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Molefchott. Erjter Band, Fünfte vermehrfe und ganzlidı umgearbeifefe Auflage. Gießen. NMerlayg von Emil Roth. + Verfaſſer und Verleger halten ſich daS Recht der Ueberſetzung dieſes Buches vor. — kr — Er. at» Br Borwort zur fünften Auflage. Wenn ich hier in üblicher Weiſe meine Freude darüber ausdrücden wollte, daß mein Buch, obwohl vielfach gegen den Strom ſchwimmend, zum fünften Male einen Hafen erreicht, jo wäre darin nur halbe Aufrichtigfeit enthalten. Ich hätte im der That noch) länger am Ufer weilen mögen, um ungejtört nach der Unruhe des Ringens an einem freien Fünftlerifchen Gejtalten desjenigen, was man vom Menfchen und jeinen nächjten Verwandten am ficherjten weiß, meine Kräfte zu üben. Sa, ich hatte in diefem Wunſche von der hier auf's Neue erjcheinenden Arbeit, als der Ver— gangenheit gehörend, jchon mit muthiger Lebensluft Abſchied genommen, als das Vertrauen des Berlegers und der Leſer e3 anders entjchied. Und, um mich des Vertrauens nicht allzu unwürdig zu erweilen, entſchloß ich mich, ftatt neuen Wein in alte Schläuche zu gießen, den Schlauch, den die Polemik geliefert hatte, ganz auf- zulöfen, in der Hoffnung, daß der Saft, den er ent- hielt, troßdem geklärt bejtehen und nur freier ſich er— rs 74 —* 2* N A ’ PXP — Pe ar % . 1% F win - - 6 en A ER gießen möchte. Freilich find es alte Leſer, die mir dazu * den Muth verleihen müſſen, und, ſo viel an ihnen liegt, ſind ſie wohl vermögend dazu. Denn dieſer und jener unter ihnen weiß es am beſten, wie viel Selbſt— verläugnung dazu gehört, nur im Stillen ihrer Namen zu gedenken, wenn ich mich hier des Bekenntniſſes er— innere, daß ſie aus meiner Darſtellung vom Kreislauf des Lebens einen guten Theil der Anregung geſchöpft, die ihre Luſt erweckte, mit jugendlichem Forſcherſinn die naturwiſſenſchaftliche Laufbahn zu betreten. Möge mein erneuter Verſuch in harmloſerer Form nicht weniger empfängliche Leſer finden. Rom. r Be Far DEN, 3, Iac. Moleſchott. Borwort zur erſten Auflage. Nachſtehende Blätter übergeben dem deutſchen Volke einen Verſuch, der ſich zu meiner Phyſiologie des Stoff— wechſels für Naturforſcher, Landwirthe und Aerzte nicht unähnlich verhält, wie die Lehre der Nahrungsmittel für das Volk zur Phyſiologie der Nahrungsmittel, welche den Fachmännern einen Leitfaden zu einer vernünftigen Diätetik in die Hand zu legen ſtrebte. Was indeß dieſe Blätter von meiner Lehre der Nah— rungsmittel weſentlich unterſcheidet, iſt die freiere Form, durch die es mir geſtattet war, eine Gedankenreihe, unbe— kümmert um die Vollſtändigkeit eines Lehrbegriffs, tiefer und, wenn ich nicht irre, anregender zu entwickeln, als es die ſtraffere Gliederung des Ganzen und die unmittel— bare Beziehung auf tief einſchneidende Lebensfragen in der Lehre der Nahrungsmittel erlaubten. In allen Fragen, die nicht aus dem täglichen Lebens— bedürfniß entjpringen, ift Anregung des Volks durch die allgemeine Gedanfenentwiclung, die uns zu Menschen macht, ein viel näheres und vielleicht vichtigeres Ziel } IV als erichöpfende Belehrung. E3 war mein Streben, zu zeigen, wie jolche Gedanfenentwiclungen nur dann Leben haben, wenn fie durch das Bild der Thatjachen eine feite, verförperte Geftalt annehmen. Möchte es mir gelungen fein, e3 in anregender Weiſe zu thun. Denn, daß ich es ehrlich ausfpreche, ich wollte auch hier mein Scherf- fein beitragen, um inhaltlofe Sagungen einer willfür- lichen Ueberlieferung durch chemische Wagen, durch Luft- pumpen und Bergrößerungsgläjer vom Lehrjtuhl zu ver- drängen. Unfere Zuftände werden fich nicht eher frei entfalten, big wir jchöpfen aus dem Born der Wirklid)- feit, und dann find wir gleich weit von den Geheimnifjen der Kirche, wie von den Träumen derer, die ſich Idea— fiften nennen und doch zu wenig vertraut find mit dem Ursprung der Idee, um fie in dem offenen Wunder der in Stoff und Formen lebenden Natur zu jchauen. Heidelberg, 3. April 1852. Jae. Moleſchott. LE Offenbarung und Naturgefeb. In dem Staate, der Kunſt und der Natur kommen die Kämpfe, die das Mark unſeres Lebens durchwüh— len, deshalb langſam zur Entſcheidung, weil ſich an dem Widerſtreit der Elemente nicht nur Gegenſätze, ſondern auch Vermittlungen und Halbheiten betheiligen. Weil ſolche Halbheiten zur Entwicklung gehören, ſind ſie offen— bar nothwendig und berechtigt; ſie ſind geeignet, die Aufmerkſamkeit des Forſchers und Darſtellers der Ge— ſchichte in hohem Grade in Anſpruch zu nehmen. Auf dem Gebiete des Staats ſind jene Vermitt— lungen, die der Geſchichtſchreiber als Entwicklungsſtufen nicht überſehen darf, gleich verhaßt für die beiden Macht— haber der Menſchheit. Die Regierungen des heutigen Tages ſtehen und fallen mit der Gnade Gottes. Das Volk kämpft für ſeine menſchliche Einſicht. Volk und Regierung glauben beide nicht mehr an eine Verſöh— nung der Gnade mit der Einſicht, ſie glauben beide weder an die Weisheit, noch an die Würde einer Partei, 2 welche die Gegenjäge göttlicher Erleuchtung und menſch— licher Freiheit zu einigen verjpricht. So weit find viele Würdenträger der Kunft und der Wiſſenſchaft noch nicht gefommen. Hier herricht noch in weiten und fruchtbaren Gauen ein hoffendes oder ängftliches Verlangen, die Beobachtung der Sinne mit der unfinnlichen Eingebung zu verfetten. Wir leben in einer Zeit, in der Könige und Prieſter mit Bürgern kämpfen um die Bauftoffe, welche die Kunjt und die Wifjenichaft zur neuen Weltordnung zujammentragen. Zwiſchen den fämpfenden Parteien jtehen diejenigen, die es mit beiden nicht verderben möchten. Und dennoch find Jich die Offenbarung und die Er- fenntniß mit freigegebenen, aber immerhin gegebenen Sinnen in dem Bereich der Wiſſenſchaft ebenjo jchroff entgegengejegt, wie im Leben des Staats. Wir müſſen zwischen links und rechts dort jo überzeugt wählen wie hier, wenn wir uns das Vertrauen fichern wollen, das überall nur einer unbedingten Folgerichtigfeit in An- Ihauungen und Grumdjägen gewährt wird. Der Standpunkt der Offenbarung beginnt mit der Gnade Gottes. Dieje Gnade findet ihren Ausdrud in den Wunderwerfen der Natur, deren Schönheit die Güte des Weltenjchöpfers verkörpern joll. Auf diefem Standpunkt gilt die Welt als Offen- barung der Größe und Weisheit ihres Urhebers. Dieje * 9) Welt it eine Bildungsanftalt des Menjchen. Ihre Geſchichte vervollfommmet den menjchlichen Geift, der nicht lange zögert, ſich jelbft al3 ein verffeinertes Ab- bild der unergrümndlichen Weisheit zu betrachten. Es iſt ein ganz entjprechender Ausdruck diefer An— ſchauung, daß die Weisheit des Schöpfers alle Erzeug- nifje der Natur zum Wohle des Menſchen beftimmte. Wir brauchen nach einem oberjten Grunde der Weltordnung nicht emſig zu juchen, denn alles was ift, wurde zum Beften, zur endlichen Beglücung der gläubig Vertrauenden im Voraus mit fürforglicher Ueberlegung angeordnet. Ans diefer Anſchauung ſchöpfen Taufende von Ge- müthern die Inbrunſt des Gebet3. Der Weg der Dffen- barung führt zum Beten, nicht zum Forjchen, denn die Weisheit der Vorjehung ift „unergründlich“. Soweit liegt die ftrengfte Folgerichtigfeit in einem Kreije von Borftellungen, welche Heiden und Chriſten, wenn auc) unter verjchtedenen Formen, gemein waren. Die Heiden richteten ihre Gebete nicht an rohe Natur- gewalten, fie beteten zu fürjorglich waltenden Ur— lachen. Jede unerforjchte Naturfraft war ein Gott oder ein Dämon, der ſich durch Opfer und Gebet gewinnen oder jühnen lieh. Hier ift der Punkt, wo fich die Menjchheit in zwei Klaſſen theilt. Der einen gilt die Naturkraft nicht nur für unerforfcht, jondern für unerforichbar; der andern 1* 4 gilt der Zweifel mehr als der Glaube, und indem fie unabläjfig das Werden belaujcht, hält fie es für mög- fich, das Gewordene zu begreifen. Auch die legteren macht ein Glaube jelig, nur ift es ein Glaube, der gejchöpft, nicht eingegeben ward. Es ift die Ueberzeugungsjeligfeit, die in dem Menjchen feimt, der ſich in tagtäglichem vertrauten Umgang mit der Natur befindet, der den Lenz nicht bloß mit lie bender Bruft, jondern mit denfendem Hirn genießt, in der Blüthe die Frucht erwartet, im Weine den Son— nenschein bedenkt und alles in ewig verfettetem Zuſam— menhang erblidt. Wer diejen Zuſammenhang für den Ausdrud eines jelbjtherrlichen Willens halten fann, der mag von einer Dffenbarung die Einficht in jene gewollte Weltordnung erwarten. Aber die Erforjchung des Gejeges iſt ihm verjagt. Ihm iſt es nur gewährt, die Frucht der Er- fenntniß zu foften, um alljogleic) aus dem PBaradieje des Lichts verwiejen zu werden. Denn die wollende Allmacht ijt die Verneinung der Naturnothwendigfeit, und wenn dieje an jener ihre Grenze findet, dann tjt das Geſetz fo ficher aufgehoben, wie in jenen landes- väterlich regierten Staaten, in welchen man von der Güte oder Gnade des Herrjchers erwartet, was nur die ungebeugte Einficht de3 Volkes als unverbrüchliches Recht zu erringen vermag. - >) Darım ift es Bedürfnig der Kirche, nicht Wunder zu erklären, jfondern Wunder auf Wunder zu häufen. Es ift ihr nicht genug damit, daß Chriſtus Wafjer in Wein verwandelt und Todte lebendig gemacht. Die ver- meinte göttliche Eingebung der Evangeliften ift für die Kirche nur lückenhaftes Flickwerk. Sie ift erfinderiſch genug, die Lücken auszufüllen. Aus der reinjten Sage einer jungfräulichen Geburt macht fie durch ftoffliche Verdoppelung einen Glaubensartifel, jie jegt der Ver— flärung der reinften Empfindung des Weibes ein grob zerreißliches Hingefpinnft entgegen, das dazu gemacht icheint, die gähnende Kluft zwiichen Gejeß und Willkür in ihrer ganzen Ausdehnung zu zeigen. Dies war fo folgerichtig, wie wir in Zufunft auch die unbefleckte Empfängniß der Mutter von Marias Mutter vernehmen müfjen, oder wie aus der Unfehlbar- feit der kirchlichen Gemeinschaft zuleßt die perjönliche Unfehlbarkeit des Kirchenfürften folgen mußte. Die Verwirrung beginnt erjt bei denen, die für die Kenntniß der Naturnothiwendigfeit der Offenbarung bedürfen, und hinwiederum die Bibel für ein Buch er— flären, deſſen Siegel zu löſen die Erfenntniß der Na- turgejeße berufen iſt. Wenn wir ung aber ohne Kenntniß der Naturgejege den Schöpfer nicht vorftellen fünnen, wozu dient uns dann die Offenbarung? Und wenn wir die beiten Wahr— 6 heiten nur einer höheren Erleuchtung verdanken fünnen, einer Erleuchtung, deren unjere Sinne nicht fähig jein jollen, wozu dann noc die Erforſchung von Natur— gejegen und Naturerſcheinungen? Entweder hat Chrijtus mit wenigen Broden und noch) wenigeren Fiſchen Tau— jende von Hungrigen gejättigt, und dann jteht die ge- offenbarte Wahrheit über der natürlichen; oder aber wir fünnen uns ohne die Kenntniß von Naturgejegen die höchſte VBorftellung nicht machen, und dann waren jene Tanjende nicht Hungrig. Die eine Annahme jchliegt unwiderruflich die andere aus. Die Halbheit der Vermittlung führt den Unaufrid)- tigen zur Lüge, den Aufrichtigen zur vollendeten Un— £larheit. Dder ift es nicht unklar, wenn man dem Schöpfer gegenüber von Naturgejegen jpricht? Das Naturgejeß ift der ftrengfte Ausdrud der Nothwendigfeit, aber die Nothwendigkeit widerjtreitet der Schöpfung. Dann kann man auch den Schöpfer nicht aus dem Naturgejeß ver: jtehen. Wer es aufrichtig zu thun glaubt, deu hält eine große Anzahl von Menjchen mit Recht für unklar. Forihung und Glaube, beide Haupttriebe des Men— ſchen juchen die Abhängigkeit des Einzelwejens, der Gattung, des Weltenlaufs zu erklären. Allein der Standpunkt der Offenbarung unterjcheidet fi) von dem der Erfenntnig dadurch, daß jene eine 7 Wirkung mit einer Urjache in Berbindung bringt, die durch taujend und mehr andere unbefannte Zwiſchen— glieder vermittelt wird. Je nad) der Bildungsitufe wird die entfernte Urjache anders getauft, anders von Grie- hen und Nömern als von Chrijten, anders von der Bibel als vom Naturforjcher. Aber alle find von dem gleichen rüdjchauenden Bedürfniß getrieben, von dem gleichen Abhängigfeitsgefühl, aus dem Schleiermacher und Feuerbach die Religion erklären. Nur der For— icher begnügt fich nicht mit der Offenbarung einer ent» fernten Urjache, von der er fich feine VBorftellung machen fann. Er jucht für jede Erjcheinung die nächſte Quelle, für jede Quelle einen Grund, weiter und weiter rüd- wärts, jo lange die finnliche Wahrnehmung reicht. Die Folgerichtigkeit von Urfache und Wirkung ift jein Gejeß, ein Gejeg, das er fich nicht vorjchreiben läßt durch Dffenbarung, fondern finden will durch Erfenntniß. Forſchung schließt aljo Offenbarung aus. Jede Ver- mittlung jcheitert an den Wideriprüchen, die es jo vielen helldenfenden Menjchen ermöglicht Haben, aus dem Ge- biet des Glaubens heraus zu gelangen, um in dag Neich des Wiſſens einzudringen. Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn man in dem Lande, in welchem Ludwig Feuerbach ſeine unſterbliche Kritik vom Weſen des Chriſtenthums ge— ſchrieben hat, die Beiſpiele häufen wollte, um den un— 8 löslichen Widerſpruch zu bezeichnen, in welchen die Allmacht eines Weltenichöpfers mit Naturgejegen jteht. Und man fann nur entweder die erhabene Selbjtverleug- nung oder die jeltjame Unflarheit von Naturforjchern bewundern, die nicht müde werden, dort nad Maaß und Negel zu forjchen, wo Eine Willensthat ihrer vor- ausgejegten Allmacht den wanfenden Gang der Er- ſcheinungen plößlich entfejjeln fan von der nothwen— digen Bedingtheit der Wirkungen durch Urjachen. Il. Ebennknißquellen des Wenſchen. So lange die Naturkunde bei den Griechen nicht weiter gediehen war als zur Beobachtung dreier Zu— ſtände des Stoffs, die wir als feſt, flüſſig und luft— förmig bezeichnen, lehrten griechiſche Weiſe das Beſtehen von vier Elementen. Zu Erde, Luft und Waſſer füg— ten ſie das Feuer hinzu, welches die Macht hat, Eis in Waſſer und Waſſer in Dampf zu verwandeln. Nachdem in der Scheidekunſt der neueren Zeit der Begriff des Elements einen Körper bezeichnete, den unſere künſtlichen Mittel nicht weiter in Stoffe von ver— ſchiedenen Eigenſchaften zerlegen können, wuchs die Zahl der Elemente oder Grundſtoffe. Vor wenigen Jahren lehrte man fünfzig, jetzt ſechzig und mehr. Aehnlich erging es der Zahl der Planeten, ähn— lich geht es täglich der Zahl von Pflanzen und Thieren. Mit der Vermehrung beobachtender Menſchen wächſt die Zahl der Körper, der Grundſtoffe, der Sterne, der Pflanzen und Thiere, die in das Bereich menſch— 10 licher Sinne fallen. Es ijt ſeltſam, aber wahr, daß es wifjenjchaftlic) gebildete Männer giebt, die es der Bhilojophie zum Vorwurf machen, daß fie den Mittel- punft des jeweiligen Kreiſes befannter Thatjachen zum Standort wählte, um das Licht allgemeiner Gedanken zu entzünden, daß ihr Licht nicht weiter reichte als der Strahl jenes Kreiſes. Seltſam ijt der Vorwurf befonders deshalb, weil er von einer Schule ausgeht, die ji) mit Vorliebe die geschichtliche nennt. Als wenn es nicht jo natür- lic) wäre, wie es nothwendig ift, daß die Philoſophie nichts weiter darjtellt, als den geiftigen Ausdruc der jedesmaligen Summe von Beobachtungen, die der ſinn— liche Menjch errungen hat. Natürlich aber und noth— wendig iſt dies, weil die Gejchichte eines jeden Jahr— hunderts es eindringlich lehrt. Und warum wird jene Rüge jo häufig gegen die Phi— lojophie ausgejprochen? Aus feinem anderen Grunde, als weil es noch immer Gelehrte giebt, die Philojo- phie und Wiſſenſchaft trennen. Jedermann weiß, wie bald die Menjchheit jenen klaſſiſch goldnen Zeitalter entwuchs, in dem das tiefite Denken mit dem reichjten Wiſſen ungzertrennlich ver- fnüpft war. Denn PBhilojophiren heißt Denken, und Wiſſen heißt Ihatjachen kennen auf den Gebieten der Natur, der Kunſt und des Staats. Es iſt nur einmal 11 da gewejen, das Berjpiel des Ariſtoteles, der dem Naturforjcher eine Fundgrube, der Kunft Gejege, dem Staate Weisheit gab. Aristoteles vermochte es, weil er zugleich Thiere, Kunſtwerke und Menſchen aus eige- ner Anſchauung fannte und feine Anjchauung zu Ge— danfen verarbeitet hat. Nachher war die Philoſophie jo lange die Magd der Wahrnehmungen von Priejtern und Zauberlehr— lingen, daß wir uns nicht wundern dürfen, wenn man auch umgekehrt die Erfahrung in ein dienendes Ver— hältniß zur Bhilojophie hat zwängen wollen. Eben diejes Zerfallen zweier Richtungen, die nur durch ihre Bereinigung das Bedürfniß gereifter Menschen befriedigen, erklärt die jonjt jo widerfinnige Klage, daß die Philoſphie nicht über ihren Schatten ſpringen fünne. Als man bejonders im Weittelalter die friiche Sinn- lichkeit verließ, um des vereinzelten Verſtandes Irr— wahn zu erjchöpfen, da verfrüppelten die Sinne und das Denken. Der Bernunft gebot die Strenge des firchlichen Anjehens oder die Willfür des jchulmeifter: (lichen Spiels, und e3 verfündigte jchon ein Gejunden der erkrankten Sinne, als man ftolz der nüchternen Ueberlieferung der Alten den Rücken kehrte, um ſich mit der Wärme neu feimender Sruchtbarfeit geheimen Berwandtichaften zwijchen der offenbarenden Natur und dem Gefühlsleben der Menſchen hinzugeben. „Die Augen, die an der Erfahrenheit Luft haben, die feien die rechten Profeſſoren“, jagt Paracelſus, und er jprach das Loſungswort der Zeit, die, den großen Brüfjeler Zergliederer Bejal als ihren Luther prei- jend, des Menjchen Herz und Nieren prüft. Aber der Weg der Erfahrenheit ift lang, und wir wifjen nicht, wie weit er ſchon zurücdgelegt iſt. Wir Dürfen uns nicht allzujehr verwundern, daß jeine Wan- derer oft fich fträuben gegen den unerfahrenen Idea— hiften, der ihm die Leuchte der Thatjachen bejchattet. Nur ift es ebenjo natürlich, daß ſich die Philo— jophie auf eine Zeit lang aus dem Strom der unge- läuterten Erfahrung zu retten juchte, um mit’ einem gegebenen Schage von Wahrnehmungen den Verjuch zu wagen, die Geſetze des Denkens für fich zu bejtimmen. So entjtanden Alchemie und Aſtrologie und eine Arzneikunſt, die in Jahrtauſenden wohl allerlei Zeichen und Heilmittel, aber faum ein einziges Gejeß zu Tage gefördert hat. So entſtand die Logik als ein Formular von Schulweisheit, das die jtrebjamjten Köpfe als einen dornigen Umweg zu ihrer Entwidlung erkennen. Wohl uns, wenn der Streit mit diefem Ausſpruch gelöft wäre, wenn ich einfach jagen dürfte, daß das Verſtändniß der Entzweiung allgemein und deshalb die Verſöhnung gefichert jet. Zahlreiche Forjcher einer Neuzeit, zu welcher Veſal 13 und Luther nur die Schwelle bauten, und die fich feit dem Ende des vorigen Jahrhunderts mit langen Ruhezei— ten im Kampfe übt, trennen die Bhilojophie von der Er- fahrung, weil ſie an angeborene Anjchauungen glauben. Seit Kant hat man fid) darin gefallen, die Ma- thematif als eine reine Wiſſenſchaft zu betrachten. Die Mathematik wäre von vornherein eine Bethätigung des menschlichen Denkens, unabhängig von der Erfahrung. Lehrt man es doch den Kindern, daß ſie den höchſten Gipfel des von den Sinnen befreiten Denkens erſteigen können, wenn ſie von einigen Vorderſätzen ausgehen wollen, die als Eigenſchaften ihres Verſtandes mit auf die Welt gebracht würden und nur der geweckten Erinnerung bedürften. Solche Vorderſätze nennt der Mathematiker Axiome, und er überzeugt Kinder und Männer, wenn er ihnen Sätze vorhält, wie da ſind, daß das Ganze größer ſei als ein Theil, und das Ganze gleich der Summe ſeiner Theile. Und doch weiß dies kein Kind, das es nicht hundertmal geſehen hat, wie ein Apfel verſchwin— det, wenn man ihn in vier Stücke zerſchneidet und dieſe Stücke an vier Geſpielen vertheilt. Raum und Zeit ſind nichts weniger als unſinn— liche Vorſtellungen. Kant ſagt, es ſeien Anſchau— ungen, die der Sinnlichkeit angehören. Er ſagt damit zu wenig. Raum und Zeit gehören nicht bloß der Sinn— 14 fichfeit an und find nicht bloße Anſchauungen. Raum und Zeit find Begriffe, aber Begriffe, welche ohne die finnfihe Wahrnehmung des Nebeneinander und Nach— einander nimmermehr gefunden wären. a, die Wahr- nehmung einer räumlichen Veränderung mußte der An- ihauung eines zeitlichen Unterjchieds vorausgehen. Als man die Bewegung des Sandes in der Sanduhr und die Schwingungen des Pendels zählte, da hatte man das Mittel gefunden, um die Zeit durch räumliche Ver— änderung zu mefjen. Umgefehrt maß man die Ent- fernung zweier Orte durch die Zeit, das heißt aber immer wieder durch die finnliche Wahrnehmung der Bewegung am Zeiger einer Uhr, am Schatten oder am Sande. Aller diejer jinnlichen Wahrnehmungen be- durfte es, um Sich zu den Begriffen von Raum und Zeit erheben zu fünnen. Es ift in unjerm Verftande nichts, was nicht ein- gegangen wäre durch das Thor unjrer Sinne. Wer fich recht lebhaft in die Zeit der Kinderjahre zurücverjegen kann, begegnet leicht einer Entwidlungs- stufe, die durch. eine Sehnfucht nad) dem Denken aus- gezeichnet war. Der Knabe reift zum Züngling. Aug’ und Ohr hafchen immer begieriger nad) dem neuen Stoff, der noch allerwärts der Erde ihren frijcheiten Zauber verleiht. Aber das Denken, von dem man begeiftert reden hört, will fich nicht einjtellen. Der 15 Knabe glaubt, er habe feine Gedanfen, weil er das Denfen für etwas ganz Bejonderes hält, weil er noch nicht weiß, daß jede Berarbeitung einer finnlichen Wahr- nehmung ein Gedanfe ift, der ihn zum Denfer übt. Freilich fommt der Heißhunger nac) dem Denfen nicht bloß von dieſer Unwifjenheit. Die Gedanken jcheinen ung arın in jener Zeit der Entwicdlung, weil die Fülle der Thatjachen fehlt, aus denen Die Idee gezeugt wird. Und alle Thatjachen, jede Beobachtung einer Blume, eines Käfers, die Entdeckung einer Welt und das Be- lauschen der Eigenheiten des Menſchen, was ergeben fie denn anders, als Berhältnifie der Gegenftände zu unjern Sinnen? Wenn ein Näderthier ein Auge be= fißt, das nur aus einer Hornhaut befteht, wird es nicht andere Bilder von den Gegenftänden aufnehmen, al3 die Spinne, die auch Linſe und Glasförper auf- zuweifen hat? Darum ijt das Wiſſen des Inſekts, die Kenntnig der Wirkungen der Außenwelt für das Infekt auch eine andere als für den Menfchen. Ueber die Kenntniß jener Beziehungen zu den Werkzeugen jeiner Auffafjung erhebt jich fein Menjch und fein Gott. Alſo wiſſen wir freilich alles für uns, wir wiſſen, wie die Sonne fcheint fir uns, wie die Blume duftet für Menichen, wie die Schwingungen der Luft ein Menſchenohr berühren. Mean hat dies ein bejchränftes Wiffen genannt, ein menschliches Wiſſen, bedingt durch 16 die Sinne, ein Wiſſen, das den Baum nur beobadıtet, wie er für uns it. Das ift wenig, hieß es, man muß wiſſen, wie der Baum an fi) ift, um nicht länger zu wähnen, er jet jo, wie er uns jcheint. Wo aber ift denn der Baum an fi, den man juchte? Setzt nicht jedes Willen einen Wifjenden vor— aus, aljo ein Verhältniß von dem Gegenjtande zum Be- obachter? Der Beobachter jei Wurm, Käfer, Menſch, wenn es Engel giebt, er jei ein Engel. Wenn Beide find, der Baum und der Menjch, jo iſt es für den Baum jo nothwendig wie für den Menjchen, daß er zu dieſem in einer Beziehung ſteht, die Jich eben fund- giebt durch den Eindrud auf das Auge. Ohne ein Berhältniß zu dem Auge, in das er feine Strahlen jendet, ijt der Baum nicht da. Gerade durch diejes Berhältniß ift der Baum für jid. Wenn ein jolches Verhältnig jih für Wurm und Käfer wiederholt, jo folgt daraus nicht, daß ſich der Baum vervielfacht, jondern nur, um mathematijch zu reden, daß fich derjelbe Baum durch verjchiedene For— meln ausdrücen läßt, ähnlich wie ſich die Yallhöhe bejtimmen läßt durch eine Formel, in welcher das eine Mal das Quadrat der Fallzeit, das andere Mal das Quadrat der am Ende der Fallhöhe erreichten Ge- Ihwindigfeit vorfommt. *) ee — W953 17 Gejegt die ganze Summe der Eindrüde, die der Baum auf den Menjchen macht, wäre in Eine Formel zufammengedrängt, und ebenjo die Gejammtheit der Beziehungen zwilchen Käfer und Baum, zwischen Baum und Wurm, jo würde man drei Werthe haben, die unter ſich verjchieden find, weil, wenn wir den Baum zum Zähler des Berhältniffes machen, der Nenner ver- änderlich ift, aber jeder dieſer Werthe hätte gleichen Be- ſtand und ließe den Baum in jeiner Einfachheit unange- fochten, ähnlich wie das Kochſalz Kochjalz bleibt, obwohl es in Wafjer löslich, in Del dagegen unlöslich ift. Könnte man aus der Schöpfung ein Gattungsglicd wie Menſch oder Käfer ftreichen, jo würde dadurch der Baum nicht aufgehoben. Man hätte nur in einem der bezeichneten Berhältniffe den Nenner gleich Null zu jegen, und es würde daraus allerdings hervorgehen, daß das Produkt des Verhältnifies mit dem ausge- jtrichenen Gattungswejen Null wäre”), mit andern Worten, daß auch der Baum für das ausgeftrichene Gattungswejen verjchwände. Der Baum bliebe immer Baum, durch die Berhältnifje, in denen er zu ande- ven Dingen ſteht. Nur vergejje man nicht, daß jene Streihung eines Gattungsgliedes eine ganz willfürliche Annahme wäre. Der einzelne Menjch kann wohl ein 15 Auge zudrüden; die menſchliche Gattung aber kann man ſich nicht aufgehoben denfen, ohne daß Damit das Weltall und die in demjelben gegebenen Beziehungen, alſo auch die Welt au fih eine Aenderung erlitten. Kennten wir für alle Dinge und Wejen im Weltall die Gejammtheit aller Beziehungen, in denen fie zu jedem anderen ftehen, jo wäre die Summe aller For- meln, welche dieje Beziehungen zujammenfaßten, dem Weltall gleich. Die Beränderlichfeit des Weltalls zu- geben, heißt die Beränderlichkeit jener Beziehungen an— erfennen. Aber auf jeder durch eine gewilje Dauer bezeichneten Entwicklungsſtufe, und wäre fie noch jo furz, ſind jene Beziehungen der Ausdruck wejenhafter Kothwendigfeit, und außer dieſen Beziehungen hat der Dinge Weſen feinen Beitand. Alles Sein ift ein Sein durch Eigenjchaften. Aber e3 giebt feine Eigenschaft, die nicht bloß durch ein Berhältniß beiteht. Die Verhältnifje fünnen mehr oder weniger einge- Ichränft werden. Sp wie aber die Wejen und Dinge beitehen, läßt jich von feinem derjelben ein Merkmal angeben, das nicht durch das Verhältniß zu einem anderen Ding oder Wejen gegeben iſt. Und wollte die Einbildungskraft fich alle Dinge aufgehoben denfen bis auf ein einziges, jo würde fie eben an der Wirk- lichkeit jcheitern. 19 Der Stahl iſt Hart im Gegenjab zur weichen Butter. Kaltes Eis fennt nur die warme Hand, grüne Bäume ein gejundes Auge. Dder iſt grün etwas Anderes als ein Verhältniß des Lichts zu unjerm Auge? Und wenn es nichts Anderes ijt, ift das grüne Blatt nicht für fich, eben deshalb, weil es für unjer Auge grün ft? Dann aber tft die Scheidewand durchbrochen zwischen dem Ding für uns und dem Ding an ih. Weil ein Gegenſtand nur ift durch feine Beziehung zu anderen Gegenständen, zum Beiſpiel durch jein Verhältniß zum Beobachter, weil das Wifjen vom Gegenftand aufgeht in der Kenntniß jener Beziehungen, jo ift all unfer Wifjen ein gegenjtändliches Wiſſen. Hierdurch wird nicht ausgejchloffen, daß der Ein- druck auf die Sinne in Schein und Irrthum gehüllt fein kann. Wenn aber das unerfahrene Kind glaubt, daß der Mond mit Händen zu greifen jei, jo wird dadurc das menjchliche Wiffen nicht berührt. Denn das menjch- liche Wiſſen iſt nicht das Wiſſen eines Kindes, eines Mannes oder Weibes, es ijt das Wiſſen der Menfchheit. Das menschliche Wiſſen ift nicht bei Ariftoteles oder Galen, auch nicht bei Newton und Cuvier, es iſt nicht im neunzehnten Jahrhundert. Durch feinen vereinzelten Zeitraum läßt Jich das Willen der Menich- heit mejjen. 20 Warum? aus einem jehr einfachen Grunde. Zu— erjt entwidelt fich die Sinnesfraft des Kindes, Das Kind lernt jehen und greifen. Aber ebenjo die Gat- tung. Die Menjchheit lernt erjt Land und Luft mit einander vergleichen nach ihren roheſten Merkmalen; dann Thier und Thier, und Thier und Pflanze. Lange verweilt fie bei der äußeren Form. Sie iſt glücklich zu wifjen, wodurd fich Pferd und Ejel ficher unter- icheiden lafjen, auch der größte Ejel von dem kleinſten Pferde. Bewaffnet ji das Auge, danır mißt der Menſch die Entfernung der Sterne, er mujftert die feinften Fafern und Bläschen feiner Eingeweide. Kurz, die Entwicklung der Sinne ift die Grund- lage für die Entwicdlung des Wiſſens. Wir befigen gar treffliche Werfe über die Gejchichte von Schlachten und Staatsformen, genaue Tagebücher von Königen und herrliche Erörterungen über die Schöpfungen der Dichter. Aber den wichtigjten Bei- trag zu einer Bildungsgejchichte des Menjchen in der eingreifendften Bedeutung des Wortes hat noch Nie- mand geliefert. Uns fehlt eine Entwidlungsgeichichte der Sinne und damit die Vorjchule zu jeder ächten Bildungsgeichichte der Menichheit. Die reichte Belohnung würde dem Schriftiteller zu Theil fallen, der vor allem die nöthige Kenntniß 21 der Natur mit einer marfigen Gabe lichtvoller Dar- jtellung verbindend, zu jchildern vermöchte, wie das Fernrohr die Erde um ihre bevorzugte Stellung im Mittelpunkte des Weltalls brachte, wie das Mikroſkop die Verwandtichaft zwischen Pflanzen, Thieren und Menſchen aus der VBerwandtichaft der Keime herge- leitet, wie die Wage die Unfterblichfeit des Stoffs bewiejen und die Wärme auf ein Maaß bewegender Kräfte zurückgeführt, wie eine eleftriiche Vorrichtung den Menschen als einen überall bedingten Ausfluß von Naturgejegen erfennen lehrt, der mit Hülfe eines Prisma den Lichtitrahl zwingt, ihm die Mifchungs- beitandtheile ferner Welten zu verrathen. sh habe unwillfürlich gezeigt, warum uns Die Entwielungsgeichichte der Sinne fehlt. Ste muß uns fehlen, weil eben jegt die Menschheit fräftiger als je die Thaten dieſer Gejchichte unternimmt. Und das Gewifjen fommt erjt nach der Handlung. Nur ſollte eben deshalb Niemand über Zerjplitte- rung klagen. Wir leben in einer Zeit, in der die Fortichritte der Sinne auf dem Gebiet der Wiljen- Ichaft ebenfo reißend find, wie in dem Strom des Lebens. Wenn wir die Gedanken der Engländer über den Kanal her mit Blißesjchnelle durch die elektrischen Ströme des unterjeeischen Telegraphen vernehmen, wenn der raftlofe Verkehr auf unſern Schienenwegen alle 22 Beichränfungen der Preſſe und der Lehrfreiheit umgeht, alle Thorheit in dem verborgenften Erdenwinfel wie auf den Gipfeln der Erdenmacht aufdect, jo hat der Haturforicher in dem Verhältniß des Lichts zu Kry— Itallen eine Berfeinerung feiner Augen und Taſtwerk— zeuge gewonnen, welche in die Anordnung der feiniten Theilchen eines regelmäßigen Körpers ebenjo tief ein- dringt, wie der prüfende eleftrijche Strom in das feine Getriebe der Nerven, durch welche die Menjchen ſich bewegen, empfinden und denken. Die Vervollfommnung der Mittel zur Beobachtung und namentlich die der Meßwerkzeuge ſchafft geräujch- los in der Werkitatt des Naturforjchers, während der Dampfwagen, der braufend und feuchend dahin rollt, auch den Unaufmerfjamen belehren fann über Die wachjende Macht von Aug’ und Ohr, mit welcher der Menſch den Erdball umfaßt. Vermehrung der Werkzeuge zu finnlicher Wahr- nehmung wirft mindeftens ebenjo fruchtbar wie die der Bollendung immer näher rücdende Steigerung ihrer Schärfe und Sicherheit. Wie furz liegt die Zeit hinter ung, in welcher gute Mifrojfope und genaue Wagen zum jeltenen Bejig einzelner Bevorzugter gehörten, die häufig pochten auf den geheimen Schatz ihres Werkzeugs, durch das fie der Welt hochweiſe Orakel verkündigten, die Wenige prüften. Jetzt find aller- 23 wärts Mikroſkope in Thätigfeit; ein Beobachter in Amerifa berichtigt, wenn ein Forjcher in Europa fehlen follte, und umgefehrt. Und wenn es allein in Deutſch— fand fünfzig und mehr Chemiker gibt, die mittelft feiner Wagen denjelben Körper, bei gleichen Wärmegraden getrodnet wägen, und ebenjo die Bejtandtheile, in welche fie den Stoff zerlegten, wenn heutzutage ebenjo Biele die fünftliche Verbindung von Stoffen zum Lieblingsgegenftand ihrer Forſchungen erforen, dann fann es nicht fehlen, daß uns wenige Jahre in der Er- kenntniß der innern Zuſammenſetzung des Stoffs weiter bringen müſſen, als es die kühnſten Denker verfloſſener Jahrhunderte zu ahnen ſich getrauten. Iſt es denn Zerſplitterung, wenn bei ſolcher Aus— bildung der ſinnlichen Wahrnehmungskraft die That— ſachen ſich häufen, ſo daß der Einzelne nur zu oft vergeblich ringt, um des raſtloſen Treibens in einer begrenzten Strecke Herr zu bleiben? Oder werden wir, ruhig wartend auf die einheitliche Idee, die alles Wiſſen von der Stufe der Kenntniſſe zur Weisheit erhebt, der Zukunft entgegenſehen, in welcher die rieſigen Vorräthe an Bauſtoffen, die ein neues Ge— ſchlecht geſammelt, ſich zum organiſchen Kunſtwerk zuſammenfügen? Entwicklung der Sinne iſt die Grundlage der Entwicklung des Verſtaudes der Menſchheit. 24 Hat der Menjch alle Eigenjchaften der Stoffe er- foricht, Die auf feine entwidelten Sinne einen Ein- druck zu machen vermögen, dann hat er auch das Wejen der Dinge erfaßt. Damit erreicht er fein, d. h. der Menschheit abjolutes Wiffen. Ein anderes Wiſſen Hat für den Menjchen feinen Beitand. Indem wir aus den Eigenschaften vieler Körper, aus den Merkmalen verjchtedener Erjcheinungen das Allgemeine herausfinden, gelangen wir zum Gejeb. Nach früheren Borftellungen einjeitiger Weltweijen wäre das Gejeb ein Vorderſatz des Verjtandes, von dem die Jinnliche Beobachtung ausgienge. Das Geſetz jollte ein freies Maaß jein, das der Geiſt mit Hülfe der Sinne den Erjcheinungen anlegt. Man hat jedod) die Beftätigung mit der Auffindung des Gejeges ver- wechſelt. So wie ich aus einer Reihe von Thatſachen das Gemeinſame herausgefunden, habe ich die Thatſachen in einen Gedanken, die Beziehungen zu den Sinnen in ein Verhältniß zum Hirn überſetzt. Das Merkmal eines Gedankens iſt die Zeugungsfähigkeit aus dem menſch— lichen Hirn. Aber das zuerſt Befruchtende iſt die ſinn— liche Wahrnehmung. Wenn ich aus Einzelheiten den allgemeinen Gedanken herausgeleſen habe, prüfe ich deſſen Anſpruch auf den Namen eines Geſetzes. Wenn jede folgende Beobachtung mit jenem Gedanken in 25 Einklang fteht, dann ift das Gejeg gefunden. ch gehe aljo Häufig mit einem Gedanfen an die Beobachtung neuer Ihatjachen, ich prüfe dag vermeintliche Geſetz durch den Berjuch unter verschiedenen Bedingungen. Aber dem Gedanken, dem vermeintlichen Geſetze, lag immer vorher eine Reihe finnficher Wahrnehmungen zu Grunde. Co iſt denn das Geſetz nur durch Erfahrung zu finden. Aber die Erklärung des Gejebes, wird man jagen, fie ift doch eine reine That der Bernunft ohne alle Dazwijchenfunft der Sinne. Mit nichten. Eine gute Erklärung führt nur die Erzählung weiter zurüd. Die Erklärung ift richtig, wenn die eine Erzählung zur andern ftimmt. Wenn alle Gejeße erzählt find, ohne daß Ein Widerjpruch zurückbleibt, dann ift die Welt dem Men— ſchen erklärt. Hieraus ergiebt ſich demnach ein für allemal, daß das Gejeß ein aus den jinnlichen Merfinalen abge- feiteter Gedanke ift. Das Geſetz ift nach Erfahrungen gedacht, gefunden, und deshalb ift es faljch, wenn die Gedankenſpinner vom Gejebe ausjagen, daß es „Das Ganze conftruirt". Wer ſolchem Ausipruch Huldigt, ſteht auf dem mit Necht getadelten und oft verfannten Standpunkt der Naturphilofophen in der übeln Bedeutung des Worts. So lange das Gefeß die Welt baut, ſtatt aus der Welt 26 hervorzuleuchten, jo lange jchlummert die Erfenntniß in dem dunklen Schooße einer Zeit, die das Denken der Erfahrung gegenüberftellt. Unter den Forichern, die an diejen Gegenjag glauben, wähnen Einzelne, daß ſie viel einräumen, wenn fie in die Behauptung einftimmen, daß die Phi— (ojophie der Hülfe der Erfahrung bedarf, und die Er- fahrung hinwiederum nicht jein kann ohne das Denken. Aber das iſt wenig. Nur wenn die Ihatjachen getragen jind von dem Gedanken, und wenn dem Ge- danken fein anderes Necht eingeräumt wird, als das geichichtliche, das von der Beobachtung, von der Gnade der Sinne ſtammt, dann iſt des Willens Ruhm erbeutet. Nur wenn die Anjchanung zugleich Gedanfe ijt, wenn der Verſtand mit Bewußtſein jchaut, dann ift der Gegen— jaß vernichtet zwijchen Philoſophie und Wiſſenſchaft. Kurz, nicht die gegenjeitige Hülfeleiftung begründet den neueren Bund zwiſchen Erfahrung und Weltweis- heit. Die Erfahrung muß aufgehen in der Philojophie, die Philojophie in der Erfahrung. Dann wird die lage verftummen über das ameijen- artige Sammeln der Handlanger, aber dann wird man auch nicht mehr den Gedanken, der überall im Stoffe [ebt, als naturphilojophiiche Träumerei zu geißeln fich vermeflen. — — III. Anſterblichkeit des Stoffs Am achten Mai des Jahres 1790 begann auf den Vorſchlag Talleyrand's in Paris eine Arbeit, deren Einfluß von jedem kommenden Gejchlechte höher gejchäßt werden wird, weil jte die menschlichen Sinne mit einem Hülfsmittel der Unterjuchung bereichert hat, das von feinem anderen übertroffen worden iſt und in der Allgemeinheit der Amvendung von feinen an— deren übertroffen werden kann. Das Eude des vorigen Sahrhunderts bejchenfte die Welt mit einer Gewichtseinheit, die auf jo Jicherer Grundlage ruht, daß jelbjt die HYerftörung aller jeßt vorhandenen Gewichte und Meßwerkzeuge uns in feine Danernde Berlegenheit jeßen fünnte. Um dieje Gewichtseinheit zu finden, hat man den zehnmillionften Theil eines Viertels des Meridians der Erde gemefjen. Diejes Längenmaaß ift der Meter. Mit der Einheit des Maaßes war die Einheit des Gewichts gefunden. Ein Würfel reinen Wafjers, defjen Kanten die Länge des zehnten Theils eines Meters 28 haben, wurde dem Gewicht als Einheit zu Grunde gelegt. ° Das Gewicht eines folhen Würfels von reinem Wafjer nannte man ein Kilogramm. Bon der Sicherheit in Maaß und Gewicht hing die Ausbildung der Chemie, der Phyſik, der Phyſio— logie in gleichem Grade ab. Maaß und Gewicht find die ftrengften NRichter über alle Meinungen, Die ih) auf eine minder vollftändige Beobachtung ſtützen. Bevor Zavoifier fich jener treuen Führer bei der Erforschung des Vorgangs der Verbrennung bedient hatte, glaubte man, daß den brennbaren Körpern ein Senergeift innewohne, dejjen Vertreibung die Bedingung des Verbrennens abgeben jollte. Da wies Lavoiſier nach, daß die Erzeugniffe der Verbrennung jedesmal Ichwerer find als der Körper, der verbrannte. Wenn Holz verbrennt, dann entjtehen Kohlenjänre, Wafjer, Ammoniak und Aiche. Kohlenjäure, Waffer, Ammoniak und Ajche find zufammengenommen jchwerer als das Holz, und zwar genau um jo viel Schwerer, als das Gewicht eines Beftandtheils der Luft beträgt, mit dem jih das Holz bei der Verbrennung verbindet. Eine jede Verbrennung ift nichts Anderes, als eine Auf: nahme von Sauerftoff. Das Gewicht des Sauerftoffs vergrößert das Gewicht des verbrennenden Körpers. Alſo müfjen alle Körper durch Verbrennung jchwerer werden. 29 Kur das Gewicht hat in Lavoiſier's ſchöpferiſcher Hand diejen Nachweis geführt. Stahl’3 Feuergeift, der Die brennbaren Körper vor der Verbrennung leichter machen jollte, war hierdurch unrettbar geftürzt. Stahl’s ältere Anficht war fein Fehler des Denkens, ihr lag ein Mangel der Beobachtung zu Grunde. Der Begriff der negativen Schwere aber, der ih in die Bande der vervollkommneten Wahr- nehmung jchmiegen jollte, hatte von vornherein feine Lebenskraft. Ein Stoff, der durch jeine Gegenwart leicht macht, war in Streit mit aller finnlichen Auf- faflung des Menschen. Ein Feuergeift, der durch fein Entweichen dag Gewicht eines Körpers vermehrt, wäre gleichbedeutend mit einer Kraft ohne Stoff, die ſich im finnlich frifchen Leben niemals Geltung erworben. Wenn man darüber flagt, daß die Heilkunde in ihrer Entwiclung allen anderen Naturwifjenjchaften nachjteht, jo hat man nur in der fehlenden Anwen— dung von Maaß und Gewicht den Grund des That- bejtandes zu juchen. Freilich muß man erft den Stoff fennen, den man wägen joll. Hierzu mußten vor allen Dingen die Naturkundigen, Phyſiker und Chemiker, dem Arzt verhelfen. Tadel verdienen deshalb nur die vornehmen Forjcher, die das Wirken der Heilkunde gering jchägen, während fie, zufrieden mit der Sicher- heit ihrer Forichungen über Stein und Stahl, fich 30 nicht einlafjen auf die Schwierigkeiten, die der lebende Körper dem Verſuch entgegenjtellt. Die Aerzte, welche die Fortichritte von Chemie und Phyſik nicht gewiſſen— haft benützen, find freilich mehr Stranfenwärter als Heil- fundige; fie gehören nicht zur Wifjenjchaft und find vor dem Nichterftuhl der Forſchung nicht zurechnungsfähig. Die Heilfunde aber hat von jeher eher den Tadel ver- dient, daß fie allzu begeistert und fiegesfroh den Fort— ihritten der Naturkunde ihren Ausdruck verlieh, als daß ſie mehr als nothwendig zurücgeblieben wäre hinter dem weitab liegenden Ziele, dem fie nachitrebt. Es ftände jchon heute um- die Arzneifunde ganz anders, wenn Die Aerzte, jtatt Meinungen zu Dichten, nur fünfzig Jahre lang einen Stoff, der befannt wäre, mit der Wage hätten prüfen fönnen. Die Meinung ift ein Ausdruck ftumpfer, ungeübter Sinne. Daß jene fünfzig Sabre indeß bereits begonnen haben, wer wüßte es nicht, der die Arbeiten fennt von Liebig und Mul- der, von Negnanlt und Andral, von Dumas, Berthelot und Biria? Und gewiß fommt die Zeit, in der auch ein genauer Naturforjcher, jo beredt wie Liebig dem Stein der Weijen, dem jeßigen Bemühen der Aerzte den Geist einhauchen wird, der die gejchicht- lich urtheilende Nachwelt zum Danfe verpflichtet. Durh die Wage erfährt man die Menge der flüchtigen Erzeugnifje der Verbrennung jo genau, wie al das Gewicht der Aiche. Die Wage lehrt, daß die Kohlen- fäure, die einen Hauptjtoff der verbrannten Körper darjtellt, die Pflanzen jchwerer macht, im Frühling die grünen Fluren hervorzaubert und ein Reis mit wenigen Blättern in einen Wald verwandelt. Des Wal- des Vorrath wird verbrannt, und in neuen Strömen fließt die Kohlenjäure unſern Feldfrüchten zu. Die Frucht nährt den Menjchen, der Harn düngt den Acer. Und in allen diejen taujendfältigen Wanderungen folgt die Wage dem Stoff. Der Wald jpeichert nicht mehr Kohlenstoff auf, als Luft und Erde ihm bieten. Der begrenzte Saueritoff- gehalt der Luft jet der Verbrennung eine Grenze. Dem Maaße der Verbrennung entjpricht die Menge der Koh— lenjfäure, der Menge der Kohlenjäure die Schwere des Grajes. Und das Gras finden wir wieder in Koth und Harn und den jonjtigen Ausscheidungen der Kuh. Auch nicht der Eleinfte Theil des Stoffs geht verloren. Was der Menſch ausjcheidet, ernährt die Pflanze. Die Pflanze verwandelt die Luft in feite Beftandtheile und ernährt das Thier. Naubthiere leben von Pflanzen— freffern, um ſelbſt eine Beute des Todes zu werden und neues feimendes Leben in der Pflanzenwelt zu verbreiten. Diejem Austaujch des Stoffs hat man den Namen Stoffwechjel gegeben. Man jpricht das Wort mit Necht 32 nicht ohne ein Gefühl der Verehrung. Denn wie der Handel die Seele ift des Verkehrs, jo iſt das ewige Kreiſen des Stoffs die Seele der Welt. „In einem Syjteme, wo alles wechjeljeitig anzieht „und angezogen wird, kann nichts verloren gehen; die „Menge des vorhandenen Stoffs bleibt immer diejelbe.“ (Georg Forfter.) Weil der Vorrath des Stoffs fic) weder vermehrt, noch vermindert, darum find auch die Eigenschaften des Stoffs von Ewigfeit gegeben. Die Wage ijt es wieder, die es unumftößlich be- wiejen hat, daß fein Stoff eines lebenden Körpers eine Eigenschaft befigt, die ihm nicht mit dem Stoff von außen zugeführt wurde. e Pflanzen und Thiere verändern ihre Bejtandtheile nur durch Stoffe, die fie der Außenwelt entlehnen. Alle Thätigfeit im wachjenden Baum und im fämpfenden Löwen beruht auf Verbindungen und Zerjegungen des Stoffs, der ihnen von außen geboten wird. Kein Grumdftoff, der es wirklich iſt, läßt jich in einen anderen verwandeln. Fluor ijt der einfache Körper, der unter allen regelmäßig vorfommenden im menschlichen Leib in der geringften Menge enthalten it. Aber fehlen kann er nicht, weder in Knochen und Zähnen, noch im Blute. Wir wifjen es aus den Unter- juchungen der neueften Zeit, daß wir diejes Flüor er— 39 halten in den Getreidefamen und in der Milch, die ohne Fluor den Säugling nicht vollftändig ernähren könnte. Bewegung der Grundſtoffe, Verbindung und Tren— nung, Aufnahme und Ausſcheidung, das iſt der In— begriff aller Thätigkeit auf Erden. Die Thätigkeit heißt Leben, wenn ein Körper ſeine Form und ſeinen allge— meinen Miſchungszuſtand erhält trotz fortwährender Veränderung der kleinſten ſtofflichen Theilchen, die ihn zuſammenſetzen. Aus dieſem Grunde ſpricht man bei lebenden Weſen von Stoffwechſel. Der lebloſe Körper, der Fels, ver— wittert, verliert an Stoff und verändert dabei ſeine Form. Stoffwechſel und Verwitterung ſind bezeichnende Unterſchiede zwiſchen lebenden und todten Gebilden. Indem die Gebirge unausgeſetzt die Einwirkung von Kohlenſäure, Waſſer und Sauerſtoff erleiden, ſind ſie der Verwitterung preisgegeben. Eiſenoxydul iſt eine Verbindung von Eiſen und Sauerſtoff, die weniger Sauerſtoff enthält als Eiſenoxyd. Wenn ſich Eiſenoxy— dul durch Aufnahme von Sauerſtoff in Eiſenoxyd ver— wandelt, dann wird es roth; das iſt ein Fall der Ver— witterung, den wir täglich vor Augen haben, wenn die ſchwarze Ackererde, die wir heraufgraben, nach einiger Zeit eine röthlich graue Farbe annimmt. Waſſer löſt den Gyps, heißes Waſſer unter hohem Druck den Feld— ſpath, Waſſer mit Kohlenſäure den Quarz. 34 Alle dieſe Wirkungen erfolgen äußerſt langjam, aber die Schnelligkeit wird durch die Dauer erjegt. Wenn die Fenſter blind werden in Ställen und auf Miftbeeten, und wenn der Granit jeinen Glanz verliert, jo ſind überall die gleihen Mächte der Bermwitterung thätig. Die Sauerftoffmenge, die das Eijenorydul in Eiſen— oxyd verwandelt, das Waller, das dem Feldſpath jein fiejeljaures Kali entzieht, die Kohlenjäure, die erfor- derlih ift, um dem Sand einen Theil jeines Kalfs zu rauben, find dem Gewichte nach befannt. Der Chemifer hat den Zahn der Zeit gewogen. Granit verwittert, weil er fi) mit dem Zahn der Zeit verbindet. Kohlenſäure, Waller und Sauerſtoff find die Mächte, die auch den feſteſten Feljen zerlegen und in den Fluß bringen, dejjen Strömung das Leben erzeugt. Wenn der Feldjpath verwittert, jo erhält die Pflanze im Acer das lösliche Eiejelfaure Kali, das ihr Wachs— thum möglich macht. Durch die Zerlegung des Apa- tits, der jo reich ift an phosphorjaurem Kalk und außer- dem eine erhebliche Menge Fluor enthält, werden der Gerſte und aljo auch unferm Blut und unjern Knochen Phosphorjäure und Fluor zugeführt. Weil der Aufbau auf den Umfturz gegründet tft, darum ift die Bewegung raftlos und darum das Leben verbürgt. oO [923] Die Unveränderlichfeit des Stoffs, des Vorraths und der Eigenschaften, und die gegenjeitige Verwandt— ihaft der Elemente, das heißt ihre Neigung, fich mit einander zu verbinden, begründen die Ewigfeit des Kreislauf. Die Unfterblichkeit des Stoffs offenbart jih in der Berwitterung der Felſen. Eo tft denn der Zahn der Zeit nichts weniger als eine zerjtörende Macht. Er ift, im Bunde mit der Sonne, die Triebfeder, durch welche die Erde grünt und blüht, die Thiere jchaffen, die Menfchen empfin- den und denfen. Und jelbjt der Künſtler follte nicht verzweifelnd jammern, wenn von Jahrhundert zu Jahr» hundert der Marmorblocd zeritiebt, den ein Kunftwerf zum Tempel weihte. Der Marmor bleibt und mit ihm der prometheijche Funke, der neue Kunſtgebilde ſchaffen wird. Denn der Stoff it unſterblich. 36 13. Das Wahsthum von Pflanzen und Thieren. Bei den Bergnegern Guinea's wird an einigen Orten eine Pflanze, die nach Art der Meerlinien auf dem Waller ſchwimmt und unter Anderen auf Cuba, Domingo und dem benachbarten Feitlande Amerika’s ftille Gewäfjer in reicher Menge überdedt, in großen Zöpfen voll Wafjer an der Hausthür unterhalten. Hierdurch wird die Abkühlung in ähnlicher Weije er- reicht, wie in Indien und andern warmen Ländern durch die Begießungen des Fußbodens. Won den Blät- tern jener Pflanze verdunftet das Waſſer außerordent- lich raſch. Iſert, ein dänischer Arzt, fand, daß ein Gefäß voll Waſſer mit jener Pflanze in gleicher Zeit jechsmal jo viel Wafjerdampf in die Luft entweichen ließ, als ein anderes, in dem fein Bflänzchen wuchs. Dieſe Berdunftung iſt ihrerjeits eine der mäch— tigjten Urjachen des Aufnehmens gelöfter Stoffe durch die Bilanzenwurzel. Es ijt eine dem Laien geläufige Vorjtellung, daß die Pflanzenwurzeln den Saft, der jie in der Ader- 37 erde umgiebt, aufſaugen wie ein Schwamm. Allein es iſt von ſchwammförmiger Beſchaffenheit an den fein— ſten Wurzelfaſern auch nicht eine Spur vorhanden. Der Uebergang gelöſter Stoffe in die Wurzel er— folgt vielmehr mittelſt einer allgemeinen Eigenſchaft der Häute von lebenden Weſen, die darin beſteht, daß ſie eine Wechſelwirkung zwiſchen zwei Flüſſigkeiten zulaſſen, auch wenn dieſe durch eine ſolche Haut von einander getrennt ſind. Wenn man eine Glasröhre, die an beiden Seiten offen iſt, mit der Oberhaut eines Blattes von einer Fackeldiſtel, einer Aloe oder irgend einer andern Pflanze an dem einen Ende zubindet und nun von der andern Seite eine Kochjalzlöfung eingießt, dann dringt, wenn man die Röhre frei Hinhängt und das Zubinden ge— hörig bewerfitelligt war, fein Stochjalz durch die Ober- haut Hindurdh. Sowie man aber die Röhre in ein Gefäß mit reinem Waſſer jtellt, geht in furzer Zeit Kochjalz aus derjelben in das äußere reine Wafjer über, und zugleich wächjt die Flüſſigkeitsſäule in ihrem In— neren. Denn rascher als das Salz durch die trennende Haut hindurch zum Waſſer geht, jtrömt diejes der Nich- tung der Schwere entgegen zum Salzwaſſer hinüber. So kann man mit Hülfe des Wafjers außerhalb der Nöhre in verhältnigmäßig kurzer Zeit einen Theil des Salzes iiber die anfangs faum zur Hälfte gefüllte 38 Röhre Hinausheben. Weil nämlih das Wafjer viel rajcher durch die trennende Haut hindurch zum Salz- waſſer jtrömt, füllt fic) die Nöhre bald bis an den oberen freien Rand. Steht fie geneigt, dann fließt bald an der einen Seite des Nandes ein Tropfen Salzwajjer über. Der Tropfen läßt jein Wafjer verdunjten. Eine Salzkrufte bleibt zurücd. Ueber dieje hinaus fließt ein neuer Tropfen nac) und immer wieder einer, die alle ihr Waller verdunften lafjen. In wenigen Tagen iſt die eine Seite der Röhre mit einer Salzauswitterung bedeckt. Man denke fich nun die Röhre auch an ihrem oberen Ende mit der Oberhaut eines Blattes zugebunden und Itatt mit Salzwafjer in ihrer ganzen Höhe mit reinem Waller gefüllt. Taucht man darauf das eine Ende in eine Kochjalzlöjung, dann dringt Kochjalz durch die tren— nende Haut in die Röhre. Nach oben fann durch die Dberhaut wohl Wafjer verdampfen, es quillt aber fein Salzwafjer durch fie hindurch. In Folge diejer Verdun— tung würde in der Röhre unter der oberen Haut nad) einiger Zeit ein nur mit Wafjerdampf erfüllter Raum entstehen, wenn nicht der Luftdruck auf das umgebende Salzwafjer leßteres in die Röhre triebe. Verdunſtung und Luftdrucd vereint wirken wie ein Pumpenwerk. Es ijt nichts leichter, als fich den Pflanzenftengel ſammt feiner unteren Fortjegung, der Wurzel, als eine 39 oben und unten, aber aud) noch rings au den Seiten durch Oberhaut verſchloſſene Röhre vorzujtellen. Die Wurzel ift das Ende, das in die Salzlöjung taucht; fie enthält einen jauren Saft, dem bei der Aufnahme der anorganischen Verbindungen aus der Aderfrume eine einflußreihe Rolle zufällt. Der Stengel erhebt fi) frei in die Luft. Bon jeiner Oberfläche verdumitet Wafjer. Und außer der Berwandtjchaft zwijchen dem ſauren Saft der Wurzel und der Flüjligfeit der Ader- erde ift es die Verdunftung von oben, welche mit Hülfe des Luftdrucks das Eindringen von unten unterjtüßt. Nicht blog an den feinſten Spigen der Wurzel, nicht bloß an den Wurzelenden erfolgt die Aufnahme. Denn die ganze Wurzel ift von einer Oberhaut über- zogen, welche die Wechjehwirfung zwijchen den getrenn- ten Löjungen zuläßt. So iſt es klar, warum eine Bilanze aus einem Gefäß mit Wafjer 625 Gramm in die Luft entjenden kann in derjelben Zeit, in welcher dag Gefäß ohne die Pflanze nur 125 Gramm Waſſer verliert. Bon der Oberfläche des Wafjers im Gefäß und von den Blättern der Pflanze entwichen im oben erzählten Falle 750 Gramm. Sp wie wir durch die oben offene Röhre Salz herausheben fünnen mittelft des Wafjers im Gefäß, in welches die Nöhre tauchte, jo finden wir mitunter Salzauswitterungen auf den Blättern der Pflanzen. 40 . Borzugsweije auf den breiten Blättern gurfenartiger Gewächje werden jolche Salzauswitterungen beobachtet, wenn nach Starken Negengüfjen plöglich trocenes Wetter eintritt (Bille). Das ſalzarme Negenwafjer, welches die Blätter benebt, zieht Salze aus dem Innern der— jelben an, und wenn das Negenwafjer verdunſtet, bleibt das ausgewitterte Salz Liegen. Häufig hat man an Topfgewächjen Gelegenheit zu beobachten, wie die unteren Blätter welfen, wenn man den Topf nicht begießt, oder wenn eine Deff- nung unten im Topf das zugeführte Waſſer gleich) wieder abfließen läßt. Liebig berichtet die lehrreiche Thatjache, daß dann in den unteren Blättern die Salze fehlen. In Folge der Verdunftung von den oberen Theilen fteigt der jalzhaltige Saft immer höher im Stengel. So werden die oberen Blätter noc) ver- jorgt, während die unteren abjterben müfjen. Letztere enthalten nur noch Spuren jener löslichen Salze, die in den Knospen und Trieben in reichlicher Menge vorfonmen. Diefe Thatjachen ergeben, daß das Wachsthum überhaupt bedingt ift durch den gegenjeitigen Aus— tauſch von Flüfligkeiten, welche durch eine pflanzliche oder thieriiche Haut getrennt find. Pflanzen und Thiere find im ganzen Leib mit fleinen Bläschen oder Zellen, mit Röhren oder Ge— 41 fäßen angefüllt. Die Salzlöfung, welche eine ober- flächlich gelegene Zelle der Pflanzenwurzel dem Acer entzogen hat, tritt jogleich in Wechſelwirkung mit dem Inhalt eines weiter nach innen liegenden Bläschens. Das letztere fteht durch eine ununterbrochene Neihe von Zellen und Gefäßen mit den äußerſten Blattjpigen und Blumenfronen im Zuſammenhang. Sm Körper des Menschen werden jene Röhren zuleßt jo fein, daß man fie Haargefäße nennt, obwohl auch das weitejte Haargefäß den Durchmefjer der feinsten Wollhaare auf unjerem Handrüden faum er- reicht. Die Haargefüße führen Blut. Was durch die Wand der Haargefäße im Körper nad) außen dringt, wird zur Keimflüjfigfeit für die feiten Theile, für die Gewebe unjerer Werkzeuge. Die Gewebe nähren fich vom Blut. Das Wahsthum ift eine üppige Ernährung der Gewebe. Blut ift eine Miſchung von Eiweiß und Fett, von Zucker und Salzen. Bon diejen Stoffen find das Fett und ein Theil der Salze vorzugsweife in kleinen, an beiden Flächen in der Mitte eingedrückten, Linjen- fürmigen Sceibehen enthalten. Der Gehalt diejer Scheiben, welche der Herzichlag in alle Gegenden des Körpers treibt, jteht fortwährend in Wechjelwir- fung mit dem Saft, in dem jie ſchwimmen. Kochjalz ift unter allen Salzen im Blut am veich- 4) lichiten enthalten. Darum tft Kochſalz in der Nahrung unentbehrlich. Und trotz dem Austauſch, der zwiſchen den Blutkörperchen und der Blutflüſſigkeit unabläſſig thätig iſt, enthalten die erſteren nur ſehr wenig Koch— ſalz (C. Schmidt). Hierdurch wird deutlich bewieſen, daß jener Aus— tauſch ſich nach der Art der Stoffe richtet. Die Ver— wandtſchaft der Blutſcheibchen zum Kochſalz iſt gering; ſie nehmen wenig Kochſalz auf. Schon im Blut iſt alles Leben auf Anziehungen und Abſtoßungen der Stoffe gegründet. Wenn das Blut nicht organiſche Stoffe enthielte, die im Vergleich zu anderen Blut— beſtandtheilen eine ſehr geringe Verwandtſchaft zum Kochſalz haben, könnten ſich die Blutkörperchen nicht bilden. Wie in dem Blut die Körperchen, ſo verhalten ſich in den Geweben die Haargefäße. Die feinen blutführen— den Röhrchen der Haut, welche die Lunge überzieht, laſſen das Eiweiß des Bluts raſcher durchſchwitzen als die Haargefäße des Bauchfells, und dieſe wieder ſchneller als die Häute des Hirns (C. Schmidt). Nimmt man die Mittelwerthe aus den bis jetzt vorliegenden Unter— ſuchungen, dann beſitzt unter den regelrechten wäſſerigen Ergüſſen die Gelenkſchmiere, welche dazu beiträgt, die Oberflächen der Gelenke ſchlüpfrig zu erhalten, den höchſten Eiweißgehalt. Dann folgen in abnehmender Burner x 43 Reihe das Herzbeutelwafjer, Fruchtwaſſer, die wäſſerige Feuchtigkeit der Augenfammern und ſchließlich die Hirn— riifenmarfsflüjligfeit, die am wenigjten enthält. Die Gelenfflüjfigkeit des Menjchen und der Thiere führt etwa fünfundvierzig Mal jo viel Eiweiß wie der in den Hirnhöhlen und unter der Spinnwebenhaut von Hirn und Rückenmark befindliche Saft. Eiweiß, Fett und Salze find in dem Blutwajjer gelöft. Sie alle dringen bei dem verhältnigmäßtg hohen Drud, unter welchem das Blut in den Gefäßen freift, durch die Wand der Haargefäße hindurch. Won dieſen Stoffen verläßt aber das Wafjer das Blut mit der größten Geſchwindigkeit, nächjt dem Waſſer die Salze, viel langjamer Eiweiß und Fett. Und dennoch find fajt alle Gewebe ärmer an Wafjer als das Blut. Denn Haut und Lungen, Nieren umd Schweißdrüjen entziehen dem Körper immer Waſſer. Der Saft, der aus den Haargefäßen ausſchwitzt, wird dur) Berdunftung und Schweiß, durch) das Athmen und die Harnansjcheidung eingedickt zu Fleisch und Knochen. Aber nicht auf eine bloße Verdichtung läuft die Bildung der Gewebe aus dem Nahrungsſaft hinaus. Die Löſung von Eiweiß und Fett und ſehr verſchiedenen Salzen enthält alle Bedingungen, die nöthig ſind, um die mannigfaltigſten Formunterſchiede hervorzurufen. 44 x Sn einer Löſung von Eiweiß, Fett und Salzen jondern fich bei geeigneter Wärme und geeigneter Um— gebung kleine Körnchen aus. Viele derjelben ballen fich zu Eleinen Häufchen zufammen. Aus manchen Häuf- chen werden Eleine Bläschen, deren Anziehung die um— gebende Schichte in die Form einer Hülle um das Bläs— chen verwandelt. So wird das zuerjt gebildete Bläs— chen von einer Zelle umjchlofjen, in der es jelbit den Kern darftellt. Arm leichtejten erfolgt diefer Bildungs— vorgang im Innern einer bereits gebildeten Helle; der Belleninhalt ift eben die geeignete Umgebung für Die Entwicklung nener Zellen. In den meiften Fällen aber entftehen die neuen Zellen dadurch), daß erit der Kern und dann auch die Wand einer jchon gegebenen Zelle eine Theilung erleiden; der Kern und die Wand der Tochterzellen find dann nur als Entwidlungsformen der entjprechenden Theile der Mutterzelle zu betrachten. Bisweilen, ja im Pflanzenreich recht Häufig, muß erſt der alte Kern verſchwinden, im Zelleninhalt jich löjen, bevor die neuen auftreten, die als Anziehungsheerde für die neue Zellenbildung zu betrachten find. Dieje Zellenbildung ift der allgemeinjte Vorgang, der die organische Materie organifirt, den Stoff in Formbeftandtheile verwandelt. Aus den Zellen werden Röhren und Fajern, und durch die Verbindung der verschiedenen Formen entjteht das dichte, aber dem 45 bewaffnet forjchenden Auge entwirrbare Gefüge der Gewebe. Bellen find kleine Klümpchen oder Bläschen, mit einem flüſſigen Inhalt getränft oder erfüllt, der mit den umgebenden Flüfligfeiten und Gajen durch die Wand des Bläschens oder den wandungslofen Seimftoff*) hindurch in ununterbrochenem Austausch fteht. Wenn wir diefen Austausch in Zellen und Bellenreihen be- obachten, belaujchen wir das geheimfte und uriprüng- lichſte Getriebe des Stoffwechjels, deſſen Erzählung der Naturforscher kaum erjt begonnen hat. So lange die Materie formlos ift, kann fie wohl organisch fein, fie fann in ihrer Miſchung einen höheren Grad von Verwicklung und eine größere Neigung zum Zerfallen zeigen, als Kochjalz oder Salpeter und an— dere anorganijche Stoffe; organifirt wird die Materie erſt durch die Beharrlichkeit, mit welcher ſich in Löſun— gen organischer Stoffe die Form der Zellen erzeugt. Dieje Beharrlichkeit jcheint freilich auf der gege- benen Entwiclungsftufe der Erde an die Gegenwart von Keimen, das heißt bereits gebildeter Zellen gebun- den. Da aber folche Keime überall, in der Luft wie im Waſſer vorhanden find, jo gelingt es nur durch füinftliche und weit getriebene VBorfichtsmaßregeln, eine *) Protoplasma. Hugo von Mohl. 46 Miſchung organischer Stoffe frei von allen Keimen aufzubewahren. Se nach dem Stoff wechjelt die Form der Zelle, deren Bau das Gewebe von Bläschen, Röhren und Faſern beherricht. Für die Formengebung find aber die anorgantjchen Stoffe nicht minder wichtig als Eiweiß und Fett. Die Blutbläschen erreichen ihre Vollendung nur mit Hülfe des Eiſens. Blätter welken, wenn ihnen die löslichen Salze fehlen; und wenn man Hühnern die Kalferde vorent- hält, dann werden ihre Kuochen zerbrechlich. Choſſat jah Tauben im jiebenten oder achten Monat fterben, als er ihnen Getreide ohne Sand zum Futter reichte. | Inden allermeisten Fällen findet ohne Salze feine Zellenbildung ftatt. Faſt nur zarte Pilze, wie die von Mulder unterfuchte Eifigmutter, gelangen ohne ans organische Stoffe zur Entwidlung, und ſelbſt die Ejjig- mutter ſoll nach Paſteur ohne Alfalien und phosphor- jaure Salze nicht bejtehen. Bellen fterben, wenn fie vom Mutterboden getrennt find, der den Saft enthält, mit welchem ihr flüjjiger Inhalt in Wechjelwirfung tritt. Die Zellen jterben, „weil willfürlich getrennte Theile — belebter Stoffe — unter den vorigen äußeren VBerhältniffen ihren Mi- Ihungszuftand ändern“ (Aler. von Humboldt). 47 Ohne Stoffwechſel kein Leben der Zelle. Ohne lebende Zelle, die aus der umgebenden Keimflüſſigkeit ihöpft, ift Wachsthum nicht denkbar. Die Berdunftung, welche der Pflanzenwurzel die Aufnahme von Stoffen aus der Adererde erleichtert, während fie die feinen Gefäße des Darms der Thiere gleihjam in Wurzeln verwandelt, die aus dem Speije- jaft jchöpfen, und die Wahlverwandtichaft von Flüffig- feiten, die Durch trennende Zellwände hindurch thätig ift, find die Haupteigenjchaften des Stoffs, die das Wachsthum bewirken. Aber des Wachsthums Richtung ift durch den Stoff bedingt, den die Außenwelt liefert. Das Waſſer ift wie die Erde, die es durchſickert. Darum die Pflanze wie Land und Wafjer. Und darum giebt es eine Geographie der Pflanzen, der Thiere und Menjchen, die durch) Luft und Sonne nur um jo deutlicher fich entfaltet. 48 N: die Srde als Werkzeug der Schöpfung von Pflanzen und Thieren. Wenn man eine Pflanze vorfichtig verbrennt, jo gelingt es nicht jelten, ein Gerippe übrig zu behalten, das der urfprünglichen Form des Stengels oder der Blätter entipridht. Das Gerippe bejteht aus angrga- nischen Beftandtheilen, die vorher der Rinde der Erde angehörten. Ein verbrannter Schadhtelhalm Hinterläßt eine Aiche, die beinahe ganz aus Stiejelerde, einem Hauptſtoff des Sandes, bejteht. Gleichwie der Saft eines Thieres, einer Pflanze, je nach jeiner Miſchung, Hier dieje, dort jene Form von Zellen zur Entwicdlung gelangen läßt, jo ijt die Beichaffenheit der Salze eine Grumdbedingung, an welche das Gedeihen und bei der erjten Verbreitung der Gewächje die Entjtehung bejtimmter Pflanzenarten geknüpft ift. 49 Sp zeichnet ſich die Weinrebe aus durch ihren Gehalt an Kalf, der Weizen durch phosphorfaure Salze, die Rübe durch den der Kalferde ähnlichen Talf. Sn dem Blumenfohl und den Theeblättern findet id) Mangan, ein dem Eijen überaus ähnliches Metall, welches die Eijenerze beinahe immer wenigftens jpur- weije begleitet. Der Tabak, der Nußbaum, die Sellerieblätter füh— ren Salpeter. Ja der Salpeter fann im QTabaf fo reichlich vertreten fein, daß man, wie Schöpf berichtet, im vorigen Jahrhundert in Virginien zu Kriegszeiten eine Art von Tabaf, die in niedrigen Gegenden wächlt, zur Gewinnung jener Berbindung von Salpeterjäure und Salt benußt hat. Hundert Gramm der gröberen, ſonſt unbrauchbaren Stengel im trodnen Zustande jollen über vier Gramm reiner Salpeterfryftalle geliefert haben, und in den Rippen mancher Tabafsblätter fteigt der Salpetergehalt jogar auf elf Hundertel des trod- nen NRücjtandes (Schlöfing). Wenn man erfährt, daß der Talk oder die Bitter- erde nicht bloß in Runkelrüben, jondern auch in Kar— toffeln und Weizen enthalten tft, der Kalk in Klee und Erbjen jo gut wie im Weinſtock, dann könnte man auf den erjten Blick verleitet werden, in dem Verhält— niß jener Erden zur Pflanzenart nicht jowohl eine 4 50 eigenthümliche und feſt begrenzte Wahlverwandtichaft zu jehen, als vielmehr eine allgemeinere Beziehung, deren Weſen nicht aufginge in der Verjchiedenheit des Stoffe. In einer Zeit, in welcher der Menſch jich noch jo weile dünkte, den Plan der Natur nach Begriffen der Zwed- mäßigfeit zu bejtimmen, ließ man die Stiejelerde des San- des in den Schadhtelhalm oder in den Grasitengel über- gehen, um der Pflanze die Feſtigkeit zu ertheilen, vermöge welcher die Aehre fich auf dem Halme wiegt. Und weil man die vorausgejegte Zwecdmäßigfeit nur mit der zweiten Annahme, daß die Natur zu ihren Zielen den fürzejten Weg wähle, im Einflang finden wollte, jo lag e3 nahe zu glauben, die Pflanze nehme eben Kalk, wenn Kalk vorhanden fei, ſonſt ftatt des Kalfs den Talk oder Eiſenoxyd, oder irgend einen ähnlichen Körper. Wie aber, wenn der Bärlapp, jene Pflanze, die das befannte Hexenmehl liefert, mit dem man die wun- den Hautfalten der Kinder bejtreut, eine beträchtliche Menge Thonerde führt, während dieje, in Bilanzen über— haupt jeltenere, Verbindung in Eichen, Fichten und Bir- fen, die auf demfelben Boden wuchjen, durchaus fehlt? (Ritthauſen, Aderholdt.) Wir finden einen jo weit verbreiteten Bejtandtheil, wie den fohlenjauren Kalk, in den oberflächlichen Zellen einiger Arten aus der Gattung der Armleuchterchen*) vor, um fie in an— *) Chara. Sl deren Arten derjelben Bflanzengattung zu vermifjen (Bayen). So jcheint eine gelbe Beilchenart*), die auf den Galmeihügeln bei Aachen wächft, dem Zinkgehalt des Bodens ihr Dajein zu verdanfen (Bellingrodt). Die neueſten Unterjuchungen lehren, daß in der Gerſte unter allen Umjtänden, und wenn man dem Boden noc) jo viel Natronverbindungen zugeſetzt hat, der Kali— gehalt des Natron um mehr als das Dreifache über- trifft (Daubeny). Ein Heidepflänzchen**), welches in der Ebene des Lechthals wuchert, zeigt ſich auffallend reich an Kalf, während ein nahe verwandtes, aber der Art nach verjchiedenes Heidekraut***), welches in den Wäldern der Hügelreihen am Lech und an der Wertach vorkommt, noch augenfälliger durch feinen Neichthum au Kiejelerde ausgezeichnet iſt (Köthe). Und wenn es nur auf die nächſte anorganische Verbindung anfäme, nicht auf die Art des Stoffes, wie fommt es, daß eine große Anzahl von Pflanzen, Kartoffeln, Schneidebohnen, Spinat, Gerſte, Hafer und Kreſſe, unter der Einwir- fung von Natron ebenjo fichtlich leiden, wie ſie unter dem Einfluß von Kali gedeihen? (Chatin.) Solche Thatjachen geben uns den Schlagendften Be- weis, daß die Pflanzenwurzel nach feſten Gejegen der *) Viola lutea calaminaria. **) Prica carnea. ***) Calluna vulgaris. 4* 52 Berwandtichaft die anorganischen Bejtandtheile auf- nimmt, die fie in der Adererde umgeben. Liebig, der bei jener rohen Beziehung zur Feſtig— feit des Stengel nicht jtehen bleiben fonnte, war der Erjte, der das nothwendige Wechjelverhältnig zwiſchen beftimmten Pflanzenarten und den anorganischen Stoffen des Bodens nah) Gebühr Hervorhob. Theod. de Saufjure hatte ihm fruchtbar vorgearbeitet; er lehrte ihon im Anfang des Jahrhunderts, daß anorganijche Stoffe zu den nothwendigſten Beitandtheilen der Pflan— zen gehören. Selbſt die ähnlichjten Körper, die man wegen ihrer Verwandtſchaft zu den Säuren als Bajen zujammen- faßt, fünnen ſich nur in jehr bedingter Weiſe vertreten. So fünnen im Blumenkohl zwei Erden, die in ihren Eigenjchaften einen jehr hohen Grad von Ueberein— ftimmung zeigen, der Kalk und die Bittererde, einander nahezu das Gleichgewicht halten, während in anderen Fällen der Blumenkohl beinahe nur Kalk und jehr wenig Bittererde führt. Es iſt aljo wirklich ein großer Theil der Bittererde durch Kalk erjegt. In den jel- tenften Fällen wird ein Bejtandtheil unter Einflüſſen des Bodens durch einen auffallend verjchiedenen Stoff vertreten. Kürzlich fand Röthe in Friechendem Gün— zel*), der auf Kalfboden wuchs, einen . Reichthum, *) Ajuga reptans. 53 an Kalk, dejien Stelle in Bilanzen derjelben Art, die auf Thonboden gefunden wurden, zu einem großen Theil von Siefelerde eingenommen war. Auf falf- reihem Boden kann ein großer Theil der Kiejelerde in dem wointerlihen Schachtelhalm*) durch Fohlen- jauren Kalk erjegt werden, jo daß die erfindjamen Zwecddichter gewiß die Feſtigkeit, durch welche die beiden Stoffe ſich ähnlich find, für das eigentlich Be- ftimmende halten werden. Man findet aber die Kieſel— ſäure im Bflanzenreiche jehr verbreitet auch da, wo fich ein Bezug zur Feftigfeit nicht entdecken läßt (Wide, Hugo Mohl). Ia es gelang, durch Borenthaltung der Kieſelſäure Wälichfornpflangen zu ziehen, in welchen der Kiejelfäuregehalt nur !/so des gewöhnlichen betrug, ohne daß die Haltung des Stammes und der Blätter von der natürlichen abwich (Sulius Sad). Nach) der andern Seite find Kali und Natron einander nicht minder ähnlich als Kalk und Talf. Und doch enthalten Buchen und Eichen im Vergleich zum Kali nur eine ſehr geringe Menge Natron, jebjt dann, wenn die Bäume in einem Boden wachjen, in welchem das Natron das Kali um das Fünffache übertrifft (8. Bischof). Ebenſo giebt es Wafjer- pflanzen, in denen mehr Bittererde als Kalf vorhanden it, troßdem daß im Boden des Bachs, dem fie ent- *) Equisetum hiemale. 54 nommen waren, zehnmal jo viel Kalf als Bittererde vorfommt. In den verjchiedeniten Theilen der Roß— faftanie findet eine Vertretung von Kali durch Natron oder von Erden durch Kali niemals jtatt (E. Wolff, Staffel). Schon die Ackererde befigt die Eigenthümlichkeit, eine Anzahl von Stoffen, die für das Pflanzenleben wichtig find, anzuziehen und fejtzuhalten. Wenn man eine Auf- löfung von Kali, Ammoniak, Phosphorſäure und Kiejel- erde durch Adererde ficdern läßt, dann werden der Löfung jene anorganijchen Stoffe entzogen, die Ader- erde hält fie zurüd; und umgefehrt vermag Negen- wajjer, das durch Adererde hindurch filtrirt, ihr die bezeichneten Stoffe nicht zu entziehen. Phosphorjäure, Ammoniak und Kalifalze werden von der Adererde feichter zurücfgehalten als Bittererde, Kalk oder Natron= ſalze. ES herrjcht zwiichen dem Boden und den un organischen Beftandtheilen des Flußwaſſers, zwiſchen den einzelnen Pflanzenarten und den Bejtandtheilen des Erdbodens ein Gejeß der Verwandtſchaft, das hier wie überall, jede Vorjtellung von einem Spiel des Zu— falls verbannt. So feft ift diefe innere Beziehung der organischen Maſſe des Pflanzenleibs zu den Salzen, welche die Erde liefert, daß jelbft dann, wenn ein Boden Stoffe führt, die nur ausnahmsweiſe in die Pflanze gelangen, be— 95 ftimmte organische Körper den Eindringling fefleln. In neuerer Zeit wiederholen ſich die Beijpiele, in welchen man Arjenik in Pflanzen gefunden hat. Die Knollen der Kartoffeln, weiße Rüben, die äußeren Blätter des Kopfkohls, Roggenſtroh fünnen Spuren von Arjenif enthalten, wie denn dieſer Grundſtoff nach Walchner in allen eijenreichen Acererden vorhanden ift. Aber in allen jenen Pflanzen ift das Arſenik in irgend einer Weiſe mit dem Zellftoff verbunden, einem äußerſt jchwer löslichen Stoff, der in der Pflanze alle jugendlichen Zellwände zufammenjeßt. Daher fand man Arſenik auch) in dem Koth einer Kuh, mit welchem ein Theil des im Graſe enthaltenen Zellftoffs unverdaut entleert wird (Stein). Je genauer die jorgfältigjte Forſchung jene anor- ganiſchen Beſtandtheile in's Auge faßt, die man ſonſt bei Unterſuchungen organiſcher Körper in einen wenig beachteten Anhang zuſammenzuwerfen pflegte, deſto tiefer und reichhaltiger ſind die Beziehungen, welche die Natur der Pflanzen an das Erdreich und deſſen Ge— wäſſer binden. So fand Schulz-Fleeth in mehren Waſſerpflanzen viel mehr Kali als Natron, während in andern Gewächſen, denſelben Bächen entnommen, das Natron über Kali vorherrſchte. Es iſt gewiß; der Be— achtung werth, daß die Pflanzen, die ſich auszeichneten durch ihre frische grüne Farbe, die faliveichen waren, 56 y während der dunklen, in’S Braune übergehenden Farbe der andern der Reichthum an Natron entiprad). Dffenbar bejigen aljo die Bilanzen die Fähigkeit, aus dem Boden oder aus dem Waller die zu ihrem Beitand erforderlichen Mineralbejtandtheile zu jammeln. Sp fann e8 fommen, daß die Ajche einer Pflanze, der Wafjernuß*) 3. B., vierzehn Mal jo viel Stiejel- erde enthält, als der Salzrüdjtand des Teichwaſſers, in dem ſie jich entfaltete. Und wie ſich zu der Erde oder dem Wafler die Pilanzenart verhält, jo in der Pflanze die einzelnen Theile. Wenn in dem Samen Kali, Bittererde umd Thosphorjäure, wenn Kalf, Chlor, Kieſelerde im Stengel vorherrichen, wenn die Blätter ſich auszeichnen durch ihren Gehalt an Kiejeljäure, an ſchwefelſaurem Kali und fohlenjaurem Kalk, und wenn eine jolche Berthei- fung innerhalb der Pflanze ſich jedesmal wiederholt, dann iſt es ein ziwingender Schluß, daß die Entjtehung des Samens an Kalt und Phosphorjäure, wie die des Stengels an Kalk und Chlor oder die der Blätter an jchwefeljaures Kali geknüpft iüft. Aus dieſem Geſichtspunkte gewinnt beinahe jede zuverläffige Angabe über die Salze in bejtimmten Pflanzentheilen eine nod) vor Kurzem ungeahnte Be- deutung. Es verbreitet ſich ein wohlthätiges Licht *) Trapa natans. 57 über alle einzelnen Thatjachen, wenn mit der Zahl der unterfuchten Pflanzentheile auch die Fruchtbarkeit des Zujammenhanges wächſt, der die Entwicklung der Pflanzen an die Steinchen und den Kalk von Feld und Garten bindet. Denn ſelbſt den Unerfahrensten muß es ergreifen, wenn er hört, daß der fohlenjaure Kalf, den er oft mühjam aus dem Garten entfernt, in alten Bflanzen- theilen ein jo wefentlicher Körper tft, wie im jugend- lichen Werkzeugen die Verbindung des Kalks mit der Phosphorſäure. Se reicher ein Theil der Pflanze mit eiweißartigen Stoffen verjehen ift, deſto größer tft auch die Menge des phosphorjauren Kalks, der ihn vor eiweißarmen Geweben der Bflanze auszeichnet. Sn vielen Samen hat Wilhelm Mayer zwijchen dem Gehalt an Phosphorſäure und der Stiejtoffmenge, die von ihren Eiweißförpern abzuleiten war, ein feſtes Verhältniß gefunden. Sp wird es klar, warum der Samen, in dem fid) der Eiweißvorrat der Pflanzen aufjpeichert, dem Stengel die Phosphorjäure entzieht. Die Menge der Vhosphorjäure im Stroh ift dann bejonders ver- ringert, wenn ein bedeutendes Gewicht an Körnern erzeugt wurde. Wie der phosphorjaure Kalk die eiweißartigen Stoffe begleitet, fo finden ſich Kaliſalze reichlich in 58 allen Theilen, welche eine große Menge Stärfemehl oder Zuder enthalten (Liebig). Die Hauptmafje ihres Leibes bildet die Pflanze aus der Kohlenjäure der Luft. Ein Theil des Sauer- jtoffs diefer nur aus Kohlenstoff und Sauerjtoff beite- henden Verbindung wird von der Pflanze ausgehaudht, während der Kohlenstoff nebjt dem übrigen Saueritoff in die Zufammenfegung der wichtigiten Bilanzenftoffe eingeht. Bis zu einer gewiljen Grenze läßt fich die Leben— digfeit des Wachsthums der Pflanze mefjen durch die Sauerftoffmenge, welche fich bei jenem Vorgang ent- wicelt. Aber bei Waflerpflanzen Hört die Ausscheidung des Sauerftoffs, die Zerjeßung der Kohlenjäure in den grünen Theilen auf, wenn die Salze fehlen, die in den natürlichen Gewäſſern vorhanden find. Dieje Salze entiprechen den anorganischen Verbindungen des Erd- bodens. 5 Unter den anorganiichen Stoffen, welche die Zer— jeßung der Kohlenſäure bedingen, jpielt aber das Eijen die mächtigjte Rolle. Ohne grünen Farbjtoff*) zu ent- halten find nämlich die Pflanzen nicht im Stande, die Zerlegung der Kohlenjäure zu bewirken, und die Bil- dung des grünen Farbſtoffs iſt jchlechterdings an Die Gegenwart von Eijen gebunden, das fich in diejer Be- *) Chlorophyll. 59 ziehung durch Mangan nicht erjegen läßt. Geringe Eiſenmengen find zu der betreffenden Nolle genügend. Iſt es aber einer Pflanze ganz verwehrt, aus der Erde oder dem Waſſer Eiſen zu ſchöpfen, dann wird fie blaß, ihre Ernährung hört auf, und es erlischt ihr Leben. (Eujebe und Arthur Gris, Brogniard, Decaisne, PBayen, Neumann, Salm-Horit- mar, Sulius Sachs, PBfaundler, Stohmanı, Riſſe) Diefe Abhängigkeit des Pilanzenlebens vom Eijen wäre in augenfälliger Weije erklärt, wenn ſich die Angabe Verdeil's beitätigen jollte, daß in die Zuſammenſetzung des grünen Farbſtoffs Eiſen als nothwendiger Bejtandtheil eingeht. Ohne die anorgantjchen Stoffe ist aljo die Bildung der organtjchen Grundlage von Blatt und Stengel eine Unmöglichkeit. Die Thätigfeit der Wurzeln ift e3, welche die Fähig— feit der grünen Bflanzentheile bedingt, die Luft zu organifiren. Die Wurzel wird aber zur Aufnahme der in reinem Waſſer ſchwer Löstichen Kalkjalze durch den jauren Saft befähigt, mit dem auch ihre oberflächlichen Zellhäute durchtränft find. Daher werden polirte Plat— ten von Marmor, Dolomit, Knochenſtein, die kohlen— jauren oder phosphorjauren Kalk enthalten, von Pflan- zenwurzeln angeäßt, die beim Wachsthum mit ihrer Oberfläche in Berührung fommen. Julius Sachs 60 lieg Samen in einer zehn Gentimeter hohen Sandichicht feimen, die er über ſolche Platten ausgejtreut Hatte, und der Erfolg war, daß die Wurzeln der feimenden Pflänzchen nach wenigen Tagen ihr Abbild in die Marmortafeln und Dolomitplatten eingegraben hatten. Und die Thiere find in dem hier gejchilderten Ver— halten der Bilanzen getreues Ebenbild. Weder das Blut des Menjchen, noch das der Wirbelthiere könnte ſich entwiceln, wenn nicht die Erde das Eijen führte, das ihr die Pflanze entzieht. Und ohne phosphorjauren Kalk find die eimeißreichen Theile des Thierförpers jo wenig wie die der Pflanze. Der phosphorjaure Kalf macht etwa die Hälfte unjerer Knochen aus; er ift allgemein unter dem Namen der Knochenerde befannt. Kupfer übernimmt im Blut der Weinbergjchnede wenigſtens theilweiſe die Rolle des Eiſens im Blut des Menſchen (Harleß und v. Bibra). Im Blut der Teichmufchel erjegt der kohlenſaure Kalk die phosphor— jaure Verbindung diefer Erde, die im Blut der Wir- beithiere vorfommt (C. Schmidt). Dem entiprechend finden wir fohlenjauren Kalk in den fnochenharten Theilen, den Stacheln, Gehäujen und Schalen von Stachelhäutern, Bolypen und Weichthieren, während bei Menjchen und Wirbelthieren die Knochen und Zähne ihre Feltigfeit dem phosphorjauren Kalk verdanfen. 61 Schwefeljaures Natron, das jogenannte Glauber- jalz, zeichnet die Kuochen der Fiſche und der Lurche*) aus. Phosphorſaure Bittererde it in reichlicher Menge in den Zähnen der Diefhäuter vertreten (v. Bibra). Beim Thier und bei der Pflanze find Art und Gattung wie die Entwicklung der einzelnen Gewebe, an die Aufnahme ganz bejtimmter Salze mit unum— gänglichiter Nothwendigkeit gebunden. Sn der harten Erdfrufte find die erjten Beding- ungen gegeben für die Mannigfaltigfeit der Bewohner unſeres Weltkörpers. Die Rinde unferer Erde enthält in veichlicher Menge die anorganischen Stoffe, welche zur größeren Hälfte die wejentlichen Bejtandtheile der Ackererde bilden. Am dichteſten zujammengedrängt find jene Stoffe in Bergen und Felſen, bald weicher und form- (08, bald in harten Kryſtallen. Und dieje felfigen Berge liefern nicht bloß die Hämmer und Hangen, den Marmor und das Gold für unjere Schmieden und die Werfjtätten der Künjtler. Ihre anorganifchen Beitandtheile find auch die Werkzeuge, welche die or- ganischen Stoffe verbinden zu Pflanzen und Thieren, die den Erdball beleben. Es berjtet der Fels durch den Wechjel von Wärme und Kälte. Aber auch die falte Wucht einer ewigen *) Amphibien. 62 Scneedefe jpaltet den Berg und jprengt die Blöde auseinander. Der jchiebende Gletſcher, die reißenden Bäche und Wafjerfälle find gleichjam die Hammerwerfe, die den Fels aus feinen Fugen treiben und jeine Eden zermalmen. In der Natur ift nicht Raſt und nicht Ruhe. Jene Mächte der Zertrümmerung übertreffen nicht bloß die Gewalt des Tropfens, der durch öfteres Fallen den Sandjtein aushöhlt; das ewig braujende und tojende Wafjer, die frachenden Eisthürme, die donnernde Lawine zertrümmern den Granit. Auch der Fels kann der Ewigkeit nicht trogen. Der Berg zerfällt in Trümmer, die Trümmer werden Staub. Ströme tragen den Staub in die Ebene; fie düngen den Ader; denn fie ertheilen ihm der Pflanzen unentbehrliche Nahrung. sn der Wetterau, zu Logrojan in Eftremadura, bei Redwitz in der Nähe des Fichtelgebirges finden fi) ganze Lager von phosphorjaurem Kalk, von joge- nanntem Knochenſtein oder Knochenerde (Bromeis, Daubeny, Fidenticher). Der Bergmann, der in der Wetterau oder in Ejtremadura nad) phosphorjaurem Kalk gräbt, jucht mehr als Gold, er gräbt nach Weizen, gräbt nad) Menſchen. Wir durchwühlen das Cingeweide der Erde, um die Heeresmacht beobachtender Sinne und jinnesfräftiger Gedanfen zu vermehren. Und jo hebt 63 denn der Bergmann den Schab des Geiftes, den der Bauer in Umlauf jegt, dem Rad der Zeitläufte jeine erite Triebfraft ertheilend. Der Bergmann, der im Schweiße jeines Angefichts mit Lebensgefahr fein Leben erringt, er weiß es nicht, ob nicht der Gtoff des beiten Kopfes durch feine Hände gleitet. Er jeßt mit jeiner verborgenen Arbeit vielleicht Sahrhunderte in Bewegung. 64 ML Kreislauf des Stoffs. Puisque, jusqu’aux rochers, tout se change en poussiere; Puisque tout meurt ce soir pour revivre demain; Puisque c’est un engrais que le meurtre et la guerre; Puisque sur une tombe on voit sortir de terre Le brin d’herbe sacré qui nous donne Je pain; Alfred de Musset, La nuit d’aoüt. Es iſt ein dem menſchlichen Hirn ſehr geläufiges Berfahren, daß es im einzelnen Fall einen allgemeinen Schluß auf eine bejchränfte Reihe von Beobachtungen gründet. Aus dieſer Eigenjchaft, an der wir alle leiden, von der ſich nur der Eine mehr, der Andere weniger frei zu halten weiß, erflären jich die jchroffen Eintheilungen, durch welche wir unjere Faſſungskraft zu fteigern fuchen. So verkehrt es wäre, wenn man jolchen Einthei- lungen ein Bürgerrecht in der Wiſſenſchaft geftatten wollte, jo jicher ift es doch, daß gerade jene Verſuche, die überall in einander greifenden Erjcheinungen, den freijenden Strom des Naturlebens in fejt begrenzte 65 Fachwerke einzudänmen, erſt neue Beobachtungen und dann Gedanfen hervorrufen. Diejes 2003 ijt auch dem zuerjt von Ingenhouß gelehrten Satze zu Theil geworden, nach welchen die Pflanze ausichließlih von anorganiſchen Nahrungsſtof— fen leben jollte. AS man bejonder8 durch Senebier’s Kor: ſchungsgeiſt erfahren hatte, daß die Pflanzen im Licht die Kohlenjäure zerſetzen, die ihre Blätter bejtändig der Luft entziehen, als man jpäter die Gewichtszunahme bejtimmte, welche die Pflanze durch den in ihr zurück— bleibenden Kohlenſtoff erleidet, war der wichtige Sat gefunden, dal die Pflanze nicht nur zum Theil von der Luft lebt, jondern auch, dal jie den Hauptvor— rath ihres Leibes diefer Nahrungsquelle entnimmt. Und jo nennt man mit Recht den Kohlenſtoff dem mwichtig- jten Pflanzenerzeuger. _ Freilich enthält die Pflanze außer Zellſtoff und Zucker, außer Stärfmehl, Fett und Wachs, die alle nur aus Kohlenſtoff, Waijeritoff und Sauerjtoff zufammen- gejetst jind, auch Eiweiß, das in Verbindung mit diejen Grundſtoffen noch Stiejtoff und Schwefel enthält. Aber auch die Luft führt Stickſtoff und zwar nicht nur frei, jondern auch mit Wafjeritoff zu Ammoniak verbunden. Diejes Ammoniak führen Thau und Regen der Erde zu, die Pflangenmwurzel nimmt e8 auf. > 66 Ihre Salze und Wafjer findet die Pilanze im Boden. Unter diefen Salzen fönnen die jchwefeljauren, insbejondere der jchwefeljaure Kalk oder Gyps, den Schwefel des Eiweißes Tiefern. Und damit it es allerdings erwiejene Thatſache, dal die Pflanzen unter Umſtänden ausſchließlich von anorganischen Stoffen eben können. Wafjer, Kohlenjfäure, Ammoniaf und Salze find lauter Stoffe, die ſich durch die Einfach— heit ihrer Miſchung und dur das Zerfallen ihrer Verbindungen in die nämlihen einfachen Stoffe, aus denen jie herporgegangen jind, al3 anorganische Kör— per den von Bilanzen und Thieren oder durch die Kunjt hervorgebrachten organiſchen Verbindungen ge= genüberjtelfen. Die Flechte, die auf ddem Gemäuer fortwuchert, lebt thatſächlich von anorganischen Stoffen, von Luft und Salzen, Umgefehrt ijt e8 der Ausdruck der befanntejten Er— fahrung, dal weder der Menjch, noch irgend ein höheres Thier von Luft und Salzen leben Fann. Mit Necht wurde es al3 neuer und wichtiger Grund— jatz verfündigt, day die Pflanze Luft und Erde in or— ganische Normen bringt. Und jene Neigung zum Gegen- jaß, der die befangenen Vorjtellungen von einer zwed- mäßigen Einrichtung der Natur immer Nahrung geben, überwies es den Pflanzen al3 einzige Aufgabe, anor- 67 ganische Stoffe aufzunehmen, um ſie dem Thier in or— ganische Nahrung zu verwandeln. Die Pflanze lebt von anorganiichen Stoffen, wäh— rend das Thier der organischen Nahrung bedarf, jo lautete die Unterſcheidung. Und die Eintheilung follte noch gewinnen, indem man der Pflanze die Gigenjchaft zuſchrieb, ausschließlich Luft und Salze als Nahrung zu verarbeiten. Aber die Verbrennung, welcher Bilanzen und Thiere, lebend und todt, durch die allſeitige und fortwährende Einwirkung des Sauerſtoffs der Luft unterliegen, ſchrei— tet nicht gleich fort bis zur Bildung von Kohlenſäure und Waſſer. Das fallende Laub, die Stoppeln und Brachfrüchte, Stalldünger und Leichen helfen die Damm— erde bilden. Sie ſchwängern den Erdboden mit or— ganiſchen Stoffen. Die Dammjäure*), die Quell- jäure **) und die Quelffabjäure ***) find ebenjo viele aus Kohlenstoff, Waſſerſtoff und Sauerjtoff beſtehende Körper, die in feiner guten Ackererde fehlen. Im Boden jind dieje Säuren an Ammoniak gebun= den. Quellſaures Ammoniak ijt ein Körper, der Stick jtoff, Kohlenjtoff, Wafjerjtoff und Sauerſtoff enthält. In quellfabjaurem Ammoniak find diefe Grundftoffe *) Huminfäure, **) Srenjäure, acidum erenicum. ***) poerenjäure, acidum apoerenicum. Su 68 nahezu in jolhem Verhältniß gegeben, daß ſich daraus die Entwicklung von Eiweiß leicht begreifen läßt, wenn man auch den inneren Hergang jener Ummandlung bisher nicht fennt (Berzelius, Mulder). Dadurch ſchien es natürlich erflärt, daß die jtic- jtoffarme lechte gedeiht auf nadten Felſen, während eiweißreicher Weizen des Düngers Nährfraft erfordert. Ingenhouß und Liebig jchrieben jedoch nur den anorganischen Stoffen des Düngers die fruchtbare Wirfung zu. Und weil der Dünger und die Damme erde Gemenge jind, jo erfordert freilich die Annahme, dag Dammſäure und Quellfäure als jolche zur Er— nährung der Pflanze beitragen, einen unmittelbaren Beweis. De Saufjure hat ihn geliefert. Cr hat durch Wägung die Menge des dammjauren Kalis bejtimmt, die in gefunde Pflanzen übergeht. Ich habe den Ueber— gang von dammjauren Kali in die Zwiebel und Wur— zelfajern des ächten Safrans beobachtet. Und Mala— guti hat die Menge von torfjaurem Ammoniak *) gewogen, welche das Wiejenjchaumkraut**) dem Bo- den entnahm, und zugleich das Gewicht, um welches die Pflänzchen unter dem begünftigenden Einfluß des torfjauren Ammoniaf3 zugenommen hatten, im Ver— ) Wlminjaures Ammoniaf. **) Cressonette. Cardamine pratensis. 69 gleich zu anderen, denen diejer Nahrungsſtoff nicht zur Berfügung jtand. Mulder und Soubeiran haben den günjtigen Einfluß von Löjungen der organischen Stoffe der Damme erde durch den DVerjuch ermittelt. Demnach it e3 natürlich, daß die Wucherungen jener kleinen Pflänzchen, die wir Schimmel nennen und deren Verwandte in der Pflanzenwelt reich jind an Stiejtoff, organischen Boden lieben. Bei der trodnen Säule des Holzes verwandeln jich die organijchen Stoffe, die vorher die Holzzellen bildeten, in Zellen eines Pil— zes, dejien Fäden das Holz allmälig verdrängen. In der befannten Krankheit der Seidenwürmer, der ges fürchteten Muscardine, wächſt ein Pilz aus den Blut- förperchen der Naupe hervor. Eine Pflanzung von Bilzen kann den Zucer vernichten; der rothe Ueberzug, den man bisweilen auf verdorbenem Zucer antrifft, beiteht aus Arten einer neuen Gattung jener wuchern= den Pflänzchen. *) Je mehr eine Pflanze Eiweiß erzeugt, dejto nütz— licher find ihr die organijchen Säuren der Dammerde, Und wir wiſſen duch Mulder, dal diefe Säuren durch ihre Berwandtichaft zum Ammoniak, das dem *) Glyeiphila erythrospora und Glyeiphila elaeospora (Montagne). 70 Eiweiß den Stickſtoff liefert, im höchſten Grade aus— gezeichnet ſind. Daß die Flechten und viele andere Pflanzen aus— ſchließlich von anorganiſchen Nahrungsſtoffen leben, iſt natürlich kein Grund zur Behauptung, daß anderen Pflanzen die Dammſäure nicht zur Nahrung gereicht. Sonſt käme man, in ähnlicher Weiſe weiter ſchließend, dazu, der Eiche abzuſprechen, daß ſie ihren Zellſtoff aus Kohlenſäure und Waſſer aufbaut, weil die Pilze die Hauptmaſſe ihres Leibes aus organiſchen Stoffen herſtellen. Oder eſſen wir kein Fleiſch, weil die Grön— länder von Fiſchen und die Bewohner mancher Inſeln der Südſee von der Brodfrucht leben? Die Verwandtſchaft des Ammoniaks zur Dammſäure hat für die Aufnahme dieſer eine mehrfache Bedeutung. Erſtens begegnen ſich die beiden Stoffe in der Ackererde. Zweitens zeichnet ſich gerade das dammſaure Ammoniak durch die Leichtigkeit aus, mit der es in Waſſer gelöſt wird; es iſt zum Beiſpiel zweitauſendmal leichter in Waſſer löslich als dammſaurer Kalk. Ferner aber wäre freies Ammoniak fein Nahrungsſtoff für die Pflanzen, da e3 Schon in jehr Kleiner Menge giftige Eigenjchaften für diejelben bejitst. Eine aus Kohlenjtoff, Waſſerſtoff und Sauerjtoff bejtehende Säure, die jich mit dem Ammoniak, oder genauer gejprochen mit dem aus Ammoniak und Waſſer 1 bejtehenden Ammoniumoryd verbindet, ijt nicht minder bedeutend dadurch, daß jie das Ammoniak feiner gif- tigen Wirkung entäußert, wie dadurch, daß ſie in einer geeigneten Verbindung Kohlenſtoff, Waſſerſtoff, Sauer: jtoff und Stiejtoff den Pflanzen darbietet. Die Ver— bindung der Dammjäure mit dem Ammoniak ijt jo feit, daß eine der jtärfiten Säuren, das Vitriolöl oder die Schmwefeljäure, nicht im Stande ijt, diejelbe volljtändig zu zerlegen (Mulder). Dammjaures Ammoniak it endlich viel veichlicher in der Ackererde enthalten, al3 dammjaurer Kalk. Trotz— dem ift auch die letztere Verbindung in der Acdererde nicht von Werth entblößt. Wenn jie gleich weder in großer Menge vorhanden, noch auch durch Leichtlös— lichkeit in Waſſer ausgezeichnet iſt, jo wird hier durch die nimmer ruhende Zeit ein Schatz gehoben, der aller- dings, wenn er in wenigen Minuten erhajcht werden . müßte, nur eine geringe Bedeutung haben könnte. An der Aufnahme des dammſauren Kalks arbeitet die Wur— zel aller Wahrjcheinlichkeit nach bejtändig und ahmt auf jolche Weije die ausdauernde, wenn auch im Dun- feln unterbrochene Thätigkeit der Blätter nach, die aus den vier Naumtheilen Kohlenſäure, welche zehntaujend Theile Luft enthalten, jo große Mengen Kohlenſtoff in der Pflanze aufzujpeichern vermögen. Immer bleibt es wahr, daß die ‘Pflanzen nur eine 12 fleine Menge ihres Kohlenjtoffs aus den organiichen Säuren der Ackererde beziehen. De Saujjure, jener gründliche DVertheidiger der organiihen Pflanzennah- rung, bat Schon hervorgehoben, das Pflanzen in frucht— barer Gartenerde höchſtens 0 ihres Gewichts den organiichen Stoffen des Bodens verdanken fönnen. Es hieße aber die organiſche Miſchung des Pflan- zenreich3 verfennen, wenn man blor die jticjtofffreien Beitandtheile derjelben berückſichtigen mollte, weil dieje allerdings der Menge nach darin bedeutend vorherr- jhen. Der wichtigſte und vor allen anderen leben- weckende Theil der Pflanzenzelfe, den Hugo Mohl als ihr Gritgebilde oder Keimitoff*) bezeichnete, it immer ausgezeichnet durch ihren Gehalt an eiweikarti= gen Stoffen. Alle die Pflanzen, denen wir unjere nahrhaftejten Nahrungsmittel verdanken, wie die Ge— treide und Hüljenfrüchte, jind reich an eben diejen ſtickſtoffhaltigen Bejtandtheilen, und ebenjo alle jungen Wurzeltriebe, deren Ihätigfeit für den Aufbau der Pflanzen jo wichtig ift. Wie wäre es nun, wenn es jich bei der Zufuhr von dammjaurem Ammoniak weit mehr um die An— wejenheit einer jehr günjtig zuſammengeſetzten Verbin- dung von Sticjtoff, Kohlenſtoff, Waflerjtoff und Sauer- *) Protoplasma. Yaä Pe ‘ 0 ſtoff handelte, als um die Steigerung des Ertrags an Kohlenſtoff, die freilich mittelbar zugleich gegeben iſt? Unſere Feldfrüchte ſind nicht bloß deshalb jo drin— gend auf Dünger angewieſen, weil dieſer die Boden— ſalze vermehrt oder ergänzt, ſondern auch darum, weil die Erzeugung von ſtickſtoffreichem Eiweiß, die wir beim Feldbau vorzugsweiſe beabſichtigen, durch die Am— moniakverbindungen der organiſchen Säuren der Acker— erde aufs kräftigſte gefördert wird. Und wenn manche, und darunter viele der dem Menſchen wichtigſten Pflanzen auch nur einen Theil des Kohlenſtoffs jener eiweißartigen Beſtandtheile den organiſchen Säuren der Dammerde verdanken ſollten, ſo iſt damit deren Wichtigkeit auch als Kohlenſtoffträger ge— nügend dargethan. Wiegmann und Mulder haben aber durch Verſuche bewieſen, daß weder Kohlenſäure, noch Ammoniak die Wirkung der Dammerde zu er— ſetzen vermögen. Es ergiebt ſich indeß aus den obigen Betrachtungen, daß das Ammoniak als der werthvollere Beſtandtheil jener organiſchen Verbindungen der Dammerde zu be— trachten iſt, da die Pflanze die Hauptmenge ihres Stick— jtoffs ebenjo dem Ammoniak verdankt, wie bei weitem der größere Gemwichtstheil ihres Kohlenſtoffs von der Kohlenjäure hergeleitet werden muB. Darum war e3 eine jo bedeutende Leijtung Yies 74 big’s, daß er den Ammoniafgehalt der Luft und des Regens fennen lehrte. Die Menge des Ammoniafs in der Luft ijt einem jehr beträchtlihen Wechjel unter- worfen, ſchon deshalb, weil dieje Verbindung des Stid- ſtoffs mit Waſſerſtoff jo begierig vom Waſſer aufge- nommen wird, daß jeder Regen beinahe alles Ammo- niaf aus dem Luftfreis entfernt. Sp wird denn mit jedem Regen dem Ader die fruchtbarſte Stiejtoffverbindung zugeführt, die den Pflan— zen zur Nahrung gereicht, mit dem Gemitterregen in der bedeutenditen Menge. Die jegnende Wirkung des Regens it aljo nicht bejchränft auf die Löſung der im Boden vorhandenen Körper; mit dem Regen jtrömt einer der wichtigjten Nahrungsitoffe der Pflanzen auf Feld und Garten herab. Noch wichtiger al3 dieſe Quelle des Ammoniaks ijt aber eine andere, in der Ackererde jelbit entipringende, die vorzüglid Mulder’S Forſchergeiſt aufgededt hat. 63 ijt nämlich eine der wichtigiten Eigenjchaften des Waſſerſtoffs, daß er in dem Augenbli, in welchem er jich frei aus jeinen Verbindungen entwicdelt, mit verdichtetem Stickjtoff eine neue Verbindung eingeht, die nichts Anderes iſt als Ammoniak. Eiſen iſt ein Grundſtoff, Wajjer eine Verbindung von Wajjerjtoff und Sauerjtoff. Wenn wir Waſſer mit Eiſen mijchen, dann entzieht das Eijen dem Waſſer TR id den Sauerſtoff. ES entſteht Eijenrojt, eine Verbindung von Gijenoryd mit Wafler, und Waſſerſtoff wird frer. Alle lockeren pulverförmigen Gemenge verdichten luftförmige Körper, z. B. den Stickſtoff. Die Eiſen— feile ijt eim jolches lockeres Pulver. Wenn wir der Eijenfeile Wafjer zuſetzen, bildet jich nicht bloß Eiſen— rojt. Der aus dem Wafjer frei werdende Wafjeritoff verbindet jich mit dem in der Gijenfeile verdichteten Stidjtoff zu Ammoniaf. Die Adererde übernimmt die Rolle von Waſſer und Eiſenfeile zugleich. Sie verdichtet Stickſtoff in ihren Poren, und die verweſenden Stoffe der Dammerde ſind Quellen von Waſſerſtoff, der ſich im Augenblick des Freiwerdens mit dem verdichteten Stickſtoff paart. In guter Ackererde kann daher dammſaures Am— moniak nicht fehlen. Aber in dem dammſauren Ammoniak vereinigen ſich Luft und Erde und verweſende Ueberbleibſel von Pflan— zen und Thieren, um einen der wichtigſten Nahrungs— ſtoffe für das Gedeihen der Frucht zu liefern. Die Luft giebt den Sauerſtoff, der die Verweſung bedingt. Ver— weſung iſt nichts als eine langſame Verbrennung. Der Sauerſtoff iſt aber die Urſache, daß ſich aus dem ver— weſenden Körper Waſſerſtoff entwickelt. Es iſt wieder— um die Luft, aus welcher der Stickſtoff ſtammt, dem der Waſſerſtoff im Augenblick des Freiwerdens be— 76 9 _ gegnen muß. Die Grde verdichtet den Stickſtoff in den kleinſten Zwijchenräumen ihrer Krume. Aus ver= mwejenden Thieren und Pflanzen geht die Dammjäure hervor. Dammjaures Ammoniak iſt der wichtigite Nahrungs— jtoff für Weizen und Erbjen, für die fräftigiten Nah— rungsmittel des Menjchen, weil e3 jih am leichtejten in Gimwei verwandelt, in jene hoch zujammengejette, auf hoher Stufe organischer Miſchung jtehende Ver— bindung von Stickſtoff, Kohlenſtoff, Wafleritoff und Sauerjtoff, die den erjten Anſtoß giebt zum Leben der Pflanze. Ohne feine Nährkraft für die Pflanzen einzubüßen, fann das Ammoniaf durch Aufnahme von Saueritoff in Salpeterfäure und Wajler ſich verwandeln. Vers Ichiedene Pflanzen, Kreſſe, Sonnenblumen, beziehen ihren Stiejtoff aus Salpeterjäure ebenjo gut, wenn nicht bejjer, wie aus Ammoniafjaen (Boujjingault, Lawes, Gilbert und Pugh). Dagegen jcheint der Stiefjtoff der Luft als jolcher unmittelbar zum Aufbau der Pflanzen nichts beizutragen. Für bejtimmte Pflan- zen, wie die Bohne*), hat Boujjingault durd genaue Verſuche den Beweis geliefert, daß jie beim Ausschluß von Ammoniafverbindungen und Salpeter feimen und wachen können, ohne den Stidjtoffgehalt, ) Phaseolus nanus. mr id der urjprüngli in den Samen enthalten war, zu ver— mehren. Sp wird es doppelt bedeutjam, day Regenwaſſer bei Gemwittern und auch ſonſt häufig jalpeterfaures Am— moniaf enthält. In ihm find die beiden Sticjtoffquellen für die Pflanzenernährung vereint, und damit iſt eine unerläßliche Bedingung zur Bildung von Eiweiß erfüllt. Lösliches Eiweiß oder Stoffe, die mit dem lös— lichen Eiweiß den höchjten Grad von Uebereinjtimmung zeigen, verjeßen das Stärfmehl der Samen und Wur— zeln in den gelöften Zuſtand, das heißt, ſie jegen das— jelbe in Bewegung. Dieje Bewegung bedingt das Keimen. Schon ragen die erjten grünen Blättchen aus der Erde hervor und jchon beginnt die Aufnahme von Koh- lenſäure der Luft, welche mit Hülfe von Ammoniak oder Salpeterfäure, von Wafjer und Salzen jene unjchein- baren Dlätthen in Bush und Wald verwandeln kann. Die Zerjeßung der Kohlenjäure, welche das üppige Wuchern der Pflanze möglich macht, geht in allen grü- nen Pflanzentheilen vor jich, die vom Licht bejchienen werden. Sa, es iſt diefe Zerjeßung nicht einmal auf die rein grünen Theile ausſchließlich beſchränkt. Auch die grüngelben Blätter der auf Objtbäumen ſchma— rotzenden weißen Mijtel*), die allerdings auch etwas *) Viscum album. 78 grünen Farbſtoff enthalten, vermögen die Kohlenjäure zu zerlegen (Lu). Aber die Kohlenjäure jtammt von athinenden Men- Ihen und Thieren, von dem Holz und den Steinfohlen, die wir verbrennen; jte ijt aljo ein Auswurf des Thier— lebens oder ein todter Rückſtand gewaltiger Pflanzen- leihen. Die Pflanze führt den Kohlenjtoff in den Kreis des Lebens zurüd. Gebunden wird indeß der Kohlenſtoff nur, wenn die Pflanze zugleich Salze im Boden vorfindet und Sauerſtoff in der Luft. Wenn der Sauerſtoff fehlt, vermögen die grünen Blätter jelbjt im Licht die Koh— lenjäure nicht zu zerjeßen (Theod. de Sauſſure). Luft und Erde machen erjt die Kohlenjäure fruchtbar, die jich jonjt anhäufen würde zur Qual und Yebens- gefahr von Menjchen und Thieren. Wie das Korn auf dem Felde, jo jammelt das Vieh auf der Weide das Ammoniak und die Kohlen: jäure, nachdem jie in Eiwei verwandelt jind, in einer GSejtalt, die dem Menjchen zur Nahrung am tauglich- Iten ift. Grzeugung von Eiweiß, von Nett und Salzen it für den Aderbau und die Viehzucht gleichmäßig Hauptziel. Derjelbe Kohlenſtoff und Stickſtoff, welche die Pflan— zen der Kohlenjfäure, der Dammjäure und dem Am— moniak entnehmen, jind nach einander Gras, Klee und 19 Weizen, Thier und Menſch, um zuleit wieder zu zer- fallen in Kohlenjäure und Wajjer, in Dammjäure und Ammoniak. Hierin liegt das natürliche Wunder des Kreislaufs. . Das Wunder offenbart ſich in der Ewigkeit des Stoffs durch den Wechjel der Korm, in dem Wechjel des Stoffs von Form zu Form, in dem Stoffwechjel als Urgrund des irdiichen Lebens. Alle Mühe des Menjchen bewegt ſich auf Bahnen, die in den Kreislauf des Lebens einmünden wie Strah- len. Das Ringen iſt näher und ferner dem Mittels punkt, je nach den Giraden des Bewußtſeins. Je näher wir aber dem Mittelpunkt jtehen, je Elarer wir ung bewußt jind, daß wir durch die richtige Paarung von Kohlenjäure, Ammoniak und Salzen, von Dammjäure und Wajjer an der höchſten Entwicklung der Menſch— heit arbeiten, deſto mehr wird auch das Ningen und Schaffen veredelt, mit dem wir das Rollen der Gle- mente auf den fürzejten Weg zu unjeren Zielen zu bannen juchen. Denn das .it die erhabene Schöpfung, von der wir täglich Zeugen find, die nichts veralten und nichts vermodern läßt, dal Luft und Pflanzen, Thiere, Men- ſchen jich überall die Hände reichen, jich immerwäh— rend reinigen, verjüngen, entwiceln, veredeln, dal; jedes Ginzelwejen nur der Gattung zum Opfer füllt, dal 80 der Tod jelbjt nichts iſt als die Unjterblichfeit des Kreislaufs. Die Pflanzen jind die Hohepriejter, die in dem von der Sonne erleuchteten Tempel unjeres Erdballs fort und fort die Vermählung zwiſchen Luft und Erde voll ziehen. Sie ſchmücken das Opfer, das Thiere und Menſchen am eigenen Leibe verbrennen. Sie leben von dem Opferthier und halten es doch jelber am Leben. — Rt 4 81 Wer: Die Pflanze und der Boden. Wenn man die getrocdneten Blätter der Thee— jtaude verbrennt, dann kann man an der Narbe der Aſche unterfcheiden, ob man es mit chineſiſchem oder mit Sava-Thee zu thun hat. Durch den bedeutenden Ge— halt an Eifenoryd ijt die Aſche des leiteren viel vöther gefärbt. Auch der Aufguß des Java-Thees iſt dunkler als der des chineſiſchen, weil das Eifenoryd mit der Gerbjäure der Theeblätter eine jchwarzblaue Verbin- dung eingeht (Mulder). Es ijt klar, day der Gijengehalt des Bodens jener fruchtbaren Inſel die Urjache jein muß, weshalb der Java-Thee noch immer dem chinejiichen nicht ganz gleich zu jeßen ift. Und wenn im Süden der Bereinigten Staaten Nord-Amerifas, in Alabama, Georgien und Sid-Garolina, wenn gar in Brajilien der Theebau ‚nur allmälig die Blüthe und Vorzüge erreicht, die in China gegeben jind, jo hat man die Gründe zu einem großen Theil im Boden zu fuchen. 8 Die feine Teltower Rübe verläßt den Märfer Sand nur auf Kojten ihres Geſchmacks. Im üppigen Boden der NRheinprovinz verwandelt ſie jih in unförmliche Knollen, in denen der Berliner fein Lieblingsgericht nicht wieder erfennt. Wie der Thee und die Rüben, jo der Tabak und die Nebe. Der Havannah artet auf Java allmälig aus. Man hat es umſonſt verfucht, in Amerika durch europätjche Heben ein dem Rheinwein gleiches Erzeugniß zu erzielen. Alle dieſe Thatſachen erklären jich auf die befrie— digendjte Weije durch das regelmäßige Verhältnig der organischen Grundlage der Pflanzen zu den Salzen des Bodens. Ob ein Baum ſüße oder bittere Mandeln trägt, hängt lediglih vom Standort ab. Liebig berichtet von Fällen, in denen es hinreichte, einen Baum, der bittere Mandeln trug, zu verjegen, um ſüße Mandeln zu erzeugen. In leisteren fehlt der eigenthHümliche Man— delitoff*), der jich durch eine in allen Mandeln vorhans dene Hefe**) in Bittermandelöl und Blauſäure verwan- delt. Durch die veränderte Nahrung jhlägt die Rüd- bildung im Mandelbaum eine andere Richtung ein, jo daß bald Mandeljtoff erzeugt wird, bald nicht, gleichwie der Harn pflanzenfrefjender Thiere, wenn jie Brod ohne Kleie *) Amygpdalin. **) Einulsin oder Synaptase. 83 frefien, nur gewöhnliche Harnſäure, bei der Fütterung mit Gras, Stroh und Kleie dagegen auch Pferdeharn— jäure führt (Hallwahs, Meißner und Shepard). “ Kartoffeln, die im Keller feimen, enthalten einen giftigen Körper, der ſich auszeichnet durch jeine Ver— wandtihaft zu Säuren. An die Stelle der Alfalien oder Erden, welche die über dem Boden liegenden Knollen nicht aufnehmen konnten, tritt ein organijches Alkali, das jih in der Pflanze jelbit entwidelt. Se weniger Kalf der Chinabaum im Boden vorfand, dejto mehr Ghinin it in der Rinde an Chinajäure gebun— den. So kann im Mohnjaft die Mohnjaure*) durch) Schwefeljäure vertreten werden. Durch die Aufnahme eines jonit in den Pflanzen nur ausnahmsmweije auftretenden Stoffes, des Zink- oryd3, können einzelne Pflanzen ihre Tracht jo wejent- lich ändern, dal man ſie als bejondere Abarten, went nicht gar al3 neue Arten betrachtet. Bellingroth’3 Unterfuchungen haben wegen diefes Verhaltens das Gal— meiveilhen **) berühmt gemacht. Riſſe hat die von Bellingrodt-herrührende Beobachtung nicht nur bes jtätigt, jondern fie noch auf das Alpenhellerkraut ***) ausgedehnt, dejien Blätter in ihrer Ajche über 13 Pros *) Mekonſäure. **) Vjola tricolor calaminaria, ***) 'Thlaspi alpestre calaminarium. 84 cent Zinforyd enthielten. Beide Pflanzen wachjen auf den Galmeihügeln bei Aachen. Andere Pflanzen, die ih nad) Riſſe's Unterfuchungen gleichfalls durch ihren bedeutenden Gehalt an Zinkoryd hervorthun, jcheinen eben dem dortigen zinfhaltigen Boden ein üppiges Wachs— thum zu verdanken, jo zum Beiſpiel verſchiedene Arten des Yeimkrauts *). Es ijt eine merkwürdige Beobachtung der neuejten Zeit, dab die Weine Jod führen. Unter den frans zöjiihen Weinen ijt diefer Grundſtoff am reichlidhiten vertreten in dem Wein der Granithügel von Beaujo- lais und Maconnais, am jpärlichiten in dem auf weiker Kreide gewachjenen Champagner. Der Bordeaurwein von der Tertiairichichte der Givonde ijt ärmer an Jod als daS Gewächs der grünen Kreide, die jih von Cahors bis nad la Rochelle erjtredt (Chatin). Wenn die gemeine Brunnenfrejje in fließenden Waſſer wächſt, iſt ſie als Arzneimittel beſonders ge= ſucht. Sie verdankt dann eben einen Theil ihrer Heil— kraft dem Jod, das ihr von fließendem Waſſer immer neu zugeführt wird und deshalb reichlicher in ihr vor— kommt, als in Brunnenkreſſe, die aus ſtehendem Waſſer geſammelt wurde (Chatin). *) Armeria vulgaris und Silene inflata. Siehe die Mit— theilungen von Riſſe bei Julius Sachs, Handbuch der Erpes rimentalphyftologie dev Pflanzen. Leipzig 1865, ©. 153, 154. 85 Der Vortheil der Brache, der Wechſelwirthſchaft, des Mineraldüngers, der Nutzen von Gyps, von Mer— gel und Knochen ſind ebenſo viele ſprechende Beweiſe für das ſtoffliche Verhältniß der Pflanze zum Boden, das im Leben längſt als Thatſache feſtſtand, bevor es die neuere Wiſſenſchaft begreifen lehrte. Auch der fruchtbarſte Boden wird zuletzt erſchöpft. Es iſt eine bekannte Erfahrung, daß die Weinberge Kali erfordern. Wir haben es neuerdings durch Ber— thier gelernt, daß dieſes Kali nur zu einem ſehr kleinen Theile in die Trauben, dagegen großentheils in Holz und Blätter der Reben übergeht. Aber die Traube ſetzt die Rebe voraus. Und wenn auch Bouſſin— ganlt, einer der wiſſenſchaftlichſten und erfahrenſten Bearbeiter landwirthſchaftlicher Fragen, erwieſen hat, daß Kartoffeln, Weizen un Runkelrüben dein Boden mehr Kali entziehen als der Weinftocf, jo ijt doch das Salt im Boden auch Fir die Rebe Bedürfniß. Und zwar nicht bloß weil die Nebe Kalt führt. Durch die fohlenfauren Alfalien des Kuhmiftes wird nad) Liebig die Menge des Zuckers in den Trauben vermehrt. Weil Kartoffeln dem Boden das Kali entziehen, würde man durch Kartoffeln einen Weinberg verder- ben; es würde in der Erde eine Quelle erfchöpft, die für den Weinſtock fließen muß. Einem gleichen Klächeninhalt des Bodens wird vom 86 Weizen in derjelben Zeit fünfmal joviel Kalt und Phos— phorjäure entzogen al3 von einem Buchenwald, und Kiefern begnügen jich mit etwas mehr al3 der Hälfte jener Stoffe, welche die Buchen in Anjprucd nehmen. Hierin ijt einer der merkwürdigſten Gegenſätze zwiſchen Feldbau und Korjtwirthichaft gegeben. Der Feldbau erichöpft den Boden vorzugsweile an Kali und Phos— phorfäure, die Koritwirthichaft vaubt ihm inSbejondere den Kalk (Frejenius). Fluorcalcium ſchadet der Haferpflanze, während es in der Gerjte vorkommt. (James Müller um Blake) Kochjalz wirft nachtheilig auf Buchmweizen, während es bei gleichzeitiger Anwejenheit von Damm- erde für Gerjte und Hafer nützlich iſt (EE. Wolff). Roher Gyps, ſalpeterſaures Kali, ſalpeterſaures Am— moniak und ſchwefelſaures Natron ſind nach Iſidore Pierre die fruchtbarſten mineraliſchen Düngmittel für Klee, und zugleich, trotz dem hohen Preiſe der ſalpeter— ſauren Salze, die billigſten im Vergleich zum Ertrage. Kohlenſaures Kali iſt ein vortrefflicher Dünger für Runkelrüben, indem es ihren Zuckerertrag vermehrt, während thieriſcher Dünger die Menge des letzteren herabdrückt und dafür die der ſalpeterſauren Salze ſtei— gert (Herth). Die Thatfahe, day unſere Getreidefamen jo auf: fallend reich jind ‚an jticjtoffhaltigem Kleber, an Phos— 87 phorjäure und Bittererde, veranlahte Pierre zu ver- juchen, ob nicht ein Doppeljalz, welches Phosphor— ſäure, Bittererde und Stickjtoff in der Korm von Am— moniaf in jich vereinigt, auf die Ergiebigkeit der Erndten fruchtbar wirfen würde. &3 zeigte jich in der That, daß phosphorjaures Bittererde-Ammoniaf, in einer Menge von 150 bis 500 Kilogramm dem Hektar zugejekt, Ene außerordentlich günjtige Wirkung entfaltet. Wei— zenförner wurden in Folge jenes Zuſatzes um 3 Pro— cen: jchwerer, und der Ertrag des Buchweizens wurde reichlich verſechsfacht. Berjchiedene Pflanzenarten erfordern alfo beſtimmte Mineralbejtandtheile im Acer, die, wenn fie fehlen, durch die Kunſt ergänzt werden müfjen. Hiernach fann die Aufgabe des Landwirths auf dop- pelte Weije gelöjt werden. Entweder wird der Ader als gegeben betrachtet, und danı hat man je nach dem Acker die Frucht zu wählen. Dder aber die zu er- zielende Erndte wird als feititehend angenommen, dann hat man den Dünger je nach der Beichaffenheit des Bodens umd den Bedürfnifien des Gewächſes einzurichten. Da zum Beipiel nah Boujjingault Kartof- feln und Runkelrüben beide dem Boden eine außer— ordentliche Menge von Kali entziehen, jo wird es un- zwedmäßig fein, auf einem Acer, deſſen Kaligebalt durch Kartoffeln erjchöpft ift, Runkelrüben zu bauen, 58 Man wählt im Einklang mit der Bejhaffenheit des Ackers eine andere Frucht, die nicht auf Reichthum an Kali angewiejen iſt, oder verbejjert den Boden durch Brachfrüchte, die kurz vor der Blüthe eingeadert wer— den. Letztere theilen den höheren Schichten der Erde die Salze mit, welche ihre Wurzeln aus der Tiefe aufgenommen haben. Während der Brache aber iſt augerdem die Vermwitterung thätig; es werden neu— Mengen von kieſelſaurem Kali neuen Erndten zur Vers fügung gejtelft. Auf dieſer Kenntniß der Bedürfnifje der einzenen Pflanzen beruht das Geheimnig der Wechſelwirthſchaft, der Brache, und es iſt Liebig's unjterbliches Ver— dienjt, daß er in der fruchtbariten Weije den hier— her gehörigen dunklen Erfahrungsſätzen wiſſenſchaftliche Gründe untergebreitet, an die Stelle des Geheimniſſes ein offen erkanntes Naturgeſetz gebracht hat. Im Weinberg iſt das Verhältniß umgekehrt, mit dem Acker verglichen. Er ſoll Jahr ein Jahr aus Trauben liefern. Die Wahl der Pflanze richtet ſich nicht nach dem Boden, alſo muß der Dünger der Rebe entſprechen. Darum bringen wir mit dem Kuhmniſt kohlenſaure Alfalifalze in den Weinberg. Denn fehlen dieje jo weit, daß der Weinjtoc die erforderlihe Menge für Blatt und Nebe nicht aufnehmen fann, dann hilft feine Sonne einen guten Jahrgang zu erzeugen. 59 Ohne Rebe und Blätter feine Trauben. Nichts— dejtoweniger ijt e3 in manchen Fällen von Belang zu wiſſen, daß der eine Bejtandtheil den Stengel, der andere die Frucht begünitigt. So wird nah Wolff durch Eohlenfaures Kali das Wachsthum aller Theile befördert, die vorzugsmweile Zellſtoff enthalten, die Ent- wicklung von Blatt und Stengel, während phosphor- faure Salze dag Gedeihen der Frucht bewirken. 63 iſt befannt, daß die Frucht in allen Fällen durch ihren Reichtum an Phosphorjäure und an Eiweiß ausge— zeichnet ilt. VBhosphorjaure Salze und eiweißartige Kör- per jind die Urjachen, weshalb fein anderer Pflanzen— theil mit der Frucht Des MWeizens, mit dem Samen der Hülfenfrüchte verglichen werden kann. Der Acer: bau, jofern er jich mit dem unmittelbariten Bedürfniß, mit der Grnährung des Menjchen befaßt, kennt Feine höhere Aufgabe, als die Erzeugung von Eiweiß und das Sammeln von phosphorjaurem Kali und den phosphors jauren Verbindungen des Kalks und der Bittererde. Sp wird es denn verjtändlich, warum das Streben der Zeit immer bewuhter darauf gerichtet ijt, im ein— zelnen Fall den rechten Mineraldünger zu erkennen. Und wenn wir uns bei der ſtets wachjenden Bevölke— rung die Möglichkeit denken, daß Mangel an phos— phorjaurem Kalk, Mangel an Knochenerde, eintreten jollte, dann gewinnen die Entdeckungen der Lager von 90 Knochenſtein, von phosphorſaurem Kalk, in der Wetterau und in Eſtremadura ihre höchſte Bedeutung. Der Mineraldünger nützt indeß nicht bloß durch die Salze als ſolche. Der kohlenſaure Kalk, die kohlen— ſauren Erden überhaupt, die kohlenſauren Alkaliſalze geben in der Wärme Kohlenſäure ab. Unter der Ein— wirkung der Sonnenſtrahlen verliert der kohlenſaure Kalk des Mergels erſt Waſſer und dann Kohlenſäure, die zugleich mit dem Waſſerdampfe fortgeriſſen wird. So entſtehen nad) und nach Verbindungen, die mehr Kalk als früher enthalten, ein Kalkſalz, in dem der Kalk über die Säure vorherrſcht, ein baſiſches Kalkjalz. (Jacquelain). Im Winter nimmt das bafiihe Salz wieder mehr Kohlenfäure auf, und dadurch it für den Sommer eine neue Quelle von Kohlenjäure gegeben. Diejer Einfluß des Mergels und anderer Körper, die kohlenſaure Salze führen, jteigt mit der Wärme, Er kommt bei dem üppigen Wachsthum zwijchen den Wendekreiſen in Betracht. Hierdurch wird die Wirkung des Düngers erklärt, der in Nord-Deutſchland unter dem Namen Poſt be— kannt iſt. Der Poſt beſteht aus einer Pflanze, aus Chara-Arten, die nach Schulz-Fleeth durch ihren außerordentlichen Reichthum an kohlenſaurem Kalk aus— gezeichnet ſind. Man bringt dieſe Pflanzentheile im 91 Herbit auf den Ader und läßt jie den Winter über vermwittern. Da es nun dem betreffenden Boden an fohlenfaurem Kalk nicht fehlt, jo kann der Poſt nicht wirken durch fein Kalkſalz. Er iſt wie der Mergel eine Quelle von Kohlenjäure, welche die Entwicklung der organischen Grundlage der Pflanzen befördert. Adgejehen von der unmittelbaren Wirkung durch ihre anorganijchen DBeitandtheile, nützen aljo Mergel und Poſt und andere Verbindungen, die Eohlenjauren Kalt enthalten, durch die im Sommer jich eveignende Abgabe von Kohlenjäure, welche jelbjt ein Mittel tft, den Fohlenfauren Kalf und andere an sich unlösliche Körper im Wafjer zu löſen. In jolcher Weije wird der Boden ſelbſt eine Quelle von Kohlenſäure. Aber ebenjo wie die Kohlenſäure, und mehr noch, iſt das Ammoniaf der Erde von Be— deutung. Jeder thieriiche Dünger, und namentlich der Harn, bereichert den Ammoniafgehalt des Bodens. Die Bilanzen, die für den Aderbau am wichtigiten find, die Getreide, welche den Menjchen treuer, oder mindeſtens ebenjo treu begleiten, wie die treuejten Haus- thiere, die Erbſen, Bohnen und Linjen, jind jo reich an Stickſtoff, an Eiweiß, das diefen Stickſtoff enthält, daß wir fünjtlich Ammoniak zuführen müſſen, um unjer Bedürfniß durch diefe Pflanzen zu decken. 92 Dat Kartoffeln auch bei der reichlichſten Düngung wenig Stiejtoff ftefern, beweijt nichts gegen die Wir- fung des Düngers, jondern nur gegen die Fähigkeit der Kartoffelpflange, eine reichliche Eiweißmenge in ihren Wurzeln zu erzeugen. Ohne Dünger vermag der Wei- zen nicht den Ueberfluß zu bereiten, den wir in guten Jahren jegnen. Ehen deshalb ijt auch jedes Mittel jo wichtig, wel— ches das an ſich flüchtige Ammoniak in der Erde zu fejjeln vermag. Liebig hat in diefem Sinne auf die Bedeutung des Gypjes aufmerfjam gemacht. Gyp3 it eine Verbindung von Kalk und Schwefeljäure, welche £ohlenjaures Ammoniak in fohlenjauren Kalk und in das nicht flüchtige ſchwefelſaure Ammoniak verwandelt. Mene hat gezeigt, daß ſich der Gyps durch andere ihwefeljaure Safe, durch freie Schwefelfäure, Salz- jäure, Salpeterfäure erjegen läßt. Natürlich, weil alle dieje Säuren gleichfallS das Ammoniak zu binden ver: mögen. Eine bejondere Bedeutung gebührt unter diefen Säu— ven der Schwefeljäure, injofern ſie den Pflanzen den Schwefel für ihre Eiweißkörper zuführt. Darauf be= ruht hinwiederum zum Theil der Nuten des Gypjes. Die Schwefeljäure defjelben wird, wie Kohlenfäure und Waſſer, in der Pflanze ihres Sauerjtoffs beraubt, und während ſich der Schwefel mit Stidjtoff, Kohlenſtoff, 93 Wajjerjtoff und Sauerſtoff zu Eiweiß verbindet, wird der Kalf des Gypjes an Kleeſäure gebunden, die in der Pflanze jelbjt gebildet wird. Diefer Eleefaure Kalk, der jih in den Pflanzenſäften nicht gelöit erhalten kann, wird kryſtalliniſch abgejchteden, und in Folge deſſen die giftige Kleeſäure unſchädlich gemadt (Holzner). Für die Zufuhr von Ammoniak find indes Damm— jäure und Quellſäure nicht minder wichtig als der Gyps. Dammjaures Ammoniak bietet der Pflanze Stiejtoff, Kohlenjtoff, Waſſerſtoff und Sauerjtoff in Verhält— nifjen, die zur Entwicklung des Eiweißes günftig er- Iheinen. Darum ijt der Ertrag einer Wieſe bedeuten- der, wenn jie mit einer Quelle bewäfjert wird, welche reich ijt an quellſaurem und quelljaßjaurem Ammoniak, al3 wenn man die gleiche Wafjernenge einer Quelle entnommen hat, die verhältnigmäßig arm an diejen Salzen iſt (Chevandier und Salvctat). Nenn man aber auch ganz abjieht von dem, was der Acer durch organifche Beimiſchungen zur Entwic- lung der Pflanzen beiträgt, jo ergiebt jih doch aus den mitgetheilten Ihatjachen, daß die Bodenbejtand- theile auf vielfache und eingreifende Weile in die Ent— wicklungsgeſchichte des Pflanzenlebens verflochten find. In der unmittelbarjten Weile tritt die Kieſelſäure als ein Bauftoff in den Planzenzellen auf. Nicht bloß in den Dberhautzellen, jondern auch in dem inneren 94 Zellgewebe der Blätter und Stengel zahlreiher Pflan— zen finden jich SKiejeljäuretheilhen gleihjam in den Zellitoff eingejprengt, jo daß jene edenjo gut zu dem Aufbau der Zellmand beitragen, wie dejjen organijche Grundlage. Oft iſt die Menge diejer Kiejeljäure jo groß, dar man geradezu von Verkiejelung der Pflan- zentheile jpriht (Hugo Mohl). Kohlenjaurer Kalk iHeint in vielen Fällen dieje Rolle der Kiejeljäure zu übernehmen. Und in diejen Beijpielen iſt es am deut- lichſten, daß ſich die organischen Gebilde nur jcheinbar von der Erde ablöjen. Auf einem fleinen Ummege betheiligt jich der ſchwe— felſaure Kalk noch inniger an dem Aufbau des Pflanzen- leibes, indem er mit jeinem Schwefel unmittelbar in die Zujammenjegung der Eiweißkörper eingeht. Bielleiht it die Bedeutung des Gijens für den grünen Farbſtoff der Pflanzen nicht minder unmittel— bar, jedenfall aber hängt die Bildung jenes geſchäf— tigen Zerleger der Kohlenjäure durchaus von der Zu— fuhr von Gijenjalzen ab. Dieje Gijenjalze Fönnen nicht bloß dur die Wurzel, jondern ebenjo gut durch die Blätter aufgenommen werden. Wenn man bleichjüd- tige Blätter rechtzeitig mit einer Auflöjung von ſchwe— feljaurem Eiſenoxydul bejtreicht, dann jieht man dies jelben nach wenig Tagen aufs Neue ergrinen (Gris, Riſſe, Sachs). 95 Der Kalt, der als Schwefelträger gedient hat, bindet dann jpäter Erzeugnijie, die aus der Nüd- bildung in der Pflanze hervorgehen. Es ijt aber nicht unwahrſcheinlich, daß die Entjtehung organijcher Säuren in der Pflanze, die jo häufig an Kalk ge= bunden jind, gerade durch die Anmwejenheit von frei werdendem Kalk bedingt oder erleichtert wird. Klee— jaurer und mohnjaurer Kalf, von denen oben die Rede war, wären ſonach nur Nebenerzeugnifie, Die bei der Bildung von Eiweißkörpern entitehen. Wenn aber Kalk Kleeſäure bindet, jo verwandelt er einen dem Pflanzenleben feindlichen in einen ganz unſchul— digen Körper. Kalijalze jind für das Wachsthum der Pflanzen jo wichtig, daß jhon de Saujjure den Sat auf: jtellte, der Kaligehalt einer Pflanze jei als ein Maaß für die Lebhaftigfeit ihrer Entwicklung zu betrachten. Seit lange weiß man, daß die große Mehrzahl der Pflanzen in dem Haushalt der Natur als die Kali— jammler an der Erdrinde betrachtet werden fann. Und dieſe TIhatjache iſt unjerer Aufmerkſamkeit ſchon um deswillen werth, weil auch unſer Blut und Fleiſch dieſer Kaliſalze ſchlechterdings bedürfen. Wir wiſſen ferner, daß gerade die Pflanzentheile, die viel Stärke— mehl und Zucker enthalten, auch reich an Kaliſalzen ſind, jedoch die Art und Weiſe, in der ſie eine der I6 Pflanze und der Erzeugung von Stärfemehl und Zuder jo wichtige Rolle jpielen, ijt bisher nicht aufgeflärt. Sp viel aber liegt klar vor Augen, der Boden iſt der erſte der großen irdiſchen Einflüſſe, nach denen ſich Pflanzen, Thiere, Menſchen richten. Auf den Hoch— ebenen der Anden ſind Kornfelder, die ſeit zwei Jahr— hunderten jährlich reichliche Erndten geben. Mais wird in Beru, und jelbit im jüdlihen Europa, mit dem beiten Erfolg ohne Unterbrechung gebaut. Bei uns ge- deiht der Weizen nur vermöge einer vernünftigen Wech— ſelwirthſchaft In Virginien fann auf dem erjchöpften Boden weder Weizen noch Tabak gebaut werden. Wegen der Mannigfaltigfeit in dem Gemenge der anorganischen Beitandtheile, die jich an dem Aufbau der Pflanzen betheiligen, hat jeder Boden jeine eigene Flora, die den Menjchen mit der Mutteverde verknüpft. Durch die Pflanzen hängen wir unmittelbar mit dem Adfer zujammen. Die Pflanzen jind unjere Wurzeln, durch welche wir Eiweiß fürs Blut und phosphor- jauren Kalk für unfere Knochen aus dem Felde jaugen. Und jo gewinnt e8 eine tiefe, jtofflihe Bedeutung, wenn e3 heilt, daß der Menſch an der Scholle Elebt. Die Geſittung gehört zu den Wirkungen des Bodens, die man vielfach überjieht, weil man entweder hochmüthig nicht hinter die nächſte Urjache forſchen will, oder de— müthig ſich mit der allerferniten begnügt. VII. Pflanzen und Thiere. „Die Pflanzenfreſſer genießen ähnliche Nahrung „wie die Fleiſchfreſſer; fie genießen beide Eiweißſtoff, „jene von Pflanzen, dieſe von Thieren; der Eiweiß— „ſtoff iſt aber für beide gleich.” Mit diefen einfachen Worten verfündigte Mulder im Jahre 1858 eines der wichtigjten Gejete, Die das neunzehnte Jahrhundert zu Tage gefördert, denn jeit dem Mulder’jchen Gejete ijt die Lehre der Ernährung in einen neuen. Zeitraum eingetreten. Durch die Fähigkeit dev Pflanzen, aus Kohlenjäure, Ammoniak und Wafler, mit Hülfe einiger Salze, Ei— weiß, d. h. den Körper zu bereiten, der auf der höch- Iten Stufe organischer Miſchung jteht, wird der Luft— gürtel, der unſere Erde umgiebt, immer neu in den Kreis des ivdiichen Lebens gezogen. Aus Kohlenſäure, Ammoniat und Waller bilden die Pflanzen Eiweiß, aus Kohlenſäure und Waſſer Zuder und Stärfmehl, aus Stärfmehl Fett. 7 98 Eiweiß, Zuder und Fett jind die wichtigjten orga= niſchen Nahrungsitoffe der Thiere. Ihiere und Men— ſchen fönnen mitteljt der Pflanzen aus Kohlenjäure, Ammoniak und Waller nebjt einigen Salzen des Bo— dens hervorgehen. In jo wejentliher Weije ijt die Yuft an der Er- Schaffung der Erde beiheiligt. Indem die Pflanze Koh— lenjäure und Waſſer verwandelt in Zucker und Fett, vermittelt fie die Auferjtehung des thierijchen Lebens, das ganz, wie der bibliſche Mythus es lehrt‘, aus Luft und Erde gezeugt wurde, aber durd die allmächtige Hülfe der Pflanzen. Allein die Pflanzen ſchaffen auch die Luft. Die Kohlenjäure, die ihren Namen Bflanzenmutter verdient durch den überwiegenden Antheil, den ihr Kohlenſtoff an der Bildung des Prlanzenleibes hat, wird im Licht von der Pflanze zerlegt; ihr Sauerjtoff wird von der Pflanze ausgehaudt. Aber auch Stickſtoff wird in glei- cher Weiſe von den Pflanzen ausgejchieden. Waſſerpflan— zen, die in Wafjer wachjen, welches feinen Stickſtoff ent— hält, entwiceln dennoch eine bedeutende Menge diejes Gajes auf Kojten ihrer jticjtoffhaltigen Bejtandtheile de Saujjure, Draper, Cloöz und Gratiolet, Ad. und W. Knop). Sauerjtoff und Stiefjtoff ind jedoch die Hauptgaje in dem Gemenge, das wir atmoſphäriſche Luft nennen, 99 Jener Sauerſtoff it unabläſſig thätig an der Ver— bremmung von Pflanzen und Thieren. Alle Theile der Pflanzen nehmen ſowohl bei Tag wie in der Nacht Saueritoff auf, und diejer Sauer— ſtoff bewirft eine allmälige Verbrennung ihrer orgas niſchen Stoffe. Das gilt nicht bloß für Pilze und Schwämme, nicht bloß für Wurzeln und Blüthen, e3 gilt auch für alle grünen Pflanzentheile. Dieje lang- jame Verbrennung iſt in den Pflanzen, wie in den Thieren, al3 eine Quelle von Kraftäußerung zu be= trachten. Gerade zur Zeit erhöhten Lebens, beim Keimen des Samens, bei dem Entfalten der Knosſpe, der Befruchtung in der Blüthe iſt die Aufnahme von Sauerjtoff und die Abgabe von Kohlenjäure gejteigert (Bousfjingault, Vogel, Garreau, de Sauſ— jure). 63 wird im Folge dieſer Verbrennung aber nicht blos Kohlenjäure, jondern auch Waller gebildet (Vogel, Dudemans ımd Rauwenhoff). Unftreitig ijt aber der Eingriff des Sauerjtoffs in das Leben der Thiere viel mächtiger. Das Athmen von Thieren und Menjchen iſt eine fortwährende Ver- brennung. Der Sauerjtoff, den wir einathmen, ver: brennt das Blut zu Geweben, die Gewebe allmälig zu Kohlenſäure, Waller und Harnftoff. Und zwar wird durch Licht diefe Verbrennung im Thierkörper be= fördert. Ich habe durch zahlreiche Verſuche an Fröſchen 7 ‘ 100 gefunden, day ein gleiches Gewicht des Körpers diejer Thiere in derjelben Zeiteinheit im Xicht eine größere Kohlenjäuremenge liefert als im Dunkeln. Bettenfofer und Voit fanden, daß auc der Menſch, bei ruhiger Bejchäftigung ſowohl, wie bei an— gejtrengter Arbeit, in den zwölf Tagesjtunden mehr Kohlenjäure ausathmet, als in ebenjo viel Stunden der Nacht. Diejer Unterjchied ijt um jo mwahrjchein- licher zum Theil auf eine unmittelbare Einwirfung des Lichts auf den Stoffwechjel zurüdzuführen, als ich auch bei geblendeten Kröjchen die Menge der ausgehauchten Kohlenjäure für gleiche Zeit- und Gemwichtseinheiten im Lichte größer fand als im Dunkeln. Allerdings war der Unterjchied nicht jo groß wie bei unverjehrten Thie- ren, und deshalb darf man annehmen, da die Vers juhsperfon von Bettenfofer und Voit bei Tag einen geringeren Ueberihug an Kohlenſäure geliefert haben würde, wenn jie jtatt zu lejen und Uhren zu pußen ruhig gejchlafen hätte. Wie dem auch jei, ein Eingriff des Sauerjtoffs, der ji immer als Verbrennung fundgiebt, herricht in den weitejten Streifen bei Pflanzen und Thieren. Hiermit fällt eine Einteilung, die in neuerer Zeit wiederholt beliebt zu werden drohte, al3 wenn man die Pflanzen als jtoffbereitende Naturkörper den Thieren als verzehrenden in ſchroffer Eintheilung gegenüber: ftellen könnte, 101 Soweit der Sauerjtoff verzehrend wirft, erliegen Pflanzen und Thiere, jene wie dieje, jeinem Einfluß. Und es verriethe einen furzjichtigen Blik, wenn wir im Sauerjtoff für das Thier nur eine verzehrende Macht erfennen wollten. Wenn jich die eiweißartigen Stoffe des Blutes in Gewebe, in Knochen, Knorpel, Muskeln verwandeln, iit jo gut eine Aufnahme von Sauerjtoff die unerläß- fihe Bedingung, wie wenn der Muskel in Kohlen— jäure, in Waſſer und Harnitoff zerfällt. Der Körper des Menjchen gedeiht nur im Licht, aus demjelben Grunde, aus welchem beleuchtete Fröſche mehr Kohlen— jäure erzeugen als jolche, die im Finſtern ſitzen. In der Finſterniß wird bloß mehr Fett aufgeipeichert, wel— ches unter dem Einfluß des Lichts raſcher in Kohlen— ſäure und Wafjer zerfällt; hieraus erklärt jich die Erfah- rung, daß Gänje im Dunfeln leichter gemäjtet werden. Anbidung und Rückbildung reichen jich die Hand; jie verrathen ihre Verwandtſchaft durch das gleiche Ver— hältnig zum Sauerftoff. 63 wäre deshalb einfeitig, wenn man einen all- gemeinen, ducchgreifenden Unterjchied auf den Aus— ſpruch gründen wollte, daß die Pflanzen bereiten, was die Thiere verzehren. Solche jchroffe Eintheilungen find gewöhnlich Ausgeburten einer befangenen Vorjtellung zweckmaͤßiger Natureinrichtung. Die Anſchauung der 102 Natur al3 einer Anjtalt, welche den Zweck hat, in Fächer des menschlichen Hirns eingetheilt zu werden, und das Uebertragen dieſer Zweckbeſtimmung auf die zur Berjon herabgewürdigte Natur, welche die Pflan— zen jhafft, um Nahrung für die Thiere zu bereiten, und den Menjchen, um für die Pflanzen zu athmen, ruhen auf einer und derjelben jchmalen Grundlage einer Eindlihen Schulmeigung des Verſtandes. Betrachten wir aber Pflanzen und Thiere in dem großen Haushalt des organischen Yebens, in den immer mwechjelnden und immer in einander greifenden Bezie— Hungen, die uns gern bereit finden, allem Spiel der Eintheilung zu entjagen, dann kann uns freilich ein großer Gegenjat nicht entgehen, welcher der “Pflanze eine niedere Stufe der Thätigfeit zumeiit. Darin liegt der Kern des Pflanzenlebens, day es Luft und Erde organijirt. Der Leid der Pflanze, jo- weit er aus fejten Stoffen zuſammengeſetzt ijt, bejtcht großentheils aus Zellitoff, aus einer Verbindung, welche Kohlenstoff, Wafjerjtoff und Sauerjtoff genau in ders jelben Menge wie das Stärfmehl, nur in anderer Lagerung enthält. Alle jugendlichen Zellwände jind in der Pflanze durch Zellitoff gebildet. Es unterliegt feinem Zweifel, dal diejer Zellſtoff aus Kohlenjäure und Wafler hervorgebt. Kohlenjäure und Wajjer jind aber auperordentlich 105 viel reicher an Sauerjtoff als Zellitoft, al3 Stärfmehl und Zuder. Wenn aljo Zellitoff aus Kohlenſäure und Waſſer entjteht, dann müſſen dieje beiden nothwendiger Weiſe einen bedeutenden Verluſt an Saueritoff erleiden. Schon hieraus begreift jich, warum die Pflanze Sauerjtoff austaujcht gegen die Kohlenſäure, welche ſie aufnimmt. Ausſcheidung von Sauerſtoff iſt der erſte Grund und die oberſte Bedingung des Lebens, des Wachs— thums der Pflanze. Die eigenartige Verbindung von Kohlenſäure, Waſſer und Ammoniak zu Zellſtoff, Fett und Eiweiß, durch welche die Pflanze den Stoff auf die Stufe organi— ſcher Miſchung erhebt und zu organiſirten Formen ent“ wickelt, iſt unzertrennlich mit einer Ausſcheidung von Sauerſtoff vergeſellſchaftet. In dieſem Sinne kann man ſagen, daß die höhere Entfaltung des Stoffs zu organiſchem Leben und Ver— armung an Sauerſtoff gleiche Bedeutung haben. Ganz anders im Thier. Schon im Blut verbrennt das Eiweiß und liefert nach und nach Verbindungen, welche zu den wichtigſten Beſtandtheilen unſerer Ge— webe, zu den ächten Gewebebildnern gehören. Eine ſolche Verbindung von Eiweiß mit Sauerſtoff findet ſich in der Haut des ungeborenen und des neugebo— renen Kindes und verwandelt ſich nach und nach in Bindeſtoff, der aus derſelben leimgebenden Grund— 104 lage wie die Knochen bejteht. Wenn man diejen Binde- Itoff oder Knochen kocht, gewinnt man Tijchlerleim. Entwicklung des Bluts, Kortbildung der Blutbe- jtandtheile zu Geweben jind aljo an eine Aufnahme von Sauerjtoff geknüpft. Denn die Verbrennung tjt ja nichts anderes, als eine Verbindung mit Sauer- jtoff, die durch die Langfamkeit,. mit welcher jie er— folgt, von ihrem Wejen nichts einbüßt. Letzte Folge diefer Verbrennung, die in der That nur jehr allmälig vor ſich geht, erjt Hirn und Mus— feln bildet, und nach und nach bier über zahlreiche Zwijchenjtufen weiter führt zur Bildung von Harnitoff, von Kohlenjäure und Waſſer, iſt allerdings ein Zer— fallen des Stoffs. Wir jehen die Bejtandtheile des TIhierförpers von der Stufe organischer Miſchung, welche jie durch das Pflanzenleben evjtiegen hatten, zurück— fehren zu formlofer Luft und chaotischer Erde. In dieſem Sinne, aber auch nur in diejem Sinne, kann man jagen, daß die Pflanzen bereiten, was die Thiere verzehren. Die geringfügigen Umwandlungen, welche das Thier den pflanzlichen Stoffen ertheilt, um jeinen Leib daraus zu bauen, ruft andere Eigen— ihaften der Materie in den Vordergrund. Je mehr ein Körper durch die bloße Organiſirung der jtoff- lichen Welt in Anjpruch genommen wird, deito gering fügiger it die Ihätigkeit, welche die Bewegung feines 105 Stoffs nach anderen Seiten entfaltet. Die Pflanze denft nicht. Wir dürfen es demnach al3 einen wejentlichen, das innerjte Getriebe des Lebens betreffenden und doch nicht ausjchliegenden Unterjchied zwijchen Pflanze und Thier bezeichnen, dal jene vorzugsweile daran arbeitet, den Stoff jeines Sauerjtoffs zu berauben, während Diejes ihn nach und nach der vollendeten Verbrennung preig- giebt. Sp groß ijt diefe Neigung auf beiden Seiten, daß die kräftigſte Entziehung von Sauerjtoff, wie jte der Scheidekünſtler mit feinen mächtig eingreifenden Hülfs— mitteln zu Stande bringt, von der Pflanze, die höchſten Vorgänge der Verbrennung von dem Thier vollzogen werden. In der Pflanze werden jalpeterfaure Salze des Silber3 und Queckſilbers in den jauerjtofffreien Zu— jtand des Metalls zurüdgeführt (Bogel). Die Bildung des Salpeters, eines Salzes, das aus Salpeterfäure und Kali oder aus Salpeterjäure und Natron bejteht, ereignet jich in der Natur durch eine Verbrennung von Ammoniaf. Wenn Ammoniak ih mit Sauerjtoff verbindet, entitehen Salpeterjfäure und Wafler, um jo leichter, wenn die Salpeterfäure ein freieg Alkali, Kali oder Natron vorfindet, mit dem fie jich zu einem Salze paaren kann. 106 Wenn wir eine Verbindung des Ammoniafs mit dem Chlor in das alfalifhe Blut bringen, dann geht die Bildung von Satpeterfäure im menſchlichen Kör- per vor ſich. Man findet das Ammoniak im Harn als Salpeterjäure wieder. Während dev Genuß von weinjaurem ‚Kali den Harn in furzer Zeit alfaliich macht, bleibt ev jauer, wenn wir. weinjaures Ammo— niaf oder fohlenjaures Ammoniak genofjen haben. Das Ammoniak wird in der Form von Salpeterfäure und Waſſer mit dem Harn entleert (Bence Jones). Mit Rüdjiht auf jene Sauerſtoffausſcheidung der Pflanze und die Verbrennung im Thier kann man be— haupten, daß die Kraft des Lebens bei der Pflanze duch den Sauerjtoff, beim Thier durch die Kohlen- ſäure gemejjen wird, die jie in die Luft entwideln. Durch den Saueritoff, den die Pflanze aushaudt, athmet das Thier; von der Kohlenjäure, welche das Thier gegen Sauerſtoff vertaufcht, lebt die Pflanze. Die Reinigung der Luft dur die Pflanzen beruht auf der Entwicklung von Saueritoff. Man hat Hin umd wieder die Beſorgniß ausge— ſprochen, als könnte nah Jahrhunderten, nad Jahr— tauſenden eine Zeit hereinbrechen, in welcher die Pflan- zenmwelt der Erhaltung des thieriichen Lebens nicht mehr genügte, weil es nicht mehr Bäume genug geben jollte, deren Blätterfrone die Lüfte reinigt. Die Menge des 107 Sauerjtoffs, welche die Pflanzen aus zerjegter Kohlen— jäure entwiceln, jollte zu Klein jein, um das Athmungs— bedürfniß des Menjchen zu befriedigen. Man jtellte ſich alfo vor, die pflanzenfrejfenden Thiere würden nad) und nach die Pflanzenwelt, die Fleiſchfreſſer die Pflan- zenfrejjer aufzehren. Keine Borjtellung erliegt raſcher einer bejonnenen Ueberlegung. Es ijt eine der wichtigjten Folgerungen der Wägungen des Scheidefünjtlers, day fein Stoff- theilcden verloren gehen kann, das innerhalb des Kretjes der Anziehung unjerer Erde gegeben ijt. Die Menge des Sticjtoffs, Kohlenſtoffs, Waſſerſtoffs und Sauer- ſtoffs, des Schwefels und Phosphors, welche die or- ganijchen Stoffe der lebenden Naturkörper zujammen- jegen, ijt feinem Schwanfen unterworfen. Nur die Bertheilung wechjelt. Das Fortleben eines neugebor- nen Thiers, eines Säuglings, ijt nicht denkbar, ohne dal es eine andauernde Ernährungsquelle der Pflanzen darjtellt, durch die Kohlenjäure, die von beiven aus— geathmet wird. Die Verjchiedenheit der Thier- und Pflanzenarten außert jich weit weniger durch die Mengen des Stid- jtoffs, des Kohlenjtoffs und Waſſerſtoffs, des Sauer- ſtoffs, Schwefels und Whosphors, die in den Einzel: wejen der Arten vorfommen, als durch die verjchie- denen Verhältnißzahlen, nach welchen jene Grundſtoffe 108 mit einander verbunden jind. Aber dieſe Verhältniß— zahlen jeten als leisten Grund gemijje anorganijche Stoffe voraus, Kochjalz, Bergkryitall, Knochenerde, die bald durch ihr einfaches Vorhandenſein, bald durch ihre Menge die eigenthümlichen Verbindungen der organi- ihen Körper bedingen. Kochſalz, Bergkryſtall, Knochenerde und mie jie ſonſt heißen mögen, die anorganiihen Stoffe, melde in das Leben von Pflanzen und Thieren artbedingend eingehen, jind nicht nur in mächtigen Schiäten in der Erdrinde angehäuft, jie jind auch in reichen Vorraths— fammern über der Erde aufgejpeichert. Dieje Vor— rathsfammern jind die Leiber von Pflanzen und Thies ven; fie find unerjchöpflich, weil die Formen von Thier und Pflanze zerbrechlich jind. Wir verbrennen einen Fichtenwald, und jehen an derjelben Stelle jpäter ein Kornfeld blühen. Unter Beihülfe der Aſche der verbrannten Heidekräuter ver— wandeln wir Heide nach und nad) in Ackerland. Das Kali, der Kalk, die Bittererde, die Phosphorſäure, welde in den Fichten und Heidefräutern vorhanden waren, bejtimmen die Kohlenfäure und das Ammoniak der Luft, den niederfallenden Regen zu neuen Ver: bindungen, jie paaren jich mit diejen zur Grundlage des Yeibes von Nährpflanzen. Der Kalk, die Bittererde, das Kali, die Phosphor: 109 jäure und Schwefeljäure, die in jenen Pflanzen oder in Steinarten vorhanden jind und die Entſtehung nüß- liher Gewächſe veranlajjen, finden jich in übermäl- tigender Menge angehäuft in den Urwäldern Amerifas. Indem man dieje lichtet, indem man ihren Kalk, ihr Kali, ihre Phosphorjäure über den Erdboden zeritreut, werden unjere Nährpflanzen und Hausthiere neue Werk— zeuge gewinnen, um Stickſtoff, Kohlenjtoff, Waflerito ff und Sauerjtoff zu ihren organiichen Verbindungen zu vereinigen. So werden die Urwälder Amerikas nad) und nach in Keldfrüchte, in Hausthiere und neue Menjchen umgejeßst. Und jeder Tag begrüßt die Welt al3 neu ges bildet, ihre Stoffe in neuer Vertheilung, jo weit, dal es nur Neues, ewig Neues unter der Sonne giebt. Nie aber fann der Menjch die Ihiere, das Thier die Pflanzen bis dahin verzehren, daß es an grünen Blättern fehlen könnte, die Luft zu reinigen. Wäh- rend des Lebens und nach dem Tode verwandeln jich Menih und Thier in Stoffe, die nur Pflanzen Nah— rung bieten können. Die Pflanzen allein können aus diejen Nahrungsitoffen die Verbindungen bereiten, aus welchen der Leib von Menjchen und Thieren jich aufbaut. Erſt neuerdings hat ein genauer und gründlicher Forſcher die Schwankungen beobachtet, welche die Luft in Neu-Granada in Folge der alljährlichen großen Waldbrände erleidet, die bei den Eingeborenen las 110 quemas heißen. Die Menge der Kohlenjäure der Luft kann durch dieſe Feuersbrünſte jih um das Zehnfache jteigern, und der Sauerjtoff erleidet eine entiprechende Verminderung. Der Zelfftoff und die Holzitoffe des Waldes haben ihren Kohlenjtoff auf Koſten des Sauer- jtoffs der Luft in Kohlenjäure verwandelt. Dieje Koh— lenjäure gereicht dem Korn und den Erbſen zur Nah— rung (YewyN. Dhne Kohlenſäure it üppiges Wadhsthum der Pflanze nicht möglih. Das Athmen der Thiere er- fordert den Saueritoff der Luft. Aber der Saueritoff- gehalt der Luft kann wechſeln; es kann namentlich der Stiejtoff des Dampffreijes, der die Erde umgiebt, durch Waſſerſtoff erjegt, die Menge der Kohlenſäure bedeu- tend vermehrt werden, ohne dar Athemnoth eintritt, 10 lange noch Sauerjtoff genug vorhanden it (Reg— nault und Reijet). Noch bejjer können die Pflan— zen ausdauern in einer Luft, die nur aus Waſſerſtoff oder Sticjtoff beiteht, aber nur unter der Bedingung, daß jie, mit grünen Theilen ausgerüftet, einige Stun— den des Tags der Ginwirfung des Lichts ausgeſetzt werden (de Saujjure). Dann bereiten die Pflan- zen ich jelbjt aus der jchon in ihren Säften vorhan— denen Kohlenjäure den Sauerjtoff, an dejien Gegen- wart ihre Lebensäußerungen gebunden jind, und diejer Sauerjtoff Führt durch Verbrennung organijcher Bes 111 jtandtheile der Pflanze zur Bildung von Kohlenjäure, die ihrerjeit3, jo lange das Tageslicht die Pflanze be- jcheint, zu ihrer Nahrung gereicht. Das Verhältniß der Gafe der Luft könnte aljo ziemlich beträsätlihe Schwan— tungen erleiden, ohne den Leben von Pflanzen und Thieren gefährlich zu werden. Allein durch Den Ge— genjat Diejer beiden jind die Schranken, in denen der Wechjel möglich ijt, verhältnigmähig eng gezogen. Die jetige Weltordnung bejteht nur durch den jeßigen Dampffreis. Sp bedeutungsvoll nun auch die Saueritoif ent- widelnde Kraft die Pflanze dem in immerwährender Verbrennung begriffenen Thier entgegenjett, jo wenig ijt dieſer Gegenſatz ausjchließlih, das heißt demnach, ſo wenig kann er eine Eintheilung begründen. Wir haben bereits geſehen, daß die Pflanze der Verbrennung nicht entgeht. Bei Tag und bei Nacht athmen die Pflanzen, das heißt ſie nehmen Saueritoff auf und hauchen Kohlenſäure aus. Keimen und Blühen ſind durch eine verhältnißmäßig mächtige Verbrennung ausgezeichnet. Bei Tag läuft die Bildung von Koh— lenſäure mit deren Zerſetzung Hand in Hand, nur daß die letztere ſo ſehr über die erſtere vorherrſcht, daß eben dadurch das Wachsthum der Pflanzen be— dingt iſt. In der Nacht wird jedoch die Zerſetzung der Kohlenſäure unterbrochen. Sie ſtockt bereits im Schat— 112 ten, in der Dämmerung und an trüben Tagen (Gar— reau), bei einer Sonnenfinfternig (Ch. Morten). Wenn aber in der Pflanze die Aufnahme von Sanerjtoff nicht fehlt, jo haben wir im Thierreich ein Gegenbild dazu, in den Fällen, in welchen der Stoff- wandel auf eine Verarmung an Sauerjtoff hinausläuft. Als Liebig's glänzendite That für die Lehre vom Stoffwechjel iſt es mir immer erichienen, dal er die Fettbildung im Thierkörper fennen lehrte. Cine Kuh, die Milch und Butter liefert, erhält in ihrer Nahrung nur jo viel Nett, als ſie mit dem Koth verausgabt. Sie verdankt das Fett ihrer Butter dem Zeiljtoff, dem Stärfmehl des Futter. Aus Zellitoff kann im Kör- per der Pflanzenfrejjer Stärfmehl, aus Stärfmehl Zuder werden. Auch der Menjch verwandelt Stärfmehl in Zucker, Zucker in Milchſäure, Milchſäure in Butter— ſäure. Damit iſt die Fettbildung eingeleitet, dem Na— men Fettbildner für Stärkmehl und Zucker ſein Recht geſprochen. Das Mulder'ſhe Geſetz der Bereitung von Ei— weiß in Pflanzen und das Liebig'ſche Geſetz der Fettbildung im Thierkörper ſind zwei Errungenſchaften, die allein ſchon im Stande ſind, dem Jahrhundert einen würdevollen Platz in der Geſchichte der Naturforſchung zu ſichern. Durch jene Geſetze ſind Mulder und Liebig die erſten Begründer einer Lehre vom Stoff— 113 wechjel, die dem Stoff auf allen Entwicklungsſtufen, auf ahen Bahnen des großartigen Kreislaufs folgt. Nur glaube man nicht, daß der Pflanze die Fähig— feit, Nett zu bilden, abgeht. In den öligen Samen, in denen des Wunderbaums *) zum Beiſpiel, verwan- delt ſich jedenfals Stärfmehl oder Zuder in Fett, und es ilt nicht unmöglich, daß die Pflanze das Fett auch aus Kohlenſäure und Waſſer bereitet. Fettbildung im Thierkörper iſt das Gegenjtüc zu der Verbrennung im Pflanzenleib. Dieje Fettbildung beruht durchaus auf einer Verarmung an Sauerjtoff. In Stärfmehl und Zuder, die nur aus Kohlen ſtoff, Wafjeritoff und Sauerjtoff beſtehen, jind die bei- den lettgenannten Grundjtoffe in demjelben Verhältniß wie im Waſſer zugegen. Alle Fette enthalten dagegen weit weniger Sauerjtoff als dieſem Verhältniß ent— Iprechen würde. So wie die Entwicklung des Zucers im Thier über die Stufe der Milchjäure hinaus bis zur Butterfäure fortjchreitet, verliert die urjprüngliche Verbindung beinahe ein Drittel der Sauerjtoffmenge, die jie noch als Milchſäure bejah; Durch die Fettbidung ragt die wichtigite Eigen— thümlichfeit des pflanzlichen Stofiwechjels in das Thier— leben herein. Wenn im thierifchen oder im menjchlichen Körper die Fettbildung vorherrſcht, ſinkt er zur Stufe *) Rieinus communis. 114 der Pflanze hinab. Bei Kindern, die von der Ge- burt an mit Fettjucht behaftet jind, iſt mangelhafte Entwicklung des DVerjtandes als Regel vorhanden (Chambert). Begetiren heilt Grundſtoffe zu organijationsfähigen Körpern verbinden. Das gejchieht mitteljt einer Ver— armung an Sauerſtoff. Fettbildung ijt das leiste Glied in diejem Vorgang. Dur organijirte Verbindungen und deren Ver— brennung Empfindung, Bewegung, Gedanfen äußern, in den unzähligiten Abjtufungen bis zum jpurlojen Verſchwinden des Gedächtniſſes, heist Thier jein. Wir denfen in Folge des Vegetivens der Pflanze. 115 IX. Ernährung und Alhmung. Wo es nur immer gelungen iſt, einen Theil des Schleiers zu lüpfen, der das Geheimniß des Lebens verhüllt, drängt ſich uns als ein ebenſo bewunderungs— würdiges wie befriedigendes Merkmal deſſelben die Stetigkeit der Entwicklung auf. Nirgends beſteht ein eigentlicher Gegenſatz zwiſchen Werden und Vergehen, es iſt vielmehr immer das eine durch das andere bedingt, der Uebergang des einen in das andere ein ſo allmäliger, daß auch die feinſte Berechnung der kleinſten Umwandlungen dem Fluſſe der Erſcheinungen keine Unterbrechung abgewinnen kann. Vor der ruhigen, aber nimmer ruhenden Gewalt dieſes Fluſſes zerrinnen alle Verſuche, die einzelnen Vorgänge des Lebens nach Art der verſchiedenen Natur— körper zu ordnen und zu ſondern. Wer ſich in ſeinen Strom gewagt, verliert ſeine Freude an ſcharfen Ein— theilungen und bequemen Zweckmäßigkeitsvorſtellungen, erhebt ſich aber an dem Gedanken, daß das Werden, o 116 dem Borne der Nothwendigfeit entquolfen, mit Noth- wendigfeit ſein Weſen treibt, ohne Ziel und Gnde Wejenhaftes erzeugend, day es immer aus jich jelber Ihöpfend, nur Keime fennt und Früchte nur als Keime. Am Herzen der Natur begiebt jich der jtille Laujcher gern der Laune Ziele zu errathen, wenn er nur Ur— jachen ergründen, das Werdende erleben därf. Ein jolher Forſcher dankt es Spinoza und Koriter, das ſie alle engherzigen Zweckmäßigkeitsvorſtellungen bekämpft und mit fruchtbariter Klarheit überwunden haben, daß ihnen die Natur nicht eine Anjtalt, jondern das Weltall war, in dem es überall ſproßt und brandet, ohne je mit der Erndte oder dem Tode abzujchliegen. Eine ſolche Stetigfeit der Einwirfungen und Um— wandlungen, wie jie alle Zweckbeſtimmungen und darauf erbaute Eintheilungen Lügen jtraft, offenbart uns das alten des Sauerjtoifs im Organismus. Wenn wir oben jahen, dar die Pflanze ohne Sauer— ſtoffalhmung nicht Teben fann, und wenn damit aufs Treue eine von den Grenzen fiel, durch welche man die Natur wie eine Landkarte in Reiche einzutheilen itrebt, jo it doch unleugbar der Einfluß des Sauer— ſtoffs der Luft für alles thieriiche Yeben um jo eingreis fender, je höher es ſich entwicelt hat. Und der Grad der Entwicklung hat es bier nicht etwa bloß mit der Nangordnung zu thun, welche die einzelnen Ihierarten TAN. dem Menjchen mehr oder weniger nahe jiellt, jondern innerhalb eines einzelnen höheren Ihieres, im Men- jchenleibe jelbjt, it wiederum das edeljte Organ am jtrengjten auf die befebende Wirkung des Sauerjtoffs angemiejen. Schon im Mutterleibe empfängt das Ge— bien das jauerjtoffreichite Blut, und im geborenen Men— chen hört das Hirn zu denfen auf, wenn ihm das Blut feinen Sauerjtoff zuführt. Das Blut ift überhaupt der Saft, welcher in den Lungen und zu einem Fleinen Theile in der Haut den Sauerſtoff aus der Luft jchöpft, um ihn in alle Ge- genden de3 Körpers zu vertheilen. Im Blute aber find es die Billionen von vothen Körperchen, welche den Sauerjtoff binden und in ihrer raltlojen Bewer gung ihn allen Werkzeugen zutvagen, weshalb jie als eigentlihe Sauerjtorfträger zu bezeichnen ind. Inſofern e3 wahrjcheinlich ijt, dal die Anziehungs— fraft der rothen Blutkörperchen fir den Sauerjtoff zu ihrer Oberflähe in geradem Verhältniß jteht, und e3 ſich aljo in diefem Vorgang um eine jogenannte Flächenwirkung handelt, it die große Gejanmtober- fläche, welche den jo zahlreichen Blutkörperchen zukommt, von bejonderer Bedeutung. In Flächenmaaß ausge- drückt, ijt jene Geſammtoberfläche nach den Meſſungen Welcker's auf 5000 Quadratmeter zu jchäßen. Shen die Kleinheit der Blutkörperchen, deren größter 118 Durchmeſſer, bei ihrer auf beiden Flächen ausgehöhlten Sceibenform, nur /30 Millimeter beträgt, gewinnt nach dieſer Betrachtung die höchſte Wichtigkeit. Da fleine Körper im Verhältniß zu ihrer Maſſe eine große Oberfläche bejigen, und die Größe der Oberfläche die Wirkſamkeit der Blutkörperchen erhöht, jo wird bei diejen Arbeitern, deren Bierordt und Welder in einem KRubikmillimeter Blutes 5 Millionen zählten, die Seleinheit ein Vorzug. Und in der That beiten die- Fiſche größere Blutkörperchen als die Säugethiere, und die Lurche wiederum größere als die Vögel. Wenn man die jticjtoffhaltigen Stoffe, die in uns jerem Blut enthalten jind, mit denjenigen vergleicht, welche die Gewebe unjerer Organe zuſammenſetzen, jo findet man, daß während einige derjelben in ihren Gigenjchaften mit den eimweikartigen Stoffen des Bluts ganz oder nahezu übereinjtimmen, andere dagegen, troß mancher Aehnlichkeit, im jo vielen Merkmalen davon abweichen, das man jie in eine bejondere Gruppe als gewebebildende Abkömmlinge der eiweikartigen Körper zujammenjtellt. In den Geweben darf auch das überall verbreitete Eiweiß als Vorbild der eimweikartigen Kör- per gelten; unter den Abkömmlingen finden wir vor— zugsweiſe Horn und Yeint, Leim wird allerdings nicht als jolcher in den Ge— weben des Körpers angetroffen, jondern erſt durchs 119 Kochen der Knochen und Knorpel in zwei Abarten, als Knochen und Knorpelleim, erhalten, diejer aus jeiner wäſſrigen Löſung durch Eſſigſäure fällbar, jener nidt. Den Snochenleim Fennt Jedermann als den Hauptbejtandtheil, welcher die jogenannte Fleiſchgallerte gejtehen macht. Jene leingebenden Stoffe haben an den Aufbau unjeres Leibes einen überaus großen Antheil. Um ſich zunächſt durch einen allgemeinen Ueberblic davon zu überzeugen, bedenfe man nur, dab nicht bloß die organische Grundlage der Knochen und Knorpel beim Kochen in Waller Yeim giebt, jondern ebenjo alle Sehnen und Häute, und in größerer oder geringerer Menge alle Werkzeuge des Körpers. Ueberall nämlich werden die feinjten Formbeſtand— theile unjerer Werkzeuge, der Muskeln und Nerven, des Hirns und Rückenmarks, dev Drüjen und Gefäße von zarten Scheiden eines einhüllenden Stoffes um- ſchloſſen oder durch noch zartere Yagen einer verbin- denden Maſſe an einander gefittet, die jelbjt beim Kochen Xeim giebt. Dieſer Bindeſtoff füllt als Kitt oder Hülle die größte Zahl der feiniten Lücken und Spalten des Körpers aus. 63 gehört aber zu den ſchönſten Errungenschaften der neueren Zeit, zu deren Srwerbung Virchow und von NRedlinghaujen den Weg gebahnt, dal jener 120 Bindejtoff aus der gleichgültigen Nebenrolle, die man ihm anfangs zugemwiejen, zu einer nicht geahnten Frucht- baren Thätigfeit erhoben it. Was früher nur zur Ausfüllung oder zu jhüßender Dede bejtimmt jchien, ericheint uns num als daS Bett der geheimjten Saft— jtrömchen vom Blut zu den Geweben und aus diejen zurüf in die Blutgefäße, und zugleich als eine der wichtigjten Brutjtätten junger Zellen, die aus der un— entwicelten Jugendgeſtalt zu den eigenartigiten Gebil- den des Körpers ſich erheben können. Ein Gewebebeitandtheil, der jo mwejentlich zur Er— nährung und Erneuerung auch des erwachſenen Kör— pers beiträgt, verdient es wohl, dal wir jeinerv Menge etwas genauer nachjipüren, als es mit der bisherigen allgemeinen Betrachtung geichehen ilt. Schr dankens— werthe Wägungen, durch welde E. Biſchoff ermit- telt hat, der wievielte Theil des Körpergewichts durch die Hauptwerfzeuge des Yeibes gedeckt wird, gejtatten es, eine wenn auch nicht ganz jichere, doch annähernd befriedigende Berechnung darüber anzuitellen, wie groß die Menge leimgebender Stoffe im erwachſenen Mann jein mag. Bijchoff fand das Knochengerüjte. — 15,9 die Musfen .... = 4,5 das Fettgewebe... = 18,2 die Brufieingeweide. = 1,1 121 die Baucheingeweide = 7,2 BEE. — 6,9 das Gehirn..... = .59 Humdertitel des gejammten Körpergewichts. Der Mann, an weldem E. Biſchoff jeine Be- ſtimmungen vornahm, wog 69,668 Kilogramm, ich habe aber die Biſchoff'ſchen Werthe, behufs der folgen- den Berechnung, auf das mittlere Gewicht des dreikig- jährigen Mannes oder 63,65 Kilo zurüdgeführt. In diejem Gewicht vertheilt jich num der Gehalt an leim— gebenden Stoffen etwa folgendermaapen: im Knodengerüfte - » 2 28874 Gramm 2132 550 u un 4888 in den Bruſt- und Baucheingeweiden**) 272% gen a Sn PET 20 48 zuſammen 4229 Gramm ) Aus dem Fettgewebe der Katze, nach der Analyſe von Bidder und Schmidt berechnet. **) Nach den Analyjen von Braconnot und von Bibra für die Säugethierleber berechnet (ſiehe meine Phofiologie der Nahrungsmittel, 2. Auflage, S. 79). Die Zahl ift ohne Zwei— fel zu Elein, da die Leber 3. B. viel weniger Bindeſtoff ent— hält al3 Magen, Darm, Milz, Lungen u. ſ. mw. FH) Nach dem Fettgewebe berechnet, weshalb auch dieie Zahl zu Klein jein muß. z) Mit Hülfe der Analyjen von C. Schmidt für den 222 Da nın nah E. Biſchoff die feiten Beſtand— theile, im Gegenjas zum Wafjer, 40,5 Hundertitel vom Gewicht des Erwachjenen betragen, jo ergiebt eine einfahe Rechnung, das die Menge der leimgebenden Körper beinahe ein Sechſtel aller feiten Bejtandtheile des Leibes und ein Fünfzehntel des gejammten Kör— pers ausmacht. Bergleihen wir aber die Zuſammenſetzung des Kno— henleims und die nad) Chevreul und Fremy damit übereinjtimmende des leimgebenden Stoffs der Knochen mit der Miſchung des Eiweißes, jo finden wir, daß ji jene von diefer durch einen größeren Saueritoffs gehalt unterjcheidet, denn während 100 Theile Eiweiß in runder Zahl 22 Sauerjtoff enthalten, enthält der Leim in 100 Theilen 24 Sauerftoff. Ein Theil des oben verrechneten Leims it aber nicht der gewöhnliche Knochen- oder Tijchlerleim, wie er auch aus der Haujenblaje gewonnen wird, jons dern jogenannter Knorpelleim, der ſich durch einen noch höheren Sauerjtoffgehalt vor jenem auszeichnet. Denn von 100 Theilen Knochenleim jind 24 Sauer- jtoff, und der entjprechende Saueritoffgehalt des Knor— pelleims ijt 29. Balken und die Großhirnrinde berechnet, unter der allerdings ) etwas willfürlichen Annahme, das das Geſammthirn zu gleis chen Iheilen aus Mark und Rinde beitehe. 193 Aus den eiweigartigen Stoffen des Bluts können alſo die Leimbildner der Gewebe nur durch eine Bes reiherung an Sauerjtoff hervorgehen. Diefe Bereicherung läßt jich offenbar am einfachjten dur) eine wirkliche Aufnahme von Sauerjtoff erklären, den ja die vothen Körperchen des Blutes fortwährend den eiweißartigen Stoffen zur Verfügung jtellen, da alles was aus letteren jchlieplich hervorgeht, auf eine Veränderung derjelben durch fortichreitende Sauerſtoff— aufnahme hinweiſt. Troßdem wäre es auch denkbar, day die Leim— bildner aus einer Spaltung des Eiweißes hervorgingen, bei welcher jich letzteres in eimen oder mehrere jauer- jtoffärmere Körper und die jauerjtoffreicheren Leim— bildner zerlegte. Was diejer Spaltung, wenn man unter ihren mög— lichen Erzeugniſſen zunächſt nur die jticjtoffhaltigen ins Auge faßt, jogleih das Wort reden könnte, ijt der Umjtand, dal das Bindegewebe beinahe ausnahmslos von einer mehr oder minder großen Menge federfräfs tiger Faſern durchflochten it, welche aus einem Stoffe beitehen, deſſen Sauerjtoffgehalt (20,5 9%) dem des Ei- weißes nachiteht. *) *) 20,5 ift das Mittel aus den Unterjuchungen von Tila> nus und W. Müller; vgl. von Gorup-Beſanez, Lehrbuch der phyftologiichen Chemie, 3. Auflage, Braunschweig 1874, ©. 148. 124 Kur erhellt e3 leicht, daß diejer federfräftige Stoff nicht in der einer jolhen Spaltung des Eiweißes ent- jprechenden Menge vorhanden it, wenn man bedentt, daß er.der organischen Grundlage der Knochen abgeht, deren Gewicht durch diejenigen Theile nicht aufgewogen wird, welche, wie die gelben Bänder der Wirbelſäule oder die mittlere Haut der Gefäße, beinahe ganz oder vorherrichend aus federfräftigem Stoff beitehen. Dagegen fann aus dem Bindegewebe, wie es tn Sehnen und Häuten, Nerven und Muskeln, Gefäßen und Drüfen, furz beinahe überall im Körper vorkommt, durch Kalkwaſſer ein Stoff ausgezogen mwerden, der mit dem eigenartigjten Bejtandtheil des Schleims über- einjtimmt (Rollett, Eich wald). In diefem Schleim: jtoff übertrifft aber der Sauerjtoffgehalt noch den des Knorpelleims, denn er erhebt jich auf 99,7 vom Hun— dert (Eichwald). Folgende Kleine Tabelle jtellt den in den ſtickſtoff— haltigen Gemwebebildnern wachſenden Saueritofigebalt, im Vergleich zum Eiweiß, überjichtlih zufammen. In 100 Theilen it der Sauerjtoffgehalt: nt Eiern a N in Knochenleim und Knochenleimbildnern. 24,0*) *) Die Zahl iſt das Mittel aus den Werthen, melche Scherer, Mulder, Winkler, Marband, von Bibra für Hauſenblaſe und deren Leim, Kalbsſehnen und deren Leim, relevant) 20020) msedhleimiioff. . .. . | Allein die fortjchreitende en an Sauter jtoff fennzeichnet nicht bloi die Entjtehung der Leim— bildner und des Schleimjtoffs aus dem Eiweiß, jon- dern auch die Bildung der Oberhaut, jenes hornartigen Körpers, welcher wie ein dünner Panzer Die ganze Oberfläche unjeres Yeibes überzieht und in LOO Theilen 25 Sauerjtoff enthält. Andere Horngebilde, wie die Oberhaut aus leben— den, Jaftführenden, oder aus vertrocdneten, verjchrumpf- ten, oftmals abgejtorbenen Zellen beitehend, jind frei- lich minder jaueritoffveich als die eimeikartigen Mutter— förper. Nur die weichen Zellen, welche die Oberfläche aller Schleimhäute, 3. B. der Verdauungs- und Luft- wege überziehen und m Kamen Belegzellen **) führen, ſtimmen in ihrem Sauerjtofigehalt mit dem Eiweiß überein, die Nägel erreichen ihn faum, und die Haare ſtehen erheblich dagegen zurück. die harte Haut des Auges, Hirſchhorngallerte, Knochenknorpel und daraus bereiteten Leim gefunden haben, nach Abzug des mittleren Schwefelgehalts nach den Beitimmungen von Sch lieper und von Dibra. Val. Schloßberger, Erſter Verſuch einer allgemeinen und vergleichenden Ihierchemie. Leipzig und Heidel- berg 1856, 3b. L, ©. 21, 22. *) Mittel aus den Beſtimmungen von Mulder und Vogel, gleichfall3 nach Abzug des Schwefels. Ebenda. *x) Epithelium. 126 Sauerjtoffgehalt in 100 Theilen Eiweiß —V —— — Hornſtoff der Beleggellen SA) Rage ET en Gaarer. 1. 208) Die Belegzellen fönnten alfo nicht aus der Spal- tung des Eiweißes in einen jauerjtoffreicheren Körper, wie etwa die Oberhaut oder die Yeimbildner, und einen jauerjtoffärmeren entjtehen, da ſie mindeitens ebenjo viel Sauerjtoff enthalten wie das Eiweiß. Die Menge der Haare und der Nägel zufammengenommen ijt aber ohne Zweifel geringer al3 die der Oberhaut, jo daß man, von den Hornjtoffen in Bauſch und Bogen redend, wieder behaupten muß, daß die eimeikartigen Körper unter Aufnahme von Sauerjtoff in jie übergehen. Denn es ijt nicht zu überjehen, daß das Eiweiß unter den eimeikartigen Blutbeitandtheilen keineswegs der jauerjtoffärmite ift. Ich bin bei der obigen Be- trachtung durchweg vom thieriichen Eiweiß ausgegan- *) Nach Beitimmungen von Kemp, Schloßberger und von Gorup-Beſanez. Nurvon Gorup-Bejanez bat den Schwefel beionders bejtimmt, und ich habe die von ihm gefun— dene Zahl von dem Mittelmerth für Sauerftoff und Schwefel zufammen in Abzug gebradt. Val. Schloßberger a. a. O. 276. **) Nah Mulder und Scherer; vgl. Schloßberger ebendajelbit S. 277 und die vorige Note. **) Nah van Laer, ebendaielbit S. 276. 12 gen, weil es unter den eiweißartigen Stoffen im Thier— förper am verbreitetiten ijt und namentlich im Blut- wajjer*) in reichliher Menge, durchichnittlich zu 7,8%, vorkommt. In den Blutförperchen findet jich dagegen ein ei— weißartiger Stoff, der jchon an jich weniger ſauer— jtoffhaltig ijt als das Eiweiß, indem er mit 20,9% dem der Haare (20,8) und des federfräftigen Stoffes der gleichnamigen Faſern (20,5) nahe jteht, und diejer eiweißartige Stoff **) der rothen Blutkörperchen it noch überdies mit einem eiſen- und jtickjtoffhaltigen Farb— jtoff, dem jogenannten Blutroth***), gepaart, in wel- chem der Sauerjtoffgehalt auf 12%, herabjintt. Aus dem Blutroth geht aber ein Jchwarzer oder wenigitens dunfel braunrother Körper hervor, der Die Aderhaut des Auges und durch fie den Augengrund ſchwärzt, weshalb ich ihn als Augenſchwarz 7) bezeichnen will. Diejes Augenjchwarz findet jich im manchen Ge— genden der Haut in dem tiefiten Zellen der Dberhaut, fann aber in allen möglichen Belegzellen, in Bindes gewebsförperchen, Mustelfajern und Nervenzellen vor- fommen. Wie jich das Blutrotd in Augenjchwarz ums *), Blutplasma von aderlichem Prerdeblut nah Hoppe— Seyler, und ebenjo viel im Blutſerum des Menichen nach Scherer und Otto. **) Das Globulin. ***) Hämatin. 7) Melanin. 128 wandelt, iſt im Einzelnen ebenjo wenig ermittelt, wie der Uebergang von Eiweiß in Leimbildner oder Schleim- ſtoff; aber jicher ilt, dar das Augenjchwarz ji vor dem Blutroth durch jeinen größeren Reihthum an Sauer- jtoff auszeichnet. Der Sauerjtofigehalt iſt nämlich in 100 Theilen Blütrstg a! SEITHER), Augenidwmarz . . 22:.(Scderer). Wenn aus dem Blutrotd Augenjhwarz geworden, iſt außerdem der Gijengehalt von 6,9 auf 0,25 ge— junfen, und es iſt mehr als wahrſcheinlich, daß diejes Eiſen mit Sauerjtoff verbunden aus dem Blutroth aus— getreten ij. So hätten wir es bei der Ummandlung von Blutroth in Augenſchwarz mit einer doppelten Auf- nahme von Sauerjtoff zu thun, indem außer dem jauer- ſtoffreicheren Augenſchwarz auch noch Eiſenoxyd gebil- det würde. Kun jind die eimeikartigen Körper regelmäßig durch einen Gehalt an Schwefel ausgezeichnet. Wenn aber ein jchwefelreicherer unter diejen in einen ſchwefelärmeren Körper übergeht, jo muß ein Theil des Schwefel ji) mit Sauerjtoff verbinden, um als Schwefeljäure aus der urjprünglichen Verbindung auszutreten. Käſeſtoff ilt ein Bejtandtheil des BlutS, der Wände der Blutgefäße, des Bindegewebes unter der Haut und des Nadenbandes. Der Käſeſtoff iſt im Blut zugegen, 129 auch ohne vorherigen Milchgenug und ohne vorhandene Milchbereitung. Der Käſeſtoff gehört zu den eiweikartigen Kör— pern. Gr unterjcheivet ji) vom Giweiß, indem ev weniger Schwefel als diejes enthält. Wenn Käſeſtoff aus Eiweiß hervorgeht, dann muß dieſes aljo einen Theil jeines Schwefel verlieren. Der Verluſt wird durch den Sauerjtoff bewirkt. Der Schwefel verbrennt zu Schmefeljäure, die jich mit dem Natron des dop— peltfohlenjauren Natrons im Blut zu einem jchwefel- ſauren Salze verbindet. Verwandlung von Giweiß im Käſeſtoff iſt jomit eine langjame Verbrennung. Die Entjitehung der Ges fäßwand, des Bindegewebes unter der Haut und des Nadenbandes iſt durch das Athen bedingt. Auch bei der Umwandlung des Eiweißes in Leim bildner und Schleimjtoff ijt die Abnahme des Schwefel- gehalts in Betracht zu ziehen, da 100 Theile N 4164 nobenleim mut. 0609 amelleim 4.2.0.4 1% 4071 +.1,.0,90**) Schwefel enthalten, und diefer Grundſtoff im Schleim ſtoff gar nicht enthalten iſt. *) Mittel aus den Beltimmungen Schlieper’S und von Bibra's. **) Mittel aus den Angaben Mulder's und Vogel's. 9 130 Dagegen ijt freilich zu bedenken, daß in der ge- ſchwefelten Gallenjfäure *) täglich joviel Schwefel in einer jticfjtoffhaltigen und Eohlenftoffreihen Verbindung abgejondert wird, daß dieſe Schwefelmenge die mit der Nahrung im Eiweiß zugeführte jedenfalls über- trifft. Die Annahme, daß die Entjtehung ſchwefel— ärmerer Verbindungen die Folge der Abjpaltung ſchwe— felveicherer jei, wäre aljo durchaus jtatthaft, wenn wir nicht eben doch den Schwefelüberſchuß ſchließlich zu einem guten Theile in den jchwefelfauren Salzen des Harns, und wohl nur zu einem fleinen Bruch— theil in dem gejchwefelten Gallenpaarling **) des Darnı- foth3 wiederfänden. Aber jelbjt wenn in einzelnen Fällen eine Abjpal- tung jauerjtoffärmerer und jchwefelreicherer Stoffe, zu denen auch die Haare mit ihren 5%, Schwefel gehören, von der Eiweißgruppe jtattfindet und die Entjtehung jauerjtoffreicherer und jchwefelärmerer Körper erklärt, jo läßt ſich doch nicht verfennen, day die eiweißartigen Beitandtheile de3 Bluts, um an der Gemwebebildung Theil zu nehmen, jich mit einer jauerjtoffreicheren Hülle umgeben, welche zugleich das Bindemittel zwijchen den einzelnen Kormbejtandtheilen eines Gewebes, wie zwiſchen den Geweben und Werkzeugen daritellt. *), Taurocholjäure. **) Taurin. 151 Der Sauerjtoff jpielt die Rolle eines Baumeilters, welcher die formlojen Baumittel, die das Blutwajjer enthält, in bejtimmte Gejtalten, in Kormbejtandtheile, aljo das Blut in Gewebe und Werkzeuge ummandelt. In der Aufnahme des Sauerſtoffs ijt alſo die Urſache einer Beränderung gegeben, deren Bedeutung noch immer viel zu wenig ind Auge gefaht worden und die uns doch allein den Vorgang der Ernährung aus dem jtofflihen Gejichtspunft erklärt. Die Entwicklung der Stoffe, die für die Gewebe: bildung am wichtigiten jind, iſt durch eine langjame DBerbrennung bedingt. Soweit aljo liegt e3 ab, das Stärfmehl, Zucker oder Fett die Werkzeuge des thieriihen Körpers vor dem Eingriff des Sauerſtoffs ſchützen jollten, daß dieſe Werkzeuge vielmehr nur find durch die allerunmittel barjte Einwirkung des Sauerjtoifs. Man hat es jo wörtlich wie nur immer möglich zu verjtehen, dal das Athmen Muskeln und Knochen, Herz und Haut aus dem Blute bildet, entwickelt. Entwicklung von Haut und Knochen, von Muskeln und Bändern, kurz der feiten Gewebe, der Formbe— jtandtheile in den Werkzeugen des Körpers, das ijt der Vorgang, den dev Naturforscher als Grnährung bezeichnet. Demnach) bejteht jo wenig ein Gegenjat zwiſchen 9. 152 Ernährung und Athmung, daß die Ernährung viel- mehr einzig und allein durch die Hülfe des Athmens Beitand hat. Und daher it es nicht gerechtfertigt, wenn man von Nahrungsitoffen jpricht, welche die Aufgabe hätten, den Sauerjtoff abzuhalten vom Eiweiß, von Athemmitteln, die durch Aufnahme von Sauerjtoff die Bejtimmung erfüllten, die Werkzeuge vor der verzehrenden Kraft diejes Grunditofis zu jehüßen. 53 herrjcht im diejer Beziehung zwijchen der Be— urtheilung der Nahrungsitoffe, wie ich jie jeit mehr als zwanzig Jahren vorgetragen*), und den Grgeb- niffen der neuejten Unterfuhungen auf dieſem Felde eine erfreuliche Hebereinjtimmung. Pettenfofer und Voit haben durch ihre For— ihungen, welde großen Styl mit feiner Genauigkeit verbinden, auf dem Gebiete der Nahrungslehre eine Sicherheit angebahnt, welche auch die geijtreichjten Be— trachtungen ohne gründlide Durchführung mühjamer Verſuche nimmermehr gewähren könnten. Sie haben durch ihre Verſuche gezeigt, das das Fett im Orga— nismus ſchwerer in einfachere Bejtandtheile zerfällt als das Eiweiß, dal diejes eher jenes vor der Ein- *) Die erſte Auflage dieſes Buches erjchien im Jahre 1852 die erſte Auflage meiner Phyſiologie der Nahrungsmittel noch zwei Jahre früher. 135 wirfung des Sauerjtoifs zu jhüßen vermag, als um- gefehrt. Wer es weil, wie mandes Wort gerade die beiden genannten ausgezeichneten Forſcher zu Gunſten von Liebig’s Eintheilung unjerer Nahrungsitoffe in Athemmittel und Baujtoffe geiprochen hatten, wird es doppelt bedeutjam finden, dal ihre Unterjuchungen jie nad und nach von diejer Anſchauung auf einem neuen, Wege immer weiter entfernt haben. Gin Hund, dem fie in einer ihrer zahlreichen Verſuchsreihen täglich 1500 Gramm Fleiſch und 30 bis 150 Gramm Wett gaben, zerjetste beinahe volljtändig das im Fleiſch ge= reichte Eiweiß, während er die ganze Menge des auf: genommenen Nettes im jeinem Körper aufjpeicherte. Ans gejichts einer jolhen und ähnlicher Erfahrungen haben nun auch Pettenkofer und Voit die Vorftellung, nach welcher Nett ein Athemmittel, „ein reſpiratoriſches Nahrungsmittel“ jein jollte, ausdrüclich widerrufen *). In der That ijt dieſes Nett, das ſich im Körper ablagert, nicht minder ein Bauſtoff unjeres Leibes, als das Eiweiß und dejjen nächite Abkömmlinge. Das Gemwebe, welches unter allen den höchiten Rang im Körper einnimmt, dev Hauptträger der Eigen— ſchaften des Stoffs, welche den Zuſtand des Lebens ) Deitjehrift für Biologie, von Buhl, von Pettenkofer, NRadlkofer, Voit, Bd. IX. (1873), ©. 31, 32. 154 bedingen, das Gewebe von Hirn und Nerven, kann ohne Fett nicht bejtehen. Weder Nervenfajern, noch Nervenzellen können ohne Fett ihre eigenthümliche Korm und ihre jonjtigen auszeichnenden Merkmale behaupten. Nicht Eiweiß allein, nicht Nett allein, die in dem Marf der Nervenfajer gegeben jind, nicht die eigenthüm- lihe Miihung von leimgebendem und fevderfräftigem Stoff, welche die Scheide der Faſer bildet, nicht die über- rajhende Menge von phosphorjauren Salzen, welche in die Zuſammenſetzung des Hirns eingeht, giebt der Nerven- fajer ihre Form. Nur alle jene Stoffe vereinigt jind im Stande, die Form von Nervenfajern und Nerven- zellen anzunehmen. Schon die farblojen Körperchen im Blut verdanken ihre Entwicklung dem Fett, das die Nahrung in den Kreislauf bringt. Die erjte Zelle, die jich im Körper bildet, deren Entſtehung den Ausgangspunkt daritellt für alle Organijation, ijt ohne Anweſenheit einer reich- lichen Menge von Fett nicht denkbar. Die eriten fejten Körnchen, die ſich aus der Keimflüjiigkeit der Milch- jaftgefäße nach der Verdauung abjondern, jich zu Kör- nern vereinigen und die Zellenbildung einleiten, be- jtehen aus Fett, das eine zarte Eiweißhülle umkleidet. In den Körperchen der Milch iſt das Fett jo vor- herrichend, das Kifeitoffhäutchen, von welchem das Fett umjchlojjen wird, jo außerordentlich dünn, daß man mit gleichem echt das Fett, wie den Käſeſtoff, als den Kormbildner anjprechen dürfte. Und durch den Fettgehalt unjerer Gewebe it eine Anzahl ihrer weſentlichſten Eigenſchaften bedingt. Die unzähligen mit ett erfüllten Bläschen, die als Fettzellen das Poljter unter der Haut zujamment= ſetzen, bilden deren federnden Schuß an den Gtellen welche zumeijt dem Drucke ausgeſetzt jind. Gin Jeder erfährt das, der nach jchwerer Krankheit abgemagert das Bett verlajiend, vom Sitzen und Stehen leichter ermüdet, oder gar an den Stellen, auf welchen dev Körper laitet, Schmerz empfindet, eben weil das feder— fräftige ettpoliter unter der Haut des Geſäßes und der Ferſen geſchwunden it. Bon einer Ähnlichen Anſammlung in Zellen ein- gejchlofjenen Fettes im Grunde der Augenhöhlen hängt e3 ab, daß ſich der Augapfel mit jolcher Leichtigkeit bewegt, daß jeine Muskeln ſich gejchmeidig verkürzen und verdiden, indem das flüjjige, wenngleich in Bläs— chen eingejchlojjene Fett dem Druc des jeine Gejtalt ver- andernden Muskel und des vollenden Augapfels nur einen geringen Widerjtand entgegenjest, und doch ge= rade genug, um mit der größten Leichtigkeit alle Theile wieder in ihre frühere Sleihgewichtslage zurüczuführen, wenn die Jujfammenziehung der Muskeln aufhört. Magere Körper frieren unter übrigens gleichen Be— 156 dingungen leichter als fette. Aber außer dem Horn— panzer, in dem wir ſtecken, ijt gerade das Fett in und unter der Haut dadurch ausgezeichnet, daß es ein ſchlech— ter Wärmeleiter ijt und uns nad Art unjerer Kleider vor zu rajhem Wärmeverluſt behütet. Die einzelnen Werkzeuge unjeres Leibes verdanken die Cigenjchaften, welche der Stoff im Zujtande des Lebens in ihnen entfaltet, den Beitandtheilen, aus wel- chen die Mifhung jenes Stoffs hervorgeht. Zu diejen Gigenjchaften gehört gewiß in eriter Reihe das Empfin— dungsvermögen der Nerven. Da aber die Nervenfajer feinen Beſtand hat ohne Nett, jo wäre es durch nichts gerechtfertigt, wenn man dem Fett die Rolle eines Baus mittels für Hirn und Nerven jtreitig machen wollte. Um aber das Wortin jeiner augenfälligiten und ein- fachjten Bedeutung zu verwenden, wer wühte es nicht, daß die welligen Kormen, die weiche Rundung des Kör- pers der rauen und Kinder, wenn jie auch zunächſt in den Knochen ſtecken, doch in ſichtbarſter Weife durch das Fettgewebe mit bedingt werden, das alle Eden und Rauhigkeiten der Oberfläche ausgleicht und rundet? Kurz, das Fett iſt ein Bauſtoff jo qut wie das Eiweiß und jo wejentlich, daß ſich von den meilten Geweben nicht jicher entjcheiden läht, ob Fett oder jtidjtoffhaltige Körper den erſten Grund zu ihrer Ent— wicklung legten. 137 Und nun erjt die Salze, die jo wenig Stickſtoff enthalten wie das Fett! AS wenn der Knochen fein könnte ohne Snochenerde, der Knorpel ohne Kochſalz. Sedes Werkzeug des Thierkörpers ijt nicht minder ab- hängig von jeinen jalzigen und erdigen Theilen als von Eiweiß und Fett. Phosphorjaurer Kalk it ein Knochenbildner, jo unentbehrlich, wie Die organijche Grundlage, die jih beim Kochen in Knochenleim ver- wandelt, In dem Samen fommen jehr Eleine, nur bei jtavfer Vergrößerung erfennbare Normbejtandtheile vor, die einem breiteren furzen Kopf, einem jehmäleren, langeır, zugejpitten Schwanze und den höchſt merkwürdigen Bewegungen, die jie vollführen, den ungeeigneten Na— men Samenthierchen verdanfen. Man fann dieje Kör— perchen behutjam verbrennen, ohne ihre Form zu zer ſtören (Valentin). Die anorganijchen Stoffe zeigen das urjprüngliche Bild unabhängig von dem jtickjtoff- haltigen Körper, den die Verbrennung zerjtörte. Freilich iſt dieſes Bild nicht die ganze Form, aber dieje VBerneinung hat ganz denjelben Sinn, wie wenn man e3 betonen wollte, daß die eimeijartigen Stoffe für fi) weder eine Muskelfaſer, noch eine Nervenzelle herzujtellen vermögen. Und alle Bejtandtheile der Gewebe tragen durch ihre Gigenthümlichfeiten zu den phyſikaliſchen Gigen- 138 ſchaften bei, welche vereint ihre Yebensäußerungen be— dingen. Fett macht das Knochenmark leiht, die Haut ge- ſchmeidig, Waſſer das Blut beweglich, Knochenerde den elfenbeinernen Theil der Knochen ſchwer, den Zahn— ſchmelz hart, ein Gemenge eiweißartiger Körper macht die Muskelfaſer verkürzbar, der ſtickſtoffhaltige Stoff des Nackenbandes ertheilt ihm ſeine Federkraft. Oft iſt die Miſchung, in welcher ſich die ſtofflichen Beſtandtheile unſeres Körpers mit einander zu Gewe— ben verbinden, ſo innig, daß ſich in der Verbindung das Verhalten derſelben zu ihren Löſungsmitteln ändert. Durch Lehmann wiſſen wir, daß man das Kochſalz aus den Knorpeln ſelbſt durch warmes Waſſer nicht auswaſchen kann, durch Mulder, daß die Verbin— dung der eiweißartigen Stoffe mit dem phosphorſauren Kalk eine ſo innige iſt, daß letzterer durch die Ein— wirkung der Eſſigſäure nicht von jenen getrennt wer— den kann. An anderen Fällen folgt ein Stoff ſeiner gewohnten Beziehung zu löjenden Flüſſigkeiten, aber mit dem Stoff geht auch die Form verloren. So fand ih mit Donders, dal die Kormen der Blutkörpers chen unregelmäßig werden, wenn man durch Nether ihr Nett entfernt. Es ijt ein zwingender Schluß, daß die anorgani- ſchen Beltandtheile und die Nette der Nahrung ganz 139 mit demjelben Recht als Nähritoffe, als Bauſtoffe des Körpers bezeichnet werden wie Eiweiß und die leim- gebenden Grundlagen von Knochen und Knorpel. Der Sauerjtoff, den wir einatmen, führt das Eiweiß des Blut3 auf immer höhere VBerbrennungsjtufen, Die Verbrennung bleibt nicht etwa jtehen bei der Ent— wicklung der Leimbildner und des Horns der Ober: haut, des Schleimitoffs und des Augenjchwarzes, ſon— dern neben diejen Stoffen, welche eine jo wichtige Rolle in den Geweben jpielen, zum Iheil aus ihnen entiteht durch die Abnutzung der Gewebe eine Neihe von Stoffen, die einen wachjenden Gehalt an Sauer— ſtoff beſitzen und als jolche num durch eine innere oder äußere Verbrennung des Eiweißes und jeiner nächiten Abkömmlinge hervorgebracht werden können. AS innere DVerbrennung möchte ich nämlich den Vorgang bezeichnen, wenn aus dem Eiweiß neben einen jauerjtoffreicheren Stoffe ein jauerjtoffärmerer Paar— ling abgejpalten wird. So würde jich der Theil der eimeiartigen Körper verhalten, für welchen Betien- fofer und Boit es mehr als wahrjcheinlich gemacht haben, day ein Theil ihres Kohlenſtoffs, Waſſerſtoffs und Sauerjtoffs al3 Fett austritt. Das Fett, deſſen Saueritoffgehalt ae 10,8 *) Stearin. 140 im: Defftoff 3%. 7 re RZ „ Berhnutterfct *) al 66 beträgt, ijt im DBergleih zum Eiweiß als ein Ge- menge jauerjtoffarmer Körper zu betrachten. Wenn aljo neben demjelben aus dem Eiweiß jauerjtoffreichere jtifjtoffhaltige Körper entjtehen, jo können dieje eben ihren größeren Sauerjtoffgehalt dem Eiweiß jelbit ent- nommen haben, alio einer Art von innerer Verbren— nung entjprojjen jein, der eine Spaltung nebenher lief. Solcher Art ijt die Entjtehung des jauerjtoffreichen Leimzuckers (43%) neben der jticjtofffreien Eohlenitoff- und wajjerjtoffreichen, aber jauerjtoffarmen Gallen= jäure***), die mit einander die ſchwefelfreie aber ſtick— jtoffhaltige Säure der Galle) bilden, deren Sauer— jtoffgehalt den des Eiweißes noch nicht erreicht. Viel verbreiteter ijt jedoch der Vorgang, bei wel— hem der Sauerjtoff als jolher aus den Lungen dem Blut zugeführt ward, und den ich al3 die gemöhnliche oder Äußere Verbrennung bezeichnen will. Aus ihr gehen der leiihitoffrr) und die Fleiſchbaſis 77), *) Dlein. **) Walmitin. ***) Sholjäure, Cholaljäure. 7) Glycocholſäure. 77) Rreatin. ) Rreatinin, 141 Käſeweiß *) und Hornglanz**), Harnſäure und jchlieg- lich Harnſtoff, Kohlenjäure und Waller hervor. Derjelde Vorgang, der aus den eimeikartiger Körpern eine Reihe der wichtigiten Gemwebebildner ent- wicelte, verwandelt auch allmälig die Kette in die ſauer— jtoffreicheren flüchtigen Fettſäuren, unter denen die But- terjäure eine der befannteren ijt, umd schließlich dieſe in Kohlenjäure und Wajler. Nicht nur die legten Erzeugnifje des Zerfalls, auch die unentbehrlichiten Bejtandtheile unjerer Gewebe find ein mittelbares oder unmittelbares Ergebniß der Auf- nahme von Sauerjtoif ins Blut, welche das Wejen der Athmung bezeichnet. Dieje Aufnahme des Sauerſtoffs ijt eine Macht der Entwicklung und erſt nachher in immer fortjchrei- tender Entfaltung ein Hebel des Zerfallens. Denn alle Entwicklung endigt mit der Auflöjung, die jelbit wieder zu neuer Entwicklung drängt. Das ilt der Kreislauf des Stoffs, der den Tod in den Dienjt des Lebens genommen. *) Qeucin. **) Tyroſin. 3 Entwicklung der Nahrung im Chierkörper. Obgleich das Leben eine Kreislinie darjtellt, die ſich in ununterbrocdhenem Fortſchritt verfolgen läßt, gleich- viel, von welchem Punkte man feine betrachtende Wan— derung beginnt, jo ijt doch der Stoff, aus dem ſich der Körper aufbaut, als der wichtigite Vermittler jei- ner Beziehungen zur Außenwelt, der natürlichjite Aus— gangspunft, der ung zugleich für die Entwidlungs- geihichte am meiſten verjpricht. Dieje Entwiclungsgeihichte liegt ganz in den Be— wegungen des Stoffs, den die Nahrung dem Körper zuführt. Durch die Eigenthümlichkeit der jtofflihen Mi- Ihung jind die Kormen der Gewebe bedingt. Der Form und Miſchung entſprechen alle anderen Eigenſchaften. Will man die Nahrung eintheilen nach dem oberjten Geſichtspunkt, nach welchem jie den Urjtoff bildet, aus dem immer erneut der Körper hervorgeht, jo Kann nur die Entwiclungsgefhichte den Grund der Einthei- lung abgeben. Wer ſich bemüht, die Zwecke der Nah— 143 rung zu errathen, der wählt den entgegengejettten Weg und ſetzt jich derjelben Gefahr aus, an welcher Yiebig’s Annahme von Nährjtoffen und Athemmitteln gejcheitert it. Die Ahnung der Zweckmäßigkeit könnte nur durch Offenbarung gelingen; ruhige Beobachtung der Ent- wicklung führt ſicher zum Ziel. Aus der Nahrung wird Blut, aus Blut werden Gewebe, Musfeln, Knochen, Knorpel, Hirn und Ner- ven, furz alle fejten Theile des Körpers. Die Entwicklung der Nahrung it aljo zunächſt Blutbildung. Blut bejteht aus Eiweiß und Zuder, aus Fett, aus Salzen - und Waſſer. Zuder ijt aber ein Körper, der ji) aus Stärfmehl und Stärfegummi *) bilden kann. Hiernach ergiebt jich die Eintheilung der Nahrungs: jtoffe von jelbjt. Die Nahrungsitoffe zerfallen in ei- weihartige Körper, Zuder oder Zuckerbildner, Fette und Salze. Zu einem vollfommenen Nahrungsmittel gehören Eiweiß, Zucker, Fett, Salze und Waſſer. Jeder von diejen Stoffen hat die Bedeutung eines Baujtoffs des Yeibes, eines Nährjtofis. Eiweiß ver- bindet jich im Blute mit Sauerjtoff jo gut wie Zucker und Fett. Wäre die Athmung Selbjtzwed, jo hätten alle drei ein gleiches Anvecht auf den Namen Athemmittel. *) Dertrin. 144 Allein der Sauerjtoff, den wir einathmen, ijt gleich- jam jelbjt ein Nahrungsſtoff. Indem er jich mit den Nah— rungsjtoffen, die der Magen aufnahın, verbindet, vollen- det er die Blutbildung und die Entwicklung der Gemebe. Blut und Gemwebe jind die vollendetiten Entwick— lungsſtufen, welche die Nahrung im Verein mit dem Sauerjtoff erjteigt. Sie gehen aus der vereinigten Wirkung der Verdauung und Athmung hervor. 63 gewährt eine Erleichterung des Ueberblicks, wenn man die Nahrung zunächjt mit dem Blut und nicht jo= gleich mit den Geweben vergleicht. Denn Blut it die Meutterflüfjigfeit aller fejten Theile des Körpers. Die Nahrungsitoffe aufzulöjen oder durch feine Zer— theilung beweglich zu machen, und, wenn jie nicht mit den Stoffen des Bluts übereinjtimmen, in Blutbeitand- theile zu verwandeln, das ijt der ganze Umfang der Verdauung. Wenn wir Kartoffeln oder Brod genieken, jo neh- men wir Kartoffelitärfe oder Stärkmehl auf, einen in Waſſer unlöslihen Stoff, der im Blut nicht vorkommt. Speichel und Bauchjpeichel verwandeln das unlösliche Stärfmehl in Stärkegummi und diejes in löslichen Zucker; Galle, Bauchjpeichel und Darmſaft verwandelit den Zuder in Fett. Zucker und Fett jind Bejtand- theile des Blut. Die Verdauung hat das Stärkfmehl in lösliche Blutjtoffe verwandelt. 145 Darum iſt Stärfmehl ein Blutbildner jo gut wie das Eiweiß. Aber auch das Eiweiß iſt ein Fettbild— ner jo gut wie das Stärfmehl, nur das das Eiweiß außer Fett, das für die phyſikaliſchen Cigenjchaften und die Kraftentwiklung des Körpers eine jo hohe Be— deutung hat, auch die jtickjtoffgaltigen Gewebebildner liefert, an denen jich die Kräfte entwickeln, die zu der Kraftentwiclung den Anſtoß geben. In einer älteren Zeit bejtand die ganze Weisheit der Willenichaft des Lebens in Worten wie Speije- brei, Speijejaft, Berähnlihung. Man bejchrieb nur die äußeren Veränderungen, welche die Nahrungsmittel im Magen und Darm erleiden. Im Magen jah man die Nahrung mit Speichel und Magenfaft gemifcht zu einem Drei, der ſich immer mehr verflüfjigte zu Speijejaft, um ji allmälig dem Blut zu verähnlichen. Alles dies gejchah durch eine geheimnißvolle Kraft die feinen Stoff als Träger brauchte, der man aber ungejcheut Namen gab, al wäre jie eine Perſon, deren Berjtimmung etwa den Magen oder die Verdauung verderben könnte. 63 ijt einer der größten Fortichritte des Jahr— hundert, daß wir ſolchen Ausdrücen gar feinen Werth mehr beilegen. Wir haben die Verdauung kennen ge— lernt al3 eine theils chemiſche, theils mechanifche Um- wandlung des Stoffs, der wir Schritt vor Schritt zu 10 146 folgen traten. Das ijt nicht bloße Ermeiterung der Gelehrjamfeit, e8 handelt ji bei der Grfenntnig der , chemiſchen Umjeßung von Speifen und Getränken nicht etwa bloß um gelehrte Bejchreibung einzelner Gigen- haften und Zujtände, es handelt ſich um die Einſicht in den wichtigen Sat, daß das Blut rein jtofflidhen Urſprungs iſt. Wir fügen unjere Verehrung für den rothen Lebensjaft nicht mehr auf die leere Annahme von Lebensgeijtern und Zauberfräften, die den Körper in Thätigkeit halten, jondern auf die Thatjache, dar das Blut eine hohe Entwiclungsitufe der Nahrung darjtellt, die ſich jelbjt weiter zu Geweben entfaltet, Durch dieſe Einjicht ijt die jtofflihe Grundlage gewonnen für den Bejtand unjeres ganzen Seins und unferer größten Leiltungen. Mit der Entdedung der Verdauung al3 eines rein chemischen Vorgangs wurde das beite Siegel erworben für die allgemeinen Lehr— ſätze, welche Helvetius, Diderot, La Mettrie und Gabanis aus minder vollfommenen Beobad)- tungen jchöpften. Nur durch jene Ummwandlungen lernen wir e3 bes greifen, daß der Säugling leben kann von Mil, in welcher die eiweikartigen Körper hauptſächlich durch Käſeſtoff vertreten jind, während dejjen Menge im Blut dem Eiweiß und Faferjtoff weit nachſteht. Eiweiß und Faſerſtoff find verjchieden von Käſeſtoff. Durch 147 die Verdauung wird der Käſeſtoff in Eiweiß und Faſer— jtoffbildner verwandelt. Denn der Faſerſtoff iſt nicht al3 jolcher fertig gebildet im Blut enthalten, er ent= jteht evjt im jterbenden Blut aus zwei Stoffen, die fih unter dem Einfluß eines dritten mit einander ver— binden (U. Schmidt)*). Seitdem der Käfejtoff im Blut duch Gmelin wahrſcheinlich gemadt, durch Panum und mid er wiejen wurde, hat man dieſe Thatjache mehrfach an— gezweifelt, indem man ermittelte, day es jich dabei um eine Verbindung von Eiweiß mit Kalt handelte. **) Nun Hat man aber in Erfahrung gebracht, das der Käſeſtoff dev Milch alle Eigenſchaften jenes Eiweiß— kali bejist, und daß feinem eiweihhaltigen Safte eben diefe Verbindung von Kali und Eiweiß abgeht, die man von Alters her Käſeſtoff zu nennen gewohnt it. Und aljo giebt es Käſeſtoff im Blut, wenn man jid) auch noch jo jehr berufen fühlen mag, ihn umzutaufen, nur daß deſſen Menge verhältnigmähig ebenjo gering al3 die des gerinnbaren Eiweißes groß tjt, die Milch dagegen viel Käfeitoff und wenig Eiweiß enthält. ***) Stoffliche Umſetzung der eiweikartigen Körper jetzt ) Fibrinoplaftiiche, Fibrinogene Subſtanz und Fibrin— jerment, *+, Kali⸗Albuminat. ***) Vgl. Kühne, Lehrbuch der phyſiologiſchen Chemie, Leipzig 1868, ©..175, 565. 10, 148 uns in den Stand, von Pflanzen zu leben. Denn bei aller Aehnlichkeit in den wichtigiten Gigenjchaften, bei aller Uebereinjtimmung in den weſentlichſten Werhält- nifjen der Zufammenjetung, die wir durch Mulder’3 Unterjuchungen zuerjt erfahren haben, jind doch die ei- weißartigen Verbindungen der Pflanzen den entiprechen- den Körpern des Thierbluts Feineswegs völlig gleid). Sn den Erbjen zum Beijpiel ijt ein eiweißartiger Stoff in jo reichliher Menge enthalten, da er das Recht hat, Erbjenitoff zu heißen*). Man hat diejen Erbſenſtoff mit Käſeſtoff verglichen, mit dem Käſeſtoff der Mil und des Bluts. Beide lajjen jich aus ihren Löſungen durch Eſſigſäure füllen. Allein der Nieder- ichlag des Käſeſtoffs wird durch überflüjiig zugeſetzte Eſſigſäure leicht gelöjt, der Erbſenſtoff nad Ritt— haufen nur ſchwer und unvolljtändig. Was aber die Zuſammenſetzung anbelangt, jo ent- hält der Käjejtoff mehr Kohlenitoff und mehr Schwe— fel, dagegen weniger Sauerjtoff und weniger Stid- jtoff als der Erbſenſtoff, welcher immer eine große Menge Phosphorjäure, wie es jcheint, in fejter Ver— bindung enthält**). Es darf aljo immerhin zugegeben werden, daß ſich *) Legumin. *) Ritthauſen, Die Eiweißkörper der etreidearten, Hüljenfrüchte und Deljamen, Bonn 1872, ©. 231. 149 Käſeſtoff und Erbjenjtoff ähneln, und es ijt wiſſens— werth, daß der Volksſinn diefe Aehnlichkeit ohne Hülfe der Wiſſenſchaft herausgemittert Hat, indem die Chinejen nach Stier ein dem Käſe ähnliches Gericht aus Erbſen bereiten (Liebig). Eine genauere Unterjuchung hat je— doch ergeben, daß weder die Eigenſchaften, nocd die Zuſammenſetzung dazu berechtigen, Käſeſtoff und Erbſen— jtoff unter Einem Namen zu begreifen. Wenn man die eimeigartigen Körper als Gruppe zufammenfaßt, wird man zahlreiche Merkmale ausfindig machen fönnen, welche für ihre Berwandtjchaft jprechen, unter anderen auch dieſes, das ſie unter Einwirkung des Sauerjtoffs eine Anzahl übereinjtimmender Stoffe liefern, die aus ihrer Zerſetzung hervorgehen. Aber abgejehen davon, day ein von den Zerſetzungsproduk— ten hergeleiteier Beweis der Gleichheit zweier Verbin— dungen nur dann wahre Geltung haben kann, wenn diejelben Zerjeßungsprodufte unter denjelben Berhält- nijjen in gleicher Menge entjtehen, wijjen wir durch Stenhoufe, daß die ZJerjeßungsprodufte thieriicher und pflanzlicher Eiweißkörper feineswegs vollkommen mit einander übereinjtimmen. So liefern thierijches und pflanzliches Eiweiß oder Käſeſtoff und Erbſenſtoff, wenn man fie trocken erhitt, wenn man jie mit Säu— ven oder Laugen behandelt, verichiedene flüchtige Bafen, welche, im Bunde mit mehren andern Unterjchieden 150 dazu zwingen, auch die einander ähnlichjten Eiweiß— förper des Ihier- und Pflanzenreich5 von einander zu unterjcheiden. Das lösliche Pflanzeneiweiß enthält weniger Schwe- fel als das Eiweiß des Bluts. Der Faſerſtoff der Thiere iſt unter Verhältnijien gelöjt, in welchen das ungelöjte Pflanzeneiwei immer geronnen iſt. Die viel bedeutendere Verichtedenheit des Erbjenitoffs vom Käſe— ſtoff endlich ijt jo eben hervorgehoben worden. Die von Liebig gewählten Namen Pflanzenfibrin und Pflanzen— cajein für ungelöjtes Pflanzeneimeis und Grbjenitoff verdienen jomit feine Empfehlung. Man fieht hieraus, das Mulder’s Ausdrud nicht wörtlich zu verjtehen ijt, wenn er behauptet, day Pflanzenfreſſer und Fleiſchfreſſer denjelben Eiweißſtoff verzehren. Das iſt aber auch nicht die Bedeutung des Mulder'ſchen Geſetzes. ES ſoll nur die Ver— wandtſchaft bezeichnen, welche die eiweißartigen Körper der Pflanzen mit denen der Thiere zu Einer Gruppe verbindet. Durch dieſe Verwandtſchaft iſt das Leben der Pflanze eine die Verdauung des Thieres vorbereitende Thätig— keit, und zwar eine unerläßliche Vorbereitung, da weder dammſaures Ammoniak, noch kohlenſaures Ammoniak im Verdauungskanal der Thiere zu Eiweiß umgeſetzt werden können. 151 Umwandlung des einen eiweihartigen Körpers in den anderen ijt dagegen ein Vorgang, der eine viel weniger bedeutende Umjeßung verlangt, al3 die Ver— dauungsflüfiigkeiten in den Kettbildnern hervorbringen müjjen, wenn ſie diejelben in Fett verwandeln. Aus diefem Grunde kann unjer Körper aus Erbjen und Bohnen, aus Weizen und Roggen Blut bereiten, ebenjo wie der Säugling die Fähigkeit hat, den Käſe— jtoff der Milch in Eiweiß oder in die Faſerſtoffbildner des Blut3 überzuführen. Ja, der Thierförper vermag durch dieje umſetzende Thätigfeit noch weit mehr. Hunde können wochenlang von rohen Knochen leben, obgleich diefe nur wenig Eiweiß, dagegen jehr viel leimgebenden Stoff enthal- ten, der jih im Eigenjchaften und Zuſammenſetzung vom Eiweiß viel weiter entfernt, als irgend ein ei— weißartiger Körper vom anderen. Ohne Erneuerung des Eiweißes im Blut kann aber der Hund nicht Leben. Aus dem Nett des Knochenmarks kann fein Eiweiß entitehen. Es iſt aljo klar, daß ſich der leimgebende Stoff im Thierförper in Eiweiß verwandelt, das Leim ein Nahrungsitoff ilt. Sp vielfach diefer Satz auch bekämpft worden, jo neigen ſich Doch die neuejten Unterfuchungen immer mehr dahin, die Bedeutung des Leims fir die Ernäh— rung anzuerkennen. Allerdings hatten ſchon vor langer 152 Zeit Donne, Edwards und Balzac nahgemiejen, dag Leim für jih es nit vermag, Menjchen und Thiere auf die Dauer zu ernähren. Allein dieje und ähnliche Thatſachen bemeijen zunächſt nur, daß Leim fein volljtändiges Nahrungsmittel it, daß Leim auf die Dauer nit im Stande ijt, das Leben zu frijten; dag Leim fein Nahrungsitoff it, folgt daraus nie und nimmermehr. Dder iſt Eiweiß Fein Nahrungs jtoff, ilt Fett fein Nahrungsjtoff, weil Thier und Men— ſchen bei Eiweiß allein, oder bei Fett allein ebenjo wenig am Leben bleiben, wie wenn jie nur Leim ge— nießen? An der Hand der Voit'ſchen Verſuche läßt ſich die Rolle des Leims, wenn er als Nahrungsſtoff in den Magen gelangt, Schritt für Schritt verfolgen. Es iſt aber noch vorher ein Bruchſtück zu erwähnen, das Sm Thurn*) ſchon vor Jahren zur Verdauungs— geihichte des Leims geliefert hat, indem er darthat, daß diejer Stoff durch die Einwirkung des Magenjafts in feinen Gigenjhaften dem Eiweiß ähnlicher wird. Wenn nämlid eine Eiweißlöſung mit Eſſigſäure und Blutlaugenjalz behandelt wird, dann erleidet jie eine Trübung, und diefes Merkmal geht dem Yeim gänz— Gh ab. Wenn aber Leim bei einer Wärme von 37 ) Moleſchott's Unterfuchungen zur Naturlehre des Mens Ichen und der Ihiere, Bd. V, ©. 317. 153 bis 409 einige Stunden lang mit fünjtlihem Magen- jaft behandelt worden, dann zeigt er zur Eſſigſäure mit Blutlaugenjalz daſſelbe Verhalten wie die eiweiß— artigen Körper. Nun hat Voit gezeigt, dak im Hundedarm von dem leimgebenden Stoff der Knochen beinahe ein Drittel aufgejogen wird*), mit anderen Worten der Yeim, der durch die Verdauung aus dem leimgebenden Ge- webe entiteht und jogleich weiter umgewandelt wird, dringt in die Säfte des Thierförpers ein, indem er die Wege des Bluts und des Milchſafts einfchlägt. Aber Blut und Milhjaft enthalten feinen Leim. Wenn man aljo jene von Im Thurn beobachtete Thatjache und die Zuſammenſetzung des Leims bedenkt, der wie die eimeißartigen Körper, nur in etwas anderen Verhält— nifjen, Stidjtoff und Schwefel, Kohlenſtoff, Waſſer— ftoff und Sauerjtoff enthält, was dürfte da wahrjchein- licher jein, al3 daß der unter der Form von Leim ein— geführte Körper ſich jpäter al3 Eiweiß im Blute wieder findet? Daß nah der Verdauung von Leim eine jtärfere Zerſetzung von jtiejtoffgaltigen Bejtandtheilen des Kör- pers jtattfindet, it mehrfach beobachtet worden. Bei Vögeln nimmt die Ausfcheidung von Harnjäure, bei *) Zeitſchrift für Biologie, VIIL, 1872, ©. 310. 154 Hunden die von Harnjtoff zu (Boufjingault, Fre— richs, Biſchoff). In Folge deſſen und zahlreicher vergleichender Er— nährungsverſuche hat Voit die früher in Gemein— ſchaft mit Biſchoff ermittelte Lehre bekräftigt, daß Leim Eiweiß ſpart, ſo zwar, daß bei Leimzufuhr eine geringere Menge von Eiweiß genügt, um den Körper im Gleichgewicht ſeiner Miſchung zu erhalten. Voit berechnet aus ſeinen Verſuchen, in welchen alle Ein— nahmen mit allen Ausgaben eines Hundes verglichen wurden, daß 200 Gramm Leim bis zu einer gewiſſen Grenze 350 Gramm Fleiſch erſetzen können*). Schon früher hatten Biſchoff und Voit das— ſelbe Ergebniß aus ihren Verſuchen abgeleitet. Ein Hund von 34 Kilogramm, der täglich 500 Gramm Fleiſch ohne Zuſatz bekam, hatte nach 4 Tagen ein halbes Kilo von ſeinem Gewicht verloren; als man ihm aber zu jener Fleiſchmenge noch 200 Gramm Leim gab, begann er zuzunehmen, und zwar betrug die Zu— nahme 154 Gramm in 3 Tagen. Daraus ergibt jich für die Ernährung eine wich— tige Anwendung. Da nämlich die Gier wohl Eiweiß— jtoffe, aber weder Leim noch leimgebenden Stoff ent= halten, jo muß man, um den gleichen Erfolg zu er— + Noita.a. DS. 34. 18 [ep zielen, in der Gejtalt von Giern eine größere Eiweiß— menge zuführen, als in der Gejtalt von Fleiſch. CS war aljo feine ganz unglüdliche Ahnung, als ich um das Koſtmaaß eimeikartiger Körper, die durch Gier geliefert werden fünnen, zu berechnen, den Vergleich mit Fleiſch, mehr aus Mangel an beſonderen Angaben für deſſen Gehalt an Eiweiß und leimgebendem Stoff als aus Ueberzeugung ſo vornahm, daß ich die Eiweiß— ſtoffe des Eies der Summe von Eiweißſtoffen und leimgebender Subſtanz des Fleiſches gleichſtellte. Es ergab ſich, daß im Durchſchnitt ſieben Eier erfordert werden, um 250 Gramm Flleiſch zu decken.*) Boit hat weiter dargethan, daß der Leim nicht bloß Eiweiß, jondern auch Fett im Körper ſpart**). Seit diefe überaus wichtigen Ergebnijje dev Münchener Unterſuchungen befannt worden find, Habe ich e3 mir angelegen fein lajjen, daß alle Schwindjüchtigen, die meinen Rath begehrten, öfter Yeim in der Form von ſchmackhaft zubereiteter Fleiſchgallerte genießen, und ich darf verjichern, daß ich die bejte Wirkung davon beobadhte. Wenn man das Gericht nur nicht alle Tage den Kranfen aufdrängt, nehmen es die Meijten gerne, und e3 gelingt ihnen leichter, auch eine befriedigende *) Moleſchott, Phyſiologiſches Skizzenbuch, Gießen 1861, ©. 63. "Bott, co. a. D., ©. 574. 156 Menge Fleiih daneben zu verzehren. Da nun ferner von Voit gefunden worden, daß der Eiweißumſatz noch mehr bejchränft wird, wenn man dem Leim aud) eine gewijje Menge Fett zufügt*), jo bleibt neben der Zufuhr von Leim die von öligen Stoffen bei Schwind- ſüchtigen, wie jie ſeit lange eingebürgert it, zu Recht beitehen, nur day in vielen Fällen dem Xeberthran, den nicht Alle verdauen und noch Wenigere gerne nehmen, andere Nette, und bejonders die jo fettreihen Eidotter, vorgezogen werden können. Nun giebt e3 aber einen Punkt, in welchem Voit die Meinung, die ich oben ausgejprohen, nicht theilt, und es jcheint mir mehr als Pflicht, den bewährten Forſcher aud Hier zu Wort fommen zu lajjen. Voit iſt der Anfiht, daß jich Leim bei der Ernährung nicht in Eiweiß zurüdverwandeln könne. Nah Voit kann wohl ein Theil des Eiweißes durch Leim erſetzt wer— den, aber nur derjenige, welcher nach ihn als beweg— liheres Eiweiß in der Süftemafje des Körpers der Verbrennung anheimfällt. Als Baumittel der Werf- zeuge unjeres Körpers kann der Leim nah Voit Feine Verwendung finden. Es fönnen jih nah Voit's Meinung „aus ihm feine neuen Blutkörperchen bilden, „feine neue Musfeljubitanz, ja nicht einmal leimge- *) Voit a. a. O., S. 330, 331. 130 „bendes Gewebe“ *). Aber dieſer Ausſpruch fußt auf den Grundgedanken, daß aller Stiejtoff, der im Harne wieder erjheint, unmittelbar zunächjt vom zugeführten Leim herrühren muß, und eben diefer Sat bedürfte eine3 jtrengen Beweiſes, dem er für jett nicht zu— gängli ij. Voit jelbjt giebt zu, daß eine Ablage: rung von Leim in den Organen dann alS zuläjlig er- ſcheint, wenn man annehmen will, daß Leim aufges jpeichert und dafür Eiweiß abgegeben werde**). Was wir aber bisher über die Schicfjale des Leims im Körper wiſſen, ſchließt eben eine ſolche Annahme nicht aus, da doc alles was man über die Gejchichte des Leimjticjtoffs weiß, bis er im Harnſtoff wieder er- jcheint, nur auf Vermuthungen beruht, die man aller= dings aus den Zahlen herausrechnen kann, nur daß die gefundenen Zahlen einen anderen Hergang zwiichen Anfang und Ende nicht ausſchließen, wenn auch Anfang und Ende die gleichen bleiben. Leim wird verdaut und wird durch die Verdauung dem Eiweiß ähnlicher, von den Gefäßen des Darınfanals aufgenommen, in denen man ihn al3 jolchen nicht mehr antrifftz jeine Aufnahme gejtattet eine verminderte Zu— fuhr von Eiweiß, ein Theil feines Stiejtoffs wird im Harn wiedergefunden, weshalb diejer an Harnjtoff oder *), Boita. a. D., ©. 362. **), Ebendaſelbſt ©. 330, 331. 158 Harnjäure reicher wird. Der Leim wird alſo auch im Körper umgeſetzt. Angeſichts diejer Thatjachen jcheint es mir annehmbarer, im Leim einen wirklichen Nahrungs- jtoff, al3 mit Voit ein bloßes Sparmittel zu jehen. Glücklicher Weife wird durch beide Anjchauungen, von denen ich weder die eine, noch die andere für aus— Ihlieglich bewiejen halte, die Aufnahme von Leim für wünjchenswerth erklärt, und das ijt jomwohl für die Aufgabe des Arztes, wie für die des Haushalters von der handgreiflichſten Wichtigkeit. 63 find nun dreißig Jahre her, dag Mulder Ihrieb: „Nur die, welche das Ergebniß von hundert— „taufend Beobachtungen läugnen, werden dem Yeint „eine Stelle unter den nüßlichen Nahrungsitoften ab- „Iprehen. Wer, jo wie ich, die Ärztliche Praris viele „Jahre lang ausgeübt hat und die Gelegenheit hatte, „Senejende unzählige Male unter dem Gebrauch von „Arrow-root*) und Hirichhorngallerte**) an Kräften „zunehmen zu jehen, oder jah, wie Geſchwächte durd) „ven Gebrauch von Hirihhorngallerte wieder elaiti= „her wurden, muß es bedauern, day Verſuche dort „etwas entjcheiden jollen, wo Verſuche verwerflich und „Uüberflüjiig jind, wo nur die Beobadhtung etwas zu „enticheiden hat.“ *) Stärfmehl. **) Qeim. 199 Was die Nutlojigkeit der Verſuche anbetriftt, dar— über würde Mulder jett, und zwar am meijten durch die Voit'ſchen Verjuche bejtimmt, ohne Zweifel anders urtheilen. Aber die eine Yehre dürfte jich den— noch aus jenen in ihrer derben Ausſchließlichkeit nicht mehr haltbaren Worten ergeben, day man jich nie dabei beruhigen joll, wenn Verſuch und Beobachtung mit einander im Streite find. Ein Bedenken könnte man noch gegen die Ummwand- fung von Yeim in Eiweiß erheben, das ich nicht mit Stillfhweigen übergehen will. Da es jich nämlich, wie ſchon angedeutet worden, hierbei um eine rücdjchrei= tende Umwandlung in dem Sinne handelt, das der Leim, der einmal aus einem Eiweißkörper hervorge- gangen, ji) wieder in Eiweiß verwandeln joll, jo hätten wir es mit einem Vorgang zu thun, der eine Sauerjtoffverarmung des Yeims vorausjeßt, und man hat ja jo vielfach betont, daß die jtofflichen Vorgänge im Thierkörper eben durch eine fortjchreitende Berei— cherung an Sauerjtoff ausgezeichnet find. Allein man Kennt nunmehr der Beijpiele genug, in welchen auch im Thierkörper eine Verminderung des Sauerjtoffgehalt3 gegebener Verbindungen beobachtet wurde. Sp wenn Zuder oder Eiweiß in Fett über- gehen. Gin bejonders Iehrreicher Fall wird uns aber in der Bernſteinſäure vorgeführt, die zwar jehr häufig 160 durh Sauerftoffaufnahme, zum Beijpiel aus Butter- ſäure oder aus Benzoejäure entjteht, aber auch durch Saueritoffabgabe aus Aepfelſäure hervorgehen kann. Für den DVergleih, der uns hier beichäftigt, iſt es bejonders beachtungswerth, daß Koch den Uebergang von Aepfelſäure in Berniteinfäure jehon unter Ein— wirkung des Magenjafts erfolgen jah, ganz jo mie die Verãhnlichung des Leims mit Eiweiß von Im Thurn bei der Verdauung in künſtlichem Magen— jaft beobachtet wurde. So kann aud Indigo im Thierförper bald Sauer— jtoff abgeben, bald Sauerjtoff aufnehmen. Chrzon— czszewsky hat behufs feiner Unterjuchungen über den Bau von Leber und Nieren in das Blut indig- jchwefelfaures Natron, jogenanntes Indigcarmin, ein= gejprigt, und fand nachher das Blut und das Blut— waſſer, al3 jie unmittelbar dem Thier entnommen waren, farblos, aber an der Luft färbte jih das Blut- waſſer blau. Das mit der Schwefeljäure verbundene Indigblau mußte aljo auf feinem Weg ind Blut oder im Blut ſelbſt durch Sauerjtoffabgabe in Indigweiß übergehen, während dies an der Luft wieder Sauer- jtoff aufnahm und blau ward. Allein eine jolde Wiederaufnahme des Sauerjtoffs findet auch im Thier— (eibe jtatt, denn nad der Einſpritzung von Indig— carmin fand Chrzonczszewsky im den feinjten 161 Kanälchen der Leber, jomwie in den Röhrchen der Nie— ren blaue Stoffe, die ihre Lichtung ausfüllten. Die Zellen, melde die Nierenkanälchen an ihrer inneren Fläche befleiden, waren dagegen zunächjt weiß geblie= ben und bläuten fich erjt an der Luft. Dieje Bläu— ung hatte aber für jene Ausfüllung der Leber und Nierenkanälchen ſchon innerhalb des Körpers jtattge= funden, und es wurde demnach auf dem Wege vom Magen ins Blut dur) Sauerjtoffverarmung Indig— blau in Indigweiß, auf dem Wege vom Blut in die Nieren durch Sauerjtoffbereiherung Indigweiß wieder in Indigblau verwandelt. Es iſt aljo weder unerhört, daß im Thierkörper eine Abnahme von Sauerjtoff vorkommt, noch aud) dag eine und diejelbe Verbindung unter Umjtänden ſich mit Sauerjtoff verbindet, unter anderen Umſtänden ih vom Sauerjtoff trennt. Wir haben in. der Ent— ſtehungsweiſe der Bernjteinfäure und im Verhalten des Indigos zwei deutliche Vorbilder, die den Leim feiner Sonderjtellung entkleiden, wenn ich die Möglichkeit ausſpreche, daß er im Ihierleib wieder zur Eiweiß— ſtufe aufjteigen könne. Eine ganz andere Trage als die, ob der Leim über— haupt zu den Nahrungsitoffen gehört, ift die praftifche Erwägung, ob er zu den leicht verdaulichen Nahrungs— jtoffen gezählt werden darf. Und diefe Frage it ganz 11 162 entjchieden zu verneinen. Sie beantwortet jich mit einer Haren Anjiht von der Verdauung von jelbjt. Wenn die Verdauung für die löslihen Nahrungsjtofte darauf hinausläuft, daß den Blutbejtandtheilen ungleihe Kör— per in Blutbejtandtheile verwandelt werden, jo erhellt, dag ein Löslicher Nahrungsitofft um jo verdaulicher fein muß, je ähnlicher er von vornherein den Blut— ftoffen ijt. Leimgebendes Gewebe weicht aber unter allen jticjtoffhaltigen Nahrungsitoffen am weitejten von den Eiweißkörpern des Blutes ab; Yeim ijt unter den jtijtoffhaltigen Nahrungsitoffen aus eben dieſem Grunde am jchwerjten verdaulic). Hierin allein ſchon liegt die Rechtfertigung des ? Kampfes gegen jede vorwaltende Erjegung von leid) oder anderen eiweißreichen Nahrungsmitteln durch Yeim oder Knochen. Und damit ijt den gewöhnlichen Sup: pentafeln, wenn jie aus Knochenleim bereitet jind und ohne entjprehenden Zujag von Eiweiß genojjen wer— den, ein unwiderrufliches Verdammungsurtheil ge— ſprochen. Diele gebräuchiche Nahrungsmittel enthalten Stoffe, welche die Verdauungsflüfiigfeiten des Menſchen, Spei— chel, Magenjaft, Galle, Bauchipeichel und Darmjaft, weder zu löjen, noch in der Gejtalt feinjter Körnchen aufzuſchwemmen vermögen, weshalb jie nicht im die Blutbahn gelangen können. Dieje gehen unverdaut ab. 163 Sie werden wie die Schalen von Linjfen und Bohnen, Kirſchkerne und ähnliche Körper, im Koth wieder: gefunden. Zu dieſen Stoffen gehören aus dem Pflanzenreich der Zellftoff, der den Hauptbejtandtheil der Schalen von Hüljenfrüchten bildet, aber auch in den Zellmänden von Erbjen, Linjen und Bohnen vorfommt, jodann der Kork und die Holzjtoffe, welche in die Zuſammen— jeßung der harten Kerne von Pfirjichen, Aprifofen, Kirſchen und ähnlichen Objtarten eingehen. Unter den Beitandtheilen thieriicher Nahrung jind die Stoffe der federkräftigen Faſern, dev Horngebilde, Haare, Nägel, die Dberhaut der inneren und äußeren Häute in den Berdauungsjäften unlöslich. Je vollfommener ein Nahrungsmittel in den Ver— dauungsflüjjigfeiten gelöjt wird, dejto weniger läßt es Stoffe zurüd, die an der Kothhildung Antheil haben, und dejto vollfommener ift die Verdauung. Letztere kann aber auch mangelhaft jein, nicht weil die Art der Nahrungsitoffe, jondern weil ihre Menge und Men— gung es den DVerdauungsjäften erjchwert, te zu bes wältigen. Es kann jich zum Beijpiel ereignen, daß ein aus vielen Nahrungsitoffen zujammengejeßtes Nah: rungsmittel die Darmjchleimhaut jo veizt, dal die Mus— felhaut des Darms jich zu häufig und Fräftig zujame menzieht, und in Folge deijen der Nahrungsinhalt zu UL, 164 \ raſch durch den Darm Hindurchgeihoben wird. Wirkt der Neiz dann mädtig genug, um aud zum Aus— treiben des Darminhalt3 zu veranlajien, dann wird gleihjam als Koth entleert, was bei längerem Ver— weilen im Darm zu Blut hätte werden können, aljo verdaut worden wäre. Kleienbrod und Schwarzbrod verwirklichen oft den hier im Allgemeinen vorgetvages nen Fall. (Gujtav Meyer.) Die Kothbildung und die Verdauung haben aljo mit einander nicht das Geringjte gemein. Im Gegen theil, der Koth bejteht aus dem unbrauchbaren oder nit zur Verwendung gefommenen Rücdjtand der Nah— rungsmittel, vermijcht mit einigen Flüſſigkeiten, die aus dem Blute bereitet und ausgejchieden wurden, hauptjächlih mit Galle und Schleim. Inſofern die Abjonderung diefer Flüſſigkeiten und regelmäßige Aus— leerung jener Rückſtände der Nahrung ein nothwen= diges Zeichen der Gefundheit darjtellen, ijt der Stuhl- gang von der allerwichtigjten Bedeutung für das Leben. Wenn man aber im gewöhnlichen Leben oft gemug Stuhlgang und Verdauung als gleichbedeutend behan— delt, fo überträgt man eine aus faljchem Anjtand ges wählte Bezeihnung auf einen Begriff, der in der ‚ Wiffenfhaft eine ganz andere Bedeutung bat. Es gibt nicht Teicht zwei andere Begriffe auf dem ganzen Gebiet des Stoffwechjels, die einander jehroffer ent= 165 gegengejeist jind, als Blutbildung und Kothausſchei— ding. Die Verdauung iſt Blutbildung, der Koth ihr todter Rückſtand. Weil aber das Blut der Inbegriff aller Beitandtheile der Gewebe iſt, die flüfjige Summe aller Stoffe, welche die fejten Werkzeuge unſeres Körpers darjtellen, jo nimmt die Blutbildung den erjten Rang ein in der Entwicklungs— geichichte der Nahrung. Indem das Blut und die Ge— webe durch fortdauernde Athmung immer weiter zerfallen, um ſich zulett aufzulöfen in Harnſtoff, Kohlenſäure und Waſſer, ſchlägt die Entwicklung in Rückbildung um. Auch hier jind Rückbildung und Entwicklung einander fortwährend bedingende Glieder. In dem erwachjenen Körper machen zerfallende Kormbejtandtheile der Gewebe unabläjjig den neu zu bildenden Plat. Je thätiger ein Werkzeug ijt, deſto leichter iſt es, die jungen Entwick— lungszujtände in demjelben wahrzunehmen. Kein Mus— fel des Körpers ijt aber bejtändiger in Thätigkeit, als das Herz. Daher findet man im Herzen am leichtejten die Stoffe, in welche die verbrauchten Formbeſtandtheile der Gewebe zerfallen (Scherer), und neben diejen die jüngſten Entwicklungsſtufen jener Formbeſtandtheile, d. h. junge Muskelfaſern, welche zu ſehr ſchmalen Bündeln vereinigt ſind. (Gaftaldi.) Jedermann weiß, daß durch einen heftigen Schlag auf den Nagel eines Fingers ein dunkelbrauner Fleck 166 entjteht. Diejer Fleck wird gebildet durch Blut, das in Folge der Zerreifung einiger Gefäße des gefäß— reihen Muttergewebes unter den Nagel ergojien wird, Weil aber von jenem Muttergewebe die Flüſſigkeit ausihwitt, welche durch Vermehrung feiner Zellen die jüngiten unteren Nageljchichten bildet, jo wird das ergofjene Blut nah und nach vollkommen vom Nagel umjchlojien. Und meil der Nagel von hinten nad; vorn wählt, jo wird der braune Fleck nach mehren Wochen über die Spitze des Fingers hervortreten. Man jieht dann das vertrodnete Blut zwijchen den unteren und oJeren Schichten des Nagels. Aber in diejer Zeit hat jich ein volljtändig neuer Nagel gebildet. Den alten jchneiden wir nad) und nad) ab. Ganz ebenjo erneuern ji die Haare und die Oberhaut, welche die ganze Außenfläche des Körpers und die inneren Höh— len deſſelben überzieht. Auf ähnliche Weije bilden jih an die Stelle der zerfallenden Nervenfajern und Knorpelzellen, der Mus— felbündel und Kuochenplättchen immer neue Formen aus immer neuem Stoff. Die ausgeathmete Luft, Harn, Koth und Schweiß, Hauttala, ausfallende Haare, ji abſchuppende Oberhaut und adgejchnittene Nägel führen das Verdrauchte nah aufen. Die jchleunigjte Neubildung erfolgt im Blut. Zmei bi3 drei Stunden nah ein Mahlzeit finde ih in 167 meinem Blut die Zahl der farblojen, fettreichen Zellen verntehrt, aus welchen die farbigen Blutkörperchen her— vorgehen. In jieben bis acht Stunden ijt dieje Um— mwandlung bei Säugethieren und Menjchen beendigt (Donders und Moleſchott). Bei faltblütigen Thieren ijt jie bedeutend verzögert. Am allerlangſamſten erfolgt jie nach meinen Beobachtungen bei Kröjchen, denen die Leber ausgejchnitten iſt. Blutzellen, erſt farblofe, dann farbige, jind die erſten Kormbejtandtheile, die ſich im fertigen Körper ent- wicdeln. Die Entwicklung iſt begründet in der eigen= thümlichen Miſchung des Bluts. Cine Flüſſigkeit, in der Eiweiß, Nett, Zucker und Salze gelöjt find, ent= hält alle Bedingungen, welche die Mehrung von Ker— nen und Zellen erfordert. Das Blut iſt eine vollendete Keimflüfjigkeit, in der man Gelegenheit hat, verjchie= dene Altersitufen von Zellen zu erforſchen. Mit dem Bilde der DBlutbereitung haben wir eine Anſchauung von der michtigjten Entwicklung der Nahrung nad) Miihung und Form. 168 XI. Aldje der Chiere und Menfchen. Es war ein fojtbarer Staub, den die Alten in Aſchenkrügen in ihren Gräbern beijetten. Denn die Aſche enthielt den Stoff, mit dejjen Hülfe die Pflanzen aus Beitandtheilen der Luft Thiere und Menſchen zu erihaffen vermögen. Mit Ausnahme der Stoffe, die wir in der Aſche finden, jind die Glemente aller übrigen Bejtandtheile des Körpers von Pflanzen, Thieren und Menſchen in der Luft enthalten. Stickſtoff, Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerjtoff jind zum Theil frei, zum Theil als Kohlenſäure, Waſſer und Ammoniak in.dem Dampf: frei unjerer Erde vorhanden. Aus Kohlenjäure und Waſſer bildet die Flachspflanze den Zellitoff, daS Zuderrohr den Zuder. Ohne anor: ganiſche Stoffe im Boden ijt aber die Bildung des Zuders im Zuderrohr, des Zellſtoffs im Flachs nicht möglid. Mayer und Brazier haben es in einem 169 ebenfo ſchönen al3 richtigen Gleichniß ausgedrüdt: „Die Vegetation der Flahspflanze gleicht dem Wachs— „thum des Zuderrohrs, von dejjien Pflege wir ein „ganz aus atmosjphäriichen Bejtandtheilen zuſammen— „gejeistes Produkt erwarten. Die anorganijchen Theile, „welche von der Pflanze aufgenommen werden, jind „nur die Werkzeuge, um es hervorzubringen, und „jollten ebenjo ſorgfältig bewahrt werden, wie die „Werkzeuge in einer Fabrik, um bei der Grzielung „fünftiger Erndten ferner Dienjte zu leijten.” In derjelben Weije jind die anorganiſchen Bejtand- theile des Bluts die Werkzeuge, mit deren Hülfe aus den organiſchen Stoffen dejjelben die verjchiedenen Ge— webe unjeres Körpers gezeugt werden. Schon im Blut iſt die Entwicklung der Formbejtandtheile, der Blutkörperchen, gegründet auf die Trennung der Kali: falze und Natronjalze, die beide aus der Nahrung der Blutbahn zufließen. Die Blutlörperchen enthalten die Kalijalze, während die Natronverbindungen in der Blutflüffigkeit gelöft find. Kochſalz, eine Verbindung von Natrium und Chlor, ijt nur in der Flüſſigkeit, die Verbindung von Kalium und Chlor ijt vorzug3- weile in den Körperchen vorhanden (6. Schmidt). Und aljo finden wir ſchon im Blute den Beweis für Liebig’3 Ausſpruch, day Kali und Natron, jo ähnlich fie auch in anderen Eigenſchaften find, jich im Thier— 170 förper nicht erjegen fönnen. Auf gleihe Weije fand Schmidt in den Körperhen die Phosphorjäure, in der Flüſſigkeit Kalk und Bittererde, Kohlenſäure und Schmwejeljäure vorherrichend. Am allerinnigjten ift aber die Verwandtſchaft einer organischen Gruppe von Glementen zu einem anor= ganischen Körper in dem Farbſtoff des Blut, der in den farbigen Körperchen enthalten iſt. Diejer Farb— ſtoff ijt eine Verbindung von Stidjtoff, Kohlenitoff, Waſſerſtoff und Sauerjtoff, zu der ſich das Eiſen ge- jellt, etwa jo wie der Schwefel zum Eiweiß gehört. Liebig glaubte, daß der Blutfarbitoff das Eiſen in Verbindung mit mehr oder weniger Sauerjtoff ent= halte. Mulder hat aberdurch die ſchlagendſten Gründe dargethan, dag das Eijen des Blutfarbitoffs nicht als jolhes mit Sauerjtoff verbunden it. Durch ſtarke Schwefelſäure läßt ſich nämlich das Eiſen aus dem Farb— jtoff entfernen. Es verhält jich dabei ganz jo wie metal- liſches Eiſen. Denn es entzieht dem vorhandenen Wajjer jeinen Säuerftoff, verwandelt ſich auf Koſten des Waſſers in Eiſenoxyd, das ſich mit der Schwefeljäure verbin- det, während zugleich eine Entwicklung von Waſſer— jtoff vor jich geht. Dabei behält man eine organiiche Gruppe zurück, deren Sauerjtoffgehalt ſich nicht ver- ändert hat. Wäre das Eijen al3 Oryd oder Orydul im Farbſtoff vorhanden, dann hätte die Schwefeljäure a 10° demjelben nicht‘ bloß das Eijen, ſondern zugleich einer Theil ſeines Sauerſtoffs rauben müjjen. Der Farbſtoff des Bluts ijt nach den neueren Unterfuchungen ein gepaarter Körper, der den höchſten Grad der Zuſammenſetzung zeigt. Giner feiner Paar linge ijt der alte Blutfarbitoff*), den Mulder unter- jucht hat, der andere ein eimeihartiger Körper, der mit einem bev beiden STajerjtoffbildner **) übereinſtim— men fol. Die Verbindung, in der beide, der Farb— jtoff im engeren Sinne und der eiweikartige Körper gepaart find, nennt man Blutförperchenjtoif***), weil er in der That fajt ganz den SKörperchen angehört, ohne deshalb dem Blutwafler durchaus zu fehlen. Dieſer Blutförperchenftoff zerfällt unter den verſchie— denjten Einflüffen, bei einer Erwärmung auf 70 bis 80°, oder durch Säuren, Alfalien, Alkohol, Metall- jalze, in jeine beiden Paarlinge, Blutroth und Eis weiß, welches letztere aus dem oben bezeichneten Faſer— jtoffbildner bei der Zerſetzung entjteht. In dem Blutförperchenftoff hat man die Sauer jtoffverbindung gefunden, welche Liebig für das Eijen vermuthet hatte. Cine Löſung deſſelben zeigt näm— lich zum Licht ein verjchiedenes Verhalten, je nach— *) Hämatin, Hämatofin. (Chevreul.) **) Fibrinoplaftiiche Subſtanz oder Paraglobulin. (NV. Schmidt.) ***) Hämoglobin. 172 u dem ihr Sauerjtoff zur Verfügung ſtand, oder Sauer: ftoff entzogen wurde. Im letzteren Falle läßt fie weniger gelbes Licht durch al3 im erjteren, in die- jem dagegen weniger vrangegelbes und grüngelbes al3 in jenem. Statt einer Verbindung des Eiſens im Blutroth mit mehr oder minder Sauerjtoff, als Gijenoryd oder Gijenorydul, hat man eine organijche, - gepaarte Verbindung im Blutförperchenjtoff, die im ichlagaderlihen Blut mit mehr, im aderlichen mit weniger Sauerjtoff verbunden ilt. Das Blut läßt fich für die Gewebe in jeder Rüd- jiht mit den in der Ackererde gelöſten Stoffen für die Pflanzenwurzel vergleichen. Die anorganijchen Bes jtandtheile des Bluts hängen von der Nahrung ab. Kohlenjaure Salze jind zwar, wie aud ich gefunden habe, in jedem Blut enihalten. Allein beim Genuß von Kräutern nehmen die fohlenjauren Salze im Blut bedeutend zu, während jie einem Uebergewicht der phosphorjauren Salze weichen beim vorherrſchenden Genuß von Fleiſch und Brod, ohne deshalb jemals ganz zu verihwinden (VBerdeil). Daher kommt es, daß das Blut eines fleijchfrejjenden Hundes weit mehr Phosphorjäure führt, al3 das von Ochſen oder Schaafen. Ob nun das Blut kohlenſaures oder phosphor— faures Natron in überwiegender Menge enthält, it 173 feinesweg3 gleichgültig, ſchon weil die Kohlenjäure und Phosphorjäure verjchieden find, namentlich aber des— halb, weil Eohlenjaure Alfalien bisher für fein ein— ziges Gewebe, phosphorjaure Verbindungen dagegen für alle von der allerwichtigjten Bedeutung befunden wurden. Nur in einer Beziehung zeigen das Fohlenjaure und phosphorjaure Natron große Aehnlichkeit. Beide Salze vermögen es, Kohlenjäure zu binden. Das fohlenjaure Natron verwandelt ſich hierbei in doppelt fohlenjaures Salz, und das phosphorjaure nimmt nach Fernet auf je einen Bautheil Phosphorfäure, die es enthält, zwei Bautheile Kohlenjäure auf. Aber dieje Kohlenjäure ijt von beiden Salzen jo locker gebunden, daß fie ſchon im Tuftleeren Raume wieder entweicht, oder auch wenn ein anderes nicht chemiſch einwirken— de3 Gas, wie Sauerjtoff, Waſſerſtoff oder Stidjtoff, durch die Löſung der Salze geleitet wird. Daß die Kohlenfäure im luftleeren Raum das phosphorjaure Natron wieder verläßt, habe ich jelbit bereits im Sahre 1847 angegeben *), aber Kernet hat das Ver- dienjt, das Mengenverhältnig bejtimmt zu haben, in ) Holländijche Beiträge zu den anatomijchen und phy— fiologiichen Wiljenjchaften von J. van Deen, F. C. Done ders und Jac. Molejhott, ©. 173. 174 dem ſich Kohlenjäure in jenem loderen Zujammenhang mit phosphorjaurem Natron paaren kann. Wenn nun das Blut durch die Nahrung innerhalb gewiljer Grenzen verjchieden wird, jo muß jich diejer Einfluß geltend machen auf die Gewebe, die aus dem Blut entjtehen, ebenjo wie zwei Adererden von ver- jhiedener Miſchung ihren Einfluß auf die Erzeugnifie des Bodens geltend machen. Gleichnamige Gewebe und Erndten können alfer- dings durch zwei verjchiedene Blutarten und zwei ver- schiedene Adererden hervorgebracht werden , aber ‚jedem wejentlichen Unterichieb in der Miſchung des Bluts und des Aders muß eine Verjchiedenheit in Geweben und Erndten entiprechen. Da das Blut in einem und demjelben Einzelmejen, im Großen und Ganzen, eine gleihmäßige Miſchung darjtellt, welche vom Herzen durh die Schlagadern den verſchiedenſten Körpertheilen zugeführt wird, um durd die Wand der feinjten Gefähe, in melde ſich die Schlagadern auflöjen, in die Gewebe hinüberzus ihwiten, jo iſt es Far, daß eine verjchiedene Zus ſammenſetzung der Gewebe nur dadurch herbeigeführt werden fann, dal die einzelnen Bejtandtheile des Bluts die eigentliche Blutbahn an verjhiedenen Stellen mit verjchiedener Gejchwindigkeit verlajjen. u. 175 Und jo geſchieht es wirklih. Die Naturlehre des Menſchen und der Thiere ijt jchon jeit längerer Zeit im Bejitte eines bedeutjamen Winfes für dieſes Ver- hältniß, injofern jie weiß, daß die Haargefäße — jo heißen jene feinjten Kanäle, in welche ji die Schlag- adern auflöjen und welche die Schlagadern mit den Adern verbinden, — in verjchiedenen Theilen des Kör— pers einen jehr verjchiedenen Durchmejjer bejiten und Netze bilden, deren Formen für die einzelnen Gewebe und Werkzeuge eigenthümlich find. Das Hirn iſt durch) jehr feine, das Knochenmark durch fünfmal jo weite Haargefähe ausgezeichnet. In den Nerven ijt das Netz der Haargefäße aus langgejtredten und unregel- mäßigen Majchen zujammengejetst. In der Lunge jind die Majchen eng und rundlich, wenn ihre Bläschen prall mit Luft gefüllt, und mehr oder weniger rauten— förmig, wenn diejelben bis auf einen gewiſſen Grad zufammengefallen ſind. In den Musfelhäuten des Darms findet man jie regelmäßig rechteckig. Hier, wie in den Muskeln überhaupt, iſt das Haargefäßnetz ziem- lich dicht. (Gerlach.) Im Allgemeinen treten die eiweißartigen Stoffe des Bluts um ſo leichter durch die Wand der Haar— gefäße hindurch, je größer der Widerſtand iſt, den das Blut beim Fließen durch jene Kanäle zu über— winden hat. Dieſer Widerſtand kann aber nicht un— 176 abhängig jein vom Durchmefjer der Gefäße und eben jo wenig von deren Verlaufsweiſe, wie fie in der Form der Majchen ihres Netzes zum Ausdruck kommt, wenn auch das Maaß jolcher Unterjchiede, wie jie hier in Betracht kommen, bisher der Lehre vom Waſſer— druck nicht zugänglich war. Sit es zu vermwundern, daß jene eigenthümliche Bejchaffenheit der Haargefäße auch der Schnelligkeit, mit welcher ihre Wand von den einzelnen Blutbejtand- theilen durchjett wird, ihr Gepräge aufdrüdt? Für die organischen Stoffe Hat C. Schmidt jenen Wink zu einer höchſt Lehrreichen Thatſache gejtaltet, die in mehren Fällen von Ludwig Wahsmuth betätigt wurde. Aus den Haargefäßen in der Haut, welde die Lungen überzieht, ſchwitzt daS Eiweiß raſcher durch, als aus den Haargefäßen, die in dem Bindegewebe unter der allgemeinen Körperhaut verlaufen. Auf die merfwürdigjte Weije hat jich dieſes Wechjel- verhältnig zwijchen der Schnelligkeit, mit welcher die einzelnen Stoffe das Blut verlafjen, und der Zuſam— menjetung der Gewebe für die anorganischen Beitand- theile herausgeſtellt. Wir haben durch eine der ſchönſten Unterfuhungen Liebig's erfahren, daß während in dem Blut das Kochjalz bedeutend über Chlorkalium vorherrſcht, in den Muskeln gerade umgekehrt das Chlorkalium veich- 177 licher als Kochſalz vertreten iſt. Wenn aber in dem Blut viel Natron und wenig Kali, in den Muskeln viel Kali und wenig Natron enthalten iſt, wenn es ferner feſtſteht, daß die Muskeln ihren ſämmtlichen Kaligehalt nur vom Blut beziehen, ſo müſſen die Haar— gefäße der Muskeln das Kali des Bluts mit größerer Geſchwindigkeit austreten laſſen, als das Natron. Gerade umgekehrt in den Knorpeln. Die Knorpel enthalten kein Chlorkalium, dagegen ſehr viel Kochſalz. Es ergiebt ſich daraus mit Nothwendigkeit, daß Chlor— kalium durch die Haargefäße der Knorpelhaut viel langſamer ausſchwitzt, als durch die Haargefäße der Muskeln. Ja, wenn es ſich beſtätigt, daß die Knor— pel gar kein Chlorkalium führen, dann iſt die Ge— ſchwindigkeit, mit welcher das Chlorkalium ſich aus dem Blut in die Knorpel bewegt, mit dem Mathe— matiker zu reden, unendlich klein. Knorpel und Muskeln verhalten ſich hinſichtlich der Vertheilung von Chlornatrium und Chlorkalium zu einander wie Blutflüſſigkeit und Blutkörperchen. Ob an einer gegebenen Stelle des Körpers Mus— kel-oder Knorpelgewebe aus dem Nahrungsjaft, d. h. aus der durch die Haargefäßwand hindurchgeſchwitzten Flüſſigkeit hervorgeht, das iſt wenigſtens theilweiſe bedingt durch das Vorherrſchen von Natron oder Kali an den betreffenden Orten. 12 178 Darin liegt aljo der unſchätzbare Werth der Ajche der Gewebe. Die Berjchiedenheit der Gewebe ijt vor allen Dingen gegründet auf die Mannigfaltigfeit der anorganiichen Beltandtheile, welche durch die einzelnen Haargefühgruppen mit wechjelnder Geſchwindigkeit her— vorſchwitzen. Dieje anorganischen Stoffe jind es, welche beim Verbrennen der Gewebe als Aiche zurücbleiben, während jich die organischen Bejtandtheile verflüchtigen. Die Muskeln entjtehen nur mit Hülfe des Chlor- faliums. Ghlorfalium it das Muskelſalz. Kochjalz ijt der Gemwebebildner der Knorpel. Das Kochjalz iſt das Knorpelſalz. Ebenſo ijt der phosphorjaure Kal al3 der wichtigſte Gemwebebildner der Knochen zu be— trachten. Der phosphorjaure Kalk geht mit der leim— gebenden organiſchen Grundlage der Knochen chemijche Verbindungen ein. Man nennt daher den phosphor- fauren Kalt Knochenerde. In demjelben Sinne darf man die phosphorjaure Bittererde als Muskelerde be— zeichnen. Fluorcalcium, eine Verbindung, in welcher der Sauerjtoff des Kalks durch Fluor vertreten it, ericheint als Knochenſalz. Zu den Haaren gehört als Gewebebildner das Eiſen. Das Eiſen iſt nicht nur Blutmetall, es iſt auch als Haarmetall zu würdigen und zeichnet außerdem das Gehirn und die Kryſtallinſe des Auges aus. In dem Kieſelpanzer der Aufgußthierchen iſt es nach Ehren— 179 berg nicht minder bejtändig al3 der phosphorjaure Kalk in den Knochen der Wirbelthiere.. Es fehlt da— gegen nad) Plugge den von Blut und fremden An— hängjeln gehörig befreiten Knochen. Von allen anorganijchen Stoffen, die in der Ajche wiedergefunden werden, bat die Phosphorjäure die weitefte Verbreitung im Thierförper. Sie ijt in den Knochen an Kalk, in den Muskeln an Kalt und Bittererde, in der Leber an Alfalien F Erden und Eiſen, beſonders reichlich im Hirn an Kali und Natron, an Eiſen, Kalk und Bittererde gebunden. Alle eiweißartigen Stoffe des Körpers enthalten eine gewiſſe Menge phosphorſauren Kalks. In manchen Theilen des Leibes, im Hirn, in den Eiern, im Samen und bereits im Blut iſt der Phos— phor ſogar mit einer organiſchen Gruppe in der Weiſe gepaart, daß ein phosphorhaltiges Fett daraus hervor— geht. Deshalb iſt man berechtigt zu ſagen, daß das Blut und Hirn, Eier und Samen, kurz gerade die Theile, welche auf der höchſten Staffel des Lebens ſtehen, ein phosphorhaltiges Fett beſitzen, in dem ihre weſentlichſte Eigenthümlichkeit begründet iſt. Und es erklärt jich hieraus, daß in der Aſche des Hirns eine anjehnliche Menge freier Phosphorjäure gefunden wird. (Breed.) Wird das Hirn zu Kohle verbrannt, dann bejitzt dieſe eine jaure Bejchaffenheit; ſie vöthet, wenn jie 12, 180 vorher mit etwas Waſſer angefeuchtet wird, einen Streifen blauen Lackmuspapiers. Die freie Säure iit feine andere als Phosphorjäure. Sp wichtig ift jene organijche Gruppe des Hirnz, in deren Zujammenjeßung der Phosphor eingeht, dar ihre größere oder geringere Menge jchon jeit, nach— dem das phosphorhaltige Nett erit jeit wenig Jahren genau erforſcht ijt, einen merkwürdigen Unterjchied zwijchen den Hirnen verschiedener Thiere fennen lehrte. Nch Laſſaigne zeigen das Hirn und das verlän- gerte Mark der Kate und der Ziege nad) der Ver— fohlung feine jo deutlich jaure Bejchaffenheit, wie die— jelben Theile des Pferdes. Die Menge des phos— phorhaltigen Fetts im Hirn verjchiedener Thiere iſt demnach verjchieden groß. Ganz in derjelben Weije, wie in dem Einzelweſen die Art der Gewebe zu einem großen Theil bedingt it durch die anorganischen Beltandtheile, welche an einer gegebenen Stelle das Blut der Haargefäße ver- lajien, jo jind auch die Merkmale dev Art, welcher da3 Einzelweſen angehört, die Gründe ihrer Ent: jtehung und Ausbildung in den Ajchenbejtandtheilen zu juchen, die ihr Körper bei der Verbrennung zus rückläßt. Natürlich iſt hier mit der Nahrung die erſte Quelle des Unterſchieds in der Zuſammenſetzung des Bluts 181 gegeben. Ich habe jchon erwähnt, wie deutlich die Phosphorjäure vorherricht im Blut von Menjchen und Thieren, die vorzugsmeile Fleiſch und Brod genieken, und wie jie der Kohlenjäure weicht, wenn die Nah— rung vorzugsweiſe in Kräutern bejtand. Das Eiſen des Bluts der Menjchen und der Wir— beithiere ijt in dem Blut der Weinbergichnedfe von Kupfer begleitet. Den phosphorjauren Kalf des Men: ſchenbluts vertritt kohlenſaurer Kalk bei der Teich» mujchel. Wenn wir duch C. Schmidt erfahren, daß das Blut der Schaltbiere jo reichlich mit Eohlenjaurem Kalk geſchwängert ijt, das diejes Salz beim Verdunſten des Bluts in Kryitallen anjchiegt, dann werden wir ung nicht wundern, day man die Schalen der Mujcheln benüst, um Kalk daraus zu brennen. Der Kalk der Schalen jtammt vom Blut, wie der des Blutes von der Nahrung. Die Knochen der Lurche und Fiſche kennt man an dem jchwefeljauren Natron, das jte führen; die Zähne der Dikhäuter an der phosphorjauren Bitter- erde (von Bibra). In den Knochen der Pflanzen- freier ijt mehr phosphorjaure Bittererde zugegen, als in denen der ssleifchfrefier und der Menſchen (Ber: zelius, Valentin). 182 Kiejeljäure ijt zwar jehr allgemein ein Bauſtoff horniger Theile. Sie findet jih in Haaren, in Wolle und Schleim. Vor allen anderen jind aber die mäch— tig entwidelten Horngebilde der Vögel, die Federn, durch ihren Reihthum an Kiejelerde ausgezeichnet. Unter den Vögeln jind es wieder die förnerfrejjenden, weiche die von Fiſchen und anderen Wajjerthieren lebenden übertreffen. Der Haushahn jteht durch den bedeuten- den Kiejelerdegehalt jeiner Federn unter den Vögeln obenan (von Gorup=-DBejanez). Und dieje Kiejel- erde iſt nah Poleck jhon im Eie, in welchem die Federbildung weit voranjchreitet, enthalten. In 100 Theilen der Ajche des Eiweißes im Hühnerei wurden nicht weniger al3 7 Theile Kiefelfäure gefunden. Wenn aber die regelmäßigen anorganiichen Be- jtandtheile von Thieren und Menjchen eine jo gejeß- mäßige Anziehungskraft üben und erleiden im Ver— hältniß zu den organischen Grundlagen des Körpers, jo fehlt eine folhe Verwandtſchaft auch nicht fiir die— jenigen, die nur unter bejonderen Einflüſſen, jei es der Nahrung oder der Arzneien, dem Körper einver— leibt werden. Aus diefem Gejichtspunft iſt das Verhalten, der Metalle vorzugsweile lehrreih. Bei manden Thieren führt die Leber jchon unter gewöhnlichen Umſtänden Kupfer. Bei der Weinbergjchnede entipricht der Kupfer— 183 gehalt der Leber der Anmejenheit des Kupfers im Blut (Harleß). Genth fand Kupfer in dem weiß— tihblauen bis himmelblauen Blut einer Art von Mo: ludenfrebs*), von Bibra in der Leber beim Tajchen- frebS, bei Forellen, Haifiſchen und Sonnenftichen. Nun aber enthält da3 Getreide bisweilen Kupfer, das aus der Adererde, 3. B. aus Thonſchiefer oder aus gelbem Thon, aufgenommen werden kann. Es ift nur eine weitere Entwiclung dieſer Thatjache, daß man auch im Blute gelegentlih Kupfer gefunden hat. Das Kupfer fand jich wieder in der Leber beim Schwein und beim Ochſen; jeine Anmejenheit war durch Ver— hältnifje der Nahrung bedingt. Die Anziehungskraft für Metalle bewährt die Yeber auch in dem regelmäßigen Zujtand der Wirbelthiere. Eiſen ijt in der Leber in nicht unerheblicher Menge vertreten, und die Galle, die Flüſſigkeit, welche von der Leber bereitet wird, zeichnet jich 3. B. vor dem Harn durch ihren vegelmäßigen Gehalt an Eiſen aus. 63 gewinnt dieje Thatjache bejonders dadurd an Ges wicht, daß die Leber zwar nicht die ausjchlienliche, aber doc eine vorzügliche Bildungsjtätte der farbigen Blutkörperchen darjtellt. Ohne eijenhaltigen Farbſtoff können jich jedoch die farbigen Blutkörperchen nicht *) Limulus Cyelops, Fabricius; in Philadelphia unter dem Namen King’s erab befannt. 184 entwicdeln. Ich habe durch jehr häufig wiederholte Zählungen gefunden, daß bei entleberten Fröjchen die Menge der farbigen Körperhen des Bluts im Ver— hältniß zu den farblojen bedeutend abnimmt. Sit es bei diejer Berwandtichaft der Leber zu den Metallen, welche die Außenwelt zuführt, zu verwun— dern, das das Quedjilber der Heilmittel oder das Blei in langjam entjtehenden DBleivergiftungen vor— zugsmweije in der Leber gefunden wird? In einem Fall von Quedjilbervergiftung konnte von Gorup— Beſanez das Quedjilber unter mehren unterſuchten Geweben mit völliger Sicherheit bloß in der Leber, dagegen gar nicht in dem Herzen und in den Lungen, im Gehirn nur zweifelhaft nachweijen. Erſt neuer: dings fanden Chatin und Bouvier bei einem an Bleilähmung verjtorbenen Menjchen das Blei in Hirn und Leber. Se größer die Neitigfeit der harten Theile im Körper der Wirbelthiere ijt, deſto bedeutender it ihr Gehalt an phosphorjaurem Kalt. So jind die Zähne viel reicher an Knochenerde als die Knochen jelbit. Bon Bibra hat in diefem Sinne einen merkwür— digen Zufammenhang aufgefunden zwijchen den Ans jirengungen, denen ein Knochen unterworfen wird, und der Menge des phosphorjauren Kalks, die in dem— jelben vorfommt. Gr fand am meilten Knochenerde 185 in dem Schienbein bei Waldvögeln, in dem Oberjchenfel bei Scharrvögeln, in dem Oberarm bei Vögeln mäd)- tigen Fluges. Wenn es in der Nahrung an phosphorjaurem Kalt fehlt, dann werden die Knochen biegjam. Sie jind es bei jungen Kindern, bei denen der Knorpel ji) erſt allmälig dur die Aufnahme von Knochenerde in Knochen verwandelt. Sie werden es bei Hühnern, denen man in der Nahrung die Kalkjalze vorenthält (Choſſat). Weisfe will allerdings gefunden haben, daß die Entziehung von Kalk oder Phosphorjäure bei Ziegen, obgleich jie die Gejundheit jchädigt und jogar zum Tode führt, die Zujammenjeßung der Knochen unverändert läßt.*) Allein es jcheint eine größere Anzahl von Verſuchen erforderlich, jomwie die Unter: ſuchung mehrfacher Knochen der Verſuchsthiere, bevor man aus dem an einzelnen Mittelfußfnochen gewon— nenen Befunde Weiske's einen allgemeinen Sat ableitet, zumal wenn man vernimmt, daß eine Ziege in ihrer Milh, in Koth und Harn beinahe dreimal joviel Kalt ausgab, als jie in der Nahrung erhielt. Es ijt ſchwer zu begreifen, dal ein jolcher Verluſt auf das Falfreichjte Gewebe des’ Körpers ohne Ein- fluß bleiben jollte, man müßte denn annehmen, dal *) Heitichrift für Biologie, VII, (1871), ©. 337. 186 die Thiere eher jtürben als der Unterfhied für die _ Unterſuchung erheblich ward. An Kaninhen hat Weisfe jeine Unterfuhungen vervollſtändigt. In Folge der Vorenthaltung von Kalk in der Nahrung beobachtete er eine Verminderung des Knochengewebes diejer Thiere, und wenn auch die Kno— hen nah Weiske's Ausjage nicht gerade brüdig befunden wurden, jo waren doch ihre Wandungen dünner und ihre Marfräume weiter al3 gewöhnlich. *) Hält man ich, ohne viel zu deuteln, an die von Weisfe gefundenen Zahlen, jo ergiebt jich für die dem Kalfhunger unterworfenen Thiere ebenjo wohl eine Verminderung ihrer Knochenjalze, wie bei denen, die gar feine Nahrung erhielten. Die Knochen von Kaninchen, die mit falffreier Gerjte genährt wurden, enthielten durchjchnittlich auf 100 Theile ihres Knochenjtoffs nur 65, ein regelrecht ernährtes, ungefähr gleich altes Ihier dagegen 67,6 Ajchenbejtandtheile, aljo ergab jich bei dem Kalfhunger ein Weniger in dem Verhältniß von 100:104. Und wenn dies, wie Weisfe meint, daher rührte, daß bei den jungen Kaninchen, die er zu jeinen Verſuchen benußte, in Folge der Kalkentziehung das Knochenwachsthum aufhörte, jo hat man in diefem Ver— halten einen erneuten Beweis für die Lehre, daß ſich *) Zeitichrift für Biologie, Bd. N, ©. 424. 187 ohne die entjprechende Zufuhr von phosphorjaurem Kalk fein regelrechter Knochen entwickeln könne. Ueberfluß an phosphorſaurem Kalk ſoll nach einer weit verbreiteten Annahme die Knochen ſpröde machen. Nach älteren Unterſuchungen hielt man es für eine Eigenthümlichkeit des höheren Alters, daß die Kno— chenerde in den Stützen und Hebeln des Körpers zunimmt, und man ſah darin einen der Gründe für die Zerbrechlichkeit der Knochen alter Leute. Nach den Zahlen, die wir von Bibra verdanken, iſt aber jener Mehrgehalt an Kalkſalz in den Knochen der Greiſe durchaus nicht beſtändig, ſo daß ſpätere Forſcher, wie Lehmann, von Recklinghauſen, von Gorup Beſanez hier mehr an eine Verſchiedenheit der Ein— zelweſen als an einen regelmäßigen Einfluß des Lebens— alters glauben. So viel ſteht jedoch nach den Unterſuchungen Valentin's feſt, daß neugebildetes Knochengewebe reicher an kohlenſaurem Kalk iſt, der ſich erſt nach und nad) in phosphoriauren verwandelt. Und bei Ka— ninchen nimmt, wenigjtens jo lange jie noch im Wach— jen begriffen jind, die Menge der Kalkſalze in den Knoden zu (Wildt). Aus allen diefen Thatſachen ergiebt jich für den thieriichen Körper ein Gejet von der allerhöchiten Bes deutung, ein Gefeß, dejien Fruchtbarkeit für das Ver— 188 ſtändniß der Ernährung beinahe durch jede neue That— ſache heller beleuchtet wird. Es ilt das Gejet einer fejten und nothwendigen Verwandtſchaft zwiſchen den organiihen Grundlagen der Gewebe und den anor= ganiſchen Gewebebildnern. Durch diejes Geſetz bejteht das Recht, das Fluorcalcium Knochenjalz oder Zahn- jalz, die phosphorjaure Bittererde Musfelerde, das Chlornatrium Knorpelſalz, das Eiſen Haarmetall zu nennen. Dieje regelmäßige Beziehung, welche von den Aſchen— bejtandtheilen der Gewebe des Körpers jeden Schein der Zufälligkeit abjtreift, Eehrt auch für die Flüſſig— feiten wieder, welche bejtimmte Werkzeuge, die man Drüjen nennt, aus dem Blute abjondern. Die Leber, welche die Galle bereitet, die Nieren, welche den Harn, die Bruſtdrüſen, welche die Milch aus dem Blute ab- jcheiden, jind jolde Drüjen. Kür die Mil jind phosphorjaurer Kalk und Kali— verbindungen ebenjo nothwendig, wie jener für die Knochen und dieje für die Muskeln. Bedenkt maı, daß der größte Theil des Körpers aus Fleiſch und Knochen bejteht, jo gewinnt e3 an innerer Bedeutung auch von diefer Seite, daß die Milch jo vorzüglich geeignet it, die Nahrung des Säuglings zu bilden. Sie führt nit nur eiweikartige Körper, Zucker und Nett, al3 Vertreter der drei Hauptklajjen organiſcher 189 Nahrungsitoffe; jie enthält auch in ihren Ajchenbejtand- theilen die anorganischen Stoffe, welche wir als die wichtigjten Gemwebebildner für die Maſſe des Körpers betrachten müjjen. Wie die Mil, jo jind die Eidotter ausgezeichnet dur einen hohen Gehalt an Kaliſalzen und phos— phorjauren Erden, welche leisteren auch reichlich im Samen vertreten jind. Während der Entwicklung des Hühnchens nimmt in diefem der Gehalt an phosphor- jaurem Kalf im DBergleich zu dem des unbebrüteten Eies zu (Prout). Diefe Zunahme beruht nicht auf einer Vermehrung der im Innern des Eies gegebe- nen Phosphorjäure, jondern auf einem Zuwachs an Kalf, der ohne Zweifel dem Eohlenjauren Kalk der Eiſchale entitammte, während die Phosphorjäure von dem gepaarten phosphorhaltigen Dotterfette herzulei— ten ijt. Im Verlauf der Bebrütung wird die Gier- ſchale immer zerbrechliher, j9 day dem Hühnchen, wenn es jich zum Ausjchlüpfen anſchickt, fein müh— james, und mit mehren langen Pauſen durchzufüh— rendes Unternehmen, die Schale zu durchbrechen, nicht wenig erleichtert wird. Im Speichel herrjcht Chlorfalium vor. Die Menge des Ghlorfaliums kann die des Chlornatriums im Spei- el um das Sechsfache übertreffen. (Salfomwsti.) ‚Der Magenfaft enthält vorwiegend Chlornatrium, da= 190 neben aber eine ganze Anzahl von Chforverbindungen. Am allerbedeutenditen iſt Kochjalz im Harn vertreten. Dieſen Verhältnifjen fehlt auch die Kehrjeite nicht. Das heilt, es fommen Flüſſigkeiten vor, in welchen gewiſſe Salze, die jonjt eine weite Verbreitung im Körper zeigen, durchaus nicht vorhanden jind. Der Milch fehlt jede Spur von jchwefeljauren Salzen, wäh— rend jie in Galle und Harn bejtändig gefunden wer— den. Im Harn des Menjchen Fehlt dagegen ganz der fohlenjaure Kal. (von Gorup Bejane;z.) Weil die Salze das Blut rajcher verlajjen als Eiweiß und Fett, jo ijt es Klar, daß das Blut we— niger von den betreffenden anorganijchen Bejtandtheilen enthalten muß, al3 die Nahrung. Aber unter diejen Stoffen der Aſche herrjchen einzelne im Blute vor; fie find in der Aſche des Blut3 reichlicher vertreten, al3 in der Aſche der Nahrung. Blutaſche enthält 3. B. verhältnigmäßig mehr Kochjalz al3 die Futter— aſche. Das Kochſalz it unter allen Ajchenbejtand- theilen de3 Bluts der nothwendigſte; Kochjalz wird in feiner Menge im Blut von feinem anderen anorga= niſchen Stoffe, als vom Wajjer, übertroffen. Schon Johannes Müller hatte nahgewiejen, daß diejer Kochjalzgehalt eine Bedingung ijt für den Beltand der Blutkörperchen, die nah Nobin und 191 Verdeil in einer reinen Eiweißlöſung vajch zerfallen. „Salz und Brod, macht die Wangen roth.“ Die Salzjäure, eine Verbindung von Chlor und Waſſer— jtoff, ohne welche der Magenſaft nicht verdauen kann, verdankt einen Theil ihres Chlorgehalts dem Kochſalz des Bluts. Ohne Zufuhr von Kochjalz würde die Ver- dauung ſtocken, wie ohne Blutkörperchen das Athmen. Blut und Gewebe halten jedoch beim Kochjelzhunger ihren Gehalt an diejem Bejtandtheil hartnädig feit. (Kemmerich, 3. Forſter.) Jenes Geſetz der Verwandtſchaft, nach welchem die thieriſchen Häute neben gewiſſen organiſchen Stoffen auch immer Aſchenbeſtandtheile durchſchwitzen laſſen, erklärt uns auch das Auftreten der anorganiſchen Stoffe im Harn. Der Harnſtoff gelangt aus den Haar— gefäßen der Nieren nicht in die feinſten Harnkanäl— chen dieſer Drüſen, ohne von Kochſalz und anderen anorganiſchen Stoffen begleitet zu ſein. Die feinſten Formbeſtandtheile der Drüſen, ſeien es Kanälchen oder Zellen, ſind von den blutführenden Haargefäßen ſo dicht umlagert, daß die Wand des Haargefäßes und die der Drüſenkanälchen, die aneinander liegen, zuſam— men nur eine ſehr dünne thieriſche Haut bilden, durch welche ein beſtändiger Austauſch gegeben iſt zwiſchen dem Blut und dem Inhalt der, Hohlräume in den der Drüje eigenthümlichen Kormbejtandtheilen. 192 Dbgleich die Nahrung Verarmung oder Ueberfluß an bejtimmten anorganiſchen Stoffen im Thierförper ver— mitteln fann, jo iſt e8 doch gerade ein einfacher Aus— flug des oben aufgejtellten Geſetzes, daß e3 fejte Ber- hältnifje giebt, die von dem Wechſel der Nahrung nicht erjchüttert werden. Zu diefen fejten Verhältnijfen gehört in eriter Reihe immer wieder der Kocjalzgehalt des Blutz, Ein Hund, welcher 18 Tage lang mit leijch gefüt- tert wurde, enthielt diejelbe Menge Kochjalz in jeinem Blut, wie nad) einer zwanzigtägigen Fütterung mit Brod. Auf die DVertheilung des Kochjalzes an die Blutflüfjigfeit und des Chlorfaliums an die Körper- hen haben nad) C. Schmidt weder die Nahrung, noch der Volksſtamm irgend einen Einfluß. Das auffallendſte Beiſpiel für die Selbſtändigkeit jenes Verhältniſſes der anorganiſchen Stoffe zu den organiſchen Beſtandtheilen, welche ſie begleiten, hat uns, für den Thierkörper, Strecker's Unterſuchung der Galle kennen gelehrt. Während im Futter der Wiederkäuer das Kali vorherrſcht über das Natron, ſind in ihrer Galle die organiſchen Gallenſäuren bei— nahe ausſchließlich an Natron gebunden. Die Rinds— galle enthält nur Spuren von Kali. In der Galle der Seefiſche, die aus der umgebenden Salzflut doch vorzugsmweife Kochjalz (Chlornatrium) jchöpfen Können, 195 it verhältnigmäßig mehr Kali vorhanden, al3 in der Galle der Flußfiſche. ES wiederholt ich die von Sorhhammer für mande Seepflanzen beobachtete Thatjahe, daß ihr Kaligehalt das Natron derjelben übertrifft. Die Verwandtjchaft der Art fiegt über die Gelegenheit der Nahrung. 63 iſt wohl von jelbit einleuchtend, daß hierdurch die Wichtigkeit der anorganischen Stoffe, die in der Nahrung als Gemwebebildner gegeben fein müjjen, nicht im Mindejten verringert wird. Im Gegentheil, je ſchärfer und nothwendiger das Verhältniß bejtimmt ift, in welchem die anorganiſchen Stoffe den organijchen folgen müjjen und umgefehrt, dejto unumſtößlicher jteht es feſt, dal; eine gewiſſe Menge der anorganischen Blutbejtandtheile und Gemwebebildner nicht fehlen kann, ohne daß dem Körper ein Nachtheit daraus erwächſt. Die Entziehung von Kalk und Phosphorjäure hat nad) Weiske's Unterfuhungen für Ziegen und Kaninchen jogar den Tod zur Folge. Hierdurch erklärt ſich die Thatſache, daß die Schneden, die in ihrem Gehäufe eine jo große Menge Kalk mit ſich herumführen, auf Gneis, auf Glimmer— jchiefer und anderen kalkarmen Gebirgsarten ſelten find, zumal wenn es dem Boden an einer üppigen Pflanzendecke fehlt (Ropmäpler). Und die Erfah: rung wird uns um jo lehrreicher, weil auf der anderen 13 194 Seite die Perlmuſchel mit ihrer dien, Falfreichen Schaale in falfreihem Waſſer nit vorfommt und wenn jie hineingebracht wird, jogar jtirdt; denn dieſe Beobachtung beweilt, daß auch eine Ueberfütterung mit den Vlineralbejtandtheilen unſerer Erdrinde mög- lieh it. Wenn hunderttaufend Gewichtstheile Waſſer Einen Theil kohlenſauren Kalk enthalten, jo reicht das Hin, um den Bedarf der Perlmuſchel zu decken. Aus jo kalkarmem Wafjer nimmt die Perlmufchel mehr Kalt auf als die verwandten Arten aus kalkreichen Gewäſſern. So wird man in der That verſucht, bei dieſer Muſchel eine Kalkgier anzunehmen, die ſie zum Unheil führt, wenn ihr der Kalk im Ueberfluſſe dar— geboten wird (Johnſon und Sendtner) Ein ſchöneres Beijpiel gegen den wählenden Inſtinkt dürfte ſchwerlich zu finden jein. Wir haben jchon gejehen, day die Knochen von Hühnern ihre Kejtigkeit verlieren, wenn in der Nah: rung der Ihiere die Kalkjalze fehlen. Mulder heilte in einer armen Familie die Neigung zu Knochenbrüchen dur) Noggenbrod und Fleiſch, das heißt durch eine Nahrung, welche das Blut und durd das Blut die Knochen mit dem nöthigen Gehalt an phosphorjauren Erden verjorgen Fonnte. Am befanntejten ijt durch die nachtheiligen Folgen, welche aus Mangel an einem anorganiſchen Stoffe 195 entitehen, das Fehlen des Gijens im Blut. Und es it nicht zu verwundern, daß hier die Nachtheile jo tief eingreifen, wenn man bedenkt, daß das Eiſen im Blutfarbitoff unmittelbar in die organische Miſchung der Gruppe eingeht, und die Thätigfeit des Athmens Ichlechterdings an die Gegenwart des Blutfarbſtoffs gebunden ilt. Diejer Eifenmangel ijt eines der traurigjten Zeichen der Zeit. Er ijt nicht beſchränkt auf eine Entwick— lungskrankheit der Mädchen, er findet jich bei rauen und Männern, deren Zahl feit einigen Jahren jo bedeutend ijt, daß es kaum zu hart jcheint, von einem bleichjüchtigen Gejchlecht zu reden. Leider wurzelt die Krankheit, deren Zeichen jo wechjelfällig jind wie kaum von irgend einer anderen, häufig weit tiefer als im Blut, über das Blut hinaus in die Gewebe. Ich babe oben die mächtige Hülfe erwähnt, welche der Umwandlung farblojer Blutkörperchen in farbige in der Leber geleijtet wird. Die Aerzte wiſſen es, wie häufig man der Thätigkeit dev Verdauungswerkzeuge, und zwar in erjter Linie der Leber, eine andere Rich— tung geben muß, bevor man dem Blut das fehlende Gijen mit Erfolg darzubieten im Stande ilt. Zu dieſen Beijpielen, die im dem Bereich jedes Laien liegen, ſei noch ein drittes Hinzugefügt. Seit undenklichen Zeiten bemüht man jich, die Urſachen des lo 196 Kropfs und jener mangelhaften Entwicklung des ganzen Körper, die man als Gretinismus bezeichnet, zu er= forihen. Die beiten Stimmen erklärten jich für einen Grundeinfluß der Nahrung, den man eine Zeit lang in einem zu reihlihen Gehalt an Bittererde juchte. Allein die Bittererde kann jehr reichlih im Trink— mwajjer vorhanden fein, ohne irgend eine nachthei= lige Wirfung zu äußern. Die Brunnenwaſſer von Rhodez enthalten durchſchnittlich fünfmal joviel Bitter- erde al3 im Thal der Iſere mit dem befannten Cha= mouny, daS durch jeine Kröpfe berüchtigt ijt, und dennoch Fennt man dort weder Kröpfe noch Gretine. (Blondeau.) Auf eine bejiere Spur ſcheint Chatin geführt zu jein durch feine Entdefung der Verbreitung des Jods in der ganzen Natur. Chatin fand Jod in Land, in Luft und Wajjer, in Thieren und Pflanzen, in Mild, in Eiern, in Wein. Zwar hat man von mehren Seiten den Angaben Chatin's widerjprocdhen und fie dur die Vermuthung verdädtigt, day das von ihm gefundene Jod nur eine Verunreinigung jeiner Prüfungsmittel gewejen je. (Stevenjon Maca— dam, Rohmeyer, detuca, Martin, Nadler.) Allein E. Marchand fand Kod in allen natürlichen Gewäſſern, und auch Barral und Meyrac haben zu gemitjen Zeiten Jod im Regenwaſſer gefunden. 197 Die wichtigſte Bejtätigung hat indes van Ankum den Chatin’jchen Unterfuhungen ertheilt, indem er das Brunnenwafjer aus allen Gegenden Hollands jorgfältig prüfte und unter dreiundachtzig Fällen nur ein einziges Mal das God vermiite Ban Ankum fand od im Waſſer des Rheins und der Maas, der Vecht und der Mſel, in der Luft und im Regen— wajjer. Das leistere ließ er an zahlreihen Orten Niederlands auffangen, und bei jiebenundfünzig Ver— juchen wurde nur ein einziges Mal fein Jod gefunden. Ban Anktum hat jich gegen jede Verdächtigung feiner Beobachtungen gejhütt, indem er fi) durch genaue Vorſichtsmaßregeln davon überzeugte, daß feine Prü- fungsmittel durchaus fein Jod enthielten. Weil man nun eine Form des Kropfs als eine Anjchwellung der Schilödrüje, als eine Drüſengeſchwulſt betrachtet, wie ſie häufig durch arzneilihen Gebrauch des Jods geheilt wird, jo kam Chatin auf den Gedankeı, Sodmangel im Waſſer und in den gebräuchlichjten Nahrungsmitteln möchte eine Haupturjache abgeben für Kropf und Gretinismus. Das Ergebniß der bisherigen Unterfuhungen hat fh der Annahme Chatin's günjtig gezeigt. In eben jenem Thal der Sjere, in dem der Kropf fo einheimifch ijt, haben Chatin und Fourcault, unabhängig von einander, den Mangel an Jod im 198 Waſſer und in den Nahrungsmitteln Durch Werjuche dargethan. Wenn man von dem Rhonebecken bei Lyon genen die Alpen vorjchreitet, dann werden Luft und Regen allmälig ärmer an od. In den Alpen- thälern, welche Italien zugefehrt find, fand Chatin - ebenjomwenig Jod, wie in den Thälern der franzöſiſchen Seite. Alle die Thäler aber, welche am heftigjten vom Kropf heimgejucht jind, zeichnen jich durch Diejen Mangel an Jod aus, und zwar nicht nur in Luft und Regen, jondern ebenjo in der Adererde und ihren Erzeugnifien. Grange verjihert, daß er die von Chatin angegebenen Thatjachen über die Verbreitung des Jods bejtätigen könne. Nadler endlich hat in Züri, wo Köpfe häufig find, Die Luft, Brummen waſſer, Seewajjer, verſchiedene Pflanzen“), Brod, Milch und Eier unterſucht und kein Jod darin gefunden. Ein einziges Mal fand Nadler bei Anwendung von 18 Eiern in der vom Eiweiß abgepreßten Flüſſigkeit eine allerdings ſehr geringe aber doch deutliche Spur von Jod. Einſtweilen gebietet die Vorſicht, ſofern nicht aus— drücklich Fehler im Unterſuchungsverfahren nachgewieſen ſind, die bejahenden und verneinenden Ergebniſſe der *) Potamogeton crispus, Nasturtium offieinale. RE 199 verjchiedenen Chemiker Lieber auf den Drt, an welchen jie beobachteten, als auf die Sorgfalt, mit welcher jie unterfuchten, zu beziehen. Ban Ankum verſichert jo gut als Nadler, daß er fi von der Reinheit jeiner Brüfungsmittel überzeugt habe, und überdies hat er ja in einzelnen Fällen das Jod vermigt. Bon einer Stimmenzählung kann in jolhen Dingen nicht die Rede jein, Jonjt würden die obigen Anführungen ergeben, daß an gewiſſen Orten nicht weniger Unter— juher Jod gefunden, als es in andern Gegenden andere Chemiker vergebens gejucht Haben. Wenn wir troß alledem dieſes Beiſpiel bisher als weniger günjtig bezeichnen müſſen, als das des im Blut fehlenden Eiſens oder der Knochen ohne Knochen— erde, jo liegt das nicht etwa bloß in der geringen Anzahl von Beobachtungen, die uns nur vorjichtig die wichtige Behauptung Chatin's zur Pegel erheben laſſen, jondern namentlich auch in unſrer bisher voll- jtändigen Unwiſſenheit über die Beziehung des Jods zur Schilddrüje und anderen Geweben des Körpers. Kur das darf man nicht etwa gegen Chatin's Yehre einwerfen, das nicht alle Köpfe durch Jod geheilt werden. Ebenſowenig wie Eiſenmangel in Blut des— Halb aufhört, die nächte Urjache der Bleichjucht zu jein, weil manche Fülle diefer Krankheit dem Eiſen widerjtehen, ja ſogar ausnahmsweiſe, trotz dargereichten 200 Eiſens, in kurzer Zeit mit dem Tode enden Fönnen. (Biermer.*) Denn es it jelbjtverjtändlid, daß das Eifen nur dann helfen fann, wenn es nicht bloß in den Magen, jondern auch in's Blut, nicht bloß in's Dlut, fondern auch in die organijche Gruppe des Dlutfarbjtoffs gelangt, und hierauf hat unter Anderen die Leber einen jehr bedeutenden Einflup. Daß wir bis jett in der Mehrzahl der Fälle ſolche Einflüffe nicht zu beherrſchen wiſſen, kann die Wichtigkeit der anorganiichen Stoffe ala Gemwebebildner nicht anfechten. Der Bau und die Lebensfähigfeit der Werkzeuge jind dur) die nothwendige Menge der anorganischen Bejtandtheile bedingt. Darin ijt es begründet, daß die in den leiten Jahren ermwachte Würdigung des VBerhältnijjes der anorganijchen Stoffe zu den einzelnen Theilen des Körpers, die Würdigung, welche weder hochmüthig verſchmäht, noch überſchwäng— lich hofft, der Landwirthihaft und der Heilkunde eine glänzende Zukunft veripricht. Aber die Wichtigkeit der anorganijchen Stoffe ijt feineswegs damit erſchöpft, daß wir jie al3 Baujtoffe, als Gewebebildner betrachten. Wir haben jchon er= fahren, wie das Kochſalz die Sauerjtoffträger de *) Vgl. Jmmermann, Ueber progreilive perniciöje Anäs mie, Deutjches Archiv für kliniſche Medicin, Bd. XIII, ©. 209. Sm Tert habe ich das Wort Bleichlucht in feiner allgemeinften Bedeutung gebraudt. 201 Bluts in ihrer Korm erhält, und folglich für die Athmung nicht minder wichtig ijt als für die Ver- dauung, der es ein wirkſames Hülfsmittel in der Salzjäure liefert. Durch die Gegenwart von Alkalien werden die Salze organischer Säuren zu Wafjer und Kohlenjfäure verbrannt, und indem jich die einfach £ohlenjauren Salze, ebenjo wie das phosphorjaure Natron, im Blute mit Kohlenjäure beladen, werden fie ein Verkehrsmittel, das die Kohlenjfäure den Lungen zur Ausſcheidung zuführt. Wie die Blutkörperchen Sauerjtoffträger jind, jo dürfen wir die fohlenjauren und phosphorjauren Alkalten als Sohlenjäureträger bezeichnen, und es wird dadurch verjtändlid, daß beinahe alle Kohlenjäure des Bluts dem Blutwafjer angehört. Es läßt ji Angejichts der eingreifenditen That— fahen nicht mehr bejtreiten, daß die Stoffe, die bei der Verbrennung zurücdhbleiben, die jogenannten Aſchen— bejtandtheile, zu der inneren Zuſammenſetzung und damit zu der formengebenden und artbedingenden Grund— lage, wie zur Berrihtung der Gewebe ebenjo mwejentlich gehören, wie die Stoffe, welche die Verbrennung ver- flüchtigt. Ohne leimgebende Grundlage kein wahrer Knochen, aber ebenjowenig ein wahrer Knochen ohne Knochenerde, ein Knorpel ohne Knorpelſalz, oder Blut ohne Eiſen, Speichel ohne Ghlorfalium; aber auch 202 fein Athmen, feine Verdauung ohne Kochſalz, ohne Gijen und Alfalien. Aus Luft und Aſche it der Menjch gezeugt. Die TIhätigfeit dev Pflanzen rief ihn in’S Leben. In Luft und Aſche zerfällt der Leichnam, um durch die Pflanzen- welt in neuen Kormen neue Kräfte zu entfalten. 203 XI. Bildung und Rückbildung im Ehier. Hin und wieder iſt es der jtofflichen Betrachtung der Vorgänge im Ihierförper zum Vorwurf gemacht worden, daß jie mehr eine chemijche jei, als eine phyſiologiſche. So lange man freilich von jenen Vor— gängen feine andere Kenntniß bejaß, als daß wir beim Athmen Kohlenjäure austauſchen gegen Sauer toff und dag der Harn Harnjtoff und Harnſäure enthält, ohne day man auch nur eine Ahnuug Hatte von der Entwicklung der Kohlenſäure und der Harn— beitandtheile, war jener Gegenſatz zwiſchen chemischer und phyjiologiiher Behandlung berechtigt. Heutzutage liegt aber das Weſen der Phyſiologie des Stofiwechjels in der Entwiclungsgejchichte dev Nahrung und der Auswurfsſtoffe. Nahrungsitoffe und Bejtandtheile der Ausiheidungen, das jind die Grenzen, zwijchen welchen die Verdauung und Gewebebildung eingejchlojjen jind. Durch) die gründliche Erforſchung jener Vorgänge der 204 Entwicklung ijt ein anſehnlicher Theil der Phyltologie, ein Abjehnitt der Chemie geworden. Es unterliegt feinem Zmeifel, die Phyjiologie, die Lehre des Lebens von Pflanzen und TIhieren bejteht aus Chemie, Phyſik und Formbejhreibung der Organismen. Die Zeit it überwunden, in welcher da3 Mifrojfop allein dem Phyſiologen Ring und Stab verlieh; Phyiiologe it nur, wer das Leben chemijch -phylifaliich zu begreifen trachtet. Aufnahme des Sauerſtoffs beim Athmen iſt nicht nur die Grundbedingung der Entwicklung der Gewebe, fie iſt in noch viel höherem Grade die Urſache der Rückbildung, ohne welche Thätigkeit und Leben nicht denkbar jind. Wechſel von Stoff und Form in den einzelnen Theilen, während die allgemeine Gejtalt diejelbe bleibt, it das Geheimniß des thieriihen Lebens. Die farblojen Körperchen, die in diefem Augen— blie mit dem Blut meinen Körper durcheilen, find in ſechs Stunden zum Theil in farbige Blutkörperchen verwandelt, und dieje jind nach längjtens drei Wochen aufgelöjt und durch andere erjebt. Nah Beobachtungen, die ich mit mehreren meiner Heidelberger Schüler im Jahre 1854 angejtellt, findet man bereit3 zwei Stunden nad) eingenommenem Mable die Menge der farblojen Blutlörperchen vermehrt, 205 um jo beträchtlicher, je eimeikreicher die Nahrung beichaffen war. Aber aus den farblojen Blutkörperchen gehen die farbigen hervor. Nachdem ich diefe Umwandlung vor vielen Jahren im Milzblut entleberter Fröſche ver— folgt hatte*), iſt fie in neuejter Zeit namentlid von Bizzozero ud Neumann im Knochenmark höherer Thiere ſtufenweiſe beobachtet. Im Blute der Leber von Embryonen fennt man durch E. H. Weber und Kölliker diefen Uebergang ſeit langer Zeit. Und zu allen diejen Thatſachen fommt noch, daß Ned- linghaufen im Froſchblut, das er, vor Berdunjtung geihütt, mehrere Tage außerhalb des Körpers auf- bewahrte, die Verwandlung farblojer Körperchen in rothe ermitteln Eonnte. Sede Nahrung führt aus den Milchjaftgefäken einen Strom von neugebildeten farblojen Körperchen in die Blutbahn, die jich in farbige verwandeln. Ihre Zahl ift um jo größer, je eiweißreicher ein jonjt gut gemiſchtes Mahl geweſen. In den vorerwähnten Unterſuchungen, an welchen ſich unter Anderen Herr Moos, der jetzige Pro— feſſor der Ohrenheilkunde in Heidelberg betheiligte, *) Verſuche zur Beſtimmung der Rolle, welche Leber und Milz bei der Nüdbildung fpielen, Müller’s Archiv für Ana— tomie und Phyſiologie, 1853, ©. 80, 81. 206 fand ih 2 Stunden nad eiweigreihem Mahle auf je 1 farblojes Blutkörperchen 282 farbloje, als mitt- leres Verhältnig nach Zählungen bei 7 verjhiedenen Perfonen. Sechs Stunden nad der Mahlzeit ijt das Verhältniß durchſchnittlich 13357. Nah Vierordt’s mühſamen Zählungen enthält 1 Kubifmillimeter Blut beim Manne 5 Millionen farbiger Körperden. Setzen wir mit Bijhoff die Gejammtmenge des Bluts beim Menſchen zu 5 Kilo, jo findet man unter Be— rücjihtigung des Eigengewichts des Blutes, daß darin in runder Zahl 2 Stunden nad) eiweißreichem Mahle 84 Milliarden Be; 3 — farbloſer Blutkörperchen enthalten wären. Nehmen wir nun für einen Augenblick an, daß alle dieſe Körperchen als ſolche die Blutbahn nicht verlaſſen könnten, ſo würde ſich ergeben, daß in 4 Stunden 18 Milliarden farbloſer Blutkörperchen ſich in farbige verwandelt hätten. Für den ganzen Tag darf man, wenn man an die ſonſtige Nahrungsaufnahme denkt, dieſe Zahl getroſt verdoppeln, und ſo würde ſich ergeben, daß täglich 36 Milliarden Blutkörperchen neuen Urſprungs wären. Wiederum in runder Zahl bezeichnet, ent— halten die 5 Kilo Blut unſeres Körpers nahezu 24000 Milliarden (24 Billionen) farbiger Blut— 207 förperchen, von denen aljo nur etwa 1/,,, am Tage erneut würde. Dieje Zahl ericheint Klein, wenn man fie mit anderen Ergebnijjen über die Schnelligfeit des Stoffwechjel3 vergleicht. Aber wir dürfen nicht vers gejien, daß der Zufluß von neuen farblojen Blut— förperchen viel jchneller als zwei Stunden nad der Mahlzeit beginnt, und daß die Ummandlung farblojer in farbige viel länger dauert als 6 Stunden nad dem Hauptmahle, da ic) 4 Stunden nah dem Früh— jtü auf 1 farblojes Körperchen im Durchſchnitt, jtatt 357, 466 rothe Blutkörperchen fand. Was aber durch die obigen Rechnungen und Erwägungen bemwiejen werden jollte und auch Flar daraus hervorgeht, tjt das Beſtehen einer Blutmaufe, die ich, um mich jtcher feiner Uebertreibung ſchuldig zu machen, lieber viel zu Klein, al3 auch nur um weniges zu groß annahm. Freilich bleiben jene farbloſen Körperchen nicht alle im Blut. Dieſelben enthalten um einen einfachen oder mehrfachen Kern ein Klümpchen Keimitoff *), welches, der Zufammenziehung fähig, feine Geftalt verändert, langjam bald hierher, bald dorthin Fort— ſätze ausjendet, in Folge dejjen feinen Drt verändert und, da es auch durch Theilung jich vermehrt, mit dem beiten Nechte mit dem berühmten Wechjelthier- *) Protoplasma. (Hugo Mohl), germinal matter (Bea le.) 208 hen*) verglihen wird. Nach der Entdeckung Wal— ler’3, der erſt durch Gohnheim’S Erfahrungen Leben eingehaucht worden, fünnen dieſe Körperchen, indem jie mit dünnen und lang ausgezogenen Fort— jägen in unfichtbare und vielleicht erjt zu grabende Lüden der Gefäßwand eindringen, dieje nach und nad durchſetzen. Nah außen der Gefäße gelangt, Frieden dieje Zellen in den Lücken des Bindegewebe weiter, und der Ortswandel, den jie erleben, ijt jo ausgedehnt und mannigfah, daß diejen farblojen Zellen, denen man nicht blog im Blut, jondern im Milhjaft, in der Lymphe und allerwärtS in jungem Bindegewebe begegnet, vor allen anderen der Name Wanderzellen gebührt. Sie dürften auch Wandelzellen heiken. Denn wie fie im werdenden Embryo die urjprüngliche Korm der meiften, nachher jo eigenthümlichen Sejtalten der Zellen und Zellenabfömmlinge bilden, jo gehen aus diejen Gritlingszellen, mit denen jich der Erwachſene erneuert, bald dieje, bald jene Zellenformen hervor. Ich theile ganz die Anjiht Henle’s**), nach welder es auf den Anftog ankommt, den diefe noch unentwicelten *) Amoeba. **) Handbuch der ſyſtematiſchen Anatomie des Menichen. Bd. II, 2, Nervenlehre. Braunjchweig 1871, ©. 20. 209 und uneigenartigen Zellen erleiden, ob eine Binde- gewebszelle, ein farbiges Blutkörperchen, eine Beleg- zelfe *) oder Nervenzelle daraus hervorgehen wird. Damit jind wir aber ſchon mitten in der Neu— bildung von Formelementen der Gewebe, zu welcher das Blut mit fertig gebildeten Bauformen beiträgt. Eine jolde Erneuung jett aber mit Nothwendig- feit einen Untergang von Zellen voraus, an deren Stelle, wenn das Gewicht und der Aufbau des Kör— perö feine wejentlihen Beränderungen erleidet, ver— jüngte Gebilde treten. Sn der That, wo man Gelegenheit hat, den Be— ſtand der Gewebe genau zu verfolgen, findet ein jolches Gehen und Vergehen unabläjiig jtatt. Von den Haas ren verlieren wir nicht etwa blos die Spitzen, die wir abjchneiden, jondern auch bet ganz gefunden Haar— boden findet ein zeitweiliges Ausfallen der Haare jtatt. An den Augenwimpern ijt diejes Ausfallen ohne Ver— minderung ihrer Anzahl am Teichtejlen zu beobachten und wohl Jedermann befannt. Sp wächſt der Nagel von feiner Wurzel und feiner Grundlage immer neu, er jchiebt fi vor, und wenn wir den freien Rand nicht von Zeit zu Zeit abfehneiden, jo wird er brüchig, jpröde, er wird abgenutzt oder abgeſtoßen, und ver Erſatz ift Schon geboten, ehe noch der Verluſt beginnt. *) Epithelzelle. Ir 210 Bei Neugeborenen kann man öfter das Abfallen des ganzen freien Nagelvandes beobachten. So oft wir uns wajchen, werden ſchmutzig gewordene Dberhaut- plättchen entfernt, und auch bei Solchen, die jich gegen das Gebot der Neinlichfeit verjündigen, werden ober- flächliche Hornſchichten durch den Schweiß eingeweicht, durch Reiben gelockert, durch die Kleider abgeſchabt, ſo daß immer von Zeit zu Zeit eine Abſchuppung ſtattfindet, ohne daß ihr eine bleibende Verdünnung der Oberhaut nachfolgt, da dieſe ſtets aus der Tiefe nachwächſt. Was hier an der Oberfläche des Körpers als Stoff- und Formenwechſel ſo unverkennbar ans Licht kommt, das wiederholt ſich nicht minder für die inne— ren Höhlen des Leibes. Auch der geſundeſte Menſch hat hier und da das Bedürfniß ſich zu räuſpern, und mit dem Schleim, den er auswirft, entfernt er Beleg— plättchen des Schlunds und der Mundhöhle, Flim— merzellen des Kehlkopfs, der Luftröhre und ihrer Aeſte, ebenſo wie er die Naſe nicht ſchneuzen kann, ohne daß abgeſtoßene Belegzellen der Naſenhöhle ausge— trieben werden. Ebenſo iſt der Harn unter regelrechten Verhält— niſſen keinesweges ganz frei von Formbeſtandtheilen, die der Blaſe und ſonſtigen Harnwegen, und bei der Frau cr zum Theil der Schleimhaut der Scheide entjtammen, 211 Biel ausgefprochener, weil auf einen furzen Zeit- raum zujammengedrängt, ijt die Erneuerung in der Gebärmutter bei jeder monatlichen Reinigung. Nicht nur daß hier aus geborjtenen Haargefähen das Blut in mwägbarer Menge ausjicert, ſolches Blut it jtet3 mit Trümmern von Belegzellen und theilweife mit un— verjehrten Flimmerzellen vermijcht, ja wenn es hoch fommt, fann eine ganze Schicht der Gebärmutter- Schleimhaut mit verhältnigmäßig langen Bruchſtücken der Gebärmutter-Drüschen und Blutgefäße abgejtoßen werden (Farre, Saviotti), die ji von einem Monatflufie zum anderen wieder erneuern. Am wichtigjten erjcheint dieſes Zerfallen und Ver— jüngen, wenn es jih als Grundbedingung eingrei= fender Verrichtungen ausweilt. Dem befruchteten Gi, das jich entwicelt, folgt das Reifen eines anderen nad, das allerdings in feiner einfachjten Form ſchon beim neugeborenen Mädchen angelegt ijt. Damit aber das Ei befruchtet werde, mul der Samen mit jeinen beweglichen Fäden aus den Zellen dev Hodenkanäl— chen oder deren Kernen hervorgehen. Und wenn die Milchabjonderung beginnt, die den Säugling zu näh— ven hat, jind es die Zellen, welche die Bläschen der traubenförmigen Milchdrüjen auskleiden, die zu Mild)- kügelchen zerfallen, um jich immer wieder zu erneuern (H. Meyer). Hier dauert das Bilden und Schwinden 14. 212 Monate lang, ein leuchtendes Beijpiel für das unab- läſſige Werden, das die Bauformen unjeres Körpers auszeichnet. So werden bei der Abjonderung des Magenjartes rundliche Zellen aus den Labdrüſen entleert, die ſich mit fegelförmigen Zellen des Magenſchleims vermiſchen. Leberzellen werden freilich in der Galle nicht gefun- den, da diejelben aber zu groß jind, um die feinjten Gallenfanälden zu durchwandern, jo müjjen jpätere Unterfuhungen uns lehren, ob die anjcheinende Unver— gänglichfeit jener kleinen Werfjtätten der Gallenbil- dung jich nicht als eine nur jcheinbare herausitellt. Sedenfalls trifft man in der Leber häufig genug zwei- fernige Zellen, die auf eine Vermehrung derjelben hinweiſen, welche nicht denfbar it, ohne daß andere Zellen dem Untergang anheimfallen. In Krankheiten gehen jie nur zu Häufig zu Grunde. Der Hauttalg verdankt einer Verfettung von Beleg— zellen der Talgdrüſen feinen Urjprung, und Zellen— trümmer find im Darmjchleim ein nie fehlender Be— jtandtheil. Im Inneren der Gewebe de3 erwachjenen Kör- pers ijt dieſes An- und NRüdbilden der Formbeſtand— theile allerdings weniger leicht zu beobachten. Und dennoch ijt auch hier nicht daran zu denken, daß Zellen und deren Abkömmlinge bleibende Werkzeuge wären, 213 durch welche der Saftitrom des Organismus nur hindurch) wanderte, wie etwa die Arbeiter durch die fejte Behauſung einer Fabrik. Hier Teuchtet vor allen anderen das Beiſpiel der Knochenbildung, das, mit Ausnahme der platten Schä- delfnochen, beinahe alferwärts in jeiner erjten Anlage eine Einſchmelzung, nicht etwa blos eine einfache und unmittelbare Umwandlung des Knorpelgewebes vorausjegt (Sharpey). in dichtes Gebilde von Knorpelzellen, um welche ſich vielfah Kalkkrümmel ablagerten, bildet nach Art eines nicht zur Dauer bejtimmten Modell3 die Vorſtufe des Knochens. Es it von einer zarten Haut umgeben, welche Blut— gefäße führt, die in das Innere des Gewebes vor— dringen und zu wuchern beginnen, wodurd nach und nach ganze Reihen und Haufen von Sinorpelzellen ver- drängt werden und ſcheinbare Lücken entjtehen, die anjtatt der früheren größeren Zellen in viel reicherer Anzahl Kleinere Zellen enthalten (H. Müller), die mit farblofen Blutkörperchen verglichen werden und vielleicht den gleichen Urjprung haben (Frey), ob: gleich fie im Allgemeinen größer find, indem ſie die letzteren, die durchſchnittlich 5.100 Mm. mejjen, um 1'% bis 2/gmal im Durchmefjer übertreffen. Der eingejchmolzene Knorpel bejteht aus jolchen Bruträus men, deren Zellenhaufen als Knorpelmark bezeichnet 214 werden, und Blutgefäßen.. Aus den Zellen des Knor— pelmarf3, von denen jich nur ein Theil in der urjprüng- lichen Form behauptet, gehen außer Bindegemebs- und Yettzellen des Ipäteren Knochenmarks an der Ober- fläche der Bruträume größere rundliche oder elliptoi- diſche Zellen hervor, die den Namen Knochenkeimzellen *) führen, weil von ihnen die eigentlichen Knochenzellen ſammt dem jchichtweije entjtehenden Grunditoff der Knochenplättchen abjtammt. An diefem Grundjtoff vertheilen fih die Kalkjalze nicht mehr in körnigen Häufchen, jondern indem jie ihn gleichmäßig durch— dringen. Und alle dieje verwicelten Bildungen und Umbil- dungen jind in Röhrenknochen Erwachſener wieder volljtändig verſchwunden, genauer gejagt, in Knochens marf verwandelt. Die bloge Markhöhle zum Beijpiel des Oberſchenkelknochens iſt ja beim Erwachſenen jo geräumig, daß darin der ganze Knochen aus früher Kindheit Plat hätte. Während der Knochen an jeinen Enden **) in ähnlicher Weije fortwuchs, wie bei jeiner Entwicklung aus den Wandlungen des Knorpels, wächſt er in die Dice vermitteljt Knochenkeimzellen, die den vorhin erwähnten durchaus gleich jind, aber von dent *) Dfteoblajten, Gegenbauer. **) Epiphysen. 215 Bindegewebe der Beinhaut ihren Urjprung herleiten (DOllier). So ijt denn im fertigen Knochen bei— nahe alles harte Gewebe, das dem Knorpel entjtammte, verſchwunden, und um dajjelbe ein Beinhautgebilde entitanden, das die eigentliche Knochenrinde daritellt. 63 hat daher nichts Auffallendes, daß die meijten Schädelfnochen von vornherein al3 Entwicklungen der Beinhaut zu betrachten jind, ohne jich in ihrer erjten Bildung an den Knorpel anzulehnen, da jie unab- hängig von diejem auf feiner Außenfläche entjtehen. Ehen deshalb hat Kölliker, der jih um ihre Ent— wiclungsgejhichte verdient gemacht, für fie die Be— zeihnung Deckknochen in die Wiſſenſchaft eingeführt. Die Zahnbildung im Ganzen und der Erſatz, der für die Milchzähne geboten wird, laſſen jich jener gewaltigen Umwandlung und Neubildung der Knochen, die bis an die Grenzen des Jünglingsalters reicht, zur Seite ftellen. Wo aber it die wirkliche Grenze jenes üppigen Zellenlebens, das bald neue Gewebe jchafft, bald ganze Werkzeuge, wie zum Beijpiel das Bröschen*), dem Untergang entgegenführt? Letzteres, dem Eindlichen und dem jugendlichen Organismus eigenthümlich, veicht zwar oft mehr oder weniger” jpät in das veifere Lebensalter *) Thymus. 216 hinein, in dieſem aber verwandeln ji jeine Form— bejtandtheile in Fettzellen, welche die urjprünglichen Formelemente überwudern und mit vollitändigem Schmunde enden. Beim Untergang, wie beim Auf- bau, findet zuerjt eine Umformung der Bautheile jtatt, welche die Anz oder Rückbildung vorbereitet. Die Wiſſenſchaft ijt längſt darüber hinaus, in dem wunderbaren Gefüge der Kuochen nur ein Ge- rippe von Stüßen und Hebeln zu jehen, das gleich- jam todten Werkzeugen im Dienjte zujammenztehungs- fühiger Gewebe zu vergleihen wäre. Gibt es doch in feinem anderen Gemwebe unjeres Körpers ein jo ſcharf ausgeprägtes Kanalwerf, in welchem die feinen blutgefäßführenden Kanälen einerjeitS mit der Mark— höhle und andererjeitS mit den feiniten Ausläufern der Knochenkörperchen zujammenhängen, welche wir als die allerengiten Lymphe führenden Gängelchen des Yeibes be= trachten können. Und als Bildungsitätte der Blutför- perhen macht das Mark der Knochen, das jo häufig als Sinnbild von Kraft und Markigkeit gegolten, ſeinem Namen die bejte Ehre (Bizzozero, Neumann). Nenn aber dieje jcheinbar ruhigjten Körpertheile an den Vorgängen der Ernährung, des Abbruds und des Aufbaues jo lebhaften Anteil nehmen, diejenigen, deren Thätigfeit am meijten in den Vordergrund tritt, jtehen ihnen gewiß in jenem Formenwandel nicht nad. 217 Spricht doch zu Gunſten jener Behauptung für den Muskel ſchon die Thatſache, daß in dem werdenden Gebilde nicht blos die Dicke, ſondern auch die Zahl der Fajern zunimmt (Budge), und in Muskelwun— den eine Neubildung der Faſern jtattfindet. Bei ers wachſenen Fröſchen beobachteten von Wittich und Weismann im Winter das Werden und Vergehen. Letzteres war auch Hier zunächſt durch eine Verfet— tung der Faſern bezeichnet. Man darf es als Regel aufitellen, da der Untergang der Gemwebeformen alle mal zunächſt in einem Umbau zu Gebilden von ges ringerer ThätigfeitSwürde beiteht. Und umgefehrt gehen die neuen Musfelfajern aus tiefer jtehenden jpindel- förmigen Bindezellen hervor, jo daß jte nicht auf eine einfache Theilung ſchon vorhandener Faſern zurüdzus führen ift (von Wittih). Bei der Ernährung haben wir e3 mit einer ähnlichen Entwidlung von Form und Miſchung zu thun, wie diejenige, die den Gedanken des Bildhauers von einem Ihonmodell zur Marmorjäule erhebt. In der Negel übertrifft der Durchmeſſer der Ele— mentartheile in den Geweben des Erwachſenen den in der Jugend bejtehenden um viel zu wenig, um daraus allein das Wachsthum der Organe erklären zu fönnen. Wenn das Gegentheil zum Beijpiel für die Nervenfajern behauptet wird, jo muß doc daran er— 218 innert werden, daß Harting, der am meilten in diefer Richtung gemefjen hat, in einem Hauptnerven— ftamm des Armes*) beim Erwachſenen 22,560, beim Neugeborenen dagegen nur 21,452 Fajern antraf. Für die Fettzellen joll nah Harting das Wachs— thum allerdings nur in der Vergrößerung ihrer Durch— mejjer, nicht in Vermehrung ihrer Anzahl bejteheı. Dagegen wächſt die Zahl der Röhren in der Kry— jtallinfe, die der Zellen im Knorpel und ohne Zweifel auch in allen den Theilen des Nervengewebes, deren Bau durh die Anmefenheit der Zellen ausgezeichnet it. Im den Ganglien ijt es nicht ſchwer, ganze Bruträume junger Nervenzellen anzutreffen, die aus einer Zellentheilung hervorgingen, noch Feine Fortſätze befiten und von einer weichen Bindegewebsfapjel ums ſchloſſen jind. Alle Formbeitandtheile des Körpers zerfallen, um fi) unabläjjig zu verjüngen. Der Saueritoff, den wir einathmen, gelangt aus dem Mund in die Yuftröhre, die jich veräjtelt und an ihren feinſten Gndäjtchen mit jeitlihen und endjtändigen Bläschen bejeit ijt, die nur mittelſt des Hohlraums des Luftröhrenäjtchens mit einander Gemeinjchaft haben. Die Wand diejer Lungenbläschhen iſt auf's Dichtejte von blutführenden *) Nervus medianus. 219 Haargefägen umjponnen. Aus der Luftröhre gelangt der Sauerjtoff in die Yungenbläschen, aus dieſen durch die doppelte Wand von Bläschen und Haargefäßen in das Blut, mit dem Blut in dad Herz Und das Herz leitet durch die Schlagadern des jogenannten großen Kreislaufs, der den ganzen Körper beherricht, das mit Sauerjtoff geſchwängerte Blut in alle jeine Werkzeuge. Sogleich nach jeiner Aufnahme wird diejer Sauerjtoff zum größten Iheil an den Blutfarbitoff gebunden, aber bald verläßt er denjelben wieder, um durch die Wand der Haargefähe, in die ich die fein- ſten Schlagadern auflöjen, in die Gewebe einzudringen. Kun ſchreitet die Verbrennung fort, welche die Blut= beitandtheile in Gewebebildner verwandelte. Die Grunds formen der Gewebe zerfallen, indem der Sauerjtoff ich mit dem Stoff verbindet, aus dem jte gebaut find. Denn die Erzeugnijje diefer fortichreitenden Verbren— nung jind Feiner organijirten Form mehr fähig. Die Fleiſchfaſer zerfällt in Fleiſchſtoff“), der jich Aus Eiweiß und einem eiweikartigen Stoff, dem Mus— feljtoff 7), die auf der höchſten Stufe organiicher Miſchung jtanden, gehen andere jticjtoffhaltige Kör— *) Kreatin. **) Kreatinin. +++) Inoſinſäure. +) Myoſin (Kühne). 220 per hervor, die jih nad) und nach durch einen immer größeren Neihthun an Sauerjtoff auszeichnen. Die Fleiſchſäure, die nad) Liebig in vorzüglicher Menge in der Fleiſchflüſſigkeit des Huhns vorfommt, ijt einer der jauerjtoffreidhiten Stoffe, die man überhaupt im Ihierförper angetroffen hat. Die Stellung jener Körper als Ausmurfsitoffe iſt bezeichnet durch daS Auftreten der Fleiſchbaſis im Harn, und daß jie wirflih als ſolche durch das Blut den Nieren zumandern, ijt erwiejen durch die von Ver— deil und Marcet gemachte Beobachtung, daß der Fleiſchſtoff nnd die Fleiſchbaſis im Blute vorkommen, Entſcheidend war die Leichtigkeit, mit welcher ſich Fleiſchſtoff in eine neue Bajis*) und in Harnſtoff zerſetzen ließ, in Harnſtoff, den wir als das höchſte ſtickſtoffhaltige Orydationsprodukt betrachten dürfen, das bei der Verbrennung durch das Athmen aus den Ge— weben entſteht. Wir kennen übrigens nicht bloß den Fleiſchſtoff, die Fleiſchbaſis und die Fleiſchſäure als Mittelglieder zwiſchen Eiweiß und Harnſtoff. So wie Liebig jene Stoffe aus der Fleiſchflüſſigkeit gewonnen hat, ſo iſt es Scherer gelungen, in der Milz einen neuen Körper als Uebergang vom Eiweiß zur Harnſäure zu entdecken, deſſen Zuſammenſetzung es rechtfertigt, ihn *) Sarkoſin. 994 em mit dem Namen Harnorydul*) zu bezeichnen. Dieſer Körper unterjcheidet ſich nämlich von der Harnjäure nur dadurch, das er weniger Sauerjtoff enthält, in ähnlicher Weife wie das Stickſtofforydul der ſalpe— trihten Säure im Sauerjtoffgehalt nachſteht. Nachdem man dieſe Rückbildungsſtufen der jtic- ſtoffhaltigen Gewebebildner in den Geweben jelbit auf: gefunden hat, ijt es fürwahr nicht mehr zu verwun— dern, daß auch die Endglieder diejer rücgängigen Ent— wicklung in den Gemweben vorkommen. Neben dem Harnorydul, das nur Sauerjtoff aufzunehmen braucht, um ſich in Harnjäure zu verwandeln, hat Scherer auch dieje in der Milz gefunden. Sie ward in Gießen in zahlveihen Kryſtallen in den Muskeln eines Alli— gators angetroffen, und Cloötta hat jie ſeitdem in Ochſenlungen nachgewieſen. Man Fennt jie heute als Beltandtheil der Nieren und Leber, der Bauchſpeichel— drüje und des Hirus. Aber die Harnſäure iſt ſelbſt nur ein Uebergangs— glied zum Harnſtoff. Auch dieſe Thatſachen verdanken wir Liebig's Unterſuchungen über die Harnbeſtand— theile, denen er im Verein mit Wöhler eine ſeiner ſchönſten und fruchtbarſten chemiſchen Arbeiten zuge— wendet hat. Wenn man die Harnſäure mit Blei— hyperoxyd behandelt, einem Stoff, der leicht Sauerſtoff *) Hypoxanthin. 222 abgibt und folglid als ein Verbrennungsmittel anzu— fehen ift, dann verwandelt ſich die Harnjäure in Harn— ſtoff und Kleeſäure, zu denen jich noch ein jtidjtoff- haltiger Körper gejellt, den man im Harn des unge- borenen und neugeborenen Kalbes beobachtet hat*). Auf Ähnliche Weile wird die Harnjäure durch den eingeathmeten Sauerjtoff im Thierförper verbrannt. Frerichs hat Kaninchen eine warme gejättigte Löſung von harnjaurem Natron und harnjaurem Ammoniak in das Blut gejpritst und fand darauf die Menge des Harnjtoffs im Harn bedeutend vermehrt. Wenn man Kaninchen Harnjäure unter das Futter mijcht, dann kann man leicht die Menge des Harnſtoffs, die fie im Harn entleeren, um daS Doppelte jteigern (Neubauer). Neben dem Harnjtoff enthielt der Harn Nieders ſchläge von Kalk, der an Kleeſäure gebunden war. Und diefe Säure, die nach) ihrem Vorkommen in Sauer= Eee benannt it, findet jich nicht felten im Harn ge= funder Menjhen (Höfle, Lehmann). In der Negel wird die Harnjäure wahrjcheinlich gleich weiter zu Harnjtoff und Kohlenſäure verbrannt. Denn die Kohlenſäure ijt ihrerſeits nicht3 weiter als eine höhere Verbrennungsjtufe der Kleefäure, und Neubauer fand im Harn dev Kaninchen, denen er einige Gramm *) Allantoin. 223 Harnjäure mit Brod oder Möhren reichte, die Klee- ſäure nicht vermehrt. Sn Folge jener im Thierkörper jich ———— Umſetzung von Harnſäure in Harnſtoff und Kohlen— ſäure erklärt ſich die Thatſache, daß der Harn der Säugethiere viel Harnſtoff und wenig Harnſäure ent— hält. Im Harn der Pflanzenfreſſer kann die Harn— ſäure, obwohl ſie in den Geweben auftritt, ganz und gar fehlen, ſie iſt alſo zu Harnſtoff und Kohlenſäure verbrannt worden, bevor ſie die Nierenkanälchen er— reichte. Bei Vögeln und Schlangen geſchieht dies frei— lich nicht, ſondern die Harnſäure gelangt größten— theils, ja bei den pflanzenfreſſenden Vögeln ganz und gar al3 Harnjäure in die Kloake. So ijt ed denn die natürlichjte Folge der in den Geweben vor ji) gehenden Rückbildung, daß auch der Harnjtoff in denjelben auftritt. Er wurde von Millon in der Glasjlüjjigkeit und in der wäſſerigen Flüſſigkeit des Auges entdeckt. Millon’s Angabe wurde dem abweichenden Befunde Lohmeyer's ent- gegen von Wöhler und Donders beitätigt. In Milz und Leber iſt nah Voit ſtets eine erhebliche Menge Harnjtoif zu finden. Die Muskeln und der ganze Leib der Kochen und Haifiſche iſt nad Fre— rih3 und Städeler mit einer Harnjtofflöjung jo zu jagen getränft. Bei Fröjchen, denen die Leber aus- 224 geſchnitten war — nicht bei unverjehrten Fröſchen, wie Grohe irrig angenommen, — habe ich Fleefauren Harn— jtoff in den Musfeln aufgefunden. Und allem diejem haben Buhl und Voit in ihrer ſchönen Arbeit über die Cholera die Thatſache Hinzugefügt, daß in dem Cholera-Typhoid nicht nur die Muskeln, jondern aud) Herz und Hirn und Milz, neben mehren wäjjerigen Er— güflen des Körpers, Harnitoff führen. Bon Bibra bat diefe Angaben für die Muskeln beveitS durch) Wägungen bekräftigt. Grohe jelbjt hat in allen reich- tihen Ausſchwitzungen des Rippenfells und des Herz— beutel3 Harnjtoff nachgewieſen. Was aber alle dieje Wettheilungen an Wichtigkeit übertrifft, ijt die Ent— defung von Harnſtoff in den Muskeln eines Hinge— richteten, der nit von Krämpfen befallen war, eine Entdeckung, die wir den Nachforjchungen von Buhl und Boit verdanken. Demnach find die jtickjtoffhaltigen Zerſetzungspro— dufte, die mit dem Harn aus dem Körper entfernt werden, bereit3 in den Geweben enthalten. Der Fleiſch— jtoff und die Fleiſchbaſis, der Harnjtoff und die Harn— jäure wurden in den Geweben des Thierförpers nach— gewiejen. Wenige Jahre find es, dal diefe Bahn, welche zur Entdefung der Nücdbildungsitufen dev wichtigjten Gewebebildner führte, betreten wird, und ſchon veihen 225 fi zahlreiche andere Beobachtungen hier an, welche unmiderleglih darthun, daß im lebenden Körper die eimeißartigen Stoffe ebenjo gut verbrennen, wie Fett und Zuder. Aber es ijt eine langjame Verbrennung, um die es jich hier handelt, und darum find es anfangs £ohlenreihe Stoffe, die aus ihr hervorgehen. Das Käfeweiß*), das man ſeit längerer Zeit durch die Einwirkung von Sauerjtoff auf eiweikartige Körper und auf Leimbildner hervorbringen konnte, ijt jetzt in der Milz, der Schilddrüſe und dem Bröschen, in Speicheldrüjen und Speichel, in der Bauchſpeichel— drüje und im Bauchſpeichel, in Lungen und Lymph— drüfen bei gejundem Zuſtande gefunden worden; e3 iit in kranken Lebern und aud in krankem Hirn ent» det (Frerichs und Städeler, Cloëtta, She: ver, von Gorup-Bejanez) Die Baudjpeidhel- drüje enthält nah von Gorup=-Bejanez einen dem Käſeweiß gleichartigen Körper, der ji durch einen geringeren Gehalt an Kohlenjtoff und Waſſerſtoff, durch) einen Mehrgehait an Sauerjtoff, und durch die größere Schwierigkeit, mit der er jich in Weingeijt löjt, von jenem unterjcheidet. Hornglanz **), einen Körper, der gleichfall3 veicher an Sauerjtoff ijt al3 das Käſeweiß, haben Frerichs und Städeler in der Ochjenmilz *) Reucin. **) Tyroſin. 226 und in der Bauchſpeicheldrüſe nachgewiejen. Die Lungen enthalten den jchwefelreihen Abkömmling*) der ge- ſchwefelten Gallenfäure (Gloötta), und das gleiche Erzeugniß der Zerſetzung eiweißartiger Stoffe ijt von Fremy und VBalenciennes in dem Kleijche der Schaalthiere entdeckt. Einmal fand Cloötta diejen Körper in Ochjennieren, in denen er bei einer anderen Unterfuchung den ſchwefelhaltigen, Eohlenreicheren und jauerjtoffärmeren Stoff der Blajenjteine**) vorfand. Von diejen Stoffen jind Käſeweiß und Hornglanz die gewöhnlichen Erzeugniſſe der Verweſung der eimeik- artigen Körper und des Horns. Käjemwei geht auch aus Leimbildnern hervor. Aus den Leimbildnern entjteht außerdem ein ſüß— lich ſchmeckender, jticjtoffhaltiger Körper, der joge- nannte Zeimzuder***), der auch in der jchwefelfreien Gallenſäure 7) als Paarling der fohlenjtoffreichen Gal- lenjpaltungsjäure 77) und in der Pferdeharnjäure 77T al3 Paarling der Benzoejäure vorkommt, jonjt aber im Thierförper bisher nicht aufgefunden ward. *) Taurin. **) Cyſtin. ***) Glycocoll, Glycin. +) Cholſäure (Strecker), Glyeocholſäure (Lehmann). ++) Cholſäure (Demarcany), Cholalſäure (Streder). 44) Dippurjäure, 227 Aber alle diefe Stoffe, Käſeweiß, Leimzucker und wahrjcheinlich auch der Hovnglanz gehen im Körper in Harnitoff über. Wenn man Hunden Leimzucker unter das Futter mischt, findet man denjelben als Harn— ftoff im Harne wieder. Gleiches wurde für das Käſe— weiß beobachtet. Hornglanz aber ging zum Theil unverändert mit dem Harn und Darmfoth ab, zum Theil jehien er ebenfalls weiter verbrannt in dev Form des Harnjtoffs in den Harn überzugehen (DO. Schultzen und M. Nendi*). Wenn man aber bedenkt, daß beim gejunden Menjchen im Harn und Koth Fein Hornglanz auftritt, und daß der Hund, in dejien Harn und Darmkoth Schultzen und Nencki diejen Stoff auffanden, davon eine große Menge (20 Gramm) im Futter bekommen hatte, ſo dürfte wohl mit großer Wahrſcheinlichkeit vermuthet werden, daß die kleine Menge Hornglanz, die ſich unter gewöhnlichen Ver— hältniſſen nach und nach im Körper bildet, ihren Stick— ftoff Ar der Form von Harnſtoff an die Außenwelt abgiebt. Alſo Fleiſchſtoff und Fleiſchbaſis, die ſich jo leicht in einander verwandeln können, Käſeweiß und Leim— zuder, alle dieſe Körper weiſen auf Harnſtoff hin, 15. 228 brennung jticjtoffhaltiger Gemebetheile darjtellt. Und dennoch treten nicht alle dieje Körper als Harnſtoff im Harne auf. Der Fleiſchſtoff erſcheint vielmehr als Fleiſchbaſis im Harn, nachdem er ji durch Einwir— fung einer Säure in diejen nah verwandten Körper verwandelt hatte (VBoit). Der Leimzuder dagegen darf mit der Harnjäure injofern verglichen werden, als nicht nur fein Stickſtoff im Harne al3 Harnjtoff wiederfehrt, jondern auch weil es gelingt, aus der Harnſäure die Gruppe des Yeim- zuckers herauszuſchälen. Es gelang nämlich Streder, die Harnſäure, indem er ſie in einem geſchloſſenen Rohre mit Salzſäure bis auf 1700 erhitzte, zur Waſſer— aufnahme zu zwingen und ſie in Leimzucker, Kohlen— ſäure und Ammoniak zu zerlegen. Harnſtoff nun zerfällt mit größter Leichtigkeit unter Waſſeraufnahme in kohlenſaures Ammoniak, beſonders dann, wenn er ſich in verdünnter wäſſriger Löſung befindet. In beſchränktem Grade ſcheint dieſke letzte Zerlegung des ſtickſtoffhaltigen Endglieds der Ver— brennung im Organismus auch im Thierkörper er— folgen zu können. So ſind Ammoniakſalze nach Fre— richs und Städeler auch in dem ganz friſchen Kalbsbröschen vorhanden. C. Schmidt fand eine zuſammengeſetzte Ammoniakart, in welcher die drei Miſchungsgewichte Waſſerſtoff durch Methyl, eine Ver— 229 bindung von Kohlenjtoff und Waſſerſtoff, vertreten find*), in der Netzhaut des Auges. Auf ähnlihen Wegen, wie ſie in der Werkſtatt des Scheidefünjtlerd und bei der Verweſung und Fäul— niß zum Zerfallen führen, werden ähnliche Enditufen im lebenden Körper erreiht. Was aber auf Ddiejen Endjtufen geworden ijt, das wird als Schladfe aus dem Körper ausgeworfen. Kein Wunder aljo wäre es, wenn es gelänge, eines der wichtigjten Erzeug— nifje des Stoffwandel3 in unjerem Körper, den Harn— jtoff, dur) Verbrennung von Gewebebildnern künſt— ih zu bereiten. Erhält man doch durch Sauerjtoff- einwirfung aus Eiweiß jowohl Käſeweiß und Horn— glanz, als Ammoniak nebjt Kohlenfäure und Waſſer, Mittelglieder und Endglieder aljo des höchſt zujams mengeſetzten jticjtoffreihen Gemebebildners, zwiſchen welchen der Harnjtoff in der Mitte liegt. Behamp will durch Einwirkung von übermanganjaurem Kalt Eiweiß, Fajerjtoff und Leim in Harnjtoff verwan— delt haben. Das übermanganjaure Kalt zerfällt unter dem Einfluß fjauerjtoffraubender Körper in Kali, in Manganhyperoryd und Sauerjtoff, jo zwar daß diejer Vetstere, frisch entwickelt, in alkaliſcher Flüſſigkeit, das heißt unter den günjtigjten Bedingungen, auf die orga— niſchen Stoffe einwirkt. Anderen ijt es freilich bis— *) Trimethylamin. 230 ber nicht gelungen, auf diefem Wege Harnjtoff zu erlangen. | Die Kohlenjäure iſt in ähnlicher Weije das End— glied der Verbrennung jticjtofifreier Gemwebebildner, wie der Harnjtoff als das Endglied der Rückbildung jtidjtoff- haltiger Bejtandtheile im Körper betrachtet werden muß. 63 war bezeichnend für einen früheren Zeitraum der Lehre des Lebens und der organijchen Chemie, dag man die Kohlenjäure der ausgeathmeten Yuft ver- branntem Kohlenſtoff zujchrieb, ohne jich weiter darum zu befümmern, in welcher Form diejer Kohlenſtoff ver- brannt wurde, ja man hat es nicht verjchmäht, an eine Verbrennung freien Kohlenjtoffs zu denken. Freier Kohlenstoff ijt jedoch im Körper nicht vorhanden. Die jtiefjtofffreien Bejtandtheile der Gewebe jind Fette und Fettbildner, und dieſe werden durch alfınälige Ver— brennung den letten Stufen ihrer Rüdbildung ent— gegengeführt. Sie zerfallen in Kohlenjäure und Waſſer. Milhjäure, Butterfäure, Eſſigſäure, Bernſtein— jäure, Ameifenfäure, Kleeſäure, das jind die Mittel- ſtufen zwiſchen Zucker und Ketten auf der einen, Koh— lenjäure und Waſſer auf der anderen Seite. Bon der Butterfäure an unterjcheidet jich unter diefen Säuren jede folgende von der nächſtvorher— gehenden durch einen größeren Sauerjtoffgehalt. Die Ameijenjäure zerfällt durch weitere Aufnahme von Sauer- 231 off in Kleejäure und Wafjer. Die Verbindung von Kleefäure mit Waſſer verbrennt zu Kohlenſäure, wäh— rend ih das Waſſer von ihr trennt. Die Milhjäure it als ein regelmäßiger Bejtand- theil des Muskelfleiſches nachgewieſen worden (Liebig); ſie findet ji) in dem Gewebe der glatten Musfeln eben- jowohl wie in dem aus quer gejtreiften Faſern bejte- hbenden (Lehmann, Siegmund) Bon Bibra hat jie im Gehirn beobachtet. Sie findet jich in der Leber und der Bauchjpeicheldrüje, in der Milz, der Schilddrüſe und dem Bröschen, (Bon Bibra, von Gorup-Bejanez). DBerniteinfäure fand Heintz in einer franfen Leber, und von Gorup-Beſanez hat jie jeitdem in dem Bröschen, der Milz und der Schilddrüſe entdeckt. Butterfäure, Eſſigſäure, Ameiſen— ſäure ſind wie Milchſäure im Fleiſch vorhanden (Scherer) Die Milz enthält eſſigſaures Eiſenoryd (Scherer). Kleeſäure endlih it von C. Schmidt im Schleim, von mir in den Muskeln entleberter Fröſche aufgefunden worden. Die vollendete Berbren- nung, wie jie im Thierförper durch das Athmen bewirkt wird, verwandelt alle jene Säuren in Koh— lenſäure und Wajjer. Ale die aufgezählten Säuren gehen aber auch aus eiweißartigen Körpern hervor, unter deren Oxy— dationsproduften auch Eohlenjtoffreihere Säuren als 232 die Butterfäure, zum Beijpiel Käjejfäure *) und Benzoe- jäure auftreten. Es wiederholt jih hier der all, der in der Entwicklung von Miihung und Korm jo hohe Berüdjichtigung verdient, daß diejelbe Bildungs- jtufe auf verjchiedenen Wegen erflommen werden fanı. Die Butterfäure, die durch Vermittlung der Milch: fäure aus Zucer hervorgeht, kann aud aus Eiweiß entjtehen, und es liegt auch hierin ein Fingerzeig, daß ſowohl die eiweißartigen Stoffe, wie die Zucker— arten, zur Fetibildung beitragen können. Kohlenjäure, Fohlenfaure Salze und Waſſer jind in allen Gemweben enthalten. Und die Verbrennung, in deren Folge Kohlenjfäure und Waſſer in den Ge— weben auftreten, geht auch ohne den Ginfluß des Blutkreislauf vor jih. Wenn man vom Körper ge- trennte Muskeln in gewöhnlicher Luft oder in Sauer jtoff hält, dann athmen jie ganz jo wie im Körper, Während jonjt der Blutjtrom den eingeathmeten Sauer- jtoff in die Gewebe leitet, ſind hier die letzteren un— mittelbar von Sauerjtoff umgeben. Gegen den Sauers ftoff taufchen fie Kohlenfäure aus (Georg Liebig). Das Blut, welches einen Muskel durchjtrömt, verliert viel mehr Sauerjtoff, wenn ſich der Muskel zuſam— menzieht, al3 wenn er ruht (Bernard). Dieſe langſame Verbrennung der Gewebe ijt das eigentliche ) Sapronjäure, 233 Weſen des Athmungsvorgangs, zu dem das Ginjtrö- men von Sauerjtoff in die Lungen nur die nothwen— dige Vermittlungsurſache darjtellt. Sn eben dem Grade, in welchem jich die Erzeug— nifje der Rückbildung in den Gemeben anjammeln, dringen jie in das Blut. Und daher ijt auch das Blut mit Fleiſchſtoff und Fleiſchbaſis, mit Harnitoff und Harnjäure, mit Ameijenjäure und Kohlenjäure geſchwängert. Es hat lange gewährt, bevor man alle diefe Stoffe im Blut aufzufinden vermochte. Nach der Kohlenjäure eröffnete der Harnjtoff den Reigen. Und als feine Auffindung im Blut den Gedanken, dat die Blut- wege Bahnen jind, welche die Ausſcheidungsſtoffe von den Geweben zu den Lungen und Nieren durchlaufen, gehörig erſtarkt hatte, da gelang es der verſchärften Aufmerkſamkeit und vervollfommmeten Forſchungsweiſe, fie alle im Blute nachzuweiſen. Schwierig war es, jich von der Anmejenheit jener Ausmwurfsitoffe im Blut zu überzeugen, eben weil ſie - nur durch das Blut hindurcheilen. Die Kohlenjfäure, welche mit dem Blut der rech— ten Herzfammer den Lungen zujtrömt, dringt durch die Doppelwände der Haargefäße und Bläschen der Lungen in den Hohlraum diejer Bläschen hinüber, gerade jo wie der Sauerftoff aus den Pungenbläschen in die Haargefäße übergeht. In den Hohlräumen 234 der Lungen, der Luftröhrenäfte und des Luftröhren- ſtamms taujhen ji) die vom Blut heritammende Koh— lenſäure uud die eingeathmete Luft des Dampffreijes nad) den allgemeinen Gejeßen des Gaswechſels aus. Dazu kommt die Verengerung des Bruftfajtens durch die Athembewegungen. Eine mit Kohlenjäure geſchwängerte Luftſäule wird ausgejtogen. Und auf das Ausathmen folgt nad einer kleinen Pauje eine Einathmung; der Bruftkaften erweitert ſich, jaueritoffreihe Yuft erjett die eben entjchwundene, welche an Sauerſtoff ver- arınt war, um den ganzen Vorgang neu einzuleiten. Die Lungen find nur die MWechjelbanf. Koblenjäure wird an die Außenwelt abgegeben, um jte als Pflan— zennahrung mit grünen Halden und Thälern zu ſchmücken. Sauerftoff wird gegen die Kohlenjäure eingetauſcht. Das mit Sauerjtoff verjorgte Blut jtrömt aus den Lungen nah dem linken Vorhof des Herzens, von hier in alle Gegenden des Körpers, und es beginnt wieder die alljeitige Verbrennung, die als Ernährung und Rückbildung die Hauptihätigfeiten des Thierleibes entzündet. Sp wie da3 Athmen das Blut von einem großen Theil feiner Kohlenſäure befreit, jo die Abjonderung in den Nieren von den Harnbejtandtheilen. Die Nieren ziehen den Harnjtoff, die Harnſäure und die Fleiſch— bajis an. Sie entfernen diejelben aus dem Blut mit 235 folder Schnelligkeit, daß die genauejte Prüfung dazu gehörte, jie auf dem Weg dur die Blutbahn zu ereilen. Die Ihätigkeit des Körpers läßt jich mejjen durch die Menge der Auswurfsitoffe, die er entleert. Je größer die Anftrengung, der die einzelnen Gemebe unterworfen werden, dejto raſcher zerfallen ihre Be— jtandtheile in die Stoffe, welche dur das Blut in die Lungen und Nieren gelangen, um al3 ausgeath- mete Luft und Harn der Außenwelt übermiejen zu werden. Bei fräftig angejpannter Thätigkeit jammeln jich Ihon in den Geweben die Umwandlungsſtoffe dev orga= niſchen Gemebebildner in großer Menge an. Die Thätigfeit der Muskeln bejteht in der Verkürzung ihrer Faſern, in deren Folge die Kuochen wie Hebel bewegt oder die Gejtalt mancher Behälter im Körper verän— dert werden. Je mehr nun der Muskel angejtrengt wird, deito reicher it er nad Berzelius ud Du Boi3-Neymond an Milchſäure. Ruhende Mus— keln enthalten keinen ſauren Saft (Georg Liebig, Du Bois-Reymond). Und umgekehrt werden die Muskeln duch Anhäufung der Säure ermüdet, ſo— wohl wenn die Milchjäure ihnen künſtlich zugeführt wird, al3 wenn ſie ſich natürlich bei der Arbeit darin entwicelt. Zur Milchſäure gejellen ſich Kohlenjäure 236 und jaures phosphorjaures Kali, welche gleichfallS die Leiltungsfähigfeit des Musfels herabſetzen, während eine jolche ermüdende Wirkung dem Fleiſchſtoff und der Fleiſchbaſis nicht zufommt. (J. Ranfe) Die Vögel, die, wenn man die Zahlen von Scharling und Boufjingault mit einander vergleicht, für ein gleiches Körpergewicht in derjelben Zeit etwa neunmal foviel Kohlenjfäure aushauchen als der Menſch, jind unter allen Thieren ausgezeichnet durch den Gehalt an Fleifhitoff, den fie in ihren Muskeln führen. a, die Fleiſchſäure hat Liebig namentlich in der Fleiſch— flüſſigkeit des Huhns gefunden, obwohl jie nad) See— famp auch im Ochſenfleiſch nicht fehlt. Der kräf— tigen Athmung entſpricht ein bejchleunigter Umjat von Eiweiß und Fett. Durch die Menge von Kohlen- fäure und Waſſer, die der Menjch in einer gege— benen Zeit ausjcheidet, wird die Kraft jeines Stoff- wechſels gemejjen. Die Schnelligkeit des Stoffwech— fel3 ijt das Maaß des Lebens. Sn früherer Zeit ijt diefer Ausſpruch unbedenklich auch auf den Harnjtoff angewandt worden, und ein= zelne Unterfuchungen jchienen Belege dafür zu bieten. Nun hat aber zunächſt Voit beobachtet, day bet Hun— den durch die Arbeit Feine oder Feine erhebliche Zu— nahme der Stiejtoffausicheidung jtattfindet. Dazu tommt, dag Fid und Wislicenus, als jie das 237 Faulhorn bejtiegen, in dem eigenen Harn durchaus feine vermehrte Harnjtoffausicheidung beobachteten. Und wenn auch Johannes NRanfe eine Eleine Zunahme in Folge von Arbeitsleiftung ermittelte, als er den Harn von Stunde zu Stunde, aljo in Heinen Zeit: räumen unterjuchte, jo viel geht doch aus allen diejen Unterſuchungen hervor, dal zwijchen der Arbeits— leiftung und der Menge des ausgejchiedenen Harn⸗ ſtoffs kein gerades Verhältniß obwaltet. Und dennoch ſteht es feſt, daß jede erhöhte Arbeits— leiſtung eine vermehrte Zufuhr von Stickſtoff in der Form von Eiweiß erfordert. Wir verdanken darüber namentlich Playfair die wichtigſten Aufſchlüſſe. Nach ſeinen Berechnungen, die ſich auf ganze Menſchen— klaſſen, Geneſende, Gefangene, Soldaten im Frieden und im Kriege, endlich auf angeſtrengte Arbeiter, wie Schmiede, Eiſenbahnarbeiter, Matroſen beziehen, er— gäbe ſich der tägliche Bedarf an eiweißartigen Körpern: Bei volllommener Ruhe... = 57 Gramm I ossimungener Neube, .... = 71 , bei mäjliger Bejchäftigung. = 119 ,„ bei thätiger Lebensweiſe . = 156 „ Baier Urbeit, .2.... ..—.184 ° ‚, AS tägliches Koſtmaaß arbeitender Männer, die den verjchiedenjten Berufsarbeiten unter den mannig- faltigjten Umftänden obliegen, habe ich für eiweiß— 238 artige Stoffe die Zahl 130 Gramm berechnet. Voit verlangt 137 Gramm täglih für einen arbeitenden Mann, ohne dieſe Zahl als maahgebenden Mittel- werth zu betonen, Liebig für Münchener Brau— fnechte, die ſchwere Arbeit verrichten, nicht weniger als 165 Gramm. Einen verhältnißmäßig Fleinen Werth ſetzt J. Ranfe an, indem er ji mit 100 Gramm begnügt, was meinem Mittelwerthe näher jteht als die äußerſten Werthe von Playfair und Viebig, die nur für angejtrengte oder harte Arbeit gelten. Sämmtlihe Zahlen lehren aber, daß bei der Arbeit durhjchnittlich beinahe zweimal jo viel, und wenn jie in hohem Grade als ſchwere Arbeit gelten Faun, mehr al3 zwei und ein halb mal jo viel Eiweiß verzehrt wird, als bei gezwungener Ruhe, wie jie im Yeben von Gefangenen vorkommt. Die Frage nad) dem Verhältnifje des Eiweiß— bedarfs zur Arbeitsleiltung iſt gerade durch die neuejten Unterjuchungen über da3 Maaß der Harnſtoffausſchei— dung jo wichtig geworden, dat e3 alle Beachtung ver— dient, wenn wir die Erfahrungen an arbeitenden Hausthieren mit denen am Menſchen im vollem Ein- Hang finden. Nah Playfair bedarf ein arbeiten- de3 Pferd nahezu doppelt jo viel Eiweiß in jeinem Kojtmaak wie ein Pferd in der Ruhe. Was aber noch Iehrreiher ijt, wenn man die Arbeitsleiftung 239 eine Pferdes mit der eines Ochſen, und ebenjo die von beiden TIhieren täglich erforderten Eiweißmengen mit einander vergleicht, dann findet man, daß ſich die Eiweißwerthe jo nahe wie es in joldhen Bejtimmungen möglih ijt, genau jo verhalten, wie die Arbeits— leiltungen. Dieje verhalten ich für Ods u Pferd . . = 100: 143, 1. Re „ 7 2 1: (Blayfair, Morin, Muſchek). Wenn nun aber mit jteigender Leijtung mehr Ei— weiß verzehrt wird, ohne daß in Harn und Darm— foth eine größere Menge Stickſtoff verausgabt wird, während nah Boit aller Stickſtoff der Ausſchei— dungen in Harn und Koth zum Vorjchein Fommt, dann haben wir es hier mit der Löſung eines Näthjels zu thun, das wie jedes gute Näthjel, einer Löſung fähig fein muß. Es jei daher noch ausdrüclich hervorgehoben, daß auch Voit, obwohl er den Harnjtoff als Maaß ge— leijteter Arbeit umſtößt, dennoch behufs der Arbeit- leiftung eine größere Zufuhr an Eiweiß verlangt. Die Zerjeßung des Eiweißes hat dabei für ihn eine dop— pelte Bedeutung, indem das Eiweiß die Sauerſtoff— zufuhr beherricht, ohne welche der Muskel nicht thätig jein fann, und außerdem bei feinem Zerfallen unmit— *) Vgl. von Gorup=-Bejanez, Lehrbuch der phyſiolo— giihen Chemie, 2. Auflage. Braunjchweig 1367, ©. 748, 749, 240 telbar lebendige Kraft erzeugt.*) Alfo immer wieder mehr Arbeit, mehr Eiweiß, und dennoch feine irgend— wie entipredhende größere Ausiheidung von Harnſtoff und anderen Stoffen, in denen der Sticjtoff des Ei— weißes wieder erjcheint! Was iſt aus dem Ueberſchuſſe geworden? Nach den Unterfuhungen von Barfes fühlt man fi) am meijten zur Vermutung hingedrängt, dab die Folgen der Musfelanjtrengung, ſoweit ſie einen vermehrten Umjas von Eiweiß im Körper bedingen, erit in einer jpäteren Zeit als Auswurf zum Vor— jchein fommen. Zwei Soldaten erhielten in ihrer Nah— rung Fleiſch, Brod Gemüſe in jolhem Verhältniß, daß ſie in 16 Tagen die gleiche Eiweißmenge zu ſich nahmen. Bon diejem Zeitraume brachten jie abwech— jelnd eine Reihe von Tagen bejchäftigt und ruhend zu. Im erjten Zeitraum, der vier Tage währte und mit gewöhnlicher Beſchäftigung verlief, wurde im Mit- tel von beiden Soldaten für den Tag 36,7 Gramın Harnitoff ausgejchieden. In dem darauf folgenden Abſchnitt von zwei Nuhetagen immer durchjchnittlic) für Tag und Kopf 38,75 ſodann Famen vier gewöhn— liche Arbeitstage mit einem Mittel von 36,5; nun aber zwei angeftrengte Tage, der erjte durch einen Marſch *) Vgl. Voit, Ueber die Entwidlung der Lehre von der Quelle der Musfelfrait, 1870, ©. #5. . % 241 von 24, der zweite von 35 engliichen Meilen in der Ebene bezeichnet, mit einem Mittel von 39,5, wel- es in dem zuletzt beobachteten vier gewöhnlichen Arbeitstagen noch zu 39,9 anjtieg. In diefen mit Recht von Liebig jehr in den Vordergrund gejtellten Beobachtungen Hinft in der That die größere Harn— toffausjcheidung dev vermehrten Arbeitsleiitung Tage lang nad, und man kann ſich der Krage nicht er- wehren, ob niht Kid und Wislicenus Aehnliches wie Barfes beobachtet haben könnten, wenn jte ihre Harnjtoffbejtimmungen länger al3 auf die. ihrer Berg- bejteigung nächſtfolgende Nacht ausgedehnt hätten, und ob die Zunahme von Harnjtoff in Parkes' Ver— juchen nicht viel bedeutender ausgefallen wäre, wenn die Soldaten an den Marſchtagen über ein größeres Koſtmaaß hätten verfügen können. Denn es ijt nicht zu vergejlen, daß eine veichlichere Fleiſchnahrung in der Ruhe den ausgejchiedenen Harnjtoff vermehrt, ja bei ruhenden Hunden nad) Voit jogar um das Fünf— zehnfache vermehren fan“). Und wenn das Mehr an Eiweiß erfordert wird, um die Arbeitöleijtung zu ermöglichen, jollte es unverändert im Körper ruhen ? Irre ich nicht, dann jind wir alle bei der Be— trachtung des Stoffwechſels befangen gewejen in der ) Woit, Ueber die Iheorien der Ernährung der thieri« chen Organismen. München 1863, ©. 26. 16 242 Borjtellung, als ob jeder ftorflihe Anſtoß eine Wellen- bewegung erzeugte, die jich mit einer dem Schall ver- gleihbaren Gejchwindigkeit fortpflanzte und daher im fürzejter Friſt ihr Ende erreichte. Und deshalb wun— dert man ſich, wenn die vermehrte Ausſcheidung nicht in allen Fällen dem vermehrten Umjat auf dem Fuße folgt. Männer jeheiden in derjelben Zeit mehr Kohlen- fäure und mehr Harnitoff aus als Krauen; das ilt der jtrengite Ausdruck ihrer gegenjeitigen Leiſtungs— fähigkeit. Kinder entleeren abjolut — nicht etwa im Verhältnig zum Körpergewicht — weniger Harnjtoff und Kohlenjäure als Frauen, und auch im Greijenalter erleidet die Ausjcheidung eine bedeutende Abnahme. Die höchſte Kraft des Stoffwechſels fällt in die Zeit zwijchen dem dreißigiten und vierzigjten Lebensjahr, welche durchſchnittlich das Yebensalter daritellt, in welhem die jchaffende Thätigkeit des Menjchen ihre höchſte Blüthe erreicht. Nicht blog Lungen und Nieren, auch Haut und Majtdarın entfernen die Erzeugnijje der NRüdbildung. Mit dem Blut gelangt der eingeathmete Saueritoff in die Haut. Auch in der Haut wird Kohlenjäure gebildet, welche durch die Oberhaut hindurch ebenjo- wohl gegen Sauerjtoff der Luft vertaujcht wird, wie in den Lungen dur die Wand der Lungenbläschen und Haargefäße. Darum jpricht man mit vollem Recht 243 von einer Hautatimung. Während aber beim Lungen athmen dem Raume nach mehr Sauerjtoff aufgenoms men, al3 Kohlenjäure ausgehaucht wird, jo dal der Kaum, den die ausgeathmete Luft im trocdenen Zus jtande bei gleiher Wärme einnimmt, hinter dem der eingeathmeten an Umfang zurücjteht, jcheidet die Haut viel mehr Kohlenjäure aus, al3 ſie Sauerjtoff durch- tät (Gerlad in Berlin). In dem Auswurf des Darm finden wir mit den unlöslichen UWeberbleibjeln der Speijen, die wir nur als zufällige Bejtandtheile des Koths betrachten dürfen, Galle, Darmjaft und Schleim, als Gemenge von Stoffen, die von den Blutbejtandtheilen hergeleitet werden müſſen. Und da die Galle, der Darmjaft und der Schleim jtiejtoffhaltige Körper führen, jo wird auch auf Ddiefem Wege ein Theil der Rückbildungs— jtoffe dev eiweißartigen Blutbejtandtheile entleert, die wir jonjt, nachdem ſie zerfallen jind, vorzugsweiſe im Harn antreffen. Die ausfallenden Haare, die Ober: haut, die jich abſchuppt, in den inneren Höhlen des Körpers jo gut wie an dev äußeren Oberfläche, die Nägel, die wir abjchneiden, vermehren die Ausjcheis dung in derjelben Richtung wie der Harn, wenn gleich in einem jehr viel geringeren Maaße als man bei oberflächlicher Betrachtung, ohne zur Wage zu jhreiten, wähnen könnte. 16. 244 Aber auh Haut und Darm find in der Gntfer- nung von Ausmurfsjtoffen bei weiten nicht jo thätig wie Lungen und Nieren. In dem ganzen Gewicht der Ausjcheidungen beträgt das des Koths nur etwa ein Vierzehntel oder ein Achtzehntel. Und die Kohlen- jäure, welche durch die Lungen emtweicht, übertrifft die von der Haut ausgejchiedene nah Scharling beinahe um das Dreißigfache, nah Gerlach jogar mehr als neunzigmal. Der Schwefel der eimeikartigen Gemebebildner wird zu Schwefeljäure verbrannt, der Phosphor des Dotterfetts*) als Phosphorjäure abgetrennt. Dieje zerjegen das Fohlenjaure Natron des Bluts. Wir finden jie im Harn als jchwefeljaure und phosphor— ſaure Salze wieder. Daher kommt es, daß bei ei- weißreicher thieriicher Nahrung, die immer auch Dot— terfett enthält, nicht nur die Menge des Harnitoffs, jondern auch die der jchwefeljauren und phosphors jauren Salze im Harn ſich vermehrt (Yehmann). 63 ijt überhaupt bezeichnend, daß die anorgani- ſchen Bejtandtheile nicht nur den Gewebebildnern bei der Entwicklung, jondern auch den Auswurfsitoffen bei der NRücbildung folgen. Die Harnſäure wird mit dem Harn nicht etwa als freie Säure, jondern als *) Lecithin. 245 jaures Natronjalz entleert. UWeberhaupt ijt der Harn diejenige Flüſſigkeit, mit welcher vorzugsweiſe die Salze aus dem Körper entfernt werden. Aber auch der Koth, der Schleim und die Horngebilde, Haare, Nägel und Oberhaut jcheiden verbrauchte anorganische Stoffe aus, und zwar vorzugsweije die Erdſalze und das Gijen. Weil nun der Stoffwechjel ein Maaß des Lebens iſt, jo verjteht es jih ganz von ſelbſt, daß nicht nur das Fräftigjte Einzelwejen den jchleunigiten Stoffumſatz zeigen wird, jondern es muß ebenjo einer erhöhten Thätigkeit eine jchnellere Rückbildung entiprechen. Und jo gejchieht e3. Körperliche Anjtrengung vermehrt nicht blog Schweil und Harn, jie vermehrt namentlich auch die Kohlenjäure, die wir ausathmen. Nach Ger— ladh’S Verſuchen wird von Menjchen, die in kör— perlicher Bewegung begriffen jind, in neun Stun— den durch die Haut jo viel Kohlenjäure ausgejchteden, wie jonjt in vierundzwanzig., Smith’s Erfahrungen jtimmen hiermit auf Beſte überein. Gr jah die Kohlenſäureausſcheidung beim Menjchen in Folge eines Marſches 1,5 bis 2,6 mal zunehmen, al3 ev die von einem Wachenden in ruhiger Lage gelieferte zum Aus— gangspunft de3 Vergleiches wählte. Bei einem Pferde im Trab ijt die Ausjcheidung im Vergleich zur Ruhe hundertundſiebzehnfach gejteigert. Ein engliſcher Schnell: 246 läufer, der in Zeit von einhundert Stunden einen eg von fünfhundert Stunden zurüclegte, Hatte nad) diejer Anjtrengung nicht weniger als vierzehn Kilo- gramm jeines Körpergewichtes eingebüßt. Man Hat allen Grund, es wörtlich zu nehmen, wenn es von eifrig denfenden Menichen heißt: die Köpfe rauchen. Vermehrte geiitige Arbeit bewirkt jo gut eine Steigerung der Eßluſt, wie fräftige Bewe- gung der Muskeln. Eßluſt ijt nichts weiter als ein dur‘ Empfindung gemejienes Anzeichen von Verar— mung des BlutS und der Gewebe. Die Ausjheidung durh Haut, Lungen und Nieren wird durch die Hirn— thätigfeit vermehrt, wie durch die Arbeit der Glie— der. Für die Phosphorjfäure im Harn ijt die durch geiftige Arbeit bedingte Vermehrung von Byajjon dur) Zahlen befräftigt. Derſelbe Korjcher fand in Folge geijtiger Thätigkeit auch die Ausſcheidung von Schwefeljäure und Harnſtoff geiteigert.*) Die Bildungsjtätte der Auswurfsſtoffe ijt nad) dem Obigen vor allen Dingen in den Geweben zu juchen, deren Thätigkeit durch ihre langiame Verbren- nung, die Gewebeathmung bedingt ijt. Allein die Nüd- bildung beginnt Schon im Blut. Denn überall, wo im Körper Sauerſtoff it, da ilt auch Verbrennung. *) Revue des Cours Scientifiques, einquieme annde (1867 — 1868), p. 609, 247 Freilich können die Hauptſtoffe des Bluts wäh— rend der verhältnißmäßig kurzen Zeit, welche ſie inner— halb der Gefäße verweilen, nicht zu Ausſcheidungs— ſtoffen verbrennen. Sie erreichen kaum die Stufe der Gewebebildner; ihre Umwandlung iſt für unſeren Standpunkt eine fortſchreitende Entwicklung. Aber das Fett erleidet bereits im Blut eine theil— weiſe Verbrennung zu Kohlenſäure und Waſſer, zu den Endſtufen des Verfalls. Obgleich im Ganzen weniger Fett als Eiweiß durch die Gefäßwand hin— durch in die Gewebe hinüberſchwitzt, nimmt doch nach dem Genuß von Eiweiß und Fett die Menge des dem Blut zugeführten Fetts raſcher ab als die des Eiweißes (Thomſon). Da nun das Fett im Vergleich zum Eiweiß die Gefäße langſam verläßt, ſo iſt die raſchere Abnahme von einer Verbren nung im Blute herzuleiten. Während der Verdauung iſt die Ausathmung der Koh— lenſäure vermehrt (Vierordt). Der Branntwein, der Wein, das Bier erleiden im Blut eine Verbrennung. Ein Theil des Wein— geiſtes, den alle jene Getränke enthalten, wird im Blut, wie an der Luft bei einer Wärme von dreißig bis vierzig Grad, zu Eſſigſäure verbrannt, vielleicht und wahrſcheinlich ſogar nach vorheriger Bildung von Alde— hyd, einem Stoff, welcher durch einen geringeren Ge— halt an Sauerſtoff von der Eſſigſäure verſchieden iſt 248 (Bouhardat und Sandras, Dudek). Eſſig— bildung beruht auf einer unvollitändigen Verbrennung des Weingeijtes. Und dieje Verbrennung erfolgt im Blut gerade jo wie die Verbrennung des Ammoniafs zu Salpeterjäure. Dur) weitere Verbrennung ver- und die Kleejäure wird vollends zu Kohlenjäure ver- brannt. Gin Theil des Weingeijtes wird freilich unver- ändert mit der ausgeathmeten Luft, dem Harn und durch die Haut aus dem Körper entfernt (Majing, Lieben, Subotin). Alle Veränderungen, welche das Blut durd das Athmen erleidet, erklären ji dur) Verbrennung und durch Abgabe von Wajjer. In Folge der Verbren— nung ijt in dem Blut der Schlagadern ein jauerjtoff- reicheres Blutroth*) vorhanden und weniger Fett als in dem Blut der Adern, welches noch nicht geathmet * hat. Das Fett ijt theilweile zu Kohlenſäure und Waſſer verbrannt. In der ausgeathmeten Yuft ijt im Vergleich zur eingeathmeten nicht nur die Menge der Kohlenjäure, jondern auch die des Wajjers vermehrt. Das Blut der Adern tritt beim Durchgang durch die Haargefähe der Lunge Wajjer an die Luft der Lungenbläschen ab. *) Hämoglobin. 249 Deshalb muß das Blut der Yungenjchlagader, die das aderlihe Blut der Lunge zuführt, veiher an Waſſer fein al das der Yungenadern, die das Blut aus den Lungen in das Herz zurücleiten. Dagegen bereichert jih das Blut beim Durchgang durch die Gewebe an Waſſer. Dies gilt bejonders für den thätigen Muskel, in weldem eine Zunahme des Wajjergehalts jtatt- findet, der Durch Die Adern aus dem Musfel wieder abgeführt wird (IJ. Nanfe) Deshalb enthält das Dlut Eleinev Adern immer mehr Waſſer als das der Schlagadern, womit es gar nicht im Widerjpruch jtebt, daß das Blut der unteren Hohlader, welches an Harn und Galle viel Waſſer verloren hat, dem jchlagader: lichen Blut im Wafjergehalt nachſteht (Lehmann). Einer veränderten Miſchung entjpricht Verände— rung der Gigenjchaften. Das dunkelblaurdthe Blut der Adern, welches verhältnißmäßig arm an Sauerſtoff und reich an Kohlenſäure iſt, wird hellroth durch das Athmen. Das Blut der Weinbergſchnecke dagegen wird durch die Aufnahme von Sauerſtoff blau, durch Koh— lenſäure farblos. Wenn das Blut bejtändig jeine Beltandtheile als Gewebebildner an die Werkzeuge des Körpers abtritt, wenn diefe durch die TIhätigkeit dev Gewebe in Harn- jtoff, Kohlenſäure und Waſſer zerfallen, wenn endlich die Auswurfsſtoffe durch die Blutbahn hindurch fort: 250 mwährend den Lungen und Nieren, der Haut und dem Maſtdarm zueilen, um von hier aus dem Körper aus— gejtogen zu werden, dann ijt es nothmwendig, daß Blut und Gewebe durch den regelrechten Vorgang des Lebens eine DVerarmung erleiden, melde nur durch den Erſatz der Nahrung ausgeglichen wird. Mit einer merkwürdigen Schnelligkeit geht diejer Stoffwechſel vor ſich. Die mittlere Lebensdauer hun— gernder Menjchen beträgt vierzehn Tage. Aber in dem Augenblif des Hungertodes hat der Körper der verjchiedenjten Wirbelthiere vier Zehntel feines urjprünglihen Gewichts verloren. Denft man jid) aljo, dieſer Gewichtsverluſt könnte fortdauern, ohne daß der Hungertod einträte, dann würde der Menſch in fünfunddreigig QTagen feinen ganzen Körper ver- ausgabt haben. Denn wenn man jene vier Zehntel, die im Augenblick des Hungertodes ausgegeben jind, zweiundeinhalbmal nimmt, dann erhält man die Ein— heit, das heißt, das ganze Körpergewicht. Der Hunger— tod tritt ein nad vierzehn Tagen, und zweiund— einhalbmal vierzehn giebt fünfunddreißig Tage. Gr: jeßen wir das Verlorene durch Nahrungsmittel, dann erhält jich der erwachſene Körper beim urjprünglichen Gewicht. Und da bei dem gehörigen Genuß von Speiſe und Trank der Stoffwechſel viel jchneller vor ſich gebt als dei faſtenden Gejchöpfen, jo ijt die Annahme durc)- 251 aus gerechtfertigt, day dev Körper in zwanzig bis dreißig Tagen den größten Theil feines Stoffes verändert. Im Sommer verlov Barral in vierundzwanzig Stunden etwa ein VBierzehntel, im Winter jogar ein Zwölftel des Körpergewichts. Bei verjchiedenen Einzel— mwejen kann die Größe des täglichen Verluſtes inder große Schwankungen erleiden. Der Oberit Yaun in Saarlouis fand als Mittel mehrer Wägungen, die er bei regelmäßiger Lebensweile an jich jelber vor- nahm, einen duchjchnittlichen Berluft von einem Zwei— undzwanzigjtel feines Körpergewichts in vierundzwan— zig Stunden. Diejer Berlujt wird durch die aufgenonmene Nah rung und den eingeathineten Sauerjtoff gedeckt. Denn das Blut geht nicht blog aus den Nahrungsitoffen, jondern aus Nahrung und Sauerjtoff hervor, und dies gilt in noch höherem Grade von den Geweben; die Gemwebebildung iſt durch die Athmung bedingt. Geſetzt aljo, es ginge täglich dem Körper im Wine ter ein anderes Zwölftel, im Sommer ein anderes Vierzehntel verloren, dann würde der ganze Leib in zwölf bis vierzehn Tagen umgejegt. Auf Laun's Zahlen gejtütt, hätte man zweiundzwanzig Tage ans zunehmen, Aus einer anderen Betrachtung läßt ſich in ähn— licher Weiſe die Lebendigkeit des Stoffwechſels ableiten. 252 Man nimmt nah Welder und Biſchoff an, daß im Körper des erwachlenen Menjchen etwa 5 Kilo Blut enthalten find. In dieſer Blutmenge berechne ih die Menge des Kohlenjtoffs zu 555 Gramm, die des in den organischen DVerbindungen enthal- tenen Wajjerjtoffs zu 73 und die des darin vors kommenden Sauerjtoffs zu 208. Um aber 595 Gramm Kohlenjtoff zu Kohlenjäure zu verbrennen, jind 1480 Sauerjtoff erforderlich, und dazu noch 584 Sauer- ftoff, um die 75 Gramm Wajlerjtoff in Waſſer zu verwandeln, oder zujammen 2064 Gramm Saueritoff, um allen Koblenjtoff der organijchen Verbindungen im Blut in Kohlenſäure, allen ihren Wajjerjtoff in Wafjer überzuführen. Bon diefen 2064 jind aber ſchon 205 Gramm Sauerjtoff in den organiicheu Ver— bindungen jelbjt gegeben, jo dar nur noch 1856 Gramm Sauerjtoff von augen erfordert werden, um jene Bildung von Kohlenſäure nnd Wajjer zu be— wirken. Da nun ein erwadhjener Mann von 65,65 Kilo in 24 Stunden 820 Gramm SGauerjtoff verzehrt, jo folgt, daß in etwa 21, Tag Sauerjtoff genug eingeathmet wird, um allen Kohlenſtoff und Waſſer— ftoff der organischen Verbindungen im Blute zu ver- brennen. Das Blutgewicht iſt nah Biſchoff's Be— ftimmung beim Menjchen ?/4 des Körpergewicts. Nehmen wir aljo an, dab der Umjat der Gewebe 253 mit dem des Bluts verglichen werden darf, jo würden 13 << 2), = 29,25 Tage ausreichen, um den ganzen Körper zu verausgaben. Sch jelbit habe mit Marfels gefunden, daß farbige Blutförperchen des Hammels, die in großer Anzahl in die Bahn des Froſchbluts eingedrungen jind, in etwa jiebzehn Tagen vollitändig aus demjelben ver— jhwinden. Weil nun der Stoffwechjel bei Fröſchen langjamer vor jich geht, als bei warmblütigen Thie— ren, jo darf man wohl annehmen, day die farbigen Blutkörperchen des Menjchen in weniger als jiebzehn Tagen ſämmtlich erneuert werden. Die Uebereinjtimmung in dem Ergebniß, während man von ganz verjchiedenen Gejichtspunften ausgeht, it eine Bürgjehaft für die Nichtigkeit der Annahme, dak man den Zeitraum, welcher erforderlich ijt, um dem ganzen Körper eine andere Miſchung zu ertheilen, nah Wochen, höchſtens nad Monaten, bemejjen darf. Die jieben Jahre, welche der Bolfsglaube für jenen Zeitraum anſetzte, jind demnach eine ungeheure Ueber— treibung, und Jean Paul dürfte die Zeit, nad) welcher Mann und Frau im Chebruch mit einander leben jollen, weil jie dem Stoff nad) nicht mehr die— jelben find, wenn er feinen Scherz der heutigen wiljen- Ihaftlichen Erkenntniß anbequemen wollte, getroit auf ein Baar Monate herabſetzen. 254 Sp überraſchend diefe Schnelligkeit auf den eriten Blick auch ſcheinen möge, jo finden jich doch von allen Seiten die Beobadhtungen im Einklang. Nach Stahl verlieren Lerchen in einem Tage das Fett, das ſich in der Nacht in ihrem Körper entwickelte. Und wer wüßte nicht, wie wenig Tage oft dazu gehören, einen Menſchen durch Abmagerung beinahe unkennt— lich zu machen, wie wenige Minuten erforderlich ſind, damit der Genuß von Spargeln ſich durch den eigenthümlichen Geruch des Harns verrathe? Die Pferdeharnſäure, die aus Leimzucker und Benzoëeſäure gepaart iſt, wird ſchon eine halbe Stunde nach dem Genuß von Benzoöſäure im Harn des Menſchen beobach— tet, und nach zwölf Stunden ijt jie bereitS wieder daraus verihwunden (Meijjner und Shepard). Nah 24 Stunden fanden Schultzen und Nendi Leimzucer oder Käfewei in der Form von Harnitoff mit ihrem ganzen Stickſtoffgehalte ausgejchieden. Die Schnelligkeit des Stoffwechſels, die jih aus allen jenen Beobachtungen ergiebt, ijt am bejten geeig= net, unjere Verwunderung zu mäßigen, wenn wir aus den berühmten Unterfuchungen von Bidder und Schmidt erfahren, daß ein Erwachſener von 123 Pfund Körpergewicht in 24 Stunden beinahe drei Pfund Speichel, reichlich zwei und ein halb Pfund Galle und mehr als achtundzwanzig Pfund Magen: 255 jaft abjondert. Ein Rauchender könnte aljo, wenn er die üble Gewohnheit des Ausjpucens hat, in einem halben Tag den dreiundvierzigſten Theil ſeines Körper: gewichts ausjpeien, und in vierundzwanzig Stunden ſtrömt etwa der vierte Theil unjeres Gewichts als Magenſaft durch den Körper, freifend vom Blut zum Magen und vom Magen zum Blut. Während die ungeheure Menge für den Magens jaft von Grünewald an einer Frau ermittelt wurde, it die Zahl für den Speichel, nach dem Verhältniß de3 Körpergewichts, von Hunden auf den Menjchen übertragen. Aus den von Dehl am Menichen jelber angeltellten Beobachtungen berechnet jich indeß nur etwa ein Pfund Speichel auf den Tag. Berjchiedene Einzelweſen wechjeln den Stoff mit verjchiedener Schnelligkeit. Ich habe oben die Leiſtungs— fähigkeit bei Männern, Frauen, Greifen und Kindern in ihren verjchiedenen Abjtufungen darauf zurückgeführt, das der Mann im Ganzen mehr Stoff mwechjelt als die Frau, dev Erwachſene mehr al3 Greife und Kin: der. Arbeiter und Denfer verändern die Miſchung ihres Körpers in fürzerer Zeit als Müßiggänger und Faulenzer. Raſch lebende Menjchen, bei welchen Hoff: nung, Leidenſchaft und banges Verzagen, das ſich ebenjo jchnell wieder löjt in jauchzende Zuverſicht, das Dlut Fräftig bewegen, find raſch lebend eben durch 256 die Geſchwindigkeit, mit welcher ſich der Stoffwechſel in ihrem Körper vollzieht. Der Aufnahme der Nahrung iteht die Aufnahme des Saueritofjs entgegen, aber nicht in dem Sinne, dag der Sauerſtoff einen Theil der Nahrung als Athem- mittel fordert, während der andere Theil der Gewebe— bildung dienen jollte. Die Nahrung, melde Gewebe bildet und nachher durch den eingeathmeten Sauerjtoff allmälig in Auswurfsſtoffe zerfällt, iſt derjelbe Stoff auf verichiedenen Entwicklungsſtufen. Durch die Ver— dauung verwandeln jich die Nahrungsitoffe in Blut— beitandtheile, dieje durh Sauerjtoff in Gemebebild- ner, und es iſt nur die fortichreitende Einwirkung des Saueritoffs, welche in den Geweben die Rückbildung bedingt. Das Weſen der Rüdbildung iſt die lang jame Verbrennung von Fett und Eiweiß, von leim— gebendem und federfräftigem Stoff. Endſtufen der Vers brennung jind Kohlenjäure, Waſſer, Harnitoff, Schwe- feljäure und Ammoniaf. So lange Blutbildung und Ausjheidung ſich das Gleichgewicht Halten, erleidet dev Körper feine Ver— änderung feines Geſammtvorraths an Stoff. Diejes Gleichgewicht behauptet jih im Stoffwechſel des Er— wachjenen. Man fann den Körper eines dreihig- bis vierzigjährigen Mannes viele Tage lang hintereinander wägen, ohne daß jich eine erhebliche Vermehrung oder 257 Verminderung des Gewichts einjtellt, die nicht durch eine unmittelbar vorhergegangene Einnahme oder Aus— gabe zu erklären wäre. Ueber mehrere Tage vertheilt, wird eine jolche Gewichtsveränderung volllommen aus— geglichen. Beim Greife wird das Gleichgewicht gejtört. Die Verdauung ijt nicht mehr jo fräftig wie beim Mann in der Blüthe des Lebens. Nach der Verdauung rich- tet jich jehr bald die Aufnahme von Speije und Tranf. Dabei dauert die Einwirkung des Sauerjtoffs und die von ihr abhängige Rückbildung der Gewebe fort. In Folge dejjen jtellt jich zunächſt eine Verminde— rung des Nahrungsjafts ein. Die Kochen des Greiſes haben einen Theil ihrer Federkraft eingebüßt, weil jie im Waſſergehalt dem Erwachſenen nachſtehen (Fremy). Und weil die Verbrennung die organiſchen Stoffe trifft und die anorganiſchen Beſtandtheile im Ganzen weniger ſchnell als die Summe von Eiweiß und Fett den Körper verlaſſen, ſo ſammeln ſich verhältnißmäßig die Salze, zumal die erdigen, reichlicher in den Geweben an. Die Wände der Gefäße und ihre Klappen ver— kreiden, und in manchen Knorpeln kann die Verkalkung eine wahre Verknöcherung des Gewebes vorbereiten, in deren Folge deſſen Federkraft eine bedeutende Ab— nahme erleidet. 17 258 Wenn die Neubildung der Rückbildung nachiteht, dann ijt das Schmwinden der Gewebe eine unausbleib- fihe Folge. Es jchmindet der Unterkiefer, was ſich dur das jpige Kinn der alten Yeute verräth. Das Fett unter der Haut erleidet eine beträchtliche Abnahme; daher runzelt ji die nun zu weite Haut an Stirn und Händen. Den dünnen Musfeln fehlt es an Spann— fraft, jie vermögen das Rückgrat nicht mehr zu jtreden, lafjen den Kopf vornüber jinfen, und wir bewundern bei £räftigen Greifen den aufrechten jicheren Gang al3 eine Seltenheit. Die Stimmbänder werden trodes ner; jie verlieren an Gejchmeidigfeit und Federkraft; die Stimme wird rauh und klanglos oder jharf und krächzend. Don dem fünfzigiten Jahre an vermindert fih auch das Gewicht des Hirns (Peacod). Nah Böcker's Unterfuhungen jind während des Schlafs, wenn man denjelben mit dem wachen Zuftand unter übrigens ganz gleichen Bedingungen vergleicht, die Ausiheidungen vermehrt und zu derjelben Zeit die Anbildung des Hirns gejteigert. Beim Säugling, der mehr jchläft als wacht, wird die Entwidlung der Gewebe im Ganzen befördert. Weil derjelbe, wenn er wacht, nicht unter den gleichen Bedingungen wacht, unter denen er jchläft, jondern unruhig zappelt, jchreit, jpielt, jauchzt, jo wird durch jeinen häufigen "Schlaf die Menge der Koblenjfäure, die ev ausgiebt, eine 259 Verminderung erleiden. Der Schlaf ermweilt ſich ſo— nach nicht bloß mittelbar nützlich durch geringeren Ver— luft, jondern auch unmittelbar durch erhöhte Entwidlung. Und diejen wohlthätigen Einfluß übt dev Schlaf wäh rend des ganzen Lebens. Denn in der Nacht wird mehr Sauerjtoff aufgenommen und weniger Kohlen- ſäure ausgeſchieden als bei Tag, und jomit der Sauer= jtoff aufgejpeichert, der al3 eine Bedingung jeder Kraft- äuſſerung des Körpers bei Tag zur Verwendung fommt (Bettenfofer und Boit). Beim Greije, der jo häufig durch Schlaflojigkeit geplagt wird, mul umgekehrt die Neubildung leiden, Und da man troß Böcker's Arbeit immer noch ans nehmen muß, daß eine ruhig durhjchlafene Nacht von einem Ffleineren Gemwichtsverlujt begleitet ijt, als eine unruhig durchwachte, jo trägt beim Greije alles dazu bei, das Mißverhältniß zwiſchen Blutbildung und Nückbildung zu jteigern. Mit dem Stoff ſchwindet die Kraft. Sanft nahet da3 Ende. Der Tod ijt Ente fräftung in Folge der Verarmung an Stoff. 17, 260 XII. Rückbildung in der Pflanze. Was im TIhierleib aus der Rückbildung hervorgeht, ſammelt ſich zum Theil in hohlen Behältern des Kör- pers, in der Harnblaje, den Lungen, der Galfenblaje, und wird dann von hier aus dur Harnröhre, Luftröhre und Darm, zum Theil unmittelbar dur die Haut aus dem Körper entfernt. Die Auswurfsſtoffe jtehen jammt und jonders auf der letten Stufe des Verfalls. Die Hauptmenge der von den Pflanzen ausges ſchiedenen Körper bejteht aus dem Sauerjtoff, den alle grünen Theile im Licht jo veihlih aushauden. Allein während die Kohlenjäure, die das Thier ausathmet, ein Endglied der Rückbildung darjtellt, ijt der von der Pflanze ausgejchiedene Sauerjtoff entjchieden ein Erzeugniß der Entwidlung. Faßt man die ganze organijche Natur, die Welt der Planzen und Thiere gleichmäßig in’S Auge, dann it die Entwicklung des Stoffs von den äußerſten 261 Grenzen der einfachjten Verbindungen bis hinauf zu den Blutbejtandtheilen der Ihiere auf eine Verarmung an Sauerjtoff gegründet. Bon der Blutbildung an jhlägt die Entfaltung des Stoffs durch Vermehrung des Sauerjtoffgehalts in DVerbrennung, aljo in eine Aufnahme von Sauerjtoff um, die freilich ſchon in der Pflanze beginnt. Aber alsbald verwandelt jich auch die Entwicklung in Rüdbildung. Kohlenjäure und Waſſer liefern der Pflanze die Hauptbauſtoffe ihres Leibes. Von diejen beiden ein- fachen Berbindungen enthält aber ſchon das Wafjer allein jo viel Sauerjtoff, wie im Verhältnig zum Waſſerſtoff in den verbreitetiten Bejtandtheilen der Pflanzen vorhanden iſt. Zelljtoff ift der Körper, der, abgejehen vom Waſſer, das die Bflanzentheile durchdringt, die Maſſe des Leibes der Pflanzenwelt daritellt. Dies gilt jowohl für viele dickwandige Algenzellen und manche Pilze*), wie für Erbſen, Nojen und Myrthen. Der Zellitoff it eine Verbindung von Kohlenjtoff mit Wafjerjtoff und Sauer— ftoff, die letteren beiden genau in dem Verhältniß enthaltend, in welchem jie Wafjer bilden. Um dies überfichtlicher auszudrücken, hat man jogar häufig den *) Häufig weicht in den Algen, jo wie in den Fäden der Pilze, die Zellhaut in ihren Merkmalen von dem ſonſt jo allgemein verbreiteten Yellitoff ab (De Bary). 262 Zellitoff al3 eine Verbindung von Kohlenjtoff mit Waſſer bezeichnet, jedoch mit Unrecht, weil nichts da— für jpriht, daß jener Waſſerſtoff und Sauerjtoff als Waſſer in dem Zellſtoff beitehen. Gewiß iſt nur, dag der Zellitoff aus Kohlenjäure und Waller gebil- det wird, und daß das Waſſer allein mit der für Zellitoff erforderlichen Waſſerſtoffmenge jo viel Sauer— Itoff liefert, wie der Zuſammenſetzung des Zellitoffs entſpricht. Allein die Kohlenfäure enthält noch weit mehr Sauerjtoff al3 das Waſſer. Gin Theil des Sauerjtoffgehaites im Zelljtoff wird jedenfalls durch Sauerjtoff der Kohlenjäure gededt. Es entjteht alſo ein beträchtlicher Ueberihuß an Saueritoff. Waſſer allein enthält bereits jo viel, und Kohlen jäure weit mehr Sauerjtoff al3 im Zellitoff vorhanden ift, der jih aus Kohlenjäure und Waſſer entwicelt. Deshalb kann Zellſtoff aus Kohlenſäure und Waſſer nicht gebildet werden, ohne daß eine anſehnliche Sauer— ſtoffmenge frei wird. Von der Kohlenſäure und dem Waſſer, die Antheil haben an der Bildung des Zell— ſtoffs, werden aller Kohlenſtoff und aller Waſſerſtoff gebunden, in dev Pflanze fejtgelegt, wie man jich ausdrüct, während von dem Gewicht des Sauerſtoffs, da3 die Summe der Kohlenſäure und des Wajjers enthielt, mehr al3 zwei Drittel frei gemacht und von der Pflanze ausgehaucht werden. 263 Stärfmehl und Stärfegummi*), Zuder und Pflan— zenjchleim haben alle mit dem Zellitoff das Wejent: lihe gemein, daß fie nicht mehr Sauerjtoff enthalten, als das Wafjer, deſſen Waſſerſtoff in ihre Miſchung eingeht, der Pflanze zu liefern im Stande wäre. Gleichviel aljo, welcher von diejen Körpern zuerjt im Pflanzenleib aus Kohlenjäure und Waſſer entwickelt wird, ob Stärfegummi, ob Zellitoff oder Stärkfmehl, Ausiheidung von Sauerjtoff, und zwar eine jehr reichliche, ijt die durchaus erforderliche Bedingung ihrer Entwiklung. Indem die Pflanze Kohlenjäure und Wafjer in Zellitoff, Gummi, Stärfmehl verwandelt, ſcheidet ſie Sauerjtoff aus. Alte Zellwände find aber nicht bloß aus ZJellitoff, jondern außerdem aus äußeren Schichten von Holz— ſtoffen zujammengefett, die durch und um den Zell: jtoff gelagert jind. Die Holzitoffe find jpätere Ent— wiclungsitufen des Zellſtoffs. Ihr Sauerjtoffgehalt jteht dem des Zelljtoffs nah. Aus Zellitoff können die Holzſtoffe nicht hervorgehen, ohne daß von Neuem Sauerſtoff frei wird. \ Noch ärmer an Sauerjtoff ijt der Kork, der jo häufig die Wände der Zellen zujammenjetst, welche die Oberhaut überziehen. Die Kartoffeln jind von *) Dertrin. 264 mehren Schichten überdekt, deren Zellen aus Kork bejtehen. Ebenſo jind die zarteiten Pflanzenhaare und die Dornen gar häufig mit einer dünnen Korfjchichte belegt. Wenn man die harte Schale des Kerns unjerer Steinfrüchte mit Salpeterjäure kocht, dann trennen ji die Zellen von einander, die vorher durch eine Korfihichte zujammengefittet waren. Der Kork wird durch die jauerjtoffreihe Salpeteriäure auf ver— Ihiedene Verbrennungsſtufen übergeführt, zulest in Korfjäure und Bernſteinſäure verwandelt und dabei aufgelöjt (Mitſcherlich). Weil nun der Kork jehr viel weniger Sauerjtoff führt, al3 dem Verhältniß entjpriht, in welchem diejer mit Wafjerjtoff Wafler bildet, jo kann hinmwiederum der Kork aus Zellitoff nur entjtehen durch eine Entbindung von Sauerjtoff. Wenn die Wieſe grünt, die Palme ihre breite Hlätterfrone entfaltet, das Holz der Eichen jich härtet, wenn die Kartoffel ihre Schale bildet, in der Ent— jtehung des Pfirfichfernes und beim Altern des Wal- des, immer wird der Stoff an Sauerjtoif verarmt, der die Oberfläche der Pflanze erreicht, um im Lichte ausgehaucht zu werden. Zellſtoff, Stärkegummi und Stärkmehl, Kork und Holzſtoffe bilden ohne Widerrede die weitaus größere Hälfte der feſten Beſtandtheile des Pflanzenreichs. Wenn man die Pflanzenwelt häufig vorzugsweiſe als 265 die des Wachsthums, al3 das wachſende Neich be- zeichnet, jo darf man den Hauptgrund dieſes Wachs— thums juchen in einer Lockerung des Sauerſtoffs aus jeinem Verbande mit Kohlenjtoff und Waſſerſtoff, welche mit einer Ausjcheidung dejielben endigt. eben der Bildung von Zellitoff und Kork geht die von Fett und Wachs einher. Aber ſchon das Fett ijt außerordentlich viel ärmer an Sauerſtoff, al3 Zellitoff oder Stärkmehl, das Wachs noch viel ärmer als Fett. So lange die öligen Samen unreif jind, führen ſie einen bedeutenden Stärfmehlgehalt, der bei der Reife immer mehr den Fetten weicht, um end= lich jpurlos zu verschwinden. In den Oliven nehmen Zellſtoff und Gerbjäure ab, während ſich das Del vermehrt (Blondeau). Der Karbjtoff, welcher alle grünen Theile ſchmückt, ijt reichlich mit einem Wachje vermiſcht, daS zu den jauerjtoffärmiten Körpern des Pflanzenleib3 gehört. Diejes Wachs verdankt dem Stärfmehl jeinen Urſprung (Mulder). Im Zuder- rohr verwandelt jih Zucker in Wachs. Wenn aber Zuder und Stärfmehl das Fett und das Wachs im Reichthum an Sauerſtoff bedeutend über: treffen, jo iſt auch dieje Entfaltung des Stoffs in der Pflanze an Sauerjtoffverarmung geknüpft. Bil dung von Fett und Wachs ijt nicht möglich ohne Ausscheidung von Saueritoff. 266 Syn Lichte wird der Sauerjtoff entwickelt. Darum fann ji das Stärfmehl, das jich dur Abgabe von Sauerjtoff in Fett und Wachs verwandelt, nur in inneren Pflanzentheilen behaupten. Die Wurzel führt mehr Stärfmehl al3 der Stamın, daS Marf des Stengel mehr als die Oberfläche. Fackeldiſteln ent— halten im Innern ihres Marks die größten Stärke— förner. Das Stärkmehl ſchwindet im Licht. Zwiebel— ſchuppen verlieren ihr Stärfmehl, wenn jie dem Lichte ausgejetst werden. Die Korkzellen, welche die äußere Dberflähe der Pflanzen überziehen, enthalten nad Mitſcherlich Fein Stärkmehl, wohl aber Wadjs. 63 ijt die jtofflihe Gewalt des Lichts, welche unjere glänzendjten Früchte an ihrer äußerſten Oberfläche mit Wachs befleidet und Pflaumen und Pfirſiche mit ihrem duftigen Reif überzieht. Freilich liefert da3 Mechjelverhältuig zwijchen den jtärfmehlartigen Stoffen und Fetten eines der lehr— reichiten Beijpiele für das Vorkommen von Sauer— jtoffaufnahme auch in den höheren Gruppirungen der Elemente, welche das Pflanzenleben aufweilt. Denn bei der Keimung findet in weitem Umfang eine Um— wandlung des in den Samen aufgejpeicherten Fetts in Zelfitoff jtatt, und dieſe Rückkehr des Fetts zu Zellitoff jett mit Nothwendigfeit eine Verbindung des Fetts mit Sauerjtoff voraus. Der Vorgang ijt be- 267 jonders an den Samen des Wunderbaumes*) ver= folgt. Die Keimblätter. beziehen in der Form von Del aus dem Samen den Vorrath, der jih in dem Stengelden der Keimblätter und in der Wurzel, Die es fortjegt, nah und nah in Stärkfmehl, Zuder und Zellitoff ummandelt.**) Unter den jtijtoffhaltigen Stoffen ijt derjenige, der al3 der Sonne treuejter und nothwendigjter Die- ner zu betrachten ijt, das DBlattgrün, ein frühreifer Saturn, der noch vor feiner Geburt fein eigenes Lieblingsfind, den Sauerjtoff, verzehrt. Denn aus den eimeikartigen Körpern, die der Blattbildung voran gehen, Fann ji das Blattgrün nur durch Berbren- nung entwicdeln. Während lösliches Pflanzeneiweil niht ganz 22 Humdertjtel Sauerjtoff enthält, fand Mulder 33 Humdertitel, alſo die Hälfte mehr, in grünen Farbſtoff. Mehr bedarf es nicht, um zu be= weiſen, daß nicht bloß Kohlenjfäure, Ammoniak und Waſſer, jondern auch der Sauerjtoif am Aufbau der Pilanzen betheiligt ijt, da ohne Blattgrün die Orga- nijirung jener einfachen Verbindungen den Pflanzen nicht möglich wäre. Zellſtoff und Stärfmehl, Stärfegummi und Holz- jtoffe, Kork und Fett und Wachs find alle Entwick— *) Rieinus communis. ) Vol. Sachs, Lehrbuch der Botanik, 4. Auflage, Leipzig 1874, ©. 678, 679, 687. 268 lungsglieder in der Organijirung der Materie. Wenn die Entwicklung in der bier angedeuteten Reihenfolge fortichreitet, dann ijt jie von einer Fräftigen Sauer- jtoffausjcheidung begleitet. Beweis genug, daß die Ausſcheidung in der Pflanze durchaus nicht mit Noth- mwendigfeit an Rückbildung geknüpft it. Der ausge— ſchiedene Sauerjtoff ijt ein Erzeugniß der höchſten Ent» wicklung. Und doch iſt in der Pflanze eine Rückbildung vor— handen. Die langſame Verbrennung, welche im Thier— körper die Rückbildung bedingt, fehlt auch der Pflanze nicht. Aber ein großer Theil der Stoffe, die auf den unterſten Stufen der rückſchreitenden Bewegung ſtehen, bleiben im Leib der Pflanze eingeſchloſſen, und nur ein kleiner Theil ſchreitet in der Verbrennung bis zur Bildung von Kohlenſäure und Waſſer fort, die in der Pflanze als das Urbild der vollkommenen Rückbildung anzuſehen iſt. In dem Harz der Nadelhölzer iſt eine Säure, die Bernſteinſäure, enthalten, die wir durch ein kräf— tiges Verbrennungsmittel, durch Salpeterfäure, aus ettjäuren gewinnen können. Dejjaignes bat die- jelbe durch Verbrennung der Butterfäure, d. h. durch Behandlung dieſer Fettſäure mit Salpeterjäure ges wonnen. Diejelbe Säure, die wir zuerit im Harze vorweltlicher Nadelhößzer, in dem Bernjtein, kennen 269 lernten, wird in noch jest lebenden Pflanzen durch Aufnahme von Sauerjtoff gebildet, ebenjo wie jie als Berbrennungsproduft der Butterfäure im menjchlichen Harn auftreten Fann (Wöhler, Meijjner). Benzoejäure, die im Del des Spindelbaumes *) vorfommt, wird durch Verbrennung aus flüchtigen Delen, die Zimmtjäure des Perubalſams auf dem— jelben Wege aus dem Zimmtöl erhalten. Jene läßt jih dur Orydation eines fünftlich darjtellbaren Koh— lenwaſſerſtoffs, dieſe aus dem künſtlich daritellbaren Bittermandelöl, mit Hülfe der Eſſigſäure, gleichfalls ganz auf künſtlichem Wege gewinnen. Eine eigen— thümliche Säure des Thees**) und eine andere des Kaffees ***8) gehen durch eine ſchwache Verbrennung aus Gerbjäure hervor. Derjelbe Vorgang kann nah Piria den Spargeljtoff 7) in Aepfelſäure verwandeln. Spar: gelitoff und Aepfelſäure kommen neben einander in den Kartoffeln vor. In der Färberröthe ijt eine gelbe Flüſſigkeit ent— halten, die erjt durch Einwirkung der Luft in den rothen Farbſtoff des Krapps verwandelt wird. Ebenſo wird der blaßgelbe Farbſtoff des Blauholzes roth durch Aufnahme des Sauerjtoffs der Luft. *) Evonymus europæus. **) Die Boheaſäure. ***) Die Viridinſäure. 7) Aſparagin. 270 Nur im Licht kann der Sauerjtoff feinen Einfluß vollfommen entfalten (Schönbein). Daher erglüht die Farbe durch Licht und Luft. Aber wie die Farbe, jo ijt der Geruch durch Licht und Sauerjtoff bedingt. Die flüchtigen Dele, denen die Pflanzen ihren Geruch verdanfen, entwiceln dieje Eigenschaft erjt an der Luft. Und je nachdem das Licht den Sauerjtoff erregt, wird auch die Art de Geruhs nah Schönbein's Iehrreihen Verjuchen verſchieden. Wer wüßte nicht, wie wechjelnd uns die Pflanzenwelt berührt, je nachdem wir bei einer grellen Morgenbeleuchtung oder im Schatten eines wolfigen Himmels ihre Tieblihen Düfte einjaugen ? Die Verbrennung, welche den Geruch der flüch- tigen Dele bethätigt, ijt jedoch nur der Anfang einer Verwandlung, die, wenn jte weiter jchreitet, die Riech— jtoffbiloner der Pflanzen in Harze überführt. Bei weitem die größere Anzahl der Harze jind Verbren— nungsjtufen der flüchtigen Dele. Während die Harze zu einem großen Theil durch die Rinde der Bäume ausjchwigen und aljo förmlich ausges ſchieden werden, iſt ein anderer Theil in wandungslojen Kanälen, den jogenannten Harzgängen, eingejchlojien, ohne ji) an dem Leben der Pflanze zu betheiligen. N Säuren und Bajen, die zu den organiihen Stoffen ‚gehören, finden fi in der Pflanze jehr gewöhnlich in 271 eigenen Höhlen, gleichjam abgejhieden von dem Stoff: wechjel, durch welchen die Zellen ringsumher mit einan— der in dem lebendigſten Verkehre ſtehen. Kleejaurer und weinſaurer Kalk finden ſich bejonders häufig in Zellen alter Fackeldiſteln abgelagert, jie bilden Kryitalle, welche dem Wechjel der in organijirten Formen aufs tretenden Stoffe entzogen find. Das Berhältnig wird noch deutlicher an den Kryſtällchen von kleeſaurem Kalk, die an der Oberfläche von Pilzfäden wahrges nommen werden oder in dem Zellgerüſt der fallenden Herbitblätter angehäuft find. Kryftallinifche organiſche Stoffe jind im Gegenjat zu den organijirten gleihjam zur Ruhe gekommen. Das raſtloſe Leben, welches die Menge des Eiweißes in jungen Zellen bejtändig vermindert, ihren Zellſtoff in Holzjtoffe und Kork, ihr Stärkmehl in Fett und Wachs, oder Fett in Stärfmehl, Zuder und Zell ftoff verwandelt, ſchreitet an diefen Kryſtallen vor— bei, die in ihrer Abgefchiedenheit al3 todter Rückſtand der wechſelvollen Thätigfeit in der Pflanze aufbewahrt werden. Darum iſt es jo bezeichnend für die Stelle, welche die hierher gehörigen Stoffe im Pflanzenleben ein— nehmen, daß Säuren und Bajen, manche Harze und Farbitoffe vor vielen anderen organijchen Körpern die Fähigkeit bejigen, Kryſtallform anzunehmen. 272 Sp lange der organiihe Stoff als Gemwebebildner auftritt, ijt er weder fauer noch baſiſch; es Fehlt ihm der jcharf ausgeprägte chemiihe Charakter, welcher Säuren und Bajen neben ihrer Kryjtallifationsfähig- feit auszeichnet. Der Musfeljtoff*) in den Muskeln, das Eiweiß alter Zellwände der Pflanzen, Zellitoff und Kork jind weder jauer noch baſiſch. Kohlenjäure, Fleiſchbaſis und Harnjäure find dagegen mit den chemiſchen Merkmalen begabt, nach melden jie als Säuren oder Baſen benannt werden durften. Man fennt die Kohlenjäure und die Fleiſchbaſis wie die Harnjäure in kryſtalliniſchem Zujtand. Die meilten Stoffe, die Kryjtallform annehmen können und zugleich durch deutlich ausgeprägte. jaure oder baſiſche Eigenjchaften eine runde, chemiſch abge= ſchloſſene Verfaſſung nebſt einer geringeren Beweglid)- feit ihrer Eleinjten Theilchen an den Tag legen, jtehen an der Grenze des organischen Stoffwechſels, ſie jind Stufen des Verfalls. Ein großer Theil dieſer Stoffe geht in der Pflanze wie im Thier aus der Ginwirfung des Sauerjtoffs auf die Gemebebildner hervor. Andere entjtehen als jauerjtoffarme oder wohl gar jauerjtofifreie Körper neben Erzeugnifjen, die allen Sauerjtoff, der die Rück— bildung bewirkte, für ji in Anjpruch nehmen. 63 *) Myoſin. 273 fönnte 3. DB. aus fetten Säuren ein jauerjtofffreies flüchtiges Del neben der jauerjtoffreicheren Bernitein- ſäure gebildet werden. Sp wären denn Säuren und Bajen, viele Farb— jtoffe, Harze und flüchtige Dele Erzeugnijje der Rück— bildung in der Pflanze, wie im Thier die Kohlenjäure und die Fleiſchbaſis, die Harnjäure, der Harnſtoff und der Fleiſchſtoff. Wie dieſe können fie in der Pilanze in überaus wecjelnder Menge vorhanden jein, ja jie fünnen je nad den äußeren Umjtänden auch wohl ganz fehlen. AS Grzeugnijje der Rückbildung find fie Folgen des Lebens, ohne deshalb immer als nothwendige Bedingung dejjelben betrachtet werden zu können. Man begreift daher, dal; diefe Stoffe nicht zu den allgemein verbreiteten Pflanzenbejtandtheilen gehören, jondern bejtimmten Gattungen oder Ord— nungen eigenthümlich jind. Bei Thieren, die nur von Pflanzen leben, und einigen Nleifchfrejiern, den Katzen zum Beifpiel, fehlt die Harnfäure im Harn. So vermißt man in den Kartoffeln die Kartoffelbajis*), wenn jene im Acer eine hinlängliche Menge anderer Bajen vorfinden, wäh: rend im Keller feimende Knollen mit dem giftigen Kar: toffelftoff gejhmwängert werden. Dem Scierling der *) Solanin. 18 274 ajiatiihen Steppen geht die Schierlingsbajis*) ab, Die Bajen der Chinarinde**) können durch Kalk, eine Säure des Mohnjafts***) durch Schwefelſäure vertreten werden. Kalk und Schwefeljäure gelangen al3 Nahrungsitoffe in die Pflanze. Durch die Nah— rung aljo werden die Rückbildungsſtoffe verändert, ganz ebenjo wie reichlihe Pflanzenkoſt im Harn von Menſchen und Thieren jtatt der gewöhnlichen Harn— ſäure Pferdeharnjäure ) erzeugt und die jaure Be— Ichaffenheit der ausgejchiedenen Flüſſigkeit einer alfa= liſchen weichen macht. Es iſt eine Folge der ſcharf ausgeprägten chemi— ſchen Merkmale, der rund abgeſchloſſenen Verfaſſung der Stoffe, die der Rückbildung angehören, daß die Kunſt des Chemikers ſie leichter nachahmt, als die mit beweglicheren Theilchen verſehenen organiſations— fähigen Stoffe, die wir als die vorzüglichſten Gewebe— bildner kennen. Von Liebig's ſchöner Forſchung über den Harn war ſchon früher die Rede. Es gehört zu den beſten Früchten jener fruchtbaren Arbeit, daß Liebig mit Wöhler die Möglichkeit entdeckte, den Harnſtoff dar— *) Coniin. **), Chinin und Cinchonin. +), Mekonſäure. 7) Hippurſäure. 275 zuftelfen ohne Hilfe eines lebenden Thiers. Dies gelang durch Vermiſchung von jchwefelfaurem Ammo— niaf mit cyanjaurem Kali. Ammoniak verbindet jich mit der Gyanjäure zu Harnitoff, während nebenher Ihwefeljaures Kali gebildet wird. In dem jtinfenden Gänjefuß*) iſt nah Deſſai— gnes eine organiiche Baſis enthalten, Die ich nach dies jem VBorfommen Gänjefurbajis**) nennen will. Wide und Wittjtein berichten das Vorkommen derjelben Berbindung in den Knospen und Blüthen der Birnen, des Weißdorns und der Vogelbeeren***). Aber dieſe Baſis gehört zu der Reihe von Alfaloiden, melche Wurtz in einer genialen Unterjuchung über die zu: jammengejeßten Ammoniafarten mit Hülfe von Kalt aus cyanſauren Aetherverbindungen darjtellen Lehrte. Man hatte die chemiſche Verfaſſung der Gänſefußbaſis erkannt, den Weg gefunden, jte Fünjtlich zu bereiten, ja Wertheim Hatte jie durch Dejtillation einer Baſis des Mohnjaftes 7) wirklich dargejtellt, bevor man jie in einer lebenden Pflanze aufgefunden hatte. Darum it es von weit höherer als bloß ortbejchreibender Bedeutung, daß Dejjaignes diefen Stoff im jtin= *) Chenopodium Vulvaria, **) Trimethylamin. ***) Pyrus communis, Crataegus Oxyacantha, C. mono- gyna, Sorbus aucuparia., 7) Des Narkotins. 18. 276 fenden Gänſefuß und Wittjtein vorzüglid in den Knospen von Pflanzen, die zur Familie der Aepfel- bäume gehören, nachgemiejen haben. Sp iſt es in neuerer Zeit Hofmann, einem Forſcher, der ein nahe verwandtes Feld ebenjo glüd- ih anbaut wie Wurtz, gelungen, unter künſtlichen Baſen, die er aus Alfoholarten bereitet, ‚einen Stoff zu gewinnen, der in den Gewichtsverhältnifien jeines Stickſtoffs, Kohlenſtoffs, Waſſerſtoffs und Sauerjtoff3 mit dem wichtigſten Chinaſtoff*) übereinſtimmt. Ob— gleich hiermit noch kein Chinaſtoff dargeſtellt iſt, ſo liegt doch wieder eine Thatſache vor, die uns beweiſt, daß die innere Verfaſſung von Baſen und Säuren wegen ihrer chemiſchen Artbeſtimmtheit unter den orga— niſchen Körpern verhältnißmäßig leicht zu erforſchen iſt. Für die Säuren iſt der Beweis dieſes Satzes ſo zu ſagen in erſchöpfender Weiſe gegeben. Die am meiſten verbreiteten hat man aus den Elementen künſt— lich darſtellen gelernt. Jene hautreizende Säure, welche die Haare der Brennneſſeln mit den Ameiſen gemein haben und die man nach letzteren Ameiſenſäure nennt, entſteht, wenn man Kohlenoxyd und Kaliumhydrat auf 100 erhitt. **) *, Chinin. *E) Kohlenoryd Kaliumhydrat Ameiſenſaures Kalium J to a7 Bon der Ameiſenſäure gelangt man zur mehrfach erwähnten Kleefäure, wenn man jte mit überjchüfligem Baryt erhitt. Es zerlegt jih dann in einfacher Weiſe die Ameijenjäure in Kleeſäure und Waſſerſtoff.*) Wie hier die Ameijenjäure als Ausgangspunkt für die Bildung der Kleeſäure dient, die man aber noch einfacher auf andere Weije gewinnen kann, jo fann ung die Bernfteinfänre zur Aepfel- und Weinſäure führen. Die Bernfteinfäure aber läßt fi au den Grund- Itoffen aufbauen. Zu diefem Behuf bedürfen wir zus nächſt eines aus Kohlenjtoff und Waſſerſtoff zuſam— mengeſetzten Gaſes, das ſich bei der unvollſtändigen Verbrennung organiſcher Stoffe entwickelt und ſich durch ſeinen unangenehmen Geruch bei qualmenden Lichtern verräth, weshalb ich es Qualmgas**) nen— nen möchte. In ſehr hoher Wärme entſteht es durch die unmittelbare Vereinigung von Kohlenſtoff und Waſſerſtoff. In dunkler Rothglühhitze kann man das Qualmgas zwingen, ſich mit mehr Waſſerſtoff zu öl— bildendem Gaje***) zu verbinden, wobei ſein Waſſer— ſtoffgehalt verdoppelt wird.) Oelbildendes Gas, das 9 Ameijenjäure Kleefäure Wafierftoff, 2 (© H> 03) == CeHæ O⸗ + 2 H. **) Acetylen. Fer), Aethylen. 9) Qualmgas (Acetylen) Waſſerſtoff ölbildendes Gas (Aethylen) Cs Ha; + Pal — Cs H.. jeinen Namen der Gigenjchaft verdanft, mit Chlor eine ölige Flüſſigkeit zu bilden, vereinigt ſich aud) leiht mit Brom*), und aus der Bromverbindung ent- Iteht, wenn jte auf Cyankalium einwirft, die ent- iprechende Gyanverbindung.**) Wenn man aber das mit Cyan verbundene ölbildende Gas mit Kalilauge kocht, dann entjtehen, unter Waſſeraufnahme, Bern— jteinfäure und Ammoniak. ***) So hätten wir die Bernjteinjäure, in welcher ji) ein oder zwei Atome Wafjerjtoff durch Brom erjegen lajien, jo daß eine Ginfach- und Zweifah-Brombern- jteinfänre entjtehen. +) Werden aber dieje Brombern- jteinfäuren mit Silberoryd und Waſſer gekocht, dann wird je ein Atom des Broms dur die aus einem Atom Sauerjtoff und einem Atom Waſſerſtoff beite- hende Gruppe +7) erjeßt, und jo entiteht aus der Ein— fah-Brombernfteinjäure die jaueritoffreihere Aepfel- jäure, aus der Zmweifah-Bromberniteinjäure die noch *) Vethylenbromid, C- Hı Bra. **) Aethylenchanid, Ca Hs (CN):. **) Aethylencyanid (mit Cyan verbundenes ölbildendes Gas) Waſſer - Berniteinjäure Ammonial C H. (CN) + 4H0 = (, H 0O. — 2 NH:». +) Einfach Bromberniteinfäure, C. Hs BrO.. Zweifach Bromberniteinjäure, C. Hı Bra O.. 17) Ovdroryl = OH. 20) fauerjtoffreichere Weinfäure *), während ji) das Brom mit dem Silber verbindet. Hiermit iſt aljo gezeigt, wie man auf fünjtlihem Wege die Grundſtoffe zur Berniteinfäure, zur Aepfel- und Weinjäure zuſammen— fügen kann. Aber Aepfel- und Weinjäure gehören zu den verbreitetiten Säuren unjerer Früchte, und wie ſich die erjtere al3 eine jauerjtoifärmere VBorjtufe der letsteven betrachten läßt, ſo kann umgekehrt durch Sauer- jtoffentziehung die Weinjäure erit in Aepfelſäure und dieje in Bernſteinſäure zurück verwandelt werben. Schweizer hat mit Bejtimmtheit nachgewiejen, daß das Del des Spindelbaums die früher jo oft ohne hinlängliche Beweismittel im Pflanzenreich verkündigte Eſſigſäure, gebunden an Oelſüß, enthält, und nad) Kolbe’s Entdeckung läßt ſich Chlorkohlenſtoff in Chloreſſigſäure und dieſe in Eſſigſäure verwandeln. Wir ſind alſo im Stande, jene Säure des Spindel— baums aus rein anorganiſchen Stoffen künſtlich dar— zuſtellen. Und nicht etwa bloß auf die angegebene Weiſe. Man braucht zum Beiſpiel nur Weinſäure und Kaliumhydrat zuſammenzuſchmelzen, um Eſſigſäure und Kleeſäure zu erhalten, von der Gewinnung der erſteren =) Einfad)-Brombernfteinfäure Brom Hydroxyl Aepfelſäure H; Br O. — Br + OH = (% Hs O5. Zweifad)-Brombernfteinfäuve Weinjäure 0% H. Bra OÖ, — Br + 20H = C Hs Os 280 aus Alkohol, den Berthelot gleihfall3 aus den Grundſtoffen bereiten lehrte, für jest gar nicht zu reden. Kann man doch Dualmgas mit Sauerjtoff und Waſſer geraden Weges zu Eſſigſäure verbinden *), oder Kohlenjäure mit Natriummethyl zu ejjigjaurem Natrium **). Kurz, es iſt bis heute für die Erzeugnijje der Rückbildung bezeichnend, day ihre ſcharf ausgeprägte chemiſche Beichaffenheit es dem Chemifer erleichtert, einen tieferen Blif in das Geheimniß ihrer Verfaſſung zu werfen. Wenn Liebig's Hoffnung nit zu kühn it — und ich theile jie mit vollem Bewußtſein —, dak wir dereinjt im Stande fein werden, Eiweiß dar- zuftellen ***), aljo den Stoff, der auf dem Gipfel orga- niſcher Miſchung jteht, jo dürfen wir gewiß ermar- ten, daß die Kunjt, die Stoffe des Verfalls orga= niiher Weſen zu bereiten, zu jenem Ziele die Vor— ſchule jein wird, Wo wir die Blicke Hinwenden, wenn wir das rajtloje, und man darf es wohl dankbar jagen, das geiltvolle Treiben in der organiſchen Chemie verfolgen, 5) Acetylen Sauerftoff Waſſer Eijjigiäure Ce H; — 0 + H, OÖ = C, Hı © **) Natriummetbyl Koblenfäure Eſſigſaures Natrium CHNa + (CO: = 0% H; Na O-. **) Liebig, Chemiihe Briefe, vierte Auflage, Leipzig und Heidelberg, 1859, ©. 25. 281 begegnen wir Ummandlungskünjten in der Werfitatt des Chemifers, die uns zu jeder Hoffnung beredtigen. Die Phyjiologen waren noch in der Freude befangen, dag man durch zweckmäßige Verbrennung der eimeiß- artigen Körper die ganze Reihe der flüchtigen Fett— jäuren gewinnen kann, da lehrte und Deville Ter- pentinöl in Gitronenöl, und Hlaſiwetz Senföl in Salbeiöl, Stinfafandöl in Senföl verwandeln. Durch) verhältnißmäßig einfache Kunitgriffe fann man dem widerlih riechenden Terpentinöl den Lieblihen Duft nad Hyacinthen (Wiggers) oder auch den Geruch nad Thymian oder nach Nosmarin ertheilen. Aus Holzgeiit und einer Säure, die wir aus dem Bitterjtoff *) der Weidenrinde gewinnen, ijt nach Cahours das Liebliche flüchtige Del des Fanadiichen Thee’3 **) zufammengejeit, und beide dieje Stoffe lajjen ſich Fünjtlih aus den Glementen aufbauen. Schon it man jo weit, in den duftigjten Früchten Verbin— dungen von Aetherarten mit organijchen Säuren ver: muthen zu dürfen. In den Quittenſchaalen findet ſich wahrjcheinlich derjelbe Aether, der in allen Weinen vorkommt und nach einer Unterfuhung von Delffs aus Roſenkrautſäure und Aether bejteht. ***). Noch *) Galicin. **) (raultheria procumbens. Das Del iſt nah Cahours falicyljaures Methylorvd. **) Melargonjaures (früher önanthjiaures) Aethyloryd. 282 En ein Schritt weiter, und es gelingt dem Scheidekünſt— ler, entlegene Stoffe zujammenbindend, den würzigen Duft jhmadhafter Früchte mit Netorten und Wein- geijtlampen hervorzuzaubern. Und in der That, das Wiſſen tjt bereits aus der Werkſtatt der Scheide- fünjtler in die Küche der Zucerbäder gewandert. Der rojenfrautfauve Aether wird als jogenanntes Traubenöl verwendet, und Berbindungen von Eſſigſäure, But- terjäure und Baldrianjäure mit Amyloryd, einem äther- ähnlichen, aber an Kohlenjtoff und Waſſerſtoff reicheren Körper, ertheilen unjerem Zuckerwerk die Tiebliche Würze von Birnen, Aepfeln und Ananasfrücdten. Unter den flüchtigen Delen hat man den Haupt— beitandtheil eines der mwürzigiten, des Zimmtöls näm— li), aus den Grumdjtoifen aufbauen gelernt. Auch hierzu geht man, wie bei dem Fünjtlihen Aufbau der Bernjteinjäure, von Dualmgas aus. Wird diejes einer hohen Wärme ausgeſetzt, jo bildet ſich Benzin, das jih mit noch unverändertem Qualmgas zu einer neuen Kohlenwaijeritoffgruppe vereinigt.*) Dieje zerfällt unter Aufnahme von Wajferjtoff wieder in Qualmgas und einen Kohlenwaſſerſtoff, der gleich viel Wajlerjtoff enthält wie die zulett erwähnte Gruppe, cSer ein Atom *) Styrol oder Cinnamol. Dualmgas (Achtelen) Benzin oder Benzol. 3 C H: — Cs H.. Dualmgas (Acetylen) Benzin Styrol oder Einnamol Cs Hs. I C: H⸗ + Cs Hi 283 Kohlenjtoff weniger.*) Diejen Kohlenwaflerjtoff nen— nen die Chemiker Toluol. Er entläßt unter Einwir— fung von Chlor in der Siedhitze zwei Atome Waſſer— ftoff, an deren Stelle zwei Atome Chlor eintreten, die jich ihrerjeit3 Durch ein Atom Sauerjtoff verdrängen lafien, jo daß aus dem Toluol Bittermandelöl hervor- geht.**) Aber Bittermandelöl verbindet jich mit dem an Wajjerjtoff verarmten Alfohol, den die Chemiker Aldehyd nennen, zu dem Hauptbejtandtheil des Zimmt— öls, dem Ginnamylaldehyd, wenn man beide Körper in Gegenwart von etwas Salzjäure erwärmt. ***) Im Angefiht der obigen Betrachtungen, von wel— hen die eine die andere beleuchtet und ergänzt, ſcheint mir die Annahme nicht erſchlichen, daß DBajen und Säuren, flüchtige Dele und Xetherarten, Farbſtoffe und Harze in der Pflanze auf verjchiedenen Stufen der Rückbildung jtehen. Daraus joll nicht gefolgert werden, daß die, be= #) Styrol Waſſerſtoff Qualmgas Toluol (Acetylen) 2 Cs Hs 2H — Ca Hs -L 2 C Hs. 2) Toluol Chlor Zweifad)- Waſſerſtoff Chlortoluol Cr Hs + 2 Cl: — Cr Hs Ol: + 2 H Zweifachchlor⸗ Quedfilber- Bitterman⸗ Queckſilber— toluol oxyd delöl chlorid C; Hs Cle + Hg Ö —u L&S 0) + Hg Ole. *9 Bittermandelöl Aldehyd Cinnamyl⸗ Waſſer (Benzoylaldehyd) aldehyd Cr HB; O + Cs H,O — Cs H; OÖ + H: O. 254 “treffenden Stoffe nur dur Aufnahme von Sauer- jteff aus anderen organiſchen Körpern in der Pflanze hervorgehen. Mehr noch als die jauerjtofffreien unter den flüchtigen Delen, die aus einer mit Sauerjtoff- aufnahme verbundenen Spaltung fohlenjtoffreicherer Stoffe entjtehen könnten, jpricht dagegen die allge- meine Thatſache, daß diejelben Stoffe verjchiedenen Urjachen ihre Entwicklung verdanken. Wenn auch die Fette zum Beiſpiel gewöhnlich unter Abſcheidung von Sauerjtoff aus jtärfmehlartigen Körpern hervorgehen, jo find wir doch gezwungen, auch umgekehrt die Entſtehung von Stärfmehl aus Fett anzuerfennen, die ohne Be— veicherung de3 letzteren an Sauerjtoff nicht möglich wäre. Wenn nun in der Pflanze die allmälige Sauer- Itoffverarmung in hohem Grade über die Verbren- nungsvorgänge vorherricht, wenn wir geitehen müſſen, daß wir bisher unbekannt find mit den Zwiſchenſtufen, die von Kohlenjäure und Waſſer zu Stärkmehl und Zelfjtoff führen, jo ijt gewiß die Anjicht nicht wider— finnig, daß die organijchen Säuren eben jenen Zwi— ſchenſtufen entjprechen fönnten. Nach Liebig it der Stoff auf der Stufe der Pflanzenjäuren nicht im Zerfallen, jondern im Aufbau begriffen. Indem Koh— Tenfäure und Waſſer allmälig ärmer werden an Sauer: ftoff, jollen erjt Kleefäure, dann Weinjäure, Aepfel: fäure, Gitronenfäure, zuleßt aus den Säuren ZJuder 285 entitehen. Dagegen ijt aber zu erinnern, da wenn die, Srüchte reifen, es in der Mehrzahl der Fälle nicht ihre Säure ift, die jich in ZJuder verwandelt, denn neben dem Zuder nimmt auch die Säure zu (Berard). Die Frucht wird nichtsdeſtoweniger ſüß, weil jich die Menge des Zuckers verhältnigmäßig jtärfer vermehrt, jo zwar, daß der Zuder die Säuren einhüllt. Hieran ſchließt ſich die lehrreiche Thatfache, das in unveifen Trauben die jauerjtoffärmere Aepfeljäure der jauerjtoffreicheren Weinjäure vorangeht (Schwarz). Es ijt oben mitgetheilt worden, daß in der Pflanze Nachts die langjame Verbrennung ohne Zerſetzung von Kohlenjäure jtattfindet. Um jo bezeichnender ijt es, daß die Blätter einiger Pflanzen“), welche um die Mittagszeit gar feinen und Abends einen bitteren Geſchmack hatten, Morgens mit einem jcharf jauren Geſchmack verjehen jind. Nur von der Gerbjäure ijt es wahrjcheinlich, daß fie beim Reifen mander Früchte in Zucker und Gal- lusſäure zerfällt, da Streder ung gelehrt hat, wie wir duch Kochen mit verdünnter Schwefeljäure die Gichengerbjäure in jene beiden Stoffe jpalten können. Ehen diefe Zerlegung hat De Bary in Gerbjäures löjungen beobadtet, in welchen Bilzfäden untergetaucht waren. Daß in den Früchten eine ſolche Spaltung *) Cacalia fieoides, Cotyledon calyeina. 256 wirklich erfolgen dürfte, wird. noch viel wahrjcein- liher durh die Erfahrung Robiquet's, nad welder es in den Galläpfeln diejelbe Hefe, die in den Früchten vorfommt*), fein joll, welche Die Umſetzung der Gerbjäure in Gallusjäure und Zuder bewirkt. Es ſcheint jich hier um eine allgemeine Eigen— haft der Gerbjäure zu Handeln, da Streder von der Gatechugerbjäure und Hlajimwet von der Chino— vagerbjäure nachgewiefen haben, daß jie zu den ge- paarten Zucerverbindungen gehören. Nur hüte man fh, vorjchnell anzunehmen, daß für die Früchte, deren herber Geſchmack in unveifen Zujtänden an Gerbjäure erinnert, der Hauptoorgang des Neifens auch wirk- ih in einer Umwandlung von Gerbjäure in Zuder und Gallusſäure beſteht. Selbjt unreife Birnen ent: halten Feinesweg3 vegelmäßig Gerbjäure (Berard), obgleich die ſchwarze Farbe, die jie oft den Meſſern ertheilen, anzudeuten jcheint, dag dieſe Säure häufig darin vorkommt. Im Gegenjat zu dem hier angenommenen Vers halten in den Früchten wird in manchen ausdauern- den Winterblättern, die eine rothe oder vothhraune Farbe annehmen, die Gerbjäure in Kugeln abgelagert, welche al3 Träger der vothen oder gelben Farbſtoffe r). Beltaje. Es ‘ 257 eriheinen (Kraus). Die Karbitoffe ſelbſt dürften unter Sauerjtoffaufnahme aus dem Gerbitoff hervor- gehen, da ji ein Gallapfel, der in Wafjer, das etwas fohlenjauren Kalk oder Fohlenjaure Magnejia enthält, untergetaucht ijt, nad) und nad) mit einem grünen, blauen, rothen und ſchwarzen Kreiſe umgiebt, wobei die Gerbjäure Sauerjtojf aufnimmt.*) Hier, wie in den DOberhautzellen der Keimblätter des Wun— derbaums, jcheint jich die Gerbjäure an dem Auf— bau der Pflanze nicht weiter zu betheiligen. Betradtet man die Mehrzahl der Säuren und Bajen, mit Ausnahme des Blattgrüns, die Farb— ſtoffe und Xetherarten, flüchtige Dele und Harze als Erzeugnijje des rücdildenden oder als Nebenerzeugniſſe des anbildenden Stoffwechſels, dann ergiebt jich hier ein neuer Unterjchied, der in einer jehr bezeichnenden Weiſe die Pflanzen den Thieren gegenüberjtellt. Wäh— rend das Thier alle Stoffe des DBerfall3 jo raſch ausjcheidet, dak man Mühe hat, diejelben zu ereilen auf der großen Heerſtraße des Bluts, die jie alle durchwandern, entwicelt und bewahrt die Pflanze Riechſtoffe und Farbitoffe in dev Blüthe ihres Lebens, und wir finden Säuren, Bajen und Harze in Zellen bleibend abgelagert, an welchen kaum noch eine Lebens— *) Dal. Liebig, Handbuch der organiichen Chemie, Heiz delberg 1843, ©. 485. + 2 285 thätigfeit wahrzunehmen ift. Kine der Dammjäure ähnliche Säure*) findet jich in den herbitlichen Blät- tern und nah Mulder im harten Holze des Kerns der Steinfrühte. Dieſe Säure ijt jonjt nur Erzeug— nig der Verweſung und gehört auch in der Pflanze unftreitig der Rückbildung an. Es herrſcht überhaupt bei der Pflanze ein viel weniger feindlicher Gegenſatz zwiſchen den Bejtand- theilen der Gewebe und den Grzeugnijjien des Ber: falls, zwijchen Leben und Verweſung, als beim Thiere. Lange trägt der Baum innerhalb der herbitlichen Blät- ter ſchwarzbraune Stoffe der Dammerde mit ji), bevor da3 fallende Laub jeine Bejtandtheile der Muttererde zur volljtändigen Verweſung und zugleich zur neuen Nahrung der Wurzeln überantwortet. Diele für die Pflanze unmittelbar verwendbare Stoffe, phosphor= jaure Salze und Eiweiß, aufgelöjtes Stärfmehl und Blattgrün, waren vorher durch die Blattſtiele in den Stamm gewandert, während Eleejaurer Kalt, als Rüde jtand des Beitrags, den jchwefeljaurer Kalk zur Eiweiß— bildung lieferte, und vermwejender Zellſtoff die fallenden Blätter als der Nücbildung gehörig bezeichnen. Der Unterjchied, der die pflanzlichen Stoffe der Rückbildung der Kohlenfäure und dem Harnſtoff des Thiers gegenüberjtellt, ijt jedoch nicht damit erjchöpft, *) Wlminjäure, 289 daß dieje Auswurfsſtoffe find, während jene für längere Zeit in der Pflanze verweilen. Die fraglichen Körper find auch der Art nach verjchieden, jie find verjchie= den durh Entwicklung und Zujammenjegung. Und diejer Unterſchied läßt ji) mit Einem Worte bezeich- nen. Die Einwirkung des Sauerjtoffs ijt bei der Bildung der pflanzlichen Stoffe viel weniger thätig, al3 bei der DBerbrennung der thierifchen Gewebe zu Kohlenſäure und Harnftoff, wenn es auch fejtjteht, day in der Pflanze gleichfalls Kohlenjäure gebildet wird. Diele flüchtige Dele enthalten gar feinen Sauer jtoff, die meiſten Bajen und manche Farbſtoffe ver- hältnigmäßig wenig, und jelbjt der jauerjtoffreichite Körper, der unter den eigentlichen Pflanzenjäuren aufs tritt, die Kleeſäure enthält für die gleiche Kohlenſtoff— menge im wafjerfreien Zuſtande nur drei DBiertel jo viel Sauerjtoff wie die im Thierkörper jo reichlich, in der Pflanze in verhältnigmäßig geringer Menge ent= jtehende Kohlenjäure. Um jo wichtiger bleibt es, daß gerade die Jauerjtoffreichjten Verbindungen unter den Körpern gefunden werden, welche ich hier für die rückbildende Thätigfeit der Pflanze in Anſpruch nehme. Die Kleeſäure beſitzt den höchſten Sauerjtoffgehalt unter den Pflanzenjäuren, und während die Alfaloide, die alle jticjtoffhaltig find, meijt weniger Sauerjtoff ent— halten al3 die eiweihartigen Körper, und einige, wie 19 290 die des Schierlings*) und Tabafs**), gar feinen Sauerjtoff bejiten, fönnen Solanin und Narcotin nur durch eine Bereicherung eiweihartiger Körper an Sauer— jtoff gebildet werden. Man Hat Schon oft und aus guten Gründen ges fümpft gegen die übertriebene Sucht, im Leben der Pflanze überall dem Thierleben entiprehende Erſchei— nungen zu finden, und namentlihd Schleiden hat ung in diefer Hinjicht von vielen unglüklihen Vorſtellungen befreit. Nach den obigen Betrachtungen darf es mohl noch einmal hervorgehoben werden, dak aud im Stoff- wechjel höchſt bezeichnende Unterjchiede auftreten. Was vom Thiere ausgefchieden wird, jind Stoffe der Rück— bildung; der Sauerjtoff, den die Pflanze jo reichlich aushaucht, ijt im Gegentheil ein Erzeugnig der Ent— wicklung. Und während das Thier die Säuren und Bajen, und die zwijchen beiden jtehenden gleichgül- tigen Stoffe, die aus dem Verfall feiner Gewebe her— vorgingen, in jehr kurzer Zeit aus jeinem Körper ausſtößt, ſehen wir die Pflanze eine ganze Neihe von Verbindungen, die in ähnlicher Weife einer vüdbil- denden Thätigkeit ihre Entjtehung verdanken, in ihrem Leibe aufbewahren. *) Coniin. **) Nicotin. — — 291 Wer die Pflanzenwelt mit Tebensfujtigen Augen anfchaut, muß diejen Stoffen der Rückbildung eine ganz bejondere Theilnahme jchenfen. Wir finden unter denjelben die Würzen, die den Gaumen reizen, die Düfte, an denen jich der Niechnerve und die Erin- nerung ergößen, die Farbenpracht, die unjer Auge entzükt. Wie viele Speifen verdanfen einer Eleinen Menge Zimmtöl oder Gemürznelfenöl eine Verbeſſe— rung des Gejhmads, zu dejien Genuß jchon der Ge— ruch uns einladet, während weniger als ein Quentchen Farbſtoff dazu gehört, die Blätter einer mäßig großen Linde mit dem jaftigjten Grün zu jchmücen. Gewiß, wir dürfen ung nicht wundern, das Miſt— käfer und Thiere höherer Ordnung Aas und Aus— wurf verzehren, daß die ganze Pflanzenwelt lebt von den Ausjcheidungen der Thiere, da wir uns jelbjt ergögen an dem, was durch das Leben der Pflanzen untergegangen iſt und mit Harn und Koth diejelbe Bedeutung hat. Ohne die allgemein verbreiteten Bejtandtheile der Pflanzen, ohne ihr Eiweiß und Stärfmehl, ihren Zell: ftoff und Gummi, wäre unfer Leben nicht möglich. Ein großer Theil der lieblichiten Sinnenreize haftet auf den niedrigjten Entwicklungsitufen pflanzlichen Lebens Und wenn wir fränfeln, heilen wir ung mit den in der Pflanze verweilenden Erzeugniſſen dev Rückbildung. 19. 232 Kein Theil der Chemie hat dem Heilfünftler größe- ren Nuben gebracht, als die genauere Erforſchung des in den Pflanzen angejammelten Koths. Wenn wir in den meijten Fällen jtatt der Chinarinde dem Kranken nur einen Bejtandtheil derjelben, den China- jtoff geben, erjparen wir ihm nicht nur die Verdauung vieler nußlojer Stoffe, jondern wir jind auch im Stande, mit genau befannten Gewichtsmengen auf den Körper einzumirken, während in demſelben Gemicht der Ninde jehr wechjelnde Mengen des mirfjamen Stoffs vorhanden ſind. Mohnſaft kann ſchwach wirken und kräftig, wenn ich aber den wirkſamen Stoff des Mohnſafts abſcheide und ihn wäge, dann bin ich meiner Wirkung inſoweit gewiß, als ſie eben von dieſem Stoffe abhängig iſt. Und nur durch Wägung des Arzneimittels laſſen ſich ſichere Erfahrungen gewinnen. Vor vielen Jahren hat uns Bretonneau gelehrt, daß Eine große Gabe des Chinaſtoffs Wechſelfieber rascher und billiger heilt, alS viele Kleine Gaben. Cine jolhe Erfahrung war mit der ungetheilten Chinarinde faum möglich. Der Koth des Chinabaums heilt franfe Menjchen, und Schiffe Falfatert man mit Harzen. Genuß und Heilung und Verkehr, ſie alle werden gefördert durch die Rückbildung der Pflanzen, wie das Leben diejer durch den Auswurf dev Thiere. 2; ” x 293 Aber auch die Pflanze jelbjt verdankt der Rück— bildung ihrer Bauftoffe, wenn auch auf Umwegen, eine wejentliche Förderung ihrer eigenen Entwicklung. Es wird dies in all den Fällen offenbar, in welchen Inſekten, angeloct durch den Wohlgeruch der Blüthen, aus deren Neftarbehältern ſüße Säfte jchlürfen und, fih zwifchen den Staubgefäßen durchwindend, ihren Körper mit Blumenjtaub beladen, den ſie auf Die Narben anderer Blüthen übertragen, die Befruchtung vermittelnd, die jelbjt in ZJwitterblüthen ohne äußere Hülfe oftmals nicht vollzogen wird. Oder es jind Bögel, die wohlſchmeckende Früchte genießen und, nach: dem deren nahrhafte Hülle in ihrem Darmkanal auf: gelöjt worden, die Samen entleeren und deren Aus— ſaat bejorgen. Dbgleih die Pflanze zum Theil ausjcheidet, was aus Entwicklung hervorging, und aufbewahrt, was in rücjchreitender Bewegung des Stoffwechjels be= griffen ijt, fehlt es doch nicht an Stoffen, die, zus gleich der Nücbildung und der Ausjcheidung ange= hörend, al3 wahre Auswurfsſtoffe dev Pflanze be= trachtet werden müſſen. Zunädjt wird ein Theil der oben bejprochenen Erzeugniffe der Rückbildung wirklich ausgejchieden. Die viechjtoffbildenden Dele, einzelne Bajen, wie die des Schierlingd, des jtinfenden Gänſefußes und der 294 Birnblüthen, die Ameijenjäure der Brennnefjeln und Wachholderbeeren jind flüchtig und können deshalb unter Umjtänden von der Oberfläche der Pflanze ent= weichen. Dies erfolgt jedoch nicht imuner, weil die flüchtigen Bajen und Säuren in der Pflanze verbleis ben, wenn jene durch ihre Verbindung mit Säuren, dieje durch Baſen fejtgelegt jind. Wenn wir aber den baljamijchen Geruch unjerer Blumenbeete einjchlürfen, athmen wir wahre Auswurfsjtoffe der Pflanzen ein. Ausgejchieden wird ferner ein anjehnlicher Theil des verdunftenden Waſſers, und zwar namentlich an der unteren „Fläche der Blätter. Nah Garreau’3 Verſuchen wird manchmal von der unteren Fläche der Blätter ebenjoviel, öfters aber dreimal, in jeltneren Fällen jogar fünfmal ſoviel Waſſer verdunjtet, als von der oberen Fläche entweiht. Es ijt dies darin begründet, daß die obere Fläche der Blätter, die dem Lichte zugefehrt ijt, weit mehr Wachs zu enthalten pflegt, als die untere. Von den Adern der Blätter und von allen anderen Gegenden der Oberhaut, die weniger mit Wachs getränft jind, wird auch mehr Waſſer ausgehaudt. Wachs verändert, wo es reich— lich zugegen iſt, die Oberhaut in eine für Waſſer— dampf ſchwer durchdringliche Schichte. Neuere Verſuche haben es vollends beſtätigt, daß Draper mit Recht den Pflanzen eine Stickſtoffaus— 295 ſcheidung zuſchreibt (Clo&z und Gratiolet, Ad. und W. Knop). Dieſe Stickſtoffausſcheidung wird ung auf der Stelle begreiflih, wenn wir die Zuſammenſetzung des Am— moniaf3 mit der der jtiefjtoffhaltigen Bejtandtheile der Pflanzen vergleichen. Im Verhältnig zum Waſſerſtoff enthält das Ammoniak viel mehr Stidjtoff als die eiweißartigen Stoffe. Und da wir die ſtickſtoffhaltigen Pflanzenbaſen zum Theil gewiß von den Eiweißkör— pern der Pflanze herleiten dürfen, ſo verdient es alle Beachtung, daß wieder die eiweißartigen Beſtandtheile im Vergleich zum Waſſerſtoffgehalt eine weit größere Stickſtoffmenge führen, als die meiſten Pflanzenbaſen. Die Baſen der Chinarinde und des Mohnſafts liefern hierfür die ſprechendſten Beiſpiele. Demnach darf ein Theil des Stickſtoffs, den die Pflanzen ausſcheiden, der Umwandlung von Ammoniak und Kohlenſäure in Eiweiß, von Eiweiß in Chinabaſen oder Mohnſaft— baſen zugeſchrieben werden. Kaffeeſtoff und Kakao— ſtoff unterſcheiden ſich dagegen von den übrigen Baſen dadurch, daß ſie im Verhältniß zum Waſſerſtoff mehr Stickſtoff enthalten, als die eiweißartigen Körper der Pflanze, ja ſie übertreffen in dieſer Beziehung ſogar das Ammoniak. Wenn aber die Pflanze Stickſtoff ausſcheidet und Waſſer, ſo fehlt unter ihren Auswurfsſtoffen auch 296 die Kohlenjäure nit. CS war Tängjt befannt, daß fi der Vorgang, durch den die Pflanzen wachſen im Licht, der Austaufh von Sauerjtoff gegen Kohlen: ſäure, in der Nacht umfehrt, jo daß Sauerjtoff auf: genommen und Kohlenjäure ausgejchieden wird. Aber dieſe Umfehr beginnt jchon im Schatten eines wolfigen Himmels und in der Dämmerung. Cbenjo erfolgt fie im feimenden Samen und in der jamenerzeugenden Blüthe. Dover, beſſer gejagt, wo Blattgrün oder Licht fehlt, da findet feine Zerjfeßung von Kohlenjäure jtatt, und daher wird die immermwährend vor jich gehende lang- jame Berbrennung, die Aufnahme von Sauerſtoff und allmälige Bildung von Kohlenjäure in der Pflanze im Dunfeln, beim Keimen und in der Blüthe Leichter bemerkbar. Beim Keimen der Samen geht die Nüd- bildung jo weit, daß das Gewicht der organtjchen Stoffe, wenn die Keimung im Dunfeln vor jich gebt, ſich um die Hälfte vermindern kann. Da, wo in der Pflanze der Gipfel des Lebens liegt, in Keim und Blüthe, da erreicht auch die Be— wegung des Stoffs ihre höchſte Gejchwindigkeit. Wenn in der Pflanze, in der alle Thätigkeit jich einigt zur Entbindung von Sauerjtoff, die Theile, an welche die höchſte Leijtung des Pflanzenlebens, die Kortpflanzung der Gattung geknüpft iſt, eine Verbrennung zeigen, welche zu derjelben Enditufe führt, wie die Athmung 297 im Thier, dann iſt fürmahr auch in der grünenden und blühenden Welt der Gedanfe ausgeprägt, daß die höchſten Lebensfeime in Rückbildung und Untergang zu finden jind, daß unverbrüchlich die Fräftigjte Thätig— feit die jchnelfite Abnützung vorausſetzt. 298 XIV. Die Wärme von Pflanzen und Chieren. In einem ihrer jchönften Romane *) erzählt George Sand, daß es eine den Ochjenhirten jehr befannte Art giebt, troß der Kühle der Nacht gejund unter freiem Himmel zu jchlafen. Man läßt auf einer Wieje einen behaglich gelagerten Ochſen aufitehen und legt ih an deſſen Stelle. Fühlt man ji nad) einiger Zeit falt und feucht, jo braucht man nur einen anderen Ochſen von jeinem Lager zu vertreiben. Die Stätte, an welcher ein ſolches Thier einige Stunden lang geruht hat, ijt immer vollfommen troden und bejitt eine angenehme, heilſame Wärme. 63 iſt dies eine an falten Wintermorgen jehr befannte Anwendung des Sates, dar Menjhen und TIhieren eine Wärmequelle innewohnt, welche von den umgebenden Mitteln bis zu jehr weiten Grenzen unab= hängig ilt. *) Le pech@ de M. Antoine, 299 An den oberflächlichen Stellen des menjchlichen Körpers beträgt die Wärme durchſchnittlich vierund— dreißig bis fünfunddreigig Grad des Hunderttheiligen Thermometer, während jie in den inneren Theilen, in der Mundhöhle zum Beijpiel, bei Wind und Wetter, im Winter wie im Sommer auf fiebenunddreißig Grad ſteigt. Wenn man das Mittel aus einer hinlänglich großen Anzahl von Beobachtungen nimmt, dann ijt die Wärme im Maſtdarm durchſchnittlich 37,02 (Jür— genjen). Diejes Mittel behauptet jich troß Nah— rung und Hunger, troß Ruhe und Bewegung, und auch bei jehr verjchiedenen Wärmegraden der Umge— bung*). Die Wärme von Menjhen und Thieren ver— ändert jich innerhalb jo enger Grenzen, daß ſich der Eindruf des Himmelſtrichs nur ſehr wenig geltend madt. In Wejtindien ijt die Wärme nah John Davy's zahlreihen Meſſungen durchſchnittlich um etwas mehr als einen halben Grad höher als in England. Spätere Beobachtungen, bei denen der Uebergang aus einem Klima in ein anderes mit den heutigen Verkehrsmitteln raſcher erzielt ward, als es fir Davy im Jahre 1816 möglich war, haben einen größeren Unterſchied ergeben. So fand Brown-Séquard *) Jürgenſen, Die Körperwärme des geſunden Menſchen. Leipzig, 1873, ©. 9—11. 300 im Sahre 1854 bei acht Perjonen die Wärme der Mundhöhle unter der Zunge am 10. Februar bei Nantes, während die äuſſere Luftwärme 8° betrug, durchichnittlich gleich 36,6 und am 5. März unter dem Gleicher, bei 299,5 Luftwärme glei 379,9. Dies er- giebt in 23 Tagen, für eine Vermehrung von 21°,5 in der Yuftwärme, eine Zunahme der Körperwärme um 1,3. Dagegen fanden Eydour und Souleyet, im Majtdarın mejjend, den Unterjchied in der Körper- wärme nur gleihd Einem Grade, bei Seemännern, die vom Kap Horn bei einer Luftwärme von 0° zu einer um 40° höheren in der Nähe von Galcutta übergegangen waren”). Es unterliegt aber feinem Zweifel, daß die Körperwärme im Maſtdarm viel ficherer gemejjen wird, als in der Mundhöhle, und als zuverläjjigite Zahl ergiebt jich daher für eine Schwan— fung der Luftwärme um 40° eine Veränderung der Körperwärme um Einen Grad, der bier, wie überall in diefem Buch, jich auf den Hunderttheiligen Wärme* meſſer bezieht. Um etwas mehr noch, d. h. um 1,2 big 1,4° können die einzelnen Beobachtungen bei gefunden Män— nern an Nuhetagen von einander abweichen; eine *) Brown-Sequard, in jeinem Journal de la phy- siologie des hommes et des animaux. Paris 1859, tome I, p. 549 — 552. 01 Schmwanfung von 36,5% bis nahezu 38° wurde von Sürgenjen bei Mejjungen im Majtvarın beobach- tet. Wunderlich, der jich durch die allgemeine Ein- und Durchführung der Wärmemefjung um die leidende Menjchheit ein umnfterbliches Verdienſt erworben hat, erfennt ein Schwanfen von 36,25° bis 37,5% in der Achjeldöhle als innerhalb der Breite der Gejundheit liegend *). Siebenunddreigig Grad iſt das Mittel für die wohlgeſchloſſene Achſelhöhle. Da nun die inneren Theile unſeres Körpers, auch wenn es draußen friert, wenn wir nur in Bewegung bleiben, etwas über ſiebenunddreißig Grad Wärme be— ſitzen, ſo iſt es klar, daß wir Wärme erzeugen. Es fragt ſich wie? Wer den Grund der Bildung und des Zerfallens der Gewebe kennt, iſt dadurch mit der Hauptquelle der thieriſchen Wärme vertraut. Eiweiß verwandelt ſich in den Stoff der leimgebenden Gewebe und der Horngebilde durch Aufnahme von Sauerſtoff. Eiweiß, leimgebende Gewebe und Horngebilde nehmen wiederum Sauerſtoff auf, indem ſie ſich umbilden in Käſeweiß*) und Hornglanz ***), in Fleiſchſtoff und Fleiſchbaſis, in *) Wunderlih, Das Verhalten der Eigenwärme in Krankheiten. Leipzig 1868, ©. 3. **) Qeucin. = Tyrofin. 302 Harnorydul*) und Harnſäure. Durch Verbindung mit Sauerjtoff zerfallen alle diefe Stoffe in Harnitoff, in Ammoniak und Kohlenjäure, die Fette in Kohlen- ſäure und Waſſer. Harnſtoff, Kohlenſäure und Waſſer ſind die End— erzeugniſſe des thieriſchen Lebens, ſie ſind die höchſten Verbrennungsſtufen, welche der Stoff erſteigt, nach— dem er die Gewebe gebildet hat. Aber die Gewebe— bildung aus dem Blut iſt ſelbſt, ſoweit ſich die eiweiß— artigen Körper daran betheiligen, als eine Verbren— nung zu betrachten. Alſo Knochen und Knorpel, Muskeln und Häute gehen ebenſo wie der Harn und die ausgeathmete Kohlenſäure aus einer Verbrennung im Thierkörper hervor. Nachdem man ſo viele Verbrennungsvorgänge im Körper erkannt hatte, lag es gewiß ſehr nahe, die ganze Wärme, die im Thiere entwicelt wird, auf Rechnung der Verbrennung zu jchreiben. Um zu entjcheiden, ob wirklich die ganze Wärme, welche von Thieren erzeugt wird, der Verbrennung ihren Urjprung verdankt, war eine Rechnung nöthig. Man kannte die Wärme, die frei wird, wenn ein gegebenes Gewicht von Kohlenjtoff oder Waſſerſtoff verbrennt. Es Lie jich ferner die Menge der Koh— lenjäure bejtimmen, die ein Thier in einer gegebenen *) Hyporanthin. — re 303 Zeit ausathmet, mit Hülfe einer Muthmaßung die Menge des Wafjerjtoffs, die es zu Wafler verbrennt, und Die Wärme, die e3 einem andern Körper, zum Beijpiel daſſelbe umgebendem Wafjer, während diefer Zeit mit: theilt. Sit nun die Menge der ausgeathmeten Kohlen— ſäure und des vorausfetlich zu Wafjerjtoff verbrannten Wafjerjtoffs groß genug, um bei der befannten Ver— brennungsmwärme des Kohlenjtoffs und Waſſerſtoffs die in einem gegebenen Zeitraum entwicelte Wärme des Thiers zu erklären, jo ſchloß man weiter, dann wird dieje ausjchlieglich von der Verbrennung berrühren. Der Grundfehler, der bei diejer Rechnung von zwei berühmten franzöfiihen Korihern, von Dulong und Despretz, gemacht wurde, ijt der, daß jte jich dachten, der Kohlenjtoff der Speifen verbrenne im TIhierförper als Kohlenjtoff, der Waflerjtoff als freier Waſſerſtoff, und es müſſe dabei ebenjoviel Wärme entwidelt werden, als wenn die betreffenden Grund- ftoffe in der Luft oder im Sauerjtoff unmittelbar ver- brannt worden wären. Es iſt aber nicht Kohlenſtoff oder Waflerjtoff, was in unjerm Körper und in dem der Thiere verbrennt, jondern es jind jehr zujammen- geſetzte Verbindungen des Kohlenjtoffs und Waſſer— ſtoffs, die immer Sauerjtoff und oft auch noch Stick— jtoff enthalten. Je reicher num eine jolche Verbindung von vornherein an Sauerjtoff iſt, dejto weniger Sauer— 304 ſtoff braucht fie aufzunehmen, um zu Kohlenjäure und Waſſer zu verbrennen. Kohlenfäure und Wafler fön- nen von Eiweiß, von Fett, von Zuder heritammen. Don welchem Stoff die ausgeathmete Kohlenjäure in dem gegebenen Kalle wirklich herzuleiten it, willen wir nit. Es ijt ermwiejen, das neben Kohlenjäure vor allem auch Wajjer, daß ferner Harnjtoff und andere unvollfommen verbrannte Stoffe aus der Ver— brennung der eimeigartigen Körper hervorgingen. Des— halb fönnen wir, jelbjt wenn wir den Sauerjtoff ge- wogen haben, den ein Thier bei jeiner Athmung verzehrt, niemals bejtimmen, wie viel von diejem Sauerjtoff zur Erzeugung der Kohlenjäure im Thierförper wirklich verbraucht wurde, wie viel von dem in der Kohlenjäure enthaltenen Sauerjtoff ſchon vorher den organiichen Ver— bindungen des Körpers gehörte. Keine Rechnung kann bis heute ergründen, mie viel Wärme jene Kohlenjäure bei ihrer Entjtehung wirklich freigemacht hat. Wenn ein Gemebebildner gänzlich zerlegt ijt im Harnjtoff, in Kohlenjäure und Waller, dann it die Sauerjtoffaufnahme, welche den Zerfall bedingte, offen- bar verjchieden je nach der Menge des Sauerjtoffs, die der Bejtandtheil des Gewebes ſchon vorher ent- hielt. Die leimgebende Grundlage der Knochen braucht hierzu weniger Sauerjtoff als Eiweiß, weil der orga= niſche Bejtandtheil der Knochen mehr Saueritoff bejitt 1 Ve 17 ’ ’ 4 . Eee 305 al3 die eimeißartigen Körper. Folglich iit die Wärme— entwicklung verjchieden, welche gleiche Gewichte von Kohlenjäure vorausjegen, je nachdem dieſes Erzeug— niß der Verbrennung auf Leim oder auf Eiweiß zu= rücgeführt werden muß. In der Kohlenfänre, die wir ausathmen, ijt nicht bloß von außen zugeführter, nicht bloß eingeathmeter Sauerſtoff enthalten, ſondern auch ein Theil des Sauer- ſtoffs, der im Zucker, im Eiweiß, im Fett ſchon vor der Verbrennung vorhanden war. Diejer lettere Sauer— jtoff hat im Körper feine Wärme erzeugt. Wir fönnen im einzelnen all jeine Menge nicht bejtimmen, und darum entfällt jeder Maaßſtab der Rechnung unjeren unficheren Händen. Wir wiſſen jogar, dal zujammengejette organijche Körper, die feinen Sauerjtoff enthalten, bei ihrer Ver— brennung weniger Wärme entwideln, als der Ver— brennungswärme ihres Kohlenjtoffs und Waſſerſtoffs entjpricht. So fand man e3 für Sumpfgas, für Ter- pentinöl und Gitvonenöl, die alle feinen Sauerſtoff enthalten (Favre und Silbermann). Sn 100 Theilen Terpentindl*) find nämlich 88,255 Kohlenjtoff und 11,765 Wafjeritoff *) Terpentinöl : Cio His. 306 enthalten. Wir wiſſen nun duch die Verſuche von Favre und Silbermann, daß wenn ein Gewichts— theil Kohlenjtoff zu Kohlenjäure verbrennt jo viel Wärme erzeugt wird, daß dadurch 8080 Gemichtseinheiten Waſſer in ihrer Wärme um 1° erhöht werden könnten, und da man al3 Wärmeeinheit.die Wärmemenge bezeich- net, welche die Gemwichtseinheit des Waſſers um Einen Grad in ihrer Wärme erhöht, jo jagt man auch Eurz= weg, die Verbrennungswärme der Gemwichtseinheit Kohlenstoff betrage SOSO Wärmeeinheiten. In dem glei- hen Sinne ijt die Verbrennungswärme der Gewichts— einheit Wafjerjtoff, die zu Wajjer verbrennt, glei) 34462 Wärmeeinheiten. Die Verbrennungswärme des Wafjerjtoffs it alſo 4,26 (reichlich 4) mal jo groß, wie die des Kohlenjtoffs. Wollte man nun, wie man da3 früher vielfach zu thun jchien, ohne dar eine wirk- liche Weberzeugung dabei waltete, annehmen, daß im der Gemwichtseinheit Terpentinöl . 0,88235 Kohlenſtoff und 0,11765 Waſſerſtoff neben einander lagerten, dann hätte man, um die Ver- brennungswärme der Gewichtseinheit Terpentinöl zu berechnen, nur den für den Kohlenjtoff gefundenen Bruchtheil mit der VBerbrennungswärme des Kohlenjtoffs und die Menge des Waſſerſtoffs mit der Verbren— Pe 307 nungswärme diejes Grundjtoffs zu vervielfachen und die beiden erhaltenen Werthe zuſammenzuzählen: 0.802893. >< 8080: = 7129 0,11765 > 34462 — 4054 11183, und man hätte damit berechnet, dal die Verbrennungs- wärme der Gewichtseinheit Terpentinöl 11153 Wärme— einheiten liefert. Es haben aber Favre und Sil— bermann, wie jie es früher für Kohlenjtoif und Waflerjtoff gethan, die VBerbrennungswärme des Ter- pentinöl3 durch den Verſuch beitimmt und auf dieſem Wege einen erheblich geringeren Werth (10852) al3 durch die Nechnung gefunden. Wie ijt dieſer Unter- ſchied zu erklären? . Dffenbar dadurch, daß eben jene jtillichweigend vorausgeſetzte, aber keineswegs zugegebene Annahme einer einfachen Nebeneinanderlagerung der Grundſtoffé nicht gerechtfertigt war. Wir müſſen vielmehr anneh— men, daß die Kohlen- und Waſſerſtofftheilchen, welche das Terpentinöl zuſammenſetzen, ſo innig mit einander verbunden ſind, daß ſie, um verbrennen zu können, erſt gewaltſam auseinander geriſſen werden müſſen. Die dazu nöthige Kraft iſt gewiſſermaaßen als ein Hinderniß zu betrachten, welche die Wärme erzeugende bei der Verbrennung überwinden muß. Der Verbindung 20. 308 mit Sauerjtoff muß erſt eine Trennung vorangehen, und wie jene Wärme frei macht, jo wird durch Dieje Wärme gebunden. Wie viel Wärme aber zu dem Auseinanderreigen der Kohlen und Wajlerjtoffatome verwandt werden muß, wie viel Wärme dadurd ge- bunden wird und nicht als VerbrennungSwärme er- ſcheinen kann, davon giebt uns eben der Unterjchted zwijchen dem berechneten und wirklich gefundenen Werth für die Verbrennungsmwärne des Terpentinöls eine an— nähernde Vorſtellung. Erſchöpfend ijt jie nicht, weil außer jener Trennungsarbeit, die Verflüchtigung des tropfbar flüjjigen Terpentinöls zu gasfürmiger Kohlen— jäure und Wajjerdampf Wärme bindet. ES muß aljo aus einem doppelten Grunde die beobachtete Verbren- nungswärme zurücbleiben Hinter derjenigen, die man aus der im Terpentinöl vorhandenen Kohlen und Waſſerſtoffmenge berechnet. ; Nicht minder furzjichtig war die Annahme, day in Stärfmehl, Zuder und verwandten Berbindungen, weil jie Waſſerſtoff und Sauerjtoff in demjelben Ver: hältniſſe enthalten, in welchem dieje mit einander Waſſer bilden, nur der Kohlenftoff zu würdigen jei, um die Verbrennungswärme vichtig zu berechnen. Nach der obigen Auseinanderjegung für das Terpentinöl jolfte man erwarten, daß auch hier die berechnete Zahl der Wärmeeinheiten Kleiner wäre als die durch unmittel- 309 bare Beobachtung gefundene, da auch in diejen Fällen Grundſtoffe oder Verbindungen jolcher auseinander ge— riſſen und feſte Stoffe verflüchtigt werden müſſen. Allein das Gegentheil ijt der Fall. Wenn man auf die angedentete Weiſe die Verbrennungswärme des kryſtalliſirten Traubenzuckers berechnet, erhält man 2935 Wärmeeinheiten; al3 dagegen Frankland jie aus der Wärme, die eine Gewichtseinheit Trauben— zucfer bei ihrer Verbrennung einer gegebenen Menge Waſſer mitteilt, duch Beobachtung ermittelte, fand er die Zahl 3277, aljo ein Mehr von 339 Wärmes einheiten. Die Annahme, das es sich bei der Verbrennung des Traubenzuckers um die Verbrennung jeines Koh: Venjtoffs zu Kohlenſäure Handle, und day jein Waſſer— ſtoff ſchon mit Sauerjtoff zu Wajjer verbunden jet, iſt aljo nicht haltbar. Um von der diejer Annahme widerjprechenden, erheblich höheren VBerbrenmungsmwärme des Traubenzuders Rechenschaft zu geben, müjjen wir annehmen, daß ein Theil des Wajjerjtoifs im Zucker nicht mit Sauerjtoff zu Waſſer verbunden it, jondern erit bei der Verbrennung diefe Verbindung eingeht, welche ja für die Gemwichtseinheit 4Yı mal jo viel Wärme liefert, wie die Verbrennung des Kohlenſtoffs zu Kohlenjäure. Die Verbrennungswärme des Trau— benzuckers genügt aljo, um den Sprachgebrauch der DT Br ET EEE Fr —— 4J E J * 310 Chemiker zu widerlegen, wenn ſie gegen ihre eigene Ueberzeugung von Kohlehydraten ſprechen. Aus der Menge von Kohlenſäure und Waſſer, welche Thiere liefern, glaubten Dulong und Des— pretz ſieben bis neun Zehntel der erzeugten Wärme erklären zu können. Es folgt aus dem Obigen, daß dieſes Ergebniß der Rechnung nicht zuverläſſig ſein kann, weil die Grundlage ihrer Rechnung verfehlt war. Sie konnten und auch wir können heute nicht entſcheiden, wie viel von dem Sauerſtoff, den unſere organiſchen, Nahrungsſtoffe enthalten, von vornherein mit dem Kohlenſtoff, wie viel davon mit dem Waſſerſtoff in näherer Verbindung ſteht. Sauerſtoff trifft im menſchlichen Körper mit gar verſchiedenen Stoffen zuſammen. Den Alkohol ver— brennt er zu Aldehyd und Waſſer, das Aldehyd zu Eſſigſäure, die Eſſigſäure nachher zu Kleeſäure und Waſſer, die Kleeſäure zu Kohlenfäure.. Das Ammo— niak verbrennt er zu Salpeterſäure, die Harnſäure zu Kohlenſäure und Harnſtoff. Wie kann man alſo glauben, daß die hervorgebrachte Wärme erkannt wird in derjenigen, welche man erhalten würde, wenn man eine der ausgemittelten Kohlenſäure und dem verſchwun— denen Sauerſtoff entſprechende Menge Sauerſtoffgas durch Verbrennung von Kohlenſtoff und Waſſerſloff in demjelben in ebenjoviel Kohlenjäure und Waſſer über: 311 geführt hätte? Ich frage, wie kann man es, nachdem e3 fejtjteht, daß eben jener verjchwundene Sauerjtoff nur zum Theil in der ausgejchtedenen Kohlenſäure und im ausgehauchten Waller vorhanden it, während wir nicht wiljen, in welchen Verhältniß der in den organischen Verbindungen ſchon enthaltene, in welchem Berhältnig der neu hinzugefommene Sauerjtoff ſich an ihren Kohlenjtoff und Waſſerſtoff vertheilt? Eine unvergängliche gejchichtlihe Bedeutung ge— bührt den DBerjuhen von Dulong und Despreß nur deshalb, meil fie gelehrt haben, daß weitaus die größere Hälfte der vom Thier entwickelten Wärme als Berbrennungswärme betrachtet werden darf. Wenn man mehr aus denjelben folgert, wenn man alle Eigen— wärme des Thierförpers der Verbrennung zuſchreibt, dann verjtümmelt man die ewige Sprache der Ver— juche und verjchüttet den Weg der Forſchung gerade da, wo der in vichtigen Grenzen anerkannte Verſuch neue Geheimniſſe zu entjchleiern verſprach. Alſo wohl zum weitaus größten Theile, aber nicht ganz ausſchließlich dürfen wir in der vom thieriſchen Körper erzeugten Wärme Verbrennungswärme ſehen. Der Antheil, welcher der Verbrennungswärme gehört, hat indeß die Naturforſcher auf die rechte Spur ge— leitet. Wir ſuchen die Wärmequelle des Körpers nicht mehr in einer geheimſinnigen Nervenwirkung, mit der 312 jih gar feine bejtimmte Vorſtellung verbinden läßt. Wir wiſſen, daß die Nerven nur auf die Vertheilung der Wärme ihren Einfluß üben, indem von ihnen die größere oder geringere Weite der Blutgefäße und damit der größere oder geringere Zuflug von Blut zu den Sörpertheilen abhängt. Neben der Verbren— nung find aber andere chemifche Vorgänge thätig, die, weil jte bejtändig im Fluſſe jind, einen nichts weniger al3 unerheblichen Beitrag liefern. Sp oft ji eine Baſis mit einer Säure verbindet, wird nach den jchönen Unterfuchungen von Andrews Wärme frei. Die Menge der entwidelten Wärme hängt dabei von der Art der Baſis, nicht von der Art der Säure ab. Nur dann, wenn ein Salz eine Säure enthält, welche die Baſis nicht vollfommen fättigt, wenn aljo die Bajis im Salze vorherricht, dann wird auf’3 Neue Wärme frei, falls man die jchwächere Säure durch eine jtärkere, die Bajis vollfommen jätti- gende vertreibt. In diefem Fall äußert aljo auch die Art der Säure einen Einfluß. Kohlenjaures Natron iſt ein Salz de3 Thierkör- pers, in welchem die Baſis vorherridt. Das Salz it durch eine baſiſche oder alkalische Beſchaffenheit aus- gezeichnet, weil die Kohlenjäure das Natron nicht voll kommen fättigt. Wird nun die Kohlenjäure aus dent Salze verjagt durch Milchjäure, Harnjäure oder Fleiſch— 313 jäure *), furz durch irgend eine ftärfere Säure, dann wird aufs Neue Wärme frei. Man fönnte für die Kohlenjäure den Zweifel erheben, ob fie als flüchtige Säure, wenn fie aus dem Natronfalze ausgetrieben wird, nicht Wärme bände, eben weil fie in den flüch- tigen Zujtand überginge. Die Wärme, die hierbei gebunden würde, wäre möglicher Weiſe gleich groß oder "gar größer als die, welche frei wird durch die Ver— bindung der jtärferen Säure mit dem Natron. Allein man darf nicht vergeiien, daß jene Zerſetzung nicht an der Luft, jondern in Flüſſigkeiten des Körpers vor ſich geht. Die Kohlenjäure kann alfo nicht flüchtig entweichen, jie wird vielmehr vom Waſſer verſchluckt. Wenn aber Wajjer Kohlenjäure verjchluckt, dann nimmt es einen höheren Wärmegrad an (Henry) Die Zerlegung von kohlenſaurem Natron durch Milchſäure, Harnſäure, Fleiſchſäure oder durch die Schwefeljäure, welche aus der Verbrennung des Schwefels eiweiß— artiger Körper hervorgeht, ijt demnach eine wejent= fihe Quelle von Wärme, Weil dann ferner alle or— ganischen Gemebebildner, jtickjtoffhaltige und jticjtoff- freie, auf der Endjtufe ihrer Verbrennung Kohlen— fäure liefern, und dieſe Kohlenſäure wenigitens zu einem großen Theile von den Flüjjigkeiten des Kör— *) Inofinjäure. 314 pers verſchluckt wird, ſo iſt auch dieſe Gelegenheit zur Wärmebildung häufig gegeben. In ähnlicher Weife wird Wärme frei bei der Umwandlung eines gewöhnlichen Mittelfalzes in ein baſiſches Salz, das heikt in eim jolches, in welchem die Baſis nicht blog den Cigenjchaften, jondern auch der Menge nach über die Säure vorherridt. Ein ſolches Salz iſt Das gewöhnliche phesphorjaure Natron. Dafielbe enthält im Vergleich zur Eräftigen Phosphor— ſäure jo viel Natron, daß dieſes der Verbindung jein Gepräge aufdrüct, während im fohlenjauren Natron die Menge der ſchwachen Kohlenjäure überwiegen kann, und dennoch das fräftige Alkali ſich in der baſiſchen Beichaffenheit des Salzes verrätd. Phosphoriäure, die man früher aus dem Phos— phor eiweikartiger Körper ableiten wollte, jcheint nur aus dem Dotterfett*) und vielleicht aus Verbindungen dejjelben **) herzuſtammen. Das Dotterfett zerfällt, wenn es mit Barytwaſſer gefocht wird, in Fettjäuren, unter welchen nah Streder Oelſäure, Perlmut— terfettjäure oder Talgjäure, oder auch zwei derjelben auftreten, in einen alfaliichen Körper ***) und Phos— phoralycerinjänre. Wenn das Dotterfett im Körper *) Vecithin. **) Prolagon. ***) Cholin oder Neurin. Dr Ar 315 zerfällt, muß ſchließlich Phosphorſäure den kohlen— jauren Salzen zur VBerfügung kommen. So entjtehen phosphorjaures Natron, phosphorjaures Kali, phos— phorjfaurer Kalk, in denen Natrium, Kalium, Gal- cium überwiegen. Bei der Bildung diejer baſiſchen Salze wird Wärme entwickelt. Eiweißartige Stoffe, die Schwefel enthalten, ver- brennen im Thierleib. Ihr Schwefel wird in Schwe— feljäure übergeführt. Die neu entjtandene Säure ver: bindet jich mit Alkalien, die jte in Eohlenjauren Salzen vorfindet. Aus allen diefen Grörterungen geht hervor, daß die Bedeutung der Verbrennungswärme nicht aufgeht in der Bildung von Kohlenjäure und Waller, ebenjo wenig als jich alle chemijchen Vorgänge, bei denen Wärme entwicelt wird, auf Verbrennung zurückführen lajjen. An die Bildung von Salben, in denen Alkali metalle die Stelle von einem oder mehr Atomen Waſſer— stoff vertreten, läßt ſich die Vereinigung verjchtedener organischer Stoffe zu mehr zujammengejesten Gruppen anſchließen. Wenn ſich Benzoeſäure mit Leimzucker zu Pferde— harnſäure, wenn ſich Cholalſäure mit Leimzucker zu ſchwefelfreier, mit Taurin zu geſchwefelter Gallenſäure 316 verbindet, wenn wir im vothen Blutförperchenitoff eine Verbindung von Blutfarbſtoff mit einem eimeigartigen Körper jehen, wenn Fettjäuren an die Stelle von drei Atomen Wafjeritoff in Oelſüß treten, jo handelt e3 ih in allen dieſen Fällen um eine Vereinigung von Stoffen, die ebenjo wie die Salzbildung eine Ent- wicklung von Wärme vorausjekt. Nur ijt dabei. zu bedenken, woher die Stoffe fommen, die mit einander Verbindungen eingehen, bevor man jich darüber entjcheidven kann, ob die be= zeichnete Entwicklung einen reinen oder zweifelhaften Gewinn an Wärme mit jih bringt. Wenn zum Beijpiel im Dünndarm durd) die Ein- wirkung des Bauchjpeichels die Fette in Fettſäuren und Oelſüß zerfallen, jo wird bei diefer Spaltung ebenjo viel Wärme gebunden, wie bei dem Aufbau der Kette aus Fettſäure und Oelſüß entwidelt ward. Dazu kommt, day im letteren Falle Wafjer abgeipalten, im erjteren Waſſer aufgenommen wird, jo da auch hier, wie ala Regel bei der Verbrennung, beide Vorgänge aus zwei ’ für die Wärmebildung in entgegengejegtem Sinne wirk— jamen Theilen bejtehen. In den Verdauungswegen kommt öfters eine Auf- nahme von Waſſer vor, die al3 Wärmequelle aufzu- führen iſt; zunächit bei der Umwandlung von Stärke: gummi in Zuder, ferner aber, wenn die Gallenjäuren RER. 317 im Darmfanal in Cholalſäure und Leimzucker oder Taurin zerfallen. Unter diefen Stoffen jcheint der Leimzucker jogleich wieder ins Blut zurüczufehren, da es bisher nicht gelang, ihn im Darminhalt oder im Darmfoth nach— zuweilen. Und da nach Verſuchen von Schulßen und Nencki Leimzucker, der Hunden mit dem Futter beigebracht wird, als Harnjtoff im Harn erjcheint, jo verdient diejer Stoff, daß wir feiner Umwandlung etwas mäher nachgehen. Die zuletzt genannten For— ſcher haben mit Recht hervorgehoben, daß ein Theil- hen Harnjtoff zwei Atome Stiefjtoff enthält, während im Leimzucker dieſer Grundjtoff nur dur Ein Atom vertreten iſt. Es müſſen aljo zwei Theilchen Leim— zucer jich mit einander verbinden, um den fir Harn— jtoff nöthigen Sticjtoff zu liefern, und wenn hiernach die Umjeßung des Leimzuckers einerjeits eine thätige Verbrennung vorausjest, jo geht jie andererſeits in erjter Linie mit einer Berbindung Hand in Hand, welche wie die Verbrennung Wärme entwicdelt.*) Daß die Verbindung des Stiejtoffs mit anderen Grund- jtoffen eine ergiebige Wärmequelle ijt, folgt aus den *) Der zufammengelegte Vorgang läßt fich durch folgende Gleichung andeuten: Leimzuder (Glyein) Cauerftoff Harnftoff Kohlenſäure Waſſer 2 Ce H NO-60 = CH N 0+3C0: +5H Ö 318 Beitimmungen von Favre und Silbermann, nad) welchen eine Gemwichtseinheit Stieitoff, die jih mit Waſſerſtoff zu Ammoniak verbindet, nicht weniger al3 7576 Wärmeeinheiten Liefert. Benebung fejter Kormbejtandtheile, Tränkung der Gewebe mit Waſſer, mit wäſſerigen Löjungen, ijt einer der jtetigjten Norgänge im Körper. Während durch die Aukeren Häute des Auges Wafjer verdunitet, wird unabläjjig von den inneren Theilen des Auges her Wajjer aus dem Blut bezogen. Diejes Waſſer gelangt auch in die äußeren Häute, in die durchlich- tige und die undurchjichtige Hornhaut. Sa, die Durch— jichtigfeit, welche den vorderen Abjchnitt der äuße— ven Augenhaut*) von dem hinteren größeren**) unter- jcheidet, ijt jogar vorzugäweije bedingt durch den Unter- ſchied im Waffergehalt jener beiden Häute (Chevreuf). Jede Benetzung ijt aber von einer Wärmeentwic- tung begleitet. Der Theil, der jich benett, verdichtet da3 Wafjer in jeinen Eleinjten Hohlräumen. Bei der Verdichtung wird Wärme frei (Pouillet und Reg— nault). Jede Verbindung und jede Verdichtung, die im Körper vor ſich geht, iſt zugleich eine Quelle von Wärme. Ebenſo nun wie wir die eigene Wärme des thie- *) Cornea, **) Scelerotica, 319 riſchen Körpers auf ftofflihe Vorgänge zurüdzufüh- ven vermögen, jo ift es auch mit. dev Pflanze gejtellt. Auch die Pflanzen Haben ihre Gigenwärme, die nur in der Regel der Beobachtung entgeht, weil die Plans zen durch Verdunſtung und durch Ausjtrahlung von ihrer großen Oberfläche jo viel Wärme verlieren. Und dennoch läßt fie fih im Winter oft genug ohne alle künſtliche Hülfsmittel wahrnehmen, wenn man beach— tet, wie rings um die Bäume der Schnee am erjten wegſchmilzt, raſcher als um jteinerne Pfeiler, die doch bejjere Wärmeleiter jind al3 das Holz der Baum— jtämme. Wie die Verbrennung, jo iſt auch die Wärme— bildung in der Pflanze am leichtejten an feimenden Samen oder in Dlüthen zur Befruchtungszeit wahr: zunehmen. Am berühmtejten find in diefer Beziehung die Blüthenfolben der Aroideen geworden, deren Wärme nah Dutrochet die der Äußeren Yuft um 11 bis 12 Grad übertreffen Fann. Der Zujammenhang zwi— ſchen diefer erhöhten Wärme und dem Athmen der Pflanze wurde von Brolif und de Brieje an der Dlüthe von Colocasia odora erwiejen. Während jie nämlich die Zunahme dev Wärme beobachten Fonnten, fo lange jich die Blüthe in Sauerjtoff befand, hörte die Wärmeentwiclung auf, als fie diejelbe in Kohlen— ſäure brachten. Ei Du cn u. “ 2 — EN 320 Bon allen Vorgängen, die wir oben als Quellen thieriicher Wärme kennen lernten, fehlt der Pflanze feiner ganz. Auch in der Pflanze geht eine Verbren— nung vor ji, al3 deren Endglied die Kohlenjäure auftritt. Säuren verbinden ſich mit Bajen, Mittel- jalze verwandeln ſich in baſiſche, Kohlenjäure wird verſchluckt, Wafler, das durch die Wurzel aufiteigt, verdichtet. Zu den aufgeführten Wärmequellen gejellt ji) aber in der Pflanze noch eine jehr wichtige, die Verdich- tung von Kohlenftoff und Wafjeritoff. ES ijt Jeder— mann befannt, daß Wärme frei wird, wenn ji Wafjerdampf in tropfbar flüjjiges Wajjer, wenn fer- ner Waſſer jih in Eis verwandelt. Die Kohlenjäure der Luft ijt nur deshalb die Hauptuahrung der Pflanzen, weil ihr Kohlenjtoff in die Miſchung der allgemein verbreiteten Pflangenbejtandtheile eingeht, weil er fejt- gelegt wird in Zellitoff und Kork, in Zuder und Holz- jtoffen, in Stärfmehl und Wachs. Bei diejer Feſt— legung ereignet jich die Verdichtung eines Tuftförmigen Körpers. Gasförmige Kohlenjfäure und tropfbar flüjs jiges Waſſer verdichten jih zu Stärfmehl und Zell- jtoff, und mit diejer V zerdichtung Hand in Hand geht die Verbindung eines Körpers, der ſauerſtoffärmer iſt als Kohlenſäure, mit einem anderen, der weniger Sauerſtoff enthalten muß als Waſſer. 321 Auf ein Freiwerden von Wärme bei der VBerdich- tung eines Grundjtoff3, deſſen Atome jich mit einander verbinden, läßt ſich aus der Thatſache ſchließen, daß der Diamant bei jeiner Berbrennung 285 Wärmes einheiten weniger liefert al3 gewöhnliche Kohle (Favre und Silbermann). Die entiprechende Wärmemenge war bei der Verdichtung der Kohle, indem jie zum Diamanten Fryjtallijirte, freigemorden; fie wird bei der DVerbrennung des Diamanten, beim Lockern der Atome aus ihrer Verbindung wieder gebunden. Aber auch an einem unmittelbar beweilenden Bei— jpiel läßt es uns die Chemie nicht fehlen. Wenn man die Verbindung von Kohlenitoff und Stickſtoff, welche unter dem Namen Cyan befannt ijt und mit Waſſerſtoff Blauſäure bildet, ſtark und lange Zeit erwärmt, nach Berthelot bis nahezu 400°, dann erleidet jie eine Derdichtung. Das bei gewöhnlicher Wärme und gewöhnlichen Luftdruck gasfürmige Cyan verwandelt jich hierbei in eimen braunen, pulverfürs migen Körper, der Sticjtoff und Stohlenftoff in dem— jelben Verhältniß enthält, wie Cyan, nur dichter zu: jammengedrängt, jo daß in einem Eleinjten Theilchen dieſes Körpers dreimal jo viel Sticjtoff und dreimal jo viel Kohlenjtoff enthalten jind wie in dem Cyan. Der dichtere Körper wird, um ihn vom Cyan zu unters jcheiden, Paramyan genannt. Bei feiner Entjtehung 21 322 aus Gyanjilber wird jo viel Wärme frei, day feine Verbindung mit dem Gilber, das Baracyanfilber, glühend wird. Ganz ähnlih nun wie der dichtere Diamant bei jeiner Verbrennung weniger Wärme ent- widelt al3 gewöhnliche Kohle, liefert auch) das dich— tere Paracyan eine geringere Verbrennungswärme als Cyan. Durch jtarfes Glühen kann Baracyan in Cyan zurücverwandelt werden, mit anderen Worten, es ilt eine gewiſſe Wärme, aljo Arbeit nöthig, um den Zujanmenhang der Atome im Ddichteren Paracyan jo weit zu Tocdern, day Cyan daraus hervorgeht, und bei der DVerdichtung des Cyans zu Paracyan wird Wäre frei. 63 kann feinem Zweifel unterliegen, dieſe Ver— dihtung ijt in der Pflanze als Wärmequelle viel bedeutender, als die Verbrennung. Sie erzeugt die Hauptwärme der Pflanze, wie die Verbrennung die des Thiers. Und jie erlangt durch dieſen Vergleich eine ganz bejondere Wichtigkeit, weil das treibende Leben der Pflanze auf dem Gegentheil der Verbren-⸗ nung, auf der Sauerjtoffverarmung beruht, um derent— willen die Pflanzen als wahre Vorrathsfammern von Brennjtoff und Spannkraft angejehen werden müſſen. Wärme ijt alfo überall eine Folge des Lebens, in Pflanzen und Thieren. Sie ijt eine Folge gerade der 3 Thätigkeit, welche die unerläßliche Triebfeder für alles 323 organiiche Leben it. Wärme ijt eine Folge und ein Ausdruk des Stoffwechſels. Bei der allerdings unberechenbaren Nichtigkeit, die wir jomit der Eigenwärme beilegen müfjen, ift es wenig zu verwundern, daß auch hier die Neigung auftaucht, jede große Bewegung in den Vorgängen des Lebens in die für furzfichtige Augen gejteckten Grenzen einer Zwecbejtimmung einzupferhen. Es gehört ganz in diejen Kreis einer Anjchauung, welche die Dinge nicht um ihrer ſelbſt willen betrachtet, nicht aus jich jelbit zu erflären jucht, da man den thieriichen Körper als einen Wärmezeuger, den pflanzlichen nur als eine Brennftofifammer betrachten wollte, Entſprechend der Gintheilung in Athemmittel und Nährmittel hatte Liebig die Gruppen der Wärme erzeugenden und der Gewebe bildenden Nahrungsitoffe aufgejtellt. Der Irrthum rührte daher, dal die aus— gehauchte Kohlenſäure und das ausgejchiedene Waſſer immer nur mit den Wetten und ettbildnern in Zu— jammenhang gebracht wurden, während es ausgemacht it, daß auch die Eiweißkörper neben Harnitoff Kohlen⸗ ſäure und Waſſer liefern. Es war einſeitig, die erzeugte Wärme ausſchließlich zu meſſen an Kohlen— jäure und Waſſer, die wir entleeren, während diejelbe ebenjo durch die Gewebebildung und Durch die Erzeu— gung von Harnjtoff gemejjen wird. Eiweiß kann jich 21. 324 nicht in den Knochenleim gebenden Stoff, und diejer nit in Harnjtoff verwandeln, ohne dag Wärme frei wird. Wie viel Eiweiß aber im Körper umgeſetzt worden, fann man annähernd aus der Menge des ausgeſchiedenen Harnjtoffs erfahren, nicht entfernt da= gegen aus der Kohlenjäure und dem Waſſer ableiten, die im Körper gebildet werden. Man Fann e3 nicht oft genug wiederholen: nicht die Menge des Sauerjtoff3, die wir einathmen, nicht die Menge der Kohlenjfäure und des Waſſers, die wir ausathmen, ijt ein erjchöpfendes Maaß der Wärmes quelle im Thierförper. Verbrauchter Sauerjtoff und erzeugte Kohlenfäure entſprechen jehr verjchiedenen MWärmemengen, je nachdem e3 Zucker war oder Fett, Eiweiß oder Knochenleim, die mit dem Sauerjtoff Kohlenfäure und Wafjer bildeten. Nur dann wirde zwischen der Menge der im Thierleib erzeugten Wärme und derjenigen des von ihm verzehrten Sauerjtoffs oder der ausgejchiedenen Kohlenſäure Ebenmaaß herrſchen, wenn das Thier immer nur ein und denſelben organiſchen Nahrungsſtoff zu ſich nähme, wobei es dann in der That gleichgültig wäre, was für Zwiſchenſtufen diejer bei feiner Umſetzung durchliefe, wenn nur immer diejelben Endprodufte aus feiner Verbrennung hervorgingen. Sp Yange man fich mit Nechnungen und Ders muthungen, die auf die Zuſammenſetzung der orga— rad 64 325 niſchen Nahrungsitoffe gegründet waren, begnügen mußte, war es möglich, die hier behandelte Trage in dem Sinne zu beantworten, daß man den eiweiß— artigen Körpern bei der Wärmebildung eine unter: geordnete Rolle zujchrieb. Sebt, da wir Frank— land ’3 unmittelbare Bejtimmungen der Berbrennungs- wärme für die SHauptvertreter unſerer organijchen Nahrungsitoffe beſitzen, wiſſen wir, daß eine Gewichts— einheit Eiweiß bei ihrer Verbrennung zwar weniger Wärmeeinheiten liefert als Fett, dagegen mehr als Zuder. Die Berbrennungswärme des Iraubenzucers verhält jich nämlich zu der des Eiweißes wie 7:9, die des Gimweißes zum Fett wie 3:5,5. Nachdem wir diefe Zahlen Fennen, kann es Niemanden mehr wundern, daß durch die Zerſetzung des Eiweißes immer auch Wärme erzeugt wird, und daß, wie Voit, einer der vorangejchritteniten und unbefangeniten Schüler Liebig's, ausdrücklich Hervorhebt, durch die Zer— ſetzung des Eiweißes unter Umſtänden ſo viel Wärme erzeugt wird, daß alle Wärme dadurch geliefert wer— den kann.*) So iſt es denn begreiflich, daß die Wärme der fleiſchfreſſenden Thiere derjenigen der Pflanzenfreſſer *) Voit, Ueber die Entwicklung der Lehre von der Quelle der Mustelfraft und einiger Theile der Ernährung. München 1870, ©. 3, 9. — u il — — —— 326 nicht nachſteht, obgleich jene hauptſächlich von eiweiß— artigen Stoffen und Fett ſich nähren, während die Nahrung der letzteren ſo überaus große Mengen von jtiefjtofflofen Fettbildnern in der Form von Zelfitofr, Stärfmehl und Zuder enthält. In die Zuſammen— ſetzung dieſer Fettbildner geht im Verhältnig zum Koh— fenjtoff und Waſſerſtoff, den ſie bejißen, viel mehr Sauerjtoff ein al3 in die Miſchung von Eiweiß umd Fett. Aber wir willen auch durch die klaſſiſchen Unter- juhungen von Dulong, von Despres, von Regnault und Reiſet, daß für ein gleiches Ge= wicht ausgeathmeter Kohlenjfäure viel mehr Sauerjtoff von Fleiſchfreſſern al3 von Pilanzenfrejiern verbraucht wird. Sonst würde die Hebereinjtimmung im Wärme— grad zwiſchen Fleisch und Pflanzenfreſſern nicht zu begreifen jein. Wenn dem Fett nicht mehr Sauerjtoff zu Gebot jteht al3 dem Zuder, wenn beide gleich) viel Sauerjtoff verbrauden und gleich viel Kohlen: jäure liefern, dann erzeugt Zucer mehr Wärme als Fett (Berthelot). Es ijt dies wiederum nur das durch erflärlih, day bei unvollfommener Berbrennung im Nett eine größere Menge Kohlenitoff mit dem Wajjerjtoff verbunden bleibt, während im Zucker bei der Verbrennung eine größere Menge Waſſerſtoff ſich mit Sauerjtoff verbindet. Wir gelangen jo von Neuem zu dem Schluß, day der Zuder fein Kohlenhydrat r en. “ u Du 2 Sc a | % Kin it, daß nicht aller Waſſerſtoff jhon im Zucker mit Sauerjtoff zu Wajjer verbunden jein kann. Und fo wird die Wärme ein Prüfungsmittel für die Miſchung organischer Stoffe, das unter Umjtänden noch einen Schritt weiter führt al3 die Wage jelbit. Wenn nun au die Nahrungsitoite im Thierkörper in ähnlicher Weile verbrennen wie in einem Ofen, jo bleibt doch der Vergleich des Thierkörpers mit einem Dfen, dejien Brennjtoffe die Speijen jind, immer— hin ein Hinfender. Beim Thier verbrennt nach und nad der ganze Körper, der Dfen aber verbrennt nicht. Beim Dfen verbrennt nur der Brennjtoff, beim Thier die Speife und die Wand, welche jie umjchliegt. Die Wärme des Dfens it Fein Maa für feine Thätig— feit, der Dfen ijt ein todter Behälter. Der Stoff: wechſel dagegen, der das Leben frijtet, in dem das ganze Leben aufgeht, wird zu einem großen Theil durch die Eigenwärme gemejjen. Wärme ijt nicht bloß eine Folge, fie ift innerhalb bejtimmter Grenzen auch ein Maaß des Lebens. Bei fajtenden Menſchen und TIhieren ilt Stoff: wecjel vorhanden, jo lange das Leben fortdauert, Denn bis zum Eintreten des Hungertodes wird Sauer— jtoff aufgenommen, der die Gewebe zu Ausmwurfsitoffen verbrennt. Es wird Sauerjtoif eingewechjelt gegen Kohlenjäure, Waſſer und Harnitoff. Aber nur Sauer— 328 jtoff, Feine Nahrung. In Folge dejien jtodt die Blut- bildung, die Verwandlung des Blut3 in Gewebe ver- zögert jih, und hierdurch wird auch die Rückbildung verlangjamt. Hungernde Menjhen athmen weniger Kohlenjäure aus, wie jie weniger Harnjtoff entleeren. Die Menge des jtiefjtoffgaltigen Harnitoffs, die von einem Faſtenden ausgejchieden wird, jtimmt überein mit der in gleiher Zeit von einem Menjchen gelie- ferten, der nur jticjtofffreie Nahrung zu ji nimmt (Frerichs). Der Stoffwechſel ijt verzögert, und da die Wärme eine Folge des Stoffwechſels darjtellt, jo ijt auch dieje herabgedrüdt. Bei Säugethieren und Dögeln hat die Wärme des Körpers im Augenblid des Hungertodes durchſchnittlich um mehr als ſechs— zehn Grad abgenommen (Chofjat). Während eines ruhigen Schlaf bei der Nacht wird weniger ausgejchieden al3 an einem arbeitjam verlebten Tage. In der Ruhe und um Mitternacht wird dem entjprechend weniger Wärme erzeugt. Der Wärmegrad folgt der Bewegung des Stoffwechſels. Das Umgefehrte von Hunger und Ruhe jind Fräf- tige Kojt und flinfe Arbeit. Cine Maus, die wegen ihres Kleinen Körpers viel mehr Wärme ausjtrahlt als größere Thiere, weil im Vergleich mit großen Thieren die Oberfläche ihres Körpers im Verhältnig zum Körper- inhalt größer ift, jteht nach den Mejjungen von Hunter BB,” 7° 329 und Pallas in ihrem Wärmegrad dem Menjchen nit nad, weil jie für gleiches Körpergewicht in gleichen Zeiten ungefähr achtmal joviel Nahrung aufs nimmt, al3 der Menſch. Durch die reichliche Nahrung wird der kleine Körper befähigt, dem Verluſt ent- jprechend, mehr Wärme zu erzeugen. Der Vergleich von Fleinen und großen Thieren kann uns jedoch auf einem anderen Wege darüber belehren, daß man durchaus Fehl gehen würde, wenn man aus der Menge der ausgeichiedenen Kohlenjäure auf die MWärmebildung im Körper jchliegen wollte Murri erinnert daran, wie es in den Unterjuchungen von Xepelletier, von Regnault und Reiſet, von Bettenfofer und Voit mehrfach begegnet fei, dab ein größeres Thier, ein Schwein 3. B., für gleiches Körpergewicht in gleicher Zeit mehr Kohlenſäure aus— aihmete als ein Fleineres, ein Schaaf z. B., und nicht merklich weniger al3 wälſche Hähne*), während man doch, wenn das dem größeren Wärmeverluft der kleineren Thiere entiprechende Mehr an Wärmebildung nur von verbranntem Kohlenjtoff herzuleiten wäre, ein in ivgend welchem Maaße umgefehrtes Berhältnig zwiſchen Körpers größe und ausgehauchter Kohlenſäure regelmäßig er— warten jollte. *) Murri, del potere regolatore della temperatura ani- male, Firenze 1373, p. 13. 390 Dagegen verzehren Eleinere Thiere entiprechend ihrem größeren Wärmebedürfnig nicht bloß mehr Nahrung, ſon— dern auch mehr Sauerjtoff. So wird nad Negnault und Reiſet von Grünfinfen und Hänflingen ſechs bis zehnmal jo viel Sauerjtoff verzehrt wie von Enten und Hennen in gleicher Zeit für gleiches Körpergewicht. Anhaltende Bewegung jteigert nah Davy die Wärme des Körpers, wie fie nah Vierordt, Laj- Jaigne, nah Gerlah und Smith, die Menge der ausgejchiedenen Kohlenjäure erhöht. Auf zwiefache Weije läßt ſich die Zunahme der Körperwärme durch Arbeit darthun: einmal, indem man ihrer unmittelbaren Steigerung mejjend folgt, bis fie in Folge der Arbeit ihren höchſten Werth erreicht hat, jodann indem man das Mittel aller Meſſungen an einem Arbeitstag mit einem Ruhetag vergleicht. Sürgenjen, der von verjchiedenen Gejichts- punkten ausgehend, beide Wege betreten hat, beobach— tete bei einem Manne von 42 Jahren und 60 Kilo: gramm Körpergewicht die Wärme bei der unmittelbar vorhergehenden Ruhe und fand jie einmal 37,1°, und al3 der Mann 2° Stunden gejägt hatte, war jeine Wärme 38,5, jie war aljo um 1,4 oder nahezu andert- halb Grad geitiegen. Bon demjelben Manne, der in einer fortlaufenden Beobachtungsreihe diefen Unterjchied für Arbeit und Ruhe ergeben hatte, war aber auch durch lange und unter jehr verſchiedenen Umſtänden fortgejeßte Mefjungen das Tagesmittel der Wärme befannt, das Jürgenſen für den vierumdzwanzig Stunden umfafjenden Zeit— raum beim erwachjenen Menjchen als einen überrajchend bejtändigen Werth hat fennen lehren. Diejes Mittel beträgt 37,19°. An den Arbeitstagen war das Mittel einmal 37,38, ein anderes Mal 37,50%, während an den auf die Arbeit folgenden Ruhetagen die Mittel 37,13 und 37,119, aljo weniger al3 das Geſammtmittel aller Beobachtungen an demſelben Manne ergabeır. Die Einzelvorgänge in Musfeln und Nerven haben gezeigt, daß beiden ein Antheil an jener Wärme— erhöhung zukommt. Durch Helmholtz wiſſen wir, daß ſelbſt die kleinen Froſchmuskeln durch ihre Zujfammenziehung meßbar an Wärme zunehmen, wenn auch nicht ganz um ein Fünftel Grad. In dem zweiköpfigen Arms musfel fanden Becquerel und Breſchet eine Ver— mehrung um einen und einige Zehntel Grad bei einen Manne, der fünf Minuten Holz gejägt hatte. Nachdem ſich Helmholtz vor vielen Jahren vers geblih bemüht Hatte, eine Wärmeerhöhung auch in gereizten Froſchnerven nachzuweiſen, berichten ung Dalentin, Oehl und Schiff, es ſei ihnen gelungen zu beobachten, daß die Neizung im Nerven eine Cr: 332 mwärmung bewirkt. Während Valentin an Kröichen arbeitete, haben die beiden lettgenannten Forſcher ihre Derfude auch auf Warmbluter ausgedehnt. Schiff ermittelte unter Beachtung der zahlreihen Vorſichts— maaßregeln, wie fie die Veränderlichfeit des Verſuchs— gegenstandes und die Feinheit der Mefjungen aufs nöthigen, daß am hinlänglich friſchen Nerven ein der erregten Strecke näher gelegener Abſchnitt jtärfer er- wärmt wird al3 der ferner liegende. Der jtärfere Reiz brachte in Schiff's Verſuchen auch eine größere Erwärmung hervor. Nur über das Gejammtmaak der Wärme, die durch die Anwendung von Reizen im Nerven frei wird, gejtatten die bisherigen Unter- Juhungen fein Urtheil. Da nun jeder Antrieb zur Bewegung, wie jie die Verfürzung unferer Muskeln bedingt, eine Erregung des Nerven vorausjest, jo ergiebt jich aus der Wärmeerhöhung, die beide erleiden, daß in beiden eine jtoffliche Bewegung vorgeht, die freilich im Muskel viel anjehnlicher ijt als im Nerven. Wärme entjpricht der Leitung des Arms und des Hirns. Das Denken erhöht nah Davy die Wärme ebenjo gut, wie es nah Byajjon den Zerfall der eiweihartigen Bejtandtheile und des phosphorhaltigen HirnfettS jteigert, da in Folge geiltiger Arbeit Harn— ſtoff, Schmwefelfäure und Phosphorjäure in größerer Menge mit dem Harne ausgeleert werden. In den 399 angejtrengten Nachtwachen, in denen das Hirn gebätt, was am Tage die Sinne zeugten, bejchleicht den For— ſcher ungeitiger Hunger, der ihn zwingt, im Gedanken eine Bewegung des Stoffs zu erfennen. Die förperliche Bewegung darf aber ein gewiſſes Maaß nicht überjchreiten, jonjt hemmt fie das Athmen. Dann wird auch nad Naſſe die Wärme weniger erhöht. Wenn wir ruhend bewegt werden, wie beim Jahren im Wagen, dann wird die Wärme jogar um etwas herabgedrückt (Davy); beim Fahren wird der DVer- luſt an Wärme durch die wechjelnden Luftichichten, die mit dem Körper in Berührung kommen, vergrößert. Dhne Zweifel iſt e3 zum Theil durch die größere Thätigfeit am Tage bedingt, daß unjere Wärme wäh— rend der Tagesitunden etwas höher ijt als in der Naht. Wenn man die Mittelwerthe mit einander ver— gleicht, it der Unterjchied jedoch nicht groß, denn er erreicht nah Jürgenſen's zahlreichen Mejjungen nicht ganz einen halben Grad. Er fand die durch— ſchnittliche Nachtwärme gleich 36,9%, die entjprechende Tageswärme 37,3. Der höchſte Wärmegrad wird nah Jürgenſen Abends gegen 7, der niederite Morgens gegen 7 Uhr beobachte. Die äufßeriten Werthe fallen ans Ende der beiden Zeitabjchnitte, deren Grenzen jedoch nicht unverrüchar find. Da aber Licht und Wärme, wie ich am deutlichſten an Fröſchen 334 beobachten fonnte, den Stoffwechſel beeinfluiien, jo wirfen außer dem Gegenſatz von Ihätigfeit und Nude noch andere Urſachen mit, um den Wärmeunterjchied zu erzeugen. Sp jehr man auch geneigt jein möchte zu erwar— ten, daß die Einnahme des Hauptmahles auf die Wärme unjerer inneren Theile einen durchgreifenden Einfluß üben follte, hat jich doch dieſe Vorausſetzung in der Erfahrung nicht bejtätigt. Bei Davy ſank die Wärme nach dem Mittagejien, während ſie jich bei Gierje erhob. Mantegazza, der, ähnlich wie früher von Bärenjprung einen höchſten Wärmegrad der Morgenjtunde zwilchen zehn und elf, und eine Wieder: holung dieſer größten Wärme de3 Körpers um fünf Uhr Abends annimmt, erklärt ausdrücklich, daß die Stunde des Mahls auf den Zeitpunkt, in welchem die höchſten MWärmegrade erreicht werden, feinen Einfluß bat. Er jelber jpeilte 3. B. um 5 Uhr und beobachtete, wie Davy, nach diefer Stunde eine ftetige Abnahme feiner Wärme bis in die Nacht hinein. *) Sm Allgemeinen übertreffen die Vögel an Wärme die Süugethiere, diefe, und zwar in viel höherem Grade, die Lurche und Fiſche. Aber die Schleihe athmet in gleicher Zeit für gleiches Körpergewicht nur *, Mantegazza, della temperatura delle orine, Milano 1862, p. 10. — > a or I) © ein DBiertel joviel Kohlenſäure aus als der Froſch, die Kröten, Salamander und Fröſche nach meinen und Schleske“s zahlreiden Unterfuhungen nur ein Viertel bis reichlich zwei Drittel joviel wie der Menfch, die Taube dagegen nah Bouſſingault beinahe neun— mal mehr als die Menjchen. 63 giebt eine Krankheit, die durch den Uebergang von Zuder in den Harn ausgezeichnet ift, Die jogenannte Zuderharnruhr. In dieſer Krankheit it die Wärme des Körpers vermindert, vorausgejeßt, dal die Kranken nicht fiebern (GGouchardat). Griejinger, Roſen— ftein und Yomniß jahen die Wärme des Menjchen in der Zuderharnruhr zwiſchen 35 und 36° ſchwanken, Vogel fogar auf 34° herabgehen.*) Gantani in Neapel hat ihre Angaben mehrfach bejtätigt, er fand aber nie weniger als 35° und dies nur in ſchweren Fällen.**) ine Reihe von Ihatjachen fpricht dafür, daß dieſer Harnzuder als ein Erzeugniß der Rück— bildung betrachtet werden darf, welches auf einer niederen DVerbrennungsitufe jtehen geblieben ijt. So— wohl die Menge des verzehrten Sauerjtoffs, wie die *) Julius Vogel, Sranfheiten der barnbereitenden Organe in Virchow's Handbuch der jpeciellen Pathologie und Therapie, Erlangen, 1856 — 1865, ©. 485; Bouchardat, de la glycosurie, Paris, 1875, p. 32. **) Cantani, patologia e terapia del ricambio materiale, Milano, 1875, p. 92, 140, 158, 202. 396 der ausgejhiedenen Kohlenfäure it in der Zuder- harnruhr bedeutend herabgejegt (Pettenkofer und Boit). Am’ Fieber dagegen ijt der Stoffwechſel bejchleu- nigt, und es giebt fein bejtändigeres Kennzeichen des Fiebers als die Erhöhung der Blutwärme, Veberall finden wir Einklang zwiſchen Wärme und Stoffwedhjel, und darum durfte ich die Wärme ein Maaß des Lebens nennen, Aber diefer Ausdruck hat im jtrengen Sinne nur Geltung, wenn man die erzeugte Wärmemenge, die wahre Eigenwärme in Betracht zieht. Gr Hört auf wahr zu fein, wenn wir von dem Wärmegrad des Körpers ausgehen. Die wahre Eigenwärme iſt die— jenige, welche im Körper erzeugt wird. Der Wärme— grad, und Leider fennen wir nur diejen genau, ijt ein Ergebniß von Wärmeentwiklung und Wärmeverluft. Darum waltet fein einfaches gerades Verhältniß zwijchen dem gegebenen Wärmegrad und der Schnellig- feit des Stoffwechjels, wenn wir beide Größen in mathematischer Strenge mit einander vergleichen. Wenn gar feine Wärme dem Körper verloren ginge, dann dürften wir die Eigenwärme betrachten alS den Unterschied zwifchen dem Wärmegrad von Thieren und Pflanzen und dem der Luft oder des Waſſers, die jie beherbergen. 397 Allein Pflanzen und Thiere verlieren bejtändig Wärme durch Ausftrahlung und Yeitung, Berdunjtung und Auflöfung. Leitung und Verdunſtung werden durch Zuftwechjel bejchleunigt. So oft ein Salz jich in den FSlüffigfeiten des Körpers auflöjt, wird Wärme gebuns den, und um jo mehr, je größer die Menge des Waſſers it, die zur Auflöjfung verwandt wird (Berjon). Ein Regenſchauer wirft doppelt abfühlend auf die Pflanzenwelt, injofern das eingedrungene Wafjer die Salzidjungen in der Pflanze verdünnt und die Ver— dunftung an der Oberfläche jteigert. Dagegen ijt die Benetzung der Zellwände mit einer Verdichtung von Wafjer verbunden, und hierdurch wird etwas Wärme frei. Uebertrifft ver Verluft die Entwicklung der Wärme, dann kann der Wärmegrad eines lebenden Wejens unter den des umgebenden Mittels, unter den von Luft und Wafjer Herabjinfen. Wir find nicht beved)- tigt, daraus zu ſchließen, daß die Eigenwärme fehlte. Pflanzen und Lurche find ſehr Häufig in Folge der fräftigen Verdunſtung an ihrer Oberfläche Fälter, als die umgebende Luft. Schneiden wir die Verdunftung ab, indem wir die Pflanze oder den Froſch in einen mit Wafjerdampf gejättigten Raum bringen, dann jehen wir den Wärmegrad fich Aber den dev Luft erheben (Dutrochet). Diejeg Mehr wird von der Pflanze, vom Froſche entwickelt. 338 Abnahme der Verdunftung vermindert aud den Märmeverluft. ES ijt befannt, dab eine Salzlöjung, vermöge der Verwandtihaft des Salzes zum Waſſer, das letztere langjamer verdunſten läßt, als reines Waſſer. Der Schiffsführer Bligh, der nebjt adt- zehn Getreuen von jeinem aufrühreriihen Schiffsvolf in einem kleinen Boote dem Meere preisgegeben ward, fand Fein Mittel bejjer, jih und die Seinigen zu er- wärmen, wenn ihre Kleider vom Regen durchnäßt waren, als das Eintauchen der Kleidungsjtüde in Seewaſſer und nachheriges Ausdrücden derjelben. Statt Negenwafjer enthielten dann die Kleider Salzwajjer. Zunächſt ward dadurd die Verdunſtung bejhränft, und indem das Salz die Haut reizte und das Blut in dieje veichlicher einjtrömte, wurde jenen Verlaſſenen die Empfindung verurjadt, als hätten jie trodene Kleider angelegt (Georg Forſter). Wenn der Verluſt an Wärme rajcher abnimmt als die Menge, die erzeugt wird, dann kann bei einem langjameren Stoffwechjel ein höherer Wärmegrad vor: banden fein, al3 man erwarten dürfte, wenn das Leben dur den Wärmegrad und nicht durch die Eigenwärme gemejjen würde. Durch diefen Zuſammenhang wird es auf die natür- lichſte Weife erklärt, dat nah den Mejjungen von Bärenſprung's die Wärme der Greije die des er— 339 wachſenen Mannes übertrifft. Der Stoffwechjel nimmt im höheren Alter ab und zwur die Einnahmen noch ftärfer als die Ausgaben. Allein die trockene Haut empfängt weniger Blut, jie läßt weniger ausjtrahlen und verduniten, ſie giebt durch Leitung weniger Wärme ab, und dadurch wird der Wärmeverluſt in höheren Grade gemäßigt als die Verbrennung verzögert wird. Ebenſo verhält es jich mit den Fällen, im melden bei Frauen eine höhere Wärme beobachtet wird, al3 bei Männern. Der Stoffwechjel, und ganz bejonders die Athmung, jteht an Lebhaftigkeit den gleichen Vorgängen beim Marne bedeutend nad. Dem entjprechend fand auch Najje die Wärme der rauen geringer, als die der Männer. Bon Bärenjprung dagegen hat einen geringen Unterjchied zu Gunjten der rauen beobachtet. Es ijt feinem Zweifel unterworfen, dab dies nur in einem geringeren Wärmeverlujt bei den von ihm unter- ſuchten Frauen begründet jein konnte. Indem die grauen weniger ausathmen und weniger Harn in 24 Stunden ausjcheiden als die Männer, laſſen jie weniger Waffer verdunften umd geben jie weniger Wafjer aus, das ihr Körper erit auf eine Wärme von 37 Grad er- hoben hat. Und das Fettpolſter, das den weiblichen Körper in der Regel veichlicher deckt, Schütt als ſchlechter Wärmeleiter die unter der Haut liegenden Theile vor einer zu raſchen Abgabe an die Außenwelt. 22. 340 Für gleiches Körpergewiht athmen Kinder mehr Kohlenjäure aus als Erwachſene, ebenjo wie jie, für die Gewichtseinheit ihres Körpers, in gleicher Zeit mehr Harnjtoff ausjcheiden. Es wird aljo aud in einer gegebenen Zeit mehr Stoff bis zu dieſer End— jtufe verbrannt. Ueberdies wächſt ein Kind nur des— halb, weil die Menge der Nahrung die der Ausgaben übertrifft. Allein die Gewebebildung, die jogenannte Ernährung im engeren Sinne, beruht jelbjt auf einer langjamen Verbrennung der Blutjtoffe. Im kindlichen Alter ijt aljo eine doppelte Steigerung erzeugter Wärme gegeben; jowogl die Anbildung wie die Nüdbildung, die beide eine Bereicherung des organiſchen Körpers an Sauerftoff vorausjegen, jind gejteigert. Daher it das Kind wärmer als der Erwachſene, trotzdem daß der kleine Körper im Vergleich zu jeinem Inhalt mehr Wärme ausjtrahlt als der große. Schlagender läßt es jich nicht darthun, da der Wärmegrad eines Körpers fein jtrenges, einfaches Maaß des Stoff: wechjels ijt. Kinder und Greife, die Hinfichtlid der Lebhaftigkeit ihres Stoffumjages an den entgegen- gejetten Grenzen jtehen, zeigen nad den Mejjungen von Bärenjprung’S in der Wärme ihres Kör- pers die größte Uebereinjtimmung. Beide übertreffen den Erwachſenen. Während aber beim Greiſe der Derluft an Wärme noch mehr herabgedrüdt ijt als —— 3414 die Erzeugung, iſt umgekehrt beim Kinde die Ent— wicklung noch mehr geſteigert, als der durch Ausſtrah— lung bedingte Verluſt. Wenn alſo kleine Thiere, Sperlinge, Grünfinken, ebenſo warm ſind wie Tauben und Hühner, obgleich jene mehr Wärme verlieren als dieſe, ſo iſt es klar, daß ſie in demſelben Verhältniß mehr Wärme erzeugen müſſen. Die herrliche Arbeit von Regnault und Reiſet hat uns gelehrt, daß Sperlinge und Grün— finken beim Athmen zehnmal mehr Sauerſtoff verbrauchen als Hühner. Und daß die Wärme der Eidechſen trotz dem kleineren Körper und größerer Oberfläche nach den Meſſungen von Rudolphi und Czermak be— deutend größer iſt, als die des Waſſerfroſches, kann uns nicht in Erſtaunen ſetzen, wenn wir durch die Bemühungen der oben erwähnten franzöſiſchen Forſcher erfahren, daß die beweglichen Eidechſen für gleiches Körpergewicht zwei- bis dreimal mehr Sauerſtoff ver— zehren, als die trägeren Fröſche. Von den Urſachen des Wärmeverluſts, die in Ver— bindung mit den Quellen der Wärme nicht die erzeugte Eigenwärme, ſondern den Wärmegrad als ein un— mittelbar Gegebenes hervorbringen, haben wir bisher die Verdunſtung, die Ausſtrahlung, die Wärmeleitung und die Auflöſung feſter Stoffe in Waſſer kennen gelernt. Zu dieſen Vorgängen, die eine Abnahme 342 der Wärme bedingen, gejellt jih noch die Zerſetzung, namentlich diejenige, Die wir als das gerade Gegen- theil der Verbrennung betrachten müfjen, die Sauer: ftoffverarmung. Die Berfude von Thomas Woods haben be- wiefen, daß die Zeriekung eines zujammengejeßten Körpers von einem Wärmeverluſt begleitet iſt, welcher- an Größe der durch Verbindung der Zerſetzungspro— dufte erzeugten Wärme gleichfommt. Die Verwandlung der Fettbildner in Fett erfor- dert eine Ausfheidung von Sauerjtoff. Wenn Stärf- mehl oder Zuder in Butterfäure, wenn die Butter- jäure in Deljäure übergeht, dann nimmt die Sauer= jtoffmenge der betreffenden Körper ab, und bei diejer Zerlegung, in deren Folge wir Waſſerſtoff und Kohlen— ſäure im Darmfanal finden, geht ebenjo viel Wärme verloren, wie bei einer entiprechenden Verbrennung entwicelt wird. Der Berlujt muß um jo größer fein, weil Waſſerſtoff und Kohlenſäure im gasförmigen Zus itande frei werden, aljo eine erhebliche Wärmemenge binden müſſen. Sauerjtoffverarmung ilt wiederum das wejentliche Merkmal der Umbildung von Kohlenjäure und Waſſer in Zellftoff und Stärfmehl, der Bildung von Holz und Kork, von Fett und Wachs in der Pflanze. Fettbildung im. Ihierreih und die Entſtehung dev 343 allgemein verbreiteten Bejtandtheile in der Pflanzen- welt find aljo in Bezug auf die Wärme gerade jo das Gegentheil der Verbrennung, wie die Entwicklung der Rüdbildung entgegengejegt iit. Die Materie orga— nifirt ji, indem jie Sauerjtoff verliert, und dadurch ijt ein Verluſt an Wärme bedingt, der nur gemäfjigt wird, weil der Stoff, indem er jich organijirt aus dem luftförmigen in den fejten Zuſtand übergeht, aljo verdichtet wird, und neben der eingreifenden Zerſetzung offenbar auch mancherlei Verbindungen ftattfinden. Auf der anderen Seite gehen Rüdbildung, Berbrenmung und Wärmeerzeugung mit einander Hand in Hand. Beide Vorgänge find Pflanzen und Thieren gemein, nur daß in jenen die Anbildung mit Wärmeverluft, in diefen die Rückbildung mit Wärmeerzeugung vor: herrſcht. Butterſäure enthält weit mehr Sauerſtoff im Ver— hältniß zum Kohlenſtoff und Waſſerſtoff, als die Oel— ſäure. Es iſt hiernach klar, daß die Butterſäure, um Kohlenſäure und Waſſer zu liefern, weniger Sauer— ſtoff aufnimmt als die Oelſäure. Und hieraus folgt, daß wenn Butterſäure ebenſo viel Kohlenſäure und Waſſer giebt, wie ein entſprechendes Gewicht der Oel— ſäure, im letzteren Falle durch die Verbrennung mehr Wärme erzeugt werden muß, als durch die Verbren— nung der Butterſäure. 344 Umgekehrt wird meniger Wärme verloren, wenn der Zuder jih nur in Butterfäure verwandelt, als wenn die Sauerjtoffverarmung bis zur Bildung von Perlmutterfettſäure oder Talgjäure fortjchreitet, welche beife durch einen viel geringeren Sauerjtoifgehalt vor der Butterjäure ausgezeichnet jind. Wo jo viel Urjadhen der Erzeugung und der Ab— gabe von Wärme zujammenmwirfen, da fann begreif- licher Meije von einer genauen Berechnung des An— theil3 jedes einzelnen Gliedes nicht die Nede fein. Um zu bejtimmen, wie viel Wärme erzeugt wurde, müßten wir bei einem Thiere nicht nur willen, wie viel Sauer— jtoff aufgenommen, wie viel Kohlenſäure, Waſſer und Harnjtoff ausgejchieden wird, jondern auch aus welchen Stoffen die Kohlenjäure, das Wajjer und der Harn— jtoff hervorgingen, wie viel Eiweiß in Gewebe ver— wandelt und etwa im Körper aufgejpeichert, wie viel und welche Salze gebildet, wie viel Wajler verdichtet, wie viel Kohlenjäure und Sauerjtoff in den Flüſſig— feiten des Leibes gelöjt wurde. Und wären wir im Belize aller diefer Thatjachen, dann würden mir den Wärmegrad im einzelnen Kal nur unter dev Bedin— gung befriedigend herleiten können, wenn wir ebenjo, wie die Märmequellen, auch die einzelnen Wärme— ausgaben zu bejtimmen vermöchten. Wir müßten die Wärme Fennen, um welde Ausjtrahlung und Ver: te dan“ 8 Em 345 dunftung, Wärmeleitung, Auflöfung feſter Stoffe und Zerjegung den Körper berauben. Wir mühten vor allen Dingen wiſſen, wie viel Wärme verbraucht wurde, welche durch Umſetzung in lebendige Kraft zur Arbeit aufgeboten ward. Denn dur die Bewegung nimmt die Menge der Kohlenjäure erjtaunlich zu, ohne daß in entjprehendem Grad die Wärme gejteigert wird, was nicht Hlo daher rührt, dal die durd die Bewegung veranlaßte Ausdünjtung Wärme verbirgt, fondern ebenſo Daher, day ein Theil der erzeugten Wärme als jolche verſchwindet, um dafür al3 Arbeit zu Tage zu fommen. Stärfmehl verwandelt ſich im Thierkörper in Stärke— gummi*), dieſes in Zucker. Die letztere Verwandlung beruht auf einer Verbindung des Stärfegummis mit Waſſer. Der Zuder zerfällt in Milchjäure, die Milch— fäure in Butterjäure, Kohlenſäure und Waſſerſtoff. Nah und nad) verwandelt ji die DButterfäure im menſchlichen Körper in Oelſäure und Perlmutterfett— jäure. Aber dieje Fettſäuren enthalten weniger Sauer- ftoff als die Butterfäure, die Butterfäure mieder weniger al3 Milchſäure. Wenn alfo im menschlichen Körper aus Stärfmehl Fett entjteht, dann ijt big zur Zucerbildung eine Aufnahme von Waſſer, eine chemi— *) Dertrin. 346 [he Verbindung, eine Quelle von Wärme gegeben. Bon der Bildung der Butterjäure an ijt der Vor— gang durch Sauerjtoffverarmung bezeichnet. Die Butter- jäure enthält mehr Sauerjtoff al3 die Perlmutterfett— ſäure, und die Perlmutterfettjäure wieder mehr als die Deljäure. Die Gntjtehung aller diefer Säuren ijt alſo begleitet von einem Wärmeverlujt. Aber fie jelbjt verbrennen ſpäter allmälig zu Kohlenjäure und Wafjer. Wo wäre hier an eine Rechnung zu denken, die vorausfegen würde, daß wir müßten, mie viel Stärfmehl in Zucker, wie viel Zucker in Fett ver- wandelt wurde? Wie joll man im einzelnen alle bejtimmen, wie viel von jeder einzelnen Fettſäure aus dem Zucker hervorging, wie viel von jeder einzelnen zu Kohlenjäure und Wafjer verbrannt wurde? Und alle dieſe Zahlen, die unjerer Rechnung entgehen, wären nöthig, um zu bejtimmen, welchen Antheil wir einer einzigen Neihe von jtorflihen Vorgängen an dem Wärmegrad des Körpers zujchreiben müfjen. So weit aljo iſt es entfernt, daß die Verſuche von Dulong und Despregk, um zu bejtimmen, wie viel Wärme die Bildung von Kohlenjäure und Waſſer im Thierförper erzeugen kann, die Frage nad dem Urjprung der thieriichen Wärme in befriedigender Weiſe gelöjt hätten, daß mir vielmehr auf dem jegigen Standpunkt unſerer Kenntnifje jenen Werjuchen alles 347 Vertrauen verjagen müßten, wenn fie wirklich gelehrt hätten, daß die erzeugte Wärme der Thiere als reine Berbrennungswärme zu betrachten ijt. Wir begegnen hier einem von den vielen Fällen, in welchen der Wechjel des Lebens jich nicht in Zahlen bannen läßt. Nicht etwa weil die Vorgänge des Lebens nicht3 gemein hätten mit den Zahlen des Mechanifers, oder weil der Stoff jich im lebenden Weſen den Gejeken des Zählens und Wägens entzöge. Allein die Rechnung hat es mit fo vielen veränderlichen Größen zu thun, deren Wachsthum und Abnahme fich im einzelnen Fall nicht genau bejtimmen laſſen, daß wir der jcharfen Berehnung des Endergebnijjes entjagen müſſen. So weit fönnen wir die Rechnung führen, da uns der Wärmegrad als ein Ausdruck ftoffliher Vorgänge er— ſcheint, herzuleiten aus Erzeugung und Verluſt. Das mit ijt der Grundjag der Rechnung gewahrt. Die Rechnung wäre im einzelnen Fall auszuführen, wenn wir die einzelnen Größen fejjeln Könnten, die fich im Fluſſe des Lebens verlieren. Wenn ich aber nicht weiß, wie viel Stärfinehl im Thierförper in Butterfäure übergeht, dann kann ich den Einfluß, den diejer Vor— gang auf die Wärme ausübt, aus demjelben Grunde nicht bejtimmen, aus dem ich die Höhe eines Thurms nicht finden Fann, deſſen Entfernung von meinem Stand- ort mir unbefannt wäre Die Rechnung ijt in beiden Fällen möglich im Begriff, fie jcheitert nur an äußeren Hindernifien der Ausführung. Es gehört zu den wejentlichjiten Grfenntnifjen in der Lehre des Lebens, die Grenzen der Unüberwindlichkeit jolcher Hindernifje zu überfchauen. Denn diejfe Erkenntniß jichert uns vor einem Spiel mit mathematijchen Formeln, die nur dann unſerer Einjiht den Ernſt und die Weitigfeit der jtrengiten aller Wifjenjchaften verleihen, wenn die Formeln eine getreue Ueberſetzung enthalten der Er— Iheinungen des jchwanfenden Lebens. Um den Wärmegrad de3 menjhlihen Körpers nad) jeinen Urſachen in eine Formel einzufleiden, würden wir einen höchſt zuſammengeſetzten Ausdruck mit lauter veränderlihen Größen erhalten. Darin liegt es, daß wir zwar im Allgemeinen jagen können, die Wärme jteigt mit der Kraft des Stoffwechjels und fällt, wenn Verdunſtung und Ausjtrahlung zunehmen, ohne daß der Wärmegrad genau Schritt hält mit irgend einem der Vorgänge, die den Stoffwechjel zujammenjeten und ordnen. Darum ijt die Wärme Fein jtetiges Maaß für Athmung und Ernährung, für Ruhe und Bewe— gung, fie befolgt Fein gerades DVerhältnig mit Tag und Nacht, mit Sommer und Winter, mit Alter und Geſchlecht. Und dennoch hängt jie nach fejten Gejeten von jedem diejer Glieder ab. So kann es fommen, daß Säugethiere von manchen gleich großen Vögeln 349 nit um ebenſo viel in der Gigenwärme übertroffen werden, wie an Lebhaftigfeit des Athmens. Der Wärmegrad würde nur dann, wenn alle übrigen Vers hältnifje völlig gleich) wären, genau der Straft der Athmung entſprechen. Bei aller Klarheit über den beſchränkten Werth, den die Rechnung unter ſolchen Verhältniſſen, bei ſo viel unbekannten Größen, beſitzt, verlohnt es ſich doch der Mühe, einen Verſuch zu wagen, um wenigſtens eine annähernde Vorſtellung von dem Kräftemaaß zu gewinnen, das ſich im menſchlichen Körper entwickelt. Helmholtz ift uns darin mit jeinem Beijpiel voran gegangen. Wir haben aber für unjere Rechnung einige Grundzahlen zur Verfügung, die, als Helmholtz jeine Rechnung anjtellte, noch nicht befannt waren, und die es rechtfertigen, wenn wir dieſelbe Aufgabe auf3 Neue behandeln. Zunächit it hier Hervorzuheben, daß wir unter den jtofflihen Vorgängen, die zur Wärmebildung mit- wirfen, nur die Verbrennungen in unfere Nechnung aufnehmen können. Wie viel Wärme dadurd ent— wicelt wird, daß ſich Stärfmehl mit Waſſer, daß ih Milchſäure oder Schwefelfäure mit dem Alkali fohlenfaurer Salze verbindet, daß ſich Kohlenſäure oder Sauerjtoff in Waſſer auflöft, können wir nicht angeben, e3 iſt aber mehr als wahrjcheinlich, daß er En a Ze Eu u at, —— — L 350 diefe Wärme im Vergleich zu dev durch Verbrennung gelieferten jehr Elein ift. Sie wird hier nur in Erinne— rung gebradt, damit man den Werth der nachfol- genden Rechnung nach feiner Seite überſchätze. Weil nun die Erfahrung gelehrt hat, daß man die Berbrennungswärme der organiichen Stoffe nicht beurtheilen fanı aus der Menge der Kohlenjäure und des Waſſers, die jie liefern, als mühten der Kohlen ftoff und der Wafjerjtoff, den die organiſchen Körper enthielten, al3 jolche zu Kohlenjäure und Waſſer ver- brannt jein, jo hat jih Frankland der verdienit- vollen Arbeit unterzogen, durch unmittelbare Verſuche die Wärmemenge zu bejtimmen, welche durch die Ver: brennung der Gewichtseinheit unſerer wichtigſten orga— niſchen Nahrungsſtoffe geliefert wird. Da die von Frankland ermittelten Werthe meiner Berechnung der vom Menſchen in 24 Stunden erzeugten Wärme zu Grunde liegen, ſo ſeien ſie hier überſichtlich zu— ſammengeſtellt. Bei der Verbrennung liefert 1 Gramm Eiweiß. . . 4998 Wärmeeinheiten, ——— vet u: 20 " Rn ITraubenzuder. 3277 5 Bin Stärfmehl. . 3718 *) B *) Gewöhnlih wird für Stärkfmehl die Zahl 3813 ange geben, welche Franfland für den an Stärfmehl jo reichen Neis gefunden bat. Aber aus den Mittelwertben für die Zu« 351 In diefer Tabelle bedeutet die Wärmeeinheit die— jenige Wärmemenge, welche im Stande ijt, Ein Gramm Waller um Einen Grad in jeiner Wärme zu fteigern. Nah meinen Nechnungen nun bejteht das Kojt- maaß eines arbeitenden Mannes in 24 Stunden aus fammenjegung des Neiles *) berechnet ih, daß in 1000 Theilen trodnen Rückſtandes dejjelben enthalten find: An eiweißartigen Stoffen. - . » 2... 55,83 „ Stärfmehl + Zellitoff + Dertiin . . 928,43 ei. 1,91 HE BL A ee 831 5,52 Aus Franklands Grundwerthen ergiebt ſich, daß die 55,83 Taujendftel Eiweiß des Reiſes . . 279,038 1,91 7 DEE een Ne 6,259 8,31 ? EIER oder Eiweiß, Zuder und Fett zujammen . . 360,660 Wärmeeinheiten liefern mußten. Daraus ergiebt fich, daß von den 3813 Wärmeeinheiten, die der Neis bei jeiner Verbrennung geliefert hat, 3452,34 von der Verbrennung jeiner 928,45 Taujenditel Stärfmehl herzuleiten find, woraus ſich für 1000 Milligramm oder 1 Gramm Stärfmehl die im Tert anger gegebene Zahl 3718 berechnet. Das Stärfmehl ijt nun aller: dings im Weis von "sa jeines Gewichts an Zellitoff und bei— nahe ebenjo viel Stärfegummi begleitet; ich habe diejen Zell ftoff und das Stärfegummi als dem Stärfmehl in Bezug auf Märmebildung gleichwerthig behandelt, wogegen für jeßt nicht viel einzumenden jein dürfte. *) Pol. meine Phyſiologie der Nahrungsmittel, 2. Auflage, Darmitadt 1859, Tabelle XLVI, S. 114 des tabellarijchen Anhangs. 352 130 -Sramm eiweihartiger Stoffe, BEH, Fett, ſtickſtoffloſer Fettbildner, (Stärkmehl, Zucker u. ähnlicher Stoffe), 30 Salze, 2500°° 7, Waſſer. Um alſo diejenige Wärme, die durch Verbrennung organiſcher Stoffe im Körper in 24 Stunden ent— ſtehen kann, zu beſtimmen, braucht man nur die hier aufgeführten Zahlen mit den zugehörigen Werthen der Verbrennungswärme zu vervielfachen. Es ent— ſteht nur die Frage, ob wir bei dieſer Rechnung die ſtickſtoffloſen Fettbildner durch Zucker oder durch Stärkmehl wollen vertreten laſſen, da Stärkmehl für daſſelbe Gewicht über 400 Wärmeeinheiten mehr erzeugt als Traubenzucker. Während im reiferen Lebensalter die gewöhnliche und nahrhafteſte Nahrung aus dem Pflanzenreich überwiegend mehr Stärfmehl als Zucker enthält, jind beim Säugling die jtidjtoff- loſen Fettbilduer nur durch Milchzucder vertreten. Es mag daher bei der Rechnung, für die ein jicherer Durchſchnittswerth nit zu Grunde gelegt werden fanır, die Annahme gejtattet werden, daß von den 404 Gramm jticjtofflojer Fettbildner die eine Hälfte Stärfmehl, die andere Traubenzuder jei. Der leb- tere jteht dem Nohrzuder und folglich wahrſcheinlich Bu a 353 auch dem Milchzucker in jeiner Verbrennungswärme nahe. *) Die Rechnung ergiebt für 130 Gramm Eiweiß . . 649747 Wärmeeinheiten 54: „ BEIN, n =. - 104.296 — Stärfmehl . 751056 ’ 208; , Traubenzuder 661954 zujammen 2824553 Wärmeeinheiten, mit anderen Worten, die organifchen Stoffe des Koſt— maaßes, das durhjichnittlich einem arbeitenden Manne zufommt, würden bei ihrer Verbrennung jo viel Wärme erzeugen fönnen, daß dadurd 2,824,555 Gramm oder mehr als 2800 Kilo Waſſer in ihrer Wärme um Einen Grad erhöht werden könnten, Sie erzeugen im Körper nicht ganz jo viel Wärme, weil ſie im Körper nicht volljtändig verbrennen. Der größte Theil des Stickſtoffs unſerer eiweißartigen Nah— rungsſtoffe wird nämlich in der Geſtalt von Harn— jtoff, Harnſäure, Pferdeharnjäure, Fleiſchbaſis**) und ahnlichen organijchen Stoffen ausgeſchieden, die bei ihrer Verbrennung zu Kohlenfäure, Waller und Am— moniaf eine Wärmemenge liefern würden, die im *) Nah Frankland liefert die Gewichtseinheit Nohrzuder 3348 Wärmeeinheiten, allo 71 mehr als Traubenzuder. **) Kreatinin. 23 904 Körper nicht wirklich erzeugt wird, alſo von der oben berechneten Zahl abgezogen werden muß. Nah Franfland erzeugt die Verbrennung von 1 Gramm Harnftoff . . 2206 MWärmeeinheiten, dr 1, Harnjäure . . 2615 J 1 u. Pferdeharnfäure 5383 — Da nun nad meinen Berechnungen ein erwach— jener arbeitender Mann in 24 Stunden durhichnittlich 51 Gramm Harnitoff, 0,6 „ Harnjäure, 1 „ Prerdeharnjäuve ausjcheidet, jo muß man für Harnftoff . . . 31 >< 2206 = 68356 „. Harnfäure „...=u2 ı»0,6.>82615 74569 | en os 9 0 „Pferdeharnſäure 838388 oder im Ganzen wenigſtens 75338 Wärmeeinheiten von der oben ermittelten Verbren— nungswärme der in 24 Stunden eingeführten orga— nischen Nahrungsſtoffe abrechnen : 2824533 — 75338 = 274919. Da hier die Wärmeeinheiten in Grammen aus— gedrüct find, jo haben wir nur durch 1000 zu theilen, um zu finden, daß die organijchen Stoffe, die im Koſtmaaß eined arbeitenden Mannes enthalten jind, ducchjchnittlich bei ihrer Verbrennung im Körper jo 305 viel Wärme liefern, daß dadurch 2749 Kilo Waſſer um 4° erwärmt werden würden. Wie Hoch dieſe Zahl ijt, erhellt am beiten, wenn wir berechnen, zu welchem Wärmegrad unjer eigener Körper durch jene Verbrennungswärme gebracht werden könnte, wenn ſie ſich in Furzer Zeit entwicelte, und wenn der MWärmeerzeugung gar fein Wärmeverluſt gegenüber jtände. Um diefe Rechnung auszuführen, müffen wir wiſſen, daß ein Mann von 30 Jahren durchſchnittlich 63,65 Kilogramm wiegt, ımd daß er, um die Gewichteinheit jeines Körpers um 1° wärmer zu machen, nur etwa *5 jo viel Wärme braucht wie das Waſſer. . 63 ijt nämlich ein wejentliches Merkmal verschie dener Körper, dal jie, um in ihrem Wärmegrad für gleiches Gewicht eine gleihe Zunahme zu erleiden, verjchiedener Wärmemengen bedürfen. Man bezeichnet das Maaß diejer Verjchiedenheit als ſpecifiſche Wärme oder Wärmegier. Je größer aljo die Wärmegier eines Körpers ijt, deſto mehr Wärme erfordert er, damit feine Gemwichtseinheit um 1° mehr erwärmt werde. Sn diefem Sinne ift das Waſſer der wärmegierigite aller Stoffe. Die Wärmegier des Eiweiſſes und des Fetts iſt 3. B. nur halb, die des Kochjalzes und phosphorjauren Kalks nur "/5 jo groß wie die des Waſſers. 92 23. 356 Mit Hülfe diefer Zahlen läßt jih annähernd die Wärmegier des menſchlichen Körpers mit der des Waſſers vergleihen. In den 63,65 Kilogramm, melde das durchſchnittliche Gewicht eines SOjährigen Mannes darjtellen, finden ji) nach meiner Berechnung *) 9711 Gramm eiweikartiger Stoffe, 3104" , von eimweißartigen Stoffen abge= leiteter Körper, 1566 „ Nett, 3a R Grtractivitoffe, 5838 „ Salze, 45065 „ Waſſer. Es iſt gewiß erlaubt anzunehmen, daß zwiſchen der Wärmegier des Eiweißes und derjenigen ſeiner Abkömmlinge kein größerer Unterſchied beſtehen wird als zwiſchen der Wärmegier des Eiweißes und der— jenigen des Fetts. Wenn wir alſo von den Grtrac- tivſtoffen, deren Menge ein ſo kleiner Bruchtheil des Körpers iſt, abſehen, ſo haben wir im Ganzen 14391 Gramm organiſcher Stoffe, deren Wärmegier nur halb jo groß ijt mie des Wajjers, die aljo, um in ihrer Wärme um Ginen Grad gejteigert zu werden nur 7195 Wärmeeinheiten erfordern. In ähnlicher Weiſe wie wir Eiweiß und Fett als *) Phyſiologie der Nahrungsmittel, Tabelle NLIX. FF WERE - vr er 307 Vertreter der organijchen Bejtandtheile des Körpers betrachten, dürfen wir phosphorjauren Kalk und Koch— ſalz als Muſter jeiner anorganiichen Stoffe gelten lajjen. Ihre Wärmegier wäre demnah nur 5 jo groß, wie die des Waſſers, und die 5838 Gramm Salze des Körpers erforderten aljo zur Mehrung ihrer Wärme um 1° nur 1167 Wärmeeinheiten. Damit aljo der menschliche Körper um 1° wärmer gemacht werde, erfordert er für 14391 Gramm organiicher Stoffe 7195 Wärmeeinheiten HRS. „ Salze 1167 — „ 43065 „ Wafler 43065 7 zuſammen 51427 Wenn wir die 356 Gramm Extractivſtoffe ab— ziehen, bleiben von Körpergewicht 63294 übrig. Seben mir in runder Zahl 63 Kilogramm, und ebenjo in runder Zahl 51 für die auf das Kilo al3 Gewichts— einheit bezogenen Wärmeeinheiten, dann jagen uns dieje Zahlen, daß, um das Gewicht unjeres Körpers um 1° zu erwärmen, nur >Uss oder 0,81 jo viel Wärme nöthig ijt, wie für ein gleich großes Gewicht Waſſer, aljo, wie oben gejagt, jehr nahezu */s *). *) Bei diefer Berechnung mußte davon abgejehen werden, daß, wenn ein Stoff in Löjung ericheint, feine Wärmegier nicht der mittleren Wärmegier des gelöften Stoffes und des Löſungs— mittels entipricht. 358 Kun fanden wir, daß die Wärmeeinheiten, welde die Verbrennung unjerer organishen Nahrungsitofte in 24 Stunden liefert, ausreichen, um 2749 Kilo Waſſer um 1° zu erwärmen. Aber diejelbe Wärmemenge, welche 2749 Kilogramm Waffer um 1° erwärmt, vermag 51 Kilo- granım Wafjer um 54° zu erwärmen, und um ebenjo viel den menschlichen Körper, deſſen 63 Kilogramm in ihrer Wärmegier 51 Kilogramm Wafjer entiprechen. Dächte man jich diefe Wärmemenge einem auf 0 erfalteten menjchlihen Körper beigebracht, jo würde ihm dadurch ein Wärmegrad ertheilt, bei welchem erfahrungsmäßig das Leben allen Keimſtoffs erlischt. Würde jie dem Körper bei jeiner gewohnten Temperatur noch zugeführt, dann würde er auf 91° erwärmt, ein Wärmegrad, bei welchem alles Eiweiß des Körpers geronnen, folglich da3 Leben grundjäglich unmöglich wäre. Schon hieraus würde die Nothwendigfeit bedeutender Wärmeverlufte für den Körper hervorgehen, und eben die Thatjache, dat der Wärmegrad unferes Körpers nur in den engjten Grenzen ſchwankt, beweiſt, daß der Ge- jammtverluft der Menge erzeugter Wärme gleich Fommt. Das Endergebniß der Rechnung wäre jomit bekannt, wenn wir nicht wühten, daß nicht alle im Körper gebildete Wärme von VBerbrennungsvorgängen herrührt. Während wir aber in diejen jedenfall3 den Haupt— pojten der Wärmebildung berechnet haben, jind die 359 Werthe der Wärmeverlujte nur zum Eleineren Theil einer durchgeführten Rechnung zugänglich). Zunächſt läßt fie ſich anmenden auf diejenigen Stoffe, die wir in befannten Gewichtsverhältnifjen in unferen Körper einführen, und deren Wärmegier uns befannt iſt. Dies gilt aljo für die Nahrungsmittel und Getränfe, jomwie für die eingeathmete Luft, die den Körper, auf dejjen eigenen Wärmegrad gebracht, wieder verlaſſen. Ganz befriedigend iſt freilich Die Rechnung nicht, jo einfach ſie auch auf den erſten Blick erjcheint. Der größte Theil des Kohlen und Waſſerſtoffs unferer organiihen Nahrungsitoffe ver- lajien den Körper als Kohlenjäure und Waſſer, ein anjehnlicher Bruchtheil des letzteren als Waſſerdunſt. Wie viel Wärme bei der Bildung des Waſſerdunſtes dem Körper verloren geht, läßt ich berechnen. Allein wir willen nicht, wie viel Wärme bei dev Vergaſung der Kohlenjäure gebunden wird. Nach diejer Vorbemerkung jei es geitattet, die Rechnung zu verſuchen. Bor allem müjjen wir ung über den Wärmegrad verjtändigen, den wir al3 Aus— gangspunkft für die im Körper zu erwärmenden Speijen, Setränfe und Luftmengen anjegen wollen. Da diejer Wärmegrad jehr wechjelt und auch fein Durchſchnitts— werth für jedes Klima nur mehr oder weniger glücklich errathen werden fann, jo beanjprucht die Nechnung 360 eigentlih nur den Werth eines Beijpield. Nehmen wir an die Temperatur der einzuführenden Nahrung und der einzuathmenden Luft jei 15%. Da jie im Körper bis zu 37°, alfo um 22° erwärmt werden, jo haben wir nur die Gewichtsmengen der einzelnen zum Koſtmaaß gehörenden Nahrungzjtoffe mit 22 und der je zugehörigen Zahl für die Wärmegier zu verviel- fachen, und das Gleiche auf die in 24 Stunden ein— geathmete Luftmenge zu beziehen. Wir nehmen mit Helmholk an, dar das Gewicht der eingeathmeten Luft in 24 Stunden 16400 Gramm beträgt, wäh- rend Regnault für ihre Wärmegier, die des Waſſers — 1 gejett, die Zahl 0,23741 gefunden Hat. So finden wir denn den Bruchtheil der erzeugten Wärme, der in Beſchlag genommen wird, zur Grmwärmung der eiweißartigen Nah: rungsftofe . ..-..= 1230 x< 05 xx<02x2- 13 des Waflrd . . „= 23800 x 10 x 2 = 61600 des gejammten Koftmaahes = . . . 68530 | on or fer) di — der eingeathmeten Luft — 16400 > 0,23741 >< 22 der Nahrung und Luft zujammen 154187. *) 63 it hier angenommen, dal die Wärmegier des Stärk— mehls, Stärfegummis und Zuders mit der von Eiweiß und Fett übereinftimmt, was freilich nicht durch Verſuche ermittelt iſt. a 361 Es würde aljo zur Erwärmung der in 24 Stun- den in den Körper eingeführten Nahrung und Luft fo viel Wärme verbraucht, daß dadurd 154 Kilogramm Wafjer um 1° wärmer gemacht werden fönnten, was etwas mehr als Yıs der in gleicher Zeit erzeugten Derbrennungsmärme beträgt. Nächſt dieſem Verluſt bietet die Wärmemenge, die dem Körper durch Verdunſtung des Waſſers entzogen wird, noch die beiten Anhaltspunkte zur Berechnung. Wir fennen annähernd die Menge Wajjerdampf, die an die Athmungsluft in den Lungen, und Diejenige, welche an der äufjeren Oberfläche des Körpers ab- gegeben wird. Durch eine der zahlveihen Arbeiten, durch melde ſich Regnault den Naturforjchern unentbehrlih gemacht, bejien wir eine einfache Er— fahrungsregel, um zu berechnen, wie viel Wärme in den als jolche unmerfbaren Zuſtand übergeht, wenn Waſſer von 0° in Dampf von einem bejtimmten Wärme grad verwandelt wird *). Hat, wie in unjerem Körper, ‚das Waſſer, welches in Dampf übergeht, ſchon vor— her einen Wärmegrad über O°, jo müſſen jo viel Wärme— *) Die Negnault’jche Formel ift: 1 = 606,5 + 0,305 t, in der 1 die Märmemenge bedeutet, welche erfordert wird, um 1 Kilogramm Waſſer von 0° in Dampf von t Wärmegrad zu verwandeln. 362 einheiten abgerechnet werden, als nöthig gewejen wären, um das Wajjer von 0° auf jene Wärme zu bringen. Es fragt jih alfo zunächſt, wie viel Waſſerdampf wir an die ausgeathmete Luft abgeben. Dffenbar fällt diefe Frage nicht mit jener anderen zujammen, wie viel Waſſer die ausgeathmete Luft enthält, da diefe bei ihrem Eintritt in die Lungen ſchon wech— jelnde Mengen Wafjerdampf mit jich führte. Die meilten Bejtimmungen des Waſſergehalts der ausgeathmeten Luft verdanken wir Valentin. Er fand als Mittel für je 1 Kilogramm Körpergewicht in 1 Minute 0,0051 Gramm, alfo für 693,65 Kilo (da3 mittlere Körpergewicht eines 30jährigen Mannes) 467 Gramm in 24 Stunden, oder jehr nahe Yısr de3 Körpergewicht. Um num hiervon die Wajjermenge abzuziehen, die ſchon in der eingeathmeten Yuft ent— halten war, mühten wir den Wafjergehalt des Dampf: freifes bei den jeweiligen Verfuchen kennen. Da dieje nicht befannt ift, jo ſei es erlaubt, indem ich eine Verfuchsreihe von mir jelber zu Grunde lege, anzu= nehmen, daß die eingeathmete Luft jehon "s von dem in der ausgeathmeten vorhandenen Waſſer enthielt. Sonac würden von den 467 Gramm Wafjer, welche die ausgeathmete Luft mit jich führte, nur 311 den Zungen entjtammen, und weil meine VBerjuche bei einer mittleren Wärme von 80 C angejtellt wurden, 363 bei der die eingeathmete Luft verhältnigmäflig wenig Waſſer führen mußte, dürfen wir, jtatt 311, getroft die runde Zahl 300 annehmen. Um aber 300 Gramm Blutwafjer, welches ſchon 37° warm ift, in Dampf von gleicher Wärme zn ver- wandeln, werden 174 Wärmeeinheiten verbraucht. Zu dem Wafjer, welches in den Lungen ver- dunstet, kommt nun aber noch eine viel größere Waſſer— menge, die von der äußeren Dberfläche des Körpers in Dunftfornt entweicht. Um uns eine annähernde Borjtellung von derjelben zu machen, find wir darauf angemwiejen, daS Gejammtgewicht des von Haut und Lungen entweihenden Waſſers zu ermitteln, und davon die allein in den Lungen verdunjtende Menge ab- zuziehen. Barral fand die Gefammtmenge des Waſſers, das in 24 Stunden bei einem Manne von 63,65 Kilogranım von Haut und Lungen dunftförmig ent- weicht, gleih 1639 Gramm, PBettenfofer und Voit für diefelbe Gewichts- und Zeiteinheit an einem Ruhetag. . . 877 Gramm, u Sllrbeiistag n., 2166- Das Mittel aus dieſen drei Bejtimmungen ijt 1561 Gramm, von denen für das in der ausgeathineten Luft enthaltene Waller 467 Gramm abgezogen werden müfjen, 364 jo daß für die bloße Hautausdünjtung 1094 Gramm übrig bleiben. Unter der Annahme, da der von der Haut ent: weichende Wafjerdampf bei der Wärme der kälteſten Hautjtellen gebildet würde, und zwar aus Blutwaſſer, welches 37% warm wäre, findet man mit Hülfe der oben angegebenen Regnault'ſchen Regel, daß die 1094 Gramm Hautwafjer zu ihrer Verdunftung 633 Wärmeeinheiten verbrauchen, das heit in den nicht als Wärme merfbaren Zuſtand überführen. Eine Zujfammenjtellung der hier berechneten Ver— luſtpoſten ergtebt für die Erwärmung der Speijen und Getränfe 63 Wärmeeinbeiten *), * „ eingeathmeten Luft. . 86 * Verdunſtung in den Lungen . . . . 174 2 " an der Oberfläche des Ferpee zuſammen . . 961 5 oder veichlih ein Drittel der in 24 Stunden für gleiches Körpergewicht erzeugten Wärme, die ja aus— reichte, um 2749 Kilogramm Waſſer in jeinerv Wärme um einen Grad zu erhöhen. Beinahe zwei Drittel der erzeugten Wärme gehen verloren durch Aus— *) Die Wärmeeinheit bier gleich derjenigen Wärmemenge, welche ausreicht, um die Wärme Eines Kilogramms Waſſer um 1° zu erhöhen. >) J ie 65 jtrahlung und Xeitung, Zerjegung, namentlich die— jenige Zerjeßung, die mit einem Berluft an Sauer- jtoff verbunden ijt, durch die Auflöfung von Salzen und anderen feſten Stoffen in den Flüſſigkeiten des Leibes, um von dem Antheil der Wärme, der in äußere Arbeit umgeſetzt wird, für jetzt gar nicht zu veden. Bei den Thieren, bei welchen der DVerlujt die Erzeugung der Wärme übertrifft, kann, wie wir oben jahen, der Wärmegrad des Körper unter den Der umgebenden Mittel herabjinfen. Zwei Klaſſen der Thiere jedoh, die Vögel und die Süäugethiere mit Einſchluß des Menſchen, find dadurch ausgezeichnet, dag der Wärmegrad ihres Körpers innerhalb jehr enger Grenzen ſchwankt und beinahe ganz unabhängig zu fein jcheint von der äußeren Wärme Man hat da= her Menjchen, Säugethieren und Vögeln einen bejtäns digen Wärmegrad zugejchrieben, durch welchen jie ſich von den Lurchen und Fiſchen unterjcheiden. Und weil der Wärmegrad der erjteren auch durch die Höchite Kälte kaum herabgedrüct wird, jo lange die betvef- fenden Thiere in Bewegung bleiben, hat man die Säugethiere und Vögel auch als warmblütige oder jtetigwarme*) Thiere den Lurchen und Fiſchen gegen= *) Homoeotherme. 366 übergejtellt, die man als Faltblütige oder bejjer als wechſelwarme *) bezeichnet. Jene Bejtändigfeit der Wärme des lebenden Kör- pers bei Menjchen, Säugethieren und Vögeln gehört allerdings zu den merkfwürdigiten Naturerjcheinungen, denen wir in der Lehre vom Leben begegnen. Es ilt far, daß diejelbe nur in jorern bejtehen kann, als ſich das Gleichgewicht zwiſchen der Entwicklung und der Abgabe von Wärme behauptet. Wenn im Winter viel mehr Wärme nah außen abgegeben wird, als im Sommer, jo ijt auf der anderen Seite in der falten Jahreszeit der Verluſt durch Ver- dunjtung um jo geringer, und durch die größere Yeb- baftigfeit des StoffwechjelS wird viel mehr Wärme erzeugt. Im Sommer aber wird nicht nur mehr Waſſer von der Haut verdunftet, weil die umgebende Luft wärmer ijt, fondern namentlich auch deshalb, weil die Haargefüße der Haut dur Wärme ermei- tert jind und aljo die Haut ſelbſt veichlicher mit Blut- flüſſigkeit getränkt wird. Se feuchter aber die Haut it, dejto mehr Waſſerdampf wird jie bei warmer Witterung in die Yuft entweichen laſſen. Am Eingang des vierten Brief3 babe ich ein Ab— fühlungsmittel erwähnt, dejien jich die Bergneger in *) Poikilotherme. 367 Guinea bedienen, indem jie eine Pflanze*) an ihrer Hausthüre pflegen, welche jehr reihlih Waſſer ver- dunſten läßt. Die Schnitter und Kohlenträger in Pennſylvanien benützen ihren eigenen Körper, um dieſe Verdunſtung zu bewirken. Sie trinken täglich ſo viel, daß die Menge des in vierundzwanzig Stunden von ihrer Haut entweichenden Waſſers ein Sechstel, ja ein Fünftel ihres Körpergewichts betragen ſoll, was den Wärmeverluſt durch Verdunſtung an der Haut im Vergleich zu den oben angegebenen Zahlen um das Sieben- bis Neunfache jteigern müßte, was wohl des Guten zu viel wäre. Denn auch alles Waſſer, das auf anderen Wegen, durch Nieren und Lungen, den Körper verläßt, wird beim Menjchen bis auf fiebenunddreißig Grad erwärmt und entzieht aljo, indem e3 abgeht, dem Körper Wärme. Und darım ijt es Bedürfniß, im Sommer und in warmen Gegenden, jo wie bei angeſtrengter Areit den Durſt reichlich zu löſchen. Bei den Kranken, die von der Zuckerharn— ruhr befallen jind, trägt die große Menge Getränte, welche jie in vielen Fällen zu ji) nehmen, zur vegel- widrigen Erniedrigung ihrer Wärme bei. Beim Fie— beviiden, bei dem die Herabjeßung erwünjcht ijt, er: füllt das kalte Getränk die Aufgabe eines mächtigen Hülfsmittel3 zur Selbjtjteuer des Körpers. *) Pistia Stratiotes L. 368 Veberhanpt nimmt die Nahrung unter den Mit- ten, dur welche der Körper jeine Wärme regelt und einen annähernd bejtändigen Wärmegrad erhält, eine äußerſt wichtige Stelle ein. Weil in falten Himmelsjtriden und im Winter das Athen lebhafter erfolgt als in warmer, ſchwüler Luft, wird aud im Norden mehr Nahrung verarbeitet als im Süden, Und weil für ein gleiches Gewicht des betreffenden organiſchen Nahrungsſtoffs mehr Sauerjtoff verſchwin— det, wenn es ſich um Fett oder Eiweiß handelt, als wenn Zucker und Stärkmehl im Thierleib ver— brennen, wird auch bei kalter Luft beſonders viel fettes Fleiſch verzehrt, während wir im Sommer uns begnügen mit Früchten, Wurzeln und Gemüſen, in denen ſtickſtoffloſe Fettbildner vorherrſchen. Der Thran und Talg, den die Grönländer und Samojeden ver— zehren, ſtehen mit der für ſie erforderlichen Wärme— erzeugung in einer ebenſo nahen Beziehung, wie Reis und Hirſe bei den Bewohnern der ſtillen Südſee. Nahrung, Athmung und Wärme ſind drei Glieder in der Kette des Lebens, die ſich zwar keineswegs unbedingt decken, die aber doch nur in ſehr geringer Breite auseinander gehen können, ohne daß daraus ein Nachtheil für das Leben erwächſt. Wenn der Otahitier die Brodfrucht als tägliche Nahrung mit dem Schweine— fleiſch vertauſchen wollte, ſo könnte die Athmung der ER 369 Verdauung, falls dieſe gehörig von Statten ginge, nicht nachfommen, es entitände ein Mißverhältniß zwiſchen der Bildung des Blut3 und der Entwicklung der Gewebe, zwiihen Aufnahme und Ausicheidung, ebenjo wie der Kamtjchadale die in jeinem Klima er— forderlihe Wärme nicht erzeugen könnte, wenn er jeine Fiſchkoſt durch Reis erſetzen wollte. Das find die Beziehungen der Nothiwendigkeit in den Bedingungen unjeres Bejtehens, in denen furzjichtige Augen allweije Abſichten erbliden. Aber der Grund ijt niemals weiſer al3 die Folge, und die Folge fann der inneren Zweck— mäßigfeit des urjächlihen Bandes nicht zumider fein. Die Eigenwärme des Körpers entjpricht dem Stoff— wechjel, wie jie erlischt, wenn nach dem Tode der Stoff: wechjel aufhört. Darum ijt das Sinfen der Wärme bei herannahendem Tode eine jo gefiirchtete Erſchei— nung. Sie ijt das jicherjte Anzeichen von Lähmung der jtofflichen Bewegung, die der Inbegriff des Lebens it. Ein Thier erliegt dem Hungertode nicht, bevor e3 vier Zehntel feines Körpergewichts und einen be= deutenden Theil jeiner Wärme verloren hat. Choſſat fand bei Säugethieren und Vögeln, die im Begriff waren, dem Hunger zu erliegen, die Wärme des Körpers durchſchnittlich auf 25° herabgeſunken. Die Wärme iſt umgekehrt zum Leben nothwendig, ohne deshalb die Urjache des Lebens zu fein, Sie ijt 24 370 nur injofern ein oberſtes Maaß und eine Bedingung des Lebens, als fie nicht unter gewiſſe Grenzen hinab- finfen fann, ohne daß der Stoffwechjel auf lebens— gefährliche Weiſe beeinträchtigt ift. Ohne Wärme ijt die Bewegung des Stoffs nicht möglid. Will man Ihiere, die bedroht jind vom Hungertode, retten, dann muß man nad Chojjat nicht blog für Nahrung, fondern zualfererjt für Wärme forgen. Denn die Vers dauung ſtockt, wenn die Wärme zu jehr vermindert it, mit der Verdauung jtoden Blutbildung, Ernäh— rung und Ausſcheidung. Es fehlt der Stofimedhjel, der die Wärme des Leibes regelt. Man muß alio von augen den Körper in den Zujtand verjegen, in welchem die ftofflihe Bewegung möglich ift. Mit dem Stoffwechjel fehren Wärme und Leben zurüd. 00 — r> XV. Die allmälige Entwicklung des Sloffs. Mit alten menſchlichen Wiſſen hat es eine eigene Bewandinig. Heute jind wir überglücklich unter dem ergreifenden Eindruck, welchen der Reichthum geord- neter Thatjachen in uns hervorbringt, und morgen be= lächeln wir genügjam das oberjte Ergebniß der For— ſchung als ein uvaltes Beſitzthum, das ſich von ſelbſt zu verſtehen ſchien. Der Bauer, der ſein Pferd füttert mit dem Hafer, den er ſelbſt gebaut, und des Pferdes Auswurf ſeinem Acker zum Dünger einverleibt, kennt den Kreislauf des Stoffs in ſeinen Grundzügen ebenſo gut wie der Naturforſcher, der alle Gabe der Beobachtung und das von Thatſachen genährte Denken der Lehre vom Stoffwechſel widmet. Und die allgemeinſte Wahrheit, die ſich aus dem Leben des Bauers aufdrängt, iſt gewiß nicht darum zu verſchmähen, weil ſie, auf ſo einfachem Wege gefunden, geſchaut wurde. 24. —— [2 312 Allein der Bauer, der weis, daß fein Hafer genährt wird von Ader und Regen und Luft, daß jein Pferd gedeiht vom Hafer, und der Acer fruchtbar wird vom Dünger, hat doch in alle diefe Vorgänge feine tiefere Einjiht, al3 der Staatsmann, der jich begnügt mit dem Glauben, daß Gott die Welt regiert, oder ein Naturforſcher, der ſich dazu verjtehen fönnte zu lehren, dag Gott dem verlängerten Mark jeinen Einfluß auf den Herzichlag verliehen. In allen diejen Fällen über: giebt man feinen Sinn und feinen DBeritand einer entfernten Urjahe, unbefümmert um die Zwijchen- glieder, durch welche der Acer, dev Hafer, der Dünger ihre leßte Wirkung erzielen. Man erfährt bei diejem Verfahren nicht, ob etwa unförperliche Kräfte den Hafer und daS Pferd beleben, man weiß nicht, ob der Dünger ein ZJaubermittel für den Ader iſt und ſchreibt vielleicht den Negen nur die Eigenschaft zu, die Blätter zu waſchen. Eine entfernte Urjache, durch eine Kluft von Ahnungen von der leiten Wirkung gejhieden, ijt nicht bejier als ein errathener Zweck, zu welchem ein von Thatſachen entfejjelter Hochmuth die Mittel zu verordnen wagt. Darum iſt doch ein wejentlicher Unterjchied zwijchen dem Schauen des Lebens und dem Wiſſen der Forſchung, und unſere Freude über den und, den wir müh— jelig erobern mit Feuer und Wage, wird wohl be- m € 13 02 ſcheidener, aber nicht weniger begeiſtert, weil uns jeder Bauer das Endziel zeigt, das unſere Unter— ſuchungen erſtrebten. Für den Kreislauf des Stoffs, auf den ich die obige Bemerkung bezog, hat die Wiſſenſchaft das Höchſte dadurch geleiſtet, daß ſie tiefer drang, als die Beobachtung von Dünger, Futter und Vieh auf Feld und Wieſen führen konnte, indem ſie dem Ent— wicklungsleben des Stoffs zu folgen unternahm. Gleich— viel wie weit die erſten Bemühungen fruchteten, den Namen Senebier, Tiedemann und Gmelin gebührt für immer die tiefſte Ehrfurcht für den Muth, mit dem ſie ſich der ſchwierigen Aufgabe unterzogen, oft ohne viel verſprechende Ausſicht auf Erfolg. Sene— bier durch ſeine Arbeiten über die Ernährung der Pflanzen, Tiedemann und Gmelin durch ihre Unterſuchungen über die Verdauung, ſind bewußt oder unbewußt die Begründer der neuen Weltanſchauung, zu der ſich die Encyclopädiſten mit ihren kühnen Seher— ſprüchen nicht unähnlich verhielten, wie der Ueber— blick des Bauers zur Einſicht des Naturforſchers, der den Muth hat, die letzte Folgerung zu ziehen. Ammoniak, Kohlenſäure und Waſſer nebſt wenigen Salzen, das iſt die ganze Reihe von Stoffen, aus denen die Pflanze ihren Leib aufbaut. Unter ſtetiger Verarmung an Sauerſtoff ſahen wir aus jenen ein— 374 fahen Verbindungen Eiweiß und Gummi jich bilden, zwei Körper, welche die Pflanzenjäfte auflöjen und deshalb an die verjchiedenjten Gegenden, durch Stengel, Blätter und Früchte führen fönnen. Aus dem Eiweiß bilden sich andere eiweißartige Körper, Erbſenſtoff, Pflanzenleim und geronnenes Pflanzeneiweiß, von welchen die beiden lebteren ungelöjt in den Samen abgelagert werden. Das Gummi verwandelt jich in Stärfmehl und Zelljtoff, welche diejelben Gewichts— theile derſelben Grundftoffe nur in anderer Ordnung enthalten. Ein Theil des Gummis nimmt Waller auf und geht in Zucker über. Aber die Ausjheidung des Sauerjtoff3 dauert immer noch fort. Aus dem Zell jtoff entjtehen Holzjtoffe und Kork, aus dem Stärk- mehl Fett und Wachs. Eiweiß, Zucker und Fett jind die organischen Baus itoffe des TIhierd. Das Blut der Thiere ijt eine Löſung von Eiweiß und Fett, von Zuder und Salzen. Höher und höher jchreitende Aufnahme von Sauer— jtoff verwandelt das Eiweiß in die leimgebenden Grund- lagen der Knochen und Knorpel, in den Stoff der Haut und der Oberhaut. Mit Fett und Salzen bilden dieje Körper den ganzen Thierleib. Wir jind der Entwicklung Schritt vor Schritt ge— folgt, von Erde, Luft und Waſſer bis zur Schöpfung der wachjenden und denfenden Wejen. Die jchaffende 375 Allmacht ift die VBerwandtichaft des Stoffs. Manche Stufen, auf denen wir den Stoff erkannten, jind nod) breit genug, um vielerlei Ummege de Werdens zu gejtatten. Die Erforſchung derjelben it das Streben der Gegenwart. Nur die Richtung der Bewegung des Stoffs ijt jo weit deutlih, dal jene Ummege feinem Sergarten angehören können, fondern einem’ weiten Felde, das überall Früchte trägt, wo es nicht ges briht an Fleiß und Muth, es zu bebauen. Ebenſo wie jene vorwärts jchreitende Neubildung, it auch die Rückbildung als ein jtetiger Entwicklungs— vorgang erkannt. Eiweiß, Zuder und Fett zerfallen in der Pflanze in Baſen und Säuren, in Yarbftoffe, flüchtige Dele und Harze, in Stickſtoff, Kohlenſäure und Waffer, innerhalb des TIhierförpers in Käſeweiß*) und Hornglanz**), in Fleiſchſtoff und Fleiſchbaſis, in Harnorydul***) und Harnfäure, in Ameijenjäure und Kleefäure, in Harnftoff, Ammoniak, Kohlenjäure und Waſſer. Harnjtoff zerlegt ſich außerhalb de Körpers in Kohlenfäure und Ammoniak. Bermöge des Lebens ſelbſt Fehren Pflanzen und Thiere zu ihrer Duelle wieder. Alles löſt ji auf in Ammoniaf, Kohlenfäure, Wafjer und Salze. ine *) Leucin. **), Iyrofin. ***) Hyporanthin, Sarkin. 316 Flaſche mit einer wäfjrigen Löjung von kohlenſaurem Ammoniak, mit Chlorfalium und phosphorjaurem Na- tron, mit Kalk und Bittererde, Eiſen, Schwefeljäure und Kiejelerde ijt begrifflich der vollendete Lebensgeiit für Pflanzen und Thiere. Nach dem Tode ijt die Rückbildung eine nicht minder regelmäßige Entwiclung als im Leben. Der Stoff glei- tet nur anderen Stufen entlang feinem Untergange zu. Die Verweſung ijt nicht Anderes als eine lang- jame Verbrennung der organiſchen Stoffe, die außer: halb des lebenden Körpers jtattfindet. Sie ijt die Fortjegung des Athmens nah dem Tode. Vermo— derung ijt eine langjame Verwejung. Wenn das Zerfallen des organiſchen Stoffs nicht in einer Aufnahme von Sauerjtoff begründet ift, ſon— dern in einer Zerjegung von Körpern, deren Grund— jtoffe jich bei der Zerjeiung zu neuen Verbindungen mit einander vermifchen, dann nennt man den Vor— gang nah Liebig Fäulniß. Es Handelt jich dabei oft um eine innere Verbrennung, d. h. um eine un— gleiche Vertheilung des in der urjprünglichen Verbin— dung vorhandenen Sauerjtoffs an die aus ihr her— vorgehenden Stoffe *). In der Mehrzahl der Fülle wirken Verweſung *) Val. oben S. 140 und unten ©. 385: 377 und Fäulniß zufammen, wenn abgeitorbene Pflanzen und Thiere der Rückbildung anheimfallen. Aus den jticjtoffhaltigen Körpern, die man unter dem Namen der eimeißartigen Stoffe vereinigt, gehen auf diefem Wege zwei jticjtoffgaltige Bejtandtheile hervor, die ſich ſchon Durch ihre Fähigkeit zu Fryital- liſiren als Rückbildungsſtoffe ausweiſen. Der eine von dieſen Stoffen wurde zuerſt in faulendem Käſe beobachtet; er läßt ſich in weißen kryſtalliniſchen Blätt— hen erhalten und wird deshalb auch Käſeweiß*) ge— nannt. Der andere, welcher veichlicher aus faulendem Horn hervorgeht, kryſtalliſirt in jeidenglängenden, blen— dend weißen Nadeln; ich Habe ihn deshalb den Namen Hornglanz **) beigelegt. Käſeweiß und Hornglanz unterjcheiden jich von Den eiweißartigen Körpern durch ihren höheren Saueritoff- gehalt. Sie können deshalb auch durch Mittel, welche die DBerbrennung begünjtigen, aus den eimeißartigen Verbindungen hervorgebracht werden. Das Käſeweiß entſteht nicht bloß aus eiweikartigen Körpern und aus Horn, jondern auch aus leim- gebenden Gebilden; Hornglanz vorzugsweiſe aus Horn, aber auch aus Eiweißſtoffen und aus Knorpelleim. Statt des Hornglanzes entjteht gewöhnlich aus den Leucin. *x) Tyroſin. 318 feimgebenden Gebilden ein anderer Körper, der nod) mehr Sauerjtoff enthält al3 Käſeweiß und Hornglanz, der Leimzufer. Aus Knorpelleim fann man jedod) durch verſchiedene Behandlungsweije Leimzucker, Horn— glanz oder Käſeweiß erhalten. Wird er mit Alkalien gekocht, dann entſteht Leimzucker, wird er mit Kali geſchmolzen, dann liefert er Hornglanz, und in beiden Fällen zugleich nur eine kleine Menge Käſeweiß. Letzteres dagegen iſt das Haupterzeugniß, wenn man den Knorpelleim mit Schwefelſäure kocht (Hoppe). Hornglanz enthält mehr Sauerſtoff als das Käſe— weiß. Behandelt man Horn mit einem die Verbren— nung begünſtigenden Mittel, dann entſteht Käſeweiß vor dem Hornglanz. Man darf den letzteren als ein Erzeugniß der Verweſung des Käſeweißes betrachten. Neben Hornglanz, Käſeweiß und Leimzucker wird aus den betreffenden Stoffen bei der Fäulniß und Verweſung auch Ammoniak gebildet. Die Menge des Ammoniaks nimmt immer zu, jedoch ohne daß je das entwickelte Ammoniak den ſämmtlichen Stickſtoff der organiſchen Stoffe enthielte. Schon Marchand hat hervorgehoben, daß beim Faulen organiſcher Stoffe zu gewiſſen Zeiten Stickſtoff in Freiheit geſetzt wird. Erſt neuerdings hat Reiſet dieſe Rückkehr von Stick— ſtoff in die Luft als eine allgemeine Erſcheinung bei der Fäulniß des Fleiſches, ſowie bei jeder Dünger— 319 bildung wehrgenommen, und Ville hat feine Angabe bejtätigt. Balentin hat eine Stiejtoffausfcheidung an abgejtorbenen Muskeln nachgemiejen. Während das Ammoniak einen großen Theil des Stickſtoffs der thieriſchen und pflanzlichen organischen Körper enthält, findet man den Kohlenjtoff und Waijer- jtoff zum Theil in Säuren, die fi) in allen weſent— lichen Eigenſchaften an die Fettſäuren anſchließen, vor den gewöhnlichen aber durch ihre Flüchtigkeit und einen höheren Sauerſtoffgehalt ausgezeichnet ſind. Zu dieſen Säuren gehören die Ziegenſäure *) und Schweiß— jäure**), die Käjejfäure ***) und Baldrianfäure, die Butterfäure und Butterejiigjäure +), die Eſſigſäure und Ameiſenſäure. Jede folgende übertrifft in dieſer Reihe die vorige im Sauerjtoffgehalt, und daher find diefe Säuren ebenjo viele Uebergangsglieder, welche die jchliegliche Verbrennung zu Kohlenſäure und Wafler einleiten. Käſeweiß zerfällt zum Beifpiel, wenn es mit Kali geſchmolzen wird, in Ammoniak, in Baldrianjfäure und Waſſerſtoff (3. Bopp). Dur die Schönen Arbeiten von Bopp und Hin— *, Gaprinjäure, **) Gaprylfäure. **), Capronſäure. +) Metacetonjäure, Bropionjäure, 380 terberger, von Gudelberger und Keller, die alle auf Liebig’3 Anregung unternommen wurden, find wir befreit von der unvermittelter Thatfache, daß Menſchen, Thiere und Pflanzen bei der Fäulniß in Ammoniak und Stidjtoff, in Kohlenjäure und Waſſer übergeführt werden. Wir fennen dieje Stoffe jetzt als Endglieder eines Entwiclungsvorgangs, in welchen Käſeweiß und Hornglanz, Leimzucker und flüchtige Fettſäuren als Zwiſchenſtufen auftreten. In Ammoniak, Stickſtoff, Kohlenſäure und Waſſer finden wir die Grundſtoffe der eiweißartigen Verbin— dungen, des Horns und der Leimarten wieder. Aber alle dieſe Körper enthalten auch Schwefel, der bei der Fäulniß gleichfalls ſeinem organiſchen Zuſammenhang entriſſen wird. Der Schwefel tritt, anfangs mit Ammoniak ver— bunden, als Schwefelammonium auf. Durch orga— niſche Säuren, die neben dem Schwefelammonium durch die Fäulniß eiweißartiger Körper entſtehen, wird Schwefelwaſſerſtoff aus dem Schwefelammonium aus— getrieben, welcher zum Theil den üblen Geruch fau— lender Stoffe bedingt. Der Schwefelwaſſerſtoff wird durch Alkalien in Schwefelkalium übergeführt. Schwefelkalium aber ver— weſt an der Luft. Unter ſtets fortſchreitender Auf— nahme von Sauerſtoff verwandelt es ſich nach und 381 nad in jaures unterjchweflichtjaures, in jchweflicht- ſaures und zuletzt in jchwefelfaures Kali. Wenn die Verweſung unter den günjtigiten Ver— hältniſſen ihr Endziel erreicht, dann find die Eiweiß— förper und Horngebilde, die federfräftigen Faſern und die leimgebenden Gewebe in Ammoniak und Waſſer, in Sticjtoff, Kohlenſäure und Schwefeljäure zerlegt. Nicht minder allmälig als die Fäulniß und Ver: wejung der jticjtoffhaltigen Körper gejchieht daS Zer— fallen der ſtickſtofffreien Bejtandtheile, der is und Fettbildner nach dem Tode. Das befannte Itanzigwerden der Fette beruht alle= mal auf einer Verweſung, in deren Folge jauerjtoff- ärmere und fohlenitoffreichere Nette in f£ohlenitoff- ärmere und jauerjtoifreichere Fettſäuren übergeführt werden. Dieje Fettſäuren find flüchtig. Sie bejitzen einen jtechenden Geruch. Der Verweſung geht aber die Zerlegung dev Mittelfette in fette Säuren und Oelſüß voraus. Wenn der flüjjige Theil des Menjchen- fettS zum Beiſpiel lange Zeit aufbewahrt wird, dann wird ein Theil dejjelben in feiter Form ausgejchieden, weil das vorher gelöjte Perkmutterfeit*) in Oelſüß und Perlmutterfettſäure zerfällt, welche letztere ſchwerer als Perkmutterfett in Oelftoff aufgelöjt wird (Heint). *) Palmitin. 382 Das Leihenwahs bejteht aus Salzen der Talgjäure und der Perlmutterfettfäure, die jih von dem Del- jüß, mit dem ſie urjprünglih zu Mittelfetten ver- bunden waren, getrennt haben. Das Oelſüß jelbjt verwandelt jih durch Gährung in Butterejjigjäure und Waſſer. Im Käſe kennt Jedermann dieſe Bildung von flüchtigen Fettſäuren, die ſogar bis zu einer gewiſſen Grenze eingetreten ſein muß, wenn der Käſe ſeinen beliebten würzigen Geſchmack beſitzen ſoll. Im Käſe weiden wir uns ſo gut wie manche Thiere an einem Erzeugniß der Verweſung. Der Oelſtoff und das Perlmutterfett des Käſes verwandeln ſich unter ſtets fortſchreitender Aufnahme von Sauerſtoff in Ziegen— ſäure, Schweißſäure und Käſeſäure, in Baldrianſäure und Butterſäure. So geſchieht es bei der Verweſung der Fette über— haupt. Verdorbenes Gänſefett uud verdorbenes Schweine— fett enthalten ſo gut Käſeſäure und Butterſäure wie ranzige Butter. Im Schweineſchmalz hat Chevreul ſogar etwas Eſſigſäure gefunden. Bei dieſer Verweſung ſcheint immer auch Kohlen— ſäure gebildet zu werden. Kolbe, dem wir die ſchönſten Forſchungen verdanken über die Geſetze, nach welchen die Materie zerfällt, hat die Baldrianſäure zerlegt in Kohlenſäure und in einen Kohlenwaſſerſtoff, 383 der durch Aufnahme von Sauerjtoff in Butterfäure überging. DButterfäure ijt in der Reihe dev flüchtigen Fettfäuren, in welcher man die Stoffe nad) ihrem wachſenden Sauerjtoffgehalt auf einander folgen läßt, diejenige, welche zunächjt der Baldrianjäure folgt. Eſſigſäure und Ameifenfäure jind die janerjtoff- reichjten Körper, welche auf diefem Wege aus der Ver: wejung hervorgehen können, jo lange die Verbindungen noch Waſſerſtoff enthalten. Aber die Eſſigſäure und Ameijenjäure ſelbſt zerfallen zuletst in Kohlenjäure und Waller. Während die flüchtigen Fettſäuren die Mittelglieder find, welche von den feſten Fetten zu Kohlenſäure und Wafjer führen, begegnen wir auf den Mittel- jtufen der Verweſung der Fettbildner den organiſchen Säuren der Dammerde. Zellitoff, Stärkmehl, Zucer, die Holzitoife liefern bei der Verweſung Dammjäure *), Torfjäure**), Erd— ſäure**«), Quellſäure und Duellfaßjäure neben Koh— lenſäure und Wafjer. Unter jenen Säuren ijt die Torfjäure am ärmjten an Sauerſtoff. Dann folgen Dammfäure, Erdfäure, Quellfagjäure und Quellſäure. Fortichreitende Verweſung verwandelt aljo jede vor: hergehende Säure in die nächjtfolgende, die Torfjäure **) Ulminſäure. Fr) Geinjäure, 3854 in Dammjäure, Dammjäure in Erdjäure, und jo fort. Darin iſt es begründet, da man der Torfjäure jo jelten begegnet (Mulder). Auch die eiweißartigen Körper Eönnen dur Ver— wejung in die Säuren der Dammerde verwandelt werden. Neben Dammjäure, Quellſatzſäure und Quell- fäure entjteht dann Ammoniaf. Ammoniak ijt dies jenige Bajis, zu welcher die Säuren der Dammerde die innigjte Verwandtſchaft haben (Mulder). Wenn die Dammjäure und die übrigen Glieder diefer Neihe im Erdreich verweilen, ohne von den Pflanzen aufgenommen zu werden, damı jchreitet bei gehörigem Zutritt der Luft die Berwejung immer weiter fort. Die Quellfaßfäure und die Quellſäure, die ihre Namen dem Auftreten in Quellwajjer verdanken, zer fallen zulest in Kohlenfäure und Waſſer. Alle jene Säuren enthalten nur Kohlenjtoff, Waſſerſtoff und Saueritoff. Wenn jie ji” mit Sauerjtoff jättigen, gehen jie deshalb auf in Kohlenjäure und Wafler. Die Verweſung verwandelt ſich in Wermoderung, wenn eine Wajjerfäule den Zutritt der Luft erjchwert. Darum zerfällt das Holz, das in Sümpfen jein orga= niſches Gefüge verliert, nicht in Kohlenſäure und Waſſer, jondern in Kohlenjfäure und Sumpfgas. Das Sumpf: ga3 ijt eine Verbindung von Kohlenjtoif und Waſſer— jtoff, die feinen Sauerjtoif enthält. 385 Unter günjtigen Bedingungen verweit das Sumpf- ga. Der Kohlenwaſſerſtoff verbindet ſich mit Sauer: jtoff und die Enderzeugniſſe des Zerfalls find wieder Kohlenſäure und Waſſer. | Ich habe bisher nur die wichtigiten Uebergangs— tufen in meine Schilderung aufgenommen, welche die Bejtandtheile von Pflanzen und Thieren bei der Fäulniß und Verweſung zurüclegen, bevor fie vol- lends zerfallen in Ammoniak und Sticjtoff, in Kohlen- jaure, Wafjer und Schwefeljäure. Man würde in: dei irren, wenn man die erwähnten für die einzigen Uebergangsglieder halten wollte, welche die Gewebe— bildner mit den Emdjtufen des Zerfalls verbinden. Die von mir gewählten Mitteljtufen find nur am beiten befannt und wirklich durch die natürlichen Vor— gänge der Fäulniß und Verweſung zur Beobachtung gekommen. Andere Mebergangsglieder hat man wahr- genommen, indem man trodne Hitze auf die orga- niſchen Körper einwirken ließ. Allein dieſe trockne Hitze, die jogenannte trockne Dejtillation, it nach Liebig's hübſchem DBergleich nichts Anderes, al3 eine Verbren— nung im Innern eines Stoffs, bei welcher ein Theil des Kohlenjtoffs auf Koften des eigenen Sauerjtoffs des betreffenden Körpers verbrennt, während neben- her waſſerſtoffreiche Verbindungen gebildet werden. Die Folge der trocknen Hite ift eine unvollitändige 25 386 Verweſung, fie läßt ſich mit der Vermoderung ver- gleichen. Aus diefem Gejichtspunft verdienen die Erzeug— nijje der trodnen Hitze nicht blos die Beachtung des Scheidefünjtlers, der es jich zur Aufgabe macht, alle Veränderungen des Stoffs unter den verjchiedeniten Berhältnijien zu erforjchen, jondern ebenjo die Auf: merfjamfeit desjenigen, dem es um die Geſetze des natürlichen Zerfall3 der organijirten Materie zu thun it. So haben wir e3 den Bemühungen Ander— jon’S zu verdanfen, daß wir als Erzeugniſſe der Knochen, die trockner Hite unterworfen wurden, eine Reihe von flüchtigen Baſen fennen, die nur aus Stid- ſtoff, Kohlenstoff und Wafjerjtoff bejtehen. Unter diefen Bajen finden wir zunächjt denjelben Körper, der auch im jtinfenden Gänſefuß entdeckt worden *), ferner die Holzgeiitbajts **) und die Butterfettbajis ***), Bon diefen Bajen ijt die Teitgenannte im Vergleich zum Stickſtoffgehalt am reichiten an Kohlenjtoff und Wafjeritoff, die Holzgeijtbafis die Armjte, während die Gänfefußbajis in der Mitte jteht. Nah Ander- ſon's Unterſuchungen ſcheint auch die Weingeiſtbaſis 7), *) Propylamin oder Trimethylamin. **) Methylamin. **) Butylamin oder Petinin. +) Aethylamin. Bud z 387 welche die Lücke zwiſchen der Holzgeiitbajis und der Gänſefußbaſis ausfüllt, unter den Stoffen, welche die trockne Hite aus Knochen hervorbringt, nicht zu fehlen. Es kann feinem Zweifel unterliegen, daß dieje ſtickſtoffhaltigen Baſen, welche jelbit die größte Aehn— lihfeit mit dem Ammoniak bejisen und deshalb von Wurb auch zufammengejeite Ammoniafarten genannt wurden, al3 Mebergangsglieder von der leimgebenden Grundlage der Knochen zu Ammoniak, zu Kohlenjäure und Waſſer zu betrachten jind. Unter diejen Ueber— gangsgliedern jteht aber offenbar dasjenige dem ur— jprünglichen Gemebebildner am nächſten, das im Ver: hältniß zum Stickſtoff am meiſten Kohlenſtoff und Waſſerſtoff enthält, alſo die Butterfettbaſis. Die Baſen des Butterfetts, des Gänſefußes, des Weingeiſtes und des Holzgeiſtes bilden eine fort— laufende Reihe, in welcher jedes ſpätere Glied von dem nächſt vorhergehenden um den Wenigergehalt von Einem Atom Kohlenſtoff und Zwei Atomen Waſſer— ſtoff verſchieden iſt. Ebenſo folgen ſich die ſtickſtoff— freien flüchtigen Säuren, die Ziegenſäure, die Schweiß— ſäure, die Käſeſäure und die Butterſäure, denen ſich noch die Buttereſſigſäure, die Eſſigſäure und Ameiſen— ſäure anſchließen. In dieſer Reihenfolge nehmen Kohlenſtoff und Waſſerſtoff ſchrittweiſe um die gleiche Atomzahl ab, während die Atomzahl des Sauerſtoffs 25. 388 diejelbe bleibt, fo daß aljo im Verhältniß zum Ge— halt an Kohlenstoff und Waſſerſtoff die genannten Körper von der Ziegenfäure bis zur Ameijenjäure immer jauerjtoffreicher werden. Der Scheidefünjtler nennt die Körper, welche jenen Reihen angehören, gleichartige Stoffe. *) Die Erkenntniß folder und ähnlicher Reihen ſchließt uns da3 Verſtändniß für die allmälige rücgängige Bewegung auf, welche die organiſchen Stoffe von Pflanzen und Thieren in Bejtandtheile des Luftgürtel3 verwandelt. Beinahe täglich mehren jich die Zwiſchen— ftufen, welche uns diefes Entwiclungsleben des Stoffs beleuchten. Und es kann nicht fehlen, unjere wiſſen— ſchaftlichen Errungenſchaften der leiten Jahre weijen immer deutlicher darauf Hin, day wir zulett alle dieje Mittelglieder in ebenjo natürliche Reihen werden einordnen fönnen, wie jchon jetzt die flüchtigen Fett— fäuren und die flüchtigen Baſen. Hier, wie bei der Nücdbildung im Leib von Pflanzen und Thieren, begegnen wir demjelben Geſetze. Wir jehen die organischen Stoffe um jo deutlicher aus— geprägte bafische und jaure Eigenjchaften annehmen, je tiefer die Stufe des Zerfallens liegt, auf der jie fi befinden. Der organiſche Stoff verwandelt jich *) Homologe Verbindungen. 389 zulesst in Kohlenjäure, Schwefeljäure und Ammoniaf. Nur das Waller behauptet überall das mittlere Ver— halten, vermöge dejien es bald die Rolle einer Baſis, bald die einer Säure jpielen kann (9. Roſe). Im Eingang diejer Entwicklung habe ich bemerkt, daß der Stoff nad dem Tode anderen Stufen ent— lang als im Leben jeinem Untergange zugleitet. Man darf dies nicht jo verjtehen, als wenn die hier be- ſprochenen Uebergangsglieder niemals im Leben vor— kämen. Lernten wir doch jchon eine der oben er— wähnten flüchtigen Baſen im jtinfenden Gänſefuß ken— nen. Frerichs und Städeler haben Käſeweiß in den Blutgefäßdrüjen, in den Speichel- und Bauch— jpeiheldrüjen, in franfen Lebern und in krankem Ge: hirn nachgewieſen; Cloëtta fand es im gejunden Lungen; Scherer, Virchow, von Gorup-Beſanez haben Gelegenheit genommen, einen Theil dieſer An— gaben zu beſtätigen. Hornglanz wurde in der Milz, in der Bauchſpeicheldrüſe und in einer kranken Leber gefunden. Unter ungewöhnlichen Verhältniſſen treten die Stoffe, die ſonſt nur aus Fäulniß und Verweſung oder aus einer Gährung hervorgehen, auch im lebenden Körper auf, und zwar in reichlicher Menge. Frerichs hat eine Arbeit geliefert, die ein glänzendes Denkmal 390 ift für die Erfolge, welche die Lehre der Krank— heiten erzielen Fann, wenn jie von einem durch und durch gebildeten Naturforjcher mit ebenjo beharrlichem als fruchtbarem Geijte gepflegt wird. Die Vergif— tung des Bluts in einem Nierenleiden, das den Namen Bright berühmt gemacht hat, kann öfters darin be= gründet fein, daß der Harnjtoff, dejien Ausſcheidung durch den Harn bedeutend abnimmt, im Blut zurück— gehalten wird und dort eine Umſetzung erleidet, bei welcher derjelbe unter Aufnahme von Waſſer in Kohlenfäure und Ammoniak zerfällt, gerade jo wie e3 jonjt mit entleertem Harnjtoff gejchieht. Das kohlen— jaure Ammoniak fann ſich jo im Blute anhäufen, daß es in die ausgeathmete Luft übergeht, in der es mit den einfachjten Hülfsmitteln nachgewieſen werden Fann. Durh Einjprigung einer Löſung von kohlenſaurem Ammoniak in das Blut von Hunden konnte Frerichs alle diejelben Vergiftungszufälle erzeugen, welche die Bright'ſche Nierenfrankheit Tebensgefährlid machen. Nach dem Tode, wie im Leben, giebt der Sauer- jtoff der Luft den häufigſten Anſtoß zur Nüdbildung. Verweiung, Vermoderung, Athmung jind langjame Verbrennungsvorgänge, in melden der Sauerjtoff unmittelbar auf den zerfallenden Körper einwirkt oder vielmehr da3 Zerfalen bedingt, indem er ſich mit dem urjprünglichen Körper verbindet. 4 391 Es giebt aber eine Reihe von Fällen, in welchen der Sauerjtoff mittelbar in einem Körper Zerjegung hervorruft, indem er mit einem andern eine Verbin: dung eingeht. Wenn ein Gemenge von Käſeſtoff und Butter der Luft ausgejeist wird, dann erleidet der Käſeſtoff eine Umjesung, welche der Sauerjtoff einleitet. Aus dem Käſeſtoff geht dabei Käſeweiß hervor, welches nach— träglih zu Baldrianjäure und Butterjäure verbrannt wird. Während ſich auf dieſe Weile der Käſeſtoff umjest, ijt aber nicht etwa ruhiges Gleichgewicht in den feinjten Stofftheilhen der Nette der Butter vorhanden. Dieje Kette bejtehen aus Verbindungen verjchiedener Fettſäuren, der Deljäure, der Perlmutter- fettjäure, der MuSfatbutterfäure*), der Ziegenjäure, der Schweißſäure, Käſeſäure und Butterſäure mit Oelſüß**). Man bezeichnet dieſe Berbindungen als Del- jtoff***), Verlmutterfett ****), Ziegenfett 7, Schweiß fett +7) , Küjefett 77) und Butterfett FTTT). Ju Folge dev Zerjeßung des Käſeſtoffs werden jene *) Moriftinläure, **) Glycerin. »**) Glain. *+*+) Palmitin. 7) Gaprinin. 77) Caprylin. +rr) Capronin. trrr Butyrin. 392 Verbindungen in die betreffenden Fettſäuren und in Deljüß zerlegt. Dadurch werden die flüchtigen Fett: jäuren, Ziegenjäure, Schweitjäure, Käſeſäure, Butter- ſäure in Freiheit geſetzt, und ihnen verdankt der Käje jeinen eigenthümlich ſcharfen Gejhmad. Bei diejem Vorgang verbinden jih die Erzeug- niſſe der Zerjegung des Käjejtoffs nicht mit denen der Spaltung der Kette. Wir haben es, nach einer ſchon von Willis und Stahl vertretenen, von Liebig mit genialſtem Scharfiinn durchgeführten Auf- fafjung, mit einer Bewegung der feinjten Stofftheil- hen des Käſeſtoffs zu thun, die jich auf die Kette überträgt. Und darin, day dies gejchieht, ohne day jih die Erzeugnijie der beiden Stoffe mit einander verbinden, juht Yiebig das Hauptmerfmal der Gährung. So jollte es aud) bei der mweinigen Gährung ges _ ichehen, die darin bejtände, day ein in Zerſetzung begriffener Körper jeine Bewegung auf Traubenzuder überträgt, in deren Folge diejer in Weingeijt und Kohlenjäure zerfällt. In dem Bewegung erregenden Körper jollte die Umjegung, die den Anjtog zur Gäh- rung giebt, durch Sauerjtoff erzeugt werden. Diejer Gährung erregende Körper heißt Hefe. Die Anjiht, daß der Sauerjtoff zur Thätigkeit der Hefe den Anſtoß gebe, war einer Beobadhtung 393 von Gay=Lujjac entiprungen, die einfacher zu fein ſchien, al3 ſie wirklich war. Gay=-Lujjac hatte nämlich in Erfahrung ge— bradt, daß Traubenſaft nicht gährt, wenn er ohne allen Luftzutritt aufgefangen und aufbewahrt wird, daß dagegen die Zufuhr einer Fleinen Menge Luft oder Sauerjtoff genügt, um die Gährung einzuleiten. Nachher kann man die Luft abjchliegen und die Gäh- rung jchreitet unbehindert fort. Aber die Luft, von deren Neinheit jo viel ge— fabelt wird, war in den Händen eines hochberühmten Scheidekünſtlers, troß der großen Sorgfalt, welche Sceidefünjtler darauf verwenden, um mit veiment, unvermijchten Stoffen von bekannter Zuſammenſetzung zu arbeiten, Fein reines Prüfungsmittel. Die Kennt— niß des chemijchen Gemenges, welches die Luft dar— jtellt, genügte nicht, um deren Einwirkung auf dei Traubenjaft zu erklären. In der Luft und vollends in Luft, welche Trau— ben umgiebt, ſchweben zahlreiche Bilzchen, deren Leben im Traubenſaft die Gährung einleitet und erhält, jo lange im Saft geeignete Nahrung für jene ‘Pilz: hen*) vorhanden ijt. Wenn man eine Traube wäjcht, danı findet man in dem Waſchwaſſer eine Menge *) Saccharomyces ellipsoideus, Rees, 394 von Pilzchen und Keimförnern*), wie jie eben zur Natur der Hefe gehören. Paſteur, der dies Verhalten am jorgfältigiten und erihöpfenditen erforjcht hat, ſah die Weinhefe jich ent- wiceln und Gährung erfolgen, wenn er gefochten und filtrirten Mojt mit einigen Tropfen des Waſch— wajjers von Traubenbeeren verſetzte. Dagegen trat in DVergleichsproben dejjelben gefochten und filtrirten Moſtes Feine Gährung ein, wenn er unvermijcht blieb, wenn das Wafjer, mit dem die Trauben gewaſchen worden, vor dem Zuſatz zum Moſte gekocht hatte, oder endlich wenn jtatt dieſes Waſchwaſſers ein Tropfen Saft aus dem Snneren nicht zerquetichter Weinbeeren zugejetst wurde. Dieſe Erfahrungen erklären die Beobadtung Bes champ's, daß der Ueberzug der Trauben genügt, um beim Abſchluß der Luft in Zuckerwaſſer Gährung zu bewirken. Die Wirkung geht nicht vom Sauer— jtoff aus, jie wird durch das Leben der Pilzchen ein- geleitet, die der Luft oder der Oberfläche der Trauben entjtammen. Nah Paſteur wäre die Gegenwart von freiem Sauerjtoff der Gährung jogar eher jchädlich al3 nütz— lid. Und dennoch jeien die Gährungspilze, um ſich *) Sporen. 395 am Leben zu erhalten, auf eine Zufuhr von Sauer ftoff angemwiejen, aber jie entnehmen ihn dem Zucker jelbit. Es wird nämlich nicht aller Zucker bei der Gäh— rung gerade auf in Alfohol und Kohlenjäure zer: legt. Schon im Jahre 1848 hat Carl Schmidt, der berühmte Dorpater Chemifer, gezeigt, daß bei jeder Gährung auch Bernjteinfäure gebildet wird. Später hat man durch Pajteur erfahren, daß neben diefer Bernfteinfäure immer auch Deljür entiteht. Wenn aber Zuder in Bernjteinfäure und Del- ſüß zerfällt, dann wird neben Kohlenjäure auch Sauer- jtoff frei.) Zu diefem Sauerjtoff joll nah Paſteur die Hefe jo große Anziehungskraft bejiten, daß jie das Gleichgewicht, in welchem die Stofftheilchen zu Zuder verbunden jind, verbricht und, ohne day der Zucker mit irgend einem anderen Stoffe eine Ver— bindung eingeht, dejjen Zerlegung in Alkohol, Kohlen— ſäure, Bernjteinfäure und Oelſüß veranlaßt. Merkwürdig bei diefem Vorgang it ed, daß’ jo große Mengen Alkohol und Kohlenjäure aus dem Zuder gebildet werden, und daneben jo wenig Bernſtein— *) Zuder Waſſer Bernſteinſäure Oelſüß Kohlen- Sauer- (Glycerin) fäure ftoff 40. Hi 20; 4 3H:0 = C. H. O-. * 603Hs0; —+ 200; 12% Nah Monoyer Bol. Schützenberger, les fermen- tations, Paris 1875, p. 23. 396 fäure und Oelſüß entjtehen, daß die ganze Zerlegung nur eine jehr geringe Menge freimerdenden Sauer— jtoffs der Hefe zur Verfügung jtellt. ES zerfallen nämlich nur etwa 4 Hundertitel des gährenden Zuders in Oelſüß und Bernfteinfäure, und nur der fünf- zigite Theil diefer 4 Hundertſtel, aljo 1250 der ganzen Zudermenge ilt das Gewicht des entbundenen Sauer— ſtoffs. Noch merkwürdiger ſcheint 8* auf den erſten Blick, daß jene Sauerſtoffgier der Hefe, welche die weinige Gährung des Zuckers veranlaſſen ſoll, durch die Gegen— wart von freiem Sauerſtoff nicht befriedigt wird. Denn wenn auch der Luftzutritt nach Paſteur nicht nöthig iſt, um die Gährung zu unterhalten, ſo wird ſie doch durch die Gegenwart der Luft nicht aufgehoben. Nach Mayer's Verſuchen iſt aber die Anweſenheit von Sauerſtoff für die Gährung gleichgültig, inſofern ſie die Zerlegung des Zuckers weder beſchleunigt noch hemmt. Dieſe Unwirkſamkeit des freien Sauerſtoffs ſteht aber mit Paſteur's Anſicht vom Weſen der Gäh— rung durchaus nicht in nothwendigem Widerſpruch. Man braucht nur anzunehmen, daß es freiwerdender, nicht längſt freigewordener Sauerſtoff iſt, den die Hefe aus dem Zucker ſchöpfen muß, um Gährung einzuleiten, dann iſt die Gleichgültigkeit des Luft— zutritts für den eigentlichen Vorgang befriedigend erklärt. 397 Es kann auch nicht weiter auffallen, daß eine reihlihe Einwirkung von freiem Sauerjtoff das Wach3- thum der Hefe begünjtigt, aber auf Kojten der Zer- legung des Zuders. Nah Paſteur giebt es eine Grenze, an welcher der Einfluß des freien Sauerſtoffs es bedingt, daß beinahe ebenjo viel Hefe gebildet als Zucker zeriegt wird. Es wird alfo durch reichliche Zufuhr freien Sauer- jtoffs die Grnährungsrichtung der Hefe und ihre Thätigfeit verändert, ähnlich wie ein Thier, deſſen Lungen mit Sauerjtoff überfüllt find, eine Zeit lang zu athmen aufhört*) und die Neigung zu Krämpfen verliert (Yeube). Wenn dies innerhalb gemwiljer Grenzen der Sauer: ftoffzufuhe mit der Hefe nicht gejchieht, jo liegt daS, wie Bajteur deutlich ausgejproden und Mayer dur) Verſuche bemwiefen hat, daran, daß die Hefe jenen freien Sauerjtoff nicht benüßt; ihre Gier iſt auf frei werdenden Sauerſtoff gerichtet. Und dies wäre eine Thatjache, welche einer Erklärung nicht mehr und nicht minder zugänglich ijt, als jene andere, daß ſich Chlor und Sauerjtoff nur im werdenden Zujtande mit einander verbinden, wie ſich Sticjtoff nur mit Wajjerjtoff zu Ammoniak vereinigt, wenn diejer im Entbinden begriffen ift. *) Apnoe. 398 Daß die Hefe, die einen Theil des im Zuder gebundenen Sauerjtoffs ſich anzueignen vermag, aud) aus lockeren Verbindungen den Sauerjtoff anzieht, ift hiernach nicht zu verwundern Schüßenberger hat uns davon ein Beijpiel am Blutroth kennen ge- lehrt. Man braucht nur etwas Hefe in jchlagaderlichem Blut zu zertheilen, um diejes in furzer Zeit ſchwarz— roth werden zu jehen. Scüttelt man dann jolches Blut mit Luft, jo wird ed wieder hellroth, weil ji) der DBlutförperchenjtoff *) mit dem Sauerſtoff vers bindet, den ihm die Hefe jpäter wieder entzieht. Die alkoholiihe Gährung erfolgt am leichtejten bei einer Wärme von 25 bis 30° und in einer jauren Flüſſigkeit. Traubenzucker, Fruchtzucker, die aus Milchzucker unter Einwirkung von Säuren hervorgehende Zucker— art**) find dieſer Gährung fähig, andere Zuckerarten, wie der Rohrzucker, nur inſofern ſie in einen der ge— nannten Zuckerſtoffe übergehen können. Milchzucker als ſolcher geht keine alkoholiſche Gäh— rung ein, iſt aber in leicht alkaliſcher Flüſſigkeit, zumal bei einer Wärme von 35°, ſehr geneigt ſich in Milch— fäure zu verwandeln, unter der Bedingung, daß eine *, Hämoglobin. *) Qactofe. — 399 geeignete Hefe vorhanden ijt, um dieſe neue Art von Gährung, die man Milhjäuregährung nennt, ein— äuleiten. Für jene Hefe hielt man früher den Käjejtoff der Milh, der durch Sauerjtoff zu verwejen begann. Wenn die Milch ſauer wird — jo lehrte Liebig — dann ijt es mittelbar der Sauerjtoff der Luft, welcher das Zerfallen des Milchzuders bedingt. Der Sauer- jtoff jett die Bejtandtheile des Käſeſtoffs in Bewe— gung. Dieſe Bewegung pflanzt ſich fort auf den Zucker der Milch. Der Milchzucker nimmt jelbjt feinen Sauerjtoff auf. Er verwandelt ſich erſt in Milchjäure, welche in denjelben Gemwichtsverhältnijien aus Kohlen- ſtoff, Waſſerſtoff und Sauerjtoff, wie dev Milchzucker, bejteht. Nur jind die einzelnen Stofftheilden in der Milhjäure anders als im Zucer gelagert. Ein Theil- hen Milchzucker zerfällt in zwei Theilchen Milchſäure, die zujammen ebenjo viel wiegen, wie das Theilchen Milchzucker, aus dem jie hervorgingen. Schreite der Einfluß des in Bewegung begriffenen Käſeſtoffs fort, dann verwandle jich die Milchjäure in Butter- jäure, Kohlenjfäure und Wajjerjtoff. Habe man aus der Milch durch Kochen den Sauerjtoff entfernt, dann könne man diejelbe länger aufheben, ohne daß jie fauer wird. Es fehlte dann nach Liebig eben der Stoff, der den Käſeſtoff in Bewegung jekt. 400 Diefe Säuerung der Milh, melde die Einwir— fung des Sauerjtoffs auf den Käſeſtoff vermitteln jollte, war ein LieblingSbeijpiel, um die Vorjtellung zu unterjtügen, nach welcher bei der Gährung ein in Umſetzung begriffener Stoff die Bewegung jeiner kleinſten Theilchen auf einen anderen Stoff in jeiner Nähe überträgt und, ohne ihm etwas Anderes als Bewegung mitzutheilen, deſſen Zerlegung bedingt. Nach der von Paſteur neubelebten Anjchauung, die von Gagniard de Latour, von Shwann und anderen ausgezeichneten Forſchern jchon früher befürwortet wurde, müßte jene Umjesung erzeugende Bewegung auf einen Lebensvorgang, das heikt auf die eigenthümliche Bewegungsform des Stoffmechjels eines niederen Organismus zurücgeführt werden. Man muß geftehen, daß gerade die Mildy eine Zeit lang ſich diefer Vorjtellung nicht anpafien lieh. Schröderund Bon Duſch, denen es doc gelungen war, Fleiſchbrühe, Bierwürze, Harn, Stärkekleiſter, die vorher gekocht hatten, trot Luftzufuhr unverändert zu erhalten, wenn nur die Luft vorher durch Baumes wolle gezogen war und im diejer ihre organijirten Keime zurücgelajien hatte, Fonnten mit Milch den gleichen Erfolg nicht erzielen. Bajteur war anfangs nicht glüdliher. Er Fam aber auf den Gedanken, daß die organijirten Gebilde, welche die Milhgährung 401 veranlafjen, vielleiht der Siedhitze widerjtehen, und um zu Grunde zu gehen, eines höheren Wärmegrads bedürfen. Und diefe Vorausſetzung fand ſich bejtä- tigt. Wenn die Milch, bevor fie in einem Glasballon, in den nur ausgeglühte Luft gelangen fonnte, nicht blos zum Sieden, jondern bis zu 110° erwärmt worden war, dann fonnte fie auf unbejhränfte Zeit im zugejchmolzenen Ballon, bei einer Wärme von 30° aufbewahrt werden, ohne Zerſetzung, ohne in Ges ſchmack und Geruch eine Aenderung zu erleiden, ohne Schimmelbildung, ohne Aufgußthierchen. Nun galt es, die Gebilde kenntlich zu machen, welche durch ihren Stoffwechſel die Umſetzung des Milchzuckers in Milchſäure und Butterſäure bewirken. Paſteur hat ſich mit bewunderungswürdiger Aus— dauer dieſer Aufgabe gewidmet. Nach ſeinen For— ſchungen ſind es den Hefezellen, welche die Weingäh— rung bedingen, ähnliche, nur viel kleinere pflanzliche Gebilde, denen die Milchſäuregährung ihre Entſtehung verdankt. Die kleinen Zellchen, die, in Maſſe ge— ſehen, einen dünnen grauen Anflug bilden, in welchen nur ein wiſſenſchaftlich ſpähendes Auge eine mächtige Hefe wittern konnte, bleiben Häufig zu langen Ketten vereinigt, und zeigen, wenn jie getrennt jind, eine lebhafte zitternde und fchwirrende Bewegung, die, weil jie an ähnlich Keinen Theilchen in binnen Flüſſig— — — —— 402 keiten eine allgemeine Erſcheinung iſt, nach ihrem Ent— decker als Brown'ſche Molecularbewegung bezeich— net zu werden pflegt. Sp wird es erklärt, warum die Milch in der Bruſt— drüfe nicht jauer wird, mo es ihr doch weder an alkaliiher Beichaffenheit, nod an Käſeſtoff, weder an günjtigee Wärme, noch an Sauerjtoff gebricht. Die Fähigkeit, unter der Einwirkung einer be- jonderen Art von Hefezellen in Milchſäure zu zer- fallen, eignet nicht blos dem Milchzuder. Sie fommt ebenjo dem Traubenzucker und dem Fruchtzucker zu. Nenn dann die Mildhjäure einer neuen Art von Hefe begegnet, die an der Grenze des Thier- und Pflanzenreihs ſteht, den jogenannten Zitterlingen*), dann zerfällt jie, ohne jich mit neuen Stoffen zu ver- binden, in Butterjäure, Kohlenjäure und Waſſerſtoff. Während die Weinhefe und Milchjäurehefe aus rundlihen Zellen von verjchiedener Größe beitehen, jind jene Zitterlinge, deren Stoffwechjel die Bildung der Butterfäure au Milchſäure vermittelt, kleine Stäb- hen, die etwa 1/9, Millimeter breit, oft Faum länger al3 breit jind, bisweilen aber auch ihren Durchmefjer an Länge zehn bis zwanzigmal Mal übertreffen. Ruhe— Yojigkeit ijt ihr Wejen, aber die Bewegung, die jie den Theilchen der Milhjäure bei ihrer Umſetzung *) Nibrionen. 405 mittheiler, Hat nur mittelbar mit ihrer bei hinläng- licher Vergrößerung jichtbaren Bewegung zu thun. Es handelt jich dabei um jene Bewegung auf unmeß— bar kleine Entfernungen, die den Chemismus fenn- zeichnet, auch die Art von Chemismus, welche dei Stoffwechſel der Zitterlinge ausmacht, und für welchen man ihre unter dem Vergrößerungsglas jichtbare Be— wegung als Gejammtausdruck betrachten fann. Alkaliſche Beſchaffenheit der Flüjjigfeit und mäßige, amı beiten bis zu 40° erhöhte Wärme begünjtigen auch die Butterjäuregährung. Dagegen it für jte, nad) Paſteur's Verſicherung, der freie Sauerſtoff nicht blos gleichgültig, wie bei der weinigen Gährung, ſon— dern geradezu ſchädlich, indem ev die Zitterlinge tödtet. Sp wie ed mehrere Zucerarten giebt, die dev weis nigen, und mehrere, die der Milchjäuregährung fähig find, jo jteht auch die Milchſäure als Stoff der Butterjüurebildung nicht allein. Weinjäure, Aepfelſäure, Gitronenjäure, Schleimſäure können gleichfalls Butter: jäuregährung erleiden, und dieje Säuren find an Eigen- Ihaften und Zujammenjegung weit verjchiedener als jene verjchiedenen Zuckerarten. Daß die weinige Gährung die Folge eines Lebens- vorgangs, eines Zellenchemismus in dev Hefe daritellt, wird weiter dadurch beurfundet, dal man in dev Hefe, die bei der Gährung gedient hatte, ähnlich wie in 26 * 404 thierifchen Geweben, Rüdbildungserzeugnifie eiweiß— artiger Körper angetroffen hat. Behanp hat Horn= glanz und Käſeweiß, Hejje eine jchwefelhaltige Ab- art des Käſeweißes, Shübßenberger Harn— orydul darin gefunden*). Wir willen, daß die Hefe bei der weinigen Gährung wachen kann, obgleich ſchon aus Thénard's Verjuchen hervorging, daß jte nicht nothwendig wächſt; wir willen, daß jie athmet; wir können daher mit Recht einen Theil der Wärme, die bei der Gährung frei wird, auf Ernährungs- und Rückbildungsvorgänge der Hefe jelbjt zurücjühren. Eiweißkörper, die eine Umſetzung erlitten haben, in deren Folge ſie leicht durch Zellwände Hindurd)= wandern”), Ammoniakjalze, jalpeterfjaure Salze, ein Theil des Zuders, der der Gährung entgeht, vers verjhiedene anorganiſche Stoffe, unter denen nament- ich phosphorjaures Kali unentbehrlich ijt, bilden die Kahrungsitoffe der Hefe. Ihren Sticjtoff können die Hefezellen aus Ammo— niak, aus Salpeterfäure oder aus eiweißartigen Stoffen beziehen. Daher können Eiweiß, Ammoniak, Salpeter- jäure bei der Ernährung der Hefe einander vertreten. Duclaur hat mit der Wage gezeigt, da der Ge— * Schütenberger, a. a. O. ©. 117, 119, 122, *) Peptone Vgl. Schügenberger, a. a. O. ©. 74, Dh Fe a 405 halt an jticjtoffgaltigen Verbindungen in der Hefe zunimmt, der er nur Zucder und weinſaures Ammo— niaf zur Verfügung gejtellt hatte. Sind nun aber wirflih die Hefezellen bei der weinigen Gährung, die Zitterlinge bei der Butter- fäuregährung unerſetzliche Vermittler des Zerfallens de3 Zuckers oder der Milchjäure ? Die Wiſſenſchaft ijt in der glücklichen Lage, auf dieſe Frage nicht blos mit DBergleichen, jondern mit Thatſachen zu antworten. Was zunähjt Die weinige "Gährung betrifft, jo haben die Berjuche von Bellamy und Lechartier gelehrt, daß die Zellen einer großen Anzahl von Früchten, obgleich je feine Spur von Hefezellen beher- bergen, beim Abſchluß der Luft den Zuder ganz nad Art der Hefezellen zum Gähren bringen. . Nicht blos Birnen und Aepfel, Kirſchen und Sohannisbeeren bejiten ſolche Zellen, auch Eitronen und Kajtanien, Weizen und Leinjamen, ja außer den Früchten noch andere Pflanzentheile, wie zum Beijpiel Kartoffeln. Sp ijt es denn nicht auffallend, wenn diejelbe Mandelhefe, welche ven Mandelitoff in Zucker, Bitter- mandelöl und Blauſäure zerlegt, auch das Zerfallen des Traubenzuders in Alkohol und Kohlenſäure zu bewirken vermag. Wenn ſüße Mandelmilh mit — it, 406 Traubenzuder verjett wird, dann tritt nach einiger Zeit eine lebhafte weinige Gährung auf.*) ‚ Bon der Butlkfäure ift es befannt, daß. jie nicht blos durch Gährung und Fäulniß, jondern zum Beis jpiel aus eiweigartigen Körpern durch Orydation mit Braunſtein und Schwefelſäure entjtehen kann. Hier wird alſo der Chemismus der Zitterlinge durch anor— ganiſche Stoffe erſetzt, ähnlich wie die Einwirkung der Mandelhefe, inſofern ſie den eigenthümlichen Stoff der Weidenrinde, das Salicin, in Saligenin und Zucker ſpaltet, durch verdünnte Schwefelſäure in der Sied— hitze erſetzt werden kann. Es iſt doch wohl nur eine von den jugendlichen Erfahrungen, welche die immer junge Wiſſenſchaft nicht ſelten durchzumachen hat, wenn wir mit dem Zucker ſeibſt, mit Rückſicht auf die weinige Gährung, nicht ebenſo weit gekommen ſind, daß wir den Che— mismus von Pflanzenzellen durch anorganiſche Stoffe zu erſetzen wiſſen. Wir haben es uns lange vor— geſungen, daß man die Geſetze des Zerfallens immer früher als die des Aufbaus erkennt, und doc ijt der fünftliche Aufbau des Alkohols ermittelt, während wir das Zerfallen de3 Zuders in Alkohol, Kohlenjäure, *), Liebig, Ueber Gährung, über Quelle der Muskel— fraft und Ernährung. Leipzig und Heidelberg, 1870, ©. >. 407 Bernfteinjäure und Oelſüß nur erjt als die Folge eines zujammengejesten Chemismus fennen, der das Leben von Pilanzenzellen fennzeichnet. Was die leisteren bei der weinigen Gährung leilten, wird in ähnlicher Weije von thierischen Zellen bei der Fäulniß bewirkt. Wenn Blut geronnen umd das aus dem Kuchen ausgejicerte Blutwajjer*) rein gejammelt wird, was leicht gelingt, wenn man eine Probe des Blutwaſſers einen oder einige Tage ſtehen läßt, um die Blutkörperchen abſitzen zu laſſen, dann kann man das Blutwaͤſſer Tagk und Wochen lang in einem offenen Gefäße aufheben, ohne daß es eine Spur von Fäul— niß zeigt, während ſich dieſe ſehr bald einſtellt, wenn Blutkörperchen durch das Blutwaſſer vertheilt ſind. Nah Paſteur freilich erfolgt auch letzteres nur, wenn Keime der Luft ſich den Blutbeſtandtheilen zumiſchen, da er das ganze Blut, mitſammt Körperchen und Faſerſtoffbildnern, wie es aus dem Körper floß, in ausgeglühte Glasballons auffangen und mit aus— geglühter Luft darin einſchließen konnte, ohne daß es in langer Zeit eine faulige Zerſetzung erlitt. Paſteur und viele andere Forſcher haben des— halb die allgemeine Lehre aufgeſtellt, daß Gährung und Fäulniß ohne Vermittlung lebender Zellen nicht möglich ſind. ) Blutſerum. 408 Daß die Mehrzahl der Fälle in diefer allgemeinen Regel begriffen it, läßt ſich kaum mehr bezweifeln, und ebenjo wenig, daß unter dem Einfluß von Hefe zellen und Zitterlingen bei geeigneter Wärme die in Rede jtehenden Borgänge am jchnelliten verlaufen. Aber es gibt denn doch Ausnahmen und Ueber— gänge, vor denen man das Auge nicht verjchliegen darf. Gayon, ein junger franzöjiicher Forſcher, ein Schüler und Gehülfe Paſteur's, der jich zu deſſen Lehre befennt, hat in der Kegel in verdorbenen Eiern Zitterlinge entdeckt, deren Zahl zun Grade der Fäul⸗ niß in einem gewiſſen Verhältniß ſtand. Aber es iſt eben Gayon einige Male begegnet, daß in Eiern, die eine Zeit lang der Wärme von 25° ausgeſetzt waren, einerlei ob jie gejchüttelt oder nicht geſchüttelt worden, eine Zerjekung vor ſich gegangen war, in deren Folge große Mengen von Hornglanz und Käſe— weil; gebildet waren, ohne daß es ihm gelang, eine Spur von lebenden Wejen in dem jchmußiggelben, dünnflüjligen Anhalt der Gier zu entdecken.*) Man fann über dieje Ausnahme nicht jtaunen, wenn man weiß, daß auch Kalilauge oder mäjjig verdünnte Schwefelfäure im Stande jind, die Bildung von Käſe— weiß und Hornglanz aus eiweißartigen Körpern zu bewirken. *) Schügenberger, a. a. D. ©. 189, 1%. 409 Aber Donne und Behamp gehen noch einen Schritt weiter. Nah Donné maht e3 einen großen, Unterjchied, ob die Gier, die man unterſuchen will, eine Erſchütterung erlitten haben, die ihren inhalt gewiſſermaßen zerreißt und durch einander mengt, oder nicht. Im letzteren Falle laſſen jie ji) Monate lang, jelbjft während des Sommers, aufbewahren, ohne zu verderben. Sind jie dagegen bis zu dem eben be= zeichneten Grade gejchüttelt worden, danı kann man fie ſogar mit Schießbaumwolle, die in Aether gelöjt ijt*), überziehen, und dennoch tritt nach längitens einem Monat die Fäulniß ein. Deffnet man ein jolches Gi, dann findet man einen trüben, bleigrauen, jtin= fenden Inhalt, aber Donné fand feine Spur von organifirten Gebilden darin vor, ebenjo wenig wie Béchamp oder Gayon in jeinen Ausnahmzfällen, die er von der eigentlichen Fäulniß unterjchieden wiſſen will. Angaben von einem Forſcher, der in der Hands habung des Mifrosfopes jo erfahren ijt wie Donne, lajjen fich nicht von der Hand weiſen. Wenn aber das Leben jtofflih auf Körper eins wirkt, die ji) dadurch auszeichnen, daß ihre Zuſam— menjeßung leicht verändert wird, wenn dieſes Leben Stoffwechjel, eine bejtimmte Form von ſtofflicher Be— *) Collodium. SET EEE 410 wegung ijt, warum jollte es da unmöglich jein, daß andere, nicht an einen Lebensporgang gefnüpfte Be— mwegungen ein ähnliches Zerfallen organiſcher Stoffe hervorbringen ? Schon oben begegnete uns im Bitterjtoff der Weidenrinde das Beijpiel eines Körpers, der nicht blo3 durch Mandelhefe in Zuder und Saligenin zer- fällt, jondern auch, wenn man ihn mit verdünnter Schwefeljäure jieden läßt. Der Rohrzuder liefert ein noch vieljeitigeres Bei— jpiel. Er ijt als jolcher der weinigen Gährung nicht fähig, wird aber durch verjchiedene Mittel, indem er Waſſer aufnimmt, in zwei neue Zucderarten zerlegt *), die beide gährungsfähig jind, wenn auch die eine in höherem Grade als die andere. Die eine von diejen Zuderarten ijt feine andere al3 waſſerfreier Trauben- zucder, die andere, in den Gewichtsverhältniſſen des Kohlenſtoffs, Wajjeritoffs und Sauerjtoffs mit Trau— benzucer übereinjtimmend, unterjcheidet jich von dieſem dadurch, daß jie die Ebene des polarijirten Lichtes nicht nach vechts, jondern nad links ablenkt, weshalb jie als Linfsdrehender Fruchtzuder**), auch ſchlecht— weg als Fruchtzucker bezeichnet wird. *) Nohrzuder Waſſer ZTraubenzuder Linfsdrehender Fruchtzuder Cı2H320ı1 E= H:0 = CsH1205 + CsHı120%:. (Dubrunfaut), **) Levuloſe. 411 Man kann offenbar diefe von Dubrunfaut entdeckte Spaltung des Rohrzuckers in Traubenzucer und Fruchtzucker mit dem Zerfallen diejer beiden Zucker— arten bei der weinigen Gährung vergleichen. Um aber den Rohrzucker in Traubenzudfer und Fruchtzucker zu zerlegen, jind nicht mehr die Hefezellen nöthig. Es genügt dazu ein jticfjtoffhaltiger, in Waſſer löslicher Stoff, der in den Hefezellen gebildet wird und der in Hinlänglicher Menge in dem Waſchwaſſer der Hefe vorfommt. Berthelot, der die Wirkſam— feit diejes ſtickſtoffhaltigen Beitandtheil3 der Hefe in ihrer Unabhängigkeit vom Leben der Hefezellen er— kannte, nennt ihn Umjaishefe. *) Der Gegenwart diejes Bejtandtheils in der Hefe verdankt der Nohrzucder feine mittelbare Gährungs— fähigkeit. Die Umſatzhefe vermittelt erjt die Spaltung des Rohrzuckers in Traubenzucker und Fruchtzucker, dann gährt unter dem Einfluß dev Hefezellen zunächjt der Traubenzucker, und nad ihm erleidet auch der Fruchtzucker die alfoholiihe Gährung. Wenn uns aber die Umſatzhefe für die Zerlegung des Nohrzucers in zwei gährungsfähige Zucerarten vom Leben der Hefezellen unabhängig macht, wir können die Umſatzhefe jelbjt durch weit einfachere Mittel *) Ferment inversif, Berthelot, Zymase, Bechamp. 412 erſetzen. Verdünnte anorganijche und organiſche Säu— ren bewirken ſchon bei gewöhnlicher Wärme, wenn auch ſchneller bei höheren Wärmegraden, die gleiche Spaltung des Rohrzuckers. Es genügt dazu, eine wäſſrige Löſung deſſelben eine Zeit lang im Sieden zu erhalten. Es genügt, den Rohrzucker trocken eine Zeit lang bei 160° zu erhitzen oder ſeine Löſung dem Licht auszujegen. Ja, wenn man Rohrzuder zu Pulver zerreibt, wird eine fleine Menge dejjelben in Trauben— zucer und Fruchtzucker zerjekt. Bon der organischen Crzeugung der Umjatshefe an, werden wiran der Hand der Säuren, der Wärme und des Lichts, zur einfach mechanischen Erſchütte— rung der Zudertheilhen heruntergeführt, al3 wenn uns die Natur den Weg vorgezeichnet, dieje Form der Gährung im Sinne von Willis und Stahl, von Liebig und Gerhardt als eine übertragene Dewegung zu betrachten. Wenn wir aud in den meilten Fällen, um den Vermittler dev Bewegung zu finden, zum Chemismus eines Lebensvorgangs hinauf: jteigen müjjen, jo wird dadurch der mechanijche Grund gedanfe über dag Wejen der Gährung nicht angefochten. Die Aehnlichfeit der verjchiedenen Eingriffe, die den Rohrzucker in Traubenzuder und Fruchtzucker jpals ten, ijt allerdings äußerlich eine jehr geringe. Ein jtichjtoffgaltiger Bejtandtheil dev Hefezellen, verdünute 415 Säuren, Licht und Wärme, mechanische Erſchütterung, ſie alle führen zu Einem Ziel, daS aber viel weniger räthjelhaft geworden, jeitvem der Geiſt der neueſten Naturforſchung den Gedanfen der Ummandlung der Kräfte als Umwandlung einer Bewegungsform in die andere auffaßt. Wenn die Umſetzung auf eine Orydation, auf eine Verweſung nach Liebig's Beitimmung hinausläuft, da ijt die Aehnlichkeit, bei aller Verſchiedenheit der äußeren Mittel, Leichter zu erkennen. Sp zum Beijpiel bei der Eſſigbildung. Wenn Ein Maſſentheilchen Alkohol jih mit Zwei Atomen Sauerjtoff verbindet, jo geht daraus ein Meajjentheil- hen Eſſigſäure nebſt Waſſer hervor *). Der Sauer: jtoff muß aber dem Alkohol auf bejondere Weiſe zus geführt werden, denn einfach mit Luft oder Sauer- ſtoff gejchüttelt, geht Alkohol nit in Eſſigſäure über. Wenn Bier oder Wein fauer werden, dann ijt e3 das Leben eines bejonderen Pilzes, des ſogenann— ten Eſſigpilzes**), welches dem Alkohol den Sauerjtoff darbietet, der ihn in Ejjigjäure und Waſſer verwan— delt. Weil aber Platinmohr, in deſſen Poren jich Sauerjtoff verdichtet, dieſelbe Wirkung auf Alkohol *) Alkohol Sauterftoff Eſſigſäure Waſſer GHO + GG = GHO + Hi. **) Mycoderma aceti, Ejfigmutter, Eſſigkahm. 414 ausübt, jo nimmt man an, daß auch die Gjjigpilze verdichteten Sauerjtoff an den Alkohol übertragen. Die Berjchiedenheiten in beiden Vorgängen jind mehr untergeordnneter Natur. Sie hängen von den bejonderen Umjtänden ab. So begreift man, daß Platinmohr leichter auf jtarfen Alkohol einwirft, und dar eine Wärme über 35° dejien Orydation begünjtigen fann, während, wenn das Leben des Gjjigpilzes den Dorgang einleitet, die Flüſſigkeit nicht über zehn Hundertjtel Alkohol enthalten darf, damit Die eiweiß— artigen Bejtandtheile des Pilzes nicht gerinnen, und eine Wärme von 20 — 30 Grad günftiger it (Mayer). Für die Betrachtung diefer Vorgänge aus einem allgemeinen Gejichtspunft bleibt es die Hauptſache, daß der durch Platinmohr verdichtete Sauerjtoff den Eſſig— pilz vertreten kann. Gntjteht ja doch die Ejjigjäure außerdem durch die innere Oxydation, die bei der trocknen Dejtillation des Holzes jtattfindet, und nicht minder bei heftiger Ginwirfung des Sauerjtoffs auf eiweihartige Körper, zum Beijpiel bei deren Behand- lung mit Braunftein und Schwefeljäure. Natürlich raubt dieſe DVertretbarfeit dev Eſſigpilze ihnen nichts von ihrer Wirkſamkeit, wenn jie die Nolle der Sauerjtoffübertragung jpielen jollen, ohne day ihre Vertreter zur Hand jind. In diefem Sinne verdient ein viel bejprochener Verſuch Pajteur’s —— 415 alle Beachtung, obwohl er nur ein anderer Ausdruck für den Sat iſt, daß der Sauerſtoff, jo wie er in der Luft vorhanden ijt, nicht ohne Weiteres ejjigbil- dend auf den Alkohol einwirft. Man hatte eine Zeit lang geglaubt, daß bei der Schnellejjigbereitung die Hobeljpäne, über welche man den verdünnten Weingeiſt tropfen läßt, durch die Vergrößerung der Oberfläche die Einwirkung der Luft begünftigten. Paſteur hat aber dargethan, daß es jich hierbei nur um den Ein— fluß der Eſſigmutter handelt, welche die Hobeljpäne überzieht. Denn wenn man jolch verdünnten Wein— geiſt an einer Schnur jo langſam abtropfen läßt, dal etwa alle 2 bis 3 Secunden ein Tropfen herunterfällt, jo fann man die einen Monat und länger währen laſſen, ohne dag Gfjigjäure gebildet wird, was gleich erfolgt, wenn die Schnur vorher mit einer dünnen Schicht von Eſſigkahm überzogen wurde (Paſteur). Bei der Bildung von Eſſigſäure aus Alkohol, wird von dieſem Sauerjtoff aufgenommen und Wafjer abgegeben. Wenn Traubenzucer bei dev Gährung in Alkohol, Kohlenjäure, Bernſteinſäure und Deljüh zerfällt, Handelt es ſich um eine veine Zerlegung, ohne dal der Zucker vorher irgend etwas aufnahm, weder Wafjer noch Sauerjtofl. Dagegen nimmt Rohr: zuder, wenn er in Traubenzuder und Fruchtzuder zerfallen ſoll, zuvor Waſſer auf. 416 Dieſe Wajjeraufnahme als Bedingung einer Spal- tung organischer Stoffe ift uns ſchon mehrfach” begeg- net. Sie iſt unerläßlich für die Zerlegung der Mittel- fette in Oelſüß und fette Säuren, für daS Zerfallen der Sallenfäuren *) in Cholaljäure und Gallenpaarlinge **), für die Spaltung der Pferdeharnjäure in Benzoejäure und Leimzuder. Se mehr man in die geheimjten Vorgänge des organischen Stoffwandel3 eindringt,, um jo verbrei- teter erjcheint diefe Nolle des Wafjers zur Einleitung von Spaltungen und Umjesungen, jo daß ihr ein bejonderer Name***) beigelegt worden, den ich mit Waſſerſpaltung verdeutichen möchte. Solche Waſſerſpaltung greift vielfach bei der Ver— dauung der Nahrungsitoffe ein, die man aus diejem Grunde, wie das Zerfallen des Rohrzuckers in Trau— benzuder und Sruchtzuder, mit Gährungserſcheinungen ‚vergleichen kann. Wenn in einem früheren Abjchnitt von der Um— | "wandlung des Stärfefleijters durch Speichel oder Bauch— ‚jpeichel in Stärfegummi und Zuder die Rede war, ‚jo wurde der Einfachheit halber, nur von einer Ver— ‚bindung des Stärfegummis mit Wafjer gejproden. . * 9— Taurocholſäure und Glycocholſäure. =) Iaurin und Glycocoll (Zeimzuder). Fr) Hydrolpie. Brent. = mr ” * 417 Es iſt aber hier der Ort, zu erwähnen, daß auch in dieſem Falle eine wahre Waſſerſpaltung vorliegt. Durch Unterſuchungen von Musculus, die von Schwarzer, Schultz und Märker, ſowie von Payen beſtätigt ſind, wird durch Gerſtenhefe *), bei einer Wärme von 70°, die Stärke unter Aufnahme von Wafjer in Stärfegummi und Traubenzuder zerlegt **). Es ilt jehr wahrſcheinlich, daß die Umwandlung des Stärk- mehls in Stärfegummi und Traubenzucer durch Speichel, Bauchſpeichel und Darmjaft im unjeren Verdauungs— wegen in ähnlicher Weife erfolgt, wenn auch gewöhn— lih angenommen wird, day Stärfegummi und Trauben zuder nicht gleichzeitig, nicht durch jogenannte Waſſer— jpaltung, jondern nach einander entitehen. Es jollte ji erit das Stärkmehl durch Umlagerung jeiner Heinjten Theilchen ohne Gewichtsveränderung des darin enthaltenen Kohlen-, Waſſer- und Sauerſtoffs in Stärfe- gummi, und nachher diejes unter Waſſeraufnahme in Zuder verwandeln. Ganz ähnlich verhält e3 ſich mit unjeren Kennt: nifien von der Verdauung des Nohrzuders. Es Liefert dieſer Körper eines der jchönjten Bei— jpiele für die Nothwendigkeit einer Umwandlung der *) Diaſtaſe. er) Stärkmehl Waſſer Stärkegummi Traubenzucker 20. H. —06 — HO = 0HroOs⸗ — CsHı20s. J 97 7 418 Nahrungsitoffe im Organismus, als deren Ergebniß die Verähnlihung mit unjeren Gemwebebildnern erfolgt. Als jolcher trägt Rohrzucker zur Gemebebildung nicht bei, noch wird er im Dlute verbrannt. Wenn man eine Auflöfung von Nohrzuder ins Blut jpritt, wird das ganze Gewicht, daS von diejem Stoff in der eingejpriisten Löſung enthalten war, mit dem Harn wieder ausgejchieden. (Bernard.) Und doch ijt der Rohrzucker nicht bloß ein Genuß— mittel, jondern ein Nahrungsjtoff, den wir nicht nur unferen Getränfen zujfegen, um fie zu verſüßen, jon- dern in einer großen Anzahl von Nahrungsmitteln zu uns nehmen Zahlreiche Früchte enthalten neben Trauben- und Fruchtzucker auch Nohrzuder, und man hat den letztgenannten ebenfall3 in gelben und rothen Rüben, in Paſtinaken und Bataten aufgefunden. Bernard hat num gezeigt, da der Darmjaft einen löslichen Bejtandtheil Führt, der ähnlich wie der jticfjtoffhaltige Bejtandtheil der Hefezellen, den ich nah Berthelot Umjathefe nannte, aus dem Rohr— zuder Traubenzuder entjtehen läht. Leube und id) jelber haben jeine Angabe bejtätigt. ES genügt, einen wäjjrigen Auszug der Dünndarm-Schleimhaut zu bes reiten und damit eine Löjung von Rohrzucker bei 37 bis 40° kurze Zeit jtehen zu laſſen, um die betreffende Umwandlung zu beobachten. Da der neu entjtehende 419 Zucker im Gegenja zum Nohrzuder die Ebene des polarijirten Lichtſtrahls zur Yinfen ablenft, jo ijt jeden- falls Fruchtzucker gebildet, für welchen dieſe Links— drehung bezeichnend it. Weil aber durch das Sieden mit verdünnten Säuren, jo wie durch die Umſatzhefe der Rohrzucer unter Aufnahme von Waſſer in Frucht— zuder und Traubenzucker zerfällt, jo handelt e3 jich wahrjcheinlich auch bei der Einwirkung des Darm— jafts auf Rohrzucker um dieje Art von Wafjerjpaltung. Da nun Fruchtzucker und Traubenzucker im Darm— kanal in Milchfäure, und dieje in Butterjäure, Kohlen— jäure und Waſſerſtoff übergeht, jo ijt hiermit die Rolle des Nohrzuders als eines Nahrungsitoffes dar: gethan, vorausgejetst, dal; er eben den Verdauungs— kanal durchläuft und nicht unmittelbar dem Blute beigemengt wird. Waſſerſpaltung der Fette wird auch durch den Bauch— fpeichel bewirkt, und zwar ohne daß bei der Zer— fegung des jich mit Waſſer verbindenden Meittelfettes ein Alkali der frei werdenden fetten Säure zu bes gegnen braudt. (Bernard.) Durch Magenjaft, Bauchjipeichel und Darmjaft werden die eimeißartigen Körper, ohne ihre allge— meinen Stennzeichen zu verlieren, in der Art umge— jest, daß ſie leichter in die Blutbahn eindringen 27. 420 fönnen*). Auch hierbei ſoll nah den Bermuthungen ausgezeichneter Phyjiologen und Chemiker eine Wajjer- jpaltung vorliegen. (Hermann, Shüßenberger.) Sollte jih dieſe Vermuthung bejtätigen, mas die Löſung einer ſchwierigen Aufgabe vorausjeit, jo ließe jich im Allgemeinen behaupten, daß die mwichtigiten chemiſchen Greignijje bei der Berdanung auf Wajjer- jpaltungen binauslaufen. Eine Reihe von Vorgängen, die duch Verdauung der Nahrungsitofte am Aufbau des Körpers bethei- figt find, zeigen aljo mit der Gährung eine große Aehnlichkeit, die vor Allem darin bejteht, daß der die Waſſerſpaltung oder die Gährung bedingende Stoff, jelbjt wenn diefer an lebende Wejen gebunden it, nicht das Geringjte von jeinen eigenen Bejtandtheilen an die im Zerfallen begriffenen Stoffe mittheilt. Ob für die Verdauung der Vergleih mit der weinigen Gährung zu betonen ijt, in dem Sinne daß, wie dort die Hefezelle als lebende Organijation, jo hier in den Verdauungswerkzeugen Speichelzellen, Lab- zellen, Bauchipeichelzellen eine Rolle jpielen, läßt ſich nad) den bis jetzt vorliegenden Verſuchen nicht ent— Heiden. Trotz der Darjtellung einzelner wirkjamer Stoffe als ungeformter organijcher Umjatzmittel **) wäre *) Beptonbildung. **) Enzyme, Kühne. 421 es gewagt, die Vermuthung ohne eingehende Unter- juhung ein für allemal von der Hand zu weijen. Nur joviel läßt jich jchon jeist jagen, daß die unmit— telbare Mitwirkung lebender Zellen bei den Verdau— ungsporgängen oft entbehrt werden Fanı. Man darf dies daraus jchliegen, dar die Salicyljäure, welche nad den Unterjuchungen von Kolbe und Julius Müller Hefezellen und Zitterlinge tödtet, und die eben deshalb als gährungs- und fäulnißwidrig be- rühmt geworden ijt, nad) Kühne weder den Xab- jtoff*), noch die auf Eiweißkörper dauend einmwir- fende Bauchſpeichelhefe**) unwirkſam macht, obgleich jie die Thätigkeit anderer ungeformter Gährungserreger, 3. B. die Ginwirfung der Mandelhefe auf Mandel: jtoff, hemmt. Se höher die Mifhung des Stoffs it, je ver- wicelter die Zuſammenſetzung, dejto leichter wird das Gleichgewicht zwiihen den Anziehungen der einzelmen Theilchen gejtört, ohne day ſich Bejtandtheile des Gäh— rungserregers mit dem zerfallenden Stoff verbinden. Darum it Gährungsfähigfeit ein Vorrecht organischer Stoffe. *) Pepfin. *) Kühne's Trypſin. MW. Kühne, Weber das Trypfin (Enzym des Pankreas), Verhandlungen des Heidelberger Naturhiftoriich-Mediciniichen Vereins, 1876. 422 Dieſes leicht zu erjehütternde Gleichgewicht, die Be— weglichfeit der feinjten Stofitheilhen, welche die orga— nischen Stoffe auszeichnet, ijt die Urjache des Yebens nach dem Tode. Schon eine Neihe von Mittelgliedern, welche die Eiweißkörper und die Kettbildner bei ihrem Untergang mit Ammoniaf, mit Kohlenfäure und Wajjer. verbins den, die Säuren der Dammerde, jind al3 die wich- tigiten Träger erneuten Lebens zu betrachten. Auch in dem lebenden Körper von Pflanzen und TIhieren waltet in der Mehrzahl der Fälle eine Bes wegung der feinjten Stofftheilchen, die jich von einem Beitandtheil auf andere überträgt. Die Stoffe, welche diefe Bewegung im höchjten Grade und mit der frucht- barſten Wirfung zeigen, jind die eiweißartigen oder eiweiähnlichen Körper. Dammfaures, quelljaures, quellfaßjaures Ammoniak jind aber die Bejtandtheile der Ackererde, die ſich am leichteſten in Eiweiß verwandeln. Indem die Pflanze quellſatzſaures Ammoniak dem Boden entzieht, wird alſo gleich die Wurzel mit dem Stoffe bereichert, den wir hier nicht ſowohl Hefe, nicht Gährungserreger, ſondern Lebenserwecker nennen dürfen. Verweſung und Fäulniß ſind nicht eher zu Ende, bis aller organiſche Stoff verwandelt iſt in Ammo— niak und Stickſtoff, in Kohlenſäure und Waſſer. Dann 423 jind auch die anorganischen Salze aus dem organi— jhen Zujammenhang ausgejchieden. In demjelben Augenblick ijt aber der Stoff bes fähigt, zum Träger neuen Lebens zu werden. Kohlen: jäure, Waſſer, Ammoniak und Salze vereinigt, jind vollfommene Nahrungsmittel dev Pflanze, die feiner bejonderen Weihe bedürfen, um Giweiß, Zucker und Fett, um Bilanzen, Thiere, Menjchen zu bilden. Die Macht des Kleinen in der Natur tritt uns bei diejen Ummwandlungen in wunderbarer Weije entgegen. Gene verwicelten organiſchen Stoffe, an denen ih die Verrichtungen des Menſchen und der höheren Thiere entfalteten, werden durch jene Eleinjten Weſen, die nur jtarfe DVergrößerungen dem Auge zugänglich machen, auf die jchleunigite Weije in den Kreislauf des Lebens zurücgeführt. Ohne Mithülfe dev Zitterlinge und ihrer win— zigen Verwandten würden die Leiber großer Thiere entweder in den Gingeweiden dev Erde auf „jahre taujende aufgejpeichert, oder langjamer Vermoderung überlajien, in beiden Fällen dem Strom des Lebens auf längere Zeit entzogen, Und auch an dem verfeinerten Genuß des Lebens wahren jene kleinſten Urweſen ihren jpendenden An— theil. Wenn auf der Schale der Weinbeeren die Hefe— zellen warten, bis jie, dem Traubenſafte beigemiſcht, 424 dejien Gährung bedingen, beherbergen jie das Klein- leben, daS den wahren Herren der Erde, Helden, Denkern und Dichtern jo manches Entzücken bereitet, jo mande That und Wahrheit und Wonne entlodt. Als wäre es nicht genug damit, verichaffen jene fleinen Hefezellen dem Naturforiher ein Hilfsmittel, mit dem es ihm gelingt, Jahrzehnte lang organijirte Formen zur Beobadhtung aufzubewahren, naheliegende Ent— wicklungsſtufen mit einander zu vergleidhen, dem raſt— lojen Untergange und dem Werden jelbit eine Eleine Spanne Dauer entwindend. Nicht auf die Großartigkeit jenes Kreislaufs wünſchte ich hier den Blick zu lenken, jondern auf die Verhält- nifje, dur) welche der Kreislauf erſt jeine ganze jtofflich herrichende Bedeutung erhält. Mit Necht giebt jih dev Zergliederer nicht damit zufrieden, die fertige Form zu Fennen, jo wie jie in erwachjenen Pflanzen und Thieren gegeben iſt. Die beharrlichiten For— jhungen haben ihn vielmehr dazu geleitet, die Ent— wiclung der feiniten ormbejtandtheile, das Werden des inneren Gefüges, die Entjtehung des Werkzeugs zu verfolgen. Der Naturfundige, der, jeine Aufgabe begreifend, die Lehre von Leben als die Chemie und Phyſik von Pflanzen und Thieren betrachtet, erforjcht auf gleihe Weiſe das Entwicklungsleben des Stoffs. Auf dem Gebiet der Form und auf dem der Miſchung 425 it noch unendlich viel zu thun, bevor man alle Sprojjen der beiden mit ihren Spiten zujammentreffenden Leitern betreten haben wird, unter deren Bilde man fich die vorwärtsichreitende und die rückgängige Entwicklung vorjtellen kann. Dafür aber, daß die Entfaltung des Stoffs nad beiden Richtungen ohne Sprünge gejchieht, daß fort- ſchreitende Entziehung des Sauerjtoffs die einfachiten Körper ganz allmälig organijirt, während dieje nachher in ebenjo jtetigem Entwiclungsgang vom Sauerjtoff dem volljtändigen Zerfall entgegengeführt werden, dafür liegen jo ſichere Beweife vor, dal ein jtoffliches Glaubens— befenntniß im heutigen Augenbli feiner inhaltsjchweren Ahnung, feinem kühnen Seherjpruch, jondern einer tief begründeten Ueberzeugung gleichzuſetzen it. Wer vor der letzten Folgerung erjchrickt, joll nicht forichen, er joll glauben. Und fühlt jich Jemand vom Glauben nicht befriedigt, jo foriche ev getrojt, ev wird den Muth des Wiſſens finden. Das Bewußtſein diefer Trennung macht aber jede Vermittlung unmög— fh und dadurch jede Feindſchaft. Denn wer heute weiß und morgen glaubt, dev it weder heute noch morgen ein ganzer Menſch, er ijt im Kampfe nicht ebenbürtig. Zwiſchen Gläubigen und Forſchenden iſt aber fein Zufammenjto möglich, denn jie gehen wiſſend entgegengejetste Wege. 426 XV1. Der Stoff regiert den Mlenfchen. „Sin Haupthindernig, weswegen die Deutjchen im „Allgemeinen ihre Sprache nicht jo leicht und fließend „reden, al3 andere Nationen, liegt in der Gebunden- „beit der Zunge, welche mehrentheils von dem Genuß „ver vielen Begetabilien und fetten Speijen herkommt. „sreilih Haben wir hier zu Lande nichts Anderes zu „genießen, allein Mäßigkeit und Borjicht Fönnen da= „bei vieles thun und helfen.“ Sp lieg ji) der alte Zelter an Göthe ver- nehmen, ein Mann, dem es Niemand jtreitig machen wird, das er jeine Anjchauungen mit herzerfreuender Frische jchöpfte aus dem derben Marke fruchtbarer Er— fahrung. Die Naturwifjenschaft ijt kaum jo weit, über Zelter’S Grflärung ein Urtheil jprechen zu können. Nur das ijt nicht zu bezweifeln, dal; fette Speifen, um zu zerfallen, einer größeren Sauerjtoffs menge bedürfen als jticjtofffveie Fettbildner. Bei einer 427 gegebenen Größe der Lungen muß aber vom Stoff des Körpers um ſo weniger umgeſetzt werden, je mehr dieſer Stoff, um zu verbrennen, Sauerſtoff er— fordert. Raſcher Stoffwechſel dagegen macht geſchmei— dige und lebhafte Bewegung möglich. Inſofern nun Stimme und Sprache zuletzt von der Bewegung der Muskeln des Kehlkopfs, der Zunge und des Antlitzes, ſowie der Athemmuskeln abhängen, dürfte wohl fetter Koſt ein größerer Nachtheil auf den Fluß der Rede und die Leichtigkeit des Geſanges zugeſchrieben werden müſſen, als pflanzlicher Nahrung. Aber geſetzt auch dieſe Erklärung wäre noch lange nicht zureichend und Zelter's Beobachtung reihte ſich den vielen Erſcheinungen an, deren regelrechte Ableitung aus einer vorher erzählten Thatſache noch nicht gelingt, ſo thut das dem Vertrauen, das die Erfahrung überhaupt verdient, nicht den mindeſten Abbruch. Es verhält ſich dann damit wie mit der Furcht der Sänger vor Nüſſen und Mandeln, die noch einen weiteren Grund haben muß, als daß die feinen Theilchen jener Früchte leicht in die Stimmritze gelangen und dadurch eine nachtheilige Wirkung auf die Stimmbänder äußern. Ich wollte nur an dieſe Erfahrungen, die dem Volksbewußtſein mehr oder minder geläufig ſind, an— knüpfen, um überhaupt zu zeigen, wie ſehr unſere 425 Zuftände und unſer Können bedingt werden durch den Stoff, den wir von augen zuführen. Viele Mitglieder auch der älteren Gejchlechter haben es längjt auf der Schulbank erfahren, daß Kochſalz zum Lebensunterhalt nothmwendig jei, day alle Völker, durch eine innere Nothwendigkeit getrieben, Kochſalz als einen Speijezufats oder jalzreiche Nah— vung genießen, bevor man wußte, daß die Bildung des Knorpels ohne Kochjalz nicht möglich iſt. Und auch jet, wo man es weiß, dak man das Kodjalz aus dem eben angeführten Grunde als Knorpeljalz zu betrachten hat, dürften nur Wenige im Volke eine Ahnung davon haben, wie tief man Durch die einfache Zufuhr von Kochjalz die Beſchaffenheit des Körpers umzujtimmen vermag. Gin vermehrter Genuß von Kochjalz hat nicht nur eine Zunahme der Salze und namentlich des Kochjalzes jelbjt im Blute zur Folge, jondern zugleich eine Be- veiherung an Blutkörperchen, eine Verminderung des Wafjers (Poggiale) und eine Verarmung an Faſer— ftoff (Najje). Jene Verminderung des Waſſer— gehalts im Blut bedingt den Durjt nad) jtark gejal- zener Kojt. Obgleich Schrenk gefunden hat, daß die Menge des Eiweißes, die im Magenjaft gelöft wird, durch den Zuſatz von Kochſalz nicht zunimmt, haben doch A 429 Lehmann umd KrerichS wiederholt eine Beſchleu— nigung der Verdauung des Eiweißes in Folge Fleiner Zuſätze von Kochjalz beobachtet. Und diefe Beobad)- tung findet die leichtejte Erklärung darin, da Fre— richs durch die Einwirkung des Kochjalzes eine ver- mehrte Speichelabjonderung, Bardeleben und Fre— richs eine gejteigerte Anjfammlung des Magenjafts wahrgenommen haben. Da nun der Speichel die Berdauung der jticfitoff- lojen Fettbildner einleitet, indem er Stärfmehl in Zuder umwandelt, da ferner der Magenjaft die wich: tigjte Slüfjigkeit ift, durch welche Auflöfung der Eis weißkörper bewirkt wird, jo iſt es flar, das mäßige Kochſalzgaben die Verdauung befördern müſſen. Bouſſingault hat uns gelehrt, daß Stiere, deren Futter mit Kochſalz vermiſcht war, ein beſſeres Anſehen, ein glattes glänzendes Haar bekommen, daß ſie lebhafter ſind, ohne ſchwerer zu werden. Dem— nach erleidet die Ernährung, die Entwicklung der Ge— webe, den Einfluß des Kochſalzes ebenſo gut wie die Verdauung und das Blut. Eine vermehrte Abſonderung des Samens gab ſich in Bouſſingault's Verſuchen dadurch fund, daß bei den Stieren die Luſt zu beſpringen erhöht war. Bei veihliher Zufuhr von Kochſalz nimmt die Menge des Sticjtoffs zu, welche das Athmen dur) 430 Haut und Lungen dem Körper entzieht. (Barral, Regnault und Reijet.) Und das vermehrte Zer- fallen jtiefjtoffhaltiger Gemwebebildner verräth fich zu— gleich durch eine gejteigerte Ausfuhr von Harnitoff. (Barral.) Merkfwürdiger Weife jtimmt in dem lebtgenannten Ergebniß die Wirkung der Entziehung des Kochjalzes mit derjenigen jeiner reichlihen Ginfuhr überein. Schon Kaupp, und mehr noch Klein und Verſon, haben nämlich beim Menjchen, der jich nur möglichjt Foch- Jalzfreie Nahrung erlaubte, eine Vermehrung der Harn— ftoffausscheidung wahrgenommen. Am vierten Tage des Kochſalzhungers ſchied Verſon in 24 Stunden 42,9 Gramm Harnitoff aus, während die Menge de3- jelben am Tage vor der Gnthaltung von Kochjalz nur 56,5 Gramm betrug. Die Ausfcheidung des Harn- ſtoffs konnte aljo während des Kochjalzhungers um beinahe "s die gewöhnliche Menge überjteigen. Bei genauer Weberlegung brauchen dieje Erfah— rungen durchaus nicht dem von Barral unter ent: gegengejeitem Verhalten ermittelten Befunde zu wider- Iprechen. In Folge des Kochjalzhungers liegt die Ver: danung darnieder, es jtellen jih Magenbejchwerden, Shwähe und Mattigkeit ein, die jih aus gejteiger- tev Rückbildung bei mangelhaftem Grjat erklären. 451 Penn bei Mangel an Kochjalz der Aufbau der Zel- len darnieder liegt, kann ein Theil des Sauerſtoffs, der ſonſt zur Ernährung beigetragen hätte, die Rück— bildung befördern und im Folge dejjen die Ausjchei- dung des Harnjtoffs vermehren. Wenn dann umges fehrt veichlicher Genug von Kochjalz die Verdauung fräftigt, die Ernährungsvorgänge üppiger von jtatten gehen läßt, jo findet innerhalb gewiſſer Grenzen auch eine lebhaftere Nücbildung jtatt, die wiederum auf eine Zunahme des in gleicher Zeit entleerten Harn— ſtoffs hinausläuft. Hier ijt die vermehrte Ausjchei- dung des Harnjtoifs ein Ausdruck Fräftiger Ernäh— rung, dort ein Zeichen beginnenden Siechthums durch unverhältnigmäßig bejchleunigten Abbruch des Orga— nismus. Beides it begreiflid. Das Kochſalz Fann, wie Voit lehrt, die Sauerjtoffaufnahme von Seiten der eimweißartigen Körper befdrdern, die veichlicher verdaut, aljo veichlichev dem Blutjtvom und den Geweben zugeführt, auch vermehrte Harnftoffbildung bedingen. Ohne Kochjalz kann eine ähnliche Oxyda— tion verhindern, day die eimeißartigen Bejtandtheile Gewebebildner werden, jie kann bewirken, daß die: ſelben ſchon im Blut verbrennen und eine vermehrte Ausscheidung von Harnjtoff jtattfindet. Eine überreichlihe Zufuhr von Kochjalz it im Stande, die Fräftigiten Thiere zu tödten. Goubaur 432 hat durch DVerjuche ermittelt, daß für ein Pferd ein Zweihundertſtel, für einen Hund ein Vierhundertſtel ſeines Körpergewichts an Kochſalz hinreicht, um mit den Erſcheinungen einer ſehr heftigen Entzündung von Magen und Darm in zwölf Stunden den Tod her— beizuführen. Einer der unentbehrlichſten Speiſezuſätze verwandelt ſich durch das Uebermaaß in ein ganz entſchiedenes, in ein ſchnell tödtendes Gift. Wenn die Darreichung oder die Vorenthaltung eines ſo einfachen Stoffs wie das Kochſalz, einer Verbindung, die nur aus Chlor und Natrium be— ſteht, ſo tief eingreift in die Zuſtände des Körpers, wenn wir von Becquerel und Lehmann lernen, daß reichliches Waſſertrinken genügt, um die Ausſchei— dung von Harnbeſtandtheilen beträchtlich zu ſteigern, dann werden wir uns wahrlich nicht wundern, daß eine bedeutendere Veränderung der Nahrung in dem ganzen Bereiche des Stoffwechjels ihren Einfluß gel= tend macht. Jeder Unbefangene wird geneigt jein, aus ſolchen Erfahrungen abzuleiten, daß es hinſichtlich der Nah— rung nicht gleichgültig ſein kann, ob ſich der Menſch den Fleiſchfreſſern oder den Pflanzenfreſſern zugeſellt. Wie ſollte es auch ſein können, da es allgemein bekannt iſt, daß Fleiſch und Brod eine ſo weſentlich verſchiedene Zuſammenſetzung beſitzen? 433 Zunächſt enthält daS Weizenbrod in dem ſoge— nannten Kleber nah Rittha uſen ein Gemenge von vier eimeißartigen Körpern, von denen drei, der Pflanzenleim*), der Kleberfajerjtoif*") und der Kleber- Ihleim***) in Weingeijt löslich jind, der vierte, der Kleberfäjejtoff +), dagegen in Weingeijt fajt ganz un— löslich it. Taddei, der den Unterjchied der Be— jtandtheile des Klebers im DBerhalten zum Weingeijt entdeckt hat, warf die drei darin löslichen Stoffe unter dem Namen Pflanzenleim 7) zujammen. Das Gemenge, welches noch heute nach jeiner Eigenjchaft an der Dberfläche aller trodnen Körper kleben zu bleiben, den Namen Kleber führt, wurde von Bec— cari im Jahre 1766 in Bologna entdeckt. Alle dieje Beitandtheile des Klebers enthalten nun weniger Schwes fel als die bisher unterfuchten eimeigartigen Bejtand- theile des Fleiſches. Sie jind wegen ihrer Umhül— fung mit Stärfmehl den DVBerdauungsjäften weniger leicht zugänglich als die Fleiſchfaſer. Wichtiger al3 die Unterjchiede zwijchen den eiweiß— artigen Stoffen von Fleiſch und Brod, ijt der zwijchen *) Gliadin im engeren Sinne, Nitthaujen. *) Slutenfibrin, Nitthauien. **) Mucedin, Nitthaujen. +) Glutencajein, Ritthaujen, Zymom, Taddei, tr) Gliadin, im weiteren Sinne, Taddei. 28 434 den Ketten und jticjtofflojen Fettbildnern, von melden jene im Fleiſch, dieje im Brod vorherrihen. Zwar fehlt es im Brode niht an Fett. Aber während Stärfmehl und Zuder jehr reichlich im Brod vorhan— den find, ijt im Fleiſch das Fett in bedeutender Menge vertreten. Stärfmehl und Zuder werden durch die Verdau- ung erjt in Fett verwandelt, jie verarmen dabei in ihrem Gehalt an Sauerjtoff. Ebenſo müſſen jich die eimeikartigen Körper des Brodes in die Eiweißſtoffe des Bluts umjesen. Schon dadurch wird es erklärt, dar das Blut des Menjchen durch Fleiſch raſcher erneut wird als durch Brod, und mit dem Blut aud) die Musfeln und andere Gewebe. Um jedoch pflanzliche und thieriihe Nahrung mit einander zu vergleichen, hat man es mit weit jehrof- feren Gegenjägen zu thun als mit Fleiſch und Brod. Fleiſch und Gemüſe oder Objt jtehen an den äußerjten Grenzen in der Neihe der vom Menjchen benütten Nahrungsmittel. Fleiſch und Gemüje unterjcheiden ſich von einander nicht bloß durch die Eigenſchaften ihrer Bejtandtheile, jondern faft mehr noch durch die Mengenverhältnifie, in welchen die einzelnen Klajjen der Nahrungsitofie in denjelben vertreten jind. Das Flleiſch enthält in gleihen Gewichtstheilen durchjchnittlich vierzigmal jo: 435 viel eiweißartige Körper als die Gemüse, und in Folge des bedeutenden Waſſergehalts der letzteren jteht auch die Menge der Kettbildner, die jie enthalten, Hinter dem Fettgehalt des Fleiſches zurück. Zu dieſen durchgreifenden Unterſchieden geſellt ſich endlich noch eine weſentliche Verſchiedenheit der Salze. Während nämlich im Fleiſch die Baſen, die Alkalien ſowohl wie die Erden, ganz vorzugsweiſe an Phos— phorſäure gebunden ſind, ſtehen in den Salzen der Semüjepflanzen organiiche Säuren im VBordergrunde. Diefe organischen Säuren bejtehen aus Kohlenftoff, Waſſerſtoff und Sauerjtoff, und zerfallen im Blut durch die Aufnahme von Sauerjtoff in Kohlenjäure und Waſſer. Nepfeljaure, weinjaure, citronenjaure Alkalien werden in kohlenſaure Salze und Waffer umgewandelt. Die nächjte Wirkung äußern Fleiſch und Pflanzen- fojt auf das Biut. Wir willen durch eine höchſt lehr- veihe Unterfuhung Verdeil's, daß bei Kleiichkoft im Blut die phosphorſauren Salze vorherrſchen, da— gegen die kohlenſauren Salze, wenn die Nahrung in Gemüſen und Kräutern bejtebt. Weil aber die eimeihartigen Stoffe der grünen Pflanzentheile in Eiweiß- und Faſerſtoffbildner des Bluts, weil die Kettbildner dev Kräuter in Fette ums gewandelt werden müſſen, jo beginnt der Unterjchied 28* — — * 436 in der Wirkung von Fleiſch und Gemüſen nicht etwa erit beim fertigen Blut, ſondern bereits in der Blut- bildung, in der Verdauung. Die Nahrungsmittel wer- den um jo leichter und rajcher verdaut, je näher ihre Kahrungsitoffe mit den Beitandtheilen des Blut3 über- einjtimmen. Fleiſch it demnach nicht nur beſſer als Brod, jondern namentlich) auch bejier als die Gemüje zur Blutbildung geeignet. Und diefer Sat gilt doppelt, wenn wir nicht jo= wohl die Eigenjchaften als vielmehr die Mengenver- hältniſſe der Nahrungsſtoffe in beiden Nahrungsmit— teln in's Auge faſſen. Daß die Eiweißſtoffe des Bluts durch Fleiſchkoſt eine Zunahme, durch Pflanzenkoſt eine Abnahme erleiden, hat Lehmann durch Unter— ſuchungen erwieſen, die er an ſich ſelber anitellte. Sowohl Preyer als Subotin fanden im Blute der Fleiſchfreſſer mehr Blutkörperchenſtoff, als in dem der Pflanzenfreſſer, beim Hunde z. B. im gleichen Blutgewicht reichlich anderthalbmal ſo viel wie beim Kaninchen. Damit ſtimmt es überein, daß bei der— ſelben Thierart die Eiſenmenge bei Fleiſchkoſt größer iſt, als bei Pflanzenkoſt. Beim Hunde fand Verdeil nach achtzehntägiger Fütterung mit Fleiſch in der Blut— aſche anderthalbmal ſoviel Eiſen, wie nach dreiwöchi— ger Fütterung mit Brod. Ebenſo hat uns Naſſe gelehrt, daß das Blut nach Fleiſchkoſt einen beträcht— 437 lich größeren Fettgehalt führt, al3 nach pflanzlicher Nahrung. Alſo die Eiweißſtoffe, Blutvoth, Fett und Salze jind im Blut je nach der Nahrung in verjchtedener Menge vertreten, und es ijt demnach für das erite Ergebniß in der Entwicklung der Nahrung nichts weniger als gleichgültig, ob wir Fleiſch oder Gemüſe genieken. Der veränderten Miſchung des Bluts entjpricht ein verändertes Verhältniß zwilchen jeinen rothen und farblofen Kormbejtandiheilen. Zwei Stunden nach eiweißreichen Mahle, in welchen außer Fleiſch aller- dings auch Bohnen genofjen worden, fand ich mit meinen Heidelberger Schülern im Mittel auf Ein farb» loſes 250 farbige Blutförperchen, nach eiweißarmer Pflanzenfost dagegen auf Ein weißes 956 rothe, Da nun gleichfall3 durch unjere Zahlungen ermittelt wor— den, daß das Blut kurz nach Der Mahlzeit mehr farb- loje Körperchen im Verhältniß zu den farbigen ent- hält als einige Stunden jpäter, jo beweifen jene Heidelberger Zählungen, dal eimeihreiche Nahrung — und Fleiſchkoſt ift ihr beſter Vertreter — die Neu— bildung weißer Blutkörperchen mächtiger befördert, als eiweißarme Pflanzenfoit, die aus Apfelmus, Kartof— feln und dergleichen bejtand. Wenn aber das Blut, das wir als die Muttre- flüſſigkeit der Gewebe, der Abfonderungen und Aus— 438 ſcheidungen des Körpers betrachten müſſen, jich nad) der Nahrung richtet, jo iſt es klar, daß fich diejer oberjte Unterjchied dur alle Vorgänge des Yebens erjtrefen muß. Das allgemeine Gefühl von Wohl- behagen, das wir al3 Sättigung bezeichnen, ijt durch einen richtigen Ernährungszujtand der Nerven bedingt. Eine gejunde Eßluſt wird befanntlich von Fleiſch ge— jtillt, von Salat aber nicht. Dieſe VBerjchiedenheit beruht auf der mangelhaften Ernährung der Nerven beim ausjhlieglihen Genuß von Salat, die man- gelhafte Ernährung auf einer unvollitändigen Blut- bildung. Durch den Unterjchied in der Zujammenjegung de3 Bluts begreifen wir die Berichte der Neijenden über die Musfelfraft der jagenden \ndianerjtämme, während die von Objt und Kräutern lebenden Be- wohner vieler Inſeln der jtillen Südjee nur ſchwache Reiftungen mit ihren zarten Muskeln vollführen kön— nen. Da die Muskeln im Wejentlichen aus eiweiß— artigen Körpern, aus Fett und phosphorjauren Salzen bejtehen, jo müjlen derbe Muskeln vorzugsmweije aus der Nahrung hervorgehen, die, wie das Fleiſch, das Blut veichlih mit Giweißjtoffen, mit Fett und phos— phorjauren Salzen verjorgt. Dieſe Verſorgung ge- ſchieht durch Fleiſchkoſt nicht bloß reichlich, ſondern auch in günſtigen Verhältniſſen. = 439 Auch die Abjonderungen richten jih nad dem Blut. Stieftoffreihe Nahrung vermehrt nicht nur die Menge der Mil, jondern auch in der Milch die Menge der Butter. (Subotin und Kemmerid.) Nahrhafte Fleiſchkoſt, zumal wenn jie von Fettbild— nern, von Reis, Kartoffeln, leichten Mehlſpeiſen unter: jtütt wird, bereichert die Milch, während dieje ver- armen muß beim ausjchließlihen Genuß von Obſt und Gemüjen. Bei Fleiſchfreſſern, bei Hündinnen 3. B., jol nah Kemmerich auch der Zucker der Milch den Eimeißitoffen der Nahrung feinen Uriprung ver- danfen, jo zwar, daß dejjen Menge in der abgejon: derten Mil von der Zufuhr von Stärfmehl und Zuder unabhängig wäre. Wenn aber je, jo ijt es hier erforderlih, die Thierart, an welcher die Ver— juche angejtellt worden, zu berüchichtigen, und nicht von einer auf alle zu jchliegen. Bei Frauen wird die Menge des Milchzucers durch ausschließliche Fleiſch— fojt herabgejetst. (Joly und Filhol*). Und damit fteht ein merfwürdiger VBerjuh von Becker in hübjchem Einklang. Es ijt nämlich durch Verſuche von Ber— nard und Lehmann bekannt, daß man bei Kaninchen nicht über eine gewiſſe Menge Traubenzucker ins Blut *) Siehe: Oehl, Manuale di fisiologia, Milano 1870 Vol. I, p. 328. 440 jprigen darf, wenn dieſer nicht unverändert in den Harn übergehen joll. Beder fand nun, daß, um diefen Uebergang in den Harn bei mildhgebenden Ka— ninden zu erzielen, eine größere Menge Trauben- zudfer nöthig ijt als bei Kaninchen, die feine Mil geben, was ſich einfach erklärt, wenn bei der Milch— abjonderung ein Theil des Traubenzuders in Milch— zuder verwandelt wird. Ein und dajjelbe Thier atmet unter jonft gleichen Verhältniſſen nah Pflanzenkoft mehr Kohlenjäure aus als nah dem Genug von Fleiſch. In der pflanze lihen Nahrung find die nur aus Kohlenſtoff, Waſſer— jtoff und Sauerjtoff bejtehenden Fettbildner reicher an Sauerjtoff als die Kette der Thierkoſt. Sie erfor- dern demnach eine geringere Sauerjtoffmenge, um zu Kohlenjäure und Waſſer zu verbrennen. Wird gleich- viel Sauerjtoff aufgenommen, dann muß das Fleiſch weniger Kohlenjäure liefern als die Kräuter. Der Unterjchied ijt jo deutlih, dag man ihn jo- gar für das Hautathmen des Menjchen an einem beſchränkten Körpertheil wahrnehmen kann. Yubini und Ronchi, melde die betreffenden Verſuche an des Lebteren Vorderarın angejtellt, fanden das Ver— hältni für die von der Haut entwidelte Kohlenſäure bei Fleiſchkoſt und Pflanzenkoſt gleich 100 :116, oder e3 wurde bei Pflanzennahrung allein von der Haut 441 beinahe Ys mehr Kohlenjäure ausgehaucht als bei Fleiſchnahrung.*) Der Harn läßt ſchon durch eine leicht wahrnehmbare Eigenſchaft erkennen, ob die Nahrung dauernd in Fleiſch oder in pflanzlichen Speiſen beſtand. Bei Fleiſchfreſſern iſt der Harn ſauer, er röthet ein blaues Lackmus— papier, bei Pflanzenfreſſern iſt er alkaliſch, er ertheilt dem rothen Lackmuspapier eine blaue Farbe. Und der Unterſchied hängt wirklich von der Nahrung ab. Beim Menſchen kann man durch ausſchließlichen Genuß von Pflanzenkoſt den bei gewöhnlicher Lebensweiſe ſauren Harn in alkaliſchen verwandeln. Nur iſt es eine Ueber— treibung oder es beruht auf einer Ausnahme, wenn berich— tet wird, daß ein Gericht Apfelmus genügt, um die Ver— änderung zu bewirken. Moriggia fand an ſich ſelber, daß ein zwei Tage lang fortgeſetzter und reichlicher Ge— nuß von ausſchließlicher Pflanzenkoſt dazu gehörte, um ſeinen Harn alkaliſch zu machen, und Ronchi, der mit Fubini arbeitete, iſt dies gar nicht gelungen, obgleich er elf Tage lang nur Brod und Hülſenfrüchte, Wurzeln Obſt, Gemüſe, Wein und Kaffee zu ſich nahm. Nur am neunten Tage der zuletzt erwähnten Verſuchsreihe war Ronchi's Harn weder ſauer, noch alkaliſch, *) Fubini e Ronchi, della perspirazione di anidride carbonica nell’ uomo, in Bizzozero, archivio per le scienze mediche, Torino 1376, Vol. I, p. 195, 196. 442 neutral, wie die Chemiker zu jagen pflegen, am zehn- ten und elften, troß fortgejeister Pflanzenkojt, jogar wieder jauer. Auch diejer Kal wird, nad jonitigen Grfahrungen zu jchliegen, zu den Ausnahmen geredj- net werden müfjen, aber im Berein mit Morig- gia's Bedbachtungen bemweilt er doch, daß die Um— mwandlung des jauren Harns in alfalijchen beim Men- jhen durch Pilanzenfojt weder jo leicht, noch jo raſch erfolgt, als man gemeinhin lehrt. 63 war daher jehr willflommen, über das ent- gegengejete Verhalten der Pflanzenfrejier und die Schnelligkeit jeines Eintretens Aufjchluß zu befommen, und wir verdanken ihn wiederum Moriggia. Gr fand, daß für Pferde, die jich willig an Fleiſchkoſt gewöhnen, drei Tage nöthig jind, damit ihr gewöhn— lich alfalijcher Harn in jauren übergehe. Lange vorher war es durch Bernard befannt geworden, daß der Harn von Kaninchen jauer wird, wenn man ihnen Fleiſch gewaltſam durch den Schlund beibringt oder Fleiſchbrühe in ihre Adern jprigt, oder aber wenn jie hungernd am eigenen Fleiſche zehren. Bei dem ausjchliekliden Genug von Pflanzenkoſt wird in vierundzwanzig Stunden viel weniger Harn— jtoff entleert, al3 wenn die Nahrung nur in Kleiich oder Giern bejteht (Lehmann, Frerichs). Aa, diejer Einfluß fpricht jich bei verjchiedenen Völkern 443 fogar deutlich aus, je nachdem jie mehr oder weniger Fleiſch zu ihrer Mahlzeit verwenden. Franzoſen ent= leeren im Verlauf eines Tages weniger Harnſtoff als die Deutſchen, und dieſe werden in der Harnſtoff— erzeugung bedeutend von den Engländern übertroffen. Es läßt ſich aber aus genauen Zahlenbelegen ermit- teln, dar eine gleiche Anzahl Menſchen in London jehsmal joviel Fleiſch verzehrt als in Paris. Ebenſo jteht es feit, daß die Menge der jchwefel- jauren und phosphorjauren Salze im Harn durch) Steischkojt zunimmt. (Lehmann) Ein Theil der Schwefeljäure, die in diefen Salzen mit Alkalien und Erden verbunden ijt, rührt von verbrannten Schmwe- fel der Eiweißſtoffe her, die Phosphorſäure ohne Zwei— fel von dem Dotterfett dev Nerven und der Blut- förperhen, die im den Gefäßen des Fleiſches jtets enthalten jind. Nur zum Theil wurden jene Säuren al3 jolhe in den Körper gebracht. Wenn aber Blut und Gewebe, wenn Milch und Harn und ausgeathmete Luft, wenn mit Einem Worte alle jtofflichen Vorgänge des Körpers jich verändern, je nachdem wir nur von Pflanzen oder nur von Thieren leben, dann werden wir uns nicht darüber wundern, daß ausfchließlich dem Pflanzenreich oder dem Thier- reich entlehnte Kojt auch die Zuſtände des Menjchen be- herrſcht, die jich in feinem Thun und Laſſen offenbaren. 444 Wir werden und nicht dagegen jträuben fönnen, wenn man die Keigheit und Unfelbjtändigkeit der Hin- dus mit den Kräutern, von denen fie leben, in Zu: jammenhang bringt, nachdem uns Haller fon be- vichtet hat, daß er ſich jedesmal über eine gewiſſe Trägheit und Unluſt zur Arbeit zu beffagen hatte, wenn er jih Tage lang auf Pflanzenkoſt bejchränkte, eine Erfahrung, die jüngjt von Ronchi unter meinen Augen erprobt ward. Dabei verlor Rondi in adt Tagen beinahe "ıs jeines Körpergewidts, das er, zur Fleiſchkoſt übergehend, unter Schwankungen wieder- gewann. Unter Umſtänden jagt jedoch ausjchliepliche Fleiſch— nahrung dem Menjchen ebenjo wenig zu. Villermé erzählt, da in dem jpanischen Kriege eine Heeres— abtheilung, der er jelber angehörte, jechs bis acht Tage lang darauf angewiejen war, von Fleiſch zu leben; die Mannjchaft wurde von Durchfall, Magerfeit und einer ganz erſtaunlichen Schwäche befallen. Trotzdem jteht es durch zahlreiche Beobachtungen und zum Theil durch Erfahrungen, die in einen groß— artigen Maaßſtabe gewonnen wurden, feit, daß der Menſch den Thieren gegenüber eine bevorzugte Stel- lung jeiner Fähigkeit verdankt, bald ausſchließlich von Pflanzen, bald nur von Thieren zu leben. So genießen nah Wilkes die Indianer des Dregongebiets zu 445 manden Sahreszeiten beinahe nur Wurzeln, deren mehr als zwanzig meijt wohlſchmeckende Arten dort einheimifch find. Weil die Wurzeln zu verjchiedenen Jahreszeiten reifen, ziehen die Bewohner von der einen MWurzelgegend in die andere. In Malabar, wo der Glaube an das Wandern perjönlicher Seelen nod) hauft, wo man Sranfenhäufer für die Thiere hat und Ratten in Tempeln auffüttert, ift das Tödten von Thieren verboten, und ebenjo bejchränfen jich die Pe— guaner aus Aberglauben auf die Pflanzenkoſt. Heiße Gegenden, in denen das Athmen langjamer von Stat- ten geht, machen vorherrichende Pflanzennahrung häufig zum Bedürfnig. Viel häufiger aber zwingt die Noth zu ausſchließlichem Fleiſchgenuß. Neu-Holland und van Diemensland, deren Pflanzenwelt ſich nach Leſ— ſon auszeichnet durch trockne, harte, ſchmale, magere Blätter, welche in den traurigen Wäldern die Dürre des Bodens wiederſpiegeln, iſt ſo arm an nahrhaften Früchten und Wurzeln, daß die Einwohner beinahe auf Fleiſchſpeiſen beſchränkt ſind. Es iſt allgemein bekannt, daß Kamtſchadalen und Isländer, Lappländer und Samojeden einen großen Theil des Jahres nur von Fiſchen leben können. Die Jäger in den Praivien Amerifa3 nähren fich ausſchließlich mit Büffelfleiſch. Wer aber hieraus mehr ableiten wollte, al3 die große Biegſamkeit der menjhlihen Natur, die jich 446 den ungünjtigjten Verhältnifien anjchmiegt, würde ſich einer ganz einjeitigen Betrachtung unjerer mahren Bedürfnijie ſchuldig machen. Und Roujjeau, wenn er dem Menjchen ausſchließlich pflanzlihde Nahrung vorjchreibt, entjpricht Dadurch den Korderungen der menschlichen Natur ebenjo wenig, wie Helvetius, wenn er nur Fleiſchkoſt gewähren will. Hier, wie überall, bietet uns die Entwiclungs- gejchichte der Nahrung den jicheriten Anhaltspunft, um die Wahl der Speijen richtig zu beurtheilen. Die Nahrungsitoffe verwandeln ji in Blutbeitandtheile. Da aber alle Stoffe des Fleiſches denen des Blut3 ähnlicher ſind, aljo leichter verdaut, leichter in Blut verwandelt werden, als pflanzliche Nahrungsitoffe, jo ergiebt ich jchon hieraus, dar der michtigite, der urjpünglichjte Vorgang im menſchlichen Leben, die Blut- bereitung, mehr al3 gebührlich erjchwert werden müßte, wenn wir nur Brod und Früchte genieken wollten. Unjere pflanzlihen Nahrungsmittel enthalten mit jel- tenen Ausnahmen jo wenig Fett, daß durch ihren aus— ſchließlichen Gennß die Fettbildung beinahe ganz den menschlichen Verdauungswerkzeugen übermwiejen würde, Nur durch Verarmung der Fettbildner an Sauerjtoff können Stärfmehl und Zuder in die Kette des Bluts übergehen. Wenn dem menjchlichen Körper eine über- mäßige Fettbildung zugemuthet wird, dann jinft ev auf 447 die Stufe des pflanzlichen Stoffwechſels hinab. Das Geſchäft der Fettbildung darf im Menſchenleib gemifje Grenzen nicht überjchreiten, wenn das Leben des Men- ſchen nicht zum Vegetiren herabgewürdigt werden joll. Lebt aber der Menjch bloß von Fleiſch, dann muß die Thätigkeit des Athmens mehr al3 gewöhnlich ge— jteigert werden, wenn die Ernährung und Rückbil— dung einander das richtige Gleichgewicht halten jollen Die im Fleiſch jo reichlih vworherrichenden Eiweiß— körper und mehr noch, das Fett erfordern, um gleiche Mengen von Kohlenjäure zu erzeugen, viel mehr Sauer- jtoff als die Kettbildner der Pflanzen. Weil aber die Sauerjtoffmenge, die wir einathmen, nicht allein von der Nahrung abhängt, ja jogar bei jehr verjchiedener Nahrung eine gegebene jein kann, jo tritt bei aus— ſchließlicher Fleichkojt eine Ueberladung der Gewebe ein, und es entitehen oft Blutanhäufungen im Hirn oder andere krankhafte Zuftände, in deren Folge der Menſch eine weniger gedeihlihe Wirkſamkeit entfaltet. 65 kann überhaupt nicht oft genug wiederholt werden, day des Menjchen Anſprüche an die Nah: rung noch nicht befriedigt jind, wenn ihm nur irgend— wie die Erneuerung jeiner Blutbejtandtheile und Ge- webebildner möglich gemacht wird. Zunächſt iſt es nicht einmal möglich, mit jeder Pflanzenkojt auch nur das Leben auf die Länge zu 445 erhalten. Am meijten verbreitet dürfte in diejer Be— ziehung der Irrthum fein, dag Waijer und Brod für den Menjchen eine ausreichende Nahrung bilde. Voit erwähnt, daß in Dänemark die Verurtheilung zu Ge- fängniß mit einem Monat Waſſer und Brod beinahe als Todesjtrafe angejehen wurde, jo jelten fam es vor, dag ein Sträfling dieje Lebensweiſe länger als vier Wochen aushielt. Man müßte freilid) nach mei- nen Rechnungen einem erwachſenen Manne nahezu anderthalb Kilo Brod*) gewähren, um jein tägliches Koſtmaaß an eimeikartigen Stoffen zu deden. Es ijt aljo nicht zu verwundern, wenn William Stark in jenen Berfuchen, die er 1789 an jich jelber an— jtellte, indem er 42 Tage lang durdjchnittlih nur etwa die Hälfte jener Brodmenge und jonjt nur Wajjer zu jih nahm, am Ende jeiner Opferprobe über 8 Kilo am Gewichte jeines Körpers eingebüßt hatte. Ohnehin ijt es ja nicht die Friſtung des Lebens, um die es jich bei der Ernährung handelt. Das Leben joll wirken, der Stoff, der des Menjchen Leib er- neuert, ſoll menjchlich arbeiten. Darum gilt eS, die Nahrung jo zu vertheilen, daß uns nicht eine an das Pflanzenleben erinnernde, übermäßige Fettbildung auf- *) Moleſchott, Vhnfiologiiches Skizzenbuch, Gießen 1861, ©. 62. 15 1 DE 1% 449 erlegt wird, und daß mir nicht jagen müſſen, wie die Wölfe, um die genofjene Fleiſchkoſt zu verathmen, Ausſchließliche Pflanzennahrung läßt viele Stoffe ungelöjft im Darmfanal zurüd. Nawiß, dem mir eine fleißige Arbeit über die Nährkraft der Speijen und Getränke verdanken, leerte bei Pflanzenkojt eine größere Menge von Koth aus, al3 bei dem ausjchließ- lihen Genuß von Fleiſch. Durch E. Biſchoff, Guſtav Meyer, Fr. Hofmann hat jene An— gabe von Rawitz die vollite Beſtätigung erhalten. Am Menjchen beobahtend fand Hofmann bei Erz nährung mit Linjen, Brod, Kartoffeln und Bier die tägliche Kothmenge mehr al3 viermal jo groß als an Tagen, an denen er nur leifch verzehrte. Und wenn wir unter den pflanzlichen Nahrungsmitteln die weniger günftigen auswählen, Kartoffeln oder Kohl, dann müfjen wir daS VBerdauungsrohr mit einer außer— ordentlichen Menge von jehr ſchwer löslichem Zellſtoff beladen, um mit der Nahrung jo viel Stoffe einzus führen, wie zu einer regelmäßigen Blutbildung erforder— ih find. So jchleppt man mit dem Körper ein ganz nußlojes Gewicht als Ballaſt herum, deſſen Entlees rung einen Aufwand von Bewegung erfordert, der ohne einen Verluſt an Kraft für andere Verrichtungen nicht möglich ift. Gar nicht felten fehlt die Kraft, welche diefe Ausleerung erheiſcht. Wir jehen bis— 29 450 weilen durch einfeitige und Kräftige Pflanzenkoſt, Brod, Hülfenfrüchte, Verjtopfung entjtehen. Ich habe ſchon oben mitgetheilt, daß umgefehrt ausjchliegliche Fleiſch— nahrung Neigung zum Durchfall herbeiführen fann. Aber neben dem rein naturmwiljenjchaftlihen Stand: punft verdient die haushälteriihe Vergleihung von Thier- und Pflanzenkojt eine ernſte Berückſichtigung. Wenn der Menſch ausſchließlich von pflanzlichen Nahrungsmitteln lebt, verichwendet er nicht bloß Kraft, die dem eigenen Körper zu bejjeren Leiltungen dienen fönnte, er verschwendet auch am Beutel. Sene große Kothmenge, welche Brod und Pflungen- £oft überhaupt zurücdläßt, enthält eine Menge eiweiß— artiger Stoffe, die, in Stärkmehl, Zellitoff oder andere nicht völlig zu bewältigende Stoffe eingehüllt, den Verdauungsjäften unzugänglich blieben. Das Ver— bältniß ijt beim Menjchen von Fr. Hofmann, einem Schüler Voit's, auf die eingehendjte Weije unter: ſucht. Bei Pflanzenkoſt, wie oben bemerkt, aus Linjen, Brod, Kartoffeln und Bier bejtehend, ward Faum die Hälfte der jtickjtoffhaltigen Nahrungsftoffe verbaut, bei— nahe die Hälfte ging mit dem Koth davon. Als ders jelbe Mann, an dem dieje Erfahrung gemacht wurde, in der Gejtalt von Fleiſch und Nett diejelbe Menge Stiejtoff in feiner Nahrung erhielt, wurde beinahe die ganze Menge der eiweihartigen Nahrungsjtoffe ver— eo 451 daut, d. h. in Blut verwandelt. Es wurde nämlich im zweiten Falle fajt die ganze Stiejtofimenge der Nahrung im Harne wiedergefunden, nur wenig mehr als — der= jelben im Kothe, während im erjteven Jalle der Harn nicht ganz die Hälfte der zugeführten Sticjtoffmenge enthielt. Nun bejtand allerdings in Hofmann's Verſuch die Bilanzenfojt zu 1000 Gramm aus Kartoffeln, nebjt 207 Linſen und 40 Brod, und ohne Zweifel ließe ji) die Pflanzennahrung in günjtigerem Ver— hältnig wählen. Immer aber bliebe der Webeljtand bejtehen, daß die pflanzliche Nahrung von den Ver— dauungsjäften jo viel unvollftändiger ausgelaugt wird al3 die thierifche, aljo eine ungeheure Verſchwendung von nüßlihen Stoffen begangen würde, wenn der Menſch jich zum Pflanzenfreſſer machen wollte, von nützlichen Stoffen, die nur auf dem längjten Um— wege in den Strom unjeres BlutS zurückehren könnten. Die Verſchwendung träfe die Kraft, den Geldbeutel und die Zeit. Die Pflanzenfrejjer unter unjeren Haus— thieren verdauen jo zu jagen Tag und Nacht, ihr Dünndarm ijt eigentlich niemals leer, während diejer beim Fleiſchfreſſer, der für 24 Stunden hinlänglich gefüttert ward, Schon nach 10 Stunden feinen Rückſtand mehr enthält. Während diefe in der Nahrung jelbit gelegenen Gründe der gemifchten Koſt für den Menfchen das 29 * 452 Wort reden, lajjen ji nicht minder wichtige aus dem Bau der Berdauungsmwerkzeuge ableiten. Schon die Zähne weijen darauf hin. Die Raubthiere jind dur) ihre jpigen Zähne zum Zerreißen des Fleiſches, die Wiederfäuer durch ihre jehr entwidelten, gefurchten Badenzähne zum Mahlen der Pilanzenfojt befähigt. Die Zähne des Menjchen jtehen zwijchen beiden; jie fönnen Fleiſch zerjchneiden und Körner zermalmen. Ebenjo ijt der Unterkiefer des Menjchen nad) den Seiten minder beweglich, al3 bei Kühen und Schaafen, da— gegen bemeglicher al3 bei Löwen und Katzen. Stärfmehl ijt in jehr vielen pflanzlichen Nahrungs— mitteln der wichtigſte Nahrungsitoff. Die Umwand— lung des StärfmehlS in Zuder und Fett wird vor- zugsweije durch Speichel, Bauchſpeichel und Darmjaft eingeleitet. Unjere Wiederfäuer und Pferde jind durch die Größe ihrer Speichel- und Bauchſpeicheldrüſen be= fannt, während die Fleiſchfreſſer verhältnißmäßig Kleine Speicheldrüſen bejizen. Die Pflanzenfrefjer find durch ihre großen Speicheldrüjen im Stande, Stärkmehl und jogar Zellitoff in großer Menge zu verbauen. Man kann Sägmehl, daS beinahe nur Zellitoff als Fettbildner enthält, zum Mäjten benügen, und die Wiederfäuer, die von Gras leben, jind beinahe ganz auf Zellitoff zur Fettbildung angewieſen. Beim Menjchen jind die Speicheldrüjen groß; genug, um jticjtoffloje Yettbildner ee EBEN 5 . 453 verdauen zu fönnen. Wenn man aber den Menjchen ausihlieglih mit Brod und Kräutern ernährt, dann wird den Speicheldrüjen eine übermäßige Thätigkeit auferlegt. Der Magen jtellt beim Menjchen einen quer in der Leibeshöhle gelegenen Schlauch dar, der mit einem großen Blindſack verjehen it. Diejer Blindſack iſt bei Katzen und Hyänen wenig entwidelt. Bet den Wiederkäuern iſt dagegen ein vierfaher Magen vor— handen. Während bei den blutjaugenden Nledermäufen der Darmfanal die Körperlänge nur um da3 Dreis fache übertrifft, bejitt das Schaaf einen Darm, der achtundzwanzigmal jo lang ilt wie der Körper. Beim Menſchen iſt die Länge des Darmfanals die jechg= fache der Körperhöbe. Je länger aber der Darmfanal und je mehr der Magen entwickelt ilt, deſto länger wirken die Vers dauungsflüjiigkeiten auf die Nahrung ein. Wenn nım die Wiederfäuer in ihren langen, vielfach gewundenen Darmfanal eine beträchtliche Menge Bauchjpeichel und Darmjaft ergieen, dann iſt es nicht zu verwundern, da jie Nahrungsitoffe auflöjen können, welche beim Menjchen für unverdaulich gelten. Die größere Länge de3 Darmkanals und der Blindſack des Magens be— fähigen dagegen den Menjchen zu größeren Leijtungen in der Blutbildung, als den Raubthieren möglich jind. Ve a En FE Alkali 2 3 454 Sp finden wir denn die Miſchung der Nahrungs- mittel, den Bau der Verdauungswerkzeuge und die Rückſicht der Sparjamfeit gleich jehr im Einklang mit der am meitejten verbreiteten Sitte, die den Menjchen zum gemijchten Genuß von Fleiſch und Brod, von Objt und Gemüjen führt. Die Vorjchläge von Rouſſeau und Helvetius, gleihviel in welcher Norm jie auf. tauchen, jind daher als Mißverſtändniſſe der geeig- neten Lebensbedingungen des Menjchen oder als Aber— glaube und Grille zu vermwerfen. Bis auf einen gewiſſen Grad kann die nachtheilige > Wirkung einjeitiger Nahrung durch die Lebensweiſe ausgeglichen werden. Jäger-Völker und Fleiſchkoſt vertragen ſich mit einander, weil die Rührigfeit der Sagd das Athmen Fräftigt und eine reichlichere Aus— iheidung von Kohlenjäure zur Folge hat. Die Stoffe, die aus dem leiich in die Gewebe übergehen, er danfen die größere Sauerjtofimenge, die jie erfordern, der Musfelanftrengung, welche die Jagd mit ſich bringt. Ebenſo wird die Verdauungsthätigfeit gefräfs tigt durch körperliche Arbeit in freier Luft. Darum kann ji der Tagelöhner ſättigen mit Brod, mit Erbjen und Bohnen, ohne für die Anjprüche, die jein Beruf an ihn macht, nothwendiger Weiſe jeinem Körper zu jchaden. Schwahe VBerdauungswerktzeuge und wenig Bewe— gung machen es dem Menjchen unmöglid, von Pflan— 455 zenkojt zu leben. Bejahrte Männer, deren Leben am Aktentiſch verläuft, brauchen durchaus Fräftige Fleiſch— brühen und häufig gebratenes Fleiſch. Wildprett iſt ihnen ganz bejonders zuträgich. Sie müſſen viel Nahe rungsjtoff in einem mäßig Fleinen Umfang erhalten. Nicht bloß die Armen, auch die in den Staub der Amtsſtuben gebannten Wächter des Staats müſſen ſich bejjer, zweckmäßiger nähren, wenn wir behaglichere Zujtände gewinnen jollen. Es ijt jeit längerer Zeit durch die Unterfuchungen Bierordt’S befannt, daß man in falter Luft durch die Lungen mehr Kohlenjäure ausathmet, al3 in war: mer, aljo im Winter und im Norden mehr als in der Schwüle des Sommers, Sofern dieje Zunahme der Kohlenjäure-Ausjcheis dung, die, weil jie andauert, mit einer vermehrten Bil dung von Kohlenjäure verbunden jein muß, von der Wirkung des eingeathmeten Sauerjtoifs abhängt, könnte jie entweder dadurch bedingt jein, daß der Sauerjtoff in der Kälte wirkſamer, oder aber daß er in größerer Menge eingeathmet würde, Die Vermutdung, dar im Winter ein fräftiger wirfender Sauerjtoff im die Lungen dringe, hatte einen Anhaltspunkt in Schönbein’3 PVeobachtung, nad) welcher die Luft im Winter mehr verdichteten Sauer: *) Don. E 456 ftoff *) enthalten joll als im Sommer. Es iſt befannt, daß diejer verdichtete Sauerjtoff Verbrennungsvorgänge vollzieht, die der gewöhnliche nicht in Gang zu bringen vermag. Aber die bisher angejtellten Berjude, um zu ermitteln, ob verdichteter Sauerjtoff die Menge der von Thieren ausgehauchten Kohlenjäure vermehrt, haben eine verneinende Antwort ergeben. Unabhängig von einander haben Unterfuchungen von Häcker im Jahre 1864, fomwie nicht weiter veröffentlichte Verſuche von mir und Moriggia zwei Jahre ſpäter dargerhan, daß bei Säugethieren und Bögeln die Zumiſchung von verdichtetem Sauerjtoff zur eingeathmeien Luft Die Kohlenſäure-Entwicklung nicht jteigert. Ich Habe mit Moriggia bei der Einwirkung einer Eleinen Menge verdichteten Sauerjtoff3 Feinerlei Veränderung in der Menge ausgehauchter Kohlenjäure beobachtet. ALS die zugeführte Luft mit mehr verdichtetem Sauerſtoff ge- ſchwängert war, jtieg die entwidelte Kohlenjäure in dem Berhältnig von 100 :104, allein wir beobachteten dabei, wie vor uns Schönbein, Shwarzenbad, Scoutetten und Häder, jo erhebliche Athens bejchwerden, Entzündung der Luftröhrenäjte und des Lungengemwebes, daß dadurd das Leben der Thiere gefährdet und öfters beendet wurde. Man ijt nad) dem Ergebniß diefer Verſuche nicht berechtigt, das Maaß der Ausathmung von Kohlenſäure in den verjchiedenen 457 Sahreszeiten durch den mechjelnden Gehalt der Luft an verdichtetem Sauerjtoff zu erklären. Dazu fommt noch, daß es Feineswegs allgemein feſtſteht, daß die Luft im Winter veiher an verdich— tetem Saueritoff ijt al3 im Sommer. Houzeau fand in Rouen das Gegentheil. Die Luft enthielt dort am wenigſten verdichteten Sauerjtoff im Winter, insbeſon— dere in den Monaten Dezember und Januar, am meijten im Krühling, im Mai und Juni, dann folg- ten Sommer und Herbit. Wenn wir aber nicht berechtigt jind, die ver— mehrte Ausjcheidung der Kohlenſäure von einem anders bejchaffenen Sauerjtoff herzuleiten, den mir mit der Winterluft in größerer Menge einathmen jollten, jo werden wir auf die andere Frage hingewieſen, ob wir im Winter überhaupt den Lungen mehr Luft und mit ihr mehr Sauerjtoff zuführen als im Sommer. Man hat wohl vorübergehend geglaubt, den Schlüj- jel der Erjcheinung darin zu finden, day im Winter die falte, verdichtete Luft in gleichem Raum ein größer red Gewicht an Sauerjtoff enthielte, als im Sommer. Donders hat jchon mit Necht dagegen bemerkt, daß die eingeathmete Luft zu raſch erwärmt wird, um ans nehmen zu können, daß aus dem angeführten Grunde im Winter eine größere Sauerjtoffmenge in die Lungen— bläschen eindringt, al3 im Sommer. Und dennoch 458 it dies unzweifelhaft der Fall, nur ilt die Erklärung eine andere. Der Grund liegt nit in dem verjchie= denen Derhalten der Luft, jondern in einer wechſel— vollen Ihätigfeit des Organismus. Die höheren Wirbelthiere, die hauptjählich durch Lungen und nur zu einem fleinen Theil durch die Haut athmen, jind mit der Fähigkeit begabt, die Luft- zufuhr zu den Lungen je nach dem Bedürfniß ihres Körpers zu regeln. Sie fünnen auf doppelte Weiſe die Lüftung ihrer Lungen abändern, indem jeder Athem, zug tief oder flah, und die Zahl der Athemzüge in der Zeiteinheit groß oder Klein jein fann. Da wir nun, wie Vierordt gezeigt hat, bei zunehmender Kälte jo wohl häufiger als tiefer athmen, ſo it die nothwendige Kolge, dar die Lüftung der Lungen im Winter reichlicher ijt al3 im Sommer. Es wird mehr Luft eingeathmet und mehr ausgeathmet, und da noch überdies nach Vierordt's entjicheidenden Verſuchen die ausgeathmete Luft in gleicher Menge mehr Kohlen— jäure enthält, jo folgt natürlich, dat wir in Falter Luft im Ganzen nicht nur mehr Saueritoff aufnehmen, jon= dern auch mehr Kohlenjäure ausjcheiden als in warmer, Nie der Menjch verhalten ſich nah Xetellier’3 Verſuchen auch die Säugethiere und Vögel, und Les tellier’3 Befund ward für die Vögel von Lehmann bejtätigt. Vögel und Süäugethiere athmen in der Kälte 459 mehr Kohlenjfäure aus als in dev Wärme Gola- janti Hat unter Pflüger's Leitung die wichtige Thatſache Hinzugefügt, da Meerſchweinchen bei ab— nehmender Wärme nicht nur mehr Kohlenjäure aus— ſcheiden, ſondern auch mehr Sauerjtoff verzehren. *) Daß aber der Grund diejes Einflufjes der Wärme in dem durch dieſe bedingten Maaße der Lüftung dev Lungen zu fuchen ift, geht daraus hervor, dal für diejenigen Wirbelthiere, bei welchen die Hautathmung im Vergleich zur Lungenathmung in den Vordergrund tritt, das Verhältniß ſich umfehrt. Ich Habe vor bei- nahe zwanzig Jahren durch Verjuche, bei denen mir G. Meier und J. Neufomm behülflich waren, gefunden, day Fröſche in der Wärme mehr Sohlen: jäure ausjcheiden al3 in der Kälte, und zwar beweg— ten jich die Wärmeunterjchiede, bei denen ich dies be— obachtete, zwischen — 4° und + 35°, das heizt zwijchen denjelben Grenzen wie bei Letellier's Berjuchen an Säugethieren und Vögeln. Das von mir gefun- dene Verhalten ijt durch jehr genaue Verſuche von Hugo Schulz in Bonn bekräftigt und dahin erwei- tert worden, daß für den Froſch mit dev Wärme nicht nur die Kohlenſäure-Ausſcheidung, Pa an a) —— anti. über den Einfluß der ums gebenden Temperatur auf den Stoffwerhjel der Warmblüter, in Pflüger's Archiv für die geſammte Phyſiologie, Bd. XIV, ©. 106 — 124 (1876,) 460 der Sauerjtoffverbrauch jich jteigert, mithin der ganze Stoffwechſel eine Bejchleunigung erfährt. *) Während nun aber die Menge der Kohlenfäure, die durch die Haut entweicht, beim Menjchen nad Scharling nur =, bei Vögeln und Säugethieren nah Regnault und Reijet nur jelten beträgt von derjenigen, die durch die Lungen ausgeathmet wird, fand Fubini für Fröſche umgekehrt, daß jie dur die Haut wenigſtens zehnmal jo viel Kohlen- jäure ausathmen wie durch die Lungen. Und wenn man beim Menjhen die Hautathmung allein in ihrer Abhängigkeit von der Luftwärme unterjucht, dann findet man, dag im Gegenjag zur Kohlenjäure, die durch die Lungen abgegeben wird, die von der Haut gelieferte mit dev Wärme jteigt. Fubini und Rondi haben mit einer langen Verjuchsreihe dargethan, dar die von der menschlichen Haut unter gleichen Umſtän— den ausgejchiedene Kohlenjäure bei einer Zunahme der Luftwärme von 16% — 20° auf 24° — 30° um mehr al3 22 mal fich vergrößert. Es iſt aljo der lebhafter als die Hautathmung von Statten gehenden Lungenathmung zuzufchreiben, dar der Menjch, indem er die Lungen bei niederen " Wärmegraden jtärfer lüftet, im Winter und im Nor- *) Pflüger“s Archiv, Bd. XIV, S. 90, 91 (1876.) 461 den mehr Kohlenjfäure ausathmet als im Sommer und im Süden. Daher verträgt man im Norden Fleifh und Fett und Thran in folder Menge, wie jte innerhalb der Wendekreije nicht genojjen werden fönnen ohne Krank— heiten zu erzeugen. Die Bewohner heißer Himmels— gegenden können reichliche Fleiſchmahle nicht verathmen. Im Norden wird der Bortheil, den der Genuß von Fett und Fleiſch dem Körper bringt, durch Brannt— wein und ähnliche Getränfe auf zweckmäßige Weife ergänzt. Allerdings wird beim Genuß von geijtigen Getränfen nad Vierordt's fchönen Unterfuhungen die Menge der ausgeathmeten Kohlenjäure verringert, und ein Theil der ausgehaudten Kohlenſäure jtammt in diefem Fall von Weingeijt des Weines oder Brannts weind. Während dem Fleiſch und den Gemwebebild- nern, die es lieferte, um zu verbrennen, mehr Sauerz jtoff zugeführt werden müßte, wird gerade umgefehrt durch den Genuß von Branntwein noch ein Theil des eingeathmeten Sauerjtoffs dem Fett und Eiweiß des Körpers entzogen. Aber gerade dadurch erweilt ſich Branntwein bei Fleiſchkoſt im Norden nüglih. Durch die Verbrennung des Weingeijtes wird nämlich Eigen— wärme entwicelt und hierfür ein entjprechender Theil Fett gejpart, das als jchlechter Wärmeleiter, wenn e3 unter der Haut angefammelt ijt, den Körper vor der 462 Kälte ſchützt. Im Süden dagegen wird der Nach— theil einer zu üppigen Ernährung mit Fleiſch durch gleichzeitige Anwendung geijtiger Getränfe noch gejtei= gert. Die Gemebe und das Blut werden auf Franf- hafte Weife mit Fett gejhmängert, weil der in’3 Blut übergehende Alfohol der Einwirkung des Sauerjtoffs auf das Fett ein Hinderniß entgegenjett. Wenn ein Chineſe auf Java auch nur in mäßiger Menge, wie der Samojede, Talglichter und Branntwein ver— zehren wollte, dann würde .er unfehlbar zu Grunde gehen. Wenn es dem Arbeiter an kräftiger Nahrung ges bricht, jo Hilft er fich, indem er jein Blut, al3 den Erhalter der Gewebe, dur) Branntwein unterſtützt. Dadurch ſpart er Fett und Eiweiß, ſtatt mehr aus— zugeben. Ich wiederhole es, ſowohl durch Schar— ling’sS, wie durch Vierordt’s Verſuche iſt es erwieſen, daß der Genuß geiſtiger Getränke die Menge der Kohlenſäure, die der Menſch in einer gegebenen Zeit ausathmet, vermindert. Dazu kommt, daß nach Böcker, Hammond, Smith und Marvaud durch die Aufnahme von Alkohol auch eine vermin— derte Ausſcheidung von Harnſtoff ſtattfindet, die ſich nach Marvaud auch auf die Harnſäure erſtreckt, während für eine möglichſt gleiche Ernährung und Lebensweiſe an den Tagen mit, wie an denen ohne — 07 463 Alkoholverbraudh gejorgt wurde.*) As Marvaud unter Berücdjihtigung dieſer Vorjichtsmaaßregeln etwa 100 Gramm Cognac im Tage zu ich nahm, jchied er an vier Verjuchstagen mit Alkohol in 24 Stunden durchſchnittlich über = Harnjtoff und beinahe die Hälfte Harnjäure weniger aus al3 an den DVergleichstagen, an welchen er feinen Cognac trank. Wir hätten noch eine weitere Beltätigung für die durch Alfoholzufuhr bedingte Abnahme der mit dem Harn in 24 Stunden ausgejchiedenen jticjtoffhaltigen Körper in Verſuchen von VBeter Albertoni und Yelir Lufjana, deren vierundzwanzigjtündiger Harn im Durchjchnitt von vier Tagen, an welchen je 75 Gramm Alkohol aufgenommen wurden, 15,151 Stickſtoff in feinen organischen Beitandtheilen enthielt, dagegen 16,626 im Mittel von drei Bergleihätagen ohne Alkohol. **) Da jedoh Albertoni und Luſſana über die Re— gelung ihres Koſtmaaßes nichts berichten, während aus den Zahlen, die jie für den ausgefchiedenen Stick— jtoff erhielten, hervorgeht, daß ihre Eiweißzufuhr eine fehr beſchränkte war, jo würden ihre Verjuche für ji) nicht ausreichen, um die Verminderung der mit dem *) Marvaud? Tl’aleool, son action physiologique, son utilite et ses applications en hygiene et en therapeutique, Paris 1872, S. 68, 69. **) Pietro Albertoni e Felice Lussana, sull’ al- cool, sull’ aldeide e sugli eteri vinici in der Zeitſchrift: Lo Sperimentale, 1874, S. 91, 92 de3 bejonderen Abdrucks. 464 Harn ausgejchiedenen jticjtoffgaltigen Bejtandtheile von der Aufnahme des Alfohols Herzuleiten. Nehmen wir an, daß die eimeikartigen Körper ihrer Koſt durch einander 16,5 Hundertitel Stiejtoff enthielten, jo nah— men jie im beiten Fall 100 Gramm Eiweiß in 24 Stunden zu jih, während das mittlere Koſtmaaß eines arbeitenden jungen Mannes deren 130 erfor= dert. Albertoni und Lujjana braudten an ihren Alkoholtagen nur 10 Gramm Eiweiß weniger zu ver— zehren, um den Ausfall an jticjtoffhaltigen Beſtand— theilen im Harn ganz unabhängig von dem Alkohol: genuß erjcheinen zu lajjen. Und da jie überhaupt jo mäjjig waren, wie leicht fonnte e3 ji) da zutragen, daß fie fih an den Tagen ohne Alkohol nicht mit 90 Gramm eimeißartiger Nahrungsitoffe begnügten, und fich deren 100 geitatteten. Trotz alledem liegt in den vorerwähnten Ver— juchen zujammengenommen eine hinreichende Gewähr vor, daß wenn die übrigen Xebensverhältnijje und vor— zugsmeife die Nahrungsitoffe an Art und Menge diejelben bleiben, der Alkohol den Stoffwechjel mäßigt. Er ver— mindert die Ausfuhr der wichtigſten Auswurfsitoffe, der Kohlenjäure, des Harnjtoffs und der Harnjüure, Es ijt wiederum der Gejammtausdrud diejes Ihat- beitandes, dal die Blutwärme durch Aufnahme von Alkohol herabgedrücdt wird. H. Najje (1846), Du— ' 465 möril und Demarquay (1848), John Davy (1850), Lichtenfels und Fröhlich hatten die Thatſache beobachtet, jie ijt ſeitdem von zahlreichen Forſchern bejtätigt worden, allein es iſt daS Ber- dienſt von Binz, fie, auf eigene und jeiner Schüler Unterfuhungen gejtüßt, derart verfochten zu haben, daß fie nunmehr das Allgemeingut der Aerzte geworden if. Mag die Abnahme dev Blutwärme beim Ges funden in Folge mäßiger Alfoholgaben auch nur einige Zehntel Grad betragen, bei Kranken ijt jie viel größer, jo daß der Alkohol als fiebermähigendes Mittel von nun am neben dem falten Waller jeinen Plat be: haupten wird. Dies ſcheint nur deshalb dem Unerfahrenen jo munderlich, weil e3 unjerem tagtäglichen Erfahrung3- bewußtjein von der Steigerung unjerer Hautwärme durch geiftige Getränke zumiderläuft. Aber dieje beiden Erfahrungen ſchließen eimander nicht aus, ja jte jind einander jo wenig entgegengejett, daß vielmehr die eine die andere erklärt. So wie im Froſt des Wechjelftebers während wir ſelbſt und Andere, mit dem Wärme— mejjer übereinftimmend, die Oberfläche unjeres Körpers falt fühlen, die Blutwärme bereits erhöht ijt, jo iſt umgekehrt nach dem Genuß von Alkohol oder jtarfen Weinen zu einer Zeit, in der die Wangen glühen und die Hände erwärmt jind, die Blutwärme gemäßigt. 90 466 q Lichtenfels ud Fröhlich, Marvaud umd Andere Haben gefunden, daß fürzere oder längere Zeit nad) Darreihung von Alkohol das Herz häufiger ſchlägt. Dieſe Wirkung erfolgte bei Lichtenfels und Fröhlich nicht jogleich, jondern erſt 30 Minus ten nad) der Aufnahme des geijtigen Getränfes, und der erite Erfolg war ein Seltnerwerden des Pulſes, das ſich auch bei den Verſuchen von Albertoni und dem jüngeren Luſſ ana mehrfach geltend machte. *) Iſt aber erjt der Herzihlag häufiger geworden, und manchmaljchon früher, dann findet man ihn auch Fräftiger, und Albertoni und Zujjana ermittelten an Thies ven, daß zu dieſer Zeit der Blutdruck erhöht it. Da num zugleich beim Menjchen die Blutgefäße der Haut eine Erweiterung erleiden, jo hat hier das jtärfer und häufiger jchlagende Herz einen geringeren Widerjtand zu überwinden. Es jtrömt aljo mehr warmes Blut dur die Haut. Die Haut wird wärmer, fie giebt an die fältere Umgebung eine größere Wärmemenge ab, das Blut fehrt abgekühlt von der Haut zu den inneren Theilen zurüd. Und die Arzneifunde feiert den Triumph, daß fie dem fleikigen Gebrauch des zuerit von de Haen im dritten Viertel des vorigen SahrhundertS am Krankenbett verwendeten Wärme— *) Siehe bei Albertoni und Zujjana a. a. O. Tafel IL, 7 und 3, jomwie Tafel I, 1 und 2. 467 meſſers ein Mittel abgewonnen hat, mit dem fie das Fieber dämpft und dennoch die Kraft des Herzens anregt. Es läßt fih alſo nicht mehr verfennen, day der Alkohol die Ausgaben des Körpers mähigt, die Ge: webe ſpart. Da er aber die Stoffe, welche den arbeitenden Geweben verloren gehen, nicht erjett, jo würde die Erſparniß ohne Zufuhr geeigneter Nah— rungsjtoffe auf die Dauer nur auf Koften der Kraft erzielt werden, und zuletst auch auf Kojten des Beu— tel3. Der Weingeijt ijt ein Sparmittel der Gewebe, aber beſſer als Gewebe jparen ijt es für ihren Umſatz und für Kraftäußerung jorgen, inden man jte erneuert. Wenn das der Einzelne immer könnte, er würde gewiß zum Fleiſch greifen und nicht zur Flaſche. Und dennoch nennt man mit Necht den Nein die Milch der Greife. Der Stoffwechſel ijt beim Greije aus— gezeichnet durch ein Mißverhältniß zwiſchen Ausgaben und Einnahmen. Während Athmung, Rückbildung und Ausscheidung, wenngleich geſchwächt, fortdauern, lei— den Verdauung, Blutbildung und Ernährung ungleich mehr. Für den Greis iſt es eine Lebensfrage, Stoff und Kraft zu ſparen, weil die Erneuerung des Kör— pers nicht mehr im Gleichgewicht iſt mit den Vor— gängen des Zerfallens. Aber Wein mäßigt die Aus— gaben, vermindert die Ausſcheidung von Kohlenſäure und 30 * 468 Harnjtoff. Ein guter, alter Wein, in mäßiger Menge genojjen, vermehrt außerdem den Magenfaft, diejenige Flüſſigkeit, welche vor allen die Verdauung der Eiweiß— jtoffe bewirkt. Hufeland rühmt ein Gla3 guten Ma— lagaweins als ein vortreffliches Mittel, um den Schlaf bei alten Leuten zu befördern. Nennt man denn nicht mit Recht den Wein die Milch der Greije, da er ihre Verdau— ung und ihren Schlaf, aljo die Bildung von Blut und Geweben befördert, während er zugleich unmittelbar, indem er das Athmen mäßigt, die Stoffe des Körpers jpart? Kür Armenhäufer, in melden Hochbejahrte ver- pflegt werden, ijt ein guter, alter Wein ein durchaus ebenjo unerläßliches Bedürfniß, wie in den Findel— häuſern gute Milch. Biel weniger deutli), als beim Wein, läßt ſich im inzelnen die Wichtigkeit von Thee und Saffee für den Körper des Menjchen erweiſen. Prout und Smith haben zwar gefunden, daß jtarfer Thee die Menge der Kohlenjäure, die wir ausathmen, verminz dert; aber Hoppe-Seyler fonnte die Angaben von Sulius Lehmann und Böcker, dag der Theeſtoff die Ausscheidung des Harnſtoffs vermindere, nicht bes jtätigen, während €. ©. Lehmann und Frerichs nad) der Aufnahme von Theejtoff jogar vermehrte Harn- ſtoffausſcheidung beobachtet haben.*) Auch der Genuß *) Nogl. Veretti, Beiträge zur Torifologie des Kaffein, Bonn 1875, S. 8. + a a ZI % 469 von Kaffee hat in Boit’S Verſuchen die Ausſcheidung des Harnſtoffs nicht herabgedrüdt. Liebig's Vergleich von Kaffee und Thee mit der Fleiſchbrühe entbehrt jeglichen Grunde, in den Augen des Chemiker ebenjomohl, wie in denen des Phyliologen. Die Aehnlichkeit jener Getränfe gründet fih nach Liebig auf den geringen Unterjchied in der Zujfammenjeßung zwiſchen der Fleiſchbaſis und dem Theeſtoff. Allein dieſe Aehnlichkeit ijt rein äußerlich. Die Aehnlichkeit zwiſchen Ameiſenſäure und Butter- ſäure ijt weit größer, und doch bringt Ameijenjäure dem Körper nicht den allermindejten Nutzen. Und jelbft wenn es möglich wäre, durch verhältnigmähig ſchwache Eingriffe den Theeſtoff in die Fleiſchbaſis zu verwandeln, dann noch würde der Phyſiologe daraus für den Thee feine Bedeutung ableiten können, weil die Fleiſchbaſis den Stoffen der Rückbildung angehört und entweder raſch in Harnjtoff und andere Stoffe zerfällt, oder jelbjt mit dem Harn als Schlade aus dem Körper entfernt wird. Thee und Kaffee jind durchaus nicht al3 nahrhaft zu bezeichnen. Allein der Wichtigkeit von Thee und Kaffee kann es keinen Abbruch thun, daß jie nicht im eigents lihen Sinne al3 Nahrungsmittel zu betrachten jind. Ueber den Werth von Kaffee und Thee hat das Leben gerichtet. 470 63 ijt jo oft wiederholt worden, das Kaffee und Thee al3 wejentlichiten Bejtandtheil einen und denjelben Körper enthalten, daß der Theejtoff*) in jeder Bezie— hung mit dem Kaffeejtoff**) übereinitimmt, dag man dieje Thatſache al3 jedem Laien befannt vorausjeßen darf. Wie nun, wenn die Bewohner Brajiliens und ParaguayS den Mate oder Paraguaythee nicht ent- behren können und eben diejer Paraguaythee nad Stenhouje wiederum Theejtoff enthält? Fürwahr, um die leiihbajis in den Körper zu bringen, bedürfen wir des Theeſtoffs nit, von dem e3 nicht einmal wahrjcheinlich gemacht ilt, daß er ji) in die Sleiichhajis verwandeln fönne. Jeder, der es verjucht Hat, wei auch, day die Wirkungen von Thee und Kaffee jelbjt durch die Fräftigite Fleiſchbrühe nicht zu erjeßen jind. Auf die Hirnthätigfeit üben Thee und Kaffee eine unverfennbare Wirkung. Wie diefer Einfluß zu Stande fommt, das heißt, welche jtoffliche Veränderung Kaffee und Thee im Gehirn hervorrufen, ijt bisher nicht be- fannt. Nur das ijt offenbar, das das mwahlverwandt- ſchaftliche Bedürfniß der Menjchheit nad Kaffee und Thee um jo unabweisbarer und allgemeiner geworden ift, je größer die geiltigen Anforderungen murden, *) Thein. **) Caffein. 471 welche die Entwicklung der Zeit an das ganze Ge— Ihlecht zu jtellen hat. Will man diefe Wahlverwandt- Ihaft al3 Inſtinkt bezeichnen, jo wird damit ganz richtig ausgedrückt, daß ſich der Einzelne ihrer Gründe nicht bewußt it. Allein ich glaube nicht, dag Don— ders die Macht des Bedürfnifjes in der That ver: Fleinert hat, indem er zu beweiſen verjuchte, daß der Inſtinkt, der zum Genug von Kochjalz und von reis zenden Getränfen treibt, nicht angeboren, jondern er= mworben jei. Auch der Inſtinkt des Menjchen ijt eine ewig im Werden begriffene Größe, die aber in jedem einzelnen Augenblic® der Gejchichte die ganze Geltung hat, welche fie der Tragweite ihrer Urſachen verdankt. Deshalb beherrſcht uns der erworbene Inſtinkt mit derſelben Gewalt, die wir dem angeborenen zuge— ſtehen. Der Inſtinkt verewigt ſich, wenn es dem den— kenden Forſcher gelingt, ihn auf vernünftige Gründe zurückzuführen; er wird allmälig überwunden, wenn man beweiſen kann, daß er aus einer unvernünftigen Gewohnheit abgeleitet werden muß. Ob er angeboren iſt oder erworben, iſt für die Lebensfragen, deren Be— antwortung uns hier beſchäftigt, von gar keiner Be— deutung, da der erworbene Inſtinkt beweiſt, daß auch der angeborene abgelegt werden kann, während die Macht der Bildung dem erworbenen Inſtinkt das Siegel der Herrſchaft verleihen kann. 472 Die ſittliche und geiſtige Thätigkeit des Menſchen— geſchlechts ſind in ſtetem Wachſen begriffen. Zur Er— nährung bedurfte es des Thees und Kaffees nicht. Es muß ſogar mit Nachdruck wiederholt werden, daß beide Getränke nur eine ganz unerhebliche Menge Nahrungs— ſtoff enthalten. Und doch iſt in Deutſchland dem Armen Kaffee Bedürfniß wie dem Reichen, und vor dem 17. Jahrhundert kannte ihn der Reiche als regel— mäßiges Bedürfniß ſo wenig wie der Arme. Nun iſt es leicht zu ſagen: kaufe dir ſtatt Kaffee Fleiſch. Wir reiben uns an einander ſittlich und geiſtig. Es wird durch Vermittlung des Kaffees ſo gut wie durch Dampf— ſchiffe und elektriſche Telegraphen eine Reihe von Ge— danken in Umlauf geſetzt, es entſteht eine Strömung von Ideen, Einfällen und Unternehmungen, die Alle mit ſich fortreißt. Wer iſt als Individuum ſtark genug, vielleicht dürfte ich fragen: wer iſt als Indi— viduum berechtigt, ſich den Reizmitteln zu entziehen, die jene Flut zum Treiben brachten? Wer ſoll nüch— tern und unverſehrt daſtehen in der Zeit, die das Einzelweſen aufreibt, um die Maſſe zu entwickeln? Laßt uns nicht klagen über nervöſes Zeitalter, über die zu große Reizbarkeit der Menſchen. Suchen wir ſie zu begreifen und ihrer Herr zu werden, wie wir können. In manchen Fällen bezieht ſich freilich jene innere Wahlverwandtſchaft, welche den Menſchen mit Natur— ann u na Ba a 478 erzeugnijjen verknüpft, auf entbehrliche Genüfje. Aber um jo merfwiürdiger bleibt es, da auch hier eine Geſetzmäßigkeit der jtofflihen Verhältniſſe waltet, Die in gar vielen Fällen die Menjchen unbewußt an den verſchiedenſten Drten und unter den mannigfaltigiten Formen das Gleiche finden und fejthalten fie. Wer hätte es vor einigen Jahren geahnt, dal derjelbe Stoff”), der unjere Geruchsnerven ergötzt, wenn mir eine friſch gemähte Wieſe bejchreiten, von den Freun- den des Schnupftabaks in den Tonfabohnen verehrt wird, daß derjelbe Stoff den Bewohnern der Inſel St. Mauritius den Thee von Bourbon, den joge- nannten Faham, beliebt macht, und wiederum der- jelbe im Wonnemonat unjeren Rheinwein würzt, der Rogquette zu jeinem allerliebiten Mährchen von des „Waldmeijters Brautfahrt” begeilterte? Hat doch Bleibtreu mit Waldmeijteritoff ohne Waldmeijter für jachfundige Lehrer der Bonner Hochſchule einen mundgerechten Maiwein gebraut. Es iſt eine ſehr befannte Grfahrung, daß Feine Thätigfeit beim Menfchen durch geiftige Anjtvengung leichter Schaden nimmt, als die Verdauung. Ich habe bei einer früheren Gelegenheit über die Häufigkeit einer mangelhaften Blutbildung geklagt, welche ich namentlich durch einen zu geringen Gehalt an Farb— *) Cumarin. 474 ſtoff und Eiſen verräth. Wenn man dieſe Thatſache gehörig erwägt, dann werden uns Quellen einer inneren, einer ſtofflichen Verarmung des Menſchenleibes auf— gedeckt, die viel ſchwerer verſiegen werden als die Armuth gewiſſer Volksſchichten, die ihr Heil von der Weisheit der Zukunft erwarten. Weil aber Verdauung und Blutbildung zunächſt abhängen von der Menge der Verdauunggsflüſſigkeiten, die fih in Magen und Darm ergießen, jo müjjen alle Speifezufäge, melde die Menge des Speichels oder des Magenfafts vermehren, die Verdauung befördern. Inſofern und im Hinblick auf den vor— hin bezeichneten Zuftand eines großen Iheil3 des Menſchengeſchlechts ift es aller Beachtung mwerth, daß der Gebrauch gewifier Würzen mit der geijtigen Bil— dung zunimmt. 3 liegt eine eigenthümliche Befrie- digung in dem Gedanken, dem man in vielen andern Formen wieder begegnet, dal außerordentlich oft die Mittel, ſich Gegenftände des Wohllebens zu ver- ſchaffen, mit inneren Bedürfnifjen in einem tief be= gründeten Ginflang jtehen. Man lernt jelbjt den herrſchſüchtig jcheinenden Kitel de3 Gaumens achten, indem man das Auge öffnet für die Naturnothwendig: feit feiner Entjtehung. Die Bedeutung des Kochjalzes für die Verdauung ist Schon früher in diefem Abjchnitt gewürdigt worden. —â— u 475 Zuder, Pfeffer und Senf, Käſe und Zimmt vermeh- ren gleichfalls die Menge des Magenjafts und beför- dern aljo die Blutbildung. Freilich wird jede Negel der Art verderblich, wenn man ihre Anwendung übertreibt. Das Maak wird aber durch die Umjtände bedingt. Die große Menge von Pfeffer und anderen erhigenden Gewürzen, welche in Indien ſchwachen Verdauungswerkzeugen aufhilft, würde in unferm Himmelzjtrich jtarfe verderben. Und während der Greis feinen geſchwächten Magen aus guten Gründen reizt durch mäßigen Genuß von Ges würzen, raubt ſich der Fräftige Süngling den Troſt feines Alters, wenn er diejelben von vornherein miß— braudt. Aug dem mwürzigen Duft des Kaffees jchöpft oft der Magen jein Labjal; denn auch durch Kaffee wird die Menge des Magenfafts vermehrt. Ueberdies be- fördert Kaffee die Bewegungen des Darms, während ſtarker Thee das Gegentheil bewirkt. Wenn Liebig aus der Wirkung jener Getränfe auf ſchwache Ver: dauungswerkzeuge das Umgekehrte ableitet und zwar mit der allgemeinen Bemerkung, daß ftarfe Verdauungs— werkzeuge „für dergleihen Wirkungen keine Neagentien find”, fo gründet er die Negel auf die Ausnahme, Durch Kaffee und Thee, durch Wein und Ge: würze, durch die Gelüfte und Neigungen des Menjchen, 476 überall jpricht jich daS Beſtreben aus, die TIhätigfeit des Hirns zu jteigern, eine Steigerung, die freilich oft in Betäubung übergeht. Wenn uns Wein, wenn dem Schiffer Branntwein dieje Wirfung thut, jo leijten dem Perjer daS Opium, dem Araber jeine Hanfferz- hen, mag er jie ejjen oder rauchen, dem Bewohner der Süpjeeinjeln jein Rauſchpfeffer das Gleihe, und leider in der Regel nod mehr. Kamtjchadalen und Tungujen betäuben ji mit ihrem Fliegenihwanm. Und die Diener verjhmähen es nicht, den Harn ihrer Herren zu trinken, um dieſelbe Wirkung zu erleiden. Wenn aber Würzen die Verdauung, wenn Rüben, Rettig, Lauch und Vanille den heftigſten aller jinnlichen Triebe anregen, wenn Wein und Thee und Kaffee die Stimmung des Hirns beherrihen, dann ijt wohl die Ueberſchrift dieſes Abſchnitts berechtigt. Und wenn der Stoff den Menjchen regiert, dann ijt die Er— fenntniß unjerer ftofflichen Verhältniſſe eine Aufgabe, deren Löſung uns nicht dringend genug bejchäftigen kann. Darum führt die Chemie in diefem Augenblick ihr Scepter über alle anderen Naturwifjenjchaften. Die Lehre vom Leben hat e3 mit nichts Anderem zu thun, al3 mit der Chemie und Phyſik des lebendigen Leibes. Inhallsverzeichniß. Seite. in Naturgeſezzzzz —1 II. Erfenntnißquellen des Menihen . . . . 2... 9 Blanerhlichteit Des Stoff. . 2. - — a IV. Das Wahsthum von Pflanzen und Thieren . - . 3 V. Die Erde als Werkzeug der Schöpfung von Pflanzen an EL DEI 48 Berl De3 St0i8 . . - 2. 2: 220 64 J und dev Boden . ...:.2... 8 Bloc und Zhiere . . - 2 2 2 97 Ir ernährung und Athmung >... 2.2.20. 115 X. Entwicklung der Nahrung im Thierkörper . . . . 142 XI. Alde der Thiere und Meniden . . .. 2... 168 XI. Bildung und Nükbildung im Thiere. . .... 203 FEneblldung in der Pllanze. -.» 2.2... 260 XIV. Die Wärme von Pflanzen und Thieren. . . . . 298 XV. Die allmähliche Entwiclung des Stoffs. . . . . 371 XVi. Der Stoff regiert den Meniden . - . . . . . . 426 Delle \ * As u‘ u « * =. — — —— ir AR ne q * A Mr > BR, — | | f h AP | va Ba: Ben Ev ir. 2 LE | De | | Dr ZN i * Y hl 1 —* Arme I» * — f 7 * * ** 4 * € — LEINE — — * % + & “ ar 65 3% > * — — Be ——— ——— —— * + > PROBE 7 BEE IE E ne — * RE EB + + > =% ? — — — —“ ART * BE BB BB Bee 2 FED I RT DEE TE N 2 2 NG u Sa — — w D * ⸗ * — AS DS * ⸗ = aa. = — dar ar SE ah» er #2 RR, 7 * — se » 4 IR 2 IR a IR 2 I 5 IE IK a FREE FTSE ae AR 4 > *2 Aa —— ** — Se ar . Br BEE u — * —— % — — > "SZ. — DE 5 * I. 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