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K. Herloßfohn’s . Siatische Dom.

Erfte Gefammtausgabe.

W. Der legte Taborit.

Erfter Band.

Prag. Berlag von I. 8. Kober. 1864. .

ir

Der letzte Taborit

ober

Böhmen im fünfzehnten Iahrhundert.

.* Hiforifch - romantifches Gemälde

von

R. Serloßfohn. 7

Erſter Band. Dritte Auflage.

prag. Berlag von J. L. Kober. 1864.

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415770

PTa355 Ha ir 164

Drud vor 3. 2. Kober in Prag.

1.

Düfter und ſchwer breitete ſich die Nacht über das Zabo- vitenlager bei Böhmifh-Brod. Länge der Anhöhe bei Htib dehnten fi die Zeitreifen ans; dem Flüßchen entlang erfiredte fi die Wagenburg Hin, im Halbkreiſe aufgeſtellt. Es war eine ruhige, warme Naht des 30. Mai 1434, nur ſchweres Negengewölt umbüllte den Himmel und dämpfte fein Nachtlicht. Weithin im Kreife brannten die Wachtfeuer wie Irrlihter me felten flug einer der Hayhunde an, die man auf die Men- ſchenjagd abgerichtet Hatte und als Kampfgenoffen im blutigen Bertilgungskriege mit ſich führte.

Bor dem großen Zelte, worin bie beiden KHauptanführer Brofop der Große und Prokop der Kleine ber Ruhe pflegten, ſchilderten zwei bärtige Xaboriten, mit Schwert und Keule bewaffnet. Sie waren lange ſchweigend auf und abge gangen. Da blieb der Eine plöglich ſtehen und fagte gedämpft:

„Sieh' doc, Pawel, geht denn die Sonne noch einmal unter? Dort det rote Schein, was mag er bedeuten? Heut blutet der Himmel wir haben morgen windig Wetter.”

mRarr Du,” verſetzte der Andere, indem er in bie ferne hinſtarrte, „ich glaube, das if Feuer. Gich’! wie's auffchlägt

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fih weiter wälzt. Gottes Fluch! das_ift Brand. Schlag Lärm! Heda heiſal auf, auf“

Er riß die Zeltwand auf und ſchrie gegen die Feldherren Binein. In demfelben Augenblide ertönte auch ſchon Feuerruf von jener Seite des Lagers her es ſcholl mie Saufen des Windes, das ſich in Waffengellirr Töfte.

„Wir find überfallen,” vief eine Stimme, „die Wagenburg brennt auf, auf, Taboritenbrüder, zu den Waffen!“

Aus dem Zelte ftürgten zu gleicher Zeit die beiden Feld⸗ herren, in der Eile gerüftet.

„Fluch den Calirtinern,“ ſchrie Prokop der Große „fie tommen ums zuvor, wir find überfallen, das muß Berrath fein. Wollen fle ans Allen einen Gceiterhaufen von Koftnic bauen ?“ Er fie in das Schladthorn, das an ferner Seite hing, und heulend ſchwebte der Ton über die Reihen ber Gelagerten Hin und wedte fie durchſchauernd aus ihrem Schlummer.

Bender,“ rief jet Prokop der Kleine „bleib Du hier ſammle bie Schaaren, ich werfe mid, dorthin gegen die bren- nende Wagenburg. Es foll ein Schlachten werden um bie Wette.“ Und er fprang auf fein Roß, das zwar gezäumt, aber ohne Sattel feitwärts fand, und jagte die Zeltſtraße hinab, laut zum Aufbruch brüllend.

Und die Schläfer erhoben fi Halb bewußtlos, Halb tau- meld vor Schreden, und griffen hier und da zu den Waffen.

Indeſſen dehnte ſich die Lohe immer Höher und weiter, und der Brand beleuchtete das Lager tageshell, und die feindlichen Gruppen der Prager und Calirtiner, welde von ben Herren von Rieſenberg und Nenhans angeführt waren, traten hervor aus dem umbülenden Randwolten.

Immer noch ſtieß Profop der Große in das heulende Horn, und Hundert andere amtworteten von allen Geiten.

1

Die feindliche Neiterei geiff von der Seite am, ihr Tritt der Roſſe erbröhnte auf dem Karten Boden.

„Eapet! Eapel! wo iſt der Hauptmann ber Reiterei?= ſchrie Brolop der Große.

Und eine wilde Geftalt mit brandrothem Haar kam reits von den Zelten heranfgeiprengt.

„Feldherr, Gelbherr!" rief er, „was gibts im aller Teufel und Päpfte Namen?”

„Dorthin, dorthin, wirf Dich ihnen entgegen,“ war bie Antwort „Roffe vor! Verflucht, verflucht !“

Und Capet fprengte fort.

Ahnälig gruppirten ſich die Heerhaufen um. Prolop den Großen, währens Bretupet, das ift Prokop der Kleine, fi vorn in der Gegend ber brennenden Wagen an die Spitze eines Haufens geftellt Hatte und dem Sturme der feimdlichen Larnzen- kaechte Wiberftand bot. Auch bie Priefter umb Weiber, bie Häufig mit ben Horebiten nnd den Taboriten, welche ſich feit Bijla’e Tode die Berwaiften nannten, in die Schlachten zogen, waren. erwacht, und ihre Schlachtgeſänge und ihr Wuth- und Sämerzgehen! miſchte ſich mit bem gränlichen Rampfgetöfe. Ein Choral von vielen Stimmen fing buch, und man hörte die Strophe eines Schlachtliedes:

„Treib die Teutſchen maus, Heil ger Wenceslaus!

Papft dee Anticheift

Bon Gott verfluchet ift.

Im des Feuers Moth,

Sand Sanct Huß den Tob; Drum die Rah’ gebot: Schlagt die Papiſten tobt.“

Immer ſtarker wurde Prokupek gebrängt; er vier um Bei Rand; aber mur verworren und langfam bildeten und ergänzten ſich die Reihen. Hauptmann Bartos fpannte.vor einen bren- menden Senfenwagen zwei Roffe und fuhr wie ein Wüthender, während hinter ihm.die Lohe aufflaminte, in bie feindfichen Haufen Binein, mit ben Roffen und Senfen und den fprühenden Flammen eine weite Strafe bildend; ihm nad; wälzte fi) Prokupet mit einer Schaar.

Der Kampf wurde zum Handgemenge, zum Gemegel. Die Hunde waren losgelaffen, fie ftürzten fi wie toll auf den Feind, padten den Mann an ber Kehle, riſſen fie emtzwei und zer- fleifegten fo den Gegner wie ein Ranbthier.

Bon der Anhöhe donnerte Prokop feine Befehle. Immer näher drängte von ber linken Geite der Herr Riefenberg mit feiner Reiterei, das Fußvolt konnte ihm trotz verzweifelter Gegen - wehr, da es wicht geordnet war und nur der einzelne Man focht, nicht Iange Stand Halten; und immer noch kam Eopet nicht. Alles wurde gegen die Anhöhe gebrängt, die erften Belt- reihen brannten ſchon. Prokupek wurde fünfmal zurückgeworfen; henlend irrten die verzweifelnden Weiber mit ihren Kindern in ben Armen duch die Gaffen, als ahnten fie den Ausgang der Schlacht. Und Eapel kam immer noch nit.

Prokop der Große fah die wankenden Reihen, bie zer- fprengten Glieder, fah ringsum den Feind, wie eine eherne Mauer fi) näher drängen; ein Taborit hielt fein Schlachtroß, der Feld- here ſchwaug fi hinauf, er faßte die Fahne mit dem Lamm Gottes in bie linke, die Rachekeule in bie rechte Hand, ſammelte durch Fluch und Zuruf einen Haufen um ſich und fprengte voran, während der tapfere Rohae von Duba fih mit einem Haufen Keulenträger gegen den Wiefenberg wandte und fo die mantenden Brüder unterftüßte.

Zwei Stunden lang dauerte das Gemetzel die Prager

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9

hatten die Uebermacht für fich, bie Verwaiſten aber die Todes⸗ verzweiflung. Sie wien feinen Fuß breit und bezeichneten dem led, wo fle fohten, wit ihren Leihen. Ein Windſtoß trieb den Raud von den brennenden Wagen und Zelten ſeitwärts, und bie Taboriten fahen jegt im Schein bes Feuers bie feind- lichen ZFußvölfer, angeführt von dem Herrn von Neuhaus, ber auf milhweißem Roſſe in der funkeinden Rüftung über fie her- vorragte.

Brofupet hatte fih dur einen wöäthenden Angriff faſt den Weg zu ihm gebahnt und fchrie ihm zu: „Verfluchter Ketzer, Abtrünniger, Verräther Du an Huffen’s Heiliger Lehre, Pfaflen- tnecht, werth, baß der Bapft Dich finden läßt und braten. Komm heraus zum Zweifampf Mann gegen Mann.“

Und mit gewaltigem Hiebe flug feine Keule den Schädel des erften, zweiten nud britten Lanzenknechts ein, die ſich ihm entgegengeworfen. Aber neue Maffen drängten ihn zurüd ein Pfeil freifte feine Wange ein Säbelhieb Hatte den linken Arm gelähnt, fein Roß bäumte fih; da erfahte ihm Prokop's des Großen nervigte Fauſt und hielt ihm feſt zu Roß. Der Feldherr warf ſich mit feinen Getreuen im wüthenden Anlauf gegen den Feind das Glaubenspanier und die Keule ſchwin⸗ gend; aber der Feind öffnete urplötzlich feine Reihen, und Wen- elav's, des tollen Könige, Donnerbüchfe wurde fihtbar; fie entlud fi mit furchtbarem Knall und warf ben Feuerballen in die bidht- gedrängten Haufen ber Taboriten.

"Sie wichen Schritt für Schritt, mit ihnen die Feld- herren Hinter ihnen brannte ſchon das Lager in weiter Aus- dehnung anf der Anhöhe wollten fie wieber Stand faflen.

Rohaẽ wehrte fi gegen die Niefenberger mit Verzweiflung die taboritiſche Reiterei war nod immer nicht da.

Protupet Garda Techtie haltet Euch —" tief

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Protop ber ai „nehmt hier das Panier, id rufe bie Weiter. Gottes! Fluch über Cape, wo, bleibt er?"

Und er wandte feinen Streithengft und fprengte gegen bie Anhöhe hinauf. Weit geröthet war Erb’ und Himmel um bie Blurfcene. Rechts hin auf der Straße nach Kollin zog dic Reiterei ab, und in ihrem Rüden fprengte Tapel mit verhãngtem Zügel nad) den Reihen der Feinde Hin; fen rothes Haar brannte wie Feuer im Widerſchein.

Bon einem entfeglihen Gedanken ergrifen, bog der Feldherr Kopf und Arm vorwärts und fehrie dur das Cchladitgetöfe hinüber zu dem Fliehenden: „Judas Judas! Flach Dir und den Deinigen! Hätt' ich nur ein Feuerrohr, nur einen Bogen, ich durchbohrte Deine Btuſt, verrätherifcher Hund! Nun alfo gilt's, fo zu flerben.“

Und er bog das Rof wieder vorwärts und fprengte nad dem Kampfgetümmel.

Eyrillus, der zweite Oberpriefter im langen grauen Talare ſchritt durch die aufgelöften Reihen, an Verwundeten und Gter- benden vorbei, in ber Rechten das Schwert, in ber Linken hoch erhoben den Kelch, betete und tröftete und rief ermuthigend zum Kampfe.

Nohad war geworfen, er zog fi in Unordnung gegen die Anhöhe Hinanf. Das Lager brannte jegt an drei Geiten, bie Glut fengte den Kämpfenden Kant und Haar, raubte ihnen dem Athem und erjhwerte fo die gewaltige Blutarbeit.

Die Taboriten wichen abermals; denn glei tapfer war der Feind, es kämpften ja Böhmen gegen Böhmen und die Ueber- wacht war auf jener Geite.

„Einen Trunk, einen Trunk!“ flehte Prokupek und zog fi aus dem Getümmel zurück „beim heiligen Gott, id; kann

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nicht mehr.“ Und er ſauk in die Kuie zwiſchen den Erſchlagenen und Verwundeten er blutete aus fieben Wunden. Da erhob fi Einer, der zum Tode getroffen war, mit halbem Leibe und hielt ben Arm, ber aus allen Röhren blutete, über feinen Helm und ſtöhnte: „Hier, Felbhere ein Trumt, ich hab’ nichts Anders ’8 ift mein Letztes für Gott und die reine Lehrel“

Und wie in trunkener Raferei vig Prokupel den Helm an die Lippen und ſchlürfte das warme Leben mit gierigem Munde.

Und er raffte fih auf und ſchwankte zu Fuße nad dem Orte des Gemetzels. Prokop der Große ſchwang wieder bie Sahne und mähte rechts und Links mit der Keule die Männer nieder um ihn mwürgten wie fterbenbe Löwen bie Brüder Cechtie, Carda, Kolar, Zeöwic und die von Smitic. Aber ihrer wurden immer weniger, und der Feind fandte neue Steeiter in's Treffen. Immer weiter und weiter wurden bie Zaboriten zurüdgebrängt. Ihr rechter Flügel wid und wanfte und föfte fid im Flucht auf, und brad fi Bahn burd bie brennenden, funkenſpruhenden Zeitreihen, weithin nad) der Kolliner Straße ſich zerſtreuend.

Aber auf dem Hügel kuieten Prieſter und Weiber und flehten mit herzzerſchneidendem Gehent, händeringend, die Bruft zerihlagend, um Sieg und Rettung vor dem ſichern Untergange. Dazwiſchen krachte von Zeit zu Zeit die Donnerbüdjfe, mit ihrem gelben Blitz die rothe Lohe mod, überfirahlend, dazwiſchen braufte das Drängen, Heulen nnd Drohen des Kampfes, das Schwerter: gellirr und ber Kampf und Giegesruf. Näher ſchon flatterten die Pawiere der Prager, mit dem Keld im weißen Felde einmal fank die Fahne der Taboriten mit dem Beifigen Beiden des Chriſtuslammes. Aber fie erhob fi wieder. Hier und da verglomm ſchon das feuer, nur links Kin wälzte ſich noch unge geuerer Brand. Die rechte Zeltreihe auf dem Hügel war noch unverſehrt.

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Augemeiner ward bie Flucht, lauter das Siegsgeſchrei ber Calirtiner, wilder das Verzweiflungsgeheul der Taboriten.

Schritt vor Schritt wichen fie kämpfend zurüd.

Hier von der Höhe warf Prolop ber Große einen Blid über die Wahlſtatt und fah feine zerſchmetterten Kaufen, ſah bie Leichenberge feiner Brüder, die einzeluen, zurüdgedrängten Schaaren, welche den Zodesfampf kämpften, und vor ſich die dichten Reihen des racheſchnaubenden, fiegestrunfenen Feindes. Sein Auge rollte furchterlich Tobtenbläffe ſtrahlte fein Antlig, das einzelne Blutflecke entſtellten er fah aus wie. ein fleggemohnter Held, der ben Tod nicht fürdtet, aber vor der Nieberlage bebt.

Sie waren nun auf der Höhe. „So fei Du unfer Tabor !* rief Profop „hier ſterben wir.“ Und er drängte fich wieder zu feinem Genoffen, mit der Fahne und dem lauten Zus auf: „Haltet Euch zu mir, Brüder, bildet einen Wall ber Feind fei unfere Bruſtwehr! Hier ſterben wir ben Märtyrertod bis auf den legten Mann auf den legten Mann.“

Und vierfundert Streiter faum noch flemmten ſich um ben Feldherrn feft und wehrten ſich, wie bie Löwin ihre Höhle ver- theidigt, worin ihre Jungen liegen. Auch Rohat war mit feinem Häuflen ſchon bis Hierher gedrängt worden. Die Donnerbüchſe flug in ihre Reihen und machte eine Lücke. Die nächſten Streiter traten anf die Leihen ihrer Brüder und fochten und rangen mit der letzten Kraft ihrer Sehnen.

„Boleslav Cechtickh,“ rief jet Profop der Große, ale er Alles verloren fah, „renn' mir dein Schwert duch die Bruft, umd Du, Zdenko, hau’ mit der Keule auf meinem Schädel, daß ich nicht fierbe von den Händen diefer Philifter und SMoabiter. Du, Rohat, ſammle den Reſt und eile mad; Zion, Deiner feften Burg, fei der Feldherr des Lammes und räde unfern Tod.“ Er hüllte fih in die gan.

Und Boleslav und Zdenko thaten, wie ihnen befohlen wor

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den; jener bohrte ihm das Schwert in die Bruſt, und biefer zerſchmetterte ihm das Haupt mit der Keule. Die Feinde jauchzten einſtimmig, wie wilde Jäger, wenn ſich der getroffene Löwe in feinem Blute wälzt.

Ein Säbelhieb traf Profupefs Haupt er fiel. Die übri- gen Führer wandten fih abendwärts Hin zur Flucht

Road, entlam mit dreißig Mann. Aus dem Getümmel und Handgemenge, in weldem die legten paar Hundert einzeln abgeſchlachtet wurden, riß Boleslav Cechticth feinen Bruder Zdenko und floh mit ihm eilig. Binauf gegen die legten Zelte, welche hinter einem Gebüfche verftedt lagen.

„Ih tann fie nicht verlaffen,“ fagte er zu dem Bruder, „fie if eine Ketzerin zwar, aber doch ein kreißendes Weib. Und fol ich dem Neuhaus die rende gönnen, feine Schweſter wieder zu gewinnen? Nein, länger fei meine Rache, größer feine Bein. Schaf’ Du mir die Roſſe. Wir fliehen Hinter Rohat nad Zion.“

Er flog gegen eines ber letzten Zelte, riß die Zeltwand auf und fand vor einem Lager, das die Lampe büfter beleuchtete, Ein Weib lag darin, ein tobtes Weib, und neben dem Weibe ein neugebornes, lebendes Kind. Das Huſſitenweib, welches ihr bei⸗ geftanden, war entflohen. Sie war noch ſchön im der farbe des Todes, Frieden lag nad; langem Kampfe in biefen Holden Zügen.

Der rauhe Krieger, noch erhigt von der Blutarbeit, ftarrte fie eine Weile ſchmerzhaft an, dann faßte er ihre Hand und fagte: „Schlaf wohl, Bojena, unter Todten gibt’a feine Feindſchaft mehr id hab’ Dir viel Böfes gethan aber es geſchah um des Glaubens willen. Ih zwang Di, mid zu lieben, aber Du Haft ein rechtgläubig Kind geboren, einen Streiter des Herrn, einen Rächer unfrer.Sade. Hal hal. hal fo wird Di Dein

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Bruder finden. Das Schichal iſt boshaft wie ich's mir mie gedacht.“

Er hüllte den ſchreienden Saängling in bie vorhandenen Deden, flog zum Zelte hinaus, warf fid mit dem Bruder auf d wereit ſiehenden Roffe und fprengte im bie helle Nacht hinaus nad Schwarz» Koftelec hin.

Das feuer verlöfchte, auf dem Schlachtſelde gab es feine Känpfenden mehr, nur Lebende, Zodte und Verwundete. Die Sieger fanden weiter feine Gegenwehr. Taufenbe von Taboriten lagen erſchlagen auf einzelnen Kaufen; ber Fuß mußte Leichen berge erflimmen, wollte er vorwärts.

Man hüßte den todten Prokop ans ber weißen Fahne fie war durd und durch mit Blut getränft. Man pflanzte fie auf der Anhöhe über dem Leichenwalle von mehr als zweihundert Erwürgten auf.

Es tagte, der entwölfte Himmel ftrahlte filbermeiß, und im anderer Beleuchtung erichien die gräßliche Wahlftatt.

Die Feidherren der Lafiztiner, Neuhaus und Riefen- berg, ritten über das Schlachtfeld und zäßlten die Leichen ber Ihrigen unb der Feinde Die Ealigtiner Priefter fangen Gieges- pſalmen und theilten das Abendmahl aus.

Die Some ging auf, und ihr Strahl glänzte in den Blut- bäden, in Waffen und Schildern ringsum.

Die Feldherren der Prager ritten nad dem Hügel, wo noch die letzten Zelte fanden, und wo die Kriegsknechte Beute fuchten.

„Dort drin liegt eine tobte frau,“ fagte ein vorübergehender Ealiztiner, „'s iR wohl eines Führers Weib. Ich wolle fie im Schlaf gefangen mehmen, oder ihr den Leib aufſchneiden, aber fie ſchlaft den erigen Schlaf.”

Die Feldherren fliegen von den Roffen und näherten fi dem Zelte. Sie riffen die Zeltwände zurüd, daß das Helle Ta-

Bw

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geslicht hineiuſchien. Neuhaus trat näher zu ber Leiche und taumelte mit einem Schrei des Eutſetzens zurüd.

nSeiliger, barmherziger Himmel,“ ſchrie er, „meine Schweftert So find’ ic) fie wieder, bie id feit einem Jahre verforen. Wehe Wehe! Riefenberg, das ift Deine Braut! Gerinnt das Marl, nicht in Deinen Beinen? Freund! Schweſter! noch eine Schlacht! Ich muß Blut ſehen mod) eine Blutarbeit

jaben. Das bat ober verflucht iſt meine Seele ber

tickh gethan, der fie gewaltfam taubte, Holle, heda, Burſche! Werft Euch Einige auf die Rofſe, eilt, verfolgt die Flüdtigen durchſpaht die Gegend. Wer mir den Bolesiav Cechtieth bringt, ſoll koniglich belohnt fein. Ihr Andern durchwühlt die Leichen» Haufen, fucht ihn unter den Erſchlagenen oder Verwundeten, und wein er Leiche if, will ich noch an der Leiche durch taufend Streiche meine Rache kühlen. Barmherziger Gott alſo dies iſt unſer Wiederfehen! O ſchredlicher Preis des heutigen Sieges! O daß id unterlegen wäre, daß die Speere der Feinde meine Augen getroffen hätten, um diefen Tag nicht, dieſes Bild nicht zu fehen!“

Unb er werhüffte mit beiden Händen das Antlig und ſank in bie Knie.

Der Herr von Riefenberg, der hohe, ſchlanke Mann mit dem finftern, menſcheufeindlichen Geſichte, fand ba auf fein Schwert gelehnt, regungslos die Todte anflarrend, welche in Heiliger Ruhe da Ing, die Hand au ber Bruſt, als wollte fie in ihrer letzten Minute ihr Kind teäufen. Entweder bezwang er den Schmerz träftiger, ober er Hatte für bie Todte im Leben feine Liebe ge- füßlt, und ber Leichnam erwedte auch Feine mehr in feiner Bruſt. Er fprad fein Wort.

Lautlos Rand ein dichter Haufen von Kriegsknechten umher und ehrte ſtumm den Schmerz des Feldherrn.

Neubaus fprang jest plöglih auf wild funkekten feine

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Augen Flammenröthe färbte fein ſchönes bärtiges Geſicht, und er rief gebietend: „Sind Weiber und Kinder unter den Gefan- genen, fo töbtet fie, bie Säuglinge an den Brüſten der Mütter, die Händeringenden Weiber zu Euren Füßen. Warum follen fie leben, da diefe Einzige nicht mehr if? "Ste fol ein Tobten- opfer haben. Diefe Siegesſchlacht ſchon ift Dein Tobtenopfer, Bojena fromme, holde Schwefter! Und wenn man in ben Büchern nad Jahrhunderten leſen wird, wie ich Hier die Schlacht geihlagen fo ſoll man and; erfahren, was ic} verloren, fo foll man aud Deiner gedenken und meiner Rache. Meine Schwefter, meine einzige theure Schtwefter 1”

Gehorfam feinem Befehle, ftürzten alsbald einige rohe Knechte fort, um das Werk der Blutrache an den Weibern und Kindern zu üben. Denn auf biefe Meife führte man damals Krieg.

Neuhaus befahl feine Schwefter auf dem Felde zu begraben, auf der Stelle, wo die beiden Profope gefallen waren, mitten im Leihenwalle, wo die eroberte Blutfahne wehte.

Niefenberg verfolgte mit ber Hälfte der Heeresmacht die Fliehenden bis Kofin, weldes er mit Sturm nahm, und ſchlug fie bei Lomnic gänzlich. Später ergab fi ihm ber Berg Tabor, bei Hrabiött im Bechiner reife, bie fee Burg der Taboriten, die noch nie bezwungen worden. Er richtete hier ein ſchreckliches Blutbad an. Auch der Berg Horeb fiel.

Und fo wurden die Böhmen nur durch Böhmen beſtegt fo rieb eine Partei der Huffiten die andere auf: und ſchwächte ſich in ſich, fie, welche vierfach überlegene Kreuzheere von Deutfchen, Sachſen und Deferreihern in. zahllofen Schlachten gefchlagen und ein Schreden der Nachbarländer ringsum geworden waren.

Die fogenannten Gemäßigten: Calirtiner oder Prager, bie Stäbter und Herren vom er hatten gefiegt gegen bie Ritter und’ Sanblente. -

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Auf der Straße von Königsſal nach Prag, hart am linken Ufer der Moldau, ſchritten in der frühe eines Heilen Sommer- tages des Jahres 1458 zwei Männer Hin. Der Aeltere davon, gekleidet wie ein Bauer, war eine kräftige gebrungene Geftalt, ſchien aber dod, vom langen Wandern müde, des Stodes zu bedürfen. Sein Antlig war finfer und zur Hälfte mit einen traufen, grauen Barte bededt, von der Stirne ging über bie Nafenwurzel und linke Wange ein Hieb herab. Im der Haltung war etwas, das mehr auf einen Kriegsmann, denn auf einen Landbewohner, wie der leinene Kittel und die weiten Beinbleider, dann ber breitgefrempte Hut anbenteten, ſchließen ließ. Der Jüngere, welder Jenem auf engem Fußpfad ſchweigend folgte, trug ein ſchlichtes, einfaches Was, wie es damals die Ritter auf dem Lande und die unterm Kriegsleute anlegten, ein ſchwarzes Baret ohne Feder, und hatte an den Hüften ein ſchmudloſes Schwert in Iederner Scheide. Es modte ein Yüngling von vier und zwanzig Jahren fein. Was feine äufere Erfheinung aber beſonders auffallend machte, war die außerordentliche, faft geifterhafte, jedoch nicht krankhafte Bläſſe feines Antlitzes, deſſen weißer Schein noch durd die dunklen Loden, dieſe brennend ſchwarzen Augen und dichten Brauen gehoben wurde. Ernſt, aber doch mild war ber Ausdrud des Gefictes, die Geftalt wohl geformt und anmuthig in ihren Bewegungen.

Während der Aeltere ſchweigend und finnenb vorwärts ging, mit geſenktem Haupte, und der Gegend nicht achtend, blidte ber Jüngere frei und wie erfreut ringsum über die Landſchaft.

Ueber ber filbernen Moldau lagen Morgennebel, die empor dampften, rechts aim jemfeitigen Ufer hoben fich die malerifchen Kalkfelſen empor, links Hin erftrecten fi bie Höhen und dugen

Herloßfohn: Der lehte Taborit. 1.

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welche zum Prolopithale führen, und ganz vorne aus dem Grau der Ferne und dem Nebelmaffen erhoben fich die Hunderte vom Thürmen ber prächtigen Riefenftadt. 5

Es war eim heller, reizender Morgen. In den Baum- wipfeln ber Anhöhen Bing das Sonnenroth, die Nebel fetten fi) in die Thalſchluchten nieder, auf Gras und Stränden fun- Telte blitzender Than, Lerchen wirbeften zum Himmel empor, unb vom fernen Gegenufer ließ ein Fiſcherjunge feine Helle Stimme in einem jauchzenden Liebe erfchallen.

Der Jüngling, welchen wir gejhilbert, athmete tief auf und breitete, ſcheu nach dem Borgänger blidend, bie Arme aus. Die Neuheit der Scene ſchien ihn’ zu beivegen, oder war e8 bie Aus- fit in die Zukunft, deren Creigniffen er entgegen zu gehen eben im Begriff war.

Bor ihnen lag jet ein Hügel, von welchem Heut noch bie Sage geht, er fei aus ben Knochen erſchlagener Krieger gebildet. Auf dieſem Hügel, ber völlig vereinzelt Hier in ber Mitte ber Straße fteht, befand fi) damals noch feine Kapelle, fondern nur ein roh gepimmertee, vielfad) beſchadigtes Kreuz, und vom hier aus genoß man eines weiten und hellen Ueberblides über das majeftätifhe Prag.

Diefen Hügel erflomm num der Weltere der Wanderer; ber Züngere folgte mechaniſch. Oben holte Iener Athem und betrachtete den Jüugling forſchend, um in feinem Antlig den Cindrud biefes herrlichen Rundbildes zu leſen. Denn die Nebel waren gewichen, und beutlih ja man nun die Stadt, eingefaßt vom grünen Bergkranze, wie eine Jungfrau von wallenden Schleiern und Binden, mit ihren Paläften und Thürmen gleihfem auf der Moldau ſchwimmen. Noch war ber Gefammteindrud zu groß, und das Auge konnte nicht das Einzelne der Bilber faffen; endlich machte fi) die gepreßte Bruft in dem lauten Ausruf: „Welch' herrliche Stadt!" Luft.

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„Beim heiligen Gott! eine herrliche Stadt,“ wiederholte ber Aeltere „von feiner in der Welt leicht übertroffen an Pracht und Lage, werth des Namens Prag und Bohmerhauptſtadt. Und hier follten feine Fremdlinge hauſen, hier follte fein Abtrünniger auf dem erfchlichenen Throne figen. Bid auf, Vratislav, mein Neffe, und lerne uufern Stolz, unjere Praha kennen. Dort jenfeits des Fluffes, hoch oben auf ſchroffer Felſenwand ift der Wyoͤehrad, unfre hohe, fefte Burg, wo die Piemysle Hauften über ein friedliches, beglüctes Land. Jene Trümmer auf dem Felſen tũhn vorgebaut, daß fie über dem Wafferfpiegel Herniederhängen, waren einft Libudn’s Schloß. Bei ihrem Namen werden Did; alle Sagen und Mähren nmgaufeln, die Du vernommen von ber feltenen, wunderbaren Fran. Links vom Fuß des Wyöchrab hin dehnt ſich die Altſtadt aus; jene beiden granen Dächer, welche über die Häufer bervorragen, gehören der ZTeynliche an, wo unfere Priefter lehren und das Abendmahl unter beiden Geftalten austheilen. Sieht Du ber Brüde kühn geſchwungenen Bogen dort? Das ift unfres großen Könige Karl Werl. Wie eine eherne Bruftwehr fpannt fie ſich über den Strom und teilt mit ihren Pfeilern feine raſchen Wellen in vierzehn Arme. Zwei Pfeiler find noch unbededt die Stürme des Krieges ließen das Berk nit vollenden. Links den Blick hin, mein Sohn! Hebe Holger Dein Haupt empor; dort auf jenem Berge ſteht unfre Königsburg, der prangende Hradöin, drohend wie ein Rieſe auf der Höhe, weithin fchauend über Stadt und Land. Hier haben unfre Könige gehauft, gute und fchlimme, Männer aus unfrem Stamme und verhafte Deutfche, Bäter des Volles und Ausländer, die uns plüuderten und mit eifernen Ruthen züchtigten. Wohl fit anjegt Einer droben, ber aus unfrem eignen Stamm und Blute, der Georg von Pobibrad, ein kräftiger, befonnener Mann, der die Kunft lehren kann, wie man duch Ränfe zur Krone ger langt, der das Abendmahl unter beiden Geftalten genießt, vor

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Den nar-iziher Firten aber ax Nm σ dr az Mnıie Gisziieher ja ikigee Verimeh mo üch wor Über, Zr deh Gebrhiemeri Ircit gegen Dex Mohr in Moor. -

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hier geiröen, einem Laxsenjiberg au’ seinem

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Nat jener Gegend cben wuit Des ie Brauelav, ud hir erk Barzaugean, cr De Iaeizriie die Gegemver uud Zuhmit Dimait babe ik Dir wen jener

veiche den Flammen, weiche das Lager verkerrten. Bejena von din gutes Weib; mein ieliger Bruder bat. nicht Er zwang fie zur Liche; aud das

brad) ihr das Herz und foflete ihr Leben. Run es iei! Wir i ewige Race geihworen

da fonnten wir eines Weibes and nicht ſchouen. Laß das, eim andermal. Bir aljo flohen. Wir flohen und jammelten ung mn unfre legte Gtüße, um den tapfern Road von Dada, defien fehe Burg Zion ums vereinigte wie ein Tabor umd ums be fügen follte, bie unfre Macht wieder zum Rieſen herangewadien fein würde. Die Prager wählten fih einen König einen Ausländer, einem Deutihen. Und Zion wurde gefürmt; denn

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König Albrecht ſchwur, es folle Feiner von den Zaboriten lebendig entlommen. Dein Bater muß unfer Schichſal geahnet haben; denn unaufhörfich beftürmte er mich, ich follte mit Dir fliehen, da e8 noch Zeit war. Es geſchah. Und Zion fill Was dem Schwert entraun, wurde feftgenommen ; denn fie wollten den Pragern und ihrem jungen König ein Schauſpiel geben, und da Letzterer noch feine Taboriten in der Schlacht gefehen fo wollte er die Bären im Käfig und im Ketten ſchauen. Auf dem Schloß ⸗- hof errichtete man drei Galgen; an den erfien Bing man bem Treibern Rohad von Duba, an den zweiten einen Kaplan, einen Buchſenmacher, der die Belagerten mit Feuergewehren verfehen, und den Ritter Boleslan von Cedhtic, Deinen Bater. An dem dritten Galgen kamen bloß ſechzig Auserleiene vom Adel das gemeine Pad wurbe in Maffen zur SBelufligung bes Bolkes außer dem Schloßhoſe abgethan. Aber jenes Schauſpiel war fürftlih und der Kaifer und König ſah aus feinem Fenſter mit Bergnügen dem Wäürgen und Erdroffeln zu, hörte es unge rührt, wie ber Eine um fein Leben flehte, während ihn Duba eine Memme ſchalt und fagte: „es fei beffer todt zu fein, ale zu leben unter folhem Schuft von König.” Dein Bater, fo fagt man mir, id) war nicht dabei mar früher im @efäng- niffe, wahriheiniih an Gift, geftiorben und wurde fo als Leiche an ben Schanbpfahl gehangen. Dies war das Ende meines Brubers, Deines Vaters. Welche Anwartſchaft an Ehr' und Glanz in der Geſellſchaft wir num haben mögen, kannſt Du felbft ermefien. Der Name ift geächtet, folglich auch der, wer ihn trägt. Sobald Du von mir ſcheideſt, heißeſt Du nicht mehr Techticky, fondern Vratislav von Branik Dein Stammſchloß liegt Hinter Horajdovic. Nur zwei "Männer gibt's in Prag, denen Du Did; vertrauen darfft; fie werden Dir rathen, Di führen und mit Dir wirken für die gemeinfame Sache: unfre Rache. Dies ift der Ritter Zeöwicekh und der Pater Cyrillus

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auf dem Hraböin oben, im ehemaligen Kapuzinerfiofter, jegt der Aufenthalt Geiſtlicher von unferer Lehre. An Beide gebe ih Dir bier Schreiben mit. Ich brauche Di; wohl nidt mehr zu erinnern, Deines Schwures eingebenf zu fein: Rache, Verfolgung und ewiger Vernichtungskrieg ben Dentichen, den Papiſten. Unfre Religionsfreiheit muß wieder hergeftellt werden darum Haß den Calirtinern, welche fie verkauft. Schön ift bie Stadt bort, aber bie Peft wohnt barin; ich meine die Menſchen. Wie ein ſchöner Blumenkeih iſt die Stadt, aber flatt der Wohlgerüche logiren Würmer, Schaben und ftinfende Käfer drin. Hüte Dich vor den Pragern fie find falſch und verberbt, fie haben bie Lüge auf der Zunge und den Verrath im Herzen; auch ber Schwur if ihnen nicht heilig. Darum fei Hug wie bie Schlan- gen und verſchloſſen felbft gegen die Freunde. Horde erft Andre ans, bevor fie Dich fragen können. Sei ein Mann und bleibe es. Als Zion fiel und id) ein Geächteter allein da war, Di armes Kind auf dem Arme und weiter nichts als mein Schwert: da ſchwur id, für Dich zu leben und in Dir ums den Racer engel, der guien Sache aber einen Borlämpfer zu erziehen. Id habe Did; vier und zwanzig Jahre erzogen und redlich Wort gehalten. Mein feliger Bruder dort oben wird zufrieden fein. Sei ein Mann! Ales für den Glauben und bie freiheit. Wird auch der Galgen Dein Sterbebett was thut's ! Ohne fie gibt es ja fein Vaterland, ohne Freiheit wäre ja dieſes ge- feguete Böhmen eine Eindde, wo Ranbthiere Haufen und ewige Nacht herrſcht. Alſo Alles für die Freiheit, ſelbſt ſchimpflichen Tod. Dein Untergang ermuthigt hundert Audere, und ſo iſt für die Sache ſchon etwas gewonnen. Haffe die von Neuhaus vergiß es nicht, daß Dein Bater ihr tödtlichſter Feind war daß fie uns bei Htib vernichtet, daß fie Zion geſchleift. Ich nehme von Dir jet Abſchied auf Lange, vielleicht auf immer. Ich bin nichts mehr nutz in der bewegten Melt aber ba

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ih fehe, daß fie vorwärts gehen muß fo fend’ ich Dich Hin; ſei mein Stellvertreter. Ich bin alt und matt; durch eilf Huffi- tenſchlachten Habe ic) dieſe Knoden getragen, und mander Speer und mander Säbel hat daran verfucht, was härter fei: fie oder er. Ich gehe nach Haufe lege mich vielleicht bald ſchlafen. Du kennſt das alte Schloß im Walde Hinter Blatna, wo wir gehauft. Haft Du etwas Großes vollbracht, find die Widerſacher geftürzt und zerſchmettert, ift der Helle Stern der freiheit nus anfgegangen: dann fehre zurüd und gib mir Kunde davon, oder mern ich todt bin, und das wird dann wohl ſchon der Fall fein, poche an mein Grab und rufe die Botſchaft hinab ich werde fie vernehmen. Leb' wohl! Noch Eins! Meide die Liebe zum Weibe fie erſchlafft, entmuthigt, hindert und hemmt im Leben. Auf der rauhen Bahn, die Du gehen wirft, tannft Du feine Rofenlauben, worin Tauben girren und Kränze duften, erwarten. Hängt Dein Herz am Weibe, fo hängt es nicht mehr an ber großen Sade, und der Arm wird ſchlaff. Das merke Dir. Die Zeit bis zur Mbendbämmerung kannſt Du in einem ber öffentlichen Gärten im Dorfe Smichon, Inapp vor dem Thore, zubringen. Deine Kleidung ift nicht ftattlich genug für die Stadt und bie Beſuche. Zeötwick, wird ſchon für einen an« dern Anzug Sorge tragen. Bon ihm erhältft Du aud Geld, jo viel Dur bedarffi. Grüß’ mir Beide, auch den Pater. SDente bier an das Kreuz; es iſt unſer Zeuge gewefen, ber Zeuge Alles deffen, was Du mir gelobt. Jetzt geh’ mit Gott.“

Er drüdte nad; diefen Worten bem Jüngling heftig und bewegt bie Hand, waubte fi verbüftert ab in der Bitterkeit des Scheidens und war, ehe fi Bratislav gefaßt, ſchon vom Hügel verſchwunden.

„Leb' wohl! leb' wohl!“ rief ihm tief bewegt der Jungling nad) und war nun allein in der Fremde, zum erflen Male im feinem Leben. Betrübt fette er fih unter dem Kreuze nieder und

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lehnte feinen Rüden an ben Stamm beffelben. So blidte er mit verſchrãnkten Armen in die Gegeub hinein und wiederholte ſich im @eifte alle die Punkte, welche fein Oheim ihm genannt. Gr trat zum erfien Male in die Belt, in eine bewegte, aufgeregte Belt fremd, ohne Glanz und Mittel, nicht einmal mit der Anwartſchaft eines Namens, die Bruft voll minſchenfeindlicher Blaue; wie follte fie, bie Welt, ihn loden, fih als Infliger Schwimmer in ihre Wellen zu flürzen und in ihnen auf und nieder zu gaufeln? Er mußte in die Brandung hinein, dort Sintende retten ober untertauden. Immer ift das Herz be» Hommen, wenn ber Menſch aus der Einfamfeit feiner Imgend in das vielbewegte Leben hineintritt; tanfend fremde Ericheinungen, Kräfte und Wirkungen umgeben ihn, und er fühlt fich erft ba recht einfam, wo er es nie fein follte, und fehnt ſich wieder Bin- aus, bis ihn eine Welle erfaßt und dem Willenloſen hineinreißt zwiſchen die Andern.

Vratislav entſchlummerte enblich über feinem Nachdenken. Er war ohnedies müde; denn er hatte den weiten Weg mit feie nem Oheim zu Fuße gemadt; fie waren nur des Nachts ger gangen und Batten während bes Tages in Gebüſchen geraftet. Der Oheim modte Gründe haben, nicht erfannt zu werden.

Ein teöftender Traumgott kam über den Jüngling. Zwei holde Jungfranen, die eine dunkel, die andre blond gelodt, er⸗ ſchienen ihm. Sie neigten fi und fahen ihm mit Liebesblicken on, baß er die Gfut in feinen Wangen, das Blut in feinem Herzen aufwallen fühlte Die Blonde reichte ihm einen Kranz von jungen Beilden bar, die Andre einen Rofenkranz, woran aber lange Dornen ſichtbar waren. Schon. wollte er, ba bie blanen Augen Jeuner fo füß flehten, nad dem Veilchenkranze lan⸗ gen, ba Hörte er plötzlich Hinter fi des Oheims rauhe Stimme: „Du bift noch da?“ und haſtig und äangſtlich rief er ben Zau« berinen zu: „licht, entfernt Cuch ich foll mich hüten vor

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der Liebe zum Weibel“ Und fie verſchwanden; doch warf jene holbe blonde Erſcheinung noch einen wehmiüthigen Liebesblid auf ihn guräd. Cr fühlte ſich plöglich Hinverfegt in das Schladhtene gewähl. Böhmen fochten gegen Deutſche. Er führte Schwert und Lanze wie ein Rafender. Ein Hieb firedte ihn zu Boden; Blut quoll aus jeinem Haupte, und wie e8 vor feinen Augen dunkelte, fand er ſich wieber in den Hohen Hallen bes Wyächrab, zu ben Füßen ber Furſtin Sibuda, welde im funkelnden Prunt- gewanbe, mit ben Heifig-ernften, ſtarren Zügen auf bem Throne ſaß, einen grünen Kranz auf fein Haupt fegte umd nad einem Sarge in ber Seitenhalle deutete, indem fie ſprach: „Mein Sohn, Du haft gemug gelämpft, Du Haft Dein Vaterland geliebt mit brünftigem Herzen. Habe Dank! Schlummre jetzt, lege Di dorthin zur Ruhe, nad Deines Tageswerkes bintigen Mühen.“ Schon wollte er gehorchen und fich Iebendig und fo mit Granen in bie enge Gruft legen, als er erwachte. Die Schallmei des ‚Hirten, der die Heerbe nach dem Dorfe Slichov trieb, erwedte in. Er raffte fih auf verlor fi noch einmal in bie Bilder ber Traummelt und fenfzte: „Ach mie ſchön waren bie Holben Jungfrauen !“ dann verbüfterte ſich fein Antlig, als hätte fih feine Seele auf irgend einer böfen Regung ertappt; er fprang dann vom Hügel herab und fegie feinen Weg gegen bie Stadt fort.

An den grünen Anhöhen wandelte er vorüber durch das Dorf Slichov, das kaum einige Hundert Schritte von dem darauf fols genden Smichon entfernt ift, welches letztere an die Oujezder Thore reiht.

Bor dem änferfien Thore ſchilderten zwei bärtige Lanzen- träger in ſlaviſcher Tracht, bem pefzverbrämten Waffenrode; doch hatten fie eiferne Helme auf den Häuptern. Dreifache Ring- mauern umgaben biefen Theil der Stadt, fo baf man vom dem Gebäuden innerhalb nichts erbliden konnte; eine Riefenmauer

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Augen Flammenröthe färbte fein ſchönes bärtiges Geficht, und er vief gebietend: „Sind Weiber und Kinder unter den Gefan- genen, fo töbtet fir, die Säuglinge an ben Brüfen ber Mütter, die händeringenben Weiber zu Euren Füßen. Warum follen fie feben, ba biefe Einzige nicht mehr if? Sie foll ein Todten- opfer haben. Diefe Siegesihlaht ſchon ift Dein Todtenopfer, Bojena fromme, holde Schwefter! Und wenn man in ben Büchern nach Jahrhunderten leſen wird, wie id) Hier die Schlacht geſchlagen fo ſoll man auch erfahren, was id; verloren, fo fol man aud Deiner gedenken und meiner Rache. Meine Schwefter, meine einzige theure Schweſter 1“

Gehorfam feinem Befehle, ſturzten alsbald einige rohe Knechte fort, um das Wert ber Blutrache an den Weibern und Kindern zu üben. Denn auf diefe Weife führte man damals Krieg.

Neuhaus befahl feine Schwefter auf dem Felde zu begraben, auf der Stelle, wo die beiden Profope gefallen waren, mitten im Leichenwalle, wo die eroberte Blutfahne wehte.

Niefenberg verfolgte mit der Hälfte der Heeresmacht die Fliehenden bis Kolin, weldes er mit Sturm nahm, und flug fie bei Lomnic gänzlih. Später ergab fich ihm ber Berg Tabor, bei Hradiste im Bechiner Kreife, die fefte Burg der Taboriten, die noch nie bezwungen worden. Er richtete Bier ein ſchreckliches Blutbad an. Auch der Berg Horeb fiel.

Und fo wurden die Böhmen nur durch Böhmen beſtegt fo rieb eine Partei ber Huſſiten bie andere auf- und ſchwächte ſich in fi, fie, welche vierfach überlegene Kreuzheere von Deutſchen, Sachſen und Deflerreihern in zahllofen Schlachten gefchlagen und ein Schreden der Nachbarländer ringsum geworben. waren.

. Die fogenannten ‚Gemäßigten: Caliztiner ober Prager, bie Städter und Herren vom Mbel Hatten geflegt gegen bie Ritter und" Landiente. \

Auf der Straße von Königefal nad Prag, hart am linken Ufer ber Moldau, ſchritten in ber frühe eines Bellen Sommer- tages des Jahres 1458 zwei Männer hin. Der Aeltere davon, geleidet wie ein Bauer, war eine Träftige gebrungene Geftalt, ſchien aber dod, vom langen Wandern müde, bes Gtodes zu bedürfen. ein Antlig war finfer und zur Hälfte mit einem traufen, grauen Barte bededt, von der Stirne ging über die Nafenwurzel und linke Wange ein Hieb Berab. Im der Haltung war etwas, das mehr auf einen Kriegsmann, denn auf einen Laudbewohner, wie der leinene Kittel und die weiten Beinkleiber, dann ber breitgefrempte Hut anbdenteten, ſchließen lief. Der Züngere, welcher Jenem auf engem Fußpfad ſchweigend folgte, trug ein fchlichtes, einfaches Wams, wie es damals die Ritter auf dem Lande und bie untern Kriegsleute anlegten, ein ſchwarzes Baret ohne Feder, und hatte an ben Hüften ein ſchmucloſes Schwert in lederner Scheide. Es mochte ein Yüngling von vier und zwanzig Jahren fein. Was feine äufere Erſcheinung aber bejonders auffallend machte, war die auferorbentliche, faft geifterhafte, jedoch nicht krankhafte Bläffe feines Antlitges, deffen weißer Schein noch dur die dunklen Loden, diefe brennend ſchwarzen Augen und dichten Brauen gehoben wurde. Ernſt, aber dod; mild war der Ausdrud bes Gefichtes, die Geftalt wohl geformt und anmuthig in ihren Bewegungen.

Während der Xeltere ſchweigend und finnend vorwärts ging, mit gefenktem Haupte, und ber Gegend micht achtend, blickte der Züngere frei und wie erfreut ringsum über bie Landſchaft.

Ueber ber filbernen Moldau lagen Morgennebel, die empor dampften, rechts am jenfeitigen Ufer hoben ſich die maleriſchen Keltfelſen empor, links hin erfiredten fi) die Höhen umd gu,

Herloßfohn: Der Iegte Taborit. 1.

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welche zum Prolkopithale führen, und ganz vorne aus dem Grau der Gerne und ben Mebeimaffen erhoben fid die Hunderte von Themen der prädtigen Riefenftadt.

Es war ein Heller, reizender Morgen. In den vanm· wipfeln der Anhöhen hing das Sonnenroth, die Nebel ſeukten ſich in die Thalſchluchten nieder, auf Gras und Sträuchen fun- kelte bligender Thau, Lerchen mwirbelten zum Himmel empor, und vom fernen Gegenufer ließ ein Fiſcherjunge feine Helle Stimme in einem jauchzenden Liede erſchallen.

Der Jüngling, welden wir geſchildert, athmete tief auf und breitete, few nach dem Borgänger blidend, die Arme ans. Die Neuheit der Scene ſchien ihn zu bewegen, ober war e8 bie Aus- dt im die Zukunft, deren Creigniffen er entgegen zu gehen eben im Begriff war.

Bor ihnen lag jest ein Hügel, von welchem Heut noch bie Sage geht, er fei aus ben Knochen erſchlagener Krieger gebildet. Auf diefem Hügel, der völlig vereinzelt bier im ber Mitte der Straße fteht, befand fi) damals noch feine Kapelle, fondern nur ein roh gezimmertes, vielfach beſchädigtes Kreuz, und von hier aus genoß man eines weiten und hellen Ueberblides über das majeftätifhe Prag.

Diefen Hügel erklomm num der Xeltere der Wanderer; ber Züngere folgte mechaniſch. Oben holte Iener Athem und betrachtete den Züugling forfgend, um in feinem Antlig ben Eindruck dieſes herrlichen Rundbildes zu Iefen. Denn bie Nebel waren gewichen, und deutlich ſah man nun die Stadt, eingefaßt vom grünen Bergkranze, wie eine Jungfrau von wallenden Gchleiern und Binden, mit ihren Paläftlen und Xhürmen gleichſam auf der Moldau ſchwimmen. Mod war ber Gefammteindrud zm groß, und das Auge konnte nicht das Einzelne ber Bilder faſſen; endlich machte fi die gepreßte Bruft in dem lauten Ausruf: „Welch' herrliche Stadt!" Luft.

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„Beim heiligen Gott! eine Herrliche Stadt,“ mwieberholte der Aeltere „von feiner in der Welt leicht übertroffen an Pracht und Lage, werth des Namens Prag und Böhmerhauptftabt. Und bier follten feine Fremdlinge haufen, hier follte Fein Abtrünniger auf dem erichlihenen Throne figen. Blid auf, Bratislan, mein Neffe, und lerne unfern Stolz, unfere Praha kennen. Dort jenfeits des Fluffes, hoch oben auf ſchroffer Felſenwand ift ber Wydehrad, unfre hohe, fefte Burg, wo die Piemysie hauſten über ein friedliches, beglüdtes Land. Jene Trümmer auf dem Felſen fühn vorgebaut, daß fie über dem Wafferfpiegel hernieberhängen, waren einft Libusa's Schloß. Bei ihrem Namen werden Did alle Sagen und Mähren umgaufeln, die Du vernommen von der feltenen, wunderbaren Frau. Links vom Fuß des Wydchrad hin dehnt ſich die Altftadt aus; jene beiden graueu Dächer, welde über die Häufer Hervorragen, gehören der Teynlirche an, wo unſere Priefter lehren und das Abendmahl unter beiden Geftalten austheifen. Sieht Du ber Brücke kühn geſchwungenen Bogen dort? Das ift unſres großen Könige Karl Werl. Wie eine eherne Bruftwehr fpannt fie fi über den Strom und theilt mit ihren Pfeilern feine raſchen Wellen in vierzehn Arme. Zwei Pfeiler find noch unbebedt die Stürme des Krieges liefen das Berk nicht vollenden. Links den Bid Hin, mein Sohn! Hebe ſtolzer Dein Haupt empor; dort auf jenem Berge ſteht unfre Königsburg, der prangende Hradöin, drohend wie ein Rieſe auf der Höhe, weithin ſchauend über Stadt und Land. Hier Haben unfre Könige gehauft, gute und fchlimme, Männer aus unfrem Stamme und verhaßte Deutfche, Bäter des Volles und Ausländer, die uns pliubderten und mit eifernen Ruthen züchtigten. Wohl ſitzt anjegt Einer droben, ber aus unfrem eignen Stamm und Blute, der Georg von Podkbrad, ein Fräftiger, befonnener Mann, der die Kunft lehren kann, wie man durch Ränfe zur Krone ge» langt, der das Abendmahl unter beiden Geflalten genießt, vor

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ben papiftifchen Pfaffen aber-auf den Knieen rutſcht, der unſere Reli» gionsfreiheit zu fehlen verſprach mit Leib und Leben, und doch Liebedienerei treibt gegen den Antihrift in Rom, und uns einen Streifen nad dem andern von den Compactaten abfchneiden läßt, von ihm, der übrigens Gott mög’ es beffern, ich Bin ein alter Mann und fann mid nur ärgern, und wird der Groll zu heftig, nur weinen wie ein altes Weib. Linfs da unten liegt die Heine Seite, wo die Edlen wohnen, bie Ritter und die Meiften dom SHerrenflande. Jener Berg no mehr linke, der uns, bon hier gefehen, einen Theil des Hraddins verdedt, if der Sanct Lanrenziberg auf feinem fortgejegten Rüden ſteht der Strahof. Nach jener Gegend oben mußt Du hinauf. Doc ſetze Dich, Vratislav, und Höre erft Vergangenes, ehr Du hineintrittft in die Gegenwart nnd Zukunft. Dftmals habe ich Dir von jener Schlacht bei Hrib erzäflt, worin die rechtgläubigen Huffitenbrüder: die Horebiten und Taboriten, von den Abtrünnigen, den Calig- tinern gefdlagen wurden. Ich und der Bater, wir fochten Beide mit. Im jener Nacht, in jener Schlacht wardſt Du geboren. Deine Mutter gab Dir ein Dafein auf Koften des ihrigen wir flohen, da Alles verloren war, mit Div umb überließen die Leiche den Flammen, welche das Lager verheerten. Bojena von Neuhaus war ein gutes Weib; mein feliger Bruder Hat nicht immer gut an ihr gethan. Er zwang fie zur Liebe; aud das brach ihr das Herz und Loftete ihr Leben. Nun es feil Wir haben einmal denen von Neuhaus ewige Rache geſchworen da Ionnten wir eines Weibes aud nicht fhonen. Laß das, ein anbermal. Wir aljo flohen. Wir flohen und fammelten uns um unfre legte Stüße, um ben tapfern Rohad von Duba, befien fefte Burg Zion uns vereinigte wie ein Tabor und uns be- fügen follte, bis unfre Macht wieder zum Rieſen herangewachſen fein würde. Die Prager wählten fih einen König einen Ausländer, einen Deutihen. Und Zion wurde geftärmt; denn

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König Albrecht ſchwur, es folle Teiner von ben Taboriten lebendig entkommen. Dein Bater muß unfer Schichſal geahnet haben; denn unaufhorlich beſtürmte er mich, id follte mit Dir fliehen, da e8 nod Zeit war. Es geſchah. Und Zion fi. Was dem Schwert entrann, wurde fefigenommen ; denn fie wollten den Pragern und ihrem jungen König ein Schanfpiel geben, und ba Letzterer noch feine Zaboriten in ber Schlacht gefehen fo wollte er die Bären im Käfig und in Ketten ſchauen. Auf dem Schloße hof errichtete man drei Galgen; an ben erfien Bing man bem Freiherrn Rohad von Duba, am den zweiten einen Kaplan, einen Büchfenmacher, der die Belagerten mit Feuergewehren verſehen, und den Ritter Boleslan von Cehtic, Deinen Bater. An den dritten Galgen kamen bloß ſechzig Auserlefene vom Abel das gemeine Pad wurde in Maffen zur Beluftigung des Bolkes außer dem Schloßhofe abgetfan. Aber jenes Schaufpiel war fürflich und ber Kaifer und König fah aus feinem Fenſter mit Vergnügen dem Würgen und Erdroſſeln zu, hörte es unge rührt, wie der Eine um fein Leben flehte, während ihn Duba eine Memme fhalt und fagte: „es fei beſſer tobt zu fein, ale zu leben unter ſolchem Schuft von König.” Dein Bater, fo fogt man mir, id war nicht dabei war früher im Gefäng- iffe, wahrſcheinlich an Gift, geftorben und wurde fo als Leiche an den Schandpfahl gehangen. Dies mar das Ende meines Bruders, Deines Baters. Welche Anwartfhaft an Ehr' und Glanz in der Geſellſchaft wir mun haben mögen, kannſt Du felbft ermeffen. Der Name if geächtet, folglich auch ber, wer ihn trägt. Sobald Du von mir ſcheideſt, heißeſt Du nicht mehr Techtidy, fondern Vratislav von Branik Dein Stammſchloß Hiegt Hinter Horajßonic. Nur zwei Männer gibt's in Prag, denen Du Dich vertrauen barfft; fie werden Dir rathen, Dich führen und mit Div wirken für die gemeinfame Sache: unfre Rage. Dies ift der Ritter Zedwichh und der Pater Cyrillus

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auf dem Hrabdin oben, im ehemaligen Kapuzinerfiofter, jetzt der Aufenthalt Geiftlicher von unferer Lehre. An Beide gebe ih Dir hier Schreiben mit. Ich brauche Did; wohl nicht mehr zu erinnern, Deines Schwures eingebent zu fein: Rache, Verfolgung amd ewiger Bernichtungskrieg den Dentichen, den Bapiften. Unfre Religionsfreiheit muß wieder hergefelt werden darum Haß den Talirtinern, welche fie verfauft. Schön iſt die Stadt dort, aber bie Per wohnt darin; ich meine die Menſchen. Wie ein fhöner Blumenkelch ift die Stadt, aber flatt der Wohlgerüche Iogiren Würmer, Schaben und ſtinkende Käfer drin. Hüte Did vor den Pragern fie find falſch und verderbt, fie Haben bie Züge auf der Zunge und ben Verrath im Herzen; aud ber Schwur if ihnen nicht Heilig. Darum fei Hug wie die Schlan- gen und verſchloſſen felbft gegen bie Freunde. Horde erft Andre aus, bevor fie Dich fragen können. Sei ein Mann und bfeibe es. Als Zion fiel und id ein Geächteter allein da war, Did armes Kind auf dem Arme und weiter nichts als mein Schwert: da ſchwur ich, für Dich zu leben und in Dir uns den Rade- engel, der guten Sache aber einen Vorkämpfer zu erziehen. Ich Habe Dich vier und zwanzig Jahre erzogen umd veblic Wort gehalten. Mein feliger Bruder dort oben wird zufrieden fein. Sei ein Mann! Alles für den Glauben und die freiheit. Wird auch der Galgen Dein Gterbebett was thut's! Ohne fie gibt es ja fein Vaterland, ohme freiheit wäre ja dieſes ge- fegnete Böhmen eine Eindde, wo Waubthiere hauſen und ewige Nacht herrſcht. Alfo Alles für bie Freiheit, felbft ſchimpflichen Tod. Dein Untergang ermuthigt Hundert Andere, und fo ift für die Sache fhon etwas gewonnen. Kaffe die von Neuhaus vergiß es nicht, daß Dein Vater ihr töbtlichfter Feind war daß fie uns bei HEib vernichtet, daß fie Zion geſchleift. IH nehme von Dir jet Abſchied auf lange, vielleicht auf immer. IH bin nichts mehr mug im ber bewegten Welt aber da

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ich fehe, daß fie vorwärts gehen muß fo ſend' ich Dich hin; fei mein Stellvertreter. Ich bin alt und matt; durch eilf Huſſi- tenſchlachten habe ich biefe Knochen getragen, und mander Speer und mander Säbel hat daran verfucht, was Härter fei: fie ober er. Ic gehe nach Haufe lege wich vielleicht bald fchlafen. Du tennft das alte Schloß im Walde Hinter Blatna, wo wir gehaufl. Haft Du etwas Großes vollbradt, find bie Widerſacher geftürzt und zerichmettert, iſt ber Belle Stern ber Freiheit uns aufgegangen: dann kehre zuräd und gib mir Kunde davon, ober wenn ich todt bin, und das wird dann wohl ſchon der Fall fein, pode an mein Grab und rufe die Botſchaft hinab id; werde fie vernehmen. Leb' wohl! Noch ins! Meide die Liebe zum Weibe fie erſchlafft, entmuthigt, Hindert und hemmt im Leben. Auf der rauhen Bahn, die Du gehen wirft, tannft Du feine Rofenlanben, worin Tauben girren und Kränze duften, erwarten. Hängt Dein Herz am Weibe, fo hängt es nicht mehr an ber großen Sade, und der Arm wird ſchlaff. Das merke Div. Die Zeit bis zur Abenddämmerung kannſt Du in einem ber öffentlichen Gärten im Dorfe Smicdon, fnapp vor dem Thore, zubringen. Deine Kleidung ift nicht flattlih genug für die Stabt und bie Beſuche. Zeswieth wird ſchon für einen an- dern Anzug Sorge tragen. Bon ihm erhältft Du aud Geld, fo viel Du bedarf. Grüß’ mir Beide, auch dem Pater. Denke bier am das Kreuz; es ift umfer Zeuge geweſen, der Zeuge Alles defien, was Du mir gelobt. Ieft geh’ mit Gott.”

Er drüdte nah diefen Worten dem Süngfing heftig und bewegt bie Hand, wandte ſich verbüftert ab in der Bitterkeit des Sceidens und war, ehe fi Bratislav gefaßt, ſchon vom Hügel verſchwunden.

mReb’ wohl! Ich? wohl!“ vief ihm tief bewegt der Jungling nad) und war nun allein in ber Fremde, zum erflen Male in feinem Leben. Betrübt fegte er ſich unter dem Kreuze nieder und

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auf dem Hrabdin oben, im ehemafigen Sapuzinerflofter, jetst der Aufenthalt Geiftlicher von unferer Lehre. Au Beide gebe ih Dir hier Schreiben mit. Ich brauche Dih wohl nicht mehr zu erinnern, Deines Schwures eingebent zu fein: Rache, Verfolgung und ewiger Vernichtungskrieg den Dentichen, den Bapiften. Unfre Religionsfreiheit muß wieder hergeftellt werben darum Haß den Ealiztinern, welche fie verkauft. Schön ift die Stadt dort, aber bie Pet wohnt darin; ich meine die Menſchen. Wie ein ſchöner Blumenkelch ift die Stadt, aber flatt der Wohlgerüche logiren Würmer, Schaben und ftinfende Käfer drin. Hüte Dich vor den Pragern fie find falih und verberbt, fie haben die Lüge auf der Zunge und den Verrath im Herzen; aud ber Schwur ift ihnen wicht Heifig. Darum fei Hug wie bie Schlan- gen und verfchloffen felbft gegen die Freunde. Horche erft Andre aus, bevor fie Did) fragen können. Sei ein Mann und bfeibe es. Als Zion fiel und id ein Geächteter allein da war, Did armes Kind auf dem Arme und weiter nichts als mein Schwert: da ſchwur ich, für Dich zu Ieben und in Dir uns ben Race engel, der guten Sache aber einen Vorkämpfer zu erziehen. Ich Habe Di vier und zwanzig Jahre erzogen und reblic Wort gehalten. Mein feliger Bruder dort oben wird zufrieden fein. Sei ein Mann! Alles für den Glauben und bie Freiheit. Wird aud) der Galgen Dein Gterbebett was thut's! Ohne fie gibt es ja kein Vaterland, ohne freiheit wäre ja biefes ge- fegnete Böhmen eine Einöde, wo Raubthiere haufen und emige Nacht herrfcht. Alſo Mes für bie Freiheit, felbt ſchimpflichen Tod. Dein Untergang ermuthigt hundert Andere, und fo ift für die Sache ſchon etwas gewonnen. Hafle die von Neuhaus vergiß es nicht, daß Dein Bater ihr töbtlicfter Feind mar daß fie uns bei HEib vernichtet, daß fie Zion geihleift. Ich nehme von Dir jet Abſchied auf lange, vielleicht auf immer. IH bin nichts mehr mug im ber bewegten Melt aber da

ich fehe, daß fie vorwärts gehen muß fo ſend' ih Did Hin; ſei mein Stellvertreter. Ich bin alt und matt; durch eilf Huffi« tenſchlachten Habe ich dieſe Knochen getragen, und mander Speer und mander Säbel hat daran verſucht, was Härter fei: fie ober er. Ich gehe nach Haufe lege wich vielleicht bald ſchlafen. Du kennſt das alte Schloß im Walde Hinter Blatna, wo wir gehauft. Haft Du etwas Großes vollbradt, find die Widerſacher geftürzt und zerfchmettert, if der Helle Stern der Freiheit uns aufgegangen: dann fehre zurüd und gib mir Kunde davon, ober wenn ich todt bin, und das wird bann wohl ſchon der Fall fein, poche an mein Grab und rufe die Botihaft hinab ich werbe fic vernehmen. Leb' wohl! Noch Eins! Meide die Liebe zum Weibe fie erfchlafft, entmuthigt, Hindert und hemmt im Leben. Auf der rauhen Bahn, die Du gehen wirft, Yonnft Du keine Rofenlanben, worin Tauben girren und Kränze duften, erwarten. Hängt Dein Herz am Weibe, fo hängt es nicht mehr an der großen Sade, und der Arm wird ſchlaff. Das merke Dir. Die Zeit bis zur Abenddämmerung kannſt Du in einem ber öffentlichen Gärten im Dorfe Smichov, knapp vor dem Thore, zubringen. Deine AKleidung if nicht ſtattlich genug für die Stadt und bie Beſuche. Zeöwickh wird ſchon für einen am dern Anzug Sorge tragen. Bon ihm erhältft Du aud Geld, fo viel Du bedarf. Grüß’ mir Beide, aud den Pater. Dente bier am das Kreuz; es iſt unfer Zeuge gewefen, der Zeuge Alles deflen, was Du mir gelobt. Jetzt geh’ mit Gott.“

Er drüdte nad diefen Worten dem Jüngling heftig und bewegt die Hand, wandte ſich verbüftert ab in der Bitterfeit bes Scheidens und war, ehe fih Vratislav gefaßt, fehon vom Hügel verſchwunden.

„Leb' wohl! Ich’ wohl!“ rief ihm tief bewegt der Jüngling nad und war nun allein in ber Fremde, zum erſten Male in feinem Leben. Betrübt fette er fich umter bem Kreuze nieder und

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Iehnte feinen Rüden an ben Stamm befiefben. So blidte er mit verfränkten Armen in die Gegend hinein und wiederholte ſich im Geifte alle bie Punkte, welche fein Oheim ihm genannt. Er trat zum erflen Male in die Welt, in eine bemegte, aufgeregte Belt fremd, ohne Glanz und Mittel, nicht einmal mit ber Anwartihaft eines Namens, die Bruſt vol menſchenfeindlicher Plane; wie follte fie, die Welt, ihn locken, fi als Infiger Schwimmer in ihre Wellen zu flürzen und im ihnen auf und nieder zu gaukeln? Er mußte in bie Brandung hinein, dort Sintende retten oder untertauden. Immer ift das Herz be Hommen, wenn der Menih aus der Einſamkeit feiner Jugend in das vielbewegte Leben Bineintritt; taufend frembe Eriheinungen, Kräfte und Wirkungen umigeben ihn, und er fühlt ſich erft da recht einfam, wo er es nie fein follte, und jehnt ſich wieder Bin- aus, bis ihn eine Welle erfaßt und dem Willenlofen hineinreißt zwiſchen bie Andern.

Vratislav entihlummerte emblich über feinem Nachdenken. Er war ohnebies müde; deum er hatte den weiten Weg mit fei- nem Oheim zu Fuße gemadt; fie waren um des Nachts ger gangen und hatten während des Tages in Gebüfchen geraftet. Der Oheim mochte Gründe haben, nicht erfannt zu werben.

Ein tröftender Zraumgott Tom über ben Jüngling. Zwei holde Jungfrauen, bie eine dunkel, die anbre blond gelodt, er- ſchienen ihm. Sie neigten ſich und fahen ihn mit Liebesbliden an, daß er die Gfut im feinen Wangen, das Blut in feinem Herzen aufwallen fühlte Die Blonde reichte ihm einen Kranz von jnngen Veilchen dar, die Andre einen Roſenkranz, woran aber lange Dornen fihtbar waren. Schon, wollte er, ba bie blauen Augen Jener fo füß flehten, nad dem Veilchenkranze Lane gen, ba hörte er plöglich Hinter fidh des Oheims rauhe Stimme: „Du bift noch da?“ und haſtig und ängflih rief er den Zau« berinen zu: „licht, entfernt Euch ich fol mid Hüten vor

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der Xiebe zum Weibe!“ Und fie verſchwanden; doch warf jene holde bionde Erſcheinung nod; einen wehmüthigen Liebesblid auf ifn zuräd. Er fühlte ſich plötzlich hinverſetzt in das Schlachten» gewühl. BVöhnen fohten gegen Deutſche. Er führte Schwert und Lanze wie ein Rafender. Ein Hieb firedite ihr zu Boden; Blut quoll ans feinem Haupte, und wie es vor feinen Augen dunkelte, fand er ſich wieder in den hohen Hallen des Wydchrad, zu ben Füßen ber Fürfin Libusa, welde im funkelnden Prunt- gewanbe, mit dem heifig-ernften, flarren Zügen auf dem Throne ſaß, einen grünen Kranz auf fein Haupt ſetzte und nach einem Sarge in der Seitenhalle deutete, indem fie ſprach: „Mein Sohn, Du Haft genug gefämpft, Du Haft Dein Baterland geliebt mit bränftigem Herzen. Habe Dank! Schlummre jet, lege Dich dorthin zur Ruhe, nach Deines Tageswerkes bintigen Mühen.“ Schon mollte er gehorchen und fich Tebendig und fo mit Grauen in bie enge Gruft legen, als er erwachte. Die Schallmei des Hirten, der die Heerbe nad dem Dorfe Slichov trieb, erweckte in. Er raffte ſich auf verlor fih noch einmal in bie Bilder der Traumwelt und ſeufzte: „Ad wie ſchön maren bie holden Jungfrauen!“ dann verbüfterte fich fein Antlig, als hätte fih feine Seele auf irgend einer böfen Regumg ertappt; er fprang dann vom Hügel herab und ſetzte feinen Weg gegen bie Stadt fort.

An den grünen Anhöhen wandelte er vorüber durch das Dorf Slichov, das kaum eimige hundert Schritte von dem barauf fol» genden Smidhon entfernt ift, welches legtere an bie Oujezder Thore reicht.

Bor dem änferfien Thore fhilderten zwei bärtige Lanzen- träger in ſlaviſcher Tracht, dem pelzverbrämten Waffenrode; doch hatten fie eiferne Helme anf den Häuptern. Dreifache Ring- mauern umgaben biefen Theil der Stadt, fo daß man von den Gebäuden innerhalb nichts erbliden konnte; eine Rieſenmauer

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309 fi dem ganzen fleilen Rüden des Laurenzberges hinauf. Durch das finftere, lange Thor, das duch bie ganze Breite ber Ringmaner ging und fo nur durch feine beiden Oeffnungen von der Geite ſparuͤches Licht erhielt, gingen Kirhgänger, Bauern, Stäbter und Kriegsknechte ab und zu.

Bratislav lehnte fi am einen Weichbildſtein und beſah fi lange dieſes Wogen und Treiben. Der duüſtre Eingang im dic Stadt ſchien ihm nicht viel Freundliches von ihren innern Räumen zu verfprehen. Es war nod ziemlich früh am Zage, und da er erft im Abenddunkel in bie Stabt gehen follte, fo folgte er den Tönen der Mufit und dem luſtigen Stimmengejubel, welches rechts aus einem der öffentlichen Gärten ihm entgegenſchallte. Unter den fhattigen Bäumen im geräumigen Garten faßen an hölzernen Tiſchen Bürgersleute mit ihren rauen (demm es war Sonntag), Handwerker, Kriegsknechte und Einwohner aus dem Dorfe. Zierliche Kellnermäbchen Tiefen auf und ab und trugen Steinfrüge mit braunem, ſchäumendem Bier, Gläfer, worin ber belle Cernofeter und Podskaler funkelten, den wngebuldigen, rit- fenden Gäften zu. Auf andern Tiſchen wurben große Honig · kuchen und die runden böhmiſchen Kolatſchen feilgeboten. In ber Küche des Heinen Häuschens dampfte und ſchmorte es: köſtliche Wurſte und fetter Schweinbraten mit gebadener Krufte und Kraut wurde herausgetragen. An ber Maner links war ein Kegelihub, wo es recht Tärmend zuging donnernd wurde die Kugel hinaus- gehoben, die Kegel fielen, und der Burſche, ber fie aufſetzte, gab mit kreiſchender Stimme ihre Zahl an, indem er bazu immer einen Bers abfang, als zum Beiſpiel: Alle neun, ein Pfennig iR mein. An einem Tiſche würfelten Soldaten; daneben auf einem Rafenplag tanzten Burſche und Mädchen nad dem Zafte des baterländifhen Dudelfades und ber fogenannten Leier, melde mit Drathjaiten bezogen ift und vermittelft eines Rades geſtrichen wird. Nahe am Eingange fpielten Mädchen aus Deutſchböhmen

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die Harfe und johften dazu deutſche Lieber. Hier und da rief es: Meta Bita Bier her! Mir Brot! Noch ein Glas! Willſt Dir wohl ſchnelle Beine maden, Birne! Ih warte ſchon eine halbe Stunde wie ein Narr, m. bergl. m. Es war ein fröhfidjes, friedliches Leben Bier, in ber allgemeinen Suftigfeit waren alle refigiöfen und politifchen Interefien der Par- teiungen in den Hintergrund getreten.

Einige Schritte innerhalb des Einganges fand Bratislav und ſah fi bie bunten Gruppen, bie Heitern Menfchen nicht ohne Theilnahme an. Schien doch felbft der Himmel an ihrem zwar finnlihen, doch harmlofen Treiben Freude zu haben; benn durch die grünen Baumwipfel blidte ein glängenber, tiefblauer Azur hindurch. Die Luft zog fanft durch die Zweige, wie Liebes geflüfter, in den Zäumen Bingen feurige Blüten, und die Hol« lunderſtrãuche firömten ihren würzigen Duft aus, jo oft ber Lüfte Athemzug über fie dahinwehte.

„Run, junger Herr,“ rief plötzlich die eine Kellnerin, eine ſchwarzãugige, frifche Dirne, indem fie fi mit eingeftemmten Armen lächelnd vor unfern Ritter Hinftellte „befehlt Ihr denn gar nichts? Seid Ihr zu flolz, Bier etwas zu genießen, und wollt nur den fteinernen Zuſchauer abgeben 2“

Berlegen fenkte Vratislav die Blide; denn er wußte fi noch nicht zu benehmen in folder öffentlichen Verſammlung und erwiberte nad) einer Weile: „Wohl wünfchte ich etwas, mein Kind doch konnte id) Dein gar nicht habhaft werden gib mir zu efien und einen Krug Bier, mid) durſtet.“

Das Mädchen flog nad dem Haufe, und der Ritter fegte fich an einen Meinen, einzeln ſtehenden Tiſch, ängftlic) beforgt, er tonute die Yufmerkfamfeit der Uebrigen auf ſich ziehen.

Im Fluge war das Mädchen wieder da, brachte Braten auf einem hölzernen Zeller und das friſche Getränt. Während fie einſchenlie, betrachtete fie den Ritter forihend und fagte dan

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mit dem Zone des Mitleids: „Ach Gott, wie ſeid Ihr blaß, Junger Herr! Ihr müßt wohl erſt kurzlich von einer böſen Kranffeit aufgeflanden fein.“

„Das nicht,“ verfegte Bratislav ſchüchtern „ic bin im- mer fo bleih es ift die Farbe meiner Mutter; fie gebar mid, als fie zur Leiche wurde.“

Das Madchen, weldes, wie Dirnen biefer Art, zu einem muthwilligen Scherze aufgelegt zu fein ſchien, feflelte num ihr Bort anf der Zunge und fprang wieber fort, als fie fi von einem andern Gaſte rufen hörte.

Dem unerfahrenen, menſchenſcheuen Jüngling war leiter zu Muthe, da fie fort war. Er und trank, und feine Be Hommenheit wich zum Theil nad) einiger Zeit. Er blidte weniger fen um fi und gab fi) harmlos den Einwirkungen ber luſti⸗ gen Muſik und des fröhlichen Gefanges bin.

Träumerifh fah er durch bie grünen Zweige nah dem blauen Grunde des Himmels empor und wehmüthig feufzte er: „Wie fie Alle fo fröhlich find, des Dafeins, der Gegenwart und Zukunft fi) freuen! Ich allein Habe feine Liebe im Herzen, nur den finftern Haß, an deſſen Bruft ich gefogen. Sie flehen fried- lid) bei einander ich hege Mordgebanfen in ber Bruſt. Ob benn wohl eines jeden Menfchen ZJugendzeit fo büfter ift wie die meine

Eine Geftalt, die ſich näherte, flörte ihn in feinem büftern Hinbrüten. Es war ein ſchlichter Vürgersmann im Sonntags Raate, aitlich und befpeiden, von gutmüthigem Auedruge in ben Mienen,

„Wenn Ihr erlaubt, Herr!“ fagte er, und ſtellte Krug und Glas auf den Tiſch, indem er ſich zugleich dem Ritter gegenüber auf die Bauk ſetzte. Er fchenkte fih ein, trank erft aus dem Glaſe und gab dann dem Ritter das Geſchenk, das heit, er reichte ihm fein Glas Hin und foderte ihn auf, daraus zu trinken;

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denn fo iſt es Sitte in Böhmen unter Belannten, ober wenn man Belanntihaft machen will.

Der Nitter dankte und that Beſcheid. Der Bürger räu- ſperte fi) und fragte dann befheiden: „Mit Erlaubnig Ihr ſeid wohl von der Neuftadt Her Here? Erinnere mich nicht, Euch vordem Bier im Garten gefehen zu haben?“

„Rein,“ verjegte Vratislav „ih bin ans ber Fremde und fehe Heut zum erften Male die ſchönen Thürme Prags. Nicht fange erft bin ich angefommen und wollte Hier zuerft vaften. Im vrachiner Kreife bin ich zu Haufe.”

„Ach ich begreife,“ entgegnete der Bürger „ſah es gleich am ber Reiſekleidung habt den Knecht mit den offen wohl voraus in die Stadt gefhidt und wollt Bier ruhen. Ci, das Wetter ift ja gar fo ſchön, daß es im der That Schade wäre, bie Zeit in der Stadt zu töbten. Das Volk ift aber auch luftig; 's iR fo des Vöhmen Art; bei Vier und Dudelſack ver- gißt er leicht gehabte Leiden, und wüßte er auch Heute, daß morgen die Noth von Neuem angehen fol. Wer ſieht's dem Volle und dem Lande an, daß fo lange bier der Krieg gewüthet hat und nur feit kurzer Zeit erft unter unferm neuen König Georg, ein wohlthätiger Frieden eingetreten if? Do da Ihr aus ber Fremde Her feid, wollte jagen aus dem Pradiner Kreife, alfo von der Grenze, fo erlaubt die Frage: „Was gibt es Neues draußen im Reid, in Baiern ?*

„Aulzu einfam und abgefchieden," antwortete der Züngling, lebte ich auf unferem Walbfchloffe, als daß uns dort hätte Kımde werben follen von Thaten uud Ereigniſſen. Ihr in der Hanptftadt wißt fiher mehr Beſcheid von Allem, was fih bier wie dort zutrãgt.“

Bitte, lieber Herr Ritter,“ entgegnete ber Bürger „man hört bier freilich fo viel- und manderlei, das Eigentliche aber behalten die großen Herren dod für fi. Nur erft wenn ber

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gemeine Mann zahlen ober zuſchlagen foll, erfährt er den Grund und auch oft, wenn er geſchlagen wird gar nidt. Ihr . geht ohne Zweifel an den Hof dort Euer Glüd zu maden; da feid Ihr ſchon der Duelle näher. Es kann aud nicht fehlen. Aus dem ganzen Sande frömt nun der Abel gen Prag, zu des Königs Hofhalt befonders was rechtgläubig wollte fagen huffitiſch ift; denn der Adel muß ſich höchlich freuen, daß nun. mehr ein Einheimifcher, Einer aus feiner Mitte zum Throne be» rufen worben. Haben uns doch lange genug die Papiften, bie Fremblinge, bie Luremburger und Habsburger ausgefogen und geſchunden. Nun Haben wir doch unfern Georg, der unfere Sprache verfteht und fpricht, ein böhmiſch Herz hat und unfre Satzungen, Gebräuche und Vorrechte kennt. Er wird fie wohl auch aufrecht Halten. Und von dem Glauben, dei die Mehrzahl iſt iſt er and. So werden wir denn mit Gottes Hilfe Ruhe behalten im Land und aud vom Ausland her; benn Georgius de Podebrad ift auch ein tüchtiger Kriegsheld, der das Schwert zu führen weiß, und er hat's ihnen ſchon gezeigt. Die Deutſchen haben die böhmiſche Fauft in den Huſſitenkriegen kennen gelernt und fommen wohl fo bald nicht wieder.“ .

„Wie id} aber vernommen,“ warf ſchüchtern der Jüngling ein „ift der König nicht fireng rechtgläubig, nicht vom. ganzen Herzen Kelchbruder. Er Hat fi von den Compactaten Mancherlei abzwaden laſſen, meint's zu gut und ift zu fanft mit den PBapi- fien, Hat auch, dem Papft Gehorfam zugefchworen: Alles, um die Krone zu erringen.“

„Was ich auch eben fagen wollte,“ fiel der Bürger zutrau- licher ein, „felbft der hochwürdige Pater Rokycana, der doch durch großen Einfluß unfern König auf den Thron gebradt, äußerte, bevor er noch caliztinifcher Erzbiſchof war: „Soll unfre gereinigte Lehre beftchen, fo muß es für fie feinen Papſt, feine Oberhoheit der Curie geben.” Unfer Einer verfieht das nicht fo reht und

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ſo ganz. Sicher iſt daß es jetzt auch viele Unzufriedene ſo zu ſagen, zwei ganze Parteien gibt: die Papiſten wollen, er ſoll ganz papiſtiſch fein, die neue Lehre ausrotten, und fo ſchlei- chen fie, die Herren Mönde und Geiſtlichen, im Finſtern, liegen den Deutſchen und Geiftlichen in den Ohren, wirken für fie und möchten fie recht gern bald wieber in’s Land herein rufen. Und die Andern, die Rechtgläubigen, die Männer von Zabor und ‚Horeb, werfen ihm vor, er halte e8 mit den Römlingen, zittere vor dem Papft und vor dem Cardinal - Legaten, dem ſchlauen, fanatif hen Fantinus de Valle, und meine es wieder mit ihnen nit ehrlih. Die Gemäßtigten, das find die reichen Prager und Städter, und bie Herren vom Mbel fliehen in der Mitte: fie wollen Ruhe, um viel erwerben und das Erworbene in Ge- mãchlichkeit verzehren zu können. Für jest Haben fie die Oberhand wenn gleich Teicht abzufehen ift, daß, fobald eine oder bie andre Bartei ſich aufrafft, fie bald hier, bald dorthin ſich neigen werben auf welder Seite nämlich der Vortheil zu finden if. Des Rrieges find wir fatt aber die Compactaten, meine id, bürfte der König nicht ungeſcheut aufheben, wie e8 die Herren in Rom fo gern möchten.”

„Und wie viel gewähren uns jene Compactaten ?“ fragte der Ritter.

„Freilich wenig gegen fonft,“ war des DVürgers Antwort, „das Abendmahl unter beiderlei Geftalten, bie Beftrafung ber after der Geiftlihen durch weltliche Obrigkeit, das freie Pre- digen der freudigen Botſchaft und die Entziehung ber Reich thumer der Priefterihaft. Nun, Gott ſei's geffagt oder gebanft, die caligtinifcde Kirche ift nicht reich aber die papiſtiſche iſ's no. Aber das heilige Bafeler Eoncilium bat zu biefen vier Artikeln eine Menge Zufäge gemacht, waran man fie wenden und brehen 'fann, wie ein Roß am Zaume. Ich verfiche, wie gefagt, zu wenig von folden hochgelahrten Dingen, und nur,

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lehnte feinen Rüden an den Stamm beffelben. So bfidte .er mit verfhränkten Armen in bie Gegend hinein und wiederholte fi im Geiſte alle die Punkte, welche ſein Oheim ihm genannt. Er trat zum erſten Male in die Welt, im eine bewegte, aufgeregte Welt fremd, ohne Glanz und Mittel, nicht einmal mit der Anwartihaft eines Namens, die Brut voll menſchenfeindlicher Plane; wie follte fie, die Welt, ihn loden, fih als luſtiger Schwimmer in ihre Wellen zu flürzgen und in ihnen auf und mieber zu gaufen? Es mußte in die Brandung hinein, bort Sinkende retten oder untertauden. Immer ift das Herz be» Hommen, wenn ber Menih aus ber Einfamleit feiner Jugend in das viefbewegte Leben bineintritt; taufend frembe Erſcheinungen, Kräfte und Wirkungen umgeben ihn, und er fühlt fi erſt da recht einfam, wo er es nie fein follte, und fehnt ſich wieder Hin- aus, bis ihn eine Welle erfaßt und den Willenlofen hineinreißt zwiſchen die Andern.

Vratislav entihlummerte endlich über feinem Nachdenken. Er war ohnedies mübe; deun er hatte den weiten Weg mit fei- na gaı De

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der Liebe zum Weibe!“ Und fie verfchtvanden; doch warf jene helde bloude Erfcheimung noch einen wehmäthigen Liebesblid auf ihn zuräd. Er fühlte fich plotzlich Binverfegt in das Schlachten- gemüßl. Böhmen fochten gegen Deutſche. Er führte Schwert und Lanze wie ein Raſender. Gin Hieb firedte ihm zu Boden; Blut quoll ans jeinem Haupte, und wie e8 vor feinen Augen dunkelte, fand er fid; wieder in den hohen Hallen des Wyächrad, zu den Füßen der Fürftin Libusa, welche im funkelnden Prunt- gewanbe, mit bem Heifig-ernften, ftarren Zügen auf bem Throne faß, einen grünen Krauz auf fein Haupt ſetzte und nad einem Sarge in der Seitenhalle deutete, indem fie ſprach: „Mein Sohn, Du Haft gemug gekämpft, Du Haft Dein Baterlanb geliebt mit brünftigem Herzen. Habe Dank! Schlummre jet, lege Dich dorthin zur Abe, nach Deines Tageswerkes bintigen Mühen.“ Schon wollte er gehorchen umb fid) Iebendig und fo mit Granen im No fenem fa er ermacte, Die Schallmei des

fe Slichov trieb, erwedte

fih noch einmal in bie

Ach wie ſchön waren bie

Ah fein Antlig, als hätte

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gie feinen Weg gegen bie

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rien zwei bärtige Lanzen⸗ brämten Waffenrode; doch iuptern. Dreifache Ring bt, fo ba mau vou dem ounte; eine Wielruomer

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308 fih dem ganzen fleilen Rüden des Laurenzberges hinauf. Durch das finftere, lauge Thor, das durch bie ganze Breite der Ningmaner ging und fo nur durch feine beiden Oeffnungen von der Seite fpärliches Licht erhielt, gingen Kirchgäuger, Bauern, Stäbter und Kriegsknechte ab und zu.

Bratislav Iehnte fi an einen Weichbildſtein und beſah ſich lange biefes Wogen und Treiben. Der büftre Eingang in bic Stadt fehlen ihm nicht viel Freundliches von ihren innern Räumen zu verſprechen. Es war noch ziemlich früh am Zage, und da er erſt im Abenddunkel in die Stadt gehen follte, fo folgte er den Zönen der Muſik und dem luſtigen Stimmengejubel, weldes rechts aus eimem der öffentlichen Gärten ihm entgegenſchallte. Unter ben ſchattigen Bäumen im geräumigen Garten faßen an hölzernen Tiſchen Vürgersleute mit ihren Frauen (demm es war Sonntag), Handwerker, Kriegsknechte und Einwohner aus dem Dorfe. Zierliche Kellnermädchen liefen anf und ab und trugen Steinfrüge mit braunem, ſchäumendem Bier, Gläfer, worin ber helle Cernofeter und Podskaler funtelten, den ungebulbigen, ru - fenden Gäften zu. Auf andern Tiſchen wurden große Honig- kuchen und die runden böhmifhen Kolatfchen feilgeboten. Im ber Küche des Heinen Häuschens dampfte und ſchmorte es: köſtliche BWürfte und fetter Schweinbraten mit gebadener Krufte und Kraut wurde herausgetragen. An der Mauer links war ein Kegelſchub, wo es recht larmend zuging donnernd wurde bie Kugel Binaus- geihoben, die Kegel fielen, und ber Burſche, der fie auffegte, gab mit kreiſchender Stimme ihre Zahl an, indem er dazu immer einen Bers abfang, als zum BVeifpiel: Ale neun, ein Pfennig iſt mein. An einem Tiſche würfelten Soldaten; daneben auf einem Rafenplag tanzten Burſche und Mädchen nad; dem Tafte des vaterländifchen Dubelfades und der. fogenannten eier, welche mit Dratbfaiten bezogen ift und vermittelft eines Rades geftrichen wird. Nahe am Cingange fpielten Mädchen aus Dentigböhmen

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die Harfe und johften dazu deutſche Lieber. Dier umd da rief es: Maka Bita Bier her! Mir Brot! Nod ein Glas! Wilft Du wohl fehnelle Beine machen, Dirne! IH warte ſchon eine halbe Stunde wie ein Narr, u. bergl. m. Es war ein fröhliches, friedliches Leben Bier, in ber allgemeinen uftigkeit waren alle refigiöfen und politiichen Intereffen der Par- teiungen in den Hintergrund getreten.

Einige Schritte innerhalb des Cinganges ſtand Bratislad und fah ſich die bunten Gruppen, bie heitern Menſchen nicht ohne Theiinahme an. Schien doch felbt der Himmel an ihrem zwar ſinnlichen, doch harmlofen Treiben freude zu haben; denn durch die grünen Baumwipfel blicte ein glänzender, tiefblauer Aur hindurch. Die Luft zog fanft durch bie gweige, wie Liebes geflüfter, in den Zäunen Bingen feurige Blüten, und bie Hol- lunderſträuche ftrömten ihren würzigen Duft aus, fo oft ber Lüfte Athemzug über fie dahinwehte.

Run, junger Herr,“ rief plötzlich die eine Kellnerin, eine ſchwarzãugige, friſche Dirne, indem fie fih mit eingeftemmten Armen lachelnd vor unfern Ritter Hinftellte „befehlt Ihr denn gar nichts? Seid Ihr zu ſtolz, Hier etwas zu genießen, unb wollt nur den fteinernen Zuſchauer abgeben ?“

Berlegen fenfte Vratislav die Blicke; denn er wußte fi) noch nicht zu Benehmen in folder öffentlichen Berfammlung und erwiberte nad einer Weile: „Wohl wünſchte ich etwas, mein Kind doch konnte ich Dein gar nicht habhaft werden gib mir zu effen und einen Krug Bier, mich bürftet.”

Das Mädchen flog nad; dem Haufe, und der Ritter ſetzte fi) am einen Meinen, einzeln ftehenden Tiſch, ängſtlich beforgt, er lonnte die Aufmerkſamkeit der Uebrigen auf fi ziehen.

Im Fluge war das Mädchen wieder ba, bradjte Braten auf einem hölzernen Zeller und das friſche Getränt. Während fie einſchenkte, betrachtete fie den Ritter forſchend und fagte daun

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den papiftifchen Pfaffen aber-auf den Knieen rutſcht, der umfere Heli» gionsfreiheit zu fehlten verſprach mit Leib und Leben, und doch Xiebebienerei treibt gegen den Antirift in Rom, und uns einen Streifen nad dem andern von den Compactaten abſchneiden läßt, von ihm, der übrigens Gott mög’ es beſſern, ih bin ein alter Mann und kann mid nur ärgern, und wird der Groll zu heftig, nur weinen wie ein altes Weib. Links da unten Liegt die Heine Seite, wo die Edlen wohnen, die Ritter und die Meiften vom SHerrenftande. Zener Berg nod) mehr lints, der uns, von hier gefehen, einen Theil des Hradöins verdedt, if der Sanet Laurenziberg auf feinem fortgejegten Rüden fteht der Strahof. Nach jener Gegend oben mußt Du hinauf. Doch fege Dich, Bratislav, und höre erſt Vergangenes, ehr Du Hineintrittft in bie Gegenwart und Zukunft. Dftmals habe ih Dir von jener Schlacht bei HEib erzählt, worin bie rechtgläubigen Huffitenbrüder: bie Horebiten und Taboriten, von ben Abtrünnigen, den Calix- tinern gefchlagen wurben. Ich und ber Vater, wir fochten Beide mit. Im jener Nacht, in jener Schlacht wardſt Du geboren. Deine Mutter gab Dir ein Dafein auf Koften des ihrigen wir flohen, da Alles verloren war, mit Dir und überliegen die Leiche den Flammen, welche das Lager verheerten. Bojena von Neuhaus war ein gutes Weib; mein feliger Bruder hat nicht immer gut an ihr gethan. Er zwang fie zur Liebe; auch das brach ihr das Herz und koſtete ihr Leben. Nun es feil Wir haben einmal denen von Neuhaus ewige Rache geihworen da fonnten wir eines Weibes auch nicht ſchonen. Laß das, ein andermal. Wir alfo flohen. Wir flohen und fammelten ums um unfre legte Stüge, um den tapfern Rohad von Duba, deſſen fete Burg Zion uns vereinigte wie ein Tabor und uns be ſchützen follte, bis unfre Macht wieder zum Rieſen herangewachien fein würde Die Prager wählten fi einen König einen Ausländer, einen Deutſchen. Und Zion wurde geftürmt; denn

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König Albrecht ſchwur, e8 folle feiner von ben Zaboriten febendig entlommen. Dein Bater muß unſer Schidfal geahnet haben; denn unaufhörlich beſtürmte er mich, ich follte mit Dir flichen, da e8 noch Zeit war. Es geſchah. Und Zion fiel. Was dem Schwert entrann, wurde feftgenommen ; denn fie wollten den Pragern und ihrem jungen König ein Gchaufpiel geben, und ba Letzterer noch feine Taboriten in ber Schlacht gefehen fo wollte er die Bären im Käfig und im Ketten ſchauen. Auf dem Schloß. hof errichtete man brei Galgen; an ben erflen hing man den Freiherrn Rohad von Duba, an den zweiten einen Kapları, einen Buchſenmacher, der die Belagerten mit Feuergewehren verfchen, und den Nitter Boleslav von Ceftic, Deinen Bater. An ben britten Galgen famen bloß fechzig Augerlefene vom Adel das gemeine Pad wurde in Maffen zur Beluftigung des Boltes aufer dem Schloßhofe abgethan. Aber jenes Schaufpiel war fürflich und der Kaifer und König fah aus feinem Fenſter mit Bergnügen dem Würgen und Erdroſſeln zu, hörte es unges rührt, wie der Eine um fein Leben flehte, während ihn Duba eine Memme ſchalt und fagte: „es fei beffer tobt zu fein, ale zu leben unter ſolchem Schuft von König.” Dein Bater, fo fagt man mir, ich war nicht dabei war früher im Gefäng« aiffe, wahrſcheinlich aun Gift, geftorben und wurde fo als Leiche an ben Schandpfahl gehangen. Dies war das Ende meines Brubers, Deines Vaters. Welche Anwartſchaft an Ehr' und Glanz in der Gefellfhaft wir nun haben mögen, kaunſt Du felbft ermefien. Der Name ift geächtet, folglich aud ber, wer ihn trägt. Sobalb Du von mir ſcheideſt, Heißeft Du nicht mehr Techtidy, fondern Bratislav von Branit Dein Stammſchloß liegt Hinter Horajbovie. Nur zwei "Männer gibts in Prag, denen Du Dich vertrauen darfit; fie werden Dir rathen, Di führen und mit Dir wirken für die gemeinfame Sache: unfre Race. Dies ift der Ritter Zedwichh und der Pater Cyrillus

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auf dem Hrabdin oben, im ehemaligen Kapuzinerkloſter, jetzt der Aufenthalt Geiftliher von umferer Lehre. An Beide gebe id Dir bier Schreiben mit. Ich brauche Did; wohl nicht mehr zu erimmern, Deines Schwures eingebenf zu fein: Race, Verfolgung und ewiger Vernichtungskrieg den Dentichen, ben Papiſten. Unfre Religionsfreiheit muß wicer Hergeflelt werben darum Kafı den Caligtinern, welche fie verfauft. Schön iſt die Stadt bort, aber bie Peſt wohnt barin; ich meine die Menſchen. Wie ein ſchöner Blumenkelch ift die Stadt, aber flatt der Wohlgerüche logiren Würmer, Schaben und ftinfende Käfer drin. Hüte Did vor den Pragern fie find falſch und verberbt, fie Haben die Züge auf der Zunge und ben Verrath im Herzen; aud ber Schwur if ihnen nicht Heilig, Darum fei Hug wie die Schlan- gen und verfchlofen felbft gegen bie Freunde. Horde erft Andre ans, bevor fie Dich fragen können. Sei ein Mann und bleibe es. Als Zion fiel und id; ein Geächteter allein da mar, Did arımes Kind auf dem Arme und weiter nichts als mein Schwert: da ſchwur id, für Dich zu leben und in Dir uns den Radıe- engel, ber guien Sache aber einen Vorkämpfer zu erziehen. Ich habe Dich vier und zwanzig Jahre erzogen und vedlih Wort gehalten. Mein feliger Bruder bort oben wirb zufrieden fein. Sei ein Mann! AMles für den Glauben und bie Freiheit. Wird auch der Galgen Dein Gterbebett was thut's! Ohne fie gibt es ja kein Vaterland, ohne freiheit wäre ja biefes ge- fegnete Böhmen eine Einöde, wo Raubthiere haufen und ewige Nacht herrſcht. Alſo Mles für die Freiheit, ſelbſt ſchimpflichen Tod. Dein Untergang ermuthigt hundert Andere, und fo iſt für die Sache ſchon etwas gewonnen. Haſſe die von Neuhaus vergiß es nicht, daß Dein Water ihr töbtlichfter Feind war daß fie uns bei HEib vernichtet, daß fle Zion geſchleift. Ich nehme von Dir jet Abſchied auf lange, vielleicht auf immer. IH bin nichts mehr nu im der bewegten Welt aber dba

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ih fehe, daf fe vorwärts gehen muß fo fend’ ih Di Bin; fei mein Stellvertreter. Ich bin alt und matt; durch eilf Huffi- teuſchlachten habe ich diefe Knochen getragen, und mander Speer und mander Säbel bat daran verſucht, was härter fei: fie ober er. I gehe nad) Haufe lege wid; vielleicht Bald ſchlafen. Du kennſt das alte Schloß im Walde hinter Blatna, wo wir gehauſt. Haft Du etwas Großes vollbracht, find bie Wiberfacher geftürzt und zerſchmettert, ift ber Helle Stern der Freiheit ung aufgegangen: danu fehre zurüd und gib mir Kunde davon, ober menn ih todt bin, und das wird dann wohl ſchon der Fall fein, podje an mein Grab und rufe die Botſchaft hinab id werde fie vernehmen. Leb' wohl! Noch Eins! Meide die Liebe zum Weibe fie erſchlafft, entmuthigt, hindert und hemmt im Leben. Auf der rauhen Bahn, die Du gehen wirft, tannft Du keine Rofenlauben, worin Tauben girren und Kränze duften, erwarten. Hängt Dein Herz am Weibe, fo hängt es nit mehr an ber großen Sache, und ber Arm wird ſchlaff. Das merke Dir. Die Zeit bis zur Abenddämmerung Tannft Du in einem ber öffentlichen Gärten im Dorfe Smichon, knapp vor bem Thore, zubringen. Deine Kleidung ift nicht flattlich genug für die Stadt und die Beſuche. Zeswiekh wird ſchon für einen an- dern Anzug Sorge tragen. Bon ihm erhält Du aud Gelb, fo viel Du bedarf. Grüß’ mir Weide, auch ben Pater. Denke bier an das Kreuz; es iſt umfer Zenge geweſen, der Zeuge Alles beffen, was Du mir gelobt. Set geb’ mit Gott,“

Er drüdte nach bdiefen Worten dem Süngling heftig und bewegt bie Hand, wandte ſich verbüftert ab in ber Bitterfeit bes Scheidens und war, ehe fih Bratislan gefaßt, fon vom Hügel verſchwunden.

„Leb' wohl! leb' wohl!“ rief ihm tief bewegt der Jungling nad) und war nun allein in ber Fremde, zum erſten Male in feinem Leben. Betrübt feste er fi umter bem Kreuze nieder und

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lehnte feinen Rüden an den Stamm beffefben. So blidte .er mit verſchränkten Armen in die Gegend hinein und wiederholte ſich im Geifte alle die Punkte, welche fein Oheim ihm genannt. Er trat zum erſten Male in die Welt, in eine bewegte, aufgeregte Belt fremd, ohne Glanz und Mittel, nicht einmal mit der Anwartſchaft eines Namens, die Brut voll menſchenfeindlicher Plane; wie follte fie, bie Welt, ihn loden, fih als luſtiger Schwimmer in ihre Wellen zu flürzen und im ihnen auf und mieber zu gaufeln? Er mußte in bie Brandung hinein, dort Sintenbe reiten ober uutertauden. Immer ift das Herz be Hommen, wenn ber Menſch aus der Cinfamfeit feiner Jugend in das vielbewegte Leben Hineintritt; taufend fremde Erſcheinuugen, Kräfte und Wirkungen umgeben ihn, und er fühlt ſich erft ba recht einfam, wo er es nie fein follte, und fehnt ſich wieder hin- aus, bie ihn eine Welle erfaßt und den Willenloſen Bineinreißt zwiſchen bie Andern.

Vratislav entihlummerte endlich über feinem Nachdenken. Er war ohnedies müde; denn er hatte den weiten Weg mit fei- nem Oheim zu Fuße gemadt; fie waren mur des Nachts ger gangen und Hatten während des Tages in Gebüfchen geraftet. Der Oheim mochte Gründe Haben, nicht erfannt zu werben.

Ein teöftender Traumgott kam über den Jüngling. Bwei bolde Jungfrauen, die eine dunkel, bie aubre blond gelodt, er- ſchienen ihm. Sie neigten fi und fahen ihn mit Liebesbliden an, baf er die Gut in feinen Wangen, das Blut in feinem Herzen aufwallen fühlte. Die Blonde reichte ihm einen Kranz von jungen Veilchen bar, die Andre einen Roſenkranz, woran aber fange Dornen fichtbar waren. Schon, wollte er, da bie blauen Angen Sener fo füß flehten, nad; dem Beilhenkranze lan⸗ gen, ba Börte er plöglich hinter fi des Oheims rauhe Stimme: „Du bift noch da?“ und haſtig und ängſtlich rief er den Zaue berinen zu: „licht, entfernt Euh ich fol mid Hüten vor

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der Fiebe zum Weibel“ Und fie verſchwauden; doch warf jene holde bionde Erſcheinung noch einen wehmüthigen Liebesblid auf ifn zurud. Er fühlte fih plöglich hinverſeht in das Schlachten- gemüßl. Böhmen fochten gegen Deutſche. Er führte Schwert und Lanze wie ein Rafender. Ein Hieb firedte ihn zu Boden; Blut quoll ans feinem Haupte, und wie es vor feinen Augen dunfelte, fanb er fich wieder in den Hohen Hallen bes Wyächrad, zu ben Füßen der Furſtin Libude, melde im funkelnden Prunt- gewande, mit dem heifig-ernften, flarren Zügen auf bem Throne foß, einen grünen Kranz auf fein Haupt fegte und nad einem Sarge in ber Seitenhalle deutete, indem fie ſprach: „Mein Sohn, Du Haft gemig gelämpft, Du haft Dein Vaterland geliebt mit brünftigem Herzen. Habe Dank! Schlummre jet, lege Di dorthin zur Ruhe, nad; Deines Tageswerkes bintigen Mühen.“ Schon wollte er gehorchen und ſich Iebendig und fo mit Grauen in bie enge Gruft legen, ale er erwachte. Die Schallmei bes ‚Hirten, ber bie Heerde nach bem Dorfe Slichov trieb, erwedte ihn. Er raffte fi auf verlor fi noch einmal in bie Bilder der Traumwelt uud ſeufzte: „Ad wie ſchön waren bie holden Jungfrauen!“ bann verbüfterte ſich fein Antlig, als hätte fi) feine Seele auf irgend einer böfen Regung ertappt; er fprang dann vom Hügel herab umb fette feinen Weg gegen bie Stadt fort.

An den grünen Anhöhen wandelte er vorüber durch das Dorf Slichov, das kaum eimige hundert Schritte von dem barauf fols genden Smidon entfernt ift, welches letztere an die Oujezder Thore reicht.

Bor dem änferfien Thore ſchilderten zwei bärtige Langen» teäger in ſlaviſcher Tracht, dem pelzverbrämten Waffenrode; doch hatten fie eiſerne Helme anf den Häuptern. Dreifache Ring- manern umgaben biefen Theil der Stadt, fo daß man vom bem Gebäuden innerhalb nichts erbliden konnte; eine Riefenmauer

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308 fi den ganzen fleilen Rüden des Laurenzberges hinauf. Dur) das finftere, lauge Thor, das durch die ganze Breite der Ningmaner ging und fo nur durch feine beiben Oeffnungen von der Seite fpärliches Licht erhielt, gingen Kirchgänger, Bauern, Städter und Kriegsknechte ab und zu.

Bratislav lehnte fih an einen Weichbildftein und beſah ſich lange biefeg Wogen und Treiben. Der büftre Eingang im dic Stadt ſchien ihm nicht viel Freundliches von ihren innern Räumen zu verfprechen. Es war noch ziemlich früh am Tage, und da er erft im Abendbunkel in die Stabt gehen follte, jo folgte er den Tönen der Muſik und dem Iufigen Stimmengejubel, welches rechts aus einem ber öffentlichen Gärten ihm entgegeuſchallte. Unter den ſchattigen Bäumen im geräumigen Garten faßen an hölzernen Tiſchen Bürgersleute mit ihren Frauen (denn es war Sonntag), Handwerker, Kriegsknechte und Einwohner ans dem Dorfe. Zierliche Kellnermädchen Tiefen auf und ab und trugen Steinfrüge mit braunem, fhäumendem Bier, Gläfer, worin ber elle Cernoſeker und Pobslafer funkelten, den ungeduldigen, ru- fenden Gäften zu. Auf andern Tiſchen wurden große Honig- kuchen und die runden böhmischen Kolatſchen feilgeboten. Im ber Küche des Heinen Häuschens bampfte und ſchmorte es: köſtliche Würfte und fetter Schweinbraten mit gebadener Krufte und Kraut wurde herausgetragen. An ber Mauer links war ein Kegelihub, wo es recht lärmend zuging donnernd wurde die Kugel hinaus- geihoben, die Kegel fielen, und ber Burſche, ber fie auffetzte, gab mit Treifhender Stimme ihre Zahl an, indem er dazu immer einen Bers abfang, als zum Beifpiel: Ale neum, ein Pfennig iſt mein. An einem Tiſche würfelten Soldaten; baneben auf einem Rafenplag tanzten Burſche und Mädchen nad; dem Talte des vaterländifhen Dudelſaces und der fogenannten Leier, welche mit Drathfaiten bezogen ift umd vermittelft eines Mabes geftrichen wird. Nahe am Eingange fpielten Mädchen aus Deutſchböhmen

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die Harfe umd johften dazu deutſche Lieder. Hier und da rief es: Mota Bkta Bier her! Mir Brot! Noch ein Glas! Wil Du wohl fnelle Beine machen, Birne! IH warte ſchon eine Halbe Stunde wie ein Narr, u. dergl. m. Es mar ein fröhliches, friebliches Leben Hier, in ber allgemeinen uftigfeit waren alle religiöfen und politifchen Interefien der Par- teiungen in ben Hintergrund getreten.

Einige Schritte innerhalb des Einganges fand Vratislav und ſah fi die bunten Gruppen, bie heitern Menſchen nicht ohne Theilnahme an. Schien doch felbft der Himmel an ihrem war finnlichen, doch harmloſen Treiben Freude zu Haben; denn dur bie grünen Baumwipfel blicdte ein glängender, tiefblauer Mur Hindurd. Die Luft zog fanft durch die Zweige, wie Liebes geffüfter, in den Zäumen Bingen feurige Blüten, und bie Hol« Amderfträude ſtrömten ihren wilrzigen Duft aus, fo oft ber Lüfte Athemzug über fie dahinwehte.

„Run, junger Herr,“ vief plöglich die eine Kellnerin, eine ſchwarzãugige, frifhe Dirne, indem fie fih mit eingeftemmten Armen lädelnd vor unfern Ritter hinſtellte „befehlt Ihr denn gar nichts? Seid Ihr zu ſtolz, Hier etwas zu genießen, unb wollt nur den fteinernen Zuſchauer abgeben 7“

Verlegen fenfte Bratislan die Blide; denn er mußte ſich noch nicht zu Benehmen in folder öffentlichen Verſammlung und erwiderte nad) einer Weile: „Wohl wünſchte ich etwas, mein Kind doc konnte ih Dein gar nicht Habhaft werben gib mir zu effen und einen Krug Bier, mich birfet.“

Das Mädchen flog nad) dem Haufe, und ber Ritter ſetzte fich an einen Meinen, einzelm flehenden Tiſch, ängſtlich beforgt, er lonnte die Aufmerkſamkeit der Webrigen auf fid ziehen.

Im Fluge war das Mädchen wieder ba, bradjte Braten auf einem hölzernen Teller und das frifche Getränt. Während fie einſchenkte, betrachtete fie den Ritter forſchend und fagte danız

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mit dem Tone des Mitleide: „Ah Gott, wie feid Ahr blaß, junger Herr! Ihr müßt wohl erft kurzlich von einer böfen Krankheit aufgeftanden fein.“

„Das nicht,“ verfegte Vratislav ſchüchtern „ih bin im- mer fo bleich es ift die Farbe meiner Mutter; fie gebar mid, als fie zur Leiche wurde.“

Das Mätchen, welches, wie Dirnen biefer Art, zu einem muthwilligen Scherze aufgelegt zu fein ſchien, feflelte num ihr Wort anf ber Zunge und fpraug wieder fort, als fie ſich von einem andern Gafte rufen hörte.

Dem unerfohrenen, menſchenſcheuen Jüngling war leiter zu Muthe, da fie fort war. Er und trank, und feine Ber Hommenheit wid zum Theil nad) einiger Zeit. Er blidte weniger fen um fih und gab fi harmlos den Einwirkungen ber luſti- gen Mufit und des fröhlichen Gefanges Hin.

Träumerifh fah er durch bie grünen Zweige nah bem blauen Grunde bes Himmels empor und wehmüthig feufzte er: „Wie fie Alle jo fröhlich find, des Dafeins, der Gegenwart und Zukunft fi freuen! Ich allein habe feine Liebe im Herzen, nur den finfteen Haß, an deſſen Bruſt ich gefogen. Sie ftehen fried- lid) bei einander ich hege Mordgebanfen in ber Bruf. Ob denn wohl eines jeden Menſchen Jugendzeit jo büfter ift wie die meine 2%

Eine Geftalt, die fi näherte, flörte ihm in feinem büftern Hinbrüten. Es war ein ſchlichter Bürgergmann im Gonutags- ſtaate, äftlich und beſcheiden, von gutmüthigem Ausbrude in ben Mienen.

Wenn Ihr erlaubt, Herr!“ fagte er, und flellte Krug und Glas auf den Tiſch, indem er fi zugleich dem Ritter gegenüber auf die Bank fegte. Er fhenkte fi ein, trank erft aus dem Glaſe und gab dann dem Ritter das Geſchenk, das heißt, er reichte ihm fein Glas Hin und foderte ihn auf, daraus zu trinken ;

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denn fo ift es Sitte in Böhmen unter Bekannten, oder wenn man Belanntihaft machen will.

Der Ritter dankte und that Beſcheid. Der Bürger räu- fperte fi) und fragte dann befcheiden: „Mit Erlaubniß Ihr feid wohl von der Neuftadt her Herr? Erinnere mic nicht, Euch vordem Hier im Garten gefehen zu haben?“

mRein,“ verfegte Vratislav „id bin aus der fremde und fehe Heut zum erften Male die ſchönen Thürme Prags. Nicht lange erft bin id; angefommen und wollte hier zuerft vaften. Im Prachiner Kreife bin ich zu Haufe.“

„AG id) hegreife,” entgegnete der Bürger „ſah es glei) an ber Reiſekleidung habt ben Knecht mit ben Roſſen wohl voraus in bie Stadt gefhidt und wollt Hier ruhen. Ci, das Wetter ift ja gar fo ſchön, daß es in der That Schade wäre, die Zeit in der Stadt zu tödten. Das Volk ift aber auch luſtig; 's ift fo des Böhmen Art; bei Bier und Dubdelfad ver- gißt er leicht gehabte Leiden, und wüßte er auch heute, daß morgen die Noth von Neuem angehen fol. Wer fieht’s dem Volke nnd dem Lande an, daß fo lange hier der Krieg gewüthet bat und nur feit kurzer Zeit erft unter unferm neuen König Georg, ein mohlthätiger Frieden eingetreten if? Doch da Ihr aus der Fremde her feid, wollte fagen aus dem Pradiner Kreife, alfo von der Grenze, jo erlaubt die Frage: „Was gibt 8 Neues draußen im Reich, in Baiern ?"

„Allzu einfam und abgeſchieden,“ antwortete der Züngling, „lebte ich auf unferem Maldfcloffe, als daß uns bort hätte Kunde werden follen von Thaten uud Greigniffen. Ihr in ber Hauptſtadt wißt ſicher mehr Beſcheid von Allem, was fi bier wie dort zuträgt.”

„Bitte, lieber Herr Ritter,“ entgegnete der Bürger „man hört Hier freilich fo viel- und mancherlei, das Gigentliche aber behalten bie großen Herren doch für fi. Nur erft wenn der

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gemeine Mann zahlen oder zufchlagen fol, erfährt er den Grund und aud oft, wenn er gefälagen wird gar nidt. Ihr

. geht ohne Zweifel an ben Hof dort Euer Glück zu maden; da feid Ihr ſchon der Duelle näher. Es kann auch nicht fehlen. Aus dem ganzen Lande firömt nun der Adel gen Prag, zu des Könige Hofhalt befonders was rechtgläubig mollte fagen Huffttifeh ift; denn der Adel muß ſich böchlich freuen, daß nun« mehr ein Einheimifcher, Einer aus feiner Mitte zum Throne be- rufen worden. Haben uns dod lange genug die Papiften, bie Fremdlinge, die Luremburger und Habsburger ausgefogen und geihunden. Nun Haben wir doch unfern Georg, ber unfere Sprache verſteht und fpricht, ein böhmiſch Herz Hat und unfre Satungen, Gebräude und Vorrechte Tennt. Er wird fie wohl and aufrecht Halten. Und von bem Glauben, dei die Mehrzahl iſt iſt er aud. So werden wir denn mit Gottes Hilfe Ruhe behalten im Land und aud vom Ausland her; denn Georgius de Podkbrad if aud ein tüchtiger Kriegsheld, der das Schwert zu führen weiß, und er hats ihnen ſchon gezeigt. Die Deutſchen Haben bie bohmiſche Faufl in den Quffitenkriegen tennen gelernt und fommen wohl fo bald nicht wieder.“

„Wie ich aber vernommen,“ warf ſchüchtern der Jüngling ein „ift der König nicht fireng rechtgläubig, nicht vom ganzen ‚Herzen Kelchbruder. Er Hat fi von den Eompactaten Mancherlei abzwaden laſſen, meint's zu gut und ift zu fanft mit ben Papi- fen, Hat aud dem Papft Gehorfam zugeſchworen: Alles, um bie Krone zu erringen.“

„Was ich auch eben fagen wollte,“ fiel der Bürger zutrau- licher ein, „felbft der hochwürdige Pater Rofycana, der doch durch großen Einfluß unfern König auf den Thron gebradht, äußerte, bevor er noch caligtinifcher Erzbiſchof war: „Soll unfre gereinigte Lehre beftehen, fo muß e8 für fie feinen Papft, keine Oberhoheit der Eurie geben.“ Unfer Einer verfteht das nicht fo recht und

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fo ganz. Sicher it daß es jet auch viele Unzufriedene fo zu fagen, zwei ganze Parteien gibt: die Papiften wollen, er foll ganz papiftifd fein, die neue Lehre ausrotten, und fo fehlei- gen fie, die Herren Mönde und Geiflien, im Finſtern, liegen den Deutfhen und Geiftlichen in ben Ohren, wirfen für fie und möchten fie recht germ bald wieder in’s Land herein rufen. Und die Andern, die Nechtgläubigen, die Männer von Xabor und ‚Horeb, werfen ihm vor, er halte es mit den Römlingen, zittere vor dem Papft und vor dem Cardinal -Legaten, dem ſchlauen, fanatiihen Fantinus de Ball, und meine e8 wieder mit ihnen nit ehrlih. Die Gemäßtigten, das find die reihen Prager und Stäbter, und die Herren vom Abel fiehen in der Mitte: fie wollen Ruhe, um viel erwerben und das Grworbene in Ge- mãchlichkeit verzehren zu können. Für jegt haben fie bie Oberhand wenn gleich leicht abzufehen ift, daß, fobald eine ober hie andre Partei ſich aufrafft, fie bald Hier, bald dorthin ſich neigen werben auf welder Seite nämlid der Vortheil zu finden if. Des Krieges find wir fatt aber die Compactaten, meine id, dürfte der König nicht ungefchent aufheben, wie e8 die Herren in Rom fo gern möchten.“

„Und wie viel gewähren uns jene Compactaten ?“ fragte der Ritter.

nSreilich wenig gegen ſonſt,“ war des Bürgers Antwort, „das Abendmahl unter beiberlei Geftalten, bie Beftrafung ber Lafter der Geiftlichen durch weltliche Obrigkeit, das freie Pre digen der freubigen Botſchaft und die Entziehung der Reich- thumer ber Priefterfchaft. Nun, Gott ſei's geflagt oder gedankt, die calixtiniſche Kirche iſt nicht reih aber bie papiftifche if’s no. Aber das heilige Baſeler Concilium Hat zu diefen vier Artifein eine Menge Zufäge gemacht, waran man fie wenden und drehen Tann, wie ein Roß am Zaume. Ich verſtehe, wie gefagt, zu wenig von ſolchen hochgelahrten Dingen, und nur,

was Pater Andreas, dritter Prediger an ber Teinkirche, mein alter thenrer Freund, im Geſpräche fallen läßt, pide ich gierig auf,-wie eine lüfterne Henne. Wohl mögt Ihr, ein ritterlicher Herr, mehr erfahren fein in folgen kirchlichen und Gtaatsange legenheiten.“

„Das nicht,“ verſetzte Vratislav, „in meiner Eindde lernte id den Glauben nur kennen, wie ihn Sanct Huß und Sanct Hieronymus gelehit und für welchen unfre Väter geblutet in zahl- . Iofen Schlachten. Was fie jett dazu oder davon gethan, kenne id) nicht, glaube aber, man follte feft am dem Halten, was umfere neuen Propheten uns geoffenbart. Der friede, der Bund mit den Bapiften fann uns nie zum Seile gereichen. Und fo fomme id) denn jegt erft Hierher im bie große und gelehrte Welt, um zu hören und zu lernen.“

Er unterbrach ſich jegt plöglich; denn feine Aufmerffamteit wurde nad dem Cingange des Gartens Hingezogen. Hier hielten zu Roffe ein Ritter und eine Dame. Jener, ein ftattlidher, ſeſtlich und reich geffeideter Mann von beinahe fünfzig Jahren, mit Ho- heit und Würde angethan, Hatte an dem Gezäume feines Pferdes etwas zerriffen, und fein Diener holte aus dem Haufe Bier einiges Werkzeug, um das Getrennte wieder zu befeftigen. Aber neben ihm welde leuchtende Erfheinung | Auf dem bfendend weißen Zelter ſaß ein Mädchen ſchlank und leicht, im hellgrünen Ge- wande, mit reichen Spangen geziert, das Haupt voll dunkler Loden don Federn ummallt, in den Augen Pfeile der Liebe, auf den Wangen brennendes Abendroth und ben Holbfeligften, fiegge- wohnten Liebreiz in ben Mienen.

Starr Hafteten Vratislav's Blide auf der Holbfeligen, er verfhlang fie, jebe ihrer Bewegungen, ihrer Mienen, mit dem Augen, es burdwallte ihm glühend heiß feine Wangen fühlte er erröthen; fie erſchien ihm wie eine der Genoffinen Libusa's,

Li}

jener fpröben Helbenmäbchen, von benen bie Sage als Amazonen emählt, die männlich ımb feſt geflsmt, deflo herrlicher blühten im der Macht ihrer Reize. „WIR Du Wilaſta, bie Hohe Führer?" ſprach der Jungling leife vor fih Bin; „o nein! Jene fol graufam gerveien, und Du Dein Blid ift ſtolz zwar und ger bieteriſch, aber er Tann auch mild und liebend leuchten.“

Jetzt während der Diener an bem Riemenzeuge flidte, neigte fie fi) zu dem Witter hinuber und fagte lachend einige Borte zu ihm; vielleicht war e8 ein Scherzwort ober gar Hohn über die Art und Weiſe, wie bier das niedere Wolf bem Ber-

gmügen fröhnte, und die freilich bimmelmeit verſchieden war won den glänzenden und deihmadvollen Banketten in ben Prunlgt mädjern, wo fie zu Ua fein mochte.

So dien es Jungling, und es fehmerzte ihn; er jitterte bei dem Gedanken fie Mönnte jegt ihre Aufmerkſamkeit auf ihn richten vielleicht feiner ſchlichten Tracht und feines Hafen Antliges auch fpotten.

Da bäumte ſich plötzlich ihr Roß es ſcheute vor einem Hunde, der quer über den Weg lief, und nicht achtend des Zü- gels und der Trenſe, welde die zarte Hand wohl nicht feſt genug hielt, vannte' es mit ber leichten Taft wie im Fluge um bie Seite des Gartens Hin, den Weg hinab, der an die Moldau führte,

Ein Schrei: des Entfegens wurde rings gehört. Alles fürzte nad) dem Eingange vor, von wo das Roß durchgegaugen war; Bratislad aber befonnener als Ale flog durch dem Garten fo hatte er den Borfprung, weil das flüchtige Thier erft einen weiten Bogen außerhalb der Heden zu beſchreiben Hatte fprang im jähen Anlauf wie ein gehetzter Hitſch über bie Umzäunung, rannte dem zwanglofen, ſchnaubenden Roß entgegen, fiel ihm in die Zügel, und da es ſich bäumte und ihm

Herloßſohn: Der lette Taborit. I,

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treten wollte, fo verjegte er mit feiner linken Hand ihm eine Schlag vor bie Stirme, daß es betäubt und zitternd flille fand. Bis zu diefem Momente batten Fafſung und Kräfte der Tönen Reiterin zugereiht fie glätt vom Sattel hernieder, ihrem Retter in bie Arme ihr Auge umnebelte ſich ihr Antlig war von Xobtenbläffe umzogen. Bratislav Hatte bie Himmlifhe Geftalt auf feinem Schoße, das Haupt in feinem Arme, das engelgleihe Antlig vor fi, und er ſeufzte Ieife: „Run iſt fie fo bleih wie ih nun fann. fie meiner nicht fpotten.“ Ehen jegt kam der Nitter und fein Diener Herbeigefprengt, und auch die Menge frömte her, um zu fehen, was aus ber willenlofen Reiterin geworben. Da man fie gerettet fah, ertönte ein Jubelſchrei dies erwedte die Ohnmächtige; fie richtete ſich anf, ſah ihren Retter mit einem Blide vol Verwunderung und Dankbarkeit an, bann fagte fie: „Spottet meiner nicht, Herr Nitter, es war nicht kindiſcher Schreden, nicht Verzärtelung nur Zerftreuung fieß mich die Vorſicht vergefien als das Roß gegen den Strom rannte, ſchloß ich die Augen; doch Hab’ ich nicht gebebt, nicht wahr? ic) flieg herab, Ihr botet mir ben Arm. Lidmils von Rofenberg bleibt Euch demohnge- achtet ‚verpflichtet. Dort naht mein Oheim, ber hohe Here von Neuhaus er foll Euch ſelbſt, was Ihr der Nichte” Vratislav hörte fie nicht ausreden; er füßte Heftig ihre Hand, warf ihr dem Zügel zu und Tief, wie von Furien ger peitiäht, den Weg Hinab gegen den Garten zu. Hier wieder ſetzte er im vafenden Sprunge über bie Heden und brüdte ſich ſchüchtern im Schatten ber Bäume hin. Nach einer Halben Stunde etwa, denn es fing fon an zu dunleln, hatte ſich ber größere Theil der Leute bereits verlaufen, und jet erſt wagte er es, zu feinem Tiſche wieder zurüdzufehren. Hier faß noch der Bürger. Er war im feiner ruhigen Gemächlichteit, troß des Auflaufes, nicht

vom Sitze gewichen, und ieh fi jegt von ber ſchmuden Schenkm das Borgefallene erzählen. B

mdier if der Herr,“ rief fie jet ans, ale fi Wratislan dem Tiſche, näherte, „es war ein Augenblid wie er das wüthende Roß erfaßte umd zum Stehen brachte. Ich mar dort auf den Th geſtiegen und ſah über die Heden. Und wie Ihr das Fräulein im Arme Bieltet, adj, das fah fi ſchͤn an! Mär id ein Ritter, ich wollte auch recht gern folde ſchöne Jungfrauen ans brohenber Lebensgefahr retten. Sah ich's (uch doc gleich an, daß Ihr kein Handwerker ober Student vom Carolinum feid. IH merkte gleih, daß Ihr mit Waffen und offen Beſcheid wißt. Und darum, gnädiger Herr, wenn ich End früher nad Eurem blaffen Ausjehen fragte, deutet es nicht zum Schlimmen; ih Habe nichts Arges dabei gemeint.”

„Ia das Fräulein von Rofenberg,“ fiel der Bürger ein, „it eine ſchöne, hochgeborne Dame und ſehr rei. Da ihr Bater verftorben, zog fie zu feiner Schweſter, ber Gattin des Herru von Neuhaus. Man fprit, fie ſei fehr ſtolz und eigenwillig, und fpotte der Siebe und der Männer. Bis jetzt gelang es noch feinem ihr Herz zu getwältigen. Es haben fich ſchon viele edle Herren um ihretwillen, fo zu fagen, die Hälſe gebrochen. Und der Herr von Neuhaus ift ein gewichtiger Mann und tapferer Kriegegelb, feht auch gut angefrieben beim Mönig und Hat bei der Wahl für ihn gewirkt. Er ift ein tapferer Kriegsheld und hats ben Taboriten bei HEb bewieſen. Man fagt, der gnäbige Herr Habe viel Herzeleid erlitten von den Seinigen wie? weiß man nit. Cs ift noch feiner bafintergelommen.

Der Yüngling ſaß während biefer und ähnlicher Rebe ſchweigend und zerſtreut da. Gr Hatte fein Haupt zurädgefehnt und flarrte träumerifch durch das bichte Gezweig nad; dem Abend- Himmel empor, aus beffen blauen Kelchen bie Sterne wie gol- dene Blumenfäden emporguöllen: „Hüte Dich vor der Liebe zum

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Weiße,“ fagte er ſtill fie ſich „und dennoch iR fie fo fchön und flog! Web’ mir! Das war alfo der Verhaßte! Warum mußte mir dieſes begeguen? Umfelige Stadt! noch vor meinem Eintritt in deine Thore Wird mir ſchon eine tiefe Wunde ge- ſchlagen. Wie fol das enden? Wußte ich, daß fie die Ber- wandte des Mörbers meines Vaters ic; Hätte fie nicht gerettet. Und wenn das Roß mit ihr in bie Fluthen der Moldan geftürzt wäre wenn ich ihren Hilferuf vernommen: ich Hätte mid, doch and in die Fluthen geflürgt. Sie iR doch nur ein Meib und Bat an mir, an uns nichts verbrochen. Aber ihm Race ihr den blutigſten Haß: er hat meinen Bater zum Galgen gefchleppt, Hat unfern Stamm, unfer Wappen geſchändet, une unfern ehrlichen Namen geftohlen. Armes Kind! Er. raubte mir den Vater, ich will Dir den Oheim rauben; das iſt bie Ber- geltung. Wir find Beide ſchuldlos daran.”

„Der Herr Mitter ift wohl müde?“ fragte die Schenkin mit dem Bürger zugleich, als fle den Süngling fo theilnahmlos und ohne Antwort hinſtarren fahen.

„Ihr Habt Recht,“ fagte er, fi aus feinen Traumereien aufraffend „id will gehen. Und könnt Ihr mir nicht früher Beſcheid geben, wo ic) das Haus des Edlen von Zeöwic finde?"

„So ich nicht irre,“ verfeßte der Bürger, „an der Bruska, lints von ber großen Schloßftiege, dort mag es liegen.“

„Habt Dank,” rief Vratislav, ſich erhebend, „und auch für Eure Huge Rebe, aus ber ih Mancherlei gelernt. Schlaft wohl! Will's Gott, treffen wir uns ſchon wieder.“

Er verließ nad) diefen Worten den Garten und ſchritt im Zwielicht nach der Stadt.

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Er wandelte durch die engen duſtern Grafen des Augezd hin, an zahlreichen Schenfhäufern vorüber, worin es noch luſtig und lebendig zuging; denn am Sonutag durften dergleichen Orte, wo fid) das gemeine Volk erlufigte, wo Gefang und Tanz mit einer blutigen Schlägerei wegen Meinungsverſchiedenheit, ober gefährliche Händel um eine free Dirne abwedjlelten und raſch auf einander folgten, bis zehn Uhr offen bleiben. Dann pochten die Scharwächter mit ihren Spießen auf die Thorſchwelle, und Alles mußte ruhig nach Haufe, die Thüre mußte gefchloffen, jedes Licht ausgelöfht werben.

Die Scharwäcter zogen jet ſchon mit Mirrenden Schritten nad) den Thoren, Plägen und Strafen, welche knapp an ber Moldau liegen, Hin. Beſonders am Ieftgenannten Orten führten fie ſtrenge Aufficht, weil nicht felten Hier ein Opfer der Private rache Hergefchleppt oder überfallen, gefächt ober erdolcht und im den Strom geworfen wurde. Der Böhme bat in der Luft wie im Zorne leicht bewegliches, fenriges Blut und einen flarren Sinn. Jene aufgeregte Zeit voll religidſen und politifhen Fa - natismus war ganz geeignet, in Einzelnen jene Anlagen zur größten Heftigfeit der Leidenfchaft auszubilden. Daher die Maffe von Gräuelthaten, welche in den Kriegen kurz vorher von Huſſiten an Katholifen und umgelehrt ausgeübt wurden.

Unfer Ritter beeilte fih, nach ber Bruska zu gelangen. Nach einigem Nachfragen fand er das Haus derer vom Zeöwic; aber weber der Ritter noch feine Familie waren, wie der Pfört- mer ausfagte, diefen Tag in der Stadt erſt folgenden Tag follten fie von Beraun zurüdfehren. Vratislav war nun gend- thigt, ben ihm empfohlenen Pater Cyrillus, welcher auf dem Hraböin, im früheren Kapuzinerflofter, wohnte, aufzuſuchen. Des

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Weges unkumbig und zu fragen nicht aufgelegt, ſchritt er in bie Gegend des Strahofs zu, bie fleile Spornergafſe binan über den Schloßberg und fland endlich, von einem Kriegsmanne be» ſchieden, vor der Lorettofiche, auf dem weiten Plage, wo damals der tiefe, unausfüllbare Abgrund mar, in welchen ber Sage na die heidniſche Fürſtin Drahomira fammt Roffen und Wagen ver- fant, als fie das Allerheiligſte, welches ein Priefter in feierlicher Proceſſion vorbeitrug, Täfterte.

Das anfehnlihe Klofter mit dem Heinen ſchmuckloſen Kirch- lein nimmt hier die Eine Seite des Plage ein, reits daran Hiegt bie genannte Lorettokirche, links ber Palaft der Ternine. Bratislav zog die Glode an ber Pforte. Ein Frater im dunklen Gewand öffnete und führte ihm, auf die Frage mad. dem Pater Cyrillus, durch den Kreuzgang ſchweigend in das Refectorium.

Hier ſaßen fünf Priefter, die dem Ritter. eher wie Kapuzi - nermönde, als Huffitifche Priefter vorfamen, an einem Tiſche nnd ofen. Der roter wendete fid) an den größten mud ſtärkſten berfelben, welcher ber Guardian ſchien, und brachte des Ritters Anliegen vor. Bratislav wieberholte feine Anfrage und zeigte zugleich fein Schreiben vor.

„Pater Cyrillus,“ antwortete der Mönd; in gleichgiltigem Tone, „if heut’ früh mac dem Hajek gegangen; von dort muß er noch dor Mitternacht zurüdtehren. Ihr könnt ihn Bier er- warten. Set Euch dort hin, junger Mann, und vaftet, wenn Ihe müde feid. Seid Ihr hungrig und burflig, fo wird Frater Iacobns Euch mittheilen von unfrer fhmalen Kofl. Es ift ung im &turme ber böfen Zeiten wenig geblieben. Die Sünder am Alerheitigften ſchwelgen, die Priefter des Herrn aber müffen bar- ben. Es war beffer in jenen Zeiten, da jeder Wandersmann im Kloſter gaftliche Aufnahme finden konnte. Der fromme Glaube verforgte Kliche und Keller; wir gaben unfere Gebete

und ımfern Segen, waren vor irdiſcher Roth geborgen und konn⸗ ten uns mit freierer Seele dem Dienfte des Herrn weihen.“

Er beachtete den Ritter nad; diefer beinahe barſch klingenden Anrede nicht, umd fette fein Gefpräd mit den übrigen Mönden wieder fort.

Bratislav fette ſich ſchweigend im bie ferne, dunkle Ede und genoß, was ihm der Frater vorgeſetzt hatte. Er verfiel in tiefeg Sinnen; die Bilder des Tages, die erſten Iebhaften Ein- drüde im ber großen, fremden Stadt gingen am ihm vorüber. Es war ihm düſter und befangen zu Muthe; denn noch immer fehlte ihm ein Menfch, der ihm Theilnahme bewieſen hätte. - 0 achtete er des Geſpräches der Geiſtlichen lange nicht, bie ein Ionter Ausruf des Diden feine Aufmerffamfeit rege machte und dorthin Ienfte. .

„Und id; ſage, er iſt doch ein Ketzer!“ rief ber Pater, „und werde es predigen morgen von ber Kanzel herab. Für einen Katholiken gibt's feine Eompactaten wer mit an Rom hängt, iR abtrünnig, und wer in ber alleinfeligmachenden Gemeinde bleiben will, barf feine Privilegien für bem Kelch haben wollen. Er hat die Lüge auf der Zunge und den Unglauben im Bergen. Und was geihah fürzlih? Der hochwürdige Legat Fantinus de Balle fagte vol Heiligen Glaubenseifers, wie es geziemt bem Bevollmächtigten bes Heiligen Baters, zu dem gleißneriſchen Rd- nige: Du haft den Krönungseid gegen die Ketzer nur im Munde, nit im Herzen; Du ſprichſt anders, denkſt anders und Hanbelft anders. Des heiligen Vaters Langmuth wird ein Ende nehmen, und er wird Dich züchtigen mit feinem Bannſtrahl, bamit die guten Schafe allfier nicht don ben räudigen angefledt werden. Alſo ſprach er. Was that der Podkbrad Hieranf? Statt in Demuth des frommen Priefters Ermahnung entgegenzunehmen, flatt Befferung und ben Gehorfam gegen ben Bater der Chriften- Heit zu geloben, um ihn wieder zu verfühnen, Tief er ten ger

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ſalbten Prieſter, des Papſtes Abgeſaudten, feſtuehmen uud bei Waſſer und Brot hinſihen. Anathema sit! So wurde mir's verkündet.“

Welche Gräuelthat! welche Berfündigung!“ fiel der dem Sprecher gegemüberfigende Mönd, eine Heine feifte Geſtalt mit eirunden, glänzenden Wangen und flehenden Augen, ein, „hat man fo etwas erwartet von dem aufgedrungenen Könige, ber die Krone erflichen, der dem Papſte Gehorfam geſchworen und darauf von einem katholiſchen Biſchof gefrönt worben it? Der, Heilige Water wird, wie es ſich geziemt, ſchleudern den Banuſtrahl gegen den ketzeriſchen König, ein Kreuzheer wird in das Land bre hen, ein neuer Krieg entflammen, und Kirchen und Klöfter werden im Brande aufgehen. Man wirb fein Boll ſchlachten, und bie tegerifchen Priefter wie bie redhtgläubigen werden unter Martern enden. Dieß die Folge feiner Zweizüngigkeit. Wehel Wehe! Bir fehen neuen Schredenstagen entgegen, ba kaum bie alten erſt geendet.“ Er hielt fi mad dieſem Wehruf die Hände vor das Geficht,

„Wehe! rufe auch ich,“ nahm der Dritte mit ſchnarrender Stimme das Wort; „aber es muß die Spreu vom Korne, das Unkraut vom Weizen gefonbert werben umd verbrannt: Scheiter - haufen miffen flammen; die Kegerbrut vertilgen. Mit ihnen Sieden fliften, Heißt ſich befubeln; fie dulden, Heißt Theil nehmen an ihrer Sünde. Es foll und fann nur Einen Glauben geben, und das ift ber alleinfeligmachende, wie ihm die Stellvertreter Chriſti nach der Heiligen Schrift auslegen. Haben ſich die Gottes - läſterer doch erfrecht zu fagen: ber Papft fei nicht ber wahre Stellvertreter Chriſti, fondern der wahre Nachfolger des Judas Iſharioth; ſteht doch mod) in ben Compactaten, daß bie @eift- lichkeit keine irdiſchen Güter befigen und mit Leib und Leben weltlicher Gerichtsbarkeit unterworfen fein fol. Was? die Ketzer follen uns richten? Es gibt mur einen Gott über uns und

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feinem Stellvertreter im geiſtlichen, wie weltlichen Dingen. Er iR der Herr über Glauben, Lehen und Tod er iſt ber Herrſcher aller Könige, der Bertheiler aller Kronen. Auf weflen Haupt fie figt, dem hat er fie mur verliehen für die Zeit, wo diefer ſich ifrer willig mat. Eheu Georgie! hab’ At, daß bie Krone nicht Herunterpurzle von. deinem ketzeriſchen Haupte.“

„Ja,“ nahm der Aeltefte ‘wieder das Mort, „wir haben einen böhmifchen König, einen gewählten König, Einen, der ung Ale zufrieden zu ftellen verſprach, einen Ritter, dem fein Degen und des goitverfluchten Rokyeana Räuke auf den Thron gebracht. D, er hat uns auch Gutes gethan! Als man uns fromme Männer hier ans der Heiligen Stätte vertrieben und durch ketzeri - fen Gottesdienft den Stein auf dem Altare entweiht Hatte; mußten wir uns flüdten und uns heimlich bergen. Ja viele fanden den Märthrertod. Jet lam der König, ber veripradh, Ale zu hören, Alle zu verföhnen, Allen zu Helfen und recht zu than. Er gab uns auch die öden Mauern wieder. Das war leicht. Befigt doch ber Bettelorden feine liegenden Gründe; aber ‘wie ging's der andern Gierifei? Cie biieb betrogen umb be« ſtohlen. Heiliger Franciscus be Paula, ift das eine Zucht! In, wir Ieben vom Betteln, von der frommen Milde der Gläubigen, und haben dies elende Los ber Gntfagung, ber SPönitenz, der Demuth, des Gehorſams und ber Keufchheit gemählt, bem Höchften we Ehre, dem ewigen Heil zu Luft. Wo aber das Ketzerthum fo begünfigt, unſre Heilige Würde in den Staub ‚getreten, wir geläftert, verdächtigt, ja fogar am Leben bedroht werben: ba er- taltet die Verehrung und Milde der Gläubigen gegen uns; fie lafien uns darben, lafjen den Briefter bes Herren, den frommen Mönd, ber fein Leben aufgeopfert zur Abbüßung für ihre Sünden, dem bitterften Mangel leiden. O Zion! Deine ſchrecklichſte Stunde ift gefommen: es find die Tage ber Verzweiflung und des Wehr Magens. Zu Die empor fehreit unfre Stimme aus ber Tiefe

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erbarme erbarme, Dich, Herr, und fende Deine Engel aus mit feurigen Ruthen, zw züchtigen die Söhne des Teufels und bes Antichrife I

Er brach in Thränen aus und ſchluchzte lant, ſeines toten fanatiſchen Eifers voll.

Bratislav Horte hoc auf. „Wohin bin ich gerathen? wel’ ein Mißverſtändniß?“ fagte er zu fich ſelbſt, erhob fi ſachte und ſchlich Teife näher zu der Gruppe, bie mitten unter ihrem Wehllagen wader und emfig den zinnernen Krügen, worin ſchweres, ſtarkes Bier, zuſprach, ſo daß die Mönde, wie auch ihre wüthende Rede bewies, bereit trunfen waren. In der matt erleuchteten, büftern Halle Teuchteten, ihre Geſichter feuerroth, und ein heller Dunſtkreis ſchien fie zu umgeben.

„SoP mich ber Teufel!“ fluchte jet der Kleine, der An- felmus hieß, und flug mit” der geballten Fauſt auf den Tiſch, mich gebe von mun an feinem Beichtkinde Wbfolution, das mir nicht ſchwort, das Huffitentgum aus innerfler Seele zu haſſen und mit allen Kräften zu verfolgen. Sie müflen mir ſchwören, dem Kegerlönige nad; Leib und Leben zu trhchten. Ihe täglich Gebet fei Ausrottung ber Ketzer; ber Sohn ſchone des Vaters nicht, der Bruber nicht bes Brubers, wo es gilt, einen Feind des Chriſtenthums, einen Apofaten zu vertilgen. Es wird eine Zeit, es muß eine Zeit.fommen, wo man bie Kelche von ben Kirchen und Fahnen, die Lämmer von den Altären reißen, wo man bie Ketzerbrut mit Hunden zur öfterlichen Beichte, und zur Meff’ und Veſper in die Kirche hetzen wird. Gras wird wachſen, wo ihre Tempel eben ; aber rings im Sande wird man Male fehen, wo die Scheiter- haufen brannten. Was fagt die Schrift? Meine Kirche ift von ewig fie if ein Fels! Und fie wird danern und das Ketzer- tum mit Blig und Donner niederſchmettern. Heiliger Servatins,

. verfeie mir der Rede Macht mit Gturmes Gewalt, bamit ich

von ber Kanzel wie mit Poſaunengeſchmetter fprechen Inne über den Verfall des reinen Glaubens und wüthen gegen die Ketzerei, gegen dem gleißmerifch-henchlerifcen König, der ein zweiter Indas it umd gegen Alle, die an ihm hangen umb gegen dem fredjen Gögenpriefter, "gegen diefen Achab, den Rokycana, der fih ba er- fühnt, feine befudelten Hände nach dem erhabenen Pallium, nach der firahlenden, geweihten Inful auszuftreden!

„Bene! Bene!“ rief der Guardian, „Gott wohlgefälig iR folder Eifer, frommer Bruder Anfelme, und jenfeits wird End gelohnet werben in ber Gnade der Herrlichkeit. Nieder mit ber Regerbrut! Es war ein dem Herrn gebührend Werk, ein Dantopfer, ein Sühnopfer, wie jenes’ bes Melchiſedech, als bie heiligen Väter zu Koſtniz ben Huß und Hieronymus in die Scheiterhaufen ftürzten. Aber noch zu milde waren bie frommen Bäter; fie mußten Humbderte der tegerifhen Böhmen ben Flammen opfern, dann war ber Giftbaum im Keime erſtickt. Jetzt gilt es Ihwer, die ‚Wurzel. auszuvoden. Aber mit Gottes und ber fünf Bunden Ehrifti Hilfe, nur Feuer darüber, bie Flamme muß bis tief im den Boden dringen und alles Gezweig und Geäſt zu Ace brennen. Weld’ ein Scandalum, welde Läfterung! Sie erfrechten ſich, die Erzketzer Huß und Hieronymus als Heilige in den Kalender zu feen, neben bie frommen Männer, welde ber heilige. Bater, Chrifti Stellvertreter, canonifiret hat. Ich fehe den Himmel offen und oben die Heiligen alle verſammelt, beftürzt und betrübt über die Gränel im Böhmerlande. Sie fehen her» unter mit tranriger, hilfeflehender Miene auf uns, die Priefter Gottes ind rufen: Helfet uns Baltet aufrecht unfre Altäre mb unfre Heiligenfcheine prebigt das Krenz, reißt den Rü- fiereen die Zungen aus ben Rachen Helft ung miserere meilt

Er fiel, wieder ſchluchzend, mit dem Kopfe auf den Tiſch.

Länger aber hielt fi unfer Ritter nicht. Er mar ganz

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nahe herbeigeſchlichen, erfaßte auf einmal mit werviger Kauft ben Tiſch, woran bie Mönde lehnten, und flürzte ihn um, fo daß zugleich alle vier fi anf dem Boden wälgten.

„Wohin bim ich geraten?" rief er und zog fein Schwert. „In ein Haus des Fluches, des Verderbens ! IH glaubte, gut calirtiniſche Priefter ‘zu finden und traf papiftifche Pfaffen. bint- gierige Mönde, Gottesläfterer, reißende Wölfe in ber bemüthigen Prieſtertracht. Und das alfo ift die Verföhnung, die Ihr be» ſchworen, die Ruhe, die Ihr zu Halten angelobt? Fluch über Euch, Ihr Mörder, Ihr Glaubensvergifter, Ihr kahlgeſchornen Säuren? Wie Euer Haupt des Haarihmudes baar, jo Eure Seele jeder Regung ber Menſchlichteit. Wer hindert mid, Euch Königs- und Prieftermörder, End; Blutprebiger hier zu vernichten, wie giftige Schlangen? Cure Köpfe follte ich zertreten, damit die Nattern nicht mehr ſtechen können. Aber die Züdtigung wird kommen die Strafe nicht ausbleiben; denn Eure Zeit iſt vorüber. Das Licht aus Huffens Scheiterhaufen fliegt durch die Welt, und es wird mit heller Flamme Cure Raubnefter, Eure Häufer des Muſſigganges uud der Schwelgerei ergreifen und anfteden,; und madt und bloß werdet Ihr hinausfliehen möüffen in die Wälder zu den wilden Thieren, wohin Ihr gehört. So wird es kommen, weil ein gerechter Gott im Himmel wohnt. Hier noch ein Angebenten! Zwar ehr’ id; nicht das Gaſtrecht zum Beften, aber jeder Biffen, den ih aß, quillt mir wie Gift im Leibe.“

Er fuhr mit der Spige feines Schwertes über die Gefihter der Mönche, welche fi ſchreiend unter einander auf dem Boben walzten, daß ihnen das Blut über Augen und Wangen quoll; dann ſchritt er zur Thüre, fprengte dieſe mit gewaltigem Fußtritt, die Kloſterpforte desgleichen und befand fi bald im freien,

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Wohin folte fih num umfer Ritter wenden im ber ihm fremden Stadt? Lachend über den &chreden,: welchen er ber Mönden verurfacht, ſchritt er im der ſternhellen Nacht über den Pay nah dem Strahof hin. Das Glodenfpiel der Lorettokirche ertönte durch die Stille, welche nun über der großen SKönige- ſtadt Tag.

Bor einem Haufe brannte eine Lampe. Der Ritter ging darauf zu. Er hielt das Licht Anfangs für eine Ampel, bie nad tatholiſcher Sitte vor einem Muttergotteg- ober Heiligenbilde - brannte, obgleich die Huffiten damals, weniger des Gegenflandes willen, als aus Haß gegen bie Katholiken, derglei chen zu zer fölagen pflgten.

Die Lampe aber beleuchtete ein grobes, roh Bemaftes, höl · jenes Schild über. der Thüre. Es war ein Haus darauf ab- gebitdet, in deſſen Thüre ein Mann fand, ber mit ber Hand einen Reiter zu fich winfte, gleichfam bier eimzufehren. Darunter Randen mit böhmiſcher Schrift die Worte: „Hospoda anocleh* d. 5. Gaſthaus und Nachtherberge.

Jetzt war Vratislav geborgen. Er öffnete die Hausthüre, die nur angelehnt war, und trat durch bie Flur reits zur Gaft- finde, deren Eingang offen war. ine Iante, rauhe, polternde Stimme ertönte von dort; der Ritter trat auf die Schwelle und beſah fich die Dertlicfeit. Im der Ede fland ein großer, thöner- , ner Ofen, von einer Bank’ eingefaßt, auf welcher zwei Kerle in gemeiner Tracht ausgeflredt Tagen und faut ſchnarchten. Neben der Thüre rechts war ber Schenktiſch, worauf zinnerne und ir- dene Gefäße; gegenüber ſaßen an einem alten, ſchweren, eichenen Tiſche zwei Männer im Geſpräche. Der Eine’ davon fehlen ber Birth; er trug einen Blauen Nittel, ber nm bie Hüften mit

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einem rohen Leberriemen gegürtet war, auf ‚dem Kopfe hatte er eine alte, verfpoffene Pelgmüte. Sein Aeußeres war wohlgenährt und Batte ben Ausdrud eifenfefter Ruhe und Gemächlichkeit; nur in den Meinen, grauen Augen bligte ein Zug von Tücke und Hinterlift. Er fügte fi auf feine beiden Ellenbogen, und horchte der Erzählung des ihm Gegenüberfigenden ſcheinbar aufmerkſam zu. Diefer war oßnftreitig ein im blutigen Handwerk ergrauter riegsknecht, ein Mann von’ fünfzig Jahren, ſtark und vom faft viefigem Knochenbaue, mit einem üppigen, grauen Haarwuchs, einem durch Narben entfellten, Häßlichen Geſichte, bider Nafe, buſchigen Brauen. Das linke Auge fehlte ihm, eine Binde, dar- . Über ein Stüd Eiſenblech, hing davor; fein rechtes Auge aber funtelte durch bie büftre Helle ber Stube, wie ber glühende Blick eines Raubvogels. . Er Hatte einen. abgenugten Lederkoller an, darüber einen roſtigen Bruſtharniſch, bie Hände, wovon er bie Eine unter das Kinn geftügt Hatte, waren außerordentlich groß, faſt gauz mit Haaren bededt. Unter dem dicden Schnurbart war ein wohlgeformter Mund und eine Reihe ſchneeweißer Zähne zu fehen: dies war aber au ber einzige Schmud bes entftellten Gefichtes; denn die Haut mar rauh unb vergelbt, Narben und Falten wech ſelten ab. Die Stimme gli faft dem Donner, wenn er einem oder bem andern Worte Nachdruck gab. Neben ihm fand fein Helm, eim dickes, eifernes Waffenftüd, fo ſchwerfällig anzufehen, als wäre es für einen Reiter aus Sandſtein beftimmt.

Jetzt, da er in ber Rede inne hielt, trat der Mitter einen Schritt vor. Im Augenblide durch die Umgebung bie Rothwen- "digkeit erfennend, Hier feine Schüchternheit zu bannen und fefter aufzutreten, fagte er mit lauter, gebieterifcher Stimme:

„Run, endlich werbe ich doch zu Worte tommen! Ein Wirths- Haus, und der Gaft ſteht eine Biertelſtunde auf dev Schwelle, bevor der Wirth fih rührt. MWärft Du ein Zube, fo fagte ich Dir: Gras fol wachen vor Deiner Thüre. Ja, ich werde

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and; wohl leichter Himansgehen, als ic; hereinfam. Gib mır erſt Bein tann ein Nachtlager. Ich bin müde.”

Diefes fprechend, mäherte er ſich der Tafel, ſchnallte fein Schwert los und warf es klirrend auf ben Tiſch, während er - fh zugleich dem fremden Kriegsknecht mit vornehmer Miene ge- gmmüberfeigte.

Der Birth war aufgefprungen, befah einen Moment dem nen Gaft, muſterte ihn, ſchien fi an dem ſchlichten Aeußern sicht ſehr zu erbauen, wurde aber durch den entſchiedenen Ton des Ritters eingefhüchtert und fagte, indem er fein Haupt ent» biößte umd fi verneigte:

„Berzeiht Herr Ritter ich horchte Hier dem alten Rriegemann zu von feinen Thaten und wäre far entſchlum- mert id) wollte fagen, ich war fo vertiefte‘ Alſo einen Becher Bein wollt Ihr und ein Rachtlager. S if zwar nur ein ge tinges ‚Haus, felten kehren Hier Witte? und Herzen ein; doch habe ich oft ſchon erhabene und veihe Männer bewirthet, zur Krönungszeit zum Beifpiel, wo Hier auf dem Hrabdin Alles ber fegt war; umd da mußten fie auch vorlieb nehmen mit bes dienſtwilligen Mich alel fhleten Zimmern. Ich Habe dere zwei, das Cine vorne heraus das Andere dort iſts ruhiger, wenn hr. lange zw fehlafen gedenkt; und der Wein fol Euch auch munden ſogleich.“ Gr fprang zu dem Schenktiſche.

„55! brummte der Kriegsfnecht, „erſt warſt Du ſtumm wie ein Fiſch der Waſſer fäuft und das ift nicht viel verfdjieden von Deinem Weine, und jegt geht Dir das Mundwerk wie, eine Windmühle. Weniger Worte, beffere Dienfle. Der Herr iſt mid’ und durſtig, hört Du?“

„Das meine ich and,“ bemerkte Vratislav, der ſich jegt in den bier geltenden Ton Bineinfand.

mBerzeibt mir, Here —“ nahm der Kriegsknecht wieder das ‚@ort und firiete ben Jüngling mit feinem ‚einen Auge ſcharf

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wenn id; mit, Iemandem an Ginem Tiſche fie mub trinke, fo muß ich wiffen wer er if, das Heißt: weldes Glaubens und welches Handwerks; fonft if mir nit wohl zu Muthe. Ih - hab’ das Herz auf der Zunge, und wenn fie mir bie 'mal ab- ſchneiden, i’s Herz auch weg; unb ich hab’ das Schwert immer bei der Hand. Ich kann nicht geheimnißvoll fein, und d'rum iſt's mir auch bei. Andern zuwider. Alſo ich heiße Jan Sukol, bin fünf und dreißig Jahre und fo eigentlich ſchon feit meiner Geburt, Kriegsknecht, habe für bie reine Lehre gefochten in ollen Schlachten, Tann id; fagen, und bin jetzt frei, das Heißt: ich warte, bis e8 wieder 'was zu fchlagen gibt. Alſo ich bin jett ein Xobter, demm ber Krieg ift mein Leben. Da Habt Ihr mic), junges Herrchen, ganz, mit meiner Lebensgeſchichte. Und Ihr Ihr ſeid wenigſtens aud ein Kriegsmann, ober wollt Einer werden, vielleicht gar ein Ritter, wie Euch der Wirth im feiner Art voreilig benannt bat. Das ſah ih Euch bei Eurem Gruß gleih an. Was da ein Schwert führt, nicht zum Prunk und Spaß bloß, wie die Krämer und Wundärzte, tritt frei auf und ein. Das Heißt: ich zeige mic, wie ber Mann, ber ih bin.“

Eure Offenheit verdient die meine,” verfeßte Vratislav, nachdem ber Wirth ihm einen großen, zinnernen Becher mit färt«- erlichem Weine hingeftellt, „und darum nehmer zur Antwort: Ich bin der Ritter Vratislav von Branil, aus dem Pradiner Kreife gebürtig, „tomm’ Heut’ zum erfien Male in biefe Stadt und wi meine Arme bem Dienfte des Vaterlandes widmen. Mein Vater war Führer im Taboritenheere und focht für den reinen Glauben. Er farb in feinem Berufe. Seid, Ihr zufrieden

„Kür den reinen Glauben farb er!“ rief der Kriegsknecht Ian Sufol und ſchlug mit der geballten Kauft auf den Tiſch, daß der Wein aus. dem Becher fprang, „für den reinen Glauben Hab ic) and) gefocdten; feht biefe Narben ba, Bier und Bier, auf,

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Wange und Kinn, auf Raſe und Stirne; die hab' ich mir in den Huſſitenkämpfen geholt und viele andere, weit tiefere noch, die das Wamms. bededt. Alſo Branik, fagt Ihr; laßt mic eine Weile nur nachdenken. Den Namen kenne ich, muß auch den Mann gelannt haben. Gleichviel! Ich halt's mit dem Lebendigen. Gebt mir bie Hand, feid mir willlommen. &s war eine ſchöne Zeit, Herr da wir noch auf unſre Art Krieg führten. Seit zwanzig Jahren, und nunmehr iſt'g vorbei. Hufe fitiſche Tapferkeit Hat die ganze Welt in Erſtaunen gefegt. Heidal Wie haben wir die Kreuzheere, bie da kamen auf des. römiſchen Antichriſts Geheiß, uns Alle zu fangen und im Scheiterhaufen als räudige Keger zu braten, gefdlagen und getrieben wie eine Heerde Hammel, wenn der Wehrwolf Hinterdrein il Das war an Leben ein Mann gegen zehn und fie Itefen: doch. Die Weiber und Priefter gingen mit und jandzten und fangen. ’S ging wie zur Hochzeit vorwärts, raſch. Hab’ mic, ſeitdem, wo's hier nichts Rechtes zu thun gab, faft in aller Herren Ländern herumgetrieben. Es ift Lumpenzeug fle verfiehen ben Krieg nicht. Krieg if Jagd auf Tod umb Leben. Will ich fein, muß ih Did, todtſchlagen. Das heißt: Nur die Tobten ſchaden nicht mehr.” „Wart Yhr bei Hrib auch?" fragte der Ritter beflommen. „Davon Fafıt mic ſchweigen, Herr,“ fuhr der Krieger fort, „das macht mid traurig. Davon Hör’ ich den Feind nicht gern reden. Aber an ben Büte, an unfern Bater erinnert mid), . He, an den Judas Makkabäus an ben größten Feldherrn aller Zeiten, wie ich's Euch fage, der's verſteht. Ach Gott! Ich babe fo viel Papiften und Deutiche todtgeſchlagen, daß mir das Weinen bei den Leuten immer nur läderlih war und fpaßhaft als ich aber den Bater Biffe todt dafiegen fah, nicht gefärbt von rothen Wunden, nicht mit zerfpaftenem Haupt, nein, bleich, gelb, entfieit, aufgezehrt, morfc deu Rieſenbau, vergiftet von ber Herloßfohn: Der legte Taborit. L 4

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Veſt ober dem Gifte ber Papiften, da hab' ich geweint, bag mir das Waſſer über den Bart lief. Ein fanftes Grab floft an noch einen Becher Wein her, Michätel, fühllofe Seele! und fanfte Ruhe ihm. Jetzt iſt er wohl drüben im der Glorie bei St. Johannes und bei St. Hieronymms, und Chriſtus hat ihm eine Palmenkrone gereidht, weil er fo brav feine reine Lehre vertheidigt und bie Weligionaverberber, die Papiſten, recht abge fälachtet Hat.“

Er Hielt einen Augenblid inme. Bratislav betrachtete ſich aufmerlſam ben Mann, ber bei aller Rohheit, bie von feinem Handwerte flammte, dod einen Haren, fehen Berftand und eine gewandte Rede verrieth.

Der Wirth, welder von unn an beideiben am Ende bee Tiſches ſtehen blieb, Hatte inzwiſchen and für ben Kriegafnecht Bein gebracht, und diefer fieß num mit bem Ritter an, nachdem er ihm zuvor das Geſchenk gegeben.

Der Kriegsknecht fuhr mac einer Weile fort: „Das war ein Leben! Wenn ber große Feldherr fagte: „Huffitenbrüber! da drüben ftehen die Deutſchen, oder es find Maulmwürfe, die wollen fi Löcher graben gebt Acht, wie fie verſchwinden werben:“ heidi! da ging es drauf und dran; das Herz lachte uns im Leibe. Ja es waren Maulwürfe; fie kamen fid ihr Grab zu graben. Und wenn wir bie Pfaffen besten, ha ha 5a! das war eine Luſt. Die Weiber nahmen die Ronnen auf fi und wir die Mönde. Go gut wird felten ein Spanferlel ge- Braten, wie wir bie geſchornen Pfaffen brieten. &o tet! fage ih. Begnadigt Einen, und er kaun bem finger wieder rühren, fo if er wieder Euer Feind. Darum nur todtichlagen. Ci! wie brannten die Klöſter und Kirchen lichterloh; fie waren freilich vollgefüllt mit Speife und Trank für die Sündenknechte. Dazu der Schlachtgeſang und die Hörner: fie Hongen wie Höllenmufit ; denn wir haben doch nur Teufel Hinabgejchickt in ihr Reid.

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Habt Ihr den Profop gelannt ober den Profupel? Doch was frage ih? Dazu feid Ihr micht alt genug. Dies waren Männer! Wenn ber Profop befahl, fo blieb’s nicht nr beim Vefehle; er ſprang felbft hinein mit ber Keule. unter den Feind, wenn's nicht rafch genug ging. Ci, da liefen wir freilich hinterdrerin. Und wenn er bie Keule hineinwarf im ein Lanzenträgerfähnlein, die wie von Eiſen gemacht ſchienen, und rief: Holt mir die Keule, fie war im Nugenblid da. Aber fie find aud dahin! Ale Helben todt. Das Vaterland if arm geworden wer foll ben Kelch beſchützen ?*

„Noch lebt Georg, unſer König,“ fiel Bratislav ausfor- ſchend ein.

„Unfer König Georgius,“ wiederholte der Krieger „er if ein tüchtiger Streiter, Gott weiß es. Aber ber Zug nad Schieſien war fein Krieg wie fonf. - Wir Hatten Flügel, mähten Alles nieder vor uns, wie der Schnitter das Getreide mit der Senfe eine Schlaht: ber Sieg war unjer und fein Feind mehr im Lande. Der Georg ift ein redliher Mann, aber cin Friebensfürf. Der Zigta und bie Profope wollten, der uffitiiche, teine Chriftenglaube follte der einzige fein, der herrſchende. Doch Georg wil’s mit ber Güte thun, mit Rede und Gegenrebe; er if froh, wenn wir nur geduldet werben, flott die Welt zu bes herrſchen, zu erobern, wie wir könnten. Hätte man das Neft da Gott verzeih’ mir die Sündel das fanle ſchwelgeriſche Prag mit allen feinen Paläften und Kirden in Brand und Ace geftet und der Erde gleich gemacht, noch bevor der Neuhaus nad Hkib gegen die Ealigtiner zog: wir ftünden noch groß da, und Papft und Kaifer zitterten vor uns und flehten um ihr Dafein. Jetzt find fie unſre Schirmherren und Schinders- tnechte. Glaubt mir’s, Herr," fuhr er nad einer Weile fat betrübt fort, „gibt's nicht bald. Krieg, kann ich mein Geſchäft nicht treiben wie ich'ſs gewohnt ich gehe gen Caslan, vor bie

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Kirche, wo Zigta's Gebeine ruhten, bevor verfluchte Hände fie geftohlen, lege ich mich nieder und fterbe vor innerfihem Gram. Doc ic) wollte Euch vom großen Profop, vom dritten Kreuzzug erzählen, von jener großen Schlacht am Böhmerwald bei Tachau. Die Kreuzfahrer waren neunzig tanfend Mann Fußvolf, die Heiter vierzig taufend, wir faum die ‚Hälfte, "aber ſchlachtenfroh, fteg- entbrannt. Der Brandenburger Churfürft Friedrich führte fie an, Eardinal Julianus, die Herzoge von Baiern und Sachſen waren dabei und ber Exzbifhof von Köln mit Kreuz und Spieß. Ja, fie famen mit dem Cardinal, mit bdiefem Judas mit Spießen und Stangen, um uns zu fangen. Dort auf ben Höhen ftanden fie, Hoheniohe trug das Reichspanier wie ein weißer Falfe ſchwamm es in ber Auft, und fie brannten, wie man fagte, auf den Kampf mit ben fegerifhen Fleglern, aber nur fo lange wir in ber Ferne ftanden. - Iegt Beil fließ der Protop in’s Heerhorn, unſere Fahne rollte auf, ſchoß tie ein ſchwarzer Rabe in die Luft und vorwärts ging’s unter Jubelgeſchrei und Ketten- gellirre und Flegelgeräuſch. Glaubt Ihr, die Papiften, das deutſche Neichsgefindel, fie fanden? Ja ber Ehurfürft mit dem ge- weihten Schwerte, der Cardinal mit der Heiligen Fahne, fie baten, fiehten, hielten fie zurück; aber in bie Gebirge Hinein flohen fie, in die Thalſchluchten ſtürzten fie hinab und fammelten ſich erft wieder bei Thauß am ber Pfälzergrenze. Wir fanden in der Ebene, am rechten Ufer des Watonfluffes war unfre Wagenburg fie aber fagerten auf den Höhen von Chottenſchloß. Im der aufgehenden Sonne glänzten die Spigen unferer Dreſchflegel das ſah der Feind und floh. Endlich bei Rieſenberg ftellte er fi. Prokop Hold gab das Zeichen zum Angriff, ihre hundert und fünfzig ſchwere Geſchütze donnerten uns entgegen; aber wir ſchritten wie eine eherne Mauer einher, wir droſchen im ihre Haufen hinein wie bie Dreier. in bie Garben auf der Tenne, und fie flohen Heufend und mit Schmerzgebräll, ſtoben ans ein-

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ander wie Krähen, die ein Schuß aufgeſcheucht. An ben Wald» Sägen, Hügeln, Abhängen wurden fie einzeln erſchlagen von Ein zelnen. Ihre Gefäße, ihre Wagen, ihr Kriegsgeräthe, des Car- dinals Hunt, fein Meßgewand, fein Kreuz und bie Bannbulle fiel in umfere Hände. Zwei Tage dauerte das Verfolgen und Todt- ſchlagen einzelner zerfprengter Haufen in den @ebüfchen und Berg- thälern. Und als die Schlacht gefchlagen war, fagte Prokop ‚Hold, der mit eigener: Hand- den Feldhauptmann von Hegensburg anf einen Streih vom Scheitel bis zum Schlufſe gefpalten, daß er entzwei brach wie ein Scheit Holz, da fagte Profop Hold lachend: Das tar eine leichte Mühe, nicht wahr, Kinder? Jeden Abend vor dem Schlafengehen ſolch einen Tanz, und uns wird nicht einmal heiß dabei! Ja, Herr Ritter ſchon vor dem Nomen Huffiten liefen fie und ich glaube, bie Kinder ber deutf hen Frauen weinten und bebten im Mutterleibe, wenn es Sieg: Die Huffiten Tommen. Uns hat Schleſien und Sachſen und Baiern gefehen; fie werden an uns benfen noch lange Zeit.”

„Da Ihr fo Iebhaft jener Großthaten gedenkt,“ bemerkte der Ritter, „und Eure Seele ſchweigt in der Erinnerung daran, fo wird es mir leicht Mar, daß die gegenwärtige Unthätigkeit Euch ſchwer am Herzen nagen muß.“

„Will's glauben, Herr Ritter,“ verfegte der Krieger; „es mnß balb anders werben mit mir. Liege Hier ſchon in der Her- berge Monate lang, Hab’ Alles verzehrt, was id} von jener Zeit der Beute mir anfgefpart und Beute gab es damals, beim ewigen Gott! habe mid; fchon Bier und da verdingen wollen als Anappe, als Knecht, bei einem Herrn ober Ritter, der rechtgläubig iſt; es if mir nicht gelungen. Ich feh’ ihnen zu wild aus, meinen fie wohl, zu huffitiih, fo nach dem Zijta und die zarten Fraulein lönnten vor mir erſchreden, oder gar in Ohnmacht fallen, wenn id laut fpräde. Einem Ritter möchte ich gern dienen, einem freien Manne; in des Königs Heer mag id nicht

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treten. Sind lauter junge Burſche, feingeledt, zierlich angezogen, gar nicht Cehifch mehr, und dann gibt's auch keinen Krieg. Und als folder Faut in Prag zu bleiben, Nachts das Gefindel, das da tumultirt, zu prügeln und zu fahen: dazu bin ich zu ſtolz. Und wenn's auch Krieg gäbe es ift Fein rechter mehr! Höchftene ein Bertheidigungäkrieg gegen bie vielen Hunde an der Grenze, bie uns und dem König am bie Gurgel wollen. Einen Groberungsfeieg, ‚einen Angriff follte es geben, einen Feldzug fo hinein in's feindliche Land: ba ging’ ich hin, uud der Glanz käme wieder unter uns. Braut Ihr, Herr Nitter, ober vieleicht Einer Eurer Freunde, einen Knecht, grad' wie ih bin, rauh, ſchlicht, nicht zierfih, aber reblih und treu, fo ftehe ih Euch zu Dienften. Id weiß mit Waffen und Roſſen Beſcheid. Da meine Helden tobt find, muß ich Jemanden haben, dem ic} liebe vielleicht finde ich einen Herrn, ber mir gefällt. Bielleiht feid Ihrsl“

B „Wenn mein Rath nicht übel gedeutet wird,“ fiel ihm jetzt der Wirth ueplöglic in bie Rede, „fo dürftet Ihr, Herr Ritter, es nicht zu bedauern haben, dieſen tapfern Kriegsmann, der treu und reblih —“

„Halt Deinen ungewaſchenen Mund, Michalek,“ fuhr ihn Sufol barſch an „nicht bedarf ih Deines Lobiprudes, eines fo jammervolfen, unerfahrenen Lumpen, ber in ber Stube hinter feiner Kanne did geworden, feinen Wein gewäſſert, die Menſchen betrogen und nichts gethan Hat für das Land, für bie Freiheit und ben Glauben, als abgemwartet, bis wir mit blutigen Hirn- ſchalen die Feinde von Euren Heerden getrieben deſſen bedarf ih nicht! Bon Deinen Bierkrügen und Weinbechern find Deine Hände nit ſchwielig geworden, wie bie meinen vom Drefchflegel, von der Keule und vom Schwert. Ober wilft Du mid) 108 fein, daß Du mid rühmft? Willſt Du mahnen, weil ich Dir ſchuldig bin, umd zu verfiehen geben, daß, wenn der

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Herr Hier mich amtoürbe für feinen Dienft, ich Di bezahlen Knnte vom Kandgelb? Harter Schädel On! Glaubt Du, ih werde Dir immer ſchuldig bleiben? Nein, ich Könnte wohl nicht fierben, bevor das nicht abgethan, Du deutſche Maus! Und ‚wenn id) ſterben follte, fo trag’ ich es meine Waffen Hin zum Schmied, vertauf ihm fle zu Hufeifen, and die Haut Iaff ih mir vom Leibe finden, wie's Vater Zijle befahl, daß es mit ihm gejche- hen folle nad feinem Tode, und verkaufe fie, damit fie über Trommeln gefpannt werde.“

Der Wirth zwang fih zum Lächeln und entgegnete: „Ei, wie Könnt Ihr fo heftig fein, Gufol, und grad’ das Schlimmfe von mir denfen? Ich rühmte Euch, weil ich Euer freund bin, und weil id) den Grund Eurer Beſchwerde fühlte. Glaubt Ihr, ich würde einer ſolchen Kleinigkeit, wie meine Forderung iſt, Er- mwäßnung tun? Bin ih Euch doch viel Dank ſchuldig für fo mandje frohe Stunde, die wir felbander zugebracht! Oft fahet Ihr, wie heut’, bis fpät nach Mitternacht bei mir und erzähltet mir von Euren Thaten und Feldzügen, von unfern Helden und Bropheten, und beiehrtet mich und erheitertet meine Geele, wenn fie vom Sorgen gequält war.”

„Laß das, Hafenfiwanz,“ fiel der Krieger ihm in die Rebe, „davon will id} nichts hören, und ſtöre ben Herrn da nicht in feiner Antwort.“

nEuer Vorſchlag,“ antwortete Vratislav nach kurzem Nach- denken, „gefällt mir. Doch da ich noch keine Wohnung beſitze und weine Briefe noch nicht abgegeben Habe, fo kommt morgen in das Haus des Edlen von Zeöwic, an ber Bruska unten, und fragt nah mir. Jetzt aber, Herr Wirth, zeigt mir mein Schlafgemach. Ich bin müde und will's verſuchen, auf Euren Hafenfellen zu fchlummern.“

„Ich wünſch' Euch gute Träume,“ verfegte der Wirth und zündete ein Licht an; „merkt wohl darauf. Man fagt, was man

56 die erſte Nacht an einem neuen Orte träumt, das begegnet Einem fpäter in ber Wirklichkeit.“

„Hab' Dank und gute Nacht,“ fagte Bratislav aufftehend, reichte dem Kriegsknecht die Hand und folgte dem Wirthe über einen düftern Hof bie gewundene, enge Xreppe im das obere Geſchoß. Der Wirth öffnete eine niedere Thür. und trat hinein ihm folgte der Ritter. Es war eine Stube mit einem ver- gitterten Fenſter. An der Wand Bingen Heiligenbilder, roh ge- zeichnet und gepinfelt: Chriſtus am Kreuze, die Mutter Gottes, Johannes Huß uud ein Spottbild, welches ben Papſt barftellte, wie er vom Teufel gegeißelt wird. Im einer Niſche fland ein Todtenkopf, auf demfelben eine laufende Sanduhr. Im der Ede mar das Lager, aus einem hölzernen Gerüſte, Thierfellen und einer weiten Härenen Dede beſtehend. Es war fo Breit, daß fügfi vier Männer darauf Play nehmen konnten.

Nach einem abermaligen Gutenachtgruße entfernte fi ber Wirth, und unfer Ritter bfieb allein.

Es war ihm feltiom zu Muthe. Das Gefühl der Bangige feit war bon ihm gewichen; er war in ber fremden Welt, feinem Willen und feinen Kräften allein überlafien, und fo zur Gelbfi- ſtändigkeit gelangt; dies empfand er zum erften Male in feinem Leben. Bis dahin Hatte er mur fremder Lehre, fremden Rathe gefolgt; num follte er ber eigenen Kraft vertrauen. Sein fefter und befonnener Geiſt ſchaute ruhig, dieſer Aufgabe ſich bewußt, in die Zukunft. Was ihm ſein Oheim geſtanden, was ihm der Kriegsknecht erzählt, lehrte ihn, daß der Mann zum Kämpfen und Ringen im Leben beſtimmt ſei, und er fi darum mit Muth und Geiftesgegenwart fählen, und ficher den kommenden Gefahren entgegenbfiden müffe.

Ein Bid nad der Sanduhr, dem vollenden Stanbe darin und auf den bleihen Todesſchädel zeigte ihm das Vergäugliche,

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das Ende aller Dinge. Warum alfo zagen vor dem Unaus⸗ weichlichen ?

Er miete in frommer Andacht nieber und betete: „Gert, fei gnäbig mir fortan, wie Di es meinem Eingang warft. "Laß mid) bereinft den Musgang finden, daß ic) im jener Todesgeflalt frei und malellos vor Deinen heiligen Thron treten Tann. Zeige mir die Bahn, wenn id) irre, leihe mic Deinen Arm, wenn ich fraudjle, fei mir ein gmäbiger, barmberziger Gott. Ich danke Dir fir das Dafein, und wenn es von nun an aud ein ſchmerz durchflochtenes ift, Du haft e8 ja gegeben und wirft es nehmen im Kampfe für Dein heiliges Wort. Sei auch dem Bater gnädig, der vor Dir fteht im Glanze Deiner Herrlichkeit. Armer Vater, arme Mutter, die ih nie gefannt fegnet Eure Waile. Dort mohnt bie Verföhnung es if nun nichts mehr Irdiſches an Euch, als die gemeinfame Liebe zu Eurem Kinde. Blidet gütig auf mid) nieder und gebt, daß ich Euch bald ſchaue und erkenne im Sande der Wahrheit und der Liebe. Amen“

Er entffeibete fidh, verlöfchte das Licht und entfhlief. Wie er gehofft kam ein Traum über ihn. Jene Iungfrauen erihienen wieder mit den Blumen, und feltfam ! die, welche die Rofen bot, hatte ganz das Antlig Lidmila’s von Neuhaus. Cr nahm bie Rofen bebend und erglühend, umd beide Geftalten verſchwanden. Das Bild werhfelte er ſah die kihne Neiterin anf dem fhenen Roffe dahinfliegen; er Hatte den Zügel erfaßt; aber ber wüthende Renner fchleifte ihn mit fich fort über rauhes Geftein und fpites Geftrüppe, und trat ihm endlich mit dem ſchweren Hufe an bie Bruſt, daß das Blut feinem Munde entquoll. Mit dem letzten verlöfcgenden Blicke ſah er zu Lidmila empor doch fein WBeh- ſchrei ontſchlupfte ihr, Tein Schmerz malte fich in ihren Mienen, fie blickte Tächelnd und gleichgiltig herab auf ben gertretenen Ritter. Seine Befinnung ſchwand er fühlte daß er ſterbe er wandte das brediende Auge feitwärts, hinweg von ber Grau-

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famen; er erblidte eine Laube in jener Laube faß die andre holde Traumerfeinung, zerpflüdte den Beilchenkranz und nebte jedes fallende Blatt mit einer Thräne. Und als fie dem blu- tenden Ritter erfah, ſtuͤrzte fie hervor, fanf am feine Bruſt, preßte ihre Lippen an feinen bebenden Mund und hauchte ihm Athem unb eben ein. ber es wurde finfter um ihn bie Bilder alle zerrannen er erwachte mit einem ſtechenden Schmerze in der Bruſt.

Es flug zwei Uhr. Er fann lange über die Doppelbedeu - tung des Traumes nad, bis ihn der Sqhiaf wieder in ſeine Arme nahm.

Die Glocken des St. Veitsdomes läuteten zur Kirche. Zahl- Iofe Beter frrömten dahin. Auch unfer Ritter befand fi unter

der Bollsmenge; benn er wollte vor Allem das gepriefene Wunder -

Prags: den herrlichen Hradein mit feinem riefigen Königs- ſchloſſe und die erhabene von Karl IV. erbaute Kathedrale jehen.

König Georg war eben aus Mähren angelommen, man wußte, daß er dem Gottesdienfte beiwohnen würde; denn an verſchiedenen Altären wurde damals in der Domlirhe nad) ka- tholiſchem und calirtiniſchem Ritus das Heilige Amt verrichtet. So mar ber Zulauf des Volles groß. Damals war auch der Hraböin ber glänzenbfle und belebtefte Theil der Stadt. Im ben jest öden Paläften hauften bie hohen Standesherren mit. ihrem Hofftaate auf ben Straßen war ein buntes Gewimmel von Nittern, Ebellnaben, Knappen, jchön gezäumten offen, ſchweren Staatswagen, bie man theils in Ungarn erbentet und gelauft,

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theits bier nachgemacht Hatte, und Sänften, worin holde Fräulein und bejahrte Matronen getragen wurden.

Durch dieſes Gewirr ber verſchledenſten Stände und bunteften Trachten brängte fi unfer Yüngling über den Schloßhof nah dem Gingange der Kirche. Er maß den rechts von ber Thüre ſtehenden Thurm mit erſtaunten Bliden und trat jet hinein in die Hallen, wo Säule an &üule, vergoldet und mit buntem Laubwert bemalt, fich emporfiredte, bie Hohe Wölbung au tragen, gleich Cedern, deren Kronen ſich oben zum Dache verflochten. Rechts und links. waren überall Mebenaltäre, und in Niſchen die Standbilder und Grabmale verblichener Helden und Männer bes Boterlandes. An dem Hochaltare, ber von. hundert Kerzen über- leuchtet war, las ein Domherr in pontificalibus das Hodamt, und vom Chore herab braufte die Orgel wie in melodifchen Gewitterſtürmen.

Bratislav trat jetzt rechts neben dem Eingange in bie Sauct Wengelskapelle, wo das Abendmahl unter beiderlei Ge⸗ falten ausgetheilt wurde. Hier flarete er geblendet all’ den Glanz und Reichthum an; denn rings bekleidet find die Wände mit großen, vieredigen Cbelfteinen aus Böhmens veichften Gebirgen, eng verbunden mit goldenen Kit. Der Strahl der Sonne brach fich in den hohen, bunten Fenſterſcheiben und glänzte in taufend Strahffarben von den glühenden, funfeinden Wänden wieder.

Mitten anf dem Altare ruhen des heiligen Wenceslaus, des böhmifchen fürftlihen Märtyrers, Gebeine; durch einzelne Glas- fenfter ſieht man Aber dem Sarkophage bie Rüftung, das eiferne Banzerhemd, Helm und Schwert des Glaubenshelden.

Hier ſank Bratislan in die Kniee umd empfing mit gläu« bigem Sinne das Mahl des Herrn: das gebrochene Brot und den Wein. Er zog ſich Hierauf Inapp am Eingange auf eine Bank zurüd und überfieß ſich bier feiner ftilen Andacht.

Bald aber zog eine ſchwarz verfäleierte Frauengeſtait, welche

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famen; er erblidte eine Laube in jener Laube faß die andre Holde Traumerfheinung, zerpflüdte den Beilhenfranz und nehte jedes fallende Blatt mit einer Thräne Und als fie dem biu- tenben Ritter erfah, ſtürzte fie hervor, fank am feine Bruft, prefte ihre Lippen am feinen bebenden Munb und bauchte ihm Athen und Leben ein. Aber es wurde finfter um ihn die Bilder alle zerrannen er erwachte mit einem 1 ſiechenden Schmerze in ber Bruſt.

Es flug zwei Uhr. Er fann lange über bie Doppelbebeu- tung des Traumes nad), bis ihn der Schlaf wieder in ſeine Arme nahın.

Die Glocken des St, Veitsdomes lauteten zur Kirche. Zahl- loſe Beter ſtrömten dahin. Auch unſer Ritter befand fi unter

der Volksmenge; denn er wollte vor Allem das geprieſene Wuuder

Prags: den herrlichen Hradöin mit feinem riefigen Königs- ſchloſſe und die erhabene von Karl IV. erbaute Kathedrale ſehen.

König Georg war eben aus Mähren angelommen, man wußte, daß er dem Gottesbienfte beiwohnen würde; benn an verſchiedenen Altären wurde damals in der Domlirde nad) far tholiſchem und caligtinifhen Ritus das heilige Amt verrichtet. &o war ber Zulauf des Volkes groß. Damals war aud) ber Hrabdin ber glänzenbfte und belebtefte Theil der Stadt. Im den jetzt öden PBaläften hauften die hohen Standesherren mit. ihrem Hofftaate auf den Straßen war ein buntes Gemwimmel von Rittern, Edellnaben, Knappen, ſchön gegäumten Hoffen, ſchweren Staatswagen, bie man theils in Ungarn erbeutet nnd gelauft,

Ei}

theifs hier nachgemacht Hatte, und Sänften, worin holde Fräulein und bejahrte Matronen getragen wurben.

Durch dieſes Gewirr ber verfchiebenften Stände und bunteften Trachten drängte fi unfer Yüngling über den Schloßhof nad dern Eingange der Kirche. Er maß den rechts don der Thüre Kehenden Thurm mit erftaunten- Bliden und trat jegt hinein in die Hallen, wo Gäule an Güule, vergoldet und mit buntem Raubwert bemalt, fich emporfredte, bie Hohe Wölbung zu tragen, glei) Cedern, deren Kronen ſich oben zum Dache verflodhten. Rechts und inte waren überall Mebenaltäre, und in Niſchen die Stanbbilder und Grabmale verblihener Helden und Männer des Baterlandes. Au dem Hodaltare, der’ von. Hundert Kerzen über leuchtet war, las ein Domherr in pontificalibus das Hodamt, und vom Chore herab braufte die Orgel wie in melodiihen Gewitterftürmen.

Bratislav trat jet rechts neben dem Cingange in bie Sanct Wenzelskapelle, wo das Abendmahl unter beiderlei G&e- falten ausgetheilt wurde. Hier ſtarrte er geblendet all’ den Glanz und Reichthum an; denn rings‘ befleidet find die Wände mit großen, vieredigen Edelſteinen aus Böhmens reichſten Gebirgen, eng verbunden mit goldenem Kitt. Der Strahl ber Sonne brach fi in den hohen, bunten Fenſterſcheiben und glängte in taufend Strahffarben von den glühenden, funfeinden Wänden wieder,

Mitten auf dem Altare ruhen des Heiligen Wenceslaus, des bohmiſchen fürftlihen Märtyrers, Gebeine; durch einzelne Glas- fenfter fieht man Aber dem Sarkophage die Rüftung, das eiferne Banzerhemd, Helm und Schwert des Glaubenshelden.

Hier ſank Vratislan in die Kniee und empfing mit gläu- bigem Sinne das Mahl des Heren: das gebrochene Brot und den Wein. Er zog fi hierauf knapp am Cingange auf eine Bont zurüd und überließ ſich Bier feiner ſtillen Andacht.

Bald aber zog eine jewarz verjchleierte Frauengefalt, welche

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feitwärts außer ber Kapelle kniete und bie Meffe hörte, welche ein fatholifher Priefter an einem Geitenaltar des zweiten Pfeilere 108, feine Aufmertſamteit amf fih. Ihr Antlig war blaß, aber himmliſch ſchön, fromme Andacht in den Mienen, tiefer Schmerz in den brammen Angen, Liebreiz und Demuth und Milde und Berföhnung auf ‚den Lippen umd in den Zügen. Unwilllührlich erhob er fi trat hinaus und flellte fi an ben Pfeiler gegenüber, um biefe holde, überirbifche Erſcheinung im Angefidte zu haben.

„So. ihön! fo ſchön!“ fenfzte er leife, „und doc eine Pa- piſtin!“ Da flug das. Mädchen die Blide empor, ſah ben Züng- ling lange ftarr, erſchrocken, beinahe geifterhaft an und rief dann außer fih: „Gott! der Geift meines Bruders!“ und fanf ohn- mächtig in den Betſtuhl nieber.

Vratislav vaffte fih auf, um ihr beizufpringen, aber Hilfe reihe Hände von Männern und Frauen waren fon in ber Nähe; fie erhoben bie Ohnmächtige, trugen fie an den Eingang, wo fie fie mit Weihwaffer befprengten, und dann in's Freie. Vratislav drängte fi) mechaniſch nad) mit den Uebrigen; bevor er fi) aber duch die zufammengelaufene Menge Bahn brach. hatte man die Jungfrau, die fich ſchnell erholt zu haben fchien, in ihre bereit flehende Sänfte gebracht, mit welder bie Diener eifrig davon eilten.

Ein neuer Zufammenfauf Hinderte ihn ber Sranten, auf welche fein Erſcheinen fold' einen mächtigen Cindrud gemacht Hatte, zu folgen ; benn eben kam der König in die Kirche, um Gott feierlich zu danken für die Wieberherftellung feines Regi - ments in Mähren, und das Abendmahl zu genießen.

Erſt kam eine Reihe von Kriegsknechten, mit Lanzen be maffnet, dann bie Leibwache des Könige, blau gefeidet, mit blanfen Schwertern ; darunter viele Söhne edler, vaterländifcher Häufer. Ihnen folgten die Ebdellnaben und Hofbebienten, dann

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die Räthe in ihrer ſchwarzen Amtstracht. Knapp vor dem Könige ging der calirtinifhe Erzbiihof Rofycana, ein Mann nit groß von Geftalt, aber flattlich anzufehen und von würdiger Haltung. Seine Augen irrten ſchlau und unſtät umher, ein bitterer Zug fpielte um den Mund, und doch fah man es ben Mienen an, wie der mächtige Geift des Mannes dieſem leiden - ſchaftlichen Drängen in feiner Bruft auf feinem Antlig den Schein der Demuth. zu geben fich befrebte. Jet kam ber König, eine hohe träftige Geftalt, wohlthuend in ihrer Exfcheinung, frei und freundlich um fich blickend. Er mar koſtbar, doch nicht prunkend geffeibet. Man fah es in biefem Manne und feinem Tichtvollen, tätigen Weſen, daß er nicht nur als Regent, fondern auch ale Krieger zum Throne geboren fe. An feiner Seite ging bie Königin, eine flattliche Frau mit vielem Piehreiz im Gefihte. Zwei Jünglinge, mit derfelben Anmuth und Kräftigkeit wie ber König ausgeftattet,. folgten ihnen auf dem Fuße. Es waren des Königs Söhne, ‚Bictorin vom Podebrad und Heinrich von Münfterberg. Leibwachen und Trabanten folgten, das Volt drängte ſich Hinterdrein.

Auf unfern Ritter hatte die Enqeinung des Königs einen mädtigen Eindrud gemadt. Das alfo war der Mann, fagte er zu fid) ſelbſt, dem er hafſen ſollte, dieh der Mann, gegen den Bapiften wie Calirtiner eiferten, der Mann, der es feiner Partei tedjt madjen Lonnte, der eigennäßiger Abfihten, unumfdränfter Herrſchſucht, des Thronraubes befuldigt wurde, von dem man fagte, er hätte beim Landtage feine Freunde unter die Wahlherren geſchickt und ihnen zuraunen laſſen: „Wählt den Podẽebrad, oder Ihr feid des Todes,“ der ſelbſt bewaffnet mit feinen Anhängern in bie Wahlverſammlung kam, das Schwert auf den Tiih warf und ansrief: „IH bin Begierig auf den neuen König!“ die berfelbe Mann, bem man fogar bie Vergiftung feines Vorgängers, des 17jährigen Ladislav L, Schuld gab! Und doch lag fo viel

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biederer Ernſt mit Wohlwollen gepoart in feinen Mienen, fo viel freimüthige Offenheit, fo viel reiner Wille in den Augen.

Bratislav fhüttelte mit dem Haupte und fagte zu fig: „3 Habe noch feinen König geiehen, und gerade fo hab’ ih mir doch einen rechten König der Böhmen gedacht. Sollte bies Mes nur trügen? Ich möchte nein! fagen, und doch muß ih erfahrenern Männern glauben.“

Da plöglih erinnerte er fi ber ohmmächtigen Jungfrau und raffte fi auf, um wo möglich noch bie Sänfte einzuholen. Zwar fielen ihm feines Oheims firenge Abſchiedsworte ein: „Hüte Did) vor der Liebe zum Weibe!“ doc er beſchwichtigte wieder fein Gewiflen, indem er fid) überrebete, jene Neugier nad der Unbelannten gelte nicht igrem Piebreiz, fondern nur der ſchuldigen Theilnahme für den Unfall, welchen er verurfacht zu haben ſchien.

Aber jede Spur der Sänfte war in den weiten Räumen der Schloßhöfe verſchwunden, und feine Nachforſchungen bei eini- gen vor der Kirche ſtehenden Leuten, fo wie bei dem Sacriftauen, waren erfolglos. Nur fo viel war mad. der zierlih gebauten Sänfte und der flattlihen Tracht der Diener zu fchließen, daß die Jungfrau einem höhern Stande angehören müffe.

Vratislav gedachte jet des Paters Eyriins, an welden fein zweiter Brief fautetete. Er fragte einen im die Kirche eilenden Pfaltariften nad; der Wohnung deſſelben. Finſter ſah ihm ber latholiſche Priefter eine Weile lang an, daun antwortete er barſch: „Im Teinhof werdet Ihr ihm finden, den —.“ Die legten Worte, vermuthlih Ausbrüde bes Jugrimms und Hafles, mur- melte er unverftändlih und ſchritt mad; der Gacriftei hin.

Bratislan ging bie große Schlofftiege hinab nach der Brüde zu. Neue Wunder umgaben ihn Hier. Der faft vollendete Rie- fenbau. jenes gewölbten Steindammes lag vor ihm im feiner ganzen Breite und Ausdehnung. Menſchen, Wagen und Roſſe zogen in gedrängter Anzahl herüber und hinuber, und verloren

fih, diefeit anf dem Häfgernen Gerüfte, welches zur Zeit mod; die mangelnden Pfeiler und Bogen, an welden gebaut wurde, agänzte. Am jenfeitigen Ufer erhob ſich ber ſchlanke, ſpitze Brüf- tenthurm, umd Hinter ihm die zahllofen Kuppeln und Xhürme der altftäbter und neufläbter Kirchen. Wie ein breiter See frömte die Moldau von Podol herab und umfchlang mit ihren Rieien- armen die grünenden Infeln in ihrer Mitte, und rauſchte an den lachenden Ufern Hin und verlor fid Hinter dem Bergrüden zur Linken in fanfter Krümmung. Hinter ihm lag rechts der waldbefänınte Saurenzberg, links ber majeſtätiſche Hraddin mit feiner Rieſenfronte. Ringsum auf allen Straßen und Plätzen war ein Drängen und Treiben, ein Gemenge ber Trachten und Geftalten, daß es oft wirr wurde vor den Blicken des unerfah- men Zünglinge, der in feiner Eindde nur felten Menſchen ge- ehen.

Jetzt befand er fih anf dem altflädter Ringe vor ihm {ag die ehrwürdige Teinkirche, erbaut im altgothifchen Style. An den beiden Thürmen, welche Georg von Podkbrad errichten Tief, murbe noch gebaut. Ueber dem Portale in hoher Niſche jah man des Könige vergolbetes Standbild, das Schwert in der reiten, den Kelch in der linken Hand, als ein Wahrzeichen, daß er mit gewaffneter Hand felbft das Sinnbild des Giaubene zu verthei- digen ftet8 bereit fei.

Ein Kirchendienen wies dem Nitter nach dem anſtoßenden Teinhofe. Im zweiten Geſchofſe war des Cyrillus Zelle.

Beſcheiden trat Bratislav Hinein. Ein alter Mann von hohem Wuchfe, fübernem Haupt- und Barthaar, im grauen Prie- fergewande ſaß am einem Tiſche Hinter Büchern und Pergamenen und ſchrieb. Er blidte zu dem Cintretenden nicht empor. Diefer näherte ſich grüßend und überreichte ihm fein Schreiben. Pater Cyrillus öffnete es, erhob fi raſch und flarrte jet dem Züng- fing mit feinen nachtſchwarzen funkelnden Augen eine geraume

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Zeit an, dann rief er freudig bewegt mit wohlflingenber, Träftiger Stimme: „Ia, Du bif’s! Ic fegne Di, mein Sohn, im Nomen Gottes, des Allmächtigen. Dies find Boleslav's Züge, dies feine Augen, dies jein Mund; fo babe ich ihn gefannt. Der Herr behüte und beſchirme Did, Jüngling, und er fei ge- priefen, daß er mir vergönnt Bat, im Sohne den Bater wieder zu fhauen. Ia, bie Kämpfer des Lammes find noch nicht tobt; denn fie fenden uns nod aus ihren Gräbern ihre Kinder als Streiter fir die geheiligte Sache. Meine alten Augen, der Thränen entwöhnt, füllen fi wieder mit dem feltenen Naß. Es gilt der freude, Dich zu fehen, der Du geboren wurdeſt am Tage unferer Schmach, unſers Unterganges. Du Kind der Schmerzen, Kind des Ungläds, werde ein Sohn ber Freude fort- an, bes Ruhmes und bes Glanzes.”

Er legte ihm nad folder Begrüßung fegnend die Hände auf das Haupt und brüdte ihn väterlih an die Bruſt.

„Was macht ber Oheim?“ fuhr der Priefter fort „wie ift der Körper, wie die Seele? Stürmt es noch immer im.der eifenfeften Bruft, bie feine äußere, feine innere Welle erſchüttern tonnte? Der Bau wird wohl ſchon morſch fein, aber das Herz Schlägt Hod auf im gewaltigen Wollen.“

„Er bat mich nicht fern von den Thoren Prags verlaſſen,“ beſchied Vratislav, „er hat mic gefegnet und durch weifen Zu- ſpruch und edle Lehre ermahnt. Bon Euch ſoll id erfahren, welches mein Wirkungskreis forten fein wird. Ihr follt von num an mein Bater fein, mein Führer und mein Freund. Und Ihr werdet e8 fein, darum flehe ih. Ich will Euch ehren, Euch ge» horchen wie ein Sohn. Ich bin fo ganz allein in der Welt, bier in dem großen, fremden Leben darin. Hab’ ich ben Vater doch, ‚die Mutter nie gelannt bin eine Waiſe! und das preßt mir oft wehmüthig die Bruft zufammen. Kennt’ ich das Grab der Geliebten, ich ging’ dahin, grüb' bie Erde auf und füßte

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die morſchen Knochen und jubelte; bemm ich hätte dann doch etwas von meinen Eltern gefehen. Laßt mi Eure Hand füffen, Hohmwitrdiger, und genehmigt meine Bitte. Hat Eure Erſcheinung doch, Eure milde Rede mein Herz fo Bingezogem zu Euch, dab ih glaube, fo mäfle wiein Vater gefehen Haben, fo mild und freundlich, fo würdig und ernſt! Habt Ihr in biefem Augenblide do mein Gemüth fo mit Liebe erfüllt, daß mein Mund berebt worden if, der fonft jo ſtumm war und dem Worten nicht ger bieten fonntel” Ex prefite die Hand des Greiſes an ſeinen Mund und die thränenfenchten Augen.

„Wie ich Di gern reden Höre!“ fuhr der Priefter fort; „8 find wie Klänge ans ber Heimath, befannte Töne ot id) habe fie fon einmal vernommen. Ja, ih will Dir Bater * fein, Du mein herrlicher Sohn! Wo Deine Eltern ruhen, fragt Du mi? Laß das mein Kind, es verbüftert mir die Stunde. Wehe! Die Mutter fchläft dort, wo umfere Ehre, unfere Macht, unfer Glaube begraben liegt, zwifchen den Gebeinen der gemorbeten Brüder. Und ber Vater? Zweifaches Wehe! Wenn Du durch das altftädter Brüdenthor gehft, dann kehre Di um, blide empor über die Wölbung; dort fleden zahlreiche Todten ſchãdel, weißgebleiht von Wind und Sonne, an Spiefen; einer davon ift Deines Waters Haupt: dies bedenke, wenn wir Deines Armes bedürfen zw kühner That. Wo fein Leib modert, weiß ih nit. Man Hat den Gerichteten keinen Grabflein geſetzt. And) fo wie id bin, mußt Dir Dir den Bater nicht denten. IH war ein Ciferer mit dem Wort, er war's mit dem Schwerte. Sein Sinn wie feine That war raſch und heftig, die Blutarbeit fein Tagewerk, die Freiheit fein Leben. Seine Liebe zum Bater- lande war eine große, glühende Leidenſchaft. Sprid, wie un ternahmt Ihr die Reife?“

„Der Oheim führte mich,“ erzählte ber Ritter, „flets bei Naht vorwärts. Am Tage ruhten wir. Gr vermied die voll

derloßfohn: Der lebte Taborit. I. 5

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zeichen ‚Städte und Tante die Fußpfade und Wege burd) die Bäder fehr gut. Er ging als Bauer gefleidet umd ſchien vor Entdedung beforgt zu jein.“

„Wohl mag er noch Grund dazu haben,“ fuhr der Priefter fort; „denn zwanzig Jahre felbft und mehr können den Glaubens- haß nicht töbten. Tief mag der Schmerz noch in feinem Innern nagen er hat ja mit das Schredlichfte eriebt und gejehen. Prokop ber Große fiel von feiner Hand, wie er's befahl. Doch noch fchredficher endete Prokupel. Sie zerfleifcgten ihn mit hundert Streichen, doch töbteten fie ihm nicht ganz. Wie ein- anger ſchoſſener Rabe, den der Zäger vollends zu erſchlagen fi nicht die Mühe nimmt, verſchmachtete er auf freiem Felde. Wehe!

" Wehe! Und bas haben umfere Brüder gethan! Und beim heiligen Gott! wir fochten doch für unfer Recht, für unfern wahren Glauben und unfere freiheit gegen die Abtrünnigen, gegen einen aufgebrungenen König. Wir fonnten bie vier Artikel nit an- nehmen; denn in ihnen, wie fie das Concilium gedreht und ver- daufulict, liegt ſchon der Keim des Todes für umfere religiöfe Selbſtſtändigkeit. Bleibt es fo,’ fo gibt es im zwei hundert Jahren keine caligtinifche Kirche mehr. So aber foll es mit Gott, der uns ben Geift gab und die Weihe zur neuen Lehre, nicht werden, Wir find jet nur geduldet, und unſer Dafein ift bloß die Frift des Arztes, die er dem Kranken gibt vor feinem fihern Ende. Nicht eine Gemeinde, eine Secte follen wir forten bitden fondern unſer Glaube foll der Glaube der Welt fein: uicht wir follen befviegt werben um des Glaubens willen, wir wollen beftiegen, und nah allen Landen Bin werben wir bie Apoftel fenben mit der Macht bes Wortes und des Schwertes, bamit Licht und Freiheit ein Gemeingut werde aller Böfter. Wir wollen uns und fie aus den Banden Roms befreien; die Hier- archie fol geſtürzt und die Lehre frei im aller Priefter Mund gegeben werden. Das Wort Gottes if für Jedermann, und

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Jedermann ſoll Einfiht Haben nad; feinem Geifte und feinem Scharfſinn im die Heiligen Bücher. Kein Pfaffe fol fie mehr, deuten und verbrehen, ſoll die Kehren vom ewigen Regimeme ausdehnen auf das Irdiſche. Dem Priefter gehört das Jenſeits, ihm gziemt nicht, auf Erden herrſchen zu wollen. Er fei arm und habe nichts als das Evangelium; dieß fei fein Samenkorn und fein Pflug. Darum gefält mir der Rofyzana night. Er hat für dem König geprebigt, er Hat ihu durch des Volkes Mund auf den Thron geſetzt umd möchte jett ſelbſt gern König fein. Doch will mir’s feinen, als würde er. dem Könige ſchon jegt laſtig, und über ein Kleines wird nicht mehr vom Dante die Rede fein. Rod; haben wir Kräfte und Stimmen, bie Schläf- tigen zu erweden. Wir wollen ihnen die Gefahr zeigen, die von beiden Seiten droht. Georg will Frieden haben und fügt fi auf die Nitter und die Stäbte; aber die Biſchöfe und die Herren treiben heimliche Meuterei gegen ihn. in Qunfe, und die Flamme ſchlägt auf. Es wird, es muß zwiſchen ihnen zum Rampfe kommen, zu einem blutigen Kampfe. "Wir ſtehen dann in der Mitte, neigen uns zum Könige bin, und ift der Sieg fein, dann verftärkt ihm. unfere Macht, dod nur zu unfern Zweden. Das Evangelium umd die Freiheit hat der Herr für Ale gegeben: für die Hohen, wie für die Nieberen; und weil durch unfere Lehre von Gleichſtellung der Rechte, von Bruderliebe, von Bertheilung der Güter ber gemeine Mann frei werden folk, fo zittern und winden ſich die Herren und die Priefter. Es Handelt fich bei ihnen nur um die irbifchen Güter, nicht um gleiches Licht und gleiche Wärme für die Welt. Kein Kreuzheer fol fortan nach Böhmen kommen, wohl aber wollen wir Heere von Kelchnern nad) Deutſchland fenden und ringsum Hin, wo man unfern Waffenrufm kennt, um dort die reine Lehre zu ver- kündigen. Du wirft Männer kennen lernen, Mitglieder eines geheimen Bundes, gleigefinnt wie ih. Sie fiehen am Throne,

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in der Werkftatt, in der Zelle: überall fie wirken im Stillen für den großen Tag der Auferflehung, für die Wiederkehr des alten Ruhmes. In dem Haufe des Edlen von Zeöwic twirft Du eine freundliche, gaffihe Aufnahme finden; er wird Dir ein zweiter Bater, feine Kinder Dir” Gefchwifter -jein. In feinen Händen find Deine Schäge, mein Sohn; denn Du bift nicht arm. Er hat fie redlich verwaltet. Er wird Did im die Nähe des Könige bringen; doch traue diefem nicht zu viel laß Dein arglos-findifhes Gemüth nicht geblendet werden durch fo manden Zug von Edelmuth und Größe Er if nur halb unfer Mann, und wäre die katholiſche Partei ftärfer denn umfere, er würbe eben fo leicht papiſtiſcher König. Vorerſt beſuche die hohe Schule hier; es gibt noch einige Männer, die im Sinne des Johannes und des Hieronymus ehren. Iſt's auch nicht diefelbe Kraft, fo ift der Wille doch gut. Bilde Dich nad dieſen. wird eine Zeit fommen, wo Du Deinen geſchändeten Namen frei wirft nennen können, ohne zu erröthen, wo Du ftolz auf ihn wirft fein; eine Zeit, wo man jene Todtenſchädel auf dem Brüdenthurme mit Feierlichkeiten und heißen Thränen zur Erde beftatten wird. Wille Gott, if fie nicht mehr fern.”

„D möge fie bald nahen,“ rief fromm bewegt der Jüng ling, „und weniger blutig als bie Vergangenheit! So mancher unferer Brüder wird verſchmachten müſſen an bittern Zubes- wunden, ehe e8 eine Gemeinde geben wird.“

„Laß fie verbluten!“ unterbrach ihn der Priefter mit Feuer; „nur duch die Bluttaufe werden fie gereinigt und gehen ein in's höhere Leben. Wer ein Feind der guten Sache ifi, dem wäre beffer, er wäre mie geboren. Wer nicht bei uns fteht, der ift gegen une. Wer da ſchwankt zwiſchen beiden Parteien, ift ein Berräther; denn wie das Glüd fich wendet, ſchwört er bald diefer, bald jener Treue. Raffe Di auf, mein Sohn, zu der Stärke, bie fein Opfer ſcheut. Ueber Dornen muß bie

Li}

Menfhheit, wie der Einzelne zum ſchönen Ziele Mimmen. Wer Segen bringen will in feiner Zeit, muß durch ein Jammerthal pilgern, muß die Wunden nit achten, die fie ihm fchlagen ftatt des Lohnes. Wär doch das Lehen’ des Lebens nicht werth, wenn 8 fein Ienfeits gäbe, wenn nicht nad uns noch Ge— ſchlechter kämen, unfere Erben, die da ernten müflen, was wir gefäet, und von Neuem ſäen. Yet leb' wohl, mein Sohn! Mid ruft der Dienft in die Kirche. Komm oft, fomm bald wieder; ich will im Namen Gottes mit meinen ſchwachen Kräften Dir Freund und Führer fein.“

Bratislav trennte fi tief bewegt von dem Greife. „Welch' ein jeltfamer Mann!” fagte er fi, „fo voll Liebe und Milde, und doch wieder voll Feuereifers, ein Krieger uub ein Priefter, Einer, der Wunden Heilt und ſchlägt. Wie ganz anders ale mein Ohm, der ewig bäftte, ewig menſchenfeindliche Mann, der nur zer» Rören will! Wohl will jener auch zerflören, aber auch einen neuen Tempel bauen auf den Trümmern bes beſtandenen. Wäre die Welt überall voll Liebe es bebürfte des Zerſtörens nicht, fo fagt es mir mein ſchlichter Sinn. DO! ich könnte fie fieben, aber ih muß fie Haffen; fie Haben mir Wunden gefchlagen, ehe ih noch war, fie Haben meinen Namen gebrandmarkt, ba ich ihn faum noch führte, fie haben mid; ausgeſtoßen aus ihren KXreifen, ehe ich fie mod; betrat. Wo ift meine Verlaſſenſchaft, auf bie id meine Anfprüde gründen fönnte, wo ift ber Rame, wo ift der Mann, den id als Bürgen meiner Ehre, meiner Reinheit nennen könnte ? Dort anf jenem roſtigen Pfahle ber bleiche Tob- tmidjäbel, gleidjviel. welcher, ber if’e."

Er ging voll trüber Gedanken nad der Meinen Seite Hin- ber.

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6.

Bratislav fand im Haufe des Edleu von Zedwic eine freundliche Aufnahme. Der Ritter felbft, ein bejahrter Mann, der and in jener Schlacht mit gefodhten, aber nicht nad) Zion geflüchtet, fpäter freigefprogen und in den Beſitz feiner Güter gefett worden war, ſchien das Wohlwollen felbft, und übertrug im Augenblide die Liebe, die er zu dem verftorbenen Water hegte, auf den Sohn. Seine Kinder, ein Sohn von zwanzig, eine Tochter von achtzehn Jahren, glichen dem Bater an Herzensgüte und reinem Sinn. Schon nad wenigen Tagen fühlte ſich Bra- tislav Hier heimiſch wie im Baterhaufe, von dem ihm feine Ein- bifdungskeaft ein liebliches Bildniß malte.

Nilla®, der jüngere Zedwic, wurde ſchon in den erſten Stunden Vratislav's Freund. Mehr heiter und freudiger in das Leben blidend, ſuchte er Vratislav's düftern Sinn aud dorthin zu lenken, wo die Zukunft ein helleres Morgenroth verſprach, und Elifa, feine Schwefter, glich einem lächelnden Morgenhimmel, der im feiner Anmuth Alles freudig beftrahlt und fo zum heiter« fen Kroßftnn einladet. Sie war nit groß von Geftalt, nicht von ungewöhnlicher Schönheit, aber in ben brnunen Augen, ben lets lächelnden Mienen lag eine rebliche, offene Zärtlichleit für jeden Menfchen, der ihr gut ſchien. Sie konnte nicht haffen.

Schon am erfien Tage Hatte fie auch die bruderliche Zu- neigung Vratislav's in dem Grade gewonnen, daß er zu Riffs fagte: „Ich beneide Dich um Deine Schwefter ich wollte, id) wäre ihr Bruder. Zwar würde mich ihre frohe Laune, ihr une ftäter Sinn oft verlegen, aber id; würde ihr doch ſtets wieder gut fein. Es würde mir frommen, wenn mandje Wolle, die mir fo büfter erſcheint, zuweilen von einem mildern Lichte anger ſtrahlt würbe.“

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„Das liegt nur an Dir,” verſetzte Nillas; „habe dem feſten Vorſatz, fröhlich mit dem Froöhlichen zu fein, nnd Du wirft es fein. Kommen büftre Stunden, fo werd’ es erft dann, wenn fie Dir begegnen.“

„IH Tann es nicht,“ war Vratislav's Antwort; „den an meine Jugend, ben? an mein Schichſſal zurüd. DO, Du kennft noch nit Alles! Wie ließe fi aud folder Eindrud raſch ver- wifhen I"

„Und dennoch,“ fuhr Niklas fort, „ſcheinn Du mir zum Frohſinn geſchaffen. So hat Dich; die derſchiedene Gemüthsart meiner Schwefter angezogen, ftatt abzuftoßen, und id; würde ger rade an meiner Geliebten einen Theil beffen Ioben, was ih an Dir tadle.“ J

Ein lautes Geſchrei, welches ſich unten im Hofe erhob, ftörte ihre Unterredung. Ein fremder Mann mit roher Sprache fritt mit dem Kaftellan.

„Ih muß hinauf zu meinem Herrn,“ ſchrie er, „er if mein Here! Mad” mich nicht wild, Du kahlgeſchorner Hafel Solche Geichöpfe, wie Du, hab’ ich im Kriege zu Dutzenden ge- fpießt. Haft Du nicht Mefpeet vor einem ergranten Gtreiter des Keldjes 70

Bratislav erfannte jegt dem alten Sufol, mit weldem er am Tage zuvor Belanntfchaft gemacht. Er beſchied ihn mit des Kitters Eriaubniß hinauf.

Der Kriegsknecht trat polternd in die Thüre, daß der Fuß boden drößmte; er war in feiner gefirigen unanfehnfichen Tracht, und trug ein Bündel verfdiedenartiger Waffen unter dem Arme,

„Verzeiht, ebfe Herren,“ fagte er, „daß ich nicht fo zierlich onftrete umb leiſe vede und kichere, wie bie ſchlanken Tagediebe, Enre_ Diener, die ich auf der Treppe und im Hofe gefunden. Ich bin Einer, der's Schlachthandwert getrieben, fo zu fagen ein

Schlädter, der jest auf feine alten Tage fi an die Kette legen will, bis es draußen wieder losgeht. Ich Habe unfre Tänze bei Mies und Taus mitgemacht, und mehr dergleihen,; aud den bei Hrib der Herr verdamme mich! da Hatte id} feine Gelegenheit, feine Hoffitten zu lernen. Wenn's aber fein muß, will ich's noch zu fernen traten auf meine alten Tage und wie ein alter Bär das Tanzen lernen. Der junge Ritter dort,“ fuhr er fort und deutete auf Vratislav „hat mir geftern zugefagt, mid; anzumerben, wenn's ginge. Und da komm’ id) denn mit meinem Reichtum bier, mit al meinem Hansrath und Berlafienfhaft, umd frage nochmals an; 's find zwar feine koft- baren, aber recht tüchtige, vecht ſchätzbare Waffen da. Es waren Euch kräftige, widerſpenſtige Kerle, die fi) brav wehrten, demen ih fie abnafm. Sie mußten Alle in’s Gras beißen. IH nahm Jedem mur ein Stüd ab, went ic; ihnen den Garaus machte, und fagte ganz Höflih: Lieber Feind und papiſtiſcher Hundl da Du nun einmal fterben mußt umd Deine Bertvandten nicht zu- gegen find, fo fege Du mid zum Erben ein; Dir nutzt das Zeug nichts mehr, und ih Tann es brauden. Sie thaten's auch immer gutwillig, und Keiner wiberfprad mit einem Worte; denn fie Hatten auch ‚keine Luft mehr in det Kehle. Seht, jo wurde id ein reicher Mann. Die Waffen Hab’ id; nun überall mitge- ſchleppt; fie find zugleich meine Kriegsgeſchichte. Ich hab’ im deutſchen Reihe draußen, wo ich herumzog, einzelne Geſchichten davon ben Leuten beim Weinkruge erzählt. Sie betrachteten mich wie ein Wunderthier da, wo fie noch feinen Huſſiten geichen hatten, und die Buben auf den Straßen fangen gar bald Fieber von mir und meinen eroberten, wollte fagen: ‚ererbten Waffen. Und die deutſchen Weiber hatten gar eine hohe Ehrfurcht vor mir fie gebaren zu frühzeitig, wenn fie mich fahen; ſolchen Refpect hat der Böhme im Ausland.”

„Der Mann gefällt mir,” fagte Bratielan zu dem Altern

Zeiwic „fo Ihr's genehmigt, nehme ich ihm als meinen Diener an.”

„Ein alter Krieger,“ verfeßte der Ritter, „ein Krieger des Kelhes noch dazu, ein Sprößling jener Zeit if uns willlommen und wird von ns geehrt. Thut, wie Euch beliebt.“ Er wandte fi jeßt zu Sutol und fagte: „Mein edler Better bier nimmt - Did zum Kappen an für Treue und Reblichleit wird Dir Liebe und. Adtung werden. Bergiß zuweilen aber nit, daß dies Hans fein Schlachtfeld, umd daß Di jegt Deinen Herm Tieben und ihm gehorden mußt, wenn Du fonft todtſchlagen durfteſt. Wir haben Frieden und müffen alſo friedlich. fein. Auch ich focht unter derjelben Fahne wie Di. Meine Diener wer- den freilich wicht anders werden, und Du mußt Did alfo mit ihnen vertragen, wenn Du bleiben willſt. Nicht Jeder laun da»

+ für, daß er nit mit war in den Schlachten. Dazu gehören nur die Muthigen, Auserlefenen. Jetzt geh’ hinab in die Gefin- defiube, leg’ Deine Waffenfomminng ab und forge für eine Klei« dung, bie Deines neuen Herrn würdig if. Sobald die Roffe vom Markte kommen, fannft Du zeigen, ob Du ihrer Wartung tandig biR.” °

mHabt Dank, meine Herren,“ entgegnete der alte Krieger; „8 if doch gleich etwas Andres, mit Herren zu fpredien, bie den Krieg geiehen haben und ihn lieben. Ihr follt mit mir zur frieden fein und mir nicht umfonft das Gnadenbrod geben, wie einem alten Gaul. Wil mid, fhon vertragen mit. Euren Die nern; es find ja im Grunde auch Glaubensbrüder und feine Deutſchen. Wären’s folge dan freilich Münd’ ich nicht für mid."

Er entfernte fig. Kaum mar er fort, fo ſchlug Eliſa ein lantes Gelachter auf. „Rein,. Ritter,“ fagte fie, „Ihr habt Euch da einen ſchönen Bären angeſchafft! Nehmt mir's nicht übel, aber er paßt ganz für End, beſonders wenn Ihr fo recht

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finfer und grämfih vor Euch hinſtarrt. Wenn Ihr ausgehen wollt, um zu freien, fo müßt Ihr den mitnehmen; dann könnt Ihr fiher fein, daß alle Mädchen vor End; davon laufen.”

Bratislav erröthete und fagte flotternd: „Dann gerade wird er mir die beſten Dienfte Leiften.“ .

„So ?!“ entgegnete Eliſa gedehnt, „das war wenig verbind- lich; das fol aber gerächt werden. Freilich) von mir nicht, denn dazu bin ich zu umbebentend; aber ich kenne mande Andere, der €8 twohl gelingen dürfte, dieſen flarren Sinn zu beugen.“

Die Thure öffnete fich bei dieſen Worten, ein Page trat bor und machte einer Dame in Trauer Plag, die eben eintrat. „Milada!“ rief jegt Eliſa und wollte dem Fräulein entgegenſtür- zen als diefe zurüdbebte, fid) mit. der Hand auf den Edel- knaben ftügte und ausrief: „Heiliger- Gott! auch hier fein Geift fein Geil“

Bratislav erſchrat es war die Dame, melde er vor einigen Tagen in ber Schloßlicdhe gefehen Hatte.

BVeftürgt mäherte fih der Jungfrau die von Zeswie und beftürmte fie mit Fragen über ihren plößlihen Schreden. Man geleitete fie mad) einem Geffel; "fie erholte fi, fie ſchlug bie Augen auf, blicte aber nicht nad) dem Fenſter Hin, wo Bratislav regungslos fland.

„Berzeißt bie Störung,“ Hub endlich das fremde Fräufein leiſe und mit füßer, feelenvoller Stimme an „wer ift ber fremde Ritter dort? Zum zweiten Male erfdeint er mir diefe Aehnlichkeit mit meinem todten Bruder hat mich erfchüttert. So ſah Heinrih aus als er ſtarb. Ich glaubte feinen Geift zu fehen. In der Schloßkirche war es zum erſten Male; ich ge- dachte des geliebten Todten ba erblidte id; jenes Antlig die Ueberraf ung, der Schreden machte mid; ohnmädtig. Zürnt mir nit iſt mein Schmerz; um den ‚geliebten Bruder doch nod zu jung! —“

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„fo ſchon Betanntſchaft gemacht !“ wandte fi) life fähelnd zu Vratislav „das nenn’ ich vafdh fein. Kommt näher, ſtummer Ritter, damit das Fräulein ſich Aberzengt, daß Ihr fein Geift weit eher ein Mann von Erz feib.“

„Fräulein id} flelle Euch unfern Better, den Edlen Bra» tislav von Branif, vor,“ nahm der alte Zeöwic das Wort, „und das Fräulein, welches Ihr erſchrect habt, Neffe, ift die edle Mir lada von Dubnic, unferm Haufe vielfach befreundet.”

„Freund Bratislav,” ſcherzte Elifa, „da Euch meine geliebte Freundin ihrem fefigen Bruder fo ähnlich findet, fo ſteht Ihr fon mit Vortheil in ihrer Gunſt.“

Gähender Purpur färbte bei dieſen nedenden Worten Mi- la da's Wangen, und auch Bratielav’s Antlig wurde roſig an- gebaut. Er faßte fi und richtete folgende Worte an das Fräulein: „Verzeiht mir, daß ich Euch erſchredt Habe. Ich dürfte werig Hoffnung für das Leben und die Huld ber Menſchen ſchöpfen, wenn fon mein Aeußeres fo flörend wirkt. Den Todten beneide ih ihm muß viel Liebe zu Theil geworden fein, ba Ihr fein Bild fo lebhaft in dem Augen tragt.”

„Du ſiehſt, Freundin,“ fiel Eliſa ein, „der bleihe Fremd - fing Tann auch artig fein und ſchmeicheln, obgleich er's vor einee Weile gegen mid; nicht in dem Maße war. Doc hatte ich Recht, als ic fagte: es müßten andere Helbinnen fein, dieſe ſteinerne Bruft zu rühren, als id. Run aber komm’, Milada, in den Garten Du bift angegriffen, Du mußt in die frifhe Luft. Ich will Dir auch alle meine Blumen zeigen, die feitbem aufgeblüht find. Der Bater hat mir, wie Du weißt, von dem beutfhen ‚Kaufmann Holländiihe Tulpen ge- fanft ad), die ſind berefich aufgegangen! Und Ihr, Ritter,“ wandte fie fi zu Bratislav, „könnt fpäter folgen, vorausgeſetzt, daß Ihr fein artig feib und uns nicht erihredt. Ich fage:

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erſt fpäter, denn früher Haben wir dod noch einige @e- Heimniffe zu befprechen.“

Sie entfernten ſich nad) biefen Worten; bie Ritter blieben allein. .

„Milada von Dubnic,“ wiederholte Vratislav aufgeregt alfo doch eine Papiftin? 1" .

„So if’8,” antwortete der ältere Zedwic, „das Ediet fchreibt uns, wie ben Katholiken, Duldung vor wir üben fie, unbeſorgt, ob fie von jener Seite auch geboten wird. Mit biefem Beiſpiel ziemt es uns ben niebern- Ständen voranzugehen; fo erliſcht der” Haß allmälig, und Liebe und Vertrauen kömmt wieder unter die Menſchen.“

„Und biefe Papiſtin,“ ‚bemerkte Niklas; „beim heiligen Gott! wären alle Menfchen fol’ reinen, edlen, frommen Sinnes mir brauchten zur irdiſchen Wohlfahrt nicht einmal des Chriften- thums: denn die Welt wäre dann vol Liebe, voll Frieden und Berföhnung. - Du mußt nicht fo hart fein, Bruder; Du mußt den Namen nit, Du mußt den Menſchen nur Haflen, wenn er es verdient.”

„Aber fie Haben uns Wunden geſchlagen,“ gegenrebete Bra- tislav, wo wir nur Licht und freiheit haben wollten; fie Haben unſre Glaubenshelden, deren Herz voll von Liebe und Duldung war, in bie Flammen geworfen; fie finnen nod jet auf unſre Bertilgung und predigen mit frechem Hohne: es fei verdienſtlicher amd Gott gefälliger, gegen uns, bie Ketzer, einen Kreuzzug zu thun, als gegen bie blutdürſtigen Mahomebaner, die das Kreuz von Konftentinopels Zinnen herabgeftürzt Haben. So hab’ ich's ſelbſt gehört.“

„Bon Pfaffen, ja,“ beiehrte ber ältere Zeöwic; „es ift der Wiederhall aus Rom. Und follte es von da anders fommen? Die heilige Schrift aber fagt: Liebet, die euch haſſen, thut denen wohl, die euch verfolgen ! Und daran mollen wir bangen, nicht

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daran, was ber Priefter fanatif er Mund lehrt. Auch wir, mein Freund, haben, in den biutigen Religionskriegen nicht immer das Maß gehalten, nicht immer Schonung geübt und den Weizen von dem Unkraut gefondert. Schweigen wir lieber davon. Es war ein Glaubenskrieg, und der ift ber ſchreclichſte, wie wir ſelbſt erfahren Haben. Doch von was Andrem!* unterbrach er ſich „warum immer diefen ernften Gegenftand? Die Welt ſtrebt vorwärts; warum wählen wir bie Gräber der Bergangen- Seit auf, um unſre Leidenfchaften gegen einander anzufahen? Ich folge den Damen kommt denn aud hinab und lernt die ſchone Papiſtin näher kennen.“

Er ging. Bratislav ſtand im Fenſter und folgte unwill- tührlich mit den Blicken jenem ſchwarzen Schleier, der von Zeit zu Zeit ans ben Blüthengebüfhen umd Zweigen hervorglänzte. Es jchien ihm mandmal, als ob fie abfihtlidh ſehen bliebe, bier und dort eine Blume betraditete, ſtets nach der Richtung gegen das Haus Hingewendet, und flüchtig das Auge über das Feufter gleiten ließe. Diefer Bid es war nicht mehr der flarre, der einen Geift, einen Bewohner des Grabes zu fehen glanbte durchſchauerte den Ritter fo, daf er hörbar fenfzte.

„Se. länger ich Dich betrachte,“ begann nad einer Weile Niklas, „um defto mehr finde ih die Aehnlichteit mit Milada's Bruder aus Deinem Angefihte Heraus. Ja fo konnte ihre aufgereizte Einbilbungsfraft leicht getänfcht werden. Ich wollte Dir's vergönnen, wenn aus dem Ebenbild des Bruders ein Ger fiebter würde, Diefe koſtbare Perle ift wert"

„Um Gotteswillen!“ unterbrach ihn Bratislan heftig „ih eine Papifiin! Heiliger . Himmel! was fpriäft Du! Du tennft meinen Schwur nicht.“

„Sie if} reich an zeitlichen Gütern,“ fuhr Nitlas fort, ohne die Ausrufungen des Freuudes zu beachten, „doch nod reicher an Gütern der Seele: von edlem Sinn, von klarem Geifte und

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engelreinen Sitten. Die Arme bat viel des Schmerzes erfahren, fo jung fie if. Das Unglüd ſucht die beften Mengen am liebften heim; fie find feine Lieblingsliuder. Den Bater verlor fie früh dann folgte die Mutter; vor wenig Wochen ftieg auch der Bruder in das Grab. So ſteht fie mun- allein, bioß in der Obhut einer alten Muhme. Das zarte Mädchen Hat alles Dies mit Kriftlich-frommen, demüthigem Sinne ertragen und haßt die Welt dod nicht, fieht fie gleich liebend an, ehrt das Walten des Geſchickes und liebt Lebende fo wie Todte ohne Unterſchied der Confeſſion. Das nenn’ ih mir einen Glauben! Und wie gefält Dir ihr Aeuferes?_ Wohl felten wird folder Liebreiz, folhe Wohlgeftalt gefunden. Bei Sanct Venzeslan | wenn fie nicht fGon fo lange bie Freundin meiner Schwefter und faft wie meine Schwefter, und wenn fie eine frembdere, neue Erſcheinung wäre, id könnte fie felbft lieben und ſchwärmen wie eine Nachtigall. Doch ich fehe, Du bift ſtumm, ich langweile Did. Komm mit in den Garten.“ .

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Der König Georg ſaß im traulichen Cabinete mit ſeinen beiden Söhnen, dem Biſchof Rokyeana und dem Rathe Schlid. Er überließ ſich mit diefen ihm naheftehenden Perfonen, wenn nicht gerade Verhandlungen -über Staatsangelegenheiten, fo doch einem vertrauten Geſpräche. Der Ernſt der Zeit erheiſchte ftets Geiſtesgegeuwart, Gefaftheit und einen ſichern Weberblid der Er- eigniffe.

„Hat ſich Fautinus de Valle eines Beſſern befonnen,” fragte der König, „und wird er nachgerade lernen, wie man mit einem König ſpricht ?*

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„Ih glaube kaum,“ erwiederte lächelnd Rofycana ; „ein pa⸗ piſtiſcher Kopf iſt widerſpenſtig und bie Prieſterherrſchaft das Palladium, um welches Rom auf Tod und Leben kämpfen muß.“

„Bewahre nur der Himmel,“ entgegnete der König, „unſre gereinte Kirde vor ſolchem brandigen Auswuchs! Der Priefter herrſche in Glaubensſachen und mit in weltlichen; fein Amt ift nicht von dieſer Welt.”

„Du mißdenteft es vielleicht,” bemerkte Rotyzana ſcharf; „wicht Herrfcher fei der Prieſter, doch treuer Rathgeber kann er immer fein. Wie feine Einſichten durch .die Heiligen Bücher ge- heiligt und gereinet werden, fo kann davon Vieles paffen auf die Berhältniffe des Lebens.“

„Dabei bleibt feiner ftehen, mein Freund“ bemerkte der König. „Des Unheile wäre nicht Halb fo viel im der Melt ge- ſchehen, wäret Ihr in. Euren Tempeln geblieben und ließet bie Könige walten auf den Throne. Es war ſchon im Heiden- thume fo. Unglüdfelige Halbheit! Sie langen mit einer Haud in den Himmel, Hammern aber die andre feft an die Erde und ihre Güter, wollen mitten inne flehen, aber oben wie unten ge- bieten, falten und walten lönnen. Was gibt es weiter Neues 2" " B

" „Der alte Zeöwic,” nahm Bictorin, der Sohn des Königs, das Wort, „war bei mir. Er bittet, morgen vorgelaffen zu werden, um einen Neffen, einen jungen Ritter von Branik, Dir vorzuftellen. Der junge Mann ifi vo edler Gefinnung, doch fireng taboritiſch.“

„Nie in der Mitte, auf. der breiten Fahrſtraße ber Er- fahrung,“ bemerkte der König, „bleibt die Jugend. Sie fängt mit glühender Liebe, ober bitterem Kaffe an. Was will man von une, was von mir? Es iſt Friede; ruhig neben einander Tonnen die Parteien walten, ſich ihres Lebens freuen, die Wunden Heilen, die der Krieg geſchlagen: was will man mehr? Tadelt

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man mid, daß ich die Krone genommen? Das Baterland fand am Rande eines Abgrunds ber ſchreclichſte Bürgerkrieg war fein gewifjes Los erhoben. ſchon waren die Schwerter; ber Kuifer lanerte, und Böhmen war für ewig eine deutſche Provinz. Es bedurfte alfo eines Mittelpunktes; der ward ich, mud feit« dem if Ruhe in Böhmen; jo es Gott gefällt und meinem Arm gelingt, fehen wir den Tagen feines Glanzes wieder freudig ent- gegen. Mähren hab’ ich unterworfen Sternberg hat die Laufitz und Roſenberg Schlefien befegt; biefe Lande find wieber mit un vereint. Der Kaifer ift beruhigt. Ich weiß es genau, dab er zu meinem Erb- und Erzfeind, dem Papſt, Worte ber Ver - f6 mung, der Berufigung gefproden Hat.“

Der römische Drache” äuferte Heinrih von Münfter- berg, „ann fi alfo immer noch nicht beruhigen.“

„3% war zu mild,“ fuhr der König fort, „zu fchonend verfuhr ich fonft, und Hab’ es num zu bereuen. Diefen Aeneas Sylvius Tonnte ich erflidden, da er noch eine junge Schlange war jegt ift fie viefengroß geworden. Ich kenne fein unfeliges Walten er und der Eilleyer Graf verwalteten Ladislav's Reiche. Gott ſei's geklagt! fie haben mehr auf dem Gewiffen, als ein Menſch billig tragen fann. Diefen hat die Strafe erreicht, und Aeneas hat fi bis zum heiligen Stuhl empor. gelogen, empor geſchwindelt.“

„Pius damnavit, quod Aeneas amavit,“ führte Ro- fycana an. „Der Aeneas war ein andrer Mann; ein andrer ift er jetzt als Papft Pins der Zweite.“

„Und die Eoncordaten verdammt er jet,“ fprach ber König, „u denen er vordem gerathen Hatte. Zweizüngig wie ein ſchlechtes Weib iſt Roms Prieſterherrſchaft. Kann ih fie denn aufheben, wie er will, ohne den Bürgerkrieg, einen deutſchen, ja vielleicht einen Weltkrieg zu entflammen ? Unfre Väter und Brüder haben fie redlih durch Ströme Bluts erworben, ich foll ihnen num

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deu Xeih, bie vefigiöfe Freiheit nehmen, gewaltfam mehmen?

Werd' ich fie nicht erbittern, aufwiegeln gegen ben Thron, wie gegen- die Matholiten? Und ber Lebieren Uebermmuth möchte ich dann fehen! Run, das Eine wollen fie freilich; demm der Car figtiner if} ihnen, was ber Igel im Neſte des Dachſes. Ih hab' das Alles dem Papfte vorgeſtellt; ſtatt das Eine, Nothwen - dige einzufehen, wurde er nur noch mehr erzürmt: Man fagt vom harten böhmifchen Kopfe gewöhnlich, er fei ſchwer zugänglich bei einer vorgefaßten Meinung. Nun, beim Beifigen Gott! der Raliener Hat einen Schädel, der Funken geben muß, ſchlägt man mit dem Stahl daran.“

„Die Pilgner und die Budweiſer,“ nahm jegt Schlid das Wort, der mehrere eingegangene Brieffhaften vorlegte, „treiben es gar zu arg im ihrer freiheit. Erlaube, Hoheit, daß id Dir Bericht erfiatte. Sie werden aufgehegt duch bie Prieſter und Einige vom Herrenftande. Nach jedem Gottesbienfte verlöſchen fie die Kerzen und fchreien, zur Erde miedergeworfen: König Georg iſt ein Ketzer, ift eim Thronräuber! Und darnach fingen fie das Miserere.“

„Ih muß es dulden,“ fagte der König lächelnd; „men ih fie züchtige, werd’ ich fie auch beſſern? Ich kenne fie wohl, die Hohen Standesherren, die mir ſolche Suppe kochen. Sie gingen mit den Pfaffen ftets Hand in Hand. Was gilt? Ich ehe feft, die Ritterſchaft zur Seite, die Stäbte meine Bollwerke, den Glauben und die gute Sade in der Bruſt geftüßt, ge» liebt von treuen Freunden! Warum fol ich da nicht feft fliehen, kräftig ausharren wie ein Mann? Den Ottolar, dem hetsten fie wie einen Löwen. Er blieb ein Löwe; nur das Unglück ſchlug ihn darnieder, als es riefengroß herangeſchritten kam. Und der Mord! Gegen den Mord iſt Keiner geſchützt. Ich weiß es, daß einige glaubenswüthige Calirtiner wie Katholilen nach meinem Leben ſtreben, als hinge daran ihr künftig Heil. Weil ich fie

Herloßfohn: Der lebte Taborit. I. 6

zugle, daß fie nicht über einander herfallen und ſich ohne zerfleifchen Haflen fie mid. "Gerade wie bie man fie wit zw den MMühlrädern gehen laſſen will! und Grauen madjt mir mein Feind zu Rom benn der ſtirbt wit fein Haß erbt fort. 8: wird mir und Die Ratdam fo über den Hals hetzen, daß ich bald von biefer; bald vom jener Thfre die unhöflich Anpochenden werde zurückmeiſen wmiüffen. Keine Nachricht aus Ungarn von meinem Schwiegerſohn Matthias ? Da foll der Szilagyi, fein Oheim, ſcheel fehen zur Heirath mit unferer Tochter! Sie ſprechen ſogar von einem erſchlichenen Hei - tathevertrage. Wie ſchlecht und falſch die Welt if! An lem mätelt fie.nnd fprigt auf dem reinften Gpiegel einen Flecken Sqhmutz, damit er ja nur nicht tadellos je. Den Matthias von Hunyady hat mein Arm, der Böhmen Kraft, ihr fefter, be formener Wille auf Ungarns Thron gefegt., Mit Ungarn vereint und verbündet, köunte Böhmen allen Nachbarn trogen; aber da tommt wieder der leidige Nationalhaß, an dem die Völfer nicht, wohl aber die ſchlechten Herrſcher ſchuldig find. Der Matthias ift ein Fühner Feuergeift, zum König geboren, voll Kraft und Ein- fit. Aber er iſt auch händelſuchtig, unüberlegt, und der Umftand wird ihn im taufend Gtreitigfeiten verwideln. Er wird eben fo wenig wie ich jemals ruhig regieren. Es war eine fhöne Zeit für die Fürften, als bie Bölter noch Heerden waren und die Herrſcher Hirten, und ihre Schafe im Schlafe mweibeten! Wber die haben es uns auch verdorben umd die Sache ſchwer gemacht. Sie Hießen die Schafe Schafe bleiben; fie ſagten ihnen wicht, daß ſie auch Menſchen find. Nun wollen Diefe ihr Recht von fo und fo viel Hundert Jahren nachholen. Da reiht die Hand nicht aus, hier · und dorthin zu langen, um Ale, die ſich ihr entgegenfireden, au befriedigen.“

nDer päpfliche Nuntius in Wien,“ nahm Rolycana wieber das Wort, „hat kürzlich auch gegen Dich als einen Keger und

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in Gegenwart bes Kaiſers geprebigt. Beine kaiſerliche Hohelt . hörten das ruhig wit an.”

„Seine Baiferliche Hoheit,” wiederholte Georg, „fähen mich aud) lieber in ber Türkei oder bei den Tartaren, als auf Böh- mens Throne. Unfre flavifche Krone ſticht den Herren von Habsburg doch gar zu glänzend in die Augen. Und doch will's nicht gehen! Böhmen kann nie gut öftreihifh werden. Jeder Stamm für ih! Eher wird der. Rabe weiß, ehe der Böhme ben Slaven auszießt. Böhmen, Mähren, Schlefien, Polen, Ein Reid unter Einem erblichen Herrſcher, in Kirche und Staat gut ge ordnet, gefeglich frei, unabhängig vom Papfle: es wäre ein Wall gegen die aflatifhen Barbaren, wie gegen den Halbmond, ein zweites Frankreich, doch noch mächtiger, gewaltiger. Mein Gott, daß ich's erleben Lönnte! Cs muß das Sterben fehr erleichtern, zu wiffen, daß nad; unferm Ende Mes gut georbmet, wohlbeſtellt bieibt, und die Stürme nicht wieder fommen, nad deren Toben wir vertrauengvoll wieder den Ader beſtellt und die Scheuer ge- richtet Haben. Das wird freifih wit fo Tommen, wie ih in den erfien Tagen gläubig hoffte! Nun, mir müffen es nun einmal tragen, wie es uns auferlegt iſt. Unfer Heer iſt gut geübt, gekleidet und vollzählig, die Münze erwect das Ber- trauen vwöieder, die Gerichtshöfe find geregelt, die Lehre frei ge- geben: bei Gott! ein guter Anfang, eine freundliche Ausficht für genügfame,. ruhige Bürger. Ah! id; gäbe alle Katholiten drum, wenn fein einziger Hocabeliger in meinem Lande wäre. 34 hätte bloß meine Ritter und meine Städter und mein braves Bolt; dann wollte id ein Reich gründen, um deſſen Dauer nad meinem Tode mir nicht bange wäre. Freiheit für Jeden, das Gefetz für Jeden! mein fchönfter Gedanke, dann Fönnteft Du verwirklicht werden. Sagt mir, Biſchof, wie fleht es mit der Hohen Schule? IA nod immer der Geiſt der Zwietracht umter den Studenten, noch immer Zweitempf und Todſchlag alle Tage?

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. Die Böhmen tönnen nicht vergeffen, daß fie Böhmen, die Deut ſchen wollen nicht vergeffen, daß fie Deutſche find. Mur auf dem Namen, nicht auf die Gefinnung Tönmt's bei ifuen an. So viel Jahrhunderte find bie Deutſchen im Lande, find Halb und Halb mit einem Theil der Nation verſchmolzen; num wollt Ihr ans dem alten Walde, wo bunt Fichten zwiſchen Eichen fiehen, die Eichen ausreißen und verbrennen. Dabei fol aber der Boden an den Fichten und unter ihnen nicht leder werben! Seltſames Berlangen! Die vorigen Jahrhunderte riefen die Deutſchen in's Land herein; warum gingen wir nicht eben fo hinaus zu ihnen? Warum bat man deutſche Fürſten auf unfern Thron ge fegt? Der Schade ift alt darum zu tragen. Wenn wir bie Wunde nicht reizen, fo vernarbt fie endlih. Sie follen Alle ber denken, daß fie erft Menſchen find, unfterbliche, vernünftige Den ſchen, und daß fie. ferner ruhige, friebliebende, gehorfame Bürger fein müffen: dann if’6 recht. Der Unterihied, ob Böhme oder Deutſcher, kommt zulegt daran. Schlick!“ er wandte ſich zu diefem, „laßt morgen unter Pauken und Trompeten an ber Karls - ſchule den Befehl anſchlagen: daß, wer von meinen Gtubenten einen Andern im Zweilampf verwundet, bes Todes ſchuldig ift und von dem Henker abgethan werden foll, und bies ohne Un- terſchied des Standes, ob Einheimifcher oder Ausländer."

„Das Gericht hat auch geftern,“ berichtete Schlick, „einen Juden, der beſchuldigt worden if, auf der Brüde das Kreuz ge- täftert und angefpudt zu Haben, zum Tode verurteilt.” Ihm fol die Zunge mit glühender Zange aus dem Halfe geriffen, er hierauf gefchleift, geföpft nnd dann verbrannt werden.“

„Schlich, mildert das Urtheil,“ gebot ber König, „Das gibt dem Fanatismus neue Nahrung! derlei Graufamfeit gereicht meiner Regierung wie bem Zeitalter zur Unehre. Ich dankte Gott ſchon, wie das jeder Vernünftige tfun muß, daß wir über

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bie Zeiten der Huffitifhen Gräueltgaten hinaus find. Mas fonft auf ben Schlachtfeldern gebrändlih war, Hat fi nod in dem Gerichtsfälen erhaften. Wir wollen als Menſchen den Menicen richten, nicht als wilde Thiere. Der Jude if auch ein Menſch. Hat er das Verbrechen begangen, dann if er ein Thor, ein Narr, ein Berrüdter. Jeſus Ehriftus ift zw erhaben im feiner Göttlichkeit, als daß ihn ein Narr entweihen lönnte in feinem Symbol; und ift der Jude ſchuldlos, wie's oft vorgefommen, weil ein Jude flets für ſchuldig gehalten wird, dann fehlimm für une. Es ehrt ung nicht, und auch die Lehre von der Ber- ſohnung preift es nicht, daß wir ben Juden immer nod nicht verzeihen Können, daß ihre Vorfahren den Stifter unferer Reli« gion, der ſelbſt ein Jude war, gefremigt haben. Haben es deun die Ehriften mit Huß und Hieronymus auders gemadt? Und da folgte bie Verſöhuung bald. Man fol die Juden nicht ſchinden umd quälen id will es nicht. Es iſt ein Unglüd, Jude zu fein, vornehmlich, da es ein unverſchuldetes if. Das Ungtäd fol man in allen Geftalten ehren. Wenn bie Juben viel verdienen, fo Laßt fie zahlen und glauben, was ſie wollen. As man uns unfern Glauben mit der Macht des Banues und der Waffen nehmen wollte, ſchmerzte e8 uns, umb wir rädten ums. Sie fühlen fo gut wie wir. Sie beieben den Handel, find fleißig mmd betriebfam, und bringen Gewerbsſinn und Thü- tigkeit unter ben gemeinen Mann. Wegen ihrer fehler wollen wir fie nit mit eifermen Ruthen peitſchen. Wären wir ale Juden ‚geboren wir wären weder beſſer noch ſchlimmer; alfe Friede Ruhe Verſöhnung. Das Fledchen Exde, das ber Menf im Leben einnimmt, hat Raum genug, daß Einer neben dem Andern ftehen kaun. Warum alfo den Andern verbrängen und peinigen, und uns felbft das Leben fauer mahen? Wenn Jeder ben Filed ruhig anbant, auf welchem er fieht, fo wird das Sand bald ein Garten und ernährt reichlich Jeden. Die Habfucht

fhlägt dem Andern Wunden umd vergiftet den eigenen Frieden. Mildert das Urtheil, Schlid. Ich will das gemeine Bolt lieber unzufrieden machen dadurch, daß id ihm ein gräßlid- ſchönes Schaufpiel entziehe, als eine Graufamteit geſchehen kaffen, die mir in meiner legten Stunde bereinft ſchwer auf dem Herzen liegen könnte, Werft ihn in's Gefängniß es iſt Strafe ger nug für feine Unthat, wenn er fie begangen hat.“

„Die Mönde,” fuhr Schlick fort, „welchen Du ihre Klöſter wieber gegeben, flehen Deine Milde um Unterfiägung an. Sie fagen, fie fönnten nicht Teben, die Gitter Habe man ihnen geranbt, das Betteln fo gut wie unterfagt.”

„Sie follen arbeiten!“ beſchied der König; „ich laun fo viele taufend Müffiggäuger auf Koften der Bürger nicht ernähren. Ich Habe: ihnen ihre Güter nicht gevaubt; der Krieg hat fie ver- ſchlungen. Sie foßen fle ſich wieder Holen von den Staudes - herren; die Haben fie. Auch follen fie erſt Ruhe Halten lernen und fi den Mund waſchen, damit fürder nicht fo ungewaſchenes Zeug baraus Hervorfomme. Sie mögen nit über Hintau- fegung und Veeinträgtigung Hagen; fobatd meine caligtinifden Priefter aumaßend werden, erfahren fie eine gleiche Behandlung. Sind die Güter ber KatholifChen verpfändet worden, jo mögen fie dieſelben auslöſen; ich Habe fie nicht verpfände. Daß fie mir die Breslauer, die Blazer und Mährer aufhegen, weiß id recht gut; daß fie in Rom das Feuer fchüren, auf. An meinem Schwiegerfopne Matthias arbeitet der Legat recht emfig, verfpricht ihm fogar Böhmens Krone, wenn er mich mit Krieg überzieht. Das Raubgefindel von ber Mährer Grenze, welches feine Schlöffer geplündert Hat, muß die Veraulafſung geben. Statt unfre ihm verlobte Tochter fih zu holen, kommt er, mit uns Krieg zu führen. Ein Gfüd gibt's bei jedem Unglüd. Kaiſer Friedrich it ſchwach und bie caligtiner Tapferkeit fo welt»

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berũhmt, fo gehurchtet, daß unſre Feinde dem Heiligen Bater offen geftanden haben, fie hätten Seine Luft mit den Unbezwing · fihen anzubinden.*

„Darf id rathen,“ nahm Rolycana nad einer Baufe das Bort, „fo wär’ es beffer, ihnen zuvorzulommen, Wer cher das Schwert zieht, if im Bortheil. Finden fie uns nicht (Altern, ia fogar zum Angriff geräftet, fo werden fie fih eines Beffern befinnen. Bei der Curie feheitert jede Eurer Unterhandlungen; der Bapft kampft auf Tod und Leben. Er ift unverſöhnlich fo fange noch der Kelch beſteht.“

„IH weiß, mein Freund Johannes,“ entgegnete lächelnd ber König, „Du bift unwirſch, weil Die Aeneas noch nicht die Ius veftitug gegeben Hat. Biſt Du doch Biſchof von meiner Hand! Und weil er Dich nicht will confecriven laſſen, kann id) doch feinen Krieg anfangen. Der hat Unredt, ber ba fagt,.ich Taffe mid) zweimal mahnen, ehe ich einmal das Schwert ans ber Scheide ziehe. Vermeiden wir darum jeden Anlaß zur gerechten age, und fie werden ſich vergeblih mühen, ein Bündniß gegen ung zu Stande zu bringen. Laffen wir die Feinde auch leben. Durch fie. erfheinen wir ja größer, und Freude macht es uns doch, wie das römifde Unthier ſich vergeblich die Zähne ausbeißt. Noch gehört ung ja der Heutige Tag und die Hoffnung auf den morgenden. Der Abend ift jo ſchön! Ic will hinab auf den Wall, will im Kreife der Meinigen unter blühenden Bäumen einmal fröhlich fein, des ernſten Tagewerkes . einmal vergeffen. Du, Bictorin, beftehl, daß man bie königliche Braut, Deine Schwefter, in einer Sänfte hinabtrage. Sie erwarte mid in weiner Laube mit der Mutter, Die warme Sonne wird ifrer kranfen Bruſt wohlthätig fein. Für jet gehabt Euch wohl, meine redlichen Räthe und vertrauten Freunde.”

Rokycana und Schlid entfernten ſich, jener offenbar ver-

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Rimmt; fein Lacheln konnte den verdrießlich hämiſches Zug wur den Mund nicht gängfic verwildien. Der Mönig ſchien ed nicht zu bemerken.

Bratislav fland mit dem Niklas Zedwic im Kreife mehrer Studenten vor dem Carolinum. Es war noch vor Anbegiuu der Borlefungen. Seine Aufmerkſamkeit zog ein Hochſchüler ver allen Andern auf fi. Er war ein Deutſcher, ans Regensburg her, roh und hodfahrend in feinem Weſen, aumaßend im feiner Sprade und von grobem Stolz erfült. Er drängte fih an Jeden, verhöhnte bald Diefen, fritt mit Jenem und praßlte be fonders mit feiner Körperkraft. Auf feine Häßlichteit die Naſe war did, der Mund groß, das Gefiht als Wahrzeichen vieler Sclägereien mit vielen Narben bebedt ſchien er faft eitel zu fein; demm fobald eine Dame oder eine ſchmuce Bürgerfran vor- Überging, drängte er fi vor, warf fi in bie Bruſt umd ſtarrte fie frech und herausfordernd an. Seine Name war Otto von Spanberg; er war der Sohn des reichen Burggrafen von Re- gensburg.

Bratislav wi ihm mit Fleiß aus; doch bemerkte er bald, wie Diefer zu einem Dritten, ohne Zweifel über fein blaſſes Aus- fehen; fich eine fpöttifcde Bemerkung erlaubte, welche er dann mit lautem Gelädjter begleitete. Im umferm Ritter regte ſich ber Ingrimm über den rohen Gefellen, der ihm ſchon beim erſten Anblide widerwärtig erſchien; doch bezwang er fi und nahm die Miene der Gleichgittigkeit an; denn er follte fi ja im Dulden üben.

Glodengetin und Pferdetsitte zogen jet bie Aufmert-

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ſamleit. der jungen Männer nad der Seite des Xinges hin, von wo fi) ein ſtattlicher Zug edler Herren und Damen zu Roffe näherte. Boran ritt eine Jungfrau im der Mitte zweier Ritter. Sie trug ein braunes gofbgefäumtes Reiſetleid, ein ſchwarzes Barret und einen wallenden Feberhut auf dem SHaupte; einige Nitter, Diener umd Dienerinen in reicher Tracht folgten. Die Dame war im heitern Gefpräde mit den Rittern und ſaß leicht und ſtattlich zu Rofſe .

Wie ein Big durchfuhr es Bratislav, als jet der Zug mm bie Eile bog. umb er jene Lidmila von Rofenberg an Neu- haus's Seite erbliäte. Sie blickte frei um fi, ſah mit offenen, faft heramsfordernben Bliden die Gruppe der jungen Männer an, ale gaite es, fie bie Macht ihrer Reize fühlen zu laſſen. Beinahe Sitterab vor Schreck verbarg fih Bratislav Hinter den freund er fühlte fein Herzblut aufwallen, feinen them gepreft; er tam fid) wie ein Berbreder vor, der var ber GEntdedung bebt.

Und in der That ſchien fie ihn erbfict zu Haben; denn fie erhob fid im Sattel und fah unverwandt nad) jener Stelle Hin, wo ſich Bratislav verborgen hielt. -Die Krümmung der- Straße, rechts gegen das Thor ber Meufladt zu, entzog fie endlich bes Jünglings ſcheuen Biden.

nBei Gott, ein ſchönes Weib! Prags ſchönſte Jungfrau! Nein, die ſchönſte auf der ganzen Welt, bei meiner Seele!” fo tönte es unter ben jungen Eblen und Patriciern von Mund zu Mund.

„Ja, wenn dieſe unfer Profeſſor wäre,“ ſprach wieder ein Andrer, „und' läfe ein Collegium! Donner! ich verfäumte feine Stunde.“

Ein Dritter fang:

„Wäare doch der Engel mein! König mähnte ich zu fein.” „Haft Du fie gefehen?“ fragte jest Zeiwic Bratislan, in-

dem er fi nach ihm umbrehte; „es if die Roſeubergerin. Bei Gott! eine Roſe ein Berg voll holder Rofen. Sie trägt fie aud zur Schau anf Mund uud Wangen, auf Hals und Stirne, von allen farben, dunkel und bfaß, weiß und purpurn. Ja, eine Rofe iſt fie auch nicht ohne Dornen, wie ich glaube; fie hat ſchon Manche geſtochen, die fie pfläden wollten. Wie fie die Königin ber Schönheit, fo ift fie auch ſtolz wie eine Königin, Bei Gott! mein Freund, ſchilt mich einen Schwärmer aber wenn König Georg ſagte: Nimm Dir aus dem Böhmerlande, was Du willſt, jelbft Prag nidt ausgenommen, zu eigen, id. wählte mir bie Roſenbergin. Vielleicht bitßte ich fpäter in langer Nene den ‚kurzen Wahn; aber es wäre doch ein ſchöner Traum, am dieſer Bruſt zu ruhen.“

„Schweig!“ ſagte Vratislav, deſſen bleiche Wangen ſich hochroth gefärbt, „id lenne fie woßL Nenm. mir ihren Namen nit nie mehr! Sahſt Du den Neuhaus auch? Er war'g ja, der meinen Vater gefangen nahm und mir ben Glanz des Lebens geſtohlen! Eine ſchöne, bunte Schlange neben dem Tieger!“

„Ihr feid Ale Narren!“ ſchrie jegt der Regensburger laut hohnlachend. „Ihr Habt fein Urtheil, keinen Geſchmack! Was ift an der Larve? In Baiern ifi jede Bauerndirne ſchöner, als biefe WNofenbergerin. Ich ſchwör's bei meiner Großmutter Seele und bei ihrer ſtets beweglichen Zunge!“

„90bo !” riefen bie Andern und brachen bei folder thörichten Uebertreibung in ein lautes Gelächter aus.

„Was wollt Ihe?“ vief ber Dentihe dazwiſchen. „IH bin gerade nicht der Schönſte; aber ich gehe eine Wette ein, daß ich fie im mid, verliebt made bis zu Thränen, wenn ich's baranf anlege. Aber mein Sinn flieht nad; Höherem.“

Ein abermaliges Gelächter erfolgte, und der Regensburger wurde noch Heftiger, indem er fagte: „Es lohnt der Mühe nicht bei folder Schönheit zehnten Ranges; aber um Euch zu ärgern,

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wa’ ich den Berſuch, oder eigentlich bie Eroberung. Haltet mid) beim Worte! Heut‘ über ein Jahr ſprechen wir mehr davon.“

Bratislav übermannte der Werger über den rohen Prahier abermals; er lonnte es nicht verwinden, das Fräulein vom dem frecden Geſellen ſchmhen zu hören; warum? ivußte er ſelbſt nit. Er fagte zu Niklas, indem’ er ihn am Arme nahm: „Komm bei Seite ich will’ Dir fagen, woher ich bie Jungfrau, die Du fo feurig gepriefen Haft, kenne. Wber jene Beben dee frechen, ſchmähſüchtigeu Kumpans kann ich nicht länger anhören. Es ragt ſich gegen den Menſchen, ber eine unſerer ſchönſten und edelſten Jungfrauen das iſt fie, Hafl’ ich fie gleih verld- Fert, ein tiefer Ingrimm in mir; ich fühl es, daß ich mit ihm uod Händel befommen werde.“

„Sein Mund. if ſchlimmer, als fein. Her,“ entgegnete Niklas; „ſo glaub’ ic. Er gefällt ſich in diefer Art vom Rohheit, wie ein Spaßmacher, weil er Gelächter als Beifall erntet Sein Herz fol deshalb nicht boshaft fein; fo fagen Biele, bie ihn ge nauer fennen. Er Bat viel Anhang unter den Genoffen. Mir gefällt er. auch nicht befonders; doch duld' ich ihm ohne Areund« ſchaft oder Feindſchaft. Doch ſprich,“ unterbrach er ſich, „wo · her kennſt Du Frembling in dieſer Stadt ſchon dieſe holde Blume? IR der Ruhm vom ihr bis in Dein fernes Waldneſt gedrungen ?“

Bratislav erzählte num dem Freunde das gehabte Abenteuer am Tage feiner Ankunft in dem Garten vor dem Angezder Thore.

„Und Du uahmſt ihren Dank nicht entgegen?" fragte. ver-. wundert Nillas; „Du ſahſt fie mit wieder? O fchüchterner Thor! Du Glüdticher, dem fie verpflichtet if, Dur fonnteft Did; ihr vor allen Andern nähern.“

„Wie Du auch ſprichſt!“ erwiderte Bratisfan verbüftert. Kennſt Du ihren Oheim nit? IH fol dem Manne ohne

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Zahnelnirſchen, ohne Racheſchnauben in das Anltig ſchauen? Wer mir dem Bater erſchlagen —“

„Du Haft daun nad) der Schrift gehandelt,“ belehrte Nitlas, „und Böfes mit Gutem vergolten: die Nichte ihm aus drohender Lebensgefahr gerettet, ihm, der Dir ben Bater geflohlen. Das Bergeben war Deine fhönfte Rache. So aber haft Dur Gutes geabt, das Dich Hinterher bitter reut.“

Rein, nein, nein!“ ſprach Bratislan aufgeregt; „Du wirkt mid; nie begreifen, weil Du meinen Schmerz nicht kennſt.“

„Ich glanbe,“ unterbrach ihn Niklas, indem er ihn ſcharf anblidte, „Du fürdte, Did dem Mädchen zu nähern, weil Dur FÄHIR, daß Du fie danu fieben mußt.“

„Duäle mid nicht!“ widerſprach Bratislav, „mit dem Tone, welchen ich bei jenem Deutſchen fo fehr hafſe. Dod hier tömmt Sufol mit den Koffen! Was willſt Du?“ wandte er fi} gegen den Diener, der ſtattlich zwiſchen zwei Roffen einher geſchritten kam; „Du Haft Dich wohl um eine Stunde verrechnet?”

„Nein, Here!“ öveſchied biefer. „Ih Hoffte Euch noch vor der Schulftunde Bier zu finden, und ba ich den weiten Weg nad ber Bruska hinüber nit noch einmal machen wollte, fo nahm ich gleid; die Pferde mit. Ich Habe feltfame Nachricht für End,“ fuhr er leiſer fort. „Ihr müßt mit Pfaffen Streit gehabt haben.“

„Rur weiter weiter!“ trieb Vratislav ungeduldig; „was gibrs

„Ich war,” Hub Sulol bebädtig und geheimnißvoll an „heut Morgens auf dem Strahof. Beim Vorbeigehen beſuchte ich jenen Wirth, wo wir uns zuerſt geſprochen, den Michalet, den Spigbuben, ber mir erſt feine Forderungen ſchenken wollte, jest aber, wo er mid, in biefem flattfichen, verbrämten Wamms gefehen, fie gar verdoppelt hat alſo id; gebe nad. Wie ih eintrete einen Trunk zn verlangen und ihm zu fagen, daß

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weiter, liege ihm mehr am ſicherer Auskunft über Cure Verſon. Der Michalel meint, Ihr könntet auf der Hut fein. Gie wollen fi wohl ſelbſt erſt rächen. Heut’ Abend kimmt der Guardian heimlich und ganz allein will mit: dem Wirthe im oben Gemache ſprechen und ihn um noch Mehreres befragen. Durch den gedachten Mönd; Hat ex. ſich melden laſſen. Gr kennt den Michalek als einen Schurken wer weiß, zu welchem andern Gottesdienft er ihm noch abrichten wil. Ich habe dem Kerl ein Golbftüd von Euch verfproden, wenn er mid im Nebenzimmer fein Geſpräch belauſchen läßt. Er hat es zugefagt; denn ber Mönd hat nichts zu bieten, und. mehr caligtinifdh iſt Michalet

auch gefinnt, obgleich ein Betrüger. Hör’ ich nur ein einzig unebenes Wort von dem Pater, fo tret’ ich heraus; mit einem Griff dieſer meiner taboritifchen Hand zerquetſch' id ihm den talen Schädel, daß mir fein Hien durch die Finger Sprit!” J „Laß das!“ gebot Vratislav; „erwarte mich bier, ſchweig gegen Jedermann. Vielleicht gehe ich heut' Abends ſelbſt ſtatt Deiner.“

Eben ſchallte die Glocke des Carolinums, und unfer Ritter drängte fi) mit den Webrigen in den Hörſaal.

Knapp unter der Ringmauer der Neuftadt, nicht fern von einem ber damals neuerbauten Thore, befand fi ein öffentlicher Bergnügungsort: ein Haus nebft geräumigem Garten, welchem man den Namen $loremz beigelegt Hatte, woſelbſt bie junge Mannerwelt, namentlich die Studivenden der Hochſchule, zu Spiel, Gefang und Tanz zufammenfamen. Der Name Fiorenz follte an Venedig erinnern; denn fo hieß ein öffentlicher Garten zur Zeit Karl's des Vierten, welchen diefer aber, weil fittenlofe Dirnen dafelbft ihr Weſen trieben, Schließen ließ. Letzterer Um fand fand bei Florenz nicht Statt; aber als Bergnügungsort follte es zugleich buch feine Gartenanfagen, die Ausficht vom nahen Wale, wo das Auge ben Ziftaberg und ein lachendes Thal überbliden konnte, an das italienifche Florenz erinnern. Vrag, welches unter Karl IV. bie fröhlichſte der europaiſchen Städte genannt wurbe, Hatte trotz der Tangjährigen Kriege bis dahin noch immer etwas von biefem Charafter erhalten.

Es war an bemfelben Nachmittage, wo wir unfern Ritter mit feinem Freunde in der Gegend bes Carolinums verlafien

Haben. Lärmend wogten die Gtubirenden, Alumm und Bacca faurei in den Gängen des gedachten Gartens auf und ab. Biele faßen in dem ſchattigen Lauben zu beiden Seiten bei ben rügen, mit fäumendem Hopfenbier gefühlt, im Gefpräd über Wiffen- Saft, Welt und Zeit; Andere erluſtigten fi) durch Negelfpiel, Ningewerfen, oder dur; Gefang, unter Begleitung einer Cither, melde ein blinder Mufltant ſchiug.

Es war ein ſchöner, heller Tag bes lachenden Sommers, Luft und Himmel dienen die freude und das Vergnügen ber heitern Jugend teilen zu wollen.

An einem Tiſche im der Mitte des Gartens ſaß Bratislav mit Niclas von Zedwic im Kreife mehrer Stubiengenoffen, deren Freundfäjaft Iener ſchon demacht hatte. Sie waren in einem für die allgemeine Stimmung faft zu ernflen Geſpräche begriffen, als plößlih jener vorlaute Deutſche, der Regensburger, lachend, Wigworte hier- und dorthin fehleudernd, fich dem Tiſche näherte, Blag nahm, die Geſellſchaft muſterte und ſogleich, die Andern übertönend, das Mort ergriff:

„Da jagt ein Schwemberg, der Narr,” begann er, „es gebe in Deutſchland feine Stadt, fo ſchön gelegen, fo herrlich Hinge- Kelt auf Berg und Ufer, wie Prag! Mein Gott! fo

ſchwatzt man, wenn man nichts gefehen hat. Wer aber draußen

war am Rhein, in Mainz oder Eöln, wo fi) der majeftätifche Strom an dem Fußzehen ſolch' einer Rieſenſtadt hinwälzt, und wo's wirkliche Berge gibt und feine Maulwurfshügel: der ſpricht anders ; oder auch wer Infprud und Salzburg geiehen. Kinder! das ift Alles vet gut; aber Ihr müßt Euch durch Eure lächer- fie Borliebe für das Einheimiſche nicht gegen das Schöne in der Fremde blind machen Laffen. Der böhmiſche Hans glaubt, da Hinter der Wand, wo nicht mehr Böhmifh geſprochen wird, Höre die. Welt auf.” "

„Ich dachte,“ gegenvedete Einer der Studirenden, ein ruhiger

befonnener Mau, „es fei eben bie Vaterlaudeliebe, die dem Böhmen zur Ehre gereicht. Denn wo id mit ber feflen Lieber zeugung am Einheimiſchen Kange, ba wird das Fremde, Ans- landiſche nicht fo leicht meine Sinne bethören und mid zur Nachahmung reizen.“

„Ei was,“ nahm Spanberg wieber das Wort, „Radahmung! Als ob ihr Slaven etwas Anderes als nahahmen könntet! Die Cultur, das läßt fi einmal nicht Teugnen, Habt Ihr von uns Deutſchen befommen, unb Euer großer König Karl bat dei nichts Anderes gethan in feinen Gebäuden, Stiftungen und Ge fegen, als nachahmen. In Frankreich und Deutſchland ging er in die Schule. Weil die Böhmen fo tief in's mittlere Europa hineingerüdt, fo zu fagen vorgefhoben find, jo wurden fie auch vor allen ſlaviſchen Völlern zuerft cultivirt. Und Baterland 1? Bas Vaterland! Ein thörichter Begriff, den uns die Auctorität der Alten beigebracht. Die ganze Erbe ift mein Vaterland; aus ihr bin ich entfproffen. Warum foll der Fled gerade, wo ih hervorgekrochen bin an's Sonnenlidt, einen Vorzug haben? Wie ſelbſtfüchtig klingt das, wie eitel und anmaßend! Sagt mir nit, die Menden kämpfen für ihr Vaterland. Sie Tämpfen entweber für ihren Glauben oder für ihre Dummheit, für ihr

Haus und für ihr Feld. Wußte Jeder, er bleibe ruhig im Ber

fige derfelben, Keiner zöge das Schwert. Und wenn id nun einen ſolchen Kothſaſſen bei Eud Hier aus feiner Lehmhütte herausnehme umd fee ihm Hin in's reiche, reinliche Baierland, an bie Iſar hin, wo ſchöne Hügel find und fanbere Menſcheu, und ich geb’ ihm ein Stüd Feld zu eigen, das ihn ernährt: er wird ben Teufel nad) feinem Böhmen fragen, wo er für den Junker arbeiten muß und am Sonntag kaum Schweinefett hat, feine harten Erbſen zu würzen.“

„Das ift ein thörichter Schluß,“ nahm Bratislan, dem es Pflicht fhien, den übermüthigen Deutſchen zu widerlegen, das

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Bort; „es Handelt fi Hier vom gebildeten Manne, vom Manne mit Bermunft und Geift und eigenem Willen, nicht don dem rohen Knecht, der nur am Gegenflande, nicht am Begriff hängt, der nur den finnfihen Genuß fennt umd feine Ehre, Feine Liebe. Die Art bleibt fi bei allen Nationen. glei. Rühmt Ener Deutſchland; das beweiſt mir, daß Ihr es liebt; doch ruhm es nit auf Koften eines Landes, wo Ihr fo eben Baftfreundichaft genießt. Es ziemt fi nicht, wie mir feinen mag, in Gegen- wart einer ſchönen ran von einer zweiten noch fehöneren gar au fobpreifenb zu fprechen, ſelbſt wenn diefe wirtüch noch fhöner if! denn nur die Gegenwärtigen fönnen in biefem Falle mit Recht verglichen werben.”

mEil“ fagte dehnend der Deutſche, „redeft Du endlich auch einmal, Du bleiches Memnonsbild. Ich Tann vom Glüde fagen, Dir endlich ein Wort entioct zu Haben. Da bift Du alfo die Memnonsfäule, von der uns heut der Magifter erzählte, und ich Dein Sonnenſtrahl, Dein Sonnenaufgang. Laß mid alfo auch Deine Wangen röthen; denn wer ſo bleich fieht, darf von Liebe gar nicht fpredhen, und wenn man heftig wird, fo muß das Blut wenigftens in die Wangen fteigen. Aber wir wollen ja nicht ſcherzen; die Sache war ernfihaft, wie der linke Sporu meines Neiterftiefels. Wenn id; Deutſchland rühmte gegen Böh- men, fo wollte id) bloß fagen: dort ift die Gegend, die Stadt, die Menſchenzahl befier, fchöner, gebildeter. Mit Affenliebe d’ran zu hängen, weil e8 mein Baterland, fällt mir nit ein. Statt als Edler geboren zu werben, konnt' ich ja eben fo gut ber In- faffe eines Dorfes im Prachiner, Biliner oder Klattauer Kreife fein, wenn es der Zufall gefügt Hätte. Verliebte find Narren ; fie fehen bei dem geliebten Gegenftande die häßlichften Fehler nicht. Ich hatt’ einen Freund, der freite ein Fränlein, das ſchön von Geſicht, aber lahm war. Glaubt Ihr, er wollte e8 zugeben, daß fie lahm fei? Nein! Er fagte: fie Hühft wie eine

Herloßfohn: Der Iepte Zaborit. I. 7

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Riimmt; fein Lacheln Tonmte den verdrithlich hamiſchen Zug um ben Mund nicht hanglich verwiſchen Der König [cin e$ nicht zu bemerken. J

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Bratislav fand mit dem Niklas Zeöwic im Kreiſe mehrer Studenten vor bem Carolinum. Es war mod; vor Anbegiam der Borlefungen. Seine Aufmerkſamkeit zog ein Hochſchüler vor allen Andern auf fi. Er war ein Deutfcher, ans Regensburg her, roh und hochfahrend ‘in feinem Weſen, anmafend in feiner Sprade nnd von grobem Stolz erfült. Er drängte fih an Jeden, verhöhnte bald Diefen, flritt mit Jenem und prablte be» fonders mit feiner Körperkraft. Auf feine Häßlichkeit die Nafe war did, der Mund groß, das Geſicht als Wahrzeichen vieler Schlagereien mit vielen Narben bededt ſchien er faft eitel zu fein; deun fobald eine Dame oder eine ſchmucke Bürgerfrau vor · überging, drängte er fich vor, warf fih in die Bruft und flarrte fie frech umd herausfordernd an. Seine Name war Otto von Spauberg; er war der Sohn bes reihen Burggrafen von Re- gensburg.

Bratislav wi ihm mit Fleiß aus; doch bemerkte er bald, wie Diefer zu einem Dritten, ohne Zweifel über fein blafies Aus- fehen; fi) eine fpöttifche Bemerkung erlaubte, welche er dann mit lautem @elädjter begleitete. Im unferm Ritter vegte ſich ber Ingrimm über den rohen Gefellen, der ihm ſchon beim erſten Anbfide wibermärtig erſchien; doch bezwang er fi und nahm die Miene der Gleichgiltigfeit an; denn er follte fi ja im Dulben üben.

Gtodengetön und Pferbetritte zogen jet die Aufmerk-

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ſich wie Und in ſich im ſich Bratislav verborgen Hielt. ‚Die Krümmung der Gtrafe, rechts gegen das Thor der Neuſtadt zu, entzog fie endlich des Süngfinge fhenen Bfiden.

„Bei Gott, ein [chöne® Weib! Prags ſchönſte Jungfraul Nein, die ſchönſte auf der ganzen Belt, bei meiner Geelel“ fo tönte es unter den jungen dien und Patriciern von Mund m Mund.

„ga, wenn biefe unfer Profeffor wäre,” ſprach wieder ein Andrer, „und Täfe ein Collegium! Donner! ich verfänmte feine Stunde.“ . -

Ein Dritter fang:

„Wäare doch der Engel mein!

König wähnte ich zu fein.“

„Haft Du fie gefehen?“ fragte jept Zeͤwie Vratielad, In

—R

dem er ſich nach ihm umdrehte; „es if die Mofenbergerin. Bei Gott! eine Rofe ein Berg voll holder Roſen. Gie trägt fie and zur Schau auf Mund uud Wangen, auf Hals und Stirne, von allen farben, dunkel und biaß, weiß und purpurm. Ja, eine Rofe if fie auch mit ofne Dornen, wie ich glaube; fie hat ſchon Manche geflohen, die fie pflüden wollten. Wie fie die Mönigin der Schönfeit, fo if fie auch flolz wie eine Königin, Bei Gott! mein freund, ſchilt mich einen Schwärmer aber wenn König Georg fagte: Nimm Dir aus dem Böhmerlande, was Du willſt, ſelbſt Prag nit ausgenommen, zu eigen, ih. wählte mir bie Rofenbergin. Vielleicht .büfte ich fpäter in langer Neue den kurzen Wahn; aber es wäre do ein ſchöner Traum, an diefer Bruft zu ruhen.“

„Schweig!“ fagte Vratislav, deſſen bleihe Wangen fi hochroth gefärbt, „ich Ienne fie wohl. Menu’ mir ihren Namen nicht nie mehr! Sahſt Du den Neuhaus auch? Gr war's jo, der meinen Bater gefangen nahm und mir ben Glanz bes Lebens geftohlen! Eine ſchsne, bunte Schlange neben dem Tieger!“

„Ihr feid Alle Narren!“ ſchrie jegt ber Regensburger laut hohnlachend. „Ihr Habt fein Urtheil, keinen Geſchmach! Was ift an der Larve? In Baiern ift jede Bauerndirne ſchöner, als biefe Nofenbergerin. Ich ſchwör's bei meiner Großmutter Seele und bei ihrer ſtets beweglichen Zunge“

„H05o 1” riefen die Andern nnd brachen bei folder thörichten Uebertreibung in ein lautes Gelächter ans.

„Was wollt Ihe?“ vief ber Deutſche dazwiſchen. „Id bin gerade nicht der Schönſte; aber ich gehe eine Wette ein, daß ich fie in mic) verliebt made bis zu Thränen, wenn ich's baranf anfege. Aber mein Sinn fieht nah Höheren.”

Ein abermaliges Gelächter erfolgte, und der Regensburger wurde noch heftiger, indem er fagte: „Es lohnt der Mühe nicht bei folder Schönheit zehnten Ranges; aber um End zu ärgern,

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mach' ich den Berfuch, ober eigentih bie Eroberung. Haltet mid, beim Worte! Heut’ über ein Jahr ſprechen wir mehr davon.“

Bratisfav übermannte der Werger über den rohen Prahler abermals; er fonnte es nicht veriwinden, das Fräulein von dem frechen Geſellen ſchmähen zu Hören; warum? iwußte er ſelbſe nicht. Er ſagte zu Niklas, indem er ihn am Arme nahm: „Komm bei Seite ih will’ Dir ſagen, woher ich die Sungfrau, die Du fo feurig gepriefen Haft, kenne. Wber jene Reden dee frechen, ſchmähſüchtigen Kumpans Tann ich nicht länger anhören. Es vegt fi gegen ben Meufchen, der eine unferer ſchönſten und edeiften Jungfrauen das in fie, Hafl’ ich fie gleich ver Fert, ein tiefer Ingrimm in mir; ich fühl es, daß ich mit ihm uod Händel befommen werde.“

„Sein Mund ift ſchlimmer, als fein. Herz,“ entgeguete Niklas; „Io glaub' ih. Er gefällt fi im biefer Art von Rohheit, wie ein Spaßmacher, weil er Gelächter als Beifall erntet. Sein Herz ſoll deshalb nicht boshaft fein; fo jagen Viele, die ihn ge- "naner lennen. Er Hat viel Anhang unter den Genoſſen. Mir gefält er aud nicht beſonders; doch duld' ich ihm ohne Freumd- haft oder Feindfhaft: Doc ſprich,“ umterbrad er ſich, „wo- her lennſt Du Fremdling in diefer Stadt ſchon dieſe Holde Blume? IR der Ruhm vom ihr bis in Dein fernes Waldneſt gedrungen ?*

Bratislav erzählte num dem Freunde das gehabte Abenteuer am Tage feiner Ankunſt in dem Garten vor dem. Angezder Thore. .

„Und Du uahmft ihren Damt nit entgegen ?" fragte. ver- wundert Niklas; „Du fahft fie. nicht wieder? O ſchüchterner Thor! Da Glädtigjer, dem fie verpfücitet if, Du fonnteft Dich ihr vor allen Andern nähern.“

„Wie Du and ſprichſt!“ ertwiderte Vratielav verbüftert. Kennſt Du ihren Oheim nit? Ich fol dem Manne ohne

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Zahnelnirſchen, ohne Racheſchnauben in das Anltitz ſchauen? Wer mir den Vater erſchlagen —“

„Du Haft dann nad) der Schrift gehandelt,“ belehrte Niklas, „und Böfes mit Gutem vergolten: die Nichte ihm aus drohender Lebensgefahr gerettet, ihm, der Dir den Vater geftohlen. Das Vergeben war Deine ſchönſte Made. So aber haft Du Gutes geübt, das Dich Hinterher bitter rent.“

„Rein, nein, nein!“ fprad; Bratislav aufgeregt; „Du wirft mic; nie begreifen, weil Du meinen Schmerz nicht kenuſt.“

„3% glaube,“ unterbrad; ihn RNitias, indem er ihn ſcharf anblicte, „Du fürchteft, Dich dem Mädchen zu nähern, weil Du fäHın, daß Du fie dann lieben mußt.”

„Dudle mich nit!“ widerſprach Vratislav, „mit dem Tone, welchen ich bei jenem Deutſchen fo fehr haſſe. Do Hier tömmt Sufol mit den Roffen! Was willt Du?“ wandte er fich gegen den Diener, der ſtattlich zwiſchen zwei Roffen einher- geſchritten kam; „Du Haft Dich wohl um eine Stunde verrechnetꝰ?“

Rein, Here!” beſchied diefer. „Ich hoffte Euch noch vor der Gchulfunde Hier zu finden, und da ich den weiten Meg mad) der Bruska Hinüber nicht noch einmal machen wollte, fo nahm ich gleich die Pferde mit. Ich Habe feltfame Nachricht für End,“ fuhr er feifer fort. „Ihr müßt mit Pfaffen Streit ‚gehabt haben.”

„Nur weiter weiter!“ trieb Vratislav ungebuldig ; „was gibt

„Ich war,“ Hub Sulol bebädtig und geheimnigvoll an „heut Morgens anf dem Gtrahof. Beim Vorbeigehen beſuchte ich jenen Wirth, wo wir ums zuerſt geſprochen, den Michalet, den Spigbuben, der mir erft feine Forderungen ſchenken wollte, jest aber, wo er mid in dieſem ftattfichen, verbrämten Wamms gefehen, fie gar verdoppelt bat alfo id; gebe nad. Wie id eintrete einen Trunk zu verlangen und ihm zu fagen, daß

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ich da fei zu zahlen ſchleicht ein Rapuzinermönd zur Thür hinaus. „Gut, daß Ihr kommt!“ meinte der Wirth; „eben war von Euch, oder vielmehr von dem Herrn, deſſen Stallmeifter fo nannte er mih Ihr nunmehr feid, ganz im Geheimen die Rede. Der Bater, ber da ging —“ Und fo erzählte er mir denn, der Pfaffe fei gefommen, babe mach biefem und jenem gefragt auch Euch; beichrieben, wie Ihr damals ausgeſehen, Tag und Stunde genannt, an weldem Ihr in der Herberge ger weien, und dann gefragt, wo Ihr hingekommen, wo Ihr Kauft und wie Euer Name. Der Wirth fagt, er habe geantwortet, fo viel er gewußt, und wie Ihr mich zu dem Edlen von Zedwic beſchieden Darauf if} er wärmer geworden, at erzählt, daf Ihr mit gewaffneter Hand in das Klofter eingedrungen, die Tatho- Tide Religion und ihre Priefer geſchmahr und geläftert, dem Kofterfrieden gebrochen, in trunfener Heftigkeit das Allerheiligfte geihimpft, Euch mit blanker Waffe an den friebligen Mönden vergriffen und. fie gefährlich verwundet. Cure Wuth fei nur erſt dann geftillt geweſen, da fie ſich ſämmtlich todt gefellt. Cine Mage gegen Euch wegen beabfitigten Tobtfchlages fei ſchon beim Erzbiſchofe angebracht, und es werde Euch ſchlimm ergehen wegen des verlegten Toferanzedictes. Im Grunde aber, ſprach der Mönd weiter, liege ihm mehr am ficherer Auskunft über Eure Perſon. Der Michalek meint, Ihr könntet auf der Hut fein. Sie wollen fi wohl ſelbſt erft räden. Heut’ Abend kömmt der Guardian heimlich und ganz allein will mit: dem Wirte im obern Gemache fprehen und ihn um noch Mehreres befragen. Durch den gedachten Mönch Hat er fi melden laſſen. Er kennt ben Michälet als einen Schurlen wer weiß, zu welchem andern Gottesdienſt er ihm noch abrichten will. Ich Habe dem Kerl ein Goldftüd von Euch verfprodhen, wenn er mid im Nebenzimmer fein Gefpräh belaufen läßt. Er bat’ es zugefagt; denn der Mönd; Hat nichts zu Bieten, und mehr caliztimifc if Michelet

ſchlägt dem Anbern Wunden und vergiftet den eigenen Frieden. Mibdert das Urteil, Schlic. Ich will das gemeine Bolt lieber, unzufrieden machen dadurch, daß ich ihm eim gräßlich- ſchoönes Schauſpiel entziehe, als eine Graufamteit geſchehen Kaffen, die. mir in meiner legten Stunde bdereinft ſchwer auf dem Herzen liegen fönnte. Werft ihn in’s Gefängniß es iR Strafe ger nug für feine Unthet, wenn er fie begangen hat.“

Die Mönde,” fuhr Schlid fort, „welchen Du ihre öfter wieber ‚gegeben, flehen Deine Milde um Unterftäigung an. Sie fagen, fie fönnten nicht Ieben, die Güter Habe man ihnen geraubt, das Betteln fo gut wie nnterfagt.”

„Sie follen arbeiten!“ beſchied der König; „ich kaun fo viefe tanfend Müffiggänger auf Koflen der Bürger wit ernähren. 34 Habe ihnen ihre Güter nicht geraubt; ber Krieg Hat fie ver- fhlungen. Sie folen fle ſich wieder Holen von ben Gtandes- herren; bie Haben fie. Auch follen fie erft Ruhe Halten lernen und fi den Bund waſchen, damit fürder nicht fo ungewafchenes Zeug daraus hervortomme. Sie mögen nicht über Hintan- fegung und Beeinträchtigung Hagen; ſobald meine calirtiniſchen Priefter anmaßend werden, erfahren fie eine gleiche Behandlung. Sind die Güter ber Katholifchen verpfändet worden, fo mögen fie dieſelben auslöfen; ich habe fie nicht verpfändet. Daß fie mir die Breslauer, die Blazer und Mährer aufhegen, weiß id recht gut; daß fie in Rom das Feuer ſchüren, and. An meinem Schroiegerfohne Matthias arbeitet der Legat recht emfig, verfpricht ihm fogar Böhmens Krone, wenn er mich mit Krieg Überzieht. Das Raubgefindel von der Mährer Grenze, welches feine Schlöffer geplündert Hat, muß bie Beranlaffung, geben. Statt unfre ihm verlobte Tochter fi zu Holen, kommt er, mit ans Krieg zu führen. Ein Glüd gibt's bei jedem Unglüd. Kaifer Friedrich iſt ſcwach und die caligtiner Tapferkeit fo welt-

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berühmt, fo gefürchtet, daß nuſre Feinde dem heifigen Water offen geftanden Haben, fie hätten feine Luft mit den: Unbezwing · ũchen anzubinden."

„Darf ich rathen,“ nahm Rokycana nad einer Baufe das Bort, „jo wär’ es beffer, ihnen zuvorzulommen, Wer cher das Schwert zieht, ift im Vortheil. Finden fie uns nicht ſchüchtern, ja fogar zum Angriff geräftet, fo werden fie fid; eines Beflern befinnen. Bei ber Enrie fcheitert jede Eurer Unterhandlungen; der Papft käampft auf Tod nnd Leben. Er ift umverföhnlich fo lange noch der Kelch beſteht.“

Ich weiß, mein Freund Johaunes,“ entgegnete lächelnd der König, „Du biſt unwirſch, weil Dir Aeneas noch nicht die Ju · veſtitur gegeben Hat. Biſt Du doch Biſchof von meiner Hand! Und weil er Did) nicht will comfecriven laffen, kann id; doch feinen Krieg anfangen. Der bat Unrecht, der da fagt,.ich lafſe mid zweimal mahneu, ehe ic einmal bas Schwert aus ber Scheide ziehe. Vermeiden wir darum jeden Anlaß zur gerechten Mage, und fie werden ſich vergeblich mühen, ein Bündniß gegen uns zu Stande zu bringen. Laffen wir die "Feinde auch leben. Durch fie. erſcheinen wir ja größer, und Freude macht es ung doch, wie das römifche Unthier ſich vergeblich die Zähne ausbeißt. Noch gehört uns ja der heutige Tag und die Hoffnung auf dem morgenden. Der Abend if fo ſchön! Ich will hinab auf den Wall, will im Kreife der Meinigen unter blühenden Bäumen einmal fröhlich fein, des ernften Tagewerkes , einmal vergeffen. Du, Bictorin, befiehl, daß man die Fönigliche Braut, Deine Schweſter, in einer Sänfte hinabtrage. Sie erwarte mid im meiner Laube mit der Mutter, Die warme Sonne wird ihrer tranken Bruft wohlthätig fein. Für jet gehabt Euch wohl, meine redlichen Räthe und vertrauten Freunde.”

Notyeana und Schlid entfernten: fi, jener offenbar ver-

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Ritmmt ; fein Lacheln konnte den verdrieglich hämiſchen Zug mm den Mund nicht ganzlich verwiſchen. Der König ſchien es nicht m bemerken.

Bratislav ſtand mit dem Niklas Zedwic im Kreiſe mehrer Studenten vor dem Carolinum. Es war mod) vor Anbegium der Borlefungen. Seine Aufmerffamfeit zog ein Hochſchüler ver allen Andern auf fi. Er war ein Deuticher, aus Regensburg her, roh und hochfahrend in feinem Weſen, anmaßend in feiner Sprade und von grobem Stolz erfüllt, Er drängte fih an Jeden, verhöhnte bald Diefen, flritt mit Jenem und prablte bes fonders mit feiner Körperkraft. Auf feine Häßlichteit die Naſe war did, der Mund groß, das Gefiht als Wahrzeichen vieler Schlägereien mit vielen Narben bebedt ſchien er faft eitel zu fein; deun fobald eine Dame oder eine ſchmucke Bürgerfran vor» Aberging, drängte er fid vor, warf ſich in die Bruft umb flarrte fie frech umd herausfordernd an. Seine Name war Otto von Spanberg; er war der Sohn bes reihen Burggrafen von Re— gensburg.

Bratislav wid ihm mit Fleiß aus; doch bemerkte er bald, wie Diefer zu einem Dritten, ohne Zweifel über fein blaſſes Aus- ſehen; fi eine fpöttifche Bemerkung erlaubte, welde er dann mit lautem Gelädjter begleitete. Im unſerm Ritter regte fi ber Ingrimm über den rohen Gefellen, der ihm ſchon beim erſten Anblicke wiberwärtig erſchien; doch bezwang er fih und nahm die Miene ber Gleichgiltigkeit an; denn er follte fi ja im Dulden äben.

Glodengetön und Pferdetritte zogen jet bie Aufmert-

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famteit- ber jungen Munner nad der Geite des Minges hin, von mo fi ein Rattliher Bug ebler Herren und Damen zu Moffe näherte, Boran ritt eine Jungfrau in ber Mitte zweier Ritter. Sie trug ein braunes, gofdgefäumtes Reiſelleid, ein ſchwarzes Barret unb einen wallenden Federhut anf dem Haupte; einige Kitter, Diener und Dienerinen in reicher Trecht folgten. Die Dame war im heitern Gefpräche mit den Rittern und ſaß leicht und ſtattlich zu Roffe"

Wie ein Big durdfuhe es Bratielen, als jett der Zug um bie Ede bog und er jene Lidmila von Rofenberg an Reu haus's Seite erblidte. Sie blidte frei um ſich, fah mit offenen, faft heramsfordernden Bliden die Gruppe der jungen Männer an, als gälte es, fie die Macht ihrer Reize fühlen zu laſſen. Beinahe nitterad vor Scheer verbarg fi Bratislav hinter den Freund er .filhlte fein Herzblut aufwallen, feinen Athem geprefit; er kam fi; wie ein Verbrecher vor, der vor der Eutdedung bebt.

Und in der That ſchien fie ihn erbfidt zu haben; denn fie erhob fid im Sattel uud fah unverwandt nad; jener Stelle hin, wo ſich Bratislad verborgen hielt. -Die Krümmung ber- Straße, rechts gegen das Thor ber Neuflabt zu, entzog fie eudlich des Iängfings ſcheuen Biden.

„Bei Gott, ein ſchönes Weib! Prags ſchönſte Iumgfran! Nein, die ſchöuſte auf ber ganzen Welt, bei meiner Seele!” fo tönte es unter dem jungen Edlen und Patriciern von Mund m Mund.

„Ja, wenn diefe umfer Profeffor wäre,“ ſprach wieder ein Andrer, „und Iäfe ein Collegium! Donner! ich verfänmte feine Stunde.“

Ein Dritter fang:

„Ware doch der Engel meint König mähnte ich zu fein.“ „Haft Du fie gefehen?“ fragte jegt Zehmic Vratislad, in-

dem er fid) nach ihm ummbrehte; „es if die Rofenbergerin. Bet Gott! eine Rufe ein Berg voll holder Roſen. Sie trägt fie auch zur Schau auf Mund ımıd Wangen, auf Hals und Stimme, von allen Farben, dunkel und bloß, weiß und purpurn. Ja, eine Rofe if fie auch wicht ohne Dornen, wie ih glaube; fie Hat ſchon Manche geſtochen, die fie pfläden wollten. Wie fie bie Rönigin der Schönheit, jo ift fir au ſtoig wie eine Königin, Bei Gott! mein Freund, ſchilt mich einen Schwärmer aber wenn König Georg ſagte: Nimm Dir ans dem Böhmerlande, was Du mil, ſelbſt Prag nit ausgenommen, zu eigen, ih. wählte mir die Rofenbergin. Vieleicht bitßte ich fpäter in langer Neue den kurzen Wahn; aber es wäre doch ein ſchöner Traum, am dieſer Bruft zu ruhen.“

„Schweig!“ fagte Vratislav, deſſen bleihe Wangen ſich hochroth gefärbt, „ich kenne fie wohl. Nenu' mir ihren Nomen wicht nie mehr! Sahſt Du den Neuhaus au? Er war'd ja, der meinen Vater gefangen nahm und mir den Glanz des Lebens geftoblen! Eine ſchöne, bunte Schlange neben dem Tieger!“

„Ihr feid Alle Narren! ſchrie jegt der Regensburger laut hohnlachend. „Ihr Habt kein Urtheil, feinen Geſchmack! Was if an der Larve? In Baiern ift jede Bauerndirne ſchöner, als dieſe Nofenbergerin. Ich ſchwör's bei meiner Großmutter Seele und bei ihrer ſtets beweglichen Zunge!“

„Hoho !“ riefen die Audern und braden bei folder thörichten Uebertreibung in ein lautes Gelächter aus.

„Was wollt Ihr?" rief ber Deutſche dazwiſchen. „Id bin gerade nicht der Schönſte; aber ich gehe eine Wette ein, daß ich fie in mich verliebt made bis zu Thränen, wenn ich's darauf anfege. Aber mein Sinn fteht nad Höherem.“

Ein abermaliges Gelächter erfolgte, und der Regensburger wurde noch heftiger, indem er fagte: „Es lohnt der Mühe nicht bei folder Schönheit zehnten Ranges; aber um Cuch zu ärgern,

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mach' ich dem Berſuch, oder eigentlich die Eroberung. HDaltet mid) beim Worte! Heut‘ über ein Jahr ſprechen wir mehr davon.“

Bratislav übermannte der Aerger über den rohen Prahier abermals; er lonnte e8 nicht verwinden, bas Fräulein von dem freien Geſellen ſchmähen zu hören; warum? ivnßte er ſelbſe nit. Er fagte zum Niklas, indem’ er ihn am Arme nahm: „Komm bei Seite id} will’ Dir fagen, woher ich die Jungfrau, die Du fo feurig gepriefen haſt, lenne. Aber jene Beben des frechen, fhmähfüchtigeu Kumpans kann ich nicht länger anhören. Es regt fich gegen ben Meuſchen, ber eine unferer ſchönſten und edelſten Jungfrauen das if fie, haff ich fie gleich

Fert, ein tiefer Ingrimm in mir; ich fühl es, daß ih mit ihm nod Händel befommen werde.“

„Sein Mund if ſchlimmer, als fein Herz,“ entgegmete Niklas; „io glaub’ ich. Er gefällt fich im diefer Art von Rohheit, wie ein Spaßmacher, weil er Gelächter als Beifall erntet Sein Herz ſoll deshalb nicht boshaft fen; fo fagen Biele, die ihn ge nauer Tennen. Er bat viel Anhang unter den Genoffen. Mir gefällt er. auch nicht befondere; doch duid ich ihn ohne Freund- ſchaft oder Feindſchaft. Doc ſprich,“ unterbrach er fi, „wor Her kennſt Du Fremdling in diefer Stadt ſchon diefe, holde Blume? IR der Ruhm von ihr bis in Dein fernes Walbneft gedrungen 9”

Bratislav erzählte num dem Freunde das gehabte Abenteuer am Zage feiner Ankunft in dem Garten vor dem Augezder Thore.

„Und Du uahmſt ihren Dank nicht entgegen ?“ fragte ver. wundert Niklas; „Du ſahſt fie nicht wieer? O ſchüchterner Thor! Du Glüdticher, dem fie verpflichtet if, Du kounteſt Dig ihr vor allen Andern nähern.“

nBie Du auch ſprichſt!“ erwiderte Bratislan verbüftert. Kennſt Du ihren Oheim nicht? Ih fol dem Manne ohne

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Zahnelnirſchen, ohne Racheſchnauben in das Anltitz ſchauen? Wer mir den Vater erfhlagen —“

„Du haft dann nach der Schrift gehandelt,“ belehrte Nitlas, „und Böfes mit Gutem vergolten: bie Nichte ihm aus drohenber Lebensgefahr gerettet, ihm, der Dir den Water gefiohlen. Das Vergeben war Deine fhönfte Rache. So aber Haft Du Gutes geäbt, das Dich hinterher bitter reut.“

„Rein, nein, nein!“ ſprach Vratislav aufgeregt; „Du wirft mid) nie begreifen, weil Du meinen Schmerz nicht kenuſt.“

„Ih glaube,“ unterbrad ihn Niklas, indem er ihn ſcharf anblidte, „Du furchteſt, Dich dem Mädchen zu nähern, weil Du fäHIR, daß Du fie dann lieben mußt.“

„Duäte mid; nit!” widerſprach Bratislav, „mit dem Tone, welchen ich bei jenem Deutſchen fo fehr hafſe. Dod Hier Lmmt Sulol mit den Roflen! Was willſt Du?“ wandte er fich gegen den Diener, der flattlich zwiſchen zwei Hoffen einher geſchritten kam; „Du Haft Did) wohl um eine Stunde verreinet?“

„Nein, Herr!” beſchied dieſer. „IH hoffte Euch noch vor der Schulſtunde Hier zu finden, und da ich dem weiten Weg nad; der Bruska Hinüber nicht noch einmal machen wollte, fo nahm ich gleich die Pferde mit. Ich habe ſeltſame Nachricht für End,“ fuhr er feifer fort. „Ihr müßt mit Pfafien Streit gehabt haben.“

nRur weiter weiter!“ trieb Bratislav ungeduldig; „was st

„IH war,“ Hub Sufol bedächtig und geheimnißvoll an „heut Morgens anf dem Strahof. Beim Vorbeigehen beſuchte ih jenen Wirth, wo wir uns zuerſt geſprochen, den Middle, den Spigbuben, ber mir erſt feine Forderungen ſchenken wollte, jegt aber, wo er mid; in biefem flattlichen, verbrämten Wanna gefehen, fie gar verboppelt hat alfo id; gebe nad. Wie ih 'ntrete einen Trunk zn verlangen und ihm zu fagen, daß

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ich da ſei zu zahlen ſchleicht ein Kapnzinermönd zur Thür hinaus. „Gut, daß Ihr kommt!“ meinte ber Wirth; „eben war von Euch, oder vielmehr von dem Herrn, deſſen Gtallmeifter fo nannte er mich Ihr nunmehr feid, ganz im Geheimen bie Rede. Der Pater, ber da ging —“ Und fo erzählte er mir denn, der Pfaffe fei gekommen, habe nad} diefem und jenem gefragt aud Euch beſchrieben, wie Ihr damals ausgeſehen, Tag und Stunde genannt, am welchem Ihr in ber Herberge ge- weien, und dann gefragt, wo Ihr hingekommen, wo Ihr hauft und wie Euer Name. Der Wirth fagt, er habe geantwortet, fo viel er gewußt, und wie Ihr mich zu dem Edlen von Zeöwic beſchieden. Darauf ift er wärmer geworden, bat erzählt, daß Ihr mit gewaffneter Hand in das N lofter eingedrungen, die katho- ſche Religion und ihre Prieſter geſchmaht und geläftert, den Aloſterfrieden gebrochen, in trunfener Heftigfeit das Allerheiligſte gefhimpft, Eud mit blanfer Waffe an ben friedlichen Mönden vergriffen und fie gefährlich verwundet. Cure Wuth fei nur erft dann geftillt geweſen, da fie ſich ſämmtlich tobt geftellt. Eine Mage gegen Euch wegen beabſichtigten Todtſchlages fei fhon beim Erzbiſchofe angebradht, und es werde Euch ſchlimm ergehen wegen des verlegten Toferanzebictes. Im Grumde aber, fprad der Mönch weiter, liege ihm mehr an ficherer Auskunft über Eure Perſon. Der Michalek meint, Ihr könntet auf der Hut fein. Sie wollen fi wohl felbft erft rächen. Heut’ Abend kömmt ber Guardian heimlich und ganz allein will mit: dem Wirthe im obern Gemache ſprechen und ihn um noch Mehreres befragen. Durch den gedachten Mönd Hat er fi melden laſſen. Cr kennt dem Michalek als einen Schurlen wer weiß, zu welchem andern Gottesdienft er ihm noch abrichten will. Ich Babe dem Kerl ein Goldſtück von Euch verfproden, wenn er mich im Nebenzimmer fein Geſpräch belauſchen läßt. Er bat’ es zugefagt; denn der Mind Hat nichts zu Bieten, und. mehr calirtiniſch ift Michälet

auch gefinnt, obgleich ein Betrüger. Hör’ id nur ein -einzig unebenes Wort von dem Pater, fo tret’ ich heraus; mit einem Griff diefer meiner taboritifhen Hand zerquetſch' ich ihm dem tahlen Schädel, dag mir fein Hirn durd die Finger ſpritzt !“

„Laß das!“ gebot Vratislav; „erwarte mich Bier, ſchweig gegen Jedermann. Wielleicht gehe id; Heut” Abends ſelbſt flatt Deiner.”

Eben ſchallte die Glocke des Carolinums, umd unfer Ritter drängte fi mit den Webrigen in den Hörfaal.

Knapp unter dev Ringmauer der Neuftadt, nicht fern von einem ber damals neuerbauten Thore, befand ſich ein Bffentlicher Bergrügungsort: ein Haus nebft geräumigem Garten, welchem mon den Namen $lorenz beigelegt Hatte, wofelbft bie junge Männerwelt, namentlich die Studirenden der Hochſchule, zu Spiel, Gefang und Tanz zuſammenkamen. Der Name Florenz follte an Venedig erinnern; denn fo hie ein öffentlicher Garten zur Zeit Karls des Vierten, welchen biefer aber, weil fittenlofe Dirnen dafelbft ihr Wefen trieben, fchließen Tief. Letzterer Um- Rand fand bei Florenz nit Statt; aber als Bergnügungsort folte es zugleich durch feine Gartenanlagen, die Ausſicht vom nahen Wale, wo das Auge ben Bigfaberg und ein lachendes Thal überbliden Tonnte, am das italienifche Florenz erinnern. Prag, weldes unter Karl IV. die fröhlichfte der europätfchen Städte genannt wurde, hatte troß der Iangjährigen Kriege bis dahin nod immer etwas von biefem Charakter erhalten,

Es war an bemfelben Nadmittage, wo wir unfern Ritter mit feinem Freunde in der Gegend bes Carolinums verlaffen

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Haben. Lärmend wogten die Gtubirenden, Alumni und Baccar laurei in den Gängen des gedachten Gartens auf und ab. Biele faßen in den ſchattigen Lauben zu beiden Geiten bei ben Lrügen, mit fhäumendem Hopfenbier gefüht, im Gefpräd über WBiffen- ſchaft, Welt und Zeit; Andere erluſtigten fih durch Segelfpiet, Ringewerfen, ober durch Gefang, unter Begleitung einer Cither, welche ein blinder Muſikant ſchtug.

Es war ein ſchöner, heller Tag des lacheuden Sommers. Luft und Himmel ſchienen bie freude und das Vergnügen ber Heitern Jugend theilen zu wollen.

An einem Tiſche in der Mitte des Gartens ſaß Bratislan mit Niclas von Zeöwic im reife mehrer Gtudiengenoffen, deren Freundſchaft Jener ſchon gemacht Hatte. Sie waren in einem für bie allgemeine Stimmung faft zu ernflen Geſpräche begriffen, als plößlih jener vorlaute Deutſche, der Regensburger, lachend, Witzworte Hier- und dorthin ſchleudernd, fi dem Tiſche näherte, Platz nahm, die Geſellſchaft mufterte, und ſogleich, die Andern übertönend, das Wort ergriff:

„Da jagt ein Schwemberg, der Narr,” begann er, „es gebe in Deutſchland feine Stadt, fo ſchön gelegen, fo Herrlich hinge - Felt auf Berg und Ufer, wie Prag! Mein Gott! fo ſchwatzt man, wenn man nichts gefehen hat. Wer aber draußen war am Rhein, in Mainz ober Eöln, wo fid) der majeftätifche Strom an den Fußzehen ſolch' einer Rieſenſtadt hinwälzt, und 100’8 wirkliche Berge gibt und feine Maulwurfshügel: der ſpricht anders ; oder auch wer Infprud und Salzburg gefehen. Kinder! das iſt Alles reiht gut; aber Ihe müßt End; durd; Eure lächer- liche Vorliebe für das Einheimiſche nicht gegen das Schöne in der Fremde blind machen laſſen. Der böfmifhe Hans glaubt, da Hinter der Wand, wo nicht mehr böhmiſch geſprochen wird, höre die. Welt auf.” "

„Ich dächte,“ gegenredete Einer der Gtubirenden, ein ruhiger

beſounener Maun, „es fei eben bie Vaterlandeliebe, die dem Böhmen zur Ehre gereiht. Denn wo ich mit ber fehlen Leber zeugung am Einheimiſchen hange, ba wird das fremde, Ans- ländifhe nicht fo Leicht meine Sinne Bethören umd mic zur Nachahmung reizen.“

„Ei was,“ nahm Spanberg wieder das Wort, „Nachahmung! As ob ihr Slaven etwas Auderes als nachahmen könntet} Die Cultur, das läßt fi einmal nicht leugnen, habt Ihr von uns Deutſchen bekommen, und Euer großer König Karl bat dad uichts Auderes getfan im feinen Gebäuden, Stiftungen und Ger fegen, als nachahmen. Im Frankreich und Deutſchland ging er in die Schule. Weil die Böhmen fo tief in’s mittlere Europa bineingerüdt, fo zu fagen vorgeſchoben find, fo wurden fie auch vor allen ſlaviſchen Völlern zuerft cuftivirt. Und Baterlaud 1? Was Vaterland! in thörihter Begriff, den uns die Auctorität der Alten beigebracht. Die ganze Erde ift mein Vaterland; aus ihr bin ich entfproffen. Warum foll der Filed gerade, wo ih hervorgekrochen bin an's Sonnenlicht, einen Vorzug Haben? Wie fefbftfüchtig Mingt das, wie eitel und anmaßend! Sagt mir nicht, die Menfchen kämpfen für ihr Vaterland. Sie kämpfen entweder für ihren Glanben ober für ihre Dummheit, für ihr Haus und für ihr Geld. MWüßte Jeder, er bieibe ruhig im Ber ' fige derſelben, Keiner zöge das Schwert. Und wenn ih nun einen folden Kothſafſen bei Euch hier aus feiner Lehmhütte herausnehme und fege ihm Bin in’s reiche, reinliche Baierland, an bie far hin, wo ſchöne Hügel find und fanbere Menfchen, und id) geb’ ihm ein Stüd Feld zu eigen, das ihn ernährt: er wird den Teufel nad) feinem Böhmen fragen, wo er für ben Junker arbeiten muß nnd am Sonntag kaum Schweinefett hat, feine harten Erbſen zu würzen.“

„Das ift ein thörichter Schluß,“ nahm Bratislav, dem es Pfücht ſchien, den übermüthigen Deutſchen zu widerlegen, das

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Wort; „es handelt fi) Hier dom gebildeten Manne, vom Danne mit Vernunft und Geift und eigenem Willen, nicht don dem zofen Knecht, der nur am Gegenflande, nicht am Begriff hängt, der nur den finnlihen Genuß fennt und keine Ehre, keine Liebe, Die Art bleibt fi bei allen Nationen gleih. Rühmt Euer Deutſchland; das beweiſt mir, daf Ihr es liebt; doch rühmt es nicht auf Koften eines Landes, wo Ihr fo eben Gaftfreundichaft genießt. Es ziemt fi nicht, wie mir fcheinen mag, in Gegen- wart einer ſchönen Fran von einer zweiten noch fchöneren gar zu lobpreifend zu ſprechen, felbft wenn dieſe wirffich noch fchöner if! denn nur die Gegenmwärtigen fönnen in biefem falle mit Recht verglichen werben.“

„Ei!“ fagte dehnend der Deutſche, „redeft Du endlich auch einmal, Du bleiches Memnonsbild. Ich kann vom Glüde fagen, Dir endlich ein Wort entiodt zu haben. Da bift Du alfo die Memnonsfäule, vom der uns heut’ der Magifter erzählte, und ih Dein Sonnenftrahl, Dein Sonnenaufgang. Laß mid) alfo aud Deine Wangen röthen; denn wer fo bleich fieht, darf von Liebe gar nicht ſprechen, und wenn man Heftig wird, fo muß das Blut mwenigftens in die Wangen fleigen. Aber wir wollen ja nicht ſcherzen; die Sadje war ernfthaft, wie der linke Sporn meines Neiterftiefels. Wenn ich Deutſchland rühmte gegen Böh- men, fo wollte ich bloß jagen: dort ift bie Gegend, bie Stadt, die Menfchenzahl beffer, ſchöner, gebildeter. Mit Affenliebe d’ran zu hängen, weil e8 mein Vaterland, fällt mir nit ein. Gtatt als Edler geboren zu werben, konnt' ich ja eben fo gut der In⸗ faffe eines Dorfes im Pradjiner, Biliner oder Klattauer Kreife fein, wenn es der Zufall gefügt Hätte. Berliebte find Narren; fie ſehen bei dem geliebten Gegenftande die häßlichſten Fehler nicht. Ich hatt’ einen Freund, der freite ein Fräulein, das ſchön von Geficht, aber lahm war. Glaubt Ihr, er wollte e8 zugeben, daß fie lahm fei? Nein! Er fagte: fie Hüpft wie eime

Gerloßfoßn: Der lehte Taborit. I. 7

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Grozie über den Boden. So find denn au die vaterlande- verliebten Thoren! Wo mir’s mohlgeht und wohlgefällt, da ik mein Vaterland.”

„Nach diefem Grundfag,“ nahm Zeöwic das Wort, „würde aller Notionalfinn, alle Liebe zu den Stammverwandten, jede Kroft und Einheit eines Volkes verfchwinben. Und was Anders, als das Bewußtſein: wir find Griechen, wir find Römer, Hat die Alten fo groß und berühmt gemacht 2"

„Und Ihr werdet ſagen,“ fiel Spanberg wieder ein: „wir find Böhmen, und weil wir Böhmen find, find wir bie befte alfer Nationen, und weil wir das find, müflen wir die andern anfeinden und todtſchlagen; denn fie find ſchlechter als wir, der liebe Gott hat fie nit fo Hieb gehabt wie uns, und darum ver- dienen fie nicht zu leben. Aus dieſer Selbſtſucht, diefer Eigen- liebe entfteht der Nationalhaß, der- die Geſchlechter zerfleiiht und eben fo umferer Menſchlichleit zur Schande gereicht, wie er ben göttlichen Gefegen zuwider ift.“

„Er bat nicht Unrecht!“ äußerten Ginige beifällig, und machten Miene ihn anzufeuern, damit er feinen Wit fpielen lafſe.

„Das Beſtehende,“ nahm Vratislav wieder das Wort, „muß uns Beilig fein, weil es ein Erbtheil unfrer Bäter if, wie bie Erde ein Erbtheil Gottes war, das er dem erſten Menſchen ge- geben hat. Umd die Vaterlandsliebe'ift unfer Erbe; fie lebt im jeber Bruſt und regt ſich da am flärkfien, wo ber Menſch am ebelften und geeignetften ift zum Wirken und Bollbringen. Warum fol ic; mein Volt nicht lieben, dem id) angehöre nad) Sprache und Sitte? warum dem Stolz nicht in mir mähren: es ift das . befte unter allen? Mur der liebt fein Weib am meiften und redlichſten, der es für die Einzige ihres Geſchlechtes hält. Gott hat uns Verſchiedenheit der Bildung und der Sprachen gegeben; er wolte alfo, daß ein Unterfcjied fei zwif—en ben Böllern. Wie überall, fo aud) Bier eine Stufenreife Diefe find in des

Bildung oben an, Jene tiefer unten. Bloß durch Schritte kömmit man zum Ziele.“ Auch duch Sprünge!“ fiel der Deutiche fpöttifch ein. „Meine

Vorfahren, die Germanen, lernten von ven Römern, diefe von

‚den Griechen, und Ihr Böhmen Habt von uns Deutſchen gelernt.

Das Liegt an der Zeitfolge und an der Nachbarſchaft. Wohnten Tartaren rings um Euer Laud, Ihr wäret noch Barbaren auf viele Jahrhunderte Hin. Und wenn ich den einmal mit Gewalt in dieſen vaterländifchen Jammer mit einftimmen fol, jo will ih denn mein Deutihland 'rühmen, Cuc zum Trotz, und weil es den Ruhm verdient. Seine Schönheit ift eigene Schönheit, die Eure nur eine von ihm erborgte. Wer Hat Euch Fürſten ge- geben wie König Johann, den Helden von Crecy, umd Karl deu Bierten, der dieſes waldumzogene, rauhe Barbarenfand zum Garten, dieſes ſchmutzige Prag, wo es nichts gab als Sonnenſchein und Dubelfad, Schmug und Pelzwert, zum Site bes Wohlftandes, ber Wiſſenſchaft und Künfte gemacht Hat? Wer? Das Aus- Ind Deutihland! Welder Erfindung könnt Ihr Euch rũhmen ?*

„Wir Haben die Drefchflegel und bie Morgenfterne erfunden,“ unterbrad ihn Vratislav mit gerötheten Wangen, „um damit den Nachbarn, den Deutſchen, den Kreuzheern, des Heiligen römiſchen Reiches, am dem nichts röhniſch ift als der Adler im Wappen, die Schädel einzuiclagen.“

„Welcher Erfindung könnt Ihr Euch rühmen?“ fuhr, dem Einwurf nicht beachtend, Spanberg fort. „Wir haben das Feuer- gewehr, die Uhr mit eigenem Triebrad und das Druden erfunden. Das ift unbeftritten. Dagegen führt mir feine Beifpiele roher Kraft an. Mit der kamen aud die Tartaren bis nad Mähren, und ding fie Sternberg niit, fo waren fie jetzt größer als Ihr. €, freilich gibt es einen Unterfdieb unter den Völkern, und leider, daß es ihn gibt! Die Einen find Sildungsfähiger, als die

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Andern; aber das liegt an Zeit und Lage, wie ich ſchon geiagt habe, und dafür faun Niemand; braucht fi deshalb aud nicht zu brüſten! Wie oft haben wir Deutſchen die Ungarn und Preußen geſchlagen! Und beweift das etwas? Ihr habt von uns gelernt, das ſteht einmal fe, ımd wie das Land Hier liegt, rings eingeſchloffen von Dentihen, fo wird es im Laufe ber Zeit ſelbſt einmal deutſch, ganz dentjh werden. Der Schafpel; wird verſchwinden, der gefräßige Mund, der plumpe Tanz, die ranhe Sprache.“

„Werdet nicht beleidigend, Ritter!“ warf Bratislav ein; „ir find bier acht Böhmen nnd vier Deutſche an dem Tiſche.“

„als wenn das etwas bewieſe!“ lachte Spanberg; „die Zeit wird lehren, daß ich recht gefproden Habe. Aus Römern und Vandalen wurden die heutigen Italiener, aus Barbaren unter deutſchem CEinfluffe wurden Böhmen, aus Böhmen’ werden Deutfche werden.“

„Da Ihr von Fürſten ſpracht,“ gegenredete Vratislav, „die uns das Ausland gegeben, fo nenne ih Euch einheimifche, wie Ihr fie nie beſſer gehabt in Deutſchland. Unfer Pkemysl-Otafar, der vom Sunb bis zur Adria herrſchte und flolz genug war, eine deutſche Kaiferfrone zu verfhmähen, unfern Helden Bketislav, eine Erſcheinung, welche die fabelhaften Geftalten der Göttermythe verwirklicht, und fo weiter hinauf die Boleslave, Vratislave bis zur hochherzigen Libusa. Und von wo aus, frage ih Euch, ging für Deutſchland das Licht? Von uns Warum firömt Ihr Me, Polen, Franken, Deutſche, Schweden, hierhin nad Prag auf bie Hochſchule? Um zur fernen! Wo entzünbete ſich der Beuerftrahl, der das Evangelium erklärte und vom feinen Mar- mortafeln den Staub und Roſt hierarchiſchen Wuftes löfchte? Bei ung beim ewigen Gott! Das ift der größte Triumph aller Zeiten und Völker. Johannes Huß predigte diefen Triumph in ber Heinen Sanct Bethlehemskirche und feierte ihn im Schei-

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terhaufen zu Conſtanz. Darin, in ber Religionsfreiheit, in der Bahrheit umd Weisheit der Glaubenslehre find wir allen, Völkern Mufter und Vorbild. An biefes Eine, höchſte und heiligfte Gut haben wir Ströme von Blut geſetzt. Deutihland Schande ihm Hat im Solde ber römifchen Pfaffen diefes erhabene Gut uns fiehlen wollen. - Knechte der Curie famen, uns Feſſeln an- zulegen, ums im tiefe, finftee Nacht zu merfen; wir waren bie Adler, welche bie Ketten fprengten! Es ift ein großer Kampf durch uns entſchieden worden: die Frage nämlich, ob fortan die Welt durch Vernunft oder pfäffiſchen Unſinn fol vegiert werben. Der Sieg ift auf umferer Seit. Da kommt ber und Iernt! Dies Böhmen wird umd fol der Heerd werden, mo Ihr Eure Flammen Holt, wenn Euch das Licht ausgegangen; es ift der Schoß, wo bie göttliche Wahrheit geboren wurde ale eine Mi- nerva mit Schild und Speer, die da hinauszog, um die grauen- volle Lüge, das Ungethüm Aberglauben, den Unfinn und bie Abgötterei zu befehden I"

„Beim Beifgen Protop und bei Friedrich dem Kothbart ſchrie Spanberg dazwiſchen, „Ihr feid ein Rebner geworden, daß Ihr uns Alle in Erflaunen fegt. Sonft fo flumm, jetzt fo ge- wandt in Worten! Ich fagt es ja: es fommt nur drauf am, daß man an eine Tonne ſchlägt; die Eine ober die Andre tönt. Mopfte ih nun nicht an, fo wär’ das Faß mit weißem Bier da dumpf und ſtill geblieben; wir hätten nichts von dem köſtlichen Iuhalt erfahren. Ganz vet, junger Mann vom Lande! Ihr habt in Eurer Einſamkeit gehört von diefem und jenem, und Vieles treulich behalten. Ihr habt’s von fern gefehen und dran geglaubt, wie man's Euch gefdjildert. Im Glaubensſachen bin id fein Zänker; Eins aber weiß ich beffimmt, daß das Licht, was Ihr geſchildert Habt, feinem Verlöſchen nahe if. Biel tau- fend Hände greifen zu nad) der einen, einzigen Flamme man blaft von allen Seiten auch; Ihr biaf drein, um fie anzu-

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ſachen aber Italien, Deutſchland, Brandenburg und Sachſen blaſt; das gibt einen Sturm, und ber löſcht die Famme aus. Behaltet das wohl! Bielleiht erleben wir's noch. Ih wollt auch einmal ernft fein; drum ſtand ich End; Rede. Ich bim zu ſtolz, um mid, für Euch oder gegen Euch zu erklären; ich fehe die Sache flar von oben an. Wahrheit iſt ein bitter Ding Hab’ ich fie im Munde, kann ich fie nicht wieder Himunterfchuden.“

„Doch ift Wahrheit,“ gegenredete Vratislav, „wieder him · melweit unterfdieben von MWebertreibung, in der Ihr Euch zu gefallen ſcheint. Schmach ber Welt, wenn fie unfer reines Glau- benslicht ausgehen läßt wie die Lampe in einem Todtengewölbel Es ift unmöglid, und wer reinen und freien Herzens iſt, muß fein Leben einfegen für den Kelch und die neue Lehre. Wir gaben der Welt ein Beifpiel! will fle noch langer dumm fein und uns nidt begreifen? Gut! eine kommende Zeit wird ger rechter fein. Wir aber müflen ausfämpfen, wenn wir auf unterliegen. Nur mit dem Tode beftegein wir biefen Brief, der unſer Vermachtniß ift für ein kommendes Gefchledt. Ihr feid ein Deutſcher; wie könntet Ihr lieben, was böhmiſch iſt? Wäre der neue Glaube doch was fag’ ih! ber alte reine Glaube, wie ihn Chriſtus und die Apoftel gelehrt, und Huß und Hiero- nymus nur aufgefriſcht Haben wäre er eine deutſche Erfindung wie das Feuergewehr, Ihr würdet mit größerem Prunfe davon ſprechen. Wahrheit if ein bitter Ding; barum Hört fie auch von mir: ich haſſe die Deutſchen, ja ich achte fie nicht einmal. Den Ruf der Feigheit, die fe gegen ums bemiefen —“

„Sprecht nicht von Feigheit zu mir!" polterte Spanberg mit zornrothem Gefichte.

Ruhe Ruhe!“ rief Zedtwic und einige Andre; „laßt es einen Tauſch der Meinungen fein und feinen perſönlichen Streit.”

„3a, ich Haffe bie Veutſchen,“ fuhr Vratisiav, unbekümmert um bie Zwiſchenrede, fort; „denn fie haben uns nie Gutes, im ·

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mer nur Schlimmes gebracht. Sie find in das Land eingebrungen wie der Igel im die Höhle des Dachſes. Sie famen arın zu ums, um fi zu bereichern; nicht um zu geben, nur um zu nehmen, öffneten fie flets die Hände.”

„Und Ihr Habt fie doch flets gerufen,“ fpottete Spanberg, „habt von ihnen Sitte und Weife gelehnt, ließet die barbariſche, tartarifche Rohheit Euch abſchleifen von ihnen, nahmt ihre Ges fege, ihre Trachten an, Bürgertet ihre Sprade bei Euch ein! Beim ewigen Gott! nicht ans der Mitte diefer Wälder ging bie Cultur hervor; fie wurde Euch gebracht. Man lichtete bie Forfte, um Licht Hereinzufaffen. Wenn einmal von Vorwürfen die Rede iR, fo fann ich and) damit dienen.“

„Ihr bleibt ewig die Schuldner,“ warf Vratislav ein, „wir bie Gläubiger. Der Boden unſers gefegneten Landes Hat End; ernährt.”

„3% komme mit Gründen und Ergebniffen nicht durch,“ ſchrie Spanberg und ſchlug Heftig anf ben Tiſch; „ih muß dem Big zu Hilfe rufen. Ja, Euer gefegnetes Land! Daß Gott er- barm’! Es Tauerte der Slave im Pelzrock in ber niedern Lehm hätte, arbeitete grad’ fo viel ale möthig tar, feinen Hunger zu ſtillen. Blieb etwas übrig, fo beranfchte er fi und fprang in tofer Laune bei den Xönen bes Dudelſacks wie ein getühlvoller Bär herum. Das Haar Tießt Ihr wachen, um keine Scheere zu verderben; Knechte ber Einzelnen bliebt ihr dus Faulheit, weil Euch Knechtſchaft bequemer ſchien, als Thatkraft. Lehr’ und Bei- fpiel wies der Harte bohmiſche Schädel zurid faft Jahrhunderte, bis Otatar, ein Heller Kopf, fie ihm aufdrang. Und dafür wurde er gehaßt und gefhmäßt! Weil Ihr unfre deutſche Sprache nicht verſtandet, nanntet Ihr uns nmömi, das Heißt Stumme, und bie Nutten, die bei End; fo gut hauſten wie fiberall, nanntet Ihr dentſche Mänfe. Das war ein Bolswit! Schad' nur, daß ber Börrath fo bald erihöpft war! Cines bleibt feſt Ihr müßt: Dentfche werden Ihr, werdet e8 mit ber Zeit aud. So ver-

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ſchmolz Bandale und Römer, Gallier und Gothel Nehmt Lehre an und laßt den Starrfinn fahren. Wir wollen Alle Eine Ra- tion fein mit gleiher Sprache, gleicher Sitte, gleihem Glau- ben; dann gibt es feinen Haß mehr, feinen Meinungstampf und feinen Krieg.“

„Da fei Gott vor!“ verſetzte Vratislav erhigt, „nun und nimmermehr bis in Ewigkeit niht! Sinn, Sitte, Blut und Geiſt paßt nicht dazu. Nicht mit dem Bären fünnt ihr das ſchlanke, flüchtige Reh vermählen, die Krähe nicht mit der Nach tigall! Und warum folen wir verihmolzen werden mit Euch? warum Ihr nicht mit une? Mit demjelben Rechte fordre ich von Euch: werdet Techen, werdet Siaven! Lernt unſre Sprade; wir lernen doch die Eure aud. Aber die deutihe Zunge, rauf und umbeholfen wie alles deutſche Weſen, firäubt ſich mächtig dagegen. Wir fomen als Sieger und Eroberer in dies Land, uns ziemt es, Gefege zu geben., Hier von uns geht die erhabene Kirchen- reform, welde die ganze Welt umgeftalten wird, aus. Lernt doch von uns, da Ihr vom uns nehmt! Aber mein! Die Art Hochzeit Könnte uns nicht behagen. Nie dürfen fi Böhmen und Deutſche vertragen. Es liegt ein Haß im Blute, wie zwiſchen Wolf und Hund. Gott fei vor, daß wir die Befiegten, Ihr die Sieger wäret! Es müßte Euch munden, von unjerm Ueberfluß zu ſchwelgen! Nur der Slave paßt zum Slaven, nad Sprade, Körperbildung und Sinnesart. Der Deutſche, der Cindringliche, der Freund und Diener des Papftes, ift unfer natürlicher Feind. DBWem’s wohl zu Haufe if, im feiner Heimath, der zieht nicht in die Fremde. Nur die Hungrigen gehen betteln; die Gatten ſitzen vor der Thüre im Schatten des Baumes und freuen fich der Behaglichkeit. Wuc der Böhme kann erobern; das hat Ottofar gezeigt. Man hat's uns wieder geftohlen, unb von Wien aus fireden bie Deftreicher, die Habsburger, ihre habſüchtigen Arme aus, einen Juwel nad dem andern aus Böhmens Krone zu

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reißen. Und wir ſollten den Dieb, der uns beftiefft, nod) Lieben? Ein verflschtes Recht, das man verlangt! Wer geſchlagen wird, wehrt fi; wer fi ſchlagen läßt, verdient es. Wie ich feſt überzeugt bin, daß dies mein Kopf hier, dies mein Auge iſt: eben fo feft bin ich überzeugt, daß wir dereinſt alle die Länder wieber unſer nennen werden, die man und geraubt. Weithin muß der böhmifche Scepter über die Erde reihen. Wir verbienen zu herrſchen, micht zu gehorchen. Wo ift ein anbres Boll, das fih mit uns an freiem, raſchem, hellem Sinn, an Kraft und Muth, am Tapferkeit und Ausdauer meflen fönmte? Hat man den legten Krieg vergeffen, deſſen Ruhm die Welt erfüllt? IR der Schreden ſchon verträumt, den unfre Hänflein rings in deut» ſchen Landen verbreitet? Sind alle Wunden ſchon vernarbt, bie Eud die Huffiten gefhlagen? Unterfuht die Schlachtfelder und die deutſchen Kirchhöfe; Ihr werdet viele taufend Schädel finden, in beren Knochen ein böhmiſch Schwert hineingehadt. Das fteht fe wie Gottes Sonne! Will der Fremdling mein Bolt, mein Vaterland ſchmähen, jo hör er auch die bittre, herbe, nadte Wahrheit und ſchäme fi, wenn ihm Scham nicht ift ein altes Bars, das er Kängft abgelegt!

„Ihe werdet heftig und reizt mich darum zum Laden,“ rief mit Hohn der Deutihe; „Ihr ſtreitet, weil Ihr nicht wider legen könnt. Alle Böller, fage id, find gut; nur durch den Weltlauf ſteht das, eine Höher, das andere nieberer auf der Bil- dungsftufe. Ich laſſ Euch Eure Erfindungen: es werben herr liche Kuchen, treffliche Kolatſchen hier gebaden; auch verficht man Schweine beffer zu mäften, denn im Reid. Man bat fogar, wenn's die Schottländer nicht gewefen find, den Dudelſack hier erfunden. Das iſt freilich eine Göttermufil gegen bie Harfe, bie Laute, die Schalmei! Man kann vortrefflich tobtichlagen Hier zu Sande, arme Nonnen und Mönde braten, finden, ihnen bie Glieder verftümmeln und Bände aufihligen. Es ift ein großer

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Kriegeruhm; aber bas wilde Thier- Hat ihn and. Nur Hab’ id nirgend gelefen, daß uns das Ranbthier als Mufter ber Menſch- lichteit vorangehe. Alſo Enre Erfindungen in Ehren! Auch den Drefchflegel und die Senfe als Waffe will ih End nicht beftreiten; und baß Zwiebel und Knoblauch eine vortreffliche Speife fei, wird Niemand in Abrede fiellen, der dergleichen nicht zu effen Brandt. Was aber der Handwerker jett treibt, der Künftler teiftet, iſt nicht auf einheimiſchem Boden gewadjfen wie die Kirſche und die Rebe, bie wir Euch hierher geſendet. Geht nad; Deutihland, Herr! Werdet bort ein Straßenprophet, rühmt ihnen die vaterlänbifche WBortrefflihfeit und das Licht, das von bier ausgegangen: fie werben. ben Mund auffperren und Euch nicht begreifen, bloß darum, weil es verfiodte dumme Dentfche find.“

„Du mußt nicht ſchimpfen, Regensburger!“ fiel einer der Studenten ein; „fein ruhig die Sache ansgefochten 1"

„Ei! das ift ganz deutſch,“ bemerkte Bratislav giftig. „Als daB Kreuzheer bei Taus fand, da fhimpften bie ſchwa- biſchen und baieriſchen Soldknechte gegen uns Huffiten, und Hatten ben Mund fchredlih voll;. als aber erft die Drefääflegel anf die Karten Schädel kamen, da ſchrien fie und Tiefen und fagten : die Ketzer fireiten mit dem Teufel, fie find unübermindlic 1"

„3% ſchimpfe nicht!“ kreiſchte Spanberg voll Ingrimms; „doch ziemt es mir, einem jungen, bartlofen Sant, der vom Dorf hereingefommen und ſich anmaßt über Völfer und Berhältnifle abztturthelten, gehörig An dienen, Erfahrung if ein gut Ding, und bet Natr, ber nicht nach iht ausgegangen, glaubt fie immer am Erſten heimzubringen. Wir matt im der Wald ſchreit, fo tönt es wieder. Rarren If nicht gut predigen. Der Heine Topf quilft zuerf über, und hohle Faſſer klingen recht hell. Ich bin ein Mann und lafſe mir nichts bieten. Habt Ihr in eines Andern Namen geſcholten, fo delt’ Id End; mit eines Andern

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Borten. Kaiſer Sigismund fagte: Ich gäbe Ungarn darum, wenn in Böhmen fein einziger Böhme wär! Und in Oeſtreich geht ein Spruchwort: Gin böhmifcher Schädel, auf den Ambos gefegt und mit dem Hammer darauf geſchlagen, gibt Funken.“

„Wis Gott, Herr Deutſcher!“ fchrie Vratislav außer fi, „ich entlode mit meinem Schwert auch Eurem Schäbel unten, daß Ihr dapon geblenbet werdet. in Hieb vom Dorf iſt eben fo gut wie einer ans der Stadt. Möcht' fehen, ob Euer Schwert länger ift, als Eure Zunge! Die ſchneidet tet gut wir tonnen fle aber ſtumpfen wie Enre Aingen!“

nDas mir? das mir?“ fuhr Spanberg auf, flürzte bem Stuhl Hinter fi um und riß den Degen aus der Scheide, „von ſolchem bleichen, abgezehrten, giftigen Fant, von foldem freibe- weifen, farbfofen Hund, ſolchem Bauernſohne, folhem Käſejunker ? Nur heraus mit der Klinge, wenn's fein Rattenſchwanz iſt! Ich bin der Mann, der ſolche Muſik verfieht! Heidi! ich Tann auch unten ſchlagen. Seht nur zu, wo's zuerſt bfigt.“

Er drängte diejenige, welche ihm zurüdhalten wollten, von fih und ſchwaug das Schwert über den Tiſch Binfber gegen Bratislan, welchen Zedwic zu beſchwichtigen vergebtid fi mühte.

„Je, Dir Goliath mit der Läfterzunge,“ ſchrie Vratislav, „breitmäufiger, ſchimpfluſtiger, wigffichtiger Hausnarr! ich biene Dir. Det iſt mein Todfeind, der mein Vaterland ſchmäht und mein Bolt! Saw zu ich ſtehe fell“

Im dem Angenblide fiel ein Streich des Gegners auf fein Haupt: es flirrte ihm dor den Augen, warmes Blut rann über feine Stirme. Aber er hatte im der Ueberraſchung noch Beſin mung genug, um auszuholen; da ihm aber ein Dritter in ben Am fiel, fo wurde aus dem Hiebe ein Stich, welcher durch die Btuſt des Deutſchen ging.

Unter lautem Wehgeſchrei ber Herbeiſtürzenden fiel er au

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Boden; wie aus einem Bergquel ſchoß rothes Blut aus der tiefen Wunde. i

„Bratislov! Bratislan! mas Haft Du gethan?“ rief Zeöwic. „Unglüdfelige That! Wehe! Wehe“

Vratislav wifchte fih das Blut von Stirn und Augen; denn noch flirete und dunkelte e8 vor feinen Bliden.

„Ich habe meine Pflicht gethan,“ rief er; „beim ewigen Gott! ich konnte nicht andere. Wär’ ih ein Böhme fonft

„Gott, mein, Gott!” wehllagte Zedwic mit ben Uebrigen; „wir bielten das Alles lange für Scherz, wie es die Weiſe des tollen Spanberg —“

„Bei mir war's heiliger Ernſt!“ fiel Vratislav bejonnen ein; „ich werd’ ihn auch büßen.“

Der Verwundete hatt die Augen geſchloſſen und röchelte hörbar. „Er ſtirbt!“ rief ein Student, der fein Tuch auf bie Wunde Spanberg's drüdte; „laufe Einer nad) dem Arzte laßt fonft Niemand aus dem noch in beu Garten, damit die Unthat nicht ruchbar werde. Mufte das fo enden 2“

nGebt ihm Wein, öffnet ihm den Mund,“ vieth ein Anderer, „bamit das Blut zum Munde heraus kaun; er erſtickt fonft daran. Bielleiht ift noch Rettung möglich.”

Schafft ihn in’s Haus!“ flehte Zeöwic „ſchweigt ſtill, daß nicht die Nachbarn von dem Unglüd Kunde erhalten! Du aber, unglückicher Freumd, flieh', flieh', vette Did! Nicht zwei wollen wir auf fo graufame Art verlieren.“

„Ich fliehen ?* antwortete Bratislav eruſt und falt; „wer die That gethan, muß aud die Folgen vertreten. Führt mich zum Richter!”

„Um Gotteswillen, flieht, rettet Euch!“ flehten dringend and) die Uebrigen, „Ihr fennt ben Anfchlag an der ſchwarzen Tafel im Carolinnm. Wer einen Andern im BZmeilampf ver-

munbet, muß von Henkershand ſterben; Ihr feid der Erſte, der dagegen handelt Ihr Habt auf keine Gnade zu hoffen.“ 5

„Bon Henfershand?“ vief Bratislan erſchüttert, „das ift ſchreclich 1"

„Den? an den Oheim, an meinen Vater 1“ übereebete ihn Zeöwic; „den? an mic, an Pater Eyrilus! Befreie Dein Leben aus des Henfers Hand! Wird er gerettet fo wird Dir auch Berzeifung. Gott kann Alles noch zum Beſten wenden.“

Lebt wohl!” fagte Bratislav raſch entſchloſſen und ftedte fein blutendes Schwert in die Scheide; „betet für mid und Jenen dort! Gott fei uns beiden gnäbig!"

Er verſchwand nad) biefen Worten aus dem Garten; Zeswic folgte ihm.

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An der weſtlichen Seite des Prager Schloffes ſtehen drei alterthümliche Thürme, knapp am Rande des Hirfchgrabens, welde durch mehrere Gefchoffe verbunden find; fie heißen der weiße Thurm, die Daliborfa und der ſchwarze Thurm. Die oberen Stocdwerke dienten damals dem Burggrafen zur Wohnung; in den untern, wo bie Mauern noch viele Klafter tief in den Berg und Felſen hinabgehen, befanden fi zahlteiche Gefängniffe zur

Aufbewahrung von Berbrechern. Die befannte eiferne Jungfrau,

eine Mafchine, welche dem Miffethäter, der in einen engen Gang geſtoßen wurde, durch ein fünftliches Triebwerk entgegentrat, ihn umarmte und in demſelben Augenblide mittelft heimlich arger brachter Federn mit Hundert Dolchen durchbohrte, hauſte gleich“ falls in biefem ſchaurigen Aufenthalte, der ſcheu von Jedem ge- mieden warb.

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Es war Abend; in dem unterſten Gewölbe der Daliborte verlojch ber matte Strahl, der von hoch oben durch verſchiedene Deffnungen hineinfiel. Auf einer nmigdern Steinbank faß eine regungslofe Geftalt: ein Mann mit Händen und Füßen ange fettet. Er fummte ganz leife vor fi Hin in der öden Einfam- keit; nur manchmal unterbrach die dumpfe Stille das Geblirr, wenn ſich ber Kette Glieder am einander vieben.

‚Draußen raffelte e8 jegt am den Thilren; Riegel fielen und Angeln Inarrten. Die niebre Pforte öffnete ih; der Strahl einer Lampe drang Herein, mit ihm der Gefangenwärter, ein bärtiger, wilbausfehender Mann. Es wurde Zag in diefer Dede. Der Lichtftrahl flimmerte wieder von den naffen Quaderſteinen und beleuchtete jegt grell den Gefangenen. Diefer war ein Mann von beinahe ſechzig Jahren; um Bruft und Schultern Bing lang und wire das ſchwarzgraue Haar; fein Antlitz war abgezehrt, jo wie feine Hände; aber: der Körperbau zeugte noch von Kraft und ehentaliger Mustelftärke, in dem faltigen Antlig ſchimmerte noch der Ausdrud von Muth und Kühnheit; nur das Auge in feinem irren Scheine, feinem Auf und Niederzuden, ſchien mehr einen Wahnfinnigen, als ein gefeffeltes Ungehener anzudeuten. Noth- dürftig mur Hüften ihn Lumpen ein, deren einzelne Feen ver- fault von Armen und Beinen herabhingen.

As der Wärter die Thüre wieder Hinter ſich gefchloffen und einen Korb niebergeftellt Hatte, erhob fich der Gefangene aus feinem büftern Hinbrüten, blicte empor und- fagte leife mit Heiferer, wehllagender Stimme: „Seid Ihr's, Barcal? Tretet ſacht auf! Ihr feht, ich kann mein Kind Hier micht einſchläfern; ber arme Knabe weint uud ſchreit. Er ift wohl frant, Tann Bier die ewige Nacht und Kälte nicht vertragen.”

Er beutete bei diefen Morten zur Geite hin mad einer Puppe, die er fi) aus Stroh geformt nnd neben fich auf ben

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Boden gelegt hatte, und begann wieder leiſe ein Wiegenlied zu fummen.

„Laß bie Thorheit, verrückter Sup!“ antwortete rauh und gebieteriſch der Gefangenwärter Barcal, „ſonſt muß ich Dir den Strick wieder ein paar Mal um den harten Schädel ſchlagen, damit Du vernünftig werdet. Ich bringe Dir zu effen hier iſt Brot und bier iſt Waffer, und bier fogar noch eine falte Hammelkeule. Die jGidt Dir meine Tochter Beta. Cs ift ihr Namenstag Heute den feierten wir und da plagte mic das narriſche Ding fo lange, bis ich ihr erlaubte, Dir da einen feltenen Imbiß zu fchiden. Laß alfo ben Strohwiſch und greif nad) dem fetten Imbiß. Wird Deinem Magen wohlthun Haft lange Zeit nichts fo Köſtliches unter den Zähnen gehabt. Biſt zwar ein großer Verbrecher, aber weil Du mürbe geworden bift, fo hat mein Kind Mitleid mit Dir. Sie hat ein gutes Herz, fie ſagt: Da Gott barmherzig if, fo fol. es der Menſch auch fein. Aber wer Verbrechen gegen feine Nebenmenſchen übt, ift nicht barmherzig gegen fie und muß darum gezüchtigt werben mit eifernen Ruthen. Da ih Tann nicht fange bleiben. Beta wird Bent’ zeitiger zu Wette gehen; bie Freude muß ich ihr am Geburtstage ſchon gönnen.“

„Wenn nur aber erfi mein armes Kind einſchlafen wollte!“ webhllagte Slup, der Gefangene; „es bat fo lange nichts gegefien 8 ift tobtkrant, Ach ich werde mod das Schrediicfte er⸗ leben müfjen !*

„Mach' mich nicht, wild!“ fuhr ihn der Wärter an; „haft Du Deine Duden heut’ wieder, jo foll mein Strid mit fünf fahem Knoten Dir den Dufel vertreiben. Ein Menſch, grad‘ wie das Bieh; muß felbft zum Eſſen geprügelt werden! Ich werde einmal für ſechs Tage nicht herunter kommen; da ver- hungerſt Du und wir find die Qual dann (od. Und ben

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nt often Strohwiſch nehm’ ih Dir weg und merfe ihn in’s Feuer."

„Ad, um Gottesroillen wicht, Herr!" rief voll Seelenangſt flehend der Gefangene und umklammerte mit den gefeffelten Händen die Kniee Barcal's „ſchlagt mic, lieber, guter Mann, tretet mi, fo nur auf bem Kopf, ich will es dulden, wenn der Schädel.nod fo fehr kracht und es drin brauft und Mir; aber mein Kind bier lat mir nur, meinen lieben, einzigen Rua- ben. Ad, nur um feinetwillen trage ich das armfelige Leben und firenge mi Tag und Nacht an, ihn einzuiullen, mit Küffen zu bebeden, mit Thränen zu negen. Ich kaue ihm die Biffen, hauche ihn warn an, daß er mir nicht erfriere in den ſtarren Nächten, und zieh ihn groß, bis er laufen kann. Dann will ich fierben recht gern fterben, und das wird mir wohlthun. Mein Knabe aber ift frei, der geht dorthin "dort dort auf ein prädtiges Schloß; fie ziehen ihm Kleider von Seide an und nennen ihn Junker. Er wird's auch erzählen wie er mir die Augen zugedrüdt hat.”

„Laß dod die Poflen, Slup!“ gegenredete Barcal im mil- deren Zone, denn fein Wort war nur feinem Geſchäfte angemej- fen, rauh und mürriſch, nicht fo fein Herz; „ich habe Dir ſchon oft gefagt, daß Du ein Thor bift, daß jenes Ding dort ein Strohwiſch if, aus demfelben Stroh geflochten, worauf Du ſchläfft. Haft doch manchmal Augenblide, wo Du ganz vernünftig fprichft, und der Bita haft Du Lieder und Mährlein erzählt, die fie mir miedeifagte, und die recht artig Mingen! Ware jener Strohwiſch wirffih ein Kind, jo müßte e8 ja ſprechen oder fchreien, ſich be- wegen und die Augen öffnen Tönnen, und da Du ſchon über zwanzig Jahre Bier in dem Loche figeft, fo müßte e8 auch größer und ftärter, ja ein Mann geworden fein.

„Ei, das will ih Euch fagen, Herr!" verfegte der Gefan- gene pfiffig und wie belehrend; „die Mutter ftarb ihm während

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der Geburt, und da hatte ich ja keine Bruſt, es zu fügen: darum ift es fo Hein geblieben. Das koinmt vom Waffer her. Ja hättet Ihr mir eine milchende Ziege hierher gebracht, ich hätte meinen Sohn ſchon längft groß grzogen.“

„Unfinn Unfinn!“ fiel ihm Barcal wieder unwirſch im die Rede. „Du haft weder Kind noch Weib gehabt; Dr haſt Deinen Bater erſchlagen, ein gräßlicdes Verbrechen! Weis aber in ber. Berrüdtheit verübt wurde, Hat Dich Kaifer Sigmund auf Fürbitte feiner Toter und mehrer Standesherren begnadigt und Hloß lebenslang gefangen ſetzen laſſen. Denk Du nod dran?“

„Ja ja!” antwortete der Gefangene leiſe, „ich erinnere mid) ſchon zimeilen fogar,. ich Bin. doch der Slup, der gem fährfiche Mörder, den fie Hier angefeffelt haben. 3a, Ihr könnt zuweilen Recht haben. Wenn nur mein Kind doch doch id glaube manchmal, id ſei ein Anderer, ein Ihr ver- rathet mid nicht nein! nein! Nur das Kind follt Ihr mir nit nehmen; «8 macht Euch doch feine Plage. Glaubt mir, id) wäre noch efender, Hätte ic den Sohn nicht. Ihr Habt feinen Sohn; Ihr wißt nicht, wie man einen Sohn liebt, felbft wenn er ein Zwerg, ein Krüppel iſt. Die ſchwachen Kinder liebt man am meiften. Schafft mir eine Dede für ihm!“

Dein Anzug ift ſchon wieder ganz verfault,” entgegnete der Wärter; „ih muß mit Herrn Prichta, dem Oberanfjeher, ſprechen, damit Du einen neuen erhält. Siehſt aus wie ein wildes Thier!“

„Rein nein, fagt ihm nichts!“ flehte der Wahnfinnige; mer fol nicht wieder böfe merden über mid nnd mid hungern laſſen. Ich Hungere gern; aber der ſchwache Knabe kann es nicht aushalten.“

„Mit dem verwirrten, verftodten Sinn!” fluchte der Wär- ter; „ich habe Dir's ſchon einmal eingeredet: Du fannft ſchreiben; ſetz' ein Bittgefuh an ben König oder am den edlem u

Herloßfohn: Der legte Taborit. I,

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anf, flehe um Deine Freiheit, verfpri, dab Du wicht mehr irre reden und rafen wiliſt, daß Du in mehr als zwanzigjähriger Gefangenſchaft eine verrüdte Unthat genng abgebüßt; mach's recht Hägfich, recht betrübt, daß es eiien Gtein erbarmt. Meine’ Bite iR eine ſchuude Dirne, fie wird gern vorgefaffen; fie laun bie Bittfgrift übergeben. Hört Dun? am den König, noch befler an Meinhart von Neuhaus.“

„Weh'! ac weh!“ ſchrie jet plögfih der Gefangene mit der ganzen Wuth des Wahnfinmes aus, und ſchlug fi wie ra- fend die Ketten um Haupt und Schultern „die Hölle ift los! Der dort ber bort! er Bat mic ja in Wahnſinn gebracht und zum Mord. Satan Satan, giftiger -Teufel! Deine Race war groß die meine auch gut; aber Du Haft gefiegt. Ic beiße knirſchend in diefe roſtigen Ketten; Du liegt am wei- hen Pfühl und fpotteft meiner Schmach. Tritt mir nur entgegen fo fo; id erwürge Did mit meinen Feſſeln Hier. Das ſoll mid) laben. Herzenbrecher Kindermörder! ich oder Du! Haft Du den Haben gefehen? Der Pfeil ging ihm durch den Leib; er blutet, aber er flirht nicht er fönnte wieder auffliegen, wäre der ſchwere Pfeil nicht. Ich bin der Rabe aber der Pfeil wird roften duch mein Blut und morſch werden. Ich breih’ ihn dann ab umd kann wieder fliegen. Heiſa! Dein Gehirn hack ih Dir aus am Galgen, am Galgen am Spieße, wo Dein bleiher Schädel ftedt. Stil fill! Wie eine Schlange rauſch' ich ihm leiſe nah) und umwinde feine Knielehlen, daß er nicht fchreiten Tann, daß er nieberftürzt; dann raſch um den Hals, eins! zweil ih rıngle mid immer fefter drum.”

Er rieb die Ketten am einander, daß der Wärter glaubte, fie würden zerbrechen, und um feiner Wuth Einhalt zu thun, faßte er nah dem Strid mit fünffahem Knoten, den er am Gürtel trug, und flug unbarmherzig anf den bleichen Schädel

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des Wahufinnigen (06. Dieſer Hielt Ah die Ketten vor bie An» gen, bulbete ruhig die Schläge und wurde fanfter.

„Da fiehft Du,“ ſchalt der Wärter, „wie ic Dich behandeln muß, wenn Du Dich geberdeft wie ein Thier! Nein, Du taugt nicht für die Freiheit! Mich folte jedes gute Wort für Die gereuen.“

„Nur ‚Eins, nur Eins!“ flehte mit ängſtlicherer Stimme der Gefangene; „ſagt ihnen nicht, daß ich hier bin. Ich wäre verloren, wenn fie wäßten, daß ich Bier gefangen fige Sie würden mic herausfchleppen aus biefer unterirdiſchen Wohnung umb dem. Henter übergeben. Es ift noch ein großes Glück für mid, daß id; der Batermörder Stup bin. Wär’ ih ein Anbrer meh’ wir. dann! Euer Vorgänger, der Wojtech, kann es bezeugen, daß ich wirklich der Slup bir. Er ift zwar ſchon tobt, aber er hat es Euch ſicherlich gejagt.“

„Rare oder Böſewicht!“ nahm Barcal wieder das Wort „geh' in Dich, beffre Did, wende Dein Herz und Deinen Sinn zu Gott umb bete. Vielleicht erleuchtet Dich feine allbarmherzige Gmabe. Ic Habe Hier fiebzig Gefangene unter mir, recht wü- thige, verftocdte Burſche darunter, und doch macht mir Keiner fo viel zu fhaffen wie Du. Aber bald biſt Du gehorfam wie ein Hund, bald wieder toll wie ein Hund.”

„3a id will beten!“ betheuerte der Gefangene; „Gott wird dann meinen Feinden, den Abtrünnigen, den Feinden bes Kelches, ihre Sünden verzeihen. Ich will Gott anrufen zur Rache an ihnen. Ich will beten, wie wir in ber Schlacht be- teten und die Litanei fangen, als wir bie Pfaffen bei den Füßen anfhingen. Damit höhnten wir fie; es Mang recht lacherlich. Da hättet Ihr dabei fein follen !“

„Thor Du!“ eiferte der Wärter, „ic war dabei, aber miät Du. Es ift nicht gut, daran zu benfen. Ich befam es endlich fatt, das Schlachten, und weil ih viele Wunden hatte, fo fette

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geigundenen Mönge. zum 7% Oruzhe fafern mb bereite Dich auf deu Himmel que NER lange wirkt Da’s doch nicht mehr tragen. Es iR zu HR dh Dame die Qualen los, umb der Herrgott wird ZU u wereihen, weil

jünmel? Rein nein! barans wird nichts. Ihr Habt fon einen Andern, der hier herein solk und de wollt Ihr mic los fein Ich muß die Greißeit od einmal ichen, ich muß von Gottes Sonne befchienen werden : war in ihrem Glanze kann ich ausathmen: anf freiem Felde. und wat ich auf Erben geliebt, muß id noch einmal im legten Augeaktide, im Xobesfampfe au die Bruft brüden, und an einem ‚ale will id weinen und beten, an einem großen Grabe. Das veriprecht mir.“

Freiheit will Du? von ihr tränmf Du?“ lachte der wWochter; „bei diefem irren Weſen erlangft Du fie nie Sie wide Dir and wenig frommen. Es gibt Menſchen, die wie wide Thiere find, und die müffen gebänbigt, angefettet und un- üblich gemacht werben. Wer ift der Thor, der den Wolf umter de Schafe fendet und glaubt, er würde ſich mit ihnen vertragen? In diefem engen, feuchten Loche mußt Du enden. IA Dein were GStünblein nahe, fo fende ih Dir einen Prieſter, der Dir den Kelch reichen wird.”

O tagt nur erft mein Kind wohl fein,“ ſprach der Wahn- nige mit Zuverficht, „dann. werde ich auch mohl, und Kraft temmit wieder in meine Glieder. DO! id war einft ein ſtarker

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Daun ich rüttie bier an dieſem Blocee, dort oben fpringen die Onader eutzwei, es öffuet ſich die Höhe, Licht dringt herein, und ich ſchreite über die Trümmer hinaus in's wieder gewonnene Leben, und ſehe die Erde wieder, und erblide, ob fie in dem awanzig Jahren gealtert hat, ob Kunzeln auf ihrem Angeficht, und id} erfahre, ob man mein noch gebentt, ob mich die Rache noch verfolgt, ob meine Lieben noch leben. Ich lieh fie unter den Lebendigeu und fie find frei.“

„Das Mingt Alles nah Berſtand,“ äußerte der Wärter, „wie Du die Worte ſetzeſt und if doc finnios. Wie will Du Thor biefe Mauern brechen, dieſe nralten Gewölbe, welche die Zeit in einander gefügt, daß fie ein zufammenhängender Fels geworden? Im dem Leben Haft Du nichts zu fuchen am wenigſten aber Liebe; die Haft Dir auch nicht verdient. Warſt vielleicht früher, bevor Du’ die Unthat begangen, ein guter, ver- mänftiger Menſch; aber Cine VBosheit vergiftet dem ganzen Menfhen. Das merle Dir! Hier iR der Krug mit Wafler, bier das Brot umd Bier das Hammelfleiih. IE und trink, und dante Gott, der Dir’s gegeben, der im feiner Gnade aud bie Naben füttert und die Dohlen. Amen.”

„O, bleibt mod bleibt mod, mein edler Wohlthäter flebte der Wahnfinnige; „jagt mir nur, hat die Erde Rungeln befommen, feit ich fie nicht fah, umd die Sonne ben Staar ?“

Rare!“ lachte der Wärter über biefe feltfame frage, „es ift Sonne draußen, der Hirſchgraben hier draußen ift grün, ber Himmel blau, die- Sonne ſcheint immer noch friſch Guten und Schlechten, und die Vögel fingen, daß es oft eine rende if.“

„Dacht' ich's do!” fiel der Gefangene mit leuchten en Biden ein „es muß ſchön fein. Geſtern vermuthlid des Morgens, fette fid, weit oben über den Deffmungen da, ein Bogel in die Sude und fang fang und fhön, daß id; zu weinen anfing; er fang mir vom meiner Jugend, von meiner Liebe und

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von Krieg und Schlachten. Er wußte das Alles auswendig. Gr fagte, er fei auch der Sohn eines Ritters, der tapier ge= ſochten für den Kelch; aber feit fie bie meue Lehre verboten und in den Bann getan und ihre Streiter erſchlagen, müfle er als Bogel verkleidet herumgehen und bürfe es ben Lenten nur bor- fingen: denn das Singen fei erlanbt, aber nidjt das Prebigen.“

„Schon vet, ſchon recht!“ brummte der Wärter; „laß Dir meinetwegen den Mädchenkrieg und die Thaten der Dra- homira vorfingen; nur beff're Dich, fei nicht wiberfpenflig und zwing' mid mit, Gewalt branden zu müſſen. Und num und ſchlaf dann.“

„Habt Dank! Doch noch Eins!“ flehte Slup; „hört mein Wiegenlied an, womit ich den Knaben hier in Schlummer ſinge. Meine alte Wärterin ſang es mir vor; ich hab's getreu behalten. Es füngt an —“

Er ergriff nad diefen Worten das GStrohbündel, bedeckte es mit KXüffen, legte es auf feinen Schoß mad begann nun im halb weinendem, Halb kreiſchendem Zone:

„Ei, ei, ſchlaf, mein Kindlein, ein! Morgen wird Dir wohler fein.

Id fauf Dir einen gold’nen Schrein, Drinnen Zuderbrot und Wein,

Auch ein Wams von gelber Seide, Und ein Schwertlein famms der Scheide. Sollſt ein kleines Röfflein haben; Darauf launſt Du luſtig traben.

Ei ei, ſchlaf mein Söhnchen, ein! Du ſollſt auch turnei'n.

Ja, Dein Vater benft daran,

Du wirft ſelbſt ein Rittersmann.

Ei, ei!"

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„Tolle Poſſen!“ ſchalt der Wächter lachend, nahm Lampe umd Schlüfelbund, warf die Ihre Tradend- hinter ſich zu und Lie den armen Gefangenen wieder in feiner dumpfen Nacht. Diefer fummte aber immer noch leiſe: „Gi, ei, fÄlef, mein Sohnchen, ein!"

Der Wächter der Gefängniffe machte inzwiſchen noch bie Runde durch alle Gänge und am allen Thüren vorüber, unters fuchte die Riegel und Schlöffer, und flieg endlich müde bie Wen- deitreppe in ben Thurm hinauf, two ganz oben unter dem Dache feine Wohnung war.

Hier ſaß Beta, fein ſchmudes Töchterlein, am Tiſche, worauf die Lampe brannte, und löe ſich die Zöpfe ihrer dichten, fhwarzen Haare auf. Das Mädden war gar lieblich anzufehen: friſche Röthe ſtrahlte auf ihren Wangen, Feuer in ihren Bliden, auf den Lippen lag die Röthe der Kirſcen, und recht fhemifc und ſchuchtern, wie jdalfhafte Mädchen, die den Freier belaufchen oder fi vor’ ihm verbergen, gudten bazmwifchen die Heinen, weißen Zähne hervor. Der Alte hatte auch freude an feinem Kiude und war ihm mit aller Liebe gewogen; benn fie war das ein. ige Vermächtniß feiner Frau und erheiterte ihm manche Stunde, welche ihm der ſchwere, unheimliche Dienſt übrig ließ.

„Ei, Du bliebſt lange, Vater!“ rief fie dem Gintretenden entgegen; „es it doch nichts Schlimmes vorgefallen? Hat ſich vielleicht Einer von der Kette losgemacht, oder hat man durch- brechen wollen ?*

„Das nicht, Beta,“ fagte der Alte, jet darüber, daß er dem Wahnfinmigen fo lange Rebe geftanden und fich feinem Kinde entzogen hatte, ſelbſt verdrießlich; „ber verrüdte Slup hielt mid anf. Ich mußte ihm mit dem Stride erft noch eine Erbauungs- fiunde geben, bevor er wieder fanft wurde und vernünftig. Bas Einem das Viehvoil dies Bißchen Leben fauer macht! Ih

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Yale nicht zu dem Geihäftel Das fag' ich alle Tage; aber wer lanus ändern?“

Er legte bei diefen Worten den Schläffefbumd ab und ver- ſchloß denfelben in einer ſchweren, eifernen Truhe, welche in der Ede fand und am dem Gteinbobem angefchmiederi war. Den Schlüffel zu berfelben trug er am Halfe, wo er an einer Schuur Bing. Er fette fi) der Tochter. gegenüber an den Tiſch.

„Run, und was macht denn der Slup?“ fragte Bita theilnahmvoll, indem fie das Mieder löfte, aus welchem ber züd- tige Buſen ſchüchtern und reizend hervorquoll.

„Er trieb den albernen Unfinn mit dem Strohwiſch,“ aut- wortete der Bater, deſſen Augen mit Wohlgefallen auf feinem Rinde verweilten, „dann wurde er ganz raſend, als ic ben Nomen König Georg's nannte, und wollte die Ketten zeriprengen. Da mußte ich ihm eigentlih doch mit einigen Hieben zu Ber- Ronde bringen. Bufegt wurde er wieber ruhiger, und ba dauerte er mic faſt; denn er ſprach auf eine recht betrübte Weile vom Sonnenfhein draußen und von ber grünen Erbe.“

nah, es muß ſchredlich fein, mein Bater!“ feufte das Mädchen, „fo Jahre lang unter der Erde figen zu müflen, in eroiger Finfterniß, ohne Licht und friſche nf, von Riemandem gehört und verftanden, nur allein mit feinen @ebanfen und viel leicht einem böfen Gewiffen.“

„Und dod wollen es die Menſchen nicht anders,“ belehrte der Alte, „treiben Laſter und Unthat, ſtreben dem Nächſten nach dem Leben, fo daß man fie wie wilde Thiere entweder töbten, ober in einen Käfig fperren muß!“

„AA! wenn e8 mir nachginge,“ warf Beta ein, „ic ließe fie Ale frei Ich fagte zu ihnen: Lauft! und wer von End fih wieder’ bliden läßt, der wird gehangen. ie nrüßten mir aus dem Lande hinaus, um bier feinen Schaden zu fliften.“

„Da würden ſich die Nachbarn an der Grenze ſchön be-

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danfen,” gegenrebete ber Vater, „wenn. wir ihnen fold verwil -⸗ dertes Geſindel über den Hals fdidten Sie würden Hug fein und Gleiches mit Gleichem vergeften. Wie wären bie Deutſchen froh, auch ihre Verbrechet los zu werden! Nein, mein Kind! das geht nicht; Strafe muß fein, ſouſt hört auch jebe Belohnung auf. Wer Blut vergießt, defien Blut ſoll wieder vergoffen werben, fagt die Schrift. Und was würde aus den Gefegen, wenn Der, fo fi daran verfündigt, wicht gezüchtigt würde? Von einem Eigentum mär’ gar feine Rede mehr. Bedauern kann ich bie Lente, denn fie find auch Menfden wie wir umd- unjre Brüder, daß fie fo dumm find, ihr zeitliches Beſtes nicht einzufehen; aber ifmen die Freiheit gönnen, das möchte ih nun und nimmermehr. Denn bie reblichen Menſchen müffen ıms Tieber und werther fein, als bie ſqhiechten, und wir müflen jene vor diefen bewahren auf jede Beife. Die Schafe fperren wir in den, Stall, um fie vor dem Raubthiere zu beſchutzen; ben Wolf aber verfolgen wir mit Waffen, um ihu zu tödten.“ -

„Freilich, Vater,“ meinte Bkta, „if es traurig, daß fo viele Menſchen ſchlecht find und thun, was fie nicht thun follen! Aber ich bemitleide fie doch wieder, werzägg für eine einzige That des Haffes oder der Rache lebenslang büßen müffen nuter ſchred - lien Onalen. Wird denn bie Welt einmal beffer werden, lieber Bater, und wird dann Riemand mehr Böfes thun ?“

"Ih Hoff ee zu Gott,” war bie Antwort, „der es uns verheißen Hat im feiner heifigen Schrift, wo er fagt: Es wird dann nur Eine Heerde und nur Ein Hirt fein. Dies lege ich mir aus: wenn es nur Eine Heerde geben foll, fo müſſen auch nur einerlei Schafe darunter fein, alle im Frieden. gutgeartet and wohlgefinnt.“ J

„Ach, ich möchte doch nur wiſſen,“ fuhr Beta fort, „warum id gerade mit dem Slup jo viel Mitleiden habe! Und er hat doch den Water erſchlagen: eine grähtiche That! Freitidh foll er’s

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im Inrfinn getan haben; aber wie gelangte er zu dem Entſetz lichſten gerade, woran fein frommes Chriftenfind ohne Schaudern auch nur denken kann? Wenn ih mandmal zu ihm gehe und er ift recht ſanft und fprict gut und fromm, ba glaube ich's beinahe nicht, daß er ſolch' ein großer Sünder if. Er hat auch feltenes Wiſſen, Höher, als ein gemeiner Mann. Ich dachte ion oft, er fei einmal Priefter oder. Lehrer geweſen, und danu wieber geberdet er fi zuweilen wie ein Ritter, ber von Krieg und Waffen vielfach Beſcheid weiß.”

„Es ift etwas Eigenes mit Ihm,“ äuferte der Alte, „Du Haft Recht, mein Kind; denn mit feinem andern von ben Ge fangenen Habe ich jo viel Geduld und Nachſicht wie mit ihm, Er fommt mir mehrmal wie zwei verſchiedene Perſonen dor, von denen ic} die Eine verachte, die Andere bebaure. Es Lmmt wohl davon her, daß er den. Verſtand verloren Hat, wie wir ja mit unmündigen Kindern auch viel Geduld Haben mäfen. Ich deuke noch dran, wie die Mutter todt war und Du kaum ein Jahr alt: ich hatte auch meine Sorge mit Dir, Das weiß Gott! Nun if8 freilich beffer, und Du kannſt mir fogar Helfen, wenn ich nachgerade immer älter. und ſchwächer werde.“

„Aber weißt Du, lieber Vater 7“ unterbrach ihn Beta, „den Slup möchte ich's doch vergönnen, daß er kurz vor feinem Tode noch die Freiheit befäme, um ſich den Himmel und bie Erde mod) einmal anzufehen, bevor er für ewig ſcheidet won beiden.“

„Er baut au darauf,“ gegentedete ber Alte, „und ſpricht mit Zuverfiht davon, daf er die Welt und die Sonne uoch fer ben muß vor feinem Ende, und aud von einer Geliebten ſprach er und andres närrifes Zeug. Man weiß nichts Sicheres über fein Schickſal. So viel ich hörte, sollte ihm fein Water nicht eine Dirne zur Gattin geben, bie unter feinem Staude war, eine Magd. Darüber grämte er fi und ward wahnwitzig. Das ging dem Alten, der ein harter Mann war, nahe; er entbrannte

„Er muß die Mogb doc fehr geliebt Haben,“ bemertie Beta. „IH glaube, wenn man Jemanden fiebt, wie id zum Beiſpiel Dich liebe, mein Bäterden, fo müßte man recht glüd- lich fein,”

„Immer if’6 nicht fo, mein Kind,” belehrte der Alte; „es fieht im Leben draußen viel anders aus als hier im umferer Zeile. Hier das Gefänguiß; iR eigentlich der Ort der Weisheit; denn wenn fie im Leben draußen geirrt haben, fo werben fie hier wieder zu Berflande und anf die eigentliche Bahn gebracht. Freitich fehen fie es zw fpät ein! Du möge es mit Gottes Beiſtand nie erfahren, welch' Unheil die verliebte Leidenſchaft über ein Menfchentind bringt! Das if fo eine Krankheit, die fi nicht heilen läßt; fie adjtet weder Stand noch Alter: eine Tollheit. Ih war Deiner Mutter, Gott habe ſie felig! recht gut, aber zur Raferei habe ichſs mie gebradt. Der Slup nun, der es büßen muß, wird's nicht lauge mehr maden. Kang noch Halten bie Knoden; 's ift feine Möglichkeit! Zwanzig UM mehr Jahre in dem feuchten, dumpfigen Kellerloche, wohin ein Sonnenſtrahl nie · mals, faum ein Fetzen Dämmerung bringt, zuzubringen, die Raferei im Kopfe, iu der Bruſt den Schmerz, den Gram und die Reue: das hält kein Zweiter aus. Ja, wenn bie Hoffnung nicht wäre! Der tolle Menſch hofft aud noch immer auf Ber freiung und Wiederſehen. Doc, wie gejagt, Tange treibt er's

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anf, flehe um Deine Freiheit, verſprich, daß Du nicht mehr irre reden und raſen will, daß Du in mehr. als zmwanzigiähriger Gefangenſchaft eine verrücte Unthat genug abgebüßt; mach's recht tlaglich, recht betrübt, daß es einen Stein erbarmt. Meine Bkta iſt eine ſchuucke Dirne, ſie wird gern vorgefaffen; fie kaun bie Bittſchrift übergeben. Hörſt Du? an den König, noch beffer an Meinhart von Neuhaus.“

„Weh'! ac weh!“ ſchrie jetzt plötzlich der Gefangene mit der ganzen Wuth des Wahnfinnes aus, und ſchlug ſich wie ta- ſend die Ketten um Haupt und Schultern „die Hölle iſt los! Der dort ber dort! er hat mid ja in Wahnſinn gebracht und zum Mord. Satan Satan, giftiger Teufel! Deine Rache war groß die meine aud gut; aber Du Haft gefiegt. Ich beiße kuirſchend im diefe roſtigen Ketten; Du liegſt am mei« chen Pfühl und fpotteft meiner Schmad. Tritt mir nur entgegen fo fo; id erwürge Di mit meinen Feffeln bier. Das fol mich laben. Herzenbrecher NKindermörder! ich oder Du! Haft Du den Raben gefehen? Der Pfeil ging ihm durd den Leib; er blutet, aber er ftirbt nicht er könnte wieder auffliegen, wäre der ſchwere Pfeil nicht. Ih bin der Rabe aber ber Beil wird roften durch mein Blut und morfd werden. Ich bred’ ihn dann ab und kann wieder fliegen. Heiſa! Dein Gehirn had’ id Dir aus am Galgen, am Galgen am Spieße, wo Dein bleicher Schädel fledt. Still fill! Wie eine Schlange rauſch' ic ihm leife nah und umwinde feine Kniekehlen, daß er nicht ſchreiten Tann, daß er nieberflürgt; dann raſch um den Hals, eins! zweil ich rıngle mid, immer fefter drum.“

Er rieb die Ketten an einander, daß der Wärter glaubte, fie würden zerbregen, und um feiner Wuth Einhalt zu thun, faßte er nah dem Gtrid mit fünffahem Knoten, den er am Gürtel trug, und flug unbarmherzig auf den bleichen Schädel

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des Wahufinnigen 106. Diefer Hielt ih die Ketten vor die An- gen, duldete ruhig die Schläge und wurde fanfter.

„Da ſiehſt Du,“ ſchalt der Wärter, „wie id; Dich behandeln muß, wenn Du Dich geberdeft wie ein Thier! Mein, Du tangft nicht für die Freiheit! Mich folte jedes gute Wort für Did gereuen.“

„Nur Eins, nur Eins!“ flehte mit ängſtlicherer Stimme ber Gefangene; „fagt ihmen nicht, daß ich hier bin. IH wäre verloren, wenn fie müßten, daß ich bier gefangen fige. Sie würden mich herausfchleppen aus diefer unterirdiſchen Wohnung umb dem Henker übergeben. Es ift noch ein großes Glück für mic, daß ich der Batermörder Slup bin. Mär’ ich ein Andrer weh’ mir dann! Ener Borgänger, der Wojtäch, kann es bezeugen, daß ich wirtlich der Siup bir. Er if} zwar [hen tobt, aber er hat es Euch ficherlich gejagt.“

„Narr oder Böſewicht!“ nahm Barcal wieber das Wort geh’ in Dich, beffire Dich, wende Dein Herz und Deinen Sinn zu Gott und bete. Vielleicht erleuchtet Dich feine allbarmberzige Gnade. Ich Habe Hier fiebzig Gefangene unter mir, recht wü- thige, verſtockte Burſche darunter, und dod macht mir Keiner fo viel zu Schaffen wie Du. Aber bald biſt Du gehorfam wie ein Hund, bald wieder toll wie ein Hund.“

„Ia id) will beten! betheuerte der Gefangene; „Gott wird dann meinen Feinden, den Abtrünnigen, den feinden des Reiches, ihre Sünden verzeihen. Ich will Gott anrufen zur Race an ihnen. Ich will beten, wie wir in der Schlacht be- teten und die Litanei fangen, als wir bie Pfaffen bei den Füßen anfhingen. Damit böhnten wir fie; es ang recht lacherich. Da hättet Ihr dabei fein ſollen

„Thor Du!“ eiferte der Wärter, „ic war dabei, aber nich Du. Es iſt nicht gut, daran zu denken. Ich befam es endlich fatt, das Schlachten, und weil ich viele Wunden hatte, fo fette

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man mid, her zum Wächter über Diebe und Schurken, die zehu- mal fhlimmer find, als jene zu Tod gefhundenen Mönde. Laß bie- Gedanfen fahren und bereite Did) auf den Himmel vor: denn Lange wirft Du's doch nicht mehr tragen. Es if auch gut bift dann die Qualen los, und ber Herrgott wird Dir oben verzeihen, weil Du Hier auf Erden abgebüßt.“

nSterben fol ich, fagt Ihr?“ jammerte ber Gefangene; „nein! ich kann, ich will. nicht flerben, wegen meiner und meines Kindes. Ih muß erft den Namen Pater von ihm hören. Zu- weilen lallt es ſchon. Ad, das wird ſchön! Ich foll Bier enden, bier in biefer Gruft, fol das Tageslicht nicht mehr jehen und den blauen Himmel? Rein nein! daraus wird nichte. Ich weiß wohl, Ihr Habt fon einen Andern, der hier herein fol, und da wollt Ihr mic; los fein. Ich muß die freiheit noch einmal fehen, id muß von Gottes Sonne beſchienen werben; nur in ihrem Glanze kann ich ausathmen: anf freiem Felde. Und was id; auf Erden geliebt, muß ih nod einmal im legten, Angenblide, im Zodestampfe an die Bruft drüden, und an einem Grabe will id weinen und beten, an einem großen Grabe. Das verſprecht mir.“

„Freiheit wilft Du? von ihr träumft Du?“ lachte ber Wähter; „bei diefem irren Wejen erlangft Du fie nie Gie würde Dir and wenig frommen. Es gibt Menfahen, die wie wilde Thiere find, unb die müffen gebänbigt, amgelettet und un- ſchadlich gemacht werben. Mer ift der Thor, der den Wolf umter die Schafe fendet und glaubt, er würde fi mit ihnen vertragen? In dieſem engen, feuchten Loche mußt Du enden. Iſt Dein letztes Stundlein nahe, fo fende ih Dir einen Prieſter, der Dir ben Kelch un wird.“

„O, laßt nur erſt mein Kind wohl fein,“ ſprach der Wahn- finnige mit Zuverfict, „dann. werde ich auch wohl, und Kraft tömmt wieder in meine Glieder. DO! ich war einft ein flarfer

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Mann id rüttie Hier am diefem Bloce, dort oben fpringen die Quader entzwei, es öffnet fi die Höhe, Licht dringt herein, und ich ſchreite über die Trümmer Hinaus in's wieder gewonnene Leben, und ſehe bie Erde wieder, und erblide, ob fie in den zwanzig Jahren gealtert Hat, ob Runzeln auf ihrem Angeſicht, und ic) erfahre, ob man mein noch gedenft, ob mid die Rache noch verfolgt, ob meine Lieben nod leben. Ich lieh fie unter den Lebendigen und fie find frei.“

„Das Mingt Alles nad) Berſtand,“ äußerte der WBärter, „wie Du die Worte fegeft und ift doch finnlos. Wie willſt Du Thor biefe Mauern brechen, dieſe nralten Gewölbe, welde die Zeit im einander gefügt, daß fie ein zufammenhängender Fels geworden? Im dem Leben Haft Du nichts zu ſuchen am wenigſten aber Siebe; die Haft Du auch nicht verdient. Warſt vielleicht früher, bevor Dur die Unthat begangen, ein guter, ver- aönftiger Menſch; aber Cine Bosheit vergiftet den ganzen Menfhen. Das merte Dir! Hier ift der Krug mit Waffer, bier das Brot und Bier das Hammelfleifh. IE und trink, und danke Gott, der Dir's gegeben, der im feiner Gnade and bie Naben füttert und die Dohlen. Amen.”

„O, bleibt noch bleibt noch, mein edler Wohlthäter I“ flehte der Wahnfinnige; „fagt mir mır, hat die Erde Runzeln befommen, feit ih fie nicht fah, umd die Sonne ben Staar?*

nRarr !“ lachte ber Wärter über dieſe feltfame Frage,’ „es ift Sonne draußen, der Hirfchgraben Hier draußen ift grün, ber Himmel blau, die Sonne ſcheint immer noch friſch Guten und Schlechten, und die Vögel fingen, daß es oft eine rende iſt.“

„Dacht' ich's doch!“ fiel der Gefangene mit leuchten em Bliden ein: „es muß ſchön fein. Geſtern vermuthlich des Morgens, ſetzte fi, weit oben über dem Definungen ba, ein Vogel in die Lucke und fang lang und fchön, daß ich zu meinen onfing; er fang mir von meiner Jugend, von meiner Liebe und

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von Krieg und Schlachten. Er wußte das Alles auswendig. Er fagte, er fei au der Sohn eines Ritters, ber tapfer ge- fochten für den Kelch; aber ſeit fie die neue Lehre verboten und in ben Bann getan und ihre Streiter erſchlagen, müfje er als Bogel verkleidet herumgehen und dürfe es den Leuten nur dor fingen: denn das Singen fei erlaubt, aber nicht das Predigen.“

„Schon vet, ſchon recht!“ brummte ber Wärter; „laß Dir meinetwegen ben Mädchenkrieg und die Thaten der Dra- homira vorfingen; nur beffire Did, ſei wicht wiberfpenftig und zwing' mid nicht, Gewalt brauden zw müſſen. Und nun if und ſchlaf dann.“

Habt Dank! Doch nod Eins!“ flehte Slup; „hört mein Wiegenlied an, womit id ben Knaben bier in Schlummer finge. Meine alte Wärterin jang es mir vor; ich hab's getreu behalten. Es fängt an —“

Er ergriff nad) diefen Worten das Strohbündel, bededte es mit Xüffen, legte e8 anf feinen Schoß uub begann nun in Halb weinendem, halb kreiſchendem Zone:

„Ei, ei, ſchlaf, mein Kindlein, ein! Morgen wird Dir wohler fein.

Ich kauf Dir einen gold’'nen Schrein, Drinnen Zuderbrot und Wein,

Auch ein Was von gelber Seide, Und ein Schwertlein famms ber Scheibe. Sollſt ein Heines Röſſlein haben; Darauf kannft Du luſtig traben.

Ei ei, ſchlaf mein Söhnden, ein! Du ſollſt auch turnei'n. J

Ja, Dein Vater denkt daran,

Du wirft ſelbſt ein Rittersmann.

Ei, eil“

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„Tolle Poſſen!“ ſchalt der Wächter lachend, nahm Lampe und Schlüffelbund, warf die Thüre krachend hinter fi zu und fieß den armen Gefangenen wieder in feiner dumpfen Nacht. Diefer fummte aber immer noch feife: „Gi, ei, ſchlaf, mein Sohnchen, ein!"

Der Wächter der Gefängniffe machte inzwiſchen noch bie Runde dur alle Gänge und an allen Thüren vorüber, untere ſuchte die Riegel und Schlöffer, umb flieg endlich müde bie Wen- deitreppe in den Thurm hinauf, wo ganz oben unter bem Dache feine Wohnung war.

‚Hier foß Bkta, fein ſchmudes Töchterlein, am Tiſche, worauf die Lampe brannte, und löſte ſich die Zöpfe ihrer dichten, ſchwarzen Hoare auf. Das Mädgen war gar fieblic; anzufeßen: friſche Röthe ſtrahlte auf ihren Wangen, euer in ihren Bliden, auf den Lippen lag bie Röthe der Kirfgen, und vecht ſchelmiſch und ſchuchtern, wie ſchallhafte Mädchen, die den Freier belaufen oder fi vor’ ihm verbergen, gudten dazwiſchen die Meinen, weißen Zähne hervor. Der Alte Hatte auch Freude am feinem Kiude und war ihm mit aller Siebe gewogen; denn fie war das ein- ige Vermädtniß feiner Frau und erheiterte ifm manche Stunde, welche ihm ber ſchwere, unheimliche Dienft übrig lieh.

„Ei, Du blieb lange, Vater!” rief fie dem Cintretenden entgegen; „es if doch nichts Schlimmes vorgefallen? Hat ſich vielleicht Einer von der Kette losgemacht, ober hat man durch- brechen wollen 2"

„Das nicht, Beta,“ fagte der Wlte, jetzt darüber, daß er dem Wahnſinnigen fo lange Rede geftanden und fi feinem Kinde entzogen hatte, felbft verdrießlich; „der verrüdte Slup hielt mid) anf. Ich mußte ihm mit dem Stride erft noch eine‘ Erbauungs- fiunde geben, bevor er wieber fanft wurde und vernünftig. Bas Einem das Biehvolk dies Bißchen Leben ſauer macht! Ich

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paſſe nicht zu dem Geſchafte! Das ſag' ich alle Tage; aber wer lanus ändern ?“

Er legte Bei dieſen Worten den Schlüffelbund ab und ver- ſchloß denſelben in einer ſchweren, eifernen Truhe, welde in ber Ede ftand und am ben Gteinboben angeſchmiedei war. Den Schlüffel zu derfelben trug er am Halfe, wo er au einer Schuur King. Er fette ſich der Tochter. gegenüber an den Tiſch.

„Run, und was macht demm der Slup?“ fragte Bita theilnahmvoll, indem fie das Mieder löfte, aus welchem der züd- tige Bufen ſchüchtern und reizend hervorquoll.

„Er trieb den albernen Unfinn mit dem Strohwiſch,“ ant- wortete der Vater, beffen Augen mit Wohlgefallen auf feinem Kinde verweilten, „dann wurde er ganz tafend, als ich ben Namen König Georg’s nannte, und wollte die Ketten zerfprengen. Da mußte ich ihm eigentlich doch mit einigen Hieben zu Ber- Rande bringen. Zuletzt wurde er wieder ruhiger, und da dauerte er mich faſt; denn er ſprach auf eine recht betrübte Weile vom Sonnenſchein draußen und von ber grünen Erde.“

„Ach, es muß fchrediich fein, mein Vater!” feufste das Mädchen, „fo Jahre lang unter der Erbe figen zu müffen, in erviger Finfterniß, ohne Licht und friihe Luft, von Niemandem gehört und verflanden, nur allein mit feinen Gebanfen und viel- leicht einem böfen Gewiſſen.“

„Und doch wollen es bie Menſchen nicht anders,“ belehrte der Alte, „treiben Lafter nnd Unthat, fireben dem Nächſten nah dem Leben, fo daß man fie wie wilde Thiere entweder töbten, ober in einen Käfig fperren muß!“

„Ach! wenn es mir nachginge,“ warf Beta ein, „ic ließe fie Ale frei. Ich fagte zu ihnen: Lauft! und wer von Cuch fi} wieder‘ bliden läßt, der wird gefangen. Sie nräßten mir aus dem Lande Hinaus, um bier feinen Schaden zu fliften.”

„Da würden fi die Nachbarn an der Grenze ſchön be—

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danken,“ gegenredete ber Bater, „wenn wir ihnen fold verwil- dertes Gefindel über den Hals fdidten. Sie würden Hung fein und Gleiches mit Gleichem vergelten. Wie wären die Deutſchen froh, auch ihre Verbrecher los zu werden! Nein, mein Kind! das geht nicht; Strafe muß fein, fonft hört auch jede Belohnung anf. Wer Blut vergießt, deſſen Blut ſoll wieber vergoffen werben, ſagt die Schrift. Und was würde aus ben. Gefegen, wenn Der, fo fich ‘daran verfündigt, nicht gezüchtigt würde? Won einem Eigenthum mär’ gar feine Rede mehr. Bedauern fan ih bie Lente, denn fie find auch Menfchen wie wir und- unfre Brüder, daß fie fo dumm find, ihr zeitliches Beſtes nicht. einzufehen; aber ihnen bie Freigeit gönnen, das möchte ih nun und nimmermehr. Denn bie veblichen Menfchen müfjen ums Tieber und werther fein, «8 die ſchlechten, und wir müffen jene vor diefen bewahren auf jede Belfe. Die Schafe fperren wir in den Stall, um fie vor dem Raubthiere zu beſchutzen; den Wolf aber verfolgen wir mit Waffen, um ihu zu tödten.“

„Freilich, Vater,“ meinte Bta, „if es traurig, daß fo viele Menſchen ſchlecht find und thun, was, fie nicht thun follen! Aber ich bemitleide fie doch wieder, wenigg für eine einzige That des Haffes oder der Rache lebenslang büßen müflen umter jhred- lichen Onalen. Wird denn die Welt einmal beffer werben, lieber Bater, und wird bann Niemand mehr Böſes thun ?“

„Ich Hoff es zu Gott,” war bie Antwort, „ber e8 uns verheißen hat im feiner heiligen Schrift, wo er fagt: Es wird dann nur Eine Heerde und nur Ein Hirt fein. Dies Iege ih mir aus: wenn es nur Eine Heerde geben foll, jo müflen auch nur einerlei Schafe darunter fein, alle im Frieden. gutgeartet und wohlgefinnt.“

„Ad, ich möchte bod nur wiffen,“ fuhr Beta fort, „warum id) gerade mit dem Slup fo viel Mitleiden Habe! Und er Bat doch ben Bater erſchlagen: eine gräßliche That! Freilich foll er's

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im Irrſiun gethau haben; aber wie gelangte er zu dem Gntfeg« lien gerade, woran fein frommes Chriftenfind ohne Schaudern au nur denten faun? Wenn ih mandmal zu ihm gehe und er if recht fanft und ſpricht gut und from, da glanbe ich's beinahe nicht, daß er ſolch' ein großer Sünder if. Er hat auch feltenes Wiffen, höher, als eim gemeiner Mann. Ich dachte fon oft, er fei eimmal Priefter oder Lehrer gemwefen, und dauu wieber geberbet er ſich zuweilen wie ein Ritter, der von Krieg umd Waffen vielfach Beſcheid weiß.”

„Es ift etwas Cigenes mit Ihm,“ äußerte der Alte. „Du haſt Recht, mein Kind; denn mit feinem andern von ben Ge fangenen Habe ich fo viel Geduld und Nachficht wie mit im, Er fommt mir mehrmal wie zwei verſchiedene Perfonen vor, von denen ich die Eine verachte, die Andere bebaure. Es Limmt wohl davon her, daß er den Berfland verloren hat, wie wir ja mit unmünbdigen Kindern and viel Geduld haben müfjen. Ich denfe nod dran, wie die Mutter todt war umd Du kaum ein Jahr alt: id) hatte aud meine Sorge mit Dir: Das weiß Bott! Run if’s freilich befer, und Du kannſt mir fogar Helfen, wenn ich nachgerade immer älter und ſchwächer werde.“

„über weißt Du, lieber Bater ?* unterbrad ihn Beta, „dem Slup möchte ich's doch vergönnen, daß er kurz vor feinem Tode noch die freiheit befäme, um fi den Himmel und bie Erde noch einmal anzufehen, bevor er für ewig ſcheidet von beiden.“

„Er baut aud; darauf,“ gegenredete der Wite, „und ſpricht mit Zuverſicht davon, daf er bie Welt umb die Sonne mod} fer den muß vor feinem Cude, und auch von einer Geliebten ſprach er und andres narriſches Zeug. Man weiß nichts Sicheres über fein Schidſal. So viel ich hörte, wollte ihm fein Vater nicht eine Dirne zur Gattin geben, die unter feinem Stande war, eine Magd. Darüber grämte er fih umd ward wahnwitzig. Das ging dem Alten, der ein harter Mann war, nahe; er entbrannte

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im Ingrimm gegen das Weib, weldes ihm feines Sohnes Herz und den gefunden Verſtand geraubt, er ließ fie auspeitſchen und von dem Hofe jagen: denn fie war dort Teibeigen. Das ſah der Sohn und erfälug in wahnwigiger Wuth den Bater. Bon ker Dirme bat man weiter nichts mehr gehört. Ob's ganz richtig fo, weiß ih nicht, denn Jeder erzählt die Geſchichte an- ders; und als id mein Amt antrat, war der vorige Schließer, der Beſcheid um bie Geſchichte gewußt haben fol, aber fehr ver- ſchloffen that, ſchon tobt.”

„Er muß die Magb doch fehr geliebt haben,“ bemerkte Dita. „Ich glaube, wenn man Jemanden liebt, wie ich zum Beiſpiel Dich Tiebe, mein Bätergen, fo müßte man vet glüd- lich fein,“

„Immer if’& nicht fo, mein Kind,“ belehrte der Alte; „es fieht im Leben draußen viel anders aus als hier im unferer Zelle. Hier das Gefängniß ift eigentlich ber Ort der Weisheit; denn wenn fie im Leben draußen geirrt Haben, fo werben fie bier wieder zu Verſtande und anf bie eigentliche Bahn gebracht. Freilich fehen fie e8 zu fpät ein! Du mögeft es mit Gottes Beiſtand nie erfahren, welch' Unheil die verliebte Leidenſchaft über ein Menſchenkind bringt! Das ift fo eine Krankheit, die ſich nicht Heilen läßt; fie achtet weder Gtand mod) Alter: eine Lollkeit, Id war Deiner Mutter, Gott habe fie felig! recht gut, aber zur Raferei habe ich's mie gebracht. Der Slup nun, der es büßen muß, wird’8 nicht lange mehr maden. Kamm, noch Halten bie Rnoden; 's ift feine Möglichkeit! Zwanzig UM mehr Jahre in dem feuchten, dumpfigen Kellerlode, wohin ein Sonnenſtrahl nie · mals, kaum ein Fegen Dämmerung bringt, zuzubringen, bie Raſerei im Kopfe, in der Bruſt den Schmerz, den Gram und die Rene: das hält kein Zweiter aus. Ja, wenn die Hoffnung nicht wäre! Der tolle Menſch hofft auch nod immer auf Be- freiung und Wieberfehen. Doch, wie gefagt, Tange treibt er'e

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nit mehr. Es fault in der naſſen Höhle Alles: das Stroh und feine Kleider; endlich kommt der Menſch ſelbſt daran, wenn weiter auch nicht viel Mark und‘ Saft mehr in den Knochen und Sehnen.” " "

„Horch, Väterchen, horch! Hörft Du etwas?“ unterbrach den Alten Beta urplötzlich und verfärbte ſich.

Der Alte fuhr zuſammen, ſein Antlitz verdüſterte ſich, er Rand auf und trat an’s Fenfter. S iſt nichts,“ fagte er nad einer Weile leife; „doch je eben hör’ ichſs. Im Namen des heiligen Gottes! da if die Erſcheinung wieder. Stell’ das Nicht hinter den Schiem komm näher, mein Kind, fürchte Did niht gib mir die Hand. Ich öffne das Fenſter. Mert- würdig! Sol ih aud in meinen alten Zagen noch dem Aberglauben in ‚die Hände fallen?

Beẽta that, wie ihr befohlen, und trat bebend näher, den Bater mit zitternden Händen umllammernd.

Er Hatte inzwiſchen bas Fenſter geöffnet, Beide Iehnten ſich hinaus. Der Mond Bing Mar und leuchtend über dem Scloffe gegenüber, defien Eiſendach aus ben Baummwipfeln des Schjof- garten hervorragte. Hell beglänzt vom ruhigen Lichte lag in ſchwindlicher Tiefe unten der Hirfchgraben; dumpf rauſchte der Bach, der ihn durchſtrömt fonft war Alles todtenſtill und ruhig; nur gebrochen hörte man wie Käfergebrumm aus ber Ferne und vom gegenfeitigen Ufer das Anrufen der Scharwaden.

Unten knapp am Fuße des Thurmes ſchritt eine ſeltſam eingehũullte, gebeugte Geſtalt dahin. Es war ein Weib fie. trug eine Art Todtenhemd, um das Haupt ein buntes flatterndes Tuch, in der Hand einen Cifenftab. Lang fiel ihr aufgelöftes Rabenhaar über Hals und Nüden herab und ſchien wie -ein breiter Ianger Schleier auf dem weißen Gewanbe.

Mit dem Eifenftabe ſchlug fie Mirrend an die Quader des Thurmes umd fang dabei, mehr murmelnd als mit Harem Tone:

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„Biſt Du todt, mein Valentin? IM Deine Hand von Bint noch roth, mein Balentin ?*

Dies wiederholte fie dreimal und ſchien nach jedesmaligem Schlage mit dem Ohre an ber Mauer zu laufchen, ob von innen feine Antwort erfolge.

Dann feufzte fie tief auf und ſchwankte weiter knapp am Rande, an der Mauer ſich Hindrüdend, pochte dann wieder an, rief abermals ihren Reim is zum zweiten Thurme Bin, wo fie fiehen blieb, mit dem Stabe wieder anjhlug und fang, dann aber knapp vor der Mauer, welche von dem alten Schloßthore ber den Hirſchgraben einſchließt, verſchwand fie plötzlich, als hätte fie die Erde verſchlungen.

Lange noch flarrte der Schließer und fein Töchterlein laut- 108 und beffommen der räthfelhaften Erſcheinnng nad; endlich zogen fie ſich aus dem Fenſter zurüd, und der Alte fagte, fich befreuzendb: „Weiß Gott, was das if! Es kömmt mir immer fonderbarer vor; die Augen fehen es, und doch will's in meinen alten Kopf nicht Hinein, daß das, mas fie fehen, etwas Wirt- liches, if. Ein Gefpenft iſt's nit das fagt mir mein ge- funder Berftand und die Schrift, und ein Menſch ift es auch nicht ; denm wir Haben fhon Wachen ausgeſchidt, haben Hunde hinabgelaſſen, haben mit dem Pfeile darnach geſchoſſen: e8 wurde weder getroffen noch erhaſcht. "Wei meiner armen Geele! wie fol man dahinter kommen? Und an das Tageslicht muß es doch Tommen.“

„Wie lautet der Spruch, den fie fingt?“ fragte Bäta, welche das Licht wieder Hervorgeholt Hatte; „nicht jo?

„„„Biſt Du tobt, mein Valentin ?

IR Deine Hand von Blut noch roth, mein Valentin 2" Ein ſchauerlicher Reim, Hinter deffen Bebentung Unheil verborgen liegen mag!“

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„Schiag' Dir's ans dem Sinne, mein Lind,“ beſchwichtigte der Alte, indem er ihr unter das Kinn faßte und ihr ſchreden · bleiches Antlitz freichelte; „Du wirft: fonft Heu wieber nicht ſchlafen können und Did mit Träumen abquälen. Es ift hier freilich kein gehenerer Aufenthaltsort für eine junge, fröhliche Dirne. Erft machen Einem bie Gefangenen, die Berbreher Augſt; man muß zittern, daß fi Einer oder der Andre von der Kette losgemacht, und wenn ich zu ihm eintrete, mit den Feſſeln mir den Hirnfhädel einfclägt, um über meinen Leib hinweg ent- fpringen zu fönnen; daran aber ift nit genug, e8 kommen auch Geſpenſter uud treiben ihr Wefeu, daß Einem die Haut gefriert.”

„In den Gängen und Gewölben, liebes Väterchen,“ ver- fette Bla, „da habe ich nit Augſt, wenn id) flatt Eurer das Brot und den Krug mit Waffer Hinabtrage; denn id; denfe immer: du bift ein armes Mädchen, Haft ihnen nichts zu Leide gethan, fte werden Dir d’rum auch nichts Böſes thun. Aber dieſes gefpenftiiche Weib macht mid) ſchaudern, weil ich nicht weiß, wer e8 if, und was es will.“

„Ein Menfh muß es im Grunde doch fein,“ meinte der Bater; „was Anders font? Ein vernünftiger Ehrift kann an nichts Andres glauben. Es gibt da unten noch fo viele ver- fallene Gänge und Keller, die fi) durchkreuzen und meithin bie nad dem Schloſſe, fogar bis nad; der Gruft in die Schloßkirche führen. Leit möglich, daß einer oder ber andere gangbar ift und Diebe oder anderes Gefindel im Bauch der Erde ihr Weſen treiben ; denn bie Spigbüberei verkleidet fich in verihiedene Ge- Raften. Ich hab's dem Herrn Auffeher auch ſchon gefagt, daß endfih Rath gefchafit und da umten neu gebaut werden muß; denn da wir über hohlen, nicht geftügten Boden gehen, fo ift es leicht möglich, daß ein heftiger Sturm, oder wovor uns Gott bewahre! ein Erdbeben uns bie Thürme und Geſchoſſe über den Köpfen zufammenfejättelt. Freilich, an den Verbre-

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Gern, wird ber König und das erhubene Gericht fagen, ift nichts verloren; win wollen froh fein, daß wir ihrer los find. Wber mein ‚Gott! es wohnt doch auch ber Burggraf drüben neben dem weißen Thurme umd in jeder. Abtheilung bie Eaftellane und bie Schließer: doch am vierzig bis fünfzig unſchuldige Menfhen. Und was haben wir verſchuldet, daß wir fo zu fagen lebendig be- graben werben follen? Das bebenten bie hohen Herren freilich nicht, wenn nur ber Fußboden unter ihnen und das Dad über ihnen feſt und ficher ift; uns fann der Teufel holen. freilich, wenn man im Palaft wohnt, denlt man gar felten an eine Strohhatte und ein finfleres Kämmerlein und am die Möglid- keit, daß auch darin gute Menfchen wohnen können. Doch Du bift müde, liebes Kind,“ unterbrah er feine Ereiferung, „wolteft heut, ale am Namenstage, früher zu Bette gehen, und es ift nichts daraus geworden. Der verdammte Spuk! Du bift ganz kalt geworben, und Deine Hände zittern. Nun, fei nur ruhig, mein Mädden! die Tochter eines Schliehers, eines Wolfbändigers, fo zu fagen, muß and; kaltes Blut Haben. Ich gehe morgen felbft zum Herrn Burggrafen und erzäßl ihm die Geſchichte von dem Gefpenft, von dem verfallenen Ban und meine Gedanfen darüber. Er muß ein Einſehen Haben und ber Sade ein Ende machen. Iſt's 'was Schlimmes, fo bannt es vielleicht ein Priefter; obgleich man eigentlich dran nicht glauben follte. Doch lieber Himmel! ich treibe Did immer zu Bette und ſchwatze wieder fo viel dazwiſchen und Halte Did davon ab. Sag’ mir, was Hat die Muhme Anndla gefagt, da Du fie dent befucht und ihr das neue Keitlein und den Blumenkranz geſchenkt Haft, weil Heut’ zugleich Euer Geburtstag it? —“ „Sie freute fi wie ein Kind am Sanct Niclastage,“ war die Antwort. „Ich, ſah dort aud einen Gaft, einen fremden Kitter vermuthlich ifrs der Bräutigam des Zeöwicer Yrän- keins. Wenn das ber Fall if, fo paſſen die gar nicht zu ein

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ander. Er if zwar recht fhön und fattlich, aber fo bleich wie der Moud im Winter, und immer f6 eruſthaft, fo betrübt ſieht

er vor fid hin, mährend das Fräulein immer bie lautere Luftig- teit if. Was wird es aber Helfen? Wenn bie Herren Bäter es wollen, fo werden fie ſich doch heirathen müffen. Und im Grunde, glaube ih, Tann man dem dtitter auch gut werben, wenn ınan ihn erft länger Tennt: denw je aufmerkſamer ich das Geſicht an- ſah, defto freundlicher, milder wurde e8 nad; und nad.“

„Run!“ drohte der Alte fcherzhaft, „ſieh' nur ein Manns geſicht nicht gar zu lange an; es könnte leicht Unglück oder dummes Zeug daraus erfolgen. Jetzt aber geh’ zu Bette,“ fuhr er fort, da fie verſchämt die Augen fenkte, und ſtreichelte ihr bie roſige Wange; „ſtatt früher, kommſt Du Heut’ viel fpäter auf Dein Lager. - Mon braudt fi nur 'was vorzunehmen, fo ge- ſchieht's gewiß nicht. Morgen. müffen wir wieder früh auf den Beinen fein. Schlaf wohl!“

Das Mädchen kniete jegt vor einem GCrucifiz, welches an dem Pfeifer zwiſchen zwei Feuſtern hing, nieber und verridjtete ihr Gebet; dann nahm fie die Lampe, ging in die Nebenfommer und ſchlupfte in ihr Hohes Bett.

Der Alte fuchte gleichfalls das Lager.

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a1.

Elifa jaß mit Milada im traulihen Geipräd am Fenſter ihres Cloſets, welches nad dem Schloßwalle und dem Garten führte. Unter umd über ihnen rauſchten die grünen Zweige, , Blumen mitten anf den terafjenförmig über einander hinlaufenden Beeten, das Abendroth brannte wie gefhmolzenes Gold in ben Fenſtern des oben am Abhang Herrlich thronenden Schloffes. Die

Zuft war mild, der Himmel ein geſchliffenes Azurgewolbe. Im dem Gefpräche der beiden Jungfrauen walteten die linden Ger fühle der Liebesſchwärmerei, der Sehnſucht und des zarten Ber- langens vor.

Ein Reiter fprengte in- ben Hof. Eliſa gudte aus dem Benfter. „Der Bruder iſt's,“ fagte fie gleichgiltig; „aber warum Hmmt er allein? Wo mag Branik geblieben fein?"

Im diefem Augenblide trat fon Niklas bleich und verflört herein. Ohne das Fräulein vom Dubnic zu grüßen, fragte er haſtig: „Wo iſt ber Baterl=

„Fort!“ fagte Eliſa kurz; „aber was gibts, was iſt ger ſchehen, wo iſt Bratislan Pr

„Ungläd Unglüd 1" war Niklas’ raſche Antwort; „doc tann es fih noch zum Beffern wenden. Er kann vielleicht ge- rettet werden, der arme, unglädfelige Freund! Doc vor Allem muß ich den Bater ſprechen. Wohin ging er?"

„Sprich nur, was es gibt,“ rief zitternd Eliſa; „Du fiehft uns bebend und geipannt.”

Milada erblafte; auf Elifa’s Antlitz malte fi) der Schmerz

„Händel Hat’s gegeben,“ beridjtete athemios und eilig Nilias, „soifchen Bratisiad und dem Spanberg. Jener reizte ihn; fie zogen die Schwerter. Spanberg verwundete zuerft den Braniler; Iener ſtieß zu, ba das Blut fein Antlitz biendete, und fein Degen ging durch Spanberg’s Bruſt. Vielleicht iſt er ſchon tobt. Gtirbt ex, fo if Bratislav verloren. Nach des Königs neueftem Ge fege ftirbt er von Henkershand.“

„Wehe, wehel Heiliger Himmel!" rief Eliſa, und Thränen rannen über ihre Wangen. Milada aber ſank marmorlalt und ohnmãchtig in der Freundin Arme.

mSeiliger Himmel!“ ſchrie Clife außer fi, „eine zweite Leiche. Der Schred töbtet daB leibende, reizbare Herz.“

Herloßfohn: Der legte Taborit. L 9

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Aber Milaba erholte ſich wieder, trat an’s Fenfter und ver- dedte ihr Antlig mit einem Tuche.

„Und was ift ans ihm geworben?“ fragte Eliſa weiter.

„Er ift entflohen,“ war Die Antwort; „id brachte ihn glüdlih zum Thore Hinans nad; Lieben. Dort verbirgt ihn bie zur Nacht ein Inde, ber uns für Geld es zugeichworen. Daun geleitet er ihn bis Weltrus. Gr fol nad Melnit fliehen, von dort einen Boten ſchicken, der ihm wieder Nachricht bringt von dem, was vorgefallen. Der Bater muß zum König gehen und um Gnade flehen. Auch Hat ja nicht Branik zuerft den Streit begonnen; Spanberg war's, ber früher den Degen z0g und jenen verwundete. Lebt wohl, Kinder, und tröftet Eu! Ich ſuche den Bater.”

Er verließ eilig das Gemach.

Eliſa erhofte fih fie trat zur Freundin, umſchlang dieſe Hiebevoll und zog ihr fanft das Tuch vom Antlig. Die Wangen Milada's waren noch blaf, die Augen thränenfeucht.

„Meine liebe Milada!” fagte Eliſa theilnahmvoll und preite fie fefter an fi, „ic habe Dich verflanden. Armes Mädchen? Darum alfo dieſe Thränen, dies töbtlihe Erfcreden! Will denn Dein Unglüd nie enden? Hoffe zu Gott; der Himmel muß fi einmal erbarmen. Hörten wir es doch: mod ift Hoffnung vor- handen! Der König ift mild und gerecht, und jener Deutjhe war ber Beleibiger.”

„Es ift ſchreclich!“ ſprach Milada tonlos, und neue Thrä- nem quollen aus ihren dunklen Augenflernen; „von Hentershand fol er enden, der eble Fremdling !“

„Ach! Deinem Herzen, meine Freundin,“ tröftete Elifa, „if er, wie ih num erfahren, fein Fremdling mehr. Darum alfo bebte Deine Hand in ber meinigen, wenn er eintrat; darum errötheteft Du und erblaßteft abwechſelnd, wenn er ſprach. Darum trafen wir im Garten, wo er mit dem Bruder auf und ab ging,

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ihn in jedem Gange wieber; darum erwähnteft Du feiner oft und fagteft wieder, wenn ich von ihm ſprach: Reden wir von etwas Anderem. Du Tiebft ihn, meine liebe, füße, ſchweſterliche Freundin. Ach! es Handelt fi jet um zwei Herzen, die ge- brochen werben follen. Geftand er Dir ſchon feine Leidenſchaft ?“

„Nein, nein nichts!“ verfegte Milada und verhüllte wieder ir Antlig „er ſprach vom gleichgültigen Dingen md ſah mid, mit feinen andern Blicken an als Dich, als jede An- dere. ber ich weiß nicht, warum ich fo fehr erihrede. Es if das grauenvolle Ende, das grenzenkofe, ſchmachvolle Elend, zu welchem er verurtheilt fcheint, bie Aehnlichteit mit meinem Bru- der —"

„Die Aehnlichkeit mit Deinem Bruder iſt's nicht allein,“ äußerte fanftmäthig Elifa; „ich glaube, das hat viel tiefern Grund und wird vielleicht mit Schmerzen enden, ober, fo Gott und gute Menfchen Helfen, mit Gluck und Freude. Und warum follte er Did nicht lieben? Biſt Du dod fo mild und feomm, fo hold und ſchön, daß ſchon Dein Anblid, Deine Nähe jedes Herz mit Freude erfüllt! Ich bin ein Mädchen, und Mädchen find ſparſam im Lobe gegen ihres Gleichen. Darum kannſt Dur mir trauen, daß ich nicht ſchmeichle. Du wäreft feiner werth vor Allen Dei- nes Geſchlechtes; denn fein Herz ift auch edel und mannhaft, ſtolz im guten Bewußtfein und mild gegen Jedermann.”

„Schon damals,” erzählte jet Milada mit gefenkten Bliden, „als ich ihn im der Kirche fah umd der Schreck mich niederwarf, war's fpäter, als id; erwachte, body fein Grauen, fein Entſetzen, was id; fühlte. Ich fühlte mich zum Abbild meines Bruders Hingezogen. Ich ſehnte mich, ihm wieder zu ſehen, ſelbſt um dem Preis deffelben Schredens. Und ich fah ihm wieder, um ihn vielleicht für immer zu verlieren! Er erichien mir im Traume und fprad) zu mir viel Liebes und Süßes, was fein Mund im Baden mir gegenüber verſchwiegen. Ich wollte fein Bildniß

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baumen; aber immer kehrte es wieder zurüd. Ih ſchalt mic thöricht und dachte doch immer wieder an ihn. Weiß Gott! es war nit meine Schuld.”

„Du armes, armes Kind!” klagte Eliſa und ſtreichelte ber Freunbin Stirn und Loden; „nah vielen Leiden follte Deim Lebenshimmel fig fhmiden mit Gonnengold: da kömmt eine duſtre Wolle und verdedt das leuchtende Geſtirn plötzlich wieder. Doh Gottes Athem wird wehen und die büftre Wolfe verihen- den. Mir ſagt's der ahnende Glaube.”

„Manchmal,“ fuhr Milada im traulichen Gefländniffe fort, mift es mir wieder, er Fönnte, er werde mich nicht lieben ich fage zu mir: fein Herz ift kalt eine glühende Erſcheiuung müffe ihm entgegentreten, warme Glut dies Eis an feinem Her- zen aufthauen. Das wird mir wohl nicht gelingen, und es über- fällt mich banges Grauen bei diefem Gedanken.“

„Ei, e8 wird Dir gelingen," tröſtete Eliſa „Du holde, zaghafte Träumerin; ja, Deine fanften Augen follen mit ihrer milden Wärme feinen Froft bannen, und fein Herz wirb aus- ſchlagen wie ein Zweig in der Märzionne. Welch' andres Weſen, als gerade Dein frommes, fanftes, flimmt zu feiner Neigung, feiner Gemfithsart? Er liebt das Heitere nicht; darum gefalle ich ihm auf nicht wie mir der Bruder ſagte. Dod wie ſollte ih aud in Deiner Nähe als Siegerin beftehen, bie Du zehnmal ſchöner und auch beſſer bift, ale ih 1“

„Es war zum erſten Male im Garten,“ erzählte Milada weiter, „ic faß in der Hollumderlanbe dort; er fland vor mir und ſprach einzelne Worte von gleihgüftigen Dingen. Sein Auge ruhte fo feft auf mir, daß ich den Bid kaum ertragen Tomnte. Mir entglitt die Gürteltafhe wir bogen uns Beide eilig dar- nad, um fie aufzuheben. Seine Hand faßte dabei die meinige und hielt fie eine Weile warm floß es mir durch die Adern bis zum Herzen. Ich mußte erröthen; benn ber Atem ftodte

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mir Ich zog bie Hand heftig aurüd uud mußte doch nit, warum. Ich bereute es fogleih; ich hätte fie ihm gern wieber gereicht; body hielt mid) bange Scham zurüd. Ich zitterte bei dem Gebanfen,. er Könne meine Empfindung errathen, er inne ein liebendes Wort wagen. Ich wäre geforben vor Schrel - ten, und dennoch wünſchte ich es feife nnd heimlich. Ih war eine Thörin ih bin es no. Aber fein Unglüd, der Ger danke an feinen Tod, er läßt mich Alles fagen, Alles wagen. Ic weiß nicht, ob es Liebe, ob es Mitleid iſt.“

„Ach, meine Freundin!“ unterbrach fie Elifa ſchelmiſch 1ä- chelnd, „ih habe gewiß eim fo mitleiiges Herz wie nur Cine, aber ohnmachtig bin ich bei Niklas's Trauerbotſchaft nicht ger worden. And Habe id) nicht gebebt, da mic) feine Hand erfaßte, and aud nit von ihm geträumt, wie Du. Emblih brauchte id fein Bildniß auch nicht zu bannen; bemm ih dadjte nur an ibn, wenn ich ihn ſah. Es if auch ſchou ganz recht, daf wir Beide ihm nicht zugleich Tieben: da müßte ja Einer von uns das Herz breden; denn Eine würde er doch verfämähen. Sein duſtrer Bid drang in Dein Ange ımd buch das Auge immer tiefer bis in's Herz. Das ift fo der Zauber, wenn es ums Einer angetfan! Mir hat's mande Freundin erzählt; es erging allen fo wie Dir, nur nicht fo blöde, fo ängſtlich - ſchüchtern mar jede wie Du. Laß uns nur vor Allem dahin fiunen und traten, wie er- zu retten if; denn Du wunſcheſt ihm doch mur gerettet, vielleicht aus ſchwerer Haft, um ihm neuerdings zu fefleln. Der König fol fein Leben nicht anfprechen, weil Du es zu haben wünſcheſt. Nicht wahr, Du, meine ſchwärmeriſche Freundin?“

„Du biſt ja grauſam,“ Magte Milada, „wenn Du ſcherzen tannſt bei folder entfeglichen Seelenangſt! Denf an das Schred - lichſte an den Tod, ber feine blutige Hand nach ihm ans- fredt.u

„Eben weit ih nit an das Schredlichſte denke,” gegenre-

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dete life, „fprech’ ich hoffnungevoller von Deiner Liebe und glänbiger von feiner Rettung. Meine Ahnung tröftet und beruhigt mid. Liebende Haben feine Ahnung; fie quälen fi ab mit Furcht und Gchreden, eben- weil fie lieben. Du fichk, ich gebe Dir and gute Lehren, ale wüßte ich ſelbſt fo viel von ber Holden Minne. Aber wenn nur ber Vater oder ber Bruder fämel Ein bischen Angfiih bin ih au, bloß darum aber, weil, man uns zwei Mädchen bier fo ganz allein gelaffen hat. Wenn aum die Häfcher kommen und ſuchen ihn bier, was follen wir thun und ſagen ?“

„Eins weiß ich jegtl" rief Milata auffahrend und mit leuchtenden Bliden aus, „und der Gebanle gibt mir Muth und Befonnenheit zugleich. Ich rette ihm! Begleitet von meinen Die- nern, folge ich feiner Spur gen Melnit Hin. Zu beiden Seiten der Straße follen meine Diener fireifen; bie Augen der Liebe werden ihn erfpähen, meine Hand ihn ſicher gleiten. Ich führe ihn nad) Neuſchloß Hin, auf meine ererbte Burg. Dort berg’ ich ihn; fein Auge fol ihn erfpähen, fein Berräther, Fein Kund- ſchafter ihn entbeden. Dort lebe er, von mir bewadit, bis hier fein 2006 ſich entfdieben Hat. Und fordert ihm der König felbft mit gewaffneter Hand, ic) Habe Muth, ifu zu vertheibigen. Ich will meine Knechte bewaffnen und felbft auf den Wällen Kämpfen, bis fie ihm freigeſprochen von aller Schuld und Strafe. Wo nicht, fo kann ich mit ihm flecben. Und er wird fanfter ſterben in meinen Armen, als von des Henlers Hand!"

„Mädchen! Mädchen!“ rief verwundert Eliſa „ich ber greife Did nicht. Und dieſe Vegeifterung, die Dich erfüllt, follte nicht die Frucht ber Liebe fein? Zur Heldin, zur verzweiflungs- träftigen Amazone iſt das zarte, ſchüchterne Mädchen geworden, das bisher ſtill gebufdet, ohne Klage gelitten. Doch nein! bleib’ bei mir laß Gott und die Männer walten; Hilfe if vielleicht näher und leichter, als wir glauben.“

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„Rein, ih muß fort!“ betheuerte Milada; „mir ſagl's die innere Stimme, nnd das iſt Gottes Stimme, meines, ja feines guten Engels Stimme. Ich bin frei id fann ziehen, ihn zu retten. DI ein Weib ift ſchlauer und ausbauernder, als ein Mann. Noch dieſe Naht erreiche ich Lieben, finde ihn viel leicht mod dort ober Habe bis zum Sonnenaufgang mit meinen flüchtigen Roffen einen Vorfprung und treffe ihn noch vor Weltrus.“

„Und wenn Du wirffih ziehen will,” flehte Eliſa und umſchlang das Mädchen, „fo bleib nur noch bie morgen, bie zum Sonnenaufgang; bis dahin haben wir vielleiht Kunde von feinem Schidfal. Dann Holt ihn der Bruder zurüd wenn ſich Alles zum Beſten gewendet hat. Ic beihwöre Did! Ich laſſe Did nicht von mir,”

„Es ſei!“ verfegte Milada nad) einigem Sträuben; „doch jetzt eile ich, um alles zur Reiſe zu rüſten. Gegen Vater und Bruder ſchweig' von Allem. Die Männer fafen den Muth eines Weibes nicht; fie würden mid; eine Thörin ſchelten. Noch Eins! Sende mir feinen Knappen, den alten Sukol; er ift treu und verläßlid, er liebt feinen Herrn. Gr kann mir von Nuten fein auf der Reife. Jetzt Ich’ wohl, Du einzige, theure Ges noffin meiner Schmerzen, Vertraute meines Geheimniſſes! Go es dort oben dem Vater des Guten gefällt, fehen wir uns bald wieber.*

Weinend umarmten fi die Iungfrauen und ſchieden.

12. Es war Nacht; Sufol Hatte lange vergeblich auf feinen

Heren gewartet. Bon dem traurigen Vorfalle Haıten bie von Zebwic, da feine Folgen noch nicht zu berechnen waren, nichts

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geänßert. Nur das Fräulein Lie ihm fagen, fi für morgen früg bereit zu Halten, um Milada von Dubnic auf einer Reife zu begleiten.

Sutol wußte, daß ber Pater Guardian biefe Racht mit dem Wirte Michälel jene erwähnte Zufammenkunft halten wollte. Da fein Ritter noch immer nicht kam, fo beforgte er, bie Gelegen- heit, etwas don bem Anfchlage des Möndes zu erfahren, könnte unbenugt vorübergehen. x. ging deshalb allein auf den Stra- of, auf die Gefahr Hin, das Unternehmen bei Bratislav zu ver- treten. Als er in das Haus trat, hörte er rechts in der Schenk- finbe ſprechen. Um fich fir den Fall, daß ber Mönch ſchon da wäre, nicht zu verraten, ſchlich er leiſe Aber dem Hof, tappte die dunkle Treppe hinauf in jene Gaflfinbe, wo er ehedem ge- ſchlafen hatte und darum Beſcheid wußte. Der Wirth, ber ihn zwar felbft beftellt Hatte, konnte unter fo bewandten Umftänden nicht abgerufen werden, und Sufol faßte den Gedanken jet, ba er nnbemerkt bie auf den Schauplag der Handlung vorgedrungen war, ohne Mitwiffen des Wirthes, alfo ganz geheim bie Unter- redung mit bem Mönche zu belauſchen. Auf biefe Weife konnte er au, tie ihm Mar wurde, über bie Sinnesart des Wirthes Kenntniß erhalten; denn vorauszufehen war, daß biefer, wenn er fih mit dem Priefter allein wühte, feiner Zunge weiter feine Feſſeln anlegen würde.

Er kroch darum raſch unter das breite Lager, welches im der Ecke ſtand, legte ſein breites Schwert wie er denn als Krieger dieſe Vorſicht nie vergaß neben ſich und harrte der Dinge, die da geſchehen ſollten.

Es dauerte auch nicht lange, als Michalek die Thüre öffnete, Kerzenlicht Hereinftaßlte und der Kapuziner keuchend folgte.

„Dier, Hocrwürbiger!” ſprach Miichalek mit ber Müge in der Hand, „find wir unbemerkt und unbelauſcht. Gefällt es End,

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Gier Play zu nehmen?. Ich Hole den befleflten Wein und bin in einer Minute zurüd.“

Er geleitete ben Pater an ben Tiſch, fiellte das Licht vor ihn und entfernte fich geihäftig wieber.

Der Geiftliche, jest allein, betrachtete die Wilder am ber Bond, mmrmelte einen Fluch, als er Huſſens Bild erbfidte, trat dann an's fenfter, um zu fehen, wohin es ginge, unter- fuchte darauf die Nebenthüre, ob felbige auch gut verſchlofſen, ſchien endlich) beruhigt und fette ſich bequem in ben breiten, mit Stroh gepolfterten Stuhl.

Michael tom mit zwei Kannen Wein wieder.

„So!“ rief er freundlich, indem er das Schloß abſchnappte, „nun find wir allen. Ich Habe unten der Dirme Auftrag ge- geben, uns nit zu flören. Sie fol Jedermann, fagte ich, der mich zu fprechen wunſchte, abweifen und bie Leute beſcheiden, ich fei Heut’ Nacht über Land.“

„Befürchtet Ihr,“ fragte beſorgt der Geiftlihe, „daß wir überrafcht oder befaufcht werben könnten ?“

„Das wohl nit!” verfegte Michalek, indem er dem Pater gegenüber am Zifhe Play nahm; „aber es fümmt um biefe Zeit gewöhnlich ein alter, Huffitiicher Kriegsknecht Hierher, der eine Zeit lang bei mir wohnte, mid; flets mit feinen Abenteuern langweilte und meine Kreide oft im Anfprüch nahm. Ic haſſe den rohen, blutdirftigen Schurken ans ganzer Seele, Tann aber nichts gegen ihm thun; denn ein Wirth ift fir alle Leute. Der ungeſchlachte Wit iſt ein Bär von Kräften, und fagte ich etwas, fo finge er Händel mit mir an. Es könnte wohl auch geſchehen, daß er mich hier oben aufſuchte wie er fonft pflegt und deshalb will ich hier dieß große Bild vor das Fenfter ſtellen, damit er das Kerzenlicht nicht fee. Zudem weiß bie Dirne ſchon Beiheid; er wird abziehen, weun ich mit zu Haufe Bin.”

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„So, fol” fagte der Pater bedächtig; „thut das, mein Fremd! Man kann in ſolch' betrübter Zeit nicht geuugſam auf ber Hut fein. Senden doc die Ketzer ihre Aushorcher uud Spür- Hunde ſelbſt in die geheiligten Hallen unferes Kloſters, wie wir vor Kurzem mit großem Entfegen erfahren haben! Doc was fag’ ih da! Ic ſpreche von Kegern zu Einem, von dem ich doch felbft noch nicht weiß, ob er mein geſchworner Feind, ob aud er dem Irrglauben aus voller Seele anhänge, und darum, mas ich ihm nun unter dem Siegel der Beichte anzuvertrauen gebente, zu meinem Verderben ‚verrathen wird. Diefe legeri» ſchen Bilder an der Wand —“

„Verzeiht, Hochwürdigſter!“ unterbrach ihn der Wirth; „nicht id) Habe ihnen den Plot eingeräumt. Cs iſt eben jener Huffi- tifche Kriegefnecht, der, wie geſagt, Hier wohnte und die Wände dadurch entftellt Hat. Ich mußte es dulden, wollte ih mid mit ihm nicht raufen. Dem Scheine nah id ſchwör's bei meiner Seele! bin ih zwar Huffit, im Herzen aber ein eifriger, wahrgläubiger Katholit, der es oft im Gebete mit Thränen be= rent bat, daß er das Lamm innen, den reißenden Wolf aber außen als fein Kleid tragen muß.”

„Ihr wart wohl Tange nicht bei der Beichte,“ fuhr ber Mönd fort, „habt das Abendmahl mehr denn ein Jahr lang nicht bei uns unter Einer Geftalt genofien? Schlimm, fehr fhlimm! Und was gibt mir Gewähr für Eure Verfcäwiegen- heit, wenn ich Euch traue?“

„Meine Ehre, Hochwürdiger, und der Schwur auf meine Seele! Ih habe es im Innern immer mit dem wahren Glauben gehalten; mein Vater war einmal befangen im Irrthume der Neuerer, und fo mußte id zum Scheine ein Huffit fein, Pater Anfelm bat mein Herz erforicht, mein Gewiffen geprüft uud erfannt, daß ich nicht unwürdig der Gnade bin, als reuiger Sünder. wieber in den Schoß der alleinfeligmachenden, Heiligen

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Kirche aufgenommen zu werben, &o oft er terminiren ging, gab ich heimlich zwar, dod nad meinen Kräften reihlih, an Wein und Gemüfe, Fleiih und Brot für das Kofler. Da ih das Abendmahl unter Einer Geſtalt nicht geniehen durfte, genoß ich es lieber gar nicht, als auf die ketzeriſche Weiſe unter beiden Geftalten. Kömmt -ein Bettler in mein Haus und' nennt fi einen Kathouten, fo beſchent ich ihm veihlich, Matt daß dagegen der Huffitiihe Arme mit geringerer Gabe bedacht wird. Ih tann mich nicht rühmen, hochwürdiger Herr! die Ruhmredigkeit if meine Gabe nit; doch da Ihr mir zu reden befahlet, ba es mein geiftig Heil erfordert, fo mußte ich wie im Beichtſtuhle meine Seele öffuen und Euch davon Erwähnung thun.“

Gut," fagte der Mönd, „man wird Euch prüfen, ob Ihr beſteht. Ein Eid verfiegle vorerſt Euren Mund, ob Ihr gefonnen ſeid gu Handem, ob nicht. Beides iR gleich. Wollt Ihr zum frommen Werke, das wir bereiten, nicht die Hände zeichen, fo braucht Ihr Bloß zu ſchweigen; deshalb binde Euch der Schwur. Ein Gleiches fei der Fall, wenn die That gethan; obgleich dann eine Zeit kommen wird, wo alle Berantwortlidjfeit wegfallen muß. Und eine Zeit bes Heils wird kommen, das hoffen wir zu Gott, für uns, für Cuch, für Ale. Wenn no ein. matter Schimmer von Gefühl und Liebe zu unferer Stamm- matter, der heiligen Kirche, in Eurem Buſen Iebt, o, dann wendet Euch wieder zu ihr, betrachtet die . Leiden ber Glaubensmänner, ſeht ihre biutigen Häupter, welche bie Schergen ber Ketzer ihneu gefchlagen, feht unfre Schmach, unfere Erniebrigung, und auf jener Seite dagegen den Hohn, bie Macht und das Berderben bes Antichrif’8 und feiner Kinder Wen ber Herr Tiebt, dem güchtigt er. Cr Bat uns erniedrigt, um uns zu prüfen, ob wir treulich ausharren als feine gläubige, reine Schaar: er wird, er muß uns wieber erhöhen, er wird ſich unſers Jammers erbarmen ; denn er iſt ein Gott der Gnade. Die Altäre find geſchändet, bie

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Tempel entweißt, das Sacrament entheiligt als ein Gemeingut für Laien, wie für Priefter; die Diener Gottes find in bem Staub getreten, und auf ihre blutigen Häupter tritt der Glaubens- feind mit eiferner Ferſe. Unfer Hewi, Jeſus Chriftus, ſelbſt bat das Abendmahl gegründet, hat es feinen Apofteln, das ift feinen Dienern, die Priefter waren, ausgetheift; er hat in Petrus ber Kirche den Papft gegeben und ihn in geifllihen Dingen als Oberhaupt der Kirche bingejegt, daß fein Wort löſe und Binde, daß er fortwirke und fortlehre im Ehrifti Geiſte. Auf Petrus folgten hie andern Päpfte, mit derfelben Weihe, derſelben Kraft, derjelben Ginficht ausgeftattet wie er, vom Chriſto her. Darum ann es nur eine einzige, wahre und Jeligmadjende Religion ge- ben, und dies if bie katholiſche; Alles was aufer ihr ift und neben ihr, ift Kegerei und Werk des Antichrif's."

Er zog nad; diefen falbungsvoll gefprodenen Worten ein Meines filbernes Crueifix aus feinem Gewande, flellte es auf ben Tiſch und fuhr fort:

„Da Ihr, Johann Michälet, alfo gefonnen feid, zum Heile der Kirche und ber wahren Heiligen Religion meine fragen ent- gegenzunehmen, um darnach zu, entidjeiden, ob Ihr gefonnen feid, zum Wohle derſelben uns bei irgend einer Gefegenheit hilf- reiche Hand zu leiften: fo beantwartet erſt bie fragen, welche ih Euch vorlege. Glaubt Ihr, Johann Michälek, an Gott, an bie heilige untheilbare Dreieinigleit, an Chriſti Tod und Auferftefung, an bie unbefledte Empfäugniß Marik und bie Ge meinfhaft der Heiligen ?“ Er Bielt einen Augenblid inne; Mi- chalek legte die Hand andächtig auf die Bruft und fagte mit Zerknirſchung: „Ich glaube!“

Der Mönd fuhr fort: „Glaubt Ihr an die Untrüglichfeit bes heiligen Vaters, als Stellvertreters Chrifti, und an die Un- fehlbarkeit feiner Kirche? Glaubt Ihr am die Gewalt ber ge- ſalbten Priefter, welche ihnen der Herr durch feinen Stellvertreter

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gegeben, Sünden zu verzeihen, zu Löfen und zu binden, und bie Sacramente einzig und allein gültig auszutheilen ?“

„Ich glaube es !“ wiederholte Michalek.

„Glaubt Ihr ferner,“ fragte der Pater weiter, „an die Heiligkeit ber fieben Sacramente und die Gebote ber Kirche ?

„IH glanbe daran!" war des Wirthes abermalige Ant- wort. °

„Dann, Johaun Micjälel,“ fprad der Mönd, nahm das Erncifiz und hielt e8 vor ihm hin, „ſchwöret und ſprecht mir folgende Worte nad mit freiem Sinne, offenem Herzen und kla⸗ ver Serlel“

Michalek erhob drei Finger der rechten Hand, legte fie auf das Kreuz und fprad), was ihm der Mönch vorfagte.

Diefer begann: „Ich Johann Michälel ſchwöre zu Gott dem Allmäctigen bei feiner heifigen Dreieinigteit, bei der unbe⸗ fledten Empfängnig Mariä, bei allen Heiligen und Engeln, daß ih von dem Geheimmiffe, welches mir der ehrmürbige Pater Guardian fo eben nach abgelegtem Eide mittheilen wird, an Nie · manden, felbft nit an einen ambern Priefter im Beichtftußl, weder im Rauſche, noch in ber Nüchternheit, weder bei gefundem Leibe, mod im der Todesſtunde, weder im Wachen no im Schlafe, weder freiwillig noch gezwungen, weder durch Belohnun- gen, noch durch Todesmartern bewogen, irgend etwas verrathen will, fo wahr mir Gott helfe! Sollte id) dieſem meinen Eide aber jemals treulos werben, fo treffe mich ewige Verdamm niß, mein Gewiſſen erleihtere weder Abfolution noch Abendmahl, Chriſti Beiſtand verfaffe mid; in ber Ieten Stunde, mein fterb- licher Leib habe feine Ruhe in der Erde, an bem Herzen, das dann ewig fühlen möge, nage ohne Aufhören ein giftiger Wurm, ein giftiger Molch felbft werde meine Zunge, Schlangen feien meine Augen, und Ameifen wohnen in meinem Gehirn! IH ſei gepeinigt bis zum Tage ber Auferftefung und möge danu

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verdammt fein mit den Verdammten! Meine Seele aber peinige alle Qual der Hölle, und ich verzichte anf’ die Hoffnung ſelbſt zukünftiger Gnade und göttlichen Erbarmens. Dies werde mir Alles um fo ficherer, als ih dieſen Eidſchwur Bier mit vol- Tem Bewußtſein, freiwillig und mit dem Gedanken am die Folgen feines Bruches ablege. So im Namen Gottes, bes Vaters, des Sohnes und des heiligen Geiftes! Amen.“

Michälel bekreuzte ſich und Füßte daun das Erueifiz, welches ihm ber Pater darreichte.

Diefer fuhr nad einer Weile fort: „Zwar lohnet Euch bie Kirche für Dies und Alles mit ewigem Heile; aber ba bes Men- ſchen Herz am Irdiſchen hängt, ba, wer ihr dient, auch vor Mangel geſchittzt fein foll, fo nehmet vorerft Hier dieſen Beutel mit Gold, als Belohnung, daß Ihr geſchworen zu ſchweigen in heifiger und Heilfamer Sache.“

„Hochwürdigſter Here 1“ rief Michalek und feine Angen rub- ten funkelnd auf der gefüllten Börſe „wie verdien’ ich elender Knecht ſolches, da allein Euer gnäbiges Vertrauen mic fattfam belohnt und befeliget? Bin ich doch bereit, nicht nur meinen Arm, fondern mein Blut, mein Leben felbft unter tauſendfachen Martern zum Heile der Kirche hinzugeben I“

„Unterbredet mich night,“ belehrte der Nöonch, „und laſſet mid gewähren! Wären bie Klöfter nicht fo arm geworden, hätten ruchloſe Hände fie nicht ausgeplündert, Euer Lohn würde reicher fein. Dies vorläufig, nur für das Schweigen! Morgen vor Sonnenaufgang kommt in das N lofter, tretet heimlich zum Gei- tenpförtlein ein, wofelöft Euch ein vertrauter Ftater empfangeit und zu mir geleiten wird. Denn da es Euch Vortheil bringt und Euer Heil im Leben dies erheifchet, fo möget Ihr fernerhin nod und bis die Stunde unfers Triumphes ſchlägt, dies Huffi- tiſche Gewand tragen: äußerlich ein Wolf, im Innern ein from- mes, gehorfames Lamm. Ihr follt morgen den Eibſchwur noch

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einmal wiederholen ımd darauf das Abendmahl unter Einer Ges ſtalt geniefen. So werde ber alte Bund zwiſchen Euch und ber Kirche wieber hergeſtellt, und Ihr ſeid dann an fie gefeſſelt mit ewigen Banden. Wollt Ihr uns nun böret mid aufmert · fam an Eure Hand leihen zu einem verdienſtlichen, gottgefäl- gen Werke, welches dem Heile des alleinfeligmachenden Glauben frommt, ihn, dem gefährdeten, aus großer Drangfal rettet, dem Antichrift fammt ber Kegerei flürgt und Tauſende reuiger Seelen in den Schooß ber Heiligen Mutter - Kirche wieder zurüdführt Pr

„Ich will,“ verjegte Michalek gefpannt, „und wäre es zu erringen dur den legten Tropfen Bintes 1”

„Richt diefes verlangen wir von End, frommer Sohn ber Kirche!” fuhr ber Pater fort; „es ift ein unblutig Opfer von Eurer Seite. Thut Ihr die That, fo erwartet Euch größerer Lohn Hier und dort, als er Euch je geworden. Wollt Ihr fie nit verüben, fo werben wir zwar trauern über bie Zaghaftigfeit eines ſchwachen Dieners des Heren, aber Eud darum nicht zür- nen; denn Ihr follt frei handeln, wie e8 Euch Ener Eifer lehrt. Ihr braucht dann nur zw ſchweigen, wie Ihr ſchon geſchwo- ven, und wir werben mit Gottes Hilfe einen andern Arm finden.”

„Sprecht, Hochwürdigſter!“ fagte geipannt und bebend Mir chalek, und fein Antlitz Hatte den Schein brünftigfter Frömmigkeit, mich Bin zu Allem bereit; ich will Alles verüben nm ber Kirche und meines ewigen Heiles willen.“

„Gut denn,” verfegte der Guardian, „daun höre und prüfe Dein Hm.“

Er zog nad biefen Worten vorn aus feiner Kutte eine forgfam eingehülfte Meine Monftranz hervor, padte fie aus und hielt fie dem ſtaunenden Michalek vor fein Antlig.

„Diefes Mleinod,“ fagte der Priefler, als ſich der habgierige Birth an dem Glanz bes Goldes und der Edelſteine, die im Scheine: der Kerze einen betänbenden Schimmer ausftrömten, ge»

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weidet Hatte, „haben wir mod; gerettet aus der allgemeinen Plän- berung. Borficht Hieß uns, es dem Dienfte des Herrn auf feinem heiligen Altare nicht wieber zurüdzugeben; deun es würde vom Neuem die Habſucht gereizt und ben Tempel des Allmächtigen abermaligen ketzeriſchen Freveln Preis gegeben haben. Dies Kleinod, im Werte von zweitaufend Goldftüden, welches fromme Milde einer erhabenen Frau der Kirche geweiht, ſoll dem als Preis gehören, der einen Höhen Dienft dem Herrn, der Kirche und feinen Dienern leiftet durch feinen willfährigen Arm. Nebftbei erhaltet Ihr Abfolution im Namen des heiligen Vaters und durch feine unmittelbare Kraft für alle bisherigen wie zufünftigen Sün- ben. Ihr werdet von ba ein begünftigter, geliebter Sohn ber Kirche, und in allen weltlichen wie geiſtlichen Nöthen wird fie Euch, beifpringen.“

„Sprecht, hochwürdiger Herr!“ bat Michälet, defien Augen noch wie dürſtend auf dem funkelnden Juwelenſchatze ruhten, mit einem Seufzer, „ih bin Euer gehorfamer Knecht und darum zum Aeußerften bereit.“

„So hört denn,“ begann ber Guardian mit gebämpfter Stimme und feierlihem Tone. „Soll unfer reiner Glaube wieder zu Ehren kommen, fol er gereinet werben von ben Schlacken der Ketzerei, fol er der alleinherrichende fein Hier im Lande wie überall: fo muß des Könige Siun, ber bie Keberei beſchubt, ſich entweder von ihr wenden und zum Seile lehren, ober ber König, als Feind des wahren Chriſtenthums, als Freund des Autichriſt's und Beſchirmer der Keßerei, muß flerben, damit ein anderer katholiſcher Fürft dem erlebigten Thron einnehme und mit fremden wie mit eigenen Waffen den Samen bes Böſen vernichte. Seid Ihr derſelben Meinung ?"

„Ich bin,“ verſetzte Michalek, „und Habe es als Laie in meiner Seele oft ſchon geheimnißvoll bedacht.“

„Gut denn,“ fuhr ber Guardian in ber Rede fort; „Sonn

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tag Aber ‚vier Wochen, am zehuten nach Xritritatle, genießet der König in der Gchloßlicche feierlich das Abendmahl unter beiden Gefalten: das Brot unb ben Wein. Der Sacriſtan bezieht den Kirchenwein, wie ihr wißt, und namentlich bei fo hoher Beranlaffung. eime beſſere Sorte, von Euch. Im bdiefen felben Wein, den ihn an dem nämlihen Tage in die Kirche traget, gießet. den Imbalt eines Flaſchchens, weldes ihr don mir ere halten werdet, behmtiam und heimlich, daß es Niemand gewahr werde. Es wird weder bes Weines Geſchmack, noch feine farbe auf irgend. eine auffällige Weiſe dadurch verändert werben. Det König wird triwfen von bem Weine, wie bon jedem andern. HM fein inneres Gemüth noch erfüllt von der Gnade des Herrn, fo wird eine Ummandlung mit ihm vorgehen, und fein Gerz wird fich reuig kehren zur alten Kirche und abſchwören das Kegertfum durch die geheiligte Kraft bes Trankes; denn dieſer iſt mit Zuziehung frommer Männer, unter Gebeten und Kaftei- ungen, mittelft der wunberthätigen Einwirkung von Reliquien ge» braut worden. Bleibt ber König. aber verftödt, verſchließt fein Herz der innern Regung, iſt feine Seele ſchon ganz im Beſitz thume bes Antichrif's: fo wird er ſterben. Gein Los alſo iR ihn, feinem eigenen Willen anheim gegeben; das unſrige ſteht in Gottes Hand. Er alſo kann Ieben ober fterben, wie es ihm weife und feinem Gewiffen angemefien bünft. Wir aber waſchen anfee Hände in Unfchuld; denn wir Haben ihr erft gewarnt durch feinen innern Richter. IR er gerettet, fo fiegt durch ihn uuſre Kirche; if er tobt, fo fliegt ohne ihm durch einem Andern, durch fi felbft die reine Lehre. Amen.“ Er blidte forſchend nad; dem Wirthe.

Michalek faltete audächtig die Hände, blickte emtzidt von der Monfranz zur Dede empor und fagte: „Ih will um des Heiles. willen, im Namen ber fünf Wunden. Ehrikit Ihr Habt fo ſchlechtem Kuechte, wie id bin, viele Gnade erwiefen

Herlosfohn: Der lehte Taborit. L 10

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durch folhen Hohen Auftrag. Doch der Herr ift auch barm Herzig in dem @eringfien ber einigen! Leicht if die That ih habe auf ein fühneres Amt gerechnet! OD, warum habt Ihr, um meinen Eifer zu prüfen, nicht auf ſchwerere Probe mich geſtellt? Ich Hätte meinen Arm bewaffnet zum Dienfle der Kirche und mein Blut nad vollbrachter That freiwillig im Opfer- tode hingegeben, bejeligt, nur ale Märtyrer fterben zu Können.“

„Deimlich geſchehe es; dies lehrt die Elugheit,“ erwiederte der Möuch. „Chriſtus, unſer Meiſter, ſagt in Bezug auf bie Kirhe: Seid klug wie die Schlaugen. Der König ſterbe fo er fündhaft ift und es bleiben will und vermelfe allmälig. Ein gewaltſamer Tod werde nicht fichtbar an ihm; denn ſolch' ein Tod würde das Herz feiner Anhänger mit neuer Wuth er- füllen, mit neuer Kraft ausrüſten. Was ihnen der Zufall ge- raubt, ertragen fie leichter, und mit diefem Oberhaupte find fie der mãchtigſten, legten großen Gtüße beraubt. Gott fegne und erhalte Div Deinen Eifer, mein frommer Sohn! Für diesmal iſt's nur geringes Werk, fo man vom Dir verlangt, nud groß der Lohn. Harte ans, zögre nicht, laß Deinen ebien Vorſatz nicht wanfen; Bier wird Dir bie Liebe und der Segen der Priefter wie aller Recigläubigen, dort oben die Palme des himmliſchen Ruhmes zu Theil. Beate Alles wohl, mein Freund; laß Deinen Mund einen elfenbeinernen Thurm fein, der verihloffen iſt, zügle Deine Zunge und wäge das Wort bebädhtig ab, ehe Du es fprihft; denn ber Verdacht lauert überall und fchaut in jede Rige der Seele, um dort etwas zu entbeden. Ich aber fegue Dich jet und gehe in meine Zelle, um mid; zu kaſteien und zu beten, bamit das erhabene Wert mit Gottes Hilfe durch Did, einen geringen, aber ergebenen Knecht, glücklich vollbracht werde.”

Sutol, der mit dem tiefften Jugrimme unter beur Lager das ganze Gefpsäh gehört und nur manchmal, wenn ber. Pater

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seht hefüg ſprach, mit ben Zähnen gekuirjcht Hatte, ba er feine innere Wuth nicht bändigen konnte, war num eben im Begriffe, aus feinem Verſteck hervorzufpringen und bie beiden Köuigsmörder mieberzuftoßen; denn ber ſchurliſche Wirth das wurde ihm jest Har benutzte den Umftand, daß er nicht erſchienen, zu feinem Vortheil und war gleichen Sinnes mit dem Guardian ge worden, ba er fo reihen Gewinn witterte. Hatte er den Mie chalek früher für einen gleißnerifhen Buben gehalten, fo hatte er nun bie fefte Weberzeugung davou gewonnen. Gr bändigte feine Heftigfeit, indem er bebadhte, daß er wofern er die beiden Meudelmörber jet feiner Wuth opferte dann feinen Zeugen habe, um ihre Abſicht an den Tag zu bringen und feine Ausfage darüber zu belegen. Leicht konnte er, da er fi hier hereingefchlichen, da er ein taboritiſcher Krieger, alfo ein natür- licher Feind des Möndes war, für einen abfictlihen Mörder gehalten werben, um fo mehr, als den Erſchlagenen ferner feine Ansfage durh Drohung und Folter abzuprefien war. Dies bedachte er. Er mollte, fo beihloß er, bem Könige fein Ge- heimniß anvertrauen; die Folter follte beiden Verbrechern ihren Auſchlag entloden. Noch befier aber folgerte er bie That erſt reifen zw laffen, und in dem Augenblide, wo der vergiftete Bein fon vorhanden fein würde, verhindernd und entdedend einzuſchreiten. Darum fämpfte er feinen Jugrimm nieder, ver⸗ bielt ſich noch eine Weile ruhig, und fann und dachte nur auf bie Art und Weiſe, wie er unentbedit und unbemerkt wieder aus dem Haufe gelangen könnte.

Inzwiſchen Hatte ber Priefter den Mitverſchworenen gefegnet, ihm die Borſe und das filberne Erucifig dargereicht, die koſibare Monftranz aber wieder zu fi genommen, und ſchicte fih au fortzugehen.

„Roc einmal, fagte er zum Abſchiede, „ſegne ber Herr Euch und verleihe Euch Kraft mund Ausdauer! Morgen ſpreche

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ich End, reuiger Sohn der Kirche, in meiner Zelle. Daß id allein für den Glauben und wicht wegen bes Beſitzthums irdiſcher Guter jene That wünfde, dafür ſei Euch meine, wie unſers Ordens Armuth fihere Burgſchaft; denn wir bieiben Bettler unter allen Berhäftniffen im Staate; wir haben die Gelühbe bes Gehorſams, der Kenfchheit und der Armuth abgelegt, weidhe wir auch ſtets gehalten. Lebet wohl!“ .

Michalet kußte ihm andächtig bie Hand, nahm das Licht und begleitete ihm langfam zur Thüre hinaus, welche er hinter fich zulehnte.

Sulol kroch ſachte unter dem Bette hervor, lauſchte an ber Thure, und ale er das Licht auf der engen Treppe nad und nad) verſchwinden fah, flieg er feife und bedächtig hinab, fprang, als jegt Michalek mit dem Pater durch die Hausflur ging und ihm no eine fanfte, gefegnete Macht. wünſchte, inte um bie Ede des Treppenhanfes auf dem Hof unb verbarg fich daſelbſt in einer Niſche.

Michalek kam zurück, belenchtete forgfam alle Winkel und Eden an ber Treppe, und flieg banız ohne Geräuſch bie Stufen hinauf vermuthlich um, mod; bevor er in bie Schenkſtube ging, die erhaltenen Gefchente in.feiner Lade vorſichtig zu verichließen.

Er nahın das Bild, welches ihm flatt eines Vorhanges ge- dient, wieder nom Fenſter und wandelte .oben nod eine Weile auf und ab, fo daß Sufol feinen Schatten fah. Diefen Augen- blid benutzte der Kuflitifhe Krieger, um anf ben Zehen über den Hof, dur ben Gang am Schenkimmer vorüber nah ber Straße zu ſchleichen. Hier weilte, er einen Angenblid; deun ihn überfam ber Gedanke, jener Michälek könne vielleicht dod ein eifriger Huffit fein, Tonne Ad gegen den katholiſchen Prieſter uur verſtellt umb die Abfiht haben, nah Xöfung feines Eides durch einen Prieſter des Kelches den gangen Anſchlag zu verrathen.

Er kehrte alfo um, ging wieder in das Haus, öffnete mit

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Gerãuſch bie Gaſtſtube und trat, wie er es tom ehebem gewährt war, mit feſtem Tritt und einem fräftigen Fluche wieber ein.

Auf fein Verlangen er mwürbigte die Dafigenden kaum eines Anblides gab ihm bie Dirne einen Becher. Wein, ben er haſtig Binunterftürgte.

Gleich darauf kam der Wirth von oben‘ herab; er ſchien auf Sutkol's Erſcheinung gefaßt und nahm die gleichgültigſte Miene von ber Welt an.

Sulol begrüßte ihn, faßte ihn an der Hand und trat mit ihm hinter den Ofen.

„Iſt er fon da?“ forſchte er Haflig.

„Wer denn?“ fragte Michalek langſam, befann fid aber plöglich, daß ber Reiter ja leicht möglich dem Möndje begegnet fein Lönne und fein Verläugnen des Beſuches nur Berbadht er- tegen würde: er unterbrach fid daher raſch, indem er feine Frage ſelbſt beantwortete und fagte: „Ach ja! der Guardian von dem Ropuzinern, von dem ich zu Euch geſprochen.“

„So iſt's!“ entgegnete Sukol und Iniff fein Ange zuſam- men, damit beffen wilder Blitz nicht von feiner innern Grregung zeige; „was wollte er, was fragte er? Betrifft es uns?

„Nein nein!“ erwiderte Michalek und machte fi an der Schualle feines @ürtels etwas zu ſchaffen; „er fragte daſſelbe, was Heut’ der Mönd; erforſchen wollte, beſchwerte fi über ben Nitter und ergoß fi in Klagen. Ich aber wollte ihn wieder los werden; deshalb Hatte ich ihn im jene Stube geführt, mo die Gemälde umferer Heiligen Märtyrer und bag Gpottbilb auf den Bapft hängt, und flelkte demmad; das Licht gerade basunter, damit fie ihm in die Augen fallen möchten. Er ſchien den Wink zu verfiehen, hielt die Hand vor die Angen, feufzte und entfernte ſich bald wieder.“

nBahahal" lachte Eutol im ausbrehenden Ingrimm; body

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Michalek Hielt es für Beifall über dem Hohnnedenden Scherz ‚mit dem Monche.

„Schade nur," fuhr der Sqhentvirth fort, „daß Ihr nicht zur rechten Zeit gekommen, als er bier im Dunkel durch bie Hansflur ging! Ihr Hättet ihm da während des Begegnens, fo aus Berfehen, mit dem Ellenbogen einige Rippen einſtoßen kön - nen, wenn's fett nicht zu die vorliegt.”

„Da Haft Du Recht!“ betheuerte Sufol; „um den Spaß bin ich gebracht. Alſo weiter iſt nichts vorgefallen? Hätte aber doch gern fein Klagelied über die Ketzerei gehört, und wie er ja, wie er den Herrn ſchmähte! Da wär ich vorgefprungen und hätte gerufen: .Heida, frommer Bater, folhe Salme, wie Ihr jeid, Habe ich im Kriege zw Dutzenden gebraten. Der, den Ihr ſchmaht, in mein Herr. Seht Eure Rapıze auf das Tahle Dach und nehmt den Roſenkranz zur Hand id; zieh’ mein Schwert. Ihr müßt den Schimpf ausfehten mit mir, da wir einmal im $rieden find; wären wir im Kriege verführ' ich nicht fo ſauberlich. Haha! ich Hätte den Schrecken bes feiften, zitternben Möndleins fehen mögen! Nun, deu Herrn wird e8 wenig fünmern. Ich ward fo ange aufgehalten und muß aud gleich wieder fort. Wollte Dich der Pfaff’ vielleicht bekehren P

„Mein, dazu kam's nicht,“ berichtete Michälel; „ic würde ihn and ſchön zurecht geiwiefen haben in meinem Hauſe! Denn fein katholiſcher Pfaff darf fi, wie die Hohe Verordnung jagt, einſchleichen in ein hufſitiſch Haus und daſelbſt Belehrung verfu- chen. IH ſtand ihm gar nicht Rede; er fah, daß ich fireng Huffitifch gefinut, umd ging baldigſt. Di weißt ja, wie mir al? das Boll, das papiſtiche, Laien und Priefter, widerwärtig find, obgleich ich als Wirth bei Jedermann mich fügen muß, wenn and mit geheimem Widerwillen.“

„Freilich, Freilich" Aimmte Sutol ein und. pochte Ihm be= tröftigend auf die Schulter; „Bier Haft Du Gelb ih muß

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nach Haufe; ’s iſt noch ein hübſcher Weg. Morgen geht's auf Reifen mit einem Holden Fräulein. Nicht wahr? ih muß doch noch ein ſchmucker Burſche fein, trog des Einen Auges und der Narben und meiner Bärenftimme, wie fie das Fräulein von Zehwic nennt.”

„Wie fo auf Reiſen ?“ fragte der Wirth, indem er das große Silberſtück wechfelte und Meine. Minze heransgab.

„Freilich!“ herrſchte Sukol „hab’ feine Zeit zu verlieren. Wald Fehr’ ich vieleicht wieder und erzähle Dir bann dies und jenes Abentener, dab Dir ber Magen im Leibe lachen foll; denn ih zieh’ auch mit anf Schwänke aus, befonders anf einen großen und höchſt luſtigen Schwaut. Doc davon fpäter! Leb' wohl, und ſollten wir uns nicht wieberfehen, jo bedenl mic im Teſta- mente! Berfichft Du? Gute Rachel“

Er ſchritt nach bdiefen Worten lachend hinaus, indem er die Thüre Hinter fich zuwarf, daf die Balfen krachten und bie enfter tlisrten.

Bis hierher Hatte er feinem Ingrimme Gewalt angethan and feine Zorngint gebändigt. Länger vermochte er's nicht. Als er an ben Eden bes gewöhnlich finftern und menſchenleeren Hohl- weges, wo es nicht. gehener fein ſollte, anlangte, blieb er ftehen, trat an die Mauer, ftemmte ſich mit beiden Händen baran und ſprach halblaut gegen die Wand, als wäre es Michätel, ber heimtücliſche Wirth: „O Dir verbammter Schurke, firupphaariger, feelenfofer Böfewicht! ift das Treue und Glauben, ift das Eifer im Huffitentiume? Du Hundefeele eines fähigen Hundes, Kerl Du mit einem Herzen wie eine Bärenmüße, die voll Un⸗ gegiefer if, Menſch mit einem durchlöcherten Gewiſſen mie eiu zerrittener Sattel, wie eine moderige Pferbededel ift das Wahr- Heit, if das Aufrichtigkeit? Du gift und windvollgefadter Lügen. bube, augenverbrehender, zungewedelnder Spitzbube, Wicht, Gauch, Taugenichts und Lumpenlerli Ein Dieb und Mörder Du, ein

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bloder Schoͤps wit dickem Hiruſchadel und borfiger Wollt, mh doch ein Wolf im Imnern! Ci, Die ſitzt ja bie Schlechtigteit fauftdid zwiſchen Haut und Kuochen, ywilhen Ange und Mund? Daß Dich das Donnerwetter auf jeden einzeluen Deiner Zähre im laſterlichen Rachen ſchlage und bis in bie Außzehen Yinab- fahre! Du verbienft ja, erſt geipieht, dann gefunden, dauu aufgefäfigt, dann gebraten und gehangen zu werden! Der Rinig iſt einmal unfer König, und iR bad; wenigſtens ein hufſitiſcher Wönig, und Du abtrünniger Hund willn bie dand bayır hergeben, Ähm gu vergiften? Das wird ein ſaubres Trantiein fein, das Deinen . Holzäpfelwein verfüßen fol und des Ränige Gemüt rübren!. Ich weiß gar nicht, wie ich zu der Faſſung kam, daß ih nicht hervorſpraug und bie ſchurkiſchen Schädel mit der Kauft einſchlug, wie's ber Fleiſcher mit dem Sammer bei den Ochſen thut. Aber nein! Erſt wenn bie Frucht reif if, muß fie falen. Nun, Eure Köpfe follen gut geſchüttelt werben, daß fie fallen wie faule Aepfel. Und Du, Pfaff/ Schwiegerſohn von des Teufels reizender Großmutter Dir will ih einen Zanz bereiten, daß Dein Fettwanft Kienöhl ſchwitzen fe! Du Megenfohn, Du Schänder und Läfterer der Schrift, frecher Beel- zebub im Dienfte der Papifien ! heida! Du follft auch dran, daß Dir die Haut Deiner Glage ſich emporfiräuben fol in Ermen- gelung des Haares! Und im Grunde, Fluch und Donuerwetter! iſt der Middle doch noch ein größerer Sundenhund, als ber Mönd; denn der Mönd thut's für feinen Glanden und aus Haß gegen das Huffitentfum, der ſchiefbeinige, angenverbrehende Schuft von Wirth aber, felbft ein Huffit, wüthet für Gelb und Kohn gegen feinen eigenen Glauben, ſchwött dieſen ab nnd leiht feinen Arm, um einen König zu worden, ber ihm nie etwas ge- than. Aber an mich ſollſt Du denen, Herr Michalel mit dem Anfag zum Fettwanſt, mit der ſtattuchen Pelzmäge, mit bem grünen, gebauſchten Wamms des Sonntage, wo Du wie ein

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Auerxhahn auoſiehſt, dem bie Wafjerfucht in ben Magen geftiegen an mich folk Dir denken! Laß Dir vathen, ſchäbiger His und fa Dein Fleiſch ein; denn binnen Karzem beißen die Würmer es au und freffen dann nicht weiter, wenn's geſalzen if. wie Podeifleiſch, und Du häftft Dich Tänger im Grabe und verjaulſt nicht fo ſchnell! Ober noch beffer! Rimm einen Strid und hänge Did, in den Mauchfang und laß Dich räuchern wie ein halbes Schwein fo entgeht Du auch der Berwefungl Gottes Flach, Hiummelsdouner! Du verdienft ja, dafı man Dir die Gedärme aus dem Leibe reift, fie an einen Baum bindet nnd Did dann ringsherum fpazieren führt, wie ich einmal gefe- den! Nein, das tft zu arg! IH mar doch auch ein tüch⸗ tiger Zriegstuecht und Habe das Todtſchlagen, das Aufihligen, Schinden und Braten nicht geſcheut, denn ich Habe es ehrlich getrieben für ben Glauben und das Leben, Gleiches mit Gleichen haben wir vergoften; aber fol’ ein ſtinkender Marder von Glaubensverfälicher, der mordet im Stillen, gegen feinen Glauben, aus Habſucht aus mieberträchtigem Eigenmig! O Pfaff‘, o Michatet! was gäbet Ihr drum, wenn Ihr müßtet, daß ich Ench behorcht, daß ich Cure Köpfe jet ſchon in der Hand Habe und Eure Zungen auch: jene zum Auſchlagen ober Hängen, dieſe zum Ausreißen! Dem Herrn entbede ich noch heute die Sache er wird am beſten wiffen, was darin zu than. Am ſicherſten is, wir laffen fie den Wein erft brauen und treten dann vor und rufen: Da habt Ihr die Hundel Hängt fie! Dann können fie nicht Lügen, bie verfluchten, giftgeſchwollenen Ratten! Aber nur bie einzige Freude wollt' ich Haben: ich wollte, bevor des Henker ihnen bie letzte Oehlung gibt und gute Nacht fagt, ihre Köpfe jo ein Bishen an einander ſtauchen, fo Nafenbein an Naſenbein und Sirnſchädel an Hirmfhädel, bis fie etwas dufelig Würden und drehig, und bis es etwas fyanken gäbe. Heifal Ed) wour ich dedienen und Euch fpringen und tanzen lehren,

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wenn ber König fagte: Hier, Sufol, nimm fie bin und firaf fie ab nad Belieben! Ich fpielte Euch eine Weiſe auf mit meinem alten Schwert da und fiedelte Euch was Lufliges nor auf Euren Gliedmaßen, daß Euch das Hüpfen von ſelbſt im bie Beine kame! O Ihr fhimmeligen, mobderigen, wurmſtichigen Schurken ohne Herz nud Ehre, ohne Ehrlichkeit im Todtſchlagen pfuil pfui! Ihr ſollt am mich denfen, an den Sukol bie Euch Sehen und Hören vergeht! Pfui! pfuil“ Er flug nad biefen Worten mit geballter Fauft an die Wand und ſpuckte ver⸗ ähtih aus. Dann fahte er fi wieder, befann fih und ſprach weiter zu fi jelbft:

„So fo! nun Hab’ ih die Galle von. der Leber weg! ich konnt's nicht länger aushalten. Die Bruft wär’ mir fonft gerfprungen vor Gift id) mußte mid ausfluden. Der Böhme muß fluchen bie alten Weiber und Papiften beten, wenn fie ber Aerger ſticht. So ein Fluch flärkt die Leber wieder und. ere Teichtert das Herz. Es foll freilich eine Sünde fein, aber ich bitt's dem lieben Herrgott wieder ab; denn ich kann doch nicht dafür, daß es ſolche Hundeſeelen, ſolche verfluchte, verbammte ‚Höllenfeelen, ſolche Baftarde, Wechſelbälge des Teufels gibt, die im Stillen das Holz benagen, das wir zum Tempel gezimmert. Mir ift wieder wohl, der Aerger ift heraus umd bie Wein. fäure aud: dann kommt der Spaß: wenn fie erſt bleich werden, da fie verraten find,. und zittern und beben, und mit den Kinn« baden Mappern vor Frof und Angſt, umd zu Boden fallen, um Gnade flehen und doch Hängen müffen. Heidil frewe Did, alte Seele! Gut, daß Du noch ein Ange haſt, um das fehen zu Bnnen! Das wird wieder ein köſtlich Schaufpiel, wie ich lange nicht erlebt! Freu' Did, Sukol! Cs thut Einem wohl, wenn man einen Schurkenhund feinen wohlverdienten Lohn genießen fieht mit bleichem Maul, "zitterud im Angſtſchweiße. Da haft Du's! Du Haft es ja fo Haben wollen, Galgenfutter; wir

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bedienen Dich ja nur, wie Du verlangt! Der Teufel geſegne Dir die Mahlzeit! Muß ber ehrliche Kerl, der brave Soldat oft umfchulbig Tod und Schmerzen leiden und hat nichts verbrochen; Hr Judaſſe aber, Ihr Malchuffe, Ihr Habt bie Brühe einge ſchenkt: nun trinkt fie and ans! Sie ſchmect Euch nicht? Ja freilich! Aber. hätte fie uns deun beſſer geſchmeckt? Ihr hättet anch gelacht, wenn wir Geſichter geſchnitten und und den Leib gehalten umd bie Weine zufansmengezogen hätten; Ihr Hättet End; baß gefrent, daß Ihr die Suppe nicht freffen müßt, die Ihr uns zubereitet. Nun erlaubt doch and, Ihr guten Yin gelchens, allerliebfte, fromme SKinderpüpden, daß wir auch froh find, weil bie Reihe nicht am ums if. So nun wär ih fertig die Galle wär endfich heraus ! Mir ift wohl, TRAG wohl wie mad) einer fchönen Mahlzeit. Ich möchte laut laden, den Himmel anlachen, die Sterne anlachen, wie in einem guten Rauſche von gutem Hopfenbier. Schlaft wohl, Herr Bater, dort im frommen Möfterlein im der armfeligen Belle, wo die Demuth wohnt und bie Frommigkeit und die Gottlofigteit! Wenn Ihr das Brevier betet und den Roſenkranz und das Ora pro nobis, und ben lieben @ott, die Jungfrau und bie Hei» figen anflehet, fie mögen Euch den Schurkenſtreich gelingen laſſen, fo betet auch ein eines Gebetlein für mid, daß mich der Him- mel. nicht etwa fterben lafſe durch einen Zufall, bevor id Euch einmal in's Auge gefehen und Cuch die fegte Oelung, die legte Einſchmierung gegeben habe. Es märe Schade darum! Schlaft wohl! ſchlaft wohl; Und der Tenfel Euer Stiefbruder erſcheine Euch im Traume und Hiffe End und fage: Lieber Freund und Bater, gefalbter Diener des Herrn, ich grüße Euch umd befuche Euch, um mic zu melden. Ich werde das Vergnügen haben, Euch eigenhändig auf einem allerliebſten Spieße zu braten wie einen Hafen, Alles in Liebe aber und am einem warmen Orte, wo Ihr Euch nicht erfäftet und kein Fieber kriegt. Auf Wieder»

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Genneru, allzeitge it und Kreibeufeldgere, Weinverfälſcher und Bierverbfinuer! Der Su- tot, der fonk mie Euch trant, ber Cuch ſchuldig war, und ben Ihr geſchunden bei der Rechnung, dem Ihr einen Strich gemacht über fein Eines Auge mit Eurer doppelten Kreide, daß es ihm mit Thranen überlief, derfelbe Sulol, der Euch manden Abend bis tief in die Nat von den Hufliteufahrten und feinen Thaten erzählt hat, daß es eine Freude mar und Ihr die Ohren fpittet wie ein altes Roß, derfelbe Sulol mänfcht Euch eime gute, ge- ruhſame Nacht und begrüßt dem alten freund mit Liebe nub Zaruichteit. Geht in ben Keller, gießet, o reblide Baflwirthefeeke, Waſſer unter das ſtarke KMofterbier und miſchet fanern Wein unter den füßen, wie Ihr pflegt ans Liebe zu den Menfchen und aus Beforgniß für ihre Nuchternheit; fleigt dann nach foldem volbrahten Werke ber Gottfeligleit wieder herauf und ſchreibet mit der Heben Kreide am bie ſchwarze Tafel das Doppelte von dem Einfachen, damit der Gaſt doch wiſſe, er fei ein werther Gaſt, dem Ihr vertraut! dann fleiget höher in das liche Gemach und ſchließet den Schrein auf, begudt Euch das filberne Kreuz · lein, zäblet im Beutel bie Golbfläde, den Judaslohn, und ergöget Euch an feinem Glanze unb dem gelben Schein, labet Cure feomme, edle Geele, lächelt mit dem frommen, breiten Maule und verfehliefit es forgfam und ängftlich wieder, damit fein Spü- her Cuch belauſche, kein Dieb Euch beſtehle. Es hat Euch Mie- mand belauſcht, edler Herr Michalek! Haba! Betet doch erſt Euer Bater unſer und ben engliſchen Gruß Bergeßt es nicht, fromme Seele! Schlaft num ruhig ein, ſchlummert ſuß auf dem Lotterbettlein, in vier Wochen wird's nicht fo füß fein und träumt von der golbnen Monftranz, bie viel Tauſend Goldgülden Im Werthe Hat, und lächelt wie ein Rind! Ich vergänn’ Eud’s!

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Und wenn zufällig Herr Satanas im Traume Euch erſcheiut, feinen Beſuch zu machen, fo erſchrecet nicht! Er meinte gut mit Cuch, er wird Euch nur ein bischen ſchwitzen maden, und das iR gut für das Fieber; denn Ihr Habt immer fo gegittert, daß es ein Jammer war. Schwitzet, ſchwitzet, lieber Herr Mi- öSölelt Ihr braucht Teim Holz; es geht Alles auf holliſche Untoften, nud and bie Pelzmütze braucht Ihr nicht abzunugen. &o, frommes Kind Chrifi, lieber, tremer Anhänger der heiligen Kirche, gutes Lamm, das da nur zum. Scheine eine ketzeriſche Wolfshaut getragen, laßt Euch vom Fieber Heilen. Der Teufel ſchürt die Kohlen und hält Euch jeden Windzug ab. So gute Naht! Denkt an ben Sukol zuweilen; er hat's mit Euch gerade fo ehrlich gemeint, wie Ihr mit dem Glauben, mit dem König und mit dem Gufol. Cure Kreide vermacht mir aber, lieber Michalek; die Hab’ ich liebgewonnen. Ich laf mir auf meine braune Wand im Stalle Dein liebes Angeficht ablon- terfeien, um Dich bis an mein feliges Ende ſtets gegemmärtig zu haben. Schlaf wohl, Middlet!“

„So!“ fuhr er fort und verließ feine bisherige Stellung und ging weiter nad) ‚dem Hohlwege Hinab, „jet bin ich die Galle 108, und die Leber iſt frei. Es if mir wohl zu Muthe, als hätt’ ich alten Cernoſeker getrunlen und es wallte mir wie milde Wärme durch die Adern. Es mußte heraus! Freilich habe id an der Wand ein bischen laut geſprochen, es Hätte mich Ie- mand bort belaufdjen Yännen; aber e8 ging Keiner vorüber. Zum Güde ift der Weg wicht beliebt, und ber Chriſtus am Kreuze oben an ber Kapelle wird mich nicht verrathen. Ich hab’ doch nur gottfeliges Zeug geſprochen, was bem Himmel wohlgefällig iR und den Menichen möglich. Alles im Liebe,“ brummte er, über die lodern Steine, welche im Wege lagen, fiolpernd, „Allee ans alter Freundſchaft! Den hochwurdigen Herrn muß ih ehren als einen Diener Gottes und der Kirche, und. ben Michalek muß

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id) Heben wegen feines nüchternen Bieres und fänerlichen, gefunt- den Weines, der dem Magen dient, und wegen feiner Sreibe, die er: mir zu Liebe doppelt verſchwendet. Das koſtet ih ja auch Geld; demm bezahlte ich jedesmal, jo brauchte er nichts an- zuſchreiben, vollends doppelt nicht. Gute Nacht, meine Herren! Rum, mein Ritter wird fi) auch ſehr fremen bei ber Kunde von Euren edlen, menſchenfreundlichen Vorſätzen und wird Euch wis aud eine fanfte Ruhe wänjden.“

Diefes und dergleichen vor ſich hinmurmelnd, eilte er nad der Kleinen Seite hinab.

Im dumpfen Fieberfantaſien lag Vratislav auf dem Lager. Bilder der verfloffenen Tage zogen wirr an feinem innern Ge- ſichte vorüber. Er fah fih dem wilden Spanberg entgegengeftellt mit gezücter Waffe, ſah diefen flürzen, in feinem Blute fi wäl- zen und die Hand noch mit der letzten Kraft begierig mad} ber holden Rofenbergerin ausſtrecken, bie weinend an feiner Geite fand. Bald wieder trat die Jungfrau zu ihm, beugte theilnahm vol und ernft das Haupt über ihn, trodnete das Blut von

- feiner Wunde und fagte mit füßem Tone: Mein ebler Retter aus Tobesgefahr! Dann kam er ſich wieder vor wie Milada's tobter Bruder, im Sarge offen liegend, ben vier Träger fhlepp- ten, und Hinter dem Sarge ſchritt in Thränen aufgelöft Milada ſelbſt in demfelben ſchwarzen Trauergewande, wie er fie zuerft in der Schlofkicche gefehen. Er wollte zu ihr fügen: Weinet nicht, ich Bin ja nicht Euer Bruder; denn ihre Thränen ſchmerzten ihn ſehr und Iodten rührende Zähren ans feinen Augen. Sein Blid

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aber umdunkelte fh wieder; er hörte eine Stimme, bie er noch nie vernommen uub bie ihm doch befannt ſchien, und als er ge⸗ waltfam wieder die Augen öffnete, fand der Neuhaufer vor dem Lager, auf weldes man ihn gelehnt, und betrachtete ihm ernſt, doch mild. Er wollte: Hinweg, hinweg, Mörder meines Vaters! anrufen; aber bie Kehle war ihm zufammengeichnürt. Kaum konnte er Athem holen, und in feinem Gehirne wühlte Fieberhitze mit glühenden Gifenfingern, und eine frauengeftalt, milden, ſchö- nen Antlites, die Mutterliebe in ben blafien Zügen, neigte ſich über ihn und wiſchte den Schweiß von feiner Stine, und nette die Wunde mit fühlendem Balfam und flüfterte füße Worte des Troſtes mit einer fo milden, fanften Stimme, wie er noch nie vernommen. Born aber fah er feinen. Freund Nillas über bie ebene Gegend ſprengen, reits und Line fpähend, als fuche er ihn. Er wollte ihm zurufen: Hier bin ih, Niklas, bier! aber der Athem verfagte ihm; denn von durther Tamen bie Häſcher mit Spießen und Feſſeln gefchritten. Er wollte fi vor ihren Blicken verbergen; aber fie hatten ihn ſchon erfpäht und riefen: Hier if der Mörder! Schleppt ihn zum Tode! Henker, verrichte Dein Amt! Und fie viffen ihn auf bei den Haaren, daß ſich bie Haut vom Scheitel trennte. Da fland plöglid Lidmila vom Rofenberg in aller Pracht ihrer Schönheit, mit milden, frommen, theilnahmvollen Mienen, nicht mehr mit dem freien Lächeln, vor ihm und vief: Ich laſſe Dich nit! Ich liebe Di wie Keinen! Uber ein fürdterlicher Schlag traf fein Haupt er fhrie laut auf erſt war es finfter, dann Hell nm ihn. Geine Bruft athmete frei, er blidte um fich.

„Wo bin ih?" fragte er mit matter Zunge. Er befand AG im einem Gemade, das von Pracht und Wohlſtand zeugte. Schwere damafene Vorhänge hingen am ben fenftern, bie Wände waren mit buntem Schnitzwerk verziert, Spiegel und Armleuchter hingen ringsum und aud). ein weiblich Bildniß dort, ein Bild

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vol Aumuth und Schörheit. Ihm war, als feunte er biefe Züge, als hätte er die Jungfrau ſchon irgendwo gefehen.

„Träum’ ich noch immer?“ fengte er „oder bin ich tobt, und ift dies der Traum im Tode?“

Er fühlte mit der Hand nach feinem matten Haupte; eime Binde ſchlang ih darım, Er wollte fi erinners, was feit jenem Abend, wo er im Garten ben Streit gehabt, mit ihm vorgegangen fei; aber fein Gedächtniß Hatte ihn treulos verlaffen. Er mußte fi) gewaltſam überreden, daß er nicht tobt fei, daß er nicht träume. Dies Alles um ihn war Wirküchteit; feine ſchmerzeude Wunde, in welder der Trieb: ber Genefung zudie, überzeugte ihn vom Dafein. Er wollte auffiehen und aus bem Fenſter hauen, um die Gegend zu erfennen, wo er war; aber feine @lieber waren matt das Blei der Krankheit und Ent- täftung lag in ihnen. „Mein Gott!“ betete er, „wenn es nicht der Wahnfinn war, was ich träumte und mein gegenwärtiger heller Augenblid nur der Wubepunft in ihm if, dann fende mir einen Menſchen, der mich von biefer Bein ‚ber Ungewißheit befreit.“

Die Thüre öffnete ſich jetzt leife; ein eisgrauer Diener trat herein. „Wo bin ih?“ fragte Bratislav matt und heftete die trüben Bfide auf ihn; „im Gefängnig oder bei Freunden ?“

nGelobt fei Jeſus Chriſtus,“ rief der Alte und ſchlug freudig die Hände zufammen und eilte näher, „daß Ihr wieder bei Sinnen feid! Erlaubt mir, gnäbigfter Herr, daß ich mir die Augen wiſchen darf; denn ich bin mar ein gemeiner Kuecht des gnädigen ‚Herrn biefer Burg, aber ich habe Euch fo lieb gewannen während ber ganzen Zeit, da ich Euch pflegte, als wäret Ihr mein eigener Sohn. Gelobt fei, der Himmel abermals, der Euch Sprade und Beſinnung wiebergegeben! Ad! das war ein hartes Fieber, das Ihr beſtanden habt, ein hitziges fogar. Ihe Habt eine gute Natur, gmäbiger Herr, daß Ihr das Alles fo habt aushalten

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W tönen. Das NRafen und Magen, biefe Glut im Kopfe, dieſe gehemmte Bruſt, das war feine Kleinigkeit 1”

Er fette fi) nach dieſen lebhaft geſprochenen Worten an das Krankenlager Vratislav's, goß Arznei in eine Schale und hielt fie dem Ritter an die Lippen.

„Nehmt, Herr, trinkt nur immer zu,“ fagte er; „das hat Euch die Genefung gebracht, das wird Eud; vollends auf bie Beine bringen. Ein köſtlicher Trank, zwar bitter wie Galläpfel, aber heilſam; er wirft Wunder.“

Sag’ mir, mein Freund,“ bat Vratislav, der unwillkührlich die Medizin nahın, „bin ich bei Freunden, bei Leuten, die mich tennen? Und wie heißen fie?“

Natürlich bei Freunden I“ berichtete der gutmüthige, ſchwatz - hafte Greis, „bei Herrſchaften, die Euch kennen. ber ben Mar men barf ih Euch nicht fagen; ber Herr hat's verboten. Im zwei, drei Tagen ſollt Ihr aufftehen; da follt Ihr überrafcht werden. Der Herr von der Burghere wolle ich fagen fennt Euch und das Fräulein aud. Sie werden ſich freuen, und Ihr werdet Euch freuen, und ich werde über die Freude auch Freude haben. Ja freilich feid Ihr bei guten Leuten, bei Leuten, bie Euch ſchätzen. Der Burgherr kam öfter herüber und ſah Euch, und fragte beforgt nad Eurem Befinden; aud das Fräulein faß fiundenlang Gier und beobachtete Euch. Aber Ihr fagt da und hörtet nicht und ſaht nidt; manchmal ſpracht Ihr mit Euch felbft: ſchredliche Dinge durch einander, daß mic, oft eine Gänfehaut überlief.“

„Welches Fräulein war hier ?* fragte Vratislav Tebhaft.

„Run das Fräulein von hier,“ war die Antwort, „ein fchönes, ein vornehmes nnd gutes Fräulein. Sie hat ſehr viel Sorge um Euch getragen. Ich glaube, fie hat einmal fogar um Eud geweint, was ich fonft nie gefehen; benm fie ift die pure

Herloßfogn: Der lebte Taborit. 1. 11

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Luftigteit und rende Aber Ihr Habt auch erſchredclich viel gelitten.“

„IR es das Fräulein von Zeöwic Elifa, meint Du?“ forfchte Vratislav mit lebhafterer Neugier.

„Nein, nein! Die kenm id nit!“ beſchied der Diener; maber der Arzt hat befohlen, man foll Euch jede Aufregung fern Halten; Ihr follt da viele Sprechen meiden, und man foll Euch nichts erzählen, wenn Ihr erſt wieder bei Befinnung ſeid; denn das könnte den Nerven im Kopfe ſchaden. Diefe find fberreizt, fagte er, und müſſen gefhont werden, fagte er. Dann fagte er, unfre Herrſchaft, die follte Euch erft nad} drei, vier Tageı? ſehen und fpreden; denn die Ueberrafhung könne Euch fehr angreifen und bettlägerig machen, fagte er. Und dem müßt Ihr gehorchen; 's if ein gar hochgelahrter Mann, voll Erxuſthaftigkeit und Wiſſen. Und man follte Euch auch nicht von dem erzählen, mas Ihr im Fieber geſprochen Habt, fagte er.”

„Mein Freund!“ bat Vratislav, „ich flehe Dich noch einmal an; fag’ mir, daß ich ruhig werde, wo id} bin, wie ich hierher kam, und was mit mir vorgegangen iſt. Sieh’! id bin gar nicht mehr krank; ich fehe Alles deutfih vor mir ich babe mein Bemwußtfein wieber; nur bie Erinnerung fehlt mir. O, Hilf mir! Im meinem Gehirn if ein Faden getrennt, und ich finde das vordere Ende nicht.“

„Sprecht nicht zu viel!“ beſchwichtigte ber Alte und trodnete fi die Augen; „fonft kommt das Fieber wieder. Ihr müßt das Alles vermeiden, Hat der Arzt gefagt. Wie Ihr hierher gefommen ſeid? Auf eine betrübte Art, auf eine gefährliche Weiſe. Man fand Euch mit blutendem Haupte nit fern von bier im Walde. Ihr murbet fir todt in das Schloß gebracht, und es fehlte nicht viel, jo Hätte man Euch begraben. Aber als Euch das Fräulein fah, da ſchrie fie auf und ber gnädige Herr ſchrie auch auf, umd fie erkannten Euch. Bei diefem Schrei

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aber fingt Ihr an Euch zu regen, und wir riefen alle: Gelobt ſei Iefus Ehriftus! und ſchöpften neue Hoffnung, Da nahm Euch der Arzt in die Eur; wir fchafften Euch Hierher, und ih wid Tag und Nacht nit von Eurem Bette bis vor einer Weile, Und die Herrfhaften pflegten Euch auch und waren froh, als der Arzt fogte: Im drei Tagen if die Gewalt des hitzigen Sieber gebroden; fommt feine Gehirnentzindung dazu, fagte er, fo ift er gerettet. Dies fagte er, und ba waren bie Herr- ſchaften zuerft wieder guten Muthes feit den vierzehn Tagen, wo Ihr ſchon da lagt.“

mBierzehn Tage, fprihft Du, bin ih ſchon Bier?" fragte Bratislan „und doch ſchien e8 mir mur ein Fuer Traum voll Bilder, die vorüberflogen. Mein Gott gib mir Licht!“

nBierzehn Tage waren es bamals, als es ber Arzt fagte wegen des Fieber,” erzählte der Diener weiter; „heut' find es bereits fiebzehn und ‚am zwanzigften ober ein und zwanzigſten werdet Ihr wohl das Lager verlaffen können; aber höchſt behutfam, fagte der Arzt. Es war auch recht gut, daß Ihr von Alle dem, was Euch betraf, nichts gefühlt habt; denn Ihr Habt viel ge» fitten und ſchrecliche Träume gehabt. Der Kopf glühte Euch Tage lang wie eine glühende Eifenplatte, junb die Bruft Hatte oft Stunden lang feinen Athen. Ja wir zitterten für Euer Leben, und ic Habe mit für Euch gebetet, Bis ſich endlich der Himmel erbarmt und Euch das Leben und bie fünf Sinne wieder gegeben Hat. Gelobt fei Jeſus Chriftus dafür in Ewigkeit! Amen.“

Sag’ mir, wer nod) fonft bei mir war,” fragte der Ritter weiter und mit Anftrengung, denn eine Jungfrau und eine holde Dame, jenes mütterlich - ſorgſame Antlig, war ihm im Zraume erſchienen; vielleicht, daß jene Bilder der Phantafle Zufanmen- bang Hatten mit der Wirklichkeit.

„Wer fonft noch da war?“ wiederholte ber Diener; „nun,

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wenn ber König fagte: Bier, Sukol, nimm fie Bin und firaf fie ab nad) Belieben! Ich fpielte Euch eine Weile auf mit meinem alten Schwert da und fiedelte Euch was Luſtiges vor auf, Euren Gliedmaßen, daß Cuch das Hüpfen vom fethft in bie Beine Time! O Ihr ſchimmeligen. moderigen, wurmſtichigen Schurlen ohne Herz nud Ehre, ohne Ehrlichkeit im Todtſchlagen pfui! pfui! Ihr follt an mich denfen, an den Sulol bie Euch Sehen und Hören vergeht! Pfuil pfuil“ Er flug nad biefen Worten mit geballter Fauſt an die Wand und fpudte ver- achtlich aus. Dann fafte er fi wieder, befann fi und ſprach weiter zu ſich ſelbſt:

„So fol nun hab’ ich die Galle von der Leber weg! ich konn's nicht länger aushalten. Die. Bruft wär’ mir font zerſprungen vor Gift ich mußte mich ausfluchen. Der Böhme muß fluchen die alten Weiber mub Bapiften beten, wenn fie der Aerger ſticht. So ein Fluch ſtarti bie Leber wieder und. er⸗ Teichtert das Herz. Es foll freilich eine Sünde fein, aber ich bitt's dem lieben Herrgott wieder ab; denn ich kann doch nicht dofür, daß es ſolche Hundeſeelen, folde verfluchte, verdammte Höllenfeelen, ſolche Baftarde, Wechfelbälge des Teufels gibt, bie im Stillen das Holz benagen, das wir ‚zum Tempel gezimmert. Mir ift wieder. wohl, der Aerger ift heraus und die Wein- fäure auch: dann fommt der Spaß: wenn fie erſt bleich werben, ba fie verrathen find,. und zittern und beben, und mit ben Kinn⸗ boden MHappern vor Froft und Angft, und zu Boben fallen, um Gnade flehen und doch hängen müſſen. Heidi! freue Did, alte Seele! Gut, daß Du nod ein Auge Haft, um das fehen zu tönen! Das wird wieder ein köſtlich Schaufpiel, wie id; lange nicht erlebt! Freu' Did, Sulol! Cs thut Einem wohl, wenn man einen Schurkenhund feinen wohlverbienten Lohn geniehen fieht mit bleihem Maul, "zitterud ‚im Angftfhweiße Da haft Dust Du haft es ja fo haben wollen, Galgenfuiter; wir

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bebienen Dich ja nur, wie Du verlangt! Der Teufel geſegne Dir bie Mahlzeit! Muß der ehrliche Kerl, ber brave Goldat oft unfehmfbig Tob und Schmerzen leiden und hat nichts derbrochen; Ihr Judaſſe aber, Ihr Malduffe, Ihr habt bie Brühe einge ſchenkt: nun trinkt fie and ans! Sie ſchmedct Eud nit? Ya freilich! Aber hätte fie uns deun beffer geſchmedt? Ihr hättet auch gelacht, wenn wir Gefichter geſchnitten und und ben Leib gehalten und bie Beine zufammengezogen hätten; Ihr hättet Euch baß gefrent, daß Ihr die Suppe nicht freffen müßt, die Ihr uns zubereitet. Nun erlaubt doch auch, Ihr guten Zün- gelchens, allerliebfte, fromme Kinderpüpden, daß wir auch froh find, weil die Reihe nicht an uns if. So nun wär’ ih fertig bie Galle wär’ endlich Heraus! Mir iſt wohl, loſtlich wohl wie mad einer fchönen Mahlzeit: Ich möchte laut lachen, den Himmel anlachen, die Sterne anladıen, wie in einem guten Rauſche von gutem Hopfenbier. Schlaft wohl, Herr Bater, bort im frommen Klöſterlein in. der armſeligen Zelle, wo die Demuth wohnt und bie Frommigleit und bie Gottlofigfeit! Wenn Ihr’ das Brevier betet und ben Roſenkranz und das Ora pro nobis, unb ben lieben Gott, bie Jungfrau unb bie Hei« figen anflehet, fie mögen Euch ben Schurkenſtreich gelingen laſſen, fo betet auch ein Meines Gebetlein für mid, daß mid der Him- mel. nicht etwa ſterben faffe durch einen Zufall, bevor ih Euch eimmal in’ Ange gefehen und End; bie fete Oelung, bie legte Einſchmierung gegeben habe. Es wäre Schade darum! Schlaft wohl! ſchlaft wohl; Und der Teufel Eier Stiefbruber erſcheine End im Traume nnd Lüffe Euch und fage: Lieber Freund umd Bater, gefalbter Diener des Herrn, ich grüße Euch und befudhe End, um mich zw melben. Ich werde bas Vergnügen haben, Euch eigenhändig auf einem allerliebſten Spieße zu braten wie einen Hafen, Alles in Liebe aber und an einem warmen Orte, wo Ihr Euch nicht erkaliet und kein Fieber kriegt. Auf Binder

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fehen, frommer Wann! Ich heize inzwiſchen ben Hällifden Bad ofen. Gute Naht! Gute Nacht aud Euch, edler Herr Mi chalek, Fürſt unter ben Gaunern, allzeitgewandter Redenmeifter und Kreidenfeldherr, Weinverfälſcher und Bierverbinner! Der Su bol, ber font mit Euch trank, ber Euch ſchuldig wär, und ben Ihr geihunden bei der Rechnung, dem Ihr einen Strich gemacht über fein Cines Auge mit Eurer doppelten Kreide, daß es ihm mit Thränen überlief, derſelbe Sukol, der Euch manden Abend bis tief in die Nacht von den Hufiteufahrten und feinen Thaten erzählt Hat, daß es eine freude war und Ihr die Ohren fpittet wie ein altes Ro, berfelbe Sukol wänfcht Euch eine gute, ge⸗ tußfeme Nacht und begrüßt den alten Freund mit Liebe mb Zartlichteit. Geht in den Keller, giehet, o redliche Gaſtwirthsſeele, Waſſer unter das ſtarke Kloſterbier und miſchet ſauern Wein unter den ſüßen, wie Ihr pflegt ans Liebe zu den Menſchen und aus Beforgniß für ihre Nüchternheit; fleigt bann nach ſolchem vollbrachten ‚Werke ber Gottſeligkeit wieder herauf und ſchreibet mit der Lieben Kreibe am bie ſchwarze Tafel das Doppelte von dem Einfachen, damit der Gaſt doch wiſſe, er fei ein werther @oft, dem Ihr vertraut! dann fleiget höher in das liche Gemach und fäließet den Schrein auf, .begudt End das füherne Kreuz lein, zählet im Bentel bie Golbftüde, ben Iubaslohn, und ergöget @uh am feinem Glanze und dem gelben Schein, labet Cure fromme, edle Seele, lächelt mit dem frommen, breiten Maule und verſchließt es ſorgſam und ängſtlich wieder, bamit fein Gpä- her End) belaufche, fein Dieb Euch beftehle. Es Hat Euch Nie - manb befaufcht, edler Here Michaler! Haha! Wetet doch erſ Euer Bater unfer und ben englifchen Gruß! Vergeft es nicht, fromme Seele! Schiaft num ruhig ein, ſchlummert füß auf dem Zotterbettfein, in vier Wochen wird's wicht fo füß fein und träumt von ber goldnen Monftranz, bie viel Tauſend Golbgälben it Werthe Hat, und lächelt wie eim Kind Ich vergänn’ Eud’s!

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Unb wenn zufälig Herr Satanas im Traume Euch erſcheint, feinen Befuch zu machen, fo erſchrecet nit! Gr meinte gut mit End, er wird Cuch nur ein bischen ſchwitzen machen, und das iR gut für das Fieber; bean Ihr habt immer fo gezittert, daß es ein Jaumer war. Schwitzet, ſchwitzet, lieber Herr Mi- chalek! Ihr braucht fein Holz; es geht Alles auf holliſche

uUnloſten, zu. auch die Pelamüge braucht Ihr nicht abzunutzen. So, frommes Kind Chrifi, lieber, tremer Anhänger der Heiligen Kirche, gutes Lamm, das da nur zum Scheine eine kehzeeriſche Wolfshaut getragen, laßt Eud vom Fieber Heilen. Der Tenfel ſchurt die Kohlen und hält Euch jeden Windzug ab. Sa gute Naht! Denkt an den Sufol zuweilen; er hat's mit Euch gerade fo ehrlich gemeint, wie Ihr mit dem Glauben, mit dem König und mit dem Gulol. Eure Kreide vermadht mir aber, lieber Michälet; die hab’ id; liebgewonnen. Ich laff’ mir auf meine braune Wand im Gtalle Dein liebes Angeſicht ablon- terfeien, um Did bie an mein feliges Ende ſtets gegenwärtig zu haben. Schlaf wohl, Michalet !

„So!“ fuhr er fort und verließ feine bisherige Stellung und ging weiter nach dem Hohlwege hinab, „iett bin ich bie Galle 108, und die Leber if frei. Es if mir wohl zu Muthe, als hätt id alten Cernoſeler getrunken und es wallte mir wie milde Wärme durch die Adern. Es mußte Herans! Freilich habe id) am der Wand ein bischen laut geſprochen, es Hätte mich Je mand dort belauſchen Können; aber es ging Keiner vorüber. Zum Glüde ift der Weg nicht beliebt, und ber Chriſtus am Kreuze oben am der Kapelle wirb mich nicht verrathen. Ich hab’ doch nur gottfeliges Zeug geiproden, was bem Himmel wohlgefällig iM und den Memichen wütlich. Alles im Liebe,“ brummie er, über die lodern Steine, welche im Wege Tagen, folpernd, „Allee aus alter Freundſchaft! Den hochwurdigen Herrn muß id ehren als einen Diener Gottes und ber Kirche, und ben Michalek muß

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ich eben wegen feines nüchternen Bieres und fänerlihen, geſun - den Weines, der bem Magen dient, und wegen feiner Sreibe, bie er mir zu Liebe doppelt verſchwendet. Das koſtet ihn ja auch Geld; demm bezahlte ich jebesmal, fo brauchte er nichts an- zuſchreiben, vollends doppelt nicht. Gnte Nacht; meine Herren! Nun, mein Ritter wird ſich and; fehr fremen bei ber Kunde von Euren eblen, menſcheufreundlichen Vorſatzen und wird Euch wis aud eine fanfte Ruhe wünſchen.“

Diefes und dergleichen vor fi hinmurmelnd, eilte er nach der Kleinen Seite hinab.

Im dumpfen Fieberfantafien lag .Bratislav auf dem Lager. Bilder der verflofjenen Tage zogen wire an feinem innern Ge- fihte vorüber. Er fah fi dem wilden Spanberg entgegengeftellt mit gezücter Waffe, ſah diefen fürzen, in feinem Blute ſich wäl- zen und die Hand noch mit der letzten Kraft begierig nach der holden Rofenbergerin ausfireden, die weinend an feiner Geite fand. Bald wieder trat die Jungfrau zu ihm, beugte theilnahm- vol nnd ernſt das Haupt über ihn, trodnete das Blut von feiner Wunde und fagte mit fühem Tome: Mein edler Retter ans Zodesgefahr! Dann kam er ſich wieder vor wie Milada's tobter Bruder, im Sarge offen liegend, den vier Träger fchlepp- ten, und hinter dem Sarge fritt in Thränen aufgelöft Milada ſelbſt in demſelben ſchwarzen Trauergewande, wie er fie zuerft in der Schloßlirche gefehen. Er wollte zu ihr fägen: MWeinet nicht, ich bin je nicht Euer Bruder; denn ihre Thränen ſchmerzten ihn ſehr ımd Torten rührende Zähren aus feinen Augen. Sein Blid

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aber nmduntelte fi wieder; er hörte eine Stimme, bie er no nie vernommen und bie ihm doch bekannt ſchien, und ale er ger waltſam wieder bie Augen öffnete, ſtand der Neuhauſer vor dem Lager, auf welches man ihn gelehnt, und betrachtete ihn ernſt, doch mild. Er wollte: Hinmeg, hinweg, Mörder meines Baters! ansrufen; aber die Kehle war ihm zuſammengeſchnürt. Kaum tounte er Athem holen, und in feinem Gehirne wühlte Fieberhitze mit glühenden Eifenfingern, und eine Fraueugeſtalt, milden, fchö- nen Antliges, die Mutterliebe in den bfafien Zügen, neigte fid) über ihn und wiſchte den Schweiß von feiner Stirne, und netzte die Wunde mit kühlendem Balfam und flüfterte füße Worte des Troftes mit einer fo milden, fanften Stimme, wie er noch nie vernommen. Born aber fah er feinen- Freund Niklas über die ebene Gegend fprengen, rechts und links fpähend, als fude er ihn. Er wollte ihm zurufen: Hier bin ic, Niklas, hier! aber der Athen verfagte ihm; denn von dorther Tamen die Häfcher mit Spießen und Feſſeln gefchritten. Er wollte fi vor ihren Blicken verbergen; aber fie Hatten ihn fon erſpäht und riefen: Hier ift der Mörder! Schleppt ihn zum Tobel Henker, verrichte Dein Amt! Und fie riffen ihm auf bei den Haaren, daß fid) die Haut vom Scheitel trennte. Da fland plöglih Lidmila von Rofenberg in aller Pracht ihrer Schönheit, mit milden, feommen, teilnahmvollen Dienen, nicht mehr mit dem freien Lächeln, vor ihm und vie: Ich laſſe Dich nicht! Ich Liebe Dich wie Keinen! Uber ein fürdterliher Schlag traf fein Haupt er ſchrie laut anf erſt war es finfter, dann bel mm ihn. Geine Bruft athmete frei, er blickte um fid.

„Wo bin ih?“ fragte er mit matter Zunge. Er befand fi in einem Gemache, das von Pracht und Wohlſtand zeugte. Schwere damaſtene Vorhänge hingen an ben Fenftern, die Wände waren mit buntem Schnitzwerk verziert, Spiegel und Armleuchter hingen vingeum und auch ein weiblich Bildniß dort, ein Bild

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um ſchmerzeude Wunde, im welcher der

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träftung lag in ihnen. „Mein Gott!“ betete er, „wenn es nicht der Wahnfinn war, was ich träumte und mein gegenwärtiger heller Augenbliid nur der Kuhepunlt in ihm iR, dann fenbe mir einen Meufchen, der mich von biefer Pein der Ungewißheit befreit.“

Die Thüre öffnete fich jetzt Teife; ein eisgraner Diener trat herein. „Wo bin ich?" fragte Brarislan matt und Heftete bie trüben Blide auf ihn; „im Gefäugniß ober bei Freunden?“

„Gelobt fei Jeſus Chriſtus,“ rief der Alte und ſchlug freudig die Hände zuſammen und eilte näher, „daß Ihr wieder bei Sinnen ſeid Erlaubt mir, gnäbigfer Herr, daß id mir die Augen wilden barf; denn id; bin nur ein gemeiner Kuecht bes guäbigen Herrn biefer Burg, aber ich Habe Euch fo lieb gewonnen während der ganzen Zeit, da ich Euch pflegte, als wäret Ihr mein eigener Sohn. Gelobt ſei der Himmel abermals, der Euch Sprade und Beſinnung twiebergegeben! Ach! das war eis hartes Fieber, das Ihr befanden Habt, ein Hitiges fogar. Ihr Habt eine gute Natur, guäblger Herr, dab Ihr das Alles fo habt aushalten

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tunnen. Das Rafen und Magen, dieſe Glut im Kopfe, dieſe

gehemmte Bruft, das war feine Kleinigkeit !“

Er fette ſich mad) diefen lebhaft geſprochenen Worten an das Krankenlager Vratislav's, goß Arzuei in eine Schale und hielt fie dem Rittet an bie Lippen.

„Nehmt, Herr, trinkt nur immer zu,“ fagte er; „das hat Euch die Genefung gebracht, das wird Euch vollends auf die Beine bringen. Ein köſtlicher Trank, zwar bitter wie Galläpfel, aber heilſam; er wirft Wunder.

„Sag’ mir, mein Freund,“ bat Vratislav, der unmillküßckich die Medizin nahm, „bin ich bei Freunden, bei Leuten, bie mich tennen? Und wie heißen fie?" ,

„Natürlich bei Freunden!” berichtete der gutmüthige, ſchwatz - hajte Greis, „bei Herrſchaften, die Euch kennen. Uber den Ra men barf ich Euch nicht jagen; der Herr hat's verboten. In zwei, drei Tagen ſollt Ihr aufftehen; da follt Ihr überraſcht werden. Der Herr von der Burgherr wollt' ih fagen tennt Euch umd das Fräulein auch. Sie werden fid freuen, und Ihr werde Euch freuen, und id; werde über bie freude auch Freude haben. Ja freilich feid Ihr bei guten Leuten, bei Leuten, die Euch jhägen. Der Burgherr kam öfter herüber und ſah End, und fragte beforgt nach Eurem Befinden; aud das Fräufein faß ſtundenlang bier nnd beobachtete Euch. Aber Ihr tagt da und Hörtet nicht und faht nit; mandmal ſpracht Ihr mit Euch felbft: ſchreclliche Dinge durch einander, daß mid oft eine Gänfehaut überlief.”

„Welches Fräulein war hier ?” fragte Vratislav lebhaft.

„Run das Fräulein von Hier,“ war die Antwort, „ein fhönes, ein vornehmes und gutes Fräulein. Sie Hat fehr viel Sorge um Euch getragen. Ich glaube, fie hat einmal fogar um End geweint, was ich fonft nie gefehen; denn fie if die pure

Herloßſohn: Der letzte Taborit. 1. 11

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Luſtigkeit und rende, Aber Ihr Habt auch erſchrecklich viel gelitten.“

„Iſt es das Fräulein von Zeöwie Elifa, meinft Du?” forſchte Vratislav mit febhafterer Neugier.

„Rein, nein! Die kenn' ich nicht!” beſchied der Diener; maber ber Arzt hat befohlen, man foll Euch jede Aufregung fern halten; Ihr follt das viele Spreden meiden, und man foll Euch nichts erzählen, wenn Ihr erſt wieder bei Befinnung feib; denn das Lönnte den Nerven im Kopfe ſchaden. Diefe find überreizt, fagte er, und müſſen geſchont werden, fagte er, Dann fagte er, unfre Herrſchaft, die follte Euch erft nad; drei, vier Tageı? ſehen und fpreden; benn bie Ueberrafhung könne Euch ſehr angreifen und bettlägerig machen, fagte er. Und bem. müßt Ihr gehorchen; 's ift ein gar hochgelahrter Mann, vol Eruſthaftigkeit und Wiſſen. Und man follte Euch aud nicht von dem erzählen, was Ihr im Fieber geſprochen Habt, fagte er.”

„Mein Freund!“ bat Bratislan, „ic, flehe Dich mod; einmal an; fag’ mir, daß ich ruhig werde, wo ich bin, wie ich hierher tom, und was mit mir vorgegangen iſt. Sieh’! ich bin gar nicht mehr frank; ich fehe Alles deutlich vor mir ich habe mein Bewußtjein wieber; nur die Erinnerung fehlt mir. O, hilf mir! Im meinem Gehirn if ein Faden getrennt, unb ich finde das vordere Ende nicht.“

Sprecht nicht zu vielt“ beſchwichtigte ber Alte und trodnete fich die Augen; „fonft fommt das Fieber wieder. Ihr müßt das Alles vermeiden, Hat der Arzt gefagt. Wie Ihr Hierher gefommen feld? Auf eine betrübte Art, auf eine gefährliche Weiſe. Man fand Euch mit biutendem Haupte nicht fern von bier im Walde. Ihr wurdet für todt in das Schloß gebradit, umd es fehlte nicht viel, fo hätte man Euch begraben. Aber als Euch das Fräulein fah, ba ſchrie fie auf und ber gmädige Here ſchrie aud auf, und fie erfannten Euch. Bei diefem Schrei

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aber fingt Ihr an Euch zu regen, und wir riefen alle: Gelobt fei Iefus Ehriftus! und fhöpften mene Hoffnung, Da nahm Euch der Arzt in bie Cur; wir ſchafften Euch Hierher, und id wid Tag und Naht nit von Eurem Bette bis vor einer Weile. Und die Herrſchaften pflegten Euch auch und waren froh, als der Arzt fagte: Im drei Tagen ift die Gewalt bes Bitigen Fieber gebroden; kommt keine Gehirnentzündung dazu, fagte er, fo ift er gerettet. Dies fagte er, und da waren bie Herr⸗ haften zuerft wieder guten Muthes feit den vierzehn Tagen, wo Ihr ſchon da lagt.“

mBierzehn Tage, ſprichſt Du, bin ich ſchon Bier?“ fragte Bratisfan „und doch ſchien e8 mir nur ein Furzer Traum voll Wilder, bie vorüberflogen. Mein Gott gib mir Licht!”

nBierzehn Tage waren e8 damals, ala es ber Arzt fagte wegen des Fieber,“ erzählte der Diener weiter; „heut' find es bereits fiebzehn und ‚am ziwanzigften oder ein und zwanzigſten werdet Ihr wohl das Lager verlaffen können; aber höchſt behutfam, fagte der Arzt. Es war aud recht gut, daß Ihr von Alle dem, was Euch betraf, nichts gefühlt habt; denn Ihr Habt viel ge» litten und foredfihe Träume gehabt. Der Kopf glühte Euch Tage lang wie eine glühende Eifenplatte, jund die Bruft hatte oft Stunden lang feinen Athem. Ja wir zitterten für Euer geben, und ich habe mit für Euch gebetet, Bis fid) endlich der Himmel erbarmt und Euch das Leben und bie fünf Sinne wieber gegeben hat. Gelobt fei Jeſus Chriſtus dafür in Ewigkeit! Amen.”

„Sag’ mir, wer noch ſonſt bei mir war,“ fragte der Ritter weiter und mit Anftvengung, denn eine Jungfrau und eine holde Dame, jenes mütterlich - ſorgſame Antlig, war ihm im Traume erſchienen; vielleiht, daß jene Bilder der Phantafle Zufammen- hang hatten mit der Wirklichkeit.

„Wer fonft noch da war ?* wiederholte der Diener; „nun,

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die gnädige Frau, bie Frau von ja ben Namen barf ich nicht nennen ! Ei! fie brachte manden fangen Tag hier zu und verband Eud die Wunde, und legte Balfam auch darauf und fah End; ftets fo ſorgſam und mitleibvoll an, daß es mir au's Herz ging. Ste dadjte wohl daran, wie es fie ſchmerzen würde, wenn fie felbft Kinder hätte, und e8 wäre ihr Sohn, dem ſolches Seid widerfahren.“

„Rein heiliger Gott,“ fagte Bratislav für fi, „fo war doch Wirklichteit in diefen Traumgebilden! Wohin bin ich gerathen? Wer find die Eofen, die mid vom Tode, vom fehred- tichen Verſchmachten errettet, und jenes holde gehaßte Bild, das ic) fah —? Nein nein! Mein Herz, Du bift bethört, und ein hãmiſcher Geift führt mir ihre Erſcheinung immer wieder vor die Seele. Die Augen fehen leicht, was fie fehen wollen. Und doch mir wäre vielleicht beffer, wenn fie mi im Walde nicht gefunden, aus bem Todesſchlafe nicht erwedt hätten. Wel⸗ chem Loſe gehe ich entgegen! Der flarre Spruch der Richter nennt mid einen Mörder. Und dod hab’ ich nur gethan, was meine inuerfte Regung mir gebot! Bleiches Unheil! Du haft mic beim Eintritte in die Welt begrüßt, wie Du dem Bater aus der Welt gefolgt bift. Wenn bies mein Oheim müßte, der mid) zu Thaten, zur Race in die Welt geiendet, nicht aber zum Zobfhlag! Und Cyrillus, mein väterliher Freund, id habe in toller, jugendlicher Leidenſchaft Dein Herz ſchwer betrübt! Aber es gibt Augenblide, wo das Herz zur That treibt und der Menſch nit wibderfireben fann! Er bat mein Baterland gefhändet, und für das Vaterland ſtrömt mein Blut gegen jeden Feind!“

„Herr, gnädigſter Herr!“ bat ängftli der Diener, „faflet Euch verbannt die fhlimmen Gedanken; Ihr ſprecht allein mit Euch, gerade wieder fo, als Ihr recht jchlimm ware. Ach Gott! bedenkt, daß das Fieber wieder fommen fol. Thut mir ‚altem Manne, der fih Eurer Genefung freut wie ein Kind am

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heiligen Abend ber ſchimmernden Lichtlein, thut unferer Herrſchaft nicht wieder das Herzleid an umd werdet vieleicht krank. Er— mantıet Euch! Ich will dort ben Vorhang öffnen damit Ihr den bfauen Himmel wieder ſehet; es ift gar Heil und freundlich draußen. Während Ihr fo da lagt ohne Bewußtſein, mußte es immer wie Dämmerung in der Stube bleiben; der Arzt befaßt ©. Denn die Mugen, fagte er, find gereizt und fönnen den hellen Sonnenſchein nicht vertragen; er berührt fie ſchmerzhaft, fagte er. Ic Hatte auch vor viel Jahren eine alte Großmutter; die war blind. Wenn die Sonne fdien, da flimmerte es, wie fie fagte, feltfam vor ihren Augen; wenn's aber des Abende recht büfter war, ba bekam fie einen Helen Schein und kounte den Tiſch und die Bank und mich erfennen.“

„Mir ift wohl, mein freund!“ verfegte der Ritter; „ſei unbeforgt. Ich fühle es, wie die Genefung als friſcher Athemzug durch meine Bruft ſäuſelt. Meder Dir, nod Deiner Herrihaft werbe id; weiter Sorgen machen. Ich werde Euch banken und raſch von bannen ziehen. Das Fieber, mein guter Alter, war es nicht, was meine Lippen fo leicht bewegte; ad! es war ein Selbfigefpräh von eignen Sorgen, bittern Erinnerungen. Sie find wieder gefommen mit dem Bewußtſein; die Träume waren boch beffer, ba fie gelogen haben. Habe Dant, mein alter Freund, für Deine Sorgfalt, Deine Mühe! Vielleicht kommt nod eine Stunde im Leben, wo ich Dir's lohnen Tann. Schweb' ich doch jest felbft wenn ich genefen immer noch zwiſchen Lehen und Tod! So ift der Lauf der Welt! Du, ein frem- der, alter Mann, mußt mich warten, da ich weder Mutter, noch Bater habe, bie an meinem Lager figen, mir bie Arznei reichen und den Schweiß von meiner Stirne trocknen Könnten! Der Menſch wird oft wider Willen Sohn oder Vater; darum follten wir aud Ale Brüder fein umd ad! find es doch mit! Zeig’ mir den Himmel, alter Freund und Schmerzgenaffe! zeig’

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mir ihn ich Babe ihn lange in der Wirklichteit nicht gefehen, nur im Traume; da gaufelten aber manderlei Bilder an feinem blauen Spiegel vorüber. Das if vorüber! Noch Bieles wird vorüibergehen, auch das Leben, zu bem der Menfc von der Na- tur verurtheilt wurde wie ein Stummer zum Gefängniß, weil er ein Geheimniß verraten Hat, ober noch verraten könnte.“

Der Alte zog die Vorhänge am Fenſter anf, und helles Sonnenliht brach in die Stube. Er ſtellte ſich jegt vor unſern Nitter hin und betraditete ihm freudig und liebevoll.

„Was die hohen Herrſchaften jubeln werben,“ ſprach er nad einer Weile, „wenn ich ihnen erft fage, daß Ihr wieder munter feid, daß Ihr fehen und ſprechen Fönnt! befonders bie gnäbige Fran, bie fo mild wie ein guter Engel ift und am meiften im- mer beforgt war, Ihr könntet dem Fieber unterliegen. Laßt mic jegt einen Augenblid hingehen ih will ihmen bie freudige Botſchaft hinterbringen. Bald bin ich wieder zurüd.“ 5

„Geh', alter Freund,” entgegnete Vratislav, „grüße die Un- befannten von mir und fag' ihnen freudigen Dant. Sie haben vielleicht ein Leben gerettet, das fein Leben mehr ift das einem andern, einem fchredfichen gehört. Wir wollen fehen, ob fie fih nod freuen, wenn fie mich erft kennen und wiſſen, wer ich jegt bin. Man follte keinem Menſchen das Leben retten, nit dem Schiedjal in den Arm fallen! Wer weiß, zu welchem ſchrecllichen Lohn wir ein Dafein auffparen, das im Tode feinen ſchonſten Frieden gefunden hättel Doc wie ift Dein Name, theilnahmvoller Freund? Ih muß ihn vorerfi meinem Ge bächtniffe einprägen, daß ich, bevor ich gehe, bie behalte, melde mir wohlgethan zugleich mit benen, welde Böfes an mir geübt,”

„Ich heiße Lazar,“ war des Diener Antwort.

mRazarus 1" wieberholte Vratislav; „ein Name, der an viel

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Leid erinnert. Vielleicht eignet er ſich beffer für mich, ale für Did. Doc geh’ und melde meinen Dank.“

Der Diener entfernte fih, und Vratislav blieb allein auf feinem Schmerzenlager. Er rief die Bilder und Gcenen ber verfloffenen Tage in fein umflortes Gebächtniß, er drang im bie Schachten und Irrgewinde bes Erinnerns, und nad und nad bildete ſich bie Folgenreihe der Erlebniſſe, und es wurde klarer in feinem Bewußtſein.

Im Lieben war der Freund, ber ihn Linke vom Pokicer Thore aus ber Stadt gebracht Hatte, von ihm geſchieden. Abra- ham ber Jube gab ihm Herberge; vor Sonnenaufgang machte er fih mit ihm auf den Weg gen Weltrus. Geine Wunde ſchmerzte ihm fürchterlich, um fo mehr, da er nur ein trodenes Tuch umgemwidelt hatte; denn er wollte, um nicht Verdacht zu erregen, bie Hilfe des Barbiers in Lieben nicht anſprechen. Gei- nem Schmerz vergrößerte nod bie Sonnenhige, die ſenkrecht her⸗ abfiel und die Wunde zu größerer Entzündung brachte. Sie waren viele Seitenwege geritten, bis fe auf die Hauptfiraße gelangten. Hier trennte ſich der Jude von ihm, ber während der ganzen Neife, weil er nicht gut zu Pferde ſaß und den Ritter daher aufhielt, feine Aengftlichleit nicht verbergen konnte; denn obgleich ihm das Vorgefallene nicht fund gethan worden war, fo erläuterte er fi) doch an ber Haft und Verflörtheit der beiden Ritter, daß der eine, der Verwundete, auf ber Flucht begriffen fei. Jeden Augeublick witterte er daher Verfolgende und rieth bald Bier, bald dort, fi) im Didiht zu verbergen,

Bratislav beſchenkte ihn reichlich und war froh, den Läftigen, Furätfamen los zu fein.

„Herr Ritter!" fagte Abraham beim Abſchiede, „ber Herr Ira s, unfer aller Gott, lohn' es Euch umd führe Euch einen giückfichen Weg! Hab’ ich mic geängftigt, Herr Ritter, fo hab’ ich mich geängftigt wegen Euch, ob fie zwar einen armen Juden

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der Vorſchub gibt einem Landflügtigen, aud aufhängen ohne Barmherzigkeit, ſelbſt wenn er nicht gewußt hat davon, ‚Hier geht die Straße gerade nad Weltrus, duch den Wald. Ihr Könnt im Walde reiten, ebler Herr; denn Ihr habt die Straße immer zur Linfen. Seid Ihr erft in Melnik und Ihr braucht Niemanden zu fragen, denn bie Stadt liegt auf einem Hohen Berg, und die Elbe und die Moldau vereinigen ſich unter ihr, daß es ein mächtiger Fluß wird fo geht Ihr wieder g’rad aus, immer grade, nach Böhmisch Leipa, und vom da feib Ihr in einem halben Tag in der Taufig und geichügt ver aller Ber- ſolgung, weil die Laufiger Keinen ausliefern, der ſich verftedt bei. ihnen; denn fie find auch nicht gehorfam wie die Schlefier und die lager gegen dem neuen König und fein Regiment. So Ihr aber einmal braucht eine ſichere Zuflucht in der Stadt in Prag meine ih kommt in die Judenſtadt, von ber Karpfen gaſſe Herein das dritte Haus zur rechten Hand; ba bin id) ber Abraham Jeiteles. Ich Handle mit wollenen Kleidern und mit alten Saden als ein armer, aber rebliher Mann, wie mid tennt bie ganze Zubenftadt und auch viele Ehriften. Kommt zu mir, wenn ihr Habt Gefahr Ihr follt verftedt fein wie ein Kiefelftein unten im Brunnen“

„Habe Dank!” antwortete Bratislav; „fo Gott es will, werd’ ich deſſen nie bedfirfen. Entweder freiheit oder ein ſicheres Gemad, befien Pforten Niemand fprengt, aus dem es feinen Ausgang gibt, werde ih erringen. Aber jest laß mich ich ſchmachte nad) einem Trunke, nad einer friſchen Quelle, um mein fieberifch, zudendes Haupt zu netzen. Kdmmft Du nad Brag, fo eile nad) dem von Zedwic fag' ihm, daß Du mich bisher geleitet, und daß id; Kunde von mir gehen werde aus Melnit, und fchreiben, wohin ih mic) gemendet wenn es anders Gott gefält. Bis dahin wollen wir bange ausharren.“

„Soetin heißt das erſte Dorf gur rechten Hand, Hinter

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Weiltrus, gegen Melnik zu,” belehrte der Jude. „Die Moldau laßt ige zur Linlen liegen; fie kommt ſchon wieder, fie macht nur einen Bogen nach Melunit zu. Alſo lebt wohl, gnädiger ‚Herr, unb vergeßt den Abraham nit. Ich bin ein armer Man ih habe zehn Kinder Gott bat fie gegeben; aber id bin ein ehrlicher Mann und bin befannt als ein ehrlicher Mann im Handel und Wandel mit Epriften und Juden.“

Gr ſchwenlte nach dieſen Worten feine Müte, wandte ben durreu Klepper und trabte unbeholfen die Straße zurüd. Brar tislav von Branik fpornte fein Roß, um ben Schatten des Waldes zu erreichen, der ſich in kurzer Entfernung zu beiden Geiten des Weges hinzeg.

Er ritt in das Gehölz. Trodne, fieberiſche Hige lag im jeinen @liedern, die Kopfwunde brannte wie geichmolzenes Metall, ex fühlte fi, matt und zugleich dumpf aufgeregt. Er flieg vom Roffe, um e8 durch die Bäume hindurch am Zügel zu geleiten; aber feine Knie waren matt er konnte faum vorwärts ſchreiten. Eo trieb ihm aus dem Walde, er wollte in fürzefter Zeit das nachſte Dorf erreichen: ihn dürftete, und feine Wunde lechzte nad, Mühiender Labung. Mber bald nöthigte ihn wieder die flam- mende Hite des Mittags, die offene Straße zu verlaffen und im Dicicht Schug zu ſuthen. Er drang tiefer in den Wald, am mo möglich eine Quelle zu ſuchen. Er trieb fein Roß durch Dornen und Gebüfche die hHerabhängenden Zweige zerriffen ihm Gewand und Haut. War er auch vou Gonnen- hite gefhügt, fo peinigte ihn die innere deſto mehr, die ihm fieberhaft durchwollte. Enblih nach unfägliher Mühe kam er an ein flisendes Vachlein, das ſich zwiſchen Buchen und Tannen ein Hühles Wett gegraben. Er ſyrang vom Mofie, flillte feinen brennenden Durſt mit der Houb, nahm ein Tuch, tauchte es im die eifige Flut mund legte es auf die Bunde, ben glühenben Sehmerz zu lölden,

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Mid duchfloß ihn Labung und Müdigkeit, es dunfelte vor feinen Angen; er fühlte das Bedurfniß des Schlafes, der bleiern in feinen Gliedern Tag. Er nahm den Zaum des Woffes in die Hand, Iegte ſich unter eine Buche, ftütte fein Haupt an den Stamm und entfälief. Aber der Schlaf war nur wie ein halbes Wachen, das feine Einbildungsfräfte Iebendig ethielt und ihm doc) feine Mare Anſchauung geftattete. Ihm mar im Schlums- mer, als höre er in der Nähe lautes Rüdengebell und den Klang der Jagdhörner fpäter laute Mencheuſtimmen; aber um Auge und Ohr webte ſich wie ein dichter Schleier; die Bilder rannen und floßen durch einander, von Neuem tobte die Glut in feinem Gehirne, und fengende Hige wollte feinen Bufen erfliden. Die Befinnung ſchwand gänzlih die Töne verhalten nur leiſe fummte es in feinem Ohr vor feinem Auge wurbe ber Schleier dichter Nacht war um ihn und in ihm.

So mochte er, einem Todten ähnlich, von den Fremben gefunden worden fein. Was fi weiter mit ihm begeben, wußte er nicht. Nur die Erzählung des Dieners gab ihm Auskunft über feine Rettung. Aus feinen ieberträumen während ber Krankheit griff er bie Geftalten heraus, bie er früher einmal wachend gefehen und noch eine fremde. „Seltſam!“ fagte er zu fi; „warum mußten mir gerade dieſe erſcheinen? Doc nein! e8 waren andere am meinem Lager, die das Mitleid Hierher ge- führt. Es wäre doch gar zu graufom von meinem Scidjale, mid) dahin zw ſenden, wo ich nicht leben will!"

Der Diener kam zurüd. „Herr Witterl“ berichtete er freudig, „o, Ihr Hättet dem Jubel mit anfehen follen, ale ich unten im Schloßgarten, wo bie Herrfchaften figen, von Eurem Erwachen und wie das Fieber gewichen, gerade wie es ber Arzt vorhergefagt, beriäitetel Die guäbige Frau wollte ſchon eifig Heraufftürzen, als fie aber der Burgherr, der ihr Schwager

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wollte ich fagen, daran erinnerte, baf der Arzt jebe Ueberrafhung vor drei Tagen verboten habe. Auch das Fräulein freute ſich. Sie laſſen Euch Ale höflichſt grüßen und Euch bitten, Euch ja zu ſchonen. Da Herr! nehmt biefe Arznei nur zwei Löffel 's iſt ein wunderwirkendes Medicament, wie Ihr ſchon erfahren, und dann fucht zu ſchlummern. Ich ziehe die Bor- hänge wieber zu, damit Euch das Licht nicht Blende, Denn der Zufland, in welchem ihr bisher bewußtlos gelegen, war fein Schlaf, ber einen Menſchen ſtärken könnte. Nein! dieſe Art Zräume konnten Euch nur erfhöpfen und umbringen. Ber- fucht zu ſchlafen ic) bleibe bei Euch und bin bei ber Hand fobald Ihr End regt.”

Vratislav nahm die Arznei, wandte fi auf bie Seite und entjlief bald nachher. Der Schlummer Iegte feine Tabenben, flärtenden Schwingen um ihn wie einen leichten Mantel, ber mild fi anſchmiegt und wärmt, ohne zu beläſtigen.

14.

Auf dem Wege von Wodolka nad; Weltrus hin bewegte fi raſch ein Reiſezug. Boran ritt auf einem Maufthiere eine Dame in Trauer, das Antlig tief verfjleiert, zu ihrer Rechten eine Dienerin, linls ein Mann in zierlicher Knappentracht, aber nad ber Bewaffnung zu urtheilen, mehr ein Kriegeknecht. Meh- tere reich geffeidete, männliche Diener folgten bewaffnet auf Roſ⸗- fen und Manlthieren.

Die Dame ſchien fehr niedergeſchlagen und hörte nur mit Halber Theilnahme ben Worten ihrer Dienerin zu. Mehr achtete fie auf ihres Knappen Bewegungen, ber bald hier, bald dorthin

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wit der Haud beutete, bald einige Schritte vorausſpreugte, bald zurüuckblieb, um auf einen Hügel Hinanzureiten und von da die Gegend im weitern Kreiſe zu überbliden.

Es war Milada mit ihrer Dienerfhaft; jener Kuappe aber mit dem Anfehen eines Kriegsknechtes war Sulol.

„Ber kömmt da?“ rief auf einmal Sutol mit feiner van. hen Stimme, fprengte zur Herrin umb deutete vor fie Bin im bie Entfernung der Straße, wo ſich dichter Stanb aufwirbelte. „Ein raſcher Reiter ſcheint's; der kann uns vieleicht Wunde geben, ob er einem anne nad) unſerer Beichreibung begegnet fe. So war's, Fräulein: ein weißes Roß ber Ritter trägt ein gold» geftidtes Wamms von grünem Sammt, gelbe Stiefel und ein Borret mit ſchwarzen Federn. Hebal ich will ihm entgegen.“

Inzwiſchen kam jener Reiter es war der Jude Abraham einhertrottirt auf feiner Mähre, ſaß bald am Halfe, bald auf den Rückenknochen des Roſſes und taumelte von einer zu der andern Seite; denn er war bes Reitens nicht kundig, hielt mit der einen Hand den Zügel und Mrallte die andre ängſtlich in die Mähne des Pferdes, um den Schluß nicht zu verlieren.

Sutol fprengte ihm entgegen und bomnerte: „Steh' fill!” und brach beim Anblide des Juden, der fein Roß fogleich mit beiden Händen am Zügel aufhielt und die Meine vorwärts ſtredte, den Leib aber hinterwärts Ichnte, im ein lautes Geläch- ter aus. J

Der Jude war aber auch in der That eine lächerliche Er- ſcheinung. Er war gegen fedhzig Jahre alt, fein dunkles, dichtes Barthaar grau untermiſcht; eine gewaltige Habichtsnaſe nahm dem oberen Theil feines Gefichtes ein und hing nod in Art eines Schnabels weit über den Mund herab. Mugen und Brauen waren ſchwarn, jede einzelne Lippe fo dick wie bier andere, „Dar. Bei mar eg mit eimem alten, veridofienen, roſenrothen Talare hekfeidet, won welchem die goldene Berbrämung abgetrennt war.

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Um ben Leib hatte er einen federnen @ürtel gewunben, ber zus gleid als Wörfe und Aufbervafrungsort von Speiſen und Reife erforberniffen diente. Unter dem Talare, der durch die figende, gefpaltene Haltung zu Roffe fi verihoben hatte, jahen ein paar weiße, ſchmutzige, leinene Beinkleider hervor, welche fih bie auf die Wade Hinawfgebrängt hatten und fo einen Theil der Beine nadt erſcheinen ließen. Sein Haupt bededte eine thurmhohe Filzmüge in Geſtalt eines Kegels. Er fah in einiger Entfernung beim Gemiſche diefer Farben mehr einer großen, vertwitterten Staude, als einem Menſchen ähnlich.

Aengfich hielt er auf Sutofs Zuruf ſtill, ſchwenkte feine Regelmüge und fagte: „Guten Morgen mit Gott, hohe Herrſchaft guten Morgen! Womit ann Euch dienen ein armer Jud' 2“

„Hol' mid der Teufel!“ lachte Sutol aus rauher Kehle, während fid) die Dame mit dem Zuge näherte; „ſag' mir, bift Du ein Menſch oder eine Bogelfcheuche, die man in die Erbien- felder fiellt? Nimm Did in Acht, daß bie Krähen, wenn fie dahinterfommen, daß Du nur ein Jude biſt, nicht einen Krieg gegen Dich anfangen und Deinen ungeſchorenen Bart zerzaufen wie ein Bund Hanf! Rein, Hebräer! es ift rein zum Todtlachen im der Zodesftunde, wenn man Did) zu Roffe fieht. Steig ab und laß Dein Pferd auf Dir figen; es wird ſich ſtattlicher aus- nehmen, als grade jet. Und haft Du kein Gemiffen im Leibe, daß Du auf der armen Mähre Dich herumbeuteltſt wie zwei Baffereimer im Brunnen? Nein! ſeh' mr dod; Einer den Zaun und Palifadenreiter an; ev figt wie eine Scheere im Sattel und ſchwengelt Hin und Her wie ein Gehängter. Jude Urentel Acharioth's, ich möchte Di todt prügeln, weil Du mir heute den Streich gefpielt,- daß ich laden muß, wo ich ganz ernfihaft fein wollte! O Du roth angeftrihener Schornftein, Du roſenfar⸗ bener Pfahl auf einem Holzboch, gemalter Heuſchober Du! wie tommft Du auf das Pferd, oder wie kömmt das Pferd unter Dich?“

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„Haltet zu Guaden, Herr Ritter!“ antwortete ängflih und demürhig Abraham; „id bin gereift auf einen Handel nah Wel- trus, ich Habe mir dort befehen eim paar Ochſen, die ich gewollt treiben nach Lieben, um fe zu verlaufen in Prag. Das Geld is tar und nifcht iS zu verdienen.”

„Hol' Dich der Teufel!“ fluchte Sukol; „die Ochſen müßten mehr als Ochſen fein, wenn fie nicht vor Dir ausgeriſſen wären, Du durchbrochener Windmühlenflügel! Reit! doh am Dad ber Francistanertirche umd rutſche drauf Hin und Her; fie werbem glauben, ein rother Drade fei gelommen und bringe die Peſt. Laß Did nur um Gotteswillen vor feinen Weibern jehen, die freien wollen! Es ift —. Nein, Jude, haſt Du keinen Spiegel, fo geh’ an dem erſten Bach nnd fieh' hinein, und fälf Du nicht vor Dir nieder in's Waffer, jo will ich ein Bapift werben. IR das eine vernünftige Zucht, im dieſem Aufzuge bier im Lande Herumzureifen und Menſchen und Bieh fo zu er- ſchreden? Wenn Du unter eine Schafherde geräthft, jo gebären alle fammenden Mütter Mifgeburten mit fünf Beinen und einem Horn auf bem Kopfe. Nein Du bift fein Menſch, Du bift ein Butterfoß, das man mit Biegelmehl beſtäubt Hat, und ich hätte wohl große Luft, bie Buttermilch zu ſchlageu; ober Du bift eigentlich der Lorettothurm leibhaftig, wenn ihu die Abendröthe befcheint. Heide, Jubel wir wollen einen Wettritt mit einander madjen, dort hinüber über ben Graben in Einem Sage.“

„Was fpaft der Herr!” gegenrebete beſcheiden und gut - möüthig der Jude; „ſoll es mic doch freuen, wenn ich duch meinen Anzug gebe dem Ritter Gelegenheit zum luſtigen Laden, als doch geben unſre Leut oft, wenn fe werden gefunden, Ge- legenfeit zum ergnügen vor die Chriften. Ich bin ä armer Jud' und kann mer nicht Taufen neue Kleider und ä ftattliches Wamms, wie be reichen Leute. Ich zieh” an, was mir übrig bleibt auf meinem Lager. Warum ſoll's verderben ? Getragen

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muß es dod werden von Einem; warum laun ich micht fein der Eine 9“

„Sabucäer, ſchelte nicht!” herrſchte Sutol; „fal’ nicht in bie Rede einem gebienten Kriegemann der Zaboriten, ber Deine Genofjen geprügelt und gefpießt nad Laune. Menſch, der dem Knoblauch vorzieht der Pflaume, den Mazes dem köſtlichen Schwein- fleiſch und das Rind kofchert und dem Hafen, wilft Du mid lehren, was mir lächerlich eriheinen fol oder niht? Satanas, ich fpieße Dich anf wie eine Wachtel, die Euch gereguet worben if in der Wüflel Nun, haue Dein fpatiges Roß zu Manna und verlauf es in ber Judenſtadt! Stehe fiil und ſtumm, und Dein Anblid erheitere das Fräulein hier, welches den Zwerg Knieholz nicht gefehen hat, der vormalen mit König Artus aus dem Wafferpolatenland hier herumzog: fahrendes Gefindel, welches in feiner Krone Erbfen kochte, und Zwiebeln und krepirtes Huhn.”

„Sufoll Sutot!” gebot Milada, „laß den Scherz dies hält ung auf wir haben Eile. Befrag den Hebräer über Den, welchen wir ſuchen, und gibt er Kunde, fo foll er reich belohnt werden,“

„Worüber foll ih geben Nachricht ?” wehllagte der Jude; hab’ ich doc} Keinen gejehen, den Ihr fucht, weiß ich do von tein'n Geheimniß, und felbft die Straße fenn’ id nicht ganz. Id bin ein armer Jud', der nur Prag kennt und Lieben, und is zum erfien Mal auf diefer Straße.“

„Schändlicher Gottesläugner!” ſchrie Sukol, „wilft Du den Herrn verläugnen wie Petrus, als er noch ein Jude war? Du Haft Dich verrathen in Deiner Furcht. Du haft einen Ritter gefehen, bift ihm begegnet vor kurzer Friſt auf biefer Straße; er trägt ein grünes Wamms mit Gold eine ſchwarze Feder auf dem Barret.”

„Soll ich ſchwarz werden,” wehllagte Abraham unterbrechend, ‚Avenn ich weiß, wovon Ihr redet! Hab' ich doch Niemanden

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gefehen dem Hent'gen Tag als meinen Schatten, unb der is bier, und die Bäume, die flehen dort. Wie foll ich Eud; geben Nach- richt von etwas, was ich micht weiß? Könnt Ihr mir fagen, Herr, ob mein Bater gehabt hat einen Buckel oder nicht, wenn Ihr ihn nicht Habt. gefehen 7*

„Schweig, Jonas!“ bdonnerte Sutol, „ei fumm wie der Wallfiſch, der ihn verfhlungen; öffne aber die breiten Ballen der Pforte Deines Mundes und laß hervorgehen bie Wahrheit, wie Du fie ſchuldig bift dem Ehriften und dem Krieger,. der hier zu Sande Dein Herr iR! Und wenn Du nicht antworteft, fo foll mein Schwert bier, welches ich einem Deutſchen abgenommen bei Mies, ale ich ihm den Schädel geipalten in zwei Theile wie eine Birne mein Schwert fol, fage id, Dir den vom Haupte flugen und was noch drunter iſt! Ich ſchere Dir mit der ſcharfen Schneide Deinen Bart und verkürze Deine Nafe, welde ein Habichijchnabel, wie man dem Hunde die Ohren fiugt. Bift Du einem Ritter begegnet? Und wohin nahm er die Reife?“

„Weib geſchrien!“ Hiagte der Jude; „ich Hab’ Niemanden gefehen ale mic; und ich bin der einzige Reiter geweſen anf diefer Strafe. Wollt Ihr mich finden, wollt Ihr mic blutig fchlagen, meinetwegen tobt, werd’ id) doch nichts fagen können, weil ich nichts weiß. Laßt einen armen Juden, der nifcht dafir tann, daß er i6 ä Jud', und daß er is geboren worben, weils Gott Zerael Hat fo gewollt, fürbaß ziehen feinen Weg auf Handel und Wandel, treibt Scherz mit glüdfihe Lent’; bin id doch ge- ſchunden genug von bie Herren Biertelsmeifter und de Schar- wachen. Wo fe fehen einen Juden, zaufen fie ihm an Bart umb fpuden uns an und ſchlagen uns bfutig.“

„Sei ruhig, Sukoll“ gebot Milada; „Dir haft nicht die rechte Art, Iemanden auszuforfhen, und wir verlieren hier um- fonft die Zeit.“

„Erlaubt, gnädiges Fräulein,“ gegenredete Sukol; „ih fenne

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das Boll, es iſt verftodt, und weil es verftodt if, fo entlodt ihm der Stod Rede und Antwort. Solch' ungewafhener Mund ſpricht bloß, wenn man mit bem Säbel an ben Kopf gepocht. Doch fragt ihn ſelbſt wenn Ihr Euch Herablafien wollt zu fo gemeinem, unglänbigem Wicht, zu ſolchem Ablömmling der Mörder unfers Herrn und Meifters; vieleicht, daß er aus ſchul- diger Ehrfurcht vor fo Hoher Dame Rede ſteht.“

Hier, Hebräer,“ fagte Milada freundlich und griff in ihre Gürteltafche, „find zwei Goldftüde. Sie find Dein, wenn Du Wahrheit ſprichſt und mir Beſcheid gibſt, ‘ob ein Ritter, wie er Dir beſchrieben worden, Dir auf dieſer Straße begegnet iſt. Nebſt jenem Gold wird Dir auch mein aufrichtiger Dank; demm mein Herz ift ſehr beträbt, und meine Seele fehnt ſich, feine Spur zu finden.“

Der Inde ſtockte eine Bee und dachte nad. Er war zu gutmüthig, ben Nitter zu verrathen; denn er hatte feine Geelen- angft umd den verflörten Zuftand, worin er ſich befand, gefehen, war zudem aud) noch reich belohnt worden und möchte ihn darum wicht germ einer Berfolgung preis geben. Das Fräulein in Trauer, fo dachte er, ift vielleicht eine Prinzeſſin, nad) ihrem Gefolge zu Schließen; er Hat ihr dem Geliebten erfchlagen, fie verfolgt ihm, und ber ungeſchlachte Knecht an ihrer Gefte ſoll ihm vermuthlih den Garaus machen. Aber fagen mußte er doch etwas; benn hier war fein Loskommen, und feine ganz gute und paffende Lüge fiel ihm im Augenbfide, ein. Auf ber einen Seite war Sulol mit feinem gezogenen Haudegen, ben er bem Juden oft unter die Naſe hielt, und bort wieber das Fräulein, das fo rührend bat und Gelb zur Belohnung bot. Er ſchwankte noch kurze Zeit; aber ein- raſcher Entf hluß mußte gefaßt werben. Er Huftete, flodte, und begann endlich:

„Wenn ich, denke nach, fo wär's doch möglich, daf ich mid tönnt’ erinnern, begegnet zu fein einem Ritter.”

Herloßfohn: Der Iehte Taborit. I. 12

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„Run, weiter, weiter!“ tobte Sutol umb Hielt ihm bie Schwertſpitze unter die Rafe; „riech hier dran, das ſtärtt Dein Gedãchtniß und lehrt Di erinnern I“

„Weih!“ rief dee Jude „warum ſollt er nicht gehabt Haben ein grünes, Wamms und & ſchwarzen Federhut umd gelbe Stiefeln? Hab’ ich doch micht aufgefehen und mid nicht bes tümmert um bie Leut'; hab’ bloß gefehen auf deu Weg und mein Schatten.”

Alſo er war jo gelieidet ?“ fragte freubig bewegt Milada; „er is, er iſts, mein Vratislavl“

„Warum könnt’ er nicht fo gekleidet geweſen fein?“ verſetzte der Jude; „hab' ich's doch von der Seite ſchimmern jehen, daß ich jet möcht' drauf ſchwören, wie er gehabt Hat ein grünes Kleid von Sammt mit Gold.“

nDu Haft auch mit ihm gefprochen, Jude!“ forſchte Sutol in feiner barſchen Weiſe.

„Geſprochen? Mas Hab’ ich geſprochen ?“ antwortete Abra- ham. „Hab ich vieleicht gejagt: Guten Morgen Herr Ritter! Und er wird gefagt haben: Schön’ Daut, Iude! Weiter weiß id nichts.“

„Du Haft noch mehr gefprodhen!“ fuhr Sutol in feiner Unterfuhung fort; „Du weißt aud, melden Weg er eingeihla- gen hat!“

„Es ift möglich,“ berichtete der Jude, der fi immer mehr in die Enge getrieben ſah, „daß er hat fallen laſſen eim Wort und gefragt, wohin der Weg geht; und ich habe gefagt: Dorthin nad Melnik, und bahin nach Randnic und Budin, und das dort ift der Georgsberg, ber einzige Berg Hier in ber Ebene.“

Rasch, raſch!“ bat das Fräufein „welchen Weg 308 er? Antworte, fei nicht fo wortkarg.“

„Gegen Raudnic, gnädige Brinzeffin," entgegnete Abrafam; „ich Hab’ mich umgeſehen zufällig er ritt gegen Raubnic, bot

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die Straße links ab. Auch hat er gefragt etwas, mie bald er Tonne fein an ber Grenze.“

„Hier, Dein Gelb! Hab’ Dant, Hebräer!“ rief Milada und wandte fih jegt zu Sutol und ber Dienerſchaft. „Der Ewige fei gepriefen! wir haben feine Spur. Nun raſch fort, treibt die Roffe und Maufthiere an, nod) vor Sonnenuntergang umß er unfer fein!”

„Bon Melnik aus,” äußerte Sutol bedenklich, „verſprach er doch dem Junker Nillas Kumbe zu geben. Sollte er feinen Weg ohne Roth geändert haben? Jude, Tügft Du nicht?“

„Soll mir Gott Helfen!“ betheuerte Abraham; „ann es mir doch glei; fein: zu fagen, ob er iſt geritten nad; Melnik ober Raubnic. Muß er doc beffer wiffen, was er bat zu fuchen dort!“ 5

„Es if fol" ſtimmte Milada ein; „er bat den Plam ge- ändert, ehrt vieleicht auf einem Umwege nad. Melnit, um vor Verfolgung ſicher zu fein. In Raubnic. erreichen wir ihn! entweder, oder erhalten fichere Kunde, wohin er fi gewendet. Ein Theil von Euch mag dann den Weg bis gegen die Grenze verfolgen, der anbre mit mir nad; Melnit zurüdtehren. Will's aber Gott, fo finden wir ihn früher. Brechen wir auf! Hab’ noch einmal Dank, Hebräer! Der Himmel geleite Did im Leben immer den rechten Weg, und laffe Dich das Verlorne wiederfinden I*

Sie trieb ihr Roß an, und der Zug feste fi in Bewe - gung. Nur Sutol blieb bei dem Juden zurüd und redete ihn ermaßnend, wie folgt, an: „Du ausgeweideter Hafe, Rüfſelknochen des Schmweines, weldes Ihr nennt ein uureines Thier, fchäbiger Hund Du, der immer zwei Worte auf der Zunge Hat und nah Befinden bald das eine, bald das andre verfauft für biefelbe Sade! warum Haft Du anfangs gelogen, warum Haft Du nicht gleich die Wahrheit gefagt? Alte Nachteule Dur, firuppiger Krumm- ſchnabel, Du Haft alfo gefehen und nicht’ gefehen, geſprochen und

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wicht geſprochen, und erfl, als man Dir das Geld geboten, Hafl Du wirklich gefehen und wirklich gefprohen! Wer Hinbert mid nun, da das Fräulein noch in der Nähe if, Dich wenigſtens mit der flachen Klinge durchzugerben, daß Deine Rüdenhaut feft und geſchmeidig zu Schuhleder wird, und daß Deine Schwarte geſprenkelt ausſieht wie ein leicht gebratenes Spanferlel? Judas Iſcharioth, Du Berläugner der Wahrheit, wie jener ein Berläug- ner Ehrifi war, Du kahlgeſchorner Biber mit dem krummen Fiſchmaul Fiſchotter Du mit einem Ameifenhaufen auf dem Kopfe, Hanfener Lampendocht! es juckt eine gewiſſe zitternde Be- wegung in meiner Hand, die da zu fagen ſcheint: Gerbe dem Juden das Fell, damit er keinen fammtenen Kaftan brauche und in Zufunft in feiner eigenen Ochſenhaut unbekleidet gehen könne, und flriegle ihn von unten herauf mit der Klinge, daß fein Bor- ſtenhaar Funken gibt wie eine Kage, wenn's blitzt!“

„Erlaubt, mein Herr,“ ſchrie Abraham ängſtlich dazwiſchen, „daß id ein Wort fagen darf zu meiner Bertheidigung! Hab’ ich doch nicht gewußt, aus welchem Grund Ihr fragt nach dem Ritter, und ob Ihr ihn fuchen wollt, weil er etwas Gutes gethan Bat, oder 'was Schlechtes, ob Ihr feid feine Feinde!"

„Schweig fill!“ donnerte Sukol; „laß ſinken die Schleufe vor dem Mühlrad Deiner Schmwaghaftigfeit und Lügenfluth! Dämme diefen Waldbach, der ſchmutzig und trübe rollt über mis ferables Geftrüpp und ſchlechtes Geftein! Deffne ferner nicht mehr diefen Haffenden Badofen von Maul, worein ein Heumagen fah- ven Tann mit auſgeſteckter Gabel! Laß Deinen Naſenſchnabel einen Wächter fein, einen Riefen vor ber ungeheuren Pforte, wel» her ber Lüge mit grobem Kmüppel den Ausgang verſperrt! Warum Habt Ihr Juden gelogen, als Pilatus fagte: Was wollt Ihr? ich finde keine Schuld an dieſem Maune? He! gib mir "Antwort; aber ſchweig ſtill, Hebräer; denn wie der falte Mor- genwind über die Stoppeln ſtreicht, fo die Lüge über Deinen

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ſtruppigen Bart, worin die Maden ihr Luſtlager halten und ihre Fortpflanzung von Kind zu Kindeskinder. Lege Deinen Bart bier auf diefen Stein; ich werde ihn abfägen mit meinem Schwert wie trodnes Gras, damit er nicht mehr fei ein Buſchwerk, wd« Hinter die Heuchelei, der falihe Schwur und die Züde lauert. Willſt Du das Kreuz maden, Jude, und den Himmel um Ber- zeihung bitten, daß Du einen gut utraquiftiſchen Chriſten augelo- gen haft mit frecher Eidechſenzunge ?*

„Kann id) doch nicht das Kreuz machen, Herr Ritter!“ flehte der Jude, „weil ich es nicht Habe gelernt. Will ih ſchwören bei ber Thora, bei meiner Bruſt, daß id; nicht mehr will fügen. Nun laßt mid) ziehen’ meine Wege; denn ich habe zu Haufe viele Kinder, bie fein‘ Hungrig und freien nad dem Tate, daß er bringt Brot.”

„Fahre Hin, Saducäer, Malchus von der Gchäbelftätte, dünnbeiniger Philifter, und-begegne mir nicht wieder im Leben, font ift der Waffenſtillſtand gebroden, und ih male Dir einen grünen, blauen und gelben Leib, daß man Did für die Urgroß- mutter aller Eidechien Halten wird I”

Er gab nad) einem tüchtigen Fluche dem Ganl des Juden mit der Ppeitſche einen Hieb, daß diefer Hinten ausfeuerte und im bolprigen Galoppe, des Zügels feines Weiters im harten Maule wicht achtend, die fleinigte Straße dahinſauſte, daß Ab- raham laut um Hilfe fchrie und ſich kaum im Sattel hielt während der fhüttelnden Beroegung.

Sulol's Hohngelachter folgte ihm. Gr ſah dem Berſchwin -⸗ denden noch eine Weile nad; dann wandte er fein Roß und fprengte Hinter dem Zuge einher, dem er angehörte. Er erreichte das Fräulein bald wieder und beridtete, er Habe dem Juden nur eine Ermahnungspredigt über die Wahrheit und ihre Nut: anmendung im Leben gehalten.

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Sie eilten Hierauf eilig anf ber Straße-gen Raubnic bin, an bem Walde vorbei, wo Bratislav ohnmächtig umter einem Baume Tag.

15.

Es war am vierten Tage nad) Bratislav's Genefung. Der Arzt verflattete ihm, das Gemach zu verlaffen und in dem Garten zu luſtwandeln; dann follte er der Familie des Haufes vorgeftellt werben und fo auf einmal feine Wohlthäter und Pfleger kennen lernen.

An Lazarus's Hand luſtwandelte der Ritter durch die ſchat · tigen Baumgänge, freute ſich jeder blühenden Blume am Wege, tranf die reine Gottesfuft in fangen Zügen und fühlte fi ger träftigt und erhoben, als ber Athem der freien Natur ihn um- wehte und durchwallte. Reife Harfeittöne zitterten vom Schloffe Herüber; , es war, als ob die Duelle, die hart am Wege flof, nad) ihrem Tacte rieſelte, als ob bie Blumen allen ben Klängen zunidten. Vratislav horchte nicht dem Geſpräche bes gefchwägigen Dieners, fondern er lauſchte dem Pulsſchlage der Natur. Dun - tefblan war ber Hohe Himmel, auf feinem Grunde ſchifften be> haglich, twie rubernde Schwäne, weiße, zart gerundete, ſchaum · geballte Wolken Hin, auf Bäumen und Sträuden lag das Grün, wie faftiger Lad, in ben Baumwipfeln ſchlugen Finken, Käfer, Nibellen und Schmetterlinge gaukelten über bie Blumenhecken; die geffügelte Welt feierte ihren Sonntag und hielt Ringeltänge in den Bfüthenfälen. Alles freute ſich bes Dafeins und um. ſchloß es mit liebender Innigkeit; aud unfer Ritter; doch er freute fich nur der Genefung feines Leibes, feine Seele war

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noch Trank, der Schmerz ber Grinnerung, bie Bangigfeit der Gegenwart lag auf ihm wie ein dunkler Schleier.

Näher Mangen die Harfentöne; Vratislav blidte empor, fie "waren nah’ am Schlofſe. Lazarus öffnete eine Blasthüre des Erdgefchoffes, nahm den Ritter an der Hand und trat mit. ihm in den Saal.

Ein fattficher Mann fam dem Jüngling mit den Worten: „Seid uns herzlich willkommen, unfer edler Gaſt!“ entgegen.

mSeiliger Gott!“ ſchrie Vratislav Halblant auf und Bielt ſich die Hand dor fein Antlig.

Ich fagte es Dir doch, Lidmila.“ ſprach eine wohlkliugende, ſaufte Stimme, „ber Schein darch das bunte Bogenfenſter wird den Ritter blenden!“ Ein Vorhang fiel nach dieſen Worten nieder. Bratislav trat dor, verneigte ſich und ſagte ſtotternd: „Es war das Licht nur einem Augenblick es if ſchon gut verzeiht die Störung.“ Er blickte vor ſich hin an einem Seſſel, die linke Hand auf deſſen Lehne geſtützt, ſtand eine Dame im Alter von vierzig bis fünfzig Jahren, mit grambleichen, aber engelmilben Zügen, mit dem Ausbrude bes reinften Wohlwollens; fie war es, welche jene fanften Zöne in der Kehle führte. Rechte vor ihr, unter dem Bogenfenfter mit Glasgemälden, deren Schim- mer nun eine Gardine bämpfte, erblidte Vratislav Lidmila von Roſenberg: fie Hatte noch die Harfe im Arm, berem Töne fo eben verflungen, und fügte ſich auf dieſelbe; ein einfadj-hänstich Gewand floß reizend um ihre Glieder, das Haar war ſchlicht ge ſcheitelt und im Zöpfe geflochten; die roſige Dämmerung, welde durch die bunten Scheiben fiel, umwob fe wie mit einem Glo- rienſchein; aber noch ein anderes, ein fichtbareres Roth brannte anf ihren Wangen,

Bratislav ſchwieg eine geraume Weile, benn er war von tauſend Gefühlen beftärmt, und wie er fih nun bier feftgebannt

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fühlte, fo Hätte er zugleich flichen mögen meilenweit von biefer Stätte.

Auf einen Winkl des Herrn vom Neuhaus brachte Lazar dem Gafle einen Seſſel und entfernte fi. Man jegte fid. Bratislav wagte es jegt, einen zweiten Bid auf feinen Todfeind zu werfen. Der von Neuhaus war-ein flattliher Mann, würdig und entichieben in feiner Haltung, ernft in den Zügen; aber im Auge und im Tone der Stimme lag eine biedere Herzlichteit, die anziehen mußte.

„Ich nenne Euch noch einmal willfommen, edler rembling!” begann er, „obgleih Ihr fo eigentlih uns nicht ganz fremd er- feine. Wir find Cud; ſehr derpfliditet für eime.rafche Hilfeleie Kung, bie ihr unferer Nichte erwiefen, und ohne melde ihr Leben fehr gefährbet war. Wir danken es Euch jetzt, da Ihr damals ſtolz Euch unferer Erkenntlichkeit entzogt.“

„Beſchämt mid nicht, Herr!“ entgegnete Vratislav, ohne aufzubliden; „erinnere ich mich doch nicht, Euch je in irgend einer Art gefällig geweſen zu fein. Doch Cure Wohlthat liegt vor Ihr habt mein Leben gerettet aus ben Armen bes Todes, mir die Genefung wiedergegeben. Im jenem Wald, wo bie Ber ſinnuug mic, verließ, wär’ ich verſchmachtet.“

„Dort jene war's,” verſetzte Neuhaus umd deutete auf Lid mila, welche die dunkle Wimper über das Auge flug, „die Euch anf der Jagd gefunden und fogleih erkannt. Sie bezahlte ihre Schuld an Euch, und ihre Theilnahme, wie unfer Aller, war groß, als Ihr fo ſchwer und krauk barmieber lagt. Euer Name Herr Ritter?“

„Bratislav von Branif.“

„Bon Branit?* wiederholte Neuhaus; der Name hat guten Klang; irre ich nicht, fo feid Ihr der Letzte Eures Stammes. Der Bater fiel in irgend einer Schlacht; Ihr wurdet von einem Vriefter fern am der Grenze erzogen." +

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„So iſre, edler Herr,“ fuhr Bratielav fort; „doch laßt mich noch einmal Worte des Dankes finden und jene Hand, die milde, die mich gepflegt, brünftig küffen.“ Er ſtand auf und näherte fi bei biefen Worten der Matrone. „Wohl war id) in tiefe Nacht begraben, aber Eure milde, tröftende Geſtalt ſchim- merte doch hindurch wie ein” Stern durch die Wolfe und Iabte meine Geele. Bergelten Tann ich es nicht, nicht eimmal- mit meinem Blute; denn Ihr Habt mir etwas geſchenkt und wieder gegeben, was mir wicht mehr gehört: das Leben. Wer id bin, hab’ ich Cuch gejagt; es if nun meine Pflicht, auch zu fagem, "was id bin, was mich Hierher geführt, was mic im jenen Zu. Rand verfegt. Alfo, was id bin? Ein Unglückicher, vieleicht ein Mörder 1"

Lidmila und die ältere Dame ſchauderten zuſammen.

„Erſchredt nicht!“ fuhr Bratislav fort; „mande That iſt nicht fo ſchlimm, wie fie der Mund ber Menſchen nennt, die fie nicht gethan. Schlag’ id im Zorn dem Feind tobt, bin ich eim Mörder, doch in ber Nothwehr nicht. Bin ich Sieger über eine Bartei, fo laſſ ich den gefangenen Gegner hinrichten und bim deshalb noch fein Mörber im der allgemeinen Dafürachtung, fon- dem nur ein Richter; aber bem Gerichteten bin ich ein Mörder, der nad; feinem Blute lechzt. Berzeiht die ernſte Einleitung fie fuhr mir fo dur ben Sinn. Ich befam Gtreit im einem Öffentlichen Garten; eim Deutſcher, Namens Spanberg, läfterte die Böhmen; ic; Tiebe mein Volt und mein Land, wie id) Bater und Mutter lieben würde, hätte ich dergleichen; ich diente ihm alfo, er zog das Schwert, verwundete mich zuerſt, mein Schwert ging durch feine Bruſt, er fiel. Ob er gerettet iſt, ob tobt, weiß ih nit. Ih würde mid, da die That gethan war, meinen Richtern geftellt Haben; aber des Königs neueſtes Geſetz lautet: Ber im Zweilampf den Gegner verwundet oder töbtet, ſtirbt von Henters Hand! Und ic bin ber Legte meines Stammes

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ich floh. Jene Wunbe, das Fieber, der Heftige Mitt warf mic, in jenem Walde kraftlos nieder. Mein gmäbiges, wildes Frün- lein, Ihr Habt mir alfo etwas gerettet, das nur Kalb mir gehört, Halb dem Henler, vielleicht ganz, wenn ich gefangen werbe. Und bennod dank id; Euch; es if füß, vom fo ſchöner Hand wieber iw's Dafein zurüdgezogen zu werben.“

Bein Oheim!“ rief jest Lidmila bewegt, und ihre Stimme hatte etwas Träftiges, volltänenbes, es lag milder Wohlllang unb dennoch Befehl darin, „trefft Anaftalt, daß Niemand hier im Haufe des Ritters Namen erfahre, daß nicht umberufene Neugier Rd hierher drauge. Ihr follt, ebler Ritter, nicht einer Gefahr ent gangen fein, um in bie andere geftärzt zu werben.”

„Laß dies meine Sorge fein, Nichte!" verſetzte Reuhaus; nbier fol Euch kein Verräther finden, Herr von Branit! Ihr bleibt bis Euer 208 entichieden if. Heut' noch ſend' ih einen Eilboten an ben König. Er if mein freund, fo kaum ich ihn wohl nennen, und mir mannigfach verpflichtet. Betrübt iM das Ereigniß zwar, doch einmal nicht zu ändern. Da Ihr fo offen feib, Here Ritter, verbient Ihr gleiche Entgeltung. Lernt auch uns kennen. Ich heiße Neuhaus, bin Euch vielleicht be⸗

- tannt aus ber Geſchichte unfers Vaterlandes, fland ber Krone fort fo nahe ale Pobkbrad; doch Hab’ id; mich in Iepter Zeit zurüdgegogen von ben Geſchäſten des Staates. Auch ber feftefte Wille erlahmt, wenn der Kampf der Parteien ihn bis zu Tode ermüdet. Dort meine Schwägerin Emma von Falkenberg, Witwe eines deutſchen Edlen, ſchwergepruft, krankend an bittern Lebene- ereigniſſen, darum zurüdgezogen von aller Welt. Außer der Dienerſchaft feid Ihr der einzige Fremde, ben unfre Schwägerin feit einer langen Reihe von Jahren fieht, feit fie wieder im Böhmen lebt. Das Unglüd, feht Ihr, macht vertraut. Dort meine Nichte Lidmila von Rofenberg kennt Ihr fon aus früherer Zeit. Wir leben biefen Sommer fill und einſam bier anf dem

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Säloffe bei Weltrus empfangen teinen Beſuch und machen feinen. Bei uns feid Ihr alfe geborgen und Lönnt Eurem Schid- ſale und feiner Entwidelung ruhig emtgegenfehen. Wählt einen andern Nomen, bei dem wir Euch vor der Dienerſchaft, obgleich deren Treue erprobt if, nennen. Gern fehen wir Euch bei uns, dies fei ohne Schmeichelrede geftanken; deun Eure Genefung iR ja mit unſer Wert, und der Menſch freut fi gern befien, was er geſchaffen oder fonf zu Stande gebracit, wie ein Gürtner, des einen Baum gepflanzt. Euer Antlig, zwar fen und noch verbüftert von den Spuren der Krankheit, gefällt mir. Es liegt noch der Troß ber Jugend drin, doch and viel Offenheit. Lermt uns tennen; vieleicht gefallen wir aud Euch mit ber Zeit.” Er wandte fi nad) biefen Worten zw dem Fräulein. „Lidmila,“ fagte er, „Relle die Harfe weg nud nimm Theil an unfrem Gefpräge.“

Lidmila Iehnte die Harfe in eine Ede und fegte ſich ſchwei- gend wieder nieber.

„Ich hab’ Euch wohl geftört, mein edles Fräulein ?* begann Vratislav; „vieleicht ifE es bie Stunde, die Ihr dem Holden Tonfpiel widmet. Ich weiß nit, um was ich Bitten fol! Ob Ihr nun fpielt ober ſprecht, ih gewinne immer."

Lidmila erhob fol; das Haupt und verfegte mit ernfler Miene, indem fie dem Ritter frei in das Antlig fah: „Ich fpiele nur Kuflige Weifen, und Euer Geſicht zeigt jet noch immer, daß es bie nicht fieben mag.“

„Mein unfrenndliches Antlitz 1” feufzte Vratislab „bie Freunde, die mein Unglüd ſchafft, verſcheucht jenes wieder. Und doch muß ich es tragen!"

„Ihr müßt Cuch verlieben,” warf Lidmila hin, „wenn Ihr es noch nicht feib; vieleicht macht End; die Liebe roth, währenb fie Andre ſchmachtend macht und bieih. Gehen wir uns im

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nit um Pflege und Rettung; fie wurde mir dod zu Theil. Ber fenkt, gewinnt Herzen nämlich. Wer dem Bettler, nachdem dieſer gefleht, erft eine Gabe reicht, nicht vorher, der erhält nur Daut, umd Dank befteht nur aus Worten.“

„Ei damals,“ verfegte das Fräulein, „kountet Ihr nicht fprechen, und dem flummen Bettler reich' ich and eine Gabe, weil er nicht fpreden Tann. Aber er muß wirklich ſtumm fein.”

Während biefes raſchen Zwiegeſpräches Hatten Neuhaus nnd feine Schwägerin anfmerffam und nicht ohne innere Bewegung, welche fie fi durch den Blic mittheilten, dem Süngling ſcharf beobachtet, deſſen Antlit jet das Licht der untergehenden Sonne hell beleuchtete.

„Seid Ihr ſchou lange iu Prag?" fragte bie Dame von Fallenberg, da Vratislav zu bemerken ſchien, wie er ber Gegen- Rand ihrer aufmerkfamen Beobachtung war.

„Nicht viel mehr, als drei Momate,“ mar feine Antwort. „Gerade am ich an, als id das Fräulein vor dem Aujezder Thor zum erflen Male ſah. Ihr hieltet mich wohl für einem

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Nuedht, edles Fraulein, in meiner damaligen, ſchlichten Tracht, deren id) Grund Hatte mich zu fhämen

„Für einen Knecht, ganz Recht,“ entgegnete Lidmila, „aber für einen Edellknecht. Als Euch der Oheim banfen wollte, ent floht Ihr. Ich hielt es für Stolz, und das verdroß mi; ih kann den Stolz nicht leiden. Und doch war ich wieber froh, daß Ihr bavomgeeilt; ich hätte mid; im Eurer Gegewart doch ob meines Unfalles nur geſchämt.“

„Ihr liebt den Stolz mit,” warf Bratislav ein, „und Euer holder Mund hat ihm doch fo eben das Wort geſprochen. Keiner der Männer, die Euch gefehen, fpradh von Eurer Schön heit, ohne den Stolz Hinzuzufegen. Zürnt mir nicht, daß ich fo aufrichtig bin. Da ih Euch frei meine Blutſchuld geſtanden, ſo lebt in mir nichts weiter mehr, das ich geheim halten könnte. Ausgenommen Eins!“ ſetzte er leiſe hinzu, und ſein Auge verbüfterte ſich.

„Ich dachte bei mir,“ unterbrach ihn Lidmila und ſchien feines leiſen Vorwurfes nicht zu achten, „er wird zu ſich ſagen: Die THörin will fi auf dem Roffe tummeln, vergißt aber bie Borſicht und kann es nicht bändigen. Wär’ id ein Mann, mir follte bies mie begegnen. Habt Ihe damals gelacht, als Ihr mid) verließt 2"

„I bin ein Mann,” antworte Vratislav, „und wurde doch oft ſchon bügellos. Borſicht ift gut! doch achtet man ihrer ef, wenn man fie an fi vermißt und Schaden genommen Hat. Habt Ihr gelacht, da ich mit blutendem Haupte unter dem Baume gefunden wurde ?*.

„Das if ein Unterſchied!“ warf fie ſtolz und gebieterifch ein; „Ihr waret unglüdti, ſchient eher ein Todter, als ein Lebendiger. Doc ich wurde nicht blaß; nein! ich erbleiche nicht ih weiß es. Ich glitt vom Moffe, weil es, von Eurer . Hand getroffen, im rafenden Laufe fo plöglic hielt. Wenn ein

190 Schiff landet, fo ſchwanken wir alle darch ben Stoß gegen das

Ufer.“ J

„Ich weiß nicht, wie Du heute biſt,“ nahm der Herr von

Neuhaus jet das Wort; „Du gefällſt Dir in Widerſprüchen. 3a freilich, ich muß es dem Ritter nur geflehen, gerade der Stolz und bie Wiberfpenftigfeit find Deine fehler. Die Welt richtet nicht ganz ungeredit. Dies fei kein Vorwurf, liebe Nichte! Du bift num einmal ein böfes, liebenswürdiges Kind, und ich muß Di doch lieb haben.“ . Die Frau von Falkenberg erhob fi nad biefen Warten, verneigte fi) vor bem Ritter umd fagte; „Verzeiht, Herr! Ich muß mid jegt entfernen. Mein Schwager und das Fräulein werben Euch angenehm zu befchäftigen traten.”

„Laßt mid; noch einmal biefe Hand kuſſen,“ bat Bratislav fich erhebend, „die fo mütterlih an einem efternlofen Fremdling gerwaltet hat. Balb ift vielleicht diefer Mund fiumm; id bin doc uur ein Hafblebender und kann vielleiht ganz anfhören es zu fein. Drum möcht ich diefe gergubten Minuten gern zu un- unterbrodenen Danlesworten verwenden, um ohne Schuld in’s Grab zu fteigen.“

„Sprecht um Gotteswillen nicht davon!“ rief bie Dame erfchüttert, und eine Thräne trat in ihr Auge „Ihr feid noch angegriffen; kaum ift der Haud ber Genefung bei Euch einge- zogen wie ein finder Leuztag. Soll Cure Einbilbungstraft dem Nachtfroſt rufen, um bie zarten, aufgeſchoſſenen Keime zu tödten? Bir wollen nit daran, an nichts Vetrübtes denken. Ihr habt meines Schwagers Wort fein Arm reiht bis zum König; dies fei Euch Beruhigung. Euer einziger Dank, ſofern IHr ihn möthig achtet, beftehe darin, von alle dem zu ſchweigen, was End) und dadurch aud; uns verbüftern Könnte.“

„Ganz Recht! fiel Neuhaus ein; „denn üben wir Gaf- freundſchaft, fo muß fie nicht nur dem Leibe, fondern auch ber

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Seele des Gaſtes gelten. Geliebte Schwägerin,” wanbte er fid zur Dame „beorbere den Eilboten und. au den Ge heimſchreiber auf mein Gemach. Jener ſoll fich bereit machen, in einer Stunde gen Prag aufzubrechen.“

Die Dame entfernte fih. Nad einer Weile nahm Bratie slad wieder das Wort.

„Als ich vorhin im Garten wandelte,“ wandte er fich zu ridmila, „hörte ich die länge Eurer Harfe. Irre ich nicht, fo fangt Ihr and; denn die Radhtigallen find wohl ſchon fortge: zogen nad den. kurzen Tagen ihrer Liebe.“

„Geſuugen Hab’ ich nicht,” verfeßte fie; „da wird es doch wohl eine Nachtigall geweſen fein, die Euh zu Siehe hier zuvüdgeblieben if. Ich will es dem Gärtner fagen, er foll fie fangen und im einem Käfig in Euer Feuſter ftellen. Ich finge wohl auch zuweilen, aber nur für mich, weil nur mir mein Ge⸗ fang gefällt und gar nicht wie eine Nachtigall. Es find meiftens flüdtige, tolle, Lieber, die kaum einem Mädchen, ge- ſchweige einem Manne gefallen können.“

„Lidmila,“ ſprach Neuhaus „finge diesmal; unfer Gaft ſcheint es zu wünfden, und Pflicht ift es, Alles amfgubieten, um ihn zu erheitern, um ihm dem Aufenthalt Bier angenehm zu maden. Zauberft Du noch lange, dann wird ber Verdacht des Stolzes Dich deſto fiherer und ſcheinbar gerecht treffen.“

Run weiß ich doc,“ warf Lidmila beinahe verlegt ein, „worum id bie Harfe fpielen gelernt und bie Lieber und ihre Beifen mir, eingeprägt! Bor einem andern, Ritter, ſäng' ich nicht; doch ſeid krank, und Kranke find wie Kinder, fie weinen, wenn man ihnen ben Willen nicht thut.“

„Ich widerſpreche wicht,” entgegnete Bratislav artig, „ih betrüge mich fonft jelbft um den Genuß. Kalt Euch das Ger währen auch ſchwer, fo fält mir das Entjagen befto ſchwerer, und ic) kaun barmm nicht von meiner Bitte abſtehen.“

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„Es feil“ vief fie raſch, nahm die Harfe und fuhr mit ben zarten Fingern dur die hellen Saiten.

Sie begann im einer raſchen, far muthwilligen Weiſe mit Holder Träftiger Stimme folgendes Lied:

„Schöne Moldau, blaues WBaffer, Warum rauſcheſt Du fo fhnell? Gehft am Wyächrab vorüber

Und an den Baläften Heil’.

Sieh’ mit Deinen klaren Augen

Dir die Herrlichteiten an,

Harre Moldau, blaues Wafler,

Daß ih Dir was fagen kann. Zieh'ſt Du weiter durch die Brüde Immer weiter, weiter fort,

Wirſt an einen Garten kommen. Bäum’ und Blumen fiehen hort, Eine Nachtigall fingt lieblich

Aus dem Erlenbuſch ihr Lied,

Und am Brunnen fieht ein Mädchen, Neger fih ihr Wugenlid.

Wirſt fie an dem Mieber kennen; Gold'ne Spangen find daran,

Rothe Bänder und ein Kreuzlein Blank von Silber hängt daran.

Haft an ihr Dich fatt gefehen / Und verfpüreft Liebesqual

Den! dann mein, bevor Du fcheibeft, Grüß’ mir fie viel tauſendmal.“

Sie endigte, warf bie Harfe bei Seite und rief: „Ein dummes Lied! Ich weiß nicht wie ich darauf verſiel. Gerade

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das ſchlechteſte Hab’ ich Euch ausgeſucht. Zröftet Euch mit ber Hochzeit zu Kanaan.“

„3% finde das Lied artig,“ äußerte Vratislan, „einfach und Herzlich. Bor Allem aber find Weiſe und Gefang trefflich.“

„Die Hauptſache,“ ſtimmte Nenhans ein, „bleibt, daß es ein bohmiſch Sieb, ein Ried, wie es der ſchlichte Sandmann felbt, der Sohn der Natur ohne Kunſtbildung, fid dichte. Weife und Wort find Eins; beide quellen zugleih aus feiner Seele, find das Werk einer natürlichen Begeiſterung. So Mingt es denn in allen Gauen unfers ſchönen Baterlandes vom Munde und ans Saiten; denn Muſik ift das zweite Lebenselement des Böh- men. Er fingt felbft wo das Joch ihn ſchwer barniederbrüdt; denn feine Seele durchzieht es mit Melodien, und er muß bem innern Klange Worte geben und das Heiligthum feiner Empfin- dungen vor der Welt erſchließen. Wie glüdfich wäre Land und Bolt ohne Zwietracht, ohme kriegeriſche Barbarei, ohne Glaubens- wahn und feine Folgen! Ih Hab’ Euch, Herr Ritter,“ fuhr ex abfpringend fort, „noch nicht gefragt, weß Glaubens Ihr jeid. Laßt das; ich will, ih brauch' es nicht zu wiſſen. Ihr tönntet vielleicht Katholit fein. So lange wir unfer wechſel- feitiges Belenntniß nicht kennen, ift es fein Gegenftand des MWort- wechſels oder des Streites zwiſchen uns. Der Glaube, meine id, ift der befle, der dem Frieden prebigt. Es will mich doch gemahnen, daß e8 eine Schande fei, wenn wir von fern ſchon den Fremden, den Mann, den wir nicht kennen, ausforfchen, um ihn nad) dem, was ihm entweder angeboren ober ein Ergebniß feiner innern Ueberzeugung if ich meine ben Glauben dann zu ſchätzen oder mißzuachten.“

„Da aber im Huffitentfume,“ fiel Vratislav ein, „Licht und Freiheit Tiegt, die Grumbelemente des Vaterlandes unb feiner geiftfihen, wie politifhen Dauer und Bebeutfamteit, fo müßte jeder Sohn des Landes daran hängen, ihm feinen Arm leihen

Herloßfohn: Der Iepte Zaborit. 1. 1;

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und den großen Kampf ausfechten, nicht nur zu unſerer Auftlä- rung, fondern auch zu der der ganzen Welt.”

„IH theile Eure Confeffion,“ entgegnete Neuhaus, „und geb’ Euch Recht. Ihr feid jung, und der Eifer ehrt Euch. Hättet Ihr aber die Zeit der Schlachten gefehen, Ihr würdet Euch) noch jegt mit Grauen wegwenben. Webertriebener Glaubenseifer erzeugt überall Fanatismus, und biefer Blutbäder und Gräuel aller Art. HR erſt die glaubenswüthige Meute losgelaſſen von der Kette, dann wüthet fie, zerftört und erzeugt fid) immer wieder aus bem eigenen Blute, und Ihr bändigt fie nie wieder. Dann gibt es feine Grenze, feinen Endpunkt, und riefe felbft Gottesftimme: Bis hierher und nicht weiter hinaus! fie würde nicht gehört. O wiünfät das nie, nie zu erleben! Ich Hab’ es zum großen Theil * erlebt, und wie innig ih mich auch meines gereinten, befreiten Glaubensheiles freue, fo möchte ich es um benfelben Preis nie wieder erkaufen. So war's, mein Freund, und der Tag von Hkib mußte fommen I“

„D ſchweigt von dieſem Tage,“ rief Vratislav und hielt ſich die Hände vor das Antlig, „von biefem Tage der Schmach, der uns Alles, Alles geraubt, ber unfre Freiheit wie unfre Ehre auf der blutigen Wahlftatt begraben! Brüder fochten gegen Brit- der, und durch ben Huſſiten wurde der Huſſite befiegt, und jener lieh feinen Arm, dieſen in Fefleln zu ſchlagen. An diefer Wunde wird das Baterland noch Jahrhunderte bluten.“

„Ich fage Euch,“ wieberholte Neuhaus, „der Tag mußte tommen! Der Krieg war ein Raub-, Mord- und Berfolgungskrieg ohne Ende geworden, der Schlächterei war kein Ziel geftellt; Alugheit und Menſchlichkeit gebot Ruhe, Frieden, Erholung, Feſt - ſtellung in dem erſt erworbenen Rechten. Der Befigende wollte endlich and einmal genießen, nachdem er Jahre lang geopfert. Wir nahmen die Compactaten an, als Grundlage zu dem darauf Folgenden. Wir hatten einmal feften Fuß gefaßt. So legt man

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ben Grund zu einem Gebäude. Aber die Yanatiker von Tabor und Horeb wollten nur Krieg, allgemeinen Sieg, befänbigen Krieg. Es handelte fi bei ihnen nicht um Gefeglichteit, Ber- ftlichung, Theilen der Intereſſen und Begründung eines Frie- dens, nach dem die Welt ſchmachtete, nein! nur um fühne Raub» züge, Wbentener, Heroenthaten. Die lehteren muß ihnen das Raımende Europa zugeftehen. Der Böhme hat fi mitten unter biefen Gräueln einen Heldenruhm erworben, der durch alle Zeiten Ienchten wird. Spätere Jahrhunderte werben kaum daran glau- ben, was wir gethan, werben es für Mährchen Halten oder Zau- berei. Es war ein großartiger Wille und eine gewaltige Gott- begeifterung vom Uraufange. Dies die zwei einzigen Blumen, welche auf dem bfutgebüngten, mit Todtenſchädeln befäeten Ader wuchſen. Aber fie verblühten zu bald; ja fie wurden zertreien. Und fo kann ih e8 denn dem Könige im Grunde nicht ver— argen, daß er wie ein Muger Schiffer feinen Kahn gegen deu Bind in verfchiedenen Krümmungen führt und feinem Ufer zu nahe kömmt, um nicht zu ſcheitern. Er will den Frieden, und wir bebürfen feiner. So ihm der Herr Kraft und lange Jahre und nur etwas Ruhe gönnt, fo bildet er unfer Land doch endlich zu einem felbftändigen, unantaftbaren Reiche für alle Zeiten. Davon, mein theurer Freund, ein andermal ausführlicher. Erlaubt, daß ich mich jeßt "entferne, um jenen Brief zu fehreiben, ber Euch fo Gott will frei machen fol.“

„Nehmt herzlichen Dank,“ enigegnete Vratislav aufftehend, „und geftattet au mir, mich zu entfernen. Zürnt nicht, mein edles Fräulein,“ wanbte er fi an Lidmila, „daß Ihr Eure Hei- tere Laune einem Kranken zu Liebe für kurze Zeit amfopfern mußte. Ihr nanntet mich ja ſelbſt ein Kind, das unglücklich if, wenn man ihm den Willen nicht thut.“

„Im unferer Einfamkeit,” verfeßte Lidmila gleihgiltig, „ift ung jede Abwechfelung willfommen. Warum nicht auch biefe?

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Schlaft wohl und bdemft nicht zu viel an den Tod; fonft fing” ih Euch zum Trotz noch einige Lieder vor.”

„O macht e8 wahr, id bitte darum!“ ſprach Vratislav raſch; „auf die Gefahr muß ih doch an ben Tod benfen, weil ihm ein fdöneres Leben erblüht.“

„Nein, nein! Heut’ fing’ ich nicht mehr,“ wiederſprach Lid mila; „ih babe aud) Saunen wie ein Bogel im Käfig, Ihr werdet auch ohne meinen Gefang ſchlafen. Man verwöhnt bie Kinder nur, wenn man fie einfingt. Lebt wohl!” Sie verneigte ſich nad diefen Worten.

„Schlummert fanft!“ fagte Vratislav zum Abſchiede, „und wie Euer Bild und das ber Holden frau von Falkenberg im meinen Fieberträumen mic) wohlthuend und beruhigend umſchwebte, fo mög’ End Euer eigen Abbild umſchweben, Ihr möget her- austreten aus Euch und fühlen lernen, wie man Euch verehren und bewundern muß I“

Er Hatte bie letzten Worte raſch geſprochen und entfernte ſich jegt, von dem Burgheren geleitet.

In feinem Gemache angekommen, lehnte er fi in’s Fenſter und fah düſtern Blickes über die Gegend hin. Die Sonne war gefunfen, ihr euer brannte nur uod in einigen Wollenfdichten, weiche ſich am Abendhimmel aufthürmten. Dort wälzte die Mol- dau ihre Fluthen hin, von einem matten Rofenfchimmer ange- haucht; die Wälder ragten wie ſchwarze Gefpenfter aus der Ebene hervor, welche filberner Nebel umſchwebte. Nur unten im Garten ſchien es noch Heil; das friſche Grün leuchtete, als hätte es Son- nenftraßlen eingefogen.

„Ihr Bäume und Zeige,“ fagte Vratislav tief auffeirfzend, „Ihr ſtrahlt ihr Bildniß wieder !“

Er verfiel nach dieſen Worten wieder im tiefes Sinnen. Ales war rußig unten in den Saubgängen, die Vögel ſchwiegen, nur die Quelle rauſchte, wie ein Kind, dem man Ruhe geboten,

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das aber im Winkel figt und leiſe vor fi Hin liſpelt. Die Nachtſchmetterlinge zogen flille mm die Blumen, und der Glüh- wurin tauchte aus dem Graſe anf wie ein Augeuſtrahl unter ger ſchlofſener Wimper.

„Was iſt ans mir geworben!” rief jegt Bratislav und verhülfte fein Angefiht. „Geift meines. ermorbeten Vaters, blickſt Du nit drohend Hernieder auf Deinen entarteten Sohn? DO mein Oheim! mein Obeim! Du haft ein ſchweres Amt im die Hände eines efenden Knaben gelegt. Ich ftand dem Todfeind unfers Stammes, ihm, ber mic frühzeitig zur Waiſe gemadit, gegenüber, und der Groll ſchwieg in meinem Herzen, und bie Hand zudte nicht zum Todesſtoß. Herbes, fluchwürdiges Miß geihid, warum mußteft Du mid Hierher führen? warum dieſe fürchterliche Prüfung, der ich erliegen muß? Wie kaun ih Hier Haß geben, wo fie Liebe fäen? Herz, mein Herz, krankes, zag- haftes Ding, fülle Di mit dem Gifte des Grolles, mit dem Athen Rache, mit dem Geifer der Wuth! Riefengroß ſteht die PflichE vor mir und mahnt mich wie den Sünder das Ge wiffen, und ich bebe wie ein Kind, ſchaue dem Todfeind offen in's Augeſicht, höre feine Rede und biete ihm Worte des Dantes! Und fein Wort bringt mir zum Herzen, und biefelbe Zunge, bie es ſpricht, hat das Todesurtheil über meinen Bater geſprochen! O ich Elender, Bethörter! Ihm fteht ein Engel zur Seite. Ein Engel! Gott, ich begreife mid nicht! Nur fort nur fort von Hier! Des Vaters Blut haben fie vergoflen und retten be® Sohnes Leben! Gchredfice Vergeltung bittere Berhöhnung des Geihides! Freilich! mas er gethan, daran haben die Weiber nicht Schuld. Jene würbige Matrone, die id; gern Mutter nennen möchte, hat nur die Liebe und bie Milde in Worten und Mienen. Und Lidmila fie fie warum foll ich diefe Hafjen? Weil fie am feiner Seite ſteht? I er doch auch der Bruber meiner Mutter, und wie ber Oheim

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fagte, Hat mein Bater nicht immer gut an ihm gehandelt! Iſt es Dein Wille, geſchmähter, jett verflärter Vater, fo erſcheine mir im Traume, und id will Hinabfleigen und mein Schwert in bie Bruft Desjenigen tauchen, der mir, dem Fremdling, das Leben gerettet, der mich gepflegt, der mich befreien will durch fein Fürwort von langer, ‚finfterer Haft oder ſchmachvoller Todes - ſtrafe DO ich vergeffe mich felbft! Anders fpräde mein Herz, heftiger bebete die Hand ftünde uicht fe, ach fle, au feiner Seite! Thor, dreifacher Thor, wilft Du Dein Herz mit Liebe füllen zu ihr? Darum alſo läfjeft Du den Haß gegen ihn ſchlum mern im Bufen, willſt Du, wie viele Andere, gehößnt, verſchmaht von ihr verſchmachten? Sie weinte, ba ic; flerben wollte; fo fagte der Diener. Es war das Mitleid; denn fie ift doch ein Weib. Jetzt, wo ich wieder febe, ftreift ihr Blick kalt an mir vorüber, und ihre Worte find ftolz und herzlos. Hüte Did vor ber Liebe zum Weibe! fprad; ber Oheim. Ach! ich fühle, bei Ihr bedarf ich zehnfacher Hut. Bielleicht ift es ſchon zu ſpãt; diefe Augen find Pfeile; one zu wollen, ſchwirren fie und dringen tief in das Herz. So ſteh' ich denn Hier geblendet, matt und bebend, zwiſchen Haß und Berföhnung, und den Arm, der mac) der töbtlichen Waffe greift, hält der andere ängſtlich und beſchwichtigend zurüd und firedt ihm aus zur Sühne O dumpfes Los, warum bin ich fo ohne Führer, ohne ſchutzenden Engel in das Leben geftellt! Warum mußte ich fie jehen, warum mußte ih jenen unſeligen Streit beginnen und gerade hierher gelangen! Fort! fort von hier, und das fogleih! Hinaus in eine Wilbniß! Dort will ich mich der Verzweiflung an bie Bruſt Tegen, bamit mein Buſen ſich wieder vollfauge und anſchwelle vom Haffe. Web’ mir Unglüdtihem, mir, dem Opfer freinber Schuld und fremder Leidenſchaft! Und bin id} nit ein ver- abſchenungswürdiger Heuchler, der ihnen dankend, grüßend, fegnend entgegentritt und ben Fluch im feinem Herzen hat? O ver-

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ſchließt, Ihr Armfeligen, zur Naht Eure Schlafgemächer ih lenne Einen, der ſich leicht hineinſchleicht und die Schlummernden morbet zur Sühne für Einen, der von Hentershand fill Kettet das Ungeheuer an, das Ihr beherbergt! Was Euch ein Lamın fcheint, if ein Tieger! Glaubt dem elle nicht! Be waffnet Euch! Lidmila! Warum ewig ihr Bild, warum ſtets diefer Gedanke an fie und warum, o Schichal, dies öftere Wieberfehen? Soll ic} gepeimigt werden wie Einer, ber durſtend das Rauſchen einer Duelle immer hört umb fie mie findet? Diefer Verſuchung bin ich nicht gewachſen! Graufames Geſchick, Du forderft ungeheure Opfer! O mein Ohelm, mein Obeim, warum Haft Du mid) in die Welt gejendet, warum ließeſt Du mid) nit in meiner Eindde, wo Niemand meine Schmach und meine Schmerzen kennt ? 1“

IH muß fort von bier fogleih, noch heut noch in Diefer Naht! Noch in dieſer Nacht?“ unterbrach er fi und flügte das ſorgenſchwere Haupt auf ben Arm, „und ohne Abſchied? Ohne Abſchied, weicher Thor! deun Abſchied nehmen heißt bleiben. Langer kann ich nicht Wohlthaten von Dem genießen, der mir das Heiligſte geflohlen! Und doch Hat er nur vergolten! Mein Bater ftahl ihm ja aud die Schwefler! Alſo ohne Abſchied. Ihr Sterne dort oben, Ihr goldenen Lilien im blauen felde, Ihr könnt fie grüßen ftatt meiner; bemm oft wohl bfiden ihre Augen zu Euch empor und grüßen Cuch ſchwe- ſterlich. Sagt Ihr Alles Alles, was Ihr vernommen, Mein Mund vermag es nit. Klagt ihr mein Leid, und lächelt fie and; darüber, fie hat es doch gehört, und es lebt in einer menſch- lichen Bruſt. Vielleicht weiht fie mir dereinft eine Thräne, wenn der Lebensernft fie uberſchattet. Aber wie Tann, wie fol ich fort mit dieſen bebenden, fiechen Gliedern, ohne Verkleidung, ohne Rob; bemn Tängft find die Verfolger Hinter mir her. Ich muß noch bleiben zwei, drei Tage noch Barren, bis meine

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Stunde ſchlagt und das Herz bricht. Und Du, falſches, heuchle- riſches Herz, Du jauchzeſt, daß ich bleibe, während mein Mund den Hinberniffen grolt! Aber wenn ich geſchieden bin, dann fol er es wiffen, men er beherbergt, gepflegt und geheilt! Die Erinnerung an feine That feige als bleiches Gefpenft vor ihm auf und pode drohend am fein reuiges Gewiffen! Neuhaus, ih ſchenke Dir jegt das Leben, und wir find quitt; bemm Dir bift jegt meiner Hand anheim gegeben, und ich könnte den Tod des Baters rächen. Aber id ſchone Deines Lebens, weil Du das meine gerettet, Bin ich erſt wieder draußen im Freien ſo grüß’ ih Did als Feind mit blanker Waffe. Verföhnung ‚predigt ber Heiland ; aber meine Pflicht will Haf und Verfolgung. Ich kann nicht anders; ich bin wie ein Kind, das von feiner Mutter das Brandmal geerbt Hat. Jene Zauberin fol mid nicht verlocken ich will ſtolz fein wie fie. Was fann ih ihr bieten, ihr die Glanz und Hoheit fon verſchmäht Hat? Nein, fie fol dies Herz nicht zertreten und nicht fieggemohnt lächeln, wenn es unter ihrem Fuße krampfhaft verblutet! Du aber, Bater über diefen funfelnden Sternen, der Du mid) durch Deinen unerforſchlichen Willen in diefes Labyrinth geführt, geleite mich gnädig wieber aus bdemfelben I“

Er wurde unterbrochen. Der Diener trat mit den Arm- leuten und dem Abendmahl herein. Vratislav ſprach wenig mit dem geſchwätzigen Greife; er that nicht, ale beachte er’s, ba der Diener erzählte: „Das Fräulein hörte ich jet eben zur Frau von Falkenberg fagen, daß Eure Rede, ja ber Ton Eurer Stimme ihr befonders gefallen habe, Sie meinte, baf fie Euch wohl für menſchenfeindlich, aber nicht für fo Hug gehalten.“

nSagte fie das? Gut!“ war Bratislav's Antwort, und er ftügte wie fchläfrig ben Kopf auf die Hand „Du Tannft aun gehen, lieber Lazarus; id; bin mübe, ich werde heut’ wenig genießen und bald mein Lager ſuchen. Wede mich bei Zeiten

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mergen id will in ben Garten hinab und bie Friſche des Jungen Tages genießen. Schlaf wohl!"

Der Diener ging.

Bratislav verharrte in feiner Stellung und feufzte, als Jener fi entfernt: „Mir wäre beffer, wenn ich ſchon dem ewigen Schlaf ſchliefe. Lidmila grauſam warft Du, wenn Du mid verſchmachten ließeſt. unter jenem Baume; noch graujamer bift Du, daß Du mid gerettet haft.“

Horch! da tönten die Saiten der Harfe wieder es war feine vafche, leichtfertige Weiſe eruſt, mild und ihre Stimme erhob ſich, quoll Herbor wie ein Teuchtender Springquell aus ber friſchen Bruſt. Sie fang ein Lieb nur die Zöne drangen her- anf, nicht die Worte aber der Gang bes Liedes war rührend, tlagend, bald voll und kräftig, bald wieder ſchmachtend fanft. Er ſchlich an das Feuſter und lauſchte mit gepreßtem Athen, Nur die Schlußmworte verftand er jet; fie lauteten:

„Ewig verloren mein irdiſches Gluck!“

So endete fie. Er wiederholte bumpf: „Ewig verloren mein irdiſches Glüdl“

& warf fi auf fein Lager. Mber keine duſtern Träume tamen, wie er gehofft er erwachte gelabt umd geftärkt, kaum daf die Sonne zwei Stunden wieder über ber Erde leuchtete.

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Es war am zweiten Morgen nach Bratislav’s volllommener Geueſung. Er ging im ber frühe allein duch den Garten, ber im funkelnden Thaue prangte. Als er um bie Ede nad dem

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Weiher bog, fah er Lidmila an den Stamm einer Trauerweide gelehnt. Sie farrte in die blaue Fiuth nieder, die zu ihren Füßen glänzte, und war regungslos. Sie trug ein ſchneewei · ßes Gewand, das rabendunkle Haar fiel geläft in langen, dichten Loden darüber hinab.

Er näherte fich ihr leife und trat dicht bei ihr Hart au's Ufer. Im Wafferfpiegel erblicte fie fein Bild fie fuhr er fredt zufammen, wandte fi gegen ihm und vief: „Ihr feid es, Herr von Branit?"

„Und flöre Euch,“ verſetzte Vratislav höflich grüßend, „wie ich fehe. Berzeiht und befehlt, daß ic; mid) entferne! benn was man nicht gerne thut, muß man fich gebieten laffen. Euer Sinn, jo einfam und ernfl, war wohl auf fchönern Fluren, in holberer Gemeinihaft, als bie meine. Ich werte, mein blafjes Antlig Hier im Waffer hat Euch erfchredt.”

„Ich erfchrede niemals," gab fie zur Antwort und ſah ihn mit den biendend glänzenden Augen frei und offen an, daf ihm die Glut durch die Abern riefelte. Da durchbühte ihm zugleich ber Gedanke: fie ift eine ber Holden Jungfrauen, von benen ich geträumt auf dem Berge Hinter Slihov bie mir bie Roſe reichte, ie, und glühende Nöthe färbte bei dieſem geiftigen Wiederfinden feine Wange. Er Hatte fie ſchon früher in feiner Seele gejehen, noch bevor fie fein Auge erblidt. Eine geheime Macht waltete über ihm er war ihr, von dieſer Hand be- ſtimmt, anheimgefallen.

„Noch immer zürme ih End," fuhr fie fort, „daß Ihr damals, als wir uns zuerft fahen, geflohen feid, wenn mich gleich ein Tädelnder Hohn, den id; erwartete, noch bitterer verbroffen hätte. Bin ich fo häßlich, daß Ihr fliehen mußtet ?

„Ihr ſcherzt, mein Fräulein,” verſetzte Vratielav mit Ber- wirrung; „ich hatte Euren Dank; worauf follte ich noch Barren?

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Vielleicht auf eine goldene Gabe aus Eures Oheims Hand, die er dem Manne in ſchilchter Meidung leicht zugemuthet hätte.“

„Ich Hab’ Euch nicht gedankt!” warf fie ein; „darin irrt Hr. Ih weiß «8 genau; ich fprah nur von dem Unfalle und entſchuldigte meine Ungefdidlicleit, nm Eurem Hohne vorzu- beugen. Doch meibifhe Furt und Angft Habt Ihr an mir nicht wahrgenommen. Ich zitterte wirklich micht. Doc recht! Da Ihr mi an den Dank erinnert, fo muß ich jegt ihm zollen, fol ich nit Eure Schuldnerin bleiben.“

„Ich bill’ End, Fräufein,“ unterbrach fie Bratislan, „ſchont meiner. Zu viel Dank für einen Heinen Dienft Mingt wie Hohn. Bin id End nicht verbunden ?“

„Ja, e8 ift wahr," fiel fie ein; „auch Ihr ſeid mir ver- pflichtet. Der Zufall führte mid an jene Stelle, wo Ihr ver- wundet Iagt; nun dankt auch ihm Mir Haben alfo abge- rechnet.“

„Ih wollt’, Ihr wäret länger in meiner Schuld,“ warf er ein, „ober ich ewig in der Curigen.“

„Zum Erftern kann Euch Rath werden,” äußerte fie mit leichtem Sinn, „wenn Euch fo viel baran liegt. Ich ftürze hier in den Weiher er ift tief; Ihr werdet, Ihr müßt mich retten.“

„Wer meiß!* entgegnete Vratislav.

„Ich wag’ es,“ wiederholte fie; „id fpringe hinein und will doch fehen, ob eig Ritter von Herz nnd guten Sitten Lib- mila von Rofenberg nicht aus dem Waffer Holt.“ Sie beugte fi) nad) diefen Worten vorwärts gegen den See.

Er faßte fie an ber Hand. „Den Muthwillen,“ fagte er, „würbe ic) vieleicht verachten, ber mich auf folde Probe ſtellt. Es ift nicht jungfränfid, mit dem Leben zu fpielen. Auch bin ich zu ſtolz, um es Binterher zu ertragen, daß Ihr mich Höhnt und mit Schreden muthwilligen Scherz getrieben.“

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„Ich glaub’, Ihr feid im mich verliebt, Ritter!" ſprach fie plöglid und heitete forfhend bie Blide auf ihn. Sie ließ ihre Hand in ber feinigen.

„Roc nicht,“ war feine Antwort, „und if, wie ich glaube, mein Kopf kräftiger, als mein Herz, fo werd' ich's mit Gott mie.“

„Mit Gott nie?“ wiederholte fie wie zürmend; „Ihr betet wie vor einem Unglüd wie der Sandmann vor bem Gewitter, das Hagel bringt. Die Artigteit muß bünm gefäet fein dort, wo Ihr zu Haufe.“

„Schon geftern legt’ ih Euch ein Geſtändniß ab,“ erwiederte er; „Ihr ſchient meine Aufrichtigfeit zu dulden.“

„Gut!“ fiel fie ein „aber fagt warum.“

„Weil Ihr den Stolz nur kennt,“ verfegte er, „und feine Ergebung. Ich. glaube, Ihr habt fein Herz, Fräulein.”

„O das fagten fie Ale, die ich verfchmähte,“ gegenredete Lidmila, „weil mein Herz zu gut war für fie Ich mag die Blume nicht, bie dort oben auf feifer Felswand blüht, weil ich fie mit Gefahr meines Lebens Holen müßte.“

„Sole harte Bedingung ift alſo an Euren Befig gefnüpft ?* fragte er.

„Das nicht,“ lachte fie „mein Gleichniß war ſchlecht und nicht beſcheiden. Man ſoll mir gefallen; dieß iſt das ein- ige Bedingniß. Und jene mißftelen mir.“

„Die Uuglücklichen!“ bemerkte Bratislan ; „o fpottet ihrer nicht, daß fie nad) dem Höchſten geftvebt. Der Muth if’e, der den Wunſch adelt. Ihr habt den Stachel in ihre Bruft gebrüdt. Haben fie wahr geliebt, fo bleibt ihnen der Schmerz ewig.

„Nein, nein!“ wiberfprad fie, „Ihr irrt; fie ſpotten jegt meiner, haffen und verläumben mic.“

„Doch keun' ih Einen,“ fagte Vratislav, „und nenn’ ihn Freund, der noch mie um Eure Gunft gebuhlt, und als ih Cuch zum zweiten Male ſah, ausrief: Wäre do der Engel mein,

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König wähnte ih zu fein! Gr if zu ebel; er würde felbft ver- Ihmäht Enrer nicht fpotten.”

„Seid Ihr e8 felbft ?“ lachte fie.

„Wenigſtens würde ich mich mühen,“ antwortete Vratislav, „em Edelmuth ihm gleihzulommen. Den geliebten Gegenftand, den man nicht befigen fann, muß man beweinen wie einen Zodten, und er frifcht fein Angebenten immer noch lebendiger anf, als ein Geftorbener ! man kann ihn ſchwerer vergeffen.“

„Noch eine Frage!“ unterbrach fie plöglich feine Rede und 308 ihre Hand zurüd, welde fie bisher in ber feinigen gelaſſen; „warum bverbargt Ihr Euch damals, als Ihr mich zum zweiten Male jahet? Es war nahe am Earofinum; Ihr ſtandet im Kreife mehrerer Junker. Ich Hab’ Euch wohl erſpäht.“

„Ich mochte mich nicht vorbrängen,“ verfete er, „um nicht zu feinen, als wolle ich einen Gruß erhafhen zum Zeichen der Exfenntlicfeit. Doch warum faht Ihr fo flarr nad) mir?“

„Nicht Ihr ich mußte nah Ench forſchen,“ entgeg- nete Libmila, „da ih Euch ſchuldig war. Euer ängſtliches Ber- bergen zeigte nicht von Muth. Mas Habt Ihr zu befahren einer ſchwachen Jungfrau gegenüber ?"

„Wüßten die Schmetterlinge,” bemerkte er, „daß fie ihre Flügel verfengen, wenn fie fi der Flamme nähern, fie flögen nicht fo geblendet nad} dem hellen Scheine. Ich weiß es aber; Ihr feid eine ftarke Jungfrau mit einem männlichen Willen.“

„D wär' id ein Mann!“ rief fie; „ic Habe den Wunſch fon taufendmal gehegt; ich würbe dann Euer Freund und zöge mit End; auf Abenteuer dur die Welt.”

„DO wuünſcht das nicht!“ gegenrebete er; „bleibt in dem Kreife Holder Weiblichkeit, den Euch die Natur angewiefen. Glaubt mir, das Weib kann fegensreicher wirken, als der Mann. Sie iſt ber milde, verföhnende Engel, der dem Irrenden zur Geite ſteht. Sie iſt nnendlich groß ale Weib, ale Mutter. Bon ihr

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geht die Liebe aus, bie die Welt bindet, die Frieden fliftet und Duldung predigt. Im ftillen Haufe übt fie Thaten, jhöner und größer, als der Mann auf dem Schlachtfelde; fie bildet Herzen, wedt ben Sinn ber Frömmigkeit, lehrt das Leben ale ein Hei» liges Gut achten und gründet Glauben und Bertranen in den Gemüthern. Wie traurig, wenn nur Wunden geſchlagen würden, wenn e8 feine Hände gäbe, bie fte wieder heilen! Der Menſch wird erſt volfommen durd; die Bereinigung ber Geſchlechter; einzeln und abgefchlofien ift er ein Halbes Geſchöpf, das ben Himmel nur halb in feinem Bufen trägt, bie Hölle oftmals. ganz. Nehmt biejen Wunſch zurüd und ſchmäht nit Euer Los. Ein gütiger Gott hat Euch mit reicher Hand feine Gaben geipendet: Anmuth, Schönheit, Jugend, Geiſt, Stand und Reichthum. Ihr tönnt beglüden, während ein Anderer nur beglüdt werden kann, und die Beglüdenden find die Seligeren. Werbet dereinft Gattin, werdet Mutter und erfület fo den erhabenen Beruf des Schöpfer; im Glüde Anderer, das Ihr bereitet, werdet Ihr felbft ben höch- ſten Lohn finden.“

„Wär ih ein Mann und Ihr wär't ein Weib,“ verfegte fie, „ich konnte Euch vielleit lieben.“

„Bin ich fo weibiſch gefinnt?“ fragte Vratislav ſtreng.

„Das nicht! Doch Ihr ſeid ernſt,“ war ihre Autwort, „und ein ernſtes Weib, das fühle ich, würd’ ich lieben. Ich fol, meint Ihr wohl, wie eine Rebe mid um eine Ulme ſchließen, fol den zweiten Plag einnehmen im Leben, foll die untergeord- nete Hausfrau fpielen, während der Gatte Thaten bes Glanzes übt in der Welt, fol mit dieſem Drange zu wirken in der Ein- famtfeit verſchmachten um eines armfeligen, ftillen Ruhmes willen, den Niemand kenut, weil er nicht über die Schwelle meines Haufes reiht? Nein! ih wil frei und felbfiftändig da ſtehen im Leben und aud meine Kraft prüfen. Es Hat and große Weiber gegeben; denkt an Libuda und Wlaſt a. Ein hoher

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Sinn Iebt in ums nicht minder, als in Cuch; ber Standpunkt wedt ihn, und warum foll das Meib ausgeidloffen fein von dem Pforten des Ruhmes ?“

„O firebt nit darnach!“ ſprach Vratislav Herzlich; „das wahre Glüd wohnt einzig in der Menſchenbruſt. Der Gott, der uch Weib werden ließ, verlangt auch die Erfüllung ber weibli- Gen Bflihten von Euch. Bleibt, was Ihr feid, an Anmuth reich, eine milde Spenderin vielen Glüdes.“

„Ich muß wohl, da id; es ſchon Bin!“ entgegnete fie und reichte ihm bie Hand. Er führte fie am feine Lippen umb Heftete einen glühenden Kuß darauf. Sie verbarg eine fichtliche Bewegung.

„Und wenn ber freibrief für Euch erſcheint,“ fragte fie nad) einer Weile, „fo verlaßt Ihr uns wohl bald und kehrt nach Prag zurüd? Dann wird e8 hier recht einfam fein! Wär’ es fein Opfer filr Euch, fo wünfchte ih, Ihr bfiebt den Sommer no bei ung. Den Winter find wir wieder in Prag; barauf freue ich mid.“

„Weil Ihr dort Siege feiert!” warf ber Ritter ein.

„So leichte Siege lohnen nit!" entgegnete fie, verließ ihre Stelle und ſchritt an ber Hand des Mitters nach dem Schloſſe zurüd.

12.

Es war Abend, und Vratislav ſaß finnend in feinem Ge- made. Der Entſchluß zu flchen, ohne eine Antwort bon Prag abzuwarten, war in ihm zur Reife gediehen. Cr mußte fort, das fühlte er; die Pflicht gebot es und die Sorge um fein eigenes Heil. Schon zu tief Hatte bie Liebe zu ber ſchönen,

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ſpröden Lidmila Wurzel in feinem Kerzen gefaßt; fon jegt war es ibm ſchwer, fi loszureißen. Nod einen Augenblick, und es war zu fpät; er war für ewig gefettet, oder fein Herz mußte verbiuten. Sie liebt Dich nicht! geftand er fi ſelbſt; fie wird Did nie lieben denn fie liebt Keinen! Verſchmäht würdeft Dir unglüdfeliger fein, als jegt. Beffer dieſe Ungewißheit! Die Zeit wird auch biefe Wunde heilen. Hart ift die Prüfung; aber mein Wille fol erftarken, indem ich mich ſelbſt befämpfe. Mein Oheim Cyrillus Ihr Habt dem verlorenen Sohn wieder! Die Liebe will er mit bem neuen Haſſe erfliden, vom Haupte fi felbft den Kranz reifen und die Blumen in dem Staub treten. Thörichtes Herz! Ich, der Gebranbmarften Einer, follte Anwartſchaft auf ihre Hand gewinnen Lönnen, jollte vor einem Neuhaus beſtehen? Und doc ift er mein Oheim! Die Schmad), die er mir bereitet, fällt auf ihm zurüd. Aber ich gehe! Und fpäter foll ein Fluch es ihm fagen, wen er be herbergt hat; er fol zittern vor dem Meffen, vor deſſen Bater er nicht bebte. Geift meiner Mutter! e8 war Dein Wille nicht, daß fo bintige Radhe an Dem genommen wurde, ber Dir vielleicht Böfes gethan, Dich aber doch geliebt Hat! Morgen will ih fort; morgen muß id) fort, weit weg von Bier. Meine Freunde werben beforgt fein, weil ich Feine Kunde von mir ge- geben. Ich muß wiflen, ob Spanberg noch lebt, ob ich ferner im Baterlande bleiben, ob ich es ewig meiden fol. Noch einmal will ich fie fehen. Doc nein, nein! fie feſſelt mich wie- der, umb ich vergeffe treulos meinen Schwur. Ich fehe fie nie wieder! Warum dies Bild in einem Gedächtniß erneuern? Bin ich doch elend genug! Aber ihr, der Hohen Frau, die mein Herz mit kindlicher Verehrung fült, möcht id nod; einmal Worte des Danfes fagen, möchte weinend an ihren Buſen finken, ihre Hand mit Küffen bebeden! Es Tann nicht fein id muß heimlich fort fie follen meine Spur nicht finden!“

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Der alte Lazarus, welcher erſchien, unterbrach ihn in feinem Nachſinnen.

„Jetzt raſch zur That!“ ſagte Bratislav, indem er aufftand, den Greis an ber Hand faßte nnd im zutraulichen Tone begamm:

„Lazar, Du Haft mir gefagt, daß Du mic, liebſt wie einem Sohn, und Du liebſt mid gewiß; denn Du alter Mann haft Dir den Schlaf abgedarbt, Haft Nächte lang beforgt an meinen Lager getvacht, Haft Geduld und Nachſicht mit den daunen des Kranken gehabt, Haft Di gemüht, ein Dir fremdes Leben zu retten. Höre meine Bitte, thu' noch mehr an mir, rette mehr als mein Leben, rette meine Seligkeit l“

Mein Gott, gnädiger Herr!“ fiel der Diener ein, „was iſt Euch? Kömmt das böfe Fieber wieder? Ober laſtet Gram anf Eurem Herzen und bedürft Ihr des Troſtes eines Prieftere? Soll ich der Hohen Herrſchaft“

„Nichts von alle dem!“ unterbrach ihn der Ritter „Du allein folft mein Priefter, mein Retter, mein Befreier fein. IH muß fort von hier frage nicht warum; aber ih will Deine Knie umllommern und Dich fo lange anflehen, bis Du es mir gewährft. Ich muß fort; Iaf mid) fliehen, mod) in tommender Naht! Schaf mir ein Roß und eine andere Tracht bier ift Geld. Aber fein Wort komme über Deine Lippen, willſt Du mich nicht grenzenlos elend machen !“

„Nein, hoher Herr,“ antwortete Lazar,“ das geht nicht fo an. Ohne Erlaubniß des Burgheren darf und Lan id) das nicht. Und warum wollt Ihr nicht bleiben? Ober warum wollt Ihr nicht wenigſtens Abſchied nehmen? Liebt man Euch doch Bier wie einen Sohn des Haufes! Wenn ich unten fo bei Seite lau⸗ ſche, if} immer die Rede von End, und jedes Wort ift Eures Lobes voll. Wehe mir, wenn ich das .thäte! Was würde bie Herrihaft von mir benfen? Welde Strafe würde ich erdulden

Herloßfobn: Der legte Taborit. I. 14

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müffen? Noch feid Ihr zudem frauf; kaum Könnt Ihr Euch auf dem Roffe Halten. Wenn nun das Fieber wieberfäme und Ihr wäret allein, ohne Begleitung, ohne Hilfreiche Hand. im freien? Der Burgherr fagte noch vor wenig Tagen: Lazar, fagte er, "wenn Dir Dein Glüd und meine Gnade lieb if, fo verfäume nichts in der Pflege des fremden Ritters. Behandle ihn fo, ale wär’ er mein Sohn. Das fagte er. Und id follte jetzt biefem felben Nitter behilflich fein, heimlich zu fliehen, und dadurch Trauer über. diefes edle Haus bringen ?“

„Mein alter freund, mein Wohlthäter,“ flehte Vratislav, höre mich! Rettet mich Deine Hand nicht, fo bin ich verloren! Ein ſchreckliches Geheimnig wohnt in dieſer Bruſt. Bin ih noch länger in biefem Schloffe, fo ift mein Leben, das Leben Deines Gebieters gefährdet. Ich lan, beim ewigen Gott! nicht bleiben und kanu wicht Abſchied nehmen; mein Herz müßte ja brechen. Die Zukunft wird es lehren, daß ich fliehen mußte; Du wirft mir es felbft Dank wiflen, daß id Did; bewogen, Schreclliches zu verhüten. Du kennſt mid nicht; aber Du liebſt mid, dennoch. Glaubft Du, ich könne undankbar fein ohne Roth? Glaubft Du, diefe ſchreclliche Angft würde meine Bruft ohne Grund erfüllen? Bin ic doch Hier gehegt und gepflegt wie ein Glied der Familie! Warum follte ich aljo fliehen, wenn nidt ein ſchrecliches Ereigniß im Hintergrunde wäre, dem id; entgehen, das ich vermeiden will? Zwingſt Du mich zu bleiben, fo tödteft Du mid. Ic habe bier feine Seele, ber ich mid anvertrauen Lönnte, als Dig. Stoß Du mid nit von Dir hilf einem Unglädlihen, ber auf der weiten Welt feinen Verwandten unb jegt auch feinen Freund zur Seite Hat! Ich ſpreche nicht im Fieberwahn ich bin bei Marer, Heller Befinnung id bin gefund und Träftig genug, ein Roß zu befteigen. Haft Du vergeffen, in weldem Zuftande id im dieſes Schloß kam? Nein! Du Haft den ferbenden, bleichen Mann geſehen. Bin ih es

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ohne Noth geworden? Muß bier nicht ein bintiges Geheimniß zum Grunde liegen Pr

„Ih Habe es zwar ſchon bedacht,“ warf Lazar ein, „daß mit Euch etwas Abfonderliches vorgefallen fein muß, als fie Cuch mit der Kopfwunde braten. Aber bier feid Ihr fiher und wohl aufgehoben; mein Herr läßt ‚eher das Leben, als daß er Eud Euren etwaigen Berfolgern auslieferte. Deshalb aljo braucht Ihr nicht zu fliehen, und habt Ihr etwas auf dem Herzen, fo entdedt Euch dem Herrn von Neuhaus; er ift ein edler Mann, viel geprüft und erfahren, der in jedem ſchwierigen Galle Rath weiß.”

„Willſt Du mid raſend machen, alter Mann?“ fiel Bra- tislav heftig ein; rührt Dich meine Seelenangft nicht? Hatteſt Du dod mit dem Todten Mitleid und erbarmft Di des Le— benden nit? Noch einmal beſchwöre ih Did, ſchaff mir ein Roß und Kleider, laß mic heimlich entfliehen! Wald kehre ich vielleicht wieder und bdanf es Dir mit taufend heißen Zähren.“

„Ia, wenn ih wüßte, daß Ihr wiederfämet,“ erwog ber Alte, „und die Herrichaft wieder gutmachtet, fo könnt' ich's Euch doch verſprechen, obgleich es ſchlecht von mir gehandelt if, meine Gebieter zu täuſchen unb zu betrüben.“

« „Sie werden Dir nicht zürnen,“ beſchwichtigte VBratislav, wenn fie erft mein Geheimnig kennen; fie werden es billigen, daß ich ohne Abſchied gegangen bin, und dereinft mid) verföhnt wieder empfangen. Zaudre nicht, guter Greis! Hier nimm bie Hälfte meines Geldes und ſchaff' mir ein Roß zur Stelle. Am Ausgange ber Burg, bei jenem Erlenbuſche Harrft Du morgen Nachts mein, wenn «6 zwölf Uhr fehlägt. Ich Tomme und fgeide von Dir mit einem Herzen vol Dank und dem feflen Willen, Dir einmal zu vergelten! Widerfprid nicht, Halte mich nicht auf durch Zweifel und Beforgniß! Schweig um Gotteswillen ! fonft find wir Alle elend.“

14*

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Mein edler Here!” fagte jet ber Alte und trodnete ſich die Augen, „es muß in ber That etwas GSeltfames im Hinter grunde fein, weil Ihr Euch fo Angftlih und betrübt geberbet. Bei Gott! ih ſeh' Euch ungern ſcheiden; mir fällt es gerabe fo aufs Herz, wie damals, als vor vielen Jahren mein einziger Sohn mit den Huffitenkriegern davonzog. Ich bat und flehte; er ließ ſich aber nicht Halten. Er ging ich habe nie wieder etwas von ihm gehört. Gerade fo ift mir jegt zu Muthe. Doch ich jehe ſchon ih muß Euch doch gehorchen id kaun nit länger wiberfireben. Es ſei! Alfo morgen Nachts zwölf Uhr wollt Ihr reifen? Ich werd’ Euch einen Schlüffel bringen, ber bier die ganze Reihe Gemäcer aufſchließt. Das legte führt zu einer offenen Treppe, die in ben Garten hinab» geht. Ihr kennt den Weg zum Geitenpförtlin bort harı’ ih Euer. Bei dem Uebrigen wird Gott walten. Alſo heut’ ſchlummert Ihr zum legten Male in biefem Gemache? Ih werde mic) recht einfam fühlen, wenn Ihr erſt fort ſeid. Mie Ihr noch hier fchlieft, da hatte ich an Euch zu denken ; ich forgte immer, daß Euch nichts Trauriges widerfahre, und bie Sorge machte mir freude. Das ift nun aud vorüber! Ich dachte mir's heimlich fhon fo aus Ihr würdet nämlich hier bleiben, würdet ber Gatte bes Fräuleins werden, und freude und Luft ſollte wieber Herrfchen in dem betrübten Haufe.“

„O ſchweig davon!“ bat Vratislav; „mehre nit meinen Kummer, ſprich nicht vom dem Undenfbaren! Denke daran, mir fier und beftimmt zu Helfen.“

„Ich will es ja, Herr!“ verfegte Lazar, „weil es ſchon ein- mal fo fein muß, Am Pförtlein erwart ich Euch mit einem gesäumten Roſſe und gefeite Euch eine Strece weit, bis auf die Straße, bie gen Melnit führt.“

„Ganz recht!“ fiel Vratislav ein, „nah Melnit muß id

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vorerſt; doch verfchweig’ es, damit Niemand meiner Spur folge. Schlaf wohl und bete für mid, daß Alles wohl gelinge 1“

„Der Heiland behüte Euch!“ erwieberte ber Diener und entfernte ſich.

Bratislav war dem ganzen Tag, Unwohlſein vorſchützend, anf feinem Gemache geblieben. Die Mitternahteftunde näherte fid der Himmel war umſchleiert nur Bier und da fah ein matt leuchtender Stern durch ſchwerhinziehendes Gewölt her- vor. Die Wade machte durch den Hof bie Runde; ihr Fußtritt irete auf den Gteinplatten. Sonft war Alles ruhig fein Harfenfpiel tönte herauf. Sie ſchienen ſchon in den Armen des Schlafes zu liegen. Bratislav hüllte fich im feine Kleider, befte- hend ans einem braunen Wamms und großen, ſchwarzen Hute. Er nahm den Schlüffel, verbarg den Reſt des Goldes im feiner Taſche und brach auf.

Noch einmal überblicte er das traute Gemach, fein Schmer- zenslager, wo ihn Träume gepeinigt und erfreut, biefe Wände, welche feine klagende Rede belauſcht, und fagte ihnen mit gepreh- tem Herzen Lebewohl. Er öffnete ſachte bie Ihre und ſchlich auf ben Zehen durch das Gemach zur nädften. Ein matter Schein aus dem enfler des Wartthurmes fiel in den Saal, durch melden jet Vratislav wandelte. Gein Auge erblidte im büftern Umriffen Bilder an ben Wänden. Es war der Ahnenfaal. Ueber einem Bilde, es war das Conterfei einer ran, hing ein ſchwarzer Schleier; aber die Züge Tonnte er nicht erkeunen in ber Dämmerung. Ein Gedanke durchblitzte ihn. „Meine Mutter!” rief er Teife und ſank in bie Knie vor bem Bilde, „gewiß meine Mutter! Ih fühl es an der Ahnung, die mein Herz beſchleicht. O fegne mid, meine Mutter, zu der neuen Irrfahrt, leite Dein Kind durch die Gefahren, fei ihm ein milder Stern in fürmifcher Nacht, ungelannte, Heißgefiebte Mutter!“

Es ſchlug zwölf vom Thurme. Der Ton durchſchauerte

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ihn; er fprang auf, öffnete die nächſte Thüre, durchſchritt das Gemach nnd gelangte fo bis an das legte Zimmer. Angfbe- Hommen, mit hodfopfendem Buſen drehte er den Schlüfſel im Schloffe und öffnete. Heller Glanz umgab ihn feine Sinne wollten ſchwinden. Neuhaus vertrat ihm den Weg; an feiner Seite ftanden Lidmila und die Dame von Falkenberg.

Bratislav fand vernichtet fill.

„Alſo wirklich if’e, mas ich nit glauben konnte?“ rief Neuhaus und ſah dem Bebenden feft in's Antlig.

„Razar Lazar, Du haft mid verrathen!“ ſprach Brati- ſlav mit zitternder Stimme. „Heiliger Gott, warum dieſes letzte Schrecliche

„Gut, daß er's that!“ verſetzte Neuhaus ernſt, doch ohne Bitterteit. „Dem Gaſte ziemt ein Abſchiedewort. Wolltet Ihr es Euch auch erſparen, fo konnten wir's doch nicht, weil wir die Sitte ehren, die dem Menſchen heilig if.“

„D fragt mid) nicht, um Gotteswillen nicht!” flehte Brati- flav und verhülfte fein Anttig.

„Ihr flieht nicht!“ baten cinftimmig die Frauen! „Ihr bleibt bei uns noch feid Ihr ja krant, und Sicherheit und Rettung kann Euch nur hier werden.“

„Ich verbürge mein Leben für das Eure, junger Mann,“ ſprach Neuhaus; „genügt Euch dies Wort?“

„Rein, nein!“ wehllagte Bratislav, „um Gottes Barmher- zigfeit willen laßt mich ziehen! Noch kam das ſchredliche Wort nicht über meine Lippen, das Euch erbleihen macht. Laßt mich! Ihr habt mein Gehen nicht zu bemeinen, wohl aber mein Bleiben, mein Wiederfommen. Wit Ihr, wen Ihr beherbergt? Einen jungen Tiger in gleißneriſcher Tracht, der nad Eurem Beute lechzt. Laßt feine Wuth nicht ausbrechen, reizt ihm nicht! Ja verfludt die treue Sitte des Gaſtrechtes, die mich Euch zugeführt, taufendmal, und Ihr thut vecht daran. O fähet Ihr

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mid in meiner eigenen Geſtalt, Ihr würdet Wehe über mid, über End) rufen. Glaubt Ihr, die Art des Scheidens fei füß für mid? Nein! mir ziemt es, wie ein Dieb zw ſcheiden.“

„Ihr feib noch krank.“ ſprach jeht Frau von altenberg und ergriff feine Hand; „Euer Zuftand betrübt uns. Wir Haben Euch geliebt wie einen Sohn umfers Haufes. Unfre Pflege Hat Euch dem Leben wiedergegeben. Sollen wir uns nicht länger unfers Wirfens freuen ?"

„Richt diefen rührenden, flehenden Ton!“ bat Bratislan; „nicht Ihr mögt zu mir fprechen. O Euch kann die Seele nicht widerſtreben, und das Herz muß fich blutend im zwei Hälften fpalten. Berlaugt nichts von mir, laßt mich gehen! Ihr werdet den Wunſch verfluchen, wenn ich ſpreche, wie Ihr wollt.“

„Sagt es frei Heraus,” forderte Neuhaus, „mas es auch immer fei. Unfer feierlich Wort darauf, daß wir Euer Geheimniß ehren! Habt Ihr das Schlimmfte uns doch ſchon vertraut, was . Ener Leben gefährdet; Gin Größeres kann's nicht geben. Was treibt Euch heimlich fort von hier, wie Einen, der fein gutes Gewiffen hat? Dann mögt Ihr ziehen, wenn wir's erwogen haben, daß es Euch frommt. Wir haben ein Recht auf Euch und Ihr eine Pfliht gegen uns: die Danfbarteit. Dies läßt mid) fordern, wo Bitten nicht Hilft.”

„O ſprecht, Ritter,“ ſtimmte die Dame von Falkenberg ein, „ir Tonnen Euch nicht Iaffen; denn Ihr ſcheint uns ein Fieber kranker zu fein.”

„Nein, nein!” rief Vratislav. „Beim ewigen Gott! ich fehe Hell genug, um am erfennen, daß dieſe Stunde mit Blut enden muß ober mit ſchrecklicher Betrübniß. Laßt mic fort! Das Wort Tiegt wie ein ſchlummernder Löwe auf der Zunge. Wedt ihm nicht; er zerfleiſcht Euch.“

„Wedt felbft biefen Löwen!“ gebot herriſch der von Neu haus; „mein Schwert hier wehrt Cuch den Ausgang. Ihr fhän-

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bet mein Haus umb feinen Frieden durch Eure heimliche Flucht. Die Scqhmach erduld' ich mit! Ihr feib ein unglüdtiher Ge- achteter; ich hab’ Euch Schutz verfproden. Kein Mund foll fa gen, ich habe Verrath beſchloſſen mit End, habe mein Mort gebroßen, Habe Kuudſchafter gerufen, um Euch Euren Hentern zu übergeben! Redet ich will es fo, und märe das Wort ein Verdammungsurtheil über mich, geiproden vom züruenben Weltenrichter 1"

„Wollt Ihr es alfo? Dann in bes Höllenrichters Na- men wohl!” ſchrie Vratislav außer fi; „hört denn, Hört, und wenn Ihr nicht erbleicht, fo will ih mir den Stahl Bier felbft in die Bruft bohren! Ich bin Bratislav von Techtic, Eurer Schweſter Sohn, und der Sohn des Mannes, ben Ihr gefangen, um ihn den Henkern zu überliefern! Ich bin von feinen Rädern gefendet, Ener Blut für fein unſchuldig vergoffenes

. Blut zu fordern. Lacht, Herr vom Neuhaus, jubelt wehrt mir den Eingang; erft aber gebt mir den Mater wieder!“ Er ſtand aufrecht bei diefen Worten, das Haupt flolz gehoben, das Antlig geröthet, die Augen funkelnd.

Mit einem. durchdringenden Schrei bes Entſetzeus fürzte die Dame von Falfenberg ohnmachtig nieber; weinend beugte ſich ibmila über fie.

Neubaus fand vernichtet, das Schwert war feiner Hand entglitten er Öffnete die Arme und lief fie mit den Morten: Wehe! Wehe! der Sohn meiner Schwefter!“ nieberfinten.

„Der Euer Blut nimmt, bleibt er noch länger!” fiel Bra- tislav mit ſchrecklicher Kälte ein.

„Fahrt wohl!" ſprach Vratislav mad einer Pauſe vol ſchredlicher Stille; „doch leiht mir Euer Schwert erſt ih bin waffenlos, nehmt mein’s dafür, das id Euch zurüdiaffe. Fordre ich einft mit ihm Euer Leben, fo erkennt Ihr vielleicht den eige- neu Stahl, mit dem Ihr den Vater befiegt I”

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Er ſchritt nach diefen Worten ftolz durch das Gemad bie Treppe in den Garten hinab. Hinter ihm verharrte die Gruppe bewegungslos. Kaum gemahrte aber Lidmila feine Entfernung, fo fprang fie auf, Mürzte fort, ihm nad.

Ihr Gewand flatterte in der Rachtluft, ſie flog durch die Gänge; nahe am Weiher erreichte fie ihn und umfchlang ihn wie rafend mit beiden Armen. „Bleib bleib! Um Gottes- willen bleib, Vratislav!“ rief fie flodend und mit athemlofer Bruft. „IH Habe mod zu feinem Manne gefieht; ich flehe zu Dir. IH will Deine Knie umklammern, ich will Deinen Tritt dulden, ich will fanft fein wie ein bettelndes Weib. Ich geſtehe Dir, was id) nod) Keinem geftanden. Ich liebe Dich, Vratislav, ich liebe Di) mehr als meine Seele, als meinen Gott, mehr ale meine Seligfeit. Da Du biiebft, konnte ich ſchweigen; jet, wo Du fheiden willſt, ift mein Stolz gebrochen. Ich kann ohne Did) nicht leben ic folge Dir in die weite Welt. Ich liebe Did mit aller Gewalt meiner Träftigen Seele ich will Deine Dienerin fein, zu Deinen Füßen will ich effen, an Deiner Schwelle mein Lager aufſchlagen. Verlaß mich nit! Meine Xiebe ift eine Löwin fle wird Dich ermürgen, wenn Du ihr wiberfireb. Ic fan nicht mehr!“

Sie umſchlang bei diefen Worten feinen Hals und brüdte brennende Küffe auf feinen Mund; ihre Locken umflatterten feine Bangen, ihr Bufen pochte gewaltig an feiner Bruſt.

„Unglüdtiges Mädden!“ verfegte er mit fürchterlicher Kälte, „hof Du gehört, daß zwiſchen Todfeinden, welche nur Blut ſehen wollen, Ehen gefchloffen werben? Soll id; auf dem Grabhügel meines ermordeten Waters, defien Arm daraus hervorragt und mich zur Made mahnt, mein Beilager feiern? Weine Dich aus, geh’ in Deine Zelle. Laß den Mann feine Bahn verfolgen; Du biſt dod nur ein Weib!"

„9a, id bin ein Weib,“ vief fie aufer fi, „ein liebendes

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Weib, ein raſendes Weib! Ich will nur ein Weib fein. Ich will Dich verfenten in ein Meer von Liebe. Mein Leben fer ein ewiges Lächeln, jedes meiner Worte ein Kuß, mein Bufen fei Dein Pfühl, mein Ange Dein Himmel, meine Nächte feien. ein fletes Wachen, nur Dir geweiht, und mein Leben Dein Anblick!“

Und böteſt Du mir eine Königskrone,“ verſetzte Vratislav und ſuchte ſich loszuwinden, „und wohnte bie Seligkeit des Him- wel in Deinen Armen, ic fönnte dennoch nicht der, Deinige werden. ine breite Kluft trennt uns, angefüllt mit Blut. Nähere Dih nicht dem Rande, damit Du Dein ſchneeweißes Gewand, Deine zarte Haut damit nicht befledeft !“

„D Du weißt nit, Du kalter, herzloſer Menſch,“ fiel fie ein und prefte ihm Beftiger an fi, „was Siebe if, und wie ein Weib lieben kann! Alle Schmach, allen Hohn will id von Dir ertragen, will meinen Stolz in den Staub treten, wie ih ihn jetzt ſchon gebengt habe, will mehr eine Dienerin fein, ale Deine Gattin; nur werde mein! Was ift mir aller Glanz, aller Ruhm der Erde, von dem ich thöricht träumte, ohne Deinen Beſitz? IH will wieder gutmaden an Dir, was mein Oheim an Deinem Vater geſündigt; bie Liebe foll den Todten entfühnen, und feine Rache wird verftummen vor ihrem Götterworte! Nur liebe mich wieder, reiß Did) nit los vom mir, bieib! Leih" mir nur eine Hoffnung nur einen Halm reiche der Sinkenden! Bin ich denn jo elend, fo verächtlich, fo entftellt an Leib und Geiſt, dag ich Di nicht rühre ſelbſt in der Ermiebrigung? O id) hätt’ dor kurzer Feift noch eher den Tod gewählt, als dieſen Play der Bettlerin an Deinem Herzen! Id kann nicht leben ohne Dih die Erde die weite Welt, der Himmel ift mir Teer, nichtig, öde ohne Did, mein Vratislav! Stoß mi nicht zurüd, Du machſt mic grenzenlos elend! Ja, id bin ein mannlich Weib! Zweifelft Du nod an meinem ſtarken Sinn?

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Riefengroß, wie kaum im eines Mannes Bruft if meine Leiden« ſchaft erhöre fiel O bedenke, daß ih, jetzt verſtoßen, für eig Dich Haffen werde, daß dieſe Liebesglut in Zorneswuth fich verwandeln wird, daß dieſer Augenblid im Leben nie wiederkehrt, und daß fortan dieſe ſchmerzentſtellten Züge. Dir nie wieder lädeln werben, und kuieteſt Du auch Jahre lang zu meinen Füßen "

Armes Mädchen!“ fagte er bebend, doch froſtig, „iene Schredensbotfhaft hat Dich erihüttert und Deinen Sinn bethört. Weil Du mich nicht erringen kannſt, willft Du mich befigen, ertrogen das Unerreichbare. Rieſengroß und bintgefärbt fieht das Schickſal zwiſchen uns, und mein Herz begehrt Deiner micht. Leb' wohl, beglüde einen Andern, fei fein treues Weib, gebär’ ihm Kinder und ſchaff ihnen ein befferes Los als Dir geworden! 2eb’ wohl!“

„Vratislav!“ ſchrie fie jegt mit herzzerſchneidenden Tönen, „ſcheide nicht, bleib bei mir! &o Hat noch fein Meib geliebt, wie ich Die) liebe! Stößeft Du mich zurüd von Dir, fliehft Du wirktic) ohne Troß, ohne Hoffnung einer Gewährung, flieht das Wort der Liebe nicht von Deinen Lippen, fo nehmen mich dort die Fluthen des Weihers auf und begraben meinen Schmerz, meine Liebe, meine Schande!”

„Stürze Dich im jene Fluthen, Holdes, ſchönes Weib!" ſprach er und wand ſich 108; „dann haft Du mid an Deinem Oheim gerät! Gr hat feinen Vater, feinen Sohn mehr, nur Dich, die er über Ales liebt. Ich Könnte Dich töbten, ich könnte ihm die ſchöne blutige Leiche hier zurücllaſſen als Abſchiedsgruß und Geſchenk; aber ich töbte fein Weib. Stürze Dih in den Ger; er wird feine Haare ausranfen und Thränen ohne Zahl meinen, und ich werde frohloden dabei !*

& riß ſich 109; fie fant ohnmächtig nieder. Er eilte aus dem Garten. Lazar hielt vor dem Pförthen mit dem

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Roffe. „Alſo wirtlich ?" fragte er erflannt; „ih war nicht darauf gefaßt.”

„Schurkiſcher Verräther !“ donnerte ihn Vratislav an, indem er fih in den Sattel ſchwang, „geh' hinein in's Schloß und fieh’, welchen Feiertag Deine Geſchwätzigkeit bereitet! Sieh nad dem Weiher, und ſchwimmt Lidmila's Leiche darauf, fo bring’ ihr eine Thräne, die letzte Thräne, ſchmerzhaft und Bitter aus der wunden Bruft geweint. Wir fehen uns wieder, aber fürd- terlicher als jegt I

Er fehte dem Roſſe die Sporen ein und jagte wie ber Sturmwind in die Ebene. Der Wind braufte, ſchwarze Wollen zogen am Himmel bin; der Ritter ſauſte wie raſend auf feinem Roffe hin, ſchwang das blanke Schwert in der Hand nnd fang ſchauerlich den Schluß eines alten Liedes in die Nacht Kinein, welches lautete:

Bas ich liebe, kann ich nicht befigen; „Barum foll da Ieben, was ich haffe?

Lidmila erhob fi nad einer Weile er war fort fie ſtarrte todtenbleih im die Finfterniß umher und fagte, ſich aufraffend, mit tonlofer Stimme: „Du Haft mid im meiner Schmach gefehen, Du ſollſt mich bewundern Iernen !”

Sie ſchwankte nach dem Schloffe zurüd. Lazarus folgte ihr wehllagend.

28. U Am Fuße des Melniker Berges am hintern Thore lag

damals eine Herberge, unanſehnlich von außen, räucherig von Innen. Bauern und Schiffer ſaßen in der engen Gaſtſtube bei

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den Bierkrügen unter Gefpräh und rohem Gelächter. In ber Ede, dit beim Ofen, Hinter einem Meinen Tiſche befand fi noch ein Gaſt in fchlichter, aber dennoch vornehmerer Tracht, als feine Umgebung. Er Hatte das Haupt auf die Hand geftügt, fo daß fle fein Antlig bebedte; Speife und Trank rührte er nicht an, er ſchien ſchläfrig oder von Sorgen erfüllt und im Nachdenken verfunten. Anfangs fiel feine Erſcheinung auf; ale er fi aber nicht regte, fuhren die Uebrigen in ihrem Geſpräche fort, weiblid) dabei den Bierfrügen und Kannen qufprediend, oft auch mit der geballten Fauft auf den Tiſch ſchlagend, wie dies der Böhme im Cifer des Geſpräches gern zu thun pflegt.

Na; einer Weile erhob der Fremdfing fein Haupt, uud man fah ein bleiches, büfteres, wenn glei männlich - ſchönes Antlig, auf deſſen Stirn eine friſche Narbe fenntlich war. Er wandte fi zu dem diden Wirth, der in feinem grünen Kittel in der Thüre ſtand und die Hände über dem Fettwauſt gefaltet hatte, und rief ihm zu: „Alter Herr!“ (dies nämlich ift ber Titel, womit man Brauherren und vornehme Wirthe zu beehren pflegt) „Habt Ihr den Boten nach Prag ſchon beforgt? IR er noch nit da? Gebt mir eine Feder, ein Stück Pergamen oder Papier id) will den Brief ſchreiben, den er beftellen fol.“

Der Wirth drehte fi langfam wie ein Faß um, blingelte aus den Heinen, grauen Augen, welde Hinter den Hügeln ber fetten Baden hervorgudten, den Gaſt an und antwortete: „Ja, Herel er if beftellt wird gleich Hier fein; ein bloder, ‚aber linker Burſche. Er madt den Weg von Bier nach Prag A ſechs Stunden, ift alfo Heut um neun Uhr noch dort.

men und Papier aber Babe ich nicht; ’s ift ein rares Ding

Bill mal fehen.“

langte nad biefen Werten auf das Sims neben ber z ud holte eine böhmifche, große Bibel herab. Aus biefer riß 8 letzte Blatt, welches nur anf einer Seite halb bedrudt

.

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war, und reichte es bem Ritter nebſt einer ſtumpfen Feder hin. Diefer ſchidte fi am zu fchreiben.

Da trat plöplih ein großer, langer Mann im groben Rit- tel, eine lange Peitſche um dem Leib gewunben, einen breitge- trämpten Hut anf dem rothhaarigen Kopfe und eijenbeichlagene Schuhe an den Beinen, gemädhlih und wie befaunt zur Thüre herein. Alle fuhren auf, als fie ihn fahen, und bewilllommten ihn; nur Bratislav, der in feinen Schreiben vertieft war, ber merkte ihn nicht.

„Ei, Bäclav!“ riefen Wirth und Gäfte einftimmig, „wieder da? Schön gegrüßt! Gelobt fei Jeſus Ehriftus! Wo mart Ihr fo lange? Wir haben Euch ſchon früher erwartet.”

Der fremde Mann ſchüttelte Allen die Hand, jegte fi mieber, nahm den angebotenen Bierfrug an den Mund und ant- wortete mit gleichgültiger Miene und anmaßendem Zone, indem er fih auf beide @lenbogen fügte: „Ja, da bin id) wieder. Bar in Prag, Hab’ dann einen Umweg über Schlan, Budin, Lobofic und Leitmerie gemacht, mir die Welt beſehen und mit Vieh gehandelt, oder eigenlich bioß mit Bieh gehandelt und bie Welt gar nit angefehen; bemn. das Vieh geht mir über die Menſchen. Das Bieh ift gut, läßt fi verfaufen und ſchlachten. Die Menfhen find falſch und betrügen. Nun, wo id’s fann, thu' ich s auch.“

„Haha!“ lachte die Tiſchgenoſſenſchaft; „immer noch der Alte, voll Schwänte und guter Einfälle!“

Freilich!“ fuhr der Viehhändler fort und leerte cinen zweiten Krug, „wem ich nur der einzige Menſch auf der Üeitt wäre umb alles Uebrige Vieh, fo wär's ſchlimm für mein Handel. Es ift alſo für das Vieh doch recht gut, daß es Men- ſchen gibt.“

Nichts Neues?“ fragte der Wirth, indem er feinen Wanft, um auszuruhen, auf den Tiſch legte; „Ihr bringt uns doch immer

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manderlei Nachricht. Was machen fie in Prag? Wie ſieht's auf dem Lande aus? Sprit man von Krieg? Sind fie mit dem König zufrieden? Vertragen fi die Papiften mit den Unfrigen ?_ Es it mohl theuer in der hohen Stadt?“

„Biel ragen auf einmal!” emtgegnete Väclav mürriſch; „Dein Maul ift ein Taubenſchlag; viel fliegt heraus, viel hinein. Nun und was fperrt Ihr die Mäuler auf, Ihr Hammel? Kaum bin id zw Athen gelommen, hab’ kaum meine Zunge genegt, fo fol ich fhon Eure Ohren vollftopjen mit Reuigleiten. 3a, Gott ehr mir meinen Handel! Das Vieh bringt mid unter die Menden und lehrt mich die Welt kennen. Du ba” er wies auf den Gegenüberfigenden und dann auf einen Zweiten „bift ein Bauer, pflügft Dein Feld und fennft nichts weiter, als Dein Feld, meinft, hinter ihm höre die Welt auf tennft alle feine Furchen, bleibft aber ein Schaftoph. Und Du bit ein Schiffer, ſchwimmſt immer mit Holz und Korn die Eibe hinauf, mußt aber auf der Eibe bleiben, g'rad fo wie fie läuft, tannſt nicht rechts und nit links. Da kommen Euch freilid die Neuigkeiten weder in dem Furchen, nod auf dem Waſſer entge- gengeflogen, Ich aber ziehe frei, durch die Welt in die Kreuz’ mb bie Duere. Die Knechte treiben meine Ochſen vor mir Hin, das Vieh blödt und brüllt, und ich denke mir fo oft, ich fei ein König, die Ochſen meine Knechte und Untertanen. Ich verkaufe fic, jchlachte fie, ziehe ihnen das Fell vom Leibe, grad’ wie's ein König macht.“

Lautes Gelächter unterbrad ihn er ſchien deſſen als eine Beifallsäußerung nicht zu achten uud fuhr fort:

„Bon Prag wollt Ihr wiſſen? Mit den Papiften und den Unfrigen geht's fo; der König ift immer mit dem Gtode dahinter wie bei den Hunden. Da müflen fie fih wohl ver- tragen. Mit dem König felbft find fie aud ſchon nicht mehr zufrieden; der Cine will das, der Andre jenes. Er follte ein

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poor Taufend hängen laffen; dann Bielten fie die Mäuler. Auch von Krieg fpricht man, mit dem Ungarn, mit König Matthias, dem Schwiegerſohne unfers Georg. If das ein Bolt, die vor- nehmen Herren! Wegen eines Stüd Landes zankt der Vater mit dem Sohne, der Bruder mit dem Bruder, und führt blutigen Krieg. Wir müſſen den Budel dazu hergeben. 'S ift den letzten Tag, wo id in Prag war, auch etwas Trauriges begegnet unter Ebelleuten. Sie flritten fi in einem Garten, ein Böhme und ein Deutſcher; darauf zogen fie blank, und ber Böhme hat dem Deutſchen erſtochen. Das war ein Beillofer Lärm, vornehmlich darum, weil der König ganz menerlich den Tod darauf geſetzt bat, wenn fi Jemand von den Studenten in einen Zmeilampf einfäßt. Nun ber Thäter entſpraug. 'S iſt ein Ritter vom Lande; Branik nannten fie ihn. Fünfzig Golbgulden Hat man auf feinen Kopf gefegt und Häſcher nad ihm ausgeſchickt. Der Deutſche wird wohl ſchon tobt fein; denn er ward gut getroffen.“

„Auch gut,“ meinte Einer der Schiffer, „daß es einen Deut⸗ ſchen getroffen Hat, uud daß der Böhme Sieger war!“

„Gleichviel,“ unterbrad; ihn Väclav mit Geringihägung, Bohme oder Deutfher! Wer erſchlagen if, dem femerzt fein Glied mehr, und wer erfchlagen hat, der muß Hängen ober ge- töpft werben. Ich wollt’, ich könnte bie fünfzig Goldgulben ver- dienen! Was iſt's aud Schade um einen Edelmann? Wir haben ihrer fo zu viel im Lande, und wenn fie fi recht brav in die Bände ſtechen, fol es mich freuen. Wie gefagt, bie fünfzig Goldoulden !"

Für Vratislav, der no immer mit feinem Schreiben be» fhäftigt war, ging das Geſpräch größtentheils verloren. Er ſchloß jegt, blidte empor und rief nad dem Wirth.

mdeiliges Himmelsdonnerwetter !“ fluchte jegt der Viehhänd- Ier, fprang auf und flarrte nad dem Fremdling Hinüber; „das Gelb ift verdient und ber da drüben ift der Mörder, oder meine

Seele ſoll verbammt fein in Ewigkeit! Ich war ſelbſt im Garten, wo ich dem Wirth Ochſen verkauft habe; ich Hab’ ihn ja gefehen und bie Narbe auf der Stirne, wo ihn der Deutſche rigte Heide, Bogel, Ihr feid gefangen! Huſſah hoch! das ift ein prãchtig Wild!"

Jetzt erſt ahnte Vratislav den Zufammenhang und fah, daf er entdedt war. Er ſchob raſch entichloffen den Tiſch vor ſich bin, Remmte fih an die Mauer und ſchwang fein Schwert und rief: „Wer mir nahe kommt von Euch, Ihr Schurken, if des Todes! Gefegt, ih wäre der, den ihr meint, wäre es denn ehr- fi, mid zu verrathen für fEnöden Sundenlohn, wie Judas gethan? Seid Ihr Böhmen, feid Ihr Huffiten, daß Ihr Euch ſchlagt auf die Seite des Deutſchen, des Papiften, der mid; und mein Volt und unfern Glauben geſchmäht und nur verdienten Lohn von mir erhielt? Noch einmal! Wer mich berührt, bem geht es mie jenem Deutfchen! Hier find fünfzehn Goldſtüce theilt fie unter Euch es if} meine ganze Baarfhaft. Laßt mich aber ziehen und hindert meine Reife nicht. Iſt's nicht ge- ung, fo ſchafft mir einen fihern Ort, wo id; mich verbergen tann. Ich fende nad Prag; der Bote fol Euch ein reicheres öfegelb bringen.“

„Was da!“ höhnte der Biehhändler und ſchob feinen Tiſch bei Seite; „fünfsig find beffer, als fünfgehm, und ber König zahlt ſicherer, al8 ein Junker. Und glaubt Ihr Herrlein nicht, daß es uns wohlthut, auch einen Ritter einmal unterzufriegen, ihn ein biegen zu quälen und zu treten, da Ihr Herren vom Stande uns Jahr ein Jahr aus findet und mißhandelt? Ihr follt den Galgen zieren; es ift hübſch, daß auch einmal ein Edelmann ge» bangen wird. Man fönnt' fonft glauben, der Galgen wär’ nur einzig umd allein für die geringen Leute. Drauf und dran! 34) farcht mid vor feinem tollen Stier wird mich, das Meflerlein in Eurer Hand aud nicht abfchreden. den mir,

Herloßfohn: Der lehte Zaborit. I.

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Freunde und Gevattern, ich theile den goldenen Lohn mit Eu

Er warf nach dieſen Worten feinen Tiſch um und wollte anter dem Vratislav's durchtriechen, um dem Siebe auszuweichen und den Ritter fo von unten zw werfen; aber ein Bierkrug, welcher, von einem Schiffer gefchlendert, au Vratislav's Kopf flog, betäubte diefen. Er fan; feiner Hand entfiel das Schwert.

Zubelnd warf fi) die Rotte über ihm; der Biehhändler loſte feine Peitſche von den Hüften umd ſchnürte des Gefangenen Hände damit zufammen.

„gebt fein Pferd aus dem Stalle,“ gebot der Biehhändler, „und meine vier Roſſe vor, bie draußen auf der Meide find! Bier von Euch begleiten mid nehmt Senſen und Dreſchflegel mir treiben ihm noch Heut in die Stadt kommen mit Gold zurüd, und es gibt eine Iuftige Zeche Hier. Heibil wir bringen einen ſchönen, Iebendigen Hafen auf die Burg zum Hen- kersmahle.“

Bratislav erholte ſich, er ſchlug die Augen auf ringsum war fein Mitleid, keine Theilnahme in den rohen Zügen zu le— fen. Er fühlte es, daß er rettungslos verloren fei. Noch einmal wandte er fi an ben Wirth, der wenigſtens gleihgültig und nit raubluſtig drein ſah, und fagte: „Sprich Du für mic, deffen @aft ich war. Ih gelobe Euch Wlen zehnfachen Lohn, gebt Ihr mid frei.“

„Das geht nicht, Herrlein,“ tröftete der Wirth; „wenn. man’s erführe, daß wir Euch bier gehabt und Ianfen gelaffen tämen wir Alle in harte Strafe, ih am meiften. Ergebt Euch vor der Hand in Euer Schidjal. Ihr Habt gewiß vornehme Leute im Sand und bei Hofe, die Euch helfen werben. Es muß arg fein, wenn fie da oben einem voruehmen Herrn an ben Hals gehen. So fhlimm wird's nicht werden.”

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„Vorwarts!“ gebot ber Biehhändler. „Diesmal treib' id) ein gar foflbar Thier nad) der Stadt.“

Man hob draußen Vratislav anf fein Roß, bdeffen Zügel ein Anderer führte; die Uebrigen ſchwangen ſich bewaffnet gleich“ falls zu Pferde, und raſch ging es fort auf dem Wege gen Prag.

In der Gegend von Loblovic tönte Infliges Hörnergefchmetter aus dem Walde, welcher fi; zu beiden Seiten der Straße hinzieht. Bratislav ſtarrte vernichtet mit dem Ausbrude ber Verzweiflung vor fi nieder. Wie meinende Ingenderinnerungen zogen bie Hörnerflänge durch feine Bruſt. Der Ausruf eines feiner Be- gleiter: „Dort biegt ein Jagdzug um die Edel“ ſcheuchte ihn auf aus feinem Hinbrüten. Er fandte ben Pfeil feines Falfen- auges in bie Ferne und ſchauderte bebenb zufammen auf dem Rofie. Es war Lidmila im Gefolge ſechs prunkender Zäger, alle zu Pierde, fie im grünen Gewande mit der wallenden Feder, den Jagbfpieß im der Hand, ein filbernes Horm an der Hüfte, Sie ſah bleih und verftört aus. Bebend hoffte ber Ritter, fie würde quer über die Straße nad dem andern Waldtheile ziehen, und er fenfe darum fein Haupt, um nicht erkannt zu werben, unb erwartete zitterud den Erfolg. Jetzt aber lenkte fie das Roß um und fprengte mit ihrem Gefolge dem Buge des Ge- fangenen gerade entgegen.

„So foll fie mich nicht wieber ſehen!“ vief er angfigepreßt und wandte fid zu Vaclav feinem Peiniger, indem er ihm zuſchrie: die Roffe umlenten! Flieht mit mir! Die dort kommen, befreien mich! Ihr feid alle des Todes!“

„Thörichtes Geſchwätz!“ höhnte Vaclav und ergriff an der andern Seite ben Zügel von Bratislav’s Roffe; „wir werden ihnen ſchon fagen, welden Vogel wir gefangen haben. Das Herlein ſchämt fi wohl, in ſolchem Zuftand und unter folder Leibwache ſich · vor einer edlen Jungfrau zu zeigen? Nur vor- wärts, Genoffen!“

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Bichhändier am Obererme. Auf ihera Wint griffen die Jäger mit igeen Giridfängern bes Gefinbel au, unb wie fih bieie and mit Gaben uud Ylegeln wehrten, fo wurden fir bed baib äber- wältigt uud in bie Findt geiprengt.

&bmils bintele an der Wange. Sie jerichnitt mit ihren

„Ihr feib frei flieht und haßt mid, ferner noch!“ mit

Straße gegen Prag hinab.

Sie flarrte ihm lange bleich nud zitternd nach; fie prefte ihre Finger auf die Wunde, aus welder vothe Perlen herab- fielen, und fenfzte leiſe: „Er Tiebt mich deunoch!“ Dann wandte fte fi zu ihrem Gefolge, dem ber ganze Auftritt wie eine Wun dererfeinung vorgelommen war und jegt erft Har wurde, und gebot: „Vorwärts die Straße Binauf! Verfolgen wir die Feinde, damit der Befreite einen Borfprung gewinne!" Sie ſetzten fi beim Lange der Hörner in Xrab und fprengten zwiſchen friſchen Waldesihatten fort, wohin Bäclav mit feinen ſchurtiſchen Genofſen entflohen war. —.

am

An demfelben Wirthshauſe, wo Vratislav gefangen worden wear, hielt am folgenden Tage Milada mit Sukol und igrem Gefolge. Der Knappe ſtieg ab und ging nad} der Thüre, um Woffer und Heu für die Roffe zu verlangen und bei biefer Gelegenheit Erkundigungen einzuziehen.

Er fließ mit dem Fuße die Thüre, deren ganze Breite er einnahm, krachend ein, daß fie den Wirth, weicher eben geſchäftig fi Herauswälzen wollte, vor den Wanft ſchlug und diefer brei Schritte mit einem Wehſchrei zurädtaumelte.

„Was ift das Hier,“ bonnerte er, „für eine ſchurkiſche Diebs · tneipe, wo der Wirth eim ſcheuer Hund, der nicht feine Pforte öffnet und Heraustritt, wenn hohe Bäfte nahen ?"

Die ganze Verſammlung es war die Genoffenfchart Bäclav’s vom vorigen Tage umb erzählte fi von dem Begeb - niffe und den Wunden und Brauſchen, welche ihnen bie Jäger geſchlagen fah ben milden Gaft erflaunt an. Der Wirth aber faßte fi, eilte neben Sukol zu Thüre hinaus nnd fragte die Dame nad ihren Befehlen.

Sulol ließ inzwifchen fein grelles Auge über die Ber- ſammlung ftreifen, dann fragte er gebieterifh: „Seid Ihr von Hier ober fremb 2"

„Bon bier!" antwortete Vaclav mürrifh im Namen ber Uebrigen.

„Dabt Ihr,“ forſchte Sukol weiter, „nicht in dieſen Tagen einen Ritter geſehen, der fremd in dieſer Gegend iſt, ein ſchöner Mann, doch ſehr blaß von Geſicht und irre ich nicht, eine Wunde auf der Stirne 7 J

„Hol' uns der Teufel!“ ſchrie Vaelav und ſchlug mit der gealten Fauft auf die Tafel „freilich Haben wir ihn geſehen.

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Meine fünf Ochſen gäb’ ih d’rum, wär er noch im zmeinen Klauen. Ihr verfolgt ihn wohl auch 2“

„Wohin entfloh er? Wo hält er fi auf?“ fragte Sutol

haſtig. „Zum Teufel iſt er!“ beſchied Vaclav, in dem noch ber Ingrimm über den mißlungenen Anſchlag tobte, „und mit ihm fünfzig Goldgulden. Hätten wir ihn frei fahren laſſen, fo Hatten wir dod fünfzehn, bie er uns anbot. Ich erkannte in ihm denjelben, der den Edlen von Spanberg getöbtet, und weil fünfzig Goldgulden auf fein Haupt gefegt find, fo faßten wir ihm Hier, banden ihm die Hände und fchleppten ihm gegen Prag. Hinter Lobkovie überfiel uns ein Fräulein ober war's der Teufel? mit. ihrem Jagdtroffe, machte ihm frei und ſchickte ung mit blutigen Schäbeln nad Haufe. Er floh gegen Prag. Wären wir nur mehr an der Zahl"

„So?“ höhnte Sukol und ſchlug die Arme über einander „da Habt Ihr ganz vortrefflich gemacht, Ihr lieben Männer! Alſo entflohen ift er? Und die Dame Hat ihn Euch abgejagt? Und blutige Köpfe Habt Ihr nah Haufe gebraht? Run, bie Mähr' if nicht übell Erlaubt mir fpäter, Ihr guten Leute, noch ein Wort. IH muß zu meiner Herrin hinaus.”

Er ging vor das Haus, erzählte Milada'n leiſe, was er erfahren, und fagte dann, da die Roſſe bereits getränft waren: „Reitet nur eine Heine Strede voraus; id; habe da drinne mit den Ehrenmännern noch ein Meines Wort zu ſprechen.“

Er fehrte wieder zur Schenfe zurück. Der Wirth fragte ihn, ob er einen Krug Bier wünjche, und lobte deſſen Vortreff- lichteit.

Mein!" entgegnete Sutol, „ich will Euch ſelbſt etwas auftiſchen. Warſt Du, dicker Hecht, aud bei dem ange des Nitters mit 2"

„Ei freilich entgegnete dieſer gefällig; „mir ſchien es

2

gleich rathſam, eine flärfere Begleitung mitzufenden; aber der Biehhändler Vaclav hier eilte fo fehr und ließ mich gar micht zu Worte kommen.“

„Bortrefflidh, vortrefffich 1" fuhr Sukol mit aufwallendem Grimme fort „alfo ein Biehhändler? freut mic die Ber tanntſchaft! Wollte num auch einen Menfchen, einen Ritter verhandeln und auf bie Schlachtbank führen? Gut, fehr gut! Afo Ihr Ehrenmänner alle habt den Ritter gefangen genommen und verkaufen wollen. O Ihr hartſchädeligen, bodenloſen Schurken, Ihr Iubaffe, Ihr Saducäer, Ihr gebornen Büttel und Schergen! Ihr verkauft, verrathet einen böhmiſchen Landsmann, einen echten Huffiten, weil er einen Deutſchen, einen Feind bes Landes geſchlagen? Und Ihr wollt gute Epriften fein, brave &e- hen, ehrliche Landsleute? Heißt dies das Gaftredit ehren, Heißt dies einem Umglüdtichen beifpringen, heißt dies einem Irrenden helfen? Gi, fo ſchlage dod Gottes Donnerwetter taufendmal auf Eure firupphaarigen Schädel und verfenge Eud die Ohren und das Hirn! Ihr bodenlos ſchlechten, gewiſſenloſen, ſchamloſen, ſchaäbigen Gauner und Buſchklepper, Ihr räudigen Hunde Ihr, ohne Ehrlichkeit im Leibe! man fieht’s Euch an, daß Ihr herzloſe Schurken feid; denn Ihr ſeid Krämer und Schlächter feid feine ehrbaren Kriegsknechte geweien und habt barum keine Grof- muth im Leibe. Ich wil Eu 'was auftiichen, Ihr verfluchten Ratten, und Dir beſonders, Du rothaariger Spion und Berräther, Du brennender Weiler, leuchtender Kaltofen, faule Weide!”

Gr tät bei diefen mit Wuth Hervorgebrülten Worten den Wirth, der mit offenem Munde flaunend und Tautlos vor ihm fand, vor den Wauft, daß diefer rüdwärts überftärzte, auf ben Tiſch fiel, ihn umſchlug und fo die Mebrigen, welhe ſich darauf gefügt Hatten, mit auf einen Haufen niederriß. Sulol ergriff einen dicken Prügel, welcher in der Ede lag, und begann jegt mit nerviger Fauft auf die Schädel, Arme und Beine ber fih

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Durdeinauberwälzenben Ioßzubreichen, indem er dabei

„Die Dame hat Euch mit Bintigen Schäden heimgeihidt das tim’ ich nicht; aber bie Knochen muß ih End ma · gen und die harten, ſpitbabiſchen Sqchadel weich Hopfen! Da habt Ihr den Günbenlohn, Jeder fünfzig Golbfläde da, fe groß wie ein Ei, gelb und häbid) did und unvergeßlich, weil Ihr fie nicht ansgeben Eönnt, Ihr ſtinkenden Wafferratten, Ihr Marder und iedehopfe

Und er fehlng. nebenbei noch Fußtritte anstheilend, unauf - horlich auf die Menſchen am Boden los, daß fie laut aufbrüllten und heulten, ſich unter und über einander wählten und, von ihm immer wieder niebergefchlagen, fi nicht erheben lonuten.

Als ihm der Arım erlahmte und Heißer Schweiß von ber fchweren Arbeit von feiner Stirne rann, warf er ben Kmüttel in bie Ede und fagte: „Gehabt Euch wohl, werthe Herren und Freunde, trinft einen Krug auf meine Gefundheit, und weun ſich wieder ein Ritter meldet, fo laßt mir ihn ja nicht entfpringen, fonft kommt Ihr mm den baaren Lohn!“

Er ſchritt nad diefen vom einem Hohngeläcter begleiteten BVorten langſam und gemeffen zur Hütte hinaus, ſchwang fid auf fein Roß und fprengte dem Fräulein nad.

Bei Milada angelangt, fagte er lachend: „Ich habe den guten, ehrlichen Lenten die Heilige Schrift ausgelegt mo vom Judas und den dreißig Silberlingen die Rede if. Ob fie fih aber von ber Münze, die ich ihnen gab, Alle werden einen Strick faufen können, wie der Erzſchelm weiß ih nit. Jetzt aber,- gnäbiges Frautein rof) nach Prag; dorthin bat der Nitter feinen Weg eingeſchlagen. Es ift hohe Zeit; denn fom- menden Sonntag ſchon nimmt der König das Abendmahl, und Micjätel hat ſicher bereits den Wein gewürzt. Es ift gleid, ob wir den Ritter augenblicklich finden oder nicht. Für fein Leben amd feine Freiheit bürge ih; denn finden wir ihn, fo geht er

zum König und fagt: Schente mir das Leben ich ſchenle Dir's auf. Go und fo kredenzt man Dir den Kelch. Und finden wir ihn nicht fo trete ih vor und fage: Hollah! nicht getrunten 's if Gift drin Bängt die Schurken, ſchindet fiel Willſt Du mid; befohnen, Herr und König, fo begnadige den Ritter; denn Deine Rettung ift eigentlich fein Wert! Ih erzäßle ihm dann Alles. Seid froh, mein gnädiges Fräulein die frohe Stunde ift nahe!"

Bratislav kam in der Dämmerung an das Botieer Thor. Er Hatte, anf der Flucht fo umgeitig aufgehalten, beſchlofſen, an den Ort zurädzufehren, mo man ihn am wenigflen vermuthete. Er beſann fid) der Worte des Juden und beſchloß, bei ihm Zu- flucht zu ſfuchen. Was follte er weiter in's platte Land flichen, da ihm doch nirgends Gicjerheit gewährt war? Länger konnt‘ er aud) den Freund und feine Angehörigen nicht ohne Nagricht laſſen. Es. drängte ihn, von Spanberg's und in beffen folge von feinem Lofe Kunde zu erhalten. Er ſchloß fi einer Reihe Bagen, welche Waffen und Kriegsgeräthſchafien von Caslau nach dem Prager Zeughaufe brachten und von mehreren Reitern beglei- tet wurden, an und gelangte fo umentdedt zum Thore hinein. Im der Ghilingsgaffe gab er fein Pferd in eine Herberge umb ſchlich durch die dunkeln Straßen nad der Judenftadt, wo Abra- Ham wohnte; denn diefer befand fi damals zufällig bei feinem Better in Lieben, mit welchem er zuweilen Geſchäfte machte. Als er durch einen Umweg von der Karpfengaffe nad dem Thore der Indenſtadi, welches des Nachts geſchloſſen und von Schar- mwächtern beſchatzt wurde, Kinfehritt, hörte er plögfich vor und neben fid) Getümmel und Geſchrei und gerieth in einen Auflanf. Scharwachter und Soldaten, Juden von jedem Alter und Ehri- fien drängten fi) auf einen Haufen. Es gab Stöße und Püffe; das Bolt ſchrie und ſchnatterte durch einander ein junger Ehriftenbube meinte laut. Bratislav ſchlich vorfihtig herbei

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paar Taufend hängen laſſen; dann hielten fie die Mäuler. Auch von Krieg fpriht man, mit dem Ungarn, mit König Matthias, dem Schwiegerfohne unſers Georg. Iſt das ein Boll, bie vor- nehmen Herren! Wegen eines Stüd Landes zankt der Bater mit dem Sohne, der Bruder mit bem Bruder, und führt blutigen Krieg. Wir müfjen den Buckel dazu hergeben. 'S if den legten Zag, wo ich in Prag war, auch etwas XTrauriges begegnet unter Edelleuten. Sie ſtritten fi in einem Garten, ein Böhme und ein Deutſcher; daranf zogen fie blank, und der Böhme Hat den Deutſchen erſtochen. Das war ein Heillofer Lärm, vornehmlich darum, weil der König ganz neuerlich den Tod darauf geſetzt dat, wenn fi Jemand von den Studenten in einen Zweikampf einfäßt. Nun ber Thäter entfprang. 'S ift ein Ritter vom Lande; Branik nannten fie ihn. Fünfzig Goldgulden hat man auf feinen Kopf gejegt und Häfcher nad) ihm ausgefchidt. Der Deutſche wird wohl ſchon tobt fein; denn er ward gut getroffen.“

„Auch gut,” meinte Einer der Schiffer, „da es einen Dent- ſchen getroffen hat, und daß der Böhme Sieger war!“

„Gleichviel,“ unterbrach) ihn Vaclav mit Geringihägung, „Böhme oder Deutſcher! Wer erfchlagen if, dem ſchmerzt fein Glied mehr, und wer erſchlagen Hat, der muß Hängen ober ge- köpft werden. Ich wollt, ich könnte die fünfzig Golbgulden ver» dienen! Was if’ auch Schade um einen Edelmann? Wir haben ihrer fo zu viel im Sande, und wenn fie ſich vet brav in bie Bände ſiechen, fol es mid) freuen. Wie gefagt, bie fünfiig Goldgulden I”

Für Vratislav, der noch immer mit feinem Schreiben ber ſchäftigt war, ging das Geſpräch größtentheils verloren. Ex ſchloß jest, blite empor und vief nad dem Wirth.

mHeiliges Himmelsdonnerwetter !“ fluchte jegt der Biehhänd- ler, fprang auf und flarete nad; dem fyrembling hinüber; „das Geld iſt verdient und ber da drüben ift der Mörder, oder meine

Seele foll verbammt fein in Ewigfeit! Ich war ſelbſt im Garten, wo id dem Wirth Ochſen vertauft Habe; ih hab’ ihn ja gefehen und bie Narbe auf der Stirne, wo ihn der Deutſche ritzte. Heiba, Bogel, Ihr feid gefangen! Huflah hoch! das ift ein prädtig Wild I“

Jetzt erſt ahnte Bratislav den Zufammenhang und fah, daß er entbedt war. Er ſchob raſch entſchloſſen den Tiſch vor ſich bin, ftemmte fi an die Mauer und ſchwang fein Schwert und rief: „Wer mir nahe kömmt von Euch, Ihr Schurken, if des Todes! Geſetzt, ich wäre ber, ben ihr meint, wäre e8 denn ehr- fi, mich zw verrathen für ſchnöden Sündenlohn, wie Judas gethan? Seid Ihr Böhmen, feid Ihr Huſſiten, daß Ihr Euch ſchlagt auf die Seite bes Deutihen, bes Papiflen, ber mid) und mein Bolt und unfern Glauben geſchmäht und nur verdienten Lohn von mir erhielt? Noch einmal! Wer mich berührt, dem geht e8 wie jenem Deutſchen! Hier find fünfzehn Goldſtücke tHeilt fie umter Euch es iR meine ganze Baarſchaft. Laßt mich aber ziehen und hindert meine Reife nicht. IMS nicht ge- nug, fo ſchafft mir einen ſichern Ort, wo id) mid verbergen tann. Ich fende nad Prag; der Bote fol Euch ein reideres Sfegeld bringen.“

„Was da!“ Höhnte der Biehhändler und ſchob feinen Tiſch bei Seite; „fünfzig find beffer, als fünfzehn, und der König zahlt fiherer, als ein Junker. Und glaubt Ihr Herrlein nicht, daß es uns wohlthut, aud einen Ritter einmal unterzufriegen, ihn ein bischen zu quälen und zu treten, da Ihr Herren vom Stande uns Jahr ein Jahr aus findet und mißhandelt? Ihr follt den Galgen zieren; es ift hübſch, daß auch einmal ein Edelmann ge- bangen wird. Man könnt fonft glauben, der Galgen wär nur einzig und allein für die geringen Leute. Drauf und bran! Ich fürde’ mich vor keinem tollen Stier wird mid das Mefferlein in Eurer Hand auch nicht abſchrecken. sr mir,

Herloßfohn: Der legte Taborit. I.

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„Borwärte!" gebet der Biehhändfer. „Diesmal treib’ ich ein gar loſbar Thier nad) der Stadt.“

Man hob draußen Bratislav auf fein Roß, deffen Zügel ein Anberer führte; bie Uebrigen ſchwangen ſich beivafinet gleich- falls zu Pferde, und raſch ging es fort auf dem Wege gen Prag.

In der Gegend von Lobkovic tönte Inftiges Hörnergeſchmetter ans dem Walde, welcher fi zu beiden Seiten der Straße hinzieht. Bratislav flarrte vernichtet mit dem Ansdrude der Verzweiflung vor fi) wieder. Wie weinende Jugenderinnerungen zogen die Hörmerflänge durch feine Bruft. Der Ausınf eines feiner Ber gleiter: „Dort biegt ein Iagdzng um bie Edel“ ſcheuchte ihn auf aus feinem Hinhrüten. Er fanbte den Pfeil feines dalten- anges in bie ferne und ſchauderte bebend zufammen auf dem Roffe. Es war Lidmile im Gefolge ſechs prunfender Jäger, alle zu Pſerde, fie im grünen Gewande mit der wallenden Feder, den Jagdfpieß in der daud, ein filbernes Horn am der Hifte. Sie fah bleich und verflört aus. Bebend Hoffte der Ritter, fie würde quer über die Straße nach dem andern Waldtheile ziehen, und er ſenkte darum fein Haupt, um nicht erkannt zu werden, und erwartete zitterub den Erfolg. Jetzt aber lenkte fie das Roß um und fprengte mit ihrem Gefolge dem Zuge des Ge» fangenen gerade entgegen.

„So foll fie mid; nicht wieder fehen !” rief er angfigepreft und wandte fi zu Bäclav feinem Peiniger, indem er ihm zufchrie: „Laß die Roffe umlenten! Flieht mit mir! Die dort kommen, befreien mid! Ihr feid alle des Todes!"

Thorichtes Geihwägl" höhnte Vaclav und ergriff an der andern Seite ben Zügel von Vratislav's Roffe; „mir werden ihnen Schon fagen, welchen Bogel wir gefangen Haben. Das Herrlein ſchamt ſich wohl, in ſoichem Zuftand und unter folder Leibwache fid-vor einer edlen Jungfrau zu zeigen? Nur vor- mwärts, Genoffen !“

16*

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Bratislav wollte noch einmal wibderſprechen; aber e8 war zu ſpät. Auf wilden Renner ſauſte Lidmila mit ihren Jägern hetan. Kaum erlannte fie den Ritter, als fie mit herzzerichnei- dendem Zone ausrief: „Vratislav Du bift gefangen ?” und in demfelben Augenblide verwindete auch ihre Jagblange dem Biehhändler am Oberarme. Auf ihren Wink griffen die Jäger mit ihren Hirfchfängern das Gefinbel au, und wie ſich dieſe auch mit Gabeln und Flegeln wehrten, fo wurden fie doch bald über- mäftigt und im die Flucht gefprengt.

Lidmila bintete an der Wange. Sie zerihuitt mit ihrem Iagbmefjer des Ritters Bande. Ihre Hände zitterten bei dem Geſchäfte; fie Thing das Auge nicht auf, nur fagte fie flodend: „Ihr feid frei flieht und haßt mich ferner noch !“

„Ribmila 1 rief er mit dem Tone bes namenlofen Schmerzes aus und drückte fein Antlig auf ihre Hand und füßte das Blut von derſelben, „Lidmila, ich bin unglüdlich für ewig!"

Er fette feinem Roß die Sporen ein und jagte über bie Straße gegen Prag hinab.

Sie ſtarrie ihm fange bleich und zitternd nad); fie prefte ihre Finger auf die Wunde, aus welcher rothe Perlen herab- fielen, und feufzte leiſe: „Er liebt mid, deunoch!“ Dann wandte fie fi zw ihrem Gefolge, dem der ganze Auftritt wie eine Wun- dererſcheinung vorgelommen war und jegt erſt Mar wurde, und gebot: „Vorwärts die Strafe hinauf! Verfolgen wir die Feinde, damit ber Befreite einen Borfprung gewinnel" Gie fegten ſich beim lange ber Hörner in Trab und fprengten zwiſchen friſchen Waldesſchatten fort, wohin Vaclav mit feinen

ſchurtiſchen Genoſſen entflohen war. —,

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An demfelben Wirthehanfe, wo Bratisfav gefangen worden war, hielt am folgenden Tage Milada mit Sukol und ihrem Gefolge. Der Knappe ftieg ab und ging nad der Thüre, um Waffer und Heu für die Roffe zu verlangen umb bei dieſer Gelegenheit Erkundigungen einzuziehen.

Er ließ mit dem Fuße die Thüre, deren ganze Breite er einnahm, krachend ein, daß fie den Wirth, welcher eben geſchäftig fih Herauswälzen wollte, vor ben Wanft fing nnd biefer drei Schritte mit einem Wehichrei zuriictaumelte.

„Was iſt das hier,” donnerte er, „für eine ſchurkiſche Diebe- fneipe, wo ber Wirth ein ſcheuer Hund, ber nicht feine Pforte öffnet und beraustritt, wenn hohe Gäfte nahen?"

Die ganze Berfaommlung «8 war die Genoffenfhart Baclav's vom vorigen Tage umb erzählte fih von bem Begeb- niſſe und den Wunden und Brauſchen, welche ihnen die Jäger gefhlagen ſah den wilden Gaft erflaunt an. Der Wirth aber faßte ſich, eilte neben Sukol zur Thüre Hinaus und fragte die Dame nad ihren Befehlen.

Sufot ließ inzwifgen fein grelles Ange über bie Ber- ſammlung fleeifen, dann fragte er gebieterifch: „Seid Ihr von bier ober fremd 2"

„Bon hier!" antwortete Vaclav mürrifh im Namen der uebrigen.

„Habt Ihr,“ forſchte Sukol weiter, „nicht in dieſen Tagen einen Ritter geſehen, der fremd in dieſer Gegend iſt, ein ſchöner Mann, doch ſehr blaß von Geficht und irre ich nicht, eine Wunde auf der Stirne?" J

„Hol' uns ber Teufel!“ ſchrie Vaclav und ſchlug mit der geballien Fauft auf die Tafel „freitich Haben wir ihn gefehen.

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Und binsige Köpfe Habt Ihe madı Hauie gehradt? Run, Mägr if nicht Mb! Erlaubt wir ipäter, Ihr gutem Lenie, no ein Bert, IG muß zu meiner Herrin Ginaus.“

Er ging vor das Haus, erzählte Milada'n Ieife, was er erfahren, und fagte dann, da bie Roſſe bereits geiräuft waren: „Meter une eine Heine Strede voraus; ich habe da drinne mit den Ehrenmännern no ein Heines Wort zu ſprechen.“

Er lehrte wieder zur Scenfe zurüd. Der Birth fragte ihn, ob er einen Krug Bier wünfde, umb lobte deſſen Bortrefi- lichteit.

Mein!" entgegnete Sulol, „id will End ſelbſt etwas auftiſchen. Warſt Du, bider Hecht, auch bei dem fange des Mister mit?"

„el freiih 1” entgegnete biefer gefälig; „mir fdien es

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gleich rathſam, eine flärfere Begleitung mitzafenden; aber der Biehpändler Bäclav Hier eitte fo ſehr und fieß mid gar nicht zu Borte kommen.“

„Vortrefflich, vortrefflich!“ fuhr Suftol mit aufmallendem Grimme fort „alfo ein Biehhändler? freut mic die Ber tanntſchaft! Wollte nun aud einen Menfchen, einen Ritter verhandeln und auf die Schlachtbank führen? Gut, fehr gut! Alſo IHr Ehrenmänner alle Habt ben Ritter gefangen genommen und verfaufen wollen. DO Ihr Hartihäbeligen, bodenlofen Schurken, Ihr Judaſſe, Ihr Saducder, Ihr gebornen Büttel und Scpergen! Ihr verlauft, verrathet einen böhmifhen Landemann, einen echten Huffiten, weil er einen Deutſchen, einen Feind des Landes gefhlagen? Und Ihr wollt gute Ehriften fein, drave Ger Gen, ehrliche Landsleute? Heißt dies das Gaſtrecht ehren, Heißt dies einem Unglucklichen beifpringen, heit bie einem Irrenden helfen? Ei, fo ſchlage doch Gottes Donnerwetter taufendmal auf Eure firupphaarigen Schädel und verfenge Euch die Ohren und das Hirn! Ihr bodenlos ſchlechten, gewiſſenloſen, ſchamloſen, ſchabigen Gauner und Buſchklepper, Ihr räudigen Hunde Ihr, ohne Ghrlichteit im Leibe! man fieht's Euch an, daß Ihr herzloſe Schurken feid; denn Ihr feid Krämer und Schlächter feib feine ehrbaren Kriegsknechte geweſen und Habt darum keine Groß- muth im Leibe. Id will End) ’was auftilchen, Ihr verflugten Ratten, und Dir befonders, Du rothaariger Spion und Verräther, Du brennender Weiler, Ieuchtender Kaltofen, faule Weide!’

Er tät bei biefen mit Wuth Hervorgebrülften Worten den Wirth, der mit offenem Munde flaunend und lautlos vor ihm fand, vor ben Wanft, daß diefer rüdwärts überftürzte, auf dem Tiſch fiel, ihn umſchlug und ſo die Uebrigen, welche ſich darauf gefügt Hatten, mit auf einen Haufen niederriß. Sulol ergriff einen biden Prügel, welder in ber Ede ag, und begann jegt mit nerbiger Yauft auf die Schädel, Arme und Beine ber fih

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war, und reichte e8 dem Ritter nebſt einer flumpfen Feder hin. Diefer fhicdte ih an zu fchreiben.

Da trat plöglich ein großer, langer Mann im groben Kit- tel, eine lange Peitſche um den Leib gewunden, einen breitge- trämpten Hut auf dem vothhaarigen Kopfe und eiſenbeſchlagene Schuhe an den Beinen, gemächlich und wie befaunt zur Thüre herein. Alle fuhren auf, als fie ihn fahen, und bemilltommten ihn; nur Bratielan, ber in feinem Schreiben vertieft war, be» merkte ihn nicht.

„Ei, Väclav!“ riefen Wirth und Gäfte einftimmig, „wieder da? Schön gegrüßt! Gelobt fei Jeſus Chriftus! Wo wart Ihr fo lange? Wir haben Euch fon früher erwartet,”

Der fremde Mann ſchüttelte Allen die Hand, fette ſich mieder, nahm den angebotenen Bierkrug an ben Mund und ante wortete mit gleichgüftiger Miene und anmaßendem Zone, indem er fi auf beide Ellenbogen ftügte: „Ja, da bin ich wieder. War in Prag, hab’ dann einen Umweg über Schlan, Budin, Lobofic und Leitmeric gemacht, mir bie Welt befehen und mit Vieh gehandelt, ober eigenlich Bloß mit Vieh gehandelt und bie Belt gar nicht angefehen; benn das Vieh geht mir über bie Menſchen. Das Bieh ift gut, läßt fi verkaufen und ſchlachten. Die Menfhen fin falſch und betrügen. Nun, wo id’s kann, thu' ich's auch.“

„Haha!“ lachte die Tiſchgenoſſenſchaft; „immer noch der Ute, vol Schwante und guter Einfälle”

„Freilich!“ fuhr der Viehhändler fort und Ieerte eimen? weiten Krug, „wenn id nur der einzige Menſch auf der Wett wäre und alles Uebrige Vieh, fo wär's ſchlimm für mein Handel, Es ift alfo für das Vieh do recht gut, daß es Men- ſchen gibt.“

„Nichts Neues?“ fragte der Wirth, indem er feinen Wanſt, um auszuruhen, auf ben Tiſch legte; „Ihr bringt uns doch immer

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manderlii Nachricht. Was machen fie in Prag? Wie fiehre auf dem Lande aus? Spricht man von Krieg? Sind fie mit dem Köuig zufrieden? Vertragen ſich die Papiften mit ben Unfrigen ? Es iſt wohl theuer in der hohen Stadt?"

Viel Fragen auf einmal! entgegnete Vaclav mürriſch; „Dein Maut ift ein Taubenſchlag; viel fliegt heraus, viel hinein. Nun und was fperrt Ihr die Mäuler auf, Ihr Hammel? Kaum bin ih zu Athem gelommen, hab’ kaum meine Zunge genegt, fo fol ich fhon Eure Ohren vollftopfen mit Nenigfeiten. Ja, Gott ehr’ mir meinen Handel! Das Bieh bringt mich unter die Menſchen und lehrt mid; die Melt kennen. Du ba’ er wies auf dem Gegenüberfigenden und dann auf einen Zweiten „bift ein Bauer, pflügft Dein Feld und fennft nichts weiter, als Dein Feld, meinf, Hinter im Höre die Welt auf kennſt alle feine Furchen, bleibft aber ein Schaflopj. Und Du bift ein Schiffer, ſchwimmſt immer mit Holz und Kor bie Eibe Hinauf, mußt aber auf der Elbe bleiben, grad fo wie fie läuft, tannſt nicht rechts und nicht links. Da kommen Euch freilich die Neuigkeiten weder in den Furden, nod auf dem Waffer entge- gengeflogen, Ich aber ziehe frei, durch die Welt in bie Kreuz’ und die Quere. Die Knete treiben meine Ochſen vor mir Hin, das Vieh blödt und brüßt, und id} denke mir fo oft, id) fei ein König, die Ochfen meine Kuechte und Untertfanen. Id verkaufe fic, ſchlachte fie, ziehe ihnen das Fell vom Leibe, grad’ wie's ein König macht.“

Lautes Gelächter unterbrad ihn er ſchien deſſen als eine Beifollsäußerung nicht zu achten uud fuhr fort:

„Bon Prag wollt Ihr wiffen? Mit den Papiften und ben Unfrigen geht's fo; ber König ift immer mit dem Gtode dahinter wie bei ben Hunden. Da müffen fie fih wohl ver- tragen. Mit dem König felbft find fie auch ſchon nicht mehr zufrieden; ber Cine will das, der Andre jenes. Gr follte ein

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paar Tauſend hängen laffen; dann hielten fie die Mäuler. Auch von Krieg fpricht man, mit den Ungarn, mit König Matthias, dem Schwiegerſohue umfers Georg. If das ein Boll, bie vor- nehmen Herren! Wegen eines Stüd Landes zankt der Vater mit dem Sohne, ber Bruder mit bem Bruder, und führt blutigen Krieg. Wir müffen den Budel dazu hergeben. 'S if dem legten Tag, wo ich in Prag war, auch etwas Trauriges begegnet unter Edelleuten. Sie ftritten fi in einem Garten, ein Böhme unb ein Deutfcher; daranf zogen fie blank, und der Böhme hat dem Deutſchen erftohen. Das war ein heillofer Lärm, vornehmlich darum, weil ber König ganz neuerlich den Tod barauf gejeßt hat, wenn fi) Iemand von den Studenten in einen Zweilampf einläßt. Nun der Thäter entfprang. 'S iſt ein Ritter vom Lande; Branik nannten fie ihn. Fünfzig Goldgulden Hat man auf feinen Kopf gefegt und Häfcher nah ihm ausgefhidt. Der Deutſche wird wohl ſchon tobt fein; denn er warb gut getroffen.”

Auch gut,“ meinte Einer der Schiffer, „daß es einen Deut- ſchen getroffen hat, und daß der Böhme Sieger war!“

„Gleichviel,“ unterbrach ihn Vaclav mit Geringihägung, Böhme ober Deutjher! Wer erſchlagen if, dem ſchmerzt Fein Glied mehr, und wer erſchlagen Hat, ber muß hängen oder ge- töpft werden. Ich wollt’, ich könnte die fünfzig Goldgulden ver- dienen! Was if’s aud) Schade um einen Edelmann? Wir haben ihrer fo zu viel im Lande, und wenn fie fi recht brav in bie Bäuche ſtechen, foll e8 mic freuen. Wie gefagt, die fünfzig Goldgulden I"

Für Vratislav, der no immer mit feinem Schreiben bes {häftigt war, ging das Geſpräch größtentheils verloren. Er ſchloß jest, blidte empor und rief nad) dem Wirth.

„Heiliges Himmelsdonnerwetter !“ fluchte jegt der Viehhänd- ler, fprang auf und flarrte nad) dem frembling hinüber; „das Geld ift verdient und ber da drüben ift der Mörder, oder meine

Seele ſoll verdammt fein in Ewigkeit! Ich war ſelbſt im Garten, wo ich dem Wirth Ochfen verfauft habe; ich Hab’ ihn ja gefehen und bie Narbe auf der Stirne, wo ihn der Deutſche ritzte. Heibda, Bogel, Ihr feid gefangen! Huffah hoch! das if eim prädtig Wild 1“

Jetzt erft ahnte Vratislav den Zufammenhang und ſah, daf er entdedt war. Er ſchob raſch entſchloſſen den Tiſch vor ſich hin, ſtemmte ſich an die Mauer und ſchwang ſein Schwert und rief: „Wer mir nahe kömmt von Euch, Ihr Schurken, iſt des Todes! Geſetzt, ich wäre ber, ben ihr meint, wäre es denn ehr- lich, mic zu verrathen für ſchnöden Sündenlogn, wie Jubas gethan? Seid Ihr Böhmen, feid Ihr Huffiten, daß Ihr Euch ſchlagt auf die Seite des Deutfchen, des Papiften, der mich und mein Boll und unfern Glauben geſchmäht und nur verdienten Lohn von mir erhielt? Noch einmal! Wer mich berührt, dem geht e8 wie jenem Deutſchen! Hier find fünfzehn Goldftüde theilt fie unter Euch es ift meine ganze Baarfchaft. Laßt mich aber ziehen umb Bindert meine Reife nicht. Ifrs nicht ge- nug, fo ſchafft mir einen fichern Ort, wo ich mich verbergen tann. Ich fende nad Prag; der Vote fol Euch ein reicheres Löfegeld bringen.”

„Was da!” Höhnte der Wiehhändler und ſchob feinen Tiſch bei Seite; „fünfsig find beffer, als fünfzehn, und der König zahlt fierer, als ein Junker. Und glaubt Ihr Herrlein nicht, daß es uns wohlthut, au einen Ritter einmal unterzufriegen, ihn ein bischen zu quälen und zu treten, da Ihr Herren vom Stande uns Jahr ein Jahr aus fehindet umd mißhandelt? Ihr follt den Galgen zieren; es ift hübſch, daß aud einmal ein Edelmann ge- hangen wird. Man Lönnt' fonft glauben, der Galgen wär” nur einzig und allein für die geringen Lente. Drauf und dran! Ich fürde' mid) vor feinem tollen Stier wird mid das Mefferlein in Eurer Hand auch nicht abfchreden. vr mir,

Gerloßfohn: Der legte Taborit. I.

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Freunde und Gevattern, ich theile den goldenen Lohn mit Euch!“

Er warf nad biefen Worten feinen Tiſch um und wollte nuter dem Vratislav's durchkriechen, um dem Siebe auszumweichen und ben Ritter fo von unten zu werfen; aber ein Bierfrug, welder, von einem Schiffer geſchleudert, an Vratislav's Kopf flog, betäubte diefen. Er fank; feiner Hand entfiel das Schwert.

Iubelnd warf fi die Rotte über ihn; der Bichhändler Töfte feine Peitſche von den Hüften und fAnürte des Gefangenen Hände damit zufammen.

„Jetzt fein Pferd aus dem Stalle,“ gebot der Biehhändier, „und meine vier Roſſe vor, die draußen auf der Weide find! Bier von Euch begleiten mich nehmt Senſen und Drefchflegel wir treiben ihm noch heut im die Stadt kommen mit Gold zurüd, und es gibt eine fuftige Zeche hier. Heibil mir beingen einen ſchönen, Iebendigen Hafen auf die Burg zum Hen- kersmahle.“

Bratislav erholte fi, er ſchlug die Augen auf ringsum war kein Mitleid, keine Theilnahme in ben rohen Zügen zu le- fen. Er fühlte es, daß er rettungslos verloren fei. Noch einmal wandte er ſich an dem Wirth, der menigftens gleichgültig und nicht raubluſtig drein fah, und fagte: „Sprih Du für mic, beffen Gaft id war. Ich gelobe Euch Allen zehnfachen Lohn, gebt Ihr mich frei.“

„Das geht nicht, Herrlein,“ tröftete der Wirth, „wenn. man's erführe, daß wir Euch Bier gehabt und Taufen gelaffen lämen wir Alle in Harte Strafe, ih am meiften. Ergebt Euch vor der Hand in Euer Schidjal. Ihr Habt gewiß vornehme Leute im Land umd bei Hofe, die Euch helfen werden. Es muß arg fein, wenn fie da oben einem voruehmen Herrn an ben Hals gehen. So ſchlimm wird's nicht werben.“

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„Vorwarts!“ gebot der Biehhändler. „Diesmal treib” ich ein gar koſtbar Thier nad) der Stadt.”

Man hob draufen Bratislav auf fein Roß, deſſen Zügel ein Anderer führte; die Uebrigen ſchwangen ſich bewafinet gleich- falls zu Pferde, und raſch ging es fort auf dem Wege gen Prag.

In der Gegend von Loblovic tönte Infiiges Hörnergefchmetter ans dem Walde, welcher ſich zu beiden Seiten ber Strafe Hinzieht. Bratislav flarrte vernichtet mit bem Ausdrude der Verzweiflung vor fi) nieder. Wie weinende Jugenderinnerungen zogen bie Hörnerflänge durch feine Bruſt. Der Ausınf eines feiner Be- gleiter: „Dort biegt ein Zagdzug um die Edel“ ſcheuchte ihn auf aus feinem Hinbrüten. Er fanbte ben Pfeil feines dalken⸗ auges in bie ferne und ſchauderte bebend zufammen auf dem Roffe. Es war Lidmila im Gefolge ſechs prunfender Zäger, alle zu Bierde, fie im grünen Gewande mit der wallenden Feder, den Jagdſpieß in der Hand, ein flbernes Horn an der Hüfte. Sie fah bieich und verfört aus. Bebend Hoffte der Riuter, fie würbe quer über die Straße nach dem andern Waldtheile ziehen, und er ſenkte darum fein Haupt, um nicht erkannt zu werben, umd erwartete zitterub ben Erfolg. Ieht aber Ienfte fie das Roß um und fprengte mit ihrem Gefolge dem Zuge des Gr- fangenen gerade entgegen.

„So ſoll fie mid nicht wieder ſehen!“ rief er angfigepreft und wandte ſich zu Vaciav feinem Peiniger, indem er ihm zuſchrie: „Laß die Roſſe umlenten! Flieht mit mir! Die dort fommen, befreien mih! Ihr feid alle des Todes!“

Thorichtes Geſchwatzl“ Höhnte Vaclav und ergriff an der andern Seite den Zügel von Bratislav’s Rofle; „mir werden ihnen ſchon fagen, welden Bogel wir gefangen haben. Das Herrlein ſchamt ſich wohl, in foldem Zufand und unter folder Leibwache fih-vor einer edlen Jungfrau zu zeigen? Nur vor- wärts, Genoſſen !"

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Bratislav wollte noch einmal widerſprechen; aber es war zu fpät. Auf wilden Reimer faufte Lidmila mit ihren Jägern hexan. Kaum erlannte fie den Ritter, als fie mit herzzerichnei- dendem Tone ansrief: „Vratislav Du bift gefangen ? uud in bemfelben Angenblide verwundete auch ihre SJagblanze dem Biehhändfer am Oberarme. Auf ihren Wink griffen die Jäger mit ihren Hirfchfängern das Gefindel an, und wie ſich dieſe auch mit Gabeln und Flegeln wehrten, fo wurden fie doch bald über« waltigt und im bie Flucht gefprengt.

Lidmila biutete au der Wange. Sie zerſchnitt mit ihrem Jagdmeſſer des Ritters Bande. Ihre Hände zitterten bei dem Geſchäfte; fie ſchlug das Auge nicht auf, nur fagte fie flodend: „Ihr feid frei flieht und haßt mich ferner noch!"

„Libmila ! viefer mit dem Zone des namenlofen Schmerzes aus und drüdte fein Antlig auf ihre Hand und Lüßte das Blut von berfelben, „Lidmila, id; bin unglüclich für ewig!"

Er fette feinem Roß die Sporen ein und jagte über bie Straße gegen Prag hinab.

Sie ftarrte ihm lange bleich und zitternd nad; fie preßte ihre Finger auf bie Wunde, aus welcher rothe Perlen herab» fielen, und feufzte leife: „Er liebt mich dennoch!“ Dann wandte fie fi) zu ihrem Gefolge, dem der ganze Auftritt wie eine Wun- dererſcheinung vorgefommen war und jegt erft Mar wurde, und gebot: „Vorwärts die Strafe Hinauf! Verfolgen wir die Feinde, damit der Befreite einen Borfprung gewinne!" Cie fetten fi) beim lange ber Hörner in Xrab und fprengten zwiſchen friſchen MWalbesfhatten fort, wohin Vaclad mit feinen

ſchurtiſchen Genoffen entflohen war. —,

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An demfelben Wirthehaufe, wo Vratislav gefangen worben wer, hielt am folgenden Tage Milada mit Sukol und igrem Gefolge. Der Knappe flieg ab und ging nach der Thüre, um Waſſer und Heu für die Roſſe zu verlangen und bei biefer Gelegenheit Exrkundigungen einzuziehen.

Er fließ mit dem Fuße die Thüre, deren ganze Breite er einnahm, irachend ein, daß fie dem Birth, weicher eben geichäftig fi) Heranswälzen wollte, vor den Wanft ſchlug und diefer drei Schritte mit einem Wehſchrei zurüdtaumelte.

„Was iſt das hier,” donnerte er, „für eine ſchurtiſche Diebs- tneipe, wo der Wirth ein ſcheuer Hund, der nit feine Pforte öffnet und Beraustritt, wenn hohe Gäſte nahen ?"

Die ganze Berfammlung «6 war bie Genoffenfhart Baclav's vom vorigen Tage umb erzählte fi von dem Begeb- niffe und den Wunden und Brauſchen, welche ihnen die Jäger geſchlagen fah den wilden Gaft erflaunt an. Der Wirth aber faßite fi, eilte neben Sutol zur Thüre hinaus und fragte die Dame nad ihren Befehlen.

Sulol ließ inzwiſchen fein grelles Auge über bie Ber- fammlung ftreifen, dann fragte er gebieterifih: „Seid Ihr von hier oder fremd 2

„Bon bier!" antwortete Bäclav mürriih im Namen ber uebrigen.

„Habt Ihr," forſchte Sukol weiter, „nicht in dieſen Tagen einen Ritter geſehen, der fremd im dieſer Gegend iſt, ein ſchöner Mann, doch ſehr blaß von Gefiht und irre ich nicht, eine Wunde auf der Stirne 7“ J

„Hol' ung ber Teufel!” ſchrie Vaclav und ſchlug mit ber geballten Fauſt auf die Tafel „freilich Haben wir ihn gefehen.

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Meine fünf Ochſen gäb’ ih d’rum, wär er uod in meinen Klauen. Ihr verfolgt ihn wohl aud 9”

„Wohin entfioh er? Wo hält er fi auf?“ fragte Sulol haſtig.

„Zum Teufel iſt er!" beſchied Vaclav, in dem mod ber Ingrimm über den mißlungenen Anſchlag tobte, „und mit ihm fünfzig Goldgulden. Hätten wir ihn frei fahren laſſen, fo hatten wir dod fünfzehn, die er uns anbot. Ich erkannte in ihm denfelben, der den Edlen von Spanberg getöbtet, und weil fünfzig Goldgulden auf fein Haupt gefett find, fo faßten wir ihn Bier, banden ihm die Hände und ſchleppten ihn gegen Prag. Hinter Lobkovie überfiel ung ein Fräulein oder war's der Teufel? mit. ihrem Jagdtroſſe, machte ihn frei und ſchicte uns mit blutigen Schädeln nad Haufe. Er floh gegen Prag, Wären wir nur mehr an der Zahl"

So?" Höhnte Sulol und flug die Arme über einander „das Habt Ihr ganz vortrefflich gemacht, Ihr lieben Männer ! Afo entflohen ift er? Und die Dame Hat ihn Eud; abgejagt? Und blutige Köpfe Habt Ihr nach Haufe gebracht? Run, die Mähr' iſt nicht Übel! Erlaubt mir fpäter, Ihr guten Leute, nod ein Wort. Ich muß zu meiner Herrin hinaus.“

&r ging vor das Haus, erzählte Milada'n leife, was er erfahren, und fagte dann, da bie Roſſe bereits getränft waren: „Reitet nur eine Heine Strede voraus; id; habe da drinne mit den Ehrenmännern noch ein Meines Wort zu fpreden.”

Er kehrte wieder zur Schenke zurüd. Der Wirth fragte ihn, ob er einen Krug Bier wünfde, und Iobte deffen Bortreff- uchten

„Nein!“ entgegnete Sufol, „ich will Euch ſelbſt etwas auftifhen. Warſt Du, dider Hecht, auch bei dem Fange des Nitters mit?"

„Ei freilich!" entgegnete dieſer gefällig; „mir fdien es.

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glei rathſam, eine färfere Degleitung mitzufenden; aber der Biehhändier Bäclan hier eilte fo fehr und lich mich gar nicht zu Borte lommen.“

„Bortzefflich, vortrefflich " fuße Sukol mit aufwallenben Grimme fort „alfo ein Biehhändler? freut mich bie Be- tanntfhaft! Wollte nun au einen Menſchen, einen Ritter verhandeln und auf die Sclachtbant führen? Gut, fehr gut! Alſo Ihr Ehrenmänner alle habt dem Ritter gefangen genommen und verkaufen wollen. O Ihr hartſchädeligen, bobenlofen Schurken, Ihr Judaſſe, Ihr Saducäer, Ihr gebornen Büttel und Sihergen! Ihr verfauft, verrathet einen bößmifhen Sanbemauz, einen echten Hufjiten, weil er einen Deutſchen, einen Feind des Landes geſchlagen? Und Ihr wollt gute Ehriften fein, brave Te- gen, ehrliche Landsleute? Heißt dies das Gaſtrecht ehren, heißt dies einem Unglüdlichen beifpringen, heißt dies einem Irrenben helfen? Ci, fo ſchlage doch Gottes Donnerwetter taufendmal auf Eure ſtrupphaarigen Schädel und verfenge Euch die Ohren und das Hirn! Ihr bodenlos ſchlechten, gewiſſenloſen, ſchamloſen, ſchabigen Gauner und Buſchklepper, Ihr räudigen Hunde Ihr, ohne Ehrlichkeit im Leibe! man ſieht's Euch am, daß Ihr herzloſe Schurken feid; denn Ihr feid Krämer und Schlächter feid feine ehrbaren Kriegencchte geweſen und habt darum eine Groß- muth im Leibe. Ich will Euch 'was auftifchen, Ihr verfluchten Ratten, und Dir befonders, Du rothaariger Spion und Berräther, Du brennender Weiler, leuchtender Kalkofen, faule Weide!“

Er tfüt bei dieſen mit Wuth Hervorgebrülten Worten den Wirth, der mit offenem Munde ftaunend und lautlos vor ihm fland, vor den Wanſt, daf diefer rüdwärts überftürzte, auf ben Tiſch fiel, ihn umſchlug umd ſo bie Uebrigen, welche ſich darauf geftügt Hatten, mit auf einen Kaufen nieberiß. Gulol ergriff einen bien Prügel, welder in der Ede lag, und begann jegt mit nerviger Fauſt auf die Schädel, Arme und Beine ber fih

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Durdjeinanderwälzenden loszudreſchen, indem er Dabei fluchte: „Die Dame Hat End mit bintigen Gchäbeln Heiimgefhidt das thu' ich micht; aber die Quochen muß id Euch murbe ma- en und die harten, fpigbübif—en Schadel weich Hopfen! Da habt Ihr den Sundenlohn, Jeder fünfjig Goldftäde da, fo groß wie ein Ei, gelb und Hübf did und unvergeßlich, weil Ihr fie nicht ausgeben könnt, Ihr ſtiukenden Waflerratten, Ihr Marder und Wiebehopfe!“

Und er fing, nebenbei noch Fußtritte austheilend, unaufe börlih auf die Menſchen am Boden 108, daß fie laut aufbrüllten und Heulten, fi unter und über einander mälzten und, von ihm immer wieder niedergefhlagen, ſich nicht erheben konnten.

Us ihm der Arm erlahmte und heißer Schweiß von der fäweren Arbeit von feiner Stirne ranıı, warf er ben Knüttel in die Ede umd fagte: „Gehabt Euch; wohl, werthe Herren und Freunde, trinkt einen Krug auf meine Gefundheit, und wenn ſich wieber ein Ritter melbet, fo laßt mir ihn ja nicht entfpringen, fonft kommt Ihr um den baaren Lohn!“

Er ſchritt mad) biefen vom einem Hohngelächter begleiteten Worten langfam und gemeflen zur Hütte hinaus, ſchwang ſich auf fein Roß umb fprengte dem Fräulein nad.

Bei Milada angelangt, fagte er lachend: „Ich Habe dem guten, ehrlichen Leuten die Heilige Schrift ausgelegt wo vom Judas und den dreißig Silberlingen die Rebe ift. Ob fie fih aber von der Münze, die ich ihnen gab, Alle werben einen Gtrid Taufen Tönnen, wie der Erzſchelm weiß ich nicht. Jetzt aber,- gnädiges Fraulein raſch mad) Prag; dorthin hat der Nitter feinen Weg eingeſchlagen. Es ift hohe Zeit; denn fom- menden Sonntag ſchon nimmt der König das Abendmahl, und Michalet hat ſicher bereits den Mein gewürzt. Es if gleich, ob wir den Ritter augenblicklich finden ober nicht. Für fein Leben und feine Freiheit bürge ich; denn finden mir ihn, fo geht er

zum König und fagt: Schenke mir das Leben ih ſchenke Dir's auf. So und fo fredenzt man Dir ben Kelch. Und finden wir ihn mit fo trete ih vor und fage: Hollah! nicht getrunfen 's ift Gift drin hängt die Schurken, ſchindet fiel Willſt Du mich belohnen, Herr und König, fo begnadige den Ritter; denn Deine Rettung ift eigentlich fein Werk! Ich erzähle ihm dann Alles. Seid froh, mein gnädiges Fräulein die frohe Stunde iſt nahel"

Bratielav kam in ber Dämmerung an das Pokicer Thor. Er hatte, auf ber Flucht fo unzeitig aufgehalten, beſchloſſen, an den Ort zurüdzulchren, mo man ihn am wenigften vermuthete. Er befann fi der Worte des Juden und beſchloß, bei ihm Zur flucht zu ſuchen. Was follte er weiter in's platte Land fliehen, da ihm doch nirgends Sicherheit gewährt war? Länger konnt er and) den Freund und feine Angehörigen nicht ohne Nachricht loffen. Es. drängte ihn, von Spanberg's und in beffen Folge von feinem Lofe Kunde zu erhalten. Er ſchloß fich einer Reihe Bagen, welche Waffen und Kriegsgeräthichaften von Easlau nad dem Prager Zeughaufe braten und vom mehreren Reitern beglei- tet wurden, am umb gelangte fo unentdedt zum Thore hinein. Im der Schilingsgaffe gab er fein Pferd in eine Herberge und ſchlich durch bie dunkeln Straßen nach ber Judenftadt, mo Abra- Ham wohnte; denn biefer befand fich bamals zufällig bei feinem Better in Lieben, mit welchem er zuweilen Geſchäfte machte. Als er buch einen Ummeg von der Karpfengaffe nah dem Thore der Imbenfladt, welches des Nachts gefchloffen und von Schar - wãchtern beſchutzt wurde, hinſchritt, hörte er plötzlich vor und neben fi) Getümmel und Geſchrei und gerieth in einen Auflauf. Scharwãchter und Soldaten, Juden von jedem Alter und Chri- fien drängten fi anf einen Haufen. Es gab Stöße und Püffe; das Bolt ſchrie und fehmatterte durch einander ein junger Chriſtenbube meinte laut. Bratislan ſchlich vorfihtig herbei

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den Biertelsmeiſter ansrufen: „Hansſuchung Hansfuhung! Da Thater muß an den Tag kommen!“ nnd jubelnd ſtimmte der Ehriftenpöbel in dieſen Ausruf; bemn er durfte ſich bei ſolchen Beronlaffungen zugleich mit den Wachen in die Wohnungen ber Hraeliten drängen und darin feine Wuih au Fenflern, Schabbes- lampen, Tiſchen und Schränken auslaſſen, nad Befinden aber and, plündern. Es herrſchte damals ein fireng Gele, warnach ein Jude, der chriſtlich Blut vergoß, die härteſte Strafe erleiden, ja fogar das Leben verwirten mußte.

Die Rotte ſetzte fi ſchnaubend in Bewegung die Her bräer floben heulend und wehllagend auseinander und flüchteten in ihre Hausthüren, um in der Eile ihr Hab’ und Gut vor ben taubjüchtigen Händen zu verbergen.

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Im Hausflur fieh Bratislav auf Abraham. Athemlos gab er fi ihm zu erkennen und nannte ihm die Urſache bes Tu multes.

„Nur bier herein!“ ſagte Abraham und drängte ihn in eine Stube des Erdgeſchoſſes, wo eine einzige matte Lampe brannte, „werft bier diefe ſchmutzige Bunda (eine Art Zalar) um, jet diefes ſchwarze Judenkäpplein auf brüdt Euch dort im bie Ede und verhaltet Euch ruhig. Werd’ ich ſchon ſehen, ob fo vorübergeht das Ungewitter an meinem Haufe. Bleibt Bier, Herr Ritter rührt Euch nicht fprecht kein Wort ih will erſt legen bie eifernen Riegel vor meine Thüren oben an der Niederlage.”

Bald kam er zurüd. ber tobende Troß war ſchon vor der Thare und drängte fi; fluchend, kreiſchend, janchzend und grell pfeifend durch dem ſchmalen Eingang. Als die Stuben- thüre einflog, ftellte fi Abraham mit Faffung den Hereinftär- menden entgegen, führte die Hand an fein Haupt und fagte: „Scäolem iachem! Der friede fei zu Euh! Mas wollen die gefirengen Herren vun ber Sicherheit ?”

„Haft Du den Bluthund, den mordluſtigen Juden verftedt 9" donnerte der Biertelsmeifter. „Gib ihn heraus, oder Du biſt mit ihm zugleich des Todes 1”

„Wie Heißt 7“ entgegnete verwundert Abraham; „fol ih Jemanden herausgeben, ben ich nicht Habe? Hab’ id; doch gelett feinen Fuß vor die Thüre während des ganzen Gelärmes, wie mer mein Neffe hier, der Veitel aus Kolin, Könnte bezeugen, wenn er nicht wär’ finmm geboren.”

„Es ift der alte Iſaak Herz, wie wir vermuthen,” herrſchte der viertlet, „ber Chriſtenblut vergoffen hat. Man jah ihn ober eine andere verdächtige Perfon in Dein Haus ſchleichen.“

„Ja ja es fprang ein Menſch Herein! Ih ſah es! Der au! IH kann's beſchwören!“ ferien Mehrere

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aus dem Böbel durdjeinander, während ber bintende Lotterbube, um das Mitleid immer mehr zu erweden, fürdterfih henlte und wimmerte.

„Here Biertler,“ nahm Abraham ruhig wieder das Wort und wehrte die Eindringenden ab „wenn ift der Saal Herz in meinem Hans, will id flerben wenn nur is weiter ein Menſch drin als id und mein Better. Ich will Euch öffnen alle Thüren, auffchließen alle Kaſten; weit ich aber habe oben die Lieferung von braune Mäntel für Herrn Hanptmann Zbirov von das vierte Fähnlein Fußvolk fo kommt allein mit mir binanf und de Wachen. Sonft kein anderer Menſch; denn bie Mäntel fein ſchon bezahlt vom Herrn Zahlmeifter, und kommt einer weg, fo müßt Ihr's verantworten, geftrenger Herr Biertler; denn es is Föniglih Gut hier im Haufe, und das müßt Ihr bewachen.

„Es fei, Abraham!" jagte der Biertelsmeifter beruhigter, und zugleich feiner Pflicht eingedent, bie ihm befahl, bei eigener Berantwortung das königliche Eigenthum gegen jede Plünberung zu fügen. Er wandte fi zu dem Haufen der Eingebrun- genen und fagte: „Ihr bleibt Hier zurüd! Nührt nichts am, bei Leibesſtrafe, damit der Jude nicht betrügen könne umd dann ſage, es fei ihm ein königlicher Mantel geſtohlen worden! Du gehft voran und fehließeft uns Deine Niederlage auf!“

Abraham gehorchte und ging mit dem Richter und dem Baden Hinauf. Bratislav bfieb allein mit bem Gefindel in ber engen Stube. Die wilden Ehriftenbuben liefen nun ihren Spott und Groll an dem vermeintlichen Judenburſchen aus, höhnten ihn, tanzten Geſichter ſchneidend vor ihm, fpudten fein Kleid an und trieben allerlei Unfug mir ihm. Er, eingeben? ber Rolle eines Stummen, blieb ruhig; die Furcht, auf biefe Art entbedt zu werden, hieß ihm feinen Zorn bändigen und bie Schmach ertragen.

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Nach einer geraumen Frift kam der Viertelsmeifter mit dem Söldnern zurüd. „Es if richtig,” fagte er, „ber Iſaatk ift nicht bier; aber mer ift ber dort in der Ede, was will der Bier, wie kömmt er in Dein Haus?" md er beleuchtete den Ritter mit feiner Laterne.

„Wie ih Euch Hab gefagt,” berichtete Abraham, „es ie mein Better, der Beitel aus Kolin, der mid beſucht Hat und nicht reden kann, weil er ſtumm if. in unglüdlides Kind is ew. Der Heymann Girzi hat ihm gebracht. Ich fol ihn brauchen bier zum Baden und Tragen. Sonft taugt er niſcht.“

„Schurke!“ tobte der Biertelsmeifter, „warum haft Du ihn nicht gemeldet? Weißt Du, daß man unter Strafe von fünfzig Stodprügeln ohne meine Erlaubniß feinen fremden Juden be- herbergen darf?"

„Beil er iS gelommen erft vor einer Stunde,” entſchuldigte Abraham, „und Ihr nicht feid gewefen zu Hans. Eure Mag fagte, Ihr feid im NKarpfenwirthshaus beim Bier und wie ber Tumult is entftanden, da Hab id; mid, nicht getraut Binaus und Hab’ ihm nicht gelaffen heraus. Ich Hab’ ihn darum erft mel« ben wollen morgen. Er ift ein guter Menſch, aber er is dumm.”

„Beim heiligen Iwan!“ ſchwur ber Vierter, „ber Menſch da hat fein Judengeſicht. Der ift ein Chriſt, vielleicht ein Knecht, den Du in Deine Dienfte genommen gegen das Gele. Gottes Fluch! Weißt Du nicht, daß fein Jude einen Chriſten dingen darf, oder er wird ſechs Monate in den Thurm geworfen 9”

„Hört mic, Herr!" gegenrebete Abraham eifrig; „er ift eben fo wenig ein Chriſt wie ein Knecht. Er ift mein Better, der Veitel ans Kolin. Hat er fein judiſch Geſicht, fo hat fi feine Mutter vieleicht verfehen an einem Ehriften! aber flumm iR en"

„Erſt ein Kleines Reizmittel!“ ſchrie der Viertler; „vielleicht

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tommt die Wahrheit heraus.“ Und er nahm bei diefen Worten einen Stod und ſchlug unbarmberzig auf den Juden los.

Diefer ertrug die Schläge gebufdig, bie des BViertlers Hand ans Mübigfeit innehielt.

„Willſt Du nod nicht geſtehen?“ fragte diefer, duch feine Bornesäußerung wieder etwas abgekühlt.

„Raun ih 'was Anders jagen,“ verſetzte Abraham unb richtete ih auf, „ale id weiß? Es is ber Beitel ans Kolin und flumm. Wären einige von unfern Leut' hier fie Lönnten es bezeugen; fie Haben ihn kommen gefehen und mit mir auf der Straße geſchaut.“

„Ja wir können e8 begengen! Ich kanu's beichwören!“ ſchrieen wie ans einem Munde einige Juden, welche ſich gleich- falls mit den Uebrigen Hereingedrängt hatten.

„Da bört Ihr's da Hört Ihr's, Herr Biertler!“ rief Abraham mit Genugthuung. Wollt Ihr noch ſchlagen? Der Abraham wird's dulden, weil Ihr feid fein geſtrenger Herr.“

„Es mag für diesmal gut fein,“ antwortete ber Biertler; „morgen aber melbeft Du bei Zeiten den Burſchen bei mir und bringft ihn mit, oder Dir zahlft zehn Goldgulden. Pla ger macht! Wir wollen weiter gehen.”

„Mafel toof! Reiches Glüd, Herr Biertler! Der Herr behüte Euch!‘ ſprach Abraham fich verneigend.

Kreifhend und jauchzend drängte fi) bie Rotte hinaus umd zog vor das nächſte Haus. Abraham ſchloß die Pforte.

"So!" fagte er und zündete an ber büftern Lampe Licht an, „ietzt find wir im Ruhe. Sie kommen nicht wieder. Set habt Ihr gefehen, wie is eine Nacht in der Judenſtadt. Seid nicht böfe, Herr, daß Ihr müffen in diefes ſchlechte M leid kriechen und für en Jüden gelten. Berzeiht, was ich hab’ gefagt Schlim- mes von Euch es war bloß wegen der Verſtellung.“

„Raum hielt ich meine Wuth zurüd,” betheuerte ber Ritter,

die mid antrieb, gegen dieſen Answurf der Chriſtenheit zu wüthen I"

„So geſchieht e8 öfter, Herr!“ belehrte der Jude; „alle Wochen ein bis zweimal ift folhe Unterfuhung, umd bie Chriſten tommen mit und finden ums mit ben MWächtern und nehmen, mas fie friegen. Sie haben fonft fogar nicht verſchont ben Bei» figen Sabbath; aber jegt hat's verboten uufer gnäbiger Rönig Georg. Soll ihn Gott dafür erhalten!"

„Wie aber dan id es, wie iohm ich's Dir,“ fragte Bra- tislav, „Du edler Menſch im verachteten Stande, im Staube der Niedrigkeit? Du bit nur ein Jude umb befier, ale taufend Epriften.”

„Ich will feinen Lohn, Herr! ſagte der Jude mit Selbſt- gefühl; „habt Ihr mir doc gegeben genug auf der Reife. Und Ihr feib ein Unglüdtiger ein Verfolgter. Wenn Ihr wieber feid im Glücke, werdet Ihr nicht vergeffen den Abraham. Und menu Ihr feib geworben ein vornehmer Mann, ein Mann bei Hofe und von Einfluß, dann denkt an die armen Jüden und thnt etwas, zu lindern ihr Elend; benn wir find getreten ärger, als die Hünd', und Gott, unfer Aller Bater, Hat uns doch auch erſchaffen als Menſchen und Hat gewollt, daß wir fein follen Züden. Ihr habt gefehen, welches Glüd is, Jud zu fein, und wie flart alfo muß fein ber Glauben an die Religion unfrer Bäter, daß wir Alles erdulden für den Glauben. Wenn ber Herr König und feine Räth' und der Kanzler Tönnten einmal fehen, wie ihre Diener und Sölduer finden und treten, ver- fpotten und ſchlagen bie Juden, and wenn fe uuſchuldig fein, nur weil fe Juden fein, fie würden haben ä Erbarmen mit und und würden uns nehmen in ihren Schutz.“

„Ja,“ ſprach Bratislav vol Theilnahme, „Ihr werbet ſchlechter geachtet, al Ihr feid Ihr werdet mißhandelt, wie Ihr's nicht verdient! Woher aber, fage mir, nahmft Du bie

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Zeugen, bie etwas befräftigen Tonnten, was nicht iR? Haft Du benn einen Better, wie Du ihn geſchildert 2

„Herr,“ beiehrte der Jude, „weil wir gefunden fein, hal- ten mer zuſammen; ein Jude gibt immer Zeuguiß für den an- dern Juden, weil es doch fein Chriſt thut. Weil Ihr feib unſre Feinde, müfjen wir uns verbinden gegen Euch, um abzuhalten die Schläge, bie uns treffen. Ich hab’ feinen Neffen, Herr! Es is mir nur fo durch dem Kopf gefahren als ih war in der Noth.“

„Wenn aber morgen ber Biertelsmeifter nad ihm fragt und er ift nit dba welde Strafe wird Dich treffen?” meinte Bratislav.

„Ich werde ſagen,“ verſetzte Abraham, „der Burſche war blöd, der Burſche hat gefehen, wie fe die Süden Bier jchlagen; er bat geglaubt, es is immer fo und könnt' ihm auch geſchehen, und er is darum aus Angft bavongelaufen. Ich werd's jelbft anzeigen und zwei Gulden ausfegen für ben, wer mir ihn bringt. Die von unfere Leut' verraten mid nicht.“

„Euer ftarrer Glaube,“ feufzte Vratislav, „und unfre Ber- folgungsewuth machen Euch verfiodt. Ihr feid mehr unglücklich, als ſchlecht.“

„Warum follten wir auch ſchlechtgeboren fein?" gegenrebete Abraham; „waren wir doch vom Anfang der Welt und von Gott auserwählt durch feine Gnade. Umd ans dem Judentum ift erft geworden das Ehriftentfum, und aus biefem das Huffi- tenthum. Und wenn bie Katholiken fagen, die Lehre vom Kelche ſei ſchlecht, weil bie ihrige is älter und von Chriſtus Ber, fo tönnen wir fagen: Unfer Glaube is befier, weil er noch is älter. Beil fie nun haben Neues Hinzugethan, is deswegen das Alte nicht geworden ſchlecht, was fie haben gelaffen. Gott ift anfer Gott, er wirb uns Allen helfen; aber die Menfchen ver- flehen ihn” nur alle nicht recht ſouſt wurden fie handeln

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alle gleich und nur thun, was is recht, und weil ſie ſich lieb haben.“

„Es waren Eure Pfaffen,“ entgegnete Vratislav, „bie Chri- ffum freuzigten, und chriftiche Pfaffen haben Huf und Hierony- mus verbrannt. Das ift der Wechſel ber Welt und ber Schid- fale; der Menſch bleibt derfelbe. Ja, fie verfichen Gott nicht, und darum fuchen fie im falſchen Eifer das Verſtändniß. Mein guter Zube, wir fönnten ruhig unter einem Dache wohnen, ohne uns wegen des Glaubens anzufeinden, obgleich ich es doch eigenttich folte; denn der Zube, auch gleichgefeit mit dem Chri« fien, wird doch nie fein Freund.”

„Warum nicht, gnäbiger Herr?“ warf Abraham ein; „Ihr habt mic zwar bezahlt, es is wahr, aber ich hatte dod den Lohn ſchon im voraus. Nu, warum Tieß ich mich fehlagen lieber, als Euch zu verrathen? Weil ich bin Euer Freund, weil Ihr feid ein, Unglüdficher, und weil ih kann allein Euch helfen. Die Unglüdlihen find alle Kinder Gottes. Der Schmerz auf mein'n Rüden wird vergehen, und ich werd' haben freude, wenn Ihr feid in Sicherheit. Und wenn Ihr feid eim großer Herr geworben, und ic) ſehe Euch neben dem König auf'm Pferde, werd’ ich fa gen zu mir: Kennft Den, Abraham? Das hat ber Abraham ger macht; benn wär’ der Abraham nicht geweien, jo wär’ ber Ritter ſchon längftens tobt. Ihr habt ſchöne Geſetz bei ben Chriſten, Herr Ritter! Du ſollſt lieben dein'n Nächſten, wie Did; Du jollſt wohlthun denen, die Dich haſſen und verfolgen. Aber, wie Heißt? Wird's gehalten non den Ehriften? Sollen wir üben es affo Halten, weil es die Ehriften nicht tfun und es is doch micht unfer Gefeg! Ufo die Jüben, die ſchlecht fein, bie fagen fo: Weil mer fe nicht können wiederſchlagen, fo woll'n mer fe betrügen; denn was hilft's, daß mer uns laffen treten und ihnen dafür wohlthun? Ge thun uns doch niemal® etwas wohl; je

Herloßfohm: Der lebte Taborit. 1. 16

Wenn id hier habe einen Schrank,” gegenredete der Zube, „und der iS dom meinem lr-Urgroßvater und hat ihm gehabt ber Gruben a mein Bat Te mh dog Kan fein an dem

alten Scranfe, daß fe ihn haben befalten umb nicht zerſchlagen Holz Er muß fein ſeſt und dauerhaft oder bequem. Alſo aud fein im Jubentfum etwas Großes, etwas Göttliches, daß es is geblieben durch fo viel hundert Jahr, und Taufende von 2ent fein deshalb geworben elend umb tobt, gemartert und verfolgt, unb doch fein ihre Kinder wieder geworden Jüden und find es

„Aber die Welt wird immer wieder jung,“ belehrte Bra- nielav und vom Baume fdneidet man bie verdorrten Aeſte, damit die friſchen deſto grüner treiben lönnen.“

„Eins aber,” fiel der Jude ein, „iR alt und ewig und doch immer jung geweſen und is es noch; das if Gott und der Glaube an ihn. Barum follen mer mit daran halten? Is er geweien für umfere Bäter recht, warum nidt auch für uns? Gein dog unſre Wäter geihleppt worden in die baby- loniſche Gefangenſchaft und Haben gehalten am Gott Iſrael's, amd er hat ihnen wieber geholfen. Warum ſoll uns derſelbe Gott, der doch if ewig jung, nicht noch einmal Helfen, daf wir tommen aus unferer Schmach, wenu wir haben abgebüßt unfre Sünden? Denn es heißt ja ein Spruch: Wen ber Herr liebt, den züdtigt er. Und er züuchtigt uns fon viele hundert Jahre; aber feine Barmberzigleit iſt ohne Ende, und er wirb uns aud

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einmal wieder erheben, weil wir fo lange gefemeditet in ber Demüthigung.”

„Chriſtus am Kreuze,” unterbrach ihn Wratislav, „rief bie Stunde Eurer Erhebung herbei. Gr prebigte die Liebe und bie Freigeit; die Auferfehung in einer beffern Form; Ihr hörtet ihn nicht und klebt am alten Wuſte, der unferer Zeit nicht mehr angehört und finfter und gefpenftiih in fie hineinſtarrt. So rang fid) andy aus dem vierzehn Jahrhundert alten Mober des Chriftentfums fein wahrer Geift verfärt und erneuert empor durch die Lehre Huffens. Und es wird nach wieder vielen Jahren tommen, daß dieſer Geift fich neuerdings und noch mehr ver- Hären wird. Wie frei und geachtet fländet. Ihr als Bürger eines und besfelben Landes da, würdet Ihr unſers Glaubens! Ein Glaube im Lande, und es wäre unfbermindfic.”

Aber es ift der fehler,” verſetzte der Jude, „baß bieje- nigen, bie prebigen einen neuen Glauben, immer heftig fein und wollen gleich haben, daß fi fol Alles befehren, noch bevor die Leut' eingefehen haben, daß es wirklich is ein befferer Glauben! Und fo zwingen fe Eingm den Glauben dur die Ohren hinein, Ratt daß er kommen foll von inmendig herans. Und weil Die nun nicht gleich glauben wollen, weil fe noch nicht können, fo werben fe verfolgt, werben gefunden nud getreten und werben noch verfiocter in ihrem Glauben. Eins aber weiß id, Herr Ritter, und das ift wahr umd bleibt wahr. Wenn mer ie ä redlicher Menſch und Handelt nur recht und gut als Jüd' ober Chriſt, fo dag mer kann anf dem Xobtenbett frei fagen zu fein Gereifien: Haft du mer niſcht vorzumerfen? und 6 Gewiſſen ſchweigt, fo wird mer felig dort oben, ob mer is Chrift oder Jud', ob im Himmel oder auf ber grünen Wiefe. Weil «6 aber jegt is Zeit, Herr, und ſich Alles Hat verlaufen draußen, fo könnt' mer aufbrechen; denn in einer halben Stund' wird ge ſchloſſen das Thor, und Keiner kaun hinein und Keiner heraus.

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„ab Tant Ir Alles, edler Jude!” rief Bratisiav und nentedte die Band deo Oebraers; „ih werde oft Gelegenheit haben, am helfen ſagen gu tönnen: Geht dorthin und Iernet von dem when, hen Ahr ut deo Mamens wegen veraditet, feiner Gefin- mung haſber aber verreisen müßt. Vreden wir auf.“

„erlaubt, Herr 1" ſprach Abraham, ihn zurüdhaltend; „Ihr mine nor andehalten das Kleld von einem Juden und das Orunhbeafäple dan Ihr nicht werdet erfannt. Wollt Ihr mir

uchmen, aber de mur eine Mieinigkit non cimem Gäfden. U.

hinaus, wo fi der Tumuit sr um bie Borübergehenden zu tänfdgen, lets gegen deu Riuer braiſch ſprach gelangten fie an den uns JIundenſtadt und ſchritten mnerlennt umb wicht aufgehatten Aber Ring nad) dem Xeinhofe zu.

Wilada war wieder im Hauſe der Zeövicer angelangt. Sie erfuhr Hier nichts von ihrem Witter; denn der Jude hatte, von dem Biertfer ans Berdacht zur Saft gebracht, von feiner Ankunft noch feine Kunde geben Innen. Sie erfuße nur fo viel, daß der Berhaftbefehl gegen Bratislav noch immer im Kraft fei, weil Spanberg noch am feiner Wunde gefährlich darmieder lag und zwiſchen Tob umb Lehen fäwehte. Der König hatte zwar des alten Zedvicer’s Fürbitte freundlich aufgenommen, die Be- gnadiqung aber noch nicht zugefagt; es ſchien Alles auf die Rettung des Spauberger's anzufommen und darum war mod immer Gefahr für Bratislav vorhanden.

Es war deuſelben Tag, an einem freitag, wo Sufol auf des Fränfeins Geheiß durch die Straßen der Stadt eilte, um Bier und da nad) feinem Herrn zu kuudſchaften; denn daß biefer heimlich in Prag fei, fchien ihm gewiß. Cr fam in die Nähe ber Schloßfiege. Auffallend war es ihm, daß eine große Men

anf dem Sae⸗ſe? cm Zeh oder cine Beichsung?-

„Der König mimmi heut’ fei bes Abendmahl muier beiderlei Gehalt,” wer die Antwert; „er will das Gerede, das da fagt, er fei wide mehr gut caligtiiid gefkemt, be⸗ ſchamen.

„Shen heut bes Hbenbmahl?“ fuhr Salel auf; „ich hörte ern vom Somming IM das fein Irrthum 7*

den Somn-

„Das wäre der Teufel“ fluchte Sulol, „ber fi Bier in mein Spiel mengte. Komme ich zu fpät, daun wehe mir, weh’ ans Allen!“

Er rannte nad) diefen Worten wie toll die ſteile Schloß Riege hinauf, eilte athemlos fiber den Burghof und drängte fi wild in die Kirde bis vor an dem Hodaltar. Die Geiſtlichen übten bereits ihr Heifiges Amt, Roycana verrichtete das Officium, der Rönig, feine Gemahlin und beide Söhne faßen zur Linken bes Altars, vom Chore fchallte der boͤhmiſche Gefang der Sänger. Bollgedrangt war die Kirche; an dem Thüren fand die königliche rLeibwache mit Hellebarden.

Detzt näherte fich der König mit feiner Familie dem Altar. Rolycana goß den Wein in ben Kelch und fegnete ihn. Der König kniete nieder. Die Unruhe, melde bis jet in Gufol getobt, brach heftig aus; er fprang über die ſteinerne Brüftung, welche den Hochaltar vom Schiff der Kirche trennt, flürzte vor gegen ben Erzbiſchof, viß ihm dem Kelch aus der Hand und ſchrie: et mein König, Du trinkſt fonft den Tod. Das

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Erſchrocken fprang der König anf ein Schrei des Ent- ſetzens fuhr durch die Berfamminng Rofycana erbleichte und rang nad; Faffung der Chor der Sänger verſtummte.

Des König behielt feine Beſinnung. Er fah dem abenteuer- lichen Kriegeknecht ſcharf an; dann fragte er ernſt und Fräftig, während eine Todtenſtille und ängfllide Spannung über den Tanfenden von Menfchen, bie im Dome waren, lag: „Bi Du en Wohnfinniger oder ein Lügner? Wie iR Dein Name? Woher kimmft Du? Wer gab Dir das Recht, dieſe Heilige Handlung zu flören ?*

nDie Mothwenbigteit, Here!“ verfegte Sukol mit Ruhe; „denn ohne mid, o Here! Tägeft Du in wenigen Tagen auf ber Todtenbahre. Ich bin mweber toll noch fdhlecht, Herr! Ich bin ein firengglänbiger, Huffitiicher Kriegefnect, der unter bem beiden Profopen gedient, und Lüge nicht. Ich fage Dir, ber Wein if vergiftet, und rette Dir fo das Leben.”

„Schließt die Pforten!“ gebot der König einem neben ihm Rehenden Hauptmanne der Leibwache. „Laßt feine Seele aus der Kirche, Funf Söldner bewachen hier den Knecht, bie er Beweiſe geliefert Hat! Nehmt ihm feine Waffen ab!“

Es geihah. Die Hellebarbiere vertheilten fi am ben Pforten und ließen Niemand hinaus.

„Sprich nun, was Du weißt 1” befahl der König, an welchen fi die Gattin zitternd und bleich anklammerte.

„Ich heiße Sukol, Herr,“ berichtete der Knappe, „und biene dem edlen Bratislan von Branik. In einer Schenke auf dem Strahof Iernt’ ich ihn kennen. Der Guardian der Kapuziner ſchlich dafelbft ein und aus und fpann Berrath mit dem Wirthe Michalek. Mein Herr ahnte e8 und wollte fie belaufchen. Doch ihn betraf Unglüd er mußte fliehen, und ich belauerte flatt feiner die papififhen Hunde. So hörte ich denn, wie Du am heutigen Tage duch den Wein bier, ben eben der Schurke Mir

q⸗act geiejert, vergiftet werden jefirk. Befich, dei der Mind uud ber Gafwirth herbeigeilefft werde. Ram ich wicht, je

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Eben war der Guardian im Begriffe zu eutfliehen; deun einer feiner Späher, ein Mönd, hatte an der Kirchenthüre ge- lauſcht und war noch vor dem Gchluffe der Thüren bei Sutol's Ausrufe: „Du trinfft Gift, König!’ entiprungen, um ihm Rad- richt zu geben.

Aber zu ſchnell folgte ihm die Wade auf dem Fuße; man wurde and des Michalek habhaft, nnd fo wurden unter einem ungehenren Bollsauflauf die beiden Verbrecher nad) der Kirche gebracht. Der Monch ſah ruhig und verfiodt feinem Schichale entgegen, aber auf Micdiefs bleihem, verzerrtem Antlig malte fi) die Sünde und die Todesaugſt.

Man führte fie in die Sacriſtei. Der König lehnte an dem Tauffteine und ſah bie Giftmiſcher durchbohrend an. „Euch Beide,“ fagte Georg, „hat man eines Anſchlags auf mein Leben bezuchtigt. Könnt Ihr Euch nicht rein wachen, dann märe es beffer, Ihr wäret nie geboren! Pater Guardion, Wirth Mir qhalel, was ift in biefem Kelche Hier, deſſen Wein Ihr mir kredenzt ?*

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Der Priefter fenkte das Hampt und ſchwieg; Michalet zit- terte, daß ihm bie Knie brechen wollten.

Sufol trat jet ans ber Ede hervor und fiellte fi vor den Birth Hin, der bei feinem Aublide wie vor einem Geſpeuſt zufommenfuhr. J

„Gott grüß' Euch, Here Michalet,“ ſagte Sutol mit Hohn, „Ihr ſtinlender, gottesläfterlicher Böſewicht mit dem Anfage zum Fettwanſt, Ihr Ehrenmann, ber mich mit doppelter Kreide bedient, Ihr Spigbube, der ſich mein Freund genannt und im der Red nung mir das fell über die Ohren gezogen hat! Nun was habt Ihr denn mit dem Kapuziner geſprochen? „Gar nichts! Ich zeigte ihm die Bilder; er eutſetzte ſich darüber. Ihr wißt. wie mir das Voll zuwider.““ Habt Ihr das nicht zu mir ge jagt, ehrlicher, frenggläubiger Calirtiner und Weinverfälſcher? Ihr Lumpenhund! Ihr gleißneriſcher Heuchler! Wie hat Euch die Monftranz gefchmedt und der Beutel mit Golb unb das Erueifizlein? Wenn Ihr in Zufunft wieder eine Berfhwörung in Enrem ehrbaren Haufe ausbrüten wollt, fo unterſucht erſt das Lager und ſeht zu, ob nicht Einer unter dem Bette fiedt. Ihr waret eim weiler, ein pfiffiger Mann, der mich immer gern belehren wollte habt Ihr jegt feinen Rath für Euch?“

„Schweig!“ gebot der König Sukol'n und wandte ſich zu den Berbrehern, indem er mit bonnernder Stimme fragte: „Was iR in dem Weine hier? Zrinkt von dem Wein, wenn Eud das eben lieb if!“

„Gnade Erbarmen!“ ſchluchzte Michälek nud ſank zu des Könige Füßen.

Der Möndy aber erhob das Haupt, fah den König trogig und wie mit Verachtung an, ergriff haſtig den Kelch, fette ihn an bie Lippen und verſchlang feinen Inhalt.

„Gift ift darin,“ ſchrie der Guardian mit Ingrimm „Gift für Didi“ .

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fommt die Wahrheit heraus.“ Und er nahm bei diefen Worten einen Stod und ſchlug unbarmherzig auf den Juden los.

Diefer ertrug die Schläge geduldig, bis des Viertlers Hand ans Mübdigfeit innehielt.

„Willſt Du noch nicht geftehen?“ fragte biefer, durch feine Zornesäußerung wieder etwas abgekühlt.

„gann id 'was Anders ſagen,“ verfegte Abraham und richtete ſich auf, „ale ich weiß? Es is ber Veitel aus Kolin and fiumm. Wären einige von unfern Leut bier fie könnten es bezeugen; fie haben ihn kommen gefehen und mit mir auf der Straße geſchaut.“

„ga wir können es bezeugen! Ich kann's beſchwören !“ färieen wie ans einem Munde einige Juden, welche ſich gleich- fols mit den Uebrigen Hereingebrängt Gatten.

„Da Hört Ihrs da Hört Ihre, Kerr Viertfer!" rief Abraham mit Genugthuung. Wollt Ihr noch ſchlagen? Der Abraham wird's dulden, weil Ihr feid fein geſtrenger Herr.“

„Es mag für diesmal gut fein,“ antwortete ber Biertler; „morgen aber meldeft Du bei Zeiten den Burſchen bei mir und bringft ihm mit, ober Du zablft zehn Goldgufden. platz ger macht! Wir wollen weiter gehen.“

„Maſel toof! Reiches Glüd, Herr Biertler! Der Her behüte Euch!“ ſprach Abraham ſich verneigend.

Kreifchend und jauchzend drängte fic die Rotte hinaus und 309 vor das nädfte Haus. Abraham fchloß die Pforte.

„So! fagte er und zündete am der düſtern Lampe Licht an, „jet find wir in Ruhe. Sie fommen nicht wieder. Jetzt Habt Ihr gefehen, wie is eine Nacht in der Judenſtadt. Geid nicht böfe, Herr, daß Ihr müflen in dieſes ſchlechte Kleid kriechen und für en Jüben gelten. Berzeißt, was ich hab’ gefagt Schlim- mes von Euch es ‘war bloß wegen der Verſtellung.“

„Raum hielt ich meine Wuth zurüch,“ betheuerte ber Ritter,

bie mid; antrieb, gegen dieſen Auswurf ber Chriſtenheit zw wathen I

„So geſchieht es öfter, Herr!“ belehrte der Jude; „alle Wochen ein bis zweimal ift foldje Unterſuchung, und bie Chriſten Iommen mit und finden uns mit den Wäctern und nehmen, mas fie kriegen. Sie haben fonft fogar nicht verſchont den Hei» Tigen Sabbath; aber jegt hat's verboten unfer gnäbiger Pönig Georg. Soll ihn Gott dafür erhalten I“

„Wie aber dauk ich es, wie lohn' ich's Dir,“ fragte Bra- tislav, „Du edler Menſch im verachteten Stande, im Staube der Niedrigleit? Du bift nur ein Jude und befier, als taufend Ehrifen.“

„Ich will feinen Lohn, Here! fagte der Jude mit Selbſt - gefühl; „habt Ihr mir doch gegeben genug anf der Reife. Und Ihr ſeid ein Unglüdliger ein Berfolgter. Wenn Ihr wieder feid im Glüde, werdet Ihr nicht vergeffen den Abraham. Und wenn Ihr feid geworben ein vornehmer Mann, ein Mann bei Hofe und von Einfluß, dann denkt an bie armen Juden und tut etwas, zu lindern ihr Elend; denn wir find getreten ärger, als die Hünd’, und Gott, unfer Aller Vater, Hat uns doch auch erſchaffen als Menſchen und Hat gewollt, daß wir fein follen Yüden. Ihr Habt gefehen, welches Glüd is, Iüd zu fein, und wie flarf alfo muß fein der Glauben an die Religion unfrer Bäter, daß wir Alles erdulden für deu Glauben. Wenn der Hear König und feine Räth' und der Kanzler könnten einmal fehen, wie ihre Diener und Söldner ſchinden und treten, ver fpotten und ſchlagen die Juden, auch wenn fe unfchuldig fein, nur weil fe Juden fein, fie würben haben ä Erbarmen mit uns und würden uns nehmen in ihren Schub.”

„Ja,“ ſprach Bratislav vol Theilnahme, „Ihre werdet ſchlechter geachtet, als Ihr ſeid Ihr werdet mißhandelt, wie Ihr's nicht verdient! Woher aber, fage mir, nahmft Du bie

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Zeugen, Die etwas befcäftigen Tonnten, was wicht IR? Haft Du denn einen Better, wie Du ihn gefchildert >

dert,“ belehrte der Jude, „weil wir gefunden fein, hal- ten mer zufammen; ein Inde gibt immer Senguiß für den au dern Imben, weil es doch fein Chriſt thut. Weil Ihr feib nufre Feinde, müfſen wir uns verbinden gegen Euch, um abzuhalten bie Schläge, die uns treffen. Ich Hab’ feinen Neffen, Herr! Es is mir nur fo durch dem Kopf gefahren als ich war in der Roth."

„Wenn aber morgen ber Biertelsmeifter nad ihm fragt und er ift nit da welche Strafe wird Did treffen? meinte Bratielav.

„Ich werde jagen,“ verfegte Abraham, „der Burſche war blöd, der Burſche Kat gejehen, wie fe die Jüden Hier ſchlagen; er hat geglaubt, es is immer fo und könnt' ihm auch gefchehen, und er is darum ans Angft bavongelaufen. Ich werd's ſelbſt anzeigen und zwei Gulden ausfegen für den, wer mir ihn bringt. Die von unfere Leut' verrathen mich nicht.“

„Euer ftarrer Glaube,“ ſeufzte Vratislav, „und unfre Ber- folgungswuth madjen End verftodt. Ihr feid mehr unglücklich, als schlecht.“

„Barum follten wir auch ſchlechtgeboren fein?" gegenredete Abraham; „waren wir doch vom Anfang der Melt und von Gott anserwählt durch feine Gnade. Und ans bem Judenthum iſt erft geworben das Chriſtenthum, und aus dieſem das Huffie tenthum. Und wenn bie Katholiken fagen, die Lehre vom Kelche ſei ſchlecht, weil die ihrige is älter und von Chriſtus Her, fo tönnen wir jagen: Unfer Glaube is beffer, weil er noch i8 älter. Beil fie num haben Neues Hinzugethan, is deswegen bas Alte nicht geworben ſchlecht, was fie Haben gelaffen. Gott ift unſer Gott, er wird uns Allen helfen; aber bie Menfchen ver- fehen ihn" nur alle nicht recht ſonſt toilrden fie haudeln

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alle gleich und nur thun, was is recht, und weil ſie ſich lieb haben.“

„Es waren Eure Pfaffen,“ entgegnete Vratislav, „die Chrir fm frenzigten, und chriſtliche Pfaffen Haben Huß und Hierony- mus verbrannt. Das ift der Wechſel der Welt und der Schid- fale; der Menſch bfeibt derſelbe. Ja, fie verfiehen Gott nicht, und darum ſuchen fie im falfhen Cifer das Verſtändniß. Mein guter Jude, wir fönnten ruhig unter einem Dache wohnen, ohne uns wegen des Glaubens anzufeinben, obgleich ich es doch eigentlich folte; denn der Jude, auch gleihgefellt mit dem Chri fen, wird dod nie fein Freund.“

„Warum nicht, gnäbiger Herr?“ warf Abraham ein; „Ihr Habt mid) zwar bezahlt, e8 is wahr, aber id) Hatte doch den Cohn fhon im voraus. Ru, warum ließ ich mic ſchlagen lieber, als Euch zu verrathen? Weil ic bin Ener Freund, weil Ihr feid ein. Unglüdficher, und weil ich Tann allein Euch Helfen. Die Unglüdtichen find alle Kinder Gottes. Der Schmerz auf mein'n Rüden wird vergehen, und ich werd’ haben freude, wenn Ihr feid in Sicherheit. Und wenn Ihr feid ein großer Herr geworben, und ic fehe End; neben dem König aufm Pferde, werb’ ich fa gen zu mir: Kennft Den, Abraham? Das hat ber Abraham ge macht; denn wär’ der Abraham nicht geweien, jo wär’ ber Ritter ſchon längftens tobt. Ihr Habt ſchöne Geſetz bei den Chriſten, Herr Ritter! Du ſollſt lieben dein'n Nächten, wie Did; Du ſollft wohlthun denen, die Dich Haffen und verfolgen. Aber, wie Heißt? Wird's gehalten non ben Ehriften? Sollen wir Zübden es alſo Halten, weil es die Ehriften nicht tfum und es is doch nicht unfer Geſetz Ufo die üben, die ſchlecht fein, die fagen fo: Weil mer fe nicht können wiederſchlagen, fo woll'n mer fe betrügen ; denn was Hilft’s, daß mer uns laffen treten und ihnen dafür wohlthun? Ge thun uns doch niemals etmas wohl; fe

Herlofohn: Der Iete Taborit. 1. 16

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treten ung immerfort. Warum follen mer uns allein aufe opfern ?“

„Und es bedarf nur eines Schrittes der Vernunft vorwärts,” befehrte Bratielan, „und Ihr feid Chriften; denn ift etwas im unſerer Lehre, wogegen fi das Herz, das Gewiſſen, bie ver- nünftige Sitte empört? Warum wollt Ihr alfo nicht die mohl- thätige Neuerung annehmen ?*

Wenn ich hier babe einen Schrank,“ gegenrebete der Jude, „und ber is von meinem Ur-Urgroßvater und Hat ihm gehabt der Großvater und mein Vater, fo muß doc etwas fein an dem alten Schranke, daß fe ihn Haben behalten und nicht zerſchlagen zu Ho. Er muß fein feft und dauerhaft oder bequem. Alfo muß aud; fein im Judenthum etwas Großes, etwas Göttliches, daß es is geblieben durch fo viel Hundert Jahr, und Tauſende vom unfere ent’ fein deshalb geworben elend und tobt, gemartert und verfolgt, und doch fein ihre Kinder wieder geworden Jüden und find es geblieben.“ .

Aber bie Welt wird immer wieder jung,“ belehrte Bra- tislav, „und vom Baume ſchneidet man bie verborrten Xefte, damit die frifchen defto grüner treiben fönnen.“

„Eins aber,“ fiel der Jude ein, „if alt umb ewig und do immer jung geweſen und is es noch; das ift Gott und der Glaube an ihn. Warum follen mer nicht baran halten? Is er geweien für umfere Väter recht, warum nicht auch für uns? Sein bo unfre Väter geſchleppt worben in die baby- louiſche Gefangenfhaft und haben gehalten am Gott Iſrael's, und er bat ihnen wieder geholfen. Warum fol uns derſelbe Gott, der doch ift ewig jung, nicht noch einmal helfen, daß wir tommen aus unferer Schmach, wenn wir haben abgebüßt unfre Sünden? Denn e8 heißt ja ein Sprud: Wen der Herr liebt, den züctigt er. Und er züdjtigt uns fon viele hundert Jafıe; aber feine Barmherzigkeit if ohne Ende, und er wird uns aud

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einmal wieder erheben, weil wir fo lange geſchmachtet in ber Dermüthigung.“

„Chriſtus am Kreuze,“ unterbrach ihn Bratislav, „rief die Stunde Eurer Erhebung berbei. Er prebigte die Liebe und die Freiheit; die Auferflehung in einer beſſern Form; Ihr Hörtet ihn nit und Mebt am alten Wufte, der unferer Zeit nicht mehr angehört und finfter und gefpenfliih in fie hineinſtarrt. So ang ſich and aus dem vierzehn Jahrhundert alten Mober bes Chriſtenthums fein wahrer Geift verflärt und erneuert empor duch die Lehre Huffens. Und es wird nad wieber vielen Jahren tommen, daß biefer Geift fi neuerdings und mod mehr ver- Hären wird, Wie frei umd geachtet fländet. Ihr als Bürger eines und desſelben Landes da, wardet Ihr unfers Glaubens! Ein Glaube im Lande, und e8 wäre unüberwindlich.“

„Aber es iR der Fehler,“ verſehte der Jude, „daß bieje- migen, bie predigen einen neuen Glauben, immer heftig fein und wollen gleich haben, daß ſich fol Alles befehren, noch bevor die Lent’ eingefehen Haben, daß e8 wirklich is ein befferer Glauben! Und fo zwingen fe Eingm den Glauben durch die Ohren hinein, Ratt daß er kommen foll von inwendig heraus. Und weil Die nun nicht gleich glauben wollen, weil fe noch nicht können, fo werben fe verfolgt, werben gefunden und getreten und werben noch verfiodter in ihrem Glauben. Eins aber weiß ih, Herr Nitter, und bas ift wahr und bleibt wahr. Wenn mer is ä redlicher Menſch umd Handelt nur vet und gut als Jud' ober Chriſt, fo daß mer kann auf dem Todtenbett frei fagen zu fein Gewiffen: Haft du mer niſcht vorzumerfen ? und 6 Gewiſſen ſchweigt, ſo wird mer felig dort oben, ob mer is Chriſt oder ab’, ob im Himmel oder auf ber grünen Wieſe. Weil es aber jet is Zeit, Herr, und fi Alles hat verlaufen draußen, fo Könnt’ mer aufbreden; denn in einer halben Stund' wird ge- ſchloſſen das Thor, und Keiner kann hinein und Keiner heraus.

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Wohin wollt Ihr, Herr Ritter? Denn bei mir fönnt Ihr morgen nicht bleiben, weil ber Biertler wird ſuchen meinen Better Beitel aus Kofin, ber ſtumm if.“

Bring’ mic nah dem Teinhofe zu Pater Cyrillus, wenn Du ihn Tennf. Mur durch die Straßen, die ich nicht kenne, geleite mid, damit ih nicht nöthig Habe zu fragen. Ih Bunte mich fo leicht verrathen. Nimm bier noch das Gold als ſchwachen Lohn. Schlägt mir bereinft eine glücklichere Stunde, werde ich Deines Dienftes eingeben fein. So aber kann Dir Einer, beffen Leben nicht mehr fein Eigenthum if, nicht mehr geloben. Morgen früh eile zum Ritter von Zedvic an ber Bruska; es ift mein Freund, der Dich zu mir gebracht. Sag’ ihm, daß id) Bier und beim Pater Cyrillus fei; er wird Dir den Gang vergelten.“

„Laßt das Gold, Herr Ritter!" ermiederte Abraham ; „id bin ein armer Jud', aber id nehm es nicht. Als Ihr feid wieber im Glüde, werd’ ih es nehmen. Ihr feid ein edler Herr; Ihr werdet nicht vergeffen auf den armen Abraham, der für Euch Hat geduldet Schläge und Beſchimpfung. Jetzt könnt Ihr es noch brauchen, Herr! Mann kann es dod nicht wiffen. Wil mer der Herr von Zedvic etwas geben, is gut; gibt er niſcht, bin ich auch zufrieden. Weiß ich doch, daß ich Hab’ Euch geholfen und Ihr noch könnt' werden mit ber Zeit ä großer Herr, & mächtiger Herr, der beihügen wird die üben.”

„Hab' Dank für Alles, edler Jubel“ vief Bratislav und drüdte bie Hand bes Hebraers; „id; werbe oft Gelegenheit haben, zu Chriften fagen zu können: Geht dorthin und Iernet von dem Juden, den Ihr nur des Namens wegen verachtet, feiner Gefin- nung halber aber verehren. müßt. Brechen wir auf.”

„Erlaubt, Her !" fprad; Abraham, ihn zurüchaltend; „Ihr müßt noch anbehalten das Kleid von einem Jüden und das Scabbestäple daß Ihr nicht werdet erfannt. Wollt Ihr mir

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etwas geben Dafür, weil ich Damit treibe Handel, fo will iche nehmen, aber doch nur eine Kleinigkeit von einem Gülden. Es gehört in mein Geihäft, und id bin A armer Jübd'.“

„Hier Hier!” fagte Bratislav und drang ihm zwei Goldſtücke auf. „Nun laß uns gehen!"

Abraham öffnete die Thüre; fie traten auf die Strafe hinans, wo fi der Tumult gelegt hatte, nnd während der Jude, um die Vorübergehenden zu täuſchen, ſtets gegen ben Ritter he - braiſch ſprach, gelangten fie an den Wachen vorüber aus ber Judenſtadt und fehritten unerfannt und nicht anfgehalten über den Ring nach dem Teinhofe zu.

20.

Milada war wieder im Haufe der Zeövicer angelangt. Sie erfuhr hier nichts von ifrem Ritter; denn ber Jube hatte, von dem Biertler aus Verdacht zur Haft gebracht, von feiner Ankunft nod feine Kunde geben können. Sie erfuhr nur fo viel, ‚daß der Verhaftbefehl gegen Bratislav noch immer in Kraft fei, weil Spanberg no an feiner Wunde gefährlich darnieder lag und zwilhen Tod und Leben ſchwebte. Der König Hatte zwar des alten Zeövicer's Furbitte freundlich aufgenommen, die Be- gnadiqung aber nod nicht zugefagt; es ſchien Alles anf bie Rettung des Spanberger’s anzulommen und darum war nod immer Gefahr für Vratislav vorhanden.

Es war denfelben Tag, an einem freitag, wo Sufol auf des Fräuleins Geheiß durch die Straßen ber Stadt eilte, um bier und da nad) feinem Herrn zu kundſchaften; denn daß biefer heimlich in Prag fei, ſchien ihm gewiß. Gr fam in bie Nähe der Schloßftiege. Auffallend war es ihm, daß eine große Men⸗

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ſchenmenge ſich eifrig die Stufen und die Sporuergaffe hinauf · bewegte. Er fragte einen Borübergehenden: „Was gibt es oben anf dem Schlofie? eim Feſt oder eine Belehnung ?*

„Der König nimmt heut’ feierlich das Abendmahl unter beiberlei Geftalt,” war die Antwort; „er will bas Gerede, das da fagt, er fei nicht mehr gut calirtiniſch gefinnt, ber fämen.“

"Schon heut das Abendmahl?“ fuhr Sukol auf; „ic hörte exft vom Sonntag. IA das kein Irrthum?“

Nein!“ befcieb der Bürger; „erft war es auf den Sonn- tag bei feierfihem Hochamte beftimmt; weil aber ber König noch heut’ gen Beraun aufbricht, fo fol die Heilige Geremonie vor feiner Abreife flattfinden.”

„Das wäre der Teufel!“ fluchte Sutol, „ber ſich Hier in mein Spiel mengte. Komme ich zu fpät, dann wehe mir, weh uns Allen!”

Er rannte nad) dieſen Worten wie toll die fleile Schlof- Riege hinauf, eifte athemlos über den Burghof und drängte ſich wild in bie Kirche bis vor an den Hochaltar. Die Geiſtlichen übten bereits ihr Heifiges Amt, Rokycana verrichtete das Officium, der König, feine Gemahlin und beide Söhne faßen zur Linken des Altars, vom Chore ſchallte der böhmifche Gefang ber Sänger. Bollgedrängt war bie Kirche; an den Thiren ftand die königliche Leibwagje mit Hellebarden.

Iegt näherte ſich der König mit feiner Familie dem Altar, Rokycana goß den Wein in ben Kelch und fegnete ihn, Der König Iniete nieder. Die Unruhe, welche bis jet in Sukol getobt, brach heftig ans; er fprang über die fleinerne Brüftung, welche ben Hodalter vom Schiff der Kirche trennt, ſtürzte vor gegen ben Erzbifchof, riß ihm dem Kelch aus der Hand und ſchrie: Teint nicht, mein König, Du trinkt fonft den Tod. Das iſt Gift l

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Erjſchroden fprang ber König auf ein Schrei bes Ent- fegene fahr durch die Berfamminng Rofycana erbleihte und zang nad) Faffung der Ehor der Sänger verſtummte.

Des König behielt feine Befinnung. Er ſah dem abentener- lichen Kriegsknecht ſcharf an; dann fragte er ernſt und Mräftig, während eine Tobtenfille nnd ängfliche Spannung über den Zanfenden von Menſchen, die im Dome waren, lag: „Bit Du ein Wahnfinniger oder ein Lügner? Wie ift Dein Name? Woher kömmſt Dun? Wer gab Dir das Recht, diefe Heilige Handlung zu flören ?*

„Die Nothwendigleit, Herr!“ verſetzte Sukol mit Ruhe; „denn ohne mich, o Herr! lägeft Du im wenigen Tagen auf der Todtenbahte. ICH bin weder toll noch ſchlecht Herr! IH bin ein firenggläubiger, huſſitiſcher Kriegskuecht, der unter dem beiden Brotopen gedient, und füge wicht. Ih fage Dir, der Wein if vergiftet, und rette Dir fo das Leben.“

„Schließt die Pforten!" gebot der König einem neben ihm ſtehenden Hauptmanne der Leibwache. „Laßt feine Seele aus der Kirche; Fünf Söldner bewachen Hier den Knecht, bis er Beweiſe geliefert hat! Nehmt ihm feine Waffen ab!“

Es geſchah. Die Hellebardiere vertheilten fih an den Pforten und ließen Riemand hinaus.

„Sprich unn, was Du weißt I” befahl der König, an welchen fi, die Gattin zitternd und bleich anflammerte.

„Ich Heiße Sufol, Herr," berichtete der Knappe, „und biene dem edlen Bratislan von Branik. In einer Schenke auf dem Strahof lernt' ih ihn kennen. Der Guardian der Kapuziner ſchlich dafelhft ein und aus und fpann Verrath mit dem Wirthe Michalek. Mein Herr ahnte es und wollte fie belaufen. Doch ihm betraf Unglüd er mußte fliehen, und ich belauerte flatt feiner die papififgen Hunde. &o hörte ich denn, wie Du am Hentigen "Tage durch ben Wein Hier, den eben der Schurke Mir

Er entferue fih linls Altare mit jeinem Hoffiaate in Die Sacrißei. Eben war der Guardian im Begrifie zu entflichen; denn

einer feiner Späher, ein Mönd, hatte am der Kirchenthüre ge- lauſcht und war noch vor dem Schluſſe der Thüren bei Sufol’s Ausrufe: „Du trinfft Gift, König!“ entiprungen, um ihm Nach · richt zu geben.

Aber zu ſchnell folgte ihm bie Wache auf dem Fuße; man murde auch des Michalel habhaft, nud fo wurden unter einem ungehenren Bollsauflauf die beiden Berbreder nad) der Kirde gebracht. Der Mönch ſah ruhig und verfiodt feinem Schidfale entgegen, aber auf Micdief's bleichem, verzerrtem Antlitz malte fih die Sünde und bie Todesaugſt.

Dan führte fie in die Sacriſtei. Der König lehnte an dem Tauffteine und ſah die Giftmiſcher durhbohrend an. „Eu Beide,” fagte Georg, „hat man eines Anfchlage auf mein Leben bezüchtigt. Könnt Ihr Euch nicht rein waſchen, dann wäre es beffer, Ihr wäret nie geboren! Pater Guardion, Wirth Mi- chalel, was if in dieſem Kelche Hier, deſſen Wein Ihr mir kredenzt 9%

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Der vrieſter fenkte das Haupt und ſchwieg; Michalel zit- terte, daß ihm die Kuie bredjeu wollten.

Sulol trat jet ans der Ede hervor und fiellte fih vor ben Wirth Hin, der bei feinem Anblide wie vor einen Geſpeuſt zuſammenfuhr. 5

„Gott grüß' Euch, Herr Michälek,“ ſagte Sukol mit Hohn, Ihr finkender, gottesläfterlicher Böfewicht mit dem Anfate zum Fettwanft, Ihr Ehrenmann, der mid) mit doppelter Kreide bedient, Ihr Spigbube, der fi mein Freund genannt und in ber Rede nung mir das fell über die Ohren gezogen bat! Nun was habt Ihr denn mit dem Kapuziner gefprochen? „Gar nichts! Ich zeigte ihm die Bilder; er entſetzte ſich darüber. Ihr wißt. wie mir das Boll zuwider.“ Habt Ihr das nicht zu mir ge fogt,, ehrlicher, frenggläubiger Caliztiner und Weiuverfälſcher? Ihr Lumpenfund! Ihr gleißneriſcher Heuchler! Wie hat Euch die Monftranz gefchmedt und ber Beutel mit Golb umb das Erneifizlein? Wenn Ihr in Zukunft wieder eine Verſchwörung in Eurem ehrbaten Haufe ausbräten wollt, fo unterfucht erſt das Lager und feht zu, ob nicht Einer unter dem Bette ſtedt. Ihr waret ein weifer, ein pfiffiger Mann, ber mic immer gern belehren wollte Habt Ihr jetzt feinen Rath für End?“

„Schweig!“ gebot der König Sukol'n und mandte fi zu den Berbredern, indem er mit donnernder Stimme fragte: „Was iR in dem Weine bier? Trinkt von dem Wein, wenn Cuch das Leben lieb in!“

Gnade Erbarmen!“ ſchluchzte Michälel und fant zu des Könige Füßen.

Der Mönch aber erhob das Haupt, ſah den König trogig und wie mit Verachtung an, ergriff Haftig den Kelch, fegte ihn an bie Lippen und verſchlang feinen Inhalt.

„Gift ift darin,“ ſchrie der Guardian mit Ingrimm „Gift für Did I"

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mahl bes Herrn genießen will! O ſelbſt wicht im Heidenthume ward fo Schredfiches erlebt! Und das foll ein reiner, ein Heiliger, ein alleinfeligmadhender Glaube fein, ber ſolche Unthat billigt und gebietet! Mit Gottes Sacrament vermählt Ihr den Mendelmord! Mönd, elender Sünder! wär’ id) ein gewöhnlicher Menfch, von irdiſchem Haffe erfült, ein taufendfaches Wehe hätte Deine Unthat allen Deinen Glaubensgenoffen bereitet! Denn wo Ihr falihen, giftigen Schlangen feid, wo Eure Religion bies preift als gort- gefällig Werk, da feid Ihr ja die Ausſätzigen unter meinen ge- finden Kindern! Wie kann Natur fi alfo ſelbſt verläugnen, wie tann bie Hand, die eben beſchenkt worden ift, fi zum Morbe gegen ben Bater, den König, den Wohlthäter erheben? Alſo das ift Eure Liebe Euer Segen!?”

„Anfer Segen,” verfetste ber Mönd; mit Vernichtung in ben Blicken, „wird zum Find allen Denen, bie Ketzer find, und da Du ber Furſt der Ketzer biſt, fo trifft Dich tauſendfacher Fluch! Wehe, Wehe ruf ich über Di, Deinen Stamm, Dein Regiment! Elend foll es Dir ergehen im Leben und noch elender jenfeits! Hier fol Du feine ruhige Stunde genießen auf Deinem Throne, umd, wenn Du ſtirbſt, ihn verwaift zurücklaſſen! Wo aber noch ein gut katholiſch Herz in einer Chriſtenbruſt ſchlägt, da wird Jeder fein Leben wagen und nad; dem Deinigen fireben wie ich! Di Iebft verflucht ich aber erringe bie heilige Märtyrer- trone !“

„Reißt ihm bie Zunge ans dem Halſe!“ riefen entſetzt Mehrere aus der Umgebung der Königs; „er läſtert den Ge- jalbten des Herrn den Beihüger des Glaubens! Spannt ihn auf die Folter 1"

„Die Zunge ausreißen?“ ſchrie Sukol und drängte ſich herbei „das laßt mich thun! Ich kenne den Pfaffen und Habe eine größere Wuth gegen ihn im Herzen, als zehntanfenb Andere.”

ich dieſen Mann, den ih Dir geliefert, zur Behandlung über- komme. Es weiß Keiner mit ihm fo umzugehen wie id, ber ihm Sänger kenut. Ich will Dir ifn mürbe maden, o Herr, wie ein Bund gebrochenen Flade. Cr hat mir Gntes getfan er hat an mir feine Kreide doppelt verſchwendet, er hat mid gegen den Pfaffen da verläfert, als wäre ich fein Schuldner. Erlaube, Herr, daß ich meine Art von Folter an ihm verſuche. Ich firiegle ihm mit dem ſtumpfen Rüden eines deutſchen Schwertes das Rüd- geat, daß er es für einen Pſalm hält, dem die Engel im Himmel fingen. O Middle, Du Kreidenheld, Bierverbünner, Weinver - falſcher! &o dumm und fo feig, und doc ein Bluthund I" "Schafft den Verbrecher in's Gefäugniß I" gebot der König und wandte ſich gnädig zu Sukol mit ben Worten: „Hab' Dant, Du trener Kriegsknecht, der mir das Leben erhalten und das Land vor großer Verwirrung bewahrt hat! Das ganze Vaterland weiß e8 Dir Dank und wird, wenn es mit Entfegen von jenem

Morbanfchlage fpricht, Und Deine Treue rühmen. Nimm diefe Kette Hier, bie ih auf meiner Bruft getragen, und trage fie ale Anbenfen anf dem Herzen. Kuie nieder! Bon nun an fol Dn fein Kuecht fein mein Schwert ſchlagt Di zum Ritter. Sei der Edlen einer der König wird Dich gern an feinem Hofe fehen. Richt für bie That adlein, fondern für viele frühere, wovon die Narben zeugen, belohn' ih Did.“

„Gnädiger König!" fagte Gutol, indem er auffland, mit Rührung, „Ihr Habt mid; fo unendlich reich gemacht, daß ich beihämt bin wie eim Knabe, der in der Schule öffentlich belobt wird. Noch eine Bitte, eigemtfich die einzige vom Uranfang, Hab’ ich auf dem Herzen; Du famf durd Deine Gnadenfpende ihr zuvor. Begnadige, Herr und König, meinen frühern Herrn, den Bratislav vou Branik; denn kam jener Unfall mit dem Spanberger nicht dazwiſchen, fo war er's, der Dein Leben rettete. Soll der Zufall über fein Berdienft entſcheiden? Heut‘, wo Dir Gott Hat Dein Leben erhalten fchenf and ein Leben Einem, der's verdient wie Vratislav.“

n&s ſei!“ verfegte Georg; „man verfünde öffentlich, daß der Bann gegen dem Ritter anfgehoben fei und er zurüdtehren fönne. Iſt er gefangen, fo fol man ihn augenblidfih in Frei» heit fegen. Ritter Sulol! Ihr meldet Euch morgen bei meinem Zahfmeifter. Nun aber anf! Es geziemt fid, vor dem Hochaltare dem Eigen inbrünftigen Dank zu zollen, wie er gnäbig gewaltet hat über unfer Leben und des Baterlandes Heil; denn von ihm kömmt Rettung, Gnade und Erbarmen. Meinem treuen Bolfe ſei unter Trompetenklang von Herolden auf allen Plägen und Märkten unfere wunderbare Rettung verkündet: bie Armen feien drei Tage lang Gäſte an meinem Tiſche.“

Er ging mit feinem Hofſtaate nad) dem Hodaltare zurid ; mit Freudenjauchzen empfing ihn die ſtumm harrende Verſamm lung. Roltycana beſtieg die Kanzel, machte dem Volle den Bor-

zu -

Bohin wollt Ihr, Herr Ritter? Denn bei mir könnt Ihr morgen nicht bfeiben, weil ber Biertler wird ſuchen meinen Better Beitel ans Kolin, der ſtumm if.“

Bring’ mi nad dem Teinhofe zu Pater Cyrillus, wenn Du ihn kennſt. Nur durch bie Strafen, bie id nicht tenne, geleite mich, damit ich nicht nöthig habe zu fragen. Ich Böunte mich fo leicht verrathen. Nimm Hier noch das Gold als ſchwachen Lohn. Schlägt mir bereinft eine glüdtichere Stunde, werde ich Deines Dienftes eingebent fein. So aber kanı Dir Einer, beffen Leben nicht mehr fein Eigentfum if, nicht mehr geloben. Morgen früh eile zum Ritter von Zeövic an ber Bruska; es ift mein Freund, der Dich zu mir gebracht. Sag” ihm, daß ich Hier uud beim Pater Eyrillus fei; er wird Dir den Gang vergelten.”

„Laßt das Gold, Herr Ritter!" ermiederte Abraham ; „id bin ein armer Jud', aber ich nehm’ es nit. Als Ihr feid wieber im Glüde, werb’ ich es nehmen. Ihr feid ein ebler Herr; Ihr werdet nicht vergeffen auf ben armen Abraham, der für Euch Hat gebuldet Schläge und Beichimpfung. Jetzt könnt Ihr es noch brauchen, Herr! Mann kann es doch nicht wiffen. Will mer ber Herr von Zedvic etwas geben, is gut; gibt er mifcht, bin ich auch zufrieden. Weiß ich doch, daß id) hab’ Euch geholfen und Ihr noch könnt' werben mit ber Zeit & großer Herr, & mächtiger Herr, der befjäßen wirb die Jüden.“

„Hab' Dank für Alles, edler Jude!“ rief Vratislav und drüdte die Hand bes Hebräers; „ih werde oft Gelegenheit haben, zu Ehriften fagen zu fönnen: Geht borthin und lernet von dem Juden, den Ihr nur des Namens wegen veraditet, feiner Gefin- nung halber aber verehren müßt, Brechen wir auf.“

„Erlaubt, Here " fpra Abraham, ihn zurüchaltend; „Ihr müßt noch anbehalten das N leid von einem Jüben und das Scabbesfäple daß Ihr nicht werdet erfannt. Wollt Ihr mir

etwas geben dafür, weil ich damit treibe Handel, jo will id’e nehmen, aber doch nur eine Kieinigfeit von einem G@ülden. Es gehört in mein Gefhäft, und id bin A armer Jud'.“

„Bier hier!" fagte Bratislav und drang ihm zwei Solofüde auf. „Nun laß uns gehen!"

Abraham öffnete die Thüre; fie traten auf bie Straße hinaus, wo fi der Tumult gelegt hatte, und während der Jude, um die Borübergehenben zu täufdjen, ſtets gegen den Ritter he - braiſch ſprach, gelangten fie an den Wachen vorüber aus der Judenſtadt und fhritten unerkannt und nicht anfgehalten über den Ring nad dem Teinhofe zu.

Milada war wieder im Haufe der Zeövicer angelangt. Sie erfuhr Bier nichts von ihrem Witter; denn ber Inde hatte, von dem Biertler aus Berdacht zur Haft gebracht, von feiner Ankunft noch feine Kunde geben können. Sie erfuhr nur fo viel, daß der Verhaftbefehl gegen Vratislav noch immer in Kraft fei, weil Spanberg nod an feiner Wunde gefährlich barnieder Tag und zwiſchen Tod und Leben ſchwebte. Der König hatte zwar des alten Zeövicer’s Fürbitte freundlich aufgenommen, die Be- gmadigung aber nod nicht zugefagt; es ſchien Alles auf die Rettung des Spanberger’s anzulommen und barum war noch immer Gefahr für Vratislav vorhanden.

Es mar benfelben Tag, an einem freitag, wo Sufol auf des Fräuleins Geheiß durch die Straßen ber Stadt eilte, um bier und da nad feinem Heren zu kundſchaften; denn daß diefer heimlich in Prag fei, fhien ihm gewiß. Cr fam in die Nähe der Schloßſtiege. Auffallend war es ihm, daß eine große Men-

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ſchenmenge fih eifrig die Stufen umb die Sporuergaffe Binauf- bewegte. Er fragte einen BVorübergehenden: „Was gibt e8 oben auf dem Schloſſe? ein Feſt oder eine Belchnung ?*

„Der König nimmt heut feierlich das Abendmahl unter beiderlei Geſtalt,/ war die Antwort; „er will bas Gerede, das da fagt, er fei nit mehr gut caliztinifch gefinnt, be- ſchamen.“

„Schon Heut das Abendmahl?" fuhr Sutol auf; „ich hörte erft vom Sonntag. IA das fein Irrthum ?“

Nein!“ beſchied der Bürger; „erſt war e8 auf den Sonn- tag bei feierlichen Hochamte beftimmt; weil aber der König noch heut’ gen Beraun aufbricht, fo fol die Heilige Geremonie vor feiner Abreife ſtattfinden.“

„Das wäre der Teufel!“ fluchte Sutol, „der ſich Hier in mein Spiel mengte. Komme ich zu fpät, dann wehe mir, weh’ ung Allen!“

Er rannte nad dieſen Worten wie toll die fleile Schloß · fliege hinauf, eifte athemlos über den Burghof und drängte fi wild in bie Kite bie vor an den Hochaltar. Die Geiftlihen übten bereits ihr heiliges Amt, Rokyeana verrichtete das Officum, der König, feine Gemahlin und beide Söhne faßen zur Linken des Altars, vom Chore fchallte der boͤhmiſche Gefang der Sänger. Bollgedrängt war die Kirhe; an dem Thüren ftand bie königliche Leibwache mit Hellebarden.

Jetzt näherte fih der König mit feiner Familie dem Altar. Rofkycana goß den Wein in ben Kelch und fegnete ihn. Der König Iniete nieder. Die Unruhe, welche bis jet in Sukol getobt, brach heftig aus; er ſprang über die fleinerne Brüftung, welche den Hochaltar vom Schiff der Kirche trennt, ſtürzte vor gegen den Erzbiſchof, riß ihm dem Kelch aus der Hand und ſchrie: Trink nit, mein König, Du trinkſt fonft den Tod. Das iſt Siftl“

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Erſchrocen fprang der König anf ein Schrei des Ent jegens fuhr durch die Verſammlung Rokycana erbleichte und rang nach Faffung der Ehor ber Sänger verſtummte.

Der König behielt feine Befinnung. Er ſah den abenteuer» Ken Kriegsknecht fcharf an; dann fragte er ernſt und kräftig, während eine Todtenſtille umd ängſtliche Spannung über ben Tauſenden von Menſchen, die im Dome waren, lag: „Bift Di ein Wahnſinniger oder ein Lügner? Wie if Dein Name? Woher Lmmft Du? Wer gab Dir das Reit, biefe heilige Handlung zu flören ?*

Die Nothwendigkeit, Herr!“ verfegte Sukol mit Ruhe; „denn ohne mich, o Herr! lägeft Du in wenigen Tagen auf ber Tobtenbahre. IH bin weder toll noch ſchlecht, Herr! Ich bin ein firenggläubiger, hufitiiher Kriegaknecht, der unter dem beiden Prolopen gedient, und Lüge nicht. Ih fage Dir, der Wein if vergiftet, und rette Div fo das Leben.“

„Schließt die Pforten!” gebot ber König einem neben ihm Hehenden Hanptmanne der Leibwache. „Lafit keine Seele aus der Kirche; Funf Söldner bewaden hier den Knecht, bis er Beweiſe geliefert Hat! Nehmt ihm feine Waffen ab!“

Es geihah. Die Hellebardiere vertheilten fih an den Pforten und ließen Niemand hinaus.

nSprid nun, was Du weißt I” befahl der König, an welchen fi) die Gattin zitternd und bleih anflammerte.

„Ich Heiße Sukol, Herr,” berichtete der Knappe, „und diene dem edlen Bratislan von Branil. In einer Schenke auf dem Strahof lernt’ id ihn kennen. Der Gnardian der Kapuziner ſchlich dafelhft ein und ans und fpann Berrath mit dem Wirthe Michalet. Mein Herr ahnte es und wollte fie belauſchen. Doch ihn betraf Ungluck er mußte fliehen, und ich belauerte flatt feiner die papififhen Hunde. &o hörte ich denn, wie Du am heutigen Tage durch den Wein bier, den eben der Schurle Mi-

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qalet geliefert, vergiftet werben ſollteſt. Beficht, dab der Möuch und ber Gaſtwirth berbeigeihafft werde. Sam ih nicht, jo tettete Did; mein Herr, ber jegt in Ungnade ſchmachtet.“

„Zehn von Euch werfen fi auf Roſſe!“ gebot Georg ber Seibwache; „Hauptmann Zummande, Ihr führt fie! Sprengt nad dem Kapmzinerkiofter und mad dem Strahof; bringt dem "Guardian und den Wirth im Fluge hierher! Ihr, meine Freunde, Räthe und Getreuen folgt mir in die Sacriſtei; auch Du, Kueht! Das Bolt bleibt fo lange in ber Kirche, bis wir Licht in der Sache erhalten haben. Dann freue es fi mit ung, wenn es fi beflätigt hat, daß bie NRänfe der Böſewichter ge- ſcheitert find."

Er entferute ſich links vom Altare mit jeinem Hofitaate im die Gacriftei.

Eben war der Guardian im Begriffe zu entfliehen; denn einer feiner Späher, ein Mönd, hatte an der Kirchenthüre ge- lauſcht und war noch vor dem Schluſſe der Thüren bei Sutol's Ausrufe: „Du trintft Gift, König entiprungen, um ihm Nach - richt zu geben.

Aber zu ſchnell folgte ihm die Wache auf dem Fuße; man wurde aud des Michalek babhaft, und fo mwurden unter einem ungehenren Bollsauflauf die beiden Verbrecher nad ber Kirche gebracht. Der Monch ſah ruhig und verfiodt feinem Schidjale entgegen, aber auf Micjdiefs bleichem, verzerrtem Antlig malte fih die Sünde und die Tobesangft.

Man führte fie in die Sacriftei. Der König lehnte an dem ZTauffteine und fah die Giftmifcher durchbohrend an. „Euch Beide,” fagte Georg, „hat man eines Anlage auf mein Leben bezüchtigt. Könnt Ihr Euch nicht rein waſchen, dann wäre es beffer, Ihr wäret nie geboren! Pater Guardian, Wirth Mi- qhalet, wos ift in dieſem Kelche Hier, deffen Wein Ihr mir Hrebengt v⸗

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Der Priefer fenkte das Hampt und ſchwieg; Michalek zit- terte, daß ihm die Knie bredien wollten.

Sulol trat jest ans der Ede hervor und ftellte fi vor den Wirth Hin, der bei feinem Anblide wie vor einem Geſpeuſt zufammenfuhr. J

„Gott gruß' Euch, Herr Michälet,“ ſagte Sulol mit Hohn, „Ihe ſtinkender, gottesläſterlicher Böſewicht mit dem Anfage zum dettwanſt, Ihr Ehreumann, der mid mit doppelter Kreide bedient, Ihr Spitzbube, der ſich mein Freund genannt umd in ber Rede nung mir das fell über die Ohren gezogen Hat! Nun was habt Ihr denn mit dem Kapuziner geſprochen? „Gar nichts! Ich zeigte ihm die Bilder; er eutſetzte ſich darüber. Ihr wißt, wie mir das Volk zuwider.“ Habt Ihr das nit zu mir ge jogt,, ehrlicher, Arenggläubiger Caliztiner und Weinverfälicher? Ihr Lumpenhund! Ihr gleißnerifcher Heuchler! Wie hat Euch die Monftranz gefhmedt und der Beutel mit Gold und das Erneifizfein? Wenn Ihr in Zukunft wieder eine Verſchwörung in Eurem ehrbaten Haufe ausbräten wollt, fo unterſucht erſt das Lager und ſeht zu, ob nicht Einer unter dem Bette fledt. Ihr waret ein weiler, ein pfiffiger Mann, der mich immer gern belehren wollte habt Ihr jet keinen Rath für Euch?“

„Schweig!” gebot der König Suto’n und wandte fi zu den Berbredern, indem er mit donnernder Stimme fragte: „Was iR in dem Weine hier? Trinft von dem Wein, wenn Cuch das Leben lieb il“

„Gnade Erbarmen!“ ſchluchzte Michälek und fant zu des Könige Füßen.

Der Mönch aber erhob das Haupt, fah den König trogig und wie mit Beratung an, ergriff haſtig den Kelch, fette ihn an die Lippen und verſchlang feinen Inhalt.

„Gift iſt darin,“ ſchrie der Guardian mit Ingrimm „Giſt für Digi“ .

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Ein Schrei des allgemeinen Eutſetzens und Unwillens flog duch die Berfammlung. Der Mönd warf den Kelch zu Boden, daß er klirrend über die Marmorplatten hinrollte, und rief, als auf das Erflaunen eine Todtenſtille gefolgt war: „Seht hab’ ich das Gift in mir wenige Augenblide, und ich ſterbe mit meir nem Geheimniß! Ja, König, das Gift war fir Dich beftimmt ! jener Xnedht Hat nicht gelogen. Ih Haffe Did), ich verfludhe Did als einen Sohn des Antichrift, als einen Feind ber heifigen Kirche, welche Du ſchandeſt durch Tegerifches Abendmahl, bie Di in den Staub getreten Haft! Ja, ich verfluche Di im Namen des Heiligen Vaters, ber unfer Aller Herr und Meifter if, ih rufe das Anathema über Dein Haupt umd fordere Did; vor Gottes Richterftuhl! Ich ſterbe als ein Märtyrer für den Heiligen, einzigen Glauben, und Du wirt leben im Ausſatze der Sünde, behaftet mit dem Banne der Kirche, im mobderigen Leibe eine verdammte Seele! Ja, ich haſſe Di und Viele haffen Did noch bie gleichgefinnt find wie ih! Jener feige Schurke zu Deinen Füßen, der um fein Leben fleht und nicht den Muth Hat zu ſterben, war nur ein Werkgeug in meiner Hand. Bon men der Plan zur Race kam, weiß er nit. Die Folter wird ihm nichts erpreffen; denn der Tod mwühlt ſchon in meinen Gebärmen wie ein Hungriger Wolf, wie Du wütheR gegen ben reinen Glauben -und die Diener der Kirche.“

„Auswurf der Menſchheit!“ rief Georg, „ift es doch kaum glaublih, daß Dich ein menschlich Weib geboren mit diefem fluch- würdigen Haſſe, mit diefem heimtüdifhen Ingrimme! Undant- barer Böfewicht! was hab’ ich Euch gethan, da Ihr heimlich mit Gift mir nad dem Leben ftellet? Hab’ ich Euch doch beſchützt wie bie Priefler meines Glaubens, hab’ Eure perfönlihe Sicher heit fefigeftellt, habe meinen Prieftern bei harter Strafe Duld- famteit geboten, Hab’ End; Cure Möfter wieder zurüdgegeben, und Ihr gießt mir Gift unter den Wein, den ich zum Liebes-

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mahl des Herrn genießen will! O ſelbſt micht im Heibenthume ward fo Schredliches eriebt! Und das fol ein reiner, ein heifiger, ein alleinfeligmagender Glaube fein, der ſolche Unthat billigt und gebietet! Mit Gottes Sacrament vermäßlt Ihr den Menchelmorb! Mönd, elender Sünder! wär’ id; ein gewöhnlicher Menſch, von irdiſchem Haffe erfüllt, ein tauſendfaches Wehe hätte Deine Unthat allen Deinen Glaubensgenoffen bereitet! Denn wo Ihr falfchen, giftigen Schlangen feid, wo Eure Religion dies preift als gott- gefällig Werk, da ſeid Ihr ja die Ansfägigen unter meinen ge- funden Kindern! Wie kann Natur fd alfo ſelbſt verfäugnen, wie kann die Hand, die eben beſchenktt worden ift, ſich zum Morde gegen den Bater, den König, den Wohlthäter erheben? Alſo das iſt Enre Liebe Euer Segen?”

„Unſer Gegen,” verjegte der Mönch mit Vernichtung in bem Biden, „wird zum Find allen Denen, bie Keger find, und da Du der Fürft der Ketzer bift, fo trifft Dich tauſendfacher Fluch! Wehe, Wehe ruf id; über Did, Deinen Stamm, Dein Regiment! Elend foll e8 Dir ergehen im Leben und noch elender jenfeits! Hier fol Du feine ruhige Stunde genießen auf Deinem Throne, und, wenn Du ſtirbſt, ihm verwaiſt zurüdfaffen! Wo aber noch ein gut katholiſch Herz in einer Chriftenbruft ſchlägt, da wird Jeder fein Leben wagen und nad; dem Deinigen fireben wie ich! Du lebſt verflucht ich aber erringe die Heilige Märtyrer- trone 1"

„Reßt ihm die Zunge aus dem Halſe!“ riefen entſetzt Mehrere aus der Umgebung der Könige; „er läftert den Ge- jalbten des Herrn ben Beihüger des Glaubens! Spannt ihn auf die Folter I"

„Die Zunge ausreißen?“ ſchrie Sukol und brängte fi herbei „das laßt mich tun! Ich kenne den Pfaffen und Habe eine größere Wuth gegen ihn im Herzen, als zehntaufend Andere.”

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„Schweigt!” gebot ber König, „laßt ihm den Irrwahn, für den er fi opferte; denn ohne ihn wär fein Zuſtaud fejredtich.“

Ask !* Teeifchte jegt noch einmal der Guardian und brach zuſammen fein Antlig wurde blau bie Lippen weiß, bie Mienen vergerrten ſich feine Angen trateu weit aus ber Höhle. Der Tod umllammerte ihn mit eisfaltem Leichenarm fein Herz zudte nur noch Trampfhaft, mit dem Leben ringend.

„Er ſtirbt!“ Sprach der König „Gott fei feiner Seele gnäbig! Den andern Mann Hier aber, der ihm Hilfreiche Hanb geleiftet, fpannt auf die Folter und preßt ihm das Gefländniß beffen, was er weiß ab, dann verfalle er dem Henker! Wir aber wollen auf ber Hut fein gegen bie reißenden Wölfe, bie unter unfern guten Unterthanen herumſchleichen, und in Nadt und Grauen die Hand erheben zum Königsmorde.“

„Erlaube, gnäbiger König,“ bat Sukol hervortretend, „daß ich diefen Mann, ben ih Dir geliefert, zur Behandlung über- lomme. Es weiß Keiner mit ihm fo umzugehen wie id, der ihn länger fennt. Ich will Dir ihu mürbe machen, o Herr, wie ein Bund gebrochenen Flachs. Er hat mir Gutes gethan er hat an mir feine Kreide doppelt verfchwenbet, er hat mic gegen den Pfaffen da verläßtert, ale wäre ich fein Schuldner. Erlaube, Herr, daß ich meine Art von Folter an ihm verfuche. Ich firiegle ihm mit dem ſtumpfen Rücken eines deutſchen Schwertes das Rüd- grat, daß er es für einen Pſalm hält, den die Engel im Himmel fingen. O Micälel, Du Kreidenheld, Bierverbünner, Weinver- fälſcher! So bumm und fo feig, und bod ein Bluthund I"

„Schafft den Verbreder in’s Gefängniß 1” gebot ber König und wandte fi gnädig zu Sukol mit den Worten: „Hab' Dan, Du treuer Kriegsknecht, der mir das Leben erhalten und bas Land vor großer Verwirrung bewahrt hat! Das ganze Vaterland weiß es Dir Danf und wird, wenn es mit Entfegen von jenem

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Mordanſchlage fpricht, ünch Deine Treue rühmen. Nimm diefe Nette Bier, die ih auf meiner Bruſt getragen, und trage fie als Andenken auf dem Herzen. Knie nieder! Bon nun an ſollſt Du kein Knecht fein mein. Schwert fchlägt Dich zum Ritter. Sei der Edlen einer der König wird Dich gern an feinem Hofe fehen. Richt für die That allein, fondern fitr viele frühere, wovon die Narben zeugen, belohn' ich Did.“

„Gnädiger König!" fagte Gutol, indem er aufftand, mit Rührung, „Ihr habt mich fo unendlich reich gemacht, daß ich befhämt bin wie ein Made, der in der Schule öffentlich belobt wird. Noch eine Bitte, eigentlich die einzige vom Uranfang, hab’ ich auf dem Herzen; Du kamſt durch Deine Gnadenſpende ihr zuvor. Begnadige, Herr und König, meinen frühern Herrn, den Bratislav von Branik; denn Lam jener Unfall mit dem Spanberger nicht dazwiſchen, fo war er's, der Dein Leben rettete. Soll der Zufall über fein Verdienſt enticheiden? Heut‘, wo Dir Gott hat Dein Leben erhalten ſcheuk auch ein Leben Einem, der's verdient wie Bratislav.“

„Es ſei!“ verſetzte Georg; „man verfünde öffentlich, daß der Bann gegen den Ritter anfgehoben fei und er zurüdtehren fönne. ° IR ex gefangen, fo foll man ihm angenblielid in Freie heit fegen. Ritter Guloll Ihr meldet End) morgen bei meinem Zahfmeifter. Nun aber anf! Es geziemt ſich, vor dem Hochaliare dem Ewigen inbrünftigen Dank zu gollen, wie er gnädig gewaltet hat über unfer Leben und des Baterlandes Heil; denn von ihm kömmt Rettung, Gnade und. Erbarmen. Meinem treuen Volle fei unter Trompetenflang von Herolden auf allen Blöägen und Märkten unfere wunderbare Rettung verkündet: bie Armen feien drei Tage lang Gäſte an meinem Tiſche.“

Er ging mit feinem Hofftaate nad) dem Hodaltare zurüd ; mit Freudenjauchzen empfing ihn die ſtumm harrende Verſamm - fung. Rotycana beſtieg die Kanzel, machte dem Volle den Bor-

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fall und des Königs wunderbare Rettung fund und ermahnte ſchließlich bei dem lauten Ausbrude des Unwillens über eine ſolche verruchte That zur Sühne, zur Duldfamfeit gegen bie Ratholiten, und befahl im Namen des Königs, fie nicht das Ber- brechen eines Einzelnen entgelten zu laſſen. Der König, feine Gamilie und bie Umgebung fnieten auf ben Stufen des Altares nieder; bie Priefter fangen das Halleluiah, und vom Chore er- tönten bie Pfalmen abwechfelnd mit Trompetengejchmetter und vautenwirbel.

Jauchzend geleitete das Volk den König in die Burg. Su⸗ fol wurde auf dem Heimwege von der Menge beinahe erbrüdt, bie fi bewandernd, belobend und lieblofend zu ihm drängte.

Für Prag war dieſer Tag ein Feſttag. Mau ftellte alle Geſchäfte ein, ſchloß die Läden und gab feine Freude auf öffent» lichen Plägen und in Gärten durch Schießen, Tanz, Muſik und feierliche Aufzüge und. Im allen Kirchen, felbft in den Latholi« fen, deren Priefter Grund hatten, eine Billigung mit bem Morbanfcjlage zu verläugnen, tönten bie Gloden. Die Rathe- herren ber drei Stände, bie Univerfität, die Innungen und bie Prieſterſchaſt ſchidten Deputationen an ben König, ihm Glüd zu wünſchen. Gr verihob feine Reife nah Beraun und ritt dem ganzen Tag in ber Mitte feiner Söhne, begleitet von feiner Leib- wache, durch die Straßen der Stadt, um fi der jubelnden Menge, deren Herzen er nur mod) theurer geworben, zu zeigen.

Die Mönde des Kapuzinerkloſters wurden eingezogen und diefes felbft geſchloſſen.

Sufol eilte in das Hans derer von Zedvic, erzählte, was vorgefallen war, berichtete von Bratislav's Begnadigung, welde ihen Yöffiche Freude machte / und erwähnte noch nebenbei beſchei dentlich feiner Stanbeserhöhung und des funkelnden Chrenge - ſcheutes

Da ber Inde Abraham denfelben Tag vom BViertelsmeifter

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freigelaffen worden mar, jo erhielten bie von Zesvie zugleich Nachricht von Bratislav's Aufenthalte.

Freude und Jubel Gerichte in der Familie Milada ſchwamm im füßen Freudenthränen, melde fie am Buſen ber Freundin answeinte.

Niklas ritt in Sulol's Geſellſchaft ſogleich nach ber Altſtadt in den Teinhof, um dem Ritter feine Begnadigung anzuzeigen unb ihn in den Kreis der Seinigen freudetrunlen wieder einzu- führen.

Sie eilten die Stufen zu Pater Cyrillus Wohnung hinan. Bier Töniglihe Wachen fegilderten vor ber Thür und vermehrten ihnen den Eingang.

Auf die Frage nach dem Pater erhielten fie den Beſcheid, er fei mit den Webrigen entflohen.

„Und Vratislav, der Ritter von Branif, der ſich hier bei Cyrillus aufhielt ?* fragte Nitlas ahnungsvoll,

„Der verwundet wurbe, ald wir bie Verſchworenen über- fielen ?* beichied einer der Söldner und deutete zum Fenſter bin- aus; „er fitt dort im Thurme des Rathhanfes. Ich möchte nicht an feiner Sielle fein! Cr iR der Einpige, der nicht entlam, und wird für bie Anderen büßen müffen. Es fol eine ſchrecliche Verſchwoͤrung gegen den König geweſen fein. Weiter weiß ich nichts.“

Mit diefem Beſcheide entfernte fi Nillas mit Sulol nie- dergeſchlagen und betrübt.

„Wenn ſich die Menſchen freuen,“ grollte Sulol, „jo freuen ſich auch die Teufel, weil fie ſchon wiflen, mie fie dem Menſchen die rende vergiften wollen. Geht allein nah Haus, Herr Rit- ter; ich habe den Muth nicht, dort die neue Trauerkunde zu überbringen, namentlid dem Fräulein Milada nicht. Ich glaube, das bricht ihr das Herz. Luft mic nad; dem Hathhaufe ziehen; vielleicht erfahre ich dort mehr.”

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mteb’ wohl, Freund !* fagte Rillas mit Thränen im dem Augen; „bring uns bald fichere Kunde felbft wenn fie noch trauriger iſt, als wir hoffen. Ich ahne den ganzen, unglüdlichen Zuſammenhang. Armer Freuud! if es fo, dann biſt Du unrettbar verloren. Warum mußteſt Du dahin gehen! Nur Einen Tag und Du warft gerettet in dem Armen der freunde! Gott liebt uns wicht mehr.“

Er ſchwang fi anf fein Roß nmd fprengte über ben alt- Mäbter Ring nad) der Brücke zu.

Sulol erfuhr im aliſtädter Rathhauſe weiter nichte, als daß Bratislav im Teinhofe bei Pater Cyrillus in einer Berſammlung, welde aus Unznfriedenen befland, die fi gegen das Regiment des Königs verſchworen hatten, ergriffen und vorläufig hierher in fichere Haft gebracht worden ſei.

AS Bratislav an jenem Abend im Teinhof von Abraham Abſchied genommen hatte, -eilte er im bie Wohnung bes Pater Cyrillus. Die Türe war verſchloſſen; erft nad mehrmaligem Boden öffnete der Priefter und erkannte mit Staunen den Yüng- fing, deffen Unfall er vernommen, und von welchem er bis jetzt feine Spur gefunden hatte.

Reuig ſank Vratislav am feine Bruſt und bat ihn um Berzeihung, daß er ihm folhen Bram gemadt. Er erzählte ihm von Allent, was fid) feit feiner Flucht mit ihm Jugetragen, wie er gefangen worden und wieder entjprang. Auch von feinem Anfenthalte bei Neuhaus erflattete er Bericht; doch erwähnte ex idmila’s und defien, was ihm mit ihr begegnet, mit feinem Wort.

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„Du haft viel Bitteres erfahren im Folge einer unüberlegten Handlung!” fagte Eyrillus; „doc iſt e8 gut; duch Prüfungen werben wir gereinet und gefäftigt zu Handlungen. Noth und Gefahren find unfere Lehrmeifter im Leben. Gut, daß Du Emmft! Du erſcheinſt zu wichtiger Stunde; die Zeit des Han- being ift gefommen. Vieleicht bedürfen wir auch Deines Armes. Jetzt raſte und verberge Di. Ich muß mich zu fo fpäter Zeit noch entfernen. Morgen gegen Mitternacht ſehe ich Dich wieder und rufe Dich ab zur Handlung.“ Er ließ Vratislav mit feinen Gedanken allein. Ein Diener forgte für feine Bedürfniffe. Im der folgenden Nacht erſchien Eyrillus wieder und ſprach feier- ich zu dem Züngfing: „Du wirft heur Nacht nod unter Män- nern fein, die auf Deinen Muth vertrauen können. Die Stunde fchlägt; folge mir fie find verſammelt.“

Er nahm den Ritter nach diefen Worten an der Hand und ging im Finſtern durch mehre Gänge mit ihm bis an eine ver- iäloffene Thüre. Hier zog er eine Glode, deren Ton aus einem entferntern innern Zimmer antwortete. Die Thüre fprang von feibft auf; in bem nächſten Gemache war e8 gleichfalls finfter, fo aud in zwei andern, durch melde ſie ſchritten.

Endlich öffnete Eyrillus herumtappend mit einem Schtüffel eine vierte Thüre, und fie flanden jegt in einem Saale, wo an einer runden Tafel vier fattlihe Männer, dem Hervenftande, nad) ihrer Tracht zu fließen, angehörend, faßen. Sie erhoben fich beim Eintritte der Neuangelommenen- und riefen einftimmig: „Billtommen I“

„Bier der Ritter von Branit, edle Herren!“ fagte Cyrillus, Bratislav vorftellend, „von dem ich Euch bereits gefproden, und defien Arm fi) unferm Bunde weihen wird mit feinem legten Blutstropfen. Später mag er den Eid in Eure Hände legen. Mein Sohn“ wandte er fid) darauf zu Bratislav umb fuhr fort „es ift ein großer Angenblid für Dich gelommen ; fafle

Kerloßfohn: Der legte Taborit. I. 17

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Sinn und Geift zujammen, um feine erhabene Bedeutung ernft und tief begreifen zu können. Du fieht uns bier vereint, bem Baterlande einen neuen frühling zu bereiten; wir wollen mit Gottes und unferer Arme Kraft unfre heilige Religion mit &e- walt der Waffen vielleicht durd einen . einzigen entſchloſſenen Streich wieberherftellen, wollen das fremde fondern von dem Eigenen, wollen von da fortbauen, wo unfre frommen Bäter ge- endigt. Der Herr fegne uns umb leihe uns Kraft zum großen Werke!“ Er ſetzte ſich nad dieſen Worten oben an der Tafel nieder; die Uebrigen folgten ihm, Vratislav nahm unten Play.

nBergönut mir vorerft, edle Herren,“ nahın Eyrillus wieder das Wort, „diefen Züngling in den würdigen und entfchloffenen Kreis einzuführen. Und Du, Vratislav, neige Did; vor biefen Männern, die Dein Schidjal kennen, deren Brüder und Väter Ein 208 mit Deinem Vater. getheilt, die das Baterland lieben und aud Dir mohlwollen. Du ſiehſt hier im Kreife verfammelt die Edlen und Herren von Piihoda, von Zasmul, Fa bricius und von Hafenberg; der glückliche Augenblick ver- eint und. Noch einmal fol ber Anfchlag befchloffen, und morgen zur That gefchritten werben. Seid Ihr's zufrieden, würdige Freunde, fo fol der Ritter, deſſen Muth und Treue ich verbürge, vor Sonnenaufgang gegen Tetin ziehen, dort fih an die Spitze des Fahnleins ftellen, mit demfelben über Budnian gen Beraun eilen und in der waldigen Gegend bei der Stadt nod früher eintreffen, als der König felbft in Beraun einzieht. Nähere Ber fehle follen ihm an Ort und Stelle ertheilt werben.“

„Ih Habe nichts dagegen,“ nahm Zasmut, ein feierlicher Greis mit filbernen Loden und einem ernfi-milden Gefichte, das ‚Wort ; „bevor wir aber in das Einzelne unſers Planes eingehen, mwäre es geraten, Rofycana’s Anherkunft abzuwarten. Sein langes Ausbleiben macht mid ſtutzig.“

‚nich nicht 1. entgegnete Eprillus; „der Unfall, ber dem

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König begegnet if, wird ihn länger in feiner Nähe zurüdbe halten. Er bot es mir geſchworen mit Hand und Mund, er if mit ganzer Seele unſer eigen,“

„Rein!“ rief Hafenberg, ein Heiner ſchlauer Mann mit haarloſem Haupte und funfelndrothen Wangen, indem er das Wort Scharf und fchneidend betonte, „ich traue ihm doch erft, wenn id ihn habe. Wie er, fo zu fagen, den König verräth, ann er uns auch verrathen. Warum wurde er der Unfere? Beil er ſich oben zurüdgefegt fühlt. Er will herrſchen gleich- viel durch wen!“

„Eben jener legte Grund,“ meinte Fabricius, ein ältlicher befonnener Mann in ſchwarzer Amtetracht, „feflelt ihn an und, und darum glaub’ ich feft an den Ernft umd Eifer feiner Ber- brüberung.“

„3a, er will bereichen,“ ſprach Plihoda ein Mann von Heftigem, lebhaften, ſogar auffahrendem Wefen, „und kann «6 jest nicht. Der erfle Bifhof in Böhmen glaubte er zu fein, der geiftliche Herrſcher des Königreiches, und Georg hat ihm zw nichts mehr als zu feinem Kaplan gemadt. Dies wurmt die alte Schlange; darum Lam er uns auf halbem Wege entgegen, will den König vereint mit uns binden oder flürzen, um danu das Fangerrungene in Befig zu nehmen.“

„Nein!“ unterbrach Haſenberg mit demfelben Tome; „er tann eben fo gut, um feinen Einfluß auf den König wieder zu Beben und zu vergrößern, uns verrathen. Iſt ihm dann Georg neuerdings verpflichtet dann muß er auch gewähren, was er verlangt.”

„Mir ſcheint es nicht billig,“ nahm Cyrillus wieber das Wort, „über den Mann ſchon jegt eim verdächtig Urtheil zu fällen, da bisher noch nichts gegen feine Berläßlichkeit fpricht, ale fein fpätes Erſcheinen.“

„Ein Rechteſatz fagt,” bemerkte Fabricius: „Man halte

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Ein Schrei des allgemeinen Eutſetzens und Unwillens flog dur die Berfammiung. Der Monch warf den Reich zu Boden, daß er klirrend über die Mormorplatten hinrollte, und rief, als auf das Erſtaunen eine Todtenſtille gefolgt war: „Set hab’ ich das Gift in mir wenige Augenblide, und ich ſterbe mit mei nem Geheimniß! Ja, König, das Gift war für Dich beftimmt ! jener Anecht hat nicht gelogen. IC Haffe Dich, id) verflnche Did als einen Sohn des Antichrift, als einen Feind der heifigen Kirche, welche Du fhändeft durch Tegerifches Abendmahl, die Dur im ben Staub getreten Haft! 9a, id) verfluhe Did im Namen des Heiligen Waters, der unfer Aller Here und Meifter ift, ich rufe das Anathema über Dein Haupt und fordere Dich vor Gottes Richterſtuhl! Ich fterbe als ein Märtyrer für den heiligen, einzigen Glauben, und Du wirft leben im Ausfage der Sünde, behaftet mit dem Wanne der Kirche, im mobderigen Leibe eine verdammte Seele! Ja, ich haſſe Dich und Viele Hafen Dich noch die gleihgefinnt find wie ih! Jener feige Schurke zu Deinen Füßen, der um fein Leben fleht und nicht den Muth hat zu flerben, war mur ein Werkjeng in meiner Hand. Bon wen der Plan zur Race kam, weiß er nicht. Die Folter wird ihm nichts erpreffen; denn der Tod wählt ſchon in meinen Gebärmen wie ein Hungriger Wolf, wie Du wmütheft gegen ben reinen Glauben und die Diener der Kirche.“

„Auswurf ber Menfchheit!” rief Georg, „ift es doch kaum glaublich, daß Dich ein menſchlich Weib geboren mit dieſem fluch - würdigen Haffe, mit diefem heimtückiſchen Ingrimme! Undant- barer Böfewicht! was hab’ ih Euch gethan, daß Ihr heimlich mit Gift mir nach dem Leben flellet? Hab’ ich Cuch doch veſchubi wie die Priefter meines Glaubens, Hab’ Eure perſonliche Sicher heit fefigeftellt, habe meinen Prieftern bei harter Strafe Dufd- famteit geboten, hab’ End Eure Möfter wieder zurückgegeben, und Ihr gießt mir Gift unter den Wein, den ih zum Liebes -

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mahl des Herrn genießen will! O ſelbſt micht im Heidenthume ward fo Schredliches eriebt! Und das foll ein reiner, ein Heifiger, ein alleinfeligmachender Glaube fein, der folde Unthat billigt und gebietet! Mit Gottes Sacrament vermäßft Ihr den Mencelmord! Mönd,, elender Sünder! wär’ ich ein gewöhnlicher Menſch, vom irdiſchem Haſſe erfüllt, ein tauſendfaches Wehe hätte Deine Unthat allen Deinen Glaubensgenoffen bereitet! Denn wo Ihr falſchen, giftigen Schlangen feid, wo Eure Religion dies preift als gott- gefällig Berk, da feid Ihr ja die Ausſätzigen unter meinen ge- funden Kindern! Wie kann Natur fi alfo ſelbſt verläugnen, wie tann die Hand, die eben beſchenkt worden ift, fi zum Morde gegen den Vater, den König, den Wohlthäter erheben? Alſo das iſt Enre Liebe Euer Segen?“

‚„nfer Segen,“ verfegte der Mönd mit Vernichtung in dem Biden, „wird zum Fluch allen Denen, die Ketzer find, und da Du der Fürft der Ketzer biſt, fo trifft Di tauſendfacher Fluch! Wehe, Wehe ruf’ ich über Did, Deinen Stamm, Dein Regiment! Elend fol e8 Dir ergehen im Leben und noch efenber jenfeits! Hier ſollſt Du feine ruhige Stumde genießen auf Deinem Throne, und, wenn Du ftirhft, ihm verwaiſt zurücklaſſen! Wo aber noch ein gut katholiſch Herz in einer Chriftenbruft ſchlägt, da wird Jeder fein Leben wagen und nach dem Deinigen fireben wie ich! Du lebſt verflucht ich aber erringe die Heilige Märtyrer- trone !

„Reißt ihm die Zunge ans dem Halſe!“ riefen entſetzt Mehrere aus der Umgebung ber Königs; „er läſtert ben Ge- falbten des Herrn den BVeihüger des Glaubens! Spannt ihn auf die Folter 1“

„Die Zunge ausreißen?“ ſchrie Sukol und brängte ſich herbei „das laßt mid thun! Ich Kenne den Pfaffen und Habe eine größere Wuth gegen ihn im Herzen, als zehntaufend Andere."

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„Schweigt!“ gebot ber König, „laßt ihm den Irrwahn, für den er ſich opferte; denn ohne ihn mär’ fein Zuſtaud ſchredlich.“

lc} kreiſchte jetzt noch einmal ber Gunardian und brach zuſammen fein Antlig wurde blan die Lippen weiß, bie Mienen verzerrten fi feine Augen traten weit aus ber Höhle. Der Tod umllammerte ihn mit eisfaltem Leichenarm fein Herz zudte nur noch frampfhaft, mit dem Leben ringend.

„Er firbtl" ſprach der König „Gott fei feiner Seele gnädig! Den andern Mann hier aber, der ihm Hilfreiche Hand geleitet, ſpannt auf die Folter und preßt ihm das Geſtändniß defien, was er weiß ab, dann verfalle er dem Henker! Wir aber wollen auf der Hut fein gegen bie reißenden Wölfe, die unter unfern guten Unterthanen herumfcleichen, und in Nacht und Grauen die Hand erheben zum Königsmorde.“

„Erlaube, gnädiger König,“ bat Sufol Hervortretend, „daß ich diefen Mann, den ich Dir geliefert, zur Behandlung über- komme. Es weiß Keiner mit ihm fo umzugehen wie id, ber ihn länger kennt. Ich will Dir ihn mürbe machen, o Herr, wie ein Bunb gebrochenen Flache. Er Hat mir Gutes gethan er bat an mir feine Kreide boppelt verſchwendet, er hat mich gegen den Pfaffen da verläftert, ale wäre ich fein Schuldner. Erlaube, Herr, daß id; meine Art von Folter an ihm verfuche. Ich ſtriegle ihm mit dem flumpfen Rüden eines deutſchen Schwertes das Rüd- grat, daß er es für einen Palm hält, dem die Engel im Himmel fingen. O Micdlel, Du Kreidendeld, Bierverdünner, Weinver- fälfher! &o dumm und fo feig, und doch ein Bluthund I“

„Schafft den Berbrecher in’s Gefängniß I" gebot der König und wandte fi) gnädig zu Sukol mit ben Worten: „Hab' Danl, Du treuer Kriegsknecht, der mir das Leben erhalten und das Land vor großer Verwirrung bewahrt hat! Das ganze Vaterland weiß es Dir Dank und wird, wenn es mit Entfegen von jenem

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Mordanſchlage fpricht, Much Deine Treue rühmen. Nimm diefe Kette Hier, die ich auf meiner Bruft getragen, und trage fie ale Andenten anf dem Herzen. Knie nieder! Bon nun an folk Du fein Knecht fein mein. Schwert ſchlagt Dich zum Ritter. Sei der Edlen einer der König wird Dich gern an feinem Hofe fehen. Richt für die That allein, fondern für viele frühere, wovon die Narben zeugen, belohn' ih Dich.”

„Gnädiger König!" fagte Gukol, indem er auffland, mit Rührung, „Ihr habt mich fo umendlich reich gemacht, daß ich beſchamt bin wie ein Knabe, der in der Schule öffentlich belobt wird. Noch eine Witte, eigentlich die einzige vom Uranfang, hab’ ich auf dem Herzen; Du famft durd Deine Gnadenſpende ir zuvor. Begnadige, Herr und König, meinen frühern Herm, den Bratislav von Branik; denn fam jener Unfall mit dem Spanberger nicht dazwiſchen, fo war er's, ber Dein Leben rettete. Soll der Zufall über fein Berbienft entſcheiden? Heut‘, wo Dir Gott Hat Dein Leben erhalten ſcheuk aud ein Leben Einem, der's verdient wie Vratislav.“

„Es feil“ verfegte Georg; „man verfände öffentlich, daß der Bann gegen den Ritter aufgehoben fei und er zurüdlehren fönne. Iſt er gefangen, fo fol man ihn augenblicklich in freie beit fegen. Ritter Sukol! Ihr meldet End; morgen bei meinem Zahlmeifter. Nun aber anf! Es geziemt fid, vor dem Hodaltare dem Ewigen inbrünftigen Dank zu zollen, wie er gnädig gewaltet hat über unfer Leben und des Baterlandes Heil; denn von ihm kömmt Rettung, Gnade und Erbarmen. Meinem treuen Volke fei unter Xrompetenffang von Herolden auf allen Blägen und Märkten unfere wunderbare Rettung verkündet: bie Armen feien drei Tage lang Gäfe an meinem Tiſche.“

Er ging mit feinem Hofftaate nad) dem Hodaltare zurüd; mit Frendenjauchzen empfing ihn die flumm harrende Berfamm- fung. Rokycana beftieg die Kanzel, machte dem Volle den Bor-

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fall und des Königs wuuberbare Rettung kund und ermahnte ſchließlich bei dem lauten Ausbruche des Unwillens über eine folde verruchte That zur Sühne, zur Duldſamkeit gegen die Ratholiten, und befahl im Namen des Könige, ſie nicht das Ber- brechen eines Cinzelnen entgelten zu laſſen. Der König, feine Familie und die Umgebung fnieten auf den Stufen des Aliares nieder; die Priefter fangen das Halleluiah, und vom Chore er- tönten die Pfalmen abwechfelnd mit Zrompetengejchmetter und Bautenwirbel.

Iauchzend geleitete das Volk den König in die Burg. Sur tol wurde auf dem Heimwege von ber Menge beinahe erbrüdt, die ſich bewundernd, belobenb und Lieblofend zu ihm drängte.

Für Prag wor diefer Tag ein Feſtiag. Mau flellte alle Geſchafte ein, ſchloß die Läden und gab feine Freude auf öffent. lichen Plägen und in Gärten durch Schießen, Tanz, Mufil und feierliche Aufzüge fund. Im allen Kirchen, ſelbſt in deu katholi» ſcheu, deren Priefter Grund Hatten, eine Billigung mit bem Mordanfchlage zu verläuguen, tönten die Gloden. Die Rathe- herren der drei Stände, die Univerfität, die Innungen und bie Prieſterſchaft ſchidten Deputationen an den König, ihm Glüd zu wünfhen. Er verſchob feine Reife nah Beraun und ritt den ganzen Tag in der Mitte feiner Söhne, begleitet von feiner Leib- wache, dur die Straßen ber Stadt, um fi ber jubelnden Menge, deren Herzen er nur mod) theurer geworben, zu zeigen.

Die Mönche des Kapuzinerkloſters wurden eingezogen und diefes felbR: geicloffen.

Sutol eilte in da6 Haus derer von Zedvic, erzählte, was vorgefallen war, berichtete von Bratislav's Begnadigung, welche ihm Löftliche Freude machte, und erwähnte noch nebenbei beſchei - dentlich feiner Standeserhöhung und des funkelnden Ghrenge- ſchenkes.

Da der Jude Abraham benfelben Tag vom Viertelsmeiſter

freigelaffen worden war, fo erhielten die von Zedvic zugleich Nachricht von Vratislav's Aufenthalte.

Freude und Jubel herrſchte in der Familie Milada ſchwamm in füßen Freudenthränen, melde fie am Bufen ber Freundin ausweinie.

Nitlas ritt im Sulol's Geſellſchaft ſogleich nach der Altladt in ben Teinhof, um dem Ritter feine Begnadigung anzuzeigen und ihn in den Kreis der Geinigen freubetrunfen wieder einzu- führen.

Sie eilten die Stufen zu Pater Cyrillus Wohnung hinan. Bier lonigliche Baden ſchilderten vor der Thür und vermehrten ihnen den Eingang.

Auf die Frage nach dem Pater erhielten fie den Befcheib, er fei mit ben Uebrigen entflohen.

„Und Vratislav, der Ritter von Branil, der ſich hier bei Cyrillus aufhielt ?* fragte Niklas ahnungsvoll.

„Der verwundet wurde, als wir bie Berſchworenen über- fielen?“ beſchied einer der Söldner und deutete zum Feuſter hin⸗ aus; „er figt dort im Thurme des Rathhanſes. Ich möchte nicht an feiner Stelle fein! Er if der Einzige, der nicht entlam, und wird für die Anderen büßen müſſſen. Es fol eine ſchredcliche Berfhwörung gegen ben König geweſen fein. Weiter weiß id nidhte.“

Mit diefem Beſcheide entfernte ſich Rillas mit Sulol nie- dergeſchlagen und betrübt.

nenn ſich die Meufchen freuen,“ grollte Sukol, „jo freuen fh auch die Teufel, weil fie ſchon wiffen, wie fie dem Menſchen die Freude vergiften wollen. Geht allein nah Haus, Herr Rit- ter; ich habe den Muth nicht, dort die neue Trauerkunde zu überbringen, namentlich dem Fräulein Milada nit. Ich glaube, das bricht ihr das Herz. Laßt mich nad dem Rathhaufe ziehen; vielleicht erfahre id; dort mehr.”

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n?eb’ wohl, Freund!“ fegte Nillas mit Thränen in den Augen; „bring uns bald fichere Kunde ſelbſt wenn fie noch trauriger if, ala wir hoffen. Ich ahne den ganzen, unglüclichen Zuſammenhang. Armer Freund! iR es fo, dann Bi Dr unvettbar verloren. Barum mußteR Du dahin gehen! Nur Einen Tag und Du warft gerettet in ben Armen ber freunde! Gott Tiebt uns nicht mehr.“

Er ſchwang fich auf fein Roß nnd fprengte über den alt- ſtãdter Ring nad ber Brüde zn.

Sutol erfuhr im aliſtädter Rathhauſe weiter nichte, ale daß Bratislav im Xeinhofe bei Pater Cyrillus in einer Berfammiung, melde aus Unzufriedenen beftand, die fi gegen das Regiment des Königs verſchworen hatten, ergriffen und vorläufig hierher in fichere Haft gebracht worden ſei.

Als Vratislav an jenem Abend im Teinhof von Abraham abfchied genommen Hatte, eilte er in die Wohnung bes Pater Eyrillus. Die Thäre war verihloffen; erft nach mehrmaligem Pochen öffnete der Priefter und erkannte mit Staunen den Jüng- fing, defien Unfall er vernommen, und von weldem er bis jett feine Spur gefunden hatte.

Reuig ſank Vratislav am feine Bruſt und bat ihn um Berzeihung, daß er ihm folhen Gram gemacht. Er erzählte ihm von Allem, was fi feit feiner Flucht mit ihm zugetragen, wie er gefangen worden und wieder entiprang. Auch von feinem Unfenthalte bei Neuhaus erftattete er Bericht; doch erwähnte ex Lidmila's und deſſen, was ihm mit ihr begegnet, mit feinem Wort.

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„Dn haft viel Bitteres erfahren im Folge einer umüberlegten Handlung!” fagte Cyrillus; „doch ift es gut; durch Prüfungen werben wir gereinet und gekräftigt zu Handlungen. Noth und Gefahren find unfere Lehrmeifter im Leben. Gut, daß Du Gemmf! Du erfgjeink zu wigtiger Stunde; die Zeit des San- deins ift gelommen. Bielleiht bedürfen wir aud Deines Armes. Jet raſte und verberge Did. Ich muß mich zu fo fpäter Zeit noch entfernen. Morgen gegen Mitternacht fehe ih Dich wieder und rufe Di ab zur Handlung.“ Er lie Vratislav mit feinen Gedanken allein. Ein Diener forgte für feine Bedürfniſſe. Im der folgenden Nacht erſchien Eyrilus wieder und ſprach feier- lich zu dem Jüngling: „Du wirft heut Nacht noch unter Män- nern fein, die ouf Deinen Muth vertrauen können. Die Stunde ſchlagt; folge mir fie find verfammelt.“

Er nahm den Ritter nad) dieſen Worten an der Hand und ging im Finſtern durch mehre Gänge mit ihm bis an eine ver- ihloffene Thüre. Hier zog er eine Glode, deren Ton aus einem entferntern innern Zimmer antwortete. Die Thüre fprang von feihft auf; in dem näcflen Gemache war es gleichfalls finfter, fo auch in zwei andern, durch welche fie fchritten.

Endlich öffnete Eyrillus herumtappend mit einem Schlüffel eine vierte Thire, und fie ftanden jegt in einem Saale, wo an einer runden Zafel vier flattliche Männer, dem Herrenſtande, nad) ihrer Tracht zu ſchließen, angehörend, faßen. Sie erhoben fi beim Eintritte der Nenangelommenen- und riefen einſtimmig: „Willkommen I“

„Hier ber Ritter von Branik, edle Herren!“ fagte Eyrillus, Vratislav vorftellend, „von dem id; Euch bereits gefprochen, und deſſen Arm fi unferm Bunde weihen wird mit feinem legten Blutstropfen. Später mag er den Eid in Eure Hände legen. Mein Sohn” manbte er fi darauf zu Vratislav und fuhr fort. „es ift eim großer Augenblid für Did gelommen ; fafle

Herloßfoßn: Der Icpte Tabori. 1 17

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Siun und Geiſt zujaommen, um feine erhabene Bedeutung ernft und tief begreifen zu lönnen. Du fiehft uns Bier vereint, dem Baterlande einen meuen Frühling zu bereiten; wir wollen mit Gottes und unferer Arme Kraft umfre Heilige Religion mit Ge- walt der Waffen vielleiht durch einen. einzigen entichlofjenen Streich wieberherftellen, wollen das fremde jondern von dem Eigenen, wollen von da fortbauen, wo umfre frommen Väter ge- endigt. Der Herr fegne uns und leihe uns Kraft zum großen Werle!“ Er feste fi nach dieſen Worten oben an ber Tafel nieder; die Webrigen folgten ihm, Vratislav nahm unten Platz.

„Bergönnt mir vorerft, ‚edle Herren,“ nahm Cyrillus wieder das Wort, „diefen Iüngling in den würbigen und entfhloffenen Kreis einzuführen. Und Du, Bratislav, meige Did vor dieſen Männern, die Dein Schidjal kennen, deren Brüder und Bäter Ein 206 mit Deinem Vater. getheilt, die das Baterland Heben und aud Dir wohlwollen. Du fiehft Hier im Kreiſe verſammelt die Edlen und Herren von Piihoda, von Zasmuk, Fa bricius und von Hafenberg; der glüdliche Augenblid ver- eint une. Noch einmal foll ber Anſchlag beſchloſſen, und morgen zur That geſchritten werben. Seid Ihr's zufrieden, wilrbige Freunde, fo fol der Ritter, defien Muth und Treue ich verbürge, vor Sonnenaufgang gegen Zetin ziehen, bort fih an die Spige des Fähnleins ftellen, mit bemfelben über Bubnian gen Beraun eiten und im ber waldigen Gegend bei ber Stadt noch früher eintreffen, als ber König felbft in Beraun einzieht. Nähere Be- fehle jollen ihm an Ort und Stelle ertheilt werden.“

„3% Habe nichts dagegen,“ mahın Zasmuf, ein feierlicher Greis mit filbernen Soden und einem ernfl-milden Gefichte, das Wort ; „bevor wir aber in- das Einzelne unfers Planes eingehen, wäre e8 gerathen, Nokycana’s Anhertunft abzuwarten. Sein langes Ausbleiben macht mich ſtutzig.“

„Mich mit!“ entgegnete Cyrillus; „ber Unfall, dev dem

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König begegnet if, wird ihm länger in feiner Nähe zurückbe · halten. Er hat e8 mir gejhworen mit Hand und Mund, er if mit ganzer Seele unfer eigen,”

Rein!“ rief Hafenberg, ein Heiner ſchlauer Mann mit haarlofem Haupte und funkelndrotfen Wangen, indem er das Wort Scharf und fchneidend betonte, „ich trame ihm doch erſt, wenn id) ihn Habe. Wie er, fo zu fagen, den König verräth, tann er uns auch verraten. Warum wurde er ber Unfere? Beil er fi oben zurüdgefegt fühlt: Cr wi herrſchen gleiche viel buch wen!“

„Eben jener legte Grund,“ meinte Fabricius, ein ältlicher befonnener Mann in ſchwarzer Amtstradht, „feſſelt ihn am ung, und darum glaub’ id) feft an den Ernfi und Eifer feiner Ber- brüderung.“

„Ja, er will herrſchen,“ ſprach Pkihoda ein Mann von heftigem, lebhaftem, fogar auffahrendem Weſen, „und Tann es jet nicht. Der erfte Biſchof in Böhmen glaubte er zu fein, der geiſtliche Herrſcher des Königreiches, und Georg bat ihm zu nichts mehr ale zu feinem Kaplan gemacht. Dies wurmt die alte Schlange; darum kam er uns auf halbem Wege entgegen, will den König vereint mit uns binden ober ftürzen, um bann das Langerrungene in Befig zu nehmen.“

Rein!" unterbrach Haſenberg mit bdemfelben Tone; „er tann eben fo gut, um feinen Einfluß auf ben König voleder zu heben und zu vergrößern, uns verrathen.. If ihm dann Georg neuerdings verpflichtet dann muß er aud gewähren, was er verlangt.”

„Mir fcheint es nicht billig,“ nahm Cyrillus wieder das Wort, „über ben Dann ſchon jet eim verdächtig Urteil zu fällen, da bisher uoch nichts gegen feine Verläßlichleit fpricht, ala fein fpätes Erfgeinen.“

„Ein Rechteſatz fagt,” bemerkte Fabricius: „Man Halte

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Sinn und Geiſt zufammen, um feine erhabene Bebeutung ernft und tief begreifen zu lönnen. Du ſiehſt uns Bier vereint, bem Baterlande einen neuen Frühling zu bereiten; wir wollen mit Gottes und unferer Arme Kraft unſre heilige Religion mit Ger walt der Waffen vielleicht durch einen . einzigen entfchloffenen Streich wieberherftellen, wollen das fremde fondern von dem Eigenen, wollen von da fortbauen, wo unfre frommen Bäter ge- endigt. Der Herr fegne uns umb leihe uns Kraft. zum großen Werke!“ Er fette ſich nach diefen Worten oben an der Tafel nieder; die Uebrigen folgten ihm, Vratislav nahm unten Platz.

„Bergönnt mir vorerſt, edle Herren,“ nahm Eyrillus wieder das Wort, „biefen Jüngling in den würdigen und entichlofjenen Kreis einzuführen. Und Du, Bratislan, neige Dich vor dieſen Männern, die Dein Schidfal kennen, deren Brüder und Väter Ein Los mit Deinem Vater geteilt, die das Baterland lieben und aud Dir wohlwollen. Du fiehft Hier im Kreife verfammelt die Edlen und Herren von Pkihoda, von Zasmul, Fa bricius und von Hafenberg; der glüdfice Augendück ver- eint une. Noch einmal foll ber Anfchlag befchloffen, und morgen zur That gefchritten werben. Seid Ihr's zufrieden, würdige Freunde, fo fol der Ritter, defien Muth und Treue ich verbürge, vor Sonnenaufgang gegen ZTetin ziehen, dort fi an bie Spige des Fähnleins ftellen, mit demfelben über Budnian gen Beraun eilen und in ber waldigen Gegend bei ber Stadt noch früher eintreffen, als der König felbft in Beraun einzieht. Nähere Be fehle follen ihm an Ort und Stelle ertheilt werden.“

„IH Habe nichts dagegen,“ nahm Zasmuk, ein feierlicher Greis mit flbernen Soden und einem ernft-milden Geſichte, das ‚Wort ; „bevor wir aber in- das Einzelne unfers Planes eingehen, märe es gerathen, Rokyeaua's Anherkunft abzuwarten. Sein langes: Ausbleiben macht mich ſtutzig.“

„Mich nicht!“ entgegnete Cyrillus; „ber Unfall, der dem

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König begegnet if, wird ihm länger im feiner Nähe zurüdbe halten. Er bat es mir geſchworen mit Hand und Mund, er iſt mit ganzer Seele unſer eigen,”

„Nein!“ rief Hafenberg, ein Meiner ſchlauer Mann mit haarloſem Haupte und funkelndrothen Wangen, indem er das Wort ſcharf und ſchneidend betonte, „ic traue ihm doch erſt, wenn ich ihn babe. Wie er, fo zu ſagen, den König verräth, tann er uns auch verrathen. Warum wurde er ber Unfere? Veit er fi oben zurüdgefegt fühlt. Er will herrſchen gleiche viel durch wen!“

„Eben jener legte Grund,“ meinte Fabricius, ein ältlicher befonnener Mann in ſchwarzer Amtstradt, „feflelt ihn an uns, und darum glaub’ ich fett an den Ernft und Eifer feiner Ber- bräderung.“

„Sa, er will bereichen,“ ſprach Piihoda ein Mann von heftigem, lebhaftem, fogar auffahrendem Wefen, „und Tann es jegt nicht. Der erſte Biſchof in Böhmen glaubte er zu fein, der geiſtliche Herrfcher des Königreiches, und Georg hat ihn zu nichts mehr als zu feinem Kaplan gemadt. Dies wurmt die alte Schlange; darum fam er uns auf halbem Wege entgegen, will den König vereint mit uns binden oder fürzen, um banı das Langerrungene in Befig zu nehmen.“

„Nein!“ unterbrach Hafenberg mit bemfelben Tone; „er tann eben ſo gut, um ſeinen Eiufluß auf den König wieder zu heben und zu vergrößern, uns verrathen. Iſt ihm dann Georg neuerdings verpflichtet dann muß er auch gewähren, was er verlangt.”

„Mir ſcheint e8 nicht billig,“ nahm Cyrillus wieder das Wort, „über den Mann fon jet ein verdädtig Urtheil zu fällen, da bisher noch nichts gegen feine Werläßlichteit ſpricht, als fein fpätes Erſcheinen.“

„Ein Rechtsſatz ſagt,“ bemerkte Fabricius: „Man Halte

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Jeden für redlich, fo lange bis er das Gegentheil an den Tag gebracht hat.”

„Aber ein Vertrauter,“ äußerte Zasmuf, „konnte uns leicht Nachricht von feinem fpätern Eintreffen bringen.“

Nein!” wiederholte Hafenberg; „er mußte der Erſte hier am Platze fein, um, eben weil er al®. Ueberläufer verbächtig if, unfer Vertrauen zu gewinnen.“

„Mir war der Bund mir ihm,“ rief Plihoda, „vom An« fang an nicht vet. Wer einmal im Verrathe geübt if, verräth ohne Anfehen der Perfon und Sache. Ic wollte, ich hätte ben liſtigen Pfaffen erft unter meiner Macht! Gehorden foll er und Hein werden, gerade dann, wann er größer zu werden vermeint! Er war ſtets doll Trug und Falſchheit, und wenn der König bier und da nicht recht gehandelt gegen uns, fo leitete Rolycana im Hintergrande feinen Arm. Cr hat Berrath mit Sigismund getrieben, als er noch mit Neuhaus im Bunde war ; er hat auch Georg verraten und Neuhaus geſtürzt vom feiner Macht und Hoheit. Was er an König Ladislaus gethan, deſſen mag id) nicht erft ermäßnen.“

mRun aber ift er unier,“ warf Eyrillus ein; „fein Schwur wie feine Schrift bürgen für ihn. Es war fein eigener, lang- genährter Plan, mit Gewalt endlich einzugreifen, den wir ihm ausführen helfen.“

Rein, nein!“ unterbrah Hafenberg; „er führt une an das Mefier, wenn es mißlingt, und tritt uns in den Staub, wenn es geräth. Es war eine unglüdjelige Stunde, wo wir uns ihm Bingaben; wir wurden leicht bethört und können es büßen. Ober er läßt uns die That wagen und fordert dann ben Lohn für's bloße Zufehen.“

„Alles für die Sache,“ erläuterte Fabricins. „nichts für einen einzelnen Mann! Haben wir gefiegt und ber König ift in unferer Gewalt, fo bleibe der Rokycana noch ferner von ihm,

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als jest. Er bleibe Priefler im ber Kirche; doch oberfter Priefter und geiftlicher Regent fei der König allein, duch unfre Artilel gebunden, die er beſchwören muß.”

„Aber die Schlange,“ bemerkte Pkihoda, „wird ſich winden, und uns ben König und die neue Verfaſſung umringeln, und ehe wir uns deſſen verjehen, wird ihr Ganpt über uns empor ragen.”

„Eins ſteht fe,“ ſprach Cyrillus mit Ruhe; „ber Vortheil fpielt uns den Biſchof in die Arme. Jet bebürfen wir feiner und dürfen ihn nicht fränfen durch Verdacht ober unzeitige Zweifel. Was dann fich fügen wird, foll bie Zulunft und bie Nothwen- digkeit lehren. Sie ift die allmächtige Gefeßgeberin, unter deren Einflufje wir ftehen.“

„Ob er nun kömmt, ob nicht,“ redete der befonnene Zasmuf beruhigend, „ob er die Hand ans dem Spiele läßt, um das Ende abzuwarten, unfer Plan ſteht feft und muß morgen reifen. An achthundert Mann haben wir um Beraun zufammengezogen. Den König begleiten höchftens hundert Reiter. In Beraun neh- men wir ihn, nachdem das Glödtein von der Franciskanerkirche uns das Zeichen zum Cinzug gegeben, gefangen, legen ihm bie Zractate vor, und er muß fie beſchwören, foll er König bleiben. Erft unfre zehn Glaubensartifel, Losfagung vom Papfte, vom Kaifer nnd dem öſterreichiſchen Haufe fir ewige Zeiten, Schlie- gung der katholiſchen Bethäuſer und Landesverweifung für Jeden, der binnen Monatsfrift unferer herrſchenden Kirche nicht angehören will, Entfernumg der Deutihen von allen Staats- und Kronftellen, zwei Stimmen dem YHerrenftande auf den Landtagen. So fleht es drin. Will er unſer König bleiben, fo fei er e unter diefer Bedingung. Zehn Männer des Herrenftandes mögen als Mäthe des Königs über Erfüllung diefer Artikel wachen. Wir derftrebt er, fo lege er bie Krone nieder; wir verwalten und con-

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Riteiven inzwiſchen das Reich, bis fid rin Würdigerer und Kräfti- gerer für den Thron gefunden.“

„Saft einen Widerſpruch Euch gefallen!” rief Hafenberg; mid) dachte, es wär’ gerathener, den König von Beraun aus erft am die Grenze zu entführen, um bort mit ihm frei ſchalten und walten zu fönnen. Denn in Beraun haben wir die Prager in der Nähe; das Volt ift befeffen in feiner Freude über feine Heu- tige Rettung; er felbft if halsſtarrig; er könnte uns hinhalten and einige Tauſende aus Prag, fobald fie die Kunde von um- ferm Anfhlag vernommen, zögen Hinaus und kamen uns fber den Hals.”

„Davor fei uns nicht bange!“ warf Ptihoda ein; „ber Blitz lömmt zu plöglich und aus Beiterer Luft; er wird, er kann nicht zaudern. Die Nuttenberger und Caslauer, die Biddower und Königgräzer, die von Rolycan und Ptibram find unfers Winks gewärtig, Alles ächte ZTaboriten mit eifernem Muthe. Die Entführung aber verzögert und verdächtigt nur unfre Sache. Die Uebermacht liegt in unferer Hand der Eine raſche Schlag entſcheidet. Dann erſt iſt Böhmen frei mit einem freien König. Ber will es wagen, uns wieber anzutaften? Die Deutſchen ha- ben es nicht vergeffen, wie ihre Kreuzheere an unſrer ehernen Bruſt zerfplitterten! Sie fommen nicht wieder, ber ewige Gott felbft, der uns biefes Sand gegeben, wollte, daß es ein Bollwerk fein foll gegen jeden answärtigen Feind. Ringsum hat er es mit einer unbezroinglihen Mauer von Bergen und Felſen umge ben wie eine Zefte, zum Zeichen, baf es eine ewige Juugfrau fei, von feinem Fremdling beswungen oder gefreit Woran bemn unter dem Paniere des Gotteslammes mit Gott und feiner hei» ligen Macht in ben Kampf! Und follte eine neue Gut, eim Weltbrand fid, entzünden aus biefem unten, den wir fehlagen, wir werden endlich doch fiegen, wie wir flet6 gefiegt. Nicht vor ben Schlachten zittert der Böhme, aber vor dem weichlichen

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Brieden, wo Cleriſei und Königtfum im Stillen feine geſetzliche Freiheit untergraben, wo fie das Volk entnerven, bemüthigen, in ben Staub treten. Wir wollen bereichen, felbfiftändig fein und nicht nur geduldet. Weber Kaifer noch Papft lange mit räube- riſcher Fauft herein in biejes Sand und malte ſchamlos, bald gebietend, bald diebiih. Mit Gott alfo vorwärts, audy ohne die graue Schlange, die immer ziſcht von der Kanzel herab, wie in den geheimen Gemädern bes Schloffes! So er uns nicht dient, gibt's auch feinen Lohn für ihm!“

met,“ nahm Cyrillus nach folder Heftig geſprochenen Rebe, welcher Bratislav mit funfelnden Blicken lauſchte, das Bort, „macht mic des Biſchofs Ausbleiben ſelbſt beforgt. Einen Bertrauten konnte er ſchiden und den Grund des Nichterſcheinens angeben lafjen.“

„Rein!“ vief Hafenberg; „er ift feig wie heimtückiſch. Alles ohne ihn, nichts mit ihm, am wenigften etwas für ifn! Ser König wäre beffer, fände biefer Dämon nit am feiner Seite.“

„Es ſei alfo beſchloſſen!“ ftimmte Zasmnk ein; „nod in biefer Nacht brechen wir auf verfciedenen Wegen auf. Die Truppen erwarten uns und find unſers Winfes gewärtig. Der Herr gebe unferm Werke Gebdeihen! denn er iſt deſſen Zeuge, daß wir einen reinen Zwed verfolgen.“

„Amen!“ ſprach Cyrillus feierlich, und bie Geſellſchaft er- hob fi. Da aber erſcholl Geräufh und Getümmel vor ber Thüre; man hörte Kolbenſtöße und Fußtritte, welche fie einmwarfen, und wie das wilde Heer tobte es gegen ben Saal.

„Wir find verrathen wir find verloren!“ riefen die Ber- ſchworenen ſchreckenbleich durch einander.

„Rokyeana, das iſt Dein Werk!” ſchrie ber wilde Prihoda; mich flerbe gern, aber ermwürgen möchte ih Dich no früher!“

„Rein!“ treiſchte Hafenberg, „braten und ſchinden Meine Ahnung meine Ahnung!“

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Eine ſchreclliche Verwirrung herrſchte im Saale ſchon arbeitete eine pt in Rarfen Schlägen an den Pfoften der Thülre. Cyrillus öffnete befonnen bie gegenüberftehende, welche zu einer Treppe führte. „Hier hinab“ gebot er „es iſt ber geheime Gang, der nad) dem Königshofe führt; nur fo ift Rettung möglich. Bratislav hier nimm das Schwert halte fie zurüd; dann flieh uns nah wirf die Pforte hinter Dir zu fie ift von Eifen und widerfteht lange Zeit ihren Schlägen.“

Er riß das Licht vom Tiſche und flürzte mit dem Aus- rufe: „Mir nad, mir nah! Vratislav, zeige Deinen Muth!“ Hinab. Die Andern folgten ihm in wilder Flucht; der Letzte aber fchlug in der Haft und Befinnnngsfofigfeit die ſchwere Thüre zu fle fiel in's Schloß, und Vratislav war abgeſchnitten. Er ſchwang fein Schwert; die Eingangsthüre krachte, Söldnerknechte traten mit Fackeln und gefällten Hellebarden herein. Vratislav vertheidigte ſich

„Ergib Dich!“ ſchrie der Anführer; „Du und Deine Ger noffen, Ihr feid verloren! Im Namen bes Könige firede Deine Waffe und laß Did binden!”

„Fahr' erſt zur Hölle, feiger Knecht“ ſchrie der Nitter und lähmte mit einem Streiche den Oberarm des Anführere.

Er wehrte fih wie ein Mafender gegen die Hellebarden, melde auf ihm einbrangen; eine Pile brang durch feinen Arm. die Hand brach matt zuſammen; er focht mit der Linken, eim neuer Streich machte fie finfen.

Er wurde unterlaufen, zu Boden geworfen, gebunden und im Triumphe fortgefchleppt.

Man brachte ihn über den dunklen Ring nad) dem Thurme bes Rathhauſes. Hier wurde er auf feuchten Boden in ein tiefes Gewölbe geworfen; ohne Berband, ohne Speife und Tran brachte er Hier die Nacht zu mit fi und feinen Träumen und Befürchtungen allein. Die ſchrecklliche Gewißheit des Todes

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fand wie ein ſtarres, ehernes Riefenbild vor ihm. Das Leben taufchte Hinter ihm abwärts wie eine fliegende Wolfe Hinter ben Horizont, und vor ihm gähnte eine weite Muft, das Grab, das geäßliche unabfehbare Nichts.

„Erde, leb' wohl!“ rief er; „ich habe ausgefpieft und aus geträumt. Du Haft mid, ſchändlich um mein Leben betrogen! Jetzt gilt es nur einen ehrenvollen Tod! Einen ehrenvollen ? Ja aber von Hentershand I“

Es war baffelbe Gefängniß, in welchem vor einigen Jahren der Ritter Smiridy, weil er einen Brief an NKönig Ladislav geſchrieben, worin er ihn warnte, nach Böhmen zu kommen, unter beim Schwerte de& Henker verblutet hatte.

Ein fieberhafter, dumpfer Schlaf legte ſich über ben Züng- ling und entzog feine innere Anfhauung der gräßfichen, Hoffnungs- Iofen Wirklichkeit.

Am folgenden Tage verband ein ‚Arzt feine Wunden man reichte ihm Speife und Trank. Er erfuhr, daß die Mit- verſchworenen glüdli entlommen waren.

Als die Nacht kam, wurde er mit doppelten Ketten belaftet, aus feinem Gefängniffe und unter ftarfer Behedung nad dem Hradöin geführt, um in einen ber feften Thürme, welde größten theils für die Staatsverbrecher beftimmt waren, geworfen zu werben.

Er ſchritt durch den altflädter Brüdentfurm. Der helle Mond hing wie eine Feuerblume am Himmel umd verfilberte die weite Moldau, die grünen Infeln, und ſchimmerte aus taufenb Fenftern und von taufend Zinnen ber Kleinen Seite und des Hradöind.

Bratislav wandte fein Haupt gegen den Bogen des Thurmes, wo bie bleichen Schädel an den Spießen fiedten. „Mein Bater!“ murmelte er bumpf vor fi, „bald bin ich bei Dir und Dein fleifchlofer Mund wird ben Sohn grüßen, und id; werde Dir

Kunde geben, wie ich Di nicht gerächt, wie id; elend geenbet, glei Dir! Schlaf wohl diefe Nacht! Morgen begrüßen Deine leeren Augenhöhlen Deines Kindes blutige Züge.“

Er ſah nad dem Hraböin empor ſah jene bdüfteren Thürme, welche ihn vom Meuen begraben. follten, wie graue Gefpenfter in die Luft ragen; es durchfchauerte ihn froſtig. Er ſah rechts weiter bort ben Abendftern über die Moldau auftauchen. „Dort muß Weltrus fiegen,” feufzte ex leife; „dort weilt fie. Barum blieb ich nicht? Warum konnte ich nicht bleiben? Träumft Du von mir? Grüß’ mir fie, holder Abendſtern, ſag' Ihr, Dur Hätteft zulegt meinen Blick gefehen, der ihr galt, nachdem id vom Leben Abſchied genommen. Zeig’ ihr den Bid Abendſtern, grüße fi. Jetzt aber ftirb, Welt, vor meinen Biden!“

Er ſchloß die Augen blieb fumm und wurde fo nad der alten Burg gebradit.

Deutfcher Verlag von 3. 2. Kober in Prag.

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K. Herloßfohn’s

Dietisch omane,

Erfte Gefammtausgabe.

IV. Der legte Taborit.

Zweiter Band.

prag. Berlag von I. L. Kober. 1864.

Der letzte Taborit

oder

Böhmen im fünfzehnten Iahrhundert.

Hiſtoriſch - romantisches Gemälde

bon

8. Herloßſohn.

Zweiter Band. Dritte Auflage.

Prag. Berlag von 9. 2. Kober. 1864.

Drud von 3. 2. Kober in Prag.

u.

Tiefe Nacht lag über dem Walde bei Hekmanmeſtec, worin eine Zigeunerbande lagerte. Im Kreife von uralten Eichen, welche einen natürfidjen Dom bildeten, ſahen um zwei Feuer an vierzig Perfonen beiderlei Gefchlechtes, braun von Farbe, mit wilb ver- freuten Haaren in bunten phantaſtiſchen Gewändern. Die Flamme beleuchtete wild bie grellen Gefitszüge; der Mund öffnete ſich zu einem bumpfen, halblauten, eintönigen @efange, melden eine Fiedel begleitete, die ein alter, verwachſener Zigeuner, am Stamm eines Baumes niebergefauert, ſtrich. Weber ben Feuern ſchmorten zwei große eiferne Keffel; der duftige Brodem flieg weiß zu ben Baumwipfeln empor. Bon Zeit zu Zeit rührte eine alte Zigen- nerin, ein Weib mit eisgrauen Haaren, aber noch von kräftigem Wuchfe, mit einem hölzernen Stabe in dem Gebräne.

„Es iſt Zeit!” fagte fle jegt, nachdem der Gefang geenbigt hatte unb der Hauptmann ber Bande, eime Rieſengeſtalt mit wilden, bärtigem Antlig, gehüllt in einen rothen Mantel, eine lange Heugabel als Waffe in der Hand, ſtand auf, überblidte dem Kreis und rief mit einer rauhen, donnerähnlichen Stimme: „Sind fie alle verfammelt bie Kinder der Sonne?“

„Allo!“ tönte es im Chore zurüd. Da kniſterte e8 aber

Berloßfohn: Der Ichte Taborit. u. 1

2

durch die Zweige; eim aditzehujäßriger Surſche kam aus dem Iumern des Waldes gefprungen umd rief: „Hier bin aud ich!“ und warf einen abgefhundenen Hafen in dem Zeſſel, woran die Zigennermutter Rand, daf die Brühe darans empor- und ringe- herumſpritt.

Me, welche der Heiße Brei traf und verbrähte, ſchrien laut auf, nnd die Alte ſchwang dem hölzernen Stab drohend gegen ihm und kreiſchte ans zahnloſem Munde: „Wilder Hund Du! fiehſt Du nit, daß es zu fpät iR? Der Brei if gar, und Du wirft rohes dieiſch hinein! WIR Du nicht Aug werden, Sy- tora, Baflard eines Weißen? Straf ihn ab, Hauptmann I“

Der Burſche aber fand frei und ruhig da und fah der Alten umbefangen in’s Geficht.

mRube!“ donnerte der Hauptmann; „geidieht das noch ein- mal, fo zieh’ ih Dir einen AR durch die Sehne an der Ferſe Du toller Wolf!” Er wandte fih zur Zigeunermutter, indem er gebot: „Reich' uns jet das Mahl, Stara e8 iſt Hohe Zeit; bevor ber Hahn im Dorfe kräht, müffen wir aufbreden gen Chrudim. Seguet Euch und lagert Euch um den Reffel.“

Zwei Zigeuner hoben den Keſſel vom feuer und fellten ihn etwas entfernt won demfelben in's Gras. So geihah e& auch mit dem zweiten, unb die Bande lagerte ſich ringeum und langte mit langen, hölgernen Löffeln tüchtig zu.

Die Zigeunermutter faf an der Geite bes Hanptmanus; He flichte etwas Feſtes ans dem Brei und reichte es ihm Hin wit ben Worten: „Hier, mein Enkellind, eine füße Walbratte ein koͤſtlicher Biffen! Die Speif if gut ein fhöner Wald, hat viel des Koſtbaren: Bogeleier, Birfgühner, Ratten, Hafen und füße Beeren. Gold einen Brei eſſt Ihr fo bald nicht wieder, ſiad wir erſt in den Gbenen mund im Der Nahe der

Siadte, wo bie Menſchen geizig find und den braunen Renten nichts vergönnen.“

Der Hauptmann nahm den dargebotenen Biſſen ſchweigend an und ließ dann feine Augen forfhend im Kreiſe ſchweifen: no it Madlena?“ fragte er „warum nicht am Mahle mit den Genofien? Der König fragt nad ihr. Ruft fie.”

Ein Mädden erhob ſich und lief in das Gebüjdh. Gleich darauf erichien fie wieder und berichtete: „Sie wird gleich kom- men. Sie will einen Trunk für die Tochter das Kind ift kant.

„Ih glaub’ es nicht,“ ſchmahte der Hanptmann; „müffen wir fie ernägren, fo fol fie micht zu flolg fein für unfern Tijch, ber fefter ſteht, als jeder andre; ‚denn es if die Mutter Erde.“

Ein Weib von vierzig Jahren beinahe, mit Spuren der Schönheit im weißen Antlig, aber entflellt durch eine feltiame Tracht. beftehend in einer Art weißen Zobtenhemdes, um das Haupt ein buntes Tuch, einen Eiſenſtab in der Hand, trat aus dem Bufche und mäherte fi dem Keffel, woran der Hauptmann fa.

„Der König der Könige fegne Dein Mahl, König,“ ſprach fie feierlich, „und es gedeihe Euch Allen, Ihr Kinder ber Sonne! Gebt einen Trunk Weins oder Biers mir für Zlata meine Toter.“

„Barum Lömmt fie nicht ſelbſt?“ fragte der Hanptmann barſch; „if ihr ber Platz zu ſchlecht an meiner Seite ?”

„Sie verlangt der Speife nicht,” gegenredete Madlenay „denn fie if front. Boſe Taume quälen fie des Nachts und glühende Hige bei Tage. Sie ift matt und kann den Trank der Duelle nicht vertragen.”

„Du lügſt!“ rief der Hanptmann; „fle meidet mid. Es iſt die dritte Friſt verſtrichen, wo fie veriprach, mein Weib zu fein, und noch iR fie nicht willfäßrig. IH kann fle zwingen,

1*

" Bater lebt no,“ verſetzte Madlena eruf, „unb ihm gegiemt's allein, über fein Kind zu verfügen.“

„Der ſoll noch leben?” lachte der Hauptmann. „Zwanzig Iage gefangen, verſchollen, wahnfinnig vom Anfang; das Heißt gt leben | Der Moder und die Ratten im Prager Thurme ha- ben ihm aufgezehrt.”

„Er lebt !“ wiederholte Madlena. „Wenn der Mond einen Ring bildet, fo erſcheint mir flets fein Autlitz darin Im brei Boden muß ih wieder gen Prag ziehen; bort öffne ic) feinen Rule

„Wahnſtun, Tollheit!“ ſchalt der Hauptmann. „Eins flieht fe; Dein Kind, das Kind der Sünde, iſt mehr ich freie fie noch einmal mit drohendem rufe. Theilt fie in vier Wochen nicht freiwillig das Lager mit mir, fo thue fie es gezwungen; Dich aber laß ih in die weite Welt peitſchen. Seid Ihr uns doch zur Laſt! Du willſt nichts erwerben, nichts blenden, verdienſt nichte im Beheren, Bannen und Wahrſagen, und das zarte Töcterlein fühlt uud mimmt fi wie eine Prinzeffin der Weißen, und dod fließt unehelih But, das Blut eines Watermörbers in ihren Adern! Id aber bin aus reinem Samen, ein Königsiohn jest ſelbſt König.”

„ei, es geſchieht Dir auch recht!“ nahm jet Stara, bie Großmutter, das Wort; „warum verwöhnft Du aud bie füße

5

Puppe! Bift ja fo fein, fo mild und artig gegen fie, hätſchelſt fie wie ein Kinblein und Haft Leim ernſtes Wort für fie wie für die hochmuthige Mutter, die fid beſſer dankt, weil fie eines Edelmannee Metze war! Heifa! Und: doch möcht ich noch gern fpringen im Tanz bald an Deinem Hochzeittage! D’rum mimm Dir eine Andre von unferm Geſchlechte; ſchlanke, gelbe Mädchen find de, mit ſchwarzen Feueraugen und voller Bruſt, dort bie Anudte und Mile“

„3% will nicht!" hertſchte der Hauptmann; „ih mag nur das blanke Kind, gerade meil fle wiberfirebt. Mein Zorn wird fon den Eigenſinn beugen, und wo Worte nicht helfen, foll Zuchtigung erfolgen.“

„Sie wird ihr Herz noch mehr von Dir wenden, Haupt mann Janod,“ nahm Madlena das Wort; „nur mit Milde kann man mein Kind regieren. Iſt fie doch fromm und gut, gefällig gegen Alle und fittig und beſcheiden !“

Aber der Hochmuth fledt in ihr!“ geiferte die Alte; „nennt fie ſich doch Zlata die Goldene während id nur Sttibrna, die von Silber, Heiße, weil Golb befier if, als Silber. Und ih bin doch die Großmutter des Königs! He? Du bift es ſelbſt, Madlena, bie ihr den Sinn verdreht, ihr vorſchwatzt von dem Vater, einem Ritter, von feiner Burg und feinen Roffen. Glaubſt Du wohl, ein Ritter wird kommen und die Dirne freien ?“

„Wär’ das Unglüd nicht,“ äußerte Madlena befcheiden, „fo läge fie auch an eines Ritters Vruf, und ein Iunfer müßte fie freien. Wir fichen Ale in Gottes Hand und was heut’ im Staube liegt, fann morgen zum Glanze erhoben werben.”

Sie hielt ein und finnmte dann leiſe vor fi Hin:

„Du bif nicht tobt, mein Valentin! Deine Hand ift nit vom Blute roth, mein Balentin I“

vi jede Jungfrau in ihren Jahren; das iR ihre ganze Kranl- te

„Sie fürdtet fi vor Mutter Stara,” verſetzte Madlena, mbie fie ſtets ſchitt, tadelt, immer etwas an ihr zu mäleln hat. Zlata hat ein wei Gemüth; fie kann wicht rohen Hohn ver tragen.”

„&i fieh dal” kreiſchte Stara; „will Du ben eigenen Entel gegen mich anfhegen, wild Du feinen Sinn erzürnen gegen bie Mutter? Das kann Dir leicht gelingen; denn verliebt iſt der Thor und achtet nur feine Leidenſchaft. Ei! Gott behüte doch das zarte Kind, das ſchwach ift wie ein Kücjlein, zu dem man kaum laut zu reden fi getranen darf! Tadle ich fie, fo table ih fie wegen ihrer Untugenden und deren hat fie viele. Will fie unter ums fein, fo fol fie fi) geberden wie wir. Mad’ mid nicht boſe, Madlena, oder id) verhege Dich und Dein Kind, daß Euch der Krampf in den Gebeinen liegen fol Wochen lang und der Alp brüden jede Nacht! Liebſt Du Dein Rind fo lieb ih auch mein Enbkeltind und fann es darum nit leiden und veriämähen fehen.“

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„Bird Gott es wollen,“ verſetzte Madlena, „io wirb er ie Herz ruhren und mit der Neigung zu Iamod erfüllen; er if unfer Aller Gott. Fullte er doch die Bruſt meines Balentin mit glügender Leibenſchaft zu mir, umb id) war mur gemeinen Standes!“ b

„Die Liebe kommt im Ehebette,“ brummte die Alte, „umb Eitern wmäflen ihre Kinder zum Gehorfam erziehen, bamit fie etwas fiber ihren fiörriihen Willen vermögen.“

Wed’ mir die Zlata!“ rief jegt der Hauptmann, da er Rd gefättigt; „ich muß fle fehen, bring’ fie her!“

nZürne nicht, Here!" bat Madlena; „fie ift fo ſchwach ſchone ihrer bis morgen !*

„Reine Widerrede gebot der Hauptmann; „ion geh’ ich felbR und wede die Schiaferin, die feine Zeit hat für ihrem König. Ihr Buben und Mädchen,“ wandte er fih zur Wem ſammlung, „da Ihr Euch nun fatt gefrefien, könnt Ihr zu Bette gehen. Früh auf, wenn der Haha Häht und das Birkhuhn ruft; fonft wedt Cuch mein Kmittell“

Die Jugend zog fi nach dieſen Worten im bie Gebuſche, mo fie theils in Löchern, theile in Zelten ihr Lager aufgeſchlagen hatten, zurüd. Mur die Erwachſenen blieben zurüd, „Ich weiß wohl,” fagte der milde, junge Sytora im ortgehen für fi, „warum bie Zlata den Hauptmann mit will. Er ift abſchenlich, Re if ſchn. Wenn id) ein Ritter wär’ "

Wie ein heller Schein brach jetzt durch das Gezweig, und Meblena kam mit ihrer Tochter,

Blata die Goldene, wie fie das Mäbden nannten war in ber That eine wunderreigende Etſcheinung; fchlanf und hoch gewachfen wie eine Lilie, und do voll im fhönften Eben- maße, glich, fie am zarter Farbe des Antliges, des Nadens und der Arme jener genannten Blume. Ihre Augen ſchimmerten durch die dunkle Nacht wie zwei milde Sterne eine ſchmerz-

®

hafte Berllärung lag in ihrem Scheine; fie, ſahen wie Blide, bie fi eben von der Thräne getrennt. Dunkel beſchatteten fie die Wimpern und Brauen und gaben den fanften, weichen Zügen, dem zarten Dufte, welcher auf dem Antlitz lag, wieder Kraft und Ansbrud. Nur blaß geröthet waren bie Wangen das Haar, in langen 2oden um Schultern und Buſen niederwallend, war golbgelb and ſchimmerte wie eine Glorie um dem ſchönen Kopf; daher auch der Name die Goldene: Zwiſchen dem Gruppen der braunen, Inmpenbebedien Zigeuner erſchien fie in ihrem weißen, wenn gleich zerfegten Gewande wie ein Engel des Lichtes, ähnlich jenem, ber im der beiigen Naht unter die Hirten trat.

Sie- trat gejenkten Hauptes näher und fragte, als fie vor dem Hauptmann ftand, mit einer weichen, beinade Eindifchen Stimme: „Was befiehlſt Du 2"

„Ich wollte Dich,“ verſetzte barſch, aber mit bem hörbaren Bemlihen, ben Ton zu mildern, der Hauptmann, „noch einmal ſehen, bevor ich fchlafen gehe. Ich fehe Dich gern, wie Du weißt. Barum entzieht Du Di dem Hauptmann? Du follteft mir gute Nacht wünfhen hörſt Du? Ih bin Dir gut; aber Du erzürnft mid durch Deine Launen. Bift ein böfes Kind mußt mid nit zornig maden. Endlich iſt's aus mit ber Geduld, und Du ſollſt deu Heren erkennen.“

„Was befiehlft Du? Was willſt Du von mir?" fragte Zlata.

„Stelle Dich nicht fo,” fuhr der Hauptmann auf, „und mwede meinen Zorn wicht” Du kennſt unfer Geſetz, welches be- fiehlt, daß ein Mädchen nur mit ihrer eigenen Einwilligung ger feeit werben darf. Deshalb warte ih auf Dein Jawort. Warum haltſt Du es zurüd? Muß id noch länger Barren, treibt Du noch länger Spott mit mir, fo kehr' ich müh nicht an das Ge- feg und nenne Did mit Gewalt mein Weib.”

„Du tannft nit mein Bräutigam fein,“ antwortete fie langſam und furchtlos; „mein Bräutigem if heil von Autlitz wie der lichte Tag. Er ſitzt Hoch zu Roſſe, feine braunen Loden flattern im Winde, feine Wangen find mit Rofenbfättern beſtreut, feine Augen find der Abendſtern und der Morgenftern, wie fie zugleich neben einauder fhimmern. Um feinen Mund fliegt ein Lächeln wie Abendröthe um den Himmel, und feine Stimme if füß wie ber Schmerz der Nachtigall.“

„Fluch und Berbaminniß!“ tobte. der Hauptmann; „und wer ift ber Hund, der aus Sternen und Blumen und. Radti- galten zufommengefegt if? Zeig’ mir ihn, damit ihm meine Heugabel Bier die Sterne ausldfche für ewige Zeit. Wer if’s? Wie heißt er?“

n&s if ein Traum,“ fiel Madlena begütigenb ein, „ein Traum der legten Nacht.“

„Was man des Tages im Ginne führt,“ keifte bie Alte, „davon träumt man de Nachts. Nichts als die Schilderung ber Mutter, die ihrem Kinde den Kopf verdreht!“

„Ein Traum nur,“ Ienkte Zamod wieder ein, denn feine rohe Natur bengte ſich doch vor ber Macht der edleren, wie fie im gegenüber in Zlata waltete, nnd fuhr fort: „Die Träume flag’ Dir aus dem Siun. Hier die Großmutter kann fie deu ten, wenn fie nicht hohl find. Noch vier Wochen Frift will ih Dir aber geben; daun nehm’ ich Deine Hand, Du theilſt das Lager mit mir und biſt die Königin unſers Volkes in Böheim. Großer Glanz für Did die Du keinen Vater haft, oder einen, der noch ſchlimmer if, als gar keiner!“

„Rein es war fein Traum,“ fuhr Zlata im tiefen Sinnen, das Zwiſchengeſpräch nicht beachtend, fort, „es war Wirklichteit ich fah es ja mit eigenen Angen! Zwiſchen ben Blütenzweigen lag’ ih und wollte. ſchlummern ober weinen, denn das Her; war mir ſchwer; da fprengte er vorüber gerade fo

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und jah mid lächelnd an fo mild wie ber Himmel und hielt fill. Ich Harte ja bie Augen geöffnet, aber id; konnte mid) nicht regen, auch nicht ſprechen vor Bellemmung; und er ſtieg ab uub neigte ſich über mid, und füßte mic; anf den Mund, daß e8 mir bis in’s Herz brannte. Dann fagte er: Wir jehen uns wieder und fprengte davon. Ich erwachte nein! ih er- wachte eigentlich wicht, ich konute mich aber wieder regen mub erheben; denn geichlafen hab’ ich nicht und ſah nod feinen weißen SHelmbnih zwiſchen ben Zweigen verfchwinden. &o war es.“

„Thorichtes Zeug dummer Aberwitz!“ ſchalt die Stara, und höhnifhes Gelächter Ließ fi Bier und da von den Gegen. mwärtigen vernehmen.

Madlena aber ſprach begütigeub: „Plage mein Kind nicht länger zur Zeit, wo es ber Schlaf überfäli! Sie träumt fo sehr haft fo daß fie fpäter oft glanbt, fie habe das wachend er» lebt, was ihr nur im Traume vergelommen. Eutlaßt uns, Hauptmann I*

„So mögt Ihr fchlafen gehen,“ verſetzte Iamod gebieterifc, „und bankhar bedenken, daß e8 der Hauptmann if, der für Cuch wacht und forgt und End erhätt! Du, Zlata, wende Deinen Bid ab von den Thorheiten Deiner Träume, von den Bildern ber vornehmen Welt. Kehre fie auf mid; wir nur find frei und edel, wir lichten Männer des Morgenlandes. Biel’ ih Dir die Hand, fo erhöh' ih Di; mit einem weißen Ritter im Bund biſt Du doch mur erniedrigt. Im vier Wochen fol Hochzeit fein; Hört Ihr's, Genoffen? Ich erleg Euch ſeibſt einen Hirih von fechzehn Gnden; der fol Eurem Schlund vortrefflich behagen, und aus ber Brauerei von Chrudim Hol ich ein Faß Bier fo oder fo. Tanz fol es geben bis fpät in bie Nacht umd einen guten Rau.“ .

„Rein nein!" unterbad) ihn Zlata fanft, aber entſchieden,

u

„Du wirft nit mein Bräutigam werben. Ich weiß es genan, Da kaunſt es nit fein. Es ift ein Anderer, ein Schönerer, viel Höherer, den der Himmel fenden wird über einen rauhen Felspfad; ber befreit mich. Du fönnteft mich tödten; aber mein Gatte wirft. Du nit.“

„Fluch und Berdbammmiß!“ ſchalt Janos auffahrend; „ic nit? Warum nit? Warum ein Anderer? Alſo lieber ſterben winkt Du? Da konnt ih Dich ja glei Hier miederbußren! Wir wollen aber fehen, wer mid; hindern wirb in vier Wochen, wenn Du Dich nit befonnen, Dein Gatte zu werben! Zarte Taube in des Geier Krallen, tieblof ihm, oder er läßt Did; bie Klaue fühlen I“

Er wollte fie anfaſſen fie trat mit einem lauten Schrei zuruc.

n&i, was ziert fi) bie Dirne!“ kreiſchte giftig die Stara. „HR ihr meines Kindes Arm zu fchledht Pe

„Sie ift nicht bei Bewußtfein,“ entiduibigte Madlena. „Was peinigt Ihr fie jetzt, wo Schlafenszeit iR? Der Traum ſpricht aus ihr und die Krankheit.“

„Mein Entelden“ ſprach giftig die Stara „wende Dein Herz ab von dem Ghriftenbalg, von der weißen Katze bal Frei’ een ander Mädel von unferm Blut von brauner Haut und ſchwarzen Augen. Es ift beſſer, Ianaötn, mein Eufelchen. Und die Weißen hier peitſche hinaus aus Deinem Volke, hetz fie mit Hunden fort, weil fie fo undenkbar find. Sie werden es bereuen bie giftige Schlangenbrut!”

mdabt Erbarmen,“ flehte Madlena, indem fie ihr Kind angftvol und beforgt feft am fich ſchloß, „laßt uns ziehen, wenn Ihr uns verftoßen wollt, aber ohne Schmach! Hätte ih ein ru⸗ Big Obdach, fo zöge ich nicht mit Euch durd die Wälder; bin ich ja doch ausgeſtoßen von der Welt! Soll die Wilduiß ſelbſt feine Zuflugitefätte für mich fein?“

und fagte leife und pfiffig: „Laß mich nur walten, mein Gnfel- Gen! Da Du fie nun einmal liebſt, ſo muß fie Did wieder Heben. Du ſollſt fie beſihen, Ianuötu, umb nur einen Tropfen Bint foll es Di foren. Ich fange den Tropfen Blut auf, tränfe damit eine Nabel, durchſteche flebenmal mit ihr einen Apfel, und ben reift Du ihr; fie wird ihn efſen und flugs bie Liebe in ihrem Herzen erwachen.“

„Thu' das, Großmutter,” antwortete ebenfalls heimlich ber Hauptmann; „denn bie Luft nad) der blanken Dirme gnält mich fehr. IH mag die Mägde nufers Stammes gar nicht mehr er- fehen, feit ih an ihrem blauen Aug’ und golb’'nen Haar Wohl - gefallen gefunden Habe. Run aber Ioft uns zur Ruhe! Id witt're dem Mond; er bricht auf Hinter dem alten Siefer- ſtamme.“

Er ſchlug nach dieſen Worten mit feinem Gabelſcepter an den Keſſel, daf es laut durch die ſtille Waldesnacht ſchallte. Es mar das Zeichen zur Ruhe. Die müden, ſchlaftrunkenen Gruppen erhoben fi und zogen fid im verſchiedenen Richtungen nad den Gebüfhen in ihre Zelte zurüd.

Nor der Hauptmann blieb noch anf dem Plage zurüd, förte mit feiner Gabel in das verglimmende Feuer, daß die Funlen wie eine Ienchtende Garbe zu ben Baumwipfeln empor»

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Hoden nud die Rauchſäule fi) wie ein blaſſes Geſpenſt erhob. & war im tiefen Sinnen, und feine Geele arbeitete an einem Plane, Da fielen feine Augen auf bie nächſte Eiche und ger wahrten ben budligen Fiedler, der an ihren Stamm gelehnt ſchlief und fo das Zeichen zur Nachtruhe verhört Hatte. Beim Anblide deffen fuhr dem Hauptmanne ein Gebante dur den Sinn. Er medte ihn.

„Bartad,* fagte er, „komm' und ſetz' Dich zu mir; ich will Dir etwas ſagen.“

Der Gerufene erhob ſich und fauerte gähnend an bes daupt· mauns Seite nieder.

„Bartad,“ fuhr ZYanod fort, „Allee ſchlaft; es Hört uns hier Niemand. Ich will Dir etwas entbeden; Du mußt mir helfen. Ich fiebe die blanfe Jungfran, Die Blata das weißt Du. Sie aber fperrt ſich ich glaube, fie mag mic gar nicht; und befigen muß ich fie doch, fei es durch Lift oder Gewalt. Ich glaub’, die Liſt iſt beffer. Ich fage Dir, ich ver- brenne vor Leidenſchaft zu dem ſchönen, meißen Leibe. Alfo ich brauche Deinen Arm. Morgen in der Frühe, wenn ihre Mutter in das Didicht geht, noch vor dem Aufbruch, da ſag' Du zur Blata, fie fol Dir folgen, die Dutter fei voraus ; heiß fie dae Roß befteigen, für” es am Zügel und geleit’ fie. Bon der großen Buche aus geht ein Fußpfad nad dem Thale, wo bie Tannen fiehen, wo es fo bit und ruhig if. Dahin geleiteft Du fie, während die Bande linfwärts nad Ehrubim zieht. Dort erwart' ih Did flag dreimal an wie die Wachtel, wenn Du Di näherft, und überlaß mir dann die Magd. Bin id allein mit ihr, fo flört mich nicht der Mutter Math, bie dagegen iſt, und ich erbitte ober erzwinge das Jawort viel leichter. Sie if dann mein Weib gutwillig oder nicht. Ih geb’ Dir ale Lohn die filberne Spange, bie ich geblendet habe in Kolin Hört Du? Und ſchweigen mußt Du and! Berfich' mid 'mal;

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ich bin der Hanptmann, umb geht's mir's gut, fo geht. es Cuch len gut. Daran dent', mein Bartas. Di ſollſt die Fiedel reihen an meiner Hochzeit und doppelt fo viel Bier haben wie die Anderen.“

„Da Du es beſiehlſt,“ antwortete Bartad, ber ſich in- wiſchen ermuntert hatte und ‘nun aufmerffam den Morten des Hanptmanns laufchte, „jo werd’ ich's gern tum. Allein wenn die Dirme mir nicht folgt, wenn fie ſchreit, ob ich ihr Gewalt anthue ?“

nDas wird fie wicht,“ fuhr Jandä fort; „fag’ mer, bie Mutter fei vorn im Zuge; fie ſolle eifen, um fie zu erreichen. Biſt Du erft anf dem Pfade, fo ſchwing Did Hinter ihr auf das Ro, nimm bie Zügel und trotire raſch nach dem Thale auf der ebenen Bahn. „&ie werden gleich um bie Ede Biegen,“ tanuſt Du fagen „wir Haben einen Borfprung.” Daun lafſeſt Du die Wachtel ſchlagen, uub ich eile vom Berge herunter und hebe fie vom Koffe und geb’ ihr milde Worte und ſtetle mic, vafend vor Liebe. Sie iR eine Trämmerin! das wird fe rühren.“

„Ich ihu' es, Hauptmann Yanod,“ verfehte ber Fiedler, „und Ihr gebt mir die filberne Spange und Bier genug am Hodzeitstage.“

Raum hatte er aber ausgeſprochen, als es oben im ber Eiche krachte, von Aft zu Aſt dröhnte und zwiſchen den Beiden ſchmetternd eine Geſtalt niederfiel, daß fie zu beiden Seiten hintaumelten.

Es war der wilde Junge Sykora. Er raffte ſich, ohne ertaunt zu werden, auf, fprang durch das Feuer hin, daß Rauch and Funlen aufſtoben und bie Erſchroclenen blendeten, und ver- ſchwand rauſchend im Gebüfche.

„Das war ein junger Bär!” rief der Hauptmann, ale er fich von feinem Schrecen erholt Hatte.

„Bei meiner Seele, ein Bär!” fluchte Bartad; „id fühl noch feine Tage am Gefihte. Er if oben eimgeichlafen und hat das Gleichgewicht verloren. in Glüd für uns, baß er erſchrocken iſt! Es hätte uns können ſchlimm ergehen I"

„D1* prahlte der Hanptmann, „ih hätte ihn durchſtochen mit meiner Gabel bier, wenn er nicht entflohen wäre. Man dann erfchreden, wenn man nicht gefaßt ift auf ſolchen Unfall. Wenn er nur nicht in bie Hürde der Weiber bricht und fich ein Kind Holt!® '

„Cr fuchte das Weitel“ entgegnete Bartad; „ich hörte es praſſeln im Hole Er bat fi verbrannt hier in dem Kohlen und will fi im Bade kühlen.“

„Es bleibt alſo dabei,” fuhr Ianod fort, „wie ih Dir'e aufgetragen. Beforg’ «6 gut. Ch noch das Birthuhn pfeift, bin-i wach und führ die Truppe nad) ber Strafe. Seht geh’ id auf meine Matte es if Schlafenszeit, und wie mich bie Leidenſchaft auch quält, jo überwindet fie doch ber Schlaf. Gute Nacht i

Er erhob fih und ſchritt weiter in den Watt. Bartad tüdte näher an das euer, kauerte ſich zuſammen und ſprach mit ſich ſelbſt: „Cine filberne Spange will er mir geben und Bier die Fülle. Das hat er aljo verfprochen. Gi, die Magb iſt ein Schatz ich will's wohl meinen, daß fie eine Spange und viele Krüge Bier aufwiegt. Wär’ ich nicht fo alt und haßlich, ich trüge felbft ein Verlangen nad ihr. Gute Nacht, Hauptmann! Der Mund mwäflert Dir wohl nach ihrem Munde. Glaub’ es gern; aber id; meine doch, daß er Dir vergebens ge- wäffert: hat. Man kann nicht wiſſen, was fi zuträgt bie morgen, nnd wo die blanfe Magd fein wird, Hauptmann Sanod. Es if ein guter Biffen für Did, Janos, Du biſt ungeſchlacht und rauh wie ein Bär, wie der Bär, ber vom Baume fiel. 36 Hab’ einen beffern für Dich, Zlate einen Witter, Zlata,

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fie ſich doc Holem vom Gchloffe im Möftec, wenn ihm der Budel

und mährifhen Grenze. So ein Mann lebt vom Raub; warum fol ih mit auch vom Mäbdenranb leben? Behalt' ich doch das Mädchen nicht für mi fondern nur das Geld, weldes fie werth iſt! Ah ah! id bin müde muß bie Zeit nicht verfhlafen. Der Hauptmann trämmt wohl von ihr dent, er habe fie fon in feinen Armen, anf ber härenen Matte. Run es gibt Biele, bie efien, Andere aber wieder, die fi) bem Mund wilden nud bloß zufehen. Wiſcht Euch den Mund, Haupt maun Janod feht zu feht zu“

Er brachte die legten Worte nur mod; lallend hervor, dann entflief er neben dem heißen Aſchenhaufen.

Sytora, der wilde Burfche, aber lief noch nicht. Er hatte oben am Baume der Unterredung bes Hanptmanns mit Barted zugehorcht. Das Erfhreden der Beiden, als er von einem

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brechenden Afte auf fie herabfiel, gab ihm ſichere Burgſchaft, daß er nicht erkaunt worden fei. Er war ber Zlata gut, weil fie fHöner war als Alle nnd duch ihre Fürbitte bei dem Hauptmann ihn einmal firenger Strafe enthoben hatte. Er mußte ihr alfo von ber drohenden Gefahr Nachricht geben; denn er Tonnte es wicht leiden, daß ihr Gewalt geſchehe. Er war eiferfüchtig, ohne fi) deffen Mar bewußt zu fein. Sacht erhob er fi von fei- nem Lager, wo er fi) nad feinem alle verborgen und ſchlafend geftelt hatte; er kroch leife durch die Heden kam an die Feuerftelle und lauſchte, ob der Hauptmann mit Bartad no ba ſei. Er bfies in die Ace, daß fie einen hellen Schein gab. Nur den ſchlafenden Fiedler fand er am Plage. Behutfam troch er weiter nah dem Gebüjche hin, wo Mablena und ihre Tochter ſchliefen. Die Wipfel der Bäume waren oben frei der Mond ftrahlte im ſchönſten Lichte auf den Play Bernieber, wo die weißen Weiber unter einer zwifchen Zweigen ausgefpaun« ten Dede ſchlummerten.

„Wie ift fie ſchön!“ fagte der Burſche, als er fi) ohne Geräufch genähert; „ietzt fcheint ihr ber Mond in’s Geſicht er thut's gern. Ja wie eine Lilie ift fie, und Gold mallt um ihre Stirne. Wenn ich dod ein weißer Mann wäre und älter und nicht fo wild! Küffen darf ich fie; ich nehme mir da nur ben Lohn für meinen Dienſt, und ich erweif ihr einen großen Dienſt, freilich !“

Er neigte ſich leiſe und berührte ihren Mund mit geſchloſ- ſener Lippe. Ihr warmer Athemzug machte ihn faſt taumeln. Sie ruhte mit geſchloſſener Wimper; die Hände hielt ſie gefaltet über ber keuſchen Bruſt, welche fi vom Athemzuge ſenkte und hob wie ein Zweig mit weißen Blutenflocken im Luftzuge. Neben ihr Tag die Mutter; ihre Hand Hatte fie nach der Tochter aus geftredt, als wolle fie fie no im Schlafe ſorgſam behüten. Auch fle erſchien noch fhön troß der gramgebleichten En

Herloßfoßn: Der Iegte Zaborit. IL.

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Sylora näherte ſich der Legteren jegt; er rüttelte jauft ihre Hand, bis fie bie Augen auffhing. „Erfäredt mit!“ fagte a su ber Befürzten; „id bin’s, der Gülora, ber End immer gern die Bogeleier ans ben höchſten Wipfeln der Bäume holt Ich mein’s gut mit Euch und hab’ Euch etwas zu entbeden Rur leiſe damit Zlata nicht erwacht; fie Lönnte fehr erjſchrecken, und wir wären verrathen. Euch droht Gefahr oder eigentlich der Zlata. Ich Hab’ den Hauptmann anf jenem Baume belauſcht. Der Bartad fol Eure Tochter nah einem Thal entführen; dort will er fie zur Hochzeit zwingen. Sucht Tuch zu Belfen; Braut Ihr einen Wegweifer ih will End dienen.“

„Heiliger Gott!” wehllagte Madlena, und ihre Thränen floſſen reihlih; „follen denn meine Leiden nie enden? Die Dankbarkeit, die Scheu vor der Welt, welde mid mit Schmach empfing, ließ mich Hier unter diefer Genoffenfchaft verweilen, und jegt ſtößt mid, ihre Granfomfeit wieder hinaus. Ic danke Dir, Sylora, für Deine Liebe. Möge Gott der Herr eine Zeit fenden, mo ich Dir vergelten Tann 1“

„i, ich habe ſchon meinen Lohn!“ verſetzte ber Burſche ſchlau „nämlich ih hab’ Euch gedient, und das macht mir Freude. Sucht aber nur fortzulommen.“

„Sprich Teifer, treue Seele!" bat Madiena, „daß mein Kiud nit erwacht. Die neue Schredcensbotſchaft würde fie tödten. Sie darf nichts davon miffen. Ich will fliehen; geleite Du mid) aus dem Walde. Vielleicht kann id mein Kind in Möfec bei guten Leuten aufheben denn binnen Kurzem muß id, wieber nad Prag, den Bater und Gatten fuchen und befreien.”

„In Möftec?" warf Gylora bedenklich ein; „folltet Ihr dort fo ganz ficher fein? Wenn ber Ritter Hekmann Eure Toch- ter ficht fie if ſchön es könnte Euch großes Herzeleid widerfahren.“

„Und doch muß ich es wagen!“ entgegnete Madlena

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„ich weiß fonft nicht, wohin id; mid wenden foll. Es ift überall nuſicher für mid.“

get aber brecht anf,“ vieth Sykora; „es find kaum noch zwei Stunden bis zum Sonnenfhein. Da wacht der Haupimann fon und auch Bartad; danu wär’ es zu fpät. Ich kenne alle Pfade im Walde; wir machen einen Bogen bis zur Land» frage."

Mablena wedte ihr Kind. Sie fagte ihr, e8 wäre Zeit zum Aufbruche, am Saume des Waldes harre das Roß.

„Gut gut!“ verfegte Zlata; „ich werde ihm Heut’ fehen. Ich weiß es aus dem Traume jet.” Sie hüllte ſich in die Dede, welde ir zum Zelt gedient, um fid in ber Tracht zu entftellen und ihre Formen vor der Welt zu verbergen, und folgte an ber Mutter Hand ſacht und behutſam dem Zigeunerburfchen, der fie gewandt durch bie Gebüfche führte. "

Der Mond Hing über den Fichten des jenfeitigen Berges wie eine gervaltige Ampel im hohen Dome. Im Often färbte ſchon ein weißer Kreis bie Ebene. Funkelnder Thau King an den Gebüfcen und Zweigen. Noch aber regte ſich feine Vogel- fimme im Gehölz, nod war es tobt ringsum; nur hie und da flatterte ſcheu eine Eufe oder ein Leichenhuhn auf und rauſchte durch die Blätterwände der Buchen.

Am Ausgange des Waldes ftand Sulora ftill und fagte:

Hier müffen wir ſcheiden. Geht immer gerad’ abwärts den Pfad, fo kommt Ihr an die Straße; verfolgt fie zur rechten Hand, und Ihr feid bald in dem Fleden. Wir Haben einen Marken Umtoeg gemadt; auf ber Fährte werden fie Cuch nicht fügen.“ Er riß nad dieſen Worten einige Bfütenbüfgel von der Hede, drüdte fie ber Zlata in die Hand und fagte treuherzig: „De, nehmt das zum Angebenken an ben wilden Sylora, und wenn Ihr einft im Glüde ſeid und id) komme betteln in Euer

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Gehoft und ich frage nach dem Baſchel. fo werdet Ihr mir eine Gabe nicht verfagen.“

„Hab' Dant, guter Knabe!“ entgeguete Madlena; „warum bin ich fo arm und Tann Dir nicht lohnen l

Der Burſche drüdte noch einmal heftig Zlata's Hand und ſprang luſtig pfeifend in den Wald, wo er verſchwaud.

Madlena z0g ihre Tochter ueben fi nieder, indem fie fagte: „Wir wollen vorerfi Iniend dem Herm banfen, daß er uns einen guten Meufchen als Reiter gefendet Hat, und flehen um feinen Schuß auf der neuen, dornenvollen Bahn.”

Zlata faltete die Hände, worin fie die Vlütenzweige hielt, anbächtig über der Vrufl, ſah ſchwarmeriſch - trunten in den ber- fintenden Mond und zu deu verlöſchenden Sternen, und ihre Lip pen bewegten ſich Teife im frommen Gebete.

Sie erhoben fih und ſchritten weiter am Waldesfaum ent» lang ber Ebene zu.

Bartad der ſchlaue Fiedfer Hatte feinerfeits kaum eine Stunde gerubt, als er fi erhob und nun feinen Plan, Zlata für ben Nitter zu fehlen, in's Werk fetten wollte. Der Mondſchein follte ihm dabei begänftigen. Cr wollte das Zeit über dem fhlafenden Mädchen Lüften, fo daß ihr die Heilen Strahlen in’s Antlig fallen mußten; dann wollte er fie fact berühren und ihr mit bem Finger winten, ihm zu folgen. Er wußte, baß dies lebhafte Träumer oft uuwillkürlich und im halben Wachen zu thun pfle- gen. &o wollte er fie von der Mutter Geite emtloden, tiefer in den Wald führen, dort auf das Roß fehen, und wenn fie fi dann ermuntern würde, ihr fagen, die Mutter fei voransgegangen und Habe fie ihm übergeben. Er rednete bei allem hiefem auf feine Schlauheit, welde ihm nod nie im Stiche gelaffen. Das Erwachen des Hauptmannes konnte er nit abwarten; denn leicht tonnte ſich dieſer anders befinnen, oder er fonnte, von feiner

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Heftige Leidenſchaft getrieben, ihm ſtrads folgen. Dans wäre fein ſchöner Auſchlag vereitelt geweſen.

Er ſtaud leiſe auf nnd ſchlich durch das Gebüſch nad der Logerftätte Madlena’s. Wie groß aber war fein Gchreden, als ex diefe leer fand! Er-vermuthete Verrath oder Irrthum. Am möglichften dachte er fi, der Hauptmann felbft Habe feine Auf- richtigkeit bebamert, habe Verdacht geſchöpft und auf irgend eine Weiſe das Mädchen ſelbſt entführt und bie Alte mit vorgehaftenem Dolde ihm zu folgen gezwungen. Gr berod; das Gras, befühlte die Zweige, und fand fo die Spur. Leiſe ſchlich er zurüd am den Ort, wo die Roffe fanden; er zäumte den Gaul, welcher gewöhnlich Zlata trug, führte ihm über bie Feuerſtelle nach jener Gegend der Flucht Hin, warf fi zu Pferde und ritt fo durch die lichteren Stellen des Waldes raſch den Entflohenen nad, in⸗ bem er giftig vor fi Bin murmelte: „Gelber Blig, grauer Don- mer! der Hund Hat mir die Mafe gebogen; ihm hat wohl bie Spange gebauert. Ci, da käm' ich gut um mein Gold! Hab’ ih Did nur erſt, Hauptmann, der Dolch hier von hinten foll mir gute Dienfte leiſten ! Heifal”

Er trottirte ringsum fpirend fort. Sylora, welcher den- felben Weg kam, hörte plötzlich Gepraffel in den Zweigen und Geräufch des Enigegenkommenden. Flint wie ein Eichhörnchen Hetterte er auf den nächſten Baum; Bier ſah er Bartad vorbei- reiten und hörte feine drohenden Worte. „Nun Tann ih Euch nicht mehr helfen,“ klagte ber Burſche bebauernd vor ſich Gin, „tona Euch nicht mehr warnen; nun fol der gute Geift Euch Hilfe fenden! Wenn Ihr den Borfprung benüßt, erreicht er Euch doc bit!“

As Bartad vorüber war, fpraug er vom Baume, lief zur Lagerftätte zuräd, mo. noch Alles ſchlief, kroch unter feine Dede and war. wieder der Erſte wach, als der Hauptmaun das Zeichen zum Aufbrude duch laute Schläge an dem Keſſel gab.

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Alles brach auf; die Weiber kleideten ihre Kinder an, bie Mädchen flodten ihr Haar, die Burſche prüften die Sehnen an ihren Bogen, und Mutter Stara, die Silberne, wie fie genannt wurde, kochte in einem Keſſel die Morgenfuppe, wozu bie Reſte vom vorigen Abend und Sylora’s Halb gefottener Haſe bienen mußten.

„Wo ift Bartad der Fiedler?" fragte der Hauptmann im Kreife umherblickend, „und wo tft Mablena mit ihrer Tochter? Ich fehe beide nicht.“ .

Alles war ſtumm im Kreife; denn feiner wußte Beſcheid. Nur Sytora drängte fih vor umd fagte: „Als ich dor einer Stunde erwachte und bort nad) der Eiche kroch, um mir einen jungen Adler, der ſchon flügge ift, zu holen, da fah ich ihm auf fichen, das Roß nehmen und in den Wald reiten. Die Weiber folgten ihm; fie werden wohl voransgeeift fein, um einen BA- fprung in der Mittagshite zu Haben. Sie wollen uns vielleicht erwarten, wo fie raften.“

„So wird es aud fein,“ beflärfte ber Hauptmann, „indem er ſchmunzelnd zu fi fagte: „Er bient mir eifrig. . 3a, bie Sitberfpange ficht auch im bie Augen! Wie er aber die Mutter loswerden will, begreife ich nicht. Thut fie vielleicht ab, ober auf eine andere Art. Gleichviel; er ift ſchlau wie der Bude im Lenze; denk ihm bald zu treffen. Nach weicher Gegend, fagft Du, zog er Hin?“ wandte er ſich wieder zu dem Burſcheu.

nDorthin!“ deutete Syfora.

nDorthin ?* wiederholte Janos. „Seltfam! doch macht er vielleicht einen Umweg aus Gründen. Ci, er ift ſchlau! Es ift Zeit zum Aufbruch, Kameraden. Gegnet ben Ort bier mit einem Trunk zum Abſchiede; er hat uns Schatten und Früchte gegeben, Wild zur Speife und Wafler zum Trunke. Kehren wir einft wieder zuruch, fo laffen wir abermals ben Rauch; aufſteigen ans den Wimpfeln. Koppelt die Hunde los unb öffnet ihnen

die Maulförbe. Bei Tage verräth uns ihr Gebe nicht; nur des Nachts iſt es gefährlich, weil es dem Feinde unfere Spur geigt Aufl

Die Truppe ſetzte fi in Bewegung unter lantem Gefang umb Hundegebell. Das Gepäd wurde theils von Menfchen, theils von Roffen fortgefhafft. Der Hauptmann blieb der Letzte an Ort und Stelle. Nachdem die Bande im Dicicht des Waldes verſchwunden war, ſchwang er fi auf feinen Klepper und fprengte weftwärts in das Gehöh.

Am Rande eines Haines, der an einen Tannenwald grenzte, anfern von ber Laudſtraße, raſtete Mablena mit ihrer Tochter. Das holbe Kind Hatte ihre Arme im Schoße ruhen und ftarrte finnend, leiſe im Gelbftgefpräche die Lippen bewegend, vor ſich.

„Bald Haben wir die Straße erreicht!“ fagte die beforgte Matter; „erhole Dich nur erf, mein Kind. Hier, Hoffe ich, find wir vor Berfolgung ſicher.“

„Mid dürfe, Mutter!“ verſetzte Zlata; „ich will mir Beeren ſuchen. Es ift feine Duelle in der Nähe.“

„Bleib bier, mein Kind,“ entgegnete Madlena; „im Walde ifs nicht geheuer, zumal wenn Du allein bif. Hier bit Du im freien, und ih Tann Di vom bort flets beobachten. Ich geh” allein und ſuche Dir frifche Brombeeren, die gar füß fchmeden. Naht irgend Jemand, fo rufe mic. Ich eile anf Flügeln des Windes herbei, um Di nöthigenfals zu beſchutzen.“

Sie ging nad diefen Worten in den Buſch; Zlata war allein. Sie ſchloh die Augen, um wachend träumen zu Können. „Hent' werd’ ich Did fehen Du haft es mir verſprochen, holder Ritter! Wirft Du auch kommen? Ja gewiß, Du wirft aud kommen.“

Rechts vom Walde fam ein Reiter. Es war Bartad, ber ſpahend die Augen ringenm fireifen Tief. Sein Faltkenblick er- taunte das Mädchen am Raine figend. Er fprengte mit Haft

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über die Zrift; kein Huffchlag verriet feine Ankunft. So ge» langte er in die Nähe bes Mädchens. Gr fah fi lauſchend um; bie Mutter war nicht dabei. Raſch fprang er vom Roffe und wedte Zlata durch einen feifen Schlag anf die Schulter aus ihren Träumen. Sie fehlug bie Augen auf. „Du biſt es 7* fagte fie unfreunblich geftört.

„Ich bin's,“ antwortete er, „und folge Div mit bem Roſſe; ich ſoll Cuch führen. Raſch ſchwinge Did in ben Sattel.”

Willenlos folgte fie ihm. Als fie oben war, fagte fie: „Aber anf bie Mutter müffen wir warten. Die Mutter muß ich rufen; fie fammelt mir Beeren ganz nah’ im Walde.“

Aber Bartad wartete ihren Zuruf nicht ab; er fprang Hinter ihr auf das Pferd, zeigte ihr einen blanfen Dolch, um. Hammerte fie feſt, hielt ihr den Mund, ergriff mit der Rechten den Zügel, trieb mit feinen Ferſen den Gaul an und jagte fo im faufenden Galopp über die Trift bin nad dem jem- feitigen Walde in ber Gegend von Gtolan Bin. Im Walde verſchwand er.

Bald daranf kam Madlena zurüd. Cie fand ihr Kind nicht fie flürzte raſend wieder in das Gebüfh zurüd rief Zlata's Namen angftbefommen und herzzerſchneidend; fein Laut antwortete.

Sie rannte auf bie Ebene vor, erfüllte die Luft mit ihrem Wehgeichrei, mit dem Rufe mad ihrer Tochter; fie warf fih auf den Boden im Schmerze der Verzweiflung, raufte fi) das Haar, ſchlug fi die Bruſt und tobte wie eine 2ömwin, der man bas Zunge geranbt.

Matt und aufgelöſt erhob fie fi nach geraumer Zeit; bie Befinnung erhielt die Oberhand über den Schmerz, Gie eilte wieder in den Hain zurüd, brach eine Weibengerte ab und ging wieder nach der Ebene, indem fie rief: „Hilf jegt Du mir, ge- heime Kunft, die id; von meinen Berfolgern erlernt, die Spur

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meines Kindes finden! Und Hab’ id) fie gefunden, und ift fie im des Tigers Händen, fo will id zur Löwin werben und mit dem bintigen Unthier ringen und ifm bie Beute entreifien !-

Sie flarste mit dem Blicke einer GSeherin zum Himmel empor, murmelte dumpfe, unverftändliche Worte vor fi hin, drehte fih, die Gerte hoch im der Luft ſchwingend, dreimal im Kreife, blieb dann fichen und fenkte ben Zweig gegen den Boden, Er flug in der Richtung, wohin Bartad mit dem Mäbdjen entfloen, an, und fie folgte fo langfam ber Spur.

Barted eilte mit ber geranbten Jungfrau gegen Stolan hin; er wußte, daß der Ritter Hetman heut’ dort auf der Jagd fh Wis er den Wald verließ, tom er jegt im die wilde Feld ſchlucht, welche fi dort ausbehnt, wo Heut’ zu Tage der Babe ort Podol Liege. Mit dem Roffe konnte er hier micht fort- tommen; er hielt es darum an, zwang das Mädchen abzufteigen und band das abgehetzte Pferd, welches an allen Seiten, von Geftrüpp und Dornen gerigt, biutete, an einen Baum und fchidte fh an, mit der Jungfrau in bie Felotluft Himabzufteigen.

Als er ihr jet den Mund freigegeben, fprach fie, ihn kühn onblidend: „Wohin führft Du mid? Wo ift meine Mutter? Id würde Dich erwürgen, da Du mir Gewalt angethan, denn ich fühle die Kraft in meinen Armen, wenn ich nicht wüßte, daß ich den Ritter finde.“

„Freilich!“ entgegnete raſch und beſonnen ber "Zigeuner; „eben zum Ritter führe ih Did. Dort jenfeits ber Schlucht ift er; haben wir fie durchſchritten, fo tönt uns Iufliger Hörnerklaug und Jagdgeſang entgegen. Die Mutter ift fon dort ein Knappe geleitet fie zu Roſſe. Ihr ſolltet uberraſcht werden; darum entfäßrte ih Did mit Gewalt. Wie wird ſich ber Ritter fienen!“

„Sa, das wird er!” entgegmete fie lächelnd; „aber wenn Du lügft, dann mußt Du ſterben, Bartad I“

„Barum fol ich Dich belügen?“ nahm er wieder das Wort, indem er fie weiter geleitete; „wart Du doch flets gut und mild gegen mich, erfreuteſt Dich der Weifen, bie ih auf ber Fiedel fpieltel umd ich alter Mann habe Dich ftets werthgehatten wie mein eigen Kind.“

Er fritt mit ihr vorwärts. Ein enges, ſchmales Thal zwiſchen entzweigefpaftenen, himmelhohen Felſenmauern, bie, weiß und milhgrau, nur vom wenigem Gebüfche bewachſen, fi in vielen Krümmungen hinwanden, lag vor ihnen. . Der untere Pfad unter den abhängenden, ſenkrechten Steinblöden gab bloß Gußgängern Raum, und darum wählte ihn Bartad' nicht, weil er befürdtete, daß man ihm daſelbſt begegnen möchte, und er in biefem falle dem Mädchen und ihren Fragen nit tramen konnte. Denn auffallend mußte es Jedermann erideinen, das ſchöne Beib in Gefſellſchaft foldes alten, verwachſenen, gebräunten und in Lumpen gefieideten Zwerges zu erbliden. Er erkohr alſo den ſteilern, viel gefährlichern Weg über den Felſenkamm zur rechten Seite, weil biefer in der Regel weniger betreten ward. Sinter jenen Felſen Tag Stolan, und dort fand er fih geborgen; denn der Ritter und fein Gefolge kannte ihn.

Sie gingen die Felſenhöhe hinan; Imapp an dem abfchäffigen Rande führte der Pfab. Viele Hundert Ellen tief unten wand ſich der ſchmale Fußſteig, welchen ein Waldwaſſer gehöhlt hatte, das jet verſiegt war. Bartas Hielt bie Jungfrau am Arme; denn knapp an der abjdüfligen, ſenkrechten Fläche wankte ihr Fuß. Sie ließ fich ſchweigend geleiten. Ueber zerbrödeltes @e- fein, über einzelne Blöcke führte fie der Weg immer zur Linken ber drohende Abgrund.

Sie blidte oft rechts und links, neigte fi, ohne zu ſchwin - bein, in die Ziefe nieder und fah wieder rechts Hin, wo ſich das Felſengebirge abdachte, tiefer unten Wälder und hinter dieſen ſich neue Berge erhoben.

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Bartad -zitterte bei jebem kuhnen Schritte des Madchens; noch eine halbe Stunde, und er Hatte fein Ziel und dem hohen Lohn erreicht; denn fie fchritt raſch und kräftig voran.

Einen Angenblid verfhwand ber Pfad unten! denn bie gegenüberftchende Felswand bildete einen ſcharfen Winkel und verfperrte fo die Ausfiht. Sie bogen um bie Ede; aus einer Nebenfiuft der linken Seite braufte jetzt ein Gewäffer, das fi on dem uutern fteilen Pfade knapp hinwälzte; wie eine Schneide Tief die Zelsfpalte ans. Noch war es unten büfter; denn die Sonne -befhien erft die Hälfte der einen Felienfeite. Zlata ſtand plögfich FIN, Rarrte hinnnter in die Ferne der gerad’ ausgehenden Schlucht und rief plöglich, eine Geftalt in der ſchwindligen Tiefe gewahrend: „Das ift er!”

. Bartad blieb wie eingewurzelt flehen; er Heftete die raben - ſchwarzen, Heinen Augen auf bie ferne Erſcheinung nud fagte angſtbellommen: „Rein nein! er ift es nicht! Du irrſt!“

„Ich irre mich nicht!“ rief fie laut; „meine Seele erfennt ihn es ift mein Ritter |“

„Fort fort! mns droht Gefahri” befhmidtigte Bartad, indem er in ber nahenden Rittergeftalt einen Andern erkannte, als ben er ſuchte.

Er wollte fie am Arme rechts tur das Geftrüpp über den Rüden des Berges Hingeleiten. Sie entriß ihm bie Hand. „Elender,“ ſchalt fie, „Du ſollſt mich nicht ihn Tennen lehren!“

Er faßte fie am Arme und’ ri fie ängftfid) und Heftig zu fi, indem er mit gepreßter Stimme ſchrie: „Thörichtes Kind, Du bift des Todes, wenn Di der erfichtl”

„Rein, nein!“ vief fie jubelnd und verzweiflungsvoll aus und firebte fi loszumaden; „Du Lügft, ich kenne ihn beſſer l“

Sie ftanden nahe an der Felſenwand Bartad ftemmte fi gegen einen Blod, um fie zurüdzuzerren, bamit fie der unten waundelnde Ritter, durch ihr lautes Gefchrei anfmerkfam gemacht,

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1 pl Bık

‚Äöier bin ig! Sier Dim ich!“ rief Zinn mb meigie gegen die Tiefe, „lomm herauf ich bin frei, mein Geliebten!”

Der Witter ſah empor, ſah des phauisfiide Mähden im flatteraden Gewande, mit fliegenden Loden, glänzend in ber

Sonne wie eine hehre Erſcheiuung. Er zitierte, fie Tonne amı herniederftürzen; ex nahm einen raſchen Anlauf, erfieg die erſte ber Feloplaiten, weiche wie ungeheure Stufen über einander ger thliemt waren, Metterte tolllühn hinauf und erreichte die Kante, mo Ihn das Mädden mit ausgebreiteten Armen erwartete.

„dler bin ich! Ih bin E81” jubelte fie und ſauk im bie Ania

Wer biſt Dip" fragte er erſtaunt und bebenb; „ein En- net oder eine irdiſche Erſcheinung 7

„frennſt Du mich nicht mehr?" fragte fie und blidte ſcheu au ihm empor. „Ih habe Dich doch im Traume gefehen! Nein, es war feln Traum; demm ich wachte. Und Du fprahft zu mir und fagten, Dis würden bald wiederfommen. Ich wußte es ja,

®

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daß ich Dich Heut fehen würde: darum folgte ich dem böſen Zigeuner, ber mid) Dir entreißen wollte.“

„Ich verſtehe Dich nicht,” entgegnete der Ritter mit fchla- gendem Herzen und verfenfte fi in den Anblid ber reizenden Erſcheinung, die wie eine Heilige zu feinen Füßen lag; „erkläre Did deutlicher. Wer bit Du? Wie famft Du in die Gemein- ſchaft mit jenem Entfeglihen? Warum rangft Du mit ifm? Du ſcheinſt mich zu kennen.“

„O fei nicht fo Bart!“ flehte fie mild; „Dein fhöner Mund tann nicht lügen. Ich lag im Fliederbuſche; Du glaubteft, ich ſchliefe warſt Hod zu Roß und ſahſt mir in die Halbgefchlof- fenen Augen, und dann famft Du näher, neigteft Dich und haft mich gefüßt. So war es id fonnte nicht ſprechen, aber Du fagteft: Wir fehen uns wieder.“

„Heiliger Gott!“ rief der Witter und faßte erfchredt an feine Stirne; „fo war e8 doch fein Traum? Als ic im Walde mid) verirrt hatte und im tiefen Sinnen dahinritt, da ſah ic) Did fhlummern unter Blütenzweigen. Ich glaubte, es fei eine Waldfee, ober ich hätte geträumt, da viel verworrene Bilder durch) meine Seele zogen und ich meiner faum bewußt war, und Du bift wirtlich ein Iebenbes, ein menſchliches Weſen. Aber wie ift Dein Name? Woher bift Du? Wie kömmſt Du in bdiefe Eindde? Warum ſpricht dies ſchlechte Gewand dem Adel Deiner Glieder Hohn ?“

In unzuſammenhängenden Sägen, wie eine Träumende, gab fie ihm Beſcheid von dem, was fie wußte und was fich in letzter Zeit mit ihr ereignet hatte, und daß fie ihu im Waden und Traume gefeben, und daß fie ihn liebe und ferner fein eigen fein wolle.

„Aber wie Heißeft Du?“ unterbrad fie fih plötzlich „noch kenn' ih Deinen Namen nicht und habe Dir doch gefagt,

1764 Kar 4

FEFTPIERT, j;} g J HILFEN

IHN.

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2. Aedasın

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genen Zigeuner in die Tiefe hinab und fagte: „Du dauerft mich; aber ich konnte nicht anders. Warum wollte Du mid dem Ritter, dem ich lenne, verbergen vieleicht gar zu einem andern bringen ?“ >

„Ich ahne wohl,“ ſprach Niklas leife, „was der Böfewicht mit ihr vorhatte.“

Sie ſchritten weiter unter traulihem Geipräce, wo ber Ritter Gelegenheit hatte, das tiefe, ſchwärmeriſche Gefühl, ihren tindlichen Geiſt, ihr ahnungsvolles Weſen, gepaart mit einem gänzlihen Mangel der Kenntniffe der Außenwelt, zu bewundern.

Am Walde angelangt, fanden fie den Klepper, welchen Bars tas zurüdgelaffen, grafend am Baume; er hatte ſich wieder erholt und war tüchtig genug, feine füße Laft zu tragen. Nitlas hob die Jungfrau Hinauf und geleitete das Roß dur die Waldenge nad feinem Schloſſe Hin. Er erſchien ſich wie ein Zofeph, dev Marien auf der Flucht nad) Aegypten begleitete.

Nach des Ritters Vratislav Verhaftung Hatte Nikfas vom Zeötwic es für räthlich erachtet, ſich von Prag zu entfernen; denn ob er gleih nicht von den Verſchworenen war, fo hatte dod er wie fein Bater Kenntniß von dem Complotte. Er zog fi) darum zurüd, um abjumarten, ob bie Flüchtigen glüdlih entlommen fein würden,‘ oder ob im gegentheiligen Falle im ihrer Ausſage fein Name, als der eines Mitwiffers, genannt werden dürfte, Sein Bater blieb in Prag, um durch feine Entfernung ben Ber- dacht nicht unnöthigerweife zu erhöhen; er fland zudem dem Kö- nige allzu nahe, um für feine Berfon im ſchlimmſten Falle Gefahr beforgen zu müffen.

Der Nitter Spanberg war wieder genejen, Hatte feine alte Laune wiebergewonnen und ſprach durchaus nit mit Groll von Bratislan und dem traurigen Begebniß. „ICH wollte um Alleb im ber Welt nicht,” fagte er, „baß ihm meinetwegen etwas Schlimmes begegne. Ich habe es ihm verziehen. Im Grunde

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gab ich die Urſache zum Streite und flug zuerſt Meine Klinge tonute ja eben fo leicht in feine Bruſt fahren und Hart am Leben binwegfireifen. Nur baf ic) fo lange das Lager wegen dieſes Kellerlodhes von Wunde babe Hüten müffen, grämte mid) und machte mich ärgerlih. Ich Habe einen großen Xheil meiner Frohlichkeit eingebüßt und bin auf bem Wege, ein ernfler Denter zu werden.“

Milada war auf den Hrabdin gezogen und vermeilte Tage lang in des Ritters Sukol Geſellſchaft, der trot feiner Standes- erhöhung ihr immer noch in Untermürfigkeit und Treue wie ein Diener zugethan war, im Gehlofgarten, auf der andern Seite des Hirſchgrabens, und blickte ſehnſuchtsvoll und meinend nad den grauen Thürmen hinüber und fpähte, ob fte nicht in irgend einen Fenſter das blaffe Antlig ihres Geliebten erbliden Fönne. Jeden Abend kehrte fie ungetröftet und unbefriedigt Heim, um am nädften Morgen wieberzufehren.

„Beẽta!“ fagte Barcal an dem Abende, wo Vratislav nach dem Hraböin gebradt wurde, „nimm bier bie Lampe und geh’ hinab an die verfallene Treppe, die zum Gefängniffe des verrüd- ten Slup führt; er erhält Heute Gefellichaft, ich glaube gar einen vornehmen Herrn. Es find mehrere Berſchwörungen gegen ben König entbedt worden, und fo werben theils Verbrecher, theils Berdäctige in großer Anzahl eingezogen, baß faft alle brauchbaren Berließe gefült find. Sonſt wüßte ih and nit, warum fie einen feinen, flattlihen Herrn zu dem wahnfinnigen Botermörber fperren; es müßte denn darım fein, baß er durch dieſe fchredliche Genoffenfihaft ‚eher zum Gefänbnif gebradjt werben fol. Auch

kann ihm ber Thor nicht leicht in's Freie Helfen, wie's bei einem Bernünftigen eher zu beforgen iſt.“

„Ach lieber Vater,” feufzte Beta, indem fie von ihrer Arbeit aufftand, „in nnferm Haufe kehrt immer wieder neues Unglück ein! Das Elend will bei uns fein Ende nehmen. Ein recht trübfefiger Aufenthalt! befonders, wenn ich bedenke, daß es fo bis an unfern Tod dauern wird.”

„Für Did) ſchwerlich,“ brummte der Alte, „aber für mich fer! ’S if eine betrübte Ausſicht für die Zukunft ein Tag wie der andere, feiner aber beffer, immer nur ſchlimmer! Spute Di I Er ift fon unten angelangt. Der Schloßvoigt Iegt ihm bie doppelten Ketten an. glei werden fie Kerauffteigen, um dreifach fo tief hinabzuwandeln.“

„Der Unglüdliche!“ klagte Beta, indem fie bie Lampe er- griff; „er ift doppelt zu bedauern, daß er mit dem wahnfinnigen Slup ausharren muß. Das kann ihn ja felbft um den Berftand bringen I”

„Sort, fort!” trieb der Alte; „ich Höre ſchon die Ketten auf dem Hofe raffeln.“ Sie fprang Hinans; er folgte ihr. Er ging in den Hof Hinab, um den Gefangenen in Empfang zu nehmen. Beta eilte mit Licht und Schlüffelbund durch viele Sänge und Treppen hinab bis an bie Stufen, welde gerabe zw Slup's Wohnung führten; denn der Weg war Hier gefährlich, und bie Eine Leuchte, welde der Gefangenwärter trug, reichte nicht aus, die grauenhafte Finſterniß, welche Bier herrſchte, zu exhellen.

Seltfam bewegt und erwartungsvoll lehnte fi das Mädchen in dem niedern gemwölbten Gange, der nur Raum für zwei Menſchen Hatte, an die feuchte Mauer. Bald hörte fie Fußtritte über fi) und Kettengeraffel. Ein heller Schein fiel von jenem Ende in bie finftere Schludt. Bor bem Bater ſchritt ein Ritter

Herloßfohn: Der lette Taborit. IL 3

3”

daß ich die Zlata bin und meine. Mutter Madlena, die den Bar ter fucht, der tief im Thurme ſchmachten foll, weil er fie liebte.“

„Blata, Blata!” rief ber Ritter und zog fie an ben weißen Armen empor und umſchlang den weichen, ſchlanken Leib „ia, ein golden Wunberbild bift Di. Kaum glaube id, daf Du ben irdifhen Räumen entfprungen; eine Zee hat Dich geboren; denn Du haft mir Herz und Sinne verzaubert. Wer ic bin? Ein glüdtiher Sterblicher, der einen Schatz gefunden, und -ter ihn fein nennen darf, fo es Gott gefällt, der ein Heil nicht fendet, um durd feinen plögfihen Verluſt einen Sterblihen wahnfinnig zu maden. Id Heiße Nillas von Zeöwic, dort bei SIa- tina ift meine Burg; id; verweile erft wenige Tage bier und finde Di und weiß nicht, ob ich träume oder wache, ob ih in die Gegend eines Zauberberges gerathen bin, und ob die Macht von Feengeiftern meinen Sinn gefangen hält. Aber fort von hier, mein holdes Lieb, fort vom der Stätte bes Gchredenst Folge mir! Biſt Du wirklich ein menſchlich Weſen, fo trenne Dich nicht von mir! Komm auf mein Schloß, weile bei mir und gib mir Bürgſchaft, daß es fein Traum iſt, was ich ſehe und fühle."

„Meine Mutter!“ rief fie jegt fid) plötzlich befinnend mit Thränen und brüdte ihr Antlig an feine Bruft; „ah! wo ift meine Mutter? Als er mich raubte, da fammelte fie Beeren für mid) im Walde; ſie wird nicht wiffen, wohin ic) gerathen bin und wehllagen um ihr Kind, die gute Mutter.“

„Beruhige Dich, holdes Mädchen,“ tröftete der Ritter, „und folge mir zuerft gen Slatina. Bon bort aus fende ih meine enechte auf flinfen offen nad; der ganzen Gegend auf Kunde ſchaft aus. Sie dürfen nicht wieberfehren, bis fie die Mutter gefunden. Leib’ mir Deinen Arm, bamit ih Did ſicher über die Klippen am ſchwindelnden Abhang geleitel*

Sie Rüge ſich anf ihm, fah mod; einmal auf den erſchla-

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genen Zigenmer in die Ziefe hinab und fagte: „Du danerft mid; aber ich konnte nicht anders. Warum wollte Du mich bem Nitter, den ich fenne, verbergen vielleicht gar zu einem anderm bringen 9“

„Ih ahne wohl,” ſprach Nies feife, „was ber Böfewicht mit ihr vorhatte.”

Sie ſchritten weiter unter traulihem Geſpräche, wo ber Ritter Gelegenheit hatte, das tiefe, fhwärmeriihe Gefühl, ihren tindlichen Geift, ihr ahnungsvolles Weſen, gepaart mit einem gänzlihen Mangel ber Kenntniffe der Außenwelt, zn bewundern,

Am Walde angelangt, fanden fie den Klepper, welchen Bar⸗ tad zurüdgelaffen, grafend am Banme; er hatte fid) wieder erholt und war tüchtig genug, feine füße Laft zu tragen. Nitlas hob die Jungfrau hinauf und geleitete das Roß durch die Waldenge nad) feinem Schloſſe Hin. Er eridien ſich wie ein Joſeph, dev Marien auf der Flucht nad Aegypten begleitete.

Nach des Ritters Vratislav Berhaftung hatte Nilfas von Zeswie es für rathlich erachtet, ſich von Prag zu entfernen; denn ob er gleich nit von ben Verſchworenen war, fo hatte doch er wie fein Vater Kenntniß von dem Complotte. Er zog fih darum zurüd, um abzuwarten, ob bie flüchtigen glücklich entlommen fein würden, oder ob im gegentheifigen alle in ihrer Ausſage fein Name, als der eines Mitwiffers, genannt werben bürfte, Sein Bater blieb in Prag, um durch feine Entfernung den Ber- dacht nicht ummöthigerweife zu erhöhen; er fland zudem dem Kö- nige allzu nahe, um für feine Berfon im ſchlimmſten Falle Gefahr beforgen zu müffen.

Der Ritter Spanberg war wieder genejen, Hatte feine alte Laune wiebergewonnen und ſprach durchaus nit mit Groll vom Bratislan nnd dem traurigen Begebniß. „Ich wollte um Alles in der Welt nicht,” fagte er, „daß ihm meinetwegen etwas Schlimmes begegne. Ich Habe es ihm verziehen. Im Grunde

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gab ich die Urſache zum Streite und ſchlug zuerſt Meine Klinge tonute ja eben fo leicht in feine Bruſt fahren und Hart am Leben hinwegſtreifen. Nur daß ic) fo lange das Lager wegen dieſes Kellerlohes von Wunde babe Hüten müffen, grämte mid und machte mid; ärgerlih. Ih Habe einen großen Theil meiner Froͤhlichteit eingebüßt und bin auf dem Wege, ein ernfler Denter zu werden.“

Milada war auf den Hrabdin gezogen und verweilte Tage lang in des Ritters Sukol Geſellſchaft, der troß feiner Standes- erhöhung ihr immer noch in Unterwürfigkeit und Treue wie ein Diener zugetfan war, im Schloßgarten, auf der andern Seite des Hirſchgrabens, und blickte ſehnſuchtsvoll und weinend nad den grauen Thürmen hinüber und fpähte, ob fie nicht in irgend einem Fenſter das blaſſe Antlig ihres Geliebten erbliden könne. Jeden Abend kehrte fie ungetröftet und unbefriedigt heim, um am nächſten Morgen wieberzufehren.

„Beẽta!“ fagte Barcal an dem Abende, wo Bratislan nad

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einher; feine Haltung, feine ſchlichte, aber ftandesgemäße Kleidung bezeugten dies.

Jetzt fand er fnapp vor dem Mädchen und fah ihr in's Antlig.

„Ach!“ rief fie laut und erſchrocken aus, indem fie ihn erfannte. Beinahe wäre ihr die Lampe entfallen.

„Es ift meine Tochter, Herr!“ fagte der Wärter, indem er ige den Schlüffelbund abnahm und ſich vorbeibrängte, um vor auszugehen und die Thüre unten zu öffnen; „fe leuchtet Euch; denn bie Treppe ift verfallen damit Ihr nicht Schaden neh met. Tretet ſacht auf, Herr, und haltet Euch an die Wand, fo viel es bie Ketten erlauben.“

Bratislan ſtand noch eine Weile vor dem Mädchen und fagte leife: „So nehm’ ich hier zum lebten Male Abſchied von einem Tieblien Bilde des Lebens. Des Allerbarmers Gnabe fäßt noch einen Strahl in dieſe grauenvolle Finſterniß fallen. Habe Dant, Du Holde Jungfrau, fir Deine milde Erſcheinung, Du mein unterfintender Abendftern I”

„Soll id) das Fräufein von Zedwic grüßen?“ fragte fie Teife.

„Thu' das!“ rief er verwundert; „und noch eine Andere. Bring’ ihnen den Gruß eines Todten.“

„So Here!“ rief der Wärter von unten; „es ift geöffnet fleigt jett herab. Wafler und Brot hab’ ich ſchon Hereinge- ſetzt; morgen erhaltet Ihr friſches.“

Vratislav leiftete Folge. Das Mädchen ſchlich ihm faht nad, ftand dann ſtill und bog fi, ihm nadblidend, Binab. Lebt wohl!“ vief fie ſchmerzvoll, und reiche Thränen entrollten ihren Augen.

„Bier herein!“ belehrte der Wärter; „Ihr habt einen Ge- noffen hier. Die Herren wollten es, daß Ihr nicht allein ſitzen ſollt; es iR nicht meine Wahl. Der Slup da ift ein guter

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Menſch, aber mänchmal ein wahnfinniges Vieh. Nun, wenn er nicht gehordht, fo haut ihm nur die Kette über ben harten Schä- dei; da wird er Euch fon in Ruhe laſſen. Rechts die Stein- bant, wo ich Euch anſchließe, if die Eurige dahinüber darf der Slup nit Iommen. Hörft Du?“

Slup ſaß gefenkten Hauptes auf feinem Steine und flarrte theilnahmlos vor ſich nieder.

„Sei mir gegrüßt, Gefährte in ber Löwengrube,“ fagte Vratislav, während ihn der Wärter anſchloß, „gefeflelter Wolf, Genoffe eines Wolfes! Der Menſch wird ja, wenn er den Men- ſchen nicht gefäht, als ein Raubthier geachtet Nun, gewöhnt man fi) im Kerker doch an eine Spiune, an eine Ratte und Iernt fie lieben! Warum fol ih mich nicht aud an einen Men- fen, wenn er gleich verrüdt ift, gewöhnen? Wir müffen Bier im Bauche der Erde Brüderfhaft fließen und Brüder werden; ’g ift ber Ort für dauernde Freundſchaft.“

„Gehabt Euch wohl, Herr,“ ſprach der Schließer, indem er fich entfernte, „und baut auf Gott, der ſelbſt in dieſe Tiefe gnädig blidt und, fo e8 fein Wille ift, Euch aus biefer Nacht führen kann zum Lichte 1“

„Jenſeits, jenſeits!“ verfegte Vratislav mit einem Geufzer. „Hab’ Dank für Deinen Troſtſpruch und grüß' mir noch einmal das Licht wenn Du die Thüre geſchloffen. Gute Naht!“

Er warf fih auf die Bank nieder der Wächter drüdte die Thüre in das Schloß, das Licht verſchwand im Nu, und der Ritter faß in ber grauenvollen Finfternig mit dem flummen Genoſſen, deffen Gegenwart fi) nur durch feinen Athemzug fund gab, allein.

mBater, Bater,” fagte Beta auf bem Rulckwege zu Barcal, „kennſt Du den Ritter? IH kenn’ ihn! Bei der Mutter Gottes! es ift berfelbe, dem id} im Haufe des Herrn von Beöwic fah und für des Fräuleins Bräutigam hielt. Er lispelte mir

gr

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and einen Gruß für fie zu. Ach, welch' ein Herzleid- wird die erfahren! Ja, die reichen Leute find oft eben fo ungfüd« lich wie die armen, und es muß ihnen boppelt ſchwer werden, im Unglüde von uns beherrfcht zu werden! Das arme Fräu- Iein, wie wird fi die grämen und weinen!“

„Wer Tann das ändern, mein Kind?“ verfeßte ber Alte; „wir nicht! Ich bin nur der letzte Finger, den bie hohen Herten in Bewegung fegen, wenn fie Jemanden ergreifen und feſthaben wollen. Glaub's gern, daß große Betrübniß im Haufe bort fein wird, Aber warum Halten bie vornehmen Herren unter fi feine Ruhe! Wir geringen Leute find ftil und müſſen nur dran, wenn fie fih unter einander verfeindet haben. Mär’ ich ein Hoher und reicher Mann, ich lebte mit aller Welt im Frieden. Sie haben Geld und Reichthum, Müßiggang und Wohlleben und Lönnen doch nicht fiilfigen! Dann gefhieht ihnen ganz recht, wenn fie unter fo gemeine Hände fommen, wie zum Beifpiel die meinigen find. Wenn nur ein armer, gemeiner Kerl ſtiehlt, ober ſich fonft in der Noth vergißt, fo muß er daran, und Niemand Hat mit ihm Mitleib; aber die vornehmen Herren, bie mit Fleiß und Willen das Unglück ſuchen und herausfordern, werben bedauert.“

„Und bei dem Slup muß er figen!“ wehllagte die Tochter fort; „wenn ſich der verrückte Menſch nur gut gegen ihn beträgt! I will morgen zeitig früh zu dem fräufein von Sedwic gehen und ihr Alles erzählen, wenn ihr aud das Herz darüber brechen ſollte. Wiſſen muß fie es doc.”

Sie erreichten ihre Wohnftube. Das Mädchen blieb ben ganzen Abend betrübt und nachdenkend; fie vergoß fogar ver- ſtohlen Thränen, fo fehr ſchmerzte fremdes Leid ihr weiches Herz.

Zief unten, von jedem menſchlichen Zone fern, ſaß Bratie Nav, Hatte bie gefeffelten Arme über einander gefhlagen und

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flarrte duſter hinein in die doppelte Finfterniß, die des Ortes und bie feiner Seele.

„Seid Ihr ein Chriſt?“ begann nad; geraumer Zeit Slup mit Heiferer, Mäglicher Gtimme,

„Ein ächt huſſitiſcher und ein Ritter dazu,” emtgegnete Bratislav.

„Ihr müßt mir nicht zürnen und Euch nicht ſtören laſſen,“ fuhr Slup fort, „wenn ic) bier meinen Knaben zuweilen eiuwiege mit einem Lieblein. Der Schließer fagt zwar, es fei nur ein Strohwiſch und fein Kind; aber ich weiß das beſſer. Es find wohl ſchon an fünf und zwanzig Jahre, daß id; den Knaben hier pflege, und er will gar wicht größer werden, will nicht zum Leben reifen. Das macht bie feuchte Kellerluft und der Umftand, daß er feine Mutterbruft getrunken.“

„IH reife fünf und zwanzig Jahre zum Tode!“ ſprach Bratislan dumpf, „der, wills Gott, nicht mehr fern if.“

„Bleibt Ihr Tange hier, Herr Ritter?” fragte Slup weiter.

„Wie bie Seele im Leibe!" war Bratislav's Antwort. „Alter Hausgenoffe, Du wirft mid ſchon dulden müſſen! fliegt mein Kopf nicht vom Numpfe, fo geben? ich ihn Hier unten grau werben zu laſſen. Bielleicht werd’ ich auch mahnfinnig, und wir Beide fiimmen dann in Schidfal nnd Gemüth überein. Wir mollen einander wmandes Mährlein erzählen von dem Leben, von ber Liebe, von ber Welt da draußen, Alles nur Träume, bunte Träume bie, wenn man fie ausgeträumt, recht häßlich werden.”

„Ich weiß and mandes Mährlein,“ fiel der Wahnfinnige ein, „von einem Ritter, ber ein Mäbddjen flahl, das ihn erſt ger iebt und dann gehaßt. Sie ftarb aus Schmerz über feine hef - tige Liebe.“

„Glücklicher Unglüclicher!“ feufzte Vratislav. „Du denift

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gab ich die Urfade zum Streite und ſchlug zuerſt Meine Klinge konnte ja eben fo leicht in feine Bruft fahren und Hart am Leben hinwegſtreifen. Nur daß id) fo lange das Lager wegen dieſes Kellerlohes von Wunde babe Hüten müffen, grämte mid und machte mich ärgerlich. Ich Habe einen großen Theil meiner Froöhlichteit eingebüßt und bin auf dem Wege, ein ernfler Denter zu werben.“

Milada war auf ben Hraböin gezogen und verweilte Tage lang in des Ritters Sukol Geſellſchaft, der troß feiner Standes · erhöhung ihr immer noch in Unterwürfigleit und Treue wie ein Diener zugetfan war, im Schloßgarten, auf der andern Seite des Hirfhgrabens, uub biidte fehnfuhtsvoll und weinend nad) den grauen Thürmen Hinüber und fpähte, ob fie nicht im irgend einem Senfter das blaffe Antlitz ihres Geliebten erbfiden fünne. Ieden Abend kehrte fie ungetröftet und unbefriedigt heim, um am nädjften Morgen wieberzufehren.

„Beta!“ fagte Barcal an bem Abende, wo Bratislav nad dem Hraddin gebradt wurde, „nimm hier bie Lampe und geh’ hinab am die verfallene Treppe, die zum Gefängniffe des verrüd- ten Slup führt; er erhält Heute Geſellſchaft, ich glaube gar einen vornehmen Herrn. Es find mehrere Verſchwörungen gegen ben König entdectt worden, und fo werden theils Berbrecher, theils Berbächtige in großer Anzahl eingezogen, daß faft alle braudjbaren Berließe gefüllt find. Sonſt müßte ih auch nicht, warum fie einen feinen, flattlichen Herrn zu dem wahnfinnigen Batermörber ſperren; es müßte denn darum fein, baß ex durch biefe ſchreckliche Genoſſeuſchaft .cher zum Geftänbniß gebracht werden fol. Auch

Tann ihm der Thor nicht leicht in's Freie Helfen, wie's bei einem Bernünftigen eher zu beforgen if.“

„Ach lieber Bater,” feufzte Beta, indem fie von ihrer Arbeit aufftand, „in nnferm Haufe lehrt immer wieber neues Unglüd ein! Das Elend will bei uns Fein Ende nehmen. Ein vet trübfeliger Aufenthalt! befonders, wenn id; bedenke, daß es fo bis an unfern Tod dauern wird.“

„Für Di ſchwerlich,“ brummte der Alte, „aber für mich ſicher! ’S if eine betrübte Ausfiht für die Zukunft ein Tag wie ber anbere, feiner aber beffer, immer nur ſchlimmer! Spute Dich! Er if fon unten angelangt. Der Schloßvoigt legt ihm bie doppelten Ketten an.— gleid; werben fie Herauffteigen, um dreifach fo tief hinabzuwandeln.“

nDer uUnglüdliche!“ Hagte Bkta, indem fie die Lampe er- griff; „er iſt doppelt gu bedauern, daß er mit dem mahnfinnigen Slup ausharren muß. Das kann ihn ja felbft um den Verſtand bringen I“

„Sort, fort !“ trieb der Alte; „ic Höre ſchon die Ketten auf dem Hofe raſſeln.“ Sie fprang hinans; er folgte ihr. Er ging in den Hof hinab, um den Gefangenen in Empfang zu nehmen. Beta eilte mit Licht und Schlüffelbund durch viele Gänge und Treppen hinab bis an die Stufen, welde gerade zu Slup's Wohnung führten; denn der Weg war Hier gefährlich, und die Eine Leuchte, welche der Gefangenwärter trug, reichte nit aus, die grauenhafte Finfterniß, welche Hier Herrfchte, zu exhellen.

Seltſam bewegt und erwartungsvoll Iehnte fich das Mädchen in dem niedern gemwölbten Gange, ber nur Raum für zwei Menſchen hatte, an die feuchte Mauer. Bald hörte fie Fußtritte über ſich und Kettengerafiel. Ein Heller Schein fiel von jenem Ende in die finftere Schlucht. Bor dem Vater ſchritt ein Ritter

Herloßfohn: Der Iegte Laborit. IL 8

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einher; feine Haltung, feine ſchlichte, aber flandesgemäße Kleidung bezeugten dies.

Jetzt fand er fnapp vor dem Mädchen und fah ihr in's Antlitz.

„Ach!“ rief fie laut umd erfchroden aus, indem fie ihn erfannte. Beinahe wäre ihr die Lampe entfallen.

„Es ift meine Tochter, Herr!” fagte der Wörter, indem er ihr den Schlüffelbund abnahm und ſich vorbeibrängte, um bor- auszugehen und bie Thüre unten zu öffnen; „fie leuchtet Euch; denn bie Treppe ift verfallen damit Ihr nicht Schaden neh met. Tretet facht auf, Herr, und Baltet Euch an die Wand, fo viel es die Ketten erlauben.“

Bratislad ſtand noch eine Weile vor dem Mädchen und fagte leiſe: „So nehm' ich hier zum letzten Male Abſchied von einem lieblichen Bilde des Lebens. Des Allerbarmers Gnade Täßt noch einen Strahl in biefe grauenvolle Finfterniß fallen. Habe Dank, Du Holde Jungfrau, für Deine milde Erfdeinung, Du mein unterfinfender Abendftern I”

„Sol id) das Fräufein von Zedwic grüßen?“ fragte fie leiſe.

„Thu' das!“ rief er verwundert; „und noch eine Andere. Bring’ ihnen den Gruß eines Todten.“

„So Herr!“ rief ber Wärter von unten; „es iſt geöffnet fleigt jetzt Hevab. Waſſer und Brot Hab’ ich ſchon Bereinge- fett; morgen erhaltet Ihr friſches.“

Vratislav leiftete Folge. Das Mädchen ſchlich ihm ſacht nad, ftand dann ftill und bog fid, ihm nachblidend, hinab. „Lebt wohl!“ rief fie ſchmerzvoll, und reihe Thränen entrollten ihren Augen.

Bier herein!“ befehrte der Wärter; „Ihr Habt einen Ge- noffen bier. Die Herren wollten es, daß Ihr nicht allein figen ſolltz es iR nicht meine Wahl. Der Slup da ift ein guter

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Menſch, aber manchmal ein wahnfinniges Vieh. Nun, wenn er nicht gehorcht, fo haut ihm nur die Kette über den harten Schä- bei; da wird er Euch ſchon in Ruhe laſſen. Rechts die Stein- bank, wo ic Euch anſchließe, ift die Eurige dahinüber darf der Slup nicht kommen. Hörft Du?“

Slup ſaß gejenkten Hauptes auf feinem Steine uud flarrte theilnahmlos vor fi nieder.

„Sei mir gegrüßt, Gefährte in ber vowengtube ſagte Bratislav, während ihn der Wärter auſchloß, „gefeſſelter Wolf, Genoffe eines Wolfes! Der Menſch wird ja, wenn er ben Men- ſchen nicht gefällt, als ein Raubthier geachtet! Nun, gewöhnt man fid im Kerker doch an eine Spinne, am eine Ratte und Iernt fie lieben! Warum foll id mich nicht aud an einen Men- fen, wenn er gleich verrüct if, gewöhnen? Wir müffen bier im Baude ber Erde Brüderſchaft fchließen und Brüder werden; 's ift ber Ort für dauernde Freundſchaft.“

nGehabt Euch wohl, Herr,“ fprad der Schließer, indem er ſich entfernte, „und baut auf Gott, ber felbft in biefe Tiefe gnädig blickt und, fo es fein Mille if, Euch aus bdiefer Nacht führen kann zum Lichte 1"

„Jenſeits, jenfeits !“ verfegte Bratisfad mit einem Seufzer. „Hab' Dank für Deinen Troſtſpruch und grüß’ mir noch einmal das Licht wenn Du die Thüre geſchloſſen. Gute Nacht!“

Er warf ſich auf die Bank nieder ber Wächter brüdte die Thüre in das Schloß, das Licht verſchwand im Nu, und ber Ritter faß in der grauenvollen Finfternig mit dem fummen Genoffen, defjen Gegenwart ſich nur durch feinen Athemzug fund gab, allein.

„Bater, Vater,” fagte Beta auf dem Rückwege zu Barcal, ntennft Du ben Ritter? Ich kenn' ihm! Bei der Mutter Gottes! es iſt derfelbe, den td} im Haufe des Herrn von Zeswie fah und für bes Fräuleins Bräutigam hielt. Er lispelte mir

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and einen Gruß für fie zu. Ach, wel’ ein Herzleib wir bie erfahren! Ja, die reichen Leute find oft eben fo unglüd- lich wie die arınen, unb es muß ihnen boppelt ſchwer werben, im Unglüde von uns beherrſcht zu werben! Das arme Fräu- lein, wie wirb fi bie grämen unb weinen!“

„Wer Tann das ändern, mein Kind?” verſetzte ber Alte; „wir nicht! Ich bin nur der letzte Finger, dem bie Hohen Herren in Bewegung fegen, wenn fie Jemanden ergreifen und feſthaben wollen. Glaub s gern, daß große Beträbniß im Haufe dort fein wird, Mber warum Halten bie vornehmen Herren unter ſich feine Ruhe! Wir geringen Leute find fill und müſſen nur dran, wenn fie fi unter einander verfeindet Haben. Wär’ id; ein Hoher und reier Mann, ich Iebte mit aller Welt im Frieden. Sie haben Geld und Reichthum, Müßiggang und Wohlleben und fönnen dod nicht flillfigen! Dann gefdieht ihnen ganz recht, wenn fie unter fo gemeine Hände fommen, wie zum Beifpiel bie meinigen find. Wenn nur ein armer, gemeiner Kerl ftiehlt, ober ſich fonft in der Noth vergißt, fo muß er daran, und Niemand hat mit ihm Mitleid; aber die vornehmen Herren, die mit Fleiß und Willen das Unglüd ſuchen und herausfordern, werben bedauert.“

„Und bei dem Stup muß er figen!* wehllagte bie Tochter fort; „wenn fich der verrückte Menſch nur gut gegen ihm beträgt! Id will morgen zeitig früh zu dem Fräulein von Bedwic gehen und ihr Alles erzähfen, wenn ihr aud das Herz barüber brechen ſollte. Wiffen muß fie es doch.“

Sie erreichten ihre Wohnſtube. Das Mädchen blieb den ganzen Abend betrübt und nachdenkend; fie vergoß ſogar ver- ſtohlen Thränen, ſo ſehr ſchmerzte fremdes Leid ihr weiches Herz.

Tief unten, von jedem menſchlichen Tone fern, ſaß Vrati- ſlav, Hatte die gefeffelten Arme über einander geſchlagen und

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ſtarrte düfer hinein im die doppelte Finfterniß, die des Ortes und bie feiner Seele.

nSeid Ihr ein Chriſt?“ begann nad; geraumer Zeit Slup mit heiferer, klaglicher Stimme.

„Ein ächt Huffitifcher umd ein Ritter dazu,“ entgegnete Bratislav.

„Ihr müßt mir nicht zürnen und Euch nicht flören laſſen,“ fuhr Slup fort, „wenn id} hier meinen Knaben zuweilen einwiege mit einem Liedlein. Der Schließer fagt zwar, es fei nur ein Strohwiſch und fein Kind; aber ich weiß das beſſer. Es find wohl ſchon an fünf und zwanzig Jahre, daß ic den Knaben bier pflege, und er will gar nicht größer werden, will nicht zum Leben reifen. Das mocht die feuchte Kelleriuft und der Umftand, daß er feine Mutterbruft getrunten.”

„IH zeife fünf und zwanzig Jahre zum Tode!“ ſprach Bratislav dumpf, „der, will's Gott, nicht mehr fern if.“

Bleibt Ihr lange Hier, Herr Ritter? fragte Slup weiter.

„Wie die Seele im Leibe!" war Bratislav's Antivort. „Alter Hausgenoffe, Du wirft mid fhon dulden müſſen! liegt mein Kopf nicht vom NRumpfe, fo geben ich ihn hier unten grau werben zu laſſen. Bielleicht werd’ ich auch wahnſinnig, und wir Beide flimmen dann in Schidfal nnd Gemüth überein. Wir wollen einander mandes Mährlein erzählen von dem Leben, von ber Liebe, von der Welt da draußen, Alles nur Träume, bunte Träume bie, wenu man fie ausgeträumt, recht häßlich werden.”

„Ih weiß auch mandes Mährlein,“ fiel der Wahnfinnige ein, „von einem Ritter, ber ein Mädchen ftahl, das ihn erft ge- Hiebt und dann gehaft. Sie ftarb aus Schmerz über feine hef - tige Liebe.”

„Glücklicher Unglücllicher!“ feufzte Vratislav. „Du benfft

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gab ich die Urſache zum Streite und ſchlug zuerſt Meine Klinge tonnte ja eben fo leicht in feine Bruft fahren und hart am Leben hinwegſtreifen. Nur daß id) fo lange das Lager wegen dieſes Kellerlohes von Wunde Habe Hüten müſſen, grämte mid unb machte mid; ärgerlich. Ich Habe einen großen Theil meiner Frohlichteit eingebüßt und bin auf dem Wege, ein ernſter Denker zu werden.“

Mitada war auf den Hrabdin gezogen und verweilte Tage lang in des Ritter Sukol Geſellſchaft, der trot feiner Standes - erhöhung ihr immer noch in Unterwürfigkeit ımd Treue wie ein Diener zugetfan war, im Schloßgarten, auf der andern Seite des Hirfchgrabens, und biidte fehnfuhtsvol und weinend nad) den grauen Thürmen binüber und fpähte, ob fte nicht in irgend einem Fenſter das blaſſe Antlig ihres Geliebten erbliden könne. Jeden Abend Lehrte fie ungetröftet und unbefeiedigt heim, um am nädjften Morgen twieberzufehren.

„Beta!“ fagte Barcal an dem Abende, mo Vratislav nad dem Hrabdin gebradt wurde, „nimm hier bie Lampe und geh’ hinab an die verfallene Treppe, die zum Gefängnifje bes verrüd- ten Slup führt; er erhält Heute Geſellſchaft, ich glaube gar einen vornehmen Herrn. Es find mehrere Verſchwörungen gegen den König entdedt worden, und fo werben theils VBerbrecher, theils Berdächtige in großer Anzahl eingezogen, daß faf alle braudbaren Berliege gefühlt find. Sonf müßte ih aud nicht, warum fie einen feinen, ftattlichen Herrn zu dem mahnfinnigen Batermörber ſperren; e8 müßte benn darum fein, daß er durch dieſe ſchreckliche Genoſſenſchaft eher zum Gefländniß gebracht werben ſoll. Auch

Tann ihm ber Thor nicht leicht in's Freie helfen, wie's bei einem Bernünftigen eher zu beforgen if.”

„Ach lieber Vater,” ſeufzte Beta, indem fie von ihrer Arbeit aufftand, „in nnferm Haufe ehrt immer wieder neues Unglüd ein! Das Elend will bei uns fein Ende nehmen. Ein recht trübfeliger Aufenthalt! befonders, wenn ich bedenke, daß es fo bis am unfern Tod dauern wird.”

„Für Dich ſchwerlich,“ brummte der Alte, „aber für mid fiher! ’S iſt eine betrübte Ausficht für die Zufunft ein Tag wie der andere, feiner aber beffer, immer nur ſchlimmer! Spute Di I Er ift fon unten angelangt. Der Schloßvoigt legt ihm die doppelten Ketten an glei werden fie berauffteigen, um dreifach fo tief hinabzuwandeln.“

nDer Unglüdlihel" Hagte Bta, indem fie die Lampe er- griff; „ee ift doppelt zu bedauern, daß er mit dem mahnfinnigen Slup ausharren muß. Das Tann ihn ja felbft um den Verſtand bringen I”

„Fort, fort!” trieb der Alte; „ih höre fchon bie Ketten auf dem Hofe raſſeln.“ Sie fprang hinans; er folgte ihr. Er ging im ben Hof Hinab, um bem Gefangenen in Empfang zu nehmen. Beta eilte mit Licht und Schlüffelbund durch viele Gänge und Treppen hinab bis an bie Stufen, welde gerade zu Slup's Wohnung führten; denn der Weg war hier gefährlich, und die Eine Leuchte, welche der Gefangenwärter trug, reichte nicht aus, die grauenhafte Finfterniß, welde Bier herrſchte, zu exhellen.

Seltfam bewegt und ermartungsvol lehnte fi das Mädchen in dem niebern gemölbten Gange, ber nur Raum fir zwei Menfchen hatte, an die feuchte Mauer. Bald hörte fie Fußtritte über ſich und Kettengeraffel. Ein heller Schein fiel von jenem Ende in die finftere Schlucht. Bor dem Vater ſchritt ein Asus)

Herloßfohn: Der Iegte Laborit. IL

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einher; feine Haltung, feine fchlichte, aber ftandesgemäße Kleidung bezeugten dies.

Jetzt fland er Inapp vor dem Mädchen und fah ihr in's Antlig.

„Ach!“ rief fie laut und erſchrocken aus, indem fie ihn erfannte. Beinahe wäre ihr die Lampe entfallen.

„Es ift meine Tochter, Herr!“ fagte der Wärter, indem er ihr den Schlüffelbund abnahm und fi vorbeibrängte, um dor- auszugehen und die Thüre unten zu öffnen; „fie Teuchtet Euch; denn bie Treppe ift verfallen damit Ihr nicht Schaden neh- met. Xretet ſacht auf, Herr, und haltet Euch an die Wand, fo viel es die Ketten erlauben.“

Vratislav ſtand noch eine Weile vor dem Mädchen und fagte leiſe: „So nehm’ ich hier zum legten Male Abichieb von einem lieblichen Bilde des Lebens. Des Allerbarmers Gnade läßt noch einen Strahl in dieſe grauenvolle Finfterniß fallen. Habe Dank, Di holde Jungfrau, für Deine milde Erſcheinung, Du mein unterfintender Abendſtern !“

„Sol id das Fräufein von Zedtwic grüßen?“ fragte fie leiſe.

„Thu' das!“ rief er verwundert; „und noch eine Andere, Bring’ ihnen den Gruß eines Todten.“

„So Herr!“ rief der Wärter von unten; „es ift geöffnet fleigt jetst herab. Waſſer und Brot Hab’ ich ſchon Hereinge- ſetzt; morgen erhaltet Ihr frifches.“

Vratislav leiftete Folge. Das Mädchen ſchlich ihm ſacht nad, fand dann fi und bog ſich, ihm nachblidend, hinab. Lebt wohl!“ rief fie ſchmerzvoll, und veihe Thränen entrollten ihren Augen.

mSier herein!“ belchrte der Wärter; „Ihr habt einen Ge- noffen bier. Die Herren wollten es, daß Ihr nicht allein ſitzen ſollt; es if nicht meine Wahl. Der Slup da ift ein guter

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Menſch, aber- manhmal ein wahnfinniges Vieh. Nun, wenn er nit gehorcht, fo haut ihm nur bie Kette über ben harten Schä- dei; da wird er Euch ſchon in Ruhe Iaffen. Rechts die Stein- banf, wo id Euch anſchließe, ift bie Eurige dahinüber darf der Slup nit fommen. Hörft Du?“

Slup ſaß gefenkten Hauptes auf feinem Steine uud ſtarrte theilnahmlos vor fid) nieder.

„Sei mir gegrüßt, Gefährte in ber vowengtube « fagte Bratislav, während ihn der Wärter anſchloß, „gefeffelter Wolf, Genoffe eines Wolfes! Der Menſch wird ja, wenn er den Men- ſchen nicht gefällt, als ein Raubthier geachtet! Nun, gewöhnt man fi im Kerker doch an eine Spiune, an eine Ratte und lernt fie lieben! Warum fol ih mid) nit aud an einen Men- fen, wenn er glei verrüdt ift, gewöhnen? Wir müſſen hier im Baude der Erde Brüderſchaft ſchließen und Brüder werben; 's iſt ber Ort für dauernde Freundſchaft.“

„Gehabt Euch wohl, Herr,“ ſprach der Schliefer, indem er fi entfernte, „und baut auf Gott, der felbft in biefe Tiefe gnädig biidt und, fo es fein Wille ift, Cuch aus bdiefer Nacht führen kann zum Lichte I"

„Jenſeits, jenſeits !“ verſetzte Vratislav mit einem Seufzer. Hab' Dank für Deinen Troſiſpruch und grüß' mir mod) einmal das Licht wenn Du bie Thüre geſchloſſen. Gute Naht!“

Er warf ſich auf die Bank nieder der Wächter drüdte die Thüre in das Schloß, das Licht verihwand im Nu, und der Ritter faß im der grauenvollen Finfterniß mit dem flummen Genofjen, deffen Gegenwart ſich nur durch feinen Athemzug fund gab, allein.

„Bater, Bater,” fagte Beta auf dem Rückwege zu Barcal, ntennft Du den Ritter? Ich kenn' ihm! Bei der Mutter Gottes! es iſt derjelbe, den Id) im Haufe des Herrn von Zeöwic ſah und für des Fräuleins Bräutigam hielt. Gr lispelte mir

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aud einen Gruß für fie zu. Ach, welch' ein Herzleid wird die erfahren! Ja, die reichen Leute find oft eben fo unglüd« lich wie bie armen, und es muß ihnen boppelt ſchwer werden, im Unglüde von uns beherrfcht zu werben! Das arme Fräu⸗ lein, wie wird fi) die grämen und weinen!“

„Wer Tann das ändern, mein Kind?“ verſetzte der Alte; „wir nicht! Ich bin nur der letzte Finger, dem bie hohen Herren in Bewegung fegen, wenn fie Jemanden ergreifen und feſthaben wollen. Glaub's gern, daß große Betrübniß im Haufe dort fein wird, Mber warum Halten die. vornehmen Herren unter ſich feine Ruhe! Wir geringen Leute find ftill und müffen nur dran, wenn fie fih unter einander verfeindet haben. Mär’ ic) ein Hoher und reicher Mann, ich Iebte mit aller Welt im Frieden. Sie haben Geld und Reihtfum, Müfiggang und Wohlleben und tönnen doch nicht ſtillſitzen! Dann gefchieht ihnen ganz recht, wenn fie unter fo gemeine Hände Yommen, wie zum Beiſpiel bie meinigen find. Wenn nur ein armer, gemeiner Kerl ſtiehlt, ober fi fonft in der Noth vergißt, fo muß er daran, und Niemand Hat mit ihm Mitleid; aber bie vornehmen Herren, bie mit Fleiß und Willen das Unglüd ſuchen und herausfordern, werben bedauert.“

„Und bei dem Slup muß er fiten!” wehllagte die Tochter fort; „wenn ſich der verrüdte Menfd) nur gut gegen ihn beträgt! Id will morgen zeitig früh zu dem Fräulein von Zeöwic gehen und ihr Alles erzählen, wenn ihr auch das Herz darüber brechen follte. Wiffen muß fie es doch.“

Sie erreichten ihre Wohnſtube. Das Mädchen blieb den ganzen Abend beirübt und nachdenkend; fie vergoß fogar ver- Kohlen Thränen, jo ſehr fchmerzte fremdes Leid ihr weiches Herz.

Tief unten, von jedem menſchlichen Tone fern, ſaß Brati- ſlav, Hatte die gefeffelten Arme über einander gefchlagen umd

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ſtarrte düſter hinein in die doppelte Finfterniß, die des Ortes und bie feiner Seele.

nSeid Ihr ein Chriſt?“ begann nad geraumer Zeit Stup mit heiferer, kläglicher Stimme.

„Sin ächt huſſitiſcher und ein Ritter dazu,“ entgegnete Bratislav.

„Ihr müßt mir nicht zürnen und Euch nicht flören laffen,“ fuhr Stup fort, „wenn ich hier meinen Knaben zumeilen einwiege mit einem Lieblein. Der Schließer fagt zwar, es fei nur ein Strohwiſch und fein Kind; aber ich weiß das beffer. Es find wohl ſchon an fünf und zwanzig Jahre, daß ich ben Knaben bier pflege, und er will gar nicht größer werden, will nicht zum Leben reifen. Das macht bie feuchte Kellerluft und der Umſtand, daß er feine Mutterbruft getrunken.“

„ch veife fünf und zwanzig Jahre zum Tobel“ ſprach Bratislav dumpf, „der, will's Gott, nicht mehr fern iſt.“

„Bleibt Ihr lange Bier, Herr Ritter?” fragte Slup weiter.

nie die Seele im Leibe!" war Bratislav's Antwort. „Alter Hausgenoffe, Du wirft mich fhon dulden müfjen! fliegt mein Kopf nicht vom Rumpfe, fo geben? ich ihn Hier unten grau werben zu laſſen. Vieleicht werd’ ich auch wahnfinnig, und wir Beide fiimmen dann in Schidfal und Gemüth überein. Wir wollen einander mandies Mährlein erzählen von dem Leben, von ber Liebe, von der Welt da draußen, Alles nur Träume, bunte Trönme bie, wenn man fie ausgeräumt, recht hahlich werben.“

„IH weiß auch mandes Mährlein,“ fiel der Wahnfinnige ein, „von einem Ritter, der ein Mädchen ſtahl, das ihm erſt ger Hebt und dann gehaßt. Sie flarb aus Schmerz über feine hef - tige Liebe.”

„Gludlicher Unglüclicher!“ feufzte Vratielav. „Du denkſt

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nur an Mährlein in Deinem Elend ; auf deu Bildern ber Wirk Tichteit Yiegt für Dich ein Schleier.“

„Aber wenn der Schleier finkt?“ warf Slup ein.

„Und es erleuchtet Dich ein Blig wie jegt dann biſt Du nad) elender.“

„Was macht die Erde ?“ forfchte der Verrückte weiter; „it fie grün, if fie jung, hat fie feine Runzeln bekommen ?"

„So grün und fo jung und an Leben überquellenb,“ war die Antwort, „daß fie die Jugend, ihre blühenden Sprofien, Te beudig in Gräber fendet. Wenn der Landmann viel geerntet, fo Häuft er den Ueberfluß in dunfeln Speichern auf.“

„Das Grab fol aud ein folder Speicher fein,“ äußerte Slup, „und ih mag doch nicht Hinein. Glaubt Ihr, daß es mir bier beffer gefäht, und ſäß' ich noch vier und zwanzig Jahre? denn ich weiß, daß ich die Erde mieberfehen werde, obgleich ich bis zum Tode hier figen fol. Und fähe ich fie aud nicht wieber, fo weiß ich Bier doch, daß ich Iebe, und ein holdes Weib reicht durch dieſe Mauern, durch diefe ewige Nacht einen blendend weißen Arm herein und ſtreichelt mir bie Schläfe und trodnet meine Augenlieber mit weider Hand.”

„Du bift glüclicher, als id,“ gegemrebete Vratislav; „ih Habe mit dem Entjagen begonnen und au Berluften gezehrt. Ich Habe nichts zu Hoffen als den Tod und darum auch nichts zu fürchten. Das Leben ift ein Gut, das mir nicht mehr gehört, und ic) beneide den gegenwärtigen Beſitzer nicht barum.“

„O Ihr feid noch jung,“ ſprach Slup Haren Geiftes und wie tröftend; „ich Hör es an Eurer Stimme. Sitzt nur erſt ein Jahr Hier, ohne Licht, ohne den tröftenden Ton der Men- ſchenſtimme, ohne Wechſel der Jahreszeiten, und Ihr werdet das Leben lieb gewinnen, weil Euch ſein Zuſtand drückt, und die Hoffnung wird auch kommen und die Sehnſucht ſich gewaltig regen. Wenn nur mein Knabe erſt ſprechen könnte! Wenn

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er nur erwachfen wäre, damit ich ihm erzählen könnte vom Leben und von bem Werth des Lebens! Nicht jeder Troft ift gleich; der eine ſchmerzt mehr als der andere. Ja, wenn wir den Tod ſterben Tönnten, den wir gerade wollen I’

„Seltfames Gemiſch von Sinn und Unſinn;“ fagte Bra- tislav für fi; „er bat doch in ber Zeit feiner Seele Tag und Naht, und ber Wechſel friftet die Dauer, melde er Leben nennt.”

„Wenn erft mein Knabe groß if, dann fende ich ihn Hin- aus. Er wird eim Ritter und kehrt wieder, und zerfpaltet mit feinem Schwerte biefen Thurm, und fein Arm führt mich hinaus in bie Freiheit. Ich trete in die Welt wie ber König Arthus, ‘der lange Zeit im Grabe ſchlief, aber wieber erwachte uub eine ganz andere Zeit fand.”

„O gäb’ es doch einen ſolchen Schlaf,” äußerte Vratislav, „mit Zwiſchenräumen, und der Menſch könnte ſchlummern und erwachen, wie es ihm gefiele !“

„Aus Einem Schlafe erwacht Keiner, das weiß id,“ be merkte Slup; „barum häng' id; am Leben, felbft in diefer Gruft. Nun wimmert der Knabe wieder. Hört Ihr's? Verhaltet Eud ruhig, Herr; fonft flört er ums die ganze Nacht id meine die Zeit, welche ich für die Nacht Halte und zu ſchlummern fuche.

Und er begann mit weinender Stimme das Wiegenlied:

„Ei, ei, ſchlaß, mein Kinblein, ein! Morgen wird Dir wohler fein.

Id lauf Dir einen goldnen Schrein, Drinnen Zuderbrob und Wein.“

„3% Bin ſelbſt fo elend,“ fagte Vratislav für fh, „und habe doch noch Thränen für fremdes Elend! Und doch nur im

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Tode ober im Wahnfinn ift ber Menſch glüdtich; fein Unheil if die Vernunft. Wenn erft ber Irrfinn in meinem Gehirne wüßlt, wird mir beffer fein.“

„Wart Zhr vielleicht auch im Kriege 7“ fragte Sup, nach- dem er fein Liedlein geendet.

„Immer mit mir ſelbſt,“ verſetzte Vratislav, „und auch noch in einem andern. Er Hat mid) felbft geboren und bazu auferzogen.“

„Ich war auch im Kriege,“ erzählte ber Wahnfinnige, „ob- gleih es der Schliefer nicht glauben will; denn id bin der Slup, der wegen eines Mädchens feinen Vater erſchlagen hat und deshalb Hart büßen muß. Und die That ift gar nicht fo ſchrecklich fie vent mich gar nicht. Es iſt mir oft, als hätte ih fie nicht gethan. IH muß doch wohl ein recht verftodter Sünder fein!"

„Der Irrſinn,“ ſprach Vratislav zu ſich ſelbſt, „hat bie Erinnerung in ihm ausgelöſcht und den Stadel ber Reue ab- geftumpft. Darum dauert er. Ich könnte ihn fat beneiden. Aber warum Hab’ ih mad den Blumenkränzen bes Lebens ge- langt, ba ich doch wußte, daß mir nur Dornen beſchieden!

„Wenn ich manchmal fo etwas fage," ſprach Slup im fie henden Zone, „das Euch nicht recht Mar wird, fo verrathet mich nicht, Herr Ritter, wenn Ihr wieder hinauskommt auf die Dberwelt. Ich Habe dort viele und gar mächtige Feinde. Wenn bie müßten, daß ich nod Hier bin fo wäre ich elender, ale jest; fie ſchleppten mid; empor zu noch ſchimpflicherem Lofe. Der Haf in das einzige Umvergänglihe im Meufcen, und es ift nicht glei, an welchem Tode man flirbt. Was meint Ihr?"

„Ja“ verfeßte Vratislav „ein anderer Tod iſt's auf dem Schlachtfelde und ein anderer von Henkershand.“

„Weh !“ ſchrie mit herzzerſchneidender Stimme ber Berrüdte ;

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„wer Hat Euch den Spruch gelehrt? Was wißt Ihr von mir? Kennt Ihr mi? Warum nennt Ihr den Henker?"

„Den Henker?“ wiederholte Vratislav; „weil fein Arm nad) mir langt, wie nach Dir ber blühende des ſchönen Weibes, Hoffnung genannt. Ich habe feine Kunde von Dir, armer Verbrecher, ber da glaubt noch elenber zu werden. Ich habe der Welt wichts mehr zu fagen, als Amen! und vielleicht nod ein Wort. Sonne, Sonne, meinetwegen wirft Du nicht verlöfhen! Beſcheine Glücklichere 1“

„Ja,“ fuhr Slup beruhigter fort, „den Tod auf dem Schlachtfelde konnte ich nicht finden und hab’ ihm doch gefucht! Mein Haß wollte alt werden; darum hielt ich am Leben. Ber- rathet mid nicht, Herr! Ihr feid ein Ritter umd ein Ehren- mann P“

„Ein Ehrenmann,” fpottete bitter Bratisfav, „ben man dem Henfer überliefern wird! Paßt folhe Behaufung und Genoffen« ſchaft zu einem Ehrenmanne 9

„Ei nun,“ nahm der Wahnfinnige wieder das Wort, „es find aud nicht lauter Ehrenmänner anf den Thronen uud in den Brunfpaläften h

„Ein fauberer Troſt,“ unterbrach ihn Vratislav, „für einen Lahmen, der einen andern fieht, welcher zugleid, blind iſt!“

„get fhläft mein Kind jet müffen mir Ieifer ſprechen, ober wir wollen auch ſchlafen. Der Schlaf if bie einzige Wohl- that, die uns Gott gegeben. Ein Genuß und eigentlich doch feiner wir willen nidts davon. Gute Naqht, Herr Ritter"

„Gute Nat!" wiederholte Vratislav bitter, „ein grimmiger Hohn auf ben Tag, der uns nicht wieberkehrt! Ja, gute Naht Dir, Freiheit, Recht, Liebe, Vernunft, Glüd und irdiſche Se- ligkeit 1"

Er lehnte fih an die Wand, fenfte das Haupt und ent⸗ ſchlummerte nad) langem Hinbrüten.

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Durch des Eben don Zedvic Vermittelung unb bei ber Theilnahme, welche der König felbft für den jungen Ritter, ber ihm als bei feiner Lebensrettung durch Sukol mitwirkend ge ſchildert wurde, gelang es, daß Vratislav, noch bevor er den Richtern übergeben werben follte, dem König vorgeftellt wurde.

Georg befand ſich im der alten Burg beim Burggrafen. Mit ihm war fein Sohn Heinrich von Münfterberg und der alte Ritter von Zedvic.

Vratislav wurde aus dem Gefängniffe geholt nnd im einen Saal gebracht, durch welchen ber König bei Beſichtigung des Scloffes geführt wurde. Hier ſollte er ihm wie zufälig auf- floßen. Der Ritter ftand, feiner Feſſeln ledig, aber von drei Schergen umgeben, nahe an der Thüre. Dur die gegenüber- ſtehende trat jett Georg mit feiner Umgebung herein. Er ſchritt bis in die Mitte des Saales, erhob fol; das Haupt und fah Bratislav lange forſchend und prüfend an.

„Wer ift der Mann? fragte er kurz.

„Erlaubt, Hoheit,“ antwortete der von Zeövic, „jener Ver wandte, von dem ich zu Euch ſprach, Vratislav von Branik, den id Eurer königlichen Gnade empfohlen.”

Georg blickte den Ritter abermals eine geraume Weile fett an und fuhr dann in demielben Zone fort: „Der Nämliche, welcher fid mit Cyrillus, Hafenberg und dem Uebrigen gegen uns verſchworen, um uns gewaltfam Artitel abzupreffen oder im Weir gerungsfolle zu entthronen?! Wunderbar hat Gottes Schutz über uns gewaltet und uns in zwei Tagen aus zwei Gefahren errettet! Und irre ih nicht, fo iſt es diefelbe Hand, die uns früher dem Tode hat entreißen tollen, um uns hinterher zu

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ſtürzen. Danf, daß das Erfie, aber nicht das Zweite gelang! Wir ſchulden es ber Treue des hochwürdigen Rofycana, ber ſich in das Vertrauen jener Berräther zu fehen gewußt und es uns fo möglich machte, die Meuterei im Keime zu erfliden. Warum Haft Du Did, Bratislav von Branik, gegen mich und gegen mein Regiment verſchworen ?

„Erlaubt, königlicher Herr,“ ſprach jegt Vratislav frei aufe bfidend und im feften Tome, „daß ich frei ſprechen darf, wie es mid; das Herz lehrt und der fee Sinn. Ich bin dem Tode nahe und kenne alfo Feine Furcht. Mein Vater flarb in Schmach, weil er das Baterlaud und ben Glauben zu fehr liebte. In biefer felben, glühenden Liebe ward ich erzogen und werbe enden wie er. Einen lichten Tag, wie ihn das Vaterland ver- dient nach taufend blutigen Opfern, wie ihn mit uns noch Tau- fende wunſchen und verlangen, konnten wir nicht fehen. Uber das Glüd des Einzelnen kommt nicht in Betracht bei großem, erhabenem Zwecke. Ich glühte und glühe bis zum letzten Athem- zuge für die Reinheit unfers huſſitiſchen Glaubens, für die Be freiung aus Roms Feſſeln, für bie Erhebung und Gelbftfländig- keit meines Baterlandes. Entweder vollen Sieg für baffelbe, oder Zob, fein ſchmachvoll Mitleid, keinen Zuftand, wie er bie Nationalität unfers Bolles auszulöfhen droht aus ber Reihe der Böller, wollen wir.

„Und ba begannt Ihr mit dem König,“ unterbrach ihn Georg fireng, „bieltet ihn fir einen Thoren, ber nicht zu re gieren verſteht und die Krone nur zum Scherze trägt. Und ber König follte es büßen, weil nicht Alles nach Eurem ſchwärme - riſchen Kopfe war; Ihr wolltet für ihn regieren und ihn wie einen Popanz drehen, um dem Bopanz bei Gelegenheit und Lane vieleicht au den Kopf abzuſchlagen. Warum mollteft Du wid erretten, als mir ber Rapuzinermönd das Gift bereitete,

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und warum gleid; daranf mich verderben? Welche Deiner Thaten iſt nun Lüge, welche Wahrheit ?"

„Ich tenne feine Lüge, Herr und König!" war Bratislav’s Antwort; „beide waren Wahrheit. Nicht von ber Hand eines papiftiihen Schwärmers durfte Du fterben, ein rechtgläubiger caligtinifcjer König. Der Meudjelmorb bleibe fern von Dir, und dagegen möcht’ ich ewig Dein Hüter fein; bdemn was ung vom jener Seite des römiſchen Ungethüms droht, wiſſen wir mohl. Kein Huffit wird Dich verderben, Herr; aber jeder wunſcht, es freier zu fein. Wir find Kinder der alten Zeit, die durch ihre Blutſaat Anwartſchaft auf eine beffere fi erworben Bat. Kann ih es, König, ich vette dich noch zehnmal mit Gefahr meines Lebens; denn Dein Leben if uns theuer. Wir aber wollen mur, was ich frei ausgeſprochen babe, und was keiner ber Verbündeten verläugnen wird.”

Ich frage Did) nicht mad) Deinen Genoffen,“ erwiederte König Georg, „denn id; kenne fie und ben Grumd ihres An- ſchlages; es iſt getäuſchter Ehrgeiz. Weil fie dem Throne fern ftehen umb fi zurüdgefegt glauben, weil fie die Umſtände nicht Tennen, die mein Regiment bedingen, weil fie nicht begreifen, daß ic Frieden Halten muß, um das Land zu fräftigen, und weil fie noch nebenbei tolle Ideen im Kopfe haben, fo haffen fie mid; und wollen die Herren fpielen und Alles beffer machen, wie fie es ausgefonnen Haben. Nichts als Eigenliebe Eigendüntel, ſträfliche Sucht nad) Oberhoheit. Wie aber kamſt Du, ein Fremdling noch in diefer Stadt und in biefes Landes Berhäftniffen, fo plöglich ii den Bund der Männer, welche von jener Zeit her, wo ber Taboriten fanatifche Wuth gebrochen wurde zum Seile des Beffern, ihre MWünfhe im Finfern hegen und Aufruhr bezweden ohne Sinn für die Nothwendigleit und die Gegenwart ? Sie wollten aus dem NReligionskrieg einen ewigen Bürgerkrieg maden, und es war fein Abſehen ihres falſcheu

UL,

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Eifers. Glaubten fie doch, die Menfchen würden nur geboren, um anf der Schlachtbank für ihren Bwed geopfert zu werben! Und der Zmwed if im Grunde ein friedlicher. Nein, nein! ih muß Euch nicht nur haffen, ih muß Euch auch verachten. Sprich, Jüngling, wie kamſt Du im biefen Kreis, wiefern Hab’ ih Did, den Fremdling, der nichts bei Hof und Staate geſucht. gekränkt, daf Du mein Feind geworben bift, mir freund ch mohltoilift, wo mir die Pfaffenbrut droht, und dann mich verrätäft an einen Bund, ber den Thron ftürzen will und das Baterland in Zwietracht ſtürzen? &o thun es ja oft bie granfamen Feinde unter den Tartaren. Sie jagen Einem das Schlachtopfer ab mit eigener Gefahr, nur um es felbft ſchlachten zu können. Pfui! Und das haben Böhmen gethan l”

„Herr,“ verſetzte Vratislav, „fordre nicht die Namen; im legten Momente einigte mich ein gleiches Gefühl mit ihnen; ich Tannte fie kaum. Ich habe feinen höhern Gott im Herzen, als das Vaterland, feinen Glauben und feine Freiheit, und dieß Ge- FÜHL Hat mid) ihnen zugewenbet. Sei Di König, denn feinen Wuürdigern gibt es vielleicht in Böhmen; fei aber ein König bes freien Volles, fchüge ben ‚Glauben wie er ifl, reif ums los von fremden Banden, ſprich das Wort: Wir mollen frei fein und groß! und wir find es. Deine Richter haben bie Folter; die kann e8 verfuchen, meinem ſchwachen Gedächtniß die Namen jener Berihworenen wieder einzuprägen. Ih bin auf Alles gefaßt.”

nGottes Donner!" rief Georg; „bei fo viel Beſonnenheit fo viel Irrthum und vorgefaßte Meinung! So wollen wir alfo, ausgefogen durch langiährige äußere und innere Kriege, befehdet von allen Nachbarn ringsum, kämpfend gegen bie Wuth des Bapismus, der ums mehr haft, als bie Diener Mohammed's, einen Krieg beginnen gegen bie ganze Welt, ohne Begeiſterung der Allgemeinheit, ohne Verzweiflung, ohne Nothwendigfeit bes

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Zwanges, bloß weil es einigen feurigen Köpfen fo gefällt, die die Tage der alten Schlachten und Siege nicht vergefien können, und wenn fie diefelben, wie Du, nicht erlebt, fich neue herbei- wünſchen? Unfinn, Unfinn, der das Richtige nicht keunt und ermißt! Durch ‚Ruhe. wird der Menſch erkräftigt, und fo ein ganzes Bolt. Ich brauche Deine Mitverfwornen von Dir nicht zu erfahren; denn ich kenne ihre Habfüchtigen, ſchwärme ·- rischen, felbftfüchtigen Zwede. Nur Du warft mir auffallend, weil id) hörte, daß Du mir wohlgewollt und glei darauf mein Berderben beabfichtigt Haft. Das ift Tollheit der Jugend, und bie Verführung, hat fie hervorgebracht.“

„Es ift der Gedanke meiner Seele, König und Herr 1“ erwieberte Vratislav. „IH liebe erfi den Glauben, dann mein Baterland, dann Did) als König. Darf ich eine Geliebte der andern opfern, ohne ungetreu, ohne ein Berräther zu werden? Du bift groß an Geift und Kraft, o Herr! An Deines großen Volkes Spige bift Du noch größer und mit ihm unüberwindfih, wenn Du Deinem Fewergeifte folgft und nicht der Angft um die Selbfler- Haltung, nicht dem Rath feiger Räthe und Priefter. Sei felbfle ſtändiger, und Du wirft mächtiger fein. Diefe kühnen Worte bie Du leicht höhnen kannſt als Worte eines Jünglings gibt mir der Gedanfe an meinen Tod in den Mund; denn ber Tod madjt jeden, der ihm mit Bewußtſein in das Auge fehen muß, zum Manne, alfo aud ben Knaben und bas Weib. Vielleicht mauchmal niht den Mann; aber dann ift der Mann eine Spottgeburt feines Geſchlechtes.“

„Ein toler Streich,“ warf König Georg ein, ohne des Ritters Aeußerung zu beachten, „bat Dich dahin geführt, daß Du das Leben vermwirkt. Ich Hab’ es Dir geichenkt, weil Du das meine als ebfer “Feind, wie ich nun fehe, Haft erretten wollen. Da kömmſt Du abermals und verwirfft e8 zum zweiten Male wie ein leictgefinnter Sohn, der feinen Antheil am gemeinfamen

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Bermögen des Vaters vergeubet Hat umb nun dieſelbe Summe haben will. Und ber Bater fol fie noch einmal bezahlen zum Nachteil der andern Kinder? Und wenn er fo ſchwach und langmũthig ift, ſollen fi die andern Kinder daran fpiegeln und ein Gleiches zu thun bewogen fühlen? Du haft mid nicht begriffen, wie alle die Deinigen. Soll id mir bie Mühe geben, ich, der ich Millionen beherrfhe nnd für fie forgen muß, einen Einzelnen ober vier, fünf Andre mit ihm mit mühfeliger Anftrengung zu belehren und inzwiſchen des Ganzen zu ver- geffen? Geht, geht! Ihr feid Feine Böhmen, Ihr liebt das Baterland nit! Ihr Haft bie Deutfchen, ohne fie duch die Liebe zur Heimat zu befhämen!” Der König ging nach biefen Borten heftig auf und ab feine Umgebung verhielt ſich ruhig und ſchweigſam.

„Was aud; mein Los fei,“ ſprach Vratislav nad) geraumer Zeit, „Herr und König! ih kann nicht anders fühlen. Fir den» felben Glauben ift mein Vater verblutet, und auf feine eigene Bahn bin ic gefendet worden.“

„Dein Bater flarb in der Schlacht,“ nahm der König wieber das Wort, „als der Krieg noch eine Notwendigkeit war. Nun haben wir aber keinen Krieg; warum ben Krieg alfo nothwendig machen? Friede, Friede, fo laute unfer eldgefchrei; Verſöhnung und rubige Entwicklung des Lebens! Mein Gott, warum muß ich fo viele Feinde haben und noch Freunde erdulden, die meine Feinde werben, weil ih mir nit noch mehrere machen will! Ihr verficht nichts davon, und ich verſchwende meine Worte. Amen! Wer mir offen gefleht, daß er mein Feind bleiben wil, vor dem muß ih mid ſichern. Ein Meiner Gtein, von Knabenhand an den richtigen led geworfen, kann ein Muhlrad im Laufe aufhalten. Befinne Did und Ierne Dein Baterland lieben, indem Du Theil nimmß an feinem gegenwärtigen Zur

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Rande, und firebe daßin, dieſen zu verbeffern nach Deinen Kräften auf ruhige, befonnene, vermittelnde Weiſe. Ruft nicht bie alte Zeit gewaltſam zurüd! Was fol fie uns frommen? Was fol ein Geftorbener, den Ihr wieber erwedt, im neuen Leben? Die neue Zeit nimmt unfre Kräfte in Anſpruch, und Feinde erwachſen ung in großer Zahl ‚aus ihr; warum bie alte Feindſchaft aus ben Gräbern feharren und dem neuen Unheil ein verjährtes, ver - geffenes zugefellen? Ihr ſeid Thoren! Beflert Euch! Ih Habe nicht Zeit, den Schullehrer bei Euch abzugeben; greift nicht in die Räder, wenn Ihr ihren Fortgang micht befördern, fondern fie nur zurüdichieben wollt! Ich verzeihe Dir Dein Leben fei Dir zum zweiten Male geſchenkt für mein einfaches. Aber den offenen Feind, wenn ich ihn aud nicht haſſe und ver- folge, kann ich doch nicht frei Herumgehen laſſen, daß er mir überall begegne und ungeftraft mich bier und dort hemme, flöre, vielleicht gar verderbe, wo ich nad) befter Einſicht das Beſte will und einen Plan erfaffe, den er mir vernichtet, ehe ich ihm zum Wirken gebracht. Du ſollſt eben, denn Dein Tod bringt weder mir, noch Dir, noch dem allgemeinen Frucht; aber die Richter mögen mild und gerecht über Dein Los entfcheiden. Ich kann nit anders!”

„Mein Leben ift erft in Gottes Hand," ſprach Bratislav mit Ergebung, dann in der Deinigen. Jetzt biſt Du mir der Nächfte und alfo dem fterblichen Theile der Mächtigfte, Dur kaunſt verfügen dar über wie Gott über uns Alle verfügt; ich aber kann nicht anders fühlen und denlen. Habe Dank, mein König, für dies bereitwillige Gehör, das Du mir geliehen, für bie Worte, ble Du an einen Geringeren gerichtet im guter Abſicht, wie e8 Did) deucht. Laß mid) wieder in meinen Kerker führen. Mein Los ift gleichgültig; es frommt, es ſchadet der guten Sache nicht. Nur zwei Arme find’e, die von vielen Tauſenden abgehen; die kommen nicht in Anſchlag. Das Boll der Böhmen iſt ein gekreuzigter Heiland ;

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gIhr aber mwälzt dreifache Steine auf fein Grab, um feine Auf erſtehung zu verhindern.“

„Sunger Maun,* ſprach König Georg mit gütigem Tone, näherte fi dem Ritter und fegte die Hand auf feine Schulter, „Dein Herz ſcheint gut, Dein Kopf tüchtig; Du bift zu etwas berufen, wenn and gerade nicht zum GEmpörer. "Deine Richtung iſt falſch; lerne "Di umd die Umflände genauer kennen, und Du wirft unfern Weg gehen, ben Weg bes Friedens und ber Ber- mittelung. Nur mit der Zeit reift am Weinſtok bie Traube, und ein Boll,‘ das durch jahrelange Kriege erfchüttert und ges ſchwãcht worden if, bedarf der Erholung, um neue Kräfte zu fammeln und fi fortzubilden und fortzufchreiten. Wer oben ſteht, Yan einen weiten Kreis üherbliden, nit fo, wer im Thale wandelt. Dies merke fih bie Jugend! Dir zürne ich nicht, wohl aber Jenen, die durch ter, Grfahrung und Kenntnif bes fonnener fein ſollten. Regieren iſt Teicht, wenn man den Zufall walten fäßt; aber Bilden, umgeftalten, ändern und beſſern, fo daß die Mehrzahl zufrieden geftellt wird, iſt ſchwer. Warum gönnt ihr dem armen Landmanne, der fo lange Zeit geſchmachtet umb gebfutet hat, nicht feine paar freien Athemzüge, zw denen er nun Muße gewinnt? Laff’ ich die Flamme der Zwietracht ruhen, fo verlöfcht fie von ſelbſt. Ihr wollt die Kohlen ausgießen und meint fo, fie wärben dann nicht wieder weiter brennen. Nur eines Funfens und eines Winbftoßes bedarf es, und bie Flamme ſchlägt wieder empor, Bildet Euch ein, zu feiner Partei zu ger hören, umd die Parteien werben verfhmelzen in allen dem, was gut und: vernünftig und heilſam an ihnen if. Ich lobe mir. meine Bürger; fie ehren ihren Gott auf beiderlei Weife, widmen FG mit Fleiß ihren Handwerken und vergeuden die Zeit nicht mit unnüten, religiöfen Wortgefechten. Die Ritter und Bauern, welde Landbau treiben, find auch anf meiner Geite, weil ich ihnen Ruhe gönne, weil fie erwerben und genießen Tönen, weil

Herloßfohn: Der legte Taborit. IL. 4

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in allen Zweigen des Regiments, in ber Verwalterei und ben Gerihtshöfen allmäfig Verbefferungen eingeführt werben. Rur ein Thor will, daß ber Kirſchkern fon am erſten Tage zum Baume werde und Kirfhen trage. Warum wedt ihr meine Feinde im Lande, da id) ihrer genug amfer dem Sande habe?

„Wir mollen,“ warf Vratislav befceiden ein, „daß ber Böhme fi erhebe mit voriger Kraft und die äufieren Feinde züchtige und temüthige, wie es fonft gemefen.“

„Ueberlaßt das mir, Ihr guten Leutel“ fuhr Georg fort; mid) werde mit Denen fchon auch fertig werben. Es grämet mi) nur, daß fid gegen einen guten unb beforgten Hausvater, ber ſchwierige Geſchäfte und Pladereien aufer dem Haufe Bat, im Haufe felbft die Kinder und nächſten Anverwandten anflehnen und ihm dag Leben erſchweren, ftatt fein Handeln zu erleichtern. Meine Herren,“ wandte er fich zu feiner Umgebung, „es ift ein eben fo ehrenvolles als undankbares Geſchäft, König zw feint Glaubt mir’s, der e8 erfahren hat. Dem allgemeinen Neide bloß- geſtellt ift der König, und darum wird feine redlichſte That doch immer von ingend Einem getabelt, wohl gar geſchmäht. Allge - meiner Anerfennung erfreut fi mur ber Künfler und ber Soldat, Doch fehlt's auch da am Neide nicht. Nehmt doc das Leben, wie ber Töpfer ein Stüd Thon nimmt, und formt etwas Bernünftiges, Nügliches daraus; aber Mopft nicht an dem ſchon vorhandenen herum, zerbrecht es nicht, zerbrödelt es nicht, pfufcht daran. Es wird doch fein Ganzes! Dich, Opfer der Ber- führung, bedaure ih! Strafe muß es für den Hochverrath geben; fonft wollt’ ich lieber Nachtwächter fein ober ein Bettler und bie Krone als Schubfad benugen und Almofen brin fammeln, wenn der Erſte, Beſte ungeftraft mich im meinem Negimente fören Könnte. Ic liebe die Welt und die Menſchen. If es denn fo ſchwer, wieberzulieben, wenn man geliebt wird? Da eben,“ unterbrach er ſich, gegen.fein Gefolge gewendet, „meldet

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man mir, baf der Garbinal-Legat in Peft meinen Schwiegerſohn Matthias endlich doch gegen mich aufgehegt hat, und daß biefer, um nur Ruhe von den Duälereien ber Curie zu haben, gegen mid; aufbredden wird. Aeneas Sylvius befteht einmal auf der Aufhebung der Eompactaten, und ih muß auf dem Gegentheil beſtehen; denm bies erfordert bes Landes, der Religion und meine Wohlfahrt und Sicherheit. Vorwand follen bem Matthias die Näubereien ber böhmiſchen und mährifhen Ritter, die fie frech und unverfhämt in Ungarn begehen, geben; aber die Curie Redt doch dahinter, und es foll ein Kreuzzug werden. Im bes Matthias Hände hat ber Papſt, wie er fi ausbrüdt, das Heil der katholiſchen Kirche gelegt. Das ſchmeichelt dem jungen Hitz - Topf; er will gern und ſcheut ſich doch wieder. Auch gelüftet es ihn nad) Abenteuern, umd fo bindet er mit feinem Schwieger- vater an. Nun, weil e8 denn einmal fo fein muß, fo werden wir e8 ruhig abwarten und mit Gottes Hilfe auch zu Stande bringen. Der Böhme alfo, ber juft ben Krieg will, Tann jegt Arbeit befommen; aber er flöre mir nit muthwillig unfern eigenen Frieden und richte das Schwert gegen ben Feind bes Landes und nicht gegen den Landsmann. Zeigt den Katholiken, daß Ihr, wie Eure Lehre beffer feid, als er, und er wird aufs hören, Euch zu haſſen, wird Euch fogar lieben. So wird nad und nad) das Rauhe, was an beiden Religionsformen ift, ver- ſchwinden, und man wird nicht mehr fragen, wenn man einen Mann fieht: Genieheft Du das Abendmahl unter einer oder unter zwei Geftalten? das Heißt bift Du mein freund oder mein Feind? Mehr als die Compactaten kann ich nicht geben, ohne ganz Europa gegen mich zu bewaffnen; denn eben, weil wir im Rechte find, Haben wir ſtille Anhänger und Vertheidiger, und nur mühfelig läßt fi Einer oder Andere zum Angriff auf- hetzen. Das Recht aber würde in ihren Augen ſchwinden, fobald ich mic mit Neuerungen befafje und von ber Eurie gänzlich los- *

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reife und fo die Nation aus ber chriſtlichen Gemeinſchaft treten Ioffe; denn der römiſche Thron fühlt es wohl, daß ihn das Huffitentium einen gewaltigen Stoß anf lange Zeit hinaus ver- fett Hat. Laſſen wir die Frucht im Stillen fortkeimen, und vach einiger Zeit wird fie aud auf anderem Boden gebeihen und bie Sonne ver Religionsfreiheit und Aufktärung Höfer am Himmel einen. Leb' wohl, Bratislav von Bramifi Mögeft Du milde Richter finden! Mein Herz Iönnte Did frei fpreden; aber Pfliht umd Klugheit verbieten es. Ich hätte gewünſcht, Dich nur mit Deinen guten Eigenfhaften und ohne Beimiſchung der ſchlimmen tennen zu lernen; Du Haft es nicht gewollt, Du bift entlaffen.“

Er ſchritt nach diefen Worten in ftolger, ruhiger Haltung an bem Gefangenen vorüber zur Thüre hinaus.

Man legte Bratisfan feine Feſſeln wieder an und führte ihm wieder im fein Gefängniß zurüd.

Am folgenden Morgen follte er vor ben Gerichtshof gebracht werden.

Niflas lebte mit feinem Findling ruhig und nicht ohne Gefahr für fein Herz inzwiſchen auf feinem Schloffe. Kaum daß er die Reifigen ausgefchict Hatte, erſchien Madlena ſelbſt meinend und wehllagend vor der Zugbrüde und rief nad; ihren Kinde. Sie wurde eingelaffen ihre Tochter ftürgte ihr em- gegen umd fie lagen ſich fange ſprachlos in ben Armen.

Komm, komm,“ fagte endlih Madlena, „und flieh mit mir! Wer weiß, welche Gefahr uns Bier droht!“

„Nein, Mutter, nein!" gegenrebete die Tochter; „wir bleiben hier bei dem Nitter. Ich fagte es Dir ja, daß ich ihn noch heute fehen würde, und er kam aud und hat mid von dem böfen Bartad befreit, ber mid; entführen nud zu einem andern, ganz gewiß böfen Manne bringen wollte. Unfer Ritter aber iR ſchön umd edel und fanft wie eine Taube.“

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Nitlas trat Hinzu und fagte: „Meidet nit mein Schloß; ich bie? Cuch Schutz und Unterhalt. Niemand foll End ftörem ober Gefahr bringen, ſelbſt ich will Euch nicht beläftigen, fofern Ihr meinen Umgang zu meiden oder zu fürchten Luft oder Gründe Habt. Ihr follt geachtet werden wie rauen meines Standes; meine Diener find auch Eure Diener. Ich will e8 abwarten, ob Ihr's gerathen finden werdet, über Ener Schidjal und Eure Herkunft und die ſonderbare Genoſſenſchaft, aus welcher Ihr Euch befreit, fpäter Auskunft "zu geben. Im Ener Geheimniß werde ich mich nicht drängen. Auf kurze Zeit nehme ich Abſchied; ich fahre gen Prag, um bald wieberzulommen und dann felbft für meine Schugempfohlenen Sorge zu tragen. Indeſſen bleibt Ihr hier. der Sorgfalt meines Bogtes überlaffen.“

Er brad am folgenden Morgen, vom zwei Knechten be- gleitet, gegen Prag auf.

Die Richter ſprachen über Vratislav das Urteil. Er wurde zu Iebenslänglicer Gefängnißftrafe in Ketten veruriheilt. Ein ca lirtiniſcher Prieſter reichte ihm im der WVurglapelle zum legten Male das Abendmahl. Auf die Frage der Richter, ob er feinen legten Willen befannt machen wolle oder Aufträge an bie Welt Habe, antwortete er: „Grüßt mir das Leben vom einem Todten! König Georg, wie graufam if Deine Mittel Wo der Tod eine Wohlthat wäre, da entzieht Du fiel“

Er wurde in fein Gefängniß gebracht.

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„Wie iſt es geworden? fragte Barcal der Gefangenwärter, als er den Ritter in Empfang nahm und wieder in das feuchte Gewölbe bradite.

„Gut ſehr gut!“ war Vralislav's Antwort; „wir werden

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gute Freunde, lieber Alter; denn wir fernen ums jegt fenuen. Wir bleiben bei einander. Der Slup Bier Kat einen Genoffen bis am feinen fanften Tod erhalten. Guter Barcal, fen? mir jetzt Deine Jahre; ich geb’ Dir meine Ingend dafür. Schänd- liches Schidfol! Dem einzigen, lebten, lleinen Wunſch nad) dem Tode mir nicht zu gewähren! Das if mehr als granfam 1”

„Es iR betrübt!“ ſprach Barcal; „aber vertrant auf Gott unb die Guade des Könige.“

„Beide fönnen nicht gnädiger fein, als fie e8 eben geweſen !“ warf Bratislav ein; „biefer ſchenkt mir das Leben, und jener erhält es mir zu diefem Zwecke. Hab’ Dank für Deinen Troft, aber laß mich allein!“

Der Wächter ging. Bratislav warf fi auf die Bank, legte feine Retten in ben Schoß und ſchwieg. Es war eine dumpſe, ſchreclliche Stille.

Endlich unterbrach fie ber wahnfinnige Slup, der ben Worten, welche zwifchen Barcal und Bratislav gewechfelt wurden, aufmerffam gelaufcht Hatte und eben jetzt einen lichten Moment haben mochte. „Ihr feib verurtheilt, Ritter?“ fragte er leiſe und gutmäthig; „Ihr folt ewig Hier figen wie der Sup?"

„So iſra!“ ‚antwortete Vratislav kalt, aber nicht fireng, ba ihn des Verrüdten Theilnahme rührte.

„Was Habt Ihr begangen, armer Genoffe?“ fuhr Slup fort.

„Ich habe für den wahren, taboritifhen Glauben, für welchen mein Vater geblutet, mein Oheim gelämpft, aud kämpfen wollen. Er follte von num am ſiegen mub Heref—hen im ande; fo wollte e8 unfer Bund. Gie nannten es eine Verſchwörung id ollein wurbe ergriffen. Weil ih dem König früher ger bient, wollte er recht gnädig fein und ſchenkte mir das Leben, und bod bat ih um den Tod."

„Leben bfeibt Leben, und bie Liebe zu ihm findet ſich wieder,”

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ſprach Slup ernft; „aber mit dem Tode if alles zu Ende, in ihm gibt c8 feine Ausfiht, feine Hoffnung als eine ungewiffe, jenfeitige. Ihr feid aus dem Geſchlecht derer von Branit, Nitter? Sie waren, irre id nit, mit dem von Cetic verwandt.”

„Weißt Du etwas von den Techticen ?“ fragte Vratislav gefpannt.

„Rein, mein!“ widerſprach ber Wahnfinnige ; „ich bin ja der arme Slup, ber von alle dem nichts weiß, nichts wiſſen darf. O verrathet mich nicht, Herr! Ich würde dann nur noch elender.“

„Armer Thor!” entgegnete Bratislan; „ih Dich verrathen ? An diefe Wände Hier vielleicht, die flumm und taub find! Haft Du es nicht gehört, daß ich für ewig verdammt bin, Hier in der Ziefe zu figen, von feinem Auge gefehen, von einem Ohre gehört? Ich Habe der Welt nichts mehr zu entbeden.“

„Sprit nod) ein Dritter Hier?" fuhr Siup plöglih auf; hört Ihr e8 murmeln? .C8 Ming fo Hohl.“

„Ein Gewitter iſt's“ belehrte Vratislav, „das fi über Prag gelagert und auslämpft. Es ift der einzige Tom, der zu uns in den Bauch der Erde dringt, dieſe Donnerſtimme.“

„3a ein Gewitter!“ beſchied fi der Wahnfinnige; „ic Hab’ es öfter gehört, feit ich Hier fige; aber den Blitz kann ich nie fehen. Die Mauern find zu did. Oft ift auch mein Knabe Hier darüber erwacht und wollte nicht wieder einfchlafen. Ihr fpradjt von denen von Cechtic. Ja id glaube, ic) Habe fie gekannt. Starke, wilde Männer, aber ehrenwerth! Ihr Un- glüd war groß. Der Eine wurde Bingerichtet in Prag, ber Andere floh mit bes Bruders Sohne. Was mag aus ihm ge- worben fein? Habe nichts mehr gehört; denn feit jener Zeit fie ih ſchon hier. Doch fehweigen wir davon; es könnte Jemand laufen. Was fol uns auch die Vergangenheit! Heil wie ber Donner brüfft I“

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„Wenn dies Dein gauzes Geheimniß if,“ entgegnete Vra- tiolav mit BVitterfeit, „dann faun ich Dir mehr fagen, um Did) meines Schweigens zu vergemiffern. Hier bringt es mir feine Gefahr; Schmach und Glanz reihen nicht herab in dieſe Gruft. Wie der Name längft begraben it, fo if es jet auch der Leib: ber Legte des Stammes. Höre, Wahnmwigiger, und ſtaune, wen es Dein Geift fallen Tann! Ein Zroft für mih id habe doch einen halben Menſchen jet, der meinen Erzeuger gelannt, Zener Ritter Boleslav von Techtie, der vom Henfershand farb, mar mein Bater. Mit meinem Oheim. entfioh ih; er zog mid) geoß im der Einfamfeit, fandte mi in bie Welt, um unfre Schmach zu räden, unfern Namen zu reinen von ber Schande, und jegt bin ich Bier.“

Stumm, aber zitternd, daß bie Feſſeln an einander klirrten, hatte der Wahnwitzige gelauſcht; jet brach er im herzzerſchnei - dendes Geſchrei aus, indem er heulte: „Vater unſer, der Du biſt im Himmel, Erbarmer, nimm die Eine Wahnſinnsnacht von mir und errette mich von der Andern! Gib mir Licht Licht! Ber bift Du, Fremdling? Ein Eeötick; willſt Du fein, ein Sohn des Boleslan? Du lügft! Du bift gelommen, mid aus- zuforſchen; man bat Dich abgefandt, mich zu verrathen, elend zu machen I"

Chor, Thor!" ſchalt Vratislav; „mein Name bringt mir mehr Schmad und Gefahr, als Dir all Dein wahnwitziges Ge- heimmißt Ich Habe Heut’ zum letzten Male das Abendmahl ge- nommen und lüge nicht. Auch gereiht der Name nicht zur Ehre, daß ich mic Tügnerifh mit ihm ſchmücken follte.“

„Beim barmherzigen Gott! ift es wirflih for Du biſt Bratislav, der in ber Schlacht von Hrib geboren worden, ber mit dem Oheim Zdenko floh und jetzt jegt? Du bift mein Son, mein Sohn, id bin Dein Vater"

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Er fprang anf, ſchlang die gefeffeten Arme mit Rieſenkraft um bem Ritter und umklammerte ihn weinend, ſchluchzend, wim- mernd.

Bratislav fehlenderte ihn wild von fi und rief: „Wahn« wigiger Thor! fol ih Dich morden? IH Dein Sohn, wie jener Strohwiſch dort, ich der Sohn des Slup, des Bater- moͤrders ?" J

„3a, ich bin es bemnod!“ heulte ber Alte. „Hört De den Donner? Er gibt mir Zeugenſchaft; Gott felbft ſpricht mit feiner ehernen Zunge. Nicht id, der Cechtie, wurde gerichtet; es war Slup's Leiche, der im Gefängniß geflorben war, welche fie in meinen Kleidern an den Galgen Bingen. Es wird licht in mir; wie Schuppen fällt e8 von meinem Auge. Ich bin Dein Bater, id) bin Boleslav von Eedtic.“

„Beim Beifigen Gott!” ſchrie Vratislav entjegt, „das klingt nit mehr nad Wahnfinn !” -

„Die lange, düſtre Nacht iſt von mir gewichen,“ fuhr ber Alte fort; ‚ic fehe hei, ich denke Hei. Ich bin Dein Water, fo wahr e8 einen Gott gibt und eine Fiuſterniß, in ber wir jchmachten, und ein Leben! Id bin Dein Water! Haft Du das braune Mahl noch in Geftalt eines Halbmondes auf dem rechten Arme, dann bift Du mein Sohn. O es war nur der Zwang, daß ih für einen Andern gelten follte, der mich wahnfinnig ger macht! Höre mic, höre mich! Ich flehe Hier zu Deinen Knien; fag’ mir, biſt Du wirklich mein -Sohn, Bratislan von Techtie d

„Ich bin es!" rief Vratislav; „Du kennſt das Mahl jeder Zweifel ſchwindet. Kein Wahnfinniger erfindet fo. Es if wirklich! Bater und Sohn fehen fi im Ketten wieder, in der duſtern Muft des ewigen Gefängnifies! O ſchredlich, ſchred lich!“ Er brad in lautes Weinen aus.

Der Alte warf ſich über ihm, bededte fein Antlig und feine Hände mit brenuenden Küffen und wimmerte in Schmerz und

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Bonne immer nur: Mein Kind, mein wiedergefundenes, mit mir lebendig begrabenes Kind! Himmel, fprid noch einmal mit Deiner Stimme, thu' den Ausſpruch! If es mein Sohn?“

Er Bielt inne. Ein fürdterlicher Schlag erfolgte, daß die Grundfeſten des Thurmes bebten, und er ſelbſt ſchwankte amd zitterte.

„Du börft es!“ fuhr der Alte fort; „dem Himmel mußt Du glauben. Ic; habe Dich wieder, ich fühle meines Sohnes Glieder in meinen Armen und bier in der Nacht. Alfo Hab’ ich nicht vergebens gelebt und geduldet; das war bie Hoffnung, die zu mir berabftieg in die wirkliche und bie Geiſtesnacht! Darum Hammerte ih mid an das Dafein wie ein Schiffbrädiger. Ich Habe meinen Sohn wieder! Namenlofe Geligteit des Vater - Herzens! Herz mein Herz, brich mit! Du fhlägft ihm entgegen; es ift der Finger der Natur, ber ſich regt in meiner Bruſt. Und bier unten feiern Bater und Sohn ihr Wiederichen, mit Schmad beladen, wie wilde Beſtien gefettet und verſchloſſen und bennod felig in der Wonne bes Wiederfindens. Kannſt Du es mir verzeihen, Sohn ber milden Bojena, die längft oben im Lichte wandelt, daß id) Deinen Namen mit Schmach bebedi, daß ich Dir Deine Rechie gefohlen, daß ich Dich hilſlos im Leben zurückgelaſſen babe? Sieh, Dein Vater umklammert weinend Deine Knie, Vergebung flehend. Gütiges und grau— ſames Schidjal fo Haft Du ums zu einander geführt, haft uns im gemeinfamen Elend einen Lichtſtrahl gefendet, der uns den kurzen Raum bis zum Grabe verſchönt! Allerbarmer, habe Dont! O das Leben ift doch ein erhabenes Gut! Hielt ih nicht baran mit aller Kraft meiner Seele, fo errang ich bie größte Seligfeit nit, mein Kind, mein verlornes Kind wiederzujehen, ich der todtgeglaubte Water I"

Water, mein Bater,“ weinte Bratislav, „Du bift es, ja Du lebſt, und ich Halte Dich in meinen Armen! Mein podendes

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Herz, meine aufjaudhzende Seele fagt es mir, daß Du es bift, daß Dir ein Anderer bift als jener Wahnfinnige, ber mir er- fienen, daß Du biefe Hülle abgeftreift und den Irrſinn fanger Jahre. Laß mid) Dein Antlig befühlen, laß aus Deinen ge furchten Zügen mid die meinigen Herausfinden, laß mich Deine Blößen küffen und die erflarrten Glieder anhauden, damit fie erwarmen unter bem Athemzuge Deines Kindes! O es if eine unendliche Seligkeit des Himmels, einen Vater zu haben, einen Bater zu finden, deſſen Leben ein Theil des unfrigen if, in deſſen Bruft der Wieberhall unferer Stimme erklingt! O mein Bater wir find nicht fo ganz elend, und ein Erbarmer waltet über uns, ber uns biefen Augenblick bereitet hatl Ober ift es vielleicht nur ein Traum bin id ſchon todt, ober find meine Sinne verworren, baf ich mit etwas ſchwelge, was ich nicht befige?”

„Nein, mein Sohn!“ umterbrad ihn der Vater, „es ift Wirllichkeit. Der Herr Hat ein Wunder gewirkt, um uns nad) langen Ouafen zu belohnen. Er bat den Wahnfinn von mir genommen, ale Du meinen Namen nannteft; er hat Dich dem Tode entriffen, um durch Dein Leben mein finfendes zum ervetten. Noch gehören wir dem Leben an; nur der Tod endigt Alles.“

nBater, Vater!“ jubelte Vratislav; „süßer Name, benn id fonft träumerifh den Lüften nannte und ben Bäumen, er wider Hingt jegt aus einer Iebendigen Bruſt. O beliger, zürnender Himmel oben, der ein Feſt begeht zu umferer Wiedervereinigung mit Donnern und Blien, fende einen Feuerſtrahl in dieſe Nacht und laß mic des Vaters Antlig fehen, damit ich vergehe in Bonne !*

Und ein frahender Schlag erfolgte, und ein Blig glitt am Thurme praſſelnd herab und fuhr durch das Luftloch am Ger Fängniffe und erhellte den finftern Raum mit Tageslicht, und noch einmal fürzten fi Bater und Sohn in die Arme.

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n&ber wie werben wir enden,“ frug nach einer lautloſen Pauſe Vratislav, „hier für ewig begraben in der Nacht Vater umd Sohn? Muften wir uns darum wieberfehen, um, von allen Menſchen ausgeſtoßen, im gräulien Raume unfer Dafein zu befjließen? Können wir dieſes Dauern ein Leben nennen? D unfer Elend ift noch grenzenlos und unabfehbar I"

„Du mußt fliehen, mein Sohn!" rief haſtig Boleslav; „Du mußt frei werben! Es wird,’ es muß gelingen. Im dem lichten Augenblicken, welde in meine Geiſtesnacht fielen, fann ich oft über die Mittel zur Flucht mad) und glaube fie gefunden zu Haben. Ich Hatte feinen Anhaltepunft in der Welt und fegte darum meinen Plan nit in's Werl, Jetzt if es andere jet Hab’ ih ben Sohn. Du flehft und trittft wieer in bie Welt. Deinem Arme wird e8 gelingen, meine Ketten zu fprengen und mid dem Leben wiederzugeben von Schmach gereint und fonder Gefahr.”

„Du willft nicht mit, mein Vater, wenn es gelingt?” fragte Bratislav; „ich fol Di; wieder miffen, Dich hier allein laſſen ? Nein, nein! Lieber mit Dir bier elend begraben, als ohne Dich ' draußen in der Welt im Glanze leben I”

„Gehorche mir, mein Sohn,“ belehrte Boleslav; „nur Einer kann entlommen, und der mußt Du fein. Meine Zeit ift noch nicht gelommen. Was foll ih ſchon jett draußen im Leben, wo mein Pla noch nicht Teer if, wo die Mitlebenden auf mein Erſcheinen nicht vorbereitet find? Der König gebe mir meine Ehre wieder, die fein Vorgänger mir genommen, und ich erſcheine wieber vor ben Lebendigen. Doc davon fpäter! Erft erzäßle mir aber von der Melt und vom eben, von Deinen Thaten und Entwürfen, von bem Oheim und Pater Eyrillus unb ben Freunden, die mid; beweinen.“

Bratislav gab ihm Beſcheid von feinem Eintritte in bie Welt an bis zu feinem Erſcheinen Bier im Gefänguiſſe.

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„Alſo Du kennſt den Neuhaus!” ſprach ernft ber Vater, „und er ift befonnen geworben und gedachte meiner mit Zittern ? Wir flonden uns ſcharf im Leben gegenüber. Er kounte mich von dem Todesurtheile erretten und hätte es auch gethan, Iebte feine Schwefter noch. Aber weil er fie als Leiche anf dem Schlacht- felde fand und fo das verwandſchaftliche Band zwiſchen uns zer- riffen war, opferte er mich feiner Rache und der Schmach. Ich Hab’ es ihm verziehen; denn er hat Dich ja mir erhalten, bat mir ben feligften Moment des Lebens zu meinem Abend aufgefpart. Höre mich, mein Sohn! Anch ic bin nicht ganz frei von Schuld. Ich, ein armer Ritter, der mur fein ehrlich Wappenſchild befaß und fein Schwert,. erhob meine Augen zu des Neuhaufers Schwefter, die hoch fand an Rang, Schönheit und Reichthum. Ich ſchwur's in meiner glühenden Leidenſchaft, daß ich fie befigen müſſe. Ih warb um fie; denn aud fie ſchien mir mild gefinnt und war es aud. Der Bruder verwei- gerte mir mit Hohn ihre Hand und deutete mit Spott anf mei- nen geringern Adel und meine Armuth bin. Dies entflammte mid; zur Wuth, und id; beſchloß, Alles aufzubieten, um fie ent- weber freiwillig ober gezwungen zu befigen. Den Hohn des Bruders vergalt ich mit bitterem Hohn. Ich flürzte mich in das Schlachtgetümmel, eroberte Schäte, Häufte das Gold zufam- men, baß id Einer ber Reichſten genannt wurde, und hielt noch ein Mol an um Bojena's Hand, reichte den Arm zur Verföhnung nnd deutete auf meinen Reichthum Hin. ber vergebens! Er nannte mich einen Schlächter, wegen meines Eifers gegen bie Bapiften und Pfaffen in den Schlachten, und einen Kirchenräuber. Bojena aber, fo ließ er mich beſcheiden, fei die Braut des Herrn von Rieſenberg. Dies nun entflammte meinen grenzenlofen Zorn. Bojena, damals noch dem katholiſchen Glauben zuge- than, hielt fi in einem NM ofter auf. Ich überfiel es mit einem Haufen, ſchlug die Befagung nieder und ranbte meine Geliebte.

Hinter ihr flammte das Gotteshaus im Feuer auf, und fie hörte noch das Wehgeſchrei einiger Nonnen, bie von unſern Kriege- knechten ermordet wurden. Auf freiem Felde jegnete uns ber Priefter zum Ehebunde ein; nod von Blut triefend und vom Qualm geſchwãrzt reichte ich ihr die Hand, melde fie zurüdftieß. Die Liebe war in ihrem Herzen erlofhen. Sie hatte mi erfannt. Sie war mild und fanft id) wild und rauh, ber Krieg mein Leben und bie Vernichtung meine Leidenfchaft; fo tam es, daß fid) ihr Herz von mir wandte. Ich, gefränkt, gereizt, getäufht, zwang fie zur Liebe. Das mar nidt recht von mir, und ich hatte die Eine That ſchwer gebüßt; doch will mein Gewiſſen noch immer nicht ruhig fein. Sie duldete wie eine Heilige. Im der Schlacht bei Böhmiſch -Brod gebar fie Did. Sie wußte, daß ich ihrem Bruder und beftimmten Bräu- tigam wuthentbrannt entgegenfiehe, daß Ciner von uns fallen maſſe, vieleicht Ale. Dies brad ihr das Herz. Gie farb. Dort muß ihr Grab fein, nicht fern von ber alten Fichte, wo die. Gebeine ber beiden Prokope ſchlummern. Das Uebrige weißt Du. Dies alfo der Grund zum Haffe und zur Blut rache in ben Häufern von Neuhaus und Techtic. Die Zeit hat einen Wal zwiſchen fonft umd jett gezogen. Ich haſſe nicht mehr. Wohl mag Zdenko noch düfter brüten; denn er war fliller und verſchloſſener, als ih er zehrte am der Leidenfchaft wie ein Bettler an dürrer Brotrinde; er konnte fie nicht austoben. Fünf und zwanzig Jahre der Cinfamfeit haben mic; mürbe ge- madt. Noch für Eins aber glühe ih. Es iſt diefelbe erhabene Sache, für die ih bei Hib gefodhten und gebfutet: bie Freißeit unfers Glaubens, bie Gelbfiftändigfeit unſers Baterlandes. Für fie bewaffne Dich, ziehe Hinaus und rüfe Di zum Kampfe, Noch Eins wunſche ih: daß der König meinen Namen reinige von der Schmach, baf er meinen Kerker öffne und wieder gut made, was die Willkühr eines feiner Worgänger und bie Muth

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der Feinde an mir verbrochen. Auch darnach firebe, mein Sohn! Wie Du mir ein neues Leben wiedergegeben, fo gib mir auch die neue Ehre wieder.“

„Ich will es, mein Vater!“ betheuerte Vratislav; „bei

diefen Ketten, welche wir mit unfern Schmerzens- und Freuden · thränen benegen, ſchwöre ih Dir's! Aber fliche mit mir, wenn es. möglich if, verbirg Dich in irgend einen Winkel der Welt und harre, bis Dein Sohn mit froher Botſchaft zurüdgelehrt ift, bie er Dein Wappen gereinet hat von jenem ſchmachvollen Blut» fleden.“ . „Und wenn es auch möglich wäre, mein Sohn,” verſetzte Boleslav, „ih fliehe nicht. Meine Stunde if noch nicht ge lommen. Was der Erſte des Reiches an mir begangen, foll der Erſte des Reiches wieder gutmachen. Nur er kann die Schmach wieder vertilgen, welche eine gleich erhabene Hand auf mich ge- häuft hat. So fei es! Morgen fohreiten wir an’s Werk zu Deiner Befreiung.“

„Aber, mein Vater,“ fragte Vratislav, „gib mir Kunde, wie es lam, daß Du damals aus Henlershänden befreit wurdeſt, daß die Leiche eines Andern ftatt Deiner an ben Schandpfahl gehangen wurde.“ .

„Wie jegt Du bei mir,“ erzählte Boleslav, „fo ſaß ein Berbrecher Namens Slup bier, einer dom niedern Nitterftamme, ein Menſch, ber wegen ber Liebe zu einer Dirne wahnwitzig ge- worden und feinen Vater erfchlagen Hatte, fonft ein milder Menſch in Augenbliden, wenn ihn der Wahnfinn verließ. Es war furz vor ber Zeit, wo id im Gemeinfhaft mit den Männern id) kann fagen mit den Helden von Zion" unter Henfershänden enden follte. Der Wärter des Gefängniffes erfannte in mir dem Sohn feines früheren Herrn. Mein unausipredlices Elend, bie "gewaltige Schmach, das ſchimpfliche Ende, welches meiner harrte, rührten ihn. Wir, entwwarfen Hunderte von Plänen zur Flucht;

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aber jedem ftellten fi Hinderniffe in ben Weg. Mich machte die Tobesangft, nit die vor dem Tode, wohl aber bie vor ſchimpflicher Erniebrigung befinnungslos. Ich wollte ſchon ver- zweifeln und mir den Tod geben, mit meinen eigenen Ketten mic, erwürgen; ba Half Gott, als feine menjchlidje Nettung zu Hoffen war. Drei Tage vor dem zur Hinrichtung beftimmten tehrte Slup's Wahnfinn wieder; er tobte und rafte fürdterlicher, als je, ſchlug fi) die Feſſeln um das Haupt, die Berwundung und fein innerer Kampf enbigten fein Leben. Er ſtarb. Gein Antlig war gräßlich entftellt. „Uns ift geholfen I“ fagte ber Wächter, der Abends Lam, als ih ihm dem Trauerborfall meldete. Er entftellte durch einige Hiebe noch mehr Stup’s bärtiges Geſicht; ih mußte dem Todten meine Kleidung geben und dafür feine anziehen, ih mußte Tracht und Betragen des Wahnfiunigen au- nehmen, und Letzteres gelang auch meiner aufgeregten, zerrütteten Seele. Zwei Tage und zwei Nächte mußte ich “bei der Leiche allein ausharren; denn ber Wächter hielt es fir gerathen, feine Meldung von dem Ableben des falſchen Cedtidh zu machen. Es folte heißen, ber Ritter habe fid) erft zwölf ober vier und zwanzig Stunden vor der Hinrichtung entleibt. Der Tag kam bie Thüren vaffelten bie Blutrichter traten ein. Ich bebte und sitterte vor Entdedung id; Tauerte mid in eine Ede. Sie ſchleiften den Leichnam hinaus. Immer noch quälte mih namen- loſe Angft; denn leicht war es möglich, daß der Betrug an irgend einem Merkmal der Leiche entdeckt werden konnte. Erſt Nachts tam der Wächter und erzählte mir, wie Alles wohlgelungen fei, und wie fie Slup's Haupt über dem altfläbter Briüdenthurme aufgeftedt. Es durcriefelte mich todeskalt, als ich hörte, welch ein ſchmachvolles Los mir zu Theil geworden. Keinem Ie- benden Wefen, aufer dem Wächter, dem eigene Lebensgefahr Schweigen gebot, durfte ih Kunde von meinem Daſein geben, ans Zucht vor Entdedung und ſicherer Todesſtrafe, welde mir

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meine wuthſchnaubenden Feinde gewiß nicht erloffen haben würden. Zudem wußte id nicht, wo mein Bruder, wo bie freunde und Männer des Bundes hiugelommen. So Iehte ich als ein Tobter in grauenvoller Einfamteit. Zehn ober zwölf Jahre darauf flarh mein treuer Schliefer und nahm fein Geheimniß mit in’s Grab. Für feinen Nachfolger, dem id; nicht trauen durfte, mußte ich, wie für Jedermann, der noch Kunde von meinem Dafein hatte, ber wahnfiunige Slup fein. Ich ahmte alfo dem Irrſinn des Getöbteten nad, und fo kam es, baß er, verbunden mit meinem eigenen Sram und Schmerz und der Verzweiflung, mich endlich in graßlichen Momenten wirklich beſchlich. Wenn ich wieder ruhiger wurde, dann zitterte ih immer, daß ich mich wohl in der Naferei vielleicht möchte verrathen haben, und dies peitichte uud peinigte meine Einbildungskraft zu neuer Verzweiflung auf. Gott Lob! es geſchah nicht, und Niemand weiß mein Geheimniß als Du nnd die Mauerſchwalbe, die eiumal am meinem Fenſter oben faß, deren Gefang zu mir Hernieberbrang, und ber ich ſchwãrmeriſch mein Leiden Hagte und ihr Botſchaft gab für Euch.“

„Gott if geoß, und wunderbar find feine Fügungen !" ſprach Bratislav mit Erhebung; „fein Arm, der ums zerſchmettert und dennoch erhalten, wird uns wieder erheben”

Am folgenden Morgen fritten fie zum Werke der Befrei- ung. Boleslav Hatte von feinen Feſſeln, welche fi im Laufe der Jahre mehrmal entzweigerieben Hatten, einzefne Ringe aufe bewahrt, welche er gerade gebogen und zu Stemmeilen verar- beitet hatte. Eins bavon hatte er an dem Steine, worauf er faß, zur Meile gebildet. Durch diefe gelang es ihm nach langer, wechſelſeitiger Anftrengung, die Ketten am Vratislav's Händen durchzuſägen. Man bog bie Handſchelle fo, daß er, menn ber Wächter kam, mit ber Hand nur Bineinzufahren brauchte, um den Schein zu haben, als ſei er mod; feft angeſchlofſen. Da dieſes bewerfftelligt war, ſchritten beide gu ber Geitenwand bes Ger

Herloßfohn: Der legte Taborit. Ir 5

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fünguiffes unter eine Deffwumg, welqhe wie ein Scherufkin ema- yerfüßkte, un weher ans der Göhe zuweilen eim matter Pidge- Prahl fi. Hier lchate fi Deicklen ax die Wand; fein Gelper Kirg anf feine Schnitern und fdrwang fi von da milk feiner Arme Kraft auf einen fdymalen Munerneriprung Ben da er» Trike ex cin Meines, vergiterten Scafer, weißes fein Fit bare einen i der Seite gegem. den Girfägraben Sim führte. Es geft

Harrten einige Toge, um den Schüͤcher ſorglos zu machen. Endfih in einer Nacht, wo es dranfen fürmte nud tobte, daß das Geräufc des Orkaus bis zu den Ohren der Gefangene hinab erfehaffte, wurde bie Fincht beſchloffen. Barcal hatte ſich entfernt, nachdem er den Gefangenen ihre Ayımg gebracht. Sie harrten eine Zeit lang, bis fie vermntheten, Mitternacht une vorüber fein. Vratislav warf fi Abſchied nehmend an die Brut feines Vaters und flehte ihn rührend an, den Verſuch mit ihm zu wagen; Boleslav aber wies dieſes ernft zurüd, indem ex fagte: „Werben wir Beide entdedt, fo find wir Beide verloren. Mißlingt es Dir, fo lebe ih noch mit dem Gedanken ber Er- rettung. Zudem kann nur Giner über die Schulter des Andern emportlimmen, um fi höher zu ſchwingen, und ben Andern nicht nachziehen; deun der Manervorfprung ift kanm einen Finger breit und gibt feinen Halt, ba Du Did anflemmen und mit

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Hilfe der Strohſeile mic, nachziehen könnteſt. eh’ mit Gott, mein Sohn! Kurz war unfer Wiederfinden, raſch lömmt das Scheiben; aber das Leben gibt uns noch eine Spanne Friſt, und in ihr wollen wir das Uebrige vollenden.”

Er lehnte fi nach dieſen Worten an die Wand und bot dem Sohne die Schultern dar, um baramfzufleigen. Bratielan wand fi die Steohfeile um Kopf und Hals, nahm eines der Eifen, das längfle, wiſchen die Zähne, fhmwang ſich über den Rüden des Vaters auf deſſen Achſeln, Momm höher empor und erreichte das Gitter. „Leb' wohl, Vater!“ rief er leife hinab, indem er bie Eifenftangen heranshob und fich durch die ſchmale Deffuung drängte. „Gott fegne Did, mein: Sohn!“ antwortete bebend ber Vater.

Vratislav hielt mit der rechten Hand das Gitter und klam merte fi mit der zweiten, indem er auf ber fenfterbrüftung faß, an biefefbe an, ſchwang fi dam hinaus, indem er ſich noch immer fefthielt, um bie Tiefe des Ganges zu prüfen und vielleicht nit in einen Abgrund hinabzuſtürzen. Geine Füße erreichten ben Boden; er fügte das Gitter forgfältig wieder in bie Fenſter - Inde und ſchritt vorwärts. Cr befand fi im einem engen, lan- gen Gange. Weit vorn erhielt diefer durch ein Fenſter ſparſames Licht. Im diefer Richtung ſchritt er leife vorwärts, gelangte an die vergitterte Oeffnung und warf, ehe er bie Eiſenſtäbe zu bres hen begann, fein Strohfeil, an deſſen Ende er ber Schwere wegen das Eiſen befeftigte, hinaus; denn die engen Zwiſchenräume des Gitters geftatteten ihm nicht hinabzuſchauen. Das Eiſen fand feinen Grund, wie er fühlte; das Seil war folglich zu kurz. Er tappte weiter vorwärts im Gange und fuchte an ber Hinten Seite. Hier fand er eine Oeffnung, geräumig genug, um durchzuſchlüpfen; nur eine einzige Eifenflange verſchloß fi. Sie mußte er biegen ober brechen. Mit Hilfe des Eifens und feiner Arme Kraft, welde die Angft und die Verzweiflung ſtählte, gelang

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ihm das Erſte. Er kroch durch dem kuappen Raum unb am fo in einen langen Nebengang eine ſchmale Treppe Hinauf. Da vanfhte piögfid ein Ieichter Fußtritt um bie Ede, Sicht brach hervor, und Beta fland vor ihm.

„Jeſus Chriſtus !“ Meeifchte fie, und ber Schrecken bämpfte ihren Laut. Sie lehnte fi bebeud an die Wanb und atäumete tief auf. „Herr Ritter Herr Ritter!“ fragte fie den biafien, gitternden Mann, „wie kommt Ihr hierher?“

„Willſt Du mich verrathen, Vita?“ antwortete Bratislav; „was Hab’ ich Dir zu Leid gethan, daß Du mein Elend wollen Lonnteft 2

"Id ?“ fiel fie ein „ih? ich gewiß nit! Ich habe ja das Fräulein von Zedwic und noch eine andere Dame, ein ſchönes, blafjes Fräulein, von Euch gegrüßt; ad! die Letztere weinte entfeglich, als ich die traurige Runde bradte. her Ihr wollt entfliehen? Ach, bas ann uns Alle in’s Elend für- zen! Wenn mein Vater käme!“

„Er wird nicht kommen,“ warf Vratielav ein, „wenn Du ihm nicht rufft und mir Beſcheid gibfl. Du erſchienſt mir ein Holder, fchöner Engel, als ich im diefe Macht Hinabftieg; fei mir num auch ein milder Rettungsengel, wo ich zum Lichte der frei» heit firebe. Will es denn Dein milbes Herz, daß ih fo jung noch vermodern foll in ewiger Gefangenfchaft, da unten in bü- flerer Kluft?

„Ach, ich gewiß nicht!“ wiberfprad fie; „aber wenn Ihr entdedt würdet, wenn jet ber Bater kame! Er Hat mic Ber- untergeſchiat id) foll ein Schloß prüfen, ob er’s auch richtig zugeſchloſſen. Und da erblick id; Euch plöglih ohne Banden benft Euch meinen Schreden! Wie feid Ihr aber los, wie ſeid Ihr fortgelommen 7

„Laß das, mein Kind!“ bat und drängte Bratislav; „ſoll id) Senn gefangen bleiben umb noch tiefer eimgeferfert werben?

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Stiehl mir die Freiheit nicht, die mich fon an Einem Arme erfaßt Hat! Zeig mir den Meg, wohin ich mich werben foß, um ficher zu entfommen. Mein danfbares Herz bleibt avig bei Die zurüd, und lohnen will id Dir dexeink wie Einer, dem Du fein höchttes Gut, dem Du Alles gerettet.”

Sie fann eine Weile nad; dann fagte fie: „So kann «6 vielleicht gehen folgt mir es find drei Stufen, durch eben ſo viel Gänge hinab. Ich geleite End, um ums nicht zw ver⸗

zathen, faffe ich die Lampe Hier im der Ede Rehen ich geleite Euch ‘an ber Hand.”

Er ließ fi von ihr führen. Sie fliegen an achtzig ver fallene Stufen über Moder und Gemäuer hinab und gelangten an eine Thüre. „Hier,“ fagte fle jegt, „iR der einzige Ausweg, IH Habe feinen Schläffel zu dieſer Pforte, die nach dem Hirſch- gwaben führt. Ihr Habt kräftige Arme; vielleicht konnt Ihr fie, da ihr Schloß nur einen Riegel hat, aus ben Angeln heben. Berfucht eo; eime andre Hilfe weiß ich nicht. Ih muß fort; fonß werden wir entdedt. Bleib’ id gu Tange, argmöhnt ber Bater einen Unſall und fucht mich vieleicht. Helit End, Herz Nitter! Einen andern Ausweg gibt es nicht. Bercathet mic aber nicht ich wäre grenzenlos unglädtih! Ich Habe nichts gefehen ich weiß; nichts von End.“

„Sie mögen mir die Zunge aus dem Halfe reißen,” fagte Bratislan, indem er ihre Hand brüdte, „bevor id; Deinen Namen nenne! Habe Dank, Holder Engel, eble Retterin! Möge der Him- mel Die) fegnen für Deine geheime Wohlthat 1"

Er tappte an ber Thüre. Sie huſchte fact die Stufen wieder hinauf. Er rüttelte umb arbeitete lange, baß ihm ber Schweiß von der Stimme lief; denn ber Roft Hatte die Angeln feſt verbunden. Endlich gelang es ihm, die ſchwere, eiferne Thüre zu heben; der Riegel im Schloſſe dog fi und er ſtand im Freien. Draußen frmte es, dichter Regen rauſchte herunicder,

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der Bad) im Graben ſchäumte laut; fein menſchliches Ohr konute fein Geräuf gehört haben. Er lehnte die Thüre wieder am und Komm ben fteifen Abhang des Grabens Hinab, watete durch dem angefwollenen Bad und erreichte bie jenfeitige Höhe. Einen ſcheuen Bli warf er auf den Thurm zurüd, wo fein Bater ſaß. Er konnte ihm feinen Laut zurufen, der ihm feine Befreiung anzeigte. Er erftieg die Mauer, welche auf biefer Seite ben - Hirfchgraben umfaßte, und ba ber jenſeits liegende Garten zu tief war, um bimabzufpringen, fo flemmte er fein Eiſen zwiſchen zwei oben auffiegende Steinplatten, wand eim Ende des Stroh feiles darum und Tieß fi am bem übrigen herab. Scheu ſchlich er duch den Schloßgarten, überftieg die jenfeitige Mauer und gelangte auf bie Baſtion bei dem Sandthore, weldes damals zur Ehre Karls IV., des Erbauers der Prager Feſtungewerke, auch Karlsthor Hieß. Hier galt es, fiber die mehr als fünfzig Fuß Hohe Ningmauer binabzugelangen. Er lief am ber Seue Bin, bis er an eine ſcharfe Ede gelangte. Diefe umllammerte er mit Armen und Beinen und glitt fo an ihr, jeden Angenblic gewärtig, die Kraft feiner Arme, welde er krampfhaft auftrengte, lonne ihm verlaffen, bie ſchwindliche Höhe hinab.

Unten erſchöpft und ermübet angelangt, raſtete er eine Weile im feuchten Grafe; dann brach er auf nach den Fels und Berg - ſqhiuchten der Sarta.

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Beta brachte eine fchlaflofe Nat zu. Sie konnte, als fie in ihr Zimmer zurüdgelehrt, den Blick des Waters nicht ertragen. immer befürditete fie, er würbe im ihrem Autlitz den vollbrachten Berrath an feiner Pflicht gewahren. „Und im Grunde,“ fagte fie

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zu fi, „hab' ich doch nichts Boſes gethan; id habe dem armen, Heben Nitter befreit, ber weder geranbt noch gemordet hat. Ex iſt gewiß eim ehrliher Menſch. Daß er gegen ben König und feinen Hof gefehlt, geht mid; nichts an; bavom fleht aud nichts in ber Bibel. Auf die Verbrechen der großen Herren verfiche ih mich nit, und jegt ann es ihnen gleich fein, ob er ba unten lebendig vermobert ober glüdlih das Weite ſucht. Wie berlommen wirb er doch nicht; alſo brauden fie dor ihm auch nicht in Furcht zu fein.“

Trotz dieſer Selbſtbeſchwichtigung quälten fie in den Mo- menten, wo ber mübe Körper entſchlummerte, böfe, ahnungs - volle Träume Bald fah fie dem Ritter eine weite Landfiraße eilend, verfolgen und ihren Vater hinter ihm ber; baum wieder war er gefangen, neuerdiugs in Banden, umb neben ihm ſtaud fie, gleichfalls gefeffellt und zum Tode verurtheilt. Schon ſchwaug ber Genfer da8 Schwert ſid ſchrie laut anf. Da fand fie fi) plögli bei: Bratislav, frei mit ihm dor einer Hütte im fhönen Thale. Sie Iniete wor ihm, hatte ihr Haupt in feinen Schoß gelegt, und er fireichelte ihr mit warmer Hanb bie Loden und Wangen, und es durchwallte fie feltfam und wie mit nie gefäßlter Gut.

Als fe abgeſpannt erwachte und ihr Gebet knieend vor dem Crucifix verrichtete, pochte ihr das Herz doc flärker als fonft, und die innere Stimme fagte thr: „Du bift eim unge borfames Kind; Di betrügft den Bater, Du lanuſt ihn dadurch in Roth und Strafe gebracht Haben.“ Aber fie flehte inbrünftig zum Heiland, baf er Miles wohl gelingen Laffe, und entichulbigte ihre Hilfleiſtung vor ihm mit ben Grunbfägen, daß man auf den Feinden wohlthun müffe, daß fie nur aus Mitleid gehandelt, und daß das Mitleid eines von den guten Werken fei, welche die Schrift gebietet. Aber des Vaters Bid Tonnte fie doch nit ertragen, und wid ihm aus.

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Barcal ging denfelben Abend felbft hinab mit der Atzung für die Gefangenen. Als er bei Boleslav, dem vermeintlichen Slup eintrat, begann dieſer fein Wiegenlied:

„Ei, ei, ſchlaf, mein Söhnden, ein!“

38 fingen und geberbete fid) wie in den fällen Momenten feines Bahnfinus. Der feuchte Dunft in biefer Höhle bildete einem falben Kreis um Barcals Lampe und ließ ihm die Gegenftänbe nicht genau erkennen. J

mdier, Ritter,“ ſagte er, indem er Krug, Brot und noch eine Schüffel auf ben Boden neben der Bant fellte, auf welche Boleslav mit Fleiß viel Stroh geworfen Hatte, „habt Ihr etwas Fleifh. Es wird Cuch wohlthun. Die magere Koft könnt' Eurem verwöhnten Magen fcleht bekommen. Müßt Euch erft baram gewöhnen; ich gebe e8 gern.“

„St! St! St!“ fifpelte Boleblav; „er fchläft, und auch mein Kind ſchlaft. Ich Habe fie Beide eingefungen; fte Haben Tag und Nacht geweint. Gtör fie nicht im ihrer Ruhe. Sie haben ja kein Glüd und feine Wohlthat als ben Schlaf.”

„Schon gut, Du Thor!” brummte leiſe Barcal; „gib ihm das, wenn er erwacht, und verzehr' es nicht ſelbſt.“

Er drüdte fih fachte nad biefen Worten aus der Thüre und ſchloß mit Vorſicht, um kein Geräufh zu machen, das Ge- füngniß.

Als er fort wär, fiel Boleslav auf die Knie und rief mit gefalteten Händen: „Hab' Dan, Wllerbarmer, der Du es ge Uingen Hefe! Sie ahnen nichts. Jetzt hat er einen Vorſprung, und bie Angft mwälzt fi von meiner Seele. Er if frei es muß gelingen! Die Hoffnung befömmt Flügel wie ein junger Adler.”

Er entichlief getröftet und mit Danfgebeten.

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Bkia zitterte, als der Vater ruhig zurüdtem. Sollte es Berftellung fein? dachte fie; doch nein; denn bei ſolchem @reige niſſe entftand ftetd ein Aufruhr im Hauſe, und Gpäher wurden dem flüchtigen nachgeſendet. Auch mußte fogleich dem Vogt und dem Burggrafen, fobald einer der Gefangenen entflohen mar oder nur den Verſuch zur Entweichung gemacht hatte, Bericht erflattet werden.

Sie ängftigte fi demungeachtet und fandte in ber Stille dem Ritter heiße Gebete und Segenswünfde zum Gelingen feines Blanes nad.

Erſt am folgenden Tage bemerkte ein anderer Schließer, der die Abtheilung beauffichtigte, welche ans demfelben Geſchofſe nad dem Schloſſe Hinführte, bie zerbrochenen Eiſenſtäbe in der Fenfteröffnung. Er machte Lärm man befihtigte den Schaden, ber Aufſeher und die Bögte Tiefen herbei man fand das zmeite Gitter erbroden verfolgte fo die Spur und gelangte bi in Slup's Gefängniß hinab. Diefer wurde befragt; aber er gab in feiner wahnfinnigen Weiſe feine befriedigende Antwort. Er flehte mit rührender Stimme, feinen ſchlummernden Knaben nicht zu weden, und wußte gar nicht mehr, daf ein Ritter zugleich mit ihm im Kerker geweſen war. Geine Ungurechnungsfähigkeit entſchuldigte ihn. Man fah ein, baß der Ritter felbft buch Muth und übermenfhlige Anftrengung ohne Hilfeleiſtung des unfähigen Berrädten ſich bie freiheit gegeben. Der Vorfall wurde bem Oberfiburggrafen gemeldet, welcher alsbald Häſcher zu Pferde nach allen Richtungen ausſchicken lieh.

Barcal kam mit einem Verweiſe davon. Demungeachtet wehllagte er, als er mit feiner Tochter allein war, über ein Ereigniß, welches ihn während feiner langjährigen Dienftzeit noch nicht betroffen Hatte. Bla, die innerlich über den glüdlichen Erfolg ihrer Hilffeiftung jubelte, tröſtete ihn. „Im Grunde,“ fagte er berußigter, „iſt es mir ganz gleichgültig, daß ber arme

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Nitter entflohen ift; denn was Tann ich für freude daran haben, wenn er Iebenslänglih da unten in der faulen Krötenhöhle fügt und langfam zu Tode gemartert wird? Aber auf meine Ehre Tann es nachtheiligen Einfluß Haben, meine Brauchbarleit und meinen Gifer verdächtigen, mich um das Brot bringen, unb ich habe zwar menfchlid, aber immer treu und veblih meine Pflicht gethan.“

„Weißt Du was, Bater!“ rieth Beta; „ſchon oft Haft Dir beim Herrn Auffeher Beichwerde geführt über die verfallenen Gänge und Treppen und darüber, daß nichts gebaut und wieder- hergeftellt wird, Geh’ zum Odriſtburggrafen und fiel’ ihm das vor; das muß Dich rechtfertigen.“

„3a,“ fagte er neubelebt, „das ift ein guter Einfall; das muß mir helfen. Er foll Alles erfahren. Und wenn die Ge- fangenen fammt und fonders entiprungen wären, fo if nur bie Sorgiofigfeit der Hohen Herren bdavan ſchuld, die da glauben, wir armen Teufel Lönmten die Verbrecher hüten und feſthalten ohne Mauern und Ketten. Morgen in ber frühe geh’ ich bin. Und jet meinetwegen wär’ mir's ganz recht, wenn ber arme Ritter entläme; denn bleich und matt fah er fo aus, als Tonnte er bier nicht lange leben. Es ift eine Sünde eigentlich, fo ein junges Leben umzubringen; denn im Grunde hat er bad, wie ich höre, gar fein fo abſcheuliches Verbrechen begangen. Er iſt ſicherlich verführt worden zur Verſchwörung gegen ben König; deun er hat ihm auch in ber Gefcichte mit dem Weine das Leben reiten wollen. Da fleden ältere und größere Männer dahinter, und ber jüngfte da mußte es ausbaden; denn kömmt die Gefahr, fo ziehen bie alten Schlaulöpfe zuerſt die Hand zurück“

Vratislav wandte ſich auf feiner Flucht rechts über Troja Bin, bejdrieb einen Kreis über Dörfer, welche entfernt von ber Straße lagen, und ſchlug mittagswärts den Weg gegen Böhmiſch-

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Brod ein. Er wollte daſelbſt auf dem Schlachtfeide die Statte fachen, wo feine Mutter ruhte und die beiden Profope, An ihrem Grabhügel wollte er beten und um Schutz und Beiftand fliehen. Der Aſche ber Mutter wollte er fagen, mie ber Water buch langes Elend und große Schmach Alles gebüßt Habe, und mie fein Herz von Reue erfült fei. Dann gedachte er, ſich von da gegen Weften nach Horajdovic zu wenden, um ben Oheim aufzuſuchen und von ihm Rath und Beiſtand fich zu holen. Er raftete am britten Tage in einem Gehölze nicht fern von der Landfraße, welhe gegen Kolin führte. Ein Trupp Reiter 30g unten vorüber; fie fangen einfiimmig ein Kriegslied. Die Abendfonne brannte in ihren Harniſchen und Schwertern. Es ergriff ihm die Seele mit Schwermuth und Kriegsluſt, ale er den rauhen, feurigen, vollſtimmigen Gefang feiner Landes- und Glaubensbrũder vernahm.

Als es dämmerte, ſchlich er aus dem Gebüfche und verfolgte die Landſtraße.

Ein Bauer begegnete ihm.

„Sind Dir, Landsmann,” fragte er, „nicht unterwegs Reiter anfgeftoßen? Ich biieb zurüd und babe ihre Spur verloren. Wohin zogen fiep“

„Nach Kolin Hinab,“ beichied der Baner; „bas if ſchon heut das fünfte Fähnlein. Der König ift fon voraus. Ihr müßt fie bald ereilen, wenn ner Knecht nicht fern mit den Roffen if. Es gibt wieber Krieg; nicht wahr? Ich habe es fhon dor act Zagen meiner alten Maka gefagt, ale id Abends den fenrigen Streif am Himmel ſah. Es if doch ein Iammer! Wenn nur die Truppen fern von uns bleiben! Bir in diefer Gegend Haben genug ausgeflanden nnd find viel- fach ansgefogen worden. Alſo der König Matthias, vom Papfte aufgehetzt, zieht gegen unfern Georg, feinen Schwiegervater, zu Felde? IMs mit jo? Es iſt doch eine Sünde von dem

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Matthias, der jetzt König geworden iſt! Hat ihn doch Georg, als ex im Prag gefangen faß, jo mild und gut behandelt umd ihm die eigene Tochter gegeben, bevor er noch wußte, daß er ein König- werben würde! Nun, Gott fegne uns uud den Kelch, den ums bie Ungarn gern nehmen wollten I“

n2eb’ wohl und hab’. Dank!“ verſetzte Vratislav; „ich muß meinem Knecht folgen, um noch dor Einbruch der Nacht ben Lagerplag umb unfer Fähnlein zu erreichen.“

Er ſchritt raſch vorwärts, „Alfo Krieg, Krieg,” rief er lebhaſt, „Krieg gegen Ungarn, das uns mit ber Curie im Bunde die letzten Trümmer unfers Glaubenstempels ftärzen wii! Da muß ſich jeder Arm bewaffnen; nicht für ben König, nicht für fein Regiment, aber für das Wenige, was wir durch ihm mod haben. König Georg, erlaube Deinem Gefangenen unter Dei nen Fahnen zu fehten! &o ni’ ich bod; dem Vaterlande und Dir mehr, als wenn id} ewig da umten fige in ber fenchten Höhle bei ſcheußlichem Gewurm und in grambringender Cin- famteit.“

Er eilte raſch auf der Straße gen Plaüan und Kollin

Es war Mitternacht; nur matt leuchteten die Sterne am Himmel. Bor dem Haufe derer don Zedwic fand Gutol ge- mwappnet und geräftet; in ber ferne Bielt ein Knecht zwei Roſſe.

„Lebt wohl!“ ſprach Sutol, fo leiſe als es ihm möglich war, gegen das Haus; „ich bin ein alter Krieger, aber ich kann nicht Abſchied nehmen von Eud. Der Jammer in diefem Haufe greift mir an's Herz, wies noch kein Tod gethan, deren ich doch fon fo viel erlebt. Das hab’ id) davon, daß id in dem Frie - denoſtand getreten bin, in den häuslichen Kreis der Menfchen! Draußen in ben Schlachten rührte mich nichts, und Hier muß ih das Alles erleben! Alſo ich ſcheide ohne Abſchied. Warum fol ih mid von Euch Hin- und Herzerren laſſen und auf meine

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alten Tage weich werden? Dummes Zeng, ſchlechter Brauch für mich! Die Milada dauert mich fehr; fie muß den Bitter ungemein liebhaben. Nun, fie ift ein ſchwaches Geſchöpf, ganz anders, als uufer Einer! Wenm er nicht bald frei ift, ſtirbt fie IH Hätte gar nicht geglaubt, daß einen Meuſchen die Liebe, wie fie e8 nennen, fo zu Grande richten Tann. Nun freilich! ich bin ein alter Burſche. ein’ Huffitifcher Kriegokuecht, ber allerlei verſucht hat, und ich liebe meinen vormaligen Herrn, den Bratislan, doch auch fehr. Alfo alle Menfrgen haben Wet in ihrer Art, und nur wenn fie uns reizen unb wild maden ſchlagen wir fie auf ben Schädel, nur weil fie es uns auch thun. Alfo Iebt wohl! Gnte Naht! Der Bogt Franta wirb End; morgen fagen, wohin ic; gegangen bin und warum. Ih hab's fo anf der Bruft Liegen und muß es Euch noch erzäßfen, oder eigentlich den Mauern da umb ben finftern Feuſtern, bie wie blind ausſehen. 'S ift eine Schande, daß ich wie ein Dieb gehe! Aber wenn ich's ben Fräulein fage, da fangen fie an zu weinen und fpreden: Der Nitter im Thurme iſt num gar ohme Hilfe, wenn Di gehft! und gen Thränen kann ich nicht mit dem Schwerte breinfchlagen, fo wehe fie mir auch thun. Ih muß fort zum König Georg, in den Krieg! Wie tönnte ich auch Hier in Ruhe bleiben, da es Krieg gibt! denn es ift gar fein Leben ohne Krieg. Der Krieg iſt der Tag, das Wachen, der Friede aber die Macht, die Ruhe! Wer fein fauler Hund if, ber verichläft nicht den Tag! Der Matthias von Ungarn zieht gegen uns zu Felde, vom Papſt onfgehegt; man will uns ben Kelch nehmen und bie Huffiten mit Füßen: treten. Nun, ba find mir auch noch ba und haben die alten Käufe und noch junge dazu. Und an ben Bratislan, meinen früheren Herrn, den? id. Der Teufel foll mic frefien ober braten wie den Gaſtwirth Michalel, der fo jhön am Galgen Bing, als wenn er mir feine doppelte Kreide vermachen wollte

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nur daß er nicht ſprechen konnte alfo ber Tenfel foll mid; braten, wie er ſchon den Guardian, den fein füher Abendmahle- trant blan gefärbt hat. wie eine Beule, gebraten Bat, wenn ich dem König nicht wieder einen Dienft erweiſe, weshalb er mir dankbar fein und ben Ritter VBratislav freilafien und begnabigen muß! Der Ritter hat's immer mit mir gutgemeint und hat gar zu viel Unglüd, weshalb ich ihn lieben muß. Und im Grunbe hätte ich's am feiner Stelle nicht anders gemacht, ben Deutſchen gehauen und gegen bie Pfaffen mid verſchworen. Gin Beweis für das Letztere ift da: fie Haben ben König vergiften wollen. Und wer ſich gegen bie verſchwört, den muß man nicht beftrafen. Nein, nein! Der König muß ihn freigeben ich Teif’ ihm einen Dienft und bin bald wieder Bier mit einer Schrift, worin Rest, daß ber von Branik frei if. Die Ungarn aber wollen wir niederbrefchen, daß ihnen bie Luft nah böhmiſchen Mädchen und böhmifchen Bier vergeht, und dem Herm Gchwiegerfohn des Königs einen Begriff geben, was für Kinder ihm fein böh- miſches, caliztinifhes Weib gebären wird, bem Papiften und Papiſtenknechte. 'S if eine Schande! aber mir gerade recht; es gibt etwas zu ſchlagen, und meine Zweige ſchlagen wieber aus, das heißt: meine Jugendzeit kömmt. Ih Thor! ba ſprech ich für mich felof, als Hätt id einen Rauſch, wie ich es barin zumeilen pflege. Und ich wollte hier num einmal gute Nacht und Lebewohl fagen, weil ich es drinnen nicht Konnte und mir fonft fo etwas wie bie Galle, wenn ih fie nnterbrüden muß, auf dem Herzen liegen bleibt. Alſo fortgegangen Abſchied genommen geſchlagen geholfen und glücklich wiedergelommen! Das Hoff’ ich zu Gott, auf welden ein braver Krieger allein baut und auf fein Schwert noch nebenbei. Gute Nacht! Weint nicht zu fehr, Ihr Fräulein: ih bring’ Euch "ja ben Junker wieder I“

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Der Mühne und feurige Mönig Matthias Corvinns führte in eigener Perfon, als Bauer verffeidet, den Vortrab feines ‚Heeres durch die Engpäffe ber böhmifh-mähriihen Grenze. Lande Iente nnd einzelne Männer der Vorhut redete er Fed an; fie glaubten, er diene einer Schaar mährifer Hilfevölfer, welde zum Heere des Königs Georg ſtoßen wollten, zum Wegweiſer. &o gelangte er, ohme aufgehalten zu werden, bie in die Nähe von Nuttenberg. Hier lagerte er fi im Walde unb wartete die Nachhut und feine übrige Mannſchaft ab. Der böhmifhe König follte durch einen verwegeuen Handſtreich umzingelt und fo ohne Blutvergießen zu einem Vergleiche gezwungen werben; denn es war bem edlen Matthias, der nur nothgedrnngen bem Qualerein des Cardinal-Legaten Folge feiflete, nit Ernſt mit dieſem Feldzuge; er liebte feinen Schwiegervater, der einſt fein edler Kertermeifter war, zu fehr, und wollte durch dieſen Feldzug nur ein ritterliches Abenteuer, wornach fein feuriges Herz bürftete, beftehen.

Georg lagerte bei Kolin.

Bratislan, dem es nicht gerathfam ſchien, die Heerſtraße zu verfolgen, bevor er fi durch eine Verkleidung unfenntlich ger macht, bog rechts ab und gedachte fo felbft wenn man in Betreff feiner Perfon Verdacht fhöpfte von Süden aus zu feines Königs Heeresmacht zu floßen.

Im einem entlegenen Dorfe gab ihm ein Bauer für feinen Anzug einen andern, ſchlechten, zerlumpten. Gr banb fid eim Tuch über den Kopf, daß es das eine Auge verbedte und ihm unlenntlich machte. So eilte er nad bem Walde von Kutten-

berg Bin.

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Darin war kriegeriſches Leben, wenn gleich nicht lärmendes; denn der König Matthias Hatte ringsum Wachen aufgeftellt, bie jeben Verbächtigen, der fein Hierfein dem Feinde verrathen Lönnte, fangen und in das Junere des Waldes ſchleppen mußten. Einer dieſer Vorpoſten griff unfern Ritter auf. Man hielt ihn für einen Späher und ſchleppte ihn nad) dem Walde,

Unter einem Baum faß der Anführer eimes Fähnleins am Tiſche und zahlte den Kriegsknechten den Sold aus. Da Alles mãhriſch und ſlovatiſch ſprach, fo glaubte Vratislav unter Greunden und Landsleuten zu fein..

„Wen bringt Ihr hier?“ fragte der Anführer die Anlom- menben barſch; „was fiellt der Burſch vor?“

„Er näherte fi ganz Ted unfern Wachen,“ berichtete einer der Krieger; „vermuthlih um. zu fpähen.“

„Fluch Dir und diefem Wortel“ unterbrach ihu Bratislav heftig; „ich komme, um mit dem Schwerte dreinzufchlagen, nicht am ein eleud unb verrätherifh Geſchäft zu treiben.”

„So vwilft Du angeworben werben?“ fragte ber Anführer; „will's gern meinen, daß unfers eblen Matthias Kriegerufm und ritterfiher Ruf die junge Welt zu feinen Fahnen lockt.“

„Matthias?“ rief Bratislav erfhroden faßte fi aber fehnell, indem er bedachte, daß Hier ein offener Widerftand übel angebracht fein würde. Er mußte auf Lift finnen.

„Freilich Matthias!" wiederholte finfter der Anführer; „es iR unfer König, welder den böhmiſchen Didföpfen und Kehern etwas Refpect vor magyariſchen Hieben beibringen wil. Alfo Du wilft angeworben werden. Wir aber brauchen keine Blinden und Ginäugigen; wir brauden Sehende, bie blind in's feuer gehen.”

„Mein Auge ift nur entzündet,“ berichtete Bratislan; „eine Hummel hat mich kurz vorher geſtochen, und in's Feuer kanu ich auch blind gehen; das will ich Euch beweiſen.“

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„Gut 1“ verfetgte der Ungar; „Du gefällt mir, bift gut gewacfen, Haft feſte Knochen. Hier Haft Du Handgelb! Bier Gorbftüde gibt der reiche Ungarntönig jedem Burſchen unter dreißig Jahren.“

„Ich will Euer Gold nicht,“ entgegnete Vratislav ablehnend; „ich fechte nicht um Geld. Gebt mir nur Waffen; nur Waffen will ih. So es Bott gefällt, Hol ich mir den Lohn ſelbſt im erften Gefete"

„Brad, Brad!" rief der Anführer umd ſchob die Goldſtüde unverfehens in feine eigene Taſche; „das find gute Grumdfäge, dergleichen Leute Tann man brauden. Gebt ihm Waffen und ein Roß; er foll ein Reiter werden.“

Man führte Vratislav in den Wald, bewaffnete und be- wehrte ihm und ftellte ihm Hierauf wieder dem Anführer vor. Er betrachtete ihn mit Wohlgefallen, da ihm der Kriegerſchmuck fo wohl fland und er firamm und ficher im Gattel ſaß.

„Ihr fünf Hier,“ fuhr er fort, „Rifias, Joſeph und Stephan, reitet hinaus, gegen das Thal hin; beobachtet bie Landſtraße in der Entfernung und fammelt Kundſchaft ein. Wagt Euch aber nicht zu weit vor, daß wir nicht vor ber Zeit Auffehen erregen. Wir wollen den Böhmen über den Hals kommen, ehe fie fih deffen verfehen. Wenn Die eine Ahnung Hätten, daß wir in ihrer Nähe find, und uns plöglich überfielen, bevor noch ber Kern des Heeres da iſt es füme uns theuer zu ſtehen. Im- deſſen wollen wir aber fräher kommen und ihnen zum Tanze fpielen.“

„Hauptmann,“ bat Vratislav, „laß mid mit den Männern hier ziehen. Sie follen erkelnen, ob es mir am Muth gebricht. Ih brenne vor Begierde, ber Gefahr in's Auge zu fehen.“

Mir vet!" verfeßte der Magyar mohlgefällig; „Du Iernft fo gleich den Dienfl. Nun reitet in bes Teufels Namen, und was Euch aufflößt, ſchleppt herbei! Findet Ihr wo ein Faßlein

Herloßfohn: Der legte Taborıt. II. 6

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Bier, fo laft’s nicht liegen; das Eine von geſtern ift faft aus- gelaufen.”

Die Reiter, Vratislav im ihrer Mitte, fegten fi in Trab. Sie bogen durch ein Thal, welches von zwei einzelnen, rund zu laufenden Bergen gebildet wurde, nach ber Landſtraße hin. Ueber dem Bufche, der das Thal begrenzte, lag ſie. Sie ritten buch das Gehölz immer in einiger Entfernung vom Heerwege hin. Eben wollten fie wieder links nach der Ebene zu, weil fie ein Dorf gewahrten, wo fie für den Hauptmann ein Fäßlein Bier zu finden hofften; da raufchte es im Gebüfche.

Rubel“ gebot der Anführer der vier Reiter; „entweber ein Hirſch oder ein Späher haltet hier Hinter der Hedel— Laffen wir es näher kommen.“

Durch den krummen Waldweg kamen zwei Weiter. Es woren Böhmen. Vratislav erfannte fie., Der Vordere trug einen Tangen, meißen Mantel und blanken Helm. Der, welcher ihm folgte, ſchien ein Befehlshaber zu fein.

Sie kamen immer näher‘ „Sind fle vor ber Hede,“ gebot der ungrifche Anführer mit bafblauter Stimme, „dann drauf, und Haut fie gleich nieder, damif.das Geräuſch nicht Mehre Ber- beilode und uns verratge."

Vratislav fuhr entfegt zufammen. Er erkannte ben König Georg in dem entftellenden Reitermantel. Schon-jegten die Ungarn an, nm hervorzubrehen es galt raſchen Entſchluß. Bra- tislav brach der Erfte aus dem Gebüfche, fprengte vor den König, warf fein Roß herum und ſchrie: Zieh? Dein Schwert, König, ich helfe Die! Und im dieſem Augenblide auch hatte fein Schwert- ſtreich den erften der ihm anf dem Fuße folgenden Ungarn nieder- geftredt, daß er vom Pferde flürzte. Gegen bie andern zwei focht er wie ein Rafender; er lähmte den zweiten, vermundete den dritten im Geſichte. Jetzt Hatte ſich auch König Georg und fein Begleiter ermannt: fie fprangen dem ‚Erretter in feind-

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licher Tracht bei, zogen die Schwerter, und auch bie übrigen drei Magyaren wurden niedergehauen.

„Wer biſt Du, der mich zu kennen ſcheint?“ fragte der König den Züngling, nachdem bie Blutarbeit geendet.

„Ein Landsmann, Herr,“ antwortete der Ritter, „ber zu Deinem Herre ftoßen wollte, unter die Feinde gerieth, nicht mehr entfliehen fonnte, zur Lift feine Zuflucht nahm und die Abfiht hatte, bei der erften Gelegenheit zu entweichen, um Dir zu dienen.”

„Steht der Feind fo nahe? fragte der König erichroden.

„In jenem Walde, kaum eine Stunde von hier,“ berichtete Bratislav, „legt König Matthias mit viertaufend Huſaren.“

„Gottes Donner!“ rief Georg; „der kommt fehr früh und hätt‘ uns wohl bei Naht und Nebel überfallen.“

„Ich dachte es doch, Herr König,“ bemerkte ber Begleiter Georg’s, „daß Ihr Euch zu fühn vorwärts wagt.”

Bratislav riß fih das umgrifche Feldzeichen vom Halfe und ſprach: „Herr und König, vertraue Du mir einen Xheil bes ‚Heeres zur Anführung nicht als einem Befehlshaber, fondern nur als Wegweifer, und ich geleit' es ungefehen in biefer Nacht noch um jenen Wald, fo baf, wenn bie Sonne aufgeht, Mat- Yhtas von Deinem Heere umftellt, von feiner Hauptmacht abger ſchnitten und fommt feinen Reitern Dein Gefangener ifl.

nDer Rath ift nicht ſchlecht, wenn man Dir trauen barf, Du trugft einge feindlichen Rod und Haft mich dod) errettet. Ber bit Du? Sprade und Haltung verrathen feinen ger meinen Knecht. Die ‚Stimme klingt mir befannt id muß fie ſchon einmal gehört haben.“ ö

„Ih bin ein Böhme,“ entgegnete Vratislav treuherzig „Du kannſt mir trauen, mein König. Alles für das Vaterland, für den calirtinifgen Glauben und fir Did, o Herr! Dann erlaube, Für, das ich noch einmal biefes Zeichen bes Feindes an meine Brnft fiede, um fie zu täuſchen. Heut’. Nacht noch

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muß es geſchehen. Mau könnte fonft die Leichen Hier finden und Verdacht fhöpfen. Auch foll da Heer Matthias’s im An- zug fein.“

„Hier meine Kette!“ ſprach Georg, indem er fie vom Halſe nahm; „gefelle fie zum Feldzeichen des Feindes. Wenn Du mir bie Kette wieder zeigft fo ſei Dir jeder Wunfd gewährt, defien Erfüllung in meiner Macht ſteht.“

„Vertrau' Di mir, o Herr!“

„Es ſei!“ verjegte der König, „da Du es fo willft uud mein Leben dod; Dein Eigenthum iſt; denn warſt Du im Bunde mit jenen, welche jegt zu unſern Füßen tobt Bingefivedt find, fo war id) verloren, wie Ptichta mein Begleiter. Wir entfernten ung zu weit von meinem Bortrab. No einmal nenn’ mir Deinen Namen.

„Mein Löniglicher Herr,“ entgegnete Bratislan, „erlaß mir ihn, bis zu dem Augenblide, wo ih Dir gedient und Du den Ungarntönig umzingelt. Gelingt es, uub glaubft Du mir Dant zu ſchulden, fo wirft Du ihn leicht behalten; mißlingt e8 aber, und bin id ein Verräther, wie id Dir ſeltſam jet erſcheinen mußte, jo brauchft Du Dir dann feine Mühe zu geben, ihn zu vergeſſen.“ .

„Du ſollſt Deinen Willen haben," beſchied der König; „doch wär’ es Zeit, fo den ich, zurüctzukehren.“

„Bir können kaum ohne größere Gefahr,“. bemerkte be fcheiden des Könige Kämmerling Prichta, „bier länger verweilen, Hofeit.“

„So folge mir,“ fagte ber König fein Roß wendend, „aben- teuerlicher Menſch. Biſt Du ben Böhmen wohlgefinnt und treu, fo wird es fi bald ergeben; wo micht, fo lernen fie Einen mehr fennen, ber es nicht reblich mit ihnen gemeint. Und bie Zahl ift groß, fo daß Eimer mehr oder weniger weiter fein Auf- ſehen mat."

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Sie ritten nad Kolin zu, wo das böhmifche Heereslager am Abhange bes Hügels, der fih links von der Straße hin er- firegtte, fi) ausbehnte.

Die Sonne rüftete fich eben zıtm Umtergange, als ber König mit feinem Gefolge anfam.

Sein Erfdeinen . brachte eine Ipute Regfamfeit unter ben Kriegern hervor. Scheu folgte ihm Vratislav in einiger Entfer- mung. Sept im reife der Gelbhanptfeute ſprach Georg: „Ehrt mir da ben jungen Mann in ber fremben Tracht; war er nicht fo hättet Ihr Heut’ feinen König mehr; denn entweder war Georg tobt oder gefangen.“

Worte des Staunens gingen von Mund zu Mund, bie der König den Vorfall erzählte. Jeder pries das Geſchick und den edlen Züngling und verlangte feinen Namen zu wiſſen. Keiner ante ihn; Bratislav felbft beobachtete ein feftes Stillſchweigen.

„Nun aber iſts Zeit,” ſprach ber König in feinem Zelte, wo feine Hauptleute und Oberanführer zum Kriegsrath verfammelt waren; „jener Jüngling dort wird Euch geleiten. Ihr bredit im Halbfreis rechts auf, wie fo vom ber: linken Geite, bie wir den Wald umzingelt haben. Treffen die beiden Kreife zufammen, fo macht ein Feuer, bamit bie anf jener Seite es gewahren; dann folgt das Feldgefchrei und ber allgemeine Angriff.”

Die Sonne ſank immer tiefer. Sobald fte die rechts hin- Saufenden Berge würde in Schatten gelegt Haben, follte aufgebro- den werben. Bratisfav ſchritt durch die Zeltreihen auf und ab. Eine Fräftige, wilde Gefalt in riiterlicher Tracht ſtieß ihm anf. Es war Gufol. Bratislav fuchte ſich zu verbergen, denn er wollte bier durchaus von Niemandem gefaunt fein; aber Su- ol hatte ihn trotz der GEntftellung ſchon erfannt. Er lief auf ign zu fahte in am Arme und zog ihn hei‘ Seite über dem Schutzgraben hinaus.

„Beim heiligen Severus!“ ſchwur er, „Ihr ſeid's, Ritter,

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ober ich will mein anderes Auge auch mod verlieren. Heibal wie find wir denn Beide, einäugig geworden? Nun ftehen wir zwei nur für Einen im Dienfte des Könige. Wie kommt Ihr hierher? Wie wurdet Ihr frei? Zehn Fragen auf einmal, mein ebler, werther Herr! Wie mid Euer Erſcheinen rührt und freut! Ih bin faft nah’ am Weinen wie ein altes Mutterchen. Ja, wir waren Ale recht umglüdlich, ale wir weder Euch bei Cyrillus, noch dieſen felbft fanden. Kaum wiedergemonnen Hatten wir Euch und follten Euch auf fo graufame Art ver- Tieren!“

Vratislav gab ihm in kurzen Sätzen Beſcheid von dem, was feit jener Zeit mit ihm vorgefallen. Nur das Wiederfinden des Vaters verſchwieg er.

„Nun das ift gut,“ jubelte Sufol, „daß wir Euch wieber« Haben! Ad! mas meinten die Fräuleins den gampen-Tag das Leben war recht betrübt in dieſem Haufe! Zudem ift Junker Niklas auch nicht in ber Stadt er verweilt vet germ und fange auf feinem Schloß bei Satin. Er muß dort etwas Heimliches ic) glaube gar Liebes Haben. Da ich von der Liebe ſpreche fo fällt mir and bie Liebe des Fräuleins Milada zu Eu ein. Beim Donner Gottes, Her! die Thränen, melde fie um Euch vergoffen, „find zahllos wie die Sterne am Himmel. Sie forſchte Euch auch nad, als Ihr geflohen. Sieht Euch das Fräulein nicht bald wieder fo flirbt fie, meine ic.“

„Sie liebt mich?" mieberholte Bratislav; „dies fromme, milde Herz iſt gefhaffen, um Wunden zu heilen. Ich bin wie ein Kranker, der einer Pflegerin bedarf.”

Sutol erzählte nun feinerfeits dem Ritter, wie er mit dem Fräulein, ihm zu fuchen, ausgezogen, wie fie feine Spur gefunden und wieder verloren, unb wie er enblich die Verräther, welde ihn in Melnit gefangen genommen hatten, abgefttaft.

„Jetzt,“ ſchloß er, „da ich den Jammer ber frauen und

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des alten Ritters Griesgram nicht länger ertragen fonnte, da mir felbft fo im Herzen eim leerer (led war, weil ich Euch nicht hatte, den ih vor Allen liebe, beſchloß ich) aljo, in den Krieg auszuzichen. IH muß dem Könige noch einmal das Leben retten, oder ihm fonft einen großen Dienft erweiſen, um für dieſen Preis Eure freiheit zu erlangen; benn biefe Tracht und Entftellung zeigt mir, daß Ihr ein flüchtiger Gefangener feid.“

„Sab Dank, mein Freund,“ war Vratislav's Antwort, für Deinen guten, freundlichen Willen! Der König if mir ſchon verpflichtet, und fpräd' ich ein Wort, fo wär ich auch ber Be- gmadigung ı gewiß; doch noch für einen Anderm bedarf ich feiner Gunſt. Darum laß uns, erft mit meiner Hilfe in heutiger Nacht duch Lift den Feind vernichten ohne großes Bluwergießen. Ich kenne fein Lager und führ Euch einen fihern Weg in das- felbe, wo er uns nicht vermuthen fol.”

Der König gab das Zeichen zum Aufbruche. Rechts und links von der Straße zogen einzelne Abtheilungen von Fußvoll und Meitern geräuſchlos hin. Die dunkle Nacht verbarg ihren Weg und ihr Erfceinen. Matt nur glänzten die Sterne in den Helmen und Rüftungen wieder.

Es war eine Stunde nad; Mitternacht leiſe vaffelte ber Zritt der geharnifchten Männer durch des Gras vor ihnen lag der Wald, aus defjen Mitte einzelne, verglimmende Wachtfener ſchimmerten wie ein ſcheuer Blick unter halbgeſchloſſener Wimper, hinter ihnen verhallte das Gebell der Dorfhunde. Von jener Seite ſtieg plötzlich eine Feuerſäule auf Knall und Licht er- folgte in biefem Moment auf ber ganzen Linie. Hurrah! ru- fen die Böhmen ihr Feldgeſchrei ertönt von Fahne zu Fahne im Umkreife von zwei Stunden auf jener Geite werfen fie Feuer in den Wald, damit e8 Tag werde zur Kampfeszeit.

Hörner tänten, Stimmen riefen im Walde bie drohende Flamme fprang von Stamm zu Stamm. Schreden und Ent

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fegen Hatte die Ungarn aus dem Schlaf gerüttelt; befinnungelos ſtürzten fie zu den Waffen und rannten vor- und rüdwärts im den Wald. Bon allen Seiten tönte ihnen Waffengeraſſel und bie Kampfeslofung der fireitluftigen Böhmen entgegen.

„Bei St. Stephan!" ſchalt ber König Matthias, der auf feinen weißen Roſſe, ohne Kopfbebedung und Harniſch, nur in ber Hand ben blanken Säbel, durch das verworrene Lager fprengte, „wir find verrathen. Thor ich, daß ich dem Gpilagyi folgte und bier. fill lag! &o befamen wir fie in die Hände, wie fle jest uns haben. Kameraden, Magyaren, Türkenbefieger, wir müſſen uns durchſchlagen! Hier das Feuer, das uns auf den Hals rüdt, bort den Feind; durch welches von beiden mollen wir gehen?

„Durch ben Feind, König!“ rief begeiftert feine Umgebung.

„Alſo d’ran, bevor wir noch enger umrankt find!“ befahl Matthias weiter; „Ales auf einen Punkt hin! Wir müffen ihre Reihen durchbrechen, um uns gen asian wenden zu können. Nur die Straße gewonnen !"

Er ſtellte ſich an die Spitze feiner Krieger.

„Wollt Ihr nicht den Helm erft auflegen?" fragte einer der Hauptleute.

„Nicht möthig!" rief Matthias Corvinus; „mein Kopf ift zu bart für dag böhmiſche Eiſen. Gib Acht! fie rigen ihn nicht einmal.” -

Seine Hörner ſchmetterten die ganze, Heeresabtheifung Braufte durch Gebuſch und Keden nach bem Ausgunge des Wal des Hin; Hinter ihnen flammte der Waldbrand leuchtend auf. Tollkuhn fprengte ihr König voran nad dem felbraine, wo die Waffen der Böhmen umd ihre Rüftungen im rothen Scheine, den das Feuer am den Himmel malte, glänzten. Hier fand Georg an der Spitze neben ihm mehrere der Befehlshaber. Mächtig im Anlauf braufte bie ungrifche Reiterei einher. Es war mei Fußvolt, was ihnen entgegenftand bie Reihe ſchwankte zurüd,

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aber dennoch wurde der Angriff abgeſchlagen. Matthias leitete ihn nad) einer andern Geite Hin. Die Böhmen, jegt auf ihrer Hut, leifteten feſten Widerſtand. Nach allen Seiten Hin ſuchte Matthias den Durchbruch; endlich, da er einjah, daf es unmög- nch fer, ſich durchzuſchlagen und er vergeblich das ‚Blut feiner Mannihaft vergoß, wollte er in wilder Tollkühnheit durch dem brennenden Wald fi Bahn brechen; aber feine Feldhauptleute beftürmten ihn mit Bitten, von biefem fein eigenes Leben bedro- enden Vorhaben abzuftchen. Er zog ſich wieder in das Dicicht zurüd und ſchictte einen Trompeter hinaus. Bald darauf ritt König Georg, von zehn Weitern begleitet, in den Wald. Auf einer lichten Stelle kam er mit dem Ungarntönig zufammen. Matthias Corvinus war verlegen, aber er reichte dem Böhmen- Lönig lachend die Hand und erhielt fo bald feine Unbefaugenfeit wieder.

„Ihr Habt mich gar fo inbränftig umſchloſſen, Schwieger - vater,“ fagte er, „daß ic; mic) aus Eurer Umarmung ganz und gar nit losmachen kann und deshalb Euch erſuchen muß, laßt mid ziehen; ih Hab’ zu Haus Geſchäfte.“

„Ihr feht, König Matthias,“ ſprach Georg freundlich, „daß mid) vor der Hand bie Böhmen noch zu lieb haben, um einen Andern zu wünfden. Zwar hat Euch der Bapft zu ihrem König ernannt, aber noch ifl’s zu früh mit bdiefem Borhaben. Selbſt der uns Bierhergeleitet, war ein Böhme, der Euch gebient, aber ſich wieder zu ums gelehrt hat,“

„Ihr Könnt fröhlicher fein, Georg,“ antwortete Matthias, „and freien Sinnes nach Haufe ziehen; ich fehe nur dem Un- frieben entgegen. Der römifche Pfaff wird mid ſchön empfangen, wenn ich unverrichteter Dinge wieder zurüdtchre, Statt Euch zu entthronen umb die Ketzerei auszurotten, hab’ ich einen Spazier- ritt gemadhtl”

„Wir wollen das Geſchehene vergefien und Friede Halten,”

verjegte Georg; „Ihr räumt mir Mähren und fendet mir eine Kifte mit breißigtanfend Dukaten. Ih kann das Geld brauden, und den Legaten wird es weidlich verbrießen, wenn er davon Höre

„Es ſei!“ entgegnete Matthias einſchlagend; „doch die Bres- Tauer, bie mic, im Stiche gelaffen, und das Gefindel von deutſchen Hiffsoölkern, die nicht zu mir fließen, ja fogar im Rüden meines ‚Heeres plünderten, mäffen auf daran.”

„Berweilet einen Tag im Nuttenberg,“ bat Georg, „unb raſtet. Noch Mandes gibt es unter uns zu beſprechen.“

„Habt Dank, Georg,” erwiederte höflich ablehnend Mat- thias; „ih bin fo raſch gekommen und will darum nicht lang- fapter zurüdfehren. Man könnt fonft glauben, id ſchäme mid. Drum Iebt wohl bald befuch' ich Euch friedlich und freund» lich auf ein Gericht zu Prag, wo e8 mir ‚ganz wohl gefallen.’’

Sie ſchieden. Matthias ließ Geißeln zurüd, Der König von Böhmen gab ihm einen Gejandten zur Empfangnahme ber Dufaten. Sein Heer zog fi zurüd, und König Matthias ſchlug die Straße gegen Caslau ein.

„Wo ift mein Befreier, umfer Führer?“ fragte Georg, al6 beim Sonnenaufgang feine Truppen wieder in ber Ebene Lagerten; „ihm müffen wir banken, der uns bie Müh' fo leicht gemacht und Bfutvergießen erſpart hat.”

„Ich will ihm ſuchen,“ verfetzte Sukol, der ſich gerabe in ber Nähe des Königs befand.

Nach einer langen Frif erſt brachte Sufol den Ritter, der jest, wo es Friede wurde, fi im das Dunkel der Einfamleit zurückziehen wollte, Herbeigeführt.

Der König winkte ihm freundfih mit der Hand entgegen.

„Nun aber, junger Mann,” ſprach er, „da mid; Dankbarkeit zwingt, Deinen Namen zu behalten, fo nenn’ ihn mir: Haft

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Du auch fein Wappenſchild, id bin der König, ich kanu Dir eins verleihen.“

„Ich Hab’ ein Schild, mein Herr,” entgegnete Vratislav verbüftert; „doch ein Anderer, nicht Du, hat es befledt. Ich tanu's nicht führen. Hab’ Dank für Alles!“ Er riß fi bie entſtellende Binde vom Kopfe. „Mein König,“ rief er, „jet bin id wieder Dein Gefangener! Hier hab’ ih Dir mit Gott genügt in bem ewigen Kerker, wohin mich Deine Richter gebannt, hätte mich Unthätigleit verzehrt... Jetzt, wo es Friebe iR, kehr' ich wieder dahin zurüd. Bedarfſt Du einmal meiner, König, fo laß mich gnädig rufen.“

„Nicht alfo, Vratislav von Branik, Du mein edelmüthiger Feind 1" gegemredete Georg; „Iprid, warum Du mir jegt fo mil gefinnt geworben, da Du doch vor furzer Zeit Dich noch gegen meine freiheit und mein Regiment verſchworen.“

„Du zogft, o Herr,“ war bes Ritters Antwort, „iegt aus zum Schutz des Glaubens, Haft den Feind gedemüthigt und ger zeigt, daß es noch Böhmen gibt. So Tieb id Did, mein Herr.”

„Als ob ih nicht immer,” warf Georg ein, „für dem Glauben und unfer Recht zu Felde zöge, fei es mit Waffen ober duch Wort und Schrift! &o aber laſſ' ich Dich diesmal nicht entlommen. Wohl ſollſt Du wieder gefeffelt fein, aber nur mit biefer Gnadenkette, welche Dich in Lieb’ und Treue binden mag an uns und unfer Haus, und bie flets mein banfbar Herz er- Öffnen wird.“

„Rdn diefe Kette aud ein Gefängniß öffnen?" fragte Bra- tislav raſch und lebhaft; „wird fie auch meinen Vater befreien aus langer Haft ?"

„und hätte er das Schlimmſte verbroden,“ verſetzte der König, „fein Leben, feine freiheit fei Dein Geſchenk.“

„Verbrochen ?“ wieberholte Vratislav; „er hat fein Bater- fand geliebt wie ih, Hat anf Zion gefochten für den reinen Glau-

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ben, entraun dem Tode durch Henkershand wie durch ein Wunder nnd ſchmoachtet feit jener langen, ewigen Zeit in den Prager Thurmen.“

„Er ſei frei!“ wiederholte der König. „Nun auch erfafſ ih Dich, warm Du alſo glaubenseifrig warſt und mich hafſen konnteſt. Ich ſchulde nicht, was jener deutſche König that; d'rum haltet an. dem Böhmen. Dein wahrer Name!“

Vratislav von Techtie,“ war die Antwort.

„Mein Schwert gibt Dir bier feierlich,“ ſprach Georg, „im Angefichte des Heeres und meiner Felbhauptlente ben Ritterfclag und wäſcht fonad ein geſchmähtes Wappen von allem Argen, was d’ran Heben mag mit Schuld oder Unſchuld. Steh’ auf umb bleibe Deines Könige Freund, der Di ſchätzt. Nun aber, freunde, brechen wir auf nad; biefem fo kurz und leicht beendigtem Feldzuge gen Prag. Die Prager follen ſehen, daß man auch ohne Blntvergießen jchlagen fan, und num den Frieden Hebgewinnen.”

„Erlaubt mir, o Herr,“ bat Vratislav, „der Bote Deines Sieges zu fein. Ich eile voraus nad ber Hauptſtadt. Die Sehnſucht, meinem Vater die Freiheit zu geben, wird mir Flügel teihen ; id) werde raſcher fein als der Ruf vom biefer That bei Kuttenberg. Jede Minute, die ich zögern Lönnte, jede Minute die mein Bater länger Ketten trägt, fcheint mir ein ſchwer Ber- gehen an ihm.“

„So zieh’ mit Gott!" Er entlieh ihn.

Bratislad fprengte, von Sutol begleitet, auf def Strafe nad) ‚Prag dem Heere voraus.

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Se "war am Tage jene Worfalles bei Nuttenberg; da erfdjien zu Prag auf dem Hraddin ein after, abentenerlicher Mann, in gemeiner, grober Bauerntracht, aber einen alten, roſtigen Panzer vorgefhnallt und ein gewaltiges Schlachtſchwert an ben Hüften. Wirr zog fi der grauſchwarze Bart um ben größern Theil feines Geſichtes, aus buſchigen Brauen bligten wild und büfter bie ſchwarzen Augen hervor.

Er ſchritt anf das Burgthor, welches zum alten Schloſſe, der Wohnung des Obrifiburggrafen, fährt, zu, zog fein Schwert, hieb in die Steine, daß fie Funken gaben, und ſchrie: Wo tft der Burggraf? Zdenko von Sternberg, komm Heraus! Gib mir Beiheid! Wo ift mein Kind Hin? Wo ift mein Neffe? Gebt ihn mir heraus, Ihr papiſtiſchen Hunde! Ich will den Bratislav wieber, den Ihr eingeterfert ober gemorbet wie feinen Bater! Selbft die Leihe muß ich Haben! Ich fehreie fünf- faces Wehe über Euch; ich rufe zum Auffland gegen Eud und den König! Ih rüttle an biefen Pfeilern, daß die Mauern Aber Euern Röpfen zufammenbreden und Eud) lebendig mit Eurer Schande begraben! Heda, Heraus, Sternberg! Und Tägft Du im Schrein bes Todes, im Sarg ih rufe Dich heraus! Wehe über Did, wehe über Euch Alle, die Ihr den Glauben geſchandet, die Ihr die Männer des Vaterlandes verrathen! Wehe über den König, der den Kelch nicht ſchützt und die Männer vom Lamme vernichtet, ftatt zu erheben!"

Der Burguogt und die Dienerihaft Tiefen beſtürzt heraus und fragten nad) dem Begehr des wilden, tobenden Gefellen.

„Hunde Ihr Diener der Hunde!“ ſchalt er, „ih bin ein echter Taborit, der fetten Einer, und will mein Kind wieder, das ich zum Race gefendet. Ic bin der Zdenko von CTechtie,

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der aus Zion entflohen und ſo Eurer Wuth entgaugen iſt. Gebt mir den Vratislav von Branik heraus und nehmt mein Leben dafür! Meinen Bruder habt Ihr ſchmählich gemordet, unſer Wappenſchild geſchändet, unfern Namen mit Schmach bededt; Beh’ Eu! Nehmt auch mein Leben; unr gebt mir meinen Neffen Heraus! Er foll Ieben er muß leben für die Rache muß er leben ewig, ewig!"

Mit harten Worten ließen ben Scheltenden jet bie Vögte und Diener an; er aber flug mit dem Schwerte unter fie, indem er rief: „Hier nehmt Lehre von einem alten Taboriten I" und ſchickte fie mit blutigen Köpfen hinein.

Das Bolt Tief zufammen. Der Burgherr aber fürchtete, da der Alte immer noch forttobte, einen Aufftand. Er jdidte alfo zehn beherzte Reiſige hinaus, ließ ben alten Mann, ber fih wie ein Löwe wehrte und noch Mehrere verwunbete, zu Boden ringen, mit Feſſeln beſchweren und in den Thurm werfen. Man gab im den Beſcheid, fobald er fid) beruhigt haben würde, follte ex in’s Verhör fommen und Urtel erhalten. Er hätte deu Burgfrieden gebroden, hieß es, und müfje gezücjtigt werben.

Die Richter fanden hier plöglih "Stoff zu einer weiten Unterfuhung, da Zdenko von Techtie ſich felbft als einen ber Geãchteten, Bogelfreien von Zion erffärte, gegen welche man ben Bann bisher noch nicht aufgehoben.

Das Bolt, weldes fein Geſchrei herbeigelodt, harte mod immer vor der gefcloffenen Burgpforte, teils aus Neugierde, theils aus Theilnahme.

Es war gegen Abend, als Vratislav mit Sulkol ben Hrad- Sin erreichte; fie waren tüdtig geritten. Einen flügtigen Gruß fandte er zu den enftern des Zeöwiciihen Palaſtes hinauf und eilte den Schloßberg hinan.

Hier gewahrte er das verſammelte, lärmende Bolt vor ber verfäloffenen Pforte. Er begehrte Einlaß; man beſchied ihn, es

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würde Niemandem Einlaß gewährt. „Was ift hier vorgefallen ?* fragte er bie Leute. Mehre zugleich beeilten fich, ihm Nachricht zu geben.

Kaum Hatte er den Namen Techtie gehört, als er ausrief: „Rum muß ich hinein! Mein Oheim iſt's; ich bin ber Meffe, den er fuht! Macht Play, Ihr gutem Leutel Tief unten ſchmachtet mein Boter in Feſſeln! Hier diefe Kette bes Königs foll feinen Kerler öffnen. Und wenn dieſe Pforte von Hafterdidem Mar- mor wäre, fo muß ich Binein.“

„ga, macht Plag, Ihr guten Leute, in des Teufels Namen I* wandte fih Sukol an die Berfammlung: „der Ritter, ber edle Branit if’, der dem Könige zum zmeiten Dale, jetzt bei Kelin, wo wir geftegt, das Leben gerettet Hat. Die goldene Nette ift fein, aus des Könige Hand helft ihm den Vater umd dem Oheim ans fhimpflicher Haft befreien.”

Sufol's Worte machten Eindrud auf den lärmenden Pöbel, Nieder mit den Gefängniffen! Nieder mit ben Wächtern! Keine eiferne Jungfrau mehr! Macht fie freil fo lautete es Bier und da aus rauher Kehle. Der Haufen wurde immer größer durch dem Zulauf, während Vratislav gegen das Fenſter hinauf dem Burgvogt fein Begehren vortrug. Diefer ſchien nicht zu hören, oder es war ihm bebenflich, die Pforte eimer folden Menge zügellofer Leute zu öffnen. Das Thor bfieb verſchloſſen.

Bratislav bat, flehte umd drohte; Gutol fluchte. Mehrere ans dem Möbel Hatten Aexte ‚und Brechſtangen herbeigebracht; man fiärmte im rafenden Anlauf das Thor. Die Haspen, Bän« ber und Angeln wichen endlich der würhenden Anftrengung krachend ftürzte es nieder vom Werten zerfplittert, und jubelnd Uber die Trümmer flürgte fi, Bratislav und Sukol an ber Spitze, ber raſende Haufe in den Eingang. Rechts bie Mauer, welche den Hof gegen die Thürme zu eimfaßt, wurde, ba nicht gleich geöffnet warb, niedergeriffen. Der Ritter und Sulol

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ſturzten nad) den Wohnungen der Schließer und Bögte; base Bolt aber, zu weiter feinem rcefle aufgelegt und nur Kingerifien von Theilnahme für den Ritter umb feine feltfame Lage, blieb zurüd; es fagerte fich im Gruppen auf den Mauer- und Bret- tertrümmern. . Biele brannten Fichten umb Kiefernäſte, melde als Breunſtoſſ in einer Ede des Hofes Sagen, an und beleuchteten fo mit rothem feuer ben Hof und die Umgebung, baf es in der ferne ausfoh mie eine Feuersbrunſt. Sie wollten nämlich das Schauſpiel Haben, zu fehen, wie der Ritter Bater und Oheim aus bem Kerker am das freie Licht emporgeleiten würde.

Ades diefes war fo fähnel heſchehen daß der Wurgvogt denn ber Burggraf und alle Beamte des Hauſes waren theils verreift, theils abweſend meter Zeit, noch Faſſung gewann, aus dem neuen Schloffe eine Verſtärkung ber Wachen herbeirufen zu laſſen. Und dies wohl au zum Glüde: denn in biefem Sale wäre ſicherlich viel Blut gefloffen, weil der Böhme leicht zum Widerſtand geneigt if, während auf diefe Art nur eine Mauer und ein Thor, leicht zu erfegenhe Gegenflände, zertrüm · mert wurden.

Auf ſeinen Armen trug Vratislav den Vater aus dem Kerker empor. Der matte Alte konnte nur gebrochen: Mein Sohn, mein Sohn Vratislav! ſtammeln; rende, Ueberraſchung. Seligleit, Spannung preßten ihm die Kehle.

Bratisfad trat mit feiner Laſt unter das Boll. Die Flamme beleuchtete ihn und den Vater, deſſen Silberlocken, beffen mageres, geifterhaftes Antlig, feine Ketten, fein zerfegtes Gewand. Bon der andern Geite dam jest Zdenko von CTechtie an Gn- tors Hand.

Jubelnd empfing ihn das Boll. Im Nu waren die Ketten von ihren Armen und Füßen gelöfl.

„Du bift frei, mein Vater,“ jauchzte Bratislav, „und Dich ſeh' ich wieder, mein Oheim! O Seligkeit fonder Gleichen, o

barınherziger, gmäbiger Himmel, Freudenquell ohne Ende, ſchließe Did, fonft muß meine ſchwache Menfcenbruft erliegen I“

„Wie?“ fehrie entſetzt Zdenfo auf, „öffnen fi bie Gräber, geben die Grüfte ihre Atzung wieder von fi? I es Herenfpiel, mid) alten Mann wahnfinnig zu machen? Das Mingt wie meines Bruders Stimme und, Vratislav, Du nennft dies athmende Gerippe Bater! Heiliger, barmberziger Gott, lafı dies keinen Zraum, feine Ausgeburt des Irrfinnes fein, ober endel ende! fonft erfaßt mich Raſerei und ich wüthe gegen bie Menfchheit und mid.”

Er ftürzte im ihre Arme. Boleslav’s Knie braden ex fanf auf einen Trümmerhaufen nieber. „Mein Bruder und mein Sohn!“ wimmerte er; „das Gehirn Tann es nicht faflen. Iſt diefes Zageshelle, was vor mir blinkt? iſt's Sonnenlicht? Ich habe die Sonne fo lange nicht gefehen, daß ich fie nicht wieder erkenne. Und bift Du frei, mein Kind? Werden fie Did nicht wieder fangen, uns Beide nicht wieder in das feuchte Gewölbe werfen?

„Nein, nein!“ frohlodte Bratislan; „des Könige Spruch macht uns frei, er adelt unfern Namen wieder und reint das Wappenſchild von unverdienter Schmach.“

Er rief einem ber Bögte, welcher bewundernd da fland, zu: „Hier, Freund, die Kette gab mir der König als Zeichen der Freiheit für uns. Being’ fie dem Herrn Obriftburggrafen. Sag’, ic) fei ein wenig raſch geweſen ich ging nicht den langſamen Weg des häufigen Anfragens; aber ich Hab’ in Freud und Schmerz nur eim menſchliches Herz, Gern will id büßen, mas ic darin gefehlt; ber König wird mein milder Richter kin

„Alſo wirklich frei?“ ſprach Boleslav, und feine Thränen firömten auf die bürren Hände herab, im deren Knochen ber Eifenring eine Furche gedrüdt, „und nicht entehrt? ale ein

Herlogfohn: Der legte Taborit. II. 7

„Es gibt eimen Gott einen Gert der Gerehtigfeitt” Arad; ermi wub feierih Zoenke weh blickte mit Feen unge jur Gimmel emzer.

„Bor ik gres? betete Sutol tief gerührt amd erichättert.

.®o ik Prag” feige Bolesiss mir jitterader, beinafe findiicher Erimme; „ih mus mein Prız ichen, bever ich Rebe; denn der irentige Edired tödte: mi doch. Dies Bücher ſehen ik cin Bid der Auferſtehnag?: Hört Ihr ie Poiaune Yröguen? Mit ruft es ich gehe der Erik, aber verjöhet umb gereinet von der Erde. Bas in eim Rlbermer Lich:glanz. Ih Haube, er fommt von jenem tern, auf weißem Bojena wohnt. Zrogt mit, hinaus, zeigt mir Frag, die hehre Königsflaht, den Sitz der Fürften, die der Belt Geiege gegeben zeigt mir Die leuchiende Moldau mad die glänzenden Thäürme. IG will in biefem Aublid Rerben.”

Bratislan erhob ſachte den Greis und trug ihn zum Burg- thore hinaus anf den weiten Raum, der zum Wale führte. Bom hier ans laun man die Rieſenſtadt im ihrer weiteften Ausdehnung Mberbliden. Unter fih zu Füßen hat man die Mieinfeite, rechts drüben den Lorenjberg und einen Theil des Hrabäing vor AG drüben am reiten Ufer die Alt- and Reuflebt und rechts weithin über ber Vrüde und Hinter den Jufelm dem auf Felſen gethärmten Byöchtad.

Zdenlo und Sulol waren gefolgt. Stumm und in heiligen Gen folgte das Bolt mit dem Pechfadeln. Alles lagerte fih draußen auf dem Raſen. Mitten über der Moldau, zwiſchen jenen beiden Iufeln Bing der Mond uud beienäitete fat taghell

die. Stadt: Dies doppelte Licht, welches nun auf bie Gruppe fiel, gab ihr ein geifterhaftes, jeltfames Anfehen.

Boleslav ſtarrte mit weitgeöffneten Augen nad der Stadt und lief wieder die Blide ſchweifen vom Strom zu Gebäuden, von der Brüde zu Thürmen umd fuchte fi die Punkte, wo er gelebt, in der Erinnerung zurück.

Eine heilige Stille Iag über der Berfammlung; nur bie brennenden Aeſte nifterten, und die rothe Flamme ſchwaukte über die Gruppe hin und wieder.

„Erde Du bift fo ihön!“ brach endlich Boleslav mit tiefer Stille das Stillſchweigen; „warum and jo vergänglich ?“

„Bir haben einen Frühling und einen Sommer verfäumt,” nahm Zdenko das Wort; „Bruder, wir müffen ihm jenfeits wwieberfinden I"

„Leben, wie bift Du fo ſchön,“ wiederholte Boleslav; „aber gerade im Morgenrothe fo kurz Mach langer Nacht öffnet fich des Auferſtandenen Auge dem Fichtftrahl, um ſich bald wieder zu ſchließen. Heiliges Prag, Stadt meiner Bäter, wo ihre ange beteten Gebeine ruhen nimm meinen Segen ben Segen eines Sterbenden! Ewig heil und glänzend wölbe fi ber Him- mel, feine die Sonne über Dir! Ruhm und Glanz und Gegen Deinen Königen! Mögen fie mild fein und gerecht! Die Liebe wird fie dann umfirahlen. Sei eine fee Burg, Prag; bfeibe die Schwelle, an ber des Feindes Fußtritt ſtrauchelt und zerfplittert. Leb' wohl, Vaterland I"

„Bater, mein Vater!“ rief Bratislav, über ſolche Abſchieds- worte beftürzt, aus, „warum biefer Zuruf bes Scheidens ? Kehr' Di wieder rüdwärts nad) dem Leben. Wieder liegt es vor uns im Glanze der Freiheit, mit Blüten gef mädt, mit Früchten gefegnet. Noch ift die Exde ſchön, und umfre Herzen, die fo lange der Rrampf bes Schmerzes gepreft, wollen ausſchlagen

in ber Freude.“ [2

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„Bruder Boleslau!“ ſprach Zdente, „das Leben wird wieder ſchon, wenn wir es wieber fieben fernen.“

„Ih fühle, daß es Zeit vam Scheiben wird,” fuhr Boleslav matt fort; „was foll ich Euch die Stunde verfchweigen ? Ich gehe gern; hab’ id} doch jet alle Macht irdiicher Wonne, Alles, was in langjähriger Gefangenihaft meine hoffende Seele eriehnt, amd noch mehr, erlebt, daf das fernere Daiein mir arın ericheinen müßte und farblos! Die milde Rachtluft fügt meine Glieder und fänfelt dur mein weißes Haar, das in der Finſterniß ge- bleicht iR: aber im Junern riefelt der falte Athem des Todes. Erde, Baterland, meine Geliebten, Iebet wohl! Jenes ſchöne Weib mit dem Schwanenarme, den fie in meine Nacht getaudt, hat Bort gehalten. Damals mußte ich leben, um aufzuerfichen jegt nicht! jegt will id zum zweiten Male auferfichen. Jetzt winkt fie dort oben zum Wiederfehen und zur Berſöhnung. Ih habe die freie Luft getrunfen, mein Auge bat den Bruder und Sohn wiebergefehen; ich weiß, daß mein Name rein gewaſchen von aller Schmach, daf ih Cuch in Glüd und Ehren hier zur rüdiaffe, daß mir die Welt verziehen, wie id; ihr verzeihe. Was mid, was foll ih auf Erden noch mehr?“

„D mein Vater!“ weinte Vratislav und verbarg fein Haupt an feiner Bruft, „halt' ein, halt ein, Du brichſt mein Herz! Kaum gewonnen und ſchon twieber verloren! Mein, nein, es ift unmöglih! Der barmberzige Gott fann im der Fülle feiner Gnade nicht zugleich jo graufam fein t*

„Bet’ ihn an,” verfegte Boleslav, „in Demuth, wie id ihn anbete, umd dank’ ihm für dieſes umd Alles, wie ih ihm banfe für dieſen leichten Tod. Ich fegne Dich, mein Sohn, im Namen Goltes des Allmächtigen, Albarmberzigen. Bleib rein und fromm und ende wie Du begonnen. Noch Eins! Bring” bem Neuhaufer den Gruß eines Sterbenden und das Wort ber Verjöhnung. Ueber den Gräbern reicht Euch die Hände. Der

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Haß if irdiſch, aber ewig ift die Liebe. u naht? wer naht?“

Er richtete ſich auf fein Bruder Alte ihn.

Ein Weib im weißen, feltfamen Gewande ftürzte laut jhreiend durch das Burgthor. „Wo iſt er? Wo ift Slup, mein Ge Hiebter, mein Gatte? Er ift frei, fagen fie, er ift nicht tobt. Gebt mir ihm wieder! Gebt mir den Gatten!“

Sie ftürzte fi) unter die Gruppe.

„Weh'!“ rief Boleslav mit matter Stimme; „noch einen Zoll des Schredens, aber aud des Troftes I"

Mit herzzerſchneidender Stimme warf ſich das Weib es war Madlena neben dem vermeintlichen Slup nieder, küßte ſchluchzend feine Arme und Hände, umfdlang ihu mit Inbrunft nnd geberdete fich wie eine Raſende.

Boleslav wollte fie losreißen, indem er rief: „Du bift im Irrthum, Wahnfinnige!“

Vratislav hielt ihn zuräd, indem er fagte; „Selbft im Irr⸗ tum ift der Schmerz ehrwürdig. Laß ihr die Täuſchung enttäufcht wäre fie grenzenlos elendb. Dem Tode beffen, welchen fie Hier wieberzufinden meint, danken wir des Vaters Rettung. Wahrheit würde fie tödten.“

„Ich habe Dich wieder!” kreiſchte weinend das Weib, „wie ich es gläubig gehofft und geafmt. Die Blutfehud if von Die gewichen, Deine Hände find rein gewafchen von ben Thränen der Buße. Und Dein Kind Iebt, die Zlata febt und ſtrahlt, in Glanz und Schönheit. Du wirft Dein Kind, unfer herrlich Kind wiederfehen. Ein Ritter freit fie fie wird jauchzen beim Anblid des Vaters! Oh ohl" -

Sie verftummte. Lange ſprachlos Tag fie über dem ver- meintlihen Geliebten hingebeugt ihren Mund auf den feir nigen gepreft.

über

mein Bater! der cislalten Hand „o Fehr mur mod Einen Augenblid zurüd! Rur der Liebe, das lebte Wort noch Höre! Al - erbarmer, gib ihm noch einen Pulsidhlag des Lebens! Er kaus

Des Gterbenden Mund öffnete ſich „Bejena !" Tifpelte er faum hörbar dam ſchloß er fi) für ewig bie Glieder firedten fih. Er hatte vollendet.

Zdenlo ſchluchzte laut. Sulol ſtieß wild fein Schlachtjchwert in die Erde und grollte, an fein naſſes Auge faſſend: „Im jedem Tropfen Bein muß Wermuth fein!“

„Exde, du biſt fo ſchön!“ Magie Bratislav; „warum aber fo vergänglih? O mein ſchönſter Gtern, warum bif du ge- funten, als du kaum anfgeblüßt in finfterer Naht? O Tob, Zob, gib mir auf Einen Angenblid noch biejes Leben heraus aus deinem Kerker, das du im der ſchönſten Minute gefohlen! fo bin ih wieder allein auf der Welt und habe dem Beſitz nur errungen, um ihn wieber zu verlieren? Armes armes Leben, arme Erde! Bater, nimm mich mit Dirt“

Bdento reichte ihm die Hand umb ſprach tröſteud: „Laßt bie Zodten ruhen! Ihr Friede ift Heilige Freiheit. Gie find gm beneiden, mar wir find zu beweinen. Die Erde iſt nicht ewig. und Sterne leuten am Himmel. Lebe, mein Sohn, weil id bin Dir Haft noch diefe müden Augen zuzudrücken.“

Weinend ſturzte Bratiefad in feine Arme und warf AG nieber auf die Leiche und bebedte das tobte Antlig mit feinen Küffen.

Bom innern Geifte ergriffen betete jet Halblaut die tiefer- ſchutterte Menge das Bater unfer, und ein Priefter, welder fi

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darunter befand, intonirte laut dag: Requiescant in pace, et lux perpetus lucest eis!

A porta inferi libera nos, Domine! Amen! ant wortete im Chore bie Berfammlung,

Das Sterbeglödlein tönte von der Sankt Georgafiche fein milder, weicher Ton ſchwamm wie ein frieblicher Abſchieds- geuß durch die fille Nachtiuft. Der Mond font freundlich Hinter den Lorenzberg hinab.

Ein heller Schein brach von dem fteilen Fahrweg neben der alten Schloßftiege herauf. Ein Ritter und eine Dame nebft ihrem Gefolge, welches Windfackeln trug, mahten zu Roſſe. Sie näherten ſich ſtaunend ber beleuchteten Gruppe und Bielten verwundert fill.

„Der Ritter Spanberg und feine junge Gattin Lidmila von Roſenberg!“ raunte Sulol Bratislav'n zu.

Bratislav blicdte vom Boden fein Auge traf Lidmila's von ber Flamme Hell erleuchtetes Antlitz. Er barg das Gefidt in feine Hände. Da hörte er Spauberg’s Stimme, der fih nah dem Borfalle erfundigte. Vratislav's Hand zudte nad dem Schwerte, welches neben ihm lag: aber ein Blick auf die fried- lichen Todten gebot feinem Blute Ruhe.

Einer aus ber Verſammlung hatte dem Spanberger in- zwiſchen Veſcheid über das Creigniß gegeben; er wandte fid zu feiner Gattin, die bei der Nenmmng von Vratislav's Namen er- bleichte und im Sattel fhwantte, indem er ſprach: „Einem großen und gerechten Schmerz find viele Zeugen läſtig. Leicht fei den Todten die Erde, Friede und Verſöhnung aber den Le benden, bie fich feindlich gegenüberftanden I”

Er ritt mit feiner Dienerfchaft an ber Gattin Seite, welde feine Hand unterflüßte, über bie Trümmer des erbrochenen Thores in die Burg. Der Fadeliein erlofh in dem Bogengange der Pforte.

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der aus Zion entflohen und ſo Eurer Wuth entgangen iſt. Gebt mir den Vratislav von Branik heraus und nehmt mein Leben dafür! Meinen Bruder habt Ihr ſchmählich gemordet, unſer Wappenſchild geihändet, unfern Namen mit Schwach bededt; Beh Euch! Nehmt aud mein Leben; nur gebt mir meinen Neffen Heraus! Er fol leben er muß leben für die Rache muß er leben ewig, ewig!" "

Mit harten Worten ließen den Scheltenden jet bie Vögte und Diener an; er aber ſchlug mit dem Schwerte unter fie, indem er rief: „Hier nehmt Lehre von einem alten Taboriten I” und ſchickte fie mit blutigen Köpfen hinein.

Das Bolt Tief zufammen. Der Burgherr aber fürd;tete, da der Alte immer noch forttobte,. einen Aufftand. Er ſchickte alfo zehn beherzte Reiſige hinaus, ließ ben alten Mann, ber fih wie ein Löwe wehrte und noch Mehrere verwunbete, zu Boben ringen, mit Fefleln beſchweren und in ben Thurm werfen. Man gab ihm den Veſcheid, ſobald er ſich beruhigt haben würde, follte er in's Verhör fommen und Urtel erhalten. Ex Hätte den Burgfrieben gebrochen, hieß es, und müffe gezüchtigt werben.

Die Richter fanden Hier plöglic "Stoff zu einer weitere Unterfu_hung, da Zdenko von Cedtic ſich felbft als einen ber Geächteten, Bogelfreien von Zion erflärte, gegen welde man ben Bann bisher noch nicht aufgehoben.

Das Bolk, welches fein Gefchrei Herbeigelodt, harte noch immer vor der geſchlofſenen Burgpforte, theils aus Neugierde, theils aus Theilnahme.

Es war gegen Abend, als Vratislav mit Sukol den Hrab- Sin erreichte; fie waren tüchtig geritten. Einen flüchtigen Gruß fandte er zu den Fenſtern des Zeöwiciihen Palaftes hinauf und eilte den Schloßberg hinan.

Hier gewahrte er das verfammelte, Tärmende Volk vor der verfäloffenen Pforte. Er begehrte Einlaß; man beſchied ihn, es

%

würde Niemandem Einlaß gewährt. „Was ift hier vorgefallen ?* fragte er die Rente. Mehre zugfeidh beeiften fih, ihm Raceiht zu geben.

Kaum Hatte er ben Namen Techtiec gehört, als er ansrief: „Run muß id) hinein! Mein Oheim ifrs; id) bin der Neffe, den er fuht! Macht Pla, Ihr guten Leute! Tief unten ſchmachtet mein Bater in Feffeln! Hier dieſe Kette des Königs foll feinen Kerler öffnen. Und wenn biefe Pforte von Hafterdidem Mar- mor wäre, fo muß ich Binein.“

„Ja, macht Platz, Ihr guten Leute, in des Teufels Namen !* wandte fich Sufol am die Verſammlung: „ber Nitter, der eble Branik iſt's, der dem Könige zum zweiten Male, jet bei Kolin, wo wir geftegt, das Leben gerettet Hat. Die goldene Kette iſt fein, aus des Könige Hand Helft ihm den Vater umd dem Oheim aus jhimpfliher Haft befreien.”

Sutols Worte machten Eindrud auf ben lärmenden Pöbel. Nieder mit den Gefängniffen! Nieder mit ben Wächtern! Keine eiferne Jungfrau mehr! Macht fie freil fo lautete es hier und da aus rauher Kehle. Der Haufen wurde immer größer durch dem Zulauf, während Vratislav gegen das Fenfter hinauf dem Burgvogt fein Begehren vortrug. Diefer ſchien nicht zu hören, oder es war ihm bebenflich, die Pforte einer folchen Menge zlgellofer Leute zu öffnen. Das Thor blieb verſchloſſen.

Bratislav bat, flehte umd drohte; Gufol fluchte. Mehrere ans dem Pobel Hatten Aerte ‚und Brechſtangen herbeigebracht; man ftürmte im rafenden Anlauf das Thor. Die Haspen, Bän- der und Angeln wichen enbli ber wüthenden Anftrengung krachend ſtürzte es nieber von Aerten zerfplittert, und jubelnd über die Trümmer ſtürzte ſich, Vratislav und Sulol an ber Spitze, ber raſende Haufe in den Cingang. Rechts die Mauer, welche den Hof gegen die Thurme zu einfaßt, wurde, da nicht gleich geöffnet ward, niebergeriffen. Der Witter und Sukol

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ſturzten nach den Wohnungen ber Schließer und Bögte; base Bolt aber, zu weiter feinem Ereeſſe aufgelegt und nur hingeriffen von Teilnahme für den Ritter umd feine feltieme age, blieb zurüd; es lagerte fi in Gruppen anf den Mauer- und Bret- tertrümmern. . Biele brannten Fichten- umd Kiefernäſte, welche als Brennftoff in einer Ede bes Hofes lagen, an und befenchteten fo mit rothem Feuer den Hof und bie Umgebung, daß es in der Ferne ausſah wie eine Feuersbrunſt. Sie wollten nämlich das Schaufpiel haben, zu fehen, wie der Ritter Bater und Oheim aus dem NXerler an das freie Licht emporgeleiten würde.

Alles diejes mar fo fehnell geichehen, daß der Burguogt denn der Burggraf und alle Beamte des Hauſes waren theile verreift, theils abweſend weter Zeit, noch Faffung gewann, aus dem neuen Schloſſe eine Berſtärkung ber Wachen berbeirufen zu laffen. Und dies wohl aud zum Glüde: denn in biefem Falle wäre ſicherlich viel Blut gefloffen, weil der Böhme leicht zum Widerſtand geneigt if, während auf dieſe Art nur eine Mauer und ein Thor, leicht zu erfegenhe Gegenftänbe, zertrüm · mert wurden.

Auf feinen Armen trug Vratislav den Vater aus dem Kerler empor. Der matte Alte konnte nur gebrochen: Mein Sohn, mein Sohn Bratislav! ſtammeln; rende, Ueberraſchung. Seligkeit, Spannung preften ihm die Kehle.

Bratislav trat mit feiner Laſt unter das Boll. Die Flamme beleuchtete ihn und den Vater, defien Silberlocken, deſſen mageres, geifterhaftes Antlig, feine Ketten, fein zerfegtes Gewand. Bon ber andern Seite fam jet Zdenko von Techtic an Su- kol's Hand.

Zubelnd empfing ihn das Boll. Im Nu waren die Ketten von ihren Armen und Füßen gelöft.

„Du bift frei, mein Bater,“ jauchzte Vratislav, „und Dich feh' ih wieder, mein Oheim! O Seligkeit fonder Gleichen, o

Lu

barınherziger, guädiger Himmel, Freudenquell ohne Ende, ſchließe Did, fonft muß meine ſchwache Menſchenbruſt erliegen l“

„Wie 7“ ſchrie entſetzt Zdenko auf, „öffnen fi die Gräber, geben die Grüfte ihre Abung wieder von fi? IM es Herenfpiel, mid, alten Mann wahnfinnig zu mahen? Das klingt wie meines Bruders Stimme und, Vratislav, Du nennft dies athmende Gerippe Bater! Heiliger, barmberziger Gott, laß bies keinen Zraum, feine Ausgeburt des Irrſinnes fein, oder ende! ende! fonft erfaßt mic Raſerei und ich mwüthe gegen bie Menfchheit und mid.“

Er flürzte in ihre Arme. Boleslav's Knie braden er fanf auf einen Trümmerhaufen nieder. „Dein Bruder und mein Sohn!“ wimmerte er; „das Gehirn Tanıı e8 nicht fallen. Iſt diefes Tageshelle, was vor mir blinkt? iſs Sonnenlicht? 36 habe bie Sonne fo lange micht gefehen, daß ich fie micht wieder erfenne. Und bift Du frei, mein Kind? Werden fie Dich nicht wieder fangen, uns Beide nicht wieder in das feuchte Gewölbe werfen? "

„Nein, nein!“ frohlodte Vratislav; „des Könige Spruch madt uns frei, er adelt unfern Namen wieder und reint das Wappenſchild von unverdienter Schmach.“

Er rief einem der Bögte, welcher bewundernd da fand, zu: „Hier, Freund, die Kette gab mir der König als Zeichen der Freiheit für uns. Bring’ fie bem Herrn Obrifiburggrafen. Sag), ic) fei ein wenig raſch geweſen ich ging nicht ben langſamen Weg des häufigen Anfragens; aber id) hab’ in Freud und Schmerz nur ein menſchliches Herz. Gern will ih büßen, was ih barin gefehlt; der König wird mein milder Nichter fein.

„Alſo wirklich frei?“ ſprach Boleslav, und feine Thränen Mrömten auf die dürren Hände Herab, in deren Knochen der Eifenring eine Furche gebrüdt, „umd nicht entehrt? als ein

Herloßfohn: Der legte Taborit. IL 7

ſehen ift ein Bil ber Auferſtchnag! Hört Ihr bie Poianue Sröguen? Mid ruft es id} gehe der Erfe, aber verjöhnt mb gereinet von der Erbe. Dos if eim filbermer Lichtglanz. Ih glaube, er fommt von jenem Stern, auf welchem Bojena wohnt. Zrogt mid hinaus, zeigt mir Frag, die hehre Köuigeñiadt, den Ei der Fürften, die der Belt Griege gegeben jeigt mir die Imctende Moidan mud bie glänzenden Thärme. I will

Shen folgte das Bolt mit den Peäfadrln. Alles lagerte fih Drauen auf dem Bafen. Mitten über der Moldan, zwilchen jenen Weiden Iufckn King Mond und beienchtete far taghell

die. Stadt: Dies doppelte Licht, welches nun auf bie Gruppe fiel, gab ihr ein geifterhaftes, feltfames Anfehen.

Boleslav farrte mit weitgeöffneten Augen nad der Stadt und ließ wieder die Blide ſchweifen vom Strom zu Gebäuden, von der Brüde zu Thürmen und fuchte fi die Punkte, wo er gelebt, in der Erinnerung zurück.

. Eine heilige Stile lag über der Verfammlung; nur bie brennenden Aeſte Inifterten, und die rothe Flamme ſchwankte über die Gruppe hin und wieber.

„Erde Du bift fo ſchön!“ brach endlich Boleslav mit tiefer Stille das Stillihweigen; „warum and fo vergänglich

„Wir haben einen Frühling und einen Sommer verfänmt,“ nahm Zdenko das Wort; „Bruder, wir miffen ihm jenſeits wiederfinden I

„Leben, wie bift Du fo ſchön,“ wieberhofte Boleslav ; „aber gerade im Morgenrothe fo kurz! Nach langer Nacht öffnet ſich des Auferftandenen Auge dem Lichtſtrahl, um ſich bald wieder zu ſchließen. Heiliges Prag, Stadt meiner Bäter, wo ihre ange- beteten Gebeine ruhen nimm meinen Segen ben Gegen eines Sterbenden! Ewig hell und glänzend wölbe fih der Him- mel, feine die Sonne über Dir! Ruhm und Glanz und Segen Deinen Königen! Mögen fie mild fein und gerejt! Die Liche wird fie dann umſtrahlen. Sei eine fefte Burg, Prag; bleibe die Schwelle, am ber bes Feindes Fußtritt ſtrauchelt und zerſplittert. Leb' wohl, Baterland I“

„Vater, mein Vater!“ rief Vratislav, über ſolche Abſchieds · worte beſtürzt, aus, „warum dieſer Zuruf des Scheidens ? Kehr' Did wieder ruckwärts nach dem Leben. Wieder liegt es vor uns im Glanze der Freiheit, mit Blüten geſchmückt, mit Früchten gefegnet. Noch ift die Erde ſchön, und umfre Herzen, die fo lange der Krampf des Schmerzes gepreßt, wollen ausſchlagen in ber Freude.”

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„Bruder Boleslav!“ ſprach Zdenko, „das Reben wird wieber ſchön, wenn wir es wieber Tieben lernen.“

„Ih fühle, daß e8 Zeit zum Scheiben wird,” fuhr Boleslav matt fort ;. „was fol ich Euch die Stunde verſchweigen? Id gehe gern; Hab’ ich doch jegt alle Macht irdiſcher Wonne, Alles, was in langjähriger Gefangenihaft meine hoffende Seele erjehnt, unb noch mehr, erlebt, daß das fernere Dafein mir arm erſcheinen müßte und farblos! Die milde Nachtluft küßt meine Glieder und fänfelt dur mein weißes Haar, das in ber Finſterniß ge- bleicht ift; aber im Innern riefelt ber kalte Athem des Todes. Erde, Vaterland, meine Geliebten, Iebet wohl! Jenes ſchöne Weib mit dem Schmanenarme, ben fie in meine Nacht getaucht, hat Wort gehalten. Damals mußte ich Ieben, um aufzuerftehen jest nicht! jegt will id zum zweiten Male auferftehen. Jetzt winkt fie bort oben zum MWieberfehen und zur Berfühnung. Ich habe die freie Luft getrunken, mein Auge hat den Bruder und Sohn vwiedergefehen; ich weiß, daß mein Name rein gewaſchen von aller Schmach, daß id Euch in Glüd und Ehren bier zur rüdiaffe, daß mir die Welt verziehen, wie ich ihr verzeihe. Was will, was foll ich auf Erden nod mehr?“

„D mein Vater!“ weinte Vratislav und verbarg fein Haupt an feiner Bruſt, „halt ein, Halt’ ein, Du brichſt mein Herz! Kaum gewonnen und ſchon wieber verloren! Nein, nein, es iſt unmögih! Der barmberzige Gott fann im ber Fülle feiner Gnade nicht zugleich fo graufam fein!”

„Bet' ihn an,“ verfegte Boleslav, „in Demuth, wie ich ihn onbete, und dank' ihm für dieſes und Alles, wie ich ihm danke für dieſen Teihten Tod. Ich fegne Di, mein Sohn, im Namen Gottes des Allmächtigen, Allbarmherzigen. Bleib rein und fromm und ende wie Dur begonnen. Noch Eins! Bring’ dem Neußaufer den Gruß eines Sterbenden und das Wort der Berjöhnung. Ueber den Gräbern reicht Euch die Hände Der

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Haß if irdiſch, aber ewig ift die Liebe. Be naht? wer naht ?*

Er richtete ih auf fein Bruder Räte ihn.

Ein Weib im weißen, feltfomen Gewande ftärzte laut ſchreiend durch das Burgthor. „Wo if er? Mo iſt Slup, mein Ge Hebter, mein Gatte? Er ift frei, fagen fie, er ift mit tobt. Gebt mir ihn wieder! Gebt mir den Gatten!“

Sie ftürzte ſich unter die Gruppe,

„Weh'!“ rief Boleslav mit matter Stimme; „nod einen Zoͤll des Schreckens, aber aud des Troſtes I"

Mit herzzerſchneidender Stimme warf fih das Weib es war Mablena neben dem vermeintlichen Slup nieder, küßte ſchluchzend feine Arme und Hände, umſchlang ihu mit Inbrunft und geberbete fi wie eine Raſende.

Boleslav wollte fie losreißen, indem er rief: „Du biſt im Irrthum, Wahnſinnige !"

Vratislav hielt ihn zurüd, indem er ſagte; „Selbſt im Irre tum ift der Schmerz ehrwurdig. Laß ihr die Täufhung enttäufcht wäre fie grenzenlos elendb. Dem Tode beffen, weichen fie hier wiederzufinden meint, danken wir des Waters Rettung. Wahrheit würde fie töbten.”

„Ich Habe Did; wieder!“ kreiſchte weinend das Weib, „wie ich es gläubig gehofft und geahnt. Die Blutſchuld if von Dir gewichen, Deine Hände find rein gewaſchen von den Thränen der Bufe. Und Dein Kind Iebt, die Zlata lebt und firahlt,in Glanz und Schönheit. Du wirft Dein Kind, unfer herrlich Kind wiederſehen. Ein Ritter freit fie fie wird jaudzen beim Anblid des Vaters! Oh ohl“

Sie verſtummte. Lange ſprachlos Tag fie über bem ver- meintlichen Geliebten hingebeugt ihren Mund auf ben fei- nigen gepreht.

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Man wollte fie erheben fie war eine Leiche und lag über einer Leide. -

„Vater, mein Vater!” ſchrie Vratislav auf und faßte nad, der eislaften Hand „o Fehr nur noch Einen Augenblid zurüdt Nur no Ein Wort der Liebe, das letzte Wort noch höre! Al- erbarmer, gib ihm noch einen Puleſchlag des Lebens! Cr kann nicht vollendet haben.“

Des Sterbenden Mund öffnete fi „Bojena I“ fifpelte er kaum hörbar danm ſchloß er fi für ewig die Glieder firedten fi. Er Hatte vollendet.

Zdenlo ſchluchzte laut. Sukol ftieß wild fein Schlachtſchwert in die Erde und grollte, an fein naſſes Auge fafend: „In jedem Tropfen Wein muß Wermuth fein!"

„Erde, du bift fo ſchön!“ klagte Vratislav; „warum aber fo vergänglig? O mein. fHönfter Stern, warum bift dir ge- funten, als du faum aufgeblfüht in finfterer Naht? O Tod, Tod, gib mir auf Einen Augeublid noch diefes Leben heraus aus deinem Kerker, das du im der ſchönſten Minute geftohlen! Alſo bin ih wieder allein auf der Welt und Habe den Belig nur errungen, um ihn wieder zu verlieren? Armes armes Leben, arme Erde! Bater, nimm mich mit Dir!“

Zdenlo reichte ihm die Hand und ſprach tröſtend: „Laßt die Todten ruhen! Ihr Friede ift Heilige Freißeit. Cie find zw beneiden, nur wir find zu beweinen. Die Erde iſt nicht ewig, and Sterne leuchten am Himmel. Lebe, mein Sohn, weil ich bin Di Haft noch diefe müden Augen zuzudrücken.“

Weinend ftürzte Vratislav in feine Arme und warf RG nieder auf bie Leiche und bededte das tobte Antlig mit feinen Küffen.

Vom innern Geiſte ergriffen betete jet Halblaut bie tiefer- ſchutterte Menge das Vater umfer, und ein Priefter, welcher fi

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darunter befand, intonirte laut das: Requieseant in. pace, ot lux perpetua lucest eis! B

A porta inferi libera nos, Domine! Amen! ant- wortete im Chore bie Verſammlung.

Das Sterbeglödiein tönte von der Sankt Georgefiche fein milder, weiher Ton ſchwamm wie ein friedlicher Abjchiede- gruß durch die ſtille Nachtluft. Der Mond ſank freundlich hinter den Lorenzberg hinab.

Ein Heller Schein brach von dem fleiten Fahrweg neben der alten Schloßftiege herauf. Ein Ritter und eine Dame nebft ihrem Gefolge, welches Windfackeln trug, mahten zu Roffe. Sie näherten ſich fiaunend ber beleuchteten Gruppe und Bielten verwundert fill. .

„Der Ritter Spanberg und feine junge Gattin Lidmile von Rofenberg!“ raunte Sufol Vratislav'n zu.

Bratislav blidte vom Boden fein Auge traf Lidmila's von ber Flamme Heil erleuchtetes Antlig. Er barg das Geſicht in feine Hände Da hörte er Spauberg's Stimme, der fih nad dem Borfalle erfundigte. Vratislav's Hand zudte nad dem Schwerte, welches neben ihm lag: aber ein Blid auf die fried- lichen Todten gebot feinem Blute Ruhe.

Einer aus ber Berfammlung Hatte dem Spanberger in- zwiſchen Beſcheid über das Ereigniß gegeben; er wandte fid zu feiner Gattin, die bei der Nennung von Vratislav's Namen er- bleichte und im Sattel ſchwankte, indem er fprah: „Einem großen und gerechten Schmerz find viele Zeugen läfig. Leicht fei den Todten die Erde, Friebe und Verſöhnung aber ben Le benden, bie fi feindlich gegenüberftanden l“

Er ritt mit feiner Dienerfchaft an ber Gattin Seite, welche feine Hand unterflügte, über bie Trümmer des erbrochenen Thores in die Burg. Der Fackelſchein erlofh in dem Bogengange ber Pforte. .

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„les, ‚Alles, Alles verloren,“ klagte Bratisiad bumpf vor fi Hin, „aur das elende, armfelige Leben gerettet! Und weiter nichts! Gednldet und geſchmachtet, um zu hoffen, und jetzt jede Hoffnung todt!

Bas ich Liebe, kaun ich nicht. befigen; Barum fol da Ieben, was ich haſſe?

Und ich Hafje mein Leben.“

„Die Sterne verblaffen,” rief Zdenko mit Erhebung, „gerade wie ein Menfchendafein; aber fie feuchten wieder in ber nächſten Nacht. Gott if groß, fein Wille unerforſchlich. Wir wollen die Hand anbeten, welche uns in ben Staub geſchmettert. Nur fie allein Tann uns wieder erheben, wie ſie uns fchon einmal er- hoben hat. Friede und Verföhnung! fo ſprach der Sterbende. Alſo Friede den Friedlichen! Laßt uns dem Leib begraben !*

Er erhob ſich.

„Um Euren Frieden, Ihr Todten,“ fprad; Vratislav kalt und vernichtet, „beneid’ id} Eud, Das Leben hat für mic) feinen Frieden mehr. Was foll ich da?“

„Glauben- und hoffen!“ verfegte Zdenlo; „ber Tod löe't uns das Näthjel, und ihm ſendet Gott zur rechten Stunde. Amen!“

„Amen!“ wieberholte Sufol.

Man brach Aeſte von den Bäumen des Hirſchgrabens, bil- dete zwei Bahren daraus und Iegte die Leihen darauf. Der Zug fette fih in Bewegung.” Laut betend fchritt man beim Scheine ber Fadeln die Schloßftiege hinab. Hinter den Leihen wandelte Bratislav an Zdenko's Hand und geftütt anf. Sul. Immer noch tönte die Glode, das Grab- und Friebensgeläute ber Hin- geſchiedenen.

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An der Bruska unten bog der Zug rechts mm, mac dem Palafte derer von Zeöwwic. -

Hier brachte man bie Leihen in eine Kammer. Zdenko und Vratislav ftürzten in des alten Zedvic und feiner Tochter weinende Umarmung.

Am folgenden Morgen zog der König an der Spige feiner Heeresmadt, vom Volke jubelnd empfangen, unter dem Geläute der Gloden, begrüßt vom Kanonendonner, in Prag, feine getrene Stadt, ein.

Wegen gewaltfamer Deffnung der Kerker wurde Bratislan nicht in Strafe genommen. Der König, welchem Sutol den ganzen Vorfall ſchildern mußte, war fihtbar gerührt. Cr feßte die von Techtie in den Beſih ihrer Güter wieder ein, verlieh ihrem wieder zu Ehren gebrachten Wappenſchilde mod ein Feld, worin ſich ein Kelch und ein Buſch befanden, Beides in Bezug auf feine Exrettung durch Vratislav's Hand, und ließ durch eime Urkunde diefen At veremigen.

Die Beiden von CTechtic beihloffen, nach ihrem Schloſſe Tollenſtein bei Kamnie, nit fern von der Grenze, zu ziehen, um dort in der Einfamkeit ihrem Schmerz zu leben.

Beim Abſchiede fagte Eliſa von Zeiwic fanftmüthig zu Bratislav: „Ihr zieht auf Eurer Reife bei Neuſchloß vorüber. Vergeßt nicht, daß dort eine treue, lebende Seele wohnt, die viel am Eud gelitten. Ein Herz, wie felten eins auf Erben, ſchlägt Euch entgegen. Dort ſprecht ein und tröftet die Beſorgte, die in Euch nod einen Todten und Gefangenen beweint. Ge ift hohe Zeit, ſonſt bridt das weiche, zartempfinbende Herz, Sie Hat viel für Euch gethan. . Lebt für fie; es iſt die Pflicht der Dankbarkeit.”

Bratislav ſchwieg und Rarrte wehmüthig vor fi nieder. Sie ſchieden.

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Niklas Iebte mit Zlata in fliller, reiner Liebe auf feinem Scloffe Satin. Eines Tages trat er verbüftert in ihr Ger mad. Wie immer ſah fie ihm träumeriſch und liebevoll in’s Angefiht. Sie ergriff feine Hand und prehte fie und fragte mit Holdem, einſchmeichelndem Zone: „Bleibt Du hier? Zieh nicht fobald wieder nah Prag es ift mir fonft fo einfam Bier; aud; weilt bie Mutter biesmal lange.“

„Wie ſchmerzt es mich,“ fprad er wehmüthig „meine Ma- viel“ biefen Namen hatte er ihr ftatt des von den Zigeuner erhaltenen Zlata beigelegt „daß ich biefe lächelnden Züge in fehmerzverlündende wandeln, biefen Holden Augen Thräuen enfloden muß! Mad’ Dich, Holdes Weſen, auf eine betrübte Kunde gefaßt, die traurigfte vielleicht, welde je Dein Leben trefe fen wird.“

„Wo ift die Mutter?” fragte fie raſch umd ahmungsvoll. „Haſt Du Nachricht von der Mutter? Hat fie den Bater wieber- gefunden? Lebt fie? Iſt ihr Fein Leid widerfahren

Wohl hat fie den Water wiedergefunden,“ berichtete Niklas mit Schonung, „und felig an feiner Bruſt gerußt, um ihn auf ewig zu verlieren. Sie ftarb mit ihm im der Entzüdung des Biederfehens, an feiner Bruſt, in feinen Armen. Es war ein ſchoner, glüdlicer Tod, den fie Mach.“

Maris warf fih an des Ritters Bruft und benegte ihm mit Tränen. „Ufo tobt iſt fie,“ rief fie nach einer Weile, während welder ber erfte Schmerz ausgetobt, „tobt mit ihm, ber mir dus Reben gab! Sie ift glüdticer ale id; fie ſtarb mit dem Geliebten, ich bin allein geblieben. Nun mußt Du mein Boter fein, Niflas.“

„IH will es!“ rief er freudig; „Alles, Alles wil ih Dir

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fein, Du mein leuchtendes Engelbild. Weine Dich aus, zolle den Gefchiedenen bem Strom Deiner Thränen, weih' ihnen bie veinfte Liebe; aber emtziehe diefe and dem Lebenden nicht.“

„Ich ahnte es fehon vorgeftern,“ fuhr das ſchluchzende Mädden fort, „ale id; in Heiler Naht nah den Sternen fah, die mir flets Kunde geben von Glüd und Unheil, nnd fie ber fragte nach der Mutter. Der eine glänzte fo Heil, fo ſchön wie fein anderer; zu ihm kehrte ich den Bid. Da ſchoß er Teuchtend wie ein Feuerband zur Erde nieder und war in Nacht zerfloffen. Es durchſtach mir das Herz; ich fühlte es, daß eine theure Seele geendet. Ich zitterte für Dich zog mid aus dem Fenſter zurüd ſchlich Teife in Dein Gemach. Du mwarft im Sefſel eutſchlummert, ſchliefft fo füß und athmeteft fo friedlich. Dir alſo galt das Zeichen nicht. Ich flörte Deinen Schlaf nicht umd ſuchte mein Lager, wo id) nur Trauriges finnen konnte.“

„3a, ih will Dich Lieben,“ betheuerte Niklas, „mit ber Liebe Deiner Mutter, noch Heißer, no inniger. Auch eine Freundin will ich Dir fenden, meine Holde Schweſter; fie ſoll Dir Schwefter und Genoffin fein.“

„Aber dann,“ verfegte fic, „mußt Du mir verfprehen, nie zu flerben, weil ich fonft mit Die fierben müßte. Und ich lebe doch fo gern, mweil ich Dich Iebend weiß! Und im Tode ift es traurig umd Talt! Mein Auge würde Dich dann nicht mehr fehen, mein Ohr Deine Stimme nicht mehr hören. Es wäre ſchrecklich für mid!“

„3a, ih will leben für Did,“ erwiederte er, „nur allein für Did, Du Holde Blume, die ein gnädiges Geſchic mich finden Tieß. Jetzt aber muß ich fort gen Prag, um Dir die Schweſter zu ofen. Ein theurer Freund Bat dort viel Gerzeleid erfahren: ihn muß ich tröften. Vielleicht bringe ich ihn hierher, und wir Ieben im fillen Frieden ber Liebe und Freundſchaft, laſſen dem Schmerz verbämmern wie bas Abendroth, die Erinnerung aber

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leuchten wie einen ſchönen Stern in unferer Seele. Lebe wohl! Die Eile drängt; bald bin ich wieder hier und ſehe Dich freudiger wieder.“

Sie ſchieden.

Im Walde bei Weltrus lagerte Vratislav von echie mit feinem Oheim Zdenko, dem treuen Sufol und einigen Dienern. Aus dem Schloßgarten erhoben ſich die Thurme der. Burg, worin Neuhaus verweilte.

„Geh' Du hinein, mein Sohn,“ ſprach Zdenlo ernſt, „als Friedensbote. Bring den Gruß und das Verſöhnungswort des geftorbenen Bruders. Sprich auch von mir. Der Groll iſt fort aus meiner Seele, ſeitdem ich das Wort der Sühne, ben Namen Bojena von jenen Lippen hörte, die bald darauf ſich für ewig ſchloſſen. Es fei umfer letztes Merk in ber Welt, worin wir ‚nichts mehr zu finden Haben, es wäre denn im irgend einem Kampfe für des Glaubens oder des Vaterlandes Heil. Darauf wollen wir lauern in unferer Einſamkeit auf Tolenftein. Der Herr geleite Did und laſſe Dich ein verföhnliches Herz finden! Bedarfft Du mein zum Friedenswerke, fo rufe mic hier ab. Gebe Gott, daß wir leichteren Herzens. von hier aus weiter pilgern !*

„Gehab' Dich indeß wohl, Oheim!“ verfegte Vratislav; „der Weg des Friedens iſt ein ebener; ich wandle ihn freudigen Herzens.“

Er ſchwang ſich auf ſein Roß und ſprengte dem Schloſſe zu.

Dan öffnete er nannte feinen Namen. Nach gerau- mer Zeit trat Neuhaus aus ber Halle auf den Burgplatz. Er wor vollftänbig gerüftet und fcpritt fo mit gemefjenen Tritten dem Ritter entgegen.

„ratisfan von Techtie,“ ſprach er feierlich, „Du haft Wort gehalten. Als Feind kehrſt Du wieder und willſt mein Leben für das Deines Vaters. Ich bin bereit zum Kampfe, denn einem

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Nitter ziemt es, ehrenvoll ſolchen Streit zu ſchlichten; denn nur die Leiche Eines von ums Beiden fann bie Kluft ausfüllen, welche zwiſchen uns liegt, fo lange wir am Leben find. folge mir im die Rennbahn.“ J

Bratislav warf ſein Schwert auf den Boden und ſagte feierlich, doch fanft: „Nicht Dein Schwert bring’ id Dir wieder, um Dein Leben zu fordern. Ich bringe Dir einen Friedensgruß an Dir liegt's, ob er ein Gegensgruß werden fol. Gott waltet zwifchen den Menfchen und ihren Herzen, und feine Hand öfht anf. Einmal die Flamme der Wade und gieht auf bie Wunde, welche fie gebrannt, das lindernde Del der Verſöhnung. Es war ein Underer ale mein Water, der damals mit bem Tode gebüßt. Ich fand den Bolesla von CTechtie im Kerter umter fremdem Namen febend wieder amd gab ihm die Freiheit, der ihn ber Tod entnahm, um ihn zur höheren zu erheben. Der Tod if unfer Aler Verſöhner. Mein Vater ftarb mit ben Woten ber Vergebung und der Sühne auf ben Fippen. Was er an Dir und Deiner Schweſter gethan, Hat er Hart ger büßt in mehr denn fünfundzwanzigiähriger Gefangenſchaft, was Du an ihm verfhuldet, Haft Du gewiß bereut; denn redlich ift Dein Herz, wenn aud der Wille einft Hart umd feindlich war.“

Neuhaus ließ Schwert und Schild finfen und rief bewegt: „Alfo den Trauernden und nicht den Feind kündet dieſes Trauer- gewand und biefe ſchwarze Rüftung? Er hat gelebt umd if nicht von Henkershand geftorben? Meiner Schmwefter Name ift alfo nicht geſchändet durch fein 208? Habe Dank, allmäctiger , Gott hab’ Dank, Dir Bote des Friedens, der anders rüdtchrt als er geſchieden Der Herr fegne Di! Du haft eine große Laft von meiner Bruft gewälzt! Ih Habe noch Thränen. Komm an die Bruft Deines Oheims; denn der geliebten Schwer ſter Blut fließt in Deinen Adern. Unb fo finkt, was gemein

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und irdifh war, von uns nieder wie ein Gündergewand, und bie Herzen, welchen ber Herr Liebe geboten, ſchlagen einander entgegen. Ich nenne Dich freudig meinen Sohn und gedenke Dir nod ein freudigeres Wort zu verfünden.”

mMit diefem Knffe,“ rief Vratislav, „bringe ih Dir auch den Kuß des flerbenden Vaters, der dort oben mit der Gattin verföhnt auf uns niederblidt. Der Haß geht nicht über das Grab hinaus; fo ſprach er er ift irdiſch, bie Liebe aber ewig. Und Liebe war es, durch welche er fehlte.“

„Bir irren Ale im Leben,“ nahm Neuhaus wieder das Bort; „beglüdt diejenigen, die den rechten Weg wieberfinden. Der Haß bereitet Schmerzen, bie Liebe ftilit fie fie ift von Gott. Tritt herein in mein Haus, Sohn Bojena’s, und rüfte Did, einen Angriff auf Dein Herz zu beſtehen.“

„IR Lidmila bei Euch ?“ fragte Vratislav erihredend und erbleich end.

„Rein!“ war die Antwort; „fie iſt des Spanbergers Weib, da Du fie verfhmäht. Das Schichal fügte es fo. Du aber haft ihrem Herzen eine Munde gefchlagen, die glaub’ ih ewig bfuten wird. O wäreſt Du damals, als Du Did zu er tennen gabft, nicht geflohen, der Engel der Berföhnung wäre früher zw uns niedergeftiegen. In ben Kindern hätte fi ver- einigt wiedergefunden, was bie Eltern geirennt.“

„Set kann ich es geftehen,“ betheuerte Vratislav, „auch mein Herz wird ewig biuten. Ich Habe einen großen Theil meines irdiſchen Heiles verwirkt. Doch blieb ih fo fand ich den Bater nicht wieder, und wie hättet Du das Wort ber Sühne gehört, nie wäre Deine Brnft erleichtert worden wie jeßt. Gott if gnädig; aber felten fpendet das Schidjal mit doppelten Händen das Heil. Es mußte fo fein. Der Kranz bes Lebens Liegt zerblättert zu meinen Füßen nur einige bürre Zweige, die Dornen, bie id) von bes Waters Hanpt geriffen

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find mir geblieben als theures Vermächtniß. Sie find auch viel werth für das Leben ich hab’ ein genügfam Herz. Ich ver» lange nicht nach neueren Blumen.“ .

„Gott hat gewaltet,“ ſprach Neuhaus mit Erhebung; „fein Wille fei gepriefen! Aber nicht ganz arm folft Dur im Leben ferner dahinwandeln. Es gibt nod eine Hand, welche Dir einen Kranz windet um die junge, gramgebrüdte Stirne. Deine Seele wirb jubeln, wenn ihr "ein neuer Stern anfgeht und banernder verweilt, al8 jener, der fo plötzlich untergegangen. Kolge mir im mein Hans.”

„Harre noch!“ unterbrach Vratislav; „ih bringe Dir noch einen verföhnten Feind, ber an Deine Pforte pocht und anfragt, 0b ihm aufgethan wird. Es ift mein Oheim Zdenko, der Iebt und fat mit mir zugleich den Vater und Bruder wiederfand.“

Er erzählte ihm nach biefen Worten in lebendiger Kürze des Baters wunderbare Rettung, feine Befreiung, dez Oheims BWiederfehen, feine Thaten und Wbenteuer, des Königs Freilpre- Hung und ihres Namens neue Erhebung.

„3dento komme!“ fprad; Neuhaus; „meine Bruft wird ihn gleich freudig empfangen. Hab’ ich mit dem Todten mich ver- föhnt, warum nicht mit ben Lebenden auch, die doch Auge gegen Auge das Wort der Sühne und der Eintracht ſprechen können? Bir waren einft Feinde, weil wir uns nicht verftanden. Wider Rand reizte fremden Wiberftand, und flatt zu nähern, entfernten wir une. Die Zeit und mit ihr die Einſicht bringt oft Licht umd Klarheit in die Geifter, umd wir bliden über eine Lebens firede, welde wir durchlaufen, mit ridtiger urtheilendem Auge, als in der Gegenwart, bie uns hinreißt und befangen madt. Hier in ber Halle erwarte ih Euch kein Vierter foll den ſchönen Augenbfid flören; denn noch ift e8 zu früh. Mir könnten ein zartes Leben knicken, das wir erheben wollen durch bie Freude. Geh’ und kehre bald wieder."

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Bratislav flog in ben Wald hinaus umd Lehrte mit dem Oheim nad dem Schloſſe zurüd. Sukol mit ber Dienerihaft folgte in einiger Entfernung.

Nenhaus fand am Eingange der Halle, breitete die Arme ans und umſchloß mit ihnen den Neffen und deſſen Oheim.

„Wir haben Beide,“ begann er nach einer Paufe finmmer Rübrung, „für den Glauben und das Baterland gefochten, wenn and mit verfhiedenem Eifer. “Gott allein kann wiffen, welcher der richtige war; aber Glauben und Vaterland haben wir Beide geliebt. Segnen wir das Gefdid, das uns diefen Tag der Er- Tenntniß vorbehalten! Des Allmächtigeu Finger hat uns auf bie rechte Bahn gewielen, von ben Irrwegen ab. Wir hätten ums wohl früßer geliebt, hätten wir uns erfannt; aber darum geſchehe der Lebenefrift, bie noch vor ums liegt, ihr Recht.”

„Du tennft mic, Neuhaus,” nahm Zdenko das Wort; „ich war ſtets rauh umd wild, verbüftert und immerlich verſchloſſen. Ih Tann nit viel Worte machen das weißt Du. Sch glaube, ich war beffer, als ich mich felbft hielt. Warum konnte ich's nicht zeigen? Ich habe Di nie für fo mild gehalten und darum auch nicht erfannt. Das Unglüd hat mic, weich ge- Hopft, und dem fremden Unrecht hielt ih nun mein eigenes ent- gegen. Das gibt mir Licht. An Bojena hat mein Bruder nicht immer recht gehambelt, ich ſah' es ein; doch feiner Leiden · ſchaft braufende Flamme konnte ich nicht dämpfen. Als ih von feinem ſchimpflichen Zobe, von der Schmach unſeres Namens vernahm, als man Did den Urheber alles deſſen nannte, da haßte ih Did uud fandte diefen als Rächer aus. Gott hat es anders gefügt, und fein Arm fiel im das gezüdte Schwert. 3% bin ein Anderer geworben jest als Greis, und ich ſchäme mic nit des Geftändniffes. Hätten wir Beide gewußt, wie die Wunden ſchmerzen, die wir uns ſchlugen wir hätten keine geſchlagen. Ienfeits wohnt Verſöhnung warum ſollen

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wir fie nicht auf Erben bereiten, ba wir mod leben? Das Leben ift fo kurz; es iſt eine Sünde, baß mir es uns fo ver» Bittern! Du haft noch Thräuen, Neuhaus and) mein Auge wird naß. Berllärter Bruder, dieß iſt Dein Werk nebſt Gott!“

„Seil, daß Dir tebl“ rief Neuhaus, „daß wir uns fo wieberfehen! denn nod ein Briedensengel wird zwiſchen uns treten, und ber Himmel ringeum ke in heiliger Pracht und Schonheit I"

Eine Hohe Frauengeſtalt trat es war die Frau von Falkenberg. J

Vratislav wandte ih nach ihr: „Meine edle Wohlthäterin 1” rief er und wollte in bie Knie finfen.

„Dein Sohn I” fchrie fie kreiſchend auf und ſauk ohnmächtig in feine Arme.

„Heiliger Gott, Himmlifcher Gott!“ rief Zdento, „gibt denn das Grab alle feine Todten heraus? WIN Alles Alles anfe erfiehen? Bojena! Bojena! meines Bruders Weib! Da ober eine Andere? Zäufchen mich meine Sinne? Iſt es Biend- werk eines Zanberers? Sol mir das Herz brechen, der Sinn im Wahnwitz ſich verfehren? IA es Wahrheit, was meine Augen fehen? Lebt fie, die wir im jener Schlacht als Leiche zurüdgelafien? Ja ja alle Todten ſtehen auf vielleiht and die Hel- den von Htib.“

Er beugte fi bebend nnd erſchüttert über die Ohnmachtige, welche Vratislav in feinen Armen Biel. Er wehrte dem Thrä- nenſtrome nicht, ber über fein bärtiges Antlig berniederfloß.

„Es ift Wahrheit !” ſprach Neuhaus mit zitternder Stimme; „Bojena ift es, Deines Bruders Weib, Vratislav's Mutter. Dur ein Wunder warb fie gerettet, und ber Sohn ift ihr miedergege- ben, den fie gleih dem Gatten als tobt im freudenloſen Fa

Berlobfohn: Der lehte Taborit. u.

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beweint. Ja, fie if es, und Gottes Barmherzigfeit hat uns Me erhalten für diefe Eine, große Stunde.“

nBör ich recht?“ jubelte Bratislav; „ich babe eine Mutter? Das ift meine Mutter? dies Bild voll Liebe und Milde, voll frommer Hoheit und wunderbarer Gewalt für mich, fie, zu der mid das Herz Hinzog mit füßer Gewalt?“

„Damals, als Dun im Trotz und Hafle ſchiedeſt,“ ſprach Neuhaus, „wäre fie fon in Deine Arme getaumelt, wenn Du nur fo lange verweilt hättefl, bis nach dem plötzlichen Schrecken die Befinnung wieder bei uns eingefehrt war.“

„D Mutter, Mutter,” ſprach Bratislav felig gerührt, „füher, Heifiger Name, der mir noch geblieben if, um biefe tobte Welt mit feligem Wohlklange auszufüllen! O ſtirb nicht, meine Mutter, in ben Armen Deines Sohnes! Er ift mit mehr fo drohend und wild wie damals, als Du ihn zum erſten Male ſaheſt; er iſt mild und flehend geworben; er umklammert in Demuth Deine Knie und füßt Deine Hände und betitelt um einen Blid ans Deinem Himmelsauge. Zog Did dod ſchon damals, als ber Tod auf mic; niederrauſchte, als Krankheit mich ſchwer und dü- fer umnachtete, des Herzens Regung zu mir! denn Du warft fo mild, fo Hold umb gnadenvoll, daß ich bie heilige Nähe der Erzeugerin ahnte und Dir Anbetung zollte, die eigentlich meine Kindesliebe war.“

„Ich Habe Dir," nahm Neuhaus nad Vratiélab's erftem Freudenſturme wieder das Wort, „einen Kranz für die zwei ver- wetten verfprochen, mein Cohn. Sieh', ber Mutter Hanb windet ihn um Deine Gtirne und das Leben amupt Du lieben, um feiner würbig zw fein.“

Bojena ſchlug die Angen auf. Ihr feliger, durſtender Bd ruhte auf den Zügen ihres Gohnes; er geleitete fie zu einem Giße; Hier kuiete er zu ihren Füßen, hielt ihre Hände

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in ben feinen und fah zu ihr empor und gab ihr die füßeften Ramen,

„Dein Sohn,“ ſprach fie endlich mit umendficher Rührung, Kind, das ich in Schmerzen geboren, das id; im Scheintode verloren von befien weiterem Dafein ich feine Kunde Hatte, warum bift Du mir, Pfand der Berföhuung, fo fpät erichienen ? Meine Seele hat geſchmachtet nah Dir, nad der Gewißheit Dei- nes Dafeins. O mein düfteres Leben wäre wieder Heil ge- worden, trat Deine leuchtende Erſcheinung hinein!“

„Darf ih Mutter,“ fragte Vratislav, „ben Namen des Baters nennen, ohne Dich zu verbüftern? Auch er hat gelebt vor Kurzem nod. Nicht unter der Hand bes Henters Hat er geenbet, fonbern in des Sohnes Armen; aber auf einem leuch- tenden Sterne hoffte er Dich zu finden. Er hat Dich unendlich geliebt, und fein legter Laut war Dein Name. Bergib ihm; er bat ſchwer gebüßt.”

Mein Boleslav!“ ſprach Bojena, in wehmüthiger Erinne- rung „er war mein Gatte, und ich babe an ihm geliebt, mas mild und edel war. Des Krieges biutige Stürme, bie Leiden- ſchaften haben fein Herz rauh gemacht, das eines beffern Loſes würdig war. O warum war es mir nicht vergönnt, ihn wieder zu fehen! An meinem Herzen war fein Plog! Das Unglüd Hat uns getrennt, weniger umfere eigene Schuld. Im Glüde lebten wir und wären vereinigt geblieben in Liebe.“

„Sein Auge blidt fegnend,” nahm Vratislav wieber bas Bort, „auf uns, die harte Prüfung im Frieden vereinigt hat. Sehen wir von nun an zu ihm empor als zu einem guten Geifte, der über unſer ferneres Los ſegnend und behütend wacht.“

„Aber wie ift mir?“ ſprach jet Zdenko, der während» dem fiaunend und ſprachlos dageſtanden; „ſoll ih an Wunder glauben, foll ich die Tobten für Lebendige alten? Jeder Umftand trifft zu, und doch fah ich fie, die wir jegt in unfern Armen

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balten, deren Rede wir vernehmen, als Leiche ansgeftredt in je- nem Zelte, welches das feuer verſchont. Einer Todten entriß Boleslav das kaum geborne Kind, und eiſige Lippen kußte er ſtatt der lebenswarmen.“

„Es iſt fo es iſt wirklich,“ erzählte Neuhans; „ich fand die Schweſter als vermeintliche Leiche. Mein Schmerz war greu- zenlos. Ich gab den Befehl zu ihrer Beerdigung und 308 meiter in wahnfinniger Verzweiflung. Nebſt Bielen, welde die Todten plünderten und begruben, Beute fuchten und theilten, blieb auch einer meiner Diener auf dem Schlachtfelde zurüd. Ihm hatte ich die Beſtattung Bojena's zur Pflicht gemacht; er aber folgte dem Triebe feiner Habſucht und bentete die erihla- genen Ritter aus. So kam es, baß ber vermeintliche Leichnam einen ganzen Tag vergeffen in jenem Zelte lag. Das Leben, welches einer gänzlichen Erſchöpfung gewichen war, fehrte wieber. Sie fand fih allein, ohne Kind, ohme Gatten, ohne menſchliche Nähe. Kraftlos, aber der Berzweiflung nahe raffte fie fih auf trat hinaus und fah ein Leichengefild, von Gräbern durch- ſchnitten. Kein lebender Laut regte fi; denn in einem fernen Buſch Hatten fi die Todtengräber und Nachzügler gelagert. Dumpfes Entfegen trieb fie an, den Ort bes Grauens zu fliehen. Sie hüllte fi in ihre Gewänder und eilte nad der Ebene In der Hütte eines Dorfes fand fie gaftlihe Aufnahme und Pflege. Hier überfiel fie eine fange Krankheit, welche fie an den Rand des Grabes brachte. Es mar, als ob ber Tod, beffen talte Hand fie ſchon einmal berührt, nicht von feinem Opfer laffen wolle. Spät erſt, nachdem bereits Zion geſtürmt und feine Bertheidiger der Wuth der Sieger geopfert worden, fand fie &e- legenheit, dur einen Landmann, welchen fie in das Bertrauen gezogen, mir Kunde von ihrer Anferftefung zu geben. Kür dem vermeintlichen Boleslav war es ſchon zu fpätz er hatte im Ge- fängniffe geendet. Aus Race, da ich die Schweſter tobt glaubte,

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Heß ich es gefehehen, daß feine Leiche anf den Galgen kam. Jebt, da fie wieder lebte, mußte e8 ein Geheimmiß bleiben vor der Welt; denn meines Hauſes Ehre duldete es nicht, die Witwe eines Geächteten als ein Mitglieb deffelben zu zählen. Ganz allein reiſte ich insgeheim im jenes Dorf. Bei finfterer Nacht geleitete ich fie weiter und fo glücklich bis an die Grenze. In der Pfalz Hatte ich einen treuen Freund; er lebte einfam auf feinem entle- genen Schloffe. Diefem übergab id die Schweſter. Hier Iebte fie als Fran von Faltenberg lange Jahre, bis ihr Gedächtniß im Baterlande erloſchen, ihr Bild aus aller Leute Gimme ver- ſchwunden war. Dann erft flets vor Entdedung zitternd holte ich fie wieder Heim in's Vaterland. Seit jener Zeit Hat fie diefe Burg felbft nicht während des Winters verlaffen. Der Dienerihaft war fie unbelannt, und Fremde wie Belannte empfingen wir Hier niemals. Führte der Zufall Iemanden her fo verbarg ſich Bojena. Vratislav war ber erſte Menſch anfer unferm Familienkreiſe, der fie fehen durfte. So abgeſchieden von ber Welt, ohne Namen und Geltung in ihr Iebte fie ihrem Schmerze. Dieſes Wieberfinden hat des Geheimmifies Siegel gelöft, und Bojena von Neuhaus trägt wieder - ihres gerechtfer- tigten Gatten Namen und ift Vratislav's Mutter vor Gott und den Menſchen. Es war ein feliger und doch bernichtender Moment, als Bratislav damals zornglühend den Namen Techtic nannte und Bozena die Gewißheit überkam, daß ihr Sohn noch lebe, und daß es eine Möglichkeit gebe, ihm dereinſt verſöhnt au das Mutterherz zu drüden.*

„Gott ift groß und barmherzig!“ ſprach Zdenko mit frommer Erhebung; „fein Gnadenarm heilt bie Wunden wieber, melde fein ſtrafender geſchlagen! Dem Tode entreift er die ihm ver⸗ fallenen Opfer, um’ die Ueberlebenden durch fie zu beglüden! Niemand, wer irdifh if, verzweifle ; denn im des Allmächtigen Hand ſchlummert immer noch die Erhebung.”

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„D Mutter!” rief Vratislav, „fühlte Du, wie mein leeres Innere, meine ausgeftorbene Lebensnacht fo plöglih von Deinem Bilde, Deinem Heifigen Dafein ausgefüllt if, wie ein neuer Frühling auf meiner Hoffnung verwitterten Steppen zu btühen beginnt, wie die Seligkeit, eine Mutter zu haben, mid tauſendfach durchglüht !“

„Mutterſeligkeit,“ entgegnete fie, „fühlt alles dies noch tiefer und weider. Did befaß id ja fon, und Du warft mir ent- tiffen; ich bemeinte den Berlornen. Du durfte nicht trauern um das, wus Du nie befeffen.“

„Und dod Habe ich in heiligen Stunden des Schmerzes und ber Rührung,“ verfegte er, „nah Dir gefhmadtet, zu Dir gebetet, von Deinem Bilde geträumt! Es gab, einen leiſen Ton in meiner Bruft, der wie Deine Stimme ang; fie ahnete ich dereinft zu Hören, und der fromme Traum iſt jest zur Wirk Kohfeit geworben.: Auch Du haft mein Dafein geahnet; Du haft mid, ben Todtkranken, mit Deinen Thränen benetzt, mich mütter- Kid) gepflegt, bie verwandte Natur in mir, dem Fremdling, ge- fühle.“

„Wobl ergriff mich,” erzählte fte, „eine feltfame, tiefe Rüh- ‚rung bei Deinem erften Erſcheinen; dieſe Mienen, dieſe Augen, fie waren das Abbild des Waters. Ich zitterie bei dem Gedan- ten, Du lönnteft mein Sohn fein: ich forſchte und zitterte wieber bei dem Gebanfen, die Entdedung Lönnte meinen ſchönen Wahn vernichten. Endlich zerriß der Name Branik, der mir fremd mar, den Traum, mit dem ich mich felbft getäufcht. Ich verzichtete weinend, da ih den Frembling erfannte, und jene Aehnlichkeit erſchien nur wie ein trügeriſcher Zufall. Endli als Du im der Stunde des Scheidens, in jener fhredfichen Stunde, jenem gefürchteten und doch erfehnten Namen nanntefl, da flürmte der Drang aller ſeligen und ſchmerzlichen Gefühle auf mich; die Be- finnung ſchwand, und id fan, wie im innerften Leben gebrochen

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und doc zugleich erhoben, zu Lidmila's Füßen nieder. Als ih wieder erwachte, warſt Du bereits entſchwunden. Mit dem Fluch der Rache, fo fagten fie, wart Du geſchieden, und ich Hatte Dich zum zweiten Male und ſchreclicher als bamals verloren. Mit meinem Herzen zugleich bintete das Lidmila's. Du hatteſt auch fie, die Flehende, von Dir geftoßen, und fo blieb feine Hoffnung eines verföhnenden Wiederſehens. Aber ber Meunſch finut, und Gott lenkt. Was wir nie zu Hoffen gewagt, ift wirklich ges worden ber Bater nicht entehrt, der Sohn verföhnt an meiner Bruſt.“

„Dem Einen, Gemaltigen,” nahm Neuhaus das Wort, „ber uns gereinet hat durd Prüfungen und geführt durch das Iammerthal zur Erhebung, werde unfer Dank! Das Leben ift ein theures Gut; wir aber in feinem Beſitze walten bamit ver- ſchwenderiſch. Erſt wenn wir daran gefährdet worden durch eigene Schuld und viel davon .verfpielt: Haben im Rauſche ber Leidenfchaft, lernen wir es lieben und feinen hohen Werth ſchatzen. Gottes Friedensfonne leuchtet herein ihr rother Glanz ums» ſchimmert ung mit Verklärung. Betet zu ihm, der die Sonne erſchaffen und ben Sand des Meeres zählt und den Grashalm teunt; er vergißt auch feine Menſchen nicht im feiner Barm⸗ herzigkeit 1"

Alle erhoben fi, falteten die Hände und fahen fromm in das Abendroth, das durch die grünen Zweige im die Halle fiel und einen gewaltigen Lichtftreif bildete, ber hereinſtrahlte wie ein glänzendes Jenſeits.

Mutter, Mutter!“ vief Vratislav und umſchlang die ſchöne Geſtalt, „glücfelig find die Lebenden! Beneibet die Todten nicht; denn ich Tenne eim Herz, das unter ber Falten Erbe liegt umb aufjauchzen würde im feliger Trunfenheit, wäre e8 unter und. Beneidet die Todten nicht um ihre Wonnen, nur um ben Man- gel ihrer Schmerzen.”

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„Aber feguet fie,” ſprach Neuhaus, „und gebenkt ihrer im Liebe; denn bie irdifhe Stimme bringt hinab in bie Gräber, die todte nicht herauf in das Leben; fonft wäre das Leben ſchon ein Jenſeits.“

Amen!“ ftel Zdenko ein; „das Leben if in unſere Hand geftellt, wir können daraus formen, was wir wollen. Haben wir unſer beabſichtigtes Bild entftellt, fo ift die Reue und der Ber- Mmft ewig; aber ein Allerbarmer wandelt, wechſelt und tröſtet.“

Sutol und das Gefolge kam. Sie gingen insgefammt im die Burg.

Es gibt Menden, die für Schmerzen geboren find; fie fangen an ben Brüften ber Entfagung, werben groß gezogen durch das Unglüd, und wenn ber leuchtende Sonnenſtrahl ihre verfümmerte Hoffunngeblume kußt, fo ift fein Kuß zugleich ihr Tod; er verfengt fie. Der Kranz, ben fie fi winden, verwelkt in ihrer Hand, bevor fie ihn noch in ihre Roden gebrüdt. Sie Haben am Ende ihrer Pilgerfahrt nur einen Bid: den nad oben. Und jene Sonne von oben, die den Blick zu ſich empor zieht, Tann fein Xruggebifde fein, beun der Schoß ber Erbe gibt Beruhigung; aber er ift ſtumm und bat für die Eine, legte Frage feine Antwort. Weint nicht über die, welde ihr Leben verfpielt, bie zu früh geſchieden find im ihrem Frühlingetraume ! Binn bie Stimme einen Namen gegen bie ſtarren Felſen vaft, fo tönt vielleicht fpät, aber doch vernehmbar der Wieberhall eräd.

Durch das Bogenthor von Nenfhloß zog Bratislav an ber Seite des Oheims mit feinem Gefolge ein.

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An den Stufen der Halle empfing ihn Milada in Gefell- haft ihrer dienenden Matrone. Sie hatte das ſchwarze Trauer - gewand abgelegt und erſchien in ſchneeweißer Tracht. Sie fah laß und leidend, aber himmliſch ſchön im Lilientleide. Wie ein rofiger Athemzug fäufelte über ihre Wange, als fie dem Ritter in das Autlitz ſah; die ange, dunkle Wimper fenkte ſich, ber zitternde Arm fanf, da ihn Bratislav's Hand berührte.

„Ihr werdet mic) einen Undankbaren ſchelten,“ ſprach Bra- tislav, nachdem er an ihrer Seite, gefolgt vom Oheim, in das Pruntzimmer getreten war, „baß ich ber beforgten Freundin fo fange feine Kunde gab von freiheit und Gefangenſchaft; aber beide wechſelten fo raſch, daß mir faum eine Empfänglichkeit für den Wechfel blieb.“

„Ihr feid fo gütig, Ritter,” entgegnete fie erglühend; „id; weiß faum, woburd ic) diefen Dank verdient. Beſchämt —“

„Beſchämt nicht mich,“ fiel er der Stodenden in's Wort; nbeihämt nicht den Schuldner, ber dankbar wieberfehrt und ſpricht: Herrin, Du haft mir Gutes gethan; nimm biefen Aus- ſpruch meiner Seele. Aber die Schuld, mein ebles Fräulein, muß ich wieber abtragen an ben milden Gläubiger, und jene Schuld ift mein Leben, um welches Ihr gnäbig geforgt, als wär es Euch ein theures. Um biefes Leben fritten ſich fo Biele: Menſchen, Zufal, Mißgeſchick; Ihr allein wart uneigennützig. Bas Tann ic Eu Beſſeres bieten zum Dank, als mein Leben? gleichviel ob fein Gehalt von Werth oder nigt! Id bin Euer Sclave; gebietet mit bem Dafein, das fi Eud freudig weiht, wenn es gleidh dem Ohngefähr als ein Nichte preisgegeben war. Wie Ihr e8 achtet, ſoll es gelten.”

„Daß ich beforgt um Euch war,“ entgegnete fie ſchüchtern und abgebrochen, „hat Euch Eliſa wohl verrathen. Ich Hätte das einem Andern, den id} fo achtete wie Euch, auch gethan

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bie Pflicht das umverbiente Mißgeſchid Verzeiht bleibt mein Freund, Vratislav!“

„Jedem Andern ?" wiederholte ber Ritter; „daun freilich theilt fih die Gnade in viele, viele Theile, daß ich zwar dankbar, aber doch nicht reich, biefe Gabe verehre. Dem Bettler geben Ale zu gleichen Xheilen; darum friftet er fein Daſein. Gäbe ihm Giner für Alle, er wäre reich.”

„So meint id's nicht,“ eriwiederte fie und ſchlug das Auge auf; „id) erlannte das Abbilb meines ‚Bruders in Eu, id) ehrte Eu, weil die Euch fchäßten, die ich liebe id) kenne das Unglüd und weiß fo fremdes zu ermefien. Darum forſchte ih nah Eud. Ein Weib fann mandmal helfen, da mo Männer es nicht vermögen. Darum forſcht ih nah Cuch. Die Er- innerung an ben Todten ic hatte ein Abbild an Euch —“

„So habt Ihr's nicht gemeint?" rief Vratislav; „ſchon das

macht die Gabe größer. Ihr fagt dem Bettler: Du bift nicht ber Gewöhnfihen Einer! Und wenn wir ein theures Bilb verloren, fo tröften wir uns im der Zeit mit feinem Abbilde. So ins! Nicht wahr es ift fo? Hier mein Leben, Eurem Dienft geweiht! Die Engel nehmen nur, um wieberzugeben ; für jeden Dank gibt Gott tauſendſachen Segen. Ich nie Bier zu Euren Füßen und flehe: Gebietet über mid! Den Unbant haff ich als die größte Sünde. Laßt mid nicht feinen Schein tragen; laßt mich nicht ſchlimmer feinen, als ich bin.“ J „Gedentket freundlich mein!“ entgegnete fie lächelnd, indem fie fein. Hand erfaßte und ihn facht emporzog; „dies fol mir Fremde gewähren. Mar ich dod fo arın am freude und werd' es vielleicht immer fein.“

Ich foll Euer gedenken?” fiel Vratislav ein; „id werd' es gern und ewig ewig! Aber fpredt: ob nahe Euch oder fern von En? Im biefer Art des Lohnes Liegt ein Unterſchied. Ihr Bunt nun wählen, welder von beiden Euch genehmer if.

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&8 gibt edle Herzen, bie fhenten und gern den Dank des Ber fhenften hören, andere aber, die ihn fliehen.”

„Uneigennügiger find die, melde ihn fliehen,” gegenrebete fie und blickte beſchämt vor fich nieder.

„Wber den Danfenden,“ widerfprad; er, „iR es nicht gleich, ob fie die Bruſt des Dranges entlebigen ober nicht. Der Dauf if dem wahrhaft Dankbaren ein Bedurfniß; er wird unglüdlich, wenn man ihm dies entzieht.”

„Unglüdtih,“ verfegte fie, „fol Niemand werben durch meine Schul. Wie fol’ ich Unglüd veranlaffen, ich, die fo viel deſſelben ſchuldlos gebnibet ?“

„Dann alſo,“ rief er feurig, „lafit erfti meinen Mund dan« ten, unb ber if berebter, wo er ſchweigt; aber fühlen follt Ihr, mas er nicht fpredien fann. Das Wort, welches der Lippe ent- flieht, iſt kalter Schal, die Lippe ſelbſt aber Heiß in ihr glüht das Blut dafjelbe Blut, das aus dem Herzen quillt. Es eilt fo raſch nad den Lippen, daf es ba oben noch ſo warm ift wie im Herzen.“

Er umſchlang ſtürmiſch ihren Arm, zog ihre Hand an feir nen Mund, und als fie verihämt das Antlig noch tiefer fenfte, preßte er einen Kuß auf ihre Wange. „Fühlt Eure Wange biefes Blutes Wärme, fo dringt die Wärme vielleicht auch bis in Euer

„Sott jegne Euch, Fräulein!“ vief jet Zdenlo, ber ſchwei- gend und horchend bisher dageflanden; „er fegne auch Did, mein Sohn! Zwei Herzen, bie fih erkennen, lieben fd auch.“

Er drüdte ihre Hände und trat dann einen Schritt zurüd, indem er für ſich Ieife Binmurmelte: „Heil ihm! Er hat doch viel Liebe gefunden in dem freudelofen Dafein I”

Milada entwand fi} der Umarmung bes Ritters und ver- ließ freudig durchbebt, auf ihre Dienerin geftügt, den Saal.

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ihn amerfennen, und bie® kann fo lange nicht geſchehen, bis die Compactaten nicht aufgehoben und das Ketzerthum feierlich abge ſchworen if. Darum hat der Papft als beſten Unterhändler den Ungarntönig, der mit ben Waffen in der Hand kömmt. Gr foll fengen und brennen und Alles morden, was den Keld nicht ab» ſchwören will, If Georg entihront dann wird Matthias anfer König, dem wir als ſolchem insgeheim bereits in Ollmütz gehulbigt Haben.”

nDer König gefällt mir,“ verfegte Spanberg ; „ein fühner, auffirebender Mann unb vom rechten Glauben, beliebt in Rom, darum alfo in Ruhe gelaflen. Ungarn, Mähren, Glaz, Schieften, Böhmen, Ein Reich das laff' ich gelten; da gibt ea Raum, die Arme bübjch nach allen Seiten auszuftreden, darin ein gleicher Glaube und far gleihe Sprache.“

„Die Breslauer,“ erwieberte Burian, „haben dem Matthias, wie ich höre, als erblihem König, gehuldigt, und fo ift fein Regiment gefihert. Caſimir's von Polen Anfprühe find ver- nichtet mit einem Streiche, und daß der Polafe fie nicht geltend madt, baflr wirb das Schwert des Matthias ſchou Sorge tragen. Den Breslauern müſſen wir in der Art folgen. Nur durch die Erbfolge if das Glück eines Staates bis in die fernften Zeiten geſichert. Mit Gottes Hilfe Iebt in zwei Jahren kein Laie mehr, der das Abendmahl unter beiberlei Geflalten genießt.“

„Wir wollen Georg’s Geift und Willenskraft,“ bemerkte Spanberg, „nicht verkennen; aber einen König, der vom aller Belt angefeindet wird, einen ſolchen König der Unruhe lönnen wir nicht gebrauchen. IA er nicht mächtig genug, alle feine Feinde mieberzufchlagen, fo trete er ab; wir find des langen Habers müde.”

„Alſo mit Gott zum Siegel“ rief Gutenflein und brüdte Spanberg's Hand, „IH ſcheide auf baldiges Wiederſehen. Noch Habe ih einen Anftrag an ben Burggrafen.“

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„Heut' über vierzehn Tage,“ ſprach Spanberg, „bin ich im Lager bei Bohmiſch ⸗· Budweis. Meldet dies dem edlen Rofenberg. Es gilt raſch zu Handeln; das Zaubern erfältet nur den Eifer. Matthias hat's vom den Schlefiern oft erfahren. Lebt wohl und geht mit Gott!

nDer Here walte gnäbig über Euch,“ erwiederte Burian, „und uns Allen! Er nehme feine Heilige Kirche in befonderen Schutz gegen bie Macht des Anticrif?s und feiner Anhänger! Gehabt Euch wohl!"

Sie ſchieden.

Leuchtend ging die Sonne dem Tage auf, an welden Bra- tislav und Milada zum Herzensbunde von des Priefters Hand eingefegnet werben follten. Die Morgenglode halte vom Thürm- Tein ber Schloßkapelle. Aus der Umgegend zogen Landleute herbei, ber feftlihen Handlung beizumohnen. &ie hatten die Treppen geländer und den Cingang der Kirchthüre mit Blumengewinden und Kränzen gefhmüdt. Die Hörner der Jäger tönten in einer luſtigen Weile.

Geſchmückt fand Vratislav an des Oheims Seite im Bo- genfenfter und fah Hinans in die dampfenden Thäler und über die grünen, walbbewadjfenen Berge. Er fah aber aud im diefem entſcheidenden Lebensmomente prüfenden Blickes über fein bis. heriges Leben, feine Leiden und Entfagungen hir. Das Daſein ſollte fi für ihm num zum Frieden, zur Ginfamfeit wenden. Wie ein heiterer Ser, in welchem ſich bie milde Abendſonne fpiegelt, lag die Zukunft vor ihm. Milada's Anmuth, ihre Her- zensgiite, ihre aufopfernde Liebe verſprach ihm ein Heiteres, ſtilles Glüd. Wie er aus feinen bittern Erfahrungen den Lebenseruft gewonnen und darin den Frohſtun eingebüßt fo einte fid ihr Rilles, fanftes, dem Geränfch der großen Welt abholbes Wefen harmoniſch mit ihm. Seufzend gedachte er Lidmila's. Sie Hatte er geliebt mit aller Macht feiner erften, gewaltigſten Leir

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nYa, das Leben ift kurz!“ wiederholte der Oheim, „und ein Spruchwort fagt: Heute roth morgen tobt! Darum follen wir das Oeur nicht zu ängftih umfammern und nicht zu ernft nehmen. Bildet doch der Ernſt ohnehin den büflern Hintergrund des bunten Gemäldes, welches wir Leben nennen! Fünfzig Jahre, und wir haben Schmerz und Luft überwunden. D, wenn das ber Menfch immer bebächte, er liebte mehr, er lebte friedlicher! Das Angebenten bleibt aber fein Xroft dringt nicht im die Gräber. Wir müffen aber bie kommenden Geſchlechter, unfre Erben, lieben, und barum fäen wir Thaten, bauen und gründen. Der Herr ſchenkt allen Zeiten gleiches Ge- beiden, Regen und Sonneuſchein.“

Die Thitre flog anf bieih umd athemlos fürzte Mis

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lada's Edelzofe Herein. „Hilfel Hilfel“ ſchrie fie ſchluchzend „das Fräulein ftirbt barmberziger Himmel! Rettet vetteti®

„Was iſts7 beim heiligen Gott!” fragten bie Ritter ein- fimmig, erſchüttert und beftärzt.

„Das Fräulein Blut” berichtete die Zofe in Ab⸗ fügen „ein Blutſturzl Ihr follt kommen!“

nSeiliger, großer, erhabener Gott!“ ſchrie Vratislav ver- zweifelnd, „nwilft Du mid) denn wahnſinnig maden durch alle Marten bes Elendes ?"

„Folgt mir, folgt mir!” bat die weinende Zofe und zog ihn an der Hand fort. Zbenfo folgte mit gejenktem Haupte und büferem Antlig.

Sie traten in Milada's Schlafgemach. Sie lag im ſchnee - weißen Bette, weldes ein Blutſtrom gefärbt. Geifterbleih war das Antlig aber aus dem Auge Ieuchtete ein verflärter Strahl, in weldem alle irdiſche und himmliſche Seligkeit beim Erblicken des Geliebten lag.

Vratislav ſtürzte neben dem Lager auf die Kniee, erfaßte die lilienweiße, kalte Haud der Braut und rief unter Thrär nen: „Es kann nicht fein es darf nicht fein! Es muß vor- übergehen! O Du mein heißgeliebtes Leben, nimm aud mein Leben .

„Mein Bratislan,“ ſprach fie mit gebrochener Stimme, aber lãchelnd wie ein verflärter Engel, „es wird vielleicht doch fein! Ich glaube, wir müffen ſcheiden ſchou im Frühling fheiben. Gott will es.“

„Gr kann es nicht wollen!" grollte er; „ich bin ſchon zu rei an Elend geweſen, als daß mid; nenes mehr treffen laun. Seine Hand hat biefem Herzen fo viel Wunben geſchlagen, daß es feinen Raum mehr für neue hat. O bleib bei mir, Du leuchtender Engel, einziges Sternbild meines dunklen Daſeins ! O Welt Welt! was bieteſt Du mir ohne ſie? Gibt es noch

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feiner Liebe. Er weht felbft im Tode, den Er uns ſendet. Ih liebe Did, mein Vratislav, ich habe Dich geliebt wie meinen Gott, zu glühend vielleicht für biefe ſchwache Bruſt. If doch der Haß oft mandem Herzen Tod! warum fol es nicht aud die Liebe fein! Und bie Liebe if mein Tod. Glaubft Du, es wäre feine Seligkeit in ſolchem Sterben ?'

„Ich glaube nichts,” verfegte er dumpf, „ale daß ich mit Dir Ieben oder fterben muß.”

„Was ſpricht der Arzt? Wo ift der Arzt?“ fragte ber fonnen Zdenko zu wieberholten Malen.

„Er erfäjrat, da ‘er mic; ſah,“ antwortete Milada; „er wurde bleich. In biefem Erblaffen las ich mein Schichal.“

„Reit die feftlichen Blumenkränze von ben Gefimfen !“ rief Zdenko zum Fenſter in den Hof Hinab, wo in dumpfer Stille die feierliche Menge, ſchon getroffen von der‘ Trauerkunde, ſtand; „eilt weinend und flehend im bie Kapelle, werft Euch in ben Staub vor ben Altären nieder und fleht mit zerknirſchter Seele um Rettung! Eure Herrin ſtirbt! Mur der Allerbarmer kann fie reiten, und fo er fi Eurer erbarmt, ſeid auch Ihr ger rettet

„Meine Braut!" wehlagte Vratislav, „dies alfo ber heilige, fefliche Tag, von bem wir geträumt, bies bie liebende, felige Umarmung? Gott, mein Gott! Hämifcher, giftiger, boshafter Teufel! regierft Du etwa bie Welt in Abweſenheit des Allerbar- mers, bes milden Vaters? Ich Habe ſchon zwei Todte Ieben- dig gemacht gib mir aud) dieſes Leben Heraus! Um die Le- bendigen Hab’ id geweint, ba ich fie für Todte hielt; jet will ih um fein Leben weinen, das ich als Leben kenne.”

„Gb mir Worte des Friedens!“ flehte Milada und fpielte fanft mit feinen Loden; „gib mir Worte der Liebe. Wenn Dir Hebft, mußt Du auch glauben und Hoffen. Bitten eröffnen die Bforte ber himmliſchen Gnade, Droßungen fpalten fie nicht. Gott

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„Mber ſeguet fie, ſprach Nenhaus, „und gebenft ihrer in Viebe; denn die irdiſche Stimme dringt hinab in die Gräber, die todte nicht herauf im das Leben; fonft wäre das Leben ſchon ein Jenſeits.“

Amen!” fiel Zdenfo ein; „das Leben if in unfere Hand geftelt, wir Können daraus formen, was wir wollen. Haben wir unſer beabfihtigtes Bild entſtellt, fo iR die Rene und der Ber- MR ewig; aber ein Allerbarmer wandelt, wechſelt unb tröfet.”

Sutol und das Gefolge kam. Sie gingen insgefammt im bie Burg.

Es gibt Menſchen, die für Schmerzen geboren find; fie fongen am ben Bruften ber GEntfagung, werben großz gezogen durch das Unglüd, und wenn ber leuchtende Sonnenſtrahl ihre verfümmerte Hoffnungsblume füßt, fo if fein Kuß zugleich ihr Tod; er verfengt fi. Der Kranz, ben fie ſich winden, verwelkt in ihrer Hand, bevor fie ihm mod im ihre Roden gebrüdt. Sie haben am Ende ihrer Pilgerfahrt nur einen Blid: den nad oben. uUnd jene Sonne von oben, bie den Blid zu ſich empor« sieht, Tann fein Xruggebilde fein, denn der Schoß der Erde gibt Beruhigung; aber er ift fiumm umd hat für die Eine, legte Frage feine Antwort. Weint nicht über die, welche ihr Leben verfpielt, bie zu früh geichieben find in ihrem Frühlingstraume! Wenn die Stimme einen Namen gegen bie ftarten Felſen ruft, fo tönt vieleicht fpät, aber doch vernehmbar der Wiederhall yerüde

Durch das Bogenthor von Neufhloß zog Bratislav an ber Seite des Obeims mit feinem Gefolge ein,

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An den Stufen der Halle empfing ihn Milada in Gefell- haft ihrer dienenden Matrone. Sie hatte das ſchwarze Trauer- gewand abgelegt und erſchien in ſchneeweißer Tracht. Sie fah blaß und leidend, aber himmliſch ſchön im Lilienkleide. Wie ein roſiger Athemzug fäufelte über ihre Wange, als fie dem Ritter in das Antlig ſah; die lange, dunkle Wimper fenkte fi, ber sitternde Arm ſank, da ihn Vratislav's Hand berührte.

„Ihr werdet mich einen Undanfbaren fchelten,“ ſprach Bra- fi8lon, nochdem er an ihrer Seite, gefolgt vom Ohelm, in das Prunkzimmer getreten war, „baß ich ber beforgten Freundin fo Tange feine Kunde gab von freiheit und Gefangenſchaft; aber beide wechfeften fo raſch, bafı mir kaum eine Empfängfichfeit für den Wechfel blieb.“

„Ihr feid fo gütig, Ritter,“ entgegnete fie erglühend; „ich weiß kaum, wodurch ich diefen Dank verdient. Beſchämt —“

„Beihämt nicht mich,“ fiel er der Stockenden in's Wort; nbeihämt nit den Schuldner, ber dankbar wiederkehrt und ſpricht: Herrin, Du Haft mir Gutes getan; nimm biefen Aus ſpruch meiner Seele. Uber die Schuld, mein edles Fräulein, muß ich wieder abtragen an den milden Gläubiger, und jene Schuld it mein Leben, um weldes Ihr gnäbig geforgt, als wär’ es Euch ein theures. Um biefes Leben firitten ſich fo Biele: Menſchen, Zufal, Mißgeſchick; Ihr alein wart uneigennügig. Bas Tann ic Euch Beſſeres bieten zum Dank, als mein Leben? gleihviel ob fein Gehalt von Werth oder nicht! Ich bin Euer Sclave; gebietet mit dem Dafein, das ſich Euch freudig weit, wenn e8 glei dem Ohngefähr als ein Nichts preisgegeben war. Wie Ihr es achtet, ſoll es gelten.“

„Daß ich beforgt um Euch war,“ entgegnete fie ſchüchtern und abgebrogen, „hat Euch Eliſa wohl verrathen. Ich Hätte das einem Andern, den id; fo achtete wie Euch, auch gethan

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Es gibt edle Herzen, bie ſchenken und gern den Dank bes Be— ſchenkten hören, andere aber, die ihn fliehen.“

„Uneigennügiger find die, welde ihn fliehen,” gegenrebete fie und blickte befhämt vor fid nieder.

„Aber den Dankenden,” wiberfpradh er, „ift es nicht gleich, ob fie die Bruft des Dranges entlebigen oder nicht. Der Dank iſt dem wahrhaft Dankbaren ein Bebürfniß; er wird unglücklich, wenn man ihm bieg entzieht.“ J

„ungludiich,“ verſetzte fie, „fol Niemand werben durch meine Schuld. Wie ſolll' ich Unglück veranlaſſen, id, die fo viel deſſelben ſchuldlos geduldet ?*

„Dann aljo,“ vief er feurig, „laßt erfi meinen Mund dan- ten, und der ift berebter, wo er ſchweigt; aber fühlen follt Ihr, was er nit ſprechen kann. Das Wort, welches der Lippe ent- fließt, ift falter Schall, die Lippe ſelbſt aber Heiß in ihr glüht das Blut dafjelbe Blut, das aus dem Herzen quillt. Es eilt fo raſch nad) den Lippen, daf es da oben noch ſo warm ift wie im Herzen.“

Er umſchlang fürmifd ihren Arm, zog ihre Hand an fei- nen Mund, und als fie verſchämt das Antlig noch tiefer fenkte, preßte er einen Kuß auf ihre Wange. „Fühlt Eure Wange diefes Blutes Wärme, fo dringt die Wärme vielleicht aud bie in Euer Het :

„Gott jegne Euch, Fräulein!" vief jegt Zdenko, der ſchwei- gend und horchend bisher bageflanden; „er fegne auch Did, mein Sohn! Zwei Herzen, die ſich erkennen, lieben fi auch.“

Er drüdte ihre Hände und trat dann einen Schritt zuräd, indem er für fi Ieife Binmurmelte: „Heil ihm! Er Hat doch viel Liebe gefunden in dem freudelofen Dajein 1”

Milada entwand fid der Umarmung des Ritters umd ver- ließ freudig durchbebt, auf ihre Dienerin geſtützt, den Saal,

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Weder fie, noch Bratislav fanden nad; dem erſten, feligen Auffe Worte, die feine Bedeutung erläutert hätten.

Er trat an das Fenſter. Tief aufathmend blidte er nach dem Abendftern, der ganz allein an dem noch taghellen Himmel ſtrahlte, und ſprach feufzend für fi: „Es gab eine Blume; biefe Blume glühte in inniger Liebe zur Sonne, ihrer Gottheit. Die Sonne fandte ihre Strahlen flammend Herab in brünfiger Ex- wieberung, und bie Blume mußte wellen. Als die Nacht kam, ſchlug die Blume bie flerbenden Augen auf und fah zu dem milden Mond empor fein Strahl durchwallte fie mit lauer Wärme. Die Blume liebte den Mond und ftarb nicht ver- fenkt von feinem Strahl; aber die Sonne, die Sonne kann fie doch nicht vergefien! Es gibt nur Eine Sonne, und ſelbſt der Tod von ihrem euer er ſchmerzt nicht.“

Cyrillus war nebft den übrigen Verſchworenen glüdlich nad Oeſtreich entlommen. Sie mußten mm Schutz bei den Feinden ihres Glaubens nnd Baterlandes ſuchen. Ihr caligtinifher Anhang in Böhmen wurde zerfprengt. Rokycana verdarb fie. Um feinen Einfluß auf ben König immer mehr auszubreiten, opferte er dieſe Partei auf und leiſtete dem Könige einen weſentlichen Dienft dadurch; denn ihm fand nunmehr bloß die katholiſche Partei entgegen, bie, mädjtig zwar, feine Thätigfeit dod) nur nad) Einer Seite Hin in Anfpruc nahm.

An der Spige ber bohmiſchen, mißvergnügten Katholiken fanden Johannes von Rofenberg und der Prager oberfte Burg- graf Zbenko von Sternberg, Männer von Einfluß und Vermögen. Sie follten ben Befehbungen bes Ungarnfönige zur Ausrottung

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der Keßerei in Böhmen Bahn ſchaffen. Der Ritter Spanberg, befien Gattin eine Nichte des Herrn von Roſenberg war, trat gleichfalls mit zum Bunde. Burian von Gutenfiein, ein mächtiger, mährifher Landesherr, brachte ihm ein Schreiben Roſenberg's, das ihn als einen zuberläffigen, der guten Sache treuergebenen Mann rühmte,

Burian war die verförperte Schlaußeit, ein ältliher Mann, vol fanatifchen Feuereifers, den Lehren ber Priefter blind ergeben, voll graufamen Haffes gegen die vermeintlichen Neger. Im bie fem Sinne zwar handelte Spanberg nicht; aber als Deutſcher in damaliger Zeit haßte er die Böhmen vom Grund feines Her- zens. Diefer Haß ſchien ihm Pflicht, weil die Böhmen mit Gewalt ihre Nationalität nicht aufgeben wollten. Bon Deutid- land aus wurde Böhmen ſchon damals wie eine eroberte Provinz betrachtet, die nur noch etwas wiberfpenftig fich zeige und deshalb recht oft gezüchtigt werben müſſe.

„Für Euer Bertrauen geb’ ich das meine,“ ſprach der von Spanberg, nachdem er mit Burian von Gutenftein feine Mei- nuugen und Anfichten ausgetaufht; „ber Oheim fann in Allem auf mid; reinen. Beſſer ein entfchiedener, blutiger Grfolg, ale dieſes Schmwanfen. Böhmen fann nur ruhig nnd glüdlich werden als ber Antheil, die Provinz eines andern, mächtigern Staates, an ben es fi} in Tagen ber Noth und Gefahr lehnen kann. Jedes Landes Unheil ift aber die Verſchiedenheit des Glaubens. Darum fort mit ihr! Wo zwei Religionen herrſchen, befehden fie fich ewig.“

„Darum fort mit ihr!” wiederholte Burian; „ganz recht geſprochen! Und weil's mit Güte und Vernunft nicht gebt, fo gehe es mit euer und Schwert. Der heilige Vater hat uns ermächtigt, zur Ehre und zur Rettung bes Auſehens der fatho- liſchen Kirche ſolche Mittel zu gebrauchen. Es ziemt ber Eurie nit, mit einem Ketzer zu unterhandeln; denn unterhandeln heißt

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ihn anerfennen, und dies kann fo lange nicht geſchehen, bis die Compactaten nicht aufgehoben und das Ketzerthum feierlich abge- ſchworen if. Darum bat der Papft als been Unterhändler den Ungarntönig, der mit ben Waffen in der Hand kömmt. Er foll fengen uud brennen und Alles morden, was ben Kel nicht ab- ſchwören will. If Georg entthront dann wird Matthias unfer König, dem mir als ſolchem imsgeheim bereits in Ollmüt gehuldigt Haben.“

„Der König gefält mir,“ verjegte Spanberg ; „ein kühner, auffirebenber Mann und vom rechten Glauben, beliebt in Rom, darum alfo in Ruhe gelaffen. Ungarn, Mähren, Glaz, Schlefien, Böhmen, Ein Reih das lafl’ ih gelten; ba gibt es Raum, bie Arme hübfch nad) allen Seiten anszuftreden, barin ein gleicher Glaube und far gleiche Sprache.“

„Die Breslauer,“ erwieberte Burian, „haben dem Matthias, wie ich höre, al8 erblihem König, gehuldigt, und fo if fein Regiment geſichert. Caſimir's von Polen Anſprüche find ver- nichtet mit einem Streiche, und daß der Polafe fie nicht geltend macht, dafür wird das Schwert des Matthias ſchon Sorge tragen. Den Breslanern müflen wir in ber Art folgen. Nur durch die Erbfolge ift das Glüd eines Staates bis im bie fernften Zeiten geſichert. Mit Gottes Hilfe Iebt im zwei Jahren fein Laie mehr, der das Abendmahl unter beiberlei Geſtalten genießt.“

„Wir wollen Georg’s Geift und Willenskraft,“ bemerkte Spanberg, „nicht verfennen; aber einen König, der von aller Belt angefeindet wird, einen folden König der Unruhe können wir nicht gebrauden. Iſt er mit mächtig genug, alle feine Feinde niederzuſchlagen, fo trete er ab; wir find des Langen Habers müde.“

„Alſo mit Gott zum Siege!“ rief Gutenftein und drückte Spanberg’s Hand. „Ih iqheide auf baldiges Wiederſehen. Noch Habe id einen Auftrag an ben Burggrafen.“

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„Heut' über vierzehn Tage,“ ſprach Spanberg, „bin id im Lager bei Böohmiſch ⸗· Budweis. Meldet dies dem edlen Rofenberg. Es gilt raſch zu handeln; das Zaubern erfältet nur den Eifer. Matthias hat's vom dem Schlefiern oft erfahren. Lebt wohl und geht mit Gott!"

„Der Herr walte gnädig über Euch,“ erwiederte Burian, „und ung Allen! Er nehme feine Heilige Kirche in befonderen Schutz gegen die Macht bes Antihrif’s und feiner Anhänger! Gehabt Eu wohl!"

Sie ſchieden.

Leuchtend ging die Sonne dem Tage auf, an welden Bra tislav und Milada zum Herzensbunde von des Prieflers Hand eingefegnet werben follten. Die Morgenglode halte vom Thürm- lein der Schloßkapelle. Ans der Umgegend zogen Landlente herbei, der feſtlichen Handlung beizuwohnen. Sie Hatten bie Treppen- geländer und ben Eingang ber Kirchthülre mit Blumengewinden und Kränzen gefhmädt Die Hörner der Jäger tönten in einer luſtigen Weife.

Geſchmückt fand Bratislav an des Oheims Geite im Bo- genfenfter und fah Hinans in die dampfenden Thäler und über bie grünen, walbbewachſenen Berge. Er fah aber auch in dieſem entſcheidenden Lebensmomente prüfenden Blickes über fein bis- beriges Leben, feine Leiden umd Entfagungen hin. Das Dafein follte fi für ihm num zum Frieden, zur Ginfamfeit wenden. Wie ein heiterer Ser, in welchem fi bie milde Abendſonne fpiegelt, lag die Zukunft vor ihm. Milada's Anmuth, ihre Her- zensgũte, ihre aufopfernde Liebe verſprach ihm ein heiteres, ftilles Glüd. Wie er aus feinen bittern Erfahenngen den Lebensernft gewonnen und barin den Frohſinn eingebüßt’ fo einte ſich ihr Files, fanftes, dem Geräuf ber großen Welt abholbes Weſen harmoniſch mit ihm. Seufzend gedachte er Lidmila's. Sie Hatte er geliebt mit aller Macht feiner erſten, gewaltigſten Lei»

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denſchaft. Jener Traum von Prag trat wieder vor feine Seele. Kibmila war die Erſcheinung, welche bie Roſen ſpendete, Milde jene, welche das Veilchen barbot. So war es and; geworben. Sie bot ihm feinen flammenden, prädtigen Kranz, nur den ber ſcheidenen, ſtill duftenden ber Heinen Blumen.

„Du biſt fo RiN?“ begann endlich der Oheim; „doc Tann ich mir's denfen, daß Manderlei an Deinem innern Ginn vor- übergehen muß. Es ift ein fhöner, doc bedeutfamer und großer Augenblid, dem wir entgegenfehen. Moͤgeſt Du Heil erfahren in bem nenen Berufe und ben Hafen, von holder Hand geleitet, früher finden, als ic und Dein Bater ihn gefunden haben!“

„Habt Dant, mein Ohm!“ gegenrebete Bratislan; „ich hoffe glüdtih zu werden. Wunden gibt es, bie oft lange, mande - fogar, die ewig nadbluten. Wir wollen fie nicht reizen; vielleicht vernarben fie no. Nur langſam ſtirbt das Herz am Schmerze, und alles Labſal bringt doch der Tod. Das Leben if fo kurz; warum follten wir e8 nicht tragen mit all feinen Leiden, Ent» behrungen und Tauſchungen ?“

„da, das Leben ift kurz!“ wieberholte ber Oheim, „uud ein Sprüdwort fagt: Heute roth morgen tobt! Darum follen wir das Heut’ nicht zu ängſtlich umkammern und nicht zu ernſt nehmen. Bildet doch der Eruſt ohnehin dem büflern Hintergrund des bunten Gemälde, weldes wir Leben nennen! Fünfzig Iahre, und wir haben Schmerz und Luſt überwunden. D, wenn das ber Menſch immer bedächte, er liebte mehr, er lebte frieblicher! Das Angebenten bleibt aber fein Troſt dringt nicht im die Gräber. Wir müffen aber die kommenden Geſchlechter, unſre Erben, Heben, und darum fäen wir Thaten, bauen und gründen. Der Herr ſcheukt allen Zeiten gleiches Ge- deihen, Regen und Sonnenfchein.“

Die Thüre flog auf bleich und athemlos ftürzte Mi-

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lada's Edelzofe Herein. „Hilfe! Hilfe!“ ſchrie fie ſchluchzend „das Fräulein ſtirbt barmherziger Himmel! Rettet rettet

„Bas iſts? beim heiligen Gott!“ fragten die Ritter ein- fimmig, erſchüttert und beſtürzt.

Das Fräulein Blut“ berichtete die Zofe in Ab⸗ fägen „ein Blutlurz! Ihr follt fommen !“

„Heiliger, großer, erhabener Gott!" ſchrie Wratislan ver- zweifelnd, „wilft Du mid; deun wahnſinnig machen durch alle Martern des Elendes ?"

„Folgt mir, folgt mir!“ bat bie weinende Zofe und zog ihn an der Hand fort. Zdenko folgte mit geſenttem Haupte und büferem Antlig.

Sie traten in Milada's Schlafgemad. Sie lag im ſchnee · weißen Bette, weldes ein Blutftrom gefärbt. Geifterbleih war das Antlig aber aus dem Auge leuchtete ein verflärter Strahl, in weldem alle irdiſche und himmliſche Seligkeit beim Erblicken des Geliebten lag.

Vratislav ftürzte neben dem Lager auf die Kniee, erfaßte die lilienweiße, kalte Hand ber Braut umb rief unter Thrär nen: „Es kann wicht fein es darf nicht fein! Es muß vor übergehen! O Du mein heifigeliebtes Leben, nimm aud mein Leben!"

„Dein Bratislav,“ ſprach fie mit gebrochener Stimme, aber lãchelnd wie ein verflärter Engel, „es wird vielleicht doc fein! Ich glaube, wir müffen ſcheiden ſchon im Frühling ſcheiden. Gott will es.“

„Gr lann e8 nicht wollen!“ geollte er; „ich bin fchon zu reich an Elend geweſen, als daß mich neues mehr treffen fan. Seine Hand hat dieſem Herzen fo viel Wunden geſchlagen, daß es feinen Raum mehr für neue Bat. O bleib bei mir, Du leuchtender Engel, einziges Sternbild meines dunklen Dafeins! D Belt Welt! was bieteſt Du mir ohne fie? Gibt es noch

Herlobfoßn: Der lehte Taborit. u. 9

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einen gerechten, einen barmherzigen Gott? Cs fan nidt fein, e6 muß vorübergehen I"

„Und fcheiben wir and,“ gegenrebete fie mit verflärtem Lächeln, „fo fheiden wir nicht auf ewig. Jetzt, wo das irdiſche Leben langfam meiner Bruft entflieht wie eine verfiegende Duelle, baut die Seele mit zehnfachem Vertrauen auf das Wiederfehen, anf das Jenfeits, auf einen eiwigen, feligen Beſitz. Diefe Stimme Hügt nit.”

„Ich will fein Jenſeits 1” grollte er, ihre Hand mit Thrä- nen bebedend; „ic will feine Zukunft in jenen ungewiſſen Räu- men, die fein Auge geſehen; ich will bie Erde, das Jet, das Hier ih will Di und halte Dein Leben feſt mit meinen Armen, und ſelbſt Gott foll Dich mir nicht entreißen id bin ſtärker ale Gott id will ein Teufel fein, wenn es gilt, bier um mein Beſitzthum zu Bänpfen I"

„Laſtre nicht!” Hat fie fromm und mild; „ber Herr hat Alles wohlgethan vom Sonnenftaub bis zum Rieſengebirge. Er bat Dich ja allein gerettet aus Roth und Schmach, aus Elend und Tob und bat Mandes gefügt durch Schmerzen zu neuer Wonne.“

Ih habe an ihn geglaubt," verſetzte er, „wo es keine Hoffnung gab; ich habe das Schrecdlichſte duldend ertragen; ich habe gebetet, wo ich fluchen wollte, babe leife gewimmert, wo Wehſchrei die Bruſt dehnte; jegt aber kann ich nicht mehr dulden, nicht mehr glauben! Es ift zum viel für eine Menfhenbruft, zu ungeheuer für biefen engen Raum, dies Heine Menfchenherzt O Tod, Du umfer aller Gott, unerbittliche Gewalt des Weltalls, erbarme Did auch meiner! Nicht ohne mich laß fie gehen fonft erfaßt mid; der gräßliche Mordgedante, und ich werbe Durch Eigenhilfe ein Mebell in Deinem ewigen Reiche I"

„Bete mit mir} flehte fie; „meine Seele lechzt nah Ge- bete. Der Allgewaltige it mir nahe, und ich fühle ben Athem

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feiner Liebe. Er weht felbft im Tode, den Er uns fendet. Ich liebe Did, mein Vratislav, id) habe Dich geliebt wie meinen Gott, zu glühend vielleicht für diefe ſchwache Bruſt. Iſt doch der Haß oft mandem Herzen Tod! warum fol es nit auch die Liebe fein! Und die Liebe ift mein Tod. Glanbft Du, es wäre feine Seligleit in ſolchem Sterben?"

„3% glaube nichts,“ verfegte er dumpf, „als daß ich mit Dir Ieben oder fterben muß.”

Was pricht ber Arzt? Wo iſt der Arzt?“ fragte ber fonnen Zdenko zu wiederholten Malen.

„Er erichraf, da ‘er mich ſah,“ antwortete Milada; „er wurde vbleich. In dieſem Erblaffen las ich mein Schichal.“

„Reißt die feſtlichen Blumenkränze von den Gefimſen!“ rief Zdenko zum denfter in den Hof hinab, wo in dumpfer Stille die feierliche Menge, ſchon getroffen von der Trauerkunde, fland; „eilt weinend umb flehend im die Sapelle, werft Euch in den Staub vor den Altären nieder und fleht mit zerfnirfchter Seele

unm Rettung! Eure Herrin flirbt! Nur der Allerbarmer kann fie retten, und fo er fi Eurer erbarınt, ſeid auch Ihr ge rettet"

„Meine Braut!“ wehlfagte Vratislav, „dies alfo der Heilige, feftliche Tag, von dem wir geträumt, dies bie liebende, felige Umarmung? Gott, mein Gott! Hämifcher, giftiger, boshafter Teufel! vegierft Du etwa bie Welt in Abweſenheit bes Allerbar- mers, bes milden Vaters? Ich Habe ſchon zwei Todte Ichen- dig gemacht gib mir auch biefes Leben Heraus! Um die Ler benbigen Hab’ ich geweint, ba ich fie für Todte hielt; jet will ich um fein Leben weinen, das ich ale Lehen kenne.”

„Gib mir Worte des Friedens!“ flehte Milada und fpiefte fanft mit feinen Loden; „gib mir Worte der Liebe. Wenn Dir liebſt, mußt Du auch glauben und hoffen. Bitten eröffnen bie Pforte der himmliſchen Gnade, Drohungen fpalten fie nicht. Gott

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Weder fie, noch Bratislav fanden nad dem erften, feligen Rufle Worte, die feine Bedeutung erläutert hätten.

Er trat an das Fenſter. Tief aufathmend blidte er nad) dem Abendftern, der ganz allein an dem noch taghellen Himmel ſtrahlte, und ſprach feufzend für fi: „Es gab eine Blume; biefe Blume glühte in inniger Liebe zur Sonne, ihrer Gottheit. Die Sonne fandte ihre Strahlen flammend herab in brünfliger Er- wieberung, und die Blume mußte weiten. Als die Nacht kam, ſchlug die Blume bie flerbenden Augen auf und fah zu dem milden Mond empor fein Strahl durchwallte fie mit lauer Wärme. Die Blume liebte den Mond und ſtarb nicht ver- fenft von feinem Strahl; aber die Sonne, die Sonne fann fle doch nicht vergefien! Es gibt mır Eine Sonue, und felbft der Tod von ihrem euer er ſchmerzt nicht.“

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Cyrillus war nebſt den übrigen Verſchworenen glüdtih nach Oeſtreich entlommen. Sie mußten uun Schuß bei ben Feinden ihres Glaubens und Vaterlandes fuchen. Ihr caligtinifher Anhang in Böhmen wurde zerfprenge. Rokycana verdarb fie. Um feinen Einfluß auf ben König immer mehr atıszubreiten, opferte er biefe Partei auf und leiſtete dem Könige einen weſentlichen Dienft dadurch; demm ihm ſtand nunmehr bloß bie katholiſche Partei entgegen, die, mächtig zwar, feine Thätigkeit doch nur nad Einer Seite hin in Anfpruh nahm.

An der Spige der bößmifchen, mißvergnügten Katholiken fanden Johannes von Roſenberg und der Prager oberfie Burg- graf Zdenko von Sternberg, Männer von Einfluß und Vermögen. Sie folten den BVefehbungen des Ungarnfönigs zur Ausrottung

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ber Keferei in Böhmen Bahn ſchaffen. Der Ritter Spanberg, beffen Gattin eine Nichte des Herrn von Mofenberg war, trat gleichfalls mit zum Bunde. Burian von Gutenftein, ein mächtiger, mähriſcher Landesherr, brachte ihm ein Schreiben Roſenberg's, das ihn als einen zuverläfftgen, der guten Sache treuergebenen Mann rühmte.

Burian war die verkörperte Schlauheit, ein ältlicher Mann, doll fanatifhen Feuereifers, den Lehren der Priefter blind ergeben, vol grauſamen Hafjes gegen die vermeintlichen Ketzer. Im bie fem Sinne zwar handelte Spanberg nicht; aber als Deutſcher in damaliger Zeit haßte er die Böhmen vom Grund feines Her- zens. Diefer Haß ſchien ihm Pflicht, weil die Böhmen mit Gewalt ihre Nationalität nicht aufgeben wollten. Bon Deutſch- land aus wurde Böhmen ſchon damals wie eine eroberte Provinz betrachtet, bie nur noch etwas widerſpenſtig fich zeige und beshalb recht oft gegüchtigt werben müffe.

„Für Euer Vertrauen geb’ ich das meine,” ſprach ber von Spanberg, nachdem er mit Burian don Gutenflein feine Mei- umugen und Anfichten ausgetaufdht; „der Oheim kann in Allem auf mic rechnen. Beſſer ein entſchiedener, blutiger Erfolg, als diefes Schwanken. Böhmen fann nur ruhig und glücklich werden ale der Antheit, die Provinz eines andern, mädjtigern Staates, an ben es fi} in Tagen ber Noth und Gefahr Ichnen Tann. Jedes Landes Unheil ift aber die Verſchiedenheit des Glaubens. Darum fort mit ihr! Wo zwei Religionen herrſchen, befehden fie ſich eig."

„Darum fort mit ihr!“ wiederholte Buriau; „ganz recht geſprochen! Und weil's mit Güte und Vernunft nicht geht, fo gehe es mit Feuer und Schwert. Der Heilige Vater hat uns ermächtigt, zur Ehre und zur Rettung des Auſehens ber fatho- liſchen Kirche ſolche Mittel zu gebrauchen. Es ziemt der Curie nicht, mit einem Ketzer zu unterhandeln; benn unterhandeln heißt

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ihm amertennen, und dies fann fo lange nicht geichehen, bie bie Compactaten nicht aufgehoben und das Keßertfum feierlich abge» ſchworen if. Darum hat ber Papft als beſten Unterhändler ben Ungarufönig, der mit ben Waffen in der Haub kömmt. Er fol fengen und brennen und Alles morden, was ben Kelch nicht ab- ſchwören mil. If Georg entthront daun wird Matthias unfer König, dem wir als ſolchem insgeheim bereits in Ollmüg gefufdigt Haben.“

„Der König gefällt mir,“ verfegte Spanberg ; „ein fühner, aufftrebender Mann und vom rechten Glauben, beliebt in Rom, darum alfo in Ruhe gelaffen. Ungarn, Mähren, Glaz, Schleſien, Böhmen, Ein Reich das laſſ' ich gelten; ba gibt es Raum, bie Arme bübfch nad allen Seiten auszufireden, barin ein gleicher Glaube und far gleiche Sprache.“

„Die Breslaner,” erwiederte Burian, „haben dem Matthias, mie ih Höre, als erblihem König, gehuldigt, und fo ift fein Regiment gefihert. Caſimir's von Polen Anfprüce find ver- nichtet mit einem Streiche, und daß der Polafe fie nicht geltend macht, dafür wird das Schwert bes Matthias ſchon Sorge tragen, Den Breslanern müflen wir in der Art folgen. Rur buch bie Erbfolge ift das Glück eines Staates bis in bie fernften Zeiten geſichert. Mit Gottes Hilfe Iebt in zwei Yahren fein Laie mehr, der das Abendmahl unter beiderlei Geſtalten genießt.“

„Wir wollen Georg’s Geift und Willenskraft,“ bemerkte Spanberg, „nicht verfennen ; aber einen König, der von aller Welt angefeindet wird, einen ſolchen König ber Unruhe können wir nicht gebrauden. Iſt er nicht mächtig genug, alle feine Feinde niederzuſchlagen, fo trete er ab; wir fnb des Langen Habers müde,”

„Alſo mit Gott zum Siegel” rief Gutenſtein und drüdte Spanberg's Hand. „IH ſcheide auf baldiges Wiederſehen. Noch Habe ich einen Auftrag an ben Burggrafeu.“

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„Heut über vierzehn Tage,“ ſprach Spanberg, „bin ih im Lager bei Böhmiſch · Budweis. Meldet dies dem edlen Rofenberg. Es gilt raſch zu handeln; das Zaudern erfältet nur den Eifer. Matthias hat's vom den Schlefiern oft erfahren. Lebt wohl und geht mit Gott!“

„Der Her walte gnädig über Euch,“ erwiederte Burian, und ung Alen! Er nehme feine heilige Kirche in befonderen Schuß gegen die Macht des Antichrif’s und feiner Anhänger! Gehabt Euh wohl!"

Sie fhieben.

Leuchtend ging die Sonne dem Tage auf, an melden Brar tislav und Milada zum Herzensbunde von des Priefters Hand eingefegnet werden follten. Die Morgenglode halte vom Thürm- fein der Schloflapelle. Ans ber Umgegend zogen Landiente herbei, ber feftlichen Handlung beizumohnen. Sie Hatten bie Treppen- geländer und den Eingang der Kirchthüre mit Blumengewinden und Kränzen geihmüdt. Die Hörner der Jäger tönten in einer luſtigen Weiſe.

Geſchmückt fand Vratislav an des Oheims Seite im Bor genfenfter und ſah hinaus in die dampfenden Thäler und über bie grünen, walbbewachfenen Berge. Er fah aber aud in dieſem entſcheidenden Lebensmomente prüfenden Blickes über fein bie- heriges Leben, feine Leiden und Entfagungen hin. Das Dafein ſollte fih für ihm mum zum Frieden, zur Ginfamfeit wenden. Wie ein BHeiterer See, in welchem ſich die milde Abendſonne ſpiegelt, lag die Zukunft vor ihm. Milada's Anmuth, ihre Her- gensgikte, ihre amfopfernbe Liebe verſprach ihm ein heiteres, ſtilles Gluck. Wie er aus feinen bittern Erfahrnngen ben Lebensernft gewonnen und darin ben Frohfinn eingebüpt fo einte ſich ige ſtilles, fanftes, dem Geräuſch ber großen Welt abHoldes Weſen harmonif mit ihm. Seufzend gedachte er Lidmila's. Sie Hatte er geliebt mit aller Macht feiner erſten, gewaltigften Lei⸗

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denſchaft. Jener Traum von Prag trat wieder vor feine Seele. Lidmila war die Erſcheinung, welche bie Rofen fpendete, Milada jene, welche das Veilchen darbot. So war es auch geworben. Sie bot ifm feinen flemmenden, prächtigen Kranz, nur dem ber ſcheidenen, HIN duftenden der Meinen Blumen.

„Du biſt fo Ri?“ begann endlich ber Oheim; „doch Tann id mir's denfen, daß Manderlei an Deinem innern Ginn vor. übergehen muß. Es ift ein ſchöner, doch bedeutſamer und großer Angenblid, dem wir entgegenfehen. Mögeft Du Heil erfahren in dem newen Berufe und den Hafen, von holder Hand geleitet, früher finden, als ih und Dein Bater ihn gefunden haben!“

„Hebt Dant, mein Ohm!” gegentedete Bratislan; „ich Hoffe glüdiih zu werben. Wunden gibt es, die oft fange, mande - fogar, bie ewig nachbluten. Wir wollen fie nicht reizen; vielleicht vernarben fie noch. Nur langſam ſtirbt das Herz am Schmerze, und alles Labjal bringt bo der Tod. Das Leben ift fo kurz; warum follten wir es nicht tragen mit all feinen Leiden, Ent behrungen und Täufchungen ?*

„Ja, das Leben iſt kurz!“ wiederholte ber Oheim, „und ein Sprüchmort fagt: Heute roth morgen tobt! Darum follen wir das Heut’ nicht zu ängſtlich umklammern und nicht zu ernſt nehmen. Bildet doch der Eruſt ohnehin den düftern Hintergrund des bunten Gemäldes, welches wir Leben nennen! Funfzig Jahre, und wir haben Schmerz und Luft überwunden. O, wenn das ber Menfch immer bedächte, er liebte mehr, er lebte friedliher! Das Angedenken bleibt aber fein Xroft dringt nicht in bie Gräber. Mir müffen aber die kommenden Geſchlechter, unſre Erben, lieben, und darum fäen wir Thaten, bauen und gründen. Der Herr denkt allen Zeiten gleiches Ge- deihen, Regen und Sonnenfchein.“

Die Thitre flog auf bleich umd athemlos ftürzte Mi-

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lada's Edelzofe herein. „Hilfe! Hilfe!“ ſchrie fie ſchluchzend „das Fräulein ſtirbt barmherziger Himmel! Rettet rettet"

„Was iſts? beim heiligen Gott!“ fragten die Ritter ein- fimmig, erfhüttert und beſtürzt.

„Das Fräulein Blut“ berichtete die Zofe in Ab fägen „ein Blntflurz! Ihr follt kommen 1"

„Seiliger, großer, erhabener Gott!" ſchrie Bratislav ver⸗ zweifelnd, „wilft Du mid, deun wahnfinnig maden durd alle Martern des Elendes ?" J

„Folgt mir, folgt mie!" bat die weinende Zofe und zog ihn an der Hand fort. Zdenko folgte mit geſenktem Haupte und büfterem Antlig.

Sie traten in Milada’s Schlafgemad. Sie Ing im fchnee- weißen Bette, weldes ein Blutfirom gefärbt. Geifterbleih war das Antlig aber aus dem Auge Ieuchtete ein verflärter Strahl, in weldem alle irdiſche und himmliſche Seligfeit beim Exbliden des Geliebten lag.

Vratislav ſtürzte meben dem Lager anf bie Kniee, erfaßte die lilienweiße, kalte Hand der Braut und rief unter Thräs nen: „Es kann wicht fein e8 darf nicht fein! Es muß vor- übergehen! O Du mein heißgeliebtes Leben, nimm and mein Leben!“

„Mein Bratislan,“ fprad; fie mit gebrochener Stimme, aber lãchelnd wie ein verflärter Gngel, „es wird vielleicht doch fein! Ich glaube, wir müffen ſcheiden ſchon im Frühling fheiben. Gott will es.“

„Er kann es nicht wollen!“ grollte er; „ich bin fchon zu rei an Elend gewefen, als daß mid, neues mehr teefien Tann. Seine Hand Hat biefem Herzen fo viel Wunden gefehlagen, daß es feinen Raum mehr für nene hat. O bleib bei mir, Du leuchtender Gngel, einziges Sternbild meines dunklen Dafeins! D Belt Welt! mas bieter Dur mir ohne fie? Gibt es noch

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einen gerechten, einen barmherzigen Gott? Es faun nidt fein, e8 muß vorübergehen 1"

„Und ſcheiden wir auch,“ gegenredete fie mit verflärtem Lächeln, „fo ſcheiden wir nicht auf ewig. Jetzt, wo das irdiſche Leben langſam meiner Bruft entflieht wie eine berfiegende Quelle, baut die Seele mit zehnfachem Vertrauen auf das Miederfehen, auf das Jenfeits, auf einen ewigen, feligen Beftg. Diefe Stimme fügt nit.”

„3% will fein Jenſeits I" grollte er, ihte Hand mit Thrä- nen bebedend; „ih will feine Zukunft in jenen ungewiſſen Räu- men, bie fein Auge geſehen; ich will bie Erbe, das Jetzt, das Hier ih will Did und halte Dein Leben feſt mit meinen Armen, und felbft Gott fol Dich mir nit entreißen id bin ſtarler ale Gott ich will ein Teufel fein, wenn es gilt, Bier um mein Beſitzihum zu kämpfen I“

„Läſtre nit!” bat fie fromm und mild; „ber Herr hat Ales wohlgethan vom Sonnenftaub bis zum Riefengebirge. Er hat Dich ja allein gerettet aus Noth und Schmah, aus Elend und Tod und bat Mondes gefügt duch Schmerzen zu neuer Wonne.“

„Ich Habe an ihm geglaubt,” verſetzte er, „mo es keine Hoffnung gab; ic habe das Schrediicte duldend ertragen; ich habe gebetet, wo id; fluchen wollte, habe Ieife gewimmert, wo Wehſchrei die Bruft dehnte; jetzt aber kann ich nicht mehr dulden, nicht mehr glauben! Es if zw viel für eine Menſcheubruſt, zu ungeheuer für biefen engen Raum, dies Heine Menfhengerz! O Tod, Du unfer aller Gott, unerbittlihe Gewalt des Weltalle, erbarme Did and; meiner! Nicht ohne mic laß fie gehen fonft erfaßt mich der gräßliche Mordgebanfe, und ich werde durch Eigenilfe ein Mebell in Deinem ewigen Reiche 1”

„Bete mit mir 1“ flehte fie; „meine Seele lechzt nad; Ge- bete. Der Allgewaltige ift mir nahe, und ich fühle ben then

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feiner Liebe. Er weht ſelbſt im Tode, den Er uns fendet. Ich liebe Dich, mein Bratislav, ih Habe Dich geliebt wie meinen Gott, zu glühend vielleicht fir diefe ſchwache Bruſt. IA doch der Haß oft mandem Herzen Tod! warum fol es nit auch die Liebe fein! Und bie Liebe ift mein Tod. Glaubft Du, es wäre feine Seligkeit in folhem Sterben ?''

„Ich glaube nichts,“ verſetzte er dumpf, „als daß ich mit Dir Ieben oder fterben muß.”

„Was fpricht der Arzt? Wo ift der Arzt?“ fragte ber fonnen Zdenko zu wiederholten Malen.

„Er erſchrat, da er mic ſah,“ antwortete Milada; „er wurde -bleih. In diefem Grblaffen Ias id mein Schichal.“

„Reißt die feftlihen Blumenkränze von den Geſimſen!“ vief Zdenko zum Fenſter in den Hof hinab, wo in bumpfer Stille die feterfiche Menge, ſchon getroffen von ber Trauerkunde, ftand; „eilt weinend umb flehend in bie Kapelle, werft Euch in ben Staub vor den Altären nieder und fleht mit zerknirfchter Seele um Rettung! Eure Herrin ftirbt! Nur der Allerbarmer kann fie retten, nnd fo er fi Eurer erbarmt, feid auch Ihr ger rettet"

„Meine Brant!“ wehflagte Vratislav, „dies alfo ber heilige, feftlihe Tag, von dem wir geträumt, dies bie liebende, felige Umarmung? Gott, mein Gott! Hämifcher, giftiger, boshafter Teufel! vegierft Di etwa bie Welt in Abtvefenheit des Allerbar- mers, bes milden Vaters? Ich Habe ſchon zwei Todte Ieben- dig gemadit gib mir auch biefes Leben Heraus! Um bie Le benbigen hab' ich geweint, ba ich fie für Todte hielt; jegt will ich um fein Leben meinen, das ich als Leben kenne.“

„Gib mir Worte des Friedens!“ flehte Milada und fpielte fanft mit feinen 2oden; „gib mir Worte der Liebe. Wenn Du Hebft, muft Du aud glauben und hoffen. Bitten eröffnen bie Pforte der himmliſchen Gnade, Drohungen fpalten fie nicht. Gott

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allein iR ewig, der Menfd aber, wie fein Gdmerz, vergl . Gib mir Worte der Liche, mein Bratislav 1 ap mi die legten Augenblide hindurch ſchwelgen im ber Erinnerung meine, an Deine Liebe! Sterb' id doch gern jet, wo daß Du mid liebſt! denn Deine Neigung war bie Aufgabe meines Lebens. Sein Zwei iR vollbracht das Ziel erreicht IR der Regenbogen barum weniger ſchön, weil er nur Stun- den am Himmel prangt und nicht Jahre? Wär’ es beum ein Frühling, wenn es immer Früfling wäre? Sag’ noch Ein- mal, daß Du mid liebft, daß Dein Herz Did ſelbſt mir gegeben, daß Di meine Liebe gerührt, und daß Du bie Blume nicht gepflüct, weil fie mur zufällig am Wege fland und feine andre neben ihr daß Du fie and geſucht, als Du fie geichen.“ „Ob ich Di liebe?“ rief er im feiner ſchmerztichen Bex- nichtung „ob ich mein Leben liebe, die Welt, Bott liebe? Ich weiß es nicht. Aber ich liebe nur Eins, nur Eins mit der frampfhaften Berzweiflung, mit der ganzen Todesangſt meiner Seele: Dein Leben! Dein Leben! Es ik mir das höchſte. heiligſte aller Güter id acht' es mehr, als jede Seligkeit des Himmels, als alle Seligleiten, welche uns Gott verheißen hat. Rur Dein Leben will ih fonft nichts nichts vom der Gegen- wart, nichts von ber Zukunft, nichts vom Zenfeits! Laß mich nit bier fo arm, fo eleud, fo im innerſten Marke vernichtet auf diefer elenden, farblofen, trügerifhen Erde zurüd! Was foll mir das Dafein? Was follen dem Menſchen die Augenhöhlen, wenn feine Augenfterne darin find? Was fol mir die Sonne am Himmel, wenn fie mir nicht leuchtet und mich nicht wär- met? Bedarf ich der Bewegung, wenn ich fein Blut habe? Was foll der Froft dem Eife? Nur ber Wärme bedarf es, um zu fömelgen und aufzufeben. Heiliger, barmherziger Gott, Laß mich fterben, ober verfenfe mich in des Wahnfinns Nacht !“ „Zürne nicht, mein Geliebter,“ bat fie mit rührender, im-

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mer matter werbdender Stimme, „daß wir fcheiden müffen! War ich ja doc ſchon felig auf diefer Erde, daß id nad; höherem Glucke nicht verlangen darf, ohne die Sünde des Undanfes zu begehen! As id Di zum erften Male fah, von Schmerz und Geligfeit ergriffen, ale ich Dich wieberfand, Deine. Stimme Hörte, Dein Holdes Wort, Dein füßer Gruß mir erflang, ale Deine Hand die meinige berlihrte und Du mir lächelteſt, da wußte ih, daß id} eine Binme fei, die ihre höchſte Blitenzeit, die Seligkeit, erlebt Hat und darum fterben müſſe. Und mir war noch eine längere Frift, als ber Blume, nod ein zweiter Fruhling beſchieden. Ich ſah Did; wieder und durfte Di; mein nennen. Id bin beglüct ich zürne dem Tode nicht, weil er mid aus dem Beſitzthume reift, wo id) es brünſtig umfchließe. Der Menſch jauchzt über ein Juwel, das er gefunden je län« ger er's aber befitt, deſto mehr erkaltet feine Luft daran. Ich wirde Did) zwar ewig geliebt haben aber ich ſcheide von dem Jumel im Momente ber größten Seligkeit bes Befites. Eine hohere Tann ich nicht erringen und darum, mein Ge liebter, glaube mir, das Scheiden ſchmerzt nicht fo fehr als vielleicht das Bleiben. Ich beneide die Erde, daß Du bleibt. Du Haft mich geliebt und wirft mid) Tieben bis zum Wieder- fehen. Und wir werden ums wieberfehen. Es iſt dies eine ge waltige Marmorfänle, die ih umfangen Halte; ihr eines Ende wurzelt tief in die Erde, das andre ragt aufwärts bis zu Gottes Throne; fle ift der Schemel feiner Füße. Es iſt der Glaube on das Zenfeits; am ihm Mimme ich empor. Leb' wohl! der Nachhall diefes Lebewohls zittert auch von Jenſeits hernieder, und die himmliſchen Töne erreichen das irdiſche Ohr.”

„Du, darfft nicht ſcheiden, ſollſt nicht ſterben rief er; „warum ſoll denn das Leben an allem Reiz beſtohlen, warum fol der Sonne ihr Glanz geraubt werben ?“

nDie Erbe ift ſchön,“ verfegte fie immer matter werdend,

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Mal. Herr, Du weißt, daß ich nicht ſchwach und wehmüthig war in. ben Gefahren des Bluthandwerls nimm ben bittern Kelch von mir, nimm ihn von meinem Neffen!"

„Die Erde ift ſchön, aber das Jenſeits iſt ewiger in feiner Schoͤnheit,“ ſprach Milada; „gönnt mir ben Blid nad diefem, da mein Auge gebroden if für jene. Lebt wohl! Auch id) werde felig Ieben. Gedenke mein, Vratislav, und des Heuti- gen Tages gedenfel Cr hat mich verffärt als Braut! Statt

zur irdiſchen Seligkeit wandle ich zur himmliſchen. Sie wird Dir auch zu ‚Theil. Gib meine Liebe der Erde, den Menſchen doppelt wieder; ich habe zu kurz gelebt, um ihnen zu vergelten. Brotielan ? 1"

Er preßte feine Lippen am ihren erbebenden Mund er sitterte in ber gewiſſen Angſt des Verluftes; ihr Augenſtrahl Teuchtete noch einmal zu ihm empor; ihr matte Hand umfaßte feinen Raden. Sie ſchien noch einmal anfzuleben wie eine ver- loſchende Flamme; doch fie hatte vollendet. Der Tod flreifte, wie über eine Blume, bie rauhe Hand, fo über bie Jungfrau und wiſchte den Farbenſtaub ab das Leben war eine Leiche; zwar eine ſchöne Leiche, aber doch ein Eigenthum des Todes, ein Opfer, das er in felavifcher Demuth zu feinen Füßen ſah.

Bratislav fühlte das Wehen des allmächtigen Gottes, ber bie Lippen fließt und die Blicke verlbſcht. Ex ſank auf bie Anie nieder fein Herz konnte weber beten, noch grollen. Er war vernichtet für die Gegenwart.

Der Prieſter im Ornate, welcher die Trauung vollziehen ſollte, trat mit Kerze und SKrucifig herein, um bie Sierbende ein- aufegnen. Sein irdiſches Segenswort erreichte bie Seele ‚nicht mehr, bie ſchon die Klänge des Jenſeits, ben Chor der Engel vernahm.

Man riß die Kranze vom den Geſimſen man hüllte ſchwarze Gewänder um ben Altar die Töne ber Freude ver⸗

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Hangen Bangigfeit und laute Wehllage Herrfchte unter dem verfaommelten Laudvolle, dem fo eben bie Trauerkunde von bem Wechſel des Freubenfeftes in ein Tramerfeft zu Ohren fam; bie Glode der Kapelle tönte als Tobtenglode, nicht als frommer Auf zur Freunde es gab nur Cine Leihe in ber Burg von Neuſchloßßz, aber bie Lebenden daſelbſt waren auch alle Trauernde.

Bratislav ſaß wie ein Marmorbild an dem Lager, wo fie ihr fhönes Dafein ausgehaudt. Er hatte fein Haupt niedergeſenkt in bie Kiffen; man würde ihn für einen Schlafenden »gehalten haben, mern die nächfte Umgebung nicht von feinem Schmerz geſprochen hätte. Zdenko vom Techtie fland auf dem Söller im Schloßhofe und blickte hernieder auf die Menge der Reifigen und Lanbbewohner, die betrübt, betäubt, fragend und ſchweigend, niedergeſchlagen und zürmenb auf und abſchritten. Ihnen war vielleicht ein Freudenfeſt verborben, und barım waren fie in Zrauer; der Schmerz; war nicht ihr eigener Schmerz, alſo nicht von Dauer. Wie aber follte er den Neffen tröften, wie fein taum dem Sinken entriffenes Vertrauen retten? Er geftand fi, daß fein früheres Dafein noch lange nicht fo elend und verfuftreich wie Vratislav's gegenmwärtiges geweſen, und wie ber werdende Mann ſchon größeres erfahren, als er in ben Blutge- fechten einer großen Zeit.

Auf dem Steingefims am Ausgange der Burghalle ſaß der Nitter Sufol, warf faum einen Blick nad ben hin- und her- woandelnden Menfhen, ſah nicht empor und hielt nur das Schwert anf ben Boden geſtemmt mit ber rechten Hand. Zdenlo's Stimme rief ihn er regte fi nicht. Die Tobtenglode tönte, und ans ber Kapelle, wo die freudengäfte nunmehr als Leidtragende ſich verſammelt hatten, ſchallte ſchwermüthiger Gefang, der dem Tode, aber nicht mehr dem Leben galt. Sutol blieb ruhig fitzen während Knechte und Reiſige und Diener an

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ihm vorüber zur Kapelle geeilt waren in feiner Seele ging der Schmerz nicht als Wehmuht, aber als finfterer Groll vorüber, und den Groll Bielt er feft, wie ber Ledhzende die Nahrung. Er fafte nad) feinem Schwerte, zog bie Klinge langſam durch die Hand, als wollte er bie Schärfe der Schneide prüfen; dann ſprach er zu ſich ſelbſt: „Warum Hab’ ich die alte Zeit nicht wieder, Krieg Schlachten Furt und Hoffnung Sieg und Flucht? Es iſt noch ein Leben! Ei war e8 ein Leben! Elend bin ich, weil id} mit ber Zeit alt- geworden bin. In ber Noth und im Elend war meine Seele froh, und ba ich haßte, unbefangen. Nun da id; einige Menſchen liebgewonnen habe und im frieben raften aber, will mit ihnen, um ihnen zu erzählen, wie es vordem war, da muß ic) mich wieber nad). dem Kriege und nad} dem Kriegstoben fehnen, das id; num nicht Haben kann. Ach Protopl Pros Top! wär’ ich doch neben Dir geſunken bei HEib! Dir if wohl, und mir wäre aud wohl! Es ift do eine Schande für einen alten, huſſitiſchen Kriegsknecht, daß ber nad) Allem, was er befahren, weid; werden muß wie ein Meib, nicht um fein Selbft willen, nein! um beffentwillen, was Andere erdulden! Nun in Gottes Namen! Ich will aud gehen! Es if, als hätte ich über den Ritter nur Unheil gebracht, feit id) ihm gefehen! Wo ich ihm helfe, fängt fein neues Mifgefhid an, und foll ih kommen, komme ich zu fpät. Mifada ging an jenem Abend ohne meine Begleitung nad dem Schloßgarten. Sie flieg in den Hirfggraben Hinab, MHomm den jenfeitigen Hügel hinan, und glaubte am Thurme zu laufen umb zu erforichen, wo ihr Geliebter fei. Da ſchwang fie fi an dem Gefimfe empor, aus dem plögfic, ein Lichtſtrahl drang; fie lauſchte und horchte und glaubte feine Stimme zw vernehmen und mod; eime weibliche. Sie wollte rufen wollte das Gitter erreichen; aber der Schred, ber freudige Schred ober die Angft machte fie ſchwach, bie Arme erſchlafften, fie ſtürzte nieder von der Höhel Als fie wieder

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zur Befinnung kam, war ihr Gewand mit Blut bebedt. Der Zofe geftand fie, was vorgefallen fie durfte erſt fpäter davon er- fahren. Freilich! warum war id an jenem Abend nicht bei ihr? Weit ich heimlich Nachts gen Kutteuberg zog, um dem Ritter zur finden. Und dann ftirbt fie daran bin vieleicht ich ſchuld oder der Zufall. Beim heiligen Gott! id bin felbft der Zufall; denn ohne Zufall morbete der Guardian und der Vichaler wicht.“

Er erhob ſich und ging durch das Burgthor in's Freie. Bor dem ſchwarzbehangenen Altare lag Milada im offenen Sarge, vom Kerzenſchimmer umſtrahlt. Ihr Antlig war blaß, aber bie milden, fanften, engelreinen Züge ſchienen zu Ieben; nur bie durchfichtige, alabaftermeißie Hand deutete auf ben Zob. Zu beiden Seiten des Altars Enieten Bratislav und Zdenko in frommem Gebete, Hinter ihnen die Bewohner der Burg und das zahlreiche Land- voll, welches aufrichtig den Berluft der geliebten Herrin beweinte.

Bom Thurme wehten Trauerfahnen und falten die Gloden im dumpfen Geläute.

Ihr Ton trieb den ernften Sukol immer weiter Binaus. Er wollte den Klängen, tele ihn nur an den eigenen unb fremden Schmerz erinnerten, entfliehen. &o gelangte er an bem drei Seen, welche die Ebene füblih von Neuſchloß bedecken, vor- über bis gegen Hollan. Knapp am Ufer, rechts aber gegen dem Wald gelehnt, befand fi damals ein Forſthaus, welches auch zur Herberge diente, als ſolche aber in früherer Zeit verrufen war. Hier gedachte Sukol zu ruhen ; denn es mochte ſchon lange Mitternacht fein, und der Ritter war müde vom Brüten und Sinnen. Hier wollte er dem folgenden Tag abwarten an ihm follte fein Entſchluß reifen; er wollte ſich entſcheiden, ob er wie- der in bie Burg zurückehren und bei feinem freunde bleiben, ober, bes ewigen Mißgeſchides müde, im die weite Welt ziehen ſolle.

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Wider fein Vermuthen ſchimmerte ans dem Feuſter des Waldhauſes gegen dem Forſt zu Lichtglanz. Sukol beſchloß, erſt Grund und Boden zu unterſuchen, bevor er an die Pforte pochte. Er fritt darum die Hede, welche das graue Häuschen umgab, entlang, kroch an der Bintern Seite behutfam durch die Zweige and von da aus über ſpitziges Geftrüpp und berfallenes Gemäuer an das niedere Fenfterlein. Hier Taufchte er mehre Stimmen ſprachen zugleich, aber nur Hafblaut. Es mar ihm, ale Habe er die Eine fon einmal irgendivo gehört. Behutfam duckte er auf und warf einen prüfenden Blid in das Junere des Haufes. Da der Lichtglanz von innen Fam, fo konnte er darin deutlich Alles erkennen, aber von da aus nicht gefehen werden. Fünf Männer von abenteuerlichen, wilden, häßlichem Ausſehen, auf verſchiedene Art bewaffnet, faßen an einem Tiſche und tranken bei bald lautes rem, bald bei heiſerem Geſpräche gemeinfhaftlic aus Einem Kruge. Der Längfte von ihnen fiel unferm Ritter befonbers auf; biefe wilden, frechen Züge, biefes hellrothe, firuppige Haar er fann lange nad; er mußte den Mann irgendwo gefehen haben. Da fiel ihm die Scene in ber Bergſcheule bei Melnit in's Ge dãchtniß, und richtig! e8 war Bäclav, jener Biehhänbdler, der den flügjtigen Bratisfav damals gefangen nahm und dafür Hin- terher von Sukol derb gezüdtigt wurde. In Einem der Uebrigen glaubte er auch einen der Schiffer zu erfennen, welde dem Bd- <lav damals bei Ueberwältigung des Ritters. behilflich waren.

„Es ift der verdammte, rothhaarige Schnapphahn!" ſprach Sutol leiſe für fih; „der führt mit feiner Rotte gewiß nichts Red - liches hier im Schilde. Hier gilt’ zu Taufchen ; voreilige Hitze und Dazwiſchenkunft wäre ſchlecht angebracht. Wil 'mal hören!“

„Rod eine Halbe Stunde haben wir," fprad; Vaclav, bem Bierkrug in der Hand; „dann ift e8 Zeit zum Aufbrud.“

„Wenn wir fie nur ſicher am jenfeitigen Ufer finden!“ ver- fegte ein Anderer; „ih traue dem Hokalka nicht.“

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allein if ewig, der Menſch aber, wie fein Schmerz, vergänglid. Gib mir Worte der Liebe, mein Vratislan! Laß mi noch die legten Augenblide hindurch ſchwelgen in ber Erinnerung an meine, an Deine Liebel Sterb' ich doch germ jegt, wo ich, weiß, daß Du mid liebt! denm Deine Neigung war die Aufgabe meines Lebens. Sein Zweck ift vollbracht das Ziel erreicht. IR der Regenbogen barum weniger ſchön, weil er nur Stun - den am Himmel prangt und mit Jahre? Wär’ es benn ein Frühling, wenn es immer Frühling wäre? Sag’ noch Ein- mal, daß Du mid; fiebft, daß Dein Herz Dich felbft mir gegeben, daß Di; meine Liebe gerührt, und da Du die Blume nicht gepflüct, weil fie nur zufälig am Wege ſtand und feine anbre neben ihr daß Dir fie aud) gefucht, ald Du fie gefehen.“ „Ob ich Dich liebe?“ rief er in feiner ſchmerzlichen Ber- nichtung „ob id} mein Leben liebe, die Welt, Gott liebe? IH weiß es nicht. Aber ih liebe nur Eins, nur Eins mit ber frampfhaften Berzweiflung, mit ber ganzen Todesangft meiner Seele: Dein Leben! Dein Leben! Es if mir das höchfte, heiligſte aller Güter id) acht! es mehr, als jede Seligkeit des Himmels, als alle Seligfeiten, welde uns Gott verheißen hat. Nur Dein Leben will ih fonft nichts nichts von ber Gegen- wart, nichts von der Zukunft, nichts vom Jenſeits! Laß mich nicht bier fo arın, fo elend, fo im innerften Marke vernichtet auf diefer efenden, farblofen, trügerifchen Erde zurüd! Was fol mir das Dafein? Was follen dem Menſchen die Augenhöhlen, wenn feine Augenſterne darin find? Was foll mir die Sonne am Himmel, wenn fie mir nicht leuchtet und mid nit wär- met? Bedarf ich der Bervegung, wenn ich fein Blut habe? Was foll der Froft dem Eiſe? Nur ber Wärme bedarf es, um zu ſchmelzen und aufzuleben. Heiliger, barmherziger Gott, laß mic flerben, ober verfenfe mich in des Wahnfinns Nacht I“ nZürne nicht, mein Geliebter,“ bat fie mit rührender, im-

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mer matter werdender Stimme, „daß wir ſcheiden müfjen! War ich ja doch ſchon felig auf dieſer Erde, baf ich nad) höherem Güde nicht verlangen darf, ohne die Sünde des Undanfes zu begehen! Als ich Dich zum erſten Male fah, von Schmerz und Geligkeit ergriffen, als ich Dich wieberfand, Deine. Stimme Hörte, Dein holdes Wort, Dein füher Gruß mir erflang, als Deine Hand bie meinige berührte und Du mir Iächelteft, da mußte ih, daß ich eine Blume fei, die ihre höchſte Blütenzeit, die Seligteit, erlebt Hat und darum fterben müffe Und mir war noch eine längere Frift, als ber Blume, noch ein zweiter Frühling befieden. Ich fah Dich wieder und burfte Dich mein nennen. Ich bin beglückt ich zurne dem Tode nicht, weil er mid) ans dem Beſitzthume reißt, wo ich es brünftig umſchließe. Der Menſch jauchzt über ein Juwel, das er gefunden je Tän- ger er's aber beſitzt, defto mehr erfaltet feine Luſt daran. Ich würde Did zwar ewig geliebt haben aber ich ſcheide von dem Juwel im Momente ber größten Seligkeit des Befites. Eine höhere kann ich nicht erringen und darum, mein Ge- Hiebter, glaube mir, das Scheiben ſchmerzt nicht fo fehr ale vieleicht das Bleiben. Ich beneide die Erbe, daß Du bleibſt. Du haft mic geliebt und wirft mid, Tieben bis zum Wieder- fehen. Und wir werden ums wieberfehen. Es iſt dies eine ge- waltige Mormorfäule, die ich umfangen halte; ihr eines Gnde wurzelt tief in bie Erde, das andre ragt aufwärts bis zu Gottes Throne; fie ift der Schemel feiner Füße. Es iſt der Glaube an das Jenſeits; am ihm Mimme ich empor. Leb’ wohl! der Nachhall diefes Lebewohls zittert auch vom Jenſeits hernieder, und die himmliſchen Töne erreichen das irdiſche Ohr.”

„Du darfft nicht ſcheiden, ſollſt nicht flerben!“ rief er; „warum ſoll denn das Leben an allem Reiz beſtohlen, warum ſoll der Sonne ihr Glanz geraubt werben ?“

Die Erde ift ſchön,“ verfegte fie immer matter werdend,

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„und das Scheiben nicht bitter, wo das Wiederſehen gewiß ifl. Mein Vratislav, gebente mein, wie ber Pilger, der auf ber Straße einen Wanderer gefunden hat, am Kreuzwege rechtwärts gebt, während jener finfwärts ziehen muß. Sie fdütteln ſich die Hände, fehen einander in das mehmüthige Auge und geſtehen tranernd, wie es fie fchmerzt, daß fle nicht eine und dieſelbe Bahn weiter in Gemeinſchaft ziehen Lönnen. Bom Hügel herab mwinft Einer dem Andern noch einen Abſchiedegruß. Der Gruß if ein ſchmerzhaftes Bermägtniß; denn fie fehen fich viel- leicht niemals wieder, weil des Eiuen Strafe zum Aufgange, die des Andern aber zum Miedergange führt. Wenn endlich die Berge dazwiſchen getreten find und fein Rüdbfid bleibt nah der Bahn des Andern, danu Iegt jeder Geſchiedene ein Blatt in fein Gebetbuch ein Heiligenblatt, wie wir pflegen die Er- innerung, das Angebenfen. Wir aber werben uns wieberjehen I“

Inzwiſchen war bie Dienerfhaft betrübt und weinend im as Gemach getreten; auf der Thürſchwelle fand Sukol wie ein Marmorbild, ohne Ausdrud, aber voll tiefen Grolles, der dem Geſchide galt er ſchien feine Theilnahme und mit ihr ben eigenen Schmerz zu verbergen.

„Ich habe noch niemals Inieenb vor Dir gebetet, o Gott!” fprad) Zdenko; „denn ich habe in den Schiachten mit dem Schwerte gebetet für Dein Wort und für Deinen Glauben. Jetzt aber, Herr, flehe ih zn Dir es gilt mein Blut unbe mtein Leben! Und Eine Bitte muß ic frei haben, da mir fo viele und viel Taufend Wünfce verfagt worden find. Dein Wille geſchehe Here! Es iſt freilich ein Andres als eine Schlacht. And in der Schlacht gefchehe Dein Wille! Aber, mein Gott, ein einzelnes Leben zu retten, wird unſerm Flehen doch gelingen! Mein Tieber Gott! es if eine Kleinigkeit es handelt fih um feine Schlacht, über denen Du herrſcheſt, und wo ih Dein Walten erfahren und gefühlt Habe viel hundert

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Mal. Herr, Du weißt, daß ih nicht ſchwach und wehmüthig war in den Gefahren bes Bluthandwerls nimm ben bitterm Kelch von mir, nimm ihn von meinem Neffen!"

„Die Erbe ift ſchön, aber das Jenfeits ift ewiger in feiner Schönheit,“ ſprach Milada; „gönnt mir ben Blick nad biefem, da mein Auge gebroden if für jene. Lebt wohl! Auch ich werde felig leben. Gedente mein, Vratislav, und des Heuti- gen Tages gedenfel Cr hat mic) verflärt als Braut! Statt zur irdiſchen Seligfeit wandle ich zur himmliſchen. Cie wird Dir aud zu Theil. Gib meine Liebe der Erde, ben Menfchen doppelt wieber; ich habe zu kurz gelebt, nm ihnen zu vergelten. Bratielan 1"

Er preßte feine Lippen am ihren erbebenden Mund er zitterte in ber gewiſſen Angſt des Verluſtes; ihr Augenſtrahl leuchtete noch einmal zu ihm empor; ihr matte Hand umfaßte feinen Nacken. Sie ſchien noch einmal aufzuleben wie eine ver- loſchende Flamme; doch fie hatte vollendet. Der Tod ſtreifte, wie über eine Blume, die rauhe Hand, fo über bie Jungfrau und wiſchte den Farbenſtaub ab das Leben war eine Leiche; zwar eine ſchöne Leiche, aber doch ein Eigenthum des Todes, ein Opfer, das er im felavifher Demuth zu feinen Füßen ſah.

Vratislav fühlte das Wehen des allmächtigen Gottes, ber die Lippen ſchließt und die Blicke verlöſcht. Er fank auf bie nie nieder fein Herz konnte weder beten, noch grollen. Er war vernichtet für bie Gegenwart.

Der Priefter im Ornate, welcher die Trauung vollziehen follte, trat mit Kerze und Krucifig herein, nm die Sterbenbe ein- zuſeguen. Sein irdiſches Segenswort erreichte die Seele ‚nicht mehr, bie ſchon bie Klänge bes Jenſeits, ben Chor der Engel vernahm.

Man riß die Kränze von ben Gefimfen man hüllte ſchwarze Gewänber um den Altar bie Töne der Freude ver⸗

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Hangen Bangigfeit und Iante Wehliage herrſchte unter dem verfammelten Lanbvolte, dem fo eben die Trauerkunde von dem Wechſel des Freudenfeſtes im ein Trauerfeſt zu Ohren kam; die Glode der Kapelle tönte als Zobtenglode, nicht ale frommer Ruf zur Freude es gab mur Eine Leiche in der Burg von Neuſchloß, aber die Lebenden bafelbft waren aud alle Trauernde.

Bratislav ſaß wie ein Marmorbild an dem Lager, wo fie ihr ſchönes Dafein ausgehaucht. Er Hatte fein Haupt niedergefentt in die Kiffen; man würbe ihm für einen &chlafenben »gehalten haben, wenn die nächſte Umgebung nit von feinem Gchmerz geſprochen Hätte. Zdenko vom Techtie fland auf dem Göfer im Schloßhofe und bfidte hernieder auf bie Menge der Reifigen and Landbewohner, die betrübt, betänbt, fragend und ſchweigend, niedergeſchlagen und zürnend auf und abſchritten. Ihnen war vieleit ein Freudenfeſt verborben, und darum waren fie in Trauer; der Schmerz war nicht ihr eigener Schmerz, aljo nicht von Dauer. Wie aber follte er den Neffen tröften, wie fein taum dem Sinfen entrifienes Vertrauen retten? Er gefiand Rd, daß fein früheres Dafein noch ange nicht fo elend und verfuftreich wie Vratislav's gegenmärtiges geweſen, und wie ber werdende Mann ſchon größeres erfahren, ale er im den Blutge- fechten einer großen Zeit.

Auf dem Steingefims am Ausgange der Burghalle faf der Kitter Sufol, warf kaum einen Blick nach den Hin- unb her⸗ wandelnden Menfchen, ſah nicht empor und hielt nur das Schwert anf den Boden geftemmt mit ber reiten Hand. Zdenko's Stimme rief ihn er regte fih nicht. Die Tobtenglode tönte, und ans der Kapelle, wo bie reudengäfte nunmehr als Leidtragende ſich verſammelt Hatten, ſchallte ſchwermuthiger Gefang, der dem Tode, aber nicht mehr dem Leben galt. Sutol blieb ruhig figen während Kuechte und Reiſige und Diener an

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ihm vorüber zur Kapelle geeilt waren in feiner Seele ging der Schmerz nicht als Wehmuht, aber als finfterer Groll vorüber, und den Groll hielt er feſt, wie ber Lechzende die Nahrung. Er faßte nach feinem Schwerte, zog bie Klinge langſam durch die Hand, als wollte er die Schärfe der Schneide prüfen; danu ſprach er zu ſich ſelbſt: „Warum Hab’ ich die alte Zeit nicht wieder, Krieg Schlachten Furcht und Hoffnung Sieg und Flucht? Es ift no ein Leben! Ei war es ein Leben! Elend bin ich, weil ich mit der Zeit alt geworben bin. In der Noth und im Elend war meine Seele froh, und da ich haßte, unbefangen. Nun da id) einige Menſchen liebgewonnen habe und im Frieden raften aber, will mit ihnen, um ihnen zu erzählen, wie e8 vordem war, da muß ich mich wieber nach dem Kriege und nad) dem Kriegstoben fehnen, das id nun nicht Haben Tann. Ad; Protop! Pro» Top! wär’ ich doc neben Dir gefunten bei HEibl Die ift wohl, und mir märe auch wohl! Es ift doch eine Schande für einen alten, huſſitiſchen Kriegefnecht, daß der nad) Allem, was er befahren, weich werden muß wie ein Weib, nit um fein Selbſt willen, nein! um bdeffentwillen, was Andere erdulden! Rum in Gottes Namen! Ih will aud gehen! Cs if, als hätte id über den Mitter nur Unheil gebradit, feit ich ihn gefehen! Bo ih ihm Helfe, fängt fein neues Mißgefhid an, und fol id tommen, Tomme ich zu fpät. Mifada ging an jenem Abend ohne meine Begleitung nad dem Schloßgarten. Sie flieg in den Hirihgraben hinab, klomm den jenfeitigen Hügel hinan, und glaubte am Thurme zu laufen und zu erforſchen, wo ihr Geliebter fei. Da ſchwang fie fi am dem Gefimfe empor, aus dem plögfidh ein Lichtſtrahl drang; fie lauſchte und Horte und glaubte feine Stimme zu vernehmen und noch eine weibliche. Sie wollte rufen wollte da Gitter erreichen; aber der Schred, ber freudige Schred oder die Angft machte fie ſchwach, bie Arme erſchlafften, fie ſtürzte nieder von der Höhel Als fie wieder

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zur Befinnung kam, war ihr Gewand mit Blut bededt. Der Zofe geftand fie, was vorgefallen fie durfte erſt fpäter davon er- fahren. Freilich! warum war id; am jenem Abend nicht bei ihr? Weil ich heimlich Nachts gen Auttenberg zog, um bem Xitter zu finden. Und dann flirbt fie daran bin vielleicht ich ſchuld ober ber Zufall Beim Heiligen Gott! ih bin ſelbſt der Zufall; demm ohue Zufall mordete der Guardiau und ber Micdtel wicht.“

Er erhob fi und ging durd das Burgthor in's Freie. Bor bem ſchwarzbehangenen Altare lag Milada im offenen Sarge, vom Kerzenfhimmer umſtrahlt. Ihr Antlig war blaß, aber bie milden, fanften, engelreinen Züge fhienen zw leben; nur bie durchfichtige, alabaſterweiße Hand deutete auf den Tod. Zu beiden Seiten bes Altars knieten Vratislav und Zdenko in frommem Gebete, hinter ihnen die Bewohner ber Burg und daB zahlreihe Lanb- volt, welches aufrichtig den Verluſt der geliebten Herrin beweinte.

Bom Thurme wehten Teauerfahnen und halten die Gloden im dumpfen Geläute.

Ihr Ton trieb den ernflen Sukol immer weiter Binaus. Er wollte den Klängen, welt ihn nur an den eigenen unb fremden Schmerz erinnerten, entfliehen. So gelangte er an ben drei Seen, welche bie Ebene ſüdlich von Neuſchloß bedecken, vor» über bis gegen Hollan. Knapp am Ufer, rechts aber gegen bem Wald gelehnt, befand fi damals ein Forſthaus, welches auch zur Herberge diente, als folde aber in früherer Zeit verrufen war. Hier gedachte Sukol zu ruhen; denn es mochte ſchon fange Mitternacht fein, und der Ritter war müde dom Brüten und Sinnen. Hier wollte er den folgenden Tag abwarten an ihm folte fein Entſchluß reifen; er wollte ſich entſcheiden, ob er wie- der in die Burg zurücklehren und bei feinem freunde bleiben, oder, bes ewigen Mißgeſchides mübe, in die weite Welt ziehen folle.

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Wider fein Vermuthen fchinmerte aus bem Fenſter des Waldhaufes gegen den Forft zu Lichtglanz. Sufol befchloß, erft Grund und Boden zw unterſuchen, bevor er an die Pforte pochte. Cr {dritt darum bie Hede, welche das graue Häuschen umgab, entlang, kroch an der Hintern Seite behutfam duch die Zweige and von da aus über fpigiges Geftrüpp und verfallenes Gemäner an-das niedere Fenfterlein. Hier laufchte er mehre Stimmen ſprachen zugleich, aber nur Halblaut. Es war ihm, als habe er die Eine ſchon einmal irgendwo gehört. Behutſam budte er auf und warf einen 'prüfenden Blid in das Innere bes Haufes. Da der Lichtglanz von innen kam, fo fonnte er darin deutlich Alles erkennen, aber von ba aus nicht gefehen werden. Fünf Männer von abenteuerliche, wilder, häßfichem Ausfehen, auf verfchievene Art bewaffnet, ſaßen an einem Tiſche und tranken bei bald laute— ven, bald bei heiſerem Gefpräche gemeinfchaftlih aus Einem Kruge. Der Längfte von ihnen fiel unferm Ritter befonders auf; biefe wilden, frechen Züge, dieles hellrothe, fruppige Haar er ſann lange nad); er mußte ben Mann irgendwo gefehen Haben. Da fiel ihm die Scene in der Bergſchenke bei Melnit in’s Ge dãchtniß, und richtig! es war Bäclav, jener Bichhändler, ber den flüchtigen Vratislav damals gefangen nahm und daflr Hin- terher von Sutol derb gezüchtigt wurde. In Einem der Webrigen glaubte er auch einen ber Schiffer zu erkennen, melde dem Bd- lad damals bei Ueberwältigung des Nitters. behilflich waren.

„Es ift der verdammte, rothhaarige Schnapphahn!“ ſprach Sulol leiſe für fih; „der führt mit feiner Rotte gewiß nichts Red- liches hier im Schilde. Hier gilt's zu lauſchen; voreifige Hite und Dazwiſchenkunft wäre ſchlecht angebracht. Wil 'mal hören!“

mRoc eine Halbe Stunde haben wir,” ſprach Vaclav, ben Bierkrug in der Hand; „dann if es Zeit zum Aufbruch.“

„Wenn wir fie nur fiher am jenfeitigen Ufer finden!” ver⸗ feste ein Anderer; „ih traue dem Hotalka nicht.”

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„Dammtopf!“ widerfprad) Vaclav, „warum follten fie nicht? Die reihe Beute Iodt, und die Arbeit if nur Kinderfpiel. Wenig oder gar nichts if dabei zu wagen. Da oben anf Reu- ſchloß Haben fie bankettirt und gezecht, find müde und fiegen im bleternen Schlafe. Noch che fie fi ermannen, haben wir bie Mauern erfliegen, und noch bevor fie zu den Waffen greifen, find fie fon niedergehauen. Dann geht das Plündern an. Der Ritter wird gebunden auf den Burgplag gelegt, das Fräulein aber fort- geführt. Wenn er am folgenden Morgen Hundert Mark Silber in dem Fiſchbacher Walde unter die große Eiche legen läßt, ſoll er fie unbeſchädigt wiederhaben. Eine fo reihe und ſchöne Braut iſt einen ſolchen Preis ſchon werth; denn die Aeder und Tiegen- den Gründe können wir ihm doch nicht nehmen. Gottes Fluch! 3% hab's Euch ſchon zwei Mal wiederholt. Ber noch Ber denklichkeiten hegt, if ein Hund ich flag’ ihn tobt! Wollt Ihr erndten, müßt Ihr audy ſchwitzen!“

„Schon gut, ſchon gut, Bäclave!” fiel ein Dritter ein; „man fragt doch mur, um fid) ordentlich zu unterrichten, damit dann keine Störung vorgehe; denn bei ſolchen Gelegenheiten wird doc oft das Eine oder das Andere im Eiſer vergeſſen.“

„Wir find ihrer alfo danu zufommen dreißig?" fragte der Zweite wieder, „Alles tüchtige Leute, bie weder Gott, nod ben Teufel ſcheuen.“ +

„So if?8,* befehrte Vaͤclav, „und ich wollte es and Kei- nem rathen, daß er eine Memme wäre! Ich ſchlüg' ihm dem Hirnfdäbel wie ein Hühnerei entzweil Dreißig find wir aber taum zwanzig Bewehrte, müde durch den Saus und Braus des ganzen Tages. Geht mir aber forgfältig mit dem Feuer um, damit fein Brand entfleht. Das wiirde bie Rente anf den Schlöf- fern ringsum aufmerffam machen, und fie könnten nus mit ihrem Neifigen über ben Hals kommen, bevor wir nod Alles in Sicher- heit gebracht. Verſteht Ihr?"

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nufiehen. wird es übrigens machen,“ bemerkte der Bierte, „weil fo etwas in ber Gegend felten ift, und wir müffen uns raſch von bier gegen die Mofenberger Wälder wenden.”

„Freilich!“ ſprach Vaclav. „Es ift im Grunde nichts fo Außerorbentliches, daß einmal auch Hier ein Schloß ein Bischen ausgeplündert wird. Und im Grunde haben wir das Recht dazu. Bir nehmen nur einen Theil des Unfrigen wieder; denn wovon find die Ritter fo mächtig und fo reich geworden? Bloß dadurch, daß fie lange Jahre her den Kaufmann und den Bauer auf ber Landſtraße ausgeplündert haben, ober fi wieber unter einander befehbet, und fo Einer dem Andern den Raub abgejagt. Sie follen’ 8 auch 'mal fühlen, wie es thut, wenn Einem die Bich- heerde, die man mit ſchwerem @elde erhandelt hat, von ihren Raubgejellen abgejagt und fortgetrieben wird 1”

„Der Hund,“ murmelte Sukol ingrimmig und zähnefnir- ſchend für fih, „Hat einen guten Glauben, gerad’ wie Michalet, der Weinverberber! Alfo weil Andere vorbem gefünbigt haben, fol es der Ritter und fein Fräulein büßen! Nun, wart’ nur, Hundeſeele, wir wollen ſchon einen Riegel vorſchieben vor deine kralligen Pfoten, daß fie dir brennen follen !“

„Seltfam aber,“ nahm ber zweite Räuber nach einer Weile das Wort, „daß den ganzen Tag Glodengeläute vom Schloffe erſcholl und ic; glaube bie jet mod. Es in wie bei einem Trauerfall.“ .

„Sie läuten aus Jubel,“ belehrte Vaclav; „es find Freuden- gloden. Das reiche Volt weiß bes Uebermuthes kein Ende. Selbſt bie Gloden mißbrauchen fie zu ihrer irdiſchen Luft, die eigentlich nur dem Herrgott gehören. Iſt der Kahn auch ſchon da, der uns überfegen fol?“

„Ci wohl!“ antwortete der Fünfte, ein alter, grauer, aber noch Fräftiger Mann; „Vojta hat ihm gebradt. Cr lenkt ihn aud. Ich Habe den Undern genau den Drt angegeben, wo wir

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landen werben. Dort erwarten fie uns, al8 am Berfammiungs- orte. Wir ziehen daun die Thalſchlucht hinauf, line um das Dorf herum. Es könnte doch Jemand wachen und uns bemerken. So kommen wir aber, als wären wir vom Himmel gefallen, gerad’ wie die Ritter von Brauit.“

„Und Bojta gibt das Zeichen,“ fragte Vaclav, „fobald er den Pfiff von drüben hört? Nicht wahr? Bergeßt nur Keiner etwas und verrichtet ſchweigend Eure Pflicht. Cs könnte doch während ber Arbeit Eines ober des Andern Stimme erkannt werden. Nun aber fill! Die Zeit it da bald muß das Zei- hen erfhallen damit wir 8 alfo nicht überhören I"

Sie faßen von nun an ſtill und regungslos und lauſchten; nur ber Krug ging leife von Mund zu Munde.

„Was beginnen ?“ überlegte Sukol; „was ift das Befle und Sicherſte? denn bie Zeit drängt. Stürz' id hinein, und haue ich die Hunde nieder? Es find ihrer nur fünf, und zur Noth ge- wältige ich fie. Hätte ih Hier einen Feuerbrand, fo ſtecte ih das Nef in Flammen, verrammelte die Thüre und briete die Lotter- Brut, Aber dann find noch fünf und zwanzig übrig, und wer bürgt mir bafür, daß diefe nicht auf eigene Fauft den Anfchlag ausführen? Wenn in den Kahn fleigen und abfloßen, Bunte ich langſam in’ s Wafler fleigen und das Fahrzeug um- drehen, daß fie in den tiefen Gee plumpen nnd erfaufen. Wollte Einer ſchwimmen, ich tauchte ihn fo lange, bis er nit mehr herauffäme. Aber dann bfeiben immer noch die fünf und zwanzig, und wenn bie nicht aud mithängen, wär's doch Schade. Unb zudem gebietet die Pflicht, man fol Niemanden beftrafen, wenn er fündigen wollte, fondern erſt wenn er gefünbigt hat. Alfo bar- auf Losgehen muß ich fie erſt Iaffen. Raſch folgen will id, fo raſch ih auf dem Ummeg um ben Gee kann. Was fie durch den Hohlweg umgehen, eripare ich auf der Straße durch das Dorf, gelange fo früher in die Burg und made bie Reifigem

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bereit zur Empfangnahme bdiefer lieben Gäfte. Zeit und Moth- wenbigfeit follen das Uebrige bringen. In Gottes Namen!"

Er wollte faht den Rüdweg einfchlagen, als Bäclan von Neuem zu fpreden anfing.

„Das Zeihen bleibt lange,“ ſprach er leiſe; „ich kann mich dod unmöglich in ber Zeit verrechnet haben! Wenn nur keine Dummheit ober Schurlerei von Seiten bes Vojta oder Haftal vorgefallen ift! Schleihe Einer hinaus und fehe nach dem Ufer, ob er da ift mit dem Kahn, und ob er noch nichts gefehen ober gehört Hat von brüben. Geh Du, Peter! fei aber behutfam.“

Der alte, graue Mann erhob ſich und ging hinaus, Da er an dem Zaune, Hinter welhem Sulol fland, vorüber mußte, fo legte ſich diefer Mnapp am ber Wand unter dem Fenſter nie» der, um nicht gefehen werden.

Bald hätte ihm fein Wehrgehänge, das bei der tafchen Be- wegung an bie Scheide feines Degens ſchlug, verrathen. Peter blieb am der Ede fiehen und vief: „Ift Jemand da?“

Sein Hund ſchlug an und wollte funrrend durch die Hede, wo fid) feinem Inſtincte nad) etwas Lebendes, Fremdes regte.

Vaclav riß wüthend das Fenfter auf und ſchalt mit ge- dämpfter Stimme nah Peter zu: „BVerfluchter, alter Hund, wirft Du Deinen Hund gleich hereinführen! Warum nimmft Du den Hund mit? Soll uns der Huud verrathen? Stich das Vieh nie- ber, wenn es noch einmal muckſt 1”

Der Hund bellte lauter, und Peter fand ſich fo genöthigt, ihn nieherzuhauen.

Sutol ſchwebte während dem in der größten Gefahr. Dicht Aber ihm Rand im geöffneten Fenſter Vaclav, gegen Peter Hin ſcheltend. Fiel ein einziger BE nach abwärts, fo mußte er bie kauernde Geftalt am Boben unter fi) gewahren, und es beburfte ba nur eines einzigen Streiches mit ber Keule oder dem Schwert,

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uud Sutol war getroffen, mod che es ihm möglid geworben aufguraffen.

Gleiche Gefahr drohte im von der andern Seite; demm wurde Peter über das Gebell jeines Hundes im dieler Richtung Rutig, umb verfolgte er die Spur und kroch über den Zaun, fo war Sufel gleichfalls verloren. Über Beides geſchah nicht.

Peter verfolgte mmmrenb ben Weg; deme fein Hund, weichen er auf des Auführere Geheiß opfern mußte, that i feib. Gufol verhielt ſich ruhig; aber fein Her podite i gewaltig. Zwar fanzte er, der Bieigeprüfte, feine Furcht, aber mit feinem Leben das erfannte er waren aud ber Ritter und Zdenfo verloren. Nur feine Dazwilgentunft konnte fie veitem.

Nach gerammer Weile kam Peter wieder denſelben Weg zwrüd, bog nad vorm um das Haus, umd feine Stimme er ſchallte gleich baranf aus dem Junern ber Hütte: „Es iſt Alles in der Ordnung. Bojta if am Waſſer; Ihr follt nur ruhig fein.“

Kaum hatte er ausgefproden, als vom Ufer her eine gel- lende Pfeife ertönte und die Räuber zum Aufbruch mahnte. Sie ergriffen ihre Waffen, löſchten das Licht ans umd gingen leiſe umb behntſam tappend hinaus. Sulol hörte, wie fie die Thüre ſchloſſen und vorn durch das Gehege ſchritten.

Als ihr Fußtritt verhallt war, erhob er ſich behutſam und ſchritt ans ber Hecke. Hinter ihm lag der Wald, vor ihm bie Hütte und an ifrem Eingang der See. Rechts Hin, am Ufer entlang, waren die Räuber gegangen. Ex mußte finfehin biegen, um auf dem Erdwalle, welden die Natur zwiſchen den beiden Gewäffern gebildet Hatte, nad den Hügeln von Neuſchloß zu gelangen.

Das erſte Viertel des Mondes leuchtete milb und Hell am Himmel und ſchimmerte im See, ber ein glänzender Spiegel war. Rechtshin über dem Wafler ſchwebte ein dunkler Streif; es war

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der Kahn, welder die Räuber trug. Kein Lüftchen vegte fih Tautlos war die Natur ringsum keine Hütte, Tein Haus.

Sutol eilte der Hügelreihe zu, zwiſchen welcher ſich der Fahrweg nad) dem Schloffe hin erftredte. Mit klopfendem Herzen zaunte er athemlos die Anhöhe hinan. Dort hinter der Ede des Berges ſah er das Schloß ſchimmern im Mondglanze auf bem weiten Bergrüden. Gin leuchtender Schein ging vor bem Gebäude aus; es war ber Kerzenglanz aus ber Kapelle, wo noch die Beter am Sarge Milada’ 8 auf den Knien lagen.

Die Rotte ber Räuber Hatte inzwiſchen doch einen Vorſprung gewonnen. Im wüthenden Anlauf erfiegen fie den Erdwall, welcher fih um bie Ringmaner des Schlofſes zog. Behutfam folgte ihnen Sukol.

Die Einwohner des Schiofſes aber ſchliefen nicht müde und berauſcht, wie Vaclav und feine Genofien vermeinten. Der Trauer- fall Hatte fie wach erhalten, und fo fam es, daß auch bie Land- bewohner, welche fi zum Hochzeitsfeſte verfammelt Hatten, noch auf ber Burg waren. Beim erften Geräuſche gab der Wächter ein Zeichen. Alles flürzte nad der Waffenkammer man be» wehrte die Landfente, ſtellte Pechfadeln auf die Mauern und ber fegte die Wälle.

Die Räuber, auf keinen Wiberftand gefaßt, hielten Raft und blieben ruhig vor dem Xhore, welches nad) ber Zugbrüde führte. Subkol näherte fi ihnen behutfam; er mengte fi unter die Letzten.

Nur vorwärts I” gebot Vaclav; „es find ihrer kaum zwan« sg und wir ihnen an Muth nnd Zahl überlegen.“

„ga, vorwärts, immer drauf und dran!“ fagte Sukol mit unterbrüdter Stimme, als gehöre er zu ber Räuberhorde, und drängte bie Leiten nad) vorne in bie Thorhalle hinein.

„Ja, vorwärts 1” ſchrie ein Anderer kampfluſtig; ak feilen

Herloßfohn: Der legte Taberu. U.

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Hunde oben werden ums doch nicht Angft einjagen? Wer fein Schurke if, geht vorwärts! Führ’ uns, Vaclave!“

„Vorwärts, vorwärts!“ brüllte der Ehor ber Uebrigen. Sie drängten fi durch die Thoröffnung hinein, über die Brüde Hinüber, bis auf den Burgplag, wo Lampfgerüftet die Befagung Rand.

Berbugt bielt hier Bäclan ſtill auf eine folge Menge Hatte er nicht gerechnet. Aber er erwog deu Schreden, welcher ſich nad feiner Meinung der Burgbewohner bemädtigt haben mußte; denn Hinter ihm flauden feine Genoffen dicht gedrängt und bewaffnet, fo daß die Ueberfallenen leicht glauben fonnten, ex führe eine fünffahe Anzahl au, und darum rief er:

„Ergebt Euch, zahlt Löfegeld, und wir wollen von bannen ziehen ohne Blutvergiefen! Sonft bleibt kein Mann am Leben, und wer fi) wehrt, fol lebendig verbrennen! Heida! meine Ge- fellen, werft euer in das Gebäude!“

Bratisfav war beim erflen Lärmen vom Altare aufge- fprungen, hatte fein Schwert ergriffen und warf fich an ber Spige feiner gerüfteten Knappen den Cindringenden entgegen.

„Hund Dul räuberifher Schurke!” ſchrie er gegen vaͤclav „sold; ein Buſchklepper und Wegelager wagt es uns zu brohen ?“

Er führte einen wüthenden Hieb gegen den Räuberanführer, welchem biefer jebodh durch eine geſchickte Wendung auswich.

Inzroifchen fam Zdenfo heran; fein breites Schlachtfchwert flog rechts und lings und . faufte um bie Schädel der Mord- gefellen, daß das Blut ringsum fprigte.

„Zurüd zurüd!” vief jet Vaclav, die Macht des Wiber- ſtandes erfennend „flieht! durch das Thor zur! die Brüde iſt aufgezogen.”

„Rein, das Thor ift nicht offen!“ ſchrie Sulol; „Ihr Hunde feid gefangen!“ und mit kräftigen Armen ergriff er die Flügel der Pforte von außen und warf fie krachend in das Schloß.

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Ein Wehgeſchrei ertönte die Rauber drängten, fi) alle nad) hinten zu. Einer fließ und trat den Andern. Die Vorderen ſchrien: „Gebt Raum, madt Pla!“ die Hintenftehenden aber viefen gegenfeitig: „Wir können nit! Greift an! Vorwärts, vorwärts |"

Vaͤclav, dem Ritter Vratislav jegt Mann gegen Mann entgegenftehend, wehrte fich wie ein: Löwe. Er wurde am Arme geläfmt der Ritter unterlief ihn Hob ihn auf mit feinen fräftigen Armen, indem er ihn mit Riefenſtärte umfang, und trug ihn unter die Schaar feiner Streiter, welche ihm plötzlich Raum gaben. Hier warf er ihn auf das Steinpflafter nieder und rief den Reifigen zu: „Da Habt Ihr den Vogel bindet ihn!“

Die Uebrigen, entfegt, drängten ſich fechtend vom Thore nad der linken Seite zu und glaubten über die Mauer zu ent tommen, Cinige [prangen über. die Brüfung nad den Schieß- ſcharten, aber die Voranftehenden drängten fie. &ie faheu ben Kampf vor fih den tiefen Abgrund hinter ſich; grell beleuch- tete die Flamme ber Pechlörbe den Graben. Unten ftand Sufol, hatte das Schwert gezückt und fehrie mit einer Löwenfiimme nad) aufwärts:

„So vet! fo recht! Werft fie nur herab es find ge Hratene Wachteln, die vom Himmel regnen; ich fpiehe fie mit meinem Degen! Nur herunter mit ihnen! Hört Ihr's? Id vin's ich bin der Sufol, der ihnen das Thor verrammelt hat! Nur herunter, Ihr Ehrenmänner, Vaclav und Bojta und Peter, und wie Ihr noch Ale heißen möge! Der Hund war üger, ala Ihr, er witterte mich; Ihr aber habt mich nicht ge- fehen und nidt gehört, Ihr Gaudiebe aus ber Waldſchenke beim Seel"

„Das ift SutoPs Stimmel” rief Vratislav von oben; „werft Euch gegen das Thor, laßt ihm Herein!“ or

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„Nein nein! IA fange fie hier ab,“ ſchrie jener von unten; „arbeitet mir mar in bie Händel"

Die Ränder wehrten fi verzweiflungsvoll; immer bichter amd dichter drängten fie fi auf die fhmale Ringmauer; Giner Hammerte fih an den Andern, bis der Leute das Gleichgewicht verlor und dem vor ihm Stehenden mit hinabriß in die thurm- hohe Tiefe. Raffelnd fürzten drei bie vier Leiber in den Wall Einer folgte gedrängt dem Andern, und wer durch den Fall micht endete, dem machte Sulol 8 Schwert das Garaus. So fielen fie Alle bis auf zwölf, welche die Waffen megwarfen, auf bie Knie ftürzten und heulend um Gnade flehten.

mSaltet ein!“ gebot Bratislav feinen Leuten; „bindet fie und werft fie fammt bem eblen Führer in das Verließ. Gönnt ihnen nod eine Spanne des Lebens!"

„Ih Hätte nicht geglaubt,“ Auferte Zdenko, indem er das bluttriefende Schwert an feinem Wamms abwiſchte, „daß ih noch auf meine alten Tage würde einen folhen Strauß beftehen und die Minge roſtig machen müffen. Räubergefindel diebifhe Hunde entweihen uns ben heiligen Tag ber Trauer"

„Ein feltfamer Brauttag!“ ſprach Bratislan, auf fein Schwert fich ſtützend, nachdem bie Gefangenen und die bis zum Tod Ber- wundeten binweggefafft worden waren „beim heiligen Gott! So hätte ih ihm nicht erwartet. Milada hat ein ſchönes Zobtenopfer. &o viel Schurken flerben und leben und ein Engel konnte nicht bleiben!“

Sutol kam. „Gottes Grußl“ fagte er athemlos; „die unten babe ich abgethan. Gibt’ 8 noch hier eine Arbeit? Wo fol ih zuihlagen, Bratislan ?

„&s if} vollendet!“ verſetzte biefer; „habe Dan. Wohl fühlte ich Deinen helfenden Arm!“

Ei freilich,“ gegenredete biefer mit leuchtendem Auge; „id fehe nur halb, aber manchmal wieder doppelt fo viel als ein

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Anderer. Der Umftand gleiht es aus. Im Schmerz über ben heutigen Jammer lief ih in das Weite, verirrte mid, kam an eine Hütte und belauſchte die Schandbuben, mie fie gerabe fiber dem Anfchlag brüteten. Sie Hatten einen Borfprung, und bas war eigentlich gut. Sie kamen fo in bie Falle, wie ber Wolf, wenn ber Käfig hinter ihm zufällt. Habt Ihr denn den Schnapphahn, ben Vaclav, den rothhaarigen Schuft von Melnit, nit erkannt, Ritter Vratislav? Es iſt derſelbe, der damals mit Eurer Freiheit feilſchen wollte. Er Hatte nicht genug an der Einen Lehre; fein rothes Haar muß noch einmal tüctig gewaſchen werben, um eine anftänbige Farbe zu erhalten. Wo ift es benn? daß ich ihm einen Beſuch abflatte und bie alte Bekanntſchaft erneuere.“

münten im Kerker,“ verſetzte Zdenko. „Wir übergeben das Gefindel dem Gerichte von Böhmifch-Leippa; wollen ſehen, ob die Meberlebenden die Todten zu beweinen Urſache haben. Wie ein Big aus heiterem Himmel kam es. Kaum Tanz ih noch daran glauben. Schurkenvolk! vergiften fie uns den Tag der frommen Trauer und zwingen uns zum Haß, wo ber Schmerz uns Liebe Iehrt!”

„Ei, fie ſuchten auch fein Trauerhaus!“ entgegnete Sukol; „fie glaubten hier Alles ſchlafend, mübe gezecht und matt von der Freude zu finden, und darauf hin untenahmen fie den Handſtreich. Es war gar fein übler Plan, eines Hugen Schurten würdig. Das Fräufein folte entführt und bloß gegen Löfegeld freigegeben werden. Nun fie ift tobt! Aber mit Euch Allen würden fie ſchrediich verfahren fein.“

„Der Himmel,“ ſprach Bratislav, „mat mid durch ein nenes Ungläd immer das frühere vergefien, und ich muß das Leben Tiebgeiwinnen im bem Augenblide, wo id} e8 gern verlieren will. Begrabt meine Braut! Ihr irdiſcher Leib fol dem morgigen Tag nicht fehen, wo die Verbrecher gerichtet werden.”

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„Zieht die Brüde,“ gebot Zdenlo; „begrabt die Todten im Wall da unten. Den Todten muß Verzeifung werben allen Zodten! Sie haben keine Kraft zum Widerſpruche mehr und zur Gegenwehr. Noch Ein Gebet wollen wir fprehen am Altare, wo ber thenere Sarg jetzt fteht, den wir verlafien haben, nm das Haus zu beſchützen.“ J

Sie gingen nach ber Kapelle.

Mit Ketten beladen ſaß Vaclav tief unten im Verließ bei ben Genoffen, welde der Zufall am Leben erhalten Hatte. Er ſtarrte büfter vor fih Hin und antwortete nicht auf die Seufzer und Mgglaute der Uebrigen, die, feig am Leben verzweifelnd, bald biefen und jenen falten, der das Unheil verſchuldet Haben follte.

Bor dem Altare, hinter dem Sarge, in welchem Milada's ſchoöner Leichnam lag, knieien die Ritter und bankten dem Herrn für die wunderbare Befreiung aus der Räuber Hand,

„Schlaf ruhig!“ ſprach Bratislav ſich erhebend; „doch Du wirft ruhig ſchlafen deun Dein Schlaf ift der Schlaf der Zodten; wir aber mäfjen noch waden, in düftern und bangen Träumen ſchweben bis bie Stunde der Erlöfung kommt. Bergiß der Erde nicht, auf welcher wir no wandeln, da wir Deiner in Liebe gebenfen; blicke freundlich Hernieber, wie wir jehnend emporbfiden.”

„men!“ fiel Zdenko ein, und fie ſchloſſen den Dedel über dem Sarge und verliehen das ſtille Gotteshaus, welches einen thenren Schatz barg und für ewig umfchloß.

In Böhmifc-Leippa Tief das Volt zufammen. Bäclao und feine Genoffen, welche gefangen worden waren, follten heute gerichtet werben. Langſam tönte die Sterbeglode; die Schaar- wãchter in ſchwarzen Harniſchen traten aus dem Thore bes alter- thumlichen Rathhauſes; ihnen folgten die Berurtheilten in Ketten, je zu zweien am einander gefeffelt; Hinter ihnen ſchritten in ſchwar- ser Amtsetracht, fleife, weiße Kranfen um den Hals, die Richter

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des Kreifes. Unter dumpfen Trommeljchlägen beivegte fid der Zug durch. mehrere Straßen zum Thore hinaus auf einen Hügel, wo das Hochgericht fih befand. Ein ungeheurer Galgen war bier aufgerichtet, am melden die Verbrecher ber Reihe nach gehangen werben follten, Bäclav zulegt, als Anführer am meiften gravirt.

Die Menge umftand gaffend und lärmend den Hügel, Sie kommen fie fommen! tönte es jegt aus Aller Munde, und bie Köpfe brehten fi nad dem Thore Hin, aus weldem ber feierlihe Zug Tom. - .

Im Kreife der Reifigen und. Zuſchauer angelangt, wurden die Verbrecher duch einen Priefter noch einmal zur Buße, ermahnt und anf das Jenſeits vorbereitet. Der Blutrichter Ins mod) ein- mal das Urtheil brach das Stäbcheu über ben Erften, und ein leiſes Gemurmel lief durch die ftaunende, lauſchende Menge.

Ein Nitter zog die Straße herab, von einigen Knechten gefolgt. Es war Sukol. Er näherte fih dem Kreife; man machte ihm ehrfurchtsvoll Platz.

Bäclav erfannte ihn und rief: „Halt! Halt! Noch ein Wort Hab’ id) mit diefem Fremdling zu fprehen. Harret einen Augenblick I"

„Ei Bäclavel“ verſetzte Sutol, „ſeh' ih Dich fo wieber? Haft bie Erklärung der Gottesgebote, welde ih Dir, in Mefnit gegeben, nicht gemertt? Muß ich Heut’ auf ſolche Art bei Dir Gevatter ſtehen? und thät' es doch lieber, wenn Du ein ehrlir der Burſch geblieben wäreft und ein Weib gefreit und einen Buben, meinetwegen mit fenrigem Dache, erzeugt Bätteft!“

„3a, fo if es geworden!" ſprach Vaclad bieich, doch mit verftodter Ruhe. „Ihr feid mein Unglüd, damals und jetzt. Daß es anf die Burg mißlang daran feid ihr ſchuld. Und damals, wie mir ber Ritter abgejagt wurbe und Ihr noch hinter- ber uns züchtigtet, gab ich aus bloßem Zorne über das Miß- fingen des Plans meinen Handel auf und hielt mid an bie Menſchen, ftatt an das Vieh. Nehmen ſchien mir bequemer, als

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Berbienen. Und es ging eine Zeit; aber der Vorfall mit dem Nitter und mit Euch war doch an Allem ſchuld war ber Anfang zu dem Ende hier. Barum blieb ih nidt beim Vieh und ließ mid mit den Menfhen ein! Mir geichieht Medtl"

Wahre wohl!" verfegte Sukol; „Dun hatteſt fon damals einen fhlehten Glauben, und beffer wäre er auf feinen Fall ge- werden. Du wäreft ein Schnapphahn geblieben and ohne meine Dazifgentunft. Grüß’ mir Deine Kameraden und befi’re Did) im Fegefeuer.“

Er gab ſeineni Pferde nad biefen Worten die Sporen und fanfte im Galoppe gegen die Stadt.

„Den Teufel will ih grüßen!” kuirſchte Vaclav, dem ber Henker fon das Geil um dem Hals wand; „ohne dieſen eindu⸗- gigen Bär konnte ich noch lange leben und reich fein. Run, Ihr Teufel, macht Euch auf Eure nene Bekanntſchaft gefaßt 1“

„Menſch, laſt're nicht in Deiner Todesſtunde 1” beſchwor ihn der Priefter, welcher mit dem Erucifig in der Hand bie Berur- teilten tröftete und erbaute: „den? an das Jenfeits, an bie göttliche Barmherzigkeit! Du wirft binnen Kurzem vor dem oberſten Richter fliehen, und fein Ausſpruch Laun di verdammen zu ewiger Höllenpein oder zur Turzer Gtrafe des Fegefeuers.“

„Wenn's fein muß,” gegenrebete Vaelav mit Hohn und To— besveradjtung, „fo will id die Hölle. Ich weiß, woran ih ba bin. Da if’s Heiß, und gewiß find auch Weiber da. Mad’ mich yorat, lieber Schwager, freundlicher Henker, der mir das letzte Halsband als Zeichen feiner Liebe umhängt! Zieh” gut zu fonft geb’ ich Dir nod eine Maulſchelle mit ber letzten Anfren- gung meiner Armel!

„Wehe! wehel“ rief jet ber Mönch entſetzt; „welch ein verflodter Böfericht iſt das ein rafender Holofernes, ein Glau - bensſchander und Gotteefäfterer! Melde Frechheit in ber letzten Stunde, wo er bereit fein fol, vor Gott zu erfjeinen!“

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„Gteinigt ihn, fleinigt ihu!“ rief. das Vol und griff zu ven Steinen. Die Richter und Ratheherren riffen aus, um nicht getroffen zu werben. Inzwiſchen hatte bes Henkers 'nerbige Fauft bereits ben Verbrecher erfaßt, emporgehoben und ihm neben den Uebrigen am äußerften Ende des Galgens mit der Schlinge an den dazu gehörigen Nagel gehängt. Er umſchlang den Bau- melnden jegt mit ben Armen und Bing fi an ihn, während er in der Luft einigemal bin- und herſchaukelte. J

Baclav's Autlitz wurde blau. Er ſah ſcheußlich ans in die fer Färbung, bie grell gegen fein Helles Haar abſtach.

Das Bolt brach entfegt ob dieſes Aublickes im ein allge meines Geſchrei aus und verlief ſich. Man ließ einige Wachen zurid, und der ganze Conduct begab ſich wieder in die Stadt hinein.

Sefeffelt und gefangen wurde ein Trupp Zigeuner bei Sla- tina napp am Schlofje vorbei mad) dem Gefängniffe von Ehru- dim geführt. Sie hatten, wie es hieß, eine Kirche erbroden und das darin befindliche Silbergeſchirr mebft Ornaten und Mefige- wänbern gefiohfen. Ergab fi dies aus der Unterfuhung, bie in damaliger Zeit fehr einfach war und mit Stodprügeln und ber Folter begann, fo wurden fie ohne weitere Umflände als Kirchen- räuber elendiglich verbrannt; denn an Gottes Eigeuthume ſelbſt, ſprach die allgemeine Meinung, war ein Raub begangen worden.

'Die Gefangenen waren alle betrübt; denn fie fahen die fem Einen ſchrecklichen Lofe entgegen, bis auf einen gutgewachſe- men Burſchen, der mit jugendlicher @leichgültigkeit dem Tode ent- gegenzugehen ſchien. Er fah fi aus ben hellen, freien Augen die Belt noch recht keck an, als wolle er Abſchied nehmen und ihr Bild feinem Gedachtniffe noch zum Schlufſe recht einprägen.

Einer von den Kriegsknechten, welche die Gefangenen gelei- teten, und bem ba8 freie, muthige Weſen des Burſchen gefiel, Tieß ſich mit ihm in ein Geipräc ein.

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„Thor,“ fagte er, „Dun haft Muth warum haft Du ihn nicht Lieber im Kriege gezeigt? warum bier als Räuber? Und jegt ſolch' einen hündiſchen Tod zu erben! Es if eine Schande!“

„Mitgefangen, witgehangen!“ ſprach der Burjche lächelnd; „ih kann Euch zuſchwören, daß ich gar nicht zugegen war, ale fie in die Kirche fliegen. Aber darum werden fi) die Herren Nichter nicht viel kümmern. Für einen Zigenmer mehr oder we iger werben fie feinen befondern Artikel im Berdammungeurtheil maden. Der Eine reist früher, der Andre ipäter ab; ih muß fon jest von daumen, wo mir das Leben erſt recht gefällt.”

„Aber Jeſus Maria!” unterbrach er ſich plötzlich; „wen ſehe id; dort am Fenſter! Gudt 'mal, Freund, bie Frauengeſtalt mit dem goldenen Haar!“

„Ein Ritterfränlein iſt's,“ beihied der Söldner; „bie wird fi wohl auch kümmern um fo nieberes Gefindel, wie Ihr feib! Thorichter Burſche! fieht, wo er dem Tode entgegengeht, noch ſchönen, hochgebornen Damen in bie Augen. Mari, vorwärts!”

„Sie iſt's fie if’sl“ rief der Burſche freudig, und gleich, darauf wieder in einen wehmütbigen Ton fallend, „ah! wenn die wüßte, daß fie auch mich bier vorbeifchleppen, fie hälfe mir gewiß! Zlata, Zlata!“

„Kennft Du das Frauenbild ?* fragte geipannt der Söldner.

„Ei freilich 1“ war die Antwort; ic hab’ ihr einmal einen großen Dienft erwiefen, da fie od arm war umb gering; und müßte fie mich hier, fie befreite mid, ficher durch ihre Fürbitte. Der Ort und Meidung laſſen auf Glüd und Rang ſchließen, und mit dem ift flets aud die Macht verbunden. Wenn fo Jemand zu ihr Hinginge und ſpräche! Es ift ber Sylora ba drun- ten, ben fie gefangen. und gefettet fortſchleppen. Ex foll fterben, obgleich er unfhußdig iR. Gpri ein Wort für ihn, und er iſt gerettet. Haft Du die Blumen nod, die er Dir zum

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Abſchied gab? Sie würde antworten: Was? bie treue Seele iſs? und fie fpräde mit ihrem Ritter. Ein Ritter ift mächtig, und ihm wär's leicht, mir zu Helfen, um fo mehr, weil ih un« ſchuldig bin.“

„Wie gefagt, Burſche,“ gegenredete der Kriegsfnecht, „wen ih wüßte, daß Du mic nicht anlügft, fo wagte ich die Für- fpradje; denn Du gefälft mir, fo zu fagen.“

„Beim ewigen Gott!“ bethenerte Sykora, „bei Eurem und meinem Gotte ic) Tüge nit! Was hälfe mir and; bie Lüge! Muß id) ja doch ſterben, wenn fich das Fräulein meiner nicht erinnert und mir nicht hilft. Und vor dem Tode fürcht' ih mich auch nicht; mur jeßt, da ich eine Möglichkeit fee, zu leben, möchte ih nicht gern ſterben. O geb, geh! Du fiehft meine Angft.“

„Wohlan denn“ fprad; der Krieger und wandte fih gegen die Eameraden, indem er fortfuhr: „Haltet ein, einen Augenblid! Ich muß hier trinken; denn mid) dürſtet tie einen trodenen Getreideſchober, wie ein Schindeldach im Sommer. Vielleicht bring’ ih Euch einen Waffereimer mit."

Der Zug hielt ſtill und lagerte fi nit fern vom Schloße graben an einer fhattigen Hede im hohen Graſe.

Der erwähnte Kriegsfnecht ging in das Schloß und fragte nad dem Vogt. Diefer ſchüttelte anfangs mit dem Ropfe, ging aber dann doch langſamen Schrittes die fleinerne Treppe hinauf.

Bald darnad Lam Niklas heruntergefprungen. „Wo ift ber Zigeuner,“ fragte er den Krieger, „von dem Du ſprachſt? 3’s feine Mär’ ?e

„Er kann Euch's ſelbſt jagen,“ verfeßte dieſer; „dort drau⸗- Ben lagern fie. Er nennt fih Sytkora. Folgt mir, hochgeborner Herr.”

Er ſchritt voran.

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und Rarrte finfter grollend und dem Tod ahnend vor fid nieder auf die gefeffelten Hände; die Großmutter bagegen blickte giftig und Heifend um fi, und auf ihren wellen Lippen ſchwebten immer halblaute Verwünſchungen und Scheltworte.

Haft Du's gefehen ?“ flüfterte fie grimmig; „ber Sytora ift auf Fürfprache des Ritters freigegeben und in's Schloß geführt worden. Sie wollen ifn wohl gar zum Knappen machen! Hißil Gib Acht! er kömmt mit dem Leben davon. Ja, wer die Gunft der großen Herren hat! Wer weiß, was er ihm für einen Dienft erwiefen! Die Schlechteſten Haben immer das größte Glüd, und unter der Laft des größten Schurken reift. jedesmal der Strick. Er taugte niemals etwas, der Gyfora, Half nie zu ‚etwas, obgleich er ſchlau und verwegen war. Er hat nie et- was gebragt aufer Hafen und Hühner, die frei berumlaufen und Jedermann gehören. Das kann auch Jeder!”

„Iſt mir glei!“ gegenredete Janos milrriſch; „der Hund fol entlommen. An ihm liegt mir nichts. Ich Hab’ nur noch Einen Wunſch, bevor ich ſterbe. Ich wollt‘, ich Hätte noch meine Arme frei und meine Gabel, mein Gcepter, in ber Hand, und der Bartad ftände vor mir, damit ich ihm den Stachel zwei, drei Mal dur die Bruft und den Budel ftoßen könnte, dem rändigen Hund! Der hat's verdient!"

„Barum ber? warum der Bartad?“ fragte Stara. Weil er entlanfen ift? Er zieht doch nur im der weiten Welt ale Spieler herum und mährt fi, weil ihm's bei uns nicht gefiel.“

„Mach' mich nicht grimmig!“ murmelte Janod, indem et dem dargebotenen Krug Biers auf Einen Zug leerte; „ih wollt’, es wäre Gift darin für die ganze Welt! Nun kann id Dir's fagen: der Bartad folte die blanke Zlata, das ſchöne weiße Weib, für mic entführen; er bat fie aber für fich entführt, oder für einen Andern. Als ih im Walde bei Heimanmöftec zurüd« geblieben war, hatte ich beſtellt, daß ich ihm am einer gewiſſen

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sh re mim!”

nBrizee mid nit, wein Enter!“ run; „Noch werwinih ich Dig. ie ich ich Die Bam ıherite Yeibenigaft it ichnit am Arm. Hatten nie ein Herz zu mus, und als fie fert waren, a9 vollende ein toller Menſch. Wir konnten auch leben Ciubtuch in die irche; aber Du that Alles, was mar, und wollteft Deine Wuth wegen der verlornen Zlate raſen, Nun, eo wird ihnen auch ſchlecht gehen,“ Ientte fie ein; ‚ld habe fie verhert, daß fie den Krampf und ben Brand in den Weinen haben follen und Blut ſchwitzen müfſen. Aber auch den Gylora, der fo davonkommen fol, will ich verwünfhen;

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er fol lahm und krumm werden und über Jahr und Tag bie Schwindſucht kriegen, weil er ſich losgemacht hat von uns Allen und es doch nicht verdient. Er hat mit ung gegeflen und ge trunten, wir haben ihm groß gezogen; jo mußte er and mit une erben. Aber er hält's mit den weißen Leuten, der tolle Hund! Mid; judt mein rechter Danmen! Ich weiß, ich weiß: der Sy— tora hat fichere Kunde von ben weißen Weibern und vom Bar tad. Bielleicht war er im Eiuverſtändniß mit dieſem und hat ihm geholfen. Darum. findet er Hier Gnade auf der Burg. Vielleicht if Bartad da wohl gar aud bie —“

„Zlata!“ ſchrie Janos, ber gegen die Fenſter des Schlof- fes finnend emporgeftarrt Hatte, an deren einem bie Dame an der Seite des Ritters ſich zeigte, aber gleich ‚darauf verſchwand.

„Zlata!“ kuirſchte der Zigennerhauptmann und brücdte ſich die geballten Fäuſte an die Augen und raſſelte mit den Ketten; „verflucht, verflucht, daß ih Di nicht erwürgen kann, weiße Schlange!“

„Sei ruhig fei ruhig, mein Söhnlein;“ beſchwichtigte die Alte, als fie gewahrte, daf ihres Entels Betragen den Uebri- gen auffiel; „id Hab' fie gefehen, die weiße Dohle. Ich verhere fie, die —; fie fol lauter Wechſelbälge gebären: Kinder mit BWolfstöpfen und Dradenjhmwänzen. Du folft Deine Rade haben!“

Aufgeftanden! Auf, auf, Ihr Diebsgefindell“ gebot der Anführer; „mein’s wohl, daß es Euch Hier behaglicher märe bei gutem Trunk im grünen Gras, als im finftern Hundeloh, Eurem Lofament zu Ehrubim! Vorwärts, vafh! wir müffen vor Sonnenuntergang in Chrudim fein.“

"Die Gruppe erhob ſich und ſchritt, je zu zweien von dem Soldaten umringt, weiter.

Ianod warf nod) einen wilden Blick nad dem Schloſſe zuräd; aber Niemand zeigte fi am bem Feuſtern.

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Ziais/ Maria Hatte feine drohende Erfheinung wicht gefehen. Ws fie die wilde Gruppe ber Unglüdtichen erblidte, fuhr fie ſchaudernd zurüd. Diefer Blid in ihr früheres, düfteres Lehen betrübte fle tief; fie wünfchte, Alle vetten zu können.

Nitlas ritt gen Chrudim. Es ergab fi durch Ausfagen, daß Sytora und noch zwei Andere an jenem Kirchenraube un- ſchuldig waren. Deshalb wurden fie freigefproden. Janod, Stara und noch zwei Andere wurden hingerichtet. Stara, der Zauberei verbädtig, wurde noch vorher in einen Teich getaucht, unb da fie zufällig nicht gleih unterfant, fo war e8 erwiefen, daß fie eine Here fei. Sie wurde daher vor ihrer Verbrennung noch mit glühenden Zangen gezwidt ihre Aſche ſpäter nad allen Win- den verfireut. Die übrigen minder Sculdigen wurden gekäupt und auf ſchäbigen Roffen zur Stadt hinausgebracht.

a1.

Bon Weltrus kam eine Trauerkunde nad) Tollenftein, wohin fich die Beiden von Cechtie mit ihrem Freunde und Genofjen Sulol zurüdgezogen nnd geraume Zeit ihrem Schmerz, der Rüd- erinnerung unb ben Wiſſenſchaften, welche uad ben Stürmen bes Krieges wieder auflebten und im Ritterſtande getraue Beförderer fanden, gelebt Hatten. Bojena ward gefährlich franl. Sie hatte ihren Bruder befugt, der mit feinem herauuahenden Alter immer tränflier und büfterer wurde, und dem es nur auf Augenblide wohl war, wenn die Seinigen ihn zuweilen beſuchten. Nur un- gern vertaufchte er das reijend Tiegende Weltrus, wo er feinem ernfen Sinnen nachhängen fonnte, mit dem einigermaßen doch belebtern umb in vauherer Gegend gelegenen Tolleuſtein.

Bojena war zu ihm geeilt; er erholte ſich fie aber fant

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in die Arme einer unheilbaren Krankheit. Schon zu Iange hatte der Wurm der Vernichtung an biefem eblen Leben’ gezehrt; bie Wurzel war zernagt, die Blume fenkte ſich.

Die Ritter brachen im Fluge auf von ihrer Burg, befuchten Milade' 8 Grab beim Vorüberziehen auf Neuſchloß, weihten der Geſchiedenen heiße Segenswünſche und fandten zum allwaltenden Gotte fromme Gebete um Wettung der gelichten Mutter und Schwägerin.

Am zweiten Tage gegen Abend waren fie auf der Weltruser Burg. Betrübniß herrſchte überall; denn die Aerzte Hatten die Ret- tung von ihrer Hand aufgegeben und ftellten fie in jene Gottes.

Ein frendiger Schimmer leuchtete über dem Antlig der Ster- benden, als fie ihren Sohn wieberfah. Er kniete am Lager nieder und rief, ihre falte Hand mit Küffen überbedend: „Mutter, Mut- ter, Du kannſt, Du darfft nicht fcheiden! Der barmherzige Gott wird gerührt werben buch meine Thränen, durch unfre Gebete. Der Eltern Segen bringt ben Kindern Heil, und ber Kinder Gebet heilt die Eftern wieder, fagt ein frommer Spruch.“

„3% werde ſcheiden, mein Vratislav!“ entgegnete fie mild lachelnd. „Der Here ruft, umd ihm mäffen wir gehorchen. So früh fon? wirft Du Magen. Auch id würde es, wenn mein Herr nicht riefe.“

„So fpät erft Haben wir uns gefunden,” trauerte Vratislav, „und fo bald ſchon follen wir uns miffen! Das wäre granfom ungerecht!”

„Züene nicht,“ verſetzte fie; „Dein Vater ruft. Ich habe ihm früh verloren und muß ihn früher wiederfinden. Gott-Aft gerecht. Mein verföhnter Voleblav reiht feinen firaflenden u zue Erde herab und winkt mir; ich folge.“

„Aber Deines Kindes liebender Arm,” warf Bratielan im tiefften Schmerze ein, „umtlammert Di; und Hält Di noch hier feft auf der Erde. O ich bedarf noch der Mutter umb ihres

Herloßfoßn: Der Iegte Taborit. II- . 1

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„Thor,“ fagte er, „Dn Haft Muth warum haft Du ihn nicht Lieber im Kriege gezeigt? warum hier als Räuber? Und jegt fol’ einen hundiſchen Tod zu flerben! Es iſt eine Schande“

nMitgefangen, mitgehangen I" ſprach der Burſche lächelnd; „ich Tann Euch zuſchwören, daß ich gar nicht zugegen war, ale fie im die Kirche fliegen. ber darum werden ſich die Herren Richter nicht viel kimmern. Für einen Zigeuner mehr oder twe- niger «werben fie feinen befonbern Artikel im Verdammungsurtheil maden. Der Eine, reis't früher, ber Andre fpäter ab; id; muß ſchon jett von bannen, wo mir das Leben erſt recht gefällt.“

„Aber Jeſus Marial“ unterbrach er fi) plöglih; „wen fege ich dort am Fenſter Gudt ’mal, freund, bie Frauengeſtalt mit dem goldenen Haar!”

„Ein Ritterfräulein iſts,“ beſchied der Söldner; „die wird fi wohl auch kümmern um fo niederes Gefindel, wie Ihr feid! Thörichter Burſchel fleht, mo er dem Tode entgegengeht, noch ſchönen, hochgebornen Damen in die Angen. Marſch, vorwärts!”

„Sie ifrs fie il“ rief der Burſche freudig, und gleich darauf wieder in einen mwehmüthigen Ton fallend, „ah! wenn die wüßte, daß fe auch mich Hier vorbeiſchleppen, fie hälfe mir gewiß! Zlata, Zlata!“

„Keunſt Du das Frauenbild ?“ fragte geipannt der Söldner.

„Ei freilich!" war die Antwort; ih hab’ ihr cinmal einen großen Dienft erwieſen, da fie noch arm war und gering; unb wüßte fie mich hier, fie befreite mic, fiher durch ihre Fürbitte. Der Ort und Kleidung laſſen auf Glück und Rang fließen, und mit dem if flets and bie Macht verbunden. Wenn fo Jemand zu ihr hinginge und ſpräche! Es ift der Sylora ba drum- ten, ben fie gefangen, und gefettet fortſchleppen. Er ſoll ſterben, obgleich er unſchuldig ifl. Sprid ein Wort für ihn, und er iſt gerettet. Haft Du die Blumen nod, die er Dir. zum

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Abſchied gab? Sie würde antworten: Was? die treue Seele iſts? und fie ſpräche mit ihrem Ritter. Ein Ritter iſt mächtig, und ihm wär's leicht, mir zu Helfen, um fo mehr, weil ih un- ſchuldig bin.“

„Wie gejagt, Burſche,“ gegenredete der Kriegsknecht, „wenu id wüßte, daß Du mid nicht anlügft, fo wagte id die Für - ſprache; denn Du gefälft mir, fo zu fagen.“

„Beim ewigen Gott!” bethenerte Syfora, „bei Eurem und meinem Gotte ich lüge nit! Was hälfe mir auch die Lüge! Muß id) ja doch flerben, wenn fi das Fräulein meiner nicht erinnert und mir nicht Hilft. Und vor dem Tode fürcht' ich mich auch nicht; nur jet, da ich eine Möglichkeit fehe, zu leben, möchte ih nicht germ flerben. O geb, gehl Du fiehft meine Angſt.“

„Wohlan denn!“ ſprach der Krieger und wandte ſich gegen die Eameraden, indem er fortfuhr: „Haltet ein, einen Angenblid! Ich muß bier trinken; denn mich bdürftet wie einen trodenen Getreideſchober, wie ein Schindeldach im Sommer. Vielleicht bring’ ih Eud einen Waffereimer mit.“

Der Zug hielt ftN und lagerte ſich nicht fern vom Schloße graben an einer ſchattigen Hede im hohen Grafe.

Der erwähnte Kriegsknecht ging in das Schloß und fragte nad dem Vogt. Diefer ſchüttelte anfangs mit dem Kopfe, ging aber dann doch langſamen Schrittes die fteinerne Treppe hinauf.

Bald darnach fam Niklas Heruntergefprungen. „Wo ift der Zigeuner,“ fragte er ben’ Krieger, „von dem Du ſprachſt? Is feine Mähr’ 2

„Er kann Cuch's ſelbſt fagen,” verfeßte dieſer ; „dort drau · Ben lagern fie. Er nennt fi Syfora. Folgt mir, hochgeborner Her."

Er ſchritt voran.

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witlas wandte fich an denjenigen, welcher ihm als Sytora gezeigt wurde, richtete einige Fragen an ihn und rief dann den Führer des Zuges herbei.

„Du tennft mich,“ fagte er. „SIener Zigeunerburſche bort bieibt bei mir; ich bürge für ihm. Einer meiner Knechte geht Rott feiner ale Geihel mit Euch Rod Heut Abend bin id in Chrudim und ſpreche ſelbſt mit dem hochgelahrten und ehrmürbi- den Richter, Herrn Zebrat.

„Wie Ihr befehlt,“ war des Führer’s Antwort; „ih wills beſtellen. Ich thue meine Pflicht; die Verantwortung fei Ener. Laßt uns aber, gnäbiger Herr, einige Eimer Waſſer herausſchaffen aus Eurem Brunnen; wir find fo müde und durſtig und kön- nen uns von den Berbrediern wicht entfernen.“

„Ihr ſollt Bier Haben,“ antwortete Niklas; „doch theilt mit ben Gefangenen. Ob ſchuldig ober ſchuldlos, find fie doch Men» fen und leiden Durſt wie Ihr. Sie gehen vielleicht einem be- trübten Los entgegen.” Er ging nad bem Schloſſe zurüd, indem er Splora winkte, ihm zu folgen.

Der arme gerettete Zigeuner flürzte zu Zlata-Maria’s Füj- fen nieder und dankte ſchluchzend. „Ih war in Pardubiec, ale fle die Klecauer Kirche beraubten, mit noch zwei Anderen. Mir übernachteten in ber Mühle; der Müller kaun's bezeugen. Erſt am folgenden Tage, nachdem ber Raub fon getheilt war, kehr- ten wir zuräd.”

„IMs Wahrheit,“ verſetzte fie mit einem Blide auf ben Kitter, „fo fol Dir beſtimmt geholfen werden. Ich ſchulde Dir noch Dank. Die Mutter fagte es mir fpäter, wie nur Deine Miugheit mic aus den Händen des graufamen Janod befreit.“

Der Zigeuner wurde nach ber Gefindehalle gewielen, nnd einige Knechte fchroteten ein Fäßlein blaſſes Bier zur Truppe hin- aus, wa es unter die Soldaten ‚und Gefangenen getheilt wurde.

Ianod, der Hauptmann, faß neben der Gtara im Grafe

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und Rarrte finfter grolend und den Tod ahnend vor ſich mieder anf die gefeffelten Hände; die Großmutter dagegen blickte giftig und keifend um fid, und auf ihren wellen Lippen ſchwebten immer halblaute Verwünſchungen und Scheltworte.

md Du's gefehen?“ flüfterte fie grimmig; „ber Syfora ift auf Fürfpradhe des Ritters freigegeben und in's Schloß ‚geführt worden. Sie wollen ihn wohl gar zum Knappen machen! Hihil Gib At! er kömmt mit dem Leben davon. Ja, wer bie Gunſt der großen Herren hat! Wer weiß, was er ihm für einen Dienft erwiefen! Die Schlechteften Haben immer das größte Glüd, und unter der Laft des größten Schurken reißt. jedesmal der Strid, Er taugte niemals etwas, ber Sylora, half nie zu etwas, obgleich er ſchlau und verwegen wer. Er hat nie et» was gebracht außer Hafen und Hühner, die frei herumlaufen und Jedermann gehören. Das Tann auch Jeder 1”

„Iſt mir gleich!“ gegenredete Janod mürriſch; „der Hund fol entlommen. An ihm liegt mir nichts. Ich hab’ nur noch Einen Wunſch, bevor ich fterbe. Ich wollt, ich hätte noch meine Arme frei und meine Gabel, mein Scepter, in ber Hand, und der Bartad flände vor mir, damit ich ihm den Stachel zwei, drei Mol durch die Bruſt und den Budel floßen könnte, bem rãudigen Hund! Der. hat's verdient!"

„Warum der? warum der Bartad?“ fragte Stara. Weil er entfaufen ift? Er zieht doch nur in der weiten Welt als Spieler herum und nährt ſich, weil ihm's bei uns nicht gefiel.”

Mad’ mic nicht geimmig!* murmelte Ianod, indem et dem dargebotenen Krug Biers auf Einen Zug Ieerte; „ih wollt‘, es wäre Gift darin für bie ganze Welt! Nun kann id Dir's fagen: ber Bartad follte die blanke Zlata, das ſchöne weiße Beib, für mich entführen; er hat fle aber für fich entführt, oder für einen Andern. Als ic im Walde bei Hekmanmeſtee zurüd- geblieben war, hatte ich beftellt, daß ich ihn am einer gewiſſen

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Stelle an ben Bergen wieberfinden follte. Ich fuchte ihm dort und überall; er war nirgends, umb ich hab’ weder von ihm, noch von dem goldenen Mädchen und ihrer Mutter je etwas gehört."

„Ei, es ift doch ſchon ein Weilchen her,“ fiel Stara ein, „und Du kaunſt das unbankbare, weiße Bolt nicht vergefien ! Gräme Dig nit verfluch fiel IG Habe fie beſprochen es wird ihnen jegt ſchlimm gehen.”

„Mir geht's ſchlimm, uns Allen geht's fchlimm feit das weiße Bolt fort ift von uns !“ grolite Janos; „kein Segen ift mehr! Wir wurden ſeitdem überall herumgehegt, auf feinem Gut gebulbet. Die Ritter ſchidten Reifige und Hunde aus nad uns auf die Jagd, und wegen der Kieinigleit, die wir im Haufe des Ehriftengottes gebiendet, follen wir num büßen. Dem Gott ifrs gleih, ob er Gold Hat oder nicht; aber bie Ghriften find graufam, weil fie glauben, fie müßten ihm neues Opfer geben, und weils an ihren Beutel geht. Berfludt Alles, Alles! ’S wär’ beffer, wenn wir die Mablena und ihre Tochter behal- ten, wenn Du durch ſchnöde und giftige Reden ihr Herz nicht von mir gewendet Hätte! Es gelang uns Alles befier, da fie nod hier waren!“

„Aergre mid nicht, mein @ufelfind I“ verfegte Stara gei- fernd; „fonft verwünſch' ich Di. Alfo ih foll die Schuld Haben? Deine thörichte Leidenſchaft ift ſchuld an Allem. Die Weißen Hatten nie ein Herz zu uns, umd als fie fort waren, da warft Du vollends ein toller Menſch. Wir konnten auch Ieben ohue ben Einbruch in die Kirche; aber Di thateft Alles, was gefährlich war, umb wollte Deine Muth wegen ber verlornen Zlata aus» raſen. Nun, es wird ihnen andy ſchlecht gehen,“ Ientte fie ein; „ich habe fie verhert, daß fie den Krampf und ben Brand in den Beinen haben folen und Blut ſchwitzen müſſen. Aber auch den Sylora, der jo davontommen fol, will ich verwänfchen;

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er ſoll lahm und krumm werden umd über Jahr und Tag bie Schwindſucht kriegen, weil er ſich losgemacht bat von uns Allen und es doch nicht verdiem. Er hat mit ung gegeflen umd ge teunfen, wir Haben ihn groß gezogen; jo mußte er and mit uns ſterben. Aber er hält's mit ben weißen Leuten, der tolle Hund! Mid, judt mein rechter Daumen! Ich weiß, ich weiß: der Sy⸗ kora hat ſichere Kunde von den weißen Weibern und vom Bar- tad. Bielleicht war er im Eiunverſtändniß mit diefem und Bat ihm geholfen. Darum findet er bier Gnade auf der Burg. Vielleicht ift Bartad da wohl gar aud die —“

„Blatal“ ſchrie Janos, der gegen die Fenſter des Schloſ- ſes finnend emporgeftarrt hatte, am deren einem bie Dame au der Seite des Nitters ſich zeigte, aber glei darauf verſchwand.

„Zlata!“ kuirſchte der Zigeunerhauptmann und drückte fi die geballten Fäuſte an die Augen und raſſelte mit den Ketten; „verflucht, verflucht, daß ih Dich nicht erwürgen kaun, weiße Schlange!

„Sei ruhig fei rubig, mein Söhnlein;“ beſchwichtigte die Alte, als fie gewahrte, daf ihres Enkels Betragen ben Uebri- gen auffiel;. „ich Hab’ fie gefehen, die weiße Dohle. Ich verhere fie, die —; fie fol lauter Wechſelbälge gebären: Kinder mit Wolfsköpfen und Drachenſchwänzen. Du ſollſt Deine Race Haben!"

nAufgeftanden! Auf, auf, Ihr Diebsgefindell” gebot ber Anführer; „mein’s wohl, daß e8 End) Hier behagli—er wäre bei gutem Trunk im grünen Gras, als im finftern Hundeloh, Eurem Lofoment zu Chrudim! Vorwärts, raſch! wir müffen vor Sonnenuntergang in Chrudim fein.“

"Die Gruppe erhob ſich und ſchritt, je zu zweien von ben Soldaten umringt, weiter.

Ionod warf noch einen wilden Blid nad dem Gchloffe zurück; aber Niemand zeigte fih am dem Fenſtern.

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Zlata-Maria Hatte feine drohende Erſcheinnug wicht geſehen. Ws fie die wilde Gruppe der Unglüdtihen erblidte, fuhr fie ſchaudernd zurüd. Diefer Blid in ihr früheres, büfteres Lehen betrübte fie tief; fie wünfchte, Alle retten zu Können.

Niklas ritt gen Ehrubim. Es ergab fi) durch Ausſagen, daß Sytora und noch zwei Andere an jenem Kirchenraube un- ſchuldig waren. Deshalb wurden fie freigefproden. Janod, Stara und noch zwei Andere wurden hingerichtet. Stara, der Zauberei verbädtig, wurde noch vorher in einen Teich getaucht, und ba fie zufällig nicht glei unterfant, fo war es erwieſen, daß fie eine Here fei. Sie wurde daher vor ihrer Verbrennung noch mit glühenden Zangen gezwidt ihre Aſche fpäter nad allen Win- den verfireut. Die übrigen minder Schuldigen wurden gefäupt und auf ſchabigen Rofien zur Stadt hinausgebracht.

a1.

Bon Weltrus fam eine Trauerkunde nach Tollenftein, wohin fh die Beiden von Cechtie mit ihrem freunde und Genoffen Sulol zurüdgezogen nnd geraume Zeit ihrem Schmerz, der Rüd- erinnerung und den Wiſſenſchaften, welche ua ben Stürmen des Krieges wieder auflebten und im Ritterſtande getrane Beförderer fanden, gelebt hatten. Bojena ward gefährlich frank. Sie hatte ihren Bruder befucht, der mit feinem herannaheuden Wer immer trãnklicher und düferer wurde, und dem es nur auf Yugenblide wohl war, wenn die Seinigen ihn zuweilen beſuchten. Nur un» gern vertauſchte er das reigend liegende Weltrus, wo er feinem ernfen Sinnen nachhängen Ionnte, mit dem einigermaßen doch belebtern und im vauherer Gegend gelegenen Tolleuſtein.

Bojena war zu ihm geeilt; ex erholte fih fie aber ſauk

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in die Arme einer undeilbaren‘ Krankheit. Schon zu Iamge hatte der Wurm der Vernichtung am dieſem edlen Leben’ gezehrt; bie Wurzel war zernagt, bie Blume fenkte fi.

Die Ritter brachen im Fluge auf von ihrer Burg, beſuchten Milada's Grab beim Borüberziehen auf Neuſchloß, weihten ber Geſchiedenen Heiße Segenswünſche und fandten zum allwaltenden Gotte fromme Gebete um Rettung der geliebten Mutter und Schwägerin.

Am zweiten Tage gegen Abend waren fie auf der Weliruser Burg. Betrübniß herrſchte überall; denn die Aerzte hatten die Ret- tung von ihrer Hand aufgegeben und ftellten fie in jene Gottes.

Ein freudiger Schimmer leuchtete über dem Antlig der Ster- benden, als fie ihren Sohn wiederjah. Er kniete am Lager nieder und vief, ihre falte Hand mit Küffen überbedend: „Mutter, Dut- ter, Du Lannft, Du darfft nicht jeiden! Der barmherzige Goti wird gerührt werben durch meine Thränen, buch unfre Gebete. Der Eltern Segen bringt den Kindern Heil, und ber Kinder Gebet heilt die Eltern wieber, fagt ein frommer Spruch.“

„Ich werde ſcheiden, mein Vratislav!“ entgegnete fie mild lächelnd. „Der Here ruft, und ihm mäffen wir gehorden. So früh fon? wirft Dur Hagen. Auch ih witrde es, wenn mein. Here nicht rief.”

„So fpät erft Haben wir uns gefunden,” trauerte Vratislav, „und fo bald ſchon follen wir uns miffen! Das wäre graufam ungeregt!“

„Zurne nicht,“ verfegte fie; „Dein Vater ruft. Ich habe ihn früh verloren und muß ihn früher wiederfinden. Gott-Aft gerecht. Mein verföhnter Boleslan reiht feinen fraflenden Mrur zur Erbe herab und winkt mir; ic) folge.” ..

„Aber Deines Kindes lebender Arm,“ warf Bratilav im tiefften Schmerze ein, „umklammert Did; und hält Dih noch Hier feſt auf der Erde. DO ich bedarf noch der Mutter und ihres

Herloßfohn: Der legte Taborit. II- ji 11

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Troſtes anf biefer Welt! Hab’ ih Dich ja doch erſt ale Mann gefunden und ale Kind umd Suabe entbehren müſſen! Rod iR der Name Mutter mir ein neuer und füher und kein gewohnter Ton. O bleibe bei uns es will Abenb werden. Es wird finfire Nacht um uns, wenn Dn, der legte Stern, verliſcheſt !“

„&s muß fo fein, mein Sohn!“ ſprach fie matter werdend; mbete zum Heren um ein fanftes Ende für mid.“

Sie ſchwieg Bratislan preßte die Hände vor fein feuch- tes Antlig ; die Mitter umſtanden ſchweigend und tieferſchüttert das Sterbelager.

„Mein Sohn,” begann Bojena nah einer Weile, „Eins nur miff id ungern an Dir, da ih von Dir gehe Dein Weib. Du follter nit fo allein fichen im Leben! Wie Did bie Mutter geliebt, kann Dih nur eine Gattin lieben. Ich weiß, Du Haft viel Schmez im der Liebe erfahren, und Dein theuerftes Gut ſchlaft eine frühgelnidte Blume unter der Erde, Aber veriprich mir, daf, wenn Du eine Jungfrau findeft, würdig der Liebe, welche Du der Zodten und nod der Einen Berloreneu gezolt Du fie Heimführen willſt als fiebendes Weib.“

„O Mutter, Mutter!“ wehllagte Vratislav, „fol jegt das Gefühl aller meiner ſchrecllichen Verluſte mich töbtend überfirömen? Nimm mid mit Dir! Ich babe nichts mehr auf der Erde als die Freunde Hier! Sie alle find Trümmer, die mid liebend umftehen, und id; ſoll noch lange buuern 1"

„Lebt wohl! hauchte fie,“ plöglih; matter werbend; „mein Boleslav winkt mir und neben ihm nod ein Engel in Lichtge- Malt: Milada. Sie fenden Euch ihren Segen. Ihr folgt mir bald; bie Erde if nicht ewig aber bort dort!” Gie richtete ſich mit lenchtenden, verffärten Blicken auf.

„Sie ſtirbt, ſie Rirbt! rief Vratislav und bededte den ge- Tiebten Mund mit Küffen.

168 F Lebt wohl gebenfet mein!“ athmete fie kaum hörbar ber Leidensteih vorüber dort ewige Wonne. Amen!" Sie ſauk zurüd. Dos kalte Wehen des Todes fänfelte durch das Gemad und durchſchauerte auch die Lebenden, Schmerz erſchutterten.

„Amen!“ ſprachen fie und preßten ben letzten Kuß auf bie Stirne der Geliebten. .

„So Haben wir fie zum zweiten Male gefehen!“ ſprach Zdenlo dumpf zum Neuhaus und drücte krampfhaft feine Hand. „Diesmal aber wird fie nicht erwachen zum armen Daſein; ſie wandelt im Licht.“

„Gott der Verſöhner ſei uns gnädig!“ fiel Neuhaus ein. Sie unterflügten den gebeugten Bratisiav mit ihrem Armen und verließen das Sterbegemach.

Einige Tage vergingen; da kam Sufol mit einem fon- derbaren Gemifh von Freude und Rührung im rauhen Gefichte zu Bratielav, der im Schloßgarten an ber Stelle, wo er Lidmila von fi gefioßen, im trüben Sinnen faß. „Seltfames Ge- ſchick“ ſprach er, „Herr Ritter! Wo Ihr verloren habt, mußte id; wiederfinden. Der alte Lazar, der Euch damals in Eurer Krank - heit gepflegt, hatte mich oft mit befonderer Aufmerkſamkeit ange Rarrt. Er ſchien eine Frage auf ber Zuuge zu haben, aber fein Herz dazu, weil ich ihm ftets fo barf und finfter ſchien. Endlich heute, wie er mich fo traurig ſah und ich ihm milder ericheinen mochte, faßte er Muth und erzählte mir, er habe auch einen Sohn gehabt, aber zeitig verloren, zwar nicht durch den Tod, fonderm durch den Krieg, Er fei ihm damals mit den huſſitiſchen Wer · bern bdavongelaufen unb Habe feit dem nichts wieder von ſich hören laffen. Der Juuge hat Jakub geheißen und war ein wil- der und trogiger, aber gutmüthiger Bube. eine ganze freude beftand im Umgang mit Roffen und Handhabung von Waffen. Der Name und bie Schilderung machte mid Auen; denn id

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erinnerte mid) dunkel, ſelbſt fo etwas an mir erlebt zu haben. Ich bat den Alten, mir die Burg mäher zu beichreiben, wo er vordem gelebt nud zu der Zeit, als ihm der Bube enıfloh. Es war Drhobel, berichtete der Alte, eine altadelige Herrſchaft; bort war er eine Zeit lang Untervogt. Er beſchrieb mir die Lage bes Schloffes, das Gebäude, den Hof, die Rennbahn, den Marftall und die Tränke, endlich eine bimmelhohe Tanne neben dem Walle, welde fein Junge Üftere mit Lebensgefahr Hinangeffettert, um ans dem Wipfel junge Krähen zum Holen, welche daſelbſt niſteten. Dies durfte der Junge nur heimlich thun; bemn ertappte ihn ber Alte, fo erhielt er eine Tracht Prügel, um ihm bie Luft zu ſolchem halsbrecheriſchen Unfuge zu benehmen. Es mar gerade at einem Tage, wo Jalub's Rüden mittelft einer Hetzpeitſche geftrichen wor- den war, was ihn ſehr verdroß, als bie Werber vorüberzogen. Der luſtige Burſche mifchte fi unter fie, machte fih mit ihnen vertraut, und fieh’ ba! die Werber zogen Mittags fort, und Abende folgte ihnen insgeheim der Burſche. Seine Entfernung wurde erſt wahrgenommen, als der Alte, der nach einem entfernten Moierhofe geritten war, ihm am folgenden Tage vermißtee Cr ſchickte einen reitenden Boten den Werbern nad), aber and) hier war der Burfche nicht zu finden; vermuthlich hielten fte ihn, auf eine Nachforſchung gefaßt, verborgen. Er eilte jetzt felbit nach fand den Sjährigen Burſchen bei den Huffiten, bat und flehte; aber der Junge ſchien ihn gar nicht wieberzufennen, fpielte mit Waffen und ließ micht halten. Und fo war es auch, bei Sanct Benceslan! Denkt End, Herr Ritter, der Jakub, ber Tenfels- junge, bin ih! Das würdet Ihr mir wohl jegt nicht anfehent aber e8 ift richtig fo. An den Prügeln und der Taune mit bem Krähenneftern Hab’ ich mic, erkannt. Später in den Stürmen bes Krieges habe ich der Burg, wo ich geboren, bes Abichiebes und fogar was nicht recht mar meines Vaters vergeffen. Ich hatte im Schlahtgewühl freilich am andere Dinge zu denken.“

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„Glüdlicher Menſch!“ gegenvedete Bratislan mit Wehmuth. „Du finbeft, wo id} verliere. Aber hab’ Acht, daß Du wicht eben fo ſchnell wieder bes errungenen Schatzes beraubt wirft 1"

„Wie Gott will!“ entgegnete Sukol; „hab' id; doch dem alten Manne eine große, vielleicht bie letzte Freude gemadt! Ihr hättet feinen Jubel ſehen follen, da ich mic zu erfennen gab. Ich glaube, ich habe felhft geweint. Der Alte war ganz glüclich, einen Sohn zu Haben, und vollends einen, der Ritter if. Es freute ihm jetzt ordentlich, daß ich ihm damals bavongelaufen war; denn bei ihm Hätte ich's höchſtens zum Troßbuben und fpäter zum Knechte gebracht. ‘Er weinte auf einmal fo viel, wie ich es mein Leben lang nicht gefehen. So waltet Gott, unb wir follten deshalb Heute nicht Magen, weil e8 morgen ganz an- ders und beſſer werben ann.“

„Ein ſchöner Troft, ein guter Troſt!“ gegenrebete Bratislan; ‚wur daß der Menfch oft zwiſchen dem Hent. und Morgen zu Grunde geht.”

Der Ritter von Neuhaus und Oheim Zdenko kamen durch den Hanptgang im Iebhaften Geſpräche auf die Beiden los. Neuhons Hielt ein Schreiben in der Hand.

„Es ift entſchieden,“ ſprach er, gegen die Aufmerkſamen ge» wenbet, „Bapft Paulus ber Zweite, des Aeneas Sylvins wür- diger Nachfolger, hat den Kreuzzug zufammengebradt. Ganz Deutſchland bewaffnet ſich gegen uns und zur Bertilgung des Negertjumes. Dan Hat unerhörte Anfrengungen gemacht; diese mal, glaubt man, müffen wir unterliegen. Ein liſtiger Feind iſt todt im der Perfon jenes Pins; aber ber neue Kopf, ber ber Hyper gewachſen iR, dürfte noch ſcümmer fein, als der alte. Der heilige Mann ift nichts weiter, als ungeſtüm, boshaft, bint- gierig, unwiſſend nnd ein Feind jeder Aufklärung und Nenerung. Sein Nuntius, Biſchof Rudolph von Lavant, Hat erflärt, das Concilium, welches fi zu Baſel über bas Oberhaupt der Kirche

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au fegen erfredhte, habe zwar bie Compactaten bewilligt, aber tein Bapft, als Stellvertreter Chriſti habe fie beſtätigt. Der hei ige Bater allein könne über Ketzerei urtheilen; denn nur er ſei untrüglih. Jeder ketzeriſche Mönig fei gottfoe, alfo anch Georg; ein Gottlofer aber könne nur menichen- und religiomsverberbend herrſchen, alfo müfje man gegen den Menfchenverderber, da Got tes, bas heißt des Papfies, Wort wicht mehr Hilft, mit irdiſchen Waffen: zu Felde ziehen. Dies find die Worte ber Bannbull, welche er troß ber Gegenvorftellungen einiger braven ürften Curo · pa's gegen Böhmen unb unſer Bolk geſchlendert.“

„Ja, das ift der alten, bfutigen Nachteule eigenes, liebliches Gekrachz!“ fügte Zdenko ingrimmig hinzu.

„In wenig Wochen iſt der Feind an unſern Gremien,“ ſprach Neuhaus ernft und feierlich, „und es gilt men, zu zeigen, da Böhmens Söhne noch das alte Mark in den Knochen haben, daß ber Sieg noch immer umfere gemeihte Kelchesfahne umrauſcht.“

„Hab’ Dank, himmliſcher Vater,“ rief Vratislav auffprin- gend in Begeifterung, „für diefen Stern nad langer Nat! Das Leben wird wieber jung umb ich weiß, warum id} noch leben ſoll.“

„Die ſchöne Zeit kömmt wieder,“ ſprach Sukol freudig, und fein Auge Iemchtete, „bie fchöne Zeit für uns, bie Höllenzeit für die Papiften! Aber fie wollen fie felbft Haben wohl ihnen! Unfer König war fange ein guter und fliller Mann; ein Anderer hät nicht fo fange an fich gehalten. Nun fangen fie ſelbſt an, die Bluthunde, die Schurken von ber gefhornen Glage. Heibil freue Did, alte Seele! Zitterft Du in ber Scheide, mein ſchartiger Handegen, und ahnft den Tanz, zu welchem Du auf fpielen four? Die Welt wird wieber jung wohlgefprohen! und lebendig. Die Menſchenkindlein rühren fi, und die Alten unter der Erde, die Erſchlagenen, fangen an ſich zu regen, da fie hören, daß ber Strauß wieder anfängt für den Kelch und das Vaterland, Des alten Zille Trommel, ih möcht drauf ſchwören,

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drohnt laut, und die Profope reden bie. Glieder in dem Grab unter jenem Baume und möchten fo gern wieber auferfichen. Ber Gott! ihre Geifter, die Geifler der Erfchlagenen von Htib, alle werben mit uns fechten in den erflen Schlachtreihen; denn es if ein großer Tag, und der Sieg wird. unfer fein.“

Bei Sanct Johannes und feinem Feuertode!“ fiel Zdenko ein und ergriff freudeleuchtend anfblickend Sukol's Hand, „ber Sieg wird unfer fein. Die große Zeit lehrt wieder, die alten Adler, fo ruhig und matt vordem in ihren büftern Horften faßen, ſchũtteln die Flügel, athmen auf ein fchöner, reiner Sonnen ſtrahl if am Himmel emporgebligt; er küßt der Adler Angen, fie breiten die Schwingen aus und ftürzen fich fühn herab auf die rauſchende Erde. O Baterland, Vaterland, vielleicht ſchlägt diesmal Deine goldene Morgenfiunde! Aber find mir auch witrdig, den ſchönen, freien Tag zu erleben ohne die Helden, welche für ums, das Meinere Geſchlecht, verbinten mußten ? Ber- dienen wir es auf? O tönntet Ihr noch leben, Di, Bater Zijta, Du, großer Profop, und Du fein Namensbruder, Bruder zugleich feines Ruhmes! Cilter Wunfh! Der Herr läßt bie Bäter ſaen umd nad ihrem Tode erfi die Kinder erndten. Sein Heiliger Wille geſchehe !"

„Ich glaube,“ nahm Neuhaus fi aufrictend und begeiftert vor fi hinblidend das Wort, „mein Schwert Mingt dort im Waffen- ſaale und ruft auch mi. Dann muß ich freilich folgen 1”. Er deutete bei diefen Worten nad; ben Bogenfenftern des Erdgeſchoſſes hin.

Alſo auch mein Oheim ?“ rief Vratislav erflannt; „Di, fo krant, von Leiden und Schmerzen niedergebeugt?“

„Ich kenne keine Krankheit,“ war des von Neuhaus Ant- wort, „wenn das Baterland Frank if; ich Tenne keinen Schmerz, wenn mein Bolt biutet und mein Glaube bedroht wird. Ich ziehe mit Euch, nicht als Feldherr diesmal, nur als gewöhnlicher Streiter; denn der König ſelbſt iR unfer Fuhrer, und feine helden

Auf dem alıhädter Ringe verfammelten fi die Gerchunjen

auf, dem geehrtem, von deu Umftänden ewig gedrängten umb ftets ritterlich ausharrenden Könige eine bebeutende Streitmacht

beteten um Kraft und Muth für dem Heiligen Krieg zum Schutze

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des Glaubens und der Nationalfreigeit. Cine hohe Begeifterung ‚gab ſich überall fund. Ju die Reihen der Krieger drängten fich Bürger, Frauen und Mädchen. Sie reichten dem tapferen Söhnen des Doterlandes Speife. und Trank; bie Jungfrauen wanden ihnen Schärpen um bie Schultern und zierten ihre Helme mit Blumen · Fräufern. Wie fonute e8 anders kommen, als daß Böhmens Helbenföhne für dem uenen Rettungskampf freudig entbrennen mußten! Alle Genfer waren beſetzt; Tücher und Fahnen, auf deßteren ber böhmifche Löwe, wurden herabgeſchwenlt. Rauonen- Donner hallte vom Schloffe die Reihen orbueten ſich zu drei Seiten am Markte bie vierte gegen den. einen Ring und bie Brüde zu blieb geöffnet. Bon diefer Seite follte der König tommen. Bald barauf erſchien er.

* Erfah hoch zu Roſſe, war vollfommen gerüftet, die Sonne glänzte im Silber feines Haruiſches und ber blanfen Schienen, ein weißer Mantel ummallte die Heldengeftalt, ein weißer Buſch flatterte um den hohen Helm, deffen Kamm ber böhmiſche Löwe zierte. Stolz trug ihm der ſchneeweiße Hengſt. Sein Antlig ſchien blaß und befümmert; aber ein Strahl der Freude zudte barüber, als er bie Schaaren feiner Streiter überblidte und lautes Hurrah und Hörmergejchmetter ihn empfing. Die Fahnen wurden ge ſchwenkt, die Waffen- Mirvend am einander geſchlagen, der Jubel ſchallte donnernd zum Himmel empor.

Neben dem König ritten feine beiden Söhne, Heinrih und Bictorin, in goldenen Rüfungen, jugendliche Heldengeflalten mit friſchen, offenen Gefitern, in welden bie Kampfesluſt blitzie. Prähtig gelgmüdt und mannigfah gerüftet umgaben. den König die oberften, Feldhauptleute, darunter greile, doch noch kräftige Männer, bie fon im den frühen Huffitenkämpfen gefochten dann folgte fein Hofſtaat und die Leibwache.

Der König ritt unter fortwährendem Kanonendonner and Glodengeläute mit feinem Gefolge langſam, redjts- und links ·

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Hin grüßend, iu das Wiered, deſſen letzte, offene Seite jeine Leib wache fperrte. Die Truppen fenkten ihre Waffen zur Begrüßung. In der Bitte bes leeren Raumes zog Georg fein. langes Schlacht ſchwert, ſchweulte es dveimal um fein Haupt, feine Krieger und das an den'Fenflern, anf den Hausvoriprängen, Gefinfen und Daqhern verfommelte Bolt begrügend. Ein lauter, kunmelanjand)- gender, dreimaliger Jubelruf antwortete ihm die Hörner ſchmet · terten barein. Er winfte mit ber Hand, ımd eine Todtenſtille erfolgte, daß man mur das Glodengelänte wie über der Ruhe eines Kirchhofs vernahm. Die Reihen an der Geite der Tein fire Öfineten fih, und von den hohen Stufen der Hauptpforte ſchritt Rokyeana im erzbilchöflihen Ornate, gefolgt von ben Domherren, Prieftern, Alumnen und ber ganzen calizeimiichen lerifei, den Ständen, Gtaatsbeamten, Richtern, Stanbeöherren, Profeſſoren, Ratheherren und andern Dignitarien des Reiches und der Stadt, langlom und im’ feierlider Haltung herab,

As der König dem oberften Prieſter des Kelches und fein Gefolge gewahrte, flieg er beheud vom Roſſe die Uebrigen folg- ten feinem Beiſpiele.

Georg trat einige Schritte vor ihm wäherte fi ber Erzbiſchof mit dem Kelche; er fegnete das Brot und den Wein und reichte ihm dann Beides. So nahm der rechtgläubige König im Angefichte feines Volles unter freiem Himmel das Abendmahl unter beiden Gefalten.

Auf ein Zeichen, weldes vom Rathhausthurme durch eine Flagge gegeben und vom Schloßthurme wahrgenommen und er- wiedert wurde, erfolgten zehn Kanonenfhüffe vom Walle, und bie Briefterf haft ſtimmte unter Glockengeläute das To Deum lau- damus in böfmijder Sprache an.

Als der Geſang geendet, erhob ſich der König von feinen Rnien das Gefolge that desgleichen er ergriff ben Kelch mit der linken, das Schwert mit ber rechten Hand, erhob beide

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gegen bie verfammelte Menge und rief: „Gott-fei uns gnä- dig in dem Rampfe für den Keih und das Bater- land! Amen!“

Und die Menge fimmte unter Glodentönen und Hörner begleitung das gewaltige Kirchen⸗. und Schladhtlieb:

„Hospodine, pomiluj ny!“ (Herr, erbarme Di) im lauten, feurigen Chorale an.

Nachdem diefer geendet, flieg der König wieber zu Pferde und ritt fangfam, von feinen Söhnen und den Kriegsobriften begleitet, an den Reihen der Krieger bin, hier und dort freund« Hd grüßend, befobend, ermuthigend. Als er an die Stelle der Teinkirche kam und Neuhaus nebft Zdenko, dann Vratislav, Su- tot, feine Wetter, an ber Spige ihrer Fähnlein fah, ftieg er vom Roſſe und näherte fi den Anführern.

„Sei mir gegrüßt, Meinhart!“ fprad er freundlich zu Neuhaus, „um fo herzlicher gegrüßt, als ich Dich nicht erwartet. Der frühere Feldherr der Caliztiner, der’ vorige Kanzler des Rei- des führt mir nun felbft eine eigene Schaar zu. Bei Gott! bie Zeit ift nicht alt geworden für die Freundſchaft, auch nicht für die Liebe zum Glauben und zum Vaterlande. Ich weiß nidt, ob Du Die) feither aus Unfuft am Frieden während meines Glüdes, wenn ſolches Regiment ein Glüd zu nennen if, zurüdgezogen; aber in Noth bift Du wiebergefehrt das ift ebel, das ift groß! Und Du, Zdento von Techtie,“ wandte er ſich zu dem Rach · Ken,“ biſt Du auch hier, läfſſeſt dem jegigen König nicht entgel« ten, was ein früherer verſchuldet hat bie heilige Sache ver- eint uns Alle in unſern Beſtrebungen. So muß es fein!" „Bratislav,“ fuhr er freundlich Tächelnd gegen biefen fort, „Dir

ebelmüthiger Schwärmer, feindfidher Freund! es iſt doch gut, daß Du mid damals nicht vom Throne geſtoßen; jetzt hättet Ihr den Krieg im Lande, den mächtigen Feind vor dem Thoren, nur

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ein kleines Häuflein, das ben Keich fhfigte und ſpater vieleicht einen katholichen Regenten, ſtatt daß Euch jetzt der rechtgläubige gegen bie Unterbrüder führt. Es iſt doch gut, daß wir Beide wicht geftorben oder gefangen worden find! Nun lönnen wir Ale für bie gute Sache fechten.”

„Mein töniglicher Herr,“ verſetzte Bratielav leiſe und er- röthenb über die Milde des verfchuibeten Vorwurfs, „Dir gehört mein Leben nächft dem Glauben; forbre es.“

„Hab' Dank,“ antwortete gütig Köwig Georg, „mein Freund! Berwend' es vorerfi für ben Glauben.”

Er erblicte jet Sukol, und beinahe lachend begrüßte er diefen mit den Worten: „Ein Vierter noch, dem id; verbunden bin! Alſo auch Du winft mit, alter Held! Das ift ſchön; daran fptegelt fi) die Jugend. Ich ſeh', Du willſt bereinft mit Stolz fagen können, daß Du feine Huſſitenſchlacht verſäumt haſt. Ja ja," wandte er fi zu der Umgebung, „ich hatte doch Recht, als id den Allzueifrigen, die mod immer mehr verlangten, als uns bie Umftände boten, fagte, wir mäffen ruhig erft das, was wir haben, feſt wahren, bevor wir nad Größeren traten wollen. Denn feht, man kömmt jett ſchon, uns das Wenige zu rauben; was hätte man gethan, wenn wir angepocht hätten und fordernd aufgetreten wären | Bielleicht gibt's Gott jetzt, baß wir, mit feiner Macht fegend, die Forderungen höher fpannen können, und baum wär mit Einem feldzug viel erfbart und Alles abgethau.“

Der König feste ſich wieder zu Pferde und ritt bie Beltner- gaſſe entlaug nad dem Königehof, wo auf bem weiten unabfeh- baren Plage, die Hibernergaffe, den Poti bis zum Frautiset hinab, bie zweite, dritte und vierte Heerabtheilung aufgeftellt war sen. Die letztere befand faft größtentheils ans fogenannten Dre- fern (mlatei), jener aus den früheren Huſſitenkriegen her berühm · ten und mit eifernen Dreichflegein und Stachelkeulen gerüfteten Waffengattung.

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Er richtete an jehe Abtheilung freunblich-grüßende und ers muthigende Worte. Durch lauten Jubelruf antwortete ihm überall die Stimme ber Begeifterung.

Nachdem die Heerſchau beendigt, zit der König unter Ra« nonenfalven nad dem Hrabdin zurüd. Die Krieger lagerten die fen Tag und die darauffolgende Naht im Freien, um am näde ſten Morgen in den genannten vier Abtheifungen nad) ‚der füd- weſtlichen Grenge aufzubrehen.

Feuer Ioderten auf: dem altfläbter Ringe ımter den dam pfenden Keffeln; auf dem Pflaſter lagerten Soldaten im Kreife, die Shüffel und die Flaſche gingen von Yand' zu Hand. Einige fangen vaterländifche Fieder, andere --würfelten; Bier putzte Einer feinen Harniſch blank, dort wurden bie Pferde geffriegelt oder friſch beſchlagen; unter den Arkaden, dem Rathhauſe gegenüber, nahmen junge Burſche, die ſich aus der Menge entfernt, um ihren weihmüthigen Schmerz nicht zu verrathen, Abſchied von rothwangigen Dirnen, oder fLüttelten muthig · lächelnd, aber die innere Wehmnth verbergend, den Schweftern, Vätern und Müt- tern bie Hände, tröfteten fie und. fprachen vom Wiederfehren mit Beute beladen. Andere wieder zogen in ben zahlreichen an grünen Kränzen erfennbaren Schenkftuben, die zum Erdrüden gefüllt wa- ren, ein und aus; bie Schentermädchen reichten lachelnd, kreiſchend, ſcheltend, je nachdem ihnen Scherz oder Zudringlichkeit geboten wurde, bie gefüllten Krüge den Herren Soldaten Hin. Diefe wieder ſchwenlten die vollen Gefäße über ben Köpfen und Tießen den König, ben Kelch und dem Heiligen Märtyrer Huß eben. Unter dem Bogengange zunächft der Teinkirche ftand ein Huffitie - cher Prieſter im Kreiſe von Bürgern umd Kriegern, erflärte ihnen die Wichtigkeit der Compactaten, beivies ihnen bie Uurechtmäßig teit des Papftes und die Schäublichleit bes neuen Kreuzzuges, ſchalt die Enrie und den römischen Antichriſt. Die Zuhörer horch- ten anbädhtig zu, ‚nidten Beifall, und Bier und da ſprach eine

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erinnerte mich dunkel, ſelbſt fo etwas an mir erlebt zu haben. Ich bat ben Alten, mir die Burg mäher zu beſchreiben, wo er vorbem gelebt unb zu ber Zeit, als ihm der Bube eutfloh. Es war Drhobel, berichtete ber Alte, eine altabelige Herrſchaft; dort war er eine Zeit lang Untervogt. Er beichrieb mir die Lage des Schloffes, das Gebäude, den Hof, bie Rennbahn, den Marſtall und die Tränke, endlich eine himmelhohe Tanne neben dem Wall, welche jein Junge äftere mit Lebensgefahr Hinangeffettert, um ans dem Wipfel junge Krähen zu bofen, welche daſelbſt nifteten. Dies durfte ber Junge nur heimli tun; denn ertappte ihn ber Alte, fo erhielt er eine Tracht Prügel, um ihm bie Luft zu ſolchem halsbrecheriſchen Unfuge zu benehmen. Es war gerade at einem Tage, wo Jalkub's Rüden mittelft einer Hetzpeitſche geftrichen wor · den war, was ihn fehr verdroß, als bie Werber worüberzogen. Der luſtige Burſche miſchte ſich unter fie, machte fi mit ihnen vertraut, umb fieh’ da! die Werber zogen Mittags fort, und Abends folgte ihnen insgeheim ber Burſche. Seine Entfernung murbe erft wahrgenommen, als der Alte, ber nach einem entfernten Maierhofe geritten war, ihn am folgenden Tage vermißtee Er ſchickte einen reitenden Boten den Werbern nad, aber and hier war ber Burſche nicht zu finden; vermuthlich Hielten fie ihn, auf eine Nachforſchung gefaßt, verborgen. Er eilte jetzt felbft nach fand ben Sjährigen Burſchen bei den Huffiten, bat und flehte; aber ber Junge ſchien ihn gar nicht wieberzufennen, fpielte mit Waffen und fieß nicht Halten. Und fo war e8 au, bei Sanct Benceslan! Denkt Euch, Herr Ritter, der Jakub, ber Teufels- junge, Bin ich! Das wärbet Ihr mir wohl jegt night anſehen t aber es ift richtig fo. An den Prügeln umb ber Taune mit bem Krähenneftern Hab’ ih mic erfannt. Später in den Stürmen des Krieges habe ich der Burg, wo ich geboren, bes Abfchiebes und ſogar was nicht recht mar meines Vaters vergeffen. Ich Hatte im Schlachtgewühl freilich an andere Dinge zu denken.“

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„Glüdlicer Menſch!“ gegenredete Vratislav mit Wehmuth. „Du: findet, wo id; verliere. Aber hab’ Acht, daß Dir micht eben fo ſchnell wieder des errungenen Schatzes beraubt wirft!”

„Wie Gott will!“ entgeguete Sukol; „hab' ich bod dem alten Manne eine große, vielleicht bie letzte Freude gemacht! Ihr hättet feinen Jubel fehen follen, da ich mich zu erkennen gab. Ich glaube, ih habe felbft geweint. Der Alte war ganz glüdtic, einen Sohn zu Haben, und vollends einen, der Ritter if. Es freute ihn jetzt ordentlich, baf ich ihm damals bavongelaufen war; deun bei ihm Hätte ich's höchſtens zum Troßbuben und fpäter zum Knete gebradt. Er meinte auf einmal fo viel, wie ich es mein Leben lang nicht gefehen. So waltet Gott, und wir follten deshalb Heute nicht Magen, weil es morgen ganz an⸗ ders und beffer werben fan.“

„Ein ſchöner Troft, ein guter Troſt!“ gegenrebete Vratislav; „wur daß ber Menfch oft zwifchen dem Heut. und Morgen zu Grunde geht.”

Der Ritter von Neuhaus und Oheim Zdenko "kamen durch den Hanptgang im lebhaften Gefpräche auf die Beiden os. Neuhaus hielt ein Schreiben in der Hand,

„Es if entfchieben,“ ſprach er, gegen die Aufmerkſamen ge- wendet, „Bapft Paulus der Zweite, des Aeneas Sylvins wlür- diger Nachfolger, hat den Kreuzzug zuſammengebracht. Ganz Deutſchland bewaffnet fi gegen uns und zum Bertilgung bes Ketzerthumes. Dan hat unerhörte Anftvengungen gemacht; dies · mal, glaubt man, müffen wir unterliegen. Ein liſtiger Feind iſt todt in ber Perfon jenes Pius; aber ber neue Kopf, ber ber Oyder gewachſen ift, dürfte noch ſchlimmer fein, als ber alte. Der heilige Mann ift nichts weiter, als ungefüm, boshaft, blut · gierig, unwiſſend und ein Feind jeder Aufklärung und RNeuerung. Sein Nuntius, Bifchof Rudolph von Lavant, hat erflärt, das Concilium, weldes fi zu Baſel über das Oberhaupt ber Kirche

zu ſetzen erfrechte, habe zwar die Eompactaten betoilligt, aber fein Pop, als Stellvertreter Ehrifi habe fie beſtätigt. Der Hei ige Bater allein könne über Keterei urtheilen; denn nur er fe nutrũglich. Jeder ketzeriſche Rönig fei gottlos, atſo and Georg; ein Gottloſer aber könne nur menſchen · und religiousverderbend herrſchen, alſo müfle man gegen ben Menſchenverderber, da Got- tes, das Heißt des Papftes, Wort micht mehr Hilft, mit irdiſchen Waffen zu Felde ziehen. Dies find die Worte der Bannbulle, welche er troß ber Gegenvorfielungen einiger braven Yürften Euro- pa's gegen Böhmen und unfer Bolt geſchleudert.“

„3a, das ift ber alten, bintigen Nachtenle eigenes, liebliches Geträchz!“ fügte Zdento ingrimmig hinzu. J

„In wenig Wochen iſt der Feind am unſern Grenzen,“ ſprach Neuhaus ernft und feierlich, „und es gilt num, zu zeigen, daß Böhmens Söhne noch das alte Mark in den Knochen Haben, daß der Sieg noch immer unfere geweihte Kelchesfahne umrauſcht.“

Hab’ Dank, himmliſcher Vater,“ rief Vratislav aufiprin- gend in Begeifterung, „für diefen Stern nad; langer Naht! Das Leben wird wieder jung und ich weiß, warum ic} noch leben ſoll.“

„Die ſchöne Zeit kömmt wieder,“ ſprach Sukol freudig, und fein Ange Ieuchtete, „die fchöne Zeit für uns, bie Höllenzeit für die Papiften! Aber fie wollen fie felbft Haben wohl ihnen! Unfer König war lange ein guter und fliller Mann; ein Anderer hätt! nicht fo lange an fich gehalten. Nun fangen fie felbft an, bie Bluthunde, die Schurken von der gefhornen Glatze. XHeibil freue Di), alte Seele! Zitterſt Du in der Scheide, mein ſchartiger Haudegen, und ahnf den Tanz, zu welchem Da auf fpielen ſollſt? Die Welt wird wieder jung wohlgeſprochen! und Iebendig. Die Menfchenkindlein rühren ſich, und die Alten unter der Erbe, die Erfchlagenen, fangen an fi zu regen, da fie hören, daß der Strauß wieder anfängt für ben Kelch und das Vaterland, Des alten dizta Trommel, ich mocht' drauf ſchwören,

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drößnt laut, und bie Prokope reden bie Glieder in bem Grab unter jenem Baume und möchten fo gern wieber auferfichen. Ber Gott! ihre Geifter, die Geifter der Erfchlagenen von Hib, alle werben mit ung fechten im den erfien Schlachtreihen; denn es iſt ein großer Tag, umd der Sieg wird. unfer fein.”

Bei Sanct Johannes und feinem Feuertode!“ fiel Zdenko ein umd ergriff freudeleuchtend anfblidend Sukol's Hand, „ber Sieg wird unfer fein. Die große Zeit lehrt wieder, bie alten Adler, fo ruhig umd ‚matt vordem in ihren duſtern Horſten fahen, ſchutteln die Flügel, atmen auf ein fchöner, reiner Gonnen- ſtrahl ift am Himmel emporgebligt; er Füßt ber Ahler Augen, fie breiten die Schwingen aus und ftürgen fi kühn herab auf die raufchende Erde. O Baterland, Vaterland, vielleicht ſchlägt diesmal Deine goldene Morgenfiundel Aber find wir auch würbig, den ſchönen, freien Tag zu erleben ohne die Helden, welche für ums, das Meinere Geſchlecht, verbinten mußten ? Ber- dienen wir e8 auch? O lönntet Ihr noch leben, Du, Vater Zijta, Du, großer Prokop, und Du fein Namensbruder, Bruber zugleich feines -Ruhmes! Eilter Wunfh! Der Herr läßt die Bäter ſaen und nad; ihrem Tode erft die Kinder erndten. Gein Heiliger Wille gefchehe 1"

„Ich glaube,“ nahm Neuhaus ſich aufrichtend und begeiftert vor fid hinblickend das Wort, „mein Schwert Hingt dort im Waffen- faale und ruft auch mi. Dann muß ich freilich folgen!” Er deutete bei diefen Worten nad) den Bogenfenftern des Erdgeſchoffes hin.

„fo and; mein Ofeim?" rief Vratislav erflannt; „Du, fo kant, von Leiden und Schmerzen niedergebeugt?“

„Ich kenne keine Krankheit,” war bes von Neuhans Aut wort, „wenn das Vaterland frank iR; id; kenne keinen Schmerz, wenn mein Bolt bintet unb mein Glaube bedroht wird. Ich ziehe mit Eud, nicht als Feldherr diesmal, nur als gewöhnlicher Streiter; benn ber König ſelbſt ift unfer Führer, und feine heiben-

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müthigen Söhne ftehen ihm zur Geite. Mber ich werbe mit glei» er Kraft kampfen wie. jemals, und mit größerer, als ich gegen die verbiendeten Blaubensbrüder focht. Ich ſollte es damals vielleicht mit, und umfer Triumph wäre uns früher geworben. Bergefien wir das I"

„3% Habe mir früher fo oft ben Tod gewünſcht,“ ſprach Bratislav von feliger Freude burchgläht, „und wie ſchäme ih mid) jegt des kindiſchen, thörichten-Wunfches! Du ſprachſt wahr, mein getrener Sulol: Wir jollen am heutigen Tage nicht trauern, weil der morgige Alles zum Beſſern wenden fan.“

Auf dem altftädter Ringe verfammelten fi die Heerhaufen sur Mufterung. Neuhaus, die Beiden von Techtie und Sutol zogen unter jnbeindem Hörnergeihmetter an der Spige ihrer Fahnlein ein, Die caliztinifgen Ritter und Herren boten Alles auf, dem gerhrten, von ben Umftänden ewig gedrängten und doch ſtets ritterlich ausharrenden Könige eine bebeutende Streitmacht zuzuführen. Gut gerüftet, vom beften Geifte befeelt, für deu Glau- ben, wie für ben Ruhm ihrer Bäter glühend waren die Krieger.

Der ganze Riug war wie mit Truppen von verſchiedenen Trachten und Waffengattungen befäet. Die Städter mengten ſich unter die Reifigen vom Lande und bdeuteten freudig nach dem Portale der Teintirche empor und zeigten ihnen das coloffale Standbild bes Könige Georg mit Kelh und Schwert in ber Hand. Bon den Thürmen tönte Glodengeläute, an ben Altären theilten bie Priefter das Abendmahl unter beiberlei Geſtalt aus, von den Kanzeln prebigten andere und riefen zu ben Waffen, beteten um Kraft und Muth für den heiligen Krieg zum Schutze

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des Glaubens und der Nationalfreiheit. Eine hohe Begeiſterung ‚gab fi überall fund. Ju die Reihen der Krieger drängten ſich Bürger, Frauen und Mädchen. Sie zeiten den tapferen Söhnen des Baterlandes Speife und Trank; bie Iungfrauen wanden ihnen ‚Schärpen um die Schultern und zierten ihre Helme mit Blumen ſträußern. Wie fonnte e8 anders kommen, als daß Böhmens Helbenföhne für ben uenen Rettungskampf freudig entbrennen mußten! Alle Fenſter waren beſetzt; Tücher und Fahnen, auf defteren ber böhmifche Löwe, wurden herabgeſchweult. Ranonen- donner halte vom Schloſſe die Reihen orbneten fih zu drei Seiten am Markte bie vierte gegen den. Heinen Ring und bie Brüde zu blieb geöffnet. Bon .diefer Seite follte der König tommen. Bald darauf erſchien er.

Er foß Hoch zu Roffe, war vollommen gerüftet, die Sonne glänzte im Silber feines Harniſches und der blanfen Schienen, ein weißer Mantel ummallte die Heldengeftalt, ein weißer Buſch flatterte um den Hohen Helm, beffen Kamm ber böhmiſche Löwe zierte. Stolz trug ihn der ſchueeweiße Heugſt. Sein Antlig ſchien blaß und befümmert; aber ein Strahl der Freude zuckte darüber, als er die Schaaren feiner Streiter überblidte und lautes Hurrah und Hörnergejhmetter ihn empfing. Die Fahnen wurden ge ſchwenkt, die Waffen Mirvend an einander geſchlagen, der Jubel ſchallte donnernd zum Himmel empor.

Neben dem König ritten feine beiden Söhne, Heinrih und Bictorin, in goldenen Rüftungen, jugendliche Heldengeftalten mit feifchen, offenen Gefitern, in welchen die Kampfesluſt bligie. Prädtig geſchmückt und mannigfach geräftet umgaben. den König die oberften Feldhauptleute, darunter greife, doch noch kräftige Männer, die fon in den frühen Huffitenfämpfen gejochten dann folgte fein Hofflaat und die Leibwache.

Der König vitt umler fortwährendem SKanonendouner und Glodengeläute mit feinem Gefolge langſam, rechts- und linte«

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Hin grüßend, in das Wiered, deſſen letzte, offene Seite jeine Leib wache fperrte. Die Truppen fenkten ihre Waffen zur Begrüßung. Im der Mitte des leeren Raumes zog Georg fein. langes Schlacht ſchwert, ſchwenkte es dreimal um fein Haupt, feine Krieger und das an den Feuſtern, anf den Hansborfprängen, Geflmfen und Dädern verfammelte Bolt begrüßend. Ein lauter, Himmelanjand- gender, dreimaliger Jubelruf antwortete ihm die Hörner‘ ſchmet · terten darein. Gr winfte mit der Hand, umd eine Todtenſtille erfolgte, daß man nur das Glodengelänte wie über der Ruhe eines Kirchhofs vernahm. Die Reihen an der Geite ber Tein- fire öffneten fi, und von den Hohen Stufen der Hanptpforte ſchritt Rotyeaua im erzbiſchöflichen Ornate, gefolgt von ben Domerren, Brieflern, Aiumnen umd der ganzen cafigsinifchen Elerifei, den Ständen, Gtaatsbeamten, Richtern, Standesherren, BVrofefforen, Rathsherren und andern Dignitarien des Reiches und der Stadt, Ianglam und in’ feierliher Haltung herab.

As der König den oberflen Priefler des Kelches umb fein Gefolge gewahrte, ftieg er behend vom Rofje die Uebrigen folg- ten feinem Beifpiele.

Georg trat einige Schritte vor ihm näherte ſich der Erzbiſchof mit dem Kelche; ex fegnete das Brot und den Wein und reichte ihm dauu Beides. So nahm der reditglänbige König im Angefichte feines Volles unter freiem Himmel bas Abendmahl unter beiden @efalten.

Auf ein Zeichen, weldes vom Rathhausthurme durch eine Flagge gegeben und vom Schloßthurme wahrgenommen uub er- wiebert wurbe, erfolgten zehn Ranonenfchüffe vom Walle, und bie Prieſterſchaft fimmte unter Glodengeläute das To Deum lan- damus in bögmifder Sprade an.

Als der Gefang geendet, erhob fid der König von feinen Knien das Gefolge that desgleihen er ergriff den Kelch mit der finfen, das Schwert mit der reiten Hand, erhob beide.

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gegen die verfammelte Menge und rief: „Bott-fei une gnä- dig in.dem Rampfe für den Keih und das Bater- land! Amen!”

Und die Menge fimmte unter Glodentönen und Hörner- begleitung das gewaltige Kirchen⸗ · und Schlachilied:

„Hospodine, pomiluj py l“ (Herr, erbarme Di!) im lauten, feurigen Ehorale an.

Nachdem diefer geendet, flieg der König wieber zu Pferde und ritt langſam, von feinen Söhnen und ben SKriegsobriften begleitet, an ben Reihen der Krieger Hin, bier und dort freund» Hd grüßend, belobend, ermuthigend. Als er am die Stelle der Teinfiche kam und Neuhaus nebft Zdenko, dann Vratislav, Su- tol, feine Retter, an ber Spitze ihrer Fähnlein fah, ſtieg er vom Rofje und näherte fi den Anführern.

nSei mir gegrüßt, Meinhart!“ ſprach er freundlich zu Neuhaus, „um fo Herzlicher gegrüßt, als ich Dich nicht erwartet. Der frühere Feldherr der Ealirtiner, der vorige Kanzler des Reir es führt mir num felbft eine eigene Schaar zu. Bei Gott! bie Zeit ift nicht alt geworden für bie Freundſchaft, auch micht für die Liebe zum Glauben und zum Vaterlande. Ich weiß nicht, ob Du Did feither ans Unluft am Frieden während meines Glüdes, wenn foldes Regiment ein Glüd zu nennen ift, zurüdgezogen; aber in Noth bift Du wiebergefehrt das ift edel, das ift groß! Und Du, Zdento von Techtie,“ wandte er ſich zu dem Näd« fen,“ biſt Du auch Hier, täffer den jegigen König nicht entgel- ten, was eim früherer verſchuldet hat die heilige Sache ver- eint uns Ale in unfern Beftrebungen. So muß es fein!” „Bratislav,“ fuhr er freundlich lacheind gegen diefen fort, „Du

„ebelmüthiger Schwärmer, feindfiher Freund! es ift doch gut, daß Du mid damals nicht vom Throne geſtoßenz jegt hättet Ihr den Krieg im Lande, den mädjtigen Feind vor den Thoren, nur

ſchern (mlatci), jener aus den früheren Huffitenkriegen her berüßm- ten und mit eifernen Dreſchflegeln und Stacheikeulen gerüſteten Waffengattung.

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Er richtete an jede Abtheilung freunbfidjegrüßiende nud er- muthigende Worte. Durch lauten Jubelruf antwortete ihm überall die Stimme der Begeifterung.

Nachdem die Heerſchau beendigt, ritt der König unter Ra- nonenfalven nach dem Hradöin zurüd. Die Krieger lagerten bier fen Tag und die darauffolgende Nacht im Freien, um am näd- ſten Morgen in ben genannten vier Abtheifungen nad) der füd- weſtlichen Grenge aufzubrechen.

Feuer loderten auf bem altfläbter Ringe ımter den dam pfenden Keffeln; auf dem Pflaſter lagerten Soldaten im Kreiſe, bie Schuſſel und die Flaſche gingen von Hand’ zu Hand. Einige fangen vaterländifche Fieber, andere - würfelten; hier pugte Einer feinen Harnifh blank, dort wurden bie Pferde geffriegelt oder friſch beſchlagen; umter den Arkaden, dem Rathhaufe gegenüber, nahmen junge Burſche, bie fi aus der Menge entfernt, um ihren weichmüthigen Schmerz nicht zw verrathen, Abſchied von rotbwangigen Dirnen, ober fehüttelten muthig-Tächelnd, aber bie innere Wehmnth verbergend, den Schweftern, Vätern und Müt- tern bie Hände, tröſteten ſie und ſprachen vom Wicberfehren mit Beute beladen. Andere wieder zogen in ben zahlreichen an grünen Kränzen erfennbaren Schenkftuben, die zum Erdrüden gefüllt war ren, ein und ans; bie Schentermäbchen reichten lachelnd, kreiſchend, ſcheltend, je nachdem ihnen Scherz oder Zudringlichkeit geboten wurde, bie gefüllten Krüge den Herren Soldaten hin. Diefe wieber ſchwenlten die vollen Gefäße über den Köpfen und ließen den König, den Kelch und den Heiligen Märtyrer Huß leben. Unter dem Bogengange zunähft der Teinkirche ftand ein huſſiti - ſcher Priefter im Kreife von Bürgern und Kriegern, erflärte ihnen die Wicjtigfeit der Compactaten, bewies ihnen die Uurechtmäßig · keit bes Papftes und bie Schänblicjkeit bes neuen Kreuzzuges, ſchalt die Eurie und den römiſchen Antichriſt. Die Zuhörer horch- tem andädtig zu, ‚nicten Beifall, und hier und da fprad eine

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gebämpfte Stimme: Wir haben Recht! Es iſt ſchändlich! Wir möügfen fiegen, wenn Gott gerecht if! An der Ede der Straße, melde zum Carolinum führt, Batten auf zuſammengeſchobenen Mortttifen die Spiellente, die Trompeter und Hornbläfer Platz genommen und bliefen abmwecielnd eine Fanfare oder die Weiſe eines aufregenden, begeifternden Schlachtgeſauges, in welcher die herumftehende Menge: Krieger und Bürger, Kinder und Weiber, denn diefe alten Gefänge, bie, Erinnerungen ber Heldenzeit, waren Eigenthum des Bolfes- gergorden fingend einflimmten. Ein Zug in Papiermügen und Meßgewändern pofienhaft ge eideter Knaben drängte fich, bunte Fähnlein ſchwenkend und eine latholiſche Kirchenmelodie fpottweife nachahmend, duch die Menge. Mar geb ifuen Raum. Sie Irugen eine ausgeſtopfte, mit einem Meßgewand behangene Puppe, melde den Papft vorſtellte. Auf dem Haupte hatte fie eine große Papiermüge. flatt der Tiara, worauf ein Tenfel gemalt war, mie man ſolche den zum Feuer - tode verurtheilten Ketzern aufzuſetzen pflegte. Einer der Knaben ſtellte den Teufel vor; er hatt: fein Geficht beruft und auf bem Kopfe ein zottiges Ziegenfel mit ſchwarzen Hörnern. Nachdem fie fih in einen Kreis gefellt, Hielt der “eine, als hufſitiſcher Priefter gelleidete Kuabe ‚eine Schimpfrede an ben Repräfentanten bes Papſtes, melde von Taptem Gelächter der Umftehenden begleitet wurde. Dreimal richtete er an ben Papft bie Frage, ob er ſich belehren, ob er nur Gostes Diener und nitt fein Stellvertreter fein, ob er den Galiztinern dem freien Genuß bes Kelches geftat- ten wolle? Als aber der Papft verftodt auf alle dieſe Fragen ſtill ſchwieg, da wurde er mit. feierlichem Ernfte dem Teufel über geben. Diefer nahte fi im einigen Bocksſprüngen, ftieß ein fürchterliches Gebrüll aus, ergriff die Puppe, melde die Andern fohren gelafien, gab ihr mehrere Heftige Maulfchellen, daß die Bapiermüge auf ihrem Kopfe wadelte, und begann nun einen raſenden Tanz mit ihr, welcher von dem Gefange feiner Genof-

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fen einem verrufenen Wirthshausliede und dem fallenden Geläiter ber Umftehenden begleitet wurde. Inzwiſchen hatte man einen Meinen Scheiterhaufen errichtet, und als dieſer Hell auflor berte, nahm man den Papft Pauls 'nod einmal in’s Gebet; er wurde unter verſchiedenen Grobheiten nod einmal befragt, ob er fi beffern wolle, und als er jet abermals ftumm blieb, unter raſendem Gejauchze in die Flammen geworfen. Bon Freude trunken war die Menge, jauchzte, lachte, ſchrie und zollte vor Allem dem verfleideten Teufel wegen feiner Tapferkeit und furcht- baren Haltung raufhenden Beifall. Man warf nad beendigtem Schaufpiel Münzen und Fruchte, Kuchen Kolatſchen unter die patriotifche Jugend und zeftvente ſich wieder, nad einem an- dern Punlte fih binwendend, wo ein neues Schaufpiel im Ein- Hange der Zeitumftände die Aufmerkſamkeit anlodte.

Durch die Reihen ber Lagernden auf und ab fihritten die Verkäufer und boten Bier, Wein und Buttermilch, Fleiſch, Brot

und Obſt aus. Das Gelärm, Geſchrei, Geſumme, bie Hörner

Hänge und Gefänge dauerfen bis tief nad Mitternacht.

Die Ritter von Cechtie und Sutol, welche ſich auf ihrem Stanbplage vor der Teinfirhe mit ihren Fäßnlein gelagert Hatten, waren auf kurze Zeit nad der Meinen Seite hinfbergeritten, um im Haufe der Zeöwicer einen Beſuch abzuftasten. Lange Hatten fie die Freunde nicht gefehen, und ber legte Ahſchied war ein ſchmerzvoller geweien. Freudiger follte das Wieberfehen fein. Sie trafen Niemand als den Kaſtellan zu Haufe, welcher fie bes ſchied, daß die Ritter ſchon Vormittags nad dem Schloſſe ger gangen feien. Sie dort aufzufucen, war die Zeit zu lurz; fie mußten vor fpäter Nachtzeit wieber bei ihren Reifigen eintreffen, und fo ritten fie mißmuthig über die getänfchte Hoffnung nad dem altftäbter Ringe wieder zurüd. Es war fon ziemlich fpät, umd die größte Froͤhlichkeit unter kriegeriſchem Geräuſche herrſchte im Lager. Bratislav faß neben Zdenko nicht fern von einem

.30 ih ziehe and mit,“ fprah enbiih, Witten;

Abſchied von der Schwer and Wen, bie id liebe; aber das Vaterland ruft. Und wie erging es Dir? Wie lebtet Ihr Me? Ihr Habt unS lange ohne Kunde gelaffen.“

„Sieh' dieſe beiden Trauerſchärpen,“ verfeite Vratislav, auf dieſelben deutend; „fie neunen Dir meinen doppelten Verinſt. Ich Babe viel verloren; aber das Baterlaud wird mir Erſatz leiſten. Ich fliege frenbendurchbebt zum Kampfe; doch Du mußteſt Dich ans liebenden Armen losreißen. Ich habe nichts zu verlieren Du viel. Dein Opfer ift größer; ja, mein Freund,“ fuhr er feufzend fort, „das Unglüd lag nicht fill, feit wir uns zum fetten Male fahen. Doch warum bie Erinnerung anffriichen im diefer ſchͤnen Stunde des Wiederfehens, Wermuthötropfen hinein. träufeln im ihren füßen Kelch? Wo ift Deine Schweſter mo ift Elifa, bie holde, milde, fröhliche Elife, die glüdfihe Eliſa, weil der Frohſiun ihr fleter Schubengel in Wo iR Dein Bater? Wie lebt der edle, ruſtige Greis?“

„Sie iſt in Slatina, anf meiner Burg,” beſchied Rifias, „mit einem Holden Findliug, den id; in meinen Schug genommen. Ein ehrenfefter Ritter freit fie, einer vom Sandberg, aus unfern

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älteften Geſchlechtern. Er liegt jetzt frank barnieber an einer Fuße wunde, die er auf der Jagd erhalten; fonft wäre er mit une gezogen. Doch folgt er gleich nach feiner Genefung. Da wird's auch Thränen geben bei der Fröhlichen. Der Bater frägft Du? if auf dem Schloß im NKriegsrath ; er wird im Gefolge des Könige in's Feld ziehen.“

„Auch der Edle von Neuhaus,“ ſprach Sufol dazwiſchen und ſuchte ſich dem. Zeswicer bemerkbar zu machen, „iſt während Eurer Abweſenheit mit Ritter Zdenko nach dem Schloſſe zum Könige beſchieden worden, vermuthlich zum Kriegsrath, als erfahr- ner Held von früheren Zeiten her.”

„Sufol Ritter Zdenko,“ tief‘ Niklas, Beiden die Hände reichend, „auch Euch ſeh' ich wieder! Nun find wir Alle wieber vereint zu gutem und, will's Gott, glücklichem Werte. Jetzt fechten wir vereint für. das Vaterland, und haben wir ihm den Frieden errungen, dann labe uns die Ruhe in den Armen ber Geliebten und der Freunde!“

„Richt nur den Frieden,“ warf Bratislan feieruich ein, „auch die Größe bes Vaterlandes wollen wir erfämpfen, Uebermacht umb Oberhoheit, Zucht und Schreden im Auslande und freies Walten des Glaubens im Innern, ein großes Böhmen, felbft- ſtandig, abgeſchloſſen, unvermiſcht mit fremder Zuthat. Und einen König wollen wir bann Haben, ben ganz Europa ben Großen, den Erſten nennt“

„da, das wollen wir!“ fiel fenrig Zdenko ein, „und barum haben ſelbſt Greife aus ber Halle ihre roftigen Harnifche geholt und find in bie ſchwere Wucht hineingekrochen, melde ihre mor- fen Glieder kaum noch tragen wollen, aber müſſen, weil ber große Augenblid gelummen. Jegt oder mie!“

„Gott geb’ ung Allen Heil,” rief Niklas, „und aud den Friedlichen, die im Frieden wandeln, feinen Segen! Er wird, er taun's zu Ende bringen, wie e8 uns frommt.“

Herloßfohn: Der lebte Zaborit. IT. 12

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Eine Karthaune, die zunächft der Hauptwache rechts vom Teinhof neben der gewaltigen Heerfahne aufgepflanzt war, erkrachte plöglid ; Feldteommeln raffelten; es war das Zeichen zur Ruhe. Das Bott zog ſich zurüd die Krieger fuchten ihre Lagerflätten.

„Lebt wohl!“ ſprach Niklas und ſchuttelte den Freunden bie Hände; „morgen fehen wir uns wieber oder auf dem Seereszuge, und wenn ba nicht, fo in der Schlacht. Grüßt mir ben eblen von Neuhaus."

Gute Naht!“ verfegte Bratislan; „träume- vom dem Le- benden, Freund, und von dem Liebesarmen. Ich wünſche Dir all’ das Glüd, was ih verloren l

„Schlaft wohl, Ritter!" ſprach Zdenfo und Sulol.

Sie trennten fih. ‚Niklas eilte die Reihe linke hinab zur heutigen Zeituergafje und von da nad) dem Königehof, wo er lagerie.

Na) und nad) wurde es ruhig auf dem weiten Ringe; der Platz war im Scheine des nächtlichen Himmels nud ber ver- glimmenden Fener wie ein unermeßlicher Kirchhof anzuſchauen, mit dichten Grabhügeln befäet; die Schläfer waren Hier ruhig wie bie Todien; mur athmeten fie. Aber bald, fehr bald foflten auch viele nicht mehr athmen und unter noch einem weitern Kirchhof ſchiummern auf der bintigen Wahlfiatt.

Kaum tönte noch hier und da eine Stimme ober gebämpf- ter Zuruf, dann wurde es fill; allmälig umfing der Schlummer Ale. Um zwei Uhr ging der-Mond über dem fpigigen Rath- hausthurme auf. Weiße Wolfenftreifen zogen ihm voran, bie fein Sicht vergofbete. Einige, die nicht geſchlummert, wollten am Himmel, mitten in den leuchtenden Wolfen, den heiligen Bencesfaus " bo zu Roffe und gewappnet, mit der weißen Fahne, an ber Spige der Ritter vom Berge Blanif, welche wie die Sage meldet feit jenem Unglüdstage, dem Tage der Schmach bei

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HEib, in ben Blaniker Berg verfhloffen find, um wieber zu er- feinen, wenn es gilt, das Vaterland vom Untergange zu befreien umd feine Wiedergeburt zu erkämpfen,; gefehen haben, als Bor- botſchaft des fünftigen Sieges.

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Auf den zmei Straßen don‘ Waldmünden und Mosbach tüdte das Kreuzheer in Böhmen ein. In ben Bergfſchiuchten über Teinitz, das in einer Ebene liegt, follten die beiden Abtheilungen zu einander ftoßen. Sie lagerten auf den Abhängen, Berggipfeln in ber Gegend ber fleben Berge und den bazwifchen verfireuten Ebenen.

Georg kam in Eilmärfhen über Beraun und Pilfen. Er lagerte fih, einen Halbmond befchreibend, vor den Bergen rechts vom Städten Teinig, fo daß ber Ort dem Feinde im Rül- ten lag.

Die Sonne ging auf und prefte die filbernen Morgenne · bei in die Thäler; nur von den vergoldeten Höhen bligten bie Rüftungen und Waffen der Deutſchen. Ms ſich die Gegend ge- tichtet, fah man jenfeits die Huffiten in einer unabfehbaren Reihe in drei Treffen tampfgerüftet aufgeftellt. Die beiben Flügel deckte die Wagenburg, neben berfelben hieft auf beiden Seiten bie Rei- terei; den Kern bildeten die Dreſcher. Noch aufer der beiden Enden des Bogens ſchwärmten bie Bogenſchützen und leichten Arkebufiere. Die Kanonen hielten im Centrum, jedoch im Hin⸗ tertreffen..

An ber Spige ber Reihen war jett König Georg zu ſchauen, in feiner blanfen Rüftung, hoch zu Roffe, umgeben von feinen Söhnen und den Peldhauptienten. Ein greifer Huffitenpriefter

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eilte bie Glieder entlang, den Kelch im ber Hand, uud fegnete die ſchlachtmuthigen Krieger.

Georg deutete rechts und liuks Sin, gab Befehle und fcjil- derie ben Plan des Angriffe. „Bir wollen deu Angriff nicht abwarten,“ fprad er, „wir wollen angreifen; benn aus feinem Baue geht der Marder nicht gern.“

Nehts- und Iinfehin fprengten bie Führer und ſtellten fich an die Spitzen ihrer Abtheilungen. Bratislaw, Zdenko und Su- tol, welche leichtes Fußvolk anführten, waren beorbert, die Höhen zur linten Geite mit bem Schwert in ber Fauſt zu nehmen.

Der König zog jetzt fein Schwert, ſchwenkie es gegen fein Heer, und les fiel auf die Knie, und während Georg die Reihe entlang hinunterritt, erſcholl von taufend umd abermals tauſend Kehlen der erhabene Schlachtgefang:

„Vyieh Nömce,

„Cizozemce,

„Bvaty Väciave!“

(Treib die Deuiſchen 'naus,

deil ger Wencesians I) Der König zog fih in das Centrum zurüd, BVictorin fprengte an den reiten, Heinrich am deu linken Flügel, welche fie an- führten.

Das gewaltige Schlachthorn ertönte, daß fein Klang meilen- weit durch bie Lüfte ſcholl und aus dem Kläften und Felsthälern wieberhallte. Die Fahne des Kelches wurde aufgemwidelt, fo auch die beiden an ben Flügeln mit dem böhmiſchen rothen Lowen, und flatterten wie Schwäne, welde fi, die Bruft biutig, "ge- rigt in der blaulichen Luft.

Die Deutſchen blieben ruhig in ihrer Stellung neben und inter deu Kanonen auf ihren Anhöhen. Gegen ben Kerm ihres Fußvoltkes, weldes, durch mehrere Karthauuen geſchützt, die Breite einer weiten Thalſchlucht einnahm, begann jet die böhmiſche

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Heiterei beim dritten Signale des Heerhornes den Angriff. Go ſchutzt durch fie, drangen in ihrem Rüden die Scharſſchützen vor amd lehnten fi unter bie fleilen Anhöhen.

Der Angriff war wild und der böhmiſchen Tapferkeit wür- dig. —. Die Reiterei brad durch das grobe Geihüg und trieb das feindliche Fußvolk eine Strecke in das Thal Hinein; aber eine zweite Reihe von Kanonen ſchlug in ihre Glieder und nd- thigte fie zum Rüdzug. Gr erfolgte im großer Ordnung. Unbe fonnen drang ihnen der Feind nad) in die Ebene Bier aber wüthete das Geſchoß der böhmiſchen Scharfihägen von der rech⸗ ten und linfen Seite in ihren Gliedern, unbefümmert um bie Schüſſe und Gteinblöde, welche vou den Anhöhen herab unter fie fielen. Die Reiterei der Huffiten theilte ſich in dieſem Augen- blicke in zwei Haufen, fo daß in ber Mitte Raum wurde, und Heß ihr Geſchütz hindurch, weldes nun ein mörberifhes Fener gegen dem aus feiner Schlucht Hervorgebrungenen und in ihr feh- geſtemmten Feind richtete. In dieſem Augenblick entluden fich bie Höhen; ber Feind ſtürzte herab, und das Treffen wurde all- gemein. Auf bie Huffitifche Reiterei warf fi die deutſche, welche trotz des Feuers der Böhmen von den Geiten ber Berge ſich berbeigezogen Batte, und gerieth mit ihr in's Haudgemenge. Die böhmifchen Kanonen wurden zurüdbeorbert. Das leichte Fuß- volt ſollte während dem die äußerſten Anhöhen nehmen. Auf der linken &eite ſtürmten Vratislaw, Zdenko und Sulol mit ihren Männern. Zwiſchen den beiden kämpfenden Reiterabthei- Hungen drängte fi nunmehr die Unzahl des deutſchen Fußvolles Hervör, gerade gegen das Centrum der Taboriten, um baffelbe durchzubrechen und gegen feine eigenen Flügel zu werfen. Jetzt gaben die Hörner ben Dreſchern das Zeichen zum Angrifj. Wie eine eherne Mauer bewegten fie fi mit hochgeſchwungenen le gein vorwärts, unbefümmert darum, daß bie feindlihen Schüffe Einzelne nod) vor bem Angriffe miederfhmetterten. Die Dent-

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ſchen bildeten eine dichte, vielfache Reihe mit vorgehaltenen Lan zen und Gewehren. Je näher die Dreſcher ihrer Linie kamen, befto raſcher ward ihr Schritt, und endlich erfolgte im raſchen Anlauf der furchtbare Angriff. Mit Wuth fehlngen fie unter bie feßgehemmten, verzweiflungevoll ſich wehrenden Deutſchen ein. Während dem tobte reits umb Hnfs der Kampf. Zweimal wurde die deutſche Reiterei zurucktzeſchlagen; fie wagte, von ben Hügeln im Rüden gefhügt, einen dritten Angriff. Bictorin und Hein⸗ rich ſchidten ihr Volt zum britten Male in's Feuer.

Bratislaro war der Erſte, welcher die fleile Anhöhe erklomm: als er feſten Fuß gefaßt, warf er fein Schwert zu Boden, ergrifi bie ihm zunächfiftehenden Feinde, welche vergebliche Hiebe nah feinem Eiſenhelm führten, bei ben Armſchienen und rieß fie mie- der. Ihm folgte Nillas; der Schwertſtreich eines riefengroßen Beindes trennte ihm den Unterarm in der Gegend des Ellenbo⸗ gene vom obern. Cr ſank zu Boden. Sukol war nahe feine Keule, bie bewährte Waffe ans früherer Zeit, zerbrach den Hirnfhädel des Deutſchen jet kam aud ber milde Zdenko mit feiner Schaar bie Anhöhe war gewonnen. Ueber ihren Rüden ftürgten die Feinde in wilder Flucht nad) der Thalſchlucht bier flemmten fie fi noch Ein Mal, wurden aber ben flei- len Abhang auf ihre Genoffen hinabgeworfen. Im Kern der Deutſchen mwankte das Treffen; die Drefcher Hatten Leichenhaufen wie Garben Hingeftreut. „Die Dreier! die Dreier!“ ſchrie es jegt im Hintergrumde der Feinde ihre Glieber wankten und tiffen, Alles drängte fi) nad) hinten zu, um das fhügende That zu erreichen. Die Feldherren des Kreuzes hatten die Befin- nung verloren Verwirrung herrfchte, in den Signalen war Unordnung bie Reiterei ſtellte den Kampf ein und wollte ſich zu beiden Seiten zurüdzieen. Hier aber drangen ihnen die ca- litiniſchen Arkebufiere und bie Maflen des Fußvolkes entgegen; das Gemegel wurde allgemein. Georg ließ zu beiden Seiten

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der Dreier die Kanonen aufführen uud eim Kreuzfener gegen den zurüdweichenden Feind richten; fein Fußvolt wurde mun be ordert,. die Höhen zu beiden Seiten zu gewinnen. Ein pani» ſcher Schreden .erfaßte die Deutſchen; fie ſchrien: „Wehe! Wehe! fließt! die Dreher!" Die Hufiten dagegen riefen: „Ein Wunder! ein Wunder! Sanct Benceslav mit feinen Rittern !“ und viele fahen in der Begeifterung ben Heiligen wirklich an ihrer Spite kämpfen.

Ein Leichenwall lag vor dem Eingang der Thalöfinung was von Deutſchen noch auferhalb beflelben war, das gaben ihre Anführer auf und Tiefen die Karthaunen doppelt und dreifach auffahren, um den Rüdzug zu beden; denn der Rüdzug war befchloffen und nur im ifm nod) Rettung.

Vratislav, welchem Zdenko folgte, hatte durch einen Ein- ſchnitt des Berges ſich kühn vorwärts gewagt; er wollte, ba er von oben das Zurüddrängen der Kreupfahrer gerwahrte, ihnen mit feiner Maunfhaft den Rückweg fperren oder fie wo möglich auf- Halten. &o wagte er e8 denn hervorzuſtürzen und auf den Feind einzubringen. Aber ber Andrang. war zn furdtbar ein Sä- belhieb freifte ihm Geficht und Ange und betäubte ihn; das her · vorquellende Blut Hinderte ihm zu fehen; er wäre beinahe gefan- gen worden, wenn des Oheims nervige Faufl ihn nicht ergriffen und zurüdgefchleudert hätte. Zwei Krieger führten ihn aus dem Gefechte. Zdenko felbft mußte nun mit Löwenkühnheit den Eng- paß vertheibigen; denn ber Feind Hatte nicht ſobald die geringe Anzahl der Gegner bemerft, als er Miene machte, Hier vorzu- dringen.

„Die Reiterei! die Reiterei!“ ſchrie es jet hinter feinem Rüden. Zdenko warf fechtend einen prüfenden Bid rüdwärts und fah eine Abtheilung deutſcher Reiter, welche, von ber vor dern Seite der Berge verbrängt, ſich in dieſe Schlucht geworfen hatten. So fand er mit feinen Haufen zwiſchen zwei Fenern.

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Merkten die im Thale die Nähe der Ihrigen, fo machten fie einen flärfern Angrifi, und der Heime Hanfen wurde entweder nie bergemegelt oder gefangen. Ein raſcher Eutſchluß mußte gefaßt werden. Aber Sulkol's Xollkühnkeit rettete ihm ans ber Berie genheit. Er ganz allein rammte den feinblichen Reitern entgegen, flug mit feiner Keule auf die Erflen los, daß fie betäubt und im Gedanken, eine falſche Richtung eingefchlagen zu haben, ein- hielten, den Angriff des Einzelnen, ber immer famt brüflte: „Bier- Her, Brüder vom Kelche! Auf die Deutſchen 106 1" abwehrten und den Hinterflen zuriefen umznfehren, was in ber engen Schlucht, da man nicht abſchwenken konnte, ſehr ſchwer von Gtatten ging. Ihm fprang Vratislav, der das Blut indefien aus feinen Angen gewiſcht, mebft zwanzig Anderen bei; fie warfen fi) wüthend gegen den Feind. Diefer kehrte nach kurzer Gegenwehr denn nur vier Mann zu Roffe hatten in dem Gngpaß neben einander Raum nm, und fo gewann Zdenko, immer kämpfend und rüdblidend, Zeit nnd Gelegenheit, mit den Geinigen die Anhöhe wieber zu erflimmen. Hier fammelten fie fi. Zdento führte fie nad) jenem Abhang, unterhafb welches der Rüdzug der Haupt- macht des Feindes vor fi ging. Fat abſchuffig wer der Berg, auf feinem Rande lagen verſtreut größere und Heinere Felsſtüde; „Rinder!“ rief Zdenko, „padt an; dies feien unfre Karthaunen !* und einen Stein von zwei Fuß Höhe erfaffend, wälzte er ihm an den Abhang und lieh ihm hinabrollen in die ſchwindliche, von Menfhen vollgepfropfte Tiefe. Bratislav, Sufol und die Uebrigen thaten desgleichen, und krachend und donnernd wälzte ſich im jähen Falle die Steinmaffe Herunter und rihh Menſchen und Roffe um, erdrückte fie und begrub fie umter ber gewaltigen Laſt. Wehgeſchrei, Stöhnen, Aechzen, Gewinſel und Fluchen ſchallte herauf; Subkol aber ſchrie hohnlachend hinab: „Wollt Ihr gut calixtiniſch werden ? Schmeden Euch die böhmiſchen Erbſen ? Grüßt mir den Papft, den Teufel und Beider Großmutter und

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tendjend arbeitete er am den 'geöfiten fyeleblöden, um fie von ihrer Stelle zu rüden.

Durd die weite Schlucht nach der Ebene gegen Tauß hin ftoben die Reſte des zertrümmerten Kreuzheeres. Der Sieg war entfchieden. Die Drefcher waren keinen Schritt gewiden; was zwiſchen ihnen und dem Cingange der Bergſchlucht war, erlag unter ihren gräßlihen Streichen. Im Sturme nahmen fie, ale Alles niedergemacht war, die feindlichen Karthaunen, welche ben Nüdzug deden follten. Die Reiterei der Deutſchen war in einzelne Abtheilungen zerfprengt; fie ſchlug fich zwiſchen dem Fuß - volt und der Wogenburg des linken Flügels durch und ſuchte die Hauptmacht des fliehenden Heeres zu erreichen. Georg lieh fie nicht verfolgen. „Lat fie fi erft ſammeln,“ ſprach er zu den Feldherren, die dies vorfhlugen; „dann vernichten wir fie mit Einem Hauptſchlag. Schießt Bictoria I"

Ebenen und Anhöhen waren vom Feinde gefäubert. Die Huffitifcen Krieger fammelten ſich wieder um ihre Fahnen. Leichen- Hügel waren ringsum aufgethürmt, Bäche von Blut riefelten über die Wiefen und Aeder; die Beute mar unermeßlich.

„Wo ift Niltas, mein Freund Niklas7“ rief Bratislan plöglich, als die ganze Anhöhe und die beiden Schluchten an ben Seiten vom Feinde gefäubert waren und er mit ben Geinigen den Rüdzug antrat. Schreden malte fi auf feinen Mienen.

„Beim heiligen Prokop!“ fagte Zdenko beftürzt, „wir haben feiner im Schlachteneifer vergeffen.“

„Zwei Männer blieben bei ihm,“ berichtete Sukol; „das ſah ic, als er gefunfen war.“

„Aber ber zurücgebrängte Feind,“ äußerte Vratislav beforgt, „wird die Höhe wieder gewonnen und ihn getöbtet haben, oder er ift verblutet.“

Sie rannten bie Anhöhe bin, bis zu dem Flecke, wo er nach ihrer Anficht gefallen fein mußte.

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Hier ſaß Niklas, von einigen Kriegern und dem Arzte ume geben, im Graſe und ſah den Freunden lächelnd entgegen. Der Arzt Bielt nod das glühende Cifen in der Hand, womit er bem Stumpf des Armes gebrannt.

„Auch Du bift verwundet ?“ rief Nilias dem noch biu · tenden Bratislad mit matter Etimme entgegen, „doch, Gott ſei Dont! gerettet, wie ich fehe.“

„Du lebſt!“ ſchrie Bratisian außer fih und. ſtürzte lieb - kofend neben dem Freunde nieder; „die Heiligen des Himmels feien gepriefen I

„Ein Arm ift Hin!“ ſprach Zdenfo dumpf und voll ſchmerz · licher Theilnahme; „Du fonnteft Dich verbluten. Gebe ber Him- mel die Genefung !“

„Mit dem Blute,“ verjegte Niklas, „ein Viertheil des Le bens; aber noch find drei Theile genug für das Vaterland und die Freunde.“

„So alſo folft Du zurüdfehren zu den Deinigen,“ Hagte Bratislav, „armer Freund! Warum traf mid der Streich micht? Ih Habe nichts Liebes zu umarmen.“

„Ein Arm,“ vefegte freundlich Niklas, „genügt, um bie Geliebten zu pmarmen und das Schwert zu führen; der rechte ift geblieben.”

„Der Hund da war's!“ fagte Sukol grimmig und ftich mit dem Fuß an eine der Leichen, welche beim Sturme gefallen waren; „ich Hopfte ihm das Hirmei auf, aber zu fpät. Ein ſchö- ner, gutgebauter Burſche, ein papiſtiſcher Goliath!

Das huſſitiſche Heer hatte ſich in der Ebene aufgeftellt; ein dreifaches dounerndes Victoria! erſcholl von Weihe zu Weihe; bie Karthqunen erkrachten, daß es wetterleuchtete über der ſchon bun- teinden Gegend; denn beinahe dem ganzen Tag Hatte der Kampf gedauert. Dann fiel Alles in die Knie und fang das Lieb:

„Hospodine, pomiluj ny!“

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Die Freunde trugen den verwundeten Niklas von der Au- höhe Hinab und fehafften ihm fpäter in das Städtchen Teinie, weldes ber Feind auf feiner Flucht umgangen und den Siegern überlaffen hatte.

Georg befahl ſogleich aufzubrechen, um noch im Zwielichte durch die Thalſchlucht und zum Theil um die weſtliche Seite ber fieben Berge herum dem Feinde auf ber Straße von Tauß zu folgen und ihn, bevor er fi noch von dem Schrecen der Nieber- tage erholt, anzugreifen und mit Einem Male zu vernichten.

Das deutſche Reichsheer ſtellte ſich wieder an den Bächen bei Tauß, verihanzte die Stadt und lehute ſich mit dem Rüden an die Anhöhen vor Ehottenfhloß und Klene. Die Bäde und Füßen, welde die Ebene durchſchnitten, follten es vor Ueberfall ſichern.

Aber wie im Fluge war Georg mit feinen fiegestrunfenen Böhmen da;, rings am Horizont wehten ſchon am folgenden Tage feine Fahnen. Die feindlihen Anführer beſchloſſen, diesmal nur vertheidigungsweife zu Merle zu gehen.

Während Georg auf feinem vechten Flügel den Angriff ber fabl, ließ er Freiwillige zur Berennung des Städtchens auffordern. Unfere Ritter nebft Sukol befanden fi) unter Denen, welde fi zu biefem Unternehmen meldeten.

Gebedt von einer Abtheilung Neiterei, die fie vor einem etronigen Ausfalle fügen follte, und begleitet von zwei Geichügen, naherten fie fi) ben Mauern der Stadt. Im biefem Momente gaben die Schlachthörner und Kanouenfhläge das Zeichen zum allgemeinen Angriff.

Ein Hagel von Pfeifen und Kugeln ſchlug von den Mauern herab unter die Stürmenden und firedte Mauchen darnieder; aber nunerſchrocken brangen fie bie am bie Wäle vor und ſchützten ſich Hinter dem Answurf der Graben. Inzwiſchen richtete bie Kar- thoune ihr Feuer gegen die Mauer, um diefe in ben Grund zu

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hießen. Dies aber dauerte den Stürmenden zu fange, und mit dem Geſchrei: Georg und Kelch! brachen fie hervor und drangen durch dem Waffergeaben gegen die Trümmer, welche das Feuer bereits niedergerifien. Cine Saat von Steinen rafjelte auf ihre Häupter hinab dies Lühlte aber ihren Gifer nicht. Vratislav ergriff mit der Linfen eine Fahne, ſchwang mit der Rechten das Schwert und ftürmte mit dem Ausrufe „Vorwärts, Huffitenbräber!“ über Schutt und Steine empor. Kugeln umfauften ihr, Gteine raffelten anf feine Rüftung; er drang vorwärts bis bahin, wo über dem gefunfenen Geftein die Mauer fi noch eine Manns höhe hoch erhob. So raſch konnten ihm bie Anderen nicht folgen. Ueber ihm fand der Feind an einander gedrängt. Es war ein Wunder, daß ihn die Menge von Wurfgefhoffen, welche Hernieder- fielen, nicht töbtete. Mit feines Schwertes Spitze mähte er bie Beine ber Feinde nieder; als die drei erſten fanten, nahm er das Schwert zwiiden die Zähne, erfaßte mit der Rechten die Dauer und war im Schwunge oben. Sein Degen hielt fi bie einbrin- genden Deut en vom Leibe, und während er bie Fahne des Löwen hoch mit ber Linken flattern ließ, ſchrie er: „Mir nad, Cameraden! Der Sieg iR unfer! Tauß ift erobert!’ Aber das übereinanbergefchüttete Geſtein wankte unter ber Wucht der unge flümen Schritte, und die Vorderſten ftürzten herab, riffen bie Hinterften nieder, und über Alle wälzte fi der abroliende Schutt- and Steinhaufen. .

„Beim heil'gen Gott!" ſchrie Sukol, der ſich vom Sturze aufgerafft, aufer fi, ‚ich fehe die Fahne nicht mehr!" und fprang im vafenden Laufe bie Anhöhe Hinauf.

Wohl war bie Fahne verſchwunden. Vratislav allein fonnte fich nicht Länger Kalten; hundertfach brängte fich der Feind gegen ihn, den Einzelnen Hinter ihm war der Abgrund ber Mauer. Man vermundete ihn an der Tinten, das Banner ſank; er focht wie ein Rafender. Man drängte ihm immer weiter rückwärts.

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Seine Ferſe ragte ſchon über die Schneide der Mauer hinaus. Den Augenblid erfaßte der Feind! Die Sumähffichenden hielten ihre Schilde dor und drangen, vom ihnen gefhügt, gegen den Bagehals ein. &8 galt, ihn rüdfings die Mauer hinabzuftärzen. Schon ‚verlor er ben Schwerpunkt; wie er fih auch nad vorn zu neigen firebte, bie Wucht des Körpers zug ihn rückwärts, fein Leib beihrieb einen Bogen und im Jubelgeſchrei brach der Feind aus bei dem fichern, zerichmetternden . Sturze.

Aber zwei kräftige Arme fingen den Ritter von Hinten auf. Im Ru war. Sufol mit Vratislav wieder auf ber Mauer. Seine Keule ſchmetterte rechts uns links Bin, vafch und verberbend wie der Blitz. Die Nachfolgenden Hatten zwei Leitern herbeigeſchafft und erfliegen mit ihrer Hilfe, trotz ber kräftigen Gegenwehr, an zwei Seiten die Baftei. Hoc flatterte jetzt Böhmens Fahne in der Luft. Bon allen Seiten ber Verſchanzung vannten jetzt die Deutſchen auf biefen Einen Punkt des Angriffes zufammen, fo daß fie den Stürmenden vierfach überlegen waren. König Georg, der bie böhmiſche Fahne aus ber Entfernung oben, aber auch die Dauer des Widerſtandes gewahrte, ſandte feinen Leijten Berflärkung und fprengte wieder in das Schlachtgewühl, Hier und dort die Haufen ordnend und die Streiter in den Kampf treie bend. Die Schlacht tobte in ihrer wildeſten Wuth.

Wohl Hatten die Stürmenden auf den Schanzen bereits eften Fuß gefaßt, aber jeden Schritt Bodens mußten fie im tor benden Handgemenge erfämpfen. Mehrmals wurden fie bis knapp an die Mauer zurüdgebrängt. Sechs der fühnften vom den Fein- dem hatten es auf Bratislav abgeſehen, weil bie Fahne, wehhe er ſchwang, bie Störmenben befeuerte, die’ Beſahung des Stäbt- leins aber leicht entmuthigen konnte. Cie drangen wüthenb auf ihn ein. Sutol merkte nicht fobald ihre Abficht, als er fi ihnen entgegenwarf. Er drang fühn auf fie ein ſchwang im reife die Keule, daß Eiſenſtücke von ihren Helmen fplitterten und zwei

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bis drei tanmelten. Cine Buchſe erkrachte hinter den Tau- melnden hatte ein Artebufter gezielt und Iosgebrüdt; bie Kugel fahr durch Sutol's Bruß. „Wehe“ ſchrie er auf, „berfludte Papiſtenhunde!“ und hielt ſich mit der Linken krampfhaft an Bratislav's Schulter, während die Rechte mit der Keule in ver- doppelter Heftigkeit unter den Katholiten raſte. „Du biſt ver- wundet!“ rief Bratislav, ben hervorquellenden Blntfirom gewah- rend, und fein Schlachtſchwert metzelte von Neuem unter dem Feinden. Inzwiſchen Hatte die Verſtärkung bie Mauer erflom- men; man warf fih in größerer Anzahl gegen ben Feind; er wurde von den Mauern hinab gegen die Häufer getrieben. Die Glieder wankten und braden Biele fürzten fi in wilder Flucht mac der Stadt; nur ein Meinerer Theil focht no, der aber bald erlag.

In bemfelben Augenblide erfholt das Siegesgeſchrei vom Blachfelde. Die Heeresmacht ber Deutichen war in den Ebenen und auf den Hügeln geſchlagen; einzelne Abtheilungen hatte man in die Bäche und Sumpfe gefprengt, andere wurden in’ dem Schluchten und Gebüfcen hingewürgt; nur bie Anführer, eim Theil ber Nachhut und einzelne, zerftreute Fahnlein ſuchten in orbnungslofer Flucht die Grenze.

Georg befahl, das Verfolgen der Fliehenden einzuftellen. „Schenft den Wenigen bas Leben,” ſprach er; „fte kehren nicht wieder. Die Einzelnen machen fein Heer aus, und wir fechten nur gegen eine Heereamagitl"

Sutol lag blutend, todesmatt anf dem erfliegenen Wale. Vratislav hatte fi fiber ihm gebeugt nebenan lehnte Zdenko düfter und von gewaltigem Schmerz bewegt auf feinem Schwerte.

„Wie ift Dir, einziger, treuer, theurer freund?" fragte Bratislav wehkfagend und hielt des Verwundeten Haupt mit fei- nen Händen,

„Ich glaube,” ſprach Sutol ſchwach, jedoch ohne Klage,

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„bas ging an's Leben. War ſchon oft verwundet, aber fo zu Muthe war mir no nie. Die Kugel flog wieder hinaus ih meine, das Leben wird bald nachfolgen. Es fieht fih mur noch eine Weile um in dem alten Haufe, ‘wo es fo lange gewohnt. Gott befohlen "

„Wo ift der Arzt?“ rief Vratislav außer fi; „Du folft, Du darfft nicht erben! O Du edler, einziger Freund, warum mußteſt Du für mic) biutenl"

„Ich fterbe einen ſchönen Tod,“ ſprach Sutol mit ernfter Ruhe, „für das Baterland und für Did, Vratislav, für dem Freund, ben ich auf. Erden am meiſten geliebt. Jetzt fag’ ich Dir's und nun if’s feine Schmeichelei. Könnte ich denn ein beſſeres Ende nehmen? Beim heiligen Johannes von Huffinec! mit. Ich Hab’ nur Eine Bitte. zu Gott. Ich hab’ ihm redlich gedient als ein braver Kriegsknecht. Ich hab’ den Glau⸗ ben zu bes Heilands Ehre mit dem Schwerte verfohten; war ih ein Priefter, Hätte ich's mit der Zunge gethan. Das Los ift verfhieben. Gott wirb barmherzig fein und mir die lichte Halle nicht verfäließen, wo unfre Märtyrer Johannes und Hie- vonymus und ‚die Helden Zijta und beide Profope und viele Andere verfammelt find. Ich werde bort feine Schurken jehen, den Michalet nit, der mid; betrogen hat durch falihes Maß und ſchlechten Gehalt und zweifache Rechnung, und den rothhaari gen Scäuft nicht. Ich hoffe dort oben beffer angefchrieben zu fein. Id will Deinen Bater grüßen, Vratislav, und die Mut- 1er, und Milada'n will ich's fagen, wie wir getrawert und ihr Angedenfen geehrt. Und unfern Leuten will ich erzählen, wie das Vaterland noch nicht verloren fei, und vom heutigen und geftrigen Tage will ich ihnen berichten, damit fie fi erfreuen. Der Herr mein Gott fei mir gnädig!“

„Sollen denn rings die Stämme,” wehllagte Bratislav,

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„und bie Rlolzen Bänme alle jellen mmb ich allein bleiben, eim verträppelier Stamm, im Innern vermodert und zerfrejien ?“

„Mit dem heutigen Tage, Freund,“ jufe Sufol immer matter werdend fort, „beginnt vielleicht eine mene, große Zeit für das Baterland. Daramf fei gefaßt, umb in das Morgenroth hinein fehre den Bid.“

„Mit wäre befler,” ſprach Zdento, der bisher ſchweigend dage- Ronden hatte, „unte ich mid mit Dir Bier miebrriegen umb jchlafen. Hein morſcher Ban kracht bald zufanmen; er in feine Säule mehr, tüchtig für den neuen Bau“

„Lebe, Iebet,” tröftete Sufol und lächelte freundlich, wie er fonft, wenn er die Gebengten ermuthigen wollte, pflegte, „fo fang’ es dem Herrn gefäl. Man lebt nur Eimmal und muß bie Gottesgabe nicht verwũnſchen. Köımt das Ende, miffet man fie nicht gern. Ich gehe! Hier hat der Herr mein Ziel ge ftedt; er fei gepriefen! Bratislad, forge, daß ich Hier begra- ben werde, an der Stelle, wo ich gefallen. Naht der Feind fidh einft wieber biefen Mauern, fo werde ih amd dem Grabe erfte- hen und ihn fchreden. Doch kommen Böhmen, um den Feind von hier ans zw vertreiben, fo werbe id ihuen bie Hand reichen, damit fie emporlliimmen können. Ich liebe mein Baterland aud) nad) dem Tode noch. Noch Eins! Mein Wappenfgifd, das feinen Erben hat, pflanze in Deiner Halle nnd dereinf auf Deinem Grabe auf; und lebt mein alter Bater noch, fo grüß' ihu und fag’ ihm, daß id ihm erwarte. Lebt wohl! Der Herr behüte Euch) uud fei mir gnädig! Jetzt will id rufen.”

Er wandte ſich zur Seite, wie zum Schlafe, legte das müde Haupt anf den Arm und war nicht mehr.

Tief betrübt umftanden bie Freunde bie Leiche.

Im goldenen Abendſchimmer Hielt Georg vor feinem fieg- reichen, mit Beute beladenen Seere, um ihm die Feldhauptleute -nb Zeugmeifter, darunter auch Neuhaus und Zeöwic, welche

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die Perfon des Hertſchers während der beiden Schlachten faft nie verlaffen Hatten. „Borerft danket Gott,“ ſprach ber König gegen fein Bolt gewendet, „ber dort im Strahle ber Sonne gnä- dig auf uns niederblidt!"

Alles ſank in die nie; die Hörner ertönten, und das feier- lich erhabene Danteslied erfholl von den Lippen der Tauſende von Siegern. Kanonendonner folgte und „verfünbete dem Um- kreis die Herrlichkeit des Tages.

„Nächſt Gott,“ wandte fi) König Georg wieder gegen das Heer, „danke ih Euch, meine Brüder und Landsleute, die Ehre des heutigen Tages; doch Ihr Habt nicht nur für mid und Euch, Ihr Habt für den Glauben und das Baterlamb gefochten. Europa wird es ſtaunend Hören und bie Nachwelt von dieſem Siege über eine dreifache Uebermacht mit Bewunderung fprechen. Der Kelch wird nicht untergehen. Der römiſche Xiger hat wohl zum legten Mole feine Krallen gegen uns ausgeftredt. Jener Heuclerifche, glaubenswüthige Fantinns de Balle kann nun dem Heifigen Vater berichten, was er mit eigenen Augen von böhmi- fer Tapferkeit gefehen. Er wird uns zwar Teufel ſchelten, aber Gott war fihtbar mit une. Wir werben jept den Frie- densvorfchlag entgegennehmen und feine Punkte beftimmen. Der bohmiſche Löwe, fange gehohnnedt, ift aus feiner ſcheinbaren Ruhe erwacht und hat den Ruheſtörern das Gebiß gewielen. Sie werben nicht nad; andern Aeußerungen feines Bornes verlangen! Gott fei gelobt! ZWorerft kommt die Zeit der Ruhe und des Friedens, und dem wollen wir halten. Was darauf folgt, wird der Himmel fenden. Es gilt, auf Alles gefaßt zu fein. Wir E gefiegt, aber doch mit teuren Opfern biefen Sieg erfauft.

gefallenen Vrüder begrabt mir Gegensgrüßen; fie farben einen ſchönen Tod. Er fonnte auch uns zu Theil werden. Darum ehrt das Angedenken der Geſchiebenen, weil unfer eigen raten nad folhem Lohne nad dem Tode geht. a heu- Herloßfoßn: Der Iegte Taborit. II

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tige Tag gibt der Welt einen neuen Beweis, daß ber Böhmen Kraft und Treue für die Ewigkeit beſteht. Der Himmel will es, daß wir, die Slaven, fo am weiteſten vorgedrungen in Europa, ein felhftftändig Reich bilden follen für alle Zeiten. Lobet den Herrn, haltet am Melde, unferm Palladium, feft; ber König weißt ihm und Cuch fein Leben, fobald bie Stunde ruft.“

Er vollendete. Trompetengeſchmetter gab das Zeichen zur Raſt. Eine Stadt vom Zelten entwuchs dem Boden. Das vom Feinde erlöfte Landvolk firömte im Maffen aus allen Gegenden herbei, um bie &ieger zu fehen, zu begrüßen und mit dem, was ihnen der ränberifhe Arm der Deutfchen gelaffen, zu laben.

Am folgenden Morgen wollte ber König, nachdem er cine Abtheilung zur Bewachung der Grenzen zurädgelaffen, nad bem bange harrenden Prag aufbrechen. Eilboten waren ſchon dort- Bin geflogen, um bie Nachricht des vollſtändigſten Sieges zu überbringen.

Der Mond fland hoch am Himmel und verfilberte die Zelt- reifen und die blinfenden Sichelwagen. Im der bläulichen Luft flatterten die Fahnen und Standarten wie weiße Friedenstauben. Hier und da fhlug ein Wachtfeuer die rothen Blide auf, und ein dumpfes Summen tönte über ben Lagerplag. ern an den Bergen, Bähen und Schluchten bewegten ſich einzelne Gruppen beim Fackelſcheine, verſchwanden bier und kamen dort wieder zum Vorſcheine. Es waren bie Todtengräber, welde die Eutſeelten in weiten Schachten beftatteten die Böhmen wen ben Deut fen getrennt ober Bier und da einen ſchwer Verwundeten, bei dem noch Rettung möglich ſchien, nad) bem Lager fhleppten.

Auf der Mauer von Taus, an bderielben Stelle, wo fie erftürmt worden war, fanden Vratislav und Zdenko im Bellen Mondenſcheine neben einem Grabe. D'rin lag Sukol, volllommen gerüftet, wie er in ber Schlacht war; man hatte feine Keule neben ihn gelegt.

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„Schlummre wohl," ſprach Vratislav mit. Rührung, „alter, treuer Freund, rauhes, aber bieberes Herz, Du ächter Edelſtein, wie fie unfre Berge liefern, unfdeinbar ‚von aufen, aber von funteindem Glanze im Innern! Die Erde muß unendlid) reich fein, da fie folde Güter in ihrem Schooße verbirgt. Die Edlen gehen und fehren nimmer wieder; wir aber müffen biei- ben. Hab’ Dank für alles Herrliche und Gute, was Du an mir gethan. Ein güsiger Gott wird Dir vergelten! Schlaf wohl und grüße die Geliebten und die alten Helden alle, die mein Auge nicht gefehen. Wil’s Gott, wandeln wir Beide bald un- ter End.“

Zoento nahm eine Hand voll Erde und warf fie in dem Schacht Hinub, indem er ſprach: „Dies die Mauer Deines Hau- jes, Dein Lager, Deine Dede, der alte Mutterfchooß, der Di geboren und Dich wieder aufnimmt, daß Du fein Element wer- deſt! Dein Geift wohnt oben; wir werben ihn wiebererfen« nen aud ohne Körperhülfel"

Bratislav warf gleichfalls eine Hand vol Staub als letzte Gabe anf den Zobten, und bie beiden Kriegsknechte mit ihren Schaufeln warfen jegt die Gruft zu.

Statt eines Kreuzes pflanzten die Ritter Sufols Schlacht- ſchwert, defien Griff wie ein Kreuz gefaltet war, auf das Grab. Die roflige Klinge fehimmerte im Mondlicht.

14.

„Daer tapfere, raſtlos thätige, kräftige und wohlwollende Kö- nig von Böhmen ſollte aber nicht lange der Ruhe genießen. Seine Tochter, des Ungarnlönige Matthias Gemahlin, war ger ſtorben, und dies machte das Band, weldes feinen Schwieger-

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ſohn an ihn kettete, nur mod) Ioderer. Der tapfere, ühne Mat- thias Corvinus war allzu abenteuerlich, erobernugsfüchtig, unfät. So edel und großartig er fi in anderen Angelegenheiten, na- mentlih wenn fie fein Land und deſſen Wohlfahrt betrafen, gezeigt, jo wenig handelte er dieſen Grundfägen gemäß gegen feinen Schwiegervater, gegen welchen er mande Pflichten ber Dankbarkeit zu beobachten Hatte. Als ihn Georg im Walde von Kuttenberg großmäthigerweile gegen ein geringes Löfegelb Tosgelaffen, eilte er nad Haufe, aber flatt der Erkenntlichkeit nur bittern Groll im Herzen. Dem Gefanbten Georg's zeigte er eine Kiſte voll Dukaten, brüdte fein königliches Siegel darauf und ließ ihn damit unter tanfend Grüßen an feinen Schwieger- vater abziehen. Inzwiſchen und faſt zu gleicher Zeit lieh er den rebelliihen, böhmifchen und mähriſchen Landesherrn und Prälaten willig das Ohr und verfprad ihnen Unterflügung gegen den reditmäßigen König. Cr verwüßete Mähren troß bes ge- ſchloſſenen Friedens und ging bald noch weiter in ben Ansbrü- Gen feiner Unbefonnenheit und Treubrüchigkeit, welde ungrifche Schriftfteller vergebens zu bemäntein ſich beftreben.

Us Georg die Kiſte mit den Dufaten öffnete, fand er fie voll Sand, mit einer Schicht Dukaten oben belegt. Darunter befand fi ein Schreiben folgenden Imhalts: „Wille, daB ich kein ungrifcher König bin, wie Du mich nennſt, fondern ein wal- lachiſcher. Einem Ungarn aber tiaue nur dann, wenn er das dritte Ange an der Stine hat. Bald fehen wir ung, aber nicht im Walde bei Kuttenberg, fondern anderswo.”

Matthias, von dem päpftfihen Hofe zwar gedrängt, aber ihm auch willig das Ohr leihend, nahm nun öffentlich den Titel und bie Würde eines böhmilchen Könige an, welchen ihm meh- rere treuloſe fchlefifche, mährifche und zum Theil böhmiihe Stan- desherren angeboten. Er ſchidte fih aud an, mit Gewalt der Waffen fein neues Rei, zur Zeit nod in partibus infidelium,

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in Befig zu nehmen. Georg hielt einen offenen Schritt vom diefer Seite zur Zeit noch zurüd, indem er drohte, den König Kaſtmir von Polen, der von Geburt ein Anjow und mit einer Luremburgerin vermählt war, noch bei Rebzeiten als feinen Nach- folger in Böhmen anzuertennen und ihn zur Vertheidigung feines Erbes aufzufordern. Dies wirkte für den Augenblid; deun zw einem offenen, gegen bie allgemeine Stimmung fireitenden Kriege wollte e8 Matthias vor ber Hand mod; nicht fommen laffen.

Zu gleicher Zeit aber empörte fi, in voransgegangener Uebereinftimmung mit Matthias unb dem päpftlichen Legaten, der mächtige Landesherr Johannes don. Rofenberg, Georg's letzter Freund unter ben katholiſchen Ständen. Er ließ

. feinem, wie er fi ausbrüdte, geächteten Oberherrn abfagen, kün- digte ihm Fehde an, überrumpelte die fefte Stadt Böhmiſch- Budweis, hieb die Befagung nieber und fegte fi in den Beſitz des Ortes.

As die Nachricht hiervon nach Prag kam, beſchloß Georg, ſogleich in eigener Perfon mit einer Heeresabtheilung aufzubre- en und ben .empörten Bafallen zu züchtigen. Es war im Juli 1468.

Georg ftand allein mit feinem Sohne PBictorin von Pode- brad am Fenſter des Schloſſes und blickte finnend auf das ſchöne Prag hinab, das im Abeudrothe glänzte, und auf die Moldau, bie wie ein brennender Lavaſtrom ſich durd die gewaltige Stadt dahinwalzte.

„Ein ſchöner Abend!“ ſprach der König nad einer geranmen Weile; „zumal wenn er ſich über fol’ Herzliche Stadt Tagert.“ Doch find uns wenige folder Abende vergönnt, felbft wenn fie zphfreicher wären. Ein Tag nad dem andern bringt Sorge, Aerger und Mühfeligkeit, und nad) allem dem, wenn ein Augenblid der Ruhe kömmt, bleibt mir nichts als der Blid hier

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hinab umd die Freiheit, daß ich fagen fan: Im dieſer Stadt befehle ih. Das nenn’ ich theuer kaufen!“

„Mein töniglicher Vater,“ verfegte Bictorin, iudem er bie Abficht hatte, des Könige Trübfinn zu mildern und feine Ge- danken auf einen andern Gegenftand zu leiten, „ih habe mad Deinem Befehle das Heer, weldes am Ziztaberge lagert und uns morgen gen Budweis geleiten foll, gemuftert und die Stim- mung der Söldner und Reifigen trefflih gefunden.“

„Dich, mein Sohn,“ erwiederte der König, indem er fih forfchend gegen ihn kehrte, „freut wohl der neue Strauf. Es ift dem jungen Blute fo eigen. Ich aber müßte Lügen, wenn id) Freude daran Hätte, micht wegen der Sorge, wegen ber Müh- fal, fondern weil id gegen meine Bajallen, gegen Böhmen, meine Unterthanen, zu Felde ziehen muß. Ich fehe, daß ich nicht überall gut gelitten und geliebt bin in meinem Haufe. Run, die Schuld liegt gewiß nicht an mir! Wär’ es ein auswär- tiger Feind, den wieſe ich mit boppelter Freude zurüd; aber ba ich gegen einen innern Kämpfen muß, ſchafft es mir auch böfen Leumund im Auslande. Mas helfen mir alle Siege, wenn mid) die öffentliche Meinung für einen ſchwachen, aufgebrungenen, un⸗ beliebten König Hält, der nicht einmal in feinem Lande Frieden Haben fan!“

„Es find Katholiten, mein Vater,“ ſprach Bictorin, „fana- tiſche Papiften; die bleiben fi Hier wie in Deutſchland und Defterreich glei. Bon Rom aus gehen die Fäden, welche fie alle bewegen; nicht ſowohl Dir, als dem Kelde, der in Dir herrſchenden Religion, gilt die Fehde.”

„Mir wär's ſchon recht,“ gegenrebete Georg, „lähe es jeder mit Deinen Augen an; aber betrübt bleibt's, daf id; gegen Böh- men fechten, Iandemännifh Blut vergießen und mein eigen Land entoöffern muß. Der Matthias, fehreibt man mir, fegt ſich im Mähren feft, läßt Waffenpläge anlegen und rüftet fih zum nädh-

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ſten Feldzuge. Die Drohung mit dem Polen ſcheint er wieder vergefien zu Haben; oder Haben diefem bie Pfaffen die Hände gebunden, baß er fih ruhig zu halten verfprohen? Der Streich mit den Dufaten e8 ift ein dummer Streih geht mir doch nicht aus dem Sinne! nicht darum, weil ich überliftet bin, ſondern weil's gar zu ſchlecht if, meine Großmuth fo zu lohnen. Doch immerhin! Nicht ich Habe mid zu fchämen, daß ich betrogen worden bin, fondern ein Anderer. Die Welt wird richten! Wenn man aber feinem eigenen Schwieger- ſohne nicht mehr trauen darf, wen auf ber Welt fol man noch trauen? Und doch wär's ſchlimm, wollte id wegen Eines Men- ſchen alle Menſchen Haffen. Nein nein! Es gibt noch gute Leute, und find’ ich fie micht oben, fo ſuch' id) mir fie unten, Da in dem Staub und Kothe wie es bie folgen Herren nennen hab’ ich manden Edelſtein gefunden. An dem Ro- fenberger hab’ ich's auch nicht verdient! Ich habe ihn mit Nad- fit, Schonung. als er das erfte Mal gegen mid; aufftand bann mit Gnadenbejeigungen, Wohlwollen und fogar Liebe überhäuft. Er Hat’s vergeffen! Nun, warum foll der Menſch auch nicht vergeffen? Bielleiht fann er mir's nicht verzeihen, daß id) König geworden bin und er nicht, weil fein Geſchlecht älter ift, als das von Podehrad und Kunſtadt. Es ift aber einmal fo, daß nur Einer König werden fann; und wäre er's gewor- den, id; hätte ihm Treue nicht verſagt.“

„Kennen wir doch einen Undankbaren mehr,“ bemerkte Bictorin; „beffer, daß er ſchon jetzt die Verhüllung abgemorfen Hat! Uns wird es nicht beugen, ihm nicht erhöhen.“

„Dein Sohn,“ uuterbrach ihn Georg raſch und heftete die Augen forſchend auf ihm, indem er zugleich bie Hand auf Bicto- rin's Haupt legte, „haft Du fon einmal von einer Krone ger träumt ?"

„Rein, mein Vater!” verfegte diefer Maren und offenen Blides.

„Das if recht gut, Bictorin,“ fuhr Georg fort; „das ift mir lieb. Ich trage eine Krone, kann Dir aber keine hinterlaſ- fen. Ich liebe Di und Deinen Bruder Heinrich zw fehr, um End ein alfo trübes, vieleicht noch trüberes Los zu bereiten. Aus Polen oder wo ander her muß id; den fünftigen Kö- nig Böhmens holen. Ich muß vor meinem Ende ben Böhmen einen Mräftigen Arm geben, der auch von aufen her Nachdruck hat. Bildet fich der Ladislaus, Kaſimir's Sohn, fo fort, wie er's verfpridt, fo wird's vielleicht ein kräftiger und auch glüdti- cherer Könige für mein Land. Du aber verſprich mir, ihm tren zu dienen, verſprich mir, zu vergeffen, daß Du eines Kö- nigs Sohn bift und nad der Mrone langen burftefl. Denke, wenn ich tobt bin, Du feieht eines Bauer ‚Sohn und nur durch Dein Berdienft zum Ritter geworben, mehr nicht. Willſt Du das?"

„IH will's, mein Vater!“ betheuerte Victorin und legte treuherzig die Hand auf feine Bruft; „liegt doch unſer Los allein in Gottes Willen! Er kann uns erhöhen und erniedrigen.“

„Ich denke fo mandmal,“ fuhr der König fort,‘ „wenn ih mich dem ganzen Tag abgequält, abgeärgert habe und einen Augenblid in der Einfamkeit mir Erholung ſchenke und die Erin- nerung zur Hand nehme, an jene fchöne Zeit, wo Du nod ein Knabe warf, wir rubig in Liebe und Frieden auf unferm Schloffe Runfadt faßen, Du mir bie lateiniſchen Worte vorfagteft, weiche Dich der alte Kaplan gelehrt, und die Mutter, den Hein- rich an der Hand, lädelnd und freudig dem Hugen Knaben zu- horchte. Es war eine ſchöne, milde, heitere Zeit. Was darnach fam, war Alles trübe, wenn auch von Glanz durchwoben. Die große Welt nennt es Glanz: ich möchte mein bamaliges, fanftes Gicht des Glüdes Glanz nennen. Ich weiß nicht, wer Recht Hat. Es ift einmal anders geworden und mußte vieleicht fo fein.

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Du fonnteft nicht immer Kuabe bleiben und ich nicht immer ein junger, häuslicher Ritter. Das if’s eben! Wir gehören nicht allein dem Haufe, fondern auch dem Vaterlande. Ja, wenn das ganze Baterland ein Baterhaus wäre! Mein Gott! daun wäre die Welt jhön; es bebürfte keiner Könige und keiner Kriege. Es tan aber nicht fo fein, fagen die Weifen, und aud die Ge- ſchichte ſagts.“

Ein Geheimſchreiber trat herein und unterbrach ihn. Er brachte einen Brief.

„Was if’8?“ fragte der König.

„Ein anfgefangenes Schreiben an ben Rofenberger,“ war die Antwort; „ber Kanzler ſendet es Eurer Hoheit.”

„Gut!“ verfegte der König und winkte bem Ueberbringer, fi) zu entfernen.

„Da werb’ ic) wieder leſen,“ fagte Georg, indem er haftig den Brief öffnete, „wie Einer ober, der Andere, dem ich für treu gehalten, an mir zum Berräther geworden. O Menfchen, Men- ſchen, ich hab’ Euch doch nur Gutes gethan, fo viel im meinen Kräften land! Wie würdet Ihr erft Handeln, wenn ih an Euch, nur Böfes geübt hätte? Wie?“ unterbrach er fi flaunend, „von Swihovski dem Herrn auf Rabi? Es ift feine Unter« Schrift; beim Heiligen Gott! fie ift's, ganz leſerlich und deutlich. Ich Habe dem Manne ‚weder Böfes noch Gutes gethan er lebte zurücgezogen; aber ich habe ihn geehrt, geachtet, ihn vorgezogen, wo ich ihn ſah. Auf ihm baute ih, als. auf einen Ehrenmann, und er wechſelt Briefe mit meinen Feinden, ver- ſchwort fi gegen mid, brütet im Finſtern und Bietet mir Haß für Liebe! König Georg von Böhmen, ih fange an, Did zu bedauern. Hier, Bictorin! lies lies; tritt dort an's Fenſter.“

Er warf fih ungeſtüm in einen Stuhl. Draußen war es inzwiſchen dunkel geworden; mır ein mattes Roth leuchtete

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nod an dem Himmel, und falber Duft ſchwebte über ber Stadt. Bictorin trat an's Fenſter und las: „Ehrenfefler, edler Ritter! Erleuchteter Standesherr! Gruß zuvor! Meine Antwort auf Euer Schreiben folgt fpät, aber nicht ohne reifliche Erwägung. Ich empfing und empfange das heilige Abendmahl gewiß nie ahders als unter Einer Geftalt, aber ich Huldigle und Huldige auch ge wiß Niemand Anderem, als meinem einzigen König Georg von Voböbrad; er if der Gelaffenfte, Wohlmollendfte und bedränget Niemanden wegen des Glaubens. Darum Ehre und Gehorfam ihm! Aus diefen Gründen wird Euch, ehrenfefter Standes- herr, einleuchten, daß ich auf Eure Propofitiones nicht eingehen, noch viel weniger das, was Ihr in des ungriſchen Könige Ho- heit Auftrage mir mitgetheilt, in's Werk richten kann. Erhaltet mir trog folder Meinungsverſchiedenheit Eure Freundſchaft; denn die Meinungen kommen von Gott, der bie Herzen und Nieren prüft. Der Herr Iefus Ehriftus und feine gebenedeite Mutter be- füge Cuch Wilgelm Gmihovsty, Ban (Herr) auf Rabi.“

Eine geraume Zeit ſprachlos war ber König, nachdem Bi- etorin dem Brief gelefen; dann rief er aufipringend und raſch auf den Sohn zugehend: „Ich ſagt' es ja: es wäre ſchlimm und thöriht, wollten wir, weil Einer oder zwei ober zehn uns be» teogen haben, Allen mwißtrauen. Dem Manne muß id’s ab» bitten, daß ich fo voreilig gemetheilt. Aber wer verfieht fih auch in folder Zeit ſolcher Geſinnung? Roſenberg, um diefen Brief würde ich Dich beneiden, wenn ih ihm nicht erhalten hätte. Ja, es gibt noch edle Seelen auf der Weit. Die Feinde lernt man mohl alle fennen, beun eim inmerlicher Feind wird aud) gern ein äußerer; aber die freunde fennt man nidt. Das ift Schade! Hab’ Dank, Du beſcheidener Ehrenmann, ber mir in der Ferne wohlwill. Ein unbeſtochenes Urteil iſt's, das mich ſtolz macht; denn ich babe den Mann no mit feinen Gnaben- bezeioungen überhäuft. Du haft mid; verſtanden, edler, ehren-

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fefter Ritter! So etwas gibt wieder Muth; es macht mic froh’ und fäßt mich alter Sorgen und trüber Hirngefpinnfte ver geffen. Um fo leichter kann ich des Zdenko von Sternberg und des Burian von Gutenflein und vieler Anderen, die zum Feinde übergingen, entrathen, ba noch ſolche Männer auf meiner Seite ftehen.“

„Nun, da Du wieder froh bift, Vater,“ fprad; Bictorim erfreut, „kann id Dir etwas melen, was ber Kanzler meinem Munde vertraut, damit es weniger Hart Minge, und was id bie jest verihtwiegen habe, um Did) nicht noch mehr zu verdüſtern.“

„Sprid num,” fiel Georg ein; „wär' es das Schlimmfte auch, nad; folder frohen Botſchaft kränkt mich's nicht.“

„Auch Pilſen,“ berichtete Victorin, „hat Dir den Gehor- ſam aufgefagt, in Webereinftimmung mit Nofenberg, und König Matthias Hat fi mit dem zufrieden erklärt, was fie bis jet ger than und noch ferner zu thun befchlofien haben. Wenzel Krenm BVBürgermeifter von Olmüß, und die Abgeordneten von Znaim, Leopold und Michael Erasmt, haben dem Ungarntönig Heeres» folge gegen uns zugefagt. Der Burggraf von Meißen, Heinrich von Plawen, ift gleichfalls im Bunde gegen une.“

„Immerhin!“ rief Georg; „darauf war ich ja gefaßt. Laß fie nur walten; ich werde fie doch befiegen. Die Ahnung fteht feft bei mir. Bon ben Pilfnern und Budweiſern konnte ich nichts Anderes gewärtigen. Sie find einmal unverbefferlid, verftodt papiſtiſch, deutfhem Einfluß und den Umtrieben des Adels unter worfen, frz, meinen Feinden ergeben. Als ich die Oeutſchen bei Taus und Teinic ſchlug und das ganze Sand jubelte, in allen Kichen Danfgebete zum Himmel erichollen, weil ich bie Land« plage abgewehrt, da waren es die Pilfner und Budweiſer allein, melde nad) jebem Gottesdienſte die Kerzen auslöſchten und auf die Erde niedergeworfen zum Himmel fhrien: Anathema sit! Wehe! Wehe! Georg ift ein Ketzer und Thronräuber! Ich

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zog dann durch bie Stadt Pilfen und hätte die biederen, mir fo wohlgefinnten Bervohner züchtigen können; aber es find doch auch meine Unterthanen. Das bedachte ich, und beffer, ich Habe ihnen eine Schuld zu verzeihen, ale fie mir. Ich begnügte mid, da- mals, dem gleifnerifchen Magiſtrate der Stadt, der da kam, mich der Ehrfurcht und Zrene der Bewohner zu verfihern, bie Thüre zu weifen und ihnen zuzurufen: Weit vom mir; ich bin im Kirhenbanne! Was wollt Ihr von dem Keger und Thronräuber ? Geht im die Kirchen, ruft das Anathema, loſcht die Lichter aus und wünfdht mir taufend Teufel auf den Hals! Das will ich Euch glauben; denn das ift die Sprache Eures Herzens und bie feine Art Eurer Ergebeuheit und Treue! Beihämt ſchli - hen fie von dannen. Das war bie einzige Rache, die ih nahm, und dieſe ift feine Suude. Laß fie nur kommen! Der Kopf bier flieht noch feft, und aud der Arm hält no ein Schwert. Betrübt, aber nothwendig iſt's, mit dem Schwerte zu regieren; es wäre recht ſchön, reichte das Scepter, ber leichte, Heine, glän- sende Stab, ans! Hab’ ich doch durch meinen Gefandten zu Nürnberg dem deutſchen Reich, der ganzen Chriftenheit meinen Arm, mein Heer, Geld, mic, ſelbſt zum Kampfe gegen die ge- waltig hereinbrechende Macht der Türken anbieten laſſen! denn jener Koloß im Süden droht Alles über den Haufen zu werfen. Es half nichts! Fantinus, ehedem mein ſchmeichleriſcher, demüthi- ger Diener, jett des Papſtes Legat in Deutſchland und folglich ein Herr, ein mächtiger Stellvertreter, der mich feine Bedeutung fühlen laſſen will, antwortete im Namen feiner Heiligkeit: Der heilige Bater der Ehriftenheit will, daß Reichsheer und Kreuzzug die bohmiſchen Ketzer noch früher, als die Mohamebaner befriegen mögen; denn fein fo arger Feind bes päpfllichen Stuhles if ber Sultan, wie der keheriſche König Georg! Ich muß es lachend tragen, Hab’ e8 lachend vernommen und benfe, es kann eine Zeit tommen, wo jene Mufelmänner nicht nur Kriftliche Reiche, fon-

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dern aud den päpftlicen Stuhl über den Hanfen flogen, und dann wird Seine Heiligkeit vergebens nad; einem bereitwilligen Arme, wie ber König Georg’s, rufen. Das Reid Böhmen Hmmt mir vor wie eine fhöne Jungfrau, die elternlos if. IH bin der Vormund. Da lommen allerlei Freier und wollen fie heimführen, und weil ihr nun feiner gefällt, fo Keen fie gegen den Bormund. Sie meinen, der trage die Schuld, ftellen ihm ein Bein nad dem andern und möchten ihn gern forthaben, vermei- nend, dann fei es leicht, die Gunft ber Jungfrau zu erwerben. Aber der Vormund weicht nicht vom der Stelle, er weiß; Ihr Könnt ihr nicht gefallen; bis jetzt ift er noch der ftattlichfte Freier. Und Einer von den Freiern ift auch ber Kaiſer der mächtige Mann, Gott fee gellagt! der immer mit der Curie mich verföhnen wollte. Ex fpielt mit ihr unter Einer Dede und möchte das ſchöne Weib gern heimführen in fein armfeliges Haus. Nichts dal So Lange ich noch einen Blutstropfen in ben Abern habe und die Böhmen Vertrauen zu mir, bieib' ich bier ſitzen auf dem Hraböin und nenne mid König, wie e8 nad; meinem Recht mir zulömmt.“

„Die beiden Ritter von Techtie,“ nahm Bictorin das Wort, „erbitten fi die Gnade, Dich auf diefem Streifzug begleiten zu dürfen.“

„Sie follen es,“ verfegte der König. „Seltfame Leute! Sie find eifrig huſſitiſch, wunſchen die neugebornen Kinder zu ber waffnen gegen Alles, was katholiſch if. Es iſt nicht recht, daß man mit Wuth gegen die eigenen Landelente und Gtamm- genofien zu Felde zieht, wenn gleich fie uns mit bemfelben Eifer anfallen. &8 gilt nur, ihmen wie ungeberdigen Kindern eine Zuchtigung zu geben, damit fe ſich beſſern. Und das werben fiel Bictorin, gib meinem Gtallmeifter den Befehl, mir morgen den weißen Hengft bereit zu Halten. Das Thier ift zwar lahm auf einem Fuß, aber es Hat mi zum legten Siege getragen,

und ich wird’ es fränfen, ſetzteach's jetzt zurfd. Ich Habe bei meiner vielen Erfahrung mit ben Menſchen fogar das Thier mit Borfiht behandeln gelernt.”

Er lachte vergnügt bei biefer Bemerkung und fuhr daun fort, das Schreiben dem Sohne hinreichend: „Dies Blatt hier nimm nnd laß es unter Glas in einen Rahmen faflen. Häng’ es in meinem Sprehzimmer an bie Wand, daß Jeder, der dort eintritt, Gelegenheit habe, es zu leſen, nicht um meinetwillen, weil id darin gelobt bin, fondern mm bes Chreumannes willen, ber es geſchrieben. Ich kann ihn, der nichts verlangt und nichts bebarf, nicht befier belohnen. Diefer Brief fei fortan ber fchönfte Schmud meines Schloffes. Ei! es ift fehon ganz finfler ge- worden während unſers Geſpräches. Defto näher ift uns ber Morgen. Um vier Uhr forge dafür figen wir zu Pferde; um ſechs müffen die Thürme Prags ſchon Hinter uns verihmun- den fein. Vielleicht ſiſchen wir im Rofenberger Teiche, wenn unfre Arbeit zu Budweis raſch abgehen if. Gott befohlen! Ich treffe Dich bei der Mutter, wenn Deine Geſchäfte beforgt find.”

Er ſchritt nach der linken Seitenthüre, während fih Bicto- rin durch die Mitte entfernte.

15.

L!idmila ſaß am Abend, allein in ihrem Cloſet auf dem Budweiſer Schloſſe. Sie hatte die Harfe mißmuthig im einen Winkel geftellt, denn feine Weife wollte ihr heute gelingen, jeden Augenblid fprang eine Saite, und dies Alles vermehrte nur ihre Unluſt, oder war vielmehr eine Folge derſelben. Sie fügte das Haupt auf die Hand, daß die ſchwarzen Loden in reicher Fülle über den fchönen, vollen, blendenden Arın hermieberwallten, blicte

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feitwärts in den rothen Abendhimmel, der den weiten See unten, die Hügel nnd Berge ringsum mit feinem bald rofigen, bald flammenden euer übergoß, und ſchwelgte in der Wehmuth, die fie beſchlich und vergangene Bilder in ihre Erinnerung zurüd- führte, die an der rauhen Wirklichlkeit der Gegenwart bebend zurüdichauderten.

Der Ritter von Spanberg, ihr Gatte, trat herein.

„So allein und ernft?” fagte er raſch und gleichgültig. „Ich ann mir's benfen, daß fi meine Gattin Hier langweilt in ber üben Veſte, wo es fein Feſtgepränge gibt als Waffengetümmel umd feine Ausficht zur Luſtbarkeit als etwa einen Sturm. Der Reber» tönig rüdt heran und will den harten Schädel an biefen Stei - nen verfuchen. Ihr follt: Euch aber nicht länger grämen Bier in der Einfamfeit. Wir müſſen morgen fortziehen. Möglich if’s doch, daß die Huffiten die Burg einnehmen, und Rofenberg, Euer Oheim, will nicht, daß für diefen Fall alle Bundesgenoffen ge fangen werben follen. Gr braucht Raum id kann's ihm nicht verbenfen: denn Weiber und müßige Zufchauer flören nur. Er will's allein verſuchen. Wir, Guttenftein, Sternberg und die Uebri« gen ziehen gen Hradid nad; Mähren, auf dem Wege durch Oeft- reich. Dort haben wir das Heer des Ungarnfönigs vor uns und zudem iſt die Vefte ſelbſt uneinnehmbar. Rüftet Euch; morgen früh müffen wir bei Zeiten aufbrechen.“

„So, raſch ohne alle Vorbereitung?“ fragte Lidmila, langſam das Haupt gegen ihn bewegend.

„So raſch und ſchnell,“ wiederholte er nicht ohue Strenge, „als es die Umflände erheifhen. Wir leben hier im Kriege und bereiten uns nicht zu einem Banket vor. Ich glaub's gern, da End biefe ernfte Zeit mit ihren Verhandlungen, Sorgen amd Eniwurfen nicht gefällt."

„Bin ich zur Laſt,“ verfegte fie kalt und ruhig, „wartm Hießet Ihe mich nicht in Prag, wie ih mwinfchte ?“

„Wo der Mann if,“ warf er, finfter vor fi Hinblidend, ein, „muß aud das Weib fein; nur bei ihm iR ihr gebühren- der Plag. Wollten wir für zwei verſchiedene Parteien fechten, Ihr in Prag, im Herzen dem König und den Calirtinern zuge than, id) Hier für bem reinen Glauben und des Könige Matthias Rechte ?”

„Ih Habe Cuch meine Hand gereicht, Ritter Spanberg,“ entgegnete fie ſtolz, „weil es meine Bermandten fo wollten, unb Gott ift mein Zeuge, daß ich bis jegt noch feine meiner Pflih- tem verlegt habe. Ihr könnt mic ale Eure Magd behandeln; doch Aber meine Ueberzengung dürft Ihr nicht gebieten, barüber iR nur Gott der Herr“

„Ich weiß es wohl,“ gegenrebete Spanberg, indem er raſch das Gemad auf nnd ab ging, „dies ganze Unternehmen, biefer Aufftand iR nicht nach Eurem Sinne, weil er gegen bie Keher ich wollte fagen, gegen Cure Glaubensgenoffen gerichtet if. Jung gewohnt, alt gethan. Euer Herz hängt noch an ben Lehren des huſſttiſchen Prieſters, der Euch erzogen. Ihr folltet dergleichen Geiftesrihtungen, die nur von Seelenſchwäche zeugen, fahren laſ- fen. Nur auf der Seite, welcher ich meinen Arm geboten, Tann ih mid und Euch erheben. Zudem ſteht Euer Oheim an ber Spige, und mehre Eurer Verwandten fämpfen mit,”

„über nicht der edle Neuhaus,” erwiederte fie, „ber mid erzogen hat, dem ich fo viel verdanke.“

„Er hat fich wieder zu dem König geſchlagen,“ warf Span- berg leicht ein, „weil's ihm gelüftetete, gegen die Deutſchen noch einmal den Feidherrn zu fielen. Doch das iſt gleiäigältig. Das Land Böhmen, wie es jegt if, iſt ein junger, toller, verſchwen - deriſcher, unbefonnener Menſch, der einen Bormund braudt. Wir wollen ihm einen Vormund geben, einen katholiſchen, träftigen, Fingsum befrenndeten Mann. Die Grenel müffen aufhören; das Huffitentfum kann fich nit länger Halten; darum muß es bei

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Beiten ausgerottet werben, wie der Brand am einem Baume, der jonft weiter frißt.“

„Wär't Ihr im Lande geboren und jenes Glaubens,“ ver- ſetzte fie nicht ohne deu Kon des Borwurfes, „Ihr fprädet ans ders; und Gleiches liehet Ihr Euch in Curem Dentichland von einem Böhmen wicht bieten. Bon denen, bie nicht edel denken, hat das Ungläd nur Hohn zu erwarten.“

„Was fGmäht Ihr meinen Ebelmuth?“ fuhr er mit Bitter keit auf; „verſchuldetes Mißgeſchick darf nicht auf Mitleid rechnen. Ja ich danf es aud- Gott, baß ich nicht Hier geboren und nicht bes ketzeriſchen Glaubens bin; und dahin, daß ein Böhme bereinft zu einem Deutfchen gegentheilig fo ſprechen könnte, wird es mit Gott nie kommen. Doch ich fehe, Ihr ſeid mißgelaunt Ihr trennt Euch wohl nicht gern von Bier. Und doch gefiel es Euch bis jegt nicht Ihr wollte fort, und num, da wir ziehen follen nicht? Vielleicht hofft Ihr einen geiwiffen Nitter wieder zu fehen, der leicht möglich mit dem Ketzerkönig Tommt, bie Burg erfteigt, Alles niebermegelt und mur Euch, der alten treuen Siebe, ſchont. Es Tlingt abentenerfich, doch unmöglich wär’ es gerabe nit; hat er doch Wunder getban, ber bleiche Fant, hat den König gerettet ſich auch nebenbei gegen ihn verſchworen, hat feinen Bater vom Galgen oder aus dem Kerker befreit, und weiß der Himmel, was noch Grofes gethan! Beim heiligen Paulus, meinem Schug- und Namenspatron, feine Her- kunft iſt ehrenvol! Mich wundert's nit, daß er ber ſchönen, hochgebornen, folgen Lidmila Ange unter ſolchem Umftand auf fi) locken mußte.“

„Sein Leben,” ſprach fie feierlich, erhob ſtolz das Haupt umd richtete die Bficde fet auf den Gpötter, der ihr Gemahl war, „At inmitten aller Drangfale, aller unverſchuldeten Leiden und Erniebrigungen fo rein geblieben, daß diefer Mare Spiegel von Eurem Hohne nicht beſchmutzt werden kann. Hier, wo er nidt

Herloßfohn: Der legte Taborit. IL 14

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ſelbſt ſteht, iſt er wehrlos, nud die Menfchenpflicht gebietet, dies Wort für ihm zu ſprechen. Manch' Anderer wurde ſich berühmen, wäre er fo tief gebengt worden wie jener, und hätte ſich fo glor- reich wieder erhoben. König Georg keunt ben Werth des Menſchen und lohnt ihm mur mach demſelben.“

„Mögt Ihr ihn immer rügmen,“ fagte Spanberg gereizt; „er hat End doch verihmähtt Umb ber Muh iR nicht groß, von einem Maune folder Art verihmäßt zu werden.“

mdätte er mid verfgmäht,“ verjete fe, „fo war ich ſtolz genug, ihm zu verachten, und es genüg' Euch die Verficherung, daß ich ihn nicht verachte. Cr liebt nächſt Gott fein Baterland über Alles. Wollte Gott, es Tiebte jeder fein Vaterland mit fol- Ger Blut! Keiner würde dann bie Freiheit eines andern Landes untergraben.”

„Ich ſagt' es doch, Ihr ſeid mißgelaunt!“ erwieberte er gleichgultig; „doch fo leid es mir auch thut, ſteht es jetzt wicht in meinen Kräften, Euch in beſſere Laune zu verſetzen. Es bleibt dabei, morgen bei Zeiten brechen wir gegen Hradid auf. Es ift nicht viel Ausfiht zu einem rührenden Wiederſehen.“

Er verneigte ſich leicht und verlies das Gemach.

Sie richtete ben thränenfeuchten, büftern Bfid gegen den Himmel empor, und ein banger Seufzer entwanb ſich ihrer Bruft: Heiliger Gott! id; büße ſchwer ·

Georg war vor Böhmiſch ⸗Budweis angelangt. Er forderte den Rofenberger auf, ihm das Schloß zu übergeben, und ver- ſprach ihm in biefem (alle Verzeihung und Vergefien des Ge— ſchehenen; ja er wollte fogar feine Beſchwerden hören und die

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Hamb zu deren Abhilfe reichen. Wofenberg wies den Antrag zuruc·

Der König ließ ftürmen. Trotz der verzweifelten Gegen- wehr der Befagung waren binnen vier Stunden die Wälle er- fliegen. .— Die Herren von Sternberg und von Guttenberg, weiche ſich gleichfalls ‚in der Burg befunden Hatten, waren geflo- ben. Rofenberg wurde mit den Waffen in der Hand gefangen genommen und in Ketten gelegt.

Der König rüdte an der Spige feiner Truppen mit feinen Söhnen im Budweiſer Schloffe ein. Am Gingange der Pforte teat ihm der gefeffelte Rofenberg entgegen, ber den Kerker bes Schloffes beziehen follte. Beim Aublide des Königs blieb er wie gebannt ſtehen und ſenkte das Haupt zu Boben.

König Georg ſah ihm lange, "mehr aber mit ſchmerzlicher Teilnahme, als mit Groll und Beratung an; dann fprad er: „Rofenbeig, es drüdt mir das Herz zufammen, daß ih Euch fo hier vor mir fehen muß; und doch bin ich, bei Gott? nicht die Beranlaffung davon. Zu Eurem ehrwürdigen, filbergrauen Haupte Hatte ich ein befferes. Vertrauen! Alter Mann, Ihr konnt es nie verantworten, wie Ihr an Eurem Landesheren, Euren Brübern gehandelt, um dem Ausländer, ben Pfaffenkuechten zu dienen! IH ſchäme mid in Eure Seele deſſen! Ein Böhme, und dient dem Ungarn und firebt dem felbfigewäßlten König nah Krone und Leben! Was Hab’ ich Euch gethan, daß Ihr mit folder Wuth Euch gegen mid rüftet? Ich Habe Euch, die Katholiten, "gehalten ‚wie meine Glaubensgenofien, babe dieſe weber bevor rechtet, noch Euch zurüdgefegt. Alſo wo if die Toleranz, die Friedfertigkeit? Bei mir, auf umferer Seite wohnt fie. Mas fol ih mit Euch beginnen, Rofenberg? Zum zweiten Wale Euch freilaffen, damit Ihr Euch zum zweiten Male gegen mid; bewaffnen Könnt? Ih Tann doch dem Schützen, ber zweimal nad; mir geſchoſſen, aber mich, Gott fei Dank! -gefehlt

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het, nicht zum britten Male das Gewehr in die Hand geben, damit er Rein! Gottes Donner! er Könnte zum bitten Male treffen. Ihr geht mad; Prag in's Gefängniß. So leid mir's thut, daß ih mich faft ſchame fo muß id) doch fo und nit anders handeln. Man wird Euch dort einen Brief zeigen, den ber Swihoveth am Euch geſchrieben. Ich Hoffe zu Gott, Ihr werdet End ärgern, daß Ihr den Brief nicht geichrie- ben Habt. Jet gehabt Cuch wohl Ich Hätte ein freund - licheres Wiederſehen gemünfgt.“

Er wandte ihm nad dieſen Worten den Rüden und ließ ihn abführen. Bier junge itter mit einer Chan Gölbuer geleiteten den angefehenen Standesherrn in einem Wagen nad) Brag. Gegen bie überwältigte Befagung bewies fi der Kö- mig fehr gnädig und fGonend. Cr ließ von den Lebensmitteln, melde er aus ber Stadt mitgebracht, unter fie anstheilen, im gleicher Größe wie unter feine Leute. Die Schloßtapelle räumte er ihrem Prediger ein; ber Huffitifche mußte fich zu feinem Got- tesbienfte eines Zeltes bedienen. Als fi der Magiſtrat ber erfchrodenen, ftets feindlich gefinnten, umm aber in des Königs Händen befinblien Stabt melden ließ, um fi, wie ber Abge- fandte dem Oberfämmerer berichtete, bem rechtmäßigen Beherrſcher in Demuth und Unterwürfigkeit zu Füßen zu ürgen umd Gnade und Verzeihung zu erflehen, ließ Georg antworten: Geine Hoheit hätten keine Zeit, das Compliment der Budweiſer Bürgerſchaft entgegenzunehmen ; doch wünfchten Diefelbe, Tag und Gtunde zw erfahren, wann Cie von ihren treuen Unterthanen in der Kirche bei ausgelöfchten Lichtern verflucht und verwünſcht werden unb auf Ihr Haupt das Anathema herumterbejchworen wird, um im eigener Perſon dieſer wahrhaft chriſtlichen und liebevollen Cere- monie zu eigener großer Ergötzlichteit beizuwohnen. Welche GSefinnungen Seine Hoheit übrigens hegten, würde ber Erfolg

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lehren. Beihämt entfernte fid) mit biefer Antwort der Ab georbnete.

Us die Stadt mehrere Wagen voll Lebensmittel, Wein, Bier und Futter vor dem Schloſſe auffahren ließ ale Geſchenk an bie neue Befagumg, nahm fie der Kömig bloß gegen baare Bezahlung und zu dem Preife, welden er felbf angefegt, und der ein höherer, ale ber wirffihe war, an. Er erhob feine Kriegefteuer und feine Brandſchatzung; er Iegte auch nicht einen einzigen Mann zu ben Bürgern in's Quartier.

Am folgenden Tage ſchon mußte Bictorin mit einem Theile der Heeresmacht aufbrechen und nad) Mähren ziehen. Hier follte er den König Matthias, der bis Znaim vorgedrungen war, vom Rüden aus beunrubigen. Georg felbft erwartete Verſtärkung vom Prag, nm die Burgveften des Herrn von Hafeuburg längs ber oſtreichiſchen Grenze zu belagern und bem verflodten Vaſall zu züchtigen.

Sein zweiter Sohn, Heinrich von Münfterberg, ſollte in Budweis bleiben, nm dem ganzen Kreis, der leicht zum Aufruhr geneigt war, zu beobachten und nöthigenfalls im Zaume zu halten.

Noch war Georg nicht ausgerüct, als am 1. Auguft die Nachricht fam, wie fein Sohn Victorin vom Könige Matthias bei Weſeli im Hrabider Kreiſe in die Flucht gefclagen worden ſei, fi in das Schloß mit ſechehundert Mann geworfen und in der Hoffmung eines baldigen Entſatzes durch feinen Bater ih tapfer vertheibigt habe. Als aber die Hilfe zu lange ausblieb, ergab fid die Befagung. Bictorin ſchlug fi) an der Spige vom fünfzig Mann bei Naht und Mebel durch; aber er wurde am folgenden Tage von einem herumftreifenden ungriſchen Haufen unter Anführung ber Ritter Madacshy und Janoſſy anerkaunt gefangen genommen und dem König überliefert.

Matthias empfing if freundlich und lachelnd. „Wir ha- ben uns lange nicht gefehen,“ ſprach er, ihm die Hand drüdend.

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„Es ift ſchön von meinem Jugendgeſpielen, daß er mid heim- ſucht. Ei! der Matthias if nicht fo grimmig, wie fie bei Cuch erzählen. Geid willtommen, Bictorin! IH bin Eurem Bater noch von Kuttenberg her Dank ſchuldig für gütige Aufnahme. Erlaubt, daß ich jetzt einen Theil der Schuld abtrage. Freilich freilaſſen kann ich Euch vor der Hand nicht; Ihr habt mir ſchon gar zu viel Schaden verurſacht, bbſer Schwager. Aber das KXriegegetümmel bier würde Euch nur flören und verfint- men, wenn Ihr unthätig nur einen Zuſchaner abgeben müßtet. hut mir’ zu Liebe und zieht auf meinen Lieblingefig, die Wy⸗ degrader Burg. Dort if’s herrlich. Bon einem Kranze grüner Berge iſt das Schloß umgeben; filberne Seen und biane Flüſſe glänzen in der Ebene, in den Wäldern ſchallt das Hüfthorn, auf den Hügeln reift bie Traube, und ein milder, blauer Himmel Hegt ewig über der veigenben Gegend. Verweilt dort furze Zeit Ratt des Königs, gehalten und geehrt wie fein Schwäher, wie er ſelbſt. Haben wir erft Bier den verdrießlichen Handel, der mir, bei Gott! feine Freude macht, anf diefe oder jene Art ausge - glichen, fo beſuche ih Euch ſelbſt, und wir jagen dann Inftig in den Wäldern und verfammeln einen Meinen, trauten, aber gläu- zenden Hofftaat um uns. Ihr follt die Blumen des Landes, unfere Fräulein, fehen und bewundern. Bei Sanct Stephan! fie find nicht minder ſchön, als Eure böhmiſchen Mägdlein. Die Augen glühen noch feuriger, noch röther find bie Lippen, und uoch ſchwärzer glänzt das Haar. Gie werden Euch gefallen.” „Da Ihr fo eindringlich bittet, Hoheit,“ eutgegnete Bictorin fcherzweife, „jo würde ein Einſpruch von meiner Geite wenig helfen, um fo meßr, ale Ihr mic hinſchicen könnt, wohin Ihr wollt. Id müßte lügen, wenn id) fagte, daß ich nicht lieber irgendwo andere wäre, als gerade hier ımd in Eurem Rüden; doch if’8 einmal nicht zu ändern. Das Kriegeglüd if trenloe, wie jedes andere Glüc. Ich nehme Guren Antrag dankbar

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an, König Matthias; doch laßt mich nicht zu lange auf Euren gütigen Beſuch warten. Ihr follt in mir einen recht verträgli- Ken Ketzer finden und erfahren, daf wir. gar nicht fo ungeſchlacht und verberblih find, um mit feuer und Schwert ausgerottet zu werden.“

Er nahm Abſchied. Hundert Hußaren und einige Edelleute aus des Königs nächſter Umgebung geleiteten ihn.

Georg’s Beſtürzung war groß, als ihm dieſe Tramerbot- ſchaft zu Ohren fam. Gr befchloß jekt, feinen Bug gegen bie Hofenburgifchen Schlöffer aufzufdieben und vor der Hand zur Aufrehterhaltung der Ruhe im Budweiſer Kreiſe felbft dort zu verbleiben; feinen Sohn Heinrid aber ſchicte er mit zahlreicher und auserlefener Mannſchaft in Eilmärfhen nah Mähren.

„Geh Hin,” fagte er beim Abſchiede, „laß die Kelchesfahne wehen und befreie den Bruder. Wir Haben bem König Matthias noch nicht die rauhe Seite gezeigt; der Krieg gegen ihn wurde wie eine Spielerei getrieben. Jetzt gilt es, einmal Ernft zu maden und Mähren von dem fremden Bolte und unſerm Ger genfönig zu befreien. Ich böre fo eben auch, daß bie acht ober- ſchleſiſchen Fürften dem Matthias zu Olmüt gehuldigt, noch dazu als einem erblien Könige in Böhmen und Mähren. Was wird Kaflmir dazu fagen, ber für feinen Ladislav aud ſchon die Krone angenommen? Da gäb' es alfo drei Hänpter für Eine Krone. Wollen fehen, wer fie zuerft vom Kopfe des Andern reißt. Mad’ nur den Bictorin frei, Heinrich; kehr' nicht an- ders zurüd. Hab’ ich erft hier Ruhe, fo folg' id) Dir vielleicht. Der Herr fegne Did

Sie trennten fih. Heinrich flog mehr, von KRampfeslı entbrannt, nah Mähren. Es galt jest, ſich als felbfiftändi Anführer eines Heereshaufens zu zeigen und dem geliebten Bru« der zu befreien. Er fehnte fid) darnach, ſich mit dem gleich

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tapfern, wit ihm im gleichen Alter ſteheuden -Ungarnfönige zu meffen.

So war er in Mähren eingedrungen, nachdem er alle ein- zelnen Streifcorps, welche fich ihm emtgegengeftellt, zu Boden ge- worfen. Er lam vor der Stadt Hrabid an, welche von einem anf dem Berg gelegenen Gchloffe beihägt wird. Das Schloß hatte ur geringe Beſatzung. Gin ſchmaler, enger Gang führte von feiner Höhe herab und ſtieß am bie Außenwerke, welche von einem ziemlidgen, hohen Walle, einigen unterirbiigen Gewölben und Meinen Thürmlein an den Mamervorfprüngen gebildet wur dem. uf der öRlihen Seite der Burg erhob fi eim hoher, von einer früheren Belagerung her noch etwas verfallener und befhäbigter Thurm. Um den Fuß befielben zog ſich der ſoge - nannte Vorhof, ber gegeuwärtig aber nicht benutzt wurbe, weil feinen Raum Schutt und zertrünmmertes Kriegsgeräthe verengte.

Um das Schloß und in die Stadt verlegte Heinrich fein Nriegevolt und ließ die Bejagung zur Uebergabe auffordern. Sie follten, wenn fie die Waffen firedten, als SKriegegefangene an- ſtandig behandelt und nur fo fange in leichter Haft gehalten werden, bis Bictorin gegen fie ausgewechſelt fein würde. Die Beſatzung, angeführt von Burian von Guttenflein und dem. Rit- ter Spanberg, antwortete mit Hohn auf diefe Aufforderung. Sie Heßen dem jungen, böhmifchen Löwen das waren des Herolds Worte fagen, er möge feine Krallen umd Zähne mır an dem feſten Mauern erft verfuchen; mod aber Hätten fie Waffen und Lebensmittel im Ueberfluß, um ihn zu ermüben.

„Der junge Löwe,” fagte Heinrich auf folden Beſcheid, „bat ihnen erft die Sammtpfote gezeigt; fie wollen alfo bie Krallen fehen. Dann aber, fürdt' id, bleibt vom Hradiser Schlofſe kein Stein auf dem andern uud feine Seele der Beſatzung unter ben Lebenden.“

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Er beſchloß, am folgenden - Morgen Sturm zu laufen. Bratislav wide abgefhicdt, um die Nähe bes feften Platzes im Augenfhein zu nehmen und die geeiguetſten Angriffspunkte zu erforfchen.

Er befand fi aufer Schußweite gerade dem Schloſſe ge» genüber. Die untergehende Sonne glänzte in ben Fenſtern und biendete feine Augen. Er hielt bie Hand vor das Antlig. „Im einem Fenſter des zweiten Stockwerles ſaß auf der Brüſtung eine Frauengeſtalt. „Alfo auch mit Weibern fechten wir died- mal!" fagte Vratislan, fi zu dem Oheim wendend, unterbrach fi aber plöglich ; denn die Dame kehrte das Antlig nad ihm und ſchien ihn zu bemerken. „Heiliger Gott 1” fenfzte der Ritter auf, und ein Zittern durchflog feine Glieder „fe iſ's fie is!“

Auch ſie Hatte ihn erkannt; fie flarrte eine geraume Zeit nad) ihm hermieder, dann riß fie fi gemaltfam los und ver (wand vom Fenſter. Er fland lange wie eingemurzelt da fie kam nicht wieder; doch ſchien es ihm, als hätte er am einem ter andern Fenfter hinter dem rothen Vorhang etwas Weißes ihr Gewand ſchimmern gefehen.

„Bon bier aus flärmen wir, Obeim,“ fagte, er, „gerad' auf ben Kern, auf bie Breite des Schloſſes Is!“

„Der Graben ift bier zu fleil,“ antwortete Zdeuko; „ich glaube, an jener Seite haben wir weniger Schwierigkeiten zu überwinden.“

Nein, gerade vet,” widerſprach Vratislav mit Lebhaftig- keit; „ie Reifer, beflo beffer! Des Angriffe Bier verfehen fie ſich nicht. Der Prinz wird fon damit zufrieden fein.” Sie zogen ſich zurüd, umd als die Macht Fam, legten fie in aller Stille einen zahlreichen Haufen am biefe Seite des Grabens, der beim erften Sonnenſtrahle Sturm laufen follte.

Libmila war es, welche unfer Ritter am Fenfter erkannt. Ohne zu wiffen, was fie that, war fle vom Fenſter fortgeftürzt;

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fie eilte in ein anderes Gemach und ſchritt Bier im gewaltiger Aufregung auf und nieber. Endlich wagte fie es, durch die Gar- dine geborgen, einen Bid nad) dem Geliebten ihres Herzens zu werfen. Er ſtand noch am derfelben Gtelle er Hatte fie er Yannt. Ihr Herz ſchiug gewaltig, fie zitterte bei diefem Wieber- sehen; mußte er fie doch anf der Seite ber Feinde feines Glau- bene und Baterlandes, angetrant feinem eigenen Feinde! Konnte er fie noch lieben, noch adten? Diefe fragen beflürmten ihr Gemäth.

Plõtzlich vernahm fie Stimmen im Nebengemade. Die Laute drangen durch eine geheime Thüre, die fi unter den Da- mafttapeten befinden mußte; denn weder Schloß mod Riegel ver- rieth einen Eingang. Leiſe und mit angehaltenem Athem ſchlich fie näher und lauſchte. Es war ihres Gatten Stimme, dann die Burian's; nod ein dritter Mann ſchien zugegen, doch für diefen ſchien Spanberg zu ſprechen.

Die Unterhaltung wurde lauter. „Der Kundſchafter hier,“ fagte Spanberg, „ein treuer, verläßlicher Mann, hat fi glücklich im Duntel hereingeſchlichen. Die Sachen ſtehen befier, als wir glaubten. Ganz in der Nähe liegen nur die Ritter von Cechtic mit einem Haufen von faum zweihundert Mann. Der Prinz hält unter dem Berge, einen Büchſenſchuß weit von der Borhut, und fie. find durch dem Hügelvorfprung fogar aus feinem An- geſichte gerüdt. Morgen wollen fie flürmen. IH Habe mir Lage, Befefligungen , unterirdifche Gänge, Alles genau beſehen. Bent’ Nacht noch läßt ſich ein kühner Handſtreich wagen; Hundert Mann genügen, um jene zweihundert in aller Stille anfgureiben. Wir ſchuchtern den Feind ein, wenn wir ihm mit folder Kedheit zu- vorfommen. Ueberlaßt mir die Ausführung meines Planes, Herr von Guttenftein ; ich bärg' Euch mit meinem Leben für das fichere Gelingen.”

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„Recht gem,“ verfegte Burian; „doch erlärt Euch erft deutlicher.“ J

„unter jenem Walle hinaus, gerade in der Richtung bes ſchmalen Ganges nad) der erften Ringmauer, führt ein unter» irdiſcher Gang. Er läuft in eine Thure aus, die mit Raſen ber dect ift und auf die Abdachung bes Hügele führt. Durch dieſen Gang ſchleiche ich mit unfern beherzten Leuten binaus. Im Nu find wir der Vorhut im Rüden, bie, müde von der raſchen Fahrt, in den Armen eines feften Gchlafes Tiegt. Zugleich können wir nicht von ber Hauptmacht ber Belagerer erblidt. werden, weil uns der Vorfprung bes Berges deckt. Leife nahen wir uns ben Schläfern und ſchlachten die Unbewehrten, in ber Ueberraſchung Befinnnngelofen, einzeln ab. Sollten ihre Wachen auch unfere Annäherung bemerken, fo werben fie glauben, wir gehörten zu den Ihrigen von unterhalb des Berges. Der Borforge wegen ziehen Alle aus Leinenzeug verfertigte Wappenröde an, wie fie die Zaboriten Haben. Keiner darf uns entlommen; Ritter wie Söldner müfjen bingeopfert werben. Bevor das Geräufch noch unten im Thale laut wird, ber Feind fi ermannt mud ben Bedrängten beifpringt, find fie alle ſchon niebergehauen, und wir haben den fihern Rüdweg durch ben geheimen Gang angetreten. Iener Gang aber bleibe dem Feinde geöffnet; ‚denn in feiner Mitte befindet ſich eine Fallthüre, die einen tiefen, bis in bie innerfte Wurzel des Berges führenden, abgrunbattigen Brunnen verdedt. Sobald wir die Fallthitre Aberfchritten Haben, löſe ich bie Riegel und verlöfe die Fackel, welche nns leuchtet. Der mit Wuth nachſtarzende Feind betritt den ſchwankenden Boden, der unter ihm weicht, und wie bie Hinterften bie Vorderſten drängen, fo flürgen fie nach einander rettungelos, zerſchmettert aber ertrin- tend in den Abgrund Binab, der Raum für mehr als zehntanfend Leihen hat. Der junge Königefohn, der Löwe, foll als zweiter Daniel Hier, jo uns Gott begänftigt, feine Lömengrube finden.“

„Die That iſt kahn,“* veriegte Buriau; „wenn fie gelänge, es wär’ ein Meifterfireih, Hier fo mit weniger Maunſchaft ein ganzes Heer verderben zu- können. Der König würde jubeln“

„Ih bürg' Euch für dem Erfolg,“ antwortete Epanberg; „id bin beffen fo ſicher, wie meiner bereinfligen Seligkeit. Laßt mid gewähren. Zahlt hier dem Wanne feinen goldenen Lohn; er muß im nachſten Augenblide wieder bas Schloß verlaflen. Sobald die Falıhüre gedffnet iR, eile ich mad) jenem MHeiuen Thürmiein Aber der Kapelle und gebe mit einer Fackel ihm das verabrebete Zeichen. Sobald er es anf jener Geite der Stadt ge- wahrt, fledt er einige Scheunen vor bem weſtlichen Thore in Brand, damit, was von flreitfähiger Mannſchaft noch im Lager if, dahin gelodt, fo zerfiremt und vom une, die wie dan fidher einen Ausfall wagen Lönnen, gänzlich aufgerieben werde. Sobalb es ein Uhr gefchlagen, begebe ich mich in den unterirdiſchen Gang, nnd das Schanfpiel beginnt. Ihr bleibt inwiſchen mit ber übri« gen Beſatzung ruhig im der Burg umb beſetzt die Wälle und bem Play. Umftände werden das Weitere erläutern und fördern.“

nDer Plan ift gut,“ ſprach Burian und vieb fi die Hände; mer iſt eines ausgeleruten Meiflers in der Kriegetunft würbig. Hier, zahlt dem Manne doppelt feinen Lohn; er hat uns einem teefftichen Dienft geleißet. Beten wir noch, daß ber Hühne Gtreidh zu Gunften unferer Kirche und zu Ehrem ber gebenebeiten Mutter Chrifti gefinge.“

Sie ſprachen noch einige weniger bedeutende Worte umb entfernten fi dann.

ibmila blieb mit pochendem Herzen noch eine Weile in ihrem Berfted. Als fie wieder an das Fenſter trat, war Brati- ſlav verſchwunden; nur fein Federbuſch vagte noch über dem Rande des Hügele hervor.

„Did muß ich retten!“ ſprach fie bleich umd zitternd und deüdte die Hände auf bie wallende Bruſt, um ihre gewaltigen

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Schläge zu mindern. „Nicht. von feiner Hand folk Du verbiuten ober in der graufigen Tiefe enden, Du, dem ich mein Dafein verdanke. Es wäre jchrediich, mein Los Wahnfinn oder Tod! Erſt gehöre ich dem Vaterlande und dem Glauben, dann bem Gatten und feinem feindfeligen Anhang.“ 5

Sie raffte fih auf und eilte durch den Gang nad; ihrem Elofet. Hier fegte fie ſich im Dunkein an's Fenſter, hieß ihre Zofe ſie verlafien, ftügte das Haupt auf den Arm und fann über die Mittel nad, durch welde es ihr möglich werden follte, dem Geliebten vor dem ihm drohenden Schidfele zu warnen. Die Zeit drängte; kaum vier Stunden war es nod bis zu bem be abſichtigten Ansfalle. Sie fann und brütete; in Augenbliden über» mannte fie die Verzweiflung, und fie dachte nur am dem Tod.

Spanberg, der eben’ raſch und heftig eintrat, flörte fie. Sie fuchte fih zu fafſen.

„Nur wenige Worte]“ ſprach der Ritter; „ich muß gleich wieber fort. Der Feind ift vor den Thoren; jest gill's, an ernſte Gegenwehr zu denken. Wohl mag ich glauben, daß es Eu ängftigen mag, in einer belagerten Burg mit uns auszuharren ; aber wir leben einmal im Kriege. Da iſt's nicht anders, und dann gebe ich Eud mein heiliges Verſprechen, daß bis. morgen Mittag die Ketzer von hier vertrieben find bis auf ben legten Mann, fo wahr ic ein guter Ehrift!”

„Wenn Ihr defien fo gewiß feid,“ verjegte fie, „io beru- Higt wich dies wieder; obgleich ih Cuch nie Grund gegeben zu Haben glanbe, mid der Zaghaftigteit zu zeihen.“

„3a, wir weiſen fie mit blutigen Köpfen zurück,“ fuhr Spanberg fort, „und brauchen nicht erſt auf Erfag zu warten. Ich verlaff Euch jegt und bitte Cuch, ja ih muß End fogar befehlen, Hier Euer Cloſet nicht zu verlaffen, es mag auch ge- ſchehen, was da wolle, nicht früher, als bis ich felbft komme und Beſcheid bringe. Hört Ihr, Lidmila? Ich bleibe vielleicht

bis Sonnenaufgang. Die Rat kaun etwas unruhig werden; aber das beirre Euch nicht. Gehorcht mir, und id) werde es Euch danten. Ihr follt Euren Gatten als Sieger begrüßen und dann doppelt werth halten. Was ich damals auf dem Budweiſer Sohloſſe,“ fuhr er fort, ihre kalte Hand faflend, „im ſcherzhafter Nederei von dem Techticer ſprach, habt Ihr wohl vergefien. Be- rnhigt es Euch, fo vernehmt, daß er, fo viel ich weiß, nicht unter den Belagerern if. Es wird alfo zu feinen bintigen Hän- bein kommen zwiſchen mir und Eurem früheren Geliebten.“

Sie antwortete nicht; er entfernte ſich raſch. Er hatte gu- ten Grund, Vratislav's Gegenwart zu verheimlichen ; batie er ihn ja dem Zobe geweiht!

Es war bereits dunkle Nacht. Von einem plößlichen Entſchluſſe gefaßt, von dem Muthe der Verzweiflung gefräftigt, erhob ſich Lidmila, trat im eim Nebenzimmer und legte hier die Haube und das Gewand ihrer Zofe, bie mit ihr von Einer Größe war, an. Um nad) jenem mehrerwäßnten, ſchmalen Gange zu ge: langen, der bis zum äußern Wale führte, der feiner faft uner- ſteiglichen Höhe wegen nicht befegt war, nud von wo aus fie fi den Belagerern verftändlih zu machen hoffte, mußte fie duch eim Pfortchen, welches gewöhnlich von einer Schildwache befegt war. Dies Pförtchen öffnete ein Schlüffel, der im ihres Gatten Bim- mer Bing. Sie war jenen Weg oft gegangen, wenn fie auf dem hoch und frei liegenden Walle luſtwandeln wollte.

Spanberg's Gemach war leer; glüdtich fand fie den Schlüſ- fel. Sacht, aber mit ängſtlich podendem Herzen ſchlich fie durch die finfteren Gänge bie Treppe hinab, um auf den Burgplatz zu gelangen. Die Pforte unten war verſchloſſen fie fhob an dem Riegel; aber Burian hatte ohne Zweifel. die Thüre von außen zugemad)t. Sie tappte in der Finfterniß, denn ein Licht wurde fie verrathen Haben, dur den Gang des Erdgeicofies nach dem erften, zweiten Nebenpförtchen; aber feine Thüre wid; fie befand

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fi in einem großen Gefängniffe. Von aufen hörte fie zuweilen Stimmengemurmel und leiſe Fußtritte auf dem grasbewachienen Vorhof. Sie lehnte fih an die feuchte Wand und fann und betete in der ſchreclichen Angft ihrer Seele. Ein Gedante, ein Strahl der Hoffnung Iemchtete plötzlich vor ihr auf. Raſch flog ſie ſo ſchnell es bie Gier herrſchende Finferniß erlaubte, eine Wenbeltveppe hinauf. So gelangte fie bis unter das Dad. Eine: zerbrochene Thüre führte nad) dem baufälligen Thurme. Bon Hier uns konnte fie die Gegend überfehen und vielleicht durch das Innere deffelben Hinab in den Hof gelangen. Sie betrat die zer» brochenen Stufen und gelangte über Schutt und Geftein, bier und bort fid) ritzend und ausgleitend und ſtrauchelnd, immer tie- fer Hinab. Krähen und Eufen und ledermäufe, welche fie ans den Neftern aufſcheuchte, umflatterten fie und flarrten fie an mit den Teuchtenden Augen, daß fie faltes Grauen überlief. Jetzt mar fie unten. Sie tappte rings nach der Thüre, melde in’s Freie fügren folte; aber ein.Haufen Schutt und herabgeftürzte Dnaberfteine lagen vor derſelben. Sie ſchicktte ſich an, dieſelben hinwegzurãumen; aber trotz der Kraft, welche ihr die Verzweiflung und die namenloſe Angft gaben, war es: ihr dod nicht möglich, and nur Einen der fehweren Blöde von der Stelle zu wälgen. Sie warf fih erihöpft auf den Boden nieder. Jetzt ſchien jede Rettung unmöglih. Bor ihr lag dumpf und ſchrecklich das un» erbittlihe Schidjal und die grauenhafte Nothwendigkeit, die ihres Geliebten Leben forderte.

Auf jede Ansfiht verzichtend, erhob fie fi. Der grenzenloje Schmerz brad in Thränen ans; alt flürzten fle auf ihre be benden Hände darnieder. Sie ſchwankte mehr, als fie ging, bie morſchen, verfallenen hundert Stufen hinauf. Oben in ber öden Warte, welche durch vier offene Fenſter einen Dämmerſchein her- einfieß, raſtete fie unb biicte geiſterbleich hinaus in die dunkle Gegend, melde wie ein finfteres Beer meithin ausgebreitet lag.

Der Himmel war mit ſchwerem Gewölt bededt und Heß micht Eines Gternes matten Glanz hindurch; nur bier und ba ſchim⸗ merte aus der grauen Tiefe ein Licht, wie der Blid eines Ster- benden, und zu matt, um mehr als feine mädjfte Umgebung zu belenchten. Ein röthliher Schein vom Fuße des Berges deutete den Play an, wo bie Wachtfeuer ber Velagerer braunten.

Ihr Fuß fließ jeßt am etwas. Sie faßte darnach; es war ein Geil von beträchtlicher Länge. Ein Rettungsgebanfe durd- bligte fi. Sie befefligte das eine Ende des Seils am einen hervorſtehenden Balken umd warf dag andere in bie ſchwindelige Tiefe. Es erreichte den Boden, wie fie an ber Schwingung fühlte. Leife den Schutz der Muiter Gottes anrufend, flieg fie anf das Fenſterſims, faßte das Seil mit beiden Händen und ließ fih daran herab. Die Finſterniß verbarg ihr den granenhaften Abgrund; die Sehnen ber Arme wollten vom ber Gewalt der Schwere zeißen, aber Verzweiflung fählte fi.

So fand fie unten, athemio® und erſchöpft mit fchlaffen Armen. Um fie war zerträmmertes Geräthe, Dorngefiräpp und Schutt. Sie kroch über dafjelbe bis zu einer Definung, melde fih in der Mauer befand. Behutſam ſchlich fie an den Pfeilern vorwärts. Kaum noch zehn Schritte von ihr war das Pförtden, vor weldem die Wade ſchilderte. Eine Weile hielt fie fill und rang nad; Fafſung, dann trat fie raſch gegen den Söldner heran und fagte mit verflellter Stimme: „Landemann, ih habe ben Schlüfſel zu dieſer Pforte; meine Herrin fendet mich fie hat unten am Walle ein Tuch verloren, worein ihre felige Mutter eigenhändig Blumen gefidt. Leicht Tönnte das Tuch im Getim- mel ber Belagerung verloren gehen. Sie muß das Tuch noch heute haben.“

„Hinaus Lönut Ihr, ſchmudes Zöſchen,“ ſprach der alte riegsknecht mit gedämpfter Stimme, „aber herein nicht wieder. Einlaffen darf ich feine Seele, und käme felbft die Mutter Got-

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te8 mit dem Jeſuskinde, ich müßte ihr die Hellebarde in bie Bruſt rennen. Es fleht der Strid darauf, und das will etwas fagen. Habt Ihr Luſt, dort unten die Nacht zuzubringen und den Sturm abzuwarten mir ganz recht; aber rathſamer wäre es dann, Ihr leiftetet mic Gefellfhaft.. Wir durchplauderten bie Nacht; es ift ein Vorſchlag, ber ſich Hören läßt.“

„Nein, nein!“ entgegnete fie Rotternd; „ic muß das Tuch Haben. Es koſte, was es wolle.“

„Ich aber kann Euch nur heraus-, nicht aber wieder herein · laſſen,“ verſetzte der Krieger kalt und beinahe barſch. „Es iſt jetzt feine Zeit, mit leichtfertigem Weibervoll Umſtände zu ma- chen. Befteht Ihr darauf, fo ruf ich laut die nächſte Wache an der Führer fol kommen und Euer Begehren hören. Dann mag er Euch zum Herrn von Guttenflein geleiten; wenn's ber gelattet, Tann id) weiter nichts dagegen haben.”

„Das nicht, das nicht!” rief fie angſtlich; „ich kehre Lieber zurück und hole mir nenen Beſcheid von meiner Gebieterin.“

Wie es Euch gefällt,“ antwortete der Krieger und ftieß feine Hellebarde verdriefilih anf den Boden, indem er noch är- gerlid, einige unverftänbliche Worte in ben Bart brummte.

Sie zog ſich zurna Hinter die Pfeiler, wanfte nad) der Oeffnung, ſchritt über das geftürzte Gemäuer und Iehnte Fraft- and willenlos an der Mauer des Turmes. Ihre Augen ſchweiften rettungslos zum Himmel; fie rang bie Hände nnd wimmerte laut.

Endlich beſchloß fie zurüdzutehren. Sie ergriff das Geil und ſchwang fi baran empor; aber größerer Anftrengung be- durfte es, emporzugelangen. Sie wand fih ben Baft von ben Händen unermeßlich ſchien ihr die Höhe, in welcher fie an dem Seile Hin und herſchwankte nur immer eine Handbreite konnte fie weiter emporrüden. Jetzt befand fie ſich beinahe in der Mitte; aber die Kraft verließ fie, fie fühlte bie fchrediihe Ger wißheit, daß fie jegt im nächſten Momente hinabſtürzen wäfe in

Hertoßfohm: Der Icpte Tabarit. I.

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die ſchauderhafte Tiefe und amf beim fchroffen Geſteine ſich zer- ſchmettern.

Aus der Tiefe ihrer angſterfüllten, verzweifelnden Seele rief fie um Rettung und Erbarmen zum Himmel Stimmen tönten von unten, Waffengerafiel erfoll. Ihr Fuß berührte jetzt ci- nen ans ber Mauer ragenden Stein, der einen Borjprung bilbete; anf ihm raftete fie, das Geil noch fet mit den Händen haltend.

Ihr Bufen wallte, ihr Athem flog, das Herz ſchien die Bruft zerfprengen zu wollen; noch eine beträchtliche Höhe hatte fie vor fi, wie fie an ber dunklen Linie, welde das Geil über der weißlihen Mauer beſchrieb, gewahrte. Sie ermannte ſich end- Hd) wieder, faßte Trampfhaft deu rettenden Gtrid und Komm empor mit her legten Kraft, welde ihr die Verzweiflung gelaffen.

Endlich erreichte fie das Fenſter bebenb und bis zum Tode erihöpft. Blut klebte zwiſchen ihren Fingern und rann auf das weiße Gewand herab.

Nichts finnend, keines Gedankens fähig, nur dumpf vor fich das nahende Schreden, das lauernde und ficher verberbende, lag fie da, das Hanpt auf die Fenfterbrüfung geftügt, vegungelos, Tobesmübigkeit in den erſchlafften Gliedern.

Ein flärferes Geräuſch von unten wedte fie ans ihrem ftarren Zuftande. „Du ſtirbſt,“ ſprach fie mit ſchrecklicher Kälte; „es gibt feinen barmberzigen Gott mehr! Auch will ih nicht leben brich, mein Herz, brich von felbſt, damit meine Hand Dich nit drehe!

Sie raffte fih auf und ſchwaukte nah dem Cingange. Alles drehte ih wirr um fie im wilden Taumel. Bewußtlos erreichte fie die Wendeltteppe und den Gang im Erdgeſchoſſe. Mit brechenden Knien wantte fie die Stufen zu ihrem Cloſet hinauf. Bier legte fie die Hülle ab und warf fih auf ihr La- ger. Im lautes Schluchzen brach ihr Schmerz; aus, milde Fie- berphantaflen zogen durch ihr erhigtes Gehirn, fie konnte

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nicht beten, nicht hoffen, nicht glauben. Bom Thurme der Ra- pelle ertönte die Glode es mar eim einziger, greller, fchred« licher Schlag. Sie ſtieß einen durKdringenden Schrei aus; danun verſank die Welt vor’ ihrer äußern Wahrnehmung.

Die Borhut, welche Vratislav und Zdenko anführten, hatte fi auf dem meiden Raſen vor dem erflen Graben gela- gert, und die ermübeten NKrieger Hatte bereits ber Schlaf über» mannt. Nur die vier ausgeftellten Schildwachen umb der alte Zbento fhliefen nicht.

Der Ritter hatte feine NRüftung abgelegt und ſchritt lau- ſchend amd :finnend am Rande des Walles auf und ab. Das Schloß bildete auf dem dunklen Hintergrunde bes Himmels nur ſchwache Umriſſe. Es ſchien wie ausgeftorben dort drüben, nur aus einem einzigen Fenſter es war das Lidmila's ſchim - merte matter Lichtglanz. Er ſchien wie die blaſſe Kerze über einem ſchwarzen Sarge, und der graue Himmel der büflere Dom mit fhmwarzer Kuppel.

Plõtzlich wurde Zdento’s Aufmertſamkeit nach jenem engen, oben offenen Gange, der fleil vom Berge herabfief, bingelodt. Es ſchimmerte etwas Weißes dort und wallte unaufhörlih her- nieder wie ein Gießbach leiſes Geräuſch, das nur wie Sum- men herübertänte, wurbe vernefmbar. Knapp hinter ber Mauer, an welche der Gang ftieß, verlor fi allmälig die Erſcheinung. Dem geprüften Krieger warb diefes Alles auffällig; die dichte Dunfelheit ber Nacht ließ ihn aber nicht erkennen, was jene Be- wegung hervorbringe, oder ob dies Alles nur Täuſchung feiner geblendeten Augen fei. Er fprang raſch in den Graben hinab und watete bis an den Hals durch das fhlammige Waffer, um zu ber Mauer zu gelangen. Das Geräufd wurde Hier ſtärker; er hörte Harniſche irren und Fußtritte über den Steinboden raffeln. Er Iegte das Ohr an die Mauer und vernahm aus

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dem Inuern des Erdwalles, wie das Kuarren einer Thüre, dem hohlen Widerhall der Schritte in einem engen, gewölbten Raume.

„Gin Ausfall ganz befimmt,“ ſprach Zdenko zu fich ſelbſt. „ein unteriebifher Gang; fie wollen uns ſicher vom Rüden oder von ber Geite beitommen. Darauf müflen wir gefaßt fein.”

Er woatete raſch durch das Waſſer, wedte fo leiſe ale mög- lich feine Lente, befahl ihnen aufzubreden und zog fi wit ihnen gegen hundert Schritte weit zurüd, den Hügel hinab, wo berfelbe einen eingebogenen Rüden bildete und fo als eine ziemlich gerän- mige Ebene erſchien. Im Augeublicke waren Alle gerüſtet. Lautlofe Stille herrſchte. Da regte es ſich dreißig Schritte von ihnen unter der Erbe; einige Schläge ertönten, dann krachte es laut. Der Rafen Hob fi, Erdſchollen fielen zu beiden Seiten Bin, und über den Schutt traten bebächtig erſt zwei, baum mehre Männer heraus.

Zbento winfte feinen 2enten, ruhig zu fein. Erſt als an dreißig Mann dem Erbboden, fo zu fagen, entquollen waren und biefe eine Bewegung, ohne die Lauerer unter fi zu gewahren, gegen ben Berg aufwärts machten, fprang er raſch mit ben Sei ⸗- nigen vor.

„Sant nieder, was weiße Kittel trägt!” rief ex, umb feine Mannen fielen, indem fie ſich zerfireuten und die Anhöhe binan- zannten, den Feinden theils in deu Rüden und warfen ſich theils denjenigen entgegen, welche ſich aus der Deffnung des Bobens noch hervorbrängten.

„Vratislav, Bratielan,“ ſchrie Zdenko, „dringe in den Gang ein, hau' fie nieder! Der Weg führt in bie Burg. Ich decke Deinen Rüden.“

„Wir find verrathen!“ ſchrie Spanberg, welcher der Erſte beim Ausfalle war, und ſtürzte fi vom Hügel herab nad der Oeffnung bes Schlupfwinkels zu; „zieht Euch zurüch! Die Ketzer follen uns nicht gefangen nehmen I"

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Er eifte mit gef twungenem Schwerte Bratislan entgegen und führte einen mörberifhen Hieb nad ihm. Doc diefer traf nur den Helm, der ſich dadurch verſchob und feine Augen ver- dedte. Noch bevor ihn Bratisfan wieder zurecht gefegt, war Spanberg mit Bielen ber Seinigen ſchon wieder in bie Höhle gebrungen. Bratislan folgte raſch, während Zdento in das Horm ſtieß, um die Hauptmacht umten im Lager zu allarmiren und zu Hilfe zu rufen. Im ben engen Raum des Ganges drängten ſich jegt die verfolgenden Böhmen mit Madt biejenigen der Ber lagerten, welde auf diefe Art von ihrem Rüdzugsorte abgefänit« ten worden waren, wurden von Zdenko's Leuten niebergemegelt. Vratislav und die Seinigen drangen in der dunklen Höhle vor» wärts, blindfinge vor fi Hin ſtechend.

Die Fadel war verlöſcht Spanberg fuchte und tappte vergeblich nach dem Riegel, melder bie Fallthüre öffnen follte. Er war ber Letzte. Schon fland Vratislav anf berfelben; ein Hieb, den er in ber Dunkelheit auf Spanberg’s Rüden führte, trieb diefen vorwärts, ohne daß er hatte den Boden öffnen fün- nen. Run drang bie Flut ber Berfolger vorwärts; knapp im Nüden der Verfolgten fprang fie bie Anhöhe hinauf in bem Schloßhof.

Prinz Heinrich war mit einer Anzahl feiner Rente herbei⸗ geeilt; er drang zugleich mit Zdenko in die Tiefe. Waflengeraffel umd Kampfgetöfe erjchallte jetst über und unter der Erbe.

Auf dem Burgplage aber fand Burian mit dem Reſt ber Beſatzung; er Tieß feine flüdjtigen Leute ein, warf fid aber der bis jegt noch geringen Anzahl der Verfolger wie eine eherne

Mauer entgegen. Während Vratislav mehrmal vergeblich, ihn zum Weichen zu bringen verfuchte, kam endlich Zdenko an und ſchrie: „Wir müſſen Licht haben zu folder Arbeit!" Er ſchwang ſich mit eimigen feiner Lente über eine niebere Mauer nach dem Meinen Schloßhofe Hin, wo noch die Wachtfeuer glühten, ergriff Bier einen

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Fichtenbrand; ſtauchte ihn am ben Boden, daß er ringsum Fun⸗ ten gab und bie Umgebung beleuchtete, und eifte, gefolgt van den Uebrigen, nad dem höfgernen, unter ber Ringmaner ange bauten Gtallgebäube. Hier warf er euer unter das Stroh, und bald ſchlug die Lohe durch das breterne Dach zum Himmel em- por. Ein rother Schein beleuchtete das Schloß und die Hof räume. Die Schaar der eingebrungenen Böhmen, welde mit jedem Augenblide wuchs, bra in ein lautes Hurrah aus.

Burian, der bie Unmöglichleit, länger dem Anbrange zu wehren, einfah, ſchrie dem Hinterften zu, die Pforte der Burg zu Öffnen, um nach jener Geite hin durch das Thor zu fliehen; er wollte den Rüdzug deden.

Während deſſen war Spanberg, uur leicht verwundet denn jein Rüdenharniih hatte Vratislav's Hieb zum größten Theile aufgefangen bie Treppe nad Lidmila's Gemade hin - aufgeftürkt. Er drang mit bloßem Schwerte und blutend hinein. Sie fand am Fenſter, von dem Getöfe des Kampfes wieder zum Leben erwedt, und flarrte in bie röthfihe Flut. Ihr Antlig war verflört, wie das einer Wahnfinnigen, ihr Rabenhaar gelöſt.

„Folge mir,” ſchrie Spanberg und faßte fie an der Hand „es if mißlungen! Alles verloren nur das Leben vielleicht noch zu retten! ort, fort!” Er zerrte fie am Arme zur Thüre hinaus. \

mLebt er?" fragte fie auffreifhend und bewußtlos biefe Frage rihtend.

„Die Feinde alle Ieben!“ verfegte er, „verfludt, ver- flucht fei unfer Mißgefhil! Sie leben, aber wir müflen fterben, rettet uns nicht die Flucht. Der Teufel fteht ihmen bei.”

Er fihleppte fie in wilder Haft hinaus, die Treppe hinab bis auf den Hintern Hof der Burg, wo eine Anzahl feiner Lente bereits durch das geöffnete Thor über die herabgelaſſene Zug · brüde hinauseilte.

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„Gebt Roffe her, Schafft meine Pferde, Ihr feigen Hunde!“ tobte und fluchte Spanberg; aber Keiner hörte, und gehorchte, Alles ſuchte fein Heil im der. Flucht, nur Eine Stimme antwor- tete: „Die Stalung brennt 1”

Und in ber That flug die Lohe immer höher auf und färbte den Himmel und die Umgegend mit rothem, taghellem Scheine. Dazu kam noch, daß der Kundfchafter, welcher vor das Broder Thor beordert war, auf das gegebene Zeichen die Schen- nen anzufteden, beim erſten Aufichlagen der Flammen von der brennenden Stallung vermeinte, es fei das Fackellicht, welches Spanberg vom Thürmlein der Kapelle verſprochen Hatte Leuchten zu laſſen, und demnach nicht länger zögerte, feine Pflicht zu err füllen. &o beleuchtete der doppelte Brand nit nur Gtadt und Schloß, fondern au die Gegend im Umkreife von zwei Stum- den.

Burian firedte die Waffen und gab fi fammt feinen Len- ten, da ihnen durch Vratislav’s und Zdento’s Vorbrängen gegen die Pforte des Schlohgebäubes der Rüdzug unmöglich gemacht worden war, gefangen. Die beiden Cechtieer verfolgten die Fiuch⸗ tigen. Vratislav wäre gern zurüdgeblieben, denn er wußte ja, daß feine Geliebte im Schloffe verweile, vielleicht ſchutzlos frem- ber Willkür Preis gegeben fei, eine innere Stimme fagte ihm, fie ſchwebe in Gefahr; aber der Eifer des Kampfes trieb ihn vorwärts,

Der Feind ſtob in ziemlicher Entfernung über das Blach- feld Hin; bie Glut des Brandes leuchtete jo Hell, dag man nicht nur die Schaaren, fondern auch die einzelnen Berfonen erkennen konnte.

Vratislav raſte im ſchnellen Laufe vorwärts; eine ſteile Anhöhe auf der Kremfer Straße, die an ein Gehölz ftieß, er- ſchwerte num dem Fliehenden das raſchere Vorbringen.

Knapp in ihrem Rüden befand ſich jegt Vratislav mit den

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f Geinigen. „Heut Mies ohne Sqhonnug mieber!" gebot er jett indem er ber Erle bie Anhohe berauffprang.

Nicht weit von ihm emtwirrte fi ein Haufen. Drehren | ſchienen einem Sinkenden beigelprumgen zu fein. Ein weißer | Gewand ſchimmerte aus dem Gewuhle ein Bitter, ber das | Sänsert 904 hielt, vaffte mit dem finten Arme eine weiblide | Gehalt vom Boden auf umd trug fie mit ber ganzen Kraft die ſteile Höhe hinauf, indem er fchrie: „Nur mit dem Leben laſſ ich Did! Wehrt Cuch do, Ihr Hunde!“

Brotislav war im einigen raſchen Gprüngen ganz naht. Das Weib wandte ihr Autlitz und bfidte ihm über bie Schulter | igres Wetters entgegen; es war Lidmila, es war ihr bleiches Autlig, in der Röthe des Brandes erkennbar.

Bratislav taumelte einen Schritt zuräd Hinter ihm ſtob ‘ein Bolt, mordbrüllend, die Waffen ſchwingend, feinem eben ge- gebenen Befehle mit uf nachfolgend, einher.

Ihm fdien Alles verloren mit dem Leben ber Geliebten. „Halt, Halt!“ freifchte er auf, fank in die Mnie und hielt das Säwert abwehrend gegen feine Leute; „hierher, hierher! Heiliger Gott! ic bin bfind! Helft mir, Brüder bleibt bei mir, Brüder! Es iſt tiefe Rat um mi! Meine Augen find verloſchen! Gib mir mein Augenlicht wieder, heiliger Gott, und id will barın- herzig fein und ben Sündern bort ihr Leben fhenten! Flieht, flieht, ſo lange die dunkle Dede auf meinen Augen liegt; denn tommt mein bicht wieder, fo könnte mid bieß Gelübde gerenen.”

&s warf fid auf den Boden nieder; alle die Seinigen ver- fammelten fid um ihm, Keiner dachte mehr am bie Verfolgung bes ſin higen Haufens.

Erſt nach geraumer Zeit erhob ſich Vratislav wieder, ge- Mügt dom feinem Oheim, der Hefbeigeeift war. „Ich ſehe !“ ſprach er matt; „mas iſt mit mir vorgegangen? Wo bin ih? Wo ift der Feind

un

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„Sie haben das Didict gewenmen,* berichtete Zdenko und die Umgebung.

„Laßt fie fliehen,“ ſprach Bratislan, wieder frei aufblidend; „es waren ihrer nur Wenige. Die werden uns nicht mehr ſcha- den. Wozu unnöthiges Blut vergießen? Mein Oheim wir tehren zur nach der Burg vielleicht gibt e8 mod dort Arbeit für uns. Wir folen ums nicht zu weit entfernen. Laßt fie in Gottes Namen fliehen, ſchenkt ihnen das armfelige Dafein! Blafet zum Rüdzug es foll fi Alles fammeln. Nun fort! Ih ahne Gefahr im Rüden. Wir wiſſen nit, ob Prinz Hein- rich ſchon bie Beſte in feiner Gewalt. hat. No fah ih den Gutteufteiner kampfen gegen bie Unfrigen. fort, fort!“

Er ſchritt raſch vorwärts, die Anhöhe Hinab gegen bas Schloß; die Webrigen folgten ihm. Das feuer des Brandes minderte fi, und -Zdento fah nunmehr felbft ein, daß es weiter nicht ge» rathen fei,.die wenigen flüchtigen zu verfolgen.

„Du, Wojta,“ fagte ein Kriegsfnecht, der mit feinem Ger noffen einige Schritte hinter dem Zuge folgte, „haft Du etwas bemertt 2"

13H?" fragte der Angeredete „nein, ich habe nichts Beſonderes gemerkt.“ -

„Ich Habe fo meine Gedanken £' fuhr der. Erfte zutraulih

fort; „ih glaube, der Ritter war gar nicht fo plötzlich blind ge- worden. Allenfalls konnte ihm etwas Erbe beim raſchen Laufen in bie Augen geflogen fein, weiter nichts. Ich denke vigmehr, das fchöne Weib, das da Jener fortichfeppte, hat ihn gebiendet; denn jhön war fie, das ſah ih, id war ganz nahe. Sie fah bleih aus, aber ber Brand Hatte Rofen auf ihre Wangen ge- malt. Wie fie ihn anſta rte ich merkt’ es genan fant er zu Boden und war blind.“

„Run, laß e8 doch auch fo fein,“ verfegte der Zweite;

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‚was hätten wir and davon, wenn wir bie Frau mb ihren Ritter niedergehauen hätten?"

„Ich glaube nur,“ ſprach wieder der Erfie, „der Ritter tannte die Dame beflimmt von früher her und hat fie vielleicht gar geliebt. Es if alfo felbft im der Todesgefahr gut, wenn man Belanntichaft Hat und begünftigt wird; denn, ohne dies wurden fie niedergehauen; denn er fagte ja, wir follten Alles nieberhauen. An dem Weibe aber hätt’ ich's doch nicht gethan.“

Sie erreichten während biefes Zwiegeſprächs die Uebrigen and rüdten mit ihnen in die Burg ein. Der Morgen graute; Indel, ſchol ihnen entgegen. Prinz Heinrich umarmte die Ritter von Techtic, dankbar dafür, daß fie jo weentlich zur Gewinnung der Befle beigetragen, mit Gerzlichfeit.

Kaum vernahm König Matthias, der zu Olmütz lagerte, die Kunde von dem Fall der Hradider Burg, fo brach er auf mit zahlreicher Heeresmacht, um den Schimpf zu räden.

Heinrich war auf feine Ankunft gefaßt. Er befeftigte das Schloß noch mehr, warf taufend Mann unter Anführung der Techticer hinein und rüdte ſelbſt mit dem übrigen, nicht unbe deutenden Theile feines Heeres aus und lagerte fi zwei Stun- den weſtlich von der Stadt in einem Walde.

Im Fluge war Matthias ba, ftellte fein Volk im Kreiſe, ben er immer enger zog, anf und rüftete fi zum Sturme. Bon der Racht begünfigt, rücte Prinz Heinrid) näger und be- fand fi beim Sonnenaufgange, nur durch eine waldbewachſene Anhöhe gefdieden, im Rüden des Feindes.

Matthias hielt im goldenen Waffenrode an der Spitze fei- ner Lente und ermuthigte fie durch fenrige Worte zum Sturme; ein lautes Hurrah der ſtreitluſtigen Ungarn antwortete ihm. Auf den Wällen wimmelte es von tapferen Böhmen, die Miene machten, nicht alfo leichten Kaufes ihre Eroberung fahren zu laffen.

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Im eigener Perfon führte Matthias unter bem lauten Ger fehmetter ber Hörner die Stürmenden bis an den Rand bes Gre- bene. Siegbrüllend Iegten fie bie Leitern an und klommen mit Tolltühnheit empor, von der Beſatzung mit einem Gtein- und Kugelregen begrüßt.

Zweimal wurde der Angriff zurüctgeſchlagen; Matthias ſchickte mit Hartnädigfeit fein Boll in's Feuer und Tieß jegt Kanonen auffagren, um den baufälligen Schloßthurm nieberzufdießen umd den Belagerten über dem Kopfe zufammenftürzen zu machen.

In diefem Augenblide aber erſcholl fremder Hörnerflang in feinem Rüden; mit Windeseile brachen die Böhmen von der Anhöhe herab und überfielen die Stürmenden von Hinten. Cine ſchreckliche Unorbnung herrſchte unter den Ungarn. Matthias warf FH auf fein Roß, ritt zwiſchen feinen Schaaren auf und ab und fuchte vergebens ein geordnetes Treffen zu Stande zu brin gen.

Kaum hatten die Belagerten unter Zdenko's und Vratislav's Anführung ben Angriff ihrer Sandeleute wahrgenommen, als fie die Zugbrüden Herabwarfen und in geichlofienen Gliebern einen Ausfall machten.

So kam der Feind zwiſchen zwei feuer. Zwar wehrten ſich die Ungarn tapfer, Matthias entging nur duch ein Wunder der Gefahr, gefangen zu werden, zwar verfudte er zweimal, bie Befagung zu werfen und mit ihr zugleih in das Schloß zu dringen, aber vergebens. Der junge König mußte endlich felbft ben Rüchug anordnen und in eigener Perfon anführen. ber diefer Rüdzug artete alsbald in allgemeine orbnungsfofe Flucht aus; man ließ die Kanonen im Stiche, und bie Schaar ber Flüchtigen ergoß fi auf der weiten Straße gegen Ungriſch -Brod hin

Heinrich war mit feinen tepferen Böhmen ſcharf im Rüden des Feindes. Hunderte ber Ungarn wurden niedergemadt, Haufen

Aber der Feind wer fuel und entlam troß ber dicht Rchen- ben Bäume auf feinen flinten Stoffen.

Auf einem freien Raume im Gehölz Raub eine Ferfiütte; Des mb i

Stunden vom Sonnenaufgang hatten fie unter ben Waffen zw

Er näherte ſich der Hütte, ſtieß die angelehnte Thäre mit dem Fufe ein und trat vor.

Haft wäre er bei dem Aublide, welcher fi; ihm Hier bot, zu Boben geflürzt.

Auf einem Lager von Stroh nud wellen Blättern lag Lib- mila mit gelößem Haar, bleihem Antlig und bintbenegtem Ge wande; ueben ihr entfeelt, no mit dem Krampfe bes Todes im Angefiht, ihr Gatte. Ein einziger, trener Diener kauerte in der de, der vergebfih Troſt und Hilfe zu ſchaffen ſuchte.

„Mein Xobesengel!“ rief Lidmila, das Haupt erfebend und die Biide mis frendigem Glanze auf dem Eintretenden heftend,

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mit matter Stimme, „der Engel meines Lebens! a, gütiger Gott I“

„Libmite! Lidmila!“ ſprach er mit zitterndgg Stimme, und Thränen füllten feine Augen, „eben wir uns jeder? Barm herziger Himmel! Ihr ſeid verwundet 1”

„IH ſchützte ben Gatten mit ber eigenen Bruſt,“ verſetzte fie mit milden Ausbrud, wie es meine Pflicht war. Es mar vergebens! Die Böhmen Hatten Recht, mic zu tödten, ba ich doch auf der Seite ihrer Feinde war.”

„Schaff' die Leiche fort! Hole den Arzt!” gebot Vratislav dem flaunend und furdtfam horchenden Knete und fant, wäh. rend dieſer Folge leiftete, neben dem Lager der Geliebten nieder und bededte ihre Hand mit heißen Küffen.

„Ihr ſollt nicht ſterben!“ rief er im wilden Schmerze, „beim Himmel und bei ber Hölle nicht! Ihr dürft micht ſterben! D fo entladet denn das Schichſal den ganzen Sturm des Ent- fegens über meinem unglüdfeligen Haupte?! Lidmila! Nun Ihr frei fein, barf ich es Euch fagen, wie ich Euch einzig geliebt, ewig geliebt, unendlich geliebt! Ein wunerbittliches Geſchick trennte uns neidiſch mit bitterem Hohn und flarrer Kälte Ach! das Menfäenderz kann mehrmal drehen!"

„Ihr liebtet mich wirklich, Bratislav ?* verfegte fie, und ein Schimmer von Geligleit flog über das ſchneeige Antlig, „Ihr liebt mid noch? Himmliſche Botſchaft vor dem Scheiden! Der Himmel iſt mild und gnädig! Bevor die ewige Nacht her- einbricht, fendet er mir nod einen goldenen, ſchönen Sonnen« ſtrahl. O mein Bratislan I"

„Ihe werdet nicht fterben, Ihr könnt nicht fierben!“ tobte er in feiner unnennbaren Vernichtung; „es kann nur ein Traum fein; wir tränmen Beide. Wie kämet Ihr auch hierher ?*

Er Heftete ſtarr ſeine Angen anf fir Ad! fie war mod fo ſchon, wie er fie damals zum erfien Male gejehen, das Auge

noch urn, nur gedämpft feine Glut, die Miene mod) fo rei« send und verfodend, nur blaß gefärbt.

„Und iſt Alles wirklich fol” nahm fie nad einer Weite wieder Wort. „Der Stahl ging knapp unter dem Her- zen duch, und id fühle es, daß ic; verblute. Ruft feinen Arzt; die Minuten, welche unferem Wiederſehen noch beſtimmt find, foll keines Fremden Gegenwart Aören. Mein Gatte wollte feine Nieberlage rächen; er lonnte es nicht ertragen, daß Ihr uns das Leben gerettet, und ſchloß fi dem Zuge bes Könige Matthias an. Hier verbarg er mih im wilder Flucht kam er gerannt, um mid) weiter’ zu geleiten; aber bie verfolgenden Böhmen ſturzten ihm nad. Bon ihren Schwertern durchbohrt, fank er zu meinen Füßen nieder ich deckte ihn mit meiner Bruft cin raſcher Stoß, und ich fan. Vratislav, ich habe ſchwer gebäßt in langjähriger, frende- und fiebeleerer Che! Mein Tro wollte ſich an Euch rächen, weit Ihr mic verihmäßt Hattet; ich lich den Borftellungen meiner Berwanbdten ein williges Ohr und wurde Spanberg’s Gattin. So wollte ich die Liebe zu Euch in mei nem Herzen bannen; aber fie erwuchs nur gewaltiger aus dem Hafſe. O wäret Ihr damals nicht geflohen, als Ihr Euren Nomen genannt, ale Ihr ums geflucht und Euch vou meinem teenen Herzen kalt und feindlich losgeriffen 1”

„Wohl geſprochen!“ entgegnete er mit falter Bitterfeit; „aber der Menſch Iermt ja den Werth feines Lebens erft dann erfennen, wenn er es verfpielt Hat, umb ich habe es verfpielt, ſchredlich verfpielt. Der kalte, höhnifhe, tidifh-unerbittliche Himmel wollte es nicht, daß unfre Herzen einander gehören ſollten.“

„Und doch iſt er gerecht!“ verſetzte fie; „ich wollte Euch vor dem Ueberfalle retten, ließ mich am ſchwankenden Seile mit ubermenſchlicher Kraft vom Thurme herab, um Euch zu warnen. Es war vergebens! Gott Half felbft, uud Ihr wurdet unfer

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Erretter. No Hingt der Ton Eurer Stimme in mein Ohr, als Ihr uns zuriefet: „Flieht, flieht, ich ſchenke Euch das Ler ben! Es ift nun Euer Geſchenk, Vratislav nehmt es zurück!“

„Meine Lidmila!“ wehllagte er, „o lebe lebe um meis neitoillen! Weiß mic, nicht ans dieſem Kimmelstraume in bie ſchreclliche Nacht, die Einfamkeit zurüd, wo ih nur Schauber und Entfegen wie grinfende Schlangenhäupter rings um mid erblide. Noch einen Abend ber Seligkeit kaun ums bie Erde bieten, wandle ih an Deiner Hand. Der Tod Hat jenes verhafste Band zer- viffen Gott muß barmderzig fein!"

„Set, wo id; Höre,“ ſprach fie mit Teuchtenden, verflärten Biden, „daß Du mich liebt, wo es mir ber Schmerz verfün- det, lauter als der heißefle Schwur, jetzt möchte ich leben, jetzt fleh' ich zum Allerbarmer um mein Dajein, und es follte ihm geweiht fein in Eindlicher Demuth und reuiger Buße, in from men Worten und heihen Danfgebeten; jegt mollte id leben leben nur mit Dir und für Did, und das Leben wäre ichön, golden, ſtrahlend, vol Entzüden und GSeligkeit! O Allerbarmer, vette dieſes einzige Leben!“

Sie ſank zurüd auf das armfelige Lager. Er bededte ihren Mund mit brennenden Küffen, er fühlte nach ihrer Bruft, unter welcher das Blut unaufhörlich hervorquoll, und wollte feinem Strome wehren, er beſchwor Gott und alle Mächte bes Himmels um Rettung aus diefer Verzweiflung; aber vergebens! Der mat- tere Schlag ihres Herzens, ber leiſe verglimmende Blick beiehrte ihn, daß des Todes kalte Hand fein Opfer ſchon erfaßt habe.

„Die Erde verfinkt,“ lispelte fie, matter werdend; „küſſe meine Augen, Geliebter, daß fie erwarmen und heller Dein Antlig fehen. Diefer Abſchied vom Leben ift fo ſchön und warum fo kurz? Mein Gott! die Prüfung der Erde war ſchwer und fang fol ih drüben im Lichte Alles finden was ic hier vermißt? Bratislav ih habe Di unendlich geliebt

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mehr als meinen Gott! Drum zürnt mir mein Gott! Ge dente mein im Liebe. Umfhlinge mid rufe das Leben zu- rüd auf einen Angenblid. Mein Heiland Jeſus Ehriflus Brotislan !*

Sie ſchlang im Todeskampfe die Arme feft um ihn, drüdte ihre Lippen feſt am die feinigen und athmete aus in dem letzten feligen Xuffe.

Lange lag er ohnmächtig in der Umarmung der Leiche; der herbeigerufene Arzt wedte ihm wieder zum Lebe. Er tratmit verflörtem Antlig aus ber Hütte, überblicte fein ringsum gela- gertes Bolt und rief in der Werzweiflung feines Schmerzes: „Worum weint Ihr nicht, Hunde? Warum feid Ihr fo froh, fo talt und theilnahmlos, während das ebdelfte Herz gebrochen? Hat Keiner von Euch den Muth, mir mein eigen Schwert in die Bruſt zu rennen? Ih muß ihr nach! Hört es, Ihr verfteinerten Menſchen, Ihr feelenlofen Eisklötze: ich habe fie geliebt, wie kei⸗ nen Menfchen auf Erben, und fie hat mid; geliebt mit der Kraft ihrer Seele, und einen Wurm der Reue babe ich im Herzen ge tragen Jahre lang und habe den Wurm jegt herausreißen wol» Ien, umb jegt jest o verfluchter, heimtückiſcher Teufel, den fie Gott oder Schidfal nennen jegt mußte fie fterben! Warum bift Du jo blau, theilnahmlofer Himmel? Warum Hülft du dich nicht in Trauer? Und Ihr Bäume, was grünt Ihr fo frech wie die Hoffnung? da bie Hoffnung doch eingefargt ift als Speife für die Würmer! Kalte, tückiſche Natur, warum foll ih nur feben, da Alles tobt it? Warum legſt Du nicht die Macht dei ner Zerflörung, die Fäulniß, am mid, damit ich vernichtet werde wie Ales, Mes? D id bin ber elenbefte, erbärmlicfte der Geſchaffenen; denn alle Sünder, auch bie größten, finden Gnade vor Gott, und nur ich micht, ich, der Verworfene, nicht! Haltet ein Gottesgericht; ich läftre mich, meine Seele, den Him- mel, Euch Alles Mles!“

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Seine Stimme brach; er konnte nur ſchluchzen, er fant neben der Hütte auf den Boden nieder. Man teng ihn aus dem Balde auf eine Anhöhe in den hellen Sonnenſchein.

Hier erholte er fi blickte kalt und vernichtet um ſich; dann wandte er ſich zu feinem Leibknappen und befahl ihm, mit Einigen zurüdzufehren, die Leiche zu holen und fie nad; Hrabid au ſchaffen.

Einer der Krieger machte ihn jest aufmerffam auf einen Trupp fliehender Feinde, der ſich entweder verborgen oder zu fpät durchgeſchlagen und jegt bie Waldhöhe zu gewinnen ſuchte.

„Brecht auf!“ rief er mild feinen Leuten zu, „fte müfjen ben kalten Tod koften! Ein Opfer muß fie Haben! Entlommt Einer der Bapiften, fo morb’ ih Euch Alle!“

Und er rannte ihnen vorans über das Blachfeld nad dem Feinde Hin, ber dem Tode geopfert war. Während fein Schlacht - ſchwert die Gegner mit fürchterlicher Wuth niederſchmetterte, ſummte er dumpf nnd grimmig vor fih Hin:

„Was id, liebte, kann ich nicht befitzen ;“ „Warum foll da leben, was ich hafle ?"

Ein Leichenwall war aufgethürmt; Keiner der Ungarn blieb am Leben, felbft die um Gnabe Flehenden wurden ſchonungslos hingeopfert.

Vratislav wandte ſich jet linkshin nad; der Strafe, auf welder Heinrich von Miünfterberg, mit der Hauptmacht langſam den Feind verfolgend, um ihn, wenn er fich geftellt, wo möglich noch einmal zu ſchlagen, gegen Ungrifej-Brod dinog.

Er erflomm einen Hügel Leichen von Böhmen und Un- garn bededten ihn.

„Wo it mein Oheim?“ fragte Vratislav, plöglich fi be finend; „Hat Reiner ben Ritter Zdenko gefehen 7“

„In diefer Gegend,“ berichtete ein Knappe, „trennte er fi von uns und warf fi auf einen Haufen Reiter.“

Herloßfohn: Der Iete Taborit. U. 16

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„Dann ift es biefer hier,“ verſetzte Bratiolav darauf und deutete auf eine Leiche, bie mit dem Antlit auf der Erbe lag; nes if} fein graues Haar, fein Harnif. Der Heutige Tag hat mir Alles geftohlen, mic zum elenden Bettler gemacht I“

Er kehrte den Leihnam um es war Zdenko. Gr hatte ansgelitten. ine Kugel war durch feine Bruſt gefahren; fein Todestampf mochte kurz geweſen fein.

„Letztes Herz, das ich geliebt,“ ſprach Vratislav, indem er fih über den Gefallenen niederbengte, „fahre wohl! Beweine bie Erde, daß fie fo arm iſt; der Himmel- muß reicher fein.“

Er drüdte den Mund an das Ohr des Todten und li» ſpelte Hinein: „Du gelangft nad ihr, der reinen Seele, in das Licht; grüße fle, die Heilige nenn' ihr meinen Namen, ſchil - dere ihr meine Schmerzen grüße den Water und bie Mutter und Milada. Ich fehe Euch wieder ober die Hölle if Siegerin Hier und jenfeits! Amen.“

Er raffte fi auf. „Grabt mit Euren Schwertern Hier ein Grab,“ gebot er ben Knechten; „er ſoll ſchlafen auf dem Bette der Ehre, das mir nicht vergönnt if als lege Ruheſtatt.“

Nachdem Zdenko beftattet war, eilte Bratislav mit den Sei» nigen dem Heere Heintid’s nad.

Bald darauf rächte König Matthias, nachdem er fein Volt von Olmüg und Brünn am fi} gezogen, feine Niederlage durch ein blutiges Treffen. Später warf fi ihm Georg mit zahle reicher Heeresmacht felbft entgegen; aber der Ungarnfönig fonnte den Kampf nicht eingehen, denn feine Stände riefen ihn zum Schutze feines Landes zurück, im welches die Türfen zu wieber- holten Malen fengend, plündernd und mordend eingefallen waren.

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Der Friede kam zu Stande; die Erivählung bes polnifchen Konigsſohnes wurde für ungültig erklärt, Matthias als Georg’s Nachfolger in Böhmen, Mähren, Schlefien und der Laufig aner- IYannt. Im Falle er aber ohne männliche Erben fierben würde, ſollte Böhmen an. Bictorin .von Podebrad, Mähren aber an Hein- vie von Mäünfterberg fallen.

Es war im Frühling 1470, als bie Heeresabtheilungen aus Mähren nad; Böhmen zurüdzogen. Die Söldner zerftreuten fich, die Söhne bes Baterlandes kehrten zum heimischen Herde zurüd.

Vratislav ritt an ber Spige eines Haufens beim Schloffe von Slatina vorüber. Die Bäume prangten im erflen Grün, die Hügel waren mit zartem Sammet bededt, Lerchen wirbelten in der blauen, ducchfichtigen Luft, die Mutter Erbe war wieder jung geworben, wie eine Zauberin, die einen Wundertrank genoffen.

Als Vratislan die Thirme des Schloſſes fah, gedachte er feines Freundes Zedvic, und der milde Schmerz ber Wehmuth zog in feine Bruſt.

Er ritt an der Mauer des Gartens vorüber er ver- nahm jegt Taute Stimmen und erhob fid) im Sattel,um hinein zubliden. Auf einer Raſenbank zwiſchen blühendem Hollunder ſaß Niklas, der ein flattliher Mann geworden, und Bielt mit dem rechten, noch fibrigen Arme feine Maria, die in aller An- muth weiblicher Schönheit firahlte, umfangen. Zu ihren Füßen fpielten zwei blondgelocte Knaben im Sande,

Auf dem. Wege, welcher zur Gartenpforte führte, fand Eliſa; eben brüdte ein ſchöner Ritier ihr Gatte, Zumzande von Sandberg einen Kuß auf ihre Lippen und wollte ſich auf das Roß ſchwingen, welches er am Zügel hielt; ſchaternd aber tieß die Muthwillige feine Hand nicht los, und über den Scherz ber Liebenden Tächelte innig auch das Paar unter ber blühenden Laube.

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„Rein, fügte Bratisiav düſter für ſich ſelbſt, „fie find zu glädih! Warum folte ich fie durch mein Erſcheinen fdhreden? Ich will nit ais Gefpenft unter fie treten umb ihren Friedens - himmel flören. Was bring’ id ihnen wieder al® bittere Erinne- rungen, Schmerzen, ZTodesbotihaften? Sie haben vergefien, und Heil ihnen, daß fie es haben! Sie haben vielleicht einen Todten beweint fie follen feinen Lebenden beweinen. Lebt wohl! ich ſprech es mit feuchtem Auge. Vergeſſet meiner doch id) will Euer ewig gedenken. Mein Erſcheinen könnte Euch nur be trüben; denn das Ungtüd fledt an, und bie Nähe eines von Gott Berlafienen ift unheimlich. Das habt Ihr um mich nicht verdient 1"

Er brad einen Zweig, der über die Mauer bervorragte, gab feinem Roß die Sporen und jagte dem Zuge nad.

Im Prag überantwortete Vratislav von Techtie mittel ſchriftlicher Urkunde alle feine Güter und Schlöfſer dem König Georg zur Stiftung von Schulen und eines Lazarets für arme Iiraeliten. Letzteres follte ein Wert der Dankbarkeit fein, welches er bem edlen, längft verflorbenen Juden, der ihn damals mit Gefahr feines eigenen Lebens gerettet, ſchuldig zu fein glaubte.

Er ſelbſt zog fih auf eine Meierei, bie er eigenthümlich behielt, in der Gegend von Oſſeg zuräd, um bier in ber Ein- famteit fein junges, aber ſchon früh entianbtes, im Kerne ver- nichtetes Leben zu beichliehen.

Den edlen König Georg übereilte der Tod im ein und fünfzigften Jahre, in dem Angenblide, wo er bei bes ſchwachen and unrähmlicen Kaiſers Friedrich beabfichtigter Euithronung nahe daran war, zum beutfchen Kaiſer erwählt zu werben. Einige Monate vor ihm hatte auch Rolycana das Zeitliche gefeguet.

Mit König Georg vom Podkbrad erloſch and Böhmens Ganz. Er war das Bild eines echten Böhmen, tauflliebend im Frieden, kampfgeübt im Kriege. Auf dem Todbette noch wünfdhte

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ex die Losſprechung vom Kirchenbanne; als fie aber ber fatho- liſche Bifhof mit dem Bemerken, daß folde nur vom Vapſte ausgehen könne, verweigerte, fprad ber Held, ber au im Tode ein Mann blieb: „Dann wird wohl der liebe Gott, der noch über dem Papfte fteht, die Losſprechung felbft übernehmen müſſen.“

So ſchied er, beweint, betrauert, von feinem feiner Nach- folger erfegt.

28.

Im Jahre 1664 ſtarb König Ferdinand der Erſte von Böh- men. Sein Nachfolger war fein treffliher Sohn, Marimilian ber Zweite.

Als er in Prag gekrönt worden war, ſagte ſein Lehrer Schiefer von Wittenberg traulich zu ihm: „Dein Regiment in dieſem Lande beginnt mit wunderbaren Erſcheinungen. Ein Komet ſtrahlt am Himmel, jetzt im Wintermonat iſt es neuer Lenz ger worden, bie Wieſen grünen, die Kirſchbäume blühen, und fo eben meldet man mir ein feltenes Veifpiel von hohem Lebensalter. Nicht fern von Offeg farb auf feiner Meierei ein alter, böhmifcher Nitter in dem feltenen Alter von Hundert und breißig Jahren. Der Mann war feiner Zeit eim geachteter Kriegemann unb bat fich um wohlthätige Stiftungen verdient gemacht. Um ihn zu ehren, folltet Du, o Herr, ihm einen Grabftein fegen zu laſſen.“

„Und wie Heißt der Mann?“ verfegte der König, „den ich um fein Alter beneibe, weil id; mir es felbft wünfchte, um dieſes Land auf die Dauer glüdfih machen können.“

„Vratislav von Techtic,“ antwortete Schiefer, nana einem alten Geſchlechte.“

„Bon dem Manne Hab’ ich gehört,“ ſprach der abrig raſch; „er war ein eifriger Utraquiſt und Feind ber Habsburger und

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der Deutfhen. Ja fest ihm im Offeger Kloſter einen recht ſchweren Stein, damit er mir nicht auferſtehe umb vielleicht an meinem Throne rüttle, der kaum & ſteht.“

Als man ben Ritter, vom Cechtie beerbigte, fand man im feinem Garichen einen Grabhügel, welchen ein Kreuz ſchmucte, worauf vom feiner Hand folgende Juſchrift fand: „Sier ruht Beta, bie Tochter eines Gefangenwärters nur, aber vormals meine Erretterin aus ſchwerer Haft, dann treue Genofſin meines freude leeren Lebens. Segen und Dank ihrer Adel Sie ſtarb —.“

Die Jahreszahl war verwittert.

Verlag von 3. 2. Kober in Prag

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Böhmen. Fand und Bolk,

Geſchildert von mehreren Fachgelehrten.

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Dos Bud zerfällt in, drei Hauptabtheilungen. Die erſte Abtheilung Handelt von den natürlichen Berhättniffen des Lan- bes: geografiihe Lage, Drografie, Hydrografie, Klima, Flora, Fauna. Die zweite Abtheilung behandelt ben ſtatiſtiſchen Theil: Bevölterung und deren Bewegung, Rohe probnfte, Indufrie, Handel, Kirde, Schulweſen, Abminiftration, Berfaffung, Raatsredtlihe Ber- Hältniffe m f. w. Die dritte Abtheitung endlich iſt die hiſto⸗ Tifche und bringt nicht allein bie politiiche Geſchichte des Landes, fondern aud bie Kirhen- und Rechtsgeſchichte, die Geſchichte ber Literatur, der ſchönen Künfte und überhaupt jedes höheren Strebens auf materiellem und geiftigem Gebiete.

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Ein Beitrag zur Kenntniß des Volkslebens und Dolksglanbens in Böhmen. Bon Otto Freiheren von Neinsberg-Düringefeld. 640 Seiten. Eleg. geh. 2 fl. 40 k. O. W. = 1 Thl. 18 Sgr. Kaun andy in 8 Heften zu 30 kr. O. W. 6 Sgr. bezogen werben.

Dan findet in diefem „Fefkalender“:

1. Die Namen aller Heiligen, welde in Böhmen ver- ehrt werden, bie Zahl und Bezeichnung der Kirchen, bie ihnen geweiht, ber Blumen, bie ihnen gewidmet find, und bei ein- zelnen Heiligen die Angaben über ihr Leben, ihren Enltus und die Einfegung ihrer Feſte; 2. die Namen ber kirchlichen Fefte, deren Vedentung, Urfprung und feier, die hanptſächlich- fen Wallfahrten nebſt den hiſtoriſchen Angaben über die be» treffenden Gnadenorte; 3. bie Gelöbniß- und hiftori- fen Fefe, welde in verffjiebenen Orten Böhmens das An- benfen an wichtige Ereigniffe verewigen follen; die Stiftun— gen, welde zum Gedächtniß am befondere Begebenheiten ober merkwittdige Perfonen gemacht worben find; die Feſte der einzel- nen religiöfen und weltlihen Genoffenfhaften (g.®. Schügengefellfhaften), fowie bie Bolls- und Kinberfefte, welde in Böhmen gefeiert werden; 4. bie vollsthümlichen Ge- bräude, Ceremonien und Meinungen, fo fih an diefe Feſte ober andere beftimmte Tage im Jahre Inüpfen; die Bolts- lieder, Sprichwörter und Wetterregeln, welde fi auf bie einzelnen Tage beziehen, und enblih 5. bie Jahr- märkte, welde durch ihre Bedeutung, durch Wefonderheiten oder duch das Alter ihrer Privilegien erwähnt zu werben verdienen. Jedem Monat geht eine kurze Einleitung über die Namen und deren Erklärung voraus. Ein genaues Orts- und Namensverzeich- niß zur Erleichterung des Nachſchlagens ift am Schluße beigefügt.

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N PT 2366 .H2 L4 1864 u 5555

Der Ietzte Taborit 2L4

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