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im 16. Jahrliimdert

und die

Musikdrucke des Mathias Apiarius

in Strafsburg und Bern.

Von

Adolf Thürlings.

Leipzig

Druck und Verlag von Breitkopf & Härtel 1892.

Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung, vorhehalten.

im das Jahr 1500 hatte die Kunst Gutenberg's in mehr denn halbhundertjährigem Siegeslaufe ihre umgestaltende Kraft an der europäischen Kulturwelt längst bewährt. Hain schließt sein berühmtes Hepertorium hihliogra- pliicum^ worin er alle ihm bekannt gewordenen Drucke aus der Wiegenzeit der Kunst beschreibt, mit dem Jahre 1500 ab, weil ihm die Fluth der nachher erschienenen Bücher zu groß wurde. Ohnehin faßt sein Verzeichniß 16299 Nummern, und wer in biblio- graphischen Dingen bewandert ist, weiß, daß sich die Zahl der vor 1500 veröffentlichten Wiegendrucke durch genauere Erforschung der älteren Bestände der Bibliotheken noch bedeutend vermehrt hat.

Um dieselbe Zeit aber hatte die Musiknotenschrift noch allen Versuchen einer billigen und zweckentsprechenden Vervielfältigungs- methode beharrlichen Widerstand entgegengesetzt. Es existirte noch nicht ein einziges Buch mit beweglichen Musiktypen. In den großen Kirchen und Klöstern behielt man ganz allgemein , wo es sich um den kirchlichen Choralgesang, den Cantus planus, Plainchant. han- delte, die Sitte des Abschreibens bei, die vielfach noch im vorigen, ja im gegenwärtigen Jahrhundert gehandhabt wurde. Daneben freilich machte man sich die Kunst des Buchdrucks doch so viel wie möglich nutzbar, indem man die mächtigen Choralnoten mit ihren ebenso großen Texten in Holztafeln schnitt, nach Art der Formschneiderei, eine Methode, die wir noch im 16. Jahrhundert ziemlich lange im Gebrauch finden.

1 *

Diese Methode reichte allenfalls auch aus für die Beigabe weniger Notenbeispiele in theoretischen Werken, für die nicht sehr zahlreichen Noten in Missalien, Ritualien, Agenden u. s. w. Wir besitzen aus dem 15. Jahrhundert derartige Bücher, in denen für die Musik im Druck nur leerer Raum gelassen ist oder höchstens ein Liniensystem gezogen wurde, so daß jedes in den Handel zu bringende Exemplar erst mit den Noten ausgefüllt werden mußte, was meist handschriftlich, zuweilen auch mittelst geschwärzter Stempel geschah. Mindestens aber seit 1488 finden Avir theoretische Werke über Musik, in denen die Noten in ziemlich plumper und wenig regelmäßiger Form auf Holztafeln geschnitten erscheinen.

Für die Masse der eigentlichen musikalischen Produktionen, für die Musica practica ßgurata mit ihren tausenden von Noten und anderen Zeichen verschiedenster Gestalt und Bedeutung für ein ein- ziges Musikstück wäre indessen eine solche Holzschnittreproduktion viel zu kostspielig und schwerfällig gewesen. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatte die mensurirte und mehrstimmige Musik von Jahr zu Jahr bedeutendere Pflege gefunden, und große Meister hatten sie auf eine bis dahin ungeahnte Höhe der Vollendung ge- bracht. Die eigentlichen Stammväter der kontrapunktischen Musik, Joh. Dunstable, Gilles l^inchois und Guillaume du Fay, waren schon 145S, bezw. 1460 und 1474 heimgegangen, ersterer in England, letztere in Französisch-Flandern , wo ihre bahnbrechende Wirksamkeit den Grund zu einer mehr als hundertjährigen Blüthe- periode der Musik in den Niederlanden und zu einer unbestrittenen Präponderanz der Niederländer in der musikalischen Komposition gelegt hatte. Die kompositorische Wirksamkeit der großen Meister Johann Okeghem, Jakob Hobrecht , Antoine Busnoys, Jos- quin Depres, Anton Brumel, Alexander Agricola, Loyset Compere, Pierre de la Rue, Heinrich Isaac fällt zum Theil ganz oder fast ganz, zum Theil in ihrer größeren Hälfte ins 15. Jahr- hundert, und von den hunderten und aber hunderten von Komposi- tionen dieser und zahlreicher anderer Meister in mehrstimmiger kirchlicher und Aveltlicher Musik war um die Wende des Jahrhun- derts noch nicht eine einzige durch den Druck einem größeren Publikum zugänglich geworden.

Die Musikproduktion stand also schon in voller l^)läthe, als es am Ende des 15. Jahrhunderts einem italienischen Buchdrucker, Ottaviano dei Petrucci aus Fossombrone unweit Roms, der sich in Venedig niedergelassen hatte, gelang, bewegliche Metalltypen für Notendruck herzustellen, und zwar sowohl für den Figuralgesang,

als auch für die eigenthümlichen Tabulaturen, von denen die Lauten- spieler und die Organisten abzuspielen gewohnt waren.

Noch Forkel, der fleißige Plistoriograph der Musik, war im Anfang unseres Jahrhunderts der Meinung , daß die ältesten musi- kalischen Druckwerke als erste Versuche sehr unvollkommen sein müßten. Gerade das Gegentheil ist der Fall, wie jeder zugeben wird, der nur ein Stück Petrucci'scher Druckerarbeit zu sehen und, wie der Verfasser einer vortrefflichen Monographie über ihn, Anton Schmid', sagt, »seine Augen an den Petrucci'schen Notentypen zu Aveiden« Gelegenheit gehabt hat. In Ottaviano dei Petrucci haben wir nicht nur einen genialen Erfinder, sondern einen unermüdlichen, charaktervollen, mit allen bürgerlichen Tugenden geschmückten Mann vor uns. Wie seine ganze Geschäftsgebahrung den Eindruck der Umsicht und Solidität macht, so war es auch nicht seine Sache, unfertige, unreife Erzeugnisse an den Markt zu bringen. Gleich seine ersten musikalischen Druckwerke zeigen uns die neue Kunst in solcher Vollendung, daß nur wenige seiner Nachfolger ihn wieder erreicht und vielleicht nur einer, Peter Schoeffer, von dem wir noch zu reden haben werden, ihn übertroiFen hat.

Als Petrucci seine Erfindung zur Veröff"entlicliung reif erachtete, veschaffte er sich im Jahre 1498 ein Privileg auf zwanzig Jahre von der Signoria zu Venedig, wodurch er das ausschließliche Pecht zum Druck von Figuralnoten , von Lauten- und Orgeltabulaturen , sowie zum Verkauf der von ihm hergestellten Werke erwarb, ein Privileg, das später in Anbetracht der ungünstigen Zeitverhältnisse auf weitere fünf Jahre ausgedehnt wurde. Zur Ausbeutung dieses Patentes ver- band sich der mittellose Künstler mit zwei geldkräftigen Buchhänd- lern, die es sich angelegen sein ließen, ihrem neuen Gesellschafter die Errichtung einer Musikdruckerei zu ermöglichen und sich von den bedeutendsten Komponisten der Welt, zum Theil um hohen Preis, eine große Menge von Tonwerken behufs Abdrucks zu er- werben.

Von 1501 an erschienen dann in rascher Folge zahlreiche, meist umfangreiche Drucke, darunter die Meisterwerke der ersten Künstler der Zeit', so die Messen eines Josquin, Hobrecht, Brumel, Ghiselin. de la Pue, Agricola, de Orto, Isaac, Gaspar u. A., verschiedene Bücher Motetten, Lamentationen und Laudi,

1 Ottaviano dei Petrucci. Wien 1845. Vgl. auch Vernarecci, Ottaotano Petrucci da Fossomhrone, inventore dei tipi mohili metalUci fusi della musica. Bologna 1882.

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daneben, wahrscheinlich der äheste aller Musikdrucke, eine Samm- lung von 300 meist Aveltlichen Chorgesängen, Odhecaton genannt, 9 Bücher italienischer Frottole und mehrere Bücher Lautentabula- turen. Für die rasche Verbreitung der musikalischen Kunst in weite Kreise hinein war durch diese Drucke ausgiebig gesorgt; für die Musikgeschichte sind dieselben eine erste feste, unschätzbare Quelle, die freilich in unseren Tagen wieder so schwer zugänglich geworden ist, als hätte es eine Vervielfältigungskunst nie gegeben; denn von den Petrucci'schen Drucken sind nur mehr einige Avenige Exemplare, von manchen kaum ein einziges übrig geblieben. Einzelne gingen ganz verloren. Im Jahre 1511 zog Petrucci zur Erweiterung seines Geschäftes in seine Vaterstadt Fossombrone im Herzogthum Urbino im Kirchenstaat zurück, woselbst er sich auch für wissenschaftliche Werke einrichtete und für seinen Musikdruck ein Privileg auf fünf- zehn Jahre innerhalb der Grenzen des Kirchenstaates erwarb , wäh- rend seine Gesellschafter in Venedig das Verlagsgeschäft fortführten. Wiederum erschienen zahlreiche Werke und neue Auflagen der früheren. Außer den Messen eines Johann Mouton und Antoine de Fevin verdienen unter den Fossombroner Drucken besonders die vier Bücher Motetti de la Corona 1514 und 1519 Erw^ähnung, in denen eine Reihe nachmals hochberühmter Meister jüngerer Schule zum ersten Male in die Öffentlichkeit tritt, wde außer den beiden Ge- nannten: Carpentras, Divitis, Jacotin, Maistre Jan, Lheri- thier, Lupus, Richafort, Loyset Pieton, Costanzo Festa und Adrian Willaert.

Doch nach dem Erscheinen dieser Sammlung, die noch 83 der bedeutendsten, bis dahin ungedruckten kirchlichen Chorwerke ent- hielt, war der Stern Petrucci's schon im Verbleichen. Nach dem Jahre 1523 scheint er den Musikdruck aufgegeben und sich ganz dem Drucke wissenschaftlicher Werke zugeAvandt zu haben. Mannig- fache Ehren und Auszeichnungen AA'urden dem seltenen Manne von verschiedenen Päpsten zu Theil, und im Jahre 153G begab er sich auf dringendes Ersuchen des Senats abermals nach Venedig, avo er mit seinen schönen Typen noch zahlreiche lateinische und italienische Klassiker vervielfältigte, aber schon 1539 starb.

Der Grund, Avarum Petrucci so lange vor Ablauf seines PriAdlegs mit seinen musikalischen Drucken aufhörte, lag Avohl an der Kon- kurrenz, die ihm Jakob Giunta aus Florenz seit dem Anfang der zAvanziger Jahre in E-om bereitete. Seine Drucke AA^aren, aaüc die des Petrucci, doppelte, d. h. es Avar zuerst die Lineatur ohne die Noten gedruckt, dann erst aus einem zweiten Satze die Noten; doch standen sie jenen an Schönheit nach. Schon 1526, nach Ablauf des Petrucci'-

sehen Privilegs, druckte Giunta die •>)Motetti de la Coroncm iliicm ganzen Inhalte nach ab. ^

Gegen Ende der dreißiger Jahre aber erhob sich abermals Venedig zu einem wahren Weltplatz für die musikalische Typographie. Dies verdankt die Lagunenstadt vornehmlich einem eingewanderten Fran- zosen, Antonio Gardane, der sich auf seinen späteren Drucken Antonio Gardano nannte. Weit über hundert, vielleicht mehrere hundert meist umfangreiche Tonwerke hat dieser ausgezeichnete Mann zwischen 1536 und 1569 gedruckt, bis er im letzteren Jahre von seinen Söhnen Angelo und Alessandro abgelöst wurde.

Seine Drucke sind aber keine doppelten mehr, sondern einfache : die Typen enthalten mit den Noten zugleich die Lineatur. Dieser große technische Fortschritt, der aber zugleich einen ästhetischen Rückschritt bezeichnet, ist eine weitere Stufe auf dem von Petrucci so erfolgreich betretenen Wege. Aber Petrucci selbst hat diesen Schritt nicht gethan ; wo es überhaupt zuerst geschehen sei, muß dahingestellt bleiben ; in größerem Umfange wurde der einfache Druck in Italien jedenfalls später zur Anwendung gebracht, als in Frankreich. Zu der Zeit, wo Antonio Gardane nebst anderen tüch- tigen Meistern, wie Girolamo Scotto, in Venedig auftrat und befruchtend auf die musiktypographische Thätigkeit in ganz Italien wirkte, hatten nämlich andere Länder längst eine parallele Entwicke- lung aufzuweisen, und die Fortschritte der Kunst konnten wieder über die Alpen zurückwandern.

II.

In Deutschland gebührt Er hart ()glin zu Augsburg das Ver- dienst, den Musikdruck fast gleichzeitig mit Petrucci ausgeübt und, wie es scheint, unabhängig von ihm erfunden zu haben. Er druckte schon 1507 ein musikalisches Werk und 1512 ein werth volles Lieder- buch mit 42 deutschen und 7 lateinischen vierstimmigren Gesänoren, Aus diesem Jahre besitzen wir aber auch schon ein Druckwerk Peter Schoeffer's des Jüngeren, zweiten Sohnes des alten berühmten Druckers gleichen Namens.

An dieser Stelle müssen wir der Ansicht Chrysander's ^ gedenken, wonach die eigentliche Erfindung des Notendruckes in einfacher

1 Abriß einer Geschichte des Notendrucks, in der AUgem. Musik. Zeitung (Leipzig, Rieter-Biedermann) 1879, Nr. 11 16.

Weiterbildung des sogenannten Patronendrucks für die Choralmusik bereits in den SOei^ahren des 15. Jahrhunderts geschehen sein müsse. Was also später Erfindung genannt wurde, das wäre danach nur die erste Anwendung des schon bekannten Princips auf die Figuralmusik, In seinem geistvollen Aufsatze, der alle Formen der Notenvervielfälti- gung mitumfaßt und den Grundriß eines noch zu veröffentlichenden größeren Werkes bilden soll, bezieht Chrysander dies schon auf Petrucci, was insofern Bedenken erregen möchte, als aus der Form, in welcher der Meister sich das Privileg für den Figuralnotendruck erbat, wenigstens das mit Sicherheit hervorzugehen scheint, daß weder Petrucci noch die privilegirende Behörde in Venedig Kenntniß von einem schon bestehenden Gebrauch beweglicher Typen für die kirchliche Choralmusik gehabt hat. Chrysander versichert nun freilich (a. a. O. Spalte 166) , daß noch vor dem Ende des 15. Jahrhunderts zahlreiche Choralbücher mit beweglichen Notentypen romanischen und deutschen Gepräges gedruckt worden seien , aber er citirt nur einen einzigen Druck dieser Art, der in Basel 11S8 ans Licht trat und sich im Besitze des Herrn Alfred Littleton in London befindet. Ich bin zur Zeit nicht im Stande, diese Angaben näher prüfen zu können. Sollten sie sich als begründet erweisen i, so dürfte hier vielleicht die Quelle gefunden sein, aus der die deutschen Figural- musikdrucker die Anregung zu ihrer Erfindung schöpften, obgleich wenigstens Oglin die volle Originalität für sie in Anspruch nahm.

Thatsächlich sind die sämmtlichen Druckwerke Oglin' s und SchoefFer's in Doppeldruck hergestellt, und damit muß das ganze Gebäude von Vermuthungeu, das Chrysander ^ auf die gegentheilige Meinung aufbaut, dahinfallen; der älteste in Eitner's Bibliographie beschriebene einfache Druck ist ein Sienenser von 1515 und befindet sich auf der k. Bibliothek in Berlin.

Peter Schoeffer nun, der Zeit nach der zweite unter den deutschen Notendruckern, erregt unser Interesse in doppelter Weise, einmal deßwegen, weil er den Notendruck seines Zeitalters auf die

* Hierbei müßte aber ein aus der Herstellungsart der lutherischen Gesang- bücher entnommenes Argument (a. a. O. Sp. 165 f.) außer Betracht bleiben ; denn weder wurde in sämmtlichen lutherischen Gesangbüchern ausschließlich die Figural- note angewandt, noch ist dies der Grund, warum darin die Noten mit Holzstöckchen hergestellt wurden.

2 A. a. O. Sp. 182. Chrysander beruft sich für die Meinung, daß die Drucke der beiden Meister einfache seien, auf Sehmid. Ich habe in dem ganzen Buche keine Angabe der Art finden können. "Wie sollte auch Sehmid dazu kommen, der doch einige der betr. Werke selbst gesehen hatte? Übrigens hatte schon 1S77 die ge- genaue Beschreibung in Eitner's Bibliographie jeden Zweifel beseitigt.

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höchste Stufe der Vollendung gebracht hat, dann, Aveil er eine Reihe von Jahren gemeinsam mit Mathias Apiarius arbeitete und so den Ruf des Mannes mitbegründete, der später vom Rate der Stadt Bern als ihr erster Buchdrucker berufen wurde.

Auch üglin's Drucke sind sehr sauber, aber mit denen Peter Schoeffer's können sie sich nicht messen. Ich habe nie einen schö- neren und regelmäßigeren Notendruck gesehen als den der 28 fünf- stimmigen Cantiones niederländischer, französischer und italienischer Meister von 1539; aber die gleichen schönen Typen, die gleiche Schärfe der Noten findet sich auch schon in den ältesten Werken seiner Druckerei, wie in Arnold Schlick's Orgel- und Lauten- tabulaturen, die noch in Mainz erschienen. Die zweite Auflage des 1524 in Wittenberg gedruckten^ Johann Walther' sehen Gesang- büchleins druckte er 1525, wahrscheinlich in Worms; die späteren Werke erschienen in Straßburg, und seit 1541 finden wir den Meister in Venedig beschäftigt. Aus der Zeit seines Zusammenwirkens mit Mathias Apiarius in Straßburg von 1534 1537 kennen wir drei herr- liche Drucke , von denen einer eine zweite Auflage erlebte : das theoretische Werk [von Johann Frosch: Herutn musicalium opus- culum rarum^ 1535 in Folio; die Magnificat octo tonorum des Sixt Dietrich von 1535, und endlich die berühmte Sammlung »Fünff vnd sechzig teutscher liedera, wahrscheinlich 1536 erschienen, auf welche wir noch zurückkommen müssen. Außerdem veranstalteten die beiden Gesellschafter zwei neue Auflagen des Walther'schen Wittenberger Gesangbuchs, eine von 1534, die in einem Brockhaus'- schen Katalog von 1862 (Nr. 102) auftauchte ^ und eine von 1537, die sich in München befindet. Im Jahre 1534 druckten sie auch ein riMpicedionv. auf den Tod des Komponisten Thomas Sporer, von Sixt Dietrich in Musik gesetzt. ^

Die ältesten deutschen Musikdrucke haben im Gegensatz zu den groß angelegten Petrucci'schen Werken die übrigens für die Musik- geschichte sehr zu begrüßende Eigenthümlichkeit , daß sie fast aus- schließlich Tonstücke deutscher Meister enthalten. Erst allmählich finden die großen ausländischen Kontrapunktisten Eingang in die

1 Weller, Annalen, II, S. 333.

2 Die Beschreibung der Dietrich'schen Werke s. bei Eitner, Erk und Kade, Einleitung etc. zu Job. Ott's Liedersammlung (Publikation d. Ges. f. Musikforschung, Jahrg. IV), Berlin (jetzt Leipzig) 1876. 80, S. 53 fF. Das ebendort S. 52 er- wähnte angebliche Epithaph des Andreas Schwarz Francus auf Sixt Dietrich hat mit diesem nichts zu thun, sondern bezieht sich, wie der Text (»Viti Theo- dor i'-^) i^&\x\a\(^\s%^d.^, auf den berühmten Nürnberger Theologen Veit Dietrich, i 24. März 1549.

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deutschen Uruckercieu, ohne daß dabei das /um Theil sehr kosthare deutsche Sondergut vernachlässigt Avorden wäre. Diese großartige Er- Aveiterung des Arbeitsfeldes verdankte der deutsche Musikdruck vielfach einer Reihe sehr kunstverständiger Männer, die uns als Herausgeber tüchtiger Sammlungen theils nationalen, theils internationalen Charak- ters seit dem Ende der 30er Jahre entgegentreten, wie Sigismund Sal- minger in Augsburg, Johann Ott und Georg Forster in Nürn- berg, Georg E.hau in Wittenberg. Letzterer war selbst Drucker ; in Augsburg druckten Melchior Kriesstein und Philipp Ulhard, in Nürnberg Hieronymus Resch, nach seiner Kunst Grapheus, Formschneider genannt, Johannes Petrejus, und die mit ein- ander verbundenen Johann von Berg (Montanus) und Ulrich Neuber, in München Adam Berg. In Basel erschien 1547 bei Heinrich Petri das berühmte theoretische Werk: Dodecachordon des Glarean. Mit allen diesen Meistern sind wir aber schon in die Sphäre des einfachen Notendrucks eingetreten. Wie Schönes und Vortreffliches auch in dieser Druck art in deutschen Landen ge- leistet wurde, beweisen außer dem genannten Glareanischen Werke mit seinen zahlreichen Beispielen ein- und mehrstimmiger Kompo- sition ganz besonders die Drucke des Johann Petrejus in Nürnberg, denen von Schmid der zweite Rang, der erste nach Peter Schoeffer's Erzeugnissen zuerkannt wird. Aber auch die leider nur wenig zahl- reichen und fast ganz verschwundenen Drucke des Mathias Apiarius in Bern finde ich, nachdem ich sie erst in letzter Zeit kennen ge- lernt habe, im Vergleich zu den meisten anderweitigen Musikdrucken außerordentlich schön, kräftig, regelmäßig und scharf.

Ehe wir uns mit diesen noch sehr wenig beachteten Werken eingehender beschäftigen, Avollen wir zur Vervollständigung unserer geschichtlichen Übersicht noch einen kurzen Blick auf die übrigen Länder werfen. Zuerst war Frankreich auf dem Plan mit den 1525 für einfachen Druck gefertigten Punzen und Matrizen des auch als Kupfer- stecher wohlbekannten PierreHautin, der die Formen für die Drucke- reien des Pierre Attaignant in Paris, des Jacques Moderne, genannt Grand Jacques in Lyon, und des TylmanSusato in Ant- werpen lieferte. Attaignant eröffnete den Reigen wahrscheinlich 1527 mit einer großartigen Sammlung von Chansons seiner Landsleute, die eine noch lange nicht erschöpfte Quelle für die Kenntniß dieser schon in ganzer Vollendung dastehenden, dem französischen Genius eigenthümlichen graziösen und leichtgeschürzten Kunstform bildet, Modernus hingegen mit einer mehr internationalen, höchst werth- vollen Sammlung von fünf Büchern kirchlicher Chorgesänge, den ))MoteUi del Fiorei'i, aus denen später Gardane in Venedig einen Theil

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nachdruckte unter dem Titel )^Fior de' motetti^ tratfi dalli motetti del Fiore<i. So waren denn nach dem Vorgange Petrucci's mit den Motetti de la Corona,^ die als Titelvignette eine Krone trugen, nun auch Motetten mit dem Blumenstück vorhanden, denen wieder Gar- dane's Motetti del Frutto mit einem Fruchtstück, und endlich, das Emblem der Nachahmung absichtlich zur Schau tragend, die von Bughlat in Ferrara herausgegebenen Motetti de la Simia, Motetten mit dem Affen folgten, was dann zu artigen und unartigen gegen- seitigen Spöttereien, Klagen und- Beschuldigungen wegen Nachdrucks führte.

Als ausgezeichnete Musikdrucker Frankreichs sind noch Adrien Le Roy, Nicolas du Chemin und die bis tief ins 18. Jahrhundert hinein eine Art von Privileg im Notendruck genießende Familie Ballard zu erwähnen. Ganz vereinzelt steht eine herrliche Ausgabe der AVerke des päpstlichen Kapellmeisters unter Leo X., Adrian VI. und Clemens VII. , Eleazar Genet, wegen seines Geburtsortes Car- pentras im päpstlichen Gebiet von Avignon auch il Carpentrasso, von den Franzosen einfach Carpentras genannt. Die Typen dieses seltenen und kunstreichen doppelten Druckes sind außerordentlich groß und unten abgerundet, so daß sie den modernen sich nähern.

Das Mutterland der kontrapunktischen Musik, die Niederlande, hat merkwürdigerweise erst spät angefangen, Musik zu drucken. Erst 1542 haben wir den ersten und, wie es scheint, einzigen Druck des Wilhelm Vissenack in Antwerpen zu verzeichnen ; es folgen ihm dann aber seit 154 3 sehr bedeutende Männer, wie der schon genannte Tylman Susato, dann Christoph Plantin und Hubert;Wael- rant, alle in Antwerpen, und Peter Phalese in Löwen.

England ist am meisten zurückgeblieben, indem es bis über die Mitte des IG. Jahrhunderts ausschließlich in holzgeschnittenen Noten druckte; erst 1560 erscheinen in der Druckerei des John Day be- deutend verbesserte Typen.

In Spanien muß frühzeitig eine bedeutende Produktion stattge- funden haben ; es sind aber nicht gar viele Werke in die mittel- europäischen Bibliotheken gekommen ; das älteste , Avelches Schmid bekannt geworden ist, ist von 1547,

Die Schönheit der älteren Musikdrucke ist in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts nicht wieder erreicht worden, doch nimmt die Zahl der Drucke bis zum Ende des Jahrhunderts im Verhältniß des steigenden Reichthums an musikalischer Produktion noch erheblich zu. In den dreißiger Jahren kamen zu den älteren, schon genannten Komponisten noch hinzu, um nur einige der leitenden Namen zu nennen, der Deutschniederländer Nikolaus Gombert, die Welsch-

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niedcrländer Jakob Are adelt und Johannes Leloup (Lnpi), die Deutschen und Deutschschweizer Thomas Stolzer und Ludwig Senfl, der Franzose Jean Maillart, der Spanier Christoph Moral es; in den vierziger und fünfziger Jahren ragt der doppel- sprachige Niederländer Jakob Clemens non Papa an Fruchtbar- keit und künstlerischem Genius über alle Anderen hervor, und erst nach der Mitte des Jahrhunderts beginnt die Blüthezeit der beiden berühmtesten Kontrapunktisten aller Zeiten, des Giovanni Pier- luigi da Palestrina in Rom und des Orlandus de Lassus in München. Als Dritten können wir diesen Kunstheroen das Haupt der Venezianischen Tonschule, Andrea Gabrieli anschließen, dessen hochbegabte Schüler Johannes Gabrieli und Hans Leo von Hassler uns nach einander zu den großen Deutschen des 17. Jahr- hunderts, Michael Prätorius, Johannes Eccard, Heinrich Schütz, Johann Sebastian Bach überleiten.

Wie die Zahl der Musikdrucke des 16. Jahrhunderts hoch in die Tausende geht, so waren auch die Auflagen vieler Werke sehr stark; nicht selten folgten mehrere Auflagen eines Werkes in der Stärke von 2500 Exemplaren in ganz kurzer Frist einander nach. So reich floß der Strom der polyphonen Musik in jener herrlichen Kunst- epoche. Die geistliche Musik mit ihren Messen, Motetten, Psalmen, Hymnen, Lamentationen, geistlichen Liedern u. s, w^ wiegt vor ; doch vrird das weltliche Lied, die Chanson, die Canzone und Canzonetta und die kunstmäßigste der weltlichen Musikformen, das Madrigal, ebenso beständig gepflegt.

Die Noten der alten Drucke sind wesentlich dieselben, die wir jetzt noch haben, auf und zwischen fünf Linien gesetzt, mit Ver- wendung der etwa benöthigten Hilfslinien und unseren heutigen Schlüsseln, unter denen aber der C-Schlüssel für den Tenor und Alt ausschließliche und für Sopran und Haß häufige Anwendung fand, und uns sonach auf der ersten, zweiten, dritten und vierten Linie des Systems begegnet, während der F-Schlüssel außer seiner jetzt allein üblichen Verwendung als Baß -Schlüssel auf der vierten Linie auch für den Baryten auf die dritte und für ganz tiefe Bässe auf die fünfte Linie, der Violinschlüssel aber für hohe Soprane zu- weilen auf die erste Linie des Systems gesetzt wurde. Die Ton- stücke folgen alle, weltliche wie geistliche, der Tonalität der soge- nannten Kirchentonarten und sind stets untransponirt oder in der Oberquart der ursprünglichen Lage gesetzt, d. h. sie haben entweder keine Vorzeichnung oder sind mit einem Be vorgezeichnet. Doch war mit dieser Art der Notirung nicht beabsichtigt, die Tonhöhe für die Ausführung mit absoluter Genauigkeit zu bezeichnen. So sind

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auch die in den Stücken vorkommenden zufälligen Erhöhungen und Erniedrigungen, die wir durch Kreuz und Be bezeichnen, besonders in der älteren Zeit, gar nicht notirt; es gab dafür bestimmte Regeln, denen die Sänger zu folgen hatten. Die Taktzeichen sind meist die- selben, die wir heute noch anwenden, doch giebt es besondere Zei- chen für dreitheilige Maße und es wiegen die längeren Noten über; nur darf man daraus nicht den Schluß ziehen , daß die Tonstücke des IG. Jahrhunderts deßhalb langsamer gesungen worden wären, als unsere heutigen Chore. Vielmehr vertreten häufig Takte von drei ganzen Noten unseren heutigen Dreivierteltakt, der mit der modernen Bezeichnung bei den Alten nicht vorkommt, so wenig, als etwa ein ''/g- oder 'Ys-Takt. Allgemeine Zeitbezeichnungen, als AUegro^ An- dante u. s. w. sind nicht vorhanden, ohne daß es deß wegen an feiner Nuancirung und reichem Wechsel des Tempos gefehlt hätte.

Partituren in unserem Sinne fertigten die Komponisten meist nur zu eigenem Gebrauche : die Organisten und Lautenspieler be- gleiteten nach eigenthümlichen, althergebrachten Tabulaturen, welche uns heute kaum übersehbar erscheinen, während die daran gewöhnten alten Meister im Gegentheil mit unseren bequemen und selbst für Anfänger lesbaren Klavier- oder Orgelauszügen nichts anzufangen gewußt hätten. Erst gegen Ende des Jahrhunderts erschienen auch Partitur e 2) er Vorguno im Druck, die aber meist nur einen fortlaufen- den Baß enthielten, den man dann im 17. Jahrhundert mit den Zif- fern der darüber zu greifenden Akkorde versah. Das deutet das Ende der polyphonen , jede Stimme als melodisch gleichberechtigt behandelnden Schreibart und den Übergang zum homophonen Stil an, in dem die Oberstimme die Melodie hat, die übrigen nur be- gleitende Gänge machen und zuletzt nur mehr als Akkordbestand- theile aufgefaßt werden.

Die Tonwerke des 16. Jahrhunderts erscheinen also im Druck nur in den Einzelstimmen, und zwar entweder so, daß jede Stimme, Sopran. Alt u. s. w. in besonderem Stimmbande abgedruckt ist, wie heut zu Tage z. B. in dem bekannten »Regensburger Liederkranz«, oder so, daß in einem Bande alle Stimmen neben und unter ein- ander stehen, also etwa auf der linken Seite des aufgeschlagenen Buches oben der Sopran, unten der Baß, auf der rechten Seite oben der Alt, unten der Tenor. Die letztere Form fand stets Anwendung bei den großen kirchlichen Chorwerken in Folio, wo dann nach ur- alter Sitte die ganze Sängerschaft aus einem einzigen großen Buche zu singen pflegte. Aber auch bei einzelnen kleingedruckten Werken, die als Hausmusik gedacht waren, finden wir die gleiche Einrichtung. Eine Lyoner Chansons-Sammlung hat sogar die Merkwürdigkeit, daß

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auf jeder Seite eine der Stimmen von unten nach oben zu lesen ist. Aus diesem Büchlein konnte man also nur in der Art singen, daß die Mitglieder eines Singquartetts sich zu zwei und zwei an einem schmalen Tische einander gegenüber setzten. ^

Zu erwähnen ist noch, daß diese Einzelstimmen alle ohne Takt- striche gedruckt sind, und daß namentlich in den älteren Werken die auf eine Textsilbe zu singenden Noten vielfach zu Ligaturen ver- einigt erscheinen, für deren Entzifferung eine Reihe ziemlich ver- wickelter Regeln bestand.

III.

Kehren wir nun zu unserem Mathias Apiarius zurück, den wir durch seine Verbindung mit Peter Schoeffer in Straßburg schon kennen gelernt haben. Über seine Lebensverhältnisse aus der Straß- burger Zeit ist so wenig etwas bekannt geworden, als über seine Herkunft. Nur wissen wir, daß er im Jahre 152S von Basel her als Theilnehmer auf der Berner Disputation erschien; man .glaubt deß wegen, daß er früher ein Geistlicher gewesen sei. Aus seiner Vorrede zu den Bicinien von 1553, die ganz in der damaligen schwei- zerischen Orthographie geschrieben ist, könnte man vermuthen, daß er ein Schweizer war. Jedenfalls hat seine Verbindung mit Schoeffer ihm Ehre und Ruf gebracht. Es fragt sich nur, was Peter Schoeffer bewogen haben könnte, ihn zum Geschäftsgenossen zu machen. Das Geld ist nicht die Ursache gewesen, denn Apiarius besaß keines; er befand sich vielmehr in der Lage, Avie die Akten des Bernischen Archivs ausweisen, bei jeder Gelegenheit Vorschüsse begehren zu müssen. Ich vermuthe stark, daß es gerade die musikalischen Talente und Verbindungen waren, die seine Persönlichkeit als eine werth- volle Bereicherung des Schoeffer'schen Geschäftes erscheinen ließen. Manche der tüchtigsten Musikdrucker waren selbst ausgezeichnete Komponisten, wie vor allem Anton Gardane, Girolamo Scotto, Tyl- man Susato, Hubert Waelrant, Claudio Merulo. Von Apiarius be- sitzen wir zwar nur zwei wenig bedeutende Stücke in zweistimmigem Kontrapunkt, und die bescheidene Überschrift, die er diesen giebt : yiolim faciehaU., sowie die Nichterwähnung derselben auf dem Titel des betreffenden Werkes deutet an, daß er auf seine schöpferische Begabung keinen sonderlichen Werth legte. Dagegen zeigen uns diese Stücke zur Genüge , daß Apiarius ein tüchtiger Musikverstän- diger war ; auch seine Söhne finden wir später beim Stadtpfeiferdienst

1 Ein Facsimile davon in den Monatsh. f. Musikgesch., Jahrg. 1873, zu S. 116.

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ano-estellt. Was liegt nun näher, als die Annahme, daß Apiarius im Geschäfte Peter SchoeiFer's hauptsächlich den Beruf hatte, Hand- schriften für die Ausbeutung der musikalischen Abtheilung der Druckerei herbeizuschaffen, die Auswahl für den Druck zu treffen, die Korrektur zu überwachen, ja wer weiß? vielleicht gar den Musiksatz selbst eigenhändig zu besorgen ? Gewiß ist nach der ersteren Richtung bei der Sammlung der 65 teutschen Lieder des Apiarius Hand thätig gewesen.

Dieses prächtige und wichtige Werkchen muß uns nun zunächst beschäftigen. Es galt lange Zeit als Berner Druck, und bis heute ist noch nicht volle Klarheit über diese Sache geschaffen worden. Schon Uhland veröffentlichte aus dem Büchlein eine Anzahl von Lieder- texten; in Goedeke's Grundriß der deutschen Literatur (I, §110,4, erste Aufl.) erscheint es unter dem Titel: »Apiarius. Fünff vnd sechzig teütscher Lieder, vormals im truck nie gangen.« Am Schluß: )) Argentorati apud Petrum Schoeffer. Et Matthiam Apiarium. o. J. (um 1520). 54 Bl. 6.«, und Weller verbesserte daran in seinen Annalen der poetischen National - Literatur der Deutschen im XVI. und XVH. Jahrhundert, Bd. II, S. 312 : »Des Apiarius Liedersamm- lung erschien 1537, vergl. Becker, Tonwerke Sp. 235. Apiarius druckte überhaupt nicht vor 1535 und zog 1539 bis 1540 von Straß- buro; nach Bern.« Daneben citirt und beschreibt Weller aber das- selbe Büchlein noch einmal im selben Bande seines Werkes (S. 18, 4) und stellt es hier als einen Berner Druck dar, aus dem er sämmt- liche 65 Texte »ihrer Bedeutung halber« vollständig abdruckt. Weilers kurze Beschreibung lautet: »LB (d. i. Liederbuch), o. O. u. J. (Bern, M. Apiarius c. 1550. 41 Bl. oder 7 Bog. weniger 1 Bl. 6. Der ganze Liedertext in Noten.« Als Fundort nennt er noch: «Freiburg i. Br.« Die Angaben Goedeke's und die »Berichtigung« Weller's sind heute leicht richtig zu stellen, da mittlerweile auch die musikalischen Bibliographen emsig bei der Arbeit gewesen sind und ebenso werth- volles als genaues Material zur Sache herbeigeschafft haben. Wir wissen nun, daß die Lieder 4- und 5 stimmig sind, daß es demnach fünf Stimmhefte des Werkchens giebt; wir wissen durch Robert Eitner^, daß sich Exemplare in München, Berlin und Zwickau be- finden; wir wissen, daß das Werk nicht um 1520 erschienen sein kann, aber auch nicht, wie noch C. F. Becker, Anton Schmid und Goedeke notiren, 1537, noch Aveniger, wie Weller (S. IS) sagt, c. 1550; vielmehr muß das Buch schon 1536 existirt haben, da in dem Berliner

1 Bibliographie der Musik- Sammelwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Berl. 1877, S. 36, woselbst auch die genaue Besehreibung des Werkes zu finden ist.

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Exemplar über dem siebenten von z.völf beigebundenen bandschrift- lichen Liedern im Diskant das Datum «20 Decemb: 163G« beigefügt ist. Dagegen ist das Buch sicher ein Straßburger Druck, was nu^ zweifel- hatt sein konnte, ehe man die Tenorstimme kannte, in der die Ano-abe des Druckortes und beider Genossen als Drucker enthalten ist Gänz- lich ungerechtfertigt ist es, unseren Apiarius, wie es Goedeke'thut in eine engere Beziehung zu dem Inhalte des Buches zu setzen d h ihn etwa als Verfasser der Liedertexte oder der Kompositionen er- scheinen zu lassen. Weder mit den Texten noch mit den Kompo- sitionen der 65 Lieder hat Apiarius irgend etwas zu thun; letztere sind der Firma von 18 verschiedenen Komponisten zugegangen und unserem Apiarius kommt nur das Verdienst des tüchtigen Verlegers und Herausgebers zvi.

Mit den Texten i, die nur das Tenorheft in allen Strophen ent- hält, hat sich die Literaturgeschichte schon vielfach beschäftigt weniger mit den Tonsätzen 2, die, wie der Titel besagt, Mxmai^ txnd Ute »^ gangen" sein sollen. Wenn es erlaubt wäre, dies o-anz genau zu nehmen, so müßte man unsere Sammlung spätesten^'s in das Jahr 1534 setzen, da ein Nürnberger Druck mit dem Datum- 20. August 1534 (Eitner 1534 n.) schon einen Senfl'schen Tonsatz aus ihr enthält. Aber dieser Druck versichert auch: „üormatö berg(etd;en im Zxüd nl;e auf^gangcn". Drei andere unserer Tonsätze, von Artlio- pius, Brätel und Wüst, erschienen 1535 in den Frankfurter „®a[|en= ^au^erUn" und „9i^entter(iefc(in" (Eitner 1535 d. e.), die jenen Anspruch nicht erheben. Hier wäre eine Entlehnung aus unserem Werk wohl möglich, wodurch die Zeit seines Erscheinens vor 1535 zu setzen

wäre.

Die Namen der Komponisten, die sämmtlich Deutsche waren, geben einen bemerkenswerthen Einblick in die mannigfachen Ver- bindungen, die Apiarius zur Verfügung standen. Nu? von einem derselben, Thomas Sporer, wissen wir sicher, daß er schon 1534 gestorben war. Die Namen Balthasar Arthopius, Huldreich Brätel, Matthäus Eckel, Paul Wüst kommen auch in anderen Sammlungen vor, doch ist von ihren Trägern sonst nichts bekannt; Matthäus Greiter war ein Straßburger und auch Dichter geist- licher Lieder ; Lazarus Spengler von Nürnberg erscheint nur' hier

1 Unter den Texten befinden sich auch zwei » Bohnenlieder«, von denen ver- muthlich das eine jenes Bohnenlied ist, mit dem nach der Anshelm'schen Chronik in Bern 1522 „tof in (S[c^en a}Jittwitcf;en ber romticf;c ^bla\i buvd^ aße Oaffeit qetraqen tonb tter[))Ottet toarb." Von einzelnen Texten unserer Sammlung darf man aber wohl sagen, daß sie noch über das Bohnenlied gehen.

2 Nur ein einziger, von Senfl, ist neuerdings veröffentlicht worden.

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als Komponist, und zwar bei einem einzigen Liede, wie er auch nur als Dichter des einzigen Kirchenliedes: »Durch Adams Fall ist ganz ver- derbt« bekannt ist. Auch Wilhelm Breitengraser war ein Nürn- berger : Wolf Grefinger lebte in Wien, Paul Hoffhaimer, früher auch in Wien, wohnte seit langem in Salzburg, Sixt Dietrich in Konstanz. Thomas Stoltzer war beim König von Ungarn, Stephan Mahn beim König von Böhmen, Arnold von Brück beim Kaiser in Wien Kapellmeister. Von letzterem vermuthet man, daß er aus Brugg im Kanton Aargau stamme; er wäre dann nächst Ludwig Senfl aus Kaiseraugst, der auch in unserer Sammlung mit sieben Gesängen vertreten ist, der größte schweizerische Kontra- punktist. Sodann enthält unsere Sammlung noch Stücke von zwei anderen schweizerischen Meistern, die bis dahin noch in keinem Druckwerke vorkommen, Cosmas Alderinus von Bern und Johann Wannenmacher von Freiburg. Nur ein einziger Komponist, Bene- dikt Ducis, gilt seit Fetis und Ambros für einen Niederländer Namens Hertoghs, da durch Antwerpener Lokalforschungen nachgewiesen Avurde, daß er Organist der Marienkapelle dortselbst war. Ambros Avill nicht einmal zugeben, was doch dieselben Antwerpener Quellen bezeugen, daß er 1515 nach Niederlegung seiner Stelle an den Hof Heinrich's VIII. von England berufen worden sei. Doch bleibt die Thatsache bestehen, daß er 1539 in Ulm «Harmonien« über alle Oden des Horaz »der Ulmer Jugend zu Gefallen« hat drucken lassen, sowie daß er neben französischen Chansons und vlaemischen Liedern auch deutsche Lieder komponirt hat, und zwar außer unserem welt- lichen Liede: „ßUenb bringt ^eiu bem f)er^eu mein" noch eine Anzahl evangelisch-kirchlicher Tonsätze. Es mag daher nicht allzu gewagt sein, den Wohnsitz dieses Meisters zur Zeit der Entstehung unserer Sammlung in Deutschland, und zwar in Ulm zu suchen. Dagegen ist die Meinung, die noch P. Anselm Schubigeri zu theilen scheint, wonach Benedikt Ducis mit Benedikt Appenzeller dieselbe Per- sönlichkeit gewesen sei, nicht aufrecht zu erhalten ; auch war Appen- zeller, der von 1530 1555 eine Anstellung als Chorknabenmeister in der Kapelle der Statthalterin Maria zu Brüssel hatte, wohl kein Schweizer, vielleicht aber der Sohn eines aus Appenzell stammenden, um 1511 erwähnten nniatti'e bombardiere im Heere Karl's V, Namens Hantze Appenzeller.

Ein Punkt bedarf noch der Aufklärung, Weller, wie gesagt, bezeichnet (S. 18) unser Werk daß es sich um das gleiche handelt,

1 Die Pflege des Kirchengesanges und der Kirchenmusik in der deutschen katholischen Schweiz. ' Einsiedeln 1873, S. 37.

2

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ist zweifellos als Berner Druck von c. 1550 und erwähnt ein Frei- burger Exemplar, welches merkwürdigerweise den Musikbibliographen entgangen war. Sollte Apiarius wirklich in Bern eine zweite Auf- lage, oder besser: einen Nachdruck veranstaltet haben? Franz M. Böhme 1 sah in Berlin einen Nachdruck in A^erbindung mit einem solchen der Frankfurter Gassenhauer und Reutterliedlin und hielt alle diese Stücke für Erzeugnisse der Schoeffer'schen Officin. Das war aber gewiß eine arge Täuschung; denn nach Eitner (S. 85) be- steht zwar ein solcher Nachdruck, ist aber «ein einfacher und sehr mangelhafte. Er wird also aus dem ersten Grunde nicht der Straß- burger und aus dem zweiten nicht der Berner Officin angehören. Aber auch das vergessene Freiburger Exemplar, welches Weller be- nutzte, ist kein Berner Druck. Die Freiburger Universitätsbibliothek hatte die Freundlichkeit, mir das einzige, dort vorhandene Stimmheft zvizuschicken, und beim ersten Aufschlagen schauten mir die unver- kennbaren prächtigen Typen Schoeffer's entgegen. Auch das „öiö", welches Weller als »Liederbuch« gedeutet hatte, erwies sich als ein Versehen; es ist nur ein etwas verschnörkeltes 33 auf dem Titel, welches „93a[[u§" bedeutet. Von einer Herkunft dieser Baßstimme aus Bern könnte also nur die Rede sein, wenn Apiarius die Schoeffer'- schen Typen mit nach Bern genommen hätte. Das ist aber, wie alle Berner Drucke unzweideutig ergeben, nicht der Fall gewesen. Apia- rius hat allerdings Druckereieinrichtungen aus Straßburg mit nach Bern gebracht; denn am 19. Januar 1537 dekretirte ihm der Rath von Bern Freiheit von Zoll und Geleit, „fo inin^ t>onn [tnem gef(i)efft iJUUb ipujrat süftenbig [in Unu'beu"; aber aller Wahrscheinlichkeit nach waren seine Notentypen noch nicht dabei, sicher aber keine solchen für doppelten Druck.

Die Freiburger Baßstimme gehört demnach der Originalausgabe des Werkes an. Beigebuuden ist ihr die Baßstimme der Maxpiißcat von Sixt Dietrich, Avobei es nach einem eingeklebten Zettel Jul. Jos. Maier's, des verstorbenen Konservators der musikalischen Ab- theilung der Münchener Bibliothek, zweifelhaft ist, ob sie der ersten oder der zweiten Auflage dieses Werkes angehört.

Diese zweite Auflage des Dietrich'schen Werkes wird wohl das letzte Buch sein, welches unter dem Namen beider Drucker in die Welt getreten ist. Die Widmung ist an Simon Grynaeus, einen reformirten Theologen und Professor der griechischen Sprache in Basel, gerichtet, und wir wissen aus zwei von Dr. Sieb er in den Monatsheften für Musikgeschichte (VII, 125 f.) veröffentlichten Briefen

1 Altdeutsches Liederbuch, Lpz. 1877, S. 791, Nr. 9.

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des Komponisten an Bonifaz Am erb ach, daß Grynaeus durch seine Munificenz die Herausgabe des Werkes ermöglicht hatte. Das Datum der Widmung lautet: »1537. Calendas Augusti.« Um diese Zeit war aber der eine der Geschäftstheilhaber schon nach Bern übergesiedelt, wie ich im Gegensatz zu Weller's Angabe: »1539 bis 1540« endgültig feststellen konnte.

IV.

Die schon erwähnte Vergünstigung zoll- und geleitsfreien Um- zugs für Geschäft und Hausrath verdankte Mathias Apiarius Avohl dem Umstände, daß er, wie Fetscherin^ versichert, vom Eathe der Stadt Bern ausdrücklich berufen wurde. Im Bernischen Archiv fand Herr Seminarlehrer Flury darüber nur eine Eintragung im Raths- manual: „fritag, 19, Sanuarti 1537. Apiariura einem büvßevüd^eu ^tnfcerfe^en angenommen." ^ Es konnte indessen bisher immer noch zweifelhaft sein, ob der Umzug wirklich sehr bald nach den beiden erwähnten Rathsbeschlüssen stattgefunden habe. Als ältester Druck des Apiarius und damit als ältester Berner Druck überhaupt galt bis jetzt ein Katechismus von 1538. Im Zvisammenhalt mit der That- sache , daß die Widmung des Straßburger Werkes vom 1 . August 1537 noch von Apiarius mitgezeichnet war, konnte man leicht auf den Gedanken kommen, daß sich die Übersiedelung aus irgend einem Grunde bis in die zweite Hälfte des Jahres oder gar bis zum folgenden Jahre verzögert hätte. Erst die Wiederauffindung eines Druckes von 1537, der also fortan als ältester Berner Druck zu gelten hat, hat allen Zweifel beseitigt.

Dieser älteste Druck ist ein musikalischer, aber bemerkenswerther Weise nicht mit beweglichen Metalltypen hergestellt, ein theoretisches Werk des Lüneburger Kantors Auetor Lampadius: Compendium Miisices , tarn ßgurati quam plani cantus. Mir fiel die Angabe von Ort und Drucker etwa vor Jahresfrist zuerst auf, als ich die Theo- retica der Breslauer Bibliotheken in der vortrefflichen Bibliographie Emil Bohn's (Berlin 1883) einer neuerlichen Durchmusterung unterzog. Dort mag man auch die genaue Beschreibung des Werk- chens sowie die der Ausgabe von 1554 nachlesen 3. Es fand sich dann, daß das Werk ganz richtig auch von Fetis citirt war, und

1 Historische Zeitung 1853, S. 76.

2 S. auch Rettig, Notizen über M. A. im Stück IV des Archivs f. Gesch. des Deutschen Buchhandels. Leipzig 1879, S. 31.

3 S. auch Beilage III.

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nicht minder in Gerb er 's neuem Lexikon, in Forke l's Litte- ratur der Musik und in Walther's Lexikon; überall mit der rich- tieren Angabe des Druckortes. Ich war daher sehr erstaunt, daß man in liern nichts davon Avußte , und daß mit diesem Büchlein, das seine Herkunft bisher in den wenig gelesenen musikalischen Bibliographien zu verstecken gewußt hatte, der älteste J^erner Druck wiedergefunden sei. ^

Ich muß mich beeilen, festzustellen, daß der Verfasser wirklich den seltsamen Vornamen Auetor geführt hat ; denn alle Autoren, Emil Bulin nicht ausgeschlossen, hielten dieses Wort, was ihnen nicht zu verdenken ist, für die etwas vordringliche Bestätigung seiner Autor- schaft. 2 Schon 1549 hat Erasmus Rotenbucher in seinen Nürn- berger Diphona sich nicht getraut, unserem Lampadius, von dem er ein Exemplum unseres Büchleins und noch ein anderes Stück abdrucken ließ, seinen Vornamen beizusetzen. Bei näherem Zusehen schwindet aber jeder Zweifel, daß Auetor wirklich den Vornamen darstellt. Nicht nur nennt er sich selbst wiederholt so. sondern auch Eber- hard von Rumlang aus Winterthur, damals in Bern, der dem Büchlein einen Geleitsbrief an den Musikbeflissenen voransetzte, stellt die beiden in Versalien gedruckten Namen so neben einander, daß nur an Vor- und Zunamen gedacht werden kann. Endlich läßt aber auch die Angabe des Titels: »Ab Auetore Lampadio Lunebur- gensi elaborata« schlechterdings keine andere Deutung zu. Lampa- dius selbst schrieb noch eine Dedikation an zwei junge Leute, wahr- scheinlich seine Schüler in Lüneburg, und ein Joannes Telorus machte das übliche Gedicht «m laudem musicesii. Das Büchlein ist in dialogischer Form abgefaßt und trotz seiner gedrängten Fassung äußerst lehrreich und vortrefflich. Apiarius hat einen guten Grifl" damit gethan; denn es sind wenigstens fünf Auflagen erschienen; drei davon, aus 1537, 1539 und 1546, die Fetis besaß, werden in der Brüsseler Staatsbibliothek liegen: eine von 1541 erwähnt Draudius hl der Bibliotheca classica, und die von 1554 besitzt neben der ersten die Universitätsbibliothek in Breslau. ^ Diese Ausgabe hat besonderes Interesse. Der Titel, auf dem sieben Zeilen roth gedruckt sind, ent-

1 Erst nach Fertigstellung dieser Arbeit erfuhr ich, daß schon 1890 Eduard Jacobs das Büchlein gesehen und über den Verfasser einen erschöpfenden Auf- satz in der Vierteljahrsschrift für Musikwissenschaft veröffentlicht hat. Ich -will aber an meinen Ausführungen nichts ändern, weil sie doch einiges Neue enthalten und auch für das schon Bekannte, aber auf anderem "Wege Gefundene, neue Be- weisstüoke beibringen.

2 Vgl. Jacobs, a. a. O. S. 91.

3 Andere Exemplare citirt Jacobs a. a. O.

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hält Druckort und Jahr, die in der ältesten Auflage am Schluß stehen, und nennt als Drucker den Samuel Apiarius, der nach dem im gleichen Jahre oder frühestens Ende 1553 erfolgten Tode seines Vaters das Geschäft übernommen hatte. Die Vorrede Eberhard von Rumlang's ist wörtlich wiederholt, trägt aber jetzt das'Datum: «Mense Martio, Anno 1546«, während es in der ersten Auflage hieß: »15. Kai: Augu. Anno. 1535.« Sonst ist der Inhalt beider Auflagen, von einigen Korrekturen abgesehen, in beiden Büchern der gleiche; auch sind in beiden dieselben roh ausgeführten Holzstöcke für die Noten- beispiele in Anwendung gekommen. Nur ein werthvolles Stück bietet uns die Ausgabe von 1554 gegenüber der ersten: den Brief, womit Auetor Lampadius am 1. März 1537 über die vorher durch einen gewissen Domin ikus Drever erfolgte Zusendung seines Manuskripts berichtet. Drever war schon wieder bei Lampadius gewesen und hatte mitgetheilt, daß die zugesandte, von dem Knaben des Verfassers gefertigte Abschrift eine sehr mangelhafte gewesen sei. In dem Briefe wird dies bedauert, und das Werkchen, von dem eine kurze Be- schreibung gegeben wird, zum Druck empfohlen. Zugleich wird noch ein Büchlein über die Komposition von Cantilenen und die Stimmen von Gesängen zu den vier höchsten Festen {partes de qua- tuor Simonis festia) in baldige Aussicht gestellt, wobei derselbe Domi- kus als Überbringer fungiren werde. Zum Schlüsse begründet Lam- padius die Zusendung seines Büchleins zum Druck gerade an Apiarius in folgenden, für die Charakteristik unseres Buchdruckers nicht un- wichtigen Worten': «Übrigens, daß mein Büchlein, sei es nun, wie es wolle, Dir, mein Herr Apiarius, zum Druck übersandt wurde, das machte Dein christliches Gemütii und Deine ganz besondere Liebe zur Musik, die, wie man mir sagt, keine größere Annehmlichkeit und Freude kennt, als daß die Jugend sich der schönen Künste nicht minder, als der guten Sitten, besonders aufrichtiger Frömmigkeit be- fleißige, in der edelsten der Künste aber, der Musik, sich unver- drossen übe.« In der Unterschrift nennt sich Lampadius «von Herzen seinen Freund, zwar nicht in Person, aber doch in aller Aufrich- tigkeit. « -

1 Nach Jacobs S. 95 f. steht der Brief schon in der Ausp;abe von 1541. Die von Jacobs S. 96 und S. 103 gegebene Verdeutschung des Namens Apiarius in Bienevater ist willkürlich; Fetscherin in Bern versuchte den Namen mit der Bernischen Familie Beyeler in Verbindung zu bringen, was sich auch längst als irrig erwiesen hat; die einzig richtige Verdeutschung ist Biner oder Biener, vergl. unten S. 408 u. 410.

2 Jacobs' Annahme, die beiden Männer hätten sieh wohl von der Universität her gekannt, ist demnach irrig.

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Von den in Aussicht gestellten anderen Werken des Lampadius ist nichts mehr bekannt geworden, i Das oben erwähnte zweite Stück in den DipJiona trägt die Überschrift: Epicedio7i generosi cotnitis Ati- tonii iunioris ah Isenherg. Die ganze höchst interessante Roten- bucher'sche Sammlung zweistimmiger Gesänge war dem noch im Knabenalter stehenden Grafen Heinrich von Isenburg- Büdingen, dem Sohne des Grafen Anton des Älteren, gewidmet.

Ich brauche nicht zu erwähnen, daß sich aus dem Inhalt und dem Datum des Lampadius'schen Briefes ergiebt, daß Apiarius schon sehr früh im Jahre 1537 in Bern gewesen sein muß. Dagegen ver- lohnt es sich, seinem Druckerstock, der auf der letzten Seite der ersten Auflage sich befindet, ein Wort zu widmen. 2 Er stellt einen aufrechtstehenden, hohlen, mit federartig beblätterten Asten ver- sehenen Baumstamm dar, von Bienen umschwirrt, die bei einem großen Loche ein- und ausschwärmen. Ein Bär ist an dem Stamm emporgeklettert, um den von den Bienen gesammelten Honig zu naschen. Aber vor dem Loch hängt an einem Aste ein schwerer Klöppel , der den Bären auf die Schnauze klopfen muß , so oft er versucht, sie in die Höhlung hineinzustecken. In späteren Drucker- stöcken, schon in der Frank'schen Chronik von 1539 erscheinen auch noch Vögel und eine Spinne als Feinde der fleißigen Bienen, die nicht nur an den um den Baum herum wachsenden Blumen saugen, sondern auch in einer aufgeschlagenen Bibel zu lesen scheinen, wo das hebräische Wort Jehovah und gegenüber ein mir unverständ- liches Zeichen, einem Thiere ähnlich, zu sehen ist. Das Emblem der Biene ist im Hinblick auf den Namen Apiarius, den sein Träger gelegentlich selbst mit »Bienenr verdeutscht, hinreichend verständ- lich; die Naschhaftigkeit des Bären soll wohl eine zarte Andeutung für die Berner sein, daß sie seine Bücher nicht bloß lesen, sondern vor allem kaufen sollten. In der genannten Chronik hat er dies durch biblische Umschriften noch deutlicher gemacht, ja sogar durch künstliche Verschmelzung zweier Bibelstellen (Klagl. 3, 10; Spr. 28, 15) in der Version der Vulgata: ))Ursus insidicms et esuriens, princeps super populum pauperema eine scharfe Anklage gegen das arme Bernische Wappenthier konstruirt.

Nach dem, was wir über die Herstellungsart des Lampadius'- schen Büchleins gesagt haben, bleibt es also zweifelhaft, ob Apiarius

1 Nur ein Bruchstück einer lateinischen Predigt, von M. Apiarius gedruckt, fand Herr Seminarlehrer Flury dahier vor. Nach Jacobs S. 103, Anm. 3 befindet sich die Predigt vollständig auf der Stadtbibliothek zu Zürich.

2 S. Beilagen I und II.

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vom Anfange seiner Wirksamkeit in Bern an schon seine schönen beweglichen Typen für den Musikdruck besessen habe.

Das erste sichere Denkmal ihres Vorhandenseins ist eines der mancherlei Trutzlieder auf das Interim, Avelches Apiarius 1552 in Druck gab: „ßtu 3(rt(td)8 new Sieb, mm bcv jart fcl;6ueu grätigen Interim, 3(ud; Den 5ud;t, el;r bub M jrer ©c^opfferu. 3ut Zlpn ane üotgt. (Vignette.) Anno M.D.LII." Auf der Rückseite des Titels dieses auf vier Blät- tern gedruckten Liedes von sechs achtzeiligen Strophen mit zwischen- ofeschobenen Adressen und lateinischen Distichen steht in fünf Noten- Zeilen die einstimmige Melodie, der nur die zwei ersten Textzeilen untergelegt sind. In dem zwölfzeiligen deutschen Schlüsse „%i\ 'i.ci\zx" nennt sich der Dichter: „3anu§ ^^^^"ßiu« g'Bont am 9xl}eu!." Der Zweifel Weller's ', ob dieses Schriftchen ein Erzeugniss der Bernischen Druckerei sei, mriß verschwinden angesichts der absoluten Gleich- heit der Notentypen mit denen der Apiari.^is'schen Musikdrucke des folgrenden Jahres. Das Schriftchen befindet sich auf der Züricher Stadtbibliothek.

Erst aus dem Jahre 1553, dem letzten Lebensjahre unseres rüh- rigen Meisters, haben wir ein größeres musikalisches Werk aus seiner Officin: «Bicinia sive Duo, Germanica ad aequales. 2;ütfd;e "^fatmen t»ub anbve gfang mit jli»ei)en (Stimmen.«- Der Komponist dieser reizenden Gesänge für zwei gleiche, d. h. in der Tonhöhe nahe an einander liegende Stimmen, hier Tenor und Baß, ist der aus dem Straßburger Liederbuch uns schon bekannte Johann Wannenmacher (Jo- hannes Vannius), doch hat Apiarius auch zwei eigene Gesänge am Schluß mit abgedruckt. Wannenmacher war von 1510 bis 1530 Chorherr und Kantor zu St. Nikiaus in Freiburg im Üchtland und stand nach P. Schubio-er beim Kardinal Schinner in hohem Ansehen.

Außer dem einen weltlichen Liede in der Schoeffer'schen Samm- lung haben Avir von ihm eine große Komposition zu 3 6 Stimmen in fünf Theilen über den deutschen Psalm : „5(u 33?a[fevflüf]eu iBaln^fcnS" in der Ott'schen Sammlung von 1544, mit welcher sie neuerdings in Partitur veröffentlicht worden ist. Glarean (Dodecachordon p. 304 ff.) nennt ihn einen lireisgauer und veröffentlicht ein »von den Kennern sehr hochgeschätztes« umfangreiches vierstimmiges Tonstück von ihm, das wegen seines politischen Anlasses merkwürdig ist. Wannenmacher war nämlich im Jahre 1516 ein heftiger Gegner des zwischen den Schweizern vind König Franz von Frankreich abzuschließenden Frie- densvertrages, und komponirte nun jenes- Stück, dessen Text aus

1 Annalen I S. 317, Nr. 133.

- Facsimile des Titels s. Beilage IV.

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»passenden« liibelversen zusammengesetzt ist, zur Stütze seiner poli- tischen Parteimeinung. Im Jahre 1530 mußte er wegen seiner Hin- neigung zur reformatorischen Bewegung mitsammt dem tüchtigen Organisten Johann Kotter Freiburg verlassen und begab sich nach Deutschland. Nach der Vorrede unserer Bicinien ^ war er beim Er- scheinen dieses Werkes schon verstorben; die Gesänge waren im Be- sitz Johann Kiener's, „(eermcl;fter§ in ber SoMid^)eu ©tatt S3evnn", auf dessen „aiitviO t'nb fürfd)U6" sie Apiarius veröffentlichte. Die erwähnte Vorrede, vom 13. August 1553 datirt, widmet das Werk „93let)[ter Wlä)^l ßo^^'peu g-elbtntmmetev, 2Beub(eu ®d;drer g-e(btpit)ffev, mt ©tgfrtben IptartD, genannt 33iner fl^nem ©nn, btfer ji^t am @tattpft)ffcr btenft, ünb ßfj bt^mal all biencr ber Öcfcüd;en Statt S3ernn." Mathias erklärt den genannten Männern, die übrigens sämmtlich in den Stadtrechnungen des Jahres 1553 vorkommen, ausführlich, Avarum er ihnen diese zwei- stimmigen Gesänge widme, da sie doch sonst vier- oder fünfstimmig zu blasen gewohnt seien, und macht dabei die von feinem Kunst- verständniß zeugende Bemerkung, daß es viel schwieriger sei, einen zweistimmigen Kontrapunkt schön zu machen, als einen mehrstim- migen, daß darum die zweistimmigen Gesänge aber auch die Zuhörer- schaft zu größerer Aufmerksamkeit reizen.

Die Gesänge sind alle mit zwei Strophen Text versehen, und in der einen Stimme ist die »gemeine« Melodie (Avas bei den acht Psalmen so viel bedeuten will, als die aus den deutsch-protestanti- schen, speciell Straßburgischen Gesangbüchern bekannte Weise], je- doch mit sehr charakteristischen Veränderungen , auch wohl mit kleinen Kadenzen und Z^vischensätzchen , wiedergegeben, während, die andere Stimme auf der gleichen melodischen Grundlage sich freier bewegt. Von den acht weltlichen Liedern ist ein Theil dem Texte nach anderweit bekannt und in anderer musikalischer Bear- beitung in verschiedenen Sammlungen vorhanden ; einige habe ich bis jetzt sonst nicht nachweisen können. Nummer IX bildet ein Stück von Apiarius' : „Slcf) l^ntff mtd; (etc, tonb fenltd; clag", und ohne Nummer wird zugegeben: „(5g taget Der bem iratbe", ebenfalls von Apiarius. ^ In dem einen Stimmhefte ist dieses Stück zwischen VII und VIII auf dem freien Reste einer Seite eingeschaltet. Beide Stimmhefte enthalten fünf Bogen in Querquart. Der Druckerstock auf dem Titel ist sehr niedlich, nicht 3 cm hoch; man erkennt nur den am Baum heraufkletternden Bären und die dunkle ()ifnung in jenem. Wie

1 Veröffentlicht in den Monatsheften f. Musikgesch. VIII, 101.

2 S. Beilagen V und VI.

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der Titel ferner vermeldet, Lesaß Apiarius eine kaiserliche „^-rt^fjeit" gegen Nachdruck auf sieben Jahre.

Von unserer Sammlung ist nur mehr ein einziges, vollständiges Exemplar vorhanden, dessen beide Stimmen durch ein seltsames Schicksal weit auseinandergerissen wurden. Früher kannte man nur die in München liegende Hauptstimme (Vox communis), in der die Jahreszahl, Drucker, Druckort und Vorwort enthalten waren. Von dieser ist auch in l^erlin ein Exemplar. Die andere Stimme (Vox libera) ohne Ort und Jahr lag unerkannt in Göttingen, bis Franz M. Böhme bei seinen Quellenaufnahmen für das «Altdeutsche Lieder- buch« sie entdeckte. Merkwürdigerweise gehören die beiden Stimm- bände in München und Göttingen sogar demselben Exemplar an und waren beide früher in der kurfürstlich -bayerischen Bibliothek, wie aus den aufgeklebten Bibliothekzetteln zu ersehen ist. Beiden ist auch je die betreffende Stimme der mehrerwähnten Rot enbucher'- schen Diphona vorgebunden, so daß auch von diesem wichtigen Werke ein weiteres vollständiges Exemplar (neben dem in Zwickau befindlichen) vorhanden ist.

Apiarius hatte noch eine Reihe von musikalischen Plänen, über die seine Vorrede zu den Bicinien Aufschluß giebt. Ein nicht ge- ringer Schatz von Musikalien, sagt er, sei von Joannes Vannius, Cosmas Alderinus und Sixtiis Theodericus [d. i. Dietrich], „aüe feügei* gebed;tuu§" hinterlassen worden, die sich in seinem und seiner guten Gönner Besitz befänden. Diese wünscht er alle {„\m{^ C^^ctt") mit der Zeit herauszugeben. Wie schade, daß diesem schönen Vorhaben durch den Tod so bald ein Ziel gesetzt wurde! Von all den ver- heißeneu Schätzen besitzen wir nichts mehr, wenn auch sicher eines, vielleicht mehrere der in Aussicht gestellten Werke noch von Apia- rius gedruckt wurden.

Die drei Komponisten sind uns von dem Straßburger Lieder- buch her schon bekannt. Cosmas Alder (Alderinus) war ein Berner, und, wie uns Herr Staatsarchivar Türler ^ berichtet, 1536 zugeordneter Schreiber des Schaffners von Frienisberg und 1538 Bau- herrenschreiber. Während ihm früher das größere Haus der Grauen Schwestern an der Junkerngasse »vergönnt« wurde (das kleinere be- zog der Reformator Berchtold Haller), besaß er später ein Haus in der Kramgasse ob der Schaal und war seit 1538 Mitglied des ■" Großen Rathes (der Zweihundert). ^ Nach Leu (Schweizerisches Lexi- kon. 1747) starb er 1650, was zutreffen wird, da sein Name im

1 Berner Taschenbuch 1892, S. 246.

- Ein Facsimile seiner Namensunterschrift s. Beilage VII und VIII.

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folgenden Jahre im Verzeichniss der Großrathsmitglieder zum ersten Male wegfällt. Die musikalischen lUbliographen citiren überein- stimmend ein in Bern 1553 erschienenes Werk, 57 Hymnen ent- haltend, doch sind sie uneinig, ob die Hymnen bloß vierstimmig, oder vier-, fünf- und siehenstimmig, oder vier-, fünf- und sechsstimmig seien. Ich fürchte sehr, daß die späteren Angaben nur eine ungenaue Wieder- gabe der Notiz in der von Jak. Fries besorgten 1583er Ausgabe der JJibliotheca Gesner's sind, und daß Keiner der Späteren das Werk gesehen hat. Gesner's Titel, der richtig sein wird, lautet: y)Cosmae Alderini Hehetii hymni sacri nummero 57 quorum usus in ecclesia esse consuemt. Vocimi 4. Bernae 1553. in 4.« Herr Staatsarchivar Türler entdeckte nun voriges Jahr in dem Deckel eines alten Aktenfascikels mit fünflinigen Noten bedruckte Blätter, die zu Pappendeckel zu- sammengekleistert waren. Ich erkannte dieselben gleich als Drucke des 16. Jahrhunderts. Es gelang durch langsames Aufweichen, die sämmtlichen Blätter fast unversehrt wiederzugeAvinnen, und siehe da, sie stellten sich als ziemlich umfangreiche Bruchstücke des verloren gegangenen Alderinus'schen Hymnenwerkes dar. Leider nur als Bruchstücke ! Vom Baß sind die Bogen a, b, d und e, vom Alt die Bogen 11, mm und nn, dieser den Schluß bildend, vom Sopran die nur auf einer Seite bedruckten Blätter 1 und 3 des Bogens li vor- handen. Der Tenor fehlt ganz. Der Anfang der Baßstimme hat nur den Titel: -oBassus. Hymnorum de tempore ^ Sanctis, per Anni Circulum.M Darunter in viereckiger Einfassung, deren Inneres zier- liche Blumenornamente zeigt, ein Bernisches Stadtwappen mit drei Schilden, deren oberer den Reichsdoppeladler enthält und die Reichs- krone trägt, während auf den beiden unteren zwei halbaufwärts schreitende Bären einander entgegensehen. Auf dem Schlußblatt der Altstimme stehen bloß die Worte, die die Identität des Werkes verbürgen: ^^ Hymnorum, a Cosma Alderlno Compositorum, FinisM Die Texte der Hymnen sind die lateinischen der altkirchlichen Tagzeiten, in der Fassung, wie sie vor der »Verbesserung« im Sinne altklassi- scher Prosodie gesungen wurden. ^ Die Reihenfolge ist die des katho- lischen Kirchenjahres mit Beifügung einiger Hymnen an besonderen Heiligenfesten außer der Reihe. Die Tonsätze sind durchaus über die Melodien des altkirchlichen Choralgesanges gemacht, doch sind jene Melodien zu Grunde gelegt, die in Deutschland üblich Avaren,

* Das Jahrhundert der wiedererwachten klassischen Studien nahm Anstoß an gewissen metrischen Eigenthümlichkeiten der späteren Latinität und glaubte im Sinne eines Horaz und Virgil zu verfahren, wenn es den schönen Anfang des Üsterhymnus : •>■> Ad cotmam Agni reffiam» in »Ad regias Agni dapes« umänderte.

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nicht die der römischen Antiphonarien jener Zeit. Es wird ange- nommen werden dürfen, daß Alder diese Hymnen in früheren Jahren gemacht und nach Annahme der Reformation in seinem Pulte ver- schlossen gehalten hat, wesshalb sie auch dem Apiarius erst aus seinem Nachlasse zugänglich wurden. Man sang zwar auch in der lutheri- schen Kirche zu jener Zeit noch lateinische Hymnen; aber in einem reformirten Lande würden doch die Hymnen de S. Joanne Baptista, de S. Vincentio, de S. Laurentio, de S. Martino Anstoß erregt haben, obgleich oder weil gerade diese auf den ehemaligen Kultus im St. Vincenz- Münster der Stadt Bern hinweisen, ganz abgesehen von dem yiPange linguav- in festo Corporis Christi (Frohnleichnam) .

Eine schwache Hoffnung, daß noch einmal die Hymnen unseres Bernischen Komponisten sich wiederfinden könnten, obgleich die großen Bibliotheken sie alle nicht haben, läßt sich vielleicht auf den Umstand gründen, daß C. F. Becker (Tonwerke, Sp. 85) unter allen Bibliographen allein als Format angiebt: »in Querquart«, während die älteren von Frisius an nur sagen: »in 4.« Das erstere ist richtig, denn die Wasserzeichen gehen von oben nach unten, die Bogen sind demnach zuerst in die Quere gefaltet worden. Vielleicht dient die Veröffentlichung dieses Aufsatzes zur Entdeckung irgend eines ver- borgenen Exemplars.

Auch bei Wannenmacher ist es nicht unmöglich, daß noch ein Werk von ihm aus der Apiarius'schen Druckerei zum Vorschein komme ; denn er muß wohl noch Messen hinterlassen haben ; in einem kleinen deutschen Auszug aus Glarean, erschienen 1557 in Basel, steht ein Agnus Dei von ihm mit der Überschrift : Ex Joanne Vannio breve exemplum. ^ Dagegen fehlt uns über die etwaige Herausgabe des Dietrich'schen Nachlasses jeder Anhalt; er Avird wohl unwiderbring- lich verloren sein, was sehr zu beklagen ist, da der Konstanzer Meister unbedingt der bedeutendste dieser drei Komponisten war, hochgeschätzt von Glarean und anderen zeitgenössischen Kunstkennern, eine echte Künstlernatur und ein warmfühlender, treuherziger Mensch. Nach- dem seine ersten Werke, wie wir hörten, bei Schoeffer und Apiarius in Straßburg veröffentlicht worden waren, hatte er sich für seine späteren Kompositionen, sofern sie nicht in Sammlungen erschienen, an Georg Rhau in Wittenberg gewandt, der 1541 und 1545 zwei große Werke mit zusammen 158 kirchlichen Kompositionen (Anti- phonen und Hymnen) von ihm druckte. Für Glarean' s Werk hatte er drei Tonstücke eingesandt, und in Augsburg, seiner Geburtsstadt,

1 In St. Gallen und Basel finden sich einige handschriftliche Werke Wannen- macher's, in Basel ziemlich viele des Alderinus.

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war von Salminger 1547 noch ein Kanon von ihm veröffentlicht worden. Das Jahr 1548, das so verhängnißvolle für seinen Wohnort Konstanz, ist sein Todesjahr. Vor dem Sturme der Kaiserlichen auf die Stadt am 6. August hatte man, wie uns die fälschlich dem Jörg Vögeli zugeschriebene Chronik berichtet \ den todkranken Mann nach St. Gallen in Sicherheit gebracht, wo er am 21. Oktober starb.

Auf Avelche Weise Apiarius in den Besitz des musikalischen Nach- lasses Sixt Dietrich's kommen konnte, Avird schwerlich zu ermitteln sein. Ein einziger, früher nicht nachweisbarer Psalm zu sieben Stim- men findet sich in einer 156Ser Nürnberger Sammlung des Clemens Stephani von Buchau.

Unser Mathias Apiarius, der sich 1553 so eifrig auf den Musikdruck geworfen hatte, wurde mitten in seinen Plänen vom Tode überrascht. Nachdem noch im Spätjahr die Hymnen des Alderinus von ihm ge- druckt worden waren, erschien die neue Auflage des Lampadius'schen Werkes 1554 schon unter der Firma seines Sohnes Samuel. Allein dieser, wie sein Bruder Siegfried, muß nicht viel Glück gehabt haben. Beide wurden durch ärgerliche Händel aus der Stadt verdrängt. Samuel druckte aber noch 15S1 in Basel das erste Baseler Kirchen- liederbuch, das noch den Druckerstock des alten Mathias aufweist.

Die Kunst des Musikdruckes verblich allmählich seit dem Ende des Jahrhunderts, Avie auch die kontrapunktische Kunst nachließ und langsam anderen Kunstrichtungen Platz machte. Da wurden die Typen in den Massenauflagen der Kirchengesangbücher immer mangelhafter und zum Theil fast unleserlich , und für die Kunstmusik , die nur mehr kleinere Auflagen vertrug, wandte man sich mehr und mehr der Vervielfältigung mittelst Kupferplatten und später mittelst Zinn- platten zu. Erst Johann Gottlieb Immanuel l^reitkopf in Leipzig hat den Typendruck seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts wieder auf eine bedeutende Höhe «"ebracht.

1 Adolf Frölich in den Monatsheften für Musikgesch., 1879, S. ü3.

29 Beilagen,

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Vorderseite des Blattes E II der Vox conmumis der Wannenmachcr'schen

Bicinien, enthaltend die Tenorstimme eines zweistimmigen Satzes von Mathias

Apiarius, nach dem Münchener Exemplar.

VI.

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Vorderseite des letzen Blattes der Vox Uhera der AVannenmacher'schen Bicinien,

enthaltend die Baßstimme eines zweistimmigen Satzes von Mathias Apiarius,

nach dem Göttinger Exemplar.

32

VII.

VIII.

Unterschrift des Komponisten Co smas AI der inus von Bern, Rathslierrn daselbst, ■■- 1550, nach einem im Staatsarchiv zu Bern befindlichen Urbar.

Berichtigungen.

Seite 402 Zeile 2 statt 1636 lies : 1536 » 407 » 7 » 1535 » 1537 » 411 letzte Zeile » 1650 » 1550.

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