckte sich vom Ufer des Adriatischen Meeres fast bis zur Bucht von Genua, und der Kaiser sowie der Konig von Frankreich bewarben sich um Alfonsos Freundschaft. Die in Cognac geschlossene heilige Liga, Franz I., die Florentiner und der Kaiser sie alle wollten ihn zu ihrem 'Heerfuhrer wahlen. Nach Leos X. Tod schickte Alfonso seinen funfzehnjahrigen Sohn Ercole nach Rom, damit er dem neuen Papst Hadrian huldige und seine Gunst gewinne. Dem Jiingling gefiel es in Rom auBerordentlich gut, der Papst umarmte ihn, sagte, daB er von den besten Absichten fur Ferrara erfiillt sei, und der begluckte Vater rief: ,,Mein Gott, ich danke dir, daB du

RENATA DI FRANCIA

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mir solch einen Sohn gegeben!" Alfonso hat es bei der Erziehung dieses Sohnes nicht an Sorgfalt fehlen lassen; da er selbst keine literarische Bildung hatte und haufig diesen Mangel beklagt hat, wollte er seinem Sohne ein grundliches Wissen geben und hielt ihm die besten Lehrer. Der Knabe machte lateinische Gedichte, war von groBer Beredsamkeit und in alien Wissenszweigen erfahren. Auch Musik wurde griindlich geiibt, da Alfonso einmal gelesen hatte, Themistokles hatte als Mann von schlechter Erziehung gegolten, da er nicht Zither spielen konnte. So wurde Ercole nach dem Bericht eines gleichzeitigen Chronisten in alien drei Arten der Musik unterwiesen: in der ,,enharmonischen, diatonischen und chromatischen" nach unseren Begriffen hatte der junge Este wenn nicht Komponist, so doch zum mindesten Dirigent eines Orchesters werden konnen. Bei der Erziehung des Jiinglings wurde nicht allein auf die Bildung des Geistes geachtet. Keiner seiner Gefahrten tat es ihm in gymnastischen Ubungen gleich, er sprang iiber die breitesten Graben, ritt die wildesten Pferde, handhabte Lanze und Speer glanzend, und war Sieger in jedem Turnier. Dazu war Ercole ein gutgewachsener, schoner, kraftiger Mensch von sehr einnehmendem Wesen. Der Vater hatte ihn fruh zur Beratung allge- meiner Angelegenheiten herangezogen, so daB es ihm auch in dieser Beziehung schon als Jiingling an der notigen Erfahrung nicht fehlte. Fur einen solchen Sohn war es nicht schwer, eine Gattin zu finden, und als Ercole kaum siebzehn Jahre alt war, begann man sich nach einer passenden Partie fur ihn umzusehen. Zwischen drei Fiirstinnen schwankte die Wahl: Margarethe von Osterreich, Karls V. natiirliche Tochter, Katharina von Medici, die spatere Kdnigin von Frankreich, und Renata, die Tochter Ludwigs XII. und der Kdnigin Anna, standen auf der engeren Liste. Alfons fiihlte sich stark genug, um fur seinen Sohn um die Hand der franzdsischen Konigstochter anzuhalten. Das Geschlecht der Este war alter als das Konigsgeschlecht von Frankreich, denn wahrend sich dieses kaum bis zum Jahre 862 zuruckverfolgen lieB, war Bonifazio Este, der Graf von Lucca und Fiirst von Toskana, schon im Anfang des IX. Jahrhunderts eine bekannte Personlichkeit gewesen. Franz I., der in Frankreich regierte, als sich Alfonso um Renatas Hand fur

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ZEKNTES KAPITEL

seinen Sohn bewarb, nahm diesen Plan sehr gnadig auf, hoffte er doch in den Este einen machtigen Bundesgenossen in seinem Kampfe um Mailand zu finden. Dieses Herzogtum zu erobern, gehdrte zu seinen heiBesten Wiinschen.

Die Verhandlungen fuhrten schnell zum gewunschten Resultat, und Ercole brach am 3. April 1528 nach Frankreich auf, um seine Gemahlin abzuholen. In seinem Gefolge waren hundertfiinfund- fiinfzig Menschen, hundertneun Pferde und siebenunddreiBig Maul- tiere. Unterwegs vergroBerte sich der Zug, da der ferraresische Adel sich drangte, den jungen Herzog nach Paris zu begleiten. Ercole ging uber Spezzia, Genua und Savona, um Mailand zu ver- meiden und dem Kaiser nicht in die Hande zu fallen, der, unzufrieden uber die Vereinigung der Este mit dem Hof von Frankreich, Ercole unter irgendeinem Vorwand hatte aufhalten und gefangen nehmen kdnnen.

Am 22. Mai empfing Franz I. den jungen ferraresischen Erb- prinzen in Saint Germain, Ercole hatte zu diesem Feste ein kost- bares Gev/and angelegt und stand an der Spitze von hundert- fiinfzig vornehmen Rittern. Von Renata, die er noch nicht kannte, empfing er keinen iibermaBig angenehmen Eindruck. Der ferrare- sische Gesandte berichtet Alfonso: ,,Es scheint, daB der junge Herzog eine schonere Braut lieber gesehen hatte." Renata war klein und zart, sie hatte ein rundes Gesicht, kleine blaue Augen und einen sehr kleinen Mund, ihre FiiBe waren von Kindheit an infolge rhachitischer Leiden krumm. Ihre groBten Reize waren langes Haar, ein guter Teint und ein Busen von schneeiger WeiBe; selbst die Hofpoeten wuBten, abgesehen von diesen Vorziigen, auBere Reize an ihr nicht zu entdecken. Francesco Maria della Rovere, der Herzog von Urbino, nannte sie ,,un mostro", aber der Herzog war fur seine bose Zunge bekannt und iibertrieb gern. ,,Eine MiBgeburt" war sie nicht, aber ihre Portrats im Musee Conde zu Chantilly, und in den Sammlungen der Fiirsten Czartoryski beweisen zur Ge- niige, daB Ercole, der die schonen Italienerinnen gewohnt war, eine nicht geringe Enttauschung beim Anblick seiner kiinftigen Gemahlin erleben muBte. Sie war aber sehr lebhaft, ,,un esprit tout de feu", sehr gut erzogen und fiihrte ein Gesprach nicht ohne Anmut.

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Der ,,ritterliche" Franz I., der seinen kunftigen ,, Cousin" mit sehr viel Pracht empfing und Renata eine groBe Mitgift versprochen hatte, begann unmittelbar nach der Trauung Geldanleihen bei Ercole zu machen. Zu seiner Expedition gegen die Lombardei wollte er von den Este ftinfzigtausend Taler haben. Der arme Ercole erschrak, als er an Stelle der erhofften Mitgift fur das franzo- sische „Monstrum" auch noch bezahlen muBte. An denVater wagte er sich nicht zu wenden, denn ailein die Reise nach Paris hatte dreiBigtausend Taler verschlungen und fur hunderttausend hatte er seiner Verlobten Geschenke gemacht. Da er sich nicht anders helfen konnte, verkaufte er einen Teil der Pferde, mehrere kost- bare Gerate und Kleinodien, anderes wurde versetzt, bis er die dem Konig notige Summe zusammen hatte. Aber nachdem Franz I. die Nichte verheiratet und das Gold der Este in der Tasche hatte, begann er wegen der Mitgift zu handeln, und die versprochene Summe wurde immer kleiner. Er benahm sich wie ein Wucherer; zuerst hatte er Renata zweimalhunderttausend Taler versprochen und einen ebenso groBen Betrag ausgesetzt, um sie fur den Verzicht auf die Bretagne zu entschadigen, auf die sie durch ihre Mutter Rechte hatte. Nach der Hochzeit bewilligte er nur vierzigtausend Taler Mitgift und ein jahrliches Fixum von zwolftausend, obgleich die Bretagne ailein jahrlich iiber zweimalhunderttausend Taler abwarf. Trotz dieses Handelns und des groBen Geldmangels am franzo- sischen Hof waren die Hochzeitsfeierlichkeiten groBartig und nahmen kein Ende. Der Konig gab ein so prachtiges Bankett, daB selbst die Hoflinge, die groBartige Feste gewohnt waren, nicht aus dem Staunen kamen. Die anhaltenden Feste iiberstiegen selbst die Kraft des jungen Paares, Ercole bekam Fieber und Renata qualende Kopfschmerzen. Der Hofpoet, Clement Marot, trostete sie in einem langen Hochzeitskarmen iiber den Verlust des jung- fraulichen Kranzes, der Apfelbaum gelte mehr, wenn er Fruchte, als wenn er nur Blumen trage.

Fille de roy, adieu ton pucelage, Et toutesfoys tu n'en dois faire pleurs; Car le pommier qui porte bon fructage Vault mieulx que s'il ne porte que fleurs.

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ZEHNTES KAPITEL

Marot schrieb dieses Gedicht in einer gliicklichen Stunde, Re- natas groBtes Verdienst waren fiinf gesunde Kinder, zwei Sonne und drei Tdchter, was wohl niemand dieser kleinen rhachitischen Prinzessin zugetraut hatte.

Einen Monat nach der Trauung brach das junge Paar nach Ferrara auf. Renatas franzosische Umgebung bestand aus hundertfiinfzig Personen, Ercoles Gefolge aus dreihundert. Eine Abteilung von Fourieren zog voraus, um Lebensmittel zu be- schaffen und die friedlichen Einwohner unterwegs aus ihren Hausern zu werfen, damit es Platz fur den Hof gebe. Es war eine beschwer- liche Reise, es ging iiber den Mont Cenis und durchs Piemonte- sische, und erst an der Grenze des estensischen Reiches erwartete Alfonso die Schwiegertochter, deren Wunsch, den Herzog kennen zu lernen, so lebhaft war, daB sie ohne diese Hoffnung die Strapazen nicht iiberstanden hatte. Wenigstens behauptet dies einer der esten- sischen Hoflinge in einem an den Herzog geschriebenen Brief. Wir wissen nicht, welchen Eindruck Renata auf Alfonso gemacht hat, spater war er ihr der beste Vater und Beschiitzer.

In Modena erwarteten die junge Frau die groBten Anstrengungen. Dort wurde ihr zu Ehren ein feierlicher Empfang veranstaltet. Der Statthalter Giacomo Alvarotti hatte ungewohnliche Vorbereitungen getroffen: den Schmutz und die Steine, die seit Jahrhunderten in den StraBen lagen, hatte er fortschaffen lassen und die Figuren zweier Engel verbessern, die an der Stadtuhr am Turm die Stunde zu schlagen hatten, aber diese Pflicht seit zwanzig Jahren nicht mehr erfiillten; Betten fur zweitausend Menschen wurden aufgeschlagen und Stalle fur fiinfzehnhundert Pferde hergerichtet, ungeheure Quantitaten von Lebensmitteln zusammengeschleppt, darunter so viel Zucker und Wachs, daB zwolf Maultiere zum Herbeischaffen dieser Ladung kaum langten. Diese Vorbereitungen waren not- wendig, da man in Modena auBer dem jungen Paar, dem Herzog Alfonso und dem ungeheuren Gefolge noch den Herzog von Mailand, den Markgrafen von Mantua und den Herzog von Urbino mit Gemahlin erwartete.

Alfonso wollte seine Schwiegertochter aufs festlichste emp- fangen und all ihre Wiinsche erfiillen. Er lieB es jedoch auch darin

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nicht an der notigen Vorsicht fehlen. In Modena hatte er einen sehr gefahrlichen Gefangenen, Girolamo Pio di Sassuolo, der auf Ver- anlassung des Bischofs von Casale, des papstlichen Kommissars in Piacenza, eine Verschworung gegen sein Leben angezettelt hatte. Rom war in seinen Mitteln nicht wahlerisch, urn Alfonso aus dem Wege zu raumen, Ferrara zu annektieren und dem Kirchenstaat einzuverleiben. Der Herzog fiirchtete, man konne Renata iiber- reden, ihn um das Leben des Verbrechers zu bitten; um dem vor- zubeugen, machte er kurzen ProzeB und lieB den Gefangenen ent- haupten, ehe Renata in Modena eintraf. So war die heikle Frage aufs einfachste geldst, und Alfonso kam nicht in die fatale Situation, seiner Schwiegertochter eventuell einen Wunsch abschlagen zu mussen.

Nach alter, nicht gerade schoner Sitte raubte die italienische Bevolkerung nach der Abreise beriihmter Gaste die ganze Ein- richtung, samtliche Gegenstande, die zu ihrem Empfang gedient hatten. Um die franzosischen Gaste nicht durch diesen Brauch zu argern, erlieB der Statthalter ein Verbot, das Maultier, auf dem Madame Renata in die Stadt kame, anzuriihren, ihre Sanfte fortzu- nehmen, den Baldachin zu zerreiBen oder sich Waffen anzueignen, die ihren Hoflingen angehorten, da der Herzog selbst die Absicht habe, diese Dinge unter das Volk zu verteilen, um sich nicht iibler Nachrede auszusetzen.

DieFestlichkeiten,Balle,Turniere und Pferderennen dauerten zehn Tage, waren aber ohne rechte Freudigkeit, denn das Land hatte sich kaum von einem groBen Ungliick einer pestilenzartigen Seuche erholt, und das Elend in der Stadt war so furchtbar, daB die Armen wahrend der Feste durch die StraBen liefen und um Erbarmen flehten, da sie Hungers stiirben; es gab keinen Tag, an dem man nicht vor irgend einem Portikus die Leichen Verhungerter gefunden hatte. AuBerdem triibte ein erneuter Anschlag auf Alfonsos Leben die Feste. Rom ruhte nicht: der papstliche Gesandte in Bologna hatte schon wahrend der Feste in Modena mit einem gewissen Paolo Luzzesco verabredet, den nach Ferrara heimkehrenden Fiirsten zu iiberfallen und zu toten. Alfonso blieb jedoch am vorherbestimmten Tage in der Stadt, und der Anschlag wurde entdeckt.

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Die beiden Este, Vater und Sohn, waren unablassig bemiiht, Renata einen giinstigen Eindruck von Italien zu verschaffen. Ferrara gehdrte damals zu den groBten Stadten von Europa, es hatte sechzigtausend Einwohner, soviel wie Rom unter Leo X., doch war es freilich mit Paris, das anfing sich zur glanzendsten Residenz zu entwickeln, nicht zu vergleichen. Die Este furchteten deshalb, daB ihre Stadt auf Renata und ihre Umgebung einen traurigen Ein- druck machen wiirde, und suchtcn ihr die ersten Tage im fremden Lande durch Feste zu verschdnern. Alfonso war Witwer, und da dem ferraresischen Hof die Hausfrau fehlte, kam die Markgrafin Isabella aus Mantua zum Empfang der Franzosin. Da infolge der Seuche viele Familien in Trauer waren und die Stadt einen traurigen Eindruck machte, befahl Alfonso, alien ohne Ausnahme wahrend des Karnevals bunte Kleider anzuziehen und in festlichen Ge- wandern zu Renatas BegriiBung an den FluB zu kommen. Wer es beim Anblick der kiinftigen Thronfolgerin an Freudenrufen fehlen lieB, verfiel einer Geldstrafe von fiinf Skudi. Ohne Zweifel wird Renata beim Einzug in Ferrara einen besonders starken Eindruck von der Lungenkraft der Bevblkerung erhalten haben.

Wahrend der ersten Wochen, die Renata in Ferrara verlebte, arrangierte Alfonso Kavalkaden, Balle und verschiedene andere Zerstreuungen. Am groBartigsten fiel jedoch ein Fest aus, das Ercole gab, urn dem Vater fur seine Miihe und die liebenswiirdige Aufnahme Renatas zu danken. Die Feier begann mit einer Auf- fiihrung von Ariosts ,,Cassaria"; da die junge Herzogin kein Italie- nisch verstand, muB die Frage of fen bleiben, wie weit sie sich dabei unterhalten hat. Das der Vorstellung folgende Bankett iibertraf alles, was man in Ferrara je gesehen. Allein der Haupttisch war eine Sehenswiirdigkeit. Fiinfundzwanzig groBe Zuckerfiguren, Herkules' Taten, zogen schon von weitem alle Aufmerksamkeit auf sich, und was soil man von den silbernen Tafelaufsatzen, den ungeheuren Kandelabern mit weiBen Wachskerzen, der Fiille der Schiisseln mit kalten Gangen sagen? Als ersten Gang trug man bei Trompetenklangen zehn Gerichte auf je 25 Schiisseln auf, wahrend sie serviert wurden, sang Madonna Dalida, von einem vortrefflichen Quartett begleitet. Dann servierte man noch sechs-

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trial je zehn verschiedene Gerichte auf 25 Schiisseln. Es wurden also im ganzen siebzig verschiedene Gerichte serviert, und zu jeder Schiisselserie gab es einen andern musikalischen GenuB. Dazu war ein beriihrnter spanischer Narr auf einem Dromedar gekommen, um die Gaste durch seine Scherze zu erheitern.

Nach dem Dessert, das in diese Kiichenstatistik nicht aufge- nommen wurde, wurde eine ungeheure Pastete aufgetragen, in der sich Geschenke fiir die Festteilnehmer befanden: Kalsketten, Arm- bander, Ohrringe, Barettagraffen, im Wert von zweihundert- fiinfzig Skudi.

Auf die erschbpfte, schwachliche Renata muBten diese an- haltenden Feste einen niederdriickenden Eindruck machen. Von den Tischen, die sich unter der Last der Speisen bogen, unter- schied sich der Palast, der ihr als Wohnung angewiesen war, in seltsamster Weise. Das ganze Gebaude war so verwahrlost, daB die Herzogin eines Nachts ihr Schlafzimmer in Eile raumen muBte, da die Decke einzustiirzen drohte. Die Franzosinnen, die mit Renata nach Ferrara gekommen waren, schildern die Stadt in den schwarzesten Farben. Die eine berichtet, Ferrara sei ein groBer Misthaufen, ein Nest von Flohen und Wanzen, mit einer Unzahl von Miicken als Beigabe, und das Quaken der Frosche und Krachzen der Raben hore man die ganze Nacht. Trotz der vierzehn Ehrendamen und der vielen franzoeischen Dienstboten fiihlte Renata sich sehr einsam und so fremd in ihrer neuen Urn- gebung, daB sie nicht einmal Lust hatte, Italienisch zu lernen. Die ganze Pariser Kolonie, die Herzogin an der Spitze, hielt sich in echt franzosisch-eingebildeter Art fiir etwas Hoheres als die Italiener und fiir ein Opfer der Politik. Ja noch mehr, Renata selbst betrachtete sich nicht als italienische Herzogin, sondern als diplomatische Ab- gesandte des franzosischen Konigs, die auf ihrem neuen Posten die Interessen Frankreichs zu vertreten hatte.

Schrieben ihr diese Interessen vor, gegen den Papst zu sein, so war Renata Roms Feindin, war der Kbnig von Frankreich mit dem Herzog von Ferrara unzufrieden, so wurde Renata fast zur Feindin des eignen Gatten, konspirierte mit seinen Gegnern und unterstiitzte sie, wo immer sie konnte. Trotz ihrer Gegner-

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schaft gegen den Papst hielt sie sich sehr eng an alle kirchlichen Vorschriften, sie war aberglaubisch, trug unter ihren Kleidern eine Schnur, mit der sich der heilige Francesco a Paolo gegiirtet haben soil, und lieB sich aus Chartres zwei Hemden schicken, genaht nach der Form des Hemdes der Mutter Gottes, das sich im dortigen Domschatz befand. Diese Anhanglichkeit an die romisch-katho- liche Kirche hinderte sie nicht, unmittelbar nach ihrer Ankunft in Ferrara die franzosischen Emigranten, die Hugenotten, za unterstutzen und zu protegieren. So wurde ihr Hof zur Zufluchts- statte der Emigranten, ihre Zahl wuchs mit jedem Tage. 1529 unterhielt sie beinahe zweihundert Personen; in ihrer Umgebung befanden sich vier Sekretare, sieben Ehrendamen, drei Kaplane, drei Kleriker, zwei Kirchensanger, sechs Zimmermadchen, sechs Kammerdiener, drei Tapezierer, ein Arzt, ein Apotheker und ein ganzer Stab von Stall- und Kuchendienerschaft. Der Unterhalt dieses Stabes hat jahrlich 50 909 Lire verschlungen. Die wichtigste Personlichkeit in der franzosischen Kolonie war Madame de Soubise, Renatas Freundin. Renata hatte, kaum drei Jahre alt, ihre Mutter verloren, auf dem Totenbette hatte Anna de Bretagne ihr Kind Frau von Soubise anvertraut, die gleichfalls aus der Bretagne stammte. Die Soubise war seitdem die unzertrennliche Gefahrtin der Prin- zessin, in Ferrara aber war sie ihr boser Geist, sie gestattete ihr nicht, ihre Interessen mit denen des Herzogtums von Ferrara zu identifizieren, und wachte streng dariibsr, dafl Renata bei jedem Schritt eingedenk bleibe, daB sie Pionierin des franzosischen Ein- flusses in Italien sei. Sie gestattete ihr nicht einmal, sich auf portu- giesische Art anzuziehen, der damals in Italien herrschenden Mode, sondern iiberredete sie, bei franzosischen Kleidern zu bleiben, die ,,anstandiger und fester anschlieBend waren".

Die jedes MaB iibersteigenden Ausgaben fur den Unterhalt des Hofes und der ,,armen Franzosen", die sich von alien Seiten um Renata scharten, boten den ersten AnlaB zu MiBverstandnissen zwischen den Gatten, besonders da Frau von Soubise die Herzogin gegen ihren Mann aufhetzte. Als Ercole diesen schadlichen EinfluB erkannte, wollte er die franzosische Hofmeisterin nach Frank- reich zuriickschicken, aber das war nicht so einfach, da der Hof

RENATA DI FRANCIA B1LDNIS VON IK. CLOUET(?). SAMMLUNG FURST CZARTORYSK1 IN GOLUCHOW

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von Paris sie als seine geheime politische Agentin betrachtete und der alte Alfonso eine Vorliebe fur die amiisante Franzosin hatte, die ihn durch ihren Witz und ihre Lebhaftigkeit zerstreute.

Ercole muBte sich furs erste mit Madame de Soubise abfinden, namentlich da der KongreB von Bologna, der auch fur Ferraras Zukunft wichtig war, seine Gedanken und seine Tatigkeit vollauf in Anspruch nahm. Ferrara hatte in Klemens VII. einen nicht weniger hartnackigen Gegner als in Julius II. oder Leo X. Der Papst machte seinen ganzen EinfluB auf dem KongreB geltend, um nicht nur Ferrara an sich zu reiBen, sondern auch Modena dem Kirchenstaat einzuverleiben. Karl V. bedurfte jedoch des esten- sischen Staates, um das Gleichgewicht in Italien zu erhalten; er veranlafite daher den Papst, Alfonso nach wie vor Ferrara als Lehen zu iiberlassen, unter der Bedingung, daB der Herzog dem Papst auf der Stelle hunderttausend Dukaten auszahle und ihm fur die Zukunft einen Tribut von siebentausend verbiirge. Modena, Reggio und Rubiera sollten den Este auch in Zukunft als kaiserliches Lehen gehoren. SchlieBlich sollte der Papst Alfonso AblaB fur alle Siinden erteilen, die er gegeniiber der romischen Kurie begehen wiirde, vorausgesetzt, daB der Herzog um diese Entsiindigung einreiche. Alfonso fiigte sich den kaiserlichenBeschlus- sen, der Papst nahm das Geld zwar als ,, Depot", schloB aber keinen KompromiB, um sich die Hande nicht fur die Zukunft zu binden. Tatsachlich behielt Alfonso seinen Besitz; die Freude in Ferrara war dariiber sehr groB, und der Hof ward wieder lebendig. Bankette, Maskeraden, Komodien, Moresken, Turniere, Konzerte drangten einander, und Literaten und Gelehrte versammelten sich im Winter fast jeden Abend bei Ercole, so daB Ferrara Italiens Salon genannt wurde.

Das Verhaltnis zu Frau von Soubise spitzte sich immer mehr zu. Sie hatte einen Sohn und zwei Tochter; Anna de Parthenay, die altere, war mit Antonio de Pons, dem Grafen de Marennes, einem Edelmann, der am franzosischen Hofe lebte, verlobt. Anna war bei ihrer Mutter in Ferrara, de Pons in Frankreich, die Hochzeit wurde immer wieder hinausgeschoben, weil Ercole, wie Frau von Soubise behauptete, de Pons nicht in Ferrara haben wollte. Die Sache

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ZEHNTES KAPITEL

ging bis zu Kbnig und Papst. Klemens war damals in Marseille und bekundete in ziemlich ungewbhnlicher Weise seine Sympathie fur ,, seine geliebte Tochter, Anna de Parthenay, voller Tugenden und Wissen". In einem besonderen Breve vom 10. November 1533 erteilte der Papst ihr, dem Grafen de Pons und vier anderen Personen, die sie nach Gutdiinken zu bestimmen hatte, das Recht, sich einen Beichtiger zu wahlen, der die Befugnis hatte, zu entsiihnen ,,Mord, Ehebruch, Kirchenschandung, geistlichen Personlichkeiten zu- gefiigte Gewalt (mit Ausnahme von Bischdfen), iiberhaupt Ver- brechen jeder Art, die sie begehen konnten". Der Papst setzte also viel voraus und verzieh noch mehr, und das Ehepaar de Pons durfte viel siindigen im BewuBtsein, Verzeihung zu erlangen. Der Papst wuBte damals nicht und hatte diesem Umstand vielleicht auch nicht Gewicht genug beigelegt, daB Frau von Soubise und ihre Tochter Anna Calvins Freundinnen waren.

Dieser Gnadenbeweis des Papstes raumte alle Hindernisse aus dem Wege, und der Graf Pons begab sich unverzuglich nach Ferrara. Dort war alles freudig bewegt, da Renata am 22. November 1533 einen Sohn, Alfonso II., geboren hatte, der Ferraras letzter Herzog sein sollte. Zur Taufe hielt ihn der Erzbischof Ippolito d'Este, als Vertreter des Konigs von Frankreich.

Die Trauung von de Pons und von Anna de Parthenay fand in den ersten Tagen des Jahres 1534 statt. Ercole wollte dieser Festlich- keit nicht beiwohnen und ging fur kurze Zeit nach Venedig. Das junge Paar blieb in Ferrara, und Frau von Soubise erlebte einen vollkommenen Triumph, besonders da ihr Schwiegersohn der fast offizielle Agent des Konigs von Frankreich war.

Alfonso hatte den Wunsch, ein Biindnis mit Venedig zu schlieBen. Ercoles Reise in die Lagunenstadt hatte also einen bestimmten Zweck, und selbst die Herzogin Renata wurde spater in Gesellschaft des Erzbischofs Ippolito und Francesco d'Estes hingeschickt, um der machtigen Nachbarstadt zu schmeicheln. Die Republik empfing die franzosische Konigstochter aufs groBartigste, der Doge, Andrea Gritti, entbloBte sein Haupt vor ihr, was eine ungewohnliche Aus- zeichnung war; der Rat der Zehn lieB einen Teil der Rialto-Briicke auseinandernehmen, damit der Bucentaur, der Renata trug, vor

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dem estensischen Palast anlegen konne; es wurde getanzt, der Canale grande mit Fackeln beleuchtet, Freudenschiisse abgebrannt aber die venezianische Regierung wollte nicht verstehen, dafi es den Este urn ein Biindnis zu tun war.

II

Etwa gleichzeitig starben Klemens VII. und Alfons I., der Papst am 25. September, Alfonso am 28. Oktober 1534. Ferrara verlor einen seiner tuchtigsten und tapfersten Herrscher, aber auch einen seiner erbittertsten Gegner. Der sterbende Alfonso hatte noch die Freude, daB sein Freund, der Kardinal Farnese, als Paul III. auf den papstlichen Stuhl kam.

Renata vermachte Alfonso ,,als Beweis seiner herzlichen Zu- neigung" ein kostbares Kleinod, das ihrer wiirdig war. Die Testa- mentsvollstrecker sollten es unter seinen hinterlassenen Schatzen nach Gutdiinken auswahlen.

Unmittelbar nach Alfonsos Tod versammelte Graf Sacrato, der Giudice de1 savi, den groBen Rat, und bei Trompetenschall wurde Ercole zum Nachfolger ausgerufen. Der neu erwahlte Herzog trat auf die Plattform der SchloBtreppe, ganz in weiB gekleidet, den Mantel uber die Schulter geworfen, mit kostbaren Juwelen am Barett, dann bestieg er sein Pferd und ritt durch die ganze Stadt; zu seiner Rechten hielt sich sein Oheim, der Erzbischof, zu seiner Linken der mailandische Gesandte.

Das herzogliche Pferd trug eine weiBe Schabracke, und ein weiBer Federbusch nickte auf seinem Kopf. Vor der Kathedrale machte der Herzog Halt, stieg vom Pferd, trat ins Heiligtum und empfing dort den Treuschwur vom Richter der Savi, als Vertreter des ferraresischen Volkes. Ins SchloB kam er zu FuB zuriick, da das Volk alter Sitte gemaB das herzogliche Pferd fortgefiihrt und den Baldachin in Stiicke gerissen hatte, alles zum Andenken.

Diesmal vergaB Renata Frankreichs, sie erwartete ihren Gatten in einer kostbaren, golddurchwebten Robe mit langen, geschlitzten, zobelgefvitterten Armeln. Die Herzogin war von ihren schonsten

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Damigellen und hundert der vornehmsten Frauen Ferraras urn- geben. Als Ercole in den Saal trat, warf sie sich ihm urn den Hals, sie umarmten sich und waren so geruhrt, daB sie Tranen in den Augen hatten. Doch waren dies nur voriibergehende Empfindungen, nach dem Begrabnis des Vaters, bei dem eine ungeheure Pracht entfaltet worden war, begann Ercole, den jetzt keinerlei auBerer Zwang hinderte, einen scharfen Krieg gegen die Franzosen, die ihm das Leben vergifteten. Diesmal ohne Riicksichtnahme auf Franz I., der ihn immer getauscht, keine seiner Zusagen gehalten und ihn mit einer Schar franzosischer Spione umgeben hatte. Namentlich war es ihm darum zu tun, die Soubise los zu werden. Ercole machte ihr zum Vorwurf, daB sie seinen Ruf durch ihre Klatschereien schadige, und nach Frankreich berichte, daB er seine Frau schlecht behandle und keine franzdsische Dienerschaft um sie dulden wolle. Frau von Soubise wieder konnte sich bei Franz I. liber Ercoles schlechte Behandlung beklagen, sie miisse sogar Zoll fur die Kleider bezahlen, die sie aus Frankreich kommen lasse. Tatsachlich erhob Ercole Zoll von Frau von Soubise, da die schlaue Franzosin den Schmuggel in groBem MaBe betrieb, und eine Un- masse von Dingen aus Frankreich zum Verkauf einfuhrte, unter der Vorspiegelung, sie fur ihren eigenen Bedarf zu verwenden. Frau von Soubise fiihlte sich durch diese Beschuldigung verletzt, sie be- schloB, Ferrara zu verlassen, aber als der Tag ihrer Abreise ge- kommen war, blieb sie ruhig in Ferrara, namentlich da Ercole nach Rom gehen muBte, um sich beim neuen Papst um die Investitur von Ferrara zu bemuhen, die Klemens VII. trotz des empfangenen Geldes nicht bewilligt hatte. Paul III. blieb der Politik seines Vor- gangers treu, er wollte Geld haben, aber dachte nicht daran, die Investitur zu verleihen. Des Handelns mit dem Papst mude, verlieB Ercole plotzlich Rom und ging nach Neapel, wo Karl V. sich auf- hielt. Der Kaiser, der gleichfalls in Geldnoten war, empfing den Herzog sehr liebenswiirdig, da auch er Geld brauchte, und nach kurzen Verhandlungen erteilte er ihm die Investitur fur alle Lander, die der Herzog besaB. Ercole wurde ungeheure Summen los, und ein Teil des vaterlichen Erbes floB diesmal nicht in den papstlichen, sondern in den kaiserlichen Sackel. Rabelais, der am Hofe des

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Kardinals du Bellay in Rom war, schrieb damals nach Paris, ,,der Herzog miisse die Taler hergeben, die er von seinem seligen Vater geerbt, da ihn der Papst und der Kaiser nach Gutdiinken rupfen", ,,le Pape et l'Empereur le plumeront a leur vouloir". Ercole schloB sich ganz dem Kaiser an, beschloB dessen Politik zu fordern und mit den Franzosen zu brechen.

Wahrend der Herzog ins kaiserliche Lager iibergegangen war, trieb Frau von Soubise auf eigne Faust Politik in Ferrara. Um in Frankreich den Eindruck von Ercoles Reise nach Neapel ab- zuschwachen, kam sie auf den Einfall, daB Renata nach Lyon, wo sich Franz I. aufhielt, reisen sollte. Als Ercole in Rom von dieser Intrigue erfuhr, ging er sofort nach Ferrara zuriick, widersetzte sich diesem Plan energisch, und selbst Franz I. uberredende Briefe niitzten nichts. Ercole erwiderte schroff: ,,in Italien sei es Sitte, daB die Mutter ihre Kinder hiite und sich nicht auf Reisen be- gebe, auBerdem konne die beschwerliche Reise nach Frankreich iiber Berge und durch unruhige Lander Renatas schwacher Gesund- heit schaden". Ercole zwang Frau von Soubise trotz Renatas Widerspruch, sofort abzureisen; die intrigante Franzosin muBte am 20. Marz 1536 die Stadt der Frosche und Miicken verlassen. Die Herzogin beschenkte sie reichlich zum Abschied, lieB ihr eine be- queme Sanfte bauen und schenkte ihr 3500 Lire in Bargeld.

Die erzwungene Trennung von der Soubise traf Renata tief, sie ziirnte ihrem Manne, verlieB nach der Abreise der Gefahrtin langere Zeit ihre Gemacher nicht, wollte niemand sehen, und lebte nur in der Gesellschaft der franzosischen Damen.

Die Abreise der Soubise befreite Ercole von den gefahrlichen Franzosen nicht, es war nicht so leicht, sie los zu werden, wie er geglaubt hatte. Wahrend der letzten Monate ihres Aufenthaltes in Ferrara hatte Frau von Soubise mit Renatas Einwilligung den Dichter C16ment Marot eingefiihrt, der wegen der sogenannten ,, affaire des Placards" aus Frankreich hatte fliichten miissen. Im Ok- tober des Jahres 1534 hatte man in Paris an den Mauern des Louvre Plakate angebracht, in denen die Religion und die Messe verhohnt wurden; die Heretiker hatten sogar gewagt, diese Plakate in die koniglichen Zimmer in Blois zu werfen. Marot, der die Wiirde

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eines ,, valet de chambre du roi" inne hatte, wurde verdachtigt, zu den Urhebern dieser Religionslasterung zu gehoren, und da der Dichter dem Tod auf dem HolzstoB entrinnen wollte, verlieB er Paris in eiliger Flucht und verbarg sich bei der Konigin von Navarra. Aber Margaretha fiirchtete, ihren Bruder Franz I. zu beleidigen und gab dem Ketzer nur ungern Obdach. Gern folgte Marot der Ein- ladung der Soubise und kam nach Ferrara mit seinem funfzehn- jahrigen Sonne, seinem Freund Lg'on Jamet und einigen anderen Literaten und Theologen, die als Ketzer aus der Heimat verbannt war en.

Der erzkatholische estensische Hof wurde der Sammelpunkt franzosischer Emigranten, die mit Luther im Einvernehmen standen, gegen den Papst kampften und den Unglauben verbreiteten. Ercole wuBte nicht, wer Marot sei; er hielt ihn fur einen Franzosen wie die vielen anderen auch, die ihn argerten, und erst der ferraresische Gesandte in Venedig warnte ihn im August 1535 vor Marot, der zu den Anhangern Luthers gehore, aus Frankreich verbannt sei, und ,,leicht nach Ferrara jene Seuche einschleppen konne, die unser Herrgott nicht wiinsche". Aber der Herzog fiirchtete jene transalpine Krankheit nicht, noch hatte er keine Vorstellung von der Bedeutung der reformatorischen Bewegung, und so beschrankte er sich darauf, Marot und seinen Gefahrten das Versprechen ab- zufordern, daB sie in Ferrara als gute Christen leben wiirden. Der Dichter versuchte gleich, sich bei der Herzogin und bei Ercole durch Gedichte einzuschmeicheln. Renata war seine gereimte Lobes- epistel auf Ferrara gewidmet:

En traversant ton pays plantureux, Fertile en biens, en dames bien heureux, Et bien seme de peuple obeyssant, Le tien Marot (fille de Roy puissant) S'est enhardy, voir et a proteste, De saluer ta noble Majeste.

Marot war in Frankreich als Dichter ziemlich bekannt. In seinen Gedichten sparte er den Weihrauch fur die hofischen Schonen nicht; er war klein und haBlich, aber fest da von iiberzeugt, daB alle Frauen

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ihn lieben, iibrigens verstand er durch sein joviales und amiisantes Wesen die Menschen fur sich einzunehmen. In seiner Jugend hatte er in Paris die Reize von Diane de Poitiers besungen, spater hatte er Margaretha, der Schwester Franz L, gehuldigt, die ihn am Hofe untergebracht hatte; er nahm teil am italienischen Feldzug von 1525, geriet bei Pavia in Gefangenschaft und teilte das Los seines Konigs. In Frankreich wurde er nach seiner Riickkehr der Ketzerei verdachtigt und gefangen genommen; Diane de Poitiers, die seine Feindin geworden war, soil ihn angegeben haben; seinem Freunde, Lyon Jamet, gelang es, ihn frei zu bekommen; bald schienen beide dem Hofe gefahrlich und muBten wegen der ,,Plakate" aus dem Lande fliichten. Renata ernannte Marot zu ihrem Sekretar mit einem Einkommen von 200 Lire jahrlich. Aus Freude dariiber, schrieb er ein Epigramm. Er hatte audi alle Ursache zur Freude, denn dieses Amt legte ihm keinerlei Pflichten auf, und er wird wohl wahrend seiner ganzen Dienstzeit bei Renata keinen einzigen Brief fur sie geschrieben haben. Das erschien ihm wie den meisten anderen Hofdichtern als etwas Selbstverstandliches, denn fur die herzogliche ,,nourriture" zeigten sie sich durch ihre ,,ecriture" erkenntlich. Marot verliebte sich in Ferrara in Frau de Pons, und da er wenig Gegenliebe fand, wandte er seine Gefiihle der ko- ketten Renata zu, Frau von Soubises jiingerer Tochter. Die Frauen hatten viel Sympathie fur ihn, und er beniitzte diese Gelegenheit, um ihnen seine religiosen Ideen einzuimpfen, deren Verbreitung ihm sehr am Herzen lag. Namentlich bemiihte er sich, die Herzogin zu seinem Glauben zu bekehren, was ihm nicht schwer fiel, denn sie glaubte an alles, was aus Frankreich kam, und die Entfremdung, die zwischen ihr und Ercole eingetreten war, fesselte sie noch enger an die Heimat. Renata war freier erzogen als Ercole und seine ganze Umgebung; mit ihrem Mann konnte sie nicht iiber religiose Dinge sprechen, wahrend sie Marot und den anderen Franzosen von ihren Zweifeln sprach und den Papst und kirchliche Brauche scharf kritisierte. Sie war eine ernste Frau, hat sich von friih auf mit Wissenschaften, namentlich mit Mathematik und Astrologie, beschaftigt und ihr lebhafter Geist ergrif f alle neuen Ideen mit groBem Eifer. Brantome erzahlt in seiner ,,Vie des dames illustres", daB

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Renata grundlich iiber alle Wissenszweige, selbst iiber Astrologie, sprechen konnte. In Paris hatte sie den Ferraresen Antonio Bra- savola kennen gelernt, der dort estensischer Gesandter war, und in einer groBen Versammlung von Gelehrten und anderem Publikum hundert Thesen aus den ve'rschiedensten Wissenszweigen ver- teidigte. Allmahlich wurde Renatas Hof ein Mittelpunkt fiir die Gegner des Katholizismus, und Marot fachte immer wieder die Flamme an. Der Dichter war nicht Theologe wie Calvin oder Luther, und es war ihm weniger um philosophisch-theologische Grundsatze als um Gewissensfreiheit zu tun. Sein Freiheits- drang emporte sich gegen den Druck der Kirche, gegen die Ge- lehrten der Pariser Sorbonne, die das Studium des Griechischen und Hebraischen verboten, aus Angst, die Kritik der Bibel und der Kirchenvater konne zur Heresie fuhren.

Est deffendu qu'on ne voyse allegant Hebrieu ny Grec, ny Latin elegant Disant que c'est langage d'heretiques.

Unmittelbar vor der Geburt von Renatas drittem Kind (1535) widmet ihr Marot ein kiihnes Gedicht, indem er dem kommenden Kinde ein schweres Leben prophezeit, denn es wiirde den Kampf aufnehmen miissen, ,,contre ignorance et sa troupe insensee". Der Dichter widersetzte sich zwar dem Biindnis mit den deutschen Protestanten und fiihlte sich als Gegner Luthers, aber dafiir war er von Calvins Ideen erfiillt, die alle auBeren Formen der katho- lischen Kirche bedrohten und die Messe als heidnische Institution verwarfen.

Die franzosischen Ketzer in Ferrara: Marot, Jamet, la Planche, Cornilau, Bouchefort, Pons, Boutiers konnten unmoglich der Auf- merksamkeit der Geistlichkeit entgehen, die sowohl aus Ferrara wie aus Bologna nach Rom von den beunruhigenden Versamm- lungen an Renatas Hof berichtete. Einige Kardinale schrieben an Ercole, er miisse diesem Argernis ein Ende machen, da der Papst wohl wisse, was in Ferrara vorgehe und nicht dulden konne, daB gerade in dem Lande, das der romischen Kurie unterstiinde, der Kirche feindliche Ideen propagiert wiirden.

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III

Ferrara war seit jeher, soweit sein geistiges Leben in Frage kam, in Rom schlecht angeschrieben. Auf der dortigen Universitat und unter den dortigen Gelehrten herrschte schon unter Ercole und Alfonso I. ein sehr liberaler Geist, und namentlich mathema- tische und astrologische Studien standen dort in hohem Ansehen. Auch aus dem Norden kamen viel Schiiler; so war der Gedanken- austauscb zwischen Deutschland, Frankreich und der ferraresischen Universitat ein sehr reger.

Der Kardinal Ippolito hatte 151 8 den beriihmten deutschen Astronom Jakob Ziegler aus Ungarn mitgebracht, und im Beginn des Jahrhunderts hatte Kopernikus seinen Doktorgrad in Ferrara erworben, damals als die Gedankenfreiheit der Renaissance all- mahlich zu Ende ging. Schon im Jahre 1521 befahl Alfonso in- folge der Vorstellungen des Inquisitors von Bologna samtliche Druckereien und Buchhandlungen Ferraras daraufhin zu revidieren, ob sie ketzerische Biicher vertrieben, und etwa zwanzig Jahre spater muBte Cecco d'Ascoli sein Forschen nach Naturgesetzen auf dem Scheiterhaufen biiBen. Wer weiB, ob nicht auch Kopernikus das gleiche Schicksal ereilt hatte, wenn er sein Buch nicht Paul III., dessen Namen Schutz genug war, gewidmet hatte. Aber in diesen letzten Augenblicken der Gedankenfreiheit garte es gewaltig unter den Geistern; Pietro Pomponazzi, ein beruhmter Philosoph, der erst in Bologna, dann bis 1510 an der Universitat in Ferrara gelesen hat, leugnete die Unsterblichkeit der Seele. Der ferraresische Professor und bekannte Gelehrte Celio Calcagnini verteidigte seine beruhmten Thesen von der Bewegung der Erde, zu denen ihm, wie es scheint, die Kunde von Kopernikus' Feststellung verholfen hat1).

*) Nach der Annahme von L. A. Birkenmajer in seinem grundlegenden Werk „Nikolaj Kopemik" hat Calcagnini entweder 151 8, wahrend seines Aufenthaltes in Ungarn und Krakau, oder 151 9 auf seiner Riickreise nach Italien von Kopernikus' Entdeckungen durch den gelehrten Arzt Solfa er- fahren und spater seine Kenntnisse in seinen Vortragen in Ferrara ver- wertet, sowie in der Abhandlung, die er Pistofilo unter dem Titel gewidmet hat: „Quod coelum stet, terra autem moveatur, vel de perenni motu terrae commutatio".

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Der Ruhm der ferraresischen Universitat, als Mittelpunkt fiir mathematische und astronomische Studien, war so groB, da8 Paul III., als er die Kalenderreform begann, die erst unter Gregor XIII. ihren AbschluB fand, zu den Gelehrten, die sich mit der Losung dieser Frage beschaftigten, auch einen Ferraresen, Insoni, berief.

Auch Renata beschaftigten diese Studien; da sie ihre astrolo- gischen Kenntnisse als ungeniigend empfand, bat sie Lukas Gaurico, einen neapolitanischen Gelehrten, der an der Universitat in Ferrara dozierte, sie in die geheimsten Geheimnisse seiner Wis^senschaft einzufiihren. Gauricos astrologische Prophezeiungen vvaren be- riihmt, doch muBte er gelegentlich fur seine Kenntnisse biiBen; so hatte Bentivoglio ihm fur sein ungiinstig lautendes Horoskop Rutenstreiche verabreichen lassen. Auch ein anderer, sehr revo- lution^ gesinnter Universitatsprofessor, Palingenio Stellato (Man- zolli) , stand in Renatas Gunst; in Rom erregte es groBes Argernis, als dieser Gelehrte Renata sein Buch ,,Zodiacus vitae" widmete, denn er sprach uber das Monchstum in unflatigsten Ausdriicken, nannte den Papst einen Heiden und Luther den Racher des Glaubens. DaB Renata Bucher dieser Art mit einer gewissen Vorliebe durch- gesehen hat, beweist ihre ,,Livre d'heures", die sich heute in der Bibliothek von Modena befindet. Eine der Miniaturen zeigt einen Kardinal, der mit dem Papst Karten spielt, wahrend die Monche sich beim Wurfelspiel ergotzen. Im Hintergrund ziingeln Flammen aus dem Boden und ergreifen eine reich geschmuckte Kirche; auf dem Boden liegt eine Uhr, die die letzte Stunde zeigt: das Ende der Zeiten.

Renatas Beziehungen zu den Feinden der Kirche muBten- auffallen und bereiteten Ercole sicher Sorge genug.

IV

Frau Soubise, Frau Pons und Marot glaubten, daB Renata bereits geniigend vom Geist der Reformation erfiillt und daher der Zeit- punkt gekommen sei, um Calvin nach Ferrara zu rufen. Sie standen in geheimer Verbindung mit ihm und glaubten seine Wirksamkeit

RENATA DI FRANCIA

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in Italien jetzt in groBerem Umfang einleiten zu konnen. Calvin hatte seine beriihmte Abhandlung ,,Christianae religionis insti- tutio" soeben veroffentlicht und sich in der Einleitung an den Konig von Frankreich gewandt, den er davon uberzeugen wollte, daB er in der Verfolgung der kirchlichen Reformatoren Irrwege gehe. Sein EinfluB in der Schweiz, in Savoyen und Frankreich wuchs mit jedem Tage, immer mehr Jiinger scharten sich um den neuen Apostel. Nach Ferrara kam er mit einem seiner treuesten An- hanger, dem Kanonikus Tillet, und lebte dort unter fremdem Namen, um in der Stille wirken zu konnen. Renata empfing ihn insgeheim, nachts, versah ihn mit Geld und faBte in langeren Unterredungen ein solches Vertrauen zu ihm, daB sie seitdem fur immer unter seinem EinfluB blieb.

Calvins Anhanger befolgten die Taktik, in den Ortschaften, wo sie mehrere Freunde zahlten, wahrend der groBen Kirchenfeste, namentlich in der Charwoche und an den Ostertagen in die Kirchen zu dringen. In der allgemeinen Verwirrung zertrummerten sie die Kirchengerate, und wenn die Bevolkerung, die in der Hauptsache schon vorher gewonnen war, keinen Widerstand leistete, wurde der neue Kult sofort eingefiihrt.

Gelang der Uberfall nicht, so fluchteten die Sektierer, haufig nicht ohne empfindliche Verluste.

Calvins ferraresische Freunde scheinen den Augenblick schon fur geeignet gehalten zu haben, um einen Uberfall in der Kirche zu wagen und die allgemeine Verwirrung zu beniitzen. Am Charfrei- tag, wahrend die ,,Passionen" in einer der Hauptkirchen gesungen wurden und der Priester den versammelten Glaubigen das Kreuz zum Kusse reichte, begann ein junger Franzose, Gianetto, den Marot mitgebracht hatte, laut gegen ,,ein solches Heidentum" zu lastern. Dann verlieB er demonstrativ die Kirche. Ob es infolge- dessen zu einem weiteren VorstoB gekommen ist, wissen wir nicht. Gianetto war Hofsanger und fiihrte ein sehr unsittliches Leben, so daB man ihn schon wiederholt aus Ferrara hatte entfernen wollen, aber auf Renatas Fiirsprache war er im Dienst geblieben.

Nach dem Argernis in der Kirche lieB der Herzog Gianetto sofort gefangen nehmen, und da sich der Inquisitor in die An-

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gelegenheit mischte, wurde er am zweiten Ostertag auf die Folter gelegt, da man wissen wollte, ob er Mitschuldige habe. Gianetto nannte einige von Renatas Hoflingen; als man sie gefangen nehmen wollte, verschanzten sie sich dahinter, daB sie Untertanen des fran- zdsischen Konigs seien, aber sie erkannten selbst, daB diese Aus- rede wenig fruchten wiirde und fliichteten aus Ferrara, vermut- lich auf den Rat von Personlichkeiten, die der Herzogin nahe standen. Damit war der Vorfall nicht erledigt, Gianetto bot den AnlaB zu einer sehr lebhaften diplomatischen Aktion. Renata nahm sich seiner sehr warm an, schickte Boten an Franz I. nach Lyon, an die Konigin von Navarra, an den franzdsischen Gesandten nach Venedig und verlangte, daB man sich des Gefangenen an- nehme; Ercole dagegen schickte einen Bericht nach Rom. Infolge von Renatas Einmischung verlangte der franzosische Gesandte in Venedig die Herausgabe des Gefangenen als eines franzdsischen Untertanen, aber der Herzog lehnte sehr kiihl ab und iibergab die ganze Angelegenheit dem Inquisitor. Dem Inquisitor geniigte Gianettos Gefangennahme nicht; er verlangte, daB auch Jean Bouchefort, ein Geistlicher aus Tournay, einer von Renatas treue- sten Hoflingen und spaterer Sekretar, und Jean Cornilau, ihr Lieb- lingsdiener, den sie nach Ferrara mitgebracht hatte, eingezogen wiirden.

Infolge dieser Einsperrungen kam es zum offenen Krieg zwischen dem Herzog und Renata. Er verlangte die Bestrafung der Schul- digen, sie setzte mit der ganzen Hartnackigkeit und Leidenschaft- lichkeit der Bretonin Frankreich und Rom in Bewegung, um ihre Getreuen, als franzosische Untertanen, frei zu bekommen. Ercole hatte die Gelegenheit gern benutzt, um Frau Pons in die ganze Sache zu verwickeln und sie aus Ferrara fortzubekommen. Er schrieb dem Konig, ,,die Tochter ware arger als die Mutter, die Soubise, sie habe diesen ganzen Auftritt in der Kirche veranlaBt"; aber alle Klagen waren vergebens, der Konig wiinschte, daB sie bei Renata bleibe. Die Intriguen und Schreibereien zwischen Frank- reich und Ferrara wahrten lange genug und hatten das Verhaltnis des Herzogs zu Renata noch mehr verscharft, wenn nicht gliick- licherweise der Haupturheber, auf dem wahrend des Prozesses

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die ganze Verantwortung ruhte, unterwegs entflohen ware, als er unter militarischer Eskorte aus Ferrara vor das Inquisitionstribunal nach Bologna gebracht wurde. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben ihm die Soldaten selbst zur Flucht verholfen, und hinter den Soldaten stand Renatas Geld. Der Name dieses Radelsfiihrers der Ketzer wurde in den Akten der Inquisition so durchgestrichen, daB man ihn nicht lesen kann; man weiB nur, daB es eine be- deutende und gefahrliche Personlichkeit war. Die Historiker, die diese ProzeBakten durchforscht haben, nehmen an, der Gefangene sei entweder Calvin selbst oder Marot oder der Kanonikus Tillet gewesen; wahrscheinlich aber Calvin.

Nach der Flucht des Hauptschuldigen verlor der ProzeB viel von seiner Bedeutung, und da Rom mit Riicksicht auf den Konig von Frankreich milde gegen die Gefangenen verfahren wollte, wurden sie dem franzosischen Gesandten in Venedig unter der Bedingung ausgeliefert, daB sie nicht mehr nach Ferrara kommen diirften. Infolgedessen blieb an Renatas Hof von einfluBreichen Franzosen nur das Ehepaar de Pons zuriick doch gemigte dies fur weitere Intriguen.

Von besonderem Interesse in diesem ProzeB ist das Gestandnis eines Franziskaners, der an einer nachtlichen Zusammenkunft in Renatas Gemachern teilgenommen hat. Ein kleiner, unschoner Franzose, ,,un Gallo di bassa statura", sei leidenschaftlich gegen die papstliche Ubermacht aufgetreten und habe an verschiedenen Glaubenssatzen Kritik geiibt. Der Franziskaner kannte den Namen jenes Franzosen nicht, wahrscheinlich war es Calvin selbst, der nach der Schilderung der Zeitgenossen klein und mager war, eine olivenfarbene Gesichtsfarbe und schwarzes Haar hatte. Er soil ungewohnlich lebhaft, schlagfertig und logisch in seinen Folgerungen gewesen sein; hinter einer angenommenen Ruhe ver- suchte er die leidenschaftlichen Stiirme, die in ihm tobten, zu verbergen.

Unter Renatas Schutz fanden also in Ferrara, am herzog- lichen Hofe, Versammlungen der Reformierten statt ; wahrschein- lich versuchte man sogar die Kloster zu gewinnen, wenn selbst ein Franziskaner dazu eingeladen wurde.

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Um jene Zeit kam Vittoria Colonna nach Ferrara. Ihr Gatte, der Marchese de Pescara, einer der besten Heerfiihrer Karls V., der Sieger in der Schlacht bei Pavia, war 1525 an einer in dieser Schlacht erhaltenen Wunde gestorben, und die ungewohnliche Frail gab sich seitdem religiosen Batrachtungen hin. Franz von Assisi war ihr Ideal, ihre poetische Seele wurde von dieser schonsten Gestalt der religiosen Renaissance angezogen. Die Markgrafin hatte sich am liebsten in ein Kloster zuriickgezogen, aber ihre Familien- verhaltnisse, ihre Stellung innerhalb der Gesellschaft zwangen sie an der groBen religiosen Bewegung teilzunehmen, die nach dem Sacco di Roma ganz Italien ergriffen hatte. Sie lebte wie eine Asketin und kasteite sich in einem solchen Grade, daB ihre Freunde um ihre Gesundheit besorgt waren. Sie hatte sich zuerst in das Kloster S. Silvestro in Capite zu Rom zuriickgezogen, aber ihre Sehnsucht nach Ischia, wo sie die schonste Zeit ihrer Jugend ver- bracht hatte, war zu stark. Der Gedanke einer Kirchenreform be- schaftigte sie unablassig. Die katholische Kirche war damals noch nicht in jenen eisernen, unbeweglichen Rahmen gespannt, den ihr bald darauf das Tridentiner Konzil angelegt hat, und Erorterungen iiber Glaubensartikel und kirchliche Institutionen waren nichts Ungewohnliches; die Kirche war schmiegsam und hatte mehr als eine Reform durchgemacht. Die Notwendigkeit gewisser Re- formen in der Kirche laut zu betonen, gait noch nicht als hochste Ketzerei. In der italienischen Gesellschaft kam niemand auf den Gedanken, das Papsttum zu sturzen und den Katholizismus zu reformieren, man strebte nur nach einer Umgestaltung der Ver- haltnisse. Das gemeinsame Interesse fur diese Fragen brachte die Markgrafin Menschen naher, die aus ganzer Seele nach diesem Ziel strebten; es war jener kleine Kreis von Reformatoren, der sich um Juan de Valdes scharte. Vittoria Colonna hat wohl kaum angenommen, daB Valdes zu Luthers heiBesten Anhangern gehorte, und seine Lehren nur der italienischen Gesellschaft wegen in milderer Form bringen muBte. Valdes war Spanier, ein sehr geschickter und hochgebildeter Mann, der Bruder jenes Alfonso de Valdes,

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der 1530 als Sekretar Karls V. beim Reichstag in Augsburg Me- lanchthon kennen gelernt hatte. Nach dem Tode des Bruders wurde Juan zu Karls V. Sekretar ernannt, er begleitete den kaiserlichen Hof nach Bologna, war spater der politische Korrespondent des Kardinals Gonzaga und in der gleichen Mission in Neapel tatig.

AuBer Vittoria Colonna gehdrten zu Valdes' Anhangerinnen noch ihre Schwagerin Costanza d'Avalos, die Herzogin von Amalfi, und die schone Giulia Gonzaga, die der beriichtigte Korsare Chai- reddin Barbarossa im SchloB zu Fondi iiberfallen hatte, um sie zu entfiihren. Giulia wurde noch rechtzeitig von ihrer Dienerschaft gewarnt, und es gelang ihr, sich durch die Flucht zu retten. Mit zweiundzwanzig Jahren war sie Schulerin von Valdes und ent- ziickte alle durch ihre Anmut so sehr, daB der Reformator, der gegen Frauenschdnheit nicht unempfindlich war, bedauerte, daB nicht die schone Giulia an Stelle von Kaisern und Kdnigen die Welt beherrsche. Fur sie schrieb er 1536 das ,,Alfabeto christiano"; diese Abhandlung gibt eine Vorstellung vom reformatorischen Geist, der in dieser neapolitanischen Kolonie herrschte. Damals predigte in S. Giovanni Maggiore der Kapuziner Bernardo Ochino aus Siena, der die ganze Stadt so sehr durch seine Beredsamkeit entflammte, daB selbst Karl V. seinen Lehren lauschte. Ochinos Predigt hat Giulia in ihrem Innersten aufgewiihlt, religiose Zweifel und Fragen in ihr geweckt, sie bat daher Valdes, ihr einen Weg zu zeigen, um ihr moralisches Gleichgewicht wiederzufinden. Der Spanier paBte sich seiner schdnen Schulerin an; er schrieb ihr zehn Regeln liber Gottes- und Nachstenliebe auf , die nicht von den Hauptpunkten der katholischen Religion abwichen, empfahl ihr fleiBig zur Messe zu gehen, die heilige Schrift zu lesen und sich nicht mit jenen Lehren zu beschaftigen, die Unwesentliches philosophisch zergliedern.

Zu Valdes' Freunden gehdrte ferner Isabella Manriquez und einige Monche wie der Augustiner Pietro Vermigli, der Minorit Giovanni Mollio und der apostolische Protonotar Pietro Carne- secchi; ihre Versammlungen fanden entweder statt in Valdes' Wohnung in Neapel oder in Caserta oder in Vittoria Colonnas Villa auf Ischia. Die Gruppe dieser neapolitanischen Pietisten stand den rdmischen Gefahrten del Divino amore nahe, die sich auch nur

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nach einer Reform der Kirche sehnten, nach wahrer Religiositat strebten und nicht an der Grundlage der romisch-katholischen Religion riitteln wollten.

Valdes und Ochino hatten das religiose Leben in Neapel bis zu dem Grade erweckt, dafi Falengo, ein Benediktiner aus Monte Cassino, der sich damals dort aufhielt, seinen Briidern berichtete, er sei Zeuge einer wahrhaft wunderbarenBewegung: Frauen,die mehr zu Nichtigkeiten als zu tiefem Griibeln neigen, Manner aus dem Volke, ja selbst Soldaten, stiinden in dem MaBe unter dem Einflufl des Erforschens gottlicher Geheimnisse, daB sie von nichts anderem sprachen als nur von der Reform des christlichen Lebens. Dermitig gestand der Benediktiner, in ganz Kampanien gabe es keinen Prediger, der nicht von neapolitanischen Frauen belehrt werden konne.

Diese Kreise waren auf einen sehr hohen Ton gestimmt, die Frauen gaben ihm einen gewissen mystisch-poetischen Charakter; nicht Kampf mit dem Papsttum war ihr Ziel, sondern eine Reform des christlichen Geistes und eine Verbesserung der Gesellschaft durch die wahre Gottes- und Menschenliebe. Catherina Cibo, Innozenz' VIII. Enkelin, lernte Hebraisch, um die heiligen Biicher im Original lesen und tiefer in den Geist christlicher Liebe eindringen zu konnen. Diese Stimmung fand ihren Niederschlag in Vittoria Colonnas moralischen Gedichten.

Ahnliche Ideen haben die kleine Franziskaner-Gruppe in Ca- merino beherrscht; an ihrer Spitze standen zwei Monche Matteo di Bascio und Lodovico da Fossombrone. Wahrend einer Seuche, die in furchtbarster Weise in dieser kleinen Stadt um sich griff, gewissermaBen angesichts des Todes, griindeten sie einen Kapu- zinerorden, einen Orden reiner Sitten, der sie zu den Vorschriften von San Francesco zuriickfuhren sollte, von denen sich die Kon- ventualen so gut wie die Observanten sehr entfernt hatten. Die alten Franziskaner- Orden begannen einen gehassigen Kampf gegen die neue Verbruderung, verf olgten sie wo immer sie konnten und intriguierten gegen sie in Rom. Aber den Kapuzinern kamen die Frauen zu Hilfe, namentlich Catherina Cibo und Vittoria Co- lonna, die ihre mystischen Neigungen hier bestatigt fiihlten. Ohne

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ihre Hilfe hatte sich der Orden der Kapuziner nicht entwickelt, denn die ihm feindlichen Kongregationen hatten ihn schon in Rom als schadliche Sekte angeschwarzt, und der Papst hatte befohlen, ihn aus der Hauptstadt zu verjagen. Die Cibo und die Colonna ver- teidigten die Kapuziner so energisch, daB der Papst ihnen die Riick- kehr gestattete; der Kampf war hart, denn sie hatten einen machtigen Gegner im Kardinal Santa Croce, dem energischen Protektor der Observanten. Auch Bernardo Ochino, der zuerst zu den Obser- vanten gehort hatte, trat 1534 dem neuen Orden bei und wurde zum Generalvikar ernannt.

Als Vittoria Colonna das Schicksal der Kapuziner, von denen sie sich eine segensreiche Wirkung auf die italienische Gesellschaft versprach, gesichert sah, beschloB sie einen alten Wunsch aus- zufuhren und eine Wallfahrt ins Gelobte Land oder zum mindesten zum heiligen Jakob von Compostella anzutreten. Zu diesem Zwecke erhielt sie von Rom die Erlaubnis mit vierzehn Gefahrtinnen und dem Kapuziner Girolamo da Montepulciano unterwegs in Klostern einzukehren, dort zu wohnen und mit Nonnen zu verkehren. Eine solche Erlaubnis wurde von Rom im Anfang des XVI. Jahrhunderts nur sehr bekannten Personlichkeiten gegeben. Sie nahm nur sechs Gefahrtinnen mit und machte auf ihrer Reise nach Venedig, von Ercole dringend aufgefordert, auch in Ferrara Station; in Venedig wollte sie sich nach Jerusalem einschiffen. Anstatt Girolamo da Montepulcianos schien sie Ochino mitnehmen zu wollen, da Bernardo bald nach ihr in Ferrara eintraf. Vittorias Gesundheit war erschiittert, und die weite Wallfahrt wurde zur Unmoglich- keit. Sie blieb deshalb langere Zeit in Ferrara und schloB sich an Renata an, die damals ein Kind erwartete. Haufig besuchte sie ohne jegliche Etikette im Morgenkleid, ,,in habitomolto volgare", die Herzogin und fiihrte lange Gesprache mit ihr. Der Alters- unterschied der beiden Frauen war nicht sehr groB. Vittoria Colonna war vierzig Jahre alt, Renata siebenundzwanzig, ein gegenseitiges sich Verstehen war also nicht ausgeschlossen. Ercole befand sich damals in Venedig; er war schon im Januar zum Karneval mit sehr groBem Gefolge aufgebrochen, und hatte nicht weniger als acht- hundert ferraresische Adlige mitgenommen. Er verlebte eine so

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genuEreiche Zeit, daB er erst am 4. Marz wieder in Ferrara war. Am 17. Juni schenkte Renata einer Tochter das Leben. Vittoria Colonna hielt sie zur Taufe. Die Gesellschaft philosophierender Frauen, wie Renata und Vittoria, hatte wenig Reiz fur Ercole. Er verlieB Ferrara sehr bald wieder und ging in die Romagna, wo er seinen Freund Pier Luigi Farnese traf.

Zwei Frauen, ihrer Veranlagung und ihren religiosen Vor- stellungen nach so verschieden wie Renata und Vittoria, zwei verschiedene reformat orische Stromungen vertretend, standen ein- ander jetzt in Ferrara gegeniiber. Renata, Calvins Schiilerin, die unter dem frischen Eindruck seiner Lehre stand, war die scharf denkende, wissenschaftlich begabte Nordlanderin, die an die Kirche eher kritisch als glaubig herantrat fur die phantasiebegabte heiB empfindende Vittoria entsprang Religiositat einem Herzens- bedurfnis. Diese Frauen konnten eine gewisse Zeit zueinander in einem naheren Verhaltnis stehen, sie konnten sich sogar Freund- schaftsbeweise geben, aber nur solange sie sich nicht davon iiber- zeugt hatten, daB eine Vereinigung ihrer Ideale unmdglich war.

Vittoria Colonna scheint sich namentlich deshalb langere Zeit in Ferrara aufgehalten zu haben, um eine Zufluchtsstatte fur die Kapuziner zu finden. Sie erwirkte Ochino die Erlaubnis, im Advent vor dem gesamten Hof zu predigen. Diese Predigten machten einen groBen Eindruck im Volk, der Kapuziner riB seine Horer durch seine ungewohnliche Beredsamkeit fort; er erschiitterte die Gemuter, wenn er gegen den Luxus der Geistlichkeit eiferte, Reinheit der Sitten empfahl und die prunkvolle Zurschaustellung im Gottesdienst verurteilte.

Unter Ochinos Horerinnen befand sich auch die beriihmte Hetare und Dichterin, Tullia d'Aragona, der zwar die Beredsamkeit des groBen Kanzelredners sehr nahe ging, die aber ihren lockeren Lebens- wandel deswegen nicht aufgab. Glucklicher in der Beziehung war ein anderer Prediger, ein Monch aus Nuvolara, der einige Monate nach Ochino in Ferrara predigte, und soviel Kurtisanen auf den Weg der Tugend brachte, daB er am 1. April eine fromme Prozession, die nur aus Magdalenen bestand, veranstalten konnte. Es erregte dies besondere Heiterkeit in der Stadt.

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Ercoles Umgebung war jenen, die Bescheidenheit und Ein- fachheit der Sitten predigten, nicht sehr gewogen; nur mit vieler Miihe gelang es Vittoria, den Herzog zu bewegen, Ochino ein kleines Hauschen in der Vorstadt anzuweisen, damit er einen Zufluchtsort fur seine Kapuziner-Kolonie habe. Nach zehnmonatlichem Aufent- halt verlieB Vittoria Colonna Ferrara am 22. Februar 1538; sie scheint Renatas Uberzeugung und ihre Ziele richtig erkannt zu haben, denn ihr Verhaltnis zur Herzogin wurde so kiihl, daB sie ihr nicht einmal geschrieben hat.

Ochino begriindete eine Kapuziner-Kolonie in Ferrara; beseeltvom Verlangen, seine religiose Uberzeugung zu verbreiten, ging er 1538 nach Pisa, Florenz und Lucca und 1539 nach Venedig.

VI

Unterdessen erregten die reformatorischen Bestrebungen, in deren Zeichen Italien stand, in Rom immer starkere Unruhe, trotzdem war die dortige Geistlichkeit zu sehr die alten bequemen Zu- stande gewohnt und glaubte auch zu sehr an die Macht der Kirche, um sich zu einer energischen, gut organisierten Aktion aufzuraffen. Noch unter Hadrian VI. waren 1523 etwa sechzig ernsthafte Pralaten wie Giberti, Sadoleto, Luigi Lippomano, Caraffa, Giuliano Dati u. a. zusammengetreten und hatten unter demNamen ,, Oratorio del Divino Amore" eine Vereinigung begriindet, um kirchliche Reformen durch- zufiihren und das sittliche Niveau der Geistlichkeit zu heben. Die Mitglieder dieser Vereinigung verpflichteten sich zu Gebeten in der Kirche, zu Wallfahrten nach heiligen Orten, zur exakten Er- fiillung der Pflichten, die die Religion den Glaubigen vorschreibt. Neben dem Kirchlein Santa Dorotea di Trastevere, wo der Legende nach der Apostel Petrus seinen Martyrertod erlitten haben soil, hatten sie in der Pfarrei ihre Versammlungen. Dieses Oratorium diente anderen Stadten als Vorbild, und bald entstanden mehrere derartige Vereinigungen in Italien. Das romische Oratorium be- stand aber nicht lange, es scheint im Sacco di Roma unter- gegangen zu sein. AuBerdem hatten seine Mitglieder zu per-

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sonliche Ziele im Auge, urn eine wirklich erfolgreiche Tatigkeit zu entwickeln.

Als Paul III. 1536 zum Papst ernannt worden war, berief er einige beruhmte Manner wie Contarini, Caraffa, Sadoleto, Polo, damit sie eine kirchliche Reform in Angriff nahmen. Aber Pauls III. Reformen bestanden nur auf dem Papier; der Papst war ein groBer Diplomat, dem die Interessen seines Geschlechtes allein am Herzen lagen, andererseits bestand unter den Kardinalen zu viel gegenseitiger HaB, als daB es zu einem energischen, wirksamen VorstoB gekommen ware. Alle Reformen wurden bis zum nachsten Konzil verschoben, und das Konzil verlief ergebnislos. Im Kardinalskollegium verlangte es nur Giovanni Pietro Caraffa ernsthaft nach Taten, mit eisernem Ziigel wollte er das kirchliche Regiment leiten, und in einem riicksichtslosen, despotischen Vorgehen der romischen Kurie sah er die alleinige Rettung. Sein Ziel war, die geistliche Macht zu erweitern, die Ketzer mit den grausamsten Mitteln zu vernichten, die kirchliche Hierarchie von unsittlichen Elementen zu saubern und strenge Zucht unter der Geistlichkeit einzufuhren ein Wiederankniipfen an Gregors VII. strenge Reformen. Caraffa stammte von einem erzkatholischen Adelsgeschlecht in Neapel ab, das die Reliquien des heiligen Ja- nuarius nach Neapel gebracht und die kostbare Kapelle, Tesoro Vecchio, errichtet hatte, die bis auf den heutigen Tag gewisser- maBen das Symbol des neapolitanischen Glaubens ist. Das Erz- bistum Neapel war eine fast erbliche Wiirde in der Familie Caraffa, und Giovanni Pietro war schon als Kind fur den geistlichen Stand bestimmt. Die geistige Veranlagung des jungen Neapolitaners stimmte vollkommen zum Lebensziel, das ihm vorgeschrieben war. Mit Energie und Leidenschaft widmete er sich der Kirche und be- griindete noch in jungen Jahren den aristokratischen Theatiner- orden, der gewissermaBen ein Biindnis der reformierten Geistlichen sein sollte. Aber Caraffas Fahigkeiten und seine Herkunft be- riefen ihn zu hoheren Dingen. Eine Zeit hindurch nahm er teil am lateranensischen Konzil, dann schickte ihn die romische Kurie als ihren Legaten nach England, spater gehorte er dem Rate des spanischen Ferdinand an und wahrte dort durchaus patriotisch-

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italienische, besonders neapolitanische Interessen gegeniiber der fremden Dynastie. Seine kirchliche Wiirde schatzte er so hoch, daB, als man ihm einst befahl, mit dem Anfang der Messe auf den noch jungen Karl V. zu warten, er schroff zur Antwort gab, im heiligen Ornat auf niemand warten zu konnen. Er haBte die Spanier als echter Sohn des von ihnen bedrangten Neapels, nannte sie ein heidnisches, unchristliches Volk, ein Mischprodukt von Mauren und Juden, was iibrigens gar nicht so falsch war, da die hoheren spanischen Klassen zum grofien Teil sogenannte Maranen, ge- taufte Juden oder Nachkommen der siidlichen Mauren waren. Trotzdem war Caraffa in vielen Dingen von spanischem Geist er- fiillt; die religiose Intoleranz, die die spanischen Neophyten cha- rakterisiert, war auch ihm eigen. Aus Spanien hatte Caraffa den Glauben an die Wirksamkeit der Inquisition mitgebracht, die sich dort zu einer Volksinstitution ausgebildet hatte, zu einer zweiten Regierung neben der koniglichen vielleicht machtiger als jene. Als Caraffa nach Italien zuruckkam und eine hohe kirchliche Stellung einnahm, ging sein Hauptstreben danach, die italienische Inquisition zu reformieren. Sie war in den Handen der Bettel- monche, namentlich in denen der Franziskaner, im Laufe des XIV. und XV. Jahrhunderts zu einer unbedeutenden kirchlichen In- stitution ohne jeden EinfluB zusammengeschrumpft. In Venedig und Neapel war sie mehr das Werkzeug der Regierung als der Kirche, in Florenz kummerte sich kein Mensch um sie. Trotzdem beob- achtete Klemens VII. Caraffas Bestrebungen mit einem gewissen MiBtrauen, vielleicht fiirchtete er, es sei dem Kardinal darum zu tun, die papstliche Macht einzuschranken; aber a^ch das Kardinal- kollegium traute dem einfluBgierigen Neapolitaner nicht ganz. Nach langen Kampfen innerhalb der romischen Kurie fiihrte Caraffa seine Absichten schlieBlich im Jahre 1542 durch, obgleich auch der damalige Papst Paul III. sich lange gegen den verstarkten EinfluB der Inquisition gestraubt hat, aus Furcht, diese Institution konne allmahlich selbst dem Papsttum unbe quern werden. Fast gegen seine Uberzeugung gab der Papst nach und unterschrieb die Bulle ,, Licet ab initio", die das ,,Heilige Officium der Inquisition" in Rom einfiihrte und dieser Institution eine unerhorte Macht-

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befugnis iibertrug. Sie durfte nicht nur die der Haresie Ober- fiihrten, sondern auch die Verdachtigen gefangen nehmen, richten und strafen, ohne Riicksicht auf die Stellung der Schuldigen, selbst wenn es die hochsten kirchlichen Wurdentrager waren. Bekannt sind Monforts Worte, der nach der furchtbaren Vernichtung der Albigenser, der Schuldigen und Unschuldigen, gesagt hat: ,,Alle sind untergegangen, Gott wird die Seinen wahlen." Dieser Grund- satz bewufiter Ungerechtigkeit ward aufs neue lebendig. Der Inquisitor war durch kein Gesetz gebunden, er durfte in guter oder bdser Absicht menschliche Herzen durchforschen, ohne daB ihm irgend eine Schranke gesetzt war, ohne irgendwelche moralische Kontrolle. Wenn er geirrt, ein ungerechtes Urteil gefallt hatte ,,Gott wurde die Seinen auserwahlen", ihnen im Himmel den un- schuldigen Tod auf dem Scheiterhaufen lohnen. Alle im Straf- verfahren von der Antike ererbten Grundsatze, Beschlusse und Vor- schriften gerieten angesichts der riicksichtslosen Selbstherrlichkeit des Inquisitors ins Schwanken, die Rechtsbegriffe verwischten sich fur lange Zeit.

Das Sant' Officio bestand aus sechs Kardinalen, die dem Papst unterstanden; unter den Kardinalen befanden sich: Caraffa, Cervino, Ghisleri, die drei spateren Papste. Das furchtbare Tribunal beschloB die Erorterung religioser Dinge zu verbieten und den bekannten Predigern die iiber die Notwendigkeit kirchlicher Reformen sprachen, den Mund zu verschlieBen. Das erste oder jedenfalls eines der ersten Opfer der Inquisition sollte Ochino werden, der unter Berufung auf den klosterlichen Gehorsam nach Rom zitiert wurde. Ochino hatte gerade seine beruhmten Predigten in Venedig gehalten, die dem papstlichen Nuntius sehr miBfallen hatten. Der Kapuziner gehorcht zuerst der Aufforderung, aber auf dem Wege nach Rom, in Florenz, widerrieten ihm die Freunde entschieden die weitere Reise, da sie voraussahen, daB das Sant' Officio ihn entweder auf dem Scheiterhaufen verbrennen oder zum mindesten lebenslanglich einkerkern wurde. Obgleich Ochino fast sechsundfiinfzig Jahre zahlte, und die Trennung von der Heimat ihm schwer fiel, beschloB er sich durch die Flucht iiber die Alpen zu retten. Der Monch Don Pietro Martire und Caterina Cibo gaben

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ihm Geld, und Ascanio Colonna, Vittorias Bruder, schenkte ihm ein Pferd, damit er moglichst schnell aus Italien fliichten konne. Und schon war es hochste Zeit, denn als Ochino Florenz heimlich verlassen hatte, umstellten die Biittel der Inquisition das Kloster Osservanza bei Siena, in der Annahme, daS er sich dort aufhalte. Aber Ochino reiste schon nordwarts und machte nur in Ferrara Halt, wo ihm die Herzogin Renata die fur die Reise erforderliche Ausriistung gab. Von dort aus begab er sich nach Genf, wo er sich der Reformation anschloB und den Freunden schrieb, ,,in Italien hatte er sich zu Christus in einer Maske bekennen miissen, hier konne er ihm mit offenem Antlitz dienen". Er rechtfertigte seine Flucht auch Vittoria Colonna gegeniiber, aber die ehemalige Freundin iibergab diesen Brief dem Sant' Officio, anstatt ihm zu antworten, wohl aus Angst vor der Inquisition. Ochinos Beispiel folgten viele Kapuziner, und der Nuntius Mignanelli berichtet 1542 dem Kar- dinal Farnese nach Rom, man hore fortwahrend von Kapuzinern, die die Kutte ablegen und ihrem Meister folgen.

Nachdem Ochino Italien verlassen hatte, zog er predigend von Stadt zu Stadt und gab Schriften heraus, die in den Kreisen der Reformierten Aufsehen erregten. Er heiratete in Genf, da ihm das Monchsleben unmoralisch erschien, hatte einige Kinder und trieb sich mit seiner Familie in der Welt umher. Aus Genf ging er nach Basel, dann forderte ihn der Rat der Stadt Augsburg auf, dort zu predigen. Doch mufite er fliichten, da Karl V. seine Aus- lieferung verlangte. Er rettete sich nach England, hatte dort unter Heinrich VIII. und Eduard VI. als Theologe einen groBen Namen, aber als die katholische Reaktion siegte, und Maria Tudor das Heft in Handen hatte, drohten ihm der Tower oder der Tod auf dem Scheiterhaufen. Ochino war sechsundsechzig Jahre alt, und seine Kraft noch unverbraucht; er ging wieder in die Schweiz zuruck, lebte in Basel, war eine kurze Zeit in StraBburg und Genf und iibersiedelte 1555 nach Zurich. Dort scharten sich die Italiener um ihn, die ihr Vaterland ihrer religiosen Uberzeugung wegen verlassen hatten, unter anderen Francesco Lismanin, der gewesene Ordensprovinziale der Minoriten in Polen und die Markgrafin Isabella Manriquez, die in Neapel als eine der heiBesten Anhange-

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rinnen von Valdes gait. In Zurich lernte Ochino auch Lalius Socinus kennen, den beriihmten, aus Siena stammenden Refor- mator; er ward spater sogar verdachtigt, dessen Lehre angenommen zu haben.

Je alter Ochino wurde, desto mehr und desto scharfer schrieb er und packte immer gefahrlichere Themen an. In Zurich lebend, gab er 1563 in Basel sein beriihmtes Buch ,,DreiBig Dialoge" heraus, das unter den dortigen Protestanten viel Argernis erregte. Nament- lich emporte man sich uber die in diesem Werk angeschnittene Frage der Vielweiberei, die Ochino zwar nicht entschied, aber er verhielt sich nicht durchaus ablehnend gegen Polygamic und lieB sie besonders in jenen Fallen gelten, wo die erste Frau keine Kinder haben konne. Charakteristisch ist seine Widmung dieser Abhand- lung an die ,,Bruderschaft der ungliicklichen und leidenden Ehe- manner". Es wurde ihm vorgeworfen, daB er pro domo sua schreibe, doch halt dies zu glauben schwer, da Ochino damals siebenund- siebzig Jahre alt war und selbst nach den Aussagen seiner Feinde stets ein vorbildliches Leben gefiihrt hat. Ochino wurde auf Grund dieser Abhandlung aus Zurich ausgewiesen; der erschopfte Greis muBte wieder mit vier Kindern Schutz in Basel suchen, wurde dort aber nicht aufgenommen, da er angeblich durch die Drucklegung der dreiBig Dialoge in Basel* Schande uber die stille Stadt gebracht habe. So ging er weiter nach Nurnberg und versuchte in einer neuen Abhandlung die Vorwiirfe zuriickzuweisen, die die Ziiricher und Basler Protestanten gegen ihn erhoben hatten. Als man ihm auch den Aufenthalt in Nurnberg nur fur kurze Zeit gestattete, beschloB er nach Polen zu gehen, wo die Verhaltnisse fur die Glau- bensneuerer augenblicklich giinstig lagen. Ochino scheint diesen Plan schon langere Zeit erwogen zu haben, da er seinen Dialog „iiber die Dreifaltigkeit" dem Fiirsten Nikolaus Radziwill gewidmet hat. Der Fiirst hat das Exemplar jedoch nicht erhalten, da er sich in einem an Calvin geschriebenen Brief beklagt, daB das Buch unterwegs verloren gegangen sei. Nach Polen brach Ochino im Friihling 1564 auf und nahm ein Empfehlungsschreiben vom Buch- handler Perna in Basel an Martin Czechowicz mit. Als man in Rom erfuhr, der ehemalige Kapuziner habe die Absicht, nach Krakau

PAPST PAUL III. BILDNIS VON PARIS BORDONE. FLORENZ, PITT!

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zu gehen, war die Unruhe groB, und der Kardinal Borromeo schrieb am 5. Februar 1564 an den Kardinal Commendoni, den damaligen apostolischen Nuntius in Polen, ,,aus der Schweiz erreiche ihn die Nachricht, daB der nichtswiirdige Ochino die Absicht habe, nach Polen zu gehen. Se. Heiligkeit erachte es fur angemessen, S. K. Hoheit vor dem anstoBigen Leben dieses Menschen zu warnen und bitte den Nuntius, sich dafiir zu verwenden, daB Ochino keine Aufnahme in Polen finde, damit er die gute Saat, die in jenem Lande aufgegangen, nicht verderbe und dort nicht groBere Unruhe stifte." Trotz dieser Warnung wurde Ochino gestattet, nach Krakau zu kommen, er traf Ende Mai oder Juni dort ein und hielt offentliche italienische Predigten. Der Greis sprach so schon und hinreiBend, daB nach dem Urteil der Zeitgenossen alle Prediger neben ihm verblaBten, und die Horer sich in Scharen zu ihm drangten.

Selbst Sigmund August scheint Ochinos Auftreten nicht ungern gesehen zu haben, denn die Ratschlage, die der italienische Kanzel- redner ,,der Briiderschaft der ungliicklichen und leidenden Ehe- manner" erteilte, waren ganz nach dem Herzen des Konigs.

Der Konig hat seine Gattin Katharina von Osterreich, die Tochter des Kaisers Ferdinand, nicht geliebt und keine Kinder mit ihr gehabt; er hatte sich gem von ihr scheiden lassen. Die Sympathie des Konigs fur Ochino blieb von der Geistlichkeit nicht unbeachtet, darauf beziehen sich zweifellos Hosius' Klagen in seinem Brief an Reszka, ,,daB die Ketzer den Konig gegen die Konigin auf- hetzen, namentlich Ochino ermutige ihn zu einem unerhorten Schritt, der die ganze Welt emporen wiirde und jeder Moral Hohn sprache". Wie sehr dem Konig aus personlichen Griinden Ochinos Ratschlage gef alien mochten, so hatte er doch ,,den ganzen Weiber- haufen gegen sich", um so mehr als anstoBige Falle des Zusammen- lebens mit mehreren Frauen schon die Aufmerksamkeit der Geistlich- keit auf sich zogen ; im erzbischoflichen Archiv zu Gnesen befinden sich aus der Zeit zwischen 1520 und 1570 sechzehn Scheidungs- akten ex occasione polygamiae.

Es wurde behauptet, Ochino habe dem polnischen Konig seine Abhandlung iiber Vielweiberei gewidmet, doch ist dies nicht wahr,

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da die konigliche Kanzlei eine derartige Dedikation nicht ange- nommen hatte; er hat jedoch Sigmund August eine andere seiner Abhandlunge"n gewidmet, das ,,Gesprach, wie man mit Ketzern umzugehen habe", er fordert darin den Monarchen auf, Toleranz gegen Menschen zu iiben, die neue religiose Grundsatze vertreten.

Man kann es sich kaum vorstellen, auf welche Weise der niedere Klerus, der in seinen Ausdrucken nicht sehr wahlerisch war, an- fing Ochino zu beschimpfen, besonders als der Dominikaner Melchior Moscicki, der um seines Eifers und seines Wissens willen beriihmt war, vergebliche Bekehrungsversuche bei ihm gemacht hatte. Man nannte Ochino einen ,,schandlichen Fbrderer unmoralischer Grundsatze" und nicht nur die Katholiken, auch die Lutheraner gingen gegen ihn vor, da er nicht an die heilige Dreifaltigkeit ge- glaubt hat. Von zwei Seiten gab es Angriffe gegen den Greis, und seine Anwesenheit hat sicherlich nicht wenig zum BeschluB des Landtags vom 7. August 1564 beigetragen, der alien auslandischen Ketzern gebot, das Land unverziiglich zu verlassen. Ochino muBte wieder auf die Wanderschaft. Mehrere ihm zugetane Burger ver- suchten ihn zu iiberreden, trotz dieses Beschlusses im Lande zu bleiben und boten ihm in ihren Hausern Schutz an; aber der Fliicht- ling erwiderte, man habe sich der Obrigkeit zu fiigen, er wiirde den Befehl, Polen zu verlassen, befolgen, ,,selbst wenn er im Walde oder auf dem Felde liegen bliebe". Er verlieB Krakau, wandte sich nach dem Westen und machte halt in Pintschew, jenem Zufluchts- ort der Andersglaubigen, um von seinen Anhangern Abschied zu nehmen. An der dort herrschenden Seuche starben drei seiner Kinder. Gebrochen ging er weiter, und drei Wochen nachdem er Polen verlassen hatte, starb er einsam in Stychow an der March, 1564. Zu Lebzeiten waren alle protestantischen Sekten gegen ihn vor- gegangen, nach seinem Tode stritten um ihn Lutheraner, Calvi- nisten, Reformierte, Socinianer, Wiedertaufer: jede dieser Sekten behauptete, er gehore zu ihr.

Nach Ochinos Flucht aus Italien hat der Kapuzinerorden aufgehort, eine bedeutende Rolle in der Gegenreformation zu spielen. Dieser Orden hat namentlich durch seine Predigten dem Papsttum allmahlich bedeutende Dienste geleistet, aber noch war er nicht

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zu jener Macht gelangt, die notig war, um im Kampf mit dem Protestantismus eine fiihrende Stelle einzunehmen. Uberhaupt fehlte es der italienischen Gegenreformation, diesen Kongre- gationen del Divino amore und anderen ahnlichen Vereinigungen an einem organisatorischen Talent, an Energie und Einigkeit in der Durchfuhrung eines klar erkannten Zieles. All diese schonen und edlen Bestrebungen waren mit zuviel religidser Romantik durchsetzt, die wie jede Romantik in unklare Formen zerfloB und nicht geniigend reife, niitzliche Friichte trug. Zum Kampf mit der Reformation bedurfte es eines starken Organi- sators, eines Menschen mit eisernem Willen. In dem fur die Kirche kritischsten Augenblick erstand ein solcher Organisator, ein Mann, der die Seele des beginnenden Kampfes ward. Pldtzlich tauchte in Venedig ein spanischer Soldat auf, ein genialer Fiihrer von un- geheurer Willenskraft, der eine Wallfahrt ins Heilige Land an- treten wollte. Dieser Mensch hatte sich so stark in der Gewalt, daB er, trotzdem er seiner Veranlagung nach Mystiker war, auch die Mystik in einen eisernen Rahmen zu fassen wuBte, um sie zur Sprungfeder irdischen, eng begrenzten menschlichen Tuns zu machen. Ignaz Loyola begann in Venedig zu organisieren und seine Gefahrten zu versenden; dort hat ihn auch Ercole II. kennen gelernt, der sofort begriff, daB dieser asketische Soldat berufen sei, eine bedeutsame Rolle im Kampf mit der Reformation zu spielen. Einige Jesuiten, die Loyola 1537 nach Rom schickte, um Pauls III. Hilfe zu beanspruchen, passierten Ferrara und wurden dort auf Veranlassung des Herzogs aufs entgegenkommendste empfangen. Vittoria Colonna war damals in Ferrara, auch sie empfing die Durchreisenden liebevoll, ohne zu ahnen, welche Rolle diese Glaubenskampfer einst spielen wurden. Sie gingen zu FuB nach Rom, auf spanische Art wie Soldaten angezogen, so daB man sie unterwegs fur Soldaten hielt, die am Sacco di Roma teil- genommen hatten und jetzt als reuige Sunder in Demut in die heilige Stadt pilgerten, um ihr schandliches Tun zu biiBen. Seine geschick- testen Gefahrten: den Franzosen Claude Jay, Rodriguez und einige andere schickte Loyola nach Ferrara, dort predigten sie auf offent- lichen Platzen, um die Bevolkerung fur ihre Ziele zu gewinnen.

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In Rom stieB die ,,Compania di Jesus" auf groBes MiBtrauen, be- sonders bei Caraffa, schon deshalb, weil sie unter dem Schutz des Kardinals Contarini auftrat, der der Vertreter einer milderen Richtung in der Wiedergeburt der Kirche war. Caraffa sah voraus, daB Loyola, dieser unbekannte Spanier, sehr bald eine fiihrende Personlichkeit in der katholischen Welt werden wiirde, sein Rivale im Kampf mit der Reformation. Die Ahnungen des Kardinals sollten in Erfiillung gehen: der spanische asketische Soldat war ihm iiberlegen an Erfahrung, an Kenntnis menschlicher Schwachen, an langsamer, erfolgreicher, leidenschaftsloser Arbeit. Loyola schleppte die Menschen nicht zum Scheiterhaufen, aber durch seine subtile Psychologie und durch seine Fahigkeit, die Jugend fur seine Plane zu gewinnen, gestaltete er die Gesellschaft zu gunsten der Kirche um. Die Gegenreformation hat der Gesellschaft Jesu ungeheuer viel zu danken, wahrend die Inquisition, Ca- raffas Lieblingswerk, die sich durch ihre Grausamkeit verhaBt gemacht hat, ihr nur geschadet hat; ihr Vorgehen widersprach italienischer Tradition, da das Volk nicht zu religiosen Kampfen neigt. Die Inquisition vermochte niemand zu iiberzeugen; nach kurzer Wirksamkeit belustigte sie durch ihre Urteilsspriiche oder schuf Martyrer eines priifenden skeptischen Wissens. Sie hat Cecco d'Ascoli verbrannt, weil er die Wege der Naturforschung betrat, Giordano Bruno zum Tod auf dem Scheiterhaufen ver- urteilt, da er eine ebensolche Revolution in der Philosophie wie Kopernikus in der Astronomie durchfiihren wollte, und nur die Angst davor, sich lacherlich zu machen, hat sie verhindert, Galilei das gleiche Schicksal zu bereiten. Mit Galileis Verurteilung zum Gefangnis und zu einem dreijahrigen Absingen von sieben Psalmen, weil er in seinem ,,Dialogo su due massimi sistemi del mondo Tolemaico e Coperniciano" bewiesen hatte, daB die Erde sich um die Sonne drehe, hat das Sant' Officio das Szepter ver- loren, unter das es die Kultur der Menschheit zwingen wollte. Das Vorgehen dieser leidenschaftlichen, gewaltsamen Reaktion hatte die traurigsten Folgen fur Kultur und Religion, denn es hat die Geister gegen die Kirche emport und Unglauben geweckt. Trummer kenn- zeichnen den Sieg dieser Reaktion, Italien verschwand fur langere

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Zeit als bedeutungslos vom Schauplatz der Welt, Spanien erstarrte, und Frankreich versank in Unmoral und Luxus nach der Unter- driickung der Hugenotten.

Aber weder flammende Scheiterhaufen, noch die Fesseln, in die die Gedankenfreiheit gezwungen wurde, vermochten die von der Renaissance angeregte Forschung zu unterdriicken, und man kann ruhig sagen, da8 das Urteil iiber Galilei1) die Scheidegrenze ward zwischen der Kultur des Glaubens und der Kultur der Skepsis, dem charakteristischen Merkmal der modernen Gesellschaft. Die furchtbare Reaktion hat die Kirche gerettet, aber den Glauben getotet. Ware Renata eine Zeitgenossin von Catherina von Siena gewesen, so ware sie in ihrem fanatischen Verlangen, die Kirche zu reformieren, eine der kraftigsten Stiitzen der rdmischen Kurie geworden; da sie aber das Ungluck hatte, unter Paul III. und Paul IV. zu leben, wurde sie in das entgegengesetzte Lager ge- drangt. Das Sant' Officio hat vor sein Inquisitions-Tribunal die edelsten Persdnlichkeiten, die an der religidsen Bewegung in Italien teilnahmen, zitiert, die ehemaligen Mitglieder der Kongregation del Divino amore, und selbst Vittoria Colonna hatte die Qual eines Inquisitionsprozesses erdulden miissen und ware vielleicht im Ge- fangnis gestorben, wenn ihr Tod die rdmischen Terroristen nicht vor dieser Schmach bewahrt hatte.

Es war ein nicht wieder gut zu machendes Ungliick fur die katholische Welt, daB die Reform der rdmischen Verhaltnisse unter spanischem und nicht unter strikt italienischem EinfluB gestanden hat. Die Spanier, das leidenschaftlichste und am wenigsten tolerante unter den romanischen Volkern, verraten in ihrem Tun eine gewisse Brutalitat, die anstatt zu mildern gereizt, anstatt zu heilen neue Wunden geschlagen hat. Ohne diese spanische Riicksichtslosigkeit ware dem Papsttum so manche Spaltung erspart geblieben, und der Glaube an das Mitleid und die Humanitat der rdmischen Kirche

') Es lautet wie folgt: ,,11 sostenere essere il Sole nel cento del mondo e immobile e proposizione assurda e falsa in filosofia, e formalmente ereticale, perche espressamente contraria alia Santa Scrittura." ,,La Terra non essere nel centro del mondo, ma molile col diurno mo to e proposizione egualmente assurda in filosofia, ed erronea in materia e fede."

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ware nicht in den weitesten Kreisen erschiittert. Die Einsetzung der Inquisition auf spanischer Grundlage und der weitgreifende EinfluB Span! ens, verstarkt durch Karls V. Macht, hat edle, kirch- lich gesinnte Italiener wie Contarini, Giberti und namentlich Gio- vanni Morone, der in hohem MaBe die Eigenschaften besaB, um die Gesundung der Kirche herbeizufiihren, so terrorisiert, daB sie vom Schlachtfeld abtreten oder sich spanischen Stromungen hin- geben muBten. Damit hat es der ganzen Aktion an einigendem Geist gefehlt; die katholische Welt zerfiel in Fanatiker und in solche, die nicht paktieren wo*llten. Fur ruhig denkende, vernunftige Men- schen gebrach es augenblicklich an Platz.

VII

Renata hat wahrend ihres zehnjahrigen Zusammenlebens mit ihrem Gatten fiinf Kinder geboren, aber allmahlich begann Ercole sein ,,monstrum" zu vernachlassigen und ein Liebesverhaltnis nach dem anderen anzukniipfen. Die Franzosinnen in Renatas Umgebung haben tiber die Untreue des Herzogs eifrig nach Frank- reich berichtet, am meisten verdroB sie Ercoles Verhaltnis mit ihrer Landsmannin, Frau de Noyant, die an einen Hofmann ver- heiratet war. Uber dieses Verhaltnis wurde sogar am franzosischen Hofe gesprochen, und Terruffini, der ferraresische Gesandte in Paris, bekam Bosheiten genug zu horen. Die Hofdamen der Konigin Eleonora gerieten einst in seiner Gegenwart in einen solchen Zorn uber Frau de Noyant, daB sie Strafen fur die Verbrecherin ersannen, falls sie je in ihre Kande fiele; sie wollten sie auf lang- samem Feuer rosten, in Stiicke hacken und ihr die Augen ausstechen. Ercole hatte einige uneheliche Kinder, auch der Literat Lodovico Trotti war sein Sohn. Der Ruhm des Herzogs als gefahrlicher Ver- fiihrer war so groB, daB er ihn einmal beinahe mit seinem Leben bezahlt hat. 1546 veranlaBte er die Sch wester eines venezianischen Patriziers Gian Paolo Manfrone, einen Ferraresen niedrigen Standes zu heiraten. Manfrone verdachtigte den Herzog, daB er die Ehe gestiftet habe, um einen bequemen Deckmantel fur ein unerlaubtes

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Verhaltnis zu haben und wollte ihn aus Rache ermorden. Der An- schlag miBlang, der Herzog lieB Manfrone ins Gefangnis werfen, wo der ungliickliche Venezianer wahnsinnig wurde.

Die franzdsischen Autoren heben riihmend hervor, daB Renata sehr nachsichtig gegen die Untreue ihres Gatten gewesen sei. Sie speiste sogar zuweilen in Gesellschaft von Frau Noyant, die von den Hofdamen so sehr gehafit wurde. Allmahlich verschlechterte sich das Verhaltnis zwischen den Gatten, besonders da Ercole ge- legentlich brutal und schroff gegen die Herzogin war, da er ihr ihre Sympathie fur Menschen, die der Ketzerei verdachtigt wurden, nachtrug. Renata fuhlte sich einsam und trostbediirftig. Pons, der Schwiegersohn der Mme. de Soubise, war das Muster eines liebenswiirdigen, einnehmenden franzdsischen Hoflings, sah dazu gut aus, und war tonangebend in Fragen der Eleganz in Ferrara. Wahrend seines sechsjahrigen Aufenthaltes am Hofe bestand ein sehr herzliches Verhaltnis zwischen ihm und der Herzogin, das freilich die Grenze der Freundschaft nicht uberschritten hat. Die Sache blieb lange Geheimnis, zuletzt wurde Ercole durch anonyme Briefe auf die Gefiihle seiner Frau aufmerksam gemacht.

1539 wurde den Este von Paul III. endlich der Besitz von Mo- dena und Reggio bestatigt; die romische Kurie hatte sich auf diese Stadte gewisse Rechte angemaBt, und der Papst lieB sich fur diese Bestatigung achtzigtausend Dukaten in bar auszahlen, sowie einen jahrlichen Tribut von siebentausend Dukaten und zwanzig- tausend Sack Salz aus Comacchio. Als der alte Kassierer der Este, Girolamo Giglioli, von diesen Vertragen erfuhr, geriet er in eine solche Verzweiflung, daB er sich laut iiber Ercole beklagte und erklarte, der alte Herzog hatte eher Rom bekriegt und erobert, als eine so enorme Summe geopfert. Er weigerte sich, das Geld herauszugeben. Als ihn Ercole zwang, die Kasse zu offnen, er- krankte der Alte schwer aus Kummer. Dieser Vertrag, der die Este fester als bisher an die romische Kurie band, wurde in Frankreich ungern gesehen; Frankreich wollte die Este zum Bundesgenossen haben, ohne ihnen je beizustehen. Ercole, der nicht mit Franz I. brechen wollte, beschloB Pons nach Paris zu schicken, damit er den Konig umstimme. Franz I. hatte eine Vorliebe fur Pons,

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infolgedessen hielt Ercole ihn fur die geeignete Personlichkeit. Pons entledigte sich seines Auftrages in zufriedenstellender Weise, aber wahrend seiner Abwesenheit entspann sich eine Korrespondenz zwischen ihm und Renata, die Ercole zu haufig erschien. Renata schrieb ihre Briefe des Morgens, wenn der ganze Hof schlief, und da sie die Postmeister der nachstgelegenen Stadte erkauft hatte, nahm sie nicht an, daB ihre Korrespondenz je in unberufene Hande kame. Sie schrieb taglich und berichtete eingehend iiber ihr Leben. Ihre Orthographie laBt zwar so manches zu wiinschen iibrig, aber dafiir ist ihre Art zu schreiben sehr lebendig, amusant und hiibsch. Aus zweien dieser Briefe, die das estensische Archiv bewahrt, spricht ein warmes Empfinden. Renata nennt Pons immer ,,mon enfant", einige Abschnitte des Briefes sind in chiffrierter Schrift. Sie erzahlt, sie reite mit ihren Hofdamen beinahe taglich, ihr Mann habe mit ihr zusammen Abendbrot essen wollen, doch habe sie sich geweigert unter demVorwand,daB es schon spat sei; einmal habe sie aus Langer- weile Laura dei Dianti, die Geliebte des verstorbenen Herzogs Alfonso besucht. Sehr anmutig schildert sie ihm das Kind, das Frau Pons wahrend der Abwesenheit ihres Gatten geboren; das Sohnchen habe einen Mund wie der Vater, aber so winzig, daB eine Erbse kaum darin Platz fande, und ebenso sanft blickende Augen wie der Vater. Sie habe es dreimal auf die Augen gekiiBt. Renata erstattet Pons auch sehr genau Bericht iiber seinen kleinen Hund, ihren besten Freund in Abwesenheit seines Herrn, er schlafe in ihren Armen und lieBe sie aus Eifersucht nicht schreiben. Pons konne beruhigt iiber ihn sein. Sie wache ,,de le faire etriller et epuceter tous les soirs et matins". War das Hiindchen auf Renata eifersiichtig, so scheint sie es noch mehr auf seinen Herrn gewesen zu sein. Es schien ihr, und wohl nicht ganz ohne Grund, daB eine ihrer Hofdamen, Diana Ariosti, ihn Hebe, deshalb fing sie einen ihrer Briefe auf. Die schone Ita- lienerin beweist in diesem herzlichen und fesselnden Brief, daB sie von Orthographie keine Ahnung hat, aber daB man auch ohne diese Kunst gelehrter Leute seine Empfindungen sehr warm aus- driicken kann. Sie klagt, ihr Leben sei ohne de Pons freudlos. Dieser Brief hat Renata zwar beunruhigt, aber de Pons' gelegent- liche Seitenspriinge scheinen ihr Verhaltnis nicht getriibt zu haben.

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Als Ercole aus anonymen Briefen von der Zartlichkeit seiner Frau fur den schonen Franzosen erfuhr, nahm er diese Nachricht ruhig genug auf, lieB nichts davon merken, daB er Renata nachspiire, und versuchte nur unter den verschiedensten Vorwanden de Pons in Paris zuriickzuhalten. Anderthalb Jahre blieb er fort, und als der sentimentale Hofmann in der ersten Halfte des Jahres 1540 nach Ferrara zuriickkam, traf er Renata nicht mehr. Der vorsichtige Ercole hatte sie in die Verbannung nach Consandolo geschickt, in ein SchloB der Este, das ungesund iiber den faulenden Wassern des Comacchio lag; bis auf die Vogel im Garten und die Aale im Wasser gab es keinerlei Gesellschaf t. Der Bediirf nisse ihrer Seele hatte Ercole wohl gedacht, er gab ihr zum Kaplan den sehr geschickten Geistlichen Francois Richardot, einen Hofmann von einnehmendem AuBern, der zwar in Frankreich ein Anhanger Calvins gewesen war, aber jetzt zu den eifrigsten Katholiken gehorte. Richardot scheint vom Herzog beauftragt worden zu sein, Renata zum streng katholischen Glauben zuruckzufiihren; aber als er erkannte, daB es Renata mehr nach Genf denn nach Rom drange, lieB er sie ihren Weg gehen, befestigte sie in Calvins Lehre und nicht im Katholizismus, empfahl ihr jedoch dringend, mit Riicksicht auf den Herzog und seine Stellung zur romischen Kurie, die Brauche und Vorschriften der katholischen Religion zu befolgen. Er drangte sie, zur Messe und zum Abendmahl zu gehen, ohne an die Wirksam- keit der priesterlichen Absolution zu glauben. Calvin scheint Richardot gut gekannt zu haben, er sagte einmal von ihm, seine Worte hatten nicht mehr Wert als das Geschwatz einer Elster. Die zweideutigen Ratschlage des Kaplans haben Renatas Gewissen nicht beruhigt; durch Frau de Pons' Vermittelung wandte sie sich 1 54 1 an Calvin. Er schrieb ihr sehr eindringlich, warnte sie vor Richardot, empfahl ihr Mut und Ausdauer, denn die furchtsamen Menschen glichen geistigen Kruppeln. Er schickte ihr seine Ab- handlung ,,De la Cene de notre Seigneur", die seine Lehre knapp zusammenfaBt. Calvins Schrift machte Renata groBen Eindruck, sie horte auf, in die Kirche zu gehen und zu beichten.

Als Renata am tiefsten von Calvins Lehre durchdrungen war, er- schien am 22. April 1543 der Papst Paul III. in Ferrara. Er reiste

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Karl V. entgegen, der in Genua gelandet war. Er wollte den Kaiser veranlassen, das Herzogtum Mailand seinem Sohn Pier Luigi oder seinem Enkel Ottavio zu iibertragen. Seine Bemiihungen hatten nicht den erwunschten Erfolg, aber einmal in Bologna, nahm er Ercoles Einladung nach Ferrara um so lieber an, als er einen doppelten Zweck damit verfolgte: einmal wollte er Ercole zu einer Anleihe von funfzigtausend Scudi veranlassen, und dann Renatas Tochter sehen, da er eine derselben seinem Enkel Orazio Farnese zugedacht hatte.

Zur BegriiBung des Papstes kam Renata nach Ferrara; in einer kostbaren Sanfte begab sie sich zu Paul III., begleitet von siebzig vornehmen Ferraresinnen in schwarzen, silbergestickten Kleidern, auf Pferden mit schwarz-silbernem Zaumzeug. Die Calvinistin und Ketzerin kuBte den papstlichen Pantoffel, und Paul III. schenkte ihr einen kostbaren Diamanten und einen Lilienzweig aus Dia- manten, im Werte von fiinfzehnhundert Talern. Der Papst ge- stattete auf ihre Bitte, daB die Nonne Suranna das Augustinerinnen- kloster verlasse und in den herzoglichen Palast ziehe, um die jungen Prinzessinnen im Sticken zu unterweisen. Paul III. erwies Renata seine Gunst in jeder Beziehung; um sie vor den Verfolgungen der Inquisitoren in Ferrara zu schiitzen, erlieB er ein Breve, worin er sie dem unmittelbaren Schutz des Papstes und der GroBinquisitoren des Sant' Officio unterstellte. Renata ward also eine vollkommene Ausnahmestellung der Inquisition gegeniiber eingeraumt. Infolge ihrer besonderen Frommigkeit und der erprobten Starke ihres Glaubens verdiene sie in Frieden zu leben, ohne der unnotigen Kontrolle der inquisitorischen Gewalt ausgesetzt zu sein, wie es im Breve hieB. Weder die Inquisitoren in Ferrara und Bologna, noch die Bischofe oder pi'pstlichen Gesandten durften bei Strafe des Bannes in ihr religioses Verhalten eingreifen. Dieses Breve wurde auf die Bitte des franzosischen Gesandten in Rom erlassen, ohne Ercoles Wissen, ja, es war gegen ihn gerichtet, da er die Tochter des Konigs von Frankreich nicht rucksichtsvoll genug behandele. Der Hauptgrund war jedoch, daB der Papst Renata gewinnen wollte, damit sie Orazio Farnese die Hand ihrer Tochter Anna gebe, wahrend Ercole gegen diese Verbindung war. Der Herzog

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wuBte, daB die Verbindung mit den Papsten, selbst zu Lebzeiten des Papstes, mit dem man das Biindnis geschlossen, nicht immer Vor- teile bringe, nach seinem Tode aber geradezu Nachteile. AuBer- dem war Orazio ein papstlicher Bastard, also kein geniigend vor- nehmer Pratendent fur eine estensische Herzogstochter. Als Paul III. eine endgiiltige Antwort verlangte, begann Ercole unter verschiedenen Vorwanden die Entscheidung hinauszuschieben und wuBte immer neue Hindernisse ausfindig zu machen bis der Papst starb.

Wir glauben nicht, daB Renata, als sie dem Papst ihre Ergeben- heit bewies und sich um das Breve bewarb, Rom betriigen wollte und unehrenhaft vorgegangen ist. Alle vornehmen Damen jener Zeit: Renata, eine Zeit hindurch Vittoria Colonna oder die Konigin von Navarra nannten sich in ihren Brief en ,,Roms sehr gehorsame Tdchter", und versuchten trotzdem mit alien ihnen zu Gebote stehenden Mitteln Reformen einzufuhren ,,zum Wohl der Religion und der Kirche". Noch waren die Grenzen zwischen Ketzerei und dem, was die Kirche erlaubte, flieBend.

Nach der Auszeichnung, die der Papst der Herzogin erwiesen hatte, gab es keinen eigentlichen Grund mehr, sie gewissermaBen in Verbannung in Consandolo zu behalten, da Rom jeden Verdacht der Ketzerei von ihr genommen hatte. Es gehorte sich also, daB die Herzogin wieder ihren Wohnsitz in Ferrara nehme, und zu diesem Zwecke muBte de Pons entfernt werden. Ercole machte sich auch sehr energisch ans Werk. Er hatte ihn bis jetzt aus Riicksicht auf Franz I. gelitt?n, aber schlieBlich gingen ihm der Hochmut und die Intriguen des franzosischen Spions zu weit, er bat 'Renata, ihn von ihrem Hof zu entfernen, besonders da er Klatschereien iiber sie verbreite. Renata lehnte diese Forderung zwar ab, aber da dem Ehepaar de Pons der Boden in Ferrara zu heiB geworden war, floh es insgeheim nach Venedig. Franz I. machte dem Herzog zwar Vorstellungen, weil er Pons angeblich schlecht fur seine Dienste belohnt habe, aber Ercole lieB statt jeglicher Antwort auf die Briefe des Konigs die Mobel und Kleider des Ehepaares Pons konfiszieren und gab vor, daB die Juden, die Glaubiger der verhaBten Franzosen Anspriiche darauf erheben. Frau Pons starb bald nachdem sie

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Italien verlassen, er verheiratete sich zum zweitenmal mit Maria de Monchenu, einer eifrigen Katholikin, und wurde unter ihrem EinfluB ein so treuer Sohn der Kirche, daB er als franzosischer Statthalter in Saintonge die Protestanten aufs grausamste ver- folgt hat.

Renata brauchte, nachdem Frau de Pons sie verlassen, eine neue Gesellschafterin, sie bat die Konigin von Navarra, ihr eine Ver- treterin zu schicken. Die Konigin wahlte Frau de La Roche, die, wie Brantome sagt, sehr nach Luther roch. Obgleich man sie bei ihrer Abreise gewarnt hatte, in Ferrara weder Mund noch Augen und Ohren zu haben, zettelte die La Roche sofort Intriguen an, und ver- feindete sich mit dem ganzen Hof in dem MaBe, daB Ercole sie nach sechsmonatlichem Aufenthalt nach Frankreich zuriick- schicken muBte. Nach dieser Enttauschung verlangte Renata nicht mehr nach einer franzosischen Ehrendame, sondern wahlte an Frau de La Roches Stelle Olympia Morato, die schon seit einigen Jahren ihrem Hof angehorte. Olympia war die Tochter des ferraresischen Humanisten Pellegrino Morato, der nach der Sitte der damaligen Professoren, den lateinischen Namen Fulvio angenommen hatte. Unter Alfonso I. war er der Lehrer seiner jungeren Sonne Ippolito und Alfonso gewesen, dann muBte er auswandern, da er es mit Luther hielt. 1534 gestattete ihm Ercole zuriickzukommen, aber Morato verleugnete seine Vorliebe fur die Reformation durchaus nicht, sein Haus in Ferrara war der Sammelpunkt fur die Feinde des Papsttums. Einer der intimsten Freunde Moratos war Curione, Humanist, Literat und Ketzer, ein sehr begabter Mensch von besonders angenehmen Umgangsformen. Er war an Renatas Hof gern gesehen, und ihm verdankte Olympia, ein hochgebildetes Madchen, die Stellung bei der Herzogin. Mit fiinfzehn Jahren schrieb sie schon ausgezeichnet italienisch, sprach lateinisch und griechisch, iibersetzte Homer und Vergil, machte Gedichte und gewann alle Herzen durch ihre Giite und Bescheidenheit. Zuerst berief Renata sie als Gesellschafterin fur ihre alteste Tochter Anna, spater anvertraute sie ihr die Erziehung ihrer beiden jungeren Tochter Lucrezia und Leonora. Die jungen Prinzessinnen trieben klassische Sprachen, muBten bisweilen in einem kleinen Kreis

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von Gelehrten philosophische Thesen verteidigen, und Olympia lieB sie Aristoteles' Rhetorik, Ptolemaus' Schriften, Cicero, Ovid und von neueren Verfassern Erasmus Rotterdamus lesen, auch bestellte sie aus Venedig Proklus' Spharen und einen Globus, „un mappomondo". Den Unterricht leiteten auBer Olympia der Huma- nist Sinapius; spater kam noch Francesco Porto, ein Monch, der der Reformation nahe stand, dazu.

Olympia blieb trotz ihrer Heirat mit dem deutschen Gelehrten Grunthler im Hofdienst und befaBte sich nach wie vor mit der Erziehung der Prinzessinnen. Ihre eignen Studien durften darunter nicht leiden, sie las die antiken Philosophen und war Skeptikerin geworden. In ihrem beruhmten spateren Werk, den ,,Dialogen", berichtet sie, sie habe allmahlich angenommen, der Zufall regiere die Welt, und ihr Glaube an Gott sei geschwunden. Das Studium der Bibel gab ihr zwar den Glauben wieder, brachte sie aber der romischen Kirche noch ferner. 1548 erkrankte Olympias Vater schwer, sie muBte den Hof verlassen und kam erst wieder, als die Prinzessin Anna mit dem Herzog von Aumale vermahlt wurde. Nachdem sie den Unterricht von Lucrezia und Leonora wieder auf- genommen hatte, wurde sie plotzlich aus dem Hofdienst entlassen, ohne daB jemand auch nur im entferntesten den Grund dieser Un- gnade ahnte. Renata, die sonst sehr mildtatig war, gestattete Olym- pia nicht einmal die Sachen an sich zu nehmen, die sie ins SchloB mitgebracht hatte, und erst nach vielen Bitten und nachdem auch Lavinia della Rovere ihre Partei ergriffen hatte, gab sie ihr ein altes Kleid zuriick. Diese Herzensharte wirft ein eigenes Licht auf Renatas Charakter, sie muB nicht nur eigensinnig, sondern auch rachsiichtig gewesen sein. Man nimmt an, Renata habe im Zorn gehandelt, als sie erkannte, daB Olympia mehr zu Luther, als zu Calvin neige, doch laBt sich dariiber heute nichts Sicheres aus- sagen. Jedenfalls war Olympias Stellung in Ferrara unmoglich ge- worden, sie muBte die Stadt verlassen, infolge der Unannehmlich- keiten, die sie, als vom Hof entfernt, iiberall zu gewartigen hatte. Sie folgte ihrem Gatten in seine Heimat nach Schweinfurt, doch wartete ihrer dort ein tragisches Schicksal. Sie war kaum dort an- gekommen, als die Bischofe von Bamberg und Wurzburg die Stadt,

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in der sich Albert von Brandenburg eingeschlossen hatte, belagerten. Das bischofliche Heer eroberte die Stadt und brandschatzte sie in furchtbarster Weise; Olympia verlor ihr ganzes Hab und Gut, entfloh notdurftig bekleidet und irrte mit ihrem Mann iiber schnee- bedeckte Felder, bis sie das Stadtchen Hameln erreichte, das drei Meilen von Schweinfurt entfernt ist. In einem Brief an Curione berichtet sie, sie sei barfuB, in einem zerrissenen Mantel, den eine Frau ihr unterwegs geliehen hatte, nach Hameln gekommen. Ihre Gesundheit war diesen Strapazen nicht gewachsen, sie starb am 7. November 1555 in Heidelberg.

VIII

Die Reformbestrebungen griffen in Norditalien immer mehr urn sich; Ferrara, Modena und Mirandola wurden der Hauptsitz der neuen Bewegung. Die Bewegung kam aus dem Norden, aus Deutschland und Frankreich, und unterschied sich sehr lebhaft von den reformatorischen Tendenzen der Theatiner, den Idealen der neapolitanischen Frauen und den Bestrebungen der Kapuziner. Aus Deutschland kamen erst Bucher, spater um 1520 Menschen. Die Monche, die Rom in den Norden schickte, damit sie gegen die Reformation auftraten, kamen zumeist von Luthers Lehre erfiillt zuriick. In Ferrara trafen die Anhanger des deutschen Re- formators die Jiinger Calvins, und wahrend die ersteren nur eine Reform der Kirche anstrebten, ohne die politischen Verhaltnisse antasten zu wollen, hatten die letzteren demokratische Tendenzen und hetzten das Volk gegen die Fiirsten auf. Trotzdem vermochten die Calvinisten nicht, groBere Volksmengen zu fesseln, ihre Dok- trinen waren zu kalt und zu pedantisch und haben zu wenig auf die Phantasie gewirkt. In Italien fanden Luthers Lehren giinstigeren Boden, da sie in der Hauptsache gegen die Ubergriffe der Kirche ge- richtet waren, aber die Grundlage der Gesellschaft nicht erschiit- terten. Die italienischen Fiirsten waren zu eng durch materielle Interessen mit Rom verbunden, um den Sturz des Papsttums zu wiinschen, und das Volk lauschte zwar den Angriffen auf Monche

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und Bischofe mit reichlichem Behagen, kam aber nicht im ent- ferntesten auf den Gedanken, das Papsttum zu bekampfen.

Die reformatorische Bewegung beschrankte sich in Ferrara wie in den iibrigen norditalienischen Stadten auf jene Klasse, die wir heute ,,die Intelligenz" nennen, auf Professoren, Literaten, Monche, die ihr Geliibde gebrochen, und auf gebildete Frauen.

Renata war von ,,Ketzern" umgeben. Ihr Hofarzt Gian Sinapius, der Universitatsprofessor Celio Curione, beides Freunde von Olym- pia Morato, Chilian Sinapius, der mit einer Hofdame der Herzogin, Francesca Bucyronia, verheiratet war, waren samtlich heifie An- hanger der Reformation. Celio, Melanchthons Schuler, war viel- leicht die fesselndste Persdnlichkeit unter ihnen. Er war der drei- undzwanzigste Sohn von Giacomo di Chieri und Carlotta Montrolier, einer Hofdame der Herzogin Bian ca von Savoyen. Sehr gebildet, be- redt, im Umgang sympathisch, kam er schon friih in Turin ins Gefangnis, da er in der Kirche einen Dominikaner, der unerhorte Dinge iiber Luther vorbrachte, laut einen Liigner schalt. Aus dem Gefangnis entfloh er bald, hatte noch mancherlei Abenteuer, und als er in Venedig mit Pellegrino Morato bekannt wurde, ging er mit ihm zusammen nach Ferrara und war bei Renata besonders gut angeschrieben. Doch war seines Bleibens nicht lange, vom Sant' Officio bedrangt, muBte er in die Schweiz fliichten und suchte Schutz bei Bullinger, einem der Fiihrer der reformatorischen Be- wegung in Zurich. Renata war mit ihm im Briefwechsel geblieben und anvertraute ihm sogar Gelder zur Unterstiitzung bedrangter Calvinisten.

Unter dem EinfluB dieser Renata nahestehenden Personlich- keiten stand selbst Ercoles Leibarzt, Angelo Manzollini, der Verfasser eines satirischen Gedichtes gegen den Papst, ferner Lilio Giraldi, der Chronist und Schmeichler des estensischen Hauses, und Marc- antonio Flaminio, ein sehr begabter Mensch, der jedoch seine religiosen Anschauungen beliebig wechselte und Calvinist oder eifriger Katholik war, je nachdem es ihm am besten paBte. Am Hofe der Herzogin lebte auch der franzosische Dichter L6on Jamet, der ein uberzeugter Anhanger der Reformation war, obgleich er es verstanden hatte, sich Ercoles Gunst zu erwerben. Die cal-

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vinistische Bewegung wurde ferner von einigen hervorragen- den Frauen unterstiitzt, von Lavinia della Rovere, der Enkelin Julius II., und der Grafin Giulia Rangone di Bentivoglio. Der in Deutschland verfolgte Reformator Alciatus fliichtete erst nach Bologna, dann nach Ferrara und schrieb von dort aus am 7. Juli 1540, daB er in ,,diesem ferraresischen Himmel" eine aufierst gebildete Gesellschaft gefunden habe, daB man dort die Neuerer nicht verfolge, und er sich in Ferrara sehr viel wohler als in Bologna fuhle.

Im Vergleich mit Modena war Ferrara ein sehr ruhiger Refor- mationsherd. In Modena hielt Paolo Ricci dffentlich heretische Predigten und hatte groBen EinfluB. Auch das kleine Mirandola, der Stammsitz der Pico, war eine Zufluchtsstatte fur Luthers und Calvins Anhanger, da der Graf Galeotto sie energisch unter- stiitzte, und Renata ihm jene franzosischen Hugenotten zuschickte, denen in Ferrara Gefahr drohte. Allmahlich beunruhigte man sich iiber all diese Dinge in Rom, namentlich das Vorgehen der Uni- versitatsprofessoren in Ferrara erweckte Argernis. Der dortigen Inquisition wurde ein ,,Bekenntnis"-Formular zugeschickt, das die der Ketzerei verdachtigen Professoren unterschreiben sollten. In diesem Dokument erklarten sie zwar ausdriicklich, mit der Re- formation in keinerlei Zusammenhang zu stehen, aber diese Forma- litat war natiirlich zwecklos, da religiose Untersuchungen und ketzerische Agitation nach wie vor anhielten, und man nament- lich in zahlreichen ,,Akademien" die heikelsten religiosen Fragen erorterte.

SchlieBlich forderte Paul III. Ercole auf, energisch gegen dieses Argernis einzuschreiten; aber der Herzog erklarte, wohl mit Riick- sicht auf Renata, die Vorwiirfe der rdmischen Kurie seien zu all- gemein gehalten, und die ihm gesandte Schrift fuhre keine Tatsachen an, die einer strengeren Untersuchung als Grundlage dienen konnten; er bitte daher, ihm die Personen namhaft zu machen, gegen die er vorgehen solle. Infolgedessen verlangte der Papst nahere Einzel- heiten vom ferraresischen Inquisitor, und nach einiger Zeit be- nachrichtigte er den Herzog, daB Renata selbst beschuldigt werde, zwei Ketzer an ihrem Hofe zu beherbergen, Bruccioli, den Flo- rentiner Literaten, und Francesco Porto, den griechischen Monch.

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Bruccioli hatte eine sehr verbreitete Bibelausgabe iibersetzt, die man offentlich als ketzerisch verbrannt hatte, obgleich sie Franz I. und Renata gewidmet war. Dcr Obersetzer wurde zu einer Geld- strafe von fiinfzig Scudi verurteilt. Als Bruccioli dem Richter er- klarte, eine so hohe Geldstrafe nicht bezahlen zu konnen, da er nichts besitze, wurde ihm zur Antwort, er wurde, wenn er nur wollte, Geld finden konnen. ,,So veranlaBt nur," erwiderte Bruccioli, „daB Ich hundert Scudi finde, dann bleiben mir fiinfzig, die ich sehr notig habe." Der Richter hatte schon so unrecht nicht, denn Renata bezahlte die Geldstrafe in aller Stille.

Francesco Porto, ein Grieche aus Kreta, war langere Zeit der Lehrer der jungenPrinzessinnen gewesen,und obgleich er in religiosen Dingen ziemlich zuriickhaltend war, unterlag es keinem Zweifel, daB er es mit der Reformation hielt. Derselbe Papst, der vor gar nicht langer Zeit Renata vor den Belastigungen des Inquisitors geschiitzt hatte, forderte jetzt den Herzog sehr energisch auf, seine Ge- mahlin zu veranlassen, ihre Taktik gegen die Ketzer zu andern. Aber der' Herzog, der augenblicklich wohl besser mit Renata stand, erklarte der romischen Kurie, ein gewaltsames Einschreiten habe gar keinen Sinn und wurde die Herzogin nur reizen, einen Wechsel musse man der Zeit und ruhiger Oberredung iiberlassen. Der Papst konne ihm, der in seinem Leben schon viel fur das Wohl des Apostolischen Stuhles geopfert habe, voll vertrauen; er wiirde vorgehen, wie es das Interesse der Kirche fordere. Ercole hatte recht; als namlich der Papst den franzosischen Gesandten in Rom, Herrn Gye, veranlaflte, nach Ferrara zu reisen, um Renata im Namen der romischen Kurie Vorstellungen zu machen, empfing die Herzogin ihn aufs ungnadigste und erklarte, daB ihr tugend- haftes Leben der beste Schutz gegen all jene sei, die es wagten, sie anzugreifen.

Die Jesuiten in Ferrara nahmen jedoch an Renatas Leben AnstoB, sie schickten unablassig beunruhigende Berichte nach Rom: die Herzogin ginge weder in die Kirche noch zur Beichte, hielte die Fasten nicht ein und lieBe auch ihre Hofleute nicht fasten. Ercole hat gewiB bedauert, die Jesuiten nach Ferrara berufen und wirksam unterstutzt zu haben, denn jetzt gait es, ihr allzu

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energisches Vorgehen einzudammen. Er bemiihte sich, in Rom durchzusetzen, daB man Fra Girolamo Pepina aus Lodi zum In- quisitor in Ferrara einsetze, da er Reformbestrebungen sympathised gegeniiberstand und die Gewahr fiir ein friedliches Handeln bot. Trotzdem spitzten die Verhaltnisse sich immer mehr zu, nament- lich als die Inquisition den Ketzer Fannio in Bagnacavallo auf ferraresischem Gebiet gefangen nahm und ihn nach Ferrara iiber- fiihrte. Fannio Fannino aus Faenza war schon in seiner Jugend gegen die romische Kirche aufgetreten, indem er reformatorische Lehren offentlich verkiindigte. Zur Strafe wurde er ins Gefangnis geworfen. Seine verzweifelte, arme Familie bemiihte sich um seine Freilassung und veranlaBte ihn, dem Willen der Inquisition gemafl, seine Ansichten offentlich zu widerrufen. Fannio schamte sich jedoch dieser Feigheit so sehr, daB er ohne Riicksicht auf Gefahr nunmehr eine neue Agitation gegen Rom begann und in der Romagna viel Anhanger gewann. Er war ein sehr begabter, ja glanzender Redner; die Inquisition hielt ihn deshalb fiir einen der gefahrlichsten Neuerer und beschloB seinen Tod auf dem Scheiterhaufen. Ercole sollte dieses Urteil in Ferrara vollstrecken lassen, aber Renata tat ihr Bestes, um im Namen der christlichen Liebe den Angeklagten, dessen Familie in bitterster Not zuriickblieb, zu befreien. Auf Wunsch der Herzogin zogerte Ercole mit der Urteilsvollstreckung, muBte zu- letzt aber dem sehr energischen Druck der Inquisition nachgeben. Renata war in einem der Schlosser auBerhalb Ferraras; als sie erfuhr, daB das Urteil vollzogen werden solle, kam sie in die Stadt und flehte den Herzog aufs neue um Fannios Leben. Ercole war den Befehlen der Inquisition gegeniiber machtlos, er anderte den Urteilsspruch nur dahin, daB er Fannio im Gefangnis erwiirgen und den Korper in den Po werfen lieB. Als man dem Verurteilten vor der Urteilsvollstreckung das Kreuz in die Hand geben wollte, gab er ruhig zur Antwort, da er den lebenden Christus im Herzen trage, wiiBte er nicht, was er mit einem holzernen Christus an- fangen solle.

Kaum ein Jahr spater, am 23. Mai 1551, wurde am Fenster- kreuz des herzoglichen Palastes Domenico Giorgio aufgehangt, ein Geistlicher aus Sizilien, der der Ketzerei verdachtig war. Gleich-

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zeitig verurteilte die Inquisition Lodovico Domenico in Florenz zu zehn Jahren Gefangnis, da er Calvins ,,Nicommediana" ins Italienische iibersetzt hatte. Calvin selbst bat Renata, sich fur Domenico bei Cosimo Medici zu verwenden, was die Herzogin auch sofort tat, indem sie in ihrem Brief besonders betonte, sie schreibe auf die Bitte eines Mannes, dem sie gern dienen mochte. Trotz aller Angebereien der Inquisition und der Brief e aus Rom vertrat Renata die Partei der Reformierten, wo immer sie konnte, und unterstiitzte sie unablassig mit Geldmitteln.

Die fortwahrenden Streitigkeiten zwischen Ercole und Renata, die auf religiose Differenzen zuriickgingen, und das infolgedessen immer stillere Leben am Hofe wirkten niederdriickend auf Don Alfonso, den altesten Sohn, einen energischen Jungling, den es nach Taten und Ruhm diirstete. Er konnte dieses untatige Leben nicht langer ertragen und erklarte, lieber unter dem Sultan kampfen, als langer in Ferrara die Hande in den Schofi legen zu wollen. Der Erb- prinz wollte nach Frankreich gehen, da die kriegerische Betatigungs- moglichkeit dort eine sehr viel groBere war; aber der Vater wollte nichts von diesem Plan wissen, denn Alfonso hatte in diesem Falle gegen den Kaiser kampfen miissen, was Ercole, den kaiser- lichen Bundesgenossen, in die fatalste Situation gebracht hatte. Don Alfonso beschloB daher, seine Absicht gegen den Wunsch des Vaters auszufiihren, und floh mit fiinfzehn Getreuen im Mai 1552 aus dem Hause, indem er vorgab, auf die Jagd zu gehen. Der Herzog lieB ihn verfolgen, doch Alfonso war mit seinem Gefolge schon zu weit, und die herzoglichen Diener kehrten unverrichteter Sache nach Ferrara zuriick. In seinem Zorn muBte sich Ercole damit zufrieden geben, in effigie den Freund seines Sohnes Giovanni Lavezzuola hangen zu lassen. Er war Alfonso bei seiner Flucht behilflich gewesen; gegen den Jungling selbst, der darauf rechnen durfte, in Frankreich mit offenen Armen empfangen zu werden, war der Herzog machtlos. Tasso gedachte dieses Vor- falles in seinem ,,Befreiten Jerusalem" bei der ,, Flucht" des jungen Rinaldo:

Nobilissima fuga, e che l'imiti

Ben degna alcun magnanimo nipote.

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Heinrich II. nahm den Jiingling sehr gnadig auf und iibertrug ihm das Oberkommando iiber eine kleine Heeresabteilung, aber Ercole begann trotzdem diplomatische Unterhandlungen mit dem franzdsischen Hof, urn den Sohn zur Riickkehr zu veranlassen; sein Trost war, Alfonso wiirde heimkehren, wenn sein Geld alle ware. Unterdessen nahm Alfonso zum groBen Kummer seines Vaters teil an Frankreichs Krieg gegen den Kaiser und zeichnete sich durch unvergleichliche Tapferkeit aus. Wahrend der Belagerung einer Festung ging Alfonso mit einigen Gefahrten auf einen ex- ponierten Hiigel, wo ihn die feindlichen Geschosse erreichen konnten, legte sich ins Gras und erzahlte ihnen Liebesabenteuer. Allem Anschein nach war es mit der SchuBfahigkeit der kaiser- lichen Artillerie nicht weit her, da die jungen Eisenfresser mit heiler Haut aus diesem gefahrlichen Abenteuer davonkamen.

Der alte Ercole sollte recht behalten: der Sohn kam friiher wieder, als man erwartet hatte. Im Herbst 1554 war er in Ferrara, da sein Geld zu Ende und sein Kredit erschopft war. Er anvertraute sich der vaterlichen Gnade, lieB aber seine Fluchtgefahrten nicht im Stich, da er ihnen vollstandige Verzeihung beim Herzog er- wirkte.

Die Riickkehr des Sohnes verbesserte das Verhaltnis der Ehe- gatten keineswegs, und Renata bekannte sich immer offener zu Calvins Lehre. Als einer ihrer beliebtesten und treuesten Diener, Ippolito Putti, in den letzten Ziigen lag, und der Herzog den Priester mit dem heiligen Sakrament zum Sterbenden schicken wollte, wider- setzte sich Renata standhaft und veranlaBte damit einen sehr pein- lichen Vorfall. Die Sorge des Herzogs wuchs, als er beobachtete, daB Renata beide Tochter in Calvins Lehre erziehen wollte. Als er ihr Vorwurfe machte und drohte, ihr die Tochter zu nehmen, brach sie in Tranen aus und antwortete, nicht imstande zu sein, ihren Kindern Glaubenssatze einzuimpfen, die sie fur falsch halte. Ein andermal schickte er ihr einen Geistlichen, damit er in ihren Gemachern eine Messe abhalte, da ,,verjagte ihn die Herzogin wie den leibhaftigen Teufel". Aus ihrer Oberzeugung machte sie durchaus kein Hehl, im Gesprach betonte sie, der Katholizismus sei eine Gotzenreligion, an deren Vorschriften sie nicht glaube.

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Gleichzeitig unterstiitzte sie die Hugenotten mit immer groBeren Summen, stand in regelmaBiger Korrespondenz mit Calvin und bat ihn, ihr zwei Lehrerinnen zu empfehlen, ,,erzogen in Gottesfurcht und Demut, rein in ihrem Leben und ihren Worten, die als Vorbild dienen konnten und den Frieden liebten". Ihr Lehrerinnenideal schilderte sie Calvin so eingehend, dafi sie selbst an die Kleider dieser Frauen, die aus der Schweiz kommen sollten, dachte. Sie brauchen nicht vkl fur ihren Putz auszugeben; schrieb sie, schwarze, wollene Kleider, der Witwentracht ahnlich, geniigen, ,,avec le chaperon d'oreilles". Dieser mit geheimer Post an Calvin gesandte Brief ist in Ercoles Hande geraten; er hat eine Abschrift danach machen lassen, die sich heute im estensischen Archiv befindet. Renata war unvorsichtig genug, ihre Brief e einem jiidischen Kauf- mann aus Ferrara zur Weiterbeforderung nach Genf anzuvertrauen. Dieser Kaufmann hat den Empfangern nur einige Brief e iibergeben, um das Vertrauen seiner Klientin nicht zu verlieren, die iibrigen handigte er Ercole aus, der Abschriften danach machen liefi, um gegebenenfalls eine Waffe gegen seine Frau in Handen zu haben.

Die Jesuiten, namentlich Loyola, waren mit den Zustanden in Ferrara sehr unzufrieden; da Pater Jay fur Deutschland notwendig war, schickten sie erst Pater Broet, dann Lepelletier, zu Ercoles groBem Arger, da er zu Jay viel Vertrauen hatte. Lepelletier drangte den Herzog, gegen die Ketzer mit scharfsten Mitteln vorzugehen. Auf seine Veranlassung erlieB Ercole ein Dekret, welches alle der Ketzerei Verdachtigen des Landes verwies, darunter waren auch einige Diener der Herzogin. Das geniigte Loyola nicht, er konnte nicht fassen, dafi Lepelletiers EinfluB bei Renata abprallte. Er schrieb dem Jesuitenpater einen sehr scharfen Brief und verlangte von den iibrigen Jesuiten in Ferrara, ihm in versiegelten Briefen ihre Ansicht iiber das Vorgehen ihres Vorgesetzten mitzuteilen. Lepel- letier berief sich auf den Widerstand der Herzogin und ihrer Hof- damen und beklagte sich, daB diese Hexen in tatsachlichem Ein- vernehmen mit dem Teufel stiinden, ,,fornicatio cum Daemonibus"; erst 1553 gelang es ihm, eine der Hofdamen mit Hilfe ihres Gatten zu bekehren. t)ber Renata selbst vermochte er nichts.

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Die Herzogin verlieB Ferrara, bekiimmert und emport daruber, daB sie ihre Lieblingsdiener verloren hatte; sie zog sich nach Con- sandolo zuriick, wo sie einer weniger strengen Kontrolle unter- stand und leichter an Calvin schreiben konnte. Die Nachrichten, die der Herzog aus Consandolo bekam, waren sehr beunruhigend, es geniigte Renata nicht mehr, auf ihren Hof reformierend zu wirken, sie begann ketzerische Ideen selbst unter der Bevdlkerung des nahe gelegenen Stadtchens Argenta zu verbreiten.

Ercoles Geduld war zu Ende. In einem ausfiihrlichen Briefe berichtet er Heinrich II., daB Renata in ihrem Eigensinn gegen Gott siindige und das Haus der Este mit Schande bedecke; man konne ihr in keiner Weise die „ketzerischen Phantasien" austreiben, selbst Weihnachten wollte sie nicht in die Kirche gehen. Der Herzog vergleicht seine Leiden mit den LeMen Hiobs und bittet den Konig, einen gebildeten, energischen Kaplan an Renata zu schicken, damit er sie von der Schadlichkeit der ketzerischen Grund- satze iiberzeuge und auf den Weg der Wahrheit zuriickfuhre. Heinrichs Antwort an Renata klang deutlich genug: so lange sie Ketzerin bleibe, diirfe sie auf seinen Schutz nicht zahlen. Er schickte ihr den fanatischen franzosischen Inquisitor Matthias Ory, der seit zwanzig Jahren die GeiBel der Reformierten war. Ory hatte eine Vollmacht des Konigs, gegen die Herzogin mit riicksichts- loser Scharfe vorzugehen; wenn es ihm nicht gelange, sie ,,zur Herde von Jesus Christus zuriickzufiihren", so war er berechtigt ihr mit der Einziehung ihrer Giiter in Frankreich zu drohen, mit der Entziehung ihrer Tochter und der Entfernung ihrer franzo- sischen Dienerschaft. Als-aber der Due de Guise von diesem strengen koniglichen Befehl erfuhr, schickte er seinen Vertrauten an Renata, um Orys Vorgehen zu durchkreuzen. Fur diese Mission bestimmte er den Dichter Jamet, der einst Ercoles Sekretar gewesen war, sich dem Herzog in keiner Weise verdachtig gemacht hatte und sich doch insgeheim treu zu Calvin bekannte. Jamet holte sich, ehe er nach Ferrara kam, Instruktionen beim Meister in Genf.

Ory setzte mit Hilfe des Jesuiten Jay alle Hebel in Bewegung, um Renatas Oberzeugung zu andern, aber auch Calvin lieB nicht locker. Da er Jamets Geschicklichkeit nicht iibermaBig hoch ein-

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schatzte, sandte er seinen tiichtigsten Anhanger, Francois de Morel, der auch unter dem Namen de Colonges bekannt ist, schleunigst nach Ferrara. Calvins Gesandter kam unter fremdem Namen nach Ferrara; obgleich er die Herzogin insgeheim sah, erfuhr Ercole von diesen geheimen Zusammenkiinften. Da Renata nicht von der Verbindung mit den Ketzern abzubringen war, nahm er ihr die Tochter und gab sie in das Kloster Corpus Domini, das seiner Schwester Eleonora d'Este unterstand. Gleichzeitig entlieB Ercole Renatas Hofdamen und ihre franzosische Dienerschaft, nur einige ihm absolut ergebene und zuverlassige Personen blieben in ihrem Dienst. Renata trug all diese MaBnahmen auBerlich ruhig, aber energisch wies sie die Versuche des Inquisitors zuriick, sie von Calvins Lehre abzubringen. Ory ergriff in seiner Ungeduld ein letztes Mittel, das Heinrich II. sicherlich nicht vorausgesehen hatte: er verklagte Renata vor dem Tribunal der Inquisition. Das Tribunal, mit Bischof Rosetti an der Spitze, trat in Ferrara zu- sammen, die Richter waren Bischof Lodeve und Lepelletier, der Rektor des Jesuitenkollegiums. Ory als Anklager warf Renata vor, daB sie sich zu Calvins Ketzerlehre bekenne, nicht zur Messe gehe, die Wirksamkeit der Sakramente bestreite, nicht beichte und nicht an die Fleischwerdung Christi glaube. Aus Riicksicht auf den Konig von Frankreich und Ercole ging das Tribunal sehr milde vor, verurteilte Renata nicht zumTode, sondern nur zu lebens- langlichem Gefangnis und zur Konfiskation all ihrer weltlichen Giiter. Die Bibliothek der Herzogin, in der sich Hunderte von ver- botenen Buchern befanden, sollte verbrannt und ihre Dienerschaft aufs schwerste bestraft werden, aber vierundzwanzig der Schul- digsten warteten den Urteilsspruch nicht ab, sondern flohen ins- geheim.

Renata nahm den Urteilsspruch ganz ruhig auf und zeigte keiner- lei Furcht. Am 7. September, einen Tag, nachdem das Urteil ge- fallt war, hielt bei Tagesanbruch ein Wagen vor ihrem Palast, und unter der Eskorte des Bischofs Rosetti und Ruggieros, des ehe- maligen ferraresischen Gesandten in Rom, wurde die Herzogin in das alte SchloB uberfuhrt, das schon lange als Gefangnis diente. Renata wurde in jenen Raumen untergebracht, die sie unmittelbar

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nach ihrer Ankunft in Ferrara als junge Frau bewohnt hatte, vor ihrer Tiir wurde eine Wache postiert, und zwei zuverlassige Frauen wurden mit ihrer Bedienung betraut. Plotzlich, im Verlaufe von noch nicht einer Woche gingen Veranderungen vor, die man sich furs erste nicht zu erklaren vermochte. Renata verlieB das Ge- fangnis, und Ory, der franzosische GroBinquisitor, war aus Ferrara verschwunden. Aus dem Anklager ward ein Angeklagter: Renata, zum AuBersten gebracht, legte zu ihrer Verteidigung jenes Breve von Paul III. vor, in dem der Papst ihr ausdrucklich gestattet hatte, selbst GewaltmaBregeln gegen jeden zu ergreifen, der sie der Ketzerei bezichtige. Kraft dieses Breve unterstand Ory dem Bann, und Re- nata war berechtigt, ihren Gatten aufzufordern, ihn ins Gefangnis werfen zu lassen. Der franzosische Monsignore hielt es fur das Kliigste, das Feld zu raumen. Renata hatte sich an ihren Feinden sehr geschickt geracht.

Infolge dieses Breve, von dem auch Ercole nichts gewufit zu haben scheint, wurde sein Verhalten der Herzogin gegeniiber ein anderes. Da ihr mit Gewalt nicht beizukommen war, lieB sich nur auf giitlichem Wege Frieden schlieBen. Ercole versuchte es auf diese Weise, und schon nach einigen Tagen kam es wenigstens zu auBeren Zugestandnissen. Infolge des politischen Verhaltnisses des Herzogs zur romischen Kurie und der Zukunft ihrer Kinder gab Renata fin- den Augenblick nach; sie beschloB, die vom katholischen Kult vor- geschriebenen religiosen Brauche zu wahren, beichtete sogar bei Lepelletier und nahm das Abendmahl. Ercole erwies sich der Herzogin dankbar fiir diesen Wandel in ihrem Benehmen, gab ihr die Tochter zuriick und gestaltete ihren Hofstaat auf die alte Art um.

Pater Lepelletier triumphierte, er riihmte Renatas wunder- bare Bekehrung laut und berichtete Loyola von diesem auBer- ordentlichen Ereignis; doch Ercole kannte seine Frau besser als ihr Beichtvater; er wuBte, daB die Herzogin Calvinistin geblieben war und sich nur fiir den Augenblick der auBeren Notwendigkeit gefiigt hatte. Ercoles MiBtrauen ging so weit, daB er sich weigerte, ihr ihre Kleinodien herauszugeben, damit sie sie nicht verkaufe und die Ketzer mit diesem Geld unterstiitze. AuBerdem unter- stellte er sie dem besonderen Schutze zweier Jesuiten, die er zu

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ihrem Hauskaplan und Beichtvater ernannte. Diesen geistlichen Wachtern konnte es nicht lange entgehen, dafl ihr Triumph ver- fruht war; sie scheinen die Wahrheit nach Rom berichtet zu haben, denn der neue Papst, Paul IV., jener furchtbare Caraffa, empfahl seinem Auditor Rota, als er ihn nach Ferrara entsandte, Renata nicht zu besuchen.

Trotzdem beunruhigten sich Calvin und die Sektierer, als sie erfuhren, Renata sei in den SchoB der katholischen Kirche zuriick- gekehrt, und selbst Olympia Morato schrieb damals: ,,daB sie die Herzogin stets fiir unbestandig gehalten habe"; aber Renata sorgte dafiir, dafl Calvin nicht lange an ihren Abfall glaube. Briefe zwischen Ferrara und Genf kamen und gingen wie friiher, und Calvin, der Renata in ihren Grundsatzen befestigen wollte, schickte einen seiner originellsten Apostel Galeazzo de Vico nach Ferrara. Galeazzo, ein vornehmer Neapolitaner, hatte im OberfluB mit Frau und Kindern gelebt, da machten ihm Valdes' und Ochinos Predigten einen solchen Eindruck, daB er seine Familie verlieB, auf sein Vermogen ver- zichtete und sich zu Calvin nach Genf begab. Er ward zum leiden- schaftlichen Apostel der Reformation: arm und elend durchzog er die Schweiz, Flandern, das nordliche Italien und predigte die Lehre seines Meisters. Insgeheim, wahrscheinlich unter fremdem Namen, kam er nach Ferrara, hatte Zusammenkunfte mit der Herzogin, die ihn in ihrem eigenen Wagen bis an die Grenze be- forderte.

Die Inquisition hatte ein hartes Stuck Arbeit zu leisten, und viele Scheiterhaufen brannten, ehe Ferrara und namentlich Modena als weniger „verdachtig" galten. Noch unter Alfonso wurden in Mo- dena dreizehn Manner und Frauen verbrannt. Paul IV. befahl den Geistlichen in Ferrara mit Hilfe weltlicher Institutionen Material zu sammeln, um all jenen, die man der Sympathie mit den Ketzern verdachtigte, den ProzeB zu machen, und sie auch dann nicht zu schonen, wenn sie zur hochsten Klasse der dortigen Gesellschaft gehoren sollten. Um das Material um so schneller und sicherer zu- sammen zu bekommen, empfahl die romische Kurie, gegebenen Falles die Folter nicht zu schonen. Die Denunzianten wurden von der Inquisition reichlich belohnt, und einer ihrer wichtigsten Geheim-

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agenten war jener Franzose de Noyant, der seiner Zeit das Ver- haltnis zwischen seiner eigenen Frau und Ercole ruhig geduldet hatte.

Ercole und besonders sein intoleranter Nachfolger Alfonso II. leisteten der Inquisition in ihrem Vernichtungswerk Vorschub. Die Reformation wurde unterdriickt, aber die Arbeit in Italien war weniger schwer als in Deutschland oder Frankreich. Die Italiener haben wenig Anlage zum religiosen Fanatismus, und der Mehrzahl erschien es toricht, sich foltern und einsperren zu lassen, wenn es doch geniigte, die auBeren Formen der Kirche zu erfiillen und man im stillen glauben konnte, was man wollte. Die Zahl jener, die fur ihre religiose Uberzeugung sterben wollten, war in Italien ganz gering.

IX

Italiens politische Verhaltnisse waren gegen das Ende von Ercoles Regierung so kompliziert, daB es viel diplomatischer Geschicklichkeit bedurfte, um im allgemeinen Chaos nicht unter- zugehen. Die kleinen Tyrannen und Republiken vermochten sich gegen die drei groBen Gewalten: Spanien, Frankreich und das Papsttum nicht zu behaupten, nur dem Herzog von Ferrara gelang es, sein Land vor fremden Einfetllen zu schutzen. Um seine Stellung zu befestigen und sich dem Kaiser wieder zu nahern, beschloB Ercole seinen Sohn Alfonso mit Cosimo Medicis Tochter zu ver- heiraten. Renata war gegen diese Verbindung, sie wunschte, daB Alfonso sich mit Marguerite, der Herzogin von Berry, der Schwester des Konigs von Frankreich, die etwas alter als er war, vermahle; aber Ercole hatte bereits mit einer franzosischen Prinzessin so bose Erfahrungen gemacht, daB er seine Zustimmung verweigerte. Da die Florentinerin erst vierzehn Jahre alt war, entschloB man sich zwar zur sofortigen Trauung, jedoch mit der Klausel, daB Al- fonso fur langere Zeit nach Frankreich gehe.

Der alte Ercole sollte seinen Sohn nicht wiedersehen, er er- krankte am 26. September 1558 schwer und war am 3. Oktober

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tot. Vor seinem Tode versuchte er Renata zu bewegen, als Regentin, bis zu Alfonsos Riickkehr aus Frankreich, ihre Beziehungen zu den Heretikern abzubrechen und ihre geheime Korrespondenz mit Calvin aufzugeben. Der Vermittler dieser Briefe war der Post- meister des Stadtchens Luna in der Romagna. Renata versprach dem Sterbenden, seine Wiinsche zu erfiillen, bald reute sie ihre Schwache, und sie versuchte sich vor Calvin zu rechtfertigen. Der geschickte Reformator sprach ihr Trost zu, Mda sie Gott durch diesen Schwur beleidigt habe, sei sie nicht gezwungen, ihn zu halten".

Renatas Regentschaft war nur von kurzer Dauer. Alfonso traf am 26. Oktober 1559 in Ferrara ein und iibernahm die Regie- rung in gewohnter Weise. Auf Bitten der Mutter gab er seinem alten Oheim Giulio d'Este die Freiheit wieder; er hatte dreiBig Jahre im unterirdischen Kerker geschmachtet. Als der alte Mann den Lebenden wiedergegeben ward, betrachtete ihn ganz Ferrara als eine Merkwiirdigkeit, denn er war noch a la francese gekleidet wie zu Zeiten Alfonsos I. Seinen Kopf deckte ein Hut mit ungeheuren Krausen, der Rock reichte bis an die Knie, die Armel, bauschig nach oben, umschlossen das Handgelenk fest, der Mantel war pelz- gefiittert, die weiten Strumpfe dienten gleichzeitig als Taschen, und an den Stiefeln prangte eine seidene Franse. Der arme Giulio sollte sich seiner Freiheit nicht lange freuen, er starb zwei Jahre, nachdem er aus dem Gefangnis freigekommen war.

Alfonso II. war gegen die Ketzer viel intoleranter als sein Vater; er erklarte, lieber unter Aussatzigen als unter Hugenotten leben zu wollen, und in Frankreich hatte er dem Konig empfohlen, die gewaltsamsten MaBregeln gegen die Reformatoren zu ergreifen und nicht die Fiihrer allein zum Tode zu verurteilen. Zwischen der calvinistischen Mutter und dem fanatischen Sohn konnte es keinen Frieden geben, das Verhaltnis spitzte sich immer mehr zu, besonders als Alfonso 1560 nach Rom fuhr, um Pius IV. zu huldigen. Dort verlangte man vom Herzog, seine Mutter zu zwingen, die Be- ziehungen zu den Ketzern abzubrechen. Alfonso stellte nach seiner Riickkehr die Herzogin vor die Alternative: ihr Vorgehen vollig zu andern oder Italien zu verlassen. Alfonsos Harte verletzte Re- nata aufs empfindlichste; sie beschloB, in kvirzester Zeit nach

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Frankreich zuriickzugehen. Die Abreise fand mit all den Ehrungen statt, die man der Herzogin-Mutter und friiheren Regentin schuldig war; Alfonso begleitete Renata bis an die Grenze des Reiches. Am 2. September verlieB Renata Ferrara, begleitet von drei- hundert Menschen und ihrem jiingeren Sohne, Don Luigi, der sie nach Frankreich brachte.

Renata war die markanteste Personlichkeit unter den refor- mierten Frauen Italiens, aber ihr Vorgehen war anders als das einer Vollblutitalienerin, einer Colonna oder Giulia Gonzaga; ihrem Temperament nach blieb sie stets die Franzosin und Frau des Nordens. Eine groBe Rechtlichkeit und Charakterfestigkeit, unendliche Giite und Mitleid waren ihre hervorragendsten Eigen- schaften. Als ehrliche Katholikin war sie nach Italien gekommen, und sie ware sicherlich dem Katholizismus treu geblieben, wenn man ihr rucksichts- und liebevoller begegnet ware, und wenn der religiose Terrorismus nicht seinen Hohepunkt erreicht hatte. Es emporte sie, daB man von ihr verlangte, Dinge zu glauben, die sie nicht glauben konnte, daB sie anstatt verniinftiger Belehrung auf einen strikten Befehl stieB. Ihr koniglicher Stolz revoltierte, und die eigensinnige, leidenschaftliche Bretonin erwachte. Sie gehort zu jener groBen Zahl, die die Brutalitat der Gegenreformation mit Gewalt in das feindliche Lager gestoBen hat.

Sie war so sehr von religiosen Ideen erfiillt, daB im Gegen- satz zu den beriihmten italienischen Frauen die Kunst keinen Platz in ihrem Leben fand. Wahrend Ercole als wahrer Macen die ferra- resischen Maler Girolamo da Carpi, die beiden Dossi und Garofalo um sich scharte, Pordenone, Cellini, Sansovino und einige Flamen kommen lieB, interessierte sich Renata als echte Calvinistin kaum fur Kunst und unterstiitzte nur einige unbedeutende franzosische Kiinstler um ihrer Nationalitat willen. Dagegen hatte sie eine Vor- liebe fur Musik, sah Seiltanzern gem zu und hatte eine Schwache fiir Hofnarren. Sie besaB ihrer eine groBe Anzahl und kleidete sie besonders sorgfaltig in Samt und kostbares Pelzwerk. Diese Schwache der Herzogin war wohl bekannt; als sie nach Frankreich ging, schickte ihr der Marchese Pescara seinen Hofnarren, damit er sie wahrend der Reise erheitere.

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X

Renata ging direkt nach Orleans, wo damals der junge Konig Franz II. voriibergehend weilte mit seiner Mutter Katharina von Medici, die in seinem Namen regierte. Die damaligen religiosen und politischen Verhaltnisse in Frankreich waren die denkbar traurigsten. Katharina hielt es weder mit den Katholiken noch mit den Hugenotten, aber durch ihre Intriguen versuchte sie beide Parteien gegeneinander zu gunsten des Thrones zu verhetzen. Renata trat als ehrliche Calvinistin auf, als Protektorin der Huge- notten, aber als Frau von koniglichem Gebliit, als „fille de France" betrachtete sie es als ihre Pflicht, die Dynastie zu stutzen und die leidenschaftlichen Kampfe zu mildern. In Frankreich fielen jene Riicksichten fort, die ihre Bewegungsfreiheit in Ferrara gehemmt hatten: das Verhaltnis zu Rom, die Notwendigkeit, ihre Kinder im romisch-katholischen Glauben zu erziehen das war kein Hemm- schuh mehr, sie konnte jetzt ruhig ihren t)berzeugungen gemaB leben und ihre Glaubensgenossen unterstiitzen. Der Konig starb bald nach ihrer Ankunft, am 5. Dezember 1560, doch anderte dies die Verhaltnisse keineswegs, da sein Bruder, Karl IX., ein zehn- jahriger Knabe, ihm auf dem Thron folgte und Katharina Regentin blieb.

Nach kurzem Aufenthalt in Orleans siedelte Renata nach Mont- argis iiber, das ihr Erbteil neben Chartres bildete. In Montargis stand ein seit langem unbewohntes, verfallenes SchloB; Renata machte sich sofort daran, diese Residenz umzubauen und zu be- festigen und iibertrug diese Arbeit einem bekannten Baumeister, Du Cerceau, einem Anhanger Calvins. Die Kosten dieses Unter- nehmens waren ungeheuer und trugen nicht wenig dazu bei, Re- natas Budget zu erschiittern.

Die Herzogin unterhielt nach wie vor Beziehungen zu Calvin, fragte ihn in wichtigen Dingen um Rat, und der letzte Brief, den der Genfer Reformator geschrieben hat, ist an Renata, die Pro- tektorin des neuen Glaubens, gerichtet. Die ganze Umgebung der Herzogin bekannte sich zu £alvin, und die Hofgeistlichen, fana- tische Hugenotten, machten ihr nicht wenig Sorge, da sie die katho-

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lische Bevolkerung in Montargis und Chartres bekehren wollten und damit unwillkiirlich gegen Renata aufhetzten.

Renatas Lage war von der wechselnden Stellung des fran- zosischen Hofes den Hugenotten gegeniiber abhangig. Jeder Sturm der furchtbaren religiosen Kampfe fand seinen Widerhall in Mont- argis, nach jeder Verfolgung fluchteten Hugenotten unter Renatas schutzendes Dach; es haben haufig Hunderte von Vertriebenen an ihrem Tisch Platz gefunden. Montargis hieB bald ,,Nichee des Huguenots".

Trotzdem Renata zum Frieden mahnte, konnte der kleine Ort nicht zur Ruhe kommen, und als an der unteren Loire jene furcht- baren Kampfe begannen, kam es auch in Montargis zur Revolution, da die katholische Bevolkerung dort starker als die protestantische war. Der katholische Waldhiiter Michel Bareau, ein roher Kerl, der sehr viel EinfluB hatte, wollte die ganze calvinistische Rotte ermorden. Die erschrockene Renata bat den Prinzen Conde, der in Orleans mit seiner protestantischen Armee stand, ihr einen Trupp Soldaten zur Aufrechterhaltung der Ordnung zu schicken. Aber Condes Soldaten waren fanatische Calvinisten; als sie nach Mont- argis kamen, warfen sie etwa zwanzig Geistliche und Monche in den Brunnen, zerstorten Heiligenbilder, raubten Kelche, Mon- stranzen, Ornate, zerrissen Kirchenbucher und zertrummerten Glocken. Naturlich iibten Michel Bareau und seine Soldaten Rache an den Eindringlingen, und nur mit groBter Muhe gelang es Renata, Cond6s Heer zu entfernen und die Ruhe wiederherzustellen.

Nach dem Sieg der Katholiken bei Dreux am 19. Dezember 1562 suchte Renatas Schwiegersohn, der Due de Guise, den Konig zu veranlassen, die Herzogin zu zwingen, Montargis zu verlassen und eines der koniglichen Schlosser in Fontainebleau Saint- Germain en Laye oder im Bois de Vincennes zu beziehen. Auf diesen Befehl gab Renata zur Antwort, daB sie in Montargis bleiben und sich im Notfall verteidigen wiirde. Guise, der Orleans besetzte, schickte infolge dieser Weigerung eine Abteilung seines Heeres unter General Malicorne, damit er gegen das verhaBte Hugenottennest vorgehe. Als Malicorne nach Montargis kam, lieB Renata ihn auffordefn, sich wohl zu iiberlegen, was er zu tun beabsichtige, in Frankreich

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gabe es niemand als den Konig allein, der ihr befehlen diirfe, und wenn er es wagen wiirde, das SchloB zu belagern, so wiirde sie selbst die Mauern besteigen, und den Tollkuhnen erwarten, der die Tochter des Kdnigs ermorden wolle. Nach dieser Meldung wagte Malicorne nicht vorzugehen und bat um die Ordre des Kdnigs aus Paris. In der Zwischenzeit waren wichtige Dinge vorgegangen, am 18. Februar 1563 war der Herzog von Guise ermordet worden. Er war der grdBte Feind der Hugenotten und hatte den Einwohnern von Orleans gedroht, sie wie Katzen zu vertilgen. Nach seinem Tode war die katholische Partei bereit, friedlich zu unterhandeln. Der Konig befahl Malicorne, von der Belagerung des Schlosses ab- zusehen, und Renata triumphierte fur den Augenblick. Aber diesen Triumph sollte sie bitter bezahlen. Der Due de Guise war ihr Schwiegersohn gewesen, und der Jubel im hugenottischen Lager, die Lieder, die das Gedachtnis des katholischen Fiihrers beschimpften und von alien Seiten an ihr Ohr drangen, beleidigten sie. In Renata machte sich eine gewisse Opposition geltend, sie begann Guise zu verteidigen und da sie seine unerhorte Grausamkeit gegen die Hugenotten nicht zu rechtfertigen vermochte, behauptete sie, alles sei nur auf Befehl des Kdnigs geschehen; im Innersten sei er kein iiberzeugter Katholik gewesen, sondern habe der Reformation nahe gestanden. Der Priester Morel, Renatas Freund, berichtete damals Calvin, die Herzogin gehe durch schwere Kampfe; das Verlangen,der wahren Religion Christi zu niitzen, kampfte in ihr mit der Liebe zur Tochter und dem Gefuhl des Unrechts, das ihrer Familie geschehen. Der in Amboise geschlossene Traktat, der den Pro- testanten Gewissensfreiheit sicherte und die Erlaubnis, ihre Re- ligion offentlich auszuiiben, gab Renata fur kurze Zeit ihre Ruhe wieder, ihr Leben gestaltete sich weniger schwer, sie begann wieder haufiger Laute zu spielen, belustigte sich mit ihrer Zwergin Agnes, ihrem geliebten SchoBhundchen und ihrem Papagei, fur den sie einen sechs Stockwerk hohen Kafig bauen lieB. Die Zugestandnisse an die Hugenotten fachten ihren Mut an; ihr Verlangen stieg, fur Calvins Lehre neue Anhanger zu gewinnen, sie wollte die gesamte Bevdlkerung Montargis' zu ihrem Glauben bekehren. Calvin empfahl ihr eine religiose Polizei einzufuhren, mit anderen Worten,

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eine gemaBigte Inquisition, wie er sie in Genf eingesetzt hatte, aber dieser hinterlistige religiose Terrorismus widersprach ihrer Gemiitsart.

Der Friede zwischen den streitenden Parteien in Frankreich wahrte nur sehr kurze Zeit. Katharina von Medici wandte sich immer mehr von den Hugenotten ab und wurde ihre immer aus- gesprochenere Feindin; auch die Bevolkerung wollte die den Huge- notten zugestandenen Rechte nicht anerkennen und emporte sich gegen die Ketzer.

Nach Calvins Tod am 4. April 1564 hielt Alfonso von Ferrara den Augenblick fur gekommen, um in katholischem Geist auf die Mutter einzuwirken. Er kam nach Frankreich, im Glauben, die Herzogin iiberreden zu konnen, auBerdem wollte er im Einverstand- nis mit Emanuel Filibert, dem Herzog von Savoyen, den Konig und seine Umgebung veranlassen, mit aller Strenge gegen die Protestanten vorzugehen. Er riet dem Konig, unverziiglich fiinf oder sechs Fuhrer der ketzerischen Bewegung zu ermorden, um den Hugenotten Furcht einzujagen. Noch wurden diese Gewalt- maBregeln nicht angewandt, Katharina glaubte, der Reformation allmahlich und mit weniger BlutvergieBen Herr werden zu konnen, gleichzeitig bereitete sie einen Schlag vor, um Renatas EinfluB auf ihre Glaubensgenossen abzuschwachen. Sie wollte Anna d'Este, die Witwe des ermordeten Guise, mit Jacques, dem Herzog von Nemours, dem fanatischsten Feind der Hugenotten, verheiraten. Katharina leitete die Intrigue so geschickt, daB Renata von der beabsichtigten Verbindung erst Wind bekam, als die Sache schon ganz perfekt und der Ehekontrakt beinahe unterschrieben war. Das Vorgehen der Konigin emporte Renata noch mehr gegen ihre katholischen Gegner; sie schloB sich in Montargis ein und begann eine protestantische Agitation mit erneuter Energie. Umgeben von ihrem friiheren Hofstaat, dem sich auch Leon Jamet ange- schlossen hatte, gestaltete sie mit Hilfe einiger Priester Montargis zum protestantischen Herzogtum um, ohne der koniglichen Befehle zu achten. Sie begriindete dort sogar ein Priesterkolleg, mit der Absicht, protestantische Pastoren auszubilden. Die Huge- notten bewunderten Renatas Energie, ihr Ruhm verbreitete sich

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weit ixber Frankreich hinaus, und in Deutschland wurde sie als Heldin der Reformation gefeiert. Zur Beliebtheit der Herzogin trug ihre schrankenlose Wohltatigkeit bei; wahrer Armut gegen- iiber kannte Renata keinen Glaubensunterschied und unterstutzte franzosische Monche und Schweizer Pastoren in gleicher Weise. Den franzdsischen Hof beunruhigte Renatas Wirksamkeit in solchem MaBe, daB Karl IX. den alten Befehl erneuerte, die Herzogin moge Montargis verlassen und nach Fontainebleau oder Vin- cennes ubersiedeln. Da Renata Widerstand leistete, entzog ihr der Konig vermittels eines Dekrets die Verwaltung ihrer Erbgiiter und iibertrug sie d'Entragues, dem Statthalter von Orleans. Man nahm ihr all ihre Einkiinfte und verurteilte sie, von der Wohl- tatigkeit ihrer Kinder zu leben. Renata legte Protest gegen dieses Dekret ein, und die Einwohner der Stadt Chartres, obgleich selbst Katholiken, unterstutzten ihren Protest aufs warmste. Uberall hielt man das Vorgehen des Konigs fur ein groBes an der Tochter Ludwigs XII. begangenes Unrecht. Ludwig XII. lebte noch als guter Konig im Gedachtnis aller. Der Konig muBte sich der offentlichen Meinung fugen und seinen ErlaB zuriickziehen, er lieB der Herzogin wenigstens den Schein der Macht in ihren Erbgiitern.

Die Kampfe zwischen Katholiken und Hugenotten wurden mit immer groBerer Bitterkeit gefiihrt; Leidenschaften machten Menschen zu reiBenden Tieren; im ganzen Lande floB Blut, und es kam zu den furchtbarsten Grausamkeiten. In Auxerre briet die katholische Bevolkerung das Herz eines Hugenotten auf Kohlen und zerlegte es in Stiicke zum Essen. Die Hugenotten flohen nach Deutschland und in die Schweiz, und Montargis wurde wieder eine Zufluchtsstatte hungriger, elender, verzweifelter Calvinisten. Re- nata nahm auch diesmal auf niemand Rticksicht und offnete den Bediirftigen ihr gastliches Haus. Aber die Regierung wollte nichts von Mitleid wissen, aus Paris kam der Befehl an die Herzogin, die schutzsuchenden Hugenotten sofort zu entfernen. Renata hatte weder ein Heer noch die Macht, sich dem Willen des Konigs zu widersetzen ; am 26. September 1569 muBten vierhundertsechzig Menschen ihr SchloB verlassen. Sie stellte den Fliehenden hundert- fiinfzig Dienstfuhren, acht Wagen und mehrere Pferde zur Ver-

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fiigung, aber kaum hatte die Kara wane, die Frankreichs Grenze zustrebte, Montargis verlassen, so vertrat ihr ein Trupp des kdnig- lichen Heeres den Weg und wollte die Fliichtenden ermorden. Der eine von ihnen, Pierre Beaumont, hielt eine Ansprache an seine Gefahrten, forderte sie auf, sich zu ergeben und demutig wie Christus am Kreuz zu sterben. Im letzten Augenblick, ehe das Verbrechen begangen wurde, kam ein Trupp protestantischer Soldaten, und nach kurzem Kampf mit den Kdniglichen wurden die Fluchtlinge befreit.

Nur einen Augenblick durfte Renata sich dieses Sieges freuen; sie wurde sehr bald gezwungen, all ihre Hofleute ,,unsicheren Glau- bens" zu entlassen. Das war ein schwerer Schlag fur sie; als sie sich von ihren alten Dienern trennte, war ihr nach ihren Worten zu Mute, als wenn sie selbst auseinanderginge. Unterdessen ver- nichteten beide Parteien sich gegenseitig mitleidslos in furchtbarem Kampf; in beiden Lagern begann es an Geldmitteln zu fehlen, um den Vernichtungskrieg fortzusetzen. So muBte es zum Frieden kommen oder rich tiger zum Waffenstillstand, der im August 1570 geschlossen wurde. Renata war so gliicklich dariiber, daB, als ihr um zehn Uhr abends ein Diener diese Nachricht brachte, sie ihm fiinf Pfund fur die gute Botschaft schenkte. Doch sollte sie trotz des augenblicklichen religidsen Friedens nicht zur Ruhe kommen, da ihr andere Sorgen drohten. Die letzten Ereignisse, die groBe Hof- haltung und ihre schrankenlose Wohltatigkeit verschlangen mehr als ihre Einnahmen betrugen. Um ihre pekuniaren Verhaltnisse zu ordnen, hatte sie gegen den kdniglichen Schatz einen ProzeB an- gestrengt, damit ihr ein Teil aus dem NachlaB Ludwigs XII., der ihr nach Ansicht ihrer Berater zustand, ausgezahlt werde. Die Forde- rung war nicht absolut sicher, und der Ausgang des Prozesses zum mindesten zweifelhaft; erst durch Vermittlung der Kdnigin-Mutter kam es zwischen der Krone und Renata zu einem Vertrag, wonach die Herzogin jahrlich 60 000 Pfund bezog. Zu dieser giinstigen Er- ledigung hatte in Paris namentlich die Riicksicht auf ihre Tochter, die Herzogin von Nemours, beigetragen, deren Mann einer der bekanntesten Generate der kdniglichen Armee war.

Das Schicksal hat Renata gegen Ende ihres Lebens nicht das Furchtbarste vorenthalten, das sie treffen konnte. Hinfallig und

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kranklich reiste sie im Februar 1572 zu ihrer Tochter nach Paris, und das Ungliick wollte, daB sie dort das Blutbad der Bartholomaus- nacht miterleben sollte. Am Mittwoch, den 20. August, gab es ein groBes Fest bei Hofe, im Theater wurde ein Marchen aufgefiihrt, das gut gefiel. Aber es fehlte nicht an Stimmen, die den Inhalt des Stuckes fur eine bose Vorbedeutung hielten. Auf der Biihne war rechts das Paradies, links die Holle; den Zugang zum Paradies verteidigten drei Ritter, in der Holle wimmelte es von Teufeln und Teufelchen, die sich unter Feuer und Schwefel zu schaffen machten. Mitten auf der Biihne fiihrte Charon seinen Nachen iiber einen FluB und setzte die Erlosten im Himmel, die Verdammten in der Holle ab. Gruppen irrender Ritter in verschiedenfarbigem Schmuck kamen ins Paradies und baten um Aufnahme, aber die bewaffneten Wachter wehrten ihnen den Zutritt und verjagten sie in die Holle. Merkur kam auf einem Hahn und begliickwiinschte die Paradieses- wachter ob ihrer Wachsamkeit. Die Zuschauer begriffen, daB die Verteidiger des Himmels, die Hiiter der katholischen Kirche, niemand anders als der Konig und seine Briider waren, und daB man die Hugenotten, mit dem Konig von Navarra an der Spitze, in die Holle verbanne.

Renata hat in Paris nicht bei ihrer Tochter im Louvre gewohnt, sondern im Kloster Notre-Dame, und diesem Umstand hat sie es zu danken, daB sie in der Nacht des 23. August nicht Augenzeuge des Blutbades war, das im Umkreis des koniglichen Palastes statt- fand. Als in den folgenden Tagen die Morder auch in den iibrigen Stadtteilen wiiteten, fiirchtete der Konig fur Renatas Leben und schickte eine Abteilung treuer Soldaten ins Kloster, um sie vor den Uberfallen der fanatischen Bevolkerung zu schutzen. Acht Tage wahrte das Gemetzel; als sich Paris zu beruhigen anfing und die Tore der Stadt geoffnet wurden, reiste Renata ab unter dem Schutz Bewaffneter, die ihr der Due de Guise, Colignys Morder, stellte. Und es war gut, daB sie fortreisen konnte, denn die ver- tierte Menge hat Colignys Leiche noch aus der Seine herausgefischt, da sie ,,unwiirdig sei, selbst von den Fischen gefressen zu werden".

Renata kam ohne Zwischenfall nach Montargis, aber diese Vor- falle haben sie gebrochen; sie war alt und mager geworden und

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glaubte, daB die Reformation sich von diesem Schlag nicht erholen wiirde und ihre religiosen Ideale fur immer vernichtet seien. Sie, die bis jetzt in ihrer Oberzeugung unerschiitterlich gewesen war, begann der t)bermacht zu erliegen, aus Furcht, daB ihren calvinistischen Untertanen ein gleiches Schicksal wie in Paris drohe. Sie unterlieB jegliche religiose Agitation, um so mehr als ihre Tochter aus Paris berichtete, daB die Hugenotten mit Gewalt gezwungen werden wiirden, in den SchoB der katholischen Kirche zuriickzukehren, und der Kdnig ein Edikt erlassen habe, wonach alle ohne Unterschied zur Messe gehen miiBten; selbst der Kdnig von Navarra und der Prinz von Cond6 hatten sich dem nicht ent- ziehen konnen. Falls sich Renata den neuen Vorschriften nicht fiigen wolle, miisse sie gewartigen, daB ihre Dienerschaft und ihre ganze Umgebung fur sie biiBen wiirden. In milderer, aber nicht weniger bestimmter Form schrieb die Kdnigin-Mutter; sie ermahnte sie, offen mit der Reformation zu brechen, was nach ihren Ver- sicherungen dem Konig eine groBe Freude ware. Dieser Brief machte auf Renata den erhofften Eindruck nicht, da sie fast gleichzeitig von den furchtbaren in Orleans begangenen Grausamkeiten und der schrecklichen Lage der Hugenotten hdrte. Renatas Seele wandte sich den Verfolgten zu, zum letzten Male offnete sie den Vertriebenen die Tore ihres Schlosses, zum groBen Arger des Kbnigs und seiner Umgebung.

Ihre Krafte waren erschopft. Gebrochen durch die furchtbaren Eindriicke der letzten Monate, fern von ihren Freunden, die in die Schweiz, nach Deutschland und England geflohen waren, ohne Stiitze, in ihrer Familie Alfonso war einer der groBten Gegner der Reformation und Anna an einen der Fiihrer der katholischen Partei verheiratet , verlor sie die Hoffnung, jemals ihren Glaubens- genossen helfen zu konnen. Trost fand sie nur noch im Gebet.

Um das MaB ihres Ungliicks voll zu machen, erkrankte 1574 in Paris ihr geliebter Sohn, der Kardinal Luigi, lebensgefahrlich. Die Arzte gaben ihn auf. Trotz ihrer eigenen Schwache eilte Renata zum Kranken, aber diese Reise gab ihr den Rest: in Paris erkrankte sie an einem hartnackigen Fieber. Als es dem Kardinal etwas besser ging, lieB sie sich in ihr geliebtes Montargis schaffen; dort, wo sie

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gewirkt, wollte sie ihr Leben beschlieBen. In Montargis erreichte sie die Nachricht vom Tode des Konigs und der Flucht Heinrichs III. aus Krakau, iiber die ihr der Kardinal Luigi nahere Angaben machte. Sie starb ganzHch entkraftet am 15. Juni 1574; von ihren Kindern mogen allein der Kardinal und ihre Tochter Anna ihren Tod ehrlich betrauert haben. Alfonso schamte sich beinahe des Andenkens der Mutter, er verbot jede Trauerfeier, und lieB in Rom anfragen, ob man die Glocken lauten und fur ihre Seele beten diirfe. Die apostolische Residenz gab zur Antwort, daB, da Renata als Ketzerin gestorben sei, von einer religiosen Feier nicht die Rede sein konne. Ebensowenig gestattete der Konig, trotz der nachdriicklichsten Bitten des Kardinals, daB in Paris eine Trauerfeier stattfinde und Renata in den Konigsgrabern zu Saint Denis bestattet werde. Die Tochter lieB die Mutter in der Kapelle des Schlosses von Montargis beisetzen; dem Wunsche der Verstorbenen gemaB trugen sechs Arme den Sarg. Einige Tage spater wurde auf Befehl des Herzogs von Ne- mours ein katholischer Gottesdienst fur Renatas Seele angeordnet. Die Herzogin hat ihrem Testament einen kurzen LebensabriB vorangesetzt. Sie dankt Gott dafiir, von einem Konig ab- zustammen, den man den ,,Vater des Volkes" genannt, und legt ihr Glaubensbe- kenntnis im Sinne Calvins ab.

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esonders in seiner Art war Alfonso, der neue Herrscher: von Kraft und Leben uberschaumend, hatte er viel- faltige Interessen und wollte uber alles orientiert sein. Fiir diese herkulische Natur war Ferrara zu eng. Hauf ig fuhr er im stromenden Regen, beim starksten Ge- witter ins Freie, gleichsam um mit den Elementen zu kampfen; einmal riB ihm bei einer solchen Expedition der Sturm den oberen Teil des Wagens ab und fegte ihn in den Po. Er ritt, kutschierte einen Vierer- ja Sechserzug mit spielender Geschick- lichkeit und war ein leidenschaftlicher Jager. Allmahlich erregte diese Jagdpassion allgemeine Emporung, da das Jagen auf dem gesamten ferraresischen Territorium alien, bis auf den Herzog und seine Gefahrten, strengstens untersagt war. Einmal lieB er sechs Menschen aufhangen, da sie trotz dieses Gebotes gejagt hatten. Neben den groBen Jagden arrangierte der Herzog Theater- auffiihrungen, Turniere, Balle, Bankette und Konzerte, spielte Palla und leitete die Feste im Karneval; gab es gar nichts anderes zu tun, so schloB er sich in seinem Laboratorium ein, machte wie die Mediceer chemische Experimente und kombinierte Gifte zu medizinischen Zwecken. AuBerdem war er ein enragierter Mecha- niker und Baumeister, lud Alchimisten, Ingenieure und Hand- werker aller Art an seinen Hof, fiihrte neue Industrien in Ferrara ein, wie Teppichweberei und Ledergerberei auf korduanische Art, ja er verarbeitete in seinen Majolikafabriken sogar eine neue Porzellan masse. Er war ein ausgezeichneter Organisator und hatte

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einen so gut organisierten diplomatischen Dienst, daB er stets die besten politischen Informationen erhielt.

Die Gesandten und Korrespondenten schickten dem Herzog und seiner Kanzlei ganze StoBe von Gutachten, die sogenannten ,,Avvisi e notizie"; auf diese Weise wurde das diplomatische estensische Archiv ,,la gemma piu preziosa della Serenissima sua Casa", wie sich Francesco III., der vorletzte Herzog von Modena, ausdriickte; diese Dokumente befinden sich heute in Modena.

Alfonso interessierte sich auch fur Literatur und Kunst. Gleich nachdem er die Regierung ubernommen hatte, liefl er die estensische, damals schon sehr kostbare Bibliothek vergroBern; er wollte eine groBe Druckerei begriinden und lieB zu diesem Zwecke einen be- riihmten Drucker aus Venedig, Giolito, kommen, aber dieses Unter- nehmen hat sich nicht bewahrt. Er unterstiitzte die Universitat, lebte in einem Kreis von Literaten wie Patriccio, Guarini, Monte- catini, Salviati, Borghesi, vertraute ihnen Professuren und Gesandt- schaften an, und es geniigt darauf hinzuweisen, daB unter seiner Regierung die Literatur, nicht die italienische allein, sondern die Weltliteratur, um ein Epos wie ,,Gerusalemme" und um Theater- stiicke wie ,,Aminto" und ,, Pastor fido" bereichert wurde.

Alfonso war ein glanzender Redner und lieB auch keine Gelegen- heit unbeniitzt, um seine Beredsamkeit zu zeigen; er beherrschte auBer dem Italienischen vier Sprachen: Franzosisch, Lateinisch, Spanisch und Deutsch.

In seinen Fehlern hat er manchen an Borso erinnernden Zug: er war maBlos hochmutig und eingebildet, und tat sich auf seine Tapferkeit, Klugheit und sein altes Geschlecht viel zu gute. Dazu war er rachsiichtig und zur Vendetta bereit. Als er sich zu einer Ex- pedition nach Ungarn riistete und Pier Gentile Varano aufforderte, daran teilzunehmen, Varano diesen Wunsch jedoch, da es ihm an Geldmitteln fehlte, nicht erfiillen konnte, lieB er seinen Vasallen seinen Unwillen zwar furs erste nicht merken, warf ihn jedoch aus einem nichtigen Vorwand nach Jahren ins Gefangnis. Des Prunkes und der Sicherheit wegen ging Alfonso stets mit einer Eskorte auf die StraBe, die aus fiinfzig Schweizern und Deutschen, hundert Kavalleristen und zweihundertfunfzig FuBsoldaten be-

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stand. Die Kavallerie fiihrten Graf Ercole Bevilacqua und Graf Aeneas Montecuculi an.

Alfonso suchte namentlich gute Beziehungen zum Kaiser und zu den Erzherzogen aufrecht zu erhalten; um sich ihnen gefallig zu erweisen, schickte er jedes Jahr seltene Pflanzen, Fruchte, ein- gemachte Fische, Mortadella und Salami nach Wien. Da diese Leckerbissen aufs beste bereitet sein und doch nichts kosten sollten, lieB er sie sich von den Damen der ferraresischen Aristokratie schenken. Um den Kaiser zu gewinnen und die Moglichkeit kriege- rischer Betatigung zu haben, beschloB er 1566 an der Spitze eines ansehnlichen Heeres nach Ungarn zu gehen, und mit der kaiser- lichen Armee gegen die Tiirken zu kampfen. In Ferrara war man iiber diese Expedition sehr ungehalten; sie verschlang Unsummen und brachte keinen unmittelbaren Nutzen; gliicklicherweise ging die tiirkische Gefahr diesmal schnell voriiber, und da Alfonso den Feind am Ufer der Donau nicht vorfand, war er bald wieder in Italien.

Nach dem Tode seiner ersten Gattin Lucrezia de* Medici ver- mahlte sich Alfonso mit Barbara von Osterreich; sie starb bald darauf, und er heiratete Margherita Gonzaga in der Hoffnung auf den Thronerben, da seine beiden ersten Ehen kinderlos waren. Bis in sein spates Alter hoffte er auf diesen Sohn, da ihm Philipp Nostradamus in Frankreich in seiner Jugend prophezeit hatte, er wiirde drei Frauen haben und erst von der dritten im achtund- fiinfzigsten Lebensjahre einen Sohn bekommen. In dieser Hoffnung bestarkte ihn sein Freund und Kriegsgefahrte, Cornelio Benti- voglio, der als Fiinfundsechzigjahriger noch Kinder zeugte.

Das Verlangen nach Taten und Kriegen, das Alfonso niemals zur Ruhe kommen liefi, veranlaBte ihn, sich nach der Flucht von Henri Valois aus Krakau, um den polnischen Thron zu bewerben. Seit der Herrschaft der Konigin Bona bestanden enge Beziehungen zwischen den Este und dem polnischen Hof. Bonas Mutter, Isabella von Aragon, hatte gewiinscht, daB Kardinal Ippolito d'Este, der mit den Aragon verwandt und auBerdem, wie es hieB, ihrem Herzen sehr nahe stand, ihre Tochter nach Krakau begleite. Isabella lag um so mehr daran, als Ippolito zu Sigmund I., dem er noch unter Ladislas Jagiello nahe getreten war, gute Beziehungen hatte.

KONIGIN BONA SFORZA UND RENATA D'ESTE,

GRAFIN VON MIRANDOLA

KRAKAU, MUSEUM GRAF CZAPSKI

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Sigmund war von 1498 bis 1501 bei seinem Bruder Ladislas in Budapest gewesen, dort hatte er Ippolito, der damals Erzbischof von Gran war, kennen gelernt. Ippolito riistete im Herbst 15 17 zur Reise nach seinem neuen ungarischen Bistum im Erlau, Isabella hoffte, der Kardinal wiirde seine Reise nach dem Norden bis zum Friihling des Jahres 151 8 aufschieben und die kiinftige polnische Konigin nach Krakau geleiten. Ippolito konnte seine Reise nicht bis zum Fruhjahr aufschieben und infogedessen anvertraute Isabella ihre Tochter auf ihrer Reise nach Rom Prosper Colonnas Schutz.

Ippolito kam zu Bonas Trauung nach Krakau, doch verlieB err wie bereits erwahnt, die Stadt sehr bald infolge der zwischen ihm und Colonna eingetretenen MiBverstandnisse. Zum Konig und zur Konigin stand er in einem sehr guten Verhaltnis, besonders da Bona sich um die Freundschaft der Este bemuhte, als der mach- tigsten und aristokratischsten der italienischen Herrscherfamilien. Briefe und Geschenke wurden zwischen Erlau und Krakau ge- wechselt, Konig Sigmund schenkte Ippolito Hunde und Falken, Bona sogar zwei Kamele, die sie wahrscheinlich aus der Tiirkei bekommen hat. Kamele waren nicht nur in Polen, sondern auch in Italien eine so groBe Seltenheit, daB Ippolito, als er Alfonso dariiber berichtete, versprach, sie fiir ihn malen zu lassen. Im folgenden Jahre bat die Konigin, die sich nicht wohl fiihlte und an Schwindel litt, Ippolito, ihr aus Erlau seinen Leibarzt zu schicken, den Priester Andrea Valentini, der auch unverzuglich nach Krakau kam.

Valentini nahm an, daB die Leiden der Konigin auf ,,vapore" be- ruhten, die vom Magen kamen; ihr Zustand lieB sich aber leicht durch die zu erwartende Niederkunft erklaren. Am 1. August 1520 gebar sie einen Sohn, Sigmund August; Valentini war bei der Ent- bindung zugegen.

Die Nachricht, daB die italienische Prinzessin den Polen einen Thronerben geschenkt habe, wurde in Neapel und Ferrara mit groBer Freude aufgenommen, und Alfonso I., der stets bereit war, Feste zu veranstalten, gab aus diesem AnlaB ein glanzendes Turnier. Ippolito hat diesen Freudentag nicht lange iiberlebt; er starb einen Monat darauf, am 2. September 1520.

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Die Beziehungen zwischen den ferraresischen Herzogen und dem polnischen Hofe brachen nach Ippolitos1) Tode nicht ab, be- schrankten sich aber auf zeremonielle Brief e. Erst Alfonso II. suchte eine Annaherung an Polen auf seiner Expedition nach Ungarn, er hat einige polnische Edelleute dort kennen gelernt und vielleicht hat ihn dies auch auf den Einfall gebracht, sich um den polnischen Thron zu bemuhen.

Heinrich von Valois' Bruder, Karl IX., der Konig von Frank- reich, begann schon 1573 zu krankeln; sein Tod war vorauszusehen. Heinrich von Valois versuchte einige Polen zu gewinnen, ihm, wenn er franzdsischer Konig wiirde, entweder die polnische Krone zu belassen, oder wenigstens das Szepter seinem Kandidaten zu iibertragen. Alfonso II., der dem franzosischen Hofe nahe stand, hielt die Vereinigung der polnischen und franzosischen Krone fur eine Unmoglichkeit, nahm aber an, daB Heinrich von Valois' Partei auch nach seiner Abreise stark genug ware, um die Wahl eines von ihm empfohlenen Kandidaten durchzusetzen. Infolge- dessen beschloB Alfonso, sich unter alien Umstanden die Zuneigung und Unterstiitzung des Konigs zu sichern, und eine starke Partei in Polen fur sich zu gewinnen, die ihn als Kandidaten fur den frei werdenden Thron aufstellen sollte.

Da der Cavaliere Bottone, der gewohnliche Gesandte Ferraras in Polen, dem Herzog nicht geeignet erschien, um ihn in einer so wichtigen Angelegenheit zu vertreten, schickte Alfonso Ascanio Giral- dini als auBerordentlichen Abgesandten nach Polen mit einem ganzen Stab von Beamten und Hofleuten und gab ihm eine bis auf den heutigen Tag erhaltene genaue Instruktion2), wie er die Aktion

*) Bona stand auch gut mit dem Kardinal Ippolito II. (1509 1572), Alfonsos I. und Lucrezias Sohn; eine interessante Erinnerung an die Be- ziehungen der Konigin zur Familie des Kardinals ist eine Medaille, die sich heute im Museum Czapski in Krakau befindet. Auf dem Avers ist die alte Bona treffend ahnlich dargestellt, auf dem Revers Renata, Ippolitos II. naturliche Tochter, die 1553 Lodovico Pico, den Graf en von Mirandola, ge- heiratet hat und zwei Jahre spater, am 29. November 1555 gestorben ist. Diese beiden Frauenkopfe auf der gleichen Medaille lassen auf nahere Beziehungen schlieCen. Vielleicht war Bona Renatas Patin.

») Cod. Marc. Ital. CI. X, Nr. LXXVI.

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einzuleiten habe. Der neue Gesandte so lite Beziehungen zu den einfluBreichsten Personlichkeiten ankniipfen und mit offener Hand darauf aus sein, dem Herzog Freunde zu erwerben. Giraldini hatte eingehend zu berichten, wen er gewonnen habe und auf wen man gegebenenfalls mit Sicherheit rechnen konne. Fur den sichersten hielt der Gesandte Andreas Zborowski, den Hofmarschall, der den letzten ungarischen Krieg mitgemacht und sich Alfonso ange- schlossen hatte. Auch Peter Zborowski, Krakaus Wojwode, schien Giraldini schon deshalb sicher, weil er die Wahl des osterreichischen Kandidaten unter alien Umstanden hintertreiben wollte. Zu Alfonsos Freunden zahlte der Gesandte auch den Unterkanzler Peter Dunin Wolski, Szafraniec, einen bekannten rvithenischen Magnaten, den Kastellan Stanislas Krzycki und einige andere. Bei diesen Unterhand- lungen, die zumeist an wohlbesetzterTafel stattfanden, spielte das Geld eine groBe Rolle. Das Friihstiick dauerte so lange, daB es sich bis zum Mittag- und Abendbrot ausdehnte, ja bis in die spate Nacht wahrte, und da Giraldini eine schwache Konstitution hatte, klagte er uber die unertragliche Hitze in den Raumen, das unmaBige Trin- ken, und hielt diese Art zu unterhandeln fur seine schwierigste Aufgabe in Polen.

Karl IX. starb Ende Mai 1574; Alfonso war schon zwei Wochen spater davon unterrichtet und schickte sofort eine zweite Gesandt- schaft nach Polen, um seine Angelegenheit nicht zu verzogern. Er anvertraute sie Camillo Gualengo und Battista Guarini, die er wiederholt in wichtigen diplomatischen Missionen nach Turin und Rom geschickt hatte.

Zu Battistas Ahnen gehorte der beriihmte Humanist Guarino da Verona. Er hat die Universitat in Padua besucht, wurde spater an Stelle seines verdienten Oheims, des Rhetorikers, zum Univer- sitatsprofessor in Ferrara ernannt (1557), heiratete Taddea Bandidio, die aus einer bekannten ferraresischen Familie stammt und die Schwester jener schonen Lucrezia, der Grafin Machiavelli ist, von der noch die Rede sein wird. Guarini bemiihte sich, den Tra- ditionen seiner Familie gemaB, in Alfonsos II. Dienst zu treten; 1567 figuriert sein Name auf der Liste der Hofleute. Er bezog damals zwanzig Scudi monatlich.

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Guarinis poetisches Talent hatte sich friih geregt; schon ehe er durch sein Schaferdrama ,, Pastor fido" beruhmt geworden war, war er als Schriftsteller geschatzt. Aber trotz seiner groBen Be- gabung war er nicht nur am Hofe, sondern auch in seiner eignen Familie unbeliebt. AuBerordentlich habgierig, prozessierte er sein ganzes Leben hindurch, und setzte die Gerichtshdfe in Ferrara, Venedig, Padua und Rom fortwahrend in Tatigkeit. Niemals zu- frieden, hielt er es an keinem Hof lange aus, und konnte doch auf das hofische Leben nicht verzichten. Als seine Stellung in Ferrara unmoglich geworden war, zog er sich auf seinen Landsitz Guarina, in der Nahe von Padua, zuriick. Bald war es ihm dort zu einsam, und er ging an den Hof Karl Emanuels I. nach Turin; da ihm die Verhaltnisse dort nicht zusagten, ging er als Alfonsos II. Sekretar nach Ferrara zuriick. Auch diese Stelle gab er bald auf, fuhr zum groBen Arger des Herzogs nach Venedig und iibernahm, aufs neue von Sehnsucht nach dem Hofleben ergriffen, eine Ratsherrnstelle in Turin. Dort hielt er es nicht lange aus, bemuhte sich um verschiedene andere Anstellungen und war eine Zeit hindurch Sekretar des Herzogs von Toskana in Florenz, bis er bei den Rovere in Urbino Schutz suchte. Als es ihm dort zu einformig wurde, kam er nach Ferrara zuriick und starb zuletzt in Venedig am 7. Oktober 1612. In seinem Familienleben war er der furchtbarste Geizhals und Tyrann, seine Frau hat er zu Tode geargert, mit seinen Sohnen prozessiert und als Mensch die peinlichsten Erinnerungen hinterlassen.

Diesen Guarini betraute Alfonso mit der wichtigsten Mission in Polen; der Herzog hatte es so eilig, daB sich schon am 17. Juni, kaum drei Tage, nachdem er die Nachricht vom Tode des franzo- sischen Konigs erhalten hatte, die ferraresische Gesandtschaft auf dem Wege nach dem Norden befand. Guarini begleitete Camillo Gualengo, ein bekannter Fechtmeister und Duellant; sie sollten zusammen bis nach Innsbruck gehen und sich dort trennen, der eine mit dem Schiff iiber den Inn und die Donau, der andere auf gewohnlichem Wege nach Wien reisen. In Wien sollten sie den Kaiser von Alfonsos Absicht, sich um den polnischen Thron zu bawerben, benachrichtigen. Die Gesandten hatten den Auftrag,

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dem Kaiser zu erklaren, daB, falls Erzherzog Ernst, Maximilians Sohn, um die polnische Krone kandidieren wiirde, Alfonso bereit sei, seine Absichten sofort aufzugeben. Von Wien aus sollte Guarini nach Krakau und Warschau gehen, um Informationen liber Heinrichs III. Plane einzuholen, die Gunst der Schwester des verstorbenen Konigs, der Infantin, zu gewinnen und ihr einen sehr schmeichelhaft abgefaBten Brief iibergeben. In Krakau hieB es, daB Guarini wegen der Heirat des Herzogs von Ferrara mit der Infantin unterhandeln solle; Hieronymus Lipoman berichtet in diesem Sinne am 20. Sep- tember 1574 an Mocenigo, den Dogen von Venedig. Guarini brachte glanzende Zusagen mit, der Herzog sicherte dem Adel noch groBere Freiheiten zu, versprach im Laufe zweier Monate 300 000 Gulden nach Polen zu schicken, und ,,da er kinderlos sei, wiirden die Polen seine Kinder werden". AuBerdem sollte „die Schule von Krakau mit gelehrten Mannern besetzt und verschiedene Kiinstler nach Polen berufen werden".

Je naher der Termin der Wahl heranriickte, desto groBer wurden die Zusagen des Herzogs. Alfonso versprach schlieBlich, das Heer auf seine Kosten zu erhalten, die Schulden der Jagellonen zu bezahlen und dem Schatz der Republik zwei Millionen Dukaten zu iiberweisen. Einigen polnischen Edelleuten hatte er sich ver- pflichtet, vierzigtausend Scudi und mehr auszuzahlen, falls sie seine Kandidatur unterstiitzen wurden.

Gleichzeitig schickte Alfonso Giraldini, der unterdessen von seiner ersten Gesandtschaft zuruckgekommen war, auf schnellstem Wege nach Krakau, damit er noch vor Guarini dort eintreffe, und als ein in Polen bekannter Diplomat, der den maBgebenden Kreisen nahe stand, ihm einen guten Empfang bereite. Heinrichs III. fluchtahnliche Abreise aus Krakau durchkreuzte Alfonsos Plane, seine Gesandten haben den Valois nicht mehr erreicht. Der Konig war am 18. Juni aus Krakau entflohen und traf mit Guarini in Wien zusammen. Der ferraresische Gesandte wuBte nicht, wie er sich unter diesen Umstanden zu verhalten habe; ohne Heinrich III. auch nur aufzusuchen, lieB er sich schleunigst von Alfonso weitere Instruktionen geben. Mit erneuten Instruktionen versehen, fuhr er nach Krakau, um dort zu erfahren, daB die Wahl bis aufs

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nachste Jahr vertagt sei. Er scheint in Krakau bei Zborowski gewohnt zu haben, und seine Absichten wurden namentlich von Krzycki, Lanckoronski und Niemsta unterstiitzt. Guarini hatte gehofft, am Nuntius eine Stiitze zu finden, aber Laureo war Alfonsos Gegner und soil dem Ferraresen ausdrucklich erklart haben, ange- sichts der Kandidatur eines Mitgliedes des osterreichischen Hauses habe Alfonso keine Aussichten. Es heiBt, daB Gregor XIII. dem Nuntius 25 000 Dukaten fur die Wahl des Erzherzogs geschickt habe, aber an diese GroBmut der romischen Kurie zu glauben, fallt schwer.

Infolge der Verlegung der Wahl war es fur Guarini zwecklos, in Polen zu bleiben, besonders da er dem Herzog mundlichen Be- richt erstatten wollte. Am 25. September traf er wieder in Ferrara ein. Das Ergebnis seiner Reise war fur ihn insofern befriedigend, als er, wie er einem Freunde berichtet, den nordischen Himmel und nor- dische Brauche gesehen und sich gefreut habe, Dinge kennen zu lernen, von denen er bis dahin keine Vorstellung gehabt hatte.

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Alfonso war alles darum zu tun, Heinrich III. fur sich zu ge- winnen. Als er erfuhr, daB der Konig iiber Tirol und Norditalien nach Frankreich gehen und nach Venedig kommen wiirde, beschloB er ihm entgegen zu reisen und ihn nach Ferrara einzuladen. Schon vor dieser Einladung hatte er eine Gelegenheit, sich dem Konig gefallig zu erweisen. Heinrich war in der peinlichsten Geldverlegen- heit, und der Weg nach Paris erforderte bedeutende Ausgaben. Du Ferrier, der franzosische Gesandte in Venedig, sollte sich um eine Anleihe bemiihen; er fragte erst die vier Florentiner Bankiers, die ihre Filialen in Venedig hatten, die Strozzi, Capponi, Cran- secchi und Baglioni, aber die vorsichtigen Florentiner glaubten an Heinrichs Zukunft nicht recht und wollten keinen Soldo be- willigen. Sich an die venezianischen Banken zu wenden, war nicht angangig, infolge dessen wandte sich Du Ferrier an Claudio Ariosti, den ferraresischen Gesandten in Venedig, damit er sich bei Alfonso,

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der als sehr vermogend gait, bemiihe um ,,qualche buona somma di danari". Alfonso half dem Konig aus, aber mit einem geringeren Betrag, als Du Ferrier erwartet hatte; schlieBlich verbiirgte sich der GroBherzog von Florenz fur Heinrich, so daB sich die Reisekasse des fliehenden Konigs einigermaBen fiillte. Trotzdem war das Geld sehr knapp, und der Konig bezahlte unterwegs die Edeln, die ihn in ihren Schlossern aufnahmen, reichlich mit Titeln, aber die kost- baren Geschenke blieben aus. Gleich nach dem ersten Nachtlager gab er dem Neffen des Signore Brancone, bei dem er wohnte, den Ritterschlag ; in Piave erwies er seinem Wirt, Giovanni Sarcedeni, dieselbe Ehre; in Treviso zeichnete er Bartolommeo Lipoman mit der gleichen Wiirde aus ; Ragazzoni in Sacile gestattete er, die f ran- zosischen Lilien in seinem Wappen zu fiihren, und bezeichnete so seinen Weg nach Venedig mit dem Kreieren neuer Adels- geschlechter.

Die venezianische Signoria schickte ihm eine Gesandtschaft bis an die Grenze der Republik, nach Pontebba, die ihm einen Geleit- brief und PaB iibergab, kostbar in roten Stoff gebunden und mit goldnen Ornamenten versehen. Der Herzog von Ferrara kam Heinrich mit einem Sechserzug bis nach San Daniele entgegen, sein Gefolge hatte er in Venedig gelassen. Als er den Konig sah, ritt er an seinen Wagen heran und verneigte sich tief; da Heinrich den Herzog nicht erkannte, kehrte Alfonso um und griiBte den Konig abermals. Wieder betrachtete Heinrich den Reiter verwundert, als er jedoch erfuhr, daB es der Herzog von Ferrara sei, begriiBte er ihn aufs liebenswiirdigste und lieB den Wagen halten. Alfonso wollte dem Konig die Knie kussen, aber Heinrich wehrte diesem ObermaB von Respekt, hob den Herzog auf und lud ihn ein, in seinen Wagen zu steigen.

In Venedig hatte man groBe Vorbereitungen zum Empfang des jungen Herrschers getroffen, und mit Recht schrieb Du Ferrier dem Konig, es gabe niemand, der nicht darauf bedacht sei, ihn zu ehren, ja Greise furchteten zu sterben, ehe sie ihn gesehen. Hein- richs III. Empfang war vielleicht der groBartigste, den die Re- publik im XVI. Jahrhundert einem fremden Gast hatte zuteil werden lassen. In Murano machte der Konig seine erste Rast im

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Palast von Bartolommeo Capello, in Venedig wohnte er im Palast der Foscari; der Bucentaur war erneuert und auf dem Lido ein von Paolo Veronese und Tintoretto bemalter Triumphbogen errichtet worden. Tausende von kleinen Schiffen und Gondeln nahmen an der Einfahrt am 18. Juli 1574 teil, in alien Kirchen lauteten die Glocken, Chorgesang wurde angestimmt, Freudenschiisse abge- brannt, dazu strahlte der Himmel in leuchtendem Blau, und der junge Monarch sagte, wie berauscht von der Schonheit des Bildes, das sich ihm darbot, enthusiastisch zu seiner Umgebung: ,,Wie gliicklich ware ich, wenn die Konigin Mutter das alles gesehen hatte." Heinrich sprach gut und flieBend, die kurze Ansprache des Dogen beantwortete er mit einer vielleicht zu langen franzosischen Rede; spater verlangte es ihn nicht mehr nach oratorischen Er- folgen.

Am Abend legte die Barke des Konigs, von lauten Zurufen be- griiBt, vor dem Palazzo Foscari an. Mit grofiem Prunk war die Wohnung hergerichtet und in goldenen Buchstaben im Hauptsaal als Motto zu lesen: ,,Omnipotens virtus". Der Konig hat sich nicht zu streng an diese Worte gehalten ; kaum war er mit seinen intimeren Freunden allein im Palast, als er durch einen Seitenausgang mit dem Herzog von Ferrara in eine bereit stehende, unansehnliche Gondel schliipfte, erst an einem Gelage teilnahm, und dann in Alfonsos Palast, dem spateren Fondaco dei Turchi, landete. Dort hatte Alfonso einen wahrhaft iibermiitigen Abend veranstaltet : Theater- auffuhrungen, schone Frauen und ein iippiges Mahl. Den glan- zendsten Schmuck des Festes bildeten die Auffuhrungen der Thea- tergesellschaft Gelosi, der damals beriihmtesten Komikertruppe in Norditalien. Diese Auffiihrung hat die Signoria schwer beleidigt. Die venezianische Regierung hatte sich die groBte Miihe gegeben, um die Gelosi aus Mailand nach Venedig zu bekommen, da sie durch den franzosischen Gesandten erfahren hatte, daB der Konig sie zu sehen wiinsche und besonders auf das Spiel der Vittoria Piissima, der beriihmtesten Kiinstlerin der Truppe, neugierig sei. Die Gelosi waren eigens nach Mailand gekommen dreiBig Per- sonen um wahrend der Feste, die zu Ehren von Don Juan d'Au- stria, des Siegers bei Lepanto, veranstaltet wurden, aufzutreten; es

BATTISTA GUARINI LITHOGRAPHIE NACH „VITE E RITRATTI DI XXX ILLUSTRI FERRARESI"

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war also nicht leicht gewesen, sie zur Ruckkehr zu bewegen. Den Wunsch der Signoria, ihrem vornehmen Gast eine miihsam veran- staltete Oberraschung zu bereiten, hat der Herzog von Ferrara durch- kreuzt, indem er in aller Stille mit den Kiinstlern verabredet hatte, daB sie vor der offiziellen Auffuhrung in der ersten Nacht bei ihm spielen sollten. Die Signoria war emport iiber Alfonso: er hatte den Ehrenplatz der venezianischen Wiirdentrager bei den Festlich- keiten ohne weiteres eingenommen und sich erdreistet, bei der Ab- fahrt vom festen Land nach Murano in die konigliche Gondel ein- zusteigen, so dafl die Gesandten der Republik, die doch hier Herr im Hause waren, die nachstfolgende Gondel beniitzen muBten. Damit war sein Sundenregister noch nicht beschlossen: am Vorabend der feierlichen Einfahrt nach Venedig war Alfonso inkognito mit dem Konig aus Murano iiber den Canale Grande gefahren und hatte ihm die kostbarsten Palaste der Stadt gezeigt, so daB der offizielle Einzug fur Heinrich nicht mehr den iiberwaltigenden Reiz des Neuen haben konnte, mit dem ihn die Republik blenden wollte. In Alfonsos Palazzo hatte sich der Konig ausgezeichnet unter- halten, namentlich hatte ihm die Piissima einen starken Eindruck gemacht, ,,jene gottliche Vittoria, die Zauberin der Liebe, der en Worte Flammen in den Herzen Tausender entfachen, deren har- monische, siiBe Stimme die Zuschauer entziickt und deren sanfte oder getragene Bewegungen musikalischen Rhythmus haben."

Heinrich III. war erst am hellen Morgen in seinem Palazzo, und trotz seiner dreiundzwanzig Jahre hat er wohl nicht wenig iiber Kbnigspflichten gescholten, da er, ohne auszuruhen, schon in den Morgenstunden Audienz zu erteilen hatte. Aber Venedigs Freuden lieBen ihn keinen Augenblick zur Ruhe kommen; am Abend ging er vermutlich zu FuB durch HintergaBchen in die Gegend von San Giovanni Crisostomo, wo Veronica Franco wohnte, die beriihmte Dichterin und Kurtisane, eine der reizvollsten Frauen Venedigs, obgleich sie unter Nummer 204 im ,,Cataloge delle prin- cipali et piu honorate cortigiane di Venetia" eingetragen war. Die Franco stand unter Venedigs leichtlebigen Frauen an erster Stelle, wegen ihrer Schonheit und des Luxus, den sie entfaltete; auBer- dem strahlt ihr Name, neben dem der Tullia d'Aragona, in der

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Geschichte der italienischen Literatur des XVI. Jahrhunderts. Veronika hat gute Sonette gemacht und wie die beriihmte romische Kurtisane Porzia den ganzen Petrarca und Boccaccio im Kopf gehabt und aus dem Gedachtnis eine Unzahl von Gedichten von Vergil, Horaz, Ovid und von tausend anderen Autoren rezitiert. Mit dem Reiz der Jugend verband sie die Klugheit der erfahrenen Frau:

E di costumi adorna, e di virtude, Con senil senno in giovenil etade.

Da sie jung war, hatte sie noch keine Zeit gehabt, groBe Reich- turner zu sammeln; sie gehorte nicht zu jenen verdienten Kurti- sanen, die der venezianische Senat in seinen dffentlichen Akten ,,le nostre benemerite meritrici" nannte. Der Himmel hat ihr nach den Worten eines heiBen Bewunderers Reize sondergleichen ge- schenkt, goldblondes Haar, gottliche Augen, deren Glanz die Sonne iiberstrahlt, und Hande von schneeiger WeiBe. Tintoretto hat sie gemalt, doch ist ihr Portrat leider untergegangen. In Gambas ,,Alcuni ritratti di donne illustri delle provincie veneziane" besitzen wir zwar ihr Bildnis; da sie aber dort ein kostbares Diadem im Haar tragt und mit Schmuck und Goldbrokat iiberladen ist, gleicht sie eher einer steifen englischen Konigin, als der liebenswiirdigen Dichterin ,,Terrena Dea, alto e novo miracolo, luce impressa del raggio della divinita, paradiso". Veronica hat langere Zeit ein Ver- haltnis mit einem sehr ernsten Pralaten gehabt, der als Kanzel- redner beruhmt war; sie war so eifersiichtig, daB, wenn ihr Geliebter fortfuhr und sie allein zuriickblieb, ,,sola in solitario tetto", sie aus Furcht, er konne ihr untreu werden, sich das Leben nehmen wollte. Spater hatte Veronica zwei Kinder, deren Vater sich gewissenhaft in das Kirchenbuch eingetragen haben; zu ihren Verehrern ge- horten auch Wilhelm, der Herzog von Mantua, und der Kardinal Luigi d'Este, Renatas Lieblingssohn. Dem Kardinal hat sie ,, Brief e" gewidmet und in der Vorrede seine groBe Cortesia und seine iiberirdische Gentilezza gepriesen; sie hat vor ihm gekniet und die engelhafte Gute dieses Dieners des Himmels, der ein groBer Welt- mann war, angebetet.

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Veronicas Haus war der Mittelpunkt des literarischen und kiinstlerischen Venedigs, der seinerzeit beriihmte Dichter Domenico Veniero, Tintoretto, der ernste Sperone Speroni, Girolamo Muzio, selbst der alte Bernardo Tasso haben bei ihr verkehrt. Man sprach iiber Philosophic und Poesie, und die Frau des Hauses hat die Abende durch Musik und Gesang verschont. In einem Briefe bittet sie einen Freund, zu einem musikalischen Abend zu kommen „alle venti ore in occasione ch' io faccio musica". In einem anderen ladet sie einen Freund zu einem zwanglosen Friihstiick ein, ,,sine fuco et cere- moniis, more majorum". Jeder fremde Literat, der nach Venedig kam, hat sie besucht, selbst Montaigne, der sie ,,janti fame vene- tiane" nennt, war am 6. November 1580 zum Abendbrot bei ihr, und die Dichterin hat ihm ein Exemplar ihrer soeben erschienenen Briefe geschenkt. Am nachstfolgenden Tage hatte der arme Mon- taigne ,,une colique qui lui dura deux ou trois heures" ob ihm Veronicas Kiiche nicht behagt hat? Die Franco fiihrte ein offenes Haus auf groBem FuBe und muB die Eifersucht der iibrigen Kur- tisanen erweckt haben, denn die eine hat sie vor dem Tribunal des Sant' Officio verklagt. Die Beschuldigung war furchtbar: als Vero- nica eine Schere mit silbernem Griff und eine andere Kleinigkeit gestohlen worden war, habe sie den Teufel zu Hilfe gerufen und sich dabei eines geweihten Ringes und Weihwassers bedient; sie ginge nicht zur Messe und hatte mit schwarzen Kiinsten zwei durch- reisende Deutsche in sich verliebt gemacht. Aber Veronica hatte in geistlichen Kreisen einfluBreiche Protektoren, und es gelang ihr, die torichten Vorwiirfe zuriickzuweisen. Allmahlich begann sie ein vorbildliches Leben zu fiihren, schrieb fromme Sonette, und 1580 begriindete sie ein Asyl fiir Frauen, die gleich ihr das lockere Leben aufgeben wollten. In der Kirche ,,del Soccorso", wo jene Magdalenen beteten, befand sich ein Bild von Carletta Caliari (heute in der Akademie in Venedig) , die Griindung dieses Asyls darstellend. Die eine der vier zu Maria betenden Frauen soil Veronica Franco sein. Unsere fromme Siinderin starb, fiinfundvierzig Jahre alt, am Fieber. Zu ihren schonsten Erinnerungen gehorte der Besuch Heinrichs III.; jenes Augenblicks gedenkt sie im Brief, den sie ,,all invitissimo e cristianissimo Re Enrico III" gerichtet hat; sie

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sei stolz und gliicklich, daB der Konig geruht habe, ihre bescheidene Wohnung zu beehren. Sie schickt ihm zwei Sonette und verspricht ihm einen Gedichtband zu widmen, indem sie ihn feiert als den Helden.

In armi, e in pace, a mille prove esperto.

Veronica hat dem Konig ihr Bildnis, wahrscheinlich auf Email gemalt, zum Andenken geschenkt, doch wissen wir nichts von der Gegengabe des Konigs.

Acht Tage war Heinrich in Venedig; es hieB allgemein, er habe nicht eine Nacht in seinem Palast verbracht, obgleich er tagsiiber durch Empfange und Feste gerade gequalt genug war; der Doge und die Senatoren furchteten fur seine Gesundheit. Als spater die Nachricht kam, der Konig sei unterwegs in Cremona erkrankt, ging der Doge zum Gesandten Du Ferrier, damit er Catherina von Medici flehentlich bitte, ihren Sohn vom unmaBigen Leben zuriick- zuhalten, namentlich von den ,,iibermutigen korperlichen Obun- gen" und ihm empfehle mehr Fleisch zu essen. Man hatte in Venedig beobachtet, daB der Konig sich nur von Gemiise, Obst und Brot, das er ins Wasser tauchte, ernahre, also von Dingen, die dem Korper nicht Kraft genug zufiihrten. Der Konig kummerte sich durchaus nicht urn den vaterlichen Rat der venezianischen Signoria, sondern fiihrte auch in Frankreich ein ausschweifendes Leben, das seinen schwachen Organismus zerstort hat.

Balle, Illuminationen, Feste, Regatten jagten einander wah- rend Heinrichs Aufenthalt in Venedig, vielleicht hat ihm der Em- pfang bei Monsignor Giovanni Grimani, dem Patriarchen von Aquileja, mehr Freude gemacht als der groBe Ball im Dogenpalast. Der Konig wollte Grimanis kostbare Sammlungen sehen, seine Bronze- und Marmorplastik, seine Bilder und Miniaturen, unter denen das beruhmte Brevier sich befand, das die Biblioteca Mar- ciana heute besitzt. Der erfahrene Patriarch zweifelte nicht daran, Heinrich eine groBere Freude durch einen Kreis schoner Vene- zianerinnen zu bereiten als durch seine ,,anticaglie", infolgedessen lud er dreiBig der schonsten vornehmsten Gentildonne Venedigs ein, die den Konig nicht durch ihre Reize allein, sondern auch durch ihre Toiletten blendeten. Anstatt die Sammlung zu besichtigen,

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begann man zu tanzen, ein Tanz der Frauen ,,alla gagliarda" wurde arrangiert, den Heinrich noch nicht kannte und zu sehn wiinschte. Die Tanzerinnen fiihrten eine Art Ballett auf, die Manner nahmen daran nur insofern Anteil, als sie einen Kreis um die Damen schlos- sen, den Takt schlugen und durch Zurufe und Scherz ihre Heiter- keit steigerten. Es wurde auch der ,,ballo del cappello" getanzt, die Damen wahlen dabei die Tanzer durch Oberreichen ihrer Hiite. Der erwahlte Jiingling legt sein Barett auf den Kopf der Tanzerin, indem er sie artig kiiBt, und sie gibt ihm mit einem KuB sein Eigen- tum zuriick. Dieser Austausch der Hiite mit begleitendem KuB gefiel dem Konig sehr; eine sehr kiihne Dame trat auch an ihn heran, indem sie ihm ihren Hut anbot. Da Heinrich in Trauer um Karl IX. war, konnte er der Aufforderung nicht nachkommen und stellte der schonen Tanzerin einen seiner Begleiter als Vertreter vor. Die Nachmittags-Unterhaltung bei Grimani dauerte bis zum Abend; der Konig ging zwar in den Palazzo Foscari zuriick, aber nur um durch ein Seitenpfortchen zu seinen Freundinnen zu ent- schliipfen.

Man muB dem Konig jedoch das Zugestandnis machen, daB er auch in Tizians Atelier war, wo er die ,,Allegorie dec Sieges von Lepanto" fur den Konig von Spanien sehen konnte.

Unterdessen kamen Briefe, die Heinrich zu schleunigster Riick- kehr aufforderten; seine verniinftigeren Gefahrten, besonders der Herzog von Savoyen, Emanuele Filiberto, begannen um den Konig besorgt zu werden und rieten zur Abreise. Am letzten Tage kaufte der Konig Geschenke fur seine Freunde in Venedig. Fur Kleinodien allein gab er zweiunddreiBigtausend Scudi aus, er blieb aber einen bedeutenden Teil dieser Summe schuldig und sollte sie spater durch Vermittlung des franzosischen Gesandten bezahlen. Dem Dogen bot er einen Ring mit einem kostbaren Diamanten an, aber Mo- cenigo muBte dieses Kleinod dem Schatz der Republik verschreiben, da das Oberhaupt der Regierung Geschenke nicht annehmen durfte.

Am 27. Juli fuhr Heinrich iiber den Po nach Ferrara, die Vene- zianer, besonders die Hausbesitzer am Canale Grande, waren ganz froh, daB die Feste ein Ende hatten, da infolge der konstanten Illuminationen das 01 fur die Lampen zu teuer war. Alfonso

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schlug mit dem Konig den weiteren Weg iiber Capparo in seine Hauptstadt ein, damit, wie der Florentiner Gesandte boshaft bemerkte, das Herzogtum von Ferrara dem Gaste groBer erscheine. Bei fiirchterlicher Hitze zog am 29. Juli der Konig mit seinem ganzen Hofstaat in Ferrara ein bei Musikklangen, Glockengelaute und Freudenschiissen. Vor dem Stadttor iibergab Cornelio Benti- voglio dem Konig die Schliissel, die dieser liebenswiirdig zuriickgab. Im Palast an der Treppe erwarteten den Konig die Prinzessinnen Lucrezia und Leonora; Heinrich kiiBte ihnen die Hand nicht, was der Florentiner Gesandte mit boshafter Freude konstatierte. Alfonso hatte die koniglichen Gemacher mit den schdnsten Teppichen und Kunstwerken schmucken lassen, es gab eine groBe Theaterauf- fiihrung und einen Ball, aber der Empfang war nicht ganz gelungen. Der Konig muBte infolge wichtiger Briefe aus Paris friiher als be- absichtigt, verreisen, der Ball fand denn auch einen Tag eher statt, und mehrereDamen trugen weniger kostbareGewander, da die Schnei- derinnen ihre Kunstwerke nicht vollenden konnten. Schlimmer war's, daB am zweiten Tage der Anwesenheit des Konigs ein leichtes Erdbeben, das Ferrara damals haufiger heimsuchte, einen gewissen Schrecken unter den Gasten verbreitete. Der Konig war sehr ab- gespannt und nahm daher den Wasser- und nicht den Land- weg nach Mantua. Er wurde dort mit auBerordentlicher Pracht empfangen: es gait Ferrara zu uberbieten. Fur Alfonso als Zu- schauer war dies auch nicht gerade angenehm.

Ill

In Polen beschaftigte sich unterdessen Ascanio Giraldini mit Alfonsos Angelegenheiten, aus Ferrara kam ihm noch Alessandro Baranzono zu Hilfe.

Die Gesandten gewannen den Adel, besonders in der Gegend von Plock; sie zeigten Alfonsos Bildnis in Waff en, mit der Muskete in der Hand, damit die Polen Vertrauen zu dieser ansehnlichen Personlichkeit gewannen, aber sie glaubten selbst nicht ganz an einen gliicklichen Ausgang und wollten die Verantwortung mit einer

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einfluBreichen ferraresischen Persdnlichkeit teilen, denn Geraldini bat, Alfonso moge ihm noch einen guten Redner schicken, ,,un huomo di gran portata." Wieder muBte Guarini nach Polen auf- brechen; er ging in den ersten Oktobertagen des Jahres 1575 iiber Saravalle und Ampezzo fort und hatte nicht wenig Schwierigkeiten zu iiberwinden. Guarini schildert seiner Frau einige Tage nach seiner Ankunft in Polen die Reise. Er beklagt sich, nicht imstande zu sein, die doppelte Qual des Kdrpers und der Seele zu ertragen. Unmittelbar nachdem er die Alpen uberschritten, sei er am Fieber erkrankt, das ihn wahrend seiner Reise bis an die Donau gequalt habe. In Wien habe er seiner Krankheit wegen rasten mussen; da die Zeit drangte, hatte er die Rede, die er auf dem Wahlfelde halten sollte, nach Warschau geschickt, damit sie dort verlesen werde. Nachdem er etwas zu Kraften gekommen, hat er. trotz seiner Krank- heit, seine Reise fortgesetzt und rechtfertigt sich seiner Frau gegen- iiber damit: die Ehre verlange, daB er, an der Spitze einer so wich- tigen Gesandtschaft stehend, die Pflichten gegen seinen Herrn hoher schatze als seine Gesundheit. Unter den groBten Miihen und Ge- fahren, jeden Augenblick eines Oberfalls gewartig, habe er seinen weiteren Weg zuriickgelegt. Krank,halb erfrorenkam er in Warschau am 19. Dezember an, mehr tot als lebendig. Es war zu spat, die Gesandten der iibrigen Kandidaten hatten ihre Saohen bereits er- ledigt, und der Adel war schon zur Abstimmung auf dem Wahl- feld geschritten.

Der kranke Gesandte sollte endlich in Warschau etwas zur Ruhe kommen. Gesund hat ihn weniger die nordliche Landschaft ge- macht als die Nachricht, daB Alfonsos vielvermdgender Minister Pigna gestorben sei. Guarini betrachtete ihn als seinen groBten Feind am Hofe und schrieb es ihm zu, daB derHerzog ihn zum zweiten Mai mit dieser Gesandtschaft betraut hatte, ,,non gia legazione, ma relegazione di Pologna", und ihn zur Reise gezwungen, die er kaum lebend uberstanden infolge von Krankheit, Seuche, Unbe- quemlichkeiten, Mordern, Raubern und Qualen aller Art, die er hatte erdulden mussen.

Die ferraresischen Gesandten hatten Stefan Batory's Wahl zum Kdnig von Polen in Warschau abgewartet, dann reisten sie ab,

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wahrend Guarini noch in Polen blieb, in der Annahme, daB Ba- tory die Wahl nicht annehmen wiirde. Da sich diese Hoffnung nicht erfiillte, ging auch er nach Ferrara zuriick und legte Alfonso einen langeren Bericht vor, der heute noch die interessanteste Quelle fur die ferraresisch-polnischen Beziehungen ist. Die Hoflinge in Ferrara schrieben Alfonsos miBlungene Bewerbung um die pol- nische Krone namentlich den beiden Gesandten zu, die zuerst nach Warschau gegangen waren. Von Giraldini hieB es, er sei als Jude in Siena geboren und als Esel in Ferrara getauft; von Guarini wurde angenommen, seine unausstehliche Pedanterie habe ihn in Polen unmoglich gemacht, und er sei keine geniigend representative Per- sonlichkeit, um eine Vorstellung vom Glanz und der Wurde der Este zu geben.

Alfonsos Bewerbungen um die polnische Krone entbehrten eines komischen Epiloges in Ferrara nicht. Ein Betruger, ein Tiirke oder Armenier, wollte sich die Ambitionen des Herzogs nach fremden Thronen zu nutze machen. Er kam insgeheim nach Ferrara und bot Alfonso im Namen der Bevolkerung des heiligen Landes das Kdnigreich Jerusalem an. Fur den Herzog, der mit Bojardos und Ariosts Gedichten aufgewachsen war, konnte es keinen passenderen Thron geben. Alfonso nahm die geheimnisvolle Personlichkeit aufs beste auf, als er den Betrug erkannte, steckte er den Turken ins Gefangnis, doch gelang es jenem, aus der Haft zu entfliehen.

Alfonso wurde, da auch die Ehe mit seiner dritten Frau kinder- los geblieben war, in seinem Alter verschlossen und gereizt. Da das Geschlecht der Este auszusterben drohte, iiberlieB er die Re- gierung den Ministern, die die Macht miBbrauchten und dem Volk immer groBere Lasten auferlegten. Die schlechten Beamten wurden nicht abgesetzt, da der Herzog nicht zugestehen wollte, sich in der Wahl der Manner geirrt zu haben; die drei Fattori generali ver- fiigten iiber alle Einkiinfte, bereicherten sich und zwangen die Bevolkerung zu immer groBeren Abgaben, die in ihre Taschen flossen. Statthalter kleiner Stadte, die fiinfundzwanzig Scudi mo- natlich bezogen, muBten jahrlich dreitausend und mehr als Tribut entrichten. Um die Einkiinfte machte sich der Herzog keine Sorge, da die Gelder reichlich in seine Kasse flossen; er bezog eine jahr-

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liche Einnahme von viermalhundertfiinfzigtausend Scudi; allein die Salinen und der Fischfang in Comacchio warfen funfzigtausend ab. Alfonso trug, als er alter wurde, immer schwarz, war aber mit groBer Sorgfalt angezogen, seine Kragen und Manschetten waren so kunstvoll gearbeitet, daB sich auch die eleganteste Frau ihrer nicht hatte zu schamen brauchen. Fast immer hatte er ein Samt- barett auf und trug den Degen an der Seite. Gegen seine Unter- tanen war er von ausgesuchter Hdflichkeit; die Bittsteller verlieBen die Audienz entziickt von der Liebenswiirdigkeit des Herzogs; erst spater, wenn sie nichts von dem erreichten, was sie erbeten hatten, pflegten sie ihre Ansicht zu andern.

IV

Eine sehr interessante Personlichkeit war Alfonsos jiingerer Bruder, der Kardinal Luigi d' Este. Erwar gegen seinenWillen Geistlicher geworden, sah besonders gut aus, war stets in ein Laby- rinth von Liebesverhaltnissen verwickelt und fuhrte bestandig irgend etwas gegen seinen Bruder im Schild.

Es war fast Grundsatz bei den damaligen Fiirstenfamilien Italiens, daB ein Mitglied der Familie Kardinal wurde, urn auf diese Weise das Geschlecht politisch und materiell zu heben. Diese Tradition hatte sich namentlich bei den Gonzaga und Este ein- ?eburgert, und da der Kardinal Ippolito (der jiingere), Ercoles II. Bruder, ein alter Mann war, als Luigi heranwuchs, bestimmte Ercole den Sohn zu Ippolitos Nachfolger und Erben der ungeheuren Einkunfte des Kardinals. Ippolito hatte durch die Protektion des Konigs von Frankreich einen sehr groBen EinfluB im Heiligen Kollegium, dieser EinfluB sollte jetzt auf Luigi iibergehen.

Luigi hatte keine Lust zum geistlichen Stand, aber er wurde nicht gefragt, und Paul III., der Ercole II. und dem Kardinal Ippolito zu Willen sein wollte, ernannte den funfzehnjahrigen Knaben zum Bischof von Ferrara. Es war nicht der erste Fall in der Fa- milie der Este, daB ein halbwuchsiger Knabe ein hohes kirchliches Amt inne hatte; Ippolito d' Este (der altere) war ja kaum acht

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Jahre alt gewesen, als er zum Bischof von Gran ernannt worden war, und mit fiinfzehn Jahren war er schon Kardinal. Um den jungen Luigi, den Bischof von Ferrara, fur den geistlichen Stand vor- zubereiten, wurde ihm der franzosische Jesuit Lepelletier zum Mentor gegeben, den Loyola selbst fur diesen Zweck ausersehen hatte. Aber die Lehren des geschickten Jesuiten nutzten wenig. Luigi gefiel es in Ferrara nicht, er beschloB, dem Beispiel des alteren Bruders zu folgen und aus Ferrara zu fliehen.

Das Studium fand er langweilig, dazu litt er unter dem Geiz des Vaters, der ihm nur eine ganz kleine Pension bewilligte, die der bischoflichen Wurde nicht entsprach. Luigi wollte nicht nach Frankreich, sondern nach Spanien fliehen; der Bischof von Trient, der Kardinal Madruzzi, hatte, als Anhanger des osterreichischen Kaiserhauses, ihn dazu beredet und Antonio Maria di Collegna, Ercoles diplomatischer Agent, ihn mit Geld unterstiitzt. Der Her- zog entdeckte die Verschworung rechtzeitig, er lieB den jungen Bischof fur einige Tage einsperren und Collegna in sffigie hangen, da er seiner nicht habhaft werden konnte.

Luigi gab seine Fluchtplane nicht auf , kaum hatte sich der Vater beruhigt, so beschloB er mit Wissen und Hilfe der Mutter nach Paris zu fliehen. Er lieh Geld beim Juden Jsaak, versetzte seinen gesamten Besitz und stahl sich 1558 in aller Stille mit einem Diener aus der Stadt, um seinen Bruder einzuholen, der tags zuvor mit Erlaubnis des Vaters nach Frankreich aufgebrochen war. Falls der Konig von Frankreich ihm kein Asyl geben wollte, war Luigi sogar bereit, in die Tiirkei zu fliehen, nur um dem langweiligen Ferrara zu entgehen. Aber der Konig, von Renata brieflich unter- richtet, nahm Luigi freundlich auf, und der junge Bischof beniitzte die Gelegenheit, um ein lustiges Leben zu fuhren und Geld zu borgen, wo er konnte.

Unterdessen starb der alte Ercole, Alfonso ging eilig nach Ferrara zuriick, um die Regierung zu ubernehmen, Luigi dagegen gefiel es am lockeren franzosischen Hof so gut, daB er durchaus nicht an Ferrara dachte. Vergebens forderte ihn der Bruder in sehr scharfen Briefen auf, der Pflichten eingedenk zu sein, die er gegeniiber Kirche und Familie habe, vergebens berichtete er von der Bereitwilligkeit

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des Papstes, ihm die Kardinalswiirde zu iibertragen, vergebens ziirnte der alte Kardinal dem unfolgsamen Neffen Luigi wollte weder vom Bistum noch von der Kardinalswiirde etwas horen und gab vor, soviel Schulden zu haben, daB er nicht imstande sei, das Amt, das ihm der Papst iibertragen wolle, entsprechend aus- zufiillen. Der eigentliche Grund von Luigis Weigerung war, daB er am Hofe der Konigin sein Herz an eine Italienerin, Livia. die Tochter Galeottos Pico della Mirandola, verloren und sie zu heiraten versprochen hatte. Dieser Roman miBfiel Luigis franzosischer Familie griindlich, da Livia ein unvermogendes Madchen aus ein- fachem Hause war, und durchaus keine standesgemaBe Gattin fiir einen Este. Um ihn von Livia freizumachen, wurde ihm der Ge- danke an eine andere Heirat nahegelegt, die dem Ansehen seiner Familie entsprach. Unterhandlungen wurden angekniipft zwischen ihm und Maria de Bourbon, der Grafin von Saint-Paul, der jungen Witwe Jeans d' Enghien, die ein Einkommen von 40 000 Scudi jahrlich hatte. Renata hat dieses Eheprojekt sehr unterstiitzt, da sie nicht wunschte, daB ihr Sohn der romischen Kirche angehore. Dieser Plan hat Alfonso und den Oheim Kardinal nicht wenig erschreckt; sie wiinschten im Interesse der estensischen Dynastie, daB Luigi eine bedeutende Stelle in der romischen Kurie einnehme, nicht aber in Frankreich mit einem Jahreseinkommen von vierzig- tausend Scudi lebe. Alfonso schickte einen ihm ergebenen Hof- mann nach Paris, damit er Luigi von diesen Planen abbringe. Auch wurde ihm die Bezahlung seiner Schulden in Aussicht gestellt, wenn er nach Italien zuruckzukommen bereit sei. So lief in Al- fonsos Sinn alles giinstig ab, da die Grafin de Saint-Paul keine Lust hatte, sich mit dem leichtsinnigen Luigi einzulassen und einige Monate spater den Herzog de Nemours geheiratet hat. Emport uber dies Vorgehen der Grafin, war Luigi nach ihrer Trauung cher bereit nachzugeben, um so mehr als der franzosische Hof, dem es sehr darum zu tun war, seinen Parteiganger im Heiligen Kollegium zu haben, auch den jungen Prinzen drangte, die Kardinalswiirde anzu- nehmen. Der verliebte Bischof kapitulierte und wurde einige Mo- nate spater, am 26. Februar 1561, zum Kardinal ernannt. Er war damals dreiundzwanzig Jahre alt, aber es ist ihm wahrend seines

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ganzen Lebens nicht gelungen, sich mit seinem Stand zu versbhnen. Er hat es Alfonso nicht verziehen, ihn gewissermaBen zum geist- lichen Stand gezwungen zu haben, und den Onkel Ippolito stets aus diesem Grunde gehaflt. Auch den Papsten, Pius IV., der ihn zum Kardinal ernannt, und Sixtus V., dem er viel zu danken hatte, hat er die unerbetene Protektion im stillen nicht verziehen und bei jeder Gelegenheit seine Unabhangigkeit und seine MiBstimmung Rom gegemiber bekundet. So wollte er, als es 1563 zu einer Schlagerei zwischen den papstlichen Sbirren und den Knechten des Kardinals kam, die einen Gastwirt erschlagen hatten, unter keinen Umstanden die Schuldigen herausgeben; der Papst muBte den Fall dem Kardinalskollegium unterbreiten und den halsstarrigen Este mit Hausarrest bestrafen. Erst infolge der Vermittlung des Herzogs von Ferrara und des Kardinals Borromeo, dem der sturmische Kollege sympathisch war, hat ihn der Papst aus dem unfreiwilligen Aufenthalt im Palazzo auf dem Monte Giordano befreit.

Einige Jahre spater unter Gregor XIII., dem Freunde der Este, hatte Luigi wieder einen Zwist mit dem Vatikan wegen seiner zuchtlosen Dienerschaf t ; der empdrte Papst befahl ihm, Rom sofort zu verlassen, da sonst eine Haft in Tivoli seiner warte. Es v/ar aber nicht so leicht, gegen den Kardinal, der den Konig von Frankreich hinter sich hatte, vorzugehen; Luigi verlieB Rom zwar fur einige Zeit, aber Heinrich III. nahm sich seiner so warm an, daB der Papst seinen Befehl zuriickziehen muBte; und der Kardinal, der infolge seiner Verschwendung beim Volk beliebt war, kam wie ein Triumphator, von jubelnden Zurufen begriiBt, nach Rom zuriick.

Wahrend die Familie eine Ehe Luigis in seiner Pariser Zeit unter alien Umstanden hatte verhindern wollen, suchte Alfonso um 1 58 1, als der Kardinal vierundvierzig Jahre alt war und eine so hohe kirchliche Wurde hatte, ihn zu bewegen, zu heiraten. Da der Herzog kinderlos war, hoffte er auf diese Weise den Este den Thron von Ferrara zu erhalten. Zur Braut hatte er Luigi eine Tochter von Eleonora d' Este bestimmt, und von diesem Plan war sogar in Rom die Rede. Aber jetzt hatte der Kardinal keine Lust, sein Leben nochmals aufs neue zu beginnen. Er schrieb, er sei zu krank und leidend, um eheliche Pflichten einzugehen; da er auBer-

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dem bereits ,,in sacris" sei, wiirde er vom Papst nur mit Miihe den zur Heirat notwendigen Dispens erhalten. Diese Griinde scheinen nichts als eine Ausrede gewesen zu sein. Luigi hatte gem sein Gliick als Ehemann versucht, wenn er nicht den Verlust der unge- heuren Einkiinfte befiirchtet hatte, die mit der geistlichen Wiirde verbunden waren. Sein Einkommen betrug damals 120 000 Scudi; wenn er seine kirchlichen Amter aufgegeben hatte, so waren ihm hochstens zweiundzwanzig bis dreiundzwanzigtausend Scudi jahr- lich verblieben. Der Kardinal gab dem Bruder zu verstehen, daQ er eventuell bereit ware, auf den Kardinalspurpur zu verzichten und die vorgeschlagene Ehe einzugehen, wenn er ihm einen Teil seiner Einkiinfte zusichern wiirde. Der Herzog hatte aber keine Lust, ihm eine so ungeheure Pension auszusetzen, auBerdem war Sixtus V. gegen diesen Plan, der seiner Ansicht nach zuviel Argec- nis gegeben hatte.

So blieb Luigi Kardinal und gait als der ,,glanzendste", da er auf sehr groBem FuB lebte, das Haus stets voller Gaste hatte, auf Reisen das Geld zum Fenster hinauswarf und Unsummen im Kartenspiel und in Geschenken fur gekronte Haupter verschwendete, um sich deren Gunst zu sichern. Schone und bekannte Frauen in Rom, Ferrara und Frankreich iiberschiittete er mit Kostbarkeiten, unter- stiitzte Dichter, schmiickte seinen Palast Diamanti in Ferrara und vollendete den Bau der groBartigen Villa der Este in Tivoli.

Wahrend seines romischen Aufenthaltes 1577 und 1578 hatte er einen Hofstaat von dreihundertneunundvierzig Hoflingen und Dienern und erwarb zwei Drittel des Palazzo Orsini in Monte gior- dano. Die ungeheuren Einkiinfte, die ihm so mancher gekronte Fiirst neiden konnte, geniigten nicht fur alle Passionen des ver- schwenderischen Pralaten; in seinen letzten Lebensjahren wuBte er sich vor seinen Glaubigern nicht zu retten, die ihm mit der Be- schlagnahme seiner Giiter drohten, und seine Jugendgewohnheit: Kleinodien bei jiidischen Bankiers zu versetzen, hat er bis in sein spates Alter behalten.

Durch sein unmaBiges Leben hat er seine Gesundheit friih unter- graben und da er die Ratschlage der Arzte oder seiner Freunde nicht befolgen wollte, starb er im Januar 1586. Die Schmeichler der Este

334

ELFTES KAPITEL

wahnten, ganz Europa wiirde ihn betrauern; Sebastian Ardesi gab in Padua eine Sammlung von Klageliedern unter dem Titel heraus ,,Vari lamenti d' Europa nella morte di Luigi d' Este". Sein Ver- mogen oder richtiger seine Schulden im Betrage von 200 000 Scudi vermachte der Kardinal Cesare d' Este, der die Erbschaft nur urn der Ehre der Familie willen annahm; nachdem er eine Unmenge von Schulden bezahlt und zahllose Prozesse gefiihrt hatte, hat er kaum einige Triimmer aus dieser Kardinalsherrlichkeit gerettet.

Im NachlaB befand sich eine groBe Anzahl schoner Masken, die auch im NachlaB der beiden alteren estensischen Kardinale nicht gefehlt haben, da sie den Karneval leidenschaftlich liebten. Einer der Zeitgenossen hat den Kardinal Luigi ,,Ghiotto di maschere" genannt und berichtet, daB der Kirchenfiirst und Don Francesco d'-Este sich 1565 als Facchini verkleidet wahrend des Karnevals in den StraBen herumgetrieben hatten. Dagegen gab es in seinem Palast kaum ein Buch, da er sich weder mit Literatur noch mit irgend einer Wissenschaft beschaftigt hat. Wenn er Literaten an seinem Hof versammelt und eine Zeit hindurch beiden Tasso, Vater und Sohn, Unterhalt gegeben hat, so geschah es nur, um den Glanz seines Hauses zu mehren. Von Tassos Verhaltnis zum Kardinal wird noch die Rede sein.

Doch soil nicht verschwiegen werden, daB zwei estensische Kardi- nale, Ippolito II., Alfonsos und Lucrezias Sohn, und Luigi die wunder- volle Villa d' Este in Tivoli bei Rom erbaut haben, den Typus des landlichenBarockpalastes, ein ,,luogo di delizie", wie die Renaissance- menschen bezeichnenderweise Wohnsitze dieser Art nannten.

Ippolito II. war 1550 zum ,,governatore di Tivoli" ernannt worden und begann sofort den Bau der groBartigen Villa, indem er Felsen sprengen lieB und Aquadukte legen, um durch Wasser- falle und Teiche das Terrain zu beleben. Der Baumeister, Piero Ligorio, entwarf die Plane zu diesem in groBem MaBstab erdachten Werk, das 1569, also neunzehn Jahre nachdem die Arbeit in ihren Hauptzvigen festgelegt war, fertig war. Ippolito starb 1572; nach seinem Tode hat Luigi an der weiteren Ausschmuckung der Villa und der Garten gearbeitet, aber auch bei ihm reichten weder Zeit noch Mittel, um Ligorios Plane ganz durchzufiihren. Die Fassade

ALFONSO II. 335

der Villa ist niemals vollendet worden, und deshalb erscheinen die Dimensionen der Frontmauern unverhaltnismaBig ausgedehnt, verglichen mit dem breiten Mittelrisalit. Die Villa hat mannigfache Schicksale erlebt, sie war im Besitz der Herzdge von Modena, des Kardinals Hohenlohe und des Erzherzogs Franz Ferdinand d'Este. Der Kardinal Ippolito hat, ehe er mit dem Bau des Palastes in Tivoli begann, die Garten anlegen lassen, die an die Villa d' Este in Rom, den heutigen Quirinal, grenzten. Er residierte dort und gab Beweise eines ungewohnlich ausgepragten asthetischen Geschmackes. In Tivoli wollte er alle beriihmten Villen Italiens iiberholen, er wollte seinen Wohnsitz prachtiger gestalten als die Villa Lanti in Bagnaja bei Viterbo oder den Palazetto Farnese in Caprarola und soil unge- fahr eine Million Scudi verbaut haben.

Auch fur die Gartenanlage hat Luigi ungeheure Summen ver-

ausgabt; einige Jahre nach Ippolitos Tod hat er fur die Arbeiten in

Tivoli tiirkische Sklaven fur 3492 Scudi gekauft, der Preis fur den

einzelnen betrug 36 Scudi ; das ,,luogo di delizie" hat nicht wenig zum

Ruin seiner Finanzen beigetragen. Namentlich war es ihm um eine

harmonische Vielgestaltigkeit von Baumen und Strauchern zu tun,

und in der Tat verbinden sich in wundervoller Art die dunklen Tone

der Zypressen und siidlichen Eichen mit dem leuchtenden Blatt-

werk des Lorbeers, dem ruhigen Griin der Pinien und den archi-

tektonisch-strengen Buchsbaumwanden. Der Park in Tivoli ist

der Idealgarten, in dem die antike gartnerische Tradition sich

mit Renaissancemotiven zur Einheit verschmolzen hat. Durch

die Vereinigung von Architektur, Plastik und Garten-

kunst wurde ein iiberaus kunstlerischer Naturaus-

schnitt geschaffen; seine Komponenten sind

das tiefe Griin der Bau me, Marmor und

Wasserfalle, das Ganze zusammen-

gefafit in die strengen Formen der

Renaissance, aber lebendig und

iiberraschend durch dasViel-

faltige und Wechselnde

seiner Bilder.

zwOlftes kapitel TORQUATO TASSO

i

asso, der groBe Dichter, der mit den Schwachen seiner Zeit belastet ist und am meisten fur die Siinden der Re- naissance gelitten hat, ist zugleichauchderkranklichste Vertreter des beginnenden geistigen Druckes. Ein schwacher Charakter und schwachlicher Mensch, eine Gestalt, die unser Mitleid erregt, aber unsere Sym- pathie nicht zu erringen vermag. Der schadliche EinfluB des hofischen Wesens, der Cortigianeria, tritt bei keinem der be- riihmten Zeitgenossen so scharf wie bei Tasso zu Tage; keiner war so widerstandslos gegen die neue, jedes personliche Wollen ver- nichtende Stromung wie er. Er vermochte die Widerspriiche, die ihn verzehrten, nicht zu losen; der Reaktion hat er den Flug seiner Seele und die Freiheit seines Geistes geopfert, aber der Korper war diesem Gewaltakt nicht gewachsen, der arme Dichter verfiel in geistige Umnachtung, in jene ,,fiera malinconia", wie er selbst sie genannt hat.

Torquato gehort einer bekannten Familie an, die in Almeno, im Bergamaskischen zu Hause ist; Mitglieder dieser Familie sind im XV. Jahrhundert nach Deutschland, Flandern und Spanien aus- gewandert und haben das machtige Geschlecht der Fiirsten Taxis begriindet. Torquatos Vater, Bernardo, arm, aber auf seine vor- nehme Herkunft pochend, war in jungen Jahren Sekretar beim Grafen Guido Rangoni, aus Modena, dem General der romischen Kurie; er hat die diplomatische Laufbahn eingeschlagen und Re- nata di Francia und dem Herzog von Salerno, Ferrante San-

TORQUATO TASSO BILDNIS VON ALESSANDRO ALI.ORI. FLORENZ, UFFIZIEN

TORQUATO TASSO 337

severino, einem der groBten neapolitanischen Magnaten, gedient. Bernardos Beschaftigung hinderte ihn, sich an einem Ort anzu- siedeln, er muBte seinem Herrn in der Suite des Kaisers nach Tunis, Spanien, Frankreich und Flandern folgen; er heiratete daher erst in spateren Jahren, 1539, Porcia, die Tochter Giacomo de Rossis aus Pistoja. Sie brachte ihm eine ganz bedeutende Mitgift mit, funftaurend Scudi, und er kaufte dafiir Land in Sorrent, da er giaubte, sich dort ruhig niederlassen zu konnen. Porcia war trotz ihrer Schonheit eine stille, hausliche Frau; Bernardo lebte mit ihr in einer gliicklichen Ehe, doch war das Gliick nicht von Dauer, da ihn seine dienstlichen Pflichten aus dem Hause trieben. Um jene Zeit, am II. Marz 1544, wurde Torquato geboren, in Sorrent; die Villa Pignatelli Strongoli steht heute auf jener Stelle, wo einst sein Geburtshaus stand.

Bernardo hat in seiner Jugend lyrische Gedichte gemacht; in Sorrent schrieb er ein groBeres Rittergedicht ,,Amadigi" voll von qua- lendem Pathos und torichten Obertreibungen ; den Inhalt hat er dem franzosischen Roman ,,Amadis de Gaule" entlehnt. Doch konnte er sein Epos nicht in Ruhe beenden, da er Neapel schleunigst verlassen muBte. Der Herzog von Salerno war, als Anhanger von Franz I., beim Kaiser in Ungnade gefallen, der Vizekonig von Neapel, Don Pedro di Toledo, nannte ihn einen Verrater und nahm ihm die ihm iibertragenen Lehnsgiiter; da Bernardo in der Poliiik des Herzogs eine bedeutende Rolle gespielt hatte, wurde auch sein Vermogen konfisziert, und der arme Diplomat und Dichter sah sich plotzlich verbannt, fast in Not, bis ihm 1554 gestattet wurde, sich in Rom niederzulassen.

Porcia Tasso verblieb in Neapel, ihre Briider und ihre Mutter nahmen in der richtigen Voraussetzung, daB die verlassene Frau beim Vizekonig weder Schutz noch Recht finden wurde, ihr Stiick- chen Land in Sorrent fort, so daB Porcia gezwungen war, den siebenjahrigen Knaben in die frisch begriindete Jesuitenschule in Neapel zu tun und selbst mit ihrer Tochter Cornelia ein Kloster aufzusuchen. Bernardo blieb in Rom, um den Vizekonig zu veran- lassen, ihm sein eingezogenes Vermogen Iierauszugeben; er nahm den zehnjahrigen Torquato zu sich, um ihn in Rom zu erziehen.

338 ZWOLFTES KAPITEL

Aber von der Wiedergabe des Vermogens war gar nicht die Rede, Bernardo muBte sogar aus Rom fliichten, da es zum Krieg zwischen Spanien und Paul IV. kam, der Vizekdnig von Neapel in den Kirchen- staat einriickte und Tasso fiirchtete in die Hande seiner Feincie zu fallen.

Zum UbermaB des Ungliicks starb Porcia in Neapel; die schutz- losen kleinen Kinder v/aren sich selbst iiberlassen, bis sich Gio- vanna von Aragon ihrer erbarmte und sie ins Kloster San-Festo brachte. Tasso selbst fand eine Zufluchtsstatte beim Herzog Guido- baldo von Urbino, den Sohn schickte er zu seiner Familie nach Bergamo zuriick, spater lieB Guidobaldo ihn an seinen Hof kommen, als Spiel- und Lerngefahrten fiir den achtjahrigen Francesco Maria, den spateren Herzog. Als Torquato im Mai 1557 nach Urbino kam, war er d.reizehn Jahre alt; die dort verlebten Jahre waren wohl die gliicklichsten seines Lebens. Der Hof von Urbino, an dem Gelehrte und Kiinstler lebten, die schone Lage der Stadt all das wirkte auf die Phantasie des Jiinglings. Im Sommer lebte der Hof in Pesaro oder in der Villa Imperiale, dem nahe gelegenen SchloB; weit dehnt sich der Blick von dort iiber Pesaro, Fano, Sinigaglia, Ancona bis nich Loreto, im Westen tauchen die Hiigel der Romagna auf. Die Weite dieses Blickes und die Schonheit des Schlosses machten auf Torquatos jugendliche Phantasie einen solchen Eindruck, daB er die Villa Imperiale als Schauplatz fur seine erste groBere Dichtung MRinaldo" wahlte und sie zum ,, Palazzo della Cortesia" umgestaltete. Torquato lernte in Urbino zum erstenmal hdfisches Leben kennen, hier eignete er sich die Cortesia und Creanza an, die keinem Hof- mann fehlen durften, und iibte sich selbst in der Musik, da der Herzog eine Hofkapelle hatte, die ihn sehr beschaftigte. In Urbino schrieb Torquato auch seine ersten lyrischen Gedichte.

Unterdessen war Bernardos Roman „Amadigi" fertig, und im Friihling 1559 ging er nach Venedig, um ihn dort drucken zu lassen. Die ,,Dedikation" eines Buches war damals eine sehr wichtige Frage, eine Frage der Karriere. Ursprunglich wollte Bernardo sein Gedicht Philipp II. von Spanien widmen, da ihm aber von den Spaniern soviel Unrecht geschehen war, beschloB er, das Buch dem Konig von Frankreich, auf den er Hoffnungen setzte, anzubieten.

TORQUATO TASSO 339

Als er sah, daB er auch von den Franzosen nichts zu erwarten habe, hielt er sich wieder an Philipp II., in der Hoffnung, den Konig veranlassen zu konnen, ihm seinen Besitz zuriickzuerstatten. Die Schmeichelei war jedoch erfolglos.

Mit dem Vater ging auch Torquato nach Venedig, er lebte dort in einem Kreis beriihmter Literaten und Dichter. Den geistigen Mittelpunkt bildete die ,,Accademia Veneziana", auch ,,della Fama" benannt; ihr gehorten Veniero, Gradenigo, Girolamo Ruscelli. Patricio und Aldo Manuzio an, in dessen Verlag die Werke der Aka- demiker erschienen. Aldo war damals ein hochbetagter Mann, dem Verlag stand sein Sohn Paolo vor, der Gedichte machte und mit Torquato befreundet war. In diesem literarischen Kreise begann Tasso, trotz seiner Jugend, an ein groBes Epos zu denken. Alle Dichter hatten damals mehr oder weniger ein Ziel vor Augen: die Regeln von Aristoteles' Poetik mit dem Geist der Zeit zu vereinigen. Ariost schien ihnen bereits veraltet, Trissino entsprach zu wenig den Vorschriften der Poetik, die besonders der Professor Sigonia in Padua vortrug. Er war der Liebling der Jugend und wollte ,,zu eigenem Ruhm und zum Neid der ubrigen Gelehrten" eine neue Einheit zwischen der antiken Philosophic und dem neuen Roman begriinden. Tasso wahlte, von dieser Vorstellung erfiillt, Rinaldo, Karls des GroBen Paladin, zu seinem Helden und schrieb im Lauf von zehn Monaten ein Gedicht, das ein deutlicher Beweis der auBerordentlichen Begabung des jungen Kiinstlers ist. Abenteuer, die mehr oder weniger der alten Ritterpoesie entlehnt sind, wurden vorn Dichter in erschreckender Monotonie aneinander gereiht; dennoch verrat sich auch hier schon im Naturgefiihl die Begabung des Kiinstlers furs Idyll, die spater in seinem Schaferdrama ,,Aminto" zur Bliite gelangte.

Die literarischen Anfange des Sohnes haben dem Vater griind- lich miBfallen; er hatte Grund genug, eine auf die Gunst des Hofes gestellte Existenz zu fiirchten und wollte dem jungen Torquato ein von der Laune der Machtigen unabhangiges Leben sichern. Zu diesem Zwecke schickte er ihn anderthalb Jahre nach seiner An- kunft in Venedig, im November 1560, auf die Universitat nach Padua, damit er dort Rechtswissenschaften studiere. Aber Torquato

340 zwOlftes kapitel

interessierten Guido Pancirolis trockne Vortrage nicht, viel lieber las er die alten Ritterromane auf der Bibliothek, auch war er ein haufiger Gast des alten Literaten Sperone Speroni, bei deni man sich zu wissenschaftlichen Disputationen traf. Tasso verkehrte auch viel bei Giovanni Vincenzo Pinelli, einem vermogenden Genueser Patrizier, der in Padua lebte, seltene Biicher und Antiquitaten sammelte und ein offenes Haus fur Dichter und Gelehrte hatte.

Bernardo, dem es pekuniar sehr schlecht ging, fehlten die. Mittel, um seinen Sohn in Padua zu erhalten; es gelang ihm jedoch, den jungen Annibale di Capua zu veranlassen, Torquato unter seinen Schutz zu nehmen. Der Protektor, der gleichfalls in Padua studierte, gehorte einem vornehmen neapolitanischen Geschlecht an. Die vornehme Jugend hatte schon auf der Universitat ihren Hofstaat, der aus den armeren Kollegen bestand; sie wurden unter- stutzt und auf diese Weise die spateren Klienten herangeziichtet. Der arme Torquato trat somit schon mit achtzehn Jahren seinen Hofdienst an; er begann es fruh zu lernen zu schmeicheln und* sich in die Launen der GroBen zu schicken. Annibale di Capua war spater als Erzbischof von Neapel bekannt und wurde, ver- mutlich infolge seiner Beziehungen zu den polnischen Edelleuten auf der Universitat in Padua, papstlicher Gesandter in Polen. Torquato konnte sich nicht an den Gedanken gewohnen, Rechts- gelehrter zu werden; nach einem Jahre gestattete ihm der Vater, sich auf der philosophischen Fakultat zu inskribieren und die Vortrage von Francesco Piccolomini aus Siena, Marc Antonio Passery und Sigonio zu besuchen, ja er lieB ihn sogar seinen ,,Ri- naldo" veroffentlichen.

Damit dieses Jugendwerk dem Verfasser die Gunst und Unter- stiitzung eines machtigen Magnaten einbringe, empfahl er ihm, den ,,Rinaldo" dem Kardinal Luigi d' Este zu widmen, der schon damals fur seine Freigebigkeit bekannt war. Der Kardinal nahm die Dedikation an, und Torquato fiigte seinem Gedicht jene Stanzen hinzu, in denen er seinern kiinftigen Protektor eine dreifache Krone verspricht, den Ruhm, die Ketzer auszurotten und einen neuen Kreuzzug zu predigen.

TORQUATO TASSO 341

Ma quando, il crin di tre corone cinto, V avrem 1' empia Eresia domar gia visto, E spinger pria, da santo amor sospinto Contra 1' Egitto i Principi di Cristo; Onde il fiero Ottomano oppresso e vinto Vi ceda a forza il suo mal fatto acquisto; Cangiar la lira in tromba e in maggior carme Dir tentero le vostre imprese e l'arme.

(Rinaldo I, 5.)

Wie wenig Tassos Schmeicheleien der Wirklichkeit entsprachen, haben wir bereits gesehen.

Auch Annibale di Capua, seinem Kollegen und Protektor auf der Universitat zu Padua, hat Torquato seinen Dank im ,, Rinaldo" entrichtet und ihm und dem Grafen Stanislas Tarnowski die schone Ottave gewidmet:

De' duo quindi lontan, giovani in vista, La sacra mitra ha Tun, l'altro la spada; Un, Annibal di Capua, onde di trista Convien che lieta Roma un tempo vada; L'altro, che la fortezza al senno mista Avendo al Ciel si fara larga strada, E'Stanislavo, di Tarnovio Conte Che star potra co' piu famosi a fronte.

(Rinaldo VIII, 10.)

Tasso hat diese beiden Kollegen wohl deshalb in einer Ottave verherrlicht, weil Tarnowski als Annibales Freund gait ; ihre Freund- schaft hat sich spater in Polen bewahrt.

Wahrend Tassos Universitatszeit in Padua stieg die Zahl der fremden Studenten, besonders der Polen und Deutschen, mit jedem Jahr. Die venezianische Republik hat nach dem Krieg mit der Liga von Cambrai die Universitat in Padua neugestaltet und sich bemiiht, die beriihmtesten Lehrer zu gewinnen. Von 1562 an kamen immer mehr fremde Studenten. Wahrend ihre Gesamtzahl 1561 nur 138 betrug, gab es 1562 schon 470 Horer, 1563 541 und 1565 sogar 720.

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ZWOLFTES KAPITEL

,,Rinaldo" erschien im Sommer des Jahres 1562 in Venedig und hat den jungen Verfasser in ganz Italien beriihmt gemacht. Eine Auflage folgte der anderen, und erst die so viel gelesene ,,Gerusa- lemme" hat dazu beigetragen, daB Tassos Erstlingswerk in Ver- gessenheit geraten ist.

Wahrend Tasso am Rinaldo schrieb, begann er iiber eine groBe religiose Dichtung nachzudenken, die der damaligen Geistesrichtung entsprochen hatte. Die Welt hatte sich geandert, die Zeit des Froh- sinns in der Renaissance war unwiederbringlich dahin, das Tridentiner Konzil hatte der Christenheit eiserne Fesseln angelegt, und iiber funfzig neue Orden, an ihrer Spitze die Gesellschaft Jesu, wachten dariiber, daB der menschliche Gedanke nicht die Grenzen iiber- schreite, die ihm in Trient gezogen worden waren. Die ganze Christenheit ward neu organisiert, die Fahne, auf die die Renais- sance mit Feuerlettern die Befreiung des Individuums aus den Fesseln der scholastischen Tradition geschrieben hatte, ward zer- rissen; an Stelle kleiner Tyrannenstaaten, die von kiihnen und ge- schickten Condottieren begriindet worden waren, erstanden groBe Reiche; nicht mehr die personliche Tapferkeit des eisengepanzerten Ritters,sondern die Starke der Geschutzewar im Kampf entscheidend. Die Liebe fur das eigne Land und das Verstandnis fur seine Sonder- art ward in Italien durch Karls V. Macht vernichtet, und in den jungen Geistern entstand unter dem EinfluB von Trient das Ideal eines einheitlichen machtigen rdmischen Katholizismus. Ritter- poesie im Sinne eines Bojardo oder Ariost war nicht mehr am Platze ; der kampfenden, siegenden Kirche unterstand jede geistige Regung. Die Dichter muBten mit der Inquisition rechnen, wenn sie nicht ins Gefangnis geworfen oder auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden wollten. Religiose Dichtungen wurden immer haufiger; Tansillo verfaBte eine „Cristiade" und ,,Lagrime di San Pietro", Armicio Agnifilo die ,,Casa di Lucifero", Benedetto dell' Uva ,,Le Vergini". Die Phantasie der jungen Dichter ward durch die Angst vor den Unglaubigen gestachelt, die Tiirken bedrohten die venezianischen Besitzungen, Ungarn und Polen, und Siiditalien war infolge der Einfalle der nordafrikanischenVolker in bestandiger Gefahr. Wieder tauchte der Gedanke der Kreuzziige auf; der alte Wunsch, das

TORQUATO TASSO 343

Heilige Grab zu befreien, ward lebendig, die ritterlichen Kampfe Karls des GroBen und Rolands kiihne Taten wirkten befruchtend auf die dichterische Phantasie: Michele Bonsignoris „Liberazione di Terra Santa" und ,,Gerusalemme", Bargis ,,Siriada" und Brac- ciolinis ,,Croce racquista" sind deutliche Zeichen der neuen Ge- sinnung.

Tasso zogen seine Kindheitserinnerungen in diesen Kreis; als Knabe hatte er in Sorrent im Benediktinerkloster La Cava de'Tir- reni mit dem phantastischen Blick auf Val Meteliana gelebt, und die Monche hatten ihm von den Kreuzziigen und dem Papst Urban II. erzahlt, der die Kutte genommen und in ihrem Kloster gestcrben war. Ein trauriges Ereignis in seiner eignen Familie weckte seinen Zorn gegen die Unglaubigen. In der Nacht vom 15. Juni 1558 war plotzlich die tiirkische Flotte bei Sorrent erschienen, Tassos jung- verheiratete Schwester Cornelia weilte dort mit ihrem Gatten. Die Tiirken kamen unvermutet ans Land, fuhrten einen groBen Teil der Bevolkerung in die Sklaverei, und nur durch einen gliicklichen Zu- fall gelang es dem jungen Paar, sich durch die Flucht zu retten; es irrte in den Bergen herum, bis die Gefahr voriiber war.

Tasso las in franzosischen Chroniken iiber die Kreuzziige und muB auch die alten chansons de geste, die den Zug ins Heilige Land schildern, gekannt haben. Obgleich die urspriinglichen franzosischen und provenzalischen Texte dieser Gedichte damals bereits ver- schwunden waren, so existierten doch Bearbeitungen wie ,,La Croisade", und .Jerusalem" von Grandidoro di Donai, oder der ,,Gutifre de Buione". Die Kreuzziige waren das Lieblingsthema der nordfranzosischen Dichter, und schon im XII. Jahrhundert hatte Riccardo, ,,11 Pellegrino" benannt, eine Geschichte von ,,Buglione's" Expedition geschrieben. Spater wurden einige dieser Ritterromane ,,Elia", ,,L'infanzia di Goffredo", „Antiochia", ,,I Cattivi" und ,,Gerusalemme" zu einer einzigen Geschichte unter dem Titel ,,Ca- valiere dal Cigno" zusammengefaBt. Die Schicksale und Begeben- heiten von Elias, Goffreds GroBvater, der in einen Schwan ver- wandelt wurde, sind darin beschrieben.

In Venedig hatte Giovanni Maria Verdizotti, der Geistlicher und Literat, ein elender Dichter und schwacher Maler war, aber ein

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Mensch voll warmer Begeisterung fur Kunst, viel Sympathie fur Tasso. Er suchte Torquato zu einer groBen religiosen Dichtung anzueifern, deren Inhalt die Befreiung des Heiligen Landes sein sollte, und in demselben Geist suchte auf den Dichter Danese Cataneo einzuwirken, ein Bildhauer und Verseschmied, in dessen Haus Tasso seinen Rinaldo geschrieben hat. Dem Rat der Freunde ge- maB, begann Torquato vom Mai 1559 bis zum November 1560, vor seiner Abreise nach Padua, ein umfangreiches Werk ,,Liberazione di Gerusalemme" anzulegen. In Padua jedoch fehlte es ihm an Zeit zur Weiterarbeit; die Studenten fuhrten ein ausgelassenes Leben, und Tasso beherrschten, nach eigenem Gestandnis, „die Rechte der Liebe". Der Kardinal Luigi und die Principessa Leonora d'Este, waren damals in der Universitatsstadt; in ihrer Gesellschaft befand sich eine schone funfzehnjahrige Damigella Lucrezia Bendidio, deren Gesang den ganzen Hof und namentlich Tasso bezauberte. Lucrezia war nur einen Monat in Padua, aber sie machte dem Dichter einen so tiefen Eindruck, daB, als sie bald darauf den Grafen Paolo Machiavelli heiratete, Tasso seinen Schmerz in Liebes- gedichten ausstrdmen lieB.

Es war schon damals Sitte, die Universitat zu wechseln, um verschiedene beruhmte Professoren zu horen; so finden wir Tasso im November 1562 in Bologna; sein Ruhm als Verfasser des ,, Rinaldo" war ihm vorausgegangen. In Bologna wurde ein noch lustigeres Leben als in Padua gefuhrt, Torquato zahlte zur ,,jeunesse doree", der auch seine Vettern Ercole und Cristoforo, Bonaventura Maffetti aus Bergamo, der Conte Capra und mehrere andere angehorten. Tasso wurde dem Monsignore Cessi vorgestellt, dem papstlichen Vizelegat, der in Vertretung von Carlo Borromeo die Regierungs- geschafte fuhrte; er wurde auch in das Haus von Francesco und Daniele Spinoli eingefuhrt; es waren junge reiche Genueser, die sich studienhalber in Bologna aufhielten und in ihrem eigenen Hause eine Art studentischer Akademie begriindet hatten. Die verschie- densten literarischen und philosophischen Fragen wurden bei diesen Versammlungen erortert, und Tasso hielt dort einmal einen Vortrag iiber die Grundsatze der Dichtkunst. Nach den Debatten wurde gegessen, und es ging dann noch lustig her; aber diese Versamm-

TORQUATO TASSO 345

lungen fanden ein trauriges Ende: Francesco Spinola muflte aus Bologna fliehen, da man ihn verdachtigte, da8 er seinen Rivalen bei einer von ihm geliebten Kurtisane hatte ermorden lassen. Erst zwei Jahre spater erlieB Pius IV. dem stiirmischen Liebhaber seine Strafe, aber er durfte nicht wieder nach Bologna kommen, sondern muBte seine Studien in Padua fortsetzen.

Auch in Bologna fing Torquato Feuer; seine Liebe gait Virginia Ercolani, der verheirateten Grafin Bianchi; ihr zu Ehren lieB er ein Gedicht drucken, in dem er sie feierte als ,,La Virginia overo della Dea de' nostri rempi". Diese lyrischen Ergiisse taten niemand etwas zu Leide, anders verhielt es sich mit einem Pas quill auf einige Professoren, das viel boses Blut machte. Man wollte ihm einen ProzeB machen, aber der Dichter, der Angst vor dem Gefangnis hatte, entfloh nach Mantua und richtete von dort aus einen langen Brief an Monsignore Cessi, in dem er versuchte, seine Unschuld zu beweisen; aber seine Erklarungen klangen nicht iiberzeugend ge- nug, urn den Verdacht zu zerstreuen. Aus Mantua ging Tasso wieder nach Padua, urn seine Studien abzuschlieBen, er folgte der Ein- ladung Scipione Gonzagas in sein Haus. Gonzaga war sehr begabt, in klassischen Studien erfahren, dazu malte und sang er; seine Familie hatte ihn fur den geistlichen Stand bestimmt, als Nach- folger des Kardinals Ercole Gonzaga. Dem Beispiel anderer vor- nehmer Jiinglinge folgend, begriindete er in Padua die Akademie ,,degli Eterei" und hoffte durch Tasso den akademischen Ver- sammlungen einen besonderen Glanz zu verleihen. Die Jugend stand damals unter dem EinfluB des beruhmten Kanzelredners Panigarola, der im Geist des Tridentiner Konzils predigte und der neuen religiosen Stromung viel Anhanger gewonnen hat. Torquato kampfte mit sich, religiose Zweifel hatten sich seiner bemachtigt, und Panigarolas Worte vermochten ihn nicht zu iiberzeugen. Er gestand spater selbst, er habe in seiner Jugend gezweifelt, daB die Seele unsterblich sei, und Gott die Welt erschaffen habe; er habe nicht geglaubt, daB Christus gekommen sei, um die Menschheit zu entsiihnen, und den Jesuiten geziirnt, weil sie ihn gezwungen hatten, mit neun Jahren zur Kommunion zu gehen, ehe er die Geheimnisse der katholischen Religion auch nur ahnen konnte. Sein ganzes

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Leben hat Tasso an diesem Zwiespalt getragen, Frieden fand er erst, als sein muder, kranker Geist die groBen philosophischen Fragen nicht mehr zu erfassen imstande war.

Nachdem das Universitatsjahr beendet war, ging Torquato nach Mantua, wo er seinen Vater traf, einen verbitterten Hofmann, der vergebens nach Brot und einem gastlichen Dach suchte.

Der langere Aufenthalt in Mantua hat sich tief in Tassos Herz eingeschrieben; er hat dort Laura Peperara kennen gelernt, die spater am Hof von Ferrara eine Rolle spielen sollte. Sie war die Tochter eines vermogenden Kaufmanns, blendend schon und sang vorziiglich. Der Dichter scheint die Absicht gehabt zu haben, sich um ihre Hand zu bewerben, wie aus einem der zahlreichen an sie gerichteten Sonette hervorgeht, aber seine Armut und die fehlende soziale Position waren in den Augen ihrer Familie alles andere eher als eine gute Empfehlung. Laura ist spater eine glanzende Ehe eingegangen, und Tasso hat sie wiederholt besungen.

II

Das Jahr 1565 war entscheidend in Torquatos Leben; sein Vater hat den Kardinal Luigi d'Este veranlaBt, ihn an seinen Hof zu ziehen. ImOktoberging der junge Dichter nach Ferrara, um das unge- bundene Studentenleben gegen ein Hoflingsdasein einzutauschen. Der Kardinal lebte im SchloB, in den sogenannten Camerini dorati, die Alfonso fur seinen Bruder hatte erneuern und ver- schonern lassen. Luigi hatte seinen besonderen Hofstaat, der zwar noch nicht so glanzend war wie in seiner rdmischen Zeit, aber er hatte schon damals ein groBes Gefolge. Sein Maggiordomo war dei Graf Belisario Tassoni, sein Sekretar Benedetto Manzuoli aus Modena, und diesem hochsten Hofbeamten unterstanden der Kas- sierer, der Cameriere segreto, acht Camerieri vornehmer Ab- stammung, der Chef der Kanzlei, selbst der am Hof amtierende Theologe. Als letzter wurde Torquato Tasso in die Liste eingetragen, als Hofmann ohne festes Amt, der fur seinen Patron Verse zu schreiben versprochen hatte. Er hat dem Kardinal drei Themen

TORQUATO TASSO 347

fur heroische Dichtungen vorgelegt, Luigi scheint die ,,Gerusa- lemrae" gewahlt zu haben, und so erhielt das Epos, das Torquato schon seit langerer Zeit beschaftigte, von Anfang an die Sanktion des Kardinals.

Tasso war an Luigis Hof keine feste Pension ausgesetzt worden, nur von Zeit zu Zeit je nach der Laune des Kardinals wurden ihm dreiBig Scudi gegeben. Als Wohnung waren ihm zwei kleine Zimmer im Kastell angewiesen worden, das eine diente dem Dichter, das andere seinem Diener; einige Einrichtungsstticke, Bettzeug und Leinwand wurden aus der Guardaroba des Kardinals herbeigeschafft. Man muB sich darunter freilich nicht Dutzende von Leintiichern, Kissenbeziigen und Handtiichern vorstellen; der ganze Vorrat be- stand aus einer Decke, zwei Leintiichern und einem Strohsack. Das war fur einen Hofmann ,,ohne Pflichten" genug. Das Essen wurde Tasso aus der Kardinalskiiche in die Wohnung gebracht, da der Dichter sich geweigert hatte, in der Gesindestube zu essen; dazu bekam er taglich ein Fiasko reinen Wein, ein Fiasko ver- diinnten Wein fur den Diener, im Sommer ein Pfund Lichter monatlich, im Winter anderthalb. Es demiitigte den Dichter, daB er nicht zum Kardinalstisch herangezogen wurde, an dem die an- geseheneren Hofleute speisten; auBerdem emporte ihn das schlechte Essen, das er nach Haus geschickt bekam; so bat er durch Ver- mittlung der Principessa Lucrezia am Tisch der Gentiluomini sitzen zu diirfen. Diese Vergiinstigung scheint man ihm abgeschla- gen zu haben, und erst nach geraumer Zeit wurde ihm eine feste Bezahlung von vier Scudi monatlich zugestanden; das gleiche Ein- kommen hatte der Theologe, wahrend der Hofarzt acht Scudi bezog. Die karge Pension geniigte Torquato nicht, er begann friih Schulden zu machen, allmahlich warteten seine Glaubiger bereits am Tage der Auszahlung vor der Wohnung, um sofort die armseligen Gro- schen mit Beschlag zu belegen.

Als Tasso nach Ferrara kam, hatte Alfonso II. einen glanzen- den Hofstaat, aber die groBen dortigen Geschlechter gingen ihrem pekuniaren Ruin entgegen. Die Este haben durch ihren Luxus den gesamten Adel zu ungeheuren Ausgaben veranlaBt und infolgedessen seinen materiellen Ruin bewirkt. Noch fiihrten die Bentivoglio,

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Bevilacqua, Tassoni, Bendidio und mehrere andere Familien ein offenes Haus. Giovanni Battista Pigna war der allvermdgende Minister; ein durchtriebener, geschickter Beamter von niedriger Herkunft, zugleich Dichter und Philosoph. Tasso schloB sich ihm und den Literaten an wie Ercole Cato, Agostino, Borso degli Arienti und dem Grafen Annibale Romei. Er war ein haufiger Gast bei der Principessa Lucrezia, ,,der Schdnsten unter den Schonen", und bei Leonora, von der Francesco Zini, der Dichter aus Brescia, sang, es gabe kein Herz, das nicht bei ihrem Anblick in Flammen stiinde:

Te visu qui non accensas pectore flammas Sentit hie humani nil sibi cordis habet.

Um Leonora und Tasso wurde spater ein Roman gesponnen, dessen tragischer SchluB in Tassos Gefangennahme gipfelt. Wir werden sehen, daB der Dichter aus ganz anderen Grunden im Spital der heiligen Anna festgehalten wurde.

Im Salon der Prinzessinnen, wie auch in den anderen Hausern der vornehmen Welt in Ferrara war Tasso bald ein begehrter Gast; er war der Liebling der Frauen, und jede ferraresische Schone wiinschte ihren Namen in einem Sonett des Dichters wiederzu- finden. Aber nicht in den Salons allein, auch in Gelehrtenkreisen war der Verfasser des ,,Rinaldo" begehrt, und als im Jahre 1568 die ,,Accademia Ferrarese" begriindet wurde, deren Zusammenkiinfte in Ercole Varanos Hause stattfanden, hielt Torquato eine An- sprache bei der Eroffnungsfeier im Beisein des Herzogs und der bekanntesten Hofleute. Einer der eingeladenen Gaste berichtete einige Tage spater in einem Privatbrief, daB Tasso gut aber mit bergamaskischem Akzent gesprochen habe. Das war gerade kein Vorzug, da man die Bergamasken wegen ihres Dialektes damals allgemein verspottete. Auch sei erwahnt, daB Tasso ein schlechter Redner war, er stotterte die Worte hervor und hatte Schwierigkeiten im Ausdruck, doch hinderte ihn dies nicht, regen Anteil an den Arbeiten der Akademie zu nehmen und bei den Sitzungen seine ,,Discorsi de l'arte poetica" vorzutragen, in denen er die Grundsatze der epischen Dichtung auseinandersetzte. Er betonte die Einheit

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der Handlung in der Mannigfaltigkeit des Stoffes und verglich das Epos mit der Welt, die ein einheitliches Ganzes bildet, trotzdem sie aus wunderbaren oberen und niedrigen unteren Faktoren, aus Gliick und Schmerz besteht. Seine glanzendste Leistung in der Accademia war die Verteidigung der fiinfzig Thesen iiber die Liebe, die zum groBen literarischen Ereignis ward. Diese Thesen stiitzten sich in der Hauptsache auf Platos Philosophic, der damals noch die ,,Herzens"theorien beherrschte. Die Disputation interessierte die Gesellschaft um so intensiver, als die Gegnerin, die die Ansichten des Dichters bekampfte, Orsina Bertolaja Cavaletti war, eine sehr schone und gelehrte Dichterin. Sie trat namentlich gegen Tassos Grundsatz auf, daB der Mann heiBer und bestandiger liebe als die Frau. Soweit der Dichter und nicht die Theorie in Frage kam, hatte Orsina schon ganz recht, denn Tasso gehorte durch- aus nicht zu den Menschen mit dem heiBen Herzen und den groBen Leidenschaften, er liebte nur, wenn er Gegenliebe fand, und trbstete sich in seinem Liebesschmerz stets durch ein elegantes Sonett. Die Liebe gait ihm nur so viel, als sie ihn zu einem schonen Gedicht begeisterte. Vielleicht das Gleichgultigste, das man einer Frau sagen kann, findet sich bei ihm:

Si vuoi pur ch'ami, ama tu me, facciamo L'amor d'accordo ....

Im Winter 1568 reiste Tasso nach Mantua, da sein Vater schwer erkrankt war, unterwegs erfror ihm sein Gesicht, und zwei Zahne muBten entfernt werden. Wahrend seines Aufenthaltes in Mantua hatte Tasso einen unangenehmen Zwischenfall: er las im Bett und vergaB das Licht auszuloschen. An der brennenden Kerze ent- ziindeten sich Biicher und Kleider, und der Dichter schlief so fest, daB er erst erwachte, als sein Bart zu glimmen begann. Da sprang er zum Fenster hinaus, verletzte sich den FuB und rief Menschen zu- sammen, damit sie das Feuer loschten, aber seine ganze Wasche war verbrannt, was fur den armen Teufel keine kleine Katastrophe war. Gliicklicherweise erbarmte sich Eleonora d'Austria, die Her- zogin von Mantua, seiner in dieser kritischen Lage, schenkte ihm zwolf Scudi und Leinwand, damit er den erlittenen Schaden wenig-

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stens teilweise wettmachen konne. Es ging ihm schlecht in Mantua, im Herbst erkrankte er schwer am Fieber, eine gewisse Gedachtnis- schwache, an der er sein ganzes Leben gelitten hat, verblieb ihm nach dieser Krankheit.

Der alte Bernardo Tasso, der als Fiinfundsiebzigjahriger schon seiner erschiitterten Gesundheit wegen nicht mehr imstande war, in diplomatischen Missionen zu reisen, bat den Herzog von Mantua, ihm ein ruhiges Amt am Platze zu iibertragen. Der Herzog er- nannte ihn zum Podesta von Ostilia, einem kleinen Nest am Po, wo er bei elender Bezahlung Malarialuft einatmen muBte. Dem konnte er nicht lange Stand halten und starb in der Nacht des 4. Ok- tober 1569. Sein Leben hat er im Hofdienst aufgerieben. Als Tor- quato von Bernard os Krankheit erfuhr, eilte er nach Ostilia, aber er fand weder seinen Vater am Leben, noch auch nur einen Stuhl in der Wohnung. da die Dienerschaft alles gestohlen hatte, was nicht niet- und nagelfest war. Tasso hatte keine Mittel, um den Toten begraben zu lassen; der Duca Guglielmo wollte den fatalen Eindruck, den der Tod des Hofmanns und Diplomaten im Elend ver- ursacht hatte, verwischen und lieB ihn feierlich und mit viel Pomp bestatten. Der Korper wurde nach Mantua gebracht und in der Kirche S. Egidio beigesetzt.

Bei Bernardos Tod, der sein Leben dem Dienst groBer Herren gewidmet, war nichts zuriickgeblieben als betrachtliche Schulden, einige flandrische Arazzi, die noch aus guten Tagen stammten, und eine arabische Vase, Kriegsbeute von der Expedition nach Tunis. Fur Torquato war also nichts iibrig geblieben, er hatte sich sogar durch die Reise zum Sterbenden in Schulden gestiirzt, seine Kleider und anderes versetzt, und der Kardinal befreite ihn aus groBen Sorgen, als er anordnete, daB ihm zwanzig Skudi ausgezahlt werden solHen. Auf Wunsch des Kardinals sollte dieser Betrag nicht dem Dichter selbst ausgehandigt, sondern seinem Glaubiger, dem Juden Isachino da Fano, direkt bezahlt werden. Bose Zungen behaup- teten, Luigi sei nur deshalb bereit gewesen, Tassos versetzte Kleider auszulosen, damit er zur Hochzeit der Prinzessin Lucrezia mit Francesco Maria della Rovere am 18. Januar 1570 kommen konne

TORQUATO TASSO 351

III

Der Kardinal Luigi traf im Jahre 1570 Vorbereitungen zu einer Reisenach Paris, mit der Absicht, sich die franzdsischenPfrunden cies Kardinals Ippolito zu sichern. Der unruhige Pralat hatte die Absicht, falls dieser Plan fehlschlagen wiirde, Purpur und Kardinalswiirde abzutun, ,,scardinalarsi" wie man sagte. Esdauerte lange, ehe die beabsichtigte Reise zustande kam, denn Luigi fehlte es an Geld, er wollte unbedingt mit groBem Hofstaat reisen, und einen Teil seiner Familiares, zu denen auch Tasso gehdrte, mitnehmen.

Torquato freute sich auf diese Reise; da der Weg weit war, machte er vorher sein Testament, in dem er iiber seinen litera- rischen NachlaB verfiigte, er anvertraute ihn seinem Freund Ercole Rondinelli, der gleichfalls dem Hof des Kardinals angehorte. Um das Gedachtnis seines Vaters zu ehren, empfahl er die Arazzi zu verkaufen, die bei einem Juden versetzt waren, und ihm ein Grabdenkmal zu errichten. Sollte das vorhandene Geld fur diesen Zvveck nicht reichen, so mdge Rondinelli versuchen, die groBmiitige Prinzessin Leonora zu veranlassen, den fehlenden Betrag zu erganzen.

In drei Abteilungen fuhr der Hofstaat des Kardinals nach Frankreich. Die zwei ersten brachen im September 1570 aus Ferrara auf, die dritte, zu der Tasso gehdrte, erst im Oktober. Zu dieser Gruppe gehorten auch zwei Geistliche, der Theologe und Kaplan des Kardinals, der Arzt, zwei Stallmeister, einige Kammer- diener und ein groBer Stab von Kochen und Knechten, samtlich zu Pferde. Pas quale Angeluccio war der Kassierer und Rechen- rneister dieser Expedition und trug sehr gewissenhaft alle Aus- gaben in ein Buch ein, das sich bis auf den heutigen Tag erhalten hat. Alle drei Abteilungen traf en sich, nachdem sie Italien und das siidliche Frankreich passiert hatten, in der Abtei Chalis, wo sie auf die Ankunft des Kardinals warteten. Unterdessen wurde Ferrara von furchtbaren Erdbeben heimgesucht, die Este muBten wahrend eines ganzen Monats in Zelten unter freiem Himmel kam- pieren, und infolge des allgemeinen Ungliicks verzogerte sich auch die Abreise des Kardinals. Erst am 19. Januar 1571 machte sich Luigi, von sechsundzwanzig vornehmen Ferraresen begleitet, nach

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zwOlftes kapitel

Frankreich auf und erreichte Paris am 20. Februar, an einem sehr kalten Wintertag. Frankreich stand im Zeichen von Festen in- folje der Vermahlung Karls IX. mit Elisabeth von Osterreich, das Konigspaar weilte in Villers Cotterets und hielt erst im Marz seinen Einzug in die Hauptstadt. Tasso war damals noch nicht der be- ruhmte Dichter des ,,Befreiten Jerusalem", das erst zehn Jahre spater erschien, aber er fand in den dortigen literarischen Kreisen den freundlichsten Empfang, da alles Italienische in Frankreich damals als modern gait. Im Zeichen italienischer Kultur stand bereits die Regierung Karls VIII. und Ludwigs XII., und der fremde Ein- fluB steigerte sich unter Katharina von Medici. Zur Feier von Karls VIII. Hochzeit hatte man die italienische Theatergesell- schaft der ,,Gelosi" kommen lassen, und franzosische Literaten be- trachteten die Italiener als ihre Lehrer im Humanismus, der frei- lich in Italien um hundert Jahre friiher als in Frankreich aufge- taucht ist. Wenn auch der EinfluB italienischer Kultur in Frank- reich Tasso einen sympathischen Eindruck gemacht hat, so er- bitterten ihn die religiosen Verfolgungen, die gerade damals ihren Hohepunkt erreicht hatten, aufs auBerste und verscharften die Zweifel, die seine Seele seit langem beunruhigten. Gerade da- mals war in Frankreich dar Umfang der kirchlichen Gerichtsbar- keit erweitert und eine unerhort strenge Zensur eingefiihrt worden, in Rouen und Orange hatte man ein furchtbares Blutbad unter den Hugenotten veranstaltet.

Wahrend seines mehrmonatlichen Aufenthaltes in Frankreich hat Tasso viel gesehen und gelernt, wie aus einem auBerordentlich interessanten Brief an den Grafen Ercole Contrari, in dem er seine Eindriicke schildert, hervorgeht. Er hat Burgund, Lyon, die Nor- mandie, Picardie und Lothringen kennen gelernt, doch gefiel ihm im allgemeinen Frankreich weniger als Italien. Die Bavolkerung erschien ihm sehr arm und elend, die Hauser, die zumeist aus Holz gebaut waren, haBlich und verwahrlost, nur die Kirchen hoben sich groBartig von der sie umgebenden Armut ab. Die gotische Architektur der franzosischen Kathedralen machte ihm einen starken Eindruck. Die franzosischen Frauen haben ihm infolge ihrer Schonheit, Liebenswurdigkeit und Lebhaftigkeit be-

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sonders gut gefallen, wahrend er die Manner durch die krummen Beine, die sie sich beim konstanten Reiten geholt hatten, verun- staltet fand. Dreierlei war Tasso besonders aufgefallen und er- schien ihm von nachteiligsten Folgen: die Mutter nahren ihre Kinder nicht selbst, sondern Ziehen sie mit Kuhmilch auf, der Adel lebt zuriickgezogen auf seinen Schlossern am Lande, verkehrt hochstens mit Bauern und ist ungebildet, ja flegelhaft, die Wissenschaften stehen ihm ganz fern, und die Gelehrten rekrutieren sich nur aus Mannern von niedrigem Stand. Die Philosophic, diese konigliche Wissenschaft, muBte sich in Frankreich einem Bauern vermahlen und hat dabei viel von ihrer Vornehmheit eingebuBt.

Eindringlichere Beobachtungen als dieser Brief enthalt Tassos spatere Abhandlung ,,Discorso intorno alia sedizione nata nel regno di Francia l'anno 1585"; sie bekundet viel Beobachtungsgabe, die man dem Dichter nicht ohne weiteres zugetraut hatte.

Das franzosische Konigspaar hatte die Absicht, den April in der Bretagne zu verleben und lud den Kardinal ein, mitzureisen; er befand sich damals schon in groBer Geldverlegenheit, und da er nicht das ganze Gefolge, mit dem er nach Frankreich gekommen war, zu erhalten vermochte, beschloB er nur einen Teil mitzu- nehmen und die iibrigen aus Paris nach Italien zuriickzuschicken. Zu diesen letzteren gehorte auch Tasso, den diese Zuriicksetzung gegeniiber den vornehmeren Hoflingen tief schmerzte, um so mehr, als er auch noch so manchen AnlaB hatte, sich iiber den Dienst beim Kardinal zu beklagen. Er glaubte, von Luigi zu schlecht entlohnt zu werden und eine zu untergeordnete Rolle am Hofe zu spielen. Die Klagen waren unbegriindet, da Tasso nach da- maligen Anschauungen durchaus nicht schlecht bezahlt wurde, da er keinerlei Pflichten zu erfiillen hatte, auBerdem war der Kar- dinal ein bekannter Verschwender und seine Hoflinge hatten keinen AnlaB, sich iiber den Geiz ihres Herrn zu beklagen. Tasso be- schloB, den Dienst beim Kardinal aufzugeben; seine wahren Be- weggriinde waren seine verletzte Eigenliebe und seine groBe Un- bestandigkeit, die spater noch gewachsen ist. Die innere Unruhe hat ihn von Ort zu Ort getrieben, Tasso war niemals und mit nichts zufrieden. Er scheint um so weniger AnlaB gehabt zu haben,

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ZWOLFTES KAPITEL

sich iiber den Geiz des Kardinals zu beklagen, als er sich bei ihm viel Geld erspart hat. In Italien konnte er nachher fast ein ganzes Jahr reisen, ohne eine feste Beschaftigung, die ihm auch nur die geringste Einnahme gesichert hatte.

IV

Im Glauben, an Alfonsos II. Hofe ein Unterkommen zu finden, kam Tasso nach Ferrara, aber als er sah, daB es dort auf bloBe Versprechungen hinauslief, ging er nach einigen Wochen nach Rom, in der Erwartung, der Kardinal Ippolito d'Este, der fiir seine Freigebigkeit gegen Dichter und Literaten bekannt war, wiirde ihn in seinen Dienst nehmen. Der vom Alter mitgenommene Kardinal empfing Tasso zwar einige Male in seiner schonen Villa in Tivoli, gab ihm aber die erhoffte Anstellung nicht.

Tasso blieb noch einige Monate in Rom; es war im Jahre 1571 wahrend der beriihmten Schlacht bei Lepanto, und die papstliche Hauptstadt zitterte unter dem Eindruck der politischen und kriege- rischen Nachrichten. Tasso bat Gott, wie er seinem Freunde schrieb, den Christen den Sieg zu verleihen, und zahlte nicht zu den letzten, die daftir gedankt haben. Unter den Kampfenden befand sich auch ein Verwandter von Torquato, Antonio Tasso, von der flamischen Linie; er zeichnete sich durch seine Tapferkeit in der Schlacht bei Curzolari aus, so daB Philipp II. ihn zur Beloh- nung zum Gesandten in Paris ernannte. Torquato stand zwar zu seinen flandrischen und spanischen Verwandten in keinerlei Beziehung, aber stolz auf sein Geschlecht freute er sich iiber An- tonios Ehrung; dieses Ereignis und der Zusammenbruch der tiir- kischen Macht veranlaBten ihn zur Weiterarbeit an seiner Dichtung von Jerusalems Befreiung, die durchaus zeitgemaB war und die Geister beschaftigen konnte.

Tassos Geldmittel waren erschdpft, ohne einfluBreiche Pro- tektion vermochte er sich nicht langer zu erhalten, so wandte er sich durch Vermittlung seiner romischen Freunde an den Herzog

TORQUATO TASSO 355

von Ferrara und bat, an seinem Hof aufgenommen zu werden. Auch die Herzogin Lucrezia, auf deren Unterstutzung er stets rechnete, suchte er zu diesem Zwecke in Urbino auf. Er hatte sich nicht getauscht; die Herzogin war im Begriffe, aus Castel- durante nach Ferrara zu reisen, sie nahm den Dichter mit und bat ihren Bruder, Alfonso II., ihm an seinem Hof eine Anstellung zu geben. Der Herzog ging ins Moorbad Sant Elena bei Padua, wegen der rheumatischen Schmerzen im Knie, die er sich in seiner Jugend wahrend der Kriege in Frankreich geholt hatte; zu seiner Gesellschaft nahm er einige Hofleute mit, darunter auch Tasso. Der Dichter muB dem Herzog einen guten Eindruck ge- macht haben, da er ihn spater auch nach Comacchio zum Fisch- fang, der im Herbst stattfand, mitnahm. Im Januar 1572 wurde Tasso in die Liste der bezahlten Hofleute aufgenommen mit einer Pension von achtundfiinfzig markgraflichen Lire, nach unserem heutigen Geld etwa no Lire. Der Betrag ist gering genug, aber der Geldwert war damals groBer als heute, auBerdem hatte Tasso Essen und Wohnung frei, so daB das bare Geld fur seine Kleidung und andere Bediirfnisse dienen konnte. Der Dichter hatte keinerlei Pflichten, der Herzog hatte nur den Wunsch geauBert, Tasso moge neben seinem groBen Werk auch Gelegenheitsgedichte verfassen, wozu Torquato gern bereit war. Sein ,,ozio letterato" befriedigte ihn sehr, und sein Einkommen betrug viermal soviel wie beim Kardinal. Nachdem er dem Herzog seine Dankbarkeit in einem flieBenden Gedicht ausgesprochen und sich vom zweijahrigen Herumvagabondieren erholt hatte, begann er an seiner ,,Gerusa- lemme" zu arbeiten.

Natiirlich fehlte es ihm an Neidern nicht, besonders Alfonsos II. allmachtiger Minister, Giovan Battista Pigna, war ihm wenig ge- wogen. Er machte selbst elende Gedichte und war in Lucrezia Bendidio verliebt, fur die sich Tasso bereits in Padua interessiert hatte und um deren Gunst er aufs neue warb. Lucrezia lebte am Hofe zu Ferrara und entfachte wahre Liebesbrande. AuBer Pigna und Tasso hatte auch Battista Guarini sein Herz an sie verloren und schickte ihr gereimte Liebesseufzer. Obgleich Guarini und Tasso als Dichter nicht gut zueinander standen, so verband sie

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gemeinsamer HaB gegen Pigna. Beide wollten den machtigen Rivalen lacherlich machen, und als Pigna fur einige Monate mit dem Herzog nach Osterreich reiste, lieBen sie seine Liebes-Can- zonen drucken. Pigna durfte sich nicht einmal beklagen, da Tasso den Gedichten einen fur den Verfasser sehr schmeichelhaften Kom- mentar hinzugefiigt hatte. Die Bendidio verspottete ihren alten Verehrer so gut wie die jungen Dichter. Pigna nannte sie bos- hafterweise ,,lo sposo della barba bianca", und von den jungen Dichtern lieB sie sich zwar gem huldigen, aber als praktische Frau kniipfte sie Beziehungen zu dem an, der zwar keine Gedichte machte, sie aber dafiir mit kostbaren Geschenken iiberschuttete: zum Kardinal Luigi. In ihren Briefen an den Kardinal verspottete sie den alten Pigna, der sie mit seinen Zartlichkeiten verfolgt hat. 1573 ging Alfonso nach Rom, um dem neuen Papst Gregor XIII. zu huldigen und die Frage der Nachfolge im Herzogtum Ferrara zu sichern. Ein zahlreiches Gefolge begleitete ihn, darunter be- fanden sich Tasso, Guarini und der beriihmte Altertumskenner Piero Ligorio; der Herzog hoffte mit seiner Hilfe in Rom seine beriihmte Anticagliensammlung vermehren zu konnen. Alfonso war nur einen Monat in Rom und einige Tage in Tivoli; Tasso fand zur Arbeit keine Zeit, kniipfte aber viel Beziehungen an und sah namentlich zum erstenmal die groBe Schonheit, von der ganz Rom sprach, Barbara Sanseverino, die Grafin di Sala, die mit ihrer Schwiegertochter Leonora di Scandiano dort weilte. Von Barbara, der die romischen Damen ihre Triumphe neideten, hieB es, sie habe die Schonheitspalme davongetragen:

Tolse Barbara gente il pregio a Roma.

Im Friihling machte sich Tasso in Ferrara wieder an die Arbeit und lieB sein Schaferdrama ,,Aminta" drucken, das der Herzog im Sommer im Belvedere auffiihren lieB. Zu diesem Zwecke lieB man die Theatergesellschaft ,,Gelosi" kommen, die damals in Venedig auftrat und gem an norditalienischen Hdfen spielte. Tasso selbst unterwies die Schauspieler; die Auffiihrungen, die einige Mai wiederholt wurden, sind glanzend ausgefallen, und haben ganz Ferrara beschaftigt, um so mehr als man hinter einigen Gestalten

TORQUATO TASSO 357

des Dramas bekannte ferraresische Personlichkeiten zu erkennen vermeinte. Alfonso gab seiner Zufriedenheit Ausdruck, indem er Tasso zum Professor der Geometrie und der Himmelskorper an der Universitat in Ferrara ernannte. Der Dichter hatte nur an Feiertagen die Pflicht, vorzutragen, und bezog dafiir ein Ein- kommen von 150 markgraf lichen Lire (in heutigem Geld etwa 283). ,,Aminta" wurde spater in Pesaro aufgefiihrt, Tasso ging hin, um die Inszenierung zu leiten, und allmahlich errang dieses Schafer- drama in alien italienischen Stadten groBe Erfolge.

Als die Nachricht von Karls IX. Tod nach Ferrara kam, emp- fahl der Herzog dem Dichter, eine Trauerrede zu verfassen und sie im Dom beim Trauergottesdienst zu verlesen.

Zur BegriiBung Heinrichs III. in Venedig nahm er Tasso mit, der die Gelegenheit beniitzte, um zwei Sonette zu Ehren des Valois zu verfassen, worin er seine GroBe und seine Tugenden pries. Der Dichter verubelte dem Konig spater sein lockeres Leben in Venedig, zu dem ihn iibrigens, wie wir gesehen haben, Alfonso selbst ver- leitet hat.

1574 erkrankte Tasso an einem sehr hartnackigen Fieber, das ihn lange gequalt und ungiinstig auf seinen physischen und mora- lischen Zustand eingewirkt hat. Trotzdem arbeitete er an der Vollendung des ,,Befreiten Jerusalem", da der Herzog sehr un- geduldig war und den Ruhm kaum erwarten konnte, der seinem Geschlecht durch das Erscheinen dieses Epos werden sollte. Seit zehn Jahren war Tasso am Hof der Este; der Herzog hatte ihm seine Gunst geschenkt, ihn auf Reisen, auf die Jagd, zum Fisch- fang mitgenommen, ihm vollige Freiheit in seiner Arbeit gelassen, und trotzdem hatte der Dichter seine Aufgabe noch nicht gelost. Endlich im April des Jahres 1575 war das Gedicht fertig, aber da Tasso die drei letzten Biicher wahrend seiner Krankheit geschrieben hat, waren sie schwacher als die vorhergehenden ausgefallen. Obrigens war das Gedicht noch nicht druckreif, einige Abschnitte

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geniigten dem Dichter noch nicht, und der Zwiespalt in seiner Seele unterband seine schopferische Kraft.

Luftveranderung sollte Tasso vom Fieber heilen; er fuhr fur einige Zeit nach Padua und Vicenza, aber diese Reise half ihm nicht; Ferraras uberdriissig, begann er sich in aller Stille zu be- miihen, an einem andern Hof Unterkunft zu finden, beim GroB- herzog Francesco in Florenz oder beim Kardinal de' Medici. Es war dies ein fur ihn sehr verhangnisvoller Schritt, da der Hof von Florenz und Ferrara in den denkbar schlechtesten Beziehungen zueinander standen; sie kampften um den ,,Vorrang" dieser Frage wurde damals groBe Bedeutung beigemessen. Alfonso be- anspruchte den Titel ,,Altezza", sehr zum Arger des GroBherzogs, der behauptete, daB dieser Titel nur ihm zukomme. Die Rivalitat zwischen beiden Hofen hatte dazu gefiihrt, daB der Herzog schon 1573 seinen Untertanen unter Androhung sehr empfindlicher Strafen verboten hatte, fremde Dienste anzunehmen; dies Verbot war in der Hauptsache gegen Florenz gerichtet.

Da Tassos Bemiihungen, in den Dienst der Medici zu treten, vergeblich waren, veranderte der Dichter seinen Plan; er wollte nach Rom gehen, um dort sein Werk dem Urteil beriihmter Lite- raten und dem Spruch der Inquisition zu unterbreiten, und die Arbeit so vieler Jahre endlich drucken lassen. Da es ihm an Mitteln fur diese Reise fehlte, wandte er sich schriftlich an seinen Universitatskollegen und Freund, Scipione Gonzaga, der in Rom lebte, damit er die Durchsicht seines Werkes ubernehme. Gonzaga fiirchtete die groBe Verantwortung der Kritik wie der Inquisition gegeniiber, er bat daher Pier Angelo da Braga, einen beriihmten lateinischen Dichter, Flaminio de' Nobili, den Philosophen und bekannten Hellenisten, Sperone Speroni, den Verfasser des Buches ,,La Cenace" und schlieBlich ein Mitglied der Inquisition Silvio Antoniano, den Schiiler Filippos da Neri und spateren Kardinal unter Sixtus V., einen Menschen von strengen Sitten, aber engem Horizont, ihm bei dieser Arbeit zu helfen. Tasso fiirchtete die Einwande des Inquisitors in Bologna, deshalb begab er sich auch zu ihm, damit er die Dichtung vom Standpunkt der romisch-katho- lischen Kirche priife. Uberhaupt beherrschte die Angst vor der

TORQUATO TASSO 359

Inquisition Tasso in hohem MaBe, er war nicht einmal sicher, ob er in seinem Gedicht die alten Gotter Mars und Jupiter anfiihren diirfe, und erst als er sich darauf besann, daB auch Dante in seinem ,,Paradies" keinen AnstoB genommen habe, Jupiter zu erwahnen, beruhigte er sich und faBte den Vorsatz, sich der Inquisition gegen- iiber auf das Beispiel des groBen Dichters zu berufen. Tassos Furcht war nicht unbegriindet. Gregor XIII., der Freund und Pro- tektor der Jesuiten, saB auf dem papstlichen Stuhl, Antoniano war damals schon eine sehr einfluBreiche Personlichkeit, und durch seinen Mund sprach die Inquisition. Ihm erschien die ganze Dichtung als ein gefahrliches Werk, das in Rom nicht gem gesehen werden wiirde, als ein Erzeugnis, das dem Geist der Zeit nicht ent- sprach. Um jedoch seine Versohnlichkeit zu beweisen, besonders da er sich selbst, als Verfasser einiger frommer Lieder, fur einen Dichter hielt, verlangte Antoniano zwar nicht, daB das ganze Manu- skript zerstort werde, aber er erachtete es als notwendig, daB Tasso es zu einer ,,rein" religiosen Dichtung umarbeite, die weniger fur weltliche Menschen als fur Mdnche und Nonnen bestimmt sei, ,,desiderarebbe ch'l poema fosse letto non tanto da cavalieri quanto da religiosi e da monache"; er wiinschte ferner, daB die Handschrift vor Drucklegung einer ernsthaften Nonne zur Zensur vorgelegt werde, aber zu diesem AuBersten kam es nicht. Von der ganzen Dichtung gefiel ihm eigentlich nichts, weder die Gesamtanlage, noch die Hauptcharaktere, oder die poetischen Episoden. Er verlangte von Tasso, jedes Wort zu streichen, das ein geistliches Ohr beleidigen konnte und die Liebesepisoden und alle Wunder auszulassen. Nur Gott allein kann Wunder wirken, deshalb ist es dem Dichter nicht gestattet, einen Zauberer einzufiihren, der mit seiner Rute Ritter in Fische verwandelt oder andere ,,Metamor- phosen" bewirkt.

Tasso war verzweifelt, man zerstorte ihm sein ganzes Werk, und seine Briefe an Antoniano zeigen das wahrhaft tragische Ringen des Renaissancegeistes, des Dichters, der von Jugend auf gewohnt war, seine Gedanken frei zu auBern, mit dem dumpfen Fanatismus eines Menschen der brutalen Reaktion. Verzweifelt fragte Tasso einst, ob die Liebesszenen wirklich gestrichen werden

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miiCten ,,gli amori saranno condemnati?" da ein solcher Urteils- spruch den Tod seiner Dichtung bedeutete. Trotz seiner Em- porung entschuldigt Tasso seine ,,Fehler" demiitig vor dem all- vermogenden Zensor, er bedenkt die verschiedensten Moglichkeiten, um den Zensor zufrieden zu stellen, den Forderungen der Zeit zu entsprechen ,,come comanda la necessita de' tempi" und den engen Seelen der Mitmenschen gerecht zu werden; er uberlegt, wie er allem Wunderbaren eine ,,moralische" Bedeutung beilegen und die beiden Biicher von der Zauberin Armida auslassen konnte. Er wollte sie gesondert drucken, um wenigstens auf diese Weise eine der schonsten Gestalten seiner Phantasie zu retten. Sein Werk be- trachtet er als ,,la somma de la sua vita", daher marterten ihn die Schwierigkeiten, diese unerwarteten Hindernisse, dieser Kampf mit der kirchlichen Pedanterie, die schon zwei Jahre dauerten. Er war ein zu schwacher Charakter, um sich auf irgend eine Weise von der inquisitorischen Ubermacht frei zu machen; er furchtete den Kampf mit der Kirche, wollte nicht zum Abtriinnigen werden, bemiihte sich, zu glauben und wollte wenigstens fur den Druck seines Buches die Erlaubnis der romischen Kirche bekommen. Und wenn sich sein skeptischer Geist von Zeit zu Zeit empdrte, so unterwarf er sich zur Siihne religiosen Ubungen, ging in die Kirche und betete im Hause, um auf diese Weise den Renaissance- Satan zu iiberwinden. Haufig stand ihm, wie er selbst gestanden hat, das Bild des Jiingsten Tages vor Augen, er glaubte den Klang der Posaunen zu horen, die am Tage der groBen Abrechnung er- klingen werden, und den Heiland in den Wolken zu sehen, wie er mit durchdringender Stimme ruft: geht hin, Verfluchte, ins ewige Feuer. Dann packte ihn furchtbare Angst, er muBte beichten und das Abendmahl nehmen. Er beichtete, daB er an der Unsterb- lichkeit der Seele zweifle, und an den gottlichen Ursprung der Welt, an die Wirksamkeit der Sakramente, an die gottliche Mission des Papstes auf Erden, an die Erlosung des Menschen nicht glaube. All das meldete er dem Inquisitor in Bologna, und klagte sich selbst an, doch der Inquisitor begriff, daB er es mit einem Dichter zu tun habe, der sein seelisches Gleichgewicht verloren, und nahm diese Gestandnisse eines kranken Menschen nicht ungiitig auf.

TORQUATO TASSO 36!

Aber diese Sanftmut beangstigte Tasso anstatt ihn zu beruhigen, er fand das Vorgehen des Inquisitors leichtsinnig, oberflachlich, und hielt sich fur schuldig.

Wenn Antonianos Kritik in religiosen Dingen ihn zur Ver- zweiflung brachte, so haben ihn die Bemerkungen des Pedanten Speroni iiber den Aufbau der Dichtung, die Regeln der Poetik, die angeblich falsch befolgt waren, im hochsten Grade emport. Zur Verwirrung seines kranken Geistes trug noch bei, daB er im Glau- ben befangen war, seine Feinde an Alfonsos Hof wiinschten, daB sein Werk entweder nicht erscheine oder mit den Verbesserungen der Pedanten und Inquisitoren, jeder poetischen Schonheit bar, herausgegeben werde. Uberall witterte er Verfolgung, Intrigue, Hinterlist.

Diese Kampfe und diese Unruhe zerstorten ihn seelisch und physisch so sehr, daB er im Juli 1575 schwer erkrankte, an furcht- baren Kopfschmerzen litt, und mit dem Herzog nicht aufs Land gehen konnte; er blieb in Ferrara zuriick und pflegte, wenn seine Schmerzen nachlieBen, der Prinzessin Lucrezia sein Gedicht vor- zulesen. Damals begannen ihn krankhafte Ahnungen zu verfolgen, er glaubte sich von Damonen, die auf sein Schicksal einwirken, umgeben; aus diesem Grunde studierte er Magie und Astrologie und verfaBte sogar einen Dialog ,,Messagiero" iiber Damonologie, in dem er auf philosophischem Wege die Existenz gottlicher Boten nachzuweisen sucht. Obrigens haben auch Gelehrte wie Ficino, Patrizzi und Pico della Mirandola an diese Dinge geglaubt. Dazu war Tasso vom Verlangen beherrscht, seinen Wohnsitz zu andern; er traumte davon, nach Rom zu reisen, Antoniano zu sprechen und die Zensur seines Werkes zu beschleunigen. Lucrezia wider- riet ihm diese Reise, sie kannte den Wunsch des Herzogs, die ,,Ge- rusalemme" unter seiner Agide erscheinen zu lassen, und seine Befiirchtungen, Tasso konne die Dichtung den Medici widmen, um an ihren Hof zu gelangen. Die Vorstellungen der Prinzessin halfen nicht. Tasso ging im November nach Rom und suchte seine Reise durch den Hinweis auf die religiosen Gnaden des groBen Jubilaums zu rechtfertigen. Diese Abreise war ein um so groBerer Fehler, als am 4. November Pigna, der hofische Philosoph, Mi-

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ZWOLFTES KAPITEL

nister, Historiograph und bezahlte Dichter, gestorben war, und man allgemein annahm, daB Tasso sein Amt als Historiograph und Dichter antreten wiirde.

In Rom suchte Tasso auf Antoniano einzuwirken, was fast un- moglich war, und Speronis Gunst zu gewinnen, der damals eine literarische Macht war. Speroni warf ihm Weichlichkeit vor, man- gelnden Ernst im Ausdruck, unpassende Scherze, mit anderen Worten, er vermiBte jene poetische Pose, die der pedantische Literat so hoch einschatzte. Tassos Demut schien Speroni zu entwaffnen, denn er erwies sich dem Dichter etwas gnadiger.

Schon begann eine innere Unruhe Tassos Handlungen und Be- nehmen zu beherrschen; nach kurzem Aufenthalt in Rom ging er nach Siena, um den Rat von Monsignore Piccolomini, des Ver- fassers eines neuen Kommentars zu Aristoteles Poetik, einzuholen. Unbefriedigt von dessen Ratschlagen reiste er nach Florenz zu Vincenzo Borghini, iiberall auf der Suche nach kritischen Ein- wanden, die seinem Werk hochstens schaden konnten. Im Januar war er wieder in Ferrara und begann sich um das Privileg fur die Herausgabe seines Buches zu bemiihen. Seine Geisteskrankheit nahm rapid zu, ein ihm unbekanntes Etwas zerriB seinen Geist. ,,Mi si volge un non so che per 1' animo." Maffeo Veniero, der Florentiner Gesandte in Ferrara, schrieb am 17. Juni 1577 an den GroBherzog Francesco, ,, Tasso leide an einer seltsamen Geistes- krankheit: er glaubt, daB er der Ketzerei schuldig sei und daB man ihn vergiften wolle . . ."

VI

In Ferrara traf Tasso die Grafin Barbara Sanseverino und ihre Schwiegertochter Leonora, die Gattin des Graf en Giulio di Scan- diano, die er bereits in Rom kennen gelernt hatte. Die ganze Stadt sprach von nichts anderem als von dem Geist, der Liebens- wiirdigkeit und dem Reiz dieser Frauen, alle Herren am Hofe waren in sie verliebt, selbst Alfonso; auch der Duca di Parma und Vincenzo Gonzaga begingen nicht wenig Torheiten, um ihnen zu

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gefallen. Tasso hatte Gelegenheit, Sonette ihnen zu Ehren zu verfassen, sogar die hangende Unterlippe der Grafin Scandiano wurde poetisch verklart!

Einer der heiBesten Verehrer der schonen Leonora war Guarini, der zusammen mit Ascanio Giraldini aus Polen zuriickgekehrt war; aber Guarini und Tasso iiberzeugten sich bald, daB sie die Grafin Scandiano nur in Gedichten feiern diirften, da sie einen zu gefahrlichen Rivalen hatten, um sich allzu kiihn um ihre Gunst zu bewerben. Dieser Rivale war kein Geringerer als Alfonso selbst. Tasso trostete sich bald, da die Herzogin eine sehr schone Dami- gella Olympia hatte, ,,bella e vaga brunetta", ihr weihte er seine Gefiihle und spendete der Grafin nur Weihrauch. Er neidete aber der Damigelle, der zu dienen, die einer Gottheit gleicht.

O con le Grazie eletta e con gli Amori,

Fanciulla avventurosa,

A servir a colei che a Dea somiglia.

Als die Grafin spater ein Tochterchen zur Welt brachte, auBerte Tasso seine Freude in Versen.

Trotz der Liebelei mit Olympia und der Verehrung fur die Grafin Scandiano ging es dem Dichter immer schlechter, immer haufiger trat sein Verfolgungswahnsinn auf und unter den Hof- leuten gait er als jemand, ,,dem etwas fehle". Einen der niederen Hofbeamten, Ercole Fucci, hatte er ohne Grund ins Gesicht ge- schlagen; emport dariiber holte Fucci seinen Bruder zu Hilfe und priigelte Tasso mit dem Stock auf der StraBe durch. Der er- schrockene Tasso verlieB langere Zeit sein Zimmer nur, wenn er zusammen mit den anderen Hdflingen den Herzog auf seinen Aus- flugen begleiten muBte.

Im Februar 1577 ging der ganze Hof nach Comacchio, wo ein Teil des Karnevals verbracht werden sollte. Die lustige Gesell- schaft, die aus den Contessen di Sala und Scandiano, mehreren anderen Damen und Hofleuten, darunter auch unserem Dichter, bestand, dachte nur daran, Feste zu feiern. Tasso schrieb ein Lustspiel, das einzige, das er jc verfaBt hat, und die Hofgesell- schaft fuhrte es auf. Der Herzog selbst gab einen Kellner, die

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Contessa di Sala hatte die Rolle eines jungen Madchens Lucilla iibernommen, die Scandiano verkleidete sich als Mann, und Tasso sprach den Prolog. Das Lustspiel gait als sehr gelungen, ist aber leider untergegangen; wir hatten den ,,Karnevals"-Tasso daraus kennen gelernt, mit iibermiitigen Ziigen, die wir sonst nicht an ihm kennen. Tassos heitere Stimmung hielt nicht lange vor; un- mittelbar nach seiner Riickkehr in Ferrara klagte er wieder, daB man ihn verfolge, er litt an diisteren Ahnungen und schrieb dem Gefahrten seiner Kindertage Guidobaldo, dem Markgrafen von Mantua, daB er seit acht Monaten in bestandiger Angst lebe, weil die Hoflinge und Feinde ihm seine Handschriften fortnahmen; er bat den Markgrafen, ihm einen Diener zu schicken, der gar keine Beziehungen zu Ferrara habe und dem er absolut trauen konne. In der zweiten Aprilhalfte beherrschten Visionen und Angstzustande den Dichter in noch starkerem Grade, er beschuldigte verschiedene Personlichkeiten beim Herzog, daB sie ihn verfolgten und Be- ziehungen zu den Ketzern hatten. Aus Furcht, selbst zum Ketzer zu werden, ging er haufig zur Beichte und verriet dem Inquisitor die Namen jener Hoflinge, die er des Abfalls beschuldigte. Der Herzog schickte ihm den Arzt, der ihm blutreinigende Mittel verschrieb, aber alles war vergebens. Tasso verblieb in seinen religiosen Angst- zustanden, er glaubte, daB der Inquisitor in Ferrara seine Pflich- ten nicht gewissenhaft erfulle und begann sich zu einer Reise nach Rom zu rusten, um ihn dort vor dem Inquisitionstribunal zu verklagen. Man glaubte, der Inquisitor selbst konne ihn in diesem seelischen Zwiespalt beruhigen, da er, verniinftig und menschlich denkend, wuBte, daB Tassos vermeintliche Ketzer und Ketzereien nur in seiner kranken Phantasie bestanden. Auf die Bitte des Herzogs nahm er Tasso fur einige Tage zur geistlichen Einkehr ins Kloster Degli Angeli und suchte dort durch Sanftmut und Uberredung auf sein allzu empfindliches Gewissen einzuwirken. Der Monch gab sich Miihe, um dem Dichter das verlorene Gleich- gewicht wiederzugeben, er lieB ihn beichten, erteilte ihm voll- kommene Absolution, aber all das niitzte nichts, Tasso fand, daB man ihn fur seine Siinden foltern miisse; er verdachtigte den In- quisitor, seine Pflichten nicht streng genug einzuhalten und wollte

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ohne Wissen des Herzogs nach Bologna gehen, urn vor dem dortigen Inquisitor, den er fur besonders berufen hielt, zu beichten. Der Herzog konnte nicht ohne weiteres zustimmen; seit den Tagen der Renata verdachtigte Rom Ferrara wegen religioser Neue- rungen, und die romische Kurie ging diesem Verdacht urn so lieber nach, als sie nach Griinden suchte, urn Ferrara den Este zu neh- men; der Herzog dagegen bemiihte sich, die Nachfolge seinem Vetter, Cesare d'Este, zu sichern.

Tasso konnte ihm also groBen Schaden zufiigen; ware er nach Bologna gegangen und hatte vor dem dortigen Inquisitor ferrare- sische Hoflinge der Ketzerei bezichtigt, so hatte der Inquisitor sicherlich die ganze Angelegenheit nach Rom berichtet, und es ware dies ein erwiinschter AnlaB, um gegen die Este vorzugehen.

Im Interesse des Staates und der Dynastie befahl Alfonso, ein Auge auf Tasso zu haben, damit der geisteskranke Dichter nicht aus Ferrara entfliehe, im iibrigen gab er ihm in der Stadt vollige Bewegungsfreiheit. Man muBte jedoch bald strengere Vorsichts- maBregeln ergreifen. Am Abend des 17. Juni 1577 ging Tasso zur Prinsessin Lucrezia, um ihr wieder von seinen Angsten und Ver- dachtsgriinden zu sprechen; als er einen Diener, den er verdach- tigte, ihn zu bewachen, im Zimmer bemerkte, ergriff er ein Messer und warf sich auf ihn. Der Diener verteidigte sich, aber dieser Wutanfall hatte eine strenge Verfiigung zur Folge: der Herzog lieB Tasso in den kleinen Zimmern der Corte vecchia einsperren, wahrend er gleichzeitig empfahl, so sanft wie moglich mit ihm umzugehen; er stellte den Dichter auch unter den besonderen Schutz des Hofmannes Guidone Cocappani. Cocappani hatte die Aufgabe, Tasso freundschaftlich von der Notwendigkeit, bewacht zu werden, zu iiberzeugen, und ihn zu iiberreden, sich in arztliche Behandlung zu begeben. Nach einigen Tagen beruhigte der Dichter sich, er bat, aus dem Gefangnis entlassen zu werden und in seine alte Wohnung zuriickkehren zu diirfen, im iibrigen war er bereit, sich stets von einem Diener begleiten zu lassen. Seine alte Woh- nung wurde ihm wieder angewiesen, nur die Fenster wurden ver- gittert, und nach einiger Zeit erlaubte ihm der Herzog sogar, zu seiner Zerstreuung nach Belriguardo zu kommen, wo damals der

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zwOlftes kapitel

Hof weilte. Die zahlreiche Gesellschaft, die sich dort befand, wirkte nicht gunstig auf den Dichter; er bat den Herzog, ihn nach Ferrara zuriickkehren und bei den Franziskanern wohnen zu lassen. Al- fonso hatte nichts dagegen, aber die Franziskaner und Karthauser, zu denen man sich gleichfalls begab, hatten wenig Lust, sich um die Pflege eines Geisteskranken zu kummern, daher zogen sich die Unterhandlungen mit ihnen in die Lange. Unterdessen verschlim- merte sich Tassos Zustand bedeutend, der Dichter glaubte sich von seinen angeblichen Feinden bedroht und fiirchtete sich vor Gift und der Inquisition. In seinen Gewissensnoten schrieb er an das Inquisitionstribunal nach Rom: der ferraresische Inquisitor habe ihn als einen Wahnsinnigen und nicht als einen Ketzer behandelt, infolgedessen fande er den Frieden des Gewissens nicht; er bat, einen ProzeB gegen ihn anzustrengen und ihm die Moglichkeit zu geben, sich zu verteidigen. Gleichzeitig setzte er Scipione Gonzaga von dieser Supplik in Kenntnis und flehte um seine Unterstiitzung in Rom. Diese Briefe gerieten in Alfonsos Hande, der taktvoll genug, sie nach Rom schickte und den Kardinal d'Albano bitten lieB, das Tribunal zu veranlassen, Tasso mitzuteilen, daB es ihn fur vollkommen unschuldig halte. Ein solcher Urteilsspruch wiirde den Kranken beruhigen und ihn von den Skrupeln und Angsten befreien, die ihn qualten. Man schien in Rom genau dariiber unterrichtet zu sein, daB Tasso kein Ketzer war.

Die Franziskaner erklarten sich endlich bereit, Tasso in ihr Kloster aufzunehmen, aber obgleich der Pater Agostino Righini, ein sehr vernunf tiger und guter Mensch, sich gewissenhaft mit ihm beschaftigt hatte, verdusterte sich der Geist des Dichters immer mehr, seine Verfolgungsmanie steigerte sich, das Gespenst der Inquisition lieB ihm keine Ruhe, so daB die Franziskaner die Verantwortung fur den Kranken nicht langer tragen konnten und den Herzog baten, ihn irgendwo anders unterzubringen. So wurde der Dichter wieder in jene Zimmer im Kastell uberfiihrt, die urspriinglich fur ihn bestimmt waren; zwei Diener hatten fur seine Pflege und Bewachung zu sorgen.

Aber Tasso war wie viele Geisteskranke, listig genug, um seine Wachter zu betrugen; er durchbrach die Tiir, die in die Nachbar-

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zimmer fiihrte, und obgleich man seine Abwesenheit sofort be- merkte, gelang es ihm, aus Ferrara zu entfliehen; er irrte in den Feldern umher, suchte schlieBlich erschopft Schutz in Poggio beim Grafen Lamberti und ging von dort aus nach Bologna.

Berittene wurden ihm aus Ferrara nachgeschickt, aber Tasso hielt sich im Feld verborgen und entging auf diese Weise seinen Verfolgern. Die Flucht des kranken Dichters beunruhigte den Herzog und den Inquisitor von Ferrara aufs lebhaf teste; man ahnte, daB Tasso nach Bologna gehen und dort gegen den Inqui- sitor Klage wegen seiner lassigen Verfolgung der Ketzer erheben und den gesamten ferraresischen Hof der Ketzerei bezichtigen wiirde. Unannehmlichkeiten mit Rom wurden vorausgesehen.

VII

Die Angst des Herzogs war diesmal unbegriindet. Tasso gelangte am Ufer des Adriatischen Meeres entlang, liber den Apennin nach Gaeta und fuhr von dort aus mit dem Schiff nach Sorrent, wo seine verheiratete Schwester Cornelia wohnte. Es wird erzahlt, daB er erschopft von der Reise, die er unter groBten Beschwerden zuriicklegen muBte, da er kein Geld hatte, als fremder Pilger zur Schwester kam, ohne seinen Namen zu nennen. Er iiber- gab ihr einen Brief des Bruders: er befande sich in der furcht- barsten Lage und brauche unbedingt Hilfe; erst als er sah, daB die Schwester den Brief mit Tranen las und bereit war, den Armsten aufzunehmen, gab er sich zu erkennen.

Die vertraute Umgebung und die veranderten Verhaltnisse wirkten zuerst giinstig auf den Geist des Dichters, aber bald trat der Verfolgungswahn aufs neue auf. Er schrieb an Scipione Gon- zaga und den Kardinal d'Albano und bat, sich fur ihn bei Al- fonso II. zu verwenden, damit er ihm die gegen seinen Willen er- folgte Flucht aus Ferrara vergebe, ihn vor seinen Feinden schiitze und ihm das Manuskript zuriickerstatte, da er die Durchsicht seines Werkes nunmehr vollenden wolle. Alfonso war zu allem bereit, aber Tasso, von Unruhe gejagt, wartete das Resultat nicht ab,

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sondern beschloB, nach Ferrara zu gehen. Zu diesem Zwecke fuhr er von Sorrent nach Rom, dort suchte er den Gesandten von Ferrara auf, auBerte sein Bedauern iiber seine iibereilte Flucht aus Ferrara, bat um Verzeihung und schrieb gleichzeitig einen demutigen Brief an den Herzog voll Vertrauen in seine Gnade. Alfonso hatte wenig Lust, in Tassos Riickkehr nach Ferrara einzuwilligen; er fiirchtete, daB neue Verwicklungen daraus entstehen wiirden, und antwortete seinem Gesandten, er sei bereit, fur Tassos Unterhalt zu sorgen, wenn er in Rom bliebe. Damit war der Dichter nicht zufrieden, er war das hofische Leben schon zu sehr gewohnt, um auf die glanzende Umgebung verzichten zu konnen; er bat und drangte deshalb, wieder in den Hofdienst aufgenommen zu wer- den. Alfonso war endlich bereit, in Tassos Riickkehr nach Ferrara einzuwilligen, aber er stellte seine Bedingungen: der Dichter musse einsehen, da3 er krank sei und begreifen, daB seine Annahme,erwerde verfolgt, nichts als der AusfluB seiner kranken Phantasie sei und ebenso grundlos wie seine Furcht, der Herzog wolle ihn vergiften; wenn dem so ware, hatte man sich seiner langst entledigen konnen. Alfonso verlangte Tassos Versprechen, sich in arztliche Behand- lung zu begeben; wiirde er dem Arzt nicht gehorchen und die alten Szenen wiederholen, so musse er Ferrara verlassen. Tasso unter- warf sich alien Bedingungen, ja er versprach, wie der Gesandte berichtet, mehr, als von ihm verlangt wurde, um nur wieder nach Ferrara zurtickkehren zu diirfen. Der Herzog lieB ihn unter der groBtmoglichen Riicksichtnahme auf seinen kranken Zustand nach Ferrara schaffen, und ein Bekannter Tassos, der diese Reise mit- machte, berichtet dem GroBherzog von Toskana, dem Dichter fehle nichts, als Gehirn im Kopfe.

In Ferrara wurde Tasso im Hause eines Hofmannes unter- gebracht, sein Essen bekam er aus der herzoglichen Kiiche. Der Herzog befahl dem Dichter, sich einer Kur zu unterwerfen, die einige Monate dauern sollte, aber Tasso wurde ungeduldig, wollte die Vorschriften der Arzte nicht befolgen und fuhr nach Mantua, um sich in aller Stille um den Dienst am toskanischen Hofe zu bewerben; er glaubte, daB Vincenzo von Mantua ihm darin helfen wiirde. Da seine Bemiihungen vergeblich waren, verschleuderte

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er seinen Rubinring und seine goldene Halskette, die einzigen Kleinodien, die er besaB, fur ein Spottgeld und ging nach Padua, wo ihn ein friiherer Bekannter, Niccolo degli Oddi, der Prior des Klosters S. Benedetto novello, aufnahm. Sein Verlangen, an den toskanischen Hof zu gehen, steigerte sich ins Krankhafte; da er in Padua niemand fand, der ihn darin fordern konnte, ging er nach Venedig, in der Hoffnung, sein Freund Venier, ein elender, aber beim Florentiner Hof gut angeschriebener Dichterling, wiirde ihm darin behilflich sein konnen. Um dem GroBherzog zu schmei- cheln, schrieb Tasso eine Kanzone anlaBlich der Geburt eines Kin- des in der Familie Medici, aber alle Bemuhungen waren umsonst, der GroBherzog gab Venier schroff genug zur Antwort, ,,er hielte es fur uberfliissig, Wahnsinnige an seinen Hof zu Ziehen". Als die Absage eintraf, fuhr Tasso nach Pesaro, zum Herzog von Urbino, aber auch dort blieb er nur kurze Zeit und machte sich nach Turin auf, ohne Geld, zu FuB, ,,durch Moraste und Fliisse". Aus Turin schrieb er an den Kardinal d'Este und an andere Bekannte und flehte den Kardinal, ihn in seinen Dienst zu nehmen; ohne das Resultat seiner Bitte abzuwarten, tauchte er plotzlich in Ferrara auf und begab sich zum Kardinal, der ihn mitleidig und giitig auf- nahm. Tasso begniigte sich mit der Gunst seines friiheren Pro- tektors nicht, er wiinschte aufs neue, zum Hof des Herzogs zuge- zogen zu werden, im SchloB zu wohnen und die gleiche Pension wie friiher zu beziehen. Ehe er jedoch in dieser Beziehung irgend- eine Zusicherung erlangen konnte, verlieB er am Abend des 11. Marz 1579 seine Wohnung und lief in groBter Aufregung direkt in den Palast der Cornelia Bentivoglio, wo er nur Damen, darunter Isa- bella Bendidio mit ihrer Schwester Lucrezia und ihren Tochtern fand. In ihrer Gegenwart beschimpfte er den Herzog, die Prin- zessin und die ganze estensische Familie in ordinarster Weise, dann verlieB er die erschrockenen Frauen, stiirmte ins SchloB, wollte die Prinzessin sprechen, verlangte sein Manuskript und Schutz vor seinen Feinden, die ihn verfolgen und der Ketzerei be- zichtigen. Als man ihm den Zutritt zur Prinzessin weigerte, ver- fiel er in noch groBere Raserei und stieB die argsten Beleidigungen gegen die Este aus. Bei dem ungewohnlichen Larm liefen die

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Hofleute zusammen, und der Herzog befahl, den Dichter ins St. Annenspital zu bringen, wo man den armen Teufel fesselte, da man den Gebrauch von Zwangsjacken noch nicht kannte und Tob- siichtige in Ketten schloB.

Der Spitalshiiter Agostino Mosti, der in seiner Jugend an Lucre- zia Borgias Hof gelebt hatte und als SpaBmacher von angenehmen Manieren bekannt war, war ein hochanstandiger Mensch; er war sehr fromm, ,,amator de la religione", selbst von den Ideen der Inquisition durchdrungen und verfolgte, wie berichtet wird, die Ketzer mit dem Eifer eines Katholiken, ,,der in Christus verliebt ist". Agostino war von edler Cortesia, er zahlte sich zu den Lite- raten und hat sogar interessante Erinnerungen hinterlassen, die die damaligen Sitten charakterisieren. Mosti hat sich Tassos ehrlich angenommen, aber furs erste war dem unglucklichen Dichter nicht zu helfen ; er warf sich auf seinen Wachter, schlug um sich, und erst im Mai 1 579, als er sich etwas beruhigt hatte, konnte man ihmzweiZimmer im Spital anweisen, die zum Teil mit seinen eigenen Geraten, zum Teil mit Mdbeln aus der herzoglichen Guardaroba ausgestattet waren.

Aus der herzoglichen Speisekammer scheint man ihm auch Lebensmittel geschickt zu haben, da in den Rechnungsbuchern aus den Jahren 1580 und 1581 wiederholt der Posten vorkommt: ein Pfund Butter ,,per il Signore Tasso ammalato"; von 1582 ab erhielt er sein Essen ganz aus der herzoglichen Kiiche. Der Spitalswein scheint ihm nicht geschmeckt zu haben, er fand ihn zu schwach und wendet sich an Mosti:

Ditemi '1 ver: cotesto vostro vino E forse quel che date a gli ammalati Perche da' fumi non siano aggravati.

Auch Salat und anderes Gemiise scheint er nicht geniigend be- kommen zu haben, obgleich alles im Spitalsgarten hinreichend vorhanden war:

Signor Mosto, il vostr'orto e cosi grande Che debbe aver raponzoli e lattuca, Radichi, indivia e quante erbe manduca Roma e condisse ne le sue vivande.

TORQUATO TASSO 37!

Trotz der Klagen iiber Wein und Salat war Mosti Tassos ehrlicher Freund, er suchte ihm den unfreiwilligen Aufenthalt im Spital auf alle Weise ertraglich zu gestalten; auch Mostis Sohn Giulio hat die Manuskripte des Dichters abgeschrieben und seine Kommissionen besorgt. Tassos Lage im Spital war vielleicht besser als die so manches Kranken in einem heutigen Privatsanatorium. Aber der Dichter wurde nicht mehr gesund und beklagt sich in einem Brief an Gonzaga, ,,sein Geist sei des Denkens unfahig, seine Phantasie erlahmt, seine Sinne abgestumpft, und seine Feder wolle ihre Pflichten nicht mehr tun". Trotzdem schrieb Tasso viel, doch lassen sich seine Verse den fruheren nicht vergleichen. Zeitweilig ist es ihm wohl besser gegangen, so durfte er 1580 in Gesellschaft eines Freundes maskiert am Karneval in den StraBen teilnehmen. um sich zu zerstreuen.

Wahrend der Dichter in seinen Zimmerchen im Spital einge- sperrt war, gingen viele seiner Abhandlungen und Gedichte, darunter auch die ,,Gerusalemme", in Abschrift von Hand zu Hand. Er selbst hat dazu beigetragen, da er verschiedene Exemplare an Kritiker versandt hat. Literarische Spekulanten begannen das Eigentum des Dichters zu pliindern; schon 1579 erschien eine Sammlung seiner Gedichte in Genua, darunter befanden sich vier Gesange von ,,Gof- fredo", und einige Monate spater gab Celio Malespina in Venedig vierzehn Gesange der ,,Gerusalemme" unter dem Titel ,,11 Goffredo" heraus.

Dies veranlaBte einen anderen Literaten, Angelo Ingegnere, einen Freund von Tasso, wahrend seines Aufenthaltes in Ferrara im Winter 1579 1580, im Laufe von sechs Nachten die ganze Dichtung ab- zuschreiben und sie in Casalmaggiore 1581 drucken zu lassen, indem er ihr ihren eigentlichen Titel gab: ,,Gerusalemme liberata", gegen den Willen des Dichters, der diesen Titel fur wenig geeignet hielt. Im selben Jahre gab ein anderer Freund Tassos, Febo Bonna, eine zweite Ausgabe der ,,Gerusalemme" in Ferrara heraus, die sich auf Tassos eigenes Manuskript stiitzte. All diese Ausgaben erschienen ohne Genehmigung des Dichters, ja die gewissenlosen Rauber seines literarischen Eigentums iiberlieBen dem Kranken nicht ein- mal einen Pfennig aus ihrem Gewinn. Trotzdem kann die Nachwelt

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den literarischen Freibeutern nur dankbar sein, ohne sie hatten wir die Dichtung nicht in ihrer urspriinglichen Fassung, unverdorben durch die spateren Uberarbeitungen und Zutaten, die Tasso auf Antonianos Veranlassung gemacht hat.

Tasso wuBte von diesen Diebstahlen, die ihn sehr emporten; iiberzeugt, daB er in seiner Freiheit dies hatte hindern konnen, klagte er iiber sein ,, Gefangnis", schrieb an all seine einfluBreichen Bekannten und bat sie, sich beim Herzog daf;:r einzusetzen, daB er ihn aus seinem Schutz entlasse. In der Stille des Spitals beschaftigten ihn jedoch die Vorkommnisse bei Hof, und er verfaBte fortwahrend Gelegenheitsgedichte. Er bekam viel Besuch von Bekannten und von verschiedenen Beruhmtheiten, so von Aldo Manuzio, seinem Jugendfreund, den Tasso mit einem Sonett bedacht hatte, und von Muzio Manfredi, der den Dichter ziemlich ruhig ,,assai in cervello" befunden hatte. Das einformige Leben schien allmahlich auf Tassos Gesundheit giinstig einzuwirken, da der Herzog ihm 1582 erlaubte, bei groBeren Festen zu Hof zu kommen und die Prinzessin Lucrezia sich ein Jahr spater bemuhte, Tasso die Erlaubnis zu erwirken drei- mal wochentlich, von einem Freund begleitet, in der Stadt spazieren zu gehen. Die Besserung hielt aber nicht an, eines Tages entriB Tasso einem ihn besuchenden Freund den Degen, wohl in der Annahme, daB er ihn ermorden wolle, ein andermal schrieb er Scipione Gonzaga, er moge ihm mit einem absolut zuverlassigen Menschen eine Arznei schicken, da er befiirchte, daB man ihm in Ferrara Gift in die Schach- tel streue.

Einen aufrichtigen Freund fand Tasso im Monch Angelo Grillo, der einer bekannten genuesischen Familie angehorte und sich eine Zeit hindurch in Ferrara aufhielt. Grillo verstand das Vertrauen des Dichters zu gewinnen, und durch ihn versuchte Tasso bei den Gonzaga wie beim Kardinal d'Albano seine Befreiung aus dem Gefangnis zu erwirken. Grillo schrieb nach Mantua und Rom, um Tasso zu helfen, doch niemals machte er Alfonso einen Vorwurf daraus, daB er Tasso im Spital festhielt, er war im Gegenteil iiberzeugt, daB Tasso sein ver- meintliches Gefangnis mehr dem Mitleid als der Strenge des Herzogs zu danken habe. Tasso hoffte gesund zu werden, ,, durch Luft, Kost jaselbstWeinveranderung, dieseinem Geschmackmehrentsprache".

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Der Kardinal d' Albano setzte sich fiir Tasso bei Alfonso ein, der Herzog antwortete sehr liebenswiirdig, daB er nur zu gern bereit ware, den Dichter aus dem Spital zu entlassen, vorausgesetzt, daB er eine andere Unterkunft fande; einen Kranken aber konne er nicht schutzlos aus der Stadt entlassen.

Wahrend man sich mit dem kiinftigen Schicksal des Dichters be- schaftigte, hatte dessen Zustand sich wieder verschlechtert ; in einem seiner Briefe beklagt er sich, daB er nachts nicht schlafen konne, nicht wisse, was mit ihm vorgehe, daB der Teufel im selben Zimmer schlafen miisse, denn er offne seine Schranke und stehle sein Geld. In diesem Zustand konnte er nicht aus dem Spital entlassen werden.

VIII

Der kinderlose Alfonso versuchte alles, um den Este nach seinem Tod die Herrschaft in Ferrara zu sichern; zu diesem Zwecke stiftete er die Ehe seines Neffen Don Cesare mit Virginia de' Medici, Cosimos I. Tochter. Er hoffte, die beiden machtigen Geschlechter wiirden sich vereint der Absicht der romischen Kurie, Ferrara als Kirchengut einzuziehen, leichter widersetzen konnen. Die Trauung des jungen Paares wurde in Florenz am 6. Februar 1586 festlich begangen, und Tasso beniitzte die allgemeine Freude, um Don Cesare zu bitten, sich fiir seine ,,Entlassung aus dem Gefangnis" beim Herzog einzusetzen. Er hatte jedoch das Ungliick, jedesmal, wenn er sich um seine Freiheit bemuhte, etwas zu begehen, das diese Freiheit vereitelte. Am 16. Februar warf er sich mit dem Dolch auf seinen Freund Constantini, der kaum durch die Tiir zu ent- kommen vermochte.

Und doch gab es im Jahre 1586 eine Gelegenheit, ihn aus dem Spital zu entlassen und anderem Schutz anzuvertrauen. Im Juli kam Vincenzo Gonzaga nach Ferrara und bat den Herzog, Tasso fiir einige Zeit nach Mantua mitnehmen zu diirfen, da die Luft- und Ortsveranderung giinstig auf seinen Geisteszustand einwirken konne. Alfonso gab seine Einwilligung, und Tasso beschloB frohen Herzens zur Madonna delle Grazie, bei Mantua, zu pilgern, um

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seiner Beschiitzerin fur die ihm zuteil gewordene Gnade zu danken. Er hatte es so eilig, Ferrara zu verlassen, daB er weder Biicher noch Manuskripte mitnahm, und sofort den Bucentaur bestieg, mit dem Vincenzo Gonzaga nach Mantua reisen sollte. Nach mehr als sieben Jahren zum erstenmal in Freiheit!

Gonzaga nahm sich seiner ernsthaft an. Er gab ihm ein Zimmer im SchloB, lieB ihm neue Kleider machen und erlaubte ihm, ihn jeden Morgen zu besuchen. Tasso war gliicklich, er berichtet einem Freunde, er habe ein wunderschones Zimmer, und der Herzog sei sehr liebenswiirdig gegen ihn, nur die in Ferrara verbliebenen Manuskripte und Biicher beunruhigten ihn. Er bat die Herzogin Margherita, sein Eigentum einzufordern, doch war nichts mehr vorhanden, seine Freunde und Verehrer hatten alles zum ,,Anden- ken" mitgenommen.

Einige Monate ging es Tasso in Mantua besser, die neue Um- gebung und haufige Ausfluge ins Freie wirkten zerstreuend auf ihn, aber diese Besserung dauerte wie immer nur kurze Zeit; der Dichter begann wieder iiber Melancholie und Verlust seines Ge- dachtnisses zu klagen. Es schmerzte ihn tief, daB seine Altersge- nossen es in Ferrara zu etwas gebracht hatten, wahrend seine Ge- sundheit ihn stets gehindert hatte, auch nur die bescheidenste Po- sition zu erringen; seltsamerweise hat diese Position ihn gelegentlich mehr beschaftigt, als sein literarischer Ruhm. Sein Streben war jetzt darauf gerichtet, an seinem Werk zu feilen, einige Abschnitte auszulassen und seine religiosen Skrupel zu iiberwinden.

Nach einiger Zeit hatte Tasso auch in Mantua keine Ruhe mehr, er wollte so schnell als moglich fort, entweder nach Genua, wo ihm Pater Grillo eine Professur fur Ethik verschaffen sollte, oder nach Neapel, um einen ProzeB wegen der Mitgift seiner Mutter eine Forderung von zweimalhundertfiinfzigtausend Scudi anzu- strengen. Wieder argerte es ihn, daB er nicht ganz frei war, denn auf Wunsch des Herzogs muBte er sich stets von einem Diener be- gleiten lassen, auBerdem fiirchtete er in demfeuchten Klima von Man- tua krank zu werden. Er ging nach Genua und machte unterwegs in Borgo Pignolo im Bergamaskischen Halt, um seine Verwandten zu besuchen. Aber dieser ,,fabbricatore della propria infelicita", wie

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ihn mit Recht einer seiner Biographen genannt hat, hatte das Ziel seiner Reise noch nicht erreicht, und schon packte ihn die Sehn- sucht nach dem Leben am Hofe; er ging nach Mantua zuriick, ,,da er es nicht abwarten konnte, die Hand des neuen Herzogs Vin- cenzo zu kiissen", der die Regierung nach dem Tode des Vaters angetreten hatte. Unmittelbar nach seiner Ruckkehr nach Mantua war er tief verletzt, daB der Herzog ihn noch nicht empfangen hatte, ,,che no ha bacciato ancora le mani al serenissimo signor Duca", aber bald trostete er sich und verfaBte eine Kanzone zur Kronung des zweiundzwanzigjahrigen Herrschers. Tasso wollte iiberall ver- wohnt und geehrt werden, ein gut bezahlter Hofmann, ohne jeg- liche Verpflichtung sein, und stets fuhlte er sich verletzt und in seiner Ehre gekrankt.

Als es sich herumsprach, daB der Herzog von Ferrara und seine Gattin in Mantua erwartet wurden, fuhlte sich Tasso nicht mehr sicher, er furchtete, Alfonso wurde ihn mitnehmen und ins Spital stecken; ohne jemand ein Wort zu sagen, ohne sich selbst vom jungen Herzog zu verabschieden, floh er nach Rom. Der verletzte Gonzaga wollte ihn durch seinen Gesandten zuriickholen lassen, da er sich Alfonso gegeniiber fur den Dichter gewissermaBen ver- antwortlich fuhlte, auBerdem furchtete er, dem Herzog von Ferrara wurde Tassos Aufenthalt in Rom unangenehm sein. Der damalige Papst Sixtus V. war gegen die Fremden in Rom auBerordentlich streng. Er befahl, Tasso keinerlei Schwierigkeiten zu machen, ver- sagte ihm jedoch jede materielle Unterstiitzung. Tasso kam dies- mal als gebrochener Sunder, als der gehorsame Dichter der Inqui- sition nach Rom; er bereute sogar, der Verfasser des ,,Befreiten Jerusalem" zu sein, und versuchte die Irrtumer seines Lebens durch Gedichte wieder gutzumachen, die dem Geist der Jesuiten entsprachen.

Mit Tassos Aufenthalt in Rom im Jahre 1587 beginnt der letzte Akt in der Tragodie seines Lebens, der Akt, in dem der Mensch sich der groBen Gaben, die ihm geworden, unwiirdig erweist. Er erklart ausdrucklich, seine Bestimmung sei ,,piacere e onore" gewesen, und er wiinsche nichts anderes, als ,, be quern unter den groBten Wurdentragern" niederzusitzen. Unter dem EinfluB der romischen

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Umgebung traumt er von geistlichen Wurden und Pfrunden und bekennt, daB er, da er ,,nicht imstande sei, ein eheliches Biindnis einzugehen, nur an geistliche Ehren denke." Zuweilen kommen ihm Zweifel, an der Moglichkeit diese Ehren zu erreichen, in solchen Augenblicken spielt er mit dem Gedanken an eine reiche Ehe, durch die er eine materiell gesicherte Existenz erreichen wollte. Als er erfahrt, daB die Herzogin von Mantua ihm zwei Tiirkisen schenken will, bittet er schleunigst, ihm an Stelle der Tiirkisen einen Rubin und eine in Gold gefaBte Perle zu schenken, damit er im Falle einer Heirat den Verlobungsring bereit habe. Die friiheren Wahnsinns- ausbriiche kehren nicht wieder, er wird ein ruhiger, nicht von Idea- len beschwerter Mensch, dessen Geist durch ein widriges Geschick gebrochen ist, ein Dichter ohne hoheren Flug und Feuer. Er ist fast bis an den Bettelstab gebracht, borgt von Freunden und Be- kannten Geld, Biicher, selbst Hemden. Er schreibt Gelegenheits- gedichte, um Geschenke zu ergattern und gesteht selbst, daB er ,,gezwungen sei zu liigen und Menschen zu loben, die dessen nicht wert seien", schlieBlich packt ihn der Ekel vor sich selbst. ,,Nichts bin ich," schreibt er, ,,nichts kann ich, ja ich habe nicht einmal Wunsche." Gelegentlich fiihlt er seine elendeErniedrigung,klagt iiber seinen tiefen Fall und schreibt der GroBherzogin von Toskana, sein Ungliick sei beispiellos und lieBe sich mit niemandes Geschick ver- gleichen, ,,senza antico esempio e senza nuovo paragone, grande, inaudita, insolita, miserabile e maravigliosa".

Viele seiner Freunde waren durch seine fortwahrenden Belasti- gungen und sein Kriechen vor den GroBen verletzt; als er sah, daB man sich in Rom von ihm zuriickzuziehen anfing, iibersiedelte er nach Neapel, wo er krank und gebrochen eine Zufluchtsstatte im Kloster Monte Oliveto fand. Um sich den Monchen dankbar zu erweisen, verfaBte er ein Gedicht ,, Monte Oliveto", das die Anfange des Ordens und die Grundsatze der Monche verherrlichte. Dieses Gedicht sollte seinen heiBen Glauben bezeugen, aber es ist nur ein unreiner Ton auf einer verstimmten Harfe. Der Dichter hat es dem Kardinal Antonio Caraffa, dem Protektor der Monche von Monte Oliveto, gewidmet, und diese Widmung beweist, wie fern Tasso jenen Tagen steht, da er seinen ,,Rinaldo" dem Kardinal Luigi d* Este

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widmete, jenem Kardinal, der so ganz anders geartet war, als die Mitgli^der der Familie des furchtbaren Reformators der Inquisition.

In Neapel lebte Tasso etwas auf, da er dort viele Beziehungen aus seiner Jugend hatte ; auBerdem suchte die gesamte dortige vor- nehme Welt den Dichter der „Gerusalemme" kennen zu lernen; er wurde besucht und von den aristokratischen Familien eingeladen; dann zerstreute und beschaftigte ihn die Hoffnung, den ProzeB mit der Regierung um sein miitterliches Erbteil zu gewinnen. Der arme Teufel mufite sich bald iiberzeugen, ,,daB jeder ProzeB ein groBes Obel sei, und das allergroBte, wenn man die Regierung zum Gegner habe". Die Hoffnung, die von den Spaniern annektierten Giiter der Mutter zuriickzuerlangen, erwies sich als aussichtslos.

Unbestandig wie immer, kam Tasso nach Rom zuriick und war von jetzt ab abwechselnd in Rom, Bologna, Florenz, Mantua und Neapel, er ging von Kloster zu Kloster, von Spital zu Spital, haufig schwer krank, bettelnd und seinen Bekannten so sehr zur Last fallend, daB der eine ihn verachtlich ,,questo semiuomo" nannte.

Trotz des vermeintlichen Unrechts, das ihm in Ferrara ge- schehen war, versuchte er wieder hinzugehen und wandte sich wiederholt an den Herzog. Er schrieb ihm im Dezember 1594: wenn man Vergangenes ausloschen konne, so wiirde er nichts so sehr wiinschen als einen Dienst an seinem Hof. Er fleht den Herzog an, sich seiner zu erbarmen, und bittet Gott, Alfonso moge ihm ver- zeihen. Aber der Herzog wollte sich nicht neuen Unannehmlich- keiten durch den Dichter aussetzen.

IX

Auf Tassos letzte Lebensjahre fiel noch ein Schimmer von Gliick, wenn man in seiner traurigen Lage von Gliick sprechenkann. Nach langen Kampfen hat er sich der neuen Gesellschaft angepaBt und nicht langer unter dem geistig engen Horizont gelitten; er schrieb ein zweites ,,frommes" Jerusalem und verfaBte Monchsgedichte wie die ,,Vita di S. Benedetto". Sein Dichterruhm begann ihm die Tore der Palaste zu offnen, in denen man sich im Glanz der Wissen-

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schaft und Poesie sonnen wollte. So lud ihn in Neapel der Principe di Conca zu sich ein. Tasso sah fiir einen Augenblick seine Wlinsche erfullt: er wohnte in stolzen Gemachern, geschmiickt mit Bildern von Raffael, Tizian, Battista Dossi und Sebastiano del Piombo; er hatte eine reiche Bibliothek und eine Dienerschaft in kostbarer Livree zu seiner Verfugung. Um seine Freundschaft bewarb sich auch ein anderer vermogender Neapolitaner Manso, der spater seine Biographie verfaBt hat und jeden Augenblick bereit war, ihn in seine schon gelegene Villa aufzunehmen. Der mangelnde Takt des Fiirsten Conca trug dazu bei, die Wiinsche des gelehrten Macens schnell zu verwirklichen. Der Furst verlangte zu heiB und hartnackig, daB die ,,Gerusalemme conquistata" unter seinem Patronat erscheine, damit dieser Ruhm seinem Haus zufalle. Da er Tassos unbestandigen Charakter kannte, fiirchtete er, der Dichter konne trotz der ihm gebotenen Bequemlichkeiten Neapel mit seinem Manuskript ver- lassen oder sich um eine andere Protektion bemiihen. Er teilte ihm einen Diener zu, der moglichst unauffallig daniber zu wachen hatte, daB der Dichter seinen Schatz, die ,,Gerusalemme", die schon zu einem umfangreichen Buch angewachsen war, nicht aus dem Pa- last entferne. Der Diener hat seine Pflicht allzu eifrig erfullt, so daB der miBtrauische Tasso der besonderen Obhut gewahr wurde, unter der er stand, und Manso davon in Kenntnis setzte. Die Freunde beschlossen, dem Fiirsten das Ungehorige seines Benehmens zu zeigen; eines Tages kam Manso zu Tasso, nahm die Handschrift in die eine Hand, die andere gab er dem Dichter und geleitete ihn in seine Villa. Der Diener, vor Schrecken starr, berichtete seinem Herrn, was geschehen war, aber Furst Conca gab vor, daB ihn die Ubersiedlung des Dichters mit dem Manuskript zu Manso nichts angehe. Bei Manso verbrachte der Dichter die angenehmste Zeit seines Lebens, seine Wiinsche waren erfullt: ,,sedere con nobilis- simi cavalierie", da in Mansos Haus alle Beriihmtheiten Neapels verkehrten. Er begann damals den ,,Mondo Creato" zu schreiben, eine Dichtung von der Schdpfung der Welt, mit der er die in der ,,Liberata" begangenen Fehler gutmachen, sich von den ketzerischen Siinden seiner Jugend reinwaschen, und das Bekenntnis eines unver- bruchlichen Glaubens niederlegen wollte. Die an Heinrichs III. Hof

TORQUATO TASSO 379

viel gelesene franzosische Dichtung ,,La sepmaine ou creation du monde" von Wilhelm de Saluste Du Bartas, hat ihn sicherlich zu diesem Werk angeregt. Tassos umfangreiche Dichtung in fliefienden Versen, voll philosophischer Betrachtungen, erkaltet durch ihre niichternen Erwagungen und entspringt keinem inneren Bediirfnis, ex abundantia cordis. Trotzdem fand er eine Reihe von Nach- ahmern im Italien des XVI. und XVII. Jahrhunderts und hat Milton zu seinem „Verlorenen Paradies" angeregt. Milton war als DreiBig- jahriger in Neapel, und ein Einsiedler hat ihn mit Manso bekannt gemacht. Der junge Englander und der alte Neapolitaner haben sich gut verstanden, sie haben lateinische Verse, von gemeinsamer Bewunderung iiberflieBend, ausgetauscht, und Milton hat in seinem Epos Manso als Freund und Biographen Tassos gefeiert:

Te pridem magno felix concordia Tasso Iunxit et aeternis inscripsit nomina chartis.

Wahrend Torquatos Aufenthalt in Neapel wurde der Kardinal Ippolito Aldobrandini zum Papst als Klemens VIII. gewahlt. Diese Nachricht erfullte den Dichter mit neuer Hoffnung, er kannte Aldo- brandini und rechnete darauf, daB der Papst sich seiner annehmen wurde. Es duldete ihn nicht langer in Neapel, er ging am 26. April 1592 nach Rom, wo ihn der papstliche Neffe Cincio Passeri Aldo- brandini mit viel Wohlwollen empfing. Cincio hatte in seinem Hause eine Akademie begriindet, die Mitglieder wohnten und aBen bei ihm, und man kann sich vorstellen, wie begliickt die Literaten iiber diesen neuen Macen waren und wieviel Abhandlungen und Gedichte ihm gewidmet wurden. Cincio lud auch Tasso zu sich ein, doch war seine Gastfreundschaft nicht ganz selbstlos, da der ruhmsuchtige papstliche Nepote ebenso wie der Fiirst Conca und der Marchese Manso wiinschte, daB die ,,Conquistata" unter seinen Auspizien und in seinem Haus beendet und gedruckt wiirde.

Wahrend Tasso sein Epos iiberarbeitete, schrieb er ein kurzes Gedicht ,,Le lagrime di Maria Vergine", zu dem ihn ein schones Madonnenbild, vermutlich von Diirer, angeregt hat: Eine Mutter Gottes in heiBem Gebet, deren Augen Tranen ent- stromen.

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Obgleich Torquato im Vatikan ein schones Zimmer mit Ausblick auf den Garten hatte, krankelte er fOrtwahrend und war unzu- frieden. Aber seine Eitelkeit war befriedigt, da er haufig mit Kar- dinalen und romischen Beriihmtheiten speiste. In einem Briefe an Fabio Gonzaga gesteht er, der einzige Trost im Fieber, das ihn kaum verlasse, seien die Ehrenbezeugungen, die man ihm im Va- tikan erweise und die man ihm anderwarts, in Mantua z. B., vor- enthalten habe. So nahm er an einem Mittagbrot mit mehreren Kardinalen teil, und war der einzige Hofmann im ganzen Palast, den man dieser Ehre fur wiirdig befunden hatte. Ahnliche Riick- sichten wurden ihm zuteil in den Hausern der romischen Magnaten: der Colonna, Orsini und Gaetani. Stets unzufrieden, sehnte er sich aus dem Vatikan nach Neapel, wo er durch Seebader zu gesunden hoffte. Er verschob seine Abreise nur, da er auf die Ernennung Cincio Aldobrandinis zum Kardinal wartete; diese Feier wollte er durch seine Dichtung, die dem kiinftigen Kirchenfiirsten gewidmet war, verherrlichen. Cincio sejnerseits hatteTasso versprochen, ihn auf dem Kapitol mit dem Dichterlorbeer kronen zu lassen. Tasso war in Erwartung dieser Ehre so sehr vom Gefiihl seiner GroBedurchdrungen, daB er nur mit goldner Halskette und dem Degen an der Seite auf die StraBe ging und sich dem allgemeinen Spott aussetzte.

Am 17. September 1593 ernannte der Papst endlich den Sohn seines Bruders Pietro Aldobrandini und Cincio, den Sohn seiner Schwester, zu Kardinalen. Der letztere nannte sich Kardinal di San Giorgio, um sich von Pietro, der den Familiennamen Aldo- brandini behalten hatte, zu unterscheiden. Tasso veroffentlichte seine Dichtung ,,Gerusalemme conquistata", doch machte sie den erwarteten Eindruck nicht, sie war zu sehr Antonianos einstigen Wiinschen entsprechend auf Monche und Nonnen zugeschnitten. Die Dichtung hat viel boses Blut in Ferrara gemacht, da Tasso die an die Adresse der Este gerichteten Komplimente wieder ge- strichen hat. Alf onsos Geiz war nach Tassos eigener Aussage daran schuld, da er sich geweigert hat, dem Dichter fur sein Lob klingen- den Lohn zu bezahlen.

1593, nach dem Erscheinen der „Gerusalemme", ging Tasso nach Neapel zu den Benediktinern ins Kloster San Severino. Er

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schrieb dort viel Gedichte von geringer Bedeutung, besuchte alte Bekannte und ging haufig in Gesellschaft. Sehr befreundet war er mit Monsignore Stanislas Reszka, dem Gesandten der polnischen Kdnige Stefan Batory und Sigmund III. am neapolitanischen Hofe. Tasso muBte Reszka schon friiher in Rom oder Neapel kennen gelernt haben und hat ein Sonett an ihn gerichtet, das zu Beginn des XIX. Jahrhunderts vom Marchese Gian Giacomo Trivulzio veroffentlicht wurde. Sebastian Ciampi, der polnisch-italienischen Beziehungen nachgegangen ist, hat es in seinem am 2. Juni 1828 an Visconti gerichteten Brief nachgedruckt. Es lautet:

Napoli mia, che a peregrini egregi Cedesti la corona e'l proprio regno, E fermasti a gran sede alto sostegno Del gelato aquilon traslati i regi;

Par non avesti con piu eccelsi fregi D' eterna fama e d'onorato pegno Di vera pace o pur d'arte e d'ingegno Di sermo e di valor, si rari pregi;

Mentre il buon Rescio e teco e in te s'accoglie Ah! la gloria d' Europa in lue ci serba, Se del publico cuor hai cura e zelo.

Onda salubre, e caldo fonte, ed erba

Sgombri al saggio signor le ingiuste doglie; Ch'ei ti placa la terra e placa il cielo.

Reszka empfing viel literarische Beriihmtheiten in seinem Hause, auch Tasso war ein haufig gesehener Gast und las dort seine Gedichte vor. Ein Exemplar seiner ,,Gerusalemme conquistata" hat er Reszka in sehr schmeichelhafter Form gewidmet:

Al sig. Stanislao Rescio nuncio illustrissimo Rescio, s'io passero l'alpestre monte Portato a vola da' toscani carmi Giunto, diro con vergognosa fronte,

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Dove ha tanti il tuo re cavalli et armi Altri di Voi gia scrive altri racconte Le altere imprese e le scolpisca in marmi; Ne' taccia a tanti pregi onde rimbomba Non minor fama la gia stanca tromba.

Das Exemplar der ,,Conquistata" mit dieser Widmung befand sich im Jahr 1828 im Besitz der Buchhandlung Giovanni Battista Petrucci in Rom; der Englander Graf Guilford hat es dort erworben. Der jetzige Aufenthaltsort des kostbaren Exemplars ist unbekannt, wahrscheinlich ist es in einer englischen Privatsammlung zu finden.

Der erste Vers der oben angefiihrten Ottave brachte Ciampi auf den Gedanken, Tasso habe die Absicht gehabt, nach Polen zu reisen und dort das Gliick zu suchen, das er in der Heimat nicht finden konnte. Aber schon Guasti hat in seinen Briefen darauf hingewiesen, daB sich dieser Vers nicht auf Tasso selbst, sondern auf seine Werke bezieht, die iiber die Alpen nach Polen dringen wiirden; Guasti hat wohl recht, denn die Annahme, der kranke, dem Grabe so nahe Tasso konne im Ernst den Gedanken erwogen haben, in das so feme Polen zu gehen, ist wenig iiberzeugend. Wahrscheinlich war dieser Vers nur eine der vielen Hdflichkeitsphrasen, von denen die da- malige Poesie wimmelt.

Tassos wartete ein naheres Ziel: seine letzte Reise nach Rom. Der Kardinal Cincio war urn seine Gesundheit besorgt, er glaubte, der Dichter konne im Vatikan mehr Bequemlichkeiten, als bei den Benediktinern in Neapel finden, er lud ihn daher nach Rom ein und schickte ihm fiinfzig Scudi fur die Reise. Tasso traumte von der Kronung auf dem Kapitol in Rom, er machte eine Reihe wert- loser Gedichte, wohl mehr aus Gewohnheit, als aus innerem Drang, und erkrankte im Marz 1594 sehr schwer. Er wiinschte aus dem Vatikan in das Kloster S. Onofrio in Gianicolo gebracht zu werden, da die Arzte ihm die dortige Luft empfohlen hatten. ,,Dort an diesem hochgelegenen Ort werde ich", sagte Tasso, ,,Gesprache mit den Monchen von St. Onofrio fiihren, die im Himmel enden werden." Er hatte sich fiir jenes Kloster auch deshalb entschieden, weil seine Mutter von der Familie Gambacorta, den friiheren Des-

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poten Pisas, abstammte, und Pietro Gambacorta der Griinder des Eremitenklosters des heiligen Girolamo gewesen war.

Der Zustand des Dichters verbesserte sich im Kloster nicht, er war Fieber- und Wahnsinnsanfallen unterworfen, schlug mit dem Pantoffel nach dem Arzt und zwang den Diener, die Medizin aus- zutrinken, im Glauben, daB sie vergiftet sei. Der Kardinal Cincio erwies ihm viel Freundlichkeit, gab ihm zwei Diener, schickte seinen Arzt und kam fur alle Wunsche des Dichters auf. In seinen letzten Tagen war Tasso sehr verandert, er wurde sanft, be- reitete sich fur den Tod vor und bat, im Kloster S. Onofrio beigesetzt zu werden. Am 25. Marz 1594 starb er mit den Worten: ,,In manus tuas Domine"... die er nur noch stammeln konnte.

Tasso war groB, mager, und dunkelblond; er hatte sparliches Barthaar, eine groBe Nase, groBe Augen und blasse Lippen; seine langen Hande und FiiBe machten ihn ungeschickt. Er sprach langsam, stotternd und wiederholte die letzten Worte eines Satzes haufig. Er hat nicht leicht geschrieben, viel gestrichen und seine Verse zehnmal und noch mehr durchgefeilt. In seinem Dialog iiber ,,die Liebe" gesteht er Marfisa d' Este, die um ein Sonett ge- beten hatte, seine Gedichte kosteten ihn SchweiB. Manso erzahlt, Tasso habe voller Neid in Neapel den Improvisatoren auf der StraBe gelauscht und sich gewundert, daB ihnen die Verse so leicht zu- flossen. Dennoch war er der fruchtbarste Dichter des XVI. Jahr- hunderts.

Tasso hatte eine Vorliebe fur Luxus, Glanz und rauschende Feste, er war ein groBer Feinschmecker und ein leidenschaftlicher Be- wunderer kostbarer Steine, iiberhaupt iibten Kleinodien einen magischen EinfluB auf ihn aus. Wahrend einer schweren Krank- heit hat er seine Freunde angefleht, ihm einen Smaragd zu schenken, da er der Oberzeugung war, daB ihn der EinfluB dieses Steines ge- sund machen wiirde. Am ferraresischen Hof hat er eine gewisse Wurde angenommen und beobachtete eine Etikette, die zu seinem kriecherischen Wesen den Vornehmen gegenuber nicht immer paBte. Der Meister vollendeter Form in der Poesie hatte nur wenig ehrliches, tiefes Empfinden, und man kann von ihm sagen, daB er

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zwar haufig aus Liebe gestorben ist, aber immer nur in seiner Ein- bildung. Seine Devise konnte Boileaus Wort sein:

Et toujours bien mangeant mourir par metaphore.

Als die fiinfzigjahrige Catherina de' Medici ihm 1571 ihr Por- trait geschenkt hat, hat er ein gliihendes Sonett an sie gerichtet, und solche Sonette mit kiinstlichen Empfindungen sind nicht eben selten bei ihm.

Tassos Geisteskrankheit begann, wahrend er an seinem ,,Be- freiten Jerusalem" gearbeitet hat, damals als er den ungleichen Kampf mit der Inquisition aufnahm. Bis in den Anfang des XVII. Jahrhunderts hatte die gesamte literarische Welt die Ursache seiner religiosen und Verfolgungsmanie gekannt, die sich infolge phy- sischer Erschdpfung und geistiger Uberanstrengung steigerte. Zum Verfall seiner Hrafte trug noch bei, daB er, Gift in den ihm vorge- setzten Speisen argwohnend, haufig sehr starke Mittel als Gegen- gift gebrauchte, die zerstorend wie Gifte wirkten. So vergiftete er sich allmahlich.

Die neue Generation im XVII. Jahrhundert, die Tasso nicht mehr gekannt hat, wollte nicht glauben, der Verfasser des ,,Be- freiten Jerusalem" und der ,,Aminta" sei geisteskrank gewesen, des- halb begann man nach Griinden zu forschen, die das Ungluck seines Lebens hatten verschulden konnen. Man ersann einen Ro- man, der sich zwischen ihm und der Prinzessin Leonora d'Este abgespielt und Alfonso veranlaBt haben sollte, ihn im Gefangnis und spater im Annenspital unschadlich zu machen. Tassos erster Biograph, Manso, hat diese Erzahlung der Nachwelt iiberliefert, und zwei Jahrhunderte hindurch wurde sie von den verschiedensten Biographen des Dichters, von Italienern, Franzosen, Deutschen und Englandern kritiklos ubernommen. Erst gegen Ende des XVIII. Jahrhunderts, als man die estensischen Archive zu erforschen begann, iiberzeugte man sich, daB Tassos Geisteskrankheit und nicht irgend ein Roman der Grund seiner Uberfiihrung ins Spital gewesen war. Der italienische Literarhistoriker Tiraboschi hat die Dinge auf ihr wirkliches MaB zuriickgefuhrt; aber der Roman zwischen Tasso und Leonora war schdner als die Wirk-

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lichkeit, Goethe hat ihn als Grundlage fur sein Drama benutzt, und angesichts dieses Meisterwerks ist die Kritik aufs neue ver- stummt, besonders da man sich auch in Italien nicht beeilt hat, die Legende richtig zu stellen, die Tassos poetisch verklarter Gestalt besser als die Wirklichkeit entsprach.

Erst Victor Cherbuliez hat 1863 in seinem Roman „Le prince Vitale" Tasso so aufgefaBt, wie er aufgefaBt werden soil. Tasso hat, nach der Schilderung des franzosischen Novellisten, zu seiner Ver- zweiflung entdeckt, daB er nicht der Mann seiner Zeit sei, und diese tragische Entdeckung hat seinen Charakter gebrochen und seinen Geist getriibt. Der Mensch der Hochrenaissance war verurteilt, in jenem Italien zu leben und zu schreiben, das unter dem Einflufl des tridentinischen Konzils, der Inquisition und der Jesuiten der Hort der Reaktion geworden war. Tassos Mutter, die Kultur der Renaissance, hat in ihrer Todesstunde ihm, ihrem letzten Sohn, das Leben geschenkt; der Nachgeborene traumt von ihr, hofft sie noch am Leben zu finden, bis er in Rom auf den Stufen des Vatikans an Stelle der Renaissance, eine furchtbare, erhabene Gestalt sieht, die ihm zuruft: ,,ich bin die Inquisition".

Tasso gehort zu den Genies der Cbergangszeiten, die die Gegen- wart nicht begreifen und nicht mit ihrem eigenen Ich vereinen konnen. Durch sein Leben geht wie durch das Byrons oder Leo- pardis ein tragischer Bruch.

X

1585 und in den folgenden Jahren, wahrend Tasso im Spital eingesperrt war, gab es eine lebhafte Polemik unter den Literaten Italiens iiber den Wert des ,,Befreiten Jerusalem". Es wurde mit Ariosts ,, Orlando" verglichen; man stritt, welches Werk schoner sei, welchem der beiden Dichter der hohere Rang in der Geschichte der epischen Poesie gebiihre; es gab ,,Apologien", ,,Repliken" und ,,Contrarepliken"; in Broschiiren, die mit der Leidenschaft der Renaissance geschrieben wurden, beschimpfte und beleidigte man sich in einem solchen MaBe, daB es zwischen Florenz und Ferrara

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beinahe zu einer diplomatischen Aktion gekommen ist. Die kiirzlich begriindete florentinische Akademie ,, Delia Crusca" warf sich zu Ariosts Verteidigerin auf, gab eine „Difesa del Orlando Furioso" heraus und beschuldigte die Gegner, Tassos Werk nur deshalb hoher zu stellen, weil sie von Alfonso II. erkauft seien und ihm nach dem Mund reden wollten.

Diese Polemik hat den eingesperrten Dichter aufs auBerste ge- reizt, um so mehr, als er von seinen Gegnern recht unangenehme Bemerkungen zu horen bekam; sie behaupteten, die ,,Gerusalemme" ware ein trockenes, schlecht aufgebautes Werk, dem es an dichte- rischem Schwung fehle, ein langweiliges, geschmackloses Epos. Es war dies iibrigens nicht die Ansicht boshafter Kritiker allein, Galilei, der sich auch lebhaft fur Literatur interessierte, hat be- hauptet: ,,Tasso sage Worte, Ariost Dinge". Uberhaupt hat die ,,Liberata" zu Beginn mehr scharfe Kritik als Lob gefunden, trotz- dem sie sehr viel gelesen wurde und vielen Dichtern als Vorbild gedient hat. Allmahlich wurde sie neben dem ,,Furioso" Italiens popularste Dichtung, und es gibt kaum einen Winkel in Italien, wo man nicht Abschnitte daraus aus dem Gedachtnis rezitiert. Das Ratsel dieser Popularitat lost die Musik der Verse, die Schonheit der Ottaven, deren Wohllaut jeden Italiener durchdringt, denn er hort seine Muttersprache in ihren melodischsten Klangen. Eine lyfisch-sentimentale Note, eine krankhafte Sinnlichkeit, die der Stimmung des Modernen entspricht, klingt in den Versen an. Tasso schrieb, als sich der Geist der modernen Gesellschaft zu regen begann; in der ,,Gerusalemme" spurt man das erste Zittern neuer Gedan- kenschwingungen, und so wurde sie gewissermafien zur sehnsiich- tigen Wiege der heutigen Kultur. Sie wurde dies namentlich des- halb, weil Tasso trotz seines Verlangens episch zu bleiben und Homer nahe zu kommen, seinen personlichen Empfindungen und Vorstel- lungen Worte leiht. Tassos Geist war blendend, schillernd, mit einem Hang zur Mystik, und sein Gedicht wirkt wie ein im Licht bewegter Opal, es zieht an und verbreitet eine Art magischer At- mosphare. Was uns heute in der ,,Gerusalemme" stbrt, ist ihr Mangel an Einfachheit, man empfindet das nahende Barock mit seinen Obertreibungen. Tasso stand unter dem Einflufi dieser

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Zeitstromung, und so enthalt sein Gedicht viel leere Deklamation, rhetorische Phrasen und iiberfliissige Zutaten.

Vergleicht man Tassos und Ariosts politische Anschauungen, so ergibt sich bei Ariost das Kaisertum als einigende Macht; das ganze christliche Europa schart sich unter der Flagge des Impe- rators, um die Oberfalle der Sarazenen zuriickzuschlagen, wahrend das Kaisertum bei Tasso als weltverbindende Gewalt bereits schwin- det und dafiir die christliche Ritterschaft im Namen der Religion mit den Unglaubigen kampft. An Stelle des Kaisertums ist die Kirche das einigende Band der Volker. Rinaldo driickt das Emp- finden der estensischen Guelfen aus:

S'oppone aU'empio Augusto e'l doma: E sotto l'ombra degli argentei vanni L'aquila sua copre la chiesa e Roma.

Diese Anschauung ist das natiirliche Ergebnis des Druckes, der auf Italien unter der schweren kaiserlich-spanischen Faust lastete. Rom allein scheint berufen, die Volker zu sammeln.

AuBer dem ,,Befreiten Jerusalem" hat kein Werk Tassos einen solchen Erfolg wie das Schaferidyll ,,Aminta" gehabt, das zu den grbBten Schatzen der italienischen Literatur des XVI. Jahrhunderts gehort. Die Renaissance hat die antike Bukolik wieder zu Ehren gebracht, man begann Theokrits Idyllen und Eklogen nachzu- ahmen; schon Boccaccio hat den Schaferroman in seinem ,,Ameto" eingefiihrt und bekannte Personlichkeiten im Hirtengewand auf- treten lassen. Diese Form der Poesie war der Kritik und der Schmei- chelei gleich willkommen, antike Hirten traten auf, aber sie sprachen wie moderne Menschen, um deren Anschauungen es dem Dichter zu tun war. Die Schmeichelei im Munde dieser Idealgestalten wirkte nicht zu plump, die Kritik nicht zu personlich. Was Wunder also, wenn sich diese Art der Poesie schnell eingebiirgert hat, und wenn namentlich gegen Ende des XV. Jahrhunderts eine Tendenz zum Dialog, zum Drama sich geltend macht. Schon Serafino Aquilano hat in einer Ekloge die Verderbnis und den Geiz der romischen Kurie gegeiBelt; sie war gegen Innocenz VIII. gerichtet und erschien unter dem Patronat des Kardinals Giovanni Colonna.

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Um 1506 hat eine dramatisierte Ekloge ,,Tirsi" am Hof von Urbino viel von sich reden gemacht; ihre Verfasser waren zwei bekannte Hofleute Baldassare Castiglione und Cesare Gonzaga. Castiglione hat sich selbst in der Gestalt Jolis und Gonzaga in der Gestalt Da- metos geschildert; iiber den Hof von Urbino und die Hofleute er- gossen die Verfasser ein Fiillhorn geschickter Komplimente. Na- mentlich die als Galatea gefeierte Herzogin Elisabetta durfte zu- frieden sein, auch der in Urbino anwesende Bembo brauchte sich nicht zu beklagen. In Ferrara wurden im Februar 1508 drei Eklogen aufgefiihrt, ihre Verfasser waren Ercole Pio, Antonio dell'Organo und Tebaldeo. Diese Art der Poesie gliederte sich dem Drama immer mehr an; trotz ihrer pastoralen Anfange wurde sie immer aristokratischer und hofischer, da sich diese Auffuhrungen be- sonders fur kostbare Dekorationen und gewahlte Diktion eigneten. Auf diese Weise entstand eine neue Art theatralischer Auffiih- rungen, besonders geeignet zur Verherrlichung der Feste in Ferrara, Urbino und Mantua, wo ein literarisches Feinschmeckertum bliihte. In Hirtengewandern traten diese Gestalten auf die Biihne, die in gedrechselten Redensarten miteinander verkehrten; ernsthafte po- litische Elemente wurden mit Humor und Ausgelassenheit ver- quickt, Szenen ergaben sich, die Castigliones ,,Hofmann" nicht unahnlich waren. Die Fiirsten belustigten sich an diesen Dramen, die Gelegenheit genug boten, um ihrer Eitelkeit zu schmeicheln und sie auf der Biihne gleich Gottern zu feiern.

Das Stuck bestand zumeist aus fiinf Akten und einem Prolog, auch fehlte der in die Handlung eingreifende Chor von Hirten, Jagern und Nymphen nicht. Eine gewisse Empfindsamkeit, die die Gesellschaft der ausgehenden Renaissance kennzeichnet, ein gewisser widerwartiger Klang gemachter Liebe, wie in den Sonetten der Petrar- kisten, fand sich in den Schaferspielen und sprach die hofische Gesell- schaft besonders an. Es war so suB, den Klagen der Hirten zuzuhoren:

El dulce lamentar de los pastores

wie bei einem Nachahmer von Sannazaros ,, Arcadia" zu lesen ist, einem der Hauptvertreter des Idylls im XVI. Jahr- hundert. Schon bei ihrem Beginn enthielt diese Art drama-

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tischer Poesie in ihren Klagen, ihrer Empfindsamkeit und Ein- tonigkeit die Zeichen des Verfalls. Namentlich der ferraresische Hof hatte eine Vorliebe fur das Schaferspiel ; die Auffiihrungen wurden ebenso sorgfaltig vorbereitet wie einst die klassische Komddie unter Ercole. Epoche machte die Auffiihrung von Giovan Battista Giraldis Schaferspiel „L' Egle", das weder Tragodie noch Lustspiel, sondern Drama sein sollte; infolge der vielen einge- flochtenen Satiren nannte es der Dichter ,, Satire". Giraldi wollte Euripides' satirisches Drama neu beleben, aber er kam zu etwas anderem, indem er Arkadiens Gotter und Halbgotter einfiihrte. „Egle" wurde im Winter 1545 im Hause des Verfassers aufgefiihrt, im Beisein Ercoles II. und des Kardinals Ippolito. Die Musik hatte Antonio del Cornetto verfaBt, die Dekorationen Girolamo Carpi gemalt. Neun Jahre spater, am 4. Marz 1554, wurde eine ahnliche Novitat aufgefiihrt: ,,11 sacrificio, favola pastorale" von Agostino de' Beccari, und 1563 wurde im Palazzo Schifanoja die „Aretusa" gespielt, eine pastorale Komddie von Alberto Lellio mit Musik. Es folgten Auffiihrungen verwandter Komodien, wie z. B. Agostino Argentis ,,Sfortunato", aber sie wirken alle wie Vorstudien fur Tassos ,,Aminta", das bedeutendste Werk dieser Gattung. ,,Aminta" wurde zum erstenmal im SchloB Belvedere in Alfonsos II. Gegen- wart und im Beisein des gesamten Hofes aufgefiihrt und fand all- gemeinen Beifall. Verschiedene Einzelheiten, die sich auf allbe- kannte Personlichkeiten bezogen, fesselten aufs lebhafteste, so die Anmerkungen gegen Speroni, gegen jenen gelehrten, aber sehr hochmutigen und scharfen Kritiker, der dem Verfasser des ,,Be- freiten Jerusalem" durch seine pedantischen Bemerkungen nicht wenig Arger bereitet hatte. Tasso nannte Speroni Mopso, und Aminta charakterisiert ihn folgendermaBen: „Sie hat Grund genug, iiber ihr Schicksal zu verzweifeln, denn der kluge Mopso hat ihr eine diistere Zukunft prophezeit, jener Mopso, der die Sprache der Vogel versteht, die Heilkraft der Krauter und Quellen kennt, der alles weiB, was in der Vergangenheit und Gegenwart geschehen und womit die Zukunft schwanger ist."

,,Von welchem Mopso sprichst du?" antwortet Tirsi, ,,von jenem, der Honig im Mund, Verrat im Herzen und ein Messer unter dem

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Mantel fiihrt? Fiirchte dich nicht, denn jene falschen, unheil- kiindenden Prophezeiungen, mit denen er schreckt, gehen, wie aus Erfahrung bekannt, in den seltensten Fallen in Erfiillung."

Der letzte Satz bezieht sich auf Tassos personliche Erfahrungen. Als der Dichter zum erstenmal einige Gesange seines ,,Befreiten Jerusalem" am ferraresischen Hof 1571 in Speronis Gegenwart vor- las, beurteilte der alte, reiche, eingebildete Kritiker den jungen Dichter streng und prophezeite ihm nur geringen Erfolg. Tassos Ruhm verbreitete sich iiber ganz Italien, und der Dichter durfte, ohne zu iibertreiben, sagen, Speroni sei ein falscher Prophet.

Nur mit Speroni hat Tasso so streng in ,,Aminta" abgerechnet; fur Alfonso II., die Prinzessinnen Lucrezia und Leonora, fur die Grafin Scandiano und viele andere gab es nichts als Schmeiche- leien, selbst fur den Sekretar Pigna, der als Elpin auftritt, wurde Weihrauch abgebrannt, obgleich der Dichter ihm nicht ehrlich zugetan war.

MAminta" wurde in Pesaro, Urbino und Mantua aufgefiihrt, in Buchform erschien es erst im Dezember 1580 bei Aldo Manuzio, und bis 1891 hat es in Italien allein hundertfiinfundsiebzig Ausgaben erlebt. Das Buch zirkulierte bereits vor seinem Erscheinen in ganz Italien in Abschriften und fand viel Nachahmer. Spater wurde es ins Franzosische, Spanische, Englische, Hollandische, Danische, Deutsche, Polnische, Neugriechische, Ungarische und selbst La- teinische iibersetzt.

Zur Popularitat von ,,Aminta" und von alien dramatischen Stiicken dieser Art trug nicht wenig die melancholisch-lyrische Musik bei. Fur ,,Aminta" hatte sie ein Jesuit aus Sizilien Erasmo Marotta (gest. in Palermo 1641) komponiert. Der verliebte Hirte singt seine Liebesklagen funfmal auf der Biihne, Daphnes und Silvias Gesang entziickte die Horer, und der Chor im ersten Akt entfesselte Beifallssturme.

Guarini hat Tasso ,,Amintas" Ruhm geneidet, er beschloB ein schoneres, sorgfaltiger durchgefeiltes Schaferdrama zu schreiben. Neun Janre, von 1581 bis 1590, hat er daran gearbeitet und ihm den Titel ,, Pastor fido" gegeben. Guarinis Werk war bis in die kleinsten Einzelheiten durchgefeilt und geglattet, und als der Ver-

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fasser einige Abschnitte an Alfonsos Hof vorlas, durfte er mit der Aufnahme, die seine Arbeit fand, zufrieden sein. Guarini war ein vorsichtiger Mann; ehe er sein Drama drucken lieB, wollte er sich nach den verschiedensten Seiten hin vergewissern, daB er Lob ernten wurde. Er riihmte sich, gewissermaBen um Tasso damit zu schlagen, sein Drama sei nicht von einem Dichter von Beruf verfaBt, sondern von einem Menschen, der zu seinem Vergniigen schreibe. Er fuhr zu Ferrante Gonzaga nach Guastalla, wo sich stets ein groBer Kreis von Literaten und gebildeten Frauen zusammenfand, um dort sein Schaferspiel vorzulesen. Guastalla wurde ,,Vaso delle Muse" ge- nannt, weil sich dort so viel Dichter zu versammeln pflegten. Unter Guarinis Horern befand sich auch Barbara Sanseverino. Zum ersten- mal sollte der „Pastor fido" in Ferrara 1584 aufgefiihrt werden; der Herzog befahl seinen Statthaltern, Jiinglinge mit schauspielerischem Talent ausfindig zu machen; erwachsene Schauspieler gab es genug, wahrend es schwierig war, einen Knaben fur die Rolle der Nymphe zu finden. SchlieBlich war auch diese Rolle besetzt, aber trotz der langen Vorbereitungen kam die Vorstellung aus uns un- bekannten Griinden nicht zustande, und erst 1591* nachdem das Drama im Druck erschienen war, sollte es an Vincenzo Gonzagas Hof aufgefiihrt werden. Diese Auffiihrung wurde wegen ihrer kostbaren Inszenierung und der sorgfaltigen Regie, die der Grafin Agnese Argotta unterstand, zu einem epochemachenden Ereignis. Zwischen den Akten wurden eingestreute Intermezzi mit viel Pomp aufgefiihrt. Nach dem ersten Akt wurde ein Ballett mit Gesang, ,,Musica della Terra", aufgefiihrt; zwischen Baumen und Felsen tanzten Nymphen und sangen Hymnen an die Erde. Im zweiten Intermezzo verwandelte sich die Biihne in einen groBen See, Venus in der Muschel tauchte auf, umgeben von Nymphen, Amorinen und Sirenen, die einen Hymnus aufs Meer sangen. Das dritte Intermezzo stellte die ,,Musica dell' Aria" dar, die acht Winde auf kiinstlichen Wolken ausfiihrten. Im letzten Intermezzo sangen sieben Gott- heiten, die die Planeten darstellten, die ,,Musica del Cielo". Un- gliicklicherweise verhinderte der plotzliche Tod des Kardinals Giovanni Gonzaga die Hauptauffiihrung, sie kam erst im Jahre 1598 zustande, und war so groBartig, daB in ganz Italien davon ge-

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sprochen wurde. Die Musik zum ,, Pastor fido" haben Giacomo de West, Francesco Rovigo und der Jude Isacchino aus Mantua kom- poniert; von letzterem stammt die Arie zum Tanz der ,,Dunkeln". Guarini konnte bei dieser Auffiihrung, bei „seiner Hochzeit", wie er sie nannte, nicht zugegen sein; 1598 wurde das Stuck wiederholt aufgefuhrt, zuletzt auch in Ferrara.

Nach dem Erscheinen von ,,Aminta" und ,, Pastor fido" ergoB sich eine wahre Flut von Schaferdramen iiber Europa, und es gibt wenig Beispiele in der Geschichte der Literatur, daB eine poetische Form die Herzen des Publikums in dem MaBe erobert hat. Diese verliebten philosophierenden Hirten, die die Horer mit ihren zwei- deutigen Ausdriicken belustigt haben, diese leichtsinnigen Nym- phen, die sich niemals zierten, die gemeinsten Dinge in scherzhafter Form vorzubringen, haben dem lockeren Geist des XVI., XVII. und XVIII. Jahrhunderts in merkwiirdiger Weise entsprochen. Die prunkvollen Auffiihrungen, die glanzenden szenischen Bilder, die melodischen Verse all das trug dazu bei, den Schaferdramen eine lange Herrschaft zu sichern. Im XVII. und XVIII. Jahrhundert gab es von Neapel und Gibraltar bis nach England und Danemark keinen gebildeten Menschen, der nicht ,,Aminta" und ,, Pastor

fido" gelesen hatte, und in einer venezianischen Satire des

XVIII. Jahrhunderts werden die Frauen verspottet, die

ganze StoBe von Gebetbiichern in die Kirche tragen,

da sie trotz dieser mitgebrachten Bibliothek

mehr an den ,, Pastor fido" als an Lita-

neien und fromme Hymnen denken.

Montre ascolta messa, col cervello Le medita l'amor del dio Cupido, E i versi in bocca tien del ,, Pastor fido" Per recitarli al caro pastorale.

DREIZEHNTES KAPITEL

FINIS FERRARIAE

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matas und Ercoles Tochtern, Anna, Lucrezia und Leonora, wurde,wie erwahnt, eine besonders sorgfaltige Erziehung zuteil. Ihre Lehrer waren Humanisten alten Zuschnitts, und die jungen Damen beherrschten das Lateinische so gut, daB sie 1543, zurFeier von Pauls III. Besuch in Ferrara, eine Komodie von Terenz im Originaltext aufgefuhrt haben. Annas Schicksal, die den Herzog von Guise geheiratet hat und nicht wieder nach Italien zuriickge- kehrt ist, ist uns bekannt, Leonora, die jungste, ein vornehmes, gutes, krankliches Geschopf hat an den Hofintriguen keinen Anteil genommen, Lucrezia dagegen, die sehr schon, leidenschaftlich und rachsiichtig war, haben offentliche Angelegenheiten lebhaft be- schaftigt, gelegentlich hat sie sie im geheimen gelenkt, und gegen Ende ihresLebens hat sie wie ein bdser Geist iiber Ferrara geherrscht; sie hat mit dazu beigetragen, das Reich zu Fall zu bringen.

Battista Giraldi Cintio hat Lucrezia in seiner Dichtung ,,L'Ercole" die Schonste unter den Schonen genannt, und die Hofpoeten, Tasso an erster Stelle, fanden nicht Vergleiche und zierliche Wendungen genug, urn ihre Reize und ihr Wissen zu preisen.

Nach Ercoles Tod und Renatas Abreise nach Frankreich blieben beide Prinzessinnen Leonora und Lucrezia in Ferrara unter Alfonsos Schutz. Der Vater hat ihnen eine sehr knappe Mitgift ausgesetzt, ja sie zugunsten des Bruders benachteiligt. Er hatte ihnen 60000 Scudi vermacht (etwa 150000 Francs), davon bekamen sie aber nur 40 000 Scudi in bar ausbezahlt, der Rest bestand in

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DREIZEHNTES KAPITEL

Schmuck und kostbaren Geraten. Das Testament enthielt auBerdem die Klausel, daB, falls diese beiden Tochter nicht heiraten sollten, Alfonso fiir ihre Nahrung und Kleidung und die ihrer Dienerschaft zu sorgen habe. Es war dies natiirlich keine geringe Ausgabe fiir Alfonso, sie betrug an zweihundert Scudi monatlich fiir jede der Sch western, auBerdem gait es fiir den Unterhalt von achtund- zwanzig Personen, die ihren Hofstaat bildeten, zu sorgen.

Der Herzog hatte seinen Schwestern besondere Wohnungen im SchloB angewiesen, wo sie Gaste empfangen, Gesellschaften geben und musikalische Abende veranstalten konnten; beide liebten Musik iiber alles, Lucrezia hatte eine schone Stimme und entziickte den ganzen Hof durch ihren Gesang. Die Prinzessinnen blieben unver- mahlt; der franzosische Hof hatte zwar schon 1547 um Lucrezias Hand fur den Herzog von Lothringen angehalten, aber Ercole trug ihm damals Anna an, da Lucrezia erst elf Jahre alt war. Unter- handlungen wegen Lucrezias Heirat mit dem Herzog von Nemours wurden gleichfalls gepflogen, 1560 wurde ihr Pius' IV. Nepote, Federigo Borromeo, angetragen, aber all diese Plane haben sich aus uns unbekannten Griinden nicht realisiert. Erst 1565, als Lucrezia dreiBig Jahre alt war, begann der alte Herzog Guido- baldo von Urbino an ihre Heirat mit seinem Nachfolger Francesco Maria della Rovere, einem sechzehnjahrigen Knaben, zu denken. Dieser Plan scheint vom Kardinal Luigi ausgegangen zu sein, als dem einzigen der Familie, mit dem die Schwester gut stand.

Francesco Maria hat die groBten Hoffnungen erweckt, er war hiibsch, gebildet, geistreich, begabt und ehrgeizig. Der Vater hatte ihn an den spanischen Hof geschickt, damit er den Kaiser fiir sich einnehme und fiir die Zukunft niitzliche Beziehungen ankniipfe. 1565 fuhr Francesco nach Spanien, er hielt sich unterwegs in Ferrara auf, und blieb zwei und ein halbes Jahr am kaiserlichen Hof. Als Guidobaldo erfuhr, daB Francesco sich in eine Spanierin, in die Schwester des Herzogs von Ossuna, verliebt habe, lieB er ihn sofort zuruckkommen, aus Furcht, der Jiingling konne eine Ehe, die unter seinem Range, dem eines regierenden Herzogs war, eingehen. Erst in Italien erfuhr Francesco Maria Guidobaldos Absicht, ihn mit Lucrezia zu verheiraten; er erschrak aufs auBerste, da die Prin-

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zessin dem Alter nach fast seine Mutter hatte sein konnen und ihm in Ferrara nicht ubermaBig gefallen hatte. Dagegen war Lucrezia, die zusammen mit dem Kardinal in aller Stille an der Verwirklichung dieses Planes gearbeitet hatte, von Guidobaldos EntschluB begluckt, sie glaubte mit ihrem Verstand und ihrer Geschicklichkeit allmah- lich das Herz des jungen Gatten gewinnen und ihn nach ihrem Willen lenken zu konnen. Die Umgebung der Prinzessin schien am gliicklichen Ausgang dieser Ehe zu zweifeln, da in den Ehekontrakt die Klausel gesetzt wurde, daB ihre Mitgift ihr auszuzahlen sei, falls sie sich von ihrem Gatten trennen oder wieder nach Ferrara zuriickkehren sollte. Alfonso verlangte, daB Lucrezia, ehe sie die Ehe einging, auf ihre Anspriiche auf das Vermogen ihrer Eltern in Ferrara verzichte, was die Prinzessin peinlich beriihrt hat. Sie setzte sich mit Guidobaldo ins Einverstandnis, auf seinen Rat unter- schrieb sie zwar das von ihr verlangte Schriftstuck, aber gleich- zeitig legte sie im geheimen, durch Vermittlung eines ihr vertrauten Notars Protest gegen den Kontrakt ein, ferner protestierte sie gegen die ihr von Alfonso ausgesetzte Mitgift, die dem Vermogen ihrer Familie nicht entsprach. Dieser Protest befindet sich bei den No- tariatsakten in Pesaro.

Am 8. Februar 1570 wurde der Ehekontrakt vollzogen, der Brautigam wurde von Cesare Gonzaga aus Guastalla vertreten. Francesco Maria kam erst zehn Tage nach dieser Formalitat nach Ferrara; der Herzog empfing ihn aufs prachtigste, arrangierte ihm zu Ehren Balle, Maskeraden, Theaterauffuhrungen und ein groB- artiges Turnier ,,11 mago rilucente".

Francesco Maria lieB sich all diese Feste gefallen, aber nach einigen Tagen, am 13. Februar 1570, verlieB er Ferrara plotzlich ohne seine Gattin, indem er wichtige Geschafte vorschiitzte. Von diesem Tage an lieB er ein ganzes Jahr nichts von sich horen, ob- gleich Ferrara wiederholt von Erdbeben heimgesucht wurde, und Lucrezia sogar in Lebensgefahr geriet. Erst nach Verlauf dieses Jahres schrieb er an die Prinzessin, sie moge nach Pesaro kommen, wo er sie erwarten wiirde. Trotz des ungezogenen Benehmens des jungen Gatten, das jedem Brauch widersprach, traf Lucrezia mit zahlreichem Gefolge am 9. Januar 1571 in Pesaro ein. Sie wurde

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aufs prachtigste empfangen, und Guidobaldo gab sich alle erdenk- liche Miihe, den fatalen Eindruck zu verwischen, den Francesco Marias schandliche Flucht aus Ferrara gemacht haben mufite. Lu- crezia gefiel iibrigens auBerordentlich, und Lazaro Mocenigo, der venezianische Gesandte, berichtet dem Dogen aus Pesaro, Lucrezia sehe gut aus, sei voller Grazie und Majestat, aber mit ihren dreiBig Jahren sei sie nicht die geeignete Gattin fur den jungen Erbprinzen. Den Herzog und den gesamten Hof interessierte die Frage, ob sie Kinder haben wurde, auch Mocenigo schlieBt seinen Brief ,,gebe Gott, daB sie Kinder habe, doch zweifle ich sehr daran."

Lucrezia gelang es auch diesmal nicht, ihren Gatten zu fesseln. Da bot sich ihm eine sehr giinstige Gelegenheit, Lucrezia zu ver- lassen. Die christlichen Machte bereiteten eine groBe Expedition gegen die Turken vor. Francesco Maria beschloB daran teilzuneh- men und verlieB Pesaro kaum ein halbes Jahr nach Lucrezias Ankunft. Die ungluckliche Prinzessin suchte ihn vergebens von diesem Plan abzubringen, ihre Oberredungskunst vermochte nichts iiber den Jiingling, den es nach Ruhm diirstete und der der altlichen Gattin miide war. Es gelang ihr nur, ihre Riickkehr nach Ferrara bei Guidobaldo zu erwirken, doch muBte sie versprechen, nach zwanzig Tagen zuruckzukommen. Guidobaldo brachte ihr viel Sympathie entgegen und verlangte in seiner despotischen Art, daB sein Wille respektiert werde und Lucrezia sich an die Bevolkerung Urbinos gewohne. Aus den zwanzig Tagen wurden zwei Monate, Lucrezia kam erst im November zuriick, und einige Tage nach ihr kam auch Francesco Maria von seiner Expedition heim.

Das ungliicklichste eheliche Zusammenleben begann, voll Streit und Zank, unterbrochen von Lucrezias Reisen nach Ferrara, verscharft durch Geldsorgen, da die mageren Einkiinfte der Prin- zessin ihre notwendigsten Bedurfnisse nicht deckten. Sie war bei den jiidischen Kaufleuten in Urbino verschuldet, und aus den Handen der Wucherer befreite sie erst der Tod der Mutter, die ihr 50 000 Lire in bar vermacht hat. Einige Monate nach Renatas Tod, am 28. September 1574, starb auch der alte Guidobaldo, Lucre- zias treuer Anhanger. Infolgedessen spitzte sich das Verhaltnis zwischen den Gatten noch scharfer zu. Lucrezia lebte nun in der

FINIS FERRARIAE

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Hauptsache beim Bruder: eine Magen- und Augenerkrankung ver- anlaBte sie im Friihling 1575 Pesaro zu verlassen und Ferrara auf- zusuchen, das wegen seiner tiichtigen Arzte beriihmt war. Von Kind- heit auf an Feste, Zerstreuungen und Geselligkeit groBen Stils ge- wohnt, offnete sie wieder ihfe Salons im ferraresischen Kastell; damals verkehrte Tasso viel bei ihr. Der Dichter las ihr seine „Gerusalemme" vor und riihmte sich in seiner eitlen Art in einem Brief an seinen Freund, er verbringe viele Stunden bei ihr ,,in secretis". Das sollte bedeuten, daB er zeitweilig allein von ihr empfangen wurde, denn wahrhaft ,,in secretis" empfing sie jemand anderes, den Marchese Ercole Contrari, den sie noch vor ihrer Hochzeit geliebt hat. Die Contrari gehorten zu den bekanntesten Familien von Ferrara und waren selbst mit den Este verwandt, da der GroBvater Ercole mit Diana, Sigismondo d'Estes natiirlicher Tochter, verheiratet war. Ercole Contrari besaB mit den groBten Feudalbesitz in Ferrara, das Marquisat Vignola, zahlreiche Schlosser und Dorfer. Er scheint schon in den Fiinfzigen gewesen zu sein, war aber ein ansehnlicher, stattlicher Mann, der noch bei alien Turnieren den Preis gewann. Am Hofe nahm er als Fiihrer der herzoglichen Garde eine wichtige Stelle ein und besaB des Herzogs absolutes Vertrauen. Lucrezia sah trotz ihrer vierzig Jahre noch gut aus, und da sie in ihrer Ehe soviel Enttauschungen erlebt hatte, wandte sie sich mit um so heiBerem Herzen ihrer friiheren Liebe zu. Sie kniipfte ein Liebes- verhaltnis mit Contrari an, von dem auch am Hof gesprochen wurde. Lucrezias Vetter Alfonso d'Este, Alfonsos I. natiirlicher Sohn und der Vater Cesares, des vermutlichen Thronfolgers, erfuhr da- von; allzu besorgt um die Ehre der Familie, benachrichtigte er den Herzog von allem. Alfonsos Vorgehen entsprach der Tradition der furstlichen Tyrannengeschlechter.

Am Nachmittag des 2. August 1575 lieB er Contrari zu sich bitten; der Marchese kam ahnungslos ins SchloB, im Glauben, der Herzog habe einen Auftrag fur ihn. Alfonso kam ihm entgegen und bat ihn in ein Privatgemach. Dort warteten bereits Cornelio Bentivoglio, Pigna, der Sekretar des Herzogs, der Graf Palla Strozzi und Burrino, der Henker. Anwesend waren ferner Curzio Trotti, der Freund des Marchese und Borso Trotti, Lucrezias Milchbruder, der ihr Ver-

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trauter gewesen war. Die beiden letzteren hatte der Herzog am Morgen des gleichen Tages zu sich gebeten und ihnen durch Dro- hungen das Geheimnis entrissen. Sie kannten den Ausgang nicht, aber die Anwesenheit des Henkers war eine furchtbare Drohung. Als Contrari ins Zimmer trat, warf ihm Bentivoglio plotzlich eine Decke iiber den Kopf, Strozzi packte ihn bei den Armen, damit er sich nicht wehren konne, Burrino preBte ihm die Schlafen mit einer groBen Zange zusammen, dann warf er ihm mit ungeheurer Schnelligkeit und Geschicklichkeit einen Strick urn den Hals, so daB der Marchese lautlos zusammenbrach. Die Zeugen verlieBen auf Alfonsos Befehl das SchloB unverziiglich, um einen Arzt zu holen; das Gerucht wurde ausgesprengt, daB Contrari einen Schlaganfall bekommen habe; als der Arzt seinen Tod kon- statiert hatte, wurde er in einem herzoglichen Wagen in den Palast der Contrari uberfuhrt. Zwei Tage spater lieB Alfonso den Marchese mit all dem Pomp begraben, der ihm seiner Stellung nach gebiihrte und in der Familienkapelle bei den Dominikanern beisetzen.

Als man Lucrezia vom Unfall des Marchese benachrichtigte, glaubte sie erst, er ware noch am Leben und schickte in seinen Palast, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Als sie je- doch erfuhr, wer der Morder war, blieb sie auBerlich ganz ruhig, aber sie schwor Rache nicht den Urhebern des Mordes allein, sondern ihrem ganzen Geschlecht. Ihr HaB richtete sich namentlich gegen ihren Vetter, Don Alfonso d'Este, den sie fur den moralischen Ur- heber des Verbrechens hielt, und gegen seinen Sohn Don Cesare. Sie wurde die furchtbarste Feindin ihrer eignen Familie und hatte dafur Griinde genug. Ihr eigener Vater hatte ihr Unrecht getan, indem er ihr im Testament eine unverhaltnismaBig kleine Mitgift ausgesetzt hatte, ihr Bruder hatte sie geschadigt, als er sie zwang, in den Ehe- akten auf ihre Anspriiche auf den Familienbesitz zu verzichten und derselbe Bruder hatte ihr Herz zerrissen, da er ihr auf hinterlistige, verbrecherische Art den einzigen Menschen nahm, den sie geliebt hat. Nach Contraris Tod blieb ihr Verlangen nach Rache zweiundzwanzig Jahre ungestillt, zweiundzwanzig Jahre lang intrigierte sie, lebte erfiillt vom HaB gegen alles, was mit ihrem Geschlecht in Zusammen-

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hang stand, bis sie sich einige Tage vor ihrem Tode hohnlachend gestehen konnte, den Este Ferrara entrissen zu haben.

Kurze Zeit, nachdem ihr Geliebter ermordet worden war, verlieB Lucrezia Ferrara, sie ging zu ihrem Manne zuriick, legte auf ihrer Reise nach Urbino in Loreto ein Gelubde ab, und flehte wohl die Madonna um Beistand in der Durchfuhrung ihrer Rache an.

Beim Gatten blieb sie nur kurze Zeit, sie hatte sich bei ihm eine damals sehr verbreitete Krankheit geholt, die bei ihr in ihrer ganzen Furchtbarkeit auftrat. Verzweifelt beschloB sie Urbino fur immer zu verlassen und ging nach Ferrara zuriick. Dort lieB sie sich vom beriihmten Arzt Brasevoli behandeln,aberSpuren der Krankheit blieben fur immer. Die offentliche Meinung in Urbino wandte sich bald gegen den Herzog, der jetzt alle moglichen Mittel anwandte, um sich mit seiner Frau zu versohnen und sie zu bewegen, wieder zuriickzukehren. Die italienischen Tyrannen pflegten eheliche Konflikte in aller Stille zu losen, mit Gift oder Gefangnis; die Flucht der Gattin war etwas an da- maligen Ho fen Beispielloses. Francesco Maria fiihlte sich in seinem Stolz tief verletzt und seinen Untergebenen gegeniiber gedemiitigt, er schrieb und schickte Boten nach Ferrara, um Lucrezia zur Ruckkehr zu bewegen, aber alles war umsonst. Selbst Alfonso ergriff die Partei seiner Schwester und seines Hauses und holte den Rat derDoktoren der Sorbonne ein, um Lucrezias EntschluB, nicht mehr zum Gatten, der ihr soviel Unrecht zugefiigt hatte, zuriickzukehren, rechtlich zu stiitzen. Francesco begab sich zu Gregor XIII., damit er Lucrezia be- fehle, zu ihm zuriickzukehren, aber weder das papstliche Breve, noch die Versuche der Kirchenfursten vermochten sie in ihrem EntschluB wankend zu machen. So blieb nichts anderes iibrig, als wenigstens die Vermdgensverhaltnisse der Gatten einem schiedsrichterlichen Spruch zu unterwerfen. Die Kardinale, Farnese, Este und Sforza, haben diesen Vertrag beraten, der in Rom am 31. August 1578 ge- schlossen wurde. Es wurde beschlossen, Lucrezia ihre Freiheit zu lassen, sie konne wohnen, wo sie wolle, und der Herzog von Urbino habe die Pflicht, ihr jahrlich 6000 Scudi auszuzahlen, die Halfte jener Summe, zu deren Auszahlung er sich im Ehekontrakt ver- pflichtet hatte. AuBerdem bestimmte Francesco Maria Lucrezia das SchloB in Novillara nebst dem dazu gehorigen Landbesitz.

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II

Lucrezia hatte keine Lust, einsam in Novillara zu leben, es ver- langte sie, ein Mittelpunkt zu sein und von zahlreichen Menschen umgeben und verehrt zu werden. Sie wahlte Ferrara zu ihrem Wohn- sitz, besonders da sie dort Gelegenheit hatte, ihre Intriguen weiter- zuspinnen.

Alfonso, der nach Barbaras Tod einige Zeit als Witwer gelebt hatte, verheiratete sich 1579 zum dritten Mai mit der funfzehn- jahrigen Margherita, der Tochter des Herzogs von Mantua; sie war trotz ihrer Jugend eine selbstandige, unabhangige Natur. Natiirlich begann nach Margheritas Einzug in Ferrara ein Wettkampf zwischen den beiden Frauen, welcher von beiden die erste Rolle am Hofe ge- biihre Lucrezia hatte geglaubt, Margherita vollkommen be- herrschen zu konnen, aber die junge Mantuanerin war sich ihrer Wiirde als Herzogin von Ferrara bewuBt und lieB sich von der ge- schiedenen Frau mit bewegter Vergangenheit nicht in eine unter- geordnete Position drangen. Bald standen sich diese beiden Frauen nach dem Ausdruck eines Zeitgenossen ,,wie Schlangen gegeniiber, die sich beiBen wollen". Margherita fiihlte sich um so sicherer, als am Hof von Lucrezias Verhaltnis mit dem Grafen Monte- cuculi, einem Cameriere des Herzogs, geflustert wurde. Lucrezia soil trotz aller Stiirme, durch die sie gegangen, auch in ihrem spateren Leben einen groBen Teil ihrer friiheren Schonheit bewahrt haben. Dies moge zur Rechtfertigung von Montecuculi dienen, der ihr letztes Opfer gewesen zu sein scheint. Mit zunehmendem Alter stieg auch die Frommigkeit der Herzogin, sie verbrachte ganze Tage im Kloster, lieB beriihmte Kanzelredner kommen, was sie jedoch nicht hinderte, glanzende Feste zu geben, Gaste von fernher einzu- laden und auf sehr groBem FuB zu leben. Sie hatte sogar einen beruhmten Koch, Rosetti, der ein Buch unter dem Titel ,,La scalco", 1582 in Venedig herausgegeben hat, worin er einige von seiner Herrin veranstaltete Banketts beschreibt. Auf dem einen traten wahrend des Desserts zwei Hofnarren auf, Le- dardino und Francatrippa, die die ganze Gesellschaft zum Lachen brachten.

FINIS FERRARIAE

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Feste und Gebete hinderten Lucrezia nicht, gegen ihre eigne Familie zu arbeiten. Alfonso behielt sie streng im Auge, liefi sie durch ihm ergebene Diener beobachten und fing oft sogar ihre Briefe auf. 1587, nach Alfonso d'Estes, des Vetters Tod, richtete die Herzogin ihr ganzes Augenmerk darauf, zu verhindern, daB sein Sohn Cesare auf den Thron von Ferrara komme. Ihr Vorgehen war nicht frei von der Furcht, daB Cesare, der iiber ihre Geiiihle nicht im Zweifel war, sich einst an ihr rachen wurde. Um dem vorzubeugen, richtete die Herzogin 1591 ein Memorial an ihren Bruder und bat, ihre Zukunft sicherzustellen, damit sie nicht, ,, falls Ferrara einst in Gott weiB wessen Hande iibergehe, das Opfer der furchtbarsten Behandlung werde". Sie machte sogar einen neuen Pratendenten ausfindig, Cesare Trotti, Ercoles II. unehelichen Sohn, um Cesares mogliche Thronfolge zu verhindern. Als sie erfuhr, daB Rom nach Alfonsos II. Tod Ferrara zu annektieren beabsichtige, beschaftigte sie die Sorge um den zukiinftigen Herrscher nicht langer, sie stellte ihre ganze Kraft in den Dienst der romischen Kurie und war vom Wunsche erfiillt, daB das Reich, das drei Jahrhunderte lang unter der Herr- schaft ihres Geschlechtes gestanden, der Kirche anheimfalle. Sie empfing papstliche Gesandte im geheimen, gab der Kurie Rat- schlage, auf welche Weise sie sich nach Alfonsos Tod Ferraras am sichersten bemachtigen konne, und wuBte Parteigenossen um sich zu sammeln. Noch vor dem Tode des Oheims Don Alfonso berichtete Rafaele Medici, der Florentiner Geschaftstrager in Ferrara, im August 1587 seinem Herzog, Lucrezia widersetze sich Don Alfonsos Nachfolge nicht nur infolge des Hasses, den sie fur ihn nahre, sondern auch aus Furcht, nach Pesaro zuriickzukehren und sich dem Oheim unterwerfen zu mussen oder, was vielleicht noch schlimmer sei, seiner Frau, die aus einer Apothekerfamilie stammte. Don Alfonso furchtete mit Recht, Lucrezia wurde sich nach dem Tode des Herzogs des Kronschatzes, der etwa eine Million Scudi enthielt, bemachtigen und Cesares Gegner um sich scharen, um ihn vom Thron fernzu- halten. Rafaele Medici empfahl Cesare einen Versuch, die Herzogin fur sich zu gewinnen und gemeinsame Sache mit ihr zu machen, da der GroBherzog von Florenz Ferrara lieber nach wie vor in der Hand derEste und nicht unter der Herrschaf t der Kirche gesehenhatte.

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Lucrezia wollte von einer Annaherung Cesares nichts wissen; sie hatte alles so sorgfaltig eingefadelt, daB der Erfolg so gut wie sicher war. Sie war im Oktober 1597 in Reggio zur wunder- tatigen Madonna della Ghiara gepilgert, als ihr gemeldet wurde, ihr Bruder sei schwer am Fieber erkrankt. Sofort lieB sie sich in einer Sanfte nach Ferrara bringen; sie fand Alfonso noch am Leben, konnte ihn aber nicht mehr sprechen, da Alfonso sich weigerte, sie zu empfangen. Alfonso starb am 27. Oktober; vor seinem Tode hatte er die adligen Wiirdentrager und die Altesten der Stadt an sein Lager berufen und den Versammelten sein Testament verlesen, in dem er Cesare d'Este als seinen Nachfolger bestimmte. Gleich- zeitig teilte er den Anwesenden mit, daB er sich beim Kaiser um die Investitur von Modena an Cesare bemuht habe. Dem zukiinftigen Herzog hatte er in seinem Testament die Pflicht auferlegt, Lucrezia die gleiche Summe auszuzahlen, die sie bis jetzt erhalten hatte, auch vermachte er ihr 4000 Scudi in bar.

Cesare kam unmittelbar nach Alfonsos Tod nach Ferrara; nach alter Sitte bestieg er seinen Schimmel und zog im Herzogsmantel durch die StraBen der Stadt, indem er das ferraresische Reich in Besitz nahm. Der Papst, Klemens VIII. Aldobrandini, beantwortete den Umzug mit einem Edikt am Domportal, worin er Cesare einen Usurpator nannte, und verkiindete, daB Ferrara als Kirchengut der Kirche anheimfalle. Gleichzeitig lieB der Papst unter der Anfuhrung seines jungen Nepoten, des Kardinals Pietro Aldobrandini, ein Heer von dreiBigtausend Mann vor Ferraras Grenzen sammeln. Da Cesare trotz des Ediktes und des papstlichen Heeres nicht gutwillig zuriicktrat, erlieB der Papst am 23. Dezember eine Bulle, die ihn und seine Anhanger in den Bann tat, auBerdem belegte er Ferrara und das gesamte Landgebiet mit dem Interdikt. Die Lage des jungen Herzogs war hoffnungslos, die ferraresische Bevolkerung hatte nicht die geringste Lust, ihn zu beschiitzen, da er es nicht verstanden hatte, sich Sympathien zu erwerben. Niemand vertraute dem un- erfahrenen, schwankenden Fiihrer, niemand glaubte, daB er sich auf dem Thron wurde behaupten konnen. Die Bevolkerung war auBerdem durch Abgaben viel zu erschopft, um die weitere Herr- schaft der Este zu begehren; auf alien lastete Druck und Apathie.

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Unter solchen Umstanden blieb Cesare nichts iibrig, als Verhand- lungen mit Rom anzukniipfen. Aber wer sollte sie fiihren? Der Herzog begab sich zur verhaBten Lucrezia, zu seiner erbittertsten Feindin.

Nach Ercole Mostis Berichten, der in die geheimsten Plane des verstorbenen Herzogs eingeweiht war, hat Alfonso II. die Absicht gehabt, Lucrezia zu vergiften, aus Furcht, daB sie Cesares Plane durchkreuzen wiirde, dem Kranken gebrach es jedoch an Energie, um diesen Befehl ausfiihren zu lassen. Mosti empfahl Cesare, den Wunsch des Toten zu vollstrecken, aber den bei dieser Unterredung anwesenden Sekretar Loderchi emporte dieser Plan und er hintertrieb seine Ausfiihrung. Don Cesare war Mostis Rat nicht unzuganglich, schon war er im Begriff, Lucrezia erwiirgen zu lassen, als weitere Ereignisse die Durchfuhrung dieses furchtbaren Planes unmoglich machten. Cesare war von den freundschaftlichen Beziehungen seiner Tante zu Rom unterrichtet, er glaubte an ihre Geschicklichkeit und nahm an, daB sie in einem so kritischen Augenblicke den Fall der estensischen Dynastie in Ferrara nicht wiinschen, sondern unter entsprechenden Vorteilen die Rolle der Retterin des Geschlechts spielen wiirde. Aus diesem Grunde bat er sie, mit dem Kardinal zu unterhandeln und riistete sie mit absoluter Vollmacht aus.

Aber Cesare hatte sich getauscht, nichts verband Lucrezia mehr mit den Este; seit dem Augenblicke, da Alfonso ihren Geliebten hatte ermorden lassen, brutete sie Rache. Triumphierend ubernahm sie den Auftrag: der Augenblick der Rache war gekommen.

Der Winter war kalt, Schnee deckte die StraBen, die schwachliche Herzogin lieB sich in der Sanfte nach Solarolo zu Aldobrandini tragen. Der Legat empfing sie mit groBen Ehren, doch wollte er sich in Verhandlungen nicht eher einlassen, als bis Cesare die Waffen niedergelegt, seinen kleinen Sohn als Geisel geschickt und auf das Herzogtum Ferrara verzichtet habe. Lucrezia wurde als Belohnung fur ihre Miihe und das Zustandekommen des Traktates das unab- hangige Herzogtum Bertinoro in der Romagna zugesprochen. Mit diesem Ultimatum kam Lucrezia nach Ferrara; Cesare empfand die Unmoglichkeit, das Herzogtum zu halten, er berief am 10. Januar 1598 die zwolf Savi und die Vertreter des Adels, ubergab nach einer

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ergreifenden Ansprache die Oberherrschaft dem Anfuhrer der Savi, verzichtete auf den Thron von Ferrara und schickte gleichzeitig seinen altesten Sohn, Don Alfonso, einen sechsjahrigen Knaben, unter dem Schutze zweier Edelleute, in Aldobrandinis Hauptquartier nach Faenza.

Der Traktat, der den Este alle Rechte auf Ferrara nahm, wurde in Faenza am 15. Januar 1598 unterzeichnet und nennt sich in der italienischen Geschichte Transazione di Faenza. Am 29. Januar brachte einer der papstlichen Condottiere den kleinen Alfonso d'Este nach Modena, und Cesare verlieB das ferraresische Kastell. Zum letzten Mai horte er des Morgens mit seinem Gefolge die Friihmesse im Dom. Unmittelbar nach dem Gottesdienst setzte sich der ganze Zug in Bewegung unter dem Schutz von sechshundert be- waffneten Reitern, zweihundert Bogenschiitzen zu Pferde und drei- hundert FuBsoldaten. Dieser Zug sah einem Begrabnis nicht un- ahnlich, im Volke tiefes Schweigen, der Herzog saB allein im Wagen mit gesenktem Haupt, und als er am Garten del Padiglione vorbei- kam, hielt er einen Brief vors Gesicht, um seine Tranen zu ver- bergen. Bei der Kirche degli Angeli erinnerte er sich der Gefangenen und schickte eine Abteilung Bogenschiitzen unter der Fiihrung eines Cameriere, um die Unglucklichen zu befreien, die in den unter- irdischen Gefangnissen des Schlosses und des Palazzo della Ragione schmachteten.

Es gab in Ferrara einige herrscherlose Stunden, ehe das papst- liche Heer einzog, und diese wenigen Stunden der Freiheit machte sich der Pobel zunutze, um sich auf die Wohnungen der Juden zu stiirzen, die die Este, die stets Geld brauchten, beschiitzt hatten. Die Emporung gegen die Juden wegen des von ihnen betriebenen Wuchers war so groB, daB schon Alfonso II. einen Teil des Heeres in der Nahe des Ghettos einquartiert hatte, um sie vor den Ober- fallen des Volkes zu schutzen.

In jenen letzten Tagen der estensischen Herrschaft in Ferrara lag Lucrezia schwer krank im SchloB, den Strapazen der Reise nach Faenza war sie nicht gewachsen, und dem Tode nahe wollte sie an ihrem Geschlecht noch die letzte Rache nehmen. Sie machte ihr Testament und verschrieb all ihren Besitz in Italien, darunter den

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groBartigen Palazzo Belvedere auf einer Po-Insel in der Nahe von Ferrara, dem Feind der Este, dem Kardinal Aldobrandini, zu dem sie bis dahin keinerlei Beziehungen gehabt hatte. Um ihrem Ent- schluB noch groBere Bedeutung beizulegen, richtete sie im Testament die Bitte an den Kardinal, er moge das Vermachtnis annehmen als Beweis der Dankbarkeit fur seine ungeheuren Verdienste. In Ferrara rief dieses Testament helle Emporung hervor, man hielt es fur den teuflischen Einfall einer von satanischem Geist erfullten Frau, und iiber Aldobrandini wurden nicht gerade schmeichelhafte Geriichte verbreitet. Ein unbekannter ferraresischer Patriot ver- faBte auf Lucrezias Tod, die zum Untergang des Vaterlandes bei- getragen habe, folgendes Epitaph:

Inimica alia patria e al proprio sangue, Sotto finto color di dare aita Precipitando altrui perde la vita Lucrezia estense, che qui giace essangue.

Nach dem Einzug des papstlichen Heeres in Ferrara begann auch dort jene niederdriickende Herrschaft, die in den folgenden Jahr- hunderten halb Italien zum moralischen und materiellen Untergang gefiihrt hat. Klemens VIII. brach am 13. April aus Rom nach Fer- rara auf, von einem groBen Stab von Kardinalen, Bischofen und Pralaten umgeben, um die neue Herrschaft anzutreten. Ihm voran trug ein weiBes Maultier eine groBartige goldene Schatulle mit dem Sakrament. Dieses Zeichen der Liebe und des Friedens stand in keinerlei Einklang mit dem HaB, den der Papst gegen Ferrara nahrte. Klemens VIII. wollte es in Wahrheit an diesem ungliick- lichen Land rachen, daB es sich einige Jahrhunderte hindurch der romischen Kurie nicht unterworfen hatte. Sein Hauptbestreben war, in Ferrara eine Festung zu errichten, um die ganze Stadt zu be- drohen. In Pietro Aldobrandini fand der Papst einen nur zu treuen Vollstrecker seiner Rache; und dieser Kardinal sollte fur immer in der Geschichte als einer der groBten Barbaren, die je die Macht der Kirche miBbraucht haben, gekennzeichnet sein. Er befahl die Zerstorung des Kastell Tebaldo, eines Schlosses, das der Markgrafin Mathilde gehort hatte, und des Sommerschlosses Belvedere, das mit den kost-

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DREIZEHNTES KAPITEL

barsten Fresken geschmiickt war. Ferner liefi er die Palaste Costabili und Veranno sowie einen ganzen Stadtteil des Borgo und Colle di San Giacomo, wo iiber sechstausend Menschen wohnten, dem Erd- boden gleich machen. Auch die dort befindlichen Kirchen, darunter S. Agata und S. Giovanni vecchio wurden zerstort. Und das alles, damit die neue Regierung Platz fiir eine Zitadelle finde, die Mario Farnese nach den Planen der Festung in Antwerpen erbaute. Da der Palazzo Belvedere infolge von Lucrezias Testament in den Besitz des Kardinals iibergegangen war, hatte der auf seinen Vorteil bedachte Kirchenfurst den prachtvollen Wohnsitz der Este dem papstlichen Schatz fur fiinfzehntausend Scudi verkauft. Die schonsten Bilder aus dem Kastell hatte Aldobrandini fiir sich gerettet, alles iibrige raubte sein Nachfolger, der Kardinal-Legat Borghese. Aus dem reichen Schatz ferraresischer Kunst blieben kaum sparliche Uber- reste an Ort und Stelle.

Ferrara hatte als Reich zu bestehen aufgehort, die Zeiten der Este, eines Bojardo, Ariost, Tasso waren fiir immer vorbei. Eine Seitenlinie des beriihmten Geschlechtes herrschte zwar noch bis zum Ende des XVIII. Jahrhunderts in Modena, aber es war nur ein schwacher Zweig des einst machtigen Stammes, das Herrscher vom Schlage eines Alfonso undErcole nicht mehr hervorgebracht hat. 1803, nach dem Tode vonCesares letztem Nachfolger, ErcoleRinaldoIII.,fiel Modena seiner Tochter Maria Beatrice Ricarda zu, die mit Ferdi- nand III., Franz I. Sohn, verheiratet war. Ferdinand wurde auf diese Weise der Begriinder der osterreichisch- estensischen Linie, die sich mit geringen Unterbrechungen auf Modenas Thron bis zum Jahre 1859 behauptet hat, bis das Herzogtum von den Soldaten des eini- gen Italien ein- genommen wurde.

VIERZEHNTES KAPITEL

HOFISCHES LEBEN

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1 orditaliens Fiirstenhofe bilden in der Renaissance eine Gruppe fiir sich; ihre Kultur setzt sich aus anderen Komponenten zusammen als die der burgerlich ge- farbten Florentiner Gesellschaft, auch unterschei- den sie sich in vielen Beziehungen von der Kultur des Hofes von Neapel, und mit dem papstlich-romischen Hof lassen sie sich naturgemaB nicht vergleichen.

An der Spitze der nordischen Hofe standen Ferrara, Mantua und Mailand. Nach dem Beispiel von Ferrara und Mantua modelten sich die weniger glanzenden Hofe von Bologna, Urbino, Carpi, Sabionetta, Scandiano. Einige darunter haben eine gewisse Zeit hindurch unter der Herrschaft des einen oder anderen hervorragen- den Tyrannen eine glanzende Rolle gespielt, um bald vom Schau- platz abzutreten, sei es aus politischen oder aus (inanziellen Griinden. Die kleineren Signori sonnten sich zumeist in der Gunst groBerer Hofe ; da sie sich auf ihrem kleinen Landsitz langweilten, blieben sie Monate, selbst Jahre im Dunstkreis des Hofes. Unter diesen Herrschern und dem noch niedrigeren Adel herrschte, um ein modernes Wort zu gebrauchen, ein gewisser Snobismus, eine gewisse Befriedigung der Eitelkeit, wenn ein leiser Abglanz vom Hofe der Este oder Gonzaga auf sie fiel.

Die geographische Lage trug dazu bei, diesen norditalienischen Partikularismus zu fordern. Rom und Venedig waren die Zentren der groBen Welt. Nach Rom kam man nur ein- oder zweimal im Leben; die Reise war zu teuer, haufig gefahrlich, man sprach und

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traumte Jahre davon. Nach Venedig fuhr man haufiger und pflegte mit leeren Taschen zuriickzukehren. Um Einkaufe zu machen oder um sich zu amiisieren, ging man in dieLagunenstadt, aber manwahlte sie nicht zu seinem dauernden Wohnsitz, denn das kaufman- nische, reiche Venedig entsprach dem ritterlich-kondottieren Ge- schmack nicht in allem. Der Hof von Ferrara trug das aristo- kratischste Geprage, die Este konnten das meiste Geld ausgeben und den groBten Luxus entfalten. Mailand hatte auBerordentlich glanzende Augenblicke, aber der haufige politische Wechsel war der Entwicklung einer hofischen Tradition hinderlich; sie lieh gerade den estensischen Herzogen ihren groBten Glanz. Das Leben in den ferraresischen Schldssern und Sommerpalasten gait als Vor- bild hofischen Lebens schlechthin; von dort drang ein Abglanz ritterlicher Kultur in die kleinen norditalienischen Hofe, von Fer- rara und den Este wurde am meisten gesprochen, ihre Sitten galten als Muster.

Abgesehen von den beiden Residenzen in Ferrara und den zahl- reichen dortigen Palasten, erbauten die Este sieben groBere Sommer- palaste: Belfiore, Belriguardo, Belvedere, Coppara, Masola, Con- sandolo und Sabioncello, aufierdem hatten sie, wie schon erwahnt, ihren Palast in Venedig. Ferrara lag in einer reizlosen Ebene, es gait also prachtige Gartenanlagen mit kunstlichen Kanalen und Seen zu schaffen, um die Sommerresidenzen wohnlich zu gestalten und ein moglichst abwechslungsreiches Bild zu schaffen. Auf den Kanalen schwammen Schwane; zahme Tiere, die in den Hainen frei umherliefen, oder wilde in Zwinger gesperrte, belebten das Gartenbild. Die Wande der Palaste wurden mit Fresken geschmiickt oder mit Arazzi behangt, die die Este in groBer Zahl besaBen. Schon unter Niccolo III. hatte der ferraresische Hof iiber dreihundert flandrische Teppiche und eine groBe Anzahl prachtiger Vorhange aus Tuch und Samt mit Blumen, Drachen und anderen phan- tastischen Tieren in Gold und Silber gestickt.

Im Parke Barca, der unter Ercole I. angelegt wurde, hielt man Kaninchen, Hasen, Rehe, Damhirsche und Wildschweine, im Belvedere ziichtete man unter Alfonso I. Truthiihner, StrauBe, Tauben, sehr seltene kleine Adler, selbst Elefanten. Ariost hat

hOfisches leben

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dieses stolze Schlofi mit seinen Garten in seinem Orlando beschrieben. Im Park Barchetto hatte Ercole II. vier Giraffen, die ihm der dani- sche Konig Christian VII. geschenkt hatte. Die Garten und der Tierpark im SchloB zu Mansola waren von so groBer Ausdehnung, daB die umfassende Mauer zwolf Meilen lang war.

Uberseeische Tiere, namentlich Vogel, interessierten die Fiirsten auBerordentlich, man machte sie sich gegenseitig zum Ge- schenk. Als in der ersten Halfte des XVI. Jahrhunderts die Portu- giesen auf der Insel Mauritius einen unbekannten Vogel in der GroBe eines Schwans entdeckten, strebten alle europaischen Hofe nach seinem Besitz. Dieser Vogel wurde auf hollandisch Dront, ,,der Geschwollene", oder verstiimmelt Dontgenannt; die Hofe verschenkten ihn sich untereinander als groBte Seltenheit, und das Wundertier wurde sogar portratiert. Alfonso I. sah den Vogel im Tiergarten von Franz I. von Frankreich, lieB ihn portratieren und schickte das Bild seinem Bruder, dem Kardinal Ippolito, nach Erlau. Im Wiener Hofmuseum befindet sich ein Bild von Roland Savery, auf dem dieser Vogel dargestellt ist. Lebendige Donte gab es noch im XVII. Jahr- hundert in den Menagerien zu London und Oxford, es waren die letzten Exemplare dieser Art.

Als Alfonso erfuhr, daB in Venedig in Giovanni Cornaros Palast eine sehr schone Gazelle aus Afrika eingetroffen sei, ein Tier, das er noch nicht kannte beauftragte er seinen Gesandten Tebaldi, Tizian zu bitten, sie zu malen. Leider war die Gazelle schon tot und sogar in den Kanal geworfen worden, so daB Tizian den herzog- lichen Auftrag nicht erfullen konnte.

Der Hof und das Reich waren identisch. Alles drangte zum Hof, fur den Hof arbeitete der Landmann, der hinter dem von sechs Ochsen gezogenen Pflug einherschritt; auf das SchloB stiitzten sich Handel und Gewerbe, in Ferrara so gut wie in Modena. Und eine der Triebfedern jeglichen Geschehens am Hof war Prachtentfaltung, die Lust sich zu zeigen, Glanz zu verbreiten, andere durch Reichtum, Luxus, prachtvolle Pferde, Hofnarren, Zwerge, goldne Gewander zu blenden, mit einem Worte, Aufmerksamkeit zu erwecken und zur Bewunderung zu reizen. Das Verlangen nach Luxus war ein Erb- stiick der mittelalterlich-ritterlichen Hofe und die groBe Rolle, die

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VIERZEHNTES KAPITEL

die Kunst in der Renaissance spielte, trug dazu bei, dieses Verlangen zu steigern. Man brauchte Luxus und verstand ihn zu entfalten.

Wenn man Privatbriefe aus dem XV. und XVI. Jahrhundert liest, die gleichzeitigen Chroniken durchblattert, so drangt sich einem der SchluB auf, Feste, iippige Hochzeitsfeierlichkeiten, Empfange von Kaiser und Papst, das Bewirten einfluBreicher Nachbarn haben den eigentlichen Lebensinhalt der herrschenden Klasse ausgemacht. Um sich zu zeigen, groBartig aufzutreten, borgten die Fiirsten be- deutende Summen bei Wucherern, versetzten Familienkleinodien und schropften die Untertanen bis zum auBersten. Luxus scheint der Daseinszweck dieser Hofe und Dynastien gewesen zu sein. Selbst die Pflege der Literatur und Kunst, von der soviel die Rede ist, die Unterstiitzung der Kiinstler entsprang bei den Renaissance- fiirsten selten einem geistigen Bediirfnis, sie war in der Hauptsache der AusfluB der Ehrbegier und des Ruhmes. Von den sieben esten- sischen Herzogen in Ferrara im XV. und XVI. Jahrhundert hatten nur Lionello und Alfonso I. ein inneres Verhaltnis zu Poesie und Kunst, die anderen, selbst Borso und Ercole I., folgten in ihrer Unter- stiitzung von Kiinstlern und Gelehrten nur der Mode der damaligen Zeit, sie wollten es den Medici gleich tun, einer kunstlerisch be- sonders begabten Familie. Wie gewohnlich, standen die Frauen in dieser Beziehung hoher und brachten Literatur und Kunst wirkliches Interesse entgegen; genannt seien nur Isabella Este Gonzaga, Lucrezia Borgia und Elisabetta Gonzaga. Die Architektur fand unter den Fiirsten die meisten Verehrer, mit ihrer Hilfe konnten sie ihre GroBe und Macht am besten nach auBen bekunden.

Diese ,,gewaltigen Naturen, diese Menschen mit despotischen Instinkten", die mit Ausnahme der Este fast samtlich von Con- dottieren abstammten, verlangten nach Ruhm und Ehre und wollten eine Rolle in Italien spielen. Nicht jedem war die Moglichkeit zu kriegerischer Betatigung verliehen; um das Gliick des Volkes war man wenig besorgt, und da es noch keine Zeitungen gab, fielen all- tagliche Begebenheiten schnell der Vergessenheit anheim. Die Despoten warteten mit Ungeduld auf den Augenblick sich zu zeigen, sie sehnten sich danach, daB von ihnen gesprochen, daB nach Rom und Neapel, selbst an den franzosischen und kaiserlichen Hof von

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ihren Reichtiimern und dem Glanz ihrer Hofhaltung berichtet werde. Wenn sie auf Reisen gingen, was stets ungeheure Summen ver- schlang, so wollten sie die Bewunderung der Gleichstehenden und das sich Demutigen der Massen spiiren.

Dieser Wunsch, Bewunderung zu erwecken, beherrscht die Aus- gestaltung des Hofes, die Reisen der Fiirsten, ihre Hochzeiten und Begrabnisse, iiberall Glanz und Zurschaustellung. Ferrara war ein in dieser Beziehung typischer Hof. Kunstgewerbe, soweit es sich auf die Einrichtung des Hauses, die Kleidung, das Zaumzeug der Pferde und Saumtiere bezieht, erreichte dort eine hohere Stufe als anderswo, da die Herzoge auf jeden Gegenstand achteten und auch die geringste Kleinigkeit kiinstlerisch ausgestaltet haben wollten. Sie befolgten darin die Zeitstromung, die in freien Vereinigungen, in Handwerkerziinften aufgekommen war, indem sie danach streb- ten, daB alles von ihnen Geschaffene ein kleines Meisterwerk sei. Der Schdnheitssinn war in der Renaissance lebendig, der Verfall des Geschmackes machte sich erst spater geltend in den Zeiten kirchlicher Reaktion und protestantischen Puritanertums im XVII. und XVIII. Jahrhundert und noch spater, als die fabrikmaBige Her- stellung aller Dinge begann.

Neben Pomp und Luxus herrschte am Hofe im taglichen Leben eine unerhorte Einfachheit. Von irgendwelchen Bequemlichkeiten in der Einrichtung der Hauser war nicht die Rede, die kostbarsten Kleinodien auf der einen, der unglaublichste Schmutz auf der andern Seite. Nur wenn fremde Gaste erwartet wurden, wurden die Locher in den Dachern geflickt und die gesprungenen Zimmerwande mit Teppichen behangen. Als man Friedrich III. in Ferrara erwartete, wurden in aller Eile die Balkons im SchloB angestrichen und die Marmorsaulen gescheuert; da es aber keine Scheuerlappen gab, muBten schleunigst vier Schwamme gekauft werden. Die Korridore und Loggien waren nachts nicht beleuchtet; damit sich die Deutschen nicht die Kopfe einstieBen, wurden eiserne Haken angebracht, um Laternen aufzuhangen und fiinfzehnhundert Pfund Talglichter gekauft. Nach der Abreise des Kaisers nach Rom fand es die Diener- schaft iiberflussig, die Raume, die er bewohnt hatte, in Stand zu halten, und bei seiner Ruckkehr muBte man sie wieder in Ordnung

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VIERZEHNTES KAPITEL

bringen, da sich Unrat darin angesammelt hatte. Und dabei waren die Wande mit flandrischen Arazzi ausgeschlagen und die Betten mit Seide, Samt und Brokat bedeckt. Ob der Kaiser auf goldge- stickten Kissen bequem schlafe, daran scheint niemand gedacht zu haben, es ging nur darum, durch Pracht zu blenden. In gewohn- lichen Zeiten waren die markgraflichen Betten mit Leintiichern be- deckt, in die die Mause Locher genagt hatten, oder mit Decken, die in Fetzen zerfielen. Die Marchesana Ricciarda hatte ein Schlaf- zimmer, das mit den teuersten Teppichen behangen war, aber das Bett war mit ganz grobem Leinen gedeckt, und Madonna Lucia, eine von Parisinas Tochtern, lag unter einer zerfetzten Decke. Borso, der Brokatbeinkleider trug und Schmuck von unschatz- barem Wert an seinem Barett, schlief auf einem Strohsack und hatte zumeist ein schmutziges Kissen unter seinem Kopf. In den Garderoben wurden die kostbarsten Pelze und Gewander auf- gespeichert, aber selbst die Markgrafen trugen geflickte Kleider. Sehr haufig flickten sie sie selbst, und zu den Toilettenutensilien jedes Signore und Edelmannes gehorte eine Schachtel mit Nadeln und vielfarbigem Zwirn. Erst Ercole I. weigerte sich, seine Knopfe selbst anzunahen, und gab einem Schneider sein Warns zum Flicken. Die Hofpagen trugen silbergestickte Kleider, aber sie schliefen der Lange nach auf dem Stroh hingestreckt; 1474 wurde zum erstenmal Leinen gekauft, um Strohsacke fur sie herzustellen, und auch das geschah nur, weil sie an ihren Stiefeln und Kleidern Strohhalme durch das ganze SchloB trugen. Die Knaben trugen ihr Haar lang bis liber die Schultern fallend, aber sie besaflen keine Biirsten, man gab ihnen nur Holzkamme, und ihr einziges Toilettengerat bestand in einem kupfernen Wasserkrug.

Der ganze Hofstaat wurde auf herzogliche Kosten gekleidet, selbst die Hofleute aus den ersten Familien, die Donzellen, die Dichter bekamen die ,,Radchen-Livr6e". Jeder, der aus dem Dienste schied, muBte seine Kleider zuriickgeben. Wir haben gesehen, wie der armen Morata, Renatas Gesellschafterin und der Lehrerin ihrer Tochter, kaum das Hemd belassen wurde, das sie am Leibe trug. Die niedere Dienerschaft bekam auBerordentlich selten neue Anziige, daher sahen diese Kiichenjungen und die Knechte, die das Wasser

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herbeiholten, schmutzig und zerrissen aus; selbst die Padagogen am Hofe sah man selten in halbwegs anstandigen Kleidern. Meliadus, Nicolaus III. Sohn, hatte Messer Prosdocimo zum Lehrer. Dieser arme Humanist war so sparlich mit Wasche versehen, daB er zu all- gemeinem Argernis fast nackt einherlief. Meliadus selbst schrieb, als er die Universitat in Padua besuchte, einen verzweifelten Brief nach Hause, die Fattori generali mogen ihm fiinf Ellen Tuch schicken, da er sich sonst ohne Hosen auf der StraBe zetgen muflte. Auch das Schuhwerk fur den gesamten Hofstaat, ,,per tutta la famiglia", wurde von der herzoglichen Kasse bestritten, aber die Stiefel waren wohl sehr schlecht gearbeitet, da die Herzoge und die ersten Hofleute achtzig Paar jahrlich -a Person verbrauchten; die iibrigen bekamen drei, die Donzellen zwei Paar Stiefel und ein Paar Schuhe monatlich. Aus den Hofrechnungen unter Ercole I. geht hervor, daB Isabella d'Este als junges Madchen im Verlauf von anderthalb Jahren dreiunddreiBig Paar Stiefel verbraucht hat. Fur ihre schlechten Stiefel wurden die Schuster schlecht entlohnt, oder mufiten zum mindesten wie die iibrigen Handwerker Jahre lang auf Bezahlung warten. 1422 faBte ein Schuster Mut und folgte dem Markgrafen nach Venedig, indem er ihn fuBfallig bat, seine Rechnung zu bezahlen; die Beamten in Ferrara hatten ihm gesagt, daB sie kein Geld hatten.

Erst unter Ercole I. begann man etwas mehr auf Bequemlich- keit zu achten und den Hofstaat besser zu fiihren; die Herzogin, die neapolitanischen Luxus gewohnt war, wollte auch in Ferrara etwas zivilisiertere Brauche einfuhren.

Eine der Hauptsorgen der Este war, gute Informationen iiber alles zu erhalten, was in der Welt vorging; hauptsachlich aus diesem Grund hatten die Herzoge auch an kleinen Hofen Gesandte und Geschaftstrager. In den Berichten ist aber haufig von Politik gar nicht die Rede, dafvir wird selbst die geringste Klatschgeschichte, die Ferrara interessieren konnte, nicht umgangen. Mit auBer- ordentlicher Ausfiihrlichkeit werden Balle, Feste und Jagden be- schrieben, selbst die Toiletten der Frauen nicht ubersehen. Privat- briefe und derartige Berichte traten bis zu einem gewissen Grade an die Stelle von Tageszeitungen, wenn sie aber langere Zeit

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VIERZEHNTES KAPITEL

ausblieben und die Neugierde stieg, suchte man sie durch astrolo- gische Prophezeiungen zu stillen.

Gegen Ende des XV. und zu Beginn des XVI. Jahrhunderts beginnen die italienischen Astrologen, Zeitungen in bescheidenstem Umfang zu begriinden, indem sie sogenannte ,,giudici", Prognosen, herausgeben. Die beriihrnteren unter ihnen erlieBen von Zeit zu Zeit, besonders zum i. Januar, politische Prophezeiungen. Diese kleinen Schriften, die zumeist ganz inhaltsreich und kurz sind, er- schienen in sehr viel Exemplaren und wirkten stark auf die offent- liche Meinung. In Ferrara spielten die Astrologen eine geringere Rolle als in Mantua oder Mailand, da die niichternen Este weniger zum Aberglauben neigten als die Gonzaga oder Sforza, Isabella d'Estes Gatte vertraute den Astrologen so sehr, daB er fast immer ihre Ansicht liber Menschen, die er sehen, und uber Dinge, die er tun sollte, einholte. Die Visconti und unter den Sforza nament- lich Lodovico Moro unternahmen nicht das geringste, ohne den Hofastrologen um Rat zu befragen. In Ferrara wurden Ungliicks- tage sehr beachtet, die Astrologen machten dem Herzog ein genaues Verzeichnis der Tage, an denen er nichts Wichtiges unternehmen sollte. Jeder groBere Hof muBte seinen Astrologen haben, und selbst einzelne Kardinale, wie unter anderen Ippolito d'Este, Ariostos Pro- tektor, konnten ohne den gelehrten Sterndeuter nicht auskommen. Niccolo III. und Borso hatten ihre Astrologen und unter Ercole I. begegnen wir schon 1468 ,, Prognosen". Ercole beschaftigte sich iiberhaupt in ungewohnlichen MaBe mit allem, was in der Welt vor- ging; iiber die Expeditionen nach Amerika wollte er auf dem Lau- fenden gehalten werden und lieB sich die Prognosen fremder Astro- logen schicken. 1478 bekam er ein Schriftchen, das der benihmte Astrologe Robert de Monteregio in Niirnberg herausgegeben hatte. Es war eine traurige Prognose: furchtbare Kriege und Seuchen wurden Italien prophezeit, einigen italienischen Fursten ohne Nennung ihres Namens mit dem Tode gedroht, auBerdem lieB Monteregio durchblicken, daB ein groBer Konig plotzlich an Gift sterben wiirde. Fiir den Herzog von Ferrara fand sich ein ange- nehmes Wort, er wiirde sich durch seine Tapferkeit besonders aus- zeichnen und im Krieg wie im Frieden schienen ihm giinstige Sterne

hOfisches LEBEN 415

zu leuchten. Im Archiv zu Modena befindet sich auch eine Prognose aus dem Jahr 1502, ihr Verfasser war Domenico Maria Novara, Kopernikus' Protektor. Ferraras beriihmtester Astrologe im 15. Jahr- hundert war Avogario oder Avogardo; er unterrichtete an der dortigen Universitat von 1455 bis 1475 und hat zahlreiche Schriften verfafit. Die Este haben ihn auBerordentlich geschatzt und groB- artig beschenkt, doch hinderte sie dies nicht, ihn zu bestrafen, als er einst in seinem ,,giudizio" Prophezeiungen brachte, die dem ferra- resischen Hof nicht giinstig schienen. Von diesem Augenblick an muBte er dem Herzog seine Prognosen vor der Drucklegung vor- legen; es ist das erste Beispiel einer an Zeitungen geiibten Zensur. Alles, was dem Herzog mififiel, wurde ausgestrichen, damit die offentliche Meinung nicht in einer ihm unsympathischen Weise beeinfluBt werde.

Avogarios Nachfolger, Pietro Bono, legte gleichfalls dem Herzog seine Prognosen zur Zensur vor; einmal jedoch, im Jahre 1508, hatte er ohne Wissen des Herzogs Dinge verkiindet, die dem Konig von Frankreich unangenehm waren, infolge dessen muBte er sich hiiten, nicht in die Hande der koniglichen Agenten zu fallen.

Die Astrologen haben ihre Herren sehr haufig zu irgend einer Expedition oder Tatigkeit angeregt, wenn ihnen die Konstellation der Sterne giinstig schien, sie rieten ihnen im richtigen Augenblick zuzugreifen, „a tempo pigliar la fortuna". So gut wie in wichtigen Dingen war der Rat des Astrologen auch in den geringsten Vor- kommnissen des taglichen Lebens notwendig; man holte seinen Rat ein, wenn es sich darum handelte, eine Medizin, ein Pulver, eine Mixtur einzunehmen; man fragte die Sterne, ob die Stunde giinstig sei. War Borso krank, so fragte Gonzaga seinen Astrologen, wann der Herzog von Ferrara sterben wiirde; der Sterndeuter hatte sich nur um einen Monat verrechnet, er hatte den kritischen Augenblick auf den 17. Juli verlegt, und Borso starb am 20. August. Einen un- geheuren Eindruck machte es der italienischen Gesellschaft, als der Florentiner Astrologe, Cristoforo Landino, die Geburt eines fiir die Kirche gefahrlichen Reformators in Deutschland vorhersagte, man bezog diese Prophezeiung spater auf Luther. Zu dieser Prophezeiung bedurfte es einer Frage an die Sterne nicht, der

4l6 VIERZEHNTES KAPITEL

Niedergang der Kirche berechtigte zur Annahme, daB Menschen auftreten wiirden, um den Kampf mit der romischen Verderbnis aufzunehmen. Am beruhmtesten waren Aretins Prophezeiungen, die der geschickte Pamphletist von Venedig aus versandte. Er kannte mehrere unter den Herrschenden, hatte Beziehungen zu sehr viel Menschen, die eine hervorragende Stelle einnahmen, und bekam von uberallher Briefe; so konnte er die besten Informationen iiber alles haben, was in Italien vorging. Auf diesen Nachrichten fufiend, ver- faBte er seine Prognosen und prophezeite Dinge, an die niemand sonst dachte.

II

Bernardo Bellincioni, Lodovico Moros Hofdichter, schrieb einst, die Herren verbergen soviel Geheimnisse und soviel Boses in ihrem Herzen, daB man sie nach dem Schein nicht beurteilen konne:

Quanti segreti in petto

E malizie e rispetto hanno e' signori

Che non si posson giudicar di fuori.

Keiner von ihnen sprache viel, sie verbergen ihre Gedanken, beherrschen ihren Zorn, aber sie warten auf die Gelegenheit, um sich zu rachen. So steigt auch der Falke ruhig in die Luft, bis er im gegebenen Augenblick wie der Blitz auf sein Opfer niederfallt.

Herrschsucht, Liebe und Vendetta waren die drei Haupttrieb- federn der Renaissance-Tyrannen. Man sprach und schrieb da- mals viel von Ritterlichkeit, Ehre und den Vorzugen der Tugend, und Castiglione gehorte zur Zahl der Moralisten, die ihre Gesell- schaftsklasse durch den Hinweis auf die Antike zu idealisieren ver- suchten. Auch Ferrara fehlte es an einem solchen Moralisten unter Alfonso II. nicht. Es war der Graf Annibale Romei, der in seiner Abhandlung ,,Discorsi" der Contessa di Scandiano, der Signora Isabella Bentivoglio und der gesamten Damen- und Herrenwelt, die im estensischen SchloB in Masoli versammelt waren, empfiehlt, iiber Schonheit, Ehre, Edelmut und Reichtum nachzudenken. Wenn man diese gelehrten Abhandlungen liest, so konnte es scheinen,

HOFISCHES LEBEN 417

als ware die Gesellschaft an italienischen Hofen vor allem darauf bedacht gewesen, Seele, Geist und Herz zu bilden. Hinter all dem steckt aber wenig Wahrheit, jene Abhandlungen und Gesprache iiber Liebe und Ehre waren eine Art gesellschaftHchen Turniers, die Herren und Damen der groBen Welt kopierten gelegentlich die Disputationen der Professoren, sie iibten sich in der Kunst der Beredsamkeit, aber alles blieb fur sie Theorie, und ungezahmte menschliche Leidenschaften bahnten sich ihre eigenen Wege. Das Moralisieren hatte nur den Zweck, daB man seine finsteren Leiden- schaften hinter einer glatten auBeren Schale verbarg. Machiavelli verlangt vom Fursten, daB er Fuchs und Lowe sei, ,,il principe della bestia deve pigliare la volpa e il Hone"; Fiichse waren sie alle, aber bis zum Lowen brachten es nur wenige. Den Dynastien ging es in der Hauptsache um den auBeren Glanz des Geschlechtes und die Terrorisierung der Gesellschaft. Jeder der Untertanen sollte davon durchdrungen sein, daB die Vendetta seiner harre, falls er sich etwas gegen die herrschende Familie zu Schulden kommen lasse. Ehre und edler Ruhm waren etwas Untergeordnetes. Der Fiirst durfte ungescheut die groBten Missetaten begehen, ohne seinen guten Namen zu gefahrden, aber ein ihm zugefiigtes Unrecht oder eine Beleidigung durfte er nicht vergessen. Eine solche VergeBlichkeit hatte die Macht der Dynastie untergraben. Der Terrorismus der Despoten brachte es mit sich, daB die Mitglieder der groBten Ge- schlechter sich als gemeine Mordbuben brauchen lieBen. Ariosts Vater fuhr nach Mantua, um den Feind seines Herzogs zu vergiften; bei Contraris Ermordung haben Leute wie Bentivoglio und Strozzi, die Vertreter der vornehmsten Familien, Henkersdienste geleistet. Das Werkzeug des Tyrannen beim gemeinsten Verbrechen zu sein, tat nie- mand Abbruch, aber gegen die Regeln des Turniers oderZweikampfes zu verstoBen, bedeckte den Namen mit unausloschlicher Schmach. Die Tyrannengeschlechter standen auBerhalb aller Maorlge- setze, sie durften die groBten Verbrechen begehen, denn die Macht war in ihren Handen. Selbst die Papste taten die Fursten fur ge- wbhnliche Verbrechen nicht in den Bann, nur fur politische Ver- gehen, die gegen die Macht und die Herrschaft der Kirche verstieBen. Rom hatte die herrschenden Familien stets als Ausnahmegeschlechter

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4i8 VIERZEHNTES KAPITEL

betrachtet, fiir die die bestehenden Moralgesetze nicht galten. Mit der Tugendrose haben die Papste Niccolo III. bedacht, der Parisina hatte ermorden lassen, ebenso viele andere Verbrecher unter den Tyrannen, wenn es darum ging, sie fiir die Politik der romischen Kurie zu gewinnen. Als Vincenzo Gonzaga 1537 den Thron von Mantua bestieg, war er fiinfundzwanzig Jahre alt und bereits von seiner ersten Gattin, einer Farnese, geschieden. Man erzahlte sich, die Ehe sei auseinandergegangen, da Vincenzo seinen ehelichen Pflichten nicht geniigen konnte. Als der Markgraf sich um die Hand der Tochter des toskanischen GroBherzogs Francesco bewarb, stellte der GroBherzog zur Bedingung, daB Gonzaga den Beweis seiner mannlichen Kraft erbringe. In Venedig sollte diese eigen- artige Priifung stattfinden. Man wahlte ein schones Madchen, eine Bastardtochter der Albizzi, die eine sorgfaltige Erziehung in Florenz erhalten hatte. Mit Genehmigung der Bischofe und Kardinale, da Francesco ein frommer Herrscher war, wurde sie in Gesellschaft vertrauenswiirdiger Frauen nach Venedig geschickt. An der Spitze dieser Expedition stand der Cavaliere Belisario Vinto, der Sekretar des Geliebten von Bianca Capello, ein Mann, in den man Vertrauen setzen durfte und der in delikaten hofischen Angelegen- heiten wohl bewandert war. Die Expedition verlief zu allgemeiner Zufriedenheit, und der GroBherzog hatte die Sicherheit, seine Tochter ruhig dem zu Unrecht verleumdeten Gonzaga anvertrauen zu konnen. Man muB sich wundern, daB die Renaissance-Herrscher nicht blutgierige Tyrannen gewesen sind, es waren aber zum grdBten Teil nuchterne, scharf denkende Naturen, die nur gerade soviel Boses taten, als unbedingt geschehen muBte. Sie rechneten mit der Bevolkerung und wollten sie nicht zum AuBersten treiben. AuBer- dem verstanden sie das Leben zu genieBen, sie waren Feinschmecker des Lebens das trat in alien hofischen Einrichtungen zu Tage.

Ill

Wer das Verhaltnis der Geschlechter zueinander im XVI. Jahr- hundert nach den Deklamationen Castigliones im „Corte- giano", Bembos in den „Asolani", Sperone Speronis in den „Dia-

HOFISCHES LEBEN

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loghi", Tassos in den verschiedensten Abhandlungen beurteilen wollte, und die Flut der Sonette fur ein Abbild dessen hielte, was sich in der Wirklichkeit abgespielt hat, wiirde sich die denkbar ver- kehrteste Vorstellung der damaligen Zustande machen. Ein Abbild der tatsachlichen Zustande findet man eher in den charakteri- stischen damaligen Sitten, in Privatbriefen, Novellen oder in jenen ,,Capitoli" benannten politischen Erzeugnissen, in denen Satiriker,wie Berni, Delia Casa, Varchi, Molza, Bembo, Firenzuola, Aretino die oft heikelsten Themen in einer witzigen, anziehenden, glanzenden, poetischen Form behandelt haben.

Als die Epoche des eigentlichen Ritterromans mit Ariost zu Ende war, kam die Zeit der Novelle. Gelegentlich hat sie die Literatur mit Unkraut iiberwuchert, aber die Novelle hat sich ans Leben ge- halten, aus der vorhandenen Tradition geschopft, und deshalb ist sie ein unerschopflicher Schatz fin* den Kulturhistoriker.

Fast jede Stadt und jedes Kulturzentrum hatten ihre Novel- listen: Florenz Firenzuola, Lasca, Machiavelli, Rom Molza, der zwar aus Modena stammte, aber allmahlich zum Romer geworden war, Venedig Straparola, Parabosco Erizzo, Ferrara den beruhmten Battista Giraldi, dessen hundert Novellen ,,Hecatommiti" zu groBem Ruhm gelangt sind; sie alle iiberragt Bandello, der ganz Norditalien angehort. Jeder seiner zweihundertneunzehn Novel- len ist eine Widmung vorangestellt, eine Art Brief an die verschie- densten Personen gerichtet, der vielleicht noch farbiger und fur die Zeit aufschluBreicher ist als die Novellen selbst. Bandello lebte von 1480 bis 1542 in Italien, spater in Frankreich, wo er 1560 als Achtzigjahriger gestorben ist. Die beruhmten Frauen seiner Zeit hat er samtlich gekannt: Beatrice d'Este, die Markgrafin von Mantua, Giulia Gonzaga, Vittoria Colonna, Costanza Rangone Fregcso, Ippolita Torelli; er hat bei den Geliebten von Lodovico Moro verkehrt, bei Lucrezia Crivelli und Cecilia Gallerani, und seine be- sondere Gonnerin war Ippolita Sforza, die zweite Frau von Alessandro Bentivoglio, den Julius II. aus Bologna vertrieben hat. In seinen Erzahlungen hat er sie alle gefeiert, ,,Eroine Bandelliane", wie sie Scaligeri, ein unbedeutender Dichter, genannt hat. Aber Bandello hatte auch unbekannte Heldinnen, denen zwar der historische

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Name fehlt, nicht aber das leidenschaftliche Herz; er schildert Frauen aus alien Gesellschaftsstanden; auch Kurtisanen, wie eine Imperia, eine Tullia d'Aragona, eine Isabella de Luna, die zuweilen Herzensparoxysmen unterlagen, fehlen nicht. Bandello ist nicht mehr der Epiker des Rittertums allein, er schildert die gesamte Bevolkerung, die herrschende Kaste wird nicht allein als dar- stellungswert befunden, der Horizont des Schriftstellers hat sich erweitert. Er wirkt weder allzu tragisch noch allzu komisch, er schildert das Leben in seinen verschiedensten Formen, und infolge dessen kommt er von alien Schriftstellern des Cinquecento dem mo- dernen Empfinden am nachsten. Den Inhalt seiner Novellen bildet in der Hauptsache Ehebruch; die Novellisten des XV. und XVI. Jahrhunderts haben ihr Thema aus dem Leben geschopft, so gut wie die modernen franzosischen Romanschriftsteller. Der Eng- lander Aschau, der im XVI. Jahrhundert nach Italien kam, dankte dem Himmel, daS er dort nur zehn Tage geblieben ist, da er in dieser kurzen Zeit dort mehr Ziigellosigkeit gesehen habe als in London im Verlauf von neun Jahren. Der Englander hatte schon so unrecht nicht, der Verkehr der Geschlechter war in Italien frei, ja ziigellos genug, aber in den hoheren Klassen gab es Grenzen fur diese Freiheit, es gait den Schein, ,,decoro", zu wahren. Der Schein wurde der Tugend gleich geachtet, die ,,onesta" der Ehe- frau war durch ihn bedingt. Alles sollte in der Renaissance seine schone geschlossene Form haben; was dieser Form widersprach, gait als unmoralisch. Darauf beruhte die Ethik der Renaissance. Auf die italienischen Sitten, namentlich auf die Sinnlichkeit hat die Beriihrung mit den Spaniern auBerordentlich ungiinstig einge- wirkt; die Kriege mit Spanien und das Eindringen spanischer Art im Frieden war vielleicht das groBte Unheil fur die italienische Renaissance. Die Spanier, die sinnlichsten und grausamsten aller siidlichen Volker, haben der italienischen Gesellschaft ihr Gift ein- geimpft. Mit den Borgia kamen ziigellose spanische Kurtisanen und iippige Pralaten, ihnen folgten die brutal-leidenschaftlichen spanischen Romane. Die spanische Ritterschaft hat jeder guten Sitte Hohn gesprochen. Selbst an der italienischen Kunst ist die spanische Seuche nicht spurlos vorbeigegangen. Giulio Romano

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(1492 1546) und Benvenuto Cellini (1500 1570) eroffnen die Schar der Kiinstler, die der spanischen Sinnlichkeit erlegen sind; Ribera, Spagnuola, Caravaggio und die ganze bolognesische Schule haben sich auf dieser Grundlage weiter entwickelt.

Die brutale Sinnlichkeit erzeugte eine uneheliche Reaktion in der Gesellschaft, eine verlogene Sentimentalitat, die sich aus- gezeichnet auf dem Stamme des Petrarkismus entwickeln konnte. Dieses unechte Gefiihl begann um die 60 er Jahre des XVI. Jahr- hunderts das Verhaltnis der Geschlechter zu beherrschen und in der Literatur durchzubrechen. Es tritt gleichzeitig mit dem Barock in der bildenden Kunst auf, und man konnte, soweit Novelle und Dichtkunst in Frage kommen, von einem Barock in der Literatur sprechen. Das glanzendste Beispiel dieser barocken Romantik ist Bandellos hubsch erzahlte Novelle von dem Veroneser Liebes- paar. Shakespeare hat den Stoff aufgegriffen, entwickelt, ver- tieft und daraus jene einzige, starkste Liebestragodie der Welt geschaffen, die Geschichte von Romeo und Julia1).

IV

Die elegante Frau der Renaissance sah wie ein lebendiger Rebus aus, dessen Losung allein dem Gatten Schwierigkeiten bereitete. Alles in ihrer Kleidung hatte eine besondere Bedeutung. Die auf ihr Kleid gestickte oder in den Stoff verarbeitete Devise charakte- risierte ihren momentanen Seelenzustand; verschiedene Zeichen in ihrer Toilette oder in der Art, wie sie ihren Schmuck gefaBt hatte, standen mit ihrem Glauben an den EinfluB der Planeten auf mensch- liche Schicksale in Zusammenhang; die Farbe ihrer Kleider oder Wappenzeichen richtete sich nach der Tradition ihrer Familie; selbst das Parfiim, das sie beniitzte, hatte eine gewisse Bedeutung. Um das Herz ihres Geliebten warb sie mit der Sprache von Seiden- stoffen, Saphiren, Smaragden, mit dem Duft von Ambra und

*) Shakespeare hat auch die inhaltlich verwandte Novelle Lodovicos da Port „Giulietta e Romeo" 1524 benutzt.

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VIERZEHNTES KAPITEL

Krautern des Ostens, die sie selbst nach geheimem Rezept zu mischen verstand.

Tonangebend fur die Mode in Norditalien war mehrere Jahre Isabella Gonzaga, diese ungewohnliche, hochbegabte Frau, iiber die die Zeitgenossen, mit Ausnahme Aretins, sich in iiberschwang- lichen Worten ergehen. Die Markgrafin anderte ihre Devise haufig, ihr beliebtestes Zeichen war ein goldener Leuchter, den sie in den verschiedensten Formen auf ihre Kleider sticken lieB. Der in sie verliebte Giovio, der joviale, scharfe Historiker, fiigte diesem Zeichen die Devise hinzu: ,,sufficit unum in tenebris". Diese Worte ent- hielten die Schmeichelei, daB ein Licht wie sie die Dunkelheit zu erhellen vermoge. Isabella hatte eine Art von Periicke aus seidenen Faden und Bandern aufgebracht, die ,,capigliara", die sie auf dem Bild der Wiener Galerie tragt. Diesen nicht gerade schonen Schmuck neideten ihr die Damen der benachbarten Hofe, und die eine, Eleo- nora Rusca, bat urn die Erlaubnis, diese ,,notabile invenzione" tragen zu diarfen. Aus Krakau schrieb die Konigin Bona am 15. Juni 1522 an Isabella, nannte sie ,,fonte et origine di tucte le belle foggie d'ltalia" und bat um Bericht iiber die neueste Mode. Selbst die Konigin von Frankreich lieO sich ein Paar Kandschuhe von ihr zuschicken, die bcsonders fur die Pflege der Hande geeignet sein sollten. Isabella erfiillte den Wunsch der Konigin, aber als die Handschuhe nach Paris kamen und der ferraresische Gesandte, Alfonso Ariosto, ein Verwandter des Dichters, sie aus der Schachtel herausnahm, verbreiteten sie einen so schlechten Geruch, daB der arme ,, orator" in der groBten Verlegenheit war, ob er sie der Koni- gin bringen oder verbrennen sollte. Die Handschuhe enthielten eine Fettigkeit, die unterwegs verdorben war. Die Konigin freute sich des Geschenkes sehr und versicherte, daB der schlechte Ge- ruch der Handschuhe ihre Brauchbarkeit in keiner Weise beein- trachtige. Pietro Bembo war gliicklicher; Isabella hatte ihm nach Rom ein Biichschen duftender Pomade geschickt, die unversehrt ankam, und Bembo riihmte sich, ein wichtiges Toilettenmittel zu besitzen, das die Markgrafin allein zubereiten konne. Isabella be- stimmte nicht nur die Mode, der sich natiirlich die Damen in Fer- rara unterwarfen, auch die meisten literarischen Neuheiten tauchten

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zum erstenmal an ihrem Hof auf. Wenn die Markgrafin erfuhr, daB der eine oder andere Dichter ein neues Buch oder nur ein neues Sonett verfaBt habe, schrieb sie unzahlige Briefe, um in den Besitz dieses literarischen Erzeugnisses zu kommen. In ihrer Bibliothek befanden sich alle Neuerscheinungen: Bembos ,,Asolani" so gut wie Sannazaros , .Arcadia" oder die Sonette der venezianischen Petrarkisten. Alles Neue fesselte sie, und sie nahm keinen AnstoB, in ihren Gemachern neben dem Bildnis Leos X. die Portrats von Erasmus Rotterdamus und von Luther aufzuhangen. Sie wollte in jeder Beziehung die erste unter den Damen der norditalienischen Hofe sein, und so war es ihr auch darum zu tun, soviel Kunstwerke und Bilder zusammen zu bekommen, wie nur irgend moglich, namentlich war sie ,,avida di anticaglie". Die Este hatten eine Vorliebe fur antike Medaillen und Miinzen; die Mode, ,, anticaglie" zu sammeln, war so allgemein, daB man sogar anfing, dariiber zu spotten, und Sadoleto klagte einst, ,,die antike Krankheit" sei in Wahrheit zum Wahnsinn ausgeartet, den man ,,heilen miisse". Isabella war um ihrer Reize willen so beriihmt, daB Giangiorgio Trissino, der bereits erwahnte Humanist aus Vicenza, sie als Typus der Renaissance- Schonheit aufgestellt hat, ahnlich wie Helena als Urbild weiblicher Schonheit in Griechenland gegolten hat. Als der antike Schriftsteller Celsius den Bewohnern Krotons ein Bild der beriihmten Helena entwerfen wollte, wahlte er fiinf der schon- sten Madchen, beschrieb die charakteristischsten Ziige jeder einzelnen, verband diese Teile zur Einheit und bildete ein Frauenideal: Helena. Trissino hielt sich an dieses Vorbild, er wollte die Markgrafin auf ahnliche Weise schildern und wahlte zu diesem Zweck fiinf Frauen, die in Italien um ihrer Schonheit willen beriihmt waren: Spinola aus Genua, Ericina und Bianca Trissino aus Vicenza, die Contessa di Caiazzo aus Mailand, die Heldin mehrere Novellen Bandellos, und Clemenza de' Pazzi aus Florenz. Unter diesen fiinf wahlte Trissino dasjenige, was ihn an der einzelnen am meisten gefesselt hatte: Stirn, Augen, Brauen, Haare, Hande, den UmriB der ganzen Gestalt usw.; auf diese Weise bildete er das ideale Portrat der Mark- grafin. Ahnlich ging auch Tizian bei einem seiner Venusbilder vor, dem schonsten Korper irgendeiner venezianischen Kurtisane gab er

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Isabellas idealisierte Ziige; die Markgrafin war in Wirklichkeit durchaus keine Schonheit, sie bezauberte nur durch ihre Anmut und ihre lebhaften Augen. Man kann wohl sagen, daB die ganze Generation um die Wende des XV. und XVI. Jahrhunderts unter ihrem Zauber stand. Bezeichnungen, wie ,,die geliebte", ,,gute" usw. sind in den Briefen der Zeitgenossen und in den Chroniken von ihrem Namen unzertrennlich. Wir besitzen einige Bildnisse von Isabella, an deren Authentizitat nicht zu zweifeln ist. Im Louvre ist ihr Portrat von Leonardo da Vinci erhalten, al carbone vor dem Jahre 1500 gezeichnet, auf dem sie als fiinfundzwanzigjahrige Frau dargestellt ist. Die Replik dieses Bildes befindet sich in den Uffizien, und Isabella erscheint darauf noch lebendiger und intensiver er- faBt als auf dem Pariser Portrat. In Obereinstimmung mit diesem Bilde beschreibt sie Maria Equicola, der viele Jahre in ihrem Dienst in Mantua gestanden hat; er schildert ihre dunkeln glanzenden Augen, ihren weiBen Teint und ihr iippiges blondes Haar. Ein anderer Zeitgenosse berichtet, sie sei von mittlerer GroBe, habe schone Arme, eine wohlgebildete Hand, sehr anmutige Bewegungen und sei im allgemeinen ,,una donna piu bella assai che '1 sole".

Wesentlich spater als Leonardos Zeichnung ist Isabellas Portrat in Wien entstanden, eine Rubensche Kopie nach einem Original von Tizian. Das Bild stammt aus der Zeit, da die Markgrafin anfing stark zu werden und den Reiz der ersten Jugend verloren hatte.

In Zeiten, wo man soviel iiber Schonheit sprach und schrieb, die gesamte Renaissance stand ja gewissermaBen im Zeichen des Schonheitskults bemiihten sich die groBen Hofe natiirlich nach Kraften, ihrer Herzogin oder Markgrafin einen Kreis schoner Frauen auszuwahlen, als besonderen Anziehungspunkt fur den Hof. Die ,,Damigelle" wurden gewohnlich aus den Damen der vor- nehmen oder stadtischen Geschlechter gewahlt, und da sie viel Ver- suchungen ausgesetzt waren, wurde iiber ihre Tugend verschieden geurteilt. Ein Schriftsteller nannte sie ,,ministre di Venere", doch muB man dem ferraresischen Hof zugestehen, daB die Damigellen dort strenger als anderswo gehalten wurden. Die ungluckliche Parisina hatte elf Ehrendamen, wenn eine von ihnen heiratete, schenkte ihr die Markgrafin eine schon gemalte Truhe, die die Aus-

SCHULE VON FERRARA: EINE VERLOBUNG BERLIN, KAISER-FRIEDRICH-MUSEUM

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stattung enthielt, und sechshundert Lire als Mitgift Zuweilen traten ganz junge Madchen in den Hofdienst, die selbst ihre Kleider und Pelze noch muBten verlangern lassen. Am Alltag waren die Donzellen auBerordentlich bescheiden angezogen, sie trugen grune oder rote wollene Kleider mit schwarzen oder bronzefarbenen Armeln, an Festtagen dagegen trugen sie Samt- und Brokatge- wander. Natiirlich herrschte auch in diesem Madchenkreis in Fer- rara nicht immer musterhafte Moral; wir kennen Angela Borgias Geschichte, die sich sehr bemiiht haben muB, das Herz des Kar- dinals d'Este zu erwerben, wenn er aus Eifersucht seinem Bruder die Augen hat ausstechen lassen, oder die von Diana d'Ariosti, die zartliche Briefe an Pons gerichtet hat. Die groBte Sorge mit ihren Damigellen hatte Isabella von Mantua, die freidenkend genug in Liebesdingen war und ihren Hofdamen viel Freiheit gewahrt hat. 15 1 3 fuhr Isabella zum Karneval nach Mailand, von ihren hiibschesten und liebenswiirdigsten Damigellen begleitet, darunter befand sich die schdne Brognina. Der Erzbischof von Gurk, Mon- signore Matteo Lang, der kaiserliche Vertraute, der damals in Mai- land weilte, verliebte sich wie ein Jungling in die kokette Mantua- nerin. Er unterhielt sich lateinisch mit ihr, indem er italienische Brocken dazwischen flocht, da er Dantes und Ariostos Sprache kaum kannte; die mailandischen Hoflinge haben sich diesen Mangel in der Bildung des Kirchenfiirsten zu Nutzen gemacht und ihm in Brogninas Gegenwart die komischsten und unpassendsten Ausdriicke untergeschoben. Aber die Leidenschaft des Monsignore erkaltete nicht; Isabella berichtet ihrem Gatten brieflich, der Erzbischof habe sich ohne Riicksicht auf seine Wiirde und seine soziale Stel- lung vor Brognina auf die Knie geworfen, ,,et cum lei fece l'amor quanto gli pare". Aber der Erzbischof hatte einen gefahrlichen Nebenbuhler, es war kein Geringerer als der spanische Vizekonig in Mailand, Raimondo di Cardone, und beide Rivalen benahmen sich auf einem Festmahl im Palast des Grafen Brunovo komisch genug. Als Isabella mit ihren Damigellen in den Saal trat, drangten sich der Vizekonig und der Erzbischof heran, um Brognina zu umarmen, und beide scheinen ihr viel Kiisse geraubt zu haben. Der Vizekonig hat sich artig aus der Affaire gezogen, er schickte der schonen

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Mantuanerin am nachsten Tage 25 Ellen karmoisinroten und 25 Ellen schwarzen Samt und lieB ihr melden, den karmoisinroten Samt schicke er ihr aus Dankbarkeit fur die Freude, die er gestern emp- funden, den schwarzen als Belohnung fiir die Scham, die ihr Antlitz iibergossen. Einer von Isabellas Hoflingen berichtet einem Be- kannten, Brogninas Mantuaner Verehrer, die Zeuge der Bewer- bungen des Vizekonigs und des Bischofs waren, seien vor Neid fast gestorben und hatten den machtigen Rivalen gegenuber doch nichts anfangen konnen, besonders da diese schamlosen, einge- bildeten und elenden Spanier nicht mit sich scherzen lieBen. Der Mantuaner hatte schon so unrecht nicht; wahrend der Vizekonig den Damigellen Herz und Kiisse raubte, stahlen seine Hoflinge auf Ballen und Empfangen alle Kostbarkeiten, die sie erreichen konnten. Im Ballgedrange war die Devise vom Kleid der Markgrafin, ihre goldenen Leuchter, verschwunden; die spanischen Adeligen hatten sie mit der Geschicklichkeit von Beutelschneidern abgeschnitten. Selbst in den Salons des Vizekonigs haben die stolzen Spanier den mailandischen Herren ihre goldnen Knopfe abgeschnitten; da- gegen konnte man sich nicht wehren, da die Spanier bei der leisesten Bemerkung zum Duell herausgefordert haben.

Isabella sah bei der Liebschaft des Vizekonigs und des Erzbischofs mit Brognina durch die Finger, ja, sie begiinstigte sie bis zu einem gewissen Grade, da sie die Herren gewinnen wollte, um fiir Mantua und fiir Alfonso d'Este verschiedene politische Vorteile herauszu- schlagen. Namentlich war es ihr darum zu tun, Peschiera fiir Mantua zu erwerben, um Zutritt zum Gardasee zu haben. Als der maskierte Erzbischof auf einem Balle viel mit Brognina tanzte und ihr von Liebe sprach, beniitzte Isabella die Gelegenheit, um ihn Peschieras wegen zu interpellieren. Brognina war dem Erz- bischof nicht gnadig, da Cardone mit seinem Samt und seiner spanischen Galanterie ihr Herz gewonnen hatte. Nicht Brognina allein, auch die iibrigen mantuanischen Damigellen erlebten Liebes- abenteuer in Mailand; ihr Benehmen und die Nachsicht der Mark- grafin erregten Gonzagas MiBfallen in hohem Grade, er warf seiner Frau brieflich vor, all diese Zugellosigkeiten zu dulden, und sich in Mailand zur ,,favola del vulgo" zu machen. Isabella fiihlte sich

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durch diese Vorwurfe empfindlich verletzt, sie antwortete ihremGatten, sie verdiene an Stelle desTadels groBes Lob, da sie fiir Mantuas Nutzen arbeite und den Gonzaga tausend Freunde wahrend ihres Aufenthalts in Mailand gewonnen habe. Damals begann die Macht der Spanier in Italien ins Wanken zu geraten, und dafiir ging Franz' I. Stern nach der Schlacht bei Marignano glanzend auf. Die geschickte Markgrafin bemiihte sich, Beziehungen zu dem jungen Kdnig an- zuknupfen, der neugierig war, die beriihmte Frau kennen zu lernen und vielleicht noch mehr wiinschte, Brognina zu sehen, von deren Schonheit er schon viel gehort hatte. Der Besieger der spanischen Armee beschloB die Spanier auch in Herzenssachen zu schlagen, und schon ehe er die Damigella gesehen hatte, hatte er den Plan gefaBt, sie Cardone abspenstig zu machen. Aber ihre Beziehungen zum Vizekonig waren nicht folgenlos geblieben. Brognina war ge- zwungen, den Hof der Markgrafin zu verlassen und sich fiir einige Zeit in ein Kloster, in der Nahe von Goito, zuriickzuziehen. Dieser Zwischenfall und Aufschub hat Franz' I. Eifer in keiner Weise abgekiihlt; er befahl, die Damigella aus dem Kloster, das auf man- tuanischem Boden lag, zu stehlen, und hat Monsignore Galeotto, den Bischof von Nizza, der in Liebessachen erfahren war, mit dieser Mission betraut. Der Bischof fuhr sofort nach Mantua, um dem Markgrafen den Fall vorzutragen und ihn zu bitten, das Unter- nehmen nicht zu stdren. Gonzaga ergriff gern die Gelegenheit, sich Franz I. gefallig zu erweisen; er befahl dem Kommandanten in Goito, den Bischof in seinen Absichten zu unterstiitzen. Der An- schlag konnte schon fast als gelungen betrachtet werden, der Bischof hatte Brognina aus den Klostermauern geholt, auf ein Pferd gesetzt, mit seinem Mantel bedeckt und geleitete sie im Schutz einiger Bewaffneter ins konigliche Lager. Ungliicklicher- weise stieB die Kavalkade unterwegs auf eine Abteilung spanischer Reiter. Brognina, die sich nur widerwillig gefiigt hatte, warf den Mantel beim Anblick der Spanier ab, gab sich ihnen als la bella di Cardone zu erkennen und bat um ihre Befreiung. Die Spanier warfen sich auf den Bischof, priigelten ihn durch, und der seinem Konig gehorsame Monsignore hatte es bei dieser Begegnung nur seinem Pferd zu danken, daB er mit dem Leben davonkam. In der Schatulle,

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die die Spanier dem Bischof raubten, befand sich ein gefalschtes Breve, in dem der Papst Brognina empfahl, vom spanischen Vize- konig zum franzosischen Monarchen iiberzugehen und sie von vornherein wegen ihres Leichtsinns entsiindigte.

Franz I. war gerade im Begriff, von Mailand nach Bologna auf- zubrechen, wo er mit Leo X. zusammentreffen sollte, als ihn die Nachricht von der miBlungenen Expedition und vom Triumph des spanischen Vizekonigs erreichte. Sein Zorn ergoB sich auf den Bischof von Nizza. Der Monsignore bekam einen geniigend strengen Denkzettel, urn sich in Zukunft nicht in Dinge einzulassen, die ihn nichts angingen, er suchte mit zerblautem Riicken Schutz in Mantua, wo er langere Zeit in Furcht vor der Rache des Konigs und Car- dones lebte. Ganze Tage verbrachte er im Boot auf dem Mantua- ner See, da er sich dort vor spanischen oder franzosischen Dolchen am sichersten fiihlte. Dem ganzen Hof gait er als Ziel- scheibe des Witzes, und ein lustiger Frate aus dem Kloster delle Grazie riet, der Markgraf moge Leo X. empfehlen, den Bischof von Nizza als geeignetste Personlichkeit fur das Konzil zu bestimmen, um zu giinstigen Ergebnissen in der Reform der Heiligen Kirche zu kommen.

Diese Begebenheit hat Isabella durchaus nicht entmutigt, die allerschonsten Damigellen um sich zu versammeln. Die eine von ihnen, Alda, eine Verwandte von Matteo Bojardo, hat die Markgrafin in dem MaBe beherrscht, daB sie allmahlich zur Vertrauten ihrer ehelichen Geheimnisse wurde, auBerdem hat sie ihren Sohn, den jungen Federigo Gonzaga, betort. Der Marchese Francesco muBte 1515 das kokette Madchen fortschicken, da sie in Mantua durch ihre Intriguen wahre Feuerbrande zusammengetragen hat. Am schlimmsten ist es der Markgrafin mit ihren Donzellen wahrend Karls V. Aufenthalt in Bologna ergangen.

Isabella hat wahrend des Karnevals in dem von ihr bewohnten Palast Tag und Nacht Balle, Maskeraden und andere Festlichkeiten arrangiert, an denen die italienische und spanische Jugend teilnahm. Die Damigellen haben sich sehr frei benommen und boten AnlaB zu verschiedenen Reibereien, da die leidenschaftlichen, eifersiich- tigen Spanier die Italiener, die auch zum groBten Teil in die

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schonen Gefahrtinnen der Markgrafin verliebt waren, gereizt und herausgefordert haben. Die Skandale nahmen kein Ende, auf den Mauern und Saulen des Palastes konnte man Kreide- und Kohle- zeichnungen sehen und unanstandige Aufschriften lesen, die sich auf die Damigellen bezogen und von der Dienerschaft entfernt werden muBten. Das eigentliche Drama, zu dem die Damigellen beitrugen, spielte sich am 17. Marz beim Ball der Herzogin von Savoyen ab. Es war ein auBerordentlich prachtiger Abend, an dem Karl V., die Herzdge von Ferrara, Mailand und Urbino teilnahmen. Der Kaiser blieb zwei Stunden, sprach und scherzte mit den Damen; die gute Laune des Monarchen teilte sich der ganzen Gesellschaft mit, und es schien, als sollte die Gesellschaft ohne einen jener un- angenehmen Zwischenfalle, die damals an der Tagesordnung waren, verlaufen. Nachdem Karl V. gegangen war, begannen sich einige Spanier Isabellas Damigellen gegeniiber so unanstandig zu be- nehmen, daB die Italiener die Ehre des Hauses wahren wollten, nach den Waffen griffen und die Spanier aufforderten, den Saal zu ver- lassen. Die Spanier blieben natiirlich, zogen gleichfalls und es kam zum Kampfe, bei dem drei der kecken Fremden ihr Leben lieBen. Von den Dienern des Hauses, die die Kampfenden trennen wollten, waren sieben verwundet.

Der Markgrafin blieb nichts anderes iibrig, als Bologna zu ver- lassen; sie empfahl sich dem Kaiser, der sich ihr trotz der getoteten Spanier sehr gnadig erwies, empfing den papstlichen Segen und kam am 21. Marz mit ihren unruhigen Damen nach Mantua zuriick.

Natiirlich war dieser weibliche Hofstaat an den italienischen Hofen der Mittelpunkt aller Vorurteile und alles Aberglaubens; dort suchten die verschiedensten Charlatans nach ihren Opfern, dort fanden Schonheitsrezepte und Geheimmittel ihre Abnehmer. In Ferrara gab es zwar infolge der Universitat bessere Arzte, als in den meisten iibrigen italienischen Stadten, aber die Arzte waren namentlich bei den Frauen der Renaissance sehr unbeliebt.

Dieser traurigen Gestalt in schwarzer Cimarra, schwarzem Samtbarett und Trauerhandschuhen traute niemand so recht, und in den meisten Fallen behandelte man sie als „jumentum insipiens" und rief ,,portate fieno", wenn sie naherkam. Nichts war

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so verbreitet, wie Anekdoten von Arzten; man erzahlte sich, irgend ein Arzt habe selbst den Puis des Campanile, als die Glocken schlugen, nicht finden konnen und wiederholte mit Plato, daB es dem Arzt allein gestattet sei, die Menschen straflos zu toten. Der Arzt, namentlich ,,medicus urinarius" wurde neben dem Monch zur beliebtesten komischen Figur der Novellisten und Lustspiel- dichter. Sogar in den mittelalterlichen kirchlichen Auf f iihrungen in den ,,Rappresentazioni sacre" tritt der Arzt schon ah komische Figur auf. In jenen Frauengemachern miBtraute man dem Arzt, glaubte aber fest an die Wirksamkeit der verschiedensten Rezepte, von denen sich noch ganze StoBe in Bibliotheken verbergen. Nament- lich schrieb man gewissen Beschworungsformeln und kostbaren Steinen eine geheimnisvolle Bedeutung zu und schatzte die Wirk- samkeit heilender Krauter. Noch im XIII. Jahrhundert gab der portugiesische Arzt Pietro di Giuliano da Lisbona, der spatere Papst Johannes XXL, ein populares medizinisches Buch ,,Tesoro di poveri" heraus. Dieses Buch war fur einige Jahrhunderte das Rezept-Schatzkastlein1), auch die medizinischen Vorschriften eines andern Papstes, Innocenz III., erfreuten sich groBer Beliebtheit. Innocenz war der Erfinder eines Pulvers, das das Augenlicht wieder- gab, der Kardinal Bianco war ein noch groBerer Wundertater, sein Pulver erhielt die Sehkraft, hielt den Magen in Ordnung, zer- streute die bose Laune und wirkte giinstig auf die Brust. In diesen Rezeptbuchern, die in keinem groBern Hause fehlten, sind auch Beschworungsformeln, scongiuri, eingetragen. Es gab scongiuri gegen Fieber, Zahnschmerz und viele andere Krankheiten; wenn man sie sprach, muBte man ein Kreuz iiber die schmerzende Stelle schlagen, auBerdem fasten, beten und Almosen geben. So wurde z. B. die Rose geheilt, wenn man iiber den Kranken den Vers sprach:

Nui tre fratre simo: iamo, a monte Albano, A piglia noglio pe' resibela e anti mali.

Als Universalmittel gait der Rosmarin, dem man zweiundsiebzig ,, virtu" zuschrieb, d. h. man glaubte, daB er sich in zweiundsiebzig

x) Sehr verbreitet waren auch die Biicher ,, Regime de corps" von Aldo- brandini di Siena und „De regimine sanitatis" von Taddeo Alderotti.

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Fallen erfolgreich anwenden lieBe. Rheumatismus und Katarrh, samtliche Geschwiire, selbst Krebs wurden mit Rosmarin geheilt. Auch Sancho Pansa hat Don Quixote Rosmarin und Salz auf die Ohrwunde gelegt, die sich der baruhmte Ritter im Kampf geholt hatte. Rosmarin machte die Alten wieder jung, gab den Frauen einen weiBen, glatten Teint, mit diesem wunderbaren Kraut ver- trieb man Schlangen und wilde Tiere, Rosmarin brachte Gliick und OberfluB und heilte sogar Geisteskrankheiten. Man erzahlte sich, ein englischer Monch habe diese Eigenschafte-n des Rosmarin in Indien beobachtet und das Wunderkraut nach Europa gebracht. Diese tJberlieferung war schon deshalb unwahrscheinlich, da bereits die Romer Rosmarin in verschiedenen Fallen beniitzt haben.

Besondere Eigenheiten hatten einige kostbare Steine wie Sma- ragden, Rubine u. a., auBerdem gab es zehn Steine, pietre virtuose benannt, die mit geheimer Kraft begabt waren. Namentlich Frauen suchten nach dem Adlerstein, pietra dell'aquila, die die Adler in ihren Nestern zusammentragen sollten. Dieser Stein sollte die schmerzvollsten Vorgange im Leben der Frau erleichtern, und der Glaube an seine Heilsamkeit hat sich bis auf den heutigen Tag er- halten, so weit, daB haufig noch Frauen in Pariser Apotheken kommen und nach dem Adlerstein verlangen1).

Sehr gesucht war besonders der Smaragd, denn er gab dem, der ihn trug, Gesundheit und Heiterkeit. Freilich muBte man ihn in Wein und 01 waschen. Am starksten waren die Wirkungen der

x) Im Pariser .Journal de la Beaute" vom 11. Juni 1905 lese ich, daB die „pierre du soleil" als Berloque gefafit, Liebe erwecke und den Geliebten binde. Dieselbe Zeitung empfiehlt am 19. Dezember 1905 ihren Leserinnen als besonders wirksam in Liebesdingen die „magische Pflanze" Mandragola, die zu den groBen Seltenheiten gehort, an einsamen, wilden Platzen wachst, zufallig auftaucht und wieder verschwindet und sich nicht durch Samen wie andere Pflanzen vermehrt. Wer Mandragola besitzt, kann sicher sein, wiedergeliebt zu werden. So lebt Machiavellis „Mandragola" denn bis auf den heutigen Tag. In Galizien wissen die Bauernmadchen von dieser Pflanze und ihren Vorziigen, nennen sie jedoch anders. Nach ihren Beschreibungen stimmt die Wurzel vollkommen mit der Mandragola -Wurzel tiberein die sich in der kaiserlichen Bibliothek in Wien befindet und die Gestalt eines zusammengeschrumpften Puppchens hat.

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Koralle, die ahnlich wie der Rosmarin unzahlige Vorzuge hatte. In pulverisiertem Zustand wurde sie zusammen mit eingemachten Friichten gegen Herzkrankheiten eingenommen, da corallo ,,cor alens" bedeutete, der Stein also als herzernahrend gait.

Conforte al riguardar la vista e '1 core: Averne seco quande il folgor cade, Pietra non e piu util ne migliore.

Im Buch ,,Segreto de Segreti", das Aristoteles zugeschrieben wurde und in Albertus Magnus beruhmtem Werk ,,De Mineralibus" las man iiber die geheimen Eigenschaften kostbarer Steine. Nicht der Stein allein war von geheimem EinfluB auf den Geist und die Gesundheit des Menschen, die eingeschnittenen Figuren erhohten seinen magischen Wert. Eine Kamee mit einer menschlichen Figur, die eine Schlange am Kopf hielt, vermehrte den Reich- turn; ein Lowe oder Ziegenbock in Stein schiitzte vor taglichem oder dreitagigem Fieber, Lowe und Hund zusammen heilten Tollwut.

Die Monche, die sich den groBen Damen gefallig erweisen wollten, schrieben ihnen die verschiedensten Rezepte ab, so erhielt Chiara di Correggio, die im XVI. Jahrhundert lebte, von einem Franziskaner einige unerhort seltene Schonheitsrezepte ,,Ricette da fare bella". Unter anderem sind die Substanzen eines Pulvers aufgefiihrt, die der Kardinal-Protektor jenes Monchs, ,,il mio car- dinale", beniitzt hat und denen er seine schone weiBe Hand zu danken hat. Das Buch enthalt auch Rezepte fur Puder, fur das Parfiimieren von Handschuhen und verschiedene andere wertvolle Winke fur Frauen.

Zu einer Frauenbibliothek gehorte auch eine Sammlung von Gebeten gegen gewisse Krankheiten, und damals schon wandte man sich an die heilige Apollonia von Alexandrien, wenn man an Zahnschmerzen litt.

In der sehr zum Aberglauben neigenden Renaissance bestand neben der wirklichen Welt eine Welt der Symbole, in der die Phan- tasie frei schalten konnte. Alles, was den Sinnen unterstand, hatte seine geheime Bedeutung; mit den Sternen und den Himmelskorpern

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beschaftigten sich die Astrologen, fur die Phantasie gewohnlicher Menschen bot die Flamme im Kamin, Rauch, Kohle, Asche,Wolken, Regen, Schnee und der Regenbogen Ziindstoff genug. Jedes elementare Ereignis, jeder Gegenstand, der damit in Verbindung stand, war fiir gute oder bose Prophezeiungen geeignet. Die Welt der Symbole stand in engem Zusammenhang mit den Devisen und Wappen, die sich ein jeder wahlte, der auf irgendeine Stellung in der Gesellschaft ein Anrecht hatte. Zur Imprese fiigte sich die Figur und ein entsprechendes Motto. Alle klugen, feinsinnigen Menschen beschaftigte diese Kombination. Es gibt keinen VierfiiBier, Vogel, Fisch, keine Schlange und kein Insekt, keine Pflanze und keine Frucht, die damals nicht als Thema fiir eine Imprese gedient hatten. Ganze Biicher wurden dariiber geschrieben, die ernst- haftesten Menschen beschaftigten sich mit dieser von ihnen erschaffenen Wissenschaft. Natiirlich haben sich die F.rauen am meisten dieser Symbolik gewidmet, und wie alles andere unterlagen auch die Devisen der Mode. Die Donzellen stickten unter Niccolo III. franzosische Devisen auf ihre Armel, da Norditalien damals im Zeichen franzosischer Sitte und fran- zosischer Romane stand; unter Ercole I. wurden die franzosischen durch spanische Devisen verdrangt, und unter Renata herrschte wieder das franzosische Wappen vor. Eine ihrer Damen war so tugendhaft, daB sie die Devise trug: ,,Ehrlich will ich mein Leben vollenden!"

Eine sehr charakteristische Personlichkeit, die etwas vom Arzt, vom Astrologen und vom Naturforscher hatte, war der Nea- politaner Giovan Battista' della Porta, den der Kardinal Luigi d'Este haufig bei sich zu Gaste sah. Delia Porta gab dem Kardinal gegen seine Gicht ein Ol, das er aus Bucheckern gewann, die Mixtur war mit Hdllenstein und geheimen Beschworungsformeln gebraut; in seinen freien Augenblicken schrieb er wertlose Komodien. Sein wichtigstes Werk war jedoch das Buch ,,Fisonomia delle erbe", in dem er zweitausend Geheimmittel herausgab; es waren Geheim- nisse, die er der Natur abgelauscht hatte, und er glaubte, niemand konne in seinem Wissen weitergehen, als er gedrungen sei. Dem gelehrten Charlatan geniigte das Offenbaren der geheimen Eigen-

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schaften der Pflanzen nicht, er gab noch ein anderes Werk ,,Ma- gnalia naturae" oder ,,Magia naturale" heraus, in dem er die Schleier von alien Zweigen menschlichen Wissens hob. Unter alchymisti- schen Seltsamkeiten befanden sich merkwiirdige Entdeckungen, Ergebnisse ernsthaften Forschens, und manche wichtige spatere Erkenntnis wurden vorausgeahnt. So sprach er viel von Perspek- tive, von Spiegeln, die eine Feuersbrunst aus der Feme zu ent- ziinden vermogen, von der Art mit Menschen auf Tausende von Meilen mittels des Mondes zu sprechen, von Brillen, durch die man ungeahnte Entfernungen iibersehen konne. Er widmete sich auch agronomischen Forschungen, lehrte Methoden, um aus einem Samenkorn dreiBigfaltige Frucht zu ernten, Getreide hundert Jahre gut aufzubewahren, bisher unbekannte Blumen und Friichte zu ziichten, Brot und Mehl zu backen. Diese wirtschaftlichen Vor- schriften haben den Kardinal sehr interessiert, er hat den Neapoli- taner in seine Villa nach Tivoli mitgenommen und ihm Geldmittel zur Verfugung gestellt, damit er in seinem Haus Versuche anstelle, Andere „Gelehrte", die Delia Porta seinen Erfolg neideten, haben ihn bei der Inquisition verklagt, er verbreite irreligiose Kenntnisse und verkiinde zukiinftige Dinge, aber mit Hilfe seiner einfluBreichen Beschiitzer gelang es dem Alchymisten sich zu rechtfertigen. Sicher- lich war es ihm um ein ehrliches Erforschen der Natur zu tun, zu diesem Zwecke griindete er sogar eine ,,Accademia dei Segreti", in der die verschiedensten Erfahrungen gesammelt wurden. Nach dem Muster dieser Akademie entstanden spater Verbindungen, wie die ,,Accademia delCimento" und die ,,AccademiadellaTraccia",diezur Erweiterung naturwissenschaftlicher Forschungen beitrugen. Delia Porta war auch Lavaters Vorganger, er verfaBte eine Abhandlung ,,De humana Physiognomia", in der er bewies, daB die Gesichts- ziige und gewisse Linien im Bau des menschlichen Korpers zur Be- wertung und Feststellung geistiger Eigenschaften des Menschen dienen konnen. Das groBte Verdienst des Neapolitaners besteht darin, daB er als erster auf das Teleskop hingewiesen hat, an diesem Problem hat er in venezianischen Glasfabriken gearbeitet. Ihm wird auch die Erfindung der Camera obscura zugeschrieben, die spater fur Kepler und Newton wertvoll war.

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V

DerHof vonFerrarawar einerderheitersten geselligen Mittelpunkte Italiens. Fast ununterbrochen gab es Musik, Gesang und Tanz, und die Keiterkeit des Kastells hat sich der ganzen Stadt mitgeteilt. Wenn die Zeitgenossen Ferrara beschreiben, so heben sie immer hervor, daB die ganze Stadt am Abend von Musik und Gesang wieder- halle. Die Este haben Musik mit viel Hingabe getrieben und selbst ihre Pagen in mehreren Instrumenten unterweisen lassen. Musik wurde zur Leidenschaft der Renaissancehofe. Es wurde bereits er- wahnt, daB die Este Musiker aus Flandern und Frankreich haben kommen lassen und ihr eigenes Orchester hatten. Unter Alfonso II. hat die Pflege der Musik in Ferrara ihren Hohepunkt erreicht. Fast alle beruhmten Musiker Europas kamen damals fur einige Zeit nach Ferrara und haben dem Hofe ihre neuesten Werke geschickt. Der Franzose Giovanni Alessandro di Melleville war Musiklehrer der Prinzessinnen Anna, Lucrezia und Leonora; namentlich Lucrezia hat wahrend ihres ganzen Lebens Musik eifrig betrieben. Eine Zeit hindurch beschaftigte sie an ihrem Hof die drei Schwestern Avogari, die zusammen mit dem Organisten ein ausgezeichnetes Quartett gebildet haben. Leonora hatte eine sehr schone Stimme, aber die Arzte haben ihr infolge ihrer schwachen Konstitution friih- zeitig das Singen verboten. Der beruhmte Pier Luigi Palestrina wurde, nachdem er seine ,,Messe di Papa Marcello" komponiert hatte, nach Ferrara als Kapellmeister berufen und nahm vier Jahre von 1567 bis 1571 diese Stelle ein. Vorher war er kurze Zeit Mitglied des Chores der Sixtina gewesen, aber Paul IV. Caraffa hatte ihn entlassen, da der leichtsinnige Pier Luigi weltliche ,,Madrigale" komponiert und sie x555 in Rom herausgegeben hatte. Infolgedessen suchte der be- ruhmte Musiker Beschaftigung bei anderen Kirchen, bis er nach Ferrara kam. Fur Caraffa war seine Musik zu weltlich, fur Alfonso zu ernst. Palestrinas kiinstlerische Richtung entsprach dem Ge- schmack desHerzogs nicht, infolgedessen verlieB der Kiinstler Ferrara und ging 1571 nach Rom zuriick, wo er wieder in San Peter ange- stellt wurde. Alfonso war selbst Komponist, er hat die Musik zu den ersten Schaferspielen, die am Hofe aufgefiihrt worden waren,

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verfaBt und beschaftigte sich auch mit dem Arrangement der SchloBkonzerte. Da es viel Schwierigkeiten kostete, die entspre- chende Sangeranzahl zusammenzubringen, bemiihte er sich von den Prioren der dortigen Kloster die Erlaubnis zu erhalten, die musikalischen Monche an den Hofkonzerten teilnehmen zu lassen. Die Monche muBten, wenn sie offentlich auftraten, einen schwarzen Mantel iiber ihre Kutte ziehen.

Zu Ferraras beruhmtesten Kapellmeistern gehort Luzzasco Luzzaschi, der dem SchloBorchester von 1561 bis 1592 vorstand. Er hatte einen groBartigen Chor von Damen und Herren der ersten Gesellschaft gegrundet, iiber den die Zeitgenossen voll Lobes sind. Zu diesem Chor gehorten: Tarquinia Molza, Lucrezia Bendidio, die Contessa Leonora di Scandiano, Vittoria Bentivoglio und Laura Peperara; unter den Mannern hatte der Neapolitaner Giulio Cesare Brancaccio die schonste BaBstimme. Militarische Studien haben ihn jedoch mehr als Musik interessiert, und er hat den Herzog mit seiner Abhandlung iiber Strategic, von der er nicht ubermaBig viel verstanden zu haben scheint, sehr gelangweilt. Der Herzog hat Brancaccio vierhundert Scudi jahrlich angewiesen, ihm Pferde ge- halten und ihm vollig freien Unterhalt gewahrt, doch dies geniigte dem verschwenderischen Neapolitaner keineswegs, er traumte stets davon, sein Schicksal zu verbessern. Nachdem er den Hof von Fer- rara verlassen hatte, trieb er sich in Frankreich und Spanien herum, bis er zuletzt in Neapel von der Barmherzigkeit der Menschen lebte, denen er amiisante Anekdoten erzahlte.

Die bedeutendste Rolle in der musikalischen Welt hat Tarquinia Molza gespielt; die Gesandten unterlassen es nie, sie in ihren Be- richten iiber Ferrara zu erwahnen, und die Dichter haben sie be- sungen. Tarquinia Molza, aus einer bekannten Familie Modenas stammend, trieb auBer Musik auch klassische Sprachen und Astro- nomic Einer der Hofpoeten hat ihr ein Madrigal gewidmet: ,,A la signora Tarquinia Molza la qual studiando la sfera andava la sera contemplar le stelle". Tarquinia hat auch gedichtet und nimmt unter den Dichterinnen des XVI. Jahrhunderts in Italien durchaus keine untergeordnete Stelle ein. Alfonso II. hat sie so heiB verehrt, daB er einst ihr zu Ehren in einem Turnier gekampft hat; Tasso

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hat diese Begebenheit in einem elegantei; Sonett besungen. Die Molza kam als junge Witwe 1583 nach Ferrara, sie gefiel dem Dichter auBerordentlich, aber der flandrische Musiker Giacomo West, der im Dienst der Grafen von Novellara stand und sehr haufig nach Ferrara kam, fand vor ihren Augen mehr Gnade. Man wollte Kiisse zwischen Tarquinia und dem Flamen belauscht haben, und der Herzog, der vielleicht nicht ganz frei von Eifersucht war, fing Briefe des verliebten Paares auf. Infolgedessen mufite die Molza, nachdem sie einige Jahre in Ferrara gelebt hatte, 1589 nach Modena zuriick- kehren; in ihrem Haus fand sich ein Kreis von Literaten und Mu- sikern zusammen.

Von Lucrezia Bendidio, einer der Sangerinnen des Hofes, und ihrem Verhaltnis zum Kardinal Luigi, war schon die Rede. Von Laura Peperara, der jiingsten dieser Damen, ware zu erwahnen, daB sie durch ihren Gesang Annibale Turchi besiegt hat, einen Jung- ling, der zu den ersten Familien von Ferrara gehort und sich mit ihr vermahlt hat. Der Herzog zeigte sich sehr freigebig und hat der armen Sangerin zehntausend Scudi als Mitgift geschenkt.

Von Zeit zu Zeit wurden am ferraresischen Hof ganz groBe Konzerte veranstaltet, so brachte Alfonso 1583 zum Empfang eines beriihmten Gastes siebenundfiinfzig Sanger zusammen. Zwei Zimmer im SchloB wurden fur die Proben bestimmt, und der Herzog lieB zur Beniitzung der Kiinstler die verschiedensten Instrumente zurechtlegen, wie Posaunen, Bratschen, Floten, Zithern, Harfen, Klaviere usw.

Bezeichnend fur die Musik am ferraresischen Hofe im ausgehen- den 16. Jahrhundert war ihr Zusammengehen mit der gleich- zeitigen Poesie. Jedes Madrigal, jede Ballade und Kanzone, die Tasso, Guarini oder Pigna verfaBt hatten, wurde von Agostini, Fiorini, Luzzasco oder haufig vom Herzog selbst in Musik gesetzt. Selbst einzelne Abschnitte aus dem Furioso oder der Gerusalemme wurden vertont. Es wird erzahlt, daB Ariost sich in ein junges Madchen verliebt hat, das mit unbeschreiblichem Reiz seinen Or- lando gesungen hat. Die Musik wurde allmahlich weich und sen- timental, die Zeitgenossen klagen, daB es ihr an Kraft fehle, und selbst Tasso spricht in seinem Dialog ,,La Cavaletta" vom Verfall

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des musikalischen Gefiihls und fordert Meister wie Luzzasco auf, den alten Ernst, die gravita wiederzubeleben.

Ohne Musik, ohne Intermezzi, in den meisten Fallen komischer Art mit sehr anstoBigen Versen und entsprechend sinnlicher Musik, ging es bei keiner Theaterauffiihrung ab. Die Intermezzi nahmen dermaBen uberhand, daB einer der Kunstler sich beklagt hat, er schreibe eine Komodie fiir Intermezzi und nicht mehr Intermezzi fur eine Komodie. Lasca klagt in seinem Prolog zu ,, Strega" iiber die musikalischen Einlagen, die die Aufmerksamkeit der Zuhdrer vom Drama ablenken. Um dem Geschmack des Publikums zu schmeicheln, flocht jeder Lustspieldichter Madrigale in seine Ko- modie ein, die fiir Musik und Gesang verfaBt waren, und in den wenigsten Fallen mit dem Inhalt des Stiickes in Zusammenhang standen. Diese Intermezzi bilden im Zusammenhang mit der Ko- modie den Anfang des Melodramas, das sich im XVII. Jahrhundert entwickelt hat.

Die Klagen iiber die Sinnlichkeit und Verweichlichung der Musik haben also wenig geniitzt, und trotz des einsetzenden Ver- falls ist die Vorliebe fiir Musik nicht in Ferrara allein, sondern in ganz Italien ungeheuer gestiegen; musikalische Akademien wurden gegriindet, um gemeinsame Konzerte zu veranstalten. Die ferra- resische Akademie sollte ihren Statuten gemaB alle drei Monate ein groBes Konzert geben, die Jugend ausbilden und aus ihrem Kreise Zensoren in musikalischen Dingen wahlen.

In unmittelbarem Zusammenhang mit der Musik stand der Tanz, der erst in der Renaissance zum weltlichen Spiel wurde, wah- rend er im Mittelalter mit religiosen Brauchen eng verkniipft war. Der Tanz in der Kirche war ein heidnischer Brauch. Die romische Kirche hat diese Sitte seit dem XII. Jahrhundert bekampft, und bis gegen Ende des XVI. Jahrhunderts erlieBen die Konzile ein Verbot nach dem andern, in den Kirchen und auf den Friedhofen zu tanzen. In Piemont wurde noch im XVI. Jahrhundert in der Kirche getanzt, wenn der junge Kaplan die erste Messe las, und heute tanzt man noch in einzelnen spanischen Gemeinden zu Ehren der Mutter Gottes, nicht nur wahrend der Prozession auBerhalb der Kirche, sondern auch in der Kirche selbst. In Sevilla hat sich der

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Tanz der Kinder vor dem heiligen Sakrament als Brauch einge- biirgert1). In Italien hat man erst in der Renaissance den Tanz vollkommen von kirchlichen Brauchen getrennt. Zuerst hat auch der Renaissancetanz etwas vom kirchlichen Ernst bewahrt, er war langsam und getragen, eine Art begleitender Bewegung zum reli- giosen Lied. Es wurde zumeist singend getanzt, und tiefe Ver- beugungen gehorten zu den wesentlichen Bestandteilen des Tanzes. Wahrscheinlich war die erste dem Tanz angepaBte Gedichtform die Ballade, spater wurden im Takt Kanzonen, Madrigale und ver- schiedene andere Gedichte gesungen.

Da der Tanz in Italien sich aus kirchlichen Brauchen entwickelt hat, war er bis ins XV. Jahrhundert eine bloBe Volksbelustigung, erst allmahlich ging er vom offentlichen Platz, von der StraBe in den geschlossenen Raum iiber. Die Volkstanze wurden damals zu Tanzen umgewandelt, wurdig ,,da esser dangati per dignissime

x) Nicht nur in Sevilla, sondern auch in entlegeneren Stadtchen Anda- lusiens bestehen bis auf den heutigen Tag religiose Tanze in der Fastenzeit zu Ehren der Mutter Gottes. Sie haben neben der religiosen auch eine historische Bedeutung; denn sie stellen die Freude iiber den Untergang der Mauren dar. Diese Tanze gleichen einer amusanten Maskerade mehr als einer religiosen Zeremonie. Die Tanzer, zumeist Leute aus dem Volk, Ziehen sich wie Harlekins an, tragen ein rotes Warns, ein kurzes, weiBes, gesticktes Beinkleid, stecken farbige Bander an und gurten sich mit bunten Scharpen. Auf dem Kopf tragen sie eine Art Helm oder Pyramide aus rotem Stoff mit kunstlichen Blumen, unter dem Kinn gebunden. Kleine Spiegelchen, die an diesem seltsamen Kopfputz befestigt sind, erhohen das Grelle der Kostume. Diese Ballettanzer mit einem Alkalden an der Spitze gehen tanzend der Prozession voran und teilen sich auf ein gegebenes Zeichen in zwei Gruppen, von denen die eine die Christen, die andere die Mauren darstellt. Beide Gruppen veranstalten einen Kriegstanz, schlagen sich mit Stocken beim Klang der Kastagnetten und Tamburine, dann erliegt die Gruppe der Mauren der Ubermacht, erklart sich geschlagen, sinkt vor Marias Bild in die Knie und bittet urn die Taufe. Es folgt ein Freudentanz iiber die Belehrung der Unglaubigen, die Prozession tritt in die Kirche, die Orgel spielt lustige Melodien, die Tanzer setzen ihre schwingenden Bewegungen fort, und der Ball in der Kirche wahrt bis zum Abend. Niemand lacht, niemand empfindet die Komik der Szene, im Gegenteil, das versammelte Volk ist vom religiosen Charakter dieser Sitte durchdrungen, und die Frauen knieen und beten wahrend des Hollenlarms.

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madonne et non plebeie". In der Benennung ,,contradanse" hat sich die Herkunft eines der verbreitetsten Salontanze vom Volkstanz er- halten, da contradanse urspriinglich nichts anderes war als danza della contrada, Dorftanz.

Musik und Tanz wurden Bedingungen guter Erziehung. Tanz- lehrer, die beriihmtesten darunter waren in Ferrara Domenico da Ferrara, der Verfasser des Buches ,, Liber Ballorum", und sein Schiiler der Jude Guglielmo hebreo Pisauriensis, der einen ,,Trat- tato dell'Arte del Ballo" herausgab erdachten immer neue Tanze, und selbst Lorenzo de' Medici hielt es nicht unter seiner Wiirde, Tanzfiguren zusammenzustellen. Die Duchessa Margherita, Al- fonsos II. Gattin, hat neue Tanze erdacht, und am 20. Januar 1582 haben auf dem Hofball die Herzogin selbst, Donna Marfisa und noch sechs Damen einen vollkommen neuen Tanz aufgefiihrt. Einige unter ihnen stellten in hochgeschiirzten Kleidern Manner dar. Vielleicht waren Tanzschulen in keiner Epoche so verbreitet, wie in der zweiten Halfte des XVI. Jahrhunderts; die beste Gesellschaft fand sich dort zusammen, und diese Anstalten standen in ebenso hohem Ansehen wie die Fechtschulen. Die vornehme Jugend ritt morgens und iibte sich in der Verfertigung von Waffen, am Nach- mittag wurde in der Tanzschule getanzt. Da man sich in allem be- miihte, die Antike nachzuahmen, wurden auch pantomimische, sehr indezente Tanze eingefiihrt.

Die verbreitetsten Tanze in der zweiten Halfte des XV. und im beginnenden XVI. Jahrhundert waren ,,la piva", ,,il saltarello", aber es gab daneben auch eine Menge provinzialer Tanze wie ,,ve- neziana", ,,bergamasca", „florentina", ,,polesina", ,,friulana". Gugli- elmo hebreo hat mehr als zehn neue Tanze ersonnen und eingefiihrt. Haufig trug der Tanz den Namen der Kanzone, von der er stammte, wie „Mezzacrocca", die am Hof zu Mantua viel getanzt wurde. An mehreren der Kanzonen, die zum Tanz gesungen wurden, wiirde man heuteAnstoB nehmen, aber damals war man weniger heikel. Zudenbe- kanntesten gehorte die Kanzone ,, Rosina", die folgendermaBen begann : Che bella chioma ch'ha la mia Rosina, Rosina bella fa li la la la Viva l'amore e chi morir mi fa.

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In den weiteren Strophen wurden die Reize der Rosina sehr eingehend geschildert. Heute noch wird das Lied auf den Dorfern mit den verschiedensten Zusatzen gesungen, indem anstelle der Rosina eine Marianna getreten ist:

Che bel capelli ch'ha la mia Marianna . . .

Im SchloB zu Ferrara wurde der Ball zumeist mit einem Fackel- tanz, ,,ballo della torcia", und dem Loschen der Fackeln beschlossen. Die Tanze bestanden zumeist aus verschiedenen Figuren, die man noch in manchen heutigen Tanzen, besonders auch im polnischen Mazur, entdecken konnte. So faBte man z. B. im ,,ballo della catena" die Tanzerinnen der Reihe nach unter den Arm und tanzte eine Tour mit ihnen:

II ballo s'intreccia

Braccia con braccia:

Mentr'un s'allaccia

L'altro si streccia.

Es gab auch Figuren, in denen der Tanzer der von ihm er- wahlten Dame ein Tuch zuwarf, ,,ballo della pezzuola", eine andere ,,il brando", war noch deutlicher, da man die Tanzerinnen der Reihe nach abkiissen durfte. Bei besonders festlichen Ballen suchte man durch graziose und anmutige Tanze zu glanzen. Ein venezianischer Schriftsteller lobt die ferraresischen Damen, sie hatten im Tanz Mil misurato passo" und beschrieben leichte und anmutige Wendungen.

VI

Ferrara war nachst Rom die wegen ihres Karnevals beriihm- teste Stadt, und als in der zweiten Halfte des XVI. Jahrhunderts die Papste den Karnevaleifer zu dampfen begannen, gait der fer- raresische Fasching als der erste in ganz Italien. Besonders die letzten Este haben sich fur Karnevalsfeste interessiert, unter ihrer Herrschaft wurde der Karneval fast zu einer staatlichen Institution. Sehr charakteristisch sind in dieser Beziehung die Berichte der fer- raresischen Gesandten bei der romischen Kurie; sie beweisen, bis zu

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VIERZEHNTES KAPITEL

welchem Grade die Este alles interessiert hat, was mit Faschings- freuden in Zusammenhang stand. Die Gesandten haben den romi- schen Karneval aufs ausfiihrlichste geschildert, und ihre Briefe sind ein ausgezeichneter Beitrag zur Sittengeschichte von Rom. Ferrara war fur seine schonen Masken beruhmt, sie wurden ein wichtiger Handelsartikel der Stadt. Am 13. Februar 1508 berichtet der ferra- resische Gesandte seinem Herzog aus Rom, der Kardinal d'Auch sei mit den Masken sehr zufrieden, sie gehorten zu den schonsten, die man in Rom je gesehen habe. Auch die fur den Bischof von Orvieto bestimmten Masken seien zur groBten Freude desPralaten ausgef alien, ,,le ebbe carissime". Aus Ferrara scheinen auch Masken fur die Kar- dinale S. Pietro in Vincoli und d'Aragon gekommen zu sein, die wahrend des Karnevals ,,vestiti alia mammeluca" waren. Unter Leo X. wartete der beriihmte papstliche Bankier, Agostino Chigi, im Januar 151 8 auf drei Dutzend Masken, die ihm der Herzog von Ferrara schicken sollte. In seinem Dialog ,,Delle maschere" hat schlieBlich auch Tasso die ferraresischen Masken weit hoher als z. B. die mailandischen geschatzt.

All dies beweist, wie sehr der Fasching in das Leben der Stadt eingriff. Von den Herzogen hat namentlich Alfonso II., selbst als er nicht mehr jung war, den Karneval bis zum auBersten ausge- kostet, im Kostiim eines Hofnarren pflegte er sich auf der StraBe unter die Menge zu mischen. Dies wurde einem Franziskanermonch zuviel, im Beisein des Herzogs legte er seiner Predigt den Text zu- grunde: drei Dinge haBt meine Seele: einen armen Hochmiitigen, einen reichen Geizhals, einen wolliistigen Alten. Im Verlauf der Predigt bekam der Herzog so manche unangenehme Wahrheit zu horen; der Franziskaner betonte das Argernis, das ein alter Narr gebe, der in der Maske Tanze anfuhre. Der Herzog hat die bittere Pille in aller Stille heruntergeschluckt, und als der Kardinal Carlo Borromeo fur drei Tage nach Ferrara kam, befahl er der gesamten Bevolkerung, die Masken abzulegen, und tat selbst ein Gleiches.

Wahrend des Karnevals jagten Giostren, Balle, Konzerte, Theaterauffiihrungen einander, so daB die vornehme Gesellschaft, die an diesen Vergniigungen teilnahm, kaum einen Augenblick der Ruhe hatte. Zu den beliebtesten Vergniigungen gehorten Wett-

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laufe aller Art; bis zum Giirtel entbloBte Jiinglinge und Greise liefen urn die Wette, auch Madchen nahmen an Wettlaufen teil; selbst fiir Tiere veranstaltete man Wettrennen, so fur Esel, Schweine, und Biiffel, auch Stierkampfe waren sehr beliebt. Ein ErlaB der herzoglichen Kanzlei ist auf uns gekommen, worin anstandige Madchen, von gutem Betragen, uber zwolf Jahre alt, aufgefordert werden, sich zum Wettlauf am Georgstag zu melden. Als erster Preis gait das Palio, die weiteren Preise bestanden in Seidenstoff fiir einen Rock. Das Publikum betrachtete es als sein Recht, wahrend der Wettlaufe das erste beste voriibergehende Madchen zu packen und auf Decken so hoch zu werfen, bis es Venedig sahe. Einmal nahm der Ubermut dermaBen uberhand, daB man zuletzt die Verwundeten wie vom Schlachtfeld vom Spielplatz tragen muBte. Wie viele andere Karnevalsitten, kam auch dieses ,, Spiel" aus Rom nach Ferrara. Hatte doch Leo X. am letzten Dienstag des Jahres 151 9 den Monch, dessen Stuck keinen Beifall bei der Auf- fiihrung fand, auf Decken hochwerfen lassen. Dieses seltsame ,, Spiel" war im Zwischenakt an Stelle einer Moreske eingeschoben worden. Die mit diesem Spiel verbundene Gefahr war nicht minder groB, als jene die beim ,,Eierkrieg", einer gleichfalls sehr beliebten Karnevalsnummer, zutage trat. Die Kampfenden waren zuletzt so aufgeregt, daB sie nicht langer mit Eiern, sondern mit Stocken fochten, und so mancher ging direkt nach der Schlacht ins Spital.

Zu den hubschesten ritterlichen Spielen gehorte der Ringlauf; dem Sieger war eine kostbare Belohnung zugedacht: ein reichge- schmiicktes Barett, ein Stuck Brokat oder Samt.

Nach Ferrara kamen zum Karneval Seiltanzer, Athleten oder Prestidigitateure in groBer Zahl. Beliebt waren Ringkampfe von Kraftmenschen. Weihnachten 1564 kampften wahrend eines Fest- essens im SchloB ein Spanier und ein Italiener Cola aus den Abruzzen. Mit Leichtigkeit hob der letztere einen dreihundert Pfund wiegenden Menschen auf und zerbrach Hufeisen, er hat auch im Kampfe gesiegt.

Die Studenten haben an den Karnevalfesten regsten Anteil genommen, so haben die Juristen am 2. Februar i486 im Palazzo Schifanoja ein groBartiges Fest gegeben, zu dem sie die Herren und Damen der herzoglichen Familie und Ferraras elegante Welt ein-

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luden. Man amiisierte sich glanzend und tanzte den ganzen Tag in der Gartenloggia. Mehr noch als in den Salons machten sich die Studenten auf der StraBe bemerkbar. Gruppen Maskierter trieben sich in der Stadt herum, neckten die vorbeikommenden Frauen, und ihre Freude war vollkommen, wenn es schneite, und man mit Schneeballen die Fenster der Bekannten bombardieren konnte. Zuweilen kam es aus diesem AnlaB zu wirklichen Kampfen. Im Januar 148 1 griffen einige maskierte Hoflinge eine Studenten- gruppe mit Schneeballen an. Am nachsten Tage kamen dreihundert maskierte Studenten vor das SchloB und forderten die Cortegiani zu einem Schneeduell auf, ,,a fare alia neve"; an ihrer Spitze stand der junge Niccolo Maria Este. Natiirlich blieben die Studenten Sieger, denn soviel Hofleute wie Studenten gab es sicher nicht. Eine je groBere Seltenheit der Schnee war, eine um so bedeutsamere Rolle spielte er bei Festen, in Literatur und Kunst. Lascas Novellen- cyklus ,,Le Cene" wird durch eine grimmige Schneeschlacht zwischen ausgelassenen verheirateten Frauen und jungen Leuten eingeleitet; den BeschluB dieser ,,guerra terribile" bildet ein freundschaftliches Zusammensitzen vor dem Kaminfeuer und das Erzahlen von zu- weilen sehr lockeren Geschichten. Die Legende der Santa Maria della Neve ist in Rom entstanden, wo es selten schneit, und auf dem beruhmten Bild der Madonna della Neve in Siena bringen Engel- kinder dem Jesusknaben Schneeballe zum Spiel dar.

Die Studenten wurden allmahlich so ubermiitig, daB sie in der zweiten Halfte des XV. Jahrhunderts wahrend des Karnevals ihre Donzellen maskiert in die Schulsale mitbrachten, selbst in Masken erschienen und dort Tanze auffiihrten; erst Ercole I. verbot 1478 maskierten Frauen den Zugang zu den Gymnasien. Die Stu- denten haben sich fur dies Verbot schadlos gehalten, indem sie sich als Monche und ihre Freundinnen als Nonnen verkleideten, sich in Scharen liber die StraBen walzten und alle Voriibergehenden belastigten. Das war selbst der milden Franziskaner-Inquisition ein zu starkes Stuck, der Herzog muBte eingreifen und die Jugend auffordern, das Klosterhabit zu respektieren.

Die Studenten haben den Karneval haufig bis zum Fasten- sonntag ausgedehnt, die Professoren in ihren Vortragen gestort

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und die fleiBigen Kollegen verspottet, bis der Rektor ein Machtwort sprach und die alte Ordnung wieder einsetzte.

Das Ende des Karnevals, der rapide Ubergang von Tanz, Lust- barkeit, Bankett zu Gebeten und Kasteiung war seit jeher der Vor- wurf einer besonderen Art von Poesie, der Poesie der Karneval- kontraste, ,,il contrasto di Carnevale e della Quaresima". Im Mittel- alter waren diese Gedichte in Spanien, Italien, Frankreich und Deutschland sehr verbreitet: der Kampf des Faschings mit dem Fasten, aus dem der letztere als Sieger hervorgeht, ist das vielfach variierte Thema. Die Dichter, die zum groBten Teil dem geistlichen Stand angehoren, stehen auf der Seite des Fastens und fiihren zahl- reiche Griinde an, die fur die Kasteiung des Korpers sprechen. Be- riihmt war im XV. Jahrhundert neben vielen lateinischen Erzeug- nissen das Gedicht des Erzbischofs Hita ,,der Triumph des groBen Fastens iiber den Fasching".

Der Sieg des Fastens und die Abtotung des Fleisches entsprach den Anschauungen der Renaissancedichter nicht mehr. In den Gedichten des ausgehenden XV. und beginnenden XVI. Jahrhunderts behauptet sich der Karneval als Sieger. Der Fasten wird als eine diistere, widerwartige, ausgemergelte Gestalt dargestellt, wahrend der Karneval ein lustiger, ubermiitiger Geselle ist. Besonders in Italien wird die ,,Monna Quaresima" zur komischen Figur, die haufig auf die Biihne zitiert wird. Zu den amiisantesten Gedichten dieser Gattung gehbrt ,,11 contrasto del Carnevale colla Quaresima", das im XVI. Jahrhundert auBerordentlich verbreitet war und in amiisanter Weise den Kampf dieser beiden Machthaber schildert. Der Karneval, ein iibermiitiger, kiihner Geselle, mit Wurstkette um den Hals und Sporen an den nackten FiiBen reitet gewohnlich auf einem FaB Malvasier, mit prachtvoller Schabracke. Gegen diesen ausgelassenen Kerl riistet sich die Quaresima, ein altes, haB- liches Weib, in einer mit Zwiebeln und Knoblauch gestickten Tunika, an der Spitze eines Heeres von Sardellen, Aalen, Zwiebeln, Sellerie und Petersilie. Der Karneval ruft seine Wald- und Luft- armee zusammen, die aus Lowen, Hirschen, Luchsen, Hammeln, Fasanen, Pfauen und Tauben besteht; er selbst besteigt sein Pferd, von dem zu beiden Seiten etwa hundert gebackene Hiihner herunter-

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baumeln, und rtistet sich zum Kampf. Sein Gesandter ist der Hahn in stolzem, weiBgelben Federkleid, der Anfiihrer der Armee ein gemastetes Schwein, vier FuB lang mit schwarzen Borsten und rollenden Augen. Die Heere stoBen wiitend aufeinander, der Sieg scheint der Quaresima sicher, ein ganzes Heer von Kapaunen sucht seine Rettung in der Fluent und was noch schlimmer, das Schwein stirbt den Tod der Tapfern auf dem Schlachtfelde. Als der Karne- val die Gefahr erkennt, stiirzt er sich in das Kampfgewiihl, rollt wie der Donner, bis er zuletzt, nachdem er die groBten Schwierig- keiten iiberwunden, die Madonna Quaresima gefangen nimmt. Die Megare wird gebunden, und der Kriegsrat und die gesamte Baronie des Karnevals versammeln sich, um iiber ihr Schicksal zu bestimmen. Die Mehrheit der Versammlung, der auch der Fasching angehort, ist dafiir, die grausame Feindin zu Tode zu verurteilen, da halt der Ziegenbock eine sehr geschickte Rede, er erinnert den Karneval, daB er sich stets durch Giite ausgezeichnet und niemandem etwas Boses zugefiigt habe, und bittet schlieBlich um Begnadigung der Quaresima. Der geriihrte Karneval schenkt der Megare die Freiheit und gestattet ihr sogar, vierzehn Tage im Jahr zu machen, was ihr gefallt. Sollte sie jedoch wagen, sich groBere Rechte anzu- maBen oder sich aufs neue gegen den Karneval zu emporen, so wiirde sie zu Tode verurteilt und den Kapaunen zum FraB vorgeworfen werden. Der groBe Sieg wird prachtvoll gefeiert, auf einem Triumphwagen, den acht Elefanten Ziehen, fahrt Prinz Fasching durch sein Reich, und der Wein flieBt in Stromen.

Aber das Schicksal des Karnevals ist nicht immer so gliicklich, Im Theaterstiick ,,Rappresentazione et Festa di Carnevale et della Quaresima", in dem der Koch eine der Hauptpersonen ist, siegt die Quaresima und verurteilt den Karneval zum Tod auf dem Scheiterhaufen. Der arme Karneval bittet all seine Heiligen um Beistand, er betet zum heiligen Kapaun, zum marinierten Hasen und zu vielen andern Beschiitzern im Walde, aber Klagen und Tranen sind vergebens, gegen Ende der Vorstellung wird er auf den Scheiterhaufen geworfen, Satan erscheint und nimmt die Seele des Konigs der Sunder, ,,il Re de peccatori", mit sich. Aber die Sym-

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pathie des Verfassers und des Publikums steht auf Seiten des Karne- vals, dem man in der Hclle viel Malvasier und fette Kapaunen wiinscht.

VII

Der hochste Wiirdentrager des herzoglichen Magens, eine Art Hof- marschall, war der Senescalco, der die Reihenfolge der Speisen .bei Tisch anzuordnen hatte und die schwere Kunst verstand, ge- bratene Pfauen, Kapaune und Fasane zu tranchieren. Ihrn unter- stand eine ganze Beamtenschar, die Apparechiatori, Imbandilori oder Credenzieri, Silber und Geschirr war in ihrer Obhut und das Tischdecken gehorte zu ihren Pflichten. Als Borso 1471 nach Rom ging, nahm er seinen Senescalco Gatamelata und mehrere Creden- zieri mit.

Die Rechnungsbucher wurden mit groBter Sorgfalt gefuhrt, im estensischen Archiv befinden sich bis auf den heutigen Tag Garde- robe- und Kiichenbucher, die ,,Libri di Spendaria" und die ,,Libri della Grassa".

Tischwasche und besseres Leinen lieB man aus Holland und Flandern, seibst aus Rennes in der Bretagne kommen, einfache Wasche wurde in Venedig oder in der Schweiz gekauft. Die groBen Tischtiicher waren sehr teuer und wurden nur bei besonderen Ge- legenheiten beniitzt. (Jberhaupt wurde Tischwasche wegen ihres groBen Wertes sehr geschont. Neben jedem Gedeck lagen Servietten, die man wahrend des Essens unter dem Kinn befestigte, um die kostbaren Gewander nicht zu beschmutzen. Kunstvoll ziseliertes, haufig vergoldetes Silber, das auch mit Email und Edelsteinen ver- ziert war, bildete den Hauptschmuck der Tafel. Es sind das jene Tafelaufsatze in Gestalt von Turmen, Vogeln, Schiffen usw., die heute in den Museen und furstlichen Schatzkammern einmagaziniert sind. In den zahlreichen Beschreibungen des Tischsilbers der Este ist auch ein Geschirr aus vergoldetem Silber erwahnt, in Form von Schiffen, mit Einhornern und dem Wappen der Este geschmiickt, das auf vier emaillierten Radern ruht. Es gab Vasen in Form von Wblfen oder Delphinen, mit Schlangen und Fischen verziert.

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Prasentierteller, Kelche, Salzfasser, Leuchter, Konfitiirenschalen waren aufs sorgfaltigste gearbeitet und ornamentiert, besonders Mai- land und Venedig waren fur ihre kiinstlerische Goldarbeit bekannt. Zu den TischgefaBen, die heute aus dem Gebrauch gekommen sind, gehorten in Italien aus dem Osten eingefiihrte GefaBe fiir Rosen- wasser, das in groBen Quantitaten verbraucht wurde, zum Hande- waschen vor und nach Tische so gut wie zur Bereitung verschiedener Speisen. Rosenwasser wurde in Pavia gekauft, bei Maestro Battisto degli Barbareschi, der dort einen Laden mit seltenen Geriichen und Spezereien aus dem Osten hatte. Huhnergerichte wurden mit Zucker bereitet und mit Rosenwasser parfumiert! Auch zu anderen Gerichten scheinen die Koche Rosenwasser gebraucht zu haben, da bei einem Festessen, das in Ferrara am 4. Juli 1473 gegeben wurde, 48 Pfund in der Kiiche und nur 24 bei Tisch verbraucht wurden.

Die Kiiche hat zu den besonderen Sehenswiirdigkeiten des Hofes gehort. Sie hat einen ganzen Stab von Kochen und eine groBe An- zahl von Kiichenjungen beschaftigt. Gute Koche waren auBer- ordentlich gesucht, die Hofe haben sie sich ebenso wie die beruhmten Konditoren gegenseitig abspenstig zu machen gesucht. In der herzoglichen Hofkuche in Ferrara trugen die Koche schwarze Baretts, Hosen aus rotem Stoff und vermutlich weiBe Leinenjacken. Sie haben verschiedenen Kategorien angehort, es gab Backer, Konditoren und Fleischkoche; mit Borso fuhr auch der Backer Angiola nach Rom. Eine besondere Personlichkeit in der Kiiche hat die Fleischspeisen vergoldet, bei feierlichen Anlassen wurde der groBte Teil der gebratenen Speisen vergoldet und auf seltsamste Weise verziert. Die Pfauen gehorten zum gesuchtesten Gefliigel, so sehr daB wir im XV. Jahrhundert am estensischen Hofe sogar einen ,,indoratore de paoni" finden. Selbst der Name dieses maestro Bernardino di Pasti ist unvergessen geblieben.

Seltsame Dinge wurden damals gegessen. Die hochste Kiichen- kunst bestand darin, einen ganzen Pfau vergoldet oder in vollem Federkleid, den Schwanz zum Rad geschlagen, feuerspriihend, auf einer ungeheuren silbernen Schiissel aufzutragen. Zu diesem Zwecke steckte man dem Pfau mit Kampher oder Spiritus getrankte Watte in den Schnabel, ziindete sie an und servierte das brennende Tier.

HOFISCHES LEBEN

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Unter Ercole I. wurden in der Kiiche fur ein Festessen sieben Pfund Kampher verbraucht, und da auf einen Pfau eine Unze entfiel, muB man achtzig Pfauen den Gasten vorgesetzt haben. Der gebratene Vogel wurde auf eiserne Stiitzen gestellt, damit er sich auf den Beinen halte, der Schlossermeister oder Schmied Maestro Martino verstand ein kunstvolles Geriist fur diesen Zweck zu verfertigen. Man stelle sich etwa fiinfzehn Diener vor, die in den Speisesaal mit radschlagenden Pfauen auf groBen Schiisseln eintraten. Die Gaste gerieten in helle Bewunderung und ein Kamphergeruch, etwa wie in einem Pelzwarengeschaft, erfiillte die Luft. Beim Hochzeits- bankett der neapolitanischen Eleonora wurde als besondere Ober- raschung ein lebendiges Spanferkel in einer Pastete serviert. In den Kiichenrechnungen der Este figurieren auch Posten fur das Ver- silbern von Fisch- und Wildsiilzen, die haufig in Muscheln oder auf groBen Schiisseln serviert wurden. Da zu diesen Siilzen auch Wachs verwandt wurde, miissen Wachs und Silber wohl nur als Schmuck fur solche Gerichte gedient haben.

Im Speisesaal roch es nicht nur nach Rosenwasser und Kampher, auch Bisam stieg den Gasten in die Nase. Besonders dem Zucker- werk wurden Bisam und andere ostliche Geruche beigemischt. Venezianische Kaufleute haben sie von ihren Reisen mitgebracht, namentlich aus Trapezunt iiber Konstantinopel.

AuBer Fischspeisen wurde auch Backwerk und Marzipan ver- goldet. Das Vergolden der Speisen war in dem MaBe Sitte, daB bei Ercoles I. Hochzeitsfeier 27 629 Goldblattchen zum Verzieren von Marzipan und anderem Konfekt verwendet wurden. Schon damals herrschte die Sitte, den Gasten Schachteln mit Zuckerwerk zu verehren, es waren dies aber nicht etwa kleine Bonbonnieren, die beim Dessert zur Erinnerung verteilt werden, sondern groBe Kasten, die zwei Pfund StiBigkeiten enthielten. Wahrend Friedrichs III. Aufenthalt in Ferrara sind nicht weniger als zweitausendsechs- hundert solcher Eichenkasten verteilt worden.

Das Festessen, das am 4. Juli 1473 zu Ehren von Ercoles I. Hochzeit gegeben wurde, war einer der glanzendsten kulinarischen Erfolge von Ferrara; zur Beleuchtung des Saales waren allein 1882 Pfund Wachs erforderlich. Am folgenden Tage wurde ein Bankett

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fur vierzehn Hofdamen arrangiert, daran nahmen Eleonoras Dami- gellen teil, von denen drei aus Neapel stammten: Sylvia, Diana und Colonna, und Frauen aus Ferraras und Modenas beriihmtesten Ge- schlechtern. Zu dieser Hochzeit waren so viel auswarttge Gaste ge- kommen, daB man nicht alien Wohnung im herzog'ichen Palaste anweisen konnte, viele der Angekommenen muBten in den Patri- zierhausern untergebracht werden. Jeden Morgen wurden den Gasten, die mit zahlreichem Gefolge gekommen waren, Lebens- mittel fur den ganzen Tag geschickt. Die Sitte verbot zu sparen, die Gaste bekamen bedeutend mehr, als sie aufzuessen imstande waren. So erhielt z. B. der Kardinal Roverelli, der mit einem Gefolge von dreiBig Personen gekommen war, taglich 360 Pfund Fleisch: auch wenn die Dienerschaft des Kirchenfiirster. noch so gefraBig ge- wesen ware, so hatte sie diese Massen beim besten Willen nicht ver- tilgen konnen. Die iibriggebliebenen Lebensmittel haben die Gaste unter die Armen verteilt oder in die Kldster geschickt. Der Kardinal bekam wahrend seines Aufenthaltes in Ferrara (vom 29 Jani bis zum 12. Juli) 5040 Pfund Fleisch. Die Gastfreundschaft des Hofes nahm ungeheure Dimensionen an, nicht nur den Hochzeitsgasten wurden Lebensmittel zugeschickt, auch das Volk, das zu den Tur- nieren gekommen war: Musikanten, Sanger, Handwerker, Gaukler, Taschenspieler, iiberhaupt alle, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Fest standen, wurden gespeist. Selbst jedem Mdnch und jeder Nonne in der Stadt wurden zwei Pfund Fleisch taglich be- willigt. Die Gemeinden des gesamten Herzogtums hatten diese Vorrate zu liefern, und es laBt sich denken, daB nicht immer alles von bester Qualitat war. Bei solchen Festen iloB der Wein in Stro- men. Als Borso den Kaiser mit einem Gefolge von zweitausend Deutschen empfing, wurde der Wein in Venedig und in der Romagna zusammengekauft, auBerdem muBte jedes Stadtchen, ja jedes Dorf im Herzogtum ein bestimmtes Quantum Wein liefern. Die ferra- resischen Weine gehorten iibrigens zu den besten in Italien.

Man gab sich die groBte Miihe, die Gaste bei den Festen durch mythologische Auffuhrungen, Gesang und Deklamation zu zer- streuen und die beriihmtesten Kiinstler entwarfen das Programm fur Zerstreuungen dieser Art. Die ausfuhrlichsten ,, Menus" aus dem

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XV. Jahrhundert sind uns von Festessen iiberliefert, die Galeazzo Visconti, der Kardinal Riario und der Marschall Trivulzio in Mai- land gegeben haben. Das erste dieser Festessen bestand aus sechs- zehn Gangen, abgesehen von Zuckerwerk, Wein und Obst. Vor Tisch wurde vergoldetes Zuckerwerk und Malvasier gereicht, dann wusch man sich die Hande in Rosenwasser und setzte sich zur Tafel. Ein feierlicher Augenblick kam: vergoldete Ferkel, aus deren Maul Flammen spriihten, und vergoldete Fische wurden aufgetragen. Die Reihenfolge der Schiisseln widersprach heutigen kulinarischen Begriffen, das zweite Gericht bestand aus gebratenen Hasen und vergoldeten Hechten. Das dritte Gericht war eine groBe Uber- raschung : ein groBes gebratenes Kalb wurde aufgetragen, das aufrecht auf seinen Beinen stand und kunstlich vergoldet war. Die Gaste erfreuten sich eines guten Appetits, dem Kalb folgten Wachteln, Rebhiihner, Enten und Reiher. Jeder Gang bestand aus einem Fleisch- und einem Fischgericht; als man nach den Rebhiihnern eine neue Serie von Schiisseln mit Ochsenbraten und Kapaunen, die mit Zwiebelpuree garniert waren, hineinbrachte, fehlte auch ein ungeheurer Stor nicht. Die Gerichte nahmen kein Ende; wieder folgten Kapaune und anderes Gefliigel, Fische mit Zitronensauce, dazwischen wurden Pasteten mit Kalbsbraten und Aalen gereicht, Siilzen aus Wild und Fischen und wieder Kapaune; Hasen, Rehe in anderer Zubereitung. Noch war man nicht beim SchluB: es kam eine dritte Serie von Gebratenem, Hirschwildpret, Huhner in roter und griiner Sauce, Pfauen mit Salat und Erbsen, geraucherte Zungen, Karpfen usw.

Es gab eine solche Menge von Schiisseln, daB die Tierwelt nicht geniigend verschiedene Gattungen von Fleisch und Fisch bot, um wahrend des Mittagessens stets Neues zu liefern. Daher wiederholten sich Kalbs- und Rinderbraten oder Kapaune allzu haufig im Menu, doch war fur Abwechslung gesorgt, indem diese Fleisch- speisen auf die verschiedenste Art zubereitet waren. Wie frucht- bar die damalige Kuchenphantasie war, geht zur Geniige daraus hervor, daB bei einem Mittagessen bei Gherardo Bevilacqua in Ferrara Eier auf fiinfundfiinfzig verschiedene Arten zubereitet serviert wurden.

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Diese Herrlichkeiten und dieser Luxus waren jedoch nur auBere Vergoldung, so gut wie jene, die Pfauen und Ferkeln zuteil ward, man tat besser, in die Kredenzschranke und in die Kiiche nicht erst hineinzusehen. Bei dem Bankett, das man 1574 in Ferrara zu Ehren des durchreisenden Heinrich von Valois gab, bog sich der konigliche Tisch unter der Last von Gold, Silber und Majolika. Scalchi und Camerieri suchten sich in guter Bedienung zu iiberbieten, aber an den Tischen, an denen die Damen saBen, aB man von sehr gewohn- lichem Tongeschirr, es gab weder Messer noch Gabeln und an Stelle von Lakaien bediente ein zusammengelaufenes Gesindel, das die Gaste mit den Ellbogen stieB und bestahl.

VIII

A Is die Reise von Florenz nach Bologna noch zwei Tage dauerte und Wagen ein ungewohnliches Vehikel waren, spielten Pferde und Maulesel eine bedeutsame Rolle im Haushalt der italienischen Hofe. Wagen (carrette) kannte man schon lange, aber es waren Luxuswagen, die infolge der schlechten Wege nur auf kurzen Strecken beniitzt werden konnten; niemand fiel es ein, einen langeren Weg im Wagen zuriickzulegen, zu diesem Zwecke wurden Sanften beniitzt. In Florenz und wahrscheinlich in ganz Italien beniitzte 1534 die Markgrafin Cybo aus Massa als erste einen Wagen, um sich aus dem Palazzo Pazzi, in dem sie wohnte, in die Stadt zu begeben. Der Wagen gab erst Argernis, Dekrete gegen Luxus wurden erlassen und suchten der Verbreitung von Gefahrten zu steuern. Noch unter Heinrich III. Valois durften die Pariserinnen zu den Empfangen bei Hofe nicht anders als zu Pferde kommen. Franz I. hatte nur zwei Wagen, einen fur sich, und einen fur die Konigin. In Ferrara machte es groBen Eindruck, als Beatrice, die Tochter Ferdinands von Aragon und Braut von Matthias Corvinus im Hof- wagen, den man ,,Vehiculum feminarum" nannte, durch die Stadt fuhr. Den Wagen wurden besonders schwere Pferde vorgespannt. Im Laufe des XVI. Jahrhunderts wurde das Wagenfahren Mode in Italien, die Fiirsten bemiihten sich, die besten Kutscher zu be-

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kommen, man fuhr mit Viererzugen, und Isabella von Aragon fuhr in Neapel sogar mit sechs schwarz und weiB gescheckten Pferden. Der Kardinal Ippolito d'Este hatte einen Kutscher, der acht Pferde ausgezeichnet zu lenken verstand, und Modenino, der Stallmeister des Markgrafen von Mantua, fiihrte zwischen 1540 und 1550 auf dem S. Peter-Platz in Mantua mit einem stolzen Schimmel-Vierer- zug „cose da non credere" aus.

Aber trotz dieser Vorfiihrungen war das ganze XVI. Jahrhundert noch das Jahrhundert der Reitpferde und stolzen Kavalkaden, die zu den groBartigsten Zurschaustellungen hofischen Reichtums ge- horten. Der Einzug von Galeazzo Maria Sforza und seiner Gemahlin Bona di Savoia im Friihling 1471 nach Florenz hat den Chronisten groBen Eindruck gemacht. Die Abreise wurde bis zum Mai ver- schoben, um unterwegs geniigend frische Weide fiir die Pferde zu finden, da man nicht soviel Heu mitschleppen konnte. Das Gefolge der Sforza bestand aus der vornehmsten Ritterschaft, den Ministern, einem Trupp Soldaten, Pagen, Reitknechten, Hofnarren und Tromm- lern; es waren im ganzen uber zweitausend Pferde, funfhundert Hundekoppeln, und Falken und Habichte ohne Zahl. Zu dieser Karawane gehorten bereits zwanzig mit Goldbrokat ausgeschlagene Karossen, denen Maulesel vorgespannt waren. Aber diese Wagen machten den Dienern nicht wenig Arbeit, da sie die engen steinigen Wege in den Apenninen kaum zu passieren vermochten. Die Vor- bereitungen zur Reise hatten 200 000 Dukaten in Gold, also iiber zwei Millionen Francs gekostet. Als Vorwand gait die Erfiillung eines frommen Gelubdes, tatsachlich kam es nur darauf an, der Welt den Reichtum und die Macht des mailandischen Herzogs zu zeigen. Naturlich riickte eine solche Kavalkade nur langsam von der Stelle, und die Landbezirke, durch die sie kam, wurden rechtzeitig be- nachrichtigt, damit Futter fur die Pferde und Lebensmittel fiir die Menschen vorhanden sei. Den Pferden wurde in der Hauptsache Gerste oder eine Futterschlempe aus Gerste und Hacksel gegeben, nur die edlen Rosse bekamen besseres Futter: Gerstenmehl mit Wasser angeruhrt und Heu mit Hacksel oder Streu. Nach Ariost befand sich in den Kammern beim Eingang der Stalle stets Gerste und Stroh:

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VIERZEHNTES KAPITEL

In una stanza che, presso all'uscita, D'orzo e di paglia sempre era fornita.

(Orlando XII. 32.)

Hafer wird in den estensischen Registern kaum erwahnt, ob- gleich in Frankreich und England Hafer damals bereits das ge- wohnte Pferdefutter war.

Borsos Expedition nach Rom gehorte zu den prachtigsten, die im XV. Jahrhundert stattgefunden haben. Monate vorher wurden Gold- und Silberbrokate bei Giuliano Gondi, Pietro Francesco und Giuliano de Medici in Florenz fur einen so hohen Betrag gekauft, daB die Bezahlung in zwei Raten, im Herbst und zu Weihnachten, vor sich ging, aufierdem lieB man auch aus Venedig Stoffe kommen. Borso lieB 149 Personen aus seiner Umgebung, die sogenannte ,,Famiglia" einkleiden, aufierdem Anziige fur mehrere Diener an- fertigen und schwarzsamtnes Zaumzeug fur den Maulesel, den Alberto d'Este ritt. Obgleich Borso an siebenhundert Pferde in seinen Stallen hielt, gab es fur den ganzen Zug nicht Pferde und Maulesel genug, man muBte bei den benachbarten Hofen und in Toskana noch Pferde dazu mieten. Einige Monate vor der Abreise wurde ein groBer Stab von Stalldienern aufgenommen, und Maestro Guar- niero aus Modena, einer der Stallmeister des estensischen Hofes, brachte den neuangenommen Knechten bei, wie sie die Pferde zu behandeln hatten. Unterwegs entsandten die Stadte ihre Trompeter zur BegriiBung des Herzogs, und zur Erhohung der Feierlichkeit wurden iiberall die Glocken gelautet. Borso war freigebig; als sie nach Brescia kamen, um den beruhmten Condottiere Bartolommeo Colleoni zu besuchen, schenkte er dem Glockner der dortigen Kathe- drale einen Dukaten fur seinen lustigen WillkommensgruB.

Im Winter erhohten die Pelze die Pracht der ganzen Kalvalkade nicht wenig, die Herren trugen Mantel, die mit schwarzem Fuchs, Zobel oder Marder ausgeschlagen waren, die Dienerschaft trug gewohnliche Fuchs- oder Schafpelze. Die Frauen hatten die FiiBe mit langen schweren Fransen bedeckt. Im Sommer trugen die Reisenden Strohhiite, die zumeist aus Cremona kamen. Das Zaum- zeug wurde aus rotem Leder oder aus mit Tuch verkleideten Riemen verarbeitet und mit vergoldetem Zink oder selbst echtem Gold ver-

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ziert. Derartiges Zaumzeug kostete Unsummen. Borso bezahlte 1465 liber sechshundert Dukaten fiir vergoldetes Zaumzeug, auch Ercole I. hatte groBartiges Pferdegeschirr. Seiner Verlobten schickte er nach Neapel Zaumzeug aus karmoisinrotem Samt mit goldenen Schniiren und Knopfen, dazu eine zweite Garnitur aus griinem Bro- kat, die gleichfalls mit goldenen Ornamenten versehen war. Lu- crezia Borgia hatte Zaumzeug ,,a la turchesca" aus karmoisin- rotem Samt mit Gold und Silber gestickt.

Die Este hatten eine Vorliebe fiir schone Pferde, und ihre Stalle waren voll der edelsten Tiere. Selbst in fremden Landern wurden sie zusammengekauft. Im Friihling wurden die Pferde stets fiir zwanzig Tage auf die Weide geschickt, und im September haben sie ein zweites Mai im Freien gegrast. Niccolo III. hatte einen groBen, reichbesetzten Stall, er bezahlte gelegentlich hundert Dukaten fiir ein Tier, den hdchsten Preis, der damals fiir Pferde gegeben wurde. Da der Wert eines damaligen Dukaten ungefahr elf Franken heutiger Wahrung entspricht, so kostete ein Pferd ungefahr tausend Franken. Borso bezog seine Pferde aus Frankreich, Ungarn, Deutschland, England, selbst aus Afrika, schwere Zugpferde und Berberrosse lieB er dort einkaufen. Die Pferde waren damals schon teurer als zu Niccolos Zeiten, fiir ein gutes Jagdpferd wurden fiinfzig bis sechzig Dukaten, fiir ein Luxuspferd und einen Renner iiber hundert- zwanzig Dukaten bezahlt. Fiir seinen Hofnarren Scocola kaufte Borso ein kleines Pferd fiir acht Dukaten, und da Scocola ein kleiner dicker Kerl war, muB er drollig genug im Sattel gewirkt haben. Viel teurer als Pferde waren Maulesel, die man aus Toskana oder Spanien kommen lieB. Borso hat im Jahre 1470 und 1479 seinen Stallmeister zweimal nach England zum Pferdekauf geschickt, und dieser maestro de stalla hatte nicht wenig Schwierigkeiten zu iiber- winden, ehe er die schonen Tiere iibers Meer nach Ferrara brachte. Er hat sehr interessante Reiseberichte geschickt: infolge des Krieges hatte er nicht nach Paris und von dort aus nach Dieppe gehen konnen, Rauber hatten ihn bis aufs Hemd ausgepliindert, auf dem Meer hat ihn ein Gewitter uberrascht und die Oberfahrt von Dieppe nach England hat etwa acht Stunden gedauert. Auf dem Schiff ging es ihm so schlecht, daB er sich dem Schutze aller Heiligen, und

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aller wundertatigen Madonnen, von deren Existenz er wuBte, emp- fahl. Von London aus ging er nach Irland und war uberzeugt, daB die schonen Pferde, die er dort erstanden hatte, den Beifall des Herzogs finden wiirden. In seinen letzten Briefen aus Basel berichtet er, daB er zwolf Pferde gekauft habe, klagt jedoch iiber das teure Leben; die taglichen Ausgaben in der Osteria betragen vier Dukaten und jede Stunde unterwegs scheint ihm hundert Jahre zu wahren, so sehr wiinscht er Seine Exzellenz begriiBen zu konnen.

Wettrennen war eine Leidenschaft der Este; die ungliickliche Parisina hat Schulden gemacht, um ein edles Pferd zu erwerben. Jockeys, ,,pagi a correre", lieB man aus der Fremde kommen, sie trugen die seltsamsten Namen, wie ,,Tempesta", ,,Golfo", ,,Mos- catello", ,,Villano" usw. Auf den Meierhofen in Belfiore wurden die Pferde dressiert, und vor den Wettrennen wurden sie ohne Sattel geritten. Die Jockeys trugen einen Schild auf der Brust mit den Farben der Este: weiB, rot und griin. Arm- und Beinbruche kamen haufig bei ihnen vor, aber Maestro Antonio verstand sie zu heilen, er ist auch in den Hofrechnungen eingetragen als ,, Antonio da Soprano, maestro in cuntare le ossa".

AuBerordentlich friih wurden die Kinder des herzoglichen Hauses aufs Pferd gesetzt. Don Alfonso I. war kaum drei Jahre alt, und schon standen fur ihn zwei Pferde bereit: ein Fuchs und ein dunkelbraunes Pferd. In den Rechnungen aus dem Jahre 1475 ist ein Posten von einer Lire und zehn Soldi verzeichnet fur ein holzernes Tischchen, das fur den Sattel bestimmt war, auf den die kleine, damals etwa anderthalbjahrige Isabella, die spatere Markgrafin von Mantua, gesetzt wurde. Ercole hielt fur seinen eignen Gebrauch achtzig Pferde, darunter waren die graugesprenkelten am zahlreichsten ver- treten; fur die Herzogin standen stets funfzehn Pferde bereit, aber sie ritt am haufigsten auf ihrem Fuchs, ,,il buono" benannt. Zum Jagen hatte Eleonora ein Pferd, das gewohnt war, auf seinem Sattel einen Leoparden zu tragen. Leoparden standen bei den Frauen der Renais- sance sehr in Gunsten, die eine hat sich sogar von Francesco Ubertini mit einer kleinengelbbraunenPantherkatze auf dem Arm malen lassen. Das kleine Raubtier blickt nicht iibermaBig sanft auf jenem Portrat, das sich heute im Kaiser-Friedrich-Museum zu Berlin befindet. Neben

REITER DETAIL AUS DEN FRESKEN IM PALAZZO SCH1FANOJA ZU FERRARA

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den aus Nubien eingefiihrten Berberrossen, den schweren Stuten aus Barco, den Pferden fur Hofdamen, Falkner und Kuriere galten die bei Giostren undTurnieren beniitzten Tiere als die wichtigsten; sie wurden ,,fazionarii" genannt, da die Ritter bei den Turnieren in einzelne Par- teien, fazioni, zerfielen. Eine graue Stute, die taglich in die Meierei nach Stienta fuhr, um frische Butter und Buttermilch fur die Kiiche zu holen, nahm den geringsten Rang unter den Pferden am herzoglichen Hofe ein. Naturlich gab es in so groBen Stallen auch Pferde, die ihr Gnadenbrot oder richtiger ihre Gnadenstreu erhielten. Am geach- tetsten unter jenen Pensionaren war das Maultier, auf dem die Herzogin Eleonora aus Neapel nach Ferrara gekommen war. Jedes Pferd hatte seinen Namen; im Stall wurden ihnen griine Bander in die Mahnen geflochten und sie wurden mit roten Tuchdecken zu- gedeckt, wie sie die Fuhrleute in Toskana noch heute beniitzen. Unter Ercole I. waren die Pferdepreise auBerordentlich gestiegen, und Filippo Maria Visconti hatte Rennpferde, die tausend Gold- dukaten kosteten. Die Gonzaga in Mantua ziichteten eine beriihmte Rasse, sie lieBen Stuten aus Spanien, Irland, Thrakien und Cilicien kommen. Die Mantuanischen Pferde waren so geschatzt, daB man sich die groBte Miihe gab, um ein Pferd von den Gonzaga zu be- kommen.

Eine ungeheure Ausgabe war das Erhalten der Gastpferde; ihre Zahl schwankte in den Stallen zwischen hundertzwanzig und vierhundert. Als Bentivoglio im Dezember 1478 nach Ferrara kam, brachte er hundertacht Pferde mit, und jeden Tag kam ein Gast mit zehn oder zwanzig Pferden.

Den Stallen stand der Marescalco vor, der zugleich Tierarzt war und die Herzoge stets auf ihren Reisen begleitete. Aretino hat diesen Typus in seinem Lustspiel ,, Marescalco" verewigt; die Komodie spielt am Hof zu Mantua. Zu den Pflichten des Marescalco gehorte das Arrangement von Wettrennen, Giostren und Jagden. Wenn Pferderennen stattfanden, so wurden auch die benachbarten Hofe in Kenntnis gesetzt; so versandte Ercole I. am 27. April 1499 fol- gende Bekanntmachung: ,,Hiermit zur Kenntnis, daB Se. Exzellenz beschlossen hat, zu ihrem eigenen Vergniigen und zur Unterhaltung aller, die kommen wollen, am 1. Mai zwischen der 21. und 22. Stunde

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in Terra nuova (wo es eine Bahn in der Art eines Hippodroms gab) , folgende Wettrennen stattfinden zu lassen:

Das erste Wettrennen fur Berber und andere edle Pferde, die zweimal um das Hippodrom laufen sollen. Erster Preis: ein Stuck karmoisinroten Samt. Das zweite Wettrennen fur zweiradrige Wagen (baroccio) mit vorgespannten Ochsen. Preis: zehn Ellen rotes Tuch." Auch das dritte, vierte und fiinfte Wettrennen war fur Ochsen vorgesehen.

Auch in kleinen Stadten, an Festtagen und Jahrmarkten, selbst auf Dorfern fanden Turniere statt, natiirlich weniger glanzend als am herzoglichen Hofe. An Vergniigungen dieser Art beteiligte sich jedoch der Adel nicht, nur junge Leute aus den niedrigeren Volks- klassen, selbst Stallknechte und Diener der Este traten auf, aber stets mit der auf den Schild gemalten Devise ihrer Herren. Alberto d'Este bezahlte einem Maler, Maestro Gerardo, fiinfundvierzig Lire fur das Bemalen der Schilde und Lanzen dreier Leute aus seiner ,,Familie", die an der Giostra in Mirandola teilnehmen sollten.

Das Hauptinteresse des Hofes konzentrierte sich im Herbst auf die Jagd, die Ebene von Ferrara war aufierordentlich fur die Jagd mit Falken und Habichten geeignet. Annibale Romei bewundert in seinen ,,Dicsorsi" die herzogliche Reiterkavalkade, die auf die Wiesen Belriguardos ausriickt. Alfonso und der gesamte Adel auf prachtvollen Pferden, hinter ihnen eine stolze Reihe von Karossen mit der Herzogin und den ubrigen Damen. Wenn man die Reiher aufscheuchte, die Falken loslieB, und in den Liiften ein Kampf auf Leben und Tod zwischen den gefliigelten Feinden entbrannte, schienen alle Zuschauer den Atem vor Spannung anzuhalten.

Unter Alfonso I. fanden viel gefahrlichere Jagden statt. Bona- ventura Pistofilo, der Sekretar und Biograph des Herzogs, erzahlt, Alfonso habe ihn im Herbst 1520 zu den Jagden und Fischfangen in Comacchio beordert. Der Literat war kein Jager und durchaus nicht willens, sein Leben, die Launen seines Herrn befolgend, aufs Spiel zu setzen; er verzeichnet mit einer gewissen Genugtuung, der Herzog habe am 26. November ein Wildschwein mit eigner Hand erlegt und beim Fall eines zweiten geholfen, er selbst aber fiirchtete das Wild wie den Teufel. Wahrend der Jagd fliichtete er voll Angst

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auf eine hohe Eiche, die er fur den sichersten Platz hielt, um gefahr- los zuzusehen. Trotz dieser VorsichtsmaBregel klopfte ihm das Herz gewaltig, als er einen vorbeilaufenden Wolf sah, und er verlor fast das BewuBtsein, als ein Biiffel im Gebiisch erschien. Am nachsten Tage veranderte Pistofilo seinen Standpunkt, er hielt es fur ratsam, dort zu bleiben, wo das erlegte Wild zusammengetragen wurde und sein Schwert in das Blut eines erlegten Wildschweins zu tauchen. Die Jagdeindriicke haben seine literarischen Nerven so sehr erschiittert, daB er sich dasFieber in den Sumpfen vonComacchio holte und nicht begriff, daB der Herzog bis um zwei Uhr nachts dem Vogelfang im Netz zusehen konnte.

Naturlich waren Hunde und Falken ein wesentlicber Faktor in der Jagdausriistung. Borso hatte hundert Falkner und schenkte Kaiser Friedrich III. 1452 funfzig glanzend abgerichtete Falken. Es wurde damals viel iiber die Dressur und Pflege der Vogel ge- schrieben und Borso selbst besaB in seiner Bibliothek Dantes Buch ,,De natura falconum et de remediis avium".

IX

Perugias beruhmter Chronist, Matarazzo, schreibt am Ende des XV. Jahrhunderts, zur Hofhaltung eines groBen Herrn gehoren neben Pferden, Hunden, Falken, wilden Tieren, auch Hofnarren. Der Reihenfolge des ehrlichen Chronisten folgend, wollen auch wir, nachdem von den Stallungen und Menagerien des estensischen Hofes die Rede war, zu den Hofnarren iibergehen. Ihr Vorhanden- sein war ein Erbteil des Mittelalters, das eine Vorliebe fur rohe Scherze und ordinare, ja gemeine Witze hatte. Oberdies bedurfte der mittelalterliche ritterliche Despot eines Wesens, das ihm die Wahrheit sagte und gewissermaBen die offentliche Meinung re- prasentierte. Die kleinen und groBen Fiirsten waren von Schmeichlern umgeben; schon aus dem Verlangen nach Abwechslung wollten sie von Zeit zu Zeit etwas anderes horen als bloBe Huldigungen, besonders von einem Menschen, der mit seinem Herrn verglichen ein zu elendes Geschopf war, um beleidigen zu kdnnen. Man konnte

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diesen Menschen ohne weiteres in Ketten legen, durchpriigeln oder ins Gefangnis werfen, falls er sich zuviel herausgenommen hatte.

Die Renaissance hat den Hofnarren auf eine etwas hdhere Stufe gehoben, sie verlieh ihm einen gewissen poetischen Glanz, da das XV. und XVI. Jahrhundert literarisch zu empfindsam war, um nicht selbst der Institution des Hofnarren eine gewisse artistische Note zu verleihen. Die Umwandlung des mittelalterlichen SpaB- machers in den humanistischen Hofnarren trat rein auBerlich schon darin zutage, daB der Hofnarr der Renaissance nur ganz selten das Kleid des Harlekins und seine Gldckchenmutze anlegte, er trug sich wie jeder andere Hofmann und unterschied sich von den iibrigen nur durch seine Witze, seine schlagfertigen Antworten und seinen belebenden EinfluB auf die Gesellschaft. Da man an die Hofnarren groBe geistige Anspriiche stellte, geschah es haufiger, daB ver- kommene, herumgestoBene Dichter, Menschen von hoherer Be- gabung, die Rolle eines Hofnarren ubernahmen, und es fiel schwer, sie von den eigentlichen Hofnarren zu unterscheiden. Der bereits erwahnte Pistoia war in Ferrara, so gut wie in Mantua und Rom bekannt, er war durch den EinfluB des hofischen Lebens vollkommen heruntergekommen. Als er einsah, daB sich das Narrentum am Hofe besser als der Verstand bezahlt mache, wurde er zum dichten- den Hofnarren, der seinen Herren neben platter Schmeichelei manch bittere Wahrheit gesagt hat.

Er hat sich in den Vorzimmern herumgetrieben und gemein gemacht. In einem seiner Sonette beklagte er sich, er miisse Tafel- beamter, Mundschenk, Portier, Lakai, Kiichenjunge und Schlim- meres sein. Bernardo Bellincioni, Lodovico Moros Hofpoet, gehorte eigentlich auch zu den Hofnarren; seine Gedichte, die Talent ver- raten, waren den Launen seines Herrn angepaBt. Er verstand zu schmeicheln und die Wahrheit zu sagen, sich zu erniedrigen und wie eine getretene Schlange zu zischen, wenn es nottat.

Dieses Herunterdriicken witziger, lustiger Menschen, die eine Zufluchtstatte am Hof gesucht haben, in die Kaste von Hofnarren oder anders ausgedriickt, dieses Erheben des Hofnarren zum Rang von Menschen hoherer sozialer Stellung, hat dazu gefiihrt, daB niemand daran AnstoB nahm, wenn selbst Monche diese Rolle

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iibernahmen. War doch jener Fra Mariano, Leos X. belieb- tester Hofnarr, der Capo di matti, wie man ihn nannte, der auf einen Sitz zwanzig Kapaunen, vierhundert Eier und eine ganze Pyramide anderer Speisen vertilgte, und einen hanfnen Stride, in Sauce als Stor zubereitet, gegessen hat, ein Franziskanermonch, der seine Kaplanwohnung und seine Kirche in Rom hatte und es bis zum papstlichen Piombator brachte. Ein anderer Monch, Fra Martino, war gleichfalls Hofnarr bei Leo X., und der Domini- kaner Fra Serafino war Hofnarr in Urbino. Nur die Geringschat- zung der damaligen Gesellschaft fur die Bettelmonchorden macht diese Tatsache begreiflich, aber zugleich erhellt daraus, dafi die Renaissance einen andern Begriff vom Wesen eines Hofnarren hatte als das Mittelalter und ihn hoher eingeschatzt hat. Im Norden, in Frankreich und Deutschland, hat sich der Narr mit Glockchen und Eselsohren an der Miitze sehr viel langer als in Italien erhalten.

Die Este liebten es wie die anderen Fiirsten, sich mit Hofnarren zu umgeben, ihre Witze und komischen Einfalle waren ihnen zum Lebensbediirfnis geworden. In den Fresken des Palazzo Schifanoja strecRt eine fette Gestalt die Hand nach Borso aus, um ihm Geld abzubetteln. Es ist der beriihmte Scocola, der soavissimo istrione, der in bestandiger Geldnot war. Der Kiinstler hat ihn in der ihm ublichen Pose dargestellt, was die Bewunderung und Heiterkeit der Zeitgenossen erweckte. Scocola saB zu haufig in der Osteria beim Wein, er muBte Borso einst versprechen, nicht wieder hinzugehen und seine bei den ,,barbari Judei" versetzten Kleider einzulosen. Er selbst war ein getaufter Jude. Beriihmter war Gonella, Nicco- los und Borsos Hofnarr, von dem Bandello viel zu erzahlen weiB. Er verstand es besser als Scocola mit Geld umzugehen und hat auch einen kleinen Laden in Ferrara aufgemacht, in dem er selbst- verfertigte Handschuhe, Ledertaschen und Giirtel verkaufte.

In der estensischen Pinakothek zu Modena befindet sich ein aus- gezeichnetes Portrat Dossis von einem ferraresischen Hofnarren, der ein Schaf im Arm halt. Auf dem Cartellino steht der Name Sir Gerius, vermutlich ist es der Dargestellte.

Die Hofe von Ferrara. Mantua, Mailand und Florenz haben ihre Hofnarren haufig untereinander ausgetauscht; wurde man eines

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VIERZEHNTES KAPITEL

Hofnarren uberdrussig, so lieh man ihn dem Nachbarhof, und zu- weilen wurde urn die Ausleihung eines Hofnarren wie urn eine groBe Gunst gebeten. So war der mantuanische Hofnarr Fran- cesco 1462 langere Zeit in Ferrara; er brachte seinem Pferd ver- schiedene Kunststucke bei, so ,,daB das Pferd alles tat, was ihm Francesco befahl, ganz als wenn das Tier Verstand hatte". Lo- renzo de' Medici empfahl 1489 Isabella d'Este seinen griechischen Hofnarren, indem er ihn als einen fur seinen Witz in der ganzen Welt bekannten Menschen hinstellte und als ,, einen alten Freund des Hauses Medici". Als Alfonso d'Este 1498 krankelte, schickte ihm seine Schwester aus Mantua den beriihmten Narren Mattello. Seine Spezialitat bestand darin, Monche und religiose Zeremonien zu verulken, was fur damalige Anschauungen bezeichnend genug ist. Mattello hielt eine Messe ab, indem er den einen oder anderen Kleriker kopierte. Sein Publikum bestand nicht etwa nur aus welt- lichen Menschen, auch Geistliche verschmahten nicht, sich den SpaB mitanzusehen und in das allgemeine Gelachter einzustimmen. Alfonso war des Lobes voll iiber Mattello und schrieb seiner Schwes- ter, sie habe ihm eine groBe Freude durch den Narren bereifet, er habe all seine Schmerzen vergessen, wenn er ihm zuhorte. Da Alfonso Mattello so freundlich aufgenommen hatte, schickte ihm der Schwager auch noch einen zweiten Hofnarren, l'Estense genannt, und dieses Paar hat den Kranken so begliickt, ,,daB, wenn man ihm ein kostbares SchloB geschenkt hatte, er sich kaum so sehr wie iiber diese beiden Hofnarren gefreut hatte." Pistoia besang Estense nach seinem Tod: falls der Schalknarr in den Himmel kame, so wurde das ganze Paradies auBer sich vor Lachen geraten, falls er aber in die Holle kame, so wurde selbst Cerberus verstummen.

Se '1 corpo exanimato requia in pace, Lo spirto, credo, che da lui diviso Tutto rider faccia ora il paradiso; S'egli e al inferno, Cerber gode e tace.

tjber seinen Tod haben Isabella und ihr Gatte wie iiber ein groBes Ungliick berichtet, doch hat dies den Markgrafen nicht gehindert, Mattello, ,,wenn er iiber die Schnur haute", zu unfreiwilligem

hOfisches leben 463

Fasten oder zu Rutenstreichen zu verurteilen. Als der Arzt, Maestro Luca, ihn einen Tag vor seinem Tod zur Ader lassen wollte, fand er keine Stelle auf dem Kdrper des a/men Teufels, die nicht Spuren von Schlagen trug, die ihm sein Ubermut eingetragen hatte.

Alfonso d'Este hat sich 1498, wahrend seiner Krankheit, von einer ganzen Reihe von Hofnarren belustigen lassen, darunter be- fand sich auch Diodato, ein groBer Taugenichts, den die Este einige Jahre vorher entlassen hatten. Diodato war nach Man- tua zur Markgrafin Isabella gefluchtet, die eine Vorliebe fur ihn hatte. Der Lump hatte Frau und Kinder, aber alles, was er verdiente, gab er seiner Geliebten und lieB die Familie darben. Der kranke Alfonso bat seine Schwester, ihm Diodato zu schicken; aus Furcht, daB die Dulcinea ihn nicht wiirde reisen lassen, gestattete er ihm sogar, sie nach Ferrara mitzubringen. Aber der Narr konnte nicht kommen, da er an einem widerwartigen Leiden erkrankt war.

Zwei Hofnarren, dem Franzosen Galasso und dem Italiener Fristella, begegnet man gegen Ende des XV. Jahrhunderts ab- wechselnd in Ferrara und Mantua. 1490 ist von Fristella viel die Rede: er pflegte den Adligen den Ritterschlag zu geben, und dieser Scherz fand bei Hofe Anklang. Zu Rittern, Hofnarren oder Hof- lingen wurden jene geschlagen, die der Herzog dazu bestimmt hatte. Bei dieser Zeremonie wurden ihnen Giirtel und Sporen angelegt und Fristella taufte die neuen Wurdentrager mit Wein. Auf diese Weise wurde auch Bartolommeo del Palazzo, mit dem Spitznamen Rive- renza, zum Ritter geschlagen; er war der Hofnarr der Este und malte und bildhauerte in freien Augenblicken. Eleonora von Aragon und Ercole I. hatten eine Vorliebe fur Fristella; als er sich einmal in Mantua iiber Erwarten lange aufhielt, wurde um ihn wie um einen kostbaren Schatz gemahnt.

Auch Lucrezia Borgia brachte 1502 einige Hofnarren nach Ferrara mit, darunter waren drei Spanier. Sie priesen in spanischen Versen unter allerlei Scherz und Kurzweil auBer ihrer Herrin die Markgrafin Isabella, die sie infolgedessenbeschenkte: dem einen gab sie eineWeste den andern ein Stuck Goldbrokat, den dritten einige Ellen Atlas. Die ferraresischen Narren suchten es den Fremden zuvorzutun und sich in die Gunst der neuen Herzogin einzuschmeicheln, was na-

464 VIERZEHNTES KAPITEL

mentlich dem einen, Barone, gelang. Obrigens waxen spanische Lustigmacher nicht zum ersten Mai am ferraresischen Hof. Ercole hatte bereits 1498 ,,un Spagniolo pjacevole", den man sehr schatzte, da er immer guter Dinge war, amiisante Lieder sang, tanzte und drollige Geschichten vortrug.

Ein anderer spanischer Narr, wahrscheinlich Gianicho spagnole, hat 1508 in Rom einen Hymnus zu Ehren des Kardinals Ippolito d'Este improvisiert. Eine Zeit hindurch war in Italien alles modern, was aus Spanien kam. Als die franzosische Renata in Ferrara einzog, ritt an der Spitze des Brautzuges ein spanischer Narr auf einem Dromedar in seltsamer Tracht.

Neben den mannlichen wurden auch weibliche SpaBmacher an den Hofen gehalten. Oberhaupt war alles begehrt, was dem Hofe einen originellen Anstrich geben konnte. Lucrezia Borgia hatte eine Vorliebe fur eine arme blode Person, Catarina matta, die ihrer Herrin so zugetan war, daB sie nach ihrem Tod untrostlich blieb und aus Ferrara nach Mantua zu Isabella geschickt werden muBte. Catarina wurde gelegentlich zum allgemeinen Gaudium als Mann verkleidet. Sie konnte keinen Wein vertragen, verfiel nach dem ersten Glas in eine tolle Laune und brachte zur Freude des ganzen Hofes die unglaublichsten Dinge fertig. Der iibliche Scherz war, ihr zu befehlen, durch einen FluB zu waten; die arme Narrin hob ihre Rocke hoch und ohne nach rechts oder links zu sehen, gab sie vor, durchs Wasser zu gehen. Sie stahl wie ein Rabe, redete man ihr aber sanft zu und bat sie, die gestohlenen Sachen zu zeigen, so fuhrte sie ohne weiteres zum Versteck. Catarina war wohl blode und alles andere eher als eine witzige Hofnarrin. Das Halten von Hofnarrinnen gehorte nicht zu den Ausnahmen. Viel genannt wurde im XV. Jahrhundert Paoletta, die Hofnarrin der Konigin von Neapel, und Marguerite de Valois, Franz' I. Schwester, hielt an ihrem Hofe die Savin, die unter dem Namen ,,la folle de la reyne de Navarre" bekannt war. Als Alberto Pio Carpi Isa- bella Gonzaga einen Dienst erweisen wollte, schickte er ihr 1502 die „dumme" Giovanna und schrieb, die Markgrafin moge sie ihm zuriickschicken, falls sie ihr nicht gefiele. Aber Giovanna ent- sprach Isabellas Geschmack durchaus, sie dankte Alberto mit der

DOSSO DOSSI: HOFNARR MODENA, GAT, ERIE

HOFISCHES LEBEN 465

artigen Wendung, es sei nur natiirlich, daB jemand, der in wichtigen Dingen ein so treffendes Urteil habe, auch Kleinigkeiten richtig zu beurteilen verstande. Isabella, die eine bedeutende Portratsammlung beriihmter Zeitgenossen hatte, wollte auch das Portrat von Triboulet besitzen, des bekannten Hofnarren Ludwigs XII. und Franz' I. Der Konig schickte ihr eine Biiste Triboulets aus Terrakotta, die sehr ahnlich gewesen sein soil. Victor Hugo hat in seinem Drama ,,Le roi s'amuse" Triboulet als auBerordentlich edle Gestalt verherrlicht, iiberhaupt haben die Romantiker die Hofnarren idealisiert und sie zu ganz unmoglichen Gestalten erhoben.

X

Nach alter Sitte haben auch Zwerge zum Hofstaat gehort. Schon die Romer pflegten Zwerge in Patrizierhausern zu halten, und arme kleine Kinder wurden kiinstlich verkriippelt, urn spater teuer als Zwerge verkauft zu werden. Noch in der zweiten Halfte des XVI. Jahrhunderts, im Jahre 1566 bedienten in Rom vierund- dreiBig Zwerge beim Tisch des Kardinals Viteli, und die Gaste bewunderten, daB alle verschiedene MiBbildungen aufwiesen. Auf Mantegnas Fresko in der Camera degli Sposi zu Mantua be- findet sich die Zwergin unmittelbar neben der Markgvafin. Die Besucher des Schlosses von Mantua kennen auch die fur die Zwerge bestimmten Zimmer, kleine Kammerchen mit breiten und niedrigen Stufen, und eine winzige Kapelle; alles war der GroBe der armen Bewohner angemessen. Dieser Teil des Schlosses beweist, welche wichtige Rolle Zwerge an Renaissancehofen gespielt haben und wie sehr sie dem hofischen Pomp angepaBt wurden. Haufig flossen die Pflichten eines Zwerges und Hofnarren ineinander. Als der Herzog von Mailand 1512 nach Mantua kam, kam ihm der Zwerg Nanino als Bischof verkleidet entgegen; er wuBte soviel Wiirde in seinem pontifikalen Gewand an den Tag zu legen, daB er allgemeine Heiterkeit erregte. Nach Tisch wurde er als venezianischer Pa- trizier verkleidet, und andere als Ritter bewaffnete Zwerge voll- fiihrten die verschiedensten Waffenkunststucke. Es war Naninos

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466 VIERZEHNTES KAPITEL

wie Mattellos Spezialitat, Geistliche zu kopieren, und da der Mark- graf sich seiner riihmen wollte, lieB er ihn das Ornat anlegen und vor einem zu diesem Zwecke errichteten Altar eine Messe zele- brieren. An Stelle des Evangeliums las Nanino seine Genealogie vor und blickte so ernsthaft drein, daB einer der Anwesenden seinem Freunde schrieb, er habe keinen Geistlichen gesehen, der die Messe so genau und feierlich abzuhalten verstanden hatte wie dieser Zwerg.

All das geschah an erzkatholischen Hofen.

Nanino war zuweilen ungezogen und schlug und beschimpfte seine Gefahrten; als der Markgraf von einem solchen Zwischenfall horte, lieB er ihm sagen, er moge dessen eingedenk sein, daB es noch Fesseln gabe, Reifen fur die Hande und Zangen, um den Mund zu schlieBen. Diese Drohung wirkte, und Nanino hat sich spater vor dem jungen Federigo, der damals in Rom weilte, geriihmt, er, Nanino, ware jetzt des Markgrafen erstgeborener Sohn und hatte infolge seiner guten Auffuhrung selbst Federigo aus dem vaterlichen Herzen verdrangt. Der Zwerg unterschrieb seinen Brief: ,, Nanino, frater vester, Illmi Principis primogenitus."

1522 war Nanino in Ferrara; da er mit einer Zwergin verheiratet war, bat Renata, daB ihr das erste Kind des kleinen Paares geschenkt werde. 1530 wurde den Nanino ein kleines Zwergenkind geboren, aber ob das Kind normal gewachsen war oder starb kurz, das Geschenk unterblieb.

Selbst die Begrabnisse der Zwerge waren den Herren ein Fest. 1 514 starb ein Zwerg am mailandischen Hofe, und Maximilian Sforza bat die Gonzaga, eine Deputation der dortigen Zwerge zum feierlichen Begrabnis zu schicken und einen von den kleinen Man- tuanern die Begrabnisrede halten zu lassen. Das geschah auch, trotz einer unvermeidlichen Verzogerung, da die mantuanischen Zwerge damals in Ferrara waren, wo einer der beliebtesten Hofnarren der Markgrafin sich abwechselnd als venezianischer Patrizier oder Franziskaner prasentierte.

Selbst die ernsthafte Vittoria Colonna hat man wahrend ihres Aufenthaltes in Ferrara, als religiose Reformen sie be- schaftigten, durch die Possen der Zwerge zu amiisieren ver- sucht. Ihr zu Ehren haben mitten im Saal der Zwerg Morgan-

HOFISCHES LEBEN 467

tino und die Zwergin Delia getanzt; das kleine Paar fand allge- meinen Beifall.

Neben den Zwergen haben Sklaven und Sklavinnen eine wichtige Rolle unter dem Hofgesinde gespielt. Je schwarzer der Afrikaner, desto hoher war er im Preis, und eine junge Negerin bestellte man sich nicht anders wie einen jungen Hund. Ercoles I. Gattin hat bei einem schwarzen Gondoliere in Venedig einen sehr schwarzen Knaben und ein ebensolches Madchen gekauft. Isabella, ihre Tochter, wollte eine noch schwarzere Mohrin haben; sie schrieb an Brognolo, den mantuanischen Agenten in Venedig, er moge eine etwa vierjahrige, gesunde, gutgewachsene kleine Negerin, so schwarz als nur moglich, fur sie besorgen; aber der Agent konnte trotz der groBten Miihe den Wunsch der Markgrafin nicht erfullen, er ver- sicherte jedoch, daB die Frau des Gondoliere, von dem die dunkeln Geschwister erworben worden waren, in drei Monaten einen neuen SproBling erwarte. Die Frau brachte das schwarzeste Madchen, das man sich wiinschen konnte, zur Welt, und die Signora Brognolo ist in hochsteigener Person mit dem Kinde nach Mantua gefahren, damit ihm unterwegs nichts geschehe. Die Markgrafin war sehr zufrieden, aber das Madchen allein geniigte nicht, sie wollte sich jetzt schon einen Mann fur sie sichern, um in Zukunft eine schwarze Rasse ziichten zu konnen. Sie erfuhr von Signora Bro- gnolo, daB sich in einem Hause in Venedig ein kleiner schwarzer Saugling befande, und beauftragte den Agenten, diesen Knaben unbedingt fur sie zu erwerben. Brognolo besah das Kind, fand es gesund und hiibsch und kaufte es fur zehn Dukaten beim Besitzer' der Sklavin, da die Mutter kein Recht hatte, iiber ihr Kind zu ver- fiigen. Der Padrone besann sich aber sehr bald, da ihm von anderer Seite fiinfzehn Dukaten fur das Negerkind versprochen waren. Brognolo war in Verzweiflung, er wandte sich bis an den Rat der Zehn, damit man den wortbruchigen Padrone zwinge, den Vertrag einzuhalten. Der Rat entschied den Fall zugunsten des mantua- nischen Agenten, der das Mohrenkind sofort mitnahm und der Markgrafin mit Genugtuung berichtete, der Kleine sei gesund, habe guten Appetit, er habe ihn bereits taufen lassen und das Kind unterstiinde der besonderen Obhut seiner Gattin Cecilia. Das Kind

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468 VIERZEHNTES KAPITEL

wurde spater zu Isabellas groBer Freude von einer zuverlassigen Frau nach Mantua gebracht. Ob das Mohrenpaar groB geworden ist und dem Hof von Mantua die erhoffte Mohrenrasse geschenkt hat, wissen wir nicht.

Isabella gab sich mit dem einen Paar nicht zufrieden. 1499 kaufte sie wieder durch Vermittlung von Donato de' Preti einen jungen Mohren in Venedig fiir dreiBig Dukaten, und 1533 meldete ihr Sigismondo Cantalmos Witwe Margherita, daB eine schwarze Skla- vin, die erst kiirzlich ,,aus der Berberei" gekommen sei, in Venedig zu verkaufen ware, ein sechzehnjahriges, hubsches, gutgewachsenes Madchen, nur sei ihre Unterlippe zu dick. Sie trinke keinen Wein, und es hieB, daB sie noch nicht mit Mannern verkehrt habe. Es wurden fiinfzig Dukaten fiir sie gefordert.

Es war also gar nicht so leicht, Neger in Venedig zu erwerben, da die Venezianer in der Hauptsache weiBe Sklaven mitbrachten, namentlich Slawen, Tataren, Tscherkessenmadchen und nur ganz vereinzelt Afrikaner. Luzio und Renier berichten von einem sehr unanstandigen Sonett Pistoias, das sich heute noch in den Bibliotheksakten befindet, worin eine slawische Sklavin einige Worte in ihrer Sprache sagt. Als schwarze Sklaven nach Venedig kamen, bemiihten sich namentlich die Kurtisanen, sie zu erwerben, da es zum guten Ton gehorte, sich von Negern bedienen zu lassen. In dieser Beziehung hatten die vornehmen Damen die gleichen Geliiste wie die Kurtisanen. In der Sammlung Cook be- findet sich ein angebliches Portrat von Lucrezia Borgia: eine reich ge- schmiickte Frau stiitzt sich mit der rechten Hand auf den Arm eines Mohren, der seine Herrin verliebt betrachtet. Dieses Portrat bildet keine Ausnahme, die vornehmen Frauen der Renaissance haben sich gem mit einem Hund oder einem Mohren malen lassen. In Lucrezia Borgias Gefolge scheinen sich bei ihrem Einzug in Ferrara zwei weiBe Sklavinnen befunden zu haben: die Griechinnen Samaritana und Camilla. Um die Mitte des XVI. Jahrhunderts hatte der Kardinal Ippolito d'Este noch eine ganze Schar von Sklaven und Sklavinnen aus Numidien, Athiopien, Indien, der Tiirkei, die in zwanzig verschiedenen Sprachen sprachen. Einer der Tiirken des Kardinals fluchtete 1533 aus Rom nach Mantua, der Markgraf

hOfisches leben 469

lieB ihn festnehmen und in Ketten schlieBen, wofiir Ippolito sich brief lich becankt hat.

In der zweiten Halfte des XVI. Jahrhunderts bestand also noch in Ferrara und Mantua der Brauch, Sklaven zu kaufen, die die lebendige ,,Dekoration" der groBen Hofe vervollstandigten.

XI

Die Hofleute und die Dienerschaft wurden ,,famiglia" genannt, damit ist das patriarchalische Verhaltnis umschrleben, das an italienischen Hofen geherrscht hat; die gewohnliche Erscheinung, daB bei patriarchalischem Zuschnitt nur der Patriarch zu seinem Rechte kommt und die Familie den Despotismus und die Launen ihres Herrn zu tragen hat, trifft auch fur die italienischen ,,Fa- milien" zu. Den Schmeichlern ging es natiirlich weitaus am besten, Fiirsten neigen stets dazu, ernste Menschen von wirklichem Ver- dienst schlecht zu behandeln, und ihrem Beispiel pflegt dann der gesamte Hofstaat zu folgen. Die Zustande waren zuweilen furcht- bar, und zu alien Zeiten stdBt man auf die Klagen verzweifelter Hoflinge. In der Renaissance, als das Gefiihl fur menschliche Wiirde in immer weiteren Kreisen zu erwachen begann, hort man immer haufiger den Aufschrei von Menschen, die sich durch das Hofleben gedemiitigt fiihlen, und am estensischen Hof haben wohl schon unter Niccolo III. sehr traurige Zustande in dieser Beziehung be- standen, wenn selbst ein so ernster und gesetzter Mann wie der Arzt Michele Savonarola eine lange Satire iiber das hofische Joch ver- faBt hat. Die Satire tragt den Namen: ,,De nuptiis Battibocco et Serrabocca" und ist gegen die Schmeichler, MiiBigganger und Ver- leumder gerichtet, sowie gegen jene, die es verstehen, sich unter die Machtigen und die einfluBreiche Geistlichkeit zu drangen, und stets etwas fiir sich auf Kosten ihrer Gefahrten erbitten. Solch ein Mensch ist Savonarolas Battibocco, sein Gegenstiick ist Serrabocca, ein schweigsamer ernster Mensch, der sich gerade infolge seiner Vorziige die allgemeine Sympathie am Hof verscherzt. Battibocco heiratet seine Schwester Loquacita, die sich dank ihrer Geschwatzig-

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VIERZEHNTES KAPITEL

keit bei alien einzuschmeicheln versteht und sogar ohne weiteres vom Papst einen Dispens erhalten hat, urn ihren Bruder zu heiraten. Gevattern und Kranzelherren bei dieser Hochzeit sind ,,Schmeiche- lei", „Oble Nachrede", „Luge", ,,Unfrieden", ,,Tauschung", ,,Ver- schwendung" usw. Zum Hochzeitsbankett gibt es Frosche, Moven und Reiher, die so gut zubereitet sind, daB sie zuerst ausgezeichnet schmecken, und erst nach einer Weile einen sauren, bitteren, beiBenden Geschmack hinterlassen. Jedes Gericht wird unter lautem Geschrei und Glockengelaute aufgetragen; die Glanznummern der Tafel bilden Stdrche, die, obgleich sie gebraten auf den Tisch kommen, Larm mit ihren Schnabeln schlagen. Zu den besonderen Delikatessen des Mahles gehoren Zungen von Otterngeziicht, eine Zuspeise aus Schlangen und ein Fuchsbraten.

Fast alle Schriftsteller und Dichter des XV. und XVI. Jahr- hunderts haben im Herzen bittern Groll gegen die hofischen Zu- stande genahrt, denn abgesehen von den fortwahrend zu erdulden- den Unannehmlichkeiten und Ungerechtigkeiten haben sie deut- lich empfunden, daB der Hof ihr Talent ruiniert, indem sie gezwun- gen wurden, auf Kommando zu schreiben und zu schmeicheln In Satiren hat Ariost sich Luft gemacht und im Orlando hat er die hofischen Zustande in zwei charakteristischen Ottaven gegeiBelt Pistoia und selbst Battista Guarini, der nicht ohne hofische Art leben konnte, haben bitter iiber ihren Dienst am Hofe geklagt Guarini hat das Zwiespaltige seiner Lage empfunden: zu unfrei, um frei zu sein, und nicht unfrei genug, um Furstenknecht zu sein, ,,per servidore troppo libero, per libero troppo schiavo". In all seinen Briefen klagt er, man miisse sich bei Hofe seines eignen Willens, seiner eignen Ansicht iiber die Dinge entauBern, auf Be- fehl schreiben, und sein ganzes Leben hore man die Kette klirren, an die man gefesselt sei. Im herzoglichen Dienst habe ihn die Muse verlassen, die sich nicht in Knechtschaft begeben wolle.

Ausfiihrlich schildert er in einem seiner Briefe diese hofische Not und den Zwang, sich nach dem Willen des Herzogs zu richten; selbst der Reiche miisse sich bei Hofe gleich den Hofschranzen und Dienern herumstoBen lassen, wenn er aber kiihn genug ist, um ein un- abhangiges Leben zu fiihren, so wird er als Geizhals und Sonder-

hOfisches leben 471

ling verschrien, und die Fiirsten zermalmen ihn bei gegebener Gelegenheit dank ihrer Ubermacht. Jeder schiffbriichige Hofling, jeder elende SpieBbiirger, jeder Lump empfindet es als sein Recht, ihn zu beleidigen; sucht der mit FiiBen Getretene nach Gerechtig- keit er wird sie nicht finden und das Ende seines Prozesses nicht erleben. Was dieser Unabhangige auch Gutes tun oder sagen moge, alles wird ihm als Siinde oder Verleumdung ausgelegt werden, alles zu seinem Unheil ausschlagen. Die Regierung wird ihm die schwersten Steuern auferlegen, ihm immer Gaste fur die Nacht ins Haus schicken und seine Leute fur alle Arbeiten stets zuerst in Anspruch nehmen. Wenn die furstlichen Sbirren ihren Raubzug antreten, um die Bevolkerung auszusaugen, so werden sie zuerst bei ihm anklopfen und wehe, wenn er ihnen seine Tur nicht auftut. Dann werden sie das Tor einschlagen, sein Haus pliindern, seine Diener durchpriigeln, da sie wissen, daB sie gegen jenen, der beim Fiirsten in Ungnade ist, ungestraft vorgehen konnen.

Aber auch abseits vom Hofe kann man nicht leben, denn dann gleicht man einem Segelschiffer wahrend eines Gewitters, der an Felsen zerschellt. Wahrend sich der Schiffer noch mutig aus der Gefahr retten kann, kommt bei Hofe nur der zum Ziel, der be- reit ist, niedrig und gemein zu handeln. Alles ist dort Luge und Betrug, und in diesem elenden Leben, in dem der blinde Zufall herrscht, geschieht stets das Unerwartete. Man muB ein kluger Steuermann sein, stets Weihrauch, Verleumdung und Tauschung in Bereitschaft haben und niemals blinden Gehorsam verweigern. Dazu als erster Grundsatz, man darf niemals auf Bestechung ver- zichten, wenn man zur Gerechtigkeit gelangen will. Wer sich einmal den Zorn des Fiirsten zuzieht, moge fur immer vom Leben Abschied nehmen.

Der Fiirst und die hofische Clique sind allmachtig, nur der ver- mag innerhalb dieser Gesellschaft Brot und Ansehen zu finden, der sich beiden unterwirft; jeder von ihnen bedarf eines Herrn und eines Dieners, un padrone, una servitu.

Einer der Hoflinge klagt uber sein schweres Geschick. Im Vor- zimmer Stunden hindurch antichambrieren, bis der Herr seine Be- fehle erteilt, ihm Tag und Nacht Gesellschaft leisten, ihm zu FuB

472 VIERZEHNTES KAPITEL

oder zu Pferde folgen, wohin es ihm zu gehen beliebt, dem leisesten Wink folgen, nicht essen, ehe er gegessen, sich nicht zur Ruhe be- geben, ehe er schlaft, jedes Wort auf die Wagschale legen, nicht zu viel noch zu wenig sprechen, im Gehen, Stehen, Sitzen stets dar- auf bedacht sein, ob es dem Herrn auch gefallt, Tausende von Be- leidigungen herunterschlucken, sich mit Intrigue gegen Intrigue schiitzen, mit Verleumdung gegen Verleumdung, keine Stunde der Ruhe und Sicherheit haben, und als Entgelt fur all das die bose Laune des Despoten ertragen, ohne Grund in seine Ungnade ver- fallen, an einem Tage all seine Hoffnungen zerstort sehen dies das Schicksal eines Cortegiano.

Ein anderer schildert ,,la corte" als die Statte alles Unheils, als eine Kloake, in der die Not nistet, wo die Armen sich als SpaB- macher hergeben mussen, die Ehrlichen verfolgt und die Spitz- buben erhoht werden, wo es den Spionen und Verleumdern und jenen, die von Betrug leben, gut geht, wo man hinterlistig sein mufJ, ein Rauber und Ehebrecher, um nur existieren zu konnen.

Lodovico Domenichi klagt in einem seiner Dialoge, so oft er an seine Lage denke, komme es ihm vor, als ware er kein Mensch, kein freies Geschopf, sondern der elendeste Sdldling. Gabriello Simoni nennt den Hof ein Gefangnis und Grab, in das sie den Menschen bei lebendigem Leibe bergen.

Sepoltura e prigion dell' uomo vivo.

Selbst Vittoria Colonna bemitleidet die Menschen, die die schonsten Jahre ihres Lebens am Hof verlieren, dort Ehren und eine Ver- besserung ihres Schicksals suchen, aber was sie finden, sind Be- leidigungen und Unrecht.

. . . ne le gran corti consumando II piu bel fior de' lor giovenil anni, Mentre utile ed onor van ricercando, Sol ritrovano insidie, oltraggi e danni.

GewiB, Baldassare Castigliones ,,Hofmann" zeigt ein anderes Bild, aber Castiglione schrieb fur die Herrschenden und nicht fur jene, die Tage hindurch in den Vorzimmern auf Befehle warten

hOfisches leben 473

mufiten. Literaten und Gelehrte beurteilt er von der Hohe seines Standpunkts als mantuanischer Gesandter in Rom und Freund des Herzogs Guidobaldo aus Urbino. AuBerdem entwirft Baldassare das Bild eines Hofmanns, wie es sein sollte, und idealisiert den Herzog Guidobaldo, an dessen Hof er denkt. Fur ihn ist der ,,Hof" gewissermaBen eine Hochschule der Bildung und feinen Sitte. DaB diese auBere Kultur an italienischen Renaissancehofen erreicht wurde, unterliegt keinem Zweifel. Salonkultur und vornehme Sitte haben sich dort entwickelt. Aber unter der schonen Schale verbarg sich eine grenzenlose Verderbnis. Erasmus Rotterdamus ist dies nicht entgangen; der Widerspruch zwischen der gese!l- schaftlichen Form und dem Wesen der Dinge hat ihn in Italien so frappiert, daB er, als er 1509 aus Rom nach London zuriickkam, sein ,,Lob der Dummheit" schrieb.

Auch die Literatur litt unter dem hofischen Wesen, sie wurde zur Sklavin der Machtigen und Reichen. Die Erfindung der Buch- druckerkunst hat in dieser Beziehung keinen Wandel geschaffen, da der Druck der Biicher sehr teuer, der Verkauf nicht genugend geregelt war und im allgemeinen dem Verfasser keinen materiellen Nutzen brachte. Der Verfasser muBte nach einem vermogenden Protektor suchen, da es Buchhandler, die zugleich Verleger waren, nicht gab. Wollte er seine Arbeiten drucken lassen, so muBte er zum Schmeichler und Hdfling werden, und ob er Dichter, Historiker oder Philosoph war, wenn er kein Vermogen hatte, war er nicht mehr als ein Bettler.

Diese okonomische Abhangigkeit der Literatur von den Reichen muBte in ganzen Generationen von Literaten Erbitterung und einen versteckten HaB gegen die Herrschenden erzeugen. Es bedurfte eines mutigen, begabten und riicksichtslosen Menschen, um die Fesseln zu zerreiBen und aus einem Ausgesaugten ein Aussauger zu werden. Moralisch waren diese Grundsatze nicht gerade, aber Ethik stand damals nicht eben hoch im Kurs: Egoismus und Eigennutz war die Losung der Epoche. Wenn ein Cesare Borgia sich mit Dolch und Gift ein Reich schaffen, Sforza mit List und Macht eine Dynastie begriinden, ja wenn ein gewohnlicher Rauber wie Piccolomini Stadte zur Unterwurfigkeit zwingen und aus groBen

474

VIERZEHNTES KAPITEL

Landgebieten ungeheure Summen erpressen konnte dann durfte

auch Aretino sagen, daB er sich mittels seines Talents zum

mindesten Unabhangigkeit erwerben miisse. Jene beriefen sich,

wenn sie ihre Grausamkeiten und ihren Despotismus rechtfertigen

und sich mit den erbeingesessenen Dynastien Frankreichs und

Spaniens vergleichen wollten, auf Gottes Gnade als den Ursprung

alles Rechtes, ein Aretino war froh, zum mindesten ein freier Mensch

aus Gottes Gnade zu werden und nannte sich uomo libero per la

grazia di Dio. Aretino schwang das revolutionare Banner gegen die

Hofe und das Hof lings wesen,sein Manifest istseinBuch ,,Dialogo

delle Corti", in dem er gegen die Sklaverei der Literaten

kampft. Es war eine beiBende Satire auf hofi-

sches Wesen, ein flammender Protest gegen

hofische Art, der Beginn der „anti-

cortegiana"-Literatur, die im XVI.

Jahrhundert entstand und

allmahlich das gesamte

Hof lingstum unter-

graben hat.

FtTNFZEHNTES KAPITEL

DIE KUNST WIRD WELTLICH

i

on starkstem EinfluB auf die Malerei im Sinne ihrer Verweltlichung waren die norditalienischen Fiirsten- hofe. Allmahlich zog die Kunst aus der Kirche in Palaste und Schlosser ein und entnahm dem Alltag ihre Motive. Selbstverstandlich haben die Maler seit jeher den strengen Inhalt religioser Tafelbilder und Fresken durch Szenen aus der Natur und der sie umgebenden Ge- sellschaft zu beleben gesucht, aber es waren schiichterne, von den Stiftern nicht immer gern gesehene Versuche. Eine beriihmte Aus- nahme bilden die Fresken von Ambrogio Lorenzetti (zwischen 1337 und 1339) im Palazzo Pubblico in Siena, die, weltlichen Inhalts, die Folgen guter und boser Regierung darstellen. Auch in die Fresken im Campo Santo zu Pisa haben die Kunstler eine ganze Reihe aufier- biblischer und auBerkirchlicher Themen einzufuhren gesucht, aber all diese Neuerungen muBten sich in sehr engen Grenzen bewegen, da das Tafelbild oder Fresko fur eine Kirche, den Kreuzgang eines Klosters oder Friedhofs bestimmt war und religiose Szenen oder die frommen Taten eines Heiligen zu verherrlichen hatte. Solange die Forderer der Malerei Geistliche und Monche waren oder welt- liche Stifter, die sich vermittels der Kunst einen Weg in den Himmel bahnen wollten, konnte sie dem engen Kreis, den ihr die Heilige Schrift, das Leben der Martyrer und Kirchenheiligen gezogen hatte, nur entschliipfen, indem sie ihre eigentliche Mission uberschritt. Die Papste hatten naturgemaB weder die Absicht noch den Wunsch, der Malerei das Tor in die Umwelt zu of men; das Bildnis

476 FUNFZEHNTES KAPITEL

allein schien ihnen, vom religiosen Thema abgesehen, ein der Kunst wiirdiger Gegenstand, und es hat seit jeher bei der Kirche in hohem Ansehen gestanden. Auch die Gemeinden hatten weder Lust noch Gelegenheit, den Malern weltliche Themen in Auftrag zu geben; wenn die Kommune ein Tafelbild oder Fresko bestellte, so geschah es fur offentliche Mittel, zu Ehren Gottes oder um die Schutzpatrone der Stadt zu verherrlichen ; die ritterlichen Taten eines beruhmten Mitbiirgers oder siegreichen Condottiere der Nachwelt zu erhalten, war schon deshalb nicht angangig, da man befurchtete, auf diese Weise einer einzelnen Personlichkeit oder ganzen Familie einen iibermachtigen EinfluB in der Gesellschaft einzuraumen und der Tyrannei Tiir und Tor zu offnen. So haben erst die Fiirstenge- schlechter und Condottieri, die ein eignes Reich begriindet hatten und sich ihrer Taten ruhmen durften, die biblischen Helden und Heiligen des Herrn allmahlich aus dem Bereich der Kunst verdrangt und sich selbst und ihre eigenen Taten und Schicksale vom Maler preisen lassen. Es lag in ihrem dynastischen Interesse, auBer ihren eigenen, nach Moglichkeit idealisierten Portrats auch Epi- soden aus ihrer Regierung verherrlichen zu lassen, um kommenden Geschlechtern den sichtbaren Beweis ihres Edelmuts und ihrer Tapferkeit zu erbringen.

Die Renaissance hat, wie in alien Zweigen menschlichen Wissens und menschlicher Tatigkeit, auch in der Malerei weltliche Ten- denzen begiinstigt. Mythologie und Allegorie fanden ihren Platz, und der groBe Kiinstler-Archaologe Mantegna war unter den ersten, die der Malerei diese Richtung gewiesen haben. Wenn der Paduaner Meister ,,Casars Triumphzug" gemalt hat, warum sollten nicht auch die Gonzaga auf den Einfall kommen, ihr Kastell mit Szenen aus ihrem Leben zu schmiicken, warum nicht auch Borso zur Ober- zeugung gelangen, daB seine Regierung glorreich genug sei, um an den Mauern des Palazzo Schifanoja dem Enkel seinen Ruhm zu kiinden ? Da der Einfall, die eignen Taten im Bilde darzustellen, fur damalige Begriffe sehr kiihn war, haben Kiinstler und Despoten mit besonderem Eifer nach allegorischen Themen gegriffen, da auf diese Weise die grobsten Schmeicheleien auf die Leinwand zu bringen waren, ohne scheinbar die Grenzen der Ruhmsucht zu uberschreiten.

DIE KUNST WIRD WELTLICH 477

Im Bestreben, den Condottieri und Fiirsten in wenigst anstoBiger Weise zu schmeicheln, sind sich Malerei und dramatisches Schafer- spiel begegnet. Hier wie dort konnte man die Este, Gonzaga oder die Herren von Urbino als Halbgotter, Nymphen, Satyrn und Hirten verherrlichen, Vorteil fur den Kiinstler und Ruhm fur den Besteller herausschlagen. Was Wunder, wenn die mantuanische Isabella eine so groBe Vorliebe fur gemalte Allegorien hatte, daB sie ungefahr das ganze SchloB damit gefiillt hat?

Auch die Verbreitung der Novelle in der Literatur hat nicht wenig zur Modernisierung der Malerei beigetragen, die Kunstler, die nach dem Beispiel der Literaten gingen, haben fromme Legenden novellistisch behandelt; Carpaccios Ursula-Zyklus in Venedig, Gozzolis Augustin-Fresken in San Gimigniano, Sodomas Benedikt- Legende in Monte Oliveto, Fra Filippo Lippis Szenen aus dem Leben Johannes des Taufers im Prato sind die deutlichsten Beispiele dafiir.

Erst unter Niccolo III. kann von den Anfangen ferraresischer Malerei und einem groBern Bedarf an Fresken und Tafelbildern die Rede sein. Ferrara hatte zwar schon im XIII. Jahrhundert seine Maler, aber aus dieser Epoche haben sich kaum Spuren erhalten. Auch Giotto hat in Ferrara gearbeitet und hat dort seine Nach- ahmer gefunden, aber diese Namen bleiben, da die Werke nicht erhalten sind, totes Buchwissen ohne lebendigen Inhalt.

Nur Antonio Alberti, der sogenannte Antonio da Ferrara, der zwischen 1438 und 1464 gemalt hat, zum Teil von Giottos Werken beeinfluBt, zum Teil die Umbrer nachahmend, ist fur uns eine greif- bare kiinstlerische Personlichkeit. Erhalten sind seine Fresken in San Petronio zu Bologna, in der Kirche S. Antonio in Polesina bei Ferrara, drei Bilder in Urbino und Fresken in der Friedhofs- kapelle in Talamello bei Pesaro. Als sein bedeutendstes Werk galten den Zeitgenossen Fresken, die er in der heutigen Stadtbibliothek zu Ferrara geschaffen hat und die nicht auf uns gekommen sind. Das bereits erwahnte Verlangen, die Taten des regierenden Fiirsten Niccolos III. -r- zu verherrlichen, sprach daraus, auf dem Haupt- bild war das dkumenische Konzil dargestellt, das Eugen 1438 nach Ferrara berufen hat. Dieses Fresko wies bereits den Weg, den die Malerei in Ferrara spater einschlagen sollte. Niccolo, stolz darauf,

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daB ein so wichtiges Konzil in Ferrara stattgefunden hat, wollte diesen Augenblick im Bilde festhalten und der Nachwelt die Teil- nehmer des Konzils vorfiihren. Es genugte den Fursten nicht, sich portratieren zu lassen, auch Bildnis-Medaillen wurden gepragt; sie waren um so begehrter, als sie Briicken von der Moderne zur Antike schlugen und Niccolo und Lionello d'Este mit Casar, Ti- berius und Marc Aurel verbanden. Neben der Malerei wird die Medaille zum wichtigsten Zweig ferraresischer Kunst, wahrend die monumentale Plastik, da es an Marmor fehlte, sich dort nicht ent- wickeln konnte.

In diesen kleinen Staaten hat die Personlichkeit des Fursten so sehr auf der Entwicklung jedes Zweiges der Wissenschaft, der Kunst und der Industrie gelastet, daB er allem die Richtung gewiesen und allem seinen Stempel aufgedriickt hat. In Florenz und Venedig hat die Biirgerschaft auf die Entwicklung der Kunst miteingewirkt, in Ferrara ausschliefilich der Hof. Wenn dem Fursten die Kiinstler am Ort nicht gefielen, wenn sie denvenezianischenundflorentinischen Meistern an Begabung und Technik nachstanden, so bezog er fremde Kiinstler nach Ferrara oder kaufte fremde Kunstwerke. Der Fiirst besaB den kurzsichtigen Patriotismus der Stadtgemeinden nicht, die nur die ortsangesessenen Kiinstler forderten mit Riick- sicht auf die Ehre der Kommune und den Verdienst am Ort. Der Fiirst bereiste fremde Hofe, sah die verschiedensten Kunstwerke, er wollte es den anderen gleichtun, auch wenn es nicht ohne erhebliche pekuniare Opfer ging.

Unter Lionellos Regierung gab es bereits eine groBe Anzahl ortsangesessener Maler in Ferrara; der bedeutendste darunter war Giovanni Oriola, der auch ein Bildnis der Markgrafin geschaffen hat. Pietro de' Bonsignori, Angiolo da Foligno, Daniele Agresti, Do- menico Costa und viele andere haben sich in Ferrara niedergelassen, gelockt von der Aussicht auf Verdienst in der sich stetig vergroBern- den Stadt; es waren jedoch keine Talente von irgendwelcher Be- deutung, eher Handwerker, die sich mit Dekorationsmalerei be- schaftigten. Zu den bekanntesten unter ihnen gehorte Niccolo d'Alemagna oder Niccolo Teutonico, der einige Zeit in Padua war und sich 1445 in Ferrara niedergelassen hat. Er scheint das Portrat

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von Beatrice, der unehelichen Tochter von Niccolo III., gemalt zu haben und hat spater Borso ein Diptychon angeboten, mit den Portrats des Herzogs Galeazzo von Mailand und seiner Gemahlin.

Wie in anderen Stadten, ist auch in Ferrara das Malerhandwerk vom Vater auf den Sohn iibergegangen ; am langsten hat es sich bei den Bonacossi und Turoli erhalten, die anderthalb Jahrhunderte den Pinsel gehandhabt haben. Der alteste Bonacossi, Bartolommeo, hat 1379 gelebt und der letzte, Giacomo, noch 1504 gemalt Jacopo Turola, der unter dem Spitznamen Jacopo dei Belli bekannter ist, hat 1434 den estensischen Palast in Venedig sowie das SchloB in Belriguardo, das Kloster in Belfiore .und Zimmer im herzoglichen Palast in Ferrara geschmiickt. Als der Kaiser in Ferrara erwartet wurde, hat er Fahnen gemalt, die mit zehn Dukaten fur das Stuck bezahlt wurden Sie miissen kunstlerischen Wert gehabt haben, da sie einen so hohen Preis erzielt haben

Ein bekannter Dekorationsmaler war unter Niccolo III und Lionello Jacopo da Soncino, genannt Sagramoro, der einer groBen Werkstatt vorstand und alle Dekorationsarbeiten ubernommen hat. Er hat Schatullen gemalt, Standarten fur den Bucentaur, Kastchen, die zum Aufbewahren von Silber bestimmt waren und haufig als Hochzeitsgeschenk beniitzt wurden, und Papierfiguren zu Illumi- nationszwecken verfertigt. Bei ihm wurden Schilde mit gemalten Wappen und Devisen gekauft, er hat Decken und Karnine bemalt und Kartons fur Arazzi entworfen, die in Flandern gewebt wurden. Sagramoros in Olfarben gemalte Tarockkarten, die der ferraresische Hof in groBen Mengen gebraucht hat, waren sehr beruhmt. Die Technik der Olmalerei ist aus Flandern nach Ferrara gekommen; ehe diese Technik fur Tafelbilder verwandt wurde, wurden Spiel- karten, Fahnen und andere Gebrauchsgegenstande, die dem Ver- schleifl unterlagen, mit Olfarben bemalt. ,, Maria Himmelfahrt", ein Bild auf Seide, das 1442 als Preis in einem Pferdewettrennen angesetzt war, ist vermutlich schon in Olfarben gemalt worden.

In Ferrara bestand noch im XV. Jahrhundert die Sitte, die wir schon im XIII. in Italien finden, an offentlicher Stelle die Portrats der in ihrer Abwesenheit verurteilten Verbrecher anzubringen. So hat Sagramoro das Portrat des bekannten bolognesischen Rechts-

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gelehrten Andrea Barbazza (gest. 1480) gemalt, das an der Mauer des Amtes delle bollette angeschlagen wurde. Der bekannte Ge- lebrte war nur deshalb zum Galgen verurteilt und in effigie ge- hangen worden, weil er trotz seines Versprechens nicht gekommen war, um an der Universitat in Ferrara zu lesen.

In Sagramoros Bottega hat Niccolo Panizzato gearbeitet, der spater auf eigne Hand Bestellungen von religiosen Bildern so gut wie von dekorativen Arbeiten annahm. Panizzato muB ein begabter Landschafter gewesen sein, wir wissen von einer von ihm gemalten Verkiindigung, einem Doppelbild mit landschaftlichem Hintergrund, und in einem von Borsos Palasten hat er in den Loggien Garten gemalt. ,,Verduren" dieser Art waren sehr beliebt; auch ein anderer zeitgenossischer Maler, Andrea Costa da Vicenza, hat 1449 eine Krdnung Maria fur Beatrice d'Este, anlaBlich ihrer Trauung mit Niccolo da Correggio, gemalt, auch dies war ein mehrteiliges Ma ver- dure" gemaltes Altarbild. Zur Feier von Friedrichs III. Ankunft (1452) hat Costa die mit Papier beklebte Decke und die Wande eines Gemaches bemalt; da die Zeit drangte, wurden ihm ,,samtliche Maler", die sich zur Zeit in Ferrara befanden, zur Verfiigung ge- stellt. Es ist dies einer der ersten Versuche, Papiertapeten einzu- fiihren. Costa hat die verschiedensten Gegenstande bemalt, 1455 hat er eine Wiege bemalt, die der Herzog von Ferrara Isotta, der Gemahlin des Grafen Frangipani auf Segni, verehrt hat. Selbst die Kiste, in der die Wiege verschickt wurde, war bemalt. 1454 hat er fur den Herzog Devisen und Wappen auf weiBen Atlas gemalt, die als Fahnen beniitzt werden sollten.

II

Der Umschwung in der ferraresischen Malerei, die bis dahin keinen einheitlichen Charakter hatte und mehr dekorativen Zwecken gedient hat, datiert seit dem Auftreten von einigen be- deutenden fremden Kiinstlern in Ferrara. Am starksten hat Vittore Pisano, Pisanello benannt, auf die Ferraresen gewirkt.

Pisanello ist einer der interessantesten Kiinstler aus der ersten Halfte des XV. Jahrhunderts, ein strenger Realist und scharfer

COSIMO TURA: MADONNA VENEDIG, AKADEMIE

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Beobachter, der der Natur liebevoll nachgeht. Ihm erscheint nicht die menschliche Gestalt allein eines ernsten Studiums wiirdig, jedes Tier, jeder Baum, jede Pflanze, jeder Gegenstand, der ihn frappiert, wird zum begehrten Modell. Den scharfen UmriB der Medaille hat er auch auf die Zeichnung und das Gemalde iiber- tragen und hat jeder Erscheinung ihre charakteristischste Seite abzulauschen gesucht.

Pisanello kam um 1435 zum erstenmal aus Rom nach Ferrara, wo sein Freund, der Humanist Guarino, an der Universitat las. Von diesem Zeitpunkt an kam er haufiger nach Ferrara; Lionello hat ihn auBerordentlich hoch geschatzt und mit Bestellungen iiber- hauft. 1 441, wahrend er Lionellos Portrat gemacht hat, kam Jacopo Bellini; auch bei ihm wurde ein Portrat des jungen Prinzen bestellt. Das Bildnis des Venezianers hat Niccolo III. besser gefallen, doch tat das Pisanellos Beziehungen zum ferraresischen Hof keinen Abbruch. Er hat mehrere Bilder fur die Este geschaffen, auf dem einen sind Antonius und Georg an der Waldgrenze dar- gestellt, in Anbetung der Madonna, die mit dem Jesuskind auf den Armen in den Wolken erscheint. Der h. Georg im Panzer und Florentiner Strohhut mit breitem Rand, wie ihn die Ritter da- mals im Sommer zu tragen pflegten, tragt Lionellos Ziige, auch der h. Antonius mit seinen ausgepragten energischen Ziigen, dem langen Bart und der Kapuze auf dem Kopf stellt wohl eine bekannte Personlichkeit dar. Zu den Fiifien des h. Georg liegt ein erschlagener Drache, hinter ihm tauchen zwei Pferdekopfe auf. In der ganzen Komposition ist Maria gewissermaBen als nebensachliche Zu- gabe behandelt, wahrend es dem Kunstler hauptsachlich darauf ankam, die beiden Heiligen darzustellen; vielleicht war es ihm be- sonders um ein treues Abbild von Lionello mit Waf fen und Pferden zu tun. Pisanello hat auch ein Einzelbildnis von Lionello gemalt, das sich heute in der Galerie Morelli in Bergamo befindet.

Das schone Frauenbildnis von Pisanello, das sich heute im Louvre befindet, soil ein Portrat von Margherita Gonzaga sein, die Lionello am 2. Februar 1435 geheiratet und am 2. Juli 1439 verloren hat. Den Hintergrund bilden griine Zweige, Bluten und flatternde Schmetterlinge; das Kolorit ist lebendig und von groBer Harmonic

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Pisanello war kurz vor seinem Tode, der um 1451 eingetreten sein muB, in Ferrara, er starb ungefahr ein Jahr nach Lionello. Wie hoch der Kiinstler in Ferrara geschatzt worden ist, beweisen die Lobreden, die die Dichter ihm zu Ehren verfaBt haben und die nichts anderes als ein Abglanz der Lobreden am Hofe sind. Guarino aus Verona und Tito Vespasiano Strozzi haben den Kiinstler in schwungvollen Versen gefeiert.

Jacopo Bellinis Beziehungen zum ferraresischen Hof haben,. wie erwahnt, unter Niccolo III. eingesetzt. Die Bezahlung war ein- fach genug, da der Kiinstler gelegentlich durch Lieferung von Natu- ralien befriedigt wurde. So lieB Lionello Bellini 1441 zwei Scheffel Getreide auszahlen; diese Art der Bezahlung muB aber dem Kunstler nicht unerwunscht gewesen sein, da er viel fur die Este geschaffen hat; leider ist kein einziges dieser Bilder erhalten. Auch Mantegna, der damals noch Squarciones Schiiler war, war unter Lionello kurze Zeit in Ferrara. Sein EinfluB war ein auBerordentlich wichtiger Faktor in der Entwicklung der ferraresischen Kunst, und die engen Beziehungen der Este zu den Gonzaga haben es den Ferraresen erleichtert, die Werke des gro3en Mantuaner Meisters kennen zu lernen.

Rogier van der Weydens Ankunft in Ferrara war eines der wichtigsten kiinstlerischen Ereignisse jener Epoche. Rogier kam 1450 nach Italien, wahrscheinlich zum groBen Kirchenjubilaum, das viel flandrische Pilger nach Rom gelockt hat, auch mag er nach einem Markt fur seine Bilder gesucht haben. Die erste italienische Stadt, in der er sich langere Zeit aufhielt, war Ferrara; der Glanz des dortigen Hofes, vielleicht auch Empfehlungen flandrischer Kaufleute, die zu den Este in Beziehungen standen, mdgen ihn hingelockt haben. Der Enthusiasmus, mit dem man Rogiers Bilder in Ferrara aufgenommen hat, laBt sich nur der Bewunderung ver- gleichen, die Hugo van der Goes' Portinari-Altar in Florenz erweckt hat. Als Rogier seine Bilder nach Ferrara brachte, war die Olmalerei dort noch fast unbekannt. Man bediente sich dieser Technik zwar fur Spielkarten, Fahnen, zum Bemalen plastischer Figuren usw., aber die ersten Olgemalde hat erst Cosimo Tura 1469 aus- gefiihrt.

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Der starke Realismus des flandrischen Kunstlers einerseits, seine tiefen, glanzenden, leuchtenden, lebendigen Farben anderer- seits mufiten Ferraras gesamte kiinstlerische Welt aufregen. Lionello hat ein Triptychon von Rogier mit einer Kreuzabnahme er- worben. Die Gestalten waren nach der Versicherung eines Zeit- genossen der Ausdruck gottlicher, nicht menschlicher Kunst, von der Allmacht der Natur, nicht von der Hand eines Kunstlers ge- schaffen.

Lionello starb zu friih, als daB sich die Folgen dieser neuen Ein- fliisse noch unter seiner Regierung in der Malerei von Ferrara hatteri zeigen konnen. Erst unter Borso (1450 1471) entsteht eine Maler- schule auf ferraresischem Boden mit bestimmten charakteristischen Kennzeichen, die sie von den iibrigen kiinstlerischen Tendenzen in Mittelitalien unterscheiden. Unter Borso hort der starke EinfluQ fremder Maler in Ferrara auf, mit Ausnahme von Piero della Fran- cesca, dieses Licht- und Luftmalers der Renaissance, den der Herzog um 1 45 1 fur einige Zeit nach Ferrara berufen hat.

Der Hauptvertreter des kiinstlerischen Prozesses, der sich nun vollzogen hat: der Bildung einer eignen ferraresischen Schule, die sich fremde Elemente assimiliert hat, ist Cosimo Tura (geboren um 1432 bis 1495) eine ausgepragte kiinstlerische Personlichkeit, fern von allem Banalen, die die Natur eifrig erforscht und sie mit einer gewissen Riicksichtslosigkeit und Brutalitat wiedergibt. Squarciones Grundsatze mogen auch auf ihn eingewirkt haben, jedenfalls aber hat er Piero della Francescas EinfluB erfahren. Glucklicherweise sind Turas Hauptwerke erhalten, so daB er nicht der Geschichte allein angehort, sondern eine greifbare Personlichkeit ist, die durch die Kuhnheit ihres Pinsels und das Derbe ihrer knochigen Gestalten zu uns spricht. Tura war der Sohn von Domenico aus Guardo, einem kleinen Ortchen im Ferraresischen. Er hat in Padua gelernt und mag sich dort wie Mantegna seine Vorliebe fur die Antike geholt haben. Gem bringt er auf seinen Bildern antike Triimmer an, Fragmente griechischer Statuen oder romischer Bauten. Er war eine Zeit hindurch in Venedig; nach dem Tode von Angiolo da Siena, des Hofmalers der Este, ging er nach Ferrara, um dort die Stelle eines „Malers fur alles" zu ubernehmen, und wurde bald Borsos

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Lieblingskiinstler. Er hat Kartons fur Teppiche entworfen, die auf flandrische Art gewebt wurden, und Stoffe fiir Bankdecken, Riicken- lehnen und Tiirvorhange gezeichnet. Diese Kartons, auf denen sich Tiere im Griinen tummelten, wurden vom ,,arazziere" Livino aus- gefiihrt. Er hat Kisten bemalt, Zaumzeug fiir Pferde zu einemTurnier gezeichnet, selbst Vorbilder fiir die Jacken entworfen, die die Ritter wahrend der Giostren iiber ihre Riistung anlegten. Als 1459 Galeazzo Sforza in Ferrara erwartet wurde, schmuckte Tura den Bucentaur, auf dem Borso seinem Gast auf dem Po entgegenkam; er war auch der Regisseur der Feste, die zu Ehren des mailandischen Herzogs gegeben wurden. Fiir das Turnier, das 1462 Niccolo und Alberto Maria d'Este gaben, und an dem Sigismondo Malatesta aus Rimini und Astorre aus Faenza teilnahmen, entwarf Tura Zeichnungen fiir Pferdedecken und Modelle fiir die Kostiime der Ritter. Neben diesen Gelegenheitsarbeiten vollendete er die von Angiolo da Siena begon- nenen Fresken in Lionellos SchloB zu Belfiore; spater hat er in Borsos Studio die Wande und selbst die Mobel, die dort unterge- bracht werden sollten, bemalt.

Als Entgelt fiir seine Arbeit bekam er eine Freiwohnung in der Casa de' Forestieri und von 1460 an wurden ihm dreiBig Lire monat- lich ausgezahlt, auBerdem hat ihm die Camera ducale 1464 ein Haus geschenkt, das fiir vierhundertfiinfzig markgrafliche Lire fiir ihn erworben wurde. Seine Bezahlung war nach damaligen Anschau- ungen sehr hoch. Bald nach diesem Kauf verschwindet Turas Name aus den herzoglichen Registem; er ist damals zwischen 1465 und 1467 vermutlich mit Borsos Einwilligung, nach Mirandola ge- gangen und hat in Picos beriihmter Bibliothek gemalt. Die Poesie, neun Musen, eine Sibylle und viele andere Gestalten aus der klassi- schen Welt sollen die Wande dieses Saales geschmiickt haben.

Gegen Ende des Jahres 1467 kam Tura ruhmbedeckt nach Ferrara zuriick; jetzt beginnt die glanzendste Periode seiner Kiinstlerlauf- bahn, er war Ferraras meistbeschaftigter und gefeierter Maler. Zwei Jahre spater fallt wohl der Begin n seiner Tatigkeit im groBen Saal des Palazzo Schifanoja, auch die SchloBkapelle in Belriguardo wurde von ihm gemalt, doch hat sich keine Spur davon erhalten. Vorbild oder zum mindesten Anregung fiir diese Fresken sollen

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ihm Gentile da Fabrianos Fresken im Broletto zu Brescia gewesen sein. Der Palazzo in Belriguardo hatte ebensoviel Sale und Zimmer, als es Tage im Jahre gibt und befand sich stets im Umbau. Al- fonso II. haben Turas Bilder in der Kapelle nicht mehr gefallen, er lieB sie herunterschlagen und neue Bilder, die seinem Geschmack entsprachen, anbringen. Im XVII. Jahrhundert war der stolze Sitz der Este bereits Ruine. Ehe Tura sein Werk in Belriguardo be- endet hatte, starb Borso; der Kiinstler hat seinem Protektor den letzten Dienst geleistet und den Katafalk, auf dem der Leichnam des Herzogs in der Certosa wahrend der Leichenfeier ausgestelit war, geschmiickt.

Tura malte wahrend seiner Tatigkeit in der Kapelle in Belriguardo an der Stirnseite der grofien Orgeln in der Kathedrale zu Ferrara zwei seiner beruhmtesten Bilder: einen h. Georg und eine Verkiindigung. Sie befinden sich heute, von der Orgel losgelost, im Chor des Heilig- tums. Der h. Georg, der seine Lanze in den Drachen einbohrt, ist sehr lebendig erfaBt, und die fliehende Prinzessin verleiht der ganzen Komposition einen dramatischen Zug. In der Verkiindigung liegt dem Kiinstler ein Idealisieren der Gestalten fern, die Maria ist eine Frau aus dem ferraresischen Volk, auch der Engel unterscheidet sich nicht von den Menschen, die den Kiinstler umgaben. Trotz der etwas zu groBen Kopfe und der iibermaBig energischen Bewegungen aller Gestalten, machen diese Bilder durch ihre Einfachheit und Starke einen groBen Eindruck und sichern Tura seinen Platz neben den groBten italienischen Realisten, neben Fra Filippo Lippi, Man- tegna und Foppa.

Unter Ercole I. hat der Hof bei Tura fast ausschlie31ich Portrats bestellt und ihm auBerdem einige dekorative Arbeiten anvertraut. 1472, vor seiner Trauung mit Eleonora von Aragon, hat ihm der Herzog Entwiirfe bestellt fiir das Ehebett, den Betthimmel und die Bettdecke, die von Maestro Rubinetto di Francia nach Art flandrischer Arazzi aus Wolle und Seide hergestellt werden sollten. Der Herzog hat ihn auch nach Venedig geschickt, damit er ein Tafelservice bei dem dortigen Goldschmied Giorgio Alegretto da Ragusa bestelle. Es war ein kostbarer Tafelaufsatz, zu dem auch emaillierte, mit plastischen Gestalten versehene Vasen gehorten; Satyrn, Adler,

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Schlangen, Delphine und das Horn der Fruchtbarkeit befanden sich darauf. Fast die gesamte Einrichtung der Zimmer der jungen Frau wurde nach Turas Entwiirfen und Angaben hergestellt, die Aus- fiihrung war einheimischen Handwerkern und dem Goldschmied Amadio in Mailand anvertraut worden. Ercoles Studio sollte auf Wunsch des Herzogs einen moglichst heitern Eindruck machen, der Kiinstler schmiickte es mit den Gestalten schoner, halbnackter Frauen, die der Antike entlehnt waren. Uber ihre Bedeutung und den Verbleib der Bilder wissen wir nichts.

Vor der Hochzeit muBte Tura die Neugierde der Verlobten be- friedigen und ihr ein getreues Bildnis ihres kiinftigen Gatten und seiner natiirlichen Tochter Lucrezia, die am Hof erzogen werden sollte, schicken. Als Ercoles erster Sohn geboren wurde, war man sofort darauf bedacht, eine entsprechende Gattin fur ihn zu wahlen. So portratierte 1477 Tura das einjahrige Kind fur Anna Sforza, Gian Galeazzos Schwester, die Alfonso 1491 tatsachlich geheiratet hat. Zwischen 1480 und 1485 hat der Kiinstler Isabella und Beatrice d'Este gemalt, er kam als Portratmaler in Mode, und jede bekannte Personlichkeit am ferraresischen Hofe wollte von ihm gemalt werden. Auch Tito Strozzi hat sich von ihm malen lassen, aber leider ist von all diesen Bildnissen nur ein einziges auf uns gekommen, und auch dies laBt sich nicht mit absoluter Sicherheit identifizieren. Es ist das Portrat von Uberto Sacrati mit Frau und Sohn, das sich heute in der Galerie Strozzi in Ferrara befindet. Die Signora Sacrati von nur geringem Reiz, in sehr kostbarer Toilette, stiitzt beide Hande auf den Arm eines blonden Kindes, wahrend Uberto einen Falken halt. Die kleine Familie sitzt vor einer Balustrade und hebt sich rechts von einem blaugriinen Vorhang ab, mit davorhangender Korallen- schnur, links ein Ausblick auf die Landschaft.

Da die in Ferrara ausgefiihrten Portrats von Tura untergegangen sind, kann man ihn nur nach den religiosen Bildern, die sich heute in den verschiedensten Galerien befinden, beurteilen. In Frage kommen namentlich einige Teile eines vielfliigeligen Altarbildes, das der Kardinal Roverella fur S. Giorgio fuori le mura in Ferrara be- stellt hat, fur jene verlassene Kirche, vor der heute Pferde grasen Das Mittelbild dieses Altars, eine thronende Madonna, die das

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schlafende Christuskind auf d^m SchoB halt, von sechs musizieren- den Engeln umgeben, befindet sich in der National Gallery in London. Ein arcnitektonischer Bogen, uberreich mit Ornamenten versehen, halt das Bild zusammen. Auf einem der Seitenfliigel, der sich in der Galerie Colonna zu Rom befindet, ist der Stifter Roverella vor Maria kniend dargestellt. Hinter ihm stehen zwei Schutzheilige der h. Maurelius und der h. Paulus, zwei realistisch behandelte, aus- drucksvolle, kraftige Gestalten. Ein zweiter Seitenfliigel, eine Pieta, ist im Louvre. Maria halt den Korper ihres Sohnes auf den Knien, zu beiden Seiten stehen Magdalena, zwei andere heilige Frauen, Johannes und Joseph von Arimathia. Maria und Christus sind von auffallender HaBlichkeit, dagegen haben die Heiligen den Ernst und die GroBe, die Turas Gestalten so haufig eignet. Auf- fallend wirken in diesem Bilde wie in so vielen anderen unseres Meisters der Reichtum der Ornamente und die Pracht der Gewander ; der Kiinstler hat sich den auBeren Glanz des ferraresischen Hofes zu eigen gemacht und kann selbst bei einem so tragischen Motiv wie einer Pieta nicht davon absehen. Magdalena ist zu einer vor- nehmen Dame des estensischen Hofes geworden, mit einem Perlen- diadem auf dem Kopf, einem scharlachroten, goldgestickten Kleid mit blauen Armeln und einem tiefgriinen Mantel.

Im Kaiser Friedrich-Museum in Berlin befindet sich eine der groBartigsten Madonnen von Tura. Das Bild stand auf dem Hoch- altar der Kirche San Lazzaro in Ferrara. Auf den Stufen des Thrones stehen links die h. Apollonia, rechts die h. Katherina von Alexan- drien, Augustinus und Hieronymus bilden gewissermaBen Mariens Ehrengarde. Auf der Mauer sitzt ein lautespielender Engel; zwei schwebende Engel sind im Begriff, Maria zu kronen.

Cosimo hat mehrere Hieronymusbilder geschaffen, das eine dieser Bilder befindet sich in der Pinakothek zu Ferrara, ein zweites in der National Gallery zu London. Der ferraresische Hieronymus steht kunstlerisch hoher als der Londoner: der Kirchenvater, lebens- groB im Kardinalsgewand, stiitzt sich auf eine antike Saulentrommel. Der treue Lowe liegt zu seinen FiiBen. Den machtigen Kopf des Greises umgibt ein breiter, goldner Heiligenschein, der sich pracht- voll vom hellen Himmel abhebt. Sehr kraftig wirkt der violette,

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griingefiitterte Mantel, der phantastisch iiber den Kopf gezogen ist. Auch hier fehlen nicht interessante ornamentale Details, fur die der Kiinstler augenscheinlich eine Vorliebe gehabt hat, namentlich fallen schone Arabesken, die die Pilaster schmucken, und Delphine, grau in grau gemalt, auf.

Die Zeitgenossen haben Tura auBerordentlich hoch geschatzt. Giovanni Santi hat ihn neben Antonello da Messina, Giovanni Bellini und Melozzo genannt. Tito Strozzi hat Tura in einer Elegie gefeiert, eine Frau bittet den Kiinstler sie zu malen:

Nunc cupit externis pingi velata capillos Cultibus, et nudo nunc libet esse coma.

Turas pekuniare Verhaltnisse waren so giinstig, daB er 1471 in seinem Testament einen groBen Betrag fur den Bau der Kirche der Heiligen Cosmas und Damian aussetzen konnte. Der Kiinstler ver- stand sein Geld anzulegen und war unablassig mit Spekulationen beschaftigt; er hat Hauser zum Verkauf gebaut und hat mit Gold- schmieden, Tuchfabrikanten, Holzhandlern und Backern Kom- pagniegeschafte gemacht. Die ferraresische Bevolkerung war da- mals auBerordentlich unternehmend, und die Verhaltnisse des Landes begiinstigten diesen Trieb. Tura folgte nur dem Beispiel der anderen. Er starb 1495 und hinterlieB einen Sohn Damian, den ihm seine Dienerin Ossolina geboren hat.

Ill

Ein unter Borso und Ercole I. viel genannter Maler war Baldassare d'Este, von dem leider kein einziges authentisches Bild auf uns gekommen ist. Er war eine bekannte Personlichkeit am ferrare- sischen Hof , und deshalb soil hier von ihm die Rede sein. Baldassare hat zur groBen Schar der naturlichen Sonne von Niccolo III. gehort, war also ein Halbbruder der regierenden Herzoge, seine Mutter Anna Roberti stammte aus Reggio. Er hat seine Bilder Baldassare Estense gezeichnet, das herzogliche Wappen beniitzt und neben seinen Namen den Diamantring, Ercoles I. Lieblingszeichen, ange-

COSIMO TURA: MADONNA IN TRONO T.oNDoN, NATIONAL GALLERY

STICKENDE FRAUEN DETAIL AUS DEN FRESKEN 1M PALAZZO SCHIFANOJA ZU FERRARA

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bracht. Er ging friihzeitig in die Lombardei und muB in Mailand gelernt haben; sein Name hatte dort einen guten Klang, da er im Kastell zu Pavia die Portrats von Galeazzo Maria Sforza und seiner Gattin Bona di Savoia gemalt hat. Galeazzo hat ihn in einem Brief an denHerzog vonFerrara sehr gelobt: er sei ein ehrenwerter Mensch, ein beriihmter Kunstler, und ihm aus vielerlei Grunden teuer. 1469 hat sich Baldassare in Ferrara niedergelassen, und Borso hat die Habe des Kiinstlers aus Pavia m;t dem Schiff holen lassen. Er war damals etwa dreiBig Jahre alt und wurde zum Hofmaler der Este ernannt. Borso hat ihm eine monatliche Pension von zehn mark- graflichen Lire ausgesetzt und ihm auBerdem sechs FaB Weintrauben und sechs Scheffel Getreide jahrlich gegeben. Als Wohnung wurde ihm der Palazzo Paradiso angewiesen, den man den Pio infolge ihrer Verschwdrung gegen den Herzog genommen hatte; auch die gesamte dort befindliche Einrichtung stand zu Baldassares Ver- fiigung. Baldassares groBere Bilder wurden besonders bezahlt, iiberhaupt wurde er bei jeder Gelegenheit sehr ausgezeichnet, ein- mal muBte er sogar Arbeiten, die Tura in der Kapelle in Belriguardo ausgefuhrt hatte, abschatzen. Bei Borsos Begrabnis gehdrte der Kunstler zu jenen, die schwarz gekleidet dem Sarge bis zur Certosa folgten.

Da Galeazzo Maria Sforza das Portrat des toten Herzogs zu be- sitzen wiinschte, wurde es von Ercole bei Baldassare bestellt, es gelang so vortrefflich, daB der Herzog von Mailand, fur das Geschenk dankend, erklarte, er glaube Borso lebend vor sich zu sehen, wenn er das Bild betrachte. Baldassare hat das Bild selbst nach Mailand gebracht, da Galeazzo cusdriicklich gebeten hatte, das kostbare Werk sorgfaltig zu verpacken.

Nach seiner Ruckkehr aus Mailand hat Baldassare eine Zeit hindurch in Reggio gewohnt, wo ihm der Herzog eine Sinekure iiber- trug und zum Kapitan della Porta Castello ernannte. Dort heiratete der Kunstler Giovanna Fogliani und wurde der Vater einiger sehr hubscher Tochter. Die eine Tochter wurde 1490 von drei Jiing- lingen, die zum dortigen Adel gehdrten, geschandet; dieser em- porende Vorfall machte viel von sich reden. Baldassare fuhr sofort nach Ferrara, um sein Recht beim Herzog zu suchen; der Herzog

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befahl dem Gouverneur und Podesta von Reggio, die Verbrecher aufs strengste zu bestrafen, aber es war umsonst, da die Zeugen infolge der hohen Stellung der Angeklagten die Aussage verweigerten. Der ungliickliche Vater wandte sich wieder an den Herzog, flehte, daB man die Schuldigen dem fiir seine Strenge bekannten Gregor Zam- pante iibergebe, aber alles war vergebens, die Ehre des Madchens blieb ungeracht. Da Baldassare infolge dieses Vorkommnisses nicht langer in Reggio bleiben konnte, iibersiedelte er nach Ferrara, und der Herzog bemiihte sich, ihn wenigstens einigermaBen zu entschadigen, indem er ihn zum Gouverneur von Castel Tebaldo ernannte. Wir wissen noch, daB der Herzog ihm 1497 ein Stuck Tuch und Striimpfe, die mit dem diamantgeschmiickten Ring versehen waren, geschenkt hat. Vielleicht sollte dieses Geschenk gewisser- maBen Schmerzensgeld fiir die erlittene Unbill sein.

Die Protektion des Herzogs war nicht immer Schutz genug vor der Habsucht und den Schikanen der iibrigen Hoflinge und Be- amten des Reiches. 1502 beschwerte sich Baldassare beim Herzog, daB er kleinere FaBchen mit Weintrauben bekame, als ihm zustanden, und dumpfes Getreide. Er klagte bitter liber seine Not und bat, daB ihm der Herzog aus seiner Garderobe einen getragenen Anzug schenke, ein Paar Striimpfe, Rock und Mantel, damit er sich wenig- stens zuweilen bei Hof zeigen konne. Dieser Brief schlieBt wie andere Schreiben dieser Art mit der Versicherung, daB, auch wenn der Her- zog ihm nichts zugestehen wiirde, er stets sein treuer Diener bliebe. Es war dies die ubliche Formel der Bittsteller, um der schlechten Laune des Herrschenden vorzubeugen. Obgleich sich Baldassare mit den Bettlern, denen man abgetragene Kleider schenkt, auf eine Stufe stellt, hatte er Geld genug, um in seinem Testament hundert Messen fiir den Frieden seiner Seele auszusetzen und seiner Frau hundert Lire in Gold, verschiedene Kostbarkeiten, Leinen, Seide, und goldgewebten Brokat zu vermachen. AuBerdem hinterlieB er ein Giitchen in der Nahe von Reggio. Es schien also damals vor- teilhafter zu sein, als Bettler und nicht als Gutsbesitzer aufzutreten.

Baldassares beriihmtestes Werk scheint ein groBes Gruppenbild von Borso, Alberto d'Este, Lorenzo Strozzi und Teofilo Calcagnini gewesen zu sein, samtlich zu Pferde. Dieses Bild, fiir das der Kiinst-

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ler zweihundert Dukaten bekommen hat, hat er zu Borsos Leb- zeiten begonnen, aber erst nach dessen Tode vollendet.

Baldassare scheint ein guter Portratmaler gewesen zu sein, da Borso seinen eigenen Kopf und die Gesichter einiger Hoflinge in den Fresken im Palazzo Schifanoja von ihm hat iibermalen lassen, als sie ihm nicht ahnlich genug schienen. AuBerdem hat Baldassare Marietta, Teofilo Calagninis Frau, Tito Strozzi und viele andere Personlichkeiten des ferraresischen Hofes gemalt, und seine Portrats wurden dreimal teurer als die von Cosimo Tura bezahlt. Strozzis Portrat, das sich vor nicht langer Zeit in der Galerie Costabili befunden hat und spater (nach Morelli) in der Sammlung des be- riihmten Antiquars Gugenheim gewesen sein soil, ist heute ver- schollen. Ein danach gemachter Stich befindet sich in Rosinis Werk: Storia della pittura italiana.

IV

Neun Jahre j linger als Cosimo Tura, aber wie er von Squarciones Schule und Piero della Francesca beeinfluBt, war der bertihmte Francesco Cossa (um 1435 1477) Er war wie Tura Realist und hatte eine Vorliebe fur Typen aus dem*"Volk. Cossa steht jedoch starker unter Piero della Francescas verfeinerndem EinfluB, er hat eine gewisse Vorliebe fur schlanke Gestalten, farbige Tone im Kolorit und geht perspektivischen Problemen nach. Sein beriihmtestes Werk sind die Fresken im Palazzo Schifanoja, auch kulturgeschichtlich von ungeheurer Bedeutung; gut erhalten aus dem ganzen Cyklus sind allein jene Kompositionen, in denen Borsos Beschaftigung im Marz, April und Mai dargestellt ist. Der Kiinstler hat die Wand in drei Zonen geteilt, die verschiedenen Zwecken dienen. Die hochste an der Decke ist den Gottern gewidmet, die mittlere steht im Zeichen des Tierkreises und anderer symbolischen Figuren, auf der untersten und breitesten spielen sich Szenen aus Borsos Leben ab. Auf einer der hochsten Zonen der Wand sitzt Minerva im Triumphwagen, dem Einhorner, die symbolischen Tiere der Jungfraulichkeit und Klugheit, vorgespannt sind. Die Gottin halt eine Lanze in der rechten und ein geschlossenes Buch in der linken Hand. Neben ihr haben

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sich einige nackte Kinder auf dem Wagen niedergelassen. Zwei Gruppen bewegen sich im Bilde: Gelehrte, vielleicht ferraresische Universitatsprofessoren, disputieren untereinander, und sitzende Frauen, denen Kofdamen zusehen, sticken und weben. Samtlich ausgesprochene ferraresische Typen. Auf der mittleren Zone be- findet sich ein schwer zu deutendes symbolisches Bild: neben dem Tierkreiswidder sitzt eine Frau, die nach dem Himmel weist; sie personifiziert den Friihling, den Beginn des astronomischen Jahres; zu beiden Seiten befinden sich symbolische Gestalten, deren Be- deutung unklar ist. Vielleicht die bedeutsamste, jedenfalls die fur uns verstandlichste Zone, ist die unterste. Borso in prachtigem Kostiim nimmt Bitten, Wiinsche und Klagen seiner Untergebenen entgegen. Die treuesten Hoflinge umgeben ihn, selbst der geliebte Affe, den ein Page in seinem besonderen Schutz hat, fehlt nicht. Rechts mehrere charakteristische Gestalten, sicherlich wieder vor- ziigliche Portrats aus der Umgebung des Herzogs; links erscheint wieder Borso zu RoB, im Begriff in Calcagninis Gesellschaft, von Adligen und Falknern begleitet, zur Jagd zu gehen. Den Hinter- grund bilden Landschaft und Architektur. Es ist unmoglich, alle Einzelheiten dieser Fresken aufzufiihren, sie geben einen ausge- zeichneten Einblick in Ferraras Leben in der zweiten Halfte des XV. Jahrhunderts. Auf einem Fresko bewegt sich Scocola, der ,,soavissimo istrione", der sich sehr viel in Gegenwart des Herzogs herausnehmen durfte, neben seinem Herrn. Auch Calcagnini, Borsos beliebter Ratgeber, kommt mehrere Mai vor.

Cossa hat diese Fresken zwischen 1467 und 1470 gemalt und sich in einer schriftlichen Supplik bitter beim Herzog iiber die elende Be- zahlung beklagt, die fur diese groCe Arbeit ausgesetzt werde. Er bekam wie die iibrigen Maler zehn Bolognini fur den QuadratfuS des Freskos bezahlt, ihn emporte nicht nur die schlechte Bezahlung, mehr noch der Umstand, dafJ er mit Kunstlern, die ihm an Konnen und Ruhm durchaus nicht zu vergleichen waren, auf eine Stufe gestellt wurde. Borso lieB seine Bitte unberiicksichtigt und hat sogar, wie schon erwahnt, einige der Dargestellten von Baldassare iiber- arbeiten lassen, was den Kiinstler sehr gekrankt hat. Er verlieB deshalb Ferrara, obgleich er einem Architektengeschlecht angehorte,

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das seit langem dort ansassig war, und siedelte nach Bologna iiber, wo er am langsten gewirkt hat.

Abgesehen von den Fresken im Palazzo Schifanoja hat er in Ferrara noch ein mehrteiliges Altarbild geschaffen. Sein urspriing- licher Aufbewahrungsort ist unbekannt, einige Flugel befinden sich heute in London, Rom und Mailand. Der Heilige auf dem Londoner Bild ist wohl Kyazinth, der ein Buch in der Linken halt und mit der Rechten segnet. Es ist eine sehr charakteristische Gestalt, die sich plastisch von Felsen und einer Ruine abhebt. Einige kleinere Ge- stagen tauchen zwischen den Felsen auf, in den Liiften thront Christus von Engeln umgeben, die die Marterwerkzeuge halten. Zwei zu diesem Altar gehorige Flugel sind 1895 aus der Sammlung Barbi Cinti in Ferrara in die Brera nach Mailand gekommen. Dar- auf die Gestalten von Petrus und Johannes dem Taufer; Petrus sieht ernst und giitig aus, Johannes wirkt streng, fast abstoBend. Hande, Haare und alle iibrigen Details sind mit sehr groBer Sorgfalt ausgefuhrt, das Kolorit saftig und von schonem Klang. Sehr interes- sant ist die Predella dieses Altars in den Vatikanischen Sammlungen, die dort den Namen Benozzo Gozzoli tragt. Auf der vierteiligen Predella sind vier Szenen aus dem Leben des h. Hyazinth dar- gestellt. Die Typen entsprechen jenen im Palazzo Schifanoja, besonders die Frauen scheinen dem ferraresischen Volk anzu- gehoren.

Wahrend Cossas Aufenthalt in Ferrara ist wohl das Bild ent- standen, das heute im Kaiser Friedrich-Museum hangt: ein junges, von der Arbeit heimkehrendes Landmadchen. Sie halt eine Schaufel in der rechten Hand und Weinranken in der linken. Ihr Ge- sicht atmet jene Ruhe, die allein die Beriihrung mit der Natur gibt. Eine norditalienische Landschaft: bestellte Felder, ragende Zypressen und ein kleines Stadtchen in der Feme bilden den Hinter- grund. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Allegorie des Herbstes: Weinlese. Das Bild befand sich urspninglich im Kloster des h. Domenicus in Ferrara, wo es im Saal der Inquisitionssitzungen hing. Ein Idyll im Saal der Inquisitoren!

In Bologna hat Cossa sehr viel gearbeitet, er hatte einen starken EinfluB auf die dortige Malerei, so daB man ihn fast den Begrunder

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der Bologneser Malerschule nennen kann. Er hatte viel Schiiler, audi Francesco Francia, der bekannteste bolognesische Maler, hat sich in seiner Werkstatt vom Goldschmied zum Maler gewandelt.

Einige Bilder von Cossa, die aus seiner Bologneser Periode stammen, befinden sich in auBeritalienischen Galerien und Privat- sammlungen, darunter die reizvolle ,,Verkiindigung" in der Dresdener Galerie, die die besten Kenner ferraresischer Kunst: Morelli, Ven- turi, Harck und Frizzoni unserm Meister zugeschrieben haben. Cossa ist dem ferraresischen Typus auch spater treu geblieben, die Verkiindigung fiihrt in die Nahe der Schifanoja-Fresken.

In Bologna haben sich verschiedene Werke von Cossa erhalten. Zu den bekanntesten gehort die Madonna del Baracano in der Kirche, die einer frommen Vereinigung des gleichen Namens gehort. Dies Bild ist urspriinglich von einem alteren Maler ausgefiihrt worden, Cossa hat es auf Giovanni Bentivoglios II. Wunsch iibermalt und restauriert. Abgesehen von einem gewissen Archaismus im Gesicht der Maria und des Kindes, hat er dem ganzen Bild seinen person- lichen Stempel aufgepragt. Mariens Ausdruck muBte unverandert bleiben, da man sich von dem wundertatigen Bild folgende Legende erzahlte: 1402, unter Giovanni Bentivoglios I. Regierung hat Giangaleazzo, der Herzog von Mailand, Bologna belagert. Bento Bentivoglio, der Kommandant der Stadt, sah wahrend der Belage- rung in der Nahe der Kirche San Stefano eine vor dem Marienbild betende Frau, die er der Spionage bezichtigte. Er lieB sie verhoren und obgleich sich aus ihren Worten ergab, daB sie unschuldig war, schien es Bentivoglio ratsamer, das Bild einmauern zu lassen, damit sich nicht Verrater betend naherten und dem feindlichen Heere Zeichen machten. Als man versuchte, das Bild einzumauern, fielen die Ziegel auseinander und die Mauer stiirzte ein. Bentivoglio machte einen erneuten Versuch mit einer starkeren Mauer, aber auch diese stiirzte ohne einen sichtbaren auBeren Grund sofort ein. Ja noch mehr, nachts sah man auf jener Stelle, wo sich das Bild be- fand, geisterhafte Gestalten sich regen; der erschrockene Bentivoglio betrachtete diese Erscheinung als ein ihm gegebenes ubernatiirliches Zeichen, das wundertatige Madonnenbild nicht zu verbergen. Giovanni II. lieB dieses Bild von Cossa iibermalen, da es sehr ruiniert

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war. Ehe sich der Kunstler an dies fromme Werk machte, beichtete er, nahm das Abendmahl und bat den Bischof um seinen Segen. So gestarkt, nahm er den Pinsel zur Hand.

Zwei Jahre spater hat Cossa ein Temperabild auf Leinwand fur das Foro dei Mercanti gemalt, das Bild befindet sich heute in der Pinakothek zu Bologna. Es ist dies eines seiner bezeichnendsten Werke. Die Madonna mit dem Kind auf dem SchoB sitzt auf einem, mit zwei Kandelabern und Fruchtkdrben geschmiickten Thron. tJber dem Thron breitet sich ein schoner architektonischer Bogen aus. Rechts sitzt Johannes lesend, links befindet sich Petronius im Bischofsmantel und im Hintergrund der Stifter, der Notar Antonio degli Amorini.

Cossa fand in Bologna und Modena zahlreiche Nachahmer.

Unter Ercole I. bat sich die Stadt sehr vergroBert, viel neue Pa- laste wurden von den dort angesessenenPatrizierfamilien erbaut, und der Herzog hat sich an der allgemeinen Baulust rege beteiligt. Ferrara hat damals sehr viel Kunstler beschaftigt, es sind nicht weniger als siebzig Malernamen aus jener Zeit auf uns gekommen. Wahrscheinlich waren es in der Hauptsache Dekorationsmaler, die die Zimmer oder AuBenwande der Palaste und die Tausende von Geraten, die im Gebrauch waren, mit Farben verziert haben. Neben diesen handwerkartigen Malern gibt es einige bedeutende Talente, deren Werken das Charakteristikum jener Epoche, das jugendlich Uberschaumende, kraftig Energische eignet.

Zu ihnen gehort Ercole di Antonio de' Roberti, der Sohn eines estensischen Portiers (geb. zwischen 1450 und 1460, gest. 1496). Er hat sich unter Jacopo Bellinis EinfluB entwickelt, aber auch Mantegna und Piero della Francesca haben auf ihn gewirkt. Von dem letzteren hat er die helle, durchsichtige und doch warme Farbe ubernommen, so daB er zum bedeutendsten Koloristen der alteren ferraresischen Schule wurde. Mit besonderer Sorgfalt hat er die landschaftlichen Hintergriinde seiner Bilder behandelt, und

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es verstanden, den empfangenen Eindruck mit groBer Treue zum Bild zu verarbeiten.

Ercoles Anfange standen im Zeichen schwerer auBerer Kampfe; da er nicht imstande war, Miete fiir ein eigenes Lokal zu bezahlen, hatte er eine Bottega zusammen mit seinem Bruder, dem Tischler Polidoro; um den Betrag fiir die Miete zu verringern, haben sie die Halfte des Lokales Giovanni di Giuliano aus Piacenza abgetreten, der Vergoldungen aus reinem Metall fiir Maler gemacht hat. Die Bruder, der Maler und der Tischler, haben Kompagniegeschafte mit dem Vergolder gemacht, der wohl ein noch armerer Teufel war als sie selbst, da sie ihm Handwerkszeug und die Halfte des Metalls liefern muBten, wahrend er sich verpflichtete, seine Einkaufe mit ihnen zu teilen. Trotz der billigen Wohnung und der Gemeinschaft mit dem Vergolder ist es Ercole in Ferrara schlecht ergangen; er siedelte nach Bologna iiber, und wir finden ihn 1482 mit tatig an der Ausschmiickung der Kapelle von Domenico Garganelli im Dom. Er hat dort zwei Fresken, eine Kreuzigung und einen Tod Maria, geschaffen; der Ausdruck der Kbpfe soil ergreifend gewesen sein. Michelangelo und Vasari haben dieses Meisterwerk sehr bewundert; nach Vasari soil Roberti zwolf Jahre daran gearbeitet haben, indem er sieben Jahre al fresco daran gemalt und funf Jahre korrigiert hat. Vasari hat sich geirrt, da Ercole schon i486 nach Ferrara zuriickging; jedenfalls beweisen Vasaris Berichte, daB die Fresken in Bologna mit besonderer Sorgfalt und groBer Gewissenhaftigkeit ausgefiihrt waren. Die Fresken sind leider langst untergegangen,nur eine Federzeichnung der Kreuzigung befindet sich im Kupferstichkabinett in Berlin.

Wahrend seines Aufenthaltes in Bologna hat Ercole auch eine Predella fur das Altarbild in der Kirche San Giovanni in Monte ge- malt, auf der er einige Szenen aus den Fresken der Kapelle Garga- nelli wiederholt hat. Zwei Teile dieser Predella: Der Zug nach Golgatha und eine Gefangennahme Christi befinden sich heute in der Dresdner Galerie, wahrend eine Pieta in die Royal Institution zu Liverpool verschlagen wurde. In diesen Werken ist der Ein- fluB von Mantegna und Jacopo Bellini unverkennbar, die energisch aufgefaBten Gestalten haben eine grcQe Kiihnheit in ihren Be- wegungen Robertis bezeichnende Eigenschaften.

FRANCESCO COSSA: VERKUNDIGUNG DRESDEN. GALERIE

FRANCESCO COSSA: MADONNA ZWISCHEN PETRONIUS UND JOHANNES

BOLOGNA. PINAKOTHEK

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Von i486 bis zu seinem Lebensende hat Ercole in Ferrara gear- beitet, da er nach Turas Tod zum Hofmaler ernannt wurde. Er wurde gut bezahlt, sein Einkommen betrug zweihundertvierzig markgrafliche Lire; ebenso hoch war der Sold der Kapitane der wichtigsten Festungen und der „Fattori generali". AuBerdem sind in die Rechnungsbiicher des Hofes groBe Posten als Geschenke fur den bildenden Kiinstler eingetragen; so bekommt er einmal ein Stuck schwarzen Damast, ein andermal zwanzig Ellen Atlas in Farbe nach seiner Wahl, abgesehen von Purpuratlas, der zu den kostbarsten Stoffen gehorte. Bei den Vorbereitungen zu Isabellas Ausstattung fielen Ercole wichtige Aufgaben zu, er fuhr nach Venedig, um Gold zum Schmuck von dreiBig Truhen zu kaufen elftausend Blattchen Edelmetall wurden verbraucht , und die besten Farben zu wahlen, zu denen in der Hauptsache Lack und Ultramarin gehort haben. Unter Robertis Anleitung wurde das Ehebett gebaut und dekoriert sowie der Triumphwagen, in dem Isabella sich zum letztenmal in Ferraras StraBen gezeigt hat, ehe sie nach Mantua ging. Er hat auch zu jenen gehort, die ihr das Ge- leite in die neue Hauptstadt gegeben haben; die Vorbereitungen fur die Festlichkeiten und die Reise haben ihn so angestrengt, daB er aus Riicksicht auf seine Gesundheit Mantua schleunigst verlassen muBte.

Arbeit gab es genug, aber die Bezahlung verzogerte sich unge- biihrlich lange. Der Hof hatte infolge der Hochzeit so groBe Aus- gaben, daB die herzogliche Kasse sich mit der Entlohnung des Kiinst- lers nicht eben beeilte. 1491 waren Ercoles Forderungen noch immer nicht beglichen, in einem verzweifelten Brief wandte er sich direkt an den Herzog und bat um Geld; er betonte, daB er auch seine not- wendigsten Ausgaben nicht mehr bestreiten konne. Dieser Brief hatte kein Resultat, da dem Kiinstler erst 1495 der Rest seines Guthabens ausgezahlt wurde. Die herzoglichen Bestellungen liefen ununterbrochen fort, der Kiinstler machte alles, was von ihm ver- langt wurde, er bemalte Kamine und Friese, zeichnete eine topo- graphische Karte von Neapel, die die Herzogin einem der benach- barten Hofe schenken wollte, und lieB es sich nicht verdrieBen. Eleonoras Papageienkafig zu vergolden.

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Roberti muB ein guterzogener Mensch von angenehmen Ma- nieren gewesen sein, da ihn der Herzog mit dem jungen Don Alfonso nach Rom schickte, um den neuen Papst Alexander VI. zu begrufien. Allmahlich wurde der Kiinstler der Liebling des Herzogs; als er Kar- tons fur die Fresken in Belriguardo zeichnete, weilte Ercole ganze Tage in seiner Werkstatt und sah den Fortschritten mit groBem Vergniigen zu. Die Arbeit hat den Herzog so gefesselt, daB er das Schachspielen und Reiten ganz aufgab und seinem Sekretar verbot, in die Malerwerkstatt zu kommen, um ihn beim Vergniigen des Zusehens nicht zu storen. Auch Don Alfonso war stets beim Maler zu finden, so daB er das fur Isabella bestimmte Portrat von Ercole nicht rechtzeitig vollenden konnte, da ihn der Thronnachfolger zu sehr storte.

Roberti ging fur kurze Zeit nach Ungarn, von Mathias Cor- vinus berufen; in der Galerie zu Budapest befindet sich die Zeich- nung eines Mannes, die der Tradition nach wahrend seines Aufent- halts in Ungarn entstanden ist.

In verschiedenen offentlichen und privaten Sammlungen werden Ercole mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit Bilder zuge- schrieben, am besten beglaubigt ist ein Altarbild in de* Brera zu Mailand, das vom Kiinstler fur die Kirche Santa Maria in Porto in der Nahe von Ravenna geschaffen wurde. Es ist eine thronende Maria mit dem Kind auf dem SchoB, in der Feme schimmert eine Stadt am Meeresufer und blaue Hugel. Links reicht eine Heilige dem Kind einen Vogel, das sich vorbeugt, um ihn zu erhaschen; der h. Augustin und der Stifter Pietro Onesti sind Zeugen dieser Szene. Auf der Predella befinden sich der Bethlehemitische Kindermord, die Anbetung der Konige und die Darstellung im Tempel, die in Komposition und Ausfiihrung an Mantegna und Cossa anklingen.

Die gleichen Wege wie Ercole Roberti ist sein Zeitgenosse Bianchi oder Bianco Ferrari (gest. 1510) gegangen; er soil Cor- reggios erster Lehrer gewesen sein. Nur ein beglaubigtes Bild in der Galerie zu Modena ist bekannt, es wurde von einem Schiiler Giovanni Scaccieri vollendet. Dargestellt ist eine Verkiindigung; die schlanken Gestalten sind von der Weihe des Augenblicks er- fiillt, im Hintergrund eine Landschaft mit poetischen Ruinen*

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Ferrari starb, wahrend er an diesem Bilde arbeitete; zwei Jahre spater wurde es von Scaccieri zu Ende gemalt. Das Wesentliche des schonen Bildes scheint schon ausgeftihrt gewesen zu sein.

Etwas jiinger als die beiden genannten Kunstler war Domenico Panetti, Turas Schiiler (geb. um 1460, gest. ura 1512). Einige seiner Bilder befinden sich in der Pinakothek zu Ferrara, das beste darunter ist ein Altarbild mit dem h. Andreas, eine majestatische Gestalt mit edlen Ziigen, die sich von einer heitern Landschaft abhebt.

Panetti hat namentlich fur Kirchen gemalt, in der Pinakothek zu Ferrara befinden sich eine sehr charakteristische Heimsuchung, eine Verkiindigung und ein toter Christus; unter den Trauernden fallt besonders ein alter Mann im Turban durch seinen groBen Ernst auf. Eine schone Landschaft im Hintergrund beweist wieder, da8 die ferraresischen Kunstler viel Gefiihl fur Landschaftsmalerei gehabt haben.

VI

Wer Bologna auch nur fliichtig gesehen hat, muB sich des Fres- kos der Familie Bentivoglio in der Kapelle gleichen Namens in San Giacomo Maggiore entsinnen. Giovanni Bentivoglio II., der Tyrann von Bologna, und seine Gemahlin Ginevra Sforza knien mit gefalteten Handen vor der thronenden Madonna, die Kinder sind ihrem Alter nach zu beiden Seiten aufgestellt, vier Sonne neben dem Vater, sieben Tochter neben der Mutter. Die Gesichter sind weder anziehend noch hiibsch, aber voll verwegener Kiihnheit, selbst bei den Madchen erkennt man die Zugehorigkeit zu einem Geschlecht riicksichtsloser Tyrannen, das noch nicht durch Luxus und Sitten- verderbnis gebrochen ist. Die Portrats sind ausgezeichnet, in jedem Gesicht tritt der Familientypus unverkennbar zutage. Alle Gestalten unterscheiden sich durch ihren Realismus von dem sanften, milden Madonnenantlitz, dem reizenden Bambino und den beiden Engel- chen, die zu Haupten des Thrones Flote spielen. Auffallend wirkt das Zwiespaltige, mit dem der Kunstler seinen Gegenstand behandelt hat: die Bentivoglio und die gottlichen Gestalten sind ganz ver- schieden aufgefaBt. Bei den ersten zeigt er sich als der unverkenn-

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bare Abkommling der ferraresischen Schule, bei den zweiten macht sich der EinfluB der Bolognesen, namentlich Francesco Francias, geltend. Ubrigens ist im ganzen Bild, in dem kostbaren mit Schnitz- werk, Ornament und Statuetten verzierten Thron, in den stolzen Brokatgewandern der Bentivoglio der Hofmaler der Este unver- kennbar.

Dieses Fresko ist das Werk des Ferraresen Lorenzo Costa, eines der markantesten Vertreter der ferraresischen Schule aus dem Ende des XV. Jahrhunderts. Lorenzo ist 1460 in Ferrara geboren und 1535 in Mantua als Fiinfundsiebzigjahriger gestorben. Er hat sich unter dem EinfluB von Tura, Francesco Cossa und Ercole Roberti ent- wickelt, aber noch als Knabe ist er nach Florenz gegangen, wo be- sonders Benozzo Gozzoli auf ihn eingewirkt haben soil. Nach seiner Ruckkehr in Ferrara begann er wie die meisten dortigen Maler da- mit, Portrats der Este und der hofischen Beriihmtheiten zu malen, darunter war auch Tito Strozzi.

Leider befindet sich heute kein einzigesWerk von Costa in Ferrara, sie sind in den verschiedensten Museen und Sammlungen verstreut. Die groBeren Freskenwerke des Kiinstlers sind, abgesehen von jenen in San Giacomo Maggiore, fast samtlich untergegangen. Namentlich erlagen diesemGeschick die Fresken, die Costa zusammen mit einigen anderen Kiinstlern in den Parterrezimmern des Palazzo Bentivoglio geschaffen hat, Szenen aus den Perserkriegen und dem Brand von Troja. Diese Kompositionen haben nur kurze Zeit bestanden, sie wurden vom Volk zerstort, als es 1506 das Tyrannennest ausgehoben hat, damals als Bologna in Julius' II. Hande gefallen war. In der Ka- pelle der Bentivoglio haben sich dagegen noch zwei Fresken von 1490 erhalten, es sind die damals beliebten ,,Trionfi", dekorative Fest- zuge mit prachtvollen Wagen, Pferden, schon gekleideten Gestalten, in denen rdmische Reminiszenzen lebendig sind. Im ,, Triumph des Ruhmes" ziehen Elefanten den Triumphwagen, im ,, Triumph des Todes" sind Biif fel vorgespannt. Der gut gruppierte Zug hat interessante Einzelheiten, wirkt aber etwas steif und kalt ; das war bei diesem Moti v, das den Kiinstler durch seine klassischen Formeln gebunden hat, frei- lich kaum zu vermeiden. In derselben Kapelle befindet sich auch eine durch Restaurierung sehr verdorbene Landschaft von Costa, die einer

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Terracotta von Niccolo dell'Arca Bentivoglio I. zu Pferde als Hintergrund dient. Auch die Liinetten enthalten iibermalte Bilder des Kiinstlers, die nur wenig uber seine Bedeutung aussagen.

In der Pinakothek zu Bologna gibt es noch einige schwachere Bilder von Costa, die aus verschiedenen Kirchen stammen, seine be- ruhmtesten Altarbilder befinden sich in San Petronio und in San Giovanni in Monte. Das Bild in San Petronio, in der Kapelle Bac- ciochi stammt aus dem Jahre 1492 und zeigt auf goldenem Hinter- grund eine Madonna mit dem Jesuskind. Zu den FiiBen des Thrones sitzen die h. Jacobus und Hieronymus, zu beiden Seiten stehen Se- bastian und Georg. In der Kapelle Vazelli zu San Petronio befindet sich eineVerkundigung von Costa, die vielleicht noch deutlicher als die Madonna Bacciochi Cosimo Turas EinfluB verrat. Die Maria wirkt wie ein ferraresisches Landmadchen, der Engel ist von feierlicher Strenge, ohne idealisiert zu sein. Ich schlieBe mich dem Urteil Gruyers an, der das Bild Costa zuschreibt, wahrend es nach Friz- zoni ein Werk von Francia ist. Die Spuren von Francias EinfluB sind in Costas Bildern nicht eben seiten. Als sich Costa 1483 in Bologna niederlieB, war Francia fast ausschlieBlich als Goldschmied tatig und gait auch in den ersten Jahren von Costas Wirksamkeit in Bologna noch in der Hauptsache als solcher. Die beiden Kiinstler traten einander naher und haben 1490 eine Schule begriindet, in der Francia im Parterre im Goldschmiedehandwerk und im Schlagen von Medaillen unterwies, wahrend Costa im ersten Stock die Maler ausgebildet hat. Die Schule hatte groBen Erfolg und brachte es bis zu zweihundertzwanzig Schiilern. Obgleich sich Francia zu- erst hauptsachlich als Goldschmied betatigt hat, hat er Costa, als er sich der Malerei zuwandte, sehr bald uberfliigelt, und Costa geriet bald unter seinen EinfluB.

Costa hat zusammen mit Francia an einem von Antonio Galeazzo Bentivoglio bestellten Altarbild in der Kirche della Misericordia in Bologna gearbeitet. Francia hat das Hauptbild, die Anbetung des Christkindes, gemait (in der Pinakothek zu Bologna) und Costa die Predella mit der Anbetung der Konige abgetreten, die gegenwartig in der Brera zu Mailand hangt. Bentivoglio hat diesen Altar so hoch geschatzt, daB er ihn bei seiner Flucht aus Bologna 1506 mitnahm.

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Erst 1816 ist das Hauptbild nach Bologna zuriickgekommen, wahrend die Predella in Mailand verblieb.

Auch im Oratorium der Cecilia zu Bologna, mit den beriihmten Fresken aus dem Leben der Heiligen und des h. Valerian, be- finden sich zwei Kompositionen von Costa: die Bekehrung des Valerian und Cecilia Almosen verteilend. Diese Bilder sind zwar an Qualitat mit den Fresken von Francia nicht zu vergleichen, zeichnen sich aber durch den landschaftlichen Hintergrund aus.

In der Kirche San Giovanni in Monte befinden sich zwei Bilder des Kiinstlers, eine Marienkronung und eine Madonna mit vier Heiligen; die letztere gehort zu Costas schonsten Bildern.

Lorenzo war in Bologna eine so einfluBreiche Personlichkeit, daB er 1503 in die acht Mitglieder zahlende Deputation gewahlt wurde, die nach Rom ging, um den neu gewahlten Papst Pius III. zu begriiBen. Anstatt der BegriiBung konnte die Gesandtschaft am Begrabnis des eben verstorbenen Papstes teilnehmen, und blieb in Rom bis zur Wahl Julius' II., um dem neuen Papst zu huldigen.

Von den Bildern, die Costa wahrend seines Aufenthalts in Bo- logna geschaffen hat, sind heute nur noch wenige mit absoluter Sicherheit zu bestimmen. In Bologna hat er bis 1506, spatestens 1507, gelebt; nach Mantegnas Tod wurde er von Isabella d'Este nach Mantua berufen. Da Mantegna einen Monat vor der Vertreibung der Bentivoglio aus Bologna gestorben war, muBte es Costa sehr daran liegen, an einen anderen Hof berufen zu werden, da er in Bologna seine Protektoren verloren hatte und Julius II. natur- gemaB andere Absichten hatte, als die Kiinstler der eroberten Stadt zu beschaftigen.

Costa muB damals ein sehr angesehener Kiinstler gewesen sein, da Gonzaga ihm eine Pension von sechshundert neunund- sechzig Lire bewilligte, und ihm ein Haus in Mantua zu eigen gab; im Dekret, in dem er ihn zu seinem Hofmaler ernennt, heiBt es mit der damals iiblichen Ubertreibung, es gabe in Italien keinen ihm zu vergleichenden Kiinstler. Spater hat der Herzog ihm in einer da- mals selten vorkommenden, groBmutigen Anwandlung zwolf- tausend Taler und zweihundert Morgen Land geschenkt; es ist dies vielleicht weniger dem Talent des Kiinstlers als seinen gesellschaft-

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lichen Vorziigen zuzuschreiben, Costa hatte auBerordentlich ange- nehrne Umgangsformen und erfreute sich vieler Sympathien bei Hofe.

Unmittelbar nach seiner Ankunft in Mantua hat Costa zu Mantegnas Triumphziigen zwei neue Bilder hinzugefugt. Wahrend Mantegna streng sachlich nur den antiken Helden gefeiert hat, hat Costa auf das hofische Kompliment nicht verzichtet. Neben dem Triumph des antiken Helden sollten die Triumphe der Gon- zaga angebracht werden. Um die groBe Vergangenheit mit der sehr bescheidenen Gegenwart zu verbinden, hat er zur Ver- lierrlichung des Markgrafen ein heidniF.ches Fest zu Ehren von Herkules gewahlt; Francesco Gonzaga und seine drei Sonne Fede- rigo, Ercole und Ferdinando spielten, von Hoflingen umgeben, darin eine bedeutsame Rolle. Im zweiten, viel spater entstandenen Bilde, war Federigo im Kreise von Freunden und Hoflingen dar- gestellt, als Anfiihrer der kirchlichen Armee mit dem Feldherrn- stab in der Hand, den ihm Leo X. 1521 anvrtraut hat. Auch in Costas Fresken, im Palazzo Pusterla, gingen Gegenwart und Reminiszenzen aus der klassischen Welt eine seltsame Verbindung eiri. So sah man auf der einen Wand die Markgrafin Isabella, Laute spielend, von Hofdamen umgeben, wohl ihr musikalischer ,,Triumph", auf der gegeniiberliegenden Wand eine mythologische Szene: Latona, die Bauern, die ihr die Quelle triibten, in Frosche verwandelnd, daneben Francesco Gonzaga, von Herkules auf dornigem Pfad zur Ewigkeit geleitet. Damit auch die Gegenwart zu ihrem Rechte komme, lieB sich der Markgraf auf einer anderen Wand mit dem Feldherrnstab der romischen Kirche malen, auf einem Piedestal stehend, damit die Hoflinge ihn um so besser bewundern konnten. In den iibrigen Fresken muBte sich Coriolan mit dem h. Sebastian und Johannes vertragen. Leider sind all die Fresken, die fur die damalige Auffassung so bezeichnend sind und die Bild- nisse der wesentlichsten Personlichkeiten des mantuanischen Hofes enthielten, 1630 wahrend der Belagerung von Mantua unter- gegangen.

Aus Isabellas kleinen mit raffiniertem Geschmack eingerich- teten Zimmern, die sie ihr ,,Paradiso" nannte, hat sich ein Bild

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von Costa erhalten, das sich heute im Louvre befindet. Costa hat es jedenfalls nach den Vorschriften der Markgrafin fur das ,,Studiolo" geschaffen, das Isabella mit besonderer Sorgfalt eingerichtet hat und das sie mit Bildern von Mantegna, Perugino und Giovanni Bellini schmucken wollte. Fiinf dieser Bilder befinden sich heute im Louvre, darunter zwei allegorische Kompositionen von Costa; die eine davon ist vcn geringerem Wert und sehr zerstdrt. Das Hauptbild soil nach den Deutungen von Yriarte und Gustave Gruyer Isabellas Hof allegorisieren. Im Hintergrund eine durch einen FluB belebte Landschaft, prachtvolle Baume beschatten die Hauptgruppe der Frauen, hinter dem FluB ragen Hiigel und Felsen. Yriarte und Gruyer wollten zwei Portrats in diesem Bild erkennen: Isabella in der von Amor gekronten Frau, wahrend Baldassare Castiglione der Ritter sein soil, der die Hydra erlegt. Gegen diese allzu kiihne Deutung hat sich A. Lucio1) gewandt, er beweist, daB dieses Bild ein Gegenstuck zu Mantegnas ParnaB, zu seinem Sieg der Tugend uber die Laster und zu Peruginos Kampf der Liebe und der Keuschheit bildet, zu Kompositionen, die auf Isabellas Bestellung entstanden sind, fur die den Kiinstlern auBer dem von Isabellas Humanisten ausgekliigelten Thema auch die MaBe vorgeschrieben waren, damit sie in die Wande des Studiolo ein- gelassen werden konnten. Die Bilder waren durchaus allegorisch, das in Frage stehende gehorte zu den damals modernen ,,Trionfi" und konnte ein ,, Triumph der Liebe" sein. Die von Amor gekronte Gestalt befindet sich auf dem zweiten Plan und tragt durchaus keine individuellen Ziige; Isabellas Portrat auf diesem Bilde stande an erster Stelle, und der Kunstler hatte sein Bestes getan, um sie so ahnlich wie moglich zu machen. Auch der Ritter kann nicht Castiglione sein, da gerade wahrend Costa sein Bild malte, der Verfasser des ,,Cortegiano" in Ungnade bei Gonzaga war und selbst nicht ohne Lebensgefahr die mantuanische Grenze iiber- schreiten durfte. Lucios Beweise sind so iiberzeugend, daB man das Bild, das offiziell ,,La Cour d'Isabelle d'Este" benannt wird, durchaus nicht als Portrat betrachten darf, da es zu den streng alle- gorischen Bildern gehort.

*) A. Lucio, I Ritratti d' Isabella d' Este. Emporium, maggio 1900.

LORENZO COSTA: S. S. PETRONIO, FRANCESCO E TOMMASO BOLOGNA, PINAKOTHEK

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In Mantua hat sich nur in der Kirche S. Andrea ein Bild von Costa erhalten. Es stammt aus der heute zerstdrten Sylvesterkirche, in der auch Costa beigesetzt war. Auf diesem sehr restaurierten Bild empfehlen der h. Sylvester und einige andere Heilige der Ma- donna die Bevolkerung von Mantua. Das Bild ist 1525 entstanden und soil Costas letztes Werk sein.

Weitere Bilder von Costa befinden sich im Pitti in Florenz: das Portrat eines etwa fiinfzigjahrigen Mannes, und im Kaiser Friedrich- Museum zu Berlin: ein toter Christus, von Maria, Johannes und Nikodemus beweint. 1535 starb Costa zu Mantua, er hat infolge einer schweren Krankheit etwa zehn Jahre vor seinem Tode zu malen aufgehcrt. Seine bekanntesten Schiiler sind Dossi und Garofalo, auch Lodovico Mazzolini und Michele Coltellini haben wahrschein- lich bei ihm gelernt.

Man erzahlt von einem seiner Schiiler Niccoluccio aus Kala- brien, daB er den Meister habe ermorden wollen. Costa hat auf einem seiner Bilder dem Hofnarrn von Francesco II. Niccoluccios Ziige gegeben. Fur diesen Spott hat Niccoluccio Rache nehmen wollen. Als er zusammen mit dem Lehrer auf einem Geriist gemalt hat, warf er sich plotzlich mit dem Dolch auf Costa, die schwachen Bretter gaben bei dieser Erschiitterung nach, das Geriist brach zu- sammen und die Gegner stiirzten herunter. Von alien Seiten kamen Menschen bei dem furchtbaren Gepolter; Niccoluccio fliichtete un- bemerkt und kam nicht wieder nach Mantua, aus Furcht vor der Strafe des Markgrafen.

VII

Von einem andern, Costa in manchem verwandten Kiinstler, dessen Werke sich durch ihre schonen Farben und eine gewisse idyllische Note auszeichnen, haben sich mehrere Bilder in Ferrara erhalten. Es ist Ercole Grandi di Giulio Cesare (geb. um 1462, gest. 1535), ein Ferrarese und Freund von Costa, mit dem er haufig zusam- men gearbeitet hat. Er war eine Zeit hindurch in Bologna, hat aber zumeist in Ferrara gelebt. In den Jahren 1495 und 1496 erhielt er als Anzahlung auf seine Arbeiten von der groBherzoglichen Kammer

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acht Ellen griinen, zwei Ellen blauen Atlas, fiinf Ellen schwarzen Damast und fiinf Ellen schwarzes Tuch. Er verstand zu reprasen- tieren und bei den Hoffestlichkeiten eine Rolle zu spielen. Er war auch als Architekt tatig, und Ferrara besitzt einige nach seinem Entwurf ausgefiihrte Kirchen und Profanbauten. Die Pilaster am Palazzo de' Diamanti gehen wahrscheinlich auf ihn zuriick.

In der Pinakothek zu Ferrara befinden sich eine Grablegung und eine Geburt Christi, die ebenso wie das Martyrium des h. Se- bastian und Maria von Agypten, in der gleichen Galerie, Erco'ie init Unrecht zugeschrieben werden. Dagegen sind sowohl Morelli als auch Venturi der Ansicht, daB die Fresken in Palazzo Scrofa Cal- cagnini zu Ferrara, die bisher Garofalo zugeschrieben wurden, Grandis Werk sind. Eines der besten Werke von Ercole hangt in der National- Galery in London: eine thronende Maria mit dem Kind, das den Beschauer segnet. Den Thron umgeben der h. Wilhelm und Johannes der Taufer. Vom durchdringenden Ernst dieser Gestalten hebt sich der kleine Jesusknabe in seinem Liebreiz ab; es ist eine auBerordentlich gelungene Schoofung. Das Bild ist reich mit Ornamenten geschmiickt.

Zu Grandis beglaubigten Bildern gehoren ferner ein Georg als Drachentoter in der Galerie Corsini in Rom, das Portrat einer hiib- schen jungen Frau in der Capitolinischen Sammlung, friiher Gio- vanni Bellini zugeschrieben und einige zusammengehorige biblische Darstellungen in Bergamo, bei Lady Layard in Venedig usw.

Grandi in seiner Malweise verwandt war Pellegrino Aretusi da Modena, Pellegrino Munari benannt (gest. 1523). Er gait in seiner Jugend in Modena als ,,giovane bello e degno in la pictura" und war der Verlobte der schdnen Cassandra Calori. Er hat unter Rafr faels Leitung in den Loggien des Vatikans gearbeitet; nach seiner Riickkehr in Modena hat ihn ein trauriges Geschick ereilt. Sein Sohn hat auf der StraBe mit der Hellebarde den jungen Giuliano di Bastardi erschlagen. Der Kiinstler lief, als sich diese Nachricht verbreitete, auf die StraBe; da die Verwandten des Getdteten den Morder, der die Flucht ergriffen hatte, nicht sahen, warfen sie sich auf den un- schuldigen Pellegrino; einige Stunden spater erlag er den ihm zu- gefiigten Wunden.

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Zu Lorenzo Costas Schiilern soil auch ein eigenartiger Kiinstler, Lodovico Mazzolini (geb. um 1478, gest. um 1528), gehort haben. Fiir den ferraresischen Hof war er viel beschaftigt. Er hat Lu- crezia Borgias Raume im Kastell geschmiickt, fiir den Kardinal Ippolito II. und in der SchloBkapelle gemalt. Eines seiner besten Werke: Christus im Tempel lehrend, befindet sich im Kaiser- Friedrich-Museum zu Berlin. Die Manner, die sich um den Knaben drangen, und die Zuschauer auf der Galerie sind auBerordent- lich charakteristische Gestalten. Sein Dresdner Bild: eine Schau- stellung Christi, verrat viel Kraft, die Volkstypen sind sehr ener- gisch aufgefaBt. In der Galerie zu Wien befindet sich seine Be- schneidung und in der dortigen Akademie seine Madonna mit dem Christuskind und dem h. Hieronymus.

Auch die Anbetung des Kindes in der Pinakothek zu Ferrara ist der Erwahnung wert. In der Mitte des Bildes stiitzen zwei Engel das Jesuskind, wahrend Maria mit gefalteten Handen da- vor kniet. Auch die Heiligen Alberic, Bernhard und Joseph nehmen an der Anbetung teil; Ochs und Esel, die legendarischen Tiere, fehlen nicht, im Hintergrund wird eine hiibsche Landschaft sichtbar. In Rom in den Galerien Borghese, Doria und Chigi befinden sich mehrere Bilder von Mazzolini.

VIII

Wahrend unter Borso und Ercole I. die ferraresische Malerei unter dem EinfluB von Mantegna, Bellini und Piero della Francesca stand, erlag sie in der ersten Halfte des XVI. Jahrhunderts dem Reiz von Giorgione und Tizian. Zwar verlor sie ihr individuelles Geprage nicht, aber sie suchte sich besonders die Farbenwirkungen der venezianischen GroBmeister anzueignen.

Tizian war viermal in Ferrara, zum erstenmal unter Alfonso I., vom 13. Februar bis Ende Marz 151 6. Er und seine beiden Gehilfen wurden im SchloB untergebracht, aus der herzoglichen Kiiche wurden ihnen Lebensmittel geschickt: gesalzenes Fleisch, Salat, Ol, Kastanien, Orangen, Kase und fiinf MaB Wein wochentlich.

5o8 fUnfzehntes kapitel

Alfonso hatte den Kiinstler nach Ferrara berufen, damit er das Bacchanal beende, ein von Bellini angefangenes Bild, das er infolge seines hohen Alters nicht mehr hatte vollenden konnen. Es war fur das herzogliche Studio bestimmt. Die Figuren waren samtlich fertig, Tizian hatte nur noch die Landschaft im Hintergrund zu malen und wahlte eine Ansicht seines geliebten Cadore. Alfonso wollte sich mit dem einen Bild nicht zufrieden geben, er bestellte ihm noch mehrere andere, die Tizian jedoch nicht mehr in Ferrara ausfiihren konnte, da er in Venedig erwartet wurde. Der Herzog lieB ihn fort, empfahl aber seinem Gesandten Thebaldi, ein Auge auf den jungen Kiinstler zu haben, da er sein Talent sehr schatze und die Bilder moglichst schnell haben wolle. Tizian war damals nicht so beriihmt wie zwei Jahre darauf nach der Fertigstellung seiner As- sunta fiir Santa Maria dei Frari; Alfonso belastigte ihn mit den ver- schiedensten Auftragen, er befahl ihm antike Statuen fiir ihn zu besorgen, ein Bronzepferd wird besonders erwahnt lieB ihn Modelle fiir Glasgegenstande zeichnen, den GuB in Murano beauf- sichtigen, ja er muBte selbst bei der Verpackung zugegen sein, damit die Sachen in gutem Zustand ankamen. Tizian sollte dem Herzog tiichtige Arbeiter fiir seine Fayencefabrik besorgen, mit den Rahmen- verfertigern und Vergoldern verhandeln und der kiinstlerische Ver- mittler des Herzogs in Venedig sein. Auch als Maler sollte er sich fiir den Herzog betatigen; Alfonso bestellte ihm drei Bilder fiir sein Studio, das er mit Gestalten, die von Lebenslust iiberschaumten, geschmiickt haben wollte. Namentlich um das Bacchanal, fiir das Tizian ein bis in alle Einzelheiten ausgearbeitetes Programm bekommen hatte, war es dem Herzog zu tun. Tizian war jedoch seit der Assunta so sehr mit Auftragen iiberhauft, daB er nicht alien Wiinschen gerecht werden konnte. Der Rat der Zehn drohte ihm sogar mit schweren Geldstrafen, da sein Bild in der Sala del Maggior Consiglio nicht fertig wurde, und Alfonso ziirnte ihm in an Thebaldi gerichteten Briefen und sparte mit unangenehmen Worten nicht. Mit dem wachsenden Ruhm des Meisters stieg das Verlangen des Herzogs nach seinen Bildern, und als ihm der Kiinstler 1525 das Bacchanal und Bacchus und Ariadne schickte, war die Freude in Ferrara sehr groB. Gerade damals waren Philostrats Werke bei

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Aldo Manuzio erschienen. Die Gelehrten, in deren Gesellschaft Tizian verkehrte, iiberredeten ihn, eine der farbigen und reizvollen Schilderungen des alten Verfassers als Motiv fur ein Bild zu wahlen. So entstand das dritte Bild fur Alfonsos Studio: das Venusfest ein Kranz entziickender Kindergestalten, die von Leben und Kraft iiberschaumen. Als die Spanier dies Bild spater aus Ita- lien fortschleppten, hat Domenichino den Vizekonig von Neapel gebeten, es noch einmal betrachten zu diirfen; als ihm beim An- blick des Bildes zum BewuBtsein kam, daB Italien es fur immer ver- liere, brach er in Tranen aus. Tizians Werke wurden spater von Karl V. so sehr geschatzt, daB der Kaiser den italienischen Fiirsten Gnadenbeweise dafiir verkaufte. Damals muBte Alfonso schweren Herzens sein Studio pliindern, um die Laune des spanischen Des- poten zu befriedigen. Alles, was dem kaiserlichen Agenten gefiel, wurde nach Spanien geschickt, Ferrara muBte mehrere Werke von Tizian hergeben: die prachtvollen Portrats von Alfonso I., Karl V., Ercole II., eine Judith, eine Madonna, einen h. Michael. Alfonso trauerte seinem eignen Bildnis am meisten nach, da es zu den Meisterwerken des groBen Venezianers gehorte.

Ehe die Spanier das herzogliche Studio gepliindert hatten, gait es den dortigen Malern als kostbarstes Museum; dort konnten sie Tizians Farben und seinen malerischen Elan studieren, und die neue Richtung der ferraresischen Schule hat dort ihren Ursprung ge- nommen. An der Spitze jener, die am meisten bei den Venezianern gelernt haben, standen die beiden Bruder Lutero, Dossi benannt. Der altere Giovanni (1479? 1542) war das starkere Talent, aber auch der jiingere Battista (gest. 1549) war sehr begabt. Sie arbei- teten meist zusammen, trotz des intensiven Hasses, der zwischen ihnen herrschte. Der jiingere, ein eifersiichtiger, neidischer Cha- rakter, neidete Giovanni seine starkere Begabung und seine groBeren Erfolge, dazu kam sein Zorn, daB der Vater testamentarisch Gio- vanni mehr als ihm vermacht hatte. Wenn die Bruder zusammen arbeiteten, sprachen sie nicht zueinander, sondern verstandigten sich durch Zeichen oder schrieben mit Kohle an die Wand, was sie einan- der zu sagen hatten. Giovanni gait als ein heiterer, liebenswurdiger Mensch und war bei Alfonso gut angeschrieben, ,,per essere uomo

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affabile molto e piacevole". Die Dossi scheinen bei Lorenzo Costa gelernt zu haben ; allmahlich malte Giovanni in der Hauptsache Figu- ren und Battista Landschaften, so kam es, daB sie sich in ihren Fres- ken vorzuglich erganzten und zusammen arbeiteten. Battista malte auch Figurliches, besonders auf Bestellung von Laura Dianti, mit der Alfonso nach Lucrezia Borgias Tod ein Liebesverhaltnis unterhielt. Der Herzog lieB fur Laura den Palazzo degli Angeli bauen, und Battista hat ihn wahrend mehrerer Jahre von innen und auBen mit Fresken geschmiickt. In einem der Sale hat er auf dem Fries die Inschrift angebracht: ,,unica spes m(ei) n(ominis)", jedenfalls auf Alfonsos Befehl, der sehr an Laura hing. Laura ha.t Battistas Talent sehr geschatzt, und als sie ihren Sohn Don Alfonso d'Este mit Giulia della Rovere verheiratete, bestellte sie bei Dcssi vier Bilder, die fur die Raume des jungen Paares bestimmt waren: eine Kleo- patra, Venus mit sechs Amorinen, eine Fortuna und einen h. Hiero- nymus in der Wuste. Battista hatte Motive gewahlt, die einen land- schaftlichen Hintergrund erforderten. Doch hat er auch Portrats gemalt, und Laura hat ihm nach dem Tode des Herzogs ein Bildnis von Alfonso I. bestellt, das vorzuglich gelungen sein soil. Allmahlich wurde Battista der Maler Lauras, ihres Sohnes Don Alfonso und ihres Enkels Alfonsino. Gleich den alteren ferraresischen Kimstlern hat er auch alle dekorativen Arbeiten fur sie gemalt: Lauras Em- bleme gezeichnet Trompeten und eine Sonne auf einem Wagen ruhend, so gut wie Zaumzeug fur Pferde, er hat Kartons fiir Teppiche entworfen und wahrend des Karnevals Triumphwagen arrangiert. Er wurde nicht immer mit barem Geld, sondern haufig auch mit Lebensmitteln bezahlt, bekam Getreide, Wein, Bohnen, Weintrauben, selbst Schweine, einmal schenkte ihm Alfonsino einen kunstlerisch ausgefiihrten Degengriff aus Elfenbein. Auch bei Ercole II. stand Giovanni in Gunsten; zum feierlichen Empfang von Paul III. bemalte er einige Triumphbogen, das Tor San Giorgio und den Ausgang zum Cortile nuovo. Als der Kiinstler im Jahre 1545 schwer erkrankte, bewilligte ihm der Herzog eine Unterstiitzung von zehn Dukaten ,,per puro amore".

Giovanni Dossi, gewohnlich Dosso Dossi genannt, ist eine viel ausgesprochenere Personlichkeit. Er ist so sehr vom ritterlichen Geist

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des estensischen Hofes und namentlich von Ariosts Dichtung er- fiillt, daB er in vieler Beziehung gewissermaBen die Ideen des groBen Dichters malerisch umgesetzt hat. Einzelne seiner Bilder wirken wie Illustrationen zum Rasenden Roland, seine Circe, sein David mit dem Haupt Goliaths, seine diademgeschmuckte Frau in rotem Mantel1) in den Galerien Borghese und Doria zu Rom atmen eine phantastisch-ritterliche Atmosphare.

Neben weltlichen hat Giovanni auch viel religiose Bilder gemalt, darunter zeichnen sich besonders zwei Altarbilder aus, von denen sich das eine in der Pinakothek zu Ferrara, das andere in der esten- sischen Galerie zu Modena befindet. Der sechsteilige Altar in Ferrara wurde von Antonio Costabili fur die Kirche San Andrea bestellt. Auf dem Mittelbild thront die Maria mit dem Christuskind, dem sich der Johannesknabe anbetend naht. In den Wolken schwingen Engel einen roten, goldgestickten Vorhang iiber dem Thron. Zu den FiiBen des Thrones sitzt Johannes d. E. mit einem Buch auf den Knien und betrachtet die Gruppe der rechts stehenden Andreas und Hieronymus, zu denen sich ein Mann in zeitgenossischer Tracht mit dem Turban auf dem Haupt gesellt hat. Im Hintergrund eine Berglandschaft mit leuchtend blauem Himmel. Der Altar hat trotz zahlreicher Restaurierungen seine schone, an Venedig erinnernde Farbe behalten. Die Gestalten sind von ferraresischer Energie. Dies Werk stammt aus Dossis letzten Lebensjahren; nach Aussage des Chronisten hat sich Battista Dossi beim Anblick des prachtvollen Bildes vor Neid nicht zu fassen gewuBt und mit Macht versucht, die Vollendung zu hintertreiben, er schrieb dem Bruder auch ano- nyme Briefe, die ihn veranlassen sollten, Ferrara zu verlassen und seine Arbeit zu unterbrechen.

Ein groBes Altarbild mit einer von Engeln umgebenen Maria in Wolken hat Dossi fur den Dom in Modena geschaffen. In dieser Kirche befindet sich noch Giovannis ,,Geburt Christi", die Venturi Battista Dossi zuschreibt. Dieses Bild gait stets als Giovannis Werk, und die Abweichungen im Stil und in der Farbe

*) Im alten Katalog der Galerie Doria ist dieses Bild als Vanozza Catanei ▼erzeichnet, was ausgeschlossen ist, da Dossi zur Zeit ihres Glanzes noch nicht gelebt hat.

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sind nicht groB genug, um ihm dies Bild zu nehmen. Der Tradition nach sollen die vor dem Christuskind knieenden Manner Alfonsos I. und Ercoles II. Zuge tragen.

Dossi hat wie alle ferraresischen Maler viel Portrats gemalt, einige davon befinden sich heute in Modena. Besonders gut ist ein Bildnis von Ercole I. im Panzer, die Ahnlichkeit mit den gleichzeitig geschlagenen Medaillen ist unverkennbar. Alfonsos I. Bildnis in der gleichen Galerie ist unter dem EinfluB des Tizianschen, das Karl V. nach Spanien mitgenommen hat, entstanden. Alfonso in Wehr und Waffen stiitzt sich auf eines seiner Geschiitze, auf die er so stolz war; der Herzog ist wahrscheinlich nach der Einnahme von Bastia dargestellt. Links sieht man eine Festungsbriicke mit der Fahne der venezianischen Republik, rechts den Po mit venezianischen Galeeren. Dossis bestes Werk in Modena ist das Bild eines estensischen Hof- narren, dem etwas von Velasquez' Wucht eignet. An Stelle der Narrenschelle hangt ein Goldstiick an der Kappe, die Haare fallen lang auf den roten Mantel herunter, in den Armen halt er ein Schaf. Im Hintergrund eine Landschaft.

Dossis Ruhm wuchs schnell, und von alien Seiten bemuhte man sich um seine Bilder. Isabella hat ihn 1532 nach Mantua berufen, der Kiinstler hat ihr fur den Palazzo San Sebastiano ein Bild mit elf Gestalten geschaffen, das leider nicht auf uns gekommen ist. Auch der Herzog von Urbino, Francesco Maria della Rovere, hat sein SchloB bei Pesaro, die Villa Imperiale, die als eine der schonsten in Italien gegolten hat, von Dossi ausmalen lassen. Pietro Bembo hat sich begeistert dariiber ausgesprochen ; Bernardo Tasso hat in der Villa Imperiale als Gast Guidobaldos II. gelebt und dort seinen Amadigi vollendet. An den Fresken in der Villa waren tatig : Girolamo Genga, Francesco Manzachi da Forli, Raffaelino del Colle, Bronzino, Ca- millo Mantovano und die Dossi. Vasari, der fur die Dossi wenig iibrig hat, berichtet ausfuhrlich iiber ihren MiBerfolg in Pesaro. Nach ihm haben beide Briider in der Villa Imperiale damit be- gonnen, alle iibrigen Bilder schlecht zu machen, ohne jedoch Bes- seres zu schaffen, denn ihre Fresken waren so schlecht, daB der Herzog sie ubermalen lieB, und die ganze Arbeit aufs neue Giro- lamo Genga iibertragen hat. Diese Darstellung ist wenig wahr-

DOSSO DOSSI: VISION DER VIER KIRCHENVATER DRESDEN, GALERIE

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scheinlich, denn in der Villa Imperiale bef indent sich bis auf den heu- tigen Tag Fresken, die den Dossi zugeschrieben werden, so das Bild des Herzogs Francesco Maria, der vor dem venezianischen Dogen kniet und von ihm angesichts des versammelten Volkes den Herzogs- stab entgegennimmt, und einige von Girlanden iiberhangene Land- schaften im gleichen Saal. Henry Thode schreibt auch die Land- schaft im Hintergrund der Kronung Karls V. dem jiingeren Dossi zu, wahrend die Kronung selbst von Genga geschaffen wurde. Dossis Spuren kann man auch im Saal verfolgen, dessen Decke mit Ver- diiren und verstreuten musikalischen Instrumenten versehen ist, die ein Mittelbild historischen Inhalts einfassen. Schone Frauen mit nackten Armen tragen das Gewolbe, in den Ecken drangen sich Putten, die Kronen und Eichenzweige halten oder auf Tafeln die Namen von Francesco und Eleonora schreiben. Nur die Dossi, sagt Gruyer, die Zeitgenossen Ariosts, konnten diese phantasti- schen Zierate ersinnen. Der Betrachtende wird an die Circe der Galerie Borghese erinnert, an die Teppiche mit den Metamor- phosen Ovids und die Gobelins in Madrid mit den Geschichten Vertumnus' und Pomonas, die sicherlich nach Zeichnungen der Dossi hergestellt sind.

Das letzte groBe dekorative Werk der Dossi waren die Fresken im bischof lichen Palast zu Trient. 1535 war der Bau vollendet, die Dossi haben bis 1539 dort gearbeitet. Die Zimmer im ersten Stock- werk hat Battista mit den Ansichten der bedeutendsten Stadte und Schlosser geschmiickt, die sich im Besitz des Bischofs von Trient befanden. Als das Fiirstentum Trient aufgehoben wurde, wurde das dortige SchloB zur Kaserne umgewandelt, die Fresken sind untergegangen und nur eine kleine Spur, ein Fresko von Giovanni hat sich erhalten. Es ist eine thronende Maria, der ein Heiliger den Kardinal Bernardo Clesio empfiehlt. Clesio hat die Dossi nach Trient berufen. Der bischofliche Palast hat im XVI. Jahrhundert allgemeine Bewunderung erweckt. Pier Andrea Mattioli hat ihn in einem Gedicht besungen, das 1539 in Venedig erschienen ist: ,,11 magno palazzo del cardinale di Trento". Battista hat noch ein anderes SchloB an der Etsch fur die Madrazzi ausgemalt, aber diese Fresken sind samtlich untergegangen.

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fOnfzehntes kapitel

Im herzoglichen Palast zu Ferrara befinden sich noch drei Fresken von Dossi: eine Ariadne auf einem von Tigern gezogenen Wagen, eine Weinlese und der Triumph von Bacchus und Ariadne. Die nackten Gestalten sind von iibertriebenem Realismus, allein die dekorativen Zwecken dienenden Putten haben ihren friiheren Reiz behalten. Am besten unter all diesen Kompositionen wirkt der Fries im groBen Saal und die Fresken im kleinen Raum, der auf die Terrasse miindet. Im Mittelbild ist eine Weinlese dargestellt. In einer norditalienischen, bergigen Herbstlandschaft mit leuchten- den Weinreben, die sich von Baum zu Baum ranken, sitzt eine ein- fache Frau und halt einen Becher, nach dem ein Kind die Arme ausstreckt. Im Bilde herrscht viel Leben: Frauen, Kinder, Satyrn und Panisken lesen Weintrauben, tragen die Frucht zur Kelter und schleppen Bottiche herbei. Die meisten Kunsthistoriker schreiben die Weinlese Dossi zu, wahrend man uber den Urheber der iibrigen Fresken im Zwtifel ist. Diese Frage ist heute noch ungelost, wiirde jedoch zur Charakteristik Dossis nur wenig beitragen.

Die Briider Dossi haben auch Entwiirfe fur Teppiche und Ma jo- liken gemalt, und einige Kriige in der herzoglichen Apotheke waren nach ihren Angaben gefertigt. Aus dem Rechnungsbuch des Hofes geht hervor, daB Battista Vorlagen fur Majolikavasen gezeichnet und Giovanni wahrend zweier Tage Muster fur den Topfer ent- worfen hat.

Giovanni Dossi wurden die Illustrationen zur Ausgabe des ,, Orlando" zugeschrieben, die 1556 bei Valgrisio in Venedig erschie- nen ist. Obgleich die Wiedergabe dieser Holzschnitte schwach und undeutlich ist, frappieren sie durch die Kiihnheit der Komposttion und Zeichnung und sind Giovannis nicht unwiirdig. Gruyer spricht sie ihm nur deshalb ab, weil sie vierzehn Jahre nach seinem Tode er- schienen sind. Dieses Argument ist nicht ganz iiberzeugend; wie haufig geschieht es, daB ein Werk lange im NachlaB eines Kiinstlers liegen bleibt, namentlich wenn sich die Erben iiber den von ihnen uberschatzten Besitz nicht einigen konnen. Dossis Erben waren drei Schwiegersohne, da er nur Tdchter hatte; es ist also nicht ganz ausgeschlossen, daB infolge der unter ihnen eingetretenen Streitisr- keiten die Herausgabe der Zeichnungen sich verzogert hat. Gio-

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vanni war mit Ariost befreundet, es liegt also nahe, daB er sich darum beworben hat, die bedeutendste Dichtung seiner Zeit zu illustrieren.

Battista Dossi starb kinderlos und hat keinen Geringeren als den Herzog von Ferrara zu seinem Erben eingesetzt, indem er im Testa- ment urn ein wiirdiges Begrabnis bat. Jedenfalls ist dies ein Be- weis fur das gute Verhaltnis, das zwischen dem Herzog und dem Kiinstler bestanden, und fur die Dankbarkeit, die Dossi ihm bis an sein Lebensende bewahrt hat.

Die Dossi hatten viele Schuler, so Jacopo Paniccioti, Gabriele Capellino, Camillo Filippi, Giuseppe Mazzuoli usw., aber keiner von ihnen hat Bedeutendes geleistet. Nur der bekannte Bildhauer Alfonso Lombardi hat die kiinstlerischen Ideen der Dossi iiber- nommen, wie die Medaillonkbpfe beweisen, die die Fassade des Palazzo Bolognini in Bologna schrmicken.

IX

Ein Zeitgenosse der Dossi und ein sehr geschatzter Kiinstler war Benvenuto Tisi, Garofalo genannt (geb. urn 1481, gest. am 6. Sept. 1559), aus dem Dorfe Polesina im Ferraresischen. Benve- nutos Vater war Schuster und hatte es jedenfalls vorgezogen, wenn sein Sohn einen anderen Beruf erwahlt hatl^e, aber der Knabe bestand auf seinen Willen und ging nach Cremona in die Lehre zum Maler und Sticker Boccaccino, der spater fur den estensischen Hof tatig war. Dieser Lehrer geniigte dem lernbegierigen jungen Kiinstler nicht, er beschloB nach zweijahrigem Aufenthalt in Cre- mona nach Rom zu gehen. Aus Furcht, auf Hindernisse zu stoBen, entfloh er heimlich im Winter aus Boccaccinos Haus und kam hungrig und zahneklappernd in Rom an; selbst seine armselige Garderobe hatte er in Cremona gelassen. Zu diesem EntschluB wird ihn auch die schlechte Behandlung bewogen haben, die der Sticker seinen Schiilern angedeihen lieB. Boccaccino war ein heftiger Mensch und hat im Jahre 1499 seine Frau, die ihn betrogen, erschlagen.

In Rom fand Garofalo eine Zufluchtsstatte bei dem florentiner Kiinstler Giovanni Baldini, den Milanesi Bussini oder Sollazini

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nennt, da nichts von der Existenz eines Malers Baldini bekannt ist. Benvenuto ist nur kurze Zeit, kaum einige Monate, in Rom ge- blieben, dann ging er nach Bologna, wo Costa sehr anerkannt war. Der junge Kiinstler erleg dem EinfluB des beriihmten Ferraresen, wie an vielen seiner Bilder ersichtlich. Ober Benvenutos Aufenthalt in Bologna wissen wir nichts Naheres und begegnen ihm erst 1506 als einem fertigen Kiinstler in Ferrara, wo er verschiedene Auftrage fur Lucrezia Borgia ausgefiihrt hat. Er hat zusammen mit Gio- vanni Dossi gearbeitet, aber ohne den Schwung und die Phantasie, die Ariosts Freund ausgezeichnet haben; seine Bilder kennzeichnet vielmehr eine gewisse kiihle Niichternheit. Dossis EinfluB tritt natiirlich in Garofalos beriihmter Pieta in der Galerie Borghese, sowie im h. Nikolaus aus Bari und im h. Sebastian in den kapito- linischen Sammlungen zutage. Auch Christi Geburt in der Galerie Doria, die dort Ortolano zugeschrieben wird, die Madonna mit dem h. Rochus und Sebastian in Bergamo sind unter Dossis EinfluB ent- standen. Garofalo lockten bald andre Ziele, Rom und der Ruhm der dortigen Meister haben es ihm angetan. 1508 oder 1509 ging er zum zweitenmal an den Tiber und wurde dort der Schuler des um etwa zwei Jahre jiingeren Raffael. Der EinfluB des Urbinaten auf den Ferraresen war wenig glucklich; nach diesem abermaligen Aufent- halt in Rom wird Benvenuto konventionell, er stellt zartliche oder leidenschaftliche Szenen ohne Leidenschaft dar und kopiert Raffael so sklavisch, daB man seine Bilder spater wiederholt Raffael zuge- schrieben hat. Raffael war damals tonangebend, die Einfachheit und der gesunde Realismus der alteren ferraresischen Schule hatten sich iiberlebt, und die Fiirsten begannen der neuen Richtung in der Malerei zu huldigen. Nach Garofalos Riickkehr aus Rom lieB Al- fonso die Kapelle im Kastell und die Fassade des Palazzino della Montagnola von ihm mit Fresken schmucken. Diese Werke sind samtlich untergegangen, wahrend sich die Fresken im friiheren Palazzo Trotti, dem heutigen Seminar, erhalten haben. Es sind dies Decken in zwei Parterrezimmern, frostige Malereien ohne jeglichen Schwung, etwas langweilige Nachahmungen antiker Ornamentik. Ein groBes Fresko, aus dem friiheren Refektorium des Andreas- klosters, befindet sich in der Pinakothek zu Ferrara. Es ist eine

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ziemlich verwickelte symbolische Komposition, die Verherrlichung des Christentums und der Fall der jiidischen Welt. Einige durchaus gelungene Gestalten bewegen sich im Bild, so der Geistliche, der den Graubartigen tauft, oder zwei Manner in ostlichen Gewandern auf dem ersten Plan, aber das Ganze ist zu unubersichtlich kom- poniert, ura einen reinen Genufi zu ermoglichen. Aus der Franzis- kanerkirche ist gleichfalls ein Fresko in die Pinakothek iiber- fuhrt worden, ein Bethlehemitischer Kindermord, der den Kiinstler unter Raffaels EinfluB zeigt. Erwahnt seien noch die Aufer- weckung des Lazarus und die Anbetung der Konige, gleichfalls in der Pinakothek. Vasari schatzt von alien Bildern Garofalos das letztere am hochsten.

Es liegtmir fern, alleBilder von Garofalo inModena, Bologna, Dres- den usw. aufzuzahlen. Der ferraresische Kiinstler wurde friiher als Nachahmer Raf f aels sehr geschatzt, und seine Bilder waren sehr gesucht.

Garofalo hat spat, als Neunundvierzigjahriger, geheiratet und verlor bald darauf infolge einer schweren Krankheit ein Auge. Da er den Verlust des zweiten Auges befiirchtete, weihte er sich der heiligen Lucia und gelobte, wenn ihm sein zweites Auge erhalten bliebe, stets nur aschgraue Kittel zu tragen. Zur Erinnerung stiftete er ein kleines Bild in die Kapelle Sta. Trinita, er hatte sich vor der h. Lucia kniend dargestellt und brachte ihr seine beiden Augen dar. Das Bild, das einzige gut beglaubigte Selbstbildnis des Kiinstlers, ist leider untergegangen. Nach Baruffaldi hat Garofalo sein Selbst- bildnis auch auf dem Abendmahl in San Spirito angebracht.

Trotz des Verlustes des einen Auges hat der Kiinstler noch sehr viel gemalt, und all seine Arbeiten zeichnen. sich durch sichere Zeichnung und Harmonie der Farben aus. Da er sehr fromm war, beschloB er, nach seiner teilweise erfolgten Erblindung, stets an Sonn- und Feiertagen im Kloster San Bernardino ,,zur Ehre Gottes" ohne Bezahlung zu malen. Einige dieser Bilder befinden sich in Rom, die drei besten besitzt die kapitolinische Sammlung, zwei die Eremitage in Petersburg.

Zeichnungen fur acht groBe Teppiche waren eine seiner letzten Arbeiten, das ferraresische Domkapitel hatte sie 1550 teils bei ihm und teils beim Maler Camillo Filippi bestellt. Auf diesen Teppichen

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sind die Taten und das Martyrium der h. Maurelius und Georg, der Schutzpatrone von Ferrara, dargestellt. Zwischen dem 23. April und dem 7. Mai, den Tagen, die diesen beiden Heiligen geweiht sind, werden die Teppiche heute noch offentlich ausgestellt. Garofalo ist in Ferrara zu Sta. Maria in Vado begraben. Sein bekanntester Schuler ist Girolamo da Carpi (1501 1568), ein ziemlich schwacher Kiinstler, der auch unter demEinfluB von denDossi und vonCorreggio stand. Carpi war unter Ercole II. Hofmaler und hat viel Portrats und Teppichkartons geschaffen. Unter Alfonso II. hat Bartolommeo Faccini am estensischen Hofe gewirkt und die Wande des Kastells mit den Bildnissen der Vorfahren des Herzogs in natiirlicher GroBe bemalt; aber all die Maler des untergehenden Ferrara waren schwache Nachahmer Correggios und der romischen Kiinstler. Erwahnt sei noch Sebastiano Filippi, Bastianini genannt (geb. 1535, gest. 1585?), ein Nachahmer von Michelangelo, den er namentlich in seinem Jiingsten Gericht, einem Fresko im Dom, zu kopieren gesucht hat. Eine der darauf befindlichen Gestalten soil der Kiinstler aus Rache angebracht haben. Die Frau, die von Teufeln gepackt wird, soil Stefano Carregiaris Witwe sein, die schone und reiche Livia Grazioli, die Bastianini ihre Hand versprochen und doch einen andern geheiratet hat.

X

Gegen Ende des XIV. und XV. Jahrhunderts hat die Miniatur- malerei ihren Hohepunkt erreicht; jeder der groBen und kleinen Potentaten wollte eine Bibel, ein Gebetbuch oder einen Psalter mit Miniaturen geschmiickt haben und unter Heiligen und Propheten zum mindesten in einer Initiale sein eigenes Bild finden. Uber- all wurden Bibliotheken gegriindet: von den Medici in Florenz, den Aragon in Neapel, den Montefeltro in Urbino, den Visconti und Sforza im Kastell zu Pavia, den Gonzaga in Mantua, den Este in Ferrara und von Papsten und Kardinalen in Rom. Im Norden war der Eifer nicht minder rege, die franzosischen Konige, die Herzoge von Burgund, der Herzog von Berry haben zu den leiden- schaftlichsten Sammlern schoner und seltener Biicher gehort. Auch

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hier scheint es bei der allgemeinen Rivalitat in der Hauptsache darum zu tun gewesen zu sein, Biicher mit den schonsten und kost- barsten Miniaturen zu sammeln und selbst Mathias Corvinus, der ungarische Konig, brachte es zu einer beruhmten Miniaturen- sammlung. x)

Miniatuimalerei lag damals nicht mehr in den Handen der Monche allein und war schon eine durchaus weltliche Kunst ge- worden. In Nord- und Mittelitalien hat man diese schone Kunst namentlich in Florenz, Siena, Bologna, Padua und Verona gepflegt, in Ferrara begann man sich erst unter Niccolo III. damit zu be- schaftigen. Dieser Fiirst hatte bereits zweihundertneunundsiebzig Handschriften, von denen mehrere mit Miniaturen geschmucktwaren.

Die Miniaturmalerei auf dieser Seite der Apenninen unter- schied sich wesentlich von der in Florenz und Siena geiibten. Wah- rend am Arno ein gewisses Idealisieren iiberwog Fra Angelico stand dort an der Spitze der Bewegung , waren die norditalienischen Kiinstler Realisten. Franzosischer und deutscher EinfluB mag mitgesprochen haben, mehr noch die Veranlagung der Kiinstler aus der lombardischen Ebene.

Gegen Ende des XIV. Jahrhunderts hatte Altichiero di Verona den starksten EinfluB auf die Miniaturmalerei in Norditalien. Er hat mehr als die meisten seiner Zeitgenossen gesucht, aus der Natur zu schopfen. Die Miniaturisten, die Niccolo III. aus Florenz hatte kommen lassen: Franceschino, Francesco da Codegoro und Gia- como Bussoli haben seiner Richtung entgegengearbeitet, aber als Vittore Pisanello 1435 nach Ferrara kam, erwies sich die natura- listische Richtung als die starkere. Schon im Kodex, der Bernardo di Monsellis Gedichte enthalt, befand sich ein Portrat von Niccolo III. nach der Natur gemacht. Pisanellos Vorliebe fur Tierstudien hat den Miniaturisten einen unerschopflichen, eifrig beniitzten Schatz ornamentaler Motive gebracht.

Die Blutezeit der Miniaturmalerei in Ferrara hat etwa achtzig Jahre gedauert und umfaBt die Zeit von 1440 bis 1520. Damals ent-

x) Corvins Sammlungen haben die Tiirken nach der Einnahme von Budapest geraubt; einen Teil hat der letzte Sultan dem Kaiser Franz Joseph geschenkt, der sie der Pester Bibliothek iiberwiesen hat.

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FUNFZEHNTES KAPITEL

standen Lionellos Breviarium, das leider untergegangene Werk von Giorgio Tedesco, Borsos zweibandige Bibel, die sich heute in den Sammlungen des Erzherzogs Franz Ferdinand in Wien befindet, Ercoles I. Breviarium, das Missale des Kardinals Ippolito I. und Alfonsos I. Officium. Auch im Dom und in der Certosa von Ferrara befinden sich kostbare Choralbucher aus jener Zeit.

Die ferraresische Miniaturmalerei stand unter dem EinfluB von Pisanello, Piero della Francesca und Cosimo Tura. Borsos Bibel, eines der bedeutendsten Dokumente dieser Kunst aus ihrem Beginn, enthalt iiber tausend Miniaturen und ungefahr ebensoviel gemalte Embleme und Tiere; Borso hat fur dieses umfangreiche Werk 1375 Dukaten bezahlt. Namentlich zwei Kiinstler waren dabei tatig: Taddeo Crivelli, der wahrscheinlich aus Mailand stammt, aber in Ferrara von 1452 bis 1476 tatig war, und Francesco Russi. Borsos Kammerer, Galeotto dell'Assassino, hat mit diesen Kiinstlern einen Vertrag in Mantua geschlossen, auf Grund dessen beide sich verpflichtet haben, im Verlauf von sechs Jahren, vom 8. Juli 1455 angefangen, diese schone Bibel auszumalen. Die Kiinstler haben ihre Aufgabe glanzend gelost, ihr Werk ist eines der schonsten Renaissancedenkmaler; der Reichtum ihrer Ornamentik ist uner- schopflich, sie haben nicht allein die Tier- und Pflanzenwelt, sondern auch Borsos zahlreiche Embleme kiinstlerisch verwertet. Borso hatte eine besondere Vorliebe fur Embleme, besonders haufig hat er das Einhorn unter der Dattelpalme, das beliebteste Zeichen der Este, oder ein goldenes Gitter im Wasser mit der Unterschrift ,,Fido", das sogenannte ,,Paraduro", verwendet. Dieses Gitter sollte einen Damm im FluB bedeuten, und gewissermafien die Bemiihungen des Herrschers um die Regulierung des Po, den Reichtum des Landes, symbolisieren. Zu den haufig verwandten Symbolen ge- horte auch ein geflochtener Zaun, ,,Siepe", und einige andere Zeichen, deren Deutung uns heute schv/er fallt.

Borsos ,, Missale", das zusammen mit der Bibel 1859 nach Wien gekommen ist, lafit sich ihr zwar an kunstlerischem Wert nicht ver- gleichen, gehort aber immerhin zu den bedeutenden Erzeugnissen ferraresischer Miniaturmalerei.

G. MAZZONI: NICODEMUS AUS DER GRABLEGUNG MODENA, S. GIOVANNI DECOLLATO

DIE KUNST WIRD WELTLICH

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Gleichzeitig entstanden die Choralbiicher, „Corali", in derCertosa; die Verfertiger dieser Miniaturen standen starker unter Piero della Francescas und Mantegnas als unter Pisanellos EinfluB. Zu dieser Gruppe gehoren Guglielmo Giraldi, Marco dell'Avogaro und Martino da Modena.

Unter Ercole I. stand die ferraresische Miniaturmalerei sehr stark unter dem EinfluB von Cosimo Tura, und die Miniaturen aus dieser Periode mogen ein spezifischer ferraresisches Geprage tragen als jene, die zur Zeit von Lionello und Borso entstanden sind. Zu dieser jiin- geren Schule gehoren Jacopo Filippo d'Argenta und seine Gehilfen; ihre Hauptwerke sind die Choralbiicher im Dom zu Ferrara, die von Jacopo und Fra Evangelista da Reggio mit Miniaturen versehen wurden, und das Brevier Ercoles I. aus dem beginnenden XVI. Jahr- hundert. Diese neuere ferraresische Schule umgibt ihre Miniaturen mit prachtvollen Ranken, fast die gesamte damals bekannte Tierwelt: Pferde, Hunde, Katzen, Ochsen, Hirsche, Rehe, Hasen, Kaninchen, Lowen, Leoparden, Baren, Wildschweine, Elefanten, Kamele und Affen tummeln sich in diesem Rankenwerk. Die Kiinstler ver- standen es, die Tiere mit auBerordentlichem Geschmack in ein stilisiertes oder naturalistisch behandeltes Blattwerk zu verweben. Auch die herzoglichen Embleme: der von Nelkenblattern umgebene Diamantring, der gefliigelte Leopard mit Fischschweif, die dem Feuer entsteigende Hydra usw., spielen eine bedeutsame Rolle im Ornament.

Das ,,Missale" des Kardinals Ippolito I. in der Universitats- bibliothek in Innsbruck gehort auch zu den schonsten Miniaturen- Handschriften aus jener Zeit. Das Titelblatt zeigt eine auBerordent- lich reizvolle Landschaft aus der Po-Ebene mit den Apenninen im Hintergrund.

Die Einfiihrung der Buchdruckerkunst in Ferrara im Jahr 1492 hat der Miniaturmalerei den ersten schweren Schlag versetzt. Kost- bare Handschriften wurden durch Druck und Holzschnitt verdrangt. Unter Alfonso I. setzt bereits der Verfail ein, und das ,,Officium" dieses Herzogs war das letzte bedeutende Erzeugnis der Miniatur- malerei in Ferrara. Das „Officium" befindet sich in den Samm- lungen des Erzherzogs Franz Ferdinand. Unter anderem enthalt das Buch auch das Bildnis des Herzogs in Waffen, wie er mit gefalteten

522

fOnfzehntes kapitel

Handen vor Gottvater kniet, der ihm in den Wolken erscheint. Alfonso ist als junger Mensch mit spitzem Bart und langem Haar dargestellt, seinem spatern Portrat mit aufgedunsenen Ziigen durchaus unahnlich.

Unter Ercole II. hat die Miniaturmalerei bereits der Vergangen- heit angehort.

XI

Das untere Po-Tal besitzt keinen Marmor, einer Bildhauerschule in hartem Stein fehlte es also am wichtigsten Material, und so konnte die Skulptur in jener Gegend nicht zu einem Monumentalstil kommen. Wenn Ferrara Monumentalauftrage zu vergeben hatte, so berief es fremde Kiinstler, besonders Florentines und Antonio di Cristoforo und Niccolo di Giovanni Baroncelli, den Schiilern Brunellescos, verdankt die Stadt eines der friihesten Reitermonu- mente, das in Italien in der Renaissance entstanden ist. Es war das Denkmal von Niccolo III., das in Borsos Gegenwart im Jahre 1451, am Himmelfahrtstage, auf dem Platz zwischen Dom und Kastell ent- hiillt wurde. Alter als dieses Denkmal sind, von der Antike abge- sehen, nur zwei Reiterstatuen aus dem XIII. Jahrhundert, die des Lucchesen Tommaso und Bonifazio Offizzi errichtet haben und jener strenge Sarkophag von Barnabo Visconti, der sich heute im archaologischen Museum in den Kreuzgangen des Kastells von Mai- land befindet. Er stammt aus dem Jahr 1370. Ein Reiterdenkmal war damals noch etwas Ungewohntes, und die ferraresische Be- volkerung hat daher Baroncelli auch den Spitznamen Niccolo ,,da Cavallo" gegeben. Der Kiinstler hat den Markgrafen im Mantel, mit dem Barett auf dem Kopf und dem Feldherrnstab in der Hand dargestellt. Das ferraresische Denkmal ist friiher entstanden all Donatellos Gattamelata in Padua (1453) und Verrocchios Colleom in Venedig (Modell 1481, Aufstellung erst 1493). Ferrara bestellte, stolz auf sein Reiterdenkmal, 1451 bei Baroncelli ein Denkmal von Borso in Bronze, auf dem Throne sitzend, in reichen Gewandern, wie es sich fur einen stolzen Herrscher ziemt. Niccolo Baroncelli starb wahrend der Arbeit, und sein Sohn Giovanni hat mit Hilfe einiger

DIE KUNST WIRD WELTLICH

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Florentiner das Denkmal vollendet. Die Stadt, gewohnt ihre Herrscher durch Denkmaler zu feiern, beschloB 1499 auch Ercole I. ein Reiter- standbild zu errichten. Ercole gefiel das Pferd, das Lionardo in Mai- land fur Francesco Sforza entworfen hatte, auBerordentlich; er bat die mailandische Regierung, ihm das Modell zu iiberlassen. Die Sache zog sich aus verschiedenen Griinden in die Lange, unterdessen zer- fiel Lionardos Gipsmodell, und das Reiterdenkmal fur Ercole blieb unausgefiihrt.

Der beriihmteste der ferraresischen Bildhauer war in der ersten Halfte des XVI. Jahrhunderts Alfonso Lombardi, dessen Werke sich zum Teil noch in Ferrara, in der Hauptsache aber in Bologna befinden. Lombardi wurde im Jahre 1479 nicht in Lucca, wie man annahm, sondern in Ferrara geboren. Die Chro- nisten berichten, dafJ Tizian, als er in Bologna Karl V. gemalt hat, den jungen Kiinstler zum Farbenreiben mitnahm. Als sich der Meister ans Werk machte, gelang es Lombardi unbemerkt, den Kaiser in Ton za modellieren. Karl V. bemerkte den heimlich ar- beitenden Bildhauer, lieB sich Lombardis Skizze zeigen und war von der Arbeit so entziickt, daB er Lombardi die Halfte von den tausend Talern anweisen lieB, die er fur Tizians Portrat bestimmt hatte; auBerdem bestellte er ihm seine Biiste in Marmor. Nach Vasaris Schilderung ist die Biiste sehr gelungen, ,,una cosa rarissima". Lombardi war ein beliebter Bildhauer, aber kein sehr bedeuten- der Kiinstler; auch sein Zusammenhang mit Ferrara war nur locker, da er schon als junger Mensch die Heimat verlassen hat und nicht wieder zu langerem Aufenthalt zuriickgekommen ist.

Wenn nun Ferrara und die untere Po-Ebene keine groBen Bronze- und Marmorbildhauer hervorgebracht haben, so haben doch dortige Plastiker in anderem Material Bedeutendes geschaffen. Sie griffen nach dem Material, das sie zur Hand hatten, nach Ton, und haben die Terrakotta-Plastik iai ihrer hochsten Bliite gebracht. Modena, Ferrara, Bologna und Mailand waren der Sitz dieser Kunst und Guido Mazzoni ihr Meister. Gebrannter Ton eignet sich auBer- ordentlich fur Polychromie, zur Durcharbeitung menschlicher Kopfe mit den charakteristischsten Details und zu einer sehr rea- listischen Behandlung. Vielleicht gibt es, von Wachs abgesehen,

524 fOnfzehntes kapitel

kein Material, das naturalistischen Tendenzen so sehr entgegen- kommt wie gemalter Ton.

Die realistischen norditalienischen Kiinstler fanden das ent- sprechende Material, um ihre kunstlerischen Absichten zu verwirk- lichen, und in den sogenannten ,,Mortoria", in Beweinungen des toten Chris tus in natiirlicher GroBe, mogen sie ihr Bestes geleistet haben. Diese realistischen Gruppen scheinen den mittelalterlichen Mysterien nahe zu stehen, sie haben alle etwas vom ,,lebenden Bild" behalten. Die Kiinstler haben die Szenen, die sie in den Kirchen haufig sahen, in Ton modelliert; die dramatischen Posen der Schauspieler bei den Passionsdarstellungen in der Charwoche haben den Kiinstlern einen so starken Eindruck gemacht, daB sie sie zum Gestalten zwangen. Auch ist es nicht ausgeschlossen, daB in der Gesellschaft das Verlangen erwachte, diese Vorgange zum mindesten in der Plastik zu erhalten, als die Mysterien allmahlich aus den Kirchen ver- schwanden und sich in eine weltliche Biihne umzuwandeln begannen. Auch Szenen aus dem Leben haben auf die ,,Mortoria" eingewirkt, so die Sitte, Klageweiber am Sarg des Verstorbenen wahre Ver- zweiflungsorgien auffiihren zu lassen. Die Klageweiber sind ja auch auf franzosischen Grabdenkmalern zu finden; das Motiv hat zu stark auf die Phantasie gewirkt und stand auch mit dem Leben der Bevolkerung in zu engem Zusammenhang, um von der Kunst unbeachtet zu bleiben. Die norditalienischen Mortoria, namentlich jene, in denen Frauen sich mit hysterischer Gebarde iiber Christus werfen, haben sicherlich ihren Ursprung in der Sitte des offiziellen Beweinens der Verstorbenen.

Uber Guido Mazzonis Jugend sind wir nur ungeniigend unter- richtet; er stammt aus Modena und wird deshalb auch Modanino genannt; er begann damit, Theater- und Karnevalsmasken zu ver- fertigen, und war der Impresario der Feste zu Ehren Eleonoras von Aragon in Ferrara. In Busseto befand sich eines seiner friihesten groBeren Terrakottawerke, eine Geburt Christi, die heute der Samm- lung des Grafen Callori in Modena angehort. Mazzonis Grablegung, eines seiner schwacheren Werke, befindet sich in Busseto. Ferrara bewahrt nur eine seiner Gruppen, aus dem Jahre 1485, in Sta. Maria della Rosa. Sein bestes, vielleicht nicht geniigend gewiirdigtes Werk

DIE KUNST WIRD WELTLICH 525

befindet sich in S. Giovanni Decollate* in Modena, eine unvergleich- liche Gruppe; die Maria, die sich uber Christus neigt, gehort zu den gewaltigsten Figuren eines edlen Realismus. Auch die Domkrypta in Modena bewahrt eine schone Gruppe des Kiinstlers, eine An- betung des Kindes. Diese Gruppe befand sich fruher in der Kirche ,,Osservanza" und wurde erst neuerdings in den Dom uberfuhrt.

1489 ging Mazzoni fur einige Jahre nach Neapel und hat dort eine beruhmte Kreuzabnahme fur Monteoliveto ausgefiihrt. Die Gruppe setzt sich aus sieben sehr realistisch erfaBten Gestalten zu- sammen, der Tradition nach sollen einige der bekannten damaligen Personlichkeiten Modell dafiir gewesen sein. Johannes soil die Ziige Alfonsos II. von Aragon, Nicodemus die des Historikers Pontano und Joseph von Arimathia die des Dichters Sannazaro tragen.

Karl VIII. hat Mazzoni nach Frankreich mitgenommen und ihm eine sehr hohe Pension, fiinfzig Dukaten monatlich, bewilligt. 1496 hat er den sehr von ihm geschatzten Kiinstler zum Ritter geschlagen. Der Bildhauer hat sich seinem Konig durch ein groBartiges Grab- denkmal in Saint Denis erkenntlich gezeigt; es ist leider 1793 *n den Stiirmen der Revolution untergegangen. Bei Franz I. Thron- besteigung ist Mazzoni nach einem zwanzigjahrigen Aufenthalt in Frankreich nach Modena zuriickgegangen und ist dort zwei Jahre spater, 1518, gestorben.

Bekannt fur seine Mortoria war auch Antonio Begarelli (geb. I479?» gest- I565), der stark unter Correggios EinfluB stand. Seine Kreuzabnahme befindet sich in San Francesco zu Modena. Die Gruppe umfaBt dreizehn Personen, besonders die Frauen sind von groBer Schonheit. In S. Agostino, diesem Pantheon der modene- sischen Este, befindet sich eine Pieta von Begarelli, in San Pietro sein toter Christus und eine Gruppe der Madonna in den Wolken, von vier auf dem Boden stehenden Heiligen verehrt. Die von ihm angelegten Gestalten wurden von. seinem Neffen Lodovico Begarelli vollendet. In San Satiro zu Mailand befindet sich auch eine bekannte Be- weinung Christi von Cristoforo Foppa, Caradosso genannt, mit einer sehr intensiv und edel erfaBten Maria. Foppa ist 1452 in Mudonio,

526 FUNFZEHNTES KAPITEL

einem Dorf an der Adda geboren; er hat im Hause seines Vaters, eines Goldschmieds, gelernt und ist im Jahr 1487 nach Rom ge- gangen. Von dort aus hat ihn Lodovico Moro nach Mailand berufen. Caradosso hat dort viel gearbeitet und Beziehungen zu Bernardo Bellin- cioni, Leonardo da Vinci und Bramante angekniipft. Die Beweinung Christi von Niccolo dell' Area, dem bekannten Bildhauer, der einen groBen Teil des Grabmals des S. Dominicus in Bologna ausgefuhrt hat, zeigt einen gewaltsam gesteigerten Realismus. Diese Gruppe in S. Maria della Vita zu Bologna macht einen fast abstoBenden Eindruck, die verzweifelten Frauen wirken wie mittelalterliche Klageweiber mit weit aufgerissenem Mund, nervos ver- zerrten Gesichtern und wild wehen- den Gewandern. Der Realis- mus in der neueren Kunst hat seinen starksten Niederschlag in den Mortoria gefunden.

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REGISTER

Agresti Daniele 478 degli Albanzani Donato 26, 28 Alberti (da Ferrara) Antonio 477 Alberti Leon Battista 47, 48 Alberto d' Este 17, 18 Alberto d* Este 65, 71, 75 Aldingheri de Fontana 13 Aldobrandini Cincio 379, 380, 382,

383 Aldobrandini Pietro 380, 402, 403,

405

d' Alemagna (Teutonico) Niccolo 478

Alexander VI. 105, 158 170, 190, 191, 227

Don Alfonso d' Este 401

Alfonso I. d' Este 75, 91 93, 166, 167, 176, 177, 181— 185, 193 bis 197, 214, 215, 219—226, 231, 235, 240—242, 244—246, 251,

257, 313, 458 Alfonso II. d' Este 250, 291, 292. 298, 299, 304, 308—335, 354 bis 358, 362—375, 394—403, 435 bis

437. 442 Altichiero di Verona 519 Anna d' Este 284, 307 309, 393

Antoniano Silvio 358 362

Aquilano Serafino 387

dell' Area Niccolo 526

Aretino Pietro 143, 232, 457, 474

Aretusi da Modena Pellegrino 506

d' Arezzo Francesco 47, 65

d' Arezzo Jacopo 29

d' Argenta Jacopo Filippo 521

Argenti Agostino 389

Argotta Agnese 391

Ariosti Jacopo 65

Ariosti Lippa 15

Ariosti Malatesta 58

Ariosto Francesco 49

Ariosto Lodovico 145, 200, 206 bis

239, 385» 387» 453. 454. 470 AriostoNiccolo 70,71,206 209,212 Ariosto Virginio 210, 213, 224 226 d' Ascoli Cecco 257, 276 dell' Assassino Stella 20 22 Aurispa Giovanni 36, 37 d' Avalos Costanza 263 Aversa 160, 161 Avogario (Avogardo) 415 Avogaro dell' Marco 521 Azzo VI. d' Este 12 Azzo VII. d' Este 13

536

REGISTER

Baldassare d' Este 488 491 Bandello 419, 420 Barbazza Andrea 480 Baroncelli Niccolo di Giovanni 522,

523

Baroncelli Giovanni 523

Barzizza 33

di Bascio Matteo 264

Bastianini (Filippi) Sebastiano 518

Beatrice d'Este (Azzos VI. Tochter) 12

Beatrice d'Este (Niccolos III. Toch- ter) 24, 155

Beatrice d'Este (Ercoles I. Tochter) 76, 77, 88, 89

Beatrice von Aragon ioo, 101

Beccadelli Panormita 36

de' Beccari Agostino 389

Begarelli Antonio 525

Begarelli Lodovico 525

dei Belli (Turola) Jacopo 479

Bellini Jacopo 481, 482

Bellincioni Bernardo 132, 149, 416, 460

Bello (Cieco) Francesco 132

Bembo Pietro 140 145, 187 bis 193, 197. 203, 230, 422

Bendidio Lucrezia 344, 355, 356,

436, 437 Bendidio Taddea 315 Bentivoglio Annibale 76 Bentivoglio Antonio Galeazzo 500 Bentivoglio Bento 494 Bentivoglio Cornelio 312, 326, 397 Bentivoglio II. Giovanni 494, 499 Benucci Alessandra 216, 217, 220 Benzi Ugo 37 Berengario Jacopo 139 Bianca d' Este 65

Bianchini (Torello) Giovanni 89 Biondo di Niccolo Giovanni 66 Bisceglia Alfonso 164 166 Bisceglia Rodrigo 204 Boccaccino Boccaccio 515, 516 Boione Simone 114, 115 Bojardo Feltrino 48, no Bojardo Matteo Maria no 132,

153, 231, 234, 235 Bona 101, 312, 313, 422 Bonacossi Bartolommeo 479 Bonacossi Giacomo 479 Bonna Febo 371 Bono Pietro 415 de' Bonsignori Pietro 478 de' Bontempi Candido 64 Borgia Angela 171, 193, 194 Borgia Cesare 159 169, 195 Borgia Lucrezia 158 205 Borso d'Este 21, 22, 30, 52 69,

454, 455, 49*, 492, 520 Boschetti Albertino 194 Bracciolini Poggio 68 Braga Pier Angelo 358 Brancaccio Giulio Cesare 436 Bresciani Bartolommeo 172, 173 Brognina 425 428 Bruccioli 288, 289 Bruno Giordano 276 Bussoli Giacomo 520

Calcagnini Celio 145, 146, 199,

201, 257 Calcagnini Teofil 53 Calleffini Ugo 66 Calvin 256, 259 261, 281, 291,

293, 294, 297, 30i, 303, 304 Cammelli (Pistoja) Antonio 149 bis 152, 207

REGISTER

537

di Campo Fregoso Galeotto 66 da Canno Lodovico 65 Capellino Gabriele 515 Caprara Antonia 111 113 di Capua Annibale 340, 341 Caraffa Giovanni Pietro 268 270,

276 Carbone Lodovico 55, 66 68 Cardone Raimondo 425 428 da Carpi Girolamo 518 da Carrara Gigliola 20 del Carreto Manfredo 27 Castelmo Ercole 200 Castiglione Baldassare 388, 472, 473 Cataneo Danese 345 Cavaletti Orsina Bertolaja 348 Caviceo Jacopo 202, 203 Cellini Benvenuto 2 de Centelles Cherubin 160 Cesare d'Este 63, 334, 365, 373,

401 404 Cesinge (Pannonius) Giovanni34,5i Cessi 344

di Chieri Celio 287 Cibo Caterina 264, 265, 270 Cintio Giraldi Battista 394 Clesio Bernardo 514 da Codegoro Francesco 519 Colle del Rafaellino 513 Collenuccio Pandolfo 98, 99, 157 Colleoni Bartolommeo 154 Colocci Angelo 145 Colonna Prosper 101 Colonna Vittoria 262 267, 275,

283, 466, 472 di Conca 378

Contrari Ercole 352, 397, 398 Contrari Uguccione 48 Cornaro Caterina 142

da Correggio Gian Galeazzo 157 da Correggio Niccolo 57, 153 157 da Correggio Prete 157 della Corte Bonvicino 83 Corvinus Mathias 100, ioi, 519 Cossa Francesco 491 495 Costa da Vicenza Andrea 480 Costa Domenico 478 Costa Lorenzo 500 505 Costabili Alberto 48 Cristoforo di Antonio 522 Crivelli Taddeo 520 Curione Celio 284, 287 Cusastro Beltramino 87

Dante 14, 143 Decembrio Angelo 47 Decembrio Pier Candido 39, 64 Diana d' Este 201 Dianti Laura 280, 510 Diodato 463

Domenichi Lodovico 132, 472 Dossi Battista 509, 510 Dossi Giovanni 509 515

Eleonora von Aragon 4, 71 76,

86, 88, 91, 93 Elisabetta d' Este 102, 194 Equicola d' Alveto Maria 77 Erasmus Rotterdamus 133 Ercolani Virginia 345 Ercole I. d' Este 25, 30, 70 109,

in, 153, 154, 166—182, 191, 193,

227. 457 Ercole II. d'Este 241 267, 275 299 Ercole Rinaldo III. d' Este 406 Este Abstammung und Charakte-

ristik 10 12 Eugen IV. 30

538

REGISTER

da Fabriano Gentile 485

Faccini Bartolommeo 518

Falconi Giovanni 29

Falengo 264

Fannino Fanio 290

Farnese Giulia 158 160, 204

Farnese Orazio 282, 283

da Feltre Vittorino 55

Ferrante d' Este 170, 194

da Ferrara (Alberti) Antonio 477

da Ferrara Domenico 440

Ferrari Bianchi 498, 499

Ferrarino da Ferrara 13

Filelfo 36, 134

Filippi Camillo 515, 518

da Foligno Angiolo 478

Foppa (Caradossa) Cristoforo 526

Fortuno Scipio 66

da Fossombrone Lodovico 264

Franceschino 519

della Francesca Piero 483

Francia Francesco 501

Franz I. 240 243, 252, 260, 279,

427, 428 Franz II. 301 Franco Veronica 321 324 FristeJla 463 Friedrich III. 55—57

Galeotto 427, 428

Galilei 276, 277, 385

Gallerani Cecilia 89, 199, 200

Gallino Jacopo 76

Gambacorta Pietro 383

Garofalo (Tisi) Benvenuto 515—518

Gaurico Lukas 258

Gaza Teodoro 47

Gelosi, Theatergesellschaft 320,352,

356

Genga Girolamo 512, 513

Gianetto 259, 260

Giglioli Giacomo 32

Giraldi Giovan Battista 389

Giraldi Guglielmo 521

Giraldi Lelio 287

Giraldini Ascanio 314, 315, 317,

326, 328 Giulio d' Este 193 195, 299 Gonella 16, 461 Gonzaga Cesare 388, 395 Gonzaga Elisabetta 89 Gonzaga di Giorgio Taddea 114 Gonzaga Federigo 87 Gonzaga Francesco 88, 147, 148,

428, 503 Gonzaga Giulia 263 Gonzaga Gulielmo 350 Gonzaga Margherita (Alfonsos II.

Gemahlin) 312, 400, 440 Gonzaga Margherita (Lionellos Ge- mahlin) 40, 42, 43 Gonzaga Scipione 345, 358, 366,372 Gonzaga Vincenzo 373 375, 391,

418 Grandi di Giulio Cesare Ercole 505,

506 Grazioli Livia 518 Gregor XIII. 332, 356, 359 Grillo Angelo 372, 374 Grimani Giovanni 324 Gualengo Giovanni 48 Gualengo Camillo 315, 316 Guarini Battista 315 318, 327,

328, 355. 356, 362, 390—392,

470—472 Guarino Battista 76, 134 Guarino Guarini 31 35, 39, 40,

49, 50

REGISTER

539

Heinrich II. von Frankreich 292,

294, 295 Heinrich III. Valois 309, 312, 314, 317—326, 332, 357

Ingegnero Angelo 371 Innocenz III. 430 Ippolito I. d' Este 76, 99 102, 146, 169, 193, 213—219, 231, 312, 313 Ippolito II. d' Este 314, 329, 334,

335 Isabella d'Aragon 211, 312

Isabella d' Este-Gonzaga 76, 77, 87, 88, 131, 132, M7» MS, 156, i57> 176— 181, 191, 214, 231, 246, 422—429, 467, 468, 503 bis 595

Isacchino di Mantua 392

Jamet Leon 254, 256, 287, 294, 304 Jay Claude 275, 293, 294 Johannes XXI. 430 Julius II. 184, 204, 214 216, 240

Karl V. 225, 232, 234, 249—253,

342, 428, 429, 523 Karl IX. von Frankreich 301, 305,

3M» 315, 352, 357 Klemens VII. 184, 223, 225, 249

bis 252, 269 Klemens VIII. 379, 380, 402, 405 Kopernikus 257

Landino Cristoforo 415 Lang Matteo 425, 426 Lardi Lionello 47 Lardi Lodovico 47 Lasca 438, 444

Lellio Alberto 389

Leo X. 148, 184, 203, 205, 216,

241, 443 Leonora d' Este 284, 348, 384, 393,

394. 435 Leoniceno Niccolo 99, 145, 201, 202 Lepelletier 293, 296, 330 Ligorio Piero 334, 356 Lionello d' Este 21, 25, 30, 38 51 Lombardi Alfonso 515, 523 Lorenzetti Ambrogio 475 de Lorgna Ramiro 167 Loyola Ignaz 275, 276, 293, 330 Lucrezia d' Este (Ercoles I. Toch-

ter) 76, 87 Lucrezia d' Este (Ercoles II. Toch-

ter) 284, 348, 355, 361, 372, 393

bis 405, 435 Luigi d' Este 300, 329~ 335. 34°,

34i, 346, 347. 35i— 354> 356,

369, 433, 434 Luzzaschi Luzzasco 436

Maggi Graciosa 201

dei Magnabotti Andrea 119

Malaguzzi Daria 207, 208, 212, 213

Malespina Celio 371

Manfrone Gian Paolo 278, 279

Manso Giovan Battista 378, 379,

383, 384 Mantegna 476, 482, 503 Mantovano Giovanni 137 140 Mantovano Camillo 513 Manuzio Aldo 137 140, 339, 372 Manzachi Francesco 513 Manzollini Angelo 287 Marcantonio Flaminio 287 Margherita von Navarra 254, 255 Maria d'Aragon 43, 45

540

REGISTER

Marot Clement 243, 253 256, 259

Marotta Erasmo 391

Martin Giovanni 77

Matello 462

Mazzolini Lodovico 507

Mazzoni Guido 524, 525

Mazzuoli Giuseppe 515

Medici Francesco 358

Medici Katharina 301, 304

Medici Virginia 373

Meliadus d' Este 22, 44, 65

Milton 379

della Mirandola Gian Francesco 65

della Mirandola Pico Galeotto 25,

33i della Mirandola Pico Giovanni 135

bis 138 della Mirandola Pico Li via 331 Modena da Martino 521 Molza Tarquinia 436, 437 Montecuculi Luigi 400 Montefeltro Elisabetta 174 da Montepulciano Girolamo 265 da Monteregio Roberto 414 di Montone Braccio 39 Morato Olympia 284 286, 297 Morato Pellegrino 284 Morel (de Colonges) Francesco 295 Mosti Agostino 370, 371 Mosti Ercole 403

Nanino 465, 466 da Narni Lucia 103 107 Niccolo II. d' Este 16, 455 Niccolo III. d' Este 19 37 Niccolo d' Este (Lionellos Sohn) 70,

7i, 75, 76 Niccoluccio di Calabria 505 dei Nobili Flaminio 358

da Novara Bartolino 6 Novara Domenico Maria 415 de Noyant 278, 279

Obizzo II. d' Este 13 15

Obizzo III. d' Este 15

Ochino Bernardo 263 267, 270

bis 274 Oriola Giovanni 478 Orsini Adriana 158 160, 172, 183 Ory Mathias 294 296

Palestrino Pier Luigi 435 Panetti Domenico 499 Panicciati Jacopo 515 Panizzata Niccolo 480 Parisina de Malatesta 21 24 di Parma Basinio 47 de Parthenay Anna 249, 250 Paul II. 59 63

Paul III. 252, 257, 258, 268, 269, 277, 279, 281 283, 288, 296,

329 de Peguilhan Aimeric 12 di Perugia Spirito Lorenzi 64 Peperara Laura 346, 436 Petrarca 142 144 Pigna Giovan Battista 355, 356, 361 Piissima Vittoria 320, 321 Pio di Carpi Alberto 49, 137 140,

210, 211 Pio di Carpi Enea 200, 201 Pirandoli Cesare 71 Pisanello (Pisano) Vittore 480 482 Pisauriensis Guglielmo 440 Pistoja (Cammeli) Antonio 149 bis

152, 207, 460, 462, 470 Pistofilo Bonaventura 182, 458, 459 Pius IV. 299, 332

REGISTER

541

Pius II. 58, 59

Poggini Domenico 228, 229

Pomponazzo Pietro 257

de Pons Antonio 249, 250, 279 bis

281, 283, 284 della Porta Giovan Battista 433,

434 Porto Francesco 288, 289 Pucci Lorenzo 158, 159 Pulci Luigi 120

da Ragusa Giorgio 89

da Reggio Fra Evangelista 521

Renata d' Este 314

Renata di Francia 240 309

Reszka Stanislas 381

Riario Pietro 72 74

Riccardo Saluzzo 25

Richardot Francois 281

Rinaldo d' Este 75, 210

Roberti di Antonio Ercole 495 bis

498 de Roberti Giovanna 18 Romano Christoforo 90 Romei Annibale 416 Rondinelli Ercole 351 della Rovere Francesco Maria 394

bis 396, 399 della Rovere Giuliano 72 della Rovere Guidobaldo 338, 394

bis 396 Roverella Lorenzo 486 Rovigo Francesco 392 Rubinetto di Francia 485 Rucellai Bernardo 133 Russi Francesco 520

Sacrati Uberto 486 Sadoleto Jacopo 145

Sagramoro (da Sancino) Jacopo 479, 480

dal Sale Margherita 18

Sanseverino Barbara 356, 362

Sanseverino Ferrante 337

Sanzio Raffael 516

Savelli Silvio 169

Savonarola Hieronymus 108, 109

Savonarola Michele 37, 50, 68, 69, 469, 470

Scaccieri Giovanni 498

della Scala Alberto 66

di Scandiano Leonora 356, 362, 363. 390, 436

Schiatti Alberto 6

Scocola 461

Sforza Anna 91 93

Sforza Ascanio 90, 160

Sforza Galeazzo Maria 453

Sforza Giovanni 160 163

Sforza Lodovico il Moro 88, 89 bis

91, 100 da Siena Angiolo 483 Sigismondo d' Este 25, 30, 66, 71,

75, m, 170 Sigmund I. von Polen 312, 313 Sigmund August von Polen 273, 274 Simoni Gabriello 472 Sinapius Chilian 287 Sinapius Giovanni 287 Sixtus V. 332, 333, 375 de Soubise 248, 249, 252, 253, 259 Speroni Sperone 340, 358, 361, 362,

389, 390 Spinola Daniele 344 Spinola Francesco 345 de Spoleto Gregor 210, 211 Stellato (Manzolli) Palingenio 259

542

REGISTER

Strozzi Ercole 95, 98, 134, 135, 186,

195—197, 211, 229 Strozzi Giovanni 48, 49 Strozzi Niccolo 48 Strozzi Tito Vespasiano 49, 54, 83,

93—98, 133, 186, 192, 193

Tarnowski Stanislas 341

Tasso Antonio 354

Tasso Bernardo 336 340, 350

Tasso Cornelia 343, 367

Tasso Porcia 337, 338

Tasso Torquato 336—392, 437>

442 Tebaldi (Tebaldeo) Antonio 147 bis

149, 199 Tedesco Giorgio 520 Tizian 228, 229, 508, 509, 523 di Toledo Pedro 337 Torelli Barbara 196, 197 di Tortona Tommaso 16 Triboulet 465 Trissino Giangiorgio 77, 199, 200,

423 Trotti Cesare 401

Tura Cosimo 483 488 Turola (dei Belli) Jacopo 479

Uberti Francesco 175 Ugo d' Este 21 24

Valdes Alfons 262, 263 Valdes Juan 262, 263 Valentini Andrea 313 Vanozza Catanei 158, 204 Varano Ercole 348 Varano Piero 311 Venier Domenico 144 Verdizzotti Giovan Maria 343 Vergerio Pierpaolo 34 de Vico Galeazzo 297 da Vinci Leonardo 523 Visconti Galeazzo 131, 132

van der Weyden Rogier 482 West Giacomo 392

Zampante Giegorio 82, 83, 153 Ziegler Jakob 257 Zini Francesco 348 di San Zozzo Carlo 65

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN

i. Isabella d'Este. Bildnis von Tizian. Wien,

Galerie Titelbild

2. Francesco Cossa: Allegoriedes Herbstes

Berlin, Kaiser-Friedrich -Museum gegeniiber Seite IV

3. Kastell zu Ferrara ,, ,, 8

4. Dom zu Ferrara ,, ,, 8

5. Seitenportal des Domes zu Ferrara ,, ,, 8

6. Palazzo Diamanti zu Ferrara ,, ,, 16

7. Tor des Palazzo Prosperi zu Ferrara ,, ,, 16

8. Pisanello: Pilger ins gelobte Land.

Verona, S. Anastasia ,, ,, 24

9. Lionello d'Este. Bildnis von Pisanello.

Bergamo, Akademie (Galeria Morelli) .... ,, 40

10. Borso und seine Umgebung. Detail aus

den Fresken im Palazzo Schifanoja zu Ferrara ,, ,, 56

11. Ercole I. d'Este. Kopie Dossis nach Tizian.

Modena, Galerie ,, ,, 72

12. Beatrice d'Este. Detail aus Zenales ,,La

Vergine in Trono". Mailand, Brera ,, ,, 88

13. Pinturicchio: Die heilige Katharina von Alexandrien. Angebliches Portrat von Lucrezia Borgia. Detail aus dem Apparta-

mento Borgia im Vatikan ,, ,, 160

14. Alfonso I. d'Este. Kopie Dossis nach Tizian.

Modena, Galerie ,, ,, 184

15. Ariost. Bildnis von Tizian. London, National-

Gallery ,, ,, 208

544 VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN

16. RenatadiFrancia. BildnisvonFr.Clouet(?).

Sammlung Fiirst Czartoryski in Goluchow . . gegeniiber Seite 248

17. Papst Paul III. Bildnis von Paris Bordone.

Florenz, Pitti ,, 272

18. KdniginBonaSforzaundRenatad'Este, Grafin von Mirandola. Krakau, Museum

Graf Czapski ,, 312

19. Battista Guarini. Lithographie nach ,,Vite

e ritratti di XXX illustri Ferraresi" ,, 320

20. Torquato Tasso. Bildnis von Alessandro

Allori. Florenz, Uffizien ,, ,, 336

21. Schule von Ferrara: Eine Verlobung.

Berlin, Kaiser -Friedrich-Museum ,, 424

22. Reiter. Detail aus den Fresken im Palazzo

Schifanoja zu Ferrara ,, ,, 456

23. DossoDossi: Hofnarr. Modena, Galerie .. ,, ,, 464

24. CosimoTura: Madonna. Venedig,Akademie ,, ,, 480

25. Cosimo Tura: Madonna in Trono. Lon- don, National- Gallery ,, ,, 488

26. Stickende Frauen. Detail aus den Fresken

im Palazzo Schifanoja zu Ferrara ,, ,, 488

27. Francesco Cossa: Verkiindigung. Dres- den, Galerie ,, ,, 496

28. Francesco Cossa: Madonna zwischen Petronius und Johannes. Bologna, Pina-

kothek ,, ,, 496

29. Lorenzo Costa: S. S. Petronio, Fran- cesco e To mmaso. Bologna, Pinakothek .. 504

30. Dosso Dossi: Vision der vier Kirchen-

vater. Dresden, Galerie ,, ,, 512

31. Garofalo: Bacchanal. Dresden, Galerie .. ,, ,, 512

32. G. Mazzoni: Nicodemus aus der Grab-

legung. Modena, S. Giovanni Decollato.. ,, ,, 520

Ugo irgherita Aldobrand ijnehelich) (unehelich erh. mit 1405— i42 = eazzo Pio

Ercole I.

1431— 1505

zweiter Herzog

von Ferrara

und Modena

verh. mit

Eleonora

d'Aragon

Sigismondo BiancaMaria

1433 1507 (unehelich)

1440 1506

verh. mit

Galeotto Pico

della

Mirandola

B 3. ldassar •:

(unehelich)

und mehrere

andere Bastarde

I

Ercole

verh. mit

Angela

Sforza

Bianca Diana

verh. mit verh. mit

Alberigi da San Uguccione di Severino Ambrogio de'

Contrari

1

Ippolito I. M79— 1520

Kardinal

Elisabetta

(unehelich)

verh. mit

Giberto Pio

Sigismondo 1480— 1524

e

628 von

lit Medici

STAMMTAFEL DER ESTE

Niccolo III. I. Gigliola da Carrara 1397

1383 1441 2. Parisina Malatesta 1418

3. Riccarda Saluzzo 1431

Ugo Meliadus Aldobrandino (unehelich) (unehelich) 1406 1452 1405— 1425

LioneMo = (unehelich) 1407—1450

. Margherita Gonzaga z. Maria d'Aragon

1

Borso

(unehelich)

1413 1471

der ersteHerzog

Modena

Ginevra Lucia 1419— 1440 1419— 1437

Sigismondo Carlo Gonzaga Malatesta

Isotta (unehelich) verh. mit

1. Oddone Montefeltro

2. Stefano Frangipani

(unehelich) (unehelich) 1427— 1497 verh. mit

verh. mit Galeazzo Pio 1. Niccolo da Correggio 2. Tristan Sforza

Ercole I. 1431— 1505

1 Fiancesc

1 0 Niccolo

verh. mit Eleonora

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BiancaMaria

Baldasslt*

1507

(unehelich)

(unehelich)

1440 1506

und mehrere

verh. mit

andereBastarde

Galeotto Pico

Angela

verh. mit verh. mit

Alberigi da San Uguccione di Severino Ambrogio de'

Contrari

(unehelich)

1473— 1518

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Bentivoglio

Ippolito I.

1479— 1520

Kardinal

(unehelich)

verh. mit

Giberto Pio

und Modena Renata di Franc

I GiuliadelleRov Marfiza . (unehelich)

verh mit

funfter Herzog ve

h. mit

Francois

von Ferrara FrancescoMaria

e Lorraine

und Modena von

Urbino

ade' Medici 1560

2. Barbara

von Oesterreich 1565

3. Marghe

nta Gonzaga 1579

Virginia de' Medic;

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