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Um dieſen Nachtheil zu verhüten, hat man ſich als Auskunftsmittel die Meinung zurecht gelegt, daß die Natur immer den kürzeſten Weg wähle. Man erinnerte fort und fort an Boerhaave's Lieblingsſpruch, daß das Ein— fache das Zeichen der Wahrheit ſei. Mit der Annahme einer „weiſen Natureinrichtung“ hing dieſe Anſchauung auf's Tiefſte zuſammen. Wie jene Bauern, die nach Riehl's Erzählung an gewiſſen Feſttagen ihre Heiligenbilder mit dem Bauernkittel ſchmücken, weil ihnen der Bauernrock als das koſt— barſte Staatskleid erſcheint, ſo wußte ſich die Menſch— heit eine lange, lange Zeit hindurch in dem mäch— tigen Reich einer durch den bunteſten Wechſel hin— 11 2) — durchgehenden Naturnothwendigkeit nicht zurecht zu finden, als indem ſie dieſe mit den unausweichlichen Reizen einer Perſönlichkeit anthat, einer Perſönlichkeit, die, mit menſchlichem Gemüth und menſchlichem Ver— ſtande überlegend, ihre Thätigkeit entfaltet. Zur Zweckmäßigkeit gehören kurze Wege und ein— fache Mittel. Aber dieſe kurzen Wege und die ein— fachen Mittel zu erweiſen, daran dachte man um ſo weniger, als man beim Errathen des Zwecks mit der als Perſon geltenden Natur unmittelbar an Weisheit wetteiferte. Und dennoch hatte ſchon Spinoza jenen Hang nach Zweckmäßigkeits-Vorſtellungen jo eindring— lich getadelt, daß Georg Forſter, einer der vor— angeſchrittenſten Denker des vorigen Jahrhunderts, ihn als abgethan, als „alten Sauerteig“ bezeichnete. Je mehr in manchen Fällen die Anwendung von Zweckmäßigkeitsbegriffen durch Scharfſinn beſticht, deſto größer iſt die Gefahr, weil namentlich die beſchrei— benden Naturforſcher ein Verfahren, welches ſie an— fangs nur als einen Kunſtgriff der Darſtellung be— nützten, unvermerkt auch als ein Hülfsmittel zur For— ſchung verwerthen. Fügſame Schüler geben ſich leicht . damit zufrieden, daß ein lebhafter Lehrer den Natur— körper ſo behandelt, als habe er ihn ſelbſt verfertigt, etwa jo wie ein guter Vorleſer ſich unwillkürlich den Schein giebt, als wenn er das, was er lieſt, im 2 ya A r „ es 3 Augenblicke ſelbſt erzeugte. Mißlicher ſchon wird es, wo ſich der Schilderung die Bewunderung der Klug— heit im Schöpfungsplane beimiſcht. Denn mit der weiſedünkligen Bewunderung der Wahl in den Natur— einrichtungen iſt der entſcheidende Schritt geſchehen, der die vermeintlich erkannte Zweckmäßigkeit im Bau der Organismen mit ſelbſtgefälliger Willkür als Er— klärungsgrund der Organe und ihrer Theile hand— habt. Eine ſolche Behandlungsweiſe geht auf in dem Geſchick, mit welchem der einzelne Naturbetrachter die Abſichten ſeines Schöpfers zu errathen vermag. Allein dieſes Errathen iſt dem Forſchen nicht minder ſchroff entgegengeſetzt als der Glaube. Beide erwar— ten ihr Heil nicht von einer regelrecht durchgeführten, ruhig fortſchreitenden Unterſuchung, ſondern von einer plötzlichen Erleuchtung, welche für beide gleich gut mit dem Namen Offenbarung bezeichnet werden kann. Das Uebel iſt, daß die Anhänger beider Richtungen ihr Verfahren für ein Mittel ausgeben, die Wahr— heit zu finden. Sie verbergen ſich die Thatſache, daß alles Suchen da aufhört, wo nur die Offenbarung Aufſchluß gewährt, indem ſie jeden Forſcher der Frechheit beſchuldigen, der zu ihren Hülfsmitteln kein Vertrauen hat. Sie ſelbſt aber ſind entweder begnadigte Hoheprieſter oder vertraute Freunde ihres Schöpfers! 7 n ze 3 Als ich es oben gefährlich nannte, daß ſich, oft der beſſeren Erkenntniß zum Trotz, die Ahnung eines zu erreichenden Zwecks in der Form von Erklärungs— verſuchen in die Wiſſenſchaft eindrängt, hatte ich indeß etwas Anderes im Sinne, als die Gelegenheit zur Verirrung für den werkthätigen Forſcher. Mit jenen Zweckmäßigkeitsbegriffen hängt auf's Innigſte die Vor— ſtellung zuſammen, daß die Eigenſchaften der Körper dem Stoff von außen zugeführt ſind. Es iſt dieſelbe Anſchauung, die ſchon von Ariſtoteles herſtammt und die ſich ſchwerlich hübſcher bezeichnen läßt, als es Liebig geihan hat, wenn er jagt: „Die Eigenſchaften der „körperlichen Dinge ſeien gleichſam wie die Farben „geweſen, womit der Maler der farbloſen Leinwand „die Eigenſchaften eines Gemäldes ertheilt, oder wie „die Kleider, die ſich an- und ausziehen laſſen, und „welche die Geſtalt des Menſchen beſtimmen.“ Hier liegt die Wurzel eines Zwieſpalts, der die Welt ſchon häufig bewegte und der ſich wahrſchein— licher Weiſe zu einer welterſchütternden Gewalt ent— wickeln wird, lange nachdem ihn die wiſſenſchaftliche Erkenntniß befriedigend wird geſchlichtet haben. Denn das Verhältniß der Eigenſchaften zum Stoff iſt maaß— gebend für unſre Anſicht von der Kraft. Wer in allen Bewegungen der Naturkörper nur Mittel ſieht, um gewiſſe Zwecke zu erreichen, der 2 34 5 kommt ganz folgerecht zu dem Begriff einer Perſön— lichkeit, welche zu dieſem Ziele dem Stoff ſeine Eigen— ſchaften verleiht. Dieſe Perſönlichkeit wird auch das Ziel beſtimmen. Und mit der Zweckbeſtimmung, die von einer Perſönlichkeit ausgeht, welche die Mittel wählt, iſt das Geſetz der Nothwendigkeit aus der Natur verſchwunden. Die einzelne Erſcheinung fällt dem Spiele des Zufalls und regelloſer Willkür an— heim. Hier hört die Forſchung auf. Der Glaube beginnt. Man bezeichnet den Standpunkt, auf welchem die Natur nach Zwecken erklärt wird, mit dem griechi— ſchen Worte Teleologie, das an Theologie erinnert. Die Erinnerung liegt nicht bloß im Wortlaut. Tele— ologie und Theologie nähren ſich durch eine Wurzel. Einen Stoff ohne Figenſchaften hat man niemals beobachtet und darum iſt er auch undenkbar. Der Stoff iſt allemal wägbar, erfüllt den Raum, iſt der Bewegung fähig. Ohne den Stoff bejtehen dieſe Eigenſchaften ebenſo wenig, wie der Stoff ohne Eigen— ſchaften. Die Zeit iſt ein für allemal überwunden, in welcher man die Schwere, die Raumerfüllung, die Bewegung als abgezogene Begriffe je nach Belieben vom Stoff trennen oder mit dem Stoff vermählen konnte. Der Vorſtellung von einer Eigenſchaft ohne Stoff fehlt jede Weſenhaftigkeit. Ueberall wo zwei Stoffe einander nahe genug gebracht werden, üben ſie eine Wirkung auf einander aus. Dieſe Wirkung giebt ſich als eine Bewegungserſchei— nung kund. Es iſt eins der allgemeinſten Merkmale des Stoffs, daß er unter geeigneten Umſtänden ſo— wohl ſelbſt in Bewegung gerathen, als andere Stoffe in Bewegung verſetzen kann. Solche Bewegungen erſtrecken ſich unendlich häufig auf einen ſo kleinen Raum, daß die bei der Bewe— gung zurückgelegte Entfernung unmeßbar wird. Wenn zum Beiſpiel Waſſerſtoff verbrennt, dann iſt die Ent— fernung, welche Waſſerſtoff und Sauerſtoff zurücklegen, um ſich mit einander zu Waſſer zu verbinden, un— meßbar klein. Und auf gleiche Weiſe verhält es ſich mit jeder chemiſchen Anziehung, die immer eine Un— gleichartigkeit des Stoffs vorausſetzt. Wenn warmes Waſſer erkaltet, dann rücken die kleinſten Theilchen des Waſſers näher aneinander. Wir haben es mit einer Beweg ungserſcheinung zu thun, welche ſich über einen meßbaren Raum erſtreckt. Bei dieſer Bewegung wird der Zuſtand der Waſſer— theilchen jo verändert, daß alle Körper, die mit dem . Waſſer in Berührung kommen, eine Verdichtung er— leiden. Man hat dieſe Verdichtung für Queckſilber gemeſſen und bezeichnet den Grad der Queckſilberver— dichtung, bei welchem das Waſſer gefriert, als Null. v = “En m 2 r ar * Se eV 7 Die Empfindung, welche dann das Queckſilber, das Waſſer, die Luft in unſeren Hautnerven hervorrufen nennen wir Kälte. Offenbar bezeichnet die Kälte einen Zuſtand des Stoffs, der ſich im Verhältniß zu andern Körpern als Verdichtung kund giebt. Es liegt nur an unſrer ſchulmäßigen, abgezogenes Denken erkünſtelnden Er— ziehung, daß wir in dieſem Fall ſo leicht verleitet werden, die Kälte als eine Kraft zu bezeichnen, welche ſich mit dem Stoff des Waſſers verbindet und dadurch Eis erzeugt. Die Kälte iſt ein Zuſtand der kleinſten Theilchen des Stoffs, in welchem die Bewegung auf ein geringes Maaß zurückgeführt iſt. Bringen wir Waſſer auf heißes Eiſen, dann ge— rathen die kleinſten Theilchen in den Zuſtand erhöhter Bewegung. Das Waſſer wird Dampf. Es iſt klar, die Ausdehnung des Eiſens, welche auf einer Bewe— gung ſeiner kleinſten Theilchen beruht, wird auf die kleinſten Theilchen des Waſſers übertragen. Sei nun die Entfernung, welche der Stoff bei ſeiner Bewegung zurücklegt, meßbar oder nicht, in allen Fällen iſt es nur die Bewegung, durch welche ſich die Kraft verräth. Die Kräfte können ſich nur äußern durch Bewegung in Raum und Zeit. Es iſt nichts weniger als eine bloße Vorausſetzung, daß die Kräfte durch ihre Wirkungen, durch die Be— 8 wegungserſcheinungen, welche fie hervorrufen, gemeſſen werden. Denn außer jenen Wirkungen kennen wir von den Kräften nichts. Jede Kraftäußerung, jede Wirkung ſetzt ein Lei— dendes voraus. Wenn ich ſage: Vitriolöl oder Schwefelſäure be— ſitzt die Kraft, Eiſenoxyd zu löſen, dann heißt dies jo viel wie: Eifenoryd iſt löslich in Vitriolöl. Es iſt das nicht bloß eine Umſetzung des Gedankens, wie in dem berühmten Satz des Carteſius: ich denke, alſo bin ich. Man muß vielmehr die Sache ſo faſſen: Das Eiſenoxyd hat Verwandtſchaft zur Schwefelſäure, die Schwefelſäure zum Eiſenoxyd, ganz ſo wie alle Baſen eine chemiſche Verwandtſchaft zu den Säuren beſitzen. Schwefelſaures Eiſenoxyd aber iſt löslich. Darum hat Schwefelſäure die Kraft, das Eiſen zu löſen. Dieſe Kraft iſt nichts Anderes, als eine Eigen— ſchaft des Stoffs. Wo wir auch immer eine Bewegungserſcheinung am Stoff beobachten, iſt eine Eigenſchaft des Stoffs Urſache der Bewegung. So wie das Eis Waſſer iſt, deſſen kleinſte Theilchen auf ein geringes Maaß der Bewegung herabgeſunken ſind, ſo iſt Dampf Waſſer, deſſen Theilchen ſich im Zuſtande höchſter Bewegung befinden. Die Theilchen des Waſſerdampfs weichen 9 nach allen Seiten aus einander. Der Dampf theilt ſeine Bewegung anderen Korpern mit. Das Aus— einanderweichen der kleinſten Theilchen iſt eine Eigen— ſchaft des Waſſerdampfs. Eben die Eigenſchaft des Stoffs, welche ſeine Be— wegung ermöglicht, nennen wir Kraft. Grundſtoffe zeigen ihre Eigenſchaften nur im Ver— hältniß zu anderen. Sind dieſe nicht in gehöriger Nähe, unter geeigneten Umſtänden, dann äußern ſie weder Abſtoßung noch Anziehung. Offenbar fehlt hier die Kraft nicht; allein ſie ent— zieht ſich unſren Sinnen, weil die Gelegenheit zur Bewegung fehlt. , Wo ſich auch immer Sauerſtoff befinden mag, hat er Verwandtſchaft zum Waſſerſtoff, zum Kalium. Ob ſich aber der Sauerſtoff mit Waſſerſtoff, mit Kalium verbindet, das hängt zunächſt davon ab, ob Waſſer— ſtoff oder Kalium in ſeine Nähe gelangen. Die Eigenſchaft des Sauerſtoffs, ſich mit Waſſer— ſtoff verbinden zu können, iſt immer vorhanden. Ohne dieſe Eigenſchaft beſteht der Sauerſtoff nicht. Wenn es möglich wäre, dieſe Eigenſchaft vom Sauerſtoff zu tren— nen, dann wäre der Sauerſtoff nicht Sauerſtoff mehr. Nachdem ſich zwei Stoffe mit einander verbunden haben, die zuvor getrennt waren, ſind die Eigenſchaften der Verbindung das Ergebniß der zuſammenwirkende n 10 Kräfte. Darum erheiſcht es eine genauere Forſchung, in der Verbindung von Waſſerſtoff mit Sauerſtoff, im Waſſer, den Waſſerſtoff und Sauerſtoff wiederzu— erkennen. Aber nichtsdeſtoweniger ſind die Kräfte des Waſſers, zum Beiſpiel ſeine Fähigkeit, Zucker oder Kochſalz zu löſen, oder ſich mit Schwefelſäure zu ver— binden und dabei Wärme zu entwickeln, nichts Anderes als ſeine Eigenſchaften. Und dieſe Eigenſchaften ſind lediglich bedingt durch die vereinten Eigenſchaften von Waſſerſtoff und Sauerſtoff. In keinem Fall kommt die Eigenſchaft von außen. Entweder die Stoffe wirken unmittelbar auf einander ein; ſo wenn Eiſen roſtet an feuchter Luft, wobei ſich das Eiſen mit Sauerſtoff und Waſſer verbindet. Oder es bedarf eines dritten Stoffs als Vermittler. Schwe— felſaure Bittererde und phosphorſaures Natron im trocknen Zuſtande wirken nicht auf einander ein. Ver- miſcht man die trocknen Salze mit Waſſer, dann ent— ſtehen ſchwefelſaures Natron und phosphorſaure Bitter— erde. Dieſe letztere ſcheidet ſich in unlöslicher Form ab und zwar um ſo vollſtändiger, wenn man einige Tropfen Ammoniak hinzufügt. Das Waſſer iſt der Träger der Eigenſchaft, welche die Einwirkung der ſchwefelſauren Bittererde auf das phosphorſaure Na— tron möglich macht. Ammoniak iſt der Träger der Eigenſchaft, welche die Ausſcheidung der phosphor— * 11 ſauren Bittererde befoͤrdert. Es entſteht ein weißer, flockiger Niederſchlag von phosphorſaurer Ammoniak— Bittererde. Die Kraft iſt kein ſtoßender Gott, kein von der ſtofflichen Grundlage getrenntes Weſen der Dinge. Sie iſt des Stoffes unzertrennliche, ihm von Ewigkeit innewohnende Eigenſchaft. Auffallend genug, wird dieſer Satz von vielen Naturforſchern nicht einmal geahnt. Noch häufiger aber wird er nicht begriffen. Denn Niemand hat einen Satz begriffen, hat ihn in Fleiſch und Blut verwan— delt, der ihm in der Anwendung nicht treu bleibt. Daher hört man denn Phyſiker, Chemiker, Phyſio— logen über das Weſen der Dinge klügeln, als wäre dieſes Weſen ein Geiſt, der im Stoff verborgen wal— tet, als käme es nur darauf an, dieſes Weſen in eine Formel zu bannen, um wie mit einer Zauber— ruthe jede Erſcheinung des Dings erklären zu können. Seltſamer Weiſe geſchieht das von eben ſolchen Natur— forſchern, die hochweiſe abſprechen über die Be— ſtrebungen der Philoſophen. Nicht bloß im Glau— ben, auch in der Wiſſenſchaft verfolgt der Menſch die Richtung am feindſeligſten, die der ſeinigen am ähnlichſten iſt. Wir werden einem ſolchen „Weſen“, das die Eigenſchaften des Stoffs regieren ſoll, ſpäter in der 12 Lebenskraft begegnen. Allein jo weit brauchen wir nicht zu ſuchen. In den einfachſten Dingen, die ſie ſelbſt am genaueſten umſchreiben und beſtimmen, ſuchen manche Chemiker und Phyſiker einen geheimſinnigen Begriff an ſich, den ſie nicht ſelten für unergründlich erklären. In einem Athem wird uns zum Beiſpiel verſichert, was der Siedepunkt an und für ſich ſei, das wüßten wir nicht, und hinwiederum der Siedepunkt einer Flüſſigkeit ſei derjenige Wärmegrad, bei welchem ſich im Innern dieſer Flüſſigkeit, durch ihre ganze Maſſe hindurch, unter einem gegebenen Luftdruck Dampfblaſen bilden. Das iſt aber offenbar der Siedepunkt für uns. Und da der Siedepunkt überhaupt nichts iſt, als ein Verhältniß der Flüſſigkeit und Wärme zum Beobachter, ſo wird dieſes Verhältniß wohl auch den Siedepunkt an und für ſich bezeichnen. Wie andere Geſchöpfe, die mit anderen Sinnen und anderen Er— fahrungen als der Menſch begabt ſind, den Siede— punkt faſſen, das wiſſen wir freilich nicht, aber das iſt uns auch durchaus gleichgültig. Alle Erörterungen über das Weſen der Dinge beruhen entweder auf der falſchen Vorausſetzung an— geborener Anſchauungen, oder ſie ſind Ausflüchte eines Unerfahrenen, dem es an der Beobachtung der Eigen— ſchaften fehlt. Letzteres iſt häufig der Fall bei denen, die ſich noch heute Philoſophen nennen und mit dieſem ö 13 Namen ein Gebiet des Denkens in Pacht zu haben glauben, das der Beobachtung entgegenſetzt wäre. Das Weſen der Dinge iſt die Summe ihrer Eigen— ſchaften. Und das Weſen aller Eigenſchaften iſt eben die Kraft. Wenn aber die Kraft eine vom Stoff unzertrenn— liche, eine dem Stoff von Ewigkeit innewohnende Eigenſchaft iſt, dann muß ſich mit dem Stoff auch die Kraft verändern. So gelangen wir zu einem neuen, nicht minder wichtigen allgemeinen Satze, daß Miſchung, Form und Kraft ſich nur gleichzeitig ver— ändern können. Für den Satz, daß die Kraft eine Eigenſchaft des Stoffes iſt, giebt uns der Einklang zwiſchen Stoff und Form und Kraft zugleich einen mittelbaren Be— weis und eine Probe auf die Rechnung. Auf den erſten Blick ſcheinen ſich freilich in der organiſchen Natur eine Menge von Beiſpielen darzu— bieten, in welchen zwei Körper bei gleicher Zuſammen— ſetzung ſehr verſchiedene Eigenſchaften beſitzen.“) In ) Iſomerie. 14 allen dieſen Fällen iſt jedoch die Uebereinſtimmung in der Zuſammenſetzung nur ſcheinbar. Man muß es nämlich als oberſten Satz feſthalten, daß die Zuſammenſetzung nicht einfach ausgedrückt wird durch die Gewichtstheile der einzelnen Grundſtoffe, die in einem Körper enthalten ſind, ſondern in nicht minder weſentlicher Weiſe auch durch ihre Anordnung. Daraus folgt aber unmittelbar, daß zur Gleichheit der Zu— ſammenſetzung mehr gehört, als die Uebereinſtimmung der Gewichtstheile, nach welchen die Grundſtoffe in einem Körper vertreten ſind. Zahlreiche organiſche Stoffe giebt es, die den Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff in gleichen Gewichtsverhältniſſen führen. Sie ſcheinen demnach gleiche Zuſammenſetzung zu beſitzen. Wenn ſich aber dieſe Körper mit einem dritten verbinden, dann iſt häufig das Gewicht des einen organiſchen Stoffs doppelt ſo groß wie das des andern, oder die Gewichte der beiden organiſchen Stoffe, welche jeder für ſich mit demſelben Gewicht eines dritten eine Verbindung ein— gehen, ſind auf irgend eine andere Weiſe verſchie— den. Solche Gewichtsverhältniſſe ſind nämlich für alle chemiſchen Verbindungen feſt und unveränderlich. Und wenn man dieſe Gewichtsverhältniſſe auf einen dritten Körper als Einheit bezieht, dann nennt ſie der Chemiker Miſchungsgewichte. Gewöhnlich legt man für alle Grundſtoffe auf dieſe Weiſe den Waſſerſtoff als Einheit zu Grunde. So enthalten denn zum Beiſpiel die waſſerfreie Milchſäure und das Stärkegummi für je einen Ge— wichtstheil Waſſerſtoff beide gleich viel Miſchungs— gewichte Kohlenſtoff und Sauerſtoff. Wenn ſich aber Stärkegummi mit Bleioxyd verbindet, dann iſt ſein Miſchungsgewicht doppelt ſo groß als das der Milch— ſäure. Demnach iſt die Zuſammenſetzung der Milch— ſäure und des Stärkegummis trotz der gleichen Ver— hältniſſe, in welchen ſie Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff enthalten, unter ſich verſchieden. Dem entſprechend ſind auch die Form und die Eigenſchaften der Milchſäure und des Stärkegummis verſchieden. Die Milchſäure iſt eine ſyrupdicke Flüſſig— keit, während das Stärkegummi einen feſten Körper dar— ſtellt von muſchligem Bruch und glatter, mattglänzender Oberfläche. Die Milchſäure iſt ſauer, das Stärkegummi weder ſauer noch baſiſch. Stärkegummi wird durch Be— handlung mit Schwefelſäure in Zucker verwandelt, Milch— ſäure nicht. Kurz, die beiden Körper unterſcheiden ſich von einander in Miſchung, Form und Eigenſchaften. In anderen Fällen ſind nicht nur die Verhältniß— zahlen der einzelnen Grundſtoffe unter einander, ſon— dern auch die Summen derſelben in zwei oder mehr verſchiedenen Körpern gleich, und dennoch ſind ſie ’ 4 7 * * zer 18 * e 7 £ k { 1 * n Dre ww... r 16 nicht gleich zuſammengeſetzt, weil die Anordnung der Grundſtoffe verſchieden iſt. Wir kennen drei Körper, die alle auf ſechs Atom— gewichte Waſſerſtoff drei Atomgewichte Kohlenſtoff und zwei Atomgewichte Sauerſtoff enthalten. Dieſe Kör- per ſind der Eſſigſäure-Methyläther, der Ameiſenſäure— Aethyläther und die Buttereſſigſäure.?) Allein in jedem dieſer Körper ſind die Grundſtoffe anders ge— lagert. Der Chemiker bringt dieſe verſchiedene Lage— rung der Grundſtoffe dadurch zur Anſchauung, daß er für jeden der drei angeführten Körper eine beſon⸗ dere Formel aufſtellt. Er bezeichnet den Eſſigſäure-Me⸗ thyläther als C2 Hs 02 . CHs, den Ameiſenſäure-Aethyl⸗ äther als CHO . C2 Hs, die Butter-Eſſigſäure als Cs He O2. Jede dieſer drei Formeln giebt uns die gleichen Summen der Atomgewichte für die einzelnen Grund— ſtoffe, die den betreffenden Körper zuſammenſetzen, aber der Unterſchied in der Lagerung der kleinſten Theilchen, welcher die Verſchiedenheit der Miſchung bedingt, verräth ſich dadurch, daß Eſſigſäure-Methyl⸗ äther und Ameiſenſäure-Aethyläther, mit Kali behan⸗ delt, verſchiedene Zerſetzungsprodukte liefern, jener Methyläther und Eſſigſäure, dieſer Ameiſenſäure und gewöhnlichen Alkohol, während die Propionſäure mit ) Mecacetonſäure, Propionſäure. 17 Kali propionſaures Kalium bildet, indem an die Stelle von Einem Atom Waſſerſtoff der Propionſäure Ein Atom Kalium tritt. Nicht immer ſind wir ſo glücklich, auf dieſe hand— greifliche Weiſe den Schleier zu lüften, der die Unter— ſchiede der Zuſammenſetzung verhüllt. Wenn die Kör— per einfach ſind und in ihren Miſchungsgewichten durchaus übereinſtimmen, dann bleibt uns indeß ein anderes Mittel übrig, indem wir aus dem Verhalten zum Licht auf die Lagerung der kleinſten Theilchen zweier Stoffe ſchließen. Dieſe Bahn hat ein genialer Franzoſe, Namens Paſteur, betreten. Seiner Be— harrlichkeit verdanken wir es, daß der Satz, nach welchem Miſchung, Form und Eigenſchaften bei jeder Veränderung Hand in Hand gehen, mehr als je be— feſtigt iſt. Unter gewöhnlichen Verhältniſſen ſchwingen die Aetherwellen, deren Bewegung Lichteindrücke erzeugt, in einer auf dem Lichtſtrahl ſenkrechten Ebene nach allen Richtungen. Manche Körper dagegen ertheilen den Schwingungen des Lichtſtrahls, den ſie durch— laſſen, eine beſtimmte Richtung: man ſagt, daß ſie das Licht polariſiren. | Die Ebene, in welcher der polariſirte Lichtſtrahl ſchwingt, kann durch manche Körper eine Drehung er— fahren, und eben das Vorhandenſein oder die Richtung II. 2 18 und Größe dieſer Drehung geben uns das feinſte Mittel an die Hand, die Anordnung der kleinſten Theilchen zu beurtheilen. Wenn zwei Körper von gleicher Dichtig— keit durchaus gleiche Gewichtstheile derſelben Grund— ſtoffe enthalten, dann können ſie die Lichtwellen, welche dieſelben durchſetzen, nur dann zu einer verſchiedenen Bewegungsrichtung veranlaſſen, wenn ihre kleinſten Theilchen eine verſchiedene Lagerung beſitzen. In neueſter Zeit haben die Chemiker es gelernt, aus Spargelſtoff“) und aus der Verbindung einer im gemeinen Erdrauch ““) vorkommenden Säure mit Ammoniak, aus ſaurem erdrauchſaurem Ammoniaf***) Aepfelſäure zu bereiten. Anfangs hielt man die auf dem einen und die auf dem anderen Wege gewonnene Aepfelſäure für durchaus gleich. Und die Verhältniß— zahlen des Kohlenſtoffs, Waſſerſtoffs und Sauerſtoffs ſowohl, wie das Miſchungsgewicht, nach welchem ſich die Säure des einen wie des anderen Urſprungs mit anderen Stoffen verbindet, ſchienen dafür zu ſprechen. Da zeigte Paſteur, daß die aus dem Spargelſtoff bereitete Aepfelſäure die Ebene des polariſirten Licht— ſtrahls dreht, die aus dem erdrauchſauren Ammoniak gewonnene dagegen nicht. Hiermit war ein Unter— ) Asparagin. **) Fumaria officinalis. *) Saures fumarſaures Ammoniak. >, u n 19 ſchied der Lagerung der kleinſten Theilchen in beiden Körpern erkannt. Die Unterſchiede in den Eigenſchaften blieben nicht aus. So nimmt die aus erdrauchſaurem Ammoniak gewonnene Aepfelſäure an feuchter Luft nur wenig Waſſer auf, während die vom Spargelſtoff herſtammende langſam, aber ſo lange Waſſer auf— nimmt, bis ſie in eine klebrige Flüſſigkeit verwandelt iſt. Paſteur nennt die Aepfelſäure, welche die Ebene des polariſirten Lichtſtrahls dreht, wirkſam, die andere unwirkſam. Wenn man die Löſungen dieſer Säuren durch ein Bleiſalz niederſchlägt, dann bildet das äpfel— ſaure Bleioxyd im einen wie im andern Falle nadel— förmige Kryſtalle. Während aber dieſe Kryſtalliſation für die wirkſame Aepfelſäure in einigen Stunden ab— läuft, nimmt ſie für die unwirkſame mehre Tage in Anſpruch. Je geringfügiger der Unterſchied in der Miſchung ausfällt, deſto unbedeutender ſind auch die Abwei— chungen in den Eigenſchaften. Aber die Verſchieden— heit der Miſchung ſetzt die der Eigenſchaften mit Noth— wendigkeit voraus, und umgekehrt. So wie es nun aber zahlreiche Stoffe giebt, die trotz der gleichen Gewichte, in welchen ſie die Grund— ſtoffe enthalten, eine verſchiedene Miſchung beſitzen, ſo giebt es auch zahlreiche Körper, die auf den erſten Blick bei verſchiedener Zuſammenſetzung und verſchie— N. 20 denen Eigenſchaften durch dieſelbe Form ausgezeichnet zu ſein ſcheinen und doch nicht gleiche Form beſitzen. Bei näherer Betrachtung erweiſt ſich immer deut— licher, daß in ſolchen Fällen kleine, aber dennoch regel— mäßige Unterſchiede ſtattfinden. Es ſind vorzugsweiſe die kryſtalliſirenden Verbindungen, welche in dieſer Beziehung den lehrreichſten Stoff zur Forſchung bieten. Schon bei anorganiſchen Stoffen hat man durch eine genauere Meſſung der Winkel, welche die einzelnen Flächen mit einander bilden, gefunden, daß Kryſtallfor— men, welche man anfangs für gleich hielt, in gewiſſen Merkmalen dennoch von einander abweichen. Und de Senarmont hat auf zahlreiche Beiſpiele aufmerkſam gemacht, in welchen die Aehnlichkeit der Form mit der Aehnlichkeit im Verhalten zum Licht gleichen Schritt hält, wie man es von einer beinahe vollkommenen Uebereinſtimmung des Gefüges erwarten durfte. So ver— hält es ſich mit phosphorſaurem und arſenikſaurem Kali, mit ſchwefelſaurem Baryt und ſchwefelſaurem Bleioxyd. Am wichtigſten ſind aber wiederum die Fälle, welche Paſteur verzeichnet hat. Vor mehreren Jahren hatte man in einer Traubenart neben der Weinſäure eine andere organiſche Säure gefunden, die als Trauben— ſäure beſchrieben wurde. Paſteur hat gezeigt, daß ſich die Traubenſäure in zwei verſchiedene Säuren zerlegen läßt. Dieſe Säuren ſtimmen beinahe in jeder 21 Rückſicht mit einander überein. Sie zeigen daſſelbe Verhalten zu den Löjungsmitteln und Baſen, drehen beide die Ebene des polariſirten Lichtſtrahls, beſitzen beide dieſelbe Kryſtallform und enthalten beide gleiche Miſchungsgewichte von Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff. Und dennoch iſt die Uebereinſtimmung zwi— ſchen beiden nicht vollkommen, weder für die Miſchung, noch für die Form, noch für die Eigenſchaften. Denn während die eine Säure die Ebene des polariſirten Lichtſtrahls zur Rechten ablenkt, dreht ſie die andere um einen gleich großen Winkel zur Linken, ſo daß Paſteur eine rechtsdrehende und eine linksdrehende Säure unterſcheidet. Dieſes verſchiedene Verhalten zum Licht bekundet eine verſchiedene Anordnung der kleinſten Theilchen, ſowie es einen, wenn auch noch ſo gering— fügigen, Unterſchied in den Eigenſchaften bezeichnet. Dem entſpricht nun, daß den Kryſtallen beider Säuren die Hälfte der Flächen fehlt, welche der regelmäßigen Kryſtallform, zu der ſie gehören, zukommen würden; die ausgebildeten Flächen ſind aber an den beiden Kryſtallen jo vertheilt, daß die eine Säure als das, Spiegelbild der anderen erſcheint. Es hat ſich heraus— geſtellt, daß die rechtsdrehende Säure gewöhnliche Wein— ſäure iſt; die linksdrehende, ihr Gegenbild, wird als Gegenweinſäure “) bezeichnet. Die Traubenſäure iſt ) Antiweinſäure. 22 alſo eine Verbindung von rechtsdrehender und links— drehender Weinſäure, oder von gewöhnlicher und Gegenweinſäure. Daneben giebt es aber eine aus gleich viel Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff beſtehende, ſogenannte unwirkſame Weinſäure, welche auf den polariſirten Lichtſtrahl gar keinen Einfluß ausübt. Das ſaure äpfelſaure Ammoniak kryſtalliſirt nach Paſteur in geraden, rhombiſchen Säulen. Ich habe oben mitgetheilt, daß wir nach Paſteur's Unter⸗ ſuchungen die Aepfelſäure, je nachdem ſie aus Spar— gelſtoff oder aus ſaurem erdrauchſaurem Ammoniak hervorgegangen iſt, als wirkſam oder unwirkſam mit Rückſicht auf den polariſirten Lichtſtrahl unterſcheiden müſſen. Jene nimmt an der Luft Waſſer auf, bis ſie in eine klebrige Flüſſigkeit verwandelt iſt, dieſe dagegen nur ſehr wenig; das Bleiſalz der wirkſamen Aepfelſäure kryſtalliſirt raſch, das der unwirkſamen ſehr langſam. Wir wiſſen alſo von dieſen Säuren bereits, daß ſie, trotz der gleichen Gewichtsverhält— niſſe ihrer Grundſtoffe, eine verſchiedene Lagerung ihrer kleinſten Theilchen und verſchiedene Eigenſchaften beſitzen. Um ſo wichtiger iſt die Beobachtung Paſteur's daß das kryſtalliſirte ſaure Ammoniakſalz der wirk— ſamen Aepfelſäure einige unregelmäßige Flächen beſitzt, welche dem Salz der unwirkſamen Aepfelſäure fehlen. “ 23 Unter den anorganischen Körpern finden wir aber die Aehnlichkeit in der Kryſtallform um jo häufiger, je ähnlicher die Grundſtoffe ſind, von denen der eine den anderen in einem Kryſtall erſetzt. So kryſtal— liſiren Kochſalz oder die Verbindung von Chlor und Natrium und die Verbindung von Chlor und Kalium beide in Würfeln. Die Uebereinſtimmung der Kryſtall— form iſt ein Ausdruck der außerordentlichen Aehnlich— keit zwiſchen Kalium und Natrium, die beide mit einem und demſelben dritten Grundſtoff, dem Chlor, verbunden ſind. Und doch fehlt es dem Unterſchied, der bei aller Aehnlichkeit in den Eigenſchaften ſtatt— findet, nicht an einem entſprechenden Unterſchied in der Form. Das Chlorkalium iſt nämlich ausgezeich— net durch die Neigung, in die Länge gezogene recht— eckige Säulen zu bilden. Während nun auf der einen Seite die größte Aehnlichkeit in der Form bei abweichenden Eigenſchaften die allergenaueſte Zergliederung erfordert, um zu er— kennen, daß eine Veränderung in der Form der Ver— änderung in Miſchung und Eigenſchaften entſpricht, ſo giebt es andererſeits Fälle, in welchen eine Verände— rung in der Form auf den erſten Blick unabhängig von einem Unterſchied in Miſchung und Eigenſchaften aufzutreten ſcheint. So wenn der kohlenſaure Kalk das eine Mal als Kalkſpath in Rhomboedern, das 24 andere Mal als Arragonit in ſechsſeitigen Säulen kryſtalliſirt. Beide Mineralien enthalten durchaus die— ſelben Mengen von Kohlenſäure und Kalk. Es iſt klar, daß der Unterſchied in der Kryſtallform dem— nach nur durch eine verſchiedene Lagerung der kleinſten Theilchen bedingt ſein kann. Um ſo merkwürdiger iſt es, daß man den Arragonit durch bloße Wärme in ein Haufwerk von Kalkſpathkryſtallen verwandeln kann. Und da Kalkſpath und Arragonit eine verſchiedene Lage— rung der kleinſten Theilchen und verſchiedene Kryſtall— form beſitzen, ſo braucht man nur daran zu erinnern, daß Arragonit den Kalkſpath ritzt und denſelben an Eigenſchwere übertrifft, um auch hier den verlangten Einklang zwiſchen Form und Miſchung und Eigen— ſchaften wiederzufinden. In ähnlicher Weiſe, wie wir durch bloße Wärme die Lagerung der kleinſten Theilchen im Arragonit ſo umwandeln können, daß er in ein Haufwerk von Kalkſpathkryſtallen zerfällt, kommt auch der Schwefel in zwei verſchiedenen Kryſtallformen, der Kohlenſtoff in zwei verſchiedenen Kryſtallformen und formlos vor. Da hier die Unterſchiede bei einem und demſelben Grundſtoff auftreten, ſo bleibt uns nichts übrig, als eine verſchiedene Lagerung der kleinſten Theilchen und für den Kohlenſtoff eine verſchiedene Dichtigkeit anzu— nehmen, oder zu erwarten, daß man dereinſt die Zer— 25 legbarkeit jener als Grundſtoffe erſcheinenden Körper darthun wird. Wenn man Diamant, Graphit und formloſe Kohle mit einander vergleicht, dann erhellt es, wie groß die Rolle iſt, welche die Dichtigkeit eines Stoffs auch als Bedingung der übrigen Eigen— ſchaften ſpielt. Immer aber ſehen wir eine verſchiedene Lagerung der kleinſten Theilchen, Verſchiedenheit in den Mi— ſchungsgewichten oder Verſchiedenheit der Grundſtoffe den Unterſchieden der Form und der Eigenſchaften zu Grunde liegen. Miſchung, Form und Kraft ſind un— zertrennliche Merkmale des Stoffs, von denen jedes Glied die beiden andern mit Nothwendigkeit bedingt. Alſo verändert ſich mit dem Stoff auch die Kraft. Und es wird uns mit einem Male offenbar, daß der Fülle der Formen bei Pflanzen und Thieren auch die Mannigfaltigkeit der Lebenserſcheinungen entſprechen muß. Wir werden nach der obigen Entwicklung nicht mehr bezweifeln, daß das in kaltem Waſſer unlösliche, durch Jod eine ſchöne blaue Farbe annehmende Stärk— mehl und das formloſe, in Waſſer lösliche, nach der Behandlung mit Jod weinrothe Stärkegummi trotz des gleichen Miſchungsgewichts und der gleichen Gewichts— theile, in welchen beide Körper den Kohlenſtoff, Waſſer— ſtoff und Sauerſtoff enthalten, eine verſchiedene Lage— rung der kleinſten Theilchen, eine verſchiedene Miſchung 26 beſitzen. Wir werden uns nicht darüber wundern, daß eine Pflanzenzelle andere Grundformen zeigt und mit ihres Gleichen andere Gewebe bildet, wenn ihre Wand aus reinem Zellſtoff beſteht, als wenn die Zellwand durch Holzſtoffe, durch Kork, durch Fruchtmark, Stärk— mehl, Pflanzenſchleim oder andere Stoffe verdickt iſt. Es wird uns begreiflich ſein, daß es auf die Form und die Verrichtungen eines Gewebes bedingend ein— wirkt, ob das Eiweiß vorzugsweiſe als lösliches im Zelleninhalt vorhanden, oder als ungelöſtes in der Zell— wand älterer Zellen abgelagert iſt. In den anor— ganiſchen Stoffen, die in ſtetiger Verwandtſchaft bald dieſem, bald jenem organiſchen Gewebebildner folgen, werden wir eine neue Quelle der Mannigfaltigkeit erblicken, vielleicht die üppigſt fließende von allen. Nichts iſt natürlicher, als daß Knorpel und Knochen in ihrer Härte, Biegſamkeit, Federkraft und anderen Eigenſchaften, namentlich aber auch in der Geſtalt ihrer kleinſten Formbeſtandtheile von einander abweichen, wenn man bedenkt, daß die Knorpel beinahe ſieben— mal ſo reich an Waſſer ſind als die Knochen, und daß bei der Umwandlung des Knorpels in Knochen— gewebe die Alkaliſalze immer mehr den Erdſalzen, das Kochſalz und der kohlenſaure Kalk der Knorpel dem phos— phorſauren Kalk weichen, der in chemiſchem Sinne die Umwandlung des Knorpels in Knochen kennzeichnet. Die urſprüngliche Verſchiedenheit der Grundſtoffe und ihrer Miſchung iſt alſo ſchon fruchtbar genug in der Erzeugung des Formenwechſels, den wir an der Erdoberfläche bewundern. Aber dieſe Fruchtbarkeit wird unendlich erhöht durch die verſchiedenartigen Be— wegungen, welche der Stoff dem Stoffe ertheilen kann. Auf ſolche Veränderungen der Bewegung läuft die Wirkung der Umſtände hinaus. Niemand wird ſo kurzſichtig ſein, in dieſen Wirkungen, welche der eine Stoff auf den anderen überträgt, Kräfte zu erblicken, die nicht an einen ſtofflichen Träger gebunden wären. Wenn kohlenſaurer Kalk in der Kälte kryſtalliſirt, nimmt er die Kryſtallform, die Härte und das Licht— brechungsvermögen des Kalkſpaths, in der Wärme kryſtalliſirend dagegen die Form und die Eigenſchaften des Arragonits an. Kochſalz, das bei — 10“ kryſtal— liſirt, geht mit dem Waſſer eine chemiſche Verbindung ein; es bilden ſich ſchöne, durchſichtige, waſſerhelle Säulen, die in hundert Gewichtstheilen mehr als acht— unddreißig Theile Waſſer enthalten. Bei 0“ hört dieſe Anziehung zum Waſſer auf; Kochſalz, das bei ge— 28 wöhnlichen Wärmegraden kryſtalliſirt, iſt immer waſſer— frei. In ähnlicher Weiſe enthält kohlenſaures Natron, das bei — 20° kryſtalliſirte, mehr Waſſer als ſolches, das bei + 20 Krvyſtallform annahm. (Jacque— lain.) Wir wiſſen durch Grove, daß glühendes Platin im Stande iſt, Waſſer zu zerſetzen, ebenſo wie der galvaniſche Strom. Aber die Wärme iſt nicht etwa eine vom Stoff losgebundene Kraft, noch weniger ein eigener Stoff. Wir kennen keine Wärme, ſondern nur warme Stoffe, das heißt Körper, in welchen die Anordnung der kleinſten Theilchen durch einen Zuſtand eigenthümlich erhöhter Bewegung in fortwährendem Werden be— griffen iſt. Iſt es nicht klar, daß ſolche Bewegungen die Lagerung der kleinſten Theilchen, die Anziehungs— verhältniſſe auch in anderen Stoffen verändern müſſen, auf welche ſich die Bewegungen übertragen? Gewiß iſt die Wärme nur eine von den Bewe— gungsformen als deren Ergebniß Veränderungen in der Miſchung der Körper entſtehen, aber ſie iſt nicht bloß in den weiteſten Kreiſen thätig, ſondern auch am beſten auf einen einheitlichen Geſichtspunkt zurückgeführt. Es gilt als Regel, daß bei der Entſtehung einer chemiſchen Verbindung Wärme frei wird, und umge— kehrt zerfällt die Verbindung wieder in ihre Beſtand— theile, wenn es gelingt, ihr die bei ihrer Bildung * 29 entwickelte Wärme wieder zuzuführen, ſo daß ihre kleinſten Theilchen in den Zuſtand erhöhter Bewegung gerathen, deren Folge eben die Zerſetzung ijt.*) Daraus folgt, daß überhaupt die chemiſchen Ver— bindungen als ſolche nur innerhalb beſtimmter Wärme— grenzen Beſtand haben. Am deutlichſten iſt dies im Verhältniß der Körper zum Waſſer. Denn es giebt zahlloſe Verbindungen, unorganiſche wie organiſche, in deren Zuſammenſetzung eine beſtimmte Waſſermenge eingeht, die ihnen nicht entzogen werden kann, ohne daß der eigenthümliche Bau ihres chemiſchen Beſtandes zertrümmert wird. Jene Waſſerbindung der Körper, aus der ſo häufig Kryſtalle hervorgehen, daß man von Kryſtall— waſſer ſpricht, iſt von einer nachweisbaren, wenn auch nicht bedeutenden Wärmeentwicklung begleitet, und ſie liefert ein beſonders lehrreiches Beiſpiel zu dem oben ausgeſprochenen allgemeinen Satze, inſofern eine Er— höhung der Wärme genügt, um das Waſſer theil— weiſe oder ganz aus der Verbindung mit anderen Körpern auszutreiben. Kohlenſaures Natron, das uns ſchon belehrte über die Abhängigkeit des Waſſergehalts gewiſſer Kryſtalle von der Wärme, bei der ſie gebildet wurden, enthält *) Vgl. Hugo Schiff, Einführung in das Studium der Chemie, Berlin 1876, S. 70. 30 in feinen bei niederer Temperatur entſtandenen Kry— ſtallen in je hundert Theilen 63 Kryſtallwaſſer, die ihm bis zu 13° treu bleiben. Bei dieſer Wärme tritt jo viel Waſſer aus, daß 100 Theile des kohlenſauren Natrons nur noch 46 Waſſer enthalten, und zugleich zerfallen die großen waſſerhellen Kryſtalle nun in ein weißes kryſtalliniſches Pulver, das im gemeinen Leben unter dem Namen Soda bekannt iſt. Wird die Wärme bis auf 38“ erhöht, dann ſinkt das Waſſer, mit welchem das kohlenſaure Natron verbunden iſt, auf 14,5 Procent hinab, und auch dieſes Waſſer wird bei 100% ausgetrieben, jo daß nach und nach waſſer— freie Soda aus den durchſichtigen Sodakryſtallen her— vorgegangen iſt, die zu mehr als drei Fünfteln ihres Gewichts aus Waſſer beſtanden. In ähnlicher Weiſe verbindet ſich Einfachſchwefel— eiſen bei einer Wärme, die unter der Rothgluthhitze liegt, mit mehr Schwefel zu Zweifachſchwefeleiſen, wäh— rend letzteres bei heller Rothglut wieder in Einfach- ſchwefeleiſen und Schwefel zerfällt. Wir ſehen aber auch bei erhöhter Wärme Ver— bindungen entſtehen, und es ſind zahlreiche Beijpiele bekannt, in welchen die erhöhte Bewegung der kleinſten Theilchen jene Bewegungsform, die eben den Zuſtand der Wärme darſtellt, erfordert wird, damit die Mole— cüle verſchiedener Stoffe innig genug auf einander einwirken, um eine Verbindung zu erzeugen. | 31 So bedarf es der Wärme, um Schwefel mit Eiſen zu Einfachſchwefeleiſen zu verbinden. Aber in dieſem Falle handelt es ſich um ein Beiſpiel, in welchem nur einem kleinen Theile des Gemenges von drei Theilen Eiſenfeile mit 2 Theilen Schwefelblumen durch etwas brennenden Schwefel eine kleine Wärmemenge zugeführt zu werden braucht, damit die an Einer Stelle entſtehende Verbindung ſelbſt ſo viel Wärme frei werden läßt, daß ſie den zunächſt liegenden Theil des Pulvers zu derſelben Wechſelwirkung veranlaßt. Hat man das Gemenge von Schwefel und Eiſen in eine hinlänglich ſtarke, noch durch einen ſpiralen Eiſen— draht geſtützte Glasröhre gebracht, dann genügt es oben auf die Röhre etwas brennenden Schwefel zu legen, damit ſich die Verbindungswärme, die in dem oberſten Theil des Gemenges frei wird, nach und nach durch die ganze Röhre hinab fortpflanzt, die ganze Säule des Pulvers erglüht, und alles Eiſen mit dem Schwefel zu Einfachſchwefeleiſen verbunden wird.“) So bewirkt das Licht eine Verbindung des Waſſer— ſtoffs mit Chlor zu Salzſäure, eine Verbindung des Sauerſtoffs mit dem Schwefel und dem Arſenik des gelben Schwefelarſeniks “), es bedingt die Entwick— ) Hugo Schiff, a. a. O. S. 68. 0 Auripigment. 32 lung der Farbſtoffe in den Pflanzen, lauter Wirkungen, die ſich im Schatten nicht ereignen. Salpeterſaures Silberoryd wird im Licht zerſetzt, ein Theil des Sauer— ſtoffs entweicht, und die Löſung ſchwärzt ſich, weil metalliſches Silber ſich ausſcheidet. „Die unmittel— „bare Urſache ſolcher Zerſetzungen“, ſagt Draper, „beſteht darin, daß ein Lichtſtrahl die Stofftheilchen, „welche er trifft, in ſchnelle Schwingungen verſetzt; „daher kann es geſchehen, daß in den kleinſten Theil— „chen die Grundſtoffe nicht mehr zu derſelben Gruppe „vereinigt bleiben können; die Grundſtoffe der kleinen „Gruppe können in einem ſolchen Falle nicht einſtim— „mig nach derſelben Richtung bewegt werden. Das „Ergebniß iſt eine Umlagerung, eine Verbindung oder „Zerſetzung.“ Berliner Blau wird nach Chevreul im luftleeren Raum unter bloßer Einwirkung des Son— nenlichts entfärbt, indem es Cyan oder Blauſäure ab— giebt. Vollkommen trockner Sauerſtoff ſtellt die blaue Farbe wieder her, indem ſich jo viel Eiſenord bildet, als der Menge des ausgeſchiedenen Cyans entſpricht. Man weiß, daß der Luftdruck einer Queckſilber— ſäule von ſiebenhundertſechzig Millimeter das Gleich- gewicht hält. Wenn man die gasförmige Kohlenſäure einem Druck ausſetzt, der ſechsunddreißigmal ſo ſtark iſt, dann wird dieſelbe zu einer farbloſen tropfbaren Flüſſigkeit verdichtet. Der höhere Luftdruck, indem er een 33 zu den Umſtänden gehört, welche ſtoffliche Verände— rungen hervorrufen, wirkt offenbar, indem er die Be— wegung verändert. Eine Löſung von gewöhnlichem phosphorſaurem Natron nimmt ſehr viel Kohlenſäure auf. Allein eine bedeutende Verminderung des Luft— drucks, die Anwendung der Luftpumpe reicht hin, um die Kohlenſäure wieder aus der Löſung auszutreiben. Ja es liegen Beobachtungen vor, nach welchen geringe Druckſchwankungen Verſchiedenheiten in der Zuſammenſetzung von Löſungen bedingen, die dem Phyſiologen viel zu denken geben. Als Debus eine Auflöſung von Kalk und Baryt, die auf Einen Theil Kalk dreizehn Theile Baryt enthielt, tüchtig geſchüt— telt, in einer zwei Meter langen Röhre ſechs Tage lang ruhig hatte ſtehen laſſen, fand er im oberen Theil der Röhre die Löſung reicher an Kalk, im unteren reicher an Baryt. Und Debus ſchließt daraus, daß die alte, oft bezweifelte Angabe, nach welcher die Mutterlauge in den Käſten der Gradirhäuſer nach längerem Stehen nach dem Boden der Gefäße zu dichter werde, durch ſeine Beobachtungen an der Baryt— Kalklöſung an Wahrſcheinlichkeit gewinne.“) Durch eine ſinnreiche Verwendung eines ſehr hohen Drucks im Verein mit hoher Wärme, iſt es Berthe— *) Debus, Annalen der Chemie und Pharmacie, von Liebig, Wöhler und Kopp, Bd. LXXXV, S. 132. II. 3 N 34 lot gelungen, zwei Kohlenwaſſerſtoffe von höherer Zuſammenſetzung nach und nach mit einer immer größe— ren Menge Waſſerſtoff zu verbinden. So gelangte er von dem Hauptbeſtaͤndtheil des Terpenthinöls “ zum Camphenwaſſerſtoff, Terpilenwaſſerſtoff, Deey— lenwaſſerſtoff und Amylenwaſſerſtoff.“) Das Naph— talin an Waſſerſtoff bereichernd, erhielt Berthelot zwei Naphtalinwaſſerſtoffe, Diethylbenzin und den— ſelben Decylenwaſſerſtoff, zu welchem er auch vom Terebenthen aus gelangt war.“) Berthelot's Kunſtgriff beſtand aber darin, daß er eine in der Kälte geſättigte Löſung von Jodwaſſerſtoff mit dem Terebenthen oder Naphtalin in einer zugeſchmolzenen Glasröhre bis auf 275% erwärmte. Bei dieſer Wärme, *) Terebenthen. 50 Terebenthen Waſſerſtoff Camphenwaſſerſtoff C10 Hie + 2H —— Co III s Terebenthen Terpilenwaſſerſtoff C10 His — 4 H ee C10 Ha⁰ Terebenthen Decylenwaſſerſtoff C10 His + 6 H = CıoHss Terebenthen i Amylenwaſſerſtoff C10 Hus + 8 H = 2 Cs His. * Naphtalin Waſſerſtoff Raphtalinwaſſerſtoff G Geis Naphtalin C1 0 Hs + 4 H = Cı O HI12 Naphtalin Diethylbenzin C10 Hs + 6 H = C10 Hi Naphtalin Decylenwaſſerſtoff C0 Hs + 14 H = Ci Hag. 35 und ſelbſt noch bevor ſie ganz erreicht iſt, zerfällt der Jodwaſſerſtoff in Jod und Waſſerſtoff, und ein Theil des letzteren verbindet ſich mit dem Tereben— then oder dem Naphtalin bei einem Druck, den Ber— thelot auf etwa 100 Atmosphären ſchätzt.“) Da ſich das Naphtalin künſtlich aus den Grundſtoffen darſtellen läßt, ſo liefert uns die Einwirkung des freiwerdenden Waſſerſtoffs auf daſſelbe bei hohem Druck und hoher Wärme ein lehrreiches Beiſpiel des ſtufenweiſe fortſchreitenden Aufbaus organiſcher Stoffe aus den Elementen. Wenn aber Licht und Wärme, Glectricität und Luftdruck als Zuſtände des Stoffs erſcheinen, welche auf mächtige Weiſe Bewegung und dadurch jtoffliche Umſetzungen, ſowie den Aufbau organiſcher Körper, be— wirken, in Hunderten von Fällen ſind geringere Ein— flüſſe thätig, und dennoch ertheilen ſie dem Stoff die merkwürdigſten Bewegungen. Es gehört zu den bekannteren Erſcheinungen, daß eine formloſe, ſchwarze Verbindung von Schwefel und Queckſilber durch einfaches Reiben in den ſchönen, hochrothen, kryſtalliniſchen Zinnober verwandelt wird. ) Berthelot, La synthöse chimique, 2e edition, Paris 1876, p. 234, 235; und Berthelot, traité élementaire de chimie organique, Paris 1872, p. 132, 133, 119. II. 3 * „ 88 36 Wenn rothes Jodqueckſilber erhitzt wird, dann wird es gelb; bei ſtärkerem Erhitzen ſchmilzt es, und indem es ſich verflüchtigt, ſetzt es ſich an höhere kühlere Stellen des Behälters in der Form von gelben rhom— biſchen Kryſtallen an. Wird ein ſolcher Kryſtall mit einer Nadel berührt, dann wird er ſogleich roth, und ſeine Form wird dabei tetragonal, zum Beweiſe daß die Veränderung der Farbe mit einer Umlagerung der kleinſten Theilchen Hand in Hand geht. Knallqueck— ſilber, Jodſtickſtoff, Silberoxyd-Ammoniak zerſetzen ſich in Folge eines gelinden Stoßes, ja es giebt Knall— verbindungen, die wenn gewiſſe Töne in ihrer Nähe erzeugt werden, alſo durch Schwingungen von be— ſtimmter Anzahl in der Secunde, unter Zerſetzung verpuffen. Das Schmiedeeiſen hat eine traurige Berühmtheit dadurch erlangt, daß es durch bloße Erſchütterung keyſtalliniſch und brüchig wird, was für die Achſen der Dampfwagen gefährlich werden kann. Kohn hat dargethan, daß wiederholte Drehungen, die das Eiſen in eine federnde, ſchwingende Bewegung ver— ſetzen, hinreichen, um die Lagerung der kleinſten Theil— chen jo zu verändern, daß das Eiſen die kryſtalliniſche, brüchige Beſchaffenheit annimmt. Erdmann hat jo= gar einen Fall beobachtet, in welchem bleihaltiges Zinn von Orgelpfeifen ein kryſtalliniſches Gefüge be— r \ 37 kommen hatte, offenbar in Folge der tonerzeugenden Schwingungen. Eine Reihe von hoͤchſt merkwürdigen Unterſuchungen, welche Heinrich Roſe über das Verhalten des Waſſers angeſtellt hat, lehrt uns, daß große Waſſer— mengen ſchwache Säuren, wie die Kohlenſäure oder die Kieſelſäure, aus ihren Salzen auszutreiben vermögen. Saures, ſchwefelſaures Natron wird durch eine reichliche Waſſermenge in einfach ſchwefelſaures Na— tron, das gewöhnliche Mittelſalz, und freie Schwefel— ſäure verwandelt, die ſich mit Waſſer verbindet. Das Waſſer übernimmt im Verhältniß zur Schwefelſäure die Rolle einer Baſis. Auf dieſem Wege gelingt es, Verbindungen, die aus zwei Salzen beſtehen, ſogenannte Doppelſalze, zu zer— legen. Der Glauberit iſt eine Verbindung von ſchwefel— ſaurem Kalk und ſchwefelſaurem Natron. Wird derſelbe mit einem ſehr großen Ueberſchuß von Waſſer behandelt, dann wird das ſchwefelſaure Natron gelöſt, während der ſchwefelſaure Kalk ungelöſt zurückbleibt. Graham iſt es bei ſeinen berühmten Verſuchen über die Vertheilung der Salze im Waſſer ſogar gelungen, den Alaun, der eine innige Verbindung von ſchwefelſaurer Thonerde und ſchwefelſaurem Kali darſtellt, durch eine große Waſſer— menge zu zerlegen. Es wird dem Alaun ein Theil ſeines ſchwefelſauren Kalis entzogen, das in Löſung übergeht. 38 Das Waſſer wirkt in dieſen Fällen durch ſeine Maſſe auf denjenigen Stoff, der am leichteſten darin gelöſt wird. Aehnliche Maſſenwirkungen kennt man in den Bei— ſpielen, in welchen unter gleichen Stoffen eine ver— ſchiedene Wechſelwirkung eingeleitet wird, je nachdem der eine oder der andere in vorherrſchender Menge zugegen iſt. Wenn Kalkwaſſer zugleich mit Kohlenſäure und Schwefelwaſſerſtoff behandelt wird, dann bildet ſich unlöslicher kohlenſaurer Kalk, wenn die Kohlenſäure in bedeutendem Ueberſchuß vorhanden iſt, dagegen eine lös— liche Verbindung von Schwefelwaſſerſtoff-Schwefel— calcium, wenn der Schwefelwaſſerſtoff reichlich über— wiegend zur Anwendung kam.) Es iſt nur ein beſonderer Fall ſolcher Maſſen— wirkung, wenn man beim Vermiſchen zweier Körper ein verſchiedenes Ergebniß erhält, je nachdem man den einen in eine Löſung des anderen einträgt, oder umgekehrt dieſen in eine Löſung jenes. Trägt man zum Beiſpiel gepulvertes ſchwelfelſaures Zink in eine geſättigte Löſung ſchwefelſaurer Bittererde, dann er— hält man Kryſtalle eines Doppelſalzes, in welchem Zink- und Magnejiumoryd zu beinahe gleichen Theilen (jenes zu 11,6 %, dieſes zu 12,6 °%/0) vertreten find. Trägt man umgekehrt ſchweſelſaure Bittererde in eine *) Hiugo Schiff, a. a. O. ©. 200. 39 gejättigte Löſung ſchwefelſauren Zinks, dann bilden ſich Kryſtalle, die hundertmal mehr Zinkforyd (27,84%) als Bittererde (0,27) enthalten. In ähnlichem Sinne, wenn auch weniger groß iſt der Unterſchied, wenn man den Verſuch mit ſchwefelſaurem Eiſen und ſchwefel— ſaurem Zink anſtellt. Wenn man gepulvertes jchwefel- ſaures Eiſen in eine geſättigte Auflöſung von ſchwe— felſaurem Zink bringt, dann kryſtalliſirt ein Doppel— ſalz, das reicher iſt an Zinkoryd (13,8) als an Eiſen— oxyd (12,1), umgekehrt dagegen reicher an Eiſen— oxyd (14,63) als an Zinkoxyd (12,05), wenn man die geſättigte Löſung von ſchwefelſaurem Eiſen mit gepulver— tem ſchwefelſauren Zink verſetzt. (Schäuffele.) “) So mächtig iſt die Wirkung derjenigen Einflüſſe, die allgegenwärtig den Stoff beherrſchen. Waſſer, mechaniſche Erſchütterungen und Maſſenwirkungen, Luftdruck und Electricität, Licht und Wärme, wo ſind ſie unthätig? Und wenn die Umſtände, deren Mannig— faltigkeit den Wechſel der ſtofflichen Beſchaffenheit be— dingt, überall gleichbedeutend ſind mit Bewegungen, welche der eine Stoff auf den andern überträgt, ſo iſt es ein zwingender Schluß, daß alle Zuſtände der Körper überhaupt auf verſchiedene Bewegungszuſtände zurückgeführt werden müſſen. *) Schäuffele, Journal de pharmacie et de chimie, 35 serie, T. XVII, p. 268. 40 Wir wiſſen, daß viele Flechten ausſchließlich leben von Kohlenſäure, Waſſer und Ammoniak, denen ſich einige Salze zugeſellen. Kohlenſäure, Waſſer und Ammoniak ſind überhaupt die wichtigſten Nahrungs— ſtoffe, mit deren Hülfe ſich die Pflanzenwelt entwickelt. Bunſen und Playfair haben es ſchon vor mehren Jahren gezeigt und Rieken hat es beſtätigt, daß man das Cyan, eine Verbindung von Stickſtoff und Kohlenſtoff, aus anorganiſchen Stoffen gewinnen kann. Wenn man kohlenſaures Kali mit reiner Kohle innig mengt und das Gemenge in einem Strom von Stickſtoff ſo ſtark erhitzt, daß das Kali ſeines Sauer— ſtoffs beraubt wird, dann bildet ſich Cyankalium.“ Auf dieſe Thatſache gründet ſich die in England be— gonnene fabrikmäßige Bereitung des Blutlaugenſalzes, einer Doppelverbindung von Cyan mit Kalium und Eiſen, unter Benützung des Stickſtoffs der Luft. Früher glaubte man, daß Cyan nur durch die Zerſetzung ſtickſtoffhaltiger organiſcher Stoffe gewonnen werden könnte. Cyan mit Sauerſtoff verbunden ſtellt die Cyan— ſäure dar. Aber ebenſo, wie das Cyan ſich aus den Grundſtoffen künſtlich bereiten läßt, kann ſich Waſſerſtoff in dem Augenblick, in welchem er aus 9 Kohlenſaures Kali Kohle Stickſtoff Cyankalium Sauerſtoff KO, + d + N RN 41 jeinen Verbindungen frei wird, mit Stickſtoff zu Am— moniak verbinden. Außerdem kann man auch vom Cyan aus zum Ammoniak- gelangen. Cyan, in Waſſer gelöſt, braucht man nur der Luft auszuſetzen, um eine Ausſcheidung von braunen Flocken wahrzunehmen, welche das Zeichen einer Zerſetzung iſt, in deren Folge, nach Wöhler's Beobachtung, außer Kohlen— ſäure, Blauſäure, Ammoniak, kleeſaures Ammoniak und Harnſtoff in der Flüſſigkeit gelöſt ſind. Kleeſäure iſt eine Verbindung von Kohlenſtoff mit Sauerſtoff, in welcher auf die gleiche Kohlenſtoffmenge nur drei Viertel von dem Sauerſtoffgewicht enthalten ſind, welches der Kohlenſäure zukommt. Die Klee— ſäure bedingt den ſauren Geſchmack des Sauerampfers, des Sauerklees und vieler anderer Pflanzen. Es iſt eine organiſche Säure, die wir nach dem ſoeben Mit— getheilten ohne alle Mithülfe eines Organismus mit— telbar aus den Grundſtoffen darſtellen lernten. So kennen wir denn jetzt eine organiſche Baſis, das Ammoniak, einen organiſchen Zünder, das Cyan, eine organiſche Säure, die Kleeſäure, die wir aus den Grundſtoffen darſtellen können. Vor wenigen Jahren glaubte man noch von allen dreien, daß ſie wohl durch Zerlegung von höher zuſammengeſetzten organiſchen Ver— bindungen, nicht aber durch Zuſammenfügung der ein— fachen Grundſtoffe gewonnen werden könnten. . 42 Wir haben in dem Ammoniak eine Verbindung von Stickſtoff und Waſſerſtoff, in dem Cyan einen Paarling des Stickſtoffs mit Kohlenſtoff, und der letzt— genannte Grundſtoff iſt in der Kleeſäure mit Sauer— ſtoff verbunden. Lange hat es gedauert, bevor man auch eine einfache Verbindung von Kohlenſtoff mit Waſſerſtoff gewinnen lernte, ohne dabei von organiſchen Körpern auszugehen. Dieſes Räthſel, durch welches uns die Sphinx der Lebenskraft bisher von einem erfolgreichen Vordringen in der künſtlichen Darſtellung organiſcher Verbindungen ohne alle Anwendung orga— niſcher Stoffe verſcheuchte, hat Berthelot gelöſt. Er hat die Sphinx und ihre Gläubigen von ihrer Höhe herabgeſtürzt und anſtatt ihrer eine Anzahl von Forſchern darauf geſtellt, denen er die Fäden in die Hand gab, um an der künſtlichen Wiedererzeugung der organiſchen Welt aus Grundſtoffen weiter zu weben. Dies alles hat Berthelot geleiſtet, indem er durch Einwirkung von Schwefelkohlenſtoff und Schwefelwaſſer— ſtoff auf Kupfer bei dunkler Rothglühhitze neben anderen Stoffen eine bemerkbare Menge von ölbildendem Gaſe bereitete.) Oelbildendes Gas, aus Kohlenſtoff und ) Oelbildendes Gas, Aethylen, CH.. Schwefelkohlenſtoff Schwefelwaſſerſtoff Kupfer ölbildendes Halb⸗ Gas ſchwefelkupfer 2082 * 2HS — 10 Cu = CH. + 5 u, S er 43 Waſſerſtoff beſtehend, iſt aber einer jener einfachen Bauſteine, die der Naturforſcher um des Aufbaus organiſcher Körper willen ſeit lange höher achtet als künſtliche Diamanten. Es galt nur dieſes ölbildende Gas zu bereiten, ohne es mittelbar aus der Werkſtatt des organiſchen Lebens herzunehmen, um uns in den Stand zu ſetzen, eine ganze Anzahl verwickelt zuſammen— geſetzter organiſcher Stoffe ohne jede Dazwiſchenkunft eines Organismus künſtlich darzuſtellen. Berthelot hat die Aufgabe erfüllt, nicht bloß auf die oben ans gedeutete Weiſe, ſondern auch indem er mehr als ein verſchiedenes Verfahren dazu einſchlug. Schwefel und Kohlenſtoff verbinden ſich bei hohen Wärmegraden unmittelbar mit einander zu Schwefel— kohlenſtoff. Den Schwefelkohlenſtoff hat Kolbe durch Einwirkung von Chlor in Kohlenſtoffſuperchlorid ver— wandelt. Leitet man Dämpfe des letzteren Körpers durch eine glühende Porzellanröhre, dann erhält man ein flüſſiges Gemenge zweier chlorärmerer Kohlenſtoff— verbindungen, das, in trocknem Chlorgaſe dem Son— nenlichte ausgeſetzt, faſt augenblicklich zu Kohlenſtoff— ſuperchlorür erſtarrt. Aus dieſem Chlorkohlenſtoff und Waſſer entſteht nach Kolbe im Sonnenlicht Chlor— eſſigſäure. Melſens endlich erhielt aus Chloreſſig— ſäure, Kaliumamalgam und Waſſer, das heißt durch die Einwirkung von freiwerdendem Waſſerſtoff auf Chlor— 44 eſſigſäure gewöhnliche Ejjigjäure*). Eine organische Säure, aus Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff beſtehend, geht alſo aus den einfachen Grundſtoffen und deren anorganiſchen Verbindungen hervor. Durch trockene Hitze hat dann Berthelot die Eſſigſäure in vier andere organiſche Verbindungen übergeführt, die zum Theil aus Kohlenſtoff und Waſſerſtoff, zum Theil aus Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff beftehen.**) Drei dieſer Körper ſind durch einen höheren Kohlen— ſtoffgehalt vor der Eſſigſäure ausgezeichnet. Noch einfacher iſt die Darſtellung der Ameiſen— ſäure aus einfachen Grundſtoffen, wie ſie Berthelot gelungen iſt. Er ließ dazu feuchtes Kali bei einer Wärme von 100° in zugeſchmolzenen Glaskugeln ſiebzig Stunden lang auf Kohlenoxydgas einwirken. Bei dieſer Verwandlung des Kohlenoxyds in Ameiſenſäure muß ſich Ein Molecül Kohlenoxyd mit Einem Molecül Waſſer verbinden, ***) 2) Kohlenſtoffſuperchlorür Waſſer Trichloreffigſäure Salzſäure Ce Cle —— 2H20 = C2HCle O = HCl, Trichloreſſigſäure Waſſerſtoff Eſſigſäure Salzſäure C2 HCl a0 * 6 H = CH. 0. — SHCl, **) Naphtalin, Benzin, Phenyloxydhydrat und Aceton. u) Kohlenoxyd Waſſer Ameiſenſäure co = 23307 = CH oder zunächſt: Kohlenoxyd Kalihydrat ameiſenſaures Kali CO + KHO = CHKO:. a 45 Auf ganz ähnliche Weiſe unterſcheidet ſich der Alko— hol durch Mehrgehalt der Grundſtoffe des Waſſers vom ölbildenden Gaſe. Der Gedanke lag demnach nicht allzu fern, darnach zu ſtreben, das ölbildende Gas mit Waſſer zu Alkohol zu verbinden.“) Ber— thelot hat den Gedanken zur That gemacht. Er ließ unter heftigem Schütteln Schwefelſäure auf ölbilden— des Gas einwirken, und nachdem ſich die Schwefelſäure hinlänglich mit ölbildendem Gaſe geſchwängert hatte, verſetzte er die Miſchung mit Waſſer und deſtillirte. Unter den Erzeugniſſen der Deſtillation war Alkohol, drei Viertel ſo viel Alkohol als der Menge des von der Schwefelſäure verſchluckten ölbildenden Gaſes entſprach. Alſo Weingeiſt ohne Trauben, ohne Zucker und ohne Stärkmehl, Weingeiſt aus Steinkohlen! Das ſchwierigſte Räthſel der Sphinx iſt gelöſt, ſeit wir das ölbildende Gas aus den Grundſtoffen erzeugen können. Erfinderiſch ſchreitet der Chemiker weiter, ſicheren Schrittes, unaufhaltſam. Strecker benützte die Blau— ſäure und den Alkohol, um Milchſäure künſtlich dar— zuſtellen. Zu dem Ende wird dem Alkohol durch Stoffe, die leicht Sauerſtoff abgeben, ein Theil ſeines Waſſer— ſtoffs entzogen. Dadurch wird er in Aldehyd“ ver— *) Delbilvendes Gas Waſſer Alkohol CH, 455 HO = (H. 0. **) Alcohol dehydrogenatus. 46 wandelt. Aldehyd läßt ſich mit Ammoniak verbinden, und wenn man Aldehydammoniak mit Blauſäure und verdünnter Salzſäure kocht, dann erhält man eine organiſche ſtickſtoffhaltige Baſis ), welche nur mit ſalpetrichter Säure behandelt zu werden braucht, um in Milchſäure, Stickſtoff und Waſſer zu zerfallen. Die Milchſäure bildet ſich dabei aus Aldehyd, der ſich mit Ameiſenſäure im Augenblick ihrer Entſtehung ver— bindet. **) Das ölbildende Gas war die einzige Vorſtufe, welche Strecker fehlte, um, allein von Grundſtoffen ausgehend, zu einem ſehr zuſammengeſetzten organi— ſchen Körper zu gelangen, welcher außer Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff auch Stickſtoff und Schwe— fel enthält), und ſonſt nur durch Zerſetzung der geſchwefelten Gallenſäure 7) bereitet werden konnte. Wird nämlich ölbildendes Gas mit waſſerfreier Schwe— felſäure behandelt, dann erhält man eine ſchwefel— haltige organiſche Säure u), deren Ammoniakſalz nach Strecker's Entdeckung nur auf 200“ erhitzt zu ) Alanin. 3 Aldehyd Blauſäure Salzſäure Waſſer Chlorammonium Milchſäure GsH,0+ HCN + HCI +2H0= NH. CI + Cs Hs Os, Aldehyd Ameiſenſäure Milchſäure Cs H. 0 =. CH» 07 — Cs Hs O3 . Taurin. 7) Choleinſäure. Ff) Iſäthionſäure. r 47 werden braucht, um eine ſolche Umlagerung der Grund— ſtoffe zu erleiden, daß daraus jenes Erzeugniß der Zerſetzung geſchwefelter Gallenſäure, welches unter Anderen auch in den Lungen der Säugethiere und im Fleiſch der Weichthiere vorkommt, mit allen ſeinen Eigenſchaften hervorgeht.“ Zu einem faſt ebenſo zuſammengeſetzten organi— ſchen Körper, dem aus Allyl und Schwefelcyan beſtehenden Senföl, führen uns Kleeſäure, Eſſigſäure und Cyan, die wir aus den Grundſtoffen darſtellen lernten. Dieſer Fund war durch die bisherigen Ent— deckungen ſo gründlich vorbereitet, daß Zinin in Petersburg und Berthelot in Paris unabhängig von einander die gleichſam fertig behauenen Bauſteine richtig zuſammenlegten. Den einfachſten Weg, zum Ziele zu gelangen, hat Duſart angegeben. Ein Gemenge von eſſigſaurem und kleeſaurem Alkali wird trocken erhitzt. Dabei bilden ſich Aceton, ein orga— niſcher Körper, und Kohlenoxyd, die, indem ſie bei ihrer Entſtehung auf einander einwirken, ſich in Kohlenſäure und einen Kohlen waſſerſtoff“) umſetzen, welcher letztere auf drei Atome Kohlenſtoff ſechs Atome Waſſerſtoff enthält. Dieſer Kohlenwaſſerſtoff läßt ſich 15 Iſäthionſaures Ammoniak Waſſer Taurin H. NC H. S0. — HO = CH: NSO. *) Propylen, CH. 48 mit Brom verbinden, und wenn die Bromverbindung mit weingeiſtigem Kali behandelt wird, dann verliert ſie einen Theil ihres Broms und ihres Waſſerſtoffs, und es entſteht ein neuer Körper), welcher außer einem Atom Brom den Kohlenſtoff und Waſſerſtoff in dem— ſelben Verhältniſſe führt, in welchem ſie mit Schwefel das Knoblauchöl“) darſtellen. Läßt man nun dieſe letztere Bromverbindung auf Schwefelcyankalium ein— wirken, dann entſtehen Bromkalium und Senföl. *) Das iſt der ganz unermeßliche Gewinn, den uns die Möglichkeit, die allereinfachſten organiſchen Stoffe, gleichſam die Vorſtufen organiſcher Miſchung aus den Grundſtoffen darzuſtellen, gebracht hat, daß wir nun in zahlreichen Fällen nur zwei einfache Verbindungen in geeigneter Weiſe zuſammenzubringen brauchen, um den verwickelteren Körper zu erzeugen. Miſcht man cyanſaures Kali mit ſchwefelſaurem Ammoniak, dann verbindet ſich das Kali mit der Schwefelſäure und die Cyanſäure mit dem Ammoniak. Die letztere Verbindung bleibt aber nicht cyanſaures Ammoniak, ſondern ſie verwandelt ſich in Harnſtoff. Der Harn— ſtoff kann alſo aus den Grundſtoffen künſtlich dar- ) Brompropylen, CHs Br. *) Schwefelallyl, Ce HS. =) Einfachbrom⸗ Schwefel⸗ Bromkalium Schwefelcyanallyl propylen cyankalium (Senföl) Cs Hs Br =r CKNS = KBr + C. H: NS, 49 geſtellt werden. Dies war das leuchtende Beiſpiel, mit welchem Liebig und Wöhler, auf dieſer Bahn die fernſten Ausſichten eröffnend, ein unſterbliches Verdienſt errungen haben, wenn ſie auch halb wider Willen, halb wider Einſicht den Beweis dadurch ge— liefert hätten, daß uns von nun an die Fackel des Lebens in chemiſchen und phyſikaliſchen Kräften aufgeht. Berthelot hat ölbildendes Gas mit Waſſer zu Alkohol verbunden. Dem Alkohol entziehen wir wieder einen Theil ſeines Waſſers, wenn wir ihn durch Schwefelſäure in Aether verwandeln. Den Aether ver— binden wir mit Kleeſäure, mit Ameiſenſäure, Eſſig— ſäure, Milchſäure. Aus der Eſſigſäure machen wir durch den galvaniſchen Strom eine neue Verbindung von Kohlenſtoff und Waſſerſtoff?), die ſich mit Sauer— ſtoff zu einem neuen Aether paart. Auch dieſer Aether bildet mit Kleeſäure, Cyanſäure, Ameiſenſäure, Eſſigſäure neue Körper, die auf höheren Stufen or— ganiſcher Miſchung ſtehen. Und ſo geht es fort. Es wäre ſchon heute ein eiteles Beginnen, wenn man alle die organiſchen Stoffe aufzählen wollte, zu denen uns jetzt von den Grundſtoffen her der Zutritt geſtattet iſt. Für die Lehre des Lebens ſind aber die Fälle beſonders lehrreich, in denen ſich die Bindekunſt des 2} Methyl, C2 Hs. 50 Chemikers auf Stoffe erſtreckt, die in lebenden Organis— men durch die Lebensthätigkeit gebildet werden, und die man ſo lange fälſchlich als eine Ausgeburt beſonderer, von den chemiſchen verſchiedener Kräfte angeſehen hat. An Knoblauchöl und Senföl, an Harnſtoff und den geſchwefelten Gallenpaarling, an Eſſigſäure und Milchſäure, an ſo viele der weit verbreiteten Pflanzen— ſäuren ſchließen ſich Pferdeharnſäure“) und Fleiſch— ſtoff *), Nervenbaſis **) und Leimzucker +), fette Säuren und Oelſüß. Pr) Zur Pferdeharnſäure gelangt man, wenn man eine Verbindung von Zink und Leimzucker auf Ben— zoylchlorid einwirken läßt, während man ſowohl den Leimzucker wie Benzoylchlorid aus den Grund: ſtoffen darſtellen kann. Wir haben ſchon oben Tur) er- fahren, wie man von Kohlen- und Waſſerſtoff durch Vermittlung des Qualmgaſes §) zum Benzol aufſteigt. Im Benzol läßt ſich aber Ein Atom Waſſerſtoff durch eine aus je Einem Atom Kohlenſtoff, Sauerſtoff und Chlor beſtehende Gruppe erſetzen, wenn man eine um Ein Chloratom reichere Gruppe, das ſogenannte *) Hippurſäure. **) Kreatin. *) Neurin. 1) Glycin, Glycocoll. 77) Glycerin. I) S. 277 und 282 des erſten Bandes. §) Acetylen. 51 Carbonylchlorid, auf Benzol einwirken läßt, wobei Benzoylchlorid gebildet wird.“) Carbonylchlorid oder Chlorkohlenſäure entſteht unter Einwirkung des Sonnenlichts aus trocknem Chlorgas und trocknem Kohlenoxyd. Leimzucker erhält man durch Erwärmung von Einfachchloreſſigſäure mit Ammoniaks), und in der wäſſrigen Auflöſung von Leimzucker löſt ſich Zink— oxyd auf, in der Weiſe, daß Ein Atom Waſſerſtoff des Leimzuckers durch Ein Atom Zink vertreten wird. Aber Benzoylchlorid und Zinkleimzucker, ſogenanntes amidoeſſigſaures Zink, ſind die Bauſteine der Pferde— harnſäure. ** Fleiſchſtoff, den wir früher als ein Erzeugniß der Rückbildung im Fleiſche kennen lernten, läßt ſich durch eine Verbindung zweier organiſcher Stoffe her— ſtellen, des Cyanamids und des Sarkoſins, die beide aus den Grundſtoffen aufgebaut werden können. +) Auf dem kürzeſten Wege gelangt man zum Cyanamid, da es durch Einwirkung von Ammoniak auf Chlor— 15 Benzol Carbonylchlorid Benzoylchlorid Salzſäure CHs + COCk — CHs (COC) + HC. ) Einfachchloreſſigſäure Ammoniak! Leimzucker Salzſäure n (Glyein) (2 Ha C102 + NH; = CsH; NO; + HCl. ee) Zinkleimzucker Benzoylchlorid Pferdeharnſäure Chlorzink C2 H. ZnNO: + (Hs C0 = CH; NO; + ZnCl. 5 Cvanamid Sarkoſin Fleiſchſtoff (Kreatin) CHN + C;H-NO, = C. He Na Os. II. 4 * n 52 cyan gebildet wird), während letzteres unmittelbar aus Chlor und Blauſäure hervorgeht *), deren Bil— dung wir ſogleich auf einer Uebergangsſtufe zum Sarkoſin begegnen werden. Um letzteres darzuſtellen, geht man zunächſt darauf aus, Qualmgas zu gewin— nen. Es entſteht, wenn man einen Waſſerſtoff— ſtrom auf Kohle lenkt, die im elektriſchen Bogen glühend geworden. Blauſäure entſteht aus Qualm— gas und Stickſtoff, wenn man durch ein Gemenge beider eine Reihe elektriſcher Funken ſchlagen läßt, nachdem man das Gemenge mit Waſſerſtoff ver— dünnt hat, um die Ausſcheidung von Kohlenſtoff zu verhüten. Mit Hülfe der Blauſäure gelangt man um eine Stufe höher, wenn man fie mit Waſſer— ſtoff zu Methylamin verbindet, wozu der Waſſer— ſtoff im Augenblick ſeines Freiwerdens benützt wer— den muß, indem man Blauſäure mit Zink in ver— dünnter Salzſäure zuſammenbringt. Methylamin aber verbindet ſich mit Chloreſſigſäure zu Sarkoſin. **) #) Ammoniak Chlorcyan Cyanamid Salzſäure. He N + CNCI = CHN + HCl. 9 Blauſäure Chlor Chlorcyan Salzſäure CHN + 201 = cha + Hd FRE) Kohlenſtoff Waſſerſtoff Qualmgas (Acetylen) [07 + Hs — C H „ Qualmgas (Acetylen) Stickſtoff Blauſäure (Cyanwaſſerſtoff) Ca Hs + 2N — SCHN, Blauſäure Waſſerſtoff Methylamin CERN T M ˖ = EN, Methylamin Chloreſſigſäure Sarkoſin Salzſäure CHsN + CHa CIO. = Cs H-: NOa + HCl. 53 Um es überſichtlich zu wiederholen, Blauſäure bildet in doppelter Weiſe den Ausgangspunkt, um zum Fleiſchſtoff aufzuſteigen, indem ſie uns einmal zum Chlorcyan, das andere Mal zum Methylamin führt. Chlorcyan mit Ammoniak liefert dann Cyanamid, Me— thylamin mit Chloreſſigſäure das Sarkoſin. Aber Cyanamid und Sarkoſin ſind fertige Bauſteine, die ſich zu Fleiſchſtoff in einander fügen.“) Gegner der Natureinheit, die bis hierher meiner Darſtellung gefolgt ſind, werden nicht ermangeln ein— zuwerfen, daß es ſich in allen dieſen Beiſpielen um Erzeugniſſe der Rückbildung handelt. Harnſtoff und Pferdeharnſäure, Leimzucker, Fleiſchſtoff, das ſeien eben alles Körper, deren Bildung der Scheidekünſtler der abbrechenden Thätigkeit der lebenden Organismen habe ablauſchen können. Damit ſei noch kein Schritt zur Erkenntniß des Aufbaus jener verwickelten Maſſen— theilchen gethan, mit deren Hülfe der lebendige Leib ſeine Gewebe ſpinnt. Aber der Genugthuung, mit der ſie dieſe Ein— würfe vorbringen, iſt keine lange Dauer zu ver— ſprechen. Zunächſt hat der Chemiker, der in ſeiner jetzigen Blüthezeit beſſer Bindekünſtler als Scheide— künſtler hieße, jene Gallenpaarlinge, den geſchwefel— ) Vergleiche die letzte Note auf Seite 51. 54 ten wie ſchwefelfreien, die wichtigſten Harnbeſtand— theile, Fleiſchſtoff, Milchſäure, und ſo viele andere, nicht als Ergebniſſe der Zerſetzung höher zuſammen— geſetzter Verbindungen erhalten, wobei ihm die Vor— gänge des Lebens als Führer gedient hätten. Er iſt vielmehr ſchrittweiſe von den Grundſtoffen zu den Verbindungen, von einfachen zu zuſammengeſetzten Ver— bindungen aufgeſtiegen, um uns in dem geſchwefelten Gallenpaarling, der aus Kohlenſtoff, Waſſerſtoff, Sauerſtoff, Stickſtoff und Schwefel beſteht, ein orga— niſches Maſſentheilchen vorzulegen, welches ohne Zweifel den eiweißartigen Bauſtoffen unſeres Körpers ſchon weit näher ſteht, als den Elementen, aus denen es ſelbſt hervorging. Was aber die Wiſſenſchaft mit dieſen Beiſpielen verſprach, ſie hat es in ermuthigender Weiſe gehalten. Die Vorſtellung von Bauformeln für die organiſchen Maſſentheilchen iſt in ſo vielen Fällen eine Wahrheit geworden, daß ſie wie ein Baum mit ſeinen Wurzeln die Grenzmauer zwiſchen organiſchen und unorganiſchen Körpern unterwühlt und an mehr als einer Stelle in die geheime Werkſtätte des Lebens vorgedrungen iſt. Einer der allerverwickeltſten Stoffe unſeres Kör— pers, das Dotterfett k), das uns im Eidotter einen *) Lecithin. 9 Rr reel Ar 0 1 . 55 der wichtigſten Beſtandtheile des Hirns, des Rücken— marks, der Nerven und der Blutkörperchen vorgebildet zeigt, kann uns als Beiſpiel dienen. Wenn dieſes Dotterfett, das Stickſtoff, Kohlen— ſtoff, Waſſerſtoff, Sauerſtoff und Phosphor enthält, mit Säuren oder Baſen gekocht wird, dann zerfällt es in fette Säuren, in Phosphorglycerinſäure und eine ſtickſtoffhaltige leicht zerfließliche Baſis, die ich oben als Nervenbajis*) bezeichnete. Auch dieſe Zer— legung iſt, wie ihre Gleichung lehrt, ein Beiſpiel der ſogenannten Wajjerjpaltung **). Der Phosphor des Dotterfetts geht in der Phosphorglycerinſäure, ſein Stickſtoff in der Nervenbaſis auf. Zwei der Spaltlinge des Dotterfetts, die Nerven— baſis und die Phosphorglycerinſäure, haben wir aus den Grundſtoffen aufbauen gelernt, und für die fetten Säuren mit hohem Kohlenſtoffgehalt, die aus ſeiner Zerlegung hervorgehen, ſind wir auf dem beſten Wege, es zu lernen. Die Nervenbaſis iſt aus einem Körper zu erhal— ten, den Strecker zuerſt aus Schweinegalle dar— ) Neurin. 1 Lecithin Waſſer Oelſäure Palmfettſäure (Palmitinſäure) C. Hs. NPO⸗ + 2H.:O = C1sH3sı03 + C16 Hs O. + Phosphorglycerinſäure Nervenbaſis (Neurin) e, + GEN: 56 jtellte und Cholin) genannt hat. Dieſes Cholin ent- hält Ein Molecül Waſſer mehr als die Nervenbaſis“ ), und man kann ihm dieſes Eine Molecül Waſſer ent— ziehen, wenn man es erſt mit Jodwaſſerſtoff und die aus der Einwirkung dieſes Körpers hervor— gegangene Jodverbindung mit Silberoxyd behandelt (Baeyer.) **) Mit anderen Worten, vom Cholin aus kann man zum Neurin gelangen. Aber das Cholin ſelbſt läßt ſich aus den Cle— menten darſtellen. Beim bloßen Erwärmen zerfällt es in das Oxyd des ölbildenden Gaſes ) und jene zuſam— mengeſetzte Abart des Ammoniaks, in der die drei Atome Waſſerſtoff durch den Kohlenwaſſerſtoff Methyl vertreten ſind. rt). Und umgekehrt wird durch die Verbindung dieſer beiden Stoffe das Cholin wieder— hergeſtellt, wenn man eine geſättigte Löſung von Tri— ) Bilineurin, Sinkalin. Man hat das Neurin anfangs vom Cholin nicht zu unterſcheiden gewußt. Hiernach iſt die dritte Note auf Seite 314 des erſten Bandes zu verbeſſern. 9 Cholin Waſſer Nervenbaſis (Neurin) C5 Li NO; — He 0 — C5 Hi 2 NO. ), Cholin Jodwaſſerſtoff Trimethyljodäthyl⸗ Waſſer ammoniumjodür Cs His NO + 2H — Cs His NJ + 2H30, Trimethyljodäthyl⸗ Silberoryd Neurin Jodſilber ammoniumjodür CS His Na + AO == C;Hıs NO — 24g J. 7) Aethylenoxyd. ++ Trimethylamin. 5 * methylamin mit dem Oxyd des ölbildenden Gaſes vermiſcht.“) (Baeyer.) Um alſo die Nervenbaſis künſtlich darzuſtellen, brauchen wir nur das Aethylenoxyd und Trimethyl— amin aus den Elementen aufzubauen. Für beide Körper iſt das ölbildende Gas der Ausgangspunkt, und wir erhalten es bekanntlich aus Qualmgas, das wir aus Kohlenſtoff und Waſſerſtoff darſtellen können, wenn man dieſes mit Waſſerſtoff dunkler Rothglühhitze ausſetzt. Der Weg vom ölbildenden Gaſe zu ſeinem Oxyde iſt verhältnißmäßig kurz. Mit unterchloriger Säure verbindet es ſich zu Aethylenchlorhydrat, und dieſes mit Aetzkali behandelt liefert das Oxyd des ölbilden— den Gaſes oder Aethylenoxyd. “) Viel länger und mittelbarer iſt der Weg vom öl— bildenden Gaſe zum Trimethylamin. Erſt wird das ölbildende Gas an Waſſerſtoff bereichert, um Sumpf— gas zu gewinnen, und man erzielt dies, indem man bei Rothglühhitze Waſſerſtoff und ölbildendes Gas jet! Oxyd des ölbildenden Trimethylamin Waſſer Cholin Gaſes (Aethylenoryd) Ce H. + Ca Ho N + HzO = Cs His NOs. —9 Oelbildendes Gas Unterchlorige Säure Aethylen⸗ (Aethylen) chlorhydrat Ca H. + HCl = Ou Is CIO, Aethylen⸗ Aetzkali Aethylenorxyd Chlorkalium Waſſer chlorhydrat CHs CIO + KHO= GHO + KCI + H0. 58 auf einander einwirken läßt.“) Sumpfgas mit Chlor behandelt giebt Methylchlorür. “) Aetzkali oder Kali— hydrat verwandelt Methylchlorür in Holzgeiſt oder Methylalkohol, der mit Jod in Gegenwart von Phosphor Jodmethyl oder Methyljodür wird.“) Wird nun endlich Methyljodür mit alkoholiſcher Ammoniak- löſung erwärmt, dann entſteht Trimethlamin ) neben anderen Verbindungen 7), von denen man es durch beſondere Kunſtgriffe ſondern kann. Thrimethylamin und Aethylenoxyd ſind die Bau— ſtoffe, welche Baeyer zu Cholin zuſammen zu paaren verſtand, ſowie es derſelbe Forſcher dahin brachte, dem Cholin ohne tiefe Erſchütterung ſeines Gefüges das Waſſermölecül zu entziehen, das es von der Nerven— baſis oder dem Neurin unterſcheidet. +) Oelbildendes Gas Waſſerſtoff Sumpfgas Qualmgas (Aethylen) (Methylwaſſerſtoff) (Acetylen) 20H. + A 20H. + Cs Hs. 019 Sumpfgas Chlor Methylchlorür Salzſäure (Methylwaſſerſtoff) CH. + 30, = CHa Cl + HCl. *r) Methylchlorür Kalihydrat Methylalkohol Chlorkalium (Holzgeiſt) CHa C1 + KHG = CH. 0 + KCl. Holzgeiſt Jod Phosphor Jodmethyl Phosphorſäure Waſſer (Metylalkohol) 50H.O 4 57 + P =5CHJ + FO 3:0. +) Methyljodür Ammoniak Trimethylamin Jodwaſſerſtoff 30H.) + EN =, GEN Tasse 1) Methylamin, Dimethylamin und Tetramethylammonium⸗ jodid. ; e 7 9 = Somit hat die Forſchung unſerer Tage das Neurin aus den Grundſtoffen dargeſtellt. Ein Gleiches hat die Wiſſenſchaft für die Phosphor— glycerinſäure bewerkſtelligt, die durch Auflöſen von geſchmolzener Phosphorſäure in Oelſüß, oder Glycerin entiteht. *) Bisher haben wir vom Oelſüß nur erfahren, daß es durch Waſſerſpaltung aus den natürlichen Fetten neben fetten Säuren gewonnen wird. Aber es iſt auch gelungen, das Oelſüß aus den Grundſtoffen zu entwickeln. Man geht dazu vom Sumpfgas aus, deſſen künſt— liche Darſtellung wir kennen. In der Rothglühhitze verdichtet es ſich, unter Entbindung von Waſſerſtoff zu Propylen. “) Dieſes verbindet ſich mit Brom zu Propylenbromid. **) Durch verlängerte Einwirkung einer alkoholiſchen Löſung von Kalihydrat bei 100° im zugeſchmolzenen Rohre läßt ſich das Propylenbro— mid zugleich an Waſſerſtoff verarmen und ſeines Broms berauben „ wodurch es in Allylen verwandelt wird. 7 Mit Jodwaſſerſtoff verbindet ſich Allylen zu Allyl— 1 Glycerin Metaphosphorſäure Phosphorglycerinſäure CHO + HPO; = Ca He POS. 9 Sumpfgas Waſſerſtoff Propylen 30H. — 6H — Ca He. =) Propylen Brom Propylenbromid CH- + 2 Br = Cs He Bre. II. Propylenbromid Kalihydrat Allylen Bromkalium Waſſer Cs He Bra + OKHO = GH; + 2KBr + 2H20. 60 jodür.“) Das Jod in diefem Körper läßt ſich durch Brom verdrängen, und das dadurch entſtehende Allyl— bromür an Brom bereichern. So gelangen wir zum Allyltribromid. *) Es kommt nur noch darauf an, in dieſem Allyltribromid an die Stelle der drei Atome Brom drei Maſſentheilchen Eſſigſäure zu bringen, dann erhalten wir Eſſigſäureglycerid, das heißt eine ge— paarte Verbindung von Glycerin mit drei Molecülen Eſſigſäure, die in demſelben Grade, wie die Eſſig— ſäure den fetten Säuren, den natürlichen Fetten ähn— lich iſt. Dies gelingt, wenn man das Allyltribromid mit eſſigſaurem Silber behandelt.) Aus dem jo ges wonnenen Eſſigſäureglycerid wird nun durch Kali— hydrat, unter Bildung von eſſigſaurem Kali, das Glycerin oder Oelſüß abgeſchieden. 7) Alſo können wir, ohne aus irgend einem lebenden Körper zu ſchöpfen, Glycerin und Phosphorglycerin— ſäure bauen. 9 Allylen Jodwaſſerſtoff Allyljodür Cs H. — HJ = Ca Hs J̃. +2) Allyljodür Brom Allylbromür Jod CHs + Bra’ Cs Hs Br — J, Allylbromür Brom Allyltribromid Cs Hs Br + 2 BE Ce Hs Bra. ==) Allyltribromid Eſſigſaures Silber Eſſigſäureglycerid Bromſilber Ca Hs Bra + 302 HO Ag = H, (305 Hs Os) + 3AgBr. 7) Eſſigſäure⸗ Kalihydrat Oelſüß (Glyceriu) Eſſigſaures glycerid Kali C. Hs (CHs Os) + 3KH0 = Ca Hs Os + 302 Hs OK. = 61 Dem Dotterfett hätten wir uns hiermit von zwei Seiten genähert. Wir wiſſen uns zwei ſeiner Bau— theile, den ſtickſtoffhaltigen und den phosphorhaltigen, aus der anorganiſchen Natur zu beſchaffen, die Ner— venbaſis und die Phosphorglycerinſäure. Und dieſer Fortſchritt iſt um ſo mehr verheißend, als es ſich um einen der höchſt zuſammengeſetzten Körper des Hirns und Bluts, des Eies wie des Samens handelt. Freilich fehlen uns noch die fetten Säuren, die bei der Waſſerſpaltung des Dotterfetts neben Neurin und Phosphorglycerinſäure auftreten, und die nach Strecker's wichtiger Entdeckung verſchiedene ſein können, entweder Talgſäure, Palmfettſäure oder Oel— ſäure allein, oder auch zwei derſelben neben einander. Dies iſt aber darum ſo bezeichnend, weil es uns lebhaft an das Gefüge der natürlichen Fette, der ſogenannten Neutralfette erinnert, von denen wir mehr als eines künſtlich darzuſtellen wiſſen, und die wir alle aus den Elementen aufzubauen vermöchten, wenn die Gewinnung aller fetten Säuren aus den Grund— ſtoffen bereits erzielt wäre. Hier ſtehen wir vor einer Schranke, aber die Schranke iſt eine lockend erleuchtete Glasthür. Um dieſes Bild zu rechtfertigen, iſt es nöthig, auf die Natur der fetten Säuren, die man zunächſt bei der Verſeifung der Neutralfette hat kennen lernen, etwas näher einzugehen. 62 Sie alle enthalten zwei Atome Sauerſtoff, aber eine ſehr verſchiedene Menge Kohlen- und Waſſerſtoff. Gemeinſam iſt ihnen aber wieder, daß ſie immer doppelt ſo viel Atome Waſſerſtoff als Kohlenſtoff enthalten. Folglich iſt die Atomzahl des Waſſerſtoffs immer eine gerade Zahl. Man hat deren nach und nach ſo viele kennen lernen, daß eine regelmäßige Reihe aufgeſtellt werden kann, von denen die kohlen— ſtoffarmſte nur 1, die kohlenſtoffreichſte 30 Atome Kohlenſtoff enthält, und zwar ſteigt man in einer langen Strecke der Reihe von der an Kohlenſtoff und Waſſerſtoff ärmeren zu der nächſtreicheren um je 1 Atom Kohlenſtoff und 2 Atome Waſſerſtoff auf. Da nun in einer größeren Anzahl von Eigenſchaften die— ſelbe Aehnlichkeit herrſcht, welche die Zuſammenſetzung der fetten Säuren auszeichnet, ſo liegt hier eine der ausgeprägteſten Reihen gleichartiger“) Verbindungen vor. Auf das Beſtehen ſolcher Reihen gleichartiger Verbindungen hatte zuerſt der Heidelberger Chemiker Schiel, im Jahre 1842, aufmerkſam gemacht. Die Reihe der fetten Säuren hat in demſelben Jahre der berühmte franzöſiſche Chemiker Dumas ans Licht gezogen, der für ſeine Betrachtungen ſogleich eine große Theilnahme zu erregen wußte. In dieſer Du— ma s'ſchen Reihe ſind bisher folgende Glieder bekannt. ) Homologe Verbindungen. Gerhardt. Name Ameiſenſäure Eſſigſaure Propionſäure Butterſäure Valerianſäure Capronſäure Oenanthylſäure Caprylſäure Pelargonſäure Caprinſäure Laurinſäure Myriſtinſäure Palmitinſäure Margarinſäure Stearinſäure Arachinſäure Behenſäure Hyaenaſäure Cerotinſäure Meliſſinſäure Formel H; H. H. Hs Os 07 Os. Siede⸗ punkt 105° . ze... 140° 157° 175° 203° . 223°. 236° . 250° . 264° . Erſtarrungs⸗ punkt EN, + 16° — 10 — 10,5° 1 > 73,5 9 Prag * AE * ln 63 Schmelz⸗ punkt 64 Von der Ameiſenſäure bis zur Ziegenſäure ), d. h. die kohlenſtoffärmeren unter den fetten Säuren, ſind ſie bei gewöhnlichen Wärmegraden flüchtig. Je reicher ſie an Kohlenſtoff ſind, deſto höher liegt ihr Siedepunkt, ohne daß jedoch die Zahlen für den Kohlenſtoffgehalt und den Siedepunkt ein regelmäßiges Wachsthum zeigen. Die meiſten dieſer flüchtigen fetten Säuren erſtarren bei einem Wärmegrad, der mehr oder weniger tief unter dem Gefrierpunkt des Waſſers liegt. Für die Lehre vom Leben haben die flüchtigen fetten Säuren die Bedeutung, daß ſie aus der Rück- bildung von kohlenſtoffreicheren fetten Säuren ſowohl wie aus der von eiweißartigen Körpern hervorgehen. Die Ziegen- oder- Caprinſäure macht eigentlich ſchon den Uebergang zu den ſogenannten feſten fetten Säuren, da fie erſt bei 27 ſchmilzt. Von der Lau— rinſäure, die in dem Lorbeeröl enthalten iſt, bis zur Meliſſinſäure, die man aus Bienenwachs gewinnt, ſind dieſe kohlenſtoffreicheren Säuren einander ſo ähn— lich, daß außer der Zuſammenſetzung hauptſächlich der Schmelzpunkt und die größere oder geringere Lös— lichkeit in Alkohol und Aether Anhaltspunkte zur Unter⸗ ſcheidung bieten. Hinſichtlich des Schmelzpunkts läßt ſich eine ähnliche Regel aufſtellen wie die für den Siedepunkt der kohlenſtoffärmeren angeführte. Der ) Caprinſäure. Bat er * 65 Schmelzpunkt der fetten Säuren, die bei gewöhnlichen Wärmegraden feſt ſind, wächſt nämlich mit dem Kohlenſtoffgehalt; nur die Margarinſäure macht eine Ausnahme. Unter den kohlenſtoffreicheren fetten Säuren ſind es beſonders die Palmfett-*) und Talgſäure *), die an dem Aufbau der neutralen Fette der Pflanzen und Thiere betheiligt ſind, ſo wie ſie auch aus der Waſſer— ſpaltung gewiſſer Dotterfette hervorgehen. Ihre Dar— ſtellung aus den Grundſtoffen wäre darum beſonders erwünſcht; wenn ſie aber noch nicht gelungen iſt, ſo iſt doch der erſte Schritt dazu geſchehen. Wir ver— danken ihn außer Berthelot, den beharrlichen Be— mühungen von Piria und Limpricht, von Lieben und Roſſi. Sie haben uns gelehrt in ganz metho— diſcher Weiſe, Glied um Glied, von der Ameiſenſäure bis zur Onanthylſäure aufzuſteigen, und da wir die Ameiſenſäure aus den Elementen künſtlich aufbauen, wenn Kohlenoxyd und Kalihydrat bei 100° auf ein— ander einwirken, ſo iſt hiermit die künſtliche Darſtel— lung von ſieben Gliedern der Dumas'ſchen Reihe verwirklicht. Der planmäßige Weg, auf dem man von irgend *) Palmitinſäure. *) Stearinſäure. 66 einer dieſer Säuren zur nächſt kohlenſtoffreicheren fort— ſchreitet, iſt im Weſentlichen folgender. Man deſtil— lirt das Kalkſalz einer kohlenſtoffärmeren fetten Säure mit ameiſenſaurem Kalk, und erhält ſo eine ſauerſtoffärmere Verbindung, welche ebenſo viel Atome Kohlen- und Waſſerſtoff enthält, wie die ur— ſprüngliche Säure, einen ſogenannten Aldehyd. Ein ſolcher Aldehyd verbindet ſich mit Waſſerſtoff, im Augen— blicke in dem dieſer frei wird, zu dem entſprechenden Alkohol. Der Alkohol aber, der noch immer nur ſo viel Kohlenſtoffatome enthält wie die fette Säure, die als Ausgangspunkt gewählt worden, läßt ſich in eine Cyanverbindung überführen, die ſchon die Anzahl Kohlenſtoffatome der nächſt kohlenſtoffreicheren fetten Säure beſitzt, und nur mit Kalihydrat er— wärmt zu werden braucht, um unter Waſſerſpal— tung eben jene kohlenſtoffreichere fette Säure und Ammoniak zu liefern. Im Einzelnen laſſen ſich die betreffenden Umwand— lungen in folgender Weiſe erzielen. Wenn man ameiſenſauren Kalk deſtillirt, gelangt man ohne Weiteres zu Methylalkohol, neben welchem kohlenſaurer Kalk und Kohlenoxyd gebildet werden. Wirkt Jod bei Gegenwart von Phosphor auf Me— thylalkohol, dann erhält man Jodmethyl, und Jod— methyl mit Silbercyanür erhitzt giebt Cyanmethyl, rn * * 67 welches mit Aetzkali und Waſſer behandelt in Ammo— niak und Eſſigſäure aufgeht.“) Und ſo ſind wir von den Grundſtoffen ausgehend zur Ameiſenſäure gelangt, und ohne den Organismen etwas zu entlehnen von diefer zur Eſſigſäure aufgeſtiegen, die 1 Atom Kohlen— ſtoff und 2 Atome Waſſerſtoff mehr enthält, d. h. von CHz0O2 zu C2 H. O2. Deſtillirt man nun wieder, nach Piria und Limpricht, eſſigſauren Kalk mit ameiſenſaurem Kalk, dann erhält man den Aldehyd der Eſſigſäure, der gewöhnlich ſchlechtweg Aldehyd genannt wird. Mit Waſſerſtoff, der im Freiwerden begriffen iſt, verbin— det ſich Aldehyd zu Alkohol. Aus dem Alkohol ge— winnt man durch Vermiſchen mit Schwefelſäure Aethyl— ſchwefelſäure. Wenn man aber äthylſchwefelſaures Kalium mit Cyankalium deſtillirt, dann gelangt man zum Aethylcyanür, d. h. zu der im Vergleich zur Eſſigſäure kohlenſtoffreicheren Verbindung, die * Ameiſenſaurer Kalk Methylalkohol Kohlenſaurer Kalk Kohlenoxyd 20 HsCa0. = CHO + 2caco + CO, Methylalkohol Jod Phosphor Jodmethyl Phosphorſäure Waſſer Jodmethyl Silbercyanür Methylcyanür Jodſilber CHI + AlN = GEN + Ag, Methylcyanür (Cyanmethyl) Waſſer Ammoniak Eſſigſäure CHa N + 12 Ha N + CH. Os. I 68 mit Aetzkali erwärmt Ammoniak und Propionſäure liefert. *) Wie man von der Eſſigſäure zur Propionſäure aufſteigt, in ähnlicher Weiſe gelangt man von dieſer zur Butterſäure. Propionſaurer und ameiſenſaurer Kalk zuſammen deſtillirt geben Propionaldehyd, dieſer mit Waſſerſtoff im Augenblick ſeiner Entbindung Pro— pylalkohol, von dem man durch Vermittlung des Pro— pylcyanürs zur Butterſäure aufjteigt.**) Und man iſt noch weiter vorgegangen. Butter— ſaurer Kalk und ameiſenſaurer Kalk zuſammen deſtil— 9 Eſſigſaurer Ameiſenſaurer Aldehyd Kohlenſaurer Kohlen- Waſſer⸗ Kalk Kalk Kalk oxyd ſtoff C. He Ca0. + 2C3H:Ca0ı = 202H. 0 + 3CaCO; + co + 2H, Aldehyd Waſſerſtoff Alkohol CH. —— 2H — C2 Hs O, Alkohol Schwefelſäure Aethylſchwefelſäure Waſſer C2 HO + Ha 80. — C2 He S0. + Ha O, Aethylſchwefelſaures Cyankalium Aethylcyanür Schwefelſaures Kalium Kalium Ce Hs SO. K + KCN — CHs N — K:S0,, Aethylcyanür Waſſer Ammoniak Propionſäure Cs Hs N + 2550. = Ha N + Ca Hs O2. a Propionſaurer Ameiſenſaurer Propion⸗ Kohlenſaurer Kalk Kalk aldehyd Kalk Ce Hi Ca0. + Ce Ha Ca0. = 2C5Hs0 + 2CaC0; ’ Propionaldehyd Waſſerſtoff Propylalkohol Cs HO + 2H = Cs Hs O, Propylalkohol Jodwaſſerſtoff Propyljodür Waſſer Ca Hs + HJ — CsH:J + Ha O, Propyljodür Cyanſilber Propylcyanür Jodſilber C3H:J / + AgCN = CH: N + AgJ, Propylcyanür Waſſer Ammoniak Butterſäure C. H- N + 2 4 Ha N + CHs Os. hr 69 lirt liefern Butylaldehyhd und kohlenſauren Kalk. Mit frei werdendem Waſſerſtoff verbindet ſich Butylaldehyd zu Butylalkohol, der mit Jod und Phosphor behan— delt zu Butyljodür führt. Butyljodür und Cyanka— lium ſetzen ſich um in Butylcyanür und Jodkalium. Und wenn man Butylcyanür mit Kalilauge erhitzt, erhält man Ammoniak und Baldrianſäure.“) Ein Schritt weiter führt uns zur Capronſäure. Er iſt nicht bloß erdacht, ſondern wirklich ausgeführt. Der Ausgangspunkt iſt wieder der mit der Baldrian— ſäure in den Kohlenſtoffatomen übereinſtimmende Al— dehyd, der ſogenannte Amylaldehyd. Man erhält ihn durch trockne Deſtillation des baldrianſauren und ameiſenſauren Kalks. Waſſerſtoff, der ſich eben aus einer Verbindung ausſcheidet, vereinigt ſich mit dem Amylaldehyd zu Amylalkohol. Letzterer mit Jod und Phosphor behandelt giebt Amyljodür, Phosphor— ſäure und Waſſer. Vom Amyljodür gelangt man durch Erhitzen mit Cyanſilber zu Amylcyanür, und 9 Butterſaurer Ameiſenſaurer Butylaldehyd Kohlenſaurer Kalk Kalt Kalk Cs Hi Ca0. + Ce Ha Ca0. = 20. HO + 20aCOa, Butylaldehyd Waſſerſtoff Butylalkohol C4Hs0 + 2H = 0. III oO, Butylalkohol Jod Phosphor Butyljodür Phosphorſäure Waſſer 50. Hf + 59 + Sn + Ha PO. + HO, Butyljodür Cyankalium Butylcyanür Jodkalium CH + KCN — Cs H N + f 1 Butylcyanür Waſſer Ammoniak Baldrianſäure C He N + 2H0 = Ha N + CHIO. 70 diejes liefert auf dem bekannten Wege, mit Aetzkali erhitzt, Ammoniak und Capronſäure.“) Wenn es aus rein chemiſchem Geſichtspunkt auf den Grundgedanken des Verfahrens zur künſtlichen Darſtellung fetter Säuren ankäme, dürfte es mit den angeführten Beiſpielen mehr als genug ſein. Da es aber darum zu thun iſt, ausdrücklich hervorzuheben, bis wohin die Aufgabe ſich thatſächlich verwirklicht hat, ſo ſoll auch noch die künſtliche Herſtellung der Oenanthylſäure hier vorgeführt werden, obgleich ſie in gar nichts Weſentlichem von der für die Capron— ſäure beſchriebenen abweicht. Capronſaurer Kalk mit ameiſenſaurem deſtillirt giebt Capronaldehyd, der ſich mit frei werdendem Waſſerſtoff zu Capronalkohol verbindet. Mit Jod und Phosphor behandelt liefert der Capronalkohol Hexyljodür, dieſes mit Cyankalium Hexylcyanür, und aus der Zerſetzung von Hexylcyanür in alkoholiſcher 2 Baldrianſaurer Ameiſenſaurer Amyl⸗ Kohlenſaurer Kalk Kalk aldehyd Kalk C10 His CaO. + Ca Ha CaO. = 2C5Hı00 + 20aCOa, * Amylaldehyd W ſſerſtoff Amylalkohol CHIO —— 2H == GH O, Amylalkohol Jod Phosphor Amyljodür Phosphorſäure Waſſer 505 Hi20 + 5J 37 P’s== 505 HJ — Hs PO. — Hz O, Amyljodür Cyanſilber Amylcyanür Jodſilber CsHI1J — Age N — Ce HIN — Ag), Amylcyanür Waſſer Ammoniak Capronſäure Cs HII N 55 2H20 —— Ha N — Cs H i202. 71 Löſung mit Aetzkali gehen Ammoniak und die gewünſchte Oenanthylſäure hervor.“) Hier ſind wir freilich bei dem vorläufig erreichten Ziele angelangt. Von der Ameiſenſäure ſind wir Schritt vor Schritt, von den Elementen ausgehend, bis zur Oenanthylſäure aufgeſtiegen. Wer aber in das Werden der organiſchen Verbindungen nur einiger— maaßen eingeweiht iſt, wird leicht zugeben, daß wir uns hiermit den kohlenſtoffreichſten fetten Säuren des Wachſes noch mehr genähert haben, als wir uns von den unverbundenen Grundſtoffen entfernten, mit anderen Worten, wir können es nicht bezweifeln, daß wir dem erſtrebten Ziele näher ſind als dem Aus— gangspunkt. Einſtweilen wiſſen wir ſchon, daß die freien fetten Säuren, die noch nicht künſtlich aus den Ele— menten aufgebauten ſowohl wie die bereits aus den Grundſtoffen dargeſtellten, ſich mit Oelſüß oder Gly— 5 Capronſaurer Ameiſenſaurer Capron⸗ Kohlenſaurer Kalk Kalt aldehyd Kalk Cie Hes CaO. + CH: CaO. = 20H20 + 2CaC0;, Capronaldehyd Waſſerſtoff Capronalkohol (Hexylalkohol) Cs Hi 20 + 2H — (CHI 40, Hexylalkohol Jod Phosphor Hexyljodür Phosphorſäure Waſſer 50 Hi 40 + 5J + P = 50e His + HPO, + H O, Hexyljodür Cyankalium Hexylcyanür Jodkalium Ce HI J * K (CN — 07 HI sN T KJ, Hexylcyanür Waſſer Ammoniak Oenanthylſäure C;Hıs N = 20 == Ha N IE CHI 4 Os. 72 cerin zu den neutralen Fetten zuſammenſetzen laſſen, die bei der Gewebebildung, ganz beſonders im Nerven— ſyſtem, eine ſo große Rolle ſpielen. Die neutralen Fette der Pflanzen wie der Thiere ſind nämlich Glycerinverbindungen der fetten Säuren, die mit zuſammengeſetzten Aetherarten verglichen wer— den, in ähnlicher Weiſe wie man das Glyeerin ſelbſt als einen Alkohol betrachtet. Schon vor vielen Jahren haben Pelouze und Gélis gezeigt, daß ſich Butterſäure und Oelſüß unter der Einwirkung von Schwefelſäure zu Butyrin, einem der in der Butter enthaltenen Fette, verbinden. Allein das ſo gewonnene Butyrin war nicht rein. Es enthielt noch Schwefelſäure. Ueberdies war durch die Verſuche von Pelouze und Gélis keine Ein— ſicht in das Weſen des Vorgangs bei jener Verbin— dung von Butterſäure und Oelſüß gewonnen.“) Da zeigte Berthelot im Jahre 1854, daß man ganz allgemein die fetten Säuren mit Oelſüß ver— binden kann, wenn ſie nur bei erhöhter Wärme hin— länglich lange Zeit auf einander einwirken. Gedeiht die Verbindung zu dem Punkte, daß je Einem Molecül Glycerin drei Molecüle der fetten Säure entſprechen, dann iſt ein Fett gebildet, wie es in der Natur vor— ) Berthelot, La synthèse chimique, 2e edition, Paris 1876, p. 183. 73 handen iſt. Man bezeichnet deshalb die natürlichen Fette als Triglyceride der betreffenden fetten Säuren: Tributyrin, Tricapronin, Triſtearin, u. ſ. w. Bei der Bildung der zuſammengeſetzten Aether— arten, die wir neutrale Fette nennen, handelt es ſich aber nicht um eine einfache Verbindung der betref— fenden fetten Säure mit Glycerin, in welcher die beiden organiſchen Stoffe ganz aufgingen, ſondern es findet dabei eine Abſpaltung von Waſſer ſtatt, und zwar von eben ſo vielen Molecülen Waſſer als Molecüle der fetten Säure an dem Aufbau des neutralen Fettes betheiligt ſind. Es treten alſo drei Molecüle Waſſer aus der Butterſäure und dem Oel— ſüß aus, wenn dieſe ſich zu dem natürlichen Butter— fett verbinden. Neben Tributyrin werden drei Mole— cüle Waſſer gebildet.“) Da wir nun oben geſehen haben, daß wir das Oelſüß aus den Elementen künſtlich bereiten können, ſo ergiebt ſich, daß wir alle neutralen Fette oder zuſammengeſetzten Glycerinäther aus den Grundſtoffen aufzubauen im Stande wären, wenn die künſtliche Darſtellung aller freien fetten Säuren verwirklicht wäre. *) Butterſäure Glycerin Waſſer Tributyrin 30. Hs O2 + CHs O — 300 = Ci Has Oe, oder: Butterſäure Glycerin Tributyrin Waſſer 30. Hs O, + CsHs Os = Cis Has Os + 31H20. 74 Für Tributyrin und Tricapronin, die beide in der Milch enthalten ſind und zu den eigenthümlichſten Be— ſtandtheilen der Butter gehören, iſt die Aufgabe gelöſt. Wer wollte es wagen, dem Naturforſcher ein „bis hierher und nicht weiter!“ zu weiſſagen? Keiner jeden— falls von denen, die durch das Schickſal ſolcher Weiſſagungen gewitzigt ſind. Wer es in Frankreich wagte, ſich in dieſer Weiſe als beſchränkenden Pro— pheten aufzuwerfen, müßte befürchten, daß, während er ſpricht, ein Forſcher über dem Kanal ſein Wort durch eine Thatſache beſiegte. Es wurde oben berichtet, wie Paſteur die Trau— benſäure als eine Verbindung von rechtsdrehender und linksdrehender Weinſäure erkannt hat, zweier Säuren, deren halbwüchſige Kryſtallformen ſich da— durch auszeichnen, daß die eine wie das Spiegelbild der anderen erſcheint. Paſteur machte nun vor einiger Zeit darauf aufmerkſam, daß es nicht ge— lungen wäre, ſolche unſymmetriſche Körper aus Stoffen herzuleiten, die es ſelbſt nicht wären. Aber das Wort des glücklich begabten Forſchers hatte noch nicht aus— getönt, als Perkin und von Dupa verkündeten, daß ſie die Bernſteinſäure in Weinſäure verwandelt hätten. Paſteur ſelber erkannte dieſe Weinſäure als ein Gemenge von Traubenſäure mit unwirkſamer Weinſäure, und da die Traubenſäure aus rechtsdre— 75 hender und linksdrehender Weinſäure beſteht, ſo waren alſo auch die beiden letztgenannten aus Bernſtein— ſäure hervorgegangen. Die Bernſteinſäure, mit welcher Perkin und von Dupa gearbeitet hatten, war nun zwar nicht aus den Elementen aufgebaut, ſondern aus Bernſtein erhalten. Wir haben aber gleichfalls oben erfahren“), wie aus der Verbindung des ölbil— denden Gaſes mit Cyan **), die beide aus den Grund— ſtoffen zu beſchaffen ſind, Bernſteinſäure auch künſt— lich gewonnen werden kann, und es iſt Jungfleiſch auch mit ſolcher künſtlich dargeſtellten Bernſteinſäure gelungen, ſie in Traubenſäure zu verwandeln. ***) Somit iſt denn auch hier eine Schranke gefallen. Wenn aber die Pflanze leben kann von Kohlen— ſäure, Waſſer, Ammoniak und Salzen, wenn wir organiſche Stoffe, ſtickſtoffhaltige und ſtickſtofffreie, Leimzucker und Butterfett, den geſchwefelten Gallen— *) Seite 277, 278. *) Aethylencyanid. *) P. Schützenberger, Les fermentations, Paris 1875, p. 5, 6. 76 paarling und Oelſüß, Fleiſchſtoff und Neurin, Pferde— harnſäure und Harnſtoff jo gut wie Phosphorglycerin— ſäure, Weinſäure, Bernſteinſäure oder Kleeſäure, auf künſtlichem Wege aus den Grundſtoffen darſtellen können, dann iſt es allſeitig feſtgeſtellt, daß orga— niſche und organiſirte Stoffe aus anorganiſchen Grund— ſtoffen und anorganiſchen Verbindungen hervorgehen. Nun aber iſt die Kraft eine Eigenſchaft des Stoffs. Eine Kraft, die nicht an den Stoff gebunden wäre, die frei über dem Stoff ſchwebte und ſich beliebig mit dem Stoff vermählen könnte, iſt eine ganz leere Vorſtellung. Dem Stickſtoff, Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauerſtoff, dem Schwefel und Phosphor wohnen ihre Eigenſchaften von Ewigkeit ein. Alſo können ſich die Eigenſchaften des Stoffs, wenn er in die Zuſammenſetzung von Pflanzen und Thieren eingeht, nicht verändern. Die Annahme einer beſonderen Lebenskraft erweiſt ſich dadurch als völlig nichtig. Wer von einer Lebenskraft redet, von einer typi— ſchen Kraft, oder wie man ſonſt den Namen ver— ändern möge, der iſt genöthigt, eine Kraft ohne Stoff anzunehmen. Aber eine Kraft ohne ſtofflichen Träger iſt eine durchaus weſenloſe Vorſtellung, ein ſinnloſer abgezogener Begriff. Der einzige Grundunterſchied zwiſchen organiſcher 77 und anorganiſcher Materie beſteht darin, daß der organiſche Stoff eine weit mehr zuſammengeſetzte Miſchung beſitzt. So wie der Stoff einen beſtimmten Grad zuſammengeſetzter Miſchung erreicht hat, ent— ſteht mit der organiſirten Form die Verrichtung des Lebens. Die Erhaltung jenes Miſchungszuſtandes bei fortwährendem Wechſel der Stoffe bedingt das Leben der Einzelweſen. Jene Eigenthümlichkeit der Zuſammenſetzung iſt nicht etwa Ausfluß einer beſonderen Verwandtſchaft der Grundſtoffe, die denſelben außer dem Leben fehlte. Nur der Zuſtand der Verbindung, Wärme und Licht, Luftdruck und Bewegung in meßbaren Entfernungen ſind verſchieden, die oben umſchriebenen Umſtände ſind abweichend, unter welchen die Verwandtſchaft ſich äußert, die von Ewigkeit her dem Stickſtoff, Kohlen— ſtoff, Waſſerſtoff, Sauerſtoff, dem Schwefel, dem Phosphor innewohnt. Glühendes Platin vermag Waſſer zu zerſetzen, die Pflanze leiſtet daſſelbe. Die Pflanze verdichtet Kohlenſäure ähnlich wie ein Druck von ſechsunddreißig Atmoſphären. Es ſind nur die Umſtände, die Art und Richtung der Bewegung, die dem Stoff vom Stoffe mitgetheilt wird, welche die Erzeugniſſe der in den Elementen thätigen Verwandtſchaft beſtimmen. Darum geben uns die Vorgänge, die wir in Becher— 78 gläſern und Tiegeln beobachten, ſo manchen Aufſchluß über das Leben. Viele Chemiker behaupten beinahe in Einem Athem, dieſe oder jene Umwandlung orga— niſcher Stoffe ſei im Organismus nicht anzunehmen, weil ſie im Laboratorium nicht gelungen ſei, und um— gekehrt, eine im Laboratorium mögliche Veränderung ſei deshalb nicht auch im Organismus möglich. Jene Annahme und dieſe Möglichkeit ſind jedoch immer denkbar und werden ſehr oft verwirklicht. In den allermeiſten Fällen vermag der Organis— mus wenigſtens ebenſoviel wie Kolben und Retorten, nicht ſelten mehr. Wie ſich mit Bezug auf die Geo— logie der Tiegel des Chemikers zur großen, nimmer ruhenden Werkſtatt der Natur verhält, ſo in den phyſiologiſchen Erſcheinungen die Kunſtgriffe des La— boratoriums zu der unaufhörlich ſtrömenden Bewegung des Lebens. Und eben der Umſtand, daß der Orga— nismus Verbindungen und Zerſetzungen bewirkt, die wir bis jetzt auf künſtliche Weiſe nicht nachzuahmen vermögen, iſt ein deutlicher Beweis für die Möglich- keit, daß die Stetigkeit des lebendigen Stoffwechſels mit ſcheinbar geringeren Mitteln häufig die Macht der Eingriffe aufwiegt, welche im Laboratorium auf eine kurze Spanne Zeit beſchränkt bleibt. Man beruft ſich zur Vertheidigung einer eigenen Lebenskraft immer und immer wieder darauf, daß 79 wir kein Thier und keine Pflanze zu machen vermögen. Sind wir denn immer im Stande, ein zuſammen— geſetztes Mineral nach Belieben zu erzeugen, wenn wir ſeine Miſchung auch noch ſo vollkommen kennen? Und doch ſchreibt Niemand dem Berge Lebenskraft zu. Die Aufgabe, welche von Laien ſo oft mit ſtolzer Zuverſicht dem Naturforſcher geſtellt wird, die Auf— gabe den Homunculus zu machen, begründet gegen die Verwerfung der Lebenskraft auch nicht den Schatten eines Einwurfs. Wenn wir Licht und Wärme und Luftdruck ebenſo beherrſchen könnten, wie die Ge— wichtsverhältniſſe des Stoffs, dann würden wir nicht nur viel öfter als jetzt im Stande fein, organiſche Verbindungen zu miſchen, wir würden auch die Be— dingungen zur Entſtehung organiſirter Formen erfüllen können. Wenn es bis jetzt nicht noch häufiger gelingt, organiſche Stoffe aus den Elementen oder wenigſtens aus einfachen anorganiſchen Verbindungen aufzubauen, ſo liegt die Schuld daran, daß wir noch in verhält— nißmäßig wenigen Fällen die Lagerung der kleinſten Theilchen, die Anordnung des Stoffs, die Gruppirung der Elemente mit Sicherheit erkannt haben. Es fehlt die Kenntniß der inneren chemiſchen Verfaſſung. Ueber die Kenntniß dieſer inneren Verfaſſung der organiſirten, wie der organiſchen Stoffe hebt uns 80 die Vorſtellung einer beſonderen Lebenskraft in ge— fährlicher Weiſe hinweg. Denn darin liegt eben der Irrthum, der den geläufigen Vorſtellungen von der Lebenskraft anklebt, daß ſie eine Kraft ſein ſoll ohne Träger, eine Idee, die den Leib baut, ein ſelbſt— herrliches Nichts, mit dem man alles an- und aufſtellen kann, weil es durch keine Wirklichkeit bedingt, begrenzt, begründet iſt. Die Verwandtſchaft dagegen iſt ein ewiges, ein unverwüſtliches Merkmal des Stoffs, das dieſen nie verläßt, nicht im Leben, nicht im Tode. Alle Vorſtellungen von der Lebenskraft laſſen ſich auf die tief wurzelnde Neigung des Menſchen zurück— führen, ſich eine Reihe von Erſcheinungen, deren Zu— ſammenhang ihm räthſelhaft blieb, in der Geſtalt einer Perſönlichkeit vorzuſtellen. Merkwürdig genug entſpringt die weſenloſeſte Trennung von Kraft und Stoff gerade dem Bedürfniß, ſich in den Wogen ſchwankender Erſcheinungen an dem zum Steuermann verkörperten Bilde eines gemeinſamen Grundes feſt— zuhalten. Die leibhaftigſte Wirklichkeit und die weſen— loſeſte Verflüchtigung entwachſen Einem Stamme. serie a un - A 2 f 81 Wenn die Elemente Kohlenſtoff, Waſſerſtoff, Sauer— ſtoff, Stickſtoff und Schwefel einmal in organiſche Verbindung zuſammengetreten und organiſirt ſind, dann haben die beſtimmten Geſtalten ein Entwicklungsver— mögen, das, wie die bisherige Erfahrung lehrt, auf Jahrhunderte und Jahrtauſende fortdauert. Mittelſt der Samen, Knospen, Eier kehren die nämlichen Geſtalten in beſtimmtem Wechſel wieder. Auf dieſe regelmäßige Wiederkehr hat man vorzugsweiſe die naturgeſchichtliche Eintheilung in Arten gegründet. Wenn aber etwas geeignet iſt, das einheitlich fortschreitende Walten gleichartiger Naturkräfte in dem Werden der Organismen zu beleuchten, ſo iſt es die durch Lamarck angebahnte, durch Dar win fo mächtig geförderte Erkenntniß, daß das Beharrungs— vermögen der Arten trotz alledem ein beſchränktes iſt. Nur ſelten, niemals vielleicht, hat der Urheber eines umfaſſenden Naturgeſetzes in ſo kurzer Zeit die Anerkennung der Unbefangenen errungen, wie Darwin, dem in weniger als zwanzig Jahren der Beifall der wiſſenſchaftlichen Welt auf den verſchiedenſten Gebieten freier Forſchung zu Theil geworden iſt. Unbefangen aber war Jeder, der nicht in den kindlichen Träumen zauberhafter Schöpfungsgeſchichten Befriedigung fand, vorbereitet ein Jeder, der wenn auch nur flüchtig zur Seite eines Lyell oder Bur— II. 6 82 meiſter in den Urkunden der Erdgeſchichte geleſen hatte, eingeweiht die Jünger, die ſich darin geübt hatten, das der Vorſtellung entfliehende Wort der Ewigkeit in die langen, ungemeſſenen Zeiträume zu überſetzen, die das organiſche Werden in Anſpruch nimmt. Wer ſich mit denkender Beobachtung in jene umfaſſende Stammesgeſchichte der Organismen vertieft hatte, dem fiel die Lehre von der Wandelbarkeit der Art, von dem Urjprung höherer, reicher zuſam— mengeſetzter Weſen aus einfacheren, weniger ent— wickelten, wie ein anderer Newton'ſcher Apfel reif und lockend in den Schooß. Um den höher entwickelten Pflanzen- und Thier— formen zu begegnen, müſſen wir die jüngjten Schichten unſerer Erdkruſte durchforſchen, und umgekehrt, je älter jene Schichten ſind, je tiefer ſie unter den jüngſten verborgen liegen, um deſto mehr ſind die Organismen durch einfache und einförmige Geſtalten vertreten. Aber jene einfacheren und minder Abwechslung darbietenden Weſen ſind im Großen und Ganzen als die Vorfahren der höher entwickelten geſtaltenreicheren zu betrachten, und inſofern der Menſch in jene lange Entwicklungsreihe hinein gehört, müſſen wir die älteſten, erhärteten Schlammſchichten der Erdrinde als die Grabſtätten unſerer Ahnen betrachten. Nur mißt ſich die Zeit, die uns von jenen Ahnen trennt, nicht nach Menſchenaltern, ſondern nach Aonen, von denen man nicht weiß, wie viel Millionen Jahre ſie umfaſſen. Man pflegt ſie in Urzeit, alte Zeit, mittlere Zeit, Neuzeit und jüngſte Zeit einzutheilen.“) Aus der Dicke der Schichten, die ſich in den be— treffenden Zeiträumen abgeſetzt haben, hat man es verſucht, die verhältnißmäßige Dauer jener Zeiträume zu ermitteln. Daraus iſt die Vermuthung entſtanden, daß die Urzeit eine längere Dauer gehabt haben müſſe, als die vier jüngeren Zeitalter zuſammen. Die alte Zeit ſoll die mittlere, neue und jüngſte beinahe um das Zweiundeinhalbfache übertroffen haben. Und wäh— rend die mittlere Zeit fünfmal ſo lang gedauert haben mag, als die neue, hat die jüngſte bis jetzt nur wenig mehr als ein Fünftel der neuen erreicht. Mit anderen Worten, die Geſchichte der Erdrinde wird nicht in Zeiträume von gleich langer Dauer, ſondern nach ihren Erzeugniſſen eingetheilt. Von der Urzeit bis zur jüngſten Zeit werden die Abſchnitte immer kürzer. ) I. Urzeit, Primordialzeit, archäolithiſche Zeit. II. Alte Zeit, Primärzeit oder paläolithiſche Zeit. III. Mittlere Zeit, Secundärzeit oder meſolithiſche Zeit. IV. Neuzeit, Tertiärzeit oder cenolithiſche Zeit. V. Jüngſte Zeit, Quartärzeit oder anthropolithiſche Zeit. II. 6* 84 Für das Pflanzenreich nun iſt die Urzeit die Zeit der Tange. In der alten Zeit treten dann Pilze, Mooſe und Farne auf, zu denen ſich in ihrer zweiten Hälfte auch Balmerfarne*) und Nadelhölzer geſellen. Aber die Farnwälder gaben der alten Zeit ihren Charakter. Farne und Tange ſteuerten den Hauptbeitrag zu den mächtigen Steinkohlenflötzen, welche die zur alten Zeit gehörende Steinkohlenperiode kennzeichnen. In der mittleren Zeit, in welcher die Nadel— wälder herrſchen, tauchen bereits einkeimblättrige Blumenpflanzen *) auf. Und gegen das Ende, in der Kreideperiode, erſcheinen auch die zweikeimblättrigen Blumenpflanzen *), die erſt in der Neuzeit zu mäch— tiger Entwicklung gelangen. Wie man von der Urzeit bis zur Neuzeit aufs ſteigen muß, um von den einfachſten einzelligen Pflanzen zu den Glockenblumen und Schmetterlingsblüthigen fort— zuſchreiten, ſo gelangt man im Thierreich von dem für einen Wurzelfüßer gehaltenen kanadiſchen Morgen— weſen 5), das aus Urſchleim in einer vielkammerigen, durchlöcherten, feſten Schale beſteht, aufwärts bis zum Menſchen, wenn man die Entwicklung von der Urzeit bis zur jüngſten Zeit verfolgt. ) Cycadeen. **) Phanerogamae monocotylae. ***) Phanerogamae dicotylae. +) Eozoon canadense, 85 Schon in der Urzeit lebten Würmer, Pflanzen— thiere, Weichthiere und Sternthiere k). Zu ihnen geſellen ſich in der darauf folgenden alten Zeit Glieder— thiere, Fiſche und Lurche *). Die mittlere Zeit iſt das Zeitalter der Schleicher *), neben welchen auch die Vögel auftauchen. Ja ſogar eine niedere Abtheilung der Säugethiere, die der Beutelthiere, iſt in der mittleren oder Secundärzeit vertreten. Zu hoͤherer Entwicklung gelangen aber die Säugethiere erſt in der Neuzeit oder Tertiärzeit, um ſich, ſo viel mit Sicherheit ermittelt iſt, erſt in der jüngſten oder Quartärzeit zum Menſchen zu erheben. Wie langſam dieſe Menſchwerdung vor ſich ge— gangen iſt, kann daraus am beſten bemeſſen werden, daß der bisher verfloſſene Zeitraum der jüngſten Zeit kaum den zweihundertſten Theil der ganzen Ge— ſchichte unſerer Erdrinde ausmachen ſoll. Das lang— ſam geſchriebene Buch iſt aber auch langſam gefejeu worden. Nachdem Renophanes und Ariſtoteles, Leonardo da Vinci, Paliſſy, Werner, Cuvier, durch Jahrhunderte von einander getrennt, darin geblättert, iſt der innere Zuſammenhang ſeiner *) Echinodermata. . *) Amphibien. *) Reptilien. 86 Sprache, der wahre Schlüſſel zu ſeiner Bilderſchrift erſt von Lyell gefunden. Keiner hat dieſen Schlüſſel ſo anregend geprieſen wie Darwin, keiner ihn ſo kühn um- und umgedreht wie Häckel, dem das Verdienſt gebührt, neben der Entwicklungsgeſchichte der Einzelweſen?) einen neuen Zweig der Wiſſenſchaft, die Stammes— geſchichte der Arten), aufgebaut zu haben. Für die uns hier beſchäftigende Frage iſt das wichtigſte Ergebniß dieſer Studien, daß die Welt der Organismen, wie die Erdrinde ſelbſt, eine unermeß— lich langſame Geſchichte durchgemacht hat, die uns von den einfachſten organiſchen Urweſen durch Um— wandlungen, Miſchformen und fortſchreitende Ent— wicklung zu den höchſten Formen organiſchen Erden— lebens hinaufführt. Es iſt alles geworden, nichts erſchaffen, und ſelbſt das Wort „natürliche Schöpfungsgeſchichte“ iſt nur einer vorläufigen Rückſicht auf moſaiſche und andere Sagen entſprungen. Die Bezeichnung „Schoͤpfungs— geſchichte“ wird aus der Naturwiſſenſchaft verſchwin— den, denn ſie iſt gegen die Natur. ) Ontogonie. ) Phylogonie. ee ee u u a u 87 Das Werden der Organismen hat aber noth— wendiger Weiſe einen Anfang gehabt auf unſerem Erdball. Denn alles ſpricht dafür, daß es eine Zeit gegeben hat, in welcher deſſen Rinde, im geſchmolzenen Zuſtande, eine Wärme beſaß, bei der alles organiſche Leben unmöglich iſt. Erſt nachdem dieſe Rinde ſo weit abgekühlt war, daß ſich Waſſer in tropfbarem Zuſtande erhalten konnte, war die erſte Vorbedingung zur Entwicklung von Organismen gegeben. Kein Keimſtoff *) oder Urſchleim kann einer Wärme von mehr als 85 o widerſtehen. Dieſe Grenze be— rückſichtigt Ehrenberg's Beobachtung, nach welcher in den heißen Quellen Iſchia's grüne Oscillarien, Räder- und Aufgußthierchen leben“). Im Allgemeinen erliſcht freilich die Lebensfähigkeit des Keimſtoffs viel früher, ſo daß nur ausnahmsweiſe pflanzliche oder thieriſche Weſen der niederſten Art einer lange dauernden Einwirkung der Wärme von 45° wider— ſtehen. Wenn aber die übermäßige Wärme in der Vorurzeit der Erde kein organiſches Leben aufkommen ließ, ſo folgt daraus mit Nothwendigkeit, daß die erſten Organis— Protoplasma. ) Ehrenberg erwähnt die Infuſoriengattungen Nassula, Enchelys und Amphileptus. Vergl. Max Schultze, das Protoplasma, Leipzig 1863, S. 49. 88 men nicht aus organischen Keimen, weder aus Eiern noch aus Keimkörnern, hervorgehen konnten. Der Satz, daß alles Lebende aus Eiern hervor— gegangen!), iſt, im Lichte der Geſchichte unſeres Erd— balls betrachtet, als eine Irrlehre zu bezeichnen. Es muß eine Zeit gegeben haben, in der die Elemente Kohlenſtoff, Waſſerſtoff, Sauerſtoff, Stickſtoff und Schwefel ſich an der Oberfläche der Erde unter ſolchen Umſtänden begegneten, daß ſie ſich zu organiſationsfähigem Keimſtoff verbanden. Der erſte Organismus iſt durch Urzeugung gebildet worden. Mit dieſem oberſten Satze hat es nicht im Mindeſten zu thun, daß es bisher keinem Forſcher gelungen iſt, in überzeugender Weiſe, ohne alle Da— zwiſchenkunft von Keimen, aus organiſchen und un— organiſchen Stoffen, einen wenn auch noch ſo einfachen Organismus aufzubauen. Wer aus dieſem Grunde an der Urzeugung in vorurweltlicher Zeit zweifeln wollte, der müßte jeder berechtigten Verknüpfung von Thatſachen entſagen. Er könnte mit gleichem Rechte die Bildung des Hühnchens im Eie anzweifeln, da es niemals Jemandem gelungen iſt, zu ſehen, daß in eben *) Omne vivum ex ovo. Harvey. **) Generatio spontanea oder aequivoca. 89 demſelben Ei, aus dem das Hühnchen ausgeſchlüpft, kein Hühnchen enthalten war, als es von der Henne gelegt ward. Es wäre denkbar, daß es nie gelänge, den Vor— gang der Urzeugung auf dem Verſuchswege dazuthun, ja es wäre möglich, daß die Spanne eines Menſchen— lebens zu kurz dauerte, um ſie auf dem Beobachtungs— weg zu erleben, ohne daß dies der oberſten Folgerung aller Erd- und Stammes-Geſchichte Abbruch thäte, daß das Leben auf Erden einen Anfang gehabt, daß dieſer Anfang ein Entwicklungsprozeß geweſen, daß der erſte einfachſte Organismus durch Urzeugung ent— ſtanden iſt. Dieſe Auffaſſung der Urzeugung als Uranfang der Stammesgeſchichte der Organismen läßt alſo das Verdienſt der Forſcher ungeſchmälert, die von Redi bis Helmholtz, von Duſch und Schröder bis Paſteur, den größten Scharfſinn und die feinſte Genauigkeit aufgeboten haben, um die Entwicklung niederer Organismen bis zum Ei oder dem Keimkorn zu verfolgen. Es mag im Vorbeigehen bemerkt werden, daß ein guter Theil des Widerwillens, mit welchem viele Naturforſcher von der Urzeugung reden hören, auf Rechnung der rohen Vorſtellungen zu ſchreiben iſt, die in einer noch nicht altersgrauen, aber an phyſiologiſchem Wiſſen deſto kindlicheren Zeit 90 die Maden auf dem Fleiſch, die Aelchen im Eſſig, die Würmer in den Eingeweiden ohne Vermittlung von Keimen, durch Urzeugung aufleben ließen. Jene Vorſtellungen ſind widerlegt, jedem Verſuch, unter ſorgfältigem Ausſchluß aller eingeſchlüpften Keime die Urzeugung darzuthun, kleben Zweifel an, und dennoch iſt es nicht bloß eine Vermuthung, es iſt eine vernünftige Folgerung aus zwingenden Beobach— tungen, daß im Anfang des Werdens der Organismen Urzeugung ſtattfand. Auf dieſer Urzeugung fortbauend hat Häckel den Verſuch gewagt, den Stammbaum des Menſchen— geſchlechts zu entwerfen, und es hieße das Auge dem Fortſchritt verſchließen, wenn man ihm in dieſer Ent— wicklung der Stammesgeſchichte nicht folgen wollte. Häckel iſt der Erſte, der bereit iſt zuzugeben, daß ein ſolcher erſter Verſuch in Zukunft den wichtigſten Ver— beſſerungen und Berichtigungen enigegenjieht. Wer aber dieſen erſten Verſuch nicht wagt, der muß der Menſchheit für die Zukunft ein Unwiſſenheitszeugniß ausſtellen, oder an der Wiege ihrer Vergangenheit ein Schlaflied von Schöpfungsgeſchichten vorſingen. Wer ſich nicht einſchifft, ſagen die Spanier, kommt nicht über's Meer.“) ) Quien no se embarca no pasa la mar, 9 Im Anfang war das Leben an ein winziges Stückchen Urſchleim“) gebunden. Als ſolches ſtellte es eine einfache Urzelle“ ) dar, in welcher noch kein Unterſchied waltet zwiſchen Kern und Leib der Zelle. Solche Urzellen leben heute noch in der Tiefe des Meeresgrundes und ſind zuerſt von Häckel im adriatiſchen Meere entdeckt worden. Es giebt Ur— thierchenk *), die ihr ganzes Leben lang auf der Stufe von Urzellen verharren 7). Durch die Unterſcheidung in Kern und Leib oder Keimſtoff 7) wird die Urzelle zur Zelle. Die Wechſelthierchen +77), die als heute lebende Vertreter dieſer Entwicklungsſtufe zu betrachten ſind, haben deshalb eine ſo große Bedeutung für unſere Einſicht in die Lebenserſcheinungen gewonnen, weil zuerſt an ihnen die eigenthümlichen Bewegungen beobachtet worden, die durch die Zuſammenziehungsfähigkeit ) Plasson, van Beneden. *) Cytode, van Beneden. ) Moneren, Häckel. 7) Vgl. Häckel's Anthropogenie, 3. Auflage, Leipzig 1877, S. 413, und folgende. Diͤſes Buch von Häckel und ſeine natürliche Schöpfungsgeſchichte ſind nach und neben Darwin's Schriften als die Hauptquelle für die zur Wiſſen— ſchaft erwachte Naturgeſchichte zu betrachten. ) Protoplasma. tr) Amoeben. 92 ihres Keimſtoffs bedingt ſind. Dieſe Wechſelthierchen tragen den Stempel eines Entwicklungsgliedes an ſich. Sie ſind nämlich frei beweglich als Eizellen niederer Thiere beobachtet. Die Eier der Kalkſchwämme ſind von kriechenden Wechſelthierchen in keiner Weiſe ver— ſchieden *). Und es iſt gewiß ein untadeliges, lehrreiches Ver— fahren, wenn Häckel von der Uebereinſtimmung zwiſchen einer ſelbſtändigen, im Körper eines Kalk— ſchwammes “ frei umher kriechenden Eizelle mit einem ſelbſtändig lebenden Wechſelthierchen Anlaß nimmt, die manchmal ſcherzweiſe aufgeworfene Frage, ob das Ei früher da war oder das Huhn, ernſthaft zu be— antworten. Denn ohne Zweifel war das Ei früher da als das Huhn, nur nicht in der Form eines Hühnereies. Ungezählte Millionen von Geſchlechtern wurden erfordert, um von dem, den Werth einer Ei— zelle beanſpruchenden, Wechſelthierchen bis zum könig— lich geſinnten Hahne *) und der Henne aufzuſteigen. Der nächſte Fortſchritt in der Stammesgeſchichte äußert ſich in Geſtalt einer einfachen Vervielfältigung. Eine Anzahl gleichartiger Zellen, wie ſie vereinzelt ) Vgl. Häckel, a. a. O., die Abbildungen auf S. 419. **) Olynthus. ) Vgl. Maſius, Naturſtudien. Erſter Band, achte Auf- lage, Leipzig 1874, S. 65, 66. 93 ein Wechſelthierchen darſtellen, mit einander zu einem Einzelweſen verbunden, wird uns in den zuſammen— geſetzten Wechjelthierchen *) vorgeführt, wie fie von Archer, Richard Hertwig und Cienkowski beſchrieben worden. Aus dem Zellenhaufen, aus der einfachen Zellen— gemeinde wird nach und nach eine Blaſe, deren Wand aus einer einfachen Schicht von Zellen beſteht. So— wohl im ſüßen Waſſer, wie im Meere leben derartige kugelige Blaſen als ſelbſtändige Urthierchen, die noch insbeſondere dadurch gekennzeichnet find, daß ſie an ihrer Oberfläche flimmernde Wimperhaare tragen. Sie ſind den Flimmerlarven *) einer vorübergehenden Entwicklungsſtufe mancher niederen Thiere, der Quallen z. B., zu vergleichen. Ein überaus zierliches Beiſpiel dieſer Flimmer— kugeln iſt von Häckel an der norwegiſchen Küſte beobachtet worden. Dieſe norwegiſche Flimmer— kugel“ *) ſchwimmt frei im Meere. Ihre Wand be— ſteht aus dreißig bis fünfzig gewimperten Zellen, die, wenn ſie ihre volle Ausbildung erlangt haben, ſich von einander trennen. Aus jeder aus dem Gemein— verband ausgetretenen Zelle wird ein frei lebendes ) Synamoebien, Cienkowski. Planula. a) Magosphaera planula. Häckel. 94 Wechſelthierchen, das ſich nach einiger Zeit einkapſelt, eine formloſe Hülle ausſchwitzt, wodurch die voll— ſtändigſte Aehnlichkeit mit einer Eizelle erreicht und in der That ein neuer lebhafter Entwicklungsprozeß vorbereitet wird. Denn die einzelnen Zellen theilen ſich, und die neu entſtandenen immer auf's Neue in je zwei Zellen, bis ſich deren zweiunddreißig und mehr gebildet haben. Und dieſe Tochterzellen verbinden ſich wieder zu einer Kugelblaſe, an deren Oberfläche Wimpern hervorſproſſen. Die neue Flimmerkugel ſprengt die Kapſel, die das Wechſelthierchen aus— geſchwitzt hatte. Ein neues, aus vielen Zellen zu— ſammengeſetztes Einzelweſen iſt gebildet, und die Zellentheilung läuft in überſichtlichſter Weiſe auf Fortpflanzung der Art hinaus. Als Enkelin der Wechſelthierchen in der Stammes— geſchichte betrachtet Häckel eine Blaſenform, an welcher ein durch eine Längsachſe ausgezeichneter Darm mit einer Mundöffnung, ein Urdarm und ein Urmund, zu unterſcheiden. Ihr entſpricht in der Keimesgeſchichte aller Thiere, mit alleiniger Ausnahme der niederſten Urthiere, eine Entwicklungsform, die Häckel als Darmlarve ) bezeichnet hat. Er nimmt, dieſer Darmlarve der Keimesgeſchichte entſprechend, in ) Gastrula. ee c ee 95 der Stammesgeſchichte ein Urdarmthierchen *) an, deſſen Verkörperung in der Gegenwart mit der Eigenthüm— lichkeit fortlebt, daß die betreffenden Pflanzenthiere ““) mit dem der Mundöffnung entgegengeſetzten Körper— ende am Meeresboden feſtwachſen. Sie bilden einen walzen- oder eiförmigen Schlauch, deſſen Höhle eben die geſammte Darmhöhle darſtellt und am oberen Ende die Mundöffnung trägt. Die Wand der Höhle beſteht aus zwei Zellenſchichten, die nach Häckel mit den Keimblättern, die in der Keimesgeſchichte der höheren Thiere eine eben ſo große als weit ver— breitete Rolle ſpielen, zu vergleichen ſind. Von den Urdarmthierchen aufwärts findet ge— ſchlechtliche Fortpflanzung ſtatt, die freilich bei manchen niederen Thieren zunächſt nicht die einzige Art der Vermehrung iſt, ſondern neben anderen Fortpflanzungs— weiſen einhergeht. Aus den Urdarmthierchen laſſen ſich durch weitere Entwicklung die Würmer ableiten. Von den Würmern zu den Wirbelthieren ſpannen die Mantelthiere die Brücke. Im Larvenzuſtande be— ſitzen nämlich gewiſſe Mantelthiere, die man früher zu den Weichthieren zählte, Häckel dagegen den *) Gastraea, Häckel. *) Haliphysema, Bowerbank; Gastrophysema, Carter. 96 Würmern einreiht, einen langen Schwanz, der in ſeinem Inneren einen feſteren Strang birgt, ganz demjenigen vergleichbar, der bei allen höheren Wirbel— thieren eine der wichtigſten Anlagen, gleichſam die Achſe der Wirbelſäule bildet. Sie führt den Namen Rückenſtab *) oder Achſenſtab. Dieſer Achſenſtab, der von Kowalevsky als vorübergehendes Gebilde bei den Mantelthieren ent— deckt worden, iſt von Todaro in Rom auch bei den Salpen aufgefunden, und zwar gleichfalls nur während eines beſtimmten Entwicklungszuſtandes ). Ascidien und Salpen ſind demnach während eines beſchränkten Lebensabſchnitts mit einem Achſenſtab verſehene Thiere“ ), die den Ahnen des Wirbelthier— ſtammes verwandt ſind. Sie gehören zur Wurzel des Wirbelthierbaumes. Nichts kann nun aber einem Wurme ähnlicher ſein als das berühmte Thierchen, das man wegen ſeiner lanzettähnlichen Geſtalt bald Lanzettfiſchchen, bald Lanzettthierchen r) genannt hat. Es ward vor hundert Jahren (1778) von dem deutſchen Natur- ) Chorda dorsalis. *) F. Todaro, sopra lo sviluppo e l’anatomia delle salpe. Atti della Reale Accademia dei Lincei, seconda serie, Hk e Chordonier. 7) Amphioxus lanceolatus. J. Müller. 97 forſcher Pallas entdeckt und anfangs für eine nackte Schnecke gehalten. Später den Fiſchen zugezählt, wurde es von Häckel aus dieſer Klaſſe wieder ge— ſchieden, weil es ohne Kopf, ohne Hirn, ohne Herz, ohne andere Spur einer Wirbelſäule als eben den Achſenſtab, ohne Gehör, mit ſehr unentwickelten Nieren ſein Leben verbringt. Dieſes Lanzettthierchen iſt das wahre Urbild der Wirbelthiere. So lang wie zwei bis drei Mannsfinger breit ſind ), lebt es im Sande vergraben an der Küſte des Mittelmeers, der Oſtſee, der Nordſee, farblos oder kaum röthlich, in der Geſtalt einem lanzettförmigen Blatte vergleichbar). Vom einen bis zum anderen Körperende iſt es von dem Achſenſtab durchſetzt, d. h. von eben dem Rückenſtab, der als Achſe der Wirbelſäule in einer frühen Entwicklungszeit bei allen Wirbelthieren vor— kommt. Die Art wie dieſer Rückenſtab beim Lanzettthierchen vorhanden iſt, genügt, um dasſelbe als Vorſtufe eines Wirbelthiers zu kennzeichnen. Und dennoch iſt es nur zu billigen, wenn Häckel das Thierlein, das von *) Fünf bis ſieben Centimeter. **) Vgl. die Abbildung bei Häckel, a. a. O. S. 337. Ur? 98 den Fiſchen kaum weniger verſchieden iſt, als dieſe von den Säugethieren, unter dem Namen des Schädel— loſen“) von den übrigen Wirbelthieren abgetrennt hat. Es gehörte ein lobenswerther Muth dazu, eine einzige Form zu einer Klaſſe zu erheben, eine Klaſſe aufzu— ſtellen, die nur Einen Vertreter hat. Aber es gewährt die höchſte Befriedigung der Vernunft, daß die Wiſſen— ſchaft das Recht beanſprucht, die Organismen nach leitenden Grundſätzen zu ordnen, unbekümmert darum, ob ein organiſches Weſen in einem Schubfach der Naturgeſchichtler viel oder wenig Raum einnimmt. Dem Verdienſte ſeine Krone! Häckel hat ganz Recht, wenn er zwiſchen den Zeilen leſen läßt, daß er dem Lanzettthierchen allein einen Kryſtallpalaſt bauen möchte, um es ſeiner Bedeutung für die Stammes— geſchichte des Menſchen gemäß und würdig auszuſtellen. Ueber dem Rückenſtab trägt das Lanzettthierchen ſein Rückenmark, in Geſtalt eines Markrohrs, das an ſeinem vorderen Ende durch eine unmerkliche rundliche Anſchwellung das erſte Auftauchen des Gehirns in dem Stamme der Wirbelthiere verkündet. Sein Darm zerfällt in zwei Abſchnitte. Der vordere dient als Kiemenkorb dem Athmen, der hintere der Verdauung. *) Acranier. e Pr 99 Das Blutgefäßſyſtem des Lanzettthierchens gleicht mehr demjenigen der Würmer, als dem der Wirbel— thiere. Zwiſchen dem Ruͤckenſtab und dem Darm verläuft ein Längsgefäß, das als Arterie, an der Bauchſeite des Darmes ein anderes, das als Vene zu betrachten iſt. Beide hängen vorn und namentlich am Kiemenkorb durch zahlreiche Verbindungsäſte zu— ſammen. Da wo hinten am Kiemenkorb dieſe Ver— bindungsäſte, die ſogenannten Kiemengefäßbogen, be— ginnen, beſitzt die Längsvene eine ſpindelförmige Anſchwellung, die als erſte Andeutung eines geſonderten Herzens die dereinſtige Entwicklung dieſes muskulöſen Hohlſchlauchs bei den ausgebildeten Wirbelthieren ahnen läßt. Während die Nieren ſich nicht über die Stufe von einfachen, wenig entwickelten Hautdrüſen erheben, und dadurch ihre auch bei den höchſten Thieren be— ſtehende Verwandtſchaft mit den Schweißdrüſen ver— rathen, ſind die Geſchlechtsdrüſen höher entwickelt. Sie liegen zu beiden Seiten im Innern der Kiemenhöhle. Und die Lanzettthierchen ſind getrennten Geſchlechts. Sie leben von gemiſchter Koſt, von pflanzlichen und thieriſchen Ueberreſten, von niederen Pflänzchen“ und Aufgußthierchen. *) Diatomeen. 11:77 100 Nun braucht man bloß die Larve einer Lamprete zu betrachten“), um inne zu werden, wie allmälig die Thierreihe vom Lanzettthierchen zu den Rund— mäulern ? aufſteigt. Aus dieſen Rundmäulern, welche die meiſten Naturforſcher den Fiſchen zuzählen, hat Häckel mit Fug und Recht eine eigene Thierklaſſe gemacht. Zu ihr gehören die ſogenannten Inger“) und die ſchon etwas höher entwickelten Lampreten +). Den Namen der Rundmäuler verdanken dieſe Thiere ihrem kreisförmigen oder halbkreisförmigen Munde. Der charakteriſtiſche Fortſchritt vom Lanzettthierchen zum oben genannten jugendlichen Zuſtande der Lam— preten läßt ſich darauf zurückführen, daß in dem letzteren am vorderen Ende das Gehirn zu einer deutlichen birnförmigen Blaſe, das Herz zu einem aus Kammer und Vorkammer beſtehenden Muskelſchlauche vorgeſchritten iſt. Wie das Lanzettthierchen, ſo haben auch die Inger noch einen einfachen Achſenſtab aufzuweiſen. Bei den Lampreten aber iſt bereits ein häutiges Rohr um das *) Vgl. Häckel a. a. O., Tafel XI., auf der in Fig. 16 die Lampretenlarve, in Fig. 15 das Lanzettthierchen neben einander abgebildet ſind. ) Oyclostomen. a) Schleimfiſche, Myxinoides. +) Pricken, Neunaugen, Petromyzontes. 2 101 Rückenmark vorhanden, über welchem in einzelnen knorpeligen Bogen die Wirbelabtheilung aufdämmert. Aber ſämmtlichen Rundmäulern fehlen noch die Kiefer und Floſſen. Sie haben noch eine einfache unpaare Naſengrube. Sie entbehren der Schwimm— blaſe, die als Ausſtülpung des vorderen Darmab— ſchnitts für die erſte Anlage der Lungen in der Stammesgeſchichte gelten muß. Nun treten die Urfiſche auf. Es ſind jene niederen Fiſchformen, die man häufig im engeren Sinne als Knorpelfiſche“) bezeichnet, und zu denen z. B. der Haifiſch gehört. Sie haben paarige Naſengruben, innere Kiemenbogen, aus deren vorderſtem Paare ſich Ober- und Unterkiefer entwickeln. Die Schwimmblaſe, die Vorläuferin der Lungen, erſcheint, und von nun an haben wir Bruſt- und Bauchglieder, die beim Haifiſch, wie bei allen ächten Fiſchen, als Bruſt- und Bauchfloſſen entwickelt ſind. Unter den Eingeweiden ſtellen ſich die Milz und Bauchſpeicheldrüſe ein. Das Nervenſyſtem, das vor allen Dingen in der Bildung des Gehirns einen großen Fortſchritt bekundet, ver— vollſtändigt ſich durch die Bildung der ſympathiſchen Nerven. ) Selachier. — 102 Bis hierher haben wir es mit lauter Waſſer— thieren zu thun. Es iſt für die ganze Urzeit charakteriſtiſch, daß in ihr landbewohnende Thiere noch nicht in die Erſcheinung treten. Alle die niederen Thiere, von welchen bis jetzt die Rede war, beziehen den zum Leben erforderlichen Sauerſtoff aus dem Waſſer, welches Luft gelöſt enthält, die niederſten unmittelbar durch die Haut, die höheren, wie die Mantelthiere, Lanzettthierchen, Rundmäuler und Ur— fiſche, durch beſondere Organe oder Kiemen. Die alte Zeit erſt hat das land- oder luftathmende Leben eingeweiht. Der Urfiſch wird Lurchfiſch *). Seitdem die Lurchfiſche oder Doppelathmer, d. h. mit Kiemen und Lungen verſehene Thiere, als Abkömmlinge der Urfiſche angeſehen werden, die ſich allmälig dem Landleben angepaßt, haben ſie aufgehört die Qual der Naturforſcher zu ſein, die ſich nicht darein finden konnten, daß eine Thierform erſchaffen ſein ſollte, die nicht den Stempel mit auf die Welt gebracht hätte, um auszuweiſen, ob ſie zu den Fiſchen oder Lurchen gehört. Der berühmte amerikaniſche Lurchfiſch **) it ) Dipneuste, Doppelathmer. Zu den noch jetzt lebenden Dipneusten gehören: Lepidosiren paradoxa in Süd-Amerika, Protopterus annectens in Afrika, Ceratodus Forsteri in Auſtralien. **) Lepidosiren paradoxa. Er ei 103 eben kein Fiſch mehr und noch kein Lurche, ſondern ein in der Lurchwerdung begriffener Fiſch, und es iſt wiederum Häckel's Verdienſt, daß er mit kühnem Griff aus dieſem Fiſch, aus ſeinen afrikaniſchen und auſtraliſchen noch lebenden, ſo wie aus ſeinen aus— geſtorbenen Verwandten eine eigene Thierklaſſe ge— macht. Iſt dies doch die einzige vernünftige Art der Thatſache einen Ausdruck zu leihen, daß Niemand weiß, ob man die betreffenden Thiere den Fiſchen oder Lurchen beizählen ſoll. Was kümmert's den wahren Forſcher, der kein Muſeums wächter iſt, ob eine Thierklaſſe viel oder wenig, oder vielleicht gar nur Einen Vertreter hat? Die weſentlichſte Eigenthümlichkeit dieſer Lurchfiſche beſteht eben darin, daß ſie Doppelathmer ſind. Mit Kiemen und außerdem mit einer oder zwei Lungen verſehen, können ſie, zwiſchen den Wendekreiſen lebend, während der Regenzeit in den Flüſſen, zur Zeit der Trockne im Schlamme beſtehen. Aber dieſes Merkmal, das ſich bei den Lurch— fiſchen durch's ganze Leben erhält, wird bei den meiſten Lurchen“) auf zwei verſchiedene Lebensſtufen vertheilt. Der Froſch z. B. iſt im Larvenzuſtande, als ſo— genannte Kaulquappe, zunächſt mit äußeren, ſpäter ) Amphibien. 104 mit inneren Kiemen verſehen, und zeigt auch äußer— lich durch feinen langen Schwanz, zumal im Anfang, die größte Aehnlichkeit mit einem Fiſche. Und dieſe Uebe reinſtimmung mit den Fiſchen iſt in durchgreifen— der Weiſe im Herzen ausgeprägt, welches in den Froſchlarven, wie in den Fiſchen, noch immer aus einer einfachen Vorkammer und Kammer beſteht. Wenn die Kaulquappe ſich zum Froſch ausbildet, ſind die Glieder hervorgeſproßt, die Lungen haben ſich aus dem Schlunde ausgeſtülpt, die Vorkammer des Herzens iſt durch eine Scheidewand verdoppelt, die Kiemen verſchwinden, der Schwanz fällt ab. Zwiſchen der urſprünglichen Larvenform und dem ausgebildeten Froſche lag aber eine Entwicklungsſtufe, auf welcher der Froſchlurche den Fiſchlurchen in dem Hauptmerkmal glich, daß auch er ſowohl Lungen als Kiemen beſaß, die indeß nach Rusconi nie zu gleicher Zeit benutzt werden ſollen ). Wie ſehr aber ſelbſt im völlig entwickelten Froſche die Lungenathmung erſt im Werden begriffen iſt, das lehrt nicht blos der einfache, großzellige Bau ſeiner Lungen, ſondern auch die Thatſache, daß ſeine Haut als Athemwerkzeug kräftiger arbeitet als die Lungen ſelber. Fubini fand, daß durchſchnittlich durch die *) Rusconi, Observations anatomiques sur la sirene, mise en parallele avec le protée et le tetard de la sala- mandre äquatique, Pavie, 1837, p. 15, 23, 24. 105 Lungen des Froſches nur Yır von der Kohlenſäure entweicht, die durch feine Haut abgejchieden wird“). Und dadurch eben erklärt ſich die von Bernard, Donders, Albini und Anderen beobachtete That— ſache, daß Fröſche, die der Lungen beraubt worden, dieſen für alle höheren Thiere tödtlichen Eingriff längere Zeit überleben können. Fubini hat Fröſche, denen er die Lungen weggenommen hatte, länger als drei und einen halben Monat am Leben erhalten. Nach ſeinen und meinen Verſuchen kann der Froſch die Lungen leichter als die Leber entbehren. Nun werfen aber nicht alle Lurche ihre Kiemen ab. Der berühmte blinde Kiemenmolch der Adels— berger Grotte“) behält die Kiemen das ganze Leben hindurch bei und kann, da er auch, wenn gleich wenig entwickelte, Lungen beſitzt “), wie ein ächter Doppel— ) Fubini, über den Einfluß des Lichts auf die Kohlen— ſäure⸗Ausſcheidung bei den Batrachiern nach Wegnahme der Lungen, in Moleſchott's Unterſuchungen zur Naturlehre des Menſchen und der Thiere, Band XII, Gießen, 1877, S. 103 und 110. ) Proteus anguineus. ) Rusconi hat in ſeiner oben angeführten berühmten Abhandlung dem Proteus die Lungen abgeſprochen (a. a. O. p. 4, 13, 26, 29, 32), Cuvier dagegen hat die Blaſen, welche Rusconi den paarigen Schwimmblaſen mancher Fiſche verglich (p. 32), als Lungen gedeutet, wie denn in der Keimesgeſchichte die Schwimmblaſen und die Lungen gleichen Werth beanſpruchen, einem Werkzeug vergleichbar, das je nach 4 = * u „ nee ze “ J N K wre 106 athmer, ſowohl unmittelbar als mittelbar Luft athmen, indem er ſie aus der Atmoſphäre ſchöpft, wie aus dem Waſſer. dem Bedürfniß des Organismus verſchiedene Verrichtungen ausführt. Die namhafteſten neueren Forſcher ſind Cuvier gefolgt, indem ſie dem Proteus wirkliche Lungen zuſchrieben; vgl. z. B. Stannius, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere, Berlin 1846, S. 232; Gegenbaur, Grund⸗ züge der vergleichenden Anatomie, 2. Auflage, Leipzig 1870, S. 820; Huxley, Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere, aus dem Engliſchen überſetzt von Ratzel, Breslau 1873, S. 160; Nuhn, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie, Erſter Theil, Heidelberg 1875, S. 98. Abgebildet ſind die betreffenden Blaſen bei Rusconi, Tafel II, Fig. 3 und vollſtändiger Tafel III, Fig. 1. Rusconi bekämpfte die Lungendeutung, weil die betreffenden Blaſen, mit den Geſchlechtswerkzeugen in eine Bauchfellsfalte eingeſchloſſen, ſich nicht frei aus— dehnen können und keinen beſonderen kleinen Gefäßbogen, keinen Lungenkreislauf beſitzen. Er ſchloß aus ſeinen Ein— ſpritzungen der Gefäße, daß alles Blut, welches von den betreffenden Blaſen herkommt, durch eine von den Geſchlechts— werkzeugen ſtammende Ader der Hohlader zufließt. (Rus coni, a. a. O. p. 13, 14.) Huxley bemerkt, daß beim Proteus nicht alles Blut zum Herzen zurückkehrt, ſondern ein Theil deſſelben den Adern des Rumpfes zuſtrömt. Jeden— falls handelt es ſich beim Proteus um eine wenig entwickelte Lunge, und wenn im Text für dieſen Kiemenmolch der Adels— berger Grotte die Möglichkeit einer Lungenathmung zugegeben wird, ſo ſoll damit nicht etwa geſagt ſein, daß die Thätigkeit der Lungen die der Kiemen erſetzen könne. Denn aus Rus⸗ coni's lehrreicher Abhandlung erhellt, daß nach Beobachtungen, an welchen auch Configliacchi und Volta betheiligt waren, Proteus außer dem Waſſer beinahe ebenſo ſchnell zu Grunde geht wie ein Fiſch. (Rusconi, a. a. O. p. 26.) 107 Andere, derjelben Klaſſe der Lurche angehörige Thiere, die Salamander und Waſſermolche ), verlieren zwar in der Regel die Kiemen. Wenn man ſie aber im Larvenzuſtande daran verhindert, an's Land zu gehen, dann kann es ſich ereignen, daß ſie die Kiemen zeitlebens beibehalten. Es giebt keinen geraderen Beweis für den mächtigen Einfluß, den außer der Erblichkeit auch die Lebensverhältniſſe auf die Verrichtung und Geſtaltung der Thiere ausüben, als dieſe merkwürdige Thatſache, daß einem gewöhnlich die Kiemen ablegenden Molche die Waſſerathmung und damit der dauerhafte Beſitz der Kiemen aufgezwungen werden kann, wenn man ihn nicht aus dem Waſſer läßt. Und der Beweis wird in der merkwürdigſten Weiſe vervollſtändigt durch jene andere Beobachtung, nach der es gewöhn— lich durch andauernden Beſitz der Kiemen aus— gezeichnete Lurche, ſogenannte Kiemenlurche“ ) giebt, die umgekehrt, wenn ſie auf's Land gerathen, der Kiemen verluſtig gehen und einem ausgewachſenen Salamander ähnlich werden. Dieſes zur Beleuchtung der Wandelbarkeit der Art ſo handgreifliche Ereigniß iſt im Pariſer Pflanzengarten an einem berühmten ) Tritonen. **) Porennibranchiata, Sozobranchia. 108 mexikaniſchen Kiemenmold*) mehrmals beobachtet worden. Gelegentlich alſo, wenn dieſer mexikaniſche Molch, gegen ſeine Gewohnheit, auf's Land geräth, wird er den Fröſchen und Salamandern ähnlich, in— ſofern er die Kiemen verliert. Dies erinnert an eine ältere Beobachtung Rusconi's, der bei Larven des Waſſermolchs, die nicht weit von ihrer völligen Umwandlung entfernt waren, als er ſie aus dem Waſſer genommen hatte, die Rückbildung der Kiemen ſich beſchleunigen und die Lungenthätigkeit früher wie gewöhnlich in Gang kommen ſah *). Und was hier für Ausnahmsfälle den Einfluß der äußeren Umſtände kennen lehrt, das bildet die Regel bei einem Laub— froſche von Martinique **), der ſich dem trocknen Klima ſeiner Heimath in dem Grade angepaßt hat, daß er gleich ohne Kiemen und ohne Schwanz, nicht als Larve, ſondern als fertig gebildetes Fröſchlein aus dem Ei ſchlüpft. a Außer der Bildung der Lungen und der dadurch ermöglichten unmittelbaren Luftathmung kommt nun bei den Lurchen ein anderes Merkmal zum Durchbruch, ) An dem Axolotl, Siredon pisciformis. In Häckel's Antropogenie iſt dieſer mexikaniſche Kiemenlurche auf Tafel XIII, Fig. 1, abgebildet. *) Rusconi, a. a. O. p. 21-23. e) Hylodes martinicensis. Bavay. 109 das ſich auf die Glieder bezieht. Die Floſſen der Fiſche ſind als vielzehige Füße zu betrachten; von den Lurchen aufwärts bildet der fünfzehige Fuß die Regel. (Gegenbaur.) Wo es bei Lurchen und höheren Wirbelthieren vorkommt, daß der Fuß der unmittelbaren Beobachtung eine geringere Zahl von Zehen auſweiſt, iſt dieſelbe auf eine Rückbildung urſprünglicher Anlagen zurückzuführen. Zu dieſem Kennzeichen, das ſich auf alle höheren Wirbelthiere vererbt hat, geſellt ſich nun ein höchſt bezeichnendes Merkmal, das allein genügen würde, um zu beweiſen, daß ſich von den Lurchen an die Stammesgeſchichte in zwei verſchiedenen Richtungen fortentwickelt hat. Es haben nämlich die Lurche wie die Säugethiere an ihrem Schädel zwei Gelenkhöcker, durch welche ſeine Verbindung mit dem erſten Halswirbel ver— mittelt wird. Bei den Schleichern und Vögeln iſt dagegen der Schädel durch einen einzigen Gelenkhöcker mit dem erſten Halswirbel verbunden, der als Träger des wichtigſten, wenn auch nicht des gewichtigſten Körpertheils den Namen Atlas bekommen hat. Wegen jener Uebereinſtimmung zwiſchen Lurchen und Säugethieren und wegen der Aehnlichkeit, welche die erſte Entwicklung des Eies in beiden Klaſſen dar— bietet, iſt es gewiß gerechtfertigt mit Häckel die 110 Stammesgeſchichte der Säugethiere, ohne Vermittlung der Schleicher und Vögel, auf die Lurche zurück— zuführen. Dieſe Auffaſſung gewinnt noch dadurch an Be— deutung, daß nach meinen) und Funke's ) Be⸗ obachtungen die reifen Blutkörperchen des Froſches, ſo lange die freie Luft nicht darauf eingewirkt hat, wie die der Säugethiere, des Kerns entbehren. Wenn Moriggia***) im ſtrömenden Blute der Gefäße des durchſichtigen Gekröſes beim Froſche die rothen ellipſoidiſchen Blutkörperchen kernhaltig geſehen hat, ſo iſt der Zweifel erlaubt, daß in dem aus dem Körper hervorgezogenen, äußerſt dünnen Gekröſe die Luft zu den Körperchen innerhalb der Gefäße hin— länglich freien Zutritt fand, um ſelbſt im ſtrömenden Blut jenes Gerinnſel zu erzeugen, das nach mir und Funke die abſterbenden Blutkörperchen des Froſches auszeichnet. Offenbar wäre auf jede Aehnlichkeit in Elementar— gebilden, wie die Blutkörperchen ſind, für die Ab— ſtammung ein großer Nachdruck zu legen. ) Jac. Moleſchott, über die Entwicklung der Blut- körperchen, in Müller's Archiv, 1853, S. 82. * Funke, Lehrbuch der Phyſiologie, 4. Auflage, Leipzig 1863, Bd. I, S. 17. ) Moriggia, Legge und Sciamanna, in Mole ſchott's Unterſuchungen, Bd. XI, S. 475. . 111 Den Uebergang von den Lurchen zu den Säuge— thieren läßt Häckel nun aber nicht unmittelbar von Statten gehen. Weil in den drei höheren Wirbelthierklaſſen, den Schleichern, Vögeln und Säugethieren, das keimende Junge) regelmäßig von einer eigenthümlichen durch— ſichtigen Eihaut, dem ſogenannten Amnion, umhüllt wird, nimmt Häckel an, es müſſe für ſämmtliche Amnionthiere**) einen gemeinſchaftlichen Stammvater gegeben haben, der eine Mittelform zwiſchen Sala— mander und Eidechſe geweſen wären). Häckel nennt dieſen Stammvater das Uramnionthier 1). In ihm würde zum erſten Mal die urſprüngliche Kiemen— loſigkeit zu Tage treten, obgleich Kiemenbogen ohne Kiemenblättchen im jungen Keime vorhanden waren. Mit dem Uramnionthier müßte ferner die Bildung eines dünnwandigen Schlauches beginnen, der früher oder jpäter mit dem hinteren Ende des Darmkanals zuſammenhängt und die weſentliche Rolle ſpielt, daß er zum Leibe des Embryo mächtig herauswachſend, bei allen Amnionthieren, welche Eier legen, die Blut— gefäße der Luft und dem Nahrungsdotter entgegen— ) Embryo. ) Amniota. +++) Häckel, Anthropogenie, 3. Auflage, S. 483 —486. +) Uramniote, Protamnion. 12 trägt, bei den lebendiggebärenden dagegen die Blut— gefäße des Keimes mit denen der Mutter in eine der— artige Wechſelbeziehung bringt, daß dem Blute des werdenden Jungen ſowohl Sauerſtoff, wie Nahrung zugeführt wird. Die eierlegenden Amnionthiere ſind nun bekanntlich die Schleicher und Vögel, die lebendig— gebärenden die Säugethiere mit Einſchluß des Menſchen. Jener Schlauch trägt den Namen Urharnſack “), zunächſt weil ſein unterer, im Leibe des wachſenden und ausgewachſenen Thieres fortbeſtehender Theil die Harnblaſe iſt, und er verdient jenen Namen, weil ihm aus den Urnieren des Keims eine Flüſſigkeit zu— geführt wird, die, dem Harne vergleichbar, als Urharn angeſehen werden kann. So wenig nun Häckel's Uramnionthier ſchon unmittelbar greifbar iſt, jo wird es doch hier mit dem beſten Gewiſſen, aber auch aus Gewiſſenhaftigkeit, als eine vorausgeſetzte aber in der hochberechtigten Annahme forſchender Wißbegierde beſtehende Ueber— gangsform vorgeführt. Die Wiſſenſchaft kann ſich auf dieſem Gebiete jo wenig ein Kehrtmachen **) befehlen laſſen, wie auf irgend einem anderen. Der Ver— gleich eines ſolchen Stammvaters mit den Geſchlechts— ) Allantois. *) „Die Wiſſenſchaft muß umkehren.“ Stahl. 115 regiſtern einer Sage, ſei ſie homeriſch, moſaiſch oder chriſtlich, iſt ſo hinkend wie nur immer möglich. Denn die Sagen wollen nicht etwa die Ueberzeugung an— bahnen, daß zum Beiſpiel die homeriſchen Helden einen Vater gehabt. Das ſetzen ſie mit ruhigem Gewiſſen voraus. Was ſie vorſpiegeln, das iſt das Beſtehen eines ganz beſtimmten Einzelweſens, mit Namen und Zunamen, von bekanntem Wuchſe, erſchauten Geſichts— zügen, farbigem Barte, beſtimmender Gemüthsart und feſt beſtimmtem Handeln. Von allen ſolchen Kenn— zeichen weiß die Annahme eines Stammvaters der Amnionthiere nichts und will nichts davon wiſſen. Sie glaubt es dem Homer, daß ſeine Helden einen Vater hatten, der alle Eigenart eines Mannes an ſich trug. Nur ſo weit begleitet die Lehre der natür— lichen Abſtammung alle Sage, nur ſo weit erfreut fie ſich derſelben, wie einer menſchlichen Verheißung, die ſie um ſo inniger liebt und bewundert, je reiner und menſchlicher ſie dichtet. Was die Stammes— geſchichte ihrerſeits betont, iſt, daß die Amnionthiere ihren Anfang hatten, daß der Beſtand eines Amnion und einer gefäßreichen Allantois, ſo wie die urſprüng— liche Kiemenloſigkeit, das fortgeſchrittene Gehirn und der ſo viel reicher entwickelte Blutkreislauf Merkmale ſind, die, weil ſie Schleichern, Vögeln, Säugern ge— meinſam eignen, ihren Urſprung in einer gemeinſamen 8 114 Wurzel haben müſſen, die eben im Uramnionthier zu ſuchen iſt. Dieſes Uramnionthier iſt alſo ſo wenig ſagenhaft, ſo wenig fabelhaft oder gar romanhaft, wie die Ueber— zeugung, daß Achill einen Vater hatte, oder wie die Gewißheit, daß das Hühnchen in dem Ei der Abſchluß von tauſend Entwicklungsſtufen ſein muß, jene über— zeugungsſelige Gewißheit, welche die Fabrizio di Acquapendente und Malpighi, die Wolff und Pander, von Baer und Remak zu ent- wicklungsgeſchichtlichen Studien begeiſterte. Alſo war der Menſch in der Stammesgeſchichte erſt Urzelle, dann Vollzelle, und nach und nach eine kleine einfache Zellengemeinde, Flimmerlarve, Urdarm— thier, Wurm, Rückenſtabsthier und darauf ein Ver— wandter des Lanzettthierchens, um in dieſer Geſtalt ſich zur Reihe der Wirbelthiere zu erheben. Innerhalb der Wirbelthierreihe führt das Lanzett— thierchen aufſteigend zu den Schleimfiſchen, Knorpel— fiſchen, Fiſchlurchen, wahren Lurchen, und dieſe ver— mitteln den Fortſchritt zum Uramnionthier. 415 Bei allen Amnionthieren nun hat nicht bloß die Vorkammer, ſondern auch die Kammer des Herzens eine Scheidewand, ſo daß von nun an Kammer und Vorkammer doppelt vorhanden ſind. Der höher ent— wickelten, beinahe ganz den Lungen angehörenden Athmungsverrichtung entſpricht eine ſchärfere Sonderung zwiſchen dem athmenden Blute, das zum Leiſten be— fähigt wird, und dem leiſtenden Blute, das gerade in Folge ſeiner Leiſtungen des Athmens bedürftig wird. Darauf beruht der Gegenſatz zwiſchen dem Lungen— kreislauf und Körperkreislauf, oder zwiſchen dem kleinen und dem großen Bogen des vom Blute durch— laufenen Kreiſes. Was die Kiemenbogen an die Athmungswerkzeuge nicht mehr zu liefern haben, das ſteuern ſie nunmehr wenigſtens theilweiſe zur höheren Entwicklung des Gehörorgans der Amnionthiere bei. Und wie die Athmung von den übrigen Verrichtungen, insbeſondere von denen der Haut, ſchärfer geſondert iſt, ſo iſt auch die Harnabſonderung bei allen ausgewachſenen Amnion— thieren beſonderen Drüſen, den bleibenden Nieren überwieſen, die zwar aus dem Urnierengang, aber doch unabhängig von den Urnieren entſtehen. Dieſe Urnieren mit ihren Ausführungsgängen haben beim Embryo nicht bloß die Bedeutung einer vorübergehen— den harnabſondernden Vorrichtung, ſondern ſie ent— 1x8? 116 halten überdies die Anlage ſehr weſentlicher Theile der ſpäteren Geſchlechtswerkzeuge. Wie der Fortſchritt der Entwicklung ſehr oft in Arbeitstheilung beſteht, das tritt nirgends einleuchtender hervor als in dem Verhältniß der Urnieren zu den ſpäteren bleibenden Nieren und Geſchlechtswerkzeugen. Von dem Uramnionthier findet einerſeits die höhere Entwicklung in der Linie der Schleicher und Vögel, andererſeits in der Richtung der Säugethiere ſtatt. Um den Stammbaum des Menſchen höher hinauf verfolgen zu können, kommen alſo jetzt nur noch die Säugethiere in Betracht. Ihr Hauptcharakter liegt in dem Beſitz der Milch— drüſen, aus denen das neugeborene Junge, wenn auch nicht immer ſaugend, ſeine Nahrung bezieht. In den inneren Theilen der Säugethiere bekundet ſich die aufſteigende Entwicklung vor allen Dingen durch den ſtetigen Fortſchritt im Hirnbau, ſodann aber durch das Vorhandenſein eines vollſtändigen Zwerchfells, welches bei keiner anderen Thierklaſſe eine querliegende Scheidewand darſtellt, welche die Bruſthöhle vollſtändig von der Bauchhöhle trennt. Schließlich ſind die Säugethiere vor allen anderen Thieren durch einen aus Hornſtoff beſtehenden Haar— wuchs ausgezeichnet, der nicht etwa bloß als Hülle und Zierde, ſondern auch als Hülfswerkzeug des 5 117 Taſtſinns, wie namentlich Aubert und Kammler dargethan, eine weſentliche Bedeutung hat. In der Klaſſe der Säugethiere ſteigt der Stamm— baum von den Uramnionthieren zu den Kloakenthieren auf, von dieſen zu den Beutelthieren, und von den Beutelthieren ſchließlich zu der großen Gruppe von Säugern, welche die Jungen länger in der Gebär— mutter tragen, und bei welchen ein Aderkuchen die Gefäße von Keim und Mutter in ſo innige Wechſel— beziehung bringt, daß die Frucht im Mutterleibe un— mittelbar aus dem mütterlichen Blut die Stoffe ſchöpft, deren ſie zur Ernährung und Athmung bedarf. Die niedere Stellung der Kloafenthiere*) in der Reihe der Säugethiere wird zunächſt dadurch be— zeichnet, daß, genau wie es auf einer früheren Ent— wicklungsſtufe der höchſten Säugethiere mit Einſchluß des Menſchen ſich findet, der Maſtdarm noch in offener Verbindung ſteht mit den Ausfuhrwegen der Geſchlechts- und harnbereitenden Drüſen, oder, beſſer geſagt, eine gemeinſame Höhle nimmt ſchließlich Harn und Koth und die Geſchlechtsprodukte auf. Dieſe gemeinſame Ausfuhrhöhle führt, weil ſie Unreinem und Reinem, der Schlacke wie den Keimen den Weg bahnt, den Namen Kloake, welcher die ganze Thier— ) Gabler, Monotremata, Ornithodelphia, 118 gruppe mit dem Namen Kloakenthiere geſtempelt hat. Dieſe, die Schnabelthiere umfaſſende, Gruppe, iſt nun ferner dadurch ausgezeichnet, daß ihre Vertreter noch keine Zitzen haben. Die Milch ſickert durch kleine Hautöffnungen der Mutter hervor und wird von den Jungen abgeleckt. Dazu kommt noch, daß der Ur— harnſack ſich bei den Kloakenthieren, ähnlich wie bei den Vögeln, nicht zu einem Aderkuchen, ſondern zu einer mächtig wachſenden Gefäßhaut entwickelt, welche den Embryo mitſammt dem Amnion umhüllt. Während nun die Beutelthiere*), zu welchen die Beutelratten und Känguruhs gehören, im Verhalten des Urharnſacks mit den Kloakenthieren und folglich mit den Vögeln übereinſtimmen, weichen ſie von letzteren darin ab, daß nunmehr, und fortan bei allen ausgewachſenen höheren Säugern, der Maſtdarm von dem Ausführungsweg des Harns wie des Eies oder Samens durch eine Scheidewand getrennt iſt. Sodann haben die Beutelthiere ſchon wahre Zitzen. Das auszeichnendſte Merkmal aber, welches ihnen den Namen gegeben, und welches ſie gleich ſehr von den Kloaken-, wie von den Aderkuchenthieren unterſcheidet, iſt der durch zwei Knochen geſtützte Beutel, den ſie am Bauche tragen. Dieſer Beutel, in welchem die Zitzen ſich befinden, iſt gleichſam eine zeitliche, nicht *) Marsupialia, Didelphia. a A di kn OA Ai Wut 7 ma ll" nt ae Al NET niet, ha ann den 119 örtliche Fortſetzung der Gebärmutterhöhle, in welcher die in ſehr unfertigem Zuſtande geborenen Jungen längere Zeit, beim Rieſenkänguruh, das ſein Junges nur einen Monat im Mutterleibe trägt, gar neun Monate lang, gehegt und gebrütet werden. Man könnte ſagen, daß die keimesgeſchichtliche Entwicklung der Beutelthiere theils im, theils am Mutterleibe, an den Zitzen hängend, erfolgt. Und damit iſt zugleich das Verhältniß bezeichnet, welches den Fortſchritt zu den Aderfuchenthieren *) charakteriſirt. Dieſe erlangen innerhalb der Gebär— mutter einen weit höheren Grad von Ausbildung. Und dies wird gerade durch den lebhaften Austauſch zwiſchen den Beſtandtheilen des mütterlichen und embryonalen Blutes möglich gemacht, das der Ader— kuchen vermittelt. Es würde die Grenzen des Schatzes von Thatſachen, deſſen es zu dem hier zu entwickelnden Gedankengang bedarf, bedeutend überſchreiten, wenn jetzt verſucht würde, im Einzelnen zu entwickeln, wie der Fortſchritt von den Beutelthieren allmälig zu den Halbaffen und von dieſen zu den Affen aufgeſtiegen iſt. Wer aus dem Obigen die Ueberzeugung geſchöpft hat, daß wir uns von den niederſten Thieren, an der Hand der Entwicklungsgeſchichte, den höheren genähert ) Placentalthiere, Placentalia. 120 haben, daß nichts gemacht und alles geworden iſt, der wird nicht mehr erſtaunen, wenn ihm Huxley, der berühmte engliſche Zergliederer, verſichert, daß keine Schöpfungskluft den Menſchen von den höheren Affen trennt, ſondern vielmehr ein feſtes Band der Ver— wandtſchaft ſie mit einander verbindet. Nicht bloß herrſcht ein größerer Unterſchied im Hirn- und Schädelbau, ſo wie in der ſonſtigen Leibes— beſchaffenheit, zwiſchen den niedriger ſtehenden platt— naſigen Affen“) der neuen Welt und den höher ent— wickelten ſchmalnaſigen Affen der alten, als zwiſchen dem Menſchen und den höchſt entwickelten, menſchen- ähnlichen Affen ***), ſondern der Abſtand zwiſchen den beiden letztgenannten übertrifft auch noch denjenigen, der die höchſten und niederſten Schmalnaſen, d. h. den Orang, Schimpanſe und Gorilla von den Meer— katzen und Pavianen trennt. Ja, man darf noch einen Schritt weiter gehen und die Behauptung aufſtellen, daß zwiſchen den menſchenähnlichſten Affen, zwiſchen Gibbon, Orang, Gorilla und Schimpanſe, ebenſo einſchneidende Unter— ſcheidungsmerkmale aufzufinden ſind, wie zwiſchen dieſen Affengattungen und dem Menſchen. *) Platyrhinae. ) Catarhinae. e) Menſchenaffen, Anthropoides. 121 Wer aljo für den Uebergang, der zwiſchen den Menſchenaffen ſtattfindet, ſein Auge nicht verſchließen kann, der muß auch die Brücke ſehen und zeigen, welche den Menſchen mit ſeinen nächſten Verwandten, den ihm ähnlichſten Affen verbindet. Er muß es namentlich den Schullehrern zeigen, die keine Kinder ſind und beſſer als viele Hochſchullehrer darin erfahren ſein dürften, was man den Kindern ſagen darf, und was man ihnen einſtweilen beſſer vorenthalten muß, um ſie nicht zu verwirren oder zu überreizen. Oberſte Regel muß es dabei immer bleiben, daß man ihnen die Wahrheit nicht verbirgt, am wenigſten, indem man ihnen Sage für Wiſſen aufnöthigt, und dann wird es ſelbſt den Kindern nur frommen, wenn ihnen ge— zeigt wird, wie viele Lücken unſer Wiſſen noch als Stückwerk erſcheinen laſſen. Es kann daher nicht genug gebilligt werden, wenn Häckel wiederholt darauf hinweiſt und es mit allem Nachdruck betont, daß es im höchſten Grade un— gerechtfertigt ſein würde, wenn man dieſen oder jenen beſtimmten Menſchenaffen als den unmittelbaren Stamm— vater des Menſchengeſchlechts bezeichnen wollte. Eben— 122 jo wenig kann das Lanzettthierchen, gerade wie es heute noch lebt, für das ſichere Bindeglied zwiſchen den Wirbelloſen und Wirbelthieren gelten. Und welche Form und beſondere Eigenſchaften jene Urzelle beſaß, mit welcher das Leben der Organismen auf Erden ſeinen Anfang nahm, vermag Niemand zu ſagen und Niemand hat ſich vermeſſen, es zu thun. Das was der erſte kühne, aber von tiefem und ausgebreitetem Wiſſen eingegebene Verſuch einer Stammesgeſchichte des Menſchen aus dem Geſichtpunkt der Naturkunde beweiſt, hat ſeinen Schwerpunkt in der Erkenntniß, daß wir nicht Schöpfungsthaten, ſondern einem langſam ſich entwickelnden Werden und Weben unſeren Urſprung verdanken, daß das Leben in der Form einfachſter Organismen auf der Erde einen Anfang gehabt, nicht weil eine Lebenskraft als neuer Zaubermeiſter ſich plötzlich der Elemente be— mächtigte, ſondern weil die Umſtände im Verein ge— geben waren, unter denen ſich unorganiſche Stoffe zu einer organiſchen Verbindung zuſammenfügen konnten, aus der eine Urzelle keimte. So wenig als ein Menſchenleben genügt, um alle Entwicklungszeiten einer geſunden, kräftigen Eiche von ihrem Keimen bis zu ihrem Tode zu erleben, ſo wenig gelingt es, die Uebergänge zu erſpähen, welche die Stamm— väter auch nur mit ihren nächſten Kindern verbinden. e 123 Und dennoch für diejenigen, die nicht das Gras wollen wachſen ſehen, haben die Unterſuchung der Formen, welche die Erdſchichten bergen, und die vergleichende Zergliederung der Organismen eine ſolche Fülle von Mittelformen kennen gelehrt, daß die Verkettung zur Gewißheit erhoben iſt, und wir uns Alle rühmen dürfen, mehr als ſechszehn Ahnen zu haben. Denn was früher im Allgemeinen dargeſtellt wurde, daß nämlich mit der Jugend der Erdſchichten die Vervollkommnung der Organismen Schritt hält, das wiederholt ſich im Einzelnen für die Säugethiere. Oder iſt es nicht bezeichnend, daß während in der alten oder Primärzeit noch gar keine Säugethiere lebten, die Beutelthiere ſchon in dem mittleren oder ſecundären Zeitalter der Erdgeſchichte entwickelt waren, die Aderkuchenthiere, und zwar auch ſchon Schwanz— affen), der Neuzeit oder Tertiärzeit angehören, und der Menſch ſchließlich erſt in der jüngſten oder Quaternärzeit auf der Erde erſcheint? Wo und wie der Affe Menſch geworden, das hat uns freilich die Erdrinde bisher nicht offenbart. Und wenn ſie es in Anbetracht des Vielen, was zu Grunde gegangen, und des Wenigen, was unmittelbarer Be— obachtung zugänglich iſt, niemals im Einzelnen offen— *) Menocerca. Cee „ N A RP 124 baren ſollte, jo kann das die Wiſſenſchaft nicht irren, ſo viel auch die Freunde kirchlicher oder ſtaatlicher Vormundſchaft darin eine Handhabe zu finden wähnen, weil ſie die mächtigen Urſachen des Verſchwindens der Mittelformen und die Schwierigkeit ſie zu erhaſchen gering ſchätzen. Darwin's Lehre vom Kampf- um's Daſein hat das Ausfallen der Uebergangsformen in der That auf's Befriedigendſte beleuchtet. Wo ſich immer inner— halb einer Thier- oder Pflanzenart die Einzelweſen übermäßig vermehrt haben, wird der Fall eintreten, daß nicht alle in ihrer Umgebung die Bedingungen vereint finden, die zur Erhaltung ihres Lebens er— forderlich ſind. Die einander unähnlichſten Einzelweſen werden dann die verſchiedenſten Bedürfniſſe haben. Sie werden deshalb am leichteſten in demſelben Gaue neben einander fortbeſtehen, am leichteſten im Kampf um's Daſein den Sieg davon tragen. Zunächſt noch als Angehörige derſelben Art erkenntlich, pflegt ſie die Naturgeſchichte nur als Abarten“) anzuerkennen. Aber indem ſich von Geſchlecht zu Geſchlecht die Eigenart ihres Weſens fortpflanzt, indem ſich zu dem durch Erblichkeit Erworbenen die Wirkung der Anpaſſung an eine gegebene Außenwelt hinzufügt, ſteigert ſich die Unähnlichkeit der Nachkommen, und während die ) Varietäten, Spielarten. 485 Zwiſchenformen, denen die Außenverhältniſſe und die unerbittliche Noth der Mitbewerbung ungünſtig waren, unterliegen, gehen die anfänglich nur als Abarten in einander ſpielenden Formen ſo weit aus einander, daß fie in wirkliche Arten geſchieden werden ). Im Kleinen, in ſeinen Anfängen läßt ſich ein Gleichniß zu dieſem Geſchehen, wie es ſich in der Natur in Jahrtauſenden, in Aeonen abſpielt, an jeder Menſchenfamilie beobachten, die aus einer großen Anzahl von Einzelweſen beſteht. Da gleichen unter den Kindern die einen mehr der Mutter, die anderen mehr dem Vater. Jene zeichnen ſich aus durch ein ſchöpferiſches Talent in Kunſt und Wiſſenſchaft, dieſe durch Klugheit und Thatkraft, um die Zügel des Staats oder die Waffen im Krieg zu führen. Sie pflanzen ſich fort, weil ſie, im Kampf um das Daſein Anerkennung findend, die Mittel erwerben, die zur Gründung einer Familie, zur Pflege und Erziehung, zur Ausbildung und Hingabe an beſtimmte Talente erforderlich ſind. Nun kommt es, daß einer der durch Kunſtſinn ausgezeichneten Söhne eine Gattin findet, die den Sinn für Klang und Maaß in der Tonfolge ererbt und entwickelt hat. Ein Muſiker wird ge— boren, der ſich, wenn die Umſtände günſtig ſind, als der Stammvater eines Geſchlechts von Muſikern aus— ) Divergenz der Arten. 126 weiſt, wie wir es etwa in der Familie Bach be— wundern. Aber zwiſchen den Künſtlern und Helden, zwiſchen den Weiſen und Staatsmännern wachſen in jener Familie eine Anzahl mittelmäßiger Söhne auf, denen es nicht gelang, im Wettkampf der Mitbewerber einen ausgezeichneten Platz in der menſchlichen Ge— ſellſchaft zu erringen. Nicht immer iſt das Elend an ihre Sohlen geheftet. Aber ſie freien kein hochbegabtes Weib. Ihre Familie ſteigt nicht im Bogen des Lebens. Die Nachkommen verlieren ſich in der Schaar der wenig Begabten und wenig Bemittelten, während die jener Helden oder Dichter in ihren Zügen, in ihrem Weſen, in ihrem Thun und Sinnen nach und nach eine ſolche Unähnlichkeit erwerben, daß man von einer Raſſenverſchiedenheit ſpricht, die in ihren Kenn— zeichen die Unterſcheidungsmerkmale vieler ſogenannter „guter“ Arten der Naturforſcher weit genug hinter ſich zurücklaſſen kann. Durch ſolche Betrachtungen kam Darwin dazu, die verſchiedenen Arten einer Gattung nur als un— gleichmäßig entwickelte Abkömmlinge Eines Stamm— vaters anzuſehen, in denen ſich kleine Unterſchiede, wie ſie für ein geübtes Auge Einzelweſen unterſcheidbar machen, durch Erblichkeit erhalten und durch den Ein— fluß der Außenverhältniſſe geſteigert haben, während im Kampf um's Daſein diejenigen Formen, welche nichts Auszeichnendes an ſich tragen, ſich gegenſeitig verdrängten und die Unterſchiede zwiſchen den Ueber— lebenden im Lauf der Zeiten immer fühlbarer machten. Aus dieſem Grundgedanken, den die künſtliche Züchtung in ſo handgreiflicher und nutzbringender Weiſe verwerthet, ergeben ſich zugleich die Wandel— barkeit der Art und die Vervollkommnung der Or— ganismen. Alle Taubenraſſen ſind nach Darwin von einem einzigen Stammvater, der ſogenannten blauen Haus— taube), herzuleiten, und doch zeigen dieſelben nicht bloß in Form und Farbe, in der Geſammtheit ihrer äußeren Tracht, ſondern ſogar im Knochenbau einen ſolchen Grad von Wandelbarkeit, daß die verſchiedenen Raſſen, die ein Taubenliebhaber in ſeinem Schlage vereint, leicht für verſchiedene Gattungen gehalten werden könnten, wenn ſie ein Naturforſcher im ver— wilderten Zuſtande vorfände. Es iſt ein Anklingen an alte, unberechtigte Vor— ſtellungen, ein Armuthszeugniß unſeres Wiſſens, wenn man dieſe Abarten gewiſſermaßen als Folgen eines Naturſpieles ), als Spielarten bezeichnet. Weil man in tauſend Fällen die Beziehung zwiſchen der ab— wandelnden Urſache und den der Außenwelt angepaßten *) Columba livia. **) Lusus naturae. 128 Formen, den Grad und Urſprung der Erbmale nicht erkennt, ſpricht man von Zufälligkeiten oder Natur— ſpielen, ähnlich, wie man von freiem Willen ſpricht, wenn man ſich der urſächlichen Verkettung ſeines Handelns nicht bewußt iſt. Aber eine aufmerkſame Beobachtung lehrt immer mehr Bezüge kennen, aus welchen klar hervorgeht, daß ein leiſer Anſtoß der Außenwelt genügt, um Formen und Lebensveränderungen zu bedingen, die, nachdem ſie an irgend einer Stelle in den Organis— mus eingedrungen ſind, ihn ganz in ſeine Gewalt nehmen, ſo daß ein Glied am anderen hängend den allſeitig durchdringenden Einfluß eines jeden Eingriffs mit erleidet. Die Ringelnatter legt ihre Eier in den Sand, und die gelegten Eier brauchen noch drei Wochen zu ihrer Entwicklung. Sperrt man aber dieſe Schlange in einen Käfig, ohne Sand auf den Boden zu ſtreuen, dann wird ſie aus einem eierlegenden ein lebendig— gebärendes Thier, d. h. ſie trägt die Eier bei ſich, bis die Jungen entwickelt ſind. Während wilde Enten und Hühner ausgezeichnet fliegen und dem entſprechend ſtarke Flügelknochen haben, gewöhnen ſich dieſelben Vögel in der Ge— fangenſchaft daran, mehr zu gehen, als zu fliegen, und in Folge deſſen bekommen die Knochen der Beine 129 das Uebergewicht. Darwin hat mittelſt genauer Meſſungen und Wägungen dargethan, daß bei der wilden Ente die Flügelknochen ſtärker, die Beinknochen ſchwächer entwickelt ſind als bei der zahmen. Eines der auffallendſten Beiſpiele dieſer Art liefern die herabhängenden Ohren der Hunde und Kaninchen. Im gezähmten Zuſtande haben dieſe Thiere das Be— dürfniß verloren, ihre Ohren zu ſpitzen, um auf einen nahenden Feind zu lauſchen, und in Folge deſſen die Kraft der Ohrenmuskeln eingebüßt. Wenn man ſich nun daran erinnert, daß es Molche giebt, die gewöhnlich die Kiemen, die ſie im Larvenzuſtand beſitzen, abwerfen, ſie aber beibehalten, wenn man ſie zwingt, im Waſſer zu bleiben und aus dem Waſſer Sauerſtoff zu ſchöpfen; wenn man bedenkt, daß gerade umgekehrt ein mexikaniſcher Kiemenmolch ), der ſeinen Namen eben dem Umſtande verdankt, daß er, im Waſſer lebend, zeitlebens äußere Kiemen trägt, ſie verliert, wenn er auf's Land kommt, um nur durch Lungen zu athmen: ſo läßt ſich kein beredteres Beiſpiel denken, um zugleich im Allgemeinen die Wandelbarkeit der Art und insbeſondere die Abhängigkeit ihrer Kenn— zeichen von äußeren Einflüßen geltend zu machen. Wer aber könnte befangen genug ſein, um An— geſichts ſolcher Thatſachen an einer nothwendigen ) Axolotl, Siredon pisciformis. II. 9 a nv * 3 n er 130 Beziehung zu zweifeln, wenn er erfährt, daß die Taubenraſſen, die lange Beine haben, ebenſo wie Storch und Kranich, auch durch lange Schnäbel aus— gezeichnet ſind? Um Vervollkommnung handelt es ſich aber darum in dieſen Beiſpielen, weil der Beſtand des Organismus ſiegreich daraus hervorgeht, daß ſich eines ſeiner Werkzeuge den Bedingungen der Außenwelt fügen konnte, und daraus dann die Anpaſſung des einen Werkzeugs an das andere folgte. Mit allen dieſen Erwägungen ſoll nun freilich die Aufgabe nicht in den Hintergrund gedrängt werden, das Wie der Umwandlung und Vervollkommnung zu erforſchen. Nur das wolle man nicht vergeſſen, daß die Frage richtig geſtellt iſt, und daß uns Darwin eine klare Einſicht in die Gründe gegeben hat, warum dem Suchen nach Uebergangsformen eine unüberwind— liche Schranke gezogen iſt. Es darf uns deshalb nicht Wunder nehmen, daß zwiſchen den menſchenähnlichſten Affen und dem Menſchen, wenn auch keine Kluft, doch eine Lücke be⸗ 151 ſteht, die bisher durch die Beobachtung allmäliger Uebergangsformen nicht ausgefüllt iſt. Vielleicht iſt es ein Hirngeſpinſt, die Auffindung eines Menſchenaffen, der als ein Affenmenſch *), als eine Art der Menſchengattung oder gar nur als Abart derſelben zu betrachten wäre, anzuſtreben. Die Kennzeichen der Menſchenaffen, welche die all— mälige Entwicklung des Menſchen verkünden, in Einem thieriſchen Weſen vereinigt zu erwarten, das dann gewiſſermaßen nur einer letzten leichten Umwandlung bedürfte, um völlig Menſch zu ſein, verräth eine Vor— ſtellung, die immer noch der Annahme huldigt, daß ein Bildner aus Thon ſo lange an ſeinen Entwürfen modelte, bis er endlich durch die letzte Berührung das Ideal des Menſchen hervorgebracht. Iſt es nicht natürlicher anzunehmen, daß des Menſchen Bruſtkaſten im Gibbon, ſeine Hand und ſein Fuß im Gorilla, ſein Schädel im Schimpanſe, ſein Hirn im Orang aufdämmert? Wer dennoch die Aehnlichkeiten, die den Ueber— gang vom Affen zum Menſchen in's Leben rufen, alle in einem einzelnen Geſchöpfe vereint zu finden wünſcht, der muß ſich wenigſtens gedulden und den Suchenden eine unbeſchränkte Friſt mit günſtigeren Umſtänden zu Gebot ſtellen, als ihnen bisher zu Theil geworden ſind. ) Pithecanthropus. Häckel. I 08 132 Allerdings hat man Menſchenknochen und jehr urſprüngliche Steinwerkzeuge, Feuerſteinmeſſer, Kieſel— ärte und einfaches Knochengeräthe an verſchiedenen Stellen, in Höhlen und im Inneren von Erdſchichten, die zu den älteſten der Quartärzeit gehören, in Ge— ſellſchaft von Mammuthsknochen ?) angetroffen. Man ſchließt daraus, daß der Menſch an der Grenze der Neuzeit und der jüngſten Zeit, in jenem merk— würdigen Zeitalter gelebt haben muß, in welchem nach den Forſchungen von Karl Schimper, Char— pentier und Agaſſiz in den gemäßigten Zonen Eiſeskälte herrſchte. Aber die Zahl von Schädeln, die man aus jener Zeit bisher entdeckt hat, iſt ſo gering, daß mehr als die Gunſt der Umſtände er— forderlich geweſen wäre, um darunter jene niedrigſte Menſchenform zu treffen, welche die Lücke zwiſchen den Menſchen und Affenmenſchen von oben nach unten hätte verkleinern können. Von zwei genauer unterſuchten Schädeln gehörte das im Jahre 1833 bei Engis in der Provinz Lüttich von Schmerling gefundene Schädeldach nach Hux— ley's genauer und vorurtheilsfreier Forſchung zu jener mittleren Schädelform, welche zwiſchen einem auſtraliſchen und europäiſchen Schädel hin und her ſchwankt. Trotz der leichten Abplattung am Hinter— *) Mammuth, Mammuthelephant, Elephas primigenius. 133 haupt, welche dieſer Schädel von Engis mit manchen auſtraliſchen gemein hat, trägt er kein Zeichen, das ihm eine niedere Stellung anwieſe, ſo daß Huxley, der ihn unter neuen Schädeln keiner beſtimmten Raſſe einzureihen wüßte, es dahin geſtellt ſein läßt, ob er das Hirn eines Weißen oder Wilden überwölbte *). Viel weniger entwickelt iſt der Schädel, den Fuhlrott im Jahre 1857 in der Neanderhöhle zwiſchen Düſſeldorf und Elberfeld, unweit der Düſſel, entdeckte. Wie dem Lütticher Schädel fehlten auch dieſem die Antlitzknochen, deren Verhältniß zu den Schädelknochen im engeren Sinne ſo wichtig iſt, um über die Rangordnung eines Kopfes in der Ent— wicklungsreihe der Menſchenraſſen zu urtheilen. Ein flacher Hinterkopf, eine ſchmale und niedrige Stirn mit ſehr ſtark aufgetriebenen Augenbrauenrändern, die außerordentlich weiten Stirnhöhlen entſprechen, eine lange, geradlinige Nath zwiſchen Scheitelbein und Schläfenbein ſind lauter Kennzeichen, die den Neander— thaler Schädel den Affenſchädeln nahe ſtellen **). ) Huxley, Evidence as to man's place in nature, London and Edinburgh, 1863, p. 119—128, 156... „there is no mark of degradation about any part of its structure, It is, in fact, a fair average human skull, which might have be- longed to a philosopher, or might have contained the thoughtless brains of a savage.“ p. 156. ) Huxley, a. a. O. p. 130 und folg., 156, 157. „Under whatever aspect we view this cranium (the Neanderthal 134 Dennoch beſitzt derſelbe einen Rauminhalt, der ihn nach Schaaffhauſen, der am meiſten zur Kenntniß dieſes Schädels beigetragen hat, den Schädeln der Hottentotten und Polyneſier vergleichbar macht. Hoch ſtehen aber dieſe Schädel keinenfalls, ſo wenig wie jene ſchiefzähnigen, die man zuſammen mit Renn- thierreſten an verſchiedenen Orten in Frankreich auf— gefunden hat“), aber immerhin jo hoch, daß man mit der größten Wahrſcheinlichkeit ſchließen darf, das Alter des Menſchengeſchlechts reiche über den Anfang der jüngſten Zeit, über die Eiszeit hinaus, in einen Zeit— raum, der für das Menſchenbewußtſein altersgrau, chimaeriſch, für die Erdgeſchichte aber neu erſcheint. Keinenfalls wird man aus der für ihre Zeit hoch ſtehenden Entwicklung der paar genauer unterſuchten Schädel, welche Zeitgenoſſen des Mammuth angehört haben, ſchließen wollen, daß zu Anfang der Eiszeit ein Menſchenthum erſchaffen wurde, das im Verlauf von Jahrtauſenden einer Rückbildung anheim fiel, wie man dies etwa für die Wölfe annehmen könnte, deren vor hundert Jahren bei Kaſſel ausgegrabene Köpfe skull), whether we regard its vertical depression, the enor- mous thickness of its superciliary ridges, its sloping oceiput, or its long and straight squamosal suture, we meet with ape-like characters, stamping it as the most pithecoid of human crania yet discovered.“ p. 156. ) Hann, v. Hochſtetter und Pokorny, Al gemeine Erdkunde, Prag 1875, S. 273. 135 Georg Forſter beinahe doppelt jo groß fand wie die Schädel der damals lebenden Wölfe. *) Für diejenigen, die ſich aus dem großen Buch der von der Erde ſelbſt geſchriebenen Geſchichte keine Ueberzeugung herausleſen können, wird die leichter zugängliche Geſchichte der Menſchheit größere Ueber— redungskraft beſitzen. Prichard, der Gelegenheit hatte, Schädel der alten Britten aus verſchiedenen alten Grabſtätten zu unterſuchen, ſteht nicht an zu erklären, daß die Schädel der jetzt lebenden Engländer ſich im Allgemeinen durch einen größeren Rauminhalt vor jenen alten Schädeln auszeichnen, ein Vortheil, der beſonders auf eine mächtigere Entwicklung der Stirn zu beziehen iſt, die er bei den alten Britten auffallend ſchmal fand). Es folgt daraus, daß bei einem gebildeten, in unabläſſiger geiſtiger Arbeit be— griffenem Volke, wie die Engländer ſind, die Vorder— lappen des Gehirns nach und nach eine höhere Aus— bildung erreicht haben. Ebenſo fand Broca die Schädel aus Pariſer Gräbern des neunzehnten Jahrhunderts geräumiger ) Georg Forſter's Briefwechſel mit S. Th. Sömmer— ring, herausgegeben von Hermann Hettner, Braun- ſchweig 1877, S. 8. * Prichard, Physical history of Mankind, 3d edition, London 1838 — 1847, vol. I, p. 305, vol. III, p. 200. 136 als die aus Grabgewölben des zwölften, und zwar in dem Verhältniß von 1484 zu 1426. Umgekehrt iſt es Thatſache, daß die niederen Menſchenraſſen überall, wo ſie mit höher entwickelten zuſammenſtoßen, im Abſterben begriffen ſind. Es iſt daher keine gewagte Annahme, wenn Darwin glaubt, daß nach Jahrhunderten die gebildeten Menſchenraſſen die wilden ausgerottet haben werden, was Schaaff— haufen auf die menſchenähnlichen Affen ausdehnt“). Offenbar wird dann die Kluft, die zwiſchen Menſchen und Affen übrig geblieben ſein wird, größer ſein als die jetzt beſtehende. Und kein Beiſpiel dürfte geeigneter ſein, die Lehre dem Verſtande nahe zu rücken, daß Lücken zwiſchen den beſtehenden Weſen durch den Untergang der Zwiſchenformen bedingt ſind ). Das wäre denn das oberſte Ergebniß dieſes Ver— ſuchs einer Stammesgeſchichte des Menſchen, daß die höheren Organismen nur von anderen, niedriger ) Darwin, the descent of man, London 1871, vol. I, p. 201. *) . . . „we have every reason to believe that breaks in the series are simply the result of many forms having become extinct.“ Darwin, a. a. O. p. 187. 137 ſtehenden abgeleitet werden können, daß aber der niedrigſte von allen, in Geſtalt von einfachſten, noch kernloſen Urzellen das organiſche Leben auf der Erde beginnen mußte, alſo nicht ſelbſt aus einer dem Ei vergleichbaren Zelle hervorgehen konnte. Dieſer An— fang des organiſchen Lebens bezeichnet die Urzeugung. Von der Urzelle zur Kernzelle aufſteigend, von der einfachen Kernzelle zur Zellengemeinde, dann nach und nach Flimmerlarve, Urdarmthier, Wurm, Ruͤckenſtabs— thier, ſchädelloſes Wirbelthier, Rundmäuler, Knorpel— fiſch, Doppelathmer, Lurche, Uramnionthier, Kloakenthier, Beutelthier, Aderkuchenthier, um innerhalb der Gruppe der mit letzterem Namen belegten höchſten Säugethiere nach und nach zu den Halbaffen, Affen, Menſchen— affen eine fortſchreitende Entwicklung zu erleben, und endlich Menſch geworden, innerhalb des Menſchenthums ſich weiter bildend, hat der Menſch eine Stammes— geſchichte durchlebt, die dem ruhigen Betrachter ebenſo viel Geduld und Beſcheidenheit, als Befriedigung ge— währen kann. Der Anfang iſt niedrig, und doch kaum niedriger als der aus dem Erdenkloß der moſaiſchen Sage; die Züge der einzelnen Geſchlechter verlieren ſich in die Dämmerung einer unbeſtimmten Vorzeit; die Ver— wandtſchaft muß oft der ſelbſtgefälligen Spiegelung in Aehnlichkeiten entſagen; der Nachkömmling den 138 Urvater erkennen, obgleich die Mittelformen unbekannt ſind und öfters fehlen; die „Krone der Schöpfung“ muß ſich beſcheiden, eine Knospe am Stamm der Thierheit zu ſein, das Thier im Menſchen ehren, den Menſchenkeim im Thier bemitleiden; der Weiſeſte muß fühlen, daß nicht er die Welt zu lenken berufen iſt, ſondern daß in ihm die Weltſeele denkt und ſchafft. Und dennoch darf er ſich freuen, daß aus ſo be— ſcheidenem Urſprung, nach feſten ehernen Geſetzen, eine Bewußtſeinsſtufe erſtiegen wurde, die nicht weniger hoch iſt, weil ſie Vorſtufen hat, noch weniger feſt, weil ſie nach allen Seiten naturbedingt, naturverwandt, naturnothwendig iſt, nicht weniger leuchtend als eine Welle, die die Sonne beſcheint, nicht weniger ver— gänglich, aber eben ſo ſicher wiederkehrend bis eben die Sonne die Erde beſcheinen wird. Niemand bezweifelt, daß in der Entwicklungs— geſchichte eines Einzelweſens, in ſeiner Keimesgeſchichte, unter den Bildungsſtufen, die es von der erſten An⸗ lage des Keimes bis zu ſeiner vollſtändigen Geſtalt— entwicklung und von dieſer bis zu feiner höchſten 139 Leiſtungsfähigkeit durchläuft, die ſpäteren Geſtalten die höher entwickelten ſind. Dieſes natürliche Verhältniß, welches ja nur ein anderer Ausdruck für das Reifen iſt, giebt nun ein ſehr förderliches Hülfsmittel an die Hand, um in zweifelhaften Fällen darüber zu entſcheiden, ob in einer gegebenen Thierreihe eine Form als die höher oder niedriger entwickelte angeſehen werden muß. Es iſt klar, daß unter denjenigen Thieren, die eine gemeinſame Stammesgeſchichte haben, diejenige Art oder Gattung, welche einer reiferen Bildungsſtufe in der Keimes— geſchichte eines hoch entwickelten Sprößlings des Stammes entſpricht, auch eine höhere Entwicklungsſtufe in der Stammesgeſchichte vorſtellt. Mehr oder weniger bewußt haben ſich die Natur— forſcher ſchon ſeit langer Zeit von dieſem Grund— gedanken leiten laſſen, um die höhere oder niedere Stellung der Organismen in der Entwicklungsreihe zu beurtheilen. Aber einen feſten Halt konnten dieſe Beſtrebungen erſt von da an gewinnen, als man zur Einſicht gekommen war, daß nicht alle Thiere zu— ſammen Ahnen und Enkel Einer einzigen geradlinig fortlaufenden Stammesgeſchichte ſind, ſondern daß ſich der Stammbaum in Aeſte theilt, die zwar alle auf den gemeinſchaftlichen Grundſtock zurückzuführen ſind, die aber in Spitzen auslaufen, welche außer jener 140 urſprünglichſten Gemeinschaft, unter ſich keine Stamm— verwandtſchaft beſitzen. Es lag daher ſehr nahe, daß in den früheſten Zeiten der Wiſſenſchaft manche Vergleiche angeſtellt wurden, die im Grunde mehr einen ſpielenden, als einen ernſten geſchichtlichen Charakter hatten, und um— gekehrt, daß man, als einmal die unſichere Grundlage ſolcher Vergleiche erkannt war, aus Furcht vor dem Irrthum bisweilen auch diejenigen aufgab, denen bei gründlicher Unterſuchung eine tiefe Beziehung nicht abgeſprochen werden konnte. Die Keimesgeſchichte hat in Folge deſſen wiederholt eine Umtaufe mancher ihrer Kunſtausdrücke erfahren müſſen. Wenn aber früher die Keimesgeſchichte auf die Rangordnung der Organismen manches Licht geworfen, ſo hat ihr die in neueſter Zeit von Häckel angebaute Stammesgeſchichte hell leuchtende Strahlen zurück— geſandt. Eine ſorgfältige Vergleichung der Stammesgeſchichte mit der Keimesgeſchichte hat nämlich zu der Einſicht geführt, daß die Entwicklungsgeſchichte eines jeden Keims der höchſten Abkömmlinge eines Stammes die Stammesgeſchichte in ihren Grundzügen wiederholt, nur daß bei dieſer Wiederholung Abkürzungen ſtatt— finden, in deren Folge man die Keimesgeſchichte 141 gleichſam als einen Auszug aus der Stammesgeſchichte betrachten könnte. Eben dieſes Verhältniß zwiſchen den Entwicklungs— geſchichten des Keimes und des Stammes hat Häckel als das Geſetz der Lebensentfaltung ) bezeichnet. Im Lichte der Stammesgeſchichte betrachtet fängt nun merkwürdiger Weiſe die Keimesgeſchichte des Menſchen mit einem Rückſchritt an. Denn das Ei des menſchlichen Weibes, das im Eierſtock eine voll— ſtändige Kernzelle darſtellt, ſinkt vor der Befruchtung durch das Verſchwinden ſeines Keimes, des ſogenannten Keimbläschens, auf die Stufe einer einfachen Urzelle zurück. | Im Dotter des Eies bildet ſich in Folge der Be— fruchtung ein neuer Kern, ſo daß nun wieder eine Vollzelle beſteht, die an Bildungswerth dem Wechſel— thierchen der Stammesgeſchichte zu vergleichen iſt. Es wurde oben die Aehnlichkeit der Wechſelthierchen mit den Eiern mancher niederen Thiere hervorgehoben, eine Aehnlichkeit, die z. B. bei den Eiern der Kalk— ſchwämme ſo weit geht, daß ſie einſt geradezu für wandernde Wechſelthierchen gehalten wurden, die auf ihren Irrfahrten in einen Schwamm eingedrungen wären. Dem muß nun hinzugefügt werden, daß Pflüger auch an unreifen Säugethiereiern, an denen *) Biogenetiſches Grundgeſetz. Häckel. 142 der Katze z. B., Bewegungen beobachtet hat, wie ſie den Keimſtoff der Wechſelthierchen auszeichnen. Van Beneden ſah ſie am Dotter von Kaninchen— eiern zur Zeit des Schwindens des Keimbläschens ?). Iſt erſt die Urzelle wieder zur Vollzelle auf— geſtiegen, dann findet an deren Kern und Dotterinhalt jene Theilung ſtatt, die zur Bildung einer großen Anzahl von kernhaltigen Zellen führt, welche gewöhn— lich als Furchungskugeln bezeichnet werden. Es entſteht nämlich an der Oberfläche des kugeligen Dotters, während der neugebildete Kern ſich theilt, eine Furche, die ſich nach und nach immer tiefer ein— ſenkt und den Dotter in zwei Kugeln zerlegt. Eine jede von dieſen zerfällt durch eine ähnliche Furchung in zwei rundliche kernhaltige Kugeln, ſo daß deren nunmehr im Ganzen vier beſtehen, und ſo geht es fort, bis ein Haufen zahlreicher Zellen entſtanden iſt, die, weil ſie an der Oberfläche des Dotters höckerig hervorragen, dieſem ein Anſehen ertheilen, das einer Maulbeere gleicht“). Auf dieſer Stufe erinnert *) Edouard van Beneden, la maturation de l’oeuf, et les premieres phases du développement embryonnaire des mammiferes, d’apres des recherches faites chez le Lapin. Bulletins de l’Academie de Bruxelles, 2 serie, T. XL, 1875, P. 692. ) Maulbeerkeim, Morula. Häckel. Van Beneden konnte jene Maulbeerform beim Kaninchen nicht wahrnehmen; a. a. O. p. 714. Aber Biſchoff hat ſie nicht nur für das 143 der Keim an ein vielzelliges Urthier, an eine Zell— gemeinde“), in der aber die ſämmtlichen Zellen nicht mehr durchaus mit gleichen Eigenſchaften ausgerüſtet ſind und deshalb auch, Kindern von verſchiedenen Anlagen vergleichbar, nicht dieſelbe Zukunft haben. Die Theilung war nämlich eine Scheidung. Schon die beiden erſten Zellen, die aus der Furchung hervorgingen, waren ungleich groß. Die größere iſt heller, durchſichtiger, ſie wird durch Karmin, durch Osmiumſäure weniger lebhaft gefärbt als die kleinere, welche dunkler und weicher iſt“ ). Die Furchungsprodukte der helleren, größeren, feſteren Zelle bleiben dieſer ähnlich, der Nachwuchs der kleineren, dunkleren, weicheren gleicht dieſer. So wie die Furchung bis zur Bildung von acht Zellen vorangeſchritten iſt, vermehren ſich die helleren, größeren Zellen raſcher als die dunkleren kleineren. (Biſchoff, Reichert, Eduard van Beneden). Zugleich rücken jene an die Oberfläche, während dieſe das Innere des Dotters einnehmen. Nur an Einer Kaninchen, ſondern auch für das Hunde-Ei beſchrieben und ab— gebildet. Siehe Th. Ludw. Wilh. Biſchoff, Entwicklungs geſchichte des Kaninchen-Eies, Braunſchweig, 1842, Tafel IV, Fig. 28, 30; und Entwicklungsgeſchichte des Hunde-Eies, Braunſchweig, 1845, Tafel II, Fig. 16. Von den Eiern zahl⸗ reicher Wirbelloſen iſt dieſe Maulbeerſtufe allgemein bekannt. *) Synamoebium, vgl. oben S. 92, 93. *) Van Beneden, a. a. O. p. 706. 144 Stelle erreichen die inneren Zellen die Oberfläche, und die Lücke zwiſchen den äußeren Zellen, die fie verſtopfen, wird als Urmund, der Zellenhaufen ſelbſt als Darmlarve ) bezeichnet. Etwas ſpäter bilden die hellen äußeren Zellen ein Blatt, welches das äußere Keimblatt darſtellt. Ihm liegt an einer kleinen, ſcheibenförmig begrenzten Stelle eine Schicht der dunkleren weichen Zellen an, welche das innere Keimblatt bilden. Die betreffende aus beiden Keimblättern beſtehende Scheibe nennt van Beneden die Keimdarmſcheibe **). Aus den Zellen des inneren Blattes gehen alle die Zellen hervor, welche dereinſt die innere Ober— fläche des Darmes überziehen, ſo wie alle weſentlichen Zellen der Magen- und Darmdrüſen. Die Zellen des äußeren Keimblatts dagegen liefern in Zukunft die Bautheile von Hirn und Rückenmark und die oberflächlichen Horngebilde des Körpers. Da nun jene Darmzellen mit dem Ernährungsleben, dieſe äußeren Keimblattzellen mit dem Empfindungs- und Denkvermögen in der nächſten Beziehung ſtehen, ſo iſt die erſte Theilung des Dotters, aus der eine Mutter- zelle für die Darmzellen und eine andere für die *) Gastrula, Häckel; Metagastrula, van Beneden. Van Benedema. a. O. p. 714. **) Gastrodiscus. Van Beneden, a. a. O. p. 720. 145 Denkzellen hervorging, jogleich als eine Arbeitstheilung im keimenden Organismus anzuſehen. Es darf nicht verſchwiegen werden, daß man dieſe erſten Entwicklungsſtufen zwar bei Säugethieren, bis— her aber nicht am Ei des menſchlichen Weibes kennt. Da indeß das urſprüngliche Ei und alle ſpäteren Keimesformen, die es durchläuft, in allen Grundmerk— malen mit den entſprechenden Entwicklungsſtufen der Säugethiere übereinſtimmen, und die jüngſten menſch— liſchen Embryonen, die man kennt, von denen der Säugethiere nicht mehr abweichen als die verſchiedener Säugethiere, oder etwa die der Taube und des Hühnchens von einander, ſo bezieht man mit Fug und Recht das was man, hauptſächlich durch die Forſchungen Theodor Biſchoff's und van Be— neden's, über die erſten Keimeszuſtände der Säuge- thiere weiß, ohne Weiteres auf die Entwicklungs— geſchichte des Menſchen. Im Fortſchritt der Entwicklung begegnet man zwiſchen dem äußeren und inneren Keimblatt einem mittleren. Die Längsrichtung des Keims wird nun deutlich ausgeprägt, indem ſich der Achſentheil des äußeren Keimblatts an ſeinen Rändern erhebt, um das Markrohr zu bilden, während die Ränder des inneren ſich ſenken, um zunächſt nur eine Darm— rinne, viel ſpäter erſt ein Darmrohr zu bilden. In II. 10 146 diefem Zeitraum, in dem die wichtigſten Theile des Nervenſyſtems und der Verdauungsorgane eben erſt angelegt werden, findet ſich zwiſchen Markrohr und Darmrinne als Achſe der künftigen Wirbelkörper jener Achſenſtab oder Rückenſtab“), der den Keim der Säugethiere zu einem Rückenſtabsthier“ ) ſtempelt und ihn einer Aſeidie oder Salpe vergleichbar macht. Wenn das Markrohr ſich ſchließt, indem ſich die Ränder des Achſentheils des äußeren Keimblatts be— gegnen, iſt anfangs an ſeinem vorderen Ende eine kleine, nach oben noch offene Erweiterung vorhanden, die ſich ſpäter ſchließt und zum erſten Hirnbläschen wird. Neben dem Rückenſtab haben ſich bereits Ur— wirbel gebildet, aus denen ſpäter außer einem Theil der Wirbelkörper auch die Wirbelbogen, Muskeln und Nerven hervorgehen werden. Alles was vor dieſen Urwirbeln liegt, wird dereinſt zum Kopfe gehören, aber es iſt noch kein geſonderter Schädel vorhanden. Der Embryo gleicht einem ſchädelloſen Wirbelthier, ohne Glieder, wie das Lanzettthierchen. Glieder und Kiefer fehlen auch noch, nachdem ſich am vorderen Ende des Markrohrs bereits fünf Hirn⸗ ) Chorda dorsalis. **) Chordonier. Siehe oben S. 96. 147 bläschen gebildet haben, von denen das vorderſte die Anlage der Großhirnlappen, das hinterſte die des verlängerten Marks darſtellt. Um dieſe Zeit iſt der Schädel angelegt, man erkennt die erſte Bildung der Naſengruben, der Augen- und Ohrenbläschen. Das Herz klopft. Es liegt nahe, dieſe Entwicklungsſtufe mit einem kieferloſen Schädelthier, mit einem Rund— mäuler zu vergleichen. Nun ſproſſen an den Seitenrändern des mittleren Keimblatts die Gliedmaßen hervor, anfangs in der Form von kleinen Knospen, die bald plump ſchaufel— artig werden und in gleicher Geſtalt, von den Fiſchen aufwärts, bei allen Wirbelthieren auftreten. Man kann ſie daher ebenſo gut als erſte Anlage der Floſſen deuten, wie als Vorſtufe von Flügeln oder von Armen und Beinen. An einen Fiſch hat aber die un— befangenen erſten Beobachter ſogleich das Vorhanden— ſein der Kiemenſpalten erinnert, die eine nach der anderen entſtehen, und von denen beim menſchlichen Embryo in der dritten Woche drei, in der vierten vier vorhanden ſind. Sie bilden ſich in dem vorderen Theil des Darmrohrs, in der ſeitlichen und vorderen Wand des künftigen Schlundes, ſo zwar, daß vor jeder Kiemenſpalte ein Kiemenbogen liegt. Der erſte oder vorderſte Kiemenbogen iſt der ſtärkſte und ent— hält die Anlagen des Ober- und Unterkiefers. II. 10 re 148 Um einen nichtsſagenden Namen zu wählen, hat Reichert die Kiemenbogen als Eingeweidebogen“) bezeichnet, und um den Vergleich mit einem Fiſch zu umgehen, nannte ſie Remak, mit Rückſicht auf ihre Oertlichkeit, Schlundbogen**). Unter den neueſten Schriftſtellern bringt Häckel mit Recht den Namen Kiemenbogen wieder zu Ehren, der gerade an dieſen Gebilden den Bezug der Keimesgeſchichte zur Stammes— geſchichte in das rechte Licht ſtellt. Im Anfang des zweiten Monats verwachſen die Kiemenſpalten. Der erſte Kiemenbogen liefert bei den Säugethieren nicht bloß Ober- und Unterkiefer, ſondern auch die Zunge, das Jochbein, die Paukenhöhle mit zwei Gehörknöcheln: Hammer und Amboß, das äußere Ohr und die innere Ohrtrompete, welche die Pauken— höhle mit der Schlundhöhle in Verbindung ſetzt. Aus dem zweiten Kiemenbogen bildet ſich das dritte Ge— hörknöchelchen, der Steigbügel, und ein kleiner Theil des Zungenbeins, deſſen Hauptanlage, ſammt der von einigen Kehlkopfknorpeln, im dritten Kiemenbogen verhüllt liegt. Aus dem vierten Kiemenbogen entſteht die vordere Halswand. Kurz die Kiemenbogen ſind bei den höheren Wirbelthieren vergängliche, große Wandlungen er— ) Visceralbogen. *) Arcus pharyngei. 149 leidende Gebilde; bei den Fiſchen erhalten ſie jich, mit Ausnahme des erſten, aus dem die Kiefer hervor— gehen, durchs ganze Leben, und da die erſte Anlage hier wie dort die gleiche iſt, ſo iſt der Name Kiemen— bogen werthvoll und lehrreich. Das Amnion findet ſich als geſchloſſene innere Eihülle ſchon bei menſchlichen Embryonen, die an der Grenze der zweiten und dritten Woche des Keimlebens ſtehen, das heißt bei den jüngſten, die bisher beobachtet ſind. Den Urharnſack traf Wilhelm Krauſe ſehr ſchön als eine geſtielte Blaſe am hinteren Darmende bei einem menſchlichen Embryo aus der vierten Woche. Sie trägt die Gefäße, deren Wucherung den Frucht— theil des Aderkuchens bilden wird, der Schleimhaut der Gebärmutter entgegen. Am Ende des dritten Monats iſt der Aderkuchen ſo entwickelt, daß ſich das Amnion— thier als Aderkuchenthier ausweiſt, der menſchliche Embryo alſo in der höchſten Unterklaſſe der Säuge— thiere Platz genommen hat. Während des dritten Monats verhielt ſich der Embryo noch wie ein Kloakenthier, inſofern der Darm und die Ausführungs— gänge der Geſchlechts- und Harnwerkzeuge noch in eine gemeinſchaftliche Höhle, die ſogenannte Kloake, mündeten. Dagegen hat die menſchliche Frucht niemals eine charakteriſtiſche Aehnlichkeit mit einem Beutelthier aufzuweiſen. eee al ne De TE ui = 150 Trotz dem kleinen Umweg, den im Anfang die Entwicklung macht, indem die Vollzelle des Eies für kurze Zeit auf die Stufe einer kernloſen Urzelle zurückſinkt, iſt alſo offenbar die Keimesgeſchichte nach Häckel's glücklichem Ausdruck eine verkürzte Stammes— geſchichte. Von der Vollzelle geht es zur Urzelle und von dieſer zu einer im höheren Grade lebensſchwangeren Vollzelle, deren Inhalt durch ſeine Furchung ſofort auf eine Sonderung der Arbeit hinweiſt. Die Zellen— theilung führt zu einer Zellengemeinde, deren Bürger allſogleich in zwei Klaſſen geſchieden ſind. Aus der Zellengemeinde entwickelt ſich die Darm— larve. Aber eine Stufe, die ſich in ungezwungener Weiſe mit einem Wurm vergleichen ließe, wird nicht durchlaufen. Die Darmlarve wird Rückenſtabsthier, das in ſeinen verſchiedenen Entwicklungsformen nach einander an das Lanzettthierchen, an einen Rund— mäuler, einen Fiſch, ein Uramnionthier, ein Kloaken— thier erinnert, um ſchließlich zum Aderkuchenthier zu werden. So viele Aehnlichkeiten der Keimesgeſchichte mit der Stammesgeſchichte kann man zugeben, ohne dem Vergleich zu Liebe der Natur der Dinge Gewalt an— zuthun. Aber die Beſchränkung der bei der Ent— wicklung des Einzelweſens durchlaufenen Stufen zeigt 151 eben, daß in der That die Keimesgeſchichte nur ein knapper Auszug aus der Stammesgeſchichte iſt. Nicht bloß der Wurmzuſtand fehlt der Keimes— geſchichte des Menſchen, ſondern es iſt darin auch keine Entwicklungsform vorhanden, die mit den Doppel— athmern oder Fiſchlurchen, noch mit den Froſchlurchen verglichen werden könnte. Ebenſo fehlt gänzlich die Zwiſchenform der Beutelthiere. Und dennoch muß man ſchon zum Vortheil der Keimesgeſchichte wünſchen, daß die Stammesgeſchichte immer emſiger ausgebaut werde. Es iſt ein unver- welklicher Lorbeerkranz, den ſich Häckel um die Stirn geflochten, als er dieſen neuen Zweig der Wiſſenſchaft begründete, unverwelklich gerade deshalb, weil er immerfort auf die Knospen hinweiſt, die ſich zur Ver⸗ beſſerung der zuerſt entworfenen Stammbäume ent— falten werden. Der Grundgedanke, der ſich aus aller Stammes— geſchichte erhebt, iſt, daß das Leben einen Anfang haben mußte auf der Erde, und daß es ſich dann allmälig weiter entwickelt hat an denſelben Grund— 152 ſtoffen, Kohlenſtoff, Waſſerſtoff, Sauerſtoff, Stickſtoff, Schwefel, Phosphor, Chlor, Fluor, Kalium, Natrium, Kalk, Magneſium, Eiſen, Mangan, Silicium, die wir im Diamant und im Sande, in Gyps und Kreide, in Luft und Waſſer vorfinden. Das Leben iſt nicht der Ausfluß einer ganz be— ſonderen Kraft, es iſt vielmehr eine Bewegungsform des Stoffs, gegründet auf die unveräußerlichen Eigen— ſchaften desſelben, bedingt durch eigenthümliche Be— wegungserſcheinungen, wie ſie Waſſer und A Elektricität und mechanische Erſchütterung, Wärme und Licht am Stoff hervorrufen. Die thätigen Einflüſſe, die ſogenannten Kräfte ſind warme Stoffe, elektriſch erregte Stoffe, ſchwingende Körper, Lichtwellen, Schall— wellen, kurz Alles, was Bewegung durch Bewegung 7 erweckt. Kein Stoff ohne Kraft. Aber auch keine Kraft ohne Stoff. Die Eigenſchaften der Grundſtoffe ſind unveränderlich. Es kann demnach von keiner Lebens— kraft die Rede ſein, ſo wenig als die Schwere im Hebel zu einer Hebekraft, in der Wage zu einer Wägekraft wird. Aber der Menſch ſchafft Alles nach ſeinem Eben— bilde, die Urſache der Erſcheinung, wie den Gott, den er anbetet. Erſt in der neueſten Zeit ward dieſe kindliche Luſt an der Geſtaltung überwunden, in der 153 Wiſſenſchaft wie im Glauben. Will man die herculiſche That, an welcher in unſerer Zeit ein großer Theil der Menſchen, ja unbewußt die ganze Menſchheit arbeitet, ſo weit ſie forſcht, an einen Namen knüpfen, dann hat Ludwig Feuerbach die That vollbracht. Durch ihn iſt die menſchliche Grundlage für alle An— ſchauung, für alles Denken ein mit Bewußtſein ans erkannter Ausgangspunkt geworden. Menſchenkunde, Anthropologie, hat Feuerbach zum Banner gemacht. Die Fahne wird ſiegreich durch die Erforſchung des Stoffs und ſtofflicher Bewegung. Ich habe kein Hehl es auszuſprechen: die Angel, um welche die heutige Weltweisheit ſich dreht, iſt die Lehre vom Stoffwechſel. Sie offenbart uns den Urſprung der Offenbarung. Es iſt eitel Blendwerk, wenn einige Schriftſteller, die den Geiſt und die Kraft für ſelbſtherrlich ausgeben möchten, den Stoff oder die Materie für ein Hirn— geſpinſt“) erklären. Denn es iſt klar, daß fie dabei dem Wort einen Sinn unterlegen, den es in der wirklichen Welt, in der Natur nicht hat. Ihre Künſtelei geht darin auf, daß ſie ſich unter dem Stoff ein eigenſchaftsloſes Weſen vorſtellen, das die Kraft, wie ein Kleid, anlegen und ablegen könne. Nach *) „Hypotheſe“. Du N A Ser > 5 “23 2 154 dieſem Gaukelbilde iſt aber der Stoff nicht bloß ein Hirngeſpinſt, ſondern ein Unding. „Was iſt Materie, jo wie ſie ſich der Pſychologe „denkt?“ hat ſchon Lichtenberg zur Beleuchtung jener Gaukelkünſte gefragt, und ſeine Antwort lautete: „So etwas giebt es vielleicht in der Natur nicht, er „tödtet die Materie und jagt hernach, daß ſie todt ſei“ “). Der Muskel arbeitet, indem er ſich verkürzt und eine Laſt hebt. Er verbraucht bei ſeiner Arbeit Blut, verzehrt mehr Sauerſtoff als in der Ruhe und bildet mehr Kohlenſäure; er zerſetzt Eiweiß und Zucker, wird ſauer und wäſſerig. Seine Wärme ſteigt, er wird weniger zerreißlich, leichter ausgedehnt, und ſein elektriſcher Strom wird geſchwächt, obgleich er die Elektricität beſſer leitet als im Ruhezuſtande. Die Arbeit, die der Muskel leiſten kann, ſteht in geradem Verhältniß zu ſeiner Maſſe. Die Naturlehre hat den zeitlichen Verlauf ſeiner Verkürzung genau verfolgt und eine Unzahl von ſtofflichen Eingriffen geprüft, die theils unmittelbar auf die Muskelfaſer wirkend, theils durch Vermittlung des Nerven die Verkürzung bewirken. Bei alledem iſt keine beſondere Lebenskraft im Spiel, ſondern ein Zuſammenwirken von chemiſchen und phyſikaliſchen Eigenſchaften, das der Düftelei über das Beſtehen des Stoffs nur artiger Hohn ſpricht als der ) Lichtenberg, vermiſchte Schriften, Bd. I, S. 157. 155 Ziegel der auf den Kopf fällt, dev Dampfwagen der einen Menſchenleib zermalmt, oder das Nitroglycerin, das Berge zerſprengt. In der That gegen jene Wort- und Sinn— verdrehung, die vom Stoffe die Kraft abſtreift, um das Beſtehen der Materie in Zweifel zu ziehen, könnte man ſich verſucht fühlen, Berthold Schwarz und Sobrero, den Entdecker des Nitroglycerins, um Hülfe anzurufen, nicht mit den Waffen, mit denen die Menſchen ihre Leidenſchaften auf dem Schlachtfeld in Tapferkeit oder Gottſeligkeit vermummen, ſondern mit den Hülfsmitteln, die Gebirgsthore aufſchließen und Flüſſe regeln, um die Kraft des Stoffes an dem Verkehr der Geiſter zu bethätigen. Denn die Materialiſten bekennen ſich zur Einheit von Kraft und Stoff, von Geiſt und Körper, von Gott und Welt. Die Kraft iſt ihnen ewig wie der Stoff, beide zu— ſammen eine geſchloſſene Einheit, wandelbar in der Form ihrer Leiſtungen, aber immer auf denſelben Ur— ſprung zurückzuführen. Jeder Verſuch, ein ſpaltbares Doppelweſen daraus zu machen, jeder ſogenannte Dualismus der Welt— anſchauung, führt zu der ungereimten Vorſtellung zurück, daß die Natur ein Spiel mit Verbindungen treibt, die ſie nach Willkür zerlegen könnte, als wäre 156 der Stoff etwas Anderes als ein Inbegriff von Eigen— ſchaften, die ſich nicht verändern laſſen, ohne daß die Stofftheilchen anders gruppirt werden. Aus dieſem Grunde ließe ſich in der That der Name der Materialiſten füglich in den der Einheits— lehrer), beſſer noch in Zweieinigkeitslehrer verändern, wenn durch die Umtaufe nicht der Schein entſtände, als nähme man den Vorwurf an, daß die Materialiſten den Geiſt läugnen. Ihr läugnet den Stoff oder zieht ihn in Zweifel, weil alle Vorſtellung vom Stoffe einer Beobachtung von Verhältniſſen der Außenwelt zu unſeren Sinnen entſprungen iſt, und dieſe Verhältniſſe, meint Ihr, könnten der Wirklichkeit entfallen, leerer Schein, ein Gaukelbild ſein. Aber es giebt keine Eigenſchaft, die ſich nicht durch ein Verhältniß bethätigte, es giebt kein Wiſſen, das ſich auf verhältnißloſe Selbſtändigkeit eines Urweſens bezöge. Deshalb wird jede Eigenſchaft wirkſam, jede Eigen— ſchaft des Stoffes ein Theil der Kraft, durch welche ſie zur großen wie zur kleinen Welt in Verhältniß tritt. Jede Wirkung, das heißt auch jeder Eindruck, den die Außenwelt auf ein ſinnliches Weſen, auf den ) Moniſten. Vgl. die Vorrede zur 4. Auflage dieſes Buches. 157 Menſchen ausübt, beruht auf einem ſolchen Ver— hältniß, das in ſeiner Naturgebundenheit ein beſtimmtes Daſein feiert. Denn was wirkt, beſteht. Und ſo wie es beſteht, iſt es eine nothwendige Folge, daß es wirkt, denn es iſt nicht möglich daß eine Eigenſchaft des Stoffs ſich nicht geltend mache, gleichviel ob ſie durch die Eigenſchaften anderer Stofftheilchen aufgewogen oder geſteigert wird. Wie ein Trunk Waſſer, der in unſeren Magen gelangt, ohne unſer Zuthun in das Blut eindringt, vom Herzen durch unſere Adern getrieben wird, hier Nahrungsſtoffe auflöſt, dort Schlacke aus den Geweben auswäſcht, bald ein Baumittel wird, das Gewebebildner paart, bald eine Kettenſäge, welche die Rückbildung organiſcher Stoffe befördert, und im Körper nicht aufhört zu löſen, zu binden, zu waſchen, bis der letzte Tropfen deſſelben als Harn und Schweiß ausgeſchieden oder an der Oberfläche der Haut und Lungen verdunſtet iſt; wie dieſes ausgeſchiedene Waſſer dem Erdreich, den Strömen, dem Luftgürtel bei— gemengt wird, hier Pflanzen nährt, dort Kähne treibt oder Berge in Geröll verwandelt, anderswo Eiſen roſten und Glas verwittern macht, im Regen nieder— fällt, im Meere brauſt, — ſo fällt in dieſes Meer kein Steinchen, ohne Wellen zu erregen, die ſich mit anderen Wellen kreuzen und ſich fortpflanzen, bis der 158 Widerſtand, den andere Wellen oder Felſen ihnen entgegenſetzen, ihre Maſſenbewegung aufhebt, um ſie in die Bewegung der kleinſten Theilchen zu verwandeln, die wir Wärme nennen. Alles dies geſchieht ohne Raſt und Ruh, nach denſelben Geſetzen, gleichviel ob innerhalb, oder außer— halb des Organismus, nur in verſchiedener Form, mit verſchiedenem Ergebniß. Für den Materialiſten oder Zweieinigkeitslehrer iſt die Verſchiedenheit des Ergebniſſes die Wirkung von Urſachen, die in verſchiedener Weiſe ſich paaren oder kreuzen. Dem Spiritualiſten oder Zwieſpaltslehrer gilt das Leben als der Ausfluß einer ganz beſonderen Be— rechnung, mit deren Hülfe er allein für möglich hält, den Grad von Zweckmäßigkeit zu erklären, der nach ſeiner Meinung die Natur zuſammenhält. Wenn aber alles geworden iſt, wie es nach inneren Geſetzen der Naturnothwendigkeit werden mußte, dann iſt es ja natürlich, daß die Folge der Urſache ent— ſpricht, nur daß die Urſache, weil ſie Nothwendiges wirkt, ihre Folge nicht als Zweck erwählen konnte. Allmälig verlernt es der Menſch ſich als König der Schöpfung anzuſehen. Damit erwirbt er aber auch die Einſicht, daß ſo ſehr er als Menſch das Maaß aller Dinge für menſchliche Einſicht iſt, doch 159 all ſein Meſſen eitel wird, wenn er das Walten in der Natur nur auf ſeine Bedürfniſſe beziehen will. Denn zweckmäßig hieß doch zunächſt nur das, was dem Menſchen zu frommen ſchien. Und der Blick, mit dem er ſein Verhältniß zu anderen Weſen betrachtete, war dabei ſo eingeſchränkt, daß er über den Thieren, die er verzehrte, die Eingeweidewürmer vergaß, die ihm von jenen zugeführt werden, und die nicht ſelten Gleiches mit Gleichem vergelten. Dem Löwen ſcheint das Lamm geboren, damit es ihn ernähren ſoll, dem Lamm erſcheint der Löwe, wie ein Aufruhr im friedlichen Treiben der Natur, etwa wie ein Erdbeben oder ein Sturm dem ungebildeten Menſchen. Iſt aber alles geworden, wie es werden mußte, dann löſt ſich der Kampf um's Daſein auf in dem Rollen der Elemente, das nach der Reihe allen Weſen Befriedigung gönnt. Es iſt unmöglich, daß Eine Thierart ſich über alle vermehren ſollte, ſo raſch dies bei ungeſtörter Fort— pflanzung auch der am wenigſten fruchtbaren geſchehen würde, eben weil alle ſich gegenſeitig beſchränken, wodurch gerade der Mannigfaltigkeit der Weſen im Haushalt der Natur ihr Platz geſichert iſt. Wenn man es aber Kampf um's Daſein nennt, ſo iſt es mehr ein Wettkampf als ein Krieg, der 160 entflammt wäre vom Haſſe Aller gegen Alle. Wie die Pflanze die Thiere nicht haßt, deren Auflöſung ihr Nahrung bereitet, wie der Menſch den Wieder— käuern nicht feindlich geſinnt iſt, die ihn kleiden und ſtärken, ſo haßt der Haarwurm den Menſchen nicht, deſſen Muskeln er zerwühlt, noch der Fuchs die Hühner, die er überliſtet. Es kommt darauf an, die Gründe des Siegs und der Niederlage zu erforſchen. Dazu führt aber nur der Eine Weg, daß man die Entwicklung belauſcht, ohne ſich durch Ahnungen von Abſicht und Zweck— mäßigkeit irren zu laſſen. An der Hand der Entwicklungsgeſchichte werden eine Menge von Formverhältniſſen und Geſtaltungen verſtändlich, die dem Erſpäher von zweckmäßigen, voraus berechneten Einrichtungen immer ein Räthſel bleiben. Wenn die Amnionthiere mit den Fiſchen und Lurchen auf Einen Stammvater zurückzuführen ſind, dann iſt es kein Wunder, daß auf einer vorüber— gehenden Entwicklungsſtufe bei Schleichern, Vögeln und Säugethieren, den Menſchen mit inbegriffen, die Kiemenſpalten und Kiemenbogen vorkommen, die doch, zu Kiemen in gar keine Beziehung treten. Während ſich bei den Amnionthieren die Kiemenbogen der Fiſche, jo weit fie nicht, wie bei dieſen, das Bau— 161 material für Antlitzknochen enthalten, in Theile des Gehörorgans, ins Zungenbein, in einige Kehlkopf— knorpel und Halswand umbilden, entwickelt ſich die Schwimmblaſe zur Lunge, und die Umbildung des Kiemengerüſtes geht Hand in Hand mit der Aus— bildung des Lungenathmens. Im Lichte ſolcher Auffaſſung erſcheinen die beid— lebigen Thiere, die wahren Lurche, als ein ächtes, das heißt als ein Entwicklungsband zwiſchen den Waſſer— und Landthieren. Aus dem Fiſche wird ein Schleicher, ein Vogel, ein Säugethier, in Folge der allmälig fortſchreitenden Entwicklung der Lungen und ihrer Ver— richtung. Die Kiemen ſind bei dem heranwachſenden Molch oder Fröſchlein alten Schuhen vergleichbar, die nicht eher weggeworfen werden als neue erworben ſind. Die Lungen ſind eben bei den Lurchen erſt in der Entwicklung begriffen. Die Entwicklung aus vorangegangenen, ſtamm— älterlichen Formen, d. h. die Erblichkeit, bedingt den Grundbau der Organismen; die Anpaſſung an neue Lebensverhältniſſe die Wandlungen, die der Grundbau erleidet. Zu den wichtigſten Wandlungen dieſer Art gehört die Verkümmerung, von welcher gewiſſe Organe be— fallen werden, die der Organismus als Zeugen ſeiner Abſtammung aufbietet, die aber wegen Mangel an II. 11 162 Uebung, aus Unthätigkeit, nach und nach die Fähig— keit ihrer urſprünglichen Verrichtung verloren haben. So hat das menſchliche Ohr Muskeln, die es nicht bewegen, die aber an jene unſerer Hausthiere und vieler Affen erinnern, welche die Ohren ſpitzen und richten, um auf einen nahenden Feind zu lauſchen. Manche unter der Erde, im Finſtern lebende Thiere, der blinde Maulwurf), der Kiemenmolch der Adels— berger Grotte“), haben verkümmerte Augen, die unter der Haut verſteckt liegen. Im inneren Augenwinkel beſitzt der Menſch eine kleine halbmondförmige Hautfalte, welche als ein Ueberbleibſel des inneren, dritten Augen— liedes, der ſogenannten Nickhaut, anzuſehen iſt, das wir von den Säugethieren ererbt haben. In manchen Fällen liegt es klar vor Augen, daß ſolche Gebilde einer beſtimmten Verrichtung nicht mehr obliegen. Wenn dies ſchon für die meiſten Menſchen von den Ohrmuskeln gilt, ſo iſt es noch viel unzwei— deutiger zu beobachten an jenen Schneidezähnen, welche bei den Embryonen mancher Wiederkäuer, der Kuh z. B., im Zwiſchenkiefer vorhanden ſind, aber niemals durch— brechen, folglich auch nicht zum Beißen oder Schneiden benützt werden. ) Talpa caeca. **) Proteus anguineus. 163 Wer die Natur mit Zweckmäßigkeitsvorſtellungen zu deuten ſucht, wer in dem zuletzt erwähnten Falle die Frage aufwirft, wozu die Schneidezähne im Zwiſchen— kiefer eines neugeborenen Kälbleins da ſind, während ſie doch nicht zum Durchbruch kommen, kann keine andere Antwort als ein verlegenes Achſelzucken erwarten. Wer darnach forſcht, woher jene Schneidezähne kamen, von wem ſie ererbt und wie ſie entſtanden ſind, der fühlt ſich im Unterſuchen befriedigt, wenn er auch noch ſo häufig die letzte Antwort ſchuldig bleibt. Es wird eben nicht alles, was von den Vätern ererbt iſt, erworben, um es zu beſitzen oder zu benützen. Nur ſei man ſehr auf ſeiner Hut, bevor man ſich dazu entſchließt ein ſolches Erbtheil, ſo lange es nicht allſeitig und immer aufs Neue unterſucht iſt, für nutz— los zu erklären um es damit zu einem verkümmerten Organ zu ſtempeln. Je geiſtreicher und kühner, mit anderen Worten, je verführeriſcher die Anſchauungen ſind, denen ſolche Urtheile entſtammten, deſto mehr Vorſicht iſt nöthig, um ſich nicht davon hinreißen zu laſſen. Es läßt ſich nicht bezweifeln, daß das dünne Kleid von Wollhaar, welches den größten Theil des menſch— lichen Körpers überzieht, als ein Erbtheil der Säuge— thiere gelten muß. Bei den menſchenähnlichſten Affen, insbeſondere beim Orang, ſind die Haare am Oberarm, TI DIE ä * „ 3 1 164 wie die des Unterarms, gegen die Spitze des Ellen— bogens gerichtet. Wallace meint, dieſe Richtung der Haare ſei den Affen nützlich, indem ſie beim Regen, wenn die Arme über dem Kopf zuſammengeſchlagen ſind oder die Hände einen Baumzweig umklammern, das Abfließen der Waſſertropfen befördern.“) Da ſich beim Menſchen häufig — nach meinen Beobachtungen kei— neswegs immer — eine ähnliche Richtung der Haare am Arm vorfindet, ſo wären hier die Wollhaare jenes Dienſtes verloren gegangen und würden uns im beſten Falle, nach Darwin's Ausdruck, nur ein ſeltſames Erinnerungszeichen an die höheren Affen darbieten. Den niedriger ſtehenden Affen und den übrigen Säuge— thieren kommt dieſes Merkmal nicht zu. Häckel, der jene Bemerkung von Wallace mit Wärme auffaßt, meint, „die Richtung der Härchen an unſerm Unterarm erzähle uns noch heute von jener nützlichen Gewohnheit unſerer Affen-Ahnen.“ “*) Er iſt aber offenbar geneigt, das ganze Haarkleid des Menſchen als ein verkümmertes Organ, als „eine unnütze Erbſchaft“ zu betrachten.“ **) Ich will hier keinen beſonderen Nachdruck darauf legen, daß die ) Charles Darwin, the descent of man, London 1871, vol. I. p. 193. *) Ernſt Häckel, Anthropogenie, 3. Aufl. 1877, S. 543. ) Häckel, ebendaſelbſt, S. 542. 165 Härchen an der Oberfläche unſeres Körpers ein Theil jener Horngebilde ſind, die als ſchlechte Wärmeleiter wie ein Panzer den Körper umhüllen und ihn ſo mächtig ſchützen gegen die Unbilden von Luft und Wetter, daß z. B. die Feuerländer, ohne Kleid und Hütte, ſich nackend der Witterung preisgeben können.“) Aber es iſt überdies durch ſorgfältige Unterſuchungen von Aubert und Kammler ausgemacht, daß die Haare ein wirkſames Hülfsorgan für den Taſtſinn abgeben. Wenn man an einer regelmäßig behaarten Hautſtelle die Härchen abgeſchoren hat, dann wird ein viel ſtärkerer Druck erfordert, um überhaupt noch wahr— genommen zu werden, als bei Gegenwart der Härchen.**) Die Härchen empfangen den Druck und übertragen ihn, wie kleine Hebel wirkend, mit Macht auf Einen Punkt, auf die beſchränkte Gegend des Haarbalgs, in der ſich Nerven verbreiten. Man könnte in dieſer Be— ziehung die Haare mit Sonden vergleichen, die in die Außenwelt hineinragen, und der Name Taſthaare, den man bei Thieren nur auf die der Schnauze anwendet, ließe ſich ganz allgemein auf das Haarkleid des Menſchen beziehen. 5) Darwin, a. a. O., vol. I. p. 237. **) Aubert und Kammler, in Moleſchott's Unter⸗ ſuchungen zur Naturlehre des Menſchen und der Thiere, Bd. V., (1858), S. 164—166. N 166 Eine ähnliche Ehrenrettung, wenn nicht in höherem Grade, verdient die Ohrmuſchel. Darwin, der ſich auf Toynbee als Gewährsmann beruft, ſowohl als Häckel verweiſen das äußere Ohr in die Reihe der verkümmerten, unnütz gewordenen Organe.“) Mag auch die Bedeutung deſſelben hier und da übertrieben worden ſein, ſo iſt doch nicht zu verkennen, daß die vielgeſtaltigen Vorſprünge an ſeiner Oberfläche ein Zurückwerfen der Schallſtrahlen in ſo vielfacher Rich— tung bedingen, daß einige jedenfalls in der günſtigſten Richtung in den Gehörgang eindringen und, nachdem ſie auch hier mehrfach zurückgeworfen worden, ſenkrecht das Trommelfell treffen. Dadurch wird die Thatſache erklärt, daß es nach Buchanan nichts weniger als gleichgültig iſt, unter welchem Winkel das Ohr zum Schädel geneigt iſt. Dieſer Winkel kann ohne Nach— theil zwiſchen 25 und 45 Grad ſchwanken, wird er aber kleiner als 15 Grad, dann wird das Gehör be— einträchtigt. Das Ohr iſt aber nicht bloß eine Fang— muſchel für die Schallſtrahlen; die federnde Platte, die es darſtellt, wird auch ſelbſt in Schwingungen verſetzt, die ſich, wenngleich mit geringer Kraft, nach dem inneren Ohr fortpflanzen müſſen. Hierdurch wird es *) Darwin, a. a. O., p. 21, und Hache, S. 592 und 722. 167 begreiflich, daß uns die Ohrmuſchel einen weſentlichen Dienſt leiſtet, wenn wir beurtheilen ſollen, ob ein Schall vor oder hinter uns erzeugt wird. Dieſes Urtheil wird ſogleich viel unſicherer, wenn wir die Ohrmuſchel platt drücken und die Hand mit angedrücktem Kleinfingerrand vor dem Ohr halten. Es iſt alſo das von den Orientalen ſo vielfach geübte Abſchneiden der Ohren auch in ſeinen Folgen keineswegs eine gleich— gültige Gräuelthat, und es wäre ſchade, wenn die Stammesgeſchichte auch nur mittelbar einer ſolchen rohen Unſitte Vorſchub leiſten ſollte. Ueberhaupt drängt ſich gegenüber dem Nutzloser— klären mancher Körperbildungen unwillkürlich der Ge— danke auf, daß hier, wie ſo oft, der Feind, den eine folgerichtige Bekämpfung überwinden ſoll, dem Kämpen in den Nacken ſchlägt. So geht es hier dem Forſcher, der ſich vor dem Einmiſchen von Zweckmäßigkeitsvor— ſtellungen in ſeine Unterſuchungen ſo ſehr zu hüten wünſcht. Wenn das Urtheil über Zweckmäßigkeit in das der Nutzloſigkeit umſchlägt, ſo begiebt es ſich auf jene ſchlüpfrige Bahn, auf der das Nichtſein mit dem Sein durchs Werden verbunden iſt. Wer ein Organ für nutzlos erklärt, der muß ſich ebenſo die Beurthei— lung der Ziele anmaßen, wie jenes Pfäfflein Jean Paul's, das die Sonnenfinſterniß gekommen wähnte, damit es ſchattiger reiten ſollte. - * 7 7 * > Tr n K * 168 Richtſchnur des Forſchers ſei, nach dem Urſprung der Dinge zu fragen, und, da die Beziehungen zwiſchen denſelben im Weltall, wie in der kleinen Welt eines jeden ſelbſtändig ſcheinenden Organismus, ebenſo un— gezählt ſind, als ſie ſich allſeitig entfalten, nicht müde zu werden den Zuſammenhang der Eigenſchaften aller Theile auch da zu erſpähen, wo ſie dem erſten flüch— tigen Blick des Bewunderers oder der ſcharfen Berech— nung des Zweiflers zu entfallen ſcheinen. Allerdings ſchlägt uns der Feind nicht ſelten nur deshalb in den Nacken, weil ſich die urſächliche und zielſtrebende Betrachtung ſo nahe begegnen, daß es beinahe nur auf die Wendung ankommt, die man wählt, ob die Darſtellung vor dem ſtrengſten Richter, der nur nothwendigen Zuſammenhang anerkennt, be— ſtehen kann. 8 Wenn man es bei Darwin an zahlloſen Stellen deutlich ausgeſprochen oder zwiſchen den Zeilen leſen kann, daß im Kampfe um's Daſein nur nützliche Eigen— ſchaften zur Ausbildung kommen und erhalten bleiben, ſo braucht man das nur in den anderen Ausdruck zu überſetzen, daß die Weſen zu Grunde gehen, an denen ſich Eigenſchaften entwickelt hatten, die ihre Wider— ſtandskraft gegen die Einflüſſe der Außenwelt vermin— dern, daß ſich dagegen diejenigen behaupten, deren Anlage in der Umgebung die Bedingungen vorfindet, 169 die ihren eigenartigſten Merkmalen Entwicklung und Sieg verleihen, um ſich aus einer gefährlichen zweck— huldigenden Ausdrucksweiſe in den ſicheren Hafen der Naturnothwendigkeit zu retten. Die Rolle des Darſtellers wird beſcheidener. Er muß mehr nehmen als geben, mehr lauſchen als reden, mehr arbeiten als lehren, mehr begreifen als errathen. Er muß den ruhig ergründenden Verſtand dem Flügel— ſchlag des Geiſtes vorziehen. Und das iſt im Grunde das Verdienſt von Darwin und ſeinen Freunden. An der Form oder dem Guß der Darſtellung ſoll nicht gemäkelt werden. Sie haben in ihrer Weiſe, durch die That mehr noch als durchs Wort, dazu beigetragen, uns von dem Trugbild einer als Perſon gedachten Natur zu befreien. Sie ſind nicht die Erſten geweſen, die uns über den Tand und Wahn von Naturjpielen, über die Furcht vor ernſt gemeintem Aufruhr in der Natur hinweg— hoben. Aber indem ſie auf ihrem weiten Gebiet, das die ganze Entſtehungsgeſchichte der Organismen umfaßt, die Entwicklung anſtatt der Verwirklichung, das Werden anſtatt der Schöpfung ſetzten, haben ſie, wollend oder nicht, der freien Forſchung eine der mächtigſten Waffen verliehen gegen alles, was blinder Glaube heißt, gegen Alle, die ſich im Flügelkleide der Dichtung auf dem Gebiet der Wiſſenſchaft ergehen oder in der Kutte der. 170 Heuchelei am Fortſchritt verſündigen. Sie haben ge— lehrt, wie in der Welt der Organismen der Charakter ſiegt, die Halbheit unterliegt. Ihnen gehört die Zukunft. Es ſoll mit dieſer Anerkennung das Lob der Lehrer und Schriftſteller nicht geſchmälert werden, die, nach— dem ſie das Endergebniß einer Entwicklung bereits kannten, den Zauber eindringlicher und farbiger Dar— ſtellung darauf verwandten, bei der Schilderung des Werdens das Ziel vor Augen zu halten, als wenn ein rechnender Baumeiſter es mit Bewußtſein, mit mehr oder weniger Kunſt, erſtrebte. Mit mehr oder weniger Kunſt! Denn eine beſſere Beleuchtung vermögen ſie nicht zu geben für die ſo häufig gemachte Erfahrung, daß in den höheren Orga— nismen, im Menſchen z. B., Abweichungen vom regel— mäßigen Bau vorkommen, die an das Verhalten in niederen Organismen erinnern. Oder iſt es etwa beſſer als Rathloſigkeit, wenn, ſo oft im Menſchen ein Muskel, ein Gefäß, ein Nerve die Beſchaffenheit, Verlaufsweiſe oder Anordnung eines Affen vorführen, es einem nach Menſchenart gedachten Bildner zuzu— muthen, es ſei ihm in dieſen Fällen mißlungen, ſeinen Prometheiſchen Gedanken ganz zu verwirklichen? Wenn in dem menſchlichen Gehirn in vereinzelten Fällen der ſogenannte Balken“) fehlt, der bei den Beutelthieren *) Corpus callosum, 171 kaum angedeutet iſt, iſt es da befriedigender anzunehmen, der Hirnbau ſei in Betreff dieſes Punkts auf einer niederen Entwicklungsſtufe ſtehen geblieben, oder die alte Annahme, die Natur habe ſich einen Scherz er— laubt, wenn nicht gar der Schöpfer etwas vergeſſen haben ſoll? Es war eine ebenſo nothwendige als heilſame Ent— nüchterung, welche die Forſcher vermocht hat, von jenen durch Geiſt und Mannigfaltigkeit beſtechenden Bildungs— plänen Abſchied zu nehmen, die bald ein Spiel, bald ein Zufall, bald Laune, bald Unvermögen in buntem Wechſel zu Tage führte oder unerreicht ließ. Der Schleier vor dem Geſetze lätzt ſich heben, der Schleier vor einer wandelbaren Abſicht iſt undurch— dringlich. Letztere errathen zu wollen, wäre Siſyphus— Arbeit; jenes erforſchen, heißt langſam aber ſicher fort— ſchreiten in der Erkenntniß der Stellung, die dem mit hoch entwickeltem Hirn verſehenen Menſchen in der Natur zu Theil gefallen. 4 eee eee P 22 * N ie 172 XVIII. Der Gedanke. Kein Werkzeug des Körpers ſtempelt das Thier mehr zum Thiere, kein anderes erhebt es ſo allmälig zur Stufe der Menſchheit empor, wie das Hirn oder diejenigen Theile, welche ſeine Stelle vertreten. Im Menſchen erreicht es durch die Vervielfachung ſeiner wirkſamen Theile und die Vielſeitigkeit ihrer Verkettung einen Grad der Entwicklung, der ſich, im Verhältniß zu dem einfacheren Nervenſyſtem der nie— deren Thiere, mit der ſchnell wachſenden Anzahl der Verbindungen und Abwandlungen in der Reihenfolge einer großen Anzahl von Gliedern in der Buchſtaben— rechnung vergleichen ließe. Nur daß es ſich hier nicht ſowohl um Verände— rungen in der Lagerung, als um Abwechslung in der Thätigkeit handelt, deren Wandel und Verſchlingung dadurch ins Unabſehbare ſich ſteigert und verwickelt, daß jede Thätigkeit jener wirkſamen Theilchen in dieſen ſelbſt eine Veränderung hervorruft, die in dem Hirn, 173 jo lang es von kreiſendem Blut beſpült wird, eine zu— ſammengeſetzte Wellenbewegung unterhält, die ſich im Denken wie im Träumen raſtlos fortwälzt. Die Theilchen, in welchen ſich des Hirnes Wirken abſpielt, ſind überall Zellen, die ſelbſt wiederum die Eigenthümlichkeit beſitzen, daß ihre Größe und Ent— wicklung ſo vielfache Abſtufungen zeigt, wie kein anderes Formelement im ganzen Organismus. Bald ſo klein“), daß ein einfacher, von der Puppe eines Seidenwurms abgehaſpelter Faden an Dicke ihren Durchmeſſer überträfe, bald ſo groß, daß ihr Durch— meſſer den eines Barthaares übertrifft“), bald kugelrund, bald elliptiſch, eiförmig, pyramidaliſch, birnförmig, viel— eckig und in hohem Grade unregelmäßig geſtaltet, ſenden ſie gewöhnlich Fortſätze aus, während ſie derſelben, wenig— ſtens ſo lange ſie unentwickelt ſind, manchmal entbehren. Ihr Inneres birgt immer einen verhältnißmäßig großen Kern, der ſeinerſeits in der Regel ein großes, glänzen— des Kernkörperchen einſchließt. Je beſſer ſie erhalten ſind, deſto glasheller iſt gewöhnlich ihr Inhalt, und doch enthalten zumal die größeren Zellen oft ein Häuf— lein Körnchen, deren Farbe von Gelbgrau durch Roſtbraun bis zum Kohlſchwarzen alle Schattirungen durchläuft. Während ſich vielfach an der Oberfläche keine häutige ) 0,006 Mm. **) 0,140 Mm.; Durchmeſſer eines Barthaars 0,135 Mm. 174 Zellwand unterſcheiden läßt, iſt eine ſolche in anderen Fällen entſchieden vorhanden, und in gewiſſen Gegenden des Körpers noch dazu von einer verhältnißmäßig ſtarken Bindegewebsſchicht förmlich eingekapſelt. Jene Fortſätze verbinden die Nervenzellen mit den Nervenfaſern, oder beſſer geſagt, jene Fortſätze ent— halten immer den weſentlichſten Theil einer Nervenfaſer, den ſogenannten Kernſtab “), jo daß man jagen darf, daß die Nervenfaſern ſelbſt von den Nervenzellen entſpringen. In ihrer vollkommenſten Ausbildung beſtehen dieſe Nervenfaſern aus dem ſo eben erwähnten Kernſtab, einer dieſen umgebenden Markröhre und einer Scheide, welche endlich dieſe letztere umſchließt. Es giebt aber weniger zuſammengeſetzte Nervenfaſern, denen die Mark— röhre, andere, denen die äußere Scheide abgeht, noch andere, denen beide fehlen, ſo daß ſie nackte Kernſtäbe darſtellen. Nach einer Entdeckung Remak's, die der zu früh verſtorbene Max Schultze mächtig ausgebildet hat, beſteht der Kernſtab der Nervenfaſern aus einem Bündel feinſter Fäſerchen, deren Durchmeſſer öfters kaum 0,001 Mm. erreicht. An vielen Orten, nament- lich im Bereich der Sinnesorgane, zerfallen die Kern— ſtäbe in jene Elementarfäſerchen, ſie faſern ſich gleichſam auf und endigen an der Oberfläche des Körpers oder ) Axencylinder. nm * 38 175 in den tiefer liegenden Sinnesorganen in Gebilden, die man ſelbſt wieder als eine Abart von Nervenzellen betrachten kann. Andererſeits löſen ſich die Kernſtäbe nach den Unterſuchungen von Max Schultze auch innerhalb der Nervenzellen des Hirnes in Elementar— fäſerchen auf, welche theils in dieſen Zellen endigen, theils ſie durchſetzen, um in andere Nervenfaſern und theilweiſe durch dieſe in andere Nervenzellen überzu— gehen. Dies wäre bis jetzt der feinſte Ausdruck, den man dem Zuſammenhang zwiſchen Nervenzellen und Nerven— faſern, den beiden Bauſteinen des Nervenſyſtems, zu geben vermocht hat. Undenkliche Mühe hat es gekoſtet und eine ſtattliche Schaar der trefflichſten Forſcher hat daran mitarbeiten müſſen, um die Einſicht in den Zuſammenhang der wichtigſten Formgebilde des Körpers ſo weit zu fördern. Seit Remak bei Wirbelthieren (1837) und Helmholtz bei Wirbelloſen (1842) die Fortſätze der Nervenzellen, Paul Sapvi in den elektriſchen Organen des Zitter— rochens die Theilung einer Nervenfaſer entdeckte (1844), bis zur Erkenntniß des Uebergangs von Elementar— fäſerchen in Hörzellen, Riechzellen, Schmeckzellen, iſt mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen. Die Zahl der Mitarbeiter, welche dieſe Erfolge angebahnt und errungen hat, iſt ſo groß, daß es im Einzelnen oft 176 ſeine Schwierigkeit hat, den wahren Entdecker einer Thatſache zu bezeichnen. Aber die Namen Heinrich Müller, Max Schultze, Corti, Lovöén, Schwalbe werden nicht vergeſſen werden, wenn man genauer erzählt, wie die Endigung der Seh- und Hör— nerven, der Geruchs- und Geſchmacksnerven aufgefunden wurde. Ihr Verdienſt wird dadurch nicht geſchmälert, daß man für viele Einzelnheiten von der Unermüdlich— keit der Forſcher, der Vielſeitigkeit ihrer Kunſtgriffe, dem folgerichtigen Durchmuſtern des ganzen Syſtems und der immer zunehmenden Verbeſſerung der Ver— größerungsgläſer die Beſeitigung ſo manchen Zweifels zu erwarten hat. Eines aber kann uns nicht mehr entwunden werden, daß nämlich die Nervenzellen mit den Nervenfaſern und durch Nervenfaſern mit einander zuſammenhängen, daß Nervenfaſern die unmittelbare Verbindung ver— mitteln zwiſchen dem Hirn und den übrigen Werkzeugen des Körpers, mögen ſie der Bewegung, der Empfin— dung oder der Abſonderung dienen, ſich alſo in Mus— keln, Sinnesorganen oder Drüſen verbreiten. Was nun aber den Menſchen über alle Thiere erhebt, iſt die mächtige Entwicklung, in welcher Billionen von Nervenzellen in ſeinem Hirn zu einem Zellenſtaat, gleichſam zu einem alle Verrichtungen des Körpers leitenden Hauptquartier verbunden ſind, e A 177 während an zahlloſen Stellen kleinere Sammelplätze ebenſo viele Vorpoſten bezeichnen, die mit den Nerven— faſern und durch dieſelben mit dem Hauptquartier in Verbindung ſtehen. Bei den niederen Thieren ſind die Anſammlungen von Nervenzellen auf ſolche Vorpoſten beſchränkt; bei den niederſten ſind ſie noch nicht einmal vorhanden. Weder bei den Aufgußthierchen“), noch bei den Wur— zelfühern**) hat man eine Spur von Nervenzellen oder Nervenfaſern entdeckt. Daſſelbe muß man von den Polypen im engeren Sinne behaupten, die alſo mit den Urthierchen mehr als alle höheren Thiere auf den Namen Pflanzenthiere Anſpruch erheben können. Da wo aber zuerſt ein Nervenſyſtem mit Sicher- heit erkannt iſt, bei den Scheibenquallen, beſteht es aus einem am Rand der Scheibe verlaufenden Ringe von Nervenfaſern, der an mehreren Stellen durch An— ſammlungen von Nervenzellen“) unterbrochen iſt, die theils durch jene Nervenfaſern unter einander verbun— den ſind, theils an die vom Rand des Körpers aus— ſtrahlenden Fühler Nervenfäden entſenden. Bei den höheren Ringelwürmern, bei den Glieder— füßern ) und den Weichthieren zieht ſich jener Nerven— ) Infuſorien. * ) Rhizopoden. * Ganglien, Nervenknoten. +) Arthropoden. 11 3 R 178 ring um den Schlund zuſammen. Als Regel ſind zwei über und zwei unter dem Schlunde liegende Nerven— knoten vorhanden, die paarweiſe durch Querſtränge von Nervenfäden mit einander verbunden ſind. Die zwei oberen hängen auf dieſe Weiſe unter ſich zuſammen, ebenſo die zwei unteren, und ſchließlich der linke obere mit dem linken unteren, der rechte obere mit dem rechten unteren. So kommt ein eigentlicher Schlundring zu Stande, der für die höheren Ringelwürmer, für Spinnen, Krebſe und Kerbthiere, für Muſcheln und Schnecken bezeichnend iſt. In der Klaſſe der Würmer kommt es aber nicht ſogleich zur Entwicklung eines Schlundrings. Bei den Plattwürmern und Räderthieren ſind nur die vor oder über dem Schlund gelegenen Nervenknoten vorhanden, die durch ein Querbündel verbunden ſind. Außer der oberen Verbindung zwiſchen den dem Schlunde aufliegenden Nervenknoten kann auch eine den Schlund von unten umgreifende vorhanden ſein, aber ohne daß ihr Nervenknoten oder Nervenzellen eingelagert ſind. So verhält es ſich bei einer Familie von undeutlich geringelten, ſehr langen, mit mehrfachen Augen verſehenen Würmern, die den Plattwürmern nahe jtehen*), und bei den Mantelthieren n). Ein ) Nemertinen: Nemertes oder Borlasia. **) Tunicata: Ascidien. 179 ächter Schlundring, der auch untere Schlundganglien enthielte, iſt alſo hier noch nicht vorhanden. Noch weniger iſt dies bei den Strahlthieren *) der Fall, bei welchen der Schlund zwar von einem Nervenring umgeben iſt, die Nervenzellen aber ſich in Nervenſtämmen befinden, die von jenem Ring aus— ſtrahlen. Im Nervenring der Seeſterne “) kommen nach Häckel zwar Nervenzellen vor, ſie ſind aber nicht in vorſpringenden Nervenknoten angehäuft. Andererſeits erreicht das obere Schlundknotenpaar bei den höheren Ringelwürmern, Gliederfüßern und Weichthieren einen hohen Grad von Entwicklung, indem die Knoten nicht bloß durch ihre Größe ſich auszeichnen, ſondern auch durch ihre Sonderung in Lappen, welche das nähere Verhältniß -beſtimmter Nerven zu einzelnen Gruppen von Nervenzellen formell bezeichnen. Im Allgemeinen ſind die Nervenknoten um ſo größer, je mehr die Sinnesnerven entwickelt ſind, als wenn ſchon hier die fruchtbare Beziehung der Sinnen— welt zum Gedankenleben ſich klar vor Augen legen wollte. Ja bei den Bienen und Ameiſen zeichnen ſich die oberen Schlundknoten, die wohl auch geradezu als Gehirn bezeichnet werden, nicht bloß durch ihre verhältnißmäßige Größe, ſondern auch durch das Vorhandenſein von ) Echinodermata, **) Asterida. II. 12 E er 180 Windungen und Wülſten aus, die unwillkürlich an die Lappen des Gehirns der Wirbelthiere erinnern. Daß aber, alles Uebrige gleich geſetzt, die Größe der Hirnknoten die geiſtige Befähigung der Thiere ſteigert, offenbart ſich deutlich, wenn man etwa die tölpelhaften Maikäfer mit emſigen Bienen oder zum Staatsleben eingeſchulten Ameiſen vergleicht. Das Hirn einer Biene iſt im Vergleich zur Größe ihres Körpers dreimal ſo groß, wie dasjenige eines Maikäfers, und die Ameiſen ſind in dieſer Beziehung den Bienen noch überlegen). Bei den höheren Würmern und Gliederfüßern geſellt ſich zu den Schlundknoten eine größere oder geringere Zahl von Bauchknoten, die, an der Bauchjeite liegend und in der Regel durch doppelte Längsſtränge von Nervenfaſern mit einander verbunden, das ſogenannte Bauchmark darſtellen. Da wo Glieder vorhanden ſind, entſpringen ihre Nerven von den Bauchknoten. Bei den Würmern verſorgen dieſe die Muskeln und die Haut. Für die Eingeweide beſteht bei den eigentlichen Ringelwürmern, ſowie bei den Krebſen, Spinnen und Kerbthieren noch eine Anzahl beſonderer Nervenknoten, deren Nerven vorzugsweiſe den Darmkanal verſehen und mit den ) Carl Gegenbaur, Grundzüge der vergleichenden Anatomie, 2. Auflage, Leipzig 1870, S. 384. N * “ re 7 5 _ Kopf⸗ und Bauchganglien vielfach in Verbindung ſtehen. Es kann kaum einem Zweifel unterliegen, daß 181 dieſe Eingeweidenerven auch unmittelbar von den Kopf— ganglien abhängen. Entſpringen doch die Darmnerven bei den Strudel- und Saugwürmern, die der Bauch— und Eingeweideknoten noch entbehren, geradezu aus den Nervenknoten des Schlundes. Allgemeiner Charakter der wirbelloſen Thiere, die überhaupt mit einem Nervenſyſtem verſehen ſind, bleibt alſo das Vorhandenſein einer Anzahl zerſtreuter Ner— venknoten, von welchen Nerven zu Bewegungs- oder Abſonderungsorganen ausſtrahlen, während ſie Sinnes— nerven empfangen. Die durch zahlreiche Ganglien vermittelte Arbeits— theilung beſchränkt die Bezüge zwiſchen den einzelnen Körpertheilen und damit die Einheit des Heerdes, der alle dieſe Bezüge zuſammenfaßt. In dieſem Sinne kann auch phyſiologiſch bei Würmern, Inſekten oder Schnecken von keinem eigentlichen Gehirn die Rede ſein, gleichwie die Annahme eines ſolchen aus dem Geſichts— punkt der Formentwicklung von Gegenbaur mit Recht, trotz aller Aehnlichkeit in der Verrichtung, be— kämpft wird *). ) Carl Gegenbaur, a. a. O., S. 188, 368, 724. Di. N Er = 1, . KR 182 Für die Gruppe der Gliederthiere im weiteſten Sinne, Ringelwürmer und Gliederfüßer, iſt die Glie— derung des Lebens, d. h. ein gewiſſer Grad von Unab— hängigkeit der einzelnen Glieder bezeichnend. Einen merkwürdigen Verſuch, um dieſe Theilung des Lebens zu erweiſen, habe ich von meinem ſtets be— trauerten Freunde Defilippi anſtellen ſehen, der bei Seidenraupen einige wenige ihrer gut ſichtbaren Luft— löcher mit Kitt verſtopfte, worauf der entſprechende Körpertheil in Lähmung verfiel, während vor und hinter demſelben die Bewegung fortdauerte. Die An— ordnung der Luftröhren, die bei den Inſekten ſämmtliche Organe aufſuchen, muß alſo der Art ſein, daß die Luft nicht frei durch alle Theile ſtrömt, wenn einige Luft— löcher geſchloſſen werden, und es gelingt daher einen oder einige wenige Nervenknoten des Bauchmarks außer Thätigkeit zu ſetzen. Gegenüber dieſem getheilten Leben erſcheint es als ein Fortſchritt, wenn die Knoten des Bauchmarks mit einander verſchmelzen. Viele Kerbthiere lehren bei ihrer Verwandlung, daß ſich hierin wirklich eine fort— ſchreitende Entwicklung bekundet, inſofern bei manchen Arten das vollkommene Inſekt eine geringere Anzahl von Bauchknoten enthält als deſſen Larve. Bei den eigentlichen Spinnen, die durch ihren Kunſttrieb, ja ſogar durch ihre Kunſtliebe in hohem a 183 Grade ausgezeichnet jind, iſt das ganze Bauchmark zu Einem großen Ganglion verſchmolzen, das durch ſehr kurze Nervenbündel mit dem Kopfknoten ver— bunden iſt. Schnecken und Tintenfiſche“) wiederholen die Zu— ſammenlagerung der Nervenzellen in wenigen Heerden, unter denen die Knoten über und unter dem Schlund die Hauptrolle ſpielen. In dieſen Knoten unterſcheiden ſich aber beſondere Ganglien für die Fühler, für die Kiemen, die bei vielen Kiemenſchnecken den oberen, bei den Tintenfiſchen dem unteren Schlundknoten ange— hören. Verſuche, die Faivre an Schwimmkäfern **) vor= genommen, weiſen auf einen tiefgreifenden Unterſchied zwiſchen dem oberen und unteren Schlundknoten der Kerbthiere hin. Nach dieſen Verſuchen ſoll das obere Schlundganglion die Bewegungen anregen, das untere dieſelben ordnen, jenes hierdurch an die Verrichtungen des großen Gehirns bei den Wirbelthieren erinnern, dieſes vielmehr an das kleine Gehirn, mit dem es ſchon von Newport verglichen wurde. Zu dieſem Gegenſatz zwiſchen oberen und unteren Schlundknoten liefern die Schnecken ein lehrreiches Seitenſtück, inſofern ihre Sehnerven von dem oberen, ) Sepia, zu den Kopffüßern, Cephalopoden, gehörig. % Dpytiscus. 184 ihre Gehörnerven von dem unteren Schlundganglion entſpringen. Da der Sehnerv bei den Wirbelthieren ſich in's große, der Hörnerv wenigſtens theilweiſe in's kleine Gehirn einſenkt, ſo iſt für den von Newport und Faivre angeſtellten Vergleich auch bei den Weich— thieren eine Grundlage zu finden. Bei Krebſen entſpringt freilich der Hörnerv nach Henſen vom oberen Schlundganglion, bei den Heuſchrecken dagegen entfernt er ſich ganz vom Schlundring und kommt vom dritten Bruſtknoten. Zu jenen Anklängen an das Reich der Wirbel— thiere geſellen ſich andere entſchiedenere Merkmale des Uebergangs, die den Beweis liefern, daß auch von Seiten des Nervenſyſtems die Wurzel der Wirbelthiere bei den Wirbelloſen zu ſuchen iſt. Als ein Kennzeichen dieſer Art darf ſchon die erſte Bildung einer Art von Schädelkapſel gelten, die wie ein knorpeliges Gehäuſe bei den Kopffüßern *) den größten Theil des Schlundrings einſchließt. Noch weit bedeutſamer aber iſt der Umſtand, daß ſchon bei den Seeſcheiden x=) ein Markrohr ſich bildet, welches mit der erſten Anlage der Nervenheerde, ſowohl im Stamm der Wirbelthiere, wie bei der Entwicklung eines jeden Einzelweſens in dieſem Stamme, übereinſtimmt. ) Cephalopoden. **) Ascidien. 185 Jenes Markrohr entſteht bei den Seeſcheiden, beim Lanzettthierchen, wie bei allen höheren Wirbelthieren, aus dem oberflächlichen Keimblatt“) ihrer Darmlarve **), und von ſeiner Entwicklung hängt es hauptſächlich ab, welche Stufe die Arten und die Einzelweſen des Thier— reichs auf der Leiter des Gefühls- und Gedankenlebens einnehmen werden. Bei den Seeſcheiden nimmt nun freilich dieſe Ent— wicklung die Form der Rückbildung an. Wenn ihre Larve die Eihülle verlaſſen hat, ſchwimmt ſie, zunächſt mit einem Ruderſchwanze verſehen, im Meere umher, und in dieſer Zeit entwickeln ſich nach Ko walewsky im vorderen Theile des Markrohrs zwei Sinnesbläs— chen, ein künftiges Auge und ein Gehörwerkzeug. Nach einiger Zeit aber ſetzen ſich die Seeſcheiden auf ſteiniger, pflanzlicher oder thieriſcher Grundlage, auf einer Muſchel oder Koralle z. B., feſt, verlieren den Schwanz, und während dem ſchrumpft das Markrohr zu einem kleinen Schlundknoten ein, welcher oberhalb der Mundöffnung gelegen iſt. Da dieſer Schlundknoten aus einem urſprünglich als Markrohr angelegten Nervenheerde entſteht, und bei den höchſt entwickelten Wirbelthieren ſämmtliche Nervenheerde, von den Stirnlappen des großen Gehirns ) Ectoderma. **) Gastrula oder Metagastrula. 186 bis zum Rückenmark, aus eben ſolchem Markrohr her— vorgehen, ſo läßt ſich die Meinung nicht verwerfen, daß der obere Schlundknoten der Wirbelloſen und die Nervenheerde der Wirbelthiere entwicklungsgeſchichtlich als gleichwerthig zu betrachten ſind.?). Mit anderen Worten, Hirn und Rückenmark der Wirbelthiere wären das Erzeugniß einer fortſchreitenden, oft gewaltigen Entfaltung des oberen Schlundknotens. Wenn ſich bei vielen niederen Thieren im unteren Schlundknoten ein Theil der höchſt begabten Nervenzellen anſammelt, ſo iſt dies nur von Neuem eine Beleuchtung der Thatſache, daß dieſe höchſt begabten Nervenzellen bei den Wirbelloſen durch den Organismus mehr zer— ſtreut ſind, während ſie bei den Wirbelthieren inniger verbunden bleiben und unter einander einen unendlich vielſeitigen Zuſammenhang beſitzen. In dem mittleren Theil des oberen Keimblatts ſetzt ſich bei den Wirbelthieren eine längliche Mittel- platte zu den umgebenden Theilen in Gegenſatz. Jene Mittelplatte enthält nämlich die Zellen, deren wuchernde *) Homolog. Vgl. Gegenbaur, a. a. O., S. 721. 187 Vermehrung dem Rückenmark und Hirn jeinen Urſprung verleihen wird. Die äußeren Theile des oberen Keim— blatts dagegen, in welchen die Mittelplatte wie eine kleine längliche Inſel gelegen iſt, liefern Oberhautge— bilde, und zwar nicht bloß an der äußeren Oberfläche der Haut, ſondern für alle Sinneswerkzeuge, die Mund— hohle und deren Drüſen mit inbegriffen. Um einen kurzen Ausdruck zu gebrauchen, der die Namen der Gruppen nach ihren wichtigſten Vertretern bezeichnet, wir begegnen hier im oberen Keimblatt einer Theilung in Denk- und Deckzellen, nur daß dieſe Deck— zellen die wichtige Bedeutung haben, mechaniſche Schwingungen, die bald als Berührung, bald als Schall⸗, Wärme- oder Lichtwellen erſcheinen, oder chemiſche Veränderungen mittelſt der Nervenfaſern auf Denk- und Bewegungszellen zu übertragen. Unter den Rändern der Mittelplatte, des ſogenannten Achſentheils des oberen Keimblatts, wachſen mit be— ſonderer Schnelligkeit zwei Streifen des mittleren Keimblatts, die Wirbelplatten, in die Höhe. In Folge deſſen erheben ſich die Ränder des Achſentheils“), ſie verwandeln die Mittelplatte in eine Rinne, und indem ſie einander allmälig entgegen wachſen, ſich begegnen und zuletzt mit einander verbinden, entſteht das Mark— ) Vgl. Zac. Moleſchott, Unterſuchungen zur Naturlehre des Menſchen und der Thiere, Bd. X, S. 16. Rc 188 rohr, in welchem die erſte Anlage des Hirns und Rückenmarks gegeben iſt. Die Stelle, an der die Rinne zuerſt zum Rohr geſchloſſen wird, iſt die Urſprungſtätte des verlängerten Marks. Was weiter nach hinten liegt, wird zum Rückenmark, was weiter nach vorn gelegen iſt, ent— wickelt ſich zu höheren Hirngebilden. In dieſer Weiſe läßt ſich die erſte Anlage der Nervenheerde in jedem befruchteten Kaninchen- oder Hühnerei beobachten. Nun giebt es in der Entwicklung eine Stufe, auf welcher das Markrohr in ſeiner ganzen Länge ge— ſchloſſen iſt, mit Ausnahme ſeines vorderen Endes, an dem ſich eine Erweiterung wahrnehmen läßt, die das Erſcheinen des erſten Hirnbläschens vorbereitet. Jetzt hat ſich im Eie eines höheren Wirbelthiers die Durchgangsform gebildet, bei der das Lanzettthierchen in ſeiner Entwicklung ſtehen bleibt. Es iſt nur her— vorzuheben, daß bei dieſem die vordere Ausmündung zuletzt ſehr klein wird und die Anſchwellung, die beim Hühner— embryo bald ein deutlich abgeſetztes Bläschen wird, ſo ſchwach iſt, daß man im Zweifel darüber bleiben kann, ob man hier überhaupt ſchon von einem geſon— derten Hirn reden darf oder nicht). ) Vgl. Häckel, Anthropogenie, 3. Aufl. 1377, S. 342, 336, 189 Hinſichtlich der erſten Bildung eines geſchloſſenen Markrohrs beſteht zwiſchen den Larven der Seeſcheiden, dem ausgebildeten Lanzettthierchen und den Embryonen der höchſten Wirbelthiere nur ein gradweiſer Unter— ſchied. In allen weſentlichen Merkmalen ſtimmen ſie mit einander überein. Wenn man nun von den Seeſcheiden abſieht, in welchen, wie oben bemerkt wurde, das Markrohr eine Rückbildung erleidet, dann findet man die Uebereinſtim— mung zwiſchen Stammesgeſchichte und Perſonenge— ſchichte auch in allen Grundzügen der Entwicklung wieder. Die Entwicklung eilt in beiden, im Einzelweſen wie im Stamme, voran.“ Beim Hühnchen ſind ſchon wenige Stunden nach der Bildung des erſten Hirnbläschens ein zweites und drittes zu unterſcheiden. Man ſpricht dann von einem Vorder-, Mittel- und Hinterhirn. Und wenn man im Stamme der Wirbelthiere vom Lanzettthierchen zu den Rundmäulern *) aufſteigt, dann findet man jene drei Abtheilungen des Gehirns ſchon deutlich ausgeprägt. Bei der Prickenlarve“ ) zwar beſchränkt ſich das Gehirn noch auf ein einfaches birn— 551. Huxley, Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere, überſetzt von Ratzel, Breslau 1873, S. 104. ) Cycloſtomen. ) Larve von Petromyzon. 5 N ee 190 förmiges Bläschen, welches jedoch deutlich vom übrigen Theil des Rückenmarkes abgeſetzt iſt, aber bei den aus— gebildeten Thieren ſind nicht bloß das Vorder-, Mittel— und Hinterhirn zu unterſcheiden, ſondern bereits die— jenigen Entwicklungen derſelben, welche es möglich machen, auf dieſer niederen Stufe der Stammesge— ſchichte die Anlagen aller weſentlichſten Hirntheile der höheren Wirbelthiere zu unterſcheiden. Im Eie dieſer letzteren trennt ſich alsbald das Vorderhirn in zwei Theile, deren vorderſter den Namen Vorderhirn*) beibehält, während der folgende als Zwiſchenhirn **) bezeichnet wird. Jenes wird bald paarig, während dieſes vorläufig unpaar bleibt. Das Mittelhirn ***) wird noch ferner durch eine einfache Blaſe gebildet, aber es wächſt ſo raſch, daß es längere Zeit hindurch im Embryo die größte Abtheilung des Hirnes darſtellt. Das Hinterhirn endlich zerfällt in das Hinterhirn 7) im engeren Sinne und in das Nach— hirn 77). Unter dieſen Abtheilungen des Hirns, deren Zahl jetzt zu fünf herangewachſen iſt, entſpricht die vordere den künftigen Großhirnballen, die zweite oder das Zwiſchenhirn den Sehhügeln und dem Raum, den ) Prosencephalon. **) Parencephalon. er), Mesencephalon. 7 Metencephalon. 77) Epencephalon, 191 fie zwiſchen ſich faſſen, mit deſſen Anhängen, die dritte, das Mittelhirn, den künftigen Vierhügeln, die vierte oder das Hinterhirn dem Kleinhirn, die fünfte endlich oder das Nachhirn dem verlängerten Mark. Und alle dieſe Theile ſind ſchon im Gehirn der Lampreten zu erkennen. Aber die Großhirnballen ſind kleiner als die aus ihnen hervorgegangenen Riech— lappen und kleiner als das Mittelhirn, welches hier noch nicht in vier, ſondern nur in zwei Hügel abge— theilt iſt. Sehr wenig entwickelt iſt endlich das Kleinhirn. Alle dieſe Theile liegen hinter einander, wenn man das Schädeldach und die oberſten Wirbel entfernt hat mit ihrer Oberfläche frei zu Tage, ohne daß ein Theil den anderen bedeckt. Ganz ähnlich wiederholt ſich dieſe Anordnung bei den Urfiſchenk) und Lurchen “). Nur iſt bei den Letzteren das Großhirn mehr und das Kleinhirn weniger entwickelt, was auch im Vergleich zu den Urfiſchen ſehr in die Augen fällt. Das Vorherrſchen des Mittelhirns über die Groß— hirnballen iſt ein Merkmal niedriger Entwicklung des Hirnbaues, das bei vielen Knochenfiſchen wiederkehrt, ) Selachier. ) Amphibien. r 1 5 „ro u) N 7 4 * l iv “ * * 1 * 1 192 beim Barſch, beim Hecht, beim Seehahn ), Harder), Wels “* ) und ganz beſonders beim Mondfiſch r) und Thunfiſch. Das Vorherrſchen des Mittelhirns geht hier jo weit, daß es das vor demſelben gelegene Zwiſchenhirn ganz verdeckt, ja bisweilen ſcheinbar in ſich aufnimmt. Ebenſo kann das kleine Gehirn bei den Knochenfiſchen, beim Harder z. B. und noch mehr beim Hechte, einen großen Abſchnitt des verlängerten Marks bedecken. Es iſt alſo im Ganzen für die Fiſche bezeichnend, daß ihr Vorderhirn wenig, ihr Mittel- und Hinterhirn im Verhältniß bedeutend entwickelt ſind. Dieſes Verhältniß kehrt ſich, wie ſchon angedeutet wurde, für Vorderhirn und Hinterhirn bei den Lurchen in der Regel um. Beim Froſche z. B. iſt das Vorder— hirn ſammt Riechlappen und Zwiſchenhirn viel mächtiger als das Mittelhirn, das Kleinhirn dagegen ſo wenig entwickelt, daß es dasjenige des Neunauges i) nicht übertrifft. Das Mittelhirn iſt immerhin noch von an— ſehnlicher Größe und in zwei Hügel abgetheilt, die ) Trigla adriatica. *) Mugil capito. d Silurus Glanis. }) Orthragoriscus mola. Man vergleiche die betreffenden Abbildungen bei Nuhn, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie, Heidelberg 1878, S. 544, 550, 558. ir) Petromyzon fluviatilis. 193 hier, wie bei den Fiſchen öfters den Namen Seh— lappen*) führen, weil von ihrer Unterfläche die Seh— nerven entſpringen. Die Großhirnballen der Fröſche, wie der Lurche überhaupt, ſind aber nicht bloß durch ihre verhältniß— mäßige Größe, ſondern auch durch die Art ihres inneren Baues vor denen der Fiſche ausgezeichnet. Bei dieſen ſind ſie ein einfaches feſtes Gebilde, ohne Hohlraum, das man als Ganzes mit den Streifenhügeln der höheren Wirbelthiere verglichen hat. Dagegen ent— halten die Großhirnballen der Fröſche bereits eine Höhle, in welcher ſich der Streifenhügel als ein innerer Nervenknoten von der Hülle abſondert“ ). Allmälig ſchreitet die Entwicklung der Hirngebilde in der Klaſſe der Schleicher“) weiter. Die Großhirn— ballen werden anſehnlicher, ihre Streifenhügel deut— licher, ihre Höhlen weiter, nach vorn mit derjenigen der geſtreckten Riechlappen, nach hinten mit dem Zwiſchen— raum zwiſchen den Sehhügeln, der ſogenannten dritten Hirnkammer, zuſammenmündend. Das Zwiſchenhirn, deſſen verdickte Wand eben die Sehhügel darſtellt und ) Lobi optiei, gleichbedeutend mit Eminentia bige- mina oder quadrigemina, wohl zu unterſcheiden von den Sehhügeln, Tha lami optici. %) Vgl. Gegenbaur, a. a. O., S. 729. Huxley, a. a. O., S. 161. ) Reptilien. 194 folglich die mittlere Hirnkammer enthält, iſt bei Schlangen und Eidechſen von den Großhirnballen ver— deckt. Frei dagegen liegen hinter ihnen die Zweihügel oder das Mittelhirn zu Tage. Sie ſind gleichfalls ausgehöhlt, und münden durch den längsläufigen Ver— bindungskanal ihrer Höhlen in die rautenförmige Grube, die an der hinteren Oberfläche des verlängerten Marks die ſogenannte vierte Hirnhöhle darſtellt. Das vordere Ende der Rautengrube iſt von dem Kleinhirn über— brückt, das bei den Schlangen nur ein ſchmaler Quer— ſtreif iſt, dem der Fröſche vergleichbar, bei den Eidechſen ſchon breiter wird, und noch mächtiger bei Schildkröten und Krokodilen auftritt. Das Kleinhirn der Schild— kröten erinnert an das mehr oder weniger weit nach hinten reichende vieler Knochenfiſche. Dasjenige der Krokodile aber beſitzt ſchon die für die Vögel und Säugethiere charakteriſtiſche Dreitheilung, die ſich vor— läufig durch einen größeren mittleren Theil mit zwei kleinen ſeitlichen Anhängſeln kenntlich macht. Der mittlere größere Theil heißt von jetzt an der Wurm des Klein— hirns. Er iſt ſchon bei den Krokodilen durch Quer— ſpalten in hinter einander liegende Blätter abgetheilt. Von den Fröſchen durch die Schlangen und Eidechſen zu den Schildkröten und Krokodilen aufſteigend, ge— wahrt man alſo eine allmälige Ausbildung, die ſich namentlich an den Großhirnballen und dem Kleinhirn BR u 2 * . 4 195 geltend macht. Im Vergleich zu den Fiſchen und Fröſchen iſt bei den Schleichern ſchon eine verhältniß— mäßige Rückbildung des Mittelhirns bemerkbar, ähnlich wie ſich dieſe beim Hühnchen im Eie während der zweiten Woche der Bebrütung beobachten läßt. Die ſo oft betonte Aehnlichkeit, welche die Schleicher und Vögel in ihrem Geſammtbau, trotz Schuppen und Federn, als nahe Verwandte ausweiſt, bleibt ſich auch treu, wenn man die Bildung des Gehirns in dieſen beiden Klaſſen vergleicht. Ein großer Theil der beſonderen Eigenthümlichkeiten, die deſſenungeachtet das Vogelhirn auszeichnet, läßt ſich darauf zurückführen, daß ſie in außerordentlich hohem Grade Kurzköpfe ) ſind. Zwar ſind die Großhirnballen bei den Vögeln noch beſſer entwickelt als bei den Schleichern, aber dieſe Entwicklung hat hauptſächlich in die Breite ſtattgefun— den. Hier wie dort enthalten ſie die Streifenhügel, von einem dünnen Hirnmantel überwölbt, durch ein dürftiges Bündel querverlaufender Nervenfaſern “*) mit einander verbunden. Weder bei den Vögeln, noch bei den Schleichern bedecken die Großhirnballen die Zweihügel, aber dieſe ſind im kurzen Vogelſchädel, als wenn ſie keinen Platz *) Brachycephali. % Commissura anterior. TE, 13° 196 gefunden hätten, ſich in der Längsrichtung zwiſchen den Großhirnballen und dem Kleinhirn auszubreiten, nach unten und zur Seite gedrängt. Der Raum, den ſie nach oben zwiſchen ſich faſſen, iſt durch ein Querband von Nervenfaſern überbrückt, welches den Verbindungs— kanal“) zwiſchen dritter und vierter Hirnhöhle nach oben abſchließt. Die ſeitlichen Anhänge des Kleinhirns ſind noch ſchmächtig, viel anſehnlicher dagegen ſchon als bei den Schleichern. Der mittlere Theil deſſelben, der ſogenannte Wurm, der ſich nach vorn an die Großhirnballen anlehnt, deckt nach hinten ſo ziemlich die ganze Rautengrube des verlängerten Markes zu. Durchſchneidet man dieſen Wurm des Kleinhirns in der Mitte der Länge nach, dann erſcheint eine baumartige Figur), als Ausdruck der zahlreichen Querblätter und Querblätt— chen, in welche er durch mehr oder weniger tief ein— dringende Spalten abgetheilt iſt. Die Zeichnung wird deutlich durch die Vertheilung der weißen und grauen Schichten, von denen jene das Mark, dieſe die Rinde der Blätter und Blättchen bilden. Schon bei vielen Knochenfiſchen liegen die ſämmt— lichen Hauptabtheilungen des Gehirns im geöffneten Schädel nicht mehr frei hinter einander zu Tage. Das ) Aquaeductus Sylvii. ) Arbor vitae. kur‘ a * Eu Burn, * * „ * 197 Zwiſchenhirn liegt zwiſchen den Großhirnlappen und dem Mittelhirn verborgen. Bei allen Vögeln aber kann man noch die Zweihügel oder Sehlappen, aus denen das Mittelhirn beſteht, wenigſtens zu einem guten Theile zwiſchen dem Hinterrand der Großhirn— ballen und den Seitenrändern des Kleinhirns erkennen. Wenn man nun in der Säugethierreihe von den Kloakenthieren“) bis zum Menſchen aufſteigt, dann iſt die allmälige Ausbildung der Großhirnballen, ihr immer ausgedehnteres Vorherrſchen über die übrigen Hirntheile das ausgezeichnetſte Merkmal, an dem man den Fort— ſchritt erkennen kann. In doppelter Weiſe läßt ſich jene vorwaltende Entwicklung der Großhirnballen augenfällig darſtellen. Zunächſt jehen wir dieſelben ſowohl nach vorn, wie nach hinten, ja auch zu beiden Seiten vorwachſen. Die Folge davon iſt, daß ſie ſchon bei den menſchenähn— lichen Affen nach vorn die Riechlappen, nach hinten das Kleinhirn vollſtändig überragen. Da aber während dieſer fortſchreitenden Ausbildung der Großhirnballen das Mittelhirn oder die Vierhügelmaſſe an Wachsthum zurückbleibt, ſo hat Johannes Müller dieſelbe Thatſache in Form eines anderen Geſetzes ausgedrückt, nach welchem die Entwicklungsſtufe, die ein Thier ein— ) Monotremata, Ornithodelphia. e * 198 nimmt, um ſo höher ſteht, je mehr die Maſſe ſeiner Großhirnlappen über die der Vierhügel vorherrſcht. Das Zwiſchenhirn wird, wie ſchon bei den Schleichern und Vögeln, bei allen Säugethieren von den Groß— hirnballen verdeckt. Aber ſchon von den Vierhügeln läßt ſich nicht mehr daſſelbe behaupten, denn bei einigen Beutelthieren, Nagern und Inſektenfreſſern liegt ein mehr oder weniger großer Antheil der Vierhügel frei zu Tage. Selbſt am Kaninchenhirn kann man zwiſchen dem Kleinhirn und den Großhirnballen einen Theil der Vierhügel erblicken, und ein ſehr großer Theil ſeiner Riechlappen ragt frei unter dem vorderen Ende der Großhirnballen hervor. Beim Igel reichen die Groß⸗ hirnballen kaum über das hintere Ende der Vierhügel hinaus. Bei den Raub- und Hufthieren beginnt das hintere Ende der Großhirnballen einen Theil des Klein— hirns zu bedecken. Das Hunde- und mehr noch das Schweinehirn bekunden in dieſer Beziehung ſchon einen weſentlichen Fortſchritt. Beim Delphin verbirgt ſich das kleine Gehirn größtentheils unter dem großen. Unter den plattnaſigen Affen beobachtet man hinſicht— lich dieſes Punktes bei einigen Arten, beim Brüllaffen *) z. B., einen Rückſchritt, inſofern von oben geſehen das Kleinhirn beinahe ganz frei liegt. Dagegen wird *) Mycetes. Zn * 9 * * Be» 8 199 daſſelbe ſchon bei den Krallenaffen*) von den Groß— hirnballen weit überragt, was ſich bei manchen Platt— najen, z. B. beim Eichhörnchenaffen **), wiederholt. Unter den Schmalnaſen gemahnt der Siamang***) noch einmal an das niedere Verhältniß, indem ſein Kleinhirn von den Großhirnballen nicht ganz bedeckt wird, was ſonſt bei allen menſchenähnlichen Affen, wie beim Menſchen, die Regel iſt. Um aber zu beweiſen, daß in dieſem Auswachſen der Großhirnballen ein aufſteigender Fortſchritt zu er— kennen iſt, breitet uns die Entwicklungsgeſchichte der menſchlichen Frucht einen feſten Boden unter die Füße. Denn auch hier liegen in der zweiten Hälfte des erſten Monats die einzelnen Abtheilungen des Gehirns, die Hirnbläschen, hinter einander, und erſt im zweiten Monat beginnt das Vorderhirn das Zwiſchenhirn nach hinten zu überwachſen. Am Ende des vierten Monats erreichen die Großhirnlappen den Vorderrand der Vier— hügel, um im Anfang des ſechſten Monats zunächſt dieſe und im ſiebenten auch das Kleinhirn völlig zu bedecken. (Tiedemann.) Gegen Ende des zweiten Monats, ja ſelbſt im dritten, iſt das Mittelhirn noch einfach und noch ſo *) Arctopitheei. *) Chrysothrix - ** Eine Gibbon-Art, Hylobates syndactylus. Vgl. Huxley, a. a. O., S. 405. rr I ae De La or ** * — ‚ 0 1 200 groß, daß es an Maſſe hinter dem Kleinhirn oder hinter einem Großhirnballen kaum oder nur wenig zurückſteht. Auch im vierten Monat iſt es noch nicht in die vier Hügel getheilt, aber die Großhirnballen ſind ihm jetzt an Rauminhalt bedeutend und auch das Kleinhirn mindeſtens um das Doppelte überlegen. Kurzum, es begiebt ſich in der Geſchichte des Ein— zelweſens das, was die Stammesgeſchichte als Entwick— lungsgeſchichte ausweiſt. Der allmälig fortſchreitende Aufbau in der Frucht des menſchlichen Weibes lehrt, daß es ſich in der Thierreihe in der That um eine aufſteigende Entwicklung handelt. Wenn aber die Großhirnballen ſich entwickeln, dann nehmen ſie nicht bloß an Größe zu, es ſondert ſich auch ihre Oberfläche in einzelne Gebiete. Es ent— ſtehen Furchen und Windungen, die mit grauen Schichten an ihrer Oberfläche belegt ſind. Dieſe Windungen ſind im Allgemeinen um ſo zahl— reicher und unregelmäßiger gebildet, je höher eine Art in der Thierreihe ſteht. Weil aber die grauen Schichten an der Oberfläche der Windungen zum größten Theil aus Nervenzellen beſtehen, ſo bedeutet die reichere Entfaltung der Hirn— windungen zugleich Vergrößerung ihrer Oberfläche und eine gewaltige Vermehrung in der Zahl ihrer Nerven— zellen. j 201 In der Thierreihe tritt die erſte Andeutung von Hirnwindungen an dem Mittelhirn, Zwiſchenhirn und Hinterhirn früher auf als an den Großhirnballen. Man kennt ſie vom Mittelhirn gewiſſer Urfiſche *), an den Sehhügeln des Thunfiſches, an dem Kleinhirn der Krokodile. Erſt bei den Vögeln tritt an den Großhirnballen eine Seitenfurche auf, zu der ſich bei den Papageien einige Windungen geſellen. Der letztgenannte Umſtand iſt aber um ſo bedeutungsvoller, da wichtige Beobach— tungen das Vorhandenſein beſtimmter Hirnwindungen mit dem Sprachvermögen in Beziehung bringen. Je niedriger nun die Säugethiere ſtehen, um deſto ärmer iſt die Oberfläche ihres Gehirns mit Windungen -verjehen. Beim Schnabelthier **), der Beutelratte ***), dem Ameiſenfreſſer g), den Fledermäuſen, ſind die Großhirnballen durchaus glatt. Dies wiederholt ſich noch bei manchen Nagern, dem Eichhörnchen z. B., und unter den Inſektenfreſſern beim Maulwurf. Beim Igel und bei den Bärenäffchen 77) iſt die Oberfläche beinahe glatt, und ſelbſt unter den Plattnaſen ſind die *) Selachier, bei Carcharias. % Ornithorhynchus, Kloakenthier. ) Didelphys, Beutelthier. 7) Myrmecophaga, Zahnloſer, Edentate. ) Aretopitheeci. 202 Schweifaffen “), Eihhörncenaffen**) und Nacht: affen **) den Bärenäffchen kaum überlegen. Dagegen ſind unter den Walthieren 5), Floſſen— füßern r), Hufthieren die Delphine, Robben, Ele— phanten, Pferde, Rennthiere, Ochſen, Schaafe durch zahlreiche und zum Theil ſehr unregelmäßige Windungen ausgezeichnet. Cuvier und Laurillard haben her— vorgehoben, daß es ſich hier vielfach um Thiere handelt, die im Naturzuſtand geſellig leben. Aber die höheren Affen ſtehen dem Menſchen durch die Entwicklung der Windungen ihrer Großhirnballen am nächſten, und doch ſelbſt bei denen, die ſich vom Menſchen durch die Ausbildung ihrer geiſtigen Fähig— keiten am wenigſten entfernen, ſind die Hirnwindungen regelmäßiger geſtaltet, die Halbinſeln haben auf den beiden Halbkugeln des Hirns eine viel größere Aehn— lichkeit der Umriſſe, ſie ſind weniger zahlreich als beim Menſchen. (Tiedemann.) Offenbar hält die Vermehrung der grauen Hirn— rinde, d. h. ihre Bereicherung an Nervenzellen, wie ſie ſich durch die Vermehrung der Windungen bekundet, im Großen und Ganzen mit der höheren Entwicklung den *) Chrysothrix. r) Nyctipithecus. ) Cetacea. ) Pinnipedia. A 7 n 203 der geiſtigen Anlagen Schritt, ſo daß ſie alſo, alles Uebrige gleich geſetzt, als ein Merkmal der höheren Ausbildung des Gehirns zu betrachten iſt. Dennoch iſt auch hier die Beſtätigung deſſen, was die Stammesgeſchichte lehrt, durch die Perſonengeſchichte willkommen. Im zweiten Monat des Fruchtlebens iſt aber die Oberfläche des Großhirns beim Menſchen durchaus glatt. Im dritten Monate treten einzelne Furchen auf, die im vierten Monat zahlreicher und deutlicher werden. Im fünften Monat erleiden die Windungen eine Rückbildung, ſo daß die Oberfläche der Großhirn— ballen im ſechſten Monat wieder ganz glatt geworden iſt, um erſt im ſiebten und namertlich im achten Monat, zur Zeit ihres raſch fortſchreitenden Wachsthums, mit neuen, und nunmehr bleibenden Windungen verſehen zu werden. Die Probe auf die Rechnung iſt gewiß befriedigend. Was in der Geſchichte des Embryo Entwicklung be— deutet, kann in der Stammesgeſchichte keinen anderen Sinn haben. Und doch bietet gerade das Verhalten der Win— dungen die lehrreichſte Gelegenheit, um die Regel ein— zuſchärfen, daß jedes Entwicklungsmerkmal nur dann volle Bedeutung hat, wenn es mit den anderen Schritt hält. r 204 Wer ſich ausſchließlich auf die Windungen be— ſchränken wollte, um die Entwicklungsſtufe eines Gehirns zu beurtheilen, der müßte ſich's gefallen laſſen, daß man die von Leuret wiederholt aufgeführte Spottge— ſchichte auf ihn bezöge. Leuret zeigte nämlich gerne den Schädeldeutern *) neben einander das windungs— reiche Gehirn eines Schafes und das im Weſentlichen durch nur vier ſehr regelmäßig auf ſeinen Halbkugeln verlaufende Längswindungen ausgezeichnete Gehirn eines Schäferhundes, um ſie mit der Frage zu über— raſchen, welches von beiden Hirnen dem Führer und welches dem Geführten gehöre, worauf dann die in die Falle Gelockten jedes Mal fehl riethen. Es unterliegt keinem Zweifel, es giebt namentlich unter den Fleiſchfreſſern kluge, liſtige, gewandte und gelehrige Thiere, noch dazu Thiere, deren Gemüth eines hohen Grades von Ausbildung fähig iſt, wie der Hund, deſſen Gehirn in ſeinen Windungen eine über— raſchende Einfachheit zeigt, während bei dummen Wiederkäuern verhältnißmäßig windungsreiche Gehirne vorkommen. Das heißt aber nur, daß die Windungen nur dann Beweiskraft haben, wenn ſie in ſonſt ähnlichen Ge— hirnen einen weſentlichen Unterſchied zeigen. Nur wenn alles Uebrige ſich gleich oder mindeſtens ſehr ähnlich ) „Phrenologen.“ * 205 verhält“), kann ein einziges Merkmal den Ausſchlag geben. So kennt man aus der niedrigſten Ordnung der Säugethiere zwei Gattungen, den Ameijenigel**) und das Schnabelthier *). Beide ſind Kloakenthiere und erinnern nicht bloß durch ihren Schnabel und die Kloake an die Vögel. Dies gilt nun auch für die Großhirnballen des Schnabelthiers, welche ganz glatt ſind, während die des Ameiſenigels zahlreiche Win— dungen beſitzen. Vom Schnabelthier wird aber die Dummheit ausdrücklich hervorgehoben. Unter den Beutelthieren muß jedenfalls die von der Jagd lebende Beutelratte dem ſcheuen pflanzen— freſſenden Känguruh geiſtig überlegen ſein. Dennoch beſitzt letzteres verhältnißmäßig große und vielfach ge— wundene Großhirnballen, während dieſe bei der Beu— telratte klein und glatt ſind und die Riechlappen in größter Ausdehnung unbedeckt laſſen. Allein die Beutel— ratten haben im Verhältniß zu ihrer Körper— größe unſtreitig mehr Gehirn als die kleinköpfigen Känguruh's. Dagegen iſt es gewiß beweiskräftig für die Bedeu— tung der Windungen, daß man dieſe beim Haushunde *) Ceteris paribus. *) Echidna. ) Ornithorhynchus. E e nm, r > Im x 27 > 3 206 weniger regelmäßig und durch zahlreichere Querbrücken verbunden antrifft, als ſie bei den nächſt verwandten wild lebenden Arten, beim Wolf oder beim Fuchſe vor— kommen). Das Hirn der Jagdhunde iſt beſonders reich an Windungen *). Wenn man das Gehirn eines Halbaffen oder eines Plattnaſen arm an Windungen trifft, dann bedarf es einer ſorgfältigen Vergleichung des geſammten Hirnbaus, bevor man ſich erlauben kann ein ſolches Gehirn für minder entwickelt als das Gehirn eines Raubthiers zu erklären. Aber wenn man die menſchenähnlichſten Affen reicher an Hirnwindungen findet als ihre nächſten Verwandten unter den Affen, dann kann es keinem Zweifel unterliegen, daß eben dieſer Reichthum an Windungen ein Aufſteigen auf der Entwicklungsleiter bedeutet. Nur darf man nicht vergeſſen, daß der äußere Anſchein des Reichthums an Windungen täuſchen kann, wenn ihre graue Rinde an Mächtigkeit eingebüßt hat, oder wenn die grauen Schichten, die ſich gewöhnlich durch ein dichtes Haargefäßnetz auszeichnen, an Blut— gefäßen verarmt ſind. (Longet.) ) Guſtav Huguenin, Allgemeine Pathologie des Ner- venſyſtems, Zürich 1873, Theil I., S. 26. *) Longet, traité de physiologie, 3e édition, Paris 1869, T. III., p. 440, nach Desmoulins. RN he 1 * 207 Eben weil die Hirnrinde und folglich der Reich— thum an Windungen Verſchiedenes bedeuten kann, hat man die Eintheilung der Großhirnballen in Lappen zu Hülfe gerufen, um die Rangordnung des Hirnbaues vielſeitiger ſchätzen zu können. Jede Halbkugel des großen Gehirns oder ſoge— nannter Großhirnballen läßt ſich nämlich in fünf Lappen eintheilen. Ein mittlerer in der Tiefe verbor— gener Lappen iſt umgeben von einem vorderen, einem hinteren, einem oberen und einem unteren. Der vordere liegt in der Stirngegend, der hintere in der Gegend des Hinterkopfs, der obere entſpricht dem Scheitel, der untere der Schläfe des Schädels. Die vier Lappen, welche den mittleren umgeben, beſitzen, jeder einzeln, drei Hauptwindungen. (Gratiolet.) Der Menſch, der Orang-Outang und der Chimpanſe beſitzen auch Windungen auf dem mittleren Lappen, und zwar der Menſch in größerer Anzahl als der Orang und der Chimpanſe. Bei allen übrigen Affen iſt der mittlere Lappen durchaus glatt, wie bei jenen tiefer ſtehenden Säugethieren, die wie der Hund und das Schwein noch eine Art von mittlerem Lappen erkennen laſſen. Gratiolet, dem wir dieſe Angabe verdanken, hat ſich überhaupt auf's Eifrigſte bemüht, genaue Unterſchiede zwiſchen dem Hirn des Menſchen und dem 208 der höchſt entwickelten Affen anzugeben. Er hebt es namentlich hervor, daß beim Menſchen, wie beim Affen, außer den Hauptwindungen Uebergangswindungen vom Hinterhauptslappen gegen den Scheitel- und Schläfe— lappen verlaufen. Beim Menſchen ſind zwei von dieſen Windungen groß und oberflächlich. Sie füllen eine ſenkrechte Furche, die beim Affen den Hinterhaupts- lappen vom Scheitellappen trennt, vollſtändig aus. Durch dieſe Eigenthümlichkeit iſt das Hirn des Menſchen dem Hirn aller Affen überlegen. Es fehlen nämlich jene Uebergangswindungen dem Hirn der Menſchen— affen nicht, ſie ſind nur in der Tiefe der eben erwähnten Furche verborgen und können ſogar bei einigen derſel— ben an die Oberfläche treten. Vor dem Hirn der Affen iſt das des Menſchen ausgezeichnet durch die Größe ſeines Stirnlappens. Im Vergleich zu den Menſchenaffen iſt beim Menſchen die Unterfläche des Stirnlappens voller gewölbt. Je höher die Affen ſtehen, deſto mächtiger iſt auch ihr Stirnlappen entwickelt. Seine Größe weicht jedoch zurück gegen die des Scheitellappens und des Hinter— hauptslappens, wenn man ſich in der Reihe der Affen nach abwärts bewegt. (Gratiolet.) Die großen Halbkugeln beſitzen jederſeits eine Höhle, die ſogenannte Seitenkammer, welche ſich beim Menſchen in ein vorderes, mittleres und hinteres, blind endigen— en er a er 209 des Horn fortſetzt. Das hintere Horn oder die ſo— genannte fingerförmige Grube fehlt zugleich mit dem Hinterlappen den meiſten Säugethieren. Eine Andeu— tung des Hinterhorns findet ſich zwar ſchon bei einigen im Waſſer lebenden Raubthieren, ſowie bei Robben und Delphinen. Aber erſt in der Ordnung der Affen, mit Inbegriff der Krallenaffen ), wird die höhere Ausbildung des Hinterhauptslappens und das derſelben entſprechende Hinterhorn ein durchgreifendes Merkmal. Schon Leuret hat darauf aufmerkſam gemacht, daß die Entwicklung der Halbkugeln des großen Gehirns im Verhältniß zum kleinen wichtiger iſt als die der Win— dungen. Beim Menſchen übertrifft das Gewicht der Großhirnballen dasjenige des Kleinhirns 8, beim Chimpanſe nur 5% Mal. (Huxley.) Und ebenjo ertheilt Gratiolet der Größe des Stirnlappens den Vorrang vor der Zahl und der Unregelmäßigkeit der Windungen. Erſt wenn bei zwei Thieren die Halb— kugeln des großen Hirns das kleine gleich weit nach hinten überragen und die Stirnlappen in beiden gleich entwickelt ſind, werden die zahlreichen und un— regelmäßigen Windungen entſcheidend für eine höhere Entwicklungsſtufe. Die Affen, und namentlich die Halbaffen, beſitzen nicht ſo wellenförmige Windungen wie der Elephant ) Axctopithe cini. II. 14 2 u zn a a u A at 210 und der Walfiſch. Aber die allgemeine Form des großen Hirns, das bei den Affen das kleine Gehirn nach hinten viel weiter überdeckt, und die Größe des Stirnlappens ſtellen das Hirn des Affen dem Menſchen viel näher. (Leuret.) Hieraus erklärt es ſich auf ganz natürliche Weiſe, daß man die Entwicklung des Hirns von Menſchen nicht lediglich nach dem Reichthum und der Unregel— mäßigkeit der Windungen beurtheilen kann. Nur wenn die ganze Geſtalt des Hirns, wenn die Entwicklung der Vorderlappen in zwei gegebenen Fällen durchaus gleich iſt, wird man die Windungen zum Maaßſtab erheben dürfen. Es begründet alſo durchaus keinen Einwurf gegen das ſtetige Verhältniß zwiſchen Bau und Denkkraft, daß bei Cretinen Gehirne vorkommen, die eine auffallende Anzahl von Windungen zeigen. Dazu kommt noch, daß innere Entartungen die Vorzüge der Windungen vollſtändig aufheben können. Ein ſehr kleines Gehirn iſt häufig mit Geiſtes— ſchwäche oder mit Blödſinn verbunden. Und wer die Bilder kennt von Veſal, von Shakeſpeare, von Hegel und Göthe, der hat wohl längſt die Ueber— zeugung erworben, daß eine hohe, freie Stirn, die einer mächtigen Entwicklung der Stirnlappen entſpricht, den großen Denker verräth. Auch dieſe Regel wird nicht dadurch umgeſtoßen, daß ein Hirn mit großen 211 Stirnlappen in feinen übrigen Theilen mangelhaft ent- wickelt, arm an Windungen und regelmäßig in der Furchung beider Halbkugeln ſein kann. Dann wird die Ueberlegenheit der Stirnlappen durch andere Nach— theile verdeckt oder aufgewogen, und es iſt deshalb durchaus nicht unmöglich, daß hinter einer großen Stirn ein ſchwaches oder krankes Werkzeug der Gedanken wohnt. Man kann nicht oft genug an die wegen ihrer Einfachheit ſo häufig überſehene Wahrheit erinnern, daß zwiſchen der Entwicklung eines jeden einzelnen Merkmals im Hirnbau und der Vorzüglichkeit des ganzen Werkzeugs nur dann ein einfaches gerades Verhältniß herrſcht, wenn die Jämmtlichen übrigen Merkmale auf durchaus gleicher Stufe der Ausbildung ſtehen. Dieſe Denkregel ſcheint ſelbſtverſtändlich, und doch wäre es leicht, namhafte Schriftſteller anzuführen, die ſich dagegen verſündigten. Die Sache wird einem Jeden klar, wenn man ſich mit den Größenverhältniſſen des Gehirns im Ganzen beſchäftigt. Iſt es doch Niemandem eingefallen, den Erfahrungsſatz, nach welchem das Hirn das Gedanken— werkzeug iſt, damit bekritteln zu wollen, daß der Elephant, der Walfiſch, einige große Delphine ein größeres Gehirn beſitzen als der Menſch. Wie verhält ſich das Gewicht des Hirns zu dem des ganzen Körpers? Das iſt die Frage, die ſich zunächſt hier Allen auf— I. r ... 212 drängt. Und da findet ſich's, daß, während beim Menſchen reichlich ein Fünfzigſtel ſeines Körpergewichts aus Hirn beſteht, das Körpergewicht des Elephanten dasjenige ſeines Hirns mehr als tauſendfach übertrifft. Der Menſch hat alſo im Verhältniß zu ſeiner Körper— maſſe reichlich zwanzigmal ſo viel Hirn als der Elephant. Und in zweiter Linie kommt nun die Frage, wie ſich der Menſch und der Elephant durch die Beſchaffenheit ihres Hirns unterſcheiden. Schon vor langer Zeit hat Leuret eine Reihe von Zahlen aufgeſtellt, um das Verhältniß des Hirn— gewichts zu dem des Körpergewichts in den verſchie— denen Thierklaſſen zu ſchätzen. Und ſeine Mittelzahlen ſind beredt genug: Hirngewicht. Körpergewicht. Fiſ che: Tre Lurche und Schleicher. 1: 1324 Dose mean Be ei Re 212 Saängethier e ee 186. Wir werden ſpäter auf höchſt bemerkenswerthe Ausnahmen von der Regel ſtoßen, nach welcher das höher begabte Thier einen größeren Bruchtheil ſeines Körpergewichts an Hirn beſitzt. Aber gerade dieſe Ausnahmen werden uns auf's Neue veranlaſſen zu unterſuchen, was im gegebenen Fall das Hirngewicht bedeutet. 213 So viel wird jedenfalls das Vorhergehende über den Leſer vermögen, daß er, um unmittelbar aus dem Rohgewicht des Hirns einen Schluß zu ziehen, von jetzt an nur auf derſelben Entwicklungsſtufe der Thier— leiter ſtehende Weſen mit einander vergleicht. Wenn man die Zahlen, welche Tiedemann, Krauſe, Peacock, Huſchke, Calori und Biſchoff geliefert haben“), gleichmäßig benützt, dann beſitzt das Hirn des Mannes durchſchnittlich und in runder Zahl das Gewicht von 1400 Gramm. Aber die Gehirne von Cromwell und Byron wogen über 2200, das von Cuvier über 1800, das der Mathematiker Gauß und Dirichlet 1500 Gramm, während das Gewicht bei blödſiunigen Menſchen unter 400 Gramm ſinken kann“). Unter Zuziehung der Zahlen, die Vogt für das Hirn der Menſchenaffen mitgetheilt, ergiebt ſich für das Gewicht männlicher Gehirne folgende lehrreiche Ueberſicht: Hirngewicht. ausgezeichnete Männer .. 1500 — 2000 Gramm mittleres Gewicht bei Männern 1400 1 . 500 " *) Sie find zuſammengeſtellt bei Henle, Handbuch der ſyſtematiſchen Anatomie des Menſchen, Bd. III., Abtheil. II. S. 85. Cesare Lombroso, studi elinici ed antropometriei sulla microcefalia ed il cretinismo, Bologna 1873, p. 5. Bi N ET ee ua Ur. "aa. a 1 Dar de > Tu 214 Hirngewicht. ang 448 Gramm Ghimpanſe 417 55 mit angeborenem Blödſinn be— haftete Menſcen . .. 232 — 400 N Was will es hiergegen ſagen, daß es Geſſtestranke mit Gehirnen gegeben hat, die 1750 bis 1800 Gramm wogen? (Bergmann, Parchappe.) Doch offenbar nichts Anderes, als daß für ein krankes Gehirn das Rohgewicht kein Maaßſtab ſein kann, um es mit der Entwicklung eines geſunden Hirns zu vergleichen. Während das männliche Gehirn im Durchſchnitt über 1400 Gramm wiegt, erreicht das weibliche nicht ganz das Gewicht von 1260 Gramm. Davis hat endlich aus dem Rauminhalt des Schädels das mittlere Gewicht des Hirns bei ver— ſchiedenen Racen berechnet, und ſeine Zahlen lauten: Europäer. . 1367 Gramm Meeder lad Amerifanen‚¶ -B0SIr Aſfaten 710 Auſtralie , 11 Afpifane nr, 12083 Kleine Unterſchiede können hier offenbar wenig be— deuten. Wenn man aber die äußerſten Zahlen berück— ſichtigt, lehrt doch auch dieſe Unterſuchung, daß unter 215 ſonſt ähnlichen Umſtänden dem höheren Hirngewicht die höhere Begabung entſpricht. Wir haben nun zwei Größenverhältniſſe ermittelt, durch welche die Entwicklung des Hirns dem Menſchen den ausgezeichneten Platz anweiſt, den man nach der Entwicklungsfähigkeit ſeiner Hirnverrichtungen erwarten mußte. Der Menſch hat viel Hirn im Verhältniß zu ſeinem Körpergewicht und ſehr entwickelte Großhirn— ballen im Vergleich zum Umfang ſeiner Vierhügel und ſeines Kleinhirns. Dazu geſellt ſich nun ein drittes Merk— mal hoher Ausbildung, auf welches Sömmerring, der berühmte Freund von Georg Forſter, zuerſt aufmerkſam machte, daß nämlich das Hirn des Menſchen im Verhältniß zu der Maſſe der von ihm ausſtrahlenden Kopfnerven größer iſt, als das Hirn von irgend einem anderen Thier. Kurzum, je genauer man in die Unterſuchung des Hirnbaus vordringt, um deſto mehr ſtellt ſich's heraus, daß das Hirn der Thiere nach Maaßgabe ihrer auf— ſteigenden Begabung dem Hirn des Menſchen immer ähnlicher wird, in dem Grade, daß auch hier Huxley behaupten konnte, die Menſchenaffen ſtänden in der Entwicklung ihres Hirnes dem Menſchen näher, als den Affen Amerika's. Und wenn man nur ſonſt ähnliche Thiere mit einander vergleicht, wenn man ſich nicht ausſchließlich 216 durch Ein einziges Merkmal leiten läßt, dann beſtätigt ſich durchgehends, daß ein großes Gehirm, ſtark ent— wickelte Großhirnballen mit zahlreichen, unregelmäßigen Windungen, insbeſondere ſtark ausgebildete Stirnlappen unter den Thieren bei den menſchenähnlichſten, unter den Menſchen bei den begabteſten gefunden werden. Es giebt am Hirn der höher entwickelten Säuge— thiere eine Furche, die von dem oberen Mittelrande jedes Großhirnlappens in der Nähe von deſſen Mitte anfängt und von oben und hinten ſchräg nach vorn und unten verläuft“). Man kann ſie mit Feré und Giacomini als die Grenze zwiſchen dem Stirntheil und dem Scheitel-Hinterhauptstheil der Großhirnballen betrachten. Je höher das menſchliche Gehirn entwickelt iſt, um deſto weiter nach hinten beginnt am oberen Rand der Großhirnballen dieſe Furche. Während die größte Länge der Hirnballen 170 Millimeter beträgt, kann der bezeichnete Anfang um 125 Millimeter, alſo um mehr als zwei Drittel der größten Hirnlänge, von deſſen Vorderende entfernt ſein. Dagegen wird wegen des Vorrückens der bezeichneten Grenze die Größe des Stirntheils bei Blödſinnigen ungemein herabgeſetzt. Bei mittlerer Länge der Großhirnballen, die 160 Millimeter ) Sie heißt zu Ehren des berühmten Anatomen Rolando, der in der erſten Hälfte dieſes Jahrhunderts neben Avogadro die Hauptzierde der Turiner Hochſchule war, die Rolando'ſche Furche; Ecker nennt ſie Centralfurche. eee 3 * 217 beträgt, iſt jener Abſtand durchſchnittlich 5% 9% der Hirnlänge; bei einem Blödſinnigen ſah ihn Giacomini auf 00 der Länge der Großhirnballen herabſinken *). Die ſchräg nach vorn abſteigenden Furchen be— ginnen am oberen Mittelrande der Großhirnballen nicht immer genau einander gegenüber; ſie bilden aber doch immer mit einander einen nach vorn offenen Winkel, der um ſo weniger ſtumpf, alſo um ſo kleiner wird, je weiter der betreffende Anfangspunkt, den ich die hintere Stirngrenze nennen möchte, nach hinten verrückt iſt, je mehr alſo der Stirntheil des Hirns auf Koſten des Scheitelhinterhauptstheils entwickelt iſt. (Alexander Ecker.) se f Während ſo auf alle Weiſe die vorherrſchende Ent— wicklung des Stirnhirns der größeren geiſtigen Fähig— keit entſpricht, läßt es ſich als eine immer fortſchreitende Entfaltung des Hirnes auffaſſen, wenn eine größere Anzahl von Windungen an deſſen Oberfläche zu Tage tritt und eine Vermehrung der Nervenzellen in der Hirnrinde beurkundet. Sehr häufig fehlen den höheren Thieren jene dem Anſchein nach überzähligen Win— dungen nicht, ſie ſind nur minder entwickelt und in der Tiefe der Furchen verborgen, während umgekehrt die *) Vgl. die zeitgemäße Schrift von Giacomini, Guida allo studio delle eirconvoluzioni cerebrali dell' uomo, Torino 1878, p. 19. * x 1 218 betreffenden Furchen am Menſchenhirn häufiger einen unterbrochenen Verlauf zeigen, weil die benachbarten Windungen durch Querbrücken verbunden ſind. Offenbar iſt aber jene Entfaltung der Oberfläche, jenes zu Tage Treten der Windungen am Menſchen— hirn der Ausdruck des üppigen Wachsthums der Groß— hirnlappen, in Folge deſſen ſie nach und nach das Zwiſchenhirn und die Vierhügel, die Riechlappen und das Kleinhirn überragten, ſo daß ſie, auswachſend, nach einem glücklichen Ausdruck Huxley's, ſich gleichſam um ihre Streifenhügel krümmten. Alle dieſe und viele andere Merkmale einer höheren Entwicklung ſehen wir zurücktreten bei jenen Klein— köpfen“), deren Verſtand und Gebahren eine ſo niedrige Stufe einnimmt, daß ſie nicht ſelten ſchon vom Volksſinn mit thieriſchen Beinamen gekennzeichnet wurden. Rückbildung der Stirnlappen, kleiner Abſtand der hinteren Stirngrenze vom Vorderende des Hirns, geringe Entwicklung der Hinterhauptslappen und in Folge deſſen bisweilen ausgedehntes, wenn nicht gar vollſtändiges Bloßliegen des Kleinhirns, Fehlen des Hinterhorns mit dem darin enthaltenen Vorſprung ), ſpärliche Win— dungen, gelegentliches Verborgenbleiben der Uebergangs— windungen zwiſchen Hinterhaupts- und Scheitellappen, ) Microcephali. **) Vogelſporn oder kleiner Seepferdsfuß. r 219 beſchränkte Zahl wenig ausgebildeter Windungen auf dem mittleren Lappen, der nicht ganz in der Spalte zwiſchen Stirn- und Schläfelappen verborgen bleibt und damit an eine unreife Durchgangsform bei der menſchlichen Frucht erinnert, alles dies ſind Merkzeichen, durch welche ſich dieſe Kleinköpfe bald mehr, bald weniger einer unreifen Form der Perſonengeſchichte oder einer niederen Stufe in der Stammesentwicklung anſchließen. Das Klaffen der einander benachbarten Ränder des Schläfen- und Stirnlappens, welche die Spalte begrenzen, die zum mittleren Lappen des Gehirns führt, verwandelt die betreffende Furche in eine Grube oder ſelbſt in ein Thal“). Und dieſes an Kleinköpfen wieder— kehrende Merkzeichen der Unreife ihres Hirnbaus hat um ſo größere Bedeutung, als es vorzugsweiſe durch eine geringfügige Entwicklung der unterſten, jener Spalte anliegenden Stirnwindung bedingt iſt. Man hat nämlich bei Kranken, die das Vermögen der Sprache verloren hatten, wiederholt gerade in dieſer Stirnwindung und in der Rinde des mittleren Lappens, der ſogenannten Inſel **), Entartungen angetroffen. (Bouillaud, Broca.) Und auch die Inſelrinde ) Aus der ſogenannten Sylviſchen Spalte wird ein Sylviſches Thal. %) Reil ſche Inſel. r err eee he e e b ** 7 GENE EEE 2 0 . ' N h * 1 220 iſt, wie erwähnt, bei den Kleinköpfen weniger entwickelt, ärmer an Windungen, als ſie beim regelrecht ent— wickelten Menſchen angetroffen wird. Wie bei den höchſten Affen, bei denen ſie gleichfalls nicht ganz in der erwähnten Spalte verborgen bleibt, hat man bei ſolchen Kleinköpfen auf beſagter Inſel nur drei, wenig entwickelte Windungen vorgefunden, während der Menſch deren gewöhnlich fünf und bisweilen ſogar neun befikt *). In der Regel nun war bei den Kleinköpfen die Sprache in ſehr geringem Grade entwickelt, d. h. ſowohl der Ausfluß, wie eine Hauptquelle geiſtiger Entwicklung in enge Schranken gezogen. Es ſteht alſo dem Hirn ſein Adel an die Stirn geſchrieben. Wenn es aber dennoch minder denkfähige Gehirne mit großen Stirnlappen giebt, ſo erwächſt daraus die Nothwendigkeit der inneren Beſchaffenheit des Ge— dankenwerkzeugs nachzuſpüren. Nun aber enthält das Hirn in ſeiner ſtofflichen Miſchung einen Körper, der zu den eigenthümlichſten gehört, die überhaupt im Organismus angetroffen ) Carlo Giacomini, Una microcefala, Torino 1876, p. 69, 70. wurden, eigenthümlich in ſeiner Zuſammenſetzung, eigenthümlich in ſeinen Eigenſchaften, eigenthümlich vor Allem durch die Leichtigkeit, mit der er ſich verändert. Daß dieſer aus Stickſtoff, Kohlenſtoff, Waſſerſtoff, Sauerſtoff und Phosphor beſtehende Körper eines der weſentlichſten Baumittel der Nervenheerde ſein muß, geht ſogleich daraus hervor, daß er nicht bloß im Blute, ſondern auch in den Samenfäden und im Eidotter vorkommt. Die Centralheerde des Nervenſyſtems, die, wie die Anlage des Markrohrs beweiſt, zu denjenigen gehören, die zuerſt in die Erſcheinung treten, können jenen weſentlichen Bauſtoff unmittelbar aus Ei und Samen ſchöpfen, er wird ihnen im entwickelten Orga— nismus im fertig gebildeten Zuſtande fortwährend vom Blute zugeführt. Weil er zuerſt aus dem Eidotter im reinen Zuſtande dargeſtellt wurde, führt er den Namen Dotterfett ). Den Phosphorgehalt theilt das Dotterfett nur mit dem Kernſtoff **), den Mieſcher in den Kernen der Eiterkörperchen entdeckte, einem gleichfalls ſtickſtoffhal— tigen Beſtandtheil des Organismus, der das Dotterfett in dem Gehalt an Stickſtoff, Sauerſtoff und Phosphor bedeutend übertrifft. Auch das Gehirn ſoll dieſen Kernſtoff enthalten. (Jakſch.) *) Lecithin. *) Nuclein. n Für die Zuſammenſetzung des Dotterfetts iſt es aber beſonders bezeichnend, daß es beim Kochen mit Barytwaſſer, unter Aufnahme von Waſſer in eine fette Säure, Phosphorglycerinſäure und Nervenbaſis oder Neurin zerfällt. (Diaconow, Strecker.) Von der fetten Säure entſtehen dabei zwei Molecüle, und da ein jedes dieſer beiden Talgſäure, Palmfettſäure oder Oelſäure ſein kann, ſo ergiebt ſich hieraus, daß der Name Dotterfett einer chemiſchen Gattung entſpricht, zu welcher mehrere Arten gehören“). Die zwei Maſſen— *) Dotterfett. Waſſer. Palmfettſäure. 94908 Neurin. Cao Hs NPOs — 2 He O 2Cıs Hs: O02 Cs He PO; Cs HI a NO, ER a Yatmfettfäure, Phosphor- en Waſſer. Oelſäure. Palmfettſäure. gipcerinſäure. Cie Hs: NPO 2 Ha O = Cis Ha: O —-Cıs Hsa O2 + Cs He PO; . Neurin. TEH.ND: Dotterfett. | Waſſer. Talgſäure. Palmfettſäure. Re Cie Hss NPOs = 2 Ha OS Cis Has O2 — Cıs Hs O2 — Cs Hs POs Neurin. 6.0, NO: Dotterfett. Waſſer. Oelſäure. Phosphor⸗ Neurin. glycerinſäure. Ci Hss NPOs + 2H: 0= 2Cıs Ha. O2 Cs Hs PO; +6; His NO, Dotterfett. Waſſer. Delfäure. Talgſäure. gie Ca Hss NPOs +2 Ha O S Cis Ha Oe —-Cıs Has O2 + Ca Hs PO; Neurin. Cs His NO, Dotterfett. Waſſer. Talgſäure. Ke N Neurin. Ci Hso NPOs 2H 0=2Cıs Hass O3 Cs Hs POs Cs His NO. Der Name Dotterfett iſt hier als Gattungsbegriff auf alle ſeine Abarten bezogen; man könnte dieſe der Reihe nach als Dotterpalmfett, Dotterölpalmfett, Dottertalgpalmfett, Dotteröl- fett, Dotteröltalgfett und Dottertalgfett bezeichnen. a Zi u »@ w 1 Pan" N [2 > T * * 223 theilchen der fetten Säure können beide Oelſäure, Palmfettſäure oder Talgſäure ſein, aber eine jede dieſer Säuren kann ein Maſſentheilchen der anderen ver— treten. Das Dotterfett iſt alſo eine gepaarte Fettſäure— verbindung, ähnlich wie Talgſtoff, Palmfett oder Oelfett, nur von einer viel verwickelteren Zuſammenſetzung, indem die Waſſerſpaltung nicht bloß die betreffende fette Säure und Oelſüß ), ſondern neben erſterer ſtatt des Oelſüßes Phosphorglycerinſäure und eine ſtickſtoffhaltige Baſis, eben das Neurin, entſtehen läßt. In ſolchen mehrfach gepaarten Verbindungen, die ein hohes Atomgewicht beſitzen, iſt die Lagerung der kleinſten Theilchen in hohem Grade wandelbar, ſie bieten anderen chemiſchen Stoffen vielſeitig Angriffs— punkte dar, und ſind als ſolche vorzüglich ge— eignet, jene zahlreichen Umſetzungen und Zerſetzungen zu erleiden, ohne welche keine verwickelte Thätigkeit ſich vollzieht. Das Dotterfett iſt nach Strecker's treffendem Ausſpruch zugleich eine Baſe, eine Säure und ein Fett. In Waſſer iſt das Dotterfett, das ebenſo gut den Namen Hirnfett verdienen würde, nicht löslich, aber es quillt darin auf wie Stärke. Es gleicht im äußeren Anſehen einem gelblichen Wachſe. Es löſt ſich leicht ) Glycerin. I an A AT a SD Aa * 1 1 224 in Alkohol und Aether, entflammt ſich in hoher Hitze und hinterläßt eine Kohle, die freie Phosphorſäure enthält. In Begleitung des phosphorhaltigen Dotterfetts ſindet fich im Gehirn, im Rückenmark und in den Nerven ein phosphorfreier, aber gleichfalls ſtickſtoffhal— tiger Körper, der den Namen Hirnſtoff “) führt. Rein ſtellt er ein leichtes weißes Pulver dar, das ſich bei ſtarker Vergrößerung wie undeutlich ſtrahlenförmig geſtreifte Körnchen ausnimmt, die ohne rechte Kryſtalle darzuſtellen, an etwas Kryſtalliniſches erinnern. Sie quellen in heißem Waſſer auf und machen es milchig. Zum Unterſchied vom Dotterfett löſt ſich der Hirnſtoff nur in kochendem Alkohol oder kochendem Aether. Mit ganz wenig verdünnter Schwefelſäure *) behandelt nimmt er Purpurfarbe an. Läßt man ihn mit Salz— ſäure kochen, dann wird die Löſung violettroth, und es entſteht unter anderen Erzeugniſſen der Zerſetzung eine Art von Zucker. (W. Müller.) Auf letzteres Verhalten iſt ein beſonderes Gewicht zu legen, weil Liebreich ein Gemenge von Dotterfett und Hirnſtoff als eine gepaarte Zuckerverbindung ) F **) Eine Miſchung von acht bis zehn Raumtheilen ſtarker Schwefelſäure mit Einem Raumtheil Waſſer eignet ſich zu dem Verſuch am beſten. waer) Protagon, Liebreich. 1 — wer 225 beſchrieben hat, die in Zuſammenſetzung und Eigen— ſchaften das Charakteriſtiſche des Dotterfetts und des Hirnſtoffs vereint. An dieſe ſtickſtoffhaltigen Körper ſchließen ſich eiweißähnliche Stoffe an, unter denen nach Hoppe— Seyler vorzugsweiſe jener Käſeſtoff vertreten iſt, dem wir bereits im Blut begegnet ſind“). Nach Mulder iſt ein Theil des Eiweißes im Gehirn ge— ronnen. Das ſogenannte Gallenfett**), welches als kein eigentliches Fett betrachtet werden kann, iſt zu 4,5 % im Hirn enthalten. Daran ſchließen ſich als wirkliche Fette Oelſtoff, Palmfett, Talgſtoff, aber nach den Unterſuchungen von Bibra's iſt mit dieſer Aufzählung die Reihe der im Hirn enthaltenen Fette keineswegs erſchöpft. Außer der Oelſäure, die bei — 4“, und einer anderen fetten Säure, die erſt bei —5° feſt ward, erhielt von Bibra durch Verſeifung aus dem Hirn nicht weniger als ſechs verſchiedene fette Säuren, die bei gewöhnlichen Wärmegraden nicht flüſſig waren, ſondern um zu ſchmelzen einer Wärme von 27,5 bis 60° bedurften. Da es wahr— ſcheinlich iſt, daß ſich eine jede dieſer fetten Säuren am Aufbau des Dotterfetts betheiligen kann, ſo dürften ) Vgl. Bd. I., S. 147. * Cholesterin. II. 15 226 die oben aufgezählten Arten dieſes letzteren nur als eine kleine Auswahl derſelben zu betrachten ſein. Leimgebender Stoff iſt überall durchs Hirngewebe vertheilt. Als Zeugen der Hirnthätigkeit erſcheinen die Erzeug— niſſe der Abnützung, ein dem Käſeweiß ähnlicher Körper, Fleiſchſtoff, Harnoxydul, Harnoryd und Harnſäure, Zucker- und Muskelzucker “), Milchſäure, Ameiſenſäure und ſchwefelſaures Kali. Als Bedingung des regen Wechſelverkehrs, der zwiſchen den Beſtandtheilen des Hirns abſpielt, iſt ſein Waſſerreichthum zu betrachten. Das Hirn iſt eines der wenigen Organe, deren Waſſergehalt den des Bluts noch übertrifft“). Phosphorſaure Salze und Kaliumverbindungen ſpielen unter den unorganiſchen Beſtandtheilen des Hirns die Hauptrolle. Wie die Blutkörperchen, der Eidotter, die Muskeln, enthält das Hirn mehr Kalium als Natrium. Unter den Erdmetallen herrſcht Magne- ſium über Bittererde vor. Die Menge des Kochſalzes iſt nur mäßig, verhältnißmäßig groß die des phosphor— ſauren Eiſens. (Breed.) Die Aſche des Gehirns drückt das deutlichſte Siegel auf die von Couerbe ſentdeckte, von Fremy, Gobley, *) Inosit. **) Blut 79%, Hirn 81°. . Be I 4 u 1 f ua Fra . 227 von Bibra beſtätigte Thatſache, daß das Gehirn ein phosphorhaltiges Fett enthält. Die phosphorſauren Salze der Hirnaſche ſind alle ſauer, und zu ihnen geſellt ſich noch ein erheblicher Ueberſchuß an freier Phosphorſäure, der nach Breed allein über 9 Hun— dertſtel der Aſche des Geſammthirns beträgt. So groß iſt die Menge der Phosphorſäure, welche durch Zerſetzung des Dotterfetts frei wird. Kühne ver— ſichert, daß kein anderer Körper in ſo großer Menge aus dem Gehirn dargeſtellt wurde, wie jenes Gemenge von Dotterfett und Hirnſtoff, das Liebreich als Vorkämpfer) bezeichnete ). Gewiß der Gedanke liegt nahe, daß ein großer Theil des Dotterfetts, welches die Blutkörperchen, der Eidotter und die Samenfäden führen, die regelrechte Ernährung des Hirns zu unterhalten berufen iſt. Ohne dieſe phosphorhaltige gepaarte Verbindung, die nach Strecker's maßgebendem Urtheil zugleich ein Fett, eine Baſe und eine Säure iſt, könuen ſich die Formbeſtandtheile des Hirns nicht entwickeln. Das Hirn iſt der Sitz der Gedankenthätigkeit. Alſo ohne Phosphor kein Gedanke. ) Protagon, *) W. Kühne, Lehrbuch der phyſiologiſchen Chemie, Leipzig 1868, S. 344. IL 1 » en nn. * N ui nu 228 Genau in derſelben Bedeutung kann man jagen, daß unſere Muskeln ohne Kali nicht beſtehen können, alſo ohne Kali keine Ortsbewegung möglich iſt. Daraus folgt natürlich nicht, daß ein Muskel nur dann höher entwickelt und beſſer zur Zuſammenziehung befähigt ſein kann, als ein anderer, wenn er dieſen im Reichthum an Kali übertrifft. Eben ſo wenig kann aus dem Satze: ohne Phosphor kein Gedanke, gefolgert werden, daß die Gedankenthätigkeit eines Hirns durch deſſen Phosphormenge gemeſſen werde. Die Miſchung eines Werkzeugs leidet unter dem Zuviel ſo gut wie unter dem Zuwenig. Unſtreitig ſind Gallenfett, Eiweiß, Kali und die ſämmtlichen übrigen Beſtandtheile des Hirns, jo weit ſie nicht aus der Rückbildung hervorgegangen ſind, zu ſeiner Miſchung nothwendig und alſo unerläßliche Be— dingungen ſeiner Verrichtung. Wie ich ſagte: ohne Phosphor kein Gedanke, ſo hätte ich auch ſagen können: ohne Eiweiß, ohne Gallenfett, ohne Kali, ja ohne Waſſer kein Gedanke, und am erſchöpfendſten hätte ich geſagt: ohne Hirn kein Gedanke. Ich wählte den Phosphor oder das phosphorhaltige Fett als den eigenthümlichſten Beſtandtheil des Hirns, und nannte einen eigenthümlichen Beſtandtheil des Hirns, um ſo beſtimmt als möglich auszudrücken, daß das Gehirn nicht etwa das Mittel iſt, deſſen ſich ein ſeeliſches a K 229 Weſen zum Denken bedient, ſondern im ſtrengſten Wortſinn das Werkzeug des Denkens, die Gedanken— thätigkeit eine Kraftäußerung, welche unzertrennlich an einen ſtofflichen Träger gebunden iſt. Wenn aber das Dotterfett mit ſeiner Phosphor— glycerinſäure den eigenartigſten Beſtandtheil des Hirns bildet, ſo hat es trotz der obigen vorbauenden Be— merkung eine hohe Bedeutung, daß von Bibra aus ſeinen Unterſuchungen ſchließen konnte, „daß die Gehirne „höher ſtehender Thiere durchſchnittlich mehr Fett als „jene niederer enthalten, mithin auch mehr Phosphor ).“ Der Fettgehalt in hundert Gewichtstheilen Hirn wird um fo kleiner, je tiefer man in der Thierreihe niederſteigt. Der Menſch führt in ſeinem Gehirn mehr Fett als die Säugethiere, die Säugethiere mehr als die Vögel. Und dieſe Unterſchiede fallen um ſo mehr ins Gewicht, weil die Fette überhaupt ſo weſentlich zum ſtofflichen Aufbau des Gehirns beitragen. Im Geſammthirn beſtehen von den 19 Hundertiteln an feſten Beſtandtheilen, die es enthält, nicht weniger als 8 aus Fett, mit anderen Worten, das Fett bildet mehr als zwei se der im a enthaltenen feſten * Von Bibra, Vergleichende Unterſuchungen über das Gehirn des Menſchen und der Wirbelthiere, Mannheim 1854, S. 105. 230 Beſtandtheile. Das Hirn wird in feinem Fettreichthum nur vom Rückenmark und von den Geweben übertroffen, die man im einen oder im anderen Sinne als wahre Vorrathskammern des Fetts bezeichnen kann, vom eigent— lichen Fettgewebe unter der Haut, das 83%, vom Knochen— mark, das 96%, vom Eidotter, der 29% Fett enthält. Eben der Umſtand, daß das Fett ſo weſentlich zum Aufbau der Nervenfaſer und der Nervenzelle beiträgt, iſt einer der beſten Beweiſe, um Liebig's Anſicht zu widerlegen, nach welcher das Fett kein Bauſtoff des Körpers, ſondern nur ein Athemmittel oder gar nur Brennſtoff ſein ſollte. Der größere oder geringere Fettgehalt, den ein Thier in ſeinem Hirne aufzuweiſen hat, bedingt jene innere Verfaſſung, die Artbeſchaffenheit des Hirns, die ſehr oft die Größe des Werkzeugs ausgleicht oder aufwiegt. So giebt es Thiere, deren Hirn im Vergleich zur Stufe, die ſie auf der Entwicklungsleiter einnehmen, klein iſt, wie das Pferd oder das Schwein. Aber die geringe Größe ihres Hirns wird nicht nur aufgewogen durch die große Anzahl ſeiner Windungen, ſondern auch durch den verhältnißmäßigen Reichthum an Fett. . Umgekehrt ſind es hauptſächlich die kleinen Vögel, die im Verhältniß zu ihrem Körpergewicht ein ſo großes Hirngewicht haben, daß ſie in dieſer Beziehung nicht 898 231 bloß die Säugethiere, ſondern ſogar den Menſchen hinter ſich laſſen. Das Hirn der Meiſe beträgt ½e, das des Kanarienvogels "ıs des Körpergewichts, während das des Mannes nach Calori im beſten Falle "ss erreicht. Aber das Gehirn ſolcher Vögel iſt durch Fettarmuth ausgezeichnet. Lurche und Fiſche können trotz der tieferen Stellung, die ſie im Thierreich einnehmen, einen ebenſo großen Bruchtheil an Fett in ihrem Hirn beſitzen, wie jene Vögel. Aber ihr Hirn iſt ſo klein, daß es nur zum Theil die Schädelhöhle ausfüllt; die Kleinheit des Hirns überbietet die verhältnißmäßige Größe ſeines Fett— gehalts, das heißt einen Vorzug ſeiner Miſchung. Von Bibra hat dieſe Beziehungen mit Recht als das Geſetz der Ausgleichung zwiſchen Hirngröße und Hirnmiſchung bezeichnet. Das Hirn iſt verhältnißmäßig klein, wenn es fett— reich, verhältnißmäßig groß, wenn es fettarm iſt. Aus beiden Werthen vereint erwächſt dem Thiere der Platz, der ſeiner Hirnentwicklung entſpricht. Auch hier läßt uns die Perſonengeſchichte nicht im Stich, wenn wir den Werth unſeres Merkmals hoher Ausbildung auf die Probe ſtellen. Im Mutterleibe enthält das Hirn weniger Fett als beim Erwachſenen, auch weniger Hirnſtoff, dagegen. — SRe mehr Waſſer. Im hohen Alter nimmt der Fettgehalt von Neuem ab, und nach Denis bekommt das Hirn eine größere Feſtigkeit. Verſchiedene Stoffe ſind nicht erforderlich, um in zwei Werkzeugen des Körpers eine verſchiedene Miſchung zu bewirken; es reicht hin, daß dieſelben Stoffe in verſchiedenen Verhältniſſen mit einander verbunden ſind. So gut die ſchweflichte Säure ein anderer Körper iſt als die Schwefelſäure, weil dieſe auf die gleiche Menge Schwefel ein Miſchungsgewicht Sauerſtoff mehr enthält als jene, ſo gut eine Taſſe Kaffee verſchieden ſchmeckt, je nachdem ſie zwei gleich ſchwere Zuckerſtücke oder nur eines derſelben in Auflöſung enthält, ſo gut ſind auch zwei Gehirne verſchieden, wenn ſie Eiweiß, phosphor— haltiges Fett oder irgend einen anderen Beſtandtheil in verſchiedener Menge enthalten. Und daß ſolche Unterſchiede vorkommen, das hat die Wiſſenſchaft er— wieſen. Gleichwie das Hirn der höher entwickelten Thiere durch einen größeren Fettgehalt ſich auszeichnet und des Menſchen Hirn in dieſer Beziehung das der Säugethiere übertrifft, ſo iſt ein ſehr geringer Fettge— halt ein eigenthümliches Merkmal für das Hirn der Frucht im Mutterleibe. Bei neugeborenen Kindern und Thieren hat das Fett bereits bedeutend zugenom— men und es vermehrt ſich ziemlich raſch mit fortſchrei— ‚tendem Alter. (Schloßberger, von Bibra.) 233 Beim Menſchen iſt aber die Zunahme des Fettge— halts im Hirn als Entwicklungszeichen von um ſo höherem Werth, weil hier das Gewicht des Geſammt— hirns mit dem Gehalt an Fett ſteigt und fällt. Das Gewicht eines neugeborenen männlichen Kindes wiegt nach Carl Vogt 400 Gramm, noch weniger als das des Chimpanſe, nach einem Monate 460 und am Ende des erſten Lebensjahrs ſchon 900 Gramm. Nach Peacock's Wägungen nimmt das Hirn des Menſchen bis in das fünfundzwanzigſte Jahr an Gewicht zu, erhält ſich bis etwa zum fünfzigſten Jahr auf gleicher Höhe, um dann im hohen Alter wieder bedeutend ab— zunehmen. Nur ausnahmsweiſe behält das Hirn bei Greiſen die Kraft des Mannesalters, ganz ungebrochen ſchwerlich jemals. Von Newton, der fünfundachtzig Jahr alt geworden iſt, wiſſen wir, daß er in ſeinem hohen Alter eine unglückſelige Beſchäftigung mit dem Propheten Daniel und der Offenbarung des Johannes trieb. Die Offenbarung des Johannes als Spielzeug in der Hand des Erforſchers der Geſetze der Schwere! Die Kraft iſt ſo unſterblich wie der Stoff. Aehnlich nun wie das Hirn des Kindes mehr Waſſer enthält als das Hirn des Erwachſenen, ſo enthält das— jenige der Vögel mehr Waſſer als das der Säugethiere und das Hirn der Fiſche wiederum mehr als das der Vögel. Nicht minder lehrreich aber als die Erforſchung der Miſchung iſt die mikroskopiſche Unterſuchung des Hirns, um einen Einblick in den verſchiedenen Werth ſeiner inneren Beſchaffenheit zu gewinnen. Auch hier verräth ſich die Entwicklung zunächſt dadurch, daß ſich die Formbeſtandtheile nach und nach deutlicher geſtalten und trennen. Jene niederſten Thierformen, die wie die Aufguß— thierchen und Wurzelfüßer der geſonderten Nervenfäden und Nervenzellen noch ganz entbehren, ſind dennoch mit Empfindung begabt und antworten auf Reize mit Bewegungen, die nicht ſelten den Schein der Willkür, das heißt des Urſachloſen, eben ſo täuſchend an ſich tragen, wie die zuſammengeſetzten Bewegungen höherer Thiere. Es hat ſich bei den einfachſten, oft einzelligen thieriſchen Weſen noch keine Nervenfaſer, keine Nerven— zelle aus dem Urſchleim geſondert. Undeutlich ſind die Zellen und Faſern im Nerven— ſyſtem der Plattwürmer und Strahlthiere, und ſelbſt bei den höchſten Gliederthieren kann es vorkommen, daß deutlich ausgebildete Nervenfaſern nicht vorhanden ſind, ſondern ſtatt derſelben eine blaſſe feinkörnige [57 235 Maſſe, die von bindegewebigen kernreichen Hüllen um— ſchloſſen iſt. Dies wurde beſonders von Leydig bei Inſekten wahrgenommen, während er bei Spinnen deutlich entwickelte Nervenfaſern antraf ß). Ueberall indeſſen, wo bei Wirbelloſen gut ausgeprägte Nervenfaſern vorkommen, ſind ſie doch nur den weniger vollkommenen markloſen Faſern der Wirbelthiere zu vergleichen. Daß aber dieſe markloſen Faſern eine niedere Ent— wicklungsſtufe einnehmen, lehren Stammes- und Per— ſonengeſchichte aus einem Munde. Sowohl die Schädel— loſen wie die Rundmäuler, das Lanzettthierchen wie das Neunauge, haben nur markloſe Nervenfaſern auf— zuweiſen, und was für dieſe niederen e e gilt, das wiederholt ſich für die erſten Entwicklungs— ſtufen der Nerven aller höheren Wirbelthiere. Denn in jedem Einzelweſen ſind die markhaltigen Faſern ſeiner Hirn- und Rückenmarksnerven in ihrer erſten Anlage markloſe, blaſſe Fäden geweſen. Auch die Nervenzellen ſind bei den Wirbelloſen häufig minder ſcharf abgegrenzt als dies bei den Wir— belthieren die Regel iſt. Zwar fehlt mehrfach auch bei letzteren ein die einzelnen Zellen abſchließendes Häutchen, eine eigentliche Zellwand. Aber es ereignet ſich doch ſeltener als bei Wirbelloſen, daß die Kerne von einem ) Franz Leydig, Lehrbuch der Hiſtologie des Menſchen und der Thiere, Frankfurt a. M., 1857, S. 59. - 7 * rr, FAT 8 * 236 unſicher begrenzten Hofe einer feinen punktförmigen Maſſe umſchloſſen oder in einer ſolchen unregelmäßig zerſtreut ſind. Die Folge davon iſt, daß bei manchen wirbelloſen Thieren, bei Quallen und Schnurwürmern?) 3. B., die Nervenzellen ſo undeutlich werden, daß ſie von hervorragenden Forſchern, wie Leuckart, vor Jahren noch gar nicht als ſolche anerkannt wurden **). Bei vielen Wirbelloſen, Muſcheln, Spinnen, ja ſelbſt bei vielen Inſekten ſind die Nervenzellen durchweg klein und zart. Sie ſind oft reichlich von der er— wähnten feinkörnigen Maſſe umgeben, von der ſich nicht immer entſcheiden läßt, ob ſie den Zellen oder einem minder eigenartigen Zwiſchenſtoff zugezählt werden muß. Aber es kommt auch unter den Wirbelloſen zur Ausbildung großer Nervenzellen. Schon bei manchen Egeln **) find ſolche bekannt. Die Gartenſchnecke, der Flußkrebs, die Horniß beſitzen gar ſo große Nervenzellen, daß ſie gerade dem unbewaffneten Auge noch ſichtbar ſind. Allein auch dieſe größten Nervenzellen ſind im Ver— gleich zu denen, die im Gehirn und Rückenmark, ſowie in den Ganglien der Gefäß- und Eingeweidenerven bei Wir— belthieren auftreten, verhältnißmäßig arm an Fortſätzen. *) Nemertes. **) Vgl. Leydig, a. a. O., S. 61; Gegen baur, a. a. O., S. 189. *) Hirudineen. r 237 Die Beziehungen zwiſchen den ausſtrahlenden Nerven— enden und den Zellen der Nervenheerde ſind eben bei den Wirbelloſen im Kleinen, wie im Großen, viel weniger zahlreich und verſchlungen, als es bei den Wirbelthieren der Fall iſt. Insbeſondere herrſcht die fortſatzreiche oder viel— ſtrahlige“) Nervenzelle in der Rinde des Gehirns der Säugethiere, welche die oberflächlichen oder grauen Schichten der Hirnwindungen ausmacht. Die alleroberflächlichſte von dieſen Schichten er— innert an die feine, punktförmige Maſſe, die in den. Nervenknoten wirbelloſer Thiere ſo reichlich vertreten iſt. Mag man nun mit Rudolf Wagner dieſe zerſtreute, nicht in Zellen abgetheilte, viel Bindezellen und wenig Nervenzellen beherbergende Grundmaſſe als zuſammengefloſſenen Keimſtoff *) von Nervenzellen, oder mit Kölliker und anderen Forſchern nur als eine Art reichlich angeſammelten Bindekitts anſehen, immerhin handelt es ſich hier um den wenigſt entwickelten Theil der Hirnrinde, ſo daß ihre Betrachtung ſich ganz natürlich an die niederen Stufen der Nervenheerde bei den Wirbelloſen anſchließt. | Theodor Meynert, deſſen Arbeiten über dei Gewebebau des Hirns täglich an bahnbrechender Be— *) Multipolare Nervenzelle. * Protoplasma. 238 deutung gewinnen, fand jene oberflächlichſte Schicht der grauen Hirnrinde vergleichsweiſe und ſchlechthin ge— nommen beim Menſchen dünner als bei den Säuge— thieren, und zwar an Dicke um ſo mehr zunehmend, je tiefer man in der Thierreihe abſteigt. Sie bildet beim Menſchen nur 10 bis , beim Kapuzineraffen % bis Yes, bei Raubthieren % bis ½, bei der Fleder— maus ſchon %, bei den Wiederkäuern gar 1 der Dicke der ganzen Hirnrinde. Ohne Vergleich mit den übrigen Rindenſchichten gemeſſen, iſt dieſe verhältnißmäßig un⸗ entwickelte Schicht bei den Wiederkäuern etwa doppelt ſo dick wie beim Menſchen ). Hier hätten alſo die von Leuret durch den Ver— gleich der Oberfläche des Hirns beim Hund und Schaaf in die Falle Gelockten ohne Weiteres die Gelegenheit vor Augen gehabt, ihr nur durch die Anzahl der Win— dungen geleitetes Urtheil zu berichtigen, wenn ſie die innere Beſchaffenheit der Rinde, welche die Windungen deckt, mit ausreichenden Vergrößerungsgläſern unter— ſucht hätten. Bei den Wiederkäuern nimmt dieſelbe beinahe zweimal ſo viel von der Maſſe der Rinde ein wie beim Hunde, und lehrreich genug, während ſie ) Theodor Meynert in Stricker's Handbuch der Lehre von den Geweben des Menſchen und der Thiere, Leipzig 1872, Bd. II., S. 705. 239 beim Hunde nur J dieſer Maſſe betrug, fand ſie Meynert bei der Katze gleich "s. Da nun die Rinde der Großhirnballen ſowohl den wichtigſten, wie den ausgedehnteſten Beſtandtheil des Trägers der geiſtigen Verrichtungen darſtellt, ſo wäre mit einem Nachweis dieſer Art ſtreng genommen ſchon genug geleiſtet, um überhaupt den Satz zur Aner— kennung zu bringen, daß die innere Art und Miſchung des Gehirns alle Merkmale, die bloß von der Größe des Hirns und ſeiner Lappen, bloß von dem Reich— thum an Windungen und deren Unregelmäßigkeit her— genommen werden, überbieten können. Aber es handelt ſich hierbei nicht um ein verein— zeltes, wenn auch hoch ſtehendes und weit reichendes Beiſpiel. In den Riechlappen, in den ſogenannten Widderhörnern ?), die in dem Seitenhorn der mit der dritten Hirnhöhle in Verbindung ſtehenden Seiten— kammern liegen, in dem gezahnten Kern der Kleinhirnlappen, in dem Kern der Antlitznerven im verlängerten Mark, und an vielen anderen Stellen iſt das Hirn der Thiere viel reicher an Bindegewebe, folglich verhältnißmäßig ärmer an Nervenzellen als das Hirn des Menſchen. (Meynert**). ) Cornu Ammonis, Pes Hippocampi major. ) Vgl. Meynert, a. a. O., S. 705, 716, 781, 796. N USE EEE 240 Dringt man tiefer in die Rinde ein, dann begegnet man erſt zwei Schichten von ſpindelförmigen Zellen, die in ſtrahlenförmigen Reihen angeordnet ſind und von außen nach innen an Größe zunehmen, dann rundlichen oder mehr dreieckigen Zellen, und in der tiefſten Schicht wieder ſpindelförmigen, deren Längs— richtung aber nicht den Strahlen der Hirnwülſte ent— ſpricht, ſondern in Bogenzügen ihrer Oberfläche gleich läuft. Dieſe letzteren mögen Bogenſpindeln, jene hin— gegen Strahlſpindeln heißen. Alle dieſe Zellen ſind in höherem oder geringerem Grade vielſtrahlig, da ſie immer mehr als drei Fort— ſätze entſenden, Fortſätze, die bald verſchiedene Zellen mit einander in Verbindung bringen, bald Empfindung vermittelnde Nervenfaſern den Zellen zuleiten, bald Bewegung vermittelnden Faſern den Urſprung ver— leihen. Nur daß nicht alle dieſe Zellen von verſchiedener Geſtaltung dieſelbe Bedeutung haben, wie ſie nicht alle dieſelbe Gegend des Gehirns bevölkern. Schon die Strahl- und Bogenſpindeln ſind nicht bloß ihrer Lagerung, ſondern auch der Geſtalt und Größe nach verſchieden. Die Bogenſpindeln, die, wie geſagt, die innerſte Rindenſchicht bewohnen, haben ſowohl eine gleich— mäßigere Größe, wie eine regelmäßigere Form. Ihre 241 Länge“) übertrifft etwa viermal den Durchmeſſer eines einfachen Fadens der Seidenraupe. Ihre Geſtalt iſt die einer ziemlich regelmäßigen Spindel, an den zwei entgegengeſetzten Enden in dünne Nervenfaſern ausge— zogen, die ſich jederſeits in bogenförmige Faſern fort— ſetzen, durch welche verſchiedene Wülſte derſelben Hirn— hälfte in Verbindung ſtehen. In den Verlauf ſolcher Faſern **) eingeſchaltet, werden die Bogenſpindeln auch als Schaltſpindeln bezeichnet. Senkrecht zur Kuppe der Wülſte verlaufend, ſind die kleinſten Strahlſpindeln nur ein Drittel ſo lang wie die Bogen- oder Schaltſpindeln, während die größten dieſe noch um ein Drittel an 8 über⸗ treffen ***). Ihre Geſtalt iſt inſofern weit unregel— mäßiger als ſie an dem einen Ende viel langſamer in das verjüngte Ende ausgezogen ſind, als am entgegen— geſetzten Pol. An dieſem letzteren, der nach innen, alſo dem Hirnmark zugewendet iſt, brechen die dünneren Fortſätze leichter ab, und dann ähneln die verſtümmelten Zellen einer unregelmäßigen Pyramide, deren Spitze gegen die äußeren Rindenſchichten in einen mächtigen Nervenfaſerfortſatz ausgezogen iſt, der ſich veräſtelt, während die abgebrochenen Stummel, am einwärts ) 0,030 Mm. **) Aſſociationsfaſern. Meynert. ) 0,010 0,040 Mm. II. I6 242 ſchauenden Bauch oder Fuß der Zelle, Henle's Vergleich der letzteren mit einer Gewürznelke hervorgerufen haben. Am reichlichſten mit Nervenzellen verſehen ſind in der Rinde der Stirnlappen, von außen gezählt, die zweite und die vierte, d. h. die der kleinen Pyramiden oder Strahlſpindeln und die der rundlichen oder Körner- zellen. Und es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß ähnlich wie die gebildetſten Länder die dichteſte Bevölkerung aufzuweiſen haben, ſo auch der Reichthum an Zellen je nach der Begabung im Hirn verſchiedener Thiere verſchieden ſein wird, wenngleich in dieſer Be— ziehung noch beinahe Alles zu unterſuchen bleibt. Im Gehirn ſelbſt walten an verſchiedenen Stellen eigenthümlich geſtaltete Zellformen vor, beinahe als wäre je Eine Schicht der grauen Rinde in ihnen allein oder vorzugsweiſe zur Ausbildung gekommen. So herrſcht die Kornzelle in der Rinde der inneren Fläche und des Hinterendes des Hinterhauptslappens, die Pyramidenſpindel im Widderhorn, die regelmäßige Spindelform in einer verbogenen grauen Platte, die unter dem Namen Vormauer gleichſam eine von der Rinde der Inſel nach innen abgelöſte Schicht darſtellt, die nach vorn und hinten mit ihr zuſammenfließt. Bei Blödſinnigen kann die Vormauer in ihrer ganzen Aus— dehnung mit der Rinde der Inſel verſchmelzen. (Betz.) In ähnlicher Weiſe ſind große kolbenartige Nerven- 1. — at ur Du A * * K 7 4 W r 243 zellen charakteriſtiſch für die mittlere Rindenſchicht der Kleinhirnlappen, gewaltige drei- und vieleckige, viel— ſtrahlige Zellen für die vorderen grauen Säulen des Rückenmarks, während ſchmächtigere, zartere, fortſatz— ärmere, der Spindelform ſich nähernde den hinteren grauen Säulen des Rückenmarks eignen. Die letztgenannten beiden Formen, von welchen die erſtere einen unveräſtelten Fortſatz in Bewegungs— nerven ſchickt, die andere dagegen mittelſt eines ihrer Fortſätze eine Empfindung vermittelnde Nervenfaſer aufnimmt, haben zur Unterſcheidung von Bewegungs— und Empfindungszellen unter den ene neee, Für die Bewegungszellen ergiebt ſich als weſent— liches Merkmal die unregelmäßig vieleckige Geſtalt, mit zahlreichen Fortſätzen, unter denen einer ſich da— durch auszeichnet, daß er unveräſtelt bleibt und mit ſeiner Verlängerung eine Bewegungsnervenfaſer dar— ſtellt. Mit Ausnahme des unveräſtelten Fortſatzes, der an ſeinem Urſprung außerordentlich dünn zu ſein pflegt, entſpringen die anderen, deren Zahl bis zu acht betragen kann, unter allmäliger Verjüngung in zierlicher Weiſe vom Zellkörper, um ſich bald in deſſen nächſter Nähe, bald in größerer Entfernung zu ver— äſteln. Sowohl der Körper, wie die Fortſätze der Bewegungszellen, zeichnen ſich, mit Ausnahme des un— getheilt bleibenden Fortſatzes, durch größere Haltbarkeit II. 16* Nr . W Dee, en BE d * 2} * * * 7 * > * * * “ 244 aus. Im Allgemeinen jind fie größer als die Empfin— dungszellen, obgleich die Größe kein für ſich allein entſcheidender Charakter iſt, denn die größten Empfin— dungszellen übertreffen die kleinſten Bewegungszellen. Unter den Empfindungszellen herrſcht die regel— mäßigere Spindel- oder Kugelform vor, ſie beſitzen wenigere, dünnere, leicht zerreißliche Fortſätze und zeichnen ſich im Allgemeinen durch ihre Kleinheit und Zartheit aus. Ihre Fortſätze zerfallen in eine geringere Anzahl ſtärkerer Aeſtchen als die der Bewegungszellen, aber keiner derſelben bleibt ungetheilt. Urformen der Bewegungszellen findet man zuſam— mengeſchaart in den grauen Säulen, die im Inneren der vorderen Hälfte des Rückenmarks von oben nach unten ziehen. Von ihnen entſpringen die Bewegungs— faſern aller Muskeln des Rumpfs und der Glieder. Aber man findet fie in den verſchiedenſten Formen überall da wieder, wo ſie als ſogenannte Nervenkerne Bewegungsnerven den Urſprung verleihen, ſei es denen des Auges oder des Antlitzes, der Kaumuskeln oder der Zunge. Und weil an den Strahlſpindeln der Großhirnrinde von der Mitte ihres einwärts gekehrten Fußes eine ungetheilt bleibende Faſer abgeht, und eine eben ſolche von der dem Mark zugewendeten Seite der großen kolbenförmigen Zellen der Kleinhirnrinde, ſo hält man mit großer Wahrſcheinlichkeit ſowohl die 245 Strahlſpindeln des Großhirns, wie die Kolbenzellen des Kleinhirns für Bewegungszellen. Die viel klei— neren, zarteren Korn- oder Kugelzellen dagegen, die an beiden Orten und außerdem an der Schwelle der Gehör: und Sehnerven wiederkehren, dürften als Empfindungszellen anzuſehen ſein. Nach Arndt ſind ſpäteſtens im fünften Monat des Fruchtlebens deutliche Nervenzellen in der Hirn— rinde zu erkennen. Ihre Entwicklung iſt jedenfalls das höchſte Zeichen der fortſchreitenden Reife des Gehirns. Es iſt daher bezeichnend, daß im unreifen Gehirn mehr Bindegewebe, alſo verhältnißmäßigſweniger ausgebildete Nervenelemente enthalten ſind, als im völlig entwickelten. Und wie eine größere Anſammlung von Bindege— webe und Waſſer und Armuth an Fett die Unreife des Gehirns bezeichnen, ſo wird die Ueberreife des Hirns nicht bloß durch die Verarmung an Fett ange— zeigt, ſondern auch durch eine Zunahme der farbigen Körnchen, die im hohen Alter nach Virchow's Un— terſuchungen in den Nervenzellen zu erkennen iſt. Der Entwicklung und Rückbildung des Hirns ent— ſprechen alſo nicht bloß die Kennzeichen des Aufbaus und Zerfalls, ſondern ſtoffliche Unterſcheidungsmerkmale, die in das innerſte Weſen von Miſchung und Gewebe eindringen. 246 Im Hirnmark ſammeln ſich die Nervenfaſern, die von demſelben nach den Bewegungsnerven des Hirns. und Rückenmarks ausſtrahlen, und diejenigen, die von den empfindenden Oberflächen des Körpers und ge— ſonderter Sinneswerkzeuge herkommend in Rindenzellen: endigen. Viele von dieſen Faſern werden auf ihrem Weg. vom oberſten Nervenheerde bis zu den Muskeln, und umgekehrt von den Sinnesflächen zum Nervenheerde durch Nervenzellen unterbrochen, und dieſe Unterbre— chungen, die mit einer Umlagerung und mit einer Veränderung der Zahl der Nervenfaſern verbunden ſind, greifen mächtig ein in die Ordnung der Ueber— tragung von Empfindungseindrücken und Bewegungs— antrieben im Thierkörper. Dieſer Unterbrechung ſteht aber ein ſehr beachtungs— werthes Bindemittel gegenüber, wie wir es oben bereits in den Bogenfaſern begegneten, welche mit Hülfe der Bogenſpindeln vielfache Verbindungen zwiſchen ver— ſchiedenen Knotenpunkten derſelben Hirnhälfte herſtellen. Zwiſchen entſprechenden Gegenden der beiden ver— ſchiedenen Hirnhälften werden ſolche Verbindungen durch quer verlaufende Faſern*) angebahnt. Durch die Art ihrer Aneinanderlagerung werden mehr oder weniger ) Commiſſuren-Faſern, Commiſſuren. 247 mächtige Platten, Balken oder Stränge aus jenen Querfaſern. Die mächtigſte jener Platten iſt der ſogenannte Balken“), der das Mark der beiden Großhirnballen mit einander verbindet. Er bedeckt den Streifenhügel, der zum Vorderhirn gehört, und die Gebilde des Zwiſchenhirns und Mittekhirns, die Sehhügel, die Vierhügel und die auf der oberen Fläche der letzteren ruhende Zirbeldrüſe. Da er in der größten Ausdehnung die Rindenbezirke der rechten und linken Hälfte des Großhirns mit einander verbindet, ſo ſteht ſeine Mäch— tigkeit in geradem Verhältniß zur Größe der Groß— hirnballen. Es iſt daher natürlich, daß der Balken im menſchlichen Gehirn größere Ausbildung erreicht, als in dem der Säugethiere. Bei den Vögeln fehlt der Balken noch ganz, bei den Kloaken- und Beutel— thieren dämmert er auf“), aber in jo geringer Ent— wicklung, daß er ihnen mehrfach abgeſprochen wurde. Beſſer ausgeprägt iſt er beim Ameiſenfreſſer, und dennoch iſt er ſelbſt bei vielen Inſektenfreſſern, beim Igel z. B., noch kurz und dünn. Bei den Nagern wächſt er, aber während er ſchon bei Hufthieren eine ziemlich wagerechte Lage hat, iſt er beim Kaninchen von hinten nach vorn ſteil abwärts geneigt. Indem er ) Corpus callosum. *) Huxley, a. a. O., S. 276, 278. 248 nämlich vom oberen Umriß der Großhirnballen überall annähernd gleich weit entfernt iſt, ſenkt er ſich, wenn die Stirnlappen niedriger werden. Langgeſtreckt iſt der Balken beim Hunde, und dieſe Länge wächſt, wenn man von den Plattnaſen unter den Affen zu den Schmalnaſen aufſteigt. Wenn man den Balken der Länge nach von vorn nach hinten durchſchneidet, dann beträgt ſeine Länge bei den Krallenaffen*) 3/190 der Geſammtlänge der Großhirnballen, beim Chimpanſe etwa 3/00, beim Menſchen aber, bei dem er über— haupt am meiſten gewölbt iſt und im Gegenſatz zu dem vom Kaninchen Bemerkten leicht nach vorn auf— ſteigt, erreicht er 9/100 von der Länge der Halbkugeln. Das Aufſteigen des Balkens beim Menſchen an ſeinem Stirntheil iſt ein neuer Ausdruck für die Höhe ſeiner Stirnlappen, die ihn noch im Vergleich der Menſchen— affen ſo weſentlich bevorzugt. Aber der Vergleich zwiſchen der Länge des Balkens bei den Menſchen— affen und dem Menſchen iſt nicht minder geeignet, unſerer Gattung ſelbſt vor den höchſt entwickelten Affen einen Vorzug zu verleihen. In dieſem Punkte gleichen die niederſten Affen den höchſtentwickelten weit mehr als dieſe dem Menſchen. ) Sahuis, Aretopitheeini, Bärenäffchen, Seidenäffchen, Löwenäffchen. (a A ii ee — * 249 Wenn man aber an dem oberſten Merkmal feſt— hält, durch welches das menſchliche Gehirn ſeinen über— legenen Bau in der Thierreihe zu erkennen giebt, ſo findet man, wie es überall darauf hinausläuft, daß eine immer größere Menge von Nervenzellen, von immer wachſender Eigenart, durch eine ſtets zunehmende Anzahl von leitenden Nervenfaſern in immer weniger zu zählende Verbindungen tritt, theils unter ſich, theils mit den Muskeln und Sinnesſchwellen. Der Ausdruck der Verſchlingung und Verkettung ſteigert ſich in dem Grade, daß wenn man das Gedanken-, Gefühls- und Thätigkeitsleben eines Kaninchens mit einer guten Uhr vergleichen wollte, die Verwicklung, Ausdrucksfähigkeit und Bethätigung, wie ſie am Menſchenhirn ſich ſteigert, im Vergleichungsbilde nicht erreicht würde, wenn man die Zahl der Rädchen und Federn der Uhr auch ums Millionenfache ſteigern wollte. Deshalb ſind die Verbindungen entſprechender Bezirke der rechten und linken Halbkugel durch die Querfaſern des Balkens von ſo großer Wichtigkeit. Sie mehren in ungeahnter Weiſe die Bezüge zwiſchen beiden Hirnhälften. Es iſt kein Einwurf dagegen, daß man gelegentlich das Menſchenhirn bis zur Vogelſtufe herabgeſunken fand, indem ihm der Balken ganz fehlte. In den Fällen dieſer Art, wie ſie von Calori, 250 Malinverni, Randaccio beſchrieben wurden, handelte es ſich um gewöhnliche Menſchenkinder, und wenn uns Malinverni, ein unbefangener Beobachter, ein Freund einheitlicher Naturanſchauung, erzählt, daß der Bauer, dem das von ihm unterſuchte balkenloſe Gehirn angehörte, nicht weniger geſcheidt war als andere ſeines Gleichen auch, daß er ein fügſamer und ordentlicher Soldat geweſen, ſo hat er ihn eben mit dem beſcheidenen Maaßſtab gemeſſen, mit dem er ihn allein meſſen konnte ). Wir wiſſen über die Unabhängigkeit, in der ſich ein Großhirnballen im Denken ergehen kann, weit mehr. Ebenſo wie wir mit Einem Auge ſehen, mit Einem Ohre hören können, ſo können wir auch mit Einer Halbkugel denken. Man hat bei Menſchen in Einer Halbkugel des großen Gehirns Entartungen gefunden, ohne daß die Gedankenthätigkeit hierdurch merklich ge— ſtört geweſen war. Man beobachtet das Gleiche an Thieren, denen man eine der beiden Halbkugeln weg— geſchnitten hat. Aber trotzdem leidet das Bewußtſein. Die Thiere ſchrecken leichter auf. Der Menſch, der nur mit einer Halbkugel denkt, wird von der Gedanken- arbeit leichter ermüdet. Longet hat uns zwei Fälle *) Malin verni, Cervello di uomo mancante del corpo calloso, del setto lueido e della grande circonvoluzione cere- brale, chiamata del corpo calloso, colla integritä delle funzioni intellettuali, Torino 1874, p. 5, 6. 4 — 251 dieſer Art berichtet. In einem derſelben, den er Ferrus nacherzählt, handelte es ſich um einen fran— zöͤſiſchen General, der eine Schußwunde am Kopf be— kommen hatte, durch die er einen großen Theil des linken Scheitelbeins und des entſprechenden Großhirn— ballens eingebüßt hatte. Der General hatte von der Lebhaftigkeit ſeines Geiſtes nichts verloren, ſein Urtheil war klar und ſcharf wie früher, allein es war ihm nicht möglich längere Zeit bei Gedankenarbeit auszu— harren, weil ihn bald Müdigkeit überfiel “). Der Ausfall einer Halbkugel des greßen Gehirns bringt größere Nachtheile, wenn ſie angeboren iſt. Es, übt nämlich die Thätigkeit des einen Großhirnballens einen fördernden Einfluß auf die Entwicklung des anderen, was am anſchaulichſten durch die Erfahrung Volkmann's dargethan wird, nach welcher durch Uebung des Taſtſinns der rechten Hand auch die linke, ſich im Taſtgefühl verfeinerte, obwohl ſie keine Uebung pflog. Fehlt alſo eine Halbkugel ſeit der erſten Entwick— lung und folglich im neugeborenen Kinde, dann wird die geiſtige Anlage leiden; geht ſie im ſpäteren Leben durch eine Verwundung verloren, dann wird die Aus— „dauer bei geiſtiger Anſtrengung herabgeſetzt. In keinem *) Longet, a. a. O., T. III., p. 443. 252 der beiden Fälle braucht Geiſtesſtörung oder gar Blöd— ſinn die Folge zu ſein “). Jene Verbindung der beiden Großhirnballen, die der Balken, zumal beim Menſchen, ſo ausgiebig ver— mittelt, wird ergänzt, ja zuweilen ſogar erſetzt durch einen Querſtrang, der die Streifenhügel verbindet und alſo dem hinteren Abſchnitt des Vorderhirns angehört. Er wird als vorderes Querband **) bezeichnet. Wie der Balken einem unregelmäßig gebildeten Sattel gleicht, der auf ſeiner unteren Fläche von vorn nach hinten, auf der oberen Fläche von rechts nach links ausgehöhlt iſt, ſo zwar, daß der darauf Reitende nach rechts oder nach links ſchauen würde, ſo läßt ſich die Geſtalt des vorderen Querbandes mit einem Hufeiſen vergleichen, deſſen gewölbte Seite nach vorn gerichtet iſt. Bei den Schleichern und Vögeln iſt dieſes vordere Querband nur wenig entwickelt, klein und ſchmal, und eben in dieſen Thierklaſſen verbindet es nur die Strei— fenhügel mit einander. Wenn man vom Menſchen abſieht, bei dem das vordere Querband weit ausſtrahlt, dann erkennt man bei den meiſten Säugethieren ein umgekehrtes Ver— hältniß zwiſchen ſeiner Entwicklung und der Größe *) Vgl. Brücke, Vorleſungen über Phyſiologie, Wien 1876, Bd. II., S. 58, 8 ) Commissura anterior. n EURER * — « - 255 des Balkens. Bei den Kloaken- und Beutelthieren, Inſektenfreſſern und Nagern iſt alſo das vordere. Querband verhältnißmäßig groß, verhältnißmäßig klein dagegen bei Hufthieren und Affen, während die erſtere Gruppe einen kleinen, die letztere einen großen Balken aufzuweiſen hat. Viel ſeltener ſind beide Querbrücken groß, wie bei den Raubthieren, oder beide klein, wie bei den Walthieren *). In dem balkenloſen Menſchen— hirn, das Malinverni unterſuchte, war das vordere Querband ſtärker als gewöhnlich. Die Faſern des vorderen Querbandes dringen aber beim Menſchen nach Meynert nicht bloß in die Streifenhügel, ſondern in die Schläfe- und Hinter— hauptslappen, und nach Foville überdies in die Inſeln. Andere Querbänder finden ſich zwiſchen den Seh— hügeln **), den Widderhörnern“ ), zwiſchen den Seiten— ballen des Kleinhirns als Wurm et) und Brücke ) und zwiſchen den beiden im Wurm ſelbſt liegenden ſcheibenförmigen Kernen, welche, dicht über der Rauten— grube des verlängerten Marks gelegen, von Stilling, *) Cetaceen, % Commissura posterior, Gudden’s Commissur im Tractus opticus. Lyra, Psalterium. 1) Vermis. ) Pons Varolii. 254 dem berühmten Erforſcher des Kleinhirnbaus, als Dach— kerne bezeichnet wurden. Es iſt für die queren Verbindungen eigenthümlich, daß ſie in Form von Platten, Bändern, Strängen und Zügen eine mehr geſonderte Geſtalt annehmen, als ſich bei den Bogenfaſern zwiſchen ungleichen Bezirken der— ſelben Hirnhälfte erkennen läßt. Dennoch giebt es außer jenen bogenförmigen Faſern, die von Windung zu Windung führen, auch ſolche, die entfernter gelegene Bezirke mit einander in Zuſammenhang bringen. Dieſer Art iſt der Längsſtreifen “), welcher vom Widderhorn über den Balken nach vorn und unten zur Rinde der inneren Riechwindung des Stirnlappens geht. Am eigenthümlichſten aber iſt durch ſeine Entwick— lung beim Menſchen unter den längsläufigen Verbin— dungszügen das ſogenannte Gewölbe, welches unter dem Balken und über den Sehhügeln herlaufend einen Bogen zwiſchen dem Widderhorn und dem Sehhügel darſtellt, der das Dach der dritten Hirnhöhle bildet. Ju den Verlauf dieſes Bogens, der ſich nach vorn wie nach hinten in zwei Schenkel theilt, iſt vorne jeder— ſeits ein Nervenzellen enthaltender, aber dennoch weißer Höcker eingeſchaltet, der durch eine enge Schleife der *) Nervus Lancisii, stria longitudinalis s. tecta. eee c Bulbi fornicis, Corpora mammilla via, Cor- pora candicantia. 255 Faſern im vorderen Schenkel gebildet wird. Es find alſo zwei ſolcher Gewölbehöcker vorhanden, aber ihr Doppeltſein theilen unter allen Säugethieren nur die Menſchenaffen mit dem Menſchen; bei allen anderen Affen ſind die beiden Gewölbehöcker mit einander ver— ſchmolzen. Durch Faſern, die nach vorn den Balken durch— brechen, hängt das Gewölbe mit der längſten Windung des Hirns zuſammen, die an der Innenfläche einer jeden Halbkugel über den Balken wegläuft und daher auch Balkenwindung heißt. Nach hinten ſtrahlen die Faſern des Gewölbes nicht bloß zum Widderhorn in den Schläfenlappen, ſondern auch zum Vogelſporn in den Hinterhauptslappen aus. Allen Bogen- und Querfaſern, ſowie allen denen, welche Nervenzellen des Hirns mit den Sinnesſchwellen oder Muskelfaſern in Verbindung ſetzen, iſt das Gepräge von Leitungsfäden aufgedrückt. Die Hauptthätigkeit vollzieht ſich in den Theilen, in welchen Nervenzellen angehäuft ſind, in der Rinde des Hirns und ſeinen Ganglien: den Vierhügeln, den 256 Sehhügeln, Streifenhügeln und den nach außen von dieſen gelagerten Linſenkernen *). Dem entſpricht es, daß die Rinde, wie überhaupt alle Anſammlungen grauen Nervengewebes, mit einer viel reichlicheren Blutmenge geſpeiſt werden, als das weiße Mark, in welches zwar hier und da Nerven— zellen verſprengt ſind, das aber doch beinahe ganz aus markhaltigen Nervenfaſern beſteht. Die Maſchen der blutführenden Haargefäße ſind an den grauen Stellen rundlich, dreieckig, unregelmäßig vieleckig und kaum halb ſo weit als die langgeſtreckten, unregelmäßig vieleckigen Maſchen des Haargefäßnetzes im Mark. (Gerlach.) Am allergefäßreichſten iſt der Streifenhügel. (H. Ekker.) Wie ſehr die Thätigkeit der Nervenheerde auf dieſen reichlichen Verkehr mit dem Blute angewieſen iſt, das lehren Beobachtungen und Verſuche an Wirbelloſen und Wirbelthieren. Bei einem Schnurwurm !“) ſchicken die Seitengefäße eine quere Verbindung zum Rückengefäß, die auf ihrem Wege dahin die oberen Schlundknoten in einem engen Bogen dicht umkreiſt. Im Regenwurm iſt der Bauch- ) Aeußere Streifenhügel. (Rolando.) *) Borlasia camilla; ſiehe die hübſche Abbildung bei. Gegenbaur, a. a. O., S. 188. 257 ſtrang ſehr gefäßreich“) und bei einer Egelgattung“ ) liegt der Bauchſtrang ſogar inmitten des Bauchgefäßes, deſſen Zuſammenziehungen die Nervenknoten leiſe hin und her bewegen. Drückt man beim Menſchen nur auf kurze Zeit die zum Kopfe führenden Schlagadern am Halſe zu— ſammen, dann verliert er das Bewußtſein, ein Verſuch, der leider aus den Händen der Naturforſcher in die der Verbrecher gewandert iſt, da dieſer Kunſtgriff in Amerika öfters angewandt wurde, um ohne Mord an willenlos gemachten Opfern Beraubung auszuführen. Schon bei der Frucht im Mutterleib ſind die Gefäße ſo vertheilt, daß von dem Blut, das im Mutterkuchen unvollkommen mit Sauerſtoff verſehen wurde, das beſte oder ſauerſtoffreichſte dem Hirn zu Gut kommt. Fürwahr, wenn das Blut nach Mephiſto's Gewähr ein ganz beſonderer Saft iſt, das Hirn iſt ein ganz beſonderer Brei. Da werden Billionen kleinſter Werkſtätten beſtändig vom Blut genährt und erfriſcht, von klopfenden Blut— gefäßchen erſchüttert “*), von einander in unabſehbarem Wechſel beeinflußt, angeregt von allen Eindrücken, mit ) Leydig, a. a. O., S. 181. **) Nephelis, Leydig, a. a. O., S. 188. ) Vgl. Moriggia in Moleſchott's Unterſuchungen zur Naturlehre, Bd. XI, S. 478. 15 JN 258 denen die Außenwelt auf unſere Sinne, auf unjeren Magen, unſere Lungen, unſer Blut einwirkt, gleichſam entladen, wenn ſie den Erfolg dieſer Eindrücke durch tauſendfache Bewegungen in die Außenwelt zurück— ſenden, empfangend und leidend, wirkend und gegen— wirkend, raſtlos auch im Traume, ſtets erneut, und doch immer dieſelben, indem ſie eine Spur von den Ein— wirkungen der Außenwelt, von ihrem eigenen Wechſel— weben, bis an des Lebens Ende erhalten. Iſt es ſo wunderbar, wenn das Werkzeug, das alle anderen in ſeiner Verſchränkung übertrifft, deſſen Bau und Miſchung verwickelter iſt als die von irgend einem Organe, mannichfaltiger und nahrungsſüchtiger als alle anderen, abhängig und gebietend, Wirkungen erzeugt, die ſich in ſo hohem Grade dem Vergleich mit anderen entziehen, daß die Schulweiſen ſeine Erzeug— niſſe der Welt der Natur zu entreißen glauben, indem ſie den Gedanken als etwas Ausdehnungsloſes mit allem dem, was Ausdehnung und Schranken hat, in Gegenſatz zu bringen wähnen? Die Kluft, welche einſtmals die wägbaren von den unwägbaren “) Stoffen trennte, war nicht größer, als diejenige, die von Vielen noch heute als trennend ) Imponderabilien. 259 zwiſchen der Ausdehnung der Naturkörper und der Ausdehnungsloſigkeit der Geiſtesthätigkeit erblickt wird. Im wiſſenſchaftlichen Sinne, im Sinne wahrer Weltweisheit, iſt es die größte Errungenſchaft des Jahrhunderts, daß durch Mayer's ſchöpferiſchen Scharfblick die Wärme als eine Form der Bewegung erkannt wurde. Die Folge davon war, daß ein ge— heimnißvoller Stoff, von dem man nur ein Mehr und Weniger in ſeinen Aeußerungen erkannte, der ſich mit den Körpern verbinden oder von denſelben trennen ſollte, als ein den Körpern innewohnender Bewegungs— zuſtand erkannt wurde. Die Lehre, daß Wärme ein Maaß für Bewegung iſt, daß das Heben eines Ge⸗ wichtes ein der Hubhöhe und der Größe des Gewichts entſprechendes Maaß von Wärme verbraucht, daß die Hinderniſſe, die ſich einer Bewegung entgegenſetzen, nicht etwa einen Theil der treibenden Kraft vertilgen, ſondern in die Bewegungsform verwandeln, die wir Wärme nennen, wurzelt in demſelben Boden einheit— licher Naturanſchauung, die auch das Denken als eine Bewegung des Stoffs erkennt. Ohne Blut keine Hirnthätigkeit, ohne Erregung der Sinnesnerven oder der Eingeweide keine Empfindung, ohne Empfindung keine Vorſtellung, kein Urtheil, keine Willensregung. Und im Verhältniß zum Stoffwechſel des Hirns, zum Reichthum der ſinnlichen Wahrnehmung, II. 260 zur Fähigkeit ihrer Verarbeitung entſtehen Willens— entſchlüſſe und Handlungen, Gedankenausdruck in Wort und Schrift, und überall gewahren wir Ausdehnung und Schranken. Wer den Riß zwiſchen Natur und Geiſt damit beglaubigen will, daß es nicht möglich ſei, die Erzeu— gung eines Gedankens durch eine beſtimmte Bewegung der Maſſentheilchen unſeres Hirns zu erklären, der vergißt, daß er ſeinen Nothſchrei der Ohnmacht aus dem innerſten Herzen der Naturerſcheinungen entlockt hat. Von der Lagerung der Maſſentheilchen in dem Eiſenſtab, den ein elektriſcher Strom magnetiſch macht, in dem Kupferdrath, den ein Magnet oder ein vor— beifließender elektriſcher Strom elektriſch macht, von der Molecularbewegung, die ſich zur Ablenkung der Magnetnadel ſteigert, die von einem elektriſchen Strom beeinflußt wird, wiſſen wir vor der Hand nicht mehr, als wir von der jeweiligen Zuſtandsänderung eines Hirnes wiſſen, das ſinnt und denkt. Wir beſchreiben die vielfältigen und mächtigen Wirkungen der elektriſch und magnetiſch machenden ſtofflichen Einflüſſe; wir hoffen den inneren Vorgang, die Umlagerung der kleinſten Maſſentheilchen dereinſt zu entdecken, aber für jetzt beſchreiben wir den Erfolg, ohne zu bezweifeln, daß die wirkenden Urſachen an Metalle und Flüſſigkeiten, an den Erdball und ſeine ſtoff— 261 lichen Erzeugniſſe gebunden ſind, ohne magnetiſche oder elektriſche Geiſter zur Erklärung anzurufen. Im Grunde genommen ſind wir für das Gehirn noch beſſer daran, als für das magnetiſche Hufeiſen, das ſeinen Anker anzieht. Denn während das Eiſen, das magnetiſch wurde, außer ſeiner Anziebung für Eiſen keine Erſcheinung wahrnehmen läßt, die eine Umlagerung ſeiner Maſſentheilchen verriethe, wiſſen wir mit Beſtimmtheit Veränderungen anzugeben, die das Hirn, wenn es denkt, in ſich ſelber erleidet und ſonſt im Körper hervorruft. Zunächſt erfährt im Gehirn, ſowie es in Thätig— keit tritt, die Blutmenge eine Zunahme. Dieſe Thatſache iſt durch unmittelbare Beobach— tungen am Menſchen feſtgeſtellt, ſeitden Moſſo mit Giacomini und Albertotti die Gelegenheit benützt hat, zwei Fälle, in welchen ein größerer Theil des Gehirns bloß lag oder nur von Weich— theilen überzogen war, einer genauen Unterſuchung zu unterwerfen ). Es ſtellte ſich bei dieſer Unterſuchung heraus, daß ) Giacomini e Mos so, Esperienze sui movimenti del cervello nell' uomo, in Bizzozero's Archivio per le Scienze Mediche, Anno I, 1876, p. 245; Albertotti ee Mosso, Osservazioni sui movimenti del cervello di un idiota epilettico, im Giornale dell’ Accademia di Medieina di Torino, 1878, (LXI), p. 47 und folgende. 5 1 — 262 ; — — der Rauminhalt des Gehirns augenblicklich wächſt, wenn die Aufmerkſamkeit deſſelben auch auf die un— ſcheinbarſte Weiſe in Anſpruch genommen wird. Bei einem etwa elfjährigen blödſinnigen Knaben, der an Fallſucht litt, genügte es, während er im tiefſten Schlaf lag, laut ſeinen Namen zu rufen, um die Zunahme ſeines Gehirns zu beobachten, obgleich er nicht erwachte. (Albertotti und Moſſo.) Der andere Fall betraf eine ſiebenunddreißigjährige Frau, bei der ein großer Theil der rechten Hälfte des Stirnbeins zerſtört war. Die harte Hirnhaut lag bloß, und mittelſt eines federkräftigen Kiſſens, deſſen Schwankungen einem ſchreibenden Fühlhebel übertragen wurden, ließ ſich die Höhe und Geſtalt des Hirn— pulſes auf lange Zeit genau verfolgen. Während die Kranke wach, aber in vollkommener Ruhe da lag, wechſelten die beiden Beobachter einige Worte, welche auf die Unterſuchung der Frau Bezug hatten, aber nichts enthielten, was ſie beunruhigen konnte. Sie nahm an dem Geſpräch nicht Theil, und dieſes währte weniger als eine Minute. Aber ihre Aufmerkſamkeit war hinreichend, um ihren Hirnpuls größer und ſeine Wellen ſpitzer zu machen. Die ganze Reihe der vom Puls verzeichneten Wellen zeigt erhebliche Wogen, die einen langſameren Verlauf haben als die durchs Athmen bedingten Schwankungen, alſo eine viel größere n 263 Anzahl von Pulswellen umfaſſen als dieſe. Auch hier war der Rauminhalt des Hirns während der Auf— merkſamkeit etwas vermehrt. Darin und in den zu— geſpitzten Wellen ergab ſich Uebereinſtimmung des Hirnpulſes mit demjenigen, welcher beobachtet wird, wenn man durch plötzlichen Verſchluß der Schenkel— ſchlagadern die Blutmenge im Hirn vermehrt. (Giacomini und Moſſo.) Schon früher hatte Moſſo zu den hier vom Hirn geſchriebenen poſitiven Pulswellenbildern die negativen verzeichnet, und dieſe erhielten durch jene eine willkommene Beſtätigung. Es war nämlich Moſſo durch eine ſinnreiche Einrichtung gelungen, die immerfort ſchwankende Füllung des Vorderarms zu verzeichnen, indem er dieſen luftdicht in eine mit Waſſer gefüllte Glasglocke einſchloß, deren Waſſermenge bei der Ausdehnung des Arms abnahm, beim Abſchwellen deſſelben zunahm. Moſſo nannte ſeine Vorrichtung mit Inbegriff der dazu gehörigen Schreibmittel Füllungsſchreiber“). Mit deſſen Hülfe wurde das An- und Abſchwellen des Arms unterſucht, wie es durch verſchiedene Verrich— tungen und Zuſtände des Körpers, durchs Athmen, durch Druck auf die Blutgefäße, durch die Einwirkung ) Plethysmograph. 264 von Wärme und Kälte, von elektriſchen Strömen und anderen Einflüſſen hervorgebracht wird). Sogleich aber ſtellte ſich bei dieſen Unterſuchungen heraus, wie ſehr die vollſtändigſte Ruhe des Hirns erforderlich war, damit ſich nicht Nebenwirkungen geiſtiger Thätigkeit in den Erfolg der zum Verſuch gewählten Einflüſſe einmiſchten. Wenn ein Schlafender ſeinen Arm im Füllungs— meſſer hält, genügt ein Traum oder das Bellen eines Hundes, das auf ſeine Gehörnerven wirkt, ohne den Schlaf zu unterbrechen, um die Füllung des Arms zu vermindern. Als Moſſo an ſich ſelber oder an ſeinem Freunde Pagliani in Ludwig's Anſtalt zu Leipzig die Verſuche anſtellte, bemerkte er ſo oft ein Abſchwellen des Arms, als ihr hochverehrter Lehrer erſchien oder auch nur in ihrer Nähe ſeine Schritte oder Stimme hören ließ. So groß war die Ehrfurcht, welche der fruchtbare Forſcher beiden einflößte, daß ſie beim beſten Wunſche ruhig zu bleiben, und obwohl beide längſt über jugendliche Schüchternheit hinaus waren, durch die Zuſammenziehung der Gefäße ihres Arms die Erweiterung ihrer Hirngefäße und damit eine *) Angelo Mosso, sopra un nuovo metodo per serivere i movimenti dei vasi sanguigni nell' uomo, Atti della R. Accademia delle scienze di Torino, Vol. XI (1875), p. 21 und folgende. 265 Gemüthsſtimmung zu erkennen gaben, die weder der Geſichtsausdruck, noch eine hinlängliche Veränderung des Pulſes oder der Athemzüge dem Auge unmittel— bar verriethen. Und wenn ein Gehöreindruck im Schlafe, ein Traumbild, die Empfindung der Ehrfurcht den Raum— inhalt des Arms verminderten, das Gleiche war der Fall, wenn irgend eine denkende Thätigkeit vollzogen ward. Eine Aufgabe im Kopfrechnen, deren Löſung nicht ausgeſprochen, ſondern nur durch ein Zeichen angegeben ward, damit die Bewegung des Sprechens nicht etwa ſtörend eingreifen ſollte, bewirkte bei dem weniger geübten Rechenmeiſter ein ſtärkeres Abſchwellen als bei einem gewandten Rechenkünſtler. Und als Moſſo einem Freunde ein Blatt zu leſen gab, welches halb in deſſen Mutterſprache, italieniſch, halb griechiſch, geſchrieben war, erkannten die Anweſenden an der ſtärker verminderten Fülle des Arms den Augenblick, in welchem der Sprachjünger von der ihm geläufigeren Sprache zur ſchwierigeren überging. Wir dürfen aber in allen dieſen Fällen aus der verminderten Blutfülle des Arms auf eine vermehrte Blutzufuhr zum Hirne ſchließen, nicht weil der ent— gegengeſetzte Zuſtand zwiſchen Hirn- und Armgefäßen ſich von ſelbſt verſteht, denn ſie können ſich gleichſinnig verändern, ſondern weil Moſſo mit Giacomini 266 und Albertotti in ähnlichen Zuſtänden, wie die oben beſchriebenen, die Zunahme des Hirns unmittelbar beobachtet hat. Ich nannte mit gutem Bedacht die Bilder verminderter Armfüllung während einer ehrerbietigen Regung, geiſtiger Aufmerkſamkeit, denkender Anſtrengung negative Lichtbilder, zu welchen die am Gehirn beobachtete größere Blutfülle die poſitiven Bilder liefert. Es ergeht dem Hirn wie den Muskeln. So wie ſie in Thätigkeit treten, ſo wie jenes denkt oder dieſe ein Gewicht heben, werden ſie mit einer größeren Blutmenge geſpeiſt. In beiden ſammeln ſich Erzeugniſſe der Rückbil— dung an, die aus einer Verbrennung oder Spaltung ihrer organiſchen Beſtandtheile hervorgehen, und deren Entſtehung ihre Thätigkeit kennzeichnet und bedingt. Unter dieſen im Hirn aus der Rückbildung ent— ſtandenen Stoffen finden ſich ſämmtliche Glieder der Harnſäurereihe, Harnoxydul ), Harnoxyd ), Harn— ſäure und Harnſtoff, Käſeweiß“ ), Fleiſchſtoff 7), Fleiſchzucker +7) und Muskelzucker, Milchſäure und Ameiſenſäure. (Von Bibra, W. Müller.) ) Hypoxanthin. **) Xanthin. ) Leucin. 7) Kreatin. +r) Inosit. 267 Das Auftreten der bezeichneten Säuren iſt aber offenbar die Urſache, warum das Gewebe des Gehirns, des Rückenmarks und der größeren Nerven, welches in der Ruhe neutral iſt, in Folge erſchöpfender Thätig— keit ſauer wird, ſo daß es blaues Lackmuspapier röthet. (Funke.“) Bewegt ſich die Thätigkeit in mäßigen Grenzen, dann wäſcht der Strom des alkaliſchen Bluts die jeweils entſtehende Säure raſch wieder aus, und die Einwirkung des Hirnſafts ruft auf Lackmuspapier nur einen violetten Fleck hervor. Die Röthung des Lackmuspapiers durch ermüdetes Hirn iſt nur ein überſichtlicher Ausdruck für den Satz, daß während der Gedankenarbeit Hirnſtoff verbraucht wird, und zwar offenbar Eiweiß und Dotterfett. Daher nimmt in Folge geiſtiger Arbeit die Menge des Harn— ſtoffs, der Phosphor- und Schwefelſäure, die mit dem Harn entleert werden, zu. (Byaſſon.) Wenn wir in Folge angeſtrengter Gedankenarbeit hungrig werden und dabei, wie Davy und von ) „Die Nervenſubſtanz zeigt ſowohl in den größeren peri— pheriſchen Nervenſtämmen als in den Centralorganen, Rücken— mark und Gehirn, während des Lebens im Zuſtand der Ruhe neutrale Reaction, wird dagegen wie der Muskel ... durch erſchöpfende Thätigkeit .. .. ſauer.“ Otto Funke, in den Berichten der Königlich Sächſiſchen Geſellſchaft der Wiſſenſchaften, 13. Auguſt 1859. 268 Bärenſprung berichten, die Eigenwärme eine Steige— rung erleidet, ſo kann das nur durch einen beſchleu— nigten Stoffwechſel erklärt werden. Hunger iſt ein ſicheres Anzeichen einer Verarmung des Bluts und der Gewebe, einer Veränderung in der ſtofflichen Miſchung, die ſich in den Nerven bis zum Gehirn als Empfindung fortpflanzt. Jene Verarmung erfolgt nur durch eine vermehrte Ausſcheidung und namentlich durch eine Zunahme der ausgehauchten Kohlenſäure. Somit muß die Verbrennung im Körper geſteigert ſein. Und daß beim Denken auch die Wärme erhöht wird, das iſt die Probe, welche die Richtigkeit unſerer Rechnung beſtä— tigt, wenn wir die vermehrten Ausgaben des Körpers von der Hirnthätigkeit herleiten. Das Denken erweiſt ſich als eine Bewegung des Stoffs. Der Satz, daß Miſchung, Form und Kraft einander mit Nothwendigkeit bedingen, daß ihre Veränderungen allezeit Hand in Hand mit einander gehen, daß eine Veränderung des einen Gliedes jedesmal die ganz gleichzeitige Veränderung der beiden anderen unmittel— bar vorausſetzt, hat auch für das Hirn ſeine Richtig— keit. Stoffliche Veränderungen des Hirns üben einen Einfluß auf das Denken, und umgekehrt, das Denken ſpiegelt ſich ab in den ſtofflichen Zuſtänden des Körpers. Der vorderſte und größte Abſchnitt des Gehirns beſteht aus zwei, durch eine tiefe Längsſpalte von N BETEN 269 einander getrennten Hälften, die beide vereinigt unge— fähr die Geſtalt einer Halbkugel haben, während jede einzeln eigentlich annähernd die Form des Viertels einer Kugel beſitzt. Sie heißen trotzdem, wie wir. oben ſahen, große Halbkugeln des Hirns oder Groß— hirnballen. Wenn in einer dieſer Halbkugeln eine Entartung ſtattfinder, dann braucht dieſelbe häufig nur einen be— ſchränkteren Raum einzunehmen, um Schlafſucht, Gei— ſtesſchwäche oder vollſtändigen Blödſinn zu erzeugen. Das Hirn iſt von einer weichen Haut überzogen, welche einen großen Reichthum an Blutgefäßen beſitzt. Auf dieſe weiche Haut folgt nach außen eine zarte, ſogenannte Spinnwebehaut. Endlich iſt die Spinn— webehaut nach außen von einer dritten faſerigen Hülle umgeben, die unter dem Namen der harten Hirnhaut bekannt iſt. Dieſe Häute ſind ebenſo am Rückenmark vorhanden, zu welchem das Gehirn die unmittelbare Fortſetzung bildet. Zwiſchen der Gefäßhaut und der Spinnwebehaut, alſo unter der letztgenannten, befindet ih ein Saft, den man Hirnruͤckenmarksflüſſigkeit nennt. Dieſe Flüſſigkeit kann ſich in Krankheiten übermäßig vermehren. Folgen des unregelmäßigen Zuſtandes ſind Verſtandesſchwäche, Betäubung. Oft zerreißen im Hirn Blutgefäße, ſo daß eine beträchtliche Menge Blut in die Hirnmaſſe austritt. 270 Das iſt der häufigſte Fall beim ſogenannten Schlag— fluß. Verluſt des Bewußtſeins iſt eine ſehr bekannte Folge dieſer krankhaften Veränderung. Hirnentzündung beſteht in einer Ueberfüllung der Blutgefäße des Hirns, der ein unregelmäßig ver— mehrtes Ausſchwitzen der Blutflüſſigkeit und Austritt der Blutzellen nachfolgen. Der Irrwahn, der ſich in wilden Reden austobt, iſt der Ausdruck der Hirnkrank— heit. Das Irrſein in Nervenfiebern und anderen Leiden dieſer Art geht aus ähnlichen Urſachen hervor. Wenn der Herzſchlag ſo weit geſchwächt wird, daß eine Ohnmacht entſteht, dann wird dem Hirn zu wenig Blut zugeführt. Darum begleitet Bewußtloſigkeit eine vollkommene Ohnmacht. Das Hirn Enthaupteter ſtirbt in Folge des Blutverluſtes in kurzer Zeit ab. Sauerſtoff, den wir beim Athmen aufnehmen, iſt zur richtigen Miſchung aller Werkzeuge des Körpers erforderlich. Kein Theil aber verſpürt den Mangel an Sauerſtoff im Blut ſo raſch wie das Gehirn. Wenn das Hirn nur aderliches Blut enthält, wenn ihm nicht die nöthige Menge ſchlagaderlichen Blutes zugeführt wird, ſtellen ſich Sinnestäuſchungen ein. Kopfſchmerz, Schwindel, Bewußtloſigkeit ſind gewöhn— liche Folgen. Thee ſtimmt das Urtheil, Kaffee nährt die geſtal— Be 271 tende Kraft des Hirns. Wir kennen in dieſem Fall die ſtoffliche Veränderung nicht, welche das Hirn er— leidet. Wir wiſſen aber, daß der Hunger, der auf nichts Anderes gegründet iſt, als auf einen mangel— haften Erſatz der verlorenen Blutbeſtandtheile, in deſſen Folge das Gehirn ungenügend ernährt iſt, unluſtig zur Arbeit, reizbar, aufrühreriſch, wahnſinnig macht. Beim Genuß von Wein und geiſtigen Getränken geht der Weingeiſt über in's Blut und in das Hirn. Zugleich ſind die Gefäße des Hirns, des Rückenmarks, der Nerven an den Stellen, an welchen ſie aus dem Hirn entſpringen, und ebenſo die Gefäße der Hirn- häute mit Blut überfüllt. Die Anweſenheit des Wein— geiſtes und dieſe Anhäufung des Bluts im Hirn ſind die Urſachen des Rauſches. Auf ſtofflichen Einwirkungen, die das Gehirn er— leidet, beruht die auffallende Umſtimmung unſeres Gemüths und unſeres Urtheils nach der Einathmung des Luſtgaſes oder dem Genuß von Mohnſaft. Den Namen Luſtgas hat Davy dem Stickſtoff— oxydul ertheilt, weil es eingeathmet eine behagliche Empfindung erweckt, die in Berauſchung und zuletzt in Beſinnungsloſigkeit übergeht. Eine kleine Gabe Mohnſaft erzeugt bei einem ge— ſunden Manne Heiterkeit und ein erhöhtes Kraft— 272 gefühl, das ihm erleichtert, Schwierigkeiten zu über— winden. Kein anderer Körper bewirkt jedoch in ſo hohem Grade eine Sinnesänderung des Menſchen, wie der indiſche Hanf“). Aus ſeinen Blättern und Blüthen wird durch Abkochung und nachträgliches Eindampfen ein Dickſaft oder eine Art von Täfelchen bereitet, in welchen ein harzartiger Stoff enthalten iſt. Nach dem arabiſchen Namen des Hanfs wird dieſes Berauſchungs— mittel Haſchiſcha genannt. Es wird vorzugsweiſe geraucht und iſt im Oſten ſo berühmt wegen ſeiner anregenden, erheiternden Wirkung, daß es die Aſiaten durch allerlei Namen verherrlicht haben. Bald heißt es Freudenwecker, bald Sinnenreiz, bald Band der Freundſchaft. Auch Europäer, die es nur verſuchs— weiſe rauchten, empfanden ein unbeſchreibliches Wohl— behagen, eine ungemeine Heiterkeit, ſo daß an ſich unbedeutende Aeußerungen unwiderſtehlich zum Lachen reizten. Beim Ungewohnten bewirkt aber der Sinnen— reiz bald Sinnentaumel, ſo daß auch bei fortdauerndem Bewußtſein das Urtheil über Zeit und Raum ſich verwirrt, vor Kurzem geſchehene Dinge oder wenig *) Cannabis indica, botaniſch von Cannabis sativa L., dem gemeinen Hanf, nicht verſchieden oder höchſtens eine Abart deſſelben. Vgl. Leunis, Synopſis der Pflanzenkunde, 2. Aufl., Hannover 1877, S. 978. 273 entfernte Gegenſtände in unerreichbare Ferne gerückt ſcheinen. Geruch und Geſchmack entſchwinden oder empfinden in abweichender Weiſe. Auf die Verzückung kann Betäubung, auf dieſe Tollheit und Tobſucht folgen, die ſchließlich in eine große Abgeſpanntheit übergeht. Und leider hinterläßt dieſer Wechſel von Entzücken, Taumel, Verwirrung, Tollheit und Abſpannung ein Verlangen nach Wiederholung, die das Haſchiſchrauchen leicht zur Gewohnheit werden läßt, obgleich deſſen Gefährlichkeit allgemein bekannt iſt und Selbſtmord— verſuche im Haſchiſchrauſch nicht ſelten ſind. (J. Sachs, W. Preyer.“) Aber ebenſo wie offenbare ſtoffliche Veränderungen des Hirnes Thätigkeit beherrſchen, ſo greift auch die Verrichtung des Hirns durch die ſtofflichen Zuſtände des Körpers hindurch. Das Hirn und Rückenmark ſind im Grunde ge— nommen nichts Anderes, als mächtige Anſammlungen von Nervenfaſern, welche vielfach mit Nervenzellen zu— ſammenhängen. An verſchiedenen Orten vereinigen ſich die Nervenfaſern zu Bündeln und Strängen, welche von Hirn und Rückenmark gegen die Oberfläche des ) Vgl. W. Preyer, die fünf Sinne des Menſchen, Leipzig 1870, S. 70 73, Anmerkung 16, eine Schrift, die für Laien und Gelehrte gleich leſenswerth iſt. II. 18 274 Körpers und in die einzelnen Werkzeuge deſſelben aus— ſtrahlen. i Dieſe Bündel von Nervenfaſern, die eine größere oder geringere Menge von Bindegewebe umgiebt, ſind eben unſre Nerven. Auch ſie verhalten ſich in der Ruhe nach Funke's Unterſuchungen neutral, und in Folge erſchöpfender Thätigkeit werden ſie ſauer. Aber nicht bloß aus chemiſchem Geſichtspunkt findet man die Nerven in Folge ihrer Thätigkeit verändert. Es wurde ſchon früher mitgetheilt, daß es Valentin, Oehl und Schiff gelungen iſt, eine Wärmeerhöhung im gereizten Nerven wahrzunehmen“). Dem iſt nun hinzuzufügen, daß bei der Reizung im Nerven eine Elektricitätsentwicklung ſtattfindet. Zwar hat die Annahme eines in ruhenden Muskeln und Nerven vorausbeſtehenden elektriſchen Stroms den beharrlichen Unterſuchungen Hermann's weichen müſſen ““). Alle die Ströme, die man in ausgeſchnittenen Muskeln und Nerven während der Ruhe beobachtet hat, ſind die Folge einer Verletzung. An der verletzten Stelle beginnt das Abſterben. Die abſterbende Stelle aber verhält ) Siehe Bd. I, S. 331, 332. *) L. Hermann, die Ergebniſſe neuerer Unterſuchungen auf dem Gebiete der thieriſchen Elektricität, in Moleſchott's Unterſuchungen, Bd. XII., S. 118 — 121. — ey >... * 4 1 . u 2 * — x . 275 ſich negativ elektriſch gegen den ganzen übrigen Theil des Muskels oder Nerven, der noch nicht abgeſtorben iſt. Es entwickelt ſich durch das Abſterben ein Strom, der in den Muskeln und Nerven vom Querſchnitt zur Längsfläche gerichtet iſt. Der einzige Muskel, der ſich völlig unverletzt aus dem Thierkörper herausnehmen läßt, iſt der Herzmuskel, aber das Herz iſt nach Engelmann's Unterſuchungen ſtromlos. Wird nun ein herausgeſchnittener Nerve gereizt, dann findet man mit der von du Bois-Reymond und Matteucci ſo erfolgreich ausgebildeten Unter— ſuchungsweiſe, daß von der erregten Stelle ein elek— triſcher Strom im Nerven zu den nicht erregten Stellen gerichtet iſt. Die Erregung pflanzt ſich im Nerven wellenartig fort. Sind die zuerſt erregten Stellen den Nerven— heerden näher gelegen, dann muß ſomit zunächſt ein Strom geradläufig zur Endausbreitung des Nerven verlaufen, dann aber, wenn die Erregung hier ange— langt iſt, rückläufig von der Endausbreitung zum Nervenheerd. i Findet die Erregung am unverſehrten Nerven ſtatt, dann iſt bei einmaliger Reizung die Wirkung ſo flüchtig, daß man ſie bisher nicht nachzuweiſen vermochte, und reizt man in kurzer Zeit ſehr oft nach einander, z. B. II. 18% 276 mit elektriſchen Wechſelſtrömen ), dann begegnen ſich die rückläufigen und gradläufigen Ströme, um ſich gegenſeitig aufzuheben. (Hermann.) Streng genommen iſt alſo die Elektricitätsent— wicklung durch Reizung des unverſehrten Nerven im lebenden Körper nicht nachgewieſen. Für den Muskel dagegen iſt Hermann der betreffende Nachweis ge— lungen. Da nun ſonſt in allen Punkten das elektriſche Verhalten des Nerven dem des Muskels gleich oder im höchſten Grade ähnlich befunden worden, ſo darf man mit der größten Wahrſcheinlichkeit auch für den lebenden Nerven den Satz gelten laſſen, daß zwar der ruhende unverletzte Nerv ſtromlos iſt, im erregten Nerven dagegen ſich ein Strom entwickelt, der von der erregten Stelle nach den nicht erregten gerichtet iſt. Aber auch unabhängig von dem elektriſchen Strom, den die Erregung erzeugt, iſt eine ſtoffliche Aenderung von der Thätigkeit des Nerven unzertrennlich. An den Nerven haften die Vorgänge, welche eine Verkürzung der Muskelfaſern und dadurch Bewegung veranlaſſen. Die Nerven ſind ebenſo die Träger der Empfindung im thieriſchen Körper. Eindrücke, welche die Außenwelt auf unſere Sinne macht, werden als Empfindungen im weiteſten Sinne des Worts durch die Nerven und das Rückenmark zum Gehirn geleitet. ) Inductionsſtrömen. 277 In dem Gehirn kommen dieſe Eindrücke zum Bewußt— ſein. Reize, die den Nerven am Umkreis des Körpers treffen, werden erſt wahrgenommen, wenn ſie der Nerv bis zum Gehirn fortgeleitet hat. N Mit einem Worte: Die Nerven pflanzen ſtoffliche Veränderungen zum Gehirne fort, und dieſe ſtofflichen Veränderungen werden im Hirn zu Empfindungen. Verſchiedene Formen der Hirnthätigkeit ertheilen den verſchiedenen ſtofflichen Bewegungsvorgängen des Körpers ihr Gepräge. Gemüthsbewegungen beherrſchen den Durchmeſſer der feinſten Blutgefäße des Antlitzes. Wir er— blaſſen vor Schreck, weil die Gefäße der Wangen haut eine Verengerung erleiden, in deren Folge ſie weniger rothes Blut führen. Umgekehrt erweitern ſich die Blutgefäße des Geſichts, wenn wir glühen vor Zorn oder erröthen vor Scham. Wenn das Auge glänzt vor Freude, ſo iſt es praller mit Säften gefüllt. Von dem ſtärker gewölbten Aug— apfel, von dem ein größerer Abſchnitt aus der Augen— höhle hervorragt, wird mehr Licht zurückgeworfen; der Augapfel glänzt aus demſelben Grunde, der auch dem Kinderauge ſeinen lieblichen Glanz verleiht. In einer freudigen Erregung wird die Zahl der Pulsſchläge in der Minute vermehrt, während umge— kehrt ein plötzlicher und heftiger Schreck den Puls 278 verzögern, ja ſogar einen augenblicklichen Stillſtand des Herzens, eine Ohnmacht erzeugen kann. So verändern Gemüthsbewegungen die Milch der Mutter. Die Erinnerung an leckere Speiſen bedingt vermehrte Speichelabſonderung. Schon die Alten wußten es, daß die Leber bei leidenſchaftlichen Wallungen des Gemüths eine wichtige Rolle ſpielt. Aerger erzeugt Gallenergüſſe oder Verſtopfung der Gallengänge und in ihrer Folge Gelbſucht. Wehmuth, Schmerz, Freude, Mitleid vermehren die Abſonderung der Thränen. Und es hat ſchwerlich Jemand ſeine Jungfernrede gehalten, ohne daß ihm Regungen ſeiner Eingeweide die Aufregung ſeines Hirns als einen körperlichen Zuſtand fühlbar machten. Wenn alſo das Hirn in ſeiner Entwicklung der geiſtigen Fähigkeit vorbaut, wenn es nach Maaßgabe der Begabung größer wird, ſeine Stirnlappen wachſen, die Rinde ſich entfaltet und an Nervenzellen bereichert, wenn die Nervenzellen in demſelben Verhältniß viel— geſtaltiger und eigenartiger werden, ihre gegenſeitigen Beziehungen und Verbindungen ins Unabſehbare zu— nt) 279 nehmen; wenn im Einklang mit diefem Auf- und Aus— bau die ſtoffliche Miſchung verwickelter wird, der Fett— gehalt im Allgemeinen und der des Dotterfetts insbe— ſondere wächſt, während die Menge des Waſſers ab— nimmt; wenn es gerade die verwickeltſten, wandelbarſten Stoffe ſind, die im Hirn in mehrfachen Abarten auf— treten, deren Zerſetzung und Verbrennung verſchieden— artige und zahlreiche Kräfte wach ruft; wenn das Hirn, ſo wie es denkt, mehr Blut in Anſpruch nimmt, ſeine Miſchung verändert, und ſeine Regungen ſich in dem ganzen Stoffwechſel offenbaren, ſo daß Gedankenarbeit mit Wärmeentwicklung verbunden iſt, die Schlacken der Rückbildung vermehrt und ihren Auswurf ſteigert; wenn das Denken hungrig macht und das Hirn er— müdet; wenn Ruhe, Nahrung, neues Blut das Hirn zu neuer Denkarbeit befähigen: dann muß man allem Muth des Denkens entſagen oder Vorurtheilen huldigen, kirchlichen Offenbarungen ſchmeicheln, wenn man nicht einſtimmt in den Satz, daß das Gehirn das Werkzeug unjerer ſinnlichen Wahrnehmung und unjerer Gedankenarbeit iſt. Der Verſuch an Thieren hat die Erfahrung des Beobachters beſtätigt. Lurche und Vögel können Monate lang die Weg— nahme ihrer Großhirnballen überleben. Ein enthirnter Froſch verharrt Viertelſtunden lang 280 in derſelben Lage, bleibt auf dem Rande eines Beckens oder ſonſt in einer unbequemen Stellung ſitzen, bis eine Erſchütterung am Tiſche, ein ſtärkeres Geräuſch oder der Blutandrang zu einem herabhängenden Gliede als Reiz eine Bewegung auslöſt, an welchem das Bewußtſein keinen Theil hat. Der ſeines Großhirns beraubte Froſch ſucht niemals zu entfliehen. Er ſitzt Stunden lang auf einem Teller, ohne zu bemerken, daß ihn keine Glasglocke gefangen hält. Hat man Tauben des Großhirns beraubt, dann muß man ihnen die Nahrung in den Schnabel ſtecken, um ſie am Leben zu erhalten. Junge Hühner erfordern dieſe Hülfe nur in der erſten Zeit nach der Ent— hirnung; ſpäter picken ſie das Futter auf, unter der Bedingung, daß man es ihnen reichlich hinſtreut, ſo daß ſie, mit dem Schnabel darin herumfahrend, genug aufleſen können, offenbar ohne mit Bewußtſein darnach zu ſtreben oder zu wählen. Es fehlt den Thieren jeder Trieb zur Selbſt— beſtimmung. Auf jeden Reiz folgt jene Bewegung oder Kette von Bewegungen, welche in Folge der Uebertragung des Reizes empfindungvermittelnder Nervenfaſern auf beſtimmte Gruppen von Nervenzellen und von dieſen auf bewegungvermittelnde Nervenfaſern erzeugt wird. Aber es fehlt der Theil der Nervenheerde, in welchem r 281 dieſe Erregungsvorgänge zu einander in Beziehung gebracht, geregelt, verarbeitet werden, es fehlt der Theil des Hirns, in welchem eine Anzahl vorausgegangener Reize gewiſſermaßen aufgeſpeichert waren, welche die neu hinzukommenden hemmend oder fördernd aufnehmen und, wenn auch immerhin mit Nothwendigkeit, deren ſchließlichen Erfolg beſtimmen. Bei enthirnten Säugethieren bewirkt Lichtreiz Ver— engerung des Sehlochs. Bittere Stoffe, die man ihnen ins Maul bringt, bewirken Bewegungen der Zunge, Speichelabſonderung, Verziehung der Lippen, Oeffnen und Schließen des Maules, Kaubewegungen. Gekneipt ſchreien ſie, und läſtiges Ungeziefer veranlaßt ſie ſich zu kratzen. Bei einem heftigen Geräuſch fahren ſie zu— ſammen. (Longet, Schiff, Brücke.) Aber die Thiere ſehen und ſchauen nicht, ſie hören ohne zu horchen, ſie fühlen ohne zu taſten und ſchmecken ohne zu koſten. Ueber die unmittelbare Folge, welche die Reizung eines Gefühlsnerven in dem von ihm auf kürzeſtem Wege abhängigen Bewegungskreiſe hervorruft, reicht die Wirkung nicht hinaus. Die Taube, die einen Raubvogel ſchreien hört, rüttelt ſich, ohne zu fliehen. Säugethiere, denen man in den Schwanz kneipt, ſchreien, bewegen ſich ungeſtüm aber planlos, ſie machen einen Sprung ohne davon zu laufen. 282 Es fehlt die Beziehung der gereizten Empfindungs— heerde zu anderen fernerliegenden, oder es findet eine ſolche nur in der beſchränkten Weiſe ſtatt, welche durch eine Uebertragung in den erhaltenen Theilen der Nerven— heerde vermittelt ſein kann. Brücke glaubt an jungen Hühnern, bei denen er ſchon ſeit längerer Zeit das Großhirn entfernt hatte, und die wieder ohne un— mittelbare Hülfe zu freſſen begannen, beobachtet zu haben, daß ſie leichter veranlaßt wurden, die Körner aufzupicken, wenn er dieſe mit Geräuſch ihnen zuwarf, als wenn er ſie leiſe hinſchob *). Da aber der Gehörnerv durch das verlängerte Mark mit einem Theil ſeiner Faſern in das Kleinhirn eindringt und überdies im verlängerten Mark mit Nervenzellen zuſammenhängt, ſo würde es ſich hier nur um eine von den beſchränkten Uebertragungen handeln, zu welchen die erforderlichen Nervenbahnen noch erhalten waren. Es iſt deshalb auch nicht wunderbar, daß eine von Voit enthirnte Taube durch Zupfen am Schnabel dazu gereizt werden konnte, die Federn zu ſträuben, mit dem Schnabel um ſich zu hacken und zu gurren. Aber daſſelbe Thier wich weder einem Hinderniß aus, noch vermied es gefährliche Stellungen. Ein des Hirnes beraubtes Huhn läßt ſich wie ein ) Ernſt Brücke, Vorleſungen über Phyſiologie, Bd. II, Wien 1876, S. 54. r 283 Falke auf der Hand herumtragen, ohne herabzuflattern. Nur wenn man es unzart anfaßt, macht es unſichere Bewegungen und fliegt unbeholfen zu Boden. Furcht, Muth, Entſchloſſenheit ſind den Thieren abhanden gekommen. Im Anfang pflegen die Vogel ruhig da zu ſitzen, halten den Kopf unter einem Flügel, oft ſo ſtill, daß man ſie für ausgeſtopfte Vögel halten könnte. Wirft man einen ſolchen Vogel in die Luft, dann läßt er ſich nach kurzem Flattern an irgend einer Stelle nieder, oft an einem ſehr unſicheren Ort, und bleibt da wiederum regungslos ſitzen. Nach einiger Zeit pflegen die Thiere leichter Bewegungen vorzu— nehmen, zu denen ſie durch innere, nicht offenkundige Reize getrieben werden. Plan und Regel gehen dieſen Bewegungen immer ab. Mit den Großhirnballen verlieren die einzelnen Thierarten ihre hervorragendſten Charakterzüge. Ein Hund kennt weder ſeinen Herrn noch Fremde, für jenen hat er keine Liebkoſung mehr, gegen dieſen keine Wachſamkeit. Die unbändigſte Katze wird gezähmt, Maulwürfe wühlen nicht mehr in der Erde, Eich— hörnchen haben ihre muthwillige Lebhaftigkeit eingebüßt. Ein Täuber mit ſamenreichen Hoden wird gleichgültig gegen das Weibchen ). ) Vgl. Valentin, Lehrbuch der Phyſiologie des Menſchen, Bd. II, Abth. 2, Braunſchweig 1848, S. 560. 284 Nach Flourens' Verſuchen geht das Bewußtſein nicht ſtückweiſe verloren, wenn das Hirn in Schichten abgetragen wird. Wenn das Meſſer bis auf eine gewiſſe Tiefe eingedrungen, iſt das Bewußtſein und jede Verarbeitung der ſinnlichen Eindrücke mit Einem Schlage vernichtet. Dennoch haben Bouillaud's Verſuche ſchon im Jahre 1830 gezeigt, daß eine tiefe Verletzung oder Zerſtörung des Vordertheils der beiden Großhirnballen einen großen Theil der Folgen bewirkt, den Flourens an die vollſtändige Abtragung der Halbkugeln ge— knüpft ſah. Ein weſentlicher Unterſchied ergab ſich darin, daß Bouillaud die Riechlappen und ihre Verbindung mit den Großhirnballen ſchonte, während Flourens ſie ganz und gar ausrottete. Im letzteren Falle konnte natürlich von einer Geruchsempfindung nicht mehr die Rede ſein, während Bouillaud's Hunde, Kaninchen, Tauben und Hühner nicht blos fühlten, hörten, ſahen, ſondern auch noch Riechſtoffe empfanden. Aber auch dieſe Thiere, die nur eine beſchränkte Verletzung ihres Vorderhirns erlitten, erkannten ihre Umgebung nicht mehr, gaben kein Zeichen von Ueberlegung und Entſchluß, ſie waren gleichgültig gegen Liebkoſung und Strafe, hatten alles Gedächtniß für frühere Beziehungen ver— loren. Und doch verrieth ſich der minder weit gehende * 285 Eingriff durch Regungen von Ungeduld und Schrecken, ja, nach Bouilläud's Angabe ſchienen ſich die Thiere über ihre Lage zu verwundern n). Ihr Bewußt— ſein war alſo in hohem Grade geſchwächt, ſie konnten aber nicht für ganz bewußtlos gelten. / Man hat enthirnte Vögel länger als ein Jahr am Leben erhalten. Die Bildung des Bluts und der Gewebe bleibt möglich. Säugethiere jedoch gehen wenige Stunden nach Ausrottung der Großhirnballen zu Grunde. Alle Thiere gleichen ſich aber darin, daß man ihnen mit dem Hirn zugleich ihren Geiſt und ihr Gemüth ausſchneidet. Mit dem Organ wird deſſen Verrichtung vernichtet, obgleich das Leben kürzer oder länger den Eingriff überdauert. Ebenſo iſt in allen Fällen von Geiſteskrankheit das Hirn krank, wenn auch eine grobe Entartung ſich nicht immer dem unbewaffneten Auge offenbart. Das Hirn kann krank ſein, weil es von krankem Blut geſpeiſt wird, ohne daß ſich an irgend einer Stelle eine Blutanhäufung, wäſſerige Ergüſſe, Ent⸗ zündung oder Geſchwülſte erkennen laſſen. In vielen Fällen hat man die krankhafte Ver— änderung in den feinſten Beſtandtheilen des Hirns, wenn ſie bei hinlänglicher Vergrößerung unterſucht *) Ugl. Longet, a. a. O. III, p. 445, 446. 286 wurden, unmittelbar erkannt. So fand man in den Nervenzellen der Hirnrinde von Menſchen, die im Typhus oder in der Cholera an raſendem Irrwahn gelitten hatten, eine Anhäufung von dunklen Farbſtoff⸗ körnchen, im Blödſinn die Menge des Bindegewebes im Hirn vermehrt und erhärtet, und in Folge deſſen die eigenthümlichen Beſtandtheile des Nervengewebes, die Nervenzellen und Nervenfaſern verkümmert. Es hat aber nicht die mindeſte Beweiskraft, daß man nicht immer bei Geiſteskranken eine ſtoffliche Ent artung des Gehirns hat nachweiſen können. Das ſpricht ſo wenig gegen das unauflösliche Band zwiſchen Hirn und Gedankenthätigkeit, wie es gegen die Geſetze der Schwere ſpricht, daß Hunderte von Naturforſchern nie den Lauf der Sterne beobachtet haben. Einer chemiſchen Unterſuchung hat man das Gehirn von Irren bisher nur ſelten unterworfen. Und man muß ſich daran erinnern, wie zuſammengeſetzt und verwickelt der Bau des Gehirnes iſt, man muß bedenken, daß wir nur wenig über eine geographiſche Eintheilung des Hirns in benannte Bezirke hinausgekommen ſind, um ein= zuſehen, daß entweder mehr Kenntniſſe, oder mehr Zeit und Mühe dazu gehören, als gewöhnlich auf eine Leichenöffnung verwandt werden, um in irgend einem Fall behaupten zu dürfen, das Gehirn eines Geiſtes— kranken ſei in ſeinem Bau und ſeiner Miſchung un⸗ 287 verjehrt geweſen. Die Unterſuchungen von Bibra's haben gezeigt, daß es nicht genügt, die Menge des Fetts, des Waſſers und der feſten Theile des Gehirns und einzelner Hirntheile zu wägen, um die Eigenthümlichkeit der Miſchung in dem Gehirn von Geiſteskranken zu erkennen. Dazu iſt eine mehr ins Einzelne gehende Forſchung erforderlich, welche das Hirn in ſeine beſonderen Theile zerlegt und in dieſen Theilen die ſämmtlichen Beſtandtheile berück— ſichtigt. Die Miſchung verhält ſich zu Form und Kraft, wie die nothwendige und Alles bedingende Grundlage der Erſcheinungen im Organismus. Aber darin liegt das eigenthümliche Verhältniß dieſes Satzes zu einer großen Anzahl unſerer Zeitgenoſſen, daß ihnen ent— weder die Klarheit fehlt oder der Muth, die letzten Folgerungen deſſelben ohne Scheu und ohne Rückſicht anzuerkennen. Wie viele luſtige Geſellen haben ſchon begeiſtert in den bibliſchen Ausruf eingeſtimmt: Der Wein erfreut des Menſchen Herz! Und wie oft hört man es von Frauen, von Künſtlern und Gelehrten, daß ihr Geiſt morgens erſt wach und friſch zum 288 Schaffen iſt, wenn jie ihren Kaffee genoſſen haben. Aber der luſtige Geſell, die Frau, der Künſtler und namentlich der Gelehrte erſchrecken in der Regel, ſo wie man jene Erſcheinung in einen allgemeinen Satz, einkleidet, ja, ſie möchten gern der Macht ihrer eigenen Beobachtung ausweichen, wenn ſie ahnen, daß ſie ſelbſt das Hülfsmittel liefern müſſen, um den Geiſt als Eigenſchaft des Stoffes zu erweiſen. Der Beobachtung kann man jedoch nicht entfliehen. Die Thatſache herrſcht. Sinnliche Eindrücke bedingen die Stimmungs— zuſtände des Gehirns. Ich habe es in dem zweiten Abſchnitt dieſes Buches entwickelt, daß wir außer den Verhältniſſen der Körperwelt zu unſeren Sinnen nichts aufzufaſſen vermögen. Alle Erkenntniß iſt ſinnlich. Angeborene Anſchauungen giebt es nicht. Die Einheit der Auffaſſung des Dinges für uns und des Dinges an ſich iſt nicht darin begründet, daß das Weſen der Dinge und die Geſetze, nach welchen es ſich entfaltet, in einem vom Stoff unabhängigen Geiſte vorgebildet ſind. Jene Einheit beſteht vielmehr dadurch, daß es überhaupt nur Eine Auffaſſung giebt, nämlich die Auffaſſung des Dinges wie es für uns iſt. Wir faſſen nichts auf als Eindrücke der Körper auf unſere Sinne. An ſich beſtehen die Dinge nur durch ihre Eigenſchaften. Ihre Eigenſchaften ſind aber 289 Verhältniſſe zu unſeren Sinnen. Und dieſe Verhält- niſſe ſind weſentliche Merkmale. Man erinnere ſich doch der größten, der wichtigſten Entdeckungen aller Zeiten, auf dem Gebiet der Wiſſen⸗ ſchaft, der Kunſt, des Gewerbes. Immer war es ce ſinnliche Beobachtung, die zu allem den Anſtoß gab. Es fällt ein in Holz geſchnitzter Buchſtabe in den Sand, und die Buchdruckerkunſt iſt erfunden. Galilei ſah in dem Dom zu Piſa eine Lampe ſchwingen und folgte der Erſcheinung jo beharrlich, daß ſie ihm die Pendel— geſetze offenbarte. Newton liegt behaglich ſinnend in ſeinem Garten, ein Apfel fällt vom Baum: die Entdeckung des Geſetzes der Schwere iſt geſichert. Und dieſer Fall wiederholt ſich überall, auch wenn mit der Entdeckung ein neuer Begriff, und nicht bloß die An⸗ wendung bekannter Gedanken gegeben iſt. Biot ſagt vortrefflich: „Die Mathematiker haben eine vollſtändige Kenntniß des Kreiſes, obgleich ihnen weder die Natur, noch die Kunſt jemals eine voll- kommene Kreislinie gezeigt haben““). Die Behaup⸗ tung iſt durchaus richtig. Aber ebenſo gewiß ſteht es feſt, daß der Menſch die Eigenſchaften des Kreiſes nur durch eine, wenn auch unvollkommene Kreislinie im 10 Bist; 9 Rendus, T. XXXIII, p. 557. „C'est ainsi que jos géomètres ont une notion parfaite du cercle, quoique la nature ni 4 ne leur aient jamais présenté de cercle parfait.“ 11719 290 Sande, nur durch ein finnliches Wahrzeichen ent- decken konnte. Sagt man nun, daß die Sinne niemals das Weſen der Dinge erfaſſen können, ſo liegt das nur an der unklaren Vorſtellung vom Weſen der Dinge, in der ſich ſo viele Beſpiegelungsſüchtige gefallen. Die Idealiſten mögen ſich damit beſchäftigen, das Weſen der Dinge mit einer hochtönenden Phraſe zu verdun— keln. Dem Naturforſcher ſollte es klar ſein, daß das Weſen eines Dinges nichts Anderes vorſtellt als die Summe ſeiner Eigenſchaften. Jede Eigenſchaft iſt ein Verhältniß zu den Sinnen. Aber jeder ſinnliche Eindruck iſt eine Bewegungs⸗ erſcheinung, die ſich dem Stoff unſerer Sinnesnerven mittheilt. Der Aether und die feſten Theilchen eines Körpers ſchwingen, und es entſteht ein Lichtbild im Auge. Schwingungen einer Luftſäule, einer Saite, eines geſpannten Felles erzeugen den Schall. Wir riechen nur diejenigen Stoffe, welche in flüchtigem Zuſtande den feinſten Ausbreitungen des Geruchsnerven entlang bewegt werden. Die Bewegung gelöſter Stoffe wirkt auf den Geſchmacksnerven. Druck, Rauhigkeit, Härte, Wärme, Kälte ſind ebenſo viele Zuſtände des Stoffs, die den Taſtnerven nur vermittelſt der Bewegung zur Wahrnehmung kommen. 291 Mit dieſer Erinnerung iſt einer der verbreitetſten Irrthümer widerlegt, als wenn die Einwirkung auf die höheren Sinne, auf Ohr und Auge, eine unſtoff— liche wäre. In ähnlicher Weiſe wie das elektriſche e gereizter Empfindungsnerven hat eine chemiſche Eigen— thümlichkeit der Netzhaut des Auges die Thatſache, daß jede Empfindung von einem ſtofflichen Vorgang begleitet iſt, in augenfälliger Weiſe erwieſen. Es findet ſich nämlich in der Netzhaut der Wirbelthiere ein purpurner Farbſtoff, der ſich in ihr anhäuft, wenn das Auge im Dunkeln weilt, dagegen in kurzer Zeit erbleicht, wenn das Auge dem Lichte ausgeſetzt wird, um ſich im Dunkeln immer raſch wieder zu erzeugen. Der Farbſtoff, welcher kurzweg Netzhautpurpur genannt wird, befindet ſich nicht in allen Schichten der Netzhaut, ſondern nur in einer ihrer Außenfläche naheliegenden, der ſogenannten Stäbchenſchicht. In dieſer Stäbchenſchicht gehört ſie aber nur den Außen— gliedern der echten Stäbchen an, nicht den etwas ab— weichend geſtalteten Zapfen, welche für das Sehen ohne Zweifel die wichtigeren Formbeſtandtheile ſind, weil ſie in dem gelben Fleck der Netzhaut, das heißt in der Gegend des deutlichſten Sehens allein, ohne Beimiſchung von Stäbchen, vorkommen. II. 19* 7 292 Dieſe im Jahre 1876 von Franz Boll in Rom verallgemeinerte Thatſache iſt ſeitdem von Wilhelm Kühne in Heidelberg nach allen Richtungen, chemiſch, phyſikaliſch, phyſiologiſch, mit gewohnter Meiſterſchaft durchforſcht worden. Wir wiſſen nun durch ſeine Bemühungen, daß man durch kurz dauernde Belichtung auf dem Augengrund wahre Lichtbilder eines vor dem Auge befindlichen Gegenſtandes erhalten kann, die in— ſofern den poſitiven Lichtbildern der Photographen zu vergleichen ſind, als den hellen Stellen des Leucht— körpers auf der Netzhaut verblaßte, den dunklen Stellen dagegen purpurfarbig gebliebene entſprechen “). Es iſt dies eine der unmittelbarſten Beobach— tungen, durch die es dargethan wird, daß das Licht auch in den Stoffwechſel der Thiere mächtig eingreift, und dies bei einer der höchſten Sinnesverrichtungen, da die Netzhaut beim Sehen belichtet wird und bei der Belichtung bleicht. Trotzdem iſt es nicht richtig von Sehpurpur zu ſprechen, da in den vorhin erwähnten Zapfen kein Purpur enthalten iſt und auch im Licht gebleichte Netzhäute ihre Verrichtung nicht einſtellen. Es iſt nur eine äußerſt bezeichnende Thatſache, daß die Be— *) Vgl. namentlich W. Kühne, chemiſche Vorgänge in der Netzhaut, in L. Hermann's Handbuch der Phyſiologie, Bd. III, erſter Theil, S. 235 u. folg. Leipzig 1879. 293 leuchtung der Netzhaut mit einem nachweisbar che— miſchen Vorgang verknüpft iſt, ganz ſo wie es die Kenntniß der Lebensvorgänge erwarten ließ. Aber es handelt ſich beim Sehen nicht bloß um Bewegung der Atome, ſondern auch um eine Ve— wegung ſichtbar abgeſonderter Theilchen. Und es wäre fehlerhaft, wenn man dieſe letzteren als kleinſte Theil— chen bezeichnen wollte, da die größten, eine wohlaus⸗ geprägte Kryſtallgeſtalt beſitzend, als rhombiſche Tafeln und Prismen auftreten und zwei Drittel des Durch— meſſers eines menſchlichen Blutkörperchens erreichen, während die kleinſten auf den Durchmeſſer herabſinken, der den allerfeinſten Formbeſtandtheilen unſeres Körpers eignet. Mit anderen Worten, der Durchmeſſer der beim Sehen ſich bewegenden Theilchen ſchwankt zwiſchen einem und fünf Tauſendſteln eines Millimeters. (Ro- ſow und Friſch.) Mit der Bewegung dieſer Theilchen hat es aber folgende Bewandtniß. Nach außen von der Stäbchenſchicht der Netzhaut findet ſich eine Lage von Zellen, welche die ſoeben erwähnten, durch ihre dunkelbraune Farbe auffallenden Körnchen und meßbaren Prismen enthalten. Daß dieſe äußerſte Zellenſchicht, welche durch die dunkel— braunen Körperchen geradezu geſchwärzt wird, der Netzhaut angehört, das hatte Kölliker durch entwick— 294 lungsgeſchichtliche Studien nachgewieſen zu einer Zeit, als man von ihrem nahen Zuſammenhang mit der Netzhautverrichtung noch keine Ahnung hatte. Und wie die wiſſenſchaftliche Erkenntniß nicht ſprungweiſe fortſchreitet, ſondern immer nur die Frucht allmäliger Entwicklung iſt, ſo mußte auch die hier zu berückſich— tigende noch durch andere wichtige Thatſachen angebahnt werden. | Bis in die ſechziger Jahre kannte man die in Rede ſtehenden Farbſtoffzellen“) nur als ſechsſeitige Körperchen, die außer den braunen Farbſtoffkörnchen einen weißen Kern enthalten, in welchen der Farbſtoff niemals eindringt. Von beſonderen Fortſätzen an dieſen Zellen wußte man nichts. Es war Maxi— milian Schultze, der unſren das Kleinſte umfaſſen— den Geſichtskreis ſo vielfach erweitert hat, vorbehalten, an der der Stäbchenſchicht zugewandten Fläche dieſer Zellen lange Franzen zu entdecken, deren einzelne Glieder ſich zwiſchen die Stäbchen und Zapfen der Stäbchenſchicht einſenken und dieſe innig umgeben. In Folge ſpäterer Unterſuchungen von Kuhnt, Angelucci und Kühne beſtehen die Farbſtoffzellen, vom äußeren Rande nach dem Binnenrande der äußer— ſten Netzhautlage hin, aus einem farbloſen Randtheil, dem gebräunten oder geſchwärzten Mittelſtück und den ) Pigmentzellen. 295 Fortſätzen, welche das Binnenende der Zellen darſtellen. Der Randtheil beſteht aus Keimſtoff und wird der Geſtalt nach mit einer Kuppel verglichen. An ſeiner Grenze gegen das Mittelſtück findet ſich der farbloſe Kern. g Das Mittelſtück iſt nicht ein ununterbrochenes Ganze, ſondern durch die in ſeinen Leib hineinragen— den Zapfen und Stäbchen der Stäbchenſchicht unter— brochen“). Dieſes Mittelſtück iſt aber der Hauptſitz der Farbſtoffkörnchen. Wie die Kuppel, ſo beſtehen auch die Fortſätze aus zuſammenziehungsfähigem Keimſtoff, was zuerſt von Czerny angedeutet wurde. Und wie die Kuppel, ſo iſt auch bie Grundlage dieſer Binnenfortſätze farblos. Aber die Farbſtoffkörnchen aus dem Leib der Zellen können in die Fortſätze eindringen, und ſie wandern um ſo zahlreicher in dieſelben ein, je mehr das Auge dem Lichte ausgeſetzt wird. (Kühne.) Fröſche, die man etwas über eine Stunde im Dunkeln gehalten hat, beſitzen ſehr viel Farbſtoff— körnchen im Zellenleib, aber von hier aus breiten ſich dieſelben nur in die Wurzel der Fortſätze bis zu etwa einem Drittel ihrer Länge aus. Waren dagegen die Fröſche auch nur eine Viertel— *) Kühne in Hermann's Handbuch der Phyſiologie, Bd. III, Theil I. Leipzig 1879, S. 242. 1 APR ‚ Rn are 296 ſtunde im Licht gehalten, dann hat ſich der Bellen- leib eines Theils ſeines dunklen Inhalts entleert, und die Farbſtoffkörnchen haben ſich bis an das Binnen- ende der Fortſätze ausgebreitet, ſo daß ſie nunmehr in Geſtalt eines dunklen Mantels die Stäbchen und Zapfen in ihrer ganzen Länge umgeben. Dieſe von Kühne und Angelucci*) aufs Ge— naueſte beſchriebenen Vorgänge ſind auch von mir mit Battiſtini und Bocci im phyſiologiſchen Labo— ratorium der Univerſität zu Rom beobachtet worden, und es iſt als ſicher ausgemacht zu betrachten, daß das ſogenannte Augenſchwarz“ ) in Geſtalt von Körn⸗ chen und Prismen aus dem Jellenleib in die Yort- ſätze, welche die Stäbchen und Zapfen umgeben, bis an deren Ende vorwandert, wenn das Auge Lichtein- drücke erhält, alſo ſieht, und daß es ſich in den Zellen⸗ leib zurückzieht, wenn das Auge im Dunkeln weilt, alſo ruht. Alſo ſtoffliche Veränderungen im Bereiche der Netzhaut begleiten das Sehen, Bewegungserſcheinungen, die nicht bloß in unmeßbar kleiner, ſondern auch in meßbarer Entfernung vor ſich gehen, chemiſche Um— lagerung der Atome und phyſiſche Molecularbewe— ) Vgl. Arnoldo Angelucci, Ricerche istologiche sull’ epitelio retinico dei vertebrati. Firenze, Roma, Torino 1878, p. 12, 13. *) Melanin der Autoren, Fuſein von Kühne. . r 297 gung, Stoff- und Formenwechſel. Man könnte ſagen: man ſieht das Sehen. „Daß die Bewegung des Lichtäthers in der Netz— haut in chemiſche Proceſſe übergehe“, jagt Kühne“) in einer jener Abhandlungen, die Licht aus 99 Füllhorn locken, aber ich erinnere mich noch des freund— lich ſpöttiſchen Lächelns, mit welchem ein angeſehener Arzt eine bezügliche Aeußerung in einem vor dreißig Jahren von mir in Mainz gehaltenen Vortrag auf— nahm. Ich ſelber ahnte damals nicht, wie bald das «ignorabimus» jenes geiſtvollen, gelehrten und vor— urtheilsfreien Arztes in Licht zerfließen würde. Gehen wir denn unbeirrt weiter. Wir ſehen ein farbiges Bild. Die Nervenhaut des Auges empfängt den Eindruck der Lichtwellen. Daraus erwachſen in uns gewiſſe Vorſtellungen. Wir üben uns im Schauen von Kunſtwerken und wir ge— langen zum Ideal des Schönen. Das Schöne iſt kein feſter und fertiger Begriff, den das Hirn des Menſchen mit auf die Welt bringt. Das Schöne läßt ſich nicht erdenken, es läßt ſich nur finden. Und gefunden wird es eben nur von den Kunſtrichtern, die nach Winckel— mann's Beiſpiel das Kunſtwerk hegen mit den ) W. Kühne, über den Sehpurpur. Unterſuchungen aus dem phyſiologiſchen Inſtitute der Univerſität Heidelberg, Heidel— berg 1877, S. 4. b 298 Sinnen, wie der Naturforscher die Pflanze oder das Thier, deſſen Weſen er ergründen, deſſen Eigenſchaften er umfaſſen möchte. Das Wort berührt uns ſinnlich. Wenn das Ohr geöffnet iſt, ſo ſind wir unter der Macht des Wortes, gleichviel ob es uns überredet oder zum Widerſpruch reizt. Das Wort wird allmächtig, wenn die Rede klar gegliedert an unſern Bildungsſtandpunkt anknüpft, ſo daß es nicht an der Uebung fehlt, um den Zuſammen— hang der Worte aufzufaſſen. Uebung aber iſt dazu ebenſo unerläßlich, wie zur Unterſcheidung der Töne in einem Klange, zum Feſthalten einer Geſangsweiſe, zum Belauſchen der Rolle Einer Stimme oder Eines Inſtruments in einem Chor, in einer Symphonie. Unſere Stimmung wird vom Tonkünſtler durch richtig gewählte Gegenſätze beherrſcht. Iſt die Empfäng- lichkeit ſchon vorher erhöht, ſo kann uns die Gewalt einer Tonſchöpfung bis zu Thränen hinreißen. Die Stimmung des Hirns, die durch die Erregung der Hörnerven erzeugt wurde, ſpiegelt ſich wieder in anderen ſtofflichen Zuſtänden des Körpers. Wer wüßte es nicht, daß Gerüche Erinnerungen erwecken? Die Tafelfreuden bezeichnen ganz mit Recht den Antheil, den man auch dem Geſchmacksſinn an unſerer Stimmung zuſchreiben muß und der bisweilen eine, freilich dürftige, Entſchädigung bietet für die 299 Langeweile, die ein großes Gaſtmahl je nach der Ge— ſellſchaft mit ſich führen kann. Wenn Ohr und Auge darben müſſen, wird die Zunge um ſo thätiger und folglich um jo größer der Einfluß, den fie auf unfer, Wohlbehagen ausübt. Taſteindrücke erwecken Wollwit und Begierden. Ohne Ausnahme beruhen die ſinnlichen Eindrücke und die von denſelben abhängigen Zuſtände des Ge— hirns auf Bewegungserſcheinungen des Stoffs, die ſich auf die Sinnesnerven übertragen. Unſer Urtheil iſt ein ſinnliches. Es iſt auf ſinn⸗ liche Beobachtung geſtützt. Weil alle Dinge überhaupt nur ſind durch ihre Verhältniſſe zu einander, ſo iſt auch der Eindruck, den ein Gegenſtand auf unſre Sinneswerkzeuge macht, ein weſentliches Merkmal des Gegenſtandes. Dadurch iſt die Möglichkeit der Sinnestäuſchungen nicht ausgeſchloſſen. Das Weſentliche liegt nur darin, daß es zunächſt nicht der Verſtand iſt, ſondern wieder— um ein Sinneswerkzeug, eine andere ſinnliche Be— obachtung, welche die Sinnestäuſchung berichtigt. Ich ſehe die Luft nicht, ich ſehe nicht ihren Sauer— ſtoff, ihren Waſſerdampf, ihre Kohlenſäure. Der Laie kann hiernach zweifeln an der Körperlichkeit der Luft, an dem leibhaftigen Beſtehen von Sauerſtoff, Waſſer und Kohlenſäure in derſelben. Aber das Eiſen roſtet, WET De 5 Bi 300 wenn es feuchter Luft ausgeſetzt wird. Es verbindet ſich mit Sauerſtoff und Waſſer, und es wird dabei um ebenſoviel ſchwerer, als das Gewicht des auf— genommenen Sauerſtoffs und Waſſers beträgt. Der Eiſenroſt beweiſt dem Auge das Vorhandenſein von Sauerſtoff und Waſſer in der Luft. Jedermann weiß, daß Kochſalz an der Luft feucht wird. Und ein ſehr einfacher chemiſcher Verſuch zeigt, daß die Luft durch ihre Kohlenſäure Kalkwaſſer trübt. Das Kalkwaſſer nimmt um das Gewicht der Kohlenſäure an Schwere zu. Kohlenſaurer Kalk fällt zu Boden. Zu allem dieſem kommt noch, daß die Luft durch ihre Schwere einer Queckſilberſäule das Gleichgewicht hält, deren Höhe am Meere durchſchnittlich 760 Millimeter beträgt. Waſſer bricht die Lichtſtrahlen anders als Luft. Wenn ich in eine Taſſe einen Kreuzer lege und mich von der Taſſe ſo weit entferne, daß ich eben aufhöre, den Kreuzer zu ſehen, weil ihn die hohe Wand der Taſſe verdeckt, dann wird er mir auf der Stelle wieder ſichtbar, wenn ich die Taſſe mit Waſſer fülle, weil das Waſſer die Lichtſtrahlen ſtärker bricht als die Luft. Hätte ich von Anfang an ſo weit geſtanden, daß ich den Kreuzer in der Taſſe nicht ſehen konnte, ſo hätte nimmermehr eine angeborne Anſchauung mich dazu geführt, die Anweſenheit des Kreuzers zu errathen. Auch die Brechung des Lichts hätte das Hirn nicht | 1% 301 erdacht. Durch Waſſer wird der Kreuzer ſichtbar. Dieſe oder ähnliche Beobachtungen führten zu der Ent— deckung der gebrochenen Lichtſtrahlen. Zwei Reihen von Bäumen, die überall gleich weit, von einander gepflanzt ſind, die Schienen einer Eisen“ bahn ſcheinen in großer Entfernung zuſammenzulaufen. Wir beurtheilen die Größe eines Gegenſtandes, in dem gegebenen Falle die Entfernung, nach der Größe des Winkels, den zwei Linien mit einander bilden, welche von den äußerſten Grenzen des Leuchtkörpers nach dem optiſchen Mittelpunkt des Auges gezogen werden. Wenn der Körper, den wir ſehen, gleich groß bleibt, dann wird natürlich dieſer Winkel, den man Geſichts⸗ winkel nennt, um ſo kleiner, je ferner uns der Gegen— ſtand entrückt ift. Darum ſcheint in einem langen Saal an dem unſrem Standpunkt entgegengeſetzten Ende die Decke ſich zu ſenken, der Fußboden ſich zu heben. Ein Bergpfad, aus der Ferne betrachtet, macht einen ſteileren Eindruck. Hohe Thürme ſcheinen ſich dem Beobachter, der an ihrem Fuß ſteht, zu neigen. Und die Kunſt hat es weidlich verſtanden, aus den geſetzlich bedingten Täuſchungen unſrer Sinne Vortheil zu ziehen. Zunächſt beruht ja die ganze Lehre der Perſpektive und ihrer Anwendung auf der Berück— ſichtigung der naturnothwendigen Form und Schranken unſeres ſinnlichen Urtheils. Aber nicht bloß die Zeichen— 302 kunſt macht ſich dieſe Verhältniſſe zu Nutzen. In Santa Maria Novella, jener Lieblingskirche Michel Angelo's in Florenz, iſt das Ende des Seitenſchiffs ſchmäler gehalten als ſein Anfang, damit es den Ein— druck größerer Länge mache. Und die große Treppe im Vatikan ſoll gewaltiger aufſteigen zu dem Prieſter, der da wähnt er ſei Gottes Stellvertreter auf Erden, indem die oberen Stufen ſchmäler gebaut ſind als die unteren. Die „fromme Täuſchung“ verſchmäht es nicht, die Wiſſenſchaft in ihren Dienſt zu nehmen. Daß aber die Bäume und die Schienen der Eiſen— bahn in weiter Ferne ebenſo weit aus einander ſind, wie in nächſter Nähe, daß der Saal überall gleich hoch, der Bergpfad minder ſteil, der Thurm nicht ſchief ge— neigt iſt, das ſind alles Thatſachen, die wir nur durch Beobachtung erfahren konnten, wenn wir ſie auch immerhin, nachdem die Beobachtung einmal gemacht und durch häufige Wiederholung verallgemeinert war, in neuen Fällen ohne Weiteres erſchließen. So lernt das Kind Entfernungen nur durch vieles Greifen und Taſten beurtheilen. Ebenſo unſicher er— kennt es anfangs die Richtung des Schalles. Und wie viel Uebung erheiſcht es ſpäter, wenn wir die feinere Unterſcheidung von Tönen, von Farben und Maßverhältniſſen erlernen ſollen. Der eine Sinn ergänzt und berichtigt den anderen. 303 Wenn wir ſchon einige Gläſer Wein geleert haben, ſind wir mit verbundenen Augen nicht mehr im Stande, rothen und weißen Wein mit Sicherheit zu unterſcheiden. Mit ſehenden Augen nimmt die Zunge den Unterſchied deutlich wahr. Aus der Verbindung der ſinnlichen Wahrnehmungen, aus der gegenſeitigen Ergänzung der Sinne, aus Be— obachtungen, die unter verſchiedenen Verhältniſſen, mit mannigfaltigen Hülfsmitteln angeſtellt werden, und vor Allem aus der Uebung der Sinne geht das richtige Urtheil hervor. Eine. vollkommene ſinnliche Wahr— nehmung iſt ein Erfaſſen der Summe aller Eigen- ſchaften mit vollkommen geübten, entwickelten Sinnen. Die Summe aller Eigenſchaften iſt das Weſen des Dings. Die einzelnen Eigenſchaften eines Körpers ſind jedoch nicht unabhängig von einander. Jede einzelne Eigenſchaft iſt vielmehr durch alle anderen mit Noth- wendigkeit bedingt. Wir haben dies bereits für das gegenſeitige Verhältniß von Miſchung, Form und Kraft geſehen. Wegen dieſer nothwendigen Verbindung der Eigen— ſchaften, deren Summe den einzelnen Körper bezeichnet, gelingt es uns, für die Dinge der Außenwelt einen allgemeinen Ausdruck von beſtimmtem Inhalt zu finden. So giebt es einen Körper, der in Waſſer löslich iſt, ſich mit Säuren zu Salzen verbindet, die faſt alle vom 304 Waſſer aufgelöft werden, mit Platinchlorid einen gelben, mit Weinſäure einen weißen kryſtalliniſchen Nieder— ſchlag hervorbringt, der Flamme des Alkohols eine violette Farbe ertheilt. Die Summe dieſer und vieler anderer Eigenſchaften nennt der Chemiker Kali. Er erhebt ſich durch dieſe Bezeichnung zu einem allgemeinen Begriff, der ihn ohne Weiteres an eine ganze Reihe von einzelnen Beobachtungen erinnert. Hierher gehört die ganze Thätigkeit des beſchreiben⸗ den Naturforſchers. Wir begegnen zum Beiſpiel zwei Thieren, die in allen Merkmalen mit einander über— einſtimmen, aber durch Eine minder augenfällige Eigenſchaft von einander abweichen. Daraus macht man zwei Arten. Man kennt ein indiſches und ein javaniſches Nashorn, beide dadurch ausgezeichnet, daß ſie nur Ein Horn haben auf der Haut, welche das Naſenbein bedeckt. Aber das indiſche Nashorn hat eine glatte Haut, während die der javaniſchen Art mit kurzen Höckern bedeckt iſt. Wegen jener Ueber- einſtimmung in den übrigen Eigenſchaften vereinigt man beide Arten in Eine Gattung. Der Gattungs— begriff iſt in dieſem Falle die Summe einer gewiſſen Anzahl von Beobachtungen, die, von der Haut ab— ſehend, auf die Zehen, die Zähne, die Auswüchſe an der Naſe Rückſicht nehmen und in dieſen Gebilden eine allgemeine Uebereinſtimmung der Eigenſchaften 305 ergeben. Mit dem Tapir und dem Klippdachs hat das Nashorn unter Anderem ſieben Backenzähne jederſeits im Oberkiefer und Unterkiefer und das Fehlen der Gallenblaſe gemein. Tapir, Nashorn und Klippdachs werden hiernach zu einer Familie vereinigt. Nach einer ähnlichen Uebereinſtimmung der Merkmale zwiſchen dieſer und mehren andern Familien iſt die Ordnung der Dickhäuter aufgeſtellt, zu welcher der Elephant, das Schwein, das Flußpferd gehören. Und indem alle Arten dieſer Ordnung mit zahlreichen anderen die Eigenſchaft theilen, daß ſie lebendige Junge gebären, die aus den Zitzen der Mutter Milch als erſte Nahrung ſaugen, erheben wir uns zu dem noch allgemeineren Begriff der Klaſſe der Säugethiere. Der Begriff iſt ſomit nichts Anderes als eine Summe gemeinſamer Merkmale, deren Zahl die Weite oder die Grenzen des Begriffs beſtimmt. Je weniger Merk— male den Begriff zuſammenſetzen, deſto mehr einzelne Körper fallen in das Bereich desſelben. Wenn die übereinſtimmenden Eigenſchaften, deren Summe den Begriff ausmacht, ſehr zahlreich ſind, dann wird der Begriff um ſo enger. So entſtehen Begriffe höherer und niederer Ordnung. Auf dieſem Wege werden aber alle Begriffe ge— bildet, auch die allerabgezogenſten. Wir nennen alles, was Rewegung des Stoffs hervorruft, Kraft. Die II 20 306 Bildung eines ſolchen Begriffs hat aber nur dann einen Werth, wenn der Begriff die wirkliche Welt der Erſcheinungen deckt. Oft muß man es hören, daß der abgezogene Be— griff nur im Verſtande gegeben ſei, daß der Begriff als ſolcher nicht in die Erſcheinung trete. Wer dieſen Glauben theilt, der iſt ſich über die Bedeutung, über die Entſtehung des Begriffs ebenſo wenig klar, wie jene Naturforſcher, die über das Weſen der Dinge grübeln. Man braucht nur feſtzuhalten, daß der Be⸗ griff eine Summe von Merkmalen bezeichnet, die mehren Dingen gemeinſam ſind, um ſich ein für allemal vor hohlen Beſpiegelungen zu ſichern und den Begriff in jedem einzelnen Falle leibhaftig bethätigt zu ſehen. Ich gelange zum allgemeinen Begriff des Stoffs, wenn ich denſelben von allen Eigenſchaften entkleide, durch welche ſich der eine Stoff vom anderen unter- ſcheidet. Dann bleiben immer noch drei Eigenſchaften übrig. Der Stoff iſt ſchwer, der Stoff erfüllt den Raum, und der Stoff iſt der Bewegung fähig. Ohne dieſe Eigenſchaften beſteht der Stoff nicht. Aber alle Körper beſitzen dieſe Merkmale. Ich darf daher nicht jagen, daß der Stoff, begrifflich genommen, nicht be= ſteht; ich muß vielmehr ſagen: er beſteht überall. Nachdem es uns gelungen iſt, die Summe der Eigen- ſchaften eines Dinges in ihrer nothwendigen Verbindung W 307 zu erkennen, ſind wir auch im Stande, durch die Kennt— niß einiger Eigenſchaften die übrigen zu erſchließen. Begegnet der Chemiker einem Stoff, der mit Wein— ſäure einen weißen kryſtalliniſchen Niederſchlag giebt, der in kurzen, dicken Nadeln an der Wand des Probe— röhrchens haftet, einem Stoff, der außerdem mit Platinchlorid einen gelben kryſtalliniſchen Niederſchlag liefert, dann weiß er, daß er Kali vor ſich hat. Er weiß dann ohne Weiteres, daß ein Stoff vorliegt, der ſich in Waſſer löſt, der zu den Säuren eine innige Verwandtſchaft beſitzt, der mit allen anorganiſchen Säuren in Waſſer leicht lösliche Salze bildet, der der Alkoholflamme eine violette Farbe ertheilt. Kurz, der Chemiker erkennt durch zwei oder drei Eigenſchaften ein ganzes Dutzend und mehr andere Merkmale, die mit Nothwendigkeit au jene zwei oder drei geknüpft ſind. Auf dieſe Schlußfolgerung, welche die Kenntniß der nothwendigen Verbindung der einzelnen Eigen— ſchaften, die Feſtigkeit des allgemeinen Begriffs vor— ausſetzt, iſt die ganze Lehre der chemiſchen Prüfungs— mittel gegründet. Man nennt eine ſolche Probe charakteriſtiſch, wenn das Merkmal, das ſie zur Er— ſcheinung bringt, hinreicht, um auf alle übrigen Eigenſchaften einen Schluß zu erlauben. Wenn die Chemie nicht als Handwerk betrieben wird, dann ſetzt ſie bei allen ihren Thätigkeiten eine der tiefſten und II 20* 308 gewandteſten Anwendungen allgemeiner Begriffsbe— ſtimmungen voraus. Wie der Mathematik, ſo kann man auch der Chemie, wenn auch nach einer anderen Seite hin, nachrühmen, daß ſie eine vortreffliche Schule des Denkens bildet, eine Schule, welche den einſeitigen Idealismus überall zu Schanden macht. Einzelne Knochen eines vorweltlichen Thiers, das nicht mehr zu den Bewohnern der Erde gehört, waren für Cuvier hinreichend, um den ganzen Bau des Thiers zu erſchließen. Cuvier lehrte den Knochen als den erfahrungsmäßigen Ausdruck kennen für ein Geſetz der Form, das zu den übrigen Körpertheilen den Schlüſſel bietet. Es iſt aber falſch zu ſagen, daß das Geſetz die Form baut, daß der Leib geſchaffen würde von der Idee. Im Gegentheil, das Geſetz iſt abgeleitet aus den erfahrungsgemäß beobachteten Formen. Das Geſetz iſt nur der kürzeſte, der allgemeine Ausdruck für die Uebereinſtimmung vieler tauſend Erzählungen. Das Geſetz hat nur geſchichtliche Gül— tigkeit. Es verdollmetſcht die Erſcheinung, es bannt den Wechſel der Erſcheinungen in eine kurze Formel, bindet die Summen der Eigenſchaften an ein Wort, aber es regiert ſie nicht. Nie und nimmermehr ward das Geſetz vor der Erſcheinung erdacht, es ward in der Erſcheinung gefunden. N. 309 Je beſſer wir es verjtehen, in der Körperwelt, in der Natur und in Kunſtgebilden zu leſen, deſto reicher ſind unſere Gedanken. Denn der Gedanke iſt der lebendige Ausdruck des Geſetzes. Wenn wir der Welt, welche von den Sinnen erſchloſſen ward, nach— ſinnen, dann zeugen wir die Idee. Urtheile, Begriffe und Schlußfolgerungen füllen die ganze Summe unſeres Denkens aus. Die Schluß— folgerung ergiebt ſich aus dem Begriff, der Begriff aus dem Urtheil, das Urtheil aus der ſinnlichen Be— obachtung. Aber die ſinnliche Beobachtung iſt die Auffaſſung des Eindrucks einer ſtofflichen Bewegung auf unſere Nerven, der ſich bis in das Gehirn fortpflanzt. Das Hirn iſt zur Erzeugung der Gedanken eben— ſo unerläßlich, wie die Leber zur Bereitung der Galle und die Niere zur Abſcheidung des Harns. Der Ge— danke iſt aber ſo wenig eine Flüſſigkeit, wie die Wärme oder der Schall. Der Gedanke iſt eine Bewegung, eine Umſetzung des Hirnſtoffs, die Gedankenthätigkeit iſt eine ebenſo nothwendige, ebenſo unzertrennliche Eigenſchaft des Gehirns, wie in allen Fällen die Kraft dem Stoff als inneres, unveräußerliches Merk— mal innewohnt. Es iſt ſo unmöglich, daß ein unver— ſehrtes Hirn nicht denkt, wie es unmöglich iſt, daß der Gedanke einem andern Stoff als dem Gehirn als ſeinem Träger angehöre. 310 Um aber zu denken muß das Hirn gereizt werden, theils durch die fortdauernde Ernährung, die ihm von Seiten des Bluts zu Theil wird, theils durch die An— regung der Sinneseindrücke, die ſeine kleinſten Stoff— theilchen, die Molecüle ſeiner Zellen, in Bewegung ſetzen. Der Anſtoß dazu braucht nicht immer in unmittel— barem Zuſammenhang mit dem Ergebniß der Gedanken— arbeit zu ſtehen. Von Lagrange erzählt man, daß er einmal lange nach dem ſtrengen Beweiſe eines Satzes geſucht, der für ein ganzes mathematiſches Lehrgebäude den Schlußſtein abgeben mußte. Da ſei er eines Tages in Turin in die bekannte Kirche des heiligen Franciscus von Paola in der berühmten Poſtraße gegangen, in der er eine ſchön geſungene Meſſe zu hören bekam. Und als er zur Kirche heraustrat, hatten die Schwingungen ſeiner Gehörſaiten ſich auf die Denk— zellen fortgepflanzt, und der längſt geſuchte Beweis ſeines Hauptſatzes war mit einem Male gefunden. Um ſolche Dinge zu begreifen muß man willen, daß alle Sinnesreize in unſer Gehirn bis zu einem phyſiologiſchen Centrum vordringen, in welchem ſie em— pfunden werden, zu welchem ſie vordringen müſſen, um eine Empfindung auszulöſen. Aber über dieſen Empfindungscentren im engeren Sinne ſteht ein Wahr— nehmungscentrum, in welchem die Empfindung ver— n 311 arbeitet und verwerthet wird, ohne welches die Em— pfindung dem Gedächtniß verloren geht und weder Vor— ſtellungen, noch Leidenſchaften, noch Entſchlüſſe erregt. Am Hinterhauptslappen des Gehirns und zwar bis an den hinteren Rand reichend findet ſich beim Hunde eine Gegend der Hirnrinde, die, wenn ſie auf beiden Seiten zerſtört wird, vollſtändige Blindheit nach ſich zieht. War die Zerſtörung nur an Einer Seite vorgenommen, ſo iſt nur das Auge der entgegen— geſetzten Seite blind; das betreffende Auge empfindet keine Geſichtseindrücke; es iſt, als wenn das Auge nicht vorhanden wäre. (Hermann Munk.) Inmitten jenes Rindenbezirks liegt aber nach Munk eine ſo ziemlich kreisrunde Stelle, deren Zer— ſtörung, wenn ſie mit Schonung der Umgegend aus⸗ geführt wurde, den Hund nicht am Sehen, ſondern am Erkennen verhindert. Ein ſolcher Hund, obwohl ihm beide Centralſtellen der Hinterlappenrinde zerſtört ſind, bewegt ſich frei im Zimmer, duckt ſich, um unter einem Schemel durchzugehen, ſpringt über ein vorge— haltenes Bein, ſtößt bei ſeinem Wandern nirgends an. Aber früher geliebkoſte Menſchen und Hunde ſind ihm fremd geworden; den Waſſereimer, aus dem er zu trinken pflegte, das gewohnte Futter, die Peitſche, mit der er gezüchtigt worden, die Hand, die ihn zum Reichen der Pfote beſtimmte, ſie laſſen ihn gleichgültig. 312 Munk nennt einen ſolchen Hund jeelenblind. Er ſieht ohne zu ſchauen, hat Augen um zu ſehen, aber erkennt nicht, er muß von neuem ſehen lernen. War die betreffende Ausrottung einſeitig vorge— nommen, dann thut er dies wirklich. In dieſem Falle iſt anfangs nur das Auge der entgegengeſetzten Seite ſeelenblind, das rechte Auge, wenn die Hirn— verletzung an der linken Seite geſchah, im umgekehrten Fall das linke Auge. Jetzt kommt es nur darauf an, daß der Hund dazu erzogen werde, die Geſichtsein— drücke, die das ſeelenblinde Auge erhält, zu erkennen, zu bemeſſen, zu begreifen, jo wird er auch auf deſſen. Seite wieder ſchauen und erkennen, was ihm wieder— holt vorgehalten wurde. Man braucht ihm nur ein paar Mal den Kopf ins Waſſer oder in den Futter- napf zu ſtecken, damit er Speiſe und Trank wiederfinde, ihn nur ein paar Mal die Peitſche fühlen zu laſſen, damit er ſich aufs Neue vor ihr fürchte. Es tritt alſo eine andere Rindengegend für die verloren ge— gangene ein, und die Seelenblindheit an dem ander- ſeitigen Auge wird in einigen Wochen geheilt. Es wird ein neuer Rindenbezirk beſeelt. Wenn auch das der Rindenzerſtörung gleichſeitige Auge ver— bunden iſt, kann der Hund mit dem anderſeitigen nicht nur ſehen, ſondern ſchauen und erkennen. Ganz ähnlich verhält ſich das Hörcentrum. Es 313 liegt im Schläfelappen in der hinteren Gegend feiner unteren Spitze. Aber auch hier kann man ein Em— pfindungscentrum von einem Wahrnehmungscentrum unterſcheiden. Auch hier liegt letzteres inmitten des erſteren. Wird der Geſammtbezirk, der die Empfin— dung vermittelnde und die Wahrnehmung empfangende, auf beiden Seiten zerſtört, dann iſt der Hund auf beiden Ohren taub. Kein Geräuſch veranlaßt ihn mehr die Ohren zu ſpitzen. Wird aber nur der Wahr— nehmungsbezirk vernichtet, dann hört der Hund ohne zu horchen, die Erinnnerung der einmal erlebten Ge— höreindrücke iſt ihm verloren gegangen, er verſteht kein Lob, kein Locken, weder Drohung noch Beſänftigung mehr. (Hermann Munk.) Und auch hier tritt in vier bis fünf Wochen Heilung ein, wenn die Zerſtörung auf Eine Seite be— ſchränkt blieb, vorausgeſetzt daß das Thier von Neuem horchen lernte. Die einſeitige Seelentaubheit iſt vorüber— gehend. Es wird einem neuen Rindenbezirk die Seele einſtudirt. Was hier an dem einen Sinn erfahren wurde, bürgt für die Richtigkeit der Auffaſſung des am andern Sinn Erlebten. Und es iſt ſehr beachtungs— werth, daß Munk es nicht unterlaſſen hat die Gegen— probe zu machen. Es iſt nämlich eine wichtige Er— fahrung der Phyſiologie, daß im Gehirn diejenigen 314 Theile eine Rückbildung erleiden, deren peripheriſches Organ vernichtet wird. Wenn man nun neugeborenen Hunden ein Auge ausſchneidet oder ein Ohr vernichtet, dann geht im anderſeitigen Hinterhauptlappen das Wahrnehmungscentrum für das Sehen oder im Schläfelappen dasjenige des Hörens in ſeiner Ent— wicklung zurück. Der Neugeborene verräth es deutlich, daß er aus dunklem, ſtillem Kerker ans Lebenslicht geboren ward. Von warmer Flüſſigkeit umgeben, die, wenn ſie mit ſeiner Zunge in Berührung kam, ſeinen Geſchmacksſinn nicht üben konnte, weil ſie immer nahezu von derſelben Beſchaffenheit iſt, hatte er gar keine Gelegenheit, Ge— ruchsempfindungen zu jpüren. Wie Cabanis*) ganz richtig bemerkt, hat nur der Taſtſinn Gelegenheit ge— habt, einige Wahrnehmungen zu machen, die bei der mangelhaften Uebung, von keinem anderen Sinn über— wacht, zu keinem oder höchſt beſchränktem Urtheil führen mußten. Die empfindenden Hirnbezirke ſind ungeübt und unbeſeelt. Sogar Hunger leiden muß der Neugeborene erſt ) P. J. G. Cabanis, Rapports du physique et du moral de homme, Paris 1824, Tome I, p. 102. 315 lernen. So lange er im Mutterleibe eingeſchloſſen, durch das mütterliche Blut regelmäßig und fortwährend ernährt ward, konnte natürlicher Weiſe kein Nahrungs- bedürfniß empfunden werden. Stellt ſich nun aber Durſt und Hunger ein, dann verräth dies das kleine Weſen durch Unruhe; es bewegt den Kopf hin und her, rudert mit den Armen, fängt an zu ſchreien und nur wenn zufällig ein Zipfel des Kiſſens oder ein Finger ſeines Händchens ſeinen Mund berührt, erfaßt es dieſelben und beginnt daran zu ſaugen. Aber ſei es, daß durch die Schwere des Armes der Finger ſeinem Munde entgleitet, oder daß er durch Jemand herausgezogen wird, der Säugling iſt in den erſten Tagen nicht fähig, ihn wieder in den Mund zu bringen. (Genzmer.)*) Jedem erfahrenen Beobachter iſt es bekannt, wie lange ein hungriger Säugling ſich durch einen Finger täuſchen läßt, und wie ungeſchickt ſich die meiſten anzuſtellen pflegen, wenn es gilt die Bruſtwarze zu finden. Die Wärterinnen, die es verſtehen, hierzu die beſte Anleitung zu geben, erſparen Mutter und Kind manch' unruhige Stunde. Und Beſſer hat ein wahres *) Alfred Genzmer, Unterſuchungen über die Sinnes⸗ wahrnehmungen des neugebornen Menſchen, Halle a. S., 1882, S. 6; vergleiche auch Kußmaul, Unterſuchungen über das Seelenleben des neugeborenen Menſchen, Leipzig und Heidelberg, 1859, S. 32, 33. 316 Wort gejchrieben, als er folgenden Ausſpruch that: „Kännte das (neugeborene) Kind auch nur in dunkelſter „Vorſtellung die Mutterbruſt, ſo würde es nicht mit „gleicher Begierde Minuten lang am dargebotenen „Finger ſaugen, es würde auch warmes Waſſer nicht „ebenſo gierig trinken als die Milch.“ *) Ebenſo unerfahren wird der Menſch mit Rückſicht auf den Lufthunger geboren. Man kann ſchlafenden Neugeborenen bis zu fünf Secunden lang die Naſe zuhalten, bevor ſie mit der Naſe und dem Mund Bewegungen vornehmen. Noch ſpäter erſt wird das Kind unruhig, macht ungeduldige Bewegungen mit dem Kopf und fängt ſchließlich unter lautem Schreien an mit dem Mündchen zu athmen. (Genzmer.) Ohne allen Lufthunger bewirken Hautreize aller Art, daß ſich Athembewegungen einſtellen, und da beim geſunden Neugeborenen Hautreizungen dem Luft⸗ hunger vorangehen, ſo ergiebt ſich, daß die Athem— bewegungen im Gange ſind, bevor das Athembedürfniß ſich fühlbar gemacht hat. (W. Preyer.) “) Daß unter ) L. Beſſer, Haben wir die ſeeliſchen Phänomene beim Neugeborenen für Reflexvorgänge zu erklären? Archiv für Pſy⸗ chiatrie und Nervenkrankheiten, Bd. VIII, S. 5 und 7 des Sonderabdrucks. **) W. Preyer, Ueber die Urſache der erſten Athembewegung, Sitzungsberichte der Jenaiſchen Geſellſchaft für Mediein und Naturwiſſenſchaft, 1880, 6. Februar. 317 den betreffenden Hautreizen die Abkühlung des Neu- geborenen eine große Rolle ſpielt, läßt ſich nicht be- zweifeln, obgleich Preyer's Verſuche es dargethan haben, daß der erſte Athemzug auch ganz unabhängig von dieſer Abkühlung, wie ohne Vermittlung des Luft— hungers, eintreten kann. Vom Hunger nach Luft und Speiſe hat der Neu— geborene keine Ahnung, weil ihm während des Ver— weilens im Mutterleib das Bedürfniß nach beiden fortwährend befriedigt ward. Inſofern hat alſo der Neugeborene zu lernen, was Hunger, Durſt und Athemnoth für Empfindungen veranlaſſen. Und ganz ähnlich verhält es ſich mit dem Schmerze. Obwohl der Neugeborene ſchreiend in die Welt tritt und der allgemeinen Freude, mit welcher er empfangen wird, keine ſchmeichelhafte Antwort giebt, alſo jeden— falls nach dem Uebergang aus dem warmen Mutter— leib in die kühlere und trockne Luft Mißbehagen empfindet, hat er doch nur eine ſehr unbedeutende Fähigkeit Schmerz zu leiden. Wenn man ein Kind in den erſten Stunden ſeines Lebens mit einer Nadel ſticht, verräth es nicht nur keinen Schmerz, ſondern es macht nicht einmal jene ſogenannten Reflexbewegungen, mit denen es am zweiten oder dritten Tage nach der Geburt denſelben Reiz beantwortet. Aber ſelbſt dieſe Bewegungen, die am zweiten und dritten Tage 318 durch den Nadelſtich hervorgerufen werden, beſchränken ſich auf eng umſchriebene Muskelgruppen, und obwohl der Stich ſtark genug iſt, um einem Erwachſenen empfindlich zu ſein, deutet nichts darauf hin, daß dieſe beſchränkten Bewegungen als Ausdruck des Schmerzes aufgefaßt werden müſſen. Im Gegentheil, durch ähnliche Beleidigungen werden oft nur die allerbehaglichſten Reflexbewegungen ausgelöſt. Genzmer erinnert ganz richtig daran, daß man einem ſaugenden Kinde kräftig auf die Hand klopfen oder gegen das Näschen ſchnippen kann, ohne daß etwas Anderes erfolgt als verſtärkte Saugbewegungen. Durch Klopfen auf die Naſe kann ein Säugling an der Bruſt nicht ſelten zu kräftigerem Saugen veranlaßt werden. Es iſt allgemein bekannt, daß Kinder in den erſten Wochen des Lebens beim Impfen viel ſeltener ſchreien als ältere Kinder. Und Genzmer iſt von dieſer ge— ringeren Schmerzempfindlichkeit des Neugeborenen ſo durchdrungen, daß er als erprobter Wundarzt den Rath giebt, ſchmerzhafte Kunſtleiſtungen, wie z. B. die Beſeitigung der Haſenſcharte, ſchon in den erſten Lebenstagen vorzunehmen. Er ſah ein dreitägiges Kind ruhig einſchlafen, während er demſelben nach beſagtem Kunſtgriff die Wundnaht anlegte. Sogar im Schmerzleiden fällt kein Meiſter vom Himmel. Auf die Uebung kommt es an. Und unter „ 9293 N 319 allen Sinnesnerven ſind es unſtreitig die Taſtnerven, die während des Verweilens im Mutterleibe am häufigſten in Anſpruch genommen werden. Trotzdem bringt das Kind keine Erfahrungen mit zur Welt, die uns berechtigten von einem Taſtſinn zu reden. Das Taſten ſetzt immer eine Empfindung voraus, die entweder durch die Mitaufſicht eines andern Sinnes oder durch die genaue Wiederholung und Abſtufung einer Prüfung unterliegt. Weder das Eine noch das Andere iſt im Mutterleibe möglich. Aber ohne Zweifel werden die oft ſehr lebhaften Bewegungen der Leibesfrucht am häufigſten durch Hautreize veranlaßt, welche theils durch Anſtoßen an die Wand der Gebärmutter, theils durch krampfhafte Zuſammenziehungen der letzteren veranlaßt werden. Kuß maul erzählt einen lehrreichen Fall, in welchem durch einen anſehnlichen Blutverluſt einer Schwangeren im ſechſten Monat ſehr heftige Bewegungen der Frucht im Mutterleibe hervorgerufen wurden, die einen ganzen Tag andauerten “). Höchſt wahrſcheinlich bewirkte die plötzliche Blutarmuth der Frau krampfhafte Bewegungen der muskelreichen Ge— bärmutterwand, und dieſe, einzelne Gliederchen des ungeborenen Weſens umſchnürend, Hautreize und Re— flexbewegungen. 5 Der Laie fragt, was er ſich denn eigentlich *) Kußmaul, a. a. O. S. 31. 1 320 unter dieſen Reflexbewegungen zu denken habe. Die Wiſſenſchaft hat unter dieſem Namen diejenigen Bewegungen abgegrenzt, die, wie man ſagt, unwill⸗ kürlich, unbewußt, oft ungewußt auf Reiz irgend eines Sinnesnerven ausgeführt werden. Es braucht ſich dabei nicht etwa um Haut- oder ſogenannte Taſt⸗ nerven zu handeln. Die deutlichſten und lehrreichſten Beiſpiele gehören vielmehr anderen Sinnesnerven an. Wenn mehr Licht ins Auge dringt, — und wir brauchen dieſen vermehrten Lichtzufluß gar nicht zu merken, — dann wird die Pupille verengt, und ſie erweitert ſich, wenn wir ins Dunkle gehen. Im erſteren Fall reizt das Licht die empfindende Netzhaut, der Sehnerv pflanzt die Reizung bis zum Vierhügel des Gehirnes fort, und hier gelangt der Reiz in bewegende Nerven, welche die Zuſammenziehung bogenförmig verlaufender Muskelfaſern der Regenbogenhaut bewirken, die das Sehloch oder die Pupille umkreiſen. Verengerung der Pupille iſt die natürliche Folge davon, und dies iſt eine Reflexbewegung. Was hier im Vierhügel oder Mittelhirn geſchieht, kann im verlängerten Mark oder Nachhirn, im Rücken⸗ mark, überhaupt in den ſogenannten Nervenherden geſchehen. Es geſchieht im Vorderhirn, wenn ein Riechſtoff uns nieſen macht, im verlängerten Mark, wenn wir blinzeln, ſo wie ein Stäubchen ins Auge 321 dringt, oder huſten, wenn ſich ein Speiſetheilchen in den Kehlkopf verirrt, im Rückenmark, wenn wir im Schlaf uns kratzen, weil uns eine Mücke in den Fuß geſtochen hat. Solcher Reflerbewegungen kann man am Säugling wie am Erwachſenen unzählige hervorrufen, wenn man ſich nur richtig dabei benimmt. Wenn man ein Naſenloch ſchwach reizt, dann ſchließt der Neuge— borene das Auge derſelben Seite, berührt man die Naſenſpitze, dann kneift er beide Augen zu. Ebenſo ſchließt er beide Augen, wenn man mit einem feinen Pinſel die Hornhaut berührt. (Genzmer.) Streicht man ein Wimperhaar mit einem Glas— ſtab oder bläſt man ſonſt einige Wimperhaare an, dann ſchließen ſich ſogleich die Lieder des betreffen— den Auges. (Kußmaul.) Wenn der vordere Theil des Zungenrückens berührt wird, erfolgen Saugbewegungen; iſt der Angriffspunkt die Mitte des Zungenrückens, dann heben ſich die Naſenflügel und Mundwinkel, und die Augen werden zugekniffen; werden endlich die Zungenwurzel und der Schlund mechaniſch gereizt, dann ſtellen ſich Würgbe— wegungen ein, es hebt ſich der Kehlkopf mit verſchloſſener Stimmritze, der Mund wird aufgeſperrt, die Zunge hervorgeſtreckt und vermehrter Speichel abgeſondert. Auch wenn man den rothen Lippenrand litzelt, werden Saugbewegungen hervorgerufen. II. 21 322 Wenn Eſſigſäuredämpfe oder flüchtiges Ammoniak die Naſenſchleimhaut reizen, dann nieſen die Kinder, oder wenn der Reiz ſchwächer wirkte, dann blinzeln ſie und ziehen die Augenbraunen zuſammen. (Kuß maul.) Dieſelben Erfolge können auch durch mechaniſche Rei— zung der Naſenſchleimhaut erzielt werden. (Genz mer.) Auf Kitzeln der Handfläche umfaßt das Kind den kitzelnden Gegenſtand. Kitzelt man die Fußſohle, ſo ſpreizen ſich die Zehen. Bei ſtärkerem Reize er— folgt Bewegung des ganzen Beins, und es kann auch das andere Bein in Mitbewegung verſetzt werden. Jeder Hautreiz kann endlich am Neugeborenen eine Athembewegung auslöſen. Alle dieſe Dinge, die zu unſrer Zeit beſonders ſorgfältig von Kußmaul und Genzmer beobachtet wurden, waren im Grunde ſchon Cabanis bekannt, der es richtig hervorhob wie die empfindenden Haut— und Schleimhautnerven ſchon im Mutterleibe eine Anzahl von Reizungen erleiden müfjen*). Nur kann man aus all dieſen geſetzmäßig, aber bewußtlos erfolgenden Reflexbewegungen nimmermehr folgern, daß ſie mit geſonderten Taſtempfindungen verbunden ſind, oder gar daß der Menſch mit einer *) Cabanis, a. a. O. T. I, p. 102. „Le tact est le seul de leurs sens qui leur fournisse des perceptions distinctes, vraisemblablement parceque c'est le seul qui, dans le ventre de la möre, ait déjà regu quelque exercice.“ 323 dunklen Vorſtellung außer von ihm beſtehenden, räum— lich von ihm getrennten Gegenſtänden zur Welt käme. Wenn die im Mutterleibe wohnende Frucht überhaupt zu Vorſtellungen käme, wäre es viel natürlicher anzu— nehmen, daß ſie ſich mit ihrer Behauſung Eins, mit ihrer Mutter unzertrennlich verknüpft fühlte, als daß ſie ſchiede zwiſchen ihrer ſchlummernden Perſönlichkeit und dem Kerker, der ihr Leben ſpendet. Der Säugling muß ſchon mehrere Wochen zählen, bevor ſein Auge blinzelt, wenn man demſelben raſch einen Gegenſtand nähert, z. B. mit einem Finger darauf los fährt. Nach Soltmann leiſtet der Säug— ling das nicht vor der ſiebten, nach Sigmund nicht vor der vierzehnten bis ſechzehnten Woche. Den einfachſten Muskelbewegungen fehlt es noch an Maaß und Anpaſſung. Sie ſchießen, wie Genzmer richtig bemerkt, über das Ziel hinaus. Am auffällig— ſten giebt der Säugling dieſes Schauſpiel, wenn er an der Bruſt hin und her fährt, um die Warze zu erhaſchen. Mit allem dieſem ſoll natürlich nicht geſagt ſein, daß dem Neugeborenen die Fähigkeit abgeht, Sinnes— reize zu empfinden. Aber dieſe Fähigkeit iſt an die verſchiedenen Sinne ſehr verſchieden vertheilt, ja einzelnen derſelben ſogar durch Bauverhältniſſe oder Verſtopfung der Sinneswege vorläufig vorenthalten. f II. 215 324 Geſichts- und Geſchmacksſinn find am beſten zu— gerüſtet. Und doch auch mit dieſen tritt das Kind gleichſam ſchlafend in die Welt. Der erſte Tag vergeht dem Säugling im Seh— ſchlaf; das Auge ift ohne Ausdruck“). Mir iſt es vorgekommen, daß Laien, Tanten z. B., noch am . dritten Tage an der Sehkraft ganz geſunder Kinder— augen zweifelten. Ritter läugnet die den Augen der Neugeborenen ſo häufig zugeſchriebene Lichtſcheu, nach ihm geſchehen die Veränderungen der Pupillenweite bei Licht und Dunkel in der erſten Zeit nur äußerſt langſam. Dennoch ſind dieſe durch Reizbarkeit der Netzhaut bedingten Verengerungen und Erweiterungen des Sehlochs ſchon in den erſten Stunden nach der Geburt vorhanden. Und das eine Sehloch iſt ſchon empfindlich für das Licht, das ins andere Auge dringt; wird eines der beiden Augen geſchloſſen, dann erweitert ſich die Pupille des offengebliebenen, und dieſe verengt ſich, wenn man jenes wieder öffnet. (Kuß maul.) Schon in den erſten Tagen werden die Augen ab— wechſelnd geöffnet und geſchloſſen. Weil aber der Neu— geborene mehr ſchläft als wacht, ſo iſt doch die Summe der Bilder, die ſich in ſeinem Auge malen, noch ver— hältnißmäßig klein. ) Cuignet, Annales d'oculistique 1871, Tome LXVI, nach dem Citat bei Genzmer. u A ee 325 Häufig öffnet er nur bald das eine, bald das andere Auge, und wenn er beide öffnet, ſo ſchielt er leicht, nach Cuignet häufiger mit dem linken als mit dem rechten. In den erſten Tagen kann die Be— wegung auf einen der beiden Augäpfel beſchränkt ſein, und wenn ſich beide bewegen, iſt die Bewegung häufig widerſinnig, das heißt wieder ſchielend. Rählmann und Witkow haben Cuignet's Beobachtungen be— ſtätigt. Aber aus dieſen Beobachtungen geht ſchon hervor, daß in den erſten Lebenstagen die Augen nur ſelten auf einen Blickpunkt eingeſtellt werden, und noch ſeltner einem bewegten Leuchtkörper folgen, oder gar die Sehachſen einander ſchneller begegnen laſſen, um ſich für die Betrachtung eines näher gebrachten Gegen— ſtandes einzurichten. Niemand wird es bezweifeln, wenn Donders erzählt, daß er es in einem Falle an einem Kinde ſchon wenige Minuten nach der Geburt geſehen hat. Auch Beſſer hat es in den erſten vierundzwanzig Stunden, Genzmer bei einem zweitägigen Kinde be— obachtet“). Aber es entſpricht doch beſſer der Regel, wenn Cuignet berichtet, daß das eigentliche Blicken, das Feſthalten und Verfolgen eines erblickten Gegen— ſtandes erſt um den achten Lebenstag beginnt. Vier— ) L. Beſſer, a. a. O. S. 7; Genzmer, a. a. O. S. 23. 326 ordt betont, daß er es an einem dreiwöchigen Kinde deutlich beobachtet hat“), und Kußmaul, der eifrige Erſpäher der erſten Anfänge unfrer Sinnesthätigkeiten, ſucht dieſen Anfang für die in Frage ſtehende Ver— richtung zwiſchen der dritten und ſechſten Woche. Dabei iſt bemerkenswerth, daß der mit dem Blick erfaßte Gegenſtand bei den erſten Uebungen leicht wieder ver— loren wird, wenn der Gegenſtand über zwei Meter entfernt und nach der Seite bewegt wird (Vierordt), und ein abſcheuliches Schielen entſteht, wenn der Leuchtkörper auf weniger als einen Meter dem Auge nahe rückt (Cuignet). Die frühere Begegnung der Sehachſen, behufs des deutlichen Sehens dem Auge genäherter Gegenſtände, beginnt nach Genzmer erſt bei Kindern von vier bis ſechs Wochen. Dagegen kommt nach Cuignet dieſe raſchere Zuſammenführung der Sehachſen früher vor, um bei ſtarken Lichteindrücken die Augen zu ſchützen, das heißt: vom Sehen abzuhalten. Nach Cuignet ſollen die Augen des Neugeborenen nur in der Gegend des gelben Flecks empfinden, in der Umgegend des gelben Flecks noch nicht. Das raſche Zuſammenführen der Sehachſen bezwecke dahier die Gegend des deutlichſten Sehens oder den gelben Fleck *) Vierordt in Gerhardt's Handbuch der Kinderkrank— heiten, zweite Auflage, Tübingen 1881, Bd. I, ©. 469. + 327 vor Blendung zu ſchützen; die Lichtſcheu führe zum Schielen“). Um den achten Tag ſah indeß Cuignet Kinder ſchon Verſuche anſtellen, um dem erblickten Gegen— ſtand mit den Händchen zu folgen. Dennoch ſchreibt er ſelbſt den Augen im Verfolgen und Feſthalten der er— blickten Gegenſtände erſt nach dem dritten Monate volle Sicherheit zu. Die Anpaſſung der Linſe für die Entwerfung ſcharfer Bilder nahe liegender Gegenſtände auf dem Augengrunde beginnt nach Genzmer ſchon in der dritten Woche. Vierordt giebt keine Anfangsgrenze, hat aber wohl unſtreitig Recht, wenn er annimmt, dieſe Anpaſſung werde in den erſten Lebensmonaten mühſam und langjam erlernt**). Hierher gehört eine lehrreiche Erfahrung von Aubert. Dieſer fand nämlich an der Kryſtalllinſe der Augen eines zweitägigen Kindes alle Schichten gleich ſtark brechend. Da nun Young gelehrt hat, wie gerade die nach dem Kerne zu wachſende Brechung der Kryſtalllinſe die Entwerfung ſchärferer Bildchen auf der Netzhaut bedingt“), jo liegt hier für das Auge eine Thatſache vor, welche deſſen geringere ) Cuignet; vgl. Genzmer, a. a. O. S. 21. * Vierordt, a. a. O. S. 473. **) Durch Verminderung der „ſphäriſchen Aberration“. 328 Leiſtungsfähigkeit beim Neugeborenen zu einem Theile phyſikaliſch erklärt. Wenn aber die Linſe phyſikaliſch weniger leiſtet, die Netzhaut ihrerſeits hat offenbar noch ein wenig entwickeltes Empfindungsvermögen. Genzmer fand an ſeinem eigenen Kinde, daß es erſt im Alter von vier Monaten anfing die Farben zu unterſcheiden. Als ſein Knäblein den Gegenſtänden ſchon ſicher mit dem Auge folgte, hielt er ihm nebſt weißen rothe, blaue, braune Tücher vor, aber das Kind ſchenkte ſeine Aufmerkſamkeit nur den weißen, die es ſicher erkannte. Ebenſo blickte es, wenn es ruhig in ſeinem Wägelchen lag, immer nach den weißen Gegenſtänden im Zimmer, nach Gypsfiguren, weißen Thüren, dem weißen Ofen, während es rothe, blaue, grüne Gegen— ſtände, lichthungrig wie es war, ebenſo wie braune, graue und ſchwarze vernachläſſigte. Als der Knabe vier Monate alt geworden, fing er an leuchtendes Roth vor matten Farben auszuzeichnen, und dennoch zog er immer noch weiße Gegenſtände vor. Die Menge des Lichts war ihm alſo wichtiger als deſſen Beſchaffenheit. Viel ungünſtiger als das Auge iſt die Naſe des Neugeborenen für ihre Sinnesverrichtung ausgeſtattet. Nicht nur daß Naſenhöhle und Geruchsſpalte wenig entwickelt ſind, ſie ſind gewöhnlich noch durch Schleim 329 verſtopft. Trotzdem iſt die Fähigkeit zu riechen vor— handen. Obwohl es Kußmaul an wachen Kindern nicht gelang es zu erweiſen, glückte es ihm vortrefflich an ſchlafenden Neugeborenen. Ließ er bei dieſen letzteren die flüchtigen Stoffe des Stinkaſands in die Naſe aufſteigen, dann verzogen die Kleinen das Geſicht, kniffen die Augen zu, wurden unruhig und erwachten, um nach Entfernung des Riechſtoffs bald wieder einzuſchlafen. Wenn Genzmer eine ähnlich riechende Flüffigfeit*) auf den oberen Rand der Ober— lippe ſtrich, ſo entſtanden Saugbewegungen, wenn die Menge der Flüſſigkeit gering war, bei größerer Menge Würgbewegungen, und dieſer Erfolg wurde nicht bloß an ſchlafenden, ſondern auch an wachenden Kindern erzielt. Auffallender Weiſe ſcheint man in dieſen Verſuchen das Verhalten der Neugeborenen nur mit Stinkſtoffen, nicht mit Wohlgerüchen geprüft zu haben. Und dennoch beſitzt die Wiſſenſchaft Thatſachen, die es wahrſcheinlich machen, daß ſchon dem Neu— geborenen der Geruchsſinn die Dienſte einer Schild— wache für den Geſchmacksſinn leiſtet. Biffi und Gudden fanden nämlich, daß junge Thiere, denen man die Geruchsnerven durchſchnitten hat, künſtlich gefüttert werden müſſen, weil ſie die Zitzen der Mutter nicht mehr aufzufinden im Stande ſind. Umgekehrt ) Aqua fetida antihysterica. 330 ſollen blinde Säuglinge die Milch riechen. Und wenn die Bruſtwarze mit übel riechenden Stoffen beſtrichen iſt, wird ſie vom Säugling verſchmäht. Man muß ſich aber hüten in allen Fällen den Geruchsſinn als Führer an der nährenden Quelle anzuſehen. Kinder, die einige Tage an der Mutter- bruſt geſogen haben, lehnen oft die Warze einer Stell— vertreterin ab. Allein ſie ſaugen munter daran, wenn die Bruſtwarze mit einem Warzenhütchen überzogen worden, ſo daß hier eher der Taſtſinn der Lippen als der Geruchsſinn im Spiele zu ſein ſcheint. Wenn jedoch irgend ein Sinneswerkzeug im Augen- blick der Geburt eine mangelhafte Einrichtung beſitzt, ſo iſt es das des Gehörs. Die Angabe des Fabricius von Acquapendente, daß die Trommelhöhle des Neugeborenen keine Luft enthält, hat in unſeren Tagen volle Beſtätigung erhalten. In der Leibesfrucht, wie bei dem Neugeborenen während der erſten Lebensſtunden iſt die Schleimhaut der Trommelhöhle, mit Ausnahme desjenigen Theils, der das Trommelfell überzieht, ſo dick, daß ſie keine freie Höhle beſtehen läßt. Eine ſtarke Blutfülle iſt zum Theil die Urſache dieſer Schwellung, aber ſie wird weſentlich bedingt durch die Wucherung des gallertigen Bindegewebes, das die Hauptlage der Schleimhaut bildet. (Tröltſch, Moldenhauer.) FE Bi 331 Zu dieſer Verſtopfung der Trommelhöhle, die mit dem Trommelfell und den Gehörknöchelchen, die ſie enthält, die mächtigſte Vorrichtung iſt, um die Schall- wellen den Hörnerven zuzuleiten, geſellt ſich eine über— mäßige Entwicklung der Oberhaut des Trommelfells. Sie iſt durch das Fruchtwaſſer geſchwellt. Der Gehör— gang iſt eng und ſchlaffwandig, und auch die faſt wagerechte Lage des Trommelfells noch weniger günſtig, um die Schallwellen zu empfangen!). Es iſt alſo nicht zu verwundern, daß der Neu— geborene, ohne taub zu ſein, doch in den erſten vier— undzwanzig Stunden entſchieden ſtumpfhörig iſt. Kuß— maul fand, daß wachende Kinder in den erſten Lebens— tagen durch ſehr ſtarke und unangenehme Geräuſche nicht im Mindeſten berührt wurden. Wenn dagegen Feldbauſch bezeugt, daß ſchlafende Kinder im Bett zuſammenfuhren, wenn bei tiefer Stille des Zimmers die Hände unter dem Bett zuſammengeſchlagen wurden, ſo beweiſt dies, daß die Kleinen keinenfalls taub ſind, was auch Kußmaul nicht glaubt, aber es wäre wiſſenswerth, wie alt die Kinder waren, an denen Feldbauſch ſeine Erfahrungen machte. Genzmer hat nämlich ermittelt, daß ſchon in den erſten Wochen die Hörſchärfe ſich merklich verfeinert. Das eigentliche Lauſchen beginnt jedoch erſt im vierten Monat; um N Vgl. Vierordt, a. a. O. S. 467. 15 332 dieſe Zeit ſah Vierordt die Kinder anfangen den Kopf nach der Schallquelle zu drehen. Wie Erwachſene ſind übrigens die Neugeborenen für hohe Töne em— pfindlicher als für tiefe. Anders als Gehör- und Geruchsſinn verhält ſich der Geſchmacksſinn. Man darf ſagen, daß der Säug— ling eine feine Zunge mit zur Welt bringt. Dies gilt zunächſt in dem einfachen Sinne, daß die Zunge des Neugeborenen mit einer feinen Zellen— lage“) überzogen iſt, welche die in der Milch gelöſten Schmeckſtoffe raſch zu den Nervenendigungen vor— dringen läßt, ſodann aber auch, weil die Zahl dieſer Nervenendigungen in den Geſchmackswärzchen, in welchen ſie in Zellenbechern enthalten ſind, beim Neu— geborenen größer iſt als beim Erwachſenen. Zucker, Chinin, Weinſäure, Kochſalz werden allem Anſchein nach von Neugeborenen ebenſo geſchmeckt wie von Erwachsenen. In der Regel wird Zucker, ſelbſt von Kindern, die eben erſt geboren waren, behaglich gekoſtet, während Chininlöſung auf ihre Zunge gebracht Zeichen des Widerwillens, und bei größeren Gaben auch Würgen hervorruft. Und daß die Weinſäure, wenn ſie dem Kinde Zeichen des Mißbehagens entlockt, wirklich auf die Geſchmacks⸗ *) Pflaſterepithel. 333 nerven wirkte, wurde dadurch ermittelt, daß das Miß— fallen nur dann ſich äußerte, wenn die Säure mit ſchmeckfähigen Zungengegenden in Berührung kam, wenn z. B. der Weinſäurekryſtall mit ſeiner Spitze die Zungenränder berührte, nicht dagegen, wenn er der Mitte des Zungenrückens aufgeſetzt ward, welche nach Stich's Verſuchen Geſchmacksreize nicht empfindet. (Kußmaul.) Die Darreichung des Zuckers rief gewöhnlich Saugbewegungen hervor, ja in einem Falle, bei einem viertägigen, kräftigen Knaben, ſchien es Kußmaul, als wenn der Zuckergenuß „die Erinnerung an einen „früheren Genuß und die Begierde nach Nahrung „wachgerufen hätte“, da das Kind unter dem Eindruck der ſüßen Löſung unruhig ward und die Mutterbruſt ſuchte. Aber derſelbe Knabe ward auch durch fünf Tropfen einer vierprozentigen Chininlöſung, die natürlich einem Erwachſenen ſehr bitter ſchmeckte, nur zu Saugbewegungen veranlaßt, und ließ ſich auch eine ausgeſprochen ſaure Löſung von Weinſäure gefallen. Hier fehlte alſo die Unterſcheidungsfähigkeit noch, und obwohl Kußmaul die Geſchichte dieſes viertägigen Knaben erzählt, um auf die perſönlich verſchiedene Empfänglichkeit verſchiedener Kinder aufmerkſam zu machen, iſt er doch unbefangen genug gleich darauf zu berichten, daß „zuweilen die Kinder auf Zucker 334 mit dem mimiſchen Ausdruck des Bitteren antwor— teten“ ). Kußmaul glaubt, daß manchmal die Ueber— raſchung an dieſem Gebahren Schuld gehabt habe, indem die Kinder nur bei der erſten Bepinſelung ihrer Zunge mit Zuckerlöſung das Geſicht verzogen, die folgenden Male dagegen Wohlgefallen verriethen. Andere Male habe ſich der Widerwille gezeigt, wenn kurz nach Chinindarreichung die Zuckerlöſung geboten wurde. Dies aber ſtimme mit den Erfahrungen überein, die jeder Erwachſene an ſich ſelber machen könne, daß nach ſtattgefundener Reizung mit einem ſehr bittern Stoff jeder bald nachfolgende Geſchmacks— reiz anderer Art, alſo auch der des Zuckers, den bitteren Geſchmack aufs Neue erweckt. Kußmaul's Deutungen mögen richtig ſein, vielleicht ſind aber die letztgenannten Beobachtungen noch einfacher zu erklären, inſofern nach Horn und Pecht ſelbſt der Zucker eine bittere Geſchmacksempfindung hervorrufen ſoll, wenn er auf die hinteren Zungenwärzchen“ ) einwirkt. Aber durch alle dieſe Erwägungen wird die Gleichgültigkeit jenes viertägigen Knaben für bittere, ſüße und ſaure Schmeckſtoffe nicht umgeſtoßen. Genzmer, der am erſten Tage wie in der ſechſten Woche von einem *) Kußmaul, a. a. O. S. 18. > ) Umwallte Zungenwärzchen, papillae circumvallatae. 335 geſcheidt ausſehenden Mädchen ohne Mißbehagen eine fünfprozentige Chininlöſung ſaugen ſah, iſt der Meinung, daß das Süße und Bittere beim Neu— geborenen zunächſt nur unbewußte Reflexbewegungen auslöſe, für welche wiederum die Menge des Schmeck— ſtoffs wichtiger ſei als deſſen Art, und daß erſt nach wiederholter Uebung eine eigentliche Geſchmacks— empfindung zu Stande komme. Schwache Reize der Geſchmacksnerven erzeugen Saugbewegungen, durch ſtarke Geſchmacksreize werden Würgbewegungen aus— gelöſt. (Genzmer.) Alſo das Kind, das eben dem Mutterſchooße ent— ſchlüpft iſt, fühlt ohne zu taſten, ſchmeckt ohne zu koſten, es ſieht ohne zu ſchauen, hört ohne zu horchen, riecht ohne zu ſpüren. Und in der letzten Zeit des Fruchtlebens iſt die Fähigkeit der Sinne noch weniger entwickelt. Kinder, die im ſiebten Monat geboren wurden, ergeben auf Haut- und Schleimhautreize weniger Re- flerbewegungen,; man kann ſie mit feinen Nadeln in den empfindlichſten Theilen, wie Naſe, Oberlippe oder Hand, bis aufs Blut ſtechen, ohne daß ſie zucken oder Schmerz klagen; ſie ertragen Luftmangel bis zur Dauer einer halben Minute ohne unruhig zu werden; ſie bleiben von Gerüchen unberührt; ſie halten die Augen meiſt ge— ſchloſſen und find ſchläfrig. (Kußmaul, Genzmer.) 336 Trotzdem jpielt, wenigſtens bei Kindern, die im achten Monate geboren wurden, die Pupille unter wechſelnden Lichteindrücken. Und Siebenmonatskinder haben die Geſchmacksempfindung für Zucker und Chinin ſo gut entwickelt wie reife Neugeborene. Noch im Mutterleib ſchreitet die Ausbildung und Bildungsfähigkeit der Sinnesorgane fort. Achtmonat— liche Früchte werden durch Riechſtoffe gereizt. Gut entwickelte Neugeborene ſind gegen Nadelſtiche etwas empfindlicher als zu frühe geborene Kinder; ſie können durch Geruchseindrücke zum Schreien gebracht werden. Es iſt alſo der in den letzten Wochen des Ver— weilens im Mutterleib fortſchreitenden Entwicklung Rechnung zu tragen. Aber die Entwicklung, welche die Uebung nach der Geburt mit ſich bringt, fällt weit mehr in die Augen. Schon eine Woche nach der Geburt läßt ſich der Säugling nicht mehr ſo leicht durch einen in den Mund geſteckten Finger abſpeiſen, wie das in den allererſten Lebenstagen möglich war. Die Empfind— lichkeit für Nadelſtiche nimmt ſchon in der erſten Woche merklich zu; ja nach einigen Wochen bewirken ſie, daß die Kinder den Mund verziehen, wie wenn ſie eine bewußte Schmerzempfindung hätten, ohne daß an dem geſtochenen Theile, dem Füßchen z. B., eine Reflexbewegung erfolgt. Bei vielen Neugeborenen 337 verfeinert ſich der Geſchmack ſchon im Verlauf der erſten Lebenswoche. Die Gehörſchärfe wächſt in den erſten drei bis vier Wochen um das Vier- bis Neun— fache. (Genzmer.) Wie der Neugeborene allmälig die Augen gebrauchen lernt, wurde ſchon oben erwähnt. Offenbar muß dieſe Uebung jedem ſinnlichen Ur— theil, jeder Abſchätzung der Empfindungen, jedem Be— zug der einen auf die andere vorangehen. Wenn auch ſchon am Ende des zweiten Monates das Kind nach unerreichbaren Gegenſtänden die Aermchen ausbreitet, ein Ergreifen des Erreichbaren ſtellt ſich erſt im vierten Monat ein. (Vierordt.) Im dritten Monat erkennt das Kind ſeine Mutter und zwar auch an der Stimme, aber es erkennt keine Fremden. Die meiſten Eltern haben an ihrem Erſtling die Täuſchung erlebt, daß ſie ihn für nicht ſchüchtern hielten und triumphirten, weil ihr Kind den Lieb— koſungen der Beſucher des Hauſes zugänglich war. Etwas ſpäter mußten ſie ſich darein finden, daß dies noch eine tiefere Entwicklungsſtufe ihres Goldkindes geweſen. Mit dem Erkennen der Mutter hebt das Gemüths— leben im Säugling an. Wenn auch ſchon im zweiten Monate wonnige Stimmtönchen vernommen werden, man wird es doch, Ausnahmen vorbehalten, unſerm Altmeiſter Hippokrates zugeben müſſen, daß vor dem vierzigſten Tage der Säugling nicht eigentlich II. 22 338 lacht. Das Weinen, nicht bloß die reflektoriſche Thränenabſonderung, ſcheint dem Lachen voranzugehen. Erſt bewußtlos lallend, dann mit Bewußtſein nach— ahmend, mehr durch das Gehör und durch das Muskel— gefühl als durch das Abſehen der Mundbewegungen geleitet, lernt das Kind im zweiten Jahre ſprechen. Und nun wachſen allmälig die Begriffe ſeinem Ge— hirnlein ein, nachdem ſie den größten Theil des erſten Jahres nur um Gemüthsbewegungen flatterten. Und jedes genau beobachtete Kind liefert Beiſpiele davon, daß es Begriffe ſelber ſchafft. Mein älteſtes Söhnlein nannte längere Zeit hindurch alle Gewürze, auch Senf und Zimmt, mit dem Namen Pfeffer. Mein älteſtes Töchterchen nannte das Klavierſpielen Klavieren, und hatte ſich alſo ohne Grammatik die Zuſammengehörigkeit von Haupt⸗ und Zeitwort klar gemacht. Aber alle dieſe Begriffe entwachſen der Sinnen— welt. Sie ſind ſo ſehr durch dieſe beherrſcht, daß ſelbſt im Traume keine Bilder auftauchen, die nicht am Tage faßbar und ſichtbar gegeben waren. Als mein älteſtes Söhnchen von ſeinem erſten Nachtalp erzählte, war es ſein Schaukelpferd, das nicht müde geworden war, mit ihm um den Tiſch zu reiten, und der kleine Menſch war noch ganz aufgeregt bei ſeinem Bericht, wie von etwas wirklich Erlebten, ſo daß er ſein Pferdchen nicht anſehen mochte. .“% 339 Nun aber find Schauen und Horchen, Koſten, Taſten und Spüren erwacht. Und Niemand kann dem Urtheilen, Vergleichen und Begreifen mehr folgen, am wenigſten das Kind ſelbſt, das nicht bewußt dar— über ſteht, in dem ſich vielmehr aus jenem angeregten unerſättlichen Sinnesleben das Bewußtſein erſt all— mälig entwickelt, zu dem ſich das, was man Seele nennt, ganz unvermerkt, von außen kommend, von innen empfangen, herbeiſchleicht. Im dritten Jahre blitzen Schlüſſe auf. Das Kind, das lachen und weinen, gehen und greifen, ſehen und erkennen gelernt hat, hat auch die Vernunft erworben, es beginnt zu ſchließen. „Ach Papa! was haſt Du da?“ fragte mich beſtürzt mein dritthalb Jahr altes Mädchen, als ſie morgens im Bett meine rechte Bruſtwarze gewahrte, und gleich darauf auch die linke erblickend: „O Papa! es thut nichts, Du haſt es hier auch.“ Und wenige Monate ſpäter, immer noch innerhalb des dritten Jahres, bekam dieſelbe von ihrer Mutter, wegen der Gewohnheit immer den Kamm abzunehmen, um ihn bald hier, bald da zu verlegen, einen Verweis mit den Worten: „Mariechen, wenn Du aber immer Deinen Kamm abſteckſt und herum— fahren läſſeſt, dann biſt Du mein Mariechen nicht!“ Und flugs dreht ſich die Kleine um, zeigt auf ein Lichtbildchen, das ſie ohne Kamm vorſtellt, und ſagt: IT. 22% 340 „Da ift dein Mariechen, und hat doch keinen Kamm auf.“ Ich habe ſeitdem viel darauf geachtet, und bin zur Ueberzeugung gekommen, daß eigentliche Schluß— folgerungen ſich in der Regel erſt in der zweiten Hälfte des dritten Lebensjahres einſtellen. Und dies alles hat ſich langſam an der Hand der Sinne entwickelt, und dieſe Hand ſelbſt war vorher bei jeder Regung der Ausbildung bedürftig. Sie hat es aber fertig gebracht, dem Hirn die Seele einzuleben. Ein anderer Forſcher mag für mich das Wort ergreifen, da er es deutlich ausſpricht, was ich mit dieſem Ausflug in die Entwicklung des Neugeborenen erweiſen wollte. „Das Neugeborene“, ſagt Beſſer, „empfindet in unſerm Sinne nicht, es hat kein Gefühl „wie wir, es vermag nicht, ſich etwas vorzuſtellen. „Wer beobachten will, ſieht das, was wir Empfindung „zu nennen uns gewöhnt haben, langſam, ganz lang— „ſam, in der Zeit von Jahren wachſen und allmälig „entſtehen“. . . . „Das angeblich ſeeliſche Gebahren „im Neugeborenen . . . iſt für reflectoriſches Geſchehen „der in nachweisbarer Neubildung begriffenen ner— „vöſen Central-Organe zu halten.“) *) Beſſer, a. a. O. S. 9 und 10. 341 Wenn aber das Beſeelen des Säuglings Zeit er— fordert und nur auf ſinnlichem Wege zu Stande kommt, alles Geſchehen im Leben des Erwachſenen, mag es ſich dabei um die Ausführung einer Bewegung, das Zuſtandekommen einer Empfindung oder um Erſchein— ungen der Gedankenwelt handeln, liefert uns den Schlüſſel zu jenen zeitlichen Schranken. Nur hat es lange gedauert, bevor man die Zeitdauer dieſer Vorgänge meſſen lernte, obgleich Albrecht von Haller ſchon der Thatſache auf der Spur war, daß es ſich dabei nicht um unabſehbare Geſchwindigkeiten handelt. Weil der berühmte Berliner Forſcher Johannes Müller an ſolch unabſehbare Geſchwindigkeit glaubte, zweifelte er an der Möglichkeit, daß wir je die Mittel gewinnen ſollten, die Geſchwindigkeit der Nervenwir— kung zu ermeſſen.“) Glücklicherweiſe hat uns indeſſen Johannes Müller die betreffende Erkenntniß nicht verſagt, und es hätte ihn deshalb kein un behagliches ) „Alle Verſuche“ — jo konnte Johannes Müller da- mals ſchreiben —, „alle Verſuche, die Schnelligkeit dieſer Wirkung „zu meſſen, beruhen auf keiner erfahrungsmäßigen ſichern Baſis. „. . . . Wir werden wohl auch nie die Mittel gewinnen, die Ge— „ſchwindigkeit der Nervenwirkung zu ermitteln, da uns die Ver— „gleichung ungeheurer Entfernungen fehlt, aus der die Schnellig— „keit einer dem Nerven in dieſer Hinſicht analogen Wirkung des „Lichts berechnet werden kann.“ Johannes Müller, Handbuch der Phyſiologie des Menſchen. 1844, Bd. I, S. 581. 342 Staunen zu ergreifen brauchen, wenn er e3 erlebt hätte, daß kein Vierteljahrhundert, ſeitdem er jene Worte ſchrieb, verſtreichen würde, bevor die von ihm ſelber beflügelte raſtloſe Forſchung die Aufgabe, die er zwar nicht für unlösbar erklärte, aber deren Lös— barkeit er bezweifelte, in befriedigender Weiſe gelöſt haben würde. Die Loſung war: nicht verzagen! nicht glauben an eine unüberſteigbare Schranke, ſondern überzeugt ſein, daß der Menſch das Maaß aller Dinge iſt und ihm der Weg zur Selbſterkenntniß offen ſteht, wenn er ſich nur entſchließt Maaß anzulegen. Indeſſen Müller's Zweifel waren damals wohl begreiflich. Blitzſchnell galt der Menſchheit ihr Ge— danke, ein Augenblick war ihr das Maaß der kleinſten Zeitſpanne, und eine Willensthat ſollte an Schnelligkeit den Gedankenblitz erreichen können. Wie ſollte es möglich ſein, auf den kurzen Wegen, welche ein Em— pfindungsreiz durcheilt, wenn er vom Ohr zum Hirn dringt, oder ein Willenstrieb, wenn er vom Hirn zu den Muskeln geht, ſolche Geſchwindigkeit meſſend zu ereilen? Seltſam genug, an einem der größten Forſcher, an einem Entdecker, der ſo früh dahinſchied, daß er kein übermäßiges Alter zu erreichen gebraucht hätte, um an den betreffenden Arbeiten ſelber Theil zu nehmen, ſollte ſich bewähren, was er doch an ſich ſelbſt REN ER N * — 343 erfahren hatte, daß es nur darauf ankommt, das Vorausgeſetzte, nicht weil es allgemein angenommen wird, auch für wahr zu halten, damit die ſcheinbar größten Räthſel gelöſt werden. Die Vorausſetzung beſtand hier eben darin, daß Gedanke, Empfindung, Muskelbewegung mit einer Schnelligkeit erfolgen ſollten, welche an die des Lichts oder gar an die der Elektricität gemahnte. Allein ſowie man wirklich maß, und ſchon Haller hatte es verſucht, zeigte ſich jene Vorausſetzung als irrig, und ſeitdem hat ſich des Menſchen Wahn von ſeiner Ge— dankenſchnelligkeit in gemeſſene Grenzen bequemt, für welche uns die Selbſterkenntniß tröſtenden Erſatz gewährt. Immerhin galt es kleine Zeiträume meſſen zu können, nicht weil die Geſchwindigkeit ſo groß, ſondern weil die Wege, die durchlaufen werden, ſo klein ſind. Das Mittel dazu hatte Pouillet entdeckt. Es folgt nämlich aus der durch ihn bekannt gewordenen Thatſache, daß ein elektriſcher Strom in ganz kurzer Zeit eine ſicht— bare Wirkung erzeugt, deren Größe in gleichem Verhält— niß mit der Dauer des Stromes wächſt. Die ſichtbare Wirkung beſteht aber darin, daß ein elektriſcher Strom, der eine Magnetnadel in Ebenen, die zu ihrer Ruhelage mehr oder weniger parallel ſind, umkreiſt, dieſe Nadel ablenkt, ſo daß ſie einer zu ihrer urſprünglichen Lage 344 ſenkrechten Richtung zuſtrebt. Bleibt der Strom dauernd geſchloſſen, dann nimmt die Nadel eine neue feſte Stellung ein, die ſich als ihre bleibende Ablenkung ergiebt; iſt aber der Strom ſchwach und dauert ſein Schluß nur ſehr kurze Zeit, dann erhält die Nadel bloß einen Antrieb, weicht um eine mit der Dauer des Stromſchluſſes im Verhältniß wachſende Winfel- größe von ihrer Ruheſtellung, beziehungsweiſe dem Nullpunkt ab, und kehrt, ſo wie der Strom geöffnet wird, durch den Erdmagnetismus beſtimmt, zum Null- punkt zurück. Da nun — und dies iſt Pouillet's Entdeckung — die Winkelgröße der Ablenkung mit der Dauer des Stromſchluſſes, ſo lange es ſich um kleine Ablenkungen handelt, in ſtetigem Verhältniß wächſt, ſo läuft die Aufgabe darauf hinaus, zu ſorgen, daß beim Beginn eines Vorgangs der nadelablenkende Strom geſchloſſen, am Ende des Vorgangs dagegen wieder geöffnet werde. Dann haben wir den elek— triſchen Strom, der als Zeitüberwinder ſo Mächtiges leiſtet, auch in einen zuverläſſigen Zeitmeſſer ver— wandelt, und zwar für Zeiträume, welche nur kleine Bruchtheile einer Secunde betragen. Pouillet ſelbſt hat den Gedanken, der ſolchen Meſſungen zu Grunde liegt, darauf angewandt, die Geſchwindigkeit der Kugel im Flintenlauf zu beſtimmen. Der zeitmeſſende Strom wurde in dem Augenblick 345 geſchloſſen, in welchem der Hahn auf das Zündhütchen niederfiel, und geöffnet, indem ein dicht vor der Flinten— mündung ausgeſpannter Draht, der zu der Strombahn gehörte, von der ausfahrenden Kugel zerriſſen ward. Die Nadelablenkung ergab die Stromdauer, denn es war vorher ermittelt, welchem Bruchtheil der Zeit jede Nadelablenkung entſprach und ſomit beſtimmte dieſe auch die Zeit, in welcher die Kugel den Flinten— lauf durcheilt hatte. Dieſe Unterſuchung war das Vorbild für die Be— ſtimmung der Zeit, welche die Fortpflanzung des bewegungvermittelnden Vorgangs im Nerven in An— ſpruch nimmt. Helmholtz, der in dieſen Studien die Bahn ge— brochen, ſorgte dafür, daß in dem Augenblick, in welchem der zu einem Muskel gehende Nerv gereizt wurde, der zeitmeſſende Strom geſchloſſen ward, und daß der Muskel ſelbſt bei ſeiner Zuſammenziehung eine metalliſche, d. h. leitende Berührung aufhob und dadurch den Stromkreis öffnete. In den Stromkreis war, wie bei Pouillet's Verſuchen eine von dem Strom zu umkreiſende Magnetnadel, ein Galvano— meter, eingeſchaltet, und die Ablenkung dieſer Nadel maß die Zeit, während welcher der Stromſchluß gedauert hatte, alſo die Zeit, welche zwiſchen dem Erregungs— vorgang und der Muskelverkürzung verfloſſen war. 346 Schon die Kenntniß dieſer Zeit war offenbar von Belang. Aber es war bei der Unterſuchung auf etwas Anderes abgeſehen. Es galt zu wiſſen, in welcher Zeit eine Nervenſtrecke von bekannter Länge von dem bewegungvermittelnden Vorgang durchfloſſen würde. In aller Reinheit ließen ſich die dazu erforder— lichen Verſuche an den ihre Auslöſung aus dem Körper lange überlebenden Nerven und Muskeln des von Swammerdam der Naturlehre geweihten Froſches ausführen. Zu einer zweckentſprechenden Zeitbeſtimmung waren nämlich jedes Mal drei Verſuche nöthig. Man reizt den Nerv zuerſt an einer vom Muskel möglichſt entfernten, dann an einer möglichſt nahe gelegenen Stelle, und zuletzt ein drittes Mal wieder an derſelben Stelle, mit der man angefangen hatte. So erhält man drei Geſchwindigkeitsmeſſungen, und indem man aus der erſten und dritten das Mittel berechnet, be— ſeitigt man die Unterſchiede, welche die Veränderungen bedingen konnten, die der aus dem Körper gelöſte Nerv und vielleicht auch der Muskel zwiſchen der erſten und zweiten Meſſung, durch Ermüdung, Er— kalten, Austrocknen, chemiſche und andere Einflüſſe erlitten haben mochte. Da die dritte Meſſung mit der Wirkung ſolcher Einflüſſe in erhöhtem Maaße behaftet ſein mußte, ſo war offenbar das Mittel aus der erſten 347 und dritten Meſſung mit dem unmittelbaren Ergebniß der zweiten nach Möglichkeit vergleichbar. Man kannte nun die Zeit, die verſtrich, wenn der Vorgang im Nerven eine längere und ebenſo die, welche dahin ging, wenn er eine kürzere Strecke des Nerven zu durchfließen hatte. Da man die erſtere regelmäßig und in beſtimmtem Verhältniß größer fand als die letztere, ſo brauchte man offenbar nur dieſe von jener abzuziehen, und die zwiſchen den beiden gereizten Stellen liegende Nervenſtrecke zu meſſen, um die Zeit zu erfahren, welche die Fortpflanzung im Nerven von der dem Muskel ferner liegenden ge— reizten Stelle zur näher liegenden verbrauchte. Nach dieſem Verfahren berechnete Helmholtz, daß in den bewegenden Froſchnerven der Erregungsvorgang mit einer mittleren Geſchwindigkeit von 26,4 Meter in der Secunde ſich fortpflanzt. Hiernach würde eine Strecke des Froſchnerven von 3 Centimeter Länge in 11 Zehntauſendſteln einer Secunde vom Erregungs- vorgang durchmeſſen. Die Geſchwindigkeit der Nervenleitung, wie wir die Fortpflanzung des Erregungsvorgangs im Nerven nennen können, wurde demnach aus dem Unterſchied zwiſchen zwei unmittelbar beobachteten Geſchwindig— keiten berechnet, ähnlich wie Pouillet die Geſchwindig— keit der Flintenkugel in der Luft dadurch ermittelte, 348 daß er die für den Durchgang durch den Flintenlauf gefundene Zeit von derjenigen abzog, die er beobachtete, als ſtatt des Draths dicht vor der Mündung der Flinte in beliebiger Entfernung von dieſer Mündung ein Drathnetz ausgeſpannt war, welches die Kugel zerriß, ſo daß der leitende Stromkreis durchbrochen, mithin der meſſende Strom aufgehoben ward. Aber Helmholtzhat ſich nicht auf das Pouillet'ſche Verfahren beſchränkt, um die Geſchwindigkeit der Leitung in Bewegungsnerven zu beſtimmen. Es war ihm darum zu thun, den ganzen Vorgang der Muskelverkürzung zu verſinnlichen, indem er ihn vom Muskel ſelbſt auf— ſchreiben ließ. Dies war durch eine Schreibweiſe er— möglicht, deren ſich ſeit längerer Zeit die Wiſſenſchaft bediente, um Veränderungen ſichtbar und meßbar zu machen, deren einzelnen Stufen das Auge ohne ſolche Hülfsmittel nicht zu folgen vermöchte. Die Schreib— weiſe beſteht darin, daß man mit Hülfe einer geeigneten Zwiſchenvorrichtung den Stufenwechſel, z. B. die Höheſchwankungen einer Flüſſigkeit, auf einen zeichnen- den Stift überträgt. Wenn ein ſolcher Stift an einer ſich drehenden berußten Walze vorbei ſtreift, ſchreibt er eine Linie, welche, wenn der Reizanſtoß ein ein— ziger, augenblicklicher war, den ganzen Hergang der Zuſammenziehung und Erſchlaffung des Muskels in allen ihren einzelnen Wechſelzuſtänden verzeichnet. 349 Man muß natürlich die Umdrehungsgeſchwindigkeit der Walze kennen und ſich darauf verlaſſen können, daß dieſelbe gleichmäßig iſt, um aus dem Verhältniß der gezeichneten krummen Linie oder eines Theils der— ſelben zum Walzenumfang die Zeit, die das Auf⸗ zeichnen in Anſpruch nahm, zu berechnen. Wirkt nun der Reiz unmittelbar auf den Muskel ſelbſt und iſt durch die Anordnung der Werkzeuge dafür geſorgt, daß der Augenblick, in welchem der Reiz einwirkt, verzeichnet wird, dann erkennt man an der gezeichneten Linie, daß der Muskel nicht in demſelben Augenblick, in dem ihn die Reizung trifft, ſeine Verkürzung beginnt. Der Reiz iſt elektriſch, der zeichnende Stift mit einer Hebelvorrichtung ver— bunden, welche der ſich verkürzende Muskel bewegt, und zwiſchen dem Augenblick des Reizes und dem, in welchem der Muskel ſeine Verkürzung beginnt, ver— ſtreicht durchſchnittlich ein Hundertſtel Secunde, die Zeit der ſogenannten verborgenen Reizung. Und wenn man, ſtatt den Muskel unmittelbar zu reizen, ſeinen Nerven reizt, das eine Mal in der Nähe, das andere Mal in möglichſt großer Entfernung vom Muskel, dann gewahrt man, daß die Verkürzung des letzteren das erſte Mal früher anhub als das zweite Mal, und man gelangt durch den unmittelbar zu meſſenden Unterſchied zwiſchen der Länge zweier 350 Linien zur Erkenntniß der Zeit, die verfließen mußte, damit der Erregungsvorgang im Nerven von der dem Muskel ferneren zur näheren Strecke fortſchritt. Bei dieſer Verſuchsweiſe traf Helmholtz die Geſchwindigkeit gleich 27,25 Meter in der Secunde, jo daß man als runde Zahl 27 Meter Secunden- geſchwindigkeit gelten läßt. Siebenundzwanzig Meter in einer Secunde? Das iſt eine kleine Zahl, wenn man bedenkt, daß der Schall in der Luft 12 Mal, im Waſſer 53 und im Eiſen 129 Mal ſo ſchnell ſich fortpflanzt. Jedem ſteigt alſo die Frage auf, ob nicht etwa der Froſch ſich eben durch jene kleine Geſchwindigkeit ſeiner Nervenleitung als Froſch ausweiſt, ob man nicht beim Menſchen ganz andere Zahlen zu erwarten hat. Des Menſchen Nerven und Muskeln kann man nicht wie jene des Froſches aus dem Leib ausſchälen, und wenn man es könnte, würde man mit dem Uebel- ſtand zu kämpfen haben, daß Muskeln und Nerven des Menſchen, aus dem Zuſammenhang des Körpers gelöſt, dem Blutkreislauf entzogen, nicht jo zähe über- lebend ſind wie die des Froſches, der ja gerade durch die Nachdauer der Lebenseigenſchaften ſeiner Theile dem Naturforſcher ſo unentbehrlich geworden iſt wie Wage und Magnetnadel. Um die Leitungsgeſchwindigkeit in den Bewegungs- ee 351 nerven des Menſchen zu ermitteln, mußte alſo ein anderer Weg eingeſchlagen werden. Es galt einen Nerven zu benützen, welcher in einer hinlänglich langen Strecke oberflächlich genug verläuft, um in verſchiedener Entfernung von den Muskeln, die er verſorgt, gereizt zu werden, und von den in Folge dieſer Reizung bei der Zuſammenziehung ſich verdickenden Muskeln ihre Zuckung aufſchreiben zu laſſen. Ein ſolcher Nerv iſt der Mittelarmnerv*), der das eine Mal am Oberarm, das andere Mal in der Nähe des Handgelenks gereizt wurde; die von ihm verſorgten Muskeln, die ihre eigene Verdickung aufſchrieben, waren die des Daumen— ballens ““). Um ſtörende Armbewegungen zu verhüten war der Arm mit Gyps umgofjen, der nur für die Zuleiter des elektriſchen Reizes an den ſoeben be— zeichneten Stellen geeignete Lücken enthielt. Wurde nun an der ferneren Stelle gereizt, ſo wurde die Muskelzuckung ſpäter aufgeſchrieben, als wenn die Reizung in der Nähe der Muskeln geſchah. Mit dieſem Verfahren ermittelten Helmholtz und Baxt für die Leitung in den Muskelnerven des Menſchen eine Geſchwindigkeit von 34 Meter in der Secunde. ) Nervus medianus. *) Der kurze Abzieher des Daumens, Musculus abductor pollieis brevis, der Gegenſteller des Daumens, Musculus oppo- nens pollicis, und der kurze Beuger des Daumens, Musculus flexor pollicis brevis. 352 Dieſe Zahl übertrifft aber die am Froſche gefundene nur um etwa ein Viertel ihrer Größe. Mit der Geſchwindigkeit der Leitung des Erregungs— vorgangs im menſchlichen Bewegungsnerven ſtimmt nun die in unſeren Empfindungsnerven auf befrie— digende Weiſe überein, und das Befriedigende dieſer Thatſache liegt darin, daß alles darauf hinweiſt, daß zwiſchen den Nervenfaſern der Bewegungs- und denen der Empfindungsnerven auf ihrer Bahn zwiſchen den Nervenherden (Hirn und Rückenmark) und ihrer End— ausbreitung in Muskeln und Sinnesorganen überhaupt kein weſentlicher Unterſchied beſteht. Sie find gewiſſer— maßen gleichgültige Leiter zwiſchen den empfindenden Oberflächen und dem Hirn, wie zwiſchen dieſem und den Muskeln, und die außerordentlich verſchiedene Wirkung, welche ſie vermitteln, hat ihren Grund in der verſchiedenen Urſprungs- und Endigungsweiſe, etwa wie dieſelbe Luft dasſelbe Wort vom Redner zum Hörer leitet, aber je nach den Perſonen, die ſprechen und hören, die mannigfaltigſten Erfolge vermitteln kann. In den Empfindungsnerven des Menſchen iſt nun aber die Geſchwindigkeit der Nervenleitung nur auf mittelbarem Wege zu beſtimmen. Man iſt nämlich darauf angewieſen, die Zeit, welche zwiſchen der An— wendung eines Hautreizes und dem Augenblick, in welchem die Wahrnehmung dieſes Reizes von der Hand 353 zu erkennen gegeben wird, zu meſſen, und unter der Annahme, daß die Fortleitung des Reizes, ſeine Em— pfindung, ſeine Wahrnehmung, die Beſtimmung und Ausführung des Willens in gleichmäßiger Weiſe ver— mittelſt derſelben Hand ſtattfinden, hat man vergleichende Meſſungen angeſtellt, indem man das eine Mal eine dem Gehirne nähere, das andere Mal eine fernliegende Hautſtelle reizte. Unter der Vorausſetzung, daß alles Uebrige gleich geblieben, und nur der Weg, den der Erregungsvorgang in den Empfindungsnerven zu durch— laufen hatte, verſchieden lang war, kann man die längere Dauer, die der längere Weg für den ganzen Vorgang in Anſpruch nimmt, eben mit der Weglänge in Zuſammenhang bringen, und aus dem Zeitunterſchied, den die Einſchließung des längeren und des kürzeren Wegs in dem ganzen Vorgang ergeben, die Fort— pflanzungsgeſchwindigkeit der Erregung im Nerven beſtimmen. | Sehr brauchbare Unterſuchungen find in dieſer Richtung mit dem Schreibverfahren ausgeführt worden. Es wurde mittelſt eines Hebels auf einer berußten Walze eine gerade Linie verzeichnet, die im Augenblick der Reizung plötzlich ſich ſelber parallel verſchoben wird, dann aber ſich gerade fortſetzt, bis der Beobachter im Augenblicke, in dem er den Reiz gewahr wird, die Linie zu ihrer urſprünglichen Lage zurückführt. Dies II. 23 354 gelingt ihm mittelſt einer elektromagnetiſchen Vor— richtung, deren Magnet im Augenblick der Reizung durch Unterbrechung des elektriſchen Stroms die An— ziehungskraft verlor, welche den Schreibhebel hob, um ſie im Augenblick der Wahrnehmung des Reizes durch die vom Beobachter erneute Schließung des Stroms wiederzugewinnen, wodurch der vom wiederhergeſtellten Magneten angezogene Schreibhebel plötzlich wieder in die Höhe geht. Da der zwiſchen dem Augenblick der Reizung und dem der Wahrnehmung vom Schreib— hebel gezeichnete Theil der Linie eine genau begrenzte tiefere Lage hat als der übrige Verlauf derſelben, ſo kann man ihre Länge meſſen. Und da wiederum durch eine elektromagnetiſche Vorrichtung, die mittelſt eines ſtromſchließenden Pendels abwechſelnd eine Secunde lang magnetiſch und während einer anderen Secunde un— magnetiſch gemacht wurde, ein anderer Schreibhebel, der vom Magneten jener Vorrichtung eine Secunde lang abwechſelnd angezogen und losgelaſſen wurde, eine in Secunden eingetheilte gebrochene Linie ſchrieb, ſo ward parallel der Maaßlinie eine Zeitlinie verzeichnet, die es geſtattet, die Länge der Linie, die der Zwiſchenzeit zwiſchen Reiz und Wahrnehmung entſpricht, auf Bruch— theile einer Secunde zurückzuführen. Dieſe Schreib— weiſe iſt die von Krille in die Sternwarten ein— geführte, und ſie ward zuerſt von Rudolf Schelske 355 für die Unterſuchung der Leitungsgeſchwindigkeit in menſchlichen Empfindungsnerven verwerthet*). Indeſſen vor Schelske hatte Adolf Hirſch, der Sternkundige von Neuchatel in der Schweiz, die be— treffenden Meſſungen mit dem beſten Erfolg nach einem anderen Verſuchsplan ausgeführt, und es iſt keine kleine Gewähr für den Werth der von ihm er— mittelten Zahlen, daß ſie zunächſt mit der von Helm- holtz und Baxt für menſchliche Bewegungsnerven er— mittelten übereinſtimmt, ſodann aber mit den Maaßen, die Schelske ſeinerſeits für menſchliche Empfindungs— nerven verzeichnet hat. Hirſch benützte zu ſeinen Forſchungen den von Hipp erbauten Zeitgucker“ ). Dieſes vortreffliche Meß— werkzeug iſt im Weſentlichen ein durch ein Gewicht getriebenes Uhrwerk, welches ſtatt durch ein Pendel durch eine ſchwingende Feder geregelt wird. Es iſt an dieſer Uhr ein doppeltes Zifferblatt angebracht. Der Zeiger des unteren Zifferblatts zeigt Zehntel, der des oberen Tauſendſtel Secunde. Dieſe Zeiger ſind aber von dem Haupträderwerk der Uhr unabhängig. ) Rudolf Schelske, Neue Meſſungen der Fortpflanzungs- geſchwindigkeit des Reizes in den menſchlichen Nerven, in Reichert's und Du Bois-Reymond's Archiv für Anatomie und Phyſiologie. 1864, S. 153 159. *) Chronoſkop. — Hipp's Chronoſkop iſt von Hirſch be— ſchrieben in Moleſchott's Unterſuchungen, Bd. IX, S. 187-191. IL 234“ 356 Sie können nämlich mittelſt eines Elektromagneten in ihrer Bewegung angehalten, beziehungsweiſe durch Unterbrechung eines elektriſchen Stromes, der den Magnetismus des hemmenden Eiſenſtücks aufhebt, in Bewegung verſetzt werden. Man mißt mit Hülfe von Hipp's Zeitgucker die Tauſendſtel Secunde, die zwiſchen der Oeffnung und der Schließung eines elektriſchen Stroms vergehen. Ordnet man alſo den Verſuch in der Weiſe, daß der den Gang der Zeiger hemmende Strom im Augenblick des Reizes geöffnet, im Augenblick der Wahrnehmung dieſes Reizes ge— ſchloſſen wird, ſo iſt die Meſſung erfolgt. Hirſch erhielt nun mit Hülfe des Hipp'ſchen Zeitguckers, indem er bald an der Hand, bald am Fuß reizte, für die menſchlichen Nerven eine Leitungs⸗ geſchwindigkeit von 34 Meter in der Secunde. Schelske, der ſich, wie gejagt, des Schreibverfahrens bediente, erhielt in einem Falle, in welchem er das eine Mal am vorderen Fußrücken, das andere Mal am Halſe dicht unter dem Ohre reizte, die Geſchwindigkeit gleich 33 Meter. Da nun, wenn man an irgend einer Stelle des Beines reizt, das ganze Rückenmark von dem Erregungs⸗ vorgang durchfloſſen wird, ſo entſteht die Frage, ob nicht in dieſem Nervenherd, der im Vergleich zu den Nerven einen ſo verwickelten Bau beſitzt, eine andere 357 Geſchwindigkeit eintritt als in den leitenden Nerven. In der That iſt behauptet worden, daß im Rücken— mark die Leitung eine Verzögerung erfahre. Aus Schelske's Verſuchen läßt ſich jedoch ableiten, daß dem nicht ſo iſt. Er hat nämlich zweimal den Verſuch ſo angeſtellt, daß bei beiden Reizungen das Rücken— mark durchlaufen werden mußte, indem er das eine Mal am inneren Fußrande, das andere Mal in der Leiſtengegend reizte. In dem Fall, dem die oben mitgetheilte Zahl entnommen iſt, wurde nur das eine Mal das Rückenmark durchlaufen, deſſen verzögernder Einfluß hätte ſich alſo geltend machen müſſen, und Schelske hätte alſo in dieſem Falle eine kleinere Zahl erhalten müſſen als in den beiden anderen Verſuchen, in welchen bei je zwei Reizungen jedesmal das ganze Rückenmark durchlaufen ward. Aber das Gegentheil war der Fall; in den beiden letzteren Verſuchen er— gaben ſich kleinere Zahlen (31 und 25) als in dem erſten (33). Und als Schelske, der jene Verſuche nicht in dem hier gedeuteten Sinn verwerthet hat, auf kürzerem Weg das Ziel verfolgte, die Leitungsge— ſchwindigkeit im Rückenmark zu prüfen, indem er das eine Mal eine dem unteren, das andere Mal eine dem oberen Ende des Rückenmarks entſprechende Hautſtelle reizte, erhielt er die Zahl 31. Hieraus müßte man alſo folgern, daß der durch einen Hautreiz ausgelöſte 358 Erregungsvorgang das Rückenmark mit derjelben Ge— ſchwindigkeit durchläuft wie die Nervenſtämme. Und dieſe Folgerung hat nichts Auffallendes, wenn man mit Schiff annimmt, daß wenigſtens einfache Berüh— rungsreize, die nicht ſchmerzhaft ſind, die Nervenfaſern der hinteren Stränge des Rückenmarks durchwan— dern, ohne auf dieſem Wege Nervenzellen zu begegnen. Somit hätten wir das Ergebniß gewonnen, daß die Leitung des Erregungsvorgangs in menſchlichen Be— wegungs- wie Empfindungsnerven eine endliche Ge— ſchwindigkeit beſitzt, die weit hinter den Erwartungen des Königs der Erde zurückgeblieben iſt. Wir dürfen ſie zu 34 Meter in der Secunde veranſchlagen, indem wir den Verſuchen an Bewegungsnerven wegen ihrer größeren Zuverläſſigkeit ein größeres Stimmrecht einräumen. Wir find aber mit dieſen Unterſuchungen ſchon in das Gehege eingedrungen, in welchem die geheimſten Vorgänge der Empfindung, Wahrnehmung und Willens— regung abſpielen. Haben wir doch die Leitungsge— ſchwindigkeit in den Empfindungsnerven nicht un— mittelbar gemeſſen, ſondern jedesmal die ganze Zeit, welche zwiſchen der Reizung einer Hautſtelle und der Kundgebung dieſer Reizung verlief, und jedesmal zwei Verſuche mit einander verglichen, in welchen der Haut— reiz in verſchiedenen Abſtänden vom Gehirn angebracht wurde. 359 Aber dieſer ganze Zeitraum hat für unſere Selbſt— erkenntniß eine ungemeine Wichtigkeit. Es war daher ſehr zweckmäßig ihn durch einen beſonderen Namen zu bezeichnen. Hirſch nennt die Dauer zwiſchen Reiz und Kundgebung die phyſiologiſche Zeit, Exner zieht den Namen Reactionszeit vor, ich möchte, einen deutſchen Namen wünſchend, Kundzeit jagen. Die Sternkundigen haben früher das Bedürfniß gefühlt, dieſe Kundzeit zu meſſen als die Aerzte und Lebensforſcher, und zwar galt es den Sternkundigen im engſten Sinne darum, dem Delphi'ſchen Spruche: erkenne dich ſelbſt, zu gehorchen. Sie wußten nämlich, daß wenn zwei gleich geübte und zuverläſſige Beobachter den Durchgang eines Sternes wahrnehmen, dies niemals genau zur gleichen Zeit geſchieht, ja daß der Unterſchied, der gewöhnlich nach Hundertſteln oder Zehnteln einer Secunde zählt, ſogar über eine ganze Secunde ſteigen kann, um die der eine Beobachter ſpäter beobachtet als der andere. Um ihre Wahrnehmungen genau aufeinander beziehen zu können, beſtimmen die Sternkundigen dieſen Unter— ſchied im Zeitpunkte ihrer Beobachtungen und nennen den zwiſchen zwei Beobachtern herrſchenden Unterſchied ihre perſönliche Gleichung. Und da man ermittelt hat, daß dieſe perſönliche Gleichung im Laufe der Zeit Aenderungen erleidet, ja an einem und dem— 360 ſelben Tage um einige Hundertſtel Secunde ändern kann“), jo iſt es natürlich, daß in einer Sternwarte die Beobachter ſich ſelbſt prüfen, wie ihre Uhren und Fernrohre, um den höchſten Grad der Genauigkeit zu erreichen. Offenbar wird zur Beſtimmung der perſönlichen Gleichung nur das Ende, nicht der Anfang der Kund— zeit beſtimmt, es werden alſo nicht zwei ganze Kund— zeiten gemeſſen, ſondern nur der Unterſchied zwiſchen beiden. Indeß war die perſönliche Gleichung der Ausgangs- punkt für die Meſſung der Kundzeit, und Adolf Hirſch war im Jahre 1862 der erſte, der die Meſſung mit dem Hipp' ſchen Zeitgucker auf verſchiedene Sinne des Menſchen anwandte, nachdem Helmholtz ſchon im Jahre 1850 die Kundzeit des Taſtſinns mit Hülfe des Pouillet' chen Verfahrens beſtimmt hatte. In jedem Verſuch mußte alſo der Reiz im Augen⸗ blick der Oeffnung des zeigerhemmenden Stromes an— gebracht, und dieſer letztere im Augenblick der Kund— gebung der Wahrnehmung des Reizes wieder geſchloſſen werden. Als es ſich darum handelte, die Kundzeit für den Geſichtsſinn zu beſtimmen, ward die Oeffnung des *) Siehe Hirſch in Moleſchott's Unterſuchungen, Bd. IX, S. 207. 361 elektriſchen Stroms, der die Zeiger hemmt, dazu be— nützt, in einer benachbarten Drathrolle einen Strom zu erzeugen, deren Enden einander ſo nahe lagen, daß zwiſchen dieſen ein Funken überſprang, der als Licht- erſcheinung beobachtet wurde. Gilt es der Kundzeit für das Ohr, dann wird durch eine fallende Kugel der zeigerhemmende Strom geöffnet. Und wenn die Kundzeit für den Taſtſinn zu be— ſtimmen war, ſo war die Anordnung ganz ähnlich der für den Geſichtsſinn benützten, nur daß zwiſchen die Drathenden der Rolle, in welcher der Oeffnungsſtrom erzeugt wurde, nicht Luft, ſondern eine Hautſtrecke eingeſchoben ward. Es wurde der Haut nur ein ſchwacher Oeffnungsſchlag ertheilt, der ſich wie ein leichter Nadelſtich fühlbar machte. So war für die drei höheren Sinne die Aufgabe gelöſt, den Augenblick der Reizung mit dem der Oeff— nung des zeigerhemmenden Stroms zuſammenfallen zu laſſen, indem entweder die Oeffnung dieſes Stromes ſelbſt die Reizung beſorgte, wie beim Geſicht und Gefühl, oder aber, wie beim Gehör, die Reizurſache den zeiger— hemmenden Strom öffnete. Folglich fingen im Augen— blick der Reizung die Zeiger an zu gehen. Der Schluß der Kundzeit, d. h. der Augenblick der Wahrnehmung des Reizes ward in allen Fällen 362 auf dieſelbe Weiſe ermittelt, indem der Beobachter den zeigerhemmenden Strom wieder ſchloß, was durch einen einfachen Fingerdruck bewirkt wurde. Aus den an ſich ſelber angeſtellten Verſuchen ergab ſich Hirſch die Kundzeit für das Sehen eines Funkens genau gleich einem Fünftel Secunde, die für das Gehör war etwas kleiner als ein Siebentel Secunde, die für das Gefühl lag zwiſchen beiden mit dem Werth von zwei Elftel. l Unterſuchungen von Hankel, Donders, von Wittich, Wundt, Exner, Auerbach und von Kries, Buccola haben ganz ähnliche Zahlen geliefert. Jedenfalls ergiebt ſich aus all den Meſſungen dieſelbe Rangordnung für die drei in Rede ſtehenden Sinne. Das Gehör erforderte die kürzeſte, das Geſicht die längſte Kundzeit, das Gefühl lag zwiſchen beiden. Ich habe aus den Zahlen der obengenannten Forſcher die Mittel berechnet und finde demnach die Kundzeit für das Geſicht etwas kleiner als Secunde, für das Gehör gleich ½ 6 für das Gefühl etwas größer als !r 2 Dennoch würde man fehlſchließen, wenn man daraus folgern wollte, daß dieſe Reihenfolge einer Grundeigenſchaft der verſchiedenen Sinne entſpräche, und daß insbeſondere das Ohr ſich durch eine ſchnellere Auffaſſung vor dem Auge auszeichnete. 363 Es hat ſich nämlich herausgeſtellt, daß die Kund— zeit eine weſentliche Verkürzung erleidet, wenn der Reiz an Stärke wächſt. Dies hatte ſchon Hirſch bei elektriſchen Hautreizen erfahren, denen i bei ſchwächerem Strom eine Kundzeit von 191, bei ſtärkerem Strom 2 a 9315 Tauſentſtel Secunde entſprach“). Wundt beobachtete denſelben Einfluß der Reizſtärke für Gehöreindrücke. Er ſtufte die Reizſtärke ab, indem er einen Fallhammer oder eine Kugel aus verſchiedenen Höhen herabfallen ließ, und erhielt bei größerer Fallhöhe eine kleinere Kundzeit. Fiel z. B. die Kugel aus einer Höhe von 5 Centimeter, ſo erhielt er N ee, bei der Fallhöhe von 55 Centimeter dagegen nur 94. Und ähnlich verhielt es ſich bei Lichtreizen. Exner hat dieſe abgeſtuft, indem er überſpringende elektriſche Funken von verſchiedener Länge in einem dunklen Raume beobachten ließ. War die Funkenlänge 2 Millimeter, dann war die Kundzeit 158, bei 1 „ Funlenlänge „ „ 1 150, * 5 " " 7 * " 5 138, „ 7 6 95 " 123. Auch Buccola vermochte durch ſtärkeren Lichtreiz ) In den nächſtfolgenden Seiten ſollen die ganzen Zahlen ohne Beifügung einer Maaßeinheit ohne Weiteres Tauſendſtel einer Secunde bedeuten. 364 die Kundzeit nach dem Durchſchnitt von Werthen, die an vier Perſonen ermittelt wurden, von 182 auf 160 herabzudrücken. Dieſem Einfluſſe der Reizſtärke entſpricht es aber, daß, wie Bakhuyzen gefunden hat, bei zunehmender Sternhelligkeit der perſönliche Fehler des Beobachters eine Abnahme erleidet. Endlich haben von Wittich, von Kries und Auerbach, von Vintſchgau und Hönigſchmied, ſowie Buccola die zuerſt von Hirſch beobachtete Thatſache beſtätigt, daß bei ſtärkeren elektriſchen Reizen, mögen fie auf die Haut oder auf die Zunge ein— wirken, die Kundzeit kleiner wird. Vergleicht man dieſem Einfluß folgend die unter verſchiedenen Umſtänden erhaltenen Zahlen, ſo iſt es bedeutungsvoll, daß man bei hinlänglicher Reizſtärke für das Auge ebenſo kurze Kundzeiten beobachten kann wie für das Ohr. Wird dadurch die Annahme einer Bevorzugung des Ohrs, die ſich auf den erſten Blick aus den Zahlen herausleſen könnte, in ihrer Grundlage er— ſchüttert, ſo kann doch noch nicht ohne Weiteres auf gleich ſchnelle Auffaſſung durch die drei höheren Sinne geſchloſſen werden. Dazu wäre nöthig zu erweiſen, daß für alle drei bei gleicher Reizſtärke die Kundzeit gleiche Dauer hat. 365 Wie ſoll man aber die Reizſtärke eines Gehör— eindrucks mit derjenigen eines Lichtreizes oder einer Gefühlserregung vergleichen? zumal da, wie Wundt ſehr richtig hervorhebt, die Stärke eines Reizes nicht bloß durch den Grad ſeiner äußeren Wirkſamkeit be— dingt wird, ſondern auch von dem Zuſtande des Sinnesorgans und dem des Hirns abhängt, ganz be— ſonders aber durch das Fehlen oder Vorhandenſein anderer Reize beeinflußt wird). Gerade in dieſer Beziehung iſt zu bedenken, daß das Auge fortdauernd in einem Grade höherer Erregung verkehrt als das Ohr, und dieſes wenigſtens unter Umſtänden weit mehr erregt ſein kann als die Haut. Es iſt alſo äußerſt ſchwierig, die Sinnesorgane unter gleichen Bedingungen mit gleicher Reizſtärke zu prüfen. Iſt es überhaupt möglich, ſo ſcheint es nur in dem Falle erreichbar, daß man jeden Sinn mit dem möglichſt ſchwachen Reize angreift, d. h. mit einer Reizſtärke, die eben noch wahrgenommen werden kann. Man ſagt von ſolchen Reizen, daß fie gerade nur die Reizſchwelle erreichen. Und an der Reizſchwelle erhielt Wundt Werthe, die, entſprechend der Schwäche des Reizes, für Schall, Licht und Taſtreiz viel größere Zeiten ergeben als die bisher mitgetheilten, und zwar *) Wundt, Grundzüge der phyſiologiſchen Piychologie, 2. Auflage. Leipzig, 1880, Bd. II, S. 224. 366 für alle drei Sinne nahezu ein Drittel Secunde, genauer für den Schall 337, „ das Licht 331, „ den Taſtreiz 327. t Hiernach darf man es denn für ſehr wahrſcheinlich halten, daß, alles Uebrige gleich geſetzt, die Kundzeit für die drei höheren Sinne gleiche Dauer haben werde. Es war ſehr begreiflich, daß ſich die Wißbegierde zunächſt den höheren Sinnen zuwandte, nicht bloß weil uns auf ihrem Wege die reichlichſte Kenntniß zufließt, ſondern auch weil für ſie am klarſten vorliegt, was eigentlich gemeſſen wird. Denn die Reize, welche die Ausbreitung des Seh-, des Hör- und der Haut⸗ nerven treffen, bedürfen an der Sinnesoberfläche keiner beſonderen Vorbereitung, wie ſie für den Geruchsſinn und den Geſchmack in Form der Vertheilung oder Auflöſung chemiſcher Stoffe erfordert wird. Beide dieſe Sinne nehmen die ſtofflichen Eigen ſchaften der Körper wahr, wie das Auge die Aether— ſchwingungen, die wir Licht nennen, das Ohr die Schwingungen der Luft, die Haut Druck- und Wärme⸗ ſchwankungen gewahr wird. Man könnte die drei höheren Sinne als die phyſikaliſchen, Geruch und Geſchmack als die chemiſchen Sinne bezeichnen. 367 Unter dieſen letzteren empfindet der Geruchsſinn nur flüchtige Stoffe, unter der Bedingung, daß ſie an der Ausbreitung der Geruchsnerven in dem oberen Theil der Naſenhöhle, der ſogenannten Geruchsſpalte, vorbeibewegt werden. Zu dieſer Bewegung hilft ſchon der Luftſtrom, den jede Einathembewegung hervor— bringt, mehr noch, wenn ſie beim Schnüffeln an Kraft und Richtung wirkſamer gemacht wird. Von weſent— licher Mitwirkung iſt auch die Vertheilung und durch ſie beförderte Miſchung der flüchtigen Stoffe“), welcher nicht bloß die Wirbel der beim Einathmen einſtrömen— den Luft, ſondern auch die Flimmerbewegung in der Naſenhöhle Vorſchub leiſten. Mißt man nun die Kundzeit des Geruchsſinns, ſo ſind jene Vorgänge der Vertheilung, Miſchung und Bewegung, denen die flüchtigen Stoffe ihre Wirkſam— keit verdanken müſſen, in die Dauer zwiſchen Reiz und Loſung mitinbegriffen, und ſie bilden für das, was bei dieſen Meſſungen vorzugsweiſe wichtig iſt, einen mehr oder minder gleichgültigen Bruchtheil. Man mißt nicht ſowohl die Zeit zwiſchen Reiz und Loſung, als vielmehr die zwiſchen der Entwicklung der flüchtigen Stoffe und der Kundgebung der Geruchs— wahrnehmung verfließende Dauer. Buccola hat den erſten Schritt gethan die Auf— *) Diffufion. R 368 gabe zu löſen, die wieder darin beſtehen mußte, im Augenblick, in welchem der zeigerhemmende Strom am Zeitgucker geöffnet wurde, die flüchtigen Stoffe der Naſe zugänglich zu machen, während der Beobachter ſodann jenen Strom zu ſchließen hatte, ſowie er das Loſungszeichen geben wollte, daß er ſich der Geruchs— empfindung bewußt geworden. Um aber die Riech— ſtoffe in einem beſtimmten Augenblick zur Naſe ge— langen zu laſſen, waren kleine Stückchen Schwamm, die damit behaftet waren, in ein Schächtelchen ein— geſchloſſen, deſſen Deckel, wenn er geöffnet wurde, auf Federn eine Bewegung übertrug, welche eine Unter— brechung des Stromkreiſes bewirken mußte“). Die Stoffe, welche Buccola in Anwendung zog, waren ein wohlriechendes Waſſer, das in Bologna bereitet wird, und in Italien unter dem Namen Acqua di Felsina bekannt iſt, dem Kölniſchen Waſſer ähnlich, Nelkenöl und Schwefeläther. Die mittlere Kundzeit für vier Perſonen war ) Es iſt ohne Zweifel ein Schreibfehler, wenn Buccola bei der Beſchreibung feiner Verſuche mit dem Hipp' ſchen Zeit⸗ gucker den Augenblick der Oeffnung des Stroms mit dem der Schließung verwechſelt und umgekehrt. Siehe Buccola, sulla misura del tempo negli atti psichici elementari, Reggio nell' Emilia, 1881, p. 3, und Buccola, sulla durata delle percezioni olfattive, Rivista di filosofia scientifica, Vol. II, 1883, p. 6. 369 für Felſina-Waſſer 471, „ Nelkenöl 454, „ Schwefeläther 283. Sie war alſo je nach den Riechſtoffen verſchieden lang. In den Einzelverſuchen betrug ſie nie weniger als ein Viertel Secunde, und ſie konnte die Dauer einer halben Secunde überſteigen. Für den Geſchmacksſinn iſt eine ähnliche Ueber— legung zu machen wie für den Geruchsſinn, nur daß die Zufuhr des reizenden Stoffs, die beim Riechen durch Vertheilung in der eingeathmeten Luft bewirkt werden muß, beim Schmecken durch Vertheilung in den Flüſſigkeiten der Mundhöhle ſtattfindet. Von Vintſchgau und Hönigſchmied fanden am Zungen— grund, an welchem die feinſte Geſchmacksempfindung ſtattfindet, die Kundzeit für Kochſalz 543, Zucker 352, „ Chinin 502, durchſchnittlich alſo ein wenig größer als eine halbe Secunde, während in derſelben Zungengegend die Kundzeit für einfache Berührung, alſo für den Taſt— ſinn, nicht ganz ein Siebentel Secunde betrug. Nach dieſen Unterſuchungen könnte man ſchließen wollen, daß die Kundzeit für Gerüche etwas kürzer ſei als für Geſchmacksempfindungen. Dies dürfte indeß II. 24 370 nicht auf einem Unterſchied der dem Sinneswerkzeug innewohnenden Auffaſſungsgeſchwindigkeit beruhen, ſondern darauf, daß ſich die Riechſtoffe ſchneller in der Luft der Naſenhöhle als die Schmeckſtoffe in den Flüſſigkeiten des Mundes vertheilen. Und wenn wir die Zeit für den vorbereitenden Vorgang der Miſchung durch Vertheilung und Auflöſung berückſichtigen, wenn wir bedenken, daß wir für den Zeitverluſt, den jene Vorbereitung bedingt, keinen Maaßſtab haben, ſo bedarf es kaum ausdrücklich hervorgehoben zu werden, daß wir aus den Meſſungen am Geruchs- und Ge— ſchmacksſinn nicht folgern können, daß die unmittel- bare Einwirkung des Reizes auf die betreffenden Sinnesnerven durch eine längere Zeit vom Loſungs— zeichen getrennt ſei, als bei den übrigen Sinnen. Freilich kennen wir bisher auch kein Mittel, um es für dieſe beiden Sinne ebenſo wahrſcheinlich zu machen, daß ihre Kundzeit mit der der übrigen drei überein— ſtimmt, wie die Unterſuchung mit Hülfe der Schwellen- reizung für Geſicht, Gehör und Gefühl eine ſolche Uebereinſtimmung unter einander erſchließen läßt. Da die Reizſtärke einen großen Einfluß auf die Kundzeit ausübt und nicht bloß von der Macht des Reizmittels, ſondern auch von dem Verhalten des Reizerdulders abhängt, ſo lag es nahe zu vermuthen, daß die Uebung es vermöchte, die Kundzeit abzukürzen. 371 Dies iſt nun in der That inſofern der Fall, als in einer längeren Reihe von Verſuchen die erſten ganz gewöhnlich große Zahlen ergaben, welche bei Fortſetzung der Verſuche ſehr bald eine Abnahme erleiden. Allein dieſe Abnahme erreicht ſchnell ihre Grenze, unter welche die Kundzeit auch bei fortgeſetzter Uebung nicht weiter herabgedrückt werden kann. Buccola fand den Einfluß der Uebung zur Herabſetzung der Kundzeit etwas auffälliger für Taſteindrücke als für Licht- und Gehörreize. Jedoch, ſo lang es ſich um die einfache Kundzeit handelt, d. h. um die Dauer zwiſchen der Anwendung einer vorher bekannten Reizwirkung und der Ertheilung der Loſung, zeigt ſich der Ein— fluß der Uebung nicht ſowohl in der Abnahme der Kundzeit, als vielmehr darin, daß ihr Werth in ver— ſchiedenen unter gleichen Bedingungen gewonnenen Be— ſtimmungen nur ſehr geringe Schwankungen erleidet, mit anderen Worten nahezu beſtändig wird. (Adolf Hirſch.) Dem entſpricht es, daß keineswegs die ausge— zeichnetſten Beobachter die kleinſten Kundzeiten in An— ſpruch nehmen. Wilhelm Wundt erhielt für die einfache Kundzeit an ſich ſelber oft größere Werthe als ſeine Schüler, und es iſt bekannt, daß zwei ſo berühmte Sternkundige, wie Beſſel und Argelander, eine auffallend hohe perſönliche Gleichung beſaßen. II. 24* 372 Nur darf man gewiß nicht jo weit gehen, daß man für die einfache Kundzeit den Einfluß der Uebung ganz wegſtreitet. Dagegen ſpricht ſchon die Thatſache, daß Donders die Kundzeit, wenn das Loſungszeichen mit der rechten Hand gegeben ward, um ein Hundertſtel Secunde kleiner fand, als wenn das Wahrzeichen mit der linken Hand ertheilt wurde. Gleich bei den erſten Verſuchen, die wir Hirſch verdanken, ſtellte ſich ein ſehr großer Einfluß der Aufmerkſamkeit auf die Dauer der Kundzeit heraus. Für die Eindrücke auf die Netzhaut verlief nämlich ein Fünftel Secunde zwiſchen Reiz und Wahrzeichen, wenn es ſich um die Beobachtung eines unerwartet überſpringenden Funkens handelte. War dagegen die Beobachtung vorbereitet, indem Hirſch z. B. erſpähte, in welchem Augenblick der Zeiger des unteren Ziffer— blatts des Zeitguckers an einem beſtimmten Zeichen vorbeiging, etwa oben am Nullſtrich, dann ſank die Kundzeit von 200 auf 77, d. h. von einem Fünftel auf ein Dreizehntel Secunde. Dieſen Einfluß der Vorbereitung der Aufmerk— ſamkeit hat Wundt folgerichtig und erſchöpfend für die Auffaſſung von Gehöreindrücken ſtudirt. Er fand jedesmal eine bedeutende Verkürzung der Kundzeit, wenn er dem zu beobachtenden Gehörreiz kurze Zeit vorher ein das baldige Eintreten desſelben verkünden⸗ 373 des Geräuſch vorangehen ließ. Und zwar war die betreffende Verkürzung um ſo bedeutender, je ſtärker der Reiz war. Fiel die Kugel z. B. aus einer Höhe von 25 Centimeter, ſo war die Kundzeit bei vorangehender ohne Verkündigung Verkündigung 76 253 für 5 Centimeter Fallhöhe 175 266. Sie war alſo beim ſtärkeren Geräuſch um mehr als zwei Drittel, bei ſchwächerem Geräuſch dagegen nur etwa um ein Drittel kleiner. Wie man ſieht, war das Ergebniß dieſer wiſſen— ſchaftlich ausgeführten Meſſungen durch einfach er— worbene Erfahrung im Heerweſen längſt bekannt. Ein zu ertheilender Befehl, der ſchnell und genau, d. h. flink ausgeführt werden ſoll, wird nie in einem Athem ertheilt, ſondern das letzte Wort, das den eigentlichen Reiz bildet und von den vorhergehenden gleichſam verkündet wird, wird ſcharf von den anderen getrennt. Und auch der Vortheil des ſtärkeren Reizes war den Feldwebeln längſt bekannt, da ſie ſelbſt, wenn ſie wenige Neulinge einüben, die auch einen ſchwachen Zuruf vernehmen könnten, immer laut ſchreiend befehlen. Und mit Recht. Wer von ſeiner Mannſchaft auf den Schlag, genau und pünktlich eintretende Bewegungen verlangt, muß laut befehlen und das letzte entſchei— 374 dende Wort ſeines Befehls durch eine kurze Zwiſchen— zeit von den vorangehenden Worten trennen. Und hier macht ſich nun in der That in wunder— barer Weiſe die Uebung geltend. Werden nämlich bei geeigneter Wahl dieſer Zwiſchenzeit und dafür ſorgend, daß ſie immer gleich groß bleibt, die Verſuche in längerer Reihe wiederholt, ſo verkürzt ſich die Kund— zeit immer mehr, fie kann auf wenige Tauſendſtel einer Secunde, ja auf Null herabſinken. Um letzteres zu erreichen, darf die Zwiſchenzeit zwiſchen Warnung und wirklichem Reiz nach Wundt nicht kürzer ſein als ein Fünfundzwanzigſtel einer Secunde, darf aber auch eine gewiſſe, bisher nicht genauer beſtimmte Länge nicht überſteigen. In dieſem Fall werden alſo die Wahrnehmung und die Willensregung derart vor— bereitet, daß beide miteinander und ebenſo beide mit der Empfindung zuſammenfallen. Je genauer die Zeit des Eintritts und die Stärke des anzuwendenden Reizes vorher bekannt ſind, um deſto geringer wird die Kundzeit. Wenn daher ſchwache und ſtarke Schallreize regelmäßig mit einander ab⸗ wechſeln, jo iſt die Dauer zwiſchen Reiz und Loſungs— zeichen viel geringer, als wenn die Abwechslung un— regelmäßig erfolgt, ſo daß der Reizerdulder weder eine beſtimmte Stärke noch den Eintritt des Schalls ſicher erwarten kann. Wundt fand die Kundzeit 375 bei regelm. Wechſel bei unregelm. Wechſel für ſtarken Schall 116 189 „ ſchwachen Schall 127 298, und es iſt beachtenswerth, daß er auch bei unregel— mäßigem Wechſel den ſtärkeren Reiz im Vortheil fand. Wenn in eine Reihe ſchwacher Schälle plötzlich und unerwartet ein ſtarker eingeſchoben wird, ſo kann die Kundzeit bis auf ein Viertel Secunde, und war der Eindringling ein ſehr ſchwacher Schall zwiſchen ſtarken, ſo kann ſie ſogar zu einer halben Secunde heranwachſen. Bringt alſo die Vorbereitung der Aufmerkſam— keit für die Kundzeit Gewinn, ſo wird dieſe dagegen verlängert, wenn neben dem Sinnesreiz, deſſen Wahr— nehmung wir verkünden ſollen, irgend ein anderer Eindruck uns zerſtreut, mag dieſer nun demſelben Sinnesgebiet oder einem anderen angehören. Wundt verglich z. B. die Kundzeit für mäßige und ſtarke Schalleindrücke und für Lichtfunken, indem er ſie bald bei einem Nebengeräuſch, bald ohne dieſes einwirken ließ. Die Mittelzahlen waren folgende: ohne Nebengeräuſch mit Nebengeräuſch bei mäßigem Schall 189 313 „ starkem Schall 158 203 „ Lichtfunken 222 300. Auch hier hat die wiſſenſchaftliche Forſchung die 376 Erfahrung des täglichen Lebens in die deutliche und zuverläſſige Sprache der Zahlen überſetzt. Wenn man die obigen Zahlenverhältniſſe alle auf dieſelbe Einheit, etwa auf 100 bezieht, ſo erhalten wir ohne Nebengeräuſch mit Nebengeräuſch bei mäßigem Schall 100 166 „ ſtarkem Schall 100 8 128 „ Lichtfunken 100 d 135 Und aus dieſen Zahlen erhellt, daß wenn der zu ver— kündende Reiz ſchwach iſt, der ſtörende Nebeneindruck, der auf denſelben Sinn wirkt, eine größere Verlänge— rung der Kundzeit bewirken kann, als wenn er gleich- zeitig mit einem mächtigeren Reiz einwirkt, der ein anderes Sinnesgebiet in Anſpruch nimmt. Niemandem iſt dieſe Erfahrung geläufiger als dem Arzte, der, während in einem Hauſe Klavier geklimpert wird oder in der Straße Wagen raſſeln, vielleicht gar eine Militärmuſik vorbeigeht, die Ge— räuſche oder Töne in der Bruſt eines Kranken be— lauſchen muß. Zugleich aber dürfte Niemand beſſer als er für den Vortheil einſtehen können, den uns die Uebung gewährt, inſofern wir es lernen, dem ſchwächeren Eindruck unſere Aufmerkſamkeit zuzuwenden und die Störung des Nebeneindrucks zu überwinden. Eine ganze Reihe von Einflüſſen, welche die Kund- zeit verlängern, iſt darauf zurückzuführen, daß ſie der 377 Aufmerkſamkeit ungünftig find. Dahin gehören z. B. niederdrückende Gemüthsbewegungen, welche in von Vintſchgau's und Dietl's Verſuchen eine Verzöge— rung um 11 bis 27 Tauſendſtel Secunde bewirken konnten. In der Schwermuth, in welcher der Menſch ſo tief in ſeinem perſönlichen Zuſtande verſunken ſein kann, daß ihn die Außenwelt kaum berührt, kann nach Buccola die Kundzeit für Geſichts- und Taſteindrücke das Doppelte der gewöhnlichen Dauer betragen, ja über das Dreifache derſelben hinaufſteigen. Zu den niederdrückenden und betäubenden Ein— drücken iſt in dieſer Hinſicht gewiß auch das Erſchrecken zu rechnen. In der That hat Wundt beobachtet, daß das Erſchrecken die Kundzeit verlängert, und er dürfte wohl Recht haben, wenn er meint, daß Exner, der das Gegentheil erfuhr, vielleicht durch die die Kundzeit ver— kürzende Wirkung des ſtärkeren Reizes getäuſcht wurde“). Eine dem Erſchrecken ähnliche Wirkung hat es, wenn man zwiſchen eine Reihe von Erregungen, die ſich nach immer gleichen Zwiſchenräumen folgen, plötzlich, ohne daß der Beobachter es ahnen kann, einen kürzeren Zeitraum einſchiebt. Wundt beobachtete bei ſolchen Verſuchen eine Verzögerung, welche die Kundzeit bei ſchwachen Reizen bis af ein Viertel, bei ſtarken * Wundt, Grunds nge bet phoſtologiſchen Pſychologie, IL, ©. 442. 378 bis zur halben Secunde verlängern konnte. Die Ueber— raſchung ging mit einem kleinen Schreck einher. Der Aufmerkſamkeit wirkt die Ermüdung entgegen. Dennoch iſt ihr Einfluß auf die einfache Kundzeit, die einſtweilen hier allein betrachtet wird, wenigſtens nicht groß. Hirſch fand, nachdem er ſich durch Beobachtungen auf der Sternwarte ermüdet hatte, ſeine Kundzeit für Netzhautreize um ſieben Tauſendſtel Secunde länger als einige Stunden zuvor in friſchem, ausgeruhtem Zuſtande. Nach Hirſch äußert die Ermüdung ihre Wirkung mehr dadurch, daß die verſchiedenen Be— ſtimmungen einer Verſuchsreihe ſchwankende Zahlen ergeben, als durch die Verlängerung der Kundzeit, ſo daß hier dasſelbe Verhältniß waltet wie bei dem Mangel an Uebung. Gerade aus dem Geſichtspunkte der Bedeutung der Aufmerkſamkeit wird man es Oberſteiner und Buccola gerne glauben, daß gebildete Leute eine kürzere Kundzeit haben als ungebildete*), ebenſo Herzen, gegen Exner, wenn er berichtet, daß Kinder zwiſchen fünf und zehn Jahren, deren Aufmerkſamkeit ſo ſchwer zu feſſeln iſt, für Taſteindrücke lange Kund— zeiten ergeben, ja daß dieſe Kundzeit durchſchnittlich eine halbe Secunde überſteigt. Buccola fand bei einem *) Buccola, sulla misura del tempo negli atti psichiei elementari, Reggio nell' Emilia, 1881, p. 31. . > 379 ſehr geweckten ſechsjährigen Kinde für Berührung am Rücken der Hand mehr als ein Drittel Secunde für die Dauer zwiſchen Reiz und Wahrzeichen. Alles Uebrige gleich geſetzt muß man alſo die Aufmerkſamkeit als maßgebend für die Kundzeit be— trachten, und da ſich die Aufmerkſamkeit üben läßt, wie das Gedächtniß, ſo darf man ſchon aus dieſem Grunde, wie ich oben ſagte, den Einfluß der Uebung nicht ganz wegläugnen; es kommt nur darauf an ihn nicht zu überſchätzen. Nun giebt es aber, ſo wie es eine zweckmäßige Spannung der Aufmerkſamkeit giebt, auch eine Ueber— ſpannung derſelben, die zu ſeltſamen Täuſchungen und Mißgriffen Anlaß giebt. Und da es ſich hierbei, wenigſtens theilweiſe um Erſcheinungen handelt, die den gemeinen Menſchenverſtand, auch den der Gelehrten, auf den erſten Blick verdutzen, ſo dürfte es zweckmäßig ſein, hier auf einige allgemein bekannte Erſcheinungen aufmerkſam zu machen, die das Verſtändniß vor— bereiten können. Wenn wir bei ſchnellem Schreiben eines Briefes unſere Aufmerkfamkeit in dem Grade ſpannen, daß das Bild des folgenden Wortes, vielleicht weil es be— ſonders wichtig iſt, uns zu lebhaft vorſchwebt, dann kommt es nicht ſelten vor, daß wir, und zwar nicht ohne es zu bemerken, einen Buchſtaben, am häufigſten 380 einen Vokal des Wortes, das erſt nachfolgen ſollte, ſchon in dasjenige aufnehmen, das eben an der Reihe iſt, und deshalb falſch geſchrieben wird. Wir ver— ſchreiben uns. Ein Klavierſpieler, der eine Note in einem Muſik— ſtück lieſt und ſie, ſowie er derſelben bewußt geworden, ſpielt, befindet ſich genau in dem Falle eines Menſchen, der für eine Geſichtsempfindung ſeine Kundzeit be— ſtimmt, nur drückt der Klavierſpieler auf eine Taſte des Klaviers, während der Forſcher, der die Kundzeit mißt, auf einen elektriſchen Schlüſſel drückt. Der Klavierſpieler, der ein neues Stück einübt, befindet ſich häufig in dem Fall, daß wenn er ſich einer ſchwierigen Stelle nähert, er ſeine Aufmerkſamkeit ſo ſteigert, daß er eine Note, die er beſonders fürchtet, zu früh abſpielt. Er verſpielt ſich, er giebt das Loſungszeichen vor der Zeit. In dieſen Fällen handelt es ſich in geringerem oder höherem Grade um eine Spannung der Auf— merkſamkeit, welche die Willensregung überjagt. Sehr häufig überſtürzt ſich dagegen die Wahrnehmung, die überreizt iſt, weil ihr Organ überreizt iſt, was natürlich auf Eins hinausläuft, und die Empfindung wird wahrgenommen, bevor noch der äußere Reiz zur Wirkung gelangt. Wem iſt es nicht begegnet, der mit der Furcht zu ſpät zu kommen ſich dem Schaufpiel- 381 hauſe näherte, daß er Muſik hörte, die zu ſpielen noch nicht begonnen hatte? wer hätte nicht ſchon den Dampf— zug geſehen, der ihm geliebte Perſonen zuführen ſollte, ehe er wirklich ſichtbar war? Und wenn ich ſo frage, welcher Dichterfreund denkt nicht an den Anhub von Schiller's „Erwartung“: Hör' ich das Pförtchen nicht gehen? Hat nicht der Riegel geklirrt? oder an Göthe's „Morgenklagen“: Hüpft ein Kätzchen oben über'n Boden, Kniſterte das Mäuschen in der Ecke, Regte ſich, ich weiß nicht was, im Hauſe, Immer hofft' ich, deinen Schritt zu hören, Immer glaubt' ich, deinen Tritt zu hören. Man hört einen Ton, noch ehe er erklingt, wenn man ihn mit überſpannter Aufmerkſamkeit erwartet. Und dies hat nichts Wunderbares an ſich, wenn man bedenkt, daß das betreffende Hirnorgan durch ein Er— innerungsbild nach und nach in dem Grade erregt wird, daß ſeine Wirkung ſo mächtig wird, wie die eines gegenwärtigen Reizes. Aber auch das Gegentheil tritt ein, und zwar ſind wir uns deſſen am meiſten vom Gehörſinn be— wußt. Unſere Aufmerkſamkeit hat eine andere Richtung, während ein Wort geſprochen wird oder das Bruch— ſtück eines Geſanges ertönt, und erſt einige Augen— blicke ſpäter werden wir es gewahr, daß wir ſprechen 382 oder fingen hörten. Gegenſtändlich am deutlichſten iſt der Fall, wenn die Zeitverſchiebung ſich thatſächlich an Urſache und Wirkung geltend macht, weil unſere Aufmerkſamkeit vorwiegend der Wirkung zugewandt iſt, wenn wir zum Beiſpiel bei einem Aderlaß das Blut eher ſpritzen als das Meſſerchen ſtechen ſehen. Im Verſuch beobachtet man alle dieſe Fälle. Man kann einen Schall, wie ſich von ſelbſt verſteht, im Augen— blick hören, in welchem er wirklich erzeugt wird, man kann ihn ſpäter hören, man kann ihn aber auch früher zu hören glauben, was gewöhnlich am meiſten über— raſcht, wenn es nicht als unwahrſcheinlich von Un— kundigen geradezu verworfen wird. | Wundt hat eine ſinnreiche Vorrichtung erdacht, mit deren Hülfe die drei möglichen Fälle jederzeit in überzeugender Weiſe vorgeführt werden. Er hat dazu ein Pendelwerk gebaut, von welchem die Bewegung eines Uhrzeigers und die eines Glockenhammers ab— hängen, derart, daß bei einer gegebenen Stellung des Zeigers ein Glockenſchlag ertönt. Man kann aber den Augenblick des Glockenſchlags beliebig abändern. Der Beobachter hat nun den Theilſtrich am Grad— bogen anzugeben, an welchem im Augenblick des Glockenſchlags der Zeiger vorbeigleitet, während er natürlich im Voraus von dem Zeitpunkt des Zuſam— menfallens einer beſtimmten Zeigerſtellung mit dem 5 383 Glockenſchlag nichts wußte. Bei dieſen Verſuchen nun kann der Schall genau im richtigen Augenblick, er kann zu ſpät, er kann aber auch zu früh gehört werden. Die genaue Uebereinſtimmung der Zeigerſtellung mit dem Glockenton wird um ſo ſchwieriger erhaſcht, je ſchneller der Zeiger ſich bewegt. Und wenn dieſe Bewegung ungleichmäßig iſt, dann hört man den Schall leicht zu jpät, im Falle die Bewegung des Zeigers mit abnehmender Geſchwindigkeit vor ſich geht, öfters zu frühe dagegen, wenn die Geſchwindigkeit des Zei— gers im Zunehmen begriffen iſt. Ueberhaupt aber, und dies iſt für den Unvorbereiteten das Auffallende, wird der Glockenſchlag viel häufiger zu früh als zu ſpät beobachtet“). Es giebt eine gewiſſe gleichmäßige Geschwindigkeit der Zeigerbewegung, bei welcher alle drei Fälle be— obachtet werden: genaues Zuſammentreffen des Hörens und Sehens, zu frühes und zu ſpätes Hören. Bewegt ſich der Zeiger ſchneller, als es jener beſtimmten Grenze entſpricht, dann pflegt man zu ſpät, und wenn er ſich langſamer bewegt, zu früh zu hören. Im letzteren Falle iſt es, als wenn die überſpannte Auf— merkſamkeit den Schall nicht erwarten, im vorletzten, als wenn ſie ihm nicht nachkommen könnte. Sehr begreiflich wird der Irrthum in der Bezeich⸗ ) Vgl. Wundt, a. a. O. Bd. II, S. 264— 279. 384 nung der Wahrnehmung, wenn die Willensregung zum Ausbruch veranlaßt wird durch einen Nebenein— druck, der einem anderen Sinnesgebiete angehört, wenn wir z. B. die Wahrnehmung eines Funkens kund— geben, während wir auf ein Geräuſch oder einen Schall geſpannt ſind (Buccola). Der Wille wird in ſolchen Fällen gleichſam überraſcht. Das Merf- würdige und Lehrreiche dabei iſt, daß wir uns des Irrthums bewußt ſind. Ju dieſem ganzen Gebiete handelt es ſich alſo nicht etwa um zufällige Sinnestäuſchungen, ſondern um ein durch innere Spannungszuſtände des Hirns bedingtes Schwanken unſerer Auffaſſungsſchärfe, ähn⸗ lich wie durch die Größe eines Gewichts die Empfind— lichkeit einer Wage eine Einbuße erleidet. Wenn bisher wiederholt betont wurde, daß die obige Erörterung ſich auf die einfache Kundzeit be— zieht, ſo ſollte damit nicht etwa geſagt ſein, daß die— ſelbe aus einem einzigen einheitlichen Zeitraum beſteht. Dies geht ja ſchon daraus hervor, daß der Vorgang, welcher den Empfindungsreiz bedingt, von der Sinnes- oberfläche, ſei es die Netzhaut des Auges oder die Nervenausbreitung in der Gehörſchnecke, der Geruchs— 385 ſpalte, den Zungen- oder Hautwärzchen, in das Ge— hirn, und behufs der Willensregung vom Gehirn zu den Muskeln geleitet werden muß, wenn die Empfin— dung mit einer Bewegung beantwortet werden ſoll. Halten wir uns für die Leitungsgeſchwindigkeit in menſchlichen Empfindungs- und Bewegungsnerven an die Zahl 34 Meter in der Secunde, nehmen wir an, daß ein Reiz die Fußwurzel treffe und der Weg von hier bis zum Gehirn etwa 2 Meter, vom Hirn bis zu den Fingerbeugern am Arm etwa 70 Centi— meter betrage, ſo würde die Leitung hin und her etwa 79 Tauſendſtel Secunde erfordern. Da nun Hirſch bei Guillaume, dem rühmlich bekannten Neuchateller Arzte, die Kundzeit für den Fuß gleich 170 fand, ſo würden nach Abzug der für die Leitung anberaumten Zeit noch 91 Tauſendſtel oder neun Hundertſtel Se— cunde übrig bleiben. Und da noch ein Hundertſtel für die Zeit, während welcher der Reiz im Muskel unwirkſam bleibt, für die ſogenannte verborgene Rei— zung, abgezogen werden muß, jo blieben nur 81 Tau- ſendſtel oder acht Hundertſtel für die Vorgänge übrig, die ſich zwiſchen das Ende der Leitung zum Empfin— dungsherde und den Anfang der Leitung vom Bewegungs— herde zu den Muskeln einſchieben, alſo in dieſem Falle genau die Zeit, die auf die Leitung ſelbſt ver— wandt wurde. II. 25 386 Wurde dagegen an der Hand gereizt, ſo würde, wenn ſonſt in der Anordnung des Verſuches nichts verändert war, und wenn wir den Weg von der Hand zum Hirn zu einem Meter veranſchlagen, der geſammte Leitungsweg hin und her, ſtatt 270, nur 170 Centi— meter betragen. Dieſe würden in 50 Tauſendſtel Secunde zurückgelegt. Aber die Kundzeit für einen an der Hand angebrachten Reiz war bei Guillaume 142. Nach Abzug der Leitungszeit von der Kundzeit bleiben 92, die um das Hundertſtel, das auf die ver— borgene Reizung fällt, verkleinert, 82 Tauſendſtel, alſo wiederum faſt genau acht Hundertſtel für die Zwiſchenvorgänge zwiſchen dem Ende der herdſuchen— den und herdfliehenden Leitung ergeben. Handelt es ſich um einen Gehörreiz, ſo dürfte der Weg von der Nervenausbreitung zum Hirn, indem wir die gekreuzte Wirkung zwiſchen Ohr und Hirn berückſichtigen, nicht mehr als 15 Centimeter betragen, der geſammte Leitungsweg alſo etwa 85 Centimeter. Dieſer aber würde in 25 Taufendſtel Secunde zurück— gelegt. Legen wir die von Hirſch gefundene Zahl 149 für die auf das Gehör bezügliche Kundzeit zum Grunde, ſo blieben nach Abzug des Hundertſtels für die verborgene Reizung, für die Zwiſchenvorgänge 114 verfügbar. Vom Auge zum Hirn mag der Weg ein wenig 387 länger ſein als vom Ohre, er dürfte aber 17 Centi— meter nicht überſteigen. Durch dieſen Unterſchied von 2 Centimeter wird die für die ganze Leitung erforderte Zeit nicht um ein ganzes Tauſendſtel geändert. Wir dürfen alſo auch hier 25 — 10 von den 200 abziehen, die bei Hirſch der Kundzeit für das Auge entſprechen. Somit bleiben hier 165 für die Zwiſchenvorgänge. Da ſich nun dieſe Zwiſchenvorgänge im Hirn ab— wickeln, ſo würde aus den obigen Rechnungen folgen, daß der Hirnvorgang beim Sehen die längſte, beim Hören eine kürzere, beim Fühlen endlich die kürzeſte Zeit in Anſpruch nimmt, nämlich von den oben ver— wertheten Grundbeobachtungen ausgehend beim Sehen. . 165, beim Hören. . 114, beim Fühlen 8182. Es darf aber nicht vergeſſen werden, daß hier die Kundzeiten berückſichtigt find, die in gegebenen Einzel⸗ fällen für Reize von unbeſtimmter Stärke erhalten wurden. Dieſe Reize waren aber ohne Zweifel von der Reizſchwelle, d. h. von der ſchwächſten, noch eben ſpürbaren Wirkung ziemlich weit entfernt. An der Reizſchwelle fand Wundt die Kundzeit für das Sehen 331, 6nd 2 1.98 e 2. II. 25* 388 Wir haben oben aus dieſen Zahlen abgeleitet, daß bei gleicher Reizſtärke, die eben nur an der Schwelle zu verwirklichen iſt, die Kundzeit für die drei höheren Sinne gleich lang iſt. Setzen wir ſie nun gleich 333 und ziehen die oben angegebenen Leitungszeiten ab, dann erhalten wir für das Sehen 333 — 35 — 298, „ „ Hören 333 35 298 „ „ Fühlen 333 — 60 = 273, oder 333 — 89 — 244. Der oben erhaltene Unterſchied für die Dauer der Hirnvorgänge bei den drei höheren Sinnen wird da— durch hinfällig. Höchſtens könnte man es wahrſchein— lich finden, daß die Hirnvorgänge beim Fühlen etwas weniger Zeit beanſpruchen als beim Sehen und Hören. Auf eine mögliche Veränderung der Leitungs— geſchwindigkeit durch den Grad der Reizung konnte bei dieſen Betrachtungen keine Rückſicht genommen werden, da fie nach einigen Forſchern (Valentin, Troitzky, Wundt) mit der Reizſtärke wachſen, nach anderen (Roſenthal, Lautenbach, Schiff) dagegen abnehmen ſoll'). So viel geht aus den vorliegenden Beobachtungen hervor, daß, während bei mittleren Gefühlsreizen die *) Vgl. Hermann, Handbuch der Phyſiologie II, 1, Leipzig, 1879, S. 24. 389 Leitungszeit in den Nerven, wenn es ſich um weit entfernte Hautpunkte handelt, beinahe ebenſo lange ſein kann wie die Hirnzeit, dieſe letztere dagegen für das Sehen und Hören und wohl auch recht häufig für das Fühlen bedeutend überwiegt. N Aus was für Beſtandtheilen iſt nun aber dieſe Hirnzeit zuſammengeſetzt? Dieſe Frage hat offenbar für denjenigen, der die Geſchwindigkeit des Denkens zu prüfen wünſcht, die höchſte Bedeutung. Um die Hirnzeit in ihre Hauptabſchnitte zu zer— legen, iſt vor Allem an die oben ſchon herbeigezogene Beobachtung zu erinnern, daß wir ſehr oft den Gehör— eindruck von Tönen und Worten empfinden, deren Wirkung wir erſt kurz darauf wahrnehmen. Die Empfindung kann alſo der Wahrnehmung voran— gehen. Zum Erkennen, zum Bewußtwerden eines Ein— drucks, der unſere Sinne trifft, genügt alſo nicht die Empfindung, fie muß zur Wahrnehmung werden“). Die Thatſache, ſo allgemein ſie hier ausgedrückt iſt, liegt dem Menſchen ſchon ohne meſſende Verſuche nahe, indem wir auf dem Gebiete der Beobachtungen mit dem Geſichtsſinn täglich erfahren, wie ſehr das „) Wundt und nach ſeinem Vorgange viele andere Schrift- ſteller nennen die Empfindung Perception und die Wahr— nehmung Appercept ion. 390 bloße Empfinden und das Wahrnehmen auseinander liegen können. Wer ohne eindringliche Beobachtung ein Menſchen— antlitz betrachtet, bekommt einen allgemeinen Eindruck von deſſen Beſchaffenheit, er findet es ſchön oder häßlich, ausdrucksvoll oder leer, und wenn es ſich etwa um einen Mann handelt, männlich oder ſanft, aber wenn man gefragt wird, ob die Perſon ſchwarze oder blaue Augen hat, ja ſelbſt ob ſie einen Bart trägt oder nicht, werden die Meiſten noch einmal hinſehen wollen, und ſo wird das, was ſie zuerſt und unbeſtimmt empfanden, zu einer Wahrnehmung. Aehnlich ergeht es bei einer jeden Naturbeobach— tung. Wer zum erſten Mal eine Blume ſieht, merkt empfindend, daß ſie einen Kelch und Blumenkrone hat, daß Staubfäden aus ihr hervorragen, er empfin— det ihre Farbe, aber erſt wenn er genauer zugeſehen, weiß er zu ſagen, ob der Kelch geſchlitzt iſt oder nicht, ob die Blumenkrone aus mehreren Blättern beſteht, ob der Staubfäden viele oder wenig ſind, ob die Farbe über die Blumenblätter gleichförmig ver— theilt iſt oder ob verſchiedene Farben, wie etwa beim Veilchen, an verſchiedene Blätter und auf einigen Blättern an verſchiedene Stellen vertheilt ſind. Jetzt erſt hat ſich die Empfindung zur Wahrnehmung er— hoben. 391 Der einigermaßen geübte Beobachter macht dieſen Vorgang in ſehr kurzer Zeit durch. Er erkennt ohne Weiteres gewiſſe Merkmale in ihrem Zuſammenhang, und wer einmal aufmerkſam eine Erbſenblüthe, blü— henden Ginſter oder Goldregen betrachtet, der glaubt die Schmetterlingsblüthe wahrzunehmen in dem Augen— blick, in dem er ſie empfindet. Bei mikroſkopiſchen Beobachtungen offenbart ſich das Verhältniß noch augenfälliger. Der Neuling er— blickt unter dem Mikroſkop eine Zelle, wird wohl auch ohne Färberei die Gegenwart eines Kerns in der Zelle gewahr, aber obwohl auch das in dieſem ent— haltene Kernkörperchen ein Bildchen auf ſeine Netzhaut entwarf, alſo empfunden werden mußte, muß er ge— mahnt noch einmal hinſehen und nun nimmt er auch das Kernkörperchen wahr. Der Forſcher auf allen ſinnlichen Gebieten begnügt ſich nicht mit dem allgemeinen Sehen, er will die Merkmale ſondern und erkennen, er ſieht hin, bis die Empfindung eine Beobachtung, eine Wahrnehmung geworden iſt. Beim guten Beobachter kürzt ſich die Zeit, die zwiſchen Empfindung und Wahrnehmung verläuft, erſtaunlich ab. Zeigt man z. B. einem Manne wie Kölliker etwas unter dem Miekroſkop, ſo hat er alles erkannt, noch ehe man Zeit gefunden ihm zu erklären, was man für eigenthümlich hält; 392 er iſt eben ein ausgezeichneter Wahrnehmer. Beim Unerfahrenen muß man die Aufmerkſamkeit auf die einzelnen Merkmale hinleiten, dann verkürzt ſich auch bei ihm die Zeit zwiſchen Empfindung und Wahr— nehmung immer mehr. Und auch der Geübte erſtaunt über dieſe Abkürzung, wenn ihm irgend eine neue Entdeckung in der Formenwelt bekannt geworden, bis auf den Punkt, daß er nicht begreifen kann, wie er die gegebene Eigenthümlichkeit nicht von jeher und gleich geſehen habe. Daß ſich nun die Wahrnehmung von der Empfin⸗ dung unterſcheidet, wird am beſten dadurch bekundet, daß wir unſere Aufmerkſamkeit dem ſchwächeren von zwei Eindrücken zuwenden können. Wir können alſo weiter vom guten Beobachter ausſagen, daß er das Unſcheinbare nicht überſieht. Indeß, ſtreng genommen, iſt die Zeit, die zwiſchen Empfindung und Wahrnehmung verläuft, noch nie— mals gemeſſen worden. Könnte man zwei Verſuche ſo anſtellen, daß in beiden die Leitungszeit und die Willenszeit gleich blieben und, während in dem einen Empfindungs- und Wahrnehmungszeit zugleich vor— kämen, in dem andern nur die Empfindungszeit, ohne die Wahrnehmungszeit, enthalten wäre, dann würde man, wie bei der Beſtimmung der Leitungszeit in den Bewegungsnerven, die Wahrnehmungszeit im engeren 393 Sinne durch eine einfache Abziehung berechnen können. Aber eine Kundzeit, ohne daß Wahrnehmung im Spiele wäre, iſt offenbar ein Ding der Unmöglichkeit. Denn um das Wahrzeichen zu geben, muß die Empfindung durch Aufmerkſamkeit eine bewußte Willensregung ausgelöſt haben, und dies ſchließt die That der Wahr— nehmung ein. Trotzdem ſind wichtige Schritte gemacht worden, um den Raum der Hirnzeit zu zergliedern, und Don- ders gebührt das Verdienſt dieſes Feld der Forſchung, welches durch die vorangegangenen Meſſungen urbar gemacht war, zuerſt bebaut zu haben. Die nächſte Aufgabe, die ſich Donders geſtellt hat, ging dahin, die Zeit zu beſtimmen, welche für die Unterſcheidung eines Sinneseindrucks von mehre— ren anderen gebraucht wird, indem das Wahrzeichen immer auf dieſelbe Art gegeben ward. Die Löſung der Aufgabe gelang ihm durch Schalleindrücke. Es wurde zwiſchen zweierlei Verſuchsanſtellungen abge⸗ wechſelt. Das eine Mal ward von der einen Perſon der Selbſtlauter i ausgeſprochen und von der anderen ſobald als möglich wiederholt, das andere Mal ſprach die erſte Perſon eine beliebige Reihe von Selbſtlautern aus, und die andere hatte bloß das i nachzuſprechen, wenn ſie dieſes hörte, auf die übrigen Selbſtlauter dagegen zu ſchweigen. 394 Der Stimmton des Vorſprechenden wie der des Nachſprechenden wurde jedesmal mit Hülfe eines Ton— ſchreibers“) unter einer, wie oben angegeben, erhal— tenen Zeitlinie verzeichnet. Der Tonſchreiber aber beſteht aus einem an beiden Enden offenen fegelähn- lichen Kaſten, deſſen kleine Oeffnung durch ein paſſend geſpanntes Häutchen verſchloſſen iſt, das durch den Stimmton in Mitſchwingungen verſetzt wird, und in— dem es ein Stückchen Hollundermark mit daran be— feſtigtem Schreibſtift trägt, ſeine Schwingungen auf eine ſich drehende berußte Walze aufjchreibt. Wußte nun die Hauptperſon, daß der Gehülfe das i und nur i ausſprechen würde, dann ertheilte fie die Antwort jedesmal früher, als wenn ſie aus ver— ſchiedenen Selbſtlautern das i heraushören und aus- ſchließlich beantworten ſollte. Galt es in der Reihe, in welcher das i auftauchte, dieſes auszuſprechen, dann betrug die Verzögerung 36. Darf man nun annehmen, daß in beiden Fällen die Leitung, die Vorbereitung zum Ausſprechen des— ſelben Selbſtlauters und damit bis auf einen gewiſſen Grad die Willenszeit gleich lang ſind, ſo hätte man in jener Verzögerung ein Maaß für die Zeit, welche die Unterſcheidung beanſpruchte. Als zwiſchen den fünf Selbſtlautern, die ertönten, das i bevorzugt wurde, ) Phonautograph. 395 dauerte die Kundzeit 237, als nur das i ertönte da— gegen nur 201. In ähnlicher Weiſe hat Wundt Verſuche ange— ſtellt, indem er einen weißen Kreis auf ſchwarzem Grunde von einem ſchwarzen Kreiſe auf weißem Grunde unterſcheiden ließ. In demſelben Augenblick, in welchem die Zeichnung beleuchtet ward, wurden die Zeiger des Hipp'ſchen Zeitguckers in Gang geſetzt, und ſowie der Beobachter ſich der Unterſcheidung be— wußt geworden, gab er immer in derſelben Weiſe das Zeichen, indem er mit derſelben Handbewegung die Zeiger anhielt und die Beleuchtung aufhob. Da hier gar keine Entſcheidung zwiſchen dem Kundgeben und Nichtkundgeben ſtattfand, ſo muß man zugeben, daß in dieſen Verſuchen die Unterſcheidungszeit reiner von der Willenszeit gelöſt war als in den von Donders ausgeführten Beſtimmungen. Trotzdem ergab ſich eine größere Zahl. Als Mittel der an drei Perſonen er— haltenen Werthe erhielt Wundt für die Zeit der Unterſcheidung zwiſchen Schwarz und Weiß 59. Mit dieſen Verſuchen ſind die von Buccola zu vergleichen, der für die Unterſcheidung zwiſchen Blau und Grün den Werth von 52 erhielt“). Nach demſelben Grundſatz, indem nämlich auf ) Buccola, Studi di psicologia sperimentale, Rivista di filosofia scientifica, Vol. I (1881), p. 145, 146. 396 dieſelbe Weiſe jedesmal dasselbe bejahende Kundzeichen gegeben wurde, verfuhr Buccola mit Rückſicht auf den Taſtſinn. Er gab auf zu unterſcheiden, ob die rechte oder die linke Hand berührt wurde, und die Berührung geſchah jedesmal mit einem Pinſel an der ſelben Stelle des Handrückens. Die Unterſcheidungs— zeit, die er erhielt, betrug durchſchnittlich SO. In einem Beiſpiel betrug die Kundzeit für die Berührung, bei welcher unterſchieden werden mußte, ob ſie die rechte oder linke Hand betraf, 213, die einfache Kundzeit dagegen, bei welcher der Beobachter vorher wußte, an welcher Stelle die Berührung erfolgen würde, nur 137. Die Unterſcheidungszeit war alſo in dieſem Falle 213 — 137 = 76). Da wir nun für Schall, Licht, Berührung ver— ſchiedene Werthe der Unterſcheidungszeit verzeichnet finden: für die Auszeichnung eines Selbſt— lauters durch das Gehör . .. 36, Donders, für die Unterſcheidung von Schwarz und Weiß nne 59, Wundt, für die Unterſcheidung von Blau und Sr Va A 52, Buccola, für die Unterſcheidung 5 linken und rechten Hand bei Berührung .. 80, Buccola, *) Buccola, a. a. O. p. 308, 309. 397 jo könnte man auf den Gedaufen kommen, daß für verſchiedene Sinne eine verſchieden lange Unterſchei— dungszeit walte. Dem iſt jedoch nicht ſo. Denn Donders fand bei ſeinen Verſuchen, in welchen das Ausſprechen des Selbſtlauters i das Kundzeichen war, als die Selbſtlauter, ſtatt gehört zu werden, geſehen wurden, ſo ziemlich die gleich kurze Zeit, die hier oben verzeichnet ſteht. Und als Buccola ſtatt eine links⸗ und rechtsſeitige Berührung unterſcheiden zu laſſen, abwechſelnd eine Fingerſpitze — er ſagt nicht welche — und das untere Drittel des Vorderarms berührte, ergab ſich eine mittlere Unterſcheidungszeit von 36). Hiernach iſt es mindeſtens nicht unwahrſcheinlich, daß wenn man Reize von gleicher Stärke an gleich empfindlichen Stellen, bei gleicher Stimmung des Reizerdulders anwenden könnte, die Unterſcheidungs— zeiten für die verſchiedenen Sinnesgebiete ziemlich gleiche Werthe haben würden. Daß ihre Dauer in der That von verſchiedenen Umſtänden abhängt, die mit dem beſonderen Sinnes— werkzeug nichts zu thun haben, geht z. B. aus Wundt's Erfahrung hervor, daß die Unterſcheidungszeiten wachſen, wenn in den betreffenden Verſuchsreihen ein häufiger Wechſel mit anderen Verſuchen ſtattfindet. *) Buccola, a. a. O. S. 145. 398 Es ift oben hervorgehoben worden, daß die Reiz— ſtärke nicht bloß mit der äußeren Wirkſamkeit des Reizmittels, ſondern auch mit der Empfänglichkeit des Reizerdulders wächſt. Da nun dieſe Empfänglichkeit auch an demſelben Einzelweſen an verſchiedenen Stellen verſchieden groß iſt, größer am gelben Fleck als an den ſeitlichen Theilen der Netzhaut, größer an der Grundfläche der Gehörſchnecke als in ihrer Kuppel, größer an den Fingerſpitzen z. B. als am Vorderarm, ſo iſt zu erwarten, daß an den feiner empfindenden Stellen derſelbe Reiz in kürzerer Zeit unterſchieden werde als an ſolchen, die verhältnißmäßig ſtumpf— ſinnig ſind. In der That fand Buccola in jenen Verſuchen, in welchen er zwiſchen Fingerſpitze und Vorderarm unterſcheiden ließ, die Unterſcheidungszeit, wenn die Fingerſpitze berührt wurde, um ein Viertel kleiner, als wenn der Reiz auf den Arm wirkte, in jenem Falle 31, in dieſem 42. Aus dieſem Einfluß der Oertlichkeit erwächſt eine ganz beſondere Schwierigkeit, wenn man die Reizung verſchiedener Hautſtellen dazu benützen will, um aus ihrer verſchiedenen Entfernung vom Hirn die Leitungs— geſchwindigkeit in den Empfindungsnerven abzuleiten. Exner, von Kries und Auerbach, Hall und von Kries, von Vintſchgau und ganz beſonders 399 Buccola haben zahlreiche Verſuche angeftellt, aus denen hervorgeht, daß die fein ausgebildete Taſt— empfindlichkeit einer Körperſtelle ihre Entfernung vom Gehirn mehr als entſchädigen kann. So fand Buccola für zwei Perſonen die einfache Kundzeit für eine Be— rührung der Fingerſpitze durchſchnittlich 140, des Vorderarms 1 145. Und von Vintſchgau erhielt für verſchiedene Stellen der Zunge, für welche die Leitungszeit keinen Unter— ſchied ergeben konnte, die einfache Kundzeit für eine Berührung an der Zungenſpitze . 127, an der Mitte der Zunge 130, am Zungengrunde . . 146. Bedenkt man, daß die Zungenſpitze unter allen Theilen des Körpers die größte Empfindungsſchärfe beſitzt, — man erinnere ſich, wie läſtig ein Haar auf der Zunge iſt, — und daß die Empfindlichkeit von der Spitze nach dem Grunde abnimmt, ſo zeigen jene Zahlen deutlich, daß der Einfluß der Reizempfänglichkeit den des Reizabſtandes überwiegen kann. So iſt die Kundzeit für das Sehen mit dem gelben Fleck, dem die größte Geſichtsſchärfe zukommt, kürzer als für alle vom gelben Fleck mehr oder weniger entfernte Stellen der Netzhaut, an der Schläfenſeite 400 der Netzhaut kürzer als an ihrer Naſenſeite, unten kürzer als oben. Wir ſehen daher die im oberen Theil des Geſichtsfeldes außerhalb des Bereichs des gelben Flecks liegenden Gegenſtände raſcher als die dem unteren Theil des Geſichtsfeldes angehörenden (Hall und v. Krieg). Es war daher ein unſchätzbares Glück, vielleicht mehr Glück als Weisheit, daß Hirſch und Schelske, um die Leitungsgeſchwindigkeit in den Empfindungs- nerven zu ermitteln, ſolche Hautſtellen mit einander verglichen, die keinen allzu verſchiedenen Ortsſinn be- ſitzen. Hirſch ſpricht freilich nur von Hand und Fuß, Schelske aber verglich die innere Fläche der Fußwurzel mit der Leiſtengegend, den unteren Theil des Rückens mit dem Nacken. Es iſt ohne Weiteres klar, daß, wenn man un- gleich empfindliche Stellen mit gleicher Reizſtärke oder, was auf dasſelbe hinauskommt, ähnlich fein— ſinnige Stellen mit verſchieden ſtarken Reizen erregt, man ganz widerſinnige Zahlen erhalten muß, welche, wenn ſie gegen Fug und Recht verwerthet werden ſollten, die ganze Grundlage für die Meſſung der Leitungs- geſchwindigkeit in Empfindungsnerven erſchüttern würden. Wie überall, wo es ſich darum handelt, den Ein— fluß zu unterſuchen, den die Abſtufung einer Wirkungs- urſache bedingt, hat man ſtrenge dafür zu ſorgen, daß alle anderen Bedingungen durchaus gleich bleiben. 401 Wenn man aber dieſe Vorſchrift und das, was oben hinſichtlich der Stimmung der Verſuchsperſon angedeutet wurde, gehörig erwägt, dann wird man ſich nicht darüber wundern, daß die Unterſcheidungs— zeiten bei verſchiedenen Perſonen verſchiedene Dauer haben. Nachdem man ſich nun aber eine Vorſtellung von der Unterſcheidungszeit verſchafft hatte, ſuchte man ferner eine ſolche von der Willenszeit zu erwerben. Auch hier ergab ſich bald, daß man die geſammte Willenszeit nicht rein aus der Kundzeit herausheben kann. In jede, ſelbſt die einfachſte Kundzeit iſt die Willenszeit mit einbegriffen, es kann ſich niemals darum handeln, ſie einfach wegzunehmen oder hin— zuzufügen, es giebt daher kein Mittel, dieſelbe wenigſtens annähernd zu beurtheilen, als durch mehr oder weniger erſchwerende Bedingungen ihre Dauer zu verlängern oder zu verkürzen. So gelangt man dazu, die Wahlzeit zu meſſen. Da hat nun Wundt zuerſt mit Recht hervorge— hoben, daß es ſich um eine Wahlzeit ſchon in dem Falle handelt, in welchem wir darüber entſcheiden, ob wir ein Wahrzeichen geben ſollen oder nicht. Aller— dings iſt dies die einfachſte Wahlzeit. Sie wird zu— ſammengeſetzter, wenn wir, ſtatt zwiſchen Bewegung und Ruhe, zwiſchen zwei Bewegungen wählen ſollen. II. 26 402 Streng genommen war alſo in den Verſuchen von Donders ſchon eine ſolche einfachſte Wahlzeit zur einfachen Willenszeit hinzugetreten, als der Selbſt— lauter i bald nicht, bald wohl ausgeſprochen werden mußte. N Von dieſem Gedanken geleitet, hat Wundt mit Max Friedrich und Ernſt Fiſcher eine Anzahl Verſuche angeſtellt, bei welchen er zwiſchen Schwarz und Weiß unterſcheiden, aber nur auf Weiß und zwar mit der rechten Hand das Wahrzeichen geben ließ. Hierbei hatte alſo der Beobachter nicht bloß zwiſchen Schwarz und Weiß zu unterſcheiden, ſondern auch nach der Unterſcheidung zwiſchen Ruhe und Bewegung zu wählen. Es wurde alſo zugleich die Unterſcheidungs— zeit und die Wahlzeit gemeſſen. Mit dieſer Zeitdauer wurde dann die bloße Unterſcheidungszeit verglichen, nach Verſuchen, bei welchen jedes Mal die rechte Hand das Kundzeichen gab. Wenn man aus den Mitteln der für die drei Perſonen erhaltenen Werthe die Mittelwerthe berechnet, findet man für die Kundzeit mit bloßer Unterſcheidung mit Unterſcheidung und Wahl 243 416, und zieht man die erſtere Zahl von der letzteren ab, dann erhält man als mittlere Wahlzeit 173. Nach demſelben Verfahren hat wiederum Buccola die Wahlzeit zwiſchen Bewegung und Ruhe bei der 403 Unterſcheidung von Grün und Blau gemeſſen. Behufs der Unterſcheidung wurde nur bei Grün die Hand— bewegung gemacht. Die Zahlen folgen hier. Kundzeit für die bloße Unterſcheidung für Unterſcheidung und Wahl 228, 294; und hiernach dauerte die Wahl zwiſchen Bewegung und Ruhe: 294 — 228 66. Kleiner fiel die Wahlzeit aus, als ſie immer auf dieſelbe Weiſe für den Taſtſinn beſtimmt wurde. Auf— gabe war, zwiſchen einer Berührung des Vorderarms und der Fingerſpitze zu unterſcheiden, und entweder bei der einen oder bei der anderen, immer aber mit derſelben Hand, das Zeichen zu geben, während um— gekehrt entweder bei der zweiten oder bei der erſten geruht wurde. Die mittlere Kundzeit war bei bloßer Unterſcheidung bei Unterſcheidung und Wahl 184, 212, ſomit die mittlere Wahlzeit: 212 — 184 = 28. Die zuſammengeſetztere Wahlzeit, das heißt die Dauer, welche die Wahl zwiſchen zwei Bewegungen vorausſetzt, iſt vor Allen von Donders gemeſſen, aber leider nicht ohne Einmiſchung der Unterſcheidungs— zeit. Er reizte elektriſch entweder an einer rechts oder links gelegenen Hautſtelle. Der Reizerdulder hatte einen elektriſchen Schlüſſel in der rechten und einen II. 26* 404 eben jolchen in der linken Hand und mußte, wenn links gereizt ward, mit der Linken, wenn rechts ge— reizt ward, mit der Rechten das Bewußtwerden der Unterſcheidung melden. Nur wurden mit dieſen Ver— ſuchen nicht ſolche verglichen, bei welchen auch die Unterſcheidungszeit in der Kundzeit begriffen war, ſondern nur ſolche, welche die einfache Kundzeit er— mittelten. Das Ergebniß war: einfache Kundzeit Kundzeit mit Unterſcheidung und Wahl 205. 272. Offenbar iſt hier der Unterſchied zwiſchen beiden Zahlen (67) ein Maaß für die Unterſcheidungszeit ſammt der Wahlzeit zwiſchen zwei Bewegungen. Einer gleichen Deutung unterliegen die Verſuche, bei welchen zwiſchen Roth und Weiß unterſchieden und Roth mit der Rechten, Weiß mit der Linken ge— meldet werden ſollte, während dieſen Verſuchen ſolche gegenüber ſtanden, in welchen ein elektriſcher Funke beobachtet und mit einer und derſelben Hand dafür das Kundzeichen gegeben ward. Aus dieſen Verſuchen ergab ſich die Summe der Unterſcheidungszeit und der Dauer der Wahl zwiſchen zwei Bewegungen gleich 154. Wichtiger, eindringlicher war es, die Zeit für die einfachſte Wahl von der der zuſammengeſetzten Wahl abzuziehen. Der Löſung dieſer Aufgabe nun hat ſich Donders genähert und Wundt hat ſie erreicht. 405 Donders beſtimmte nach dem oben kurz gekenn— zeichneten Verfahren mit dem Tonſchreiber die Zeit, die in Anſpruch genommen wird, wenn die Verſuchs— perſon auf einen beliebigen, ihm vorher nicht bekann— ten Selbſtlauter mit demſelben Selbſtlauter antworten muß. Er fand hierbei offenbar eine Kundzeit mit Inbegriff der Unterſcheidungszeit und der Dauer, welche die Wahl zwiſchen der Ausſprache verſchiedener Selbſtlauter erforderte. Er fand als Mittel an ſich ſelber 284. Hiermit verglich er die einfache Kundzeit, indem er auf einen vorher gewußten Selbſtlauter mit eben dieſem antwortete; dieſe Kundzeit war 201. Der Unterſchied zwiſchen dieſen beiden Zahlen (83) entſprach der Summe der Unterſcheidungs- und Wahlzeit. Es ward aber ferner die Zeit ermittelt, welche verſtrich zwiſchen dem Ertönen eines beſtimmten Selbſt— lauters, des i, der zwiſchen mehreren anderen unbe— kannten und in nicht vorher beſtimmter Reihenfolge vorgeſprochen wurde, und dem Nachſprechen desſelben. Der gefundene Werth war 237. Indem Donders dieſen abzieht von dem für die Beantwortung eines beliebigen nicht vorher gewußten Selbſtlauters mit ſeinesgleichen, glaubt er die bloße Unterſcheidungs— zeit von der Summe der Unterſcheidungs- und Willens⸗ 406 zeit abzuziehen, folglich die reine Willenszeit zu er— halten. Hierbei iſt er aber der Täuſchung verfallen, daß er die Verſuchsreihe, bei welcher bloß i nachge— ſprochen, obwohl verſchiedene Selbſtlauter angegeben wurden, bloß auf die Unterſcheidung bezieht, während doch für das Ausſprechen des i in dem überraſchenden Augenblick außerdem nicht bloß eine Willensregung mit im Spiel iſt, ſondern auch eine Wahl zwiſchen Ruhe und Bewegung. Der von Donders an dieſer Stelle gefundene Unterſchied ift alſo zunächſt der zwiſchen einer Unterſcheidung mit einfachſter und einer ſolchen mit mehr zuſammengeſetzter Wahl. Er fand dafür die Zahl 47). Ueberdies iſt aber das Heraushören des Selbſt— lauters i aus einer Reihe anderer nicht als eine einfache Unterſcheidung zwiſchen zwei Wahrnehmungen zu be— trachten. Das Aufpaſſen auf den Selbſtlauter, der da kommen ſoll und nicht kommt, die geſpannte und wiederholt getäuſchte Erwartung bringt eine Unruhe hervor, die leicht eine Verlängerung der Unterſchei— dungszeit zur Folge haben könnte. Einfacher ſind die Verſuchsbedingungen und reiner der Vergleich in der Unterſuchung, welche Wundt zu einer Beſtimmung der Unterſchiedsdauer zwiſchen ein— *) Vgl. auch die Auseinanderſetzung Wundt's, a. a. O. Bd. II, S. 252. 407 facher und zuſammengeſetzter Wahl geführt hat. Nach— dem er, wie oben berichtet, die Wahlzeit zwiſchen Bewegung und Ruhe gemeſſen hatte, ermittelte er auch die Dauer der Wahl zwiſchen zwei Bewegungen, indem auf Weiß mit der Rechten, auf Schwarz mit der Linken geantwortet wurde. Er erhielt für die einfache Kundzeit mit Unterſcheidung und Wahl mit Unterſcheidung, zwiſchen zwei Bewegungen als Mittel: 233 501, und der Unterſchied dieſer Zahlen: 268 entſpricht der Wahlzeit zwiſchen zwei Bewegungen. Aber die einfachere Wahl zwiſchen Ruhe und Be- wegung erfordert, wie wir oben ſahen, 173; der Unterſchied, 268 — 173 — 95, ergiebt uns alſo die Verzögerung, welche die erſchwerte Wahl im Vergleich zur einfachſten bedingt. Auch die zuletzt mitgetheilten Zahlen ſind Mittelwerthe aus den an drei Perſonen gewonnenen Mitteln. Nach Wundt's Unterſuchungen würden die Wahl— zeiten nach Zehnteln, die Unterſcheidungszeiten nach Hundertſteln von Secunden zählen. Bei ſtarken Reizen ſoll jedoch nach demſelben Forſcher die Willenszeit ſo ſehr zuſammenſchrumpfen, daß Wahrnehmung und Willensregung zuſammenzufallen ſcheinen. Je mehr man ſich dagegen dem Schwellenwerthe nähert, um deſto länger wird die Willenszeit. 408 Alſo Empfinden, Wahrnehmen, Denken, Wollen, es koſtet alles Zeit, und wenn es der einfachſten Auffaſſung, der beſchränkteſten und eingeübteſten Kund— gebung gilt. So wie es aber darum zu thun iſt, ſtatt zwiſchen zweien, zwiſchen mehreren Eindrücken zu unterſcheiden und einfach zu melden, daß man erkannt hat, wächſt die erforderliche Zeit bedeutend. Als Wundt mit Friedrich und Fiſcher ermittelte, wie viel Zeit ſie durchſchnittlich brauchten, um zwiſchen Schwarz und Weiß zu unterſcheiden, fanden ſie 59 Tauſendſtel Secunde; als es ſich jedoch um die Unterſcheidung von Schwarz, Weiß, Roth und Grün handelte, wuchs die Durchſchnittszahl auf 131, alſo um mehr als das Doppelte. Noch lehrreicher ſind die Beobachtungen, die wir denſelben Forſchern verdanken, in welchen die Unter- ſcheidungszeiten für ein- bis ſechsſtellige Zahlen mit einander verglichen wurden. Der Kürze halber geben die folgenden Werthe ohne Weiteres den durchſchnitt— lichen Unterſchied zwiſchen der einfachen und der zu— ſammengeſetzten Kundzeit an, den wir als Wahr— nehmungszeit bezeichnen. Demnach waren die Wahr- nehmungszeiten für le 2 3: 4 5⸗ 6ſtellige Zahlen 304 351 385 531 706 979. 409 Obwohl dieſe Mittelwerthe, die an drei Perſonen gewonnen ſind, im Allgemeinen lehren, daß mit der Stellenzahl der Summe auch die Wahrnehmungszeit ſich vergrößert, iſt doch klar, daß kein gerades Ver— hältniß beſteht zwiſchen dem Wachsthum der Stellen der verſchiedenen Zahlen und dem der Wahrnehmungs— zeiten. Man erkennt dies auf den erſten Blick, wenn man ſich die aufeinander folgenden Unterſchiede der Wahrnehmungszeiten anſieht. Unterſchiede bei Zahlen von ra 3214 4 4 u. 5 5 u. 6 Stellen 47 34 146 175 273. So lange die Zahl aus nicht mehr als drei Stellen beſteht, wächſt die Wahrnehmungszeit nur wenig und unſicher. Bei vier Stellen macht das Wachsthum einen Ruck und von da an erleidet es eine fortſchreitende Zunahme. Eine ſechsſtellige Zahl erfordert mehr als das Dreifache der Wahrnehmungszeit, die für eine einfache genügt, und zwar durchſchnittlich beinahe eine ganze Secunde. Daß aber von I bis 3 Stellen das Wachsthum ſo unbedeutend iſt, erklärt Wundt wohl richtig daraus, daß uns auch dreiſtellige Zahlen gleich— ſam wie ein einziges zuſammengehöriges Bild auf— tauchen, während wir vier- bis ſechsſtellige Zahlen erſt in zwei Hälften zerlegen, die wir nachträglich zuſammenfaſſen. 410 Auf eine höchſt eigenthümliche Weiſe macht ſich hier die Uebung geltend. Diejenigen Zahlen, die mit 1 anfangen, und unter dieſen wieder diejenigen, deren zwei erſte Stellen 18 ſind, wurden vorzugsweiſe raſch aufgefaßt. Und im Anfang der Verſuche wurden beinahe regelmäßig zweiſtellige Zahlen in kürzerer Zeit wahrgenommen als einſtellige; dies kehrte ſich jedoch in Folge der Uebung um und wird deshalb von Wundt mit dem Umſtande in Zuſammenhang gebracht, daß wir die einſtelligen Zahlen häufiger als Wort, denn als Ziffer zu ſehen gewohnt ſind. Regelmäßige und unregelmäßige Figuren, die aus drei bis ſechs Seiten beſtanden, deren Durchmeſſer fünf bis acht Millimeter betrug, und die ſchwarz auf weißem Grunde gezeichnet waren, erforderten durch— ſchnittlich 579 Tauſendſtel Secunde, um erkannt zu werden, alſo wenig mehr als eine vierſtellige Zahl. Dabei machte es keinen Unterſchied, ob die Figuren regelmäßig oder unregelmäßig waren, und ebenſo wenig, ob ſie innerhalb der angegebenen Grenzen aus mehr oder weniger Seiten beſtanden. Dennoch nimmt die Wahrnehmungszeit bedeutend zu, wenn die Figuren eine verwickeltere Geſtalt annehmen. So werden nach Baxt einfache krumme Linien in einem Fünftel der Zeit aufgefaßt, die für zuſammengeſetztere erfordert wird. 411 Noch vor dieſen Unterſuchungen Wundt's hatte Donders zu bemeſſen verſucht, um wieviel die einfache Kundzeit bei der Unterſcheidung zwiſchen einer größeren Zahl von Selbſtlautern, im Vergleich zur Unterſcheidung bloß zweier, verlängert würde. Das Wahrzeichen ward, wie ſonſt bei ähnlichen Verſuchen, durch Nachſprechen des Selbſtlauters gegeben. Beſtand nun die Aufgabe darin, nur zwei Selbſtlauter von einander zu unter— ſcheiden, dann war die Wahrnehmungszeit im Mittel 56, ſie war dagegen 86, als zwiſchen fünf Selbſtlautern unterſchieden werden mußte, indem unerwartet irgend einer von den fünfen vorgeſprochen werden durfte. Die Wahrnehmungszeit für einſilbige Worte durchs Gehör fand Wundt bei Verſuchen, die ſich über vier Perſonen vertheilten, durchſchnittlich gleich 120, viel kleiner alſo als fie für die Auffaſſung ein- bis drei ſtelliger Zahlen mit dem Auge erfordert wurde. Dies ſtimmt aber mit der von Donders gemachten Erfahrung überein, nach welcher die geſammte Kundzeit bei der Unterſcheidung zwiſchen zwei bis fünf Selbſtlautern mittelſt des Auges zwei- bis dreimal ſo viel Zeit erfordert als mittelſt des Ohrs. Aber es ließ ſich noch ein Schritt weiter gehen, um es greifbar zu machen, daß die Vorgänge des Denkens an Zeitgrenzen gebunden ſind. Zu dieſem Zweck haben Wundt und ſeine Schüler 412 die Kundzeit für die Wahrnehmung eines geſprochenen einſilbigen Wortes mit derjenigen verglichen, die ſich ergab, als auf gleiche Weiſe eine durch jenes Wort hervorgerufene Vorſtellung dem Hirn bewußt ge— worden, wie etwa, wenn „Pflicht“ geſagt wurde, das Auftauchen des Begriffes „Recht“, oder für „Sturm“ „Wind“, für „Staub“ „Sand“ u. ſ. w. Nennen wir die Zeit, die für das Auftauchen eines beliebigen verwandten Begriffs nach dem Hören eines einſilbigen Worts gebraucht wurde, die Zeit der Gedankenver— bindung“), jo betrug fie im Mittel aus den für vier Beobachter erhaltenen Werthen 764 Tauſendſtel oder etwa drei Viertel einer Secunde. Die Zeit der Ge— dankenverbindung ſtimmte ſehr nahe überein mit der Wahrnehmungszeit für eine fünfſtellige Zahl. Unter den vier Perſonen, die zur Meſſung der Zeit für Gedankenverbindung zuſammen arbeiteten, war ein Herr Namens G. Stanley Hall, der den größten Werth lieferte, nämlich 874 Tauſendſtel, oder nahezu 9 Zehntel Secunde. Dieſer nun war nach Wundt's Ausſage in der deutſchen Sprache weniger geübt, ſo daß er auf zugerufene deutſche Worte lang— ſamer eine verwandte Begriffsvorſtellung auffand. Wundt hat offenbar dieſe höchſte Zahl bei der Be— rechnung des Mittelwerthes ausgemerzt; er berechnet *) Aſſociationszeit, Wundt. 415 daher die Zeit der einfachſten Gedankenverbindung zu 720. Allein ebenſo gut hätte Wundt die an ſich ſelber, als dem Geübteſten, gefundene kleinſte Zahl (706) bei der Berechnung des Mittelwerthes aus— ſchließen können. Der allgemeine Satz, den Wundt an dieſe Erfahrungen knüpft, daß nämlich verſchiedene Perſonen für die einfachſte Gedankenverbindung weniger verſchiedene Zeiten beanſpruchen als für die einfache Kundgebung, „was man von vornherein kaum er— warten konnte“ ), ſcheint deshalb einſtweilen mit Vor— ſicht aufzunehmen. Vier Perſonen iſt wohl kleine Zahl, dazu kommt aber noch, daß dieſelben aller Wahrſchein— lichkeit nach ſo ziemlich auf Einer Bildungsſtufe ſtanden. Wenn alſo unter ihnen die Uebung allein Unterſchiede von 706 bis 874 ergab, ſo dürfte eine über viele Per⸗ ſonen ausgedehnte Unterſuchung wohl noch größere Unterſchiede gewärtigen laſſen. Einſtweilen dürfte auch der wiſſenſchaftlichſten Unterſuchung das Recht nicht einzuräumen ſein, die Schlagfertigkeit aus dem täg— lichen Leben zu bannen, und Wundt hat es ſicherlich auch nicht gewollt. Handelte es ſich in den zuletzt beſchriebenen Ver— ſuchen mit dem zugerufenen Worte nicht bloß um die Auffindung eines beliebigen verwandten Begriffs, ſon— dern eines ſolchen, der zu der Vorſtellung, die das *) Wundt, a. a. O. II, 281. { 414 Wort erweckte, in einem näher beſtimmten Verhält— niß der Abhängigkeit, der Unter-, Ueber- oder Neben- ordnung ſtehen ſoll, dann fand Wundt die Zeit der Gedankenverbindung um etwa ein Zehntel Secunde verlängert, alſo zu etwas mehr als vier Fünftel Secunde angewachſen. Ohne den Anſpruch, ſogenannte Grundzahlen auf— zuſtellen, ſeien hier die Mittelwerthe aus einigen der oben angeführten Meſſungen überſichtlich zuſammen— geſtellt. | Tauſendſtel | Bruchtheil Secunde. einer Secunde. Einfache Kundzeit für die drei höheren | Sinne bei mittlerer Reizſtärke. 177 etwas über 1/s Dieſelbe an der Reizſchwelle .. 332 173 Hirnzeit für Geſichts- und Gehör⸗ wahrnehmungen an der Reiz— | ſchwelle . 3/10 Dieſelbe für Gefühlswahrnehmungen 258 etwas über 1/ Unterſcheidungszeit für 2 Eindrücke 57 beinahe ½ „ 4—5 „ 112 etwas über !/ıo Einfachſte Wahlzeit zwiſchen Ruhe hn, ea 89 „ 3 Wahlzeit zwiſchen 2 Bewegungen. 268 „ „ ½ Wahrnehmungszeit für vierſtellige Zahlen und einfache Figuren 55 „, „ Me Wahrnehmungszeit für 55 | ahn BR: 979 beinahe 1 Loſe eee . 764 etwas über / Innige 5 86 7 DEINEN 415 Es liegt auf der Hand, und die vorhergehenden Seiten waren vielfach dem Nachweiſe gewidmet, daß dieſe Zahlen vielen Schwankungen unterliegen, die von der Reizſtärke, Aufmerkſamkeit, Uebung, von per— ſönlicher Empfänglichkeit, Schlagfertigkeit und Stim— mung, und noch von anderen Einflüſſen abhängen. Allein ſie bieten Anhaltspunkte zum Vergleichen. Man ſieht z. B. aus dieſer Zuſammenſtellung, daß die Wahrnehmung bei gleicher Einfachheit der Verhältniſſe raſcher erfolgt als das Wählen, alſo die Wahrnehmungs— zeit, alles Uebrige gleichgeſetzt, kürzer iſt als die Willenszeit; daß die Denkzeit, auch für die oberfläch— lichſte Anreihung zweier Begriffe, und vollends für eine ſchlußrechte Verbindung, länger iſt als die Wahr— nehmung von einfachen Dingen oder die Wahl zwiſchen zwei Bewegungen, daß ſie aber ſchon von der Auf— faſſung einer ſechsſtelligen Zahl überdauert wird. Jedoch der wichtigſte Schluß aus dieſer Zahlen— reihe iſt der, daß das Denken ein ausgedehnter Vor— gang iſt, und zwar um ſo ausgedehnter, je zuſammen— geſetzter es wird. Was bei ſeiner Verrichtung Zeit braucht, an die Zeit gebunden iſt, das kann nur durch Ortsverände— rung, und wenn es nur die ſeiner kleinſten Theilchen wäre, beſtehen. In der Zeit bewegen ſich ſeine kleinſten Theilchen, folglich bethätigt ſich ſeine Verrichtung durch 416 h Bewegung. Es kann nicht aus der umgebenden Stoff- maſſe herausgehoben werden, ohne dieſer Bewegung und der Zeitgrenze verluſtig zu werden, ohne aufhören zu beſtehen. Es iſt alſo ſelbſt ſtofflich, aber in fo eigen- thümlicher Weiſe bewegt, daß an ihm jene Erſcheinungen erfolgen, die man geiſtige zu nennen pflegt, und die nicht minder leuchten, weil fie ohne Stoff nicht ent- ſtehen, ohne Stoff ſich nicht geben, ohne Stoff nicht empfangen laſſen. Wer dieſer Auffaſſung gegenüber von entgeiſtetem Stoffe ſpricht, oder gar die punktförmigen Monaden Leibnitz' anruft, die keine Ausdehnung haben, aber alles enthalten und alles wirkſam von innen heraus ſpiegeln ſollen, dem hat Lichtenberg geantwortet, als er ſchrieb: „Was iſt Materie, ſo wie ſie ſich der „Pſychologe denkt? So etwas giebt es vielleicht in „der Natur nicht. Er tödtet die Materie und ſagt „hernach, daß fie todt ſei.“ “) Mit dieſem Worte iſt aber zugleich betont, daß wir den Geiſt in der Natur ſuchen und finden. ) Lichtenberg's Vermiſchte Schriften, Bd. I, S. 157. 417 Nach den obigen Erläuterungen dürfte es nicht mehr gar zu ſehr befremden, daß jeder Menſch aus den unzähligen, wenn auch oft ziemlich dunklen Er— fahrungen über ſeine Wahrnehmungs- und Wahlzeit, über die Zeit, die ſein Denken und Wollen in An— ſpruch nehmen, ein perſönliches Zeitgefühl in ſich entwickelt, das ihm bei vielen Leiſtungen ohne äußere Nachhülfe als Richtſchnur dient. Man darf es allen Ernſtes behaupten, daß der Menſch eine Uhr im Kopf habe, wenn wir uns nur wenig irren, falls wir bei einer öffentlichen Rede eine beſtimmte Zeit nicht über- ſchreiten wollen, oder wenn es uns gelingt, aus einem erquicklichen Schlafe zur vorgenommenen Stunde zu erwachen. Allein wir haben nicht bloß eine Uhr, wir haben auch eine Wage im Kopf, nur daß dieſe ſowohl der Uhr unſeres perſönlichen Zeitgefühls, wie auch der Wage der Chemiker an Empfindlichkeit bei weitem nachſteht. . Wenn man die Hand abwechſelnd mit zwei Ge— wichten belaſtet, dann erkennt man dieſe als verſchieden, wenn das eine nur ein Drittel mehr wiegt als das andere. Man unterſcheidet z. B. ſehr leicht das Ge⸗ wicht von drei Blättchen Poſtpapier, die zuſammen etwa 21 Gramm wiegen, von dem Gewicht von vier II. 27 418 ſolchen Blättchen, deren Gewicht 28 Gramm beträgt. Der Unterſchied zwiſchen beiden Gewichten iſt in dieſem Falle 7 Gramm. Man würde ſich aber ſehr irren, wenn man nun glauben wollte, die Hand würde auch eine Belaſtung mit 56 Gramm von einer ſolchen mit 49 Gramm unterſcheiden, weil der Unterſchied in dieſem Falle, wie in dem Ausgangsbeiſpiele, wieder 7 Gramm beträgt. Mit nichten. Iſt das eine Ge- wicht 56 Gramm, ſo muß das zweite bis auf 42 Gramm abnehmen, damit beide ſicher als verſchieden erkannt werden. Es müſſen, damit die Unterſcheidung gelinge, die beiden Gewichte nicht um den gleichen beſtändigen, ſondern um den gleichen Verhältnißwerth von ein— ander verſchieden ſein. Sind wir alſo im Stande, Gewichte von einander zu unterſcheiden, die ſich wie 4 zu 3 verhalten, dann erkennen wir den Unterſchied zwiſchen Gewichten von 4 mal 7 und 3 mal 7, von 8 mal 7 und 6 mal 7, von 12 mal 7 und 9 mal 7, alſo von 28 und 21, von 56 und 42, 84 und 63, die ſich alle wie 4:3 verhalten, aber durchaus nicht von 56 und 49, oder von 84 und 77. Dieſe That⸗ ſache, welche Weber als eine allgemein gültige be— zeichnet hat, läßt ſich ſo ausdrücken, daß wir den Erfolg zweier Reize als gleicher Weiſe bemerklich wahrnehmen, nicht wenn die zwei Reize um gleiche Größe von einander verſchieden ſind, ſondern dann, n . 0 * 419 wenn das Verhältniß zwiſchen beiden Reizgrößen ein beſtimmtes iſt, und da ſich innerhalb weiter Grenzen dieſes Verhalten auf verſchiedenen Sinnesgebieten als geſetzmäßig erwieſen hat, ſo bezeichnet man es ge— wöhnlich als das Weber'ſche Geſetz“). Fechner, dem das Verdienſt gebührt, die Lehre dieſes Geſetzes am meiſten entwickelt zu haben, hat es zugleich auf die einfachſte Weiſe dem Erfahrungs- bewußtſein Aller nahe gelegt, durch den Vergleich des Vorgangs auf reinem Sinnesgebiet mit der Schätzung des Wohlſtandes, wie ſie je nach deſſen verſchiedener Entwicklung vorgenommen wird. Es iſt ein altes Wort, daß wer viel hat, nur um ſo mehr verlangt. Nur daß dieſer Charakterzug der Menſchheit im Lichte des Weber’jchen Geſetzes viel von dem unerfreulichen Schatten der Habſucht verliert. Wenn ein Tagelöhner, der monatlich 50 Mark verdient, ſich freut über eine Lohnerhöhung, die 5 Mark beträgt, iſt es nicht be— greiflich, daß ein Beamter mit einem Monatsgehalt von 500 Mark ſich erſt über eine Zulage von 50 im gleichen Grade freuen wird, etwa ſo wie ein General, der monatlich 2000 Mark einzieht, über einen Zu— ſchlag von 200? Alle ſolche Schätzung iſt auf eine Beurtheilung ) „Pſycho-phyſiſches Grundgeſetz.“ (Fechner.) II, 275 420 „verhältnißmäßig“ nicht bloß in der Wiſſenſchaft, ſondern auch im gemeinen Leben, ſo unendlich oft zu Rath gezogen. Auf einem etwas verwickelteren Gebiete hat der überraſchend ähnliche Eindruck, den verſchiedene Tonarten oder gleiche Tonverhältniſſe in verſchiedenen Octaven auf uns machen, dem Weber'ſchen Geſetze mächtig vorgearbeitet, ſo lange es muſikaliſch gebildete Ohren giebt. Gleichviel um welche Tonart oder um welche Octave es ſich handelt, das Verhältniß zwiſchen den Schwingungszahlen des Grundtons und der nächſt höheren Octave in der Zeiteinheit iſt immer 1: 2, das zwiſchen dem Grundton und der Quint 2: 3, zwiſchen dem Grundton und der großen Terz 4: 5, gleichviel welcher Ton zum Grundton gewählt werde. Nur handelt es ſich bei der muſikaliſchen Wirkung nicht um die Unter⸗ ſcheidung eines kleinſten verhältnißmäßigen Unter- ſchiedes, ſondern um die Wirkung verhältnißmäßiger Unterſchiede im Allgemeinen, deren Uebereinſtimmung ſo groß iſt, daß nicht nur dieſelbe Melodie in ver— ſchiedenen Tonarten ſogleich als ſolche erkannt wird, ſondern auch, namentlich wenn es ſich um eine Be— gleitung handelt, derjenige, der ſie ſpielt, nach Verlauf einiger Tage darüber im Unklaren ſein kann, ob er dieſelbe oder eine andere Tonart vor ſich hat. Beurtheilt man nicht die Schwingungszahlen, die 421 einem beſtimmten Ton entſprechen, ſondern die Schall- ſtärken, dann findet man, daß verſchiedene Schallſtärken richtig unterſchieden werden, wenn ſich die ſchwächere zur ſtärkeren annähernd verhält wie 3: 4. (Bolf- mann.) In dieſer Beziehung ergiebt ſich alſd, daß wenn es ſich um Schallſtärken oder einfache Belaſtung handelt, Ohr und Hand ſich hinſichtlich der Feinheit des Abwägens ganz ähnlich verhalten. Es ergiebt ſich aber keineswegs eine überraſchende Feinheit der Abſtufung. Bedenkt man, daß man ver— ſchiedene Schallſtärken hervorbringt, indem man einen Körper, etwa eine eiſerne Kugel, aus verſchiedener Höhe auf eine Holzplatte herabfallen. läßt, wobei nach Vier— ordt die Schallſtärke im Verhältniß der Quadratwurzel der Fallhöhe wächſt, dann ergiebt ſich ſogleich, daß man, die Fallhöhen abändernd, eine Stufenleiter unzähliger Schallſtärken hervorbringen kann, von denen wir nur wenige ſicher unterſcheiden. Die Wage kann ſo em— pfindlich ſein, daß ſie innerhalb der Breite von einem Milligramm bis zu 200 Gramm die Zugabe von einem Bruchtheil eines Milligramms angiebt. Inſo— fern iſt alſo die Fallmaſchine, wie die Wage einem Vergrößerungsglaſe vergleichbar, und da man Gewichte mit dem Auge ablieſt, könnte man ſagen die Wage ſei das älteſte Mikroſkop der Welt, das Mikroſkop, von welchem Chemie, Phyſik und Phyſiologie nicht N 422 weniger abhängig find, als die Erforſchung des feinſten Baues der Pflanzen und Thiere von der Entdeckung vergrößernder Glaslinſen. Und Palamedes, dem Erfinder der Wage in Nauplia*) gebührt für die Entwicklungsmöglichkeit der Wiſſenſchaft mindeſtens der gleiche Ehrenplatz, den Zacharias Janſen in Middel— burg als Erfinder vergrößernder Gläfer**) behauptet. Feiner als die Abſtufung der Empfindung für Belaſtungen iſt die für verſchiedene Grade der Hellig— keit. Sie läßt ſich mit Hülfe der Doppelſchatten be- meſſen. Stellt man nämlich in einem dunklen Zimmer vor eine weiße Tafel zwei brennende Kerzen von gleicher Lichtſtärke und zwiſchen Tafel und Kerzen einen Stab, ſo wird dieſer auf die Tafel zwei Schatten werfen. Dabei iſt natürlich der Schatten, welcher dem einen Lichte entſpricht, von dem andern Licht beleuchtet. Entfernt man nun eins der beiden Lichter ſo weit von der Tafel, daß ſeine Entfernung von dieſer zehnmal ſo groß iſt wie die des anderen, dann verſchwindet der Schatten, den der Stab von jenem ferneren Licht entwirft, mit anderen Worten, dieſes fernere Licht iſt nicht mehr ſtark genug, um durch ſeine Anweſenheit in der Beleuchtungsſtärke, die vom näheren *) Ernſt Curtius, Griechiſche Geſchichte, 5. Auflage, Berlin 1878, Bd. I, S. 56. ) Harting, het mikroskoop. 423 Licht herrührt, eine Aenderung, einen Zuwachs zu bewirken. Nun weiß man, daß die Lichtſtärke einer gegebenen Lichtquelle im Verhältniß des Quadrats der Entfernung abnimmt. Und da das Licht, deſſen Schatten nicht mehr bemerkbar iſt, von der weißen Tafel zehnmal weiter abſteht als das nähere, ſo iſt ſeine Lichtſtärke 10 mal 10 oder hundert mal ſchwächer als die des letzteren. Folglich wird ein Lichtzuwachs von 100 der gegebenen Lichtſtärke vom Auge nicht mehr als geſteigerte Helligkeit empfunden. (Bouguer und Fechner.) Jener Unterſchied von !/ıno ſteht aber an der Grenze jener Abſtufung der Lichtſtärke, für welche das Auge empfindlich genug iſt um ſie wahrzunehmen. Der Schatten verſchwindet, wenn ſein Helligkeitsunter— ſchied nur !/ıoo von der Helligkeit des Grundes be— beträgt, auf dem er entworfen wird. So fanden es Volkmann und Aubert. Nur haben dieſe beiden Forſcher bei ausgedehnten Verſuchsreihen gefunden, daß während der Unterſchied von 100 bei mäßiger Lichtſtärke nicht mehr empfunden wird, der verhältniß— mäßige Unterſchied bei ſchwacher Beleuchtung viel größer (!/ss bis ½0) werden muß um erkannt zu werden, während er dagegen bei ſtarker Beleuchtung auf einen viel kleineren Werth (¼9s bis 1/146) herabſinken kann und dennoch wahrnehmbar bleibt. 424 Iſt nun durch die Erweiterung, welche Bolfmann und Aubert den Grenzen unſerer Abſtufungsfähigkeit für Lichtempfindungen gegeben haben, das Weber'ſche Geſetz in ſeiner ſtrengen Gültigkeit angetaſtet, ſo be— ſteht es doch durchaus zu Recht, inſofern alles über— einſtimmend lehrt, daß, um naheliegende Eindrücke verſchiedener Stärkegrade zu unterſcheiden, es nicht auf die einfache Größe des Unterſchieds, ſondern auf den verhältnißmäßigen Unterſchied ankommt. Daher er- kennen wir in einem ſonſt nicht beleuchteten Zimmer die Schatten, die das Mondlicht erzeugt, aber dieſe verſchwinden, wenn wir eine gute Lampe ins Zimmer bringen, obgleich die Lampe zum Mondlicht und zum Mondſchatten gleich viel Licht hinzufügt, alſo der ein⸗ fache, ſogenannte algebraiſche Unterſchied nicht geändert wird, wohl aber der verhältnißmäßige, mit anderen Worten der Abgang des Mondlichts im Schatten wird ein zu kleiner Bruchtheil des Lichtes, welches die Lampe in das Zimmer wirft, um wahrgenommen zu werden. Ebenſo iſt das Licht der Sterne am Himmel für das Sonnenlicht bei Tage verhältnißmäßig ein zu kleiner Zuwachs, als daß wir bei Tage die Sterne ſehen könnten. Dagegen erkennen wir die Schattirungen einer Zeichnung, wenn auch nicht mit gleicher Leb⸗ haftigkeit, doch gleichwohl, wenn wir fie bei verſchie— dener Lichtſtärke betrachten, weil hierbei die verhältniß⸗ 425 mäßigen Unterſchiede zwiſchen Licht und Schatten ſich behaupten. Es folgt aus allen dieſen Erfahrungen als oberſter Satz, daß die Stärke der Empfindung langſamer wächſt als die Mächtigkeit des Reizes, oder um es ganz greifbar auszudrücken, daß uns zwei gleiche Kerzen— flammen nicht den doppelten Lichteindruck von einer einzigen gewähren. Als eine ungefähre Annäherung hat man für die mittleren Stärkegrade der Reizung angenommen, daß die Reizſtärke in geometriſchem Verhältniß wachſen muß, damit die Empfindung in arithmetiſcher Reihe zunehme. Aber Weber ſelber hatte bereits erkannt, daß dieſe Maaßbeſtimmung in die Brüche fällt, ſo wie es ſich um ſehr ſchwache oder ſehr ſtarke Reize handelt. Die Erfahrung hat die Schranken des Geſetzes nur immer fühlbarer gemacht. Das Leben entflieht der Formel, nicht weil es der Zahl entzogen wäre, ſondern weil ſeine Zahlen der Ausfluß jo vieler wandelbarer Fac— toren ſind, daß jede Unterſuchung eines Lebensvorgangs Mißtrauen erregen muß, wenn eiſernes Regelmaaß ihr Ergebniß iſt. Kein Einfluß läßt ſich vereinzeln, kein Factor ausſchließlich für ſich allein abſtufen; des— halb kann die Wirkung einer ſolchen Abſtufung niemals eine ausnahmlos gleichmäßige ſein, und ihre Regel kann nur aus großen Zahlen erkannt und abgeleitet werden. Ya 4 — A 426 Zunächſt wird der Menſch durch die Sinnesein— drücke ſelbſt fortwährend verändert. Durch jeden plötzlichen Lichtwechſel wird, wie alle Welt aus Er— fahrung weiß, unſre Empfänglichkeit für Lichtunter- ſchiede abgeſtumpft. Treten wir plötzlich aus einem ſchlecht erhellten in einen zu hell erleuchteten Raum, ſo werden wir zunächſt geblendet und nur allmälig wird die Netzhaut ſo zu ſagen für das grellere Licht abgeſtimmt, ſo daß wir die Gegenſtände allgemach deutlich wahrnehmen. Ebenſo bequemt ſich das Auge nach und nach einer ſchwachen Beleuchtung an, wenn wir etwa aus hellem Tageslicht in ein mäßig ver— dunkeltes Zimmer treten. Je länger wir in letzterem verweilen, deſto deutlicher tauchen uns die Gegenſtände auf. Aubert fand, daß in einem ſchwach beleuchteten Raum anfangs nur Helligkeitsunterſchiede von !/a empfunden wurden; nach und nach aber nimmt die Empfindlichkeit in der Ruhe, die das Halbdunkel ge⸗ währt, in ſolchem Grade zu, daß nunmehr das Auge Unterſchiede von ½5 auffaßt. Dieſe Beweglichkeit des Organismus iſt der Grund, warum bei manchen Sinneseindrücken an eine Be— währung des Weber'ſchen Geſetzes kaum gedacht werden kann. So verhält es ſich ganz beſonders mit unſeren Empfindungen von Wärme und Kälte. Be- kanntlich können wir bei ſehr verſchiedenem Wärme— 427 grad unſerer Umgebung uns mit Rückſicht auf die Wärme, die wir empfinden, behaglich fühlen, ſo daß wir weder über Wärme, noch Kälte klagen. Unter ſolchen Umſtänden ſagt man, die Oberfläche unſeres Körpers befinde ſich hinſichtlich der Wärme auf ihrem phyſiologiſchen Nullpunkt, obwohl dieſer phyſiologiſche Nullpunkt für verſchiedene Stellen der Körperober— fläche verſchieden iſt. Aber noch viel wandelbarer iſt dieſes Verhalten der Wärme, wenn wir, wie vorhin aus einem hellen in einen dunklen Raum, aus einer wärmeren in eine kühlere Umgebung über— gehen. Begeben wir uns aus einem Zimmer, deſſen Luftwärme 20° beträgt, in ein ſolches von 12°, fo werden wir zunächſt Kälte empfinden; dauern wir aber in letzterem Zimmer aus, dann ſtellt ſich nach und nach der phyſiologiſche Nullpunkt wieder her, wir ſpüren wiederum weder Kälte noch Wärme. Im Großen macht ſich dieſe Abſtimmung unſres Wärme— gefühls in den verſchiedenen Jahreszeiten geltend, und wir können uns im Winter in einem Zimmer bei 15° jo behaglich fühlen, wie im Sommer bei 25°. Iſt nun ein Theil unſeres Körpers, ein Finger z. B., auf 36° erwärmt, und befinden wir uns in einem Luftraum bei 15°, dann fühlen wir Waſſer von 30“, mit dem wir den Finger in Berührung bringen, warm. Halten wir nun den Finger einige 428 Zeit in dem auf 30“ erwärmten Waſſer und zwar in einer recht großen Waſſermenge, dann brauchen wir denſelben Finger nachher nur in eine Waſſer— maſſe von 29“ zu tauchen, um Kühle zu empfinden, während wir, wenn wir den Finger ſogleich und zus erſt in das Waſſer von 29“ getaucht hätten, Wärme gefühlt haben würden. Und hier thürmt ſich uns eine große, vielleicht unüberwindliche Schwierigkeit in dem Meßverfahren entgegen. Wenn man ſehen will, wie ſich die Hand gegen Belaſtungen verhält, kann man mit gar keinem Gewicht, das heißt mit einem wirklichen Null, an= fangen und von hier zu dem kleinſten Gewicht über- gehen, welches an einer beſtimmten Stelle der Hand noch empfunden werden kann. Dieſer kleinſte Werth, bei welchem die Empfindung ſo zu ſagen über die Schwelle tritt, iſt der ſogenannte Schwellenwerth für Druckempfindung. Er iſt an verſchiedenen Stellen der Hand nicht gleich groß, aber an der inneren Ober— fläche der Finger kann ein Gewicht von 15 Milli- gramm, das eine Oberfläche von 9 Quadratmillimeter belaſtet, als Druck wahrgenommen werden. (Aubert und Kammler.“) Dieſes Maaß kommt einem ächten Schwellenwerth gewiß ſehr nahe, denn der geſunde *) Moleſchott, Unterſuchungen zur Naturlehre des Menſchen und der Thiere, Bd. V, S. 153. 429 Finger befindet ſich unter gewöhnlichen Verhältniſſen in einem Zuſtande der Ruhe, es geht nichts in dem— ſelben vor, keine genügende Wärmeſchwankung, keine hin- länglich lebhafte Zerſetzung, keine merkliche Abänderung der Blutbewegung in ſeinen Gefäßen, die eine Druck— empfindung veranlaſſen könnte. Jedes Gewicht, das alſo der Hand aufgelegt wird, iſt ein Zuſatz zu Null, und das kleinſte Gewicht, das an einer gegebenen Stelle Druckempfindung auszulöſen vermag, übertritt eben die Schwelle. Wo liegt aber in dieſem ſtrengen Sinne die Schwelle für eine Licht- oder Wärme- empfindung? Nicht einmal im Auge herrſcht im Dunkeln jene vollkommene Ruhe, die uns geſtatten könnte zu behaupten, daß die allerſchwächſte hinzu— kommende Lichtwirkung ſich zu völliger Lichtloſigkeit, zu einem wahren Nullwerth hinzufüge. Unſre Netz— haut wird zur Lichtempfindung nicht bloß durch das Licht im engeren Sinne gereizt; auch mechaniſche und elektriſche Reize der Netzhaut rufen eine Lichtempfin— dung hervor. Aber die Netzhaut unterliegt auch im Finſteren von innen dem Druck der Augenflüſſigkeiten, von außen dem Druck, den die Sehnen der ſich zu— ſammenziehenden Augenmuskeln auf den Augapfel aus⸗ üben, und dieſer Druck, ſo ſchwach er unter Umſtänden ſein mag, wirkt ſchon wie ein ſchwacher Lichtreiz, der, weil er auf mechaniſchem Wege im Auge ſelbſt erzeugt 430 wird, Anlaß ward, daß man von einem Eigenlicht der Netzhaut ſpricht. Inſofern iſt alſo das Auge, ſelbſt wenn es ſchwarz ſieht, niemals in einem voll- kommenen Ruhezuſtande, und da dies bei jeder auch noch ſo ſchwachen Beleuchtung von außen noch weniger der Fall iſt, da ferner ſtattgehabte Reize in der Netz— haut lange nachwirken, ſo kann von einem durchaus reizloſen Zuſtande des Auges niemals die Rede ſein, mithin auch nicht von einem Schwellenwerth im ſtrengen Wortſinn. Bei der Wärme bezieht ſich die Reizſchwelle gleichfalls auf einen bereits vorhandenen Wärmezuſtand der Haut, es kann ſich nur Wärme zu Wärme hinzu⸗ fügen oder Wärme von Wärme abziehen, und der Schwellenwerth für Wärmereize iſt immer nur eine bezügliche Größe, gerade ſo wie der Wärmegrad bei allen Thermometern, die nicht wie der Barometer einen Nullwerth, ſondern nur einen willkürlich ge— wählten Nullpunkt beſitzen. Wenn der Barometer 0“ zeigen könnte, wäre wirklich gar kein Luftdruck vorhanden und in beiden Schenkeln des Barometers ſtände das Queckſilber auf gleicher Höhe. Der Nullpunkt des Thermometers aber iſt immer ein Wärmegrad, den Fahrenheit niedriger annahm als Réaumur und Celſius. Nichts be- rechtigt uns, auch bei derſelben Thermometerſcala, eine gleiche Zunahme von Wärmegraden in verſchie⸗ 431 denen Höhen der Scala als gleichwerthigen Reiz zu be- trachten. Man müßte vielmehr im Stande ſein, einer Hautſtelle von bekannter Maſſe gleiche oder verhältniß— mäßige Wärmeeinheiten zuzuführen oder zu entziehen, wenn von einer Erforſchung des Verhältniſſes zwiſchen Wärmereiz und Wärmeempfindung die Rede ſein ſollte. Könnte aber auch dieſe Schwierigkeit im Meßverfahren überwunden werden, ſo bliebe doch immer, daß die Haut, was Wärmereize betrifft, ſich niemals in jungfräulichem Zuſtande befindet, ſo wenig wie die Zunge Geſchmacks— reizen gegenüber. Damit iſt aber die Anwendung des Begriffs der Reizſchwelle auch für die Erregung durch Wärme und Schmeckſtoffe, wie für die durch Licht— reize, ausgeſchloſſen. Endlich iſt dieſelbe Behauptung offenbar auch auf das Gehörorgan auszudehnen, da ja, ganz abgeſehen von der Außenwelt, in unſerm eigenen Körper fortwährend Geräuſche erzeugt werden, die wir, wenn ſie aus irgend einem Grunde genügend an Stärke zunehmen, wie z. B. gelegentlich die Herztöne in ſtiller Umgebung, auch deutlich als ſolche wahrnehmen. Wir ſind alſo für gewöhnlich gegen den eigent— lichen Schwellenreiz ſchon abgeſtumpft. Und ſchon deshalb wird der nächſtliegende ſtärkere Reiz den un— bekannten Schwellenreiz verhältnißmäßig mehr über— treffen müſſen, als dies in der Breite der mittleren Reizſtärken der Fall iſt, um überhaupt wahrnehmbar 432 zu ſein. Und dies behauptet ſich denn allgemein für die ſchwächſten Reizgrade in einer Weiſe, für welche der Vergleich mit dem Eindruck, den kleinſte Geld— werthe im Verkehr machen, das Verſtändniß nahe legt. Zwei Pfennige oder ein Pfennig, drei oder zwei, das macht im Handel und Wandel ſo wenig Unterſchied, daß man an manchen Orten von vornherein eine größere Münzeinheit, etwa den Groſchen oder min— deſtens den Kreuzer verlangt, damit man die Schuld⸗ forderung der Mühe Werth finde. Und hier vertritt der Groſchen die mittlere Reizſtärke, ſo daß drei oder vier Groſchen erheblich verſchiedene Werthe oder Reiz- größen darſtellen. Aehnlich nun, wie es allerkleinſte Werthe giebt, unter welche der Reiz nicht hinabſinken darf, wenn er überhaupt Empfindung bewirken ſoll, kann auch die Reizſtärke eine Höhe erreichen, über welche hinaus ſtärkere Reize von ihr nicht mehr unterſchieden werden. Wie man den kleinſten überhaupt Empfindung er⸗ weckenden Reiz als Schwellenreiz bezeichnet, ſo kann der ſtärkſte noch als Verſtärkung eines ſchwächeren Reizes wahrnehmbare füglich Gipfelreiz*) genannt werden. Des thatſächlichen Beſtehens eines Gipfelwerthes . der Reizſtärke kann ein Jeder aus Erfahrung Kunde haben, wenn ſich auch nicht ein Jeder dieſer Grenze ) „Reizhöhe“. (Wundt.) 433 bewußt iſt. Zweihundert Flintenſchüſſe bewirken keinen größeren Lärm als hundert, und wer ſich des Ein— drucks erinnert, den ein Piſtolenſchuß auf der Bühne erweckt, wird gewiß nicht geneigt ſein zu glauben, daß der Donner aus fünfzig Kanonen als Reizgröße in der Empfindung eine verhältnißmäßige Steigerung hervorruft“). Man kann ſich's vorſtellen, daß, wenn ſich die Reizſtärke dem Reizgipfel nähert, ein verhältnißmäßiger Zuwachs im Sinn des Weber'ſchen Geſetzes einen kleineren Werth wird beanſpruchen müſſen als in der Nähe der Reizſchwelle, damit in der Empfindung eine Zunahme ſich geltend mache. Delboeuf weiſt paſſend darauf hin, daß wir auf frei ſchwebender Hand Ge— wichte unterſcheiden, die ſich wie 17 : 18 verhalten, daß aber Jemand, dem 50 Kilogramm zu heben ſchwer fällt, 51 Kilo bedeutend ſchwerer findet, alſo nicht /, ſondern nur ¼80 Zuwachs bedarf, um das eine Ge— wicht vom anderen zu unterſcheiden. Dies entſpricht aber offenbar dem, was oben für den Lichtſinn mit- getheilt wurde, daß nämlich bei ſtärkeren Lichtreizen der verhältnißmäßige Zuwachs, um als ſolcher merkbar zu werden, viel kleiner ſein darf, als es für mittlere Stärkegrade des Lichts erfordert wird. Und fo wie ) Vgl. die vortreffliche Schrift von J. Delboeuf, Elements de psycho- physique gen£rale et spéciale, Paris 1883, p. 27, 28. II. 28 434 ein allzu grelles Licht uns blendet in dem Maaße, daß wir gar nichts ſehen, jo giebt es Menſchen, die ein Ge— wicht von 100 Kilo heben können, während ſie dies für 100,5 Kilo ſchlechterdings nicht zu leiſten vermögen. In dem einen wie in dem anderen Falle iſt der Gipfelwerth erreicht oder man iſt ihm mindeſtens ſehr nahe gekommen. Reizgipfel aber und Reizſchwelle be— ſtimmen die Grenzen der ſinnlichen Erregung, für die der Menſch empfindlich iſt. Und wenn wir mit Pro- tagoras erkennen müſſen, daß der Menſch das Maaß aller Dinge iſt, ſo folgt aus jener Grenzbeſtimmung unmittelbar der Zuſatz: das Maaß aller Dinge für den Menſchen. Aus dem Obigen ergiebt ſich aber ferner als oberfter Grundſatz, daß wir immer Verhältniſſe beob- achten, ſo zwar, daß Unterſchiede von genau gleicher Größe nur in beſchränktem Maaße erkennbar ſind. Wenn wir an Linien, die 5 bis 6 Centimeter lang ſind, falls ſie in geeigneter Entfernung wagerecht vor uns liegen, einen Längenunterſchied von 1 bis 2 Milli⸗ meter richtig ſchätzen, ſo werden wir uns bei einer Linie von 100 Meter Länge ſchon um eines Meters Länge irren können. Nur durch die richtige Auffaſſung der Verhältniſſe wird ein begabtes Menſchenkind zum Baumeiſter oder Bildhauer, zum Maler oder Muſiker. Nur dadurch, 435 daß er abjolute und verhältnißmäßige Größen unter- ſcheiden lernt, wird der Naturforſcher ein Wiſſender, der Geſchichts- und Rechtskundige ein Staatsmann, und derjenige, der den Geſetzen des großen Geſellſchafts— lebens, dem Pulſe des Menſchenverkehrs nachſpürt, ein Lenker und Befreier der Menſchheit, wenn er es verſteht, wie Solon, das Verhältniß zwiſchen Ordnung und Freiheit zu begreifen. Zählend gehen wir durch die Welt. Wir zählen nicht bloß unſre Lieben und unſre Habe, wir zählen auch die Luftſchwingungen in der Zeiteinheit, indem wir Töne, die Lichtſchwingungen, indem wir Farben unterſcheiden. Wir ſind uns nicht bewußt, daß wir, wenn wir blau und roth von einander unterſcheiden, nach Billionen oder beim Auffaſſen der Töne nach Zehnern und Hundertern zählen. Es war eben Auf- gabe der Wiſſenſchaft, das Geſammturtheil, das in der Farben- oder Tonwahrnehmung geſchöpft wird, in feine Beſtandtheile zu zerlegen. In dem Maaße aber, in welchem die Menſchheit in dieſer Zerlegung fort— ſchreitet, werden die Eigenſchaften, die unſre Sinne verſchiedenartig berühren, immer deutlicher als Größen— verhältniſſe erkannt. Indem ſich die Größenverhält— niſſe verſchiedenartig gruppiren und geltend machen, entſtehen zuſammengeſetzte Eigenſchaften. Der Klang verſchiedener muſikaliſcher Werkzeuge, die menſchliche II. 28 436 Stimme mit inbegriffen, unterſcheidet ſich, inſofern der Grundton von verſchiedenen Obertönen in ver— ſchiedener Stärke begleitet iſt, und alle dieſe Unter— ſchiede ſind in Zahlenverhältniſſen begründet. Wiederholen wir alſo getroſt mit Protagoras: der Menſch iſt das Maaß aller Dinge, und ſich ſelbſt erkennen heißt die Dinge des Weltalls, den Menſchen inbegriffen, durch den Menſchen, für den Menſchen meſſen. Wie man ſich aber dabei drehen und wenden möge, immer findet man den Gedanken in den Banden der Natur, an Zahl und Maaß gebunden, aus Ver— hältniſſen Geſetze ſchöpfend, zeitmäßig, zeitfühlend, bedingt und getragen, urwüchſig, aber nicht urſprüng— lich, kühn aber botmäßig, leuchtend wie ein Sonnen⸗ ſtrahl, jedoch wie ein Sonnenſtrahl unvermögend die natürlichen Schranken zu überſpringen. Man hat uns geſagt, und Viele haben es wie eine erlöſende Botſchaft aufgenommen, daß es uns nie gelingen werde, das Denken aus mechaniſchen Be— wegungen abzuleiten. Es muß wohl ſo ſein, daß dieſer Ausſpruch für viele Menſchen etwas Neues enthielt, aber ebenſo ſicher iſt es, daß dieſe Menge nicht an die Grenze ihres Denkens gegangen war. Das Weſen der Frage wird durch jenes — auf meinem Standpunkt muß ich ſagen — berüchtigte 437 ignorabimus nicht berührt. Das Denfen oder gar den einzelnen Gedanken aus mechanischen Bewegungen ableiten, würde ſo viel heißen, als es mechaniſch er— klären. Aber auf welchem Gebiet der Naturerſchei— nungen, die kein einfaches Zuſammenzählen zulaſſen, iſt an eine ſolche Erklärung auch nur zu denken? Wir wiſſen, daß Waſſer Kochſalz aufzulöſen vermag, Gold aber nicht, jedoch erklärt hat Niemand dieſe weſenhaften Eigenſchaften. Wir kennen die Zuſammen— ſetzung des Kochſalzes aus 39,34 Theilen Natrium und 60,66 Chlor, aber Niemand wagt es aus dieſer Miſchung abzuleiten, daß Kochſalz in Waſſer löslich iſt, daß es mit Schnee gemiſcht Kälte erzeugt, in 9 Theilen Waſſer gelöſt Myoſin zu löſen vermag, daß es in den Zellen unſeres Körpers ſpärlich, in den Flüſſigkeiten desſelben reichlich vorkommt, daß es Be— wegung wie Empfindung vermittelnde Nerven erregt, ſo zwar, daß es durch jene Muskelverkürzung, durch dieſe Schmerzen bewirkt. Wie dieſe Erfolge und Ver— hältniſſe aus einer nach feſten Zahlen gebildeten Miſchung von Chlor und Natrium abzuleiten ſind, davon hat Niemand eine Ahnung, höchſtens weiß es der Eine beſſer als der Andere zu erzählen, zu um— ſchreiben, zu überſehen, und doch zweifelt Niemand, daß die Eigenſchaften oder Wirkungen des Kochſalzes an jene beſtimmte Verbindung von Chlor und Natrium 438 zuſammengehörig gebunden find, daß kein anderer Körper alle jene Eigenschaften und Wirkungen mit dem Kochſalze theilt, wenn feine Zuſammenſetzung der des Kochſalzes auch noch ſo ähneln mag. Wir haben es gelernt, ein Werthverhältniß zwiſchen mechaniſcher Kraft und Wärme zu ermitteln, welches uns erlaubt mit Wärme zu rechnen, als wenn es Arbeit wäre, ſo daß wir Wärme- und Arbeitseinheiten zu— ſammenzählen können, und dennoch würde man ſcheitern, wenn man es verſuchen wollte, die Arbeit aus Wärme oder umgekehrt dieſe aus jener im Sinne einer mecha— niſchen Erklärung abzuleiten, wie man dies für das Gedankenleben und moleculäre Hirnthätigkeit verlangt. Aber kein Unterrichteter kann es bezweifeln, daß jede Wärmeentwicklung mit mechaniſcher Arbeit einhergeht, jede mechaniſche Arbeit Wärme entwickelt, und daß für jeden Bruchtheil Wärme, die entwickelt wird, ein verhältnißmäßiger Theil der Arbeit als ſolche ausfällt, um als Wärme zu Tage zu kommen. Jeder Schüler in der Naturbeſchreibung erkennt aus der Vertheilung der Blattnerven, ob eine Pflanze mit einem oder mit zwei Samenlappen keimt, ob ſie zu den Monocotyledonen oder Dicotyledonen gehört. Jene haben Blätter mit parallelen, dieſe mit baum⸗ förmig verzweigten, oft netzartig zuſammenhängenden Adern. Es handelt ſich um zwei in die Augen fallende 439 Merkmale, deren Zuſammengehörigkeit man nicht in Frage ſtellen kann, die entweder mittelbar von ein— ander oder von einer gemeinſamen Urſache abhängen. Weil aber dieſe Urſache nicht erkannt iſt, müſſen wir deshalb annehmen, daß ein unſichtbarer Geiſt mit Aderſchrift auf die Blätter geſchrieben hat, ob ſie zweiſamenlappigen oder einſamenlappigen Pflanzen an— gehören? müſſen wir etwa auf den Gedanken kommen, daß eine Kluft die Entwicklung der Samenlappen von der Bildung der Blattadern trennt? Das, worauf es ankommt, iſt die nothwendige Zuſammengehörigkeit. Sie erlaubt uns mit Sicherheit zu erwarten, daß der elektriſche Strom, der einen Eiſenſtab umkreiſt, dieſen magnetiſch macht, wie in der Rinde unſeres Hirns moleculare Bewegung Ge— dankenthätigkeit vorausſetzt. Wie das Eiſen unter der Einwirkung des elektriſchen Stroms magnetiſch wird, hat uns Niemand geſagt, wie Niemand in den Zellen der Hirnrinde die Entſtehung des Gedankens geleſen hat. Aber naturbedingt, und zwar ſtofflich bedingt iſt das Denken im Hirn wie das Magnetiſch— werden im Eiſen. Das Eiſen iſt nur inſofern bevor- zugt, als es im Zuſtande der Härte, als Stahl, noch eine Zeit lang magnetiſch bleibt, wenn auch der elektriſche Strom es nicht mehr umkreiſt, während das Denken unerbittlich aufhört, wenn der Blut— 440 ſtrom und mit ihm die moleculäre Thätigkeit im Hirn erliſcht. Denn das Denken erfordert Blut, ſo gut wie jede andere Thätigkeit im Körper; das Denken ermüdet ſo gut wie Muskelanſtrengung, es ſetzt ſinnliche Er— regung voraus und koſtet Zeit, es iſt anders im Liegen als im Stehen, anders nach einem Glaſe Wein als in der Nüchternheit, anders, wenn wir müde und trübſelig ſind, als in friſcher heiterer Stimmung, immer aber an jene endlich ausgedehnte Hirnthätig- keit gebunden, die den Kopf zum Menſchen macht. Be 441 XIX. Der Wille. Ducunt volentem fata, nolentem trahunt. Seneca. Ob das Blatt einer Pflanze eirund oder rauten— förmig, ganzrandig oder fiederſpaltig iſt, läßt Jeder— mann abhängen von Urſachen der Entwicklung, zu welchen ſich die Geſtalt des Blatts als eine noth— wendige, von jeder Willkür unabhängige Folge verhält. Wenn es eine Biene giebt, die ihre Eier mit Roſenblättern, eine andere Bienenart, welche dieſelben mit Blättern des wilden Mohns bedeckt, während eine dritte ſie mit Steinchen ummauert; wenn wir hören, daß beinahe jede Spinnenart ein anderes Gewebe ſpinnt, wenn der Lemming von Skandinavien ſeinen Vorrath in einem Bau aufſpeichert, der nur aus Einer Kammer beſteht, während der Hamſter einen viel— kammerigen Bau verfertigt, dann ſchreiben wir dieſe Wirkungen einem Inſtinktgeſetze zu. Auch hier wird eine Folgerichtigkeit zwiſchen Urſache und Wirkung zugeſtanden, die ſeltſamer Weiſe ſchon oft dazu ver— 442 anlaßt hat, dem Thier, wenn auch nur augenblicklich, einen Vorzug vor dem Menſchen einzuräumen, weil der Inſtinkt vor vielen Verirrungen ſchützt. Der Menſch ſoll über dem Thiere ſtehen, weil er das Inſtinktgeſetz erkennt. Das Thier, ſo ſagt man, bedarf des Schutzes jener Erkenntniß, bedarf der Ver— nunft nicht, weil es durch den Inſtinkt vor den Ver⸗ führungen des Sinnenreizes geſichert, vor den Regungen eines widerſtrebenden verkehrten Willens behütet ſei. Zugleich wird der widerſtrebende, verkehrte Wille als höchſte Gabe des Menſchen gelobt und als die Eigen— ſchaft bezeichnet, von welcher alle ſittlichen Vorzüge und alles, was dem Menſchen heilig iſt, hergeleitet werden müſſen. Für die niederen Stufen des Willens giebt man deſſenungeachtet zu, daß ſie Menſchen und Thieren gemein ſind, und lange war die Eintheilung beliebt, nach welcher ſich die Thiere von den Pflanzen durch willkürliche Bewegung unterſcheiden ſollten. Zwiſchen Menſchen und Thieren blieb dann nur der Unterſchied, daß jene durch einen höheren Grad des Bewußtſeins vor dieſen ausgezeichnet ſeien. Was iſt denn aber das Bewußtſein oder, um das ſtolze Wort der Schule zu gebrauchen, jenes Selbſt— bewußtſein, das den Menſchen zum König der Erde erheben ſoll? 443 Stoffliche Bewegungen, die in den Nerven mit elektriſchen Strömen verbunden ſind, werden in dem Gehirn als Empfindung wahrgenommen. Und dieſe Empfindung iſt Selbſtgefühl, Bewußtſein. In dem Schulunterricht über das Denken wird ſtrebſamen Köpfen die Auffaſſung gewöhnlich deshalb erſchwert, weil ſich die Schule nicht dazu verſtehen kann, die Bildung von Urtheilen, Begriffen und Schlüſſen an der beſtehenden, friſchen Wirklichkeit zu entwickeln. So wenig es gelingt, ſo eifrig beſtrebt man ſich doch, dem Schüler einzuimpfen, daß er ſeine Blicke weg— wenden muß vom grünen Baum, daß er das Denken abziehen muß vom Stoff, um ja recht abgezogene Begriffe zu bekommen, mit denen das gequälte Hirn in einer Schattenwelt ſich bewegt. Gerade ſo geht es mit den in der Schule gang— baren Vorſtellungen vom Bewußtſein. Da ſoll ſich nur der Lehrling nicht beikommen laſſen, daß es ein einfaches Verhältniß gebe zwiſchen Bewußtſein und Außenwelt. Der Menſch, heißt es, hat die Fähigkeit, ſein Ich als ein Erkennendes den äußeren Gegenſtänden entgegenzuſetzen, und darin liegt das Selbſtbewußtſein, das den Menſchen über alle Thiere adelt. Dies aber iſt noch viel zu klar. Die Klarheit darf nur ſchein— bar ſein. Und jetzt wird der Gegenſatz zwiſchen dem Ich und dem Ding an ſich mit allen Fetzen aus der 444 alten Rumpelkammer von der Wirklichkeit abgezogener Begriffe behängt. Nur gar zu häufig wird das Ziel erreicht, den klaren Begriff in ein geweihtes Geheim— niß zu verwandeln, oder, deutlich geſprochen, dem armen Schüler „wird von alle dem ſo dumm, „Als ging' ihm ein Mühlrad im Kopf W „und in en Sälen, it Den Bänken „Vergeht ihm Hören, Seh'n, und Denken.“ Die ganze Sache iſt ſonnenklar, wenn man ſie nicht mit Kunſt verdunkelt. Das Ding an ſich iſt nur mit, iſt nur durch ſeine Eigenſchaften, durch ſeine Verhältniſſe zu anderen Dingen, durch ſeine Eindrücke auf meine Sinne. Der denkende Menſch iſt die Summe ſeiner Sinne, wie das Ding, das wir beobachten, die Summe feiner Eigenſchaften iſt. Darum iſt die Er⸗ kenntniß des Menſchen durch die Sinne beſchränkt. Aber dieſe Schranke umſchließt das volle Maaß des Dinges, weil das Ding nur mit einem gleichartigen Maaß zugleich gemeſſen werden kann. Andere Ge— ſchöpfe finden andere Summen. Der Menſch iſt durch- aus in ſeinem Recht, wenn er ſich um die Erkenntniß, wie ſie im Hirnknoten des Inſekts oder im Hirn etwaiger Mondbewohner ſich ſpiegelt, nicht kümmert. Der Menſch iſt berechtigt zu ſagen: Das Ding an ſich iſt das Ding für mich. ur 445 Offenbar ſetzt die Empfindung ein Verhältniß unſerer Sinneswerkzeuge zu den Dingen voraus. Noch beſtimmter: die Empfindung iſt ein Verhältniß der Sinne zu den Dingen. Und damit iſt es überhaupt gegeben, daß wir unſer Ich den einwirkenden Dingen entgegenſetzen. Das Selbſtbewußtſein iſt nichts Anderes als die Fähigkeit, die Verhältniſſe der Dinge zu uns zu em— pfinden. Je häufiger unſere Sinnesnerven den Eindruck ſtofflicher Bewegung erlitten, je mehr wir gehört und geſehen, beobachtet und geurtheilt, begriffen und er— ſchloſſen haben, je reicher unſer Denken, deſto lebhafter wird der Gegenſatz zwiſchen dem Ich und dem Ding außer uns. Die Uebung hebt das Bewußtſein. Das Bewußtſein wächſt mit der Erkenntniß. Es bekommt um ſo deutlicher das Gepräge eines urſprünglichen Einzelweſens, je ſchärfer die ſinnliche Wahrnehmung ſich gliedert. Darum geht die Entwicklung des Bewußtſeins Hand in Hand mit der Entwicklung des Denkens. Das ſehen wir in der Reihe der Thiere und in den Lebensaltern des Menſchen. Das Kind lebt in den erſten Monaten beinahe unbewußt, ohne Erinnerung ſeiner Zuſtände und der Dinge, die auf dasſelbe ein— wirken. Bei Thieren und Menſchen iſt das Bewußt- 446 fein nicht der Art, nur dem Grade nach verſchieden. Und dieſer Unterſchied kann unermeßlich groß, er kann freilich auch ganz außerordentlich klein ſein. Immer aber wird es Gelehrte geben, die, wie Condorcet von den Doctoren zu Voltaire's Zeiten ſchreibt, der Furcht leben, daß, wenn die angebornen Anſchau— ungen wegfallen, der Unterſchied zwiſchen ihrer Seele und der der Thiere nicht mehr groß genug ſein werde). Es bedarf der häufig wiederholten Einwirkung, um die Empfindung als klares Bewußtſein feſtzuhalten. Das Bewußtſein läuft jedoch immer auf Empfindung hinaus. Wir ſprechen dem Thier Bewußtſein ab, wenn es aufhört zu empfinden. Alſo ergiebt ſich auch das Bewußtſein als eine Eigenſchaft des Stoffs. Das Bewußtſein hat ſeinen Sitz nur im Gehirn, weil nur im Gehirn die Empfindung zur Wahr- nehmung kommt. Das Bewußtſein fehlt, wenn das Gehirn kein Blut mehr enthält oder wenn eine Ueber— füllung mit ſchwarzem aderlichen Blut ſeiner regel— mäßigen Thätigkeit eine Grenze ſetzt. Geköpfte Thiere und Enthauptete haben keine Empfindung und kein Bewußtſein, trotz der eigenthümlich zuſammenwirken— ) Vergl. F. C. Schloſſer, Geſchichte des achtzehnten Jahrhunderts. Heidelberg 1843, 3. Auflage, Bd. I, S. 524. 447 den Bewegungen, welche Thiere nach der Köpfung vollführen können. Jobert de Lamballe hat eine höchſt merkwürdige Beobachtung gemacht an einem Mädchen von einigen zwanzig Jahren, bei welchem durch einen Drück auf den oberſten Theil des Rückenmarkes dieſes Gebilde in ſeiner ganzen Ausdehnung unthätig geworden war. Sowohl die Bewegung wie das Taſtgefühl war voll— ſtändig gelähmt in allen Gliedern und am Stamm. Aber das Bewußtſein war erhalten. Anfangs konnte das Mädchen noch leiſe ja und nein ſagen, bald darauf nicht mehr, obgleich es deutlich die Lippen— bewegungen vornahm, welche das Ausſprechen jener Wörter erfordert. Die Kranke ſtarb nach einer halben Stunde. Es kann ſomit das ganze Rückenmark in Unthätig- keit verſetzt werden, ohne daß das Bewußtſein leidet. Aus dem Gehirn und Rückenmark entſpringen an verſchiedenen Stellen Nervenbündel, die an ihrer Ur— ſprungsſtelle gewöhnlich entweder nur empfindende oder nur bewegende Faſern enthalten. In den Cen— traltheilen der Nervengebilde, das heißt im Hirn und Rückenmark, aber auch in vielen Stämmen der Nerven, nachdem fie eine gewiſſe Entfernung von den Central— theilen erreicht haben, legen ſich bewegende und em— pfindende Faſern dicht neben einander. 448 Eindrüde, die eine Empfindung hervorrufen, werden von dem Umkreis des Körpers nach Rückenmark und Hirn geleitet. Die empfindenden Faſern leiten rück— läufig gegen die Centraltheile. In den Centraltheilen der Nervengebilde überträgt ſich der Reiz, der eine empfindende Faſer getroffen hat, durch Vermittlung von Nervenzellen auf eine be— wegende. Und indem eine ſtoffliche Veränderung ſich in den Bewegungsnerven nach dem Umkreis des Körpers in die Muskeln fortpflanzt und die Muskelfaſern zur Verkürzung veranlaßt, ſagt man: die bewegenden Faſern leiten rechtläufig. Man bezeichnet alſo die Leitung von der Mitte gegen den Umkreis als rechtläufig, die vom Umkreis gegen die Mitte als rückläufig. Obgleich die Leitung in der Wirklichkeit für die empfindenden Faſern ge— wöhnlich rückläufig, für die bewegenden rechtläufig iſt, darf man aus dem phyſikaliſchen und phyſiologiſchen Verhalten der Nerven mit großer Wahrſcheinlichkeit ſchließen, daß ſowohl in den bewegenden, wie in den empfindenden Faſern die Leitung nach beiden Seiten möglich iſt. Trifft nun ein Reiz eine empfindende Faſer am Umkreis des Körpers, dann wird derſelbe als eine ſtoffliche Veränderung in die inneren Theile der Nervengebilde fortgepflanzt. 449 Hierbei find aber zwei Fälle möglich. Entweder der Reiz war der Art, daß er als Empfindung in das Gehirn fortgepflanzt wurde, und wir werden uns ſeiner bewußt; oder die ſtoffliche Veränderung wird zwar nach Rückenmark und Hirn fortgeleitet, jedoch ohne als Empfindung im Hirn zur Wahrnehmung zu kommen, ohne daß wir uns ihrer bewußt werden. In beiden Fällen kann die Reizung der empfinden— den Faſern bewegenden Faſern mitgetheilt werden. Sind wir uns, bevor die Bewegung vollzogen wird, des Eindrucks im Gehirn bewußt, dann nennt man die Bewegung eine willkürliche. Dagegen bezeichnet man ſie als eine übertragene Bewegung im engeren Sinne), wenn die Fortpflanzung von der empfinden- den Faſer auf die bewegende geſchieht, ohne daß der Reiz als Empfindung bewußt geworden iſt, oder bevor dies geſchah. Wir begegnen zum Beiſpiel einem Bekannten; ſein Bild erzeugt elektriſche Ströme in der Nervenhaut des Auges und macht den Netzhautpurpur verblaſſen, die ſtoffliche Veränderung pflanzt ſich in das Hirn fort, wir erkennen den Freund, und wir grüßen, nach— dem wir uns des Eindrucks bewußt geworden ſind, durch ſogenannte willkürliche Bewegung. Dagegen *) Reflexbewegung. II 29 450 denke man ſich in einer Geſellſchaft, die Leute um den Tiſch verſammelt. Es tritt Jemand ein, der ein Mitglied des Kreiſes kennt und begrüßt. Dieſer er— wiedert den Gruß mit etwas auffälligen Bewegungen. Und unwillkürlich, unbewußt beginnen wir durch ähn— liche Bewegungen mit zu grüßen. Das iſt eine über— tragene, eine ſogenannte unwillkürliche Bewegung. Beide Arten von Bewegung ſind aber nichts weniger als ſcharf von einander abgegrenzt. Im Licht verengert ſich das Sehloch der Regenbogenhaut im Auge, während es ſich im Dunkeln erweitert. Wir kitzeln Jemand im Schlaf, und er macht abwehrende Bewegungen ohne aufzuwachen. Ein ſtarker Knall ſchreckt einen Schlafenden auf, und manchmal erfährt er erſt nachher, daß Lärm ihn weckte. Das ſind alles übertragene, unbewußte Bewegungen, die vollführt werden, noch ehe das Licht oder Dunkel, der Kitzel oder der Knall als Empfindung deutlich wahrgenommen wurden. Aber man zählt es auch zu den übertragenen Bewegungen, daß wir nieſen, wenn wir in die Sonne ſehen, daß wir das Augenlid gewaltſam ſchließen, . wenn eine Mücke oder ein Sandkorn ins Auge fliegt, daß wir lachen, wenn wir wachend gekitzelt werden. Und doch ſind dies alles bereits Uebergänge zu der bewußten und willkürlichen Bewegung. Wir ſind uns des ſtarken Eindrucks des Sonnenlichts, der reizenden 451 Wirkung der Mücke und des Kitzels häufig eher be— wußt, als wir zum Nieſen, zum Blinzeln, zum Lachen gezwungen werden. Je unerwarteter wir Jemand kitzeln, deſto ſicherer lacht er, deſto ſicherer erfolgt alſo die Uebertragung auf die Nervenfaſern, welche beim Lachen Bewegungen der Athem- und Antlitz— muskeln veranlaſſen. Die letztgenannte Erſcheinung verdient einen all— gemeinen Ausdruck. Es wird nämlich in allen Fällen um ſo leichter ein Reiz von empfindenden Faſern auf bewegende übertragen, je mehr das Bewußtſein in den Hintergrund tritt. Deshalb entleeren Kinder in der Nacht viel leichter als bei Tag den Harn, des— halb erleiden Männer im Schlaf Samenverluſte, ohne darum zu wiſſen. Deshalb plagt uns der Huſten oder, wenn wir an Abweichen leiden, das Bedürfniß zu Stuhl zu gehen, vorzugsweiſe in der Nacht und weckt uns aus dem Schlafe. Und wir können alle möglichen übertragenen Bewegungen an geköpften Thieren viel leichter hervorrufen als bei ſolchen, die mit dem Gehirn das Bewußtſein noch beſitzen. Fröſche, die geköpft ſind, ſpringen, wenn ſie gereizt werden, auf dem Tiſch herum; wenn man ſie in eine Schüſſel mit Waſſer bringt, erheben ſie ſich häufig auf den Rand; Stücke eines zerſchnittenen Aals hüpfen aus dem Keſſel. I 29 * 452 Um es mit einem Worte zu jagen: zwiſchen der ſogenannten willkürlichen und der übertragenen Be— wegung beſteht kein anderer Unterſchied als der, daß der Reiz, welcher Bewegung erzeugte, mehr oder weniger, oder an der äußerſten Grenze auch gar nicht, zum Bewußtſein kam. Nicht dadurch werden wir uns des Reizes bewußt, daß er von empfindenden Faſern auf bewegende übertragen wird und in Folge deſſen Bewegung hervorruft, ſondern dadurch, daß die empfindende Faſer den Eindruck des Reizes bis zum Ort der Empfindung, bis zum Gehirn mit gehöriger Stärke fortpflanzt. Ein vortreffliches Beiſpiel für den allmäligen Uebergang von der rein übertragenen zu der ſoge— nannten willkürlichen Bewegung liefert uns der Menſch, wenn wir ihn zwiſchen Schlafen und Wachen im Bette beobachten. Es giebt nur wenige Menſchen, die ſchlafend viele Stunden hinter einander in der— ſelben Lage verharren. Nach kürzerer oder längerer Zeit dreht ſich der Schlafende um, ſei es, weil ein Druck ihn beläſtigt, in einem Körpertheil der Kreis— lauf behindert war, das Athmen in einer unbequemen Stellung nicht frei von Statten ging, irgend ein ö Körpertheil zu warm geworden. Aber der Schlafende ſchläft fort, indem er ſich umdreht, er iſt ſich weder der Thatſache, daß, noch des Grundes, warum er ſich 453 umdrehte, bewußt. Höchſtens bewirkt ein ſtörender Reiz, etwa das Angezogenwerden ſeiner Halsbinde, ungeheuerliche Traumvorſtellungen, in deren Folge die Lagenveränderung vorgenommen ward. Dieſe aber iſt eine unbewußte, ſcheinbar grundloſe, in Wirklich— keit aus unerkannten Gründen ausgeführte, eine über— tragene Bewegung. g Wenn aber der Reiz, der ſchmerzhafte Druck, die Wärme, die Behinderung des Kreislaufs oder des Athmens einen höheren Grad erreicht, dann erwacht der Schläfer, er wendet ſich im Bette um und weiß, daß er ſich umwendet, er weiß aber nicht warum und verwechſelt ſeine Unwiſſenheit, ſeine Achtloſigkeit mit Willkür. Er vollführt die Bewegung mit ſeinem Willen, aber ein großer Entſchluß iſt dabei gewöhn— lich nicht im Spiele. Ein ſolcher Entſchluß ſetzt ſchon ſtärkere Reize voraus. Nehmen wir an, daß der kaum Erwachte ein Bedürfniß gewahrt, dem er nach kurzer Ueber— legung ſein Erwachen zuſchreibt. Vielleicht hat er Durſt, er möchte trinken; aber er liegt ſo gut, be— haglich warm; um nach dem mit Waſſer gefüllten Glaſe zu reichen, muß er ſich rühren, der Kälte aus— ſetzen, ſich vollends aus dem Schlaf reißen. Er ver— ſagt ſich, wenn der Durſt nicht heftig iſt, den Trunk, er bleibt liegen und ſchläft wieder ein. 454 Wie aber, wenn ein peinliches Bedürfniß ihn weckt? wenn er etwa Harn laſſen muß? In dieſer Noth beſtehen die meiſten Menſchen, zumal des Winters, einen Kampf, der ſie mächtig über das Weſen ihres Willens belehren könnte. Man iſt ſeit kurzem erwacht, und bald verſpürt man, daß es der Harndrang war, der uns weckte. Ein noch wenig erzogenes oder ein faules Kind bleibt liegen, und einer unbehaglichen Ueber— ſchwemmung fällt die Rolle zu, ſeine Erziehung um etwas zu fördern. Aber auch der Erwachſene kann ſich oft nicht entſchließen, ſich den koſenden Decken zu entwinden und den Zauber des Halbſchlafs zu brechen; er hofft wohl gar die läſtigen Empfindungen, die ihn zur Bewegung auffordern, beſiegen, die Schleimhaut ſeiner Blaſe und Harnröhre zu größerer Verträglich— keit, den Schließmuskel ſeiner Blaſe zu größerer Kraft— anſtrengung zu erziehen, ſeine Eingeweide zu gewöhnen, den Drang zu überwinden, bis er ſich eines Beſſeren beſinnt und einſieht, daß es um den ruhigen Schlaf geſchehen iſt, wenn er fortdämmert. Nun ſpringt er auf und befriedigt ſein Bedürfniß, aber es iſt klar, daß der Reiz des Harns in der Harnblaſe erſt ſeinen Widerſtand und ſtille Wünſche, dann nach und nach Ueberlegung hervorlockt, und daß der Wille aufzuſitzen an dem Gängelbande der Empfindung, des Wider- ſtands, der Wünſche, des Nachſinnens erwachte, daß 455 die betreffende Bewegung, trotzdem Bewußtſein und Wille ins Spiel kamen, eine übertragene Bewegung war. Wenn die Uebertragung durch Empfindung deut— lich bewußt wird, dann nennen wir die Bewegung eine willkürliche. . Aber dieſe Bewegung iſt wie jede andere mit der Erzeugung eines elektriſchen Stroms in Muskeln und Nerven verbunden. Du Bois-Reymond hat bewieſen, daß in dem Arm, den wir zuſammenziehen, ein elektriſcher Strom von der Hand gegen die Schulter gerichtet iſt. In der Regel iſt dieſer Strom im rechten Arm ſtärker als im linken. d Der elektriſche Strom, der eine Ablenkung der Magnetnadel hervorbringt, entſteht nur in Folge ſtoff— licher Zuſtände der Nerven, welche durch Reize, durch ſinnliche Eindrücke hervorgebracht werden. Ohne eine ſolche Veränderung in den Nervengebilden, und zwar im Hirn, kommt eine willkürliche Bewegung nicht zu Stande. Jene Veränderung kommt aber von außen. Die Veränderung ſteht als Wirkung im geraden Verhältniß zu dem Reiz, der als Urſache einwirkt. Aus dieſem durchaus beweiſenden Grunde iſt die Bewegung nicht der Ausfluß eines ſogenannten freien Willens. Der Wille iſt vielmehr nur der nothwendige Aus- 456 druck eines durch äußere Einwirkungen bedingten Zu— ſtandes des Gehirns. Ein freier Wille, eine Willensthat, die unabhängig wäre von der Summe der Einflüſſe, die in jedem einzelnen Augenblick den Menſchen beſtimmen und auch dem Mächtigſten ſeine Schranken ſetzen, beſteht nicht. Ich habe abſichtlich einen Beweis geführt, ohne erſt durch Wahrſcheinlichkeitsgründe vorzubereiten oder meine Aufgabe zu erleichtern. Jetzt will ich zeigen, daß alle Einwürfe abprallen an der Richtigkeit jenes Beweiſes, ich will den Bedenken ihren Stachel nehmen, ich will vor Allem ausführen, daß ich mit den obigen Sätzen nichts Neues kehre, ſondern einer Ueberzeugung Worte leihe, die mehr oder minder klar, mehr oder minder gerne von der ganzen gebildeten Menſchheit getheilt wird. Den meiſten Menſchen wird es ſchwer, ſich die Naturnothwendigkeit ihres Daſeins und ihrer Hand— lungen klar zu machen, weil ſie nicht bedenken, daß jeder Eindruck auf Ohr und Auge eine körperliche Einwirkung, eine Bewegungserſcheinung iſt, welche ſtoffliche Veränderungen nach ſich zieht, weil fie über- ſehen, daß jeder Trunk, jeder Biſſen das Blut und damit die Nerven verändert, daß jeder Luftzug, jede Veränderung des Dunſtkreiſes, jeder Lichtſtrahl auf die Hautnerven oder das Auge einwirkt und dieſe Wirkung fortleitet bis in das Hirn. 457 Ein Freund, der uns bewillkommnet, der durch Leid oder Freude unſere Theilnahme erregt, durch eine vertraute Mittheilung unſer Urtheil, unſere Be— griffe, unſere Schlußfolgerung ſpannt, beherrſcht uns Hirn und Nerven. Das ſtammelnde Kind verſteht nur den Ton der Worte und anfangs ſelbſt dieſen nicht, es freut ſich und lächelt über den ernſten Ton der Stimme wie über den ſcherzenden. Allmälig lernt es die Worte zu Vorſtellungen verbinden, und die ſtoffliche Veränderung in ſeinen Nerven pflanzt ſich fort in das Hirn, jo daß es urtheilen und Antheil nehmen muß. Wir leſen ein gutes Buch. Das Nachdenken über eine treffende Bemerkung iſt eine ebenſo nothwendige Folge der Eindrücke, die das Auge erleidet, wie das Schauergefühl, das uns bei erhabenen, ergreifenden Schilderungen eines großartigen Unglücks befällt. Darum denken wir auch nicht durch eine Willensthat. Wir werden ſehr allmälig durch die Sinne zum Denken erzogen. Das Kind muß ſchon oft etwas geſehen oder gehört haben, bevor es die einzelnen Eindrücke mit einander vergleicht und zu einem Urtheile verbindet. Noch ſpäter greift es das Gemeinſame zweier und mehrer Urtheile zuſammen zum Begriff. Zuletzt lernt es nach Begriffen ſchließen. In ſchöner Gegend ſind wir angeregt. Wenn 458 der Eindruck mächtig ift, wenn ein armer Bewohner ſumpfiger Thäler die Alpen beſteigt, wird er gleich— ſam ſich ſelbſt entriſſen und vergißt Stunden, Tage lang alle früheren Verhältniſſe zur Außenwelt. Wie oft zieht er dahin in der Abſicht zu arbeiten, zu ſchaffen, und er kommt beim beſten Willen nicht dazu, weil die Eindrücke, welche die großartige Natur auf ihn macht, zu mächtig ſind, um ihm für etwas Anderes Sammlung zu laſſen. Die Stimmung iſt die nothwendige Folge, ſie iſt die ganz verhältniß— mäßige Wirkung der ſinnlichen Eingriffe. Und auch der Dichter kann ſeinem Schaffen nicht befehlen. Eine Muſik erweckt Sehnſucht; Vanille, Eier, Glüh— wein rufen Begierden wach; ein dunkler, wolkenſchwerer Himmel, waſſergeſchwängerte Luft drückt uns nieder und raubt uns die Schnellkraft zur Arbeit. Und wann ſind wir jemals ohne den Einfluß ſich unabläſſig drängender, oft zahlreich auf uns einſtür— mender Eindrücke, die in ſtofflichen Bewegungen auf— gehen? Wie unendlich oft greifen die Wirkungen durch ſo leiſe Schattirungen in einander, daß wir uns der einzelnen Bedingung nicht bewußt werden, die doch, wie ein vom Bogen entſchoſſener Pfeil, ſich fort und fort bewegt bis an das Ziel, das neuer Veränderung Urſprung iſt. Im Winter, nach Gewittern, auf hohen Bergen 459 erfriſcht uns die Luft. Aber im Winter und auf hohen Bergen hat der Sauerſtoff eine andere Bewegung als im Thal und in der Schwüle des Sommers. Schönbein nennt ſolchen Sauerſtoff erregt und fand ſeine Menge größer im Winter, auf Bergen und nach— dem ein Gewitter die Lüfte gereinigt hat. Der denkende Baſeler Forſcher lehrte den letzteren Ausdruck wört— lich verſtehen. Denn jener vom Licht erregte Sauer— ſtoff zerſtört die organiſchen Verbindungen, die als flüchtige Giftſtoffe die Luft verderben, und natürlich, je reichlicher er vorhanden iſt, deſto vollſtändiger. Faulende Leichname können die Luft verpeſten. Wir merken es, wenn wir in die moderige Luft einer Kirche kommen, die noch vor kurzer Zeit als Begräb— nißſtätte im Gebrauch war. In einer Stadt, die innerhalb ihrer Mauern Kirchhöfe beſitzt, bemerkt die Naſe den Fäulnißgeruch nicht. Aber dieſelben Stoffe, die wir in großer Anſammlung riechen, gehen nichts— deſtoweniger in Luft und Waſſer über. Sie äußern ihre Wirkung auf den Körper um ſo unfehlbarer, als ſie in Luft und Waſſer die allerunerläßlichſten Be— dingungen des Lebens vergiften. Denn was in großer Menge die Luft verpeſtet, das hört nicht auf, ſie zu verderben, weil die Wirkung auf die Naſe geſchwächt wird. Und Niemand kann beſtimmen, wie oft die Ausdünſtungen eines Kirchhofs im warmen Sommer 460 Faulfieber erzeugten. Niemand kann es mit Sicher— heit widerlegen, wenn ihm ein Dritter die Meinung äußert, daß Kirchhöfe in einer Stadt das Denken verzögern. In Mainz heißt ein hoch liegender Theil der Stadt noch heute die goldene Luft, weil er im Jahre 1666 von der Peſt verſchont blieb. An einem hell erleuchteten Tage fühlen wir uns erfreulich geſtimmt, zur Arbeit angeregt, es wächſt unſer Muth, auch wenn es uns nicht erſpart bleibt, der Erde Weh zu tragen. Aber ſeit dem Jahre 1855 iſt es mir gelungen, durch zahlreiche Verſuche, zunächſt an Fröſchen, zu erweiſen, daß der thieriſche Organis— mus im Licht kräftiger athmet, mehr Kohlenſäure ausſcheidet als im Dunkeln“). Und zwar bewirkt das Licht dieſen tief greifenden Einfluß nicht nur ver— mittelſt des Auges, es wirkt auch durch die Haut auf den thieriſchen Stoffwechſel ein. In einer langen Verſuchsreihe habe ich, mit Fubini, dem jetzigen Profeſſor der Phyſiologie in Palermo, zuſammen arbeitend, jene Entdeckung in ihrem ganzen Umfang beſtätigt. Insbeſondere fanden wir auch beim Sper— *) Jac. Moleſchott, über den Einfluß des Lichts auf die Menge der vom Thierkörper ausgeſchiedenen Kohlenſäure, Wittelshöfer's Wiener medieiniſche Wochenſchrift, 1855, 27. Oktober, und Annales des Sciences naturelles, Zoologie, 4. serie, Tome IV, p. 209 — 224. 461 ling, bei der Wanderratte, bei der Haſelmaus, alſo bei Vögeln und Säugethieren, die Athemthätigkeit durch Licht geſteigert, wie es nach meiner älteſten Unterſuchung Selmi und Piacentini für die Turtel— taube, die Henne und den Hund, Chaſanowitz für Meerſchweinchen, Robert Pott für die Hausmaus, Otto von Platen für Kaninchen gefunden haben“). Schon in meiner erſten Arbeit iſt der Nachweis geführt, daß dieſe Wirkung des Lichtes unabhängig von der Wärme erfolgt. Bei den warmblütigen Thieren, bei Vögeln und Säugethieren, wirken Licht und Wärme ſogar in entgegengeſetztem Sinne, das Licht die Menge der ausgehauchten Kohlenſäure ſtei— gernd, die Wärme ſie mindernd. Der Einfluß der Wärme kann demnach den des Lichtes ausgleichen, aber bei gleicher Wärme wird im Lichte mehr Kohlen— ſäure ausgehaucht und, wie von Platen hinzugefügt, mehr Sauerſtoff aufgenommen als im Dunkeln. Ich konnte aber gleichfalls ſchon im Jahre 1855 hinzuſetzen, daß die Menge der durch Haut und Lungen ausgehauchten Kohlenſäure um ſo mehr zunimmt, je *) Vgl. Moleſchott und Fubini, über den Einfluß ge- miſchten und farbigen Lichtes auf die Ausſcheidung der Kohlen— ſäure bei Thieren, in Moleſchott's Unterſuchungen zur Naturlehre des Menſchen und der Thiere, Bd. XII, wo von. S. 266 — 285 die Geſchichte dieſer Unterſuchungen erzählt wird. 462 ftärfer der Grad des Lichtes ift, genauer gejagt, je größer die chemiſche Wirkung des Lichtes ift, das auf die Fröſche einwirkt. Und dieſes Auf- und Ab— wogen der ausgeſchiedenen Kohlenſäure je nach der kleineren oder größeren chemiſchen Wirkſamkeit des Lichtes habe ich mit Fubini bei höheren Thieren durch— aus beſtätigt gefunden. Bei bewölktem Himmel athmen die Fröſche im Licht nicht mehr Kohlenſäure aus als im Dunkeln. (Moleſchott.) Hand in Hand mit dem ſtärkeren Einfluſſe eines chemiſch wirkſameren Lichtes geht die Thatſache, daß blau⸗violettes Licht die Menge der ausgeſchiedenen Kohlenſäure ſtark vermehrt, rothes dagegen wenig und bei gewiſſen Thieren gar nicht. Blau⸗violettes Licht und rothes vermehren bei Vögeln und Säugethieren die Menge der ausgeſchiedenen Kohlenſäure, blau-violettes ungefähr ebenſo ſtark wie weißes, rothes viel weniger ſtark. (Moleſchott und Fubini.) Bei Fröſchen iſt blau-violettes Licht verhältniß⸗ mäßig ebenſo wirkſam, rothes dagegen wirkungslos. (Moleſchott.) So erklärt ſich denn die von Pettenkofer und Voit im Jahre 1866 gemachte Erfahrung, nach welcher der Menſch Nachts während des Schlafes weniger 463 Kohlenſäure ausſcheidet als während der ſtrengſten Ruhe bei Tag. Fubini aber gebührt das große Verdienſt, nach— gewieſen zu haben, daß auch die menſchliche Haut im Licht mehr Kohlenſäure aushaucht als im Dunkeln“). Der Menſch athmet alſo anders in der Nacht als bei Tage, bei trübem Himmel als bei hell leuchten der Sonne, im rothen Morgenlicht als in den blauen Strahlen des Abends. Wir ſind in einem Meere kreiſender Stoffe vom Augenblick der Zeugung an. Und ſchon das neu— geborene Kind iſt ein Ergebniß zahlreicher Urſachen und nimmer ruhender Schwankungen des Stoffs, das nicht etwa angeborene Anſchauungen, aber fertige Anlagen mit auf die Welt bringt, an welchen viele Geſchlechter gearbeitet haben. Vom Vater des Ur- großvaters an bis auf ſeinen Vater iſt Veſal einem Geſchlechte ausgezeichneter Aerzte entſproſſen, und auch der Bruder des Begründers der Zergliederungskunde des Menſchen war von einer ſo unwiderſtehlichen Neigung zur Naturwiſſenſchaft getrieben, daß ihn die Eltern nicht zur Rechtsgelehrſamkeit zu zwingen ver— a S. Fubini und J. Ronchi, über die Perſpiration der Kohlenſäure beim Menſchen. Moleſchott's Unterſuchungen Bd. XII, S. 9 und folg. 1877. 464 mochten. Riehl hat in feinem lehrreichen Buch über die bürgerliche Geſellſchaft daran erinnert, daß „man gerade zu einer Zeit, wo man am meiſten „über den Geburtsadel ſpottete, dem Stammbaum „Sebaſtian Bach's mühſam nachgeforſcht hat; eine „lange, ſtolze Ahnenreihe der kernhafteſten Kunſtmeiſter „kam zu Tage, und mit Recht ſchrieb man dieſem „künſtleriſchen Geburtsadel ein gut Theil der aus— „zeichnenden Eigenthümlichkeiten des ſeltenen Mannes „zu“). Horace Vernet hatte in gleichem Sinne einen edlen Stammbaum aufzuweiſen, und wie leicht ließen ſich dieſe Beiſpiele vermehren! So iſt der Menſch die Summe von Eltern und Amme, von Ort und Zeit, von Luft und Wetter, von Schall und Licht, von Koſt und Kleidung. Sein Wille iſt die nothwendige Folge aller jener Urſachen, ge— bunden an ein Naturgeſetz, wie der Planet an ſeine Bahn, wie die Pflanze an den Boden. Wir ſind ein Spiel von jedem Druck der Luft!“). Wenn uns Jemand anredet und wir antworten ihm, wenn ein Schmerz uns trifft, ſo daß wir auf— ſchreien, dann iſt das Wort, das wir ſprechen, der Schrei, den wir ausſtoßen, mit Nothwendigkeit erzeugt ) Riehl, die bürgerliche Geſellſchaft, S. 123. *) „Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?“ Goethe's Fauſt, erſter Theil. Fauſt in Gretchens Zimmer. 465 durch Anrede und Schmerz. Aber auch wenn wir nicht antworten mögen, wenn es uns gelingt, den Schrei zu unterdrücken, ſteht die Wirkung in geradem Verhältniß zu der oft ſehr zuſammengeſetzten Urſache, welche ſie hervorbringt. So viel ſteht feſt, daß wir den Athem anhalten, um den Schmerz zu mäßigen, weil das mit Kohlenſäure überladene Blut die Schmerz— empfindlichkeit unſeres Hirnes abſtumpft, gerade ſo wie mächtiges Athmen die Wolluſtgefühle erhöht. Kein Wort iſt irriger, als daß wir nach Belieben den Schmerz ruhig ertragen oder durch eine Be— wegung nach außen verrathen können. Wir beißen auf die Lippen, ſchneiden fratzenhafte Geſichter, ſtampfen mit dem Fuß auf, heben die Augenbrauen, wir wim— mern, klagen, ſchreien, oder auch wir verziehen keine Miene, alles je nach der Heftigkeit des Schmerzes, je nach dem Grad des Widerſtandes, den wir einem gegebenen Reize zu einer beſtimmten Zeit entgegen— zuſetzen haben. Das Kind ſchreit nie ohne Urſache. Es hat Hunger, Unluſt oder Schmerz. Die Unluſt mag von einem unbefriedigten Verlangen oder von Unwohlſein herſtammen, immer entſpricht die Bewe— gung des ſchreienden Kindes genau der ſtofflichen Ur— ſache, die Hunger, Unluſt, Schmerz bedingt. Wer ſich ſelbſt beobachtet, hat in kleinen und großen Dingen fortwährend Gelegenheit die urſächliche II. 30 466 Bedingtheit ſeines Willens zu erfahren. Da geht man eines Wintertags über die Straße. Man hält eine Zeitung unter dem Arm, man hat ſie ausgeleſen, und es wäre bequem ſie ſtatt unter dem Arm in der Taſche mit ſich zu tragen. Um aber das Blatt in die Taſche zu ſtecken, muß man die Hand herausziehen oder gar den Rock aufknöpfen, und man fürchtet die Kälte. Und nun beginnt der Kampf zwiſchen Be— läſtigung und Kältefurcht, bis wir etwa überlegen, daß die Kälte einen Augenblick und die unbequeme Art das Zeitungsblatt zu tragen den ganzen Weg dauert, und unter den zwei Beweggründen, die auf uns einwirken, trägt die Beläſtigung den Sieg davon, wir ſtecken endlich die Zeitung in die Taſche. Ein ander Mal gehen wir in eine Verſammlung, ein Profeſſor in eine Facultätsſitzung oder ein Bürger— vater in den Stadtrath. Der Mann hat eine ehrliche und feſte Ueberzeugung und er will ſie gerecht und nachdrücklich vertheidigen. Trotzdem nimmt er ſich unterwegs vor, nicht nur ruhig und höflich, ſondern ſogar ſanft zu ſein, er will Niemanden vor den Kopf ſtoßen, die gerechte Sache ſoll mit dem Beifall der Freünde und ohne Unwillen der Gegner ſiegen. Aber in der Sitzung zeigen die da Freunde ſein ſollten Lauheit und falſche Rückſichten, die Feinde Argliſt und Beſchränktheit. Dem Anwalt der guten Sache 467 fängt es an zu jucken. Ein vertrauter Freund, der ihm zur Seite ſitzt, flüſtert ihm zu, man müſſe ſich nicht ärgern, man müſſe ſich bloß ſo ſtellen als ob man böſe ſei. Nun kommt es auf Seiten der Gegner zur Verſchwörung. Sie merken, daß ſie in einer künftigen Sitzung ſiegen könnten, wenn ſie noch einige Vertreter des Rückſchritts zuſammenrufen, die heute fehlen. Der Präſident, vielleicht iſt es der Bürger— meiſter, der aller Unparteilichkeit zum Hohn auf ihrer Seite ſteht, will ſich den Kopf bedecken und die Sitzung ſprengen. Nun wird es dem Manne, der mit den ſanfteſten Abſichten in die Sitzung ging, zu toll, er erglüht vor Zorn und hält eine leidenſchaftliche Rede, er ſprüht Beredſamkeit: die Lahmen werden warm, die Unparteiiſchen überzeugt, und zuletzt ſiegt die gute Sache mit Hülfe des Zorns ihres eifrigſten Ver— fechters, der gelaſſen bleiben wollte, aber gegen ſeinen Willen in Heftigkeit entbrannte. Wo bleibt hier freier Wille? Es giebt aber Fälle — und es ſind nicht die wenigſt lehrreichen — in welchen der Menſch glaubt nach freier Wahl zu handeln und im Grunde nicht einmal weiß, was er thut, indem er nur im Bauſch und Bogen einem Antrieb folgt. Was weiß der Knabe von der Spannung ſeiner Stimmbänder oder ſelbſt von einem kräftigeren Stoß der ausgeathmeten Luft, II, 305 468 wenn er einen hohen Ton zu treffen ſucht? Ein Leſender, dem ein Buch mit kleiner Schrift in die Hand gefallen iſt, ſucht gutes Licht, er nähert das Buch dem Auge, verengt die Sehlöcher, zieht die zarten Muskeln im Innern ſeines Auges zuſammen, welche die vordere Fläche der Kryſtalllinſe im Auge ſtärker wölben, er dreht die Gipfel ſeiner Hornhäute nach der Naſe, ſo daß ſich die Geſichtslinien ſchneller be— gegnen, aber von allen dieſen Dingen, die auf Befehl ſeines Willens ausgeführt werden, hat er, wenn er nicht wiſſenſchaftlich gebildet iſt, kaum eine Ahnung; er glaubt einem freien Entſchluſſe Geltung zu ver— ſchaffen, kleine Schrift zu leſen; wenn es hoch kommt, bemerkt er, daß er das Buch näher hält als bei ge— wöhnlicher Schrift; von all den anderen Bewegungen weiß er nichts, er hat gar keine Vorſtellung davon, daß ſich ſein Auge der feinen Schrift anpaßt, und ebenſowenig ahnt er, daß das Auge dies that, weil ſich auf ſeiner Netzhaut, ſo lange er das Buch zu fern hielt, und die inneren und äußeren Muskeln ſeines Auges unthätig waren, verwaſchene Bilder der kleinen Buchſtaben entwarfen. So ahnt kein Greis, der abends beim Leſen immer ſtärkeres Licht verlangt, daß er es fordern muß, damit ſein durch grelles Licht verengertes Sehloch die Zerſtreuungskreiſe, die ſeine hart ge— wordene Kryſtalllinſe nicht mehr beſeitigen kann, kleiner 469 mache und er von den Buchſtaben weniger verwaſchene Bilder auf ſeine Netzhaut empfange. Und der Reiſende, der in unſeren Dampfwagen das Buch ſo weit als möglich vom Auge hält, iſt ſich's nicht bewußt, daß er dies thun muß, damit er nicht bei jedem Stoße des Wagens, bei jeder Erſchütterung, die er ſelbſt erleidet, die Anpaſſung des Auges ändern müſſe und ſo die inneren Muskeln des Auges ermüde. Er thut was ihm frommt, er weiß vielleicht kaum, daß er es thut, und doch wähnen viele Menſchen in ſolchen Fällen frei, d. h. ohne Urſache zu handeln, und ſind wohl gar ihrer Unwiſſenheit froh und ſtolz, weil ſie nicht merken, daß Naturnothwendigkeit ſie regiert. In dieſen und ähnlichen Fällen folgt der Menſch gleichſam unvermerkt dem Zügel, den ihm ſeine phyſiſche Natur anlegt, und eben weil er es unver— merkt thut, ohne zu ahnen, wie er es thut, ſchiebt er den Glauben an freien Willen an die Stelle jenes Zügels. Aber es geſchieht auch das Umgekehrte. Häufig iſt die Willensanſtrengung jo groß, die Aufmerkſam— keit ſo geſpannt, die Erwartung ſo vorbereitet, daß die Willensäußerung gegen unſere Abſicht gebunden iſt. Dies ereignet ſich z. B. wenn wir auf einen be— ſtimmten Reiz, der ſich öfters wiederholt, ein Zeichen geben ſollen, während wir es nicht geben ſollen, wenn 470 ſich in die Reihenfolge der gleichen ſich wieder— holenden Reize ein anderer Reiz einſchiebt; es begiebt ſich dann gewöhnlich, daß man auch auf den un— gleichartigen Reiz dasſelbe Zeichen giebt, obwohl man im Augenblicke, indem man es thut, ſchon weiß, daß man es nicht geben ſollte und es folglich nicht geben möchte. Dieſelbe Spannung oder Ueberſpannung der Auf— merkſamkeit trägt Schuld am Verſprechen, Verſchreiben, Verſpielen. War es beim irrigen Zeichengeben ein Erinnerungsbild, das uns reizte, beim Verſprechen, Verſchreiben, Verſpielen iſt es gewöhnlich ein Zukunfts— bild, das uns beherrſcht, ſo daß wir uns übereilen und einen Accord früher ſpielen als er vorgeſchrieben iſt, oder ein Wort vor der Zeit in die Feder fließen laſſen. Es kommt vor, daß uns das Bild der Perſon, mit der wir reden oder in deren Gegenwart wir er— zählen, lebhafter beſchäftigt als dasjenige des Ab— weſenden, von dem wir erzählen, woraus dann eine ſeltſame Namensverwechslung hervorgeht. Ich weiß von einem Bekannten, der bei dem berühmten Ana— tomen Tiedemann in Heidelberg zu Gaſt geladen war. Es kam die Rede auf einen durch ſeine Eitel— keit bekannten Lehrer der Hochſchule, der mit aller Welt von Auſtralien bis Kanada, von Peking bis 471 St. Franzisco in Californien Briefe wechſelte und aller Welt davon erzählte. Es wurden ſchnurrige Geſchichtchen aufgetiſcht, um ſich an jener Eitelkeit zu ergötzen, und als der Erzähler glaubte genug zum Beſten gegeben zu haben, ſchloß er mit dem Ausruf: ja, wenn man auch ſo eitel iſt wie Tiedemann — er ſprach den Namen ſeines Gaſtherrn aus ſtatt jenes des abweſenden gefeierten Hochſchullehrers, was um ſo toller war, als Tiedemann gar nicht eitel, aber ſehr ſtolz war. Das Bild des Gegenwärtigen, und es war ein edles Bild, wirkte auf den Erzähler mächtiger ein als das des Abweſenden, es zwang ihn ſich zu verſprechen. Es iſt gewiß nicht immer gleich leicht die Er— regung ausfindig zu machen, welche dem Willen ſeine Richtung gab, aber dem Aufmerkſamen gelingt es doch recht oft. Ich werde wohl nicht der einzige ſein, der eine ausgezeichnete Sängerin auf dem Klavier begleitend, mit aller Hingebung von dem Wunſche be— ſeelt, es gut zu machen, auf einmal das Begleiten vergißt, weil die Schönheit des Geſanges, vielleicht auch die Herrlichkeit des Tonſatzes mich überwältigte. Wie ernſt nimmt uns das tägliche Leben in die Schule, um uns die Schranken, in denen ſich unſer Wille bewegt, ins Gedächtniß zu rufen. Welcher gute Menſch wäre nicht beſtrebt, im Verkehre mit Vorge— 472 ſetzten artig, mit Untergebenen geduldig, mit Freunden liebenswürdig, mit Feinden gerecht und anſtändig zu ſein? Und wer wüßte es nicht aus Erfahrung, daß häufig alle dieſe guten Vorſätze ſcheitern, wenn im Drange überhäufter Arbeit, in der raſtloſen Treibjagd der Pflichten des Tages, durch die Aufregung, die eine große Verantwortlichkeit uns auferlegt, die Rei— bungen uns reizen, denen Niemand entgeht, der bei einer mühſamen und zielſchweren Arbeit auf die Mit— hülfe Anderer angewieſen iſt? Ganz unüberſehbar iſt die Zahl der Fälle, in denen die Gewohnheit unſeren Willen zügelt, ganz gegen unſere Abſicht, und obgleich gar kein äußeres Hinderniß unſer Thun beherrſcht. Jeder kennt das von einem neuen Kleidungsſtück, das auf irgend eine Weiſe, etwa beim Zuknöpfen, anders behandelt werden muß als das zuletzt vorher getragene; es dauert viele Tage, ehe man ſich daran gewöhnt hat, das neue Kleidungsſtück nach ſeiner Art zu behandeln. Ich kenne einen Arzt, der die gute Gewohnheit hat, wenn er in ſeiner Behauſung einen Kranken be— räth, das Ergebniß ſeiner Unterſuchung und den er— theilten Rath kurz aufzuſchreiben. Kommt es dabei zu einer Arzneiverordnung, dann ſchreibt er dieſe zu— nächſt auf's ſelbe Blatt und, um möglichſt abzukürzen, bedient er ſich dabei, wo es angeht, chemiſcher Formeln. 475 Dann erſt ſchreibt er die Verordnung für den Kranken auf und dieſe natürlich in Worten aus der Apotheker— ſprache. Kommt es nun einmal vor, daß er die Verordnung für den Kranken ausnahmsweiſe zuerſt niederſchreibt, um ſie nachher auf das für ihn ſelbſt beſtimmte Blatt aufzunehmen, dann ertappt er ſich häufig darauf, daß er, ganz gegen ſeine Abſicht, für den Apotheker in chemiſchen Formeln, ſtatt in kunſt— gerechten Worten ſchreibt, er hat ſich eben gewöhnt, bei dem erſten Entwurf der Verordnung ſich chemiſcher Formeln zu bedienen. Es iſt in etwas verfeinerter Art ganz dasſelbe, wie wenn wir im Anfang des neuen Jahres Tage lang die Zahl des vorigen ſchreiben, oder außerhalb unſeres gewöhnlichen Wohnorts den Namen dieſes fälſchlich für die Herkunft eines Briefes angeben. Und was man ſo gewöhnlich Verſehen nennt, be— ruht in der Regel auf einem Wettſtreit der Bilder, in welchem das falſche, das nicht gewollte, den Sieg davon trägt. Im Jahre 1858, vor nunmehr ſechsundzwanzig Jahren, als ich mich, wenn nicht für einen Jüngling, doch ſicher für einen Jünger hielt, beſuchte mich in Zürich der hochberühmte Karl Ernſt von Baer, den die Entwicklungsgeſchichte der Säugethiere ſo gern als ihren Vater preiſt. Leider war ich nicht 474 zu Haufe. Ich wohnte in dem ſehr bekannten Haufe zum Schwanen am Mühlibach. Die Dienerin giebt mir Baer's Karte, und darauf ſteht ſeine Adreſſe: „zum Schwanen“. Damals gab es in Zürich keinen anderen Schwan, als den meinigen. Und als ich ſehnſüchtig verlangend von einem Wirthshauſe zum anderen zog, um den edlen Altmeiſter auszukundſchaften, da fand ich ihn endlich „zum Storchen“, und meine Anrede lautete ganz natürlich, ich hätte nie geglaubt, daß ein ſo gefeierter Thierkenner einen Schwan mit einem Storchen verwechſeln könnte. Eine der höchſten Thaten freier Willensbeſtimmung ſcheint gegeben, wenn der Naturforſcher einen Verſuch anſtellt. Aber der Verſuch iſt Folge eines Gedankens und der Gedanke eine Bewegung des Stoffs, welche ſelbſt die Folge einer ſinnlichen Wahrnehmung iſt. War die ſinnliche Wahrnehmung genau und ſo voll— ſtändig, wie ſie überhaupt geübten menſchlichen Sinnen möglich iſt, dann wird der Gedanke richtig, der Ver— ſuch vernünftig und, wie jede gute Antwort auf eine vernünftige Frage, das Ergebniß des Verſuchs ein brauchbares fein. Denn wie man im Leben kenntniß⸗ reiche und ſammlungsſtarke Menſchen zunächſt an ihren verſtändigen Fragen erkennt, ſo wird die Vernunft des Naturforſchers vorzugsweiſe durch die Vernünftig— keit ſeiner Verſuche gemeſſen. Aber der Verſuch iſt 475 die nothwendige Folge feiner Entwicklung. Der Ver— ſuch iſt alſo kein Ausdruck einer unabhängigen Willens— regung; der Drang zum Verſuch gehorcht vielmehr einem feſten Geſetze, das alle geiſtige Thätigkeit an ſtoffliche Zuſtände bindet. Man wird mit Recht bemerken, daß der Verſuch nicht bloß von der Entwicklung des Naturforſchers abhängt, ſondern in ſehr weſentlicher Weiſe auch von den Mitteln und Werkzeugen, deren er zur Anſtellung des Verſuchs bedarf. Denn das Goethe'ſche: „Und was ſie Deinem Geiſt nicht offenbaren mag, Das zwingſt Du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben,“ iſt nur richtig in dem Sinn, der ſoeben umſchrieben wurde. Hebel und Schrauben nützen allerdings erſt, wenn vorausgegangene ſinnliche Wahrnehmungen dem Hirn des Menſchen einen vernünftigen Gedanken offen— bart, eine gute Frage eingegeben haben. Aber ohne Hebel und Schrauben, ohne Zink und Kupfer, ohne Vergrößerungsglas und Meſſer, und vor allen Dingen ohne Maaß und Gewicht vermag der forſchende Ge— danke nichts. Nun liegen freilich dieſe Mittel und jene Entwicklung des Naturforſchers gar häufig in verſchiedenen Händen. Dann bleibt der Gedanke eine Zeitlang ein Wunſch, ohne zum Willen erſtarken zu können. Bald aber überflügelt die Entwicklung des ſtrebſamen Forſchers den Standpunkt desjenigen, der 476 die Waage hat und den Tiegel, ohne ſich ihrer zu bedienen. Die Entwicklung wird ein Mittel, die Werkzeuge zu erwerben. Entwicklung und Werkzeuge ſchaffen den vernünftigen Verſuch als unausbleibliche Folge ihrer Vereinigung. Rede und Styl, Verſuche und Schlußfolgerungen, Wohlthaten und Verbrechen, Muth und Halbheit und Verrath, ſie alle ſind Naturerſcheinungen, ſie alle ſtehen als nothwendige Folgen in geradem Verhältniß zu un— erläßlichen Urſachen, ſo gut wie das Kreiſen des Erdballs. Man ſpricht von geſchichtlicher Wahrheit, von dichteriſcher Lebenstreue, und verwirft einen Roman, ein Gedicht, das den Charakter ſeines Helden von unrichtigen Vorausſetzungen ableitet oder aus richtigen falſch entwickelt. Solche Schöpfungen fehlen gegen die Entwicklungsgeſetze der Menſchheit. Sie leiſten den Forderungen der höchſten Wahrheit, der aner— kannten Folgerichtigkeit von Urſache und Wirkung kein Genüge. Es wäre Unſinn von dichteriſcher Wahrheit zu reden, wenn das Wollen des Menſchen losgebunden wäre von den Schranken urſächlicher Bedingtheit. Eben deshalb konnte Schiller im Wallenſtein ſagen: „Hab' ich des Menſchen Kern erſt unterſucht, So weiß ich auch ſein Wollen und ſein Handeln“). ) Wallenſteins Tod, 2. Aufzug, 3. Auftritt. Es würde im Allgemeinen die Bedingtheit des menſchlichen Wollens leichter erkannt werden, wenn man der Veränderlichkeit des Einzelweſens beſſer Rech— nung trüge. 8 In jedem Augenblicke unſeres Lebens erleiden wir die Wirkung eines Eingriffs, haben wir Reize erlitten. In dieſem weiteſten Sinne ſind wir alſo immer ge— reizt, wir befinden uns den von außen kommenden Einwirkungen gegenüber niemals im jungfräulichen Zuſtande. Mit anderen Worten das Leben entwickelt ſich nur, es beſteht nur durch Reize. Für das Einzel— weſen beginnt die Reizung in dem Augenblick, in dem die Samenfäden auf das mütterliche Eichen einwirken, ſie endigt, wenn unſer letzter Hauch das Erbtheil von Liebe fühlbar macht, das wir unſeren Theuern hinter— laſſen. Die Reizung ſteigt und ſinkt, niemals bleibt unſer Zuſtand derſelbe. Unſer Blut bereichert ſich oder verarmt, unſer Hirn und unſere Muskeln be— finden ſich bald in beſſerer, bald in ſchlechterer Er— nährung, in dieſer Stunde belebt uns der Sauerſtoff, in einer anderen dämpft uns die Kohlenſäure, die unſer Blut überſtrömt. Die Blutwellen, die ſiebzig— mal und häufiger in der Minute unſer Hirn durch— ſetzen, bringen ihm nicht nur beſtändig Erſatz für die 478 Beſtandtheile, welche die Hirnthätigkeit aufzehrt, und den Sauerſtoff, ohne welchen in kurzer Friſt unſer Bewußtſein erliſcht, jede Blutwelle giebt auch einer Anzahl von Nervenzellen einen mechaniſchen Anſtoß, der um ſo mächtiger iſt, je mächtiger das Herz klopft und je weiter die zuführenden Blutgefäße des Hirns a geöffnet ſind. Denn bald ſtrömt das Blut reichlicher zum Hirn, bald zu den Muskeln, bald zum Magen oder zu der einen oder der anderen Drüſe unſeres Körpers, zu jenen Drüſen, an deren Thätigkeit der Geſchlechts— trieb, die Blutbildung, die Mauſer und die Aus— ſcheidung der Rückbildungsſtoffe unſeres Leibes ge— bunden ſind. Allein ſchon die ſtets wechſelnde Blutvertheilung an die verſchiedenen Organe macht, daß wir niemals von Viertelſtunde zu Viertelſtunde dieſelben ſind. Dieſe Betrachtung ergiebt, daß zu jeder neuen Wir— kung, die von außen kommt, ſchon eine vorhergehende, die am Organismus haftet, ſich hinzufügt. Die Blutwelle, von welcher oben die Rede war, erregt auch unſere Sinnesorgane, ſo daß ſich dieſelben niemals im Zu— ſtande vollkommener Ruhe befinden. Mag die Neb- haut im Dunkeln auch noch ſo wenig gereizt ſein, ſie iſt doch nicht ohne alle Empfindung, und dieſer Zuſtand innerer gedämpfter Empfindung hat dazu veranlaßt, daß man von einem Eigenlicht der Netzhaut ſpricht. 479 So ift das Ohr beſtändig in einem Wellenmeer von Geräuſchen und Tönen gebadet, von denen wir uns keine Rechenſchaft geben, die aber eine Stimmung hervorrufen, auf welche das geſprochene Wort oder eine Melodie, die unſer Trommelfell ſchwingen macht, wie auf etwas ſchon vorher Gegebenes, Bedingtes und Beſtimmendes einwirkt. Die Zunge ſchmeckt ſich ſelbſt, bevor der Geſchmacksſinn durch Speiſen, Würzen und Getränke neu erregt wird. Und die Naſe trägt in ihrer eigenen und in ihren Nebenhöhlen Riechſtoffe mit, die, wenn ſie ſich auch nicht unſerer Wahrnehmung aufdrängen, doch nicht gleichgültig ſein können für die Wirkung, welche neue Riechſtoffe hervorbringen. Unſere Haut iſt kalt oder warm, je nach der Um— gebung, in der wir uns befinden. Iſt die Luft, die uns umgiebt, warm, dann wird eine, die um einige Grade weniger warm iſt, uns kühl erſcheinen, während uns dieſe letztere durch ihre Wärme beläſtigen kann, wenn wir aus einem noch kühleren Raum uns in dieſelbe begeben. Dieſe verſchiedene Wirkung eines Wärmeleiters von gegebener Wärme auf unſere Hautnerven läßt ſich am anſchaulichſten darthun, wenn man die Bedingungen herbeiführt, in welchen dasſelbe Waſſer der einen Hand warm, der anderen kalt er— ſcheint. Dazu braucht man nur an einem kalten Wintermorgen in nicht geheiztem Zimmer mit einer 480 Hand unter den Decken, mit der anderen außerhalb derſelben zu ruhen. Bringt uns dann Jemand ein Becken mit Waſſer von 30°, dann wird dies jener Hand kühl und dieſer warm erſcheinen. Iſt aber die ganze Haut durch ein kaltes Bad abgekühlt, dann haben ſich die Blutgefäße der Haut verengt; nach einer kurzen Weile erweitern ſich dieſe Gefäße in einem geſunden Menſchen, es ſtrömt mehr Blut in die Haut und dieſe erwärmt ſich von innen und von außen, was man mit dem Namen der Gegenwirkung oder des Rückſchlags“) zu bezeichnen pflegt. Und was ſich im Empfindungsleben begiebt, offen- bart ſich nicht minder deutlich in unſeren Bewegungen. Als Delboeuf den Gang der Ermüdung der menſch— lichen Muskelkraft ſtudiren wollte, fand er nur die in den Morgenſtunden angeſtellten Beobachtungen brauchbar, weil die Nachmittags gewonnenen durch den Gang der Verdauung mit ſo vielen Schwankungen behaftet waren, daß ſich keine Regel geltend machte. Tauſendfach und allgemein bekannt ſind in dieſer Be— ziehung die Wirkungen der Verlegenheit, welche die Gegenwart vieler, fremder und mitunter auch der uns zunächſt ſtehenden Menſchen hervorbringt. Nicht leicht giebt es aber ein meßbareres Beiſpiel dafür, als ich an zweien meiner Gehülfen wahrnahm, wenn ſie an *) Reaction. 481 ſich ſelber den ſogenannten Lebensinhalt“) ihrer Lungen beſtimmten. Der betreffende Verſuch beſteht darin, daß man nach möglichſt tiefer Einathmung ſo viel Luft, als man nur immer kann, ausathmet und den Raum dieſer Luft, die in einen ſchwimmend erhaltenen Behälter“) eingetrieben wird, mißt. Vor der Vor— leſung, wie man zu ſagen pflegt: unter uns, kam der eine dieſer Gehülfen, der jetzige Profeſſor Cajo Peyrani in Parma, leicht auf 4500 Kubikceentimeter, während der mittlere Werth in unſeren Landen nur etwa 3300 beträgt. Wenn aber Peyrani den Ver— ſuch eine halbe Stunde ſpäter in der Vorleſung, in Gegenwart der Zuhörer wiederholte, konnte er kaum über 4000, alſo etwa 500 Kubifcentimeter weniger austreiben. Und Aehnliches habe ich an Attilio Battiſtini hier in Rom erlebt. Aber nicht nur unſere Kraft, auch unſer Urtheil wird durch die Macht der Umſtände gefangen ge— nommen. Wenn wir aus einer Reihe nahezu gleicher Gewichte deren zwei mit einander vergleichen, dann begehen wir natürlich häufig einen Fehler, und es ſind vielfach ſolche Verſuche angeſtellt worden, um den ſogenannten mittleren Fehler ſeiner Größe nach zu beſtimmen. Von vorneherein könnte man glauben, ) Vitalcapacität. Hutchinſon. *) Spirometer. 1 31 482 daß man das zweite Gewicht bald zu groß, bald zu klein ſchätzen wird. Dem ift aber nicht ſo. Man neigt vielmehr zu einer gegebenen Zeit dazu, das zweite Gewicht immer zu groß, und zu einer anderen Zeit, es immer zu klein zu wählen, eine Veränderlich— keit des Menſchen, die wir mit Wundt ganz paſſend als einen wechſelnden Stand des Bewußtſeins be— zeichnen können. Dieſer Fall iſt zu vergleichen mit dem veränder— lichen Unterſchied zwiſchen den Kundzeiten zweier Be— obachter, den die Aſtronomen ihre perſönliche Gleichung nennen“). In der Regel nämlich iſt der eine Be— obachter dem anderen um einige Hundertſtel einer Secunde voraus, und der Unterſchied pflegt ſich für kurze Zeitabſchnitte ziemlich beſtändig zu erhalten. Jedoch ein einziger Tag kann genügen, um in dieſem Unterſchied eine Aenderung zu bewirken, deren Größe bei Wolfers und Nehus 22 Hundertſtel einer Se— cunde betragen konnte. In dreizehn Jahren aber ſtieg die Veränderung in der perſönlichen Gleichung zwiſchen Main und Robertſon auf 85 Hundertſtel, d. h. auf beinahe eine ganze Secunde “ ). Man könnte den Menſchen mit einer Uhr ver- *) Vergl. oben S. 359, 360. **) Wundt, Grundzüge der phyſiologiſchen Piychologie, Leipzig 1880, 2. Ausgabe, Bd. II, S. 274, 275. 483 gleichen, die bald um einige Hundertſtel einer Secunde vor, bald nach geht. Die Veränderungen, welche in dieſer Beziehung die Ermüdung mit ſich bringt, ſind Jedermann bekannt. Sie werden häufig mit der Gewöhnung verwechſelt. Wer dicht am Meere wohnt, kommt nach und nach dazu, ſelbſt in der Nacht das Rauſchen der Wogen nicht mehr zu hören, wie der Bewohner einer Mühle das Klappern nicht mehr bemerkt, wohl aber die Unterbrechung desſelben. Starren wir ein weißes Blatt Papier anhaltend an, dann erſcheint es uns nach und nach grau. Und wenn die Sinne übermäßig gereizt werden, dann ſchlägt die Ermüdung in Unthätigkeit oder Schmerz und Ekelgefühl um. So blendet uns ein allzu grelles Licht, ein dröhnen— des Geräuſch betäubt uns; zu große Wärme oder Kälte löſt keine Temperaturempfindungen mehr aus, ſie erzeugt Schmerzen; eine verſalzene oder übermäßig ſüße Speiſe ekelt uns; aufdringliche Gerüche können Uebelkeit und Kopfſchmerz bewirken. Blendung, Be— täubung, Schmerz, Ekel, Uebelkeit ſind Beiſpiele der Ermüdung, die durch Ueberreizung der Sinnesnerven zu Wege gebracht wird. Aber die Müdigkeit greift ſtörend in unſere Ur— theile und Willensregungen ein. n 484 Unſere einfachſten Urtheile werden durch die Müdig— keit beeinflußt. Wir erkennen z. B. die verſchiedene Stärke zweier Gehöreindrücke merklich ſicherer, wenn der ſtärkere Schall auf den ſchwächeren folgt als um— gekehrt. Wenn wir müde ſind, wird uns ſchon das einfache Leſen mit den Augen erſchwert, um wie viel mehr das Leſen eines ſchwierigen Tonſtücks oder die Beurtheilung eines mikroſkopiſchen Präparats. Und wenn es auf die Willensleiſtungen ankommt, dann greift die Müdigkeit nur deſto ſtörender ein. Wenn wir müde von einem weiten Gange nach Hauſe kommen, können wir uns kaum entſchließen, von unſerem Sitze aufzuſtehen. Wie oft kommt es vor, daß wir in einem Augenblick, in dem wir durch Arbeit über— reizt ſind, einen Gefallen abſchlagen, es ablehnen einen Dienſt zu erweiſen, während es uns nach kurzer Ruhe leid thut, ungefällig oder undienſtfertig geweſen zu ſein. Bei etwas verwickelten Anſtrengungen hat es Jedermann erfahren, um wie viel die Müdigkeit ſein Können herabdrückt. Wer in einer fremden Sprache ſo weit gekommen iſt, daß er ſich mit einer mäßigen Gewandtheit in derſelben auszudrücken verſteht, wird ſich eine Viertelſtunde lang ihrer ziemlich geläufig bedienen, aber mit jeder Minute, welche die Unter⸗ haltung länger dauert, fühlt er ſeine Redefertigkeit in bedenklicher Weiſe ſinken, bis ſie endlich geradezu 485 ins Stocken geräth und die einfachſten, gebräuchlichſten Worte nicht mehr zur rechten Zeit einfallen. Aber ähnlich der Müdigkeit wirken eine Menge anderer Einflüſſe lähmend auf die Willensregung ein. Nicht bloß die abgethane, auch die vorgehabte Arbeit kann uns in einen Zuſtand der Reizbarkeit verſetzen, die unſere Willfährigkeit in hohem Grade beeinträchtigt. Wir ſagen dann, daß wir Eile haben, und wir wundern uns über einen ungeſchickten Bettler, der unſeren eiligen Schritt um ein Almoſen zu hemmen ſucht, während man doch täglich erlebt, daß ganz ge— jcheidte und gebildete Menſchen ihre Anliegen ver— eiteln, weil ſie es einem mit Arbeit überhäuften Menſchen in übel gewählter Stunde vorbrachten. Ein heftiger Schreck raubt uns nicht ſelten im erſten Augenblick den Willen zu fliehen oder zweck— mäßige Rettungsmaaßregeln zu ergreifen. Und wenn es heißt, wir ſeien vor Bewunderung verſtummt, was bedeutet es anders, als daß uns ſinnliche Eindrücke ſo mächtig ergreifen können, daß ſie unſeren Willen gefangen nehmen? Die Leichtigkeit des Verkehrs und das Erreichen unſerer Wünſche hängen zuallermeiſt davon ab, daß wir es lernen, mit der Gebundenheit des Willens unſerer Mitmenſchen zu rechnen, nicht damit wir ihn unbeſcheiden überraſchen oder mit ſchnöder Läſtigkeit 486 ihm ablocken, was er uns nicht gewähren ſoll, ſondern damit wir für die gute Sache oder berechtigte Wünſche den guten Augenblick benützen, damit die Willfährig— keit unſeres Freundes oder Vorgeſetzten den möglichſt geringen Widerſtand zu überwinden habe. Grundſätzlich iſt das bekannt genug, aber wie oft beweiſt der Menſch die Gebundenheit ſeines Willens, indem er in der Anwendung den Grundſatz vernach— läſſigt. Vernachläſſigt man ihn doch ſo häufig, wenn man unmittelbar ſelbſt im Spiele iſt, und die Arbeits— regelung wäre in der Geſundheitslehre nicht geringerer Aufmerkſamkeit werth als Luft und Nahrung. Nicht alle Hochſchullehrer ſind ſo liebenswürdig, wie es der greiſe Tiedemann war, der guten Schülern rieth, ſie möchten in den letzten vierzehn Tagen, bevor ſie eine Prüfung zu beſtehen hätten, ſo wenig arbeiten wie nur immer möglich, lieber noch ganz ausruhen, damit ſie an dem entſcheidenden Tage in aller Friſche ihr Licht leuchten laſſen könnten. Wer eine hehre Pflicht zu erfüllen hat, der ſollte bedenken, daß nicht bloß die Arbeit, das Studium, die Uebung zur Vorbereitung für eine wichtige Leiſtung gehören, ſondern nicht minder das Ausruhen, das da nöthig iſt, damit man zu rechter Zeit über ſeine beſte Kraft gebieten könne. Und wenn in Zukunft irgend 487 einer meiner Leſer dieſen Rath befolgt, jo wird er's thun, weil er ſeinen Werth erkannt und erfahren hat, und er wird nicht glauben, daß er damit ſeinem „freien Willen“ die Zügel ſchießen läßt. Ueberhaupt gilt es, wo es nur immer angeht, der Stimmung Rechnung zu tragen, wenn man dem Leben ſeinen beſten Werth abgewinnen will. Und dafür giebt es keinen beſſeren Meiſter als Goethe für den, der ihn in all ſeinen Schriften mit offenen Augen fleißig lieſt. Er gab uns das vortreffliche Wort: „Haſt du zur ſchlechten Stund' geruht, Iſt dir die gute doppelt gut“. Nur daß die Stimmung nicht bloß durch Müdig— keit bedingt wird. Sie iſt nicht nur das Ergebniß vom Licht und Wetter, von der Nahrung und Arbeit, von den Erfolgen und Begegnungen, von den Rei— bungen und Nachrichten des heutigen Tages. Unſere Stimmung hängt an der Nabelſchnur unſerer ganzen Vergangenheit, unſerer phyſiſchen, ſittlichen und geiſtigen Entwicklung, all unſerer früheren Thaten und früheren Erlebniſſe. Die Tragweite eines jeden Factors zu berechnen, genau zu verfolgen, wo die Bergwelle des einen durch die Thalwelle des anderen geebnet wird, und wo ſich im Gegentheil die Berg— wellen einander ſteigern, zu beſtimmen, was eine traurige Muſik, die uns vielleicht nicht einmal klar 488 zu Herzen dringt, ein ſchönes Gebäude, ein Bild, ein flüchtig Wort über uns vermag, das iſt natürlich un— ſäglich ſchwer, ja vielleicht ganz unmöglich. Aber jeder Eindruck hinterläßt eine unauslöſchliche Spur, wenn dies auch vielleicht erſt nach Jahren verſpürt wird. Ein unglücklich Wort, in der Jugend geſprochen, kann über ein ganzes Leben ſeinen Schatten werfen. So iſt es denn kein freier Willensakt, wenn wir des Morgens, nach ſtärkendem Schlafe ausgeruht er— wachend, munter eine Arbeit wieder aufnehmen, die uns am Abend zuvor als eine unüberwindliche Bürde erſchien. Es iſt keine eigenwillige Grille, wenn wir im Augenblick, in welchem wir vergebens eine erfreu— liche Nachricht der Geliebten oder von Weib und Kind erwarten und ſtatt ihrer den Brief eines Freundes erhalten, deſſen Blatt unwillig wegwerfen, das uns an einem anderen Tage herzlich erfreut haben würde. Es iſt keine Eigenwilligkeit, wenn wir nach einer ſchlafloſen Nacht, nach einem ſchlechten, unverdaulichen Mahle, oder wenn wir Zahnweh haben, einen Bitten- den unfreundlich abweiſen. Und es hat gewiß mit freiem Willen nichts zu thun, wenn wir behaglich plaudern mit einem Freunde, der uns aufrichtig die Erfüllung unſerer liebſten Wünſche vorſpiegelt, oder wenn wir, von Sorge übermannt, mürriſch vor uns hinbrüten. 489 Ein Jeder giebt zu, daß unſere Stimmung viel— fach durch die unſerer Gefährten beſtimmt wird. In luſtiger Geſellſchaft wird ein Geſunder munter, in trauriger ein Mitfühlender betrübt. Und es giebt in dieſer Beziehung gar ſeltſame Beiſpiele der Auſteckung. Wehe dem nicht über alles Straucheln erhabenen La— teiner, der mit einem Jünger diſputiren muß, welcher alle Augenblicke gegen die Regeln der Grammatik verſtößt. Sogar eine Wirkung in die Ferne wird hier be— obachtet. Man erzählt von einem Liebhaber, der, mit ſeiner Braut ſchmollend, ſie nicht in ihre Theaterloge begleiten wollte, ſondern ſich verſtimmt in die Ein— ſamkeit der Menge ins Parterre zurückzog. Um zu wiſſen, ob ſie ſich von ihrer Höhe herab um ihn be— kümmerte, alſo weil er das wiſſen wollte, fing er an zu gähnen, die Thatſache kennend, daß es keine über— tragene Bewegung giebt, die ſich leichter Anderen mittheilt. Und in der That, er hatte die Genugthuung, daß es nicht lange währte, bis ſeine Geliebte in ihrer Loge herzlich mit ihm gähnte. Niemand, fürwahr, hat die Tragweite der augenblick— lichen Stimmung lieblicher ausgedrückt als Goethe in jenen zwei Diſtichon, die er Zeitmaß überſchrieben hat: „Eros, wie ſeh' ich dich hier! In jeglichem Händchen die Sanduhr! Wie? Leichtſinniger Gott, miſſeſt du doppelt die Zeit? „Langſam rinnen aus einer die Stunden entfernter Geliebten, Gegenwärtigen fließt eilig die zweite herab“. 490 Aber die Stimmung des Augenblicks trägt fich jeweilig einer vorhergehenden auf. Sie ſchwimmt gleichſam auf allen den vorangegangenen und wird ſelbſt in ihrer Bedingtheit zur Mitbedingung, zum Fahrwaſſer alles Folgenden. So wirkt ein Eindruck, den wir unter beſonders einflußreichen Umſtänden erlitten, durchs ganze Leben fühlbar nach. Mir iſt es in einigen der traurigſten Stunden meines Lebens begegnet, daß ich öfters in nächſter Nähe einen Eſel ſchreien hörte, und ſeit jener Zeit hat kein anderes Thier eine ähnliche Macht über mich, mich traurig zu ſtimmen, wie der Eſel, welcher eher dazu geboren ſcheint, dem Menſchen eine Laſt vom Herzen zu nehmen. Meinem Vater hinterließ in ähnlicher Weiſe einen unauslöſchlichen Eindruck eine gewaltige Feuersbrunſt im elterlichen Hauſe. Um ihn zu retten, ward in der Nacht mit Ungeſtüm die verſchloſſene Thür ſeines Schlafzimmers eingebrochen und das vierjährige Knäb— lein im Hemdchen auf die Straße getragen. In ſeinem ganzen ſpäteren Leben hat er niemals heftig eine Thür aufmachen hören, ohne daß ihn jene Schreckens— nacht aufs Neue erſchütterte. Glücklicher Weiſe wirken aber nicht bloß große Schmerzen und gewaltige Schrecken auf uns durchs 491 ganze Leben nach. Unſere früheſten Erinnerungen gemahnen an die Zärtlichkeit der Mutter, an das Keimen der Freundſchaft in zarter Jugend, an die erſten Genugthuungen, die unſerem ſtrebenden Ehrgeiz erwuchſen, und ſo begreift man, wie unſere früheſten Neigungen ſiegreich auferſtehen und ſich erheben über alle die Reibungen des Lebens, über die ſchmerzhafteſten Enttäuſchungen, ja ſogar über den Jammer des Verraths. Aus der Thatſache nun, daß in dem Strom der Einflüſſe, die unſer Leben geſtalten, keine Welle ver— loren geht, daß jeder Eindruck eine Spur hinterläßt, die ſich niemals völlig verwiſcht, daß alle Reize, die wir erleiden, alle Empfindungen, Furcht und Hoff— nung, Schmerz und Freude, Gedanken und Wünſche ſo zu ſagen mit einander verſchmelzen und in einander fortleben, aus dieſer Thatſache geht die Perſönlichkeit des Menſchen hervor, ſie iſt es, die ſeine Eigenart bedingt, ſie giebt dem Menſchen den Charakter und den Styl. Darum beurtheilt man einen Menſchen ſo ober— flächlich, wenn man nur ein Bruchſtück ſeines Lebens in Betracht zieht. Der Naturforſcher, der Staats— mann, der Weltweiſe ſtreben heutigen Tages nach der Kenntniß der Entwicklung des Menſchen. Der Menſch iſt ein ſtets im Werden begriffenes Naturerzeugniß; 492 wer fein Weſen erkennen will, muß feiner Natur- und ſeiner Cultur-Bedingtheit im Einzelnen nachſpüren. In dieſem Lichte iſt es nicht wahr, daß es nichts Neues unter der Sonne gebe. Es findet vielmehr jedes neue Ereigniß, jeder neue Einfluß, jede neue Zumuthung gleichſam einen neuen Menſchen. Und daher kann es kommen, daß, wenn Jemand zweimal denſelben Einfluß erleidet, dieſer Einfluß nicht dieſelbe Wirkung hervorbringt. Wenn die Juriſten mit Recht ſagen: Si duo faciunt idem, non est idem, wir Naturforſcher haben das Recht zu behaupten: Si quis idem bis patitur, non est idem effectus. Wer aber von dieſer Ueberzeugung durchdrungen iſt, wird vorſichtig ſein im Urtheil über ſeinen Mit- menſchen. Er wird vor Allem nach den augenblick— lichen Verhältniſſen fragen, in denen ſich der Handelnde befand, und wenn ihm That oder Wort eines Anderen mißfallen, wird er nach mildernden Gründen ſeines Verfahrens forſchen. So wird er von Jahr zu Jahr duldſamer, verſöhnlicher, ſanfter, ohne die Vorzüge ſeines Charakters einzubüßen, ohne den Muth ſeiner eigenen Meinung zu entnerven. Man wird nur immer menſchlicher, wenn man die Anderen mit wohlwollen— der Umſicht beurtheilt, indem man mit Nachdruck den eigenen Charakter vertheidigt. 493 Aber wie der Einzelmenſch, jo iſt die Gattung ewig im Werden begriffen. Das Hirn und ſeine Thätigkeit verändern ſich mit den Zeiten und mit dem Hirn die Sitte, die der Spiegel iſt der Entwick— lungsſtufe, auf der ſich die allgemeine Sittlichkeit be— findet. Das Heidenthum pries noch den Haß der Feinde als höchſte Tugend, während das Chriſtenthum auch für den Feind Liebe verlangte. Wir wiſſen, daß der Haß als Naturerſcheinung nicht unrecht iſt, ver— werfen es aber, wenn man dem Feinde ſchaden will, weil dies der Menſchlichkeit zuwiderläuft, weil es die edelſte Empfindung der Menſchennatur verleugnet. „Dieſelbe Raſſe“, jagt Prichard, „welche zu Taci— „tus Zeiten zwiſchen Sümpfen in einſamen Höhlen „wohnte, hat Petersburg und Moskau gebaut, und „die Nachkommenſchaft von Ahnen, welche Menſchen— „fleiſch und kleine Fichtenfrüchte verzehrten, nährt ſich „jetzt von Reis mit Trauben oder Weizenbrod.“ Man bedenke, daß Jupiter und Juno Geſchwiſter waren, und daß die Griechen ihre ſittlichen Anſchau— ungen in ihren Göttern verkörperten. Ich beſuchte in Cleve noch die Schule, als mich ein kleines Mädchen, das ihren Bruder ſehr liebte, fragte, warum es die Menſchen nicht machen wie die Vögelchen, die ihre Geſchwiſter heirathen. Jene Entwicklung der Sittlichkeit folgt noth— 494 wendigen Geſetzen, und jede Stufe ruht auf den vor- hergegangenen Urſachen mit unerſchütterlich noth— wendiger Feſtigkeit. Und iſt das nicht anerkannt, wenn Quetelet, der berühmteſte Erforſcher aller Zahlenverhältniſſe, die ſich auf den Menſchen beziehen, der rechtmäßige Stolz Belgiens, ſchreibt: „Alles, was dem Zufall, „dem freien Willen, den Leidenſchaften des Menſchen „oder dem Grade der Intelligenz anheim gegeben zu „ſein ſcheint, iſt an ebenſo feſte, unverbrüchliche und „ewige Geſetze geknüpft wie die Erſcheinungen der „materiellen Welt“? Und legt man nicht mit Recht einen unendlich wichtigen Werth auf die Worte des Chors bei Aeſchylos im Agamemnon? „es kommt Wider Willen Weisheit auch. Huld der Götter iſt dies, die gewaltſam Thronen hoch am Ruderſitz.“ Wir brauchen uns nur klar zu machen, daß die Götter der Griechen Naturgewalten find, die als Per- ſonen vorgeſtellt wurden, um die Worte des Chors ganz in Einklang zu finden mit der Weltanſchauung, die ich in dieſem Abſchnitt zu vertheidigen habe. Der mächtige Wille iſt eine nothwendige Folge der reichen Erkenntniß. Liebig hat vortrefflich ge— ſagt, daß vorher „die Wirkungen unſeren Willen 495 „regieren, während wir durch Einſicht in ihren inneren „Zuſammenhang die Wirkungen beherrſchen können““). Die Einſicht entſteht immer nur als Folge der Wir— kungen und wird dadurch zur nothwendigen Urſache des Willens. N Viel ſchwerer als die wiſſenſchaftliche Einſicht in die Richtigkeit des vertheidigten Satzes wird es den Menſchen, die ſo lange an dem Gängelbande eines eingebildeten Gutes liefen, dem die Schwäche des Fleiſches tagtäglich widerſpricht, viel ſchwerer wird es ihnen, ſich mit dem Willen als Naturerſcheinung in den Krümmungen und Kreuzgängen des werkthätigen Lebens zurecht zu finden. Das erſte Bedenken, das ſich hier entgegenthürmt, iſt immer, daß, wenn der freie Wille zu leugnen iſt, die Begriffe des Guten und Böſen uns abhanden kommen müſſen. Und doch iſt eben dieſes Bedenken gerade dadurch gelöſt, daß wir den Willen als eine feſtbegründete Naturerſcheinung betrachten müſſen. Denn nur ſo lange bleibt die Beſtimmung, ob eine Handlung gut oder böſe iſt, ſchwankend, als der Maaß— ſtab ein zufälliger, das heißt, ein von außen entlehnter iſt. Hat man es einmal erkannt, daß das ſittliche Maaß in der Natur des Menſchen und nirgends anders ) Liebig's chemiſche Briefe, Heidelberg 1851, S. 32. 496 zu fuchen ift, daß wir uns auf das natürlichſte Ver⸗ hältniß ſtützen, wenn wir das Recht, uns zu richten, weder Affen noch Mondbewohnern, ſondern einzig und allein unſeres Gleichen zugeſtehen wollen, dann wird das Urtheil über gut und böſe ein naturnothwendig begründetes und dadurch ewig unerſchütterlich. Gut iſt, was auf einer gegebenen Stufe der Ent— wicklung den Bedürfniſſen der Menſchheit, den Forde— rungen der Gattung entſpricht. Ich ſage: auf einer gegebenen Stufe der Entwicklung. Denn erſt dadurch, daß dieſe berückſichtigt wird, erhebt ſich die Geſchichte zum Weltgericht. Weil Rotteck die Entwicklungs- ſtufe des Mittelalters verkannte, beurtheilte er die Herrſchaft der Kirche für damalige Zeiten um ebenſo viel zu hart, wie die Hurter und Stahl ungerecht ſind gegen den heutigen Entwicklungsgang, weil ſie den Geiſt der Zeit mit mittelalterlichen Augen be— trachten. Es wohnt der menſchlichen Gattung als Natur- nothwendigkeit ein, daß ſie als böſe verwirft, was den Forderungen der Gattung zuwiderläuft. Das Böſe im Einzelnen bleibt darum, wie der ganze Menſch, Naturerſcheinung. Und es iſt gewiß nur ein Verluſt für verfolgungsſüchtige Parteigänger oder für den bitteren Eifer beſiegter Köpfe, nicht für ächte Menſchen, wenn uns dieſe Einſicht gegen jedes 497 Verbrechen, wie gegen jeden Fehltritt verſöhnlich ſtimmt. Das iſt der Sinn des Wortes der Frau von Stas!l: „alles begreifen hieße alles verzeihen“). Ich kann es nicht unterlaſſen, dieſes goldene Wort immer und immer zu wiederholen. Denn wie das: „Liebe Deinen Nächſten wie Dich ſelbſt!“ der Kern der ganzen Sittenlehre im Chriſtenthum war, ſo ſollte es an der Spitze des Evangeliums der Neuzeit ſtehen: alles be— greifen heißt alles verzeihen. So wie der Sittenprediger von dem, der den freien Willen widerlegt, eine Grundlage ſeiner Sitten— lehre fordert, ſo macht der rechtsgelehrte Richter den Naturforſcher verantwortlich für die Zurechnungsfähig— keit, die ihm verloren zu gehen ſcheint. Aber die Zurechnungsfähigkeit wäre nur dann vernichtet, wenn die Strafe den äußerlichen Zweck der Abſchreckung oder der Beſſerung verfolgte. Wie ſollte den die Strafe abſchrecken, der eine Miſſethat begeht, die in geradem und unabwendbar folgerichtigem Verhältniß ſteht zu der Leidenſchaft, die ihn bewegt? Das Beſſern aber gelingt den Strafanſtalten ſelten und bisweilen auf Koſten von Vorzügen, gegen welche die ſogenannte Beſſerung nicht aufwiegt. Denn der iſt nicht gebeſſert, in dem die Leidenſchaft erſtorben iſt. Und anderer— ) Tout comprendre, ce serait tout pardonner. Madame de Staél, Corinne. II. 32 498 ſeits, wie unendlich häufig kommt es vor, daß die— jenigen, die beſtraft waren, mit Racheplänen gegen die Geſellſchaft ihr Gefängniß verlaſſen, um es nur zu bald und oft wiederholte Male wieder zu betreten? Sucht man das Recht der Strafe in einem natur- nothwendigen Bedürfniß der Selbſterhaltung, das die Gattung beherrſcht, dann erliegt die Zurechnung nicht vor dem milderen Urtheil, das uns das Böſe abge— winnt, nachdem wir es als Naturerſcheinung kennen. Die Strafe ſoll nur den menſchlichen Forderungen der Gattung entſprechen. Darum beſtrafen alle Ge⸗ ſetzbücher nur diejenigen Vergehen, die einem Dritten ſchaden. Das Recht erwächſt nur aus dem Bedürfniß. Aber weil das Bedürfniß menſchlich iſt, ſoll auch die Strafe menſchlich bleiben. Bleibt ſie nicht menſchlich, dann wird die Strafe ſelbſt zum Verbrechen. Und aus dieſem Geſichtspunkt iſt es nicht tief genug zu beklagen, daß in neuerer Zeit noch Volksvertretungen gefunden werden, die, wenn auch mit ſchwacher Mehrheit, für die Todesſtrafe entſcheiden. Oder giebt es irgend ein menſchliches Verhältniß zwiſchen dem leidenſchaftlich Bethörten, der, gleichviel ob kalt oder heftig, an ſeinem Nächſten einen Mord begeht, und der Ruhe eines Gerichtshofes, der, ohne irgend einen ſittlichen Vor— theil zu erreichen, ein Verbrechen mit dem Tode rächt? Weil die Zurechnung von dem Bedürfniß und 499 dem Recht der Strafe abhängt, ſo kann man recht gut mit Gervinus einſtimmen, wenn er ſagt: „Will „man den Menſchen auch ganz wie die Pflanze jn „den feindlichen (2) Gewalten der Natur ſehen, jo „hindert uns dies dennoch nicht, auch den fehlerhaften „und mangelhaften Baum zu tadeln, zu ziehen, und „wenn er uns ärgert, auszureißen.“ Ich meine, man kann recht wohl in dieſen Ausſpruch einſtimmen, wenn man nur abſieht von der Auffaſſung der Natur— gewalt als einer feindlichen. Ja, man kann noch weiter gehen. Die Naturnothwendigkeit des Baumes und des Menſchen hindert uns nicht bloß nicht, ſie ſelbſt zwingt uns vielmehr zu Tadel und Zucht. Wenn aber Gervinus an jener Stelle fortfährt: „Dies eben aber zeigt, daß der Menſch Freiheit und „Willkür hat, denn nur der Baum läßt den Baum „in Frieden gewähren“, ſo iſt dies eine Vertheidigung, die etwa darauf hinausläuft zu behaupten, daß der Menſch frei iſt, weil der Baum ſteht, während der Menſch geht. Die Urſache der Bewegung, — des Tadels, der Zucht und des Ausreißens, — entſpricht genau der Bewegung, es handelt ſich um die Natur— nothwendigkeit der aus der Urſache erwachſenden Folge, um jene höchſte Auffaſſung menſchlicher Bedingtheit, welche Goethe ſagen ließ: „hätte ich einen Fehler „begangen, ſo könnte es keiner ſein“. Von dieſer II. 32* 500 großartigen Anschauung war Zelter durchdrungen, als er an Goethe ſchrieb: „Im Unnatürlichen „liegt die Sünde, nicht im Willen Böſes zu „thun“. Sollte uns ein Staatsmann, oder wahrſcheinlicher ein Stubengelehrter, einwerfen, daß, wer den freien Willen leugnet, die Freiheit nicht erſtreben kann, ſo antworte ich, daß jeder frei iſt, der ſich der Natur— nothwendigkeit feines Daſeins, ſeiner Verhältniſſe, ſeiner Bedürfniſſe, Anſprüche und Forderungen, der Schranken und Tragweite ſeines Wirkungskreiſes mit Freude bewußt iſt. Wer dieſe Naturnothwendigkeit begriffen hat, der kennt auch ſein Recht, Forderungen durchzukämpfen, die dem Bedürfniß der Gattung ent- ſpringen. Ja mehr noch, weil nur die Freiheit, die mit dem ächt Menſchlichen in Einklang iſt, mit Natur⸗ nothwendigkeit von der Gattung verfochten wird, da— rum iſt in jedem Freiheitskampf um menſchliche Güter der endliche Sieg über die Unterdrücker verbürgt. Ich habe dem Sittenlehrer, dem Richter, dem Gelehrten, dem Staatsmann Rede und Antwort ge— ſtanden. Ich komme hier noch einmal auf einen Ein- wurf mancher engherziger Sittenrichter zurück. Ich berühre ihn zuletzt, weil ich nicht umhin kann, ihn aus tiefſter Empfindung zu verachten. ) Briefwechſel zwiſchen Göthe und Zelter, Bd. I, S. 45. 501 Da heißt es nämlich: „Wenn Du nicht an den „freien Willen glaubſt, dann ſtürze Dich doch in „Schwelgerei und ausſchweifende Sinnenluſt, denn „als Naturerſcheinung biſt Du unverantwortlich“. Und mir iſt, als wanderten mir alle Phariſäer und alle doppelzüngigen Verräther vor den Augen, wenn ich jo reden höre. Denn was ſeid Ihr anders, die Ihr ſo redet, als beſtechliche Beſtochene, die Ihr für eure Tugend keinen Antrieb habt als den jenſeitigen Himmel, in dem Ihr Eure träge Feigheit ſpiegelt, für Eure Sitt— lichkeit kein Maaß als jenes: „ich bin nicht ſo wie die der Mode des Unglaubens huldigen“. Ihr fühlt Euch glücklich in jeder Zeit, denn wie Ihr geſtern aus dem Wiſſen die Wahrheit gefolgert, ſo könnt Ihr heut' aus ihm die Lüge folgern, wenn nur die Lüge herrſcht. „Stürzt Euch in wüſten Sinnentaumel!“ Als wenn der Menſch das nach Belieben könnte, wenn ihm auch täglich der Trugſchluß vorgehalten würde! Weil es dem Bedürfniß der Gattung nie und nimmermehr entſpricht, den Leidenſchaften zu fröhnen, ſo kann die Aufforderung zu wilder Ausſchweifung auch keineswegs gefolgert werden aus dem Satz, daß der Menſch eine nothwendig bedingte Naturerſcheinung iſt. Und wenn es trotzdem hin und wieder geſchah, ſo kann es ebenſo wenig gegen die erkannte Natur— 502 wahrheit ſprechen, wie es feiner Zeit den Werth, den das Chriſtenthum nicht als Wiſſenſchaft, ſondern als Sittenweisheit ewig behaupten wird, beeinträchtigen konnte, daß die Mönche aus ſeinem erhabenen Grund— ſatz der Liebe härene Bußkleider, Faſten und Kaſteiung und alles, was naturwidrig iſt, abgeleitet haben. Kaum dürfte jemals die Irrlehre der Genußſucht nur halb ſo viel Nachfolger finden, wie die Herrſchſucht der Pfaffen aller Farben unglückſelige Schlachtopfer geliefert hat. Aber dieſe ficht den geſchichtlichen Werth des Chriſtenthums ſo wenig an, wie jene die Erkennt— niß des Naturforſchers, der an die äußerſte Grenze ſeines Denkens geht, um es bis an die äußerſte Grenze ins Leben zu ſetzen. Die Luft, die wir athmen, verändert in jedem Augenblick des Lebens nicht nur die Luft in den Lungen, nicht nur das Blut der Adern in Blut der Schlagadern, ſie verwandelt nicht bloß die Muskeln in Fleiſchſtoff und Fleiſchbaſis, den Herzmuskel in Harnoxydul, das Gewebe der Milz in Harnoxydul und Harnſäure, die Glasflüſſigkeit des Auges in Harn— ſtoff, fie verändert auch in jedem Augenblick die Zu— ſammenſetzung von Hirn und Nerven. Und die Luft ſelbſt, die wir einathmen, iſt jeden Tag verſchieden, anders im Wald als in der Stadt, anders auf dem Waſſer als auf dem Berg, anders auf dem Thurm 503 als in der Straße, im Licht als in der Finſterniß. Und Nahrung, Geburt, Erziehung, Verkehr, alles um uns her iſt in fortwährend bewegender Bewegung. Des— halb kann das Gute nicht untergehen, die Bildung nicht veröden. Mit dem Stoff kreiſt das Leben durch die Welttheile, mit dem Leben die Gedanken, mit den Gedanken der naturnothwendig gute Wille. Mit allen Uebeln und ihren tiefſten Schmerzen, zum Theil ob ihrer tiefſten Schmerzen — die Erde iſt und bleibt ein Paradies. „Man bedenke, daß mit jedem Athem— zug ein ätheriſcher Letheſtrom unſer ganzes Weſen durchdringt, ſo daß wir uns der Freuden nur mäßig, der Leiden kaum erinnern“ (Goethe). 504 XX. Der Kraftwechſel. Nun age, res quoniam docui non posse ereari de nilo neque item genitas ad nil revocari. Lucretius, de rerum natura, I, 265, 266. Ex nihilo ni fit. Nil fit ad nihilum. Julius Robert Mayer. Wo in der Welt Bewegung erzeugt wird, iſt der Erfolg, ſo weit er ſich als Ortsveränderung einer Laſt bemerkbar macht, immer geringer als der Kraft entſpricht, welche die Bewegung hervorbrachte. Es ſetzt ſich nämlich jeder Ortsveränderung eines Körpers ein Widerſtand entgegen, zu deſſen Beſiegung ein anderer Theil der Kraft verwandt wird als derjenige, der den Körper aus ſeiner Stelle ſchob. Im Allgemeinen iſt der Widerſtand, der bei einer Bewegung überwunden werden muß, um ſo größer, je verwickelter die Zuſammenſetzung des Werkzeugs iſt, in dem die Kräfte zur Bewegung aufgeboten werden. Häufig iſt der Antheil der Kraft, welche den Widerſtand zu überwinden hat, größer, nicht 505 ſelten ſehr viel größer, als derjenige, welcher die Be— wegung einer Maſſe bewirkt. So verhält es ſich zum Beiſpiel bei der Blutbewegung. Die Kraft, mit der ſich unſer Herzmuskel zuſammenzieht, erhält unſer Blut in ſtrömender Bewegung, aber der Theil der Herzkraft, welcher die Blutbewegung hervorbringt, iſt bei weitem kleiner als der Antheil der Herzkraft, welcher die in den Haargefäßen zu beſiegenden Wider— ſtände bewältigt. Wie beim Blutkreislauf läßt ſich in der großen Mehrzahl der Fälle der zu beſiegende Widerſtand auf Reibung zurückführen. Da aber Reibung Wärme hervorbringt, ſo leuchtet zunächſt die Möglichkeit ein, daß, was an Bewegung verloren, beziehungsweiſe zur Beſiegung von Widerſtänden verbraucht wird, an Wärme gewonnen werden könne. Die grundlegende Thatſache iſt ja ein Altbeſitz der Menſchheit. Der erſte Menſch, der ſich die Hände rieb und ſie darnach wärmer fühlte, hat den phyſi— kaliſchen Verſuch gemacht, der auf qualitative Weiſe darthut, daß Reibung Wärme entwickelt. Und der Wilde, der zwei Stücke Holz an einander reibt, bis ſie brennen, verzichtet — um überzeugt zu ſein, daß eben die Reibung Wärme hervorbringt — auf die Beiſpiele, welche die Wiſſenſchaft anruft, wenn Rum— ford auf die gewaltige Wärmeentwicklung beim Bohren 506 der Kanonen hinweiſt, wenn Davy zwei Stücke Eis, in- dem er ſie an einander reibt, zum Schmelzen bringt, oder Julius Robert Mayer durch den Verſuch ermittelt, daß der Wärmegrad des Waſſers durch ſtarkes Schütteln ſich erhöht und das Waſſer nach dem Schütteln einen größeren Raum einnimmt als zuvor. Aus dieſen und ähnlichen Beiſpielen läßt ſich aber nicht unmittelbar entnehmen, daß der Erzeugung von Wärme ein verhältnißmäßiger Ausfall an Bewegungs- erfolg entſpricht. Beſſer dazu angethan iſt ſchon die Thatſache, daß ſich ein ſcharf geladenes Geſchütz bei gleicher Pulverladung weniger erhitzt als ein blindge— ladenes, weil von erſterem ein Theil der Wärme als Arbeit zu Tage kommt. Nur iſt der Vorgang zu roh, als daß er ſich zu einem quantitativen Verſuch verwerthen ließe. Denn ſchon im Jahre 1842 hatte Julius Robert Mayer die Frage richtig geſtellt: „Wir müſſen aus- „findig machen, wie hoch ein beſtimmtes Gewicht „über den Erdboden erhoben werden müſſe, daß ſeine „Fallkraft äquivalent ſei der Erwärmung eines gleichen „Gewichtes Waſſer von 0° auf 1° C.“) ) J. R. Mayer, Bemerkungen über die Kräfte der un— belebten Natur, Liebig und Wöhler, Annalen der Chemie und Pharmacie 1842, Bd. XIII, Maiheft, und wieder abge⸗ druckt in J. R. Mayer, die Mechanik der Wärme, in ge— ſammelten Schriften, Stuttgart. 1867, S. 11. 507 Dieſe Frage ift aber der Ausgangspunkt nicht bloß für unſre geſammte Naturanſchauung, ſie iſt die Seele und der Compaß aller Naturforſchung. Und Mayer hat die Frage beantwortet. f Indem er ſich auf Verſuche Gay-Luſſac's bezog, wies Mayer darauf hin, daß ein Gas, welches, in— dem es erwärmt wird, ſich ausdehnen kann und dabei einen Druck überwindet, um zum gleichen Wärme— grad aufzuſteigen, wie daſſelbe Gas, das in einem Behälter bei gleich bleibendem Raumumfang erwärmt wird, einer größeren Zufuhr von Wärme bedarf als letzteres. Und zwar beträgt der Mehrbedarf an Wärme ſo viel, daß er in einem regelmäßigen und feſten Verhältniß ſteht zu dem Widerſtand, den das Gas bei ſeiner Ausdehnung überwinden mußte, mit anderen Worten zu der lebendigen Kraft, die es dafür ent— wickelt hat. Auf dieſe Thatſache geſtützt hat Mayer den Be— griff des mechauiſchen Aequivalents der Wärme in die Wiſſenſchaft eingeführt. Er behauptete, daß die Wärmemenge, welche erfordert wird, um die Wärme einer Gewichtseinheit Waſſer um 1“ C. zu erhöhen, der mechaniſchen Kraft entſpricht, welche dieſelbe Ge— wichtseinheit zur Höhe von 367 Meter erhebt. Und da ſich die Zahlen immer auf dieſelbe Gewichtseinheit beziehen, da man ferner die Wärmemenge, welche die 508 Gewichtseinheit Waſſer um 1° erhöht, als Wärme— einheit bezeichnet, ſo kann man ſagen, das mechaniſche Aequivalent der Wärmeeinheit iſt nach Mayer 367 Meter. Spätere Rechnungen, denen genauere Erfahrungs- größen zu Grunde lagen, haben ergeben, daß Mayer's Zahl zu niedrig iſt, aber ſein Gedanke und ſein Rechnungsverfahren waren unanfechtbar. Ihm bleibt der Ruhm, daß er den großen Weg gebahnt, auf welchem die Naturwiſſenſchaft, ſeitdem man ſeine Ge— danken begriffen hat, ſo ſicher vorwärts ſchreitet, und es iſt keine Uebertreibung, wenn man Julius Robert Mayer als den Galileo des Jahrhunderts preift “). Legt man der Rechnung Mayer's die genaueſten von Regnault ermittelten Erfahrungsgrößen zu Grunde, dann findet man für das mechaniſche Aequivalent der ) Denkwürdig find die Worte von Angelo Secchi: „La lettura dell' opera di Mayer ci soprende per la fermezza con cui esso espone questo grande principio e per la sua convinzione nelle applicazioni. Gli scrittori posteriori, puö dirsi senza fare loro torto, che salgono poco piü che al grado di commentatori delle sue profonde vedute“. Angelo Secchi, Punitä delle forze fisiche, 4% ed. Milano 1885, Vol. I, p. 57: „Beim Leſen von Mayer's Schrift bewundert man die Sicherheit, mit der er ſeinen großen Grundſatz entwickelt, und ſein Vertrauen zu deſſen Anwendungen. Von den ſpäteren Schriftſtellern darf man, ohne ihnen Unrecht zu thun, behaupten, daß ſie wenig mehr geweſen ſind als Erklärer ſeiner tiefen Anſchauungen“. 509 Wärmeeinheit, ſtatt der Zahl 367, den mittleren Werth von 427 Meter. Wenn ein Gas, indem es ſich ausdehnt, einen Druck überwindet, ſo leiſtet es lebendige Kraft und erleidet eine Einbuße an Wärme; wird es dagegen zuſammengedrückt, ſo wird dazu lebendige Kraft ver— braucht und Wärme entwickelt. In beiden Fällen entſpricht die verſchwindende oder entwickelte Wärme der geleiſteten oder verbrauchten Arbeit in dem genauen Verhältniß des mechaniſchen Aequivalents. James Prescott Joule in Mancheſter gebührt das Verdienſt, zuerſt genaue und zahlreiche Verſuche angeſtellt zu haben, um Arbeitseinheiten in Wärme zu verwandeln. Er ließ unter andern ein Schaufel— rad in Waſſer drehen und die Drehung durch fallende Gewichte bewirken. Die Arbeitseinheiten, welche die fallenden Gewichte verbrauchten, ergaben ſich aus dem Produkt der Gewichte mit der Fallhöhe, von welchem die lebendige Kraft abzuziehen war, mit welcher die fallenden Gewichte den Boden erreichten“). Dieſe Verſuche, welche durch ähnliche, bei denen das Waſſer durch Queckſilber erſetzt war, bekräftigt wurden, er— *) Wer eine eingehendere Beſchreibung von Joule's Ver⸗ ſuchen zu leſen wünſcht, findet ſie u. a. in Müller-Pouillet's Lehrbuch der Phyſik, 8e, von Pfaundler bearbeitete Auflage, 1879, Bd. II, 2, S. 428 ff. 510 gaben für die Arbeitseinheit die Zahl 425, die ſeit— dem als die genaueſte und zuverläſſigſte allgemeine Annahme gefunden hat. Das Endergebniß lautet hiernach, daß einer Wärmeeinheit eine Arbeitseinheit von 425 Meter ent— ſpricht, oder aber eine lebendige Kraft, welche 1 Kilo- gramm zur Höhe von 425 Meter hebt, könnte, wenn ſie verbraucht würde, 1 Kilogramm Waſſer um 1“ C. in feiner Wärme erhöhen. Je nach der Gewichts- einheit, die man zu Grunde legt, ſpricht man von 425 Gramm⸗Meter oder Kilogramm-Meter; 1 Gramm⸗ Meter iſt gleich einem Kilogramm-Millimeter, u. ſ. f. So haben denn die Thatſachen und meſſende Forſchung den Gedanken fühlbar gemacht, daß Be— wegung und Wärme nicht grundverſchiedene Dinge ſind. Die Wärme iſt kein eigener Stoff, ſondern ein Zuſtand der Körperwelt, fie iſt eine eigene Bewegungs- form der kleinſten Körpertheilchen, die ſich in Bewegung der Maſſen umſetzen kann. Um Mayer's ausdrucksvolle Sprache zu gebrauchen, die Bewegung iſt verborgene Wärme, die Wärme iſt verborgene Bewegung. Schon Newton nannte die Wärme eine zitternde Bewegung“). Durch dieſen Zuſammenhang erhielt aber die That- ſache, daß bei jeder chemiſchen Verbindung Wärme hervorgebracht wird, eine ungeahnte, allgemeine Be- *) Erinnerung von Secchi, a. a. O. I. p. 52. 511 deutung. Die chemiſche Verwandtſchaft erſcheint im ſtrengſten Wortſinn als eine Kraft, als aufgeſpeicherte Spannkraft, ſo lange die chemiſchen Elemente von ein— ander getrennt ſind, als lebendige Kraft, unter der Form von Wärme, ſo wie ſie ſich mit einander verbinden. Alle Beſtimmungen der Verbrennungswärme ſind, nachdem wir das Arbeitsäquivalent der Wärmeeinheit kennen, zugleich Beſtimmungen der mechaniſchen Kraft, welche aus einer chemiſchen Verbindung entſtehen könnte, wenn ſich alle Wärme, ohne Verluſt, in me— chaniſche Arbeit umſetzen ließe. Wenn ein Gramm Kohlenſtoff zu Kohlenſäure verbrennt, jo werden 8080 Wärmeeinheiten entwickelt, die einer Kraft entſprechen, welche 1 Gramm auf 3434000 Meter oder 1 Kilogramm auf 3434 Meter heben könnte. Und weil ein gleiches Gewicht Waſſer— ſtoff bei ſeiner Verbrennung zu Waſſer 4,26 mal ſo viel Wärme entwickelt wie der Kohlenſtoff, ſo kann der Waſſerſtoff bei ſeiner Verbrennung mehr als 4½ mal jo viel leiſten wie der Kohlenſtoff, das heißt ein Gramm Waſſerſtoff würde bei ſeiner Verbrennung ſo viel Wärme entwickeln als der mechaniſchen Kraft entſpricht, die 1 Kilogramm auf die Höhe von 14629 Meter zu erheben vermag. Umgekehrt wird bei der Zerſetzung von chemiſchen Verbindungen, wenn nicht beſondere Umſtände es 512 . anders fügen, Wärme verbraucht. Wenn ſich Chlor— ſäure mit Kali verbindet, wird Wärme entwickelt, während wir umgekehrt durch Wärme chlorſaures Kalium in Chlorkalium und Sauerſtoff zerſetzen können. Wenn aber dieſe Zerſetzung vor ſich geht, wird leben— dige Kraft in der Form von Wärme verbraucht, dafür aber Spannkraft erhalten in der chemiſchen Eigen- ſchaft des Sauerſtoffs, die ihn bei einer neuen Ver— bindung mit einem chemiſchen Elemente zu neuer Wärme— entwicklung befähigt. Was aber die Wärme bei der Zerſetzung chlor— ſauren Kaliums leiſtet, das bewirkt der elektriſche Strom bei der Zerſetzung des Waſſers. Es iſt ein hübſches Beiſpiel dafür, wie wir den Kraftwechſel zu verſchiedenen Leiſtungen benützen. Waſſer an ſich können wir unmittelbar durch Wärme nicht zerſetzen; wie wir aber zu verſchiedenen mechaniſchen Leiſtungen Werkzeuge beſonderer Form anwenden, bald eine Säge, bald einen Bohrer, ſo wählen wir hier eine beſondere Form der Einen Naturkraft, wir wählen den elektri— ſchen Strom ſtatt der Wärme, wenn wir ohne Mit- hülfe anderer chemiſcher Stoffe Waſſer in Waſſerſtoff und Sauerſtoff zerlegen wollen. Jene Elektricität iſt aber nicht eine neue Natur- kraft, ſie iſt nur eine andere Form, in welcher uns die Wärme oder ſtatt ihrer mechaniſche Kraft erſcheinen 513 kann. Wenn ſich Harz und Glas an einander reiben, ſo daß Elektricität entſteht, dann wird keine Wärme entwickelt, die Wärme erſcheint eben als Elektricität. Man konnte auch jagen: in dieſem Falle erſcheint Elektricität ſtatt Wärme. In anderen Fällen liefert die Wärme einen elektriſchen Strom, ſo wenn je zwei Paare verſchiedener Metalle zuſammengelöthet ſind, und die eine Löthſtelle einen höheren Wärmegrad beſitzt als die andere. Endlich wird Wärme erzeugt für den Widerſtand, der in einem elektriſchen Strom— kreiſe von der Elektricität zu beſiegen iſt. Je größer der Widerſtand im Leiter iſt, deſto ſchwächer wird der Strom, aber deſto mehr Wärme wird im Leiter erzeugt. Die Umwandlung von Elektricität in Wärme und rückwärts von Wärme in Elektricität liegt alſo klar vor Augen. Der galvaniſche Strom wird aber ſelber durch chemiſche Wirkungen hervorgebracht. Iſt das Element ein Grove'ſches, haben wir alſo als Metalle Platin und Zink, jenes in Berührung mit Salpeterſäure, dieſes mit verdünnter Schwefelſäure, beide Säuren durch eine thönerne Scheidewand von einander ge— trennt, dann wird Zink in der Schwefelſäure gelöſt, indem es einen Theil der Schwefelſäure zerſetzt und an die Stelle von deſſen Waſſerſtoff tritt, um ſchwefel— ſaures Zink zu bilden. Aber der hierbei frei werdende II. 33 514 Waſſerſtoff, den das Zink aus der Schwefelſäure ent— band, verbindet ſich mit Sauerſtoff der Salpeterſäure, indem das Thongefäß, welches die Salpeterſäure von der Schwefelſäure trennt, einen Austauſch der Stoffe geſtattet. Ein Theil der Salpeterſäure liefert hierbei rothbraune Dämpfe, die aus niedrigeren Oxydations⸗ graden des Stickſtoffs als die Salpeterſäure iſt, aus Stickſtofftetroxyd und Stickſtofftritoxyd beſtehen. Löſt man, ohne ein galvaniſches Element herzu— ſtellen, Zink in Schwefelſäure auf, ſo wird ſo viel Wärme gebildet, als überhaupt der Verbindungswärme des Zinks mit Schwefelſäure entſpricht. Ergänzen wir aber die Vorrichtung zu einem Grove'ſchen Elemente, wie wir es kurz vorher im Auge hatten, ſo kann dadurch die Verbindungswärme des Zinks mit Schwefelſäure in verſchiedene Theile, ja in ver- ſchiedene Kraftformen zerlegt werden, ähnlich wie Newton's Glasprisma das gemiſchte Licht in farbige Strahlen zerlegt. Iſt zunächſt das Element in einfachſter Weiſe zur Kette geſchloſſen, ſo wird nicht mehr die ganze Ver— bindungswärme in dem Glaſe frei, ſondern ein Theil derſelben wird in dem die Strombahn ſchließenden Leiter entwickelt. Je größer der Widerſtand, den der Strom in dieſem Leiter zu überwinden hat, mit anderen Worten je ſchlechter er leitet, um deſto größer 515 iſt der Antheil der Wärme, der in der Leitung außer— halb des Gefäßes zum Vorſchein kommt. Wird nun in dieſe Leitung auf paſſende Weiſe ein Gefäß mit Waſſer eingeſchaltet, ſo wird dieſes zerſetzt, es werden Waſſerſtoff und Sauerſtoff entwickelt. Dadurch wird aber ein Ausfall an Wärme bedingt, d. h. es wird gerade ſo viel Wärme weniger gebildet, als der Spann— kraft der frei werdenden Elemente, d. h. der Ver— wandtſchaft des Waſſerſtoffs zum Sauerſtoff, genauer geſagt der Verbrennungswärme des aus der Waſſer— zerſetzung hervorgegangenen Waſſerſtoffs entſpricht. Wir können aber mittelſt des elektriſchen Stroms auch mechaniſche Arbeit verrichten. Die tauſendfacher An— wendung fähige Thatſache, welche dieſer Arbeitsleiſtung zum Grunde liegt, iſt, daß ein elektriſcher Strom, der einen Eiſenſtab umkreiſt, dieſen magnetiſch macht und ihn befähigt, durch Anziehung ein Gewicht zu heben. Aus der Größe des Gewichts und der Höhe, zu der es gehoben wird, berechnen wir die Menge von Arbeits— einheiten und wiſſen, wie viel Wärmeeinheiten dieſer entſprechen. Aber der Verſuch hat ergeben, daß, wenn das galvaniſche Element Arbeit leiſtet, wieder genau ſo viel weniger Wärme gebildet wird, als dem mechaniſchen Aequivalent der Wärme entſpricht. So hätte denn das galvaniſche Element die Verbindungswärme des Zinks geſpalten. Zunächſt II. 33* 516 hat es einen Theil derjelben in die Leitung außerhalb der Zelle verlegt. Sodann hat der elektriſche Strom Waſſer zerſetzt und dabei, indem er Spannkraft er— zeugte, eine Einbuße an lebendiger Kraft in der Form von Wärme erlitten. Schließlich hat er Arbeit ge— leiſtet und hierzu wiederum lebendige Kraft verbraucht, das heißt an Wärme verloren. Zählt man aber die durch die Waſſerzerſetzung und die mechaniſche Arbeit verlorenen Wärmeeinheiten zu den in Zelle und Leitung übrig gebliebenen, dann entſpricht die Summe der geſammten Verbindungswärme des Zinks. Es iſt alſo nichts von der lebendigen Kraft verloren ge— gangen, ſie ward nur anders vertheilt oder in andere Formen umgewandelt. Der Schlußſatz, in dem unſere heutige, von Mayer begründete Naturanſchauung gipfelt, iſt, daß es nur Eine Kraft giebt, die unzerſtörlich, an Menge immer gleich, in verſchiedenen Formen auftritt. Wird eine Form, z. B. mechaniſche Arbeit, ganz und gar in eine andere, z. B. Wärme, verwandelt, ſo muß die eine Form der anderen gleichwerthig fein, und dieſe wieder in jene zurückverwandelt werden können. Bei dieſen Umwandlungen geht aber nichts von der Kraft verloren. Im Weltall iſt der Vorrath der Kraft immer derſelbe. Die Kraft iſt ſo unzerſtörbar wie der Stoff. Auf einem großartigen Wege iſt man 517 von einer anderen Seite zur Anerkennung der Thatjache gekommen, die in unſerem Satze, daß die Kraft eine Eigen— ſchaft des Stoffes iſt, verſchloſſen liegt. Wir ſagen nun ebenſo gern, der Stoff iſt ſo unſterblich wie die Kraft. Jene Unzerſtörbarkeit der Kraft iſt es, die Helm— holtz als das Princip der Erhaltung der Kraft be— zeichnet hat. Nur iſt zu bedenken, daß die Kraft nicht immer als wirkende, ſondern zu jeder Zeit in erheblichem Verhältniß als wirkungsfähige auftritt. Nennt man die Kraft in letzterer Form Spannkraft, in erſterer lebendige Kraft, dann ſagt das Princip der Erhaltung der Kraft aus, daß die Summe der Spannkraft und der lebendigen Kraft im Weltall immer dieſelbe bleibt. Alle Vorgänge in der Natur laufen alſo darauf hinaus, daß Spannkraft in lebendige Kraft oder dieſe in jene verwandelt wird, oder aber daß die eine Form lebendiger Kraft in eine andere übergeht. Die chemiſche Verwandtſchaft als Spannkraft oder wirkungsfähige Kraft erzeugt chemiſche Verbindung als lebendige Kraft, das heißt Wärme oder Elektricität, und einer jeden derſelben, die ſelbſt in einander übergehen können, entſpricht eine Maaßeinheit in mechaniſcher Arbeit. Alles fließt, alles rollt, aber alles wird gemeſſen. Und wer alles fließen macht, iſt Niemand anders als die Sonne. 518 Die Sonne ift es, deren Licht in den Pflanzen Kohlenſäure, Waſſer und Ammoniak zerſetzt, aus Kohlenſäure und Waſſer Sauerſtoff entwickelt, und in dem Pflanzenleib Zellſtoff, Stärkemehl, Zucker, Fett und Eiweiß aufſpeichert. Sie verwandelt jene Ver— bindungen, in welchen Kohlen- und Waſſerſtoff aufs Innigſte mit Sauerſtoff verbunden waren, in ein Magazin von Spannkraft. Die Kohle, in der wir abgeſtorbene Pflanzenleiber verdichtet und angehäuft erkennen müſſen, iſt als ein Schrein von Sonnenlicht und Sonnenwärme zu betrachten. Wenn wir die Kohle auf dem Herd verbrennen, ſchließen wir das Magazin von Spannkraft auf, um lebendige Kraft daraus hervorzuholen. Wir gehen niemals zugleich alterthümlicher, geſchichtlicher und natürlicher zu Werk. Aber die Thiere ſchöpfen aus der lebenden Pflanzen- welt, die ihnen zugleich die organischen Nahrungsſtoffe und in der Luft den Sauerſtoff liefert, der dieſe wieder zu Kohlenſäure, Waſſer und Harnſtoff verbrennt und damit Spannkraft in lebendige Kraft verwandelt. Merkwürdig iſt es, wie beide, Pflanzen und Thiere, bei dieſen Vorgängen Farbe bekennen. Denn während das Sonnenlicht nur bei Gegenwart von Blattgrün Kohlenſäure und Waſſer zerſetzt, iſt das Blutroth der Träger des Sauerſtoffs, der die langſame Verbrennung 519 im Thierleib unterhält, und dieſe Verbrennung iſt der Urquell, aus dem das thieriſche Leben fließt. Den Unterſchied zwiſchen Pflanzen und Thieren können wir nicht allgemeiner bezeichnen, als indem wir jene als Sammler von Spannkraft und dieſe als Erzeuger lebendiger Kraft betrachten, die ſich gegen— ſeitig bedingen und ergänzen. Aus dem Grundſatz der Erhaltung der Kraft ergiebt ſich nun ohne Weiteres, daß die Leiſtungsfähigkeit eines einzelnen Thieres oder Menſchen eine begrenzte ſein muß. Wir haben an einer anderen Stelle dieſes Buches?) gefunden, daß ſich aus dem Koſtmaaß eines arbeitenden Mannes berechnet, daß er in 24 Stunden daraus 2749195 Wärmeeinheiten entwickeln kann, d. h. fo viel Wärme als nöthig iſt, um 2749195 Gramm Waſſer um 1° zu erwärmen. Es wurden bei der Rechnung meine Mittelwerthe für das tägliche Koſtmaaß zu Grunde gelegt, d. h. 130 Gramm Eiweiß, BA „ Fett 202 .% Stärkemehl, uche Legen wir, um mit kleineren Zahlen zu rechnen, als Gewichtseinheit, ſtatt des Gramm, das Kilogramm Bd. I. S. 353, 354. 520 zu Grunde, dann dürfen wir die obige Zahl für die in einem Tage vom arbeitenden Menſchen entwickelten Wärmeeinheiten auf 2750 abrunden, das hieße alſo, daß die in 24 Stunden von einem arbeitenden Manne entwickelte Wärme ſo viel beträgt, daß er 2750 Kilo— gramm Waſſer um einen Wärmegrad erwärmen könnte. Um das mechaniſche Aequivalent dieſer Wärme⸗ einheiten zu berechnen, brauchen wir nur dieſe Zahl mit 425 zu vervielfachen, und wir erhalten 2750 X 425 — 1168750. Und dieſe Rechnung bedeutet, daß, wenn der Arbeiter die ganze Verbrennungswärme ſeiner organiſchen Nahrungsſtoffe auf mechaniſche Arbeit verwenden könnte, er im Stande wäre, 1168750 Kilogramm auf die Höhe eines Meters zu heben. Das kann er aber nicht. Zunächſt nicht, weil ein erheblicher Theil der im Körper durch die Verbrennung organiſcher Stoffe erzeugten Wärme die Wärmeverluſte decken muß, welche der Körper durch Strahlung und Leitung, Erwärmung der Speiſen und Getränke, Ver— dunſtung in den Lungen und auf der Haut, durch gewiſſe Zerſetzungen, die ſich im Körper ereignen, durch die Auflöſung von Salzen und anderen feſten Stoffen in ſeinen Flüſſigkeiten erleidet. Wir fanden früher“), daß durchſchnittlich, wenn wir bei dem Kilo— gramm als Einheit bleiben, für die ) Bd. I. S. 364. 521 Wärmeeinheiten. Erwärmung von Speiſen u. Getränken 68 K der eingeathmeten Luft 86 Verdunſtung in den Lungen 174 m auf der Haut 633° alſo zuſammen 961 Wärmeeinheiten verloren gehen. Dies iſt allein reichlich ein Drittel der Verbrennungs— wärme unſerer Nahrung. Beinahe zwei Drittel blieben alſo zur Verfügung für Leitung und Strah— lung — um hier von den oben erwähnten, jedenfalls nur kleinen Nebenwerthen abzuſehen — und für Ar— beit jeglicher Art. Nun läßt ſich aber die Arbeit, die ein kräftiger Mann in 8 Stunden des Tages leiſtet, in runder Zahl zu 300000 Kilogrammmeter veranſchlagen, d. h. ein kräftiger Arbeiter vermag in 8 Stunden ange— ſtrengter Arbeit 300 000 Kilogramm auf die Höhe von 1 Meter zu heben. Theilen wir in die Zahl 300 000 mit 425, dann erhalten wir die dieſer mecha— niſchen Arbeit entſprechende Zahl von Wärmeeinheiten, und wir finden 706. Alſo würden durch die ange— ſtrengte Arbeit eines Mannes in der Arbeitszeit eines Tages 706 Wärmeeinheiten verbraucht. Die Geſammt— zahl entwickelter Wärmeeinheiten fanden wir 2750. 2750 Und da 77 3,89, dürfen wir ſagen, daß ein 522 kräftiger Mann in runder Zahl bis zu ½ der von ihm erzeugten Wärme in Arbeit umſetzt. Andere Forſcher, die von weniger ſicheren Zahlen oder weniger umfaſſenden Vorausſetzungen ausgingen, haben für die vom arbeitenden Menſchen erreichbare Nutzwirkung geringere Zahlen berechnet. J. R. Mayer nimmt z. B. an, daß die mechaniſche Nutzwirkung eines Mannes nur 5 der von ihm erzeugbaren Wärme— einheiten beträgt“), allein ſtatt von der Verbrennungs- wärme der organiſchen Nahrungsſtoffe auszugehen, die zu ſeiner Zeit noch nicht beſtimmt war, legt er die Verbrennungswärme des in der Nahrung enthaltenen Kohlenſtoffs zu Grunde. Ergänzen wir nun die Summe der verausgabten Wärmeeinheiten, die wir oben“) in Erinnerung ge— bracht, dann finden wir für Wärmeeinheiten. Erwärmung der Speiſen und Getränke 68 10 „ eingeathmeten Luft 86 Verdunſtung in den Lungen 174 2 auf der Haut 633 Wärmewerth geleiſteter Arbeit 706 zuſammen 1667, ) J. R. Mayer, Die Mechanik der Wärme S. 71 in der Abhandlung: Die organiſche Bewegung in ihrem Zuſammenhang mit dem Stoffwechſel, aus dem Jahre 1845. *) Seite 521. 523 und da 2750 — 1667 — 1083, jo bleiben 1083 Wärmeeinheiten für andere Vorgänge übrig, unter welchen die Strahlung und Leitung einen anſehnlichen Platz einnehmen müſſen. Die Größe dieſes Ueberſchuſſes hat für die fol— genden Betrachtungen großen Werth. Deshalb ſei noch darauf hingewieſen, daß der Erfahrungswerth, der oben für die tägliche mechaniſche Arbeit eines kräftigen Mannes zu Grunde gelegt wurde, kein niedriger iſt. J. R. Mayer ging von der Annahme aus, daß die Nutzwirkung eines ſtarken Arbeiters / von der eines Pferdes beträgt“). Und wir ſind ihm bei obiger Rechnung gefolgt. Im praktiſchen Leben nimmt man jedoch ihren Werth gewöhnlich nur gleich !/s. Paul de Saint-Robert geht von der Erfahrung aus, daß ein Mann die größte Arbeit leiſtet, deren er fähig iſt, wenn er ſeinen eigenen Körper hebt, indem er eine ſanft geneigte Ebene hinauf ſteigt. Hierbei könne er, ohne ſich zu ſehr anzuſtrengen, in 8 Stunden die Nutzwirkung von 280 800 Kilogramm— meter hervorbringen“). Theilen wir in dieſe Zahl mit 425, dann erhalten wir 661, und in 2750 geht dieſe Zahl 4,16 mal auf. Nach Saint-Robert ) J. R. Mayer, a. a. O. S. 62, 130. ** Paul de Saint-Robert, Principes de thermo- dynamique, 2° édition, Turin et Florence, 1870 p. 402. 524 würde alſo der Wärmewerth der in einem Tage vom Menſchen geleiſteten Arbeit etwas weniger als ½ der geſammten Verbrennungswärme der Nahrung betragen, während wir etwas mehr als / erhielten. Folgen wir Saint-Robert, indem wir zu ſeinem Wärme— werth der geleiſteten Arbeit die für die Erwärmung der Speiſen und Getränke und der eingeathmeten Luft, ſowie für die Verdunſtung auf der Haut und in den Lungen benöthigten Wärmeeinheiten hinzuzählen und die Summe von der geſammten entwickelten Wärme— menge abziehen, dann erhalten wir 2750 — 16221128, d. h. 45 Wärmeeinheiten mehr, die 19125 auf 1 Kilo- gramm bezogenen Arbeitseinheiten entſprechen. Aber ſchon in der ſogenannten arbeitenden Klaſſe giebt es zahlreiche Menſchen, die nicht ſo viel von der in ihrem Körper entwickelbaren Wärmemenge in mechaniſche Arbeit umſetzen. Bei allen denen aber, die ein äußerlich ruhigeres Leben führen, die mehr walten als ſchalten, mehr denken als hämmern, iſt der Werth natürlich noch ſehr viel geringer. Nehmen wir an, es handele ſich um einen beſcheidenen Be— amten, der zehn Meter über der Straße wohnt. Er habe zweimal am Tage ſeine zwanzig Meter hoch in dem fünften Stock eines großen Palaſtes gelegene Amts— ſtube zu beſuchen und gehe ein drittes Mal aus dem Hauſe, um einen Spaziergang von einer Stunde zu 525 machen. Sein doppelter Weg von Haufe ins Amt und zurück nehme mit allen ſonſt üblichen Gängen vierzig Minuten in Anſpruch. Dieſer Beamte ſteigt alſo dreimal ſeine eigene Treppe und zweimal die des Amtshauſes. Er erhebt die Laſt ſeines eigenen Körpers, durchſchnittlich 63,65 Kilogramm, täglich auf die Höhe von 70 Meter. Außerdem geht er, ſetzen wir auf ebener Fläche, im Ganzen 100 Minuten. Für das Treppenſteigen hat alſo unſer Beamter täglich 63,65 X 70 = 4455,5 Arbeitseinheiten zu verausgaben. Was nun das Gehen auf ebenem Wege betrifft, ſo weiß man durch die Gebrüder Weber, daß bei jedem gewöhnlichen Schritt der Schwerpunkt des Körpers um etwa 2 Centimeter über den Boden er— hoben wird, da er ſich, ſo oft ein Fuß vor dem anderen aufgeſetzt wird, um ebenſoviel aus ſeiner Lage ſenkt. Nimmt man die Schrittlänge gleich 0,75 Meter und die Schrittdauer gleich der des militäriſchen Schrittes, d. h. gleich / Secunde, dann würden in 100 Minuten 8000 Schritte zurück— gelegt. Da bei jedem Schritt der Körper um 0,02 Meter gehoben wird, ſo hätten wir in 100 Minuten die mechaniſche Arbeit von 63,65 40,024 8000 — 10184. Allerdings bleibt der Körper nicht gehoben, und indem der Schwerpunkt wieder um ebenſo viel ſinkt, wie er gehoben ward, wird die betreffende Arbeit 526 in Wärme zurückverwandelt. Aber ob es nun Arbeit iſt oder Wärme, in welche die Arbeit verwandelt wurde, die betreffende Kraftleiſtung wurde doch vom Körper aufgeboten, und wir können alſo ſagen, daß, wenn der Beamte in 1 Stunde und 40 Minuten 8000 Schritte macht und bei jedem Schritte den Schwerpunkt des Körpers um 0,02 Meter hebt, er in eben jener Zeit 10184 . 10184 Arbeitseinheiten oder - 5 20 — 24 Wärmeeinheiten verausgabt. Dazu kommt nun, daß bei jedem Schritt dem Schwer— punkt eine Geſchwindigkeit in wagerechter Richtung er— theilt wird, die nach den hier vorausgeſetzten Größen 1 Meter in der Secunde beträgt. Nach den für die Fall- geſetze gültigen Formeln“) gehört zu dieſer Geſchwindig— keit die Geſchwindigkeitshöhe von 51 Millimeter, d. h. die Höhe, aus welcher der Körper fallen müßte, um dieſe Geſchwindigkeit zu erreichen, iſt 0,051 Meter. Daraus folgt, daß die horizontale Geſchwindigkeit, welche jeder Schritt dem Schwerpunkt des Körpers ertheilt, der Wärmemenge gleichwerthig iſt, welche der Körper, wenn er aus einer Höhe von 51 Milli— meter herabfiele, durch den Stoß gegen den Boden entwickeln würde. Dieſe Wärmemenge entſpricht aber der Arbeitsmenge, die geliefert wird, wenn ſich das 2 9 8 ae g = 9,8 Meter. 527 Körpergewicht auf die Höhe von 0,051 Meter hebt, oder 63,65 X 0,051 - 3,246. Und dieſe Zahl ift wegen der 8000 Schritte, die in den 100 Minuten gemacht werden, 8000 mal zu nehmen. Wir erhalten 25968 Kilogrammmeter oder 61 Wärmeeinheiten. Zählen wir dieſe zu den 24, die für die 8000 Hebungen des Körpers um 0,02 Meter in gleicher Zeit verausgabt wurden, ſo bekommen wir 85 Wärme— einheiten, von denen etwa 28% durch den Stoß der Füße auf den Erdboden und 62% durch die Reibung der Füße entwickelt und verausgabt werden“). Führen wir nun dieſe Zahl in die Liſte der Wärmeverluſte ein, die wir früher zuſammengezählt haben, dann erhalten wir Wärmeeinheiten. für Erwärmung der Speiſen u. Getränke 68 n n „ eingeathmeten Luft 86 „ Verdunſtung in den Lungen 174 1 auf der Haut 633 „ den Wärmewerth geleiſteter Arbeit 85 zuſammen 1046. ) Bei der Berechnung der durch's Gehen verausgabten Wärmeeinheiten ſind Poiſſon und Saint-Robert unſere Führer geweſen. Wir ſind nur von einer anderen Mittelzahl für das Körpergewicht und die Geſchwindigkeit des Schrittes ausgegangen. Vgl. Paul de Saint-Robert, a. a. O. p. 405 — 409. 528 Es bleiben alſo von der im Körper erzeugten Ver— brennungswärme 2750 — 1046 — 1704 Wärme⸗ einheiten übrig, ſtatt der 1083, die beim angeſtrengten Arbeiter übrig waren, oder ein Mehr von 621. Dieſes Mehr bliebe alſo zur Verwendung für alle die Thätigkeiten, welche die geiſtige Arbeit zuſammen— ſetzen, Empfindung, Beobachtung, Urtheil und Schluß— folgerung. Um uns ſelber nicht zu täuſchen, haben wir dem Beamten, den wir oben als Beiſpiel wählten, keine allzu kleine Arbeit an Treppenſteigen und Spaziergang auferlegt, da wir ihm die Geſchwindigkeit eines Sol— datenmarſches zumutheten. Wir hätten ſonſt einen noch größeren Ueberſchuß herausrechnen können. Der Beamte, den wir im Auge hatten, mag etwa in der Mitte ſtehen zwiſchen einem eigentlichen Stuben— gelehrten und einem kräftigen Arbeiter. Andererſeits wird man ſelbſt dem angeſtrengteſten und am wenigſten begnadeten Arbeiter ſeinen Theil von Denkthätigkeit nicht abſprechen wollen. Es wäre daher nicht ſtatthaft, anzunehmen, daß er alle Wärme, die ihm Nahrung, eingeathmete Luft, Verdunſtung und Arbeit übrig laſſen, nur für den Verluſt durch Strahlung und Leitung hergeben müßte. Wir haben freilich keine Anhaltspunkte, um die wandelbaren Verluſte durch Strahlung und Leitung auch nur 529 einigermaßen zu ſchätzen. Da fie aber im Allgemeinen beim Arbeiter größer ſein müſſen als beim Denker, ſo iſt jedenfalls die dieſem letzteren zur Verfügung bleibende Zahl von Wärmeeinheiten größer als 621; es dürfte eine äußerſt beſcheidene Annahme ſein, wenn wir mindeſtens 800 dafür in Rechnung ſetzen. Dann wäre die Summe der Wärmeeinheiten, die der Denker für ſeine Thätigkeit verbraucht, der des Arbeiters überlegen. Auf den erſten Blick könnte es zwar ſcheinen, als würde ein Theil dieſes Ueberſchuſſes an Wärmeein— heiten für andere Verrichtungen verbraucht, z. B. für die Herzthätigkeit. Es wird nämlich bei jeder Zu— ſammenziehung unſerer linken Herzkammer 180 Gramm Blut unter dem Drucke einer Blutſäule von etwa 3 Meter Höhe herausgetrieben, d. h. die 180 Gramm Blut könnten, wenn ſie frei aus der Oeffnung der Aorta in die Höhe ſpritzten, um 3 Meter erhoben werden. Daher leiſtet die linke Herzkammer bei jeder Zuſammenziehung, d. h. bei jedem Pulſe, eine mechaniſche Arbeit von 0,540 Kilogrammmeter, ſie vermag 540 Gramm auf die Höhe von 1 Meter zu heben. Da nun das Herz beim Manne zwiſchen 30 und 50 Jahren ſich 72 Mal in der Minute zuſammenzieht, erhalten wir für die Minute 0,540 472 = 38,880 Kilogrammmeter, für die Stunde 2332,8 kgm und II. 34 530 für den Tag 55987 Arbeitseinheiten, welche 132 Wärmeeinheiten entſprechen. Und da die rechte Herz— kammer bei jeder Zuſammenziehung die gleiche Blut— menge austreibt, nur unter einem dreifach geringeren Druck, jo hätten wir jenen Werth noch um ¼ zu vergrößern, was 74649 Arbeitseinheiten oder 176 Wärmeeinheiten giebt. Allein J. R. Mayer hat ſchon mit Recht bemerkt, daß dieſe Herzthätigkeit nicht unter den verausgabten Wärmeeinheiten aufzuzählen iſt“). Die mechaniſche Nutzwirkung wird durch die Widerſtände, welche der Blutſtrom in den Gefäßen, namentlich in den engſten oder ſogenannten Haargefäßen zu überwinden hat, im Körper ſelbſt in Wärme zurückverwandelt **). Dieſe Betrachtung paßt aber nicht auf die mecha— niſche Nutzwirkung, welche die Athembewegungen vorausſetzen. Bei jeder gewöhnlichen Einathmung wird der Raum der Bruſthöhle um etwa 500 Kubif- centimeter erweitert. Dieſe Raumvergrößerung wird dadurch erreicht, daß ſich das Zwerchfell gegen die Bauchhöhle ſenkt. Die Oberfläche des Zwerchfells läßt ſich nach Donders bei einem kräftigen Manne *) J. R. Mayer, a. a. O. S. 139, 140. Aus dem Jahre 1862. * Vgl. Adolf Fick, Die medieiniſche Phyſik, 2. Aufl. Braunſchweig 1866, S. 209, 3. Aufl. 1885, S. 218 u. 224. 531 zu 350 Quadratcentimeter veranſchlagen. Um alſo die Erweiterung von 500 Kubikcentimeter zu er— reichen, müſſen die einzelnen Punkte des Zwerch— fells um 1,43 Centimeter nach unten ausweichen. Setzt man nun mit Donders den Druck, den die ein— zelnen Punkte des Zwerchfells beim ruhigen Einathmen zu überwinden haben, gleich einer Queckſilberſäule von 22 Millimeter Höhe, ſo hat jeder Punkt des Zwerchfells, indem er ſich um 1,43 Centimeter ſenkt, den Druck einer Queckſilberſäule von 22 Millimeter Höhe zu überwinden. Das Gewicht einer ſolchen Queckſilberſäule von 1 Ouadratcentimeter Querſchnitt iſt nun 30 Gramm. Die Einathmung muß dieſes Gewicht, entſprechend der Oberfläche des Zwerchfells, 350 mal zur Höhe von 1,43 Centimeter heben. Auf Kilogrammmeter als Einheit zurückgeführt, giebt uns dies 350 X 0,03 X 0,0143 = 0,150, mit anderen Worten, jeder einzelne Athemzug hätte bei ruhigem, nur durch das Zwerchfell bewirkten Einathmen 150 Gramm auf die Höhe eines Meters zu heben. Setzen wir 16 Athemzüge für die Minute, fo giebt dies 1,4 Kilo- grammmeter für die Minute, 84 Kilogrammmeter für die Stunde und 2016 für 24 Stunden. Dieſe Zahl von Arbeitseinheiten entſpricht 4,7 Wärmeeinheiten. Der Werth iſt verhältnismäßig ſo gering, daß er kaum in Betracht gezogen zu werden verdient, zumal wir den II. 34* 532 Ueberſchuß der Wärmeeinheiten, die nach Abzug der für Erwärmung der eingeführten Nahrung und Luft, für Verdunſtung und in die Augen fallende mechaniſche Arbeit erforderlichen übrig bleiben, nicht zu unſerem Vortheil berechnet haben. Der Widerſtand, den das Zwerchfell durch etwaige Drehung der unteren Rippen bei ruhigem Athmen überwinden muß, iſt ſo gering, daß wir ihn füglich vernachläſſigen können, und wäre er größer, ſo gälte von ihm, was oben von dem Wider— ſtande, den das Herz in den Blutgefäßen des Körpers zu bewältigen hat, ausgeſagt wurde: es handelt ſich um eine Nutzwirkung, die innerhalb des Körpers in Wärme zurückverwandelt wird, alſo, um mit Mayer zu reden, keinen beſonderen Poſten in dem Budget des Organismus darſtellt. So iſt denn der bedeutende Ueberſchuß an Wärme- einheiten, der dem Denkthätigen zur Verfügung bleibt, ſicher geſtellt. Es läßt ſich aber ebenſo wenig annehmen, daß 800 Wärmeeinheiten oder 340000 Arbeitseinheiten zu nichts werden, als es annehmbar iſt, daß die Ge— dankenthätigkeit aus nichts entſteht. Das Hirn verbraucht beim Wahrnehmen und beim Denken Blut, um ſo mehr Blut, je angeſtrengter es denkt. Bei der Reizung, die das Licht aufs Auge 533 ausübt, häufig auch in Folge von Gehörreizen “), wird die Menge der in gleicher Zeit von gleichem Körpergewicht ausgehauchten Kohlenſäure vermehrt. Durch Hirnreizung wird, wie ich mit Battiſtini ge— funden, ſowohl die weiße wie die graue Subſtanz ſtärker jauer**). Wir werden in Folge angeſtrengter Gedankenthätigkeit hungerig und wärmer“); wir leeren mit dem Harn mehr Harnſtoff, mehr Phosphor- und Schwefelſäure aus f). Wir werden vom Denken müde wie vom Gehen und Laſtenheben. Iſt es demnach zu verwundern, wenn wir nicht zugleich große Gedanken und große Laſten heben können? Dasſelbe Blut, aus dem das Hirn ſeinen Vorrath ſchöpft, um Thätigkeit zu entwickeln, kann nicht zugleich in vermehrter Menge den Muskeln Brennſtoff liefern. Es iſt eine allbekannte Thatſache, daß geiſtig angeſtrengte Menſchen ihren Muskeln nur mäßige Arbeit zumuthen können. Cabanis iſt gewiß nicht der Erſte, der es geſagt hat, aber er hat es Ich behaupte dies nach eigenen, bisher nicht veröffentlichten Unterſuchungen. Bisweilen wird durch anhaltende Gehöreindrücke die Menge der ausgeathmeten Kohlenſäure vermindert. % Jac. Moleſchott und Attilio Battiſtini, Über die chemiſche Reaction der quergeſtreiften Muskeln und verſchiedener Theile des Nervenſyſtems während der Ruhe und nach der Arbeit, in Moleſchott's Unterſuchungen, Bd. XIII., S. 320-326. ) Vgl. oben S. 267, 268. 7) Vgl. oben S. 267. 534 vortrefflich geſagt: „Wir wiſſen, daß die Arbeiten, „welche große Bewegungen und großen Aufwand von „Muskelkraft erfordern, dieſe Kraft üben und die „Muskeln entwickeln und mehren, während ſie die „Empfindungsfähigkeit des Nervenſyſtems abſtumpfen. „Ebenſo wiſſen wir, daß ſitzende Arbeit, die nur wenig „Bewegung und phyſiſche Anſtrengung erfordert, die „Muskeln ſchwächt; und wenn dabei die geiſtige „Thätigkeit geübt wird, ſo ertheilt dieſe Arbeit dem „Hirn und dem ganzen Empfindungsvermögen einen „bemerkenswerthen Zuwachs an Schärfe und Thätig— „keit. Holzhauer, Laſtträger, Hafenarbeiter, mit einem „Worte ſchwer arbeitende Tagelöhner beſitzen weniger „feine Empfindung und größere Muskelkraft; Schuſter, „Schneider, Sticker u. ſ. w. find ſchwächer, aber em- „pfänglicher für ſinnliche Eindrücke?)“. ) Cabanis, Rapports du physique et du moral de „homme, Paris 1824, Tome III, page 319, 320. „Nous savons, „par exemple, que les travaux qui s'exécutent par de grands „mouvemens, et qui demandent de grandes forces musculaires, „eultivent ces mömes forces, les developpent et les accroissent ; „tandis qu'au contraire ils émoussent la sensibilite du „systeme nerveux. Nous savons aussi que les travaux sé— „dentaires, qui n’exigent que peu de mouvemens et point „d’efforts physiques, énervent le syst@me musculaire; et pour „peu qu’ils exercent le moral, ces travaux donnent & tout „organe cerebral et sensitif un surcroit remarquable de finesse „et d’activite. Les bücherons, les porte-faix, les ouvriers des „ports, en un mot tous les hommes de peine, sont moins sen- 535 Wer für ſich ſelbſt ein ſcharfes Auge hat, kann die gegenſeitige Ausſchließung von geiſtiger und Mus— kelarbeit bis ins Einzelnſte verfolgen. Wer von einem anſtrengenden Spaziergang übermüdet nach Hauſe kommt, hat ſein Hirn dermaßen an Blut ver— armt, daß er in der erſten Zeit oft nicht fähig iſt, einen Brief zu öffnen und warten muß, bis das Intereſſe, das ihm das Schreiben einflößt, ſeinem Hirne einen hinlänglichen Vorrath von Blut zugeführt hat, ſo daß er ſtatt Muskelarbeit geiſtige Thätigkeit auf ſich nehmen kann. Die Schriftzüge, die ſein Auge, oder die verkündigenden Worte, die ſein Ohr reizten, haben auf reflectoriſchem Wege ſein Herz angeregt, und während ſeine Muskeln ruhten, fing ſein Hirn an zu arbeiten. Deshalb iſt man auf einem ermüdenden Spaziergange ſo gerne ſtumm, und Alle verſtummen, wenn die Ermüdung eingetreten. Man erzählt von zwei berühmten deutſchen Gelehrten, die es liebten, mit einander ſpazieren zu gehen, daß ſie unterwegs kein Wort ſprachen, wenn ſie aber heimkehrten, ſich ſo behaglich fühlten, als hätten ſie mit einander die anregendſte Unterhaltung gehabt. Liegt es uns ob, einen ſchwierigen Gegenſtand zu „sibles et plus vigoureux; les cordonniers, les tailleurs, les bro- „deurs, etc. etc. sont plus faibles et plus susceptibles de toutes les „impressions.“ Vgl. auch Tome II., p.303 und viele andere Stellen. 536 ſtudiren, jo mögen wir fein ſchweres Buch in der Hand halten, und es iſt keineswegs als Faulheit zu deuten, wenn wir bei aufmerkſamem Denken oder von ſchwerem Kummer überwältigt, die bequemſte Lage einzunehmen ſuchen. Niemals ſind wir weniger zu tiefem Nachdenken aufgelegt, niemals weniger zu feiner und ſcharfer Empfindung befähigt, als wenn wir uns kräftigen Leibesübungen überlaſſen. Der Tanz berauſcht die Sinne. Die Jäger erzählen Jagdgeſchichten. Und umgekehrt, wenn wir tief im Innern bewegt ſind, in Gedanken verloren, in einem ſinnlichen Ge— nuſſe ſchwelgen, verläßt uns die Muskelkraft, ja ſogar Muskeln, die für gewöhnlich in einem mäßigen Grade der Zuſammenziehung verweilen, können plötz— lich erſchlaffen. Bei einer Trauerbotſchaft entſinkt das Buch unſeren Händen. Wer auf dem Klavier einen hübſchen Geſang begleitet, kann in ſolches Ent— zücken gerathen, daß er das Begleiten darüber vergißt. Und was einem geängſtigten Knaben alles in der Angſt begegnen kann, davon iſt's hübſcher ſchweigen. Allbekannt iſt die Theilung der Arbeit zwiſchen die einzelnen Sinne. Wer einer Muſik lauſcht, ſchließt gern die Augen. Die Blinden zeichnen ſich durch die ungewöhnliche Schärfe ihres Taſtſinns aus. Niemals iſt unſer Geruchsſinn empfindlicher als bei der Nacht, 537 wenn die anderen Sinne ruhen; ein ſchwacher brenz— licher Geruch genügt, um die Vorſtellung einer Feuers— brunſt zu erwecken. Weinſchmecker kneifen während ihrer gewichtigſten Proben die Augen zu und hören auf keine Unterhaltung, für welche manche Lebemänner während eines ausgezeichneten Mahls ohnedies verloren ſind. Und es iſt ein Beiſpiel für dieſelbe Erhaltungs— regel, auf welches Delboeuf aufmerkſam macht, daß Kurzſichtige, um beſſer zu hören, ihre Brille aufſetzen, weil fie dadurch die Anſtrengung des Sehens mindern“). Aber eben, weil Hören und Sehen uns ermüden, iſt es aus dem Geſetze der Erhaltung der Kraft er— klärlich, daß uns ein Sinnesreiz den peinlichſten Ein— druck machen kann, wenn wir nach einer großen me— chaniſchen Leiſtung erſchöpft find. Delboeuf erzählt davon ein packendes Beiſpiel, das bei jedem Selbſt— beobachter einleuchtende Erinnerungen erwecken muß. „Bei einer Schweizerreiſe“, jagt Delboeuf“, „erſtiegen „wir eines Tages in Geſellſchaft, mit dem Ranzen „auf dem Rücken, von Meiringen aus das Faulhorn. „Unſer Marſch, der an ſich ſchon lang und beſchwer— „lich genug war, ward noch dadurch verlängert, daß „wir jeden Augenblick von unſerem Wege abſchweiften, „bald um eine Ts zu Re oder ein 8 ) Delboeuf, Eléments de psy 8 0 sique, Paris 1883, pag. 52. 538 „zu fangen, bald um irgend eine ſchöne Ausſicht zu „bewundern. Sehr ſpät am Bachalpſee anlangend, „waren wir ſchon erſchöpft und wir hatten noch eine „gute Stunde mühſam zu ſteigen. Einer von uns, „der am wenigſten ermüdet war, fing an, das Echo „erſchallen zu machen. Es iſt unſäglich, wie unan— „genehm dieſes Geſchrei uns berührte; es war für „uns ein Zuwachs unſerer Müdigkeit. Wir baten „ihn dringend ſtill zu ſein. Aber unſere Verſtimmung „reizte ihn und er erfand ein neues Mittel, uns zu „quälen; er fing an, laut und ſo falſch als irgend „möglich zu ſingen. Es war nicht auszuhalten, und „wir drangen förmlich flehend in ihn, unſere Ohren „zu verſchonen. Wir waren eben in einem Zuſtand, „in dem uns zum Hören keine Kraft mehr übrig blieb. „Die Kraft, welche das Hören in Anſpruch nahm, „hätte man nach Metern, die zu ſteigen waren, „ſchätzen können. Unſer Freund brachte für uns die— „ſelbe Wirkung hervor, als wenn man das Faulhorn „höher gemacht hätte oder als wären wir einen Theil des „ſchon zurückgelegten Weges wieder hinuntergeſtiegen“).“ Hier hat Delboeuf das mechaniſche Aequivalent der Empfindung ausdrücklich anerkannt, wenn er ſich auch hütet, einen Verſuch zu machen, es in Zahlen auszudrücken. Aber der Grundgedanke von der Er— ) Delboeuf, a. a. O. p. 52, 53. 539 haltung der Kraft im Organismus ift ſchon von Ca— banis deutlich und beredt entwickelt worden. „Jedes „Organ“, ſagt Cabanis, „hat von Natur ein ge— „meſſenes und beſchränktes Empfindungsvermögen; „durch dauernde Uebung laſſen ſich die Schranken „jenes Vermögens zwar bedeutend erweitern; allein „es geſchieht immer auf Koſten anderer Organe, weil „das empfindende Weſen nur einer beſtimmten Summe „von Aufmerkſamkeit fähig iſt, die in einer gewiſſen „Richtung nachläßt, wenn ſie nach einer anderen mächtig „hingezogen wird *).“ Es war ein geniales Wort von Julius Robert Mayer“, als er die Fähigkeit der Muskeln, chemiſche Kraft in mechaniſche Nutzwirkung zu verwandeln, als das Weſen der Reizbarkeit bezeichnete. Aber was für die Muskeln gilt, iſt in ſeiner Weiſe auf jedes lebende Gewebe unſeres Körpers anwendbar. Die chemiſche Kraft wird in der Geſtalt von Blut zugeführt, das eine ganz ähnliche Rolle ſpielt, mag *) Cabanis, a. a. O. Tome J. p. 111. „Car vous savez „que chaque organe a, dans l'ordre naturel, une faculté de „sentir limitée et circonscrite; que, cependant, des excitations „habituelles peuvent reculer beaucoup les bornes de cette fa- „culté; mais que c'est toujours aux depens des autres organes, „Petre sensitif n’etant capable que d'une certaine somme „d'attention, qui cesse de se diriger d'un cöte, quand elle est „absorbée de l'autre.“ **) J. R. Mayer a. a. O. S. 110, 132. 540 es die Gewebe ernähren, oder ihnen den zu ihrer eigenthümlichen Verrichtung nöthigen Brennſtoff liefern. In beiden Fällen handelt es ſich um eine langſame Verbrennung der organiſchen Blutbeſtandtheile, welche größtentheils in den Geweben und nur zu einem kleinen Theile in der Blutbahn ſtattfindet. Im Augen- blicke ihrer Oxydation verwandeln ſich die eiweißartigen Blutbeſtandtheile in Leimbildner, ohne welche faſt kein Gewebe des Körpers beſteht; im Augenblicke der Oxydation der organiſchen Muskelſtoffe wird Wärme erzeugt, die der Muskel, — um noch einmal mit Mayer zu reden“) — „im Status nascens zu ſeiner „Leiſtung verwendet“. So erſcheint es denn als natürlich bedingt, daß im Allgemeinen unſere Organe um ſo blutreicher ſind, je größer ihre Leiſtung iſt. Und innerhalb der Organe, die das Nervenleben und unſere geiſtigen Verrich— tungen beherrſchen, iſt die graue Subſtanz, die unſere Denkzellen, wie unſere Empfindungs- und Bewegungs— zellen beherbergt, ſehr viel reicher an Blut, ſie be— ſitzt viel zahlreichere und weitere Blutgefäße als die weiße, welche hauptſächlich die Leitungsfaſern unſerer Nerven enthält. Aber die von Hauſe aus blutreichen Organe er— halten einen reichlich vermehrten Zufluß von Blut, 9 F. R. Mayer, a. a. O. S. 99. 8 541 wenn ſie in erhöhte Thätigkeit treten. Das von Del— boeuf ſo hübſch durchgeführte Bild von der Kraft, die aus einem großen Behälter durch verſchieden weite und nicht jederzeit gleichweite Oeffnungen bald hierher, bald dorthin in größerer Menge fließt und größere Leiſtungen möglich macht, iſt wörtlich auf die Verhältniſſe des Blutkreislaufs anzuwenden“). Schon Henle hatte vortrefflich geſagt: der Herzmuskel treibt, die Gefäßmuskeln vertheilen das Blut“). Wird der Bedarf an Blut in einem Organe größer, dann er— weitern ſich die zuführenden Gefäße, indem die kreis— förmig in ihrer Wand verlaufenden Muskeln er— ſchlaffen. Die entſprechenden Muskeln anderer Gefäße ) Delboeuf, a. a. O. p. 54. „La force totale est „comme contenue dans un vaste réservoir qui s’alimente d'une „maniere intermittente et s’&coule incessamment par des ouver- „tures determindes, dans un certain nombre de vases plus „petits qui deversent leur trop plein au dehors. Ces ouver- „tures ne sont pas d'un diametre constant; suivant les cas, „elles s’agrandissent et se rétrécissent de manière que P’&coule- „ment de la masse se fait davantage tantöt par un point, „tantöt par un autre. Mais on ne peut & cet égard depasser „de certaines limites inscrites dans l’organisme. Il ne nous „est pas loisible de diriger l’&coulement total vers chacun de „ces vases indifieremment;; les uns peuvent résister, les autres „se brisent.“ h „ . .. von dem Herzen hängt hauptſächlich die Blut- „bewegung, von den Gefäßen die Blutvertheilung ab.“ Henle, allgemeine Anatomie, Leipzig 1841, S. 512. 542 werden dagegen zuſammengezogen, fie werden enger und laſſen zu den verhältnißmäßig ruhenden Organen weniger Blut zu. Es kann nicht oft genug daran erinnert werden, daß dem Hirn, wenn es hört oder denkt, mehr Blut zuſtrömt, geradeſo wie die Magenſchleimhaut blutreicher wird, wenn ſie verdaut, die Drüſen, Speicheldrüſen, Bauchſpeicheldrüſe, Lungen u. ſ. w., wenn ſie ab— ſondern oder athmen. Am allerklarſten liegt die Sache aber bei den Muskeln, und es iſt wiederum Mayer, der ſchon 1845 das bahnbrechende Wort geſprochen hat. Mayer fußt auf dem Vergleich zwiſchen der Arbeitsfähigkeit des Herzmuskels und der Nutzwirkung, die der Maſſe der übrigen Körpermuskeln erreichbar iſt. Wir haben oben gefunden“), daß die linke Herzkammer eines er— wachſenen Mannes in 24 Stunden eine Kraft ent- wickelt, welche 55987 Arbeitseinheiten entſpricht. Nach Valentin wiegt die Muskelwand der linken Herzkammer 136 Gramm. Ein Kilogramm ſolcher Muskelmaſſe würde alſo in 24 Stunden 411816 Arbeitseinheiten liefern können. Nach E. Biſchoff iſt das Gewicht ſämmtlicher Skelettmuskeln des Körpers gleich 41,8% von deſſen Gewicht“ ). Dies ) S. 530: *) Siehe Bd. I, S. 120. r 543 ergiebt für das mittlere Gewicht eines dreißigjährigen Mannes (63,65 Kilogramm) 26,6 Kilogramm Muskel- gewicht. Dieſe nun vermögen in einem Tage 300000 Arbeitseinheiten zu entwickeln, was für 1 Kilogramm 11267 ergiebt. Für gleiche Gewichtseinheit der Muskelmaſſe ſteht alſo die Leiſtung der Skelettmuskeln zu derjenigen der linken Herzkammer wie 11267:411816 1:36, oder in Worten, der Herzmuskel iſt im Stande, für gleiches Gewicht ſeiner Maſſe eine 36 mal größere Laſt auf 1 Meter zu heben als die Skelett— muskeln“). Mayer ſchreibt dieſe gewaltige Ueber— legenheit des unausgeſetzt arbeitenden Herzmuskels dem Blutreichthum des Herzfleiſches zu und ſchließt, daß die dauernde Leiſtungsfähigkeit der Maſſe des durchkreiſenden Blutes proportional iſt. Mayer hat den Vergleich auch auf einzelne Muskeln ausgedehnt. Wenn wir auf Einem Fuße ſtehend mittelſt der Wadenmuskeln des betreffenden Beins die Ferſe in die Höhe heben, ſo gelingt es uns da— durch das ganze Körpergewicht um 3 Centimeter zu erheben. Das mittlere Körpergewicht, wie oben, gleich 63,65 Kilogramm genommen, leiſtet man dabei eine Arbeit von 0,03 X 63,65 = 1,9 Kilogrammmeter, bei— nahe 4mal ſo viel wie eine einzelne Zuſammenziehung ) Vgl. J. R. Mayer, S. 103. Mayer rechnet nur das 25 fache heraus, weil er den Skelettsmuskeln eine größere Arbeits— kraft zuſchreibt. 544 der linken Herzkammer (0,54 Kilogrammmeter *). Aber die Anftrengung, auf jene Weiſe mit den Waden— muskeln den Körper zu heben, iſt jo groß. daß wir ſie nur einige wenige Male unmittelbar hinter einander ausführen können. Was aber hier Mayer mit Hülfe einer ſcharf— ſinnigen Ueberlegung bekannter Thatſachen erſpähte, das haben ſpäter Bernard und Ludwig durch Ver— ſuche unmittelbar bewieſen. Sie fanden, daß der Muskel während ſeiner Zuſammenziehung von einer größeren Menge Blut durchſtrömt wird als während der Erſchlaffung. So wird es denn eine lehrreiche, von Genzmer ganz richtig beobachtete und mit Recht hervorgehobene Thatſache, daß die Muskeln am leichteſten ihre Be— wegung verſtärken, deren Thätigkeit ſchon angebahnt iſt. Ein jeder weiß, wie außerordentlich leicht bei Kindern durch verſchiedene Hautreize Reflexbewegungen hervorgerufen werden können. Klopft man einem Kinde etwas unſanft gegen die Naſe, ſo wird es un— ruhig und ſchreit, iſt aber das Kind, während wir klopfen, im Saugen begriffen, ſo werden nur die Saugbewegungen verſtärkt“ ). Die Reflexbewegung *) Siehe oben S. 529. ) Alfred Genzmer, Unterſuchungen über die Sinnes- wahrnehmungen des neugeborenen Menſchen, Halle a. S. 1882 I. 545 macht ſich in den Muskeln geltend, die ſchon von einem ſtärkeren Blutſtrom durchfloſſen wurden. Ammen und Mütter bedienen ſich nicht ſelten jenes Hülfs— mittels, um ein kraftlos ſaugendes Kind zu ſtärkerem Saugen anzuregen. Und Genzmer benützte die That⸗ ſache, um bei einem mehrwöchigen Kinde kleine Eiter— puſteln aufzuſtechen, ohne daß es darauf während des Saugens anders als mit lebhafteren Saugbewegungen antwortete, während es ſonſt während des kleinen wundärztlichen Eingriffs heftig ſchrie. Um ſchließlich einen leichteren Ueberblick zu ge— währen, ſtelle ich die aus den obigen Betrachtungen für verſchiedene Lebensſtellungen ſich ergebende Ver— wendung der im menſchlichen Körper erzeugten Wärme— einheiten tabellariſch zuſammen. Vertheilung ni | | Hi? \ | t d auf Handwerker Beamter Denker Erwärmung der Einfuhr 154 | 154 154 Verdunſtung 807 807 807 Strahlung und Leitung 993 7 9932 900 2 Athembewegungen 1 7 | 5 Mechanische Arbeit „ 85 ae Denken 80? 704? | 800 ? Summe | 2750 2750 | 2750 In dieſer Tabelle find die ſicherſten Zahlenwerthe aus den Ueberſichten auf S. 522 und 527 übertragen: II. 35 546 fie beziehen ſich auf die Erwärmung der Einfuhr (Speiſen, Getränke und eingeathmete Luft), die Ver— dunſtung (auf der Haut und in den Lungen) und die mechaniſche Arbeit, die etwas willkürlich für den Denker beinahe gleich der des Beamten angenommen wurde. Die Zahl für die Athembewegungen iſt für den Denker, ganz ruhiges Athmen vorausgeſetzt, be— rechnet worden“); der erhaltene Werth 4,7 iſt zu 5 abgerundet. Es dürfte nicht unſtatthaft ſein, daß dieſer Werth für den Handwerker verdoppelt und für den Beamten ein mittlerer Werth angenommen wurde. Unter der Annahme, daß beim Handwerker die Wärmeeinheiten, die nach Abzug der für Erwärmung der Einfuhr, für Verdunſtung und mechaniſche Arbeit verbrauchten übrig bleiben, zum weitaus größten Theile für Strahlung und Leitung und zu einem kleineren Theil für Denkarbeit ausgegeben werden, ſind die betreffenden Zahlen 993 und 80 gefunden worden, die ſchon deshalb mit einem Fragezeichen verſehen werden mußten, weil ſie offenbar die am meiſten ſchwankenden Werthe ſind. Für den Beamten wurde der Wärmeverluſt durch Strahlung und Leitung, wieder etwas willkürlich, gleich dem des Handwerkers angenommen. Nach Ab— zug aller übrigen Werthe von 2750, der Summe der ) Siehe S. 531. 547 in 24 Stunden erzeugbaren Wärmeeinheiten, blieb dann für die Denkbarkeit der Werth 704. Um für den Denker, wie billig, einen größeren Werth (800) für die Gedankenarbeit zu erhalten, ward vorausgeſetzt, daß er durch Strahlung und Leitung ſtatt 993 nur 900 Wärmeeinheiten im Tage verliert, das heißt etwa ein Zehntel weniger als der Hand— werker und Beamte. Man ſieht, wer an obiger Tabelle in Betracht einzelner Zahlenwerthe mäkeln will, findet zunächſt an mir ſelber einen Genoſſen. Indeß die Zahlen, die für Erwärmung der Einfuhr, Verdunſtung und mechaniſche Arbeit angeſetzt wurden, können ſich nicht weit von der Wahrheit entfernen. So hängt denn der hier berechnete Wärmewerth des Denkens haupt— ſächlich von der Zahl der Wärmeeinheiten ab, deren wir durch Strahlung und Leitung verluſtig gehen. Es iſt mißlich über dieſe Zahl zu urtheilen, da ſie mit der Wärme der Umgebung ſo bedeutend ſchwanken muß; wenn uns aber nicht alles täuſcht, iſt dieſe Zahl eher zu groß als zu klein. Und daraus würde folgen, daß die von uns für den Wärmewerth des Denkens angenommenen Zahlen eher zu klein als zu groß ſind. Das, worauf es ankam, haben wir mit unſeren Betrachtungen und Rechnungen zur Genüge erreicht. II. 35% 548 Wenn wir alle verwerthbaren Poſten des täglichen Wärmeverbrauchs in Zahlen ausdrücken und deren Summe mit den in 24 Stunden erzeugbaren Wärme— einheiten vergleichen, dann bleibt für die Denkbarkeit ein anſehnlicher Reſt. Ergaben ſich für den Handwerker, den Beamten, den Denker die Zahlen 80, 704 und 800, ſo fällt es uns doch nicht ein, das Denkäquivalent des Hand— werkers zu ¼10 oder das des Beamten zu 7s des— jenigen des Denkers veranſchlagen zu wollen. Aber unſere Nachgiebigkeit beſchränkt ſich nicht hierauf. Die für das Denken herausgerechnete Zahl, wenn auch als Mittelwerth verſtanden, iſt im höchſten Grade unſicher. Sie kann aber unmöglich erheblich zu groß ſein. Und, da ein Werth von SO bis 800 Wärme— einheiten, entſprechend 34000 bis 340000 Arbeits- einheiten, nicht zu nichts werden kann, ſo iſt begrifflich das Daſein des Wärmeäquivalents des Denkens oder des Denkäquivalents der Wärme ſo ſicher erwieſen wie das mechaniſche Wärmeäquivalent. Erklärt iſt weder das eine noch das andere, und in dieſer Beziehung hat das mechaniſche Aequivalent der Wärme vor dem Denkäquivalent nichts Weſentliches voraus. 549 Bei Beſprechung der Willensbeſtimmtheit ſagte Johann Jacoby einmal in ſeiner einſchneidenden Weiſe, die ihn auch im vertraulichen Geſpräche nicht verließ“), es ſei nicht ſchwer den Glauben an den freien Willen zu widerlegen, aber es käme darauf an, zu zeigen, warum dieſer Glaube ſo gern gehegt wird. Nicht minder nahe liegt die Frage, warum ſich die Mehrzahl nachdenklicher Menſchen gegen die Vorſtellung von einem Wärmeäquivalent des Denkens auflehnt. Am nächſten liegt es hier, an eine Begriffs— verwechslung zu denken. Es dürfte Vielen begegnen, daß ſie, wenn von einem Wärmeägquivalent des Denkens die Rede iſt, ſich zu einem Wärmeäquivalent der Gedanken verirren. Es wäre derſelbe Irrthum, wie wenn man das mechanische Aequivalent der Arbeit mit dem Aequi— valent ihrer Erzeugniſſe verwechſeln wollte. Begrifflich wäre es nicht unmöglich, die mechaniſchen Aequivalente unter einander zu vergleichen, welche die Arbeit des Erbſenleſens, des Spitzenklöppelns und des Hobelns erzeugt; Niemand wird deshalb die Werthe des gehobelten Brettes, der Spitzen oder der geleſenen Erbſen miteinander vergleichen, ſowie es Niemandem in den Sinn kommt, einen behauenen „) Es war in Zürich am Tiefenbrunnen, auf dem Wege nach Küßnacht, im Jahre 1856. 550 Stein mit einer Bildſäule zu vergleichen, obgleich das mechaniſche Aequivalent der Arbeit des Steinmetzen zu dem der Arbeit des Bildhauers in einem meßbaren Verhältniß ſteht. Wahrſcheinlich haben Aeſop und Lafontaine für die Erfindung ihrer Fabeln dieſelbe Arbeit auf— geboten wie Dante oder Shakeſpeare für die Schöpfung ihrer Werke, und Goethe dürfte ſich in ſeiner Weiſe beim Studium der Farbenlehre nicht weniger bemüht haben als Newton oder Huyghens, ohne daß darum zwiſchen jenen Fabeln und der Divina Comedia, zwiſchen dieſer und Macbeth oder zwiſchen dem äſthetiſchen Farbenſpiel und der Vi— brationstheorie ein meſſender Vergleich zuläſſig wäre. Ein Feldherr kann eine Schlacht gewinnen und verlieren mit demſelben Aufwande von Blut und Tapferkeit. Ein gelungener Vortrag hat häufig nicht mehr Mühe gekoſtet als ein verfehlter. Der Erfolg der Arbeit wird bedingt durch den Stoff, die Zeit, die Vorbereitung und ihre Richtung, und dennoch bleibt der Auſwand an Kraft, der den Erfolg er— zielte, meßbar, und alles Meßbare läßt ſich ver— gleichen. XXI. Für's Teben. Wer ſich einmal Klarheit verſchafft hat über die unzertrennliche Verbindung von Kraft und Stoff, die Klarheit, bei der man ſich nicht mehr ſcheuen kann, aus jener Verbindung die letzten Folgerungen abzu— leiten, der darf nicht müde werden, auf die Einwürfe von Leuten zu antworten, die der Meinung ſind, daß die Menſchheit durch die ſtoffgeiſtige Weltanſchauung um alles Erhabene, um alles Schöne, um alle dichteriſche Auffaſſung gebracht wird. Und man darf dieſen Ein— wurf nicht bloß von ſchlichten Laien erwarten, die ſich hin und wieder über mangelhafte Sinne beklagen dürfen, weil ſie ihre Beobachtungsgabe nicht geübt haben, ſondern ebenſo häufig von den Idealiſten, die ſich nur deshalb, im Gegenſatz zu Realiſten, Philoſophen nennen, weil ſie noch auf einem Bildungsſtandpunkt ſtehen, der es ihnen unmöglich macht, die Erkenntniß des Stoffs und ſeiner Bewegungserſcheinungen zu wollen. 552 Diejenigen, die ernſtlich bemüht find, dem Stoff auf ſeinen Wegen und Entwicklungsbahnen, der ewig vereinten Wanderung und Wandlung von Kraft und Stoff zu folgen, werden allmälig erbaut von der geiſtigen Bedeutung, die auch dem kleinſten und un— ſcheinbarſten Stofftheilchen innewohnt. Man hat ſich oft darin gefallen, den Encyclopädiſten des vokigen Jahrhunderts vorzuwerfen, daß ſie den Geiſt zum Stoff herabgezogen hätten. Und die Zeit iſt mir nicht aus dem Gedächtniß geſchwunden, in der ich ſelber mit einer gewiſſen philoſophiſchen Schule wähnte, von einem erhabeneren Standpunkte auf Jene hinabſehen zu dür— fen, weil es eine höhere Aufgabe zu verfolgen gäbe, den Stoff zum Geiſt zu erheben. Aber der Unterſchied war ſo groß nicht. Er fällt nunmehr völlig hinweg, da Kraft und Geiſt vom Stoffe nicht zu trennen ſind. Sit es denn unpoetiſch, wenn unſre ſtofflichen Ver richtungen unmittelbar geadelt ſind, weil auch an den allerunſcheinbarſten geiſtige Regung und Bewegung hängt? Oder inwiefern iſt es dichteriſcher, wenn man ſich einen unkörperlichen Schatten vorſtellt, der am Tage der Auferſtehung des Fleiſches ſeine vermoderten Gebeine zuſammenſucht und das in Fäulniß über— gegangene Kleid wieder anlegt, als wenn man im Stoffwechſel eine ewige Macht der Verjüngung, eine immer fließende Quelle jugendkräftigen Lebens ſieht? 553 Es kommt nur darauf an, ob man ſich beſcheiden kann, den Stoff, der dachte und die Welt entwickelte, im Grabe ruhen zu laſſen, bis ihn der Poſaunenruf der Engel am jüngſten Tage weckt zur ewigen Erinnerung an perſönliche Beſchränktheit, oder ob man lieber den Stoff in immerwährender Bewegung weiß, aus Kohlenſäure und Waſſer, aus Dammſäure, Ammoniak und Salzen, Blumen und Früchte auf dem Grab gedeihen, neues, ſchwellendes Leben auf Triften und Fluren, eine neue Gedankenmacht in menſchlichen Hirnen erwachſen ſieht. Die erſten Ringe in der Kette des Thierlebens ver ſchlingen ſich mit den Trieben jener organiſirenden Schöpferkraft, welche die Pflanzen als das blühende Reich der unbewußten Dichtung erſcheinen läßt. Durch die Thätigkeit des Sauerſtoffs wird das Blut theil— weiſe gebildet von dem Träger der Feuerglut, der es läutert zu dem Gewebe, deſſen Stoffwechſel die Ge— danken bedingt, der aber auch Hirn und Blut wieder verbrennt zu den einfachen Verbindungen, aus denen ſich die knospende Pflanze verjüngt. Es iſt Tod in dem Leben und Leben im Tode. Dieſer Tod iſt kein ſchwarzer, ſchreckender. Denn in der Luft und im Moder ſchweben und ruhen die ewig ſchwellenden Keime der Blüthe. Wer den Tod in dieſem Zus ſammenhang kennt, der hat des Lebens unerſchöpfliche Triebkraft erfaßt und mit ihr die ganze Fülle der 554 menſchlichen Dichtung, die unwandelbar ruht auf den Marmorſäulen der Wahrheit. Oder iſt es gemein, wenn man das Ringen und Jagen der Menſchen nach dem Stoff als eine Natur— nothwendigkeit anſieht, in welcher der Stoff die Kraft zu liefern hat? Iſt es gemein, wenn wir dem Ar— beiter, der im Schweiße ſeines Angeſichts oft nur an das Erringen des Lebensbedarfs zu denken hat, zu— rufen dürfen, daß er ſich mit dem Brod den Stoff der edelſten Bewegungen verdient, deren Geſchöpfe auf der Erde fähig ſind? Iſt es gemein, wenn man ſich jedes Mahl zu einem Abendmahl verklärt, an dem wir gedankenloſen Stoff in denkende Menſchen verwandeln, an dem wir alſo wirklich das Fleiſch und Blut des Geiſtes genießen, um den Geiſt fort— zutragen in alle Welttheile und in alle Zeiten durch die Kinder unſerer Kinder? Wenn die Kraft der Stoff und der Stoff die Kraft iſt, dann wird es zu einer heiligen Aufgabe, den Stoff zu ſparen, das heißt, ihn auf die Bahnen zu lenken und in die Verbindungen zu ſammeln, in denen er auf dem kürzeſten Wege die größte Wirkung entfalten kann. Und darin liegt die allmächtige Be— deutung, welche die Naturwiſſenſchaft durch Erforſchung des Stoffs in unſern Tagen erringt. Unſer Prome— theus lehrt die Menſchen Chemie, Phyſik und Phyſio⸗ 555 logie und verleiht ihnen dadurch die Herrſchaft über die Elemente, welche aus einem durch Gedanken und Erkenntniß beherrſchten Willen hervorgeht. Liebig hat dieſen Gedanken auch von ſeinem Standpunkt anerkannt, wenn er ſagt, daß durch die Fortſchritte, welche die Chemie der Entdeckung des Sauerſtoffs verdankt, „der materielle Wohlſtand der „Staaten um das Mehrfache erhöht worden iſt, daß „das Vermögen eines jeden Einzelnen damit zuge— „nommen hat“). Wie in dem thieriſchen Körper „der Stoffwechſel gemeſſen werden kann durch die „Anzahl der Blutkörperchen, welche in einer gegebenen „Zeit den Weg von dem Herzen zu den Kapillarien**) „und von da zurück zu dem Herzen nehmen, ſo iſt der „Stoffwechſel im Staatskörper meßbar durch die Ge— „ſchwindigkeit, mit welcher die Geldſtücke von einer „Hand in die andere gelangen. Das Geld hat die Funk— „tionen der Sauerſtoffträger im Staat übernommen“ ). „Jeder Theil des ganzen Organismus hat ein natür— „liches Recht auf die freieſte Verwendung ſeiner Arbeits— „kraft und Alle darauf, daß keiner den anderen hemmt „und hindert; das Maximum der Wirkung der Arbeits— „kraft ſteht im umgekehrten Verhältniß zu der Summe ) Liebig, Chemiſche Briefe, Heidelberg 1851, ©. 6. **) Haargefäße. +++) Liebig, a. a. O. S. 622, 623. 556 „der zu überwindenden Widerſtände, je größer die „Widerſtände ſind, deſto kleiner iſt die Wirkung . . .. „Darum führt der barbariſche Staat durch unrichtige „und ungleich vertheilte Beſteuerung ganze Bevölke— „rungen ihr Leben lang der Verhungerung entgegen, „wenn ſie genöthigt ſind, eine zu große Summe ihrer „eigenen Kraft zu ihrer bloßen Fortdauer und für „Zwecke zu verwenden, durch welche die Kräfte aller „einzelnen Theile nicht vollkommen wieder hergeſtellt „werden. Darum haben die Staaten mit großen ſtehen— „den Heeren nur den Schein von Stärke, weil ein „dauernder Aderlaß den beſten Theil ihres Bluts und „ihre edelſten Säfte entzieht; ihre Macht iſt der Kraft „gleich, welche der Wilde im Branntweinrauſche findet; „wenn der Rauſch verfliegt, dann iſt die Macht mit „der Kraft dahin*).“ Freie und richtige Vertheilung von Kraft und Stoff, das iſt das Ziel, welches alle neueren Be— wegungen mehr oder minder dunkel verfolgten, eben die Vertheilung des Stoffs, welche Allen die Arbeit und durch die Arbeit ein menſchenwürdiges Daſein möglich macht, weil „jeder Theil des ganzen Organis— „mus ein natürliches Recht hat auf die freieſte Ver— „wendung ſeiner Arbeitskraft“. Dem Leben und dem Einzelnen wäre freilich nicht *) Liebig, a. a. O., S. 624, 625, 626. — — 17%; « gedient mit einer Theilung, die allen Schatten auf— heben könnte, oder vielmehr eine ſolche Theilung wäre von allen Unmöglichkeiten die unmöglichſte. So wenig zwei Menſchen gleich ſein können in Blut und Fleiſch, in Hirn und Knochen, in der Form ihres Autlitzes und ihrem Gang, ſo wenig wäre eine communiſtiſche Theilung auch nur eine halbe Stunde lang möglich. Es iſt nicht zu fürchten, daß eine ſolche Theilung den Schatten aufhebe, weil aller Schatten aufgehoben ſein müßte, damit die Theilung ins Werk geſetzt werden könnte. Aber eben deshalb muß man eine Beſchuldigung mit Ernſt und Strenge zurückweiſen, die man einem allgemeinen Gedanken, einer großartigen Richtung ent— gegenſchleudert, während ſie höchſtens einzelne Verirrte trifft. Der ſocialiſtiſchen Erkenntniß des ſocialen Be— dürfniſſes gehört, trotz der Einſprache von Dichtern, Gelehrten und ruheſüchtigen Beſitzern, die werkthätige Zukunft der Welt. Und daß nicht eitler Wahn uns die Erfüllung dieſer Zukunft verſpricht, das iſt, ab— geſehen von allen Rückſichten der Menſchlichkeit, ganz einfach verbürgt durch die unumſtößliche Thatſache, daß die Kraft dem Stoffe folgt. Darum ſollte man ſich hüten, das Beiwort „ſocialiſtiſch“ zu einem Stich— wort für raubluſtige Unvernunft zu machen und um ſo mehr, wenn man ſich mit Liebig zu der Einſicht erhoben hat, daß „jeder Theil des ganzen Organismus. 558 „ein natürliches Recht hat auf die freieſte Verwendung „ſeiner Arbeitskraft“. Das Leben fordert Arbeit, die Arbeit fordert Stoff. Und es iſt gewiß die allerbeſte Bereicherung, die das Leben der Wiſſenſchaft verdankt, daß wir es täglich beſſer einſehen lernen, welcher Stoff zu jeder Arbeit gehört. Soll der Stoff in Gräbern und Särgen liegen, Niemandem zum Vortheil und häufig der nächſten Umgebung zur Laſt? Ich kann es nie und nimmermehr als eine un— vermeidliche Nothwendigkeit anerkennen, wenn Liebig ſagt: „Der einzig wirkliche Verluſt, dem wir nach „unſeren Sitten nicht vorbeugen können, iſt der an „phosphorſauren Salzen, welche die Menſchen in ihren „Knochen mit in ihre Gräber nehmen“)“. Man braucht ſich nur klar zu machen, daß die Sitte ein Spiegel der Erkenntniß iſt, um ſich ohne übermüthige Ver— achtung einer Scheu, die mit gewiſſen Glaubensſätzen zuſammenhing, berechtigt zu fühlen, mit allem Nach— druck, der dem Wiſſen zu Gebote ſteht, einer ſolchen Verſchwendung zu widerrathen. Phosphorſaurer Kalk iſt die Knochenerde, phos— phorſaure Bittererde iſt Muskelerde, phosphorſaures Kalium gehört zu den wichtigſten Salzen des Fleiſches und der Milch, ohne einen Reichthum an phosphor- *) Liebig, a. a. O., S. 674. 559 ſauren Salzen iſt die Entſtehung des Gehirns nicht möglich. Und wenn alle dieſe phosphorſauren Salze in wucherndem Ueberfluß in unſeren Kirchhöfen auf— geſpeichert werden, um nur den Würmern und dem Graſe zu nützen, während ſie ohne Arbeit und beinahe ohne Koſten zurückgeführt werden könnten in die Kreis— linie des Lebens, die immer neue Kreiſe zeugt von Stoff und Kraft, warum ſollen wir denn der Sitte dauernder Kirchhöfe huldigen, da wir doch blutigen Opfern und Hexenproceſſen entſagt haben? Wer will über ſeinen phosphorſauren Kalk auch noch nach ſeinem Tode Herr ſein, wenn er bedenkt, daß dieſer phos— phorſaure Kalk Veranlaſſung werden kann, daß ſeine Urenkel darben? Es iſt doch wohl vernünftiger, dieſen phosphorſauren Kalk durch die Pflanzen und Thiere hin— durch in unſeren Körper wandern zu laſſen, als nur von fern die Möglichkeit zu geſtatten, daß man, wie zu Paris, als es von Heinrich IV. belagert wurde, durch Hungers— noth dazu gezwungen wird, die Knochen der Todten unmittelbar beim Backen des Brodes zu verwenden. Man brauchte nur jede Begräbnißſtätte, nachdem ſie ein Jahr lang benutzt wäre, mit einer neuen zu vertauſchen, um nach ſechs bis zehn Jahren einen der fruchtbarſten Aecker zu beſitzen, der den Todten mehr Ehre macht als Denkmal und Grabhügel. Wie lange hat man es ſchon eingeſehen, daß das Andenken be— 560 deutender Menſchen weit edler durch nützliche und wohlthätige Stiftungen gefeiert wird als durch Erz und Bildſäulen! Begräbnißplätze, die nach zehn Jahren als fruchtbares Ackerland neue Menſchen ſchaffen, wären ebenſo viele Stiftungen, mit denen man nicht ſowohl dem Elend abhelfen, als vielmehr dem Elend vor— beugen würde, unmittelbar durch Vermehrung des Getreides und mittelbar durch den Zuwachs an denken— den Menſchen. Ganz beneidenswerth ſchiene mir's aber, wenn die äußeren Verhältniſſe es möglich machen ſollten, zu der Sitte der Alten zurückzukehren, die un— ſtreitig viel dichteriſcher war. Wenn wir unſere Todten verbrennen könnten, dann würden wir die Luft be— reichern mit Kohlenſäure und Ammoniak, und die Aſche, welche die Werkzeuge zu neuen Getreidepflanzen, zu Thieren und Menſchen enthält, würde unſere Heiden in fruchtbare Fluren verwandeln. Es kann nicht fehlen, wenn wir es auch nicht erleben ſollten, das Bedürfniß der Menſchen, welches der oberſte Rechtsgrund und die heiligſte Quelle der Sitte iſt, wird einmal unſere Kirchhöfe mit gleichen Augen betrachten, wie wir das Pfund, das ein ängſtlicher Bauer vergräbt, ſtatt vom ſauer erworbenen Kapitale Zinſen zu ernten“). Nur die Unwiſſenheit iſt Barbarei. ) Die vorſtehenden Seiten, denen die Zeit ſo vielfach Rechnung getragen, ſind im Anfang des Jahres 1852 geſchrieben. Vgl. die erſte Ausgabe S. 442 — 445. 561 Dieſe Anſchauung hat mehr Anſtoß erregt, als ich in unſerem Zeitalter erwartete, unter anderen bei dem Senat der Heidelberger Hochſchule und deſſen zweideutigem Vertheidiger in der Augsburger Allge— meinen Zeitung, von dem es heißt, er habe viele naturwiſſenſchaftliche Bücher geleſen und geſchrieben. Muß man einen Naturforſcher daran erinnern, daß ganz dieſelbe für heilig gehaltene Scheu Jahrhunderte lang ſich den Leichenöffnungen widerſetzte, und daß es doch nach und nach in Folge wachſender Einſicht dahin gekommen iſt, daß in ſo mancher europäiſchen Stadt die Leichenöffnung ſich gleichſam von ſelbſt ver— ſteht? Man beruft ſich auf ein natürliches Gefühl und vergißt, daß die Empfindung, wenn auch noch ſo langſam, doch allmälig der Erkenntniß ſich anſchmiegt. Es iſt nun einmal nicht zu ändern, daß in ſolchen Dingen die Einſicht dem Gefühle voraneilt; aber es ſteht zu hoffen, daß dieſer Erfahrungsſatz, indem er den Menſchen immer geläufiger werden muß, die aufrichtigen und unaufrichtigen Verketzerungen in immer engere Schranken zurückweiſen wird. Und ließe ſich nicht für unſeren Fall vielleicht die Be— hauptung vertheidigen, daß bisweilen die Wärme, mit welcher das Andenken der Verſtorbenen im Leben gepflegt wird, um ſo inniger iſt, je weniger man mit prangenden Denkmälern ſeine Klagen der Oeffentlich— II. 36 562 keit preisgab? Wir ehren die Todten und geben von unſerer Liebe Zeugniß durch die Erfüllung der Pflichten, die ſie uns hinterlaſſen, und dieſe Pflichten erinnern uns an das Goethe'ſche Wort: „Gedenke zu leben“. — „Schreitet, ſchreitet ins Leben zurück! Nehmt den heiligen Ernſt mit hinaus, denn der Ernſt, der heilige, macht allein das Leben zur Ewigkeit.“ Mit dieſen Worten ſchließt der weiſeſte unſerer Dichter Mignon's erhebende Todtenfeier. Um aber einzuſehen, wie ſchwere Rechte hier das Leben geltend macht, will ich auf eine Stelle Liebig's aufmerkſam machen, in der es heißt: „Ich habe, wie „viele vor mir, die Erfahrung gemacht, daß die Frucht— „barmachung eines an ſich unfruchtbaren Bodens, wenn „deſſen Unfruchtbarkeit von dem Mangel an wirk— „ſamen Beſtandtheilen und nicht von einer ungeeig— „neten phyſikaliſchen Beſchaffenheit herrührt, zu Aus— „gaben nöthigt, welche mehr betragen, als man für „den Ankauf des fruchtbarſten Feldes zu machen hätte.“ Und etwas weiter: „Es ſcheint, daß in vielen Fällen „die Hauptwirkung des Düngers auf unſren Feldern „darin beſteht, daß in Folge der reichlicheren Nahrung „in der oberen Kruſte des Feldes die Pflanzen während „der erſten Zeit ihrer Entwicklung die zehnfache, „vielleicht hundert- und tauſendfache Anzahl von „Wurzelfaſern treiben, die ſie in dem magern Boden 563 „getrieben haben würden, und daß ihr ſpäteres Wachs— „tum im Verhältniß zu der Anzahl dieſer Organe „ſteht, durch die ſie befähigt werden, den minder „reichlichen Nahrungsſtoff in den tieferen Schichten „aufzuſuchen und ſich anzueignen, und es erklärt ſich „vielleicht hieraus, warum eine im Verhältniß zu der „im Boden enthaltenen kleine Menge von Am— „moniak, von Alkalien und phosphorſauren Erden „die Fruchtbarkeit in jo hohem Grade erhöht*).“ Und doch verſcharren wir täglich Alkalien, Erden, Phosphor— ſäure in unſren Kirchhöfen, die phosphorſauren Salze, welche mit ſo unerſchütterlichem Rechte als die wich— tigſten Gewebebildner in dem Samen von Weizen und Erbſen und in dem Leib von Thieren und Menſchen bezeichnet werden. Nur glaube man nicht, daß es immer geſpart iſt, wenn man den in ewigem Kreislauf begriffenen Stoff unmittelbar dem Menſchen einverleibt. Schon vor längerer Zeit haben Bouſſingault und Payen ge— lehrt, und neuerdings iſt es von Millon, von Donders und Harting beſtätigt worden, daß die Kleie des Mehls mehr Kleber, das heißt mehr unge— löſtes Pflanzeneiweiß und Pflanzenleim, mehr Fett enthält, als das Mehl ſelbſt. Und Millon hat daraus abgeleitet, daß es ein Verluſt ſei, wenn man ) Liebig, ebendaſelbſt, S. 678, 679. II. 36° 564 die Kleie nicht immer mit dem Brod vermiſcht und ſie als Abfall den Thieren zuwirft. Millon glaubt ſogar, daß man durch ſtete Verbindung der Kleie mit dem Brode Frankreich um viele Millionen Hekto— liter eines vortrefflichen Nahrungsmittels bereichern könnte, und dies ohne irgend einen anderen Schaden, ohne Unkoſten. Liebig ſchließt ſich der Anſicht Millon's an, wenn er ſagt: „Alle (dieſe) Hülfs— „mittel, um in Hungerjahren die Noth der ärmeren „Klaſſen zu lindern, ſind nur lokaler Natur und „machen für die Bewohner eines großen Landes im „Verhältniß zum Verbrauch nur wenig aus; es giebt „nur ein nachhaltiges Mittel für die weiteſten Kreiſe, „was darin beſteht, daß das feingemahlene Korn un— „gebeutelt, d. h. das Mehl mit der Kleie zu Brod „verbacken und der ganze im Korn vorhandene Nahrungs- „ſtoff dem Menſchen zugewendet wird).“ Von dem einſeitigen Standpunkt des Chemikers iſt dieſe Anſicht gewiß berechtigt. Es iſt unbeſtritten, daß die Kleie mehr eiweißartigen Stoff, mehr Fett und mehr Salze enthält als gebeuteltes Mehl. Auch Kekulé hat wenigſtens für das Fett und die Salze Zahlen gefunden, die mit den Angaben Millon's ſehr nahe übereinſtimmen. Und ich kann durchaus nicht mit Péligot zugeben, daß der Zuſatz der Kleie e 565 eben wegen des reichlichen Fettgehalts bei der Be— reitung des Brodes nachtheilig wäre, indem daraus ein minder ſchön ausſehendes Brod hervorginge; denn das Ausſehen des Brodes kann keinen weſent— lichen Nachtheil bedingen, abgeſehen davon, daß, wie Mouries gelehrt hat, auch bei der Benützung der Kleie die braune Färbung verhütet werden kann, wenn man eine eigenthümliche Hefe, die in der Kleie vorkommt), unſchädlich macht. Aber von Seiten des Lebens läßt ſich gegen die ſtete Vermiſchung der Kleie mit dem Mehl oder richtiger gegen den alleinigen Gebrauch von ungebeuteltem Mehl ein ſehr wichtiger Einwurf erheben: Brod, das aus ungebeuteltem Mehl gebacken iſt, wird wegen ſeines größeren Gehalts an beinahe unlöslichem JZellſtoff nur von kräftigen Verdauungswerkzeugen gehörig ver— daut. Der Zellſtoff geht ungelöſt mit dem Koth ab und, was ſchlimmer iſt, bei reizbaren Menſchen, bei Frauen, Kindern, Greiſen, zumal in den weniger kräftigen Ständen, erzeugt der Reiz, den der Zellſtoff auf die Schleimhaut des Darms ausübt, ſehr leicht Durchfall. Es iſt alſo erſtlich die ausnahmsloſe Be— nützung des ungebeutelten Mehls keineswegs frei von allem Schaden. ) Cerealin. 566 Nun iſt es aber zweitens gar keine Erſparniß, wenn man einen für Menſchen ſchwerer verdaulichen Stoff den Thieren entzieht, um ihn nur den Menſchen darzureichen. Und es iſt durchaus ungerechtfertigt, wenn Millon behauptet, daß er durch die Kleie Frankreich bereichern könne, ohne alle Koſten des Ackerbaues und ohne einer andern Frucht auch nur einen Zoll breit des Bodens zu rauben. Wenn wir die Kleie als Ab— fall den Thieren reichen, dann wird kein Gran des Stoffs vergeudet, im Gegentheil, wir überweiſen nur den Thieren eine Thätigkeit, die den ſchwerer ver— daulichen Kleber in Eiweiß und Faſerſtoffbildner des Bluts, den für Menſchen beinahe ganz unverdaulichen Zellſtoff in Fett verwandelt. Wir erhalten den Stoff als Fleiſch und Milch mit Zinſen zurück, indem wir uns eine Arbeit erſparen, die viel nützlicher nach einer andern Seite hin gerichtet wird. Durch Eiweiß und Fett wird der Arm unmittelbar geſtählt und das Hirn gekräftigt. Wir ſetzen unmittelbar in Händearbeit und Gedanken um, was ſonſt bei der Verdauung noch einen langen Aufwand an Kraft erfordern würde. Giebt man den ſchwachen Verdauungswerkzeugen der Greiſe Kleienbrod, dann ſpart man ebenſo wenig, wie wenn man dem Menſchen unmittelbar Kohlen— ſäure, Ammoniak und Waſſer reichen wollte, ſtatt ſie von den Pflanzen erſt in Eiweiß, Zucker und Fett 567 verwandeln zu laſſen. Die ſchwache Verdauung des Greiſes iſt nicht im Stande, die Kleie zur Blutbildung zu verwenden. Entzieht man den Thieren den Theil der Kleie, der ihnen gewöhnlich zugewieſen wird, dann ſind wir unmittelbar genöthigt, nützlichen Feldfrüchten den Boden zu rauben, und zwar ſchlimm genug dem Weizen ſelbſt. Denn das Gewicht an Nahrungsſtoff, das in der Kleie dem Thiere verloren geht, müſſen wir durch andere Futterkräuter erſetzen. Ich frage aber, ob es ein Vortheil iſt, wenn wir den Ertrag des Weizens vermindern müſſen, um mehr Raum für Futterkräuter zu gewinnen, und ob wir nicht viel beſſer auf einem Felde Getreideſamen ziehen, die im gebeutelten Mehl den Menſchen mit einem ausge— zeichneten Nahrungsmittel verſorgen, während der Abfall, die Kleie, den Thieren und durch dieſe in der allervortheilhafteſten Weiſe mittelbar den Menſchen zu Gute kommt? Für Zeiten der Noth muß ſich das Urtheil anders geſtalten, und man kann Liebig nur beiſtimmen, wenn er ſagt: „Als Zuſatz zum Mehl hat die Kleie „in Zeiten des Mangels einen weit höheren Werth „und iſt durch feinen andern Nahrungsſtoff erſetzbar“).“ Die Noth lehrt beten. In Zeiten, in welchen der *) Liebig, ebendaſelbſt, S. 595. 568 Erzeugung und der Benützung von Vorräthen kein Hinderniß im Wege ſteht, wäre es durchaus verwerf— lich, wenn man nach Millon's Vorſchlag nur Kleien— brod backen wollte. Weil die Kartoffeln zehn bis zwanzigmal mehr Fettbildner als Eiweiß enthalten, während das Blut mehr als fünfzigmal ſoviel eiweißartige Stoffe als Fett enthält, weil die Kartoffeln kaum ein Fünfzehntel der Menge des Eiweißes führen, die im Blute regel— mäßig vorkommt, iſt der in neuerer Zeit ſo häufig vorkommende Ausfall der Kartoffelernte nicht ſo ſchwer zu beklagen, wenn man ſtatt der Kartoffeln vernünftig gewählte Stellvertreter baut. Die Chineſen, Malayen, Perſer, Araber und Aegypter genießen ſtatt ihrer den Reis, die Bewohner der warmen Gegenden Amerikas, der Neger auf Su— rinam z. B., die Bananen, die Früchte des Bananen— Piſangs, Musa paradisiaca und Musa sapientum. Der Reis enthält zwar etwas mehr Eiweiß als die Kartoffeln, das Mehl der Bananen dagegen beträchtlich weniger (Mulder). In beiden, in Reis und Pijang- früchten, herrſchen die Fettbildner über das Eiweiß in ungeheurem Maaße vor; ſie enthalten Eiweiß oder eiweißähnliche Körper in ſo geringer Menge, daß wir es nicht bedauern dürfen, wenn wir dem Armen die Kartoffeln durch jene tropiſchen Erzeugniſſe nicht er⸗ 569 ſetzen können. Franzöſiſche Reiſende haben vor Kurzem andere Pflanzen als Stellvertreter der Kartoffeln empfohlen. Verreaux lobt die Knollen eines trüffel— artigen Gewächſes, die im Innern von Afrika unter dem Namen native bread bekannt ſind. Boſe ſah in Carolina, Trécul in Miſſouri die Wurzeln von Glycine Apios oder Apios tuberosa als Kartoffeln genießen. Man hat dieſe Wurzeln nach Frankreich übergepflanzt. Payen fand ihre Zuſammenſetzung den Kartoffeln höchſt ähnlich; nur iſt die neue Wurzel beinahe dreimal ſo reich an eiweißartigen Stoffen als die Kartoffeln. Noch reicher an Eiweiß fand Mulder die Knollen von Ullico tuberosus, einer Pflanze, die man in Holland und anderwärts ſtatt der Kartoffeln zu bauen verſucht hat. Und aus ähnlichen Gründen empfiehlt Decaisne die chineſiſche Batate (Dioscorea Batatas), in welcher Fremy einen klebrigen Eiweiß— körper vorfand, der das Mehl dieſer Wurzel zum Brodbacken verwendbar machen könnte. Aber alle dieſe Thatſachen können nur beweiſen, daß es beſſere Nahrungsmittel giebt als die Kartoffeln. Zu ſuchen braucht man dieſe beſſeren Nahrungs- mittel wahrhaftig nicht, viel weniger koſtbare Reiſen zu dem Zweck zu unternehmen und mühſam neue Pflanzungen einzuführen. Blühen doch Erbſen, Bohnen und Linſen vor unſren Augen. Erbſen, Bohnen und 570 Linſen enthalten annähernd ſoviel Eiweiß (Erbjenftoff) wie unſer Blut, ſie enthalten zwei bis dreimal ſoviel Fettbildner als Erbſenſtoff und die Blutſalze in reich— licher Menge. Trotz dem höheren Preiſe und der koſtſpieligeren Bereitung ſind Erbſen, Bohnen und Linſen billiger als Kartoffeln. Sie ſind im Stande, gut gemiſchtes Blut zu erzeugen, Hirn und Muskeln zu kräftigen. Kartoffeln können dies nicht. Erbſen, Bohnen und Linſen werden durch ihre Nahrhaftigkeit um ſoviel billiger als Kartoffeln, wie Eiſen billiger iſt als Holz, wenn es ſich um Schienen für unſre Dampfwagen handelt. Erbſen, Bohnen und Linſen geben Kraft zur Arbeit, ſie verdienen ſich ſelbſt, während eine anhaltende Kartoffeldiät unfehlbar Schwäche und Siechthum nach ſich zieht. Wer vier— zehn Tage im wörtlichſten Sinne von nichts als Kartoffeln lebt, wird nicht mehr im Stande ſein, ſich ſeine Kartoffeln ſelbſt zu verdienen. Im Jahre 1850 habe ich den Alkohol eine Spar— büchſe genannt“). Seitdem iſt oft von Sparmitteln ) Jac. Moleſchott, Lehre der Nahrungsmittel für das Volk, erſte Ausgabe, Erlangen 1850, S. 155: „Der Alkohol iſt eine Sparbüchſe, wenn man den Ausdruck verſtehen will. Wer wenig ißt und mäßig Alkohol trinkt, behält ſo viel im Blut und in den Geweben, wie Jemand, der in entſprechendem Verhältniſſe mehr ißt, ohne Bier, Wein oder Branntwein zu trinken.“ 571 die Rede in dem Sinne, daß gewiſſe Speiſen oder Getränke, ohne daß ſie ſelbſt das Blut mit ſeinen weſentlichen Beſtandtheilen verſorgen, zu magerer Diät befähigen ſollen, indem ſie die Menge der Ausſchei— dungen verringern. So behauptet Gasparin, daß die Minenarbeiter zu Charleroi in Belgien nur etwa zwei Drittel von dem Gewicht, welches ſonſt ein er— wachſener Mann an Eiweißkörpern zu ſich nimmt, genießen. Dieſe Arbeiter ſollen aber ſehr viel Kaffee trinken, und nach Böcker's Verſuchen werde in Folge des Kaffeegenuſſes viel weniger Harnſtoff ausgeſchieden. „Wir wiſſen überhaupt“, ſagt Gasparin, „wie mäßig „die Völker ſind, die viel Kaffee trinken. Die er— „ſtaunlichen Faſten der Karavanen, die karge Diät „der Araber unterjtügen mit dem Anſehen alter Er— „fahrung die Wirkungen, welche man jenem Getränke „zuſchreiben kann; und die Austheilung von Kaffee „an unſre Truppen auf den ermüdenden Feldzügen „Algeriens wird als eines der beſten Mittel betrachtet, „um zu den Strapatzen des Krieges zu befähigen.“ Abbadie iſt ſchon gegen die von Gasparin aus einſeitiger Beobachtung gemachten Folgerungen auf— getreten. Nach Abbadie ertragen die Wahabis, die Proteſtanten des Islam, die aus religiöſer Ueber— zeugung keinen Kaffee genießen, ihre Faſten ebenſo leicht wie diejenigen Muſelmänner, welche Kaffee 572 trinken. In Abyſſinien aber, wo die Mohammedaner täglich wiederholt Kaffee zu ſich nehmen, ſollen dieſen die Faſten beſchwerlicher ſein als den Chriſten. Da— zu kommt, daß die Angabe Böcker's, die durch zahl— reiche Verſuche von Julius Lehmann erhärtet ſchien, von Hoppe-Seyler nicht beſtätigt worden iſt“). Prouſt und Smith haben allerdings gefunden, daß ſtarker Thee die Menge der Kohlenſäure, die wir ausathmen, vermindert. Aber ſelbſt wenn dieſe Erfahrung auf den Kaffee Anwendung finden ſollte, könnte man den— noch den Kaffee wohl als ein Sparmittel der Gewebe, nicht aber als ein Sparmittel für den Beutel be— trachten. Sparmittel für den Beutel ſind überhaupt nur nahrhafte Nahrungsmittel, d. h. ſolche Speiſen und Getränke, die in richtigem Verhältniß dem Blute ſeine weſentlichen Beſtandtheile zuführen. Daher erweiſt es ſich als Klugheit für den Arbeit— geber und als ein Recht des Arbeiters, daß in der Nahrung Fleiſch und gutes Brod nicht fehlen. Wäh— rend die Arbeiter in den Schmieden des Departements Tarn mit Pflanzenkoſt ernährt wurden, verloren ſie durchſchnittlich fünfzehn Tage des Jahrs durch Hunger und Krankheit. Als im Jahr 1833 durch Talabot Fleiſch als ein weſentlicher Theil der Nahrung ein- geführt wurde, verbeſſerte ſich der Geſundheitszuſtand *) Vgl. Band I, S. 468. 573 in dem Grade, daß jeder Arbeiter, ſtatt fünfzehn, im Durchſchnitt nur noch drei Tage im Jahr für die Arbeit verlor. Jeder Arbeiter gewann demnach zwölf Tage im Jahre, was für Millionen Arbeiter einen unermeßlichen Gewinn herausſtellt. ö Es verdient deshalb die dankbarſte Anerkennung, daß Liebig durch ſeine ſchönen Unterſuchungen über das Fleiſch die Aufmerkſamkeit aller Menſchenfreunde in ſo nachdrücklicher Weiſe der von Parmentier und Prouſt empfohlenen Bereitung eines guten Fleiſch— auszuges zugewendet hat. Durch Bereitung des Fleiſch— auszuges wird es möglich, einen Theil — allerdings nicht den weſentlichſten — der Vorzüge des Fleiſches auch da zugänglich zu machen, wo der Preis des Fleiſches veranlaßt, daß der Arbeiter ſich dasſelbe durch Branntwein zu erſetzen ſucht. „In Podolien, „in Buenos Ayres, in Mexico, in Auſtralien, in vielen „Gegenden der Vereinigten Staaten Nordamerikas, wo „das Rindfleiſch oder das Fleiſch von Schafen kaum „einen Werth beſitzt, ließen ſich mit den einfachſten „Mitteln die größten Quantitäten des beſten Fleiſch— „extractes ſammeln, deſſen Zufuhr für die kartoffel— „eſſende Bevölkerung Europas vielleicht eine ganz be— „ſondere Bedeutung gewinnen dürfte“ (Liebig). James King ſchreibt an Liebig, daß in Neu-Süd— Wales das allerbeſte Ochſenfleiſch nicht über andert— 574 halb Kreuzer das Pfund koſtet. Das Fleisch wird dort zur Gewinnung des Fetts ausgekocht; der nahr— hafte Theil des Fleiſches wird als Abfall weggeworfen. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts waren Kuchen von gallertig eingekochter Fleiſchbrühe bei der engliſchen Seemacht ein ſehr gebräuchlicher und ſtändiger Artikel. Ein bis zwei Loth dieſer Gallertkuchen, die vorzugsweiſe aus friſchem Fleiſch, beſonders aus Rind— fleiſch gewonnen waren, wurden in Waſſer oder in Erbſenſuppe zerlaſſen, auch wohl zum Frühſtück mit Weizengraupen oder Habermehl vermiſcht; ſie gaben für eine Perſon ein kräftiges Gericht. In Texas, wo das Fleich gleichfalls ſehr billig iſt, hat Gail Borden in der allerneueſten Zeit eine Fabrik von Fleiſchzwieback errichtet. Das Fleiſch wird längere Zeit gekocht, die erhaltene Flüſſigkeit gehörig ein— gedampft, dann mit Weizenmehl vermiſcht zu einem Teig verarbeitet, der in Zwiebackform geſchnitten und bei mäßiger Hitze gebacken wird. Nach den bisherigen Erfahrungen hält ſich der Fleiſchzwieback achtzehn Monate unverſehrt, und höchſt wahrſcheinlich viel länger. Man hat denſelben um das Kap Horn und durch die Ebene nach Californien verſandt, und er kam gut erhalten zurück. Offenbar liegt hier ein Nahrungsmittel vor, das in hohem Grade die Vor— theile von Fleiſch und Brod in ſich vereinigt. Die 575 eingedickte Fleiſchbrühe enthält die in Waſſer löslichen Stoffe des Fleiſches, namentlich die Salze, ferner etwas Leim und Oxyde der eiweißartigen Körper, die beim Kochen des Eiweißes und der Fleiſchfaſer ent— ſtehen und auch im Blute vorkommen. Da jedoch in der Fleiſchbrühe die Menge des eiweißartigen Stoffs verhältnißmäßig gering iſt, ſo werden die Vorzüge ihrer anorganiſchen und ſchmackhaften Beſtandtheile durch den eiweißähnlichen Kleber des Weizenmehls in vortrefflicher Weiſe ergänzt. Es ſteht zu hoffen, daß das Beiſpiel jener Fabrik in Texas bald auch an anderen Stellen in Amerika und namentlich in Au— ſtralien Nachahmung finden wird. Man hat es von jeher als einen Vortheil be— trachtet, wenn ein Volk, das einem anderen Lebens— bedürfniſſe abkaufen muß, ſtatt mit Geld, mit Natur— erzeugniſſen zu bezahlen im Stande iſt. Bedenkt man, daß jeder Menſch aus ſeinem Körper täglich ſo viel, und gerade die Grundſtoffe entfernt, die er in gleicher Art und Menge, nur in anderer Verbindung, in vier— undzwanzig Stunden der Außenwelt entnehmen muß, ſo iſt es klar, daß die Wiſſenſchaft noch Unmeßliches zu leiſten im Stande iſt, um der Armuth durch richtige Vertheilung des Stoffes vorzubeugen. Es gilt nur den Stoff, der bei hundert und tauſend Gelegenheiten als Abfall zwar nicht verloren geht, aber ſich auf 576 Umwege verirrt, in der vortheilhafteſten Weiſe zu ſammeln und auf dem kürzeſten Wege dahin zu lenken, wo er die mächtigſte Wirkung zu entfalten vermag. Kein Jahr verſtreicht, das nicht in dieſer Richtung durch neue Forſchungen bedeutende Fortſchritte brächte. So haben wir von Chevandier gelernt, daß ein Gemenge von Kalk und Schwefelcalcium auf Wald und Wieſen den vortheilhafteſten Einfluß übt. Jenes Gemenge fällt bei der Fabrikation von Kali- und Natronſalzen durch Zerſetzung ſchwefelſaurer Salze ab, und der Abfall, der ſich in wahren Hügeln auf— thürmt, wird in Marſeille zum Beiſpiel an den See— ſtrand geworfen, wo er das Waſſer verdirbt. Durch Benützung dieſes Düngers könnten nicht nur an Ort und Stelle Wieſen und Waldungen gewinnen, ſondern er könnte noch überdies zu einem vortheilhaften Handels⸗ gegenſtand werden, da die Beförderung übers Meer ſo wenig koſtet. Wie Marſeille, ſo ſind auch Liver— pool, Glasgow und Newceaſtle durch ihre großartigen Sodafabriken bekannt. In dieſer zeitgemäßen Ausbeutung des Wiſſens für das Leben liegt unſtreitig eine der mächtigſten Stützen, die man der Sittlichkeit gewähren kann. Für unſre Bildungszuſtände muß die Achtung vor dem Eigenthum in umgekehrtem Verhältniß ſtehen zu dem Bedürfniß, das den Einzelnen zum Stehlen treibt. 577 Ich habe bei einer früheren Gelegenheit den Nutzen bezeichnet, den die Nordländer vom Branntwein haben, der ihnen unmittelbar durch ſeine Verbrennung und mittelbar durch Erſparung des Fetts zur Wärmequelle wird. Iſt es da nicht ein merkwürdiger Zug, daß der Kamtſchadale, der ſonſt zum Stehlen nicht geneigt iſt, Branntwein ſtiehlt und nachher das offenherzige Geſtändniß ablegt, er habe nicht anders gekonnt, während man den Hottentotten, die nach Kolben Wein und Branntwein bei der Niederlaſſung der Holländer am Kap ganz ungemein liebten, geiſtige, Getränke ruhig anvertrauen konnte? Theilungen, die darauf ausgehen ſollten, alle Unterſchiede auszugleichen, ſind Unſinn und Thorheit, weil ſie nach der innerſten Natur des Menſchen un- möglich ſind. Und was dieſer Natur widerſpricht, iſt ſelbſtverſtändlich im Streit mit den werkthätigen Forderungen des Staats. Aber auch eine vernünftigere Theilung des Beſitzes, bei der es dem Einen nicht verwehrt iſt, ſich nähren und reinigen zu können, wenn er nur arbeiten will, während der Andere viel— leicht gerade an ſeinem Ueberfluſſe darbt, iſt wohl nur ſehr allmälig durch Veränderungen in den Erbſchafts— verhältniſſen anzubahnen, zu denen uns die beſonnenen Amerikaner nach Fröbel's Berichten ſchon lehrreiche Beiſpiele geben. Der Forſchung aber iſt eine ganz II. 37 578 unmittelbare Einwirkung möglich gemacht, wenn fie den Muth beſitzt, ihre Einſicht im Leben geltend zu machen. Unmittelbar iſt die Armuth nur ein Mangel an Stoff, der ſich mittelbar ausſpricht in dem Mangel an Geld. Ja, der Mangel an Geld wird in gewiſſem Sinne Nebenſache. Denn das iſt die großartigſte Folgerung, die wir aus der Unſterblichkeit des Stoffs und dem ewigen Kreislauf des an Stoff gebundenen Lebens abzuleiten haben, daß es an Stoff nicht fehlen kann, um Pflanzen, Thiere, Menſchen zu erhalten. Die Erde iſt überreich an den anorganiſchen Stoffen, die wir als die Werkzeuge der Organiſirung der Materie nicht entbehren können. Die Menge der Knochenerde und des Knorpelſalzes, der Muskelſalze und des Haar⸗ metalls, die Menge der Phosphorſäure in unſerer Erdrinde iſt ſo groß, daß gewiß noch mehr als doppelt ſoviel übrig bleiben würde, wenn aller Stickſtoff, aller Kohlenſtoff und Waſſerſtoff organiſche Miſchung und dadurch organiſirte Formen angenommen hätten. Weil aber jedes Thier eine Quelle von Pflanzennahrung iſt und jede Pflanze die Blutbildner der Thiere enthält, ſo iſt es klar, daß weder die Pflanzen die Thiere, noch dieſe jene verdrängen können. Iſt es nicht eine ganz nothwendige Folgerung, daß die Wiſſenſchaft einmal dahin kommen muß, eine 579 Vertheilung des Stoffs zu lehren, bei welcher Armuth in dem Sinne eines unbefriedigten Bedürfniſſes un— möglich wird? Die Salze ſind in überreichlicher Menge gegeben. Wir brauchen ſie nur aus dem Eingeweide der Erde hervorzuwühlen, das ganze Adern von Knochen— ſtein enthält. Die organiſchen Verbindungen, Eiweiß, Fett und Zucker, ſind ewig, weil ſie die Pflanze aus einfachen Verbindungen bereitet, die ſelbſt ewig ſind, indem das Thier Eiweiß, Fett und Zucker nur ver— zehrt, um ſie in der Geſtalt von Ammoniak, von Kohlenſäure und Waſſer der Pflanzenwelt neu dar— zubieten. Darum iſt es auch der Forſcher heiligſte Pflicht, daß ſie Aecker und Aecker, Blut und Blut, Steine, Pflanzen, Thiere zerlegen, um die Verhältniſſe der Vertheilung immer richtiger würdigen zu lernen. Nichts darf uns entmuthigen, nichts kann uns entmuthigen auf der Bahn, die uns als Wegweiſer und Meilen— zeiger überall Belohnungen hinſtellt, die uns nicht verdunkelt werden können, nicht durch den Zweifel der Unthätigen, nicht durch das Achſelzucken der gläubigen Schwärmer, die ſich einbilden, daß ſie die Kraft vom Stoffe trennen können, nicht durch die Ungeduld der Goldmacher, die das Ziel vor dem Wege finden wollen. Richtige Vertheilung des Stoffs, die müſſet Ihr lehren! So ruft mit Recht der Landwirth, ſo ruft der Arzt, II. 37* 580 jo ruft der Staatsmann, jo ruft der Arme, wenn er Einſicht hat in die Urſachen feines Entbehrens, feiner Leiden. Die Naturforſcher ſind die thätigſten Be— arbeiter der ſocialen Frage, die ſich durch Waffen in der Hand wohl als Bedürfniß kundgeben, als offene Frage verrathen, aber nie und nimmermehr wird be— antworten laſſen. Ihre Löſung liegt in der Hand des Naturforſchers, die von der Erfahrung der Sinne mit Sicherheit geleitet wird. Am Baum der Er— kenntniß wächſt das Bedürfniß, aber in dem Be- dürfniß keimt die Macht, die es befriedigt. Das Wiſſen iſt die unüberwindlichſte Macht, es iſt die Macht des Friedens. Erkenntniß iſt nicht bloß der höchſte Preis, ſie iſt auch die breiteſte Grundlage eines menſchenwürdigen Lebens. 581 XXI Rückblick und Ergebniß. „Sie hören nicht die folgenden Geſänge, Die Seelen, denen ich die erſten ſang, Zerſtoben iſt das freundliche Gedränge, Verklungen, ach! der erſte Wiederklang.“ Goethe, Fauſt, Zueignung. Als die erſte Ausgabe dieſes Buches erſchienen war — im Jahre 1852 —, hat ein in unſerem Sinne verewigter Freund, der als Forſcher ſeines Gleichen hatte, als Charakter aber unerreichbar daſtand, Emil Roß mäßler, mich wiederholt aufgefordert, ich möchte, einem größeren Leſerkreiſe zu lieb, die Gedanken aus ihrer thatſächlichen Hülle löſen und in einer beſonderen Schrift herausgeben. Ich habe mich nie dazu ent— ſchließen können, ſo hoch das Anſehen des Freundes auch für mich ſein mochte, weil die Thatſachen nicht bloß das Kleid, ſondern auch den Grund bildeten, auf welchem die Gedanken und Anſchauungen ſich wie Schlußfolgerungen entwickeln. 582 Wenn ich es heute wage, die Sätze zuſammen— zuſtellen, die mir jenem Kern zu entſprechen ſcheinen, den Roßmäßler im Sinne hatte, ſo geſchieht es nicht in der Abſicht, dem Leſer, der mir bis ans Ende gefolgt iſt, den Ueberblick zu erleichtern oder gar ihm die Grundgedanken wie ein Syſtem vor Augen zu führen, viel weniger noch um Anderen das Leſen des ganzen Buches zu erſparen. Es war mir vielmehr darum zu thun, im Zuſammenhang mein Streben zu prüfen und die Tragweite meiner Anſichten zu vertreten, zugleich aber ſie vor der Entſtellung zu bewahren, die ihnen nicht erſpart geblieben iſt. Ich will es verſuchen, dieſes Ziel zu erreichen, indem ich in loſen Sätzen, ſo oft als möglich dem urſprünglichen Wortlaut getreu, meinen Gedanken⸗ gang hier entwickle. Forſchung ſchließt Offenbarung aus. Offenbarung und Erkenntniß verhalten ſich wie Dichtung und Wahrheit; jene erräth wo dieſe er— gründet. Die Wahrheit aber kann nur der Natur und ihrem Walten abgelauſcht werden. 583 Alle Erkenntniß ſtammt von den Sinnen. Es iſt in unſerem Verſtande nichts, was nicht einge— gangen wäre durch das Thor unſerer Sinne. Die Geſchichte der menſchlichen Bildung iſt die Entwicklungsgeſchichte der menſchlichen Sinne. Der Menſch iſt das Maaß aller Dinge für den Menſchen. In der Natur, wie in der Welt des Sittlichen und des Schönen, die ihr Spiegel oder ihr Ausfluß ſind, iſt das Geſetz nur durch Erfahrung zu finden. Wer das Geſetz erklärt, führt die Erzählung weiter zurück. Erklären heißt erzählen. Die Er- klärung iſt richtig, wenn die eine Erzählung zur andern ſtimmt. Wenn alle Geſetze erzählt ſind, ohne daß Ein Widerſpruch zurückbleibt, dann iſt die Welt dem Menſchen erklärt. Alles Sein iſt ein Sein durch Eigenſchaften. Aber es giebt keine Eigenſchaft, die nicht bloß durch ein Verhältniß beſteht. 584 Das Weſen der Dinge iſt die Summe ihrer Eigenſchaften, und das Weſen aller Eigenſchaften iſt die Kraft. Die Kraft iſt kein ſtoßender Gott, kein von der ſtofflichen Grundlage getrenntes Weſen der Dinge, fie ift des Stoffes unzertrennliche, ihm von Ewigkeit innewohnende Eigenſchaft. Miſchung, Form und Kraft der Körper können ſich nur gleichzeitig verändern. Miſchung, Form und Kraft ſind unzertrennliche Merkmale des Stoffs, von denen jedes Glied die beiden anderen mit Nothwendigkeit bedingt. „In einem Syſteme, wo alles wechſelſeitig an— zieht und angezogen wird, kann nichts verloren gehen; die Menge des vorhandenen Stoffs bleibt immer die— ſelbe.“ Georg Forſter. Wechſel von Stoff und Form in den einzelnen Theilen, während die Grundgeſtalt dieſelbe bleibt, iſt das Geheimniß des thieriſchen Lebens. >) je) ou Ohne Stoffwechſel kein Leben. Kohlenſäure, Waſſer und Sauerſtoff ſind die Mächte, die auch den feſteſten Felſen zerlegen und in den Fluß bringen, deſſen Strömung das Leben erzeugt. Die Pflanze bringt Luft und Erde in organiſche Formen. Ohne die anorganiſchen Beſtandtheile des Bodens iſt die Bildung der organiſchen Grundlage von Blatt und Stengel eine Unmöglichkeit. Jene anorganiſchen Beſtandtheile ſind die Werkzeuge, welche die organiſchen Stoffe verbinden zu Pflanzen und Thieren, die den Erdball beleben. Beim Thier und bei der Pflanze ſind Art und Gattung, wie die Entwicklung der einzelnen Gewebe, an die Aufnahme ganz beſtimmter Salze mit Noth— wendigkeit gebunden. In der harten Erdkruſte ſind die erſten Beding— 586 ungen gegeben für die Mannigfaltigkeit der Bewohner unſeres Weltkörpers. Der Boden iſt der erſte der großen irdiſchen Ein— flüſſe, nach denen ſich Pflanzen, Thiere, Menſchen richten. Verſchiedene Pflanzenarten erfordern beſtimmte Mineralbeſtandtheile im Acker, die, wenn ſie fehlen, durch die Kunſt ergänzt werden müſſen. Die Pflanzen können unter Umſtänden ausſchließ⸗ lich von anorganiſchen Stoffen leben. Je mehr aber eine Pflanze Eiweiß erzeugt, deſto nützlicher find ihr die organischen Säuren der Damme erde, zumal wenn ſie an Ammoniak gebunden ſind. „Die Pflanzenfreſſer genießen ähnliche Nahrung wie die Fleiſchfreſſer; ſie genießen beide Eiweißſtoff, jene von Pflanzen, dieſe von Thieren; der Eiweißſtoff iſt aber für beide gleich.“ G. J. Mulder 1838. Durch die Fähigkeit der Pflanzen, aus Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer, mit Hülfe einiger Salze, Ei⸗ weiß d. h. den Körper zu bereiten, der auf der höchſten 587 Stufe organiſcher Miſchung ſteht, wird der Luftgürtel, der unſere Erde umgiebt, immer neu in den Kreis des irdiſchen Lebens gezogen. Aus Kohlenſäure, Ammoniak und Waſſer, nebſt einem ſchwefelſauren Salze, bilden die Pflanzen Eiweiß, aus Kohlenſäure und Waſſer Zellſtoff und Stärkemehl, aus Stärkemehl Fett. Eiweiß, Zucker und Fett ſind die wichtigſten or— ganiſchen Nahrungsſtoffe der Thiere. Thiere und Menſchen können mittelſt der Pflanzen aus Kohlen- ſäure, Ammoniak und Waſſer nebſt einigen Salzen des Bodens hervorgehen. Zu einem vollkommenen Nahrungsmittel gehören Eiweiß, Zucker, Fett, Salze und Waſſer. Die Nahrungsſtoffe aufzulöſen oder durch feine Zertheilung beweglich zu machen, und, wenn ſie nicht mit den Stoffen des Bluts übereinſtimmen, in Blut- beſtandtheile zu verwandeln, das iſt der ganze Um— fang der Verdauung. Aus der Nahrung wird Blut, aus Blut werden 588 Gewebe: Muskeln, Knochen, Knorpel, Hirn und Nerven, kurz alle feſten Theile des Körpers. Die Entwicklung der Stoffe, die für die Gewebe— bildung am wichtigſten ſind, iſt durch eine langſame Verbrennung bedingt. Das Blut läßt ſich für die Gewebe mit den in der Ackererde gelöſten Stoffen für die Pflanzenwurzel vergleichen. Durch die Eigenthümlichkeit der ſtofflichen Miſchung ſind die Formen der Gewebe bedingt. Der Form und Miſchung entſprechen alle anderen Eigenſchaften. Nirgends beſteht ein eigentlicher Gegenſatz zwiſchen Werden und Vergehen, es iſt vielmehr immer das eine durch das andere bedingt, der Uebergang des einen in das andere ein ſo allmäliger, daß auch die feinſte Berechnung der kleinſten Umwandlungen dem Fluſſe der Erſcheinungen keine Unterbrechung ab— gewinnen kann. 589 Auf ähnlichen Wegen, wie fie in der Werkſtatt des Scheidekünſtlers und bei der Verweſung und Fäul— niß die organiſchen Stoffe zum Zerfallen führen, werden ähnliche Endſtufen im lebenden Körper erreicht. Was aber auf dieſen Endſtufen geworden iſt, das wird als Schlacke aus dem Körper ausgeworfen. Nicht nur die letzten Erzeugniſſe des Zerfalls, auch die unentbehrlichſten Beſtandtheile unſerer Ge— webe ſind ein mittelbares oder unmittelbares Ergebniß der Aufnahme von Sauerſtoff ins Blut, welche das Weſen des Athmens bezeichnet. Das Athmen erfolgt in den Geweben; die Lungen ſind nur die Wechſelbank. Die Aufnahme des Sauerſtoffs iſt eine Macht der Entwicklung und erſt nachher in immer fort— ſchreitender Einwirkung ein Hebel des Zerfallens. Der Sauerſtoff ſpielt erſt die Rolle eines Baumeiſters, welcher die formloſen Baumittel, die das Blutwaſſer enthält, in beſtimmte Geſtalten, in Formbeſtandtheile, alſo das Blut in Gewebe und Werkzeuge umwandelt. Aber derſelbe Sauerſtoff bricht immer wieder ab, was er gebaut hat. Rückbildung und Anbildung reichen 590 ſich fortwährend die Hand. Denn alle Entwicklung endigt mit der Auflöſung, die ſelbſt wieder zu neuer Entwicklung drängt. Das iſt der Kreislauf des Stoffs, den der Tod in den Dienſt des Lebens genommen. Faßt man die ganze organiſche Natur, die Welt der Pflanzen und Thiere gleichmäßig ins Auge, dann iſt die Entwicklung des Stoffs von den äußerſten Grenzen der einfachſten Verbindungen bis hinauf zu den Blutbeſtandtheilen der Thiere auf eine Ver— armung an Sauerſtoff gegründet. Indem die Pflanze Kohlenſäure und Waſſer in Zellſtoff, Gummi, Stärfe- mehl verwandelt, ſcheidet ſie Sauerſtoff aus. Aus Zellſtoff können die Holzſtoffe nicht hervorgehen, ohne daß von Neuem Sauerſtoff frei wird. Bildung von Fett und Wachs iſt nicht möglich ohne Ausſcheidung von Sauerſtoff, und der Kork kann hinwiederum aus Zellſtoff nur durch eine Entbindung von Sauerſtoff entſtehen. Wenn die Wieſe grünt, die Palme ihre breite Blätterkrone entfaltet, das Holz der Eichen ſich härtet, wenn die Kartoffel ihre Schale bildet, in der Ent— ſtehung des Pfirſichkerns wie beim Altern des Waldes, immer wird der Stoff an Sauerſtoff verarmt, der die Oberfläche der Pflanze erreicht, um im Lichte 591 ausgehaucht zu werden. Es iſt die ſtoffliche Gewalt des Lichts, welche unſere glänzendſten Früchte an ihrer äußerſten Oberfläche mit Wachs bekleidet und Pflaumen und Pfirſiche mit ihrem duftigen Reif überzieht. Inſofern die Pflanze anorganiſche Beſtandtheile des Luftgürtels organiſirt und im Lichte Sauerſtoff ausſcheidet, liefert ſie den Thieren nicht bloß einen unerſchöpflichen Vorrath an Spannkraft, ſondern auch das Mittel die Spannkraftträger in lebendige Kraft zu verwandeln. Schnelligkeit des Stoffwechſels iſt ein Maaß des Lebens. Alle organiſchen Stoffe, die dem Thierkörper einverleibt werden, fallen in dieſem einer langſamen Verbrennung anheim, als deren Haupterzeugniſſe Waſſer, Kohlenſäure und Harnſtoff aus dem Körper ausgeſchieden werden. Dieſe Verbrennung geht, wie überall, mit Wärmebildung einher, und die gebildete Wärme iſt die einzige Kraft, die im Körper entwickelt wird. Einen anſehnlichen Bruchtheil dieſer Kraft, ein Viertel etwa, ſetzen wir in Arbeit unſerer Hände oder unſeres Hirns um. Was übrig bleibt, verwenden 592 wir, um den Wärmegrad unſeres Körpers nahezu be— ſtändig zu erhalten. Denn wir erwärmen die Luft, die wir einathmen, die Speiſen und Getränke, die wir dem Magen zuführen, und wir verlieren bedeutende Wärmemengen durch Leitung und Strahlung, ſowie durch Verdunſtung von Waſſer in den Lungen und an der Oberfläche der Haut. Die Wärme, die wir erzeugen, deckt dieſe Verluſte und iſt das Maaß für die Kraft, die wir entwickeln. Da nun die Wärme ſtofflichen Urſprungs iſt, ſo entſpringen alle unſere Kräfte ſtofflicher Bewegung, und der Stoff regiert den Menſchen. In dem ſtofflichen Urſprung unſerer Kräfte gipfelt die Naturnothwendigkeit unſeres Daſeins. Unſere Bildung entquillt ruhig und ſicher unſerer Naturbedingtheit. Wir ſind langſam geworden, wie alles geworden iſt. Denn es iſt nichts erſchaffen, und ſelbſt das 593 Wort „natürliche Schöpfungsgeſchichte“ iſt nur einer vorläufigen Rückſicht auf moſaiſche und andere Sagen entſprungen. Der Ausdruck „Schöpfungsgeſchichte“ wird aus der Naturwiſſenſchaft verſchwinden, denn er iſt gegen die Natur. Der erſte Organismus iſt durch Urzeugung ge— bildet worden. Sowohl das omne vivum ex ovo, wie ſein Nach- klang omnis cellula e cellula ſind Irrlehren. Es wäre denkbar, daß es nie gelänge, den Vor— gang der Urzeugung auf dem Verſuchswege darzuthun, ja es wäre möglich, daß die Spanne eines Menſchen— lebens zu kurz dauerte, um fie auf dem Beobachtungs- weg zu erleben, ohne daß dies der oberſten Folgerung aller Erd- und Stammesgeſchichte Abbruch thäte, daß das Leben auf Erden einen Anfang gehabt, daß dieſer Anfang ein Entwicklungsproceß geweſen, daß der erſte, einfachſte Organismus durch Urzeugung ent— ſtanden iſt. Der Menſch war in der Stammesgeſchichte erſt Urzelle, dann Vollzelle, und nach und nach eine kleine einfache Zellengemeinde, Flimmerlarve, Urdarmthier, II. 38 594 Wurm, Rückenſtabsthier und darauf ein Verwandter des Lanzettthierchens, um in dieſer Geſtalt ſich zur Reihe der Wirbelthiere zu erheben. Innerhalb der Wirbelthierreihe führt das Lanzett— thierchen aufſteigend zu den Schleimfiſchen, Knorpel— fiſchen, Fiſchlurchen, ſodann zu den wahren Lurchen, und dieſe vermitteln den Fortſchritt zum Uram- nionthier. Aus dem Uramnionthier ward ein Gabler, eine Beutelratte, ein Aderkuchenthier, um innerhalb der Gruppe der mit letzterem Namen belegten höchſten Säugethiere nach und nach zu den Halbaffen, Affen, Menſchenaffen eine fortſchreitende Entwicklung zu er— leben, und endlich Menſch geworden, innerhalb des Menſchenthums ſich weiter bildend, hat der Menſch eine Stammesgeſchichte durchlebt, die dem ruhigen Betrachter eben ſo viel Geduld und Beſcheidenheit eingeben, als Befriedigung gewähren kann. Wie langſam dieſe Menſchwerdung vor ſich ge— gangen iſt, kann daraus am beſten bemeſſen werden, daß die Zeit, die verfloſſen iſt, ſeitdem der Menſch zum erſten Male auf der Erde erſchien, kaum den zweihundertſten Theil der ganzen Geſchichte unſerer Erdrinde ausmachen ſoll. Unſer Anfang war niedrig, und doch kaum nie— driger als der Erdenkloß der moſaiſchen Sage; die 595 Züge der einzelnen Geſchlechter verlieren ſich in die Dämmerung einer unbeſtimmten Vorzeit; die Ver— wandtſchaft muß oft der ſelbſtgefälligen Spiegelung in Aehnlichkeiten entſagen; der Nachkömmling den Urvater erkennen, obgleich die Mittelformen unbekannt ſind; die „Krone der Schöpfung“ muß ſich beſcheiden, eine Knoſpe am Stamm der Thierheit zu ſein, das Thier im Menſchen ehren, den Menſchenkeim im Thier bemitleiden; der Weiſeſte muß fühlen, daß nicht er die Welt zu lenken berufen iſt, ſondern daß in ihm die Weltſeele denkt und ſchafft. Und dennoch darf er ſich freuen, daß aus ſo beſcheidenem Urſprung, nach feſten ehernen Geſetzen, eine Bewußtſeinsſtufe erſtiegen wurde, die nicht weniger hoch iſt, weil ſie Vorſtufen hat, noch weniger feſt, weil ſie nach allen Seiten naturbedingt, naturverwandt, naturnothwendig iſt, nicht weniger leuchtend als eine Welle, die die Sonne beſcheint, nicht weniger vergänglich, aber eben ſo ſicher wiederkehrend, bis eben die Sonne die Erde beſcheinen wird. Das Einzelweſen durchläuft in ungeduldiger Haſt ſeine Keimesgeſchichte, und zwar nicht ohne Sprünge. Trotzdem fängt es mit einem kleinen Umweg an, in— dem die Vollzelle des Eies für kurze Zeit auf die Stufe einer kernloſen Urzelle zurückſinkt. Von dieſer geht es zu einer im höheren Grade lebensſchwangeren II. 38“ 596 Vollzelle, deren Inhalt durch feine Furchung jofort auf eine Sonderung der Arbeit hinweiſt. Die Zellen theilung führt zu einer Zellengemeinde, deren Bürger allſogleich in zwei Klaſſen geſchieden ſind. Aus der Zellgemeinde entwickelt ſich die Darm— larve. Aber eine Stufe, die ſich in ungezwungener Weiſe mit einem Wurm vergleichen ließe, wird in der Keimesgeſchichte nicht durchlaufen. Die Darm— larve wird Rückenſtabsthier, das in ſeinen verſchiedenen Entwicklungsformen nach einander an das Lanzett- thierchen, an einen Rundmäuler, einen Fiſch, ein Uramnionthier, einen Gabler erinnert, um ſchließlich zum Aderkuchenthier zu werden. So viele Aehnlichkeiten der Keimesgeſchichte mit der Stammesgeſchichte kann man zugeben, ohne dem Vergleich zu Liebe der Natur der Dinge Gewalt anzuthun. Aber die Sprünge ſind unverkennbar. Nicht bloß der Wurmzuſtand fehlt der Keimge— ſchichte des Menſchen, ſondern es iſt darin auch keine Entwicklungsform vorhanden, die mit den Doppel- athmern oder Fiſchlurchen, noch mit den Froſchlurchen verglichen werden könnte. Ebenſo fehlt gänzlich die Zwiſchenform der Beutelthiere. Es war alſo ein glücklicher Gedanke, als Häckel die Keimesgeſchichte, dem Inhalt wie der Zeit nach, eine verkürzte Stammes⸗ geſchichte nannte. 597 Glücklicher als mit den Verſuchen die Urzeugung zu verwirklichen, war die Wiſſenſchaft in ihren Be— mühungen, die urſprünglichen Bauſteine organiſcher Stoffe aus den Elementen künſtlich darzuſtellen. Ammoniak, Cyan, Kohlenſäure, ölbildendes Gas und Waſſer ſind einfache Verbindungen von Waſſerſtoff und Stickſtoff, von Stickſtoff und Kohlenſtoff, von Kohlenſtoff mit Sauerſtoff, von Waſſerſtoff und Kohlenſtoff, von Waſſerſtoff und Sauerſtoff, die aus den Grundſtoffen hergeleitet wurden und aus denen eine Unzahl zu— ſammengeſetzter organiſcher Verbindungen ſich hat ent— wickeln laſſen, die zu einer unüberſehbaren Reihe noch verwickelter gebauter organiſcher Körper führen wird, ohne daß es zu ihrem Aufbau der Dazwiſchenkunft eines Lebeweſens bedarf. Berthelot hat ölbildendes Gas mit Waſſer zu Alkohol verbunden, und nun haben wir Weingeiſt ohne Trauben, ohne Zucker und ohne Stärke— mehl, Weingeiſt aus Steinkohlen. Wenn aber die Pflanze leben kann von Kohlen- ſäure, Waſſer, Ammoniak und Salzen, wenn wir or— ganiſche Stoffe, ſtickſtoffhaltige und ſtickſtofffreie, Leim— zucker und Butterfett, den geſchwefelten Gallenpaarling und Oelſüß, Fleiſchſtoff und Neurin, Pferdeharnſäure und Harnſtoff ſo gut wie Phosphorglyeerinſäure, Weinſäure, Bernſteinſäure oder Kleeſäure, auf künſt— lichem Wege aus den Grundſtoffen darſtellen können, 598 dann iſt es grundſätzlich feſtgeſtellt, daß organische und organiſirte Stoffe aus anorganiſchen Grundſtoffen und anorganiſchen Verbindungen hervorgehen. Nun aber iſt die Kraft eine Eigenſchaft des Stoffs. Eine Kraft, die nicht an den Stoff gebunden wäre, die frei über dem Stoff ſchwebend ſich beliebig mit ihm verbinden könnte, iſt eine ganz leere Vorſtellung. Dem Stickſtoff, Kohlenſtoff, Waſſerſtoff und Sauer— ſtoff, dem Schwefel und Phosphor wohnen ihre Eigen— ſchaften von Ewigkeit ein. Alſo können ſich die Eigenſchaften des Stoffs, wenn er in die Zuſammenſetzung von Pflanzen und Thieren eingeht, nicht verändern. Die Annahme einer beſonderen Lebenskraft erweiſt ſich dadurch als völlig nichtig. Die Lebenskraft, wie das Leben, iſt nichts Anderes als das Ergebniß der verwickelt zuſammenwirkenden und ineinandergreifenden phyſiſchen und chemiſchen Kräfte. Die früheren Vorſtellungen von der Lebens— kraft laſſen ſich auf die tief wurzelnde Neigung des Menſchen zurückführen, ſich die Urſache einer Reihe von Erſcheinungen, deren Zuſammenhang ihm räthſelhaft blieb, in der Geſtalt einer Perſönlichkeit vorzuſtellen. Merkwürdig genug entſpringt die weſenloſeſte Tren— nung von Kraft und Stoff gerade dem Bedürfniß, ſich in den Wogen ſchwankender Erſcheinungen an dem 599 zum Steuermann verkörperten Bilde eines gemein— ſamen Grundes feſtzuhalten. Die leibhaftigſte Wirk— lichkeit und die weſenloſeſte Verflüchtigung entwachſen Einem Stamme. An keinem Theile des Körpers hat ſich die Ent— wicklung des Menſchen, baulich und ſtofflich, im Ver— gleich zu den Thieren höher und reicher entfaltet als am Gehirn, dem Gedankenwerkzeug. Und der Ausbau wird dadurch deutlich als höhere Entfaltung bezeichnet, daß die Entwicklung in der Keimgeſchichte derjenigen der Stammesgeſchichte leuchtend entſpricht. Kein Organ hat einen entſchiedeneren Sauerſtoff— bedarf als das Hirn, und ſeine Zellen werden vor— zugsweiſe reichlich mit Blut geſpeiſt. Kein anderes Hirn iſt ſo reich an Nervenzellen wie das Menſchenhirn. Es ſteht dem Hirn ſein Adel an die Stirn ge— geſchrieben. Des Menſchen Gehirn übertrifft dasjenige der Thiere im Reichthum an phosphorhaltigen Dotterfetten. Ohne Phosphor, ohne Fett, ohne Waſſer kein Gedanke. 600 Die Hirnzellen find Billionen kleinſter Werkſtätten zu vergleichen; fie werden beſtändig vom Blut genährt und erfriſcht, von klopfenden Blutgefäßchen erſchüttert, von einander in unabſehbarem Wechſel beeinflußt, an— geregt von allen Eindrücken, mit denen die Außenwelt auf unſere Sinne, auf unſeren Magen, unſere Lungen, unſer Blut einwirkt, gleichſam entladen, wenn ſie den Erfolg dieſer Eindrücke durch tauſendfache Bewegungen in die Außenwelt zurückſenden, empfangend und leidend, wirkend und gegenwirkend, raſtlos auch im Traume, ſtets erneut, und doch immer dieſelben, indem ſie eine Spur von den Einwirkungen der Außenwelt, von ihrem eigenen Wechſelweben, bis an des Lebens Ende erhalten. Wer den Riß zwiſchen Natur und Geiſt damit beglaubigen will, daß es nicht möglich ſei, die Er— zeugung eines Gedankens durch eine beſtimmte Be— wegung der Maſſentheilchen unſeres Hirns zu erklären, der vergißt, daß er ſeinen Nothſchrei dem innerſten Herzen der Naturerſcheinungen entlockt hat. Von der Lagerung der Maſſentheilchen in dem Eiſenſtab, den ein elektriſcher Strom magnetiſch macht, in dem Kupferdraht, den ein Magnet oder ein vorbei— fließender elektriſcher Strom elektriſch macht, von der 601 Molecularbewegung, die ſich zur Ablenkung der Magnet— nadel ſteigert, wiſſen wir vor der Hand nicht mehr, als wir von der jeweiligen Zuſtandsänderung eines Hirnes wiſſen, das ſinnt und denkt. f Wir beſchreiben die vielfältigen und mächtigen Wirkungen der elektriſch und magnetiſch machenden ſtofflichen Einflüſſe; wir hoffen den inneren Vorgang, die Umlagerung der kleinſten Maſſentheilchen dereinſt zu entdecken, aber für jetzt beſchreiben wir den Erfolg, ohne zu bezweifeln, daß die wirkenden Urſachen an Metalle und Flüſſigkeiten, an den Erdball und ſeine ſtofflichen Erzeugniſſe gebunden ſind, ohne magnetiſche oder elektriſche Geiſter zur Erklärung anzurufen. Im Grunde genommen ſind wir für das Gehirn noch beſſer daran, als für das magnetiſche Hufeiſen, das ſeinen Anker anzieht. Denn während das Eiſen, das magnetiſch wurde, außer ſeiner Anziehung für Eiſen keine Erſcheinung wahrnehmen läßt, die eine Umlagerung ſeiner Maſſentheilchen verriethe, wiſſen wir mit Beſtimmtheit Veränderungen anzugeben, die das Hirn, wenn es denkt, in ſich ſelber erleidet und ſonſt im Körper hervorruft. Zunächſt erfährt im Gehirn, ſowie es in Thätig— keit tritt, die Blutmenge eine Zunahme. Sodann wird das Hirn ſtärker ſauer, in ſeinem Mark wie in ſeiner Rinde. 602 Es wird in Folge geiftiger Arbeit mehr Harnftoff und mit dem Harn mehr Phosphorſäure und Schwefel— ſäure entleert. Die Wärme des Körpers wird geſteigert. Hunger erwacht. Wird ein Nerv gereizt, ſo wird er ſtofflich ver— ändert. Die Nerven pflanzen ſtoffliche Veränderungen zum Gehirne fort, und dieſe ſtofflichen Veränderungen werden im Hirn zu Empfindungen. Verſchiedene Formen der Hirnthätigkeit ertheilen den verſchiedenen ſtofflichen Bewegungsvorgängen des Körpers ihr Gepräge. Enthirnte Säugethiere ſehen, aber ſie ſchauen nicht, ſie hören ohne zu horchen, ſie fühlen ohne zu taſten und ſchmecken ohne zu koſten. Aus der Verbindung der ſinnlichen Wahrnehmungen, aus der gegenſeitigen Ergänzung der Sinne, aus Beobachtungen, die unter verſchiedenen Verhältniſſen, mit mannigfaltigen Hülfsmitteln angeſtellt werden, und vor Allem aus der Uebung der Sinne geht das richtige Urtheil hervor. Eine vollkommene ſinnliche Wahrnehmung iſt ein Erfaſſen der Summe aller Eigen— ſchaften mit vollkommen geübten, entwickelten Sinnen. Die Summe aller Eigenſchaften iſt das Weſen des Dings. 603 Das Hirn ift zur Erzeugung der Gedanken ebenjo unerläßlich, wie die Leber zur Bereitung der Galle und die Niere zur Abſcheidung des Harns. Der Gedanke iſt aber ſo wenig eine Flüſſigkeit, wie die Wärme oder der Schall. Der Gedanke iſt eine Be— wegung, eine Umſetzung des Hirnſtoffs, die Gedanken— thätigkeit iſt eine ebenſo nothwendige, ebenſo unzer— trennliche Eigenſchaft des Hirns, wie in allen Fällen die Kraft dem Stoff als inneres, unveräußerliches Merkmal innewohnt. Es iſt ſo unmöglich, daß ein unverſehrtes Hirn nicht denkt, wie es unmöglich iſt, daß der Gedanke einem andern Stoff als dem Gehirn als ſeinem Träger angehöre. Aber das Hirn bedarf der Reize, und in Folge dieſer Reize wird das Hirn des Säuglings allmälig beſeelt. Denn das Kind, das eben dem Mutterſchooße entſchlüpft iſt, fühlt ohne zu taſten, ſchmeckt ohne zu koſten, es ſieht ohne zu ſchauen, hört ohne zu horchen, riecht ohne zu ſpüren. Alle Vorgänge im Nervenſyſtem, die Reizung, die Fortpflanzung ihrer Wirkung, die Auffaſſung, das Urtheil, die Willensregung haben eine endliche Ge— 604 ſchwindigkeit, die um ſo kleiner wird, je verwickelter der Vorgang iſt, um den es ſich handelt. Das Denken iſt ein ausgedehnter Vorgang, und zwar um ſo ausgedehnter, je zuſammengeſetzter es iſt. Was aber bei ſeiner Verrichtung Zeit braucht, an die Zeit gebunden iſt, das kann nur durch Ortsver— änderung, und wenn es nur die ſeiner kleinſten Theilchen wäre, beſtehen. In der Zeit bewegen ſich ſeine kleinſten Theilchen, folglich bethätigt ſich ſeine Verrichtung durch Bewegung. Es kann nicht aus der umgebenden Stoffmaſſe herausgehoben werden, ohne dieſer Bewegung und der Zeitgrenze verluſtig zu werden, ohne aufzuhören zu beſtehen. Es iſt alſo ſelbſt ſtofflich, aber in ſo eigenthümlicher Weiſe bewegt, daß an ihm jene Erſcheinungen erfolgen, die man geiſtige zu nennen pflegt, und die nicht minder leuchten, weil ſie ohne Stoff nicht entſtehen, ohne Stoff ſich nicht geben, ohne Stoff nicht empfangen laſſen. Alles, was wir zu beobachten und zu unterſcheiden vermögen, ſind immer nur Verhältniſſe. Zählend gehen wir durch die Welt. Wir zählen nicht bloß unſere Lieben und unſere Habe, wir zählen auch die Luftſchwingungen in der Zeiteinheit, indem wir Töne, die Lichtſchwingungen, indem wir Farben unterſcheiden. 605 Immer findet man den Gedanken in den Banden der Natur, an Zahl und Maaß gebunden, aus Ver— hältniſſen Geſetze ſchöpfend, zeitmäßig, zeitfühlend, bedingt und getragen, urwüchſig aber nicht urſprüng— lich, kühn aber botmäßig, leuchtend wie ein Sonnen— ſtrahl, jedoch wie ein Sonnenſtrahl unvermögend die natürlichen Schranken zu überſpringen. Denn das Denken erfordert Blut, ſo gut wie jede andere Thätigkeit im Körper; das Denken ermüdet ſo gut wie Muskelanſtrengung, es ſetzt ſinnliche Er— regung voraus und koſtet Zeit, es iſt anders im Liegen als im Stehen, anders nach einem Glaſe Wein als in der Nüchternheit, anders wenn wir müde und trübſelig ſind als in heiterer Stimmung, immer aber an jene endlich ausgedehnte Hirnthätigkeit gebunden, die den Kopf zum Menſchen macht. Das Bewußtſein hat ſeinen Sitz nur im Gehirn, weil nur im Gehirn die Empfindung zur Wahrnehmung kommt. Das Bewußtſein fehlt, wenn das Gehirn kein Blut mehr erhält, oder wenn eine Ueberfüllung mit ſchwarzem aderlichen Blut ſeiner regelmäßigen Thätigkeit eine Grenze ſetzt. Geköpfte Thiere und Enth auptete haben keine Empfindung und kein Be- wußtſein, trotz der eigenthümlich zuſammenwirkenden 606 Bewegungen, welche Thiere, namentlich wechſelwarme, nach der Köpfung vollführen können. Wir ſind in einem Meere kreiſender Stoffe vom Augenblick der Zeugung an. Und ſchon das neu— geborene Kind iſt ein Ergebniß zahlreicher Urſachen und nimmer ruhender Schwankungen des Stoffs, das nicht etwa angeborene Anſchauungen, aber fertige Anlagen mit auf die Welt bringt, an welchen viele Geſchlechter gearbeitet haben. Aus der Thatſache, daß in dem Strom der Einflüſſe, die unſer Leben geſtalten, keine Welle ver- loren geht, daß jeder Eindruck eine Spur hinterläßt, die ſich nimmer völlig verwiſcht, daß alle Reize, die wir erleiden, alle Empfindungen, Furcht und Hoffnung, Schmerz und Freude, Gedanken und Wünſche ſo zu ſagen mit einander verſchmelzen und in einander fortleben, aus dieſer Thatſache geht die Perſönlichkeit des Menſchen hervor, ſie iſt es, die ſeine Eigenart bedingt, ſie giebt dem Menſchen den Charakter und den Styl. Rede und Styl, Verſuche und Schlußfolgerungen, Wohlthaten und Verbrechen, Muth und Halbheit und Verrath, ſie alle ſind Naturerſcheinungen, ſie alle ſtehen als nothwendige Folgen in geradem Verhältniß 607 zu unerläßlichen Urſachen, ſo gut wie das Kreiſen des Erdballs. Man ſpricht von geſchichtlicher Wahrheit, von dichteriſcher Lebenstreue, und verwirft einen Roman, ein Gedicht, das den Charakter ſeines Helden von unrichtigen Vorausſetzungen ableitet oder aus richtigen falſch entwickelt. Solche Schöpfungen fehlen gegen die Entwicklungsgeſetze der Menſchheit. Sie leiſten den Folgerungen der höchſten Wahrheit, der an— erkannten Folgerichtigkeit von Urſache und Wirkung kein Genüge. Es wäre thöricht von dichteriſcher Wahr— heit zu reden, wenn das Wollen des Menſchen losge— bunden wäre von den Schranken urſächlicher Bedingtheit. Der Menſch iſt die Summe von Eltern und Amme, von Ort und Zeit, von Luft und Wetter, von Schall und Licht, von Koſt und Kleidung. Sein Wille iſt die nothwendige Folge aller jener Urſachen, gebunden an ein Naturgeſetz, das wir aus ſeiner Erſcheinung kennen, wie der Planet an ſeine Bahn, wie die Pflanze an den Boden. Wir ſind ein Spiel von jedem Druck der Luft. Aber die Stimmung des Augenblicks trägt ſich jeweilig einer vorhergehenden auf. Sie ſchwimmt gleichſam auf allen den vorangegangenen und wird ſelbſt, in ihrer Bedingtheit, zur Mitbedingung, zum Fahrwaſſer alles Folgenden. 608 Der Menſch ift ein ſtets im Werden begriffenes Naturerzeugniß; wer fein Weſen erkennen will, muß ſeiner Natur- und ſeiner Cultur-Bedingtheit im Ein⸗ zelnen nachſpüren. In dieſem Lichte iſt es nicht wahr, daß es nichts Neues unter der Sonne gebe. Es findet vielmehr jedes neue Ereigniß, jeder neue Einfluß, jede neue Zumuthung gleichſam einen neuen Menſchen. Und daher kann es kommen, daß, wenn Jemand zweimal denſelben Einfluß erleidet, dieſer Einfluß nicht dieſelbe Wirkung hervorbringt. Wenn die Juriſten mit Recht ſagen: si duo faciunt idem, non est idem, wir Na⸗ turforſcher haben das Recht zu behaupten: si quis idem bis patitur, non est idem effectus. Ein freier Wille, eine Willensthat, die unab- hängig wäre von der Summe der Einflüſſe, die in jedem einzelnen Augenblick den Menſchen beſtimmen und auch dem Mächtigſten ſeine Schranken ſetzen, beſteht nicht. Der Schlußſatz, in dem unſere heutige, von Julius Robert Mayer begründete Naturanſchauung gipfelt, iſt, daß es nur Eine Kraft giebt, die unzer— ſtörlich, an Menge immer gleich, in verſchiedenen Formen auftritt. Wird eine Form, z. B. mechaniſche 609 Arbeit, ganz und gar in eine andere, z. B. Wärme verwandelt, ſo muß die eine Form der anderen gleich— werthig ſein, und dieſe wieder in jene zurückverwandelt werden können. Bei dieſen Umwandlungen geht aber nichts von der Kraft verloren. Im Weltall iſt der Vorrath der Kraft immer derſelbe. Die Kraft iſt ſo unzerſtörbar wie der Stoff. Auf einem großartigen Wege iſt man von einer anderen Seite zur An— erkennung der Thatſache gekommen, die in unſerem Satze, daß die Kraft eine Eigenſchaft des Stoffes iſt, verſchloſſen liegt. Wir ſagen nun ebenſo gern, der Stoff iſt ſo unſterblich wie die Kraft. Nur iſt zu bedenken, daß die Kraft nicht immer als wirkende, ſondern zu jeder Zeit in erheblichem Verhältniß als wirkungsfähige auftritt. Nennt man die Kraft in letzterer Form Spannkraft, in erſterer lebendige Kraft, dann ſagt das Princip der Erhaltung der Kraft aus, daß die Summe der Spannkraft und der lebendigen Kraft im Weltall immer dieſelbe bleibt. Alle Vorgänge in der Natur laufen alſo darauf hinaus, daß Spannkraft in lebendige Kraft oder dieſe in jene verwandelt wird, oder aber daß die eine Form leben— diger Kraft in eine andere übergeht. Die chemiſche Verwandtſchaft als Spannkraft oder wirkungsfähige Kraft erzeugt chemiſche Verbindung als lebendige Kraft, d. h. Wärme oder Elektricität, und einer jeden II 39 610 derjelben, die ſelbſt in einander übergehen können, entſpricht eine Maaßeinheit in mechaniſcher Arbeit. Alles fließt, alles rollt, aber alles wird gemeſſen. Und wer alles fließen macht, iſt niemand anders als die Sonne. Die Sonne iſt es, deren Licht in den Pflanzen Kohlenſäure, Waſſer und Ammoniak zerſetzt, aus Kohlenſäure und Waſſer Sauerſtoff entwickelt, und in dem Pflanzenleib Zellſtoff, Stärkemehl, Zucker, Fett und Eiweiß aufſpeichert. Sie macht aus jenen Ver— bindungen ein Magazin von Spannkraft. Die Kohle, in der wir abgeſtorbene Pflanzenleiber verdichtet und angehäuft erkennen müſſen, iſt als ein Schrein von Sonnenlicht und Sonnenwärme zu betrachten. Wenn wir die Kohle auf dem Herd verbrennen, ſchließen wir das Magazin von Spannkraft auf, um lebendige Kraft daraus hervorzuholen. Aber die Thiere ſchöpfen aus der lebenden Pflanzenwelt, die ihnen zugleich die organiſchen Nahrungsſtoffe und in der Luft den Sauerſtoff liefert, der dieſe wieder zu Kohlenſäure, Waſſer und Harn— ſtoff verbrennt und damit Spannkraft in lebendige Kraft verwandelt. Den Unterſchied zwiſchen Pflanzen und Thieren können wir nicht allgemeiner bezeichnen, als indem wir jene als Sammler von Spannkraft und dieſe als 611 Erzeuger lebendiger Kraft betrachten, die ſich gegen— ſeitig bedingen und ergänzen. Die Menge lebendiger Kraft, die der Menſch erzeugen kann, berechnet ſich aus der Verbrennungs— wärme ſeiner Nahrungsſtoffe. Beinahe drei Viertel davon verbraucht er, um die Wärmeverluſte ſeines Körpers zu decken, ein Viertel ſetzt er in mechaniſche Arbeit, in Empfindung, in Gedankenarbeit um. Es giebt ein Werthverhältniß zwiſchen Gedankenthätigkeit, mechaniſcher Arbeit und Wärme, ſo gut wie zwiſchen Wärme, Elektricität und Magnetismus. Je größer die mechaniſche Arbeit iſt, die ein Menſch verrichtet, deſto weniger kann er denken. Daſſelbe Blut kann nicht zugleich zwei Herren, etwa dem Hirn und den Muskeln dienen. Nur hüte man ſich davor, den Werth der Ge— danken mit dem Werth der Gedankenarbeit zu ver— wechſeln. Die mechaniſche Arbeit wird nicht größer, wenn ſie ein Kilogramm Gold als wenn ſie ein Kilo Eiſen um einen Meter hebt, und Pythagoras hat ſich nicht mehr abgemüht, um ſeinen Lehrſatz zu beweiſen, als der Schulknabe, der ſich dazu vergebens anſtrengt. Darum iſt richtige Vertheilung von Kraft und Stoff das Ziel, welches die Menſchheit von jeher mehr II 39 * 612 oder minder dunkel verfolgt, eben die Vertheilung des Stoffs, welche Allen die Arbeit und durch die Arbeit ein menſchenwürdiges Daſein möglich macht. Das Leben fordert Arbeit, die Arbeit fordert Stoff. Und es iſt gewiß die allerbeſte Bereicherung, die das Leben der Wiſſenſchaft verdankt, daß wir es täglich beſſer einſehen lernen, welcher Stoff zu jeder Arbeit gehört. Soll der Stoff in Gräbern und Särgen liegen, Niemandem zum Vortheil und häufig der nächſten Umgebung zur Laſt? Es war ein koſtbarer Staub, den die Alten in Aſchenkrügen in ihren Gräbern beiſetzten. Den organiſchen Stoff des Leibes hatten fie dem Luftgürtel heimgegeben, und die Aſche enthielt den Stoff, mit deſſen Hülfe die Pflanzen aus Beſtandtheilen der Luft Thiere und Menſchen zu erſchaffen vermögen. Aus Luft und Aſche iſt der Menſch gezeugt. Die Thätigkeit der Pflanzen rief ihn in's Leben. In Luft und Aſche muß der Leichnam zerfallen, um durch die Pflanzenwelt in neuen Formen neue Kräfte zu entfalten. Das iſt der Kreislauf des Lebens. Weil wir immer im Werden begriffen ſind, können wir immer nach Beſſerung ſtreben. 613 In der That find die fittliche und geiftige Thätig- keit des Menſchengeſchlechts in ſtetem Wachſen be— griffen. 6 Darwin und Genoſſen ſind nicht die Erſten ge— weſen, die uns über den Tand und Wahn von Natur⸗ ſpielen, über die Furcht vor ernſt gemeintem Aufruhr in der Natur hinweghoben. Aber indem ſie auf ihrem weiten Gebiet, das die ganze Entſtehungs— geſchichte der Organismen umfaßt, die Entwicklung anftätt der Verwirklichung, das Werden anſtatt der Schöpfung ſetzten, haben ſie, wollend oder nicht, der freien Forſchung eine der mächtigſten Waffen ver— liehen gegen alles, was blinder Glaube heißt, gegen Alle, die ſich im Flügelkleide der Dichtung oder in der Kutte der Heuchelei am Fortſchritt verſündigen. Sie haben gelehrt, wie in der Welt der Organismen der Charakter ſiegt, die Halbheit unterliegt. Ihnen gehört die Zukunft. Wer umgekehrt in allen Bewegungen der Natur- körper nur Mittel ſieht, um gewiſſe Zwecke zu er⸗ reichen, der kommt ganz folgerecht zu dem Begriff einer Perſönlichkeit, welche zu dieſem Ziele dem Stoff ſeine Eigenſchaften verleiht. Dieſe Perſönlichkeit wird auch das Ziel beſtimmen. Und mit der Zweckbeſtim— mung, die von einer Perſönlichkeit ausgeht, welche die Mittel wählt, iſt das Geſetz der Nothwendigkeit aus 614 der Natur verſchwunden. Die einzelne Erſcheinung iſt aus den Angeln gehoben, ſie fällt dem Spiele des Zufalls und regelloſer Willkür anheim. Hier hört die Forſchung auf. Der Glaube beginnt. Für den Materialiſten, den Zweieinigkeitslehrer oder Moniſten iſt jedes Ergebniß die Wirkung von Urſachen, die in verſchiedener Weiſe ſich paaren oder kreuzen. Dem Spiritualiſten, dem Zwieſpaltslehrer oder Dualiſten gilt das Leben als ein Ausfluß einer ganz beſonderen Berechnung, mit deren Hülfe er allein für möglich hält, den Grad von Zweckmäßigkeit zu erklären, der nach ſeiner Meinung die Natur zuſammenhält. Wenn aber alles wird, wie es nothwendig werden muß, muß alles, wenn es geworden iſt, zuſammen⸗ paſſen. Iſt alles geworden, wie es werden mußte, dann löſt ſich der Kampf um's Daſein auf in dem Rollen der Elemente, das nach der Reihe allen Weſen Befriedigung gönnt. Die ſchaffende Allmacht iſt die Verwandtſchaft des Stoffs. Der Begriff eines perſönlichen Gottes ver— flüchtigt ſich um ſo mehr, je reiner und folgerichtiger man ihn entwickelt. Nemo contra deum nisi deus ipse. Namen-Verzeichniss. Abbadie II, 571. Aderholdt I, 50. Aeschylus II, 494. Aesop II, 550. Agassiz II, 132. Albertoni Peter I, 463, 464, 466. Albertotti II, 261, 262, 265. Albini Joseph II, 105. Anderson IJ, 386. Andral I, 30. Andrews I, 312. Angelucei II, 294, 296. Ankum van I, 197, 199. Archer II, 93. Argelander II, 371. Aristoteles J, 10, 19, II, 85. Arndt II, 245. Aubert II, 117, 165, 327, 423, 424, 426, 428. Auerbach II, 362, 363, 398. Avogadro II, 216. Bach II, 126. Bach Sebastian II, 464. Baer Karl Ernst von II, 114, 473, 474. Baeyer II, 56, 57, 58. Bakhuyzen II, 365. Balzac I, 152. Bardeleben I, 429. Bärensprung von I, 334, 338, 339, 340. II, 267, 268, Barral I, 196. 251, 363, 430. Bary de I, 261, 285. Battistini Attilio II, 296, 481, Bavay II, 108. Baxt II, 351, 355, 410. Beale I, 207. | Beccari I, 433. Bechamp I, 228, 394, 404, 409, 411. Becker I, 439, 440. Becquerel I, 331, 432. Bellamy I, 405. Bellingrodt I, 51, 83. Bence Jones I, 106. Beneden van II, 91, 142, 143, 144, 155. Bérard I, 285, 287. Bergmann II, 215. Bernard Claude J, 232, 418, 419, 439, 442, II, 105, 544. Berthelot I, 30, 280, 326, 411, 418, II, 33, 34, 35, 42, 43, 44, 45, 46, 49, 65, 72. Berthier I, 85. Berzelius I, 68, 181, 235. Bessel II, 371. Besser II, 315, 316, 325, 340. Betz II, 242. Bibra von I, 60, 61, 121, 129, 181, 183, 184, 187, 224, 616 231, II, 225, 227, 229 232, 266, 287. Bidder I, 254. Biermer I, 200. Biffi II, 329. Binz I, 465. Biot II, 289. Bischof, K. I, 53. Bischoff E. I, 120, 121, 122, 449, 542. Bischoff Th. von I, 154, 206, 252, II, 142, 143, 145, 213. Bizzozero I, 205, 216, 441. Blake I, 86. Bleibtreu I, 473. Bligh I, 338. Blondeau I, 196, 265. Bocci II, 296. Böcker I, 258, 259, 462, 468, II, 571, 572. Boll Franz II, 292. Bopp F. I, 379. Bouchardat I, 248, 335. Bouguer II, 423. Bouillaud II, 219, 284, 285. Boussingault I, 76, 85, 87, 99, 154, 236, 335, 429, 563- Bouvier I, 184. Bowerbank II, 95. Braconnot I, 121. Brazier I, 168. Breed I, 179, II, 226, 227. Breschet I, 331. Bretonneau I, 292. Bright I, 390. Broca II, 135, 219. Brognard I, 59. Bromeis I, 62. Brown I, 402. Brown-Sequard I, 299, 300. Brücke II, 252, 281, 282. Buccola II, 362, 363, 364, 367, 368, 371, 377, 378, 384, 395, 396, 397, 398, 399, 402. Buchanan II, 166. Budge I, 217. Buhl I, 133, 224. Bunsen II, 40. Burmeister II, 81, 82. Byasson I, 246, 332, II, 267. Byron II, 213. Cabanis I, 146, II, 314, 322, 533, 534, 539. Cagniard de Latour I, 400. Cahours I, 281. Calori II, 213, 231, 249. Cantani I, 335. Cartesius II, 8. Carter II, 9. Celsius II, 430. Chambert I, 114. Charpentier II, 132. Chasanowitz II, 461. Chatin I, 51, 84, 184, 196, 197, 198, 199. Chevandier I, 93, II, 576. Chevreul J, 122, 171, 318, 382, II, 32. Chossat I, 46, 185, 328, 369,370. Chrzonczszewsky I, 160. Cienkowski II, 93. Cloetta I, 221, 225, 226, 389. Cloez I, 98, 295. Cohnheim I, 208. Colasanti I, 459. Condorcet II, 446. Configliacchi II, 106. Corti II, 176. Couerbe II, 226. Crommwell II, 213. Cuignet II, 325, 326, 327. Curtius Ernst II, 422. Cuvier II, 85, 105, 106, 202, 213, 308. Czermak I, 341. Czerny II, 295. Daniel II, 233. Dante II, 550. Darwin II, SI, 86, 91, 124, 126, 127, 129, 130, 136, 164, 165, 166, 168, 169, 613. Daubeny I, 51, 62. Davy John I, 299, 330, 332, 333, 334, 465, II, 267, 506. Debus II, 33. Decaisne I, 59, II, 569. Deen van I, 173. Defilippi Filippo II, 182. Delboeuf II, 433, 480, 537, 538, 541. Delffs I, 281. Demarcay I, 226. Demarquay I, 465. Denis II, 232. Descartes II, 8. Desmoulins II, 206. Despretz I, 303, 310, 311, 326, 346. Dessaignes I. 268, 275. Deville I, 281. Diakonow II. 222. Diderot I, 146. Dietl II, 377. 617 Dirichlet II, 213. Donders I, 138, 167, 173, 223, 457, 471, II, 105, 325, 362, 372, 393, 395, 396, 397, 402, 403, 404. 405, 411, 530, 531, 563. Donné I, 152, 409. Draper I, 98, 284, II, 32. Du Bois-Reymond I, 235, II, 275, 355, 455. Dubrunfaut I, 411. Duchek J, 248. Duclaux I. 404. Dulong I, 303, 310, 311, 326, 346. Dumas I, 30, II, 62, 65. Dume£ril I, 464, 465. Dupa von II, 74, 75. Dusart II, 47. Dusch von I, 400, II, 89. Dutrochet I, 319, 337. Ecker Alexander II, 216, 217. Edwards I, 152. Ehrenberg I, 178, 179, II, 87. Eichwald I, 124. Ekker H. II, 256. Engelmann II, 275. Erdmann II, 36. Exner II, 359, 362, 363, 377, 378, 398. Eydoux I, 300. Fabricius I, 183. Fabrizio di Acqua pendente II, 114, 330. Fahrenheit II, 430. Faivre II, 183, 184. Farre I, 211. Favre I, 305, 306, 307, 318, 321. 618 Fechner II, 419, 423. Feldbausch II, 331. Feré II, 216. Fernet I, 173. Ferrus II, 251. Feuerbach Ludwig I, 7, II, 153. Fick Adolf I, 236, 241, 530. Fikentscher I, 62. Filhol I, 439. Fischer Ernst II. 402, 408. Flourens II, 284. Forchhammer I, 193. Forster Georg I, 32, 117, 338, II, 2, 135, 215. Forster J. I, 191. Fourcault I, 197. Foville II, 253. Frankland I, 309, 325, 350, 351, 353. Fremy I 122, 226, 257, II, 226, 569. Frerichs I, 154, 222, 223, 225, 228, 328, 389, 390, 429, 442, 468. Fresenius I, 86. Frey H. I, 213. Friedrich Max II, 402, 408. Frisch II, 293. Fröbel II, 577. Fröhlich I, 465, 466. Fubini I, 440, 441, 460, II, 104, 105, 460, 461, 462, 463. Fuhlrott II, 133. Funke II, 110, 267, 274. Gail Borden II, 574. Galen I, 19. Galilei II, 289, 508. Garreau I, 99, 112, 294. Gasparin II, 571. Gastaldi I, 165. Gauss II, 213. Gay-Lussac I, 393, II, 507. Gayon I, 408. Gegenbaur Carl I, 214, II, 106, 109, 180, 181, 186, 193, 236, 256. | Gelis II, 72. | Genth J, 183. Genzmer Alfred II, 315, 316, 318, 321, 322, 323, 325, 327, 328, 329, 331, 334, 335, 337, 544, 545. Gerhardt I, 412, II, 62. Gerhardt C. II, 326. Gerlach J. I, 175, II, 256. Gerlach I, 243, 245, 330. Gervinus II. 499. Giacomini II, 216, 217, 220, 261, 263, 265. Gierse I, 334. Gilbert I, 76. Gmelin I, 147, 373. Gobley II, 226. Goethe I, 426, II, 210, 381, 444, 464, 475, 487, 489, 499, 500, 503, 562. Gorup-Besanez von I, 123, 126, 182, 184, 187, 190, 225, 231, 239, 389. Goubaux I, 431. Graham II, 37. Grange I, 198. Gratiolet I,98, 295, II, 207,208. Griesinger I, 335. Gris Arthur I, 59, 94. Gris Eusebe J, 59, 9. Grohé I, 224. Grove II, 28, Grünewald I, 255. Guckelberger I, 380. Gudden II, 253, 329. Guillaume II, 385, 386. Häckel II, 86, 90, 91, 92, 93, 94, 95, 97, 98, 100, 102, 103, 108, 109, 111, 112, 121, 131, 140, 141, 148, 179, 188. Häcker I, 456. Haen de I, 466. Hall II, 398, 400. Hall G. Stanley II, 412. Haller Albrecht von I, 444, II, 341, 343. Hallwachs I, 83. Hammond I, 462. Hankel II, 362. Hann II, 134. Harless I, 60, 183. Harting I, 218, II, 422, 463. Harvey II, 88. Hegel II, 210. Heinrich IV II, 559. Heintz I, 231, 381. Helmholtz I, 331, 349, 360, II, 89, 175, 345, 347, 348, 350, 351, 355, 360, 517. Helvetius I, 146, 446, 454. Henle I, 208, II, 213, 242, 541. Henry I, 313. Hermann L. I, 420, II, 274, 276, 292, 295, 388. 513. 150, 151, 164, 166, | | 619 Herth I, 86. Hertwig Richard II, 93. Herzen II, 378. Hesse I, 404. Hettner Hermann II, 135. Hinterberger I, 379, 380. Hipp II, 355, 356, 360, 368, 395. Hippokrates II, 337. Hirsch Adolf II, 355, 356, 359, 360, 362, 363, 364, 371, 372, 378, 385, 386, 337, 400. Hlasiwetz I, 281, 286. Hochstetter von II, 134. Höfle I, 222. Hofmann I, 276. Hofmann Fr. I, 449, 450, 451. Holzner J, 93. Homer II, 113. Hönigschmied II, 364, 369. Hoppe I, 378. Hoppe-Seyler I, 127, 468, II, 225, 972. Horn II, 334. Houzeau I, 457. Hufeland I, 468. Huguenin Gustav II, 206. Humboldt Alexander von J, 46. Hunter I, 328. Hurter II, 496. Huschke II, 213. Hutchinson II, 481. Huxley II, 106, 120, 132, 133, 189, 193, 199, 209, 215, 218. Huyghens II, 550. Immermann J, 200. 620 Im Thurn I, 152, 153, 160. | Kowalevsky II, 96, 185. Ingenhouss I, 65, 68. Isert I, 36. Itier I, 149. Jacoby Johann II, 549. Jacquelain I, 90, II, 28. Jaksch II, 221. James I, 86. Jansen Zacharias II, 422 Jean Paul II, 166, 253. Jobert de Lamballe II, 447. Johannes II, 233. Johnson I, 194. Joly I, 439. Joule James Prescott II, 509. Jungfleisch II, 75. Juno II, 493. Jupiter II, 493. Jürgensen I, 299, 301, 330, 331, 333. Kammler II, 117, 165, 428. Kant I, 13. Kaupp J, 430. Kekule II, 564. Keller I, 380. Kemmerich I, 191, 439. Kemp I, 126. King James II, 573. Klein I, 430. Knop Ad. I. 98, 295. Knop W. I, 98, 295. Koch I, 160. Kohn II, 36. Kolbe I, 382, 421, II, 43. Kolben II, 577. Kölliker I, 205, 215, II, 237, 293, 391. Kopp II. 33. Kraus I, 287. Krause C. II, 213. Krause Wilhelm II, 149. Kries von II, 362, 364, 398, 400. Krille II, 354. Kühne Wilhelm I, 147, 219, 420, 421, II, 227, 292, 294, 295, 296, 297. Kuhnt II, 294. Kussmaul II, 315, 319, 321, 322, 324, 326, 329, 331, 333, 334, 335. Laer van I, 126. Lafontaine II, 550. Lagrange II, 310. Lamarck II, 81. La Mettrie I, 146. Lassaigne I, 150, 330. Laun I, 251. Laurillard II, 202. Lautenbach II, 388. Lavoisier I, 28, 29. Lawes I, 76. Lechartier I, 405. Legge II, 110. Lehmann C. G. I, 138, 187, 222, 226, 231, 244, 249, 429, 431, 436, 439, 442, 443, 458, 468. Lehmann Julius I, 468, II, 572. Leibnitz II, 416. Leonardo da Vinci II, 85. Lepelletier I, 329. Lesson I, 445. | Letellier I, 458, 459. Leube I, 397, 418. Leuckart II, 236. Leunis II, 272. Leuret II, 204, 209, 210, 212, 238. Lewy I, 110. Leydig Franz II, 235, 236. Lichtenberg II, 154, 416. Lichtenfels I, 465, 466. Lieben I, 248, II, 65. Liebig Georg I, 232, 235. Liebig Justus von I, 30, 40, 52, 57, 68, 73, 74, 82, 85, 88. 92, 112, 133, 143, 149, 150, 169, 170, 171, 176, 220, 221, 231, 236, 238, 241, 274, 280, 285, 287, 323, 325, 376, 380, 385, 392, 399, 406, 412, 413, 469, 475, II, 33, 49, 230, 494, 555, 556, 557, 558, 562, 563, 564, 567, 573. Liebreich II, 224, 227. Limpricht II, 65, 67. Lohmeyer I 196, 223. Lombroso Cesare II, 213. Lomnitz I, 335. Longet II, 206, 250. 251, 281, 285. Loven II, 176. Luca de I, 196. Luck I, 78. Lucretius II, 504. Ludwig Karl II, 264, 544. Lussana Felix I, 463 464, 466. Luther I, 12, 13. Lyell II, 81, 86. Main II, 482. 621 Malaguti I, 68. Malinverni II, 250, 253. Malpighi II, 114. Mantegazza I, 334. Marcet I, 220. Marchand I, 124, 378. Marchand E. I, 196. Marfels I, 253. Märker I, 417. Martin I, 196. Marvaud I, 462, 463, 466. Masius II, 92. Matteucei II, 275. Mayer Julius Robert II, 259, 504, 506, 507, 508, 510, 516, 522, 523, 530, 532, 539, 540, 542, 543. Mayer W. I, 57. Mayer I, 168, 396, 397, 414. Meier G. I, 459. Meissner I, 83, 254, 269. Melsens II, 43. Meöne I, 92. Meyer Gustav I, 164, 449. Meyer Hermann I, 211. Meynert Theodor II, 237, 238, 239, 253. Meyrac I, 196. Miescher II, 221. Millon I, 223, II, 563, 564, 566, 568. Mitscherlich I, 264, 266. Mohl Hugo von I, 45, 53, 72, 94, 207. Moldenhauer II, 330. Moleschott I, 68, 99, 101, 138, 147, 155, 167, 172, 173, 184, 204, 205, 206, 622 224, 231, 238, 253, 333, 334, 335, 351, 352, 356, 362, 418, 437, 448, 456, 459, II, 105, 110, 187, 296, 460, 461, 462, 533, 560, 570. Monoyer I, 395. Montagne I, 69. Moos I, 205. Moriggia I, 441, 442, 456, II, 110, 257. Morin 1, 239. Morren Ch. I, 112. Mosso Angelo II, 261, 262, 263, 364, 265. Mouries II, 565. Mulder G. J. I, 30, 46, 68, 69, 71, 78, 74, 81, 97, 112, 124, 125, 126, 128, 129, 138, 148, 150, 158, 159, 170, 171, 194, 265, 267, 288, 384, II, 225, 568, 569. Müller I, 86. Müller II, 509. Müller H. I, 213, II, 176. Müller Johannes I, 190, 205, II, 110, 197, 341, 342. Müller Julius I, 421. Müller W. I, 123, II, 224, 266. Munk Hermann II, 311, 312, 313. Murri J, 329. Muschek I, 239. Museulus I, 417. Musset Alfred de I, 64. Nadler I, 196, 198, 199. Nasse, 333, 339, 428, 436,464. Nehus II, 482. Nencki M. I, 227, 254, 317. Neubauer I, 222. Neukomm J. I, 459. Neumann I, 59, 205, 216. Newport II, 183, 184. Newton I, 19, II, 233, 289, 510, 514, 550. Nuhn II, 106, 192. Obersteiner II, 378. Oehl I, 255, 331, 439, II, 274. Ollier I, 215. Otto I, 127. Oudemans J, 99. Pagliani Ludwig II, 264. Palamedes II, 422. Palissy II, 85. Pallas I, 329, II, 97. Pander II, 114. Panum I, 147, Paracelsus 1, 12. Parchappe II, 214. Parkes I, 240, 241. Parmentier II, 573. Pasteur I, 46, 394, 395, 396, 397, 400, 401, 403, 407, 408, 414, 415, II, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 74, 89. Payen I, 51, 59, 417, II, 563, 569. Peacock I, 258, II, 212, 233. Pecht II, 334. Peligot II, 564. Pelouze II, 72. Perkin II, 74, 75. Person I, 337. Pettenkofer I, 100, 132, 133, 139, 259, 329, 336, 363, 462. Peyrani Cajo II, 481. 623 Pfaundler I, 59, II, 509. | Regnault I, 30, 110, 318, 326, Pflüger I, 459, 460, II, 141. 329, 330, 341, 360, 361, Piacentini II, 461. 430, 460, II, 508. Pierre Isidore I, S6, 87. Reichert II, 143, 148, 355. Piria I, 30, 269, II, 65, 67. | Reil II, 219. Platen Otto von II, 461. Reiset I, 110, 326, 329, 330. Playfair I, 237, 238, 239, 341, 378, 430, 460. II, 40. | Remak II, 114, 148, 174, 175. Richter Jean Paul I, 166, 253. Plugge I, 179. Poggiale I, 428. Poisson II, 527. Pokorny II, 134. Poleck I, 182. Ritter II, 324. Pott Robert II, 461. Ritthausen I, 50, 148, 433. Pouillet I, 318, II, 343, 344, | Robertson II, 482. 345, 347, 348, 360, 509. Robin I, 190. Preyer W. I, 436, II, 273, | Robiquet I, 286. Riehl II, 464. Rieken II, 40. Risse I, 59, 83, 84, 94. 316, 317. Rolando II, 216, 256. Prichard II, 135, 493. Rollett I, 124. Prometheus II, 554. Ronchi I, 440, 441, 444, 460, Protagoras II, 434, 436. II, 463. Proust II, 572, 573. Roquette I, 473. Prout I, 189, 468. Rose H. I, 389, II, 37. Pugh I, 76. Rosenstein I, 335. Pythagoras II, 611. Rosenthal II, 388. Quetelet II, 494. Rosow II, 293. Radlkofer I, 133. Rossi II, 65. Rählmann II, 325. A Rossmässler I, 193, II, 581, 582. Randaccio II, 250. Röthe I, 50, 52. Ranke J, I, 236, 237, 238, 249. Rotteck II, 496. Ratzel II, 106, 189. Rousseau I, 446, 454. Rauwenhoff I, 99. Rudolphi I, 341. Rawitz I, 449. Rumford II, 505. Reaumur II, 430. Rusconi II, 104, 105, 108. Recklinghausen von I, 119, | Sachs Julius I, 53, 59, 84, 187, 205. 94, 267, II, 273. Redi II, 89. Saint-Robert Paul de II, 523, Rees I, 393. 524, 527. 624 Salkowski I, 189. Salm-Horstmar I, 59. Salvétat I, 9. Sand George I, 29. Sandras I, 248. Saussure Théodore de I, 52, 68, 72, 78, 94, 98, 99, 110. Savi Paul II, 175. Saviotti I, 211. Schaaffhausen II, 134, 136. Scharling I, 236, 244, 460, 462. Schäuffele II, 39. Schelske Rudolf I, 335, II, 354, 355, 356, 357, 400. Scherer I, 124, 126, 127, 128, 165, 220, 221, 225, 231, 389. Schiel II, 62. Schiff Hugo II, 29, 31, 38. Schiff Moritz I, 331, 332, II, 274, 281, 359, 388. Schiller II, 381, 476. Schimper Karl II, 132. Schleiden I, 290. Schleiermacher I, 7. Schlieper I, 125, 129. Schlösing I, 49. Schlossberger I, 125, 126, II, 232. Schlosser Friedrich Christoph II, 446. Schmerling II, 132. Schmidt A. I, 147, 171. Schmidt C. I, 42, 60, 169, 170, 76, Bl, 228, 231, 254, 395. Schönbein I, 270, 455, 456, II, 459. 121, 192, Schöpf I, 49. Schrenk I, 428. Schröder I, 400, II, 89. Schultz I, 417. Schultze Max II, 87, 174, 175, 176, 294. Schultzen O. I, 227, 254, 317. Schulz Hugo I, 459. Schulz-Fleeth I, 55, 90. Schützenberger I, 395, 398, 404, 408, 420, II, 75. Schwalbe II, 176. Schwann I, 400. Schwarz I, 285. Schwarz Berthold II, 155. Schwarzenbach I, 456. Schwarzer I, 417. Sciamanna II, 110. Scoutetten I, 456. Secchi Angelo II, 507. Seekamp I, 236. Selmi Antonio II, 461. Senarmont de II, 20. Sendtner I, 194. Senebier I, 65, 373. Seneca II, 441. Shakespeare II, 210, 450. Sharpey I, 213. Shepard I, 83, 254. Siegmund I, 231. Sigmund II, 323. Silbermann I, 305, 306, 307, 318, 321. Smith I, 245, 330, 462, 468, II, 572. Sobrero II, 155. Solon II, 435. Soltmann II, 323. Sömmerring Samuel Thomas II, 135, 215. Soubeiran I, 69. Souleyet I, 300. Spinoza I, 116, II, 2. Städeler I, 223, 225, 228, 389. Stael Madame de II, 497. Staffel I, 54. Stahl I, 254, 392. Stahl Friedrich Julius II, 112, 496. Stahl Georg Ernst I, 29, 412. Stannius Il, 106. Stark William I, 448. Stein I, 55. Stenhouse I, 149, 470. Stevenson Macadam I, 196. Stich II, 333. Stilling II, 253. Stohmann I, 59. Strecker Adolf I, 192, 226, 228, 285, 286, 314, II, 45, 46, 61, 222, 223, 227. Stricker II, 239. Subotin I, 248, 436, 439. Sylvius II, 219. Swammerdam II, 346. Tacitus II, 493. Taddei I, 433. Talabot II, 572. Talleyrand I, 27. Thenard I, 404. Thomson I, 247. Tiedemann Friedrich I, 373, II, 199, 202, 213, 470, 471, 486. Tilanus I, 123. Todaro II, 96. Toynbee II, 166. Trecul II, 569. Troitzky II, 388, Tröltsch von II, 330. Valenciennes I, 226. Valentin I, 137, 181, 187, 231, 332, 379, II, 274, 283, 388, 542, Verdeil I, 59, 172, 191, 220, 435, 436. Vernet Horace II, 464. Verreaux II, 569. Verson I, 430. Vesal I, 12, II, 210, 463. Vierordt Karl I, 118, 206, 247, 330, 455, 458, 461, 462, II, 325, 326, 327, 331, 332, 337, 421. Ville I, 40, 379. Villerme I, 444. Vintschgau von II, 364, 369, 377, 398, 399, Virchow I, 119, 335, 389, II, 245. Vogel I, 99, 105, 125, 129, 335. Vogt Karl II, 213, 233. Voit I, 100, 132, 133, 139, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 223, 224, 228, 236, 238, 239, 240, 241, 259, 325, 329, 336, 363, 431, 448, 450, 468, II, 282, 462. Volkmann II, 251, 421, 423, 424. Volta II, 106. Voltaire II, 446. II. 40 626 Vriese de I, 319. Vrolik I, 319. Wachsmuth Ludwig I, 176. Wagner Rudolf II, 237. Walchner I, 55. Wallace II, 164. Waller I, 208. Weber Ernst Heinrich I, 205, II, 418, 419, 420, 424, 425, 525. Weiske I, 185, 186, 193. Weismann I, 217. Welcker I, 117, 118, 252. Werner II, 85. Wertheim I, 275. Wicke I, 53, 275. Wiegmann I, 73. Wiggers I, 281. Wildt I, 187. Wilkes I, 444. Willis I, 392, 412. Winckelmann II, 297. Winkler I, 124. Wislicenus I, 236, 241. Witkow II, 325. Wittich von I, 217, II, 362, 364. Wittstein I, 275, 276. Wöhler I, 221, 223, 269, 274, II, 33, 41, 49. Wolfers II, 482. Wolff Caspar Friedrich II, 114. Wolff E. I, 54, 87, 89. Woods Thomas I, 342. Wunderlich I, 301. Wundt Wilhelm II, 362, 363, 365, 371, 372, 374, 375, 377, 382, 383, 388, 389, 395, 396, 397, 401, 402, 404, 406, 407, 408, 409, 410, 411, 412, 413, 414, 432, 482. Wurtz I, 275, 276, 387. Xenophanes II, 85. Young II, 327. Zelter I, 426, 427, II, 500. Zinin II, 47. — 121 — Verzeichniss der Gegenstände. Aal II, 451. Abarten, Varietäten II, 124. Abendmahl II, 554. Abkömmlinge, gewebebilden- de der eiweissartigen Kör- per im Thier I, 118, ihr Sauerstoffgehalt I, 124 bis 126, ihr Schwefelgehalt I, 129. Abkühlung durch Verdun- stung I, 36, 366. Abschneiden der Ohren II, 167. Absolutes Wissen I, 24. Absonderungen, ihre tägliche Menge I, 254, 255. Abyssinien II, 572. Aceton, Darstellung aus Essig- säure II, 44. Acetylen, Qualmgas, I, 277, 280, 282, seine künstliche Darstellung I, 277, II, 52,57. Achsencylinder, Kernstab II, 174. Achsenstab, Rückenstab, Chorda dorsalis II, 96, 97, 100, 146. Achsentheil des oberen Keim- blatts II, 187. Acidum apocrenicum s. Quell- satzsäure. Acidum crenicum s. Quell- säure. Ackerbau I, 78, 86, 87, 89. Ackererde I, 54, 55, 61, 67, 71, 74, 79,88. Acqua di Felsina II, 368, 369. Acranier, Schädellose II, 98, haben nur marklose Ner- venfasern II, 235. Aderkuchen s. Placenta. Adipocire, Leichenwachs, I, 382. Aegypter II, 568. | Affen II, 119, 120; menschen- ähnliche, ihr Hirnbau, II, 197, 199, 202; plattnasige, ihr Hirnbau, II, 198, 199. Affenhirn II, 197, 198, 199, 202, 208, 209, 210, 215, 248. Affenmensch, Pithecanthro- pus, II, 131. Ahnen II, 123, 463, 464. Ajuga reptans I, 52. Alanin II, 46. Alaun, seine Zerlegung durch Wasser II, 37. Alchemie I, 12. II. 40* 628 Aelchen im Essig II, 90. Aldehyd, Alcohol dehydro- genatus, II, 45, 66; ent- steht aus Alkohol I, 247, 310; verbindet sich mit Bittermandelöl I, 283. Aldehydammoniak II, 46. Algen I, 261. Algerien II, 571. Alkaloide sämmtlich stoffhaltig I, 289. Alkohol, Darstellung aus öl- bildendem Gas und Wasser II, 45, 49; erhöht den Blut- druck I, 466; vermindert die Blutwärme I, 464; dämpft das Fieber und kräftigt das Herz I, 465 bis 467; vermindert die Harn- säureausscheidung I, 462, 464, die Harnstoffausschei- dung I, 462, 463 und die Kohlensäureausscheidung], 461, 462; Nachtheile des- selben im Süden I, 462, Nutzen im Norden I, 461; macht den Puls erst selte- ner, dann häufiger I, 466; ein Sparmittel für die Ge- webe I, 462, 467, II, 570; mässigt den Stoffwechsel I, 464, 467; wird zum Theil unverändert ausgeschieden durch Lungen, Haut und Nieren I, 248; seine Ver- brennung im Thierkörper I, 247, 248. Allantoin I, 222. stick- | Allantois, Urharnsack II, 112. Alte Zeit, Primärzeit, paläo- lithische Zeit II, 83, 123. Alligator, Harnsäure in seinen Muskeln J, 221. Allmacht I, 375. Allyl II, 47. Allylen II, 59. Allyljodür II, 59, 60. Allyltribromid Il, 60. Alpenhellerkraut, Thlaspi al- pestre calaminarium, I, 83. Amboss entsteht aus dem ersten Kiemenbogen II, 148. Ameisen II, 180. Ameisenfresser, Myrmecopha- ga, sein Hirnbau II, 201. Ameisenigel, Echidna, sein Hirnbau II, 205. Ameisensäure II, 63, 64, 65; künstliche Darstellung I, 276, aus Kohlenoxyd und Kalihydrat II, 44, 65; im Blut I, 233; im Fleisch I, 231, 277; im Hirn II, 226, 266; Erzeugniss der Rück- bildung im Thierkörper I, 230, 231, 375, der Ver- wesung J, 379. Ameisensäure - Aethyläther 1,16: Amerikaner der warmen Ge- genden essen Bananen II, 568. Ammoniak I, 54, 67, 69, 73, 74, 77; im Boden I, 91, 92, in der Luft I, 65, Nah- rungsstoff der Pflanzen I, 69, 70, 72, 73, 373; ent- steht bei der Fäulniss und Verwesung I, 378, 384, aus Cyan in wässriger Lösung an der Luft II, 41, durch die Verbindung von frei- werdendem Wasserstoff mit Stickstoff II, 40, 41, in der Ackererde I, 74. Ammoniak, kohlensaures, im Blut bei Bright’scherKrank- heit I, 3%. Ammoniak, saures saures II, 18. Ammoniak, salpetersaures als fumar- Düngemittel I, 36, im Re- | genwasser I, 77. Ammoniakarten, zusammen- gesetzte I, 387. Ammoniaksalze im Kalbs- bröschen, Thymus I, 228; als Nahrungsstoffe der Hefe- zellen I, 404, 405. Amnion, durchsichtige Ei- haut II, 111, 149. Amnionthiere, Amniota, II, 111, 113, 115, 149; eier- legende II, 112; lebendig- gebärende II, 112. Amniota s. Amnionthiere. Amoeba, Wechselthierchen I, 208, II, 91, 141. Amphibien, Lurche, in der Erdgeschichte II, 85, 103, 107, 108, 109, 161; haben zwei Gelenkhöcker am Schädel II, 109; ihr Hirn- bau II, 192. | 629 Amphileptus in den heissen Quellen Ischia’s II, 87. Amphioxus lanceolatus, Lan- zettthierchen II, 96—99, 102, 122, 150, 188; hat nur marklose Nervenfasern II, 235. Amygdalin, Mandelstoff I, 82. Amylaldehyd II, 69. Amylalkohol II, 69. Amyleyanür II, 69. Amylenwasserstoffentsteht aus Terebenthen und Wasser- stoff II, 34. Amyljodür II, 69. Anaemie J, 195, 474. Anbildung I, 100, 343. „Angeborene Anschauungen“ I, 15, II, 12, 288, 446. Anlagen II, 463. Anorganische Bestandtheile der Pflanzen I, 48-62. Anorganische Gewebebildner der Thiere I, 178, 188, 193, 200. Anorganische Körper I, 66. Anorganische Nahrungsstoffe I, 192. Anpassung II, 107, 108, 124, 128, 129, 130, 161. Anthropoides, Menschenaffen II, 120, 121. AnthropolithischeZeit, jüngste Zeit, Quartärzeit II, 83, 123, 132. Anthropologie, kunde II, 153. 199, 473, Menschen- 630 Antiweinsäure, Gegenwein- säure, linksdrehende Wein- säure II, 21. Aepfelsäure in Kartoffeln I, 269, in Trauben I, 285; wirksame entsteht durch Oxydation des Asparagins I, 269, II 18; entsteht aus Bernsteinsäure I, 277— 273; unwirksame entsteht aus saurem erdrauchsaurem — fumarsaurem — Ammoniak II, 18, 19, 22; wirksame entsteht aus Spargelstoff II, 18, 19, 22; liefert durch Gährung Buttersäure I, 403. Aepfelsaure Alkalien werden im Thierkörper in kohlen- saure Salze und Wasser umgewandelt I, 435. Aepfelsaures Ammoniak, sau- res II, 22. Aepfelzellen können die Hefe- zellen bei der weinigen Gährung ersetzen I, 405. Apios tuberosa, Glycine Apios II, 569. Apnoe I, 397. Apocrensäure s. Quellsatz- säure. Apperception, Wahrnehmung II, 389. Aprikosenkerne I, 163. Aqua foetida antihysterica II, 329. Aquaeductus Sylvii II, 196. Araber II, 568, 571. Arachinsäure II, 63. Arbeit, geistige, vermehrt die Ausscheidung von Harn- stoff, Phosphorsäure und SchwefelsäuremitdemHarn II, 267; macht hungrig I, 267; erhöht die Körper- wärme II, 267. Arbeit, Wärmesteigerung durch I, 330, 331. Arbeiter, seine Denkthätig- keit II, 528. Arbeitsäquivalent der Wärme- einheit II, 507—511. Arbeitsdrang, Wirkung des- selben auf unseren Willen II, 485. Arbeitsleistung eines kräfti- gen Mannes II, 521, 522, 523, 543; ihre Steigerung erfordert vermehrteEiweiss- zufuhr I, 237, 238. Arbeitsregelung aus dem Ge- sichtspunkt der Gesund- heitslehre II, 486. Arbeitstheilung II, 145; zwi- schen den verschiedenen Sinnen II, 536, 537. Arbor vitae im Wurm des Kleinhirns II, 196. Archäolithische Zeit, Urzeit, Primordialzeit II, 83. Arctopitheci s. Krallenaffen. Arcus pharyngei, Schlund- bogen, Eingeweidebogen, Visceralbogen, Kiemenbo- gen II, 148. Arme II, 147. Armeria vulgaris, Leimkraut I, 84. Armleuchterchen, Chara I, 50. Armuth II, 578 —580. Aroideen J. 319. Arragonit II, 24, 27. Arrow- root, Stärkmehl I, 158. Arsenik im Koth der Kuh I, 55, in Pflanzen I, 55. Arseniksaures Kali II, 20. Arten, Begriff derselben II, 304. Arthropoden, Gliederfüsser, ihr Nervensystem II, 177. Arzneikunst J, 12. Asche, ihr Werth I, 168, 169, 178, 201, des Hirns II, 226, 227. Ascidien, Seescheiden II, 96, 146, 178, 184, 185. Asparagin, Spargelstoff I, 269, II, 18, in Kartoffeln I, 269. Assimilation, Verähnlichung, I, 145. g Associationszeit, Zeit der Ge- dankenverbindung II, 412. Asterida, Seesterne, ihr Ner- vensystem II, 179. Astrologie I, 12. Athem, Anhalten desselben mässigt den Schmerz II, 465. Athembewegungen, ihr me- chanisches Aequivalent II, 530—532. „Athemmittel“, gegen den Begriff desselben I, 132, II, 230. 631 Aether II, 49. Aetherarten verbunden mit organischen Säuren in den Früchten I, 281. Athmen I, 99, 141, 218, 219, 234, 390; der Gewebe I, 219, 232, 246, unerlässlich für Gewebebildung I, 144; kräftigeres im Winter I, 457, 458, 460, 461; kräf- tiges steigert die Wollust II, 465. Athmung und Ernährung, kein Gegensatz zwischen beiden I, 131, 132, 256; langsame Verbrennung I, 390. Aethylamin, Weingeistbasis, I, 386, 387. Aethylen s. ölbildendes Gas. Aethylenoxyd, Oxyd des öl- bildenden Gases II, 56; Darstellung II, 57. Aethylschwefelsäure II, 67. Atlas, erster Halswirbel, II, 109. Aufgussthierchen, Infusorien, in den heissen Quellen Ischia’s 11,37; entbehren der Nervenfasern und Nerven- zellen II, 177, 234. Aufmerksamkeit, Ueberspan- nung derselben II, 379 — 383. Auge befindet sich niemals im vollkommnen Ruhezustande II, 429, 430; verkümmert bei Thieren, die im Finstern leben II, 162, 632 Augenbläschen II, 147. Augenschwarz, Melanin, Fus- cin I, 127, 139, II, 296. Auripigment, gelber Schwefel- arsenik II, 31. Ausgeathmete und eingeath- mete Luft, ihre Zusammen- setzung I, 248. Ausgeglühte Luft I, 401. Ausgleichung zwischen Hirn- grösse und Hirnmischung II, 230, 231. Ausscheidung in der Pflanze nicht nothwendig an Rück- bildung geknüpft I, 268. Aussenwelt, unablässige Ein- wirkung derselben auf den Menschen II, 458, 463, 477, 502, 503. Aussere Umstände, ihr Ein- fluss auf die Organisation II, 108. Australien II, 573, 575. Auswurfstoffe der Pflanzen I, 293-296; der Thiere I, 229, 233, 235, 260; ent- stehen vorzugsweise in den Geweben I, 246; durch- wandern das Blut I, 233, 244. Axiome I, 13. Axolotl, Siredon pisciformis, II, 108, 129. Baldriansäure, Valerian- säure, im Käse I, 382; Dar- stellung II, 68, 69; entsteht aus Käseweiss I, 379, 390; Erzeugniss der Verwesung J. 379; Zerlegung in Kohlen- säure und Kohlenwasser- stoff I, 382, 383. Baldriansaures Amyloxyd I, 282. Balken, Corpus callosum, II, 247, 252; bei Beutelthieren kaum angedeutet II, 170, 171, 247; taucht auf bei Kloaken- und Beutelthieren II, 247; kann dem Menschen fehlen II, 171, 249, 250; bei verschiedenen Säuge- thieren II, 247, 248; fehlt dem Vogelhirn II, 247. Balken und Commissura an- terior, umgekehrtes Ver- hältniss ihrer Entwicklung II, 252, 253. Balkenwindung II, 255. Bananen, Musa paradisiaca, M. sapientum II, 568. Bänder I, 131. Bärenäffchen s. Krallenaffen. Bärlapp, Lycopodium I, 50. Barsch, sein Hirnbau II, 192. Basen der Chinarinde I, 247. Basen, organische, als Rück- bildungserzeugnisse in den Pflanzen I, 273, 283, 375. Batate, chinesische, Dioscorea Batatas II, 569. Bauchknoten II, 180, 182; Verschmelzung derselben als Zeichen höherer Ent- wicklung II, 182, 183. Bauchmark II, 180. Bauchspeichel I, 144, 162, 417, 419. Bauchspeicheldrüse I, 452. Bauchspeichelhefe, Trypsin, I, 421. Bauchspeichelzellen I, 420. Bauer I, 62, 371, 372, 373. Bauformeln II, 54. Baustoffe des Körpers I, 133, 137, 139, 143. Beaujolais I, 84. Begriff II, 309, 443; abge- zogener II, 305, 306; Ent- stehung desselben II, 457; entwächst der Sinnenwelt II, 338; Summe gemein- samer Merkmale II, 305. Behensäure II, 63. Beinhaut, Periosteum, I, 215. Belegzellen, Epithelium, I, 125, 126, 127, 161, 209, 210. Benzin I, 282, Darstellung aus Essigsäure II, 44. Benzoesäure I, 226; entsteht durch Oxydation flüchtiger Oele I, 269; verwandelt sich durch Sauerstoffaufnahme in Bernsteinsäure I, 160. Benzoylchlorid II, 51. Bergmann I], 62. Bergneger Neu-Guinea’s be- nützen die Wasserver- dunstung durch Pistia Stratiotes L. als Abküh- lungsmittel I, 36, 367. Berliner Blau, seine Zer- setzung im Licht I, 32. Bernstein I, 268. 633 Bernsteinsäure im Bröschen, Thymus, in kranker Leber, in der Milz, in der Schild- drüse I, 231; Darstellung aus ölbildendem Gase und Cyan I, 277, II, 75; Er- zeugniss der Rückbildung im Thierkörper I, 230, 231; entsteht durch Sauerstoff- bereicherung aus Butter- säure und aus Benzoesäure I, 160, 268, aus Kork I, 264; durch Sauerstoffver- armung aus Aepfelsäure I, 160, bei der weinigen Gäh- rung I, 395, 396. Beseelung der Hirnrinde II, 312, 313; 339, 340. Beständigkeit des Wärme- grades des Menschen I, 299, 301, 331, 358, 365, 366. Betäubung bedeutet Ermü- dung II, 483. Beutel der Beutelthiere II, 119 Beutelratte, Didelphys, II, 118, ihr Hirnbau II, 201, 205. Beutelthiere, Marsupialia, Di- delphia, in der Erdge- schichte II, 85, 117, 118, 123; ihr Hirnbau II, 198, 201, 205. Bewegung ist verbunden mit einem elektrischen Strom in Muskeln und Nerven II, 455; steigert die Körper- wärme I, 330; übermässige des Kindes II, 634 hemmt d. Athmen u. mässigt die Wärmeerhöhung I, 333; übertragene bei der Gäh- rung I, 392, 399, 400, 412. Bewegungszellen II, 187, 243, 244, 245. Bewunderung, ihre Wirkung auf den Willen II, 485. Bewusstlosigkeit in Folge von Blutabsperrung vom Gehirn II, 257; in Folge von Ohn- macht u. Schlagfluss II, 270. Bewusstsein II, 442—446, 453; Eigenschaft des Stoffs II, 446; sein Sitz im Gehirn II, 446, 447; wechselnder Stand desselben II, 481, 482. Biene II, 180. Bienenarten, ihr verschiedenes Verfahren II, 441. Bienenwachs II, 64. Bier I, 247. Bilineurin, Cholin, Sinkalin I, 314, II, 56. Bindegewebskapsel um Ner- venzellen I, 174. Bindegewebskörperchen, Bin- degewebszellen, I, 127, 209, 214. Bindestoff I, 103, 119, 120. Biogenetisches Grundgesetz II, 141. Birken I, 50. Birne, Pyrus communis I, 275. Birnzellen können die Hefe- zellen bei der weinigen Gährung ersetzen I, 405. Bittererde, Talk, Magnesia, I, 49, 52, 54; in der Blut- flüssigkeit I, 170, in pflanz- lichen Samen I, 56; im Trinkwasser nicht Ursache des Kropfs I, 196. Bittermandelöl I, 82, 269; seine künstliche Darstel- lung I, 283. Blasensteine, eigenthümlicher Stoff derselben, Cystin, in Ochsennieren I, 226. Blätter nehmen schwefelsau- res Eisenoxydul auf I, 94. Blattgrün, Chlorophyll, I, 58, 94, 265, 267; seine Bildung erfordert Aufnahme von Sauerstoff I, 267; wandert durch die Blätter in den Stamm I, 288. Blauholz, Haematoxylon cam- pechianum L. I, 269. Blausäure I, 82; Darstellung aus Qualmgas und Stick- stoff D, 52; Ausgangspunkt um zum Fleischstoff auf- zusteigen II, 53. Blei, Anhäufung in Hirn und Leber I, 184. Bleichsucht I, 195, 199, 473, 474. Blendung bedeutet Ermüdung II, 483. Blickpunkt II, 325. Blinder Maulwurf, Talpa cae- ca, II, 162. Blinzeln II, 322, 323. Blödsinnige Menschen, ihr Hirngewicht II, 213, 214. Blumenkohl, I, 49, 52. Blut 41, 117, 144, 146, 165, 167, 374; seine Rolle beim Athmen I, 234; Unterschied zwischenarteriellem, schlag- aderlichem — und venösem, aderlichem — I, 248, 249; Blut kleiner Adern reicher an Wasser als das der Schlagadern I, 249; Zufuhr schlagaderlichen Bluts zum Hirn der Frucht II, 257; bereichert sich an kohlen- sauren Salzen durch Ge- müse und Kräuter I, 172, 181, 435, an phosphor- sauren Salzen durch Fleisch- kost J, 172, 181, 435; nimmt in den Geweben Wasser auf I, 249. Blutaustritt ins Hirn II, 269, 270. Blutbestandtheile, verschied. Geschwindigkeit, mit der sie die Gefässbahn ver- lassen I, 174, 175, 178. Blutbildner II, 578. Blutbildung I, 143, 144, 146, 165. Blutfarbe I, 249; der Wein- bergschnecke I, 249. Blutfarbstoff, Blutkörperchen- stoff, Hämoglobin, I, 170, 171, 398; sein Verhalten zum Licht I, 171, 172. Blutflüssigkeit, Blutplasma I, 127, 169. Blutfülle des Armes nimmt 635 ab, wenn die des Hirns zu- nimmt II, 265, 266. Blutgefässe, ihre veränder- liche Lichtung I, 312. Blüthenalter der Menschheit I, 242. . Blutkörperchen, farblose I, 134; ihre Umwandlung in rothe I, 205, 206; Vermeh- rung nach der Mahlzeit I, 166, 167, 204, 205; ihre Wanderung I, 207, 208. Blutkörperchen, rothe I, 41, 117, 118, ihre Bildung im Knochenmark und in der Leber I, 205; Grösse 118, Menge 118, Mischung 127, 169, Lebensdauer 253; Sauerstoffträger 117, 191, 201; wirken in gelassenem Blut als Fäulnisserreger 407. Blutkörperchen des Frosches II, 110. Blutkörperchenstoff s. Blut- farbstoff. Blutlaugensalz, seine fabrik- mässige Bereitung II, 40. Blutmause I, 207. Blutmenge des Körpers I, 252. Blutmiscbung abhängig von der Nahrung I, 437, 438. Blutplasma, Blutflüssigkeit I, 127, 169. Blutreichthum d. Organe desto grösser, je grösser ihre Lei- stung II, 540, 541,542, 544. Blutroth, Hämatin, Hämato- ginn; 5 2 171. 636 Blutroth, Hämoglobin, I, 248. Blutserum I, 127, 407. Blutwasser I, 127, 407. Bogenfasern desHirns II, 246. Bogenspindeln der Hirnrinde II, 240, 241. Boheasäure des Thees I, 269. Bohnen 1, 76, 91, 151; nahr- haft II, 569, 570. Bordeaux-Wein I, 84. Borlasia II, 178; ihre Blut- gefässe II, 256. Brache I, 85, 88. Brachfrüchte I, 88. Brachycephali, Kurzköpfe, II, 195. Branntwein I, 247, II, 577. Bright’sche Krankheit I, 390. Britten, Entwicklung ihrer Schädel in geschichtlicher Zeit II, 135. Brod als Nahrungsmittel I, 433, 434, II, 563 — 567. Brodfrucht, Nahrung der Ota- hitier I, 368, Brompropylen II, 48. Bröschen, Thymus I, 215, 216. Brücke, Pons Varolii, II, 253. Brüllaffe, Mycetes, Hirnbau I 198. Brunnenkresse I, 84. Buche I, 53, 86. Buchdruckerkunst II, 289. Buchweizen I, 87. Buenos Ayres II, 573. Bulbi fornicis, Corpora mam- millaria, Corpora candican- tia, Gewölbehöcker, II, 254, 255. Butter I, 391. Butteressigsäure, Metaceton- säure, Propionsäure, Er- zeugniss der Verwesung I, 379, II, 16; entsteht aus Oelsüss I, 382. Butterfett, Butyrin, I, 391. Butterfettbasis, Butylamin, Petinin, I, 386, 387. Buttersäure I, 112, 113, 141, 230, 343, 379, II, 63; im Fleisch I, 231, im Käse I, 382, 391, in ranzigem Fett I, 382; verwandelt sich durch Sauerstoffaufnahme in Bernsteinsäure I, 160, entsteht aus Aepfelsäure I, 403, aus Citronensäure I, 403, aus eiweissartigen Kör- pern I, 232, 406, aus Milch- säure I, 399; ihre Darstel- lung aus Propionsäure II, 68; entsteht aus Schleim- säure I, 403, aus Weinsäure I, 403, Erzeugniss der Rückbildung im Thier- körper I, 230, 231, der Verwesung I, 379. Buttersäuregährung I, 402, begünstigt durch alkalische Beschaffenheit der Flüssig- keit I, 403, durch Wärme von 40° I, 403; freier Sauerstoff ist ihr schädlich I, 403. Buttersaures Amyloxyd I, 282. Butylaldehyd II, 69. Butylalkohol II, 69. Butylamin, Petinin, Butter- | fettbasis I, 386, 387. Butyleyanür II, 69. Butyljodür II, 69. Butyrin, Butterfett, I, 391; seine Bildung aus Butter- säure und Oelsüss II, 72. Cacalia ficoides I, 285. Cacteae, Fackeldisteln, I, 266, 271. Caffein, Kaffeestoff, Theestoff, Thein I, 295, 469, 470. Californien II, 574. Calluna vulgaris I, 51. Calorie, Wärmeeinheit, I, 306; Menge der Calorien, die im menschlichen Körper ent- wickelt werden I, 352—355. Camphenwasserstoff entsteht aus Terebenthen u. Wasser- stoff II, 34. Cannabis indica, indischer Hanf, Haschisch, II, 272,273. Cannabis sativa II, 272. Caprinin, Ziegenfett, I, 391. Caprinsäure, Ziegensäure II, 63, im Käse I, 382, 391, 392, Erzeugniss der Ver- wesung J, 379. Capronaldehyd II, 70. Capronalkohol II, 70. Capronin, Käsefett, I, 391. Capronsäure, Käsesäure II, 63, im Käse I, 382, 391, 392, in ranzigem Fett J, 382; Dar- stellung aus Baldriansäure II, 69, 70; entsteht durch Oxydation aus eiweissarti- 637 gen Körpern I, 232; Erzeug- niss der Verwesung I], 379. Caprylin, Schweissfett I, 391. Caprylsäure, Schweisssäure II, 63, im Käse I, 382, 391, 392, Erzeugniss d. Verwesung I], 379. Carbonylchlorid, Chlorkohlen- säure, II, 51. Cardamine pratensis, Wiesen- schaumkraut, I, 68. Carolina II, 569. Catarhinae, schmalnasige Affen II, 120. Catechugerbsäure gepaarte Zuckerverbindung I, 286. Cenolithische Zeit, Neuzeit, Tertiärzeit II, 83, 123. Centralfurche des Hirns, Ro- lando’sche Furche II, 216. Cephalopoden, Kopffüsser, ihr Nervensystem II, 183. Ceratodus Forsteri II, 102. Cerealin II, 565. Cerebrin, Hirnstoff, II, 224. Cerotinsäure II, 63. Cetacea, Walthiere, ihr Hirn- bau II, 202, 210. Ceteris paribus II, 205, 209, 210, 400. Champagner I, 84. Chara I, 50, 90. Charakter II, 170,491,492, 613. Charleroi in Belgien II, 571. Chemie Schule des Denkens II, 308. Chemiker Bindekünstler und Scheidekünstler II, 53. 638 Chemismus Bewegung auf un- messbar kleine Entfernun- gen I, 403, II, 6. Chimpanse II, 120, 131, sein Hirnbau 209, 248, Hirn- gewicht 214, Hirnwindun- gen 207. Chinabaum I, 83. Chinasäure I, 83. Chinesen II, 568. Chinin I, 83, 274, 292, eine demselben isomere Verbin- dung künstlich dargestellt I, 276, als Schmeckstoff II, 369. Chinovagerbsäure gepaarte Zuckerverbindung I, 286. Chirurgische Operationen, das Säuglingsalter dafür ge- eignet II, 318, 545. Chlor im Stengel I, 56. Chlor und Wasserstoff ver— binden sich unter Ein- wirkung des Lichts II, 31. Chlorcyan, Darstellung aus Blausäure und Chlor II, 52. Chloressigsäure, künstliche Darstellung II, 43. Chlorkalium Krystallform II, 23, Muskelsalz I, 176—178, in d. rothen Blutkörperchen 169, im Speichel 189, 201. Chlorkohlensäure, Carbonyl- chlorid, II, 51. Chlornatrium im Blut I, 176, im Harn 190, 191, im Knor- pel 178, 188, 201, im Magen- saft 189. Chlorophyll I, 58, 94, 265, 267, seine Bildung erfordert die Gegenwart von Eisen 94 und Aufnahme von Sauer- stoff 267. Chlorsaures Kalium, Wärme- entwicklung bei seiner Bil- dung, Wärmeverbrauch bei seiner Zersetzung II, 512. Chlorverbindungen im Magen- saft I, 190. Cholalsäure, Cholsäure, stick- stofffreie Gallensäure I, 140. Cholesterin im Hirn II, 225. Cholin, Bilineurin, Sinkalin, I, 314, II, 56; Darstellung aus Trimethylamin und Aethylenoxyd 56, 57. Cholsäure, Cholalsäure, stick- stofffreie Gallensäure I, 140. Cholsäure von Demargay J. 226. Chorda dorsalis, Rückenstab, II, 96, 97, 100% Chordonier II, 96, 146, 150. Christenthum II, 493, 497,502. Chronoskop, Zeitgucker, II, 355. Chrysothrix, Eichhörnchen- affe, sein Hirnbau II, 199, 202. Chylus, Milchsaft, Speisesaft, I, 145, 153. Chymus, Speisebrei, I, 145. Cinchonin I, 274. Cinnamol, Styrol, seine künst- liche Darstellung I, 282. Cinnamylaldehyd, künstliche Darstellung I, 283. Circulationseiweiss, beweg- licheres Eiweiss I, 156. Citronenöl, Entstehung aus Terpentinöl I, 281, Ver- brennungswärme 305. Citronenensäure liefert durch Gährung Buttersäure I, 403. Citronensaure Alkalien wer- den im Thierkörper in kohlensaure Salze und Wasser umgewandelt], 435. Cleve II, 493. Colocasia odora I, 319. Columba livia, blaue Haus- taube, II, 127. Commissura anterior, vor- deres Querband, II, 195, 252; Verlauf ihrer Fasern beim Menschen 253, bei Schleichern und Vögeln 253, wenig entwickelt bei Schleichern und Vögeln 252, umgekehrtes Verhält- niss ihrer Entwicklung und der des Balkens 252, 253. Commissura posterior zwi- schen den Sehhügeln II, 253. Commissuren des Hirns II, 246, 249. Communismus, gegen den II, 557, 577. Coniin, Schierlingsbasis, I, 274, 290. Cornea, vorderer Abschnitt d. äussern Augenhaut J. 318. Cornu Ammonis, Pes Hippo- campi major, Widderhorn, II, 239, 255. 639 Corpora candicantia, corpora Mammillaria, Bulbi forni— cis, Gewölbehöcker, II, 254, 255. Corpora mammillaria II, 254. 255. Corpus callosum, Balken, II, 247, ist bei Beutelthieren kaum angedeutet 170, 171, 247, kann dem Menschen fehlen 170, 249, 250. Cotyledon calycina I, 285. Crataegus monogyna I, 275. CrataegusOxyacantha, Weiss- dorn, I, 275. Crensäure, Quellsäure I, 67, 383, 384. Cretine können ein windungs- reiches Hirn haben II, 210. Cretinismus I, 196. Culturbedingtheit II, 492. Cumarin, Waldmeisterstoff I, 473. Cyan, Darstellung aus den Grundstoffen II, 40; Ver- dichtung desselben J, 321. Cyanamid II, 51, Darstellung aus Ammoniak und Chlor- cyan, 51, 52. Cyansäure II, 40. Cycadeen, Palmenfarne II, 84. Cyclostomen, Rundmäuler II, 100, 101, 102, 150; ihr Hirnbau 189, haben nur marklose Nervenfasern 235. Cystin in Ochsennieren I, 226. Cytoblastem, Keimflüssigkeit, I, 134, 167. 640 Cytode, Urzelle II, 91. Dachkerne im Wurm des Kleinhirns I, 253, 254. Dammerde, Humus, I, 67, 68. Dammsäure, Huminsäure, I, 67, 383, 384. Dammsaures Ammoniak, hu- minsaures Ammoniak I, 70, 71, 72, 93, 422. Dammsaures Kali, huminsau- res Kali I, 68. Dammsaurer Kalk, humin- saurer Kalk I, 70, 71. Dampf II, 7, 8, 9. Darmkanal der Menschen hält die Mitte zwischen dem der Fleisch- und Pflanzen- fresser I, 453. Darmlarve, Gastrula, II, 94, 144, 150, 185. Darmrinne II, 145. Darmrohr II, 145. Darmsaft I, 144, 162, 419, im Darmkoth 243. Darmschleim I, 212. Darmzellen II, 144. Daumenballen II, 351. Deckknochen I, 215. Deckzellen II, 187. Decylenwasserstoff entsteht aus Naphtalin und Wasser- stoff, aus Terebenthen und Wasserstoff II, 34. Delphin, Hirnbau, II, 198, 202, 209. Denkäquivalent der Wärme II, 547, 548. Denken I, 14, II, 309; Be- wegung des Stoffs II, 259, 268, 309, 416, 439, 440; ermüdet 533; Erziehung desselben 457; macht hung- rig 267, 533; vermehrt die Ausscheidung von Harnstoff, Phosphorsäure und Schwe- felsäure mit dem Harn 267, 533; erhöht die Körper- wärme I, 332, II, 267, 268, 533; naturbedingt 439; ein zeitlicher Akt II, 408, 411, 415. Denkender Mensch, er ist die Summe seiner Sinne II, 444, Denkzellen II, 145, 187. Dextrin, Stärkegummi, I, 143, 263, 267, 345. Diamant II, 25. Diastase, Gerstenhefe I, 417. Diatomeen II, 99. Dichtung II, 554. Dickhäuter II, 305. Dicotyledonen, zweikeimblätt- rige Pflanzen, II, 438, 439. Didelphia, Marsupialia, Beu- telthiere II, 118, 123. Diethylbenzin entsteht aus Naphtalin und Wasserstoff II, 34. Diffusion II, 367. Ding an sich II, 444, ist Ding für uns 288, 444. Dinge bestehen nur durch ihre Eigenschaften II, 288. Dioscorea Batatas, chinesische Batate II, 569. Dipneuste, Doppelathmer, II, | 102, 103, 105, 106. | Divergenz der Arten II, 125. Doppelathmer s. Dipneuste. | Doppeltkohlensaures Natron | I, 173. Dotterfett, Lecithin, I, 244, 314, II, 54, 55, 221—224; in Blut 221, im Eidotter 221, im Hirn 227, im Nerven- system 221, in den Samen- fäden 221, Zusammensetz- ung 222, 223, phosphor- | haltig 221, Eigenschaften 221, 223, 224. Dotterölfett II, 222. Dotterölpalmfett II, 222. Dotteröltalgfett II, 222. Dotterpalmfett II, 222. Dottertalgpalmfett II, 222. Dottertalgfett II, 222. Druck, Einfluss desselben auf die Mischung von Flüssig- keiten II, 33. Drüsen I, 191. Dualismus der Weltanschau- ung, gegen den II, 155, 614. Dumas’sche Reihe der flüch- tigen fetten Säuren II, 63, 65. Dünger I, 68, 73, 88, 92; thierischer I, 91. Dunkler Himmel drückt uns nieder II, 458. Durchfall bei ausschliesslicher Fleischkost I, 444, 450. Durst nach stark gesalzener Kost I, 428. Dytiscus, Schwimmkäfer, ver- | 641 schiedene Verrichtung sei- nes oberen und unteren Schlundknotens II, 183. Echidna, Ameisenigel, sein Hirnbau II, 205. Echinodermata, Sternthiere, Strahlthiere, in der Erd- geschichte II, 85; ihr Ner- vensystem II, 179. Ectoderma, äusseres, oberes Keimblatt, II, 185. Egel, Hirudineen, haben grosse Nervenzellen II, 236. Ehrfurcht ruft Blut in das Gehirn II, 265. Ei, menschliches I, 211; der Säugethiere, Bewegungen desselben II, 141, 142, Eiche, I, 50, 53. Eichhörnchen sein Hirnbau II, 201. Eichhörnchenaffe, Chryso- thryx, sein Hirnbau II, 199, 202. Eidechsen, ihr Hirnbau II, 194; ihr Sauerstoffbedarf I, 341; wärmer als Frösche 341. Eidotter, sein Fettreichthum II, 230, nützlich für Schwindsüchtige I, 156. Eier der Kalkschwämme II, 92, 141; faulen in Folge des Schüttelns I, 409. Eigenlicht der Netzhaut II, 429, 430, 478. Eigenschaft II, 156, 157; ' keine E. ohne Stoff 5. Eigenschaften, Form und II. 41 642 Mischung gehen Hand in Hand II, 17—26, 268, 303; E. sind Verhältnisse der Dinge zu unsren Sinnen | 289, 290; die einzelnen E. eines Körpers sind nicht von einander unabhängig 303; aus einigen charakte- ristischen eines Körpers kann man auf eine ganze Reihe der übrigen schliessen 306, 307. Eigenwärme Maass des Stoff- | wechsels I, 327; E. der Pflanzen 319. Eihaut, durchsichtige, Am- nion, II, 111. Eindruck, jeder E. hinter- lässt eine unauslöschliche Spur II, 488, 490, 491. Einfach kohlensaures Natrium nimmt Kohlensäure auf I, 173. Eingeathmete und ausgeath- mete Luft, ihre Zusammen- setzung I, 248. Eingeweidebogen, Kiemen- bogen, Schlundbogen, Vis- ceralbogen, Arcus pharyn- gei II, 148. Eingeweidewürmer II, 90. Einheitslehrer, Monisten, II, 156, 259. 614. Einkeimblättrige Pflanzen II, 438, 439; ihr Auftreten in der Erdgeschichte, 84. Eintheilung, unglückliche E. Eigenschaften | der Nahrungsstoffe in Athemmittel und Nähr— mittel, in wärmeerzeugende und gewebebildende I, 323. Eis II, 8. Eisen I, 46, im Blut 60, 178, 201, im Blutfarbstoff 170, Blut- und Haar-Metall 178, in der Galle 183, in den Haaren 178,188, im Hirn 178, im Kieselpanzer der Auf- gussthierchen 178, in der Krystalllinse 178, in der Leber 183, fehlt den Knochen 179; Rolle des E. in den Pflanzen 58, 94. Eisen und Schwefel, Einlei- tung ihrer Verbindung durch Wärme II, 31. Eisengehalt im DBlutroth (Haematin) und Augen- schwarz (Melanin) I, 128. Eisenmangel im Blut als Krankheitsursache I, 195, | 199, 200. Eisenoxyd TI, SI. Eisenrost I, 75. Eiszeit II, 132, 133. Eiweiss, beweglicheres, Cireu- lationseiweiss, I, 156; Ent- wicklung des E. 68, 69, 73, 76, 95, 422; geronnenes E. im Hirn II, 225, geronnenes Pflanzen-E. I, 374, II, 26; E. als Fettbildner I, 139, 140, 145; in der Frucht 89; Nahrungsstoff der Hefe- zellen 404; lösliches im Zelleninhalt II, 26; in den Pflanzen I, 65, 77, 97, 272, 374; Spaltung des E. 123, 124, 126, 130, 140; Ver- brennungswärme des E. 350; wandert aus den Blättern in den Stamm 288. Eiweissartige Blutbestand—- theile verwandeln sich durch Oxydation in Leimbildner II, 540. Eiweissartige Körper werden durch Magensaft, Bauch- speichel und Darmsaft in Peptone umgewandelt I, 419, 420; verbrennen im lebenden Körper wie Fett und Zucker 225; Verschie- denheit pflanzlicher und thierischer E. 148, 149. Eiweissbedarf des arbeitenden Mannes I, 237, 238, ar- beitender Thiere 238, 239. Eiweissreiche Kost vermehrt die Zahl der farblosen Blutkörperchen mehr als die der farbigen I, 437, Ekelgefühl bedeutet Ermü- dung II, 483. Elain, Olein, Ölstoff I, 391. Elastin, federkräftiger Stoff I, 124, Elastische, federkräftige Fa- sern I, 123. Elektricitätläßtsichin Wärme verwandeln II, 513. Elektrische Organe II, 175. Elektrischer Strom bewirkt 643 chemische Zersetzung II, 512; entsteht durch die Thätigkeit in Muskeln und Nerven 455; e. S. zeitmes- send 343—345. Element, chemisches J, 9, 32. Element, Grove’sches II, 513. Elementarfäserchen der Ner- venfasern II, 174, 175. Elephant II, 305; Windungen seines Hirns 209, sein Hirn- bau 203, 209. Elephas primigenius, Mam- muth II, 132. Embryo II, 111. Eminentia bigemina, E. qua- drigemina II, 193. Eminentia quadrigemina, E. bigemina, II, 193. Empfindung, Perception, II, 389, 446; E. Verhältniss der Sinne zu den Dingen 445; ihr Ursprung 277, 310, 443; ibr mechanisches Äquivalent 537, 538. Empfindungscentrum II, 311, 313. Empfindungszellen II, 243 bis 245. Emulsin, Synaptase, Mandel- hefe, I, 82; kann die Hefe- zellen bei der weinigen Gährung ersetzen, 405; zer- setzt Salicin in Saligenin und Zucker 406. Enchelys in den heissen Quellen Ischia's II, 87. II. 41* 644 Encyclopädisten I, 273, II, 552. Enderzeugnisse der Fäulniss J. 422; der Verwesung 381, 422. Endosmose I, 37, 38. Engis, Schädel von E. II, 132, 133. Enten, zahme und wilde I, 128, 129, ihr Sauerstoff- bedarf I, 330. Entfernte Ursachen erklären nichts I, 372. Enthauptete, ihr Hirn stirbt rasch ab II, 270. Enthirnte Thiere, ihr Ver- halten II, 279—285. Entschluss II, 311, 453. Entwicklung des Bewusstseins II. 445, des Denkens 445; der Nahrung im Thier- körper I, 142, 143, 203, 256; des Stoffs 373, 374, 388, 424, 425; verschiedene E. derselben Stoffe 284; Werden und Vergehen 115. Entwicklungsgeschichte des Menschen II, 145, 160; der Sinne I, 20. Enzyme, ungeformte organi- sche Umsatzmittel I, 420. Eozoon canadense, kana- disches Morgenwesen II, 84. Epencephalon, Nachhirn, II, 190. Epiphysen der Knochen I, 214. Epithelium, Belegzellen I, 125, 126, 127, 161, 209, 210. Equisetum hiemale I, 53. | Erblichkeit II, 161. Erbsen I, 49, 76, 91, 151; sind nahrhaft II, 569, 570. Erbsenkäse I, 149. Erbsenstoff, Legumin, I, 148, 374, II, 570; E. und Käse- stoff verschieden I, 148, 149. Erdenkloss II, 137. Erdgeschichte II, 84. Erdrauchsaures Ammoniak, saures, saures fumarsaures Ammoniak, II, 18. Erdrinde Grabstätte unserer Ahnen II, 82; ursprünglich geschmolzen 87; ihre Schätze 578, 579. Erdsalze, Ausscheidung der- selben durch die Horn- gebilde I, 245. 8 Erdsäure, Geinsäure, I, 383. Erfahrung I, 12, 26. Erhaltung der Kraft II, 517, 519, 537. Erica carnea I, 51. Erinnerungsbild II, 381, 470. Erkenntniss ist sinnlich II, 288, 444. Erkenntnissquellen des Men- schen I, 9. Erklären heisst erzählen II, 437. Ermüdung II, 480, 483. Ernährung I, 131; E. und Athmung, kein Gegensatz zwischen beiden, I, 131, 132, 256. Ersatzbedürfniss des Organis- mus I, 250. Essigkahm, Essigmutter, Es- | sigpilz, Mycoderma aceti, Ursache des Sauerwerdens von Bier und Wein, I, 46, 413, 415. Essigmutter s. Essigkahm. Essigpilz s. Essigkahm. Essigpilz und Platinmohr, ihre verschiedene Einwir- kung bei der Essigsäure- bildung I, 414. Essigsäure II, 63; entsteht durch Oxydation aus Al- kohol I, 247, 310, aus ei- weissartigen Körpern 414, durch trockne Destillation des Holzes 414; künstliche Darstellung vermittelst der Ameisensäure II, 66, 67, aus Chloressigsäure I 279, II, 44, aus Qualmgas I, 280; im E. im Fleisch 231, Schweineschmalz 382, im Spindelbaum 279; Erzeug- niss der Rückbildung im Thierkörper 230, 231, der Verwesung 379. Essigsäureglycerid II, 60. Essigsäure-Methyläther 16. Essigsaures Amyloxyd I, 282. Essigsaures Eisenoxyd in der Milz I, 231. II, Esslust I, 246, 438; wächst durch geistige wie durch körperliche Arbeit 246. Evonymus europaeus, Spindel- baum I, 269, 279. 645 Fackeldisteln, Cacteae, I, 266, 271. Faham, Thee von Bourbon, enthält Cumarin I, 473. Fahren vermindert die Kör- perwärme I, 333. Fallsucht II, 262. Färberröthe, Krapp, I, 269. Farbstoff der Färberröthe I, 269. Farbstoff, grüner, der Pflanzen, Blattgrün, Chlorophyll, I, 58, 94, 265, 267. Farbstoffe als Rückbildungs- erzeugnisse in den Pflanzen I, 273, 283, 375. Farbstoffkörnchen in den Pigmentzellen der Netzhaut II, 293, wandern bei der Belichtung in die Binnen- fortsätze der Zellen II, 295, 296. Farbstoffzellen, Pigmentzellen der Netzhaut II, 294, 295. Farne, Zeit der II, 84. Faserstoff I, 147. Faserstoffbildner I, 147, 171. Faulhorn I, 237, II, 537. | Fäulniss I, 376, 377, 378, 380, 381, 385, 422; durch Vermittlunglebender Zellen 407. Federkraft derKnochen nimmt beim Greise ab I, 257. Federkraft der Stimmbänder nimmt beim Greise ab I, 258. Federkräftige, elastische Fa- sern I, 123. 646 Federkräftiger Stoff, Elastin, R.124: Feldbau I, 86. Felsina-Wasser als Riechstoff II, 368, 369. Ferment, Hefe I, 392. Ferment inversif, zymase, Umsatzhefe I, 411. Fett ein Baustoff der Nerven- faser und Nervenzelle II, 230, ein Baustoff des Thier- körpers I, 133— 136; reich- lich vorhanden im Hirn höherer Thiere II, 229, 233; F. in den Pflanzen I, 65; schlechter Wärmeleiter 136, 339, 461; verbrennt bereits im Blut zu Kohlensäure und Wasser 247; Verbren- nungswärme 350. Fettansammlung in der Augen- höhle I, 135. Fettaufspeicherung in der Finsterniss I, 101. Fettbildung auseiweissartigen Körpern I, 139, 140, 145, 232; in der Pflanze 113, 265, 374; im Thierkörper 112, 345, 346; aus Zucker 144. Fette, Wasserspaltung der F. durch Bauchspeichel I, 419. Fette Kost der Stimme nach- theilig I, 426, 427. Fette Säuren II, 62; flüchtige J, 141, entstehen durch Verbrennen eiweissartiger Körper 281; zahlreich im | Hirn II, 225; ihre Verbin- dung mit Oelsüss 72. Fettgewebe unter der Haut I, 135, II, 230. Fettsucht I, 114, 446, 447. Fettzellen I, 135, 214, 216, 218. Feuergeist I, 28, 29. Feuerländer gehen nackend II, 165. Fibrin, Faserstoff I, 147. Fibrinferment I, 147. Fibrinogene Substanz I, 147. Fibrinoplastische Substanz I, 147, 171. Fichten I, 50. Fieber, Nutzen kalter Ge- tränke im F. I, 367; Stoff- wechsel im F. beschleunigt 336; Wärmebildung im F. 336. Filtriren der Luft durch Baumwolle I, 400. Fingerförmige Grube, hinte- res Horn der Seitenkammer des Gehirns II, 209. Fingerspitzen II, 398. Fische I, 365; in der Erd- geschichte II, 85; ihr Hirn- bau 192. Fischkost der Kamtschadalen I, 369. Flechte lebt von anorgani- schen Stoffen I, 66, II, 40. Fledermäuse, ihr Hirnbau II, 201, Hirnrinde 238. Fleisch II, 573; als Nahrung I, 433—435; verdaulicher als Brod 436, 446; F. und Pflanzenkost haushälterisch verglichen 450, 451. Fleischauszug II, 573. Fleischbasis, Kreatinin, I, 140, 219, 220, 272; 220, 233, im Harn 228; Rückbildungserzeugniss im Thierleib 375. Fleischbrühe I, 469, II, 574, 575. Fleischextract II, 573. Fleischfresser, ihr Blut reicher an Blutkörperchenstoff als das der Pflanzenfresser I, 436; F. verbrauchen für die gleiche Menge ausgeath- meter Kohlensäure mehr Sauerstoff als Pflanzenfres- ser 326; haben kleine Spei- cheldrüsen 452. Fleischgallerte J, 119. Fleischkost wird vom mensch- lichen Organismus vollstän- diger ausgenützt als Pflan- zenkost I, 450, 451; nütz- lich im hohen Alter 455; vermehrt Eisen im Blut 436; vermehrt die Eiweiss- stoffe im Blut 436; vermehrt den Fettgehalt des Bluts 436, 437; macht den Harn sauer 441, 442; vermehrt die Ausscheidung von Harn- stoff 442, 443; nach F. wird weniger Kohlensäure aus- geathmet als nach Pflanzen- kost 440, 441; vermehrt im Blut | 647 und bereichert die Milch 439; entwickelt die Mus- keln 438; Nachtheile aus- schliesslicher F. 447: ver- mehrt die Ausscheidung phosphorsaurer und schwe- felsaurer Salze durch den Harn 443; nützlich bei sitzender Lebensweise 455. Fleischnahrung I, 194. Fleischsäure, Inosinsäure, I, 219, 220; reichlich im Hüh- nerfleisch 220, 236. Fleischstoff, Kreatin, I, 140, 219, 220, 272, II, 50; im Blut I, 220, 233; Darstel- lung aus Cyanamid und Sarkosin II, 51; im Hirn II, 226, 266; reichlich in Vogelmuskeln 1, 236: Rück- bildungserzeugniss im Thierleib 375. Fleischzwieback I, 574. Fliegenschwamm J, 476. Flimmerbewegung II, 367. Flimmerkugel, Magosphaera planula II, 93. Flimmerlarve, Planula II, 93. Flimmerzellen I, 210. Flossen, erste Anlage II, 147; F. der Fische 109. Flossenfüsser, Pinnipedia, ihr Hirnbau II, 202. Flüchtige Auswurfsstoffe in Pflanzen I, 293, 294. Flüchtige Basen, verschiedene als Zersetzungserzeugnisse pflanzlicher und thierischer 648 Eiweisskörper I, 149, 150. | Flüchtige fette Säuren II, 64; Plan ihrer künstlichen Dar- stellung 66; entstehen bei | der Rückbildung aus kohlen- stoffreicheren fetten Säuren und aus eiweissartigen Kör- pern 64; Erzeugniss der Verwesung I, 379, 381; im Käse 382. Flüchtige Ole Rückbildungs- erzeugnisse in den Pflanzen I, 375. Flügel II, 147. Fluor I, 32, 33, 34. Fluorcalcium I, 86; Knochen- salz 178, 188. Flusskrebs hat grosse Nerven- zellen II, 236. Flusspferd II, 305. Flusswasser I, 54. Form, Mischung und Eigen- schaften gehen Hand in Hand II, 17—26, 268, 303. Formbestandtheile I, 131; Er- neuerung derselben 166,209. Formenwechsel I, 210. Fornix, Gewölbe des Hirns II, 254, 255. Forschung I, 6, 7, II 3, 169. Forstwissenschaft I, 86. Fortsätze der Nervenzellen II, 173, 243. Franzosen, Entwicklung ihrer | Schädel in geschichtlicher Zeit II, 135, 136. Frauen, ihre Körperwärme I, 339. Freier Wille, Ursprung seines Wahns I, 467—469, 495, 549. Freiheit II, 500. Freude, ihr Einfluss aufs Auge II, 277, auf den Puls . Frösche I, 99, II, 103, 104, 105, 451; enthirnte 279, 280; entleberte 167, 184, 223, 224; geblendete 100; Ge- schwindigkeit ihrer Nerven- leitung 346, 350; ihr Hirn- bau 192, 193; kälter als Eidechsen I, 341; Verhal- ten ihrer Netzhaut im Dunkeln und Hellen II, 295, 296; Menge der von F. ausgehauchten Kohlen- säure I, 335; ihr Sauer- stoffbedarf 341. Froschlarve, Kaulquappe II, 103, 104. | Froschmuskeln, Wärmezu- nahme durch Zusammen- ziehung J, 331. Frucht im Mutterleibe ver- spürt kein Nahrungsbe- dürfniss II, 314, 315; Re- flexbewegungen derselben 319; entbehrt beinahe gänz- lich der Gelegenheit zu sinnlichen Empfindungen 314; hat nur eine be- schränkte Gelegenheit ihren Tastsinn zu entwickeln 314, 319. | Früchte, Reifen der I, 285. Fruchthefe, Pektase I, 286. Fruchtmark, Pektose II, 26. Fruchtwasser I, 43. Fruchtzucker, linksdrehender, Levulose I, 398, 410, 411. Fuchs, sein Hirnbau II, 206. Füllungsschreiber, Plethys- mograph II, 263, 264. Fumaria officinalis, gemeiner | Erdrauch II, 18. Fumarsaures Ammoniak II,18. Fünfzehiger Fuss II, 109. I Gallenfett, Furchen des Gehirns II, 200. Furchung des Eidotters II, 142, 143. Furchungskugeln II, 142. Fusein, Melanin, Augen- schwarz I, 127, 139, II, 296. Gabler, Kloakenthiere, Mono- tremata, Ornithodelphia II, | 117, 149, 197. Gährung I, 392, 400; weinige G. Folge eines Lebensvor- | gangs 403; W. G. begünstigt durch saure Beschaffenheit der Flüssigkeit 398; erfolgt am leichtesten bei 25% 30 398; bei der w. G. entstehen aus Zucker und Wasser neben Alkohol und Kohlen- säure Bernsteinsäure, Öl- süss und Sauerstoff 395; W. G. verursacht durch Pilze 393, 400, 403, 405, 406, durch lebende Zellen 407. Gährungsfähigkeit ein Vor- 649 recht organischer Stoffe I 421. Galle I, 144, 162, 183, 192, im Darmkoth 243, G. des Rindes reich an Natron 192, der Seefische reich an Kali 192, 193, tägliche Menge derselben 254. Gallenblase fehlt dem Klipp- dachs, Nashorn und Tapir II, 305. 7 Cholesterin, im Hirn, II, 225. Gallenpaarling, geschwefelter, Taurin I, 130; in den Lungen 226, in den Muskeln der Schaalthiere 226, in Ochsennieren 226. Gallensäure, geschwefelte, Taurocholsäure J, 130. Gallensäure, schwefelfreie, Glyeocholsäure I, 140, 226. Gallensäure, stickstofffreie, Cholsäure, Cholalsäure I, 140. Gallensäuren zerlegen sich unter Wasseraufnahme in Cholalsäure und Gallen- paarlinge I, 416. Gallenspaltungssäure, Cholal- säure I, 226. Gallertkuchen II, 574. Gallussäure I, 286. Galmeihügel I, 84. Galmeiveilchen, Viola tricolor calaminaria I, 83. Ganglien, Nervenknoten II, 147, 650 Gänsefett I, 382, Gänsefuss, stinkender, Cheno- podium Vulvaria, I, 275. Gänsefussbasis, Trimethyla- min I, 275, 386, 387. Gartenschnecke hat grosse Nervenzellen II, 236. Gastraea, Urdarmthierchen II, 9. Gastrodiscus, Keimdarm- scheibe II, 144. Gastrophysema II, 95. 144, 150, 185. Gaswechsel in den Luftwegen I, 233, 234. Gattung, die menschliche G. | ist stets im Werden be- griffen II, 493, 612. Gaultheria procumbens, kana- discher Thee, flüchtiges Öl desselben, salicylsaures Me- thyloxyd I, 281. Gedächtniss II, 311. Gedanke I. 25, II, 172 u. folg. 258, 309, 436. Gedankenerzeugung nicht un- erklärlicher als Elektricität und Magnetismus II, 260, 261. Gedankenschnelligkeit lich II, 343. Gedankenthätigkeit nicht aus- dehnungslos II, 259, 260, end- 415, 439; G. und Muskel- | arbeit stehen in umgekehr- tem Verhältniss zu einander II. 533—536, Gegenweinsäure, Gefässhaut, weiche Haut des Hirns und Rückenmarks II, 269. Gegensteller des Daumens, Musculus opponens pollicis, II, 351. Antiwein- säure, linksdrehende Wein- säure II, 21. Gegenwirkung, Rückschlag, Reaction II, 479, 480. | Gehen, die bei demselben ver- Gastrula, Darmlarve II, 94, | wandte mechanische Arbeit II, 525—527. Gehirn, Sauerstoffbedürfniss desselben I, 117. Gehörreize können dieKohlen- säure-Ausscheidung ver- mehren II, 533; es giebt keinen Schwellenwerth für dieselben II, 431. Gehörschnecke I, 398. Geinsäure, Erdsäure I, 383. Geist II, 554. Geist in der Natur II, 416. Geisteskrankheit Hirnkrank- heit II, 528. Geistige Bildung, ihr Wachs- thum vermehrt den Ge- brauch der Würzen I, 474. Gelbe Bänder der Wirbelsäule I, 124. Gelber Fleck der Netzhaut II, 291, 398. Geld, Vergleich zwischen G. und Blutkörperchen II, 555. Geldzuwachs, bezüglicher Werth desselben II, 419. Gelenkhöcker am Schädel II, 109. Gelenkschmiere, Synovia 1,42. Gemeiner Erdrauch, Fumaria officinalis II, 18. Gemischte Kost, der Mensch ist durch die Mischung und den Preis der Nahrungs- mittel, wie durch den Bau seiner zeuge auf g. K. angewiesen I, 446-454. Gemüse als Nahrungsmittel | I, 434, 435. Gemüthsbewegungen, ihr Ein- fluss auf die Blutgefässe des | Antlitzes II, 277, auf die Leber 278, auf die Milch 278, auf die Thränenabson- derung 278. Generatio aequivoca, Urzeu- gung, II, 88, 89, 90. Generatio spontanea s. gene- ratio aequivoca. Gerbsäure in Früchten I, 286, 287, in den Oliven 265; verwandelt sich durch Oxy- dation in Bohea- und Viri- | Aufnahme | von Sauerstoff durch G. 287; Umwandlung derselben in | dinsäure 269; reiferen Früchten 285, 286. Germinal matter, Keimstoff, Protoplasma I, 45, 72, 207. Gerste I, 51. Gerstenhefe, Diastase I, 417. Gerüche erwecken Erinner- ungen II, 298. Verdauungswerk- 651 Geschichte II, 496. Geschlechtliche Fortpflanzung II, 95. Geschlechtstrieb wird ange- regt durch Lauch, Rettig, Rüben und Vanille I, 476. | Geschlechtswerkzeuge, Ver- hältniss ihrer Entwicklung zu den Urnieren II, 116. Geschmack gewisser Blätter, mittags keiner, abends bit- ter, morgens sauer I, 285. Geschmackseindrücke beein- flussen unsere Stimmung II, 29098, 299. | Geschmacksreize II, 333. | Geschmackswärzchen II, 332. | Geschwindigkeit, verschie- dene G., mit der die ein- zelnen Blutbestandtheile durch die Haargefässwand aausschwitzen I, 176, 177, 178, 190, 247; der Flinten- kugel II, 344, 345, 347, 348, 349, 350; der Leitung in Bewegungsnerven 350, 351, in Empfindungsnerven 352, 356, der Nervenleitung beim Frosche 346—350, beim Menschen 350—358, G.d.N. erleidet im Rücken- mark keine Abnahme II, 357, 358; G. des Schrittes 525, des Stoffwechsels I, 250 u. folg., abhängig von Geschlecht, Lebensalter, Temperament, Beschäfti- gung 242, 255, 256; G. des 652 Übergangs von Stoffen in den Harn 255. Geschwindigkeitshöhe, die der Geschwindigkeit des Schrit- tes entspricht, II, 526. Gesetz I, 24, 25, II, 171, 308, 494; Ableitung desselben II, 308, 309; Gesetze des Zählens und Wägens herr- schen auch in lebenden Wesen I, 347. Gesichtswinkel II, 301. Gestalt des Blattes Folge seiner Entwicklung I, 441. Getreide I, 72, 86, 91, 96. Gewebe I, 45, 99. Gewebeathmung I, 219, 232, 233, 246. „Gewebebildende Nahrungs- stoffe“ stehen nicht im Gegensatz gegen die wärme- bildenden IJ, 323. Gewebebildner, organische, weder basisch noch sauer J, 272; im Thiere 103. Gewebebildung Verbrennung I, 131, 139, 302, unter Einwirkung des Sauerstoffs 101, 104, 131. Gewichtsverlust, täglicher, des Körpers I, 251, bei aus- schliesslicher Pflanzenkost | 444, beim Hungertode 250, 369, verschieden im Sommer u. Winter 251, b. Laufen 246. Gewitterregen J, 74. Gewohnheit, Macht der II, 472, 473. langsame I Gliadin Gewölbe, Fornix des Hirns II, 254, 255. Gewölbehöcker, Bulbi fornicis, Corpora mammillaria, c. candicantia II, 254, 255. Gewürznelkenähnliche Zellen der Hirnrinde II, 242. Gibbon II, 120, 131. Gipfelreiz, Reizhöhe, II, 432, 433, 434. Glasgow II, 576. Glaube, verschiedene Art des- selben I, 4; G. oder For- schen 425, II, 3, 5, 169; G. und Wissen I, 425. Glauberit, seine Zerlegung durch Wasser II, 37. Glaubersalz, schwefelsaures Natron I, 60. Gleichartige, homologe Ver- bindungen I, 387, 388. Gleichgewicht des Stoffwech- sels I, 256, 257. im engeren Sinne, Pflanzenleim I, 433, im weiteren Sinne 433. Gliederfüsser, Arthropoden, ihr Nervensystem II, 177, 180. Gliederthiere in der Erd- geschichte II, 85. Gliedmassen, Anlage derselben in der Keimesgeschichte II, 147. Globulin I, 127, Glockenblumen II, 84. Gluten, Kleber I, 86, 433. Glutencasein, Zymom, Kleber, Käsestoff I, 433. Glutenfibrin, Kleberfaserstoff I, 433. Glycerin, Ölsüss I, 279, 381, I 382, 390, 392, II, 50, 223; G. ein Alkohol 72, entsteht bei der weinigen Gährung | I, 395. Glyein, Glycocoll, Leim- zucker I, 140, 226, II, 50 entsteht aus Leimbildnern I, 226; Paarling der Gly- cocholsäure und der Hippur- säure 226, der Harnsäure 228, Umwandlung in Harn- stoff 227. Glycine Apios, Apios tuberosa II, 569. Glyeiphila elaeospora, G. ery- throspora I, 69. Glyeocholsäure, stickstoff hal- tige, schwefelfreie Gallen- säure I, 140, 226; zerlegt sich unter Wasseraufnahme in Cholalsäure und Glyco- coll I, 416. Glycocoll s. Glycin. Goldmacher II, 579. „Goldne Luft“ in Mainz II, 460. Gorilla II, 120, 131; sein Hirn- gewicht 213. Götter Griechenlands personi- | Haare I, 125, 126, 209; Aus- fieirte 494. Graphit II, 25. Gras I, 50, 55. Naturgewalten II, 653 Graue Substanz der Nerven— heerde reicher an Blut- gefässen als die weisse II, 256, 540. Greis, Gewürze sind ihm nütz- lich I, 475; Stoffwechsel desselben I, 257, 258, 259, 338, 339, 467; schwache Verdauung des G. II, 566, 567; wärmer als der Er— wachsene I, 338, 339, 340. Grönländer verzehren viel Thran und Talg I, 368. Grosshirnballen,Hemisphären des grossen Gehirns I, 190, 193, 194, 195, 197, 199, 200, 209, 247, 250, 268; ihr Verlust raubt den Thieren ihren Charakter 283. Grube, rautenförmige II, 194. Grundstoff, Element I, 9, 32. Grundton II, 436. Grünfinken, Sauerstoff bedarf I, 331, 341. Gudden’s Commissur Tractus opticus II, 253. Gummi in der Pflanze I, 374. Günzel, kriechender, Ajuga reptans IJ, 52. im Gut, Begriff des Guten II, 496. Gyps, schwefelsaurer Kalk im Boden I, 66; als Dünger 85, 86, 92, 94. fallen derselben 209, 243, 245; H. Hülfsorgan des Tastsinns II, 116, 117, 165; 654 Richtung der H. am Unter- | arm 163, 164. Haargefässe, Capillaren I, 41, 42, 174, 175, 555; H. der grauen und weissen Sub- stanz der Nervenheerde II, 256, 540; verschiedene Durchmesser der H. in verschiedenen Geweben I. 175. Haargefässnetz, verschiedene Form seiner Maschen I, 175. Haarmetall, Eisen I, 188. Haarwuchs II, 116. Hafer I, 51. Haifisch II, 101; Reichthum seiner Muskeln an Harn- stoff I, 223. Halbaffen II, 119; Windungen ihres Hirns 209. Halbheit I, 1, 425, II, 170, 476. Halbkugel des Hirns, der Mensch kann mit Einer denken II, 251; angeborener Mangel einer H. 251. Halbkugeln des grossen Ge- hirns II, 190, 193, 194, 195, 197, 199, 200, 209, 247, 250, 269; die eine fördert die Entwicklung der anderen 251; ihr Gewichts- verhältniss zum Kleinhirn | 209. Halbwüchsige, hemiedrische Krystallformen II, 74. Haliphysema II, 95. Halswand, vordere, entsteht aus dem vierten Kiemen- bogen II, 148. Halswirbel, erster II, 109. Hämatin, Hämatosin, Blutroth 1127: 2171: Hämatosin s. Hämatin. Hammer entsteht aus dem ersten Kiemenbogen II, 148. Hämoglobin, Blutfarbstoff, Blutkörperchenstoff, Blut- roth, I, 170, 171, 249, 398; Verhalten desselben zum Licht 171, 172. Hamster II, 441. Hanf, Cannabis indica, seine Wirkung auf das Hirn- leben II, 272, 273. Hanfkerzchen I, 476. Hänflinge, Sauerstoffbedarf I, 330. Harder, Mugil capito, sein Hirnbau II, 192. Harn entfernt Salze aus dem Körper I, 245; H. der Fleischfresser sauer 441; der Pflanzenfresser alka- lisch 441; H. pflanzenfres- sender Thiere wird beim Hunger sauer 443; H. reicher an phosphorsauren Salzen nach dotterfett- reicherNahrung 244, reicher an schwefelsauren Salzen nach eiweissreicher Nah- rung 244; H. der Vögel und Schlangen enthält Harnsäure statt Harnstoff 223. Harnausscheidung durch kör- perliche Anstrengung ver- mehrt I, 245. Harnblase, Anlage der II, 112. Harnlassen der Kinder im Schlaf II, 451. Harnoxyd, Xanthin, im Hirn II, 226, 266. Harnoxydul Hypoxanthin, I, | 221; in Hefe 404; im Hirn I, 226, 266; in der Milz | Rückbildungs- I, 221; erzeugniss im Thierleib 375. Harnsäure I, 83, 141, 220, | 221, 272; in der Bauch- | speicheldrüse 221, im Blut | 233, im Hirn 224, II, 226, | 266, in der Leber I, 221, in den Lungen 221, in der Milz 221, in den Muskeln 221, in den Nieren 221; fehlt im Harn der Katze 273, und in dem der pflan- . zenfressenden Thiere 223, 273; Rückbildungserzeug- | niss im Thierleib 375; Ver- mehrung derselben durch | Fütterung mit Leim I, 153, 154, 157, 158; Verminde- | rung durch Aufnahme von Alkohol 462, 464. Harnstoff I, 141, 220, 221; | im Blut 233, in Exsudaten | 224, in der Glasflüssigkeit | des Auges 223, in Herz, Hirn, Milz und Muskeln bei Cholera-typhoid 224, im Hirn II, 266, in den 655 Muskeln der Haifische und Rochen I, 223, in den Muskeln eines Hingerich- teten 224, in der wässerigen Flüssigkeit des Auges 223; entsteht aus Harnsäure 221, 222, aus Hornglanz, Tyro- sin 227, aus Käseweiss, Leucin 227, aus Leimzucker 227, 317; H. Erzeugniss der Rückbildung im Thier- körper 375, Enderzeugniss der Verbrennung im Thier- leib 302; künstliche Bil- dung des H. durch Oxy- dation eiweissartiger Körper 229, 230, künstliche Dar- stellung 274, 275, II, 48; ' zerfällt ausserhalb des Körpers unter Wasserauf- nahme in kohlensaures Ammoniak I, 228, 375; Zu- rückhaltung des H. im Blut bei Bright'scher Krank- heit 390. Harnstoffausscheidung durch Aufnahme von Alkohol vermindert I, 462, 463; wächst durch Fleischkost 442, 443; nimmt zu durch Fütterung mit Leim 153, 154, 158; wächst durch Kochsalzenthaltung 430, und durch Kochsalzufuhr 430; durch geistige Arbeit 246, 332; ihr Verhalten bei vermehrter Muskelarbeit 237, 238; H. je nach dem 656 Geschlecht 242, dem Lebens- alter 242, 340. Harnstoff, kleesaurer in den Muskeln entleberterFrösche I, 224. Harnstoffbildung im Thier- körper I, 104, 221, 222, 227. Harte Haut des Auges, Scle- rotica, I, 125. Harze, ihre Bildung aus flüchtigen Ölen in der Pflanze I, 270; als Rück- bildungserzeugnisse in den Pflanzen 273, 283, 375. Harzgänge der Pflanzen I, 270. Haschischa, Hanf, Canabis indica II, 272. Haschischrausch II, 273. Hass Naturerscheinung II, 493. Hauptwindungen II, 207. Hausenblase I, 122, 124. Haustaube, blaue, Columba livia II, 127. Haut I, 131, 374; entfernt Rückbildungs - Erzeugnisse 242, 243, 244; Verdunstung von der H. 363, 364. Haut, weiche, des Hirns, Gefässhaut, II, 269. Hautathmen und Lungen- athmen, Unterschied zwi- schen beiden I, 243, 244. Häute I, 119. Hauttalg I, 212. Hecht, sein Hirnbau II, 192. Hefe, Ferment I, 392. Hefe der Buttersäure-Gährung | I, 402, der Milchsäure- Gährung widersteht der Hitze von 100° 401, zieht Sauerstoff aus organi- schen Verbindungen an: aus Zucker 395, aus Blut- körperchenstoff, Oxyhämo- globin 398. Hefezellen im Dienste der höchsten Leistungen der Menschheit I, 423, 424; der Milchsäuregährung 401, 405, der weinigen Gährung 405. Heidekräuter I, 51. Heidelberg II, 561. Heidenthum II, 493. Helligkeitsgrade, Unterschei- dung derselben II, 422, 423; werden bei starker Beleuchtung feiner unter- schieden als bei schwacher 423. Hemiedrische, halbwüchsige Krystallformen II, 74. Hemisphären des grossen Ge- hirns, Grosshirnballen II, 190, 193, 194, 19 199, 200, 209, 247, 250. Hennen, ihr Sauerstoff bedarf I, 330. Herbstblätter I, 271. Herz stromlos II, 275. Herzbeutelwasser, Liquor pe- ricardii, I, 43. Herzgewicht II, 542. Herzkraft II, 505. Herzleistung II, 529; die ihr entsprechenden einheiten sind nicht unter Wärme- | den Wärmeausgaben des | Körpers aufzuzählen 530. Herzmuskel, seine fähigkeit mit der von an- deren Muskeln verglichen II, 542, 543, 544. Hexenmehl I, 50. Hexylcyanür II, 70. Hexyljodür II, 70. Hinterhauptslappen des Hirns II, 209, 255, 311. Hinterhirn, Metencephalon, II, 190. Hippursäure, Pferdeharn- säure I, 83, 226, 274; Darstellung aus Zinkleim- | zucker und Benzoylchlorid | II, 51. Hirn II, 172, 273; bedarf der Reizung 310; der Affen 197, 198, 199, 202, 208, 209, 210, 215, 248, 255, der Ameisen 179, 180, des Barsches 192, der Beutel- ratte 201, 205, der Beutel- thiere 198, 201, 205, der Bienen 179, 180, der Fische 231, des Hechtes 192, des Hundes 198, 204, 205, 206, 207, 248, der Insekten- fresser 198, 201, des Kängu- ruhs 205, des Kaninchens 247, der Katze I, 180, der Krallenaffen II, 201, 248, der Lurche 231, des Men- schen 176, 177, 199, 207, Arbeits- | 657 215—216, 248, des Pferdes I, 180, II, 230, der Raub- thiere 198, 209, der Säuge- thiere 197—207, der Schlei- cher 193, 194, 195, 252, der Schweifaffen 202, des Schweins 231, der Vögel 195, 196, 197, 201, 247, 249, 252, der Walthiere 202, 210, der Ziege I, 180; Entartung des H. Ursache von Schlafsucht, Geistes- schwäche, Blödsinn II, 269; Entwicklung des Menschen- hirns 199, 200, 203, 208, 249, 278, 279; tiefe Ent- wicklungsstufe des Men- schenhirns 213, 214, 218, 219; H. der Thiere reicher an Bindegewebe als das H. des Menschen 239; unreifes H. enthält viel Bindegewebe 245; Verhältniss des Ge- wichts des H. zu dem des Körpers 211, 212; Ver- mehrung des Bindegewebes im H. bei Blödsinn 286; H. Werkzeug der Gedanken- thätigkeit 229, 279, 280, 281, 285, 309, der sinn- lichen Wahrnehmung 279. Hirnasche sauer II, 227. 7 Hirnbläschen des Menschen II, 199. Hirnbläschen, erstes II, 188, zweites und drittes 189; ihr Auftauchen in der Keimes- geschichte 146, 188, in der II. 42 658 Stammesgeschichte 98, 100, 188. Hirnentzündung II, 270. Hirnganglien II, 255, 256. Hirngewicht, Abnahme des- selben im Greisenalter I, 258; H. des Kanarienvogels II, 231, des Mannes 214, 231, der Meise 231, des Menschen in verschiedenen Lebensaltern 233, ausge- zeichneter Menschen 213, verschiedener Racen 214, der Vögel 230, 231, des Weibes 214. Hirnhöhle, dritte, vierte 194. Hirnkammer, mittlere, II, 194. Hirnkrankheit, durch krankes Blut bedingte, II, 285. Hirnlappen II, 207. Hirnmark II, 246. Hirnmasse, Verhältniss der- selben zu den Kopfnerven II, 215. Hirnmischung, richtige, uner- lässliche Bedingung seiner Verrichtung II, 227, 228, 232; Entwicklung dersel- ben 279; H. der Frucht im Mutterleibe 231, 232, im Greisenalter 232, in ver- schiedenen Lebensaltern 231, 232, 233, 245, des un- reifen Hirns 245, bei ver- schiedenen Thieren 229 bis 233. Hirnreaction, chemische, II, I, 193, 267, nach Reizung des Hirns 533. Hirnreizung, ihr Einfluss auf die Eingeweide II, 278. Hirnrinde, Bau derselben II, 237 245; Beseelung der- selben 312, 313; H. reicher an Blutgefässen als Hirn- mark 256. Hirnrückenmarksflüssigkeit I, 43, I, 269. Hirnstoff, Cerebrin II, 224, 227. Hirnthätigkeit II, 258, 279; erfordert vermehrten Blut- zufluß zum Hirn 261—266, 532, 541. Hirntheile, deren peripheri- sches Organ vernichtet ist, erleiden eine Rückbildung II, 314. Hirnzellen werden durch klopfende Blutgefässchen erschüttert II, 257. Hirnzeit II, 385 — 389; ist die H. abhängig von der Stärke der Reizung? II, 388. Hirschhorngallerte, Leim, 125, 158. Hirse Hauptnahrung der Be- wohner der stillen Südsee J, 368. Hirudineen, Egel, haben grosse Nervenzellen II, 236. Holzgeistbasis, Methylamin I, 386, 387. Holzstoffe I, 163, 263, 264, 267, 374, II, 26. ]; Homoeotherme, Thiere I, 365. Homologe Organe II, 186. Homologe, gleichartige Ver- bindungen 1, 387, 38, II, 628. Hörcentrum II, 312, 313. Horn I, 118, 139. Horn, hinteres H. der Seiten- kammer des Gehirns, finger- förmige Grube II, 208, 209; mittleres 208, vorderes 208. Horngebilde schlechte Wär- meleiter II, 165. Hornglanz, Tyrosin I, 141, 225, in der Bauchspeichel- drüse 226, 389, in Eiern 408, in der Hefe 404, in der Milz 225, 389, in kranker Leber 389; ent- steht aus Eiweiss und Horn 226, 377, aus Knorpelleim 377, 378, aus eiweissartigen Körpern durch Einwirkung von Kalilauge und von ver- dünnter Schwefelsäure 408; Erzeugniss der Fäulniss 377, der Rückbildung im Thierleib 375; seine Um- | wandlung in Harnstoff 227. Hörnerve der Heuschrecken II, 184, der Krebse 184, der Schnecken 184. Horniss hat grosse Nerven- zellen II, 236. Hornpanzer schlechter Wär- meleiter I, 136. Hörzellen II, 175. Hottentotten II, 577. | 659 stetigwarme | Hufthiere, ihr Hirnbau II, 198, 202. Hühnchen, Entwicklung sei— ner Hirnbläschen II, 188, 189. Hühner, ihr Sauerstoffbedarf I, 341; enthirnte H. II, 280, 282. Hülsenfrüchte I, 72, 89. Huminsäure, Dammsäure, I, 67, 383, 384; huminsaures Ammoniak 422, humin- saures Kali 68. Hund, sein Hirnbau II, 198, 204, 205, 206, 207, 248; Hirnrinde 238, 239. Hunger in Folge geistiger Arbeit J, 333, II, 268; seine Einwirkung auf das Hirn- leben 271, Stoffwechsel beim H. I, 328, II, 268. Hungernde Menschen, Lebensdauer I, 250. ihre | Hungertod I, 250, 327; Ge- wichtsverlust des Körpers beim H. 250, 369; Wärme beim H. 328, 369. Hyacinthenöl entsteht Terpentinöl I, 281. Hyaenasäure II, 63. Hydrolyse, Wasserspaltung J, 416, II, 55, 65, 73, bei der Verdauung I, 420. Hylobates syndactylus, Sia- mähg II, 199. Hylodes martinicensis, Laub- frosch von Martinique II, 108. aus II. 42* 660 Hypoxanthin, Harnoxydul I, | 221, in der Hefe 404, im Hirn II, 226, 266, Rück- bildungs-Erzeugniss im Thierkörper I, 375. Ich II, 445. Idee IJ, 15, II, 309. Igel, sein Hirnbau II, 198, 201. „Ignorabimus“ ? II, 297, 341, 342, 436, 437. Indianer des Oregongebiets leben in manchen Jahres- zeiten beinahe nur von Wurzeln I, 444, 445. Indigblau I, 160, 161. Indigcarmin, indigschwefel- saures Natron, I, 160. Indigo I, 160. Indigweiss I, 160, 161. Infusorien, Aufgussthierchen, entbehren der Nervenzellen und Nervenfasern II, 177, 234. Inger, Schleimfische, Myxinoi- des II, 100. Inosinsäure, Fleischsäure I, 219, 220, reichlich im Hühnerfleisch 220, 236. Inosit, Muskelzucker, im Hirn II, 226, 266. Insekten haben unentwickelte Nervenfasern II, 235. Insektenfresser, ihr Hirnbau II, 198, 201. Insel des Hirns, Re il'sche Insel, mittlerer Hirnlappen, = | II, 207, 219, 220. Instinkt I, 471, II, 442; an- geborener I, 471, erworbe- ner 471, veränderlich 471. Instinktgesetz II, 441, 442. ı Irrsein im Nervenfieber II, 270. Irrwahn bei Hirnentzündung II, 270. Ischia, seine heissen Quellen FL: &1. Isländer leben von Fischkost I, 445. Isomere Stoffe liefern ver- schiedene Zersetzungspro- dukte II, 16. | Isomerie II, 13. Jagdhund, sein Hirn reich an Windungen II, 206. Jochbein entsteht aus dem ersten Kiemenbogen II, 148. Jod in der Ackererde I, 196, in Brunnenkresse 84, in Brunnenwasser 197, in Eiern 196, 198, in Fluss- wasser 197, in der Luft 197, in Milch 196, in natürlichen Gewässern 196, in Pflanzen und Thieren 196, im Regenwasser 196, 197, im Weine 84, 196. Jodmangel als Ursache des Kropfs I, 197—199. Jodquecksilber II, 36. Jodstickstoff II, 36. Johannisbeerzellen können die Hefezellen bei der weinigen Gährung ersetzen I, 405. Jüngste Zeit, anthropolithische 83, 123, 132. (uartärzeit, Bu; Kaffee I, 468, fördert die | Darmbewegung 475; ist nicht mit Fleischbrühe zu vergleichen 469, 470; sein Einfluss auf die Hirnthätig- keit I, 470, 472, II, 270, 271; K. vermehrt die Menge des Magensaftes I, 475; ist nicht nahrhaft 469, 472; sein Einfluss auf den Stoffwechsel II, 571, 572. Kaffeestoff, Caffein, Thein, Theestoff I, 295, 469, 470. II. Kakaostoff, Theobromin, I, 295. Kali I, 51, 54, 55, 86, 95, in Kartoffeln 85, in Runkel- rüben 85, in Samen 56, im Weinstock 85, im Weizen 85; Summe seiner Eigen- schaften II, 303, 304, 307. Kali-Albuminat, Käsestoff I, 147. | Kali-Salze im Blut I, 95, in den Blutkörperchen 169, im Fleisch 95, im Hirn II, 226, in der Milch I, 188, in den Pflanzen 95, be- gleiten Stärkmehl und Zucker 57, 95. Kalk I. 49, 51, 52, 53, 54, 83, in der Blutflüssigkeit 170, in Muschelschalen 181, im Stengel 56, in Ver- 661 tretung organischer Basen 274. Kalkschwamm, Olynthus, II, 92, 141. Kalkspath II, 23, 24, 27. Kaltblütige, wechsélwarme Thiere I, 366. Kampf ums Dasein II, 124, 125, 126, 159, 168. Kamtschadalen brauchen Branntwein II, 577; leben von Fischkost I, 369, 445; betäuben sich mit Fliegen- schwamm I, 476. Känguruh II, 118, sein Hirn- bau 205. Kaninchen, sein Hirnbau II, 198. Kap der guten Hoffnung II, 577. Kap Horn II, 574. Kapuzineraffe, seine Hirn- rinde II, 238. Kartoffeln I, 49, 51, 55, 83, 85, 87, 92, 269, 373, wenig nahrhaft II, 568, 569, 570. Kartoffelbasis, Solanin, in Kartoffeln, die im Keller keimen, I, 273. Kartoffelzellen können die Hefezellen bei der weinigen Gährung ersetzen I, 405. Käse verdankt seinen wür- zigeen Geschmack Ver- wesungserzeugnissen I, 382, 392; vermehrt die Menge des Magensafts 475. Käsefett, Capronin, I, 391. 662 Käsesäure, Capronsäure, ent- steht durch Oxydation aus eiweissartigen Körpern I], 232, Erzeugniss der Ver- wesung 379, im Käse 382, 391, in ranzigem Fett Käsestoff, Kali-Albuminat I, 128, 129, 147, im Binde- gewebe 128, im Blut 128, 147, in der Wand der Blut- gefässe 128, im Hirn II, 225, in der Milch I, 147, im Nackenband 129. Käsestoff und Erbsenstoff verschieden I, 148, 149. Käsestoffbildung aus Eiweiss 1,128: Käseweiss, Leuein, I, 141, 225, 375, entsteht aus eiweiss- artigen Körpern, Horn- gebilden und Leimbildnern I, 226, 377, 378, aus ei- weissartigen Körpern durch Einwirkung von Kalilauge 408, von verdünnter Schwe— felsäure 408; K. Erzeugniss der Fäulniss 377, im Bauch- speichel 225, in der Bauch- speicheldrüse 225, 389, im Bröschen, Thymus, 225, 389, in Eiern 408, im Hirn II, 266, in den Lungen I, 225, 389, in Lymphdrüsen 225, in der Milz 225, 389, in der Schilddrüse 225, 389, im Speichel 225, in den Speicheldrüsen 225, 389, in krankem Hirn 225, 389, in kranker Leber 225, 389, Rückbildungserzeugniss im Thierleib 375, 389. Käseweiss, schwefelhaltige Abart des K. in Hefe I, 404. Käseweiss, ein dem K. ähn- licher Körper im Hirn II, 226. Kastanienzellen können die Hefezellen bei der weinigen Gährung ersetzen I, 405. Katze, ihre Hirnrinde II, 239. Kaulquappe, Froschlarve, II, 103, 104. Kehlkopfknorpel entstehen aus dem dritten Kiemen- bogen II, 148. Keimblatt, äusseres, oberes, II, 144, 185, inneres 144, mittleres 145. Keimblätter II, 95. Keimdarmscheibe, Gastrodis- cus, II, 144. Keimen I, 77, 83, 266, 267, 296. Keimflüssigkeit, Cytoblastem, I, 134, 167. Keimgeschichte, Ontogenie, II, 86, 138 u. folg., Ab- kürzung der Stammesge- schichte 140, 141, 150, 151. Keimkörner, Sporen I, 394. Keimstoff, Protopslasma I, 45, 72, 207, 358, II, 87, 88, 91, 237, 295. Kerbthiere, ihr Nervensystem II, 178, 182. Kern I, 44, der Nervenzellen | II, 173. Kern der Antlitznerven II, | 239, gezahnter Kern der | Kleinhirnlappen 239. Kernkörperchen der Nerven- zellen II, 173. Kernstab, Achsencylinder, II, 174. Kernstoff, Nuclein, II, 221. Kernzellen II, 137, 141. Kiefern I, 86. Kiemenbogen II, 147, 160, Berechtigung d. Namens 148, 149, Umwandlung derselben 148, 161. Kiemenlurche, Perennibran— Grotte, Proteus anguineus, II, 105, 106, 162. Kiemenspalten II, 147, 160. Kieselerde, Kieselsäure, I, 48, 51, 52, 54, 56, 93, in Blättern 56, im Eiweiss des Hühnereies 182, in Horngebilden 182, in Ober— hautzellen der Pflanzen 93, im Stengel 56, reich- lich in Vogelfedern 182. Kilogramm I, 28. Kind, seine allmälige Ent- wicklung II, 457; erste Begriffe 338, beginnt im dritten Jahre zu schliessen 339, Erwachen des be- wussten Sinnenlebens 339, 340, lernt sprechen 338, 663 Stoffwechsel des K. I, 242, 340; wärmer als Erwach- sene 340. Kinder, was man ihnen sagen darf II, 121. Kindliches Alter, Anbildung und Rückbildung im k. A. gesteigert I, 340. Kings’s crab, Limulus Cyclops, I, 183. Kirchhöfe II, 459, 460, 559; gegen dauernde K. 559, 560, 563. Kirschenzellen können die Hefezellen bei der weinigen Gährung ersetzen I, 405. Kirschkerne im Koth I, 163. chiata, Sozobranchia II, 107. Kiemenmolch der Adelsberger | Kitzeln II, 322, 450. Klang II, 435, 436. Kleber, Gluten, I, 86, 433. Kleberfaserstoff, Glutenfibrin, I, 433. Kleberkäsestoff, Glutencasein, Zymom, I, 433. Kleberschleim, Mucedin, 433. Klee, I, 49, 86. Kleesäure II, 41, entsteht im Thierkörper aus Essigsäure I, 248, aus Harnsäure 222, Erzeugniss der Rückbil- dung im Thierkörper 230, 231, 375; künstliche Dar- stellung der K. 277, II, 41; in den Muskeln ent- leberter Frösche I, 224, 231, in den Pflanzen 92, 95, II, 41, sauerstoffreichste I, 664 Pflanzensäure I, 289, im Schleim 231. Kleesaurer Kalk in Pflanzen I, 93, 95, 271, 288. Kleie reicher an Kleber und Fett als gebeuteltes Mehl | II, 563, 564; gegen die un- bedingte Benützung der K. 565— 568. Kleienbrod I, 164, nicht un- | bedingt zu empfehlen II, 565--568. Kleine Thiere verzehren in | gleicher Zeit für gleiches Körpergewicht mehr Sauer- stoff als grosse I, 330. Kleinhirn, seine erste Anlage 1.19% Kleinköpfe, Microcephali II, 218, 219, 220. Klippdachs II, 305. Kloake II, 117, 149. Kloakenthiere, Gabler, Mono- -tremata, Ornithodelphia, II, 114,349 150,.-197- Ihr Hirnbau 197, 201, 205. Knallquecksilber II, 36. Knallverbindungen II, 36. Knoblauchöl II, 48. Knochen I, 119, 131, 138, 374, II, 26, bilden kein blosses Gerippe I, 216, Nahrungsmittel der Hunde 151, einzelne K. bilden den Schlüssel zum Bau eines Thiers II, 308. Knochenbildung I, 213. den | Knochenerde I, 60, 137, 138, 78, 201. Knochenfische, ihr Hirnbau II, 191, 192, 196. Knochenkeimzellen, blasten I, 214. Knochenkörperchen I, 216. Osteo- ' Knochenleim I, 119, 122. Knochenmark I, 214, II, 230; Bildungsstätte von Blut- körperchen I, 216. Knochenblättchen I, 214. Knochenrinde I, 215. Knochensalz, Fluorcalcium, I, 178. Knochenstein I, 62. Knochenzellen I, 214. Knorpel I, 119, 374, II, 26. Knorpelfische, Selachier, II, 101. Knorpelleim I, 119, 122. Knorpelmark I, 213, 214. ' Knorpelsalz, Kochsalz I, 137, 138, 177, 178, 188. Knorpelzellen I, 213, ihre Vermehrung beim Wachs- thum 218. Kochsalz I, 41, 42, 137, 138, 177, befördert die Absonderung des Samens 429, die Gewebebildung 429, die Sauerstoffaufnahme durch eiweissartige Körper 431, bereichert das Blut an Blutkörperchen 428, be- schleunigt die Verdauung des Eiweisses 429; K. im Blut 190, 192, in der Blut- flüssigkeit, Blutplasma, 169; seine Eigenschaften kennen heisst nicht sie erklären II. 437, 438; K. im Hirn 226, K. Knorpelsalz I, 137, 138, 177, 178, 188, 428, 429, 430, 431; seine Kry- stallform II, 23; physio- logische Leistungen des- selben I. 190, 191, 200, 201, 202, 428; K. als Schmeckstoff II. 369; über- reichliche Zufuhr von K. wirkt giftig I, 431, 432; das Blut an Faserstoff 428, an Wasser | 428, vermehrt die Harnstoff- K. verarmt ausscheidung 430, die Ab- sonderung des Magensaftes 429, die Speichelabsonde- rung 429, die Stickstoflaus- hauchung durch Haut und | Lungen 429, 430. Kochsalzenthaltung vermehrt | die Harnstoffausscheidung | I, 430. Kochsalzhunger I, 430, 431. Kohle, formlose II, 25; K. Magazin von Sonnenlicht und Sonnenwärme 518. Kohlehydrate, gegen Begriff der, I, 262, 309, 310, 326, 327. Kohlensäure I, 31, 58, 71, 272; die ausgeathmete K. enthällt nicht bloss von aussen zugeführten Sauer- stoff 305; Endprodukt der den ] 665 Verbrennung im Thier- körper 230, 231, 247, 302, der Verwesung 379, 382, 383, 384, 385; ihre Ent- stehung aus Kleesäure 223; ermüdende Wirkung der- selben in den Muskeln 235, 236; Erzeugniss der Rückbildung in der Pflanze 375, im Thierkörper 141, 230, 231, 232, 375, K. im Blut 233, in der Blut- flüssigkeit, Blutplasma, 170, 201; Menge der von ver- schiedenen Thieren aus- gehauchten K. 334, 335; K. Nahrungsstoff der Pflan- zen 261, 320, 373, Pflanzen- mutter 98; Ursprung der- derselben 78; Verdichtung derselben durch 36fachen Luftdruck II, 32. Kohlensäure-Abgabe durch die Pflanzen I, 99, 295, 296. Kohlensäureausscheidung der Frösche nimmt mit der Wärme zu I, 459. Kohlensäure-Ausscheidung durch die Haut I, 460, wächst beim Menschen mit der Wärme 460. Kohlensäureausscheidung des Menschen wird durch gei- stige Getränke vermindert I, 461, 462; je nach dem Geschlecht 242; wird durch körperliche Anstrengung vermehrt 245; je nach dem 666 Lebensalter 242, 340, bei Nacht und bei Tag 100, 259, grösser als im Süden 455, wächst während der Verdauung 247; grösser im Winter als im Sommer 455. Kohlensäure-Ausscheidung warmblütiger Thiere in der Kälte grösser als in der Wärme I, 458, 459. Kohlensäurebildung in den Pflanzen I, 99, 111, im Thierkörper 104. Kohlensäurequelle in der Ackererde I, 90, 91. Kohlensäurezersetzung in grünen Pflanzentheilen I, 77, stockt während der Finsterniss 111, 112. Kohlensaure Alkalien, Koh- lensäureträger im Blut I, 201. Kohlensaure Salze nehmen im Blut durch Pflanzenkost zu I, 172, 181, 435. Kohlensaures Kali als Düng- mittel I, 86, nützlich für Blatt und Stengel 89. Kohlensaurer Kalk I, 50, 94, II, 23, 24, 27, in alten Pflanzentheilen I, 57, in Blättern 56, reichlich in Chara-Arten 90, reichlich | in neugebildetem Knochen- gewebe 187, in den Stacheln | dem | der Stachelhäuter, Gehäuse der Polypen, den im Norden Schalen der Weichthiere 60, im Blut der Teich- muschel 60, 181. Kohlenstoff, verschiedene | Krystallformen II, 24; der wichtigste Pflanzenerzeu- ger, Phytogen, I, 65, 78; kein freier K. verbrennt im Thierkörper 303, 350; Verbrennungswärme des K. 306. Kopfkohl I, 55. | Kork I, 163, 263, 264, 374, II, 26, in Dornen und Pflanzenhaaren I, 264, in Kartoffelschalen 263, 264, 265, 272, in der Schale des Kerns der Steinfrüchte 264. | Korksäure I, 264. Korkzellen enthalten Wachs, kein Stärkmehl I, 266. Körnchen, farbige, in den Nervenzellen II, 173. Körnerzellen, Kornzellen der Hirnrinde II, 242. Körperkreislauf II, 115. Kostmaass eines arbeitenden Mannes I, 351, II, 519; K. an Eiweiss je nach der Arbeit I, 237, 238. ' Koth I, 164, 165, 243, 244, 245, der Kuh 55, Menge des K. 244. Kothbildung I, 164. Kraft, Begriff II, 305; Eigen- schaft des Stoffs 8, 9, 10, 11, 27, 76, 152; lebendige K. 511, 512; K. unsterblich | | f 516, 517; wirkende, leben- dige K. 517, wirkungsfähige K., Spannkraft 517. Kraft und Stoff unzertrenn- lich verbunden II, 153, 154, 155, 551, 552, 557. Kraftumsetzung durch den galvanischen Strom II, 514 bis 516. Kraftwechsel I, 412, 413, II, 504 u. folg. Krallenaffen, Arctopitheci, ihr Hirnbau II, 199, 201, 209, 248. Kranich II, 130. Krapp, Färberröthe I, 269. Kreatin, Fleischstoff, I, 140, 219, 220, 272, II, 50, im Blut I, 220, 233, im Hirn II, 226, 266, reichlich in Vogelmuskeln I, 236, Rück- bildungserzeugniss i. Thier- leib 375. Kreatinin, Fleischbasis, I, 140, 219, 220, Darstellung aus Cyanamid und Sarkosin II, 51; im Blut I, 220, 233, im Harn 228; Rück- bildungserzeugniss i. Thier- leib 375. Krebse, ihr Nervensystem II, 178. Kreideperiode II, 84. Kreis II, 289. Kreislauf des Lebens I, 79, 423, 553, 612. Kreislauf des Stoffs I, 64, 78, 79, 80, 141, 371, 373, 422, | 667 423, 424, 425, II, 553, 579, 590. Kresse I, 51, 76. Krokodille, ihr Hirnbau II, 194, 201. | „Krone d. Schöpfung“ II, 138. Kropf I, 196— 199. Kröte, Menge der von der K. ausgehauchten Kohlen- säure I, 335. Krystalle organischer Stoffe in den Pflanzen I, 271, 272. Krystalllinse, Vermehrung ihrer Röhren beim Wachs- thum J, 218. Krystallisirung durch schütterung II, 36, 37. Krystallwasser II, 29. Kuhmist I, 85, Dünger für den Weinberg 88. Kundzeit, physiologische Zeit, Reactionszeit II, 359, 360, für den Gehörsinn 361, 362, für den Geruchssinn 368 bis 370, für den Geschmacks- sinn 369, 370, für den Ge- sichtssinn 360—362, für den Tastsinn 361, 362, 385, 386, 400; wird kürzer durch Vorbereitung der Aufmerk- samkeit 372—375; schwan- kend bei Ermüdung 378, wächst durch Ermüdung 378, kurz bei gebildeten Leuten 378; K. im Heer- wesen 373, 374; lang bei Kindern 378,379; abhängig von der örtlichen Empfin- Er- 668 dungsschärfe 399, 400; kürzer wenn die rechte Hand als wenn die linke das Zeichen giebt 372; wird kürzer, wenn der Reiz stärker wird 363, 364; an der Reizschwelle für ver— schiedene Sinne gleich 366; wächst durch Schreck 377, in der Schwermuth 377; Einfluss der Ubung auf die K. 370, 371, 372, 374, schwankend bei Mangel an Übung 371, 378; wächst durch Zerstreuung 375, 376. Künstliche Darstellung orga- nischer Stoffe II, 40 — 76. Kupfer in der Ackererde I, 183, im Blut 183, im Blut des Moluckenkrebses, Li- mulus Cyclops 183, der Weinbergschnecke 60, 181, im Getreide 183, in der Leber 182, 183, in gelbem Thon 183, im Thonschiefer 183. Kurzer Abzieher des Daumens, Musculus abductor pollicis brevis II, 351. Kurzer Beuger des Daumens, Musculus flexor pollicis brevis, II, 351. Kurzköpfe, Brachycephali II, 195. Labdrüsen 1, 212. Labstoff, Pepsin I, 421. Labzellen I, 212, 420. Lactose entsteht aus Milch- zucker I, 398, ist gährungs- fähig 398. Lampreten, Pricken, Neun- augen, Petromyzontes, II, 100, ihr Hirnbau 191. Lampretenlarve II, 100. Landwirthschaft I, 87. Länge des Schritts II, 525. Längsstreifen, Nervus Lan- eisii, stria longitudinalis s. tecta, II, 254. Lanzettfischchen, Lanzett- thierchen, Amphioxus lan- ceolatus, II, 96 99, 102, 122, 150, 188; hat nur marklose Nervenfasern 235. Lanzettthierchen s. Lanzett- fischchen. Lappländer leben von Fisch- kost I, 445. Larve der Seescheiden II, 185, 189. Laubfrosch von Martinique, Xylodes martinicensis, II, 108. Lauch regt den Geschlechts- trieb an I, 476. Laürinsäure II, 63, 64. Leben I, 33, 115, 204, II, 553; Lehre vom L. ist Chemie und Physik des lebendigen Leibes I, 204, 476; L. ist Stoffwechsel 409; L. und Verwesung, minder schroffer Gegensatz zwi- schen beiden in den Pflanzen als bei Thieren 288. Lebensdauer der Blutkörper- chen I, 253, Menschen 250. Lebensentfaltung, Gesetz der L., biogenetisches Ggund- gesetz II, 141. Lebensgeist für Pflanzen und hungernder 669 Lecithine, Verschiedenheit der aus ihrer Zersetzung her- vorgehenden fetten Säuren II, 61, 222, 225, 226. -, za), | Leckere Speisen, Vorstellung Thiere eine wässrige Lösung von kohlensaurem Ammo- | niak mit den entsprechen- den Salzen I, 376. Lebensinhalt, Vitalcapaeität | der Lungen II, 481. Lebenskraft, gegen die Vor- stellung einer besonderen L. II, 42, 49, 76—80, 122, 152, 154, 155. Lebenslust, die der Mensch den Pflanzen verdankt I, ders. erregt Speichelabson- derung II, 278. Legumin, Erbsenstoff I, 148, 374. Leichenöffnungen II, 561, 562. Leichenverbrennung II, 560. Leichenwachs, Adipocire I, 382. Leidenschaften II, 311. | Leim I, 118, 122, 152, 153, 154, L. ein Nahrungsstoff 291, 294. Lebensweise, sie kann die Nachtheile, welche ein- seitige Fleisch- oder Pflan- zenkost mit sich bringt, ausgleichen I, 454, 455. Leber, Anziehung der L. für Metalle I, 184; Bildungs- stätte farbiger Blutkörper- | chen 183, 184, 195, 200, 205, Bildungsstätte der Galle 212. Leberzellen I, 212. Lecithin, Dotterfett, I, 244, 314, II, 54, 55, 221— 224, im Blut 221, im Eidotter 221, im Nervensystem 221, in den Samenfäden 221; phosphorhaltig 221, Zu— 151, 152, 153, 157, 158, spart Eiweiss 154, spart Fett 155, nützlich für Schwindsüch- tige 155, schwer verdaulich 162. Leimbildner, Entwicklung durch Sauerstoff bereiche- rung der eiweissartigen Körper I, 123, 139. Leimgebende Grundlage des Bindestoffs und der Knochen I,. 103, 104, 119. Leimgebende Stoffe I, 119, 122, 374, Menge ders. im erwachsenen Manne 120 bis 122; J. Stoff im Hirn II, 226; ' Umwandlung dess. in Ei- | weiss I, 151, 152, 159. | Leimkraut, Armeria vulgaris | I, 84. Leimkraut, Silene inflata I, S4. sammensetzung 222, 223. | Leimzucker, Glycocoll, Glyein 670 I, 140, 226, II, 50, Dar- stellung aus Einfachchlor- | essigsäure und Ammoniak | 51, künstliche Darstellung 50, 51; entsteht aus Leim- bildnern I, 226, 377, 378; PaarlingderGlycocholsäure | 226, der Harnsäure 228, der Hippursäure 226; Um- wandlung des L. in Harn- stoff 227, 317. Leinsamenzellen können die Hefezellen bei der weinigen Gährung ersetzen I, 405. Lemming II, 441. Lepidosiren paradoxa II, 102. Leucin s. Käseweiss. Leucin, Abart im Hirn II, 226. Leucin, schwefelhaltige Abart dess. in Hefe I, 404. Levulose, linksdrehender Fruchtzucker I, 410, 411. Licht, Einfluss dess. auf die Entwicklung der Farben in den Pflanzen I, 270, II, 32, auf die flüchtigen Öle der Pfl. 1,270, auf den mensch- lichen Körper 101, auf den Netzhautpurpur II, 291,292, auf die Riechstoffe in den Pfl. I, 270, auf den Stoff- wechsel I, 333, 334, II, 292, auf die Verbrennung im | Thierkörper I, 99, 100, auf | die Zersetzung der Kohlen- säure in den Pfl. I, 65, 77, 110, 111, 266, 296; L. leitet chemische Verbindungen ein II, 31, und chemische Zer- setzungen 32; vermehrt bei Thieren die Aufnahme von Sauerstoff 461; die Menge der ausgeathmeten Kohlen- säure 460—463, die Menge der durch die Haut des Menschen ausgeschiedenen Kohlensäure 463; wirkt durch das Auge und durch die Haut auf den thierischen Stoffwechsel 460. Licht, blauviolettes vermehrt die Menge der von Thieren ausgeschiedenen Kohlen- säure wie weisses, rothes L. dagegen nur schwach u. bei Fröschen gar nicht II, 462. Licht, polarisirtes, II, 17. Lichtbilder im Auge II, 292. Lichtbrechung II, 300, 301. Lichtreize, es giebt keine Reiz- schwelle für dieselben II, 431. Limulus Cyclops, King's crab, Kupfer in seinem Blut I, 183. Linsen I, 91, nahrhaft II, 569, 570. Linsenkern, äusserer Streifen- hügel II, 256. Liverpool II, 576. Logik I, 12. Lorbeeröl II, 64. Löwenäffchen II, 248. Luft, atmosphärische I, 65, 71, 74, 75, 76,298, 7120; 111, 168, ausgeathmete | 248; Wirkungen der L. II, 300. Luftdruck I, 38, II, 32. Lungen, Entwicklung ders. im Thierreich II, 161. Lungenathmen I, 243, L. und Hautathmen, zwischen beiden 243. Lungenbläschen I, 218, 219, 233. Lungenkreislauf II, 115. Lurche, Amphibien, 1, 60, 365, in der Erdgeschichte | Mais, Welschkorn, I, 96. 161; haben zwei Gelenk- | höcker am Schädel 109 II, 85, 103, 107, 108, 109, ihr Hirnbau 192. Lurchfische II, 102. Lurchwerdung II, 103. Lustgas, Stickstoffoxydul II, 271. Lusus naturae, Naturspiel II, 127. Lyra, Psalterium, Querband zwischen den Widderhör- nern II, 253. Maass und Gewicht I, 28, 29. Macon-Wein I, 84. Maden auf dem Fleisch II, 90. Magen des Menschen hält die Mitte zwischen dem der Fleisch- und Pflanzen- fresser I, 453. Magensaft I, 145, 152, 160, Unterschied 671 255, s. Absonderung wird durch Würzen vermehrt 475. Magenschleim I, 212. Magnesia, Bittererde, I, 49, 52, 54, in der Blutflüssig- keit 170. Magnesium im, Hirn II, 226. | Magosphaera planula, Flim- 162, 189, 191, 212, 429, | ' Markrohr II, 145, 146, der seine tägliche Menge 254, merkugel, II, 93. Mahl steigert die Wärme nicht unmittelbar I, 334. Maikäfer II, 180. Mainz II, 460. Maiwein I, 473. Malabar, s. Bewohner leben nur von Pflanzen, I, 445. Malayen II, 568. Mammuth, Mammuth-Ele- phant, Elephas primigeni- us, II, 132. Mandelbaum I, 82, ı Mandelhefe, Emulsin, Synap- tase I, 82, kann die Hefe- zellen bei der weinigen Gährung ersetzen 405, zer- setzt Salicin in Saligenin und Zucker 406, 410. Mandeln, süsse, bittere, I, 82. Mandelstoff, Amygdalin, I, 32. Mangan I, 49. Männer, ihre Körperwärme I, 339. Mantelthiere, 95, 102, 178. Margarinsäure II, 63, 65. Tunicata, II, 672 Wirbelthiere 185, 189; erste Anlage des Rücken- marks und Hirns 187, 188; M. der Seescheiden, As- cidien 184. Markröhre der Nervenfasern II, 174. Marseille II, 576. Marsupialia, Didelphia, Beu- telthiere, II, 118, 123. Massenwirkung II, 38. Mastdarm entfernt Rückbil- dungserzeugnisse I, 242, 243, 244. Mate, Paraguaythee, I, 470. Materialisten II, 155, 158, 614. Mathematik I, 13, Schule des Denkens II, 308. Matrix, Muttergewebe Nagels I, 166. 156, schwarz, I, 127, 139, I, 296. | Melissinsäure II, 63, 64. des Maulbeerkeim, Morula, IL, | 142. Maulwurf, sein Hirnbau II, | 201, Maus, ihr Stoffwechsel I, 328, 329, ihre Wärme 328, 329. Mechanisches Äquivalent der Empfindung II, 537, 538, der Wärme 438, 507 —510. Meerkatzen II, 120. Meerwasser verdunstet lang- samer als Regenwasser I, 398. Mekonsäure, Mohnsäure, I, 83, 274. Melanin, Fuscin, Augen- | Menge der täglich abgeson- derten Verdauungssäfte I, 254, 255. Menocerca, Schwanzaffen II, 123. Mensch in der Erdgeschichte II, 85, 114, 122, 123, 132, 133, sein Hirnbau 176, 177, 199, 207, 208, s. Hirn- windungen 207, 208; Menge der vom M. ausgehauchten Kohlensäure I, 335; Maass aller Dinge II, 342, 434, 436; Vergleich des M. mit einer Uhr 482, 483; der M. ein stets im Werden begriffenes Naturerzeugniss 491. Menschenaffen, Antropoides, II, 120, 121, 136. Menschenkenntniss II, 476, 485, 486. Menschenkunde, logie II, 153. Menschwerdung II, 85, 114, 137. Mergel I, 85, 90, 91. Mesencephalon, Mittelhirn, II, 190. Mesolithische Zeit, mittlere Zeit, Secundärzeit, II, 83, 123. Metacetonsäure, Propion- säure, Butteressigsäure, entsteht aus Ölsüss I, 382, Anthropo- Re, II, 16 Erzeugniss der Ver- wesung I, 379. Metagastrula, Gastrula, II, 144, 185. Meteneephalon, II, 190. Meter I, 27. Methyl II, 49. Methyläther II, 49. Methylamin, I, 386, 387, Darstellung Hinterhirn, Holzgeistbasis, | aus Blausäure und Wasser- | stoff II, 52. Mexiko II, 573. Microcephali, Kleinköpfe, II, 218, 219, 220. Milch I, 146, 151, 188, 189, | 211, II, 74, ihr Sauerwer- den I, 399, 400; warum sie in der Brustdrüse nicht sauer wird 402. Milchabsonderung I, 211. Milchdrüsen II, 116. Milchkörperchen I, 134, 211. Milchsaft, Chylus, I, 153. Milchsäure I, 112, 113, 230, 399, II, 15, Darstellung aus Aldehyd und Ameisensäure 46, künstliche Darstellung 45, 46; ermüdende Wir- kung ders. in den Muskeln I, 235; in der Bauchspei- cheldrüse 231, im Bröschen, Thymus 231, im Hirn 231, II, 226, 266, in der Leber 231, in der Milz 231, in glatten Muskeln 231, in quergestreiften Muskeln 673 231, in der Schilddrüse 231, Rückbildungserzeug- niss im Thierleib 230, 231. Milchsäure-Gährung I, 398 u. folg., begünstigt durch alkalische Beschaffenheit der Flüssigkeit I, 398, durch Wärme von 35° 398. Milchzucker I, 399, der Milch entsteht bei Fleischfressern aus eiweissartigen Stoffen 439; als solcher nicht weini- ger Gährung fähig I, 398. Milz I, 220, 221. Mineraldünger I, 85, 89, 9. Mischung, Form und Eigen- schaften gehen Hand in Hand II, 17—26, 268, 303. Mischungsgewicht II, 14. Missouri II, 569. Missverhältniss zwischen Blutbildung und Rückbil- dung beim Greise I, 259. Mistel, weisse, Viscum album, 1474; Mittelarmnerv, Nervus me- dianus, I, 218, II, 351. Mittelfette, neutrale Fette, zerlegen sich bei der Ver- wesung in fette Säuren und Ölsüss I, 381, zerfallen unter Wasseraufnahme in fette Säuren und Ölsüss 416. Mittelformen II, 123, 124. Mittelhirn, Mesencephalon, II, 190, 197, 247, sein Vor- herrschen bekundet eine II. 43 674 niedere Entwicklungsstufe 191, 192, 199, 200. Mittelplatte als Anlage des Rückenmarks II, 186, 187. Mittelwerthe, Uebersicht der M. für einfache Kundzeit, Hirnzeit, Unterscheidungs- zeit, Wahlzeit, Wahrneh- mungszeit, Zeit für lose und für innige Gedanken- verbindung II, 414. Mittlere Haut der Gefässe I, 124. Mittlere Zeit, Secundärzeit, mesolithische Zeit II, 83,123. Moderige Luft in Kirchen II, 459. Mohammedaner II, 572. Mohnsaft I, 292, Wirkung auf die Stimmung II, 271, 272. Mohnsäure, Mekonsäure, I, 83, 274. Mohnsaurer Kalk Pflanzen I, 95. Molecularbewegung I, 402. Mollusken, Weichthiere, II, 177, 178. Moluckenkrebs, Limulus Cy- clops, Kupfer im Blut des- selben I, 183. Monaden I, 416. Mondfisch, Orthragoriscus in den mola, sein Hirnbau II, 192. Moneren, Urthierchen, II, 91. Monisten, Einheitslehrer, II, 156, 259, 614. Monocotyledonen, Einkeim- und Hirns blättrige Pflanzen II, 438, 439. Monotremata, Kloakenthiere, Gabler, Ornithodelphia, II, 117, 197. Moose, Zeit der, II, 84. Morula, Maulbeerkeim II, 142, Mucedin, Kleberschleim J, 433. Müdigkeit, Einfluss derselben auf unser Urtheil II, 484, auf den Willen 484. Mugil capito, Harder, sein Hirnbau II, 192. Münzeinheit, bezüglicher Werth derselben II, 432. Musa paradisiaca, Banane, M. sapientum II, 568. Muscardine, Krankheit der Seidenwürmer I, 69. Muscheln, ihr Nervensystem II, 178. Musculus abductor pollicis brevis, kurzer Abzieher des Daumens II, 351. Musculus flexor pollieis bre- vis, kurzer Beuger des Daumens II, 351. Musculus opponens pollicis, Gegensteller des Daumens II, 351. Muselmänner II, 571. Musik, Wirkung derselben II, 310, 458. Muskatbuttersäure, Myristin- säure I, 391, II, 63. Muskelerde, phosphorsaure Bittererde, phosphorsaure Magnesia I, 178, 188. Muskelfasern I, 127, 138, ihr Werden und Vergehen 217. Muskelgefühl II, 338. Muskelgewicht II, 543. Muskeln I, 131, ihre Thätig- keit II, 154, 266, verwan- deln chemische Kraft in mechanische Nutzwirkung 539, erzeugen Wärme bei der Zusammenziehung I, 331. Muskelsalz, 178. Chlorkalium I, 675 Nackenband I, 128, 129, 138. Nadelhölzer I, 268, Zeit der N. II, 84. Nagel I, 125, 126, 209, 210, 243, 245, Erneuung dess. 166. f Nager, ihr Hirnbau II, 198, 201. Muskelstoff, Myosin, I, 219, 272. Muskelzucker, Inosit, im Hirn II, 226, 266. Muttergewebe, Nagels I, 166. Matrix des Mycetes, Brüllaffe, sein Hirn- bau II, 198. Mycoderma aceti, Essigmut- ter, Essigkahm, Ursache des Sauerwerdens von Bier und Wein I, 413, 415. Myosin, Muskelstoff I,219, 272. Myristinsäure, Muskatbutter- säure I, 391, II, 63. Myxinoides, Schleimfische, Inger, II, 100. 190. Nacht, während ders. scheidet der Mensch weniger Koh- jensäure aus als bei Tag II, 462, 463. Hirnbau II, 202. Nahrung bezweckt nicht bloss Fristung des Lebens I, 448, ihr Einfluss auf die Rück- bildungserzeugnisse II, 174, ihre Wahl hängt vom Klima ab 369. Nahrungsbedürfniss abhängig vom Klima I, 461, 462. Nahrungsmittel, vollkomme- nes I, 143. Nahrungsstoffe, Eintheilung der I, 143, gegen ihre Ein- theilung in „Athemmittel“ und Baustoffe 133; kein vereinzelter N. ist ein Nah- rungsmittel 152. Naphtalin II, 34, Darstellung aus Essigsäure 44, künst- lich aus den Grundstoffen darstellbar 35. Naphtalin wasserstoff II, 34. | Narkotin I, 275, 290. Nachhirn, Epencephalon, I, Nashorn, Nasengruben II, 147. indisches, javani- sches II, 304, 305. Nassula in den heissen Quel- len Ischia's II, 87. Nasturtium officinale bei Zü- Nachtaffen, Nyctipitheci, ihr rich nicht jodhaltig I, 198. Native bread II, 569. II. 43* 676 Natron I, 51, 54, 55, 56, in der Blutflüssigkeit (Plasma) 169, im Hirn II, 226, in den Pflanzen J, 53—56. Naturbedingtheit II, 492. Naturgesetz I, 4, 6, 7. Naturnothwendigkeit I, 4, 474, II, 2, 496. 499, 500, 554, unseres Daseins und unserer Handlungen II, 456. Naturphilosophen I, 25. Naturspiel, lusus naturae, II, 127. Neanderhöhle, N: II, 133. Neger Surinams essen Bana- nen II, 568. Schädel der Nelkenöl als Riechstoff II, 368, 369. Nemertes, Schnurwurm, II, 178, 236. Nemertinen, Schnurwürmer, II, 178, 236, 256, haben undeutliche Nervenzellen 236. Nephelis, Egelgattung II, 257. Nerven II, 274, Elektricitäts- entwicklung in denselben bei der Reizung 274—276; ihre chemische Reaction 274; ihr Einfluss auf die Vertheilung der Wärme durch Einwirkung auf die. Gefässlichtung I, 312; Wär- meerzeugung in denN. bei d. Reizung 331, 332, II, 274. Nervenbasis, Neurin I, 314, II, 50, 55. Nervenfasern I, 134, II, 174, 175, bewegende 447, be- wegende N. leiten recht- läufig 447? empfindende 447, empfindende N. leiten rückläufig 448, N. als Leiter 255, 276, 277; markhaltige N. ursprünglich marklos 235, marklose N. bei wirbel- losen Thieren 235; N. hän- gen mit Nervenzellen zu- sammen und verbinden Nervenzellen mit einander 176; deutlich entwickelte N. bei Spinnen 235, wenig entwickelte bei 235, unentwickelte bei Plattwürmern und Strahl- thieren 234, ihre Vermeh- rung beim Wachsthum I, 217, 218. Nervenkerne II, 244. Nervenknoten, Ganglien II, 147: Nervenring der Scheibenqual- len II, 177, der Seesterne 179, der Strahlthiere 179. Nervensystem der Glieder- füsser II, 178, 180, der Insektenlarve 182, der voll- kommenen Insekten 182, der Kerbthiere 178, 182, der Kopffüsser, Cephalopo- den, 183, der Krebse 178, der Muscheln 178, der Platt- würmer 178, der Räder- thiere 178, der Ringelwür- mer 178,180, derSchnecken Insekten 178, der Spinnen 178, 182, 183, der Strahlthiere 179. Nervenzellen I, 127, 134, 209, II, 173 u. folg., 200, 202, fortsatzarm bei wirbellosen Thieren 236, 237, grosse drei- und vieleckige in den vorderen grauen Säulen des Rückenmarks grosse Zahl u. Entwicklung der N. bekundet hohe Ent- wicklung des Gehirns 202, 217,249, Farbstoff körnchen 677 Sebloch des anderen II, 324. Netzhautpurpur II, 291, fin- 243, det sich in den Aussen- gliedern der Stäbchen, nicht in den Zapfen 291; entwickelt sich im Dunkeln 291, erbleicht im Licht 291, 292. Neubildung I, 166. in den Zellen der Hirn- rinde bei Cholera und Ty- phus 286; kolbenartige in der Rinde der Kleinhirn- lappen 242, 243, 244, kugel- förmige 244, N. reich an farbigen Körnchen im hohen Alter 245; unentwickelte bei Plattwürmern und Strahlthieren 234; ihre Vermehrung beim Wachs- thum I, 218; vielstrahlige, multipolare, polyklone N. in der Hirnrinde der Säuge- | thiere II, 237, 240; N. vollziehen die Hauptthätig- keit im Nervensystem 255, 257, 258. Nervus Laneisii, stria longitu- dinalis s. tecta, Längsstrei- fen II, 254. Nervus medianus, Mittelarm- nerve I, 218, II, 351. Netzhaut, Reiz der N. des | einen Auges wirkt auf das Neugeborene II, 314 u. folg., der N. lernt in den ersten Monaten das Auge für nahe Gegenstände anpassen 327; erster Athemzug 316, 317; der N. lernt in den ersten Tagen blicken 325, 327; unterscheidet erst im Alter von vier Monaten Farben 323; mangelhafte Ausstattung seines Gehör- werkzeugs 330, 331, und seines Geruchsorgans 328, 329; seine Geschmacksem- pfindung 332—335; Haut- reize lösen beim N. Athem- bewegungen aus 316, 322; Art wie der N. seinen Hunger kundgiebt 315; der N. muss lernen Hunger, Durst und Athemnoth zu verspüren 314—317; be- ginnt im vierten Monat zu lauschen 331, 332; ist des Lufthungers unkundig 316, 317, des Nahrungsbedürf- nisses unkundig 316, 317; am ersten Tage erzeu- 678 gen schmerzhafte Reize keine Reflexbewegungen 317, Reflexbewegungen des N. 318, 321; Schielen des N. 325—327;, er schläft mehr als er wacht 324; ist | wenig empfänglich für Schmerz 317, 318; lernt in den ersten Wochen die Sehachsen einstellen 326; seine Sinne schlafen noch 324 335, 340, Entwicklung der Sinnesthätigkeit in den ersten Wochen 336, 337, der N. ist stumpfhörig 331, hat noch keinen Tastsinn 319, 322, 323, Trägheit des Sehlochs in der ersten Zeit 524, seine Trommel- höhle ist verstopft 330, 331; sein Ungeschick 315, 323; hat keine Vorstellung von der Aussenwelt 322, 323; bringt eine feine Zunge mit zur Welt 332. Neugeborene Thiere, ihr Ge- ruchssinn hilft ihnen die Zitzen finden II, 329. Neu-Holland, seine Bewohner leben beinahe ausschliess- lich von Fleischkost I, 445. Neunauge, Petromyzon fluvia- tilis, sein Hirnbau II, 192. Neunaugen, Lampreten, Pri- | Petromyzontes, II, cken, 100. Neurin, Nervenbasis, I, 314, II, 50, 55, 222, 223, Dar- soo, 222, stellung aus Cholin 55, 56, 57, 59. Neu-Süd-Wales II, 573. Neutralfette, Mittelfette, II, 61, 65, 72, zusammenge- setzten Atherarten ver- gleichbar 72, 73, zerlegen sich bei der Verwesung in fette Säuren und Ölsüss I, 416, zerfallen unter Auf- nahme von Wasser in fette Säuren und Ölsüss 416. Neuzeit, Tertiärzeit, cenoli- thische Zeit II, 83, 123. Newcastle II, 576. Nickhaut, Überbleibsel ders. II, 162. Niedere Menschenracen ster- ben ab, wenn sie mit höher entwickelten zusammen- leben II, 136. Nieren, Anlage der bleiben- den N. in der Stammes- geschichte II, 115 Nierenabsonderung I, 234, 235. Niesen II, 322, 450. Nitroglycerin II, 155. Nuclein, Kernstoff II, 221. Nullpunkt, physiologischer N. der Wärme II, 427, er ist wandelbar 427. Nussbaum I, 49. Nyetipitheci II, 202. Oberhaut des Menschen I, 125, 210, 243, 374, Ab- schuppen derselben 243, 245. Oberhautgebilde entstehen n aus dem oberen Keimblatt II, 187. Oberkiefer entsteht aus dem ersten Kieferbogen II, 147, 148. Obertöne II, 436. Ochs, sein Hirnbau II, 202. | Ofen, hinkender Vergleich des | Thierkörpers mit einem O. I, 327. Offenbarung I, 2, 143, II, 3. Ohnmacht II, 270. Ohr, äusseres, entsteht aus dem ersten Kiemenbogen | II, 148. Ohren der Hunde und Ka- ninchen I, 129. Ohrenbläschen II, 147. Ohrmuschel des Menschen II, 166, 167. Ohrmuskeln II, 129, O. des Menschen, die sich nicht verkürzen 162. Ohrtrompete entsteht aus dem ersten Kiemenbogen II, 148. Ohrwinkel II, 166. Öl des kanadischen Thee’s, procumbens, | Gaultheria flüchtiges Öl desselben, sa- licylsaures Methyloxyd I, 281. Ölbildendes Gas, Aethylen I, 277, II, 42, 43, künstliche Darstellung I, 277, II, 42, 43, Oxyd desselben II, 56, Darstellung des Oxydes II, 57. Ole, flüchtige, als Rückbil- 679 dungserzeugnisse in den Pflanzen I, 273, 283. Ölsäure, Oleinsäure I, 391. Ölstoff, Olein, Triolein I, 140, 381, 391, im Hirn II, 225. Ölsüss, Glycerin, I, 279, 381, 382, 390, 392, II, 50, 223, künstliche Darstellung II, 59, 60, entsteht bei der weinigen Gährung I, 395. | Olein, Elain, Olstoff, I, 391. Oleinsäure, Ölsäure I, 391. Oliven, Ölbildung in den, I, 265. Olynthus, Kalkschwamm, II, 92. Önanthsaures Athyloxyd I, 281. ' Önanthylsäure II, 63, 65, Darstellung aus Capron- säure II, 70, 71. Ontogonie, Entwicklungs- geschichte der Einzelwesen II, 86, 138 u. folg. Opiumgenuss der Perser I, 476. Orang-Utang II, 120, 131, sein Hirngewicht 214, seine Hirnwindungen 207. Oregongebiet, Indianer des O. nähren sich zu manchen Jahreszeiten hauptsächlich von Wurzeln I, 444, 445. Organisch I, 45, 66. Organische Säuren in Gemü- sen I, 435, in den Pflanzen 95, ihre Salze verbrennen im Blut zu kohlensauren 8. 201. 680 Organisirung der Materie I, 45, 343, 425. Ornithodelphia, Kloaken- thiere, Gabler, Monotre- mats' II, 117, 197. Ornithorhynchus, Schnabel- thier, sein Hirnbau II, 201, 205. Orthragoriscus mola, Mond- fisch II, 192. Oscillarien in den heissen Quellen Ischia's II, 87. Osteoblasten, Knochenkeim- zellen I, 214. Otahitier geniessen Brod- frucht I, 368. Oxyde der eiweissartigen Körper II, 575. Oxyhämoglobin I, 248. Ozon, verdichteter Sauerstoff I, 270, 455, 456, in mässi- ger Menge zugeführt ver- mehrt es nicht die Menge der von Thieren ausgeath- meten Kohlensäure 456, in reichlicher Menge zugeführt bewirkt es eine schwache Zunahme der ausgeschie- denen Kohlensäure und Lungenentzündung 456. Ozongehalt der Luft in ver- schiedenen Jahreszeiten I, 457. Palaeolithische Zeit, alte Zeit, Primärzeit II, 83, 123. Palmenfarne, Cycadeen, Zeit der, II, 84. Palmfett, Palmitin, Tripal- mitin, Perlmutterfett I, 140, 381, 382, 391, im Hirn II, 225. Palmfettsäure, Perlmutter- fettsäure, Palmitinsäure I, 381, 382, 391, II, 63, 65. Palmitin s. Palmfett. Palmitinsäure s. Palmfett- säure. Papageien, Windungen an ihren Grosshirnballen II, 201. Papillae circumvallatae, um- wallte Zungenwärzchen II, 334. Paracyan I, 321. Paraglobulin, fibrinoplastische Substanz I, 171. Paraguay-thee, Mate I, 470. Parencephalon, Zwischenhirn 11,290! Paukenhöhle entsteht aus dem ersten Kiemenbogen II, 148. Paviane II, 120. Peguaner leben von Pflanzen- kost I, 445. Pektase, Fruchthefe I, 286. Pektose, Fruchtmark II, 26. Pelargonsäure, Rosenkraut- säure II, 63. Pelargonsaures Aethyloxyd, rosenkrautsaurer Aether I, 281, in Weinen 282. Pendelgesetze, Entdeckung der, II, 289. Pennsylvanier setzen durch reichliches Wassertrinken die Wärme ihres Körpers herab I, 367. Pepsin, Labstoff I, 421. Peptone Nahrungsstoffe der Hefezellen I, 404. Perception, 389, 390, 391, 392. Perennibranchiata, Sozobran- chia, Kiemenlurche II, 107. Periosteum, Beinhaut I, 215. Perlmuschel, Meleagrina mar- garitifera, verträgt kein kalkreiches Wasser I, 194. Perlmutterfett s. Palmfett. fettsäure. Perser II, 568. Persönlicher Fehler nimmt ab bei zunehmender Sternhel- ligkeit II, 364. Persönliche Gleichung II, 359, | 360, 371, 482, 483. Persönlichkeit des Menschen II, 491. Perspective II, 301. Perubalsam I, 269. Pes hippocampi major, eornu Ammonis, Widderhorn II, 239, 255. Petromyzon fluviatilis, Neun- auge, sein Hirnbau II, 192. Petromyzonlarve, Pricken- larve, ihr Hirnbau II, 189, 190. Petromyzontes, Lampreten, Pricken, Neunaugen II, 100. Pfeffer vermehrt die Menge des Magensafts I, 475. Empfindung II, 681 Pferde haben eine grosse Bauchspeicheldrüse und grosse Speicheldrüsen 1,452, ihr Hirnbau II, 202. Pferdeharnsäure, Hippur- säure I, 83, 226, 274, Dar- stellung aus Zinkleimzucker und Benzoylchlorid II, 51, künstliche Darstellung 50, zerlegt sich unter Wasser- aufnahme in Benzo@säure und Leimzucker I, 416. Pfirsichkerne I, 163. | Pflanzen bekennen Farbe II, Perlmutterfettsäure s. Palm- 518, Kali-Sammier I, 95, Vorrathskammern v. Spann- kraft I, 322, II, 518, 519. Pflanzen und Thiere, Unter- schied zwischen Beiden I, 290, 343. „Pflanzencasein“ unberech- tigter Name I, 150. „Pflanzenfibrin“ unberechtig- ter Name I, 150. Pflanzenfresser verbrauchen für die gleiche Menge aus- geathmeter Kohlensäure weniger Sauerstoff als Fleischfresser I, 326, leben in fortwährender Verdau- ung 451. Pflanzenkost erfordert mehr Aufwand an Geld und Zeit als Fleischkost I, 450, 451, wird vom mensch- lichen Organismus weniger vollständig ausgenützt als Fleischkost 450, 451, fort- 682 gesetzte ausschliessliche P. macht den Harn alka- lisch oder neutral 441, 442; nach P. wird mehr Kohlen- säure ausgeathmet als nach- F. 440, 441, P. liefert mehr Koth als F. 449, 450, 451, Nachtheile ausschliesslicher P. 446, 447, 450 451, aus- schliessliche P. erzeugt Trägheit 444, P. und F., haushälterische Vergleich ung beider 450, 451, Ver- stopfungbeikräftiger P.450. Pflanzenleben, Verbreitung desselben durch Insekten und Vögel I, 293. Pflanzenleim, Gliadin, im engeren Sinne I, 433, im weiteren Sinne 374, 433. Pflanzenschleim I, 263, II, 26. Pflanzenthiere II, 177, in der Erdgeschichte 85, 95. Pflanzenzellen, ihre verschie- dene Form und Mischung II, 26. Pflanzliche und thierische Nahrungsmittel I, 433 bis 447. Pflasterepithel II, 332. Phanerogamae dicotylae, zwei- keimblättrige Blumenpflan- zen, ihr Auftauchen in der Erdgeschichte II, 84. Phanerogamae monocotylae, einkeimblättrige Blumen- pflanzen, ihr Auftauchen in der Erdgeschichte II, 84. Pharisäer, gegen die II, 501. Phaseolus nanus I, 76. Phenyloxydhydrat II, 44. Philosophen II, 11, 12, 451. Philosophie I, 10, 26. Ponautograph, Thonschrei- ber II, 394. Phosphor im Dotterfett II, 55, 227, P. des Dotterfetts, Leeithins, wird als Phosphor säure ausgeschieden I, 244, reichlicher im Hirn höherer Thiere II, 229. Phosphorglycerinsäure I, 314, II, 55, ihre Darstellung aus den Grundstoffen 59, 60, 222, 223. Phosphorhaltiges Fett im Blut, im Hirn, in Eiern und Samen I, 179, 180, verschie- dene Menge desselben im Hirn verschiedener Th. 180. Phosphorhaltiges Hirnfettzer- fällt durch geistige Arbeit I, 332. Phosphorsäure I, 54, freie P. in» der Asche des Hirns 179 11,227, P. in den rothen Blutkörperchen, I, 170, im Boden 86, wird in Folge geistiger Arbeit mit dem Harn reichlicher ausge- schieden 246, 332, in den Samen d. Pflanzen 56, 57, 89. Phosphorsaure Alkalien Koh- lensäureträger im Blut I, 173, 201. Phosphorsaure Salze I, 49, II, 558, 559, ihre Bildung im Thierkörper I, 315, im Fleisch 435, Gewebebildner 173, 179, werden mit dem Harn nach Fleischkost reichlicher ausgeschieden 443, p. S. im Hirn II, 134, 226, nützlich für die Pflan- zenfrucht I, 89, wandern | aus den Blättern in den | Stamm 288, Zunahme der- | selben im Blut nach Fleisch- | u.Brodnahrung 172,181,435. Phosphorsaure Bittererde, Magnesia, reichlicher in den Knochen der Pflanzenfresser | als in denen der Fleisch- | fresser I, 181, Muskelerde I, 178, 188, II, 558 p. B. in den Zähnen der Dickhäuter, Pachydermen, I, 60, 181. Phosphorsaures Bittererde- Ammoniak I, 87. Phosphorsaures Eisen im Hirn II, 226. Phosphorsaure Samen I, 189. Phosphorsaures Kali II, 20, 558, ermüdende Wirkung sauren p. K. in den Mus- keln I, 236, p. K. Nahrungs- stoff der Hefezellen 404, Muskelsalz II, 558. Phosphorsaurer Kalk im Boden I, 89, begleitet die eiweissartigen Stoffe 57, 60, Abnahme desselben in der Eischale während der Ent- Erden im 683 wicklung des Hühnchens I, 189, in den Knochen 60, II, 558, Knochenbildner I, 137, 178, 201, Knochenerde 178, 201, 558, reichlich in den Knochen alter. Leute 157, und in viel bewegten Knochen 184, 185, unvoll- kommene Knochenbildung, wenn es an p. K. in der Nahrung mangelt 185, 186, 157, 194, p. K. in der Milch 158, in jungen Pflanzen- theilen 57, in Zähnen 60, 154, Zunahme im Hühn- chen während der Ent- wicklung 189. Phosphorsaures Natron nimmt Kohlensäure auf I, 173, II, 33, und giebt es bei vermin- dertem Luftdruck wieder ab II, 133. Phrenologen, Schädeldeuter, II, 204. Phylogonie, Stammesge- schichte d. Arten II, 86,113. Physiologie: Chemie, Physik und Formbeschreibung lebender Wesen I, 204, 476. Physiologische Zeit, Reac- tionszeit, Kundzeit II, 359. Pigmentzellen, Farbstoffzellen der Netzhaut II, 294, 295. Pilze I, 69, 261, 271, ihre Rolle bei der Gährung 393, 400, 403, 405, 406, Zeit der P. II, S4, P. auf Zucker J, 69. 684 Pinnipedia, Flossenfüsser, ihr Hirnbau II, 202. Pisangfrüchte, Bananen, Musa paradisiaca, M. sapientum II, 568. Pistia Stratiotes L. I, 367. Pithecanthropus, Affenmensch II, 131. Pithecia, Schweifaffen, Hirnbau II, 202. ihr Placentalia, Aderkuchenthiere II, 118, 119, 123, 149. Placentalthiere s. Placentalia. | Planula, 93. Plasson II, 91. Flimmerlarve I, Platinmohr, in s. Poren ver- ver- dichteter Sauerstoff wandelt Alkohol in Essig- säure I, 413; P. und Essig- pilz, ihre verschiedene Ein- wirkung bei der Essigsäure- bildung I, 414. Plattnasige Affen, Platyrhinae II, 120. Plattwürmer, ihr Nerven- system II, 178, haben un- entwickelte Nervenzellen und Nervenfasern 234. Platyrhinae, plattnasige Affen II, 120. Plethysmograph, Füllungs- schreiber II, 263, 264. Podolien II, 573. Poikilotherme, wechselwarme Thiere I, 366. | Prairien, Placenta, Aderkuchen II, 119. | Placentalthiere, | | Polarisirtes Licht II, 17, Dreh- ung seiner Ebene 18. Polypen entbehren der Ner- venzellen und Nervenfasern H. N. Pons Varolii, Brücke II, 253. Post I, 90, 91. Potamogeton crispus bei Zü- rich nicht jodhaltig I, 198. Jäger in den P. Amerikas leben von Büffel- fleisch I, 445. ' Pricken, Neunaugen, Lam- preten, Petromyzontes II, 100. Prickenlarve, Petromyzon- larve, ihr Hirnbau II, 189, 190. Primärzeit, alte Zeit, palaeo- lithische Zeit II, 83, 123. Primordialniere, Urniere II, 112, 115. Primordialwirbel, II, 146. Primordialzeit, Urzeit, archae- olitische Zeit, II, 83. Prisma II, 514. Propionaldehyd II, 68. Propionsäure, Metaceton- säure, Butteressigsäure II, 63, Darstellung aus Essig- säure 67, 68, entsteht aus Ölsüss I, 382, Erzeugniss der Verwesung 379, II, 16. Propylalkohol II, 68. Propylamin I, 386, 387. Propyleyanür II, 68. Urwirbel | Propylen II, 47, 59. E a u Zu Zn — m u a Me Se Propylenbromid II, 59. Prosencephalon, Vorderhirn, | II, 190. Protagon I, 314, II, 224, 225, 227. Protamnion, Uramniote, Uramnionthier II, III, 112, 113. Proteus anguineus, Kiemen- molch II, 105, 106, 162. Protoplasma, Keimstoff, I, 45, 72, 207, 358, II, 87, 88, 91, 237. Protopterus annectens II, 102. Prüfungsmittel, chemische II, 307. Psalterium, Lyra, Querband | zwischen den Widderhör- | nern II, 253. Psycho-physisches Grundge- | setz II, 419. Pyramidenspindeln im Wid- derhorn II, 242, in der | Hirnrinde 241. Pyrus communis I, 275. Quallen haben undeutliche Nervenzellen II, 236. Qualmgas, Acetylen I, 277, 280, 282, künstliche Dar- stellung dess. 277, II, 52, 57. Quartärzeit, jüngste Zeit, an- tropolithische Zeit II, 83, 123, 132. Quecksilber, Anhäufung dess. in der Leber I, 184. Quecksilbersalze, ihreZurück- führung auf freies Queck- 685 Silber durch die Pflanzen I., 105. Quellsatzsäure, Apocren— Bäure, acidum apocrenicum, I, 67, 383, 384. ' Quellsatzsaures Ammoniak I, 93, 422. | Quellsäure, Orensäure, acidum erenicum I, 67, 383, 334. Quellsaures Ammoniak I, 93, 422. Quellwasser I, 384. Quemas, Waldbrände I, 109. 110. Querband, vorderes, commis- sura anterior, II, 252, wenig entwickelt bei Schleichern und Vögeln 252. Querband zwischen den Widderhörnern, lyra, psal- terium II, 253. Quittenschale I, 281. Räderthiere in den heissen Quellen Ischia’s II, 87, ihr Nervensystem 178, Ranzigwerden der Fette, Ver- wesung I, 381. Raubthiere, ihr Hirnbau II, 198, 209, ihre Hirnrinde 238. Raum I], 13. Rausch II, 271, 556. Rauschpfeffer I, 476. Rautengrube II, 194, 196. Reaction, Rückschlag, Gegen- wirkung II, 479, 480. Reactionszeit s. Kundzeit. Rechnung in den Lebens- 686 vorgängen scheitert nicht Reis, Hauptnahrung der Be- an der Unberechenbarkeit, sondern an der Veränder- | lichkeit vieler Grössen I., 347, 348. Recht II, 500, zu richten 496, zu strafen 498. Reflexbewegung, übertragene Bewegung, II, 450, 451, 452; Reflex- bewegungen entstehen um so leichter, je mehr das Bewusstsein schlummert II, 451, des 544. Regen, Wirkung dess. auf die Pflanzenwelt I, 337. Regenwasser I, 54, 65, 74 Ta Regenwurm, Gefässreichthum 7 seines Bauchstranges II, 256, 257. Regulirung der Wärme I, 366—369. Reibung II, 505, entwickelt Wärme 505, 506. Reif der Früchte Erzeugniss des Lichts I, 266. Reihe der fetten Säuren II, 62, der flüchtigen fetten Säuren I, 379, 382, 383, 337, 388. Reihenfolge bei der Mischung, ihr Einfluss auf die Ent- stehung der Verbindungen II, 38, 39. Reil'sche Insel II, leicht an geköpften Thieren 451; R. des Kin- 219, 220. A Reinigung, monatliche I, 211. wohner der stillen Südsee, der Chinesen, Malayen, Perser, Araber, Ägypter II, 568, Zusammensetzung dess. I, 351. Reizbarkeit, ihr Wesen II, 320, 449, 539. Reize, die auf den Menschen einwirken, II, 477, können die besten Vorsätze be- siegen 471, 472. Reizhöhe, Gipfelreiz II, 432, 433, 434. Reizschwelle II, 365, es giebt keine für Gehörreize 431, noch für Lichtreize 431, noch für Schmeckstoffe 431, noch für Wärmereize 431. Reizung der Nerven mit Wechselströmen, In- ductionsströmen, II, 275, 276. Religion I, Rennthiere, 8 Hirnbau II, 202. Reptilien, Schleicher II, 111, in der Erdgeschichte 85; haben Einen Gelenk- höcker am Schädel 109, ihr Hirnbau 193, 194, 195, 252. „Respiratorisches Nahrungs- mittel“ gegen den Begriff desselben I, 133, II, 230. Rettig regt den Geschlechts- trieb an I, 476. Rhizopoden, Wurzelfüsser, II, 84, entbehren der Nervenzellen und Nerven- fasern 177, 234. Rieinus communis, Wunder- baum I, 113, 267, 287. Riechen II, 367. Riechlappen II, 193, 198, | 239. Riechwindung, innere, II, 254. Riechzellen II, 175. Riesenkänguruh II, 119. Ringelnatter wird im Käfig lebendiggebärend II, 128. Ringelwürmer, ihr Nerven- system II, 178, 180. Robben, ihr Hirnbau II, 202, 209. Rochen, Reichthum ihrer Muskeln an Harnstoff I, 223. Roggen I, 151. Roggenbrod I, 194. Roggenstroh I, 55. Rohrzucker in Bataten I, 418, unmittelbar ins Blut ge- bracht wird als solcher mit dem Harn ausgeschieden 418; wird durch Darmsaft in Traubenzucker ver- wandelt 418, 419; findet sich neben Traubenzucker und Fruchtzucker in vielen Früchten 418; als solcher nicht gährungsfähig 398, 410; in Lösung dem Licht ausgesetzt zerfällt in Trau- benzucker und linksdrehen- 687 den Fruchtzucker 413; ein Nahrungstoff des Menschen 418, 419, in Pastinaken 418, in gelben Rüben 418, in rothen Rüben 418; zerfällt unter Wasserauf- nahme durch verdünnte Säuren in Traubenzucker und linksdrehenden Frucht- zucker 412, ebenso durch Siedhitze 412, durch tro- ckene Hitze 412; spaltet sich unter Wasseraufnahme in Traubenzucker u. links- drehenden Fruchtzucker 410, 411; Verbrennungs- wärme des R. 352; R. kann durch Zerreiben in Traubenzucker und links- drehenden Fruchtzucker zerlegt werden 412. Rolando'sche Furche, Central- furche des Hirns II, 216. Rosenkrautsäure, Pelargon- säure I, 282. Rosenkrautsaurer Äther, pe- largonsaures Äthyloxyd I, 22082, in Weinen 282. Rosmarinöl entsteht aus Ter- pentinöl I, 281. Rosskastanie I, 54. Rübe, Teltower I, 82. Rübe, weisse I, 49, 55. Rüben regen den Geschlechts- trieb an I, 476. Rückbildung I, 101, 165, 343; ihr allmäliges Fortschreiten 375, 376; R. beginnt im 688 Blut 246; R. in der Pflanze 95, 260, 268; nach dem Tode 376. Rückbildung ursprünglicher Anlagen II, 109. Rückbildungserzeugnisse im Blut I, 233, 256, in den Geweben 235; Grund warum sie leichter künstlich dar- gestellt werden 274, 280; krystallisiren leicht 377; R. der Pflanzen als Heil- mittel 292; verweilen in den Pflanzen 287, 288, 290. Rückenmark II, 273, seine An- lage 188, Centrum von Re- flexbewegungen 321, seine chemische Reaction 267. Rückenstab, Achsenstab, Chorda dorsalis II, 96, 97, 100, 146. Rückenstabsthier, Chordonier II, 96, 146, 150. Rückschlag, Gegenwirkung, Reaction II, 480. Rudimentäre, verkümmerte Organe II, 161-167. „Ruheströme“ im Nerven Fol- gen ihrer Verletzung II, 274. Rundmäuler, Cyclostomen II, 100, 101, 102, 150, ihr Hirn- bau 189, haben nur mark- lose Nervenfasern 235. Runkelrüben I, 49, 86, 87. Saccharomyces Rees I, 393. Safran, Crocus sativus I, 68. Sage II, 121. Salze ellipsoideus | Sahuis, Krallenaffen II, 248. Salamander II, 107, Menge der vom S. ausgehauchten Kohlensäure I, 335. Salbeiöl entsteht aus Senföl I, 281. Salicin I, 281, zerfällt durch Mandelhefe in Saligenin und Zucker 406, 410, ebenso durch verdünnte Schwefel- säure 406, 410. Salicylsäure tödtet Hefezellen und Zitterlinge I, 421, hemmt die Einwirkung von Mandelhefe auf Mandelstoff 421. Salicylsaures Methyloxyd I, 281. Salpen II, 96, 146. Salpeter I, 49, 76, 86, 105. Salpetersäure I, 76, 77, als Düngmittel 92, im Harn 106. Salpetersaure Salze als Nah- rungsstoffe der Hefezellen I, 404. Salpetersaures Ammoniak als Düngmittel I, 86, im Regen- wasser 77. Salpetersaures Silberoxyd zer- setzt sich im Licht II, 32. Salzauswitterung I, 40. Nahrungsstoffe der Pflanzen I, 77, 8 S2r- lassen das Blut schneller als Eiweiss und Fett 190. Salzsäure als Düngmittel I, 92, im Magensaft 191. Samen der Pflanzen I, 374, | der Thiere 137, 211. Samenfäden, Spermatozoiden I, 137, 211. Samenverluste i. Schlaf II, 451. Sammlung II, 458. Samojeden leben von Fisch- kost I, 445, verzehren viel Thran und Talg 368. Santa Maria Novella in Florenz II, 302. Sarkin, Hypoxanthin, Harn- oxydul I, 375. Sarkosin II, 51, Darstellung aus Fleischstoff I, 220, aus Methylamin und Choressig- säure II, 52. Sättigung I, 438. Sauerampfer II, 41. Sauerklee I, 222. Sauerstoff I, 28, 58, 67,75, 78, 99, 116, 219, II, 9, 535; er- regter, verdichteter, Ozon J, 270, 455, 456, II, 459; von den Pfl. ausgeschie- dener S. ein Erzeugniss der Entwicklung I, 260, 290; freiwerdenden, nicht längst freigewordenen S. schöpft die Hefe bei der weinigen Gährung aus dem Zucker 396, 397; S. wird frei bei der weinigen Gährung 395; Baumeister der Gewebe 131, 139, 256; seine Rolle bei der Gährung 392, 393, 394, 396, 397; S. ein Nah- rungsstoff 144, 251; seine 689 Einwirkung auf Pflanzen und Thiere 101, auf die Riechstoffe in den Pflanzen 270, tödtet die Zitterlinge, Vibrionen, welche die Buttersäuregährung ein- leiten, 403; verdichteter 8. verwandelt Alkohol in Es- sigsäure 413. Sauerstoffaufnahme in der Blüthe I, 297, 319, durch die rothen Blutkörperchen, Flächewirkung 117, 219, bei der Bildung des Chloro- phylls 267, beim Keimen 296, durch die Pflanzen 99, 266, 267,296, 319, durch die Pfl. in d. Nacht 296, geringre in der Pfl. als im Th. 289, Ursache d. Rückbildung im Th. 204, 219, 256, S. bei Tag und Nacht 259, vermehrt sich bei Fröschen mit der Wärme 459, 460, bei warmblütigen Thieren wenn die Wärme abnimmt 459. Sauerstoffausscheidung durch die Pflanzen I, 103, 110, 260, 262, 263. Sauerstoff bedürfniss des Hirns II, 270. Sauerstoffgehalt von Augen- schwarz (Melanin, Fuscin) und Blutroth (Hämatin) I. 128, der Abkömmlinge der eiweissartigen Körper 124, 125, 383, des Eiweisses 124, 125, der Fette 139, II. 44 690 der flüchtigen fetten Säuren 379, der Horngebilde 126, in Leim und Leimbildnern 124, 125, der Säuren der Dammerde 383. Sauerstofimenge, eingeathmete I, 252. Sauerstoffverarmung, fort- schreitende in der Pflanze bei der Bildung ihrer wich- tigsten Baustoffe I, 264, 343, gewisser Stoffe im Thierkörper 112, 113, 114, 159, 160, 161. Sauerwerden des Biers 413, des Weins 413. Saugbewegungen II, 318, 321, 329, 333, 335, Anregung | ders. 318, 321, 329, 333. Säugethiere I, 365, 366, II, 111, 305, entstammen den Lurchen 109, 110, 111, in der Erdgeschichte 85, 122, ihr Hirnbau 197—207. Säugling, Anfang seines Ge- müthslebens II, 337, erstes Lachen 337,s. Neugeborene. Säuren, organische, als Rück- bildungserzeugnisse in den Pflanzen I, 273, 283, 375, sie können d. Verarmungan Sauerstoff entstehen 284. Schaaf, sein Hirnbau II, 202, 204, sein Stoffwechsel I, 329. Schachtelhalm, Equisetum I, | 48, 50, 53. Schädel von Engis II, 132, | 133, der Neanderhöhle 133. I, Schädeldeuter, Phrenologen, II, 204. Schädelkapsel der Kopffüsser II, 184. Schädellose, Acranier II, 98, haben nur marklose Nerven- fasern 235. Schallgeschwindigkeit II, 350. Schallstärken, ihre Unter- scheidung II, 421. Schaltspindeln, Bogenspindeln der Hirnrinde II, 241. Scheibenquallen, ihr Nerven- system II, 177. Scheide, äussere, der Nerven- fasern II, 174. Schierling I, 273. Schierlingsbasis, Coniin I, 274. | Schildkröten, ihr Hirnbau II, 194. Schimmel I, 69. Schlaf II, 451—454, während dess. scheidet der Mensch weniger Kohlensäure aus 462,463, Stoffwechsel wäh- rend dess. I, 258, 259. Schläfelappen II, 255, 313. Schlagadern am Halse, ihr Zusammendrücken bewirkt Bewusstlosigkeit II, 257. Schlagfluss II, 270. Schlangen, ihr Hirnbau II, 194. Schleicher, Reptilien II, 111, in der Erdgeschichte 85; haben Einen Gelenkhöcker am Schädel 109, ihr Hirn- bau 193, 194, 195, 252. Schleihe, Menge der von ihr ausgeathmeten Kohlensäure I, 334. Schleim I, 210, 243, 245. Schleimfische, Myxinoides, Inger II, 100. Schleimhäute I, 125, 211. Schleimsäure liefert durch Gährung Buttersäure J, 403. Schleimstoff, Mucin I, 124, 125, 139. Schlundbogen, Arcus pharyn- | gei, Eingeweidebogen, Vis- | ceralbogen, II, 148. Schlundknoten II, 178, 179, 180, 181, 183. Schlundknoten, oberer und unterer, ihre verschiedene Verrichtung bei Schwimm- käfern und Schnecken II, 183, 154, der wirbellosen Thiere gleichwerthig den Nervenheerden der Wirbel- thiere 186. Schlundring der Gliederfüsser II, 178, der Kopffüsser 184, der Weichthiere 178. Schlussfolgerungen II, 309, 443, ihre Entstehung 457, erste S. 339. Schmalnasige Affen, Catarhi- nae II, 120. Schmeckstoffe II, 332—335, es giebt keine Reizschwelle für dieselben 431. Schmeckzellen II, 175. Schmelzpunkt der fetten Säu- ren II, 64, 65. Kiemenbogen 691 Schmerz bedeutet Ermüdung II, 483. Schmerzempfänglichkeit ge- ring bei Neugeborenen II, 318. Schmetterlingsblüthige, Papi- lionaceen II, 84. Schmiedeeisen wird durch Er- schütterung krystallinisch und brüchig II, 36. Schnabelthier, Ornithorhyn- chus, sein Hirnbau II, 201, 205. Schnecken selten auf kalk- armen Gebirgsarten I, 193, ihr Nervensystem II, 178. Schneidebohnen I, 51. Schneidezähne im Zwischen- kiefer der Embryonen man- cher Wiederkäuer, welche niemals durchbrechen II, 162. Schnellessigbereitung I, 415. Schnurwürmer, Nemertinen II, 178, 236, 256, haben undeutliche Nervenzellen 236. Schöne, der Begriff des Schö- nen wird nicht erdacht, sondern gefunden II, 297. "Schöpfer, Schöpfung I, 6, II, 3, 122, 169, 171. „Schöpfungsgeschichte“ II, 86. Schreck, seine Wirkung auf den Puls II, 277, 278, auf den Willen 485. Schrittdauer II, 525. Schrittlänge II, 525. II. 44* 692 Schütteln befördert die Fäul- niss von Eiern I, 409. Schwanzaffen, Menocerca II, 123. Schwarzbrod I, 164. Schwefel der eiweissartigen Körper verbrennt zu Schwe- felsäure I, 244; seine ver- schiedenen Krystallformen II, 24; S. und Eisen, Ein- leitung ihrer Verbindung durch Wärme 31. Schwefelallyl II, 48. Schwefelammonium Erzeug- niss der Fäulniss I, 380. Schwefelarsenik, gelber, Au- ripigment, II, 31. Schwefeläther als Riechstoff, II, 368, 369. Schwefelcaleium mit Kalk vor- theilhafter Düngstoff für Wald und Wiesen II, 576. Schwefelcyan II, 47. Schwefelcyanallyl, Senföl, II, 48. Schwefeleisen, Einfluss der Wärme auf seinen Schwefel- gehalt II, 30. Schwefelgehalt in Abkömm- lingen der eiweissartigen Körper I, 129, der eiweiss- artigen Körper 128, 129, 433, der Haare 130. Schwefelsäure in der Blut- flüssigkeit, Blutplasma, I, | 170, als Düngmittel 92, in Vertretung der Mekonsäure 274, im Mohnsaft 83, ver- | dünnte S. zersetzt Salicin in Saligenin u. Zucker 406. Schwefelsaure Salze in der Galle I, 190, im Harn 130, 190; s. S. des Harns ent- stehen aus verbranntem Schwefel der eiweissartigen Körper 443, werden mit dem Harn nach Fleisch- kost reichlicher ausgeschie- den 443. Schwefelsaurer Baryt II, 20. Schwefelsaurer Kalk, Gyps im Boden I, 66. Schwefelsaures Bleioxyd I, 20. Schwefelsaures Eisenoxydul, Heilmittel bleichsüchtiger Pflanzen I, 94. Schwefelsaures Kali in Blät- tern I, 56, im Hirn II, 226, Erzeugniss der Verwesung I, 331. Schwefelsaures Natron, Bil- dung desselben aus kohlen- saurem N. im Blut I, 129; als Düngmittel 86, in den Knochen der Fische und Lurche 60, 181. Schwefelsäure - Ausscheidung durch den Harn wächst durch geistige Arbeit I, 246, 332. Schwefelwasserstoff Erzeug- niss der Fäulniss I, 380. Schweflichtsaures Kalium Erzeugniss der Verwesung I, 381. Schweifaffen, Pithecia, ihr Hirnbau II, 202. Schwein II, 305, sein Hirn- | bau 198, 207, Stoffwechsel | dess. I, 329. Schweineschmalz I, 382. Schweissfett, Caprylin I, 391. Schweisssäure,Caprylsäure, im Käse I, 382, 391, Erzeug- niss der Verwesung 379. Schwellenwerth für Druck- empfindung II, 428, 429, | für Wärmereize ist immer eine bezügliche 430, 431. Schwere, Gesetz der II, 289. Schwimmblase II, 101, 161. Schwimmkäfer, Dytiscus, ver- schiedene Verrichtung sei- nes oberen und unteren Schlundknotens II, 183. Sclerotica, harte Haut des Auges I, 125; hinterer Ab- schnitt der äusseren Augen- haut I, 318. Secundärzeit, mittlere Zeit, mesolithische Zeit II, 83, 123. Seehahn, Trigla adriatica, sein Hirnbau II, 192. Seele schleicht dem Kinde zu, entwickelt sich in ihm II, 339. Seelenblindheit II, 311, 312. Seelentaubheit II, 313. Seepferdsfuss, kleiner, Vogel- sporn II, 218. Seepflanzen, bisweilen reicher 693 an Kalium als an Natrium I, 193. Seescheiden, Ascidien, II, 96, 146, 178, 184, 185. Seesterne, Asterida, ihr Ner- vensystem II, 179. Sehcentrum II, 311, 312. Sehhügel, thalami optici, II, 193, 247, 256, ihre Anlage 190. Sehlappen, lobi optici II, 193. Grösse Sehloch verengert sich durchs Licht II, 320, 450. Sehnen I, 119. Sehnerve der Schnecken II, 183. „Sehpurpur“ gegen diesen Ausdruck II, 292. Seidenäffchen II, 248. Seidenraupen, künstliche Läh- mung einiger Glieder dersel- ben II, 182, Krankeit der S. I, 69. Seitenhorn der Seitenkam- mern II, 239. Seitenkammer des Hirns II, 208. Selachier, Knorpelfische, Ur- fische II, 101, ihr Hirnbau 191, 201. Selbstbewusstsein II, 442, 445. Selbststeuer des Körpers I, 367. Sellerie I, 49. Senf vermehrt die Menge des Magensafts I, 475. Senföl, Schwefeleyanallyl II, 48, Darstellung aus Ein- 694 fachbrompropylen u. Schwe- felcyankalium 48, künst- liche Darstellung 47, 48, entsteht aus Stinkasandöl I, 281. Sepia, Tintenfisch, sein Ner- vensystem II, 183. Siamang, eine Gibbonart, Hy- lobates syndactylus, sein Hirnbau II, 199. Sich verschreiben II, 380, 470. Sich verspielen II, 380, 470. Sich versprechen II, 470, 471. Siebenmonatskinder, ihre Sinnesthätigkeit ist- noch schwächer als die von reifen Neugeborenen II, 335, 336. Siedepunkt II, 12, der flüch- tigen fetten Säuren 64. Silberoxyd-Ammoniak II, 36. Silbersalze, ihre Zurückfüh- rung in freies Silber durch die Pflanzen I, 105. Silene inflata, Leimkraut, I, 84. Silurus Glanis, Wels, sein Hirnbau II, 192. Sinkalin, Cholin, Bilineurin, I, 314, II, 56. Sinne, chemische II, 366, physikalische 366; der eine Sinn ergänzt und berich- tigt den anderen II, 302, 303. Sinnesorgane II, 175. Sinnestäuschungen II, 379, 299 bis 302, werden durch Be- obachtung verbessert 302. Sinnliche Eindrücke II, 290, 291, sind stoff lich 291, 296, 297, 299, 456. Siredon pisciformis, Axolotl, II, 108, 129. Sitte, Entwicklung der II, 493, Spiegel der Erkennt- niss 558. Sittenweissheit des Christen- thums II, 502. Sittliches Maass liegt in der Natur des Menschen U, 495. Sittlichkeit, ihre Entwicklung II, 493, 494. Sociale Frage II, 580. Soda II, 30. Sodafabriken II, 576. Solanin, Kartoffelbasis, I, 290, in Kartoffeln, die im Keller keimen 273. Sonne II, 517, 518. Sonnenblumen I, 76. Sozobranchia, Perennibran- chiata, Kiemenlurche I, 107. Spaltung des Eiweisses I, 123, 124, 126, 130, 140. Spannkraft II, 511, 512, 517, 518. Spannung der Aufmerksam- keit II, 469, 470. Spargelstoff, Asparagin, I, 269, II, 18. Sparmittel I, 570—572. 158, 467, II, Specifische Wärme, Wärme— gier, der Bestandtheile des menschlichen Körpers I, 355—357, der Luft 360, der Nahrungsstoffe 360. Speichel I, 144, 162, 189, 417, 429, tägliche Menge dess. 254, 255. Speicheldrüsen I, 452, 453. Speichelzellen I, 420. Speisebrei, Chymus, I, 145. Speisesaft, Chylus, I, 145. Sperlinge, ihr Sauerstoffbe- | darf I, 341. Spermatozoiden, Samenthier- chen I, 137. Sphärische Aberration 327. II, Spielarten, Varietäten I, 124. Spinat I, 51. Spindelbaum, Evonymus eu— ropaeus I, 269, 279. Spinnen haben deutlich ent- wickelte Nervenfasern II, 235, ihr Nervensystem 178, 182, 183. Spinnenarten, ihr verschie- denes Gewebe II, 441. Spinnenwebehaut II, 269. Spiritualisten, Zwiespalts- lehrer II, 158, 614. Spirometer II, 481, Sporen, Keimkörner I, 394. Stammesgeschichte, Phylo- gonie, II, 86, 113, 151. Stärkegummi, Dextrin, I, 143, 263, 264, 267, 345, II, 15, 25, nimmt Wasser auf, 695 wenn es sich in Zucker verwandelt I, 345. Stärkmehl II, 25, 26, ein Blutbildner I, 145, 263, 264, Fettbildner 112, 145, in der Pflanze 65, 77, 267, 374, in inneren Pflanzen- theilen 266, wandert aus den Blättern in den Stamm 288, Umwandlung des 8. in Stärkegummi und Trau- benzucker durch Speichel, Bauchspeichel u. Darmsaft 417, 452; Verbrennungs- wärme des Stärkmehls 350, 351; S. verwandelt sich durch Wasserspaltung in Stärkegummi und Trauben- zucker 416, 417. Status nascens II, 540. Stearin, Tristearin, Talgstoff, I, 139, 140. Stearinsäure, Talgsäure, I, 382, II, 63, 65. Stehende Heere, gegen grosse II, 556. Steigbügel entsteht aus dem zweiten Kiemenbogen II, 148. Steinkohlenflötze II, 84. Steinkohlenperiode II, 84. Steinwerkzeuge in der Ge- schichte d. Menschen II, 132. Sternthiere, Strahlthiere, Echinodermata in der Erd- geschichte II, 85. Stetigwarme, homoeotherme Thiere I, 365. 696 Stickstoff in der Luft I, 65, 76, Ableitung desjenigen, der durch die Pflanzen ent- wickelt wird 295. Stickstoffbezugsquellen Hefezellen I, 404. Stickstoffentwicklung bei der Fäulniss I, 378, durch die Pflanze 98, 294, 295, 375. Stickstoffoxydul, Lustgas II, 271. Stickstofftetroxyd II, 514. Stickstofftritoxyd II, 514. Stimmung II, 458, 479, 487, 488, 489, 490. Stinkasand II, 329. Stinkasandöl I, 281. Stirnlappen des Gehirns II, 208, 209, 210, 248, 254. Stirntheil des Hirns, seine wechselnde Grösse II, 216, 217. Stoff, Begriff desselben II, 306, kein S. ohne Eigenschaf- ten 5. Stoffliche Veränderungen des Hirns, ihr Einfluss auf die geistige Thätigkeit II, 269 bis 273. Stoffwechsel I, 31, 33, 78, 79, 112, 113, 250, 409, II, 153, wird durch Alkohol gemäs- sigt I, 464, 467, II, 570; S. der Frauen I, 339; Gleich- gewicht dess. 257; S. der Greise I, 257—259, 338, 339, 467, der Kinder 340; Maass des Lebens 236, 245, der 296, 297, Schnelligkeit des- selben 250 u. folg. Storch II, 130. Strahlspindeln der Hirnrinde II, 240, 241. Strahlthiere, Sternthiere, Echinodermata, ihr Nerven- system II, 179; haben un- entwickelte Nervenzellen und Nervenfasern 234. Streifenhügel II, 193, 195, 218, 247, 256, Gefässreich- thum dess. 256. Streifenhügel, äusserer, Lin- senkern II, 256. Stria longitudinalis s. tecta, Nervus Lancisii, Längs- streifen II, 254. Styl II, 476, 491. Styrol, Cinnamol, künstliche Darstellung dess. I, 282. Südseeinseln, ihre Bewohner berauschen sich mit Rausch- pfeffer I, 476: nähren sich von Reis und Hirse 368. Sumpfgas, Methylwasserstoff, Methan I, 384, Darstellung dess. II, 57, 58; S. Erzeug- niss der Vermoderung, I, 384, 385; Verbrennungs- wärme dess. 305; Verwe- sung des S. 385. Sünde II, 500. Suppentafeln aus Leim, gegen dieselben I, 162. Sylvische Spalte, sylvisches Thal II, 219. Synamoebien, zusammenge- setzte Wechselthierchen II, 93, 143. Synaptase, Emulsin, Mandel- hefe I, 82. Synthese, chemische II, 35, | 40—76. Tabak I, 49, 82, 96, 290. Talg, reichliche Aufnahme dess. durch Grönländer u. Samojeden I, 368. Talgdrüsen I, 212. Talgsäure, Stearinsäure I. 382, II, 65. Talgstoff, Stearin, Tristearin I, 139, im Hirn II, 285. Talk, Magnesia I. 49, 52, 54. Talpa caeca, blinder Maul- wurf II, 162. Tange, Zeit der II, 84. Tapir II, 305. Tarn, Departement du II, 572. Tasteindrücke erwecken Wol- lust II, 299. Tasthaare II, 165. Tastsinn, Uebung des T. einer Hand verfeinert den T. der anderen II, 251. Taube, Menge der von der T. ausgehauchten Kohlen- säure I, 335. Tauben, enthirnte II, 280, 282. Taubenrassen mit langen Bei- nen haben lange Schnäbel II, 130. Taurin, geschwefelter Gallen- paarling I, 130, Darstellung 697 aus isäthionsaurem Ammo— niak II, 46, 47, künstliche Darstellung 46; in den Lungen der Säugethiere I, 226, II, 47, in den Muskeln der Schalthiere I; 226, II, 47, in Ochsennieren I, 226. Taurocholsäure, geschwefelte Gallensäure I, 130, zerlegt sich unterWasseraufnahme in Taurin und Cholalsäure 416. Teichmuschel I, 60. Teichwasser I, 56. Teleologie, Zweckmässigkeits- lehre I, 50, 53, 66, 102, 115, 116, 142, 143, 323, 369, 372, II, 1—5. Terebenten, seine Verbindung mit verschiedenen Mengen Wasserstoff II, 34. Terpentinöl II, 34, lässt sich in Citronenöl, Hyacinthen- öl, Rosmarinöl u. Thymian- öl verwandeln I, 281, Ver- brennungswärme dess. 305, 307, 308. Terpilenwasserstoff entsteht aus Terebenten u. Wasser- stoff II, 34. Tertiärzeit, Neuzeit, cenoli- thische Zeit II, 83, 123. Texas II, 574, 575. Thalami optici, Sehhügel II, 193. Thau I, 65. Thee I, 468, chinesischer 81, Java-T. 81, ist nicht mit 698 Fleischbrühe zu vergleichen 469, 470; sein Einfluss auf die Hirnthätigkeit 470, 472, II, 270; T. ist nicht nahr- haft I, 469, 472; stopft 475; vermindert die Kohlen- säureausscheidung 468, II, 972. Thee von Bourbon, Faham I, 475, enthält Cumarin, Waldmeisterstoff 473. Theeblätter I, 49, 81. Theestoff, Thein, Kaffeestoff, Caffein I, 469, 470, in Pa- raguaythee 470; zweifel- hafter Einfluss des T. auf die Harnstoffausscheidung I, 468, 469. Theilung der Zelle II, 142. Thein, Theestoff, Kaffeestoff, Caffein I, 469, 470. Theobromin, Kakaostoff I, 295. Thier, Wesen dess. I, 114. Thiere, enthirnte, Wirkung von Sinnesreizen auf die- selben II, 281; verwandeln Spannkraft in lebendige Kraft 518, 519. | Thierische und pflanzliche Nahrungsmittel I, 433447. Thlaspi alpestre calamina- rium, Alpenhellerkraut I, 83. Thonerde I, 50. Thran, reichliche Aufnahme von T. durch Grönländer | und Samojeden I, 368. | Thunfisch, sein Hirnbau II, 192, 201. Thymianöl entsteht aus Ter- pentinöl I, 281. Thymus, Bröschen I, 215, 216. Tintenfisch, Sepia, sein Ner- vensystem II, 183. Tischlerleim I, 104, 122. Tod II, 553. Todesstrafe, gegen die II, 498. Todte, Ehre den Todten II, 560. Toluol, künstliche Darstellung dess. I, 283. Ton, Macht der Töne II, 298, 310. Tonarten, 420. Tonkabohnen enthalten Cu- marin I, 473. Tonschreiber, Phonautograph II, 394. Torfsäure, Ulminsäure I, 383, 384, in herbstlichen Blät- tern, im Kern der Stein- früchte 288. Torfsaures Ammoniak, ulmin- saures Ammoniak I, 68. Trägheit des Menschen bei ausschliesslicher Pflanzen- | Kant a ar Trapa natans I, 56. | Traubenöl, pelargonsaures Äthyloxyd I, 282. | Traubensäure II, 20, 21, eine Verbindung von rechts- drehender und linksdrehen- der Weinsäure 21, 22, 74. verschiedene II, Traubenzucker gährungsfähig I, 398, überschüssiger T. Ka- ninchen ins Blut gespritzt geht als solcher in den Harn über 439, 440; Ver- brennungswärme dess. 350, seine Verbrennungswärme | widerlegt die Vorstellung von Kohlehydraten 308, 309, 310. | Traum II, 264, 265. Träumen II, 173, 453. Treppe im Vatikan II, 302. Tributyrin II, 73, 74. Tricapronin II, 73, 74. Trigla adriatica, Seehahn, Hirnbau II, 192. Triglyceride II, 73. Trimethylamin I, 386, 387, II, 56, Darstellung 58; in der Netzhaut des Auges I, 229. Triolein, Olein, Ölstoff I, 140, 381. Tripalmitin, Palmitin, Perl- | mutterfett I, 140, 381, 382, | 391. | Tristearin, Stearin, Talgstoff I, 139, II, 73. Triton, Wassermolch II, 107, 108. Trockne Destillation I, 385, 414. Trockne Fäule d. Holzes I, 69. Trockne Hitze, Erzeugnisse ders. I, 385. Trunk Wasser, Geschichte dess. II, 157. 699 Trypsin, I, 421. Tungusen betäuben sich mit Fliegenschwamm I, 476. Tunicata, Mantelthiere II, 95, 102, 178. Tyrosin s. Hornglanz. Bauchspeichelhefe Übelkeit bedeutet Ermüdung II, 483. Übergänge zwischen über— tragener (Reflex-) und „will- kürlicher“ Bewegung II, 450—455. Übergangswindungen II, 208. Uberraschung II, 384. Überreizung erzeugt Ermü- dung II, 483. Überspannung der Aufmerk- samkeit II, 469, 470. Übertragene Bewegung, Re- flexbewegung II, 449, 450, 451, 452. Übung II, 298, 302, 303, 336, 337, 366, 392, 410, 445, ihr Einfluss auf die Kund- zeit 370, 371, 372, 374. Uhr im Kopf II, 417. Ullico tuberosus II, 569. Ulminsäure, Torfsäure I, 383, 384, in herbstlichen Blättern und im Kern der Stein- früchte 288. Ulminsaures Ammoniak, torf- saures Ammoniak I, 68. Umsatzhefe, ferment inversif, Zymase J, 411. Umsatzmittel, ungeformte or- 700 ganische Enzyme I, 420, 421. Umwandlung, langsame U. bei der Fäulniss I, 380, 381. Unfreiheit des Willens, aus ihr folgt keinesweges die Aufforderung zur Aus- schweifung II, 501. Ungebeuteltes Mehl zur Brod- bereitung nicht unbedingt zu empfehlen II, 565 —568. Unsterblichkeit der Kraft II, 516, 517. Unsterblichkeit des Stoffs I, 27, 35, 107, II, 516, 517. Unterkiefer entsteht aus dem ersten Kiemenbogen II, 147, 148. Unterscheidung verschiedener Helligkeitsgrade II, 422. Unterscheidungszeit II, 393 bis 397, 408, wächst bei häufigem Wechsel der Ver- suche 397. Unterscheidungszeit u. Wahl- zeit zusammengenommen II, 404, 405, 406. Unterschied zwischen dem Bewusstsein bei Menschen und Thieren besteht dem Grade, nicht der Art nach II, 445, 446. Unterschweflichtsaures Kali- um, Erzeugniss der Ver- wesung I, 381. Unverdauliche Speisereste I, 162, 163. Valeriansäure, | „Unwägbare Stoffe“, „Im- ponderabilien“ II, 258. Uramnionthier, Uramniote, Protamnion, II, III, 112, 113, 150. Uramniote s. Uramnionthier. Urdarmthierchen, Gastraea, II, 95. Urfische, Selachier, II, 101, 102, ihr Hirnbau 191, 201. Urharn II, 112. Urharnsack, Allantois, II, 112, 118, 149. Urmund II, 144. Urniere, Primordialniere, II, 112, 115. Urschleim, Keimstoff, Proto- plasma, I, 45, 72, 207, 358, II, 87, 88, 91, 234. Urtheil II, 309, 443, unser U. ist sinnlich 299, 309, wird durch die Umstände bestimmt 481, 482, 484, Ursprung dess. 457. Urthierchen, Moneren, II, 91. Urwirbel, Primordialwirbel, II, 146. Urzeit, Primordialzeit, archae- olithische Zeit II, 83, er- mangelt der landbewohnen- den Thiere II, 102. Urzelle, Cytode, II, 91, 114, 137, 141, 142, 150. Urzeugung, generatio spon- tanea oder aequivoca, II, 88, 89, 90, 137. Baldrian- säure, II, 63, im Käse I, 382; Erzeugniss der Ver- wesung 379; ihre Zerle- gung in Kohlensäure und | Kohlenwasserstoff 382, 383. Van Diemensland, seine Be— wohner nähren sich bei— nahe ausschliesslich von Fleischkost I, 445. Vanille regt den Geschlechts- trieb an I, 476, II, 458. Varietäten, Abarten, Spiel- arten, II, 124. Vegetiren I, 114, 446, 447. Veilchen, gelbes, I, 51. Verähnlichung, Assimilation, I, 145. Veränderlichkeit des Men- schen II, 426, 427, 477 bis 492, 502, 503. Verarmung des Bluts durch die Lebensvorgänge I, 250. Verbindung, chemische, er- zeugt Wärme U, 510. Verborgene Reizung II, 349, 385. Verbrennung I, 28, äussere 140, im Blut 247, bei der Gewebebildung 131, 139, 302, innere 139, 140, 376, | 385, 414, in den Pflanzen 99, in den Thieren 99. Verbrennungswärme des Ci- tronenöls I, 305, des Dia- manten 321, des Eiweisses 325, 350, des Fetts 325, 350, des Kohlenstoffs 306, II, 511, der Nahrungsmittel 701 519, des Rohrzuckers I. 353, des Stärkmehls 350, 351, des Sumpfgases 305, des Terpentinöls 305, 307, 308, des Traubenzuckers 325, 350, die V. des Trau- benzuckers widerlegt die Vorstellung von Kohlen- hydraten 309, 310, V. des Wasserstoffs 306, II, 511. Verdauung I, 144, 145, 147, 150, 162, 163, 164, 165, wird durch Würzen an- geregt 475, 476. Verdauungswerkzeuge, ihr Bau weist den Menschen auf gemischte Kost an I, 452, 453. Verdichteter Sauerstoff siehe Ozon. Verdichtung des Cyans I, 321, luftförmiger Körper 75, V. Wärmequelle 318, 320, 322, in der Pflanze als Wärmequelle ergiebiger als die Verbrennung 322. Verdunstung I, 36, 38, kann die Wärme von Pflanzen und kaltblütigen Thieren unter die des umgebenden Mittels herabdrücken 337. Vereinigte Staaten Nord- amerika’s II, 573. | Verflüchtigung, Wärmever- lust durch I, 342. Vergleich zwischen Keimes- und Stammesgeschichte II, 138 u.. folg. 702 Verhältnisse, wir fassen nur | Versprechen II, 470, 471. V. auf II, 434, 435, 436. | Versuch des Naturforschers Verhältnisswerth erforderlich keine unabhängige Willens- für sinnliche Unterschei- | regung II, 474, 475. dung II, 418, 419, 424. Vertheilung von Kraft und Verkalkung der Gewebe im Stoff, richtige, Aufgabe der Greisenalter I, 257. Wissenschaft und des So- Verkieselung von Pflanzen- cialismus II, 556 u. folg., theilen I, 94. 979. Verknöcherung der Knorpel | Verwandtschaft, chemische, im Greisenalter I, 257. ist eine Kraft II, 511, des Verkreidung der Gewebe im Stoffs I, 375. Greisenalter I, 257. Verwesung I, 75, 288, 376, Verkümmerte, rudimentäre 378, 381, 383, 385, 390, Organe II, 161-167. 413, 422, der eiweissartigen Verkümmerung von Organen Körper 381, 384, feder- II, 161. kräftiger Fasern 381, der Verlängertes Mark, erste An- Fette 381, 382, der Horn- lage dess. II, 188, 191, gebilde 381, des Käsestoffs Centrum von Reflexbewe- 391, 399, leimgebender gungen 320. Gewebe 381, V. u. Leben, Verlegenheit II, 480, 481. minder schroffer Gegensatz Vermehrung der Formbestand- in der Pflanze als beim theile während des Wachs- Thier 288; V. langsame thums I, 217, 218. Verbrennung 376, 390. Vermis, Wurm, Querband Verwickelte Zusammen- zwischen den Seitenballen setzung organischer Stoffe des kleinen Hirns, II, 253. bedingt unsicheres Gleich- Vermittlung, Halbheit, I, I, gewicht I, 421. 425, II, 170, 476. Verwitterung I, 33, 34, 61, Vermoderung sehr langsame 62, 88, 91. Verbrennung I, 376, 390, | Vibrionen, Zitterlinge I, 402, langsame Verwesung 376, 403, 405, in verdorbenen 384, 390. Eiern 408, beschleunigen Verschreiben II, 379, 380, Verwesung und Fäulniss 470. 423. Versehen II, 473. Viehzucht I, 78. Verspielen II, 380, 470. Vierhügel II, 247, 255, ihre Anlage 190, 191, Centrum von Reflexbewegungen 320. Viola lutea calaminaria I, 51. Viola tricolor calaminaria I, | 83. Viridinsäure des Kaffees I, 269. Visceralbogen, Eingeweide- bogen, Schlundbogen, Arcus pharyngei, Kiemenbogen II, 148. Viscum album, weisse Mistel, 177. Vitalcapacität, Lebensinhalt | der Lungen, II, 481. Vögel I, 365, 366, II, 111, besorgen Aussaat I, 293, enthirnte V. II, 283, in der | Erdgeschichte 85. haben Einen Gelenkhöcker am Schädel 109, ihr Hirnbau 195, 196, 197, 201, 247, 249, V. Kurzköpfe 195, V. wärmer als Säugethiere I, 334. Vogelbeere, Sorbus aucuparia, I, 275. Vogelsporn, kleiner Seepferds- fuss, II, 218, 255. Völker, die ausschliesslich von Pflanzen leben, I, 444, 445, die ausschliesslich von Thierkost leben 445. Vollzelle II, 91, 114, 141, 142, 150. Vorderhirn, Prosencephalon, II, 190, 199, 247, Centrum von Reflexbewegungen 320. 703 Vorrath, unerschöpflicher V. von Stoff für Pflanzen und Thiere auf Erden I, 107, 108, 109, II, 578. Vorstellungen II, 311. Wachs in den Pflanzen J. 65, 294, reichlicher in der oberen äls in der unteren Fläche der Blätter 294. Wachsbildung in der Pflanze I, 265, 374. Wachsthum der Kinder, seine chemische Bedingtheit I, 340, Wachsthum der Pflan- zen 40, 41, 47, W. der Pfl. bedingt durch Lockerung des Sauerstoffs in ihren Nahrungsstoffen 264, 265. Wage I, 32, ihre Empfindlich- keit II, 421, W. im Kopf 417. Wahabis Protestanten Islam II, 571. Wahlzeit II, 401403, 407. Wahrheit, dichterische II, 476, geschichtliche 476. Wahrnehmung, Apperception II, 389, 390, 391, 392, 446. Wahrnehmungscentrum II, 310, 313, 314. Wahrnehmungszeit für's Auge II, 411, für Figuren 410, für's Gehör 411, für Selbst- lauter 411, für Worte 412, für 1—6stellige Zahlen 408, 409. Waldbrände, quemas I, 109, 110. des 704 Waldmeister I, 473. | Waldmeisterstoff, Cumarin I, 473. Walfisch, Windungen seines Hirns II, 210. Wälscher Hahn, s. Stoffwechsel I, 329. Wälschkorn, Mais I, 53, 96. Walthiere, Cetacea, ihr Hirn- bau II, 202, 210. Wandelbarkeit der Art II, 82, 107, 127, 129. Wandelzellen I, 208. Wanderzellen I, 208. Warmblütige, stetigwarme Thiere I, 365. Wärme II, 6,7,28, der Achsel- höhle I, 301; Berechnung der im Thierkörper ge- bildeten W. 302 u. folg.; W. Bewegungsform II, 259, 510; die W. des Bluts nimmt durch Alkoholgenuss ab I, 464, 465; sie ist im Wechselfieber schon wäh- rend des Kältestadiums er- auf den Boden 90: W. lässt sich in Elektrieität ver- wandeln II, 513; erhöhte W. kann chemische Ver- bindungen einleiten 30, 31; W. der Fleischfresser und Pflanzenfresser I, 325, 326; W. Folge des Lebens 322, | 323; die W. der Haut stei- | gert sich durch Alkohol- | genuss 465, 466; W. des | höht 465; Einfluss der W. Körpers je nach dem Ge- schlecht 339; steigt durch geistige Arbeit II, 268; die W. des Greises übertrifft die des Erwachsenen I, 338, 339, 340; W. vermehrt die Kohlensäure -Ausscheidung der Frösche II, 459, ver- mindert die der warm- blütigen Thiere 461; W. der inneren Körpertheile I, 299; ihr Einfluss auf die Krystallisation des Koch- salzes und auf die des koh- lensauren Kalks II, 27, auf den Gehalt an Krystall- wasser in kohlensaurem Natron 28, 29, 30; W. zum Leben nöthig I, 369, 370; bedingter Weise ein Maass des Lebens 327, 336, 340, 369, 370; W. im Mastdarm 299, der menschlichen Haut 299, des menschlichen Kör- pers je nach der Luftwärme 300, während der Nacht 328; W. von Pflanzen und Thieren 298 u. folg; W. beeinflusst den Stoffwechsel 333, 334; W. des Körpers grösser bei Tag als bei Nacht 333; die im Thier- körper erzeugte W. steht nicht in einfachem Verhält- niss zur Menge des aufge- nommenen Sauerstoffs 304, 310, 324, 348, 349, noch auch zu derjenigen der ausgehauchten Kohlensäure 304, 305, 310, 324, 329, | 348,349; Werthverhältniss zwischen ihr und mecha- nischer Kraft II, 438. Wärmeäquivalent des Den- kens II, 547, 548, nicht zu verwechseln mit dem der Gedanken 549, 550. Wärmeausgaben des mensch- lichen Körpers II, 520, 521, 522, 527, 545, 546. Wärmebildung durch Be- netzung I, 318; in Blüthen | zur Befruchtungszeit 319; beim Bohren der Kanonen II, 505, 506; bei der Gäh- rung I, 404; durch Gas- absorption in Flüssigkeiten | 313, 314; durch Gewebe- bildung 323, 324; im kei- menden Samen 319; kleiner Thiere 328, 329, 341; durch Vertreibung der Kohlen- säure aus kohlensaurem Natron durch stärkere Säu- ren 312, 313; im Muskel | II, 540; hängt ab von der Nahrung I, 368; durch Entstehung phosphorsaurer Salze315, durch Entstehung von Schwefelsäure aus dem Schwefel der eiweissartigen Körper 315, durch Ver- bindung von Basen und Säuren 312; im Thierkörper 301, 311; im Th. durch | Verbrennung 302, 310, 311; 1 705 durch chemische Verbin- dung II, 28, bei der Ver- bindung von Wasserstoff und Stickstoff zu Ammoniak I, 318; durch Verdichtung 318, 320, 322; durch Was- seraufnahme organischer Stoffe 316, 317, durch Was- serbindung II, 29, durch Entstehung zusammenge- setzter organischer Stoffe I, 315, 316. Wärmeeinheit, Calorie I, 306, Wärmeeinheiten, die in geistige Arbeit umgesetzt. werden können, II, 528, 529, 545; W., die durch die Verbrennung des Kost- maasses eines arbeitenden Mannes erzeugt werden, I, 352-354, II, 519, 520; ihre Verwendung im mensch- lichen Körper 545, 546. „Wärmeerzeugende Nah- rungsstoffe“ stehen nicht im Gegensatz zu den ge- webebildenden I, 323. Wärmegier, specifische Wär- me, des Eiweisses I, 355, des Fetts 355, des Koch- salzes 355, der Luft 360, des menschlichen Körpers 355, 357, des phosphor- sauren Kalks 355, des Wassers 355. Wärmegrad des Körpers ver- wickeltes Ergebniss von zahlreichen Ursachen der II. 45 706 Wärmebildung und Wärmeverlustes I, 344, 345. Wärmegrenzen für das Be- stehen des Keimstoffs, Pro- toplasma II, 87. Wärmequellen in den Pflan- zen I, 320. Wärmeregulirung I, 366— 369. Wärmereize II, 479, 480, es giebt keine Reizschwelle für dieselben 431, ihr Schwellenwerth ist immer eine bezügliche Grösse 430, 431. Wärmesteigerung durch Ar- beit I, 330, 331. Wärmeverbrauch durch Um- setzung in Arbeit I, 345, II, 521 u. folg. Wärmeverlust durch lösung von Salzen und anderen Stoffen I, 337, II, 520, durch Ausstrahlung J, 337, II, 520, 521, 528, 545, 546, 547; durch Erwärmung der eingeathmeten Luft I, 359-361, der Nahrung u. Getränke I, 359—361, II, 520, 521; d. Leitung I, 337, II, 520, 521, 528, 545, 546, 547; durch Verdunstung I, 337, 861—364, 367, II, 520, 321, durch Verflüch- tigung I, 342; durch Zer- setzung 342, II, 520. Wärmeverluste des Körpers | I, 341, 342, 358, 364, 365, | II, 520, 521. Auf- | des | Wärmezufuhr nothwendig bei Thieren, die vom Hunger- tode bedroht sind, I, 370. Wasser spielt bald die Rolle einer Basis, bald die einer Säure I, 389, II, 37, chemi- sche Wirkungen dess. 37; Nahrungsstoff der Pflanzen I, 77,261, 373; W. u. Brod keine ausreichende Nah- rung für den Menschen 448; reichliches Wasser- trinken vermehrt die Aus- scheidung der Harnbestand- theile 432, Rückbildungs- erzeugniss in der Pflanze 375, im Thierkörper 141, 230, 231, 232, 375, End- produkt der Verbrennung im Thierkörper 231, 247, 302, der Verwesung 379, 383, 384, 385. Wasserabgabe des Bluts in den Lungen I, 248. Wasserabspaltung bei der Bildung von Fett aus fetten Säuren mit Ölsüss I, 316. Wasseraufnahme durch or- ganische Stoffe I, 316, 317, 345, bei der Spaltung von Fett in fette Säuren und Ölsüss 316, als Bedingung der Spaltung organischer Verbindungen 416, durch Stärkegummi bei seiner Verwandlung in Zucker 345. Wasseraustreibung durch Wärme II, 29. Wasserbildung in den Pilan- zen I, 99, imThierkörper 104. Wasserbindung II, 29. Wassergehalt der ausgeath- meten Luft I, 362, 363, W., s. Einfluss a. d. Gewebe 318. | Wassermenge, die dunstför- | mig von der Haut ent- weicht I, 363. Wassermolch, Triton, II, 107, | 108. Wassernuss, Trapa natans, I, 56. Wasserpflanzen I, 53, 55. Wasserreichthum im Hirn II. 226. Wasserspaltung, Hydrolyse, I, 416, II, 55, 65, 73, bei der Verdauung I, 420. Wasserstoff II, 15, W. und Chlor verbinden sich mit einander unter Einwirkung des Lichts 31, kein freier | W. verbrennt im Tbier- körper I, 303, 350, Ver- brennungswärme dess. 306. Wasserverdunstung durch die Pflanzen I, 294. Wasserzersetzung durch den elektrischen Strom II, 515, 516, durch glühendes Pla- tin 28. Weber'sches Gesetz II, 419, 420, 424, 425, 433, Grenzen seiner Gültigkeit 425, 426, 433. 707 Wechselthierchen, Amoeba, I, 208, II, 91, 141. Wechselwarme, poikilotherme Thiere I, 366. Wechselwirthschaft I, 85, 88, 96. 5 Weichthiere, Mollusken, in der Erdgeschichte II, 85, ihr Nervensystem 177, 178. Wein I, 84, 247, vermehrt den Magensaft 468, Milch der Greise 467, 468, befördert den Schlaf 468. Weinberg I, 88. Weingeist, Alkohol, wird zum Theil unverändert ausge- schieden durch Lungen, Haut und Nieren I, 248, seine Verbrennungim Thier- körper 247, 248. Weingeistbasis, Athylamin, I, 386, 387. Weinhefe I, 394. Weinrebe I, 49, 82. Weinsäure II, 20, 21, ent- steht aus Bernsteinsäure I, 277—279, Darstellung aus Bernsteinsäure II, 74, 75; liefert d. Gährung Butter- säure I, 403; linksdrehende W., Gegenweinsäure, Anti- weinsäure, II, 21, 22, rechts- drehende 21, 22; W. in Trauben I, 285, unwirk- same II, 22. Weinsaure Alkalien werden im Thierkörper in kohlen- 708 saure Salze und Wasser umgewandelt I, 435. Weinsaures Ammoniak als Nahrungstoff der Hefe- zellen I, 405. Weinsaurer Kalk in den Pflanzen J, 271. Weissdorn, Crataegus oxya- cantha, I, 275. Weizen I, 49, 76, 87, 89, | 92, 96, 151. Weizenbrod I, 433. Weizenzellen können die | Hefezellen bei der weinigen Gährung ersetzen I, 405. Welken der Blätter I, 40, 46. Wels, Silurus Glanis, sein Hirnbau II, 192. Weltanschauung, die stoff- geistige W. widerspricht nicht der dichterischen Auf- fassung d. Dinge II, 551, 852 Werthverhältniss zwischen | mechanischer Kraft und Wärme II, 438. „Wesen der Dinge“ II, 11, | 12, 13, 288, 290. Wesen des Dinges ist die Summe seiner Eigenschaften II, 290, 303, 444. Widderhorn, Cornu Ammonis, Pes Hippocampi major, II, 239, 255. Widerstand II, 504, 505, 513, elektrischer 513, 514. Wiederkäuer haben grosse Bauchspeichel- u. Speichel- drüsen I, 452, ihre Hirn- rinde II, 238. Wiesenschaumkraut, Carda- mine pratensis, Cresson- nette, I, 68. Wildprett nützlich für Greise I, 45. Wille II, 453, 454, 455, 556, beherrscht durch Gedanken und Einsicht 495, 503, 555, nicht frei 455, 456, 457, 464—467, 487, 488, 494, 495, 549. Willensregung II, 385. Willenszeit II, 401, 407. „Willkürliche Bewegung“ II, 442, 449, 452, 455. Windungen des Hirns II, 200—206, 210, 217, 218, Reichthum an W. bedeutet Vermehrung der Nerven- zellen 202, 217; am Klein- hirn der Krokodile 201; am Mittelhirn bei Car- charias 201; an den Seh- hügeln der Thunfisches 201. Wirbellose Thiere entbehren eines einheitlichen Heerdes des Nervensystems II, 177, 181, 182, 186, haben nur marklose Nervenfasern 235, und minder entwickelte Nervenzellen als Wirbel- thiere 235, 236. | Wirkung in die Ferne II, 489. Wissen II, 121, 156. Wissenschaft I, 10. Wölfe II, 134, 135, ihr Hirn- | bau 206. Wollhaar des Menschen II, 163, 164. Wort, Macht des II, 298. Wunder I, 5. Zeit, Wunderbaum, Ricinus com- munis I, 113, 267, 287. Würgbewegungen II, 321, 329, 335. Wurm des Kleinhirns, Ver— zwischen den Seitenballen des Kleinhirns 253. Würmer in der Erdgeschichte II, 85, 95. Wurzelfüsser, Rhizopoden II, 84, entbehren der Nerven- zellen und Nervenfasern 177, 234. Wurzeln I, 59, 65, Saft ders. 59. Wurzeltriebe I, 72. Würzen, ihr Gebrauch nimmt mit der geistigen Bildung zu I, 474. Würzen, künstliche I, 282. Xanthin, Harnoxyd II, 226, 266. Zählend gehen wir durch die Welt II, 435. Zahnbildung I, 215. Zähne des Menschen halten die Mitte zwischen denen der Raubthiere u. Wieder- käuer I, 452. Zahnschmelz I, 138. Zeit I, 13, der Gedankenver- saurer 709 bindung, Associationszeit, II, 412, 413, 414, der Hirn- vorgänge, Hirnzeit 335 bis 389; der verborgenen Rei- zung 349, 385. ihr Einfluss auf das menschliche Treiben I, 472. Zeitgefühl II, 417. Zeitgucker, Chronoskop, II, 355. Zieitmaass II, 489. mis II, 194, 196, Querband | Zelle I, 44, 45. Zellen, Erneuung und Unter— gang derselben I, 209, 218; als Fäulnisserreger 407, 408; Z. mancher Früchte können die Hefezellen bei der weinigen Gährung er- setzen I, 405; Vergänglich- keit derselben 212, 217. Zellgemeinde, Synamoebium, II, 93, 143, 150. Zellstoff I, 55, 89, 102, 168, 261, 262, 264 265, 267, 272, 374, II, 26, Bildung desselben in der Pflanze I, 103, Bildung aus Fett beim Keimen 266, 267; wird von Pflanzenfressern verdaut 452; unverdaulicher Speise- rest 163, II, 565. Zellwand der Nervenzellen II, 174. Zerfailen der Materie durch Sauerstoffaufnahme I, 425. Zersetzung, bei chemischer Z. wird Wärme verbraucht II, 511, 512, chemische Z. 710 durch Wärmezufuhr 28, 29. Zersetzungsprodukte der ei- | weissartigen Körper I, 149, stickstoffhaltige Z. in den Geweben 224. Ziegenfett, Caprinin, I, 391. Ziegensäure, Caprinsäure, II, 64, im Käse I, 382, 391, 392, Erzeugniss der Ver- wesung 379. Zimmt vermehrt die Menge des Magensafts, I, 475. Zimmtöl I, 269, 282. Zimmtsäure entsteht durch Oxydation des Zimmtöls I, 269. Zink I 51, 83, 84. Zinkleimzucker II, 51. Zinn, bleihaltiges Z. der Or- gelpfeifen wird durch Er- schütterung krystallinisch II, 36, 37. Zinnober II, 35. Zirbeldrüse II, 247. Zitterlinge, Vibrionen, I, 402, 403, 404, in verdorbenen Eiern 408, beschleunigen Verwesung und Fäulniss 423. Zitterrochen II, 175. Zitzen II, 118, 119. Zucker I, 263, seine Bildung aus Stärkmehl und Stärke- gummi 143, 144, Fettbild- ner 112; im Hirn II, 226, 266; Hefezellen I, 404, 405; in Nahrungsstoff der der Pflanze 65, 168, 374, als Schmeckstoff II, 369; in den Trauben I, 85; ver- mehrt die Menge des M/⸗agensafts 475. | Zuckerbäcker, Leistungen der Chemie für I, 282. Zuckerbildner I, 143. Zuckerharnruhr, Abnahme der ausgeschiedenen Koh- lensäure I, 335, 336, des verzehrten Sauerstoffs 335, und der Körperwärme in der Z. 335, 367. Zuckerrohr I, 265. Zukunftsbild II, 470. Zunge entsteht aus dem ersten Kiemenbogen II, 148. Zungenbein entsteht zum Theil aus dem zweiten und hauptsächlich aus dem dritten Kiemenbogen II, 148. Zungenwärzchen, umwallte, papillae circumvallatae, II, 334. Zurechnungsfähigkeit II, 497, 498. Zürich II, 549. Zusammengehörigkeit Merkmale II, 438, 439. Zusammensetzung, chemische II, 14. Zustand des Menschen ein fortwährendes Werden II, 477, 491, 612. Zuwachs der Reizstärke braucht, um empfunden der werden zu können, bei stärkeren Reizen kleiner | zu sein als bei schwächeren II, 433. Zweckdichter, Teleologen, I, | 50, 53, 66, 102. Zweckmässigkeitslehre, Tele- ologie, I, 50, 66, 115, 116, 142, 143, 323, 369, 372, II, 1, 2, 3, 4, 5, 158, 159, 163, 167, 168, 169. Zweieinigkeitslehrer, Ein- heitslehrer, Monisten, II, 156, 158, 614. Zweikeimblättrige Pflanzen, 711 Dicotyledonen, II, 438, 439, ihr Auftauchen in der Erdgeschichte 84. | Zweiköpfiger Armmuskel, Biceps brachii, Wärme— steigerung in dems. durch Sägen I, 331. Zwerchfell II, 116. Zwischenformen II, 125. Zwischenhirn, Parencephalon, II, 190, 199, 247. Zymase, ferment inversif, Um- satzhefe I, 411. Zymom, Glutencasein, Kleber- käsestoff, I, 433. C. F. Winter'sche Buchdruckerei in Darmstadt. F; 2 u j i 5 2 or * 4 FE Te — ve * — V . 8 ER ee: ” SZ NY IE + 25 92 de „ 2 ee 77 AR, ; AR, x ER 4 FR * . % TR X all = 8 a e e e 2 es SE = 3% 4 2 68 NZ * 5% RER = | „ ee e e e e ER EN, AR, * N AN N 22 RE : NY er "Sy 2 2. 2 . 4. N . ER 4 4 „ * 85 1 “sk ES 5 4 5 8 > = 15 15 N % * » * 822 DEE: FEN 8 % * x « N % 82% 8 5 & N EEE SER I RER GEST VE EL TA * . K . + > * « * V ARTFARFIRTART ART ART HR IR 4 I a I 2 I a IE a IE 2 IE EIKE IK ES AST e AS 5 AS en AS u. % AS AS 24% e N — 88 . 1 ER IE N 29 99 & > 2 N * 2. Ss >; A NY. AS, * 4 AR N22 N 55 ee N +4 err e * +, € * „ [) 5 « * * 25 88 W RR ee: 8 , * * * » 8 ar . 5 EEE Br x x 25 N * 22 * 1 2 % 57 We 2 Saar. 128 2 . 8 . 72 Sa 2 Sa, ar PS * BO 525 * * 9 = 9 1 5 rn ur ER er 3 5% si S% > N 45 8 = N 23 N 65 N25 x NZ * N a ER, AR" 25 ART N HN < AN, „ e 4 VF 5Jq7)VVVVVVVVVCVCVVCCCC REDE VVV . * F * 4 * 0. E Pr Da pr Pi 34 5 2 > S% 85 S% eh . 5 NZ 8 SZ en N 8 . N fe x“ 2 . = < N LE . 9 N AR, NR, *. EBEN X 7 AN FEN N. 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