Wi

^fcr-

,^W ' ^^W|p

11^W

THE LIBRARY

THE UNIVERSITY OF BRITISH COLUMBIA

Digitized by the Internet Archive

in 2010 witii funding from

University of Britisii Columbia Library

http://www.archive.org/details/derursprungderfOOenge

Der Ursprung der Familie

Privateigenthums

I

und

des Staats

Im Anschluss an Lewis H. Morgan's Forschungen

von

Friedricli Engels

Z^weite A-uflagre

Stuttgart

Verlag von .1. 11. W, Dictz 1H8G

Druck: Seliweizerisehc «enossenseliaf(sbuc'li(liiukerei, Zürich.

Die nachfolgenden Kapitel bilden gewissermassen die Vollführung eines Vermächtnisses. Es war kein Geringerer als Karl Marx, der sich vorbehalten hatte, die Resultate der Morgan'schen Forschungen im Zu- sammenhang mit den Ergebnissen seiner ich darf innerhalb gewisser Grrenzen sagen unserer materia- listischen Greschichtsuntersuchung darzustellen und da- durch erst ihre ganze Bedeutung klar zu machen. Hatte doch Morgan die von Marx vor vierzig Jahren ent- deckte, materialistische Greschichtsauffassung in Amerika in seiner Art neu entdeckt, und war von ihr, bei Ver- gleichung der Barbarei und der Civilisation, in den Hauptpunkten zu denselben Resultaten geführt worden, wie Marx. Und wie „das Kapital" von den zünftigen Oekonomen in Deutschland Jahre lang ebenso eifrig ausgeschrieben wie hartnäckig todtgeschwiegen wurde, ganz so wurde Morgan's Ancient Society" *) behandelt von den Wortführern der „prähistorischen" Wissen-

*) Ancient Society, or Researches in the Lines of Human Pro- gress from Savagery, through Barbarism, to Civilization. By Lewis H. Morgan. Loadon, Macmillan & Co., 1877. Das Buch ist in Amerika gedruckt und in London merkwürdig schwer zu haben. Der Verfasser ist vor einigen Jahren gestorben.

IV

Schaft in England. Meine Arbeit kann nur einen ge- ringen Ersatz bieten für das, was meinem verstorbenen Freunde zu tbun nicht mehr vergönnt war. Doch liegen mir in seinen ausführlichen Auszügen aus Morgan kri- tische Anmerkungen vor, die ich hier wiedergebe, so weit es irgend angeht.

Nach der materialistischen Greschichtsauffassung ist das bestimmende Moment in der Greschichte: die Pro- duktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von G-egenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erfor- derlichen Werkzeugen ; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der G-attung. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Men- schen einer bestimmten GTeschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion : durch die Entwicklungsstufe einerseits der Arbeit, andrerseits der Familie. Je weniger die Arbeit noch entwickelt ist, je beschränkter die Menge ihrer Erzeugnisse, also auch der Reichthum der Gresellschaft, desto überwiegender erscheint die G-e- sellschaftsordnung beherrscht durch Geschiechtsbande. Unter dieser, auf G-eschlechtsbande begründeten Q-lie- derung der Gesellschaft entwickelt sich indess die Produktivität der Arbeit mehr und mehr ; mit ihr Privat-

V

eigenthum und Austausch, Unterschiede des ßeichthums, Verwerthbaxkeit fremder Arbeitskraft und damit die G-rundlage von Klassengegensätzen : neue soziale Ele- mente, die im Lauf von Grenerationen sich abmühen, die alte Gresellschaftsverfassung den neuen Zuständen anzupassen, bis endKch die Unvereinbarkeit Beider eine vollständige Umwälzung herbeiführt. Die alte, auf G-eschlechtsverbänden beruhende G-esellschaft wird ge- sprengt im Zusammenstoss der neu entwickelten ge- sellschaftlichen Klassen ; an ihre Stelle tritt eine neue G-esellschaft, zusammengefasst im Staat, dessen Unter- einheiten nicht mehr Greschlechtsverbände , sondern Ortsverbände sind, eine G-esellschaft, in der die Familien- ordnung ganz von der Eigenthumsordnung beherrscht wird und in der sich nun jene Klassengegensätze und Klassenkämpfe frei entfalten, aus denen der In- halt aller bisherigen geschriebenen Geschichte besteht.

Es ist das grosse Verdienst Morgan's, diese vor- geschichtliche Grundlage unserer geschriebenen Ge- schichte in ihren Hauptzügen entdeckt und wieder- hergestellt, und in den Geschlechtsverbänden der nord- amerikanischen Indianer den Schlüssel gefunden zu haben, der uns die wichtigsten, bisher unlösbaren Eäth- sel der ältesten griechischen, römischen und deutschen Geschichte erscbliesst. Es ist aber seine Schrift kein Eintagswerk. An die vierzig Jahre hat er mit seinem Stoif gerungen , bis er ihn vollständig beherrschte.

i

VI

Darum aber ist auch sein Buch eins der wenigen epochemachenden Werke unserer Zeit.

In der nachfolgenden Darstellung wird der Leser im Granzen und Grossen leicht unterscheiden, was von Morgan herrührt imd was ich hinzugesetzt. In den geschichtlichen Abschnitten über G-riechenland und Hom habe ich mich nicht auf Morgan's Belege beschränkt, sondern hinzugefügt, was mir zu G-ebote stand. Die Abschnitte über Gelten und Deutsche gehören wesent- lich mir an ; Morgan verfügte hier fast nur über Quellen zweiter Hand und für die deutschen Zustände ausser Taoitus nur über die schlechten liberalen Verfäl- schungen des Herrn Preeman. Die ökonomischen Aus- führungen, die bei Morgan für seinen Zweck hinreichend, für den meinigen aber durchaus ungenügend, sind alle von mir neu bearbeitet. Und endlich bin ich selbst- redend verantwortlich für alle Schlussfolgerungen, so- weit nicht Morgan ausdrücklich citirt wird.

I. VorgescMclitüclie Kultarstufeii.

xr -^t ^^r ^r>te der mit Sachkenntniss eine

Civi at.orbesclämgo^ i'n selbstredend nu.^e «st n Stcrdr m ,e drsSben'errtgeneB Fon.cb.i«.a

geht daneben/bxetet aber kerne so schlagenden Merk- male zur Trennung der Perioden.

1. WilcÜieit.

1 Unterstufe: Kindheit des Menschengeschlechts, 1. ^.'^^f"^^';., auf Bäumen lebend, wodurch

das wenigstens tneiiweise '^'^ ^ p^„hrhieren

allem sein Fortbestehn gegenüber g^'-^^^;;^.^^^^;^

Nüsse, Wurzeln dienten zur Nahrung- die A„<,l.,-i^„ artikulirter Sprache ist Hauptergebnis' dfeefzÄf aUen Völkern, d,e innerhalb der geschichtlichen Periode bekannt geworden sind, gehörte kein einziges meto diesem Urzustand an. So lange Jahrtausendf er auch gedauert haben mag so wenig können wir iin "m direkten Zeugnissen beweisen- aber d.V iK.+ des Menschen' aus dem Th.erktwtaf/ugT,^^^^ "1 t-"-^/--« üebergangs ununagäS"' ^.Mittelstufe beginnt mit der Yerwerthun^ von Fischen (wozu wir auch Krebse, Muscheln SSd andere Wasserthiere zählen) zur Nahrung und iSt dTin aebrauch des Feuers. Beides gehört zusammen X Fischnahrung erst vermittelst des Feuers T^h^n^t vernutzbar wird. Mit dieser neuen Nahrung aber ^S die Menschen unabhängig von Klima ufd LoM^ den Strömen und Küsten folgend, konnten sie selbst im' wilden Zustand sich über den grössten Theil der Erd^ ausbreiten. Die roh gearbeiteten, ungeschliffenen sS Werkzeuge des früheren Steinaltersf die sogenanntem palaohthischen, die ganz oder grösstentheTfu d'ese Periode fallen, sind in ihrer Verbreitung über alle Kon tmente Beweisstücke dieser Wanderungen, üfe neT besetzten Zonen wie der ununterbrochen thäW fZ dungstrieb, verbunden mit dem Besitz des Re bfeueS

Wuizeln und Knollen, m heisser Asche oder in Back

fefeTstfn'Ä't'^r' ^^ ^^^' ^as mit Erfint^" aer ersten Waffen, Keule und Speer, gelegentliche Zu

gäbe zur Kost wurde. AusschliesSich; JägSer wie" sie in den Büchern figuriren, d. h. solche' d^rnnr' ^n

tra/de'r T ''r'- ."' " ""'' ^^^^^^^^' ^-^ i^tTr Er' trag der Jagd viel zu ungewiss. In Fole-e andanpm?!

Unsicherheit der Nahrungsquellen scheint atfTet

Stufe die Menschenfresserei aufzukommen, die sich von

jetzt an lange erhält Die Australier und viele PoTv

Wildhef ''" noch heute auf dieser Mittelstufe t;

3. Oberstufe: beginnt mit der Erfindung von Bogen und Pfeil, wodurch Wild regelmässiges' nT

9

rungsmittel , Jagd einer der normalen Arbeitszweige wurde. Bogen, Sehne und Pfeil bilden schon ein sehr zusammengesetztes Instrument, dessen Erfindung lange, gehäufte Erfahrung und geschärfte Gleisteskräfte vor- aussetzt, also auch die gleichzeitige Bekanntschaft mit einer Menge anderer Erfindungen. Vergleichen wir die Völker, die zwar Bogen und Pfeil kennen, aber noch nicht die Töpferkunst (von der Morgan den Uebergang in die Barbarei datirt), so finden wir in der That be- reits einige Anfänge der Niederlassung in Dörfern, eine gewisse Beherrschung der Produktion des Lebensunter- halts, hölzerne Grefässe und G-eräthe, Fingerweberei (ohne Webstuhl) mit Easern von Bast, geflochtene Körbe von Bast oder Schilf, geschliffene (neolithische) Stein- werkzeuge. Meist auch hat Feuer und Steinaxt bereits das Einbaum-Boot und stellenweise Balken und Bretter zum Hausbau geliefert. Alle diese Fortschritte finden wir z. B. bei den nordwestlichen Indianern Amerikas, die zwar Bogen und Pfeil, aber nicht die Töpferei kennen. Für die Wildheit war Bogen und Pfeil, was das eiserne Schwert für die Barbarei und das Feuerrohr für die Civilisation : die entscheidende Waffe.

II. Barbarei.

1. Unterstufe. Datirt von der Einführung der Töpferei. Diese ist nachweislich in vielen Fällen und wahrscheinlich überall entstanden aus der Ueberdeckung geflochtener oder hölzerner Grefässe mit Lehm, um sie feuerfest zu machen; wobei man bald fand, dass der geformte Lehm auch ohne das innere Grefäss den Dienst leistete.

Bisher konnten wir den Glang der Entwicklung ganz allgemein, als gültig für eine bestimmte Periode aller Völker, ohne Rücksicht auf die Lokalität, betrachten. Mit dem Eintritt der Barbarei aber haben wir eine Stufe erreicht, worauf sich die verschiedene Natur- begabung der beiden grossen Erdkontinente geltend macht. Das charakteristische Moment der Periode der Barbarei ist die Zähmung und Züchtung von Thieren

10

und die Kultur von Pflanzen. Nun besass der östliche Kontinent, die s. g. alte Welt, fast alle zur Zähmung tauglichen Thiere und alle kulturfähigen Gretreidearten ausser einer; der westliche, Amerika, von zähmbaren Säugethieren nur das Llama, und auch dies nur in eüiem Theil des Südens, und von allen Kulturgetreiden nur eins, aber das beste : den Mais. Diese verschiedenen Naturbedingungen bewirken, dass von nun an die Be- völkerung jeder Halbkugel ihren besondern Gang geht und die Marksteine an den Grrenzen der verschiedenen Stufen in jedem der beiden Fälle verschieden sind.

2. Mittelstufe. Beginnt im Osten mit der Zähnrnng von Hausthieren, im Westen mit der Kultur von Nähr- pflanzen mittelst Berieselung und dem Grebrauch von Adoben (an der Sonne getrockneten Ziegeln) und Stein zu Grebäuden.

Wir beginnen mit dem Westen, da hier diese Stufe bis zur europäischen Eroberung nirgends überschritten wurde.

Bei den Indianern der Unterstufe der Barbarei (wozu alle östlich des Mississippi gefundenen gehörten), bestand zur Zeit ihrer Entdeckung schon eine gewisse Grartenkultur von Mais und vielleicht auch Kürbissen, Melonen und andern Grartengewächsen, die einen sehr wesentlichen Bestandtheil ihrer Nahrung lieferte ; sie wohnten in hölzernen Häusern, in verpalisadirten Dör- fern. Die nordwestlichen Stämme, besonders die im Grebiet des Columbiaflusses, standen noch auf der Ober- stufe der Wildheit uud kannten weder Töpferei noch Pflanzenkultur irgend einer Art. Die Indianer der s. g. Pueblos in Neu-Mexico dagegen, die Mexikaner, Central-Amerikaner und Peruaner zur Zeit der Erobe- rung standen auf der Mittelstufe der Barbarei; sie wohnten in festungsartigen Häusern von Adoben oder Stein, bauten Mais und andre nach Lage und Klima verschiedene Nährpflanzen in künstlich berieselten Grär- ten, die die Hauptnahrungsquelle lieferten, und hatten sogar einige Thiere gezähmt die Mexikaner den Truthahn und andre Vögel, die Peruaner das Llama. Dazu kannten sie die Verarbeitung der Metalle mit

11

Ausnahme des Eisens, wesshalb sie noch immer der Steinwaffen und Steinwerkzeuge nicht entbehren konn- ten. Die spanische Erobervmg schnitt dann alle weitere selbständige Entwicklung ab.

Im Osten begann die Mittelstufe der Barbarei mit der Zähmung milch- und fleischgebender Thiere, wäh- rend Pflanzenkultur hier noch bis tief in diese Periode unbekannt geblieben zu sein scheint. Die Zähmung und Züchtung von Yieh, und die Bildung grösserer Heerden scheint den Anlass gegeben zu haben zur Aussonderung der Arier und Semiten aus der übrigen Masse der Bar- baren. Den europäischen und asiatischen Ariern sind die Yiehnamen noch gemeinsam, die der Kulturpflanzen aber fast gar nicht.

Die Heerdenbildung führte an geeigneten Stellen zum Hirtenleben; bei den Semiten in den Grrasebenen des Euphrat und Tigris, bei den Ariern in denen In- diens, des Oxus und Jaxartes, des Don und Dniepr. An den Grrenzen solcher Weideländer muss die Zähmung des Viehs zuerst vollführt worden sein. Den späteren Greschlechtern erscheinen sie so als aus Gregenden kom- mend, die, weit entfernt die Wiege des Menschen- geschlechts zu sein , im G-egentheil für ihre wilden Vorfahren und selbst für Leute der Unterstufe der Barbarei fast unbewohnbar waren. Umgekehrt, sobald diese Barbaren der Mittelstufe einmal an Hirtenleben gewöhnt, hätte es ihnen nie einfallen können, freiwillig aus den grastragenden Stromebenen in die Waldgebiete zurückzukehren, in denen ihre Vorfahren heimisch ge- wesen. Ja selbst als sie weiter nach Norden und Westen gedrängt wurden, war es den Semiten und Ariern un- möglich, in die westasiatischen und europäischen Wald- gegenden zu ziehen, ehe sie durch G-etreidebau in den Stand gesetzt wurden, ihr Vieh auf diesem weniger günstigen Boden zu ernähren und besonders zu über- wintern. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass der G-e- treidebau hier zuerst aus dem Futterbedürfniss für's Vieh entsprang und erst später für menschliche Nah- rung wichtig wurde.

Der reichlichen Fleisch- und Milchnahrung bei Ariern

12

und Semiten, und besonders ihrer günstigen Wirkung auf die Entwicklung der Kinder, ist vielleicht die über- legne Entwicklung beider Racen zuzuschreiben. Da- gegen haben die Pueblos-Indianer von Neu-Mexiko, die auf fast reine Pflanzenkost reduzirt sind, ein kleineres Grehirn als die mehr fleisch- und fischessenden Indianer der niedern Stufe der Barbarei. Jedenfalls verschwindet auf dieser Stufe allmälig die Menschenfresserei und erhält sich nur als religiöser Akt oder, was hier fast identisch, als Zaubermittel.

3. Oberstufe. Beginnt mit dem Schmelzen des Eisenerzes und geht über in die Civilisation vermittelst der Erfindung der Buchstabenschrift und ihrer Verwen- dung zu literarischer Aufzeichnung. Diese Stufe, die, wie gesagt, nur auf der östlichen Halbkugel selbständig durchgemacht wird, ist an Fortschritten der Produktion reicher als alle vorhergehenden zusammen genommen. Ihr gehören an die Grriechen zur Heroenzeit, die ita- lischen Stämme kurz vor der Gründung Roms, und die Deutschen des Cäsar (oder, wie wir lieber sagen möch- ten, des Tacitus).

Vor Allem tritt uns hier zuerst entgegen die eiserne, von Vieh gezogene Pflugschar, die den Ackerbau auf grosser Stufe, den Feldbau, möglich machte, und damit eine für damalige Verhältnisse praktisch unbe- schränkte Vermehrung der Lebensmittel; damit auch die Ausrodung des Waldes und seine Verwandlung in Ackerland und Wiese die wieder ohne die eiserne Axt und den eisernen Spaten auf grossem Massstab unmöglich blieb. Damit kam aber auch rasche Ver- mehrung der Bevölkerung, und dichte Bevölkerung auf kleinem Grebiet. Vor dem Feldbau müssen sehr aus- nahmsweise Verhältnisse vorgekommen sein, wenn eine halbe Million Menschen sich unter einer einzigen Cen- tralleitung sollte vereinigen lassen ; wahrscheinlich war das nie goschehn.

Die höchste Blüte der Oberstufe der Barbarei tritt uns entgegen in den homerischen Gredichten, nament- lich der Ilias. Entwickelte Eisenwerkzeuge ; der Blas- balg ; die Handmühle ; die Töpferscheibe ; die Oel- und

13

Weinbereitung ; eine entwickelte, in's Kunsthandwerk übergehende Metallbearbeitung ; der Wagen und Streit- wagen ; der Schiffbau mit Planken und Balken ; die Anfänge der Architektur als Kunst ; ummauerte Städte mit Thürmen und Zinnen ; das homerische Epos und die gesammte Mythologie das sind die Haupterbschaften, die die Griechen aus der Barbarei hinübernahmen in die Civilisation. Wenn wir damit die Beschreibung der Germanen bei Cäsar und selbst Tacitus vergleichen, die am Anfang derselben Kulturstufe standen, aus der die homerischen Griechen in eine höhere überzugehen sich anschickten, so sehen wir, welchen Reichthum der Ent- wicklung der Produktion die Oberstufe der Barbarei in sich fasst.

Das Bild, das ich hier von der Entwicklung der Menschheit durch Wildheit und Barbarei zu den An- fängen der Civüisation nach Morgan skizzirt habe, ist schon reich genug an neuen und, was mehr ist, unbe- streitbaren, weil unmittelbar der Produktion entnom- menen Zügen. Dennoch wird es matt imd dürftig er- scheinen, verglichen mit dem Bild, das sich am Ende unserer Wanderschaft entrollen wird; erst dann wird es möglich sein, den Uebergang aus der Barbarei in die Civilisation und den schlagenden Gegensatz Beider in's volle Licht zu stellen. Vorderhand können wir Mor- gan's Abtheilung dahin verallgemeinern: Wildheit Zeitraum der vorwiegenden Aneignung fertiger Natur- produkte; die Kunstprodukte des Menschen sind vor- wiegend Hülfswerkzeuge dieser Aneignung. Barbarei Zeitraum der Erwerbung von Viehzucht und Ackerbau, der Erlernung von Methoden zur Produktion von Natur- erzeugnissen durch menschliche Thätigkeit. Civilisation Zeitraum der Erlernung der weiteren Verarbeitung von Naturerzeugnissen, der eigentlichen Industrie und der Kunst.

n. Die Familie.

Morgan, der sein Leben grossentheils unter den noch jetzt im Staat New-York ansässigen Irokesen zugebracht und in einen ihrer Stämme (den der Senekas) adoptirt worden, fand unter ihnen ein Verwandtschaftssystem in Geltung, das mit ihren wirklichen Familienbezie- hungen im Widerspruch stand. Bei ihnen herrschte jene, beiderseits leicht lösliche Einzelehe, die Morgan als „Paarungsfamilie" bezeicbnet. Die Nachkommen- schaft eines solchen Ehepaars war also vor aller Welt offenkundig und anerkannt ; es konnte kein Zweifel sein, auf wen die Bezeichungen Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Bruder, Schwester anzuwenden seien. Aber der Gebrauch dieser Ausdrücke widerspricht dem. Der Irokese nennt nicht nur seine eigenen Kinder, sondern auch die seiner Brüder, seine Söhne und Töchter; und sie nennen ihn Vater. Die Kinder seiner Schwestern dagegen nennt er seine Neffen und Nichten, und sie ihn Onkel. Umge- kehrt nennt die Irokesin, neben ihren eigenen Kindern, diejenigen ihrer Schwestern ihre Söhne und Töchter, und diese nennen sie Mutter. Die Kinder ihrer Brüder dagegen nennt sie ihre Neffen und Nichten, und sie heisst ihre Tante. Ebenso nennen die Kinder von Brü- dern sich unter einander Brüder und Schwestern, dess- gleichen die Kinder von Schwestern. Die Kinder einer Frau und die ihres Bruders dagegen nennen sich gegen- seitig Vettern und Cousinen. Und dies sind nicht blosse Namen, sondern Ausdrücke thatsächlich geltender An- schauungen von Nähe und Entferntheit, Gleichheit und Ungleichheit der Blutsverwandtschaft, und dienen zur

15

G-rundlage eines vollständig ausgearbeiteten Verwandt- scliaftssystenis, das mehrere hundert verschiedene Ver- wandtschaftsbeziehungen eines einzelnen Individuums auszudrücken im Stande ist. Noch mehr. Dies System ist nicht nur in voller Greltung bei allen amerikanischen Indianern (bis jetzt ist keine Ausnahme gefunden), son- dern es gilt auch fast unverändert bei den Ureinwohnern Indiens, bei den dravidischen Stämmen in Dekan und den Gaurastämmen in Hindustan. Die Yerwandtschafts- ausdrücke der südindischen Tamiler und der Seneka- Irokesen im Staat New- York stimmen noch heute überein für mehr als zweihundert verschiedene Verwandtschafts- beziehungen. Und auch bei diesen indischen Stämmen, wie bei allen amerikanischen Indianern, stehen die aus der geltenden Familienform entspringenden Verwandt- schaftsbeziehungen im Widerspruch mit dem Verwandt- schaftssystem.

Wie nun dies erklären ? Bei der entscheidenden Rolle, die die Verwandtschaft bei allen wilden und barbarischen Völkern in der G-esellschaftsordnung spielt, kann man die Bedeutung dieses so weitverbreiteten Systems nicht mit Redensarten beseitigen. Ein System, das in Amerika allgemein gilt, in Asien bei Völkern einer ganz verschiedenen Race ebenfalls besteht, von dem mehr oder weniger abgeänderte Formen überall in Afrika und Australien sich in Menge vorfinden, will geschichtlich erklärt sein, nicht weggeredet, wie dies z. B. MacLennan versuchte. Die Bezeichnungen Vater, Eand, Bruder, Schwester sind keine blossen Ehrentitel, sondern führen ganz bestimmte, sehr ernstliche gegen- seitige Verpflichtungen mit sich, deren Gesammtheit einen wesentlichen Theil der Gesellschaftsverfassung jener Völker ausmacht. Und die Erklärung fand sich. Auf den Sandwichinseln (Hawaii) bestand noch in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts eine Form der Familie, die genau solche Väter und Mütter, Brüder und Schwe- stern, Söhne und Töchter, Onkel und Tanten, Neffen und Nichten lieferte wie das amerikanisch-altindische Verwandtschaftssystem sie fordert. Aber merkwürdig ! Das Verwandtschaftssystem, das in Hawaii in Geltung

16

war, stimmte wieder nicht mit der dort thatsächlich bestehenden ramilienform. Dort nämlich sind alle Gre- schwisterkinder, ohne Ausnahme, Brüder und Schwestern, und gelten für die gemeinsamen Kinder, nicht nur ihrer Mutter und deren Schwestern, oder ihres Vaters und dessen Brüder, sondern aller Geschwister ihrer Eltern ohne Unterschied. Wenn also das amerikanische Yer- wandtschaftssjstem eine in Amerika nicht mehr be- stehende, primitivere Form der Familie voraussetzt, die wir in Hawaii wirklich noch vorfinden, so verweist uns anderseits das Hawaii'sche Verwandtschaftssystem auf eine noch ursprünglichere Familienform, die wir awar nirgends mehr als bestehend nachweisen können, die aber bestanden haben muss, weil sonst das entsprechende Verwandtschaftssystem nicht hätte entstehen können. „Die Familie, sagt Morgan, ist das aktive Element; sie ist nie stationär, sondern schreitet vor von einer niedrigeren zu einer höheren Form, im Mass wie die Gresellschaft von niederer zu höherer Stufe sich ent- wickelt. Die Verwandtschaftssysteme dagegen sind passiv; nur in langen Zwischenräumen registriren sie die Fortschritte, die die Familie im Lauf der Zeit ge- macht hat, und erfahren nur dann radikale Aenderung, wenn die Familie sich radikal verändert hat." 77 Und, setzt Marx hinzu, ebenso verhält es sich mit politischen, juristischen, religiösen, philosophischen Systemen über- haupt." Während die Familie fortlebt, verknöchert das Verwandtschaftssystem, und während dies gewohnheits- mässig fortbesteht, entwächst ihm die Familie. Mit derselben Sicherheit aber, mit der Cuvier aus den bei Paris gefundenen Marsupialknochen eines Thierskeletts schliessen konnte, dass dies einem Beutelthier gehörte und dass dort einst ausgestorbene Beutelthiere gelebt, mit derselben Sicherheit können wir aus einem histo- risch überkommenen Verwandtschaftssystem schliessen, dass die ihm entsprechende, ausgestorbene Familienform bestanden hat.

Die eben erwähnten Verwandtschaftssysteme und Familienformen unterscheiden sich von den jetzt herr- schenden dadurch, dass jedes Kind mehrere Väter und

J7

Mütter hat. Bei dem amerikanischen Vervvandtschafts- system, dem die hawaii'ache Familie entspricht, können Bruder und Schwester nicht Yater und Mutter desselben Kindes sein ; das hawaii'sche Vervvandtschaftssystem aber setzt eine Familie voraus, in der dies im Gegen- theil die Regel war. Wir werden hier in eine Reihe von Familienformen versetzt, die den bisher gewöhnlich als allein geltend angenommenen direkt widersprechen. Die hergebrachte Yorstellung kennt nur die Einzelehe, daneben Vielweiberei Eines Mannes, allenfalls noch Vielmännerei Einer Frau, und verschweigt dabei, wie es dem moralisirenden Philister ziemt, dass die Praxis sich über diese von der offiziellen Gresellschaft gebotenen Schranken stillschweigend aber ungeuirt hinwegsetzt. Das Studium der Urgeschichte dagegen führt uns Zu- stände vor, wo Männer in Vielweiberei, und ihre Weiber gleichzeitig in Vielmännerei leben, und die gemein- samen Kinder daher ihnen Allen auch als gemeinsam gelten 5 Zustände, die selbst wieder bis zu ihrer schliess- lichen Auflösung in die Einzelehe eine ganze lleihe von Veränderungen durchmachen. Diese Veränderungen sind der Art, dass der Kreis, den das gemeinsame Ehe- band umfasst, und der ursprünglich sehr weit war, sich mehr und mehr verengert, bis er schliesslich nur das Einzelpaar übrig lässt, das heute vorherrscht.

Indem Morgan auf diese Weise die Greschichte der Familie rückwärts konstruirt, kommt er in Ueberein- stimmung mit der Mehrzahl seiner Kollegen auf einen Urzustand, wo unbeschränkter Greschlechtsverkehr inner- halb eines Stammes herrschte, so dass jede Frau jedem Mann, und jeder Mann jeder Frau gleichmässig gehörte. Die Entdeckung dieses Urzustandes ist das erste grosse Verdienst Bachofens.*) Aus diesem Urzustand ent- wickelte sich, wahrscheinlich sehr frühzeitig :

*) "Wie wenig Bachofen verstand, was er entdeckt oder viel- mehr errathen hatte, beweist er durch die Bezeichnung dieses Ur- zustandes als Hetärismus. Hi.-tärismus bezeichnete den Griechen, als sie das Wort einführten, Verkehr von Miinnern, unvorhoiratheten oder in Einzelehc lebenden, mit unverhoiratheten Weibern, setzt

2

18

1. Die Blutsverwandtschaftsfamilie, die erste organisirte Form der G-esellschaft und die erste Stufe der Familie. Hier sind die Ehegruppen nach Generationen gesondert : alle Grossväter und Gross- mütter innerhalb der Grenzen der Familie sind sämmt- lich unter einander Mann und Frau, ebenso deren Kinder, also die Väter und Mütter, wie deren Kinder wieder einen dritten Kreis gemeinsamer Ehegatten bil- den werden, und deren Kinder, die Urenkel der ersten, einen vierten. In dieser Familienform sind also nur Vorfahren und Nachkommen, Eltern und Kinder von den Eechten wie Pflichten (wie wir sagen würden) der Ehe unter einander ausgeschlossen. Brüder und Schwe- stern, Vettern und Cousinen ersten, zweiten und ent- fernteren Grades, sind alle Brüder und Schwestern unter einander und eben des s wegen alle Mann und Frau Eins des andern. Das Verhältniss von Bruder und Schwester schliesst auf dieser Stufe die Ausübung des gegenseitigen Geschlechtsverkehrs von selbst in sich ein.''*) Die typische Gestalt einer solchen Familie würde bestehn aus der Nachkommenschaft Eines Paars, in welcher wieder die Nachkommen jedes einzelnen Grades unter sich Brüder und Schwestern und eben desshalb Männer und Frauen unter einander sind.

etets eine bestimmte Form der Ehe voraus, ausserhalb der dieser Verkehr stattfindet, und schliosst die Prostitution wenigstens schon als Möglichkeit ein. In einem andern Sinn ist das Wort auch nie gebraucht worden, und in diesem Sinn gebrauche ich es mit Morgan. Bachofcn's höchst bedeutende Entdeckungen werden überall bis in 's Unglaubliche vormystifizirt durch seine Einbildung, die geschichtlich entstandenen Beziehungen von Mann und "Weib hätten ihre Quelle in den j'idesmaligen religiösen Vorstellungen der Menschen, nicht in ihren wirklichen Lebensverhältnissen.

*) In einem Brief vom Frühjahr 1882 spricht Marx sich ia den stärksten Ausdrücken aus über die im Wagnerischen Nibelnn^en- text herrscl'.ende totale Verfiilschung der Urzeit. Sigmund renom- mirt: „War es je erhört, dass d r Bruder die Schwester bräutlich umfing?" Diesen ihre Liebeshändcl ganz in moderner Weise durch ein Bischen Blutschande pikanter machenden „Geilhoitsgöttern" Wagnor's antwortet Marx: „In der Urzeit war die Schwester die Frau, und das war sittlich."

19

Die Bluts verwandtsohaftsfamilie ist ausgestorben. Selbst die rohsten Völker, von denen die Greschicbte erzählt, liefern kein nachweisbares Beispiel davon. Dass sie aber bestanden haben m u s s , dazu zwingt uns das hawaii'sche, in ganz Polynesien noch jetzt gültige Ver- wandtschaftssystem, das Grrade der Blutsverwandtschaft ausdrückt, wie sie nur unter dieser Familienforra ent- stehn können ; dazu zwingt uns die ganze weitere Ent- wicklung der Familie, die jene Form als nothwendige Vorstufe bedingt.

2. Die Punaluafamilie. Wenn der erste Fort- schritt der Organisation darin bestand, Eltern und Kinder vom gegenseitigen Greschlechtsverkehr auszuschliessen, so der zweite in der Ausschliessung von Schwester und Bruder. Dieser Fortschritt war, wegen der grösseren Altersgleichheit der Betheiligten, unendlich viel wich- tiger, aber auch schwieriger als der erste ; er vollzog sich allmälig, anfangend mit der Ausschliessung der leiblichen Greschwister (d. h. von mütterlicher Seite) aus dem Greschlechtsverkehr, erst in einzelnen Fällen, nach und nach Regel werdend (in Hawaii kamen noch in diesem Jahrhundert Ausnahmen vor) und endend mit dem Verbot der Ehe sogar zwischen Kollateralgeschwi- stern , d. h. nach unserer Bezeichnung Greschwister- Kindern, -Enkeln und -Urenkeln; er bildet, nach Mor- gan, „eine vortreffliche Illustration davon, wie das Prinzip der natürlichen Zuchtwahl wirkt." Keine Frage, dass Stämme, bei denen die Inzucht durch diesen Fort- schritt beschränkt wurde, sich rascher und voller ent- wickeln mussten als die, bei denen die Greschwisterehe Regel und Gebot blieb. Und wie gewaltig die Wirkung dieses Fortschritts empfunden wurde, beweist die aus ihm unmittelbar entsprungene, weit über das Ziel hin- ausschiessende Einrichtung der Grens, die die Grrundlage der gesellschaftlichen Ordnung der meisten, wo nicht aller Barbaren Völker der Erde bildete und aus der wir in Grriechenland und Rom unmittelbar in die Civilisa- tion hinübertreten.

Jede Urfamilie musste spätestens nach ein paar Grenerationcn sich spalten. Die ursprüngliche kommu-

20

nistische G-esammtliaushaltung, die bis tief in die mitt- lere Barbarei hinein ausnahmslos herrscht, bedingte eine, je nach den Verhältnissen wechselnde, aber an jedem Ort ziemlich bestimmte Maximalgrösse der Familiengemeinschaft. Sobald die Vorstellung von der Ungebühr des G-eschlechtsverkehrs zwischen Kindern Einer Mutter aufkam, musste sie sich bei solchen Spal- tungen alter und Grründung neuer Hausgemeinden (die indess nicht nothwendig mit der ramiliengruppe zu- sammenfielen) wirksam zeigen. Eine oder mehrere Reihen von Schwestern wurden der Kern der einen, ihre leiblichen Brüder der Kern der andern. So oder ähnlich ging aus der Blutsverwandtschaftsfamilie die von Morgan Punaluafamilie genannte Form hervor. Nach der hawaii'schen Sitte waren eine Anzahl Schwe- stern, leibliche oder entferntere (d. h. Cousinen ersten, zweiten oder entfernteren Grrades) die gemeinsamen Frauen ihrer gemeinsamen Männer, wovon aber ihre Brüder ausgeschlossen ; diese Männer nannten sich unter einander nun nicht mehr Brüder, was sie auch nicht mehr zu sein brauchten, sondern Punalua, d. h. intimer Grenosse, gleichsam Associe. Ebenso hatte eine Eeihe von leiblichen oder entfernteren Brüdern eine Anzahl Frauen, nicht ihre Schwestern, in gemeinsamer Ehe, und diese Frauen nannten sich unter einander Punalua. Dies die klassische Grestalt einer Familienformation, die später eine Reihe von Variationen zuliess, und deren wesentlicher Charakterzug war: gegenseitige GTemein- schaft der Männer und Weiber innerhalb eines bestimm- ten Familienkreises, von dem aber die Brüder der Frauen, zuerst die leiblichen, später auch die entfern- teren, und umgekehrt also auch die Schwestern der Männer ausgeschlossen waren.

Diese Familienform liefert uns nun mit der voll- ständigsten Genauigkeit die Verwandtschaftsgrade, wie sie das amerikanische System ausdrückt. Die Kinder der Schwestern meiner Mutter sind noch immer ihre Kinder, ebenso die Kinder der Brüder meines Vaters auch seine Kinder, und sie alle sind meine Greschwister; aber die Kinder der Brüder meiner Mutter sind jetzt

21

ihre NeflFen und Nichten, die Kinder der Schwestern meines Vaters seine Neffen und Nichten, und sie alle meine Vettern und Cousinen, Denn während die Männer der Schwestern meiner Mutter noch immer ihre Männer sind, und ebenso die Frauen der Brüder meines Vaters auch noch seine Frauen rechtlich, wo nicht immer thatsächlich so hat die gesellschaftliche Aechtung des Geschlechtsverkehrs zwischen Greschwistern die bisher unterschiedslos als G-eschwister behandelten Ge- schwisterkinder in zwei Klassen getheilt: die Einen bleiben nach wie vor (entferntere) Brüder und Schwe- stern unter einander, die Andern, die Kinder hier des Bruders, dort der Schwester, können nicht länger Ge- schwister sein, sie können keine gemeinschaftlichen Eltern mehr haben, weder Vater noch Mutter noch Beide, und desshalb wird hier zum ersten Mal die Klasse der Neffen und Nichten, Vettern und Cousinen nothwendig, die unter der früheren Familienordnung unsinnig gewesen wäre. Das amerikanische Verwandt- schaftssjstem, das bei jeder auf irgend einer Art Einzel- ehe beruhenden Familienform rein widersinnig erscheint, wird durch die Punaluafamilie bis in seine kleinsten Einzelnheiten rationell erklärt und natürlich begründet. Soweit dies Verwandtschaftssystem verbreitet gewesen, genau soweit, mindestens, muss auch die Punaluafamilie bestanden haben.

Diese in Hawaii wirklich als bestehend nachgewiesene Familienform würde uns wahrscheinlich aus ganz Poly- nesien überliefert sein, hätten die frommen Missionare, wie weiland die spanischen Mönche in Amerika, in solchen widerchristlichen Verhältnissen etwas mehr zu sehen vermocht, als den simplen „Greuel".*) Wenn

*) Die Spuren unterschiedslosen Geschlechtsverkehrs, seiner B. g. „Surapfzeugung", die Bachofen gefunden zu haben meint, führen sich, wie jetzt nicht mehr bezweifelt werden kann, auf die Punaluafamilie zurück. „Wenn Bachofeu diese Punalua-Ehen „ge- setzlos" findet, 80 fände ein Mann aus jener Periode die meisten jetzigen Ehen zwischen nahen und entfernten Vettern väterlicher oder mütterlicher Seite blutschänderisch, nämlich als Ehen zwischen blutsverwandten Geschwistern.". (Marx.)

22

uns Cäsar von den Briten, die sich damals auf der Mittelstufe der Barbarei befanden, erzählt: „sie haben ihre Frauen je zehn oder zwölf gemeinsam unter sich, und zwar meist Brüder mit Brüdern und Eltern mit Kindern" so erklärt sich dies am besten als Punalua- Familie. Barbarische Mütter haben nicht 10 12 Söhne, alt genug, um sich gemeinschaftliche Frauen halten zu können, aber das amerikanische Verwandschaftssystem, das der Punalua-Familie entspricht, liefert viele Brüder, weil alle nahen und entfernten Vettern eines Mannes seine Brüder sind. Das „Eltern mit Kindern" mag falsche Auffassung des Cäsar sein ; dass Vater und Sohn, oder Mutter und Tochter sich in derselben Ehegruppe befinden sollten, ist indess bei diesem System nicht absolut ausgeschlossen, wohl aber Vater und Tochter, oder Mutter und Sohn. Ebenso liefert diese Familien- form die leichteste Erklärung der Berichte Herodot's und anderer alter Schriftsteller über Weibergemein- schaft bei wilden und barbarischen Völkern. Punalua- familie muss auch sein, was Watson und Kaye (The People of India) von den Tikurs in Audh (nördlich vom G-anges) erzählen: „Sie leben zusammen (d.h. ge- schlechtlich) fast unterschiedslos in grossen Gemein- schaften, und wenn zwei Leute als mit einander ver- heirathet gelten, so ist das Band doch nur nominell."

Direkt aus der Punaluafamilie hervorgegangen ist in weitaus den meisten Fällen die Institution der Gr e n s. Zwar bietet auch das australische Klassensystem einen Ausgangspunkt dafür ; die Australier haben Grentes, aber noch keine Punaluafamilie. Ihre Organisation steht jedoch zu vereinzelt, als dass wir darauf Rücksicht zu nehmen hätten.

Bei allen Formen der Grruppenfamilie ist es unge- wiss, wer der Vater eines Kindes ist, gewiss aber ist, wer seine Mutter. Wenn sie auch alle Kinder der G-esammtfamilie ihre Kinder nennt und Mutterpiiichten gegen sie hat, so kennt sie doch ihre leiblichen Kinder unter den Andern. Es ist also klar, dass, soweit Grruppenehe besteht, die Abstammung nur von mütter- licher Seite nachweisbar ist, also nur die weibliche

23

Linie anerkannt wird. Dies ist in dei That bei allen wilden und der niederen Barbarenstufe angebörigen Völkern der Fall ; und dies zuerst entdeckt zu baben, ist das zweite grosse Verdienst Bachofen's. Er bezeich- net diese ausschliessliche Anerkennung der Abstam- mungsfolge nach der Mutter und die daraus sich mit der Zeit ergebenden Erbschaftsbeziehungen mit dem Namen Mutterrecht; ich behalte diesen Namen, der Kürze wegen, bei. -Er ist aber schief, denn auf dieser G-esellschaftsstufe ist von Recht im juristischen Sinne noch nicht die Bede.

Nehmen wir nun aus der Punalua-Familie die eine der beiden Mustergruppen, nämlich die einer Beihe von leiblichen und entfernteren (d. h. im ersten, zweiten oder entfernteren GTrad von leiblichen Schwestern ab- stammenden) Schwestern, zusammt ihren Kindern und ihren leiblichen oder entfernteren Brüdern von mütter- licher Seite (die nach unserer Voraussetzung nicht ihre Männer sind), so haben wir genau den Umkreis der Personen, die später als Mitglieder einer Gens, in der Urform dieser Institution erscheinen. Sie haben alle eine gemeinsame Stammmutter, kraft der Abstam- mung von welcher die weiblichen Nachkommen gene- rationsweise Schwestern sind. Die Männer dieser Schwe- stern können aber nicht mehr ihre Brüder sein, also nicht von dieser Stammmutter abstammen, gehören also nicht in die Blutsverwandtschaftsgruppe, die spätere Gens ; ihre Kinder aber gehören in diese Gruppe, da Abstammung von mütterlicher Seite allein entscheidend, weil allein gewiss ist. Sobald die Aechtung des Ge- schlechtsverkehrs zwischen allen Geschwistern, auch den entferntesten Kollateralverwandten mütterlicher Seite, einmal feststeht, hat sich auch obige Gruppe in eine Gens verwandelt, d. h. sich konstituirt als ein fester Kreis von Blutsverwandten weiblicher Linie, die unter einander nicht heirathen dürfen, und der von nun an sich mehr und mehr durch andre gemeinsame Ein- richtungen gesellschaftlicher und religiöser Art befestigt und von den andern Gentes desselben Stammes unter- scheidet. Darüber ausführlich später. Wenn wir aber

24

finden, wie nicht nur nothwendig, sondern sogar selbst- verständlich die Grens aus der Punaluafamilie sich ent- wickelt, so sind wir gezwungen, das ehemalige Bestehen dieser Familienform als fast sicher anzunehmen für alle Völker, bei denen Grentilinstitutionen nachweisbar sind, d. h. so ziemlich für alle Barbaren und Kulturvölker.

3. Die Paarungsfamilie. Eine gewisse Paa- rung, für kürzere oder längere Zeit, fand bereits unter der Punaluafamilie oder noch früher statt; der Mann hatte eine Hauptfrau (man kann noch kaum sagen Lieb- lingsfrau) unter den vielen Prauen, und er war für sie der hauptsächlichste Ehemann unter den andern. Dieser Umstand hat nicht wenig beigetragen zu der Konfusion bei den Missionaren, die in der Punaluafamilie bald regellose Weibergemeinschaft, bald willkürlichen Ehe- bruch sehen. Eine solche gewohnheitsmässige Paarung musste aber mehr und mehr sich befestigen, je mehr die G-ens sich ausbildete und je zahlreicher die Klassen von „Brüdern" und „Schwestern" wurden, zwischen denen Heirath nun unmöglich war. Der durch die Gens gegebene Anstoss der Verhinderung der Heirath zwi- schen Blutsverwandten trieb noch weiter. So finden wir, dass bei den Irokesen und den meisten andern auf der Unterstufe der Barbarei stehenden Indianern die Ehe verboten ist zwischen allen Verwandten, die ihr System aufzählt, und das sind mehrere hundert Arten. Bei dieser wachsenden Verwicklung der Eheverbote wurden Grruppenehen mehr und mehr unmöglich ; sie wurden verdrängt durch die Paarung sfamilie. Auf dieser Stufe lebt ein Mann mit einer Frau zusammen, jedoch so, dass Vielweiberei und gelegentliche Untreue Recht der Männer bleibt, wenn erstere auch aus ökonomischen Gründen selten vorkommt ; während von den Weibern für die Dauer des Zusammenlebens meist strengste Treue verlangt und ihr Ehebruch grausam bestraft wird. Das Eheband ist aber von jedem Tlieil leicht löslich und die Kinder gehören nach wie vor der Mutter allein.

Auch in dieser immer weiter getriebenen Ausschlies- sung der Blutsverwandten vom Eheband wirkt die natür- liche Zuclitwahl fort. In Morgan's Worten : „Die Ehen

25

zwischen nicht-blutsverwandten Gentes erzeugen eine kräftigere Race, physisch wie geistig; zwei fortschrei- tende Stämme vermischten sich, und die neuen Schädel und Hirne erweiterten sich naturgemäss, bis sie die Tähigkeiten Beider umfassten." Stämme mit Grentil- verfassung mussten so über die Zurückgebliebenen die Oberhand gewinnen oder sie durch ihr Beispiel mit sich ziehn.

Die Entwicklung der Familie in der Urgeschichte besteht somit, in der fortwährenden Verengerung des, ursprünglich den ganzen Stamm umfassenden Kreises, innerhalb dessen eheliche Gremeinschaft zwischen den beiden Greschlechtern herrscht. Durch fortgesetzte Aus- schliessung erst näherer, dann immer entfernterer Ver- wandten, zuletzt selbst blos angeheiratheter, wird endlich jede Art von Grruppenehe praktisch unmöglich, und esbleibt schliesslich das Eine, einstweilen noch lose verbundene Paar übrig, das Molekül, mit dessen Auflösung die Ehe überhaupt aufhört. Schon hieraus zeigt sich, wie wenig die individuelle Greschlechtsliebe im heutigen Sinn des Worts mit der Entstehung der Einzelehe zu thun hatte. Noch mehr beweist dies die Praxis aller Völker, die auf dieser Stufe stehn. Während in früheren Familien- formen die Männer nie um Frauen verlegen zu sein brauchten, im Gregentheil ihrer eher mehr als genug hatten, wurden Frauen jetzt selten und gesucht. Da- her beginnt mit der Paarungsehe der Raub und der Kauf von Frauen weitverbreitete Symptome, aber weiter auch nichts, einer eingetretenen viel tiefer lie- genden Veränderung, welche Symptome, blosse Methoden sich Frauen zu verschaffen, der pedantische Schotte Mac Lennan indess als „Raubehe" und „Kaufehe" in beson- dere Familienklassen umgedichtet hat. Auch sonst, bei den amerikanischen Indianern und anderswo (auf gleicher Stufe) ist die Eheschliessung Sache nicht der Betheilig- ten, die oft gar nicht gefragt werden, sondern ihrer Mütter. Oft werden so zwei einander ganz Unbekannte verlobt und erst von dem abgeschlossenen Handel in Kenntniss gesetzt, wenn die Zeit zum Ileirathen heran- rückt. Vor der Hochzeit macht der Bräutigam den

26

G-entilverwandten der Braut (also ihren mütterliclieii^ nicht dem Vater und seiner Verwandtschaft) Geschenke, die als Kaufgaben für das abgetretene Mädchen gelten. Die Ehe bleibt löslich nach dem Belieben eines jeden der beiden Verheiratheten : doch hat sich nach und nach bei vielen Stämmen, z. B. den Irokesen, eine solchen Trennungen abgeneigte öffentliche Meinung gebildet; bei Streitigkeiten treten die G-entilverwandten beider Theile vermittelnd ein, und erst, wenn dies nicht fruchtet, findet Trennung statt, wobei die Kinder der Frau verbleiben, und wonach es jedem Theil freisteht, sich neu zu verheirathen.

Die Paarungsfamilie, selbst zu schwach und zu un- beständig, um einen eigenen Haushalt zum Bedürfniss oder nur wünschenswerth zu machen, löst die aus frü- herer Zeit überlieferte kommunistische Haushaltung keineswegs auf. Kommunistischer Haushalt bedeutet aber Herrschaft der Weiber im Hause, wie ausschliess- liche Anerkennung einer leiblichen Mutter bei Unmög- lichkeit, einen leiblichen Vater mit Grewissheit zu kennen, hohe Achtung der Weiber, d. h. der Mütter, bedeutet. Es ist eine der absurdesten, aus der Auf- klärung des 18. Jahrhunderts überkommenen Vor- stellungen, das Weib sei im Anfang der Gesellschaft Sklavin des Mannes gewesen. Das Weib hat bei allen Wilden und allen Barbaren der Unter- und Mittelstufe, theilweise noch der Oberstufe, eine nicht nur freie, sondern hochgeachtete Stellung. Was es noch in der Paarungsehe ist , möge Arthur Wright, langjähriger Missionar unter den Seneka-Irokesen, bezeugen : „Was ihre Familien betrifft, zur Zeit, wo sie noch die alten langen Häuser (kommunistische Haushaltungen mehrerer Familien) bewohnten, ... so herrschte dort immer ein Clan (eine Grens) vor, so dass die Weiber ihre Männer aus den andern Clans (Gentes) nahmen. . . . Gewöhn- lich beherrschte der weibliche Theil das Haus ; die Vorräthe waren gemeinsam; wehe aber dem unglück- lichen Ehemann oder Liebhaber, der zu träge oder zu ungeschickt war, seinen Theil zum gemeinsamen Vor- rath beizutragen. Einerlei wie viel Kinder oder wie

27

viel Eigenbesitz er im Hause hatte, jeden Augenblick konnte er des Befehls gewärtig sein, sein Bündel zu schnüren und sich zu trollen. Und er durfte nicht ver- suchen, dem zu widerstehn ; das Haus wurde ihm zu heiss gemacht, es blieb ihm nichts als zu seinem eignen Clan (Grens) zurückzukehren oder aber, was meist der Fall, eine neue Ehe in einem andern Clan aufzusuchen. Die Weiber waren die grosse Macht in den Clans (G-entes) und auch sonst überall. G-elegentlich kam es ihnen nicht darauf an, einen Häuptling abzusetzen und zum gemeinen Krieger zu degradiren." Die kommu- nistische Haushaltung, in der die Weiber meist oder alle einer und derselben Cens angehören, die Männer aber auf verschiedene G-entes sich vertheilen, ist die sachliche G-rundlage jener in der Urzeit allgemein ver- breiteten Vorherrschaft der Weiber, die ebenfalls ent- deckt zu haben ein drittes Verdienst Bachofen's ist. Nachträglich bemerke ich noch, dass die Berichte der Reisenden und Missionare über Belastung der Weiber mit übermässiger Arbeit bei Wilden und Barbaren dem Gesagten keineswegs widersprechen. Die Theilung der Arbeit zwischen beiden Greschlechtern wird bedingt durch ganz andre Ursachen als die Stellung der Frau in der G-esellschaft. Völker, bei denen die Weiber weit mehr arbeiten müssen , als ihnen nach unsrer Vorstellung gebührt, haben vor den Weibern oft weit mehr wirkliche Achtung, als unsere Europäer. Die Dame der Civilisation, von Scheinhuldigungen umgeben und aller wirklichen Arbeit entfremdet, hat eine un- endlich niedrigere gesellschaftliche Stellung als das hart arbeitende Weib der Barbarei, das in seinem Volk für eine wirkliche Dame (lady, frowa, Frau = Herrin) galt und auch eine solche ihrem Charakter nach war. Ob die Paarungsehe in Amerika heute die Punalua- familie gänzlich verdrängt hat, müssen nähere Unter- suchungen über die noch auf der Oberstufe der Wild- heit stehenden nordwestlichen und südamerikanischen Völker entscheiden. Jedenfalls sind noch nicht alle Spuren davon verschwunden. Bei wenigstens vierzig nordamerikanischen Stämmen hat der Mann, der eine

28

älteste Schwester lieirathet, das Recht, alle ihre Schwe- stern ebenfalls zu Frauen zu nehmen, sobald sie das erforderliche Alter erreichen: Rest der Gremeinsamkeit der Männer für die ganze Reihe von Schwestern. Und von den Halbinsel-Kaliforniern (Oberstufe der Wildheit) erzählt Bancroft, dass sie gewisse Festlichkeiten haben, wo mehrere Stämme zusammenkommen zum Zweck des unterschiedslosen geschlechtlichen Verkehrs. Es sind offenbar Grentes, die in diesen Festen die dunkle Er- innerung bewahren an die Zeit, wo die Frauen Einer Grens alle Männer der andern zu ihren gemeinsamen Ehemännern hatten und umgekehrt. Aehnliche Reste aus der alten Welt sind bekannt genug, so die Preis- gebung der phönizischen Mädchen im Tempel an den Festen der Astaroth; selbst das mittelalterliche Recht der ersten Nacht, das trotz neuromantischer deutscher Weisswaschungen eine sehr handfeste Existenz gehabt hat, ist ein vermuthlich durch die keltische Grens (den Clan) überliefertes Stück PunaluafamiKe.

Die Paarungsfamilie entsprang an der Grenze zwi- schen Wildheit und Barbarei, meist schon auf der Ober- stufe der Wildheit, hier und da erst auf der Unterstufe der Barbarei. Sie ist die charakteristische Familienform für die Barbarei, wie die Grruppenehe für die Wildheit und die Monogamie für die Civilisation. Um sie zur festen Monogamie weiter zu entwickeln, bedurfte es andrer Ursachen, als derjenigen, die wir bisher wirkend fanden. Die Grruppe war in der Paarung bereits auf ihre letzte Einheit, ihr Molekül, herabgebracht: auf einen Mann und eine Frau. Die Naturzüchtung hatte in der iminer weiter geführten Ausschliessung von der Ehegemeinschaft ihr Werk vollbracht; in dieser Rich- tung blieb nichts mehr für sie zu thun. Kamen also nicht neue, gesellschaftliche Triebkräfte in Wirk- samkeit, so war kein Grund vorhanden, warum aus der Paarung eine neue Familienform hervorgehn sollte. Aber diese Triebkräfte traten in Wirksamkeit.

Wir verlassen jetzt Amerika, den klassischen Boden der Paarungsfamilie. Kein Anzeichen lässt schliessen, dass dort eine höhere Familienform sich entwickelt,

29

dass dort vor der Entdeckung und Eroberung' jemals irgendwo feste Monogamie bestanden habe. Anders in der alten Welt.

Hier hatte die Zähmung der Hausthiere und die Züchtung von Heerden eine bisher ungeahnte Quelle des ßeichthums entwickelt und ganz neue gesellschaft- liche Verhältnisse geschaffen. Bis auf die Unterstufe der Barbarei hatte der ständige Reichthum bestanden fast nur in dem Haus, der Kleidung, rohem Schmuck und den Werkzeugen zur Erringung und Bereitung der Nahrung : Boot, Waffen, Hausrath einfachster Art. Die Nahi'ung musste Tag um Tag neu errungen werden. Jetzt, mit den Heerden der Pferde , Kamele , Esel, Rinder, Schafe, Ziegen und Schweine hatten die vordrin- genden Hirtenvölker die Arier im indischen Eünf- stromland und Grangesgebiet wie in den damals noch weit wasserreicheren Steppen am Oxus und Jaxartes ; die Semiten am Euphrat und Tigris einen Besitz erworben, der nur der Aufsicht und rohesten Pflege bedurfte, um sich in stets vermehrter Zahl fortzupflanzen und die reichlichste Nahrung an Milch und Fleisch zu liefern. Alle früheren Mittel der Nahrungsbeschaffung traten nun in den Hintergrund ; die Jagd, früher eine Noth wendigkeit, wurde nun ein Luxus.

Wem gehörte aber dieser neue Reichthum ? Un- zweifelhaft ursprünglich der Grens. Aber schon früh muss sich Privateigenthum an den Heerden entwickelt haben. Es ist schwer zu sagen, ob dem Verfasser des s. g. ersten Buchs Mosis der Vater Abraham erschien als Besitzer seiner Heerden kraft eignen Rechts oder kraft seiner Eigenschaft als thatsächlich erblicher Vor- steher einer Glens. Sicher ist nur, dass wir ihn uns nicht als Eigenthümer im modernen Sinn vorstellen dürfen. Und sicher ist ferner, dass wir an der Schwelle der beglaubigten Greschichte die Heerden schon überall in Privateigenthum einzelner Familienvorstände finden, ganz wie die Kunsterzeugnisse der Barbarei, Metall- geräth, Luxusartikel und endlich das Men sehen vieh die Sklaven.

Denn jetzt war auch die Sklaverei erfunden. Dem

30

Barbaren der Unterstufe war der Sklave wertMos. Da- her aucli die amerikanischen Indianer mit den besiegten Feinden ganz anders verfuhren als auf höherer Stufe geschah. Die Männer wurden getödtet oder aber in den Stamm der Sieger als Brüder aufgenommen ; die Weiber wurden geheirathet oder sonst mit ihren überlebenden Kindern ebenfalls adoptirt. Die menschliche Arbeits- kraft liefert auf dieser Stufe noch keinen beachtens- werthen Ueberschuss über ihre Unterhaltskosten. Mit der Einführung der Viehzucht, der Metallbearbeitung, der Weberei und endlich des Feldbaus wurde das anders. Wie die früher so zahlreichen Grattinnen jetzt einen Werth bekommen hatten und gekauft wurden, so ge- schah es mit den Arbeitskräften, besonders seitdem die Heerden endgültig in Privatbesitz übergegangen waren. Die Familie vermehrte sich nicht ebenso rasch wie das Vieh. Mehr Leute Avurden erfordert, es zu beaufsich- tigen; dazu Hess sich der kriegsgefangne Feind be- nutzen, der sich ausserdem ebensogut fortzüchten liess wie das Vieh selbst.

Solche Reichthümer, sobald sie einmal in Privat- besitz übergegangen und dort rasch vermehrt, gaben der auf Paarungsehe und Gens gegründeten Gresellschaft einen mächtigen Stoss. Die Paarungsehe hatte ein neues Element in die Familie eingeführt. Neben die leibliche Mutter hatte sie den beglaubigten leiblichen Vater gestellt, der noch dazu wahrscheinlich besser beglaubigt war als gar manche „Väter" heutzutage. Nach der damaligen Arbeitstheilung in der Familie fiel dem Mann die Beschaffung der Nahrung und der hiezu nöthigen Arbeitsmittel, also auch das Eigenthum an diesen letz- teren zu ; er nahm sie mit, im Fall der Scheidung, wie die Frau ihren Hausrath behielt. Nach dem Brauch der damaligen Gresellschaft also war der Mann auch Eigen- thümer der neuen Nahrungsquelle, des Viehs und später des neuen Arbeitsmittels, der Sklaven. Nach dem Brauch derselben Gresellschaft aber konnten seine Kinder nicht von ihm erben, denn damit stand es folgendermassen.

Nach Mutterrecht, also so lange Abstammung nur in weiblicher Linie gerechnet wurde und nach dem

31

ursprünglichen Erbgebrauch in der Grens erbten anfäng- lich die Grentilverwandten von ihrem verstorbenen Greutil- genossen. Das Vermögen musste in der Gens bleiben. Bei der Unbedeutendheit der G-egenstände mag es von jeher in der Praxis an die nächsten Grentilverwandten, also an die Agnaten mütterlicher Seite, übergegangen sein. Die Kinder des verstorbenen Mannes aber gehör- ten nicht seiner Gens an, sondern der ihrer Mutter; sie erbten zuerst mit den übrigen Agnaten der Mutter, später vielleicht in erster Linie von dieser, aber von ihrem Yater konnten sie nicht erben, weil sie nicht zu seiner Gens gehörten, sein Vermögen aber in dieser bleiben musste. Bei dem Tode des Heerdenbesitzers wären also seine Heerden übergegangen zunächst an seine Brüder und Schwestern und an die Kinder seiner Schwestern, oder an die Nachkommen der Schwestern seiner Mutter. Seine eigenen Kinder aber waren enterbt. In dem Verhältniss also wie die Reichthümer sich mehrten, gaben sie einerseits dem Mann eine wichtigere Stellung in der Familie als der Frau, und erzeugten andrerseits den Antrieb, diese verstärkte Stellung zu benutzen, um die hergebrachte Erbfolge zu Gunsten der Kinder umzustossen. Dies ging aber nicht, so lange die Abstammung nach Mutterrecht galt. Diese also musste umgestossen werden und sie wurde umgestossen. Es war dies gar nicht so schwer, wie es uns heute erscheint. Denn diese Revolution eine der ein- schneidendsten, die die Menschen erlebt haben brauchte nicht ein einziges der lebenden Mitglieder einer Gens zu berühren. Alle ihre Angehörigen konnten nach wie vor bleiben, was sie gewesen. Der einfache Beschluss genügte, dass in Zukvmft die Nachkommen der männlichen Genossen in der Gens bleiben, die der weiblichen aber ausgeschlossen sein sollten, indem sie in die Gens ihres Vaters übergingen. Damit Avar die Abstammungsrechnung in weiblicher Linie und das mütterliche Erbrecht umgestossen, männliche Abstam- mungslinie und väterliches Erbrecht eingesetzt. Wie sich diese Revolution bei den Kulturvölkern gemacht hat, und wann, darüber wissen wir nichts. Sie fällt

32

ganz in die vorgeschichtliche Zeit. D a s s sie sich aber gemacht, ist mehr als nöthig erwiesen durch die na- mentlich von Bachofen gesammelten reichlichen Spuren von Mutterrecht, und wie leicht sie sich vollzieht, sehen wir an einer ganzen Reihe von Indianerstämmen, wo sie erst neuerdings gemacht worden ist und noch gemacht wird, unter dem Einfluss theils wachsenden Reich thums und veränderter Lebensweise (Versetzung aus den Wäldern in die Prairie), theils moralischer Einwirkungen der Civilisation und der Missionare. Von acht Missouristämmen haben sechs männliche, aber zwei noch weibliche Abstammungslinie und Erbfolge. Bei den Shawnees, Miamies und Delawares ist die Sitte eingerissen, die Kinder durch einen der G-ens des Vaters gehörigen Grentilnamen in diese zu versetzen, damit sie vom Vater erben können. „Eingeborne Kasuisterei des Menschen, die Dinge zu ändern, indem man ihre Namen ändert! Und Schlupfwinkel zu finden, um innerhalb der Tradition die Tradition zu durchbrechen, wo ein direktes Interesse den hinreichenden Antrieb gab!" (Marx.) Dadurch entstand heillose Verwirrung, der nur abzuhelfen war, und theil weise auch abgeholfen wurde, durch Uebergang zum Vaterrecht. „Dies scheint überhaupt der natürlichste Uebergang." (Marx.)

Der Umsturz des Mutterrechts war die welt- geschichtliche Niederlage des weiblichen Greschlechts. Der Mann ergriff das Steuer auch im Hause, die Frau wurde entwürdigt, geknechtet, Sklavin seiner Lust und blosses Werkzeug der Kinderzeugung. Diese erniedrigte Stellung der Frau, wie sie nament- lich bei den Griechen der heroischen und klassischen Zeit offen hervortritt, ist allmälig beschönigt und ver- heuchelt, auch stellenweise in mildere Formen gekleidet worden ; beseitigt ist sie keineswegs.

Die erste Wirkung der nun begründeten Allein- herrschaft der Männer zeigt sich in der jetzt auftau- chenden Zwischenform der patriarchalischen Familie. Was sie hauptsächlich bezeichnet, ist nicht die Viel- weiberei, wovon später, sondern die Organisation einer Anzahl von freien und unfreien Personen zu einer

Familie unter der väterlichen Gewalt des Familien- haupts. In der semitischen Form lebt dies Familien- haupt in Vielweiberei, die Unfreien haben Weib und Kinder, und der Zweck der ganzen Organisation ist die Wartung von Heerden auf einem abgegränzten Grebiet". Da>! Wesentliche ist die Einverleibung von Unfreien und die väterliche Gewalt; daher ist der vollendete Typus dieser Familienform die römische Familie. Das Wort familia bedeutet ursprünglich nicht das aus Senti- mentalität und häuslichem Zwist zusammengesetzte Ideal des heutigen Philisters ; es bezieht sich bei den Römern anfänglich gar nicht einmal auf das Ehepaar und dessen Bänder, sondern auf die Sklaven allein. Famulus heisst ein Haussklave, und familia ist die Gesammtheit der einem Mann gehörenden Sklaven. Noch zu Gajus Zeit wurde die familia, id est Patrimonium (d. h. das Erb- theil) testamentarisch vermacht. Der Ausdruck wurde von den Eömern erfunden, um einen neuen gesellschaft- lichen Organismus zu bezeichnen, dessen Haupt Weib und Kinder und eine Anzahl Sklaven unter römischer väterlicher Gewalt, mit dem Recht über Tod und Leben Aller, unter sich hatte. „Das Wort ist also nicht älter als das eisengepanzerte Familiensystem der latinischen Stämme, welches aufkam nach Einführung des Feld- baus und der gesetzlichen Sklaverei, und nach der Trennung der arischen Italer von den Griechen." Marx setzt hinzu : „Die moderne Familie enthält im Keim nicht nur Sklaverei (servitus), sondern auch Leibeigen- schaft, da sie von vornherein Beziehung hat auf Dienste für Ackerbau. Sie enthält in Miniatur alle die Gegen- sätze in sich, die sich später breit entwickeln in der Gesellschaft und in ihrem Staat."

Eine solche Familienform zeigt den Uebergang der Paarungsehe in die Monogamie. Um die Treue der Frau, also die Vaterschaft der Kinder, sicher zu stellen, wird die Frau der Gewalt des Mannes unbedingt überliefert: wenn er sie tödtet, so übt er nur sein Recht aus.

Ehe wir zu der mit dem Sturz des Mutterrechtes sich rasch entwickelnden Monogamie übergehn, noch ein paar Worte über Vielweiberei und Vielmännerei.

3

34

Beide Eheformen können nur Ausnahmen sein, sozu- sagen geschichtliche Luxusprodukte, es sei denn, sie kämen in einem Lande neben einander vor, was be- kanntlich nicht der Fall ist. Da also die von der Viel- weiberei ausgeschlossenen Männer sich nicht bei dea von der Vielmännerei übriggebliebenen Weibern trösten können, die Anzahl von Männern und Weibern aber ohne Rücksicht auf soziale Institutionen bisher ziemlich gleich war, ist die Erhebung der einen wie der andern dieser Eheformen zur allgemein geltenden von selbst ausgeschlossen. In der That war die exklusive Viel- weiberei Eines Mannes offenbar Produkt der Sklaverei und beschränkt auf einzelne Ausnahmsstellungen. In der semitisch -patriarchalischen Familie lebt nur der Patriarch selbst, und höchstens noch ein paar seiner Söhne, in Vielweiberei, die übrigen müssen sich mit Einer Frau begnügen. So ist es noch heute im ganzen Orient ; die Vielweiberei ist ein Privilegium der Reichen und Vornehmen und rekrutirt sich hauptsächlich durch Kauf von Sklavinnen ; die Masse des Volks lebt in Mo- nogamie. Eine ebensolche Ausnahme ist die Vielmännerei in Indien und Tibet, deren sicher nicht uninteressanter Ursprung aus der Punaluafamilie noch näher zu unter- suchen ist. In ihrer Praxis scheint sie übrigens viel coulanter als die eifersüchtige Haremswirthschaft der Muhamedaner. Wenigstens haben bei den Nairs in Indien je drei, vier oder mehr Männer zwar eine ge- meinsame Frau; aber jeder von ihnen kann daneben mit drei oder mehr andern Männern eine zweite Frau in Gremein Schaft haben, und so eine dritte, vierten, s.w. Es ist ein Wunder, dass MacLennan in diesen Eheclubs, in deren Mehreren man Mitglied sein kann und die er selbst beschreibt, nicht die neue Klasse der Club ehe entdeckt hat.

4. Die monogamische Familie. Sie entsteht aus der Paarungsfamilie, wie gezeigt, im Glrenzzeitalter zwischen der mittleren und oberen Stufe der Barbarei; ihr endgültiger Sieg ist eins der Kennzeichen der be- ginnenden Civilisation. Sie ist gegründet auf die Herr- schaft des Mannes mit dem ausdrücklichen Zweck der

35

Erzeugung von Kindern mit unbestrittener Täterschaft, und diese Yaterschaft wird erfordert, weil diese Kinder als Leibeserben in das väterliche Vermögen dereinst eintreten sollen. Sie unterscheidet sich von der Paarungs- ehe durch weit grössere Festigkeit des Ehebandes, das nun nicht mehr nach beiderseitigem Grefallen lösbar ist. Es ist jetzt in der Regel nur noch der Mann, der es lösen und seine Frau Verstössen kann. Das Recht der ehelichen Untreue bleibt ihm auch jetzt wenigstens noch durch die Sitte gewährleistet (der Code Napoleon schreibt es dem Mann ausdrücklich zu, so lange er nicht die Beischläferin in's eheliche Haus bringt) und wird mit steigender gesellschaftlicher Entwicklung immer mehr ausgeübt ; erinnert sich die Frau der alten ge- schlechtlichen Praxis und will sie erneuern, so wird sie strenger bestraft als je vorher.

In ihrer ganzen Härte tritt uns die neue Familien- form entgegen bei den Grriechen. Während, wie Marx bemerkt, die Stellung der Göttinnen in der Mythologie uns eine frühere Periode vorführt, wo die Frauen noch eine freiere, geachtetere Stellung hatten, finden wir zur Heroenzeit die Frau in einer halbgefänglichen Ab- geschlossenheit, um die richtige Vaterschaft der Kinder sicher zu stellen. Der Mann dagegen vergnügt sich mit kriegsgefangnen Sklavinnen, seinen Zeltgenossinnen im Kriege. Kaum besser in der klassischen Periode. Man kann in Becker's Charikles des Breiteren nach- lesen, wie die Grriechen ihre Frauen behandelten. Wenn nicht gerade eingeschlossen, so doch abgeschlossen von der Welt, waren sie die obersten Hausmägde ihrer Männer geworden, beschränkt auf den Verkehr vor- nehmlich der übrigen Hausmägde. Die Mädchen wur- den direkt eingeschlossen, die Frauen gingen nur aus in Begleitung von Sklavinnen. Kam Männerbesuch, so zog sich die Frau in ihr Gemach zurück. Trotzdem fanden die Griechinnen oft genug Gelegenheit, ihre Männer zu täuschen. Diese, die sich geschämt hätten, irgend welche Liebe für ihre Frauen zu verrathen, amüsirten sich in allerlei Liebeshändeln mit Hetären; aber die Entwürdigung der Frauen rächte sich an den

36

Männern und entwürdigte auch sie, bis sie versanken in die Widerwärtigkeit der Knabenliebe und ilire Götter entwürdigten wie sich selbst durch den Mythus von Granymed.

Das war der Ursprung der Monogamie, soweit wir ihn beim civilisirtesten und am höchsten entwickelten Volk des Alterthums verfolgen können. Sie war keines- wegs eine Frucht der individuellen Geschlechtsliebe, mit der sie absolut nichts zu schaffen hatte, da die Ehen nach wie vor Convenienzehen blieben. Sie war die erste Familienform, die nicht auf natürliche, son- dern auf gesellschaftliche Bedingungen gegründet war. Herrschaft des Mannes in der Familie und Erzeugung von Kindern, die nur die seinigen sein konnten und die zu Erben seines E,eichthums bestimmt waren das allein waren die von den Griechen unumwunden ausgesprochenen ausschliesslichen Zwecke der Einzelehe. Im Uebrigen war sie ihnen eine Last, eine Pflicht gegen die Götter, den Staat und die eignen Vorfahren, die eben erfüllt werden musste.

So tritt die Einzelehe keineswegs ein in die Geschichte als die Versöhnung von Mann und Weib, noch viel we- niger als ihre höchste Form. Im Gegentheil. Sie tritt auf als Unterjochung des einen Geschlechts durch das andere, als Proklamation eines bisher in der ganzen Vorgeschichte unbekannten Widerstreits der Geschlech- ter. In einem alten, 1846 von Marx und mir ausgear- beiteten, ungedruckten Manuskript finde ich : „Die erste Theilung der Arbeit ist die von Mann und Weib zur Kinderzeugung." Und heute kann ich hinzusetzen : Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durcli das männliche. Die Einzelehe war ein grosser geschichtlicher Fortschritt, aber zugleich eröffnet sie neben der Sklaverei und dem Privatreichthum jene bis heute dauernde Epoche, in der jeder Fortschritt zugleich ein relativer Rückschritt, in dem das Wohl und die Entwicklung der Einen sich durchsetzt durch das Wehe

' _ 37

und die Zurückdräiigung der Andern. Sie ist die Zellen- form der civilisirten Gresellschaft, an der wir schon die Natur der in dieser sich voll entfaltenden Gregensätze nnd Widersprüche studiren können.

Die alte verhältnissmässige Freiheit des G-eschlechts- verkehrs verschwand keineswegs mit dem Sieg der Paarungs- oder selbst der Einzelehe. „Das alte Ehe- system, auf engere GTrenzen zurückgeführt durch das allmälige Aussterben der Punaluagruppen, umgab immer noch die sich fortentwickelnde Familie und hing an ihren Schössen bis an die aufdämmernde Civilisation hinan ... es verschwand schliesslich in der neuen Form des Hetärismus, die die Menschen bis in die Civilisation hinein verfolgt, wie ein dunkler Schlagschatten, der auf der Familie ruht." Unter Hetärismus versteht Morgan den neben der Einzelehe bestehenden ausserehelichen geschlechtlichen Verkehr der Männer mit unverheiratheten Weibern, der bekanntlich während der ganzen Periode der Civilisation in den verschie- densten Formen blüht und mehr und mehr zur offenen Prostitution wird. Dieser Hetärismus, der eine gesell- schaftliche Einrichtung ist wie jede andere, setzt also die alte Greschlechtsfreiheit fort zu Grünsten der Männer. In der Wirklichkeit nicht nur geduldet, son- dern namentlich von den herrschenden Klassen flott mitgemacht, wird er in der Phrase verdammt. Aber in der Wirklichkeit trifft diese Verdammung keines- wegs die dabei betheiligten Männer, sondern nur die Weiber: sie werden geächtet und ausgestossen, um so nochmals die unbedingte Herrschaft der Männer über das weibliche Greschlecht als gesellschaftliches Grund- gesetz zu proklamiren.

Aber man kann nicht die eine Seite des Gregen- satzes haben ohne die andere, ebensowenig wie man noch einen ganzen Apfel in der Hand hat, nachdem die eine Hälfte gegessen. Trotzdem scheint dies die Meinung der Männer gewesen zu sein, bis ihre Frauen sie eines Bessern belehrten. Mit der Einzelehe treten zwei ständige gesellschaftliche Charakterfiguren auf, die früher unbekannt waren: der ständige Liebhaber

38

der Frau und der Halinrei. Die Männer hatten den Sieg über die Weiber errung-en, aber die Krönung übernabmen grossmütbig die Besiegten. Neben der Einzelebe und dem Hetärismus wurde der Ebebruch eine unvermeidlicbe gesellschaftliche Einrichtung verpönt, hart bestraft, aber ununterdrückbar. Die sichere Täterschaft der Kinder beruhte nach wie vor höchstens auf moralischer Ueberzeugung, und um den unlöslichen Widerspruch zu lösen, dekretirte der Code Napoleon Art. 312: L'enfant congu pendant le mariage a pour pfere le mari; das während der Ehe empfangene Kind hat zum Vater den Ehemann. Das ist das letzte Resultat von dreitausend Jahren Eiuzelehe.

So haben wir in der Einzelfamilie, in den Fällen, die ihrer geschichtlichen Entstehung treu bleiben und den durch die ausschliessliche Herrschaft des Mannes ausgesprochnen Widerstreit von Mann und Weib klar zur Erscheinung bringen, ein Bild im Kleinen derselben G-egensätze und Widersprüche, in denen sich die seit Eintritt der Civilisation in Klassen gespaltene Gesell- schaft bewegt, ohne sie auflösen und überwinden zu können. Ich spreche hier natürlich nur von jenen Fällen der Einzelehe, wo das eheliche Leben in Wirklichkeit nach Vorschrift des ursprünglichen Charakters der gan- zen Einrichtung verläuft, wo die Frau aber gegen die Herrschaft des Mannes rebellirt. Dass nicht alle Ehen so verlaufen, weiss niemand besser als der deutsche Philister, der seine Herrschaft im Hause nicht besser zu wahren weiss als im Staat, und dessen Frau daher mit vollem Recht die Hosen trägt, deren er nicht werth ist. Dafür dünkt er sich aber auch weit erhaben über seinen französischen Leidensgenossen, dem, öfter als ihm selbst, weit Schlimmeres passirt.

Die Einzelfamilie trat übrigens keineswegs überall und jederzeit in der klassisch-schroffen Form auf, die sie bei den Griechen hatte. Bei den Römern, die als künftige Welteroberer einen weiteren, wenn auch we- niger feinen Blick hatten als die Griechen, war die Frau freier und geachteter. Der Römer glaubte die eheliche Treue durch die Gewalt über Leben und Tod

39

seiner Frau hinlänglich verbürgt. Auch konnte die Frau hier ebensogut wie der Mann die Ehe freiwillig lösen. Aber der grösste Fortschritt in der Entwicklung der Einzelehe geschah entschieden mit dem Eintritt der Deutschen in die Geschichte, und zwar weil bei ihnen damals die Monogamie sich noch nicht vollständig aus der Paarungsehe entwickelt zu haben scheint. Wir schliessen dies aus drei Umständen, die Tacitus er- wähnt : Erstens galt bei grosser Heilighaltung der Ehe

„sie begnügen sich mit Einer Frau, die Weiber leben eingehegt durch Keuschheit" dennoch Viel- weiberei für die Yornehmen und Stammesführer, also ein Zustand ähnlich dem der Amerikaner, bei denen Paarungsehe galt. Und zweitens konnte der Uebergang von Mutterrecht zu Vaterrecht erst kurz vorher ge- macht worden sein, denn noch galt der Mutterbruder

der nächste männliche Gentilverwandte nach Mutter- recht als fast ein näherer Verwandter denn der eigne Vater, ebenfalls entsprechend dem Standpunkt der amerikanischen Indianer, bei denen Marx, wie er oft sagte, den Schlüssel zum Verständniss unserer eignen Urzeit gefunden. Und drittens waren die Frauen bei den Deutschen hoch geachtet und einflussreich auch auf öffentliche Geschäfte, was im direkten Gegensatz zur monogamischen Männerherrschaft steht. Mit den Deutschen kam also auch in dieser Beziehung ein ganz neues Element zur Weltherrschaft. Die neue Monogamie, die sich nun auf den Trümmern der Römerwelt aus der Völkermischung entwickelte, kleidete die Männerherr- schaft in mildere Formen und liess den Frauen eine wenigstens äusserlich weit geachtetere und freiere Stellung als das klassische Alterthum sie je gekannt. Damit erst war die Möglichkeit gegeben, auf der sich aus der Monogamie in ihr, neben ihr und gegen sie, je nachdem der grösste sittliche Fortschritt ent- wickeln konnte, den wir ihr verdanken : die moderne individuelle Geschlechtsliebe, die der ganzen früheren Welt unbekannt war.

Dieser Fortschritt entsprang aber entschieden aus dem Umstand, dass die Deutschen noch in der Paarungs-

40

familie lebten, und die ihr entsprechende Stellung der Frau, soweit es anging, der Monogamie aufpfropften, keineswegs aber aus der sagenhaften, wunderbar sitten- reinen Naturanlage der Deutschen, die sich darauf be- schränkt, dass die Paarungsehe sich in der That nicht in den grellen sittlichen Gregensätzen bewegt wie die Monogamie. Im Gregentheil waren die Deutschen auf ihren Wanderzügen, besonders nach Südost zu den Steppennomaden am Schwarzen Meer, sittlich stark verkommen und hatten bei diesen ausser ihren Reiter- künsten auch arge widernatürliche Laster angenommen, was Ammianus von den Thaifalern und Prokop von den Herulern ausdrücklich bezeugt.

Wenn aber die Monogamie von allen bekannten Familienformen diejenige war, unter der allein sich die moderne Greschlechtsliebe entwickeln konnte, so heisst das nicht, dass sie sich ausschliesslich oder nur vor- wiegend in ihr, als Liebe der Ehegatten zu einander, entwickelte. Die ganze Natur der festen Einzelehe unter Mannesherrschaft schloss das aus. Bei allen geschicht- lich aktiven, d. h. bei allen herrschenden Klassen blieb die Eheschliessung, was sie seit der Paarungsehe ge- wesen, Sache der Konvenienz, die von den Eltern arrangirt wurde. Und die erste geschichtlich auftretende Form der Greschlechtsliebe als Leidenschaft, und als jedem Menschen (wenigstens der herrschenden Klassen) zukommende Leidenschaft, als höchste Form des Gre- schlechtstriebs was gerade ihren spezifischen Cha- rakter ausmacht diese ihre erste Form, die ritterliche Liebe des Mittelalters, war keineswegs eine eheliche Liebe. Im GTegentheil. In ihrer klassischen Grestalt, bei den Provenzalen, steuert sie mit vollen Segeln auf den Ehebruch los und ihre Dichter feiern ihn. Die Blüte der provenzalischen Liebespoesie sind die Albas, deutsch Tagelieder. Sie schildern in glühenden Farben, wie der Ritter bei seiner Schönen der Frau eines Andern im Bett liegt, während draussen der Wächter steht, der ihm zuruft, sobald das erste Morgengrauen (alba) aufsteigt, damit er noch unbemerkt entweichen kann ; die Trennungsscene bildet dann den Gripfelpunkt.

41

Die Nordfranzosen und auch die braven Deutschen nah- men diese Dichtungsart mit der ihr entsprechenden Manier der Ritterliebe ebenfalls an, und unser alter Wolfram von Eschenbach hat über denselben anzüg- lichen Stoff drei wunderschöne Tagelieder hinterlassen, die mir lieber sind als seine drei langen Heldengedichte. Die bürgerliche Eheschliessung unserer Tage ist dop- pelter Art. In katholischen Ländern besorgen nach wie vor die Eltern dem jungen Bürgerssohn eine an- gemessene Frau, und die Folge davon ist natürlich die vollste Entfaltung des in der Monogamie enthaltenen Widerspruchs : üppiger Hetärismus auf Seiten des Mannes, üppiger Ehebruch auf Seiten der Frau. Die katholische Kirche hat wohl auch nur desswegen die Ehescheidung abgeschafft, weil sie sich überzeugt hatte, dass gegen den Ehebruch wie gegen den Tod kein Kräutlein gewachsen ist. In protestantischen Ländern dagegen ist es Regel, dass dem Bürgerssohn erlaubt wird, sich aus seiner Klasse eine Frau mit grösserer oder geringerer Freiheit auszusuchen, wonach ein ge- wisser G-rad von Liebe der Eheschliessung zu G-runde liegen kann und auch anstandshalber stets vorausgesetzt wird, was der protestantischen Heuchelei entspricht. Hier wird der Hetärismus des Mannes schläfriger be- trieben und der Ehebruch der Frau ist weniger Regel. Da aber in jeder Art Ehe die Menschen bleiben, was sie vor der Ehe waren, und die Bürger protestantischer Länder meist Philister sind, so bringt es diese pro- testantische Monogamie im Durchschnitt der besten Fälle nur zur ehelichen Gremeinschaft einer bleiernen Langeweile, die man mit dem Namen Familienglück bezeichnet. Der beste Spiegel dieser beiden Heiraths- methoden ist der Roman, für die katholische Manier der französische, für die protestantische der deutsche und schwedische. In jedem von beiden „kriegt er sie" : im deutschen der junge Mann das Mädchen, im fran- zösischen der Ehemann die Hörner. Welcher von beiden sich dabei schlechter steht, ist nicht immer ausgemacht. Wesshalb auch dem französischen Bourgeois die Lange- weile des deutschen Romans eben denselben Schauder

42

erregt wie die „Unsittliclikeit" des französischen Ro- mans dem deutschen Philister. Obwohl neuerdings, seit „Berlin Weltstadt wird", der deutsche Eoman anfängt, etwas weniger schüchtern in dem dort seit lange wohl- bekannten Hetärismus und Ehebruch zu machen.

In beiden Fällen aber wird die Heirath bedingt durch die Klassenlage der Betheiligten und ist insofern stets Konvenienzehe. Wirkliche Regel im Verhältniss zur Frau wird die G-eschlechtsliebe und kann es nur werden unter den unterdrückten Klassen, also heut- zutage im Proletariat ob dies Yerhältniss nun ein offiziell konzessionirtes oder nicht. Hier sind aber auch alle Grundlagen der klassischen Monogamie beseitigt. Hier fehlt alles Eigenthum, zu dessen Bewahrung und Yererbung ja gerade die Monogamie und die Männer- herrschaft geschaffen wurden, und hier fehlt damit auch jeder Antrieb, die Männerherrschaft geltend zu machen. Noch mehr, auch die Mittel fehlen ; das bürgerliche Recht, das diese Herrschaft schützt, besteht nur für die Besitzenden und deren Verkehr mit den Prole- tariern ; es kostet Geld und hat desshalb armuthshalber keine Greltung für die Stellung des Arbeiters zu seiner Frau. Da entscheiden ganz andere persönliche und ge- sellschaftliche Verhältnisse. Und vollends seitdem die grosse Industrie die Frau aus dem Hause auf den Ar- beitsmarkt und in die Fabrik versetzt hat und sie oft genug zur Ernährerin der Familie macht, ist dem letz- ten Rest der Männerherrschaft in der Proletarierwoh- nung aller Boden entzogen es sei denn etwa noch ein Stück der seit Einführung der Monogamie einge- rissenen Brutalität gegen Frauen. So ist die Familie des Proletariers keine monogamische im strengen Sinn mehr, selbst bei der leidenschaftlichsten Liebe und festesten Treue Beider und trotz aller etwaigen geist- lichen und weltlichen Einsegnung. Daher spielen auch die ewigen Begleiter der Monogamie, Hetärismus und Ehebruch, hier nur eine fast verschwindende Rolle ; die Frau hat das Recht der Ehetrennung thatsächlich wieder erhalten, imd wenn man sich nicht vertragen kann, geht man lieber auseinander. Kurz, die Prole-

43

tarierehe ist monogamisch im etymologischen Sinn des Worts, aber durchaus nicht in seinem historischen Sinn.

Kehren wir indess zurück zu Morgan, von dem wir ims ein Beträchtliches entfernt haben. Die geschicht- liche Untersuchung der während der Civilisationsperiode entwickelten gesellschaftlichen Institutionen geht über den Rahmen seines Buchs hinaus. Die Schicksale der Monogamie während dieses Zeitraums beschäftigen ihn daher nur ganz kurz. Auch er sieht in der Weiterbildimg der monogamischen Familie einen Fortschritt, eine Annäherung an die volle Gleichberechtigung der Gre- schlechter, ohne dass er dies Ziel jedoch für erreicht hält. Aber, sagt er, „wenn die Thatsache anerkannt wird, dass die Familie vier Formen nach einander durchgemacht hat und sich jetzt in einer fünften be- findet, so entsteht die Frage, ob diese Form für die Zukunft von Dauer sein kann. Die einzig mögliche Antwort ist die, dass sie fortschreiten muss wie die Gesellschaft fortschreitet, sich verändern im Mass wie die Gesellschaft sich verändert, ganz wie bisher. Sie ist das Geschöpf des Gesellschaftssystems und wird seinen Bildungsstand widerspiegeln. Da die monoga- mische Familie sich verbessert hat seit dem Beginn der Civilisation, und sehr merklich in der modernen Zeit, so kann man mindestens vermuthen, dass sie wei- terer Yervollkommnung fähig, bis die Gleichheit beider Geschlechter erreicht ist. Sollte in entfernter Zukunft die monogamische Familie nicht im Stande sein, die Ansprüche der Gesellschaft zu erfüllen, so ist unmög- lich vorherzusagen, von welcher Beschaffenheit ihre Nachfolo-erin sein wird".

III. Die irokesische Gens.

Wir kommen jetzt zu einer andern Entdeckung Morgan's, die mindestens von derselben Wichtigkeit ist, wie die Rekonstruktion der Urfamilienformen aus den Yerwandtschaftssystemen. Der Nachweis, dass die durch Thiernamen bezeichneten G-eschlechtsverbände innerhalb eines Stammes amerikanischer Indianer we- sentlich identisch sind mit den genea der Griechen, den gentes der Römer ; dass die amerikanische Form die ursprüngliche, die griechisch-römische die spätere, abgeleitete ist; dass die ganze Gresellschaftsorganisation der Grriechen und Römer der Urzeit in GTens, Phratrie und Stamm ihre getreue Parallele findet in der ame- rikanisch-indianischen ; dass die G-ens eine allen Bar- baren bis zu ihrem Eintritt in die Oivilisation, und selbst noch nachher, gemeinsame Einrichtung ist (so- weit unsere Quellen bis jetzt reichen) dieser Nach- weis hat mit einem Schlag die schwierigsten Par- tien der ältesten griechischen und römischen Geschichte aufgeklärt, und uns gleichzeitig über die Grundzüge der Gesellschaftsverfassung der Urzeit vor Einfüh- rung des Staats ungeahnte Aufschlüsse gegeben. So einfach die Sache auch aussieht, sobald man sie einmal kennt, so hat Morgan sie doch erst in der letz- ten Zeit entdeckt; in seiner vorhergehenden, 1871 erschienenen Schrift war er noch nicht hinter dies Geheimniss gekommen , dessen Enthüllung seitdem die sonst so zuversichtlichen englischen Urhistoriker mäuschenstill gemacht hat.

Das lateinische Wort gens, welches Morgan allge-

45

mein für diesen GrescKleclitsverband anwendet, kommt wie das griechisclie gleichbedeutende genos von der allgemein-arischen Wurzel gan (deutsch, wo nach der Regel k für arisches g stehn muss, kan), welche er- zeugen bedeutet. Grens, genos, sanskrit dschanas, gothisch (nach der obigen Regel) kuni, altnordisch und angel- sächsisch kyn, englisch kin, mittelhochdeutsch künne bedeuten gleichmässig G-eschlecht, Abstammung. Grens im Lateinischen, genos im Griechischen, wird aber spe- ziell für jenen (xeschlechtsverband gebraucht, der sich gemeinsamer Abstammung (hier von einem gemein- samen Stammvater) rühmt und durch gewisse gesell- schaftliche und religiöse Einrichtungen zu einer beson- dern Gremeinschaft verknüpft ist, dessen Entstehung und Natur trotzdem allen unsern Geschichtschreibern bis jetzt dunkel blieb.

Wir haben schon oben, bei der Punaluafamilie, ge- sehn , was die Zusammensetzung einer Gens in der ursprünglichen Form ist. Sie besteht aus allen Per- sonen, die vermittelst der Punaluaehe und nach den in ihr mit Nothwendigkeit herrschenden Vorstellungen die anerkannte Nachkommenschaft einer bestimmten ein- zelnen Stammmutter, der Gründerin der Gens, bilden. Da in dieser Familienform die Vaterschaft ungewiss, gilt nur weibliche Linie. Da die Brüder ihre Schwe- stern nicht heirathen dürfen, sondern nur Frauen andrer Abstammung, so fallen die mit diesen fremden Frauen erzeugten Kinder nach Mutterrecht ausserhalb der Gens. Es bleiben also nur die Nachkommen der Töchter jeder Generation innerhalb des Geschlechtsverbandes; die der Söhne gehn über in die Gentes ihrer Mütter. Was wird nun aus dieser Blutsverwandtschaftsgruppe, sobald sie sich als besondre Gruppe, gegenüber ähn- lichen Gruppen innerhalb eines Stammes, konstituirt?

Als klassische Form dieser ursprünglichen Gens nimmt Morgan die der Irokesen, speziell des Seneka- stammes. Bei diesem gibt es acht Gentes, nach Thieren benannt: 1) Wolf, 2) Bär, 3) Schildkröte, 4) Biber, 5) Hirsch, 6) Schnepfe, 7) Reiher, 8) Falke. In jeder Gens herrscht folgender Brauch :

46

1. Sie erwählt den Sachem (Friedens Vorsteher) und Häuptling (Kriegsanführer). Der Sachem muss aus der G-ens selbst gewählt werden und sein Amt war erblich in ihr, insofern es bei Erledigung sofort neu besetzt werden musste ; der Kriegsanführer konnte auch ausser- halb der G-ens gewählt werden und zeitweise ganz fehlen. Zum Sachem wurde nie der Sohn des vorigen gewählt, da bei den Irokesen Mutterrecht herrschte, der Sohn also einer andern Qens angehörte 5 wohl aber und oft, der Bruder oder Schwestersohn. Bei der Wahl stimmten Alle mit, Männer und Weiber. Die Wahl musste aber von den übrigen sieben Gentes bestätigt werden, und dann erst wurde der Gewählte feierlich eingesetzt, und zwar durch den gemeinsamen Rath des ganzen Irokesenbundes. Die Bedeutung hiervon wird sich später zeigen. Die Gewalt des Sachem innerhalb der Gens war väterlich, rein moralischer Natur ; Zwangs- mittel hatte er nicht. Daneben war er von Amts wegen Mitglied des Stammesraths der Senecas wie des Bundes- raths der Gesammtheit der Irokesen. Der Kriegshäupt- ling hatte nur auf Kriegszügen etwas zu befehlen.

2. Sie setzt den Sachem und Kriegshäuptling nach Belieben ab. Dies geschieht wieder von Männern und Weibern zusammen. Die Abgesetzten sind nachher einfache Krieger wie die andern, Privatpersonen. Der Stammesrath kann übrigens auch Sachems absetzen, selbst gegen den Willen der G-ens.

3. Kein Mitglied darf innerhalb der Gens heirathen. Dies ist die Grundregel der Gens, das Band, das sie zusammenhält; es ist der negative Ausdruck der sehr positiven Blutsverwandtschaft, kraft deren die in ihr einbegriffenen Individuen erst eine Gens werden. Durch die Entdeckung dieser einfachen Thatsache hat Morgan die Natur der Gens zum ersten Mal enthüllt. Wie wenig die Gens bisher verstanden wurde, beweisen die früheren Berichte über Wilde und Barbaren, wo die verschiedenen Körperschaften, aus denen die Gentil- ordnung sich zusammensetzt, unbegriffen und ununter- schieden als Stamm, Clan, Thum u. s. w. durcheinander geworfen wurden, und von diesen zuweilen gesagt wird.

47

dass die Heirath innerhalb einer solchen Körperschaft verboten sei. Damit war denn die rettungslose Kon- fusion gegeben, in der Herr MacLennan als Napoleon auftreten und Ordnung schaffen konnte , durch den Machtspruch: Alle Stämme theilen sich in solche, innerhalb deren die Ehe verboten ist (exogame) und solche, in denen sie erlaubt (endogame). Und nachdem er so die Sache erst recht gründlich verfahren, konnte er sich in den tiefsinnigsten Untersuchungen ergehen, welche von seinen beiden abgeschmackten Klassen die ältere sei : die Exogamie oder die Endogamie. Mit der Entdeckung der auf Blutsverwandtschaft, und daraus hervorgehender Unmöglichkeit der Ehe unter ihren Mit- gliedern, begründeten Grens hörte dieser Unsinn von selbst auf. Es ist selbstverständlich, dass auf der Stufe, auf der wir die Irokesen vorfinden, das Ehe- verbot innerhalb der Grens unverbrüchlich eingehalten wird.

4. Das Vermögen Verstorbener fiel an die übrigen Grentilgenossen, es musste in der Grens bleiben. Bei der Unbedeutendheit der Glegenstände, die ein Irokese hinterlassen konnte, theilten sich die nächsten Grentil- verwandten in die Erbschaft; starb ein Mann, dann seine leiblichen Brüder und Schwestern und der Mutter- bruder ; starb eine Frau, dann ihre Kinder und leib- lichen Schwestern, nicht aber ihre Brüder. Ebendeshalb konnten Mann und Frau nicht von einander erben, oder die Kinder vom Vater.

5. Die Grentilgenossen schuldeten einander HüKe, Schutz und namentlich Beistand zur Eache für Ver- letzung durch Fremde. Der Einzelne verliess sich für seine Sicherheit auf den Schutz der Grens und konnte es ; wer ihn verletzte, verletzte die ganze Grens. Hier- aus, aus den Blutbanden der Gl^ens, entsprang die Ver- pflichtung zur Blutrache, die von den Irokesen unbe- dingt anerkannt wurde. Erschlug ein Grentilfremder einen Grentilgenossen, so war die ganze Gens des Ge- tödteten zur Blutrache verpflichtet. Zuerst versuchte man Vermittlung; die Gens des Tödters hielt ßath und machte dem Rath der Gens des Getödteten Bei-

48

legungsanträge, meist Ausdrücke des Bedauerns und bedeutende G-eschenke anbietend. Wurden diese ange- nommen, war die Sache erledigt. Im andern Fall er- nannte die verletzte Grens einen oder mehrere Rächer, die den Tödter zu verfolgen und zu erschlagen ver- pflichtet waren. Gleschah dies, so hatte die Gens des Erschlagenen kein Recht, sich zu beklagen, der Fall war ausgeglichen.

6. Die Grens hat bestimmte Namen oder Reihen von Namen, die im ganzen Stamm nur sie gebrauchen darf, so dass der Name des Einzelnen zugleich sagt, welcher Grens er angehört. Ein Grentilname führt Grentilrechte von vornherein mit sich,

7. Die Grens kann Fremde in sich adoptiren und sie dadurch in den ganzen Stamm aufnehmen. Die Kriegsgefangnen, die man nicht tödtete, wurden so ver- mittelst Adoption in einer Grens Stammesmitglieder der Senecas und erhielten damit die vollen Grentil- und Stammesrechte. Die Adoption geschah auf Antrag ein- zelner Grentilgenossen, Männer, die den Fremden als Bruder resp. Schwester, Frauen, die ihn als Kind an- nahmen; die feierliche Aufnahme in die Grens war zur Bestätigung nöthig. Oft wurden so einzelne, ausnahms- weise zusammengeschrumpfte Grentes durch Massen- adoption aus einer andern Grens, mit Einwilligung die- ser, neu gestärkt. Bei den Irokesen fand die feierliche Aufnahme in die Grens in öffentlicher Sitzung des Stammesraths statt, wodurch sie thatsächlich eine religiöse Ceremonie wurde.

8. Spezielle religiöse Feierlichkeiten kann man bei indianischen Grentes schwerlich nachweisen; aber die religiösen Ceremonien der Indianer hängen mehr oder minder mit den Grentes zusammen. Bei den sechs jähr- lichen religiösen Festen der Irokesen waren die Sachems und Kriegshäuptlinge der einzelnen Grentes von Amts- wegen den „Grlaubenshütern" zugezählt und hatten priesterliche Funktionen.

9. Die Gens hat einen gemeinsamen Begräbniss- platz. Dieser ist bei den mitten unter Weissen ein- geengten Irokesen des Staats New- York jetzt ver-

49

scliwunden, hat aber früher bestanden. Bei andern In- dianern besteht er noch; so bei den den Irokesen nah verwandten Tuscaroros, die, obgleich Christen, für jede Gens eine bestimmte Eeihe im Kirchhof haben, so dass zwar die Mutter in derselben Reihe begraben wird wie die Kinder, aber nicht der Vater. Und auch bei den Irokesen geht die ganze Gens eines Verstorbenen zum Begräbniss, besorgt das Grab, die Grabreden etc.

10. Die Gens hat einen Rath, die demokratische Versammlung aller männlichen und weiblichen erwach- senen Gentilen, alle mit gleichem Stimmrecht. Dieser Rath erwählte Saohems und Kriegshäuptlinge und setzte sie ab; e.benso die übrigen „Glaubenshüter"; er be- schloss über Bussgaben (Wergeid) oder Blutrache für gemordete Gentilen ; er adoptirte Fremde in die Gens. Kurz er war die souveraine Gewalt in der Gens.

Dies sind die Befugnisse einer typischen indianischen Gens. „Alle ihre Mitglieder sind freie Leute, verpflich- tet Einer des Andern Freiheit zu schützen; gleich in persönlichen Rechten weder Sachems noch Kriegs- führer beanspruchen irgend welchen Vorrang; sie bilden eine Brüderschaft, verknüpft durch Blutbande. Frei- heit, Gleichheit, Brüderlichkeit, obwohl nie formulirt, waren die Grundprincipien der Gens, und diese war wiederum die Einheit eines ganzen gesellschaftlichen Systems, die Grundlage der organisirten indianischen Gesellschaft. Das erklärt den unbeugsamen Unabhängig- keitssinn und die persönliche Würde des Auftretens, die Jedermann bei den Indianern anerkennt."

Zur Zeit der Entdeckung waren die Indianer von ganz Nordamerika in Gentes organisirt, nach Mutter- recht. Nur in einigen Stämmen, wie den der Dacotas, waren die Gentes verfallen, und in einigen andern, Ojibwas, Omahas, waren sie nach Vaterrecht organisirt.

Bei sehr vielen indianischen Stämmen mit mehr als fünf oder sechs Gentes finden wir je drei, vier oder mehr Gentes zu einer besondern Gruppe vereinigt, die Morgan in getreuer Uebertragung des indianischen Namens nach ihrem griechischen Gegenbild Phratrie (Brüderschaft) nennt. So haben die Senekas zwei Phra-

4

50 ~

trien ; die erste umfasst die Gentes 1 4, die zweite die Grentes 5 8. Die nähere Untersuchung zeigt, dass diese Phratrien meist die ursprünglichen Grentes dar- stellen, in die sich der Stamm anfänglich spaltete; denn bei dem Heirathsverbot innerhalb der Gi-ens musste jeder Stamm nothwendig mindestens zwei Grentes um- fassen, um selbständig bestehn zu können. Im Mass wie sich der Stamm vermehrte, spaltete sich jede Grens wieder in zwei oder mehrere, die nun jede als beson- dere Grens erscheinen, während die ursprüngliche Grens, die alle Tochtergentes umfasst, fortlebt als Phratrie. Bei den Senekas und den meisten andern Indianern sind die Grentes der einen Phratrie Brudergentes, wäh- rend die der andern ihre Yettergentes sind Bezeich- nungen, die im amerikanischen Verwandtschaftssystem, wie wir sehen, einen sehr reellen und ausdrucksvollen Sinn haben. Ursprünglich durfte auch kein Seneca innerhalb seiner Phratrie heirathen, doch ist dies längst ausser Grebrauch gekommen und auf die Grens beschränkt. Tradition der Senekas war, dass Bär und Hirsch die beiden ursprünglichen Grentes seien, von denen die andern abgezweigt. Nachdem diese neue Einrichtung einmal eingewurzelt, wurde sie nach dem Bedürfniss modificirt ; starben Grentes einer Phratrie aus, so wurden zuweilen zur Ausgleichung ganze Grentes aus andern Phratrien in jene versetzt. Daher finden wir bei ver- schiedenen Stämmen die gleichnamigen Grentes ver- schieden gruppirt in den Phratrien.

Die Punktionen der Phratrie bei den Irokesen sind theils gesellschaftliche, theils religiöse. 1. Das Ball- spiel spielen die Phratrien gegen einander; jede schickt ihre besten Spieler vor, die Uebrigen sehen zu, jede Phratrie besonders aufgestellt, und wetten gegen ein- ander auf das Grewinnen der Ihrigen. 2. Im Stammes- rath sitzen die Sachems und Kriegsführer jeder Phratrie zusammen, die beiden Gruppen einander gegenüber, jeder Redner spricht zu den Repräsentanten jeder Phra- trie als zu einer besondern Körperschaft. 3. War ein Todtschlag im Stamm vorgekommen, wo Tödter und Getödtete nicht zu derselben Phratrie gehörten,

51

so appellirte die verletzte Glens oft an ihre Bruder- gentes ; diese hielten einen Phratrienrath und wandten sicli an die andre Phratrie als G-esammtlieit, damit diese ebenfalls einen Rath versammle zur Beilegung der Sache. Hier tritt also die Phratrie wieder als ur- sprüngliche Grens auf, und mit grösserer Aussicht auf Erfolg als die schwächere einzelne Grens, ihre Tochter. 4. Bei Todesfällen hervorragender Leute übernahm die entgegengesetzte Phratrie die Besorgung der Be- stattung und der Begräbnissfeierlichkeiten, während die Phratrie des Terstorbenen als leidtragend mitging. Starb ein Sachem, so meldete die entgegengesetzte Phratrie die Erledigung des Amts dem Bundesrath der Irokesen an. 5. Bei der Wahl eines Sachems kam ebenfalls der Phratrienrath in"s Spiel. Bestätigung durch die Brudergentes wurde als ziemlich selbstverständlich angesehn, aber die Grentes der andern Phratrie mochten opponiren. In solchem Fall kam der Rath dieser Phra- trie zusammen ; hielt er die Opposition aufrecht, so war die Wahl wirkungslos. 6. Früher hatten die Irokesen besondere religiöse Mysterien, von den Weissen medicine-lodges genannt. Diese wurden bei den Senekas gefeiert durch zwei religiöse Grenossenschaften, mit regelrechter Einweihung für neue Mitglieder; auf jede der beiden Phratrien entfiel eine dieser Grenossenschaf- ten. — 7. Wenn, wie fast sicher, die vier linages (Gre- schlechter), die die vier Viertel von Tlascalä zur Zeit der Eroberung bewohnten, vier Phratrien waren, so ist damit bewiesen, dass die Phratrien wie bei den Grriechen und ähnliche Greschlechtsverbände bei den Deutschen, auch als militärische Einheiten galten ; diese vier linages zogen in den Kampf, jede einzelne als besondre Schaar, mit eigner Uniform und Fahne und unter eignem Führer.

Wie mehrere Grentes eine Phratrie, so bilden, in der klassischen Form, mehrere Phratrien einen Stamm ; in manchen Fällen fehlt das Mittelglied, die Phratrie, bei stark geschwächten Stämmen. Was bezeichnet einen Indianerstamm in Amerika?

1. Ein eignes Gebiet und ein eigner Name. Jeder

52

Stamm besass ausser dem Ort seiner wirklichen Nieder- lassung nocli ein beträchtliches Gebiet zu Jagd und Fischfang. Darüber hinaus lag ein weiter, neutraler Landstrich, der bis an's (lebiet des nächsten Stammes reichte, bei sprachverwandten Stämmen geringer, bei nicht sprachverwandten grösser war. Es ist dies der Grrenzwald der Deutschen, die Wüste, die Cäsars Sueven um ihr Grebiet schaffen, das isarnholt (dänisch jarnved, limes Danicus) zwischen Dänen und Deutschen, der Sachsenwald und der branibor (slavisch = Schutzwald), von dem Brandenburg seinen Namen trägt, zwischen Deutschen und Slaven. Das solchergestalt durch un- sichere Grrenzen ausgeschiedne Grebiet war das G-emein- land des Stamms, von Nachbarstämmen als solches an- erkannt, von ihm selbst gegen Uebergriffe vertheidigt. Die Unsicherheit der Grenzen wiu'de meist erst prak- tisch nachtheilig, wenn die Bevölkerung sich stark ver- mehrt hatte. Die Stammesnamen erscheinen meist mehr zufällig entstanden als absichtlich gewählt; mit der Zeit kam es häufig vor, dass ein Stamm von den Nachbarstämmen mit einem andern als dem von ihm selbst gebrauchten bezeichnet wurde; ähnlich wie die Deutschen ihren ersten geschichtlichen Gesaramt" namen, Germanen, von den Gelten auferlegt bekamen.

2. Ein besondrer, nur diesem Stamm eigenthüm- licher Dialekt. In der That fallen Stamm und Dialekt der Sache nach zusammen ; Neubildung von Stämmen und Dialekten durch Spaltung ging noch bis vor Kurzem in Amerika vor sich und wird auch jetzt kaum ganz aufgehört haben. Wo zwei geschwächte Stämme sich zu einem verschmolzen haben, kommt es ausnahmsweise vor, dass im selben Stamm zwei nah- verwandte Dialekte gesprochen werden. Die Durch- schnittsstärke amerikanischer Stämme ist unter 2000 Köpfe ; die Tscherokesen indess sind an 26,000 stark, die grösste Zahl Indianer in den Vereinigten Staaten, die denselben Dialekt sprechen.

3. Das Recht, die von den Gentes erwählten Sachems und Kriftgsführer feierlich einzusetzen und

53

4. Das Recht, sie wieder abzusetzen, auch gegen den Willen ihrer Gens. Da diese Sachems und Kriegs- fiihrer Mitglieder des Staminesraths sind, erklären sich diese E-echte des Stamms ihnen gegenüber von selbst. Wo sich ein Bund von Stämmen gebildet hatte und die G-esammtzahl der Stämme in einem Bundesrath vertreten war, gingen obige Eechte auf diesen über.

5. Der Besitz gemeinsamer religiöser Vorstellungen (Mythologie) und Cultusverrichtungen. „Die Indianer waren in ihrer barbarischen Art ein religiöses Volk." Ihre Mythologie ist noch keineswegs kritisch unter'- sucht; sie stellten sich die Verkörperungen ihrer reli- giösen Vorstellungen Geister aller Art bereits unter menschlicher Gestalt vor, aber die Unterstufe der Barbarei, auf der sie sich befanden, kennt noch keine bildlichen Darstellungen, sogenannte Götzen. Es ist ein in der Entwicklung zur Vielgötterei sich be- findender Natur- und Elementarkultus. Die verschie- denen Stämme hatten ihre regelmässigen Feste, mit bestimmten Kultusformen, namentlich Tanz und Spielen; der Tanz besonders war ein wesentlicher Bestandtheil aller religiösen Eeierlichkeiten ; jeder Stamm hielt die seinigen besonders ab.

6. Ein Stammesrath für gemeinsame Angelegen- heiten. Er war zusammengesetzt aus sämmtlichen Sachems und Kriegsführern der einzelnen Gentes, ihren wirklichen weil stets absetzbaren Vertretern; er berieth öffentlich, umgeben von den übrigen Stammesgliedern, die das Hecht hatten dreinzureden und mit ihrer An- sicht gehört zu werden ; der Rath entschied. In der Regel wurde jeder Anwesende auf Verlangen gehört, auch die Weiber konnten durch einen Redner ihrer Wahl ihre Ansicht vortragen lassen. Bei den Irokesen musste der endliche ßcschluss einstimmig gefasst werden, wie dies auch in manchen Beschlüssen deutscher Mark- gemeinden der Fall war. Dem Stammesrath lag ob namentlich die Regelung des Verhältnisses zu fremden Stämmen ; er empfing Gesandtschaften und sandte solche ab, er erklärte Krieg und schloss Frieden. Kam es

54

zum Krieg, so wurde dieser meist von Freiwilligen geführt. Im Prinzip galt jeder Stamm als im Kriegs- zustand befindlich mit jedem andern Stamm, mit dem er keinen ausdrücklichen Friedensvertrag geschlossen. Kriegerische Auszüge gegen solche Feinde wurden meist organisirt durch einzelne hervorragende Krieger; sie gaben einen Kriegstanz, wer mittanzte, erklärte damit seine Betheiligung am Zug. Die Kolonne wurde sofort gebildet und in Bewegung gesetzt. Ebenso wurde die Yertheidigung des angegriffenen Stammesgebiets meist durch freiwillige Aufgebote geführt. Der Auszug und die Rückkehr solcher Kolonnen gaben stets Anlass zu öfi'entlichen Festlichkeiten. Grenehmigung des Stam- mesraths zu solchen Auszügen war nicht erforderlich und wurde weder verlangt noch gegeben. Es sind ganz die Privatkriegszüge deutscher Gefolgschaften , wie Tacitus sie uns schildert, nur dass bei den Deutschen die G-efolgschaften bereits einen ständigeren Charakter angenommen haben, einen festen Kern bilden, der schon in Friedenszeiten organisirt wird und um den sich im Kriegsfall die übrigen Freiwilligen gruppiren. Solche Kriegskolonnen waren selten zahlreich ; die bedeutend- sten Expeditionen der Indianer, auch auf grosse Ent- fernungen, wurden von unbedeutenden Streitkräften vollführt. Traten mehrere solche GTefolgschaften zu einer grossen Unternehmung zusammen, so gehorchte jede nur ihrem eignen Führer; die Einheit des Feldzugs- plans wurde durch einen Rath dieser Führer gut oder schlecht gesichert. Es ist die Kriegführung der Ala- mannen im vierten Jahrhundert am Oberrhein, wie wir sie bei Ammianus Marcelliniis geschildert finden.

7. In einigen Stämmen finden wir einen Oberhäupt- ling, dessen Befugnisse indess sehr gering sind. Es ist einer der Sachems, der in Fällen, die rasches Han- deln erfordern, provisorische Massregeln zu treffen hat bis zu der Zeit, wo der Rath sich versammeln und end- gültig beschliessen kann. Es ist ein schwacher, aber in der weiteren Entwicklung meist unfruchtbar geblie- bener Ansatz zu einem Beamten mit vollstreckender Gewalt ; dieser hat sich vielmehr, wie sich zeigen wird,

55

in den meisten Fällen, wo nicht überall, aus dem obersten Heerführer entwickelt.

Ueber die Vereinigung im Stamm kam die grosse Mehrzahl der amerikanischen Indianer nicht hinaus. In wenig zahlreichen Stämmen, durch weite Grenz- striche von einander geschieden, durch ewige Kriege geschwächt, besetzten sie mit wenig Menschen ein ungeheures Gebiet. Bündnisse zwischen verwandten Stämmen bildeten sich hie und da aus augenblicklicher Nothlage und zerfielen mit ihr. Aber in einzelnen Gegenden hatten sich ursprünglich verwandte Stämme aus der Zersplitterung wieder zusammen geschlossen zu dauernden Bünden, und so den ersten Schritt gethan zur Bildung von Nationen. In den Vereinigten Staaten finden wir die entwickeltste Form eines solchen Bundes bei den Irokesen. Von ihren Sitzen westlich vom Mis- sissippi ausziehend, wo sie wahrscheinlich einen Zweig der grossen Dacota-Familie gebildet, Hessen sie sich nach langer Wanderung im heutigen Staat New- York nieder, in fünf Stämme getheilt: Senekas, Cayugas, Onondagas, Oneidas und Mohawks. Sie lebten von Fisch, Wild und rohem Gartenbau, wohnten in Dörfern, die meist durch ein Pfahl werk geschützt. Nie über 20,000 Köpfe stark, hatten sie in allen fünf Stämmen ein e Anzahl von Gentes gemeinsam, sprachen nahverwandte Dialekte derselben Sprache und besetzten nun ein zusammenhängendes Gebiet, das unter die fünf Stämme vertheilt war. Da dies Gebiet neu erobert, war gewohn- heitsmässiges Zusammenhalten dieser Stämme gegen die Verdrängten natürlich, und entwickelte sich, spä- testens Anfangs des 15. Jahrhunderts, zu einem förm- lichen „ewigen Bund", einer Eidgenossenschaft, die auch sofort im Gefühl ihrer neuen Stärke einen an- greifenden Charakter annahm, und auf der Höhe ihrer Macht, gegen 1675, grosse Landstriche ringsumher er- obert und die Bewohner theils vertrieben, theils tribut- pflichtig gemacht hatte. Der Irokesenbund liefert die fortgeschrittenste gesellschaftliche Organisation, zu der es die Indianer gebracht, soweit sie die Unterstufe der Barbarei nicht überschritten (also mit Ausnahme der

56

Mexikaner, Nemnexikaner und Peruaner). Die Grund- bestimmungen des Bundes waren folgende :

1. Ewiger Bund, auf Grundlage vollkommener Gleichheit und Selbständigkeit in allen Innern Stammes- angelegenheiten, der fünf blutsverwandten Stämme. Diese Blutsverwandtschaft bildete die wahre Grundlage des Bundes. Von den fünf Stämmen hiessen drei die Yäterstämme, und waren Brüder unter einander; die beiden andern hiessen Sohnstämme und waren ebenfalls Bruderstämme unter einander. Drei Gentes die ältesten waren in allen fünf, andre drei in drei Stämmen noch lebendig vertreten, die Mitglieder jeder dieser Gentes allesammt Brüder durch alle fünf Stämme. Die gemeinsame, nur dialektisch verschiedene Sprache war Ausdruck und Beweis der gemeinsamen Ab- stammung.

2. Das Organ des Bundes war ein Bundesrath von 50 Sachems, alle gleich in Rang und Ansehn ; dieser Eath entschied endgültig über alle Angelegenheiten des Bundes.

3. Diese 50 Sachems waren bei Stiftung des Bundes auf die Stämme und Gentes vertheilt worden, als Trä- ger neuer Aemter, ausdrücklich für Bundeszwecke er- richtet. Sie wurden von den betreffenden Gentes bei jeder Erledigung neu gewählt und konnten von ihnen jederzeit abgesetzt werden ; das Recht der Einsetzung in ihr Amt aber gehörte dem Bundesrath.

4. Diese Bundessachems waren auch Sachems in ihren jedesmaligen Stämmen und hatten Sitz und Stimme im Stammesrath.

5. Alle Beschlüsse des Bundesraths mussten ein- stimmig gefasst werden.

6. Die Abstimmung geschah nach Stämmen, so dass jeder Stamm und in jedem Stamm alle Rathsmitglieder zustimmen mussten, um einen gültigen Beschluss zu fassen.

7. Jeder der fünf Stammesräthe konnte den Bundes- ratli berufen, dieser aber nicht sich selbst.

0/

8. Die Situngen fanden vor versammeltem Volk statt ; jeder Irokese konnte das Wort ergreifen ; der Rath allein entschied.

9. Der Bmid hatte keine persönliche Spitze, keinen Chef der vollziehenden Grewalt.

10. Dagegen hatte er zwei oberste Kriegsführer, mit gleichen Befugnissen und gleicher Grewalt (die beiden „Könige" der Spartaner, die beiden Konsuln in Rom).

Das war die ganze öffentliche Verfassung, unter der die Irokesen über vierhundert Jahre gelebt haben und noch leben. Ich habe sie ausführlicher nach Morgan geschildert, weil wir hier Grelegenheit haben, die Or- ganisation einer Gresellschaft zu studiren, die noch keinen Staat kennt. Der Staat setzt eine von der G-esammtheit der jedesmal Betheiligten getrennte, be- sondre öffentliche Grewalt voraus, und Maurer, der mit richtigem. Instinkt die deutsche Markverfassung als eine vom Staat wesentlich verschiedne, wenn auch ihm grossentheils später zu Grunde liegende, an sich rein gesellschaftliche Institution erken?it Maurer unter- sucht daher in allen seinen Schriften das allmälige Entstehn der öffentlichen Gewalt aus und neben den ursprünglichen Verfassungen der Marken, Dörfer, Höfe und Städte. Wir sehn bei den nordamerikanischen Indianern, wie ein ursprünglich einheitlicher Volks- stamm sich über einen ungeheuren Kontinent allmälig ausbreitet, wie Stämme durch Spaltung zu Völkern, ganzen Gruppen von Stämmen werden, die Sprachen sich verändern, bis sie nicht nur einander unverständ- lich werden, sondern auch fast jede Spur der ursprüng- lichen Einheit verschwindet ; wie daneben in den Stämmen die einzelnen Gentes sich in mehrere spalten, die alten Muttergentes als Phratrien sich erhalten und doch die Namen dieser ältesten Gentes bei weit ent- fernten und lange getrennten Stämmen sich gleich bleiben der Wolf und der Bär sind Gentilnamen noch bei einer Majorität aller indianischen Stämme. Und auf sie alle passt im Ganzen und Grossen die oben

58

geschilderte Verfassung nur dass Viele es nicht bis zum Bund verwandter Stämme gebracht haben.

Wir sehen aber auch, wie sehr die Gens als gesellschaftliche Einheit einmal gegeben die ganze Verfassung von Gentes, Phratrien und Stamm sich mit fast zwingender Nothwendigkeit weil Natürlichkeit aus dieser Einheit entwickelt. Alle drei sind Gruppen verschiedner Abstufungen von Blutsverwandtschaft, jede abgeschlossen in sich und ihre eignen Angelegenheiten ordnend, jede aber auch die andre ergänzend. Und der Kreis der ihnen anheimfallenden Angelegenheiten um- fasst die Gesammtheit der öffentlichen Angelegenheiten des Barbaren der Unterstufe. Wo wir also bei einem Volk die Gens als gesellschaftliche Einheit vorfinden, werden wir auch nach einer ähnlichen Organisation des Stammes suchen dürfen wie die hier geschilderte ; und wo hinreichende Quellen vorliegen, wie bei Griechen und Römern, werden wir sie nicht nur finden, sondern uns auch überzeugen, dass wo die Quellen uns im Stich lassen, die Vergleichung der amerikanischen Gesell- schaftsverfassung uns über die wichtigsten Zweifel und ßäthsel hinweghilft.

Und es ist eine wunderbare Verfassung in all ihrer Kindlichkeit und Einfachheit, diese Gentilverfassung ! Ohne Soldaten, Gendarmen und Polizisten, ohne Adel, Könige, Statthalter, Präfekten oder Richter, ohne Ge- fängnisse, ohne Prozesse, geht Alles seinen geregelten Gang. Allen Zank und Streit entscheidet die Gesammt- heit derer, die es angeht, die Gens oder der Stamm, oder die einzelnen Gentes unter sich nur als äusser- stes, selten angewandtes Mittel droht die Blutrache, von der unsre Todesstrafe auch nur die civilisirte Form ist, behaftet mit allen Vortheilen und Nachtheilen der Civilisation. Obwohl viel mehr gemeinsame Ange- legenheiten vorhanden* sind als jetzt die Haushaltung ist einer Reihe von Familien gemein und kommunistisch, der Boden ist Stammesbesitz, nur die Gärtchen sind den Haushaltungen vorläufig zugewiesen so braucht man doch nicht eine Spur unsers weitläuftigen und verwickelten Verwaltungsapparats. Die Betheiligten

59

entscheiden, und in den meisten Fällen hat jahrhun- dertelanger Grebrauch bereits Alles geregelt. Arme und Bedürftige kann es nicht geben die! kommunistische Haushaltung und die Grens kennen ihre "Verpflichtungen gegen Alte, Kranke und im Krieg Grelähmte. Alle sind gleich und frei auch die Weiber. Für Sklaven ist noch kein Eaum, für Unterjochung fremder Stämme in der Regel auch noch nicht. Als die Irokesen um 1651 die Eries und die „Neutrale Nation" besiegt hatten, boten sie ihnen an, als Grleichberechtigte in den Bund zu 'treten; erst als die Besiegten dies weigerten, wur- den sie aus ihrem Grebiet vertrieben. Und welche Männer mid Weiber eine solche Gresellschaft erzeugt, beweist die Bewundrung aller Weissen, die mit unverdorbnen Indianern zusammenkamen, vor der persönlichen Würde, Geradheit, Charakterstärke und Tapferkeit dieser Bar- baren.

Yon der Tapferkeit haben wir ganz neuerdings in Afrika Beispiele erlebt. Die ZulukafFern vor einigen Jahren wie die Nubier vor ein paar Monaten beides Stämme, bei denen Grentileinrichtungen noch nicht aus- gestorben — haben gethan, was kein europäisches Heer thun kann. Nur mit Lanzen und Wurfspeeren bewaff- net, ohne Feuergewehr, sind sie im Kugelregen der Hinterlader der englischen Infanterie der anerkannt ersten der Welt für das geschlossene Gefecht bis an die Bajonette vorgerückt und haben sie mehr als einmal in Unordnung gebracht und selbst geworfen, trotz der kolossalen Ungleichheit der Waffen und trotz- dem dass sie gar keine Dienstzeit haben und nicht wissen was Exerciren ist. Was sie aushalten und leisten können, beweist die Klage der Engländer, dass ein Kaffer in 24 Stunden einen längeren Weg rascher zu- rücklegt als ein Pferd der kleinste Muskel springt vor, hart und gestählt, wie Peitschenschnur, sagte ein englischer Maler.

So sahen die Menschen und die menschliche Gesell- schaft aus, ehe die Scheidung in verschiedne Klassen vor sich gegangen war. Und wenn wir ihre Lage ver- gleichen mit der der ungeheuren Mehrzahl der heuti-

Bo- gen civilisirten Menschen, so ist der Abstand enorm zwischen dem heutigen Proletarier und Kleinbauer und dem alten freien Gentilgenossen.

Das ist die eine Seite. Vergessen wir aber nicht, dass diese Organisation dem Untergang geweiht war. lieber den Stamm ging sie nicht hinaus ; der Bund der \ Stämme bezeichnet schon den Anfang ihrer Untergrabung, wie sich zeigen wird, und wie sich schon zeigt© iia den Unterjochungsversuchen der Irokesen. Was ausser- halb des Stammes, war ausserhalb des Rechts. Wo nicht ausdrücklicher Friedensvertrag vorlag, herrschte Krieg von Stamm zu Stamm, und der Krieg wurde geführt mit der Grrausamkeit, die den Menschen vor den übrigen Thieren auszeichnet und die erst später gemildert wurde durch das Interesse. Die Gentil- verfassung in ihrer Blüte, wie wir sie in Amerika sahen, setzte voraus eine äusserst unentwickelte Pro- duktion, also eine äusserst dünne Bevölkerung auf weitem Gebiet; also ein fast vollständiges Beherrscht- sein des Menschen von der ihm fremd gegenüber- stehenden, unverstandnen äussern Natur, das sich widerspiegelt in den kindischen religiösen Vorstel- lungen. Der Stamm blieb die Grenze für den Men- schen, sowohl dem Stammesfremden, als auch sich selbst, gegenüber: der Stamm, die Gens und ihre Einrich- tungen waren heilig und unantastbar, waren eine von Natur gegebene höhere Macht, der der Einzelne in Fühlen, Denken und Thun unbedingt unterthan blieb. So imposant die Leute dieser Epoche uns erscheinen, so sehr sind sie ununterschieden Einer vom Andern, sie hängen noch, wie Marx sagt, an der Nabelschnur des naturwüchsigen Gemeinwesens. Die Macht dieser naturn^üchsigen Gemeinwesen musste gebrochen werden sie wurde gebrochen. Aber sie wurde gebrochen durch Einflüsse, die uns von vornherein als eine De- gradation erscheinen, als ein Sündenfall von der ein- fachen sittlichen Höhe der alten Gentilgesellschaft. Es sind die niedrigsten Interessen gemeine Hab- gier, brutale Genusssucht, schmutziger Geiz, eigen- süchtiger Raub an Gemeinbesitz die die neue, civi-

61

lisirte , die Klassengesellschaft einweihen ; es sind die schmählichsten Mittel Diebstahl, Vergewaltigung, Hinterlist, Verrath, die die alte klassenlose Gentil- gesellschaft unterhöhlen und zu Fall bringen. Und die neue G-esellschaft selbst, während der ganzen dritthalbtausend Jahre ihres Bestehens , ist sie nie etwas andres gewesen, als die Entwicklung der kleinen Minderzahl auf Kosten der ausgebeuteten und unter- drückten grossen Mehrzahl, und sie ist dies jetzt mehr als je zuvor.

IV. Die griecliische Gens.

r Grrieohen wie Pelasger und andre stammverwandte Völker waren schon seit vorgeschichtlicher Zeit geord- net nach derselben organischen Reihe wie die Ameri- kaner : Grens, Phratrie, Stamm, Bund von Stämmen. Die Phratrie konnte fehlen wie bei den Doriern, der Bund von Stämmen brauchte noch nicht überall aus- gebildet zu sein, aber in allen Fällen war die Grens die Einheit. Zur Zeit, wo die Grriechen in die G-eschichte eintreten, stehn sie an der Schwelle der Civilisation ; zwischen ihnen und den amerikanischen Stämmen, von denen oben die Rede war, liegen fast zwei ganze grosse Entwicklungsperioden, um welche die Grriechen der Heroenzeit den Irokesen voraus sind. Die Grens der Grriechen ist daher auch keineswegs mehr die archaische der Irokesen, der Stempel der Punaluafamilie fängt an sich bedeutend zu verwischen. Das Mutterrecht ist dem Vaterrecht gewichen ; und damit hat der aufkommende Privatreichthum seine erste Bresche in die Grentil- verfassung gelegt. Eine zweite Bresche war natürliche Folge der ersten : da nach Einführung des Vaterrechts das Vermögen einer reichen Erbin durch ihre Heirath an ihren Mann, also in eine andre Grens gekommen wäre, durchbrach man die Grrundlage alles Grentilrechts, und erlaubte nicht nur, sondern gebot in diesem Fall, dass das Mädchen innerhalb der GTens heirathete, um dieser das Vermögen zu erhalten.

Nach Grrote's griechischer Gleschichte wurde speciell ■die athenische Grens zusammengehalten durch

1. Gemeinsame religiöse Feierlichkeiten, und aus-

63

schliessliches Recht des Priestertliums zu Ehren eines bestimmten G-ottes, des angeblichen Stammvaters der Gi-ens, der in dieser Eigenschaft durch einen besondem Beinamen bezeichnet wurde;

2. Gremeinsamen Begräbnissplatz (vgl. Demosthenes' Eubulides) ;

3. Gregenseitiges Beerbungsrecht ;

4. Gregenseitige Verpflichtung zu Hülfe, Schutz und Unterstützung bei Vergewaltigung;

5. Gregenseitiges Recht und Verpflichtung zur Hei- rath in der Grens in gewissen Fällen, besonders wo es Waisentöchter oder Erbinnen betraf;

6. Besitz, wenigstens in einigen Fällen, von gemein- samem Eigenthum mit einem eignen Archen (Vorsteher) und Schatzmeister.

Sodann band die Vereinigung in der Phratrie meh- rere Grentes zusammen, doch weniger eng; doch auch hier finden wir gegenseitige Rechte und Pflichten ähn- licher Art, besonders Gremeinsamkeit bestimmter Reli- gionsübungen und das Recht der Verfolgung, wenn ein Phrator getödtet worden. Die Gresammtheit der Phra- trien eines Stammes hatte wiederum gemeinsame, regel- mässig wiederkehrende heilige Feierlichkeiten unter Vortritt eines aus den Adligen (Eupatriden) gewählten Phylobasileus (Stammvorstehers).

Soweit Grrote. Und Marx fügt hinzu: „Durch die griechische Grens guckt der Wilde (Irokese z. B.) aber auch unverkennbar durch." Er wird noch unverkenn- barer, sobald wir etwas weiter untersuchen. Der grie- chischen Grens kommt nämlich ferner zu :

7. Abstammung nach Vaterrecht;

8. Verbot der Heirath in der Grens ausser im Fall von Erbinnen. Diese Ausnahme, und ihre Fassung als Grebot, beweisen die Greltung der alten Regel. Diese folgt ebenfalls aus dem allgemein gültigen Satz, dass die Frau durch die Heirath auf die religiösen Riten ihrer Grens verzichtete und in die ihres Mannes über- trat, in dessen Phratrie sie auch eingeschrieben wurde. Heirath ausserhalb der Grens war hiernach und nach «iner berühmten Stelle des Dikäarchus Regel, und

64

Becker im Oharikles nimmt geradezu an, dass Niemand innerhalb seiner eigenen Grens heirathen durfte.

9. Das Recht der Adoption in die Gens ; es erfolgte durch Adoption in die Familie, aber mit öjffentlichen Formalitäten und nur ausnahmsweise.

10. Das Recht, die Vorsteher zu erwählen und ab- zusetzen. Dass jede GTens ihren Archon hatte, wissen wir ; dass das Amt erblich in bestimmten Familien sei, wird nirgends gesagt. Bis an's Ende der Barbarei ist die Yermuthung stets gegen die Erblichkeit, die ganz unverträglich ist mit Zuständen, wo Reiche und Arme innerhalb der Gens vollkommen gleiche Rechte hatten.

Nicht nur Grote, sondern auch Niebuhr, Mommsen und alle andern bisherigen Geschichtschreiber des klas- sischen Alterthums sind gescheitert an der Gens. So richtig sie auch viele ihrer Merkmale aufgezeichnet haben, so sahen sie in ihr stets eine Gruppe von Familien, und machten es sich damit unmöglich, die Natur und den Ursprung der Gens zu verstehn. Die Familie ist unter der Gentilverfassung nie eine Orga- nisationseinheit gewesen und konnte es nicht sein, weil Mann und Frau nothwendig zu zwei verschiedenen Gentes gehörten. Die Gens ging ganz ein in die Phra- trie, die Phratrie in den Stamm; die Familie ging auf halb in die Gens des Mannes und halb in die der Frau. Auch der Staat erkennt im öffentlichen Recht keine Familie an; sie existirt bis heute nur für das Privatrecht. Und dennoch geht unsre ganze bisherige Geschichtschreibung von der, namentlich im achtzehnten Jahrhundert unantastbar gewordenen, absurden Voraus- setzung aus, die monogamische Einzelfamilie, die kaum älter ist als die Civilisation, sei der Krystallkern, um den sich Gesellschaft und Staat allmälig angesetzt habe

„Herrn Grote ferner zu bemerken, fügt Marx ein, dass obgleich die Griechen ihre Gentes aus der Mytho- logie herleiten, jene Gentes älter sind als die von ihnen selbst geschaffene Mythologie mit ihren Göttern und Halbgöttern."

Grote wird von Morgan mit Vorliebe angeführt,

65

weil er ein angesehener und doch ganz unverdächtiger Zeuge. Er erzählt weiterhin, dass jede athenische Glens einen von ihrem vermeintlichen Stammvater abgeleiteten Namen hatte, dass vor Solon allgemein, und noch nach Solon bei Abwesenheit eines Testaments, die Grentil- genossen (gennetes) des Verstorbenen sein Vermögen erbten, und dass im IT all von Todtschlag zunächst die Verwandten, dann die ixentilgenossen und endlich die Phratoren des Erschlagenen das Recht und die Pflicht hatten, den Verbrecher vor den GTerichten zu verfolgen : „alles was wir" von den ältesten athenischen G-esetzen hören, ist begründet auf die Eintheilung in Gentes und Phratrien."

Die Abstammung der Glentes von gemeinsamen Ur- ahnen hat den „schulgelehrten Philistern" (Marx) schweres Kopfbrechen gemacht. Da sie diese natürlich für rein mythisch ausgeben, so können sie sich die Entstehung einer GTens aus nebeneinanderstehenden, ursprünglich gar nicht verwandten Familien platter- dings nicht erklären, und doch müssen sie dies fertig bringen, um nur das Dasein der GTentes zu erklären. Da wird denn ein sich im Kreise drehender Wort- schwall aufgeboten, der nicht über den Satz hinaus- kommt : der Stammbaum ist zwar eine Fabel, aber die Grens ist eine Wirklichkeit, und schliesslich heisst es denn bei Glrote mit Einschiebungen von Marx wie folgt: „Wir hören von diesem Stammbaum nur selten, weil er vor die Oeflfentlichkeit nur in gewissen, besonders feierlichen Fällen gebracht wird. Aber die geringeren Grentes hatten ihre gemeinsamen Religions- übungen (sonderbar dies, Mr. Grote !) und gemeinsamen übermenschlichen Stammvater und Stammbaum ganz wie die berühmteren (wie gar sonderbar dies, Herr G-rote, bei geringeren Gentes !) ; der Grundplan und die ideale Grundlage (werther Herr, nicht ideal, son- dern carnal, germanice fleischlich!) war bei allen dieselbe."

Marx fasst Morgan's Antwort hierauf wie folgt zu- sammen: „Das der Gens in ihrer Urform und die Griechen hatten diese einst besessen wie andre Sterb-

6Q ^

Hohe entsprechende Bluts verwandtschaftssystem be- wahrte die Kenntniss der Verwandtschaften aller Mit- glieder der Grentes unter einander. (Sie lernten dies für sie entscheidend Wichtige durch Praxis von Kindes- beinen.) Mit der monogamischen Familie fiel dies in Vergessenheit. Der Grentilname schuf einen Stamm- baum, neben dem der der Einzelfamilie unbedeutend erschien Es war nunmehr dieser Name, der die That- sache der gemeinsamen Abstammung seiner Träger zu bewahren hatte; aber der Stammbaum der Gens ging so weit zurück, dass die Mitglieder ihre gegenseitige wirkliche Verwandtschaft nicht mehr nachweisen konn- ten, ausser in beschränkter Zahl von Fällen bei neueren, gemeinschaftlichen Vorfahren. Der Name selbst war Beweis gemeinsamer Abstammung, und endgültiger Beweis abgesehn von Adoptionsfällen. Dahingegen ist die thatsächliche Läugnung aller Verwandtschaft zwi- schen Grentilgenossen k la Grrote und Niebuhr, welche die Grens in eine rein ersonnene und erdichtete Schöpfung verwandelt, würdig „idealer" d. h. stubenhockerischer Schrif cgelehrter. Weil die Verkettung der G-eschlechter, namentlich mit Anbruch der Monogamie, in die Ferne gerückt, und die vergangne Wirklichkeit im mytholo- gischen Phantasiebild wiedergespiegelt erscheint, schlös- sen und schliessen Philister-Biedermänner, dass der Phantasiestammbaum wirkliche Gentes schuf!"

Die Phratrie war, wie bei den Amerikanern, eine in mehrere Tochtergentes gespaltene und sie einigende Muttergens, und leitete sie alle oft noch vom gemein- samen Stammvater ab. So hatten nach Grote „alle gleichzeitigen Glieder der Phratrie des Hekatäus einen und denselben Gott zum Stammvater im sechszehnten Glied" ; alle Gentes dieser Phratrie waren also buch- stäblich Brudergentes. Die Phratrie kommt noch bei Homer als militärische Einheit vor, in der berühmten Stelle, wo Nestor dem Agamemnon räth: Ordne die Männer nach Stämmen und nach Phratrien, dass die Phratrie der Phratrie beistehe, und der Stamm dem Stamm. Sonst hat sie das Recht und die Pflicht der Verfolgung der an einem Phrator begangnen Blutschuld,

67

also in früherer Zeit auch die Verpflichtung zur Blut- rache. Sie hat ferner gemeinsame Heiligthümer und Feste, wie denn die Ausbildung der gesammten grie- chischen Mythologie aus dem mitgebrachten alt-arischen Naturkultus wesentlich bedingt war durch die Grentes und Phratrien und innerhalb ihrer vor sich ging. Fer- ner hatte sie einen Vorsteher (Phratriarchos) und nach De Coulanges auch Versammlungen und bindende Be- schlüsse, eine Gerichtsbarkeit und Verwaltung. Selbst der spätere Staat, der die Gens ignorirte, liess der Phratrie gewisse öffentliche Amts Verrichtungen.

Die Vereinigung mehrerer verwandten Phratrien bildet den Stamm. In Attika gab es vier Stämme, zu je drei Phratrien, von denen jede dreissig Gentes zählte. Solche Abzirkelung der Gruppen setzt bewusstes, plan- mässiges Eingreifen in die naturwüchsig entstandene Ordnung voraus. Wie, wann und warum dies geschehn, darüber schweigt die griechische Geschichte, von der die Griechen selbst nur bis in's Heldenzeitalter hinein sich Erinnerung bewahrt haben.

Dialektische Abweichung war bei den auf verhält- nissmässig kleinem Gebiet zusammengedrängten Griechen weniger entwickelt als in den weiten amerikanischen Wäldern; doch auch hier finden wir nur Stämme der- selben Hauptmundart zu einem grössern Ganzen ver- einigt, und selbt in dem kleinen Attika einen beson- dern Dialekt, der später als allgemeine Prosasprache der herrschende wurde.

In den homerischen Gedichten finden wir die grie- chischen Stämme meist schon zu kleinen Völkerschaften Tereinigt, innerhalb deren Gentes, Phratrien und Stämme indess ihre Selbständigkeit noch vollkommen bewahrten. Sie wohnten bereits in mit Mauern befestigten Städten ; die Bevölkeiungszahl stieg mit der Ausdehnung der Heerden, des Feldbaus und den Anfängen des Hand- werks ; damit wuchsen die Reichthumsverschiedenheiten und mit ihnen das aristokratische Element innerhalb der alten, naturwüchsigen Demokratie. Die einzelnen Völkchen führten unaufhörliche Kriege um den Besitz der besten Landstriche und auch wohl der Beute wegen;

68

Sklaverei der Kriegsgefangnen war bereits anerkannte Einriclitung.

Die Verfassung dieser Stämme und Völkolien war nun wie folgt.

1. Stehende Behörde war der Rath, bule, ur- sprünglich wohl aus den Vorstehern der Gentes zu- sammengesetzt, später, als deren Zahl zu gross wurde, aus einer Auswahl, die Grelegenheit bot zur Ausbildung und Stärkung des aristokratischen Elements ; wie denn auch Dionysios gradezu den E,ath der Heroenzeit aus den Vornehmen (kratistoi) zusammengesetzt sein lässt. Der Eath entschied endgültig in wichtigen Angelegen- heiten ; so fasst der von Theben, bei Aeschylos, den für die gegebne Sachlage entscheidenden Beschluss, den Eteokles ehrenvoll zu begraben, die Leiche des Poly- nikes aber hinauszuwerfen, den Hunden zur Beute. Mit Errichtung des Staats ging dieser Rath über in den späteren Senat.

2. Die Volksversammlung (agora). Bei den Irokesen fanden wir das Volk. Männer und Weiber, die E,athsversammlung umstehend , dreinredend in geordneter Weise und so ihre Beschlüsse beeinflussend. Bei den homerischen G-riechen hat sich dieser „Umstand", um einen altdeutschen Gerichtsausdruck zu gebrauchen, bereits entwickelt zur vollständigen Volksversammlung, wie dies ebenfalls bei den Deutschen der Urzeit der Fall war. Sie wurde vom Rath berufen zur Entscheidung wichtiger Angelegenheiten ; jeder Mann konnte das Wort ergreifen. Die Entscheidung erfolgte durch Hand- erheben (Aeschylos in den Schutzflehenden) oder durch Zuruf. Sie war souverain in letzter Instanz, denn, sagt Schömann (griech. Alterthümer), „handelt es sich um eine Sache, zu deren Ausführung die Mitwirkung des Volks erforderlich ist, so verräth uns Homer kein Mittel, wie dasselbe gegen seinen Willen dazu ge- zwungen werden könne". Es gab eben zu dieser Zeit, wo jedes erwachsene männliche Stammesmitglied Krie- ger war, noch keine vom Volk getrennte öflentliche Gewalt, die ihm hätte entgesetzt werden können. Die naturwüchsige Demokratie stand noch in voller Blüte,

69

und dies rnuss der Ausgangspunkt bleiben zur Beur- theilung der Macht und der Stellung sowohl des Raths wie des Basileus.

3. Der Heerführer (basileus). Hierzu bemerkt Marx : „Die europäischen Glelehrten, meist geborne Fürsten- bediente, machen aus dem Basileus einen Monarchen im modernen Sinn. Dagegen verwahrt sich der Yankee- ßepublikaner Morgan. Er sagt sehr ironisch, aber wahr, vom öligen Grladstone und dessen „Juventus Mundi" : Herr Grladstone präsentirt uns die griechischen Häuptlinge der Heldenzeit als Könige und Fürsten, mit der Zugabe, dass sie auch Grentlemen seien; er selbst muss aber zugeben : im Granzen scheinen wir die Sitte oder das Gesetz der Erstgeburtsfolge hinreichend, aber nicht allzuscharf bestimmt vorzufinden." Es wird auch wohl dem Herrn Gladstone selbst scheinen, dass eine so verklausulirte Erstgeburtsfolge hinreichend, wenn auch nicht allzuscharf, Igerade so viel werth ist wie gar keine.

Wie es mit der Erblichkeit der Yorsteherschaften bei den Irokesen und andern Indianern stand, sahen wir. Alle Aemter waren Wahlämter meist innerhalb einer Grens, und insofern in dieser erblich. Bei Er- ledigungen wurde der nächste Glentilverwandte Bru- der oder Schwestersohn allmälig vorgezogen, falls nicht Grründe vorlagen, ihn zu übergehn. Gring also bei den Grriechen unter der Herrschaft des Vaterrechts das Amt des Basileus in der Eegel auf den Sohn oder einen der Söhne über, so ist das nur Beweis, dass die Söhne hier die Wahrscheinlichkeit der Nachfolge durch Volkswahl für sich hatten, keineswegs aber Beweis rechtskräftiger Erbfolge ohne Volkswahl. Was hier vorliegt, ist bei Irokesen und Griechen die erste An- lage zu besondern Adelsfamilien innerhalb den Gentes, und bei den Griechen noch dazu die erste Anlage einer künftigen erblichen Führerschaft oder Monarchie. Die Vermuthung spricht also dafür, dass bei den Griechen der Basileus entweder vom Volk gewählt oder doch durch seine anerkannten Organe Rath oder Agora

_._ 70

bestätigt werden musste, wie dies für den römischen „König" (Rex) galt.

In der Ilias erscheint der Männerbeherrscher Aga- memnon nicht als oberster König der Griechen, son- dern als oberster Befehlshaber eines Bundesheers vor einer belagerten Stadt. Und auf diese seine Eigenschaft weist Odysseus hin, als Zwist unter den Griechen aus- gebrochen war, in der berühmten Stelle : nicht gut ist die Vielkommandirerei, Einer sei Befehlshaber u. s. w. (wobei noch der beliebte Vers mit dem Scepter spä- terer Zusatz). „Odysseus hält hier keine Vorlesung über eine Regierungsform, sondern verlangt Gehorsam gegen den obersten Feldherrn im Kriege. Für die Griechen, die vor Troja nur als Heer erscheinen, geht es in der Agora demokratisch genug zu. Achilles, wenn er von Geschenken, d. h. Vertheilung der Beute, spricht, macht stets zum Vertheiler, weder den Aga- memnon noch einen andern Basileus, sondern „die Söhne der Achäer", d. h. das Volk. Die Prädikate: von Zeus erzeugt, von Zeus ernährt, beweisen nichts, da jede Gens von einem Gott abstammt, die des Stammeshaupts schon von einem „vornehmeren" Gott hier Zeus. Selbst die persönlich Unfreien, wie der Sauhirt Eumäus u. A. sind „göttlich" (dioi und theioi) und dies in der Odyssee, also in viel späterer Zeit als die Ilias ; in derselben Odyssee wird der Name Heros -. noch dem Herold Mulios beigelegt wie dem blinden ^ Sänger Demodokos. Kurz, das Wort basiieia, das die griechischen Schriftsteller für das homerische sogenannte Königthum anwenden (weil die Heerführerschaft ihr Hauptkennzeichen), mit Rath und Volksversammlung daneben, bedeutet nur militärische Demokratie." (Marx.)

Der Basileus hatte ausser den militärischen noch priesterliche und richterliche Amtsbefugnisse ; letztere nicht näher bestimmt, erstere in seiner Eigenscliaft als oberster Vertreter des Stamms oder Bundes von Stämmen. Von bürgerlichen, verwaltenden Befugnissen ist nie die Rede ; er scheint aber von Aratswegen Rathsmitglied gewesen zu sein. Basileus mit König zu übersetzen,

71

ist also etymologisch ganz richtig, da König (Kuning) von Kuui, Künne, abstammt und Vorsteher einer Gens bedeutet. Aber der heutigen Bedeutung des Wortes König entspricht der altgriechische Basileus in keiner Weise. Thucydides nennt die alte Basileia ausdrück- lich eine patrike, d. h. von Gentes abgeleitete, und sagt, sie habe festbestimmte, also begrenzte Befugnisse gehabt. Und Aristoteles sagt, die Basileia der Heroen- zeit sei eine Führerschaft über Freie gewesen, und der Basileus Heerführer, Eichter und Oberpriester; Eegie- rungsgewalt im spätem Sinne hatte er also nicht.*)

Wir sehn also in der griechischen Verfassung der Heldenzeit die alte Gentilorganisation noch in leben- diger Kraft, aber auch schon den Anfang ihrer Unter- grabung: Vaterrecht mit Vererbung des Vermögens an die Kinder, wodurch die Reichthumsanhäufung in der Familie begünstigt und die Familie eine Macht wurde gegenüber der Gens; Rückwirkung der Reichthums- verschiedenheit auf die Verfassung, vermittelst Bildung der ersten Ansätze zu einem erblichen Adel und König- thum ; Sklaverei, zunächst noch blos von Kriegsgefang- nen, aber schon die Aussicht erölfnend auf Versklavung der eignen Stammes- und selbst Gentilgenossen ; der alte Krieg von Stamm gegen Stamm bereits ausartend in systematische Räuberei zu Land und zur See, um Vieh, Sklaven, Schätze zu erobern, in regelrechte Er- werbsquelle ; kurz, Reichthum gepriesen und geachtet als höchstes Gut, und die alten Gentilordnungen ge- missbrauchtj um den gewaltsamen Raub von Reich-

*) "Wie dem griechischen Basileus, so ist auch dem aztekischea Heerführer ein moderner Fürst untergesclioben worden. Morgan unterwirft die erst missverständlichen und übertriebenen, später direkt lügenhaften Berichte der Spanier zum ersten -Mal der histo- rischen Kritik und weist nach, dass die Mexikaner auf der Mittel- stufe der Barbarei, höher jedoch als die neumexikanischen PufbloB- Indianer, standen, und dass ihre Verfassung, soweit di^ entstellten Berichte sie erkennen lassen, dem entsprach : ein Hund dreier Stämme, der eine Anzahl andrer zur Tributpflichtigkeit unterworfen hatte, und der regiert wurde von einem Bundosrath und Bundes- feldherm, aus welchem letzteren die Spanier einen „Kaiser" machten.

72

thtimern zu rechtfertigen. Es fehlte nur noch Eins: eine Einrichtung, die die neuerworbenen Eeichthiimer der Einzelnen nicht nur gegen die kommunistischen Traditionen der Gentilordnung sicherstellte, die nicht nur das früher so gering geschätzte Privateigenthmn heiligte, und diese Heiligung für den höchsten Zweck aller menschlichen GTemeinschaft erklärte, sondern die auch die nacheinander sich entwickelnden neuen Formen der Eigenthumser Werbung, also der stets beschleunigten Vermehrung des Reichthums mit dem Stempel allge- mein gesellschaftlicher Anerkennung versah ; eine Ein- richtung, die nicht nur die aufkommende Spaltung der Gesellschaft in Klassen verewigte, sondern auch das Recht der besitzenden Klasse auf Ausbeutung der nicht besitzenden, und die Herrschaft jener über diese.

Und diese Einrichtung kam. Der Staat wurde erfunden.

V. Entstehung des athenischen Staats

Wie der Staat sich entwickelt hat, indem die Or- gane der G-entilverfassung theils umgestaltet, theils durch Einschiebung neuer Organe verdrängt, und end- lich vollständig durch wirkliche Staatsbehörden ersetzt wurden, während an die Stelle des in seinen Gentes, Phratrien und Stämmen sich selbst schützenden wirk- lichen „Volks in Waffen" eine diesen Staatsbehörden dienstbare, also auch gegen das Volk verwendbare, bewaffnete „öffentliche Gewalt" trat davon können wir wenigstens das erste Stück nirgends besser ver- folgen als im alten Athen. Die Formverwandlungen sind im Wesentlichen von Morgan dargestellt, den sie erzeugenden ökonomischen Inhalt muss ich grossentheils hinzufügen.

Zur Heroenzeit sassen die vier Stämme der Athener in Attika noch auf getrennten Gebieten ; selbst die sie zusammensetzenden zwölf Phratrien scheinen in den zwölf Städten des Kekrops noch gesonderte Sitze gehabt zu haben. Die Verfassung war die der Heroenzeit : Volksversammlung, Volksrath, Basileus. Soweit die geschriebene Geschichte zurückreicht, war der Grund und Boden schon vertheilt und in Privateigenthum über- gegangen, wie dies der gegen Ende der Oberstufe der Barbarei bereits verhältnissmässig entwickelten Waaren- produktion und dem ihr entsprechenden Waarenhandel gemäss ist. Neben Korn wurde Wein und Oel gewonnen; der Seehandel auf dem Aegäischen Meer wurde mehr und mehr den Phöniziern entzogen und fiel grossen- theils in attische Hände. Durch den Kauf und Verkauf

74

von Grundbesitz, durch die fortschreitende Theilung der Arbeit zwischen Ackerbau und Handwerk, Handel und Schiffahrt, mussten die Angehörigen der Gentes^ Phratrien und Stämme sehr bald durcheinander kommen,, der Distrikt der Phratrie und des Stammes Bewohner erhalten, die, obwohl Volksgenossen, doch diesen Körper- schaften nicht angehörten, also in ihrem eignen Wohn- ort fremd waren. Denn jede Phratrie und jeder Stamm verwalteten in ruhigen Zeiten ihre Angelegenheiten selbst, ohne nach Athen zum Volksrath oder Basileus zu schicken. Wer aber im Gebiet der Phratrie oder des Stamms wohnte, ohne ihm anzugehören, konnte an dieser Verwaltung natürlich keinen Antheil nehmen.

Das geregelte Spiel der Organe der Gentilverfassung kam damit so in Unordnung, dass schon zur Heroenzeit Abhülfe nöthig wurde. Die dem Theseus zugeschriebne Verfassung wurde eingeführt. Die Aenderung bestand vor Allem darin, dass eine Centralverwaltung in Athen eingerichtet, d. h. ein Theil der bisher von den Stämmen selbständig verwalteten Angelegenheiten für gemein- same erklärt und dem in Athen sitzenden gemeinsamen ßath übertragen wurden. Hiermit gingen die Athener einen Schritt weiter als irgend ein eingebornes Volk in Amerika je gegangen : an die Stelle des blossen Bundes nebeneinander wohnender Stämme trat ihre Verschmelzung zu einem einzigen Volk. Damit ent- sprang ein athenisches allgemeines Volksrecht, das über den Rechtsbräuchen der Stämme und Gentes stand; der athenische Bürger erhielt, als solcher, bestimmte Rechte und neuen Rechtsschutz auch auf Gebiet, wo er stammesfremd war. Damit war aber der erste Schritt geschehn zur Untergrabung der Gentilverfassung ; denn es war der erste Schritt zur späteren Zulassung von Bürgern, die in ganz Attika staramesfremd waren, die ganz ausserhalb der athenischen Gentilverfassung stan- den und blieben. Eine zweite dem Theseus zugeschriebne Einrichtung war die Eintheilung des ganzen Volks, ohne Rücksicht auf Gens, Phratrie oder Stamm, in drei Klassen : Eupatriden oder Adlige, Geomoren oder Acker- bauer, und Demiurgen oder Handwerker, und die Ueber-

Weisung des ausschliesslichen Eechts der Aemterbesetzung an die Adligen. Diese Eintheilung blieb zwar, mit Aus- nahme der Aemterbesetzung durch den Adel, wirkungs- los, da die beiden andern Klassen keine besondern Rechte erhielten. Aber sie ist wichtig, weil sie uns die neuen gesellschaftlichen Elemente vorführt, die sich im Stillen entwickelt hatten. Sie zeigt, dass die ge- wohnheitsmässige Besetzung der G-entilämter aus ge- wissen Familien sich bereits zu einem wenig bestrittenen Anrecht dieser Familien auf die Aemter ausgebildet hatte, dass diese Familien, ausserdem mächtig durch Reichthum, anfingen, ausserhalb ihrer Grentes sich zu einer eignen bevorrechteten Klasse zusammenzuthun, und dass der eben erst aufkeimende Staat diese An- massung heiligte. Sie zeigt ferner, dass die Theilung der Arbeit zwischen Landbauern und Handwerkern be- reits genug erstarkt war, um der alten Grliederung nach G-entes und Stämmen den Vorrang in gesellschaftlicher Bedeutung streitig zu machen. Sie proklamirt endlich den unverträglichen Gegensatz zwischen G-entilgesell- schaft und Staat; der erste Versuch der Staatsbildung besteht darin, die Gentes zu zerreissen, indem er die Mitglieder einer jeden in Bevorrechtete und Zurück- gesetzte, und diese wieder in zwei Gewerbsklassen scheidet und so einander entgegensetzt.

Die politische Geschichte Athens von Einführung dieser Verfassung bis auf Solon ist nur unvollkommen bekannt. Das Amt des Basileus kam in Abgang; an die Spitze des Staats traten aus dem Adel gewählte Archonten. Die Herrschaft des Adels stieg mehr und mehr, bis sie gegen das Jahr 600 vor unsrer Zeitrech- nung unerträglich wurde. Und zwar war das Haupt- mittel zur Unterdrückung der gemeinen Freiheit das Geld und der Wucher. Der Hauptsitz des Adels war in und um Athen, wo der Seehandel, benebst noch immer gelegentlich mit in den Kauf genommenem See- raub, ihn bereicherte und den Geldreichthum in seinen Händen konzentrirte. Von hier aus drang die sich ent- wickelnde Geldwirthschaft wie zersetzendes Scheide- wasser in die auf Natural wirthschaft gegründete, alther-

76

gebrachte Daseinsweise der Landgemeinden. Die Gentil- verfassung ist mit Geldwirtlischaft absolut unverträglich; der Ruin der attischen Parzellenbauern fiel zusammen mit der Lockerung der sie schützend umschlingenden alten Grentilbande. Der Schuldschein und die Grutsverpfän- dung (denn auch die Hypothek hatten die Athener schon erfunden) kaunten weder Gens noch Phratrie. Und die alte G-entilverfassung kannte kein Geld, keinen Yorschuss, keine Geldschuld. Daher bildete die sich immer üppiger ausbreitende Geldherrschaft des Adels auch ein neues Gewohnheitsrecht aus zur Sicherung des Gläubigers gegen den Schuldner, zur Weihe der Ausbeutung des Kleinbauern durch den Geldbesitzer. Sämmtliche Feldfluren Attikas starrten von Pfandsäulen, an denen verzeichnet stand, das sie tragende Grund- stück sei dem und dem verpfändet um so und so viel Geld. Die Aecker , die nicht so bezeichnet, waren grossentheils bereits wegen verfallner Hypotheken oder Zinsen verkauft, in das Eigenthum des adligen Wucherers übergegangen ; der Bauer konnte froh sein, wenn ihm erlaubt wurde, als Pächter darauf sitzen zu bleiben und von einem Sechstel des Ertrags seiner Arbeit zu leben, während er fünf Sechstel dem neuen Herrn als Pacht zahlen musste. Noch mehr. Reichte der Erlös des verkauften Grundstücks nicht hin zur Deckung der Schuld, oder war diese Schuld ohne Siche- rung durch Pfand aufgenommen, so musste der Schuld- ner seine Kinder ins Ausland in die Sklaverei verkau- fen, um den Gläubiger zu decken. Verkauf der Kinder durch den Vater das war die erste Frucht des Vater- rechts und der Monogamie ! Und war der Blutsauger dann noch nicht befriedigt, so konnte er den Schuldner selbst als Sklaven verkaufen. Das war die angenehme Morgenröthe der Civilisation beim athenischen Volk.

Früher, als die Lebenslage des Volks noch der Gentilverfassung entsprach, war eine solche Umwälzung unmöglich; imd hier war sie gekommen, man wusste nicht wie. Gehn wir einen Augenblick zurück zu un- sern Irokesen. Dort war ein Zustand undenkbar, wie er sich jetzt den Athenern sozusagen ohne ihr Zuthun

77

und sicher gegen ihren Willen aufgedrängt hatte. Dort konnte die sich Jahraus Jahrein gleich bleibende Weise, den Lebensunterhalt zu produziren, nie solche, wie von Aussen aufgezwungne Konflikte erzeugen, keinen GTegen- satz von K.eich und Arm, von Ausbeutern und Aus- gebeuteten. Die Irokesen waren noch weit entfernt davon, die Natur zu beherrschen, aber innerhalb der für sie geltenden Naturgrenzen beherrschten sie ihre eigne Produktion. Abgesehn von schlechten Ernten in ihren Grärtchen, von Erschöpfung des Fischvorraths ihrer Seen und Flüsse, des Wildstandes ihrer Wälder, wussten sie, was bei ihrer Art, sich ihren Unterhalt zu erarbeiten, herauskam. Was herauskommen musste, war der Lebensunterhalt, ob er kärglicher oder reich- licher ausfiel; was aber nie herauskommen konnte, das waren unbeabsichtigte gesellschaftliche Umwälzungen, Zerreissung der Grentilbande, Spaltung der Gentil- und Stammgenossen in entgegengesetzte, einander bekäm- pfende Klassen. Die Produktion bewegte sich in den engsten Schranken ; aber die Produzenten beherrsch- ten ihr eignes Produkt. Das war der ungeheure Vor- zug der barbarischen Produktion, der mit dem Eintritt der Civilisation verloren ging und den wiederzuerobern, aber auf Grrundlage der jetzt errungenen gewaltigen Naturbeherrschung durch den Menschen und der jetzt möglichen freien Association, die Aufgabe der nächsten Generationen sein wird.

Anders bei den Griechen. Der aufgekommene Privat- besitz an Heerden und Luxusgeräth führte zum Aus- tausch z «tischen Einzelnen, zur Verwandlung der Pro- dukte in Waaren. Und hier liegt der Keim der ganzen folgenden Umwälzung. Sobald die Produzenten ihr Produkt nicht mehr direkt selbst verzehrten, sondern es im Austausch aus der Hand gaben, verloren sie die Herrschaft darüber. Sie wussten nicht mehr, was aus ihm wurde, und die Möglichkeit war gegeben, dass das Produkt dereinst verwandt werde gegen den Produ- zenten, zu seiner Ausbeutung und Unterdrückung. Darum kann keine Gesellschaft auf die Dauer die Herrschaft über ihre eigne Produktion, und die Kon-

78

trole über die gesellschaftlichen Wirkungen ihres Pro- duktionsprocesses behalten, die nicht den Austausch zwischen Einzelnen abschafft.

Wie rasch aber, nach dem Entstehn des Austausches zwischen Einzelnen, und mit der Verwandlung der Pro- dukte in Waaren, das Produkt seine Herrschaft über den Produzenten geltend macht, das sollten die Athener erfahren. Mit der Waarenproduktion kam die Bebauung des Bodens durch Einzelne für eigne Rechnung, damit bald das Grrundeigenthum Einzelner. Es kam ferner das Geld, die allgemeine Waare, gegen die alle andern austauschbar waren ; aber indem die Menschen das Geld erfanden, dachten sie nicht daran, dass sie damit wieder eine neue gesellschaftliche Macht schufen, die Eine allgemeine Macht, vor der die ganze Gesellschaft sich beugen musste. Und diese neue , ohne Wissen und Willen ihrer eignen Erzeuger plötzlich emporgesprungne Macht war es, die ihre Herrschaft, in der ganzen Bru- talität ihrer Jugendlichkeit, den Athenern zu fühlen gab.

Was war zu machen ? Die alte Gentilverfassung hatte sich nicht nur ohnmächtig erwiesen gegen den Siegeszug des Geldes ; sie war auch absolut unfähig, innerhalb ihres Rahmens selbst nur Raum zu finden für so etwas wie Geld, Gläubiger und Schuldner, Zwangseintreibung von Schulden. Aber die neue ge- sellschaftliche Macht war einmal da, und fromme Wünsche, Sehnsucht nach Rückkehr der guten alten Zeit, trieben Geld und Zinswucher nicht wieder aus der Welt. Und obendrein waren eine Reihe andrer, untergeordneter Breschen in die Gentilverfassung gelegt. Die Durcheinanderwürfelung der Gentilgenossen und Phratoren auf dem ganzen attischen Gebiet, namentlich in der Stadt Athen selbst, war von Geschlecht zu Ge- schlecht grösser geworden, trotzdem dass auch jetzt noch ein Athener zwar Grundstücke ausserhalb seiner Gens verkaufen durfte, nicht aber sein Wohnhaus. Die Theilung der Arbeit zwischen den verschiednen Pro- duktionszweigen : Ackerbau, Handwerk, im Handwerk wieder zahllose Unterarten, Handel, Schiffahrt u. s. w. hatte sich mit den Fortschritten der Industrie und des

79

Verkehrs immer vollständiger entwickelt ; die Bevölke- rung theilte sich nun nach ihrer Beschäftigung in ziemlich feste Gruppen, deren Jede eine Reihe neuer, gemeinsamer Interessen hatte, für die in der Gens oder Phratrie kein Platz war, die also zu ihrer Besorgung neue Aemter nöthig machten. Die Zahl der Sklaven hatte sich bedeutend vermehrt und muss schon damals ■die der freien Athener weit überstiegen haben ; die Gentilverfassung kannte ursprünglich keine Sklaverei, also auch kein Mittel, diese Masse Unfreier im Zaum zu halten. Und endlich hatte der Handel eine Menge Fremder nach Athen gebracht, die dort des leichtern Gelderwerbs wegen sich niederliessen und ebenfalls nach der alten Verfassung recht- und schutzlos, und trotz herkömmlicher Duldung ein störend fremdes Ele- ment im Volk blieben.

Kurz, mit der Gentilverfassung ging es zu Ende. Die Gesellschaft wuchs täglich mehr aus ihr heraus; selbst die schlimmsten Uebel, die unter ihren Augen -entstanden waren, konnte sie nicht hemmen noch heben. Aber der Staat hatte sich inzwischen im Stillen ent- wickelt. Die neuen, durch die Theilung der Arbeit :zuerst zwischen Stadt und Land, dann zwischen den verschiednen städtischen Arbeitszweigen geschaflFnen Gruppen hatten neue Organe geschaffen zur Wahrneh- mung ihrer Interessen ; Aemter aller Art waren ein- gerichtet worden. Und dann brauchte der junge Staat vor Allem eine eigne Macht, die bei den seefahrenden Athenern zunächst nur eine Seemacht sein konnte, zu ■einzelnen kleinen Kriegen und zum Schutz der Handels- schiffe. Es wurden, zu unbekannter Zeit vor Selon, die Naukrarien errichtet, kleine Gebietsbezirke, zwölf in jedem Stamm ; jede Naukrarie musste ein Kriegsschiff stellen, ausrüsten und bemannen und stellte ausserdem noch zwei Reiter. Diese Einrichtung griff die Gentil- verfassung zwiefach an. Erstens indem sie eine öffent- liche Gewalt schuf, die schon nicht mehr ohne Weiteres mit der Gesammtheit des bewaffneten Volks zusammen- fiel; und zweitens, indem sie zum ersten Mal das Volk zu öffentlichen Zwecken eintheilte, nicht nach Verwandt-

80

Schaftsgruppen, sondern nach örtlichem Zusammen- wohnen. Was das zu bedeuten hatte, wird sich zeigen.

Konnte die Gentilverfassung dem ausgebeuteten Yolk keine Hülfe bringen, so blieb nur der entstehende Staat. Und dieser brachte sie in der solonischen Ver- fassung, indem er sich zugleich neuerdings auf Kosten der alten Verfassung stärkte. Solon die Art, wie seine in das Jahr 594 vor unsre Zeitrechnung fallende Reform durchgesetzt wurde, geht uns hier nichts an Solon eröffnete die Keihe der sogenannten politischen Revolutionen und zwar mit einem Eingriff in das Eigen- thum. Alle bisherigen Revolutionen sind Revolutionen gewesen zum Schutz einer Art des Eigenthums gegen eine andere Art des Eigenthums. Sie können das eine nicht schützen, ohne das andere zu verletzen. In der grossen französischen Revolution wurde das feudale Eigenthum geopfert, um das bürgerliche zu retten ; in der solonischen musste das Eigenthum der Grläubiger herhalten zum Besten des Eigenthums der Schuldner. Die Schulden wurden einfach für ungültig erklärt. Die Einzelheiten sind uns nicht genau bekannt, aber Solon rühmt sich in seinen Gedichten, die Pfandsäulen von den verschuldeten Grundstücken entfernt und die wegen Schulden in 's Ausland Verkauften und Geflüchteten zurückgeführt zu haben. Dies war nur möglich durch offne Eigenthumsverletzung. Und in der That, von der ersten bis zur letzten sogenannten politischen Revolu- tion sind sie alle gemacht worden zum Schutz des Eigenthums einer Art und durchgeführt durch Konfiskation, auch genannt Diebstahl des Eigenthums einer andern Art. So wahr ist es, dass seit dritte- halb tausend Jahren das Privateigenthum hat erhalten werden können nur durch Eigenthumsverletzung.

Nun aber kam es darauf an, die Wiederkehr solcher Versklavung der freien Athener zu verhindern. Dies geschah zunächst durch allgemeine Massregeln, z. B. durch das Verbot von Schuldverträgen, worin die Per- son des Schuldners verpfändet wurde. Ferner wurde ein grösstes Mass des von einem Einzelnen zu be- sitzenden Grundeigenthums festgesetzt, um dem Heiss-

81

hunger des Adels nach dem Bauernland wenigstens einige Schranken zu ziehn. Dann aber kamen Ver- fassungsänderungen ; für uns sind die wichtigsten diese :

Der Rath wurde auf vierhundert Mitglieder gebracht, hundert aus jedem Stamm ; hier blieb also noch der Stamm die Grrundlage. Das war aber auch die einzige Seite, nach welcher hin die alte Verfassung in den neuen Staatskörper hineingezogen wurde. Denn im TJebrigen theilte Solon die Bürger in vier Klassen je nach ihrem Grrundbesitz und seinem Ertrag; 500, 300 und 150 Medimnen Korn (1 Medimnus ^ 15 frühere Berliner Motzen = ca. 41 Liter) waren die Minimal- erträge für die ersten drei Klassen ; wer weniger oder keinen Grrundbesitz hatte, fiel in die vierte Klasse. Alle Aemter konnten nur aus den obersten drei, die höchsten nur aus der ersten Klasse besetzt werden; die vierte Klasse hatte nur das Recht, in der Volks- versammlung zu reden und zu stimmen, aber hier wur- den alle Beamten gewählt, hier hatten sie Rechenschaft abzulegen, hier wurden alle Gesetze gemacht, und hier bildete die vierte Klasse die Majorität. Die aristokra- tischen Vorrechte wurden in der Form von Vorrechten des Reichthums theilweise erneuert, aber das Volk be- hielt die entscheidende Macht. Ferner bildeten die vier Klassen die Grundlage einer neuen Heeresorganisation. Die beiden ersten Klassen stellten die Reiterei; die dritte hatte als schwere Infanterie zu dienen; die vierte als leichtes, ungepanzertes Fussvolk oder auf der Flotte und wurde dann wahrscheinlich auch besoldet.

Hier wird also ein ganz neues Element in die Ver- fassung eingeführt : der Privatbesitz. Je nach der Grösse ihres Grundeigenthums werden die Rechte und Pflichten der Staatsbürger abgemessen, und soweit die Vermögens- klassen Einfluss gewinnen, soweit werden die alten Blutsverwandtschaftskörper verdrängt; die Gentil- verfassung hatte eine neue Niederlage erlitten.

Die Abmessung der politischen Rechte nach dem Vermögen war indess keine der Einrichtungen, ohne die der Staat nicht bestehn kann. Eine so grosse Rolle sie auch in der Verfassungsgeschichte der Staaten ge-

6

82

spielt hat, so haben doch sehr viele Staaten und grade die am vollständigsten entwickelten, ihrer nicht bedurft. Auch in Athen spielte sie nur eine vorübergehende Rolle; seit Aristides standen alle Aemter jedem Bürger offen.

Während der nächstfolgenden achtzig Jahre kam die athenische G-esellschaft allmälig in die Richtung, in der sie sich in den folgenden Jahrhunderten weiter entwickelt hat. Dem üppigen Landwucher der vor- solonischen Zeit war ein Riegel vorgeschoben, ebenso der masslosen Konzentration des G-rundbesitzes. Der Handel und das mit Sklavenarbeit immer mehr im Grossen betriebne Handwerk und Kunsthandwerk wur- den herrschende Erwerbszweige. Man wurde aufgeklär- ter. Statt in der anfänglichen brutalen Weise die eignen Mitbürger auszubeuten, beutete man vorwiegend die Sklaven und die ausserathenische Kundschaft aus. Der bewegliche Besitz, der Greldreichthura und der Reich- thum an Sklaven und Schiffen wuchs immer mehr, aber er war jetzt nicht mehr blosses Mittel zum Erwerb von Grundbesitz, wie in der ersten, bornirten Zeit, er war Selbstzweck geworden. Damit war einerseits der alten Adelsmacht eine siegreiche Konkurrenz erwachsen in der neuen Klasse von industriellen und kaufmänni- schen Reichen, andrerseits aber auch den Resten der alten G-entilverfassung der letzte Boden entzogen. Die Mitglieder der Grentes, Phratrien und Stämme waren über ganz Attika zerstreut und so vollständig durch- einander geworfen, dass sie zu politischen Körper- schaften ganz untauglich geworden; eine Menge athe- nischer Bürger gehörten gar keiner Grens an, sie waren Eingewanderte, die zwar in's Bürgerrecht, aber nicht in einen der alten Greschlechtsverbände aufgenommen worden ; daneben stand noch die stets wachsende Zahl der bloss schutzverwandten fremden Einwandcxer.

Während dessen gingen die Parteikämpfe voran ; der Adel suchte seine früheren Vorrechte wieder zu erobern und erlangte wieder für einen Augenblick die Oberhand, bis die Revolution des Kleisthenes (509 vor unsrer Zeitrechnung) ihn endgültig stürzte ; mit ihm aber auch den letzten Rest der Grentilverfassunff.

83

Kleisthenes, in seiner neuen Verfassung, ignorirte die vier alten auf Grentes und Phratrien begründeten Stämme. An ihre Stelle trat eine ganz neue Organi- sation auf Grund der schon in den Naukrarien ver- suchten Eintheilung der Bürger nach dem blossen Ort der Ansässigkeit. Nicht mehr die Zugehörigkeit zu den Geschlechtsverbänden, sondern nur der Wohnsitz ent- schied; nicht das Volk, sondern das Gebiet wurde ein- getheilt, die Bewohner wurden politisch blosses Zube- hör des Gebiets.

Ganz Attika wurde in hundert Gemeindebezirke, Demen, getheilt, deren Jeder sich selbst verwaltete. Die in jedem Demos ansäsigen Bürger (Demoten) er- wählten ihren Vorsteher (Demarch) und Schatzmeister, sowie dreissig Richter mit Gerichtsbarkeit über kleinere Streitsachen. Sie erhielten ebenfalls einen eignen Tem- pel und Schutzgott oder JBeroen, dessen Priester sie wählten. Die höchste Macht im Demos war bei der Versammlung der Demoten. Es ist, wie Morgan richtig bemerkt, das Urbild der selbstregierenden amerikani- schen Stadtgemeinde. Mit derselben Einheit, mit der der moderne Staat in seiner höchsten Ausbildung endigt, mit derselben fing der entstehende Staat in Athen an.

Zehn dieser Einheiten, Demen, bildeten einen Stamm, der aber zum Unterschied vom alten Geschlechtsstamm jetzt Ortsstamm genannt wird. Der Ortsstaram war nicht allein eine selbstverwaltende politische, er war auch eine militärische Körperschaft; er erwählte den Phylarchen oder Stammvorsteher, der die Reiterei, den Taxiarchen, der das Fussvolk, und den Strategen, der die gesammte im Stammesgebiet ausgehobene Mann- schaft befehligte. Er stellte ferner fünf Kriegsschiffe nebst Mannschaft und Befehlshaber, und erhielt einen attischen Heros, nach welchem er sich benannte, zum Schutzheiligen. Endlich wählte er fünfzig Rathsmänner in den athenischen Rath.

Den Abschluss bildete der athenische Staat, regiert von dem aus den fünfhundert Erwählten der zehn Stämme zusammengesetzten Rath und in letzter Instanz von der Volksversammlung, wo jeder athenische Bürger Zutritt

84

und Stimmreclit hatte ; daneben besorgten Archonten und andre Beamte die verschiednen Verwaltungszweige und Grerichtsbarkeiten. Ein oberster Beamter der voll- ziehenden Grewalt bestand in Athen nicht.

Mit dieser neuen Verfassung und mit der Zulassung einer sehr grossen Zahl Schutzverwandter, theils Ein- gewanderter, theils freigelassner Sklaven, waren die Organe der Greschlechterverfassung aus den öffentlichen Angelegenheiten hinausgedrängt; sie sanken herab zu Privatvereinen und religiösen Genossenschaften. Aber der moralische Einfluss, die überkommene Anschauungs- und Denkweise der alten Grentilzeit erbten sich noch lange fort und starben erst allmälig aus. Das zeigte sich bei einer ferneren staatlichen Einrichtung.

Wir sehen, dass ein wesentliches Kennzeichen des Staats in einer von der Masse des Volks unterschiednen öffentlichen Grewalt besteht. Athen hatte damals nur erst ein Volksheer und eine unmittelbar vom Volk ge- stellte Flotte ; diese schützten nach Aussen und hielten die Sklaven im Zaum, die schon damals die grosse Mehrzahl der Bevölkerung bildeten. Gregenüber den Bürgern bestand die öffentliche Grewalt zunächst nur als die Polizei, die so alt ist wie der Staat, wesshalb die naiven Franzosen des 18. Jahrhunderts auch nicht von civilisirten Völkern sprachen, sondern von polizirten (nations policees). Die Athener richteten also gleich- zeitig mit ihrem Staat auch eine Polizei ein, eine wahre Gendarmerie von Bogenschützen zu Fuss und zu Pferd Landjäger, wie man in Süddeutschland und der Schweiz sagt. Diese Gendarmerie aber wurde gebildet aus Sklaven. So entwürdigend kam dieser Schergendienst dem freien Athener vor, dass er sich lieber vom bewaffneten Sklaven verhaften Hess, als dass er selbst sich zu solcher Schmach hergab. Das war noch die alte Gentilgesinnung. Der Staat konnte ohne die Polizei nicht bestehn, aber er war noch jung, und hatte noch nicht moralischen Respekt genug, um ein Handwerk achtungswerth zu machen, das den alten Gentilgenossen nothwendig infam erschien.

Wie sehr der jetzt in seinen Hauptzügen fertige

85

Staat der neuen gesellschaftlichen Lage der Athener angemessen war, zeigt sich in dem raschen Aufblühen des Reichthuras, des Handels und der Industrie. Der Klassengegensatz, auf dem die gesellschaftlichen und politischen Einrichtungen beruhten, war nicht mehr der von Adel und gemeinem Volk, sondern der von Sklaven und Freien, Schutzverwandten und Bürgern. Zur Zeit der höchsten Blüte bestand die ganze athenische freie Bürgerschaft, Weiber und Kinder eingeschlossen, aus etwa 90,000 Köpfen, daneben 365,000 Sklaven beiderlei Greschlechts und 45,000 Schutzverwandte Fremde und Freigelassene. Auf jeden erwachsenen männlichen Bürger kamen also mindestens 18 Sklaven und über zwei Schutz verwandte. Die grosse Sklavenzahl kam daher, dass Viele von ihnen in Manufakturen, grossen Räumen unter Aufsehern zusammen arbeiteten. Mit der Entwicklung des Handels und der Industrie aber kam Akkumulation und Konzentration der Reichthümer in wenigen Händen , Verarmung der Masse der freien Bürger, denen nur die Wahl blieb, entweder der Sklavenarbeit durch eigne Handwerksarbeit Konkurrenz zu machen, was für schimpflich, banausisch, galt und auch wenig Erfolg versprach oder aber zu verlum- pen. Sie thaten, unter den Umständen mit Nothwendig- keit, das letztere, und da sie die Masse bildeten, rich- teten sie damit den ganzen athenischen Staat zu Grunde. Nicht die Demokratie hat Athen zu G-runde gerichtet, wie die europäischen, fürstenschweifwedelnden Schul- meister behaupten, sondern die Sklaverei, die die Arbeit des freien Bürgers ächtete.

Die Entstehung des Staats bei den Athenern ist ein besonders typisches Muster der Staatsbildung überhaupt, weil sie einerseits ganz rein, ohne Einmischung äusserer oder innerer Vergewaltigung vor sich geht die Usur- pation des Pisistratus hinterliess keine Spur ihrer kurzen Dauer weil sie andrerseits einen Staat von sehr hoher Formentwicklung, die demokratische Republik, unmittel- bar aus der Grentilgesellschaft hervorgehen lässt, und endlich weil wir mit allen wesentlichen Einzelnheiten hinreichend bekannt sind.

VI. Gens und Staat in Rom.

Aus der Sage von der GTründung Roms geht hervor, dass die erste Ansiedlung durch eine Anzahl zu einem Stamm vereinigter latinischer G-entes (der Sage nach hundert) erfolgte , denen sich bald ein sabellischer Stamm, der ebenfalls hundert Grentes gezählt haben soll, und endlich ein dritter, aus verschiedenen Elementen bestehender Stamm , wieder von angeblich hundert G-entes, anschloss. Die ganze Erzählung zeigt auf den ersten Blick, dass hier wenig mehr naturwüchsig war ausser der Grens, und diese selbst in manchen Fällen nur ein Ableger einer in der alten Heimath fortbestehen- den Muttergens. Die Stämme tragen an der Stirn den Stempel künstlicher Zusammensetzung, jedoch meist aus verwandten Elementen und nach dem Vorbild des alten gewachsenen , nicht gemachten Stamms ; wobei nicht ausgeschlossen bleibt , dass der Kern jedes der drei Stämme ein wirklicher, alter Stamm gewesen sein kann. Das Mittelglied, die Phratrie, bestand aus zehn G-entes und hiess Curie ; ihrer waren also dreissig.

Dass die römische Gens dieselbe Institution war wie die griechische, ist anerkannt ; ist die griechische eine Fortbildung derjenigen gesellschaftlichen Einheit, deren Urform uns die amerikanischen Rothhäute vorführen, so gilt dasselbe ohne Weiteres auch für die römische. Wir können uns hier also kürzer fassen.

Die römische G-ens hatte wenigstens in der ältesten Zeit der Stadt folgende Verfassung:

1) Clegenseitiges Erbrecht der G-entilgenossen ; das Vermögen blieb in der Grens. Da in der römischen

87

Grens wie in der griechischen schon Vaterrecht herrschte, waren die Nachkommen der weihlichen Linie ausge- schlossen. Nach dem Gresetz der zwölf Tafeln , dem ältesten uns bekannten geschriebnen römischen Recht, erbten zunächst die Kinder als Leibeserbtm; in deren Ermanglung die Agnaten (Verwandte in männlicher Linie) ; und in deren Abwesenheit die Gentilgenossen. In allen Fällen blieb das Vermögen in der Grens. Wir sehen hier das allmälige Eindringen neuer, durch ver- mehrten Reichthum und Monogamie verursachter Rechts- bestimmungen in den Gentilbrauch : das ursprüngliche gleiche Erbrecht der Grentilgenossen wird zuerst wohl schon früh, wie oben erwähnt durch Praxis auf die Agnaten beschränkt, endlich auf die Kinder und deren Nachkommen im Mannsstamm ; in den zwölf Tafeln er- scheint dies selbstverständlich in umgekehrter Ordnung. 2) Besitz eines gemeinsamen Begräbnissplatzes. Die patricische Grens Claudia erhielt bei ihrer Einwanderung aus Regilli nach Rom ein Stück Land für sich ange- wiesen, dazu in der Stadt einen gemeinsamen Begräb- nissplatz. Noch unter Augustus wurde der nach Rom gekommene. Kopf des im Teutobui'ger Wald gefallenen Varus in der Grabstätte der Grens Quinctilia (gentilitius tumulus) beigesetzt.

3) Gremeinsame religiöse Feiern. Diese, die sacra gentilitia, sind bekannt.

4) Verpflichtung, nicht in der Grens zu heirathen. Dies scheint in Rom nie in ein geschriebnes Gesetz verwandelt worden zu sein, aber die Sitte blieb. Von der Unmasse römischer Ehepaare, deren Namen uns aufbewahrt, hat kein einziges gleichen Gentilnamen für Mann und Frau. Das Erbrecht beweist diese Regel ebenftills. Die Frau verliert durch die Heirath ihre agnatischen Rechte, tritt aus ihrer Gens, weder sie noch ihre Kinder können von ihrem Vater oder dessen Brüdern erben, weil sonst das Erbtheil der väterlichen Gens verloren ginge. Dies hat Sinn nur unter der Vor- aussetzung, dass die Frau keinen Gentilgenossen hei- rathen kann.

5) Ein gemeinsamer Grundbesitz. Dieser war in der

Urzeit stets vorhanden , sobald das Stammland anfing getheilt zu werden. Unter den latinischen Stämmen finden wir den Boden theils im Besitz des Stammes, theils der Glens, theils der Haushaltungen, welche nicht noth wendig Einzelfarailien waren. Romulus soll die ersten Landtheilungen an Einzelne gemacht haben, ungefähr eine Hektare (zwei Jugera) auf jeden. Doch finden wir noch später (Irundbesitz in den Händen der Grentes, vom Staatsland gar nicht zu sprechen, um das sich die ganze innere Gi-eschichte der Republik dreht.

6) Pflicht der G-entilgenossen zu gegenseitigem Schutz und Beistand. Davon zeigt uns die geschriebne Greschichte nur noch Trümmer ; der römische Staat trat gleich von vornherein mit solcher Uebermacht auf, dass das Recht des Schutzes gegen Unbill auf ihn überging. Als Appius Claudius verhaftet wurde, legte seine ganze Gens Trauer an, selbst die seine persönlichen Feinde waren. Zur Zeit des zweiten punischen Kriegs ver- banden sich die Gentes zur Auslösung ihrer kriegs- gefangnen Gentilgenossen ; der Senat verbot es ihnen.

7) Recht den Gentilnamen zu tragen. Blieb bis in die Kaiserzeit; den Freigelassenen erlaubte man, den Gentilnamen ihrer ehemaligen Herren anzunehmen, doch ohne Gentilrechte.

8) Recht der Adoption Fremder in die Gens. Dies geschah durch Adoption in eine Familie (wie bei den Indianern), die die Aufnahme in die Gens mit sich führte.

9) Das Recht, den Vorsteher zu wählen und abzu- setzen, wird nirgends erwähnt. Da aber in der ersten Zeit Roms alle Aemter durch Wahl oder Ernennung besetzt wurden, vom Wahlkönig abwärts, und auch die Priester der Curien von diesen gewählt, so dürfen wir für die Vorsteher (principes) der Gentes dasselbe an- nehmen — so sehr auch die Wahl aus einer und der- selben Familie in der Gens schon Regel geworden sein mochte.

Das waren die Befugnisse einer römischen Gens. Mit Ausnahme des bereits vollendeten Uebergangs zum Vaterrecht, sind sie das treue Spiegelbild der Rechte

89

und Pflichten einer irokesischen Grens ; auch hier „guckt der Irokese unverkennbar durch."

Noch fast dreihundert Jahre nach GTründung Roms waren die GTentilbande so stark, dass eine patricische Gens, die der Fabier, mit Einwilligung des Senats einen Kriegszug gegen die Nachbarstadt Veji auf eigne Paust unternehmen konnte. 306 Fabier sollen aus- gezogen und in einem Hinterhalt sämmtlich erschlagen worden sein ; ein einziger zurückgebliebner Knabe habe die Grens fortgepflanzt.

Zehn Grentes bildeten, wie gesagt, eine Phratrie, die hier Curie hiess, und wichtigere öffentliche Befug- nisse erhielt als die griechische Phratrie. Jede Curie hatte ihre eignen Religionsübungen, Heiligthümer und Priester ; diese letzteren, in ihrer Gresammtheit, bildeten eins der römischen Priesterkollegien. Zehn Curien bildeten einen Stamm , der wahrscheinlich , wie die übrigen latinischen Stämme , ursprünglich einen ge- wählten Vorsteher Heerführer und Oberpriester hatte. Die Gresammtheit der drei Stämme bildete das römische Volk, den Populus Romanus.

Dem römischen Volk konnte also nur angehören, wer Mitglied einer Grens, und durch sie einer Curie und eines Stammes war. Die erste Verfassung dieses Volkes war folgende. Die öffentlichen Angelegenheiten wurden besorgt zunächst durch den Senat, der, wie Niebuhr zuerst richtig gesehn, aus den Vorstehern der dreihundert Gentes zusammengesetzt war ; eben dess- wegen, als Gentilälteste, hiessen sie Väter, patres, und ihre Gesammtheit Senat (Rath der Aeltesten, von senex, alt). Die gewohnheitsmässige Wahl aus immer derselben Familie jeder Gens rief auch hier den ersten Stammes- adel in's Leben; diese Familien nannten sich Patricier und nahmen ausschliessliches Recht des Eintritts in den Senat und alle andern Aemter in Anspruch. Dass das Volk sich diesen Anspruch mit der Zeit gefallen Hess und er sich in ein wirkliches Recht verwandelte, drückt die Sage dahin aus, dass Romulus den ersten Senatoren und ihren Nachkommen das Patriciat mit dessen Vor- rechten ertheilt habe. Der Senat, wie die athenische

90

Bule, hatte die Entscheidung in vielen Angelegenheiten, die Vorberathung in wichtigeren und namentlich bei neuen Gesetzen. Diese wurden entschieden durch die Volksversammlung, genannt Comitia curiata (Versamm- lung der Curien). Das Volk kam zusammen, in Curien gruppirt, in jeder Curie wahrscheinlich nach Gentes , bei der Entscheidung hatte jede der dreissig Curien eine Stimme. Die Versammlung der Curien nahm an oder verwarf alle Gesetze, wählte alle höhern Beamten, mit Einschluss des Rex (sogenannten Königs), erklärte Krieg (aber der Senat sckloss Frieden) und entschied als höchstes Gericht, auf Berufung der Betheiligten, in allen Eällen, wo es sich um Todesstrafe gegen einen römischen Bürger handelte. Endlich stand neben Senat und Volksversammlung der Eex, der genau dem griechischen Basileus entsprach, und keineswegs der fast absolute König war , als den Mommsen ihn dar- stellt. *) Auch er war Heerführer, Oberpriester und Vorsitzer in gewissen Gerichten. Civilbefugnisse oder Macht über Leben, Freiheit und Eigenthum der Bürger hatte er durchaus nicht, soweit sie nicht aus der Dis- ciplinargewalt des Heerführers oder der urtheilsvoll- streckenden Gewalt des Gerichtsvorsitzers entsprangen. Das Amt des Rex war nicht erblich; er wurde im Gegentheil, wahrscheinlich auf Vorschlag des Amtsvor- gängers, von der Versammlung der Curien zuerst ge- gewählt und dann in einer zweiten Versammlimg feier- lich eingesetzt. Dass er auch absetzbar war, beweist das Schicksal des Tarquinius Superbus.

*) Das lateinische Rex ist das celtiscli-irische righ (Stammesvor- Bteher) und das gothische reiks ; dass dies ebenfalls, wie ursprüng- lich auch unser Fürst (d. h. wie englisch first, dänisch forste, der erste) Gentil- oder Stammesvorsteher bedeutete, geht hervor daraus, dass die Gothen schon im vierten Jahrhundert ein besonderes Wort für den späteren König, den Heerführer eines gesammten Volkes, besasscn : thiudans. Artaxerxes und Herodes heissen in Ulfilas Bibelübersetzung nie reiks, sondern thiudans, und das Reich des Kaisers Tiberius nicht reiki, sondern thiudinassus. Im Namen des gothischen Thi-idans, oder wie wir ungenau übersetzen , Königs Thiudareiks, Theodorich, d. h. Dietrich, fliessen beide Benennungen zusammen.

91

Wie die Grriechen zur Heroenzeit, lebten also die Römer zur Zeit der sogenannten Könige in einer auf Grentes, Phratrien und Stämmen begründeten und aus ihnen entwickelten militäriscben Demokratie. Mochten auch die Curien und Stämme zum Theil künstliche Bildungen sein, sie waren geformt nach den ächten, naturwüchsigen Vorbildern der Gresellschaft, aus der sie hervorgegangen und die sie noch auf allen Seiten um- gab. Mochte auch der naturwüchsige patricische Adel bereits Boden gewonnen haben, mochten die Keges ihre Befugnisse allmälig zu erweitern suchen das ändert den ursprünglichen Grrundcharakter der Verfassung nicht, und auf diesen allein kommt es an.

Inzwischen vermehrte sich die Bevölkerung der Stadt ßom und des römischen, durch Eroberung erweiterten G-ebiets theils durch Einwanderung, theils durch die Bewohner der unterworfnen, meist latinischen Bezirke. Alle diese neuen Staatsangehörigen (die Frage wegen der Klienten lassen wir hier bei Seite) standen ausser- halb der alten Grentes , Curien und Stämme , bildeten also keinen Theil des populus romanus, des eigentlichen römischen Volks. Sie waren persönlich freie Leute, konnten Grrundeigenthum besitzen, mussten steuern und Kriegsdienste leisten. Aber sie konnten keine Aemter bekleiden und weder an der Versammlung der Curien theilnehmen, noch an der Vertheilung der eroberten Staatsländereien. Sie bildeten die von allen öffentlichen Rechten ausgeschlossene Plebs. Durch ihre stets wach- sende Zahl, ihre militärische Ausbildung und Bewaff- nung wurden sie eine drohende Macht gegenüber dem alten, gegen allen Zuwachs von Aussen jetzt fest ab- geschlossenen Populus. Dazu kam, dass der Grrundbesitz zwischen Populus und Plebs ziemlich gleichmässig ver- theilt gewesen zu sein scheint, während der allerdings noch nicht sehr entwickelte kaufmännische und indu- strielle Reichthum wohl vorwiegend bei der Plebs war. Bei der grossen Dunkelheit, worin die ganz sagen- hafte Urgeschichte Roms gehüllt ist eine Dunkelheit, noch bedeutend verstärkt durch die rationalistisch-prag- matischen Deutungsversuche und Berichte der späteren

92

juristisch gebildeten Quellenschriftsteller ist es un- möglich, weder über Zeit, noch Verlauf, noch Anlass der Revolution etwas Bestimmtes zu sagen, die der alten Grentilverfassung ein Ende machte. Glewiss ist nur, dass ihre Ursache in den Kämpfen zwischen Plebs und Populus lag.

Die neue, dem Rex Servius Tullius zugeschriebne, sich an griechische Muster, namentlich Solon, anlehnende Verfassung schuf eine neue Volksversammlung, die ohne Unterschied Populus und Plebejer ein- oder ausschloas, je nachdem sie Kriegsdienste leisteten oder nicht. Die ganze wafFenpflichtige Mannschaft wurde nach dem Vermögen in sechs Klassen eingetheilt. Der ge- ringste Besitz in jeder der fünf Klassen war: I, 100,000 Ass; II, 75,000; III, 50,000; IV, 25,000; V, 11,000 Ass; nach Dureau de la Malle gleich unge- fähr 14,000, 10,000, 7000, 5000 und 1600 Mark. Die sechste Klasse, die Proletarier, bestand aus den weniger Begüterten , Dienst- und Steuerfreien. In der neuen Volksversammlung der Centurien (Comitia Centuriata) traten die Bürger militärisch an, kompagnieweise in ihren Centurien zu hundert Mann , und jede X'enturie hatte eine Stimme. Nun aber stellte die erste Klasse 80 Centurien; die zweite 22, die dritte 20, die vierte 22, die fünfte 30, die sechste des Anstands halber auch eine. Dazu kamen die aus den Reichsten gebildeten Reiter mit 18 Centurien; zusammen 193; Majorität der Stimmen: 97. Nun hatten die Reiter und die erste Klasse zusammen allein 98 Stimmen, also die Majorität ; waren sie einig, wurden die übrigen gar nicht gefragt, der gültige Beschluss war gefasst.

Auf diese neue Versammlung der Centurien gingen nun alle politischen Rechte der früheren Versammlung der Curien (bis auf einige nominelle) über; die Curien und die sie zusammensetzenden G-entes wurden dadurch, wie in Athen, zu blossen Privat- und religiösen Gre- nossenschaften degradirt, und vegetirten als solche noch lange fort, während die Versammlung der Curien bald ganz einschlief. Um auch die alten drei Greschlechter- stämme aus dem Staat zu verdrängen, wurden vier

93

Ortsstämme , deren jeder ein Viertlieil der Stadt be- wohnte, mit einer Reihe von politischen Rechten ein- geführt.

Somit war auch in Rom, schon vor der Abschaffung des sogenannten Königthums, die alte auf persönlichen Blutbanden beruhende Gesellschaftsordnung gesprengt und eine neue, auf Grebietseintheilung und Vermögens- unterschied begründete, wirkliche Staatsverfassung an ihre Stelle gesetzt. Die öffentliche G-ewalt bestand hier in der kriegsdienstpflichtigen Bürgerschaft , gegenüber nicht nur den Sklaven, sondern auch den vom Heeres- dienst und der Bewaffnung ausgeschlossenen sogenannten Proletariern.

Innerhalb dieser neuen Verfassung, die bei der Ver- treibung des letzten, wirkliche Königsgewalt usurpiren- 'den Rex Tarquinius Superbus und Ersetzung des Rex durch zwei Heerführer (Consuln) mit gleicher Amts- gewalt (wie bei den Irokesen) nur weiter ausgebildet wurde innerhalb dieser Verfassung bewegt sich die ganze G-eschichte der römischen Republik mit allen ihren Kämpfen der Patricier und Plebejer um den Zu- gang zu den Aemtern und die Betheiligung an den Staatsländereien , mit dem endlichen Aufgehen des Patricieradels in der neuen Klasse der grossen Grund- nmd Geldbesitzer, die allmälig allen Grundbesitz der durch den Kriegsdienst ruinirten Bauern aufsogen, die 80 entstandenen enormen Landgüter mit Sklaven bebau- ten, Italien entvölkerten und damit nicht nur dem Kaiser- thum die Thür öffneten, sondern [auch seinen Nachfol- gern, den deutschen Barbaren.

Vn. Die Gens bei Gelten und Deutschen.

Der Raum verbietet uns, auf die nocli jetzt bei den verschiedensten wilden und barbarischen Yölkern, in reinerer oder getrübterer Form bestehenden Grentilinsti- tutionen einzugehn, oder auf die Spuren davon in der älteren G-eschichte der asiatischen Kulturvölker. Hier nur einige kurze Notizen über die Grens bei den Gelten und Grermanen.

Die ältesten erhaltenen celtischen Grösetze zeigen uns die Grens noch in vollem Leben; in Irland lebt sie wenigstens instinctiv im Yolksbewusstsein noch heute, nachdem die Engländer sie gewaltsam gesprengt; in Schottland stand sie noch Mitte des vorigen Jahrhun- derts in voller Blüthe und erlag auch hier nur den Waffen, der Gresetzgebung und den Glerichtshöfen der Engländer.

Die altwalisischen Gresetze, die mehrere Jahrhunderte vor der englischen Eroberung, spätestens im elften Jahr- hundert, niedergeschrieben wurden, zeigen noch gemein- schaftlichen Ackerbau ganzer Dörfer, wenn auch nur als ausuahmsweisen Rest früherer allgemeiner Sitte; jede Familie hatte 5 Acker zur eignen Bebauung ; ein Stück wurde daneben gemeinsam bebaut und der Ertrag vertheilt. Dass diese Dorfgemeinden Grentes repräsen- tiren, oder Unterabtheilungen von Grentes, ist bei der Analogie von Irland und Schottland nicht zu bezweifeln, selbst wenn eine erneuerte Prüfung der walisischen Gresetze, zu der mir die Zeit fehlt (meine Auszüge sind vom Jahr 1869), dies nicht direkt beweisen sollte. Was aber die walisischen Quellen, und mit ihnen die irischen,

-^ 95

direkt beweisen, ist, dass bei den Gelten die Paarungs- ehe im elften Jcihrhundert noch keineswegs durch die Monogamie verdrängt war. In Wales wurde eine Ehe erst unlöslich oder besser unkündbar nach sieben Jahren. Fehlten nur drei Nächte an den sieben Jahren, so konnten die Gratten sich trennen. Dann wurde getheilt: die Frau theilte, der Mann wählte sein Theil. Die Möbel wurden nach gewissen , sehr humoristischen Regeln getheilt. Löste der Mann die Ehe, so musste er der Frau ihre Mitgift und einiges Andre zurück- geben ; war es die Frau , so erhielt sie weniger. Yon den Kindern bekam der Mann zwei, die Frau eines, und zwar das mittelste. Wenn die Frau nach der Scheidung einen andern Mann nahm, und der erste Mann holte sie sich wieder, so musste sie ihm folgen, auch wenn sie schon einen Fuss im neuen Ehebett hatte. Waren die Beiden aber sieben Jahre zusammen- gewesen, so waren sie Mann und Frau, auch ohne vor- herige förmliche Heirath. Keuschheit der Mädchen vor der Heirath wurde durchaus nicht streng eingehalten oder gefordert; die hierauf bezüglichen Bestimmungen sind äusserst frivoler Natur und keineswegs der bürger- lichen Moral gemäss. Beging eine Frau einen Ehebruch, so durfte der Mann sie prügeln (einer der drei Fälle, wo ihm dies erlaubt, sonst verfiel er in Strafe), dann aber weiter keine G-enugthuung fordern, denn „für das- selbe Vergehen soll entweder Sühnung sein oder Rache, aber nicht beides zugleich." Die G-ründe, auf die hin die Frau die Scheidung verlangen durfte, ohne in ihren Ansprüchen bei der Auseinandersetzung zu verlieren, waren sehr umfassender Art : übler Athem des Mannes genügte. Das au den Stammeshäuptling oder König zu zahlende Loskaufgeld für das Recht der ersten Nacht (gobr merch, daher der mittelalterliche Name marcheta, französisch marquette) spielt eine grosse Rolle im Ge- setzbuch. Die Weiber hatten Stimmrecht in den Volks- versammlungen. Fügen wir hinzu, dass in Irland ähn- liche Verhältnisse bezeugt sind; dass dort ebenfalls Ehen auf Zeit ganz gebräuchlich und der Frau bei der Trennung genau geregelte, grosse Begünstigungen, sogar

96

Entschädigung für ihre häuslichen Dienste zugesichert waren; dass dort eine „erste Frau" neben andern Frauen vorkommt und bei Erbtheilungen zwischen ehelichen und unehelichen Kindern kein Unterschied gemacht wird so haben wir ein Bild der Paarungsehe, wo- gegen die in Nordamerika gültige Eheform streng er- scheint, wie es aber im elften Jahrhundert bei einem Volk nicht verwundern kann, das noch zu Cäsar's Zeit in der Grruppenehe lebte.

Die irische Gens (Sept, der Stamm heisst Clainne, Clan) wird nicht nui" durch die alten Rechtsbücher, sondern auch durch die, zur Verwandlung des Clan- landes in Domäne des englischen Königs hinüber- gesandten englischen Juristen des siebzehnten Jahrhun- derts bestätigt und beschrieben. Der Boden war bis zu dieser letzten Zeit Gremeineigenthum des Clans oder der Grens, soweit er nicht bereits von den Häuptlingen in ihre Privatdomäne verwandelt worden war. Wenn ein Grentilgenosse starb, also eine Haushaltung einging, so nahm der Vorsteher (caput cognationis nannten ihn die englischen Juristen) eine neue Landtheilung des ganzen Gebiets unter den übrigen Haushaltungen vor. Diese muss im Ganzen nach den in Deutschland gültigen Regeln erfolgt sein. Noch jetzt finden sich einige vor vierzig oder fünfzig Jahren sehr zahlreiche Dorf- fluren in 8. g. Rundale. Die Bauern, Einzelpächter des früher der Gens gemeinsam gehörigen, vom eng- lischen Eroberer geraubten Bodens, zahlen jeder die Pacht für sein Stück, werfen aber das Acker- und Wiesenland aller Stücke zusammen, theilen es nach Lage und Qualität in „Gewanne", wie es an der Mosel heisst, und geben jedem seinen Antheil in jedem Gewann; Moor- und Weideland wird gemeinsam genutzt. Noch vor fünfzig Jahren wurde von Zeit zu Zeit, manchmal jährlich, neu umgetheilt. Die Flurkarte eines solchen Rundale-Dorfes sieht ganz genau so aus wie die einer deutschen Gehöferschaft an der Mosel oder im Hoch- wald. Auch in den Factions lebt die Gens fort. Die irischen Bauern theilen sich oft in Parteien, die auf scheinbar ganz widersinnigen oder sinnlosen Unterschie-

97

den "berulieii, den Engländern ganz unverständlicli sind, und keinen andern Zweck zu haben scheinen als die beliebten solennen Prügeleien der einen Faktion gegen die andre. Es sind künstliche Wiederbelebungen, nach- geborner Ersatz für die zersprengten Glentes, die die Fortdauer des ererbten Grentilinstinkts in ihrer Weise darthun. In manchen Gregenden sind übrigens die Gentil- genossen noch ziemlich auf dem alten Gebiet zusammen; so hatte noch in den dreissiger Jahren die grosse Mehr- zahl der Bewohner der Grafschaft Monaghan nur vier Familiennamen, d. h. stammte aus vier Gentes oder Clans.

In Schottland datirt der Untergang der Gentilord- nung von der Niederwerfung des Aufstandes von 1745. Welches Glied dieser Ordnung der schottische Clan speziell darstellt, bleibt noch zu untersuchen ; dass er aber ein solches, ist unzweifelhaft. In Walter Scott's Romanen sehn wir diesen hochschottischen Clan lebendig vor uns. Er ist, sagt Morgan, „ein vortreffliches Muster- bild der Gens in seiner Organisation und in seinem Geist, ein schlagendes Beispiel der Herrschaft des Gentil- lebens über die Gentilen. ... In ihren Fehden und in ihrer Blutrache, in der Gebietsvertheilung nach Clans, in ihrer gemeinsamen Bodennutzung, in der Treue der Clanglieder gegen den Häuptling und gegen einander finden wir die überall wiederkehrenden Züge der Gentilgesellschaft .... Die Abstammung zählte nach Vaterrecht, so dass die Kinder der Männer in den Clans blieben , während die der Weiber in den Clans ihrer Väter übertraten." Dass aber in Schottland früher Mutterrecht herrschte, beweist die Thatsache, dass in der königlichen Familie der Pikten, nach Beda, weib- liche Erbfolge galt. Ja selbst ein Stück Punalua-Familie hatte sich , wie bei den Walisern, so bei den Skoten, bis in's Mittelalter bewahrt in dem Recht der ersten Nacht, das der Clanhäuptling oder der König als letzter Vertreter der früheren gemeinsamen Ehemänner bei jeder Braut auszuüben berechtigt war, sofern es nicht abge- kauft wurde. Dasselbe Recht in Nordamerika kommt es im äussersten Nordwesten vielfach vor galt auch

7

98

"bei den Russen, wo die Grossfürstin Olga es im zehnten Jahrhundert abschaffte.

Die in Frankreich, besonders in Nivernais und der Franche-Comte bis zur Revolution bestehenden kom- munistischen Haushaltungen leibeigner Familien, ähn- lich den slavischen Familiengemeinden in den serbisch- kroatischen Gregenden, sind ebenfalls Reste früherer gentiler Organisation. Sie sind noch nicht ganz aus- gestorben, man sieht z. B. bei Louhans (Saone et Loire) noch eine Menge grosser, eigenthümlich gebauter Bauern- häuser mit gemeinsamem Centralsaal und Schlafkammern rings herum, von mehreren Oenerationen derselben Fa- milie bewohnt.

Dass die Deutschen bis zur Völkerwanderung in Gentes organisirt waren, ist unzweifelhaft. Sie können das Gebiet zwischen Donau, Rhein, Weichsel und den nördlichen Meeren erst wenige Jahrhunderte vor unsrer Zeitrechnung besetzt haben ; die Cimbern und Teutonen waren noch in voller Wanderung, und die Sueven fanden erst zu Cäsars Zeit feste Wohnsitze. Yon ihnen sagt Cäsar ausdrücklich, sie hätten sich nach Gentes und "Verwandtschaften (gentibus cognationibusque) nieder- gelassen, und im Munde eines Römers der gens Julia hat dies Wort gentibus eine nicht wegzudemonstrirende bestimmte Bedeutung. Dies galt von allen Deutschen 5 selbst die Ansiedlung in den eroberten Römerprovinzen geschah noch nach Gentes. Im alamannischen Volks- recht des achten Jahrhunderts wird genealogia gradezu mit Markgenossenschaft gleichbedeutend gesetzt; so dass wir hier ein deutsches Volk, und zwar wiederum Sueven, nach Geschlechtern, gentes, angesiedelt, und jeder Gens einen bestimmten Bezirk zugewiesen sehn. Bei den Bur- gundern und Langobarden hiess die Gens fara, und die Bezeichnung für Gentilgenossen (faramanni) wird im burgundischen Volksrecht gradezu gleichbedeutend mit Burgunder gebraucht, im Gegensatz zu den romanischen Einwohnern, die natürlich nicht in den burgundischen Gentes einbegriffen waren. Die Landtheilung ging also

99

auch in Burgiind nacli Grentes vor sicli. So löst sicli die Frage wegen der faramanni, an der sich die ger- manischen Juristen seit hundert Jahren vergebens die Köpfe zerbrochen. Dieser Name fara für Grens hat schwerlich allgemein bei den Deutschen gegolten, ob- wohl wir ihn hier sowohl bei einem Volk gothischer, wie bei einem andern herminonischer (hochdeutscher) Abstammung finden. Die im Deutschen für Verwandt- schaft angewandten Sprachwurzeln sind sehr zahlreich, und werden gleichmässig für Ausdrücke angewandt, bei denen wir Beziehung zur G-ens voraussetzen dürfen. Wie bei Mexikanern und Grriechen, war auch bei den Deutschen die Schlachtordnung, sowohl die Reiter- schwadron wie die Keilkolonne des Fussvolks, nach Grentilkörperschaften gegliedert ; wenn Tacitus sagt : nach Familien und Verwandtschaften, so erklärt sich dieser unbestimmte Ausdruck daher, dass zu seiner Zeit die Gens in Rom längst aufgehört hatte, eine lebendige Vereinigung zu sein.

Der entscheidendste Beweis aber ist eine Stelle bei Tacitus, wo es heisst : der Mutterbruder sieht seinen Neffen an wie seinen Sohn, ja Einige halten das Blut- band zwischen mütterlichem Onkel und Neffen noch heiliger und enger als das zwischen Vater und Sohn, so dass, wenn Greisein gefordert werden, der Schwester- sohn für eine grössere Garantie gilt als der eigne Sohn dessen, den man binden will. Hier haben wir ein lebendiges Stück aus der nach Mutterrecht organisirten, also ursprünglichen Gens, und zwar als etwas die Deutschen besonders Auszeichnendes.*) Wurde von

*) Die aus der Zeit des Mutterrechts stammende besonders engte Natur des Bandes zwischen mütterlichem Onkel und Neffen kennen die Griechen nur noch in der Mythologie der Heroenzeit. Nach Diodor IV, 34 erschlägt Meleager die Söhne des Thestius, die Brüder seiner Mutter Althäa. Diese sieht in dieser That einen 80 unsühnbaren Frevel, dass sie dem Mörder, ihrem eignen Sohn, flucht und ihm den Tod anwünscht. „Die Götter erhörten, wie man erzählt, ihre "Wünsche und machten dem Leben des Meleager ein Ende." Nach demselben Diodor (IV, 44) landen die Argonauten unter Herakles in Thracien und finden dort, dass Phineus seine mit

100

Grenossen einer solchen Gens der eigne Sohn zum Pfand eines G-elöbnisses gegeben und fiel als Opfer bei Ver- tragsbruch des Vaters , so hatte dieser das mit sich selbst auszumachen. War es aber der Schwestersohn, der geopfert wurde, so war das heiligste GTentilrecht verletzt ; der nächste, zum Schutz des Knaben oder Jünglings vor allen Andern verpflichtete Gentilver- wandte hatte seinen Tod verschuldet; entweder durfte er ihn nicht verpfänden oder er musste den Vertrag halten. Hätten wir sonst nicht eine Spur von Gentil- verfassung bei den Deutschen, diese eine Stelle würde hinreichen.

Im Uebrigen war das Mutterrecht zu Tacitus Zeit bei den Deutschen schon dem Vaterrecht gewichen : die Kinder erbten vom Vater ; wo keine Kinder waren, die Brüder und die Onkel von Vaters- und Mutters- seite. Die Zulassung des Mutterbruders zur Erbschaft hängt mit der Erhaltung der eben erwähnten Sitte zusammen und beweist ebenfalls, wie jung das Vater- recht damals noch bei den Deutschen war. Auch bis tief in's Mittelalter finden sich Spuren von Mutterrecht. Damals noch scheint man der Vaterschaft, namentlich bei Leibeignen, nicht recht getraut zu haben; wenn also ein Feudalherr von einer Stadt einen entlaufnen Leibeignen zurückforderte, musste z. B. in Augsburg, Basel und Kaiserslautern die Leibeigenschaft des Ver- klagten beschworen werden von sechs seiner nächsten Blutsverwandten und zwar ausschliesslich von Mutter- seite. (Maurer, Städtevf. I, S. 381.)

Einen ferneren Rest des eben erst absterbenden Mutterrechts bietet die dem Römer fast unbegreifliche Achtung der Deutschen vor dem weiblichen Greschlecht. Jungfrauen aus edler Familie galten für die bindendsten

Beiner verstossenen Gemahlin, der Boreade Kleopatra, erzeugten beiden Söhne auf Antreiben seiner neuen Gemahlin schmählich misshandelt. Aber unter den Argonauten sind auch Boreaden, Brüder der Kleopatra, also Mutterbrüder der Misshandelten. Sie nehmen sich sofort ihrer Neffen an, befreien sie und erschlagen die "Wächter.

ioi

Geiseln bei Verträgen mit den Deutschen ; der Gedanke daran, dass ihre Frauen in Gefangenschaft und Skla- verei fallen können, ist ihnen fürchterlich und stachelt mehr als alles Andere ihren Muth in der Schlacht; etwas Heiliges und Prophetisches sehn sie in der Frau, sie hören auf ihren Rath auch in den wichtigsten An- gelegenheiten, wie denn Veleda, die brukterische Prie- sterin an der Lippe, die treibende Seele des ganzen Bataveraufstandes war, in dem Civilis an der Spitze von Deutschen und Belgiern die ganze Römerherrschaft in Gallien erschütterte. Im Hause scheint die Herr- schaft der Frau unbestritten ; sie, die Alten und Kinder haben freilich auch alle Arbeit zu besorgen, der Mann jagt, trinkt oder faulenzt. So sagt Tacitus; da er aber nicht sagt, wer den Acker bestellt, und bestimmt er- klärt, die Sklaven leisteten nur Abgaben, aber keine Frohnarbeit, so wird die Masse der erwachsenen Männer doch wohl die wenige Arbeit haben thun müssen, die der Landbau erforderte.

Die Form der Ehe war, wie schon oben gesagt, eine allmälig der Monogamie sich nähernde Paarungs- ehe. Strikte Monogamie war es noch nicht, da Viel- weiberei der Vornehmen gestattet war. Im Ganzen wurde streng auf Keuschheit der Mädchen gehalten (im Gegensatz zn den Gelten) und ebenso spricht Tacitus mit einer besondern Wärme von der Unver- brüchlichkeit des Ehebandes bei den Deutschen. Nur Ehebruch der Frau gibt er als Scheidungsgrund an. Aber sein Bericht lässt hier Manches lückenhaft und trägt ohnehin den, den liederlichen Römern vorgehalt- nen Tugendspiegel gar zu sehr zur Schau. So viel ist sicher: waren die Deutschen in ihren Wäldern diese ausnahmsweisen Tugendritter, so hat es nur geringer Berührung mit der Aussenwelt bedurft, um sie auf das Niveau der übrigen europäischen Durchschnittsmensch- heit herunterzulDringen ; die letzte Spur der Sitten- strenge verschwand unter den Römern noch weit rascher als die deutsche Sprache. Man lese nur Gregor von Tours. Dass in den deutschen Urwäldern nicht die raffinirte Ueppigkeit der Sinnenlust herrschen konnte

__ 102

wie in Eom, verstellt sich von selbst, und so bleibt den Deutschen auch in dieser Beziehung noch Vorzug genug vor der Eömerwelt, ohne dass wir ihnen eine Enthaltsamkeit in fleischlichen Dingen andichten, die nie und nirgends bei einem ganzen Volk geherrscht hat.

Der Gentilverfassung entsprungen ist die Verpflich- tung, die Feindschaften des Vaters oder der Verwandten ebenso zu erben wie die Freundschaften ; ebenso das Wergeid, die Busse, anstatt der Blutrache, für Todt- schlag oder Verletzungen. Dies Wergeid, das noch vor einem Menschenalter als eine specifisch deutsche Institution angesehn wurde, ist jetzt bei Hunderten von Völkern als allgemeine Milderungsform der aus der Grentilordnung entspringenden Blutrache nachge- wiesen. Wir finden es, ebenso wie die Verpflichtung zur Grastfreundschaft, unter andern bei den amerika- nischen Indianern ; die Beschreibung, wie die Grast- freundschaft nach Tacitus (Grermania c. 21) ausgeübt wurde, ist fast bis in die Einzelnheiten dieselbe, die Morgan von seinen Indianern gibt.

Der heisse und endlose Streit darüber, ob die Deutschen des Tacitus das Ackerland schon endgültig aufgetheilt oder nicht, und wie die betreffenden Stellen zu deuten, gehört jetzt der Vergangenheit an. Seitdem die gemeinsame Bebauung des Ackerlands durch die Grens und später durch kommunistische Familiengemein- den, die Cäsar noch bei den Sueven bezeugt, und die ihr folgende Landzuweisung an einzelne Familien mit periodischer Neu-Auftheilung fast bei allen Völkern nachgewiesen, seitdem festgestellt ist, dass diese perio- dische Wiedervertheilung des Ackerlands in Deutsch- land selbst stellenweise bis auf unsre Tage sich erhalten hat, ist darüber kein Wort weiter zu verlieren. Wenn die Deutschen von dem gemeinsamen Landbau, den Cäsar den Sueven ausdrücklich zuschreibt (getheilten oder Privatacker gibt es bei ihnen durchaus nicht, sagt er) in den 150 Jahren bis zu Tacitus übergegangen waren zur Einzelbebauung mit jährlicher Neuvertheilung des Bodens, so ist das wahrlich Fortschritt genug ; der Uebergang von jener Stufe zum vollen Privateigenthum

103

am Boden während jener kurzen Zwischenzeit und ohne jede fremde Einmischung schliesst eine einfache Un- möglichkeit ein. Ich lese also im Tacitus nur, was er mit dürren Worten sagt: sie wechseln (oder theilen neu um) das bebaute Land jedes Jahr und es bleibt Gremeinland genug dabei übrig. Es ist die Stufe des Ackerbaus und der Boden- Aneignung, die der damaligen Grentilverfassung der Deutschen genau entspricht.

Während bei Cäsar die Deutschen theils eben erst zu festen Wohnsitzen gekommen sind, theils noch solche suchen, haben sie zu Tacitus Zeit schon ein volles Jahrhundert der Ansässigkeit hinter sich; dem ent- sprechend ist der Fortschritt in der Produktion des Lebensunterhalts unverkennbar. Sie wohnen in Block- häusern; ihre Kleidung ist noch sehr waldursprünglich; grober Wollenmantel, Thierfelle, für Frauen und Vor- nehme leinene Unterkleider. Ihre Nahrung ist Milch, Fleisch, wilde Früchte, und, wie Plinius hinzufügt, Haferbrei (noch jetzt celtische Nationalkost in Irland und Schottland). Ihr Reichthum besteht in Vieh; dies aber ist von schlechter Race, die Rinder klein, unan- sehnlich, ohne Hörner ; die Pferde kleine Ponies und keine Renner. Greld wurde selten und wenig gebraucht, nur römisches. Gold und Silber verarbeiteten sie nicht und achteten seiner nicht. Eisen war selten und scheint wenigstens bei den Stämmen an Rhein und Donau fast nur eingeführt, nicht selbstgewonnen zu sein. Die Runenschrift (griechischen oder lateinischen Buchstaben nachgeahmt) war nur als Geheimschrift bekannt und wurde nur zu religiöser Zauberei gebraucht. Menschen- opfer waren noch im Gebrauch. Kurz, wir haben hier ein Yolk vor uns, das sich soeben aus der Mittelstufe der Barbarei auf die Oberstufe erhoben hatte. Während aber die an die Römer unmittelbar angrenzenden Stämme durch die erleichterte Einfuhr römischer Industriepro- dukte an der Entwicklung einer selbständigen Metall- und Textilindustrie verhindert wurden, bildete sich eine solche im Nordosten, an der Ostsee, ganz unzweifelhaft aus. Die in den schleswigschen Mooren gefundenen Rüstungsstücke langes Eisenschwert, Kettenpanzer,

104

Silberhelm etc., mit römischen Münzen vom Ende des zweiten Jahrhunderts und die durch die Völker- wanderung verbreiteten deutschen Metallsachen zeigen einen ganz eignen Typus von nicht geringer Ausbil- dung, selbst wo sie sich an ursprünglich römische Muster anlehnen. Die Auswanderung in das civilisirte Römerreich machte dieser einheimischen Industrie überall ein Ende, ausser in England. Wie einheitlich diese Industrie entstanden und fortgebildet war, zeigen z. B. die bronzenen Spangen ; die in Burgund, in Rumänien, am Asow'schen Meer gefundenen könnten mit eng- lischen und schwedischen aus derselben Werkstatt her- vorgegangen sein, und sind ebenso unbezweifelt ger- manischen Ursprungs.

Der Oberstufe der Barbarei entspricht auch die Verfassung. Allgemein bestand nach Tacitus der Rath der Vorsteher (principes), der geringere Sachen ent- schied, wichtigere aber für die Entscheidung der Volks- versammlung vorbereitete ; diese selbst besteht auf der Unterstufe der Barbarei wenigstens da wo wir sie kennen, bei den Amerikanern, nur erst für die GTens, noch nicht für den Stamm oder den Stämmebund. Die Vorsteher (prin- cipes) scheiden sich noch scharf von den Kriegsführem (duces), ganz wie bei den Irokesen. Erstere leben schon zum Theil von Ehrengeschenken an Vieh, Korn etc. von den Stammesgenossen ; sie werden, wie in Amerika, meist aus derselben Familie gewählt; der Uebergang zum Vaterrecht begünstigt, wie in G-riechenland und Rom, die allmälige Verwandlung der Wahl in Erblich- keit und damit die Bildung einer Adelsfamilie in jeder Grens. Dieser alte, sogenannte Stammesadel ging meist unter in der Völkerwanderung oder doch bald nachher. Die Heerführer wurden ohne Rücksicht auf Abstammung, bloss nach der Tüchtigkeit gewählt. Sie hatten wenig Grewalt und mussten durch's Beispiel wirken 5 die eigent- liche Disciplinargewalt beim Heer legt Tacitus ausdrück- lich den Priestern bei. Die wirkliche Macht lag bei der Volksversammlung. Der König oder Stamraesvorsteher präsidirt; das Volk entscheidet nein: durch Murren; ja: durch Akklamation und WafFenlärm. Sie ist zugleich

105

(lerichtsversammlung ; hier werden Klagen vorgebracht und abgenrtheilt, hier Todesurtheile gefällt, und zwar steht der Tod nur auf Feigheit, Volks verrath und un- natürlicher Wollust. Auch in den Grentes und andern Unterabtheilungen richtet die Gresammtheit unter Vor- sitz des Vorstehers, der, wie in allem deutschen ur- sprünglichen Grericht, nur Leiter der Verhandlung und Fragesteller gewesen sein kann ; Urtheilsfinder war von jeher und überall bei Deutschen die Gresammtheit.

Bünde von Stämmen hatten sich seit Cäsars Zeit ausgebildet 5 bei einigen von ihnen gab es schon Könige; der oberste Heerführer, wie bei Grriechen und Römern, strebte bereits der Tyrannis zu und erlangte sie zu- weilen. Solche glückliche Usurpatoren waren nun keines- wegs unbeschränkte Herrscher ; aber sie fingen doch schon an, die Fesseln der Grentilverfassung zu brechen. Während sonst freigelassne Sklaven eine untergeordnete Stellung einnahmen, weil sie keiner Gens angehören konnten, kamen solche Grünstlinge bei den neuen Köni- gen oft zu Rang, Reichthum und Ehren. Grleiches ge- schah nach der Eroberung des Römerreichs von den nun zu Königen grosser Länder gewordnen Heerführern. Bei den Franken spielten Sklaven und Freigelassne des Königs erst am Hof, dann im Staat eine grosse Rolle ; zum grossen Theil stammt der neue Adel von ihnen ab.

Eine Einrichtung begünstigte das Aufkommen des Königthums : die Gefolgschaften. Schon bei den ame- rikanischen Rothhäuten sahen wir, wie sich neben der Gentilverfassung Privatgesellschaften zur Kriegführung auf eigne Faust bilden. Diese Privatgesellschaften waren bei den Deutschen bereits ständige Vereine geworden. Kriegsführer, die sich einen Ruf erworben, versammelten eine Schaar beutelustiger junger Leute um sich, ihm zu persönlicher Treue, wie er ihnen, verpflichtet. Der Führer verpflegte und beschenkte sie, ordnete sie hierarchisch; eine Leibgarde und schlagfertige Truppe zu kleineren, ein fertiges Oftizierkorps für grössere Auszüge. Schwach wie diese Gefolgschaften gewesen sein müssen und auch z. B. bei Odovaker in Italien später erscheinen, so bildeten sie doch schon den Keim

106

des Verfalls der alten Yolksfreiheit und bewährten sich als solche in und nach der Völkerwanderung. Denn erstens begünstigten sie das Aufkommen der könig- lichen Grewalt. Zweitens aber konnten sie, wie schon Tacitus bemerkt, zusammengehalten werden nur durch fortwährende Kriege und Raubzüge. Der Raub wurde Zweck. Hatte der Gefolgsherr in der Nähe nichts zu thun, so zog er mit seiner Mannschaft zu andern Völ- kern, bei denen es Krieg und Aussicht auf Beute gab ; die deutschen Hülfsvölker, die unter römischer Fahne selbst gegen Deutsche in grosser Menge fochten, waren zum Theil durch solche Gefolgschaften zusammen- gebracht. Das Landsknechtswesen, die Schmach und der Fluch der Deutschen, war hier schon in der ersten Anlage vorhanden. Nach Eroberung des Römerreichs bildeten diese Gefolgsleute der Könige neben den un- freien und römischen Hofbedienten den zweiten Haupt- bestandtheil des späteren Adels.

Im Ganzen gilt also für die zu Völkern verbündeten deutschen Stämme dieselbe Verfassung, wie sie sich bei den Griechen der Heroenzeit und den Römern der so- genannten Königszeit entwickelt hatte : Volksversamm- lung, Rath der Gentilvorsteher, Heerführer, der schon einer wirklichen königlichen Gewalt zustrebt. Es war die ausgebildetste Verfassung, die die Gentilordnung überhaupt entwickeln konnte ; sie war die Muster- verfassung der Oberstufe der Barbarei. Schritt die Ge- sellschaft hinaus über die Grenzen, innerhalb deren diese Verfassung genügte, so war es aus mit der Gentil- ordnung; sie wurde gesprengt, der Staat trat an ihre Stelle.

Vin. Die Staatsbildung der Deutsclien.

Die Deutsclien waren nach Tacitus ein sehr zahl- reiches Volk. Eine ungefähre Yorstellung von der Stärke deutscher Einzelvölker erhalten wir bei Cäsar ; er gibt die Zahl der auf dem linken Rheinufer erschienenen TJsipeter und Tenkterer auf 180,000 Köpfe an, Weiber und Kinder eingeschlossen. Also etwa 100,000 auf ein Einzelvolk,*) schon bedeutend mehr als z. B. die Gre- sammtheit der Irokesen in ihrer Blütezeit, wo sie, nicht 20,000 Köpfe stark, der Schrecken des ganzen Landes wurden, von den grossen Seen bis an den Ohio und Potomac. Ein solches Einzelvolk nimmt auf der Karte, wenn wir versuchen, die in der Nähe des Rheins an- gesessenen, genauer bekannten nach den Berichten zu gruppiren, im Durchschnitt ungefähr den Raum eines preussischen Regierungsbezirks ein, als etwa 10,000 Quadratkilometer oder 182 geographische Quadratmeilen. Germania Magna der Römer aber, bis an die Weichsel, umfasst in runder Zahl 500,000 Quadratkilometer. Bei einer durchschnittlichen Kopfzahl der Einzelvölker von 100,000, würde die Gesammtzahl für Germania Magna sich auf fünf Millionen berechnen 5 für eine barbarische

*) Die hier angenommene Zahl wird bestätigt durch eine Stelle Diodors über die gallischen Gelten : „In Gallien wohnen viele Völker- schaften Ton ungleicher Stärke. Bei den grössten beträgt die Menschenzahl ungefähr 200,000, bei den kleinsten 50,000." (Dio- dorus Siculu^, V, 25.) Also durchschnittlich 125,000; die gallischen Einzelvölker sind, bei ihrem hölieren Entwicklungsstand, unbedingt etwas zahlreicher anzunehmen als die deutschen.

- 108 - ^

Yölkergruppe eine ansehnliche Zahl, für unsre Verhält- nisse — 10 Köpfe auf den Quadratkilometer oder 550 auf die geographische Quadratmeile äusserst gering. Damit aber ist die Zahl der damals lebenden Deutschen keineswegs erschöpft. Wir wissen, dass die Karpathen entlang bis zur Donaumündung hinab deutsche Völker j gothischen Stamms wohnten, Bastarner, Peukiner und ' andre, so zahlreich, dass Plinius aus ihnen den fünften Hauptstamm der Deutschen zusammensetzt und dass sie, die schon 180 vor unsrer Zeitrechnung im Sold- dienst des makedonischen Königs Perseus auftreten, noch in den ersten Jahren des Augustus bis in die Gregend von Adrianopel vordrangen. Rechnen wir sie nur für eine Million, so haben wir als wahrscheinliche Anzahl der Deutschen zu Anfang unsrer Zeitrechmmg mindestens sechs Millionen.

Nach der Niederlassung in Germanien muss sich die Bevölkerung mit steigender Geschwindigkeit vermehrt haben; die oben erwähnten industriellen Fortschritte allein würden dies beweisen. Die schleswig'schen Moor- funde sind, nach den zugehörigen römischen Münzen, aus dem dritten Jahrhundert. Um diese Zeit herrschte also schon an der Ostsee ausgebildete Metall- und Textilindustrie , reger Verkehr mit dem Eömerreich und ein gewisser Luxus bei Reicheren Alles Spuren dichterer Bevölkerung, um diese Zeit aber beginnt auch der allgemeine Angriffskrieg der Deutschen auf der ganzen Linie des Rheins, des römischen Grenzwalls und der Donau, von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer direkter Beweis der immer stärker werdenden, nach Aussen drängenden Volkszahl. Dreihundert Jahre dauerte der Kampf, während dessen der ganze Haupt- stamm gothischer Völker (mit Ausnahme der skandi- navischen Gothen und der Burgunder) nach Südosten zog und den linken Flügel der grossen Angriffslinie bildeten, in deren Centrum die Hochdeutschen (Her- minonen) an der Ober-Donau und auf dessen rechtem .Flügel die Iskävonen, jetzt Franken genannt, am Ehein vordrangen ; den Ingävonen fiel die Eroberung Britan- niens zu. Am Ende des fünften Jahrhunderts lag das

109

ßömerreicli entkräftet, blutlos und hülfios den ein- dringenden Deutschen offen.

Wir standen oben an der Wiege der antiken grie- chischen und römischen Civilisation. Hier stehn wir an ihrem Sarg. üeber alle Länder des Mittelmeer- Beckens war der nivellirende Hobel der römischen Weltherrschaft gefahren, und das Jahrhunderte lang. Wo nicht das Grriechische Widerstand leistete, hatten alle Nation alsprachen einem verdorbenen Lateinisch weichen müssen ; es gab keine Nationalunterschiede, keine Grallier, Iberer, Ligurer, Noriker mehr, sie alle waren Eömer geworden. Die römische Verwaltung und das römische Recht hatten überall die alten Greschlechter- verbände aufgelöst, und damit den letzten Rest lokaler und nationaler Selbstthätigkeit. Das neugebackne Römerthum bot keinen Ersatz ; es drückte keine Natio- nalität aus, sondern nur den Mangel einer Nationalität. Die Elemente neuer Nationen waren überall vorhanden ; die lateinischen Dialekte der verschiednen Provinzen schieden sich mehr und mehr ; die natürlichen Grenzen, die Italien, G-allien, Spanien, Afrika früher zu selbst- ständigen Grebieten gemacht hatten, waren noch vor- handen und machten sich auch noch fühlbar. Aber nir- gends war die Kraft vorhanden, diese Elemente zu neuen Nationen zusammenzufassen ; nirgends war noch eine Spur von Entwicklungsfähigkeit, von Widerstands- kraft, geschweige von Schaffungs vermögen. Die unge- heure Menschenmasse des ungeheuren Grebiets hatte nur ein Band, das sie zusammenhielt : den römischen Staat, und dieser war mit der Zeit ihr schlimmster Feind und Unterdrücker geworden. Die Provinzen hatten Rom vernichtet; Rom selbst war eine Provinzialstadt ge- worden wie die andern bevorrechtet, aber nicht länger herrschend, nicht länger Mittelpunkt des Welt- reichs, nicht einmal mehr Sitz der Kaiser und Unter- kaiser, die in Konstantinopel, Trier, Mailand wohnten. Der römische Staat war eine riesige, komplicirte Ma- schine geworden, ausschliesslich zur Aussaugung der Unterthanen. Steuern und Lieferungen aller Art drück- ten die Masse der Bevölkerung in immer tiefere Ar-

110

muth; bis zur Unerträgliclikeit wurde der Druck ge- steigert durch die Erpressungen der Statthalter, Steuer- eintreiber, Soldaten. Dahin hatte es der römische Staat mit seiner Weltherrschaft gebracht : er gründete sein Existenzrecht auf die Erhaltung der Ordnung nach Innen und den Schutz gegen die Barbaren nach Aussen. Aber seine Ordnung war schlimmer als die ärgste Un- ordnung, und die Barbaren, gegen die er die Bürger zu schützen vorgab , wurden von diesen als Retter ersehnt.

Der Gresellschaftszustand war nicht weniger ver- zweifelt. Schon seit den letzten Zeiten der Republik war die Römerherrschaft auf rücksichtslose Ausbeutung der eroberten Provinzen ausgegangen ; das Kaiserthum hatte diese Ausbeutung nicht abgeschafft, sondern im Gregentheil geregelt. Je mehr das Reich verfiel, desto höher stiegen Steuern und Leistungen, desto schamloser raubten und erpressten die Beamten. Handel und In- dustrie waren nie Sache der völkerbeherrschenden Römer gewesen ; nur im Zinswucher hatten sie Alles übertroffen, was vor und nach ihnen war. Was sich von Handel vorgefunden und erhalten hatte, ging zu G-runde unter der Beamten-Erpressung; was sich noch durchschlug, fällt auf den östlichen, griechischen Theil des Reichs, der ausser unsrer Betrachtung liegt. All- gemeine Verarmung, Rückgang des Verkehrs, des Hand- werks, der Kunst, Abnahme der Bevölkerung, Verfall der Städte, Rückkehr des Ackerbaus auf eine niedrigere Stufe das war das Endresultat der römischen Welt- herrschaft.

Der Ackerbau, in der ganzen alten Welt der ent- scheidende Produktionszweig, war es wieder mehr als je. In Italien waren die, seit Ende der Republik fast das ganze (iebiet einnehmenden ungeheuren Grüterkom- plexe (Latifundien) auf zweierlei Weise verwerthet worden. Entweder als Viehweide, wo die Bevölkerung durch Schafe und Ochsen ersetzt war, deren Wartung nur wenige Sklaven erforderte. Oder als Villen, die mit Massen von Sklaven Grartenbau in grossem Styl trieben, theils für den Luxus des Besitzers, theils für

111

den Absatz auf den städtischen Märkten. Die grossen Viehweiden hatten sich erhalten und wohl noch aus- gedehnt ; die Villen guter und ihr Gartenbau waren ver- kommen mit der Verarmung ihrer Besitzer und dem Verfall der Städte. Die auf Sklavenarbeit gegründete Latifundienwirthschaft rentirte sich nicht mehr ; sie war aber damals die einzig mögliche Form der grossen Agri- kultur. Die Kleinkultur war wieder die allein lohnende Form geworden. Eine Villa nach der andern wurde in kleine Parzellen zerschlagen und ausgegeben an Erb- pächter, die eine bestimmte Summe zahlten, oder partiarii, mehr Verwalter als Pächter, die den sechsten oder gar nur neunten Theil des Jahresprodukts für ihre Arbeit er- hielten. Vorherrschend aber wurden diese kleinen Acker- parzellen an Kolonen ausgethan, die dafür einen be- stimmten jährlichen Betrag zahlten, an die Scholle gefesselt waren und mit ihrer Parzelle verkauft werden konnten ; sie waren zwar keine Sklaven, aber auch nicht frei, konnten sich nicht mit Freien verheirathen und ihre Ehen unter einander werden nicht als voll- gültige Ehen, sondern wie die der Sklaven als blosse Beischläferei (contubernium) angesehn. Sie waren die Vorläufer der mittelalterlichen Leibeignen.

Die antike Sklaverei hatte sich überlebt. Weder auf dem Lande in der grossen Agrikultur, noch in den städtischen Manufakturen gab sie einen Ertrag mehr, der der Mühe werth war der Markt für ihre Pro- dukte war ausgegangen. Der kleine Ackerbau aber und das kleine Handwerk, worauf die riesige Produk- tion der Blütezeit des Reichs zusammengeschrumpft war, hatte keinen E.aum für zahlreiche Sklaven. Nur für Haus- und Luxussklaven der Reichen war noch Platz in der Gesellschaft. Aber die absterbende Skla- verei war immer noch hinreichend, alle produktive Ar- beit als Sklaventhätigkeit, als freier Römer und das war ja jetzt Jedermann unwürdig erscheinen zu lassen. Daher einerseits wachsende Zahl der Frei- lassungen überflüssiger, zur Last gewordener Sklaven, andrerseits Zunahme der Kolonen hier, der verlumpten Freien (ähnlich den poor whites der Ex-Sklavenstaaten

112

Amerikas) dort. Das Cliristenthiim ist am allmäligen Aussterben der antiken Sklaverei vollständig unschul- dig. Es hat die Sklaverei Jahrhunderte lang im Römer- reich mitgemacht, und später nie den Sklavenhandel der Christen verhindert, weder den der Deutschen im Norden, noch den der Venetianer im Mittelmeer, noch den späteren Negerhandel.*) Die Sklaverei bezahlte sich nicht mehr, darum starb sie aus. Aber die ster- bende Sklaverei Hess ihren giftigen Stachel zurück in der Aechtung der produktiven Arbeit der Freien. Hier war die ausweglose Sackgasse, in der die römische Welt stak : die Sklaverei war ökonomisch unmöglich, die Arbeit der Freien war moralisch geächtet. Die eine konnte nicht mehr, die andre noch nicht, Grund- form der gesellschaftlichen Produktion sein. Was hier allein helfen konnte, war nur eine vollständige Re- volution.

In den Provinzen sah es nicht besser aus. Wir haben die meisten Nachrichten aus Gallien. Neben den Kolonen gab es hier noch freie Kleinbauern. Um gegen Vergewaltigung durch Beamte, Richter und Wucherer gesichert zu sein, begaben sich diese häufig in den Schutz, das Patronat eines Mächtigen ; und zwar nicht nur Einzelne thaten dies, sondern ganze Ge- meinden, so dass die Kaiser im vierten Jahrhundert mehrfach Verbote dagegen erliessen. Aber was half es den Schutzsuchenden? Der Patron stellte ihnen die Bedingung, dass sie das Eigenthum ihrer Grundstücke an ihn übertrügen, wogegen er ihnen die Nutzniessung auf Lebenszeit zusicherte ein Kniff, den die heilige Kirche sich merkte und im 9. und 10. Jahrhundert zur Mehrung des Reiches Gottes und ihres eignen Grund- besitzes weidlich nachahmte. Damals freilich, gegen das Jahr 475, eifert der Bischof Salvianus von Marseille

*) Nach dem Bischof Liutprand von Cremona war im 10. Jahr- hundert in Verdun, also im heiligen deutschen Reich, der Haupt- industriezweig die Fabrikation von Eunuchen, die mit grossem Profit nach Spanien für die maurischen Harems exportirt wurden.

113

noch entrüstet gegen solchen Diebstahl und erzählt, der Druck der römischen Beamten und grossen Grrund- herren sei so arg geworden, dass viele „Römer" in die schon von Barbaren besetzten Gregenden flöhen und die dort ansässigen römischen Bürger vor nichts mehr Angst hätten, als wieder unter römische Herrschaft zu kommen. Dass damals Eltern häufig aus Armuth ihre Kinder in die Sklaverei verkauften, beweist ein dagegen erlassenes Gresetz.

Dafür, dass die deutschen Barbaren die Eömer von ihrem eignen Staat befreiten, nahmen sie ihnen zwei Drittel des gesammten Bodens und theilten ihn unter sich. Die Theilung geschah nach der Gentilverfassung; bei der verhältnissmässig geringen Zahl der Eroberer blieben sehr grosse Striche ungetheilt, Besitz theils des ganzen Volks, theils der einzelne Stämme und Grentes. In jeder Grens wurde das Acker- und Wiesenland unter die einzelnen Haushaltungen zu gleichen Theilen ver- loost ; ob in der ersten Zeit wiederholte Auftheilungen stattfanden, wissen wir nicht, jedenfalls verloren sie sich in den Römerprovinzen bald und die Einzelantheile wurden veräusserliches Privateigenthum, Alod. Wald und Weide blieb ungetheilt zu gemeinsamer Xutzung ; diese Nutzung sowie die Art der Bebauung der auf- getheilten Flur wurde geregelt nach altem Brauch und nach Beschluss der Gesammtheit. Je länger die Grens in ihrem Dorfe sass, und je mehr Deutsche und Römer allmälig verschmolzen, desto mehr trat der ver- wandtschaftliche Charakter des Bandes zurück vor dem territorialen ; die Grens verschwand in der Markgenossen- schaft, in der allerdings noch oft genug Spuren des Ursprungs aus Verwandtschaft der Genossen sichtbar sind. So ging hier die Gentilverfassung, wenigstens in den Ländern, wo die Markgemeinschaft sich erhielt Nordfrankreich, England, Deutschland und Skandi- navien — unmerklich in eine Ortsverfassung über und erhielt damit die Fähigkeit der Einpassung in den Staat. Aber sie behielt dennoch den naturwüchsig demokra- tischen Charakter bei, der die ganze Gentilverfassung auszeichnet, und erhielt so selbst in der ihr später

114

aufgezwiingnen Ausartung ein Stück Gentilverfassung und damit eine Waffe in den Händen der Unterdrückten lebendig bis in die neuste Zeit.

Wenn so das Blutband in der Grens bald verloren ging, so war dies die Folge davon, dass auch im Stamm und Gresammtvolk seine Organe ausarteten in Folge der Eroberung. Wir wissen, dass Herrschaft über Unter- worfene mit der Grentilverfassung unverträglich ist. Hier sehen wir dies auf grossem Massstab. Die deutschen Völker, Herren der Römerprovinzen, hatten diese ihre Eroberung zu organisiren. Weder aber konnte man die Römermassen in die Grentilkörper aufnehmen, noch sie ver- mittelst dieser beherrschen. An die Spitze der, zunächst grossentheils fortbestehenden, römischen lokalen Ver- waltungskörper musste man einen Ersatz für den römi- schen Staat stellen, und dieser konnte nur ein andrer Staat sein. Die Organe der Grentilverfassung mussten sich so in Staatsorgane verwandeln , und dies , dem Drang der Umstände gemäss, sehr rasch. Der nächste Repräsentant des erobernden Volks war aber der Heer- führer. Die Sicherung des eroberten Glebiets nach Innen und Aussen forderte Stärkung seiner Macht. Der Augen- blick war gekommen zur Verwandlung der Feldherrn- schaft in Königthum : sie vollzog sich.

Nehmen wir das Frankenreich. Hier waren dem sieg- reichen Volk der Salier nicht nur die weiten römischen Staatsdomänen, sondern auch noch alle die sehr grossen Landstrecken als Volksbesitz zugefallen, die nicht an die grösseren und kleineren Grau- und Markgenossen- schaften vertheilt waren, namentlich alle grösseren Wald- komplexe. Das erste, was der aus einem einfachen obersten Heerfahrer in einen wirklichen Landesfürsten verwandelte Frankenkönig that, war, dies Volkseigen- thum in königliches Grut zu verwandeln, es dem Volk zu stehlen und an sein Grefolge zu verschenken oder zu verleihen. Dies Grefolge, ursprünglich seine persön- liche Kriegsgefolgschaft und die übrigen Unterführer des Heers, verstärkte sich bald nicht nur durch Römer, d. h. ronianisirte Grallier, die ihm durch ihre Schreiber-

115

kunst, ihre Bildung, ihre Kenntniss der romanisclien Landessprache und lateinischen Schriftsprache, sowie des Landesrechts bald unentbehrlich wurden, sondern auch durch Sklaven, Leibeigne und Treigelasseue, die seinen Hofstaat ausmachten und aus denen er seine Grünstlinge wählte. An alle diese wurden Stücke des Yolkslandes zuerst meist verschenkt, später in der Form von Beneficion zuerst meist auf Lebenszeit des Königs verliehen und so die Grundlage eines neuen Adels auf Kosten des Volks geschaffen.

Damit nicht genug. Die weite Ausdehnung des Eeichs war mit den Mitteln der alten G-entilverfassung nicht zu regieren ; der Rath der Vorsteher, war er nicht längst abgekommen, hätte sich nicht versammeln können und wurde bald durch die ständige Umgebung des Königs ersetzt ; die alte Volksversammlung blieb zum Schein bestehn, wurde aber ebenfalls mehr und mehr blosse Versammlung der Unterführer des Heers und der neu- aufkommenden Grrossen. Die freien grundbesitzenden Bauern, die Masse des fränkischen Volks, wurden durch die ewigen Bürger- und Eroberungskriege , letztere namentlich unter Karl dem Grossen, ganz so erschöpft und heruntergebracht, wie früher die römischen Bauern in den letzten Zeiten der Republik. Sie, die ursprüng- lich das ganze Heer, und nach der Eroberung Frank- reichs dessen Kern gebildet hatten, waren am Anfang des neunten Jahrhunderts so verarmt, dass kaum noch der fünfte Mann ausziehen konnte. An die Stelle des direkt vom König aufgebotenen Heerbannes freier Bauern trat ein Heer, zusammengesetzt aus den Dienst- leuten der neuaufgekommenen Grossen, darunter auch hörige Bauern, die Nachkammen derer, die früher keinen Herrn als den König, und noch früher gar keinen, nicht einmal einen König gekannt hatten. Unter den Nach- folgern Karl's wurde der Ruin des fränkischen Bauern- standes durch innere Kriege, Schwäche der königlichen Gewalt und entsprechende Uebergriffe der Grossen, zu denen nun noch die von Karl eingesetzten und nach Erblichkeit des Amts strebenden Gaugrafen kamen, endlich durch die Einfälle der Normannen vollendet.

116

Fünfzig- Jahre nach dem Tode Karl's des Grossen lag das Frankeureich ebenso widerstandslos zu den Füssen der Normannen, wie vierhmidert Jahre früher das Römer- reich zu den Füssen der Franken.

Und nicht nur die äussere Ohnmacht, sondern auch die innere Gesellschaftsordnung oder vielmehr -Unord- nung war fast dieselbe. Die freien fränkischen Bauern waren in eine ähnliche Lage versetzt wie ihre Vor- gänger, die römischen Kolonen. Durch die Kriege und Plünderungen ruinirt, hatten sie sich in den Schutz der neuaufgekommenen Grossen oder der Kirche be- geben müssen, da die königliche Gewalt zu schwach war, sie zu schützen ; aber diesen Schutz mussten sie theuer erkaufen. Wie früher die gallischen Bauern, mussten sie das Eigenthum an ihrem Grundstück au den Schutzherrn übertragen und erhielten dies von ihm zurück als Zinsgut unter verschiedenen und wechseln- den Formen, stets aber nur gegen Leistung von Dienfiten und Abgaben ; einmal in diese Form von Abhängigkeit versetzt, verloren sie nach und nach auch die persön- liche I'reiheit; nach wenig Generationen waren sie zumeist schon Leibeigne. Wie rasch der Untergang des freien Bauernstands sich vollzog, zeigt Irminon's Grundbuch der Abtei Saint Germain des Pr^s, damals bei, jetzt in Paris. Auf dem weiten, in der Umgegend zerstreuten Grundbesitz dieser Abtei sassen damals, noch zu Lebzeiten Karl's des Grossen, 2788 Haushal- tungen, fast ausnahmslos Franken mit deutschen Namen. Darunter 2080 Kolonen, 35 Liten, 220 Sklaven und nur 8 freie Hintersassen ! Die von Salvianus für gottlos erklärte Uebung, dass der Schutzherr das Grundstück des Bauern sich zu Eigenthimi übertragen Hess und es ihm nur auf Lebenszeit zur Nutzung zurückgab, wurde jetzt von der Kirche gegen die Bauern allgemein prak- tizirt. Die Frohndienste, die jetzt mehr und mehr in Gebrauch kamen, hatten in den römischen Angarien, Zwangsdiensten für den Staat, ihr Vorbild ebensosehr gehabt wie in den Diensten der deutschen Markgenossen für Brücken- und Wegebauten und andre gemeinsame Zwecke. Dem Schein nach war also die Masse der

117

Bevölkerung nach vierhundert Jahren ganz wieder beim Anfang angekommen.

Das aber "bewies mir zweierlei: Erstens, dass die gesellschaftliche Grliederiing und die Eigenthumsver- theilung im sinkenden E-ömerreich der damaligen Stufe der Produktion in Ackerbau und Industrie vollständig entsprochen hatte, also unvermeidlich gewesen war ; und zweitens, dass diese Produktionsstufe während der fol- genden vierhundert Jahre weder wesentlich gesunken war, noch sich wesentlich gehoben hatte, also mit der- selben Nothwendigkeit dieselbe Eigenthumsvertheilung und dieselben Bevölkerungsklassen wieder erzeugt hatte. Die Stadt hatte in den letzten Jahrhunderten des Bömerreichs ihre frühere Herrschaft über das Land ver- loren und in den ersten Jahrhunderten der deutschen Herrschaft sie nicht wieder erhalten. Es setzt dies eine niedrige Entwicklungsstufe sowohl des Ackerbaus wie der Industrie voraus. Diese GTesammtlage produzirt mit Nothwendigkeit grosse herrschende G-rundbesitzer und abhängige Kleinbauern. Wie wenig es möglich war, einerseits die römische Latifundien wirthschaft mit Sklaven, andrerseits die neuere Grosskultur mit Frohn- arbeit einer solchen Gresellschaft aufzupropfen, beweisen Karl's des Q-rossen ungeheure, aber fast spurlos vor- übergegangene Experimente mit den berühmten kaiser- lichen Villen. Sie wurden fortgesetzt nur von Klöstern und waren nur für diese fruchtbar ; die Klöster aber waren abnorme G-esellschaftskörper, gegründet auf Ehe- losigkeit ; sie konnten Ausnahmsweises leisten, mussten aber ebendesshalb auch Ausnahmen bleiben.

Und doch war man während dieser vierhundert Jahre weiter gekommen. Finden wir auch am Ende fast die- selben Hauptklassen wieder vor wie am Anfang, so waren doch die Menschen andre geworden, die diese Klassen bildeten. Verschwunden war die antike Skla- verei, verschwunden die verlumpten armen Freien, die die Arbeit als sklavisch verachteten. Zwischen dem römi- schen Kolonen und dem neuen Hörigen hatte der freie fränkische Bauer gestanden. Das „unnütze Erinnern

118

und der vergebliclie Streit" des verfallenden Römerthuma war todt und begraben. Die Gresellschaftsklassen des neunten Jahrhunderts hatten sich gebildet, nicht in der Yersumpfung einer untergehenden Civilisation, sondern in den G-eburtswehen einer neuen. Das neue Greschlecht, Herren wie Diener, war ein Geschlecht von Männern, verglichen mit seinen römischen Vorgängern. Das Ver- hältniss von mächtigen Grundherren und dienenden Bauern, das für diese die auswegslose Untergangsform der antiken Welt gewesen, es war jetzt für jene der Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung. Und dann, so unproduktiv diese vierhundert Jahre auch scheinen, ein grosses Produkt hinterliessen sie : die modernen Nationalitäten , die Neugestaltung und G-liederung der westeuropäischen Menschheit für die kommende G-e- schichte. Die Deutschen hatten in der That Europa neu belebt, und darum endete die Staatenauflösung der ger- manischen Periode nicht mit normannisch-sarazenischer Unterjochung, sondern mit der Fortbildung der Bene- ficien und der Schutzergebung (Kommendation) zum Feudalismus.

Was aber war das geheimnissvolle Zaubermittel, wo- durch die Deutschen dem absterbenden Europa neue Lebenskraft einhauchten? War es eine, dem deutschen Volksstamm eingeborne Wundermacht, wie unsre chau- vinistische Geschichtsschreibung uns vordichtet ? Keines- wegs. Die Deutschen waren, besonders damals , ein hochbegabter arischer Stamm, und in voller lebendiger Entwicklung begriffen. Aber nicht ihre specifischen nationalen Eigenschaften waren es, die Europa verjüngt haben, sondern einfach ihre Barbarei, ihre Gentil- verfassung.

Ihre persönliche Tüchtigkeit und Tapferkeit, ihr Freiheitssinn und demokratischer Instinkt, der in allen öffentlichen Angelegenheiten seine eigenen Angelegen- heiten sah, kurz, alle die Eigenschaften, die dem llömer abhanden gekommen und die allein im Stande, aus dem Schlamm der Römerwelt neue Staaten zu bilden und neue Nationalitäten wachsen zu lassen was waren sie

119

anders als die Charakterzüge des Barbaren der Ober- stufe — Früchte seiner Grentilverfassung ?

Wenn sie die antike Form der Monogamie umge- stalteten, die Männerherrschaft in der Familie milderten, der Frau eine höhere Stellung gaben, als die klassische Welt sie je gekannt , was befähigte sie dazu , wenn nicht ihre Barbarei , ihre Grentilgewohnheiten , ihre noch lebendigen Erbschaften aus der Zeit des Mutter- rechtes ?

Wenn sie wenigstens in dreien der wichtigsten Länder, Deutschland, Nordfrankreich und England, ein Stück ächter Grentilverfassung in der Form der Mark- genossenschaften in den Feudalstaat hinüberretteten, und damit der unterdrückten Klasse, den Bauern, selbst unter der härtesten mittelalterlichen Leibeigenschaft, einen lokalen Zusammenhalt und ein Mittel des Wider- stands gaben, wie es weder die antiken Sklaven fertig vorfanden noch die modernen Proletarier wem war das geschuldet, wenn nicht ihrer Barbarei, ihrer aus- schliesslich barbarischen Ansiedlungsweise nach Gre- schlechtern ?

Und endlich, wenn sie die bereits in der Heimath geübte mildere Form der Knechtschaft, in die auch im Römerreich die Sklaverei mehr und mehr überging, ausbilden und zur ausschliesslichen erheben konnten; eine Form , die, wie Fourier zuerst hervorgehoben, den Greknechteten die Mittel zur allmäligen Befreiung als Klasse gibt (fournit aux cultivateurs des moyens d'affranchissement collectif et progressif); eine Form, die sich hierdurch hoch über die Sklaverei stellt, bei der nur die sofortige Einzelfreilassung ohne Ueber- gangszustand möglich (Abschaffung der Sklaverei durch siegreiche Rebellion kennt das Alterthum nicht) während in der That die Leibeignen des Mittelalters nach und nach ihre Befreiung als Klasse durchsetzten wem verdanken wir das, wenn nicht ihrer Barbarei,, kraft deren sie es noch nicht zur ausgebildeten Skla- verei gebracht hatten, weder zur antiken Arbeitsskla- verei noch zur orientalischen Haussklaverei ?

120

Alles, was die Deutschen der Eöm erweit Lebens- kräftiges und Lebenbringendes einpflanzten, war Bar- barenthum. In der That sind nur Barbaren fähig, eine an verendender Civilisation laborirende Welt zu ver- jüngen. Und die oberste Stufe der Barbarei, zu der und in der die Deutschen sich vor der Völkerwanderung emporgearbeitet, war gerade die günstigste für diesen Prozess. Das erklärt Alles.

IX. Barbarei und Civilisation.

Wir haben jetzt die Auflösung der Grentilverfassimg an den drei grossen Einzelbeispielen der Grriecben, E,ömer und Deutschen verfolgt. Untersuchen wir zum Schluss die allgemeinen ökonomischen Bedingungen, die die gentile Organisation der Gresellschaft auf der Ober- stufe der Barbarei bereits untergruben, und mit dem Eintritt der Civilisation vollständig beseitigten. Hier wird uns Marx' „Kapital" ebenso nothwendig sein wie Morgan 's Buch.

Hervorgewachsen auf der Mittelstufe, weitergebildet auf der Oberstufe der Wildheit, erreicht die Glens, so- weit unsre Quellen dies beurtheilen lassen, ihre Blüte- zeit auf der Unterstufe der Barbarei. Mit dieser Ent- wicklungssfajfe also beginnen wir.

V* WiridiÄnden hier, wo uns die amerikanischen Roth- häute scls Beispiel dienen müssen, die Grentilverfassung vollkommen ausgebildet. Ein Stamm hat sich in mehrere Grentes gegliedert ; diese ursprünglichen Gentes zerfallen mit steigender Volkszahl jede in mehrere Tochtergentes, gegenüber denen die Muttergens als Phratrie erscheint; der Stamm selbst spaltet sich in mehrere Stämme, in deren jedem wir die alten Grentes grossentheils wieder- finden ; ein Bund umschliesst wenigstens in einzelnen

^-Fällen die verwandten Stämme. Diese einfache Organi- sation genügt vollkommen den gesellschaftlichen Zu- ständen, denen sie entsprungen ist. Sie ist weiter nichts als deren eigne, naturwüchsige Gruppirung, sie ist im Stande, alle Konflikte auszugleichen, die innerhalb der so organisirten Gesellschaft entspringen können. Nach

122

Aussen gleicht der Krieg aus ; er kann mit Vernich- tung des Stamms endigen, nie aber mit seiner Unter- jochung. Es ist das Grrossartige, aber auch das Be- schränkte der Grentilverfassung, dass sie für Herrschaft und Knechtung keinen Raum hat. Naeh Innen gibt es noch keinen Unterschied zwischen Rechten und Pflichten; die Frage, ob Theilnahme an den öffentlichen Ange- legenheiten, Blutrache oder deren Sühnung, ein Recht oder eine Pflicht sei, besteht für den Indianer nicht; sie würde ihm ebenso absurd vorkommen wie die : ob Essen, Schlafen, Jagen ein Recht oder eine Pflicht sei. Ebensowenig kann eine Spaltung des Stammes und der Gens in verschiedene Klassen stattfinden. Und dies führt uns auf Untersuchung der ökonomischen Basis des Zustandes.

Die Bevölkerung ist äusserst dünn ; verdichtet nur am Wohnort des Stamms, um den in weitem Kreise zunächst das Jagdgebiet liegt, dann der neutrale Schutz- wald, der ihn von andern Stämmen trennt. Die Thei- lung der Arbeit ist rein naturwüchsig; sie besteht nur zwischen den beiden Geschlechtern. Der Mann führt den Krieg, geht jagen und fischen, beschafi't den Roh- stoff" der Nahrung und die dazu nöthigen Werkzeuge. Die Erau besorgt das Haus und die Zubereitung der Nahrung und Kleidung, kocht, webt, näht. Jedes von Beiden ist Herr auf seinem Gebiet: der Mann im Walde, die Frau im Hause. Jedes ist Eigenthümer der von ihm verfertigten und gebrauchten Werkzeuge: der Mann der Waffen, des Jagd- und Fischzeugs, die Frau des Hausraths. Die Haushaltung ist kommunistisch für mehrere, oft viele Familien.*) Was gemeinsam gemacht und genutzt wird, ist gemeinsames Eigenthum : das Haus, der Garten, das Langboot. Hier also, und nur hier noch, gilt das von Juristen und Oekonomen der civilisirten Gesellschaft angedichtete „selbsterarbeitete Eigenthum", der letzte verlogne Rechtsvorwand, auf

*) Besonders an der Nordwestküste Amerikas, siehe Bancroft. Bei den Haidahs auf Königin Charlotte's Insel kommen Haushal- tungen bis zu 700 Personen unter einem Dache vor. Bei den Noot- kas lebten ganze Stämme unter einem Dache.

123

den das heutige kapitalistische Eigenthum sich noch stützt.

Aber die Menschen blieben nicht überall auf dieser Stufe stehn. In Asien fanden sie Thiere vor^ die sich zähmen und gezähmt weiter züchten Hessen. Die wilde Büffelkuh musste erjagt werden, die zahme lieferte jährlich ein Kalb, und Milch obendrein. Eine Anzahl der vorgeschrittensten Stämme Arier , Semiten, vielleicht auch schon Turanier machten erst die Zähmung, später nur noch die Wartung von Vieh zu ihrem Hauptarbeitszweig. Hirtenstämme sonderten sich aus von der übrigen Masse der Barbaren: erste grosse gesellschaftliche Theilung der Ar- beit. Die Hirtenstämme producirten nicht nur mehr, sondern auch andre Lebensmittel als die übrigen Barbaren. Sie hatten nicht nur Milch, Milchprodukte und Fleisch in grösseren Massen vor diesen voraus, sondern auch Häute, Wolle, Ziegenhaare und die mit der Masse des Rohstoffs sich vermehrenden Grespinnste und Grewebe. Damit wurde ein regelmässiger Aus- tausch zum ersten Male möglich. Auf früheren Stufen können nur gelegentliche Austäusche stattfinden ; be- sondre Greschicklichkeit in der Verfertigung von Waffen und Werkzeugen kann zu vorübergehender Arbeits- theilung führen. So sind unzweifelhafte Reste von Werk- stätten für Steinwerkzeuge aus dem späteren Steinzeit- alter an vielen Orten gefunden worden ; die Künstler, die hier ihre Geschicklichkeit ausbildeten, arbeiteten wahrscheinlich, wie noch die ständigen Handwerker indischer Gentilgemeinwesen, für Rechnung der Ge- sammtheit. Keinenfalls konnte auf dieser Stufe ein andrer Austausch als der innerhalb des Stammes ent- stehn, und dieser blieb ausnahmsweises Ereigniss. Hier dagegen , nach der Ausscheidung der Hiitenstämnie, finden wir alle Bedingungen fertigzum Austausch zwischen den Gliedern verschiedner Stämme, zu seiner Ausbildung und Befestigung als regelmässige Institution. Ursprünglich tauschte Stamm mit Stamm, durch die gegenseitigen Gentilvorsteher ; als aber die Heerden anfingen in Pri- vateigenthum überzugehen, überwog der Einzelaustausch

124

mehr und mehr, und wurde endlich einzige Form. Der Hauptartikel aber, den die Hirtenstämme an ihre Nach- barn im Tausch abgaben, war Yieh ; Vieh wurde die Waare, in der alle andren Waaren geschätzt und die überall gern im Austausch gegen jene genommen wurde

kurz, Yieh erhielt Geldfunktion und that G-eld- dienste schon auf dieser Stufe. Mit solcher Xothwen- digkeit und Haschheit entwickelte sich schon im Anbe- ginn des Waarenaustausches das Bedürfniss einer G-eld- waare.

Der Grartenbau, den asiatischen Barbaren der Unter- stufe wahrscheinlich fremd , kam spätestens in der Mittelstufe bei ihnen auf, als Vorläufer des Feldbaus. Das Elima der turanischen Hochebene lässt kein Hlrten- leben zu ohne Futter vorräthe für den langen und stren- gen Winter ; Wiesenbau und Kultur von Kornfrucht war also hier Bedingung. Dasselbe gilt für die Steppen nördlich vom schwarzen Meer. Wurde aber erst die Kornfrucht für das Yieh gewonnen, so wurde sie bald auch menschliche Xahrung. Das bebaute Land blieb noch Stammeseigenthum , anfänglich der Grens , später von dieser den Einzelnen zur Benutzung überwiesen ; sie mochten gewisse Besitzrechte daran haben, mehr aber auch nicht.

Yon den industriellen Errungenschaften dieser Stufe sind zwei besonders wichtig. Die erste ist der Web- stuhl, die zrreite die Schmelzung von Metallerzen und die Yerarbeitimg der Metalle. Kupfer und Zinn und die aus beiden zusammengesetzte Bronze waren weit- aus die wichtigsten ; die Bronze lieferte brauchbare Werkzeuge und Waffen, konnte aber die Steinwerk- zeuge nicht verdrängen; dies war nur dem Eisen mög- lich, und Eisen zu gewinnen, verstand man noch nicht. Grold und Silber fingen an zu Schmuck und Zierrath verwandt zu werden, und müssen schon hoch im Werth gestanden haben gegenüber Kupfer und Bronze.

Die Steigerung der Produktion in allen Zweigen

Viehzucht, Ackerbau, häusliches Handwerk gab der menschlichen Arbeitskraft die Fähigkeit, ein grös- seres Produkt zu erzeugen, als zu ihrem Unterhalt er-

125

forderlicli war. Sie steigerte gleichzeitig- die tägliche Arbeitsmenge, die jedem Mitglied der Gens, der Haus- gemeinde oder der Einzelfamilie zufiel. Die Einschal- tung neuer Arbeitskräfte wurde wünschenswerth. Der Krieg lieferte sie : die Kriegsgefangnen wurden in Skla- ven verwandelt. Die erste grosse gesellschaftliche Thei- lung der Arbeit zog mit ihrer Steigerung der Produk- tivität der Arbeit, also des Eeichthums, und mit ihrer Erweiterung des Produktionsfeldes, unter den gegebnen geschichtlichen Gresammtbedingungen, die Sklaverei mit Nothwendigkeit nach sich. Aus der ersten grossen gesellschaftlichen Arbeitstheilung entsprang die erste grosse Spaltung der Gresellschaft in zwei Klassen: Herren und Sklaven, Ausbeuter und Ausgebeutete.

Wie und wann die Heerden aus dem Gemeinbesitz des Stammes oder der Gens in das Eigenthum der ein- zelnen Familienhäupter übergegangen, darüber wissen wir bis jetzt nichts. Es muss aber im Wesentlichen auf dieser Stufe geschehn sein. Mit den Heerden nun, und den übrigen neuen Heichthümern kam eine Revo- lution über die Familie. Der Erwerb war immer Sache des Mannes gewesen, die Mittel zum Erwerb von ihm produzirt und sein Eigenthum. Die Heerden waren die neuen Erwerbsmittel , ihre anfängliche Zähmung und spätere Wartung sein Werk. Ihm gehörte daher das Vieh, ihm die gegen Vieh eingetauschten Waaren und Sklaven. All' der Ueberschuss, den der Erwerb jetzt lieferte, fiel dem Manne zu; die Frau genoss mit da- von, aber sie hatte kein Theil am Eigenthum. Der „wilde" Kiieger und Jäger war im Hause zufrieden gewesen mit der zweiten Stelle, nach der Frau; der „sanftere" Hirt, auf seinen Eeichthum pochend, drängte sich vor an die erste Stelle und die Frau zurück an die zweite. Und sie konnte sich nicht beklagen. Die Arbeitstheilung in der Familie hatte die Eigenthums- vertheilung zwischen Mann und Frau geregelt ; sie war dieselbe geblieben; und doch stellte sie jetzt das bisherige häusliche Verhältniss auf den Kopf, lediglich weil die Arbeitstheilung ausserhalb der Familie eine andre ge- worden war. Dieselbe Ursache, die der Frau ihre frühere

126

Herrschaft im Hause gesichert: ihre Beschränkung auf die Hausarbeit, dieselbe Ursache sicherte jetzt die Herr- schaft des Mannes im Hause : die Hausarbeit der Frau verschwand jetzt neben der Erwerbsarbeit des Mannes; diese war Alles, jene eine unbedeutende Beigabe. Hier zeigt sich schon, dass die Befreiung der Frau, ihre Grleichstellung mit dem Manne, eine Unmöglichkeit ist und bleibt, so lange die Frau von der gesellschaftlichen produktiven Arbeit ausgeschlossen und auf die häus- liche Privatarbeit beschränkt bleibt. Die Befreiung der Frau wird erst möglich, sobald diese auf grossem, ge- sellschaftlichem Massstab an der Produktion sich be- theiligen kann, und die häusliche Arbeit sie nur noch in unbedeutendem Mass in Anspruch nimmt. Und dies ist erst möglich geworden durch die moderne grosse Industrie, die nicht nur Frauenarbeit auf grosser Stufen- leiter zulässt, sondern förmlich nach ihr verlangt, und die auch die private Hausarbeit mehr und mehr in eine öffentliche Industrie aufzulösen strebt.

Mit der faktischen Herrschaft des Mannes im Hause war die letzte Schranke seiner Alleinherrschaft gefallen. Diese Alleinherrschaft wurde bestätigt und verewigt durch Sturz des Mutterrechts, Einführung des Vater- rechts, allmäligen Uebergang der Paarungsehe in die Monogamie. Damit aber kam ein Hiss in die alte Grentilordnung : die Einzelfamilie wurde eine Macht und erhob sich drohend gegenüber der Gi-ens.

Der nächste Schritt führt uns auf die Oberstufe der Barbarei, die Periode, in der alle Kulturvölker ihre Heroenzeit durchmachen : die Zeit des eisernen Schwerts, aber auch der eisernen Pflugschar und Axt. Das Eisen war dem Menschen dienstbar geworden, der letzte und wichtigste aller Rohstoffe, die eine geschichtlich um- wälzende Rolle spielten, der letzte bis auf die Kar- toffel. Das Eisen schuf den Feldbau auf grösseren Flä- chen, die Urbarmachung ausgedehnterer Waldstreoken ; es gab dem Handwerker Werkzeug von einer Härte und Schneide, der kein Stein, kein andres bekanntes Metall widerstand. Alles das allmälig ; das erste Eisen war oft noch weicher als Bronze. So verschwand die

127

Stein waffe nur langsam ; nicht nur im Hildetrandslied, auch noch bei Hastings im Jahr 1066 kamen noch Stein- äxte in's Grefecht. Aber der Fortschritt ging nun un- aufhaltsam, weniger unterbrochen und rascher vor sich. Die mit steinernen Mauern, Thürmen und Zinnen stei- nerne oder Ziegel-Häuser umschliessende Stadt wurde Centralsitz des Stamms oder Stämmebundes ; ein ge- waltiger Fortschritt in der Baukunst, aber auch ein Zeichen vermehrter Gefahr und Schutzbedürftigkeit. Der Reichthum wuchs rasch, aber als Reichthum Ein- zelner ; die Weberei , die Metallbearbeitung und die andern, mehr und mehr sich sondernden Handwerke entfalteten steigende Mannigfaltigkeit und Kunstfertig- keit der Produktion; der Landbau lieferte neben Korn, Hülsenfrüchten und Obst jetzt auch Oel und Wein, deren Bereitung man gelernt hatte. So mannigfache Thätigkeit konnte nicht mehr von demselben Einzelnen ausgeübt werden; die zweite grosse Theilung der Arbeit trat ein: das Handwerk sonderte sich vom Ackerbau. Die fortwährende Steigerung der Pro- duktion und mit ihr der Produktivität der Arbeit er- höhte den Werth der menschlichen Arbeitskraft; die Sklaverei, auf der vorigen Stufe noch entstehend und sporadisch, wird jetzt wesentlicher Bestandtheil des Gresellschaftssystems ; die Sklaven hören auf einfache Grehülfen zu sein, sie werden dutzendweise zur Arbeit getrieben auf dem Feld und in der Werkstatt. Mit der Spaltung der Produktion in die zwei grossen Haupt- zweige, Ackerbau und Handwerk, entsteht die Produk- tion direkt für den Austausch, die Waarenproduktion; mit ihr der Handel, nicht nur im Innern und an den Stammesgrenzen, sondern auch schon über See. Alles dies aber noch sehr unentwickelt; die edlen Metalle fangen an vorwiegende und allgemeine G-eldwaare zu werden, aber noch ungeprägt, nur nach dem noch un- verkleideten G-e wicht sich austauschend.

Der Unterschied von Reichen und Aermeren tritt neben den von Freien und Sklaven mit der neuen Arbeitstheilung eine neue Spaltung der Gesellschaft in Klassen. Die Besitzunterschiede der einzelnen Familien-

128

häupter sprengen die alte kommunistisclie Hansgemeinde überall, wo sie sich bis dahin erhalten 5 mit ihr die gemeinsame Bebauung des Bodens für Rechnung dieser Gremeinde. Das Ackerland wird den einzelnen Familien zunächst auf Zeit, später ein für alle Mal zur Nutzung überwiesen, der tJebergang in volles Privateigenthum vollzieht sich allmälig und parallel mit dem TJebergang der Paarungsehe in Monogamie. Die Einzelfamilie fängt an, die wirthschaftliche Einheit an der Gresell- schaft zu werden.

Die dichtere Bevölkerung nöthigt zu engerem Zu- sammenschliessen nach Innen wie nach Aussen. Der Bund verwandter Stämme wird überall eine Nothwen- digkeit; bald auch schon ihre Verschmelzung, damit die Yerschmelzung der getrennten Stammesgebiete zu einem Gesammtgebiet des Volks. Der Heerführer des Volks rex, basileus, thiudans wird unentbehr- licher, ständiger Beamter. Die Volksversammlung kommt auf, wo sie nicht schon bestand. Heerführer, Rath, Volksversammlung bilden die Organe der zu einer militärischen Demokratie fortentwickelten Grentilge Seil- schaft. Militärisch denn der Krieg und die Orga- nisation zum Krieg sind jetzt regelmässige Punktionen des Volkslebens geworden. Die Eeichthümer der Nach- barn reizen die Habgier von Völkern, bei denen Reich- thumserwerb schon als einer der ersten Lebenszwecke erscheint. Sie sind Barbaren: Rauben gilt ihnen für leichter und selbst für ehrenvoller als Erarbeiten. Der Krieg, früher nur geführt zar Rache für Uebergriffe oder zur Ausdehnung des unzureichend gewordenen Grebiets, wird jetzt des blossen Raubs wegen geführt, wird stehender Erwerbszweig. Nicht umsonst starren die dräuenden Mauern um die neuen befestigten Städte : in ihren Grräben gähnt das Grrab der Grentilverfassung, und ihre Thürme ragen bereits hinein in die Civilisa- tion. Und ebenso geht es im Innern, Die Raubkriege erhöhen die Macht des obersten Heerführers wie die der Unterführer; die gewohnheitsmässige Wahl der Nachfolger in denselben Familien geht, namentlich seit Einführung des Vaterrechts, allmälig über in erst ge-

129

duldete, dann beanspruchte, endlich usurpirte Erhlich- keit ; die Grrundlage des Erbkönigthums und des Erb- adels ist gelegt. So reissen sich die Organe der Grentil- verfassung allmälig los von ihrer Wurzel im Volk, in Grens, Phratrie, Stamm, und die ganze Grentilverfassung verkehrt sich in ihr Gegentheil : aus einer Organisation von Stämmen zur freien Ordnung ihrer eignen Ange- legenheiten wird sie eine Organisation zur Plünderung und Bedrückung der Nachbarn, und dem entsprechend werden ihre Organe aus Werkzeugen des Volkswillens zu selbständigen Organen der Herrschaft und Bedrückung gegenüber dem eignen Volk. Das aber wäre nie mög- lich gewesen, hätte nicht die Gier nach Reichthura die Grentilgenossen gespalten in Keiche und Arme, hätte nicht „die Eigenthumsdifferenz innerhalb derselben Grens die Einheit der Interessen verwandelt in Anta- gonismus der G-entilgenossen" (Marx), und hätte nicht die Ausdehnung der Sklaverei bereits angefangen, die Erarbeitung des Lebensunterhalts für nur skia ven wür- dige Thätigkeit, für schimpflicher gelten zu lassen als den ßaub.

Damit sind wir angekommen an der Schwelle der Civilisation. Sie wird eröffnet durch einen neuen Fort- schritt der Theilung der Arbeit. Auf der untersten Stufe produzirten die Menschen nur direkt für eignen Bedarf; die etwa vorkommenden Austauschakte waren vereinzelt, betrafen nur den zufällig sich einstellenden IJeberfluss. Auf der Mittelstufe der Barbarei finden wir bei Hirtenvölkern in dem Vieh schon einen Besitz, der bei einer gewissen Grrösse der Heerde regelmässig einen Ueberschuss über den eignen Bedarf liefert, zugleich eine Theilung der Arbeit zwischen Hirtenvölkern und zurückgebliebnen Stämmen ohne Heerden, damit zwei neben einander bestehende verschiedne Produktions- stufen, und damit die Bedingungen eines regelmässigen Austausches. Die Oberstufe der Barbarei liefert uns die weitere Arbeitstheilung zwischen Ackerbau und Handwerk, damit Produktion eines stets wachsenden

130

Theils der Arbeitserzeugnisse direkt für den Austausch, damit Erhebung des Austausches zwischen Einzelpro- duzenten zu einer Lebensnothwendigkeit der Gresell- schaft. Die Civilisation befestigt und steigert alle diese vorgefundenen Arbeitstheilungen , namentlich durch Schärfung des Gregensatzes von Stadt und Land (wobei die Stadt das Land ökonomisch beherrschen kann, wie im Alterthum, oder auch das Land die Stadt, wie im Mittelalter), und fügt dazu eine dritte, ihr eigenthüm- liche, entscheidend wichtige Arbeitstheilung : sie erzeugt eine Klasse, die sich nicht mehr mit der Produktion beschäftigt, sondern nur mit dem Austausch der Pro- dukte — die Kaufleute. Alle bisherigen Ansätze zur Klassenbildung hatten es noch ausschliesslich mit der Produktion zu thun; sie schieden die bei der Pro- duktion betheiligten Leute in Leitende und Ausführende, oder aber in Produzenten auf grösserer und auf kleinerer Stufenleiter. Hier tritt zum ersten Mal eine Klasse auf, die, ohne an der Produktion irgendwie Antheil zu neh- men, die Leitung der Produktion im Ganzen und Grossen sich zu erobern, die Produzenten sich ökonomisch zu unterwerfen weiss, die sich zum unumgänglichen Ver- mittler zwischen je zwei Produzenten macht und sie beide ausbeutet. Unter dem Vorwand, den Produzenten die Mühe und das Risico des Austausches abzunehmen, den Absatz ihrer Produkte nach entfernten Märkten auszudehnen, damit die nützlichste Klasse der Bevöl- kerung zu werden, bildet sich eine Klasse von Para- siten aus, echten gesellschaftlichen Schmarotzerthieren, die als Lohn für sehr geringe wirkliche Leistungen, sowohl von der heimischen wie von der fremden Pro- duktion den Rahm abschöpft, rasch enorme Reichthümer und entsprechenden gesellschaftlichen Einiiuss erwirbt, und eben desshalb während der Periode der Civilisation zu immer neuen Ehren und immer grösserer Beherrschung der Produktion berufen ist, bis sie endlich auch selbst ein eignes Produkt zu Tage fördert die periodischen Handelskrisen.

Auf unsrer vorliegenden Entwicklungsstufe hat die junge Kaufmannschaft allerdings noch keine Ahnung

131

von den grossen Dingen, die ihr bevorstehn. Aber sie bildet sich und macht sich unentbehrlich, und das ge- nügt. Mit ihr aber bildet sich aus das Metallgeld, die geprägte Münze, und mit dem Metallgeld ein neues Mittel zur Herrschaft des Nichtproduzenten über den Produzenten und seine Produktion. Die Waare der Waaren, die alle andern Waaren im Verborgnen in sich enthält, war entdeckt, das Zaubermittel, das sich nach Belieben in jedes wünschenswerthe und gewünschte Ding verwandeln kann. Wer es hatte, beherrschte die Welt der Produktion, und wer hatte es vor Allen? Der Kaufmann. In seiner Hand war der Kultus des Geldes sicher. Er sorgte dafür, dass es offenbar wurde, wie sehr alle Waaren, damit alle Waarenproduzenten, sich anbetend in den Staub werfen mussten vor dem Geld. Er bewies es praktisch, wie sehr alle andern Formen des Eeichthums nur selber blosser Schein wer- den gegenüber dieser Verkörperung des Reichthums als solchem. Nie wieder ist die Macht des Geldes aufge- treten in solcher ursprünglichen Roheit und Gewalt- samkeit wie in dieser ihrer Jugendperiode. Nach dem Waarenkauf für Geld kam der Geldvorschuss, mit die- sem der Zins und der Wucher. Und keine Gesetz- gebung späterer Zeit wirft den Schuldner so schonungs- und rettungslos zu den Füssen des wucherischen Gläu- bigers wie die altathenische und altrömische und beide entstanden spontan, als Gewohnheitsrechte, ohne andern als den ökonomischen Zwang.

Neben den Reichthum an Waaren und Sklaven, neben den Geldreichthum trat nun auch der Reichthum an Grundbesitz. Das Besitzrecht der Einzelnen an den ihnen ursprünglich von Gens oder Stamm überlassenen Bodenparzellen hatte sich jetzt soweit befestigt, dass diese Parzellen ihnen erbeigenthümlich gehörten. Wonach sie in der letzten Zeit vor Allem gestrebt, das war die Befreiung von dem Anrecht der Gentilgenossenschaft an die Parzelle, das ihnen eine Fessel wurde. Die Fessel wurden sie los aber bald nachher auch das neue Grundeigenthura. Volles, freies Eigenthum am Boden, das hiess nicht nur Möglichkeit, den Boden unverkürzt

132

und unbeschränkt zu besitzen, das hiess aucb Möglich- keit, ihn zu veräussern. So lange der Boden Gentil- eigenthum, existirte diese Möglichkeit nicht. Als aber der neue (Irundbesitzer die Fessel des Obereigenthums der Grens und des Stamms endgültig abstreifte, zerriss er auch das Band, das ihn bisher unlöslich mit dem Boden verknüpft hatte. Was das hiess, wurde ihm klar gemacht durch das mit dem Privatgrundeigenthum gleich- zeitig erfundene Geld. Der Boden konnte nun Waare werden, die man verkauft und verpfändet. Kaum war das Grundeigenthum eingeführt, so war auch die Hy- pothek schon erfunden (sieh Athen). Wie der Hetäris- mus und die Prostitution an die Fersen der Monogamie, so klammert sich von nun an die Hypothek an die Fersen des Grundeigenthums. Ihr habt das volle, freie, veräusserliche Grundeigenthum haben wollen, nun wohl, ihr habt's tu l'as voulu, Georges Dandin !

So ging mit Handelsausdehnung, Geld und Geld- wucher, Grundeigenthum und Hypothek die Konzen- tration und Centralisation des Reichthums in den Händen einer wenig zahlreichen Klasse rasch voran, daneben die steigende Verarmung der Massen und die steigende Masse der Armen. Die neue Reichthums-Aristokratie, soweit sie nicht schon von vornherein mit dem alten Stammesadel zusammengefallen war, drängte ihn end- gültig in den Hintergrund (in Athen, in Rom, bei den Deutschen). Und neben dieser Scheidung der Freien in Klassen nach dem Reichthum ging besonders in Grie- chenland eine ungeheure Yermehrung der Zahl der Sklaven,*) deren erzwungne Arbeit die Grundlage bil- dete, auf der sich der Ueberbau der ganzen Gesell- schaft erhob.

Sehen wir uns nun danach um, was unter dieser gesellschaftlichen Umwälzung aus der Gentilverfassung geworden war. Gegenüber den neuen Elementen, die ohne ihr Zuthun emporgewachsen, stand sie ohnmächtig

*) Die Anzahl für Athen s. oben S. 85. In Korinth behug sie zur lUütezcit der Stadt 460,000, in Aogina 470,000, in beiden Fällen die zehufache Anzahl der freien Bürgerbevölkerung.

133 ~

da. Ihre Yoraussetzung war, dass die Grlieder einer Gens, oder doch eines Stammes, auf demselben Grehiet vereinigt sassen , es ausschliesslich bewohnten. Das hatte längst aufgehört. Ueberall waren GTentes und Stämme durch einander geworfen , überall wohnten Sklaven, Schutzverwandte, Fremde, mitten unter den Bürgern. Die erst gegen Ende der Mittelstufe der Barbarei erworbene Sesshaftigkeit wurde immer wieder durchbrochen durch die von Handel, Erwerbsverände- rung, Grrundbesitzwechsel bedingte Beweglichkeit und Yeränderlichkeit des Wohnsitzes. Die GTenossen der Grentilkörper konnten nicht mehr zusammentreten zur Wahrnehmung ihrer eignen gemeinsamen Angelegen- heiten ; nur unwichtige Dinge, wie die religiösen Feiern, wurden noch nothdürftig besorgt. Neben den Bedürf- nissen und Interessen, zu deren Wahrung die Grentil- körper berufen und befähigt, waren aus der Umwälzung der Erwerbsverhältnisse und der daraus folgenden Aen- derung der gesellschaftlichen Grliederung neue Bedürf- nisse und Interessen entstanden, die der alten Grentil- ordnung nicht nur fremd waren, sondern sie in jeder Weise durchkreuzten. Die Interessen der durch Thei- lung der Arbeit entstandenen Handwerkergruppen, die besondern Bedürfnisse der Stadt im Gregensatz zum Land, erforderten neue Organe; jede dieser Grruppen aber war aus Leuten der verschiedensten Grentes, Phra- trien und Stämme zusammengesetzt, sie schloss sogar Fremde ein ; diese Organe mussten sich also bilden ausserhalb der Grentilverfassung, neben ihr, und damit gegen sie. Und wiederum in jeder Grentilkörper- schaft machte sich dieser Konflikt der Interessen gel- tend, der seine Spitze erreichte in der Vereinigung von Reichen und Armen, Wucherern und Schuldnern in derselben Grens und demselben Stamm. Dazu kam die Masse der neuen, den Gentilgenossenschaften frem- den Bevölkerung, die wie in Rom eine Macht im Lande werden konnte, und dabei zu zahlreich war, um all- mälig in die blutsverwandten Greschlechter und Stämme aufgenommen zu werden. Dieser Masse gegenüber standen die Grentilgenossenschaften da als geschlossene,

134

bevorrechtete Körperschaften ; die ursprüngliche, natur- wüchsige Demokratie war umgeschlagen in eine gehäs- sige Aristokratie. Schliesslich war die Grentilver- fassung herausgewachsen aus einer Gesellschaft, die keine inneren Gregensätze kannte, und war auch nur einer solchen angepasst. Sie hatte kein Zwangsmittel ausser der öffentlichen Meinung. Hier aber war eine Lesellschaft entstanden, deren sämmtliche ökonomische Gebenshedingungen die Gesellschaft in Freie und Skla- ven, in ausbeutende Eeiche und ausgebeutete Arme hatten spalten müssen, die diese Gegensätze nicht nur nicht wieder versöhnen konnten , sondern sie immer mehr auf die Spitze treiben mussten. Eine solche Ge- sellschaft konnte nur bestehn entweder im fortwähren- den offnen Kampf dieser Klassen gegen einander, oder aber unter der Herrschaft einer dritten Macht, die, scheinbar über den widerstreitenden Klassen stehend, ihren offnen Konflikt niederdrückte, und den Klassen- kampf höchstens auf ökonomischem Gebiet, in soge- nannter gesetzlicher Form, sich ausfechten liess. Die Gentil Verfassung hatte ausgelebt. Sie war gesprengt durch die Theilung der Arbeit, die die Gesellschaft in Klassen spaltete. Sie wurde ersetzt durch den Staat.

Die drei Hauptformen, in denen der Staat sich auf den Ruinen der Gentilverfassung erhebt , haben wir oben im Einzelnen betrachtet. Athen bietet die reinste, klassischste Form : hier entspringt der Staat direkt und vorherrschend aus den Klassengegensätzen , die sich innerhalb der Gentilgesellschaft selbst entwickeln. In Rom wird die Gentilgesellschaft eine geschlossene Ari- stokratie inmitten einer zahlreichen, ausser ihr stehen- den, rechtlosen aber pflichtenschuldigen Plebs ; der Sieg der Plebs sprengt die alte Geschlechtsverfassung und errichtet auf ihren Trümmern den Staat, worin Gentil- aristokratie und Plebs bald beide gänzlich aufgehn. Bei den deutschen Eroberern des Römerreichs endlich entspringt der Staat direkt aus der Eroberung grosser,

135

fremder Grebiete, die zu beherrschen die Grentilverfas- sung keine Mittel bietet. Weil aber mit dieser Erobe- rung weder ernstlicher Kampf mit der alten Bevölke- rung verbunden ist, noch eine fortgeschrittnere Arbeits- theilung; weil die ökonomische Entwicklungsstufe der Eroberten und die der Eroberer fast dieselbe ist, die ökonomische Basis der Gesellschaft also die alte bleibt, deshalb kann sich die Grentilverfassung lange Jahrhun- derte hindurch in veränderter, territorialer Gestalt als Markverfassung forterhalten und selbst in den späteren Adels- und Patriciergeschlechtern, ja selbst in Bauern- geschlechtern wie in Dithmarschen , eine Zeitlang in abgeschwächter Form verjüngen.*)

Der Staat ist also keineswegs eine der Gesellschaft von Aussen aufgezwungne Macht; ebensowenig ist er „die Wirklichkeit der sittlichen Idee", „das Bild und die Wirklichkeit der Vernunft", wie Hegel behauptet. Er ist vielmehr ein Produkt der Gesellschaft auf be- stimmter Entwicklungsstufe; er ist das Eingeständniss, dass diese Gesellschaft sich in einen unlösbaren Wider- spruch mit sich selbst verwickelt, sich in unversöhn- liche Gegensätze gespalten hat, die zu bannen sie ohn- mächtig ist. Damit aber diese Gegensätze, Klassen mit widerstreitenden ökonomischen Interessen, nicht sich und die Gesellschaft in fruchtlosem Kampf verzehren, ist eine scheinbar über der Gesellschaft stehende Macht nöthig geworden, die den Konflikt dämpfen, innerhalb der Schranken der „Ordnung" halten soll; und diese, aus der Gesellschaft hervorgegangene, aber sich über sie stellende, sich ihr mehr und mehr entfremdende Macht ist der Staat.

Gegenüber der alten Gentilorganisation kennzeichnet sich der Staat erstens durch die Eintheilung der Staats- angehörigen nach dem Gebiet. Die alten, durch Blutsbande gebildeten und zusammengehaltenen Gen-

*) Der erste Geschichtsschreiber, der wenigstens eine annähernde Vorstellung vom "Wesen der Gens hatte, war Niobuhr, und das aber auch seine ohne Weiteres mit übertragnen Irrthüraer ver- dankt er seiner Bekanntschaft mit den dithmarsischen Geschlechtern.

136

tilgenossenschaften , wie wir gesehen , waren unzu- reichend geworden, grossentheils weil sie eine Bindung der Grenossen an ein bestimmtes Grebiet voraussetzten nnd diese längst aufgehört hatte. Das Grebiet war ge- blieben , aber die Menschen waren mobil geworden. Mannahm also die Gebietseintheilung als Ausgangspunkt und liess die Bürger ihre öffentlichen Rechte und Pflichten da erfüllen, wo sie sich niederliessen, ohne Rücksicht auf Gens und Stamm. Diese Organisation der Staatsangehörigen nach der Ortsangehörigkeit ist allen Staaten gemeinsam. Uns kommt sie daher natür- lich vor; wir haben oben gesehn, wie harte und lang- wierige Kämpfe erfordert waren, bis sie in Athen und Rom sich an die Stelle der alten Organisation nach Greschlechtern setzen konnte.

Das Zweite ist die Einrichtung einer öffent- lichen Gewalt, welche nicht mehr unmittelbar zu- sammenfällt mit der, sich selbst als bewaffnete Macht organisirenden Bevöljierung. Diese besondre, öffentliche Gewalt ist nöthig, weil eine selbstthätige bewaffnete Organisation der Bevölkerung unmöglich geworden seit der Spaltung in Klassen. Die Sklaven gehören auch zur Bevölkerung ; die 90,000 athenischen Bürger bilden gegenüber den 365,000 Sklaven nur eine bevorrechtete Klasse. Das Volksheer der athenischen Demokratie war eine aristokratische öffentliche Gewalt gegenüber den Sklaven und hielt sie im Zaum ; aber auch um die Bürger im Zaum zu halten, wurde eine Gendarmerie nöthig, wie oben erzählt. Diese öffentliche Gewalt existirt in jedem Staat; sie besteht nicht bloss aus bewaffneten Menschen, sondern " auch aus sachlichen Anhängseln, Gefängnissen und Zwangsanstalten aller Art, von denen die Gentilgesellschaft nichts wusste. Sie kann sehr unbedeutend, fast verschwindend sein in Gesellschaften mit noch unentwickelten Klassengegen- sätzen und auf abgelegnen Gebieten, wie zeit- und ortweise in den Vereinigten Staaten Amerikas. Sie verstärkt sich aber in dem Mass, wie die Klassengegen- sätze innerhalb des Staats sich verschärfen, und wie die einander begrenzenden Staaten grösser und volk-

137

reicher werden man sehe nur unser heutiges Europa an, wo Klassenkampf und Eroberungskonkurrenz die öffentliche Macht auf eine Höhe emporgeschraubt haben, auf der sie die ganze Gresellschaft und selbst den Staat zu verschlingen droht.

Um diese öffentliche Macht aufrecht zu erhalten, sind Beiträge der Staatsbürger nöthig die Steuern. Diese waren der Grentilgesellschaft vollständig unbekannt. Wir aber wissen heute genug davon zu erzählen. Mit der fortschreitenden Civilisation reichen auch sie nicht mehr ; der Staat zieht Wechsel auf die Zukunft, macht Anleihen , Staatsschulden. Auch davon weiss das alte Europa ein Liedchen zu singen.

Im Besitz der öffentlichen Grewalt und des Rechts der Steuer eintreibung, stehn die Beamten nun da als Organe der Gesellschaft über der Gresellschaft. Die freie, willige Achtung, die den Organen der GTentilver- fassung gezollt wurde, genügt ihnen nicht, selbst wenn sie sie haben könnten; Träger einer der Gresellschaft entfremdeten Macht, müssen sie in Respekt gesetzt werden durch Ausnahmsgesetze, kraft deren sie einer besondren Heiligkeit und Unverletzlichkeit geniessen. Der lumpigste Polizeidiener des civilisirten Staats hat mehr „Autorität" als alle Organe der Grentilgesellschaft zusammengenommen; aber der mächtigste Fürst und der grösste Staatsmann oder Feldherr der Civilisation kann den geringsten Grentilvorsteher beneiden um die unerzwungne und unbestrittene Achtung, die ihm gezollt wird. Der Eine steht eben mitten in der Gresellschaft; der Andre ist genöthigt, etwas vorstellen zu wollen ausser und über ihr.

Da der Staat entstanden ist aus dem Bedürfniss, Klassengegensätze im Zaum zu halten ; da er aber gleichzeitig mitten im Konflikt dieser Klassen ent- standen ist, so ist er in der Regel Staat der mächtig- sten, ökonomisch herrschenden Klasäe , die vermittelst seiner auch politisch herrschende Klasse wird, und so neue Mittel erwirbt zur Niederhaltung und Ausbeutung der unterdrückten Klasse. So war der antike Staat vor Allem Staat der Sklavenbesitzer zur Niederhaltung

138

der Sklaven, wie der Feudalstaat Organ des Adels zur Niederhaltung der leibeignen und hörigen Bauern, und der moderne Repräsentativstaat Werkzeug der Ausbeu- tung der Lohnarbeit durch das Kapital. Ausnahmsweise indess kommen Perioden vor, wo die kämpfenden Klassen einander so nahe das Grieichgewicht halten , dass die Staatsgewalt als scheinbare Yermitttlerin momentan eine gewisse Selbsständigkeit gegenüber Beiden erhält. So die absolute Monarchie des siebzehnten und acht- zehnten Jahrhunderts, die Adel und Bürgerthum gegen einander balancirt; so der Bonapartismus des ersten und namentlich des zweiten französischen Kaiserreichs, der das Proletariat gegen die Bourgeoisie und die Bour- geoisie gegen das Proletariat ausspielte. Die neueste Leistung in dieser Art, bei der Herrscher und Be- herrschte gleich komisch erscheinen, ist das neue deutsche Reich bismarck'scher Nation : hier werden Kapitalisten und Arbeiter gegen einander balancirt und gleichmässig geprellt zum Besten der verkommnen preussischen Kraut- junker.

In den meisten geschichtlichen Staaten werden aus- serdem die den Staatsbürgern zugestandenen Rechte nach dem Vermögen abgestuft und damit direkt aus- gesprochen , dass der Staat eine Organisation der be- sitzenden Klasse zum Schutz gegen die nichtbesitzende ist. So schon in den athenischen und römischen Ver- mögensklassen. So im mittelalterlichen Feudalstaat, wo die politische Machtstellung sich nach dem Orundbesitz gliederte. So im Wahlcensus der modernen Repräsen- tativstaaten. Diese politische Anerkennung des Besitz- unterschieds ist indess keineswegs wesentlich. Im Gegentheil, sie bezeichnet eine niedrige Stufe der staat- lichen Entwicklung. Die höchste Staatsform, die demo- kratische Republik, die in unsern modernen Gresell- schaftsverhältnissen mehr und mehr unvermeidliche Nothwendigkeit wird und die Staatsform ist, in der der letzte Entscheidungskampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie allein ausgekämpft werden kann die demokratische Republik weiss officiell nichts mehr von Besitzunterschieden. In ihr übt der Reichthum seine

139

Macht indirekt, aber um so sichrer aus. Einerseits in der Eorm der direkten Beamtenkorruption , wofür Amerika klassisches Muster, andrerseits in der Form der Allianz von Regierung und Börse, die sich um so leichter vollzieht, je mehr die Staatsschulden steigen und je mehr Aktiengesellschaften nicht nur den Trans- port, sondern auch die Produktion selbst in ihren Hän- den konzentiren und wiederum in der Börse ihren Mittel- punkt finden. Dafür ist ausser Amerika die neueste französische Republik ein schlagendes Beispiel, und auch die biedre Schweiz hat auf diesem Felde das Ihrige geleistet. Dass aber zu diesem Bruderbund von Regie- rung und Börse keine demokratische Republik erforder- lich, beweisst ausser England das neue deutsche Reich, wo man nicht sagen kann, wen das allgemeine Stimm- recht höher gehoben hat, Bismarck oder Bleichröder. Und endlich herrscht die besitzende Klasse direkt mittelst des allgemeinen Stimmrechts. Solange die unterdrückte Klasse, also in unserm Fall das Proletariat, noch nicht reif ist zu seiner Selbstbefreiung, solange wird sie, der Mehrzahl nach, die bestehende Gresellschaftsordnung als die einzig mögliche erkennen und politisch der Schwanz der Kapitalistenklasse, ihr äusserster linker Flügel sein. In dem Mass aber, worin sie ihrer Selbstemancipation ent- gegenreift, in dem Mass konstituirt sie sich als eigne Partei, wählt ihre eignen Vertreter, nicht die der Ka- pitalisten. Das allgemeine Stimmrecht ist so der G-rad- messer der Reife der Arbeiterklasse. Mehr kann und wird es nie sein im heutigen Staat 5 aber das genügt auch. An dem Tage, wo das Thermometer des allge- meinen Stimmrechts den Siedepunkt bei den Arbeitern anzeigt, wissen sie sowohl wie die Kapitalisten, woran sie sind.

Der Staat ist also nicht von Ewigkeit her. Es hat Gesellschaften gegeben, die ohne ihn fertig wurden, die von Staat und Staatsgewalt keine Ahnung hatten. Auf einer bestimmten Stufe der ökonomischen Entwick- lung, die mit Spaltung der Gesellschaft in Klassen nothwendig verbunden war, wurde durch diese Spaltung der Staat eine Nothwendigkeit. Wir nähern uns jetzt

140

mit rasclien Schritten einer Entwicklungsstufe der Pro- duktion, auf der das Dasein dieser Klassen nicht nur aufgehört hat, eine Nothwendigkeit zu sein, sondern ein positives Hinderniss der Produktion wird. Sie wer- den fallen, ebenso unvermeidlich, wie sie früher ent- standen sind. Mit ihnen fällt unvermeidlich der Staat. Die Gresellschaft, die die Produktion auf Grundlage freier und gleicher Association der Produzenten neu organisirt, versetzt die ganze Staatsmaschine dahin, wohin sie dann gehören wird: in's Museum der Alter- thümer, neben das Spinnrad und die bronzene Axt.

Die Civilisation ist also nach dem Yorausgeschickten die Entwicklungsstufe der Gresellschaft, auf der die Theilung der Arbeit, der aus ihr entspringende Aus- tausch zwischen Einzelnen, und die Beides zusammen- fassende Waarenproduktion zur vollen Entfaltung kom- men und die ganze frühere Gresellschaft umwälzen.

Die Produktion aller früheren Gresellschaftsstufen war wesentlich eine gemeinsame, wie auch die Kon- sumtion unter direkter Vertheilung der Produkte inner- halb grösserer oder kleinerer kommunistischer Gemein- wesen vor sich ging. Diese Gemeinsamkeit der Pro- duktion fand statt innerhalb der engsten Schranken; aber sie führte mit sich die Herrschaft des Produzenten über ihren Produktionsprozess und ihr Produkt. Sie wissen, was aus dem Produkt wird: sie verzehren es, es verlässt ihre Hände nicht ; und so lange die Pro- duktion auf dieser Grundlage betrieben wird, kann sie den Produzenten nicht über den Kopf wachsen, keine gespenstischen fremden Mächte ihnen gegenüber erzeu- gen, wie dies in der Civilisation regelmässig und un- vermeidlich der Fall ist.

Aber in diesen Produktionsprozess schiebt sich die Theilung der Arbeit langsam ein. Sie untergräbt die Gemeinsamkeit der Produktion und Aneignung, sie er- hebt die Aneignung durch Einzelne zur überwiegenden Regel, und erzeugt damit den Austausch zwischen Ein-

141 -

zelnen wie, das haben wir oben untersucht. All- mälig wird die Waarenproduktion lierrscbende Form.

Mit der Waarenproduktion , der Produktion nicht mehr für eignen Verbrauch, sondern für den Austausch, wechseln die Produkte nothwendig die Hände. Der Produzent gibt sein Produkt im Tausch weg, er weiss nicht mehr, was daraus wird. Sowie das G-eld, und mit dem Greld der Kaufmann als Vermittler zwischen die Produzenten tritt, wird der Austauschprozess noch ver- wickelter, das schliessliche Schicksal der Produkte noch ungewisser. Der Kaufleute sind viele, und keiner von ihnen weiss, was der andere thut. Die Waaren gehen nun schon nicht bloss von Hand zu Hand, sie gehu auch von Markt zu Markt ; die Produzenten haben die Herrschaft über die Gresammtproduktion ihres Lebens- kreises verloren, und die Kauüeute haben sie nicht überkommen. Produkte und Produktion verfallen dem Zufall.

Aber Zufall, das ist nur der eine Pol eines Zu- sammenhangs, dessen anderer Pol Nothwendigkeit heisst. In der Natur, wo auch der Zufall zu herrschen scheint, haben wir längst auf jedem einzelnen Grebiet die innere Nothwendigkeit und Gresetzmässigkeit nachgewiesen, die in diesem Zufall sich durchsetzt. Ebenso ist es in der Gesellschaft. Je mehr eine gesellschaftliche Thätig- keit, eine Reihe gesellschaftlicher Vorgänge der be- wussten Kontrole der Menschen zu mächtig wird, ihnen über den Kopf wächst, je mehr sie dem puren Zufall überlassen scheint, desto mehr setzen sich in diesem Zufall die ihr eigenthümlichen, innewohnenden Gesetze wie mit Naturnothwendigkeit durch. Solche Gesetze beherrschen auch die Zufälligkeiten der Waarenproduk- tion und des Waarenaustausches ; dem einzelnen Pro- duzenten und Austauschenden stehn sie gegenüber als fremde, Anfangs sogar unerkannte Mächte, deren Natur erst mühsam erforscht und ergründet werden muss. Diese ökonomischen Gesetze der Waarenproduktion modificiren sich mit den verschiednen Entwicklungs- stufen dieser Produktionsform; im Ganzen und Grossen aber steht die gesammte Periode der Civilisation unter

I

142

ihrer Herrschaft. Und noch heute beherrscht das Pro- dukt die Produzenten ; noch heute wird die Gresammt- produktion der G-esellschaft geregelt, nicht durch ge- meinsam überlegten Plan, sondern durch blinde Gresetze, die sich geltend machen mit elementarer Gfewalt, in letzter Instanz in den Gre wittern der periodischen Han- delskrisen.

Wir sahen oben, wie auf einer ziemlich frühen Ent- wicklungsstufe der Produktion die menschliche Arbeits- kraft befähigt wird, ein beträchtlich grösseres Prodiikt zu liefern als zum Unterhalt der Produzenten erforder- lich ist, und wie diese Entwicklungsstufe in der Haupt- sache dieselbe ist, auf der Theilung der Arbeit und Austausch zwischen Einzelnen aufkommen. Es dauerte nun nicht lange mehr, bis die grosse „Wahrheit" ent- deckt wurde, dass auch der Mensch eine Waare sein kann; dass die menschliche Arbeitskraft austauschbar und vernutzbar ist, indem man den Menschen in einen Sklaven verwandelt. Kaum hatten die Menschen au- gefangen auszutauschen, so wurden sie auch schon selbst ausgetauscht. Das Aktivum wurde zum Passivum, die Menschen mochten wollen oder nicht.

Mit der Sklaverei, die unter der Civilisation ihre vollste Entfaltung erhielt, trat die erste grosse Spal- tung der Gresellschaft ein in eine ausbeutende und eine ausgebeutete Klasse. Diese Spaltung dauerte fort wäh- rend der ganzen civilisirten Periode. Die Sklaverei ist die erste, der antiken Welt eigenthümliche Eorm der Ausbeutung; ihr folgt die Leibeigenschaft im Mittel- alter, die Lohnarbeit in der neueren Zeit. Es sind dies die drei grossen Formen der Knechtschaft, wie sie für die drei grossen Epochen der Civilisation charakteristisch sind; offne, und neuerdings verkleidete, Sklaverei geht stets daneben her.

Die Stufe der Waarenproduktion, womit die Civili- sation beginnt, wird ökonomisch bezeichnet durch die Einführung 1) des Metallgelds, damit des Greldkapitals, des Zinses und Wuchers ; 2) der Kaufleute als ver- mittelnder Klasse zwischen den Produzenten; 3) des Privatgrundeigenthums und der Hypothek, und 4) der

143

Sklavenarbeit als herrschender Produktionsform. Die der Civilisation entsprechende und mit ihr definitiv zur Herrschaft kommende Familienform ist die Monogamie, die Herrschaft des Mannes über die Frau, und die Einzelfamilie als wirthschaftliche Einheit der Gfesell- schaft. Die Zusammenfassung der civilisirten Gresell- Schaft ist der Staat, der in allen mustergültigen Perioden ausnahmslos der Staat der herrschenden Klasse ist, und in allen Fällen wesentlich Maschine zur Niederhaltung der unterdrückten, ausgebeuteten Klasse bleibt. Be- zeichnend für die Civilisation ist noch : einerseits die Fixirung des Gregensatzes von Stadt und Land, als der Grundlage der gesammten gesellschaftlichen Arbeits- theilung; andrerseits die Einführung der Testamente, wodurch der Eigenthümer auch noch über seinen Tod hinaus über sein Eigenthum verfügen kann. Diese der alten G-entilverfassung direkt in's G-esicht schlagende Einrichtung war in Athen bis auf Selon unbekannt; in Eom ist sie schon früh eingeführt, wann, wissen wir nicht ; *) bei den Deutschen führten die Pfafi'en sie ein, damit der biedre Deutsche sein Erbtheil der Kirche ungehindert vermachen könne.

Mit dieser Grundverfassung hat die Civilisation Dinge vollbracht, denen die alte Gentilgesellschaft nicht im Entferntesten gewachsen war. Aber sie hat sie vollbracht, indem sie die schmutzigsten Triebe und Leidenschaften der Menschen in Bewegung setzte und

*) Lassalle'a „System der erworbenen Kechte" dreht sich haupt- sächlich um den Satz, das römische Testament sei so alt wie Rom selbst, es habe für die römische Geschichte nie „eine Zeit ohne Testament gegeben" ; das Testament sei vielmehr in vorrömischer Zeit aus dem Kultus der Verstorbenen entstanden. Lassalle, als gläubiger Althegelianer, leitet die römischen Rechtsbesiimmungen ab, nicht aus den gesellschaftlichen Verhältnissen der Römer, son- dern aus dem „spekulativen Begriff* des Willens, und kommt da- bei zu jener total ungeschichtlichen Behauptung. Man kann sich darüber nicht wundern in einem Buch, das auf Grund desselben spekulativen Begriffs zu dem Ergebniss kommt, bei der römischen Erbschaft sei die Uebertragung des Vermögens reine Nebensache gewesen. Lassallo glaubt nicht nur an die Illusionen der römischen Juristen, besonders der früheren Zeit; er übergipfelt sie noch.

144

aiif Kosten seiner ganzen übrigen Anlagen entwickelte. Die glatte Habgier war die treibende Seele der Civili- sation von ihrem ersten Tag bis heute, Reichthum und abermals Reichthum, und zum drittenmal E-eichthum, Reichthum nicht der Gresellschaft, sondern dieses ein- zelnen lumpigen Individuums, ihr einzig entscheidendes Ziel. Wenn ihr dabei die steigende Entwicklung der Wissenschaft, und zu wiederholten Perioden die höchste Blüte der Kunst in den Schoss gefallen ist, so doch nur, weil ohne diese die volle Reichthumserrungen- schaft unsrer Zeit nicht möglich gewesen wäre.

Da die Grrundlage der Civilisation die Ausbeutung einer Klasse durch eine andre Klasse ist, so bewegt sich ihre ganze Entwicklung in einem fortdauernden Widerspruch. Jeder Fortschritt der Produktion ist gleichzeitig ein Rückschritt in der Lage der unter- drückten Klasse, d, h. der grossen Mehrzahl. Jede Wohlthat für die Einen ist nothwendig ein Uebel für die Andern, jede neue Befreiung der einen Klasse eine neue Unterdrückung für eine andre Klasse. Den schla- gendsten Beweis dafür liefert die Einführung der Ma- schinerie, deren Wirkungen heute weltbekannt sind. Und wenn bei den Barbaren der Unterschied von Rech- ten und Pflichten, wie wir sahen, noch kaum gemacht werden konnte, so macht die Civilisation den Unter- schied und Gregensatz Beider auch dem Blödsinnigsten klar, indem sie einer Klasse so ziemlich alle Rechte zuweist, der andern dagegen so ziemlich alle Pflichten.

Das soll aber nicht sein. Was für die herrschende Klasse gut ist, soll gut sein für die ganze Gesellschaft, mit der die herrschende Klasse sich identificirt. Je weiter also die Civilisation fortschreitet, je mehr ist sie genöthigt, die von ihr mit Nothwendigkeit geschaff- nen Uebelstände mit dem Mantel der Liebe zu be- decken, sie zu beschönigen oder wegzuleugnen, kurz eine konventionelle Heuchelei einzuführen, die weder früheren Gresellschaftsformen noch selbst den ersten Stufen der Civilisation bekannt war, und die zuletzt in der Behauptung gipfelt: die Ausbeutung der unter- drückten Klasse werde betrieben von der ausbeutenden

__ 145

Klasse einzig und allein im Interesse der ausgebeuteten Klasse selbst; und wenn diese das nicht einsehe, son- dern sogar rebellisch werde, so sei das der schnödeste Undank gegen ihre Wohlthäter, die Ausbeuter.*)

Und nun zum Schluss Morgan's Urtheil über die Civilisation :

„Seit dem Eintritt der Civilisation ist das Wachs- thum des Reichthums so ungeheuer geworden, seine Formen so verschiedenartig, seine Anwendung so um- fassend, und seine Verwaltung so geschickt im Inter- esse der Eigenthümer, dass dieser Reichthum, dem Volk gegenüber, eine nicht zu bewältigende Macht geworden ist. Der Menschengeist steht rathlos und gebannt da vor seiner eignen Schöpfung. Aber dennoch wird die Zeit kommen, wo die menschliche Vernunft erstarken wird zur Herr- schaft über den R,eichthum, wo sie feststellen wird sowohl das Verhältniss des Staats zu dem Eigenthum, das er schützt, wie die Grrenzen der Eechte der Eigen- thümer. Die Interessen der Gesellschaft gehen den Einzelinteressen absolut vor, und Beide müssen in ein gerechtes und harmonisches Verhältniss gebracht wer- den. Die blosse Jagd nach Keichthum ist nicht die Endbestimmung der Menschheit, wenn anders der Fort- schritt das Gresetz der Zukunft bleibt, wie er es war für die Vergangenheit. Die seit Anbruch der Civili- sation verflossene Zeit ist nur ein kleiner Bruchtheil der verflossenen Lebenszeit der Menschheit; nur ein kleiner Bruchtheil der ihr noch bevorstehenden. Die Auflösung der Gresellschaft steht drohend vor uns als

*) Ich beabsichtigte anfangs, die brillante Kritik der Civilisation, die sich in den Werken Charles Fouriurs zerstreut vorfindet, neben ditgenige Morgan's und meine eigne zu stellen. Leider fehlte mir die Zeit dazu. Ich bemerke nur, dass schon bei Fourier Mono- gamie und Grundeigenthum als Hauptkennzeichen der Civilisation gelten und dass er sie einen Krieg des Keichcn gegen den Armen nennt. Ebenfalls findet sich bei ihm schon die tiefe Einsicht, dass in allen mangelhaften, in Gegensätze gespal enen Gesellschaften Einzelfarailien (Ics familles incoherentes) die wirthschaftlichon Ein- heiten sind.

10

HO

/— /S^-^ f

it^6

University of British Columbia Library

DUE DATE

OCT 1 7 t975 m\)

FEB 2 3 1977

~mrr~~^

\m 2 91982 "^^^ JÜL271Dfe^

FORM 3IO

UNIVERSITY OF B.C. LIBRARY

3 9424 028

2 8228

LJI wO#\

^ E-i**v?-

Ä «Hü

■^3k.4i,*S^T:ra

*■-**■%■*

»r5CÄ

in.

Ä.-Ä^^Ä

Wf

ft

v^* i^

CK

tsA

-b 131

m

m.'zm'^ i

»mii

T 1 I t

** 1 1 1

p

1 I

H H ^^^BL

» ,T?-

i.*^'-,^.%

■ir-i

9^, laL^'W^-^i. ■'«!.

^^-^-v,^,^..

^^..J^.

'Iff -^