Ds r en, en ee een ae ecı en nn ee at, DIE ABSTAMMUNG sÄLTESTEN HAUSTIERE. PHYLOGENETISCHE: STUDIEN ‚ÜBER DIE ZOOLOGISCHE HERKUNFT. DER IN PRÄHISTORISCHER' ZEIT ERWORBENEN. /HAUSTIER-AÄRTEN, NEBST "UNTER SUCHUNGEN ÜBER DIE VERBREITUNGSWEGE DER EINZELNEN ZAHMEN RASSEN. VON DR. CONRAD KELLER O. PROFESSOR DER SPENIELLEN ZOOLOGIE AM EIBGENÖSSISCHEN POLYTECHNIKUM IN ZORICH, AR > MERAUSGEGEBEN DURGH DIE STIFTUNG VON SCHNYDER VON WARTENSEE, RR ENRICH 1082 KOMMISSIONS- VERLAG-VON FRITZ AMBERGER. VORM DAVID al 44807. & DIE ABSTAMMUNG DER AÄLTESTEN HAUSTIERE PHYLOGENETISCHE STUDIEN ÜBER DIE ZOOLOGISCHE HERKUNFT DER IN PRÄHISTORISCHER ZEIT ERWORBENEN HAUSTIER-ARTEN NEBST UNTER- SUCHUNGEN ÜBER DIE VERBREITUNGSWEGE DER EINZELNEN ZAHMEN RASSEN. VON N = Fr DEICONRAD-.KEERER ©. PROFESSOR DER SPEZIELLEN ZOOLOGIE AM EIDGENÖSSISCHEN POLYTECHNIKUM IN ZÜRICH. HERAUSGEGEBEN DURCH DIE STIFTUNG VON SCHNYDER VON WARTENSEE. ZÜRICH 1902 DRUCK UND KOMMISSIONS-VERLAG VON FRITZ AMBERGER VORM. DAVID BÜRKLI. ———— Haustierwelt vor vierzig Jahren genommen hat, sollte man | erwarten, dass der Ausbau dieses zoologischen \W issens- zweiges heute nahezu vollendet sei. Dem ist jedoch nicht so. Ein Blick in die einschlägige Litteratur belehrt uns im Gegenteil, dass bezüglich der Abstammung der allerwichtigsten Haustier-Rassen eine ausserordentliche Verwirrung herrscht. Leider hat die moderne Schulzoologie den Gegenstand gründlich vernachlässigt — gewiss nicht zu ihrem Vorteil! Sind doch gerade bei den der Domestikation unterworfenen Tieren die phylogenetischen Probleme in der allerpositivsten Weise zu fassen und die Gesetze der Umbildung tierischer Formen am klarsten zu überblicken. Mehr Interesse für die hier zu erörternden Abstammungsfragen brachte man aus den Kreisen der Landwirte entgegen. Die wissenschaftliche Tierproduktionslehre hat seit Jahren die Notwendigkeit einschlägiger Untersuchungen hervorgehoben, da solche der Praxis die nötige Sicherheit des züchterischen Vorgehens gewähren müssen. Die Zootechniker haben auch wohl versucht, dem Stiefkind der Zoologie, der Haustiergeschichte, nach Kräften aufzuhelfen. Aber diese Kräfte waren schr häufig unzureichend und führten zum Dilettantismus — rühmliche Ausnahmen immerhin zugegeben. Nicht jeder Zootechniker befand sich eben in der glücklichen Lage eines H. von Nathusius, der richtig sah, weil er tüchtiger Praktiker und Zoologe zugleich war. So entstand oft mehr Verwirrung als Klarheit in Fragen, die selbst für den ge- schulten Zoologen zu den allerschwierigsten gehören. je ie ethnographische und kulturgeschichtliche Forschung, die an organg der Haustierwerdung ein lebhaftes Interesse haben am über eine gewisse Stufe der Erkenntnis niemals hinaus. en habe ich in meinen Vorarbeiten zu diesem Gegenstand verschiedene Forschungsmethoden zusammenwirken nach rückwärts visieren. Den Gegenstand zu erschöpfen, kann nicht in meiner Absicht liegen; dem Einzelnen ist dies kaum möglich, es bedarf dazu der Mitwirkung Vieler. Uecberdies ist die Schwierigkeit der Material- beschaffung viel grösser als man glaubt. Ich bin mir derselben um so vollkommener bewusst, da ich auf weiten Gebieten der alten Welt gesammelt habe und namentlich auch die Haustierwelt der wichtigsten afrikanischen Kulturkreise aus eigener Anschauung kennen lernte. Meine Arbeit soll cine der Gegenwart entsprechende Grundlage schaffen, auf welcher ein weiterer Ausbau möglich ist. Ich beschränkte mich auf die Abstammung der alten Haussäugetiere, da bezüglich der Hausvögel, insbesondere Huhn und Taube, seit den sorgfältigen Untersuchungen Darwin’s die Herkunft klargelegt ist. Hinsichtlich der wichtigsten, in prähistorischer Zeit entstandenen Haustierarten vertrete ich da und dort Ansichten, die von den herrschenden Meinungen abweichen; meine Resultate verdanke ich Methoden, die ich zum Teil erst schaffen musste. Dass ich mich auf die wichtigsten und allerältesten Haustiere beschränkte, hat einen doppelten Grund. Einmal ist deren Phylo- genese am dunkelsten geblieben und am schwierigsten zu ermitteln. Sodann hat der Mensch seine wichtigsten Erwerbungen in der Tierwelt bereits in vorhistorischer Zeit gemacht; was nachträglich hinzukam, erscheint von sekundärer Bedeutung. Zürich, am 1. September 1902. Prof: Dr. Er Keller: INHAETS-UEBERSICET. Seite I. Historische Einleitung a A A R H e 5 i SW ENE 1—6 ll. Die Methoden der Rassenforschung und der Haustier-Phylogenie . : I7—-M III. Die antike Kunst im Dienste der Haustiergeschichte 5 ? : : 18— 23 IV. Der Vorgang der Haustierwerdung 6 h : : - - & 24— 34 V. Die Haushunde 5 © s = e 2 6 ö ; : e 35—80 VI. Die Hauskatze ‚ 2 F ß : ! 6 H H 5 R 81—87 VII. Pferd und Esel g N 5 : - E 3 - : : i 88..-99 VIII. Die Hausschweine . : & 5 ö : : i £ ; 100— 115 IX. Die Hausrinder (Bos taurus und Bos indicus) 5 £ : P 116— 168 X. Das Hausschaf A 5 5 a - 5 6 ; : : 169—198 XI. Die Hausziege . 5 . a 3 - > 5 5 > 2 h 199 — 209 XII. Das Kamel : h 2 3 5 i s 5 5 e 5 210—215 Uebersicht über die Stammesverhältnisse der ältesten Haustiere % ; F 216—217 Nachtrag zum Kapitel „Hausrinder* - ; a f e R ? o 218 Rückblick . : 5 : 5 : : 6 : . : : ß : 219— 232 EAU S TORISCHEEINBETFUNG Oo warte die Herkunft der Haustiere hatte man bereits im klassischen Altertum die vollkommen richtige Vorstellung, dass sie aus dem Wildstande in den Dienst des Menschen herüber genommen Ve” wurden und die aristotelische Zeit betrachtete allgemein Asien als das Stammland der wichtigsten Arten. Vergleichen wir damit, was noch im Jahr 1835 der Münchener Zoologe Andreas Wagner in einem angesehenen wissenschaftlichen Sammelwerk behauptet.') Nach diesem Autor hängt die Frage der Domestikation aufs innigste mit dem primitiven Zustand des Menschengeschlechts zusammen; keine der frühesten Urkunden der Völker weiss etwas von Tierzähmung, sie alle sprechen von einem höheren, besseren Zustand des jugendlichen Menschengeschlechts, das eine vollkommene Herrschaft über die ganze Welt der Tiere ausübte. Mit dem Fall des Menschen ging diese Gewalt verloren und nur ein kleiner Teil der Tiere, der zu seiner Existenz unum- gänglich nötig war, blieb ihm noch ferner überlassen. Ich habe absichtlich diese Gegenüberstellung gewählt, um zu zeigen, wie wenig Fortschritte die Kenntnis der Haustiergeschichte während zwei Jahrtausenden zu verzeichnen hat. Jener Standpunkt mag ja nicht allseitige Billigung erfahren haben, aber dass er überhaupt noch im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts in einem ernsthaften Werke ausgesprochen werden durfte, ist für den Stand der Dinge bezeichnend. Es bedeutet dies ein Rückgang hinter das 18. Jahrhundert, da bereits Buffon auf einem wissenschaftlich ganz richtigen Boden stand, indem er für eine Reihe alter Haustiere (Pferd, Esel, Kamel, Ziege, Schaf und Hund) eine Herkunft aus dem Orient nachzuweisen versuchte und eine entsprechende wilde Stammart als Ausgangspunkt ansah, denn er sagt, dass die Natur noch weitere Arten in Reserve habe, die der Mensch mit einiger Anstrengung in seinen Dienst herüberziehen könnte (il ne tiendrait qu’a nous d’assujettir et de faire servir A nos besoins).’) Der letztere Gedanke ist später namentlich in Frankreich mit Begeisterung aufgegriffen und durchzuführen versucht = = 2 I ul S 1) $. Ch. D. von Schreber. Die Säugetiere. Fortsetzung von Andreas Wagner. VI. Teil. 1835. Pag. 4. 2) Histoire naturelle, t. XII. 1764. 2 Die Abstammung der ältesten Haustiere. worden. Der Erfolg entsprach allerdings nicht den gehegten Erwartungen. Man übersah eben, dass eine allzu extensive menschliche Wirtschaft nur zu einer Zersplitterung der Kräfte führen musste. Aehnliche Ansichten bezüglich der Herkunft unserer ältesten Haustiere vertraten im 18. Jahrhundert Güldenstädt und Pallas, so dass schliesslich die Neigung immer mehr hervortrat, dieselben ganz allgemein aus Asien herzuleiten. Dieser Strömung trat dann @. Cuvier insofern entgegen, als er wenigstens für die Hausrinder einen europäischen Ursprung nachwies. Im übrigen war Caxvzer’s Einfluss der Entwicklung der Haustier-Geschichte nichts weniger als günstig. Es hängt dies mit seinen allgemeinen theoretischen Anschauungen zusammen. Als entschiedener Vertreter der Artbeständigkeit waren ihm die wandelbaren Haustiere in höchstem Grade unbequem; wenn er auch zugiebt, dass die Einwirkung des Menschen Abänderungen hervor- riefen, die in der freien Natur niemals entstehen konnten, so drückt doch der grosse Schöpfer der vergleichenden Anatomie die Variationsgrenze in einer subjektiven Weise derart herunter, dass er in offenbaren Widerspruch mit den 'Ihatsachen gelangt. In seinem berühmt gewordenen „Discours preliminaire‘, den er seinen „Recherches sur les ossements fossiles“ vor- ausschickt, durchgeht er kurz die Variationen (pag. 60 und 61). Bei der halb domestizierten Katze beschränken sie sich auf einige Aeusserlichkeiten, Unterschiede im Skelett sind dagegen nicht vorhanden. Bei den Rindern sind diese Veränderungen schon grösser, aber wiederum rein äusserlich: grösserer oder kleinerer Wuchs, mehr oder weniger lange Hörner, die auch fehlen können, eine grössere oder geringere Menge Fett auf dem Rücken — das ist alles. Schafe und Pferde verhalten sich ähnlich, einzig der Hund zeigt stärkere Einwirkungen, aber auch hier wird an dem gegen- seitigen Verhältnis der Knochen nichts geändert („dans toutes ces variations les relations des os restent les m&mes“!). Während die vergleichende Anatomie als Führerin in den so schwierigen Rassenfragen prädestiniert war, hat seltsamer Weise ihr Schöpfer durch seine Autorität dieselben in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts völlig lahm gelegt und nur so erklärt sich die retrograde Stellung, die sich beispiels- weise bei Azdreas Wagner bemerkbar macht. In Frankreich blieb eine mächtige Gegenströmung nicht aus. /szdore Geofroy St. Hrlarre, den Traditionen seines Vaters folgend und wie dieser auf dem Boden der Entwicklungslehre stehend, bekämpfte mit Erfolg die Ansichten von (Czxwzer und bereitete in seinem Werk „Acclimatation et domestication des animaux utiles“, das von 1849 bis 1860 vier Auflagen erlebte, den Boden für unsere modernen Anschauungen über die Abstammung der Haustiere vor. Indem er von denselben Art für Art vornimmt, weist er in über- zeugender Weise nach, dass die Variationen nicht allein äusserliche, ober- tlächliche sind, wie Cxvzer wollte, sondern dass sie auch die beständigsten Historische Einleitung, L inneren Organe wie das Skelett beeinflussen. Im Jahr 1859 stellte er in den „Comptes Rendus“ eine Liste von 47 Haustieren auf, die ihrer Ent- stehung nach verschiedenalterig sind und von denen er 14 Arten als in vorhistorischer Zeit entstanden erklärt. Zum ersten Mal erfolgen eingehendere Angaben über die Urheimat und die Verbreitungswege für die einzelnen Haustierspezies. Die Methode, die /s. Geofroy St. Hrlaire zur Anwendung bringt, ist zunächst die rein zoologische, doch vermisst man die vergleichend-anatomische Grundlage allzusehr und Irrtümer mussten da und dort unterlaufen. Daneben werden die Thatsachen der Kulturgeschichte in ausgiebigster Weise herangezogen, womit zweifellos wertvolle Winke gewonnen und vielfach richtige Perspek- tiven erzielt wurden. Die orientalische, beziehungsweise asiatische Herkunft der ältesten Haustiere gelangt zu stärkster Betonung: „L’Orient, particu- lierement l’Asie, est la patrie primitive des animaux domestiques et, sans exception, de tous ceux, dont la domestication est la plus ancienne*“.') In jener Periode beschäftigte sich sodann Z. Frizinger eingehender mit der Abstammung und Verbreitung der Haustierrassen. Seine Arbeiten sind vorzugsweise in den Sitzungsberichten der Akademie der Wissenschaften in Wien niedergelegt, später (1876) schrieb er ein besonderes Werk über die Hunderassen und ihre Abstammung. In rasse-geographischer Hinsicht ist viel brauchbares Material zusammengetragen, die Methode zur Auf- findung der Stammformen jedoch verfehlt. Z7zizinger verfährt rein des- kriptiv, indem er sich an rein äusserliche Merkmale hält, anatomische Analysen dagegen fast gar nicht anwendet. Die Art, wie er Bastarde von ungekreuzten Formen ausscheidet, trägt den Stempel der Willkürlichkeit an sich: die Zahl seiner Stammformen ist durchweg zu hoch, das Ab- stammungsbild viel zu verwickelt. Seine wissenschaftlichen Anschauungen haben daher keinen tieferen Einfluss auszuüben vermocht. Seine bis ins einzelne gehende Nomenclatur der Rassen ist zwar von manchen Autoren später zum Teil angenommen worden, basiert aber wiederum auf willkür- lichen Annahmen. In seinen späteren Arbeiten lässt er die inzwischen von anderen angebahnten Fortschritte bezüglich der Haustierstammarten so gut wie unberücksichtigt. Ein bedeutungsvoller Wendepunkt beginnt mit der Entdeckung der Pfahlbauten. Im Winter 1853/54 führte der ausnahmsweise niedrige Wasserstand des Zürichsees zur Auffindung der ersten prähistorischen Station in Ober- meilen, bald nachher kamen auch an verschiedenen anderen Stellen ähnliche alte Seedörfer zum Vorschein. Neben anderen Fundstücken förderte man aus dem Schlamm zahlreiche Haustierüberreste zu Tage, welche in Zudwzg Rüiimeyer einen geistvollen Bearbeiter fanden. !) /s. Geoffroy St. Hilaire. Animaux utiles. 18561. Pag. 256. 4 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Schon 1860 erschien dessen erste Veröffentlichung in den „Mitteilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich“, bald nachher folgte die klassische „Fauna der Pfahlbauten“ (1862), womit /lätzmeyer zum eigentlichen Be- gründer der modernen wissenschaftlichen Haustiergeschichte wurde und ganz neue Streiflichter auf das genetische Verständnis unserer Rassen zu werfen vermochte. Seine minutiösen vergleichend-anatomischen Analysen im Verein mit weiten geistigen Gesichtspunkten überholten alle seine Vor- gänger, Cuvzer nicht ausgenommen. Ausserdem fielen diese Untersuchungen in eine besonders empfängliche Zeit hinein. Darzwrn hatte kurz vorher sein Werk über den Ursprung der Arten veröffentlicht und trat darin mit allem Nachdruck für die Umbildung und Entwicklung der organischen Wesen ein. Zlätimeyer konnte als erster die Richtigkeit dieser Lehre an einem speziellen Beispiel darthun, indem er den primitiven Charakter der Haustiere der Pfahlbauperiode gegenüber der Gegenwart nachwies und eine Umbildung thatsächlich konstatierte. Es war somit die prähistorische Forschung, die in Verbindung mit anatomischen Methoden ganz neue Aus- blicke eröffnete. Im Jahre 1567 folgte als Ausbau der neugewonnenen Ideen der „Versuch einer natürlichen Geschichte des Rindes‘“, der für unsere zahmen Rinderformen die breiteste phylogenetische Grundlage bot. In England war es namentlich Charles Darwin, der die von Aütimeyer betretene Bahn in vollstem Umfange zu würdigen verstand und bei seinen eigenen Untersuchungen dessen anatomische Methode befolgte. In dem bekannten und vielbenutzten Werk über „Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation“, das 1568 in erster Auflage ausgegeben wurde, lässt sich der bedeutende Fortschritt erkennen, den die Geschichte der Haustiere in weniger als einem Dezennium gemacht hatte. Das Buch enthält neben einer ausserordentlichen Fülle von Thatsachen über die geographische Verbreitung der einzelnen Haustiere auch phylogenetische Ergebnisse, die neu und eigenartig sind — es mag hier nur auf die Stammes- geschichte der Kaninchen- und Tauben-Rassen hingewiesen werden. Von dieser Periode ab macht sich eine regere Thätigkeit bemerkbar, die bald auf den Gesamtbestand der Haustierwelt, bald auf einzelne Arten gerichtet ist. Ich erwähne zunächst T7’heophrl Studer, der vorzugsweise die prä- historische Seite bebaute und die reichen Haustierrelikte der westschweizer- ischen Pfahlbauten, welche infolge der Juragewässerkorrektion zu Tage traten, eingehender untersucht hat. Er konnte nicht allein die von Zätz- meyer gewonnenen Resultate bestätigen, sondern auch in mancher Hinsicht erweitern. In Deutschland hat Alfred Nehring in einer Reihe verdienstvoller Arbeiten an der Hand prähistorischer Funde unsere Kenntnisse über die Abstammung der Haustiere gefördert: ich erinnere an seine eingehenden Studien über diluviale Pferde und deren Beziehungen zu unseren heutigen Historische Einleitung. or Rinder, dann über die prähistorischen Hausschweine über altweltliche und altamerikanische Hunde. Y Einen andern Weg betrat Julrus Kühn durch die eines Haustiergartens im landwirtschaftlichen Instit Hier sollte dem Abstammungsproblem auf physio gangen werden und durch Kreuzungsversuche de men Rassen mit ver- schiedenen Wildformen die Affinität festgestellt werden. Einen Ueberblick über die erlangten Resultate hat 7. Kühn in der „Festschrift zur Feier des 25-jährigen Bestehens des landwirtschaftlichen Institutes“ 1888 gegeben. Ausserhalb Europa floss das Material zur Rassenkenntnis fremder Ge- biete etwas spärlicher, als man bei der raschen Aufeinanderfolge grosser Expeditionen hätte erwarten dürfen. Die verschiedenen Reisenden haben den Gegenstand allzusehr vernachlässigt. Doch giebt es rühmliche Aus- nahmen: /R. Hartmann machte eingehendere Erhebungen über die Haus- säugetiere der Nilländer (1864); @. Schwerinfurth und ©. Baumann haben unsere Kenntnisse afrikanischer Haustiere in erfreulicher Weise erweitert: Daneben finden wir zahlreiche Forscher, deren Thätigkeit darauf ge- richtet ist, einzelne Haustierspezies in monographischen Untersuchungen zu behandeln. Geradezu vorbildlich sind in dieser Richtung die „Vorstudien für Geschichte und Zucht der Haustiere‘, worin schon 1864 Zermann von Nathusius die Rassen des Schweines nach ihrer Verwandtschaft und Ab- stammung untersucht hat. Es ist zu bedauern, dass die Zootechniker der späteren Zeit hinsichtlich umsichtiger Handhabung der Methode diesem Muster vorurteilsfreier Untersuchung so selten gefolgt sind. An monographischen Arbeiten über das Rind sind die verschiedenen Veröffentlichungen von 32. Wzlckens hervorzuheben. Er ist der Begründer der früher übersehenen Brachycephalus-Rasse geworden, nahm aber be- züglich der Stammform der Rinder eine etwas schwankende Stellung ein. Eine ebenso eingehende wie sachkundige Durcharbeitung der früher ganz ungenügend bekannten Hausrinder Osteuropas lieferte Zeopold Adametz in einer Reihe von Publikationen und es wäre zu wünschen, dass auch die Universität Halle. :hem Wege nachge- westeuropäischen Rassen in ähnlicher Weise erforscht würden. Für die nordeuropäischen Rinder ist dies zum Teil geschehen, indem Z. O. Arenander mit einer einlässlichen Studie über die hornlosen Rinder hervortrat, deren Stellung in der Stammgeschichte er freilich nicht zutreffend beurteilte. Die Vorgeschichte der Hunderassen ist an der Hand prähistorischer Materialien, besonders von Teztteles, Woldrich, Anutschin, Strobel und Studer aufzuklären versucht worden, während Max Szber die asiatischen und afrikanischen Haushunde nach ihrer geographischen Verbreitung in besonderen Monographien bearbeitet hat. Die Hauskatze ist mit Rücksicht auf ihre Abstammung von Martorelli in neue Beleuchtung zu setzen versucht worden. 6 Die Abstammung der ältesten Haustiere. udie über rezente Pferde, namentlich über diejenigen Russlands, hat / rski geliefert. Der österreichische Zoologe Z. von Lorenz-Liburnau hat die Abstammungsverhältnisse unserer Hausziegen einer erneuten und verdi vollen Untersuchung unterzogen. Dem mag hinzugefügt werden, dass ich seit einem Dezennium dem Haustierproblem in einem ganzen Umfange nachzugehen bestrebt war und in meinen Veröffentlichungen die Bildungsherde und Wanderstrassen einzelner Arten verfolgte. Ich wies auf Grund neuer Untersuchungen auf die Not- wendigkeit hin, die Verhältnisse der Nachbarkontinente zu befragen, um deren Einwirkung auf den Haustierbestand Europas besser zu ermitteln. 1. ,DIE-METEIOBEN DERTRASSENFORSEHUNG UND: DER HAUSTIER PENEOSENTE. Juf keinem Gebiet der Zoologie ist eine genaue und kritische Orientierung über die einzuschlagenden Wege der phylogene- tischen Forschung so notwendig, wie gerade in der Haustier- geschichte. Der schwankende, unsichere Zustand in den in der Methode nicht kritisch genug war. Jeder geht seine eigenen Wege: Der Naturforscher kümmerte sich häufig zu wenig um die Thatsachen der Kulturgeschichte und Ethnographie; Kulturhistoriker und Sprachforscher glaubten oft genug, die schwierige Materie ohne Beihülfe der anatomischen Forschung bewältigen zu können und mussten naturgemäss auf Abwege geraten; die Prähistorie verliess sich allzusehr auf ihre Ergebnisse, ohne dieselben von andern Standpunkten zu beleuchten. Kein Wunder, dass da und dort sogar der Dilettantismus sich auf unser Feld wagte, um als schwerwiegendes Argument die „feste Ueberzeugung“ ins Feld zu führen. Diesem Zustand muss ein für allemal ein Ende gemacht werden und wir müssen völlige Klarheit darüber besitzen, wie hier methodisch vor- gegangen werden soll. Denn an das rassengeschichtliche Studium knüpfen sich eine grosse Zahl rein wissenschaftlicher Fragen, die uns Aufschluss zu geben haben über den grossen Vorgang der Umbildung in der organischen Welt — Fragen, deren Beantwortung wohl nirgends so klar gewonnen werden kann, wie auf dem Feld der Haustierwerdung. Auch in den grossen Tagesfragen der Ver- erbungsphysiologie, die immer noch nicht zur Ruhe kommen wollen, wird der definitive Entscheid wohl von Seite der Haustiergeschichte fallen müssen. Das Studium derselben hat aber nicht nur einen rein akademischen Wert; man beginnt vielmehr einzusehen, dass ihm auch eine eminent praktische Bedeutung innewohnt. Halten wir stets daran fest, dass jede Haustier-Rasse ein Produkt geschichtlicher Entwicklung ist; ihre morphologischen Eigenschaften bilden den sinnlich wahrnehmbaren Ausdruck für bestimmte physiologische Leist- ungen. Diese gestalten sich aber beim Haustier grossenteils zu wirtschaft- lichen Leistungen. 8 ) Die Abstammung der ältesten Haustiere. Die Ausbildung von Rassen konnte nur langsam vor sich gehen und es bedurfte der zürchterischen Intelligenz von vielen menschlichen Gene- rationen, um ein bestimmtes Zuchtziel zu erreichen. Eine grosse Summe von Kulturarbeit des Menschen erscheint somit im Haustier niedergelegt. Indem wir Rassengeschichte treiben, unsere heutigen Rassen also nach rückwärts verfolgen, um zuletzt beim Ausgangspunkt, d. h. bei der wilden Stammform anzulangen, gewinnen wir einen Ueberblick über den Weg, den die züchterische Praxis eingeschlagen hat, sowie über den Gesamterfolg der dabei verwendeten Kulturarbeit. Damit ist ein geistiger und ein prak- tischer Gewinn erzielt. Das Ergebnis muss notwendigerweise der Methode der Züchtung eine grössere Sicherheit verleihen. An die Stelle des Herum- tastens und der blossen Zufallsgriffe tritt der positive Anhalt für züchterische Bestrebungen. Ohne Kenntnis der Rassengeschichte bleibt die Tierproduktion auf unsicherer Basis. Daher die Erscheinung, dass fast in allen neueren Schriften über wissen- schaftliche Tierzucht die Rassengeschichte eine starke Betonung erfährt. Auch hat man in zootechnischen Kreisen den anerkennenswerten Versuch — fügen wir hinzu mit wechselndem Glück —- unternommen, der Ab- stammung der heutigen Rassen nachzugehen. Der wissenschaftlichen Zoologie fällt die Aufgabe zu, an Hand zuver- lässiger Methoden den landwirtschaftlichen Kreisen Unterstützung zu leihen und namentlich den Wust, der von unberufener Seite in das Gebiet der Rassengeschichte hineingeschleppt wurde, gründlich zu beseitigen! Da heisst es, jeden Fortschritt scharf unter die Loupe der Kritik nehmen, wobei besonders bei den schon in vorgeschichtlicher Zeit ent- standenen Haustierformen mit der grössten Umsicht operiert werden muss. Die herkömmlichen Methoden der theoretischen Zoologie reichen hier nicht mehr aus, denn es tritt im Entwicklungsgange eines Haustieres ein wesentlicher Faktor hinzu, der bei freilebenden Arten nicht in Frage kommt — es ıst der Mensch, der den Gang der Dinge beherrscht, seine Haustiere umbildet und die Verbreitung derselben besorgt, so dass die Migration im engsten Zusammenhang mit den Wanderungen der Völker steht, die ihr lebendes Inventar nach den neuen Wohnsitzen mitnehmen. Wir werden daher unter allen Umständen auch die Verbreitungs- geschichte des Menschen, sowie seinen Kulturbesitz in den einzelnen Kultur- kreisen zu untersuchen haben, um Winke für die Herkunft der einzelnen zahmen Arten zu gewinnen. Die Anwendbarkeit unserer Methoden beruht im Ferneren auf zwei Voraussetzungen, deren Richtigkeit vorerst zu prüfen wäre. Die eine Voraussetzung nimmt als Ausgangspunkt irgend einer zahmen Art eine Wildform an, die erst mit dem Auftreten des Menschen gezähmt werden konnte. Dagegen kann wohl kein Einwand erhoben werden. Es sind zunächst vergleichend-anatomische Gründe, die direkte Belege dafür Wo) Die Methoden der Rassen-Forschung und der Haustier-Phylogenie. liefern, dass die Wildform die Vorstufe zum Haustier bildet; die Annahme wird aber auch durch Dokumente der antiken Kunst bestätigt und endlich sehen wir ja noch in der Gegenwart am Beispiel des afrikanischen Strausses den Vorgang sich abspielen, wie eine freilebende Art allgemeiner in den Hausstand des Menschen übertritt. Die zweite Voraussetzung geht dahin, dass bei den allermeisten Haus- tieren die zugehörige wilde Stammform heute noch fortlebt. Diese Annahme schien aus dem Grunde zulässig, weil die Domestikation doch erst auf einer gewissen Entwicklungsstufe des Menschen stattgefunden hat und manche Völker heute noch hinter dieser Stufe zurückbleiben. Der Zeitraum, der die Gegenwart von der Zeit des ersten Erscheinens zahmer Tierarten in der Umgebung des Menschen trennt, ist nicht gross genug, um das völlige Erlöschen der zugehörigen Wildformen herbeizuführen. Es ist natürlich schwer, zuverlässige Daten über das Alter der ältesten Haustiere zu ge- winnen. Die Nachforschungen, die ich nach dieser Richtung an altägyptischen Haustieren angestellt habe, führten zu dem Ergebnis, dass die frühesten Spuren dort bis in das 6. Jahrtausend v. Chr. zurückverfolgt werden können. Rind, Schaf und Esel traten in den Hausstand ein, da die Be- wohner Urägyptens von der Steinzeit in die vorpharaonische Negadahzeit übergingen. Wir werden uns nicht allzuweit von der Wirklichkeit ent- fernen, wenn wir jene Kulturstufe um etwa 8000 Jahre von der Gegenwart zurückdatieren. Dieser Zeitraum genügt nicht, um Wildformen zum Er- löschen zu bringen, wie wir gerade an der Hand ägyptischer Dokumente nachweisen können. Immerhin hat es nicht an Widersprüchen gegen unsere zweite Voraus- setzung gefehlt. Der fleissige, aber nicht immer sehr kritische Zoologe L. Filzinger schrieb noch 1876: „Die Behauptung, dass unmöglich ale „Individuen einer Art gezähmt werden können, entbehrt jedes historischen „Beweises und wird durch die erlaubte Annahme einer Zangen Dauer der „Zähmungsperiode bedeutend entkräftet. Um diesen Einwurf vollkommen „ungültig zu machen, bedarf es nur der so einleuchtenden Annahme, dass „jene Individuen, die sich der Domestikation entzogen haben, durch all- „mähliche Ausrottung vom Schauplatz entfernt wurden, eine Annahme, „die so natürlich erscheint, dass man sie schon längst gebilligt hat.“ Wenn diese so sicher hingeworfene Behauptung Fitzinger's wirklich jene allgemeine Billigung erfahren hätte, wie der Autor glaubhaft machen will, dann müssten wir es natürlich aufgeben, nach den wilden Stamm- formen unserer tierischen Hausgenossen zu suchen. Es ist von grundsätzlicher Bedeutung, die unhaltbaren Annahmen von Fitzinger an der Hand von Thatsachen zu widerlegen. Ich will zunächst die lange Dauer der Domestikation nicht verwerfen. Der Mensch hat nur langsam und nach vielen missglückten Versuchen Tiere seiner Umgebung dauernd an den Hausstand gewöhnen können. 10 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Auf den ersten Wurf wurde kein Haustier gewonnen. Vielorts mochte man für zweckmässig finden, um bei den mangelhaften Verkehrswegen einer starken Inzucht vorzubeugen, ab und zu wieder frisches Blut aus dem Wildstande einzuführen. Was Plmnzus und Columella hierüber berichten, ist wohl nicht ganz von der Hand zu weisen. Dagegen ist es durchaus falsch, wenn man glaubt, die Wildformen seien nach und nach ausgemerzt worden. Für ein geographisch beschränktes Areal, das stark kultiviert wurde, mag das richtig sein. Sehen wir doch überall den Wildstand zurückgehen, wo die höhere Kultur sich ausbreitet und intensive Wirtschaft betrieben wird. Daneben giebt es noch Erdräume genug, wo der nicht domestizierte Rest einer Art bequem fortleben kann. Und ein solcher Rest muss geblieben sein, da ja der Mensch nur einen Bruchteil der Individuen zähmen konnte. Merkwürdigerweise scheint /7fzinger die längst vor 1876 erschienenen Untersuchungen von NMaikuszus nicht gekannt zu haben, denen zufolge das ostasiatische Hausschwein, das schon zur Pfahlbauzeit nach Europa gelangte, von dem heute noch in Asien wildlebenden Bindenschwein abstammt, während unser Schwarzwild das karpfenrückige Landschwein Mitteleuropas geliefert hat. Die Steppenrinder Osteuropas und die Niederungsrinder im Norden Deutschlands sind Abkömmlinge des Ur (Bos primigenius), welcher zuerst im mykenischen Kulturkreis gezähmt wurde, als Wildform aber noch lange neben seinen zahmen Verwandten fortlebte, da er 1627 endgültig verschwand. Für die Windhundgruppe konnte ich die gemeinsame Stammform im abessinischen Wolfe nachweisen, der heute noch als Wildhund in den oberen Nilländern vorhanden ist. $ Das afrikanische Mähnenschaf lieferte schon vor Beginn des alten Reiches ein eigentümliches Hausschaf, die wilde Stammart musste im Nil- thal der Kultur weichen, hat sich aber auf weiten Gebieten Afrikas bis zur (segenwart behauptet, wie dies auch für die wilde Stammform der asiatischen Schafe gilt. Also kann auch die zweite Voraussetzung ohne Bedenken angenommen werden. Wollen wir die Urheimat irgend eines Haustieres aufsuchen, so machen wir sehr bald die Erfahrung, dass eine einzige Methode nicht genügt, es sind, will man Täuschungen vermeiden, stets Kontroll-Methoden einzuführen ; das Ergebnis erlangt erst dann die nötige Sicherheit, wenn es von möglichst verschiedenen Standpunkten aus beleuchtet werden kann. Nirgends rächt sich die Einseitigkeit der Methode rascher als auf dem Gebiet der Haus- tiergeschichte; die heillose Verwirrung, die bis zur Gegenwart besteht, ist lediglich auf methodische Missgriffe zurückzuführen. Die Unklarheit in der Rassengeschichte des Hundes ist ein Beispiel, wozu die einseitige Anwendung der prähistorischen Forschungsmethode geführt hat. Noch klassischer ist die Verwirrung in der Geschichte des Die Methoden der Rassen-Forschung und der Haustier-Phylogenie. 11 Rindes; die Zähmung desselben ist offenbar sehr früh erfolgt, es gehört neben dem Hund zu den allerältesten Haustieren. Die Abstammung semer Rassen ist von zahlreichen Forschern auf sehr verschiedenen Wegen auf- zuklären versucht worden, sodass wir gegenwärtig folgende Lösung dieses allerdings recht verwickelten Problems aufzählen können: l. Unsere europäischen Rinderrassen sind nach ihrer Herkunft völlig unklar: die wilde Stammform ist unbekannt ( MWilckens). 2. Unsere zahmen Rinder sind auf erme einzige Stammform zurück- zuführen; als solche muss der erst in geschichtlicher Zeit erloschene Ur (Bos primigenius) angesehen werden (Cuvier, NVehring‘). 3. Unsere europäischen Rinder stammen aus einer einzigen Quelle und diese Stammquelle ist ein ungehörntes Rind (Bos akeratos. | Ansicht von Arenander]). 4. Die Rinderrassen Europas sind teils aus Hochasien, teils aus Nord- amerika (!), teils aus Zentralafrika eingewandert und müssen auf vzer Stammformen zurückgeführt werden (Aaltenegger). 5. Unsere Rinderrassen lassen sich von zwez wilden Stammformen ab- leiten, von denen aber nur eine in Europa zu suchen ist (Aätzmeyer, Keller.). 6. Der europäische Rinderbestand hat zwez verschiedene Stammquellen. Die den Ausgangspunkt bildenden Wildrinder waren beide in Europa heimisch (Adametz.) Grösser kann die Verwirrung wohl kaum gedacht werden, da hier der monophyletische, der diphyletische und selbst der tetraphyletische Stand- punkt zum Ausdruck kommt, von denen ja nur einer der richtige sein kann. Es mag daher nicht überflüssig sein, einen prüfenden Blick auf die zur Anwendung gelangten Methoden zu werfen und dabei genau zu unter- suchen, wo diese versagen können. Wir werden sie passend in die beiden Kategorien der Hülfs-Methoden und der eigentlich naturwissenschaftlichen Methoden unterbringen. Erstere haben in Fragen der Haustiergeschichte stets nur eine beratende, niemals aber eine entscheidende Stimme. A. HÜLFS-METHODEN. Die kulturgeschichtliche Methode. Sie ist frühzeitig zur Anwendung gekommen, erfreute sich einer gewissen Beliebtheit und wird heute noch stets mit Nutzen verwendet. Sie geht von der Anschauung aus, dass die Völker schon frühzeitig Wanderungen unternommen haben, wobei ihr Kultur- besitz, am sichersten der Haustierbesitz weiter verbreitet wurde. Erschei- nungen aus der geschichtlichen Zeit legen uns diese Annahme auch für die Urzeit ausserordentlich nahe. Die Kulturgeschichte giebt uns genauere Aufschlüsse über den Umfang des Kulturbesitzes; sie weist uns auch die Wege, auf denen die Kultur sich ausgebreitet hat. Das sind naturgemäss 12 Die Abstammung der ältesten Haustiere. auch die Wege, die bei der Migration zahmer Tiere eingeschlagen wurden. An der Hand dieser Methode haben wir die im Prinzip jedenfalls richtige Vorstellung in uns aufgenommen, dass der Ursitz unserer europäischen Haustiere nicht notwendig auf unserem Boden zu suchen ist, sondern dass die Möglichkeit der Einwanderung aus einem Nachbarkontinent vorliegt. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts gelangte die kulturgeschichtliche Methode sehr ausgiebig zur Verwendung: namentlich war es /szdore Geofroy St. Hhlarre, der unter dem Einfluss der arischen Einwanderungs- theorie fast alle europäischen Haustiere aus Asien einwandern liess. Das war nun allzu schematisch verfahren, zahme Rassen sind zweifellos aus Asien nach Europa gelangt, aber ich habe seither in mehreren Veröflent- lichungen nachgewiesen, dass in viel grösserem Umfang als bisher zuge- geben wurde, der Nachbarkontinent Afrika Elemente an die europäische Haustierwelt abgegeben hat. Anderseits hatten die Kulturanregungen, die von aussen her kamen, die natürliche Folge, dass passendes Wildmaterial in Europa domestiziert wurde. Die kulturgeschichtliche Methode, es muss dies ausdrücklich betont werden, ist stets zu Rate zu ziehen, sie half uns die allgemeinen Grund- lagen der Haustiergeschichte aufbauen, sie giebt uns heute noch wertvolle Winke über die Verbreitungswege. Bei dem Mangel jeder naturwissen- schaftlichen Kontrolle wird sie jedoch versagen, sobald es sich um speziellere Untersuchung der einzelnen Rassen handelt. Es lässt sich nicht verkennen, dass gerade in der Neuzeit entschiedener Missbrauch derselben Verwirrung gebracht hat. Die sprachzwissenschaftliche Methode. Sie stellt sich die Aufgabe, mit Rücksicht auf unsere Zwecke den Sprachschatz der verschiedenen Völker zu untersuchen, um so Anhaltspunkte über die Verbreitungswege der ein- zelnen Haustiere zu gewinnen. Man hoffte auf diesem Wege der Urheimat auf die Spur zu kommen. Gewisse Sprachwurzeln sollen auf die Wurzeln der Haustiere hinweisen. Das klingt theoretisch ganz schön, aber in der Anwendung darf diese Methode nur mit der grössten Umsicht aufgenommen werden. In philologischen Kreisen legt man auf dieselbe ein ganz unbe- rechtigtes Gewicht, seit Vzetor Hehn mit unleugbarem Erfolg sie gehand- habt hat, übersieht dabei, dass eine naturwissenschaftliche Kontrolle absolut notwendig ist, ansonst nur Verwirrung angerichtet wird. Ein klassisches Beispiel, auf welche Abwege der einseitig sprachwissenschaftliche Stand- punkt geführt hat, liefert das 1897 von Daranskz veröffentlichte Werk: „Die vorgeschichtliche Zeit im Lichte der Haustierkultur“. Mit einer Ausdauer, die einer besseren Sache würdig wäre, sucht der genannte Autor in fast allen Sprachen der alten Welt Sprachwurzeln heraus und gelangt schliess- lich mit einer beispiellos kühnen Phantasie zu Wurzeln der Haustierrassen, die uns ebensosehr überraschen wie erheitern! Beispielsweise findet er eine alte Wurzel für Pferd heraus, die „al“ Die Methoden der Rassen-Forschung und der Haustier-Phylogenie. 13 lautet und sich in ala, pal, gal, kal, keval, endlich in das französische cheval verwandelte. Für unser Rind finden wir neben der Wurzel „ur“ von welcher gur, bur, thur, taur abzuleiten ist, noch eine andere Wurzel „ab“, die übergeht in aba, ob, oba und vermutlich in unserem gemütlichen Wort „Loba“ enthalten ist! Das sind Verirrungen, die uns am besten auf die ohnehin nicht sehr zuverlässige sprachwissenschaftliche Methode verzichten lassen. B. NATURWISSENSCHAFTLICHE METHODEN. Die vergleichend-anatomische Methode. Dieselbe ist als streng natur- wissenschaftliche Forschungsmethode weitaus am zuverlässigsten. Sie arbeitet mit Hülfe des anatomischen Vergleiches, stellt den Grad der Umbildung fest und schliesst auf eine umso engere Verwandtschaft, je grösser die anatomische Uebereinstimmung erscheint. Frühere Forscher, so namentlich /s. Geoffroy St. Hrlarre und besonders Z. Zrtzinger haben sich zu exklusiv an die rein äusserlichen morphologischen Verhältnisse gehalten, wodurch fehlerhafte Resultate entstanden. Es ist daher unumgänglich notwendig, auch die innere Organisation zu analysieren. Es ist dabei durchaus nicht gleichgültig, welche Organsysteme zur wissenschaftlichen Analyse herangezogen werden. Wir werden uns viel- mehr an diejenigen zu halten haben, die der Variation am wenigsten unter- liegen. Am besten hält man sich bei Rassenstudien an das Skelett, kann sich sogar einfach auf Schädeluntersuchungen beschränken. Das Ideal, das die Anthropologen anstrebten, aber bisher nicht erreichten, auf Grund der Schädelanalysen ein sicheres Urteil über die Rassenzugehörigkeit zu ge- winnen, ist thatsächlich für unsere Haustier-Rassen verwirklicht. Eine Schädeluntersuchung genügt, um das asiatische Schwein von demjenigen europäischer Herkunft zu unterscheiden; um die orientalische oder occi- dentale Rasse eines Pferdes zu ermitteln oder ein zahmes Primigenius-Rind vom Brachyceros-Rind zu trennen. Es ist das Verdienst von Zudwrg Kätz- meyer, die vergleichend-anatomische Methode in die Rassengeschichte ein- geführt zu haben, um damit die glänzendsten Erfolge zu erzielen. Er gilt daher mit Recht als Begründer der wissenschaftlichen Rassenlehre. Wir dürfen indessen nicht verschweigen, dass die vergleichend-ana- tomische Methode trotz ihrer Zuverlässigkeit nicht frei von Fehlerquellen ist, wenn sie für sich allein angewendet wird. Jeder Anatom weiss, dass die sogenannten Konvergenz-Erscheinungen, wie sie ja nicht selten auf- treten, Verlegenheiten bereiten können. Auf zoologischem Gebiet führten sie mehr als einmal zu unrichtigen Schlüssen. Derartige Konvergenz- Erscheinungen können auch bei unseren Haustieren auftreten. Die Rassen sind anfänglich anatomisch verschieden, schlagen aber bei der weiteren Entwicklung selbst im Skelettbau eine Bahn ein, die scheinbar einem gemeinsamen Ziele zusteuert. 14 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Bin recht überraschendes Beispiel hat 7%. Studer für die Hunderassen nachgewiesen. Wo sich einzelne Reihen zu Zwergformen entwickeln, da beginnt der Schädel die typischen Rassenmerkmale zu verlieren und nimmt eine eigentümliche Form an, die sich dem jugendlichen Schädel nähert. Wäre die verschiedene Genese nicht ermittelt, so müsste der anatomische Befund auf eine gemeinsame Abstammung schliessen. Die Rasse ist im Schädel der Zwergform einfach verwischt. Die Konvergenz kann eine teil- weise sein, wie Erscheinungen beim afrikanischen Zebu-Rind lehren. Bei manchen Formen macht sich eine Konvergenz zum europäischen Primigenius- Rind bemerkbar. die aus rein mechanischen Gründen erklärbar wird. Für sich allein verwendet, kann die anatomische Methode vollkommen richtig gehandhabt sein und doch Unklarheiten übrig lassen. Ein Forscher kann durch das Studium der Schädelumbildungen eine Entwicklungsreihe der Rassen gefunden haben, die sich allgemein durch die Formel A-B-C-D ausdrücken lässt, für ihn ist A das Anfangsglied, D das Endglied. Nun kehrt ein anderer die Reihe einfach um, so dass sie lautet D-C-B-A. Dann ist D das Anfangsglied, A das Endglied. Hier bedarf es eben gewisser Kontroll-Methoden. Uebertragen wir obiges auf einen konkreten Fall. Bezüglich der Stammverhältnisse beim Rind sind Vehring und Arenander zu einer monophyletischen Auffassung gelangt. Ersterer findet durch ana- tomischen Vergleich, dass der grossgehörnte Bos primigenius als Ausgangs- form zu betrachten ist. Kultureinflüsse einerseits, ungünstige Existenzbe- dingungen anderseits haben wesentliche Veränderungen im Schädelbau her- vorgerufen. Die brachyceren Rinder sind nach Nehring: Kümmerformen; der Körper wird kleiner, das Gehörn kürzer, kann sogar ganz fehlen. Logischerweise stehen dann die namentlich im Norden Europas so häufig auftretenden hornlosen Rinder (Bos taurus akeratos) am Ende der Ent- wicklungsreihe. In jüngster Zeit hat Arenander die Reihe einfach umge- kehrt; für ihn ist das hornlose Rind (Bos akeratos) die Ausgangsform, von welcher aus sich im Laufe der Zeit die kurzhörnigen Rinder entwickelten; durch stärkere Entwicklung des Gehörns gingen letztere in eine lang- hörnige Rasse, wie sie besonders in Osteuropa auftritt, über. Hier müssen eben Kontroll-Methoden herangezogen werden und diese belehren bald genug, dass selbst für den Fall, dass die monophyletische Abstammung zulässig wäre, die Annahme von Arenander unmöglich den 'Thatsachen entsprechen kann. Das Gesamturteil über den Wert der vergleichend- anatomischen Methode mag dahin zusammengefasst sein, dass sie ihrer Zuverlässigkeit wegen in erster Linie als Führerin in der Rassengeschichte zu dienen hat. Sie kann in manchen Fällen für sich allein schon zum Ziele führen, in anderen Fällen reicht sie vollkommen aus und muss durch andere Methoden ergänzt werden, namentlich wo Konvergenzerscheinungen zu vermuten sind. Handelt es sich um die geographische Herkunft eines Haustieres, um ot Die Methoden der Rassen-Forschung und der Haustier-Phylogenie. 1 die Rekonstruktion des Weges, den eine Rasse genommen hat, so reicht sie nicht mehr aus, sondern kann nur in Verbindung mit weiteren Forsch- ungsmethoden sichere Ergebnisse liefern. Die prähistorische Methode. (serade unsere wichtigsten Haustiere sind sehr alt, ihre Entstehung reicht in die vorgeschichtliche Zeit zurück. Es ist dies vollkommen verständlich, denn jedes Volk muss vorerst eine gesicherte materielle Basis schaffen, bevor es eine geschichtliche Bedeutung erlangen kann. Die historische Zeit setzt somit eine höher entwickelte wirtschaft- liche Stufe voraus. Diese Thatsache lässt sich sehr deutlich auf dem Boden alter Kulturen, besonders in Altägypten verfolgen; anderseits haben ja reine Jägervölker niemals eine wirklich geschichtliche Bedeutung erlangt. Die Fäden der Entwicklung einzelner Rassen müssen daher über die geschichtliche Zeit hinaus verfolgt werden, da sie sich mit ihren Anfängen im Dunkel der Urgeschichte verlieren. Die vorgeschichtlichen Haustier- funde, so lückenhaft sie auch sein mögen, werden von der allergrössten Bedeutung; die scheinbar wertlosen Knochen, die in den alten Pfahlbau- niederlassungen aufgefunden wurden, gewähren die wichtigsten Einblicke in die damaligen Kulturverhältnisse, sie ermöglichten dem scharfblickenden Ludwig Jeülimeyer, die Fauna jener Periode, von der uns kein Historiker etwas berichtet, bis ins Einzelne zu rekonstruieren. Und die Knochenfunde im Schutte der untergegangenen altrömischen Kolonien im Norden der Alpen lassen uns abermals ein Entwicklungsglied erkennen, das zwischen den primitiven Haustier-Rassen der Pfahlbauperiode und den hochgezüchteten Formen der Gegenwart vermittelt. “Die prähistorische Methode in Verbindung mit der anatomischen ge- währt die genauesten Ergebnisse über das zeitliche Auftreten zahmer Tiere auf einem bestimmten Areal. Es ist zu bedauern, dass die archäologischen Ausgrabungen in Griechenland, Mesopotamien und Oberägypten bisher nicht sorgfältiger auf Knochenfunde geachtet haben, da gerade in jenen alten Kulturgebieten die wichtigsten Aufschlüsse zu erwarten sind. Die physiologische Methode. Die Fähigkeit fruchtbarer Kreuzung von Tierformen gilt in der Zoologie bekanntlich als ein Kriterium naher Ver- wandtschaft. Daher wurde, um die Beziehungen der zahmen Tiere zu Wildformen zu vermitteln, der Versuch gemacht, unsere zahmen Rassen mit den als Stammformen vermuteten wilden Arten zur Fortpflanzung zu bringen. Je leichter es gelingt, fruchtbare Nachkommen zu erzeugen, um so wahrscheinlicher ist es, dass die zur Kreuzung. verwendete Wildform Anteil an der Bildung der zahmen Rasse hatte. Diese Methode ist stets als ein wichtiges Hülfsmittel bei der Ent- scheidung von Abstammungsfragen sozusagen unbeanstandet zugelassen worden. Nachdem sie früher wiederholt in Frankreich und England zur Verwendung gelangte, hat ‚später in Deutschland besonders 7. Kähn in Halle derartige Zuchtversuche im grossen Stile durchgeführt. Es standen 16 Die Abstammung der ältesten Haustiere. ihm zu diesem Zwecke die grossartigen Mittel eines Haustiergartens im landwirtschaftlichen Institut der Universität zur Verfügung. Mir scheint jedoch die Schlussfolgerung, dass eine zahme Rasse von einer Wildform abstamme, wenn sich das Keimplasma jener mit dauerndem Erfolg in das Keimplasma dieser letztern einfügt, nicht ohne Weiteres zu- lässig. Die Resultate solcher Zuchtversuche, so interessant sie nach anderer Richtung sein können, dürfen in der Rassengeschichte nur mit grosser Reserve zur Entscheidung von Abstammungsfragen herangezogen werden; jedenfalls wird eine weitere Kontrolle nötig. Beispielsweise lässt sich unsere Hausziege mit Erfolg mit dem Steinbock paaren. Die Nachkommen, die sogenannten Bastardsteinböcke, sind fruchtbar. Da diese Fruchtbarkeit unbeschränkt zu sein scheint, wurde mehrfach der Versuch unternommen, die Bastarde in den Alpen anzusiedeln. Dennoch wäre der Schluss unge- rechtfertigt, dass der Steinbock an der Abstammung unserer Hausziege beteiligt sei. Unsere europäischen Hausziegen enthalten sicher kein Stein- bockblut, sondern stammen von der Bezoarziege ab. Die ethnographische Methode. In gewissem Sinne nimmt sie eine Mittelstelluüng zwischen naturwissenschaftlicher und kulturgeschichtlicher Forschungsweise ein. Sie holt aus dem Kulturbesitz räumlich getrennter, aber zeitlich neben einander lebender Völker speziell den Haustierbesitz heraus, um ihn vergleichend zu untersuchen. Der Kreis der zu untersuchenden Völker kann dabei nicht gross genug gezogen werden. Ich hege die Ueber- zeugung und habe ihr in früheren Arbeiten schon Ausdruck gegeben, dass man auf dem Gebiet der Haustiergeschichte unmöglich ein abschliessendes Urteil erlangen kann, wenn man sich nur auf das kleine Areal von Europa beschränkt. Wir müssen uns so ziemlich in der ganzen alten Welt umsehen, wenn wir ein Bild der Rassenzuwanderungen für unseren Kontinent ge- winnen wollen. Mit dieser ethnographischen Methode werden wir sofort zur Ueber- zeugung geführt, dass in gewissen hochkultivierten Gebieten zahllose Kreuz- ungen den Rassencharakter schliesslich verwischen und diese daher für unsere Zwecke ganz unbrauchbar werden. Daneben giebt es wieder andere, die von den Wellen einer fortschreitenden Kultur sozusagen unberührt bleiben; abseits vom Weltverkehr gelegen, hat sich der Haustierbestand ungemein konservativ gestaltet, so dass merkwürdige Rassen-Inseln alter Haustierformen erhalten blieben. Gerade diese, die als ältere zu Tage tretende Schichten der Haustierkultur aufzufassen sind, werden von der grössten Bedeutung. Gebirgsländer, ausgedehnte Steppen und ozeanische Inseln erscheinen besonders reich an solchen lebenden Relikten. In unseren Alpen sind beispielsweise nur wenig veränderte Reste des Torfschafes und des Toorfschweines aufgefunden worden, die gegenwärtig allerdings in ihrer Existenz bedroht erscheinen. In den den Bergen von Albanien gelang es Adametz, das noch fast unveränderte Pfahlbaurind nachzuweisen. Vermutlich Die Methoden der Rassen-Forschung und der Haustier-Phylogenie, Ir leben dort auch andere sehr alte Haustiere. Eine genauere Durchforschung der Inseln des Mittelmeeres dürfte einen auffallend stationären Zustand der Rassen ergeben. Materialien, die ich aus Sardinien erhielt, ergaben über- raschende Thatsachen. Viel ist von aussereuropäischen (sebieten, namentlich von Asien und Afrika zu erwarten. Hat man doch eigentlich erst begonnen, in jenen Regionen den Schatz von 'T'hatsachen zu heben und doch treten uns schon einzelne verblüffende Erscheinungen entgegen. So ist das Lang- horn-Rind der Altägypter, das ausgestorben schien, für verschiedene Regionen des heutigen Innerafrika nachgewiesen. Das eigentümliche Haus- schaf des alten Reiches, das später im Nilthal durch asiatische Schafe verdrängt wurde, schien erloschen. Es fehlt vollständig im Nilthal, wurde aber kürzlich am oberen Niger entdeckt, wo es sich fast unverändert bis heute erhalten hat. Wir können auch die alten Kulturvölker zum Vergleich heranziehen und mit Hülfe der Archäologie deren Haustierbesitz ermitteln. Die Palae- Ethnographie von Mesopotamien, Aegypten und Griechenland gab uns die wertvollsten Aufschlüsse. Man könnte hier wohl von einer besonderen archäologischen Methode reden. Sie verwendet nicht osteologisches Material wie die prähistorische Forschung, sondern hält sich an bildliche Darstell- ungen. Der (Gegenstand ist wichtig genug, um ihm hier einen besonderen Abschnitt zu widmen. MIEZDIETANTIKE-KUNSIENZDIENSTE DER HAUSTIERGCESELHEEIRE ie Umrisse einer Entwicklungsgeschichte der bildenden Kunst treten uns Dank dem Bienenfleiss der Forscher in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der ein umfangreiches Material A) zusammenbrachte, ziemlich deutlich entgegen. Die Urgeschichte vermochte den Gegenstand von der historischen Seite zu durchdringen: die vergleichende \ öleerkunde brachte wichtige ethnologische Ergänzungen. Für unsere Zwecke erscheint es bedeutungsvoll, dass die ersten Anfänge einer bildenden Kunst erheblich früher bemerkbar sind als die ältesten Ver- suche in der Kunst der Haustiergewinnung. Manche haben sogar die 2 1) Kunstleistungen geradezu als eine allgemeine Aeusserung des sozialen Organismus erklären wollen, was wohl zu weitgehend ist. Immerhin steht fest, dass in der Gegenwart überraschend gute Bildereien bemerkt werden bei ganz verschiedenen menschlichen Rassenelementen, deren wirtschaftliche Stufe noch keine wirklichen Haustiere kennt. Die Eskimozeichnungen sind zu einer gewissen Berühmtheit gelangt; die Felszeichnungen der Busch- männer lassen eine gute Gabe der Naturbeobachtung erkennen. Der Ur- bewohner Europas unternahm schon während der älteren Steinzeit, da noch kein einziges Haustier vorhanden war, die ersten, wenn auch noch etwas unbeholfenen Versuche, Bildereien herzustellen. Die einst vielverlachte „Höhlenkunst* wird heute ernst genommen, wenn auch die Kritik und die /,weifelsucht in einzelnen Fällen Verdachtmomente herausgrifl. Auf jener primitiven Wirtschaftsstufe, wo der Mensch auf die Jagd angewiesen ist, wird der Kreis seiner Vorstellungen beherrscht von den Gegenständen der Nahrung, d. h. von der Wildfauna der Umgebung, daher zeichnet er die grösseren Jagdtiere seiner Heimat wenigstens in Umrissen, während Pflanzenteile nur selten zur Darstellung gelangen. Es sind die lebensvollen, freibeweglichen Geschöpfe, welche die Phantasie des primitiven Menschen vorwiegend beschäftigen. Wo nun die wirtschaftliche Entwicklung in neue Bahnen einlenkt, der Mensch in einzelnen Kulturkreisen die Wildarten zum Teil als zahme Ge- schöpfe bleibend an seine Umgebung kettet und daher nicht mehr auf die Erträge der Jagd allein angewiesen ist, da tritt auch ein neues Motiv der bildenden Kunst auf. Die antike Kunst im Dienste der Haustiergeschichte. 19 Die Haustiere beginnen im Fühlen und Denken des Menschen eine hervorragende Stellung einzunehmen; die künstlerische Darstellung giebt das jagdbare Tiere nicht auf, aber sie entlehnt nun mit Vorliebe die Motive aus der Haustierwelt. , Altägypten liefert ein klassisches Beispiel. Die Malerei und Plastik, in der ägyptischen Kunst kaum von einander zu trennen, führen uns in wundervoll erhaltenen Werken besonders während der klassischen Kunst- epoche im alten Reich die Haustiere in allen möglichen Situationen vor, so dass wir die genauesten Einblicke in die Landwirtschaft erlangen. Auch Altassyrien ist nicht arm an trefflichen Darstellungen. Auch jetzt noch steht das tierische Objekt neben der menschlichen Figur im Vordergrund, die Pflanzenwelt geht ganz nebenher. Assyrische und mykenische Künstler leisten in der 'Tierplastik schon hervorragendes, aber als Landschafter sind sie herzlich unbedeutend. In der ägyptischen Kunst ist es ebenso. Im alten Reich ist die Land- schaft stets unbeholfen, so treftlich die Leistungen in der Tierdarstellung sind: erst im neuen Reich lässt sich ein Fortschritt erkennen. Zwar ist die bekannte Jagd des Ramses, welche in Medinet Habu eingraviert ist, be- züglich der landschaftlichen Szenerie eine eigentliche Sudelei, während in Deir el Bahri bessere Werke erscheinen, auf denen z. B. die Sykomore mit einiger Sorgfalt behandelt ist; die Zeichnung ist immerhin noch schablonen- haft und daher steif. Durch die Haustierdarstellungen der antiken Kunst gewinnen wir einen Einblick in den Bestand, den alte Völker besassen, wir lernen den Wechsel der Rassen, sowie ihre Verbreitung bis ins einzelne kennen. Auf die Lehre von der Umbildung der einzelnen Rassen fallen nicht selten helle Streiflichter. Dazu ist allerdings eine detaillierte zoologische Kenntnis der Rassen erforderlich — das Wissen der Archaeologen muss hier versagen. Die Angaben mancher sonst ganz verdienstvoller archae- ologischer Forscher müssen daher stets mit Vorsicht aufgenommen werden. Wo beispielsweise von einem Wildstier die Rede ist, bleibt man oft im Unklaren, ob darunter der Wisent oder der Ur gemeint ist; ein Wildstier wird gelegentlich als Büffel, ein Wildschaf als Antilope, ein Pferd als Esel oder ein Schaf als Ziege aufgeführt. Dass Kunsthistoriker sich streiten, ob in einer antiken Darstellung eine Wildform oder eine zahme Art vor- liege, kann nicht überraschen, denn solche Dinge vermag in manchen Fällen nur das geübte Auge des Zoologen zu entscheiden. Man kann die Frage aufwerfen, inwieweit antike Tierdarstellungen verwertbar sind, da zoologische Ergebnisse nur dann Anspruch auf Zuver- lässigkeit erheben können, wenn jene Figuren der Wirklichkeit entsprechen. Diese notwendige Voraussetzung trifft nun glücklicherweise gerade für die älteste Kunst in hohem Grade zu, weil diese ein emznent naturalistisches Gepräge besitzt. Anfänglich hat eben die Kunstdarstellung den einzigen Zweck, die Tierszenen so wiederzugeben, wie sie gesehen wurden, sei es 30 Die Abstammung der ältesten Haustiere. durch Zeichnung oder durch die Plastik, in letzterem Falle meist als Bas- relief, weil es sich der Zeichnung am meisten nähert. Später änderte sich die Sachlage, namentlich weil der religiöse \Vor- stellungskreis die naturalistische Auflassung beeinflusst und damit vom Realis- mus abdrängt. Die Figuren werden stilisiert und mit phantastischen Zu- thaten versehen, wodurch sie für die naturwissenschaftliche Betrachtungs- weise völlig wertlos werden. Aus diesem Grunde ist mit den zahlreichen Tierfiguren des kaukasischen Kunstkreises gar nichts anzufangen; ebenso wird der Zoologe an den ge- tlügelten Stieren mit Menschenköpfen, wie sie die technisch gut ausge- bildete Kunst in Assyrien darzustellen beliebte, vollkommen‘ teilnahmslos vorbeigehen. Ohne Zweifel haben wir von der Ärchaeologie in Zukunft noch wichtige Aufschlüsse zu erwarten, aber schon das was vorliegt, ist fruchtbar ge- worden. In den alten Kulturgebieten Mesopotamiens haben die Arbeiten eines Zayard, Bolta, Rawlinson, Smith, Itassam, de Sarzec u. a. schon zahlreiche Fundstätten aufgedeckt, von denen einzelne wie Birs Nimrud, Khorsabad und Kujundschik viel genannt sind. Die chaldäische, sowie die altbabylonische Kunst vermochte bisher nur eine mässige Zahl von Tier- darstellungen zu liefern; vielleicht ändert sich das Verhältnis später. Viel ergiebiger erscheint die spätere assyrische Kunstperiode; auffallenderweise setzt sie sozusagen ohne Jugendstadium in voller Entwicklung ein. Bei scharf ausgesprochener Eigenart lassen einzelne Skulpturen neben technischer Vollendung eine bemerkenswerte Feinheit der Naturbeobachtung erkennen. %s sind vormeist Bildereien an den assyrischen Königspalästen, zu deren Herstellung allerdings nur die begabtesten Künstler herangezogen worden sein dürften. Es sind uns vorzügliche Darstellungen von Pferden, Wild- rindern, Schafen und namentlich grossen, doggenähnlichen Hunden erhalten: auch das Schwein fehlt nicht. Parallel mit dieser Kunst entwickelte sich eine solche von grosser Originalität und achtunggebietender Höhe im Nilthal während der Phara- onenzeit; ob sie an der Wurzel mit der mesopotamischen Kunst zusammen- hängt, lässt sich wohl vermuten, aber zur Zeit noch nicht mit genügender Sicherheit entscheiden. Das höfische Leben in Memphis, dem Mittelpunkt des alten Reiches, war den künstlerischen Bestrebungen wohl gesinnt; die soziale Stellung des Künstlers war eine bevorzugte. Die Kunst gewinnt hier im Gegensatz zu dem Zweistromland einen gewissen demokratischen Charakter, da immer und immer wieder Szenen aus dem häuslichen Leben des Volkes zur Darstellung gelangen. Bei dem nüchternen Sinn der Pha- raonenleute und der Monotonie des Landes darf man keinen grossen Schwung der Phantasie erwarten; dafür erreicht die altägyptische Kunst mit ein- fachen Mitteln eine grosse Klarheit und Durchsichtigkeit der Idee, die der Künstler ausdrücken will. Bei der auffallenden Zuneigung zur Tierwelt, Die antike Kunst im Dienste der Haustiergeschichte. 2] die ja zum förmlichen Tierkult führte, kann es nicht überraschen, wenn auf den zahlreichen Wandmalereien und Basreliefs der Grabkammern die Tierdarstellungen einen breiten Raum einnehmen. Wenn auch anfänglich die volle Freiheit fehlt, vielmehr eine strenge stilistische Tradition vorge- schrieben ist, so thut das unseren Zwecken doch keinen Eintrag, sobald wir uns an diese Kunstregeln gewöhnen. Der Künstler sucht zwischen ihnen und seinem naturalistischen Empfinden sowieso einen fortwährenden Kompromiss zu schliessen. Die Tiere stellt er stets im Profil dar; wenn jedoch dadurch charakteristische Eigenschaften undeutlich werden, so hilft Fig. 1. Altägyptisches l.anghornrind aus den Grabkammern von Sakkarah. sich der Künstler einfach damit, dass er z. B. beim Rind den Kopf im Profil. sein Gehörn aber en face darstellt. Werke wie die bekannte „Description de ’Egypte*, die vorzüglichen „Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien* von Zepszus, die Arbeiten von Prisses d’Avennes, KRosselini u. s. w. bieten bezüglich der Haustierfauna Altägyptens ein umfangreiches Material. Dazu kommen noch die neuesten Veröffentlichungen von Alinders Petrie und de Morgan über die vor- historischen Funde in Oberägypten, die einzelne bemerkenswerte Anhalts- punkte über das Alter der zahmen Fauna Altägyptens gewähren. Die alten Kulturgebiete in Südeuropa sind erheblich jünger als die asiatischen und nordafrikanischen. Doch tritt uns schon in vorhomerischer 23 Die Abstammung der ältesten Haustiere. aa Zeit auf dem Boden Griechenlands und dem benachbarten Archipel eine eigenartige Kunstepoche entgegen, die man als mykenische bezeichnet. Wie eng der Name Schlemanns mit ihrer Entdeckung verknüpft ist, braucht kaum besonders betont zu werden. Man hat ihren Beginn etwa mit dem Anfang des neuen Reiches in Aegypten gleichzeitig betrachtet, doch scheint | die sogenannte Inselkultur erheblich älter zu sein, dabei sowohl Westasien wie den mykenischen Kreis beeinflusst zu haben, sogar frühzeitig Wechsel- wirkung mit Altägypten aufzuweisen. Antike Funde in Cypern und auf Kreta lassen in Zukunft wichtige Aufschlüsse bezüglich des Uebertrittes zahmer Tiere nach Europa erwarten. Was aus der mykenischen Zeit vor- liegt, ist schon jetzt wichtig genug. Ich erinnere nur an die Perle alt- griechischerRunst, i an die Goldbecher R von Vaphio, deren Rinderdarstell- ungen einen Tier- plastiker allerer- sten Ranges ver- raten. Auch auf den Gemmen und Inselsteinen finden sich naturgetreue Tierbilder von ausserordentlicher Feinheit. Die spätere Kunst des klassi- schen Altertums in (Griechenland und Rom giebt wieder- len >% - Goldbecher von Vaphio. um viele Anhalts- punkte über die Verbreitungswege zahmer Rassen in Europa. Zwar gewährt die plastische Darstellung der Hellenen eine etwas magere Ausbeute in zoologischer Hinsicht, während die römische Kunst viel ergiebiger ist. Dafür erwiesen sich die ältesten griechischen Münzen um so lohnender. Der primitive Handel war bekanntlich, wie dies ja heute noch bei manchen Völkern der Fall ist, ein Tauschverkehr, wobei das Vieh die Rolle des Geldes spielte. Griechenland und Süditalien besassen ja frühzeitig eine blühende Viehzucht. Als dann die ältesten Münzen in Aufnahme kamen, drückte man das ursprüngliche Verhältnis dadurch aus, dass man jene Münzen mit einer Prägung vom Rind, Pferd, Schaf oder Hund u. s. w. versah. Die Prägung ist nicht selten von einer überraschenden Fein- heit, die Zeichnung oft von einer Naturwahrheit, dass sie zoologisch Die antike Kunst im Dienste der Haustiergeschichte. 23 verwertbar wird und weit besser orientiert als die genaueste litterarische Angabe. Diese Tierstücke (pecuniae) sind namentlich von dem unermüdlichen Imhoof- Blumer in seltener Vollständigkeit gesammelt und zum Teil in seinem umfangreichen Tafelwerk veröffentlicht worden. Auch archaeologische Fig. 3. e R r Er Didrachmon von Panormos.!) Didrachmon von Paros.!l) Fachschriften enthalten brauchbare Materalien. Wir können aus diesen Dokumenten den damaligen Rassenbestand rekonstruieren. Die römischen Kunsterzeugnisse mit Tierdarstellungen gewinnen in den Fällen ein hervorragendes naturwissenschaftliches Interesse, wo dieselben als Erzeugnisse römi- sorgfältigaufgehobenen scher Kolonien im Nor- Funde in Vindonissa, den der Alpen auftreten. Sie beleuchten dann neben anderen zoolog i- einer blühenden römi- schen Kolonie Hlelve- tiens, überbrücken in schönster Weise die Lücke zwischen der PfahlbauzeitderSchweiz und der Gegenwart. So wertvoll für die Haustiergeschichte die schen Reliquien die ge- waltigen Veränderungen in der Haustierfauna Mitteleuropas, welche die römische Kultur zur Folge hatte. Die auf Fig. 4. Altgriechische Münze aus Larissa.!) meine Veranlassung antike Kunst erscheint, so muss die Zoologie doch fortwährend Skepsis walten lassen. Dies gilt namentlich für solche Fälle, wo die Provenienz eines Fundes nicht sicher gestellt ist oder das Alter sich nicht genauer bestimmen lässt. Auch be- rücksichtigt man am besten jene Objekte nicht, die in ihren naturhistorischen Merkmalen zu unbestimmt gehalten sind. I) Nach Zmhoof-Blumer. ENT: N IV. DER VORGANG BERTFIAUSTIERE WERDUNG. Pa ie Meinungen darüber, was man in präziser wissenschaftlicher Fassung unter Flaustieren zu verstehen hat, gehen heute noch auseinander. Es finden sich in der Umgebung des Menschen sie vom Haustierbegrifl ausgeschlossen werden müssen. Zu letzteren rechne ich alle Tiere, die nur gezähmt sind, wie z. B. der zahme Elefant. Die Schwierigkeit einer scharfen Umschreibung des menschlichen Haus- tierbestandes rührt zum Teil daher, dass eine domestizierte Art nicht plötzlich, sondern erst nach und nach ihre Bestimmung annimmt. Die neueste Definition, die Zduard Hahn‘) in seiner einlässlichen geo- graphischen Studie über den vorliegenden Gegenstand geliefert hat, lautet: „Haustiere sind Tiere, die der Mensch in seine Pflege übernommen hat, die „sich hier regelmässig fortpflanzen und so eine Reihe erworbener Eigen- „tümlichkeiten auf ihre Nachkommen übertragen.“ Ich kann nicht finden, dass diese Definition sehr glücklich ausgefallen ist. Es ist geradezu auflallend, dass der genannte Autor in seinem mit vielem Fleiss bearbeiteten Werk zwar die wirtschaftliche Seite der Haus- tierwelt eingehend berücksichtigt, aber in seiner Begriffsbestimmung mit keinem Wort dieser wirtschaftlichen Bedeutung gedenkt. Diese gehört in erster Linie zur Signatur eines echten Haustieres und wo nicht eine ganz bestimmte und konstante Leistung gegenüber dem Menschen nachweisbar ist, kann man auch dann nicht ein Geschöpf in die Haustierliste aufnehmen, wenn es im übrigen der Zucht und Pflege des Menschen unterstellt ist. Daher sehe ich die Meerschweinchen und Kanarienvögel ebensowenig als Haustiere an, wie die systematisch gezüchteten Spielarten der zahmen Mäuse und Goldfische, trotzdem diese von manchen Autoren in die Liste auf- genommen werden. Wenn Mortzllet?) sogar die Auster und die Weinberg- schnecke unter den Haustieren aufführen will, so ist dies offenbar unzulässig. !) Eduard Hahn. Die Haustiere und ihre Beziehungen zur Wirtschaft des Menschen. Eine geographische Studie. Leipzig. 1896. 2) G. de Mortillet. Origine de la chasse, de la pöche et de l’Agriculture. Paris. 1890. Der Vorgang der Haustierwerdung. 35 Die wirtschaftliche Bedeutung ist eine Vorbedingung für den Haustier- charakter, aber nicht die einzige und ausschlaggebende. Es gebührt Darwin das Verdienst, mit der nötigen wissenschaftlichen Schärfe darauf hingewiesen zu haben, dass im Hausstand der Tiere die natürliche Zuchtwahl zurücktritt zu Gunsten der künstlichen Zuchtwahl. Der Tierzüchter nimmt gleichsam der Natur die Auslese aus der Hand und schaltet damit nach seinem Ermessen und nach seinen wirtschaftlichen Bedürfnissen. Es geschieht dies freilich nicht überall mit der gleichen Strenge und unsere Hauskatze ist beispielsweise der künstlichen Züchtung nur in beschränkter Weise unterworfen. Es gilt dies auch für diejenigen Gebiete, wo sich primitive Rinderrassen, Schafrassen u. s. w. erhalten haben. Die Fähigkeit unbegrenzter Fortpflanzung und die Pflege durch den Menschen sind ebenfalls Vorbedingungen für die Haustierwerdung. Will man endlich eine streng wissenschaftliche Definition des Haustier- verhältnisses geben, so wird man zu untersuchen haben, ob es sich um eine in der Natur vereinzelt dastehende Erscheinung handelt oder ob nicht bei näherer Umschau in der Tierwelt gelegentlich analoge Verhältnisse nach- weisbar sind. @. Cuvier hat das Haustierverhältnis als Sklaverei (esclavage) auf- gefasst!) und noch heute vertreten manche Zoologen diese Anschauung. Ich kann ihr nicht beistimmen, obschon sie namentlich in Laienkreisen weit verbreitet ist. Bei der Sklaverei handelt es sich stets um ein Verhältnis zwischen Individuen derselben Art oder doch zwischen Lebensformen, die im System nahe beisammen stehen. Nehmen wir menschliche Verhältnisse, so sind es bei primitiveren Völkern entweder Kriegsgefangene, die man nicht töten will oder Schuldner, die ihre Verpflichtungen nicht einlösen können, die zu Sklaven gemacht werden; bisweilen auch untergeordnete und schwächere Rassen, auf die Jagd gemacht wird. Dann fehlt gerade das Moment bei der Sklaverei, welches für den Haustiercharakter ausschlag- gebend ist — die künstliche Züchtung. Sklaven gehen mit der Zeit in der menschlichen Familie auf oder müssen wieder frisch eingebracht werden — eine systematische Züchtung und Umbildung von Sklaven hat auf die Dauer nirgends stattgefunden, einzelne Anläufe lokaler Natur, die vor Zeiten in den Südstaaten Amerikas vorgekommen sein sollen, können nur als zufällige menschliche Verirrungen aufgefasst werden. Daher hält auch die Ethnologie Sklaverei und Viehzucht streng aus- einander.°) Aber auch in der Zoologie hat man mit gutem Grund an diesem Unterschied festgehalten. Bei den Ameisen beobachtet man an einer bekannten Art, Lasius flavus, dass sie die Blattläuse nicht nur pflegt, sondern sich sogar förmlich mit der Aufzucht junger Blattläuse befasst und diese ebenso getreulich besorgt, wie die Aufzucht der eigenen Brut. Man hat 1) G. Cuvier. Recherches sur les ossements fossiles. Discours preliminaires. 2) Friedrich Ratzel. Völkerkunde. Leipzig. 1894. 26 Die Abstammung der ältesten Haustiere. daher eine solche Wechselbeziehung zwischen Ameise und Blattlaus als Viehzucht bezeichnet. Wenn dagegen beispielsweise Formica sanguinea auszieht, um den Kolonien der Formica fusca Kämpfe zu liefern, eine Anzahl Individuen dieser Art ins Nest schleppt und dieselben zwingt, Dienste zu verrichten, so sprechen die Entomologen in diesem Falle mit vollem Recht von Sklaverei der Ameisen und nicht von Viehzucht. Ich fasse daher das Verhältnis der Haustiere zum Menschen nicht als Sklaverei, sondern als eine echte Symbrose auf d. h. als ein Konsortialver- hältnis zweier Organismenformen, wie es in verschiedenen Abteilungen des Tierreichs in weiter Verbreitung nachgewiesen ist. Ich habe diesem Ge- danken schon früher Ausdruck gegeben.) In der That treffen alle Voraussetzungen und charakteristischen Züge der tierischen Symbiose auch für das Haustierverhältnis zu, wie sich im Einzelnen nachweisen lässt. Symbionten stehen im System immer mehr oder weniger weit ausein- ander. Sie gehören verschiedenen Ordnungen (Paussus und Ameisen) oder Klassen (Krokodil und Charadrius aegyptiacus), selbst verschiedenen Tier- kreisen an (Adamsia palliata und Eupagurus). Durchgeht man die Liste unserer Haustiere, so lässt sich nicht ein einziges herausfinden, das dem Menschen im System näher steht. Bei Symbionten sind es stets gemeinsame Interessen im Kampf ums Dasein, also wirtschaftliche Momente, welche die Symbiose einleiten. Die Unterstützung im Kampf ums Dasein ist eine wechselseitige, niemals eine einseitige. Das trifft auch für das Haustierverhältnis zu. Das Haustier leistet dem Menschen Dienste, empfängt anderseits von ihm Schutz, Nahrung und wenn nötig auch ÖObdach. Dass der Eintritt in den Hausstand gelegentlich geradezu Existenzfrage wurde, beweist das Rind. Der wilde Stammvater, der Ur (Bos primigenius), hat sich im freilebenden Zustande nicht zu behaupten vermocht; er erlosch, während seine zahmen Deszen- denten sich sehr wohl befinden. Die künstliche Züchtung, die der Mensch bei seinen Haustieren durch- geführt hat, kann nicht als Grund angeführt werden, das Haustierverhältnis von dem allgemeinen Symbiosenverhältnis abzutrennen. Der Mensch hat damit seine Symbionten umgeformt und seinen Be- dürfnissen angepasst; aber streng genommen verfuhren auch andere Geschöpfe beim Eingehen einer Symbiose ähnlich, sie haben durch Auslese die ge- eignetsten Individuen erhalten. Nehmen wir als Beispiel die Adamsia palliata, die in den Dienst eines Krebses (Eupagurus) tritt. Jedem Beobachter, der diese Tiergesellschaft im Leben eingehender beobachtet hat, wird die konstante und eigenartige Ausbreitung des Fusses dieser Seerose aufgefallen sein; aber die Art der 1) C. Keller. Die Tierwelt in der Landwirtschaft. Leipzig. 1893. Der Vorgang der Haustierwerdung. 27 Anheftung muss als die zweckmässigste erscheinen. Das Fussblatt kann ursprünglich diese Gestalt nicht besessen haben und die Auslese des Krebses hat eben diese Umformung erzielt. Wenn wir endlich die bekannte, fast rührende Sorgfalt ins Auge fassen, die gewisse Krebse beim Umzug in eine neue Behausung entfalten, indem sie ihre Seerosen loslösen und auf die neubezogene Schneckenschale bringen, so erinnert das vollkommen an die Anhänglichkeit mancher Völker an ihre Haustiere. | Der Umstand, dass der Mensch eine relativ grosse Zahl von Haus- tieren seiner Wirtschaft einverleibt hat, spricht ebenfalls nicht gegen den Symbiosencharakter. Praktisch genommen liegen die Dinge insofern ein- facher, als niemals gleichzeitig der ganze Bestand zur Verwendung gelangt, sondern die einzelnen Wirtschaftsgebiete sich mit wenigen Arten begnügen. Nun können wir auch bei niederen Tieren, die Neigung zur Symbiose haben, gelegentlich beobachten, dass sie ganz verschiedene Arten in ihren Haushalt aufnehmen. Die gemeine Wollkrabbe des Mittelmeeres (Dromia vulgaris) nimmt für gewöhnlich einen orangeroten Korkschwamm (Suberites domuncula) in ihren Dienst, wählt aber auch nicht selten Sarcotragus spinulosus oder zusammengesetzte Ascidien aus. Eine andere Krabbe (Maja) hat auf ihrem Rücken gleichzeitig Kork- korallen, Spongien und Hyvdroiden an kieren müssen. gesiedelt, welche dieses Tier mas- Die Haustierzucht wird demnach unter anderen Formen in der höheren und niederen Tierwelt häufig geübt. Ich schlage daher folgende Definition vor: Haustiere sind solche Tiere, die mit dem Menschen eine dauernde Symbiose eingegangen haben, vom Menschen zu bestimmten wurtschaftlichen Leistungen verwendet werden, sich in dieser Symbiose regelmässig fort- Pflanzen und daber der künstlichen Züchtung vorübergehend oder dauernd unterworfen werden. Da die wichtigsten Haustiere schon in vorhistorischer Zeit gewonnen wurden, sind wir bezüglich der allerersten Vorgänge bei der Haustier- werdung zunächst lediglich auf die Spekulation angewiesen. Mit einer be- stimmten Absicht ist der Urmensch nicht zur Domestikation geschritten. M. Wilckens äussert zwar die Ansicht, dass der Mensch in der Tierwelt diejenigen Arten ausgewählt habe, die sich schon im Freileben ein grosses Anpassungsvermögen erworben hatten.!) So klug war der Urmensch sicher nicht. Die Erkenntnis, dass die Haustiere die alleranpassungsfähigsten Geschöpfe sind, konnte a priori nicht vorhanden sein, der Kulturmensch ist erst hinterher zu derselben gelangt. Ich stimme daher #. Aatzel voll- kommen bei, wenn er bemerkt,?) dass der mächtige Geselligkeitstrieb beim 1) 7. Wilckens. Naturgeschichte der Haustiere. Dresden. 1880. Pag. 21. 2) F. Ratzel. Völkerkunde. Leipzig. 1894. Pag. 84. 28 Die Abstammung der ältesten Haustiere. ersten folgenreichen Schritt zur Gewinnung von Haustieren mächtiger wirken mochte, als die Rücksicht auf den späteren Nutzen. Der primitive Mensch hat zunächst eine Anzahl Arten seiner Umgebung eingefangen und gezähmt, weil ihm dies Vergnügen und Unterhaltung gewährte. Wer mit Naturvölkern verkehrt hat, weiss, dass sie mit grosser Vorliebe in der Umgebung ihrer Wohnstätten eine Menge von zahmen Tieren halten, die wirtschaftlich völlig bedeutungslos sind. Von diesen erweisen sich einzelne als fort- pflanzungsfähig. Hinterher kam die Erkenntnis, dass etliche davon wirt- schaftlich verwendbar seien, diese wurden behalten, der übrige Teil ganz oder teilweise entlassen. Die züchterische Auslese führte zur regelrechten Domestikation. Wir hätten damit als die einzelnen Etappen zu bezeichnen: Wildzustand — Jagd und Gefangennahme — Zähmung — Domestikation. Hinterher hat der Zufall einen merkwürdigen Beleg für die Richtigkeit dieser Annahme gebracht. Wie ich später bei der Abstammung der Haus- rinder genauer darlegen werde, hat uns die mykenische Kunst ein wichtiges Dokument geliefert, welches den ganzen Hergang der Haustierwerdung in einer sehr alten Kulturperiode überraschend naturgetreu darstellt. Der oben geschilderte Weg zum Haustier ist wohl der normale, aber nicht der einzige. Es lässt sich vielmehr nachweisen, dass unter Umständen auch religiöse Vorstellungen und Kultusmomente den Weg zum Haustier bahnten oder wenigstens eine Rassenbildung begünstigt haben. Ein bemerkenswertes Beispiel ist die Hauskatze. Zuerst in Altägypten gezähmt, galt das geistig begabte Tier im ägyptischen Hause als guter Geist, als eine Art Vorsehung — die Katze wurde zunächst Gegenstand des Kultes, insbesondere war sie der Liebling der Frauen. Hinterher wurde sie im Haushalt degradiert und als Mäusefänger gehalten. Sie ist im Mittel- alter nach Europa gekommen, aber in verzerrter Form haben sich bei uns bis auf heute einzelne Reste der Kult-Stufe erhalten. Aehnlich verhält es sich mit dem Hahn, der auf seiner Wanderung nach dem Westen ebenfalls Kultbedeutung erlangte. Die Heilighaltung des Rindes in Indien ist bekannt und hat dort zur Gewinnung der schönen Tempelrasse geführt. Die Priester, von den Kultgaben des Volkes lebend und unter allen Breiten schlau auf ihren Vorteil bedacht, lesen unter den dargebrachten Rindern nicht die schlechtesten aus und die stattlichen Götterkühe der Tempel sind ein Produkt dieser priesterlichen Selektion. Prüft man das Material, aus welchem der Mensch seine Haustiere bezog und damit auf einer vorgeschrittenen Entwicklungsstufe sein Dasein von den Launen und Wechselfällen der Natur möglichst unabhängig gestaltete, so ergiebt sich sofort, dass die niedere Tierwelt ein höchst unbedeutendes Kontingent (Honigbiene, Seidenraupe) geliefert hat. Die meisten entstammen den höher stehenden Wirbeltieren, sind aber nach den einzelnen Ordnungen sehr ungleich verteilt. Von 13 Säugetierordnungen sind es nur drez, welche o domestizierte Arten geliefert haben, nämlich die Huttiere, Raubtiere und Der Vorgang der Haustierwerdung. 29 Nager. Aus der Klasse der Vögel kommen nur vzer Ordnungen in Betracht, nämlich die Hühnervögel, Tauben, Schwimmvögel und Strausse. Wir können aus diesen T'hatsachen entnehmen, dass gewisse Vorbe- dingungen vorhanden sein mussten, die nicht allein wirtschaftlicher sondern auch physiologischer Natur waren. Es wird meist übersehen, dass die natürliche Intelligenz eine grosse Rolle spielte. Sie darf weder zu hoch, noch zu niedrig bemessen sein. Steht sie zu hoch, dann ist die Gefahr da, dass ein Haustier das Dienst- verhältnis zu oft durchbricht. Es ist gewiss bemerkenswert, dass die dem Menschen im System nächstverwandten Affen niemals eine domestizierte Art zu liefern vermochten, trotzdem sie sich unschwer zähmen lassen. Ihre geistige Selbständigkeit ist eben zu gross. Die intelligente Katze steht schon an der oberen Grenze und dokumentiert ja nur zu leicht ihre Unab- hängigkeit, wenn diese eingeschränkt werden will. Anderseits kann der Mensch mit einem geistig beschränkten Geschöpf wiederum nichts anfangen. In Australien ist aus diesem Grunde kein einziges der zahlreichen Beuteltiere domestiziert worden, obschon deren Fleisch und Fell erwünscht sein musste; diese Tiere sind eben nicht erziehungsfähig. Bei den Eingeborenen von Madagaskar fand ich eine Menge von gezähmten Lemuren: die Geschöpfe sind in ihrem Wesen ungemein angenehm und zutraulich, aber geistig entsetzlich beschränkt und daher zu irgend welchen Dienstleistungen nicht verwendbar. Der mittlere Grad von Intelligenz ist eine der Hauptursachen, warum gerade die Huftiere die brauchbarsten Arten geliefert haben. Sodann ist eine ganz bestimmte Qualität der psychischen Eigenschaften erforderlich. Bereits Cxvzer hat darauf hingewiesen, dass der Mensch sein tierisches Inventar denjenigen Arten entnahm, welche herdenweise lebten und Darzin erklärt im Schlusskapitel seines Werkes über „Das Variieren der Tiere und Pflanzen“ diese T'hatsache vollkommen richtig, wenn er be- merkt, dass nur ein soziales Tier unterjocht werden kann, weil es den Menschen als das Haupt der Herde annimmt. In unsere moderne psych- ologische Ausdrucksweise übersetzt, heisst das nichts anderes als dass ein soziales Tier im Freileben schon der suggestiven Einwirkung in hohem Grade zugänglich sein muss, wenn der Mensch mit seinen Suggestivmitteln bei ihm etwas erreichen will. Tierische Einsiedler, die durch Konträr- Suggestion antworten, sind daher für den Hausstand unbrauchbar. Eine gewisse Formenbiegsamkeit der einzelnen Arten ist allerdings erforderlich, indessen nicht immer gleich stark ausgeprägt. Spezies, die sehr einseitig angepasst sind, konnten keine Berücksichtigung finden. Die Umgestaltung durch die Kultur erstreckt sich nicht allein auf die äussere Form, sondern auch auf die inneren Organe und selbst die Skelettteile, die man zu den am wenigsten wandelbaren Bildungen rechnet, haben so tief- eingreifende und konstant sich vererbende Eigentümlichkeiten erlangt, dass 30 Die Abstammung der ältesten Haustiere. man auf osteologische Momente eine wissenschaftliche Rassenlehre be- gründen konnte. Die Aultur- Rassen stehen hinsichtlich der Art ihrer Entstehung den natürlichen oder geographischen Rassen der übrigen Tierwelt gegenüber. /war werden in der zootechnischen Litteratur diese Unterschiede nicht immer auseinander gehalten und auch bei Haustieren neben Aultur- Kassen noch Promztrve Rassen und »atürliche Passen unterschieden. Nach MNathusrus z. B. sind die „natürlichen“ Rassen im allgemeinen charakterisiert durch Einseitigkeit in den Leistungen oder wenn eine gewisse Harmonie vorhanden ist, durch relativ geringe Leistungsfähigkeit im ganzen. Sie sind auf bestimmten geographischen Gebieten entstanden, bewahren aber ihre Eigentümlichkeit auch beim Versetzen in eine neue Fleimat. Als Beispiel wird das orientalische Pferd, das graue Steppenrind und das spanische Merinoschaf angeführt. Nun hat man aber Jahrhunderte lang an dem Schaf herumkünsteln müssen, bis es in Spanien zur Merinoform wurde und der Ausdruck „natürliche Rasse“ scheint mir eine Contraditio in adjecto, wenn er für ein Haustier angewendet wird. Jede Rasse im zahmen Zustande, ob sie sich stark oder nur wenig von der Stammform entfernt, ist direkt oder indirekt unter dem Einfluss des Menschen entstanden. Ich würde es vorziehen, Formen wie das graue Steppenrind oder den Windhund Afrikas als Zrzmztive Massen zu bezeichnen, weil sie sich von der Stammform nur wenig entfernt haben. Im weitern würde ich als besondere Gruppen die alten Kultur-Rassen von den modernen Kultur- J/tassen auseinanderhalten. Erstere sind schon in vorgeschichtlicher Zeit gezüchtet worden, dann aber merkwürdig stabil geblieben, wie z. B. das Braunvieh der Alpen, das Rind Sardiniens, das romanische Schwein, das Bündnerschwein, das Bündnerschaf und das Fettschwanzschaf. Die modernen Kultur- Rassen sind jünger, zum Teil erst in neuerer historischer Zeit entstanden, wie z. B. das Merinoschaf, das Shorthornrind, das englische Vollblutpferd u. s. w. Von den Veränderungen im Körper wird das Fortpflanzungssystem am allerwenigsten in Mitleidenschaft gezogen, Störungen in seinen Funktionen würde ja die Zucht beeinträchtigen. Immerhin sind auch da Fälle bekannt, wo Formenkreise von gemeinsamer Abstammung sich in ihren Endgliedern so weit entfernt haben, dass ihre Kreuzung nicht mehr gelingt, wie das 7. B. für die Zwergformen mancher Hunde der Fall ist. Betrachten wir die räumliche Entstehung der einzelnen Haustiere, so sind die verschiedenen Erdräume in sehr ungleicher Weise daran beteiligt. Die Erklärung ist naheliegend. In erster Linie war das Vorhandensein eines zur Domestikation geeigneten Wildmaterials erforderlich und diese Voraussetzung traf nicht überall zu. Sodann kommt die Begabung der Menschenrasse für züchterische Kunst in Betracht und nach dieser Richtung sind die einzelnen Völker verschieden beanlagt. Der Vorgang der Haustierwerdung,. 31 Am fruchtbarsten hat sich Aszer erwiesen, so fruchtbar, dass man einst fast allen unseren Haustieren eine asiatische Urheimat zuschreiben wollte. Das war nun freilich über das Ziel hinausgeschossen. Das südliche Asien lieferte ein zahmes Schwein, den Büffel, die Höcker- rinder oder Zebu, das Haushuhn und den Pfau; das steppenreiche Hoch- asien das Kamel und den Grunzochsen, sowie den orientalischen Zweig der zahmen Pferde, endlich eine stattliche Form des Haushundes: Nordasien das Renntier. Das westliche Asien mit seinen für Viehzucht besonders begabten Völkerschaften ist die erste Heimat gewisser Schafrassen, der Hausziegen, der edleren Form des Hausesels und wahrscheinlich auch der kleineren Spitzhunde und Haustauben. Europa ist geographisch aufgefasst eigentlich nur ein Dependenz von Asien, hat aber doch eigenartige Haustiere erzeugt. Europäischen Ursprung besitzen unsere alten Landschweine, die nordischen Schafe, das langköpfige, occidentale Pferd und vorab die grossen Formen der Rinder. Von Nagern wäre noch das Kaninchen hinzuzufügen. Ein eigenartiges Verhältnis begegnet uns in Afrzka. Sein Tiermaterial ist grossartig, insbesondere der Reichtum an Säugetieren hervorragend. Dennoch ist das Wichtigste von Asien her entlehnt, der ursprüngliche Erwerb war zwar etwas umfangreicher als man früher angenommen hatte, im Grunde genommen aber doch wirtschaftlich mehr untergeordneter Natur. Es spielen da offenbar ethnologische Gründe mit. Auf den unermesslichen Steppengebieten fanden vielfach Völkerverschiebungen statt und diese fort- währende Unruhe wirkte auf die Heranziehung afrikanischer Haustiere nachteilig. Afrika lieferte die kleinere Form des Hausesels; dieser hat jedoch über den hamosemitischen Kulturkreis hinaus nie eine sehr grosse Bedeutung erlangt. Die zahlreichen Antilopen hätten gewiss brauchbares Material enthalten, aber nur in dem stabilen Nilthal haben die Pharaonen- leute während des alten Reiches einen Anlauf zur Antilopenzucht gemacht, später wieder aufgegeben. Schon während der älteren Dynastien, mehr noch während des neuen Reiches betrieb man die Geflügelzucht und die Nilgans (Chenalopex aegyptiacus) spielte als wirkliches Haustier eine hervorragende Rolle; ihre Zucht ist spurlos verloren gegangen. Echt afrikanisch ist der Windhund, auch alte Schafrassen, die aber seit langer Zeit im Rückgang begriffen sind; die Hauskatze entstand im Nilthal. Fügen wir zum Perlhuhn noch den in neuester Zeit in den Haus- stand übergetretenen Strauss hinzu, so ist der afrikanische Anteil erschöpft. ös sind also vorwiegend wirtschaftlich mehr sekundäre Arten. Am unfruchtbarsten hat sich Auszralen erwiesen. Es war eben kein geeignetes Material vorhanden. Das einzige Geschöpt, das etwa zu nennen wäre, ist die Krontaube, die auf Neuguinea von einzelnen Papuastämmen als Haustier gehalten wird und möglicherweise in der Zukunft für die 39 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Kolonisten einen brauchbaren Gegenstand für ausgedehnte Geflügelzucht abgeben kann. Amerika hat vor der Ankunft der Europäer nur wenige Haustiere besessen, nämlich autochthone Haushunde, die Schafkamele oder Lamas, das Truthuhn und die Kochenille. Diesem Mangel an Haustieren ist es zuzuschreiben, dass der präcolumbische Amerikaner nur lokal auf eine höhere Kulturstufe hinüberschreiten konnte, er blieb vorzugsweise Jäger. An Material für die Haustiergewinnung fehlte es nicht; der Bison hätte unschwer gezähmt werden können; auch die Bisamschweine und Pekari sind leicht an die Umgebung des Menschen zu bannen und ihr Fleisch wird gegessen, allein der Indianer hat niemals eine hervorragende Begabung für züchterische Kunst besessen. Das zeitliche Auftreten der Haustiere lässt uns ebenfalls einzelne wichtige Geschichtspunkte erkennen. Das lebende Inventar des Menschen ist nicht zu allen Zeiten dasselbe gewesen, sondern hat mehrfach gewechselt, auch sind die einzelnen Arten nicht gleichzeitig in den Hausstand einge- treten, worauf schon 1859 /szdore Geoffroy St. Hilaire eingehender hin- gewiesen hat. Er zählt auf der ganzen Erde 47 Haustier-Arten auf, wovon einzelne allerdings fraglicher Natur sind und zeigt, dass sie zum Teil erst in neuerer geschichtlicher Zeit oder dann im historischen Altertum domestiziert wurden, während 14 Arten bereits in der prähistorischen Periode vorhanden sind. Letzteren werden zugerechnet der Hund, die Katze, das Pferd, der Esel, das Schwein, das Kamel, der Dromedar, die Ziege, das Schaf, das Rind, der Zebu, die Taube, das Huhn und die Seidenraupe. Der Haupt- erwerb wurde somit schon während der prähistorischen Zeit gemacht, was von der historischen Zeit an hinzukommt, ist mehr untergeordneter Natur. Diese 'Thatsache findet ihre Erklärung darin, dass eine mässige Zahl von Arten ausreicht und durch allzu extensive Wirtschaft der Mensch seine Kräfte nur zersplittern würde. In welcher Reihenfolge die prähistorischen Haustiere in den Dienst der Menschen eintraten, lässt sich mit Sicherheit nicht mehr ermitteln, da Funde aus den ältesten Kulturkreisen noch zu spärlich sind. Meist wird der IHund als das erste Haustier angesehen, aber auch das Rind muss in Asien sehr früh gehalten worden sein, da es bereits in einer stark umge- änderten Form in den allerältesten Pfahlbauten Mitteleuropas nachweisbar ist, einer Form, welche morphologisch mit asiatischen Hausrindern ver- knüpft erscheint. In allen Kulturkreisen lässt sich eine Entwicklung von einfachen zu immer höher steigenden Stufen nachweisen, sei es, dass die anfänglichen Rassen umgebildet werden, sei es durch Wechsel des Haustierbestandes und Zufuhr neuer Rassen. Auf dem Boden der prähistorischen Kultur in Mitteleuropa sehen wir heute vollkommen klar. Die ältere Steinzeit oder Höhlenzeit weist noch Der Vorgang der Haustierwerdung. 33 keine Haustiere auf, der Urbewohner trieb damals ausschliesslich Jagd. Zwischen der älteren und jüngeren Pfahlbauperiode hat Zätzmeyer erhebliche Unterschiede nachweisen können und 7%. Studer bestätigte dies später auf Grund seiner Untersuchungen der westschweizerischen Pfahlbauten, die eine ausserordentliche Fülle an Haustiermaterial geliefert haben. Er bemerkt, dass in den ältesten Stationen neben den Haustieren die Jagdtiere in ziemlich gleicher Menge vertreten sind. „Ilund, Schwein, Ziege, Schaf und Rind sind nur in einer je gleichtörmigen Rasse vertreten. In der späteren Stein- zeit finden wir, dass neben der Jagd auf die grossen Wiederkäuer des Waldes der Viehzucht eine ungemeine Aufmerksamkeit zugewendet wird. Das wilde Rind wird gezähmt und mit der schon vorhandenen Rasse gekreuzt: aber auch auf die anderen indem die vorhandenen Haustiere erstreckt sich Rassen verbessert, aber die umbildende "T’'hätig- auch neue Formen im keit der Züchtung. Der Norden der Alpen einge- Hund wird nach wenig- führt werden. Wie sich stens drei verschiedenen in Vindonissa nachweisen Richtungen umgebildet. liess, haben römische Schaf und Ziege ent- Kolonisten eine grosse wickeln sich zu grösseren Hunderasse, sowie eine und kräftigeren Formen‘. neue Ziegen- und Rinder- Und in der Bronzeperiode rasse nach Norden ver- gehen diese Umbildungen breitet. Auch der Pfau noch weiter. Mit der erscheint zum ersten Mal Ankunft der Römer be- ar während der helvetisch- ginnt neuerdings eine Römische Thonlampe mit Pfau römischen Zeit in Mittel- Hebung der Viehzucht, Ras europa. Durch genaueres Studium des altägyptischen Kulturkreises bin ich zu ganz ähnlichen Ergebnissen gelangt. Die Haustiere aus der vorpharaonischen Zeit (Rind, Esel, Schaf), von denen wir sehr brauchbare Darstellungen besitzen, sind noch ungemein primitiv und der wilden Stammart sehr nahestehend, das Schaf z. B. ähnelt seiner langen Halsmähne wegen noch dem Mähnenschaf, istaber später während des alten Reiches und mittleren Reiches schon in verschiedene Formen ge- spalten. Das Rind ist zu der charakteristischen Langhorn-Rasse umgebildet. Das Schwein ist schon von der I. Dynastie an vorhanden: die Antilopen- zucht, während der älteren Dynastien stark geübt, geht später verloren, dafür wandern zur Zeit des neuen Reiches asiatische Schafe ein und ver- drängen die altangesessene Rasse. Kamel und Pferd sind im alten Reich nirgends nachweisbar, sie erscheinen im Nilthal relativ spät. Die anfänglich überwiegenden langhörnigen Rinder werden später in den Hlintergrund gedrängt und die kurzhörnigen Formen überwuchern: ob Umzüchtung oder fremder Import dies bewirkt hat, bleibt dahingestellt. Immerhin belehren 6} 2} 34 Die Abstammung der ältesten Haustiere. uns Funde in Deir el Bahri, dass Kurzhornrinder aus dem südlichen Punt- land eingeführt wurden. Wenn der mesopotamische Kulturkreis erst vollkommener durchsucht ist, wird sich eine ähnliche Entwicklung nachweisen lassen, in neuerer geschichtlicher Zeit ist er freilich in Verfall geraten und die Haustierwelt durchaus anders, aber minderwertig geworden. Die edlen Zuchten alt- assyrischer Pferde gingen nach und nach an die Araber über; das Schwein wurde aus der Wirtschaft entlassen; an die Stelle des Rindes trat der Büffel, der möglicherweise in jener Region zuerst gezähmt wurde. Die rassenreinen, schönen Doggenhunde Altassyriens sind längst im Zweistrom- land erloschen und machten dem verachteten Pariahund Platz. Schliesslich mag noch hervorgehoben werden, dass die Kunst der Haustiergewinnung in den verschiedenen Kulturkreisen selbständig erworben wurde und ein ethnischer Zusammenhang anfänglich nicht nachweisbar ist. Wenn z. B. im Norden Asiens die Renntierzucht entstand oder im alt- amerikanischen Kulturkreis einige Flaustiere auftraten, so geschah dieser Erwerb unabhängig von jedem äusseren Einfluss. NEAR v. DIE. HAUSHIUNDE ie Reihe der schon in prähistorischer Zeit auftretenden domesti- zierten Arten dürfen wir wohl unbedenklich mit den Haushunden | eröffnen. Sie bilden vermutlich den ältesten Erwerb, den der | 12 wol” / a Be (ET Mensch in der Tierwelt für seine häusliche Wirtschaft gemacht hat. In dieser Hinsicht erscheinen zwei T'hatsachen sehr beachtenswert: einmal erscheint der Hund als Besitztum gewisser Rassenelemente, die heute noch auf der allerprimitivsten wirtschaftlichen Stufe reiner Jägervölker ver- harren, wie z. B. die Natur-Weddas und die Buschmänner; sodann tauchen zahme Hunde bereits in weiter Verbreitung während der prähistorischen Periode der alten Welt, aber auch in der präcolumbischen Zeit der neuen Welt auf. Der Hund schliesst sich dem Menschen enger an als irgend ein anderes Haustier und wenn auch seine wirtschaftliche Bedeutung von anderen Arten übertroffen werden mag, so ist er doch ein kosmopolitisches Geschöpf im weitesten Sinne des Wortes geworden; in den Tropen findet er sich unter den wechselndsten Lebensbedingungen, er folgt in der gemässigten Zone dem Menschen bis in die höchste Gebirgsregion und vermag, wie die neuesten Nordpolexpeditionen beweisen, als Zughund im Polargürtel bis zu Breiten vorzudringen, in denen selbst das Renntier versagt. Dass die Rassengeschichte eines so alten Haustieres, bei welchem über- dies Kreuzungen vielfach unvermeidlich blieben, ein ganz besonders schwieriges Problem darbietet, liegt auf der Hand. DIE PRAEHISTORISCHEN HUNDE-RASSEN IN EUROPA.) Zahme Hunde scheinen bei den ältesten Ureinwohnern von Europa nicht vorhanden gewesen zu sein, denn bisher konnten ihre Spuren in den palaeolitischen Niederlassungen nicht nachgewiesen werden. Befragen wir zwei klassisch gewordene Fundstätten der nördlichen Schweiz, die sehr genau durchsucht sind, so lauten die Ergebnisse durchaus negativ. In Thayngen fand /ützimeyer etwa 200 Oberarmknochen des Schneehuhnes, aber Bissspuren von Hunden, die sich etwa an diese Küchenabfälle hätten machen können, waren nicht zu bemerken. „Schon hierin möchte ein starker Beleg liegen, dass der Haushund damals fehlte“, fügt der genannte Autor hinzu. 1) Vrgl. insbesondere die neueste zusammenfassende Arbeit von 7%. Studer. Die prä- historischen Hunde. Abh. d. Schweiz. palaeont. Gesellschaft. 1901. 30 Die Abstammung der ältesten Flaustiere. Die so minutiös durchforschte Station Schweizersbild hat ebenfalls keine palaeolitische Ilundereste geliefert. Erst mit Beginn der Pfahlbaukultur, also in der jüngeren Steinzeit, taucht ein zahmer Hund auf. Dessen Schädel ist n der Regel gut erhalten, ein Beweis, dass er jedenfalls nicht der Nahrungszwecke wegen gehalten wurde, sondern wahrscheinlich zur Be- wachung der menschlichen Wohnungen diente. Der anatomische Vergleich ergiebt, dass anfänglich eine einzige, merkwürdig beständige Rasse gehalten wurde, die /lötzmeyer als Canis familiaris palustris bezeichnet. Da in neuerer Zeit sich auch wickeltemFHlinter- deutsche Be- hauptskamm und nennungen für schwachen, wenig diese alten Rassen nach aussen einbürgern, gewölbten Joch- könnte man diese bogen. DieBasal- Form am zutreff- länge des Schä- dels betrug 130 bis150Millimeter. Die genannte endsten als Zorf- spetzbezeichnen, da sie augen- scheinlich die Rasse ist bisher Ausgangsform an verschiedenen unserer heutigen Lokalitäten Spitzhunde dar- Europas, selbst stellt. weit im Norden, Der mässig aufgefunden grosse Torfhund worden. Wie war leicht ge- Th. Studer‘) au baut, derSchädel Schädeln der mitkurzer,mässig westschweizer- zugespitzter ischen Pfahlbau- Schnauze, schön ten nachweisen gerundeter konnte, wurden Schädelkapsel. Fig. 7. die anfänglich Schädel des Torfhundes. Robenhausen. 5 schwach ent- sehr konstanten Tortspitze nach verschiedenen Richtungen umgezüchtet. So wurden in Pfahl- bauten mit fortgeschrittener Kultur (Sutz, Lattringen, Lüscherz, Vinelz) neben der alten Rasse auch grössere Formen angetroffen, deren Schädel stärkere Muskelleisten und kräftigere Jochbogen besitzen, also etwa unseren heutigen Hofspitzen nahestehen. Anderseits kamen auch kleine Spitzhunde vor, bei denen der Schädel mehr jugendliche Konturen annimmt oder wie aus Funden in Lattringen hervorgeht, der Typusdes Pinschers gezüchtet wurde. ') 7%. Studer. Mitt. der naturf. Gesellschaft in Bern. 1883, und „Beiträge zur Ge- schichte unserer Hunderassen“. Naturw. Wochenschrift. 1897. Die Haushunde. a os I Damit im Einklang stehen die Befunde von SZrobel, welcher in den Terramaren der Emilia neben dem gewöhnlichen Torfhund noch eine kleinere Form (Canis Spalleti) vorfand.!) Eine grosse und von der vorigen abweichende Rasse aus der neoli- tischen Zeit entdeckte Anuischin?) in Ablagerungen am Ladoga-See neben dem gewöhnlichen 'Torfspitz. Er gab ihr den Namen Canis Inostranzewi, ihr Vorkommen wird von S/uder auch für die Pfahlbau-Niederlassung Font am Neuenburgersee angegeben. Im Hinblick auf die Seltenheit dieses Hunde-Relikts, dessen nahe Beziehungen zum Woltschädel betont wurde, zumal die Knochenleisten stark entwickelt sind und die Augenöflnung wie beim Wolf als schräg bezeichnet wird, kann man die Frage aufwerfen, ob es sich wirklich um eine zahme Rasse handle. Unter dem Namen Canis Leineri hat ferner 7%. Studer?) eine grosse Rasse aus der neolitischen Station Bodmann am Ueberlingersee bekannt gemacht. Die Eigentümlichkeit derselben besteht in dem relativ schwachen Gebiss und einem Profil. das an der Nasenwurzel nicht eingesenkt_ ist. Diese eigenartige Form, die gewisse Beziehungen zu den heutigen Hirsch- hunden aufweisen soll, ist nur in einem einzigen Schädel bekannt geworden. Eine weitere Rassenvermehrung macht sich im mittleren und westlichen Europa mit Beginn der Bronzekultur bemerkbar. %s erscheint der Bronze- hund, den Feztteles 1872 in Olmütz entdeckte und unter dem Namen Canis matris optimae beschrieb.‘) Seine Verbreitung erstreckt sich über ein grosses Areal, da er auch in Troppau, in Würzburg, am Neuenburger- see, in Morges am Genfersee und in den Pfahlbauten des Starnbergersees (hier in 9 Exemplaren) nachgewiesen wurde. Der Bronzehund steht ana- tomisch dem heutigen Schäferhund am nächsten und bildet wohl den direkten Vorläufer desselben. Die Basilarlänge des Schädels beträgt 170—189 Milli- meter; das Schädelprofil ist flacher, die Hirnkapsel weniger gewölbt als beim Torfhund. Naumann’) führt auf Grund der Funde am Starnbergersee aus, dass schon während der Pfahlbauzeit der Bronzehund in zwei verschiedenen Formen gezüchtet wurde und hält es für wahrscheinlich, dass der Tort- hund mehr zum Bewachen des Hauses, der grössere Bronzehund dagegen als Hüter der Herden gehalten wurde. Diese Annahme erhält eine gewisse Stütze in der Thatsache, dass die Grossviehhaltung zur Zeit der Bronze- 1) ‚Szrobel. Le Razze dell’Cane nella Terramare dell’Emilia. 1580. 2) Anutschin. Zwei Rassen des Hundes aus den Torfmooren des Ladogasees-Moskau. 1582. 3) 7%. Studer. Zwei grosse Hunderassen aus der Steinzeit der Pfahlbauten. Mitt. der naturf. Gesellschaft in Bern. 1893. er sreitteles: Sitzungsber. der math.-phys. Klasse der kgl. bayer. Akad. der Wiss. zu München. 1872. 5) Naumann. Die Pfahlbauten im Starnbergersee. Archiv für Anthrop. 1875. 238 Die Abstammung der ältesten Haustiere. kultur etwas zurücktritt. während die Zucht des Kleinviehs einen ent- schiedenen Aufschwung nimmt. Der Bronzezeit gehört noch eine Rasse an, die Woldrich im Jahre 1877 unter dem Namen Canis fam. intermedius beschrieb.') Der bekannte Archae- ologe Graf von MWurmbdrand entdeckte den ersten Schädel derselben in Weikersdorf (Niederösterreich), weitere Funde stammen aus Pulka und Ploscha in Böhmen. Wegen des typischen Vorkommens dieser Rassen- Relikte in Aschenlagern hat die erwähnte Form den Namen „Aschenhund‘“ erhalten. Mit einer Basilarlänge von 164 Millimeter steht sein Schädel in der Mitte zwischen dem grossen Bronzehund und der kleineren Palustris- Rasse, so dass es sich wahrscheinlich um ein Kreuzungsprodukt handelt. Als bemerkenswerte Eigentümlichkeit des Schädels wird von MWoldrich die Kürze der Schnauze und die bedeutende Stirnbreite hervorgehoben. Der Aschenhund soll nach seinen osteologischen Merkmalen nahe Be- ziehungen zu den primitiven Formen unserer Jagdhunde aufweisen. Ob es sich da nicht um zufällige Konvergenzerscheinungen handelt? Wir müssen stets im Auge behalten, dass im altägyptischen Kulturkreis schon sehr früh hängeohrige Jagdhunde vom Charakter der Laufhunde vorhanden waren, deren südliche Abstammung sich leicht verfolgen lässt. Als letzte prähistorische Rasse mag der in der Litteratur mehrfach aufgeführte grosse Hund hier noch Erwähnung finden, den A. Nehring”) als Canis familiarıs decumanus beschrieb und ihn vom Wolf herleiten möchte. ‘s sind davon zwei Schädel im märkischen Museum vorhanden; sie wurden in der Nähe von Berlin in einer Kulturschicht aufgefunden; ein dritter Schädel stammt aus Eberswalde. Die Basilarlänge derselben wird zu 220 bis 230 Millimeter angegeben. Ich werde später die Gründe darlegen, die mich Zweifel in die Existenz so grosser prähistorischer Haushunde hegen lassen, auch Nesring ist, wie er mir schreibt, zweifelhaft geworden, ob seine Decumanus-Rasse der prähistorischen Zeit angehöre, da sich das Alter der Kulturschicht nicht sicher bestimmen liess. Wir sehen also, dass frühzeitig, namentlich während der Bronzeperiode neben dem alten T’orfhund neue Rassen auftauchen; im allgemeinen sind es jedoch nur drei, der Torfhund, der Bronzehund und der Aschenhund, für welche mit Sicherheit eine allgemeinere Verbreitung nachgewiesen ist. Sie reichen bis nach dem äussersten Westen des europäischen Kontinentes, wo die Funde in den „Terpen“ Hollands eine besondere Beachtung ver- dienen. Diese schon in vorgeschichtlicher Zeit besiedelten Stellen lassen sich am ehesten den 'T’erramaren Italiens an die Seite stellen, dürften aber den jüngeren Perioden angehören, da in den Terpen von Aalsund und 1) F. N. Woldrich. Ueber einen neuen Haushund der Bronzezeit. Mitt. der anthrop. Gesellsch. in Wien. VII. Bd. 1877. ?) A. Nehring. Ueber eine grosse wolfsähnliche Hunde-Rasse der Vorzeit. Sitzungsber. der Gesellsch. naturf. Freunde. Berlin. 1884. Die Haushunde. 9 Hallun neben der Palustris-Rasse auch Canis matris optimae und C. inter- medius aufgefunden wurde. Diese Funde sind von MW. A. %. Schoor be- schrieben und abgebildet.!) Ich habe unlängst zwei Schädel aus den Terpen im Norden von Groningen untersucht, welche in einer Tiefe von drei Meter ausgegraben wurden und von denen der eine die grössere Palustrisform zeigt, der andere dagegen dem Formenkreis von C. intermedius zugerechnet werden muss. Ich gewinne an dem grösseren Schädel neuerdings die Ueberzeugung, dass es sich um ein Kreuzungsprodukt zwischen der Palustris-Rasse und einem grossen Hund handelt. Da wir kaum annehmen dürfen, dass in jener weit zurück- liegenden Zeit schon bestimmte Zuchtprinzipien herrschend waren, so muss das Auftreten von Kreuzungsprodukten ganz natürlich erscheinen. DIE VORGESCHICHTLICHEN (PRAECOLUMBISCHEN) HUNDE AMERIKAS. Die Kulturverhältnisse der neuen Welt lagen vor Ankunft der Europäer weit einfacher als in der alten Welt. - Dies gilt insbesondere für die Haus- tierzucht, die sich nur lokal und in geringem Umfang entwickelt hatte. Am meisten verbreitet war der Hund, der im Kulturkreis der Mava und Altmexikaner leider nicht genauer untersucht ist, um so besser aber in Alt-Peru. Nachdem schon 7'serudr die Identität des alten Inkahundes der vor- spanischen Gräber mit dem Hirtenhund der Indianer festgestellt hatte, sind in der Neuzeit durch A. Vehring*”) die Inkahunde des Totenfeldes von Ancon eingehend untersucht worden. Es erhellt daraus, dass die Altperuaner in der Hundezucht verhältnis- mässig weit gekommen waren, wie sie auch die einzigen Völker des prä- columbischen Amerika waren, die darüber hinaus als Haussäugetiere noch das Lama und das Meerschweinchen gewonnen hatten. Ihr Haushund war mittelgross und untersetzt gebaut, teils straffhaarig, teils eigentlich langhaarig. Unter den gut erhaltenen Gräberhunden treten verschiedene Farben-Nuancen auf (ockergelb, dunkelbraun, gelb und braun- gefleckt). Das Gebiss zeigt eine auffallende Neigung zum Variieren. Nehring wies nach, dass vor Ankunft der Europäer bereits drei wohl unterscheidbare Rassen gehalten wurden, die sich hinsichtlich des Schädel- baues und der Form der Beinknochen charakterisieren lassen als: l. eine Schäferhund-ähnliche Rasse (Canis Ingae pecuarius Nehring) mit relativ schlankem Schädel und schlanken Beinen. Dieselbe durfte im äusserlichen Aussehen etwa den Collies ähnlich gewesen 1) W. K. %. Schoor. De praehistorische honden der Terpen. Leeuwarden. 1887. 2) A. Nehring. Ueber altperuanische Haustiere. Compte Rendu du congres Inter- national des am&ricanistes. Berlin. 1888. 40 Die Abstammung der ältesten Haustiere. sein. Offenbar war dies die primitivste Rasse, die auch am meisten verbreitet war. 2. eine Dachshund-ähnliche Rasse (C. Ingae vertagus Nehring) mit Fig. 8. Canis Ingae pecuarius.!) Fig. 10. Canis Ingae molossoides.l kürzerem Schädel und kurzen, stark gekrümmten Beinen. Es braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden, dass der Inka-Dachshund genetisch in keiner Beziehung zu den Dachshunden der alten Welt 1) Nach A. Nehring. Die Haushunde. 41 steht, sondern sich ganz unabhängig auf amerikanischem Boden entwickelte. 3. eine Dulldogg-ähnliche Rasse (C. Ingae molossoides Nehring) mit kurzem, breitem Schädel, verkürzter Schnauze, stark übergreifendem glich eine Konvergenzerscheinung zu der altweltlichen Bulldoggtform vor. Unterkiefer undkurzen, plump gebauten Beinen. Auch hier liegt ledi Es bleibt späteren Untersuchungen vorbehalten, ob diese Rassen erst in Altperu entstanden oder aus dem Gebiet der Mayakultur oder der alt- mexikanischen Kultur eingeführt wurden. Hunde wurden den Toten ins Grab mitgegeben und ihnen dann ge- wöhnlich vorher die Ohren gestutzt. DIE HUNDE DES HISTORISCHEN ALTERTUMS. Von den alten Kulturkreisen liefert uns das Pharaonenland, das alte Nilthal, weitaus das ergiebigste und zuverlässigste Material. Der Hund muss, wie wir aus den treftlich erhaltenen bildlichen Darstellungen der ältesten Dynastien entnehmen können, sich als Haustier einer grossen Beliebtheit erfreut haben, ja er bildete sogar lange Zeit hindurch den Gegenstand des Kultes. Mit Sicherheit lässt der Hund Altägyptens sich bis gegen 4000 ‚Jahre v. Chr. zurückverfolgen und erscheint schon frühzeitig in verschiedenen Rassen. Am häufigsten und geschätztesten war augenscheinlich der stattliche Windhund, der an Grösse etwa dem heutigen russischen Barsoi gleich kam und seiner Schnelligkeit wegen besonders bei der Jagd auf Antilopen Ver- wendung fand. Ein Blick auf das Werk von Zeszus belehrt uns, dass der typische Windhund Altägyptens schon während der IV. und V. Dynastie häufig abgebildet wird; wir kennen auch Darstellungen aus der N. Dynastie. Die leichtgebaute, hochbeinige Rasse besass Stehohren und eine stark vorgestreckte, feine Schnauze; sie wird meist ringelschwänzig dargestellt, einzelne Bilder lassen eine Stummelrute erkennen, woraus entnommen werden muss, dass schon bei den Altägyptern der Brauch bestand, den Hunden den Schwanz zu stutzen. Ich besitze eine genaue Kopie aus dem Grabe des Ti (V. Dynastie). auf welcher der stehohrige Windhund eine buschige Rute erkennen lässt. Augenscheinlich war der altägyptische Windhund sonst kurzhaarig. Auch andere Rassen wurden gehalten; hängeohrige Jagdhunde waren wohl neben Windhunden am häufigsten. Sie waren nicht selten gefleckt, wie wir aus einer besonders schönen Abbildung in Theben aus der Zeit der XVII. Dynastie ersehen können. Manche ägyptische Jagdhunde er- innern sehr an unsere heutigen Laufhunde,. während andere noch so wind- hundartig erscheinen, dass wir unbedingt eine Umzüchtung des Windspieles zur Jagdhundrasse annehmen müssen. 42 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Der Dachshund wurde ebenfalls gehalten; eine Abbildung aus Beni Hassan stellt ihn noch stehohrig dar. Weniger häufig begegnet man dem Spitzhund, doch wird er schon auf einem Monument der IV. Dynastie recht kenntlich dargestellt. Fig. 11. Assyrische Jäger mit grossen Doggen. 668 v. Chr. (British Museum.) Auffallend erscheint es, dass die altägyptischen Künstler Hunde aus der Doggenfamilie niemals abgebildet haben: diese Thatsache berechtigt zu dem Schluss, dass die Doggen den Pharaonenleuten nicht bekannt waren. Eine Umschau in dem alten babylonisch-assyrischen Kulturkreis lässt durchaus abweichende Verhältnisse erkennen; die Rassenzusammensetzung Die Haushunde. 43 war offenbar einfacher. Die wichtigsten Dokumente reichen im Zweistrom- land 2500-3000 Jahre von der Gegenwart zurück. Von ächten Wind- (British Museum.) Assurbanipals Palast. Assyrische Doggen ein Wildpferd niederreissend. hunden oder hängeohrigen Laufhunden habe ich keinerlei Andeutungen auffinden können; der Lieblingshund der Babylonier und Assyrer war augen- scheinlich eine mächtige Dogge von kräftigem Bau, an dem schweren Kopf sind die breiten Hängeohren hoch angesetzt, die überschüssige Kopfhaut 44 Die Abstammung der ältesten Haustiere. erscheint in Falten’ gelegt. Eine ungemein charakteristische Darstellung der assyrischen Dogge findet sich auf einer Topfscherbe, die Colonel Aazw- /inson aus Birs Nimrod mitgebracht hat und die sich gegenwärtig im Besitz des British Museum befindet.'!) Ebenso fanden sich vorzügliche Doggen- bilder in Kujunschik als Basreliefs am Palast Assurbanipals, welche aus dem Jahr 668 v. Chr. stammen. Auf der einen Darstellung sehen wir den Auszug zur Jagd: ein Jäger schreitet mit den Jagdnetzen voran, hinter ihm folgt ein anderer, die jagdlustige Dogge an der Leine haltend. Ein anderes Basrelief führt uns eine Jagdszene vor, in welcher vier bissige Doggen ein Wildpferd niederreissen, es sind auffallend stumpfschnauzige Hunde mit langbehaarter Rute. Schon Zerodot erwähnt, dass ein Satrap von Babylon die Einkünfte von vier Städten auf den Unterhalt sölcher Hunde verwendete, was auf ihre grosse Zahl schliessen lässt und Zavard fügt die Bemerkung hinzu, dass sie von Indien einge- führt wurden, da bekannt- lich heute noch an den Abhängen des Himalaya und besonders in Tibet grosse Doggen vor- lg. 18. ae Altgriechischer Spitz. (Nach #4, Krämer.) Eine zweite Hunde- rasse begegnet uns auf assyrischen Skulpturen bei Niniveh aus der Zeit von Sannacherib, von welchen Layard in seinem Atlas’) eine Abbildung geliefert hat. Diese Rasse steht der assyrischen Dogge an Grösse erheblich nach und scheint einen glatthaarigen Hund mit spitzer Schnauze darzustellen, der dem Windhund nahe steht. der etwas schematisch gehaltenen Austührung wegen aber mehr einem indischen Pariahund ähnlich ist. In der ‘klassischen Periode von @Grzechenland und ZYoom wurde der Ilundezucht sehr grosse Aufmerksamkeit geschenkt und neben der Reinzucht auch Kreuzungszucht betrieben. Man scheute keine Opfer, um vom Auslande wertvolle "Tiere einzuführen. In Griechenland genossen die epirotischen und lakonischen Hunde einen besonderen Ruf; die römischen Schriftsteller erwähnen Jagdhunde, Hirtenhunde und Hofhunde. Wir unterlassen es, die litterarischen Angaben der verschiedenen Autoren des Altertums "hier im ') Ein gut ausgeführtes Bild giebt A. 77. Layard in seinem „Discoveries in the Ruins of Niniveh and Babylon“ auf pag. 527. Ic Pr °) A. HU. Layard. A second series of the Monuments of Niniveh. London. 1853. Tat. Die Haushunde. 4 ur einzelnen aufzuführen, da sie uns über die Rassenverhältnisse doch nur sehr unvollkommen aufklären. Zuverlässiger erscheinen die oft recht guten Rassenbilder auf alt- griechischen Münzen, wobei die veröffentlichte Sammlung von /mhoof- Blumer das ausgiebigste Quellenmaterial liefert. Der alte Spitzhund der Pfahlbauer tritt uns mit seinem charakteristischen Gepräge unverkennbar entgegen, er wird mit aufrechter, starkbuschiger Rute abgebildet. Eigentliche Windhunde, denjenigen Aegyptens oflenbar ganz nahe verwandt, erscheinen auf Münzen sizilianischer Städte; eine vor- zügliche Darstellung findet sich auf einem Didrachmon von Panormos: die Ohren sind noch vollkommen aufrecht stehend. Die Heimat des hochgeschätzten Molosserhundes (Canis molossus) dürfte Epirus gewesen sein, er ist nach seiner Einbürgerung in Europa dort zuerst gezüchtet worden, gelangte aber bald nach Italien. Der wachsame, bissige Haushund, vor dem die Römer durch die Aufschrift „Cave canem“ den Fremden zu warnen pflegten. war wohl ein Molosser. Co/zmella hat davon die eingehendste Schilderung gegeben, aus welcher hervorgeht, dass es sich um eine stark gebaute Dogge handelt, die dem Tibethund am nächsten steht. Besonders beachtenswert ist es, dass er den mächtigen Kopf des Tieres hervorhebt (capite tam magno, ut corporis videatur pars maxima). Bis vor kurzer Zeit war keine bildliche Darstellung des antiken Molosser- hundes aus Griechenland oder Rom bekannt. Zwar ist die bekannte Statue des Nzkzas als Typus desselben angesprochen worden, indessen hat der verdiente Kynologe Max Szber in seiner Monographie des Tibethundes Einwände erhoben, die sicher berechtigt sind.') Weder die Ohren noch das gestreckte Profil am Kopf der Statue sprechen für den Molossercharakter: sodann sind die sehnigen Beine verhältnismässig schlank und nicht lang behaart, während Codemella bei der Schilderung des Canis molossus aus- drücklich bemerkt: „Cruribus crassis et hirtis“. Es unterliegt kaum einem Zweifel, dass die Statue des „Vz%zas, von welcher Szber eine gute Abbildung gegeben hat, einen wolfartigen Hlirtenhund (den Canis pecuarius der Römer) darstellt. Diese alte Rasse hat sich heute noch in Griechenland und in Albanien erhalten, ist auch in den Bergen Süditaliens heimisch, wo die Calabresen diesen Cane di pastore zum Bewachen ihrer Herden halten. Erst kürzlich ist endlich in der römischen Kolonie Vindonissa auf mehreren Thonlämpchen ein vollständiges Hundebild aufgefunden worden, das gut auf den antiken Molosser passt; das mehrfach wiederkehrende Bild stellt einen kräftig gebauten, hängeohrigen Hund dar, dessen Kopf im Profil stark gebrochen erscheint: der Körper erscheint langhaarig: die aufwärts gekrümmte, stark behaarte Rute erinnert stark an unsere Bern- hardinerhunde. Die Originalbilder habe ich für die Sammlungen des schweizerischen Polytechnikums erworben. !) Max Siber. Der Tibethund. Winterthur. 1897. 46 Die Abstammung der ältesten Haustiere. DAS VERHÄLTNIS DER ZAHMEN HUNDE-RASSEN ZU DEN HEUTIGEN WILDHUNDEN. Die vielumstrittene Frage der phyletischen Beziehungen unserer Haus- hunde hat im Laufe der Zeit manche Wandlungen durchgemacht. Ihre Beantwortung muss naturgemäss auf besondere Schwierigkeiten stossen, da es sich um das älteste Haustier handelt, dessen Domestikation zeitlich ausser- ordentlich weit zurückliegt, die Migrationswege sehr verschlungen sind und die unausbleiblichen Kreuzungen den phyletischen Ermittelungen grosse Hindernisse bereiten. Im 18. Jahrhundert herrschte die Auffassung vor, dass alle zahmen Hunde monophyletischer Abkunft seien und Zzzne gab ihr dadurch be- stimmteren Ausdruck, dass er sie unter dem Namen Canis familiaris zu einer besonderen zoologischen Spezies vereinigte. Es muss dies bei einem Anhänger der Konstanzlehre befremden, denn die Grössenverschiedenheiten dieses Haustieres sind ganz ausserordentliche. /szdore Geoffroy St. Hrlaire hat später eine Liste der Längenmasse zusammengestellt und nachgewiesen, dass die grossen Gebirgshunde eine Länge von 1,33 Meter, die kleinsten Bologneserhunde nur eine solche von 0,22 Meter erreichen. Das Maximum beträgt also mehr als das Sechsfache des Minimums. Nimmt man gar das Volumen, so übertreffen die grössten Rassen die kleinsten Hunde um das Zweihundertfache. Auch Dufor') hat an der Einheit der Hunde-Rassen festgehalten und deren Entstehung als das Produkt der Einwirkungen von Klima und Kultur erklärt; seiner Meinung nach bildet der Schäferhund die Stammrasse, für ihn ist dieser „le vrai chien de la nature“. Anderseits ist vielfach der Wolf als Stammvater des zahmen Hundes angesehen worden (Lupi cicures post multas generationes in Canes transe- unt!). Güldenstädt’) ist meines Wissens der erste unter den Zoologen, welcher dieser Annahme entgegentrat (1776) und den Schakal als Stamm- form erklärte. Cuvzrer, dem der Haushund mit seiner grossen Variabilität unbequem war, spricht sich nicht bestimmt über dessen Abstammung aus. Es hat heute keinen Zweck mehr, auf die zahlreichen, aber recht ungenügend begründeten Hypothesen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einzu- treten; das Heranziehen der verschiedenartigsten wilden Arten als Stamm- väter drückte nur die allgemeine Ratlosigkeit und methodische Unzuläng- lichkeit aus, die Hundefrage richtig zu lösen. Eine Wendung erfolgte durch /szdore Geoffroy St. Hhlarre,’) der in !) Buffon. Histoire naturelle. T. V. 1755. ?) Güldenstädt. Novi Comment. Acad. Sc. Imp. Petropolit. p. a. 1755. 3) /sidore Geofroy St. Hilaire. Acclimation et domestication des animaux utiles. Paris. 1861. Die Haushunde. 47 einer für die damalige Zeit sehr lichtvollen Weise die Arteinheit des Canis familiaris bekämpfte und zudem hervorhob, dass die wilden Stammformen jetzt noch leben müssen; als solche betrachtete er neben den Schakalarten (Canis aureus und CÜ. mesomelas) den abessinischen Wolf, freilich ohne genügenden osteologischen Beweis, sondern lediglich an der Iland von kulturhistorischen Thatsachen. Er steht also bereits entschieden auf dem Boden der polyphyletischen Richtung, die nun die allgemein herrschende wird und in jener Periode besonders nachdrücklich von Z. Artzinger betont wurde.!) Dieser Autor steht zwar auf einem prinzipiell richtigen Boden, seine Ausführungen sind jedoch gänzlich verfehlt. Z/77zznger nimmt nämlich nicht weniger als sieben Stammarten unseres Haushundes an (Canis domesticus, C. extrarius, Ü. vertagus, Ü.sagax, C. molossus, C. leporariusund C. caraibaeus); er betrachtet also beispielsweise unsere Spitze, Seidenhunde, Dachshunde, Bullenbeisser, Windhunde, als besondere Stämme, deren wilde Vorfahren aber nicht mehr leben, sondern in den domestizierten Formen völlig auf- gegangen sind. Alle übrigen Hundeformen sind nach ihm nur Abänderungen, welche durch klimatische Einflüsse, durch geographische Isolierung, durch Kultur und namentlich auch durch Bastardierung entstanden sind. Er führt im einzelnen durch, was unvermischte Formen, einfache, doppelte und selbst dreifache Bastarde sind, verfällt aber dabei in eine morphologische Spielerei, der die nötige wissenschaftliche Unterlage fehlt. Viel nüchterner hat Darwrn in seinem bekannten Werk über das „Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustand der Domestikation“ die Frage aufgefasst und spätere Autoren, wie Jeztteles, Woldrich und 7’r. Studer sind in ihren Beweisführungen ebenfalls strenger, in ihren Schlussfolgerungen vorsichtiger, indem sie namentlich auch die prähistorischen Thatsachen heranziehen. Ist auch heute die Abstammungsfrage für jede einzelne Hundeform noch nicht gelöst, so sind wir, wie ich nachweisen werde, doch erheblich weiter gekommen. Ich glaube, dass es methodisch am richtigsten ist, zunächst einzelne gut umschriebene Rassengruppen aufzustellen und für jede derselben die zugehörige wilde Stammart aufzusuchen. Solche gut zu charakterisierende Gruppen bilden beispielsweise die Spitzhunde, die Schäferhunde, die Paria- hunde, die Windhunde und die grossen Doggen. Unter den wildlebenden Caniden, die sowohl über die alte wie neue Welt zerstreut sind, können wir von vorneherein eine grössere Zahl von der Stammvaterschaft des zahmen Hundes ausschliessen. Gar nicht in Frage kommen die Fuchsarten, schon wegen der vom Haushund völlig abweichenden Pupille und dem verschiedenen Schädelbau. £ 1) Leopold Fitzinger. Wissenschaftl.-populäre Naturgeschichte der Säugetiere. Wien. 1855—1861. Ferner: Der Hund und seine Rassen. Tübingen. 1876. 48 Die Abstamnmıung der ältesten Haustiere. Ebenso wenig sind der asiatische Canis primaevus und seine Verwandten an der Stammvaterschaft beteiligt, da alle diese Hunde nur 40 Zähne be- sitzen und daher auch als Gattung Cuon (Cyon) von den übrigen Caniden abgetrennt werden. %s bleiben daher nur die Wölfe und Schakale übrig, da sie wie die domestizierten Hunde ein Gebiss mit 42 Zähnen und eine runde Pupillie besitzen. Bei den grösseren Arten wird die Anknüpfung bei den Wölfen, bei den kleineren bei den Schakalen zu suchen sein. Wir versuchen daher, die Entstehung der verschiedenen Rassengruppen klar zu stellen, wobei wir Bildungsherde in der alten wie in der neuen Welt annehmen müssen. ABSTAMMUNG DER SPITZHUNDE. Diese Gruppe lässt sich zoologisch gut umschreiben und erscheint in Suropa zu Beginn der neolitischen Zeit als sogenannte Palustris-Rasse. Alle Beobachter betonen. dass diese älteste Rasse Europas anfänglich merk- würdig konstant erscheint. Der Schädel erreicht nach Zätzimeyer eine Länge von 130—150 Millimeter, die Bezahnung ist relativ kräftig, die Nasenröhre auffallend eng. Einzelne Forscher haben auf Veränderungen hingewiesen, die der „Torfspitz“ schon in den Pfahlbauten mit fortge- schrittener Kultur offenbar unter dem Einfluss der menschlichen Züchtungs- kunst erlitt. Vorab gebührt 7%. Studer das unbestreitbare Verdienst, an der Hand eines reichen Materials ausreichend Licht in die Frage nach der Weiterentwicklung der Rasse gebracht zu haben. Ueber die Rassen- gliederung in der Pfahlbauzeit bemerkt der genannte Autor!): „Zunächst „wird in einer Richtung der Schädel grösser und kräftiger, die Jochbogen „werden stärker und weiten sich aus, die Muskelleisten treten stärker her- „vor, der llinterhauptshöcker wird höher und eine Scheitelleiste setzt sich „von da bis zu den Stirnbeinen fort. Diese Form steht aber nicht unver- „mittelt gegenüber der Primitivform da, sondern Uebergangsglieder zwischen „beiden sind zahlreich vorhanden. Vergleichen wir aber die extreme Bildung „mit rezenten Rassen, so sehen wir, dass diese völlig mit unseren grossen „Hofspitzen, wie sie bald gelb, bald wolfsgrau oder auch weiss gefärbt in „den Bauernhöfen des bernischen Mittellandes gehalten werden, überein- „stimmt mit einem Unterschied, der überhaupt bei prähistorischen Hunde- „rassen gegenüber rezenten auffällt. Im allgemeinen ist nämlich bei prä- „historischen Rassen die Nasenöflnung niedriger als bei rezenten, und das „Nasenrohr enger, ebenso sind die Muskeln noch weniger kompliziert, das „Geruchsorgan ist also im Laufe der Zeit erst zu der Vollkommenheit, die „wir heute finden, ausgebildet worden.“ „Neben dieser grösseren Rasse gingen aus dem Pfahlbautenspitz noch „zwei kleinere Rassen hervor. Beide Male seht mit dem kleinerwerden oO !) Th. Studer. Beiträge zur Geschichte unserer Hunderassen. Naturw. Wochenschrift. 1897. a 2 a Eee Se ze Die Haushunde. 49 „der Form die Erhaltung jugendlicher Charaktere am Schädel Hand in Aland. „In der einen Richtung sehen wir den Hirnschädel sich erweitern, die „Knochenleisten verschwinden, die Stirngegend verbreitert sich, der Ge- „sichtsteil setzt sich schärfer von den HHirnteilen ab und erleidet eine geringe „Verkürzung. Solche Formen treffen wir in der Station Lattringen. Noch „mehr fortgeschritten ist dieser Typus in einem Schädel von Bodmann; „der Hirnteil ist noch mehr erweitert, oben flach, während der Hlinterhaupts- „höcker scharf vorspringt. Der verkürzte (sesichtsteil setzt sich noch „schärfer vom Schädel ab, kurz der Schädel gewinnt den Typus unserer „heutigen kleinen Spitzhunde.“ „Nach einer andern Richtung differenziert sich der Pfahlbauspitz dahin, „dass der Schädel mehr die jugendlichen Konturen annimmt, aber der „Gesichtsteil verkürzt sich weniger und setzt sich nicht so schroff von dem „Hirnteile ab. Das Schädelgewölbe verlängert sich nach hinten und bewirkt, „dass der Hinterhauptshöcker, der schwach ist, sich erst weit unten ansetzt. „Der Schädel nimmt, wie ein Exemplar aus der Station Lattringen zeigt. „immer mehr den Typus des Pinscherschädels an. Die Züchtung kleinerer „Formen ist seit jener entlegenen Zeit immer weiter gegangen, und immer oo „mehr sehen wir, dass Zwergformen erzeugt werden, welche die Jugend- ‚form des Schädels erhalten, und bei den extremen Formen des Zwerg- „pinschers ist der Schädel gar auf dem Stadium des Embryos stehen ge- „blieben. Der Hirnschädel bildet eine dünne Knochenblase, an der sämt- „liche Fontanellen offen geblieben sind.“ Soweit ‚Siuder, dessen Darlegungen sich wohl auf das umfangreichste Material stützen, das bisher zur Untersuchung gelangte. Ueberblicken wir das aussereuropäische Gebiet, so fällt uns aut, dass spitzartige Hunde über gewaltige Erdräume verbreitet sind und zum Teil die Merkmale der alten Torfhunde heute noch fast unverändert forter- halten haben. So fand Mrddendorf in Sibirien bei den Tungusen einen kleinen, steh- ohrigen Spitzhund mit langen schlichten Haaren, in der Färbung vorn grau mit schwarz gemischt, auf der Unterseite weisslich. Der Schwanz wird in der Ruhe gestreckt oder nach unten gesenkt getragen. Der Schädel besitzt ganz den '’ypus des Toorfspitzes. Die gleiche Rasse kommt auch bei den Samojeden und Tschutschken vor und zwar meist in weisslich-grauer Färbung. Südasien und der indische Archipel weisen neben dem halbwilden Pariahund noch einen Haushund auf, dessen Schädel Sixder au zuverlässigem Material untersucht hat.') Die Schädellänge der hieher gehörenden Battak- hunde, die Max Siber in Sumatra sammelte, schwankt zwischen 135— 146 1) 7%. Studer. Der Hund der Battaks auf Sumatra. Schweizer. Hunde-Stammbuch. Heft Ill. 1889. 50 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Millimeter, die Konfiguration des Schädels, wie auch des Gesamtskelettes liess einen dem Torfspitz ganz nahe stehenden Typus erkennen. Ganz ähnliche Hunde beobachtete Studer auf Neu-Irland im Bismarckarchipel und ich im Innern von Madagascar, wo der Malayenspitz möglicherweise von den Hova aus ihrer malayischen Urheimat eingeführt worden ist. Nahe verwandt ist damit vermutlich der „Tschau“ der Chinesen, für den SZuder eine Schädellänge von 144-154 Millimeter angiebt. Ich finde an einem unlängst in meinen Besitz gelangten Tschauschädel aus Hongkong eine Basallänge von 154 Millimeter. Er besitzt im Gebiss und in der Be- schaffenheit des Hirnschädels Spitzhundcharakter, die Muskelleisten sind kräftig, der Hirnschädel etwas in die Länge gezogen, der Schnauzenteil auffallend plump. Auffallend war mir an dem untersuchten Exemplar das an den Torfhund erinnernde enge Nasenrohr. Das betreffende Exemplar war dicht und vollkommen schwarz behaart, die breiten Ohren aufrecht. Der eigentümliche, kurz und dichtbehaarte, in den Beinen etwas niedrig gestellte Tschau der Chinesen gehört offenbar in den Palustris-Kreis hin- ein, ist aber, wie sich in einem Lande mit alter Kultur kaum anders er- warten lässt, durch lange Domestikation umgestaltet worden. In Aegypten ist ein Spitz schon zur Pharaonenzeit abgebildet; /. 77. Fertteles') untersuchte einen altägyptischen Hundeschädel aus den Gräbern von Lykopolis mit schwach entwickeltem Hinterhauptskamm und einer Basallänge von 141 Millimeter Länge: er betont seine nahe Verwandtschaft mit dem europäischen Torfhund. Inwieweit einzelne spitzartige Hunde Zentralafrikas und Südafrikas hieher gehören, bedarf zunächst noch einer besseren osteologischen Untersuchung. Ueber ihre Verbreitung auf afrikanischem Boden hat Max Szber?) in einer posthumen Monographie der Hunde Afrikas die bisherigen Angaben in erfreulicher Vollständigkeit zusammengefasst. Wenn auch alles darauf hinweist, dass der alte, schon in der jüngeren Steinzeit vorhandene Toorfhund, der sich im Norden Asiens fast unverändert bis heute forterhalten hat, die Stamm-Rasse der Spitzhunde darstellt und sich in seinen Abkömmlingen nach und nach fast über die ganze alte Welt verbreitete, so ist damit das Problem der Abstammung noch keineswegs völlig gelöst. Der Torthund war ein zahmes Tier, das auf irgend eine Wildform zurückgeführt werden muss. is ist von MWöo/drzch®) versucht worden, einen diluvialen Wildhund Ost- europas (Canis Mikii), der Steppenfauna der postglazialen Zeit angehörig, als Stammform des Torfhundes nachzuweisen. &s sind indessen zwei Momente, die mir gegen diese Annahme zu ') Z. H. Feitteles. Die Stammväter unserer Hunde-Rassen. Wien. 1877. ?) Max Siber. Die Hunde Afrikas. (Nach dessen Ableben herausgegeben) St. Gallen. 1899. 3) #. N. Woldrich. Mitt. der anthrop. Gesellschaft Wien. 1888, Die Haushunde. 51 sprechen scheinen. Zunächst müssten die Reste diluvialer Wildhunde über weite Gebiete nachgewiesen sein, wenn der Ueberschuss dieser Spezies an den Menschen als zahme Form abgegeben wurde; die bisherigen Funde sind nur spärlich. Sodann lässt sich der schwerwiegende Einwand erheben, dass der Haushund während der älteren Steinzeit durchaus fehlt und als auffallend beständige Rasse, ohne durch Uebergänge vermittelt zu werden, erst im Beginn der neolitischen Zeit erscheint. Dies spricht dafür, dass der alte Torfhund weder auf mitteleuropäischem Boden, noch im Nordosten Europas zuerst gezähmt wurde, sondern aus einer anderen Region eingewandert ist. Da die Spitzhunde überall zu den kleineren Hunden gehören, die in primitiven Charakterformen über ein weites Areal zerstreut sind, so kann die Stammform ganz gut unter den heute noch lebenden kleineren Caniden zu suchen sein. Schon im vorigen Jahrhundert hatte A. 7. Güäldenstädt‘) auf Grund seiner eingehenden Studien in anatomischer und biologischer Hinsicht aut den Schakal (Canis aureus) als Stammvater hingewiesen. Er hatte seine Beobachtungen in den Kaukasusländern gemacht, wo der Schakal nach den kürzlich veröffentlichten Angaben von /ladde*) jetzt noch häufig vor- kommt. Güldenstädt bemerkt ungemein zutreffend, dass sich der Schakal dem Menschen der Urzeit als Begleiter und Haustier förmlich aufgedrängt habe, da er wenig scheu ist und dem Menschen auf seinen Zügen gern folgt, um Abfälle zu erhaschen. Wer Schakale in der freien Natur be- obachtet hat. wird deren Zudringlichkeit nur bestätigen können. Er geht darin allerdings zu weit, dass er alle zahmen Hunde auf den Schakal zu- rückführen will (ex qua omnes quae nune existunt, Canis varietatis ortum duxerunt). Kurz nachher gelangte Pallas zu ähnlichen Ansichten, glaubt jedoch, dass gewisse Rassen durch Kreuzung mit anderen wilden Caniden ent- standen sind. Isıdore Geoffroy St. Hrlaire betont, dass zwischen Schakal und den kleineren Hundeformen keine konstanten anatomischen Unterschiede vor- handen sind. Allgemein wird bestätigt, dass junge Schakale dem Menschen sich sehr leicht anschliessen und ihm auf seinen Ruf folgen. Auch gewisse äussere Eigentümlichkeiten verraten beim Spitz eine grosse Aehnlichkeit mit dem Schakal. Wenn ein Spitz mit gesenkter Rute dem Menschen scheu aus- weicht und dabei den Kopf vorsichtig umwendet, so ist dies Benehmen völlig schakalartig. In der Ostschweiz bin ich sehr oft Spitzhunden be- gegnet, deren Färbung völlig schakalähnlich ist. Das sind jedoch Aeusser- lichkeiten, die noch nicht streng beweisend sind. Man hat auf die verschiedene Trächtigkeitsdauer zwischen Hunden 1) Güldenstädt. Novi Commentarii Acad. Scient. Imp. Petropolit. Tom. XX pro anno 1775. 2) G. Radde. Die Sammlungen des kaukasischen Museums, Tiflis. 1899, — Die Abstammung der ältesten Haustiere. D und Schakalen hingewiesen, doch ist dieser Einwand von Darzwzn entkräftet worden,') da er auf irrigen Angaben beruht. Die Trächtigkeitsdauer be- trägt bei kleineren Hunderassen 60—63 Tage, beim Schakal 63 Tage: die Uebereinstimmung ist also so vollkommen als möglich. Mehrfach ist be- hauptet worden, der Schakal belle nicht. Zahlreiche Angaben beweisen aber das Gegenteil und /adde, der wohl sehr zuverlässig ist und jahre- lang im Kaukasus gelebt hat, sagt von den dortigen Schakalen: „In Bors- hom bestand ein Rudel Schakale die Höhen. Allabendlich hörte man von dorther ihr winselndes und bellendes Heulen.“ In der neueren Zeit ist Z. //. Fertteles?) besonders lebhaft für die Ab- stammung des Torfhundes und der Spitzhunde von Canis aureus eingetreten, derich michauf Grund osteologischer Thatsachen vollkommen anschliessen muss. Aus den zoologischen Sammlungen der Universität München erhielt ich durch die Freundlichkeit von Prof. /tchard Hertzwig eine Serie von Schakalschädeln verschiedener Provenienz (Algier, Griechenland. Kaukasus, Indien), die ich mit Torthundschädeln vergleichen konnte. Unter sich verglichen, zeigen die Schakalschädel nicht unerhebliche Verschiedenheiten bezüglich der Höhe der Schädelleisten, der Wölbung des Ilinterschädels, der Stirnbreite und Schnauzenbreite. So ist der indische Schakal spitzschnauziger als der kaukasische und griechische Schakal. Wir haben also mit einer gewissen Variationsgrenze zu rechnen. Dieselbe ist besonders hoch bei der Länge des harten Gaumens. Indessen zeigt doch die Gsesamtkonfiguration eine auffallende Ueber- einstimmung mit dem 'Torfhund, wie denn auch beispielsweise der kau- kasische Schakal in seinen Schädelmassen sich im Rahmen der von /Zlölz- meyer angegebenen Palustris-Masse bewegt. Ich finde nämlich: Cants Canıs fam. aureus Ppalustris (a.d. Kaukasus) (n. /ütimeyer) mm mm I. Schädellänge vom Foramen magnum bis zu den Incisivalveolen ER UL N 1897 180-3150 td Vom Hinterhauptskamm bis zum hintern Ende Nasallase si, malR A RS Re sy 83—92 3. Vom Foramen magnum bis zum Hinterrand des>hanten-Gaumens ne 64 5764 Bänger ders Nasenbeine 20... ee: Sl 7-58 2 lochbogenbreiter 5 9 9297 6. Grösste Breite am Alveolarrand des Ober- kietensser ee u ee 55 SE) Ünten/sieiten an es 116 I — 20) SI 7 !\ ©. Darwin. Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation. 1873. °) ZI H. Feitteles, Die Stammväter unserer Hunde-Rassen. 1877. Die Haushunde. 53 Wir ersehen aus diesen Zahlen, dass eigentlich nur die Jochbogenbreite an der unteren Grenze, die Basis des Hinterschädels aber an der oberen Grenze bleibt, was augenscheinlich der gleichen mechanischen Ursache zu verdanken ist, denn der Einfluss der Domestikation hat den Torfhund- schädel im Hirnteil gewölbter gemacht, die Verkürzung der Schädelbasis die Jochbogen um weniges weiter gemacht. Das kräftige Gebiss des Schakals zeigt mit dem 'Torfspitz und unseren heutigen Spitzhunden die grösste Uebereinstimmung; ebenso finde ich das für den Torfhund so charakteristische enge Nasenrohr in gleicher Weise bei allen Schakalen. Der Habitus des kaukasischen Schakalschädels scheint mir demjenigen des Torfhundes am nächsten zu stehen, auch der algerische weist engere Beziehungen auf, etwas mehr scheint sich die indische Form zu ent- fernen. Wie nahe der Schakal des Kaukasus dem älteren Torfhund steht, be- weist ein Vergleich mit einem sehr gut erhaltenen Torfhundschädel aus der Pfahlbaustation Robenhausen, der in der zürcherischen Sammlung vor- handen ist: Cants Canıs fam. aureus palustris (a.d. Kaukasus)(v. Rodenhausen) mm mm Il. Basilarlänge des Schädels vom For. magnum bis zu den Schneidezähnen . . . 2 137 140 BRnalllänses N... Tach 2 en ee 158 160 3. Grösste Breite der Parietalregion . . . . 50 50 ochbogenbreite W....:0 2 ler). =. Sr: ss 93 5. Schnauzenbreite vor den For. infraorbit. . 3l 32 beBreiter des Nasenrohres. . vo nme 15 18 De Grösster Gaumenbreite, ©... 2 nn am: 42 42 SEE tumenlänge =... 3 anal Us eye 75 78 9. Unterkieferlänge . . RE ne 116 117 10. Länge des untern ee a 19 19 Die Messungen ergeben also die grösstmöglichste Uebereinstimmung, die ja zum Teil eine absolute ist. Der einzige nennenswerte Unterschied besteht bei dem Robenhauserschädel in. einer stärkeren Entwicklung des Sinus frontalis, wodurch die Stirnregion gegenüber dem Schakal stärker aufgetrieben erscheint. Ueber den Bildungsherd der ältesten zahmen Spitzhunde sind wir lediglich auf Vermutungen angewiesen. Da der Schakal als wilde Stammform bei seiner Fruchtbarkeit und Zudringlichkeit durch die menschliche Kultur wohl kaum sehr stark zurückgedrängt wurde, so werden wir die erste Zähmung in dem heutigen Verbreitungsgebiet zu suchen haben. Dasselbe ist nun 54 Die Abstammung der ältesten Haustiere. allerdings sehr ausgedehnt und erstreckt sich von Indien über Persien, die Kaukasusländer, Kleinasien. Arabien bis nach Nordafrika und Südost- europa. Osteologische Gründe deuten darauf hin, dass der alte 'Torfhund zuerst in den östlichen Mittelmeerländern gezähmt wurde. Die enge Be- ziehung des Torfhundschädels zu der kaukasischen Form des Schakals macht es sehr wahrscheinlich, dass das westliche Asien das Stammland der ältesten Spitzhundformen ist. Dasselbe liegt so auch ziemlich im Zentrum des Verbreitungsgebietes der altweltlichen Spitzhunde. Für die Spitzhundgruppe ergiebt sich daher folgender Stammbaum: Chinesischer Tschau Battakhund Pinscher Tungusenspitz Wolfspitz Hausspitz 5 | A — — Zwergspitz N SS Torfhund (C. palustris) 4 Schakal (Canis aureus) DIE ABSTAMMUNG DER SCHÄFERHUNDE. Mit der wünschenswerten Sicherheit ist die Herkunft derselben zur Zeit noch nicht festgestellt. Schon Dufon hat den primitiven Charakter der Schäferhunde richtig hervorgehoben: er spricht sich besonders in dem gleichmässigen Körperbau, in der geringen Neigung zu variieren aus. Die Ohren sind noch aufrecht, an der Spitze leicht umgebogen; der stark be- haarte Schwanz wird etwas eingezogen getragen. Die Schäferhunde erscheinen in Europa etwas später als die Spitz- hunde, d. h. erst mit der Bronzezeit, da die Hebung der Viehzucht einen Herdenhund zur Notwendigkeit machte. Diese Art der Verwendung ist ihm in der Folge geblieben. Jertteles hat auf Grund des osteologischen Vergleiches nachgewiesen, dass der von ihm aufgefundene bronzezeitliche Canis matris optimae der direkte Vorläufer der heutigen Schäferhunde ist, eine Ansicht, die sich all- gemein eingebürgert hat. Die Haushunde. 55 Schwieriger gestaltet sich die Beantwortung der Frage, welche wilde Canidenart als Stammform des Bronzehundes angesehen werden muss. Anfänglich neigte er dahin, den amerikanischen Prairiewolf (Canis la- trans) als Stammquelle aufzufassen. Aeusserlich betrachtet, haben die nordischen Schlittenhunde, wie ich aus Varsens Abbildungen ersehe, ebenso die Eskimohunde eine unverkennbare Aehnlichkeit mit den Schäferhunden, aber auch mit dem Prairiewolf, und man könnte dadurch auf eine nordisch- amerikanische Urheimat des circumpolar verbreiteten Eskimohundes und Schäferhundes von Mitteleuropa geführt werden. TJeıitteles bemerkt aber, dass er nachher von der amerikanischen Fer- kunft des Bronzehundes abgekommen sei; da sich zwischen diesem und Canis latrans trotz der allgemeinen Aehnlichkeit im Schädelbau Abweich- ungen in den Längenverhältnissen des Gaumens, im Verlauf der Ober- kieferränder und in der Stellung der Backenzähne ergeben haben. Dagegen fand er eine grosse Uebereinstimmung mit dem indischen Wolf (Canis pallipes), den er als Stammvater anspricht und vermutet, dass dessen Do- mestikation im alten Iran erfolgt sei. Eine Wiederaufnahme der Untersuchungen ist wünschbar und es wäre vielleicht angezeigt, das Verhältnis der Bronzehunde und Schäferhunde zu den grösseren nordischen Hunden und den Prairiehunden aus verschiedenen Lokalitäten einer erneuten Prüfung zu unterziehen. Unter den modernen Schäferhunden ist der auch auf dem Kontinent stark verbreitete Collie Schottlands wohl die am meisten verfeinerte Form. Der Pudel scheint erst in historischer Zeit in Südeuropa durch Um- züchtung aus dem Schäferhund hervorgegangen zu sein, wobei der Gesichts- schädel eine Verkürzung erfahren hat. Zrfzinger giebt an, dass kleinere Pudel den Römern bekannt waren, von den alten Deutschen aber noch nicht gehalten wurden und der grosse Pudel bei uns erst im 16. Jahr- hundert durch Conrad Gessner näher bekannt wurde. DIE ABSTAMMUNG DER PARIAHUNDE. Ueber den ganzen Tropengürtel der alten Welt zerstreut leben eigen- tümliche, unschöne Hunde, die vielfach lokale Abweichungen erkennen lassen, in ihrem gesamten T'ypus jedoch an unsere Spitzhunde erinnern. Nach dem Vorgang der Engländer nennt man sie Pariahunde, weil sie meistens verachtet werden, die Holländer in den indischen Kolonien gaben ihnen den Namen „Glattaker“. Es sind verwahrloste, hässliche, schlecht domestizierte Hunde, die durch ihr nächtliches Geheul unangenehm sind, als herrenlose Geschöpfe einen scheuen Charakter besitzen und in der Nähe der menschlichen Wohnungen leben, von einzelnen Stämmen gelegentlich zur Jagd verwendet werden. Nach Max Sizber,') der ihnen wohl am meisten Aufmerksamkeit ge- 1) Max Siber. Der Battakhund. Schweiz. Hundestammbuch. Heft II. 1886. 56 Die Abstammung der ältesten Haustiere. schenkt hat, sind die indischen Pariahunde stehohrig. Das Gesicht verrät wenig Intelligenz, die Färbung ist vorwiegend unschön rotgelb. Sie sind nicht nur auf das indische Festland beschränkt, sondern kommen auch auf der Halbinsel Malakka in Siam vor. Auf Ceylon sind sie in den Besitz der primitiven Weddavölker übergegangen. Nach den Angaben von Paul und Zrrtz Sarasin!) unterscheidet sich der Weddahund, der als einziges Haustier bei der Jagd verwendet wird, in keiner Weise vom Paria des indischen Festlandes. Die Rasse lebt auch auf Java und Sumatra, nach mündlichen Erkun- digungen reicht sie sogar bis nach den Philippineninseln. Der Hund von Neuguinea gehört nach den mir zugänglichen Abbild- ungen zu urteilen, ebenfalls in den Pariatypus hinein. /rnsch nennt den Papuahund dingoartig mit spitzen Ohren und stark gekrümmtem Schweif. B. Hagen’) vergleicht ihn nach Grösse und Gestalt einem langgezogenen, kurzhaarigen Pinscher mit etwas längeren Ohren und einem mehr oder weniger geringelten Schwanz; die Farbe nennt er gelb. Der Papuahund wird als Speise sehr geschätzt. Der gleiche Autor sagt von dem Hund des Bismarckarchipels, dass er etwas vom Dingo habe. Es ist naheliegend, auch den bekannten Dingo Australiens diesem Formenkreise anzugliedern, wofür S/xder osteologische Gründe anführt. Hinsichtlich der Abstammung der Pariafamilie muss darauf hingewiesen werden, dass vielorts von einer reinen Rasse kaum die Rede sein kann. Aus den Reiseberichten geht hervor, dass die Eingeborenen vielfach mit grosser Begier fremde Hunde zu erwerben suchen und Kreuzungen bilden dann ganz natürliche Folgeerscheinungen. Die Pariahunde, wenn auch schlecht domestiziert, haben sich jedenfalls dem Menschen frühzeitig ange- schlossen. Einige Winke über den Bildungsherd giebt vielleicht der seit langer Zeit verwilderte Dingo Australiens. Aus tiergeographischen Gründen müssen wir annehmen, dass dieser Hund in alter Zeit importiert wurde; er wanderte offenbar mit der australischen Menschenrasse ein. Es ist nun ziemlich sicher und durch die anthropologischen Untersuchungen von Paul und Zrztz Sarasin neuerdings wieder evident dargethan worden, dass die Australier aus der dravidischen Bevölkerungsschicht in Indien hervorgegangen sind und von hier aus ihren Weg über die indische Inselwelt nach Australien genommen haben. Als Jägervölker nahmen sie offenbar den Dingo mit. Es steht daher zu vermuten, dass altdravidische Völker Indiens den Paria- hund zuerst besessen haben. Die osteologischen Befunde stehen damit im Einklang. Th. Studer, welcher den Paria aus Sumatra nach seiner Schädelbe- schaffenheit zu untersuchen Gelegenheit hatte und die einzelnen Masse mit- teilt, hebt als Eigentümlichkeiten den langen Hirnteil, die wohl entwickelte 1) Paul und Fritz Sarasin. Die Weddas von Ceylon. Wiesbaden. 1893. ?) B. Hagen. Unter den Papuas. Wiesbaden. 1899, > [en | Die Haushunde. Crista parietalis und die mässig breite Stirn hervor. Als Schädellänge wird 146 Millimeter und als Profillänge 165 Millimeter angegeben. Er findet eine nahe Verwandtschaft zwischen dem Pariahund und dem indischen Schakal, von welchem rostrote Exemplare vorkommen. Auch der australische Dingo zeigt ihm nach der Schädelbeschaffenheit nahe Verwandtschaft mit dem Paria, nur ist der Charakter etwas primitiver. Aber nicht nur im Osten, sondern auch in Westasien und in Afrika begegnen uns herrenlose, schlecht domestizierte Pariahunde. Die Strassenhunde Syriens und Konstantinopels, dann die ägyptischen Strassenhunde sind zunächst zu erwähnen. Auf dem Isthmus von Suez konnte ich sie in Ismailja näher beobachten, sie sind etwas länger behaart als die indischen Paria, ebenfalls stehohrig und von rostgelber Färbung; die etwas buschige Rute wird hängend getragen. Ganz ähnliche Hunde kommen auch im Sudan vor; ich gebe hier eine Abbildung nach einer photographischen Aufnahme. Die Niamniam und die Bewohner von Uganda und Unyoro besitzen ähnliche Ilundeformen. Am roten Meer trifft man sie selten, im Innern der Somaliländer habe ich sie nirgends angetroffen, dagegen kommen sie bei den Galla in der Umgebung von Harrar vor, wahrscheinlich durch die ägyptische Herrschaft seiner Zeit dorthin verpflanzt. Pariahunde werden auch für Zanzibar und Dar es Salam angegeben; die Hunde des Kongo- gebietes, die als stehohrig und von gelblicher oder gelblichweisser Farbe beschrieben werden, gehören offenbar in diesen Formenkreis hinein. Diese westlichen, afrikanischen Pariahunde mit ihrem schäferhundartigen Habitus weichen offenbar vom indischen Paria erheblich ab: sie haben eben eine andere Stammquelle. Schon od. Hartmann‘) wies auf die Aehnlichkeit mit dem grossen Schakal des Nilthales (Canis anthus) hin; in bestimmter Weise wurde dieser als Stammvater der ägyptischen Strassenhunde von Teziteles’) bezeichnet, was ich auf Grund eigener Untersuchungen für vollkommen richtig halte. Die reinste Pariaform lässt sich am oberen Nil erwarten, da dort die Gelegenheit, sich mit fremden Rassen zu vermischen, nicht so häufig ist wie in Unterägypten. Ich bin nach vielen Bemühungen in den Besitz des Schädels einer Pariahündin gelangt, die aus dem ägyptischen Sudan (weisser Nil) stammt und lebend nach Zürich gelangte. Der Schädel weicht vom afrikanischen Canis aureus so erheblich ab, dass ich nähere verwandtschaftliche Beziehungen zu demselben ablehnen muss. Der Scheitelkamm ist bei diesem weiblichen Exemplar auflallend kräftig entwickelt, die Stirngegend breit und aufgetrieben, so dass die Profillinie ganz anders verläuft als beim Schädel des kleinen Schakals und von der Stirn zur Schnauze stark abfällt. Der Schnauzenteil ist nicht so fein wie beim Canis aureus. 1) RR. Hartmann. Die Haussäugetiere der Nilländer. Annalen der Landwirtschaft. 1864. SE2H2 Feitteles. Die Stammväter unserer Hunde-Rassen. 1877. 58 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Dagegen erscheint die Uebereinstimmung mit dem von Gray abge- bildeten Schädel von C. anthus, sowie mit dem nubischen Schakalwolf, mit dem ich den sudanesischen Paria-Schädel verglich, sehr gross. Letzterer kommt mit einer Basilarlänge von 160 Millimeter und einer Profillänge von 186 Millimeter, Dimensionen, die das Schakalschädelmass weit überschreiten, dem Canis anthus näher. Auch physiologische Momente sprechen sehr für diese Abstammung. Die Strassenhunde, vom Menschen vernachlässigt, leben besonders während Fig. 14. Pariahund vom weissen Nil. (Original.) der Nacht in Rudeln beisammen; diese Gewohnheit wird auch für C. anthus angegeben. Die Strassenhunde haben eine Vorliebe für Aas und finden dies selbst, wie sich an der Sudanhündin konstatieren liess, aus Kehrichthaufen heraus. Die Liebhaberei für Aas findet sich auch beim Schakalwolf. Letzterer hat als Wildhund die Gewohnheit, sich in der Erde Löcher zu graben; die in Zürich gehaltene sudanesische Pariahündin grub sich in wenigen Minuten unter der T'hürschwelle einen Weg ins Freie. Nehmen wir dazu noch morphologische Uebereinstimmungen mit C. anthus, wie der kräftige Körperbau, die breite Stirn, die grossen und breiten Ohren, dann die bis zu den Fersen reichende, hängende Rute, so kann über die Ab- stammung kaum noch Zweitel herrschen. Die Haushunde. 59 DIE ABSTAMMUNG DER WINDHUNDE UND IHRER VERWANDTEN. Nach der äusseren Erscheinung wie auch mit Bezug auf den anatomischen Bau bilden die ächten Windhunde eine ungemein scharf umschriebene Rassengruppe. Der magere Körper, in der Bauchgegend hoch aufgezogen, besitzt eine unverhältnismässig starke Entwicklung der Brustorgane; die Glieder erinnern wegen ihrer auflallenden Höhe und Zierlichkeit an die Antilope; der fein gebaute Kopf ist in eine lange Schnauze ausgezogen: der lange, meist kurz behaarte Schwanz wird anders getragen als bei den übrigen Hunden, entweder wird er nach Art einer Balancierstange gestreckt oder auch gesenkt oder gar eingezogen und beim altägyptischen Windhund wurde derselbe geringelt. Die dichte Behaarung ist in der Regel kurz und glatt, doch giebt es auch Windhunde mit langer, zuweilen struppiger Be- haarung. Es braucht ein nur halbwegs geschultes anatomisches Empfinden, um sofort heraus zu fühlen, dass der scharf, ja extrem ausgebildete zoologische Charakter der Windhundgruppe auf eine von allen anderen Haushunden abweichende Abstammung hindeutet. Ueber dieselbe herrschte noch bis in die jüngste Zeit eine auffallende Unklarheit. Ich habe kürzlich versucht, die Herkunft aufzuhellen und glaube, da im Grunde genommen die Sach- lage viel einfacher ist, als man bisher annahm, dieses Abstammungsproblem endgültig gelöst zu haben. Der psychische Charakter der Windhunde giebt uns einige Winke. Ihre ewige Unruhe und unstätes Wesen, ihr leichtes Orientierungsvermögen deutet auf die Steppe als ursprüngliches Wohngebiet. Damit steht auch der elegante, antilopenartige Bau des Körpers in voller Uebereinstimmung. Die Empfindlichkeit gegen Kälte, die sich bei manchen Windspielen beim Eintritt der kühlen Witterung durch ein häufiges Zittern des Körpers deut- lich bemerkbar macht, deutet auf die warme, tropische Steppe als Stamm- land hin. Das relative späte Erscheinen der Windhunde in Europa und Asien scheint diese beiden Erdteile von irgend welchem Anteil an der Erzeugung zahmer Windhunde auszuschliessen, so dass Afrika als deren älteste Heimat wahrscheinlich wird. In der That ist es von jeher aufgefallen, dass im Nilthal schon während der ältesten Dynastien stattliche Windhunde von den Pharaonenleuten ungemein häufig als Haustiere gehalten wurden und besonders bei der Jagd auf Antilopen Verwendung erfuhren. Die altägyptischen Künstler haben uns vortreffliche Darstellungen dieser Tiere hinterlassen. Es ist sehr bemerkenswert, dass schon /szdore Geofroy St. Hilaire trotz seiner ausgesprochenen Neigung, alle unsere Haustiere aus Asien her- zuleiten, vor dem Windhund Halt macht und ihn afrikanischen Ursprungs erklärt. 60 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und vermutet, dass der von /räppel entdeckte Wildhund Abessiniens, der spitzschnauzige abessznische Wo/f oder Canıs simensis lüppel, als Stammform angesehen werden könne und dass der altägyptische stehohrige Windhund eine Zwischenform zwischen jenem Wildhund und unseren europäischen Windspielen darstelle.') Diese Ilypothese wurde jedoch ungenügend begründet, vor allen Dingen hat /szdore Geoffroy St. Hilarre den unerlässlichen anatomischen Nachweis nicht geliefert, er scheint namentlich genauere Schädelanalysen nicht ge- . ı Fig. 15. Altägyptischer Windhund. Aus dem Ti-Grab. V. Dynastie. (Sakkarah.) macht zu haben. Es ist dies wohl ein Grund, warum später Darzin diese Iypothese nur mit grosser Zurückhaltung in sein Werk aufnahm.) Ausserhalb Frankreich ist sie später entweder ganz verlassen oder geradezu bekämpft worden. Zeopold Fützinger stimmt wohl einer poly- phyletischen Abstammung der Ilunderassen zu, nimmt auch eine besondere Stammform für die Windhunde an, stellt sich aber auf den Standpunkt, dass diese in toto domestiziert worden sei. als Wildform somit nicht mehr vorhanden ist. Ich habe schon früher das Unhaltbare einer solchen T'heorie nachgewiesen. ? %in anderer österreichischer Forscher, /. //. Tertteles, dessen Autorität !) Zsidore Geoffroy St. Hllaire. Acclimatation et domestication des animaux utiles. Paris. 1861. Pag. 217. 2) Charles Darwin. Das Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domesti- kation. Bd. I. Die Haushunde. 61 auf diesem Gebiete in weiten Kreisen anerkannt wurde, unterzog die Hypothese der Ableitung der Windhunde von Canis simensis einer erneuten Prüfung,') wie es scheint an der Hand von Schädelanalysen. Er verwirft sie in der allerbestimmtesten Weise, indem er zu dem Schluss gelangt, Canis simensis „kann jedoch unbedingt nicht als beteiligt an der Bildung: „zahmer Hunde betrachtet werden, da sein Schädel gleich dem des Buansu „von dem aller Haushund-Rassen ganz verschieden ist. Offenbar halle „Geofroy St. Hhlaire nicht Gelegenheit gehabt, Schädel des Canis simensis „genauer zu untersuchen und mil solchen von Windhunden im einzelnen „zu vergleichen“. Schliesslich gelangt Jeztieles zu dem Ergebnis, dass der Windhund zwar afrikanischen Ursprungs sei, aber von der zarteren Spielart des Dıb (Canis anthus) abstamme. Später ist auch 7%. Studer der Frage nach der Abstammung der Windhunde näher getreten.) Auch er betont eine südliche Herkunft. Aut Grund seiner Untersuchungen an Schädeln des Pariahundes finder er zunächst eine nahe Verwandschaft desselben mit dem indischen Schakal, anderseits aber verwandtschaftliche Anklänge an die heutigen Windhunde. „Der „Hauptunterschied zwischen Paria- und Windhundschädel beruht im Ge- „sichtsteil, der schmäler und gestreckter beim Windhunde ist.“ Somit würde der indische Schakal die Stammform darstellen, aus welcher sich zunächst der Pariahund und aus diesem später der Windhund entwickelte. Die ur- sprüngliche Heimat wäre daher Südindien, was Siuder in folgenden Worten ausdrückt: „Im südlichen Asien, südlich den grossen Gebirgsmassen war „ein anderer Canide, vom Habitus der jetzigen indischen Pariahunde vom „Menschen gezähmt worden. Derselbe, auf den Inseln und in den bewaldeten „Gebieten von Indien seinen ursprünglichen Charakter bewahrend, gestaltete „sich, in die Steppen und Wüsten Arabiens und Persiens verpflanzt, zu „einer schlanken, behenden Windhundform um, geeignet, das flüchtige Wild „der Steppe zu verfolgen.“ Ich befinde mich auf Grund meiner Untersuchungen im Gegensatz zu Fertteles und Studer. Wenn Feztteles die Windhunde vom afrikanischen Dib (Canis anthus) abzuleiten versucht, so kann man ihm gewichtige anatomische (Gründe ent- gegenhalten. Ich habe neben der Gray’schen Abbildung den Schädel von ÜC. anthus der Münchener Sammlung mit Windhundschädeln genau verglichen. Aber der aus Nubien stammende Dibschädel zeigt im Gegensatz zu diesen einen kräftigen Bau, eine breite Schnauze und eine so starke Auftreibung in der 1) 7. H. Feitteles. Die Stammväter unserer Hunde-Rassen. Wien. 1877. 2), 7h. Studer. Der Hund der Battaks auf Sumatra. Schweizerisches Hunde-Stamm- buch. Heft Ill. St. Gallen. 1889. 62 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Stirnzone, dann ein so auffallend kräftiges Gebiss, dass von einer näheren Verwandtschaft gar keine Rede sein kann. Gegenüber 7%. Siuder muss ich betonen, dass Pariahunde und rein- rassige Windhunde offenbar ganz verschiedene Stammquellen haben. Bei letzteren ist eine so auffallende Streckung des Gesichtsschädels vorhanden, dass ich gar nicht einsehe, welche mechanische Ursachen den Pariaschädel in diese Form umwandeln konnten. Wir sehen im Gegenteil, dass die Domestikation bei Hunden sowie auch bei anderen Haustieren zur Ver- kürzung des Gesichtsschädels führt, die schliesslich in einer eigentlichen Mopsbildung endigt. Muss daher, ob wir vom Dib oder vom Pariahund ausgehen wollen, eine Streckung des Schädels bis zur Windhundform als ganz unwahrscheinlich erklärt werden, so bleibt nur noch der einzige Aus- weg, diese Erscheinung durch Abstammungsverhältnisse zu begründen. Dann bleibt allerdings nur eine wilde Canidenart übrig, deren Schädel extrem gestreckt ist und das ist Canis simensis, den man in der neueren Zeit allgemein als Stammquelle abgelehnt hat. Ich glaubte daher, den Schädel des abessinischen Wolfes nochmals ge- nauer untersuchen zu sollen und habe unlängst über das Ergebnis einen vorläufigen Bericht veröffentlicht.') Ich finde zunächst, dass Z. 4. Yertieles offenbar ein Irrtum unterlaufen ist. Aus seinen Angaben muss geschlossen werden, dass er Schädelunter- suchungen vorgenommen hat und bei Canis simensis ähnlich wie beim indischen Buansu ein vom Haushunde abweichendes Gebiss, d. h. nur 40 Zähne vorgefunden hat. Es ist mir nicht bekannt, woher er den Schädel des abessinischen Wolfes erhielt; nur so viel ist sicher, dass es kein Simensis- Schädel war. Sehe ich mich in der Litteratur um, so hat schon 1868 der englische Zoologe Gray den „Abyssinian Wolf“ den ächten Wölfen mit 42 Zähnen angereiht,?) ihn aber der auffallend langen Schnauze wegen zu einer be- sonderen Gattung Simenia erhoben. A. Brehm) stellt ihn ebenfalls zu den Wölfen im engeren Sinne, ebenso E. L. Trouessari*) in seinem Verzeichnis der lebenden und fossilen Säugetiere. Um aus eigener Anschauung urteilen zu können, wandte ich mich an das Museum in Stuttgart und erhielt durch die Freundlichkeit meines Kollegen Prof. Dr. Zamper! den von //euglin aus Abessinien mitgebrachten Schädel, I) C. Keller. Ueber den Bildungsherd der südlichen Hunderassen. Globus. Band EXX VI Nr. 21900: 2) $. E. Gray. Notes on the skulls of the Species of Dogs, Wolves and Foxies in the Collection of the British Museum. Proc. Zool. Soc. London. 1868. 3), Drehms Tierleben. Bd. Il. 1) E. L. Trouessart. Catalogus Mammalium tam viventium quam fossilium. Nova Editio. Berolini. 1897. Die Haushunde. 63 der vorzüglich erhalten ist, nach Zürich zugesandt. Dass ich den ächten Canis simensis-Schädel vor mir hatte, ging ausserdem aus dem Vergleich mit dem Exemplar des britischen Museums hervor, von welchem Gray eine gute Abbildung veröffentlicht hat. Der Stuttgarter Schädel besitzt nun in der T’'hat nicht 40, sondern 42 Zähne wie unsere Windhunde! Schon äusserlich lässt sich eine auffallende Uebereinstimmung zwischen dem abessinischen Wolf oder Walgie und dem altägyptischen Windhund Fir. 10. Abessinischer Wolf. (Canis simensis.) (Nach Mläfpel.) erkennen. Nicht nur die Körperproportionen, sondern auch die Färbungen stimmen überein. Nach der Abbildung, die Aäppel gegeben hat, ist die Oberseite von Canis simensis rötlichgelb, die Unterseite weisslich; an Kopien, die ich aus ägyptischen Grabkammern habe anfertigen lassen, ist die Wind- hundfärbung dieselbe, sie wird auch auf der Unterseite weisslich, oben rotgelb abgebildet. Man kann einwenden, dass der altägyptische Hund einen kurz behaarten Schwanz besass, während dieser beim abessinischen Walgie in der unteren Hälfte buschig ist. Ich besitze jedoch genaue Kopien aus dem Ti-Grab von Sakkarah (V. Dynastie), worin eine Begattungsszene von Windhunden dargestellt ist und bei beiden Hunden ist der Schwanz ebenfalls buschig. In Altägypten war also diese primitive Form ebenfalls noch vorhanden. 64 Die Abstammung der ältesten Haustiere. [a8 rn - a 3 Fig. 17. Altägyptischer Windhund von der Canis simensis-Form. Wandmalerei aus dem Ti-Grah. V. Dynastie. (Sakkarah.) er a SE Fig. 18. Russischer Windhund oder Barzoi. (Nach //. Sperling.) Die Haushunde. 65 Da mir altägyptische Schädel fehlen, so verglich ich den zierlich ge- bauten Canis-Simensis-Schädel mit demjenigen des Barzoi oder russischen Windhundes, der einen sehr ausgesprochenen Charakter besitzt und der meiner Ansicht nach neben dem Beduinenwindhund dem altägyptischen Hund viel näher steht als unsere westeuropäischen Windhunde. Die russi- schen Kynologen sind über die Urabstammung ihres schönen Barzoi (Barsoi) noch im Unklaren, Sergze Sergeewitsch Kareew neigt der Annahme zu, dass seine erste Heimat der hohe Norden gewesen sei. Ich glaube und werde dies durch die Schädelmasse als sicher erweisen, dass er afrikanischer Herkunft ist. Er kann noch wie der ägyptische Windhund die Ohren vollkommen aufrecht stellen und stammt von ihm ab. Auf alten Handels- strassen hat er frühzeitig den Weg von Aegypten nach dem Schwarzen Meere eingeschlagen und von hier aus sich weiter nach Norden verbreitet. Dass er langhaariger wurde und eine befahnte Rute erhielt, ist offenbar Folge des kälteren Klimas. Durch die Güte von Professor 7zchomzrof in Moskau erhielt ich den Schädel eines kräftigen männlichen Barzoi, welcher unter dem Namen „Czerdetschnyi“ von der kaiserlichen Gesellschaft mit einer Medaille aus- gezeichnet wurde. Ich stelle hier seine Schädelmasse und diejenigen von Canis simensis zusammen: Canıs Barzor Absolute Masse: sımensis „Czerdetschnyr“ er EM l. Basilarlänge des Schädels (vom Foramen magnum bis zu den Incisivalveolen) . . 117 22 PzvonllansendessSchädelss ann Er re 20,1 25,3 3. Länge vom Foramen magnum bis zum Hinter- Tauncdkdesk&Gaumensar. ee 8.0 10.8 4. Von der Crista oceipitalis bis zur Wurzel ale? Nlaselhek a a a Re 10.1 13,6 5. Grösste Breite der Parietalregion . . . . DT 4,9 DB lochboSeubueiten ze er 9,6 10,3 7. Breite zwischen den Ohröffnungen - 5,0 6,3 S. Kleinste Stirnbreite zwischen den Orbitae 33 4,2 9. Grösste Stirnbreite zwischen den Orbitae . 4,8 N 10. Breite des Foramen magnum . . ..... 2,0 29) ll. Länge der Nasalia (in der Mitte gemessen) 162 8, 12. Schnauzenlänge bis zum For. infraorbitale 6.3 5,0 13. Schnauzenbreite hinter dem vord. Lückenzahn DAS 3.3 14. Länge vom hint. Backenzahn bis zum Eckzahn IL 9,2 Wir sehen zunächst, dass der Schädel des Barzoi unter dem Einfluss der Domestikation grösser geworden ist und dass die Zunahme sich auf D) 66 Die Abstammung der ältesten Haustiere. alle Schädelregionen erstreckt. Deutlicher tritt der Verwandtschaftsgrad hervor, wenn wir die relativen Masse zusammenstellen. Zu diesem Zweck wollen wir die Basilarlänge des Schädels gleich 100 ansetzen und darauf die übrigen Zahlen beziehen und sie in ganzen Prozenten ausdrücken. Wo Abweichungen vorkommen, die auf sexuelle Unterschiede zurückzuführen sind, habe ich in Klammer die Relativzahl beigesetzt, die ich an einer Barzoihündin meiner Sammlung (mit einer Schädel-Basilarlänge von 19 cm) gemessen habe. Cants Barzor Relative Masse simensıs „Czerdetschnyr“ l. Basilarlänge des Schädels 2 ze 2. 100 100 29Brofllänger deszSchädels 2 re 118 Il) 3. Länge vom Foramen magnum bis zum Hinter- rand des Gaumens . . ek 47 49 4. Von der Crista occipitalis bis zur W urzel der Nasalta 30 Ra me 59 62 5. Grösste Breite der Parietalregion . . . . 33 22(530!) 6. Jochbogenbreite . . . HT 57 47(555!) 7. Breite zwischen den Obrölnungen her 30 29 8. Kleinste Stirnbreite zwischen den Orbitae 19 19 9. Grösste Stirnbreite zwischen den Orbitae . 28 26 10. Breite des Foramen magnum . . . . . Il 10 USlkängexdern Nasaları se 42 40 12. Schnauzenlänge bis zum For. infraorbitale 37 36 13. Schnauzenbreite hint. dem vord. Lückenzahn 15 15 14. Länge vom hint. Backenzahn bis zum Eckzahn 45 49 Daraus ergiebt sich eine Uebereinstimmung zwischen dem russischen Windhund und dem abessinischen Wolf, wie sie genauer wohl nicht erwartet werden kann, wie denn auch der Barzoi-Schädel auf den ersten Blick in seinem Gesamtbilde an den Simensis-Schädel erinnert. Abweichungen zeigen sich zunächst in der Parietalregion. Beim Schädel des „Czerdetschnyi*“ ist ihre Wölbung gering und bleibt um volle 11%, gegen den Walgie- Schädel zurück. Dass diese Abänderung auch eine geringere Jochbogen- breite nach sich zieht, wird leicht verständlich, sie bleibt auch um 10°, zurück. Dass es sich um individuelle oder sexuelle Abweichungen handelt, lehrt der Vergleich mit der Barzoihündin, ihr Schädel kommt in der Parietal- region der Wildform auf 3°, und in der Jochbogenbreite auf 2 °/, nahe. Indirekt wird damit die Ableitung der Barzoihunde vom altägyptischen Windhund bestätigt. Sollte die grosse Uebereinstimmung noch weitere anatomische Belege wünschen, so mag namentlich auf den Zahnbau aufmerksam gemacht werden. Die Eckzähne sind beim Barzoi wie bei Canis simensis relativ länger und Die Haushunde. 67 schlanker als bei den übrigen Hunde-Rassen ; bei beiden sind die oberen Reiss- zähne schwach ausgebildet, denn bei dem viel kleineren Torfhund ist deren absolute Grösse denen vom Barzoi und abessinischen Wolf gleich oder über- trifft sie sogar. Wie weit die anatomische Uebereinstimmung geht, zeigt am schlagendsten der vorletzte Backenzahn des Oberkiefers; seine vordere Schädel von Canis simensis. (Original im königl. Museum in Stuttgart.) Fig. 2 Schädel des russischen Windhundes. Weibchen. (Landw. Sammlung Zürich.) Wurzel liegt wegen der geringen Dicke der Alveolenwand beim abessinischen Wolf frei zu Tage, dasselbe ist der Fall an den beiden weiblichen Barzoi- Schädeln meiner Sammlung und am Schädel des männlichen Exemplares lässt der erwähnte Backenzahn sogar beide Wurzeln offen zu Tage treten. Letzterer hat wie der C. simensis eine stark entwickelte Hinterhaupts- und Scheitelleiste, beim weiblichen Barzoi sind sie erheblich schwächer. 63 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Nachdem die afrikanische Abstammung der Windhunde auf Grund meiner Untersuchungen zweifellos festgestellt ist, lässt sich deren Aus- breitung ziemlich klar verfolgen. Die älteste Domestikation erfolgte wohl nicht im eigentlichen Aegypten, sondern in Aethiopien, beziehungsweise in den Ländern des oberen Nil, wo die Pharaonenleute frühzeitig ihren Bedarf an Tieren holten; der stehohrige Pharaonen-Windhund stammt aus jener Region, ist aber als zahme Rasse nicht etwa erloschen, sondern hat sich, wie wir durch die Beobachtungen von A. Brehm erfahren haben, am oberen Nil, insbesondere in Kordofan so gut wie unverändert bis zur Gegenwart forterhalten. In Kordofan ist auch die Wildform zur Beobachtung gelangt. Vor Jahren lernte ich diesen Hund in Kairo kennen, wo er nicht selten von Chartum her eingeführt wird. Merkwürdigerweise vermag er auf dem Hochland von Abessinien nie lang auszuhalten und die Exemplare, die wiederholt in den Besitz von Menelik, der persönlich zum grossen Aerger mancher Abessinier ein grosser Hundeliebhaber ist, gelangten, haben nie lange gelebt. Der Sudanhund ist augenscheinlich zu sehr an die feucht- warmen Nilgegenden angepasst. Der über ganz Nordafrika verbreitete Slughi oder Beduinenwindhund steht dem Pharaonen-Windhund ebenfalls ganz nahe, er hat in den edleren Zuchten meist auch noch dessen fahle Färbung. Der Uebertritt nach Asien und Europa dürfte zu Beginn des neuen Reiches erfolgt sein, der persische Tasi und der russische Barzoi sind augenscheinlich die ältesten Typen. Nach Ostasien hin scheinen Wind- hunde seltener zu sein, doch werden sie nach mündlichen Mitteilungen von Ferars noch in Burma zur Hlirschjagd benutzt. In Westeuropa leben alte, etwas modifizierte Typen in England. Die Kelten waren grosse Liebhaber von Windhunden, deren Deszendenten wir offenbar in den struppigen, hochbeinigen, irischen Wolfshunden (Irish Wolf- hound) und in den schottischen Hirschhunden (Scotsch Deerhound) vor uns haben. Ein etwas verkommener Windhund ist der wenig bekannte, an ab- gelegenen Orten heimische „Lurcher‘, der Lieblingshund der englischen Wilddiebe. In der allerengsten genetischen Beziehung zu den ächten Windhunden stehen die Jagdhunde. Auch diese sind entschieden südlichen Ursprungs und tauchen zuerst im afrikanischen Gebiet auf. Die altägyptischen Wand- malereien lassen sozusagen Schritt für Schritt die Umwandlung der Wind- spiele in Jagdhunde erkennen. Viele ägyptische Jagdhunde werden zwar hängeohrig abgebildet, be- sitzen im Uebrigen noch vollkommen windhundartigen Charakter, was uns ihren psychischen Charakter vollkommen erklärt. Unseren Laufhund finde ich recht kenntlich in den Gräbern von Sakkarah dargestellt. Przsse d’Avennes hat aus der Nekropole von T'heben (18. Dynastie) das schöne Bild „Rückkehr von der Jagd“ veröffentlicht, auf dem ein gefleckter Jagdhund vorkommt. Die Haushunde. 69 Ob die Umzüchtung zu Jagdhundformen ausschliesslich in Altägypten vor sich ging, ist eine Frage, die ich nicht bejahen möchte, denn Jagdhunde werden auch als Geschenk äthiopischer Völker dargestellt, sie waren daher über die gewaltigen Steppen Ostafrikas offenbar frühzeitig weit verbreitet. Von Prof. £. Navzlle erhielt ich ferner ein hübsches Hundebild aus Deir el bahri, das einen kräftigen, hängeohrigen Jagdhund mit nicht mehr ganz windhundartiger Schnauze darstellt. Der Hund stammt aus dem Puntland d. h. den heutigen Somaliländern; er wurde neben Giraffen und anderen Tieren von der Expedition mitgebracht, welche die Königin Hatsepsu nach den Weihrauchländern ausgesandt hatte. Er hat eine frappante Aehnlichkeit mit heutigen innerafrikanischen Hunden, die Colonel Denham vor Jahren nach Europa brachte.!) Demnach ist jene alte Jagdhundrasse in Afrika noch nicht erloschen. Der Uebertritt der Jagdhunde von Nordafrika nach Südeuropa fand, was sich zur Zeit allerdings nicht mit der nötigen Genauigkeit feststellen lässt, sondern vielleicht erst durch die genauere Kenntnis der griechischen Insel-Kultur aufgeklärt wird, wohl gleichzeitig mit demjenigen der Wind- hunde statt, d. h. im Beginn des neuen Reiches, als Altägypten regere Beziehungen mit dem Auslande anknüpfte. Th. Studer?) glaubt, dass der heutige Jagdhund aus Kreuzung des An- kömmlings mit den schon vorhandenen europäischen Haushunden hervor- gegangen sei. Solche Kreuzungen dürften allerdings häufig vorgekommen sein, ohne indessen den körperlichen und psychischen Charakter der afri- kanischen Stammrasse allzuweit abzudrängen. Auch stimme ich ihm bei, wenn er unseren Laufhund als die älteste Form auffasst, aus welcher die modernen Vorstehhunde hervorgegangen sind. Die Dachshunde weisen ebenfalls auf eine afrikanische Stammaquelle. Sie sind bereits in Altägypten nachweisbar und werden (2300 v. Chr.) zu- nächst stehohrig abgebildet. Die oft stark vorgezogene Schnauze mancher Dachshunde lässt sich wohl auf eine Windhundabstammung zurückführen. Ich möchte noch auf zwei Eigentümlichkeiten hinweisen. Mir ist mehrfach aufgefallen, dass einzelne Dachshunde in ihrem lebhaft-gutmütigen Blick an den Augenausdruck russischer Windhunde erinnern. Die Kynologen betonen, dass der eigenartige Blick der zahmen Hunde als Rassenmerkmal gut zu verwerten sei und sie haben darin wohl recht, denn der Blick ist ja schliesslich bedingt durch eigenartige anatomische Verhältnisse. Sodann möchte ich darauf hinweisen, dass bei unseren Dachshunden das Haarkleid sehr häufig rötlichgelbe Stellen, z. B. über den Augen und !) Ihre Abbildung ist in Bennetts „The Tower Menagerie, 1829“ enthalten. Das Original war mir nicht zugänglich, dagegen eine gute Reproduktion, die Max Siber in seinem Werk: „Die Hunde Afrikas, 1899“ gegeben hat. 2) Th. Studer. Beiträge zur Geschichte unserer Hunderassen. Naturwiss. Wochenschrift. Nr. 28. 1897. 70 Die Abstammung der ältesten Haustiere. an den Beinen aufweist, zuweilen ist die ganze Unterseite oder das ganze Fell rötlichgelb bis hellbraunrot. Ich betrachte diese Färbung als ein Erb- stück des altägyptischen Windhundes. Stammbaum der Wind- und Jagdhunde Scotsch Deerhound Vorstehhund Av A Irish | Barzoi Wolfhound ! r Persischer > Tasi j Laufhund Slughi t A Lurcher Windspiele + Haussa-Jagdhund 7 Sudanhund Altägypt. Jagdwindhund \ 2 Dachshund a Altägyptischer Windhund Canıs simensts (Aelteste Domestikation in Aethiopien.) DIE ABSTAMMUNG DER DOGGEN-GRUPPE. Die Familie der Doggen bildet das reine Gegenstück zur vorigen Gruppe der Windhunde, indem sie fast durchweg grosse, schwere, muskelkräftige Haushunde umfasst, deren psychischer Charakter durch grosse Anhänglichkeit an den Besitzer einerseits, durch stark agressives Wesen dem Gegner gegen- über anderseits eine scharf ausgesprochene Nuance erhält. Der schwergebaute, breite Kopf ist von eckigen Formen, die Schnauze Die Haushunde. 71 ist auffallend dick und stumpf mit ausgesprochener Neigung zur Ver- kürzung bis zur extremen Mopsform. Die meist breiten und hängenden Ohren sind hoch angesetzt. Der gedrungene Körper ist fleischig, die Ex- tremitäten starkknochig und stets gut bemuskelt. Hierher gehören die alten Molosser, die Tibetdoggen, Bulldoggen, Mastiffs, Möpse, die Neufundländerhunde und das edelste Glied der ganzen Familie, der moderne Bernhardinerhund. Ursprünglich scheinen alle Angehörigen der Doggenfamilie langhaarig gewesen zu sein mit fast mähnenartigem Haarkleid am Vorderkörper und sehr dicht behaarter Rute, dagegen sind einzelne moderne Kulturformen kurzhaarig geworden. Der scharf ausgesprochene zoologische Charakter der doggenartigen Haushunde lässt auf eine gemeinsame Abstammung schliessen und die wilde Stammform muss in einem wolfsartigen Caniden gesucht werden. Unter den neueren Autoren, welche diese Frage auf dem Wege des anatomischen Vergleiches geprüft haben, ist zunächst A. /Vehring hervorzuheben. Er bezeichnet!) den Wolf (Canis lupus) in sehr bestimmter Weise als Stamm- vater unserer grossen Hunde-Rassen, insbesondere auch des von ihm auf- gefundenen Canis fam. decumanus. Dieser letztere unterscheidet sich vom wilden Wolf eigentlich nur durch die geringere Grösse des oberen Reiss- zahns und dem geringeren Abstand der Jochbogen. Diese Verminderung wäre eine Folge der Domestikation. 7%. Siuder scheint an eine ähnliche Stammquelle zu denken, indem er den prähistorischen Canis Inostranzewi, dessen Schädel sehr viel Aehnlichkeit mit demjenigen des Wolfes besitzt, als Ausgangsform für unsere grossen, doggenartigen Hunde erklärt. Ich gebe nun zu, dass der Doggenschädel anatomische Beziehungen zum Wolf aufweist, der indessen im Schädel sehr variabel erscheint. Ich kann jedoch kaum annehmen, dass der prähistorische Bewohner Europas den Versuch gemacht hat, den schwer zähmbaren Wolf als Haustier zu gewinnen. Die prähistorischen Funde sind selten und nicht über jeden Zweifel erhaben. Das Alter der Kulturschicht, in welcher Canis fam. decumanus gefunden wurde, ist unsicher, wahrscheinlich frühgermanisch. Was den grossen Canis Inostranzewi anbetrifft, so handelt es sich dabei vermutlich gar nicht um ein zahmes Tier, sondern um einen Wolf; wenigstens ist mir die Angabe sehr aufgefallen, dass bei demselben die Augenöffnungen schräg gestellt sind. Das spricht für den Wolf. Ich werde in dieser Ansicht be- stärkt durch einen grossen Hundeschädel, den ich aus den westschweizerischen Pfahlbauten erhielt und den ich für einen jüngeren weiblichen Wolf halte. Die Pfahlbauer dürften ab und zu die zudringlichen Wölfe und deren Schädel als Trophäen erbeutet haben. I) A. Nehring. Ueber eine grosse wolfsähnliche Hunde-Rasse der Vorzeit (Canis fam. decumanus) und über ihre Abstammung. Sitzungsber. d. Ges. naturf. Freunde. Berlin. 1884. | D Die Abstammung der ältesten Haustiere. Damit soll wie gesagt nicht bestritten werden, dass wir bei den Wolfs- formen anzuknüpfen haben, die sich in ihren Lokalformen oder Arten die Grenze ist schwer zu ziehen auf dem palaearktischen Gebiet sehr bildsam erwiesen haben. Die Verbreitungsgeschichte der Molosserhunde, die wir heute ziemlich klar überblicken, fällt schwer in die Wagschale und weist auf einen asiatischen Bildungsherd. Vorläufig muss an der 'Thatsache festgehalten werden, dass ihre prä- historische Existenz fraglich ist und dass auf dem Boden Europas Molosser- hunde erst in Austorischer Zeit auftreten. Den ältesten Schädel, dessen Doggencharakter sicher ge- stellt ist, erhielt ich aus der römisch-helvetischenN ieder- lassung Vindonissa. Es ist offenbar derantikeMolosser- hund. Die genaue Unter- suchung des Fundstückes hat HZermann Krämer in meinem Laboratorium vor- genommen und seine Er- gebnisse in einer mono- graphischen Arbeit über die Haustiere von Vindonissa veröffentlicht.!) Der Molosserhund der alten Griechen und Römer wird mehrfach erwähnt und von Columella recht gut charakterisiert: amplissimi corporis, vasti latratus cano- rique, niger; capite tam Al. 5 S Uhonlampe mit Molosserhund aus Vindonissa. magno, ut COrPOrIS videatur (Landw. Sammlung Zürich.) pars maxima, deiectis et elaucis oculis, acrı lumine radiantıbus, propendentibus auribus, nigris vel gli amplo villosogne pectore, latis armis, cruribus crassis et hirtis. Die Beschreibung stimmt vortrefflich zu den inzwischen aufgefundenen Doggenbildern, die ich durch die Freundlichkeit des Archaeologen ©. Hauser aus Vindonissa erhielt und die an einen Neufundländerhund oder Bernhardiner- hund erinnern. Auf diesen Bildern ist die Behaarung am Vorderkörper und an den Schenkeln lang dargestellt, die Glieder muskelkräftig und die aufwärtsge- krümmte Rute lang behaart. Bemerkenswert und wiederum für den Doggen- !) Hermann Krämer. Die Haustierfunde von Vindonissa. Revue suisse de zoologie. 1899, Die Haushunde. 73 charakter sprechend ist der Umstand, dass an der Hinterpfote eine deut- liche Wolfsklaue gezeichnet ist. Der antike Molosser ist sicher nicht auf europäischem Boden gezähmt, sondern aus Asien importiert worden. Nerxes scheint der erste gewesen zu sein, der diese grossen Hunde nach Europa brachte; er führte sie auf seinem Kriegszuge gegen Griechen- land mit sich, wie /Z/erodot berichtet. Ob dieselben europäische Zuchten begründet haben, ist freilich nicht nachweisbar. Wahrscheinlich stammen die ältesten von grossen Doggen ab, die Aexander der Grosse auf seinem Zug nach Indien von König P orus zum Geschenk erhielt. Diese gelangten nach Macedonien und Epirus. Das Vorkom- men von mäch- tigen Doggen in Assyrien wäh- rend des ersten vorchristlichen Jahrtausends ist sicherbeglaubigt, da wir recht gute bildliche Darstel- lungen aus dem Zweistromland kennen. Aufder von Kazwlinson in Birs Nimrod gefundenen Topf- scherbe, wie auf den Hundedar- stellungen in dem Altassyrische Dogge. (Nach Zayard.) Palast von Ässur- banipal (668 v. Chr.) ist der Doggencharakter unzweifelhaft sehr gut wieder- gegeben; an den Bildern fällt mir auf, dass die Tiere kurzhaarig dargestellt sind, auch der Schwanz ist nicht buschig, sondern drehrund und relativ dünn gezeichnet. Es lässt sich, namentlich weil auf einem Jagdbild, das den Ueberfall auf ein Wildpferd darstellt, doch noch etwas Langhaarigkeit angedeutet ist, die Sache wohl so erklären, dass die ursprünglich zottig behaarten Hunde in dem warmen Mesopotamien ziemlich rasch die langen Haare verloren, wie dies heute noch in den heissen Ebenen Indiens mit den aus dem Himalajagebiet eingeführten Doggen geschieht. Es ist aus dem gleichen Grunde wohl nur ein starker künstlerischer Realismus, wenn auf einem Thorbogen in Sanchi Tope (Vorderindien) die aus dem dritten 74 Die Abstammung der ältesten Haustiere. vorchristlichen Jahrhundert stammenden Doggenbilder ganz dünnschwänzige Hunde darstellen. Die assyrischen Hunde sind — das eben genannte Bild giebt ja einen Fingerzeig — aus Indien bezogen worden; indessen ist die eigentliche Urheimat oflenbar das Gebirgsland im östlichen Himalaja, speziell das Hochland von Tibet, dessen Zuchten schon im Altertum in Ostasien berühmt waren. Noch heute lebt die Tibetdogge in fast unveränderter Form in jener Region fort. Dieselbe ist nach Max Szber') ein mächtiges Tier, an Grösse unsern Neufundländern und Bernhardinern nicht nachstehend, ähnlich gebaut wie diese, nur ist die Schnauze etwas lang und nicht übermässig breit. Der schwere Kopf mit dem gebrochenen Profil zeigt einen düstern Ausdruck, wozu die faltige Gesichtshaut, die starken Lefzen und die blut- unterlaufene Bindehaut des Auges beitragen mögen. Die Falte des unteren Lides ist eckig, die Ohren hängend, breit und hoch angesetzt, aber doch nicht übermässig gross. Der kurze Hals mit mähnenartiger Behaarung. Der schwere Körper ist nicht hochgestellt, die Wolfsklaue an den Hinter- pfoten sowohl einfach als doppelt. Das Lichthaar ist schlicht, bisweilen sogar steif wie beim Spitz, zuweilen aber auch seidenartig, der Schwanz buschig behaart, dann mit langer Behaarung um den Hals und am Rücken, sowie auch an den Keulen (Hosen). Die Färbung ist einfach schwarz oder schwarzbraun; auch ein weisser Bruststern wird angegeben ; häufig ist Schwarz mit rotbraunen Flecken über den Augen. Die Tibethunde sind in Europa heute noch wenig bekannt. Die ältesten Angaben über dieselben findet man in der chinesischen Litteratur (Chou- king), denen zufolge 1121 v. Chr. ein Tibethund, der auf die Menschenjagd dressiert war, als Geschenk an den Kaiser von China abgeliefert wurde. (Gegenwärtig bringen tibetanische Händler solche häufig nach dem chinesischen Reich. Marco Polo fielen die Tibethunde auf, er sagt, dass sie die Grösse eines Esels erreichen und zur Jagd auf wilde Ochsen (Yaks) verwendet werden. Nähere Angaben erhielten wir jedoch erst im abgelaufenen Jahrhundert durch die Engländer, so durch /odgson, Wallich und Hooker. Da der genannte Hund nur vereinzelt über Tibet hinausgeht und z. B. in den Vorbergen des Himalajas nur spärlich angetroffen wird, so haben wir offenbar den Bildungsherd im tibetanischen Gebiet zu suchen. Die Domestikation ist augenscheinlich alt; da indessen nach den vorhandenen Angaben die Schnauze verhältnismässig lang und mässig breit erscheint, so steht die Tibetdogge der Stammform noch näher als die europäischen Verwandten. Wenn ich mich hier positiver als es bisher geschah, über die zugehörige Wildform ausspreche, so bedaure ich allerdings, dass mir osteologisches 1) Max Siber. Der Tibethund. Winterthur. 1897. Die Haushunde. 75 Material nicht zugänglich war. Jedoch hat kürzlich 7%. Studer die Ab- bildung eines Tibethundeschädels veröffentlicht.) Das Exemplar (ob rein- blütig?) stammt aus Nepal und ist im Besitz des British Museum. Im Habitus steht er dem Molosserschädel aus Vindonissa nahe. ‚Siuder findet zwar Anklänge an den Dingo und möchte daher den Tibethund von einer süd- lichen Stammform ableiten, die bei der Domestikation Wolfblut aufgenommen hat. Im Hinblick auf viele anderweitige Uebereinstimmungen zwischen Fig. 23. Tibetwolf (Canis niger). (Nach Sclater.) Tibethunden und europäischen Doggen erscheint jedoch eine Beziehung zum Dingo wenig sicher, zumal beim Nepalhund die Einwirkung von Paria- blut denkbar ist. Die Abstammung von einem asiatischen Wolf erscheint schon aus geographischen Gründen naheliegend. Man könnte an eine in Hochasien lebende Lokalform von Canis lupus denken. Diese Art ist bekanntlich sehr variabel, so dass A. Nehring selbst den indischen Canis pallipes als eine Lokalrasse unseres gemeinen Wolfes betrachtet. Nun machte A. A. Arnloch im Jahr 1867 die höchst beachtenswerte 1) TA. Studer. Die prähistorischen Hunde in ihrer Beziehung zu den gegenwärtig lebenden Rassen. Abhandl. d. Schweiz. palaeont. Gesellschaft. Vol. XXVIII. 1901. I jo} Die Abstammung der ältesten Haustiere. Angabe, dass überall in Tibet wenigstens zwei Wolfsarten vorkommen („Wolves of at least /wo sorts are found all over 'Thibet“). Die eine ist grau und gehört in den Formenkreis des gemeinen Wolfes hinein. Die andere wurde im Londoner zoologischen Garten von ?. Z. Scel/ater lebend untersucht und als durchaus verschiedene Art erklärt, sie ist als Canzs ner Sclater in die Wissenschaft eingeführt.') Die Höhe des Tieres wird zu zwei Fuss fünf Zoll (engl.) und die Länge zu drei Fuss vier Zoll (engl.) angegeben. Die Färbung der beiden Geschlechter, sowie deren Nachkommen scheint sehr konstant zu sein, nämlich beinahe einfarbig schwarz mit weissem Brustfleck, weisser Schnauze und weissen Pfoten. Aus der beigegebenen, sehr guten Abbildung ist zu entnehmen, dass dieser Canis niger in den kräftig bemuskelten Beinen erheblich tiefer gestellt ist als unser Wolf; der Schwanz erscheint sehr buschig und die Behaarung an Hals und Brust aflallend lang, fast zottig. Diese Merkmale weisen alle auf die Abstammung der Tibetdogge von dem schwarzen Tibetwolf (Canis niger) hin, denn erstere besitzt ja auch neben dem schwarzen Haarkleid häufig weisse Pfoten und einen weissen Bruststern. Diese Abstammung wird unterstützt durch die "T’hatsache, dass die Doggen ursprünglich alle vorwiegend schwarz waren und es zum Teil jetzt noch sind. Nicht nur die Tibetdogge ist vorwiegend schwarz, sondern auch nach den vorliegenden litterarischen Quellen die altassyrische Dogge wie der antike Molosserhund der Römer: von den heutigen Formen ist bekanntlich der Neufundländer vorwiegend schwarz, teils einfarbig, teils mit Abzeichen. Die späteren abweichenden Färbungen, die ja bei modernen Doggen vielfach zum Albinismus hinneigen, sind augenscheinlich sekundär erworben. Die morphologischen Thatsachen wie die historisch nachweisbaren Ver- hältnisse der Verbreitung sind dieser Ableitung durchaus günstig. Somit ist der Entwicklungsgang der Doggengruppe im Wesentlichen folgender: Der Bildungsherd, wo Doggen zum ersten Mal als zahme Tiere er- scheinen, liegt in Hochasien, speziell in Tibet. Von hieraus drang das Haustier nach Nepal und nach Indien, vereinzelt auch nach China vor. Der babylonisch-assyrische Kulturkreis hat dasselbe frühzeitig übernommen. Auf afrikanischen Boden scheint während der Pharaonenzeit niemals ein Uebertritt stattgefunden zu haben, dagegen erscheinen die Doggen zu Alexanders Zeit auf dem griechischen Boden, um später an den römischen Kulturkreis abgegeben zu werden. Römische Kolonisten brachten zu Beginn der jetzigen Zeitrechnung die Molosserhunde über die Alpen nach Helvetien und wohl auch nach ) P. L. Scelater. On the Black Wolf of Thibet. Proceedings of the zoological Society of London. 1874. Die Haushunde. Zar andern Ländern Mitteleuropas und Westeuropas. Als einen der alten Rasse nahestehenden Hund betrachte ich den Neufundländer, an welchen die bildlichen Darstellungen aus dem römischen Vindonissa in der Kopfbildung auffallend stark anklingen, wozu noch die Uebereinstimmung in der Haar- farbe kommt. Dass die Neufundländer-Rasse auf einem geographisch weit abseits liegendem Gebiet erscheint und später wieder nach Europa verpflanzt wird, ist nebensächlich. a Fitzinger‘) bemerkt, dass diese Rasse zur Zeit der ersten Niederlassung der Engländer in Neufundland im Jahre 1622 noch nicht vorhanden war und dass ihre Entstehung ohne Zweifel auf die dort später von Europäern Fig. 24. Schädel des Molosserhundes aus Vindonissa. (Nach 74. Krämer). (Original in d. Landw. Sammlung Zürich.) zurückgelassenen Hunde zurückzuführen ist. Die geographische Isolierung erklärt die scharf ausgesprochene Eigenart des Neufundländerhundes. Nach einer anderen Richtung entwickelte sich der antike Molosser zu dem edlen Bernhardinerhund, dessen Ableitung von prähistorischen Hunden Europas ich mit //. Krämer ablehnen muss. Schon früher habe ich diesen Standpunkt im Schoss der hiesigen kynologischen Gesellschaft nachdrücklich vertreten. Der Molosser als römischer Import ist, wie wir dies auch für andere Haustiere des Wallis nachweisen können, an der altbegangenen Alpen- strasse, die nach dem Norden führte, hängen geblieben und in den Walliser- bergen nach und nach zu dem heutigen edlen Gebirgshund umgezüchtet worden. 1) L. Fitzinger. Der Hund und seine Rassen. 1876. Pag. 170. 74 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Die enge Beziehung drückt sich deutlich genug in den Massverhältnissen des Schädels aus, für welche /7. Arämer folgende Längen bestimmt hat: Molosser Bernhardiner von Vindonissa (in mm) (in %o) (in mm) (in %o\ l. Vom For. mag. bis zu den Incisiven. . 198 (100) 230 (100) 2. Von der Crista occip. bis zu der Nasalia 120 (60,8) 140 (60,6) 3. Vom For. magnum bis zum Hinterrand des; Gaumens, 12 SIE ED) 105 145.7) ME Gaumenlanger DR 1257 (3453) 5. Länge der Nasalia . . . „ 80 (40,4) S6 (37,4) 6. Schnauzenlänge bis zu den Orbitae 721007 6509) 109 (47,4) 7. Stirnbreite zwischen den Proc. orbit.. .. 58 (29,2) 68 (29,5) S. Jochbogenbreite . . . : RO (X) 146 (63.4) 9. Grösste Breite zwischen de Backarahnen des Oberkiefers REF IEN 77 (88,5) 10. Schnauzenbreite zwischen den Alveolen der,Bckzähne ), en: we ED) DD) Der Schädel des Bernhardiners ist. wie wir den absoluten Massen ent- nehmen können, gegenüber dem Molosser durchweg grösser geworden, was wir wohl der besseren Haltung und Pflege durch den Menschen erklären dürfen. Es sei übrigens bemerkt, dass die grossen Formen der Bernhardiner erst in der neueren Zeit gezüchtet worden sind. Vergleichen wir die relativen Masse, die hier entscheidend sind, so springt die Uebereinstimmung sofort in die Augen. Der Gesamttypus des Schädels ist geblieben, nur in der Gesichtspartie ist bei der modernen Form etwelche Verkürzung eingetreten. Im Weiteren beweist die grosse Uebereinstimmung zwischen den grossen Hunden der grössten Gebirge Asiens und Europas, dass wir diese als wahre Homologien und nicht etwa als Analogien aufzufassen haben. Diese Homo- logien erklären sich aus der Verbreitungsgeschichte. Als Seitenlinien haben wir die Bulldoggen und die Mopsformen anzu- sehen, bei welchen die Verkürzung des (Gesichtsteiles noch weiter vorge- schritten erscheint. Es ergiebt sich also nebenstehender Stammbaum. Im Anschluss an die Doggenfamilie mag noch zweier Formen Erwähnung gethan werden, die eine gewisse Annäherung an den Doggencharakter zeigen. Da ist zunächst die dänzsche Dogge und die ihr nahestehende deutsche Dogge. Beide sind schlanker gebaut als die ächten Doggen, in den Extremi- täten erheblich höher gestellt und im Kopf weniger plump gebaut. Der Schnauzenteil ist spitzer. Allgemein wird von den Kynologen die Ansicht vertreten, dass die genannten Hunde ein Kreuzungsprodukt zwischen den grossen Windhunden und den ächten Doggen darstellen. Es ist dies vom anatomischen Gesichtspunkte aus jedenfalls zutreffend, da die morphologischen Die Haushunde. 79 Merkmale die Mitte zwischen beiden halten. Manche deutsche Doggen sind lichtgelb behaart und etwas dunkel gestromt; hier ist die lichtgelbe Färbung jedenfalls auf den Einfluss des Windhundblutes zurückzuführen. Sodann kennen wir in den Gebirgen der alten Welt noch grosse Hunde, deren Stellung etwas unsicher erscheint; dazu gehören die Pyrenäenhunde, die Schäferhunde der Sierra d’Estrella, die Abruzzenhunde, die starken Hirtenhunde in Griechenland und Albanien und die schweren Hunde des Kaukasus. Sie werden als Hirtenhunde benutzt, besitzen eine vorzügliche Witterung, bewachen aber mehr die Herdentiere, ohne sie zusammen zu treiben. Wir haben es augenscheinlich mit einer alten Form zu thun. An dem Schädel eines Abruzzenhundes, den ich unlängst aus Süd- italien erhielt, finde ich gegenüber dem Wolf so grosse Unterschiede, dass von einer näheren Verwandtschaft keine Rede sein kann, obschon manche Angaben die grossen Gebirgshunde als wolfsähnlich bezeichnen. Anklänge an den Doggencharakter sind entschieden vorhanden, doch bleibt die Grösse weit hinter dem Bernhardiner und selbst hinter dem Molosser von Vindonissa zurück. Gebiss und Beschaffenheit der Schnauze stehen anderseits dem Bronzehund (Canis matris optimae) auffallend nahe; die Crista sagittalis erscheint nur mässig stark entwickelt. Dieser Mischcharakter deutet darauf hin, dass wir im Abruzzenhund und wohl auch in ähnlichen grossen Gebirgshunden einen Bastard zwischen dem Bronzehund und dem alten Molosser vor uns haben. Stammbaum der Doggen Bulldogge Bernhardiner Neufundländer A 7 x | | Mops Antiker Molosser N Altassyrische Dogge | Tibetdogge (C. molossus tibetanus) ! I Wilde Stammform: Canis niger (schwarzer Tibetwolf) Urheimat der Doggen: Tibet. DIE AMERIKANISCHEN HAUSHUNDE. Die Thatsache ist vollkommen sicher gestellt, dass die Eingeborenen Amerikas schon vor der Ankunft der Europäer zahme Hunde besassen. Alle Indianersprachen der Westküste von Südamerika hatten eigene Be- 0 Die Abstammung der ältesten Haustiere. zeichnungen für den Hund und Garczlasco de la Vega!) berichtet, dass in der ältesten Zeit die Huanca, bevor sie von Inka besiegt wurden, die Figur eines Hundes anbeteten, ebenso assen sie Hundelleisch leidenschaftlich gerne. F. F. von Tschudi?) hat als Beweis für die Urexistenz des Hundes in Peru, in den alten, präcolumbischen Gräbern Hundemumien und -Skelette aufgefunden, die mumifizierten Hunde lagen meist quer vor den Füssen der sitzenden Kadaver. Auf seiner Reise nach Südamerika hat Tschud: den dortigen zahmen Hunden eingehende Aufmerksamkeit geschenkt, er erwähnt zunächst den nackten Caraibenhund (Canis caraibicus Less) mit haarlosem Körper und schiefergrauer Haut. Columbus fand denselben bei seiner Ankunft bereits auf den westindischen Inseln, Cortez in Mexico. Noch gegenwärtig laufen diese halbverwilderten Hunde in den Dörfern umher, scheinen aber auf das Küstengebiet beschränkt zu sein. Im Gebirge tritt an die Stelle derselben der Inkahund (Canis Ingae T'schudi). Sein Kopf ist klein, scharf zugespitzt: die Ohren aufrecht, spitz und klein; der Schwanz stark behaart und gerollt; der rauhe Pelz von dunkelockergelber Farbe, am Bauch und auf der Innenseite der Beine etwas heller; die Haar- spitzen sind schwarz. Mit dieser Art sind die Mumienhunde Perus ganz identisch. 7'schad? traf im Gebirge neben europäischen Ilunden diesen alten Inkahund noch häufig an bei den Hirten und in den Indianerhütten. Sie dienten als Wachhunde und Hirtenhunde und werden als sehr bissig geschildert, ihre Abneigung gegen den Weissen war besonders auffällig. Gelegentlich wurden sie von den Eingebornen zur Hühnerjagd abgerichtet. Wie wir früher bemerkten, hat A. Verring auf Grund der Gräberfunde nachweisen können, dass drei verschiedene Rassen des Inkahundes ge- halten wurden. Ueber die Hunde der Indianer Nordamerikas hat Darwzrn eine Reihe von Angaben gesammelt, aus denen hervorgeht, dass sie die grösste Aehn- lichkeit mit den nordamerikanischen Wölfen (Lupus occidentalis) besitzen und nur geringe Anhänglichkeit an den Menschen zeigen. Die Eskimos verwenden Schlittenhunde, die häufig das schräge Auge der Wölfe besitzen. Daneben kommt bei manchen Indianern ein Hund vor, der zu dem mehr fuchsartigen Prairiewolf (Canis latrans) in engster Beziehung steht. Darzvin betrachtet daher Canis lupus var. occidentalis und C. latrans als die wilden Stammformen des amerikanischen Kulturkreises und auch Nehring ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die alten Inkahunde in allen Rassen nicht auf eine südamerikanische Canidenart zurückgeführt werden dürfen, sondern vom nordamerikanischen Wolf (Lupus occidentalis) ab- stammen. !) Garcilasco. Comment. real. part. lib. VI. 2) $.%. von Tschudi. Untersuchungen über die Fauna Peruana. St. Gallen. 1844—1S46. III VL DIESHTAUSKATZE 4 @ls Haustier nimmt dieses Geschöpf eine eigenartige Stellung ein, | da es eine auffallend grosse Selbständigkeit bewahrt hat und 7852 or | dem Einfluss der künstlichen Züchtung so gut wie gar nicht EN unterliegt. Der Eintritt dieses heute kosmopolitisch gewordenen MA: 2, Genossen des Menschen ins menschliche Haus erfolgte zu einer Periode, die jedenfalls für Europa noch prähistorisch war, aber der Bildungsherd liegt ausserhalb dieses Kontinents. Dies geht schon daraus hervor, dass prähistorische Reste der Hauskatze nirgends nachweisbar sind, während der römischen Periode sind in den transalpinen Kolonien ebenfalls keine Spuren bemerkt worden, selbst bei den Ausgrabungen in Pompeji liessen sich keine solchen nachweisen. Ueber die Abstammungsverhältnisse hat sich seit den Darlegungen von Ch. Darwin in unseren Anschauungen nur weniges geändert. Im grossen und ganzen stehen wir heute noch auf den von ihm vertretenen Standpunkt, so dass ich mich bezüglich der in Frage kommenden Wildarten kurz fassen kann. Unsere europäische Wildkatze (Felis catus), die man in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch ziemlich allgemein als Stammart unserer zahmen Form ansah, kommt nicht in Betracht. Abgesehen von der grossen Schwierigkeit der Zähmung kommen erhebliche morphologische Unterschiede in Betracht. Schädelbau und Bezahnung ist bei der Hauskatze weit zier- licher als bei Felis catus, der Kopf mehr gestreckt. Der dicke, abgehackte Schwanz unserer Wildkatze ist völlig verschieden von demjenigen der zahmen Arten, auch in der Wirbelzahl bestehen abweichende Verhältnisse. Der Bildungsherd liegt in Afrika und augenscheinlich ist das Nilthal als Stammland der ältesten Hauskatzen zu bezeichnen. Herodot und Drodor berichten eingehend über die seltsame Stellung, welche dieselben im Pharaonenland als Kulttiere einnahmen und die von dem älteren Geofroy St. Hrlaire aufgefundenen Katzenmumien lieferten eine vollkommene Be- stätigung. Seither sind die altägyptischen Katzenfriedhöfe öfters geplündert worden. Der jüngere Geofroy St. Hilaire‘) hat, auf die osteologischen Unter- suchungen von Temminck und Dlarnville sich stützend, zunächst mit Nachdruck 1), re Geoffroy St. Hilaire. Acclimatation et domestikation des animaux utiles. 1861. 6 92 Die Abstammung der ältesten Haustiere. darauf hingewiesen, dass die ägyptischen Katzenmumien einerseits mit unserer Hauskatze, anderseits mit der von /äppel in Nubien entdeckten Falbkatze die grösste Uebereinstimmung zeigen. Er betrachtet folgerichtig den Nordosten von Afrika als Stammland der zahmen Katzen und die Falbkatze (Felis maniculata) als Wildform, aus der letztere hervorgingen; immerhin hält er die Möglichkeit oflen, dass noch eine ostasiatische Stamm- quelle daneben existierte. Ch. Darwin‘) hat den Gegenstand kritisch untersucht und eine Reihe von Beobachtungen zusammengestellt, aus denen hervorgeht, dass die Haus- katze sich nicht selten mit verschiedenen Wildkatzen verbastardiert, z. B. in Europa mit Felis catus, in Indien mit Felis chaus, in Algier mit Felis Iybica, in Südafrika mit Felis caffra. Er lässt indessen die Frage offen, ob die Katzen von verschiedenen distincten Arten abstammen oder nur durch gelegentliche Kreuzungen modifiziert worden seien. Dass aber zum mindesten in einigen Fällen die Kreuzung hinreichend häufig eingetreten ist, um den Charakter der Rasse zu beeinflussen, hält Darwzn für ausgemacht. In der Neuzeit ist dem vorliegenden Abstammungsproblem besonders der italienische Zoologe @. Martorelli”) wieder näher getreten; er betont namentlich die Verschiedenheit in der Fleckenzeichnung bei unseren Haus- katzen und möchte diese phyletisch verwerten. Seine Auffassung markiert er in den Worten: „A me sembra, dopo quanto ho esposto, che non si possa attribuire ai gatti domestici una sola origine, cio solo quella africana comme fanno alcuni, 0 solo quella asiatica, come voglino altri....“ Er ist sogar geneigt, einer von ihm näher beschriebenen südeuropäischen Wild- katze (Felis mediterranea) Anteil an der Erzeugung zahmer Rassen zuzu- schreiben. Ich werde nachher auf diese interessante Frage zurückkommen. Die polyphyletische Strömung, die neben verschiedenen Wildformen logischerweise auch verschiedene Bildungsherde zahmer Katzen annimmt, tritt bei Zroxessari in seinem „Catalogus mammalium“ am schärfsten her- vor, indem er bei Felis domestica kurzweg bemerkt: „plurimi feri progenitores.“ Im Hinblick auf die Verbreitungsgeschichte unseres Haustieres scheint mir eine unabhängige Entstehungsweise in verschiedenen Kulturgebieten nicht so unbedingt annehmbar und ich halte den vorsichtigen Standpunkt, den Darzvin eingenommen hat, für richtiger. Wir haben zunächst mit der wohl beglaubigten Thatsache zu rechnen, dass in Altägypten zu einer Periode, die in Europa noch nicht als geschichtliche bezeichnet werden kann, durch zufällige Verkettung verschiedener Umstände eine ausgiebige Zähmung der Katze erfolgte. Diese verweilt auffallend lang im Nilthal, denn der Uebertritt nach Europa erfolgt sehr spät, jedenfalls nicht vor Beginn der christlichen Zeitrechnung. Dagegen scheint die Verbreitung 1) Ch. Darwin. Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation. I. Bd. 1873. ?) G. Martorelli. Nota zoologica sopra i gatti selvatici e le loro affinita colle razze domestiche. Milano. 1896. Die Hauskatze. nach Asien viel früher stattgefunden zu haben. Mumien belehren uns über das Wildmaterial, der Zähmung benutzt haben. (Felis manicu- lata Rüppel). Das Material warin der Nähe zu beschaffen, denn das Ver- breitungsgebiet der genannten Wildkatzereicht von Palästina bis zum obern Nil und bis in Somali- Die engeVerwandt- die länder. schaftderägyp- tischen Haus- katze mit der Falbkatze wird von verschie- denen Autoren betont. hielt aus Buba- und Hassan mehrere Ich er- stis Beni Mumien, eine kleinere, dieich eröffnete, war sorgfältig in Leinwand ein- gebunden, Augen und Ohren ausZeug künstlich nach- gemacht. Die Fig, Ratzenmumie aus Bubastis. 25. (Landw. Samınlung Zürich.) 83 Die sehr gut erhaltenen das die Pharaonenleute bei Die Hauptbezugsquelle war die Falbkatze Behaarung, nur wenig abge- blasst, stimmte bei dieser Mu- mie in der deut- lich barenZeichnung erkenn- völlig mit Felis maniculata überein,auch die Grösse und das (sebiss stehen damit im Ein- klang, ander- seits aber auch den falb- katzenähnlichen mit Hauskatzen, wie man sie jetzt noch in den Gegenden des roten findet. Eine bedeutend Meeres grössereMumie, die ich aus Beni Hassan erhielt, gehört jedoch einer zweiten Art an, nämlich demSumpfluchs (Felis Letztere war es chaus). wohl, die in Altägypten als zahmes Tier den vornehmen Jäger begleitete und apportieren musste, wenn dieser im Sumpflande die Vogeljagd mit einem bumerangähnlichen Wurfgeschoss betrieb.') I) Vrel. Adolf Ermann. Aegypten und ägyptisches Leben im Altertum. Pag. 323. 34 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Es ist nun anzunehmen, dass schon im Stammlande vielfach Kreuzungen beider Formen stattgefunden haben, wodurch manche Farbenabweichungen sich erklären lassen. Anderseits möchte ich der Zeichnung des Pelzes nur eine mässige phyletische Bedeutung zuerkennen, weil schon die wilde Falb- katze starken Variationen unterworfen ist. Es sind eine Reihe von Arten afrikanischer Wildkatzenarten unter den Namen Felis caffra, F. nigripes, F. caligata, F. Iybica, F. pulchella, F. obscura beschrieben worden, deren ge Gray bestreitet und sie als blosse bu gewöhnlichen Falbkatze (Felis maniculata) Berechtigung der englische Zoolo Varietäten dem Formenkreis der zugewiesen hat.') Von Wichtigkeit ist, dass die Falbkatze sich leicht zähmen lässt, wie schon Schweinfurth bei den Niam-Niam in Innerafrika beobachten konnte.?) Ich kann dies nur bestätigen, indem mir in Nubien wiederholt gezähmte Exemplare angeboten wurden. Am mittleren Webi in den inneren Somali- ländern konnte ich gezähmte Falbkatzen in den Dörfern antreffen, die ich vorher im Ogadeen nirgends vorfand. Sie dienen dazu, die Getreide- schuppen gegen die schädlichen Nager zu schützen. Uebrigens richten die Somalifrauen auch ihre Knaben in origineller Weise zum Mäusefang ab und wie ich mich überzeugt habe, entwickeln diese ein grosses Geschick. Diese Thatsache liefert vielleicht die Erklärung für das lokale Fehlen der Hauskatze in manchen Gebieten Ostafrikas. Ist somit der wesentliche Bestand der jetzt weit verbreiteten Haus- katzen afrikanischen Ursprungs und dort aus Felis maniculata, zum Teil auch aus Felis chaus gewonnen, so muss jetzt noch die Frage geprüft werden, ob auch Südeuropa Anteil an der Bildung derselben hat, wie Martorelli behauptet und seine Felis mediterranea, eine Uebergangsform(?) von der Falbkatze zu unserer mitteleuropäischen Wildkatze, als eine der Stammformen auffasst. Freilich betont dieser Autor die nahe Verwandtschaft mit Felis mani- culata, so dass sie nur als geographische Abart derselben aufzufassen ist. Bisher ist diese südeuropäische Wildkatze nur in der toskanischen Maremma und auf der Insel Sardinien nachgewiesen worden, fehlt dagegen der Balkanhalbinsel und auch Süditalien. Zorenz von Liburnau erhielt ein Exemplar, welches in den Bergen Sardiniens erlegt wurde und erklärt dasselbe für identisch mit der afrikanischen Katlerkatze (Felis caffra). Um mir über dieses Tier ein eigenes Urteil zu bilden, verschaffte ich mir aus Sardinien vier Bälge und ein Skelett. Es wurde mir berichtet, dass die Tiere zwischen Felsblöcken in wildem Zustande in der Umgebung von Cagliari gelebt haben. An Grösse steht diese Form erheblich hinter der Wildkatze unserer Alpen zurück. Das wäre an und für sich noch nicht !) E. Gray. Notes on certain species of Cats in the Collection of the British Museum. Proc. Zool. Soc. 1867. ?) Nach mündlichen Mitteilungen in Drehm’s Tierleben. Bd. 1. Die Hauskatze. [0 0) or auffallend, da fast alle Säugetiere der Insel durch ihre bemerkenswerte Kleinheit sich auszeichnen. Der Schwanz der wilden Sardenkatze ist niemals abgehackt, sondern lang und sehr licht behaart. Die Färbung der von mir untersuchten Stücke erinnert auffallend an die afrikanische Falbkatze. Bei dreien tritt die fahlgelbe Färbung auf der Bauchseite stark hervor und spielt an einzelnen Stellen ins rötliche. Bei allen ist die Nasengegend deutlich rostrot mit etwas dunkler Einfassung an den Seiten, der Fuss ist bis zur Ferse schwarz be- haart, die Ohrspitzen tragen einen starken Haarpinsel, der bei Felis catus fehlt. Das grösste Exemplar misst von der Schnauzenspitze bis zum Schwanz- ende 95 Centimeter, wovon 34 Centimeter auf den Schwanz entfallen; das kleinste Stück ist nur SO Centimeter lang und etwas abweichend gefärbt, nämlich dunkelgrau mit weissen Haarspitzen und undeutlichen Flecken; die tiefschwarzen Ohrpinsel sind bei diesem Stück auffallend und reichlich ein Centimeter lang. Der Schädel ist zierlich gebaut, von unserer Hauskatze nicht verschieden; das Gebiss schwach. Mit dem Charakter eines ächten Wildtieres scheint mir trotz der un- leugbaren Anklänge an Felis maniculata das lokale Vorkommen nicht recht vereinbar, da gerade die Feliden sehr bewegliche Raubtiere sind. Um allfällige Bindeglieder zwischen der Sardenkatze und der Falbkatze Palästinas aufzufinden, verglich ich damit die Wildkatze der Donauländer. Diese ist kleiner als Felis catus der Alpen und stimmt in der Grösse gut mit der Sardenkatze überein. Auch hat sie schwache Ohrpinsel, aber einen ganz anderen Schwanzbau, der sie sofort als Felis catus erkennen lässt. Ich möchte nun ethnologische Gründe geltend machen, um den Nach- weis zu führen, dass die von Martorelli beschriebene Felis mediterranea einfach eine verwilderte Hauskatze ist. Dass die Altägypter eine falbgefärbte Hauskatze besassen, habe ich oben schon an dem Mumienbefund nachgewiesen; an dem Exemplar aus Bubastis sind die Hinterpfoten bis zur Ferse völlig schwarz wie bei der Sardenkatze. Brehm hat ähnliche Katzen in Abessinien beobachtet und ich finde beim durchblättern meiner Tagebücher Notizen aus Suakin, Massaua und Aden, dass die dort beobachteten Hauskatzen merkwürdig falbkatzen- artig aussehen, einen langen Kopf und einen langen, nur wenig dicht be- haarten Schwanz besitzen. Besonders auffällig war die fahlgelbe, etwas ins rötliche spielende Pelzfarbe bei einer Katze in Massaua, die von den Dahlakinseln stammte. Wir werden daher zu der Annahme gezwungen, dass die am roten Meer ansässigen Araber noch eine Rasse besitzen, die sich seit der Phara- onenzeit fast gar nicht verändert hat. Nun ist ja hinlänglich bekannt, dass im Mittelalter die Araber die Herrschaft nicht nur über Aegypten, sondern auch auf der Insel Sardinien besessen haben; arabische Familien haben ihre primitive Katzenrasse als s6 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Haustiere dahin mitgebracht, beim Anstürmen der späteren Eroberer blieben dann diese sich selbst überlassen und verwilderten. Da die Pisaner schon im elften Jahrhundert nach Sardinien kamen und längere Zeit dort herrschten, können dieselben diese Rasse in ihrer Heimat eingebürgert haben; jedenfalls ist es nicht zufällig, dass nur in der Toscana bisher die wilden Sardenkatzen angetroffen wurden. Ich erblicke daher in der von NMartorelli aufgestellten. Subspecies Felis mediterranea keineswegs eine südeuropäische Kolonie von Wildkatzen, ; Fig. 26, Stummelschwänzige Katze aus Japan. (Landw. Sammlung Zürich.) die dem Formenkreis von Felis maniculata angehört in dem Sinne, dass sie stets in Sardinien eingebürgert war. Sie hat daher auch keinen Einfluss auf die Bildung europäischer Hauskatzen ausgeübt. Meiner Ansicht nach ist diese Katze als zahmes Tier im Mittelalter durch die Araber importiert worden und später verwildert, teilweise auch nach Toscana verpflanzt worden. Ich muss übrigens hinzufügen, dass der genannte italienische Zoologe ursprünglich auch dieser Meinung zuneigte und dieselbe erst später ge- ändert hat.!) !) G. Martorelli. Össervazioni sui mammiferi educelli fatte in Sardegna. Pag. 8. Pistoja. 1884. Die Hauskatze. 87 Von Aegypten aus ist unser Flaustier verhältnismässig wenig weit ins Innere des afrikanischen Kontinentes eingedrungen, im Gebiet der äquatorialen Seen ist sie selten, ebenso in den Somaliländern, da die gezähmte Felis maniculata an ihre Stelle tritt. Dass in Nordafrika und Südafrika Bastar- dierungen mit Wildkatzen vorkommen, ist leicht verständlich wegen der Blutsverwandtschaft. Nach Asien gelangte sie offenbar frühzeitig und dürfte den Weg über Arabien genommen haben. Die grösste Verbreitung erlangte sie in Ost- asien, wo sie bei den Chinesen und Japanesen sehr beliebt ist. In Asien ist der ursprünglichen Form wohl am meisten fremdes Blut beigemischt worden, wodurch neue Rassen entstanden. Es ist, bevor die asiatischen Formen nicht besser durchforscht sind, heute ein ziemlich müssiges Unter- nehmen, darüber mehr oder weniger gewagte Ilypothesen aufzustellen. Bezüglich der Angorakatze ist Pallas möglicherweise im Recht, wenn er die Entstehung dieser Rasse auf eine Einwirkung von Felis manul zurück- führt. Verschiedene Autoren leiten diese Rasse von Mittelasien her. In China kommen hängeohrige Katzen vor. Am geschätztesten ist bei ostasiatischen Völkern die Siamkatze: als Luxustier steht sie ziemlich hoch im Preise und wird auch häufig in Japan gehalten. Sie wird mir als geistig sehr begabt und ungemein zutraulich geschildert, man schätzt an ihr das grosse Geschick im Rattenfang. Die blendendweissen, frischgeworfenen Jungen sehen aus wie weisse Mäuse, es sind in der That Albinos mit roten Augen. Später verfärben sie sich, der Pelz wird silbergrau mit schwärz- lichem Gesicht; die Füsse, die Schwanz- und Ohrspitzen werden schwarz. Sind die Tiere ausgewachsen, so erscheinen die Augen vollkommen blau. Beachtenswert erscheint, dass auf den insularen Gebieten Ostasiens, so in Japan, auf Sumatra, dann auch auf der Halbinsel Malakka die Haus- katze immer häufiger stummelschwänzig wird; andere Exemplare haben einen längeren Schwanz, der knotig angeschwollen, geknickt oder sonst wie verbildet ist. An einem Skelett der japanesischen Stummelschwanzkatze, die im Balg schwanzlos erschien, zähle ich nur wenige (7) Schwanzwirbel, die im übrigen normal sind. Eine auffallende Parallele kennen wir in Europa seit langer Zeit, indem bekanntlich die Hauskatze der englischen Insel Man ebenfalls schwanzlos oder stummelschwänzig geworden ist. BEZENO VI. PRERDZEINDZESER: machen verstand, bilden die Hauspferde zwar nicht die aller- nützlichsten aber zweifellos die edelsten Glieder der zahmen I“ Fauna, während dem Esel immer etwas Proletarierartiges an- haftet. Die aristokratische Stellung des zahmen Pferdes ist übrigens schon durch seine palaeontologische Geschichte bedingt, indem sein sozusagen lückenloser Stammbaum von der Gegenwart an bis in die früheste Eozaenzeit zurückverfolgt werden konnte. Die Wiege des ganzen Geschlechtes liegt abseits von dem jetzigen Verbreitungsgebiet, in Nordamerika. Dort bergen die Tertiärschichten eine Fülle von Formen, deren ältere Entwicklungszustände tridactyle, tetra- dactyle und zuletzt pendadactyle Vorfahren aufweisen. Von seinem Ueber- schuss hat Nordamerika offenbar wiederholt Material an die alte Welt ab- gegeben. Vermutlich geschah die Ueberwanderung der leichtbeweglichen, für das Leben auf dem Boden angepassten Tiere auf einer lange Zeit hin- durch bestehenden Landbrücke, welche Nordamerika mit dem nördlichen Asien verband. In der ursprünglichen Heimat hat sich die Sippe bis zu der am Ende der Entwicklungsreihe stehenden Gattung Equus zu entwickeln vermocht und Ausläufer derselben bis nach Südamerika vorgeschoben; dann aber erlosch die ganze Pferdegruppe in Amerika in vorcolumbischer Zeit aus Gründen, die uns heute noch nicht völlig verständlich sind. Dagegen hat sich die altweltliche Kolonie unter Bildung von zahlreichen, bald edleren, bald weniger edlen Formen bis in die Gegenwart hinein im Wildzustande forterhalten — nicht ganz ungeschwächt, denn offenbar hat das Vordringen der menschlichen Kultur einzelne wilde Arten schon erheblich zurückgedrängt. Ein starker Bruchteil ist hier auch in den Hausstand übergetreten, was die Verbreitung derart begünstigte, dass die alte Welt von ihrem Pferde- überschuss an die neue Welt, wo ursprünglich das Pferd niemals gezähmt wurde, abgeben konnte ——- gleichsam als Gegenleistung für das frühere empfangene Wildmaterial. Gehen wir den ältesten Spuren unseres Haustieres auf europäischem Boden nach, so begegnen wir ihnen schon in prähistorischer Zeit, aber verhältnismässig spät. Den Bewohnern der ältesten schweizerischen Pfahl- dörfer scheint das Pferd noch nicht bekannt gewesen zu sein, in späteren Pferd und Esel. 89 Ansiedelungen aus derselben Periode sind nach Zlüätzmeyer Pferdereste noch spärlich vorhanden, so dass die Vermutung naheliegt, es seien Beute- stücke, welche mehr zufällig in den Bereich der Pfahlbauten gelangten. Auch ‚Studer giebt an, dass Pferderelikte erst in den Stationen der Bronzezeit häufiger werden. Dabei muss die bemerkenswerte Thatsache hervorgehoben werden, dass der anatomische Bau der Reste auf ein orientalisches Pferd hinweist. Nach /rank ist dies auch für dasjenige anzunehmen, das in den Pfahlbauten der Roseninsel im Starnbergersee aufgefunden wurde. Ein Pferdeschädel aus der römischen Kolonie Vindonissa, der sich in der zürcherischen Sammlung befindet, weist ebenfalls auf eine orientalische Ab- stammung hin. Alle Thatsachen sprechen dafür, dass nach Osten hin das massenhafte Auftreten des Hauspferdes sich sehr früh nachweisen lässt. Auf griechischem Boden spielte es schon eine Rolle zur Heroenzeit, Gefässbemalungen aus dem vorhistorischen Tiryns weisen Ross und Wagen auf, beides wohl aus dem phönizischen Kulturkreis übernommen. "T'hracien war schon zur homer- ischen Zeit rosseberühmt, in Macedonien wurden Züchtungen begründet aus der reichen Beute von Stuten, welche den Skythen abgenommen wurde. Thessalien betrieb eine starke Pferdezucht und antike Münzen aus Larissa lassen neben einem leichtgebauten zierlichen Schlag auch einen schweren Typus erkennen. Den Juden und Arabern fehlte ursprünglich das Pferd. Erst zu Salomos Zeit kam die Rossezucht stark in Aufschwung und die Araber leiten be- kanntlich ihre edlen Pferde der Abstammung nach von den Gestüten Salomos ab. Ich werde weiter unten zeigen, dass diese weit verbreitete Annahme unwahrscheinlich ist. Auf afrikanischem Boden erscheint das Pferd verhältnismässig spät. Die Aegyptologen haben längst darauf hin- gewiesen, dass während der ältesten Dynastien und auch noch während des mittleren Reiches das Pferd niemals abgebildet wird; es hat somit wirklich gefehlt. Erst mit der 18. Dynastie (etwa 1500 v. Chr.) begegnen wir demselben auf den ägyptischen Denkmälern. A. Zrmann bemerkt, dass seine Einführung in die dunkle Epoche zwischen dem mittleren und dem neuen Reich fällt. Von welchem vorderasiatischen Volke die Aegypter das Pferd übernommen haben, lässt sich zur Zeit nicht mit Sicherheit fest- stellen; dass es von den in jener Periode mächtigen Hyksos eingeführt wurde, steht keineswegs fest. Im neuen Reich gewann es rasch an Aus- dehnung. Die Tiere werden als braun dargestellt, einmal jedoch auch Schimmel abgebildet, der Körper ist leicht gebaut mit konkavem Profil und trockenem Gesicht des orientalischen Typus; sie wurden vor den Kriegswagen gespannt, aber auch zum Reiten benutzt. Auf einem thebanischen Gräberbild erscheint auch bereits das Kreuzungsprodukt mit dem früher schon im Hausstande gehaltenen Esel als Maulesel. Von allen alten Kulturkreisen steht offenbar das mesopotamische Gebiet 90 Die Abstammung der ältesten Haustiere. im Mittelpunkt der Pferdezucht. Kein Haustier wird in der altassyrischen Kunst so häufig dargestellt wie das Pferd, das bald als Reittier dient, vor dem Kriegswagen in der Schlacht verwendet oder bei der hohen Jagd mitgeführt wird. Wie weit dasselbe zeitlich bei den Babyloniern zurück- reicht, müssen künftige Funde im Zweistromland erst noch aufklären. In Assyrien, wo die Blüte der Kunst ganz unvermittelt und ohne Jugend- stadium auftritt, haben wir bereits edle und hochgezüchtete Rassen, als deren Abkömmlinge wir die heutigen reinblütigen Araberpferde ansehen dürfen. Die südlichen Semiten haben aus jener Region das Pferd über- nommen und weiter verbreitet. Frühzeitig scheint dasselbe nach |ndien vorgedrungen zu sein, indem es schon in den Vedas erwähnt wird. Alle die genannten historischen 'Thatsachen weisen auf eine asiatische Stammquelle der ältesten Hauspferde hin. In Mittelasien oder doch in einer davon nicht allzuweit entfernten Region hat man einen Hauptbildungsherd zu suchen, wobei wir nicht notwendig gerade Mesopotamien als solchen anzusehen haben, da auch mongolische Stämme frühzeitig in den Besitz des Pferdes gelangt sind. Es soll damit auch keineswegs einer monophy- letischen Abstammung das Wort geredet werden, da offenbar auch noch andere Regionen an der Erzeugung domestizierter Pferde beteiligt sind. “in Ueberblick über die heutigen Rassenbestände lässt im einzelnen weitgehende Unterschiede erkennen, die sich sowohl auf die Grösse wie auf den anatomischen Bau erstrecken. Zwischen dem schweren deutschen Karrenpferd und dem zwergartigen Pony der insularen Gebiete Europas und Asiens ist ein weiter Abstand, im Bau des Schädels und der Glied- massen besteht eine grosse Kluft zwischen dem zierlichen Pferd Arabiens und dem schwerfälligen germanischen Gaul. Der französische Zootechniker Sa2sor hat nicht weniger als acht Rassen- typen unterschieden,') die teils kurzköpfig oder brachycephal (Equus ca- ballus asiaticus, E. c. africanus, E. c. hibernicus, E. c. britannicus) sind, teils langköpfige oder dolichocephale Pferde aufweisen (Equus caballus germanicus, E. c. frisius, E. c. belgicus und E. c. sequanius). Weit zutreffender erscheint die Einteilung von Z. Zrank, welcher 1875 seine Untersuchungen veröffentlichte?) und nur zwei Hauptrassen — die orientalische Hauptrasse und die occidentale Hauptrasse — annimmt. Ich stimme ihr bei, weil sie phylogenetisch gut begründet werden kann. Der orzentalische oder arabische Typus ist dadurch charakterisiert, dass der Gehirnschädel sehr stark entwickelt ist, während der Gesichtsschädel zurücktritt, wodurch die Backzahnreihen verhältnismässig kurz werden und das Profil konkav erscheint, auch mehr gerade, niemals aber geramst ist. 1) Sanson. Traite de Zootechnie. 1874. ®) L. Frank. Ein Beitrag zur Rassekunde unserer Pferde. Landwirtschaftliche Jahr- bücher. Berlin. 1875. Pferd und Esel. 91 Das muskelarme Gesicht wird als trocken bezeichnet. Die Knochen besitzen bei geringer Massigkeit eine dichte Beschaffenheit, so dass die Gliedmassen grosse Festigkeit mit einem zierlichen Bau verbinden. Die Lendenwirbel sind kurz, zusammengedrängt. llierher gehören das arabische, persische, griechische, russische und ungarische Pferd, sowie das Pfahlbaupferd und die ostasiatischen Ponies. Der occzdentale oder norische Typus zeigt umgekehrt eine starke Ent- wicklung des Gesichtsschädels, während der Hirnschädel zurücktritt. Der Kopf ist also lang und schwer, häufig geramst d. h. mit konvexer Profil- linie. Die Backzahnreihe ist mehr in die Länge gezogen und die Schmelz- faltung der Marken komplizierter als beim orientalischen Pferd. Im Skelett fällt das Massige des Knochenbaues auf. Als Vertreter dieser Hauptrasse sind das schwere germanische Pferd, das flandrische und das alte Normannen- pferd, das Luxemburgerpferd anzusehen. Nach Zrank ist der dem Esel näher stehende orientalische Typus der ältere, der occidentale der jüngere; der erstere ist in seiner Reinheit auf weiten Gebieten erhalten geblieben, während der letztere durch Aufnahme von orientalischem Blut vielfach verwischt erscheint. Die beiden genannten Typen sind ihrer Abstammung nach zweifellos verschieden. Für die orientalischen Pferde muss ein asiatischer Ursprung angenommen werden, da sie nachweisbar in Afrika relativ spät erscheinen und im mittleren Europa erst zur Bronzezeit sich häufiger einzubürgern begannen. Asien besitzt Wildmaterial, an das sich anknüpfen lässt. Die einzelnen Arten desselben werden von den Autoren zum Teil zu hoch in der Zahl bemessen, da offenbar geographische Varietäten als gute Spezies ausgegeben wurden. Man wird die asiatischen Wildformen auf drei Spezies reduzieren dürfen. Unter diesen ist der mehr westliche Onager (Equus onager) als Stammform von Hauspferden ausgeschlossen, da er nach seinem Körperbau den Eseln zugerechnet werden muss. Der in den Steppen des südöstlichen Russland lebende „Tarpan‘, ein herrenloses Pferd mit anscheinendem Wildcharakter kann als Stammart ebenfalls nicht in Betracht kommen. Wir besitzen von Gmelin, Schatrlozw und Aadde nähere Angaben über den Tarpan; er wird von kleiner Statur geschildert, der Kopf ist ziemlich dick, die Färbung meist mäusegrau mit dunklem Rückenstreif. %. T7'scherski hat uns 1893 zuerst eine genaue anatomische Analyse des Schädels geliefert,.') aus welcher hervorgeht, dass der Tarpan der orientalischen Pferdegruppe zugerechnet werden muss, jedoch eigentümliche Verhältnisse aufweist, die eine Annäherung an das germanische Pferd dokumentieren. Der Schnauzenteil des Kopfskelettes ist auffallend kurz, der Hirnteil schmal, in seiner grössten Breite steht er jedenfalls unter 1) $. Tscherski. Wissenschaftliche Resultate der Neusibirischen Expedition. M&moires de l’Academie de St. Petersbourg. 1893. 92 Die Abstammung der ältesten Haustiere. dem Mittel der östlichen Gruppe. Mit dem postpliocaenen sibirischen Pferd steht der Tarpantypus in keiner engeren Beziehung und so dürften die russischen Naturforscher Recht behalten, wenn sie diesem angeblichen Wild- pferd gegenüber sich skeptisch verhalten und den Tarpan einfach als ver- wildertes Hauspferd ansehen. Beim Kulan (Equus hemionus), den Prem einst für den Stammvater des Hauspferdes erklären wollte, ist die Stirn zwar breit, aber der Schnauzenteil Fig. 27. Equus Przewalskii. (Nach W. Kobelt.) so extrem lang, dass der Facialindex selbst denjenigen der abendländischen Pferde erheblich übertrifft. Dieser Typus entfernt sich daher vom oriental- ischen Pferd viel zu sehr, als dass an eine verwandtschaftliche Beziehung, wie sie die Domestikation verlangt, gedacht werden kann. Dazu kommt noch der weitere Umstand, dass der Kulan sich nicht leicht zähmen lässt und wenn er auch jung aufgezogen anfänglich sich dem Menschen anzu- schliessen scheint, doch bald wieder in den wilden Charakter seiner Art zurückschlägt. Von besonderer Wichtigkeit wurde dagegen eine Entdeckung, die der russische Reisende Przewalskr 1879 in Innerasien machte. Während seines Aufenthaltes im Saisanschen Posten erhielt er das Fell und den Schädel eines wilden Pferdes, das die Kirgisen in der Sandwüste Kanabo erlegt hatten. Das Exemplar gelangte in den Besitz des Museum der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Petersburg und wurde von Pferd und Esel, 93 Poljakow unter dem Namen Equus Przewalskii als neue Art beschrieben. Hier handelt es sich nicht wie beim Tarpan um ein verwildertes Haus- pferd, sondern um eine ächte Wildform, die seither von Düchner in der Dsungarei wieder angetroffen wurde. Er hat 18599 zehn Fohlen eingebracht und in Südrussland akklimatisiert.') Das Przewalski’sche Pferd lebt in Herden von 5—15 Stück unter Anführung eines alten Hengstes, seine Statur ist klein, die Ohren kurz, die Mähne aufrecht stehend. Der Schweif ist nur in der unteren llälfte mit langen Haaren bewachsen. Die vorherrschende Färbung wird als weissgrau angegeben, die Beine werden vom Knie an bis zu den Hufen hinunter dunkel. 7'scherskz, welcher eine genaue Untersuchung des Originalschädels vornahm, hat betont, dass man es hier mit einem den echten Pferden zugehörigen Tier zu thun hat. Der Hirnteil erreicht eine Breite, die über dem Mittel der Vertreter orientalischer Pferde steht, die Stirnknochen er- scheinen flach; die Nasenbeine verschmälern sich langsam nach vorn, also nicht plötzlich wie beim Esel. Der Schädel steht seinem ganzen Bau nach demjenigen des russischen Pferdes am nächsten. Seither hat 7zeAomirof durch erneuerte Untersuchungen die Ueber- zeugung gewonnen, dass genanntes Wildpferd thatsächlich dem Hauspferd sehr nahe steht, aber zweifellos als Wildart, nicht als verwildertes Flaustier, angesehen werden muss. Wir haben somit in Equus Przewalskii, dessen Reste heute noch leben, früher aber wohl weit über Innerasien verbreitet waren, die Stammquelle der orientalischen Pferde zu erblicken. Ich kann diesem auf anatomischem Wege erlangten Resultat noch eine wichtige Bestätigung durch die Kunstgeschichte hinzufügen. Auf einer Marmorplatte, welche in Kujundschik im Palast des Assurbanipal (668 v. Chr.) gefunden wurde, wird eine Jagd auf Wildpferde als Basrelief dargestellt. Der assyrische Künstler hat hier eine Tierszene wiedergegeben, die an Naturtreue und Sorgfalt in der Ausführung den besten Leistungen der antiken Tierplastik an die Seite gestellt werden darf. Zwei kräftige Männer haben mit einem Lasso ein junges Pferd eingefangen, während zwei andere davongaloppieren. Dass es sich um ein Wildpferd handelt, beweist die aufrecht stehende Mähne. Dieses Pferd wird nun von den Archaeologen beharrlich als Wildesel Westasiens oder Onager bezeichnet, weil der Schwanz nur im unteren Teil lang behaart ist. Neuerdings noch hat @. de Mortillet diese Ansicht vorgebracht.’) Eine genauere zoologische Analyse wird uns die Unhaltbarkeit derselben sofort darthun. Der Bau des Tieres verrät die Zierlichkeit des orientalischen Pferdes. Die meister- haft modellierten Köpfe der drei Pferde haben durchaus nichts Eselähnliches, I) Zitiert nach W. Aodelt. Die Verbreitung der Tierwelt. 1901. 2) G. de Mortillet. Ovigine de la chasse, de la p@che et de l’Agriculture. Paris, 1890. Pag. 199. 94 Die Abstammung der ältesten Haustiere. sondern bringen mit ihrem konkaven Profil, dem trockenen Gesicht, den vorgewölbten Augen und kurzen Ohren den Charakter des edeln arabischen Pferdes in prägnanter Weise zum Ausdruck. Der Schwanz ist kein Esel- schwanz, dafür spricht schon seine Kürze; beim Onager ist nur das untere Drittel lang behaart, hier aber schon von der Mitte an. Nun bemerkt mir ein guter Pferdekenner, dass diese am Grunde kurze Behaarung ein Merkmal des edeln arabischen Blutes sei und bekanntlich findet es sich auch bei Pferden Sardiniens, wie Maltzan berichtet.') Dieser angebliche altassyrische Onager ist also in Wirklichkeit ein oRelL Füsst! Fir. 28. Assyrische Darstellung der Jagd auf Wildpferde. Palast des Assurbanipal in Kujundschik. 668 v. Chr. (British Museum.) ‘quus Przewalskii, vielleicht eine trockengesichtige Varietät desselben. Tiergeographisch ist es jedenfalls von Interesse, dass diese heute auf die Dsungarei zurückgedrängte Art im ersten vorchristlichen Jahrtausend auch in Mesopotamien heimisch war. Ich glaube, dass das vorliegende Kunstwerk auch Aufschluss über die Entstehung des edeln arabischen Pferdes giebt, das ja in der Koptbildung mit den assyrischen Figuren übereinstimmt. Der mesopotamische Kulturkreis mag von Norden her das zahme Pferd übernommen haben; aber von Zeit zu Zeit dürfte eine Blutauffrischung mit einheimischem Wildmaterial statt- I) Maltzan. Reise auf Sardinien. 1869, Pferd und Esel. 95 gefunden haben. Beachtenswerter scheint, dass das eingefangene junge Pferd ein Hengst ist. Daraus entstand wohl ein feuriger Stamm, der später von den Arabern noch veredelt wurde. Durchmustert man die altassyrischen Pferdebilder, so begegnet uns meistens ein sehr langschweifiges Pferd, daneben eine andere Rasse mit kurzem Schweif und nackter Rübe.') Die orientalische Rassengruppe des Hauspferdes ist, wie bei dem hohen Alter der Domestikation sich erwarten lässt, in der Gegenwart räumlich weit ausgebreitet. Innerasien und Flochasien sind die individuenreichsten Gebiete. Die mongolischen Schläge der Kalmücken und Kirgisen, im ganzen klein, aber sehr beweglich und ausdauernd, haben sich in neuerer Zeit bis zum Wald- gebiet Nordsibiriens verbreitet; im Osten sind sie nach China, Birma und Siam vorgedrungen, längst auch in Indien heimisch. In den feuchten Niederungen Südasiens vermag das Pferd sich nicht leicht zu behaupten. Auf den Inselgebieten z. B. in Java erscheint es in einer ponyartigen Form. In Japan wird gegenwärtig die ursprüngliche Rassezusammensetzung stark verwischt, in dem in jüngster Zeit europäische Pferde, namentlich Normänner-Schläge und ungarische Pferde in grösserer Zahl eingeführt wurden. Auf der Hauptinsel überwiegt immer noch der schwarze oder braune, ziemlich grosse Nambuschlag, im Süden der Insel fehlt das Pferd. Auf den kleineren Inseln trifft man ponyartige Tiere von 1'/, Meter Höhe an. Das dunkelbraune Pferd der Insel Jesso ist nach den mir zugegangenen Mitteilungen ein Abkömmling des mandschurischen Schlages; im Winter wird es nach den Bergen verbracht, wo es seine Nahrung unter dem Schnee hervorscharren muss. Westasien, die Kaukasusländer, Russland, Griechenland, Bulgarien, Siebenbürgen und Ungarn weisen überall orientalische Pferde auf, die dem innerasiatischen Schlag nahe stehen. Afrika hat seinen Pferdebestand Asien entlehnt. Die Einwanderung zu Beginn des zweiten vorchristlichen Jahr- tausends ins Nilthal wurde früher schon hervorgehoben. Gegenwärtig besitzt Aegypten einen nicht gerade sorgfältig gehalten, etwas ver- dorbenen arabischen Schlag. Die Berberschläge Nordafrikas haben sich in Südspanien eingebürgert und sind von da nach Mexiko gelangt. Ostafrika besitzt einen grossen Reichtum an zahmen Pferden edler Rasse. Die Somalistämme und Gallavölker haben für das Haustier keinen eigenen Namen, sie nennen es „faras‘ wie die Araber, was für die Ab- stammung bezeichnend ist. Das Somalipferd ist etwas grösser als der Araber, im übrigen durch den feinen Bau des Gesichtes und der Glieder ihm nahe verwandt. Schweif und Mähne sind lang, die Brust enorm ent- wickelt. Nach Süden reicht das orientalische Pferd bis in die Hochländer von Transvaal. Die ostafrikanischen Inseln Reunion und Mauritius haben !) Vrgl. Zayard. The monuments of Niniveh. 96 Die Abstammung der ältesten Haustiere. {früher meistes abessynische Pferde eingeführt. Madagaskar besitzt keine Pferde, da das feuchtwarme Klima dem an die Steppe gewöhnten Geschöpf nicht zusagt. Gehen wir der Herkunft der abendländischen Hauptrasse nach, so liegen jetzt bestimmte 'Thatsachen vor, welche auf einen europäischen Bildungs- herd schliessen lassen. An Wildmaterial hat es ja auch hier nicht gefehlt. In der Diluvialzeit besass Europa zwei Wildpferde, nämlich Equus caballus foss. und Equus hemionus (Halbesel oder Dschiggetai). Letztere Art war selten, reichte aber bis in die Nähe der Alpen, indem ihre Spuren in den prähistorischen Niederlassungen des schweizerischen Kantons Schaffhausen nachgewiesen werden konnten. /ehring' erwähnt das Vorkommen in Nord- und Mitteldeutschland. Der Halbesel hat sich längst nach dem inneren Asien zurückgezogen. Weit verbreiteter war Equus caballus im Wildzu- stande. Die massenhaften Pferdereste der prähistorischen Station Solutr& lassen vermuten, dass der Urbewohner Europas zum Zweck des Nahrungs- erwerbes Wildpferde gejagt hat. Nehring") fand bei Westeregeln in der Nähe von Magdeburg, Pferdeknochen mit Steppentieren vergesellschaftet, in den Lössablagerungen bei Remagen am Rhein kam das Skelett einer zehnjährigen Stute mit Resten von Bison und Moschusochs zum Vorschein ; als weitere Fundstellen sind 'Thiede bei Wolfenbüttel und die Lindenthaler Höhle bei Gera zu nennen. Dieses Diluvialpferd war ein schweres, mittel- grosses Pferd, das dem occidentalen Typus des germanischen Hauspferdes so nahe steht, dass wir es als den unmittelbaren Vorläufer des letzteren ansehen müssen. Dafür spricht neben dem Schädelbau auch die starke Fältelung des Schmelzbleches an den Halbmonden der oberen Backenzähne. Die Extremitäten sind sehr kräftig gebaut. Auch in Schweden sind Spuren eines Wildpferdes bemerkt worden, indem im November 1900 7%. A. Sjörgren bei Ingelstad einen Pferdeschädel aus der jüngeren Steinzeit aufland,’) in welchem noch eine Feuersteinwaffe, ein abgebrochenes Dolchblatt steckte. Das Alter des Pferdes dürfte auf zwei Jahre anzuschlagen sein und da man ein so junges Pferd, wäre es zahm gewesen, gewiss nicht geschlachtet hatte, so lässt dies auf eine Wild- form schliessen. Wahrscheinlich reichte die Art bis nach Sibirien, da F. Tschersk! an den diluvialen Resten Nordasiens Abweichungen von dem orientalischen Typus festgestellt hat.°) Die Wildpferde Europas haben noch weit in die historische Zeit hinein- gereicht. Selbst wenn wir den Angaben von Plinzras und ‚Strabo keinen 1!) A. Nehring. Fossile Pferde aus deutschen Diluvial-Ablagerungen und ihre Bezieh: ungen zu den lebenden Pferden. Landw. Jahrbücher. 1884. *) Zeitschrift „Globus“ vom 20. Juni 1901. ») $. Tscherski. Resultate der Neusibirischen Expedition, Pferd und Esel. 97 grossen Wert beimessen wollten, so haben wir doch eine spätere und be- stimmtere Angabe für das ostschweizerische Gebiet, indem von Zrkehard IV, Magister scholarum im Kloster St. Gallen das wilde Pferd in seinen Speise- segnungen aufgeführt wird (Sit feralis equi caro duleis in hac cruce Christi.!) Sein Fleisch kam also auf die Klostertafel der frommen Mönche. Nach Erasmus Stella kamen noch im Anfang des 16. Jahrhunderts wilde Pferde in Preussen vor und Zelisaeus Zösslin erwähnt das Wildpferd aus dem Wasgauischen Gebirge im Jahr 1593. Der Bewohner Europas hatte somit in seinem Wildstande genügendes Pferdematerial, um auf seinem Boden ein Haustier daraus zu erziehen. Es ist denkbar, dass das Andringen der älteren orientalischen Hauspferde den äusseren Anstoss dazu gab. Im Sinne von Nerring haben wir daher die schweren Schläge Mittel- europas als direkte Abkömmlinge des kräftig gebauten diluvialen Wild- pferdes, das noch in die historische Zeit hineinreicht, zu betrachten, während die östlichen, meist kleinen Pferde asiatischer Abstammung sind und aus dem heute noch in Hochasien lebenden Equus Przewalskii hervorgingen. Die abendländischen Pferde sind in der Gegenwart reinblütig nur auf einem beschränkten Areal anzutreffen, vielfach ist orientalisches Blut ein- geflossen. Ausgesprochen occidentalen Charakter besitzen die norischen Pferde in Salzburg, Tirol und Steiermark, den stärksten Schlag bildet das Pinzgauer Pferd; im weiteren werden hieher gerechnet das alte Normanner- Pferd, das flamländische Pferd, der Percheron-Schlag und das mächtige, englische Karrenpferd (Agricultural Horse). Weit früher als das Pferd dürfte der weniger edle Vetter, der Esel, in den Hausstand eingetreten sein, wobei er zunächst eng mit dem hamo- semitischen Kulturkreis verknüpft ist und über das Gebiet der Semiten und Hamiten hinaus eigentlich niemals die richtige Würdigung erfahren hat. Wohl hat er sich auch stark in Südeuropa eingebürgert, sank aber hier zur Karrikatur herab. Die ältesten Spuren zahmer Esel, die uns bisher bekannt geworden sind, lassen sich auf afrikanischem Boden nachweisen und reichen dort in die urägyptische Zeit zurück. Jedenfalls war der Esel vor der I. Dynastie im Nilthal Haustier geworden, da er schon in der Negadahzeit auf einer Schieterplatte abgebildet wird und zwar in Gesellschaft von zahmen Schafen und Rindern. Es ist die gewöhnliche Form des Haus- esels mit schwarzem Schulterkreuz, das auf allen Figuren deutlich erkennbar ist. Während des alten Pharaonenreiches dehnte sich die Zucht des Esels stark aus, sagt uns doch der Bericht eines Oberschreibers an seinen Herrn, dass dieser nicht weniger als 5023 Stück Vieh sein eigen nennen darf, darunter I) Ferdinand Keller. Benedictiones ad mensas Ekkehardi. Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich. III. Bd. 1847. 98 Die Abstammung der ältesten Haustiere. 760 Esel.!) In den ältesten Dynastien wird das Tier häufig dargestellt; es wurde als Lasttier sowie zum Dreschen auf der Tenne verwendet, dagegen als Reittier nicht in der Weise, dass der Aegypter sich auf seinen Rücken setzte, sondern so, dass ein Reitsessel zwischen zwei Eseln befestigt wurde, um darin die über Land reisende Person aufzunehmen. Im neuen Reich trat mit der Einführung des Pferdes die Bedeutung des Esels zurück. Die Juden kannten den Esel seit Abrahams Zeiten und hatten ihn wohl von den Aegyptern übernommen. In Südeuropa erscheint er schon frühzeitig, da er schon von Arzszoteles erwähnt wird und zu seiner Zeit stark verbreitet war. Mit Bezug auf die Abstammung der einzelnen, in Grösse, Färbung und Behaarung vielfach abweichenden Schläge bemerkt Darzrn: „Man kann nicht zweifeln, dass unsere domestizierten Tiere von einer einzigen Art, nämlich dem Asinus taeniopus abstammen*.?) Ich glaube indessen, dass wir auch hier eine diphyletische Abstammung anzunehmen haben. Für die kleineren Schläge ist die Herkunft vom ostafrikanischen Steppen- esel (Asinus taeniopus) zweifellos, dafür spricht nicht allein das bei vielen zahmen Tieren deutliche Schulterkreuz und die Bänderung an den Beinen, sondern auch die Kopfform und die übrigen körperlichen Proportionen. Im allgemeinen ist der Hausesel gegenüber der Wildform etwas kleiner im Wuchs, doch habe ich im Innern der Somaliländer Karawanenesel gesehen, die ihr an Grösse fast gleich kommen. Auch die Bänderung an den Beinen ist oft scharf ausgeprägt: bei einem Esel in der Umgebung von Massaua zählte ich sieben Beinstreifen. Der ostafrikanische Steppenesel, ein Uebergangsglied zwischen den afrikanischen Tigerpferden und den asiatischen Wildpferden, ist heute noch von Obernubien bis zum Kap Guardafui verbreitet. Nach mündlichen Mitteilungen von @. Schweinfurth kommt er sogar auf der Insel Sokotora vor, doch ist er dort möglicherweise nur verwildert. In Nubien habe ich von den Eingebornen von seinem Vorkommen gehört, in den Somaliländern sah ich mehrfach Trupps von sieben bis acht Stück, so schon in der Nähe von Bulhar, dann im Gebiet der Aulihan; die Tiere sind aber sehr scheu und werden nach den Aussagen der Eingebornen dort niemals eingefangen und gezähmt. Die Ilauptmasse der zahmen Esel, die ich unter dem Namen der Taeniopusschläge zusammenfassen möchte und zu denen auch der süd- europäische Esel gehört, ist jedenfalls afrzkanzschen Ursprungs. Da der Hausesel in Oberägypten schon vor der I. Dynastie nachweisbar ist, haben wir dort oder jedenfalls in der Nähe den ältesten Bildungsherd zu suchen. Weil der Neger von jeher den Esel abgelehnt hat, so waren es offenbar hamitische Volksstämme, wahrscheinlich die Vorfahren der heutigen Galla, welche die Zähmung des afrikanischen Steppenesels zuerst an die Hand genommen haben. I) A. Erman. Aegypten und ägyptisches Leben im Altertum. Pag. 586. ?) Ch. Darwin. Variieren der Tiere und Pflanzen im Zustande der Domestikation. Bd. I. Pferd und Esel. 99 Daneben existiert jedoch noch ein weszaszatzscher Bildungsherd. In der Litteratur finde ich vielfach eine schöngebaute, weisse Eselrasse er- wähnt, die mir mit den übrigen wenig gemeinsam zu haben scheint. Ich beobachtete dieselbe zum ersten Mal in Kairo. Es ist ein anmutiges, grosses Tier, das einem kleineren Araber in der Höhe nahekommt; die Haare sind kurz, dicht anliegend und von weisser oder isabellgelber Färbung, der esel- artige Kopf wird stolz getragen. Von dem störrischen Wesen, das allen Fig. 29, Aegyptischer Hausesel der Onager-Rasse. (Originalaufnahme). übrigen Eseln gemeinsam ist, besitzt diese Rasse nichts, sie ist im Gegen- teil sehr lenksam und wird von den vornehmen Damen in Kairo als Zelter benutzt. Nach mündlicher Mitteilung von John Sundberg, welcher als Konsul in Mesopotamien einige Jahre zugebracht hat, kommt diese schöne Rasse auch in Bagdad neben dem gewöhnlichen Lastesel häufig auf den Markt und wird dort mit 25 Pfund (etwa 700 Franken) per Stück bezahlt. Die besten Zuchten stammen aus Nedje in Zentralarabien. Es war mir nicht möglich, Schädelmaterial zu erlangen, allein der psychische Charakter, der Körperbau im allgemeinen und die Färbung lassen für mich keinen Zweifel übrig, dass diese edlen Esel vom westasiatischen Wildesel (Equus onager) abstammen und daher eine eigene Rasse bilden, die ich als Onager- Rasse bezeichnen möchte. STEETEREN VII. BDIEETAUSSCEDNEINE: Obschon zahme Schweine sehr früh in der Umgebung des Menschen erscheinen, haben sie unter dem Einfluss der Domestikation im ganzen doch weniger Umgestaltungen erlitten als andere Haustiere. Wie 7. von Nathusius an der Hand trefflicher Studien über die alt- weltlichen Rassen gezeigt hat, lassen sich, soweit es sich um ungekreuzte Tiere handelt, zwei Formenreihen unterscheiden, die im äusseren Habitus wie in osteologischen Merkmalen sehr beständige Eigentümlichkeiten auf- weisen. Im Schädel sind es namentlich die T'hränenbeine und der Verlauf der Backenzahnreihen, welche einerseits die Sus europaeus-Reihe, zu der die gegenwärtig immer mehr zurücktretenden Landschweine Mitteleuropas gehören, anderseits die Sus indieus-Reihe Ostasiens durch charakteristische Unterschiede auszeichnen. Die Sus indiceus-Formen sind übrigens nicht auf Süd- und Ost-Asien beschränkt, sondern auch über Oceanien und einen grossen Teil von Afrika verbreitet, sie greifen sogar auf ‘die romanischen Gebiete von Südeuropa hinüber. Wir werden nachweisen, dass die erwähnten beiden Formenreihen aut verschiedene Stammquellen zurückführbar sind. DAS AUFTRETEN DER SCHWEINE IN DER PRAEHISTORISCHEN ZEIT UND IN DEN AELTESTEN KULTURPERIODEN. Wir kennen Reste zahmer Schweine seit langer Zeit aus den schweizer- ischen Pfahlbauten ; sie repräsentieren eine Rasse, die vom mitteleuropäischen Landschwein und dem bei uns heimischen Wildschwein nicht unerheblich abweicht. Z. Aätimeyer hat daraus eine besondere Art, das Toorfschwein gemacht; er bemerkt in seiner „Fauna der Pfahlbauten*, (Sus palustris) dass in den ältesten Pfahldörfern das Schwein als Haustier fehlte, erst in den späteren Perioden des Steinalters Haustier wurde und dann in immer steigender Menge erscheint. Er glaubte anfänglich, dass neben dem ge- wöhnlichen Wildschwein in Europa noch eine zweite wilde Art lebte, die zuerst gezähmt wurde, die Toorfrasse lieferte und als wilde Form schon vor der historischen Zeit erlosch. Ihm war die Thatsache noch nicht bekannt, dass heute noch ein Torfschweinähnliches wildes Schwein, über das ich Die Hausschweine. 101 später noch einige Bemerkungen machen werde, im mediterranen Inselgebiet vorkommt. Der Widerspruch von Vazihuszus!) veranlasste Alätzmeyer später, von der ursprünglichen Annahme abzugehen, da ihm die nahen Beziehungen der T'orfschweine zu den asiatischen Hausschweinen nicht mehr entgehen konnten. Etwas später erscheint in den schweizerischen Pfahlbauten ein grösseres Hausschwein, das offenbar ein Abkömmling des gewöhnlichen Wildschweines Fig. 31. Fig. 30. Unterkiefer des Torfschweines aus der Schädel des Torfschweines von Lattringen. Pfalılbaute von Schaflis. (Nach 7. Otto.) (Nach F. Otto.) (Sus scrofa) ist und seinen kleineren Vorgänger allmählig zurückdrängt. Immerhin ist noch während der helvetisch-römischen Zeit das Tort- schwein in der Schweiz stark verbreitet ; von den in Vindonissa aufgefundenen Resten gehören ihm 23 Knochenrelikte an, während das europäische Land- schwein nur durch 10 Stücke vertreten war. In den norddeutschen Pfahlbauten und in den prähistorischen Resten aus Dänemark ist das Hausschwein ebenfalls aufgefunden worden. Während aber in den schweizerischen Pfahlbauten zwei Rassen vorkamen, scheint die echte Palustrisform im Norden zu fehlen, wenigstens hebt A. Nehring 1) Hermann von Nathusius. Vorstudien für Geschichte und Zucht der Haustiere zunächst am Schweineschädel. 1864. 102 Die Abstammung der ältesten Haustiere. als beachtenswert hervor. dass die von ihm untersuchten Schweinereste alle einem etwas kleinen Abkömmling des europäischen Wildschweines an- gehören (Sus scrofa nanus).') Auf asiatischem Boden muss das Auftreten von Hausschweinen sehr früh stattgefunden haben, da ja das prähistorische 'Tortschwein Europas enge verwandtschaftliche Beziehungen zu den zahmen Schweinen des ost- asiatischen Kulturkreises aufweist. In China kommen letztere nach der Ansicht der kompetentesten Sinologen schon seit Jahrtausenden vor, sie spielen noch in der Gegenwart eine wichtige Rolle im wirtschaftlichen Leben des äussersten Osten. Die weite Verbreitung der Sus indicus-Rassen Fig. 33. Fig. 32. Unterkiefer des Törfschweines aus Hinterschädel des Torfschweines aus Nindonissas der römischen Niederlassung Vindonissa. (Nach 4. Krämer.) (Nach 4. Krämer.) spricht wiederum für ein hohes Alter. Zukünftige prähistorische Nach- forschungen im östlichen Asien versprechen genauere Aufschlüsse. Die Zwischengebiete, welche zum Wohngebiet des alten Torfschweines Mitteleuropas führen, lassen die Wege erkennen, welche bei der Migration benutzt wurden. Im mesopotamischen Kulturkreis erscheint eine sehr getreue Darstellung des Schweines in Kujundschik, also aus der assyrischen Zeit. Das Bild lässt uns ein Mutterschwein mit Ferkeln erkennen. Zayard glaubt, dass es sich um ein wildes Tier (wild sow) handle,?) was keineswegs sicher ist; mir scheint vielmehr die Zeichnung für ein zahmes Schwein der Sus indicus-Rasse zu sprechen, da der feine Kopf verhältnismässig kurz erscheint. Dass in Aegypten zur Pharaonenzeit Hausschweine in grosser Zahl gehalten wurden, erfahren wir durch /erodot, der auf seinen Reisen in Aegypten sah, wie im Delta Schweine zum Einstampfen der Saat verwendet wurden. Im allgemeinen verachtete man jedoch diese Geschöpfe und wer sich mit ihrer Aufzucht befasste, durfte den Tempel nicht betreten. I) G. Nehring. Verhandlungen der Berliner anthrop. Gesellschaft. 1888. ®) 4. 4. Layard. Discoveries in Niniveh and Babylon. 1853. Pag. 109. Die Hausschweine. 103 Bildliche Darstellungen des altägyptischen Hausschweines finden sich in Theben aus der Zeit des neuen Reiches, doch ist die mehrfach ausge- sprochene Meinung, das Schwein sei erst seit der 18. Dynastie im Nilthal eingeführt worden, kaum zutreffend. A. Zrman') bemerkt, dass die Künstler der älteren Zeit das Schwein nie dargestellt haben. Das beweist natürlich noch keinesweges sein völliges Fehlen, da die religiöse Scheu die Künstler der älteren klassischen Zeit wahrscheinlich davon abhielt, das verachtete Tier abzubilden. Ich finde jedoch aus der allerältesten Zeit, nämlich aus der ersten Dynastie eine recht gute Umrisszeichnung des Schweines, das offenbar ge- mästet war und wie die indischen Schweine Stehohren besitzt. Das Bild ist in Oberägypten gefunden und von Alinders Petrie?) veröffentlicht worden. Das Vorkommen von angeblich wilden Schweinen in Sennaar und Kordofan mit nahen Beziehungen zu den asiatischen Schweinen erscheint damit in neuer Beleuchtung; es sind offenbar verwilderte Schweine aus der Pharaonenzeit. In Griechenland und besonders im alten Rom stand das Schwein im Ansehen höher als im Orient. Die Feinschmecker Roms schätzten sein Fleisch und die Suarii, die besonders von Sardinien aus den römischen Markt versorgten, erlangten zur Kaiserzeit besondere Rechte. Bildliche Darstellungen sind nicht selten. Das prächtige Basrelief des Forum Romanum führt uns eine kurzköpfige, sehr mastfähige Rasse mit gerundeten Formen vor, deren Beziehungen zum indischen Flausschwein nahegelegt wird, zumal das asiatische Blut noch heute im Hausschwein der römischen Campagna unverkennbar ist. In Herculanum wurde die gleiche Rasse zur Zeit des Untergangs gehalten; eine in Portici gefundene Bronze-Statuette bringt deren Merkmale sehr charakteristisch zum Ausdruck. DIE HEUTIGEN WILDSCHWEINE UND IHRE GEOGRAPHISCHE VERBREITUNG. Bei dem Versuch, die Stammquelle unserer Hausschweine zu ermitteln, ist eine kritische Betrachtung der bisher beschriebenen Wildschwein-Arten unerlässlich. Eine übereifrige Speziesmacherei hat die Nomenklatur ins Ungebührliche ausgedehnt und damit nur Verwirrung angerichtet. Da die Suiden-Gruppe geologisch aufgefasst ein hohes Alter besitzt, so darf es nicht überraschen, dass mit Ausnahme von Australien alle übrigen Erdteile Wildschweine besitzen, welche mehreren Gattungen angehören. Die amerikanischen Wildschweine entfernen sich ihrer dreihufigen Hinter- füsse wegen von der Stammgruppe am meisten, auch im Gebiss lässt sich eine starke Reduktion erkennen, da die Zahl der oberen Schneidezähne 1) 4. Erman. Aegypten und ägyptisches Leben im Altertum. 1885. 2) Flinders Petrie. The Royal Tombs. 1901. 104 Die Abstammung der ältesten Haustiere. nur vier beträgt und in jedem Kiefer nur sechs statt der ursprünglichen sieben Backenzähne vorhanden sind. Die amerikanischen Nabelschweine (Dicotyles) besitzen somit nur 38 Zähne nach der Formel Js @ : M = Das tropische Gebiet Afrikas beherbergt zwei eigentümliche Gattungen. Die Warzenschweine, ausgezeichnet durch eine grosse Wangenwarze, bilden die eine Gattung Phacochoerus. Die oberen Schneidezähne fallen bei ihnen meist früh aus, die Hauer sind gewaltig entwickelt und in jedem Kiefer sechs Backenzähne vorhanden. Die afrikanischen Flussschweine (Potamochoerus), die bis nach Madagaskar hinüberreichen, zeigen entweder sechs Backenzähne in jedem Kiefer oder die Zahl sinkt im Unterkiefer auf fünf herunter. Die Hirscheber (Babirussa) repräsentieren eine eigentümliche Schweineform, welche auf Celebes und einige nördliche Molukkeninseln beschränkt zu sein scheint, also dem Gebiet des malayischen Archipels an- gehört. Das Stammgebiss ist bei dieser Gattung am meisten reduziert, indem die Zahl der Backenzähne in jedem Kiefer auf fünf herabsinkt und oben nur vier Schneidezähne vorkommen. Nur die letzte Gattung Sus, deren Vertreter in Europa, Asien und Afrika wild leben, vermochte die ursprüngliche Zahl von 44 Zähnen zu er- halten und weist daher die Zahntormel |] - C ı M- auf. Sie umfasst die zahlreichsten Arten, unter denen man allerdings zu sichten genötigt is. Es sind folgende: l. Sus scrofa. Das europäische Wildschwein. Das Verbreitungsgebiet erstreckt sich über den Westen der alten Welt, nämlich über ganz Europa, Nordasien bis ins Amurland, Westasien und ganz Nord- afrika. Im Osten wird es von Tibet und dem Himalaja an durch andere Formen abgelöst. Sus eristalus. Indisches Schwein. Es lebt wild in Vorder- und Hinterindien. DD 3. Szs andamanensıs. Andamanenschwein. Als insulare Form auf die Andamanen im bengalischen Meere beschränkt. 4. Sus leucomystax. Weissbartschwein. In China und Japan heimisch. 5. Sus farvanııs. Auf der Insel Formosa. 6. Sas moupinens’s. Westliches China. 7. Sus salvianus. Zwwergartiges Schwein aus dem Himalaja-Gebiet. $. Sus villatus. Bindenschwein. Diese durch eine weisse, vom Unter- kiefer gegen den Hals verlaufende Binde charakterisierte Art lebt auf Java und Sumatra. 9. Sus papuensis. Papuaschwein. Auf Neuguinea. 10. Sus nzger. Schwarzschwein. Ebenfalls auf Neuguinea. 11. Sus Zzmorzensis. "Timorschwein. Auf der ]nsel Timor. barbatus. Bartschwein. Auf Borneo. 3 12. 5a, Sus longirostrrs. Langrüsselschwein. Auf Borneo und vielleicht auch auf Java. Die Hausschweine. 105 14. Sus verrucosus. Warzenschwein. Auf Java. 15. Sus celebensis. Kelebesschwein. Auf Celebes und einzelnen Mo- lukkeninseln. 16. Sus Phelippinensis. Philippinenschwein. Auf Luzon und Mindanao. 17. Sus sennaartens’s. Sennaarschwein. Im Sudan, in Sennaar und Kordofan. Wie man aus dieser Liste ersieht, weist der Westen der alten Welt nur eine einzige Art auf, während Ostasien, Südasien nebst dem indo- australischen Archipel eine ungebührlich hohe Zahl der bisher beschriebenen Arten beherbergt. Die vielen insularen Spezies müssen von vornherein den Verdacht erwecken, dass es sich vielfach nur um Lokalformen handeln kann. Seitdem die asiatischen Suiden anatomisch etwas besser durchgearbeitet sind, muss in der T'hat die Zahl der Arten erheblich eingeschränkt werden. Schon Mathuszus fand sich veranlasst, die Zersplitterung der asiatischen Spezies zu rügen. Später haben Z/. /ätimeyer') und @. /ollestone?) gleich- zeitig und unabhängig an der. Hand von Schädelanalysen die Notwendigkeit dargethan, eine Reihe von Spezies zusammenzuziehen. Zunächst repräsentieren die festländischen Wildschweine im östlichen und südlichen Asien, dann auch auf der dem Kontinent zunächst angelagerten Inselwelt einen einheitlichen Typus, den man jetzt ziemlich allgemein unter dem Speziesnamen Sus vrtiatus zusammenfasst. Diese Bezeichnung ist wohl die zutreffendste, da den meisten Formen eine von der Wange. oder den Kiefern nach dem Halse verlaufende weisse Binde zukommt. Züätzmeyer betrachtet diese Kieferbinde als ein Ueberbleibsel der „Livree“, welche bekanntlich den Frischlingen eigentümlich ist, aber beim europäischen Wild- schwein später ganz verloren geht. Dieses kann daher als moderner Typus aufgefasst werden, während die östliche Sus vittatus-Reihe der primitivere ist. Auf Grund von sehr sorgfältigen Untersuchungen des Suidengebisses ist 4. @. Stehlim®) ebenfalls zu dem Resultat gelangt, dass die Binden- schweine einen mehr „altmodigen“ Charakter besitzen und ihre jüngste Erscheinungsform in dem zwergartigen Sus salvianus (Porcula salviana) vorliegt. Der Sus vittatus-Typus, in Japan und Formosa in Lokalformen eben- falls heimisch, reicht im Archipel östlich nur bis Java und wird darüber hinaus von den Verrucosus-Schweinen abgelöst. Bei allen Vertretern der Vittatus-Gruppe erscheint der Schädel im Vergleich zum europäischen Wild- schwein relativ kürzer, höher und breiter; das T'hränenbein ist viel kürzer als bei Sus scrofa und nähert sich der quadratischen Form. Diese Merk- I) Z. Rütimeyer. Einige weitere Beiträge über das zahme Schwein und das Hausrind. Verhandl. d. nat. Ges. in Basel. 1878. 2) G. Rollestone. On the Domestic Pig. Transactions of the Linnean Society of London. 2 Series, Zoology. Vol. l. 3) 7. G. Stehlin. Ueber die Geschichte des Suidengebisses. Abhandlung d. schweiz. palaeontolog. Gesellschaft. 1899. 106 Die Abstammung der ältesten Haustiere. male sind S. cristatus, leucomystax, taivanıs, andamanensis, moupinensis gemeinsam, so dass wir in ihnen keine selbständigen Spezies erkennen können, sondern lediglich lokale Formen von Sus vittatus. Anders liegt die Sache bei der Verrucosus-Gruppe. Hier erscheint der Schädel auffallend gestreckt, die Beschaffenheit des Gebisses entfernt sich sowohl von derjenigen des europäischen Wildschweines wie des asiatischen Bindenschweines. Die näheren Belege für den abweichenden Zahnbau hat II. @. Stehlin zusammengestellt. Von äusseren Kennzeichen sind die Ge- sichtswarzen hervorzuheben. Diese Gruppe ist von Java an im östlichen Teil des indo-australischen Archipels heimisch; die drei bis vier haltbaren Arten (Sus verrucosus, barbatus, longirostris, celebensis) bewohnen neben Java auch Borneo, die Philippinen, Celebes und die Molukken. Nähert man sich dem australischen Teil der grossen Inselwelt, so be- gegnet man wilden Schweinen, welche wiederum in den Sus vittatus-Kreis hinein gehören. Von der Insel Timor wird Sus timoriensis als besondere Art erwähnt, auf Neuguinea sollen sogar zwei Wildschweine heimisch sein, indem neben dem Papuaschwein (Sus papuensis) von Z/znsch noch das Schwarzschwein (Sus niger) als neue Art beschrieben wurde. &s ist sehr bezeichnend für den Scharfblick von Aathuszus, dass er schon vor bald 40 Jahren sich den Wildschweinen von Neuguinea gegen- über sehr skeptisch verhielt und in demselben ein verwildertes Hausschwein vermutete. Spätere Autoren, 7. /tätimeyer ausgenommen, wollten die sten Zeit tritt 7. @. Stehlin wieder mit aller Entschiedenheit für die Auffassung von /Vathuszus und Frage noch offen lassen und erst in der jüng Jeülimeyer ein, dass das Papuaschwein verwildert sei.!) Ich stimme aus ethnologischen und tiergeographischen Gründen vollkommen bei. Alle neueren Reisenden berichten übereinstimmend, dass im Papuagebiet die Hausschweine eine so freie Lebensweise führen, dass es geradezu wunderbar wäre, wenn einzelne Tiere nicht verwildern würden. Herrscht doch in manchen papuanischen Dörfern noch der Brauch, die zahmen Schweine zu blenden, damit sie nicht weglaufen. Dass Sus papuensis, S. niger und S. timoriensis als völlig unberechtigte Arten aus der Liste der Wildschweine zu streichen sind, geht auch aus tiergeographischen Gründen hervor. Das Vorkommen von Huftieren in der australischen Region, der ursprünglich alle placentalen Säugetiere fehlen, muss von vorneherein verdächtig erscheinen. Es müsste die Wanderung auf Landbrücken erfolgt sein, die noch in neuerer geologischer Zeit vor- handen waren. Es gab nun in der That solche Brücken, wie Paul und Fritz Sarasin nachgewiesen haben.) Der indo-australische Archipel ist nicht, wie man bisher mit Salomon Müller und Wallace allgemein annahm, TH G. Stekln. Joe. cit. °) Paul und Fritz Sarasin. Ueber die geologische Geschichte der Insel Celebes auf Grund der Tierverbreitung. 1901. Das Hausschwein. 107 das Trümmerfeld eines alten Kontinentes, sondern eine verhältnismässig junge Bildung. Noch zur Eocaenzeit bestand dort ein weites, offenes Meer, aus welchem sich während der Miocaenzeit einzelne insulare Gebiete empor- zuheben begannen. Aber erst während der jungtertiären Zeit, d. h. in der Pliocaenzeit war die Hebung soweit fortgeschritten, dass von Asien her ausgedehnte Landbrücken nach den einzelnen Inselgebieten führten; sie wurden dann zu Beginn der diluvialen Periode wieder unterbrochen. Auf diesen jungtertiären Landbrücken wanderten aber von Asien her die Sus vittatus-Wildschweine nur bis Java, darüber hinaus kamen sie nicht, während dagegen die Verrucosus-Schweine, die nie gezähmt wurden, noch einen weitern Vorstoss machten und nach Borneo, Celebes, den Philippinen und den nördlichen Molukken vordrangen. Gäbe es auf Neuguinea echte Wildschweine, so könnten sie nur der Verrucosusgruppe angehören. Da sie aber dem Vittatus-Kreis aus anatomischen Gründen zugewiesen wurden, so sind die Schweine Neuguineas erst durch den Menschen als zahme (Ge- schöpfe eingeführt worden und später teilweise in den wilden Zustand zurückgekehrt. Aehnlich liegen die Verhältnisse beim Sennaarschwein (Sus sennaariensis). Diese angebliche, von Zrtzinger aufgestellte Wildschweinart steht nach den vorliegenden anatomischen Untersuchungen im Schädelbau der Sus vittatus- Gruppe ganz nahe. Es ist nun schwer verständlich, warum diese Wild- kolonie so isoliert im Innern Östafrikas auftauchen sollte, während ja die Bindenschweine in Vorderindien ihre westliche Grenze erreichen. Z. Zätz- meyer hat daher bezweifelt, dass hier eine echte Wildform vorliege') und ich kann sie nur für verwilderte Schweine ansehen, denn nachweisbar ge- langte die asiatische Rasse des Hausschweines in prähistorischer Zeit nach Europa und nach Afrika, wo wir schon aus der I. Dynastie den Nach- weis seiner Gegenwart im Nilthal erhalten haben. Abgesehen davon, dass später der eindringende Islam das Hausschwein zurückdrängen musste, konnte während der langen Zeit, die seit der I. Dynastie verfloss, unter den primitiven Wirtschaftsverhältnissen Oberägyptens recht oft eine Rück- kehr des zahmen Schweines zum Wildleben erfolgen. Das gleiche Phaenomen hat sich ja, wiederum zum Teil unterstützt durch islamitische Einflüsse, auf einem viel näher liegenden Gebiet abgespielt, nämlich auf der Insel Sardinien. Ueber die auf dieser Insel lebenden wilden Schweine habe ich vor einiger Zeit versucht, etwas mehr Klarheit zu verbreiten.) Die Angaben einzelner Autoren lauteten widersprechend, indem Zorsy/h Major das Wild- schwein Sardiniens als nahe verwandt mit Sus vittatus erklärte, während =) A. Nehring umgekehrt behauptet,’) dass in demselben eine kleine Insel- 1) Rütimeyer. Einige weitere Beiträgeüber das zahme Schwein etc. 1878. Sep.-Abdr. Pag. 27. 2) C. Keller. Verwilderte Haustiere in Sardinien. Globus. 1899, 3) A. Nehring. Zoologische Einleitung in Aorde’s Schweinezucht. 4. Aufl. 108 Die Abstammung der ältesten Haustiere. rasse des europäischen Wildschweines (Sus scrofa) vorliege. Eigentlich haben beide Autoren bis zu einem gewissen Grade Recht. Da mir eine sehr zuverlässige Quelle in Sardinien zu Gebote stand, verschaffte ich mir Schädelmaterial und erhielt dabei die bestimmte Aufklärung, dass in Sar- dinien zwei verschiedene Wildschweine vorkommen. Die drei eingesandten Schädel, nunmehr der zürcherischen Sammlung einverleibt, bestätigten dies. Der grösste Schädel mit allen Kennzeichen der Wildform gehört einem ausgewachsenen Keiler von Sus scrofa an. Die Profillänge beträgt 37 Centimeter und die Grösse kann also nicht viel gegen einen Keiler aus dem schweizerischen Jura zurückstehen, bei dem ich die Profillänge zu 40 Centimeter bestimmt habe. Das lange und schmale 'T’hränenbein lässt über die Artzugehörigkeit keine Zweifel aufkommen. Die beiden andern Schädel sind kleiner, bei dem männlichen Schädel mit zierlichen Hauern misst die Profillänge 28 Centimeter, beim weiblichen nur 27 Centimeter. Die Abnutzung der Zähne lässt auf völlig ausgewachsene Tiere schliessen. Die schiefe Stellung der Hinterhauptsschuppe und die relativ kräftigen Muskelleisten scheinen zwar für ein echtes Wildschwein Europas zu sprechen, aber die nahezu quadratischen T'hränenbeine und die dicke Schmelzlage der Backenzähne erinnern an die asiatischen Schweine. Die beiden Schädel gewähren trotz ihrer Rleinheit vollkommen das Bild von Sus vittatus. Wenn diese kleinen Sardenschweine auch nach ihrer Lebensweise als Wildschweine aufgefasst wurden, so ist doch die Gegenwart einer so weit nach Westen vorgeschobenen Kolonie des Bindenschweines nicht anzunehmen, zumal Zwischenstationen fehlen. Da dort wie in ganz Südeuropa die romanischen Schweine als Haustier gehalten werden und diese Rasse vorwiegend asiatisches Blut enthält, so handelt es sich beim kleineren Wildschwein wohl nur um ein verwildertes Tier. Es sind im Laufe der Geschichte so viele Stürme über die Bevölkerung hinweggegangen und namentlich auch arabische Einflüsse thätig gewesen, dass ein Ver- wildern des Hausschweines ganz natürlich erscheint. Sin ähnlicher Vorgang scheint sich an der nordafrikanischen Küste in Tunis abgespielt zu haben, indem nach den Untersuchungen von /. Otto der Schädel des tunesischen Wildschweines (in Wirklichkeit nur verwildert) den Charakter von Sus vittatus besitzt.!) DIE ABSTAMMUNGSVERHAELTNISSE DER HAUSSCHWEINE. Die Beziehungen der zahmen Schweine-Rassen zu den Wildformen sind gegenwärtig in befriegender Weise aufgeklärt. Zieht man diejenigen Organe, welche sich durch grosse Beständigkeit auszeichnen, also vorab ') Friedrich Otto. Osteologische Studien zur Geschichte des Torfschweines. Revue suisse de Zoologie. 1901. Die Hausschweine. 109 den Schädel und die Bezahmung zu Rate, so muss die Stammform bei der Gattung Sus gesucht werden. Alle anderen Gattungen kommen nicht in Betracht und es liegen zur Zeit keinerlei Anhaltspunkte vor, dass die- selben auch nur lokal Blut auf zahme Schweine vererbt haben. Die Gattung Sus ist auf die alte Welt beschränkt, was einen deutlichen Hinweis auf das Gebiet der ältesten Domestikation abgiebt. Vergleicht man ihre einzelnen wilden Vertreter mit den domestizierten Formen, so ergeben sich bezüglich des Schädelbaues gewisse Abweichungen, die zunächst mit stammesgeschichtlichen Fragen nichts zu thun haben, sondern aus rein mechanischen Gründen erklärbar sind. Dahin gehört die bei allen Hausschweinen vorkommende Verschwäch- lichung der Eckzähne, die Abnahme der Dicke der Lamina vitrea an den flachen Schädelknochen sowie die weniger rauhe Beschaffenheit der Ober- fläche. Aber auch die Gsesamtgestalt des Schädels hat Umbildungen er- fahren. Die fächerförmige Schuppe des Hinterhauptbeines ist nicht mehr wie beim Wildschwein nach hinten gerichtet, sondern steigt mehr oder weniger senkrecht empor oder ist in extremen Zuchtresultaten nach vorn geneigt, so dass der höchste Punkt des Hinterhauptskammes vor das Hinter- hauptsloch zu liegen kommt. Damit richten sich auch Stirn- und Scheitel- gegend nach oben, wodurch die Gegend zwischen Stirn und Nase eine Einknickung erfährt. Beim Wildschwein ist das Profil stets gerade, weil beim Wühlen im Boden Rüssel und Hauer angestemmt werden und die kräftige Nackenmuskulates am Hinterhaupt einen starken Zug ausübt. Bei dem in den Stall gebannten Tiere hört mit dem Wühlen auch der Zug am Hinterkopf auf, die Verlagerung der nicht mehr in Mitleidenschaft gezogenen Knochen bedingt eine Annäherung an die Verhältnisse des jugendlichen Schädels. Nur da, wo dem zahmen Schwein die Freiheit der Bewegung gestattet wird, wie z. B. auf den ostasiatischen Inseln, ist das Profil nur wenig geknickt. Auch die Torfschweine der Pfahldörfer weisen ein ziemlich gerades Profil auf, woraus wir schliessen müssen, dass deren prähistorische Bewohner ihre Tiere ziemlich frei herumlaufen liessen. Handelt es sich bei diesen Veränderungen um Erscheinungen allge- meiner Natur, so lassen sich innerhalb des Formenkreises zahmer Schweine reiner Rasse zwei scharf getrennte Reihen unterscheiden, die beständige osteologische Unterschiede aufweisen. /7. von NVathusius hat 1564 in seinen „Vorstudien“ zuerst in überzeugender Weise den Nachweis geleistet, dass diese Unterschiede einen phyletischen Hintergrund haben, da der Gegensatz unvermittelt erscheint. Bei den asiatischen Schweinen (Sus indicus-Reihe) ist der Schädel ver- hältnismässig kurz, breit und hoch; die 'Thränenbeine sind kurz und hoch, nähern sich also der quadratischen Form; der knöcherne Gaumen erscheint nach vorn verbreitert, so dass die vorderen Backenzähne stark auseinander gedrängt werden, die Zahnreihen also divergierend sind. 110 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Bei den europäischen Hausschweinen oder Landschweinen (Sus europaeus- Reihe) bleibt der Schädel im Vergleich mit asiatischen FHausschweinen niedrig, schmal und langgestreckt: das Thränenbein ist lang und niedrig, also mehr rechteckig, der knöcherne Gaumen nach von nicht verbreitert, so dass die Backenzahnreihen annähernd parallel sind. Dass im Laufe der Zeit vielfach Kreuzungsprodukte entstanden, braucht kaum hervorgehoben zu werden. Schon aus der prähistorischen Zeit sind Spuren derselben bekannt geworden. Bei phylogenetischen Erörterungen bleiben solche Mittelformen zunächst ausgeschlossen. ABSTAMMUNG DER SUS EUROPAEUS-REIHE. Genetisch genommen, ist das europärsche Hausschwein, das sogenannte Landschzwern jüngeren Datums als das asiatische Hausschwein, dennoch stellen wir es hier voraus, weil sein Bildungsherd uns räumlich am nächsten liegt. Die primitiveren Schläge sind kurzohrig, daneben kommen auch grossohrige vor; ihr Borstenkleid ist schlicht; der hochbeinige Körper seitlich etwas zusammengedrückt; besonders charakteristisch erscheint der scharf- grätige Rücken (Karpfenrücken). Gegenwärtig sind die einst im mittleren und nördlichen Europa vor- herrschenden Landschweine auf der ganzen Linie im Rückgang begriffen, in der Schweiz beispielsweise nur noch in wenigen Zuchten rein erhalten, häufiger dagegen in Süddeutschland. FH. von Nathusius hat aut Grund vergleichend-osteologischer Unter- suchungen nachgewiesen, dass alle Sus europaeus-Schläge von unserm ge- meinen Wildschwein (Sus scrofa) abstammen, das in ganz Europa, Nord- afrika und Westasien heimisch ist. Der Schädelbau im ganzen genommen, die Form der T'hränenbeine, der Verlauf der Backenzahnreihen zeigen eine so vollkommene Uebereinstimmung, dass jeder Zweifel ausgeschlossen er- scheint. Der Kopf des wildschweinähnlichen Hausschweines ist zwar gegen- über der Wildform breiter und höher geworden, die Stellung der Hinter- hauptschuppe so, dass der Occipitalkamm vor das Hinterhauptsloch gelagert wird, was aber lediglich eine Wirkung der Domestikation ist. Binen ganz direkten Beweis für die Abstammung der alten Landschweine von unserem europäischen Wildschwein darf man in gewissen Rückschlags- erscheinungen der Ferkel erblicken. Bekanntlich besitzen die Frischlinge unseres Wildschweins eine Livree d. h. sie sind längs gestreift; sie geht freilich nach einigen Monaten verloren. Es ist bisher nicht beobachtet worden, dass Ferkel asiatischer Hausschweine gelegentlich gestreift sind, dagegen zeigen die Ferkel reinrassiger Landschweine zuweilen in den ersten Monaten eine mehr oder minder deutliche Livree. Die Sache ist bestritten worden und ‚Sa2sor, der unser Wildschwein gar nicht als Stammform irgend fe} Die Hausschweine. 111 welcher zahmen Schweineformen anerkennen will,') in seiner Beweisführung jedoch sehr anfechtbar ist, behauptet, dass die Streifung neugeborner Schweine in Frankreich nie zu seiner Kenntnis gelangt sei. Dagegen giebt Nehring: an,?) dass in Norddeutschland und Russland früher, als die Landrassen noch verbreiteter waren, neugeborne Ferkel häufig gestreift erschienen. Dies wird mir von einem erfahrenen norddeutschen Beobachter bestätigt und ich konnte unlängst sogar an einem Kreuzungsprodukt die Richtigkeit der T'hatsache feststellen. In der Nähe von Zürich erhielt ein Züchter einen Fig. 54. Gestreifte Ferkel des Hausschweines aus einer Zucht bei Zürich. Wurf Ferkel von’ einem Landschwein, das mit einem Yorkshire-Eber ge- kreuzt wurde und darunter befanden sich zwei Exemplare mit deutlicher Livree. Eines davon ist für die zürcherische landwirtschaftliche Sammlung erworben worden. Der Anstoss zur Zähmung des Wildschweines erfolgte offenbar in der jüngeren Steinzeit im mittleren und nördlichen Europa, als die Viehzucht ihren ersten Aufschwung nahm. In den schweizerischen Pfahlbauten be- gegnet man anfänglich nur dem eingewanderten Torfschwein, in der jüngeren Steinzeit erscheint dann das gezähmte Wildschwein nach den unlängst 1) Sanson. Sur la pretendue transformation du sanglier au cochon domestique. Compt. Rend. de l’Acad. d. Science. 1866. ?) A. Nehring. Deutsche landw. Presse. Dez. 1889, 112 Die Abstammung der ältesten Haustiere. veröffentlichten Untersuchungen von Zrzedrzch Otto!) am Bielersee in den Stationen Lattringen, Lüscherz und Sutz in immer steigender Menge. Die Gewinnung des neuen Haustieres war wohl nicht allzuschwer, da die wilden Ferkel sich unschwer zähmen lassen. Ihr Erwerb war auch dadurch erleichtert, dass sie überall zahlreich vorkamen. Von der Häufigkeit der Wildschweine kann man sich eine ungefähre Vorstellung machen, wenn man erfährt, dass noch im 18. Jahrhundert in Württemberg auf einer einzigen Jagd 2600 Sauen eingefangen wurden und die sächsischen Kurfürsten von 1611-1680 über 50,000 Stück Schwarzwild erlegten. In Norddeutschland und Dänemark scheint ursprünglich das T'orfschwein gefehlt zu haben und nur das europäische Blut gehalten worden zu sein. Die prähistorischen Knochenreste weisen auf eine sehr kleine Rasse hin. DIE ABSTAMMUNG DER SUS INDICUS-REIHE. Die räumliche Ausdehnung asiatischer Hausschweine ist eine sehr grosse, indem sie nicht nur die grossen Erdräume Asiens, besonders im Süden und Osten, erfüllen, sondern in Oceanien und Afrika heimisch sind, sich auch seit alter Zeit in Südeuropa eingebürgert haben und gegenwärtig das alte Landschwein aus seinem bisherigen Wohnsitz verdrängen. Offenbar sind die hieher gehörenden Rassen älter als unsere wildschweinähnlichen Land- schweine, daher auch durch künstliche Züchtung stärker umgebildet. In der äusseren Erscheinung lassen sich charakteristische Züge herausfinden. Der Rumpf ist verhältnismässig tief gestellt, die Rippen stark gewölbt, so dass der Querdurchmesser der Brust dem senkrechten Durchmesser gleich- kommt. Der Rücken erscheint schön gerundet, die Kreuzgegend breit. Der Kopf ist ausgezeichnet durch eine hohe Stirn und kurzen Rüssel, welcher bei extremen Kulturformen sich aufstülpt und an der Basis einge- knickt wird. Die Ohren sind kurz und aufrecht stehend, man kennt aber auch grossohrige und hängeohrige Schläge. Der Schädelbau zeigt so konstante Abweichungen vom europäischen Wildschwein und dessen zahmen Abkömmlingen, dass an engere Verwandt- schaft nicht zu denken ist. Nathuszus wies in seinen „Vorstudien“ darauf hin, dass die nach vorn verbreiterte Gaumenplatte, die bei einzelnen Kultur- Rassen sogar konvex nach unten gebogen ist, ferner der Zahnbau und die nach vorn divergierenden Backenzahnreihen, namentlich auch die kurze, quadratische Form des T'hränenbeins das asiatische Bindenschwein (Sus vittatus) als Stammquelle vermuten lassen. Z. Aützimeyer hat später diese Annahme durch neue Belege gestützt. Nimmt man hinzu, dass bei der so häufig eingetretenen Verwilderung asiatischer Schweine der Schädel wieder vollkommen zur Form von Sus vittatus zurückkehren kann (wie ich z. B. !) Friedrich Otto. Osteologische Studien zur Geschichte des Toorfschweines. Revue Suisse de zoologie. 1901. Die Hausschweine. ınlE: dies an verwilderten Schweinen Sardiniens nachgewiesen habe), so erscheint die Abstammung vom asiatischen Bindenschwein (im weiteren Sinne) völlig gesichert und daher auch von den meisten Autoren angenommen. Neben tiergeographischen Thhatsachen sind es auch ethnologische Momente, die den ältesten Bildungsherd dieses zahmen Tieres im Südosten Asiens Fig. 35. Schädel von Sus vittatus aus Sumatra, (Nach 7. Otto.) Fig. 36. Schädel des Hausschweines von Sumatra. (Nach F. Otto.) vermuten lassen. Mehr können wir mit Sicherheit nicht aussagen, bevor die Urgeschichte Ostasiens nähere Aufklärungen bringt. In jenen Gebieten scheinen gegenwärtig zahlreiche Schläge vorzukommen. Die originellste Form bildet das sogenannte japanische Maskenschwein, für welches Gray ganz unnötigerweise den Namen Sus pliciceps geschaffen hat. Ausgezeichnet durch dicke Gesichtsfalten und sehr lange hängende Ohren,!) ist dieses sonderbare Kulturprodukt 1861 in Europa eingeführt worden und bürgerte sich in den zoologischen Gärten ein. Angeblich stammt 1) Eine gute Abbildung des Kopfes giebt Darwiz in seinem bekannten Werk über das „Variieren der Tiere und Pflanzen.“ [es 114 Die Abstammung der ältesten Haustiere. es aus Japan, doch möchte ich meine Zweifel an der Richtigkeit der An- gaben des Importeurs (des Tierhändlers Jamrach) aussprechen. Die Schweine- zucht hat wohl in Siam und China, nicht aber in Japan eine hohe Stufe erreicht. Meines Wissens werden zur Zeit einzig und allein in der Provinz Kangoschima chinesische Schweine gehalten. Herr Yanson, der als Zoo- techniker im Dienste der japanesischen Regierung Jahre hindurch sich grosse Erfahrungen sammeln konnte, versicherte mir, dass er in Japan niemals etwas von Maskenschweinen gehört habe. Nach den Untersuchungen von /Vathuszus') ist Sus pliciceps hinsichtlich der Schädelbeschaffenheit eine dem kurzohrigen chinesischen Hausschwein sehr nahestehende Form. Asiatisches Blut enthalten neben den hochgezüchteten englischen Kultur- rassen die Hausschweine Südeuropas. Das sogenannte Zrause Schwerin im südöstlichen Europa zeigt nach Nathuszus im Schädel eine Verbreiterung des Gaumens zwischen den Praemolaren und sehr kurze Thränenbeine, ist also dem indischen Schwein ähnlich. Dasselbe gilt für das romanzsche Schzwern, welches in ganz Italien, Spanien und Portugal gehalten wird, das aber im Laufe der Zeit vielfach Blut von Sus europaeus aufgenommen haben dürfte. Sein Wohngebiet erstreckt sich auch über einzelne Gebirgskantone der Schweiz. Das alte Bündnerschwein vermochte sich wohl am reinsten zu erhalten, auch um das Gotthardmassiv herum, im Tessin und oberen Wallis wiegt das indische Blut vor; in den südlichen Thälern des Wallis wird ein schwarzes oder fuchsrotes Schwein gehalten, das sich nach der Kopfform zu schliessen als Kreuzungsprodukt herausstellt und unverkennbare Einwirkungen des schon zur Pfahlbauzeit in der Westschweiz häufigen Landschweines er- kennen lässt. Von prähistorischen Rassen verdient das Zorfschzwern der schweizerischen Pfahlbauten noch besonders erwähnt zu werden, da sich über dessen Stammes- zugehörigkeit früher lebhafte Kontroversen erhoben haben. 7. Jütimeyer,’) welcher es als Sus palustris bezeichnet, erblickt in demselben eine Form, die den asiatischen Hausschweinen und ihrer Stamm- form Sus vittatus entschieden näher stehen als dem europäischen Sus scrofa- Typus, wogegen Vehring®) anfänglich, offenbar beeinflusst durch die Funde in nördlichen Gebieten Deutschlands, im Torfschwein einen durch primitive Domestizierung verkümmerten Abkömmling des gemeinen europäischen Wildschweines erkennen wollte. Das ist nun sicher nicht der Fall, das asiatische Blut ist im Toorfschwein der schweizerischen Pfahlbauten ganz unverkennbar und es dürfte den direkten Vorläufer der romanischen Schweine bilden. Neuerdings nähert sich jedoch Nehring dem Kätimeyer’schen !) Hermann von Nathusius. Vorstudien. Berlin. 1864. Pag. 155. ”) L. Rätimeyer. Weitere Beiträge über das zahme Schwein etc. Basel. 1878. ») A. Nehring. Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft. 1888. Die Hausschweine. 115 Standpunkte sehr wesentlich, in dem er die asiatische Beimischung im Torf- schwein zugiebt. aber eine Kreuzung mit dem europäischen Sus scrofa annimmt. Solche Zwischenformen mögen vorkommen, auch unsere hiesigen Sammlungen besitzen einen aus Robenhausen stammenden Torfschwein- schädel, der etwas Sus scrofa-Blut beigemischt enthält, anderseits kamen aber in der späteren helvetisch-römischen Periode in Vindonissa Relikte zum Vorschein, die dem Torfschwein angehören und den Sus indicus-Typus auffallend rein erhalten haben. IX. DIEHAUSRINDER (Bos taurus und Bos indicus.) rsprünglich auf die alte Welt beschränkt, ist der Stamm zahmer , Rinder heute vollkommen kosmopolitisch geworden, in der neuen ı Welt sogar mehrfach wieder verwildert. Er umfasst Formen- Du - | kreise, die im einzelnen unter sich starke Abweichungen zeigen, aber zunächst in zwei phylogenetisch gut begründeten Reihen untergebracht werden können. Den europäischen Rinderbestand und seine ausgewanderten Abkömmlinge fasst man in herkömmlicher Weise unter der Bezeichnung Bos taurus zusammen, während die südasiatischen und afrikanischen Höcker- rinder als Zebu-Gruppe oder Bos indicus vereinigt werden. Das äusserlich vom indischen Rinde etwas abweichende Höckerrind Afrikas als Bos africanus abzutrennen, wie dies vielfach geschehen ist, erscheint völlig ungerechtfertigt, da die geographische Isolierung und lange Domestikation die Abweichungen erklären, letztere aber hinsichtlich des anatomischen Baues nicht gross genug sind, um eine Trennung zu befür- worten. Die Siedelungsgeschichte Atrikas weist zudem mit aller Deutlichkeit darauf hin, dass der Rinderbestand nicht autochthon sein kann, sondern frühzeitig aus Asien entlehnt wurde. Aeltere Autoren, wie Cuvzer und Wagner, fassten sämtliche Rinder in eine einzige Art zusammen, während /. /ätzmeyer an der spezifischen Verschiedenheit von Bos taurus und Bos indicus festhält.‘) Wenn auch die Kreuzung leicht gelingt und die Bastarde fruchtbar sind, an der Grenze beider sogar häufig vorkommen, wie z. B. in Buchara, so wird man denn- noch aus phylogenetischen Gründen dieser Trennung beistimmen müssen, allerdings mit dem Vorbehalt, dass man nur die primigenen Rinder Europas als Bos taurus bezeichnen dart, dagegen die brachyceren Bestände davon ausschliesst. Die Zahl der Rassen und Schläge ist sehr gross. Unter den in Europa vorkommenden Rindern hat /eätimeyer”) drei gut charakterisierte Rassen unterschieden: die Primigenius-Rasse, die Frontosus-Rasse unddie Brachyceros- Rasse. Später hat 97 Wrlckens’) noch die Kurzkopfrasse (Brachycephalus- I) Z. Rätimeyer. Versuch einer natürlichen Geschichte des Rindes. Neue Denkschriften der allgemeinen Schweiz. Ges. f. d. gesamten Naturwissenschaften. 1867. °) Z. Aätimeyer. Fauna der Pfahlbauten. 1862. ®) M. Wiückens. Die Rinder-Rassen Mitteleuropas. 1876, Die Hausrinder. 117 Rasse) hinzufügt und in jüngster Zeit wies Z. O. Arenander') auf die horn- losen Rinder Nordeuropas hin, die er in seiner Akeratos-Rasse zusammen- gefasst hat. Es mag hier eine kurze Charakteristik dieser fünf europäischen Rinder-Rassen folgen. l. Primigenius-Rasse (Bos taurus primigenius /ätzmeyer). Grosse, stark- knochige Rinder mit starkem Gehörn, das oft leierförmig erscheint. Der Schädel zeigt auffallend geradlinige Umrisse, sein Gesichtsteil gestreckt. Die Stirn ist flach, die Zwischenhornlinie gerade, die Augenhöhlen (orbitae) schief nach vorn gerichtet. Die kräftigen Hornzapfen entspringen ohne stielartige Verlängerung des Stirnbeines in der hintersten Ecke der Stirnfläche. wenden sich etwas nach hinten und aussen, um dann mehr senkrecht emporzusteigen. Die Hinter- hauptsfläche steht senkrecht zur Stirnfläche, die Nasenbeine lang und stark gewölbt. Diese Rasse gehört den europäischen Niederungen an und ist hauptsächlich in Holland, Norddeutschland und in den Steppen des südöstlichen Europa heimisch (Steppenrind). 2. Frontosus-Rasse (Bos taurus frontosus N7/s). Ebenfalls schwer gebaut. Die Stirnfläche umfangreich (Grossstirn-Rind), länger als breit, im hinteren Teil dachig und mit deutlichem Stirnwulst, im übrigen Teil gewölbt:; die Hornzapfen gestielt, die Hornscheiden lang und etwas abgeplattet, nach auswärts und abwärts gerichtet, die Spitzen aber wieder aufrecht; der Nasenspiegel fleischfarben. Diese Rasse, scheckig mit scharf begrenzten Flecken zeigt eine lokale Verbreitung, sie findet sich im südlichen Schweden und in der Westschweiz (Fleckvieh). 3. Brachyceros-Rasse (Bos brachyceros Zätzimeyer). Verhältnismässig kleine, zart gebaute Rinder mit schmalem, schlankem Schädel. Die ungestielten Hornzapfen entspringen etwas vor der hinteren Stirn- grenze, erscheinen kurz und stark aufwärts gekrümmt. das Gehörn kurz, die Stirn uneben, verhältnismässig lang (über 50 °/, der Schädel- länge), aber nichts destoweniger breit, hinten mit steil abfallender Hinterhauptswulst; die Augenhöhlen gross, über die Stirnfläche her- vortretend; Hinterhaupt mit der Stirn einen spitzen Winkel bildend. Der Unterkiefer ist verhältnismässig schwach mit senkrecht auf- steigendem Ast, die Schnauze fein gebaut mit dunkelm Flotzmaul, die Backenzähne mit starkem Schmelzblech von einfachem Verlauf. Diese Rasse ist in den Alpen stark verbreitet, aber auch in Süd- europa und im nordöstlichen Europa, sowie in England vorhanden. 4. Brachycephalus-Rasse (Bos brachycephalus Wrlckens). Der Kopf dieser Rinder-Rasse zeichnet sich durch eine auffallende Kürze aus (Kurzkopfrind) und ist zwischen den Augen sehr breit; die Stirn vor den Hörnern stark eingezogen ; die unebene, wellige Stirnfläche zwischen I) E. O. Arenander. Studien über das ungehörnte Rindvieh im nördlichen Europa Berichte des landw. Inst. d. Univ. Halle. 1898. 118 Die Abstammung der ältesten Haustiere. den Augen eingesenkt. Die Hornzapfen fallen seitlich etwas ab, drehen sich dann nach oben und aussen. Das Gehörn ist stark, weiss mit schwarzer Spitze, bei einzelnen Formen sogar von sehr bedeutender Grösse. Kleine Formen sind im gebirgigen Teil Mittel- europas zerstreut, sehr grosse Rinder dieser Rasse kommen in Spanien und Portugal vor. 5. Akeratos-Rasse (Bos akeratos Arenander). Eine kleine, zartgebaute Rasse, deren Hauptmerkmal in der völligen Hornlosigkeit besteht. Die Form des Schädels ist lang und schlank; die Stirn uneben, hinten sich in einen Genickhöcker von wechselnder Höhe erhebend: Augen- höhlen stark vortretend. Diese eigentümliche Rinderform ist über das nördliche Europa verbreitet. Ueberblickt man den augenscheinlich sehr alten Rinderbestand Süd- asiens, Ostasiens und Afrikas, so fällt uns seine ungemeine Formenbiegsam- keit auf, so dass sich ein einheitliches Bild schwer geben lässt. Der Kopf ist bei sehr vielen afrikanischen und asiatischen Hausrindern etwas geramst, der Schädel pferdeähnlich. Doch giebt es auch breitköpfige Rinder; die Schnauze erscheint fast durchweg sehr fein gebaut und kurz, die Ohren häufig stark hängend. Grösse und Richtung der Hörner zeigen starke Abweichungen; der Höcker ist bei einzelnen Schlägen mächtig entwickelt, bei anderen klein, vielfach gänzlich fehlend; die Körpergrösse zeigt ge- waltige Schwankungen, neben grossen Tieren kommen eigentliche Zwerg- formen vor, hinsichtlich der Haarfärbung kann hervorgehoben werden, dass milchweisse Rinder stark verbreitet sind, gefleckte Tiere sind ebenfalls häufig, aber die Ränder der Flecken sind nicht scharf, sondern verwaschen, getigerte Individuen treten gern auf. Wenn D/yth bemerkt, dass die indi- schen Zebu den Schatten selten aufsuchen, so darf dies nicht als eine all- gemeine Eigentümlichkeit angesehen werden, da ich beim afrikanischen Zebu sehr oft das Gegenteil beobachtet habe. Vorläufig dürfte es genügen, beim Zebu (Bos indicus) vier Formen zu unterscheiden, über deren Verbreitung später berichtet wird. Wir finden eine völlig hornlose Rasse, eine riesenhörnige oder Langhorn-Rasse, ein mittelhörniges Buckelrind und eine kurzhörnige, buckellose Rasse, letztere sowohl im äussersten Osten wie im Westen und dem europäischen Kurz- hornrind angenähert. PRAEHISTORISCHE RINDER. DAS RIND DER AELTESTEN KULTURKREISE. Bisher konnte ein zahmes Rind für die ältere Steinzeit nirgends mit Sicherheit nachgewiesen werden. Die ersten Spuren tauchen erst in der neolitischen Zeit Europas auf. In den ältesten Pfahlbauten (z. B. Schaflis am Bielersee) begegnet man ausschliesslich der zartgebauten, kleinen Brachy- Die Hausrinder. 119 ceros-Rasse, der sogenannten Torfkuh. Ihre weite Verbreitung über Europa während der Urzeit lässt uns vermuten, dass die älteste Besiedelung mit Hausrindern von Südeuropa aus bis weit nach Norden und Westen durch die Torfrasse erfolgte, die in ihren anatomischen Merkmalen von Anfang an scharf ausgeprägt erscheint. Etwas später erscheint eine grössere Rasse, das Primigeniusrind, das in der Folge in den Niederungen die aus- schliessliche Herrschaft erlangte. Während anfänglich beide Rassen unver- mischt neben einander vorkamen, treten in der Folge Kreuzungsprodukte auf. In den westschweizerischen Pfahldörfern erreichte die Rinderzucht in der Bronzezeit ihren Höhepunkt, die Schläge werden vielgestaltiger und es tritt dort auch ein hornloses Rind auf, das wahrscheinlich aus einem stärkeren Torfrind hervorging. Dagegen lässt sich am Ende der Bronze- periode ein starker Zerfall der Viehzucht nachweisen.!) Nicht nur hat die Zahlder Rinder abgenommen, sondern das vorhandene Material verschlechtert sich zusehends, die Tiere werden vielfach zwergartig, die Knochen zeigen eine krankhafte Beschaffenheit und im Schädel tritt eine Hinneigung zur Mopsbildung auf. Die Frontosus-Rasse war während der pähistorischen Periode auf den Norden Europas beschränkt, wo sie von „Vz/sson?) in Skandinavien und England aufgefunden, irrtümlicher Weise aber einer wilden Rinderart zu- gerechnet wurde. In den schweizerischen Pfahlbauresten sind bisher mit Sicherheit keine sicheren Andeutungen dieser Rasse nachgewiesen, obschon in der Gegen- wart dieselbe im Fleckvieh der Schweiz stark vertreten erscheint. Ja noch im Beginn der historischen Zeit, d. h. in der helvetisch-römischen Periode ist das Frontosus-Rind nirgends vorhanden. Halten wir Umschau in den alten Kulturkreisen, so gewährt zunächst Altägypten ausserordentlich zahlreiche Einblicke in den damals vorhandenen Rinderbestand. Unser Haustier war schon im Nilthal eingebürgert zu einer Zeit, da Europa kaum die ältesten Pfahlbauten kannte, denn schon zur alten Negadahzeit, also vor der eigentlichen Pharaonenzeit wird es recht kenntlich auf schieferigen Steinplatten abgebildet.”) Während der Pharaonenzeit werden Hausrinder ungemein häufig dar- gestellt, sei es in Basreliefs oder auf Wandmalereien. Die Bilder aus den alten Dynastien zeichnen sich ganz besonders durch Sorgfalt in der Aus- führung aus. Auch osteologisches Material ist aus jener Zeit auf uns gekommen und in verschiedenen Museen Europas aufbewahrt. Schon Geofroy St. Hrlaire brachte aus Aegypten Rindermumienschädel nach Paris, wo sie von Czvzer untersucht wurden. Ins Jahr 1851 fällt die be- 1) A. David. Beiträge zur Kenntnis der Abstammung des Hausrindes, gegründet auf die Untersuchungen der Knochenfragmente aus den Pfahlbauten des Bielersees. 1897. 2) Nilsson. K. Vetensk. Akad. Oefrersigt. 1847. (Zitiert nach Zläzimeyer.) 3) De Morgan. Recherches sur les Origines de l’Egypte. 1897. Die Abstammung der ältesten Haustiere. rühmte Entdeckung J/arzetie's; derselbe förderte zahlreiche Mumiensärge in dem Serapeum von Memphis zu Tage, zum Teil enthielten sie noch die wohlerhaltenen Leichen des heiligen Apis (Hapi). Ich gebe hier die Ab- bildung eines solchen Apisschädels, der im ägyptischen Museum in Gizeh bei Kairo (früher in Bulak) aufbewahrt wird. Das altägyptische Hausrind gehörte, wie das heutige Rind Afrikas durchweg der Zebugruppe an, wenn auch der Fettbuckel sehr häufig fehlte. Der Apisschädel lässt als charakteristisches Merkmal eine nach der Seite Er “ SE 9° Sri Schädel des Apis. Nach einer Aufnahme von A. Sarasin. (Museum in Gizeh). stark abfallende Stirn, wenig vortretende Augenhöhlen und einen relativ feingebauten Gesichtsteil erkennen. Auch an alten Bildern fällt die feine, kurze Schnauze auf, die den heutigen afrikanischen Rindern eigentümlich ist. Die Pharaonenleute züchteten verschiedene Rassen, für welche sie besondere Benennungen (neg, eua, hredeba) hatten.') Im alten Reich über- wog die schöngebaute, meist buckellose Langhornrasse, aus der meistens der heilige Apis entnommen wurde (vergl. obige Figur). Gegenwärtig fehlt sie dem Nilthal. Das ungewöhnlich lange Gehörn war lyraförmig oder mehr halbmondförmig oder auch gerade nach aussen und oben gerichtet, !) Ad. Erman. Aegypten und ägyptisches Leben. 1885. Pag. 580 u. ff. Die Hausrinder. 121 die Haarfarbe milchweiss, schwarzbunt oder rotbunt. Für den als Kultus- objekt verehrten Apis wird von den alten Autoren als Farbe Schwarz mit weissen Abzeichen angegeben: beachtenswert ist, dass wir diese Färbung jetzt noch häufig beim Duxerschlag und namentlich bei den Eringerschlägen des südlichen Wallis antreffen. Neben Langhornrindern wurde schon im alten Reich eine hornlose Rasse gehalten. Dass sie nicht gerade selten war, geht aus der Angabe hervor, dass auf dem Gute des Cha’fra’onch neben 835 Langhörnern 220 Fig. 38. Hornloses Rind aus Altägypten. hornlose Rinder vorhanden waren.') Darstellungen von Höckerrindern kennen wir ebenfalls. Im neuen Reich scheint ein kurzhörniges, meist buckelloses Rind in den Vordergrund zu treten, wenigstens pflegen es die Künstler fast immer abzubilden, wogegen die eigentliche Langhornrasse zurücktritt; im heutigen Aegypten ist sie bekanntlich ausgestorben. Auf einem in Wasser- farben ausgeführten Wandgemälde in Theben, aus der 18. Dynastie stammend, bemerkt man eine leopardähnliche Fleckenzeichnung an einzelnen Rindern, was bekanntlich eine Eigentümlichkeit des Zebu ist. Untersuchen wir die Dokumente aus dem snesopotamzschen Kulturkre:s, so begegnet uns auf bildlichen Darstellungen das Rind sehr häufig, wobei allerdings bei den allerältesten Figuren die Entscheidung nicht leicht ist, 1) Ad. Erman. Loc. cit. 2 Die Abstammung der ältesten Haustiere. ob es sich um eine wilde oder zahme Form handelt, weshalb in der Deutung gewisse Vorsicht geboten ist. Bemerkenswert erscheint ein sehr alter chaldäischer Cylinder,!) auf welchem das Rind bereits vor den Pflug ge- eine spannt erscheint; die mangelhafte Ausführung lässt keine sicheren Schlüsse auf die Rassengehörigkeit zu, doch darf man aus der geringen Grösse des hochgestellten Körpers vermuten, dass es sich nicht um eine Primigenius- form, sondern um ein kleines indisches Hausrind handelt. Primigene Rassen sind mit Sicherheit zur Zeit im alten Mesopotamien nicht nachzuweisen und Rinder des neuen Reiches. Nach einem Wandgemälde von 7heben. 18. Dynastie. (British Museum.) auch heute findet man in jener Region nur indisches Blut. Aus der assyrischen Zeit kennen wir bessere und häufigere Darstellungen. Aut emem Quarzceylinder, dessen Reproduktion Zayard giebt”), ist ein typisches, langhörniges Zeburind, eine säugende Kuh, als Skulptur erkennbar, der Fettbuckel ist umfangreich, die Wanne stark, der Schwanz sehr lang wie beim indischen Zebu. Unter dem Beutevieh auf den Skulpturen der Königspaläste begegnen wir Rindern häufig, sie werden stets mit gewölbtem Rücken oder mit eigentlichem Fettbuckel dargestellt.?) I!) Abgebildet von %. U. Därst in: L’Anthropologie. 1900. Pag. 155. '), A. H. Layard. Discoveries etc. 1853. Pag. 604. ') A. HM. Layard. The monuments of Niniveh. Die Hausrinder. 123 In Indien sind Rinderskulpturen vorhanden, die ein hohes Alter besitzen sollen und die typische Form des Zebu mit Fettbuckel zum Ausdruck bringen. Beispielsweise sei das Bild der heiligen Kuh „Nandi*“ erwähnt, zu welchem die Indier während der Hungersnot und Pest massenhaft wallfahrteten. Durch die archaeologische Forschung sind wir über die Rassenzusammen- setzung im altgrrechischen Kulturkreis etwas besser aufgeklärt worden als dies früher der Fall war. Sicher ist, dass die Be- wohner desselben die Rinderzucht zu hoher Blüte gebracht haben, neben der kurzhörnigen Brachyceros-Rasse taucht hier mit aller Deutlichkeit das Primigenius-Rind als weitverbreitetes Haustier auf. Erstere finden wir aufaltgriechischen Münzen mehrfach abgebildet, primigene Rinder er- scheinen bereits zur my- kenischen Zeit, für deren zahmen Charakter der eine Goldbecher von Vaphio mit seinen vol- lendeten Relietbildern deutliches Zeugnis ab- gelegt.') Der von Schliemann aufgefundene Rinderkopt mit leierförmigem Gehörn lässt sich vielleicht auch auf die genannte Rasse Fig. 40. zurückführen. Dieselbe Die heilige Kuh „Nandi“ in Indien. (Nach W. Simpson.) reichte auch auf Vorder- asien hinüber, denn unter dem Tierknochenmaterial, das Schliemann in Hissarlik zu Tage förderte und das sich in Berlin befindet, konnten un- zweifelhafte Reste von Primigeniusrindern nachgewiesen werden.?) Später erscheint Epirus das Zentrum der Zucht dieser Rasse geworden zu sein. Eigentliche Buckelrinder (Zebu) kamen auf griechischem Boden ebenfalls 1 C. Keller. Figuren des ausgestorbenen Ur aus vorhomerischer Zeit. Globus. Bd. 72 und nochmals die Goldbecher von Vaphio. Bd. 74. 2) $. U. Dürst. Die Rinder von Babylonien, Assyrien und Aegypten. 1599, 124 Die Abstammung der ältesten Haustiere. vor. Alexander der Grosse sandte nach dem Bericht von Arrzan eine Heerde von 2—3000 Stück aus Indien nach Macedonien, auf Cypern gab es Rinder mit grossem Höcker und verrenkten Hörnern, nach dem Zeugnis von Plinius besass Syrien höckertragende Zebu, die sich nach Phrygien und Carien verbreiteten. Auf dem Boden /Zalrens entwickelte sich die Rinderzucht frühzeitig, offenbar beeinflusst durch Altgriechenland. Das grosse Primigenius-Rind gelangte von ipirus nach Lucanien (Boves Lucani) und /H. Krämer bemerkt wohl zutreffend, dass auf diesen Import die Grösse der heutigen Rinder Süditaliens und Siciliens zurückzu- führen sei.') Fig. 41. Daneben ist die Brachvceros - Rasse Reliefdarstellung des Schädels eines weit verbreitet. Auf dem Denkmal der Brachyceros-Rindes auf dem Denkmal der > e S s . S Haterier in Rom. Haterier in Rom findet sich ein Schädel (Nach Ze Krane) des Rindes in Reliefdarstellung, der ana- tomisch tadellos alle Merkmale des brachyceren Typus nachgebildet hat. Zum ersten Mal taucht auf dem antiken Boden Italiens eine Rasse auf, die vermutlich als Kul- turprodukt der gehobenen Rindviehzucht ihre Ent- stehung verdankt — nämlich die Brachycephalus-Rasse (Kurzkopfrind). Das Ge- sicht ist verkürzt, die Stirn breit, das Gehörn derb ge- baut; die Zierlichkeit des Brachycerosrindes fehlt dem Kopf durchaus. In Marza- botto bei Bologna kam ein in Bronze gegossener Stier- kopf zum Vorschein,’) an dem die Merkmale der Rasse bereits erkennbar sind, ein Fig. 42 Stierkopf von Marzabotto. (Nach G. Gozzardin..) anderer Bronzekopf der Kurzkopfrasse stammt aus Octodurus, dem heutigen Martigny im Kanton Wallis, also aus der I) 4. Krämer. Die Haustierfunde in Vindonissa. 1899, ?) Giovanni Gozzardini. Di un antica necropoli a Marzabotto. Bologna 1865. Tav. 16. Die Hausrinder. 125 helvetisch-römischen Zeit der Schweiz; das Original wird im historischen Museum in Sitten aufbewahrt. stark nach dem Norden der Alpen verbreitet zu haben, wenig- stens kamen bei den Aus- grabungen in Vindonissa ihre Reste zahlreich zum Vorschein. Aus den zum Römische Kolonisten scheinen diese Rasse teilen, besass damals diese Rinderform eine stattliche (Grösse. Im Laufe der Zeit hat sich jedoch der Wohnsitz der- selben ver- schoben, denn heute findet man nur noch einzelne Reste der Kurzkopf- rinder in den Teil noch gut erhaltenen Unterkiefer- Fig. 43. B Stierkopf aus Octodurus. (Nach 7/7 Krämer.) R stücken zu ur- Alpen, hier allerdings in zwergartiger Form. Ein starker Bestand vermochte sich auf der iberischen Halbinsel als grossgehörnte, schwere Tiere zu erhalten. > Oo DIE WILDRINDER UND IHRE VERBREITUNG. Um ein Urteil über die phyletischen Verhältnisse unserer Hausrinder zu gewinnen, muss zunächst Umschau gehalten werden über die heute noch lebenden oder wenigstens in historischer Zeit noch vorhandenen Wildrinder der alten Welt. Die Reihe der Bovina im weiteren Sinne wird am naturgemässesten mit den Büffeln (Bubalina) eröffnet, da letztere den natürlichen Uebergang zur Antilopengruppe herstellen. Von ihnen aus lässt sich anatomisch und palaeontologisch die Entwicklung bis zu den extremsten Rinderformen sehr klar verfolgen. Insbesondere ist es die Schädelmetamorphose, die noch alle Zwischenstufen erhalten hat. Der Büffelschädel erinnert besonders in seiner hinteren Partie stark an den Antilopenschädel, er ist im Hinterhaupt abgerundet, der Oceipital- knochen und die Scheitelbeine sind noch so wenig zurückgedrängt, dass sie hinter dem Hornansatz von oben sichtbar sind. Die Wisente (Bisontina) gehen, um einen zutreffenden Ausdruck Aüäötzmeyer's zu gebrauchen, auf der Strasse der den Rindern zukommenden Schädelmetamorphose einen guten Schritt weiter als die Büffel, aber sie bleiben auf halbem Wege zu den höchststehenden Rindern (den Taurina) stehen. Die breiten, gewölbten Stirnbeine haben an Ausdehnung gewonnen, die Scheitelregion wird stärker 126 Die Abstammung der ältesten Haustiere. zurückgedrängt, aber noch ist die Hinterhauptsschuppe von oben deutlich sichtbar, der Hinterkopf immer noch gerundet, wenigstens nicht scharf ab- geknickt. Die jetzt lebenden Arten der genannten Untergruppen können über- gangen werden, da sie sicher keinen Anteil an der Erzeugung von Bos taurus oder Bos indicus haben. Es bleiben somit nur noch die Endglieder, die Rinder im engsten Sinne, unter denen man die mehr östlichen Bibovina als primitivere Gruppe von den westlichen Taurina abgetrennt hat. Der Bildungsherd beider ist offenbar in Südasien zu suchen, wofür sowohl palaeontologische als tier- geographische Gründe sprechen. Die westlichen Taurina sind heute im Wildzustande als erloschen zu bezeichnen, während die Bibovina in Asien noch mehrere lebende Vertreter aufweisen. Ein fossiler Ausläufer greift auch nach Südeuropa hinüber (Bos etruscus), dieser kann aber wegen der noch stark über den Hornausatz hinausragenden Hlinterhauptspartie des Schädels in keiner Weise als Stammform der Hausrinder in Frage kommen, trotzdem seinerzeit MM. Wrlckens diese Möglichkeit andeutete. Bei den Rindern im engeren Sinne erreicht die Schädelumwandlung eine extreme Stufe, über welche nicht mehr hinausgegangen werden kann. Die Stirnbeine sind hier derart ausgedehnt, dass die ganze Oberseite der Hirnkapsel von ihnen eingenommen wird; dadurch wird die Parietalzone in die Schläfengrube hinabgedrängt und die Hinterhauptsschuppe senkrecht aufgerichtet; sie stösst in einer Kante mit dem Stirnabschnitt zusammen, wodurch das Profil im Hinterhaupt scharf abgeknickt erscheint. Nach dem Prinzip der Rekapitulation wiederholt der jugendliche Rinderschädel während seiner Entwicklung die oben erwähnten Metamorphosen. Von asiatischen Wildrindern bewohnt die originellste Form, der G@runz- ochse oder Jak (Bos grunniens) als eigentliches Gebirgstier die Hochtlächen von Tibet und die angrenzenden Gebirgszüge; er ist übrigens auch in den Hausstand übergetreten und findet in der Mongolei sowie in den Trans- baikalländern vielfach Verwendung. Aeusserlich erinnert das sonderbare Geschöpf einigermassen an den Bison; die lange Behaarung, der gewölbte Rücken und die breite, gerundete Stirn sprechen für eine Verwandtschaft, doch handelt es sich nur um eine obertlächliche Analogie, der anatomische Bau des Schädels ist abweichend. Dieser ist ausgezeichnet durch eine kurze und breite Stirnzone, während der Gesichtsteil lang und schmal ist; die Augenhöhlen ragen stark hervor; das drehrunde, schlanke Gehörn wechselt an Grösse, bei zahmen Tieren kann es sogar gänzlich fehlen. Zwei andere Wildrinder bewohnen das Festland von Indien, nämlich der Gayal (Bos frontalis) und der Gaur (Bos gaurus). Die Frage ist mehr- fach diskutiert worden, ob beide spezifisch zu trennen seien oder nicht. Der Gayal dehnt sein Wohngebiet vom Brahmaputra bis nach Indochina Die Hausrinder. 127 aus und gehört wohl zu den imposantesten Rindern, da er eine Länge von 3'/, Meter erreichen kann. Die flache Stirn ist ungemein breit, das Gehörn namentlich beim Stier dick, kegelförmig, nach aussen und oben gerichtet, aber verhältnismässig kurz; die Wanne schwach, der Rücken stark gewölbt. Seit langer Zeit wird der Gayal als Haustier gehalten und dürfte lokal sein- Blut mit dem indischen Buckelrind vermischt haben. Der Gaur (Bos gaurus) ist eine ähnliche stattliche Erscheinung und lebt in Vorder- und Hinterindien bis zur Halbinsel von Malakka. Der kurze und breite Kopf zeigt einen dreieckigen Umriss, indem er von der spitzen Schnauze an rasch an Breite zunimmt. Das starke Gehörn beginnt mit breitem Ansatz und wendet sich in starker Krümmung erst nach aussen und dann nach oben. Im Schädel tritt als hervorstechender Charakterzug der mächtige Stirnwulst entgegen, der sich über dem Hinterhaupt wie eine Wand erhebt. Vor diesem Wall erscheint die Stirnfläche stark vertieft, was Zodgson veranlasste, dieser Art den Namen Bos cavifrons zu geben. Die sexuellen Unterschiede im Schädelbau sind viel geringer als bei den übrigen Wildrindern Südasiens. Als weitere, am meisten nach Süden vorgeschobene Art ist der dem Gebiet der Malayen zugehörige Danteng: (Bos sondaicus) zu nennen. Dieses schönste aller Wildrinder scheint infolge der mit den wirksamen modernen Feuerwaffen betriebenen Jagd im Rückgang begriffen zu sein. Am häufigsten findet man den Banteng gegenwärtig noch auf Java, doch ist er nach meinen Informationen dort stark zurückgedrängt worden und gegenwärtig nur noch in den wenig bevölkerten Preanger Regentschaften und in Bantam vorhanden. Er soll auch auf der Insel Bali wild vorkommen, ebenso auf Borneo und der Halbinsel Malakka. In der Litteratur wird angegeben, dass er als gezähmtes Tier in Bali gehalten werde, nach einer mündlichen Mitteilung von /. Sarasın ist er auch in Celebes eingeführt. Die Haarfarbe ist dunkelgraubraun oder rötlichbraun mit breitem, weissem Spiegel an den Hinterbacken; der etwas erhöhte Widerrist stellt einen langgezogenen Buckel dar, der jedoch nicht stark hervortritt, die Wanne stark entwickelt. In der Bildung des Kopfes und des Gehörns zeigen sich bei diesem Rind starke sexuelle Unterschiede. Bei der Bantengkuh ist der Kopf ge- streckt mit feiner Schnauze, hinten verhältnismässig schmal, das Profil etwas geramst, das mässig starke Gehörn nach hinten gerichtet und mit den Spitzen nach innen gebogen. Der Stier erscheint im Hinterkopf erheblich breiter: das Gehörn. wie bei der Kuh auf deutlichen Hornstielen aufsitzend, wendet sich erst abwärts und auswärts, biegt dann in starkem Bogen nach oben; durch seine stärkere Entwicklung nähert es sich dem Gehörn des Gaur. Auf die anatomischen Einzelheiten soll in einem späteren Abschnitt eingetreten werden. Als letztes Wildrind, das bei der phylogenetischen Ableitung unserer 128 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Hausrinder sehr wesentlich in Betracht kommt, muss der Ur (Bos primi- genius Boj.) hier angereiht werden. Als gewaltiger Ausläufer der Taurina hat man sein einstiges Wohn- gebiet wenn nicht ausschliesslich, so doch vorwiegend in Europa zu suchen. Für unsere Fauna ist diese Art seit Jahrhunderten verloren gegangen und die Erinnerung an dieselbe bereits so verwischt, dass man sie einst ganz ungerechtfertigter Weise zu negieren versuchte und mit einem anderen Schädel des Ur. (Nach A. Nehring.) Wildrind Europas, dem noch in spärlichen Resten lebenden Wisent (Bison) zusammenwarf. Es gebührt @. Cawzer das Verdienst, in diese Frage zuerst die nötige Klarheit gebracht zu haben,!) in dem er nicht allein die oste- ologischen Merkmale vom Wisent und Ur klar auseinander hielt, sondern bereits auch auf litterarische Zeugnisse hinwies, welche die historische Existenz des letzteren darthun. In der Erdgeschichte erscheint unser Ur erst in der pleistocaenen (diluvialen) Periode und sein Schädelbau dokumentiert ihn als das Endglied in der Entwicklungsreihe der Bovina. Der Schädel zeigt auffallend gerad- linige Umrisse. Die Stirnbeine sind flach und. stossen in rechtem Winkel 1) @. Cuvier. Recherches sur les ossements fossiles. Tom, IV. Die Hausrinder. 129 mit der Hinterhauptsfläche zusammen, der Hinterrand ist ziemlich gerade, in der Mitte etwas ausgeschweift, der Gesichtsschädel zeigt eine verhältnis- mässig starke Entwicklung. Charakteristisch erscheint die schiefe, nach vorn gerichtete Stellung der Augenhöhlen und der schief aufsteigende Ast des Unterkiefers. Das mächtige Gehörn besass im ganzen Leierform, erst sich nach aussen wendend, dann nach oben und vorn sich über der Stirn erhebend, die Spitzen zuletzt aufwärts gerichtet. Uebrigens sind auch Variationen im Verlauf der Hornstiele bekannt geworden. Die Grösse des Tieres war nicht überall dieselbe, neben Formen, welche über unsere grössten Hausrinder hinausgehen, gab es kleinere Exemplare. Die geographische Verbreitung des wilden Bos primigenius lässt sich auf Grund zahlreicher Funde ziemlich genau umschreiben. In Europa kennen wir Fundstellen seiner Reste von Scandinavien bis nach Italien hinunter und von England bis nach Russland. Am dichtesten hat er wohl das nordöstliche Europa bevölkert, wo er auch am längsten ausgehalten hat. In den diluvialen Ablagerungen und Torfmooren des nördlichen Deutsch- land sind vielfach Schädel, zum Teil vollständige Skelette aufgefunden worden. Im Osten reichte der Ur weit über Europa hinaus. Schon Drandı hat sein Vorkommen im Altaigebiet signalisiert,') 7’'scherskz wies 1875 das- selbe auch für Ostsibirien (Irkutsk) nach,’) ja noch aut dem Boden Chinas erschien einst der Ur, Abb& Davzd”) hat im diluvialen Löss einen Schädel bei Suan-hoa-fu im Norden von Peking aufgefunden. Es handelt sich aber wohl nur um versprengte Exemplare und T7'scherskz, der die pleistocaene Fauna Nordasiens wohl am genauesten untersucht hat, macht darauf auf- merksam, dass unzweifelhafte Primigeniusreste in Sibirien spärlich ange- troffen werden, ganz im Gegensatz zu den häufigen Bisonresten; er erblickt daher im nordasiatischen Ur nur einen verhältnismässig seltenen Einwanderer. Weiter südlich sind Spuren in Vorderasien aufgetaucht. Wir kennen durch Zristram einen Zahnfund vom Libanon, deutliche Anhaltspunkte weisen auf Mesopotamien als einstiger Wohnort hin. Zwar dürfte dort das Tier kaum in die heissen Niederungen hinabgestiegen sein, aber be- wohnte doch das kühlere Bergland von Nordbabylonien. Für die assyrischen Könige bildete es Gegenstand der hohen Jagd und die bekannte Skulptur, welche auf dem N. W. Palast in Nimrud (884 v. Chr.) Assurnassir pal darstellt, wie er dem gewaltigen Wild das Messer ins Genick stösst, lässt uns mit aller Deutlichkeit den wilden Ur erkennen. Der Künstler hat nicht nur das starke Gehörn gut dargestellt, sondern in sehr naturalistischer Weise den schief aufsteigenden Unterkieferast. Zur assyrischen Zeit hiess der Ur „Rimu‘“, was identisch mit dem biblischen „reem* ist.‘) 1) Brandt. Zoogeographische und Palaeontologische Beiträge. 1867. 2) Tscherski. Wissensch. Result. d. neusib. Exped. Memoires del’Acad. St. Petersbourg. 1892. 3), T'scherski. Loc. eit. Pag. 500. +) $. U. Dürst. Die Rinder von Babylonien, Assyrien und Aegypten. 1899. Pag. 10. 9 130 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Das mediterrane Gebiet weist Spuren des Ur nicht nur auf der euro- päischen und asiatischen Seite auf, sondern auch in Nordafrika, wo pleistocaene Reste in Algier durch 7’%omas und Formel beschrieben worden sind.') Die vielumstrittene Frage, ob der Ur ausschliesslich der Vorzeit an- gehörte oder noch in die historische Zeit hineingereicht hat, ist heute voll- kommen abgeklärt und zwar zu Gunsten der letzteren Meinung, da sich über den Rückgang und das endgültige Ableben genauere Daten gewinnen oO oO liessen. Auf die weitschichtige Litteratur über diesen Gegenstand näher a A Fig. 45, Jagd des Assurnassirpal auf Wildstiere (Bos primigenius) 884 v. Chr. (British Museum.) einzutreten, ist hier nicht beabsichtigt. Der Nachweis der historischen Existenz dieses Wildrindes ist vom Standpunkt der Geschichte des Haus- rindes aus betrachtet von fundamentaler Bedeutung. Von litterarischen Zeugnissen bezieht sich die bekannte und oft zitierte Stelle bei Czesar?) zweifellos auf den Ur. Ums Jahr 1000 wurde der Urus noch in der Umgebung des Klosters St. Gallen gejagt und an der Kloster- tafel verspeist, wie wir den „Benedictiones ad mensas Ekkehardi“ entnehmen können.?) In Bromberg wurde ferner ein Urstier-Schädel aufgefunden, der aus dem 12. oder 13. Jahrhundert stammt;*!) er zeigt auf der Stirn drei !) Vergl. 2. 2. Troxessart. Catalogus mammalium tam viventium quam fossilium. 1V. 1898. °) In sylva Hereynia nascuntur qui appellantur Uri. Hi sunt magnitudine paulo intra elephantos, specie et colore et figura lauri. (Caesar de bello gallico.) °) Ferdinand Keller. Benedictiones ad mensas Ekkehardi monachi Sangallensis. Mit- teilungen der antiquar. Ges. in Zürich. 1847. ‘) Alfred Nehring. Ueber Herberstain und Hirsfogel. 1897. Pag. 89. Die Hausrinder. 131 Lanzenstiche, ein Beweis, dass er um jene Zeit noch gejagt wurde. Haupt- zeuge ist der österreichische (sesandte Freiherr von Zerberstain, der im 16. Jahrhundert in hervorragender Stellung diplomatische Reisen nach dem ehemaligen Königreich Polen unternahm und um 1550 einen toten Ur als Geschenk erhielt. Er hat das in Masowien lebende Tier in seinem Werk!) nicht nur erwähnt, sondern auch abgebildet. Conrad Gessner?) erhielt über- dies von einem seiner Schüler, Schneeberger und von Johann Bonar zu- verlässige Nachrichten über den in Polen lebenden Urochsen, der dort „Lhur“ genannt wurde. In neuerer Zeit hat August Wrzesnzozwskz die polnischen Quellen ein- Fig. 46, Ierbersta:n's Originalfigur des Ur. (Nach Nehring.) sehend benutzt und nachgewiesen,’) dass schon im 13. Jahrhundert die Jagd auf den Thur der Polen ausschliessliches Vorrecht der Herzoge von Masowien war, im 16. Jahrhundert der Ur bereits selten zu werden anfing und nur noch in den Forsten von Jaktorowka in Masowien (etwa 55 Kilo- meter westlich von Warschau) vorkam. Hier wurde er zuletzt förmlich gehegt und über die vorhandenen Exemplare Buch geführt. 1564 zählte man nur noch 30 Stück: 1599 im ganzen 24 Stück. 1602 ging der Bestand auf vier Thure zurück, die letzte Urkuh starb: 1627. 1) Heberstain. Rerum moscociticarum commentarii. 1556. (Editio secunda.) 2) C. Gessner. Icones animalium. 1560. 3) Aue. Wrzesniowski. Studien zur Geschichte des polnischen Thur. Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. 19878. 132 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Die äussere Erscheinung dieses gewaltigen Wildrindes Europas ist uns nicht ganz verloren gegangen, sondern im Bilde aufbewahrt. Zerberstain, der letzte Zeuge, der den Ur noch gesehen, liess eine Abbildung herstellen, welche auf einer „Tabula“ 1552 oder 1553 erschienen sein muss, in weiteren Kreisen aber zuerst durch Conrad Gessner 1553 bekannt wurde. Letzterer erhielt das Urbild /Zerderstarn’s durch den Wiener Arzt Wolfgang Lazius. Wzlickens') hat mit Unrecht die Aechtheit der Figur angezweitelt, A. „Vehring hat jedoch dieselbe in überzeugender Weise nachgewiesen.?) Daneben existiert noch das sogenannte „Augsburger Urstierbild“, das auf Holz gemalt eine Darstellung des Thur giebt. Es soll aus dem 16. Jahr- hundert stammen, gelangte in den Besitz von Hamilton Smith, der eine Kopie davon in Grzfiths „Animal Kingdom“ 1827 veröffentlichte und ist im Original seither verschollen. Ich kann mich des Eindruckes nicht er- wehren, dass dieses starkkropfige Rind ein zahmes Steppenrind darstellt. Wir kennen zum Glück weit bessere und ältere Bilder. Schon die oben erwähnte assyrische Jagdszene aus der Zeit Assurnassirpals kann den Anspruch auf Naturtreue und gute Ausführung erheben. Ich habe indessen den Nachweis geleistet, dass die viel älteren, aus der mykenischen Zeit (1500-1200 v. Chr.) Griechenlands stammenden Rinderfiguren auf den Goldbechern von Vaphio Darstellungen des Bos primigenius aufweisen.’) Es sind dies weitaus die besten Urbilder, die wir besitzen. Die auf dem einen Becher erkennbare Jagdszene ist vom Künstler zweifellos dem Leben abgelauscht worden, die Naturtreue vollkommen überzeugend. Wir erhalten dadurch auch einen Belex dafür, dass den Bewohnern des griechisch- mykenischen Zeitalters das "Tier wohl bekannt war. DIE BISHERIGEN ANSICHTEN UEBER DIE ABSTAMMUNG DER HAUSRINDER. Die Stammesverhältnisse des zahmen Rindes haben im Lauf der Zeit eine sehr verschiedene Beurteilung erfahren, selten waren die Kontroversen über irgend einen Gegenstand grösser als hier und noch heute gehen die Meinungen weit auseinander. Ich will versuchen, kritisch auf die Ansichten derjenigen Autoren einzugehen, die auf anatomischem Wege eine Lösung des Problems versucht haben. Mehrere derselben nehmen einen monophyletischen Standpunkt ein, indem sie eine einzige Stammquelle für alle Hausrinder der Erde aufsuchen. Hier ist zunächst @. Cuvzer zu nennen, der zum ersten Mal mit einer !) M. Wilckens. Landwirtschaftliche Jahrbücher. 1885. ?) A. Nehring. Die Ferberstain’schen Abbildungen des Ur und des Bison. Landwirt- schaftliche Jahrbücher. 1896. ®) €. Keller. Figuren des ausgestorbenen Ur (Bos primigenius) aus vorhomerischer Zeit. Globus, Bd. LXXII. Die Hausrinder. 133 wirklich wissenschaftlichen Methode operierte. Zunächst sucht er den ein- heitlichen Charakter aller Formen anatomisch nachzuweisen: Ces caracteres assignes A l’espece du boeuf ne sont pas ceux d’une ou deux varietes, ils se sont trouves Constans, non seulement dans tous nos boeufs et vaches ordinaires, mais encore dans toutes les varietes etrangeres que nous avons examinees.!) Als deren europäische Stammquelle (original de notre boeut) bezeichnet er den ausgestorbenen Ur (Bos primigenius). Er bemerkt ausserdem, was in der Folge bestätigt wurde, dass die schottischen Parkrinder am un- mittelbarsten an diese Wildform anknüpfen, die Hausrinder sich aber schon etwas weiter entfernt haben. Die Cazzer'sche Ansicht hat noch in der Neuzeit entgegen abweichenden Ergebnissen in A. ‚Vehring einen entschiedenen Verfechter gefunden. Es entging diesem Autor nicht, dass der wilde Bos primigenius starken indi- viduellen Schwankungen, namentlich auch hinsichtlich der Grösse unter- liegen kann. Er hält daher die kleineren Rinder, namentlich auch die prähistorischen Torfrinder für einfache Kümmerformen?) des Primigenius, entstanden durch schlechte Haltung und ungünstige Lebensbedingungen, wie er auch das Torfschwein als Kümmerform erklärte. Dieser 'T'heorie lassen sich aber mehrere Einwände entgegenhalten: l. Im Sinne von NVehring müsste man in den ältesten Fundstätten aus der prähistorischen Zeit grosshörnige Primigeniusrinder antreffen, die Uebergänge zu den Kümmerformen ebenfalls nachweisen können. In Wirklichkeit ist aber das grosshörnige Rind jünger als das Torf- rind, das über ganz Europa zerstreut von Anfang an als scharf aus- gesprochene Rasse auftritt und erst später mit grösseren Rindern gekreuzt wird. 2. Eine experimentelle Prüfung am Wildrind, inwieweit es durch un- günstige Lebensbedingungen Veränderungen erleidet, ist schon ein- fach deswegen ausgeschlossen, weil dieses Wildrind erloschen ist. 3. In Sibirien erfährt vielorts das Hausrind die denkbar schlechteste Pflege und lebt unter kümmerlichen Verhältnissen. Ich verschaffte mir Bildermaterial von solchen Rindern, sie sehen in der That sehr verwahrlost aus — aber die typischen Merkmale eines grosshörnigen Primigeniusrindes sind geblieben. 4. Die kleinen, kurzhörnigen Rinder auf den englischen Kanalinseln Jersey, Alderney und Guernsey sind berühmt wegen ihrer Milch- ergiebigkeit; sie sind Abkömmlinge des alten Torfrindes und mit dem Braunvieh der Alpen nahe verwandt. Wie ich der englischen zootechnischen Litteratur entnehme, werden diese Kanalrinder von den ersten Lebensmonaten an mit grosser Sorgfalt gepflegt und gut 1) = Cuzvier. Recherches sur les ossements fossiles. Tom. IV. 1823. Pag. 109. 2) A. Nekring. Verhandlungen der Berliner anthropologischen Gesellschaft. April 1888. 134 Die Abstammung der ältesten Haustiere. ernährt — aber sie bleiben trotzdem klein und kurzhörnig; niemals tritt die Neigung hervor, primigenen Charakter anzunehmen. Es bleibt somit unerwiesen, dass alle unsere Rassen vom Bos primigenius ableitbar sind. In neuester Zeit hat, um diesen Schwierigkeiten gerecht zu werden, die monophyletische Abstammung durch Z. O. Arenander‘) eine andere, sehr eigentümliche Ausgestaltung erfahren. Dieser skandinavische Forscher untersuchte das früher nur ungenügend bekannte Gebirgsvieh Nordschwedens und Norwegens. Dieses ist wegen seiner Hornlosigkeit bemerkenswert. Die genannte Eigenschaft findet sich auch bei andern nordeuropäischen Rindern. ‚lrenander erblickt in der hornlosen Rasse einen uralten, selbständigen Typus, dessen phylogenetische Stellung aber offenbar unrichtig beurteilt wird. Die weisse Färbung der Tiere scheint ihm eine Naturfarbe zu sein; er hält unser Rind nicht als Einwanderer aus Asien, sondern auf europä- ischem Boden entstanden: die wilde europäische Stammform war hornlos (Bos akeratos). Hinsichtlich des genetischen Zusammenhanges der einzelnen Rassentypen Europas bemerkt er: „Der älteste ist Bos akeratos. Aus ihm ist Bos brachyceros durch „spontane Variation“ entstanden und aus diesem haben sich Bos frontosus und Bos primigenius entwickelt. Dieser letztere ist also der Schlusspunkt, und nicht der Ausgangspunkt, wie man bis jetzt gewöhnlich angenommen hat.“ Der jetzige Akeratustypus hat sich seiner Auffassung nach nur an der Peripherie des Verbreitungsgebietes als ursprüngliche Form erhalten, den Bildungsherd der Wildform sucht er in Südeuropa. Manche Einzelgedanken der eingehenden und tleissigen Arbeit Are- nanders sind brauchbar, der allgemeine Ideengang und das Schlussergebnis jedoch sicher verfehlt. Zunächst erscheint es im Hinblick auf die palaeontologische Entwicklung der Rinder, die wir doch ziemlich genau kennen, sehr gewagt, eine horn- lose Stammform aufzustellen, während doch die Mehrzahl der zahmen Rinder gehörnt ist. Das Gehörn hat sich von den antilopenartigen Stammformen her durch die ganze neuere Tertiärzeit hindurch als Waffe erhalten und beim dilu- vialen Ur bereits mächtig entwickelt, eine rückläufige Entwicklung ist also nicht vorhanden. Eine wilde Akeratosform hätte man bisher sicher an den jungen, ober- lächlichen Schichten Europas antreffen müssen, falls eine solche wirklich existierte; ihre Zähmung wäre erst im Beginn der neolithischen Zeit erfolgt. Die Ausrede, dass unsere palaeontologischen Kenntnisse unvollkommen seien, ist nicht stichhaltig. Uebrigens widerspricht sich Arenander, wenn er die weisse Farbe der !) E. O. Arenander. Studien über das ungehörnte Rindvieh im nördlichen Europa. Berichte des landwirtschaftlichen Instituts der Universität Halle. 13. Heft. 1898. Die Hausrinder 135 nordischen Akeratosrinder als Naturfarbe, resp. Erbstück der an nordische Verhältnisse angepassten Stammform erklärt und dann ihren Bildungsherd nach Südeuropa verlegt. Im Widerspruch mit seiner Theorie steht auch die Thatsache, dass in den ältesten Pfahlbauten das kleine Torfrind ge- hörnt ist und erst in jüngeren Niederlassungen gelegentlich als ungehörnte Form auftritt. Endlich heisst es denn doch die anatomischen Beziehungen gänzlich verkennen, die zwischen dem diluvialen Ur, der noch in die historische Zeit hineinreicht und den grossen Niederungs- und Steppenrindern bestehen, wenn man diese als Schlussglied einer Reihe bezeichnet, deren Anfangs- punkt hornlos war. Anatomen wie Cxwzer und Zlätimeyer haben jene Be- ziehungen ja eingehend nachgewiesen. Dieser letzte Einwurf kann auch gegenüber M. Wrlckens erhoben werden.') der zuletzt den Bos primigenius als Stammquelle von Hausrindern gänzlich abwies: „Aber nirgends ist der Beweis geliefert worden, dass der „wilde Ur gezähmt wurde und die Stammform der heutigen Rinder ge- „worden ist. Es ist auch in höchstem Grade unwahrscheinlich, dass der „Mensch in vorgeschichtlicher Zeit — denn nur damals könnte die Zähmung „des Urochsen geschehen sein, da aus geschichtlicher Zeit keinerlei Nach- „richt darüber vorliegt — ein so unbändiges Tier gezähmt habe.“ Er findet schliesslich, dass wir über die Abstammung und Zähmung des Rindes ebensowenig positive Kenntnisse haben wie von den meisten übrigen Haus- tierarten. Im Laufe der Zeit haben übrigens die Anschauungen von MWlckens über diese Frage manche Wandlungen durchgemacht. Anfänglich neigte er /ätzmeyer zu, die von ihm neu aufgestellte Brachycephalus-Rasse schien ihm erst Beziehungen zur Wisentgruppe zu haben, später glaubte er an Bos etruscus anknüpfen zu können. Den hier dargelegten Annahmen steht die dzphyletische Abstammung der Hausrinder gegenüber: sie wird von mehreren Autoren vertreten und dürfte sich in der Folge als allein richtige allgemein einbürgern. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts trat zunächst /szdore Geoffroy St. Hilaire der durch Cazzer begründeten Ansicht von der europäischen Herkunft der Rinder entschieden gegenüber und befürwortet eine orienta- lische, beziehungsweise asiatische Abstammung.”) Seine Beweisführung ist jedoch nicht zwingend, weil sie sich vorwiegend auf kulturgeschichtliche und sprachwissenschaftliche Gründe stützt. Er hält unser europäisches Rind und den Zebu streng auseinander und weist zunächst an der Hand altägyptischer Bildereien nach, dass im Nilthal schon frühzeitig beide Formen I) Martin Wilckens. Grundzüge der Naturgeschichte der Haustiere. Dresden. 1880. Pag. 153. ®) /sidore Geoffroy St. Hilaire. Acclimatation et domestication des animaux utiles. 1861. Pag. 200 und N. 136 Die Abstammung der ältesten Haustiere. neben einander gelebt haben(?). Da aber die Wildrinder im engeren Sinne heute nur noch in Asien lebend angetroffen werden, so sind die Stamm- formen dort zu suchen, die ältesten Zentren der Domestikation seien nach Asien zu verlegen. /szdore Geoffroy St. Hilaire spricht sich indessen weder über die Region der Domestikation, noch über das in Frage kommende Wildmaterial näher aus, scheint auch nie die erforderlichen vergleichend- osteologischen Untersuchungen vorgenommen zu haben; er betont nur die ungenügende Kenntnis asiatischer Wildrinder. Ungefähr zu gleicher Zeit hat Zudwrg Jälimeyer in ganz anderer Weise und auf Grund eines sehr glücklich ausgewählten Materials die Ab- stammung der europäischen Rinder-Rassen klar zu legen begonnen.!) Er unterscheidet im Viehstapel unseres Kontinentes zwei genetisch durchaus verschiedene Elemente. Nur eines derselben — und hierin schliesst er sich wieder enger an Cuzwzer an entstand auf europäischem Boden, wo der Ur (Bos primigenius) als Stammquelle diente. Dazu gehören vorab die grossen Niederungsrinder Norddeutschlands und die Marschrinder Hollands, sowie die podolischen und romanischen Rinder. Sie bilden zusammen die zahme Primigenius-Rasse, weil ihre Schädelbeschaffenheit mit dem wilden Ur am meisten gemeinsame Züge aufweist. Eine ihr nahestehende Trocho- ceros-Rasse hat er später wieder fallen lassen. Die Frontosus-Rasse ist in letzter Instanz auch auf die genannte Quelle zurückführbar, muss aber als ein Kulturprodukt angesehen werden, das aus der Umbildung zahmer Primigeniusrinder gewonnen wurde. Im Schädel dieser Form treten jugend- liche Charaktere wieder auf. Dieser Herleitung entspricht das verhältnis- mässig späte Erscheinen des Frontosusrindes. Daneben existiert ein zweiter Stamm, dessen Elemente sehr früh über Europa zerstreut sind — der Brachyceros-Stamm, gebildet von kleinen, kurzhörnigen Rindern. Ihr Prototyp ist das alte Torfrind, von dem unser modernes Braunvieh herzuleiten ist. Diese Rinder entfernen sich anatomisch durch eine Reihe von konstanten Merkmalen vom Primigenius-Vieh derart, dass eine andere Stammquelle aufgesucht werden muss. Eine durch Kultur erzeugte Form bildet das nahe verwandte Kurzkopf-Rind (Brachycephalus- Rasse), das aus dem brachyceren Rind durch beginnende Mopsbildung hervorging. Die hornlosen Formen betrachtet er in Uebereinstimmung mit den übrigen Forschern als Abkömmlinge gehörnter Tiere und weist in dieser Beziehung speziell auf das Angus- und Galloway-Rind Englands hin, das früher gehörnt war. Hinsichtlich der wilden Stammform der Brachyceros-Gruppe beobachtet fütimeyer bei der ihm eigenen Umsicht eine gewisse Zurückhaltung. Nur das eine ist für ihn sicher, dass Bos primigenius nicht in Frage kommen kann und gleichzeitig die Hoffnung, einen Stammvater in Europa zu finden, !) Z. Rätimeyer. Fauna der Pfahlbauten, 1562 und Versuch einer natürlichen Geschichte des Rindes. Schweiz. Denkschriften, 1867. Die Hausrinder. 137 aufgegeben werden muss. Die Urheimat ist also ausserhalb Europa zu suchen. Er deutet an, dass unser südlicher Nachbarkontinent Afrika zunächst Aufschlüsse verspreche, indem am Nordrand desselben die kleinen algerischen Rinder den Brachyceros-Charakter sehr treu erhalten haben und deswegen dem alten Torfrind sehr nahe stehen. Indessen herrschte zu seiner Zeit noch eine grosse Unkenntnis der afrikanischen Rassen. Noch im Jahre 1888 muss sich Zäfzimeyer „ausser Stand erklären, eine wilde Stammform für das Torfrind namhaft zu machen.“!) Er spricht lediglich die Vermutung aus, dass man vielleicht noch weiter rückwärts suchen müsse, so dass in letzter Instanz eine Stammquelle eher in dem rinderreichen Asien gefunden werden dürfte als in dem so ärmlich ausgestatteten Nordeuropa. Ich habe seither den /läötzimeyer’'schen Standpunkt, der mir weitaus der natürlichste zu sein schien, in der Weise verfolgt,’) dass ich zunächst genauere Erhebungen über die afrikanischen Rinderschläge an Ort und Stelle vor- nahm und im Laufe der Jahre sind mir dieselben in Nord- und Ostafrika bis nach Madagaskar aus eigener Anschauung bekannt geworden. An osteologischem Material konnte ich die Umwandlungen nachweisen, die an dem so äusserst variabeln Zeburind in den einzelnen Schlägen Ostafrikas auftreten. Diese Umformungen führen nach Norden zu einer Annäherung an den europäischen Brachyceros. Es hiesse wohl alle T’hatsachen der Völkergeschichte verkennen, wollte man nicht zugeben, dass von Nordafrika her sehr früh und anhaltend Kultur- einwirkungen auf Südeuropa erfolgt sind. Die archaeologischen Entdeckungen der neuesten Zeit liefern fortwährend Beweise, dass diese Einwirkungen schon sehr alt sind. Dass sie auch den Uebertritt gewisser Haustier-Rassen von Nordafrika nach Südeuropa im Gefolge hatten, ist zweifellos; das Mittelmeer bildete keine trennende Schranke. In einem späteren Abschnitt soll auf die afrikanischen Rassen und ihre Beziehung zu asiatischen Rindern näher eingetreten werden. Dass anderseits auch auf europäischem Boden zahme Rinder aus dem Ur (Bos primigenius) herangezogen wurden, dafür konnte ich einen neuen und klaren Nachweis auf Grund archaeologischer Thatsachen erbringen.?) Eine von mir vorgenommene Analyse der aus mykenischer Zeit stammen- den Goldbecher von Vaphio ergab die unzweideutige Primigeniusnatur der auf ihnen vorhandenen Rinderfiguren; der ganze Vorgang der Haustier- werdung des Ur ist in künstlerisch vollendeter Weise dargestellt. Einen diphyletischen Standpunkt vertritt in der Neuzeit auch Zeopold 1) Z. Rätimeyer. Verhandlungen der Berliner anthrop. Gesellschaft. Dez. 1888. 2), C. Keller. Das afrikanische Zeburind und seine Beziehungen zum europäischen Brachyceros-Rind. Vierteljahrsschrift der naturf. Ges. Zürich. 1896. Ferner: C. Keller. Les elements africains parmi les animaux domestiques de’l’Europe. Archives des Scienc. phys. et nat. Geneve. 1398. 3) C. Keller. Figuren des ausgestorbenen Ur aus vorhomerischer Zeit. Globus. Bd. LXXII. 138 Die Abstammung der ältesten Haustiere. ldametz, aber er weicht insofern von Zlätzmeyer und mir ab, als er auch für den Brachycerosstamm eine europäische Herkunft befürwortet und sogar die zugehörige Wildform aufgefunden zu haben glaubt.') Adametz stützt sich bei seinen so weittragenden Folgerungen auf einen einzigen Schädelfund, der auf einem Gute in Krzeszowice (Westgalizien) in einer Tiefe von 12 Fuss gemacht wurde und angeblich aus einer diluvialen Bodenschicht stammt. Das Stück ist unvollständig erhalten, indem die Ge- sichtspartie fehlt und die Hornzapfen in der Nähe der Basis abgebrochen sind. Auf diesen einzigen Fund eine Wildform der Brachycerosrinder be- gründen zu wollen, erregt gewisse Bedenken. Ein diluviales Wildrind, das schon in prähistorischer Zeit von seinem Individuenüberschuss an den Men- schen abtreten könnte, um ihm zahme Formen zu liefern, müsste jedenfalls zahlreiche Reste hinterlassen haben, wie wir dies ja beim Bos primigenius erfahren haben. Das wilde Brachyceros-Rind ist aber bisher mit Sicherheit an andern Punkten nirgends zum Vorschein gekommen, wo man es etwa zu finden glaubte, hat es sich immer als zahmes Tier herausgestellt. Ich gebe zu, dass der von Adametz beschriebene Schädel einen eigen- tümlichen Charakter besitzt und der genannte Autor war nahe daran, die richtige Spur zu erkennen, in dem er in seiner Arbeit gelegentlich das kurzköpfige Rind des Duxerschlages damit vergleicht. Seitdem mir aus Vindonissa inzwischen die wichtige Thatsache bekannt geworden ist, dass schon in römischer Zeit Kurzkopfrinder nördlich der Alpen auftauchten, so halte ich jenes eigentümliche westgalizische Schädel- fragment herstammend von einem zahmen Rind und zwar von einem Brachycephalusrind aus frühhistorischer Zeit. Es ist dabei gewiss beachtens- wert, dass nicht allzufern von der Fundstätte, sozusagen nur wenige Längen- grade davon heute noch lebende Kurzkopfrinder vorhanden sind, nämlich im nordwestlichen Böhmen (Egerland). DER UR (BOS PRIMIGENIUS) ALS STAMMQUELLE EUROPAEISCHER HAUSRINDER. Im europäischen Viehstapel treten uns, wie früher schon bemerkt wurde, auf verschiedenen Wohngebieten Schläge und Rassen entgegen, welche sich durch bedeutende Körpergrösse, kräftige Entwicklung des Knochensystems und meist starke Entwicklung des Gehörns auszeichnen. Sie finden sich zunächst als Niederungs- und Marsch-Rinder der Ostsee und Nordsee entlang bis nach Holland, dann wieder in den Steppengebieten von Südosteuropa und in Italien. Die allgemeinen Umrisse des Kopfes, die starke Entwicklung des Ge- sichtsabschnittes, besonders auch die Richtung des Gehörns, das sich meist '!) Z. Adametz. Studien über Bos (brachyceros) europaeus, die wilde Stammform der Brachyceros-Rassen des Hausrindes. Journal für Landwirtschaft. Berlin. 1898. Die Hausrinder. 139 rasch über die Stirn erhebt und nach vorn wendet, lassen unverkennbare Aehnlichkeit mit dem wilden Ur erkennen. Dass es sich hier nicht um eine blosse Analogie, sondern um wirkliche Blutsverwandtschaft handelt, dafür legen die anatomischen Einzelheiten Zeugnis ab. Beim wilden Ur wie bei Bos taurus beträgt die Zahl der Rückenwirbel und der entsprechenden Rippenpaare 13; die geraden Umrisse des Schädels, die flache Stirn, die ziemlich gerade Zwischenhornlinie, die schief nach vorn gerichteten Augen- höhlen, die starke Entwicklung der Nasenbeine und der Gesichtsknochen überhaupt, der schief aufsteigende Ast des Unterkiefers und die relativ kurze Backenzahnreihe — das alles sind Eigentümlichkeiten des nord- deutschen Niederungsrindes und des holländischen Marschrindes, die wir ja schon von Bos primigenius hervorhoben. Diese Ur-Rasse oder Primi- genius-Rasse entfernt sich nur wenig von dem wilden Original, unter dem Einfluss der Domestikation ist die Grösse etwas vermindert und weil der Mensch den Schutz übernommen, die natürliche Waffe, das Gehörn schwächer geworden. Der Ur, als freilebendes "Tier erloschen, lebt also in diesen zahmen Nachkommen nur wenig verändert fort. Als primitivste Form mit dem höchsten Betrag von Wildmerkmalen gilt das halbwilde Rind der schottischen Parks (Chillinghamrind). Primigene Rinder sind ausser in den norddeutschen Niederungen und holländischen Marschen auch in Frankreich vorhanden, wo nach Adamelz das Bergrind der Auvergne diesem Typus angehört. Dagegen haben die stattlichen, grosshörnigen Rinder Spaniens und Portugals damit nichts zu thun. Stark verbreitet (als Steppenrind) ist die primigene Rasse im Südosten Europas und im Süden (Italien); es erscheint über die Donauländer, die Balkan- halbinsel und über die südrussischen Steppen zerstreut; im Osten greift die Rasse über Europa hinaus nach Kleinasien und Zentralasien, hier das Ge- biet des Bos indicus erreichend. Auch Sibirien hat bis weit nach Osten hin primigenes Vieh, das zum Teil allerdings unter elenden Verhältnissen lebt. Ist es zur Zeit so gut wie unbestritten, dass der Ur sein Blut auf diese grosse Rasse vererbt hat, so entsteht die weitere Frage, ob sich über die Zeit und den Ort der ältesten Domestikation des Ur genaueres aussagen lässt. Die Thatsache. dass diese Wildform im wesentlichen doch eine Charakter- form der europäischen Fauna bildete und auf asiatischem Boden, soweit unsere heutigen Kenntnisse reichen, nur spärlich vorkam, weist darauf hin, dass die erste Zähmung in Europa stattgefunden hat. Diese erfolgte natur- gemäss in einer Region, die am frühesten nachhaltigen Kultureinflüssen ausgesetzt war, also im Südosten unseres Erdteiles. Zum Glück giebt uns hier die Archaeologie, beziehungsweise die antike Kunst einen unzweideu- tigen Aufschluss. Auf den mehrfach genannten mykenischen Goldbechern ist ja, wie ich nach- gewiesen habe, der ganze Vorgang der Primigeniusdomestikation dargestellt. 140 Die Abstammung der ältesten Haustiere, IPAPUTIPIL AN 1ay9agp[oy) w»p ne 1229qPI09 E 'oryde,y uoA Die Hausrinder. 141 Die beiden Becher, von dem griechischen Archaeologen Z'sunda 1888 in einem altgriechischen Kuppelgrab (aus der mykenischen Zeit) aufgefunden, gehören offenbar zusammen und sind aus der Werkstätte eines uns un- bekannten antiken Künstlers hervorgegangen. Auf dem einen Becher er- kennen wir als fein ausgeführtes Basrelief eine Jagdszene mit drei Wild- ochsen; Jäger sind bestrebt, diese einem starken Jagdnetz zuzutreiben; ein Tier verwickelt sich in demselben; zusammengeknäuelt und schnaubend versucht es umsonst, sich aus dem Garn zu befreien. Ein zweiter Wildstier setzt mit gewaltigem Satze über seinen gefangenen Genossen hinweg, während der dritte Kehrt macht, einen Jäger zu Boden rennt, einen anderen an sein rechtes Horn spiesst und emporwirtt. Auf dem zweiten Becher erscheint ein Wildochse gefangen und fügt sich unwillig, dann folgen zwei Tiere, welche sich gemütlich zu unterhalten scheinen, zuletzt ein grasender Stier in ruhiger Haltung, infolge der reichen Nahrung eine merkliche Körperfülle verratend. Der Gedanke des Künstlers ist vollkommen durchsichtig. T7'sunda meinte zwar bei seiner Veröffentlichung in der griechischen Zeitschrift „Ephemeris‘“, es handle sich um einen Fang aus einer Herde zahmer Tiere, doch hat der französische Kunsthistoriker @. Perrol!) diese Deutung an- gezweifelt. Ich habe dann auf Grund einer genauen zoologischen Analyse den Nachweis geliefert, dass diese Zweifel berechtigt waren und es sich um Jagd, Gefangennahme und Zähmung des wilden Bos primigenius handelt. Bei den wilden Rindern aut dem ersten Becher erkennen wir das mächtige Gehörn des Ur mit seinem typischen Verlauf d. h. leierartig und nach vorn und oben gerichtet. Bei den zahmen Rindern des zweiten Bechers ist das Gehörn wesentlich kürzer und dünner dargestellt — eine Folge der Domestikation. Die feine Beobachtungsgabe des griechischen Künstlers tritt uns hier besonders entgegen. Derselbe hat also alle Phasen der Haustierwerdung im Bilde festgehalten und muss nach dem Leben beobachtet haben. Ein heutiger Künstler könnte unmöglich auf eine derartige Idee kommen. Dass die ganze Szene auf griechischem Boden spielt, dafür spricht namentlich das charakteristische hellenische Profil der Jäger. Ich bin daher der Ansicht, dass die erste Zähmung und Domestikation des Ur in Südosteuropa von den ältesten griechischen Volkselementen an die Hand genommen wurde und zwar in vorhomerischer Zeit. Der mykenische Künstler hat diese Domestikation noch im Gange gesehen. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass nicht schon früher zahme Primigeniusrinder da waren. Ein solcher Vorgang ist nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt anzusetzen, sondern nahm vielleicht Jahrhunderte in Anspruch. Die Haustierwerdung des Ur dürfen wir also etwa in den Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrtausends verlegen. EG: "Perrot. Les vases d’or de Vafio. Bulletin de correspondance hellenique. 1891. Die Abstammung der ältesten Haustiere. orydeA UOA 19y99gpJoHQ wap jur A19pury awuez "sr "Sta Die Hausrinder. 143 Wir können uns denken, dass der neue Erwerb auf alten Verkehrs- wegen des Ostens vom Schwarzen Meer aus nach den Niederungen der Ostsee gelangte. Möglicherweise haben die prähistorischen Bewohner der jüngeren Pfahlbauten ihr zahmes Primigeniusrind nicht aus autochthonem Material herangezogen, sondern aus dem Südosten von Europa erhalten, wobei man die Donaustrasse als natürlichsten Verbreitungsweg annehmen dürfte. Ist dem so, dann würde nebenbei auch einiges Licht auf das Alter der Pfahlbauten geworten. Als ein mehr indirekter Abkömmling des Ur muss das Frontosus-Rind betrachtet werden. Es ist ebenfalls eine grosse Form und seinen Rasse- merkmalen bereits früher geschildert worden. Das Gehörn ist gegenüber der vorigen Rasse bedeutend kleiner, der Schädel stärker modifiziert worden, indem er im Hinterhaupt höher, im Stirnteil länger erscheint. feätimeyer betrachtet die Frontosus-Rasse als ein Kulturprodukt, das aus der älteren Primigenius-Rasse durch Umzüchtung hervorging. Dafür sprechen allerdings historische und tiergeographische Gründe. Diese Rasse erscheint verhältnismässig spät und erlangte nur eine sehr lokale Verbreitung. Der Bildungsherd ist im nördlichen Europa zu suchen, wo Frontosusreste schon aus prähistorischer Zeit nachgewiesen wurden. In England ist die eigentümliche und weit verbreitete Zang’horn- Masse diesem Formenkreis zuzuweisen: lebende Reste sollen sich in Südschweden in dem Vieh der Insel Gotland erhalten haben; die stärkste Entwicklung erlangt das Frontosus-Rind jedoch in der Westschweiz, reicht aber auch in der nördlichen Schweiz bis zum Bodensee. Der hochgezüchtete Simmen- thalerschlag ist rotscheckig, während der Freiburgerschlag, der übrigens stark im Rückgang begriffen ist, schwarzfleckig erscheint. Das schweizerische Fleckvieh ist sicher nicht auf dem heutigen Wohngebiet autochthon ent- standen, sondern offenbar von Norden her eingewandert. In den west- schweizerischen Pfahlbauten fehlen sichere Spuren gänzlich, ebenso lauten, wie /. Krämer nachwies, die Befunde für die helvetisch-römische Zeit durchaus negativ;!) seither ist mir aus \Vindonissa noch ein sehr reiches Material an Rinderknochen zugekommen, aber Frontosusreste finden sich nicht darunter. Die Thatsache ist jedenfalls schwerwiegend, denn die Römer, die in Vindonissa eine starke Besatzung zu unterhalten hatten, würden ohne Zweifel vorgezogen haben. die Fleckvieh-Rinder aus der west- lichen Schweiz zu holen, falls solche vorhanden gewesen wären, statt die schweren Kurzkopfrinder aus dem Süden über die Alpenpässe in Helvetien einzuführen. Das Fleckvieh wanderte hier offenbar viel später ein und ist wohl mit den Burgundionen nach der Westschweiz gekommen. Ueber das Verhältnis der Freiburger Schwarzilecken zum rotbunten Simmenthalerschlag müssen noch eingehendere anatomische Untersuchungen 1) 77. Krämer. Die Haustierfunde von Vindonissa. 1899. 144 Die Abstammung der ältesten Haustiere. angestellt werden. Sie gehören zwar nach den osteologischen Merkmalen zur Frontosusrasse, dagegen ist das Gehörn steiler aufgerichtet und nach meiner Beobachtung häufig primigeniusähnlich. Daher die Behauptung, dass das Freiburger Vieh Einwirkungen von niederländischem Vieh erhalten habe. Andere vermuten eine Mischung mit Braunvieh. Leider war es mir bei dem starken Rückgang dieses Schlages bisher nicht möglich, ausreichende Schädelserien zu beschaffen, wie denn überhaupt die Erwerbung von Haus- tiermaterial auf kaum glaubliche Schwierigkeiten stösst. DER BANTENG (BOS SONDAICUS) ALS STAMM- QUELLE DER ASIATISCHEN UND AFRIRKANISCHEN ZEBU-RINDER. Die ungeheuren Erdräume des südlichen Asiens und ganz Afrika be- herbergen im Zebu (Bos indicus) ein augenscheinlich ungemein altes und vielseitig verwendbares Hausrind, von dem bereits /tätrimeyer in seiner 49. Santeng (Bos sondaicnsr (Zooles Garten Berlia)) „Fauna der Pfahlbauten“ sehr zutreffend bemerkt, dass es nach seiner eigentümlichen Ausprägung unbedingt den Anspruch erheben könne, von der allgemeinen Stammform des Bos primigenius abgelöst zu werden. In der 'T'hat ist das allgemeine Gepräge des Zebu trotz der grossen Formen- biegsamkeit und trotz gelegentlicher, durch Domestikation hervorgerufenen Analogien so grundverschieden vom Ur, dass jede engere Stammesbeziehung Dre Hausrinder. 145 ausgeschlossen erscheint. Auch tiergeographische Gründe reden hier sehr deutlich: Der Zebu erscheint am frühesten auf Gebieten, in denen der Ur niemals heimisch war. Man hat somit bei den südasiatischen Wildrindern anzuknüpfen. Cxvzer dachte einst an den Yak (Bos grunniens) als Stamm- quelle, ist aber wieder davon abgekommen. Z. Kütimeyer liess die Frage der Abstammung in seinen früheren und späteren Publikationen offen, da er nicht wagte auf Grund des noch zu spärlichen Materials und mit Hin- weis auf die damals fast unbekannten afrikanischen Zebu-Rassen ein be- stimmtes Urteil abzugeben. Er weist gelegentlich auf Beziehungen des Zebu zum Yak, dann aber auch auf gemeinsame Züge mit dem Banteng hin. Aus seinen anatomischen Befunden geht indessen so viel hervor, dass man bei den Bibovina anzuknüpfen hat, deren Vertreter heute ja aus- schliesslich in Asien leben. Wenn man von ganz lokalen Einwirkungen absieht, so muss der Ja%k als Stammvater des Zebu durchaus abgelehnt werden. Ganz abgesehen von der grundverschiedenen äusseren Erscheinung sind die anatomischen Unterschiede zu gross. Die kurze, breite Stirn des Yak steht im Gegen- satz zur Stirn des Zebu, die sich nach hinten gern verjüngt; der Yak besitzt 14 Rippenpaare, der Zebu deren nur 13. Auch die physiologischen Momente sind nicht geeignet, diese Ableitung zu unterstützen, da der Yak doch wesentlich Gebirgstier ist, sich dem heissen Tieflande aber nicht anpasst. Gegen einen Zusammenhang mit dem indischen Gayal (Bos frontalis) spricht die gewaltige Ausdehnung der Stirnfläche des letzteren, die ab- weichende Gestalt und Richtung des Gehörns; ausserdem besitzt der Gayal I4 Rippenpaare. Der Gaur (Bos gaurus) steht zwar dem Zebu schon näher und weist, wie der letztere, 13 Rippenpaare auf, dagegen hat der Gaurschädel eine durchaus entgegengesetzte Entwicklungsrichtung eingeschlagen. Während sich der Zebuschädel nach hinten oft verschmälert und einen pferdeartigen Habitus gewinnen kann, so wird er bei dem genannten Wildrind ungemein breit und im Stirnteil auffallend konkav; hinter dieser Konkavität erhebt sich ein mächtiger Stirnwulst, der beim Stier einer schiefen Wand ver- gleichbar ist, beim weiblichen Tier etwas niedriger, aber immer noch an- sehnlich hoch ist. Also muss auch der Gaur aus anatomischen Gründen als Stammvater des Zebu abgelehnt werden. Es bleibt daher das Verhältnis zum letzten Wildrind Südasiens, zum Banteng (Bos sondaicus) zu untersuchen. Auf die Andeutungen von Kätz- meyer hin habe ich, weil eben kein anderes Wildrind in Betracht kommen konnte, in meinen früheren Veröffentlichungen wiederholt den Sundaochsen mit dem Zebu in Verbindung zu bringen gesucht. Inzwischen habe ich nach längeren Bemühungen zuverlässiges Ver- gleichsmaterial erhalten. Es ist mir nicht völlig klar, inwieweit bei dem, was man in Ostasien als Banteng ausgiebt, Kreuzungsprodukte unterlaufen. 10 146 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Ein alter Bantengstier, dessen Schädel ich aus Indien erhielt, zeigt mir beispielsweise einen merkwürdigen Mischcharakter von Bos sondaicus und Bos gaurus. Ich legte daher Wert darauf, Vergleichsmaterial aus einem Schädel des Banten«-Stieres 30 ondaicus) aus Java. Original. (Landw. Sammlung Zürich.) Gebiet zu erlangen, wo der Banteng sicher noch in seiner ganzen Ur- sprünglichkeit vorhanden ist, nämlich aus den wenig bevölkerten Preanger- Regentschaften in Java.') i\ Durch die freundliche Verwendung von Herrn Konsul Zagnauxer in Batavia bei der holländischen Kolonialbehörde erhieltich vom malayischen Regenten in Tandjoer, Herrn Aadön Adipati Aria Prawira di Redja zwei prächtige, vollkommen erhaltene Bantengschädel (Stier und Kuh) zum Geschenk. Die Stücke befinden sich in der Sammlung des eidgenössischen Polytechnikums. Die Hausrinder. 147 Die ausserordentliche Variationsfähigkeit von Bos sondaicus ist bekannt und sein Schädel zeigt nach Alter und Geschlecht Abweichungen von einer mittleren Norm, wie sie bei keinem anderen Rinde angetroffen werden. Männliche und weibliche Schädel sind so stark verschieden, dass man zwei generisch getrennte Formen annehmen müsste, würde man nicht die Zusammen- gehörigkeit verbürgt wissen. Der mir vorliegende weibliche Schädel gehört einem jüngeren "Tier an, dessen definitives Gebiss mässig stark abgenutzt ist. Die Gesamtform Fig. 51. Schädel der Bantenge-Kuh (Bos sondaicus) aus Java. Original. (Landw. Sammlung Zürich). ist lang und schmal, im IHinterkopt etwas verengt; der Occipitalhöcker schwach, vor diesem verläuft eine Rinne in der Mittellinie der Stirn. Eine ganz schwache Vertiefung liegt vor demselben, sonst aber ist die Stirn- fläche zwischen den Augen gewölbt, nach den Seiten sowohl wie nach hinten abfallend, so dass das Profil deutlich geramst erscheint. Die Augen- höhlen treten sozusagen gar nicht aus der Stirnfläche heraus. Die Supra- orbitalrinnen sind tief, nach vorn konvergierend, die Schläfengruben sehr breit und flach, ihre obere Kante abgerundet, dagegen da, wo sie auf die Hinterhauptstläche übergreifen, nach oben durch eine krä ftige, scharfe Kante begrenzt. Die Jochbogen schwach entwickelt; der obere Rand des Thränenbeins fast gerade, nur wenig ausgebuchtet, am Zusammenstoss mit dem Stirnbein und Nasenbein eine deutliche Lücke offenlassend. 148 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Das drehrunde Gehörn von mässiger Stärke wendet sich in halbmond- förmigen Bogen nach hinten, verläuft in der Flucht der Stirn, erst gegen die Spitze hin erhebt es sich über dieselbe, die Spitzen sind nach innen gewendet. Die Hornzapfen entspringen auf deutlichen cylindrischen Horn- stielen. Im Gesichtsteil sind die Maxillarhöcker nicht besonders stark vortretend, der Nasenast des Zwischenkiefers erreicht die Nasenbeine nicht, sondern endigt etwa ein Centimeter unterhalb derselben. Die Stellung der säulenförmigen Backenzähne ist schief, die letzteren weisen einfache Marken und ein derbes Schmelzblech auf. Im Unterkiefer steigt hinten der Ast senkrecht aufwärts, die Schneidezähne sind schwach. Der männliche Schädel zeigt ein wesentlich anderes Gepräge, wenn auch viele der oben erwähnten Merkmale wiederkehren. Vor allen Dingen verbreitert sich die Stirnfläche nach hinten stark, fällt zwar seitlich eben- falls ab, doch treten die Augenhöhlen weit stärker heraus als beim weib- lichen Schädel. Die Hinterhauptsschuppe greift etwas auf die hintere Stirn- Nläche hinüber. Letztere ist in zwei mächtige kurze Säulen ausgezogen, auf denen die kräftigen Stirnzapfen entspringen, die Beschaffenheit der letzteren machen den Eindruck von wurmstichigem Holz, Längsrinnen fehlen. Das an der Basis etwas abgeplattete, erst gegen die Spitze hin drehrund werdende Gehörn wendet sich erst abwärts und auswärts und zuletzt auf- wärts, die Spitze ist nach hinten und innen gerichtet. Die Schläfengruben sind im Grunde ebenfalls weit, aber aussen durch die starken Hornstiele etwas verengt, die obere Kante ist wiederum deutlich abgerundet. Hinten greifen sie sehr weit in die Occipitalfläche hinein, so dass letztere im unteren Teil fast dreieckig erscheint. Der Oceipitalhöcker ist niedrig mit rauher Oberfläche. Die Beschaffenheit des T'hränenbeines, die Kürze des Nasenastes der Intermaxilla, der Bau des Unterkiefers stimmt mit den Verhältnissen des weiblichen Schädels vollkommen überein. Vergleicht man an der Hand obiger Befunde die Verhältnisse im Schädel- bau beim Zebu, so muss von vorneherein darauf hingewiesen werden, dass hier so weite Variationsgrenzen vorhanden sind, wie bei keinem anderen Haustier. Schon in der äusseren Srscheinung spricht sich dies aus: stellt man asiatische und afrikanische Zebu zusammen, so ergeben sich Entwicklungs- reihen, deren Endglieder sich von der Ausgangsform bis fast zur Unkenntlich- keit entfernen. Neben Formen von gewaltiger Körpergrösse kommen eigentliche Zwerge vor, der Fetthöcker erscheint bald mächtig entwickelt, bald ist er nur schwach oder vollständig fehlend. Die Kopfform ist bald schmal, bald breiter. Das (Gehörn, im einen Fall drehrund, im andern abgetlacht, ist mittel- gross bis kurz, daneben erlangt es besonders bei afrikanischen Zeburindern Die Hausrinder. 149 zuweilen eine kolossale Grösse, sodann sind gewisse Formen schlapphörnig und schliesslich vollkommen hornlos. Der Verlauf des Gehörns ist wiederum den stärksten Schwankungen unterworfen. Der Zebu erweist sich als das formenbiegsamste aller unserer Haustiere und seine ausser- ordentliche Vari- ationsfähigkeit, die beiden Primi- geniusabkömm- lingen sehr viel eingeschränkter erscheint, dürfte nicht im Hausstande wohl erst im ganzen Um- fange erworben worden sein, son- dern wurde als Erbstück von der wilden Stamm- art herüberge- nommen. Schon diese Thatsache weist auf den Banteng hin, dessen Vari- ationsfähigkeit keinem an- Wildrind wird. von deren erreicht Der Sundaochse besitzt wie der Zebu 13 Rippen- paare, bei beiden zeigen die Rückenwirbel in Mehrzahl der Schädel der Banteng-I 52: uh von ‚ben. Original doppelteNerven- öffnungen. Dabei anatomische sind Uebereinstimm- ungenimSchädel- bau in über- raschender Zahl Um nachzu- vorhanden. diese weisen, wird man sich in erster Linie an die asiatischen Zebu- rinder wenden, weil sie der ver- muteten Stamm- quelle näher- liegen als die afrikanischen Formen. Ich als Paradigma wähle den bengalischen Zebu., der in den zürcherischen Sammlungen durch einen wohl- erhaltenen und rassenreinen Schädel treten ist. Ver- Der- selbe erscheint in den äusseren Umrissen auffallend pferdeähnlich und weil einer grossen Rasse angehörend, gehen seine Dimensionen merklich über den Banteng hinaus. Die Basilarlänge des Schädels beträgt an diesem Stück 45 Centi- meter, die Profillänge 42 Centimeter, gegenüber 43,5 Centimeter und 49 Centimeter beim Bantengstier unserer Sammlung. Die lange, schmale Kopfform beim bengalischen Zebu, sowie das 150 Die Abstammung der ältesten Haustiere. allgemeine Gepräge des Schädels zeigt eine auffallende Uebereinstimmung mit dem weiblichen Banteng, die Stirn ist nach allen Seiten stark abfallend, nach hinten abgerundet, verschmälert. Die Wölbung derStirnfläche die Kante ge- gen daslHlinter- hauptdagegen zwischen den scharf vor- Augen ist so tretend; die stark, dass die Hornzapfen Supraorbital- sitzen aut rinne ver- kräftigen, säu- streicht; da- lenförmigen durchwird das Stielen, in Profil s/ark geramst. Die welche die Stirnfläche \ugenhöhlen hinten ausge- treten fast gar zogen er- nicht aus dem scheint. Die Stirnumriss Maxillarhöckeı heraus; der sind mässig IHinterhaupts- stark, die Joch- höcker sehr bogen auffal- schwach, von lend schwach. ihm aus ver- Das Ge- läuft in der hörn ist stärker Stirnmitte, die als bei der eine Längs- Bantengkuh, rinne besitzt, imübrigen von eine scharfe, ganz ähn- niedrigelieiste lichem Ver- nach vorn. lauf d.h. nach Die Schläfen- hinten gerich- gruben er- tet,inderFlucht scheinen weit der Stirn ver- und wenig tief laufend und wie beim Ban- mitdenSpitzen teng, ebenso einwärts Se- fe) ist der obere krümmt. l 3 d., wer > N Rand gegen Schädel desfbengalischen Hausrindes von oben. Origina Die Stell- die Stirn hin ung der Back- kenzähne ist schief, die Marken einfach, das Schmelzblech kräftig, der Unterkieferast senkrecht aufsteigend, der Nasenast des Zwischenkiefers kurz d. h. nicht bis zu den Nasenbeinen heranreichend. Die Hausrinder. 151 Ist also das Gesamtbild demjenigen des weiblichen Banteng ungemein ähnlich, durch die Domestikation nur wenig modifiziert, so findet sich doch ein anatomisches Merkmal beim Bengalenzebu, das eigenartig ist, nämlich ein mächtiger Frontalwulst, der als abgerundete Leiste sich erheblich über die Hinterhauptstläche hinausschiebt. also primigeniusähnlich ist. Dieser Wulst fehlt dem Banteng in beiden Geschlechtern, der Bau des Oceiput weicht ab, was oflenbar /ätzmeyer verhindert hat, vorläufig einen sicheren Zusammenhang anzunehmen. Hier hat nun der afrikanische Zebu Aufklärung geboten. Ich habe in den Somaliländern eine Schädelserie gesammelt, also auf einem Gebiet, das Fig. 54. Schädel des zentralafrikanischen Watussi-Rindes. Aufnahme von %. Dürst (Museum für Naturkunde in Berlin.) bis in die jüngste Zeit von der Welt abgeschlossen war und offenbar eine primitive Zeburasse beherbergt. Das Somalirind vermittelt nun in schönster Weise die Extreme in der Bildung des Hinterkopfes, wie sie die Banteng- kuh und das Bengalenrind aufweisen. Gerade im Hinterhaupt variieren meine Exemplare ungemein, bald schneidet die Schläfengrube wenig, bald recht tief ein, bald ist ein hoher Occipitalhöcker vorhanden, bald fehlt er; an einzelnen Schädeln ist der Frontalwulst stark hinten übergreifend, an anderen schwach entwickelt; an einem zierlichen, schwach geramsten Schädel fehlt er vollkommen und das Hinterhaupt hat die Verhältnisse des weiblichen Banteng getreu erhalten. Die Hornzapfen zeigen den gleichen Bau, da sie wie wurmstichiges Holz aussehen. 152 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Der Stirnwulst, wo er vorkommt, ist somit ein neuer Erwerb, der erst während der Domestikation gemacht wurde. Im übrigen gibt es schon in Asien neben langköpfigen Zebu mit schmaler Stirne auch breitstirnige Formen. Auf afrikanischem Boden sehen wir die Schädelmetamorphose der Zebu deutlich drei verschiedene Richtungen einschlagen. Zunächst bleibt die lange, schmale, hinten verengte Schädel- form mit schwach geramstem Profil vom Sundaochsen her erhalten, aber das Gehörn wird schwächer, oft schlapphörnig, zuletzt treten vollkommen hornlose Formen auf. Die Somalirinder weisen diese Verhältnisse recht typisch auf. Bei einer zweiten Gruppe, wie z. B. beim Hawaschrind und bei dem zentralafrikanischen Watussi-Rind wird das Gehörn mächtiger, oft geradezu kolossal, später ändert die Richtung, indem es sich über das Stirnprofil erhebt und zuletzt leierartig wird, Hand in Hand damit geht meistens eine Abflachung der Stirn, so dass wir eine Konvergenz zum europäischen Primigenius erhalten. Ich habe diese Zeburinder unlängst als „riesenhörnige Sanga-Rasse* bezeichnet: das altägyptische Langhornrind muss ihr zugerechnet werden. Eine dritte Gruppe endlich erscheint mehr oder weniger breitstirnig, die Augenhöhlen treten über die Stirnfläche empor, das Gehörn bleibt kurz. Schon bei Madagaskar-Rindern konnte ich diese Verhältnisse nach- weisen, auffallender tritt die Erscheinung gegen den Norden Afrikas zu Tage, am extremsten bei den buckellosen kleinen Rindern von Algier und Marokko, deren Zebublut ja nicht zu leugnen ist, die aber vollständig den Charakter des Torfrindes oder Brachyceros-Rindes gewinnen. Fassen wir schliesslich zusammen, welche Merkmale im Schädelbau dem weiblichen Banteng und dem Zebu gemeinsam sind, so ergiebt sich: I. der allgemeine Umriss des Schädels, der bei beiden lang und schmal erscheint und nach hinten verengt ist: 2. das geramste Profil, das bei asiatischen Zebu sehr ausgesprochen, bei manchen afrikanischen Zebu (Somalrind) ebenfalls vorhanden ist; 3. der allseitige Abfall der Stirnlläche; 4. die Beschaffenheit der Augenhöhlen, die beim weiblichen Banteng und bei vielen Zebu (nicht bei allen) fast gar nicht aus dem Umriss der Stirn heraustreten; 5. die Richtung des Gehörns bei südasiatischen Zebu; 6. die eigentümliche Beschaffenheit der Hornzapfen, die bei beiden wie wurmstichiges Holz aussehen; 7. die breite und flache Schläfengrube; S. der abgerundete Rand der Schläfengrube nach der Stirn hin; 9. die Form der 'T'hränenbeine, deren oberer Rand gerade oder nur schwach ausgebuchtet ist; 10. Die Knochenlücke an der Stelle, wo Thränenbein, Stirnbein und Nasenbein zusammenstossen; Die Hausrinder. 153 Il. die Kürze des Nasenastes des Zwischenkiefers, der sehr häufig die Nasenbeine nicht erreicht; 12. die schiefe Stellung der Backenzähne: 13. der einfache Bau der Marken und die kräftige Entwicklung des Schmelzbleches; 14. der senkrecht aufsteigende Ast des Unterkiefers. Dieser gemeinsame Betrag an wesentlichen anatomischen Merkmalen 2st also so gross, steigt sie schon auf dass meiner Anszcht nach kein Zweifel bestehen kann, dass der Zebu nichts anderes als em durch Domestika- Lion veränderter 50 %,, beim Mada- gassenrind hält sie sich bereits über 50%, und beim So- malirind fand ich in einem Fall sogar 54 Dis: Banteng ist. Für meine Auf- Die Domesti- fassung der Ab- kation hat neben den früher hervor- gehobenen Modifi- kationen den Ge- stammungdesZebu- Rindes kann ich noch einen bild- lichen Beleg aus sichtsteil etwas ver- derfrühägyptischen kürzt, wodurch die Zeitanführen. Zwei Stirnlänge relativ Schieferplatten, die eine Zunahme er- entweder den aller- fahren musste. Die ersten Dynastien Stirnlänge beträgt oder der ihr un- beim weiblichen mittelbar vorher- Banteng meiner gehendenNegadah- Sammlung nur 48 °o zeit angehören, der Schädellänge weisen eigentüm- (beim Stier aller- BEL liche Rinderdarstel- dings 52 °/,). Beim Bantengähnliches Hausrind aus der urägyptischen Jungenauf,die unsere Negadahzeit. (Musde du Louvre.) = . ega alızei ( uSsce u uvre Archaeologen wIe- bengalischen Zebu derholt beschäftigt haben. Die Schieferplatte von Gizeh lässt wegen einer Bruchstelle die offenbar zahmen Rinder etwas unvollkommen erkennen. Dagegen findet sich in Paris im Musee du Louvre eine zweite Platte mit einem vortrefflich gezeichneten Stierbild.‘) Die Gestalt weicht von den Stierdarstellungen der IV. und V. Dynastie ab, ist aber denjenigen der Gizeh-Platte sehr ähnlich. An der ägyptischen Herkunft des Fundobjektes kann nicht gezweifelt werden. Als Bütfelfigur kann das erwähnte Bild nicht | ) Vergl. Zeuzey. Revue archaeologique 1890, sowie %. de Morgan. Recherches sur les origines de l’Egypte. Paris. 1897. 154 Die Abstammung der ältesten Haustiere. aufgefasst werden, schon der RKopfbildung wegen. Der Stier auf der Platte des Louvre zeigt vielmehr im Verlauf des Gehörns, in der auffallenden Stirnbreite und in der Kürze der Schnauze die typischen Kennzeichen eines alten Banteng-Stieres. - Wir sind daher zu der Annahme gezwungen, dass das Hausrind der frühägyptischen, vorpharaonischen Zeit der Bantengstamm- [form noch sehr nahe stand. Die heutige Verbreitung des Zebu in Asien und Afrika mag hier etwas eingehender erörtert werden. IM. Marshall hat in seinem bekannten „Atlas Fir. 56. Zebu-Rind von Ceylon. der Tierverbreitung“ die Grenzen offenbar etwas zu eng gezogen.') In dem ursprünglichen asiatischen Stammgebiet sind es wohl die alten dravi- dischen Volkselemente gewesen, welche den Banteng zuerst in den Haus- stand übergeführt haben, denn noch heute erscheint der Zebu am dichtesten in ihrer Heimat in Indien. Von Singapor bis Ceylon und Bombay wird eine bantengähnliche Rasse mit stark geramstem Kopf und nach hinten gewendeten, an der Spitze eingebogenen Hörnern gehalten. An den südlichen Abhängen des Himalaja ist der Zebu in einer starken, grossen Form vorhanden: seine Färbung ist schwarz-weiss und die Herden der indischen Vorberge erinnern in ihrer Szenerie lebhaft an die schweiz- 1) W. Marshall. Atlas der Tierverbreitung (Berghaus phys. Atlas VI). Gotha. 1887. Die Hausrinder. 155 erischen Alpenthäler der freiburgischen Gruyere. In den Niederungen und Steppen ist das Rind schwächer gebaut. Nach mündlichen Mitteilungen, die ich Herrn AZax Ferrars verdanke, ist in Burma das Zeburind im Norden zahlreich und in einer grossen Form vertreten, in den Niederungen des Südens spärlicher vorhanden, weil der Büffel stark verbreitet ist. In Ostasien tritt es stark zurück, reicht aber nach dem wärmeren China und mehr vereinzelt nach Japan, wo Rinder gelegentlich als Zugtiere ver- wendet werden. Der höckerlose Schlag ist klein und kurzhörnig, meist schwarzscheckig. Weisse Rinder hat als Seltenheit früher der kaiserliche Hof in Japan gehalten. Damals fütterte man diese Tiere mit Artemisia, sammelte Urin und Mist sorgfältig, um sie in dem Regierungsdepot als Medizin an das Volk zu verkaufen, was grosse Einnahmen brachte. Jetzt ist man von dieser Sitte abgekommen. In Neuguinea besitzen die Papua das Rind nicht, dagegen sind die Inseln Bali und Lombok ihres grossen Rinderreichtums wegen die Fleischkammer für Java und Sumatra geworden, wo meistens „Balivieh“ eingeführt wird. Nach der Beschreibung, die Axe/ Preyer von diesem Balirind entwirft,!) handelt es sich um eine kleine, leichtgebaute Rasse, die dem marokkanischen Rind ähnlich ist. Das Kreuz ist hinten stark abfallend, die Beine verhält- nismässig hoch, der Kopf schwer mit kurzen, etwas aufwärtsgebogenen Hörnern; die Haarfarbe des Balirindes wird als braun oder schwarz be- zeichnet. Daneben werden auch bengalische Rinder eingeführt. Nach Westen hin findet man den Zebu in Persien, wo Pohlig prächtige schwarz und gelb getigerte Höckerrinder erwähnt. Nach demselben Autor geht eine kleine Zeburasse bis nach den kaspischen Rüstendistrikten hin- unter. In Mesopotamien und Kleinasien traten Buckelrinder bekanntlich frühzeitig auf, im heutigen Zweistromland sind sie durch den Büffel fast vollständig verdrängt worden. Arabien besitzt nach meinen Beobachtungen ein ziemlich kleines, zart- gebautes Rind von gelbbrauner Färbung, auch mit hellen Nuancen, aber kein eigentliches Fleckvieh. Der Fetthöcker ist klein, die Wamme stark entwickelt aber dünn. Die Hörner sind kurz und meist gerade unter einem Winkel von 45° nach aussen gerichtet, zuweilen abwärts gebogen. Wenden wir uns nach dem afrikanischen Wohngebiet, so ist dieses offenbar von Asien aus in einer sehr frühen Periode bevölkert worden, da wir Spuren des Rindes bereits in urägyptischer Zeit antreffen. D/yih ist sicher im Unrecht, wenn er die ursprüngliche Heimat des Zebu nach Afrika verlegt, da zu keiner Zeit ein Wildmaterial vorhanden war, an das der Phylogenetiker anknüpfen könnte. Da die älteste Kultur nicht im Norden des Nilthals, sondern umgekehrt in Oberägypten ansetzt, so hat unser Haus- 1) Axel Preyer. Die Rinder auf Java. Deutsche landw. Presse. August 1901. 156 Die Abstammung der ältesten Haustiere. tier vermutlich zuerst im Südosten auf dem Boden Aethiopiens seinen Ein- zug gehalten und dürfte über Südarabien vorgedrungen sein. Erst später d.h. zur Pharaonenzeit kamen auch von Westasien her Rinder nach Nordafrika. Ich habe im Laufe der Jahre die heutigen Rassen Afrikas an ver- schiedenen Punkten untersucht und vor einiger Zeit eine Verbreitungskarte entworfen.') Ueber die altägyptischen Rassen sind früher schon Angaben gemacht gründlich geändert, indem Seuchen {u worden, die Physognomie hat sich Hausrind von Oberägypten. Nach einer Aufnahme von 7. Sarasin. die Anwohner nötigten, sich nach einem widerstandsfähigeren Geschöpf um- zusehen und der Büffel an die Stelle des Hausrindes trat. Was in Unter- ägypten angetroffen wird, stammt aus Arabien oder aus dem südlichen Russland, ist also nicht mehr ursprünglich. In Oberägypten sind noch Be- stände der alten Rassen da, ein feinköpfiges, kurzhörniges, ziemlich mageres Rind ohne Fettbuckel. Eine ähnliche Form von hellbrauner Färbung oder rotbunt oder ge- tigert und ebenfalls ohne HHöcker lernte ich vor Jahren in Nubien kennen; sie besitzt eine feine Schnauze und erinnert im Habitus an das kleine algerische Rind. !\ €. Keller. Das afrikanische Zeburind. Vierteljahresschrift der nat. Ges. in Zürich. 1896. Die Hausrinder. 157 In der Erythraea sind in der Neuzeit vielfach Rinder aus Arabien und aus Bombay eingeführt worden. Der Ostsudan neben den Ländern am oberen Nil sind ihres Rinder- reichtums wegen berühmt, die Tiere werden mit grosser Sorgfalt gehalten und der Stamm der Baggara gab sich die Ehre, seinen Namen von der Kuh zu entlehnen. /artmann bemerkt, dass man in der Bajudawüste und in Süddongola Buckelochsen mit kurzem Gehörn antreffe; nach Schwezn- Furth ist das Rind der Dinka lang- und schlankhörnig, weisslich mit Leo- Fig. 58. Riesenhörniges Rind aus Süd-Abessinien. (Nach einer vorm aethiopischen Ministerium in Adis-Abeba übermittelten Originalaufnahme.) pardenflecken. Westlich vom Nil findet man vielfach das Rind nur selten, die Niam-Niam kennen die Kühe nur vom Hörensagen. Blühend ist die Viehzucht in Abessinien. Auf dem Hochplateau findet man grössere Tiere, die an unsere mittelschweren Rinder heranreichen. Die Stirn ist verhältnismässig breit und flach, die Schnauze kurz und fein- gebaut: das drehrunde Gehörn aufwärtsgerichtet und leierförmig; am Grunde hell, an der Spitze schwarz. von ansehnlicher Grösse. Nach den Mitteilungen von Minister A. //g wird in Tigre, Godjam und Schoa ein gleichtörmiger Schlag gezüchtet, der bis zu Höhen von 3500 Meter verbreitet und meistens schwarz gefärbt ist, das Gehörn hat einen Durchmesser von S—-9 Uentimeter. In den tieferen Lagen Abessiniens kommen weissgraue und schwarzscheckige, seltener rotscheckige Rinder vor. Im Südwesten, d. h. in Kaffa überwiegt die Kleinviehzucht, das Rind 158 Die Abstammung der ältesten Haustiere. wird selten gehalten. An der westlichen Abdachung gegen den Nil hin findet man bei den Wolega-Galla ziemlich grosse Rinder mit einer Horn- länge von 40 Centimeter, bei den mehr nördlich wohnenden Berta ist das Rind kleiner, kleinhörnig oder hornlos. Im Tieflande und zwar hauptsächlich im Thal des Hawasch, ferner bei den Dschilli und Arussi-Galla in der Umgebung des Zuai-See wird ein riesenhörniger Zebuschlag gezüchtet, dessen Gehörn gewaltige Dimensionen erreicht. Beispielsweise habe ich an einem Schädel eine Hornlänge von 115 Centimeter und 45 Centimeter Umfang gemessen. Bei den Sidama- Galla tritt ein kurzhörniger Rinderschlag auf: im Wohngebiet der Gada- Die schwarze Farbe ist ver- pönt. Die Kopf- bursiundDankali überwiegt ein langhörniges Sanga-Rind. bildung _unter- In den So- liegt starken \Va- rlationen, man findet schmal- stirnigeundbreit- maliländern wird die Viehzucht sehr stark be- trieben. Ich fand dort im Inneren stirnige Indivi- duen. Die Horn- überall ein kurz- länge misst 7 — 10 hörniges oder Uentimeter, völlig hornloses höchstens einmal Zeburind mit mässig stark ent- 20 Kentimeter. Die graugrünen Hornscheiden sind dick undauf- gefasert.Schlapp- hornrinder mit wickeltem Fett- buckel. Die Be- haarung ist kurz, dicht anliegend, die Farbe grau- beweglichen Fig. 59. weiss, gelbbraun Hornscheiden Schlapphorn-Rind aus dem Somaliland. Original. kommen sehr oder rotscheckig. häufig vor. Kurzhörnige Buckelrinder scheinen auch bei den Galla weit verbreitet; Deutsch-Ostafrika besitzt bis zum Kilimandscharogebiet ein ähn- liches Rind, in Unjoro sind nach ‚S/an/ey die Mehrzahl der Rinder hornlos. Stuhlmann und ©. Baumann berichten näheres über die zentralafri- kanischen Rinder. Die Hirtenkolonien, die vermutlich von Abessinien her eingewandert sind, besitzen ein mittelgrosses Rind von kastanienbrauner Farbe und feinknochigen Gliedern, dessen Gehörn ähnlich wie das Hawasch- rind Abessiniens eine kolossale Grösse erreicht und an der Basis einen Um- fang von 40—50 Centimeter erlangt. Dieses „Watussi-Rind* oder „Wahuma- Rind“, obschon stark im Rückgang begriffen, findet sich bei Uijij. dann westlich und nördlich vom Tanganyika-See, sowie im Westen des Albert-Eduard-See. Die Hausrinder. 159 Im Norden vom \iktoria-Nyanza wird nach epson ein Höckerrind mit grossem Fettbuckel und mittelgrossem Gehörn gehalten. Das Zambesigebiet beherbergt grosshörnige Rinder, dagegen kommt auch eine eigent- überwiegen breit- liche Zwergrasse stirnige und mittel- vor, die reichlich hörnige Rinder, Milch eibt. Beiden Makololo pflegt man die llörner Westmadagaskar weist ein schmal- stirniges, riesen- künstlich zu ver- hörniges Rind auf, unstalten. das offenbar von Im ostafrika- Afrika herüberge- nischen Archipel bracht wurde und istMadagaskarbe- dem Sangarind rühmtwegenseines Abessiniens ver- Reichtums an Rin- wandt ist. Die dern, die von den Maskarenen beher- Howa und den bergen kein eige- Sakalaven des nes Rind, die Be- Westens trefllich wohner beziehen gehalten werden. ihren Bedarf all- Das Madagassen- wöchentlich von rind ist ziemlich den ostmadagassi- tief gestellt, der schen Küsten- Fettbuckel um- plätzen. fangreich. Die Das breitstir- arbe ist braunrot, nige Transvaal- dunkelbraun, Rind ist meist schwarz oder rot- scheckig und gross- scheckig. Das Ge- hörnig, dasGehörn hörn erhebt sich mehr nach der Seite ausgelegt. Auch Madagaskar- über die Stirn- fläche, die Spitzen . Di = - erscheinen nach in Rinder kommen innen gebogen. In Schädel des Schlapphornrindes aus dem Somaliland gelegentlich vor. Original, (Landw. Sammlung Zürich.) Ostmadagaskar Mozambique hält meist madagassische Rinder, die von der Sakalavenküste eingeführt werden. In Südwestafrika ist der frühere Reichtum der Hottentoten, die grosse Herden hielten, zerfallen. Nach /ans Schinz ist dagegen die Rinderzucht bei den Herero sehr blühend. die Bullen haben oft einen stattlichen Fett- höcker, der den Ochsen und Kühen fehlt. Die Hörner sind weit ausge- lest und lang. Die in Südafrika weit verbreitete Rasse der Betschuanen, 8 s 160 Die Abstammung der ältesten Haustiere. R PER Fir. 61, Langhornrind von \West-Madasaskar. Original Fir. 62 Uransvaal-RKind, 2 Ri > % er Ü % r { Die Hausrinder. 161 buckellos und meist rotscheckig, zeichnet sich durch ein kolossales, weit- ausgelegtes Gehörn aus. Mehr im Norden, in Angola ist das Rind klein und kurzhörnig, besitzt aber einen Fetthöcker; es stammt vermutlich aus dem Zambesigebiet. In Westafrika bis zum Senegalgebiet tritt die Rinderzucht ganz zurück; an der Loangoküste fehlt das Rind, bei den Krunegern tritt es sehr ver- einzelt auf, dagegen ist es im mittleren Sudan wieder zahlreich und gross- hörnig. Im Innern von Marokko, dann in Algier lebt eine kleine, kurz- ind von Marokko. (Nach Tawel.) hörnige Rasse (Race algerienne), die sich unseren kleinen Braunviehschlägen auffallend nähert. Die Glieder sind fein gebaut, der Schwanz erreicht fast den Boden und ist am Ende buschig. Ein Fetthöcker ist nicht vorhanden. Von der Farbe wird angegeben, dass sie auf dem Rücken und Becken grau erscheint, unten aber in russiges Schwarz übergeht. In den algerischen oehalten. erosshörnige Rinder g Niederungen werden daneben DIE BRACHYCEROS-RINDER EUROPAS ALS ABKOEMMLINGE DER SUEDLICHEN ZEBU-RINDER. Die Frage nach der Abstammung der kleineren, kurzhörnigen Rinder Europas, wie sie uns im Braunvieh der Alpen, im illyrischen Rind, in manchen englischen und nordeuropäischen Rassen entgegentreten, ist vielfach Gegen- stand der Kontroverse gewesen. Die nächstliegende Quelle in dem prä- historischen Torfrind zu suchen, war ganz naturgemäss. Allein die Frage erschien damit nicht vollständig gelöst, denn die Torfrasse war ja bereits Il 162 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Haustier. Eine zugehörige wilde Stammform war mit Sicherheit in Europa nicht aufzufinden, da Bos primigenius hier nicht in Frage kommen kann und so war man genötigt, eine aussereuropäische Herkunft für die alten Torfrinder und ihre heutigen Nachkommen anzunehmen. Die afrikanische Abstammung und ein Zusammenhang mit dem Zebu ist in früherer Zeit mehrfach behauptet worden, aber ohne die anatomische Begründung liefern zu können. Man kannte eben die Zebuformen damals gerade da nicht, wo man die Antwort erwarten konnte. ätimeyer begnügte sich daher folgerichtig mit einer abwartenden Haltung, wies jedoch gelegentlich auf die Zeburinder hin. Es ist naheliegend, dass ein so anpassungsfähiges Haustier, das sich über gewaltige Räume der beiden Nachbarkontinente verbreitet hat, schwer- lich vor dem kleinen Europa Halt machte, das ja geographisch genommen nur eine bescheidene Dependenz Asiens darstellt. Der Nachweis, dass eine dem Torfrind ganz nahe stehende Rasse sich auffallend rein in Nordafrika erhalten hat, ist gewiss bedeutungsvoll. Schwerlich handelt es sich um eine afrikanische Besiedelung mit alten europäischen Rindern, denn jene Rasse reicht bis tief nach Marokko hinein, also in ein seit langer Zeit abgeschlossenes Kulturgebiet. Der umgekehrte Fall ist also viel wahrscheinlicher und auf Grund neuer Erhebungen habe ich 1896 darauf hingewiesen, dass die Annäherung des afrikanischen Zeburindes an unsere europäischen Braunviehschläge und Brachyceros-Rinder um so deutlicher wird, je mehr man in Afrika nach Norden vorschreitet. Schon Nubien besitzt eine feinköpfige und kurzhornige Rasse, die dem algerischen und marokkanischen Rind auffallend nahesteht. Es muss nun im einzelnen nach- gewiesen werden, ob anatomische Uebereinstimmungen im Schädelbau nach- weisbar sind. Bei der ausserordentlichen Variationsfähigkeit des Zebu wird man sich weniger an ziflernmässige Erhebungen, sondern an das Gesamtgepräge zu halten haben. Die lange und schmale Form des Brachycerosschädels ist bekanntlich auch eine Eigentümlichkeit der Zeburassen. Die Stirnlänge des Braunviehs hält sich über 50 °/, der Schädellänge, das gleiche habe ich für ostafrikanische Zeburinder (bis zu 54°/,) nachgewiesen. Scheinbar ist der Hornansatz verschieden, unserem Brachyceros fehlen die dem Zebu eigentümlichen cylindrischen Hornstiele. Nun finde ich in dem kleinen Rind Sardiniens eine merkwürdige Form, die dem alten Torf- rind wohl noch näher steht als das Albanesenrind. Der Schädel zeigt einen ungemein zierlichen Bau mit allen Merkmalen des typischen Brachyceros, aber zu meiner nicht geringen Ueberraschung bemerkte ich, dass die hinteren Ecken der Stirn wie beim Zebu in deutliche cylindrische Hornstiele aus- gezogen sind und das aufsteigende Gehörn sıch gegen das Ende zebuartig: nach hinten wendet. Beim sardinischen Rind haben sich also neben den Die Hausrinder. 163 Braunviehmerkmalen, die sich namentlich auch in den stark aufgetriebenen Augenhöhlen zeigen, unzweideutige Zebumerkmale erhalten. Beim Braunvieh sind die Hornscheiden abgeplattet, was auch bei vielen Höckerrindern der Fall ist. Die Neigung der kleinen Rinder Europas, hornlos zu werden, ist schon zur Pfahlbauzeit vorhanden (Akeratosform) und tritt vielfach beim Zebu auf (Somalirind, Rind von Unjoro und Berta, altägyptisches hornloses Rind.) Beim Zebu verläuft häufig in der Stirnmitte, wo die beiden Stirnknochen Fig. 64 g Schädel des Rindes von Sardinien. Original. (Landw, Sammlung Zürich.) zusammenstossen, eine feine Leiste. Das Merkmal ist zwar nicht konstant, aber es kommt auch bei europäischen Brachycerosrindern vor. Wenigstens zieht sich vom Hlinterhauptshöcker eine kürzere oder längere Leiste nach vorn. Im Bau der Augenhöhlen bestehen scheinbar die grössten Gegen- sätze. Bei den asiatischen und manchen afrikanischen Zebu sind sie am Rand eingezogen und treten fast gar nicht aus den Umrissen der Stirn heraus, beim Torfrind und unseren europäischen Braunviehschlägen treten sie dagegen stark hervor und erheben sich mit ihrer Wölbung derart über die Stirnfläche, dass letztere zwischen den Orbitae vertieft erscheint. Diese starken Gegensätze werden aber in schönster Weise von gewissen afrikanischen Zeburindern überbrückt. Schon das Howarind in Ost- und Zentralmadagaskar ist breitstirnig mit vorgewölbten Orbitae, weit mehr ist das Transvaalrind, das offenbar vom Rind der Betschuanen abstammt, 164 Die Abstammung der ältesten Haustiere. unserer Braunviehrasse angenähert, hier wird die Stirn hinten breit, die Augenhöhlen treten stark heraus und erheben sich derart über die Stirn- fläche, dass diese eingesenkt wird. Bei dieser südafrikanischen Zebutorm finde ich an einem Schädel die Hinterhauptsfläche mit der Stirnfläche einen spitzen Winkel bildend, genau wie es für unsere europäischen Brachyceros- rinder angegeben wird. Gegenüber dem Primigeniusrind ist die Schläfengrube beim Braun- vieh breit und flach, recht typisch sind die Schläfengruben beim Rind von Sardinien — ganz wie beim Zebu. Auch der Stirnrand ist häufig abge- rundet, während am Hinterhaupt die Kante über der oft tief einschneidenden Schläfe scharf hervortritt (Moosrind, Sardenrind). Die dreieckige Knochenlücke zwischen Thränen- und Nasenbein, beim Zebu so häufig vorkommend, findet sich auch bei unseren Braunviehschlägen. Ebenso verhält es sich mit dem kurzen Nasenast des Zwischenkiefers. Der Zahnbau lässt wiederum Uebereinstimmungen erkennen. Die schiefe Stellung der Backenzähne in den Kiefern, der einfache Verlauf der Schmelz- falten, die kräftige Entwicklung des Schmelzbleches, so typisch für unsere reinen Brachycerosformen, sind Eigenschaften, die auch der Zebu besitzt. Rechnen wir hinzu, dass hier wie dort der Unterkieferast serkrecht auf- steigt und nicht schief wie beim Primigenius, so ist der gemeinsame Betrag an Schädelmerkmalen ein so hoher, dass wir zin europäischen Brachyceros- rind eben einfach einen Ausläufer der Zebugruppe zu erkennen haben. Dieser Schluss ist im Hinblick auf die ungemeine Variationsfähigkeit des Zebu und in Anbetracht der für Afrika nachgewiesenen Zwischenformen ganz natürlich. Der Umstand, dass am Nordrand des Nachbarkontinentes im Süden unser altes Torfrind gleichsam noch fortlebt und zwar in sehr abge- schlossenen (sebieten, deutet auf einen afrikanischen Import der ältesten Rinder, das Torfrind war in seinen Rasseneigentümlichkeiten gewissermassen schon fertig, bevor es auf südeuropäischen Boden übertrat. Diesen Uebertritt erklären wir uns leicht aus den regen Wechsel- beziehungen, die offenbar schon in einer sehr frühen Periode vorhanden waren. Dass sie später während des Mittelalters und bis in die Neuzeit hinein durch die feindselige Invasion des Islam für uns unterbrochen wurden, das alte Kulturland im Nilthal vor einem Jahrhundert gleichsam neu ent- deckt werden musste, ist eine für unsere Frage rein nebensächliche Er- scheinung. Damit will ich nicht behaupten, dass uns Afrika allein Rinder geliefert hat. Die kleineren beweglichen Zeburinder haben noch eine zweite Wander- strasse nach Europa eingeschlagen, die über Mesopotamien und Kleinasien führte. An historischen Belegen fehlt es ja nicht. Ich halte diesen direkten Import aus Asien für sekundär und nicht sehr ausgiebig und möchte zu Gunsten meiner Ansicht neben den früher angeführten anatomischen Be- Die Hausrinder. 165 funden bei den Rindern Afrikas auf die ausserordentliche Entwicklung der Rinderzucht hinweisen, die sich im Nilthal schon sehr früh, schon zur Zeit der ältesten Dynastien bemerbar macht. In letzter Instanz ist freilich alles, auch der afrikanische Bestand, asia- tischer Herkunft und wir haben auf einem langen Umweg die Fäden unserer europäischen Brachycerosrinder bis zum südasiatischen Banteng (Bos sondaicus) verfolgen können. Vielleicht darf anhangsweise noch einer kleinen Aeusserlichkeit gedacht werden, um sie für meine Beweisführung zu verwerten. Bekanntlich ist der Banteng durch eine umfangreiche weisse Stelle an den Hinterbacken (Spiegel) ausgezeichnet. Ich habe unter den einfärbigen Braunviehkühen um das Gotthardmassiv herum wiederholt Individuen beobachtet, die an den Hinterbacken sehr licht gefärbt sind, also den Spiegel erkennbar an- gedeutet haben. Es ist dies wohl eine Rückschlagserscheinung. Endlich mag noch hervorgehoben werden, dass beim kurzhörnigen Braunvieh ab und zu Individuen mit „Tigerfärbung“ vorkommen, was ich ebenfalls als Rückschlag in die Zebufärbung ansehe. In den Alpen ist die Erscheinung sehr selten, tritt dagegen nach den Angaben von Z. Adametz beim illyrischen Braunvieh zuweilen auf. Aus Agram berichtet mir ©. Zranges, dass unter den einfärbigen Kurzhornrindern Kroatiens etwa 2—-3°/, der Individuen tigerstreifig sind. Nach dem gleichen Beobachter besitzen manche kroatische Rinder auf dem Widerrist einen kleinen, aber deutlichen Buckel, der ohne Zweifel als atavistischer Anklang an den Zebu zu deuten ist. Untersucht man das Verhalten des brachyceren Zebuzweiges in Europa auf den verschiedenen Wohngebieten, so erscheint das Gepräge durchaus nicht so einförmig wie man vielfach angenommen hat. Freilich sind die Bestände nach ihrer Rassenzugehörigkeit noch lange nicht mit der nötigen wissenschaftlichen Schärfe durchgearbeitet, eine Vervollständigung unserer Kenntnisse ist daher noch Aufgabe der Zukunft. Aber was bisher vorliegt, deutet auf eine recht bedeutende Variationsfähigkeit. Als bekannteste Vertreter brachycerer Rinder sind die einfärbigen Braunviehschläge der Zentralalpen hervorzuheben. Die Farbe variiert vom Dunkelbraun bis zum hellen Mäusegrau, Aalstrich und Rehmaul sind hell. Dieser Alpen-Brachyceros ist ein direkter, aber doch etwas modifizierter Nachkomme der alten Torfrinder; am reinsten erhalten erscheint er um das Gotthardmassiv herum; die schweren Schwyzerschläge dürften etwas Primigeniusblut aufgenommen haben. Durch die zahlreichen Untersuchungen von Z/. Adametz'‘) über die 1) 7. Adametz. Studien zur Monographie des illyrischen Rindes. Journal für Landw. 1895, ferner: Untersuchungen über den Schädelbau des albanesischen Rindes 1898, und Studien üher Bos brachyceros europaeus, 1898. 166 Die Abstammung der ältesten Haustiere. österreichischen Rinder wurde der Nachweis erbracht, dass das polnische Rotvieh. sowie die litauischen und westrussischen Landrassen ebenfalls dem Brachycerosstamm zugerechnet werden müssen, ebenso das illyrische, monte- negrinische und albanische Rind. Nach dem genannten Autor ist das auf der Balkanhalbinsel weit verbreitete Albanesenrind auf einer sehr niederen Entwicklungsstufe stehen geblieben und dem Typus des mitteleuropäischen Pfahlbaurindes näher stehend als das schweizerische Braunvieh. Beachtens- wert erscheint, dass der Schädel desselben meist auf der Mittellinie der Stirn einen kürzeren oder längeren Kamm wie beim Zebu aufweist. Auch die insularen Gebiete des Mittelmeeres dürften bei ihrer Abge- schlossenheit noch vielfach solche primitive Brachycerosformen erhalten Eringer-Rind aus den Alpen von Evolena. Original. haben. Für Sardinien, dessen Rinder sehr klein sind, kann ich dies mit Bestimmtheit nachweisen. Es besitzt, wie das Albanesenrind, eine sehr breite und seichte Schläfengrube, ein Hauptmerkmal der brachyceren Rasse. Das Gehörn des Sardenrindes ist abweichend von allen mir bekannt gewordenen Formen, indem es sich aufwärts biegt, aber dann mit langen Spitzen sich nach hinten wendet. Im Westen Europas sind ebenfalls Abkömmlinge der alten 'Torfrasse erhalten geblieben. Die kleinen Kanalrinder (Jersey-Vieh) müssen denselben zugerechnet werden, ebenso die Hereford-Rasse und das Sussex-Vieh. Im Norden ist die Neigung zur Hornlosigkeit so stark ausgesprochen, dass man von einer in Bildung begriffenen Akeratos-Rasse reden kann. Arenander hat in seiner früher erwähnten monographischen Arbeit die weite Die Hausrinder. 167 Verbreitung ungehörnter Rinder nachgewiesen, so in Skandinavien (Fjell- rasse), Lappland, Finnland, im Uralgebiet. Skandinavische Rinder haben sich nach Island verbreitet und sind dort nach den vorliegenden Berichten meistens hornlos. In England kommt ungehörntes Rindvieh in überwiegender Zahl in den Grafschaften vom Norfolk und Suffolk vor, auch Wales besass vormals solches. Hornlose Rinder sind ferner in Schottland und Irland verbreitet, letztere Insel scheint vormals solche in grosser Zahl beherbergt zu haben, da in alten Ansiedelungen viele ungehörnte Schädel aufgefunden wurden. Aus den sehr gut ausgeführten Abbildungen, die Arenander von Fig. 66 Kurzkopf-Rind aus Spanien. (Nach $. Därst.) nordischen Akeratosschädeln veröffentlicht hat, spricht schon die so charakter- istische Schläfengrube, die breit, seicht und nach hinten erweitert erscheint, deutlich genug für die Verwandtschaft mit den alten Brachycerosformen von Südeuropa (Albanien, Sardinien) und der genannte Autor musste ge- legentlich die nahen Beziehungen zum hornlosen Zebu erwähnen. Ueber die Stellung der eigentümlichen Kurzkopfrasse (Brachycephalus) hat sich Zlätzmeyer dahin ausgesprochen,') dass sie als ein Kurzhornrind mit beginnender Mopsbildung angesehen werden müsse und Z. Adametz stimmte unlängst dieser Auffassung bei.”) Schon äussere Kennzeichen sprechen dafür. Das Eringer-Rind im Kanton Wallis ist in manchen Individuen dem Braunvieh in der Kopfbildung doch sehr angenähert und kaum kurzköpfig I) /. Rütimeyer. Ueber M. Wülckens’ Brachycephalus-Rasse des Hausrindes. Verh. d. nat. Ges. in Basel. 1877. 2) L. Adametz. Journal für Landwirtschaft. 1898. Pag. 316. 168 Die Abstammung der ältesten Haustiere. zu nennen, in andern dagegen wirklich der Mopsform entsprechend. Es ist vielfach schwarz mit weissen Abzeichen, doch wird es gegenwärtig ein- färbig bei der Zucht vorgezogen, ist dann russig schwarz oder dunkelbraun mit rötlichem Schimmer, aber das Rehmaul und der Aalstrich hell kastanien- braun, ein Merkmal, das auf das Braunvieh hinweist. Die insulare Verbreitung ist bemerkenswert; das Duxer-, Voigtländer- und Eger-Rind werden diesem Formenkreis zugerechnet. Die Kurzkopfrinder tauchen, soweit wir heute die Thatsachen über- sehen, zuerst auf dem Boden Italiens auf und wurden vermutlich durch römische Kolonisten nach Norden gebracht. Die Reste aus der helvetisch- römischen Zeit in Vindonissa und Aquae weisen auf ein sehr stattliches Tier hin, wie es sich heute noch im Südwesten von Europa vorfindet. So finden wir in Spanien und Portugal Schläge mit mächtigem Gehörn, deren Schädel vom podolischen Rind durchaus abweicht und extrem kurz- köpfig erscheint. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass diese Rinder schon in prähistorischer Zeit nach Europa gelangten, hier umgezüchtet wurden, ihrer Abstammung nach aber auf das altägyptische Langhornrind zurück- zuführen sind. Spätere prähistorische Funde verbreiten vielleicht über diesen Punkt mehr Rlarheit. Im Anhang zu den Hausrindern mag hier noch kurz der zahme Düffel erwähnt werden. Dass derselbe auf asiatischem Boden in den Hausstand übergeführt wurde, kann keinem Zweifel unterliegen. Allein über die Zeit und den Ort der ältesten Domestikation befinden wir uns noch im Unklaren. Im Süden und Osten von Asien tritt der Hausbüffel überall stark in den Vordergrund, wo wasserreiche Niederungen vorhanden sind, denn an solchen Lokalitäten ist er widerstandsfähiger als das Rind. Seine weite Verbreitung lässt die Vermutung aufkommen, dass er schon in prähistorischer Zeit domestiziert wurde. Doch sind bestimmte Anhalts- punkte zur Zeit in geringer Zahl vorhanden. Zayard giebt eine gute Abbildung eines altbabylonischen Cylinders, auf welchem eine männliche Figur aus einer Ampulle einem Büffel Wasser darreicht: dass es sich wirklich um einen Büffel handelt, lässt sich aus den sehr charakteristisch gezeichneten, deutlich gerippten Hörnern erkennen. Es dürfte sich um einen zahmen Büffel handeln, denn einen Wildbüffel zu tränken, wäre für einen Menschen wohl eine etwas schwierige Aufgabe. Ob nun gerade Mesopotamien als Bildungsherd angesprochen werden darf, erscheint wenig sicher und genauere Aufklärung haben wir erst dann zu erwarten, wenn die Prähistorie des mittleren und südlichen Asien weiter fortgeschritten sein wird. REDE N DAS TINUSSELFAE? G n er Erwerb dieses genügsamen Haustieres, das besonders für den | 2 er: : | Bewohner trockener, steppenartiger Gebiete der alten Welt, | später auch der neuen Welt, von ganz hervorragender wirt- schaftlicher Bedeutung wurde, fand ohne Zweifel in recht früher ann Do Zeit statt. Dafür spricht schon die weite geographische Verbreitung zu Beginn der historischen Periode, sodann die Spaltung in zahlreiche, von einander stark abweichende Rassen; endlich die psychische Eigenart der zahmen Schafe im Vergleich zu den Wildschafen, denn eine so völlige Umgestaltung des geistigen Charakters, durch Vererbung so sehr befestigt, dass Rückschläge geradezu ausgeschlossen sind, erforderte sicherlich ausser- ordentlich lange Zeiträume. In der That liegen positive Thatsachen zur Genüge vor, dass Hausschafe schon in der prähistorischen Zeit in ver- schiedenen Kulturkreisen vorhanden waren. PRAEHISTORISCHE SCHAFE. In Mitteleuropa scheint das Schat während der älteren Steinzeit nirgends im zahmen Zustande vorhanden gewesen zu sein, wie denn überhaupt der Höhlenzeit alle Haustiere fehlen. Zwar liegen Angaben vor, dass bei den Ausgrabungen in der palaeolitischen Niederlassung beim Schweizerbild im Kanton Schaffhausen Schafknochen in der ältesten Kulturschicht zum Vor- schein kamen. Dieselben sind jedoch so spärlich, dass die Vermutung nahe liegt, sie seien durch Zufall erst später in jene alte Kulturschicht gelangt, möglicherweise handelt es sich um Knochen des wilden Steppenschafes oder Arkal, das sich als Seltenheit in die Gegend von Schweizerbild verirrte, wie das ja auch mit andern Steppentieren der Fall war. Jedenfalls berechtigen die Angaben noch nicht zu positiven Schluss- folgerungen. Unzweideutige Spuren wirklich zahmer Schafe tauchen erst zu Beginn der neolitischen Zeit in den Pfahlbauniederlassungen auf. Schon Züätzrmeyer fiel es auf, dass die Reste in den ältesten Pfahlbauten noch spärlich sind, später aber häufiger werden und 7%. Studer konnte dies bestätigen; erst mit der Bronzeperiode macht sich ein entschiedener Aufschwung der Schaf- zucht bemerkbar. 170 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Anfänglich ist nur eine einzige und höchst eigentümliche Rasse vor- handen, das ziegenhörnige Torfschaf (Ovis aries palustris Aäötzimeyer). Ihr unvermitteltes Erscheinen auf mitteleuropäischem Boden weist auf eine Ein- wanderung von aussen her; über ihre Entstehung wird an anderer Stelle meine Auffassung dargelegt werden. Dieses eigentümliche Schaf hat sich über die römische Zeit hinaus erhalten und lebt in spärlichen Relikten noch gegenwärtig in den Alpen des bündnerischen Oberlandes. In der jüngeren Pfahlbauzeit erscheint eine neue, völlig hornlose Rasse, das Bronzeschaf. Da Zwischenformen fehlen, konnte dieses nicht durch Umzüchtung aus dem vorhandenen Torfschafmaterial hervorgehen, sondern gelangte als fertiges Kulturprodukt aus einer nicht näher zu bezeichnenden Region nach Mitteleuropa. Die heutigen Marschschafe der nordeuropäischen Niederungen dürften direkte Abkömmlinge jenes Bronzeschafes sein. Noch eine dritte, durchaus eigentümliche Rasse ist aus den prähistor- ischen Niederlassungen von Greng, Lattringen, Font, Lüscherz und Nieder- wyl bekannt geworden. Es ist ein auffallend grossgehörntes, merinoartiges Schaf, dessen mächtige Hornzapfen in der oberen Curvatur bis zu 26 Centi- meter massen.') Diese grosse Rasse war jedoch so selten, dass die Ansicht ausgesprochen wurde, die Gehörne seien möglicherweise nur als Trophäen in den Besitz der Pfahlbauer gelangt. Wahrscheinlich gehören diese Reste den ersten Vorläufern einer neuen eindringenden Rasse an, die erst mit Invasion der Römer im Norden der Alpen häufiger wird und deren Reste beispielsweise in der römischen Kolonie Vindonissa zahlreich zum Vor- schein kamen.?) DAS SCHAF DER ALTEN KULTURKREISE. Die altassyrische Kunst hat uns recht gute Schafdarstellungen über- liefert. Denselben können wir entnehmen, dass im Zweistromland die Rassen- zucht offenbar schon frühe stark vorgeschritten war. So findet sich am S. W. Palast in Nimrod aus der Zeit Tiglatpilesar II (745 v. Chr.) eine Reliefdarstellung mit der Beute, die in einer eroberten jüdischen Stadt ge- macht wurde. Aus dieser Stadt werden auch Schafe weggetrieben, die ganz unverkennbar der Fettschwanz-Rasse angehören und zwar besitzt der Schwanz einen recht beträchtlichen Umfang. Aut den persischen Steinmonumenten, insbesondere auf den Relief- friesen von Persepolis kommt später das Schaf wiederum zur Darstellung. H. Pohlig?) bemerkt darüber: „Die Widderbilder, welche dort eingemeisselt „sind, erinnern durch die kurzen, aufrecht stehenden Ohren an die wilden „Rassen oder an solche domestizierte, welche gegenwärtig in dem Orient !) G. Glur. Beiträge zur Fauna der Pfahlbauten. Bern. 1894. ?) 7. Krämer. Die Haustierfunde von Vindonissa. Revue suisse de zoologie. Geneve. 1899. ®) 4. Pohlig. Berichte des landwirtschaftlichen Instituts Halle. Heft VII. 1887. Die Hausschafe. 171 „nicht mehr vorkommen.“ Es scheinen lang- und schmalschwänzige Rassen gewesen zu sein, welche heute in Persien fehlen. In Palästina hatte die Schafzucht zu Salomon’s Zeit eine gewaltige Höhe erreicht, wie denn das Tier in der Bibel häufig Erwähnung findet. Fig. 67. Assyrische Fettschwanzschafe aus der Zeit Tiglatpilesar’s. 745 v. Chr. (British Museum.) Eigentümlich liegen die Verhältnisse in Aegy?ien. Marrette meint, dass das Hausschaf bei den Bewohnern des Nilthales noch zur Zeit der V. Dynastie fehlte und Däümzchen bestätigt, dass gerade auf den alten Denkmälern mit ihren reichen Tierdarstellungen das Schaf völlig fehlt, also während der ältesten Zeit des Reiches offenbar nicht vorhanden war. Gegenüber dieser, in weit verbreiteten Werken niedergelegten Darstellung, die noch in jüngster Zeit wieder von M. Much aufrecht erhalten wird, muss ich das Gegenteil betonen und habe früher schon den Sachverhalt richtig zu stellen versucht.') 1) C. Keller. Die Abstammung der Rassen unseres Hausschafes. Oesterreichische Molkereizeitung, Nr. 4 und 5. 1899. DD Die Abstammung der ältesten Haustiere. In Wirklichkeri besass Aegypten schon in vorpharaonischer Zeit eine eigenartige Wasse zahmer Schafe. Der direkte Nachweis ist durch Knochen- reste des Hausschafes geliefert, welche C/. Gazllard aus den neolitischen Küchenabfällen von Tukh kürzlich beschrieben hat.!) Von der gleichen Lokalität kenne ich eine sehr alte, prähistorische Zeichnung des Mähnen- schafes, die irrtümlicherweise als Antilope ausgegeben wurde. Es lässt sich freilich nicht entscheiden, ob diese Zeichnung ein domestiziertes Tier dar- Fig. 68 Urägyptische Hausschafe aus der Negadahzeit. (Schieferplatte des Museums in Gizeh.) stellt. Dagegen findet sich eine vorpharaonische Bilderei auf der Schiefer- platte von Negadah, welche im Museum von Gizeh aufbewahrt wird und von de Morgan veröffentlicht wurde.”) Auf derselben erscheinen Hausschafe, die wegen der noch vorhandenen Halsmähne sofort als Abkömmlinge des Mähnenschafs (Ammotragus trage- laphus) erkennbar sind; die wagrecht abstehenden Zackelhörner verraten jedoch den Einfluss der Domestikation. Da die Negadahzeit der Pharaonenzeit unmittelbar vorausgeht, so leitet dieses Schaf direkt zum Hausschaf des alten Reiches hinüber. In den neuesten Veröffentlichungen von /Znders Petrie?) ') C2. Gaillard. Le belier de Mendes ou le mouton domestique de l’ancienne Egypte. Soeiete d’anthropologie de Lyon. 1901. ?) De Morgan. Recherches sur les Origines de l’Egypte. Paris. 1897. ») W. M. Flinders Petrie. The Royal Tombs of the first Dynasty. Part. I. Pl. XXI. London. 1900. Die Hausschafe. 173 lässt sich dieses wieder zur Zeit der I. Dynastie in Abydos nachweisen. Es ist dann später in Gizeh und in Beni Hassan (XII. Dynastie) mehrfach abgebildet. Im mittleren Reich kommen bereits drei verschiedene Schläge dieser alten Rasse neben einander vor. Im neuen Reich, da an die Stelle der früheren Abgeschlossenheit eine regere Fühlung mit Asien beginnt, wandert eine neue, asiatische Schafrasse ein, die nach und nach die Oberhand gewinnt. Die in Stein gehauenen Widder, welche reihenweise als Schmuck bei den T'empeln und an den Prozessionsstrassen aufgestellt wurden, sind offenbar diesen neuen asiatischen Ankömmlingen nachgebildet. Wenden wir uns zum Boden des #lasszschen Altertums in Grıechen- land und Rom, so werden die Rassen- häufig auf, dass schon daraus auf eine grosse spuren immer deut- Ausdehnung seiner licher. Griechenland eig- netesichseinesK limas Zucht geschlossen werden darf. Die mykenische Kunst hat bildliche Darstellungen von und seiner Bodenbe- schaffenheit wegen ausgezeichnet für die zahmen Schafen ge- Schafzucht. In Poesie liefert, aus denen wir und Prosa tritt der aufverschiedene Ras- Träger des Woll- senschliessenmüssen. vliesses und seine Be- Fir. 00 Altgriechische Mün- deutung für die häus- Schaf auf einer kleinasintischen Münze zen weisen auf eine P 2 (Nach Zmhoof- Blumer.) S “ liche Industrie so merinoartige Rasse hin. Die Sage, dass die Griechen das goldene \liess, beziehungsweise dessen gelbwolligen Träger in Kolchis holten, giebt bedeutungsvolle Winke über die Herkunft gewisser wertvoller Schafe Griechenlands. In Phönicien kannte man die Ilerstellung prachtvoller Wollstoffe, sowie die Kunst des Färbens. Tyrus trieb einen schwunghaften Wollhandel, mit ihm wetteiferte Milet. Ueber Samos fand ein lebhafter Import von Schafen nach Griechenland statt, wo die epirotischen und attischen Zuchten später einen grossen Ruf erlangten. Griechische Kolonisten vermittelten über Sizilien ihre edlen Tiere der italischen Halbinsel und dem alten Gallien, wo an der Rhonemündung die griechische Kolonie Massilia entstand. Wenn Varro berichtet, dass die Schafe Apuliens vom Mai an herumwandern und die Hirten, um das Weidrecht auszuüben, sich bei gewissen Beamten an- melden mussten, so passt dies noch ganz auf die späteren Verhältnisse in Spanien. Dass die Römer bei ihrem Vordringen nach dem Norden der Alpen stark umgestaltend auf die wirtschaftlichen Verhältnisse Mitteleuropas einwirkten und auch die Schafzucht beeinflussten, lässt sich an der Hand der neuesten Funde unschwer nachweisen. 174 Die Abstammung der ältesten Haustiere. DIE WILDSCHAFE UND IHRE GEOGRAPHISCHE VERBREITUNG. Da geologisch gesprochen die Schafe eine verhältnismässig junge Gruppe darstellen, die offenbar erst in der gegenwärtigen Schöpfung ihren Höhe- punkt erreicht hat, so ist gerade hier die Wahrscheinlichkeit sehr gross, die wilden Stammformen noch unter den lebenden Arten anzutreffen. Bevor wir an die Abstammung der zahmen Rassen gehen können, müssen wir daher vorerst Umschau unter dem gegenwärtig vorhandenen Wildmaterial halten. Zoologisch genommen, lässt sich die Familie der Oves gut umschreiben. Die im allgemeinen mittelgrossen, ausnahmsweise auch stattlichen Wieder- käuer von kräftigem, aber nicht plumpem Körperbau besitzen ein Haar- kleid, das im Gesicht und an den Beinen kurz bleibt, am Hals und Körper länger erscheint. Unter dem Grannenhaar wächst im Herbst ein Unter- wollkleid, das sich im Frühjahr in Fetzen oder Flocken abscheuert. Das bleibende Wollvliess ist ein Resultat der künstlichen Züchtung und findet sich nur bei zahmen Rassen, aber nicht bei allen. Der Schädel ist in der Stirngegend eingesenkt, der Nasenteil bei den ächten Schafen mehr oder weniger konvex. Das Gehörn ist gewöhnlich dreikantig, im weiblichen (Geschlecht schwächer entwickelt als beim Widder; es kann sogar ganz fehlen (Mouflon). Es entfernt sich vom Ursprung an ziemlich rasch von der Medianebene. 'Thränengruben sind nur bei den ächten Schafen vorhanden. Die palaeontologische Vorgeschichte erscheint noch sehr lückenhaft. Die fossilen Reste beschränken sich auf vereinzelte Knochenfunde in dilu- vialen Ablagerungen Europas. Einen ziemlich grossen fossilen Schädel (Ovis antiqua) beschrieb Pormmerol 1879: er stammt aus Südfrankreich. Die bisherigen Funde in posttertiären Ablagerungen Nordasiens haben keine Formen geliefert, die von den in der Gegenwart lebenden spezifisch verschieden sind.!) Weitere Aufschlüsse haben wir vermutlich von der palaeontologischen Erforschung Zentralasiens zu erwarten, weil dort wohl der wichtigste Bild- ungsherd der heutigen Wildschafe zu suchen ist. Die Zahl der bisher in der Litteratur benannten Arten, die der Gegen- wart angehören, beträgt über zwanzig.) Die Artberechtigung derselben dürfte nicht durchweg gesichert sein; wir wollen nachher versuchen, dieselbe zu prüten. Ich möchte folgende natürliche Gruppen oder Formenkreise aufstellen: 1) $. D. Tscherski. Wissenschaftliche Ergebnisse. Mem. de l’Acad. d. St. Peters- bourg. 1892. ?) W. Peters. Monatsbericht der kgl. Akad. d. Wissenschaft. Berlin. 1876, ferner: A. Girtanner. Ueber die Wildschafe. St. Gallen. 1898, und E. L. Trouessart. Catalogus mammalium tam viventium quam fossilium. Berolini. 1898. Die Hausschafe, 175 a) Halbschafe. (Pseudoves.) Als Uebergangsstufe zwischen den Ziegen b) (2) d) und echten Schafen besitzen sie einen noch stark an die Ziegen an- klingenden Charakter, so fehlen ihnen die 'Thränengruben; ihr Gehörn wendet sich in weitem Bogen nach aussen. l. Mähnenschaf. (Ammotragus tragelaphus.) Nordafrika, am zahl- reichsten im Atlasgebirge und in Südtunesien. 2. Nahoor. (Pseudovis nahoor.) Im Himalaya, besonders im Quell- gebiet des Ganges. Mouflonartige Schafe. (Musimon.) Kleinere Wildschafe, die das west- liche Asien und Südeuropa bewohnen. Ihr Gehörn bildet eine un- vollkommene Spirale mit nach innen gebogener Spitze. 3. Mouflon. (Ovis musimon.) Gegenwärtig auf Sardinien beschränkt. Auf Korsika unlängst erloschen. 4. Cyprischer Moujlon. (Ovis ophion.) In den zentralen und west- lichen Gebirgen von Cypern bis 2000 Meter Höhe. Kreta?’ 5. Persischer Mouflon. (Ovis gmelini und Ovis anatolica.) Von Klein- asien bis Persien. 6. Urial. (Ovis cycloceros.) Im nordwestlichen Himalaya. 7. Schapuschaf. (Ovis vignei.) Kleintibet und Hindukusch. 8. Steppenschaf. (Ovis arkal.) Steppen vom Kaspisee bis Persien. Argalischafe. Diese auf Innerasien beschränkten Wildschafe besitzen einen in der Stirnzone stark verbreiterten Schädel mit dicken und relativ kurzen Stirnzapfen. Das dreikantige Gehörn nimmt von der Basis an in der Dicke rasch ab, bildet eine vollständige Spirale mit nach aussen gewendeter Spitze. 9. Argalı. (Ovis ammon.) Vom Baikalsee bis Nordtibet. 10. Ovzs hodgssonz. Nordabhang des Himalaya und Tibet. Il. Ozzs blythi. Tibet. 12. Ovzs jubata. Im Norden von Peking. Kaschgare. (Grosse innerasiatische Wildschafe mit kolossal entwickeltem Gehörn, das eine vollkommene Spirale besitzt; die dreikantige Horn- spitze nach aussen gewendet. 13. Pamirschaf. (Ovis poliil.) Auf der Pamirhochebene. 14. Ovis karelini. Berge von Tian-Schau. 15. Ovzs heinst. Turkestan und oberer Amu. 16. Owzs nzgrimontana. Karatau. Dickhornschafe. Von den nahe verwandten Argali durch die auffallende Dicke der Hornschale abweichend. Das Gehörn beschreibt eine Spirale, die an Dicke langsam abnimmt; die Spitze nach vorn, kaum nach aussen gewendet. 17. Eisschaf. (Ovis borealis.) Nordwestliches Sibirien. 18. Schneeschaf. (Ovis nivicola.) Kamtschatka. 19, Amerikanisches Dickhornschaf. (Ovis montana.) Nördliches Amerika. 176 Die Abstammung der ältesten Haustiere. 20. Kalfornisches Dickhornschaf. (Ovis californica.) Nördliches Kalifornien. Dazu gesellen sich noch einige Arten ohne genügende Diagnose, daher wir sie am besten ganz weglassen. Aber auch die zwanzig hier aufgeführten Arten lassen sich noch er- heblich reduzieren, da einzelne von ihnen nur auf geringfügigen Unterschieden im Gehörn beruhen. Zunächst dürften die kleineren Wildschafe von Sardinien, Cypern, Klein- asien und Persien bis zum Himalaya nur als geographische Abarten des Moutlon anzusehen sein; selbst Ovis cycloceros und Ovis Vignei können in ihrer Artberechtigung angezweifelt werden. Prand! hat wohl das richtige getroffen, wenn er zwei Abarten, eine Var. occidentalis und Var. orientalis des Mouflon annimmt. Dagegen bildet offenbar das Steppenschaf der Turk- menen (Ovis arkal) eine unanfechtbare Spezies, die den Mouflon an Grösse übertrifft und verhältnismässig langschwänzig ist. Die vier Argali-Arten lassen sich wohl ohne Not in eine zusammenfassen; das gleiche gilt für die Kaschgare. Die Dickhornschafe Amerikas in zwei Arten zu spalten, hat keine Be- rechtigung, aber auch das Schneeschaf von Kamtschaka kann ich auf Grund eigener Untersuchungen nicht vom amerikanischen Bergschaf unterscheiden, dagegen scheint mir das Eisschaft mehr Artberechtigung zu haben. Sehen wir ab von den ziegenähnlichen Halbschafen (Mähnenschaf und Nahoor), so lassen sich die gegenwärtig lebenden echten Wildschafe ohne Zwang auf ein halbes Dutzend Arten zurückführen (Ovis musimon, Ovis arkal, Ovis ammon, Ovis polii, Ovis borealis und Ovis montana). In diesem Sinne kann Asien als das Zentrum und als Bildungsherd aller echten Wildschafe angesehen werden. Asien beherbergt alle Arten und es sind nur zwei davon, welche noch auf Nachbarkontinente hinüber- greifen. Im Westen reicht der Mouflon nach den südeuropäischen Insel- gebieten, wo er besondere Lokalformen erzeugte. Im Osten hat das Dick- hornschaf von Ramtschaka aus zu einer Zeit, da noch alte Landverbind- ungen waren, einen Vorstoss nach dem nördlichen Amerika unternommen. Diese tiergeographischen T'hhatsachen geben uns deutliche Winke bezüglich der ältesten Bildungsstätte gewisser zahmer Rassen. ABSTAMMUNG DER HAUSSCHAFE. Die bedauerliche Unklarheit, welche bis in die jüngste Zeit hinsichtlich der Herkunft der einzelnen Rassen herrschte, mag es rechtfertigen, etwas eingehender bei diesem Gegenstand zu verweilen und dies um so mehr, als meine Auffassung von meinen Vorgängern erheblich abweicht. Eine genaue anatomische Durcharbeitung, wie wir sie beispielsweise für unsere Rinder besitzen, ist für manche Rassen noch nicht vorhanden, Die Hausschafe. 177 was mit der Schwierigkeit der Materialbeschaffung zusammenhängen mag. Immerhin lassen sich an der Hand der bisher gewonnenen Thatsachen wenigstens die Grundlinien der Stammesverhältnisse genauer feststellen. Im Laufe der Zeit sind verschiedene Wildschafe als Stammväter der zahmen Formen erklärt worden, man hat besonders auf den Mouflon und das Argalischaf hingewiesen. Einzelne Forscher, wie z. B. Gervazs dachten an eine bereits ausgestorbene Wildform — in dubio immer ein bequemes Auskunftsmittel! Ich stehe der Annahme ausgestorbener Stammformen — Bos primigenius soll nicht als Paradigma genommen werden — aus den früher dargelegten Gründen im allgemeinen skeptisch gegenüber. Von denjenigen Autoren, die der Abstammung des Hausschafes mit wissenschaftlichen Methoden näher getreten sind, hebe ich aus der neueren Zeit Julius Kühn‘) und Alfred Nehring”) hervor. Ersterer bediente sich der physiologischen Methode und berichtete 1888 über seine im Haustiergarten der Universität Halle angestellten Züch- tungs-, beziehungsweise Kreuzungsversuche. Obschon gerade beim Haus- schaf eine ausserordentlich starke Differenzierung in Rassen vorliegt, so gelang es 7. Kühn dennoch, Mutterschafe der verschiedensten Rassen er- folgreich mit dem Mouflon Südeuropas zu paaren. Er erhielt Bastarde mit den verschiedenen Formen der Merinos (Rlektorals, Negrettis, Ram- bouillets, Mauchamps), mit englischen Schafrassen, deutschen Landrassen, nordischen Kurzschwänzen, Zackelschafen, Graubündner Bergschafen, Berga- masker, ägyptischen Fettschwänzen, abessynischen Schafen, arabischen Stum- melschwanzschafen, Senegalschafen u. s. w. Die Bastarde erwiesen sich als fruchtbar, selbst bei extremer Incestzucht. Halbblutböcke erzeugten Nachkommen bei Anpaarung mit Müttern der Hausschafrassen, waren aber auch fruchtbar bei Paarung mit Bastardmüttern. „Es kann durch diese Versuche,“ sagt %. Aühn, „der Nachweis als sicher erbracht angesehen werden, dass Mouflon und Hausschaf nicht ver- schiedener Art sind, dass also ersterer in. der That ein Stammvater des letzteren ist.“ Die Zuchtergebnisse des verdienten Hallenser Forschers sind über- raschend ; aber wenn er daraus auf eine monophyletische Herkunft schliessen will und den Mouflon als gemeinsame Stammform hinstellt, so kann ich nicht beistimmen. Ich habe mich früher schon über den Wert der von ihm ausschliesslich in Anwendung gebrachten physiologischen Methode aus- gesprochen und dabei betont, dass diese nicht ausschlaggebend sein kann. Sie bedarf einer Kontrolle durch die vergleichende Anatomie. Zu abweichenden Ergebnissen ist 4. Nehring gelangt. Aus zoologischen oO 1) Julius Kühn. Festschrift zur Feier des 25-jährigen Bestehens des landw. Institutes der Universität Halle. 1888. 2) A. Nehring. Deutsche landwirtschaftliche Presse. 1891. 12 Die Abstammung der ältesten Haustiere. —_ En} [0 0) Gründen befürwortet er eine polyphyletische Abstammung; die zahlreichen Rassen lassen sich auf mehrere Wildformen zurückführen und es haben seiner Meinung nach im Laufe der vorgeschichtlichen Zeit in verschiedenen Ländern der alten Welt, namentlich Europas und Asiens, vielfache Domesti- kationen von Wildschafen stattgefunden. Als Stammquelle betrachtet zunächst den südeuropäischen Mouflon (Ovis musimon) auch Vehrzng'; als eine zweite das vom Kaspisee bis Persien heimische Steppenschaf (Ovis arkal). Die Haidschnucken, sowie die kurz- schwänzigen, dunkelhörnigen Schafe Europas sind Abkömmlinge des Moutlon, während die hellhörnigen, langschwänzigen Rassen vom asiatischen Steppen- schaf hergeleitet werden müssen. Aber auch innerasiatische Wildschafe, besonders das Argali haben Blut auf zahme Schafe vererbt. Ich habe seither!) an der Hand des morphologischen Vergleiches und unter Zuhülfenahme der tiergeographischen, urgeschichtlichen und ethno- graphischen T'hatsachen der Frage näher zu treten versucht. Ich nähere mich NeArrzng insofern, als ich einer polyphyletischen Abstammung der Rassen zustimme; anderseits weiche ich in wesentlichen Punkten von ihm ab: namentlich muss ich die innerasiatischen Argalis von der Stammvater- schaft ausschliessen. Zwar ist diese Art schon von Zallas herangezogen worden, aber die relativ bedeutende Stirnbreite, selbst beim weiblichen Schädel, dann die rasche Dickenabnahme des Gehörns beim Argali fehlen selbst bei den von mir untersuchten asiatischen Hausschafen so gut wie bei europäischen Rassen. Ich will damit nicht behaupten, dass wenn uns einmal die innerasiatischen Hausschafe genauer bekannt sind, da oder dort etwas Argaliblut fehlt; dann wären solche Vorkommnisse jedenfalls nur lokal. Einen irgendwie erheblichen Einfluss dieses Wildschafes bei der Entstehung zahmer Formen sind wir nicht berechtigt, zuzugeben. Die Kaschgare und östlichen Dickhornschafe kommen schon aus tier- geographischen Gründen nicht in Betracht. Nach meinen Untersuchungen haben wir drei grosse Bildungsherde zahmer Schafe mit drei zugehörigen Stammformen anzunehmen und zwar einen europärschen, einen aszatischen und einen afrrkanischen Bildungsherd. Wirtschaftlich mögen die drei von mir angenommenen Stämme ursprünglich sich das Gleichgewicht gehalten haben; mit Beginn der historischen Zeit hat sich jedoch das Verhältnis in der Weise verschoben, dass der asiatische Stamm immer mächtiger wurde und die alten Rassen der Nachbarkontinente zurück drängte. Der europäische Bildungsherd. In dem heutigen Rassenbestande Europas begegnen wir besonders im Norden auf den Gebieten, die wirt- schaftlich noch am wenigsten beeinflusst sind, kurzschwänzigen Formen von meist geringer Körpergrösse, die aus anatomischen Gründen von mir in Uebereinstimmung mit /Verrzng' als Mouflon-Abkömmlinge angesehen werden. !) €. Keller. Die Abstammung der Rassen unseres Hausschafes. Oesterreichische Molkereizeitung. Nr. 4 und 5. 1899, Die Hausschafe. 179 Dafür spricht vor allem die Form des Gehörns, wo sich ein solches erhalten hat. An einem Haidschnuckenschädel erkenne ich nicht nur einen dem Mouflon analogen Verlauf, sondern auch die Neigung der Hornspitzen, sich wie beim Mouflon nach innen zu wenden. Die starke Ausprägung der oberen Kante ist ein Merkmal, das uns auch beim Wildschaf Cyperns recht augenfällig entgegentritt. Die gut entwickelten, jedoch nicht übermässig tiefen Thränengruben, dann die mit ihrer Achse fast senkrecht zum Stirn- durchschnitt gestellten Augenhöhlen, deren Ränder sich vorn nur wenig verengen, weisen wiederum auf den Mouflon hin. Eine weitere Ueberein- stimmung besteht in der Kürze des Schwanzes. Die prähistorischen Kultur- verhältnisse wie die tiergeographischen Thatsachen weisen auf Südeuropa als Stammland hin. Mitteleuropa und Nordeuropa haben während der Diluvialzeit keine Mouflons besessen, während ihr Vorkommen für Cypern, Sardinien und Korsika allgemein bekannt ist; in neuester Zeit wird jedoch ihr Erlöschen auf Korsika signalisiert. Mehrfach ist behauptet worden, dass auf der Balkanhalbinsel noch Wildschafe vorkommen; nach meinen Erkundi- gungen scheint dies jedoch nicht der Fall zu sein. Da die Tiere, die im Sommer die Bergregion von 1500-1900 Meter bevorzugen, im Winter aber die tieferen Regionen aufsuchen, sich sehr leicht zähmen lassen, so wird die Ueberführung der Mouflons in den Hausstand leicht verständlich. Als ältesten Bildungsherd haben wir vermutlich die östlichen Mittel- meerländer anzusehen, ob auf den griechischen Inseln oder auf der Balkan- halbinsel, das lässt sich zur Zeit nicht entscheiden; vielleicht kommt mehr Licht in die Frage, wenn einmal Cypern und Kreta gründlicher durch- forscht sind. Da die Inselkultur des vorgeschichtlichen Griechenland augen- scheinlich sehr alt ist und der Mouflon sich in jenen Gebieten bis heute als Wildschaf erhalten hat.!) so ist es nicht unwahrscheinlich, dass auf dem Inselgebiet die erste Domestikation desselben stattgefunden hat. Prähistorische Knochenfunde liefern vielleicht später den genaueren Nachweis für diese Vermutung. Der asiatische Bildungsherd. Die Hausschafe asiatischer Abkunft sind offenbar sehr alt, dafür spricht das hohe Alter asiatischer Kulturen, die Erwähnung in den ältesten Schriftwerken (Genesis, Zend-Avesta, Veda) und die bildlichen Darstellungen, die weit zurückreichen, auch bereits die Merk- male starker Einwirkung durch künstliche Züchtung erkennen lassen. Der Reichtum Asiens an Wildschafen drängte geradezu dahin, daraus domesti- zierte Schafe zu gewinnen. Im Gegensatz zu den Mouflon-Abkömmlingen Europas sind die asiatischen Hausschafe ursprünglich alle langschwänzig. Es wurde bereits bemerkt, dass sowohl die Argali-Schafe als auch die ihnen offenbar nahestehenden Dickhornschafe des östlichen Asiens von der Stammvaterschaft auszuschliessen sind, da die auffallende Breite der Stirn- 1) $. Biddulph. On the wild Sheep of Cyprus. Proc. Zool. Soc, 1884, 180 Die Abstammung der ältesten Haustiere. region, sowie die starke Einsenkung im vorderen Teil derselben dem zahmen Schaf fehlt. Die Stammform wäre demnach im westlichen Teil von Asien zu suchen. Auf diesem Gebiet lebt ein ächtes Schaf im wilden Zustande, das lang- schwänziger als alle übrigen Wildschafe ist, nämlich das transkaspische Steppenschaf (Ovisarkal). Anatomische und physiologische Gründe sprechen dafür, dass wir im Arkal die eigentliche Stammquelle des asiatischen Haus- schafmaterials vor uns haben. An Grösse übertrifft er den Moutlon, wie denn auch die langschwänzigen HHausschafe durchschnittlich grösser sind als die kurzschwänzigen. Nachdem Fisr. 70. Steppenschaf (Ovis arkal). Originalaufnahme im zoolog. Garten Berlin. ich den Arkalschädel genauer untersucht habe, finde ich an ihm anatomische Eigentümlichkeiten, die sich auch am Schädel des Hausschafes asiatischer Her- kunft wieder finden. So ist die Stirn verhältnismässig schmal, die Horn- zapfen liegen an der Basis weiter auseinander als beim Mouflon, das drei- kantige Gehörn ist hellfarbig, regelmässig gewulstet und tief eingeschnitten zwischen den starken Wülsten, also mit dem Merinogehörn am meisten über- einstimmend. Die ['hränengruben erscheinen tiefer als bei irgend einer anderen Art. Die Augenhöhlen treten beim Arkal sehr stark hervor, sie erscheinen fast röhrenförmig, sind vorn verengt und mit ihrer Achse schief nach vorn gerichtet, ein Merkmal, das ich z. B. beim chinesischen Schaf sehr deutlich ausgesprochen finde. Die Hausschafe. 181 Ueber die Lebensweise sind wir durch Aadde genauer unterrichtet. Der Arkal ist keineswegs ein Hochgebirgstier im Gegensatz zu den meisten andern Wildschafen Asiens. Er bewohnt die niederen Vorberge und geht selbst bis zur Küste des kaspischen Meeres herab, dessen Wasserspiegel bekanntlich unter dem Niveau des Mittelmeeres liegt. Als eigentliches Steppentier, dessen zahme Nachkommen ja vorzugsweise auch in trockenen Steppengebieten leben, auf feuchten Wohngebieten aber schwer fortkommen, lebt der Arkal mehr als alle andern Wildschafe in grösseren Herden. Fig. 7. Schädel von Ovis arkal. (Landw. Sanımlung Zürich.) Vereinzelte Stücke werden nur selten angetroffen, meist leben 60 — 100 Stück beisammen: noch in neuerer Zeit sind ausnahmsweise auch Herden von 200 Stück gesehen worden. Die Jagd ist so leicht, dass ein deutscher Wurstmacher in Askhabad im Winter 1886/87 hundert Arkalschafe aufkaufen und verarbeiten konnte. Erwägt man ferner, dass der heutige Wohnbezirk des Steppenschafes räumlich den alten Kulturkreisen des westlichen Asiens nahe kommt, so ist die Annahme kaum gewagt, dass der Bildungsherd der asiatischen Haus- schafe im alten Mesopotamien oder doch in nächster Nähe davon zu suchen ist. Unterstützt wird dieselbe durch die früher schon erwähnte Thatsache, dass assyrische Reliefdarstellungen aus dem achten Jahrhundert v. Chr. schon eine hochgezüchtete Fettschwanz-Rasse erkennen lassen. Von jenem Bildungsherd aus verbreiteten sich zahme Schafe nach 182 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Osten, drangen aber auch in namhafter Zahl in Südeuropa und Nord- afrıka ein. Der afrıkanısche Bildungsherd. Derselbe ist früher meistens über- sehen worden. Ich habe indessen nachgewiesen, dass Afrika eine auflallende Parallele zu Europa zeigt, dass wir auch dort scharf zu unterscheiden haben zwischen alten, offenbar autochthonen Rassen und den später zugewanderten asiatischen Elementen, die nach und nach überwucherten. Als Stammquelle der alten afrikanischen Hausschafe konnte ich mit genügender Sicherheit das Mähnenschaf nachweisen, das älteste Gebiet der Domestikation ist offen- bar Oberägypten. In jüngster Zeit hat zwar, wie ich den Verhandlungen der Societe d’anthropologie de Lyon (1901) entnehme, 9. U. Dürst das afrikanische Mähnenschaf als Stammquelle abgelehnt und eine asiatische Herkunft befürwortet, indessen sind seine Beweisgründe stark anfechtbar. Meinen Argumenten hat 7’zlenzus neue und wichtige Thatsachen hinzugefügt. Die epochemachenden, prähistorischen Funde, welche zu Ende des 19. Jahrhunderts im alten Nilthal bekannt geworden sind und einer vor- pharaonischen oder urägyptischen Zeit angehören, vermochten die Ver- hältnisse aufzuklären. Die Schieferplatte von Gizeh, aus der Negadahzeit stammend, enthält bereits Abbildungen zahmer Mähnenschafe, an denen die Einwirkung menschlicher Kultur bemerkbar wird, da sie zackelhörnig erscheinen, aber noch eine Halsmähne besitzen. Als Haustier erscheint somit das afrikanische Schaf um 5000—6000 v. Chr. Während der ersten Dy- nastien ist es ebenfalls zackelhörnig, dagegen schon hängeohrig. Diese Trage- laphus-Rasse, wie ich sie nennen will, scheint sich, nach den bildlichen Darstellungen von Beni-Hassan zu urteilen, später in verschiedene Schläge gespalten zu haben, von denen einer ziegenhörnig erscheint. Vom Beginn des neuen Reiches an geht das Tragelaphus-Schaf zurück, da asiatische Rassen einwandern. Räuberische Stämme haben offenbar schon während des alten Reiches den Aegyptern häufig Kleinvieh weggenommen und es nach anderen Regionen verbreitet, wo es bei dem konservativen Charakter der Steppenvölker sich noch behaupten konnte, nachdem es im Nilthal längst durch anderes Material verdrängt war. Ich habe darauf hingewiesen, dass das langschwänzige Dinkaschaf am oberen Nil, über welches namentlich @. Schwernfurth nähere Angaben ge- macht hat, am Vorderkörper eine Mähne besitzt. Diese Mähne hat sich sicher nicht als Schutzmittel gegen klimatische Einflüsse ausgebildet, dazu lag ja in jener tropischen Region gar keine Veranlassung vor, wie das ebenfalls in jenem Gebiet heimische Fettsteissschaf beweist, das keine Wolle besitzt und kurzhaarig geblieben ist. Die Mähne kann daher nur als ein Erbstück des afrikanischen Mähnenschafes gedeutet werden. Das Dinkaschaf weicht vom Fettsteissschaf erheblich ab, es ist klein und kurzbeinig. Der Kopf erscheint, wie mir Dr. 7. Davıd, der unlängst Die Hausschafe. 183 von einer Reise nach dem weissen Nil zurückgekehrt ist, mitzuteilen die Güte hatte, auffallend ziegenartig, auch Schwernfurth stellt ihn spitz und stark in die Länge ge- Sn en zogen dar. Der Hornverlauf erinnert an die später zu erörternden ziegenähnlichen Schafe, die auf mykenischen Figuren dar- gestellt werden. Im Süden von Tripolis haben sich ebenfalls Fig. 72. ey alte Reste erhalten, denn das Hausschaf vom Fezzanschaf besitzt einen förm- oberen Niger. Bizchzertleinte) lichen Kuhschwanz mit deut- licher Quaste, ähnlich wie beim wilden Mähnenschaf. In neuester Zeit ist auch @. Thılenzus bei seinen Studien über das ägyptische Hausschaf zu dem überraschenden Ergebnis gelangt, dass die alte Tragelaphus-Rasse mit horizontal abstehenden Zackelhörnern, wie sie von den antiken Künstlern des Pharaonenlandes abgebildet wurde, noch heute in vollkommener Rein- heit fortlebt. Es ist das Hausschaf am oberen Niger, von dem das Museum für Naturgeschichte in Berlin ein Exemplar besitzt und von welchem 7’%zlenzus eine Abbildung giebt.') DIE ABSTAMMUNG DES TORFSCHAFES UND BUENDNERSCHAFES. Eine durchaus eigenartige Stellung nimmt das alte Torfschaf (Ovis aries palustris /ätzmeyer) ein, das am frühesten d. h. schon zu Beginn der Pfahlbauperiode auf mitteleuropäischem Boden erscheint und hier anfänglich die einzige Rasse bildet. Geringe Grösse, feine schlanke Extremitäten und aufrecht stehende, ziegenähnliche Hörnchen lassen es von den heute all- gemeiner verbreiteten Schafrassen als verschieden bezeichnen.?) Die Augen- höhlen treten verhältnismässig wenig vor. An einem ziemlich vollständigen Schädel aus der jüngeren Steinzeit, der in Font gefunden wurde, hat @. Glur?) noch weitere anatomische Eigentümlichkeiten feststellen können, so das Vor- handensein einer Thränengrube, eine flache Stirn, die als schmal zu be- 1) G. Tinlenius. Das ägyptische Hausschaf in „Recueil de Travaux relatifs a la Phi- lologie et ä l’Archaeologie &gyptiennes et assyriennes. Vol. XXII. Paris. 1900. 2, L. Rütimeyer. Die Fauna der Pfahlbauten in der Schweiz. 1862. 3) G. Glur. Beiträge zur Fauna der schweizerischen Pfahlbauten. Inaugural-Disser- tation. Bern. 1894. 184 Die Abstammung der ältesten Haustiere. zeichnen ist und ein verhältnismässig langes, schmales Gesicht, das dem Torfschaf eine hirschartige Physiognomie verlieh. L. Jeätimeyer hat 1862 die überraschende Thatsache bekannt gemacht, dass das Tortschaf noch nicht völlig erloschen ist, sondern als lebendes Relikt aus der Pfahlbauzeit sich noch in einer eigentümlichen, ziegenähn- lichen Schafrasse des bündnerischen Oberlandes erhalten hat, wo bekanntlich auch noch Nachkommen des Torfschweines leben. Der Kopf der Bündnerschafe ist auffallend gestreckt, vorn spitz zulaufend, im Profil gerade oder zwischen Stirn und Nase etwas eingesenkt, nicht aber wie bei den meisten übrigen Schafen ramsnasig. Die osteologische Uebereinstimmung des Schädels, von dem die „Fauna dezaRtahlbautenzs ee eine gute Abbild- ungenthält, isteine so grosse, dass /tälz- meyer das Ober- länderschaf als | einen nur wenig veränderten Ab- | kömmlingdesTort- schafeserklärt ; die wichtigsten, wohl | durch Domestika- tionsveränderungen zuerklärendenAb- weichungen beste- hen in einer ziem- Fig. 7 Ziegenhörniges Bündnerschaf. (Nach F. Anderes.) lich deutlichen Wölbung der Stirn und einem weniger steilen Abfall des Hinterhauptes. Die knöchernen Hornzapfen sind beim Bündnerschaf ebenfalls im Quer- schnitt linsenförmig mit fast ebener Innenseite und konvexer Aussenseite. Bei weiblichen Tieren ist das Gehörn gegenwärtig klein, scharf zweikantig und ziegenartig verlaufend; ich vermute, dass auch völlige Hornlosigkeit gelegentlich auftritt. Früher scheint das Gehörn grösser gewesen zu sein. Immerhin besitze ich den Schädel eines Widders aus Disentis, der noch ein recht ansehnliches Gehörn aufweist, das erst in der Flucht der Stirn verläuft, dann abwärts gebogen ist und sich langsam nach aussen wendet. Die Ohren sind abstehend, relativ klein, aber sehr beweglich. Den ergänzenden Mitteilungen von Z Anderegg!) entnehme ich, dass das Wollkleid dicht, aber wenig lang ist, so dass der Wollertrag ungünstig ausfällt. Die vorherrschende Färbung desselben ist silberweiss, eisengrau, !) Felix Anderegg. Nlustriertes Lehrbuch für die gesamte schweizerische Alpwirt- schaft. Bern. 1898. Die Hausschafe. 185 dunkelbraun bis ganz schwarz. Dunkle Exemplare haben häufig einen weissen Kopfstern und weisse Abzeichen an Schwanz und Füssen. Das durchschnittliche Lebendgewicht beträgt 28 Kilogramm. Den geistigen Charakter der Tiere finde ich der Ziege angenähert. Lebhaftigkeit in den Bewegungen, die Zutraulichkeit und natürliche Intelligenz übertrifft andere Schafrassen. Augenscheinlich ist diese tiergeschichtlich so interessante Rasse in starkem Rückgang begriffen, ja dem Verschwinden sehr nahe, da sie gekreuzt wird oder fremde Rassen an ihre Stelle treten. Während Zrätzmeyer noch Herden aus den Nalpseralpen erwähnt, hatte ich im Sommer 1900 Mühe, in Disentis noch ein gutes Exem- plar reiner Rasse aufzutreiben. Am meisten soll sie zur Zeit noch in den \rineralpen angetroffen wer- den.!) Es wird in der Litteratur mehrfach ange- geben, dass ein- zelne primitive SchafrassenEng- lands mit dem Dig 74 Schädel des Bündnerschafes aus Disentis. Original. (Landw. Sammlung Zürich.) 'Torfschaf zusam- menhangen, was keineswegs überraschend erscheint. Es wäre möglich, dass auch in den albanesischen Bergen noch lebende Reste des alten Torfschafes aufge- funden werden. Ist die Abstammung der Schafe an und für sich nicht leicht aufzu- klären gewesen, so blieb uns die Stammesgeschichte des Bünderschafes und Torfschafes rätselhaft. In der neueren geologischen Zeit haben wir nicht hinreichend zuverlässige Spuren, dass ein zugehöriges Wildschaf in Mittel- europa vorkam. Bedenken wir, dass die palaeolitische Zeit keine Haus- tiere besass. sondern diese erst in der neolitischen Zeit erscheinen, so werden wir an eine Einwanderung von Aussen her zu denken haben. I) Die Rasse geht auch dort dem Untergang entgegen. Nach den Mitteilungen des bündnerischen Alpinspektors, Herrn Soler in Vrin, wird im Lugnezerthal gegenwärtig stark mit Walliser Schafen gekreuzt; nur wenige Ställe weisen reines Blut auf. Ich habe noch eine kleine Kolonie reinrassiger Tiere beziehen können, die gegenwärtig im Tierpark des Sihlwaldes bei Zürich angesiedelt sind. Eine zweite Kolonie dieser letzten Mohikaner hat man in Flims untergebracht, um auch in Bünden noch eine Zuchtfamilie zu erhalten. 16 Die Abstammung der ältesten Haustiere. ftütimeyer deutet, aber nur als eine noch näher zu prüfende Vermutung, zwei mögliche Wege an. Es liesse sich denken, das Ovis primaeva, von welcher Spezies Knochenreste vereinzelt in den Höhlen Südeuropas ange- troffen wurden, die Ausgangsform bildet. Ich stehe jedoch dieser Art skep- tisch gegenüber, denn es handelt sich bei diesen Funden doch wohl nur um Mouflonreste. Anderseits wird auf das cyprische Wildschaf (Ovis ophion) hingewiesen. Ich möchte aber auch diese Stammquelle ablehnen, denn diese Lokalform der Mouflons konnte nur kurzschwänzige Rassen liefern, während die ziegenhörnigen Bündnerschafe entschieden langschwänzig sind, wie ihre historischen Vorläufer, die Torfschafe. Anatomische Momente schienen mir eine andere Lösung vorzuzeichnen. Es liegt nahe, an die Halbschafe (Pseudoves) als Stammquelle zu denken, da ja diese eine eigenartige Mittelstellung zwischen den echten Schafen und den Ziegen einnehmen. Von ihren lebenden Vertretern kennen wir Ovis Nahoor als asiatische Art im Quellgebiet des Ganges. Es liegen aber keinerlei Anhaltspunkte vor, dass dieselbe je in den Hausstand des Menschen übergetreten ist. Eine zweite, afrikanische Art, das Mähnenschaf (Ovis tragelaphus s. Ammotragus tragelaphus) liegt uns räumlich näher. Es wurde, wie wir den Berichten von Co/umella entnehmen müssen, im Altertum erfolgreich mit spanischen Hausschafen gekreuzt. Ich habe zudem den Nachweis geleistet, dass das altägyptische Hausschaf, das zuerst im Nilthal erscheint, von dem heute noch wildlebenden Mähnenschaf Afrikas abstammt. Es gilt also, den Spuren des Bündnerschafes rückwärts bis nach Afrika nachzugehen. Den Zusammenhang mit dem Torfschaf hatte schon Aäötzmeyer betont. Sein Material war noch dürftig, namentlich fehlte der Nachweis in der Periode zwischen der Pfahlbauzeit und der Gegenwart. Seither ist dieser Beweis erbracht, in dem aus der römischen Periode Helvetiens Reste des Torfschafes in Vindonissa auftauchten.') Von der Pfahlbauzeit an sind jedoch die weiter zurückführenden Fäden abgerissen. In Analogie mit der Herkunft so vieler Kulturerzeugnisse, die in vorgeschichtlicher Zeit ihren Weg zu uns fanden, ist es naheliegend, nach Südosteuropa auszuschauen. Leider fehlen uns trotz der vielen archaeologischen Ausgrabungen Knochen- funde, die entscheidend sind. Ich habe versucht, an der Hand antiker Tierdarstellungen Aufschlüsse zu gewinnen. Bei der Durchmusterung mykenischer Kunstgegenstände stiess ich auf Darstellungen einer ganz eigenartigen Schafrasse, die mich in vielen Punkten an den Widder der Nalpseralpen im Bündneroberland erinnerten. Auf einer mykenischen Elfenbeinschnitzerei, die dem Kuppelgrab von Menidi”) ent- stammt und 1879 in Attika aufgefunden wurde, sind zahme Schafe dargestellt, !) Hermann Krämer. Die Haustierfunde von Vindonissa. Revue suisse de zoologie. 1899. ”) Perrot et Chippiez. Histoire de l’Art. La Grece primitive. Die Hausschafe. 187 deren Kopf lang erscheint und meistens nicht geramst ist. Augenscheinlich hat man es mit einer langschwänzigen Rasse zu thun, deren Gehörn auf keinem einzigen Bilde spiralig aufgewunden ist, sondern mehr ziegenartig und zweikantig erscheint, offenbar auch stark entwickelt war. Man kann den Einwand erheben, dass diese Elfenbeinschnitzerei möglicher- weise ausserhalb angefertigt, dann nach Griechenland eingeführt wurde. Aber an einer ganz anderen Lokalität sind Schafbilder mit ziegenartigen, abwärts gebogenen Hörnern ebenfalls zum Vorschein gekommen. Auf einem Amethyst, der von Vaphio stammt, finden sich vier Köpfe davon abge- bildet, so dass die Annahme wohl berechtigt ist, dass im mykenischen Bin /% ul SRZEDE ; }i Our VE N SE IF Fig. 75. Mykenische Schafe auf einer Elfenbeinschnitzerei von Menidi. (Nach Perrot et Chippiez.) Kulturkreis ein dem Torfschaf sehr ähnliches Hausschaf vorkam. Daneben war aber auch eine andere Rasse mit merinoähnlichem Gehörn bekannt, wie ein geschnitzter Achat aus Vaphio beweist. Es ist indessen unwahrscheinlich, dass ziegenhörnige Torfschafe auf südeuropäischem Boden entstanden, da dort ein passendes Wildmaterial fehlte. Die griechische Inselwelt mit ihrer beweglichen Bevölkerung vermittelte den Kulturbesitz des Orients zwischen dem europäischen Festlande und Aegypten, sowie Kleinasien. Nach den neuesten Ermittelungen sind die Beziehungen zu Aegypten weit älter als man bisher annahm, sie waren schon zu Beginn des alten Reiches vorhanden. Es wurde früher schon betont, dass anfänglich im Nilthal eine einzige Rasse zahmer Schafe vorkam — ich habe sie Tragelaphus-Rasse genannt und vom Mähnenschaf abgeleitet. Durchgehen wir jedoch die ägyptischen Denkmäler!) von der IV. bis zur XII. Dynastie, so werden die Schafe in verschiedenen Zuchtformen abgebildet, die offenbar neben einander vorkamen. Bei einer Form, die !) Zepsius. Denkmäler aus Aegypten und Aethiopien. 188 Die Abstammung der ältesten Haustiere. in Gizeh erscheint, ist das Gehörn zackelförmig. In Beni Hassan sind hänge- ohrige und zackelhörnige neben ziegenhörnigen Schafen abgebildet, daneben aber auch ein Schaf mit kleinem, aufrecht stehendem Ohr. An Schafen, die mit dem mykenischen Schaf übereinstimmen, fehlt es somit in Alt- ägypten nicht. Freilich vermögen wir aus diesen Abbildungen nicht zu entnehmen, ob das (sehörn auch scharfkantig war. Der Nachweis lässt sich jedoch auf Umwegen erbringen, indem ja das Schaf des alten Reiches heute noch am oberen Niger vorkommt. Nach der Angabe von Zzlenzus!) ist es hier ın der That scharfkantig. In der urägyptischen Zeit vor den ältesten Dy- nastien besass das Nilthal, wie ich früher an der Hand der Schieferplatte von Gizeh nachwies, ein Hausschaf, das seiner Herkunft nach direkt auf das Mähnen- schaf zurückweist. Die Bildereien der an- tiken Kunst weisen somit auf die Zwischen-Etappen hin, die auf dem Weg vom Nilthal bis zu den Pfahl- bauern zurückgelegt WUur- den; wir hätten nunmehr Fig. 76 als die beiden Endglieder Mykenische Schafe auf einem Amethyst von Vaphio. Vergrössert. der Entwicklungsreihe an- ee zusehen das Bündnerschaf einerseits und das wilde Mähnenschaf Afrikas anderseits. In anatomischer Beziehung verglichen, ergiebt sich folgendes: Il. Die allgemeine Konfiguration des Schädels beim Bündnerschaf steht wegen seines ziegenartigen Charakters dem Mähnenschaf viel näher als irgend einem echten Wildschaf. ID Bei beiden ist der Oceipitalteil des Schädels auffallend lang gestreckt: beim Mähnenschaf jedoch steiler abfallend als beim Bündnerschaf. 3. Die Linea semicircularis des Hinterhauptbeines ist bei beiden auf- fallend schwach hervortretend, während sie bei den übrigen Wild- schafen (Mouflon, Arkal) und zahmen Rassen (Zackelschaf, Haid- schnucke, Sardisches Schaf) weit kräftiger vortritt. 4. Die Orbitalränder treten beim Mähnenschaf und beim Nalpserschaf weniger stark hervor als bei den übrigen Schafen. Der obere Orbital- !) @. Thilenius. Das ägyptische Hausschaf. Paris. 1900. Die Hausschafe. 189 rand besitzt eine bis zu den Thränenbeinen reichende Einkerbung von auffallender Länge und rechteckiger Gestalt. Auch Ffeütimeyer hat diese eigenartige Einkerbung, die ich nur beim Mähnenschaf finde, beim Bündnerschaf deutlich gezeichnet. Die Stirnbeine sind beim Mähnenschaf flach, beim Nalpser gewölbt, was entweder Folge der Domestikation oder der Kreuzung sein kann. 6. Die Stirnzapfen zeigen bei beiden im Verlauf und in der Form eine auffallende Uebereinstimmung. Anfänglich in der Profilebene der Stirn verlaufend, wenden sie sich erst nach hinten und aussen, dann in weitem Bogen nach unten. Beim weiblichen Mähnenschaf, das mir zur Untersuchung vorlag, sind die Stirnzapfen wie beim Nalpser auf dem Querschnitt linsenförmig mit konvexer Aussenseite und fast ebener Innenseite. Beim Wildschaf sind sie natürlich grösser und waren auch beim Torfschaf der Pfahlbauer und der Römerzeit noch umfangreicher als beim Bündnerschaf. Du Das Gehörn des Mähnenschafes ist im Grunde genommen zwei- kantig, indem die obere Kante bis zur Basis verläuft, wenigstens im weiblichen Geschlecht. Weniger deutlich ist diese beim Männchen: aber auch beim Nalpser Widder finde ich, dass die obere Kante sich gegen die Basis verliert. I Die Thränengrube fehlt dem Mähnenschaf gänzlich, während beim Bündnerschaf eine deutliche, wenn auch seichte Thränengrube vor- kommt. S. Die Nasenbeine sind in ihrem Verlauf gerade. 9. Die Zwischenkiefer erscheinen nach vorn allmählig verschmälert. 10. Das Mähnenschaf ist das langschwänzigste Wildschaf. Auch das Bündnerschaf ist langschwänzig; an seinem Skelett zähle ich 17 Schwanzwirbel. Daraus ergiebt sich ein so hoher Betrag gemeinsamer anatomischer Merkmale, dass die Ableitung des Torfschafes und Bündnerschafes von dem wilden Halbschaf Afrikas als ganz natürlich erscheinen muss. Man kann zunächst allerdings einwenden, dass die Grössendifferenz er- heblich ist. Das Mähnenschaf (1,55 Meter lang), ist ein ziemlich stattliches Tier, während das Oberländerschäfchen nach /. Andereg:g: nur eine Durch- schnittslänge von 84 Centimeter erreicht. Wir dürfen aber annehmen, dass die Auslese die kleinen Tiere begünstigte, weil sie für die Wanderung ge- eigneter waren. Ändere Schafrassen zeigen ja auch starke Grössenunter- schiede, asiatische und afrikanische Rinder weisen neben Riesenformen auch eigentliche Zwergformen auf. Die wichtigste Differenz im Schädelbau betrifft eigentlich nur die Thränengrube, die dem Mähnenschaf durchaus fehlt. Ich halte es für ausgeschlossen, dass sich diese während der Domesti- kation spontan entwickelt und nachher vererbt hat; ich muss als einzige 190 Die Abstammung der ältesten Haustiere. mögliche Erklärung ihres Auftretens eine Kreuzung annehmen. Auf der Wanderung nach Europa war eine solche fast unvermeidlich, möglicher- weise wurde etwas asiatisches Blut aufgenommen. Diese Deutung liegt um so näher, da ja beim Schwein analoge Thatsachen vorliegen und die Kreuzung des europäischen Landschweines mit asiatischem Blut sofort eine Veränderung des Thränenbeines hervorrutt. Ich halte also das 'Torfschaf, wie auch das ziegenhörnige mykenische Schaf für ein Kreuzungsprodukt, das aber der Hauptsache nach afrikanisches Blut besitzt und in dem sich die Durchschlagskraft des letzteren bei der Vererbung immer wirksamer hielt. Den Gang der Dinge hat man sich so zu denken, dass im oberen Aegypten, als dort die Steinzeit zu Ende ging, das Mähnenschaf, das sich bekanntlich unschwer zähmen lässt, in den Hausstand überging und sich bis nach Unterägypten verbreitete. Die alte Inselkultur des griechischen Archipels hat es von dort her nach Europa gebracht. Es kann aber auch den Umweg über Syrien und Kleinasien genommen haben. Während der ersten Dynastien besassen die Aegypter bekanntlich Bergwerke am Sinai, die durch Truppen gegen die räuberischen Beduinen im Nordosten des Deltas geschützt werden mussten.'!) Diese stahlen den Truppen, sowie den Hirten Aegyptens Rinder und Kleinvieh, woraus wohl das Vorkommen alt- ägyptischer Schafe im inneren Arabien zu erklären ist. Die Verbreitung derselben nach Westasien war also möglich. Ob die Wanderung nach Europa direkt oder auf dem Umwege über Kleinasien erfolgte, ist für unsere Frage völlig gleichgültig. Die Wanderung des mykenischen Schafes, aus Aegypten stammend und wohl etwas gekreuzt, konnte dann nach den Pfahldörfern Mitteleuropas erfolgen. Sie erscheint um so verständlicher, als ich ja für die zahmen Primigenius-Rinder ebenfalls die Herkunft aus dem mykenischen Kulturkreis nachgewiesen habe. KLASSIFIKATION UND GEOGRAPHISCHE VERBREITUNG DER HEUTIGEN SCHAFRASSEN. Die menschliche Kunst hat aus dem früher genannten Wildmaterial eine erstaunliche Zahl von Kultur-Rassen herangezüchtet, die den ver- schiedenartigsten wirtschaftlichen Ansprüchen gerecht werden. Die wich- tigste Umbildung besteht in einer völligen Veränderung des Haarkleides, die zur Gewinnung eines dauernden Wollvliesses führte; dazu kommen tief- greifende Umgestaltungen. des Gehörns und monströse Entwicklung des Schwanzes. Eine natürliche Klassifikation der Rassen auf Grund genetischer Verhältnisse fehlte uns bisher. Ich habe versucht, die Grundlinien eines solchen zu entwerfen. Das gegenseitige Verhältnis der Rassen wechselte !) Adolf Erman. Aegypten und ägyptisches Leben im Altertum. Il. Bd. Die Hausschafe. 191 im Laufe der Geschichte auf den verschiedenen Kulturgebieten. Wir sehen wie neue Rassen zuwandern oder Kreuzungen den ursprünglichen Charakter verwischen. Absterbende Rassen scheiden aus der Umgebung des Menschen ; zuweilen vermögen sich vereinzelte Ueberreste bis in die Gegenwart fort- zuerhalten. Wir berücksichtigen hier aus leicht verständlichen Gründen vorzugsweise die heutige Verteilung in der alten Welt. a) Die Mouflon- Kassen. Sie scheinen stets auf Europa beschränkt gewesen zu sein und sind Abkömmlinge des südeuropäischen Mouflon (Ovis musimon). Ihre heutige Verbreitung erstreckt sich über die Niederungen und Bergländer des nördlichen Europa. Sie umfassen gehörnte oder horn- lose Formen, die man als natürliche Gruppe der kurzschwänzigen Schafe (Ovis aries brachyura) zusammen gefasst hat. Den bisherigen Funden nach zu urteilen, sind diese Schafe bereits in vorgeschichtlicher Zeit im Norden der Alpen aufgetaucht. Schon in der späteren Steinzeit treten vereinzelte Spuren eines grossgehörnten Schafes auf, zahlreicher jedoch erst im Gefolge der römischen Kolonisten. Die Hornzapfen stimmen in ihrem Bau mit dem Mouflon überein, indem sie in ihrem Innern entweder einen einzigen grossen Hohlraum oder mehrere grosszellige Räume enthalten. Daher weisen Th. Studer‘) und //. Arämer”) jene Reste mit Recht der Mouflongruppe zu. Da die heutigen nordeuropäischen Rassen ein kleines Gehörn besitzen, müssen wir eine starke Abnahme desselben seit der Römerzeit annehmen, wie diese überhaupt mehr als Kümmerformen erscheinen. Ganz unvermittelt erscheint mit der Bronzezeit ein hornloses Schaft, was auf eine Einwanderung von Süden her schliessen lässt. In der helvetisch- römischen Niederlassung von Vindonissa fanden sich beide Rassen neben- einander vor. Wie 7%. Studer aut osteologischem Wege nachgewiesen hat, ist das Bronzeschaf dem norddeutschen Marsch-Schaf sehr nahe verwandt. Als Ausgangsform des heute stark in den Hintergrund gedrängten europäischen Stammes mit Mouflonblut möchte ich die norddeutschen Zazd- schnucken ansehen. In ihnen tritt uns gleichsam eine im Dienst des Menschen entstandene Z/wergform des Mouflon entgegen. Diese gehörnte Rasse wird in der Lüneburger- und Bremer-Haide, sowie in Oldenburg und Ostfriesland gehalten; ihrer Genügsamkeit und Ausdauer wegen wird sie für die Anwohner jener Moor- und Sandflächen wertvoll. Nahe verwandte, ebenfalls gehörnte Formen bewohnen die Bergländer von Skandinavien. Stammverwandt ist ferner das nordrusszsche und finnische Schaf, sowie das /ebdridenschaf, das Farörschaf und das Shellandschaf. Der westliche Ausläufer ist das zsländische Schaf, dessen Herden ein elendes Dasein fristen. 1) 7%. Studer. Mitteilungen der Naturf. Gesellschaft Bern. 1883. 2) H. Krämer. Die Haustierfunde von Vindonissa. 1899, 192 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Die zweite Gruppe, welche von dem alten Bronzeschaf ihren Aus- gangspunkt nimmt, umfasst kurzschwänzige, hornlose Schafe, welche die vorigen an Grösse übertreffen. Sie werden mehr des Fleisches als der Wolle wegen gehalten und kommen hauptsächlich in der norddeutschen Tiefebene, in Holland und Belgien vor. Zu diesen sogenannten Marsch- Schafen gehören die frzeszschen, holländischen, belgischen Schafe, sowie einige nordfranzösische, kurzschwänzige Formen. Ihnen wird auch das Aoguefort- schaf beigezählt, das den weltberühmten Schafkäse liefert. b) Die Arkal-Kassen. Sie sind asiatischen Ursprungs und lassen sich alle auf das transkaspische Steppenschaf (Ovis arkal) zurückführen. Ur- sprünglich waren wohl alle zahmen Formen /angschwänzig. Die Schwanz- länge übertrifft immerhin diejenige der Wildform, so dass wir annehmen müssen, dass unter dem Einfluss der künstlichen Züchtung eine Steigerung der Länge erfolgte. Indessen ist bei einer anderen Formenreihe das Gegen- teil eingetreten, d. h. der Schwanz rudimentär geworden (Fettsteiss-Schafe). Das Gehörn ist bei einzelnen Rassen wohl ausgebildet, dann in der Regel durch kräftige Wülste ausgezeichnet; bei anderen ist es schwächer, auch völlig hornlose Rassen sind vorhanden. Die hieher gehörenden Hausschafe haben sich über ganz Asien bis zum äussersten Osten ausgedehnt, sind aber auch schon sehr früh in Afrika und Europa eingedrungen. In Südeuropa haben sie die altangesessenen Rassen ganz verdrängt, aber auch in Mitteleuropa sich ausgebreitet. In Asien sind die Hausschafe durch die Zucht stark verändert worden, während die primitiveren Formen sich offenbar in Südeuropa, also in erheblicher Entfernung vom Stammlande, da und dort in starken Kolonien zu erhalten vermochten. Betrachtet man zunächst den Arkalbestand in Europa, so uns tritt da als wichtigster Stamm die Reihe der Edelschafe entgegen. Als Ausgangsform, die dem Arkal noch nahe steht, betrachte ich das Surdenschaf, welches sich auf der Insel Sardinien in einer starken Kolonie erhalten hat und augen- scheinlich sehr altist. In der Litteratur ist es sehr ungenügend charakterisiert, da es bald als gehörnt, bald als hornlos bezeichnet wird. Nach dem mir vorliegenden Material besitzt dieses alte Landschaf ein starkes, wenig ausgezogenes Gehörn von heller Farbe und starken Wülsten; dasselbe beschreibt eine einzige weite Spiralwindung. Mit dem Mouflon vermischt sich das Sardenschaf nicht, auch wenn jenes in der Nähe weidet. Nahe verwandte Schläge dürften in Südeuropa sich vereinzelt erhalten haben. Als höchstentwickeltes Endglied der Reihe muss das Merzinoschaf') (Ovis aries hispanica) angesehen werden. Der Weg, den dieses Schaf auf !) „Merino“ ist ein spanischer Name und bedeutet einen mit grossen Machtbefugnissen ausgestatteten Weiderichter, der allerlei Anstände zu schlichten hatte, wenn die Hirten mit ihren Wanderschafen das Land durchzogen. Ein Merino war gleichsam Schirmherr der Herden und man übertrug später seinen Namen auf die Wanderschafe. Die Hausschafe. 193 seiner Wanderung eingeschlagen hat, lässt sich ziemlich klar verfolgen. Aus Vorderasien erhalten wir die ältesten Nachrichten über Schafe mit feiner, gekräuselter Wolle. Die Beschatlenheit des Gehörns, das schon auf kleinasiatischen Münzen der ältesten historischen Zeit vortrefllich dargestellt wird, weist deutlich auf die Arkal-Abstammung hin. In Galatien und Phry- gien nahm die Schafzucht einen starken Aufschwung, Milet wetteiferte mit Tyrus in der Wollfabrikation. Heute ist das feine Wollschaf in Vorder- asien bis auf wenige Reste am Ostufer des Schwarzen Meeres verschwunden. Griechenland hat es frühzeitig übernommen; griechische Kolonisten ver- breiteten es nach Süditalien und Gallien, von wo aus es nach Spanien gelangte. Die iberische Halbinsel übertlügelte schon zur Zeit von Columella alle Mittelmeerländer in der Schafzucht und frühzeitig wurde Corduba (Cordova) wegen seiner feinen Wolle berühmt. Als die Araber in Spanien erschienen, veredelten sie die Herden, später nahmen sich die Grossgrund- besitzer und klösterlichen Verwaltungen des blühenden Wirtschaftszweiges an. Ende des 18. Jahrhunderts breiteten sich die spanischen Merinos nach verschiedenen europäischen und aussereuropäischen Ländern aus, wobei das Produkt Spaniens zum Teil überholt wurde und berühmte Zuchten ent- standen (Rambouillets, Electorals, Negrettis). Grossartig hat sich die Merinozucht in überseeischen Ländern entwickelt, so im Kapland, in Australien, in Argentinien, Uruguay, Nordamerika, in Neuseeland und auf den Sandwichsinseln. Einn zweite Reihe langschwänziger Schafe mit Arkalcharakter hat ihren Ausgangspunkt in Südosteuropa und wird dort durch die Zackelschafe (Ovis aries strepsiceros) vertreten. Das Gehörn ist in beiden Geschlechtern vorhanden, bald merinoartig gewunden, bald in langgezogener Spirale ab- stehend. An gewissen Formen, die ich untersucht habe, treten Abweichungen auf, die eine Einwirkung altägyptischer Schafe nahelegen. Die Zackelschafe sind heute über den griechischen Archipel, die Balkan- länder, im Donaugebiet bis nach Ungarn verbreitet (kretische, macedonische, ungarische Schläge). Abkömmlinge des osteuropäischen Zackelschafes leben in steppenartigen Strichen Westeuropas, so das bayrzsche Zaupelschaf, das in der Neuzeit jedoch im Niedergang begriffen ist, dann das Pommersche und Aannoversche Landschaf; als westlichsten Ausläufer ist das englische Norfolkschaf zu bezeichnen, das früher wegen seiner Genügsamkeit eine grosse Verbreitung besass. Als eine hieher gehörige Form, die augenscheinlich noch recht ursprüng- lich ist, betrachte ich von schweizerischen Schafen das Wallserschaf, das in der Bergregion im Oberwallis stark verbreitet ist. Es erinnert an das Norfolkschaf, ist ganz schwarz oder schwarz und weiss gefleckt. Das ziemlich starke Gehörn ist spiralig ausgezogen. Auch hornlose Tiere kommen vor. Von ihm stammt das hornlose /ruitzgerschaf des Kanton Bern ab. In diesen Formenkreis gehört auch ein starker Seitenzweig von horn- 13 194 Die Abstammung der ältesten Haustiere. losen, langschwänzigen Schafen hinein. Er tritt uns in dem sZezrzschen Schaf, im paduaner Schaf und Dergamaskerschaf entgegen. Entterntere Ausläufer sind die sädfranzösrschen und englischen Beı Thüringerschaf und das Ahönschaf. 'schafe, dann das Oo oO Wenden wir uns nach den asiatischen Gebieten, so tritt uns zunächst die bemerkenswerte Erscheinung entgegen, dass dort die heutige Rassen- zusammensetzung ausserordentlich viel einfacher erscheint als in Europa. Dieser Zustand ist sicher ein sekundärer. Die Arkal-Abkömmlinge, wie sie uns im feinen Wollschaf und im primitiven Zackelschaf entgegentreten, haben ihre östliche Heimat aufgegeben und sind nach Westen ausgewandert. Von allgemeiner Bedeutung werden in Asien eigentlich nur zwei Schaf- rassen, nämlich das /eiischwanzschaf (Ovis aries platyura) und das /eit- sterssschaf (Ovis aries steatopyga). Als die ältere Form sehe ich das Fettschwanzschaf an, das in seinen heutigen Zuchtformen eine stattliche Grösse erreicht und das Merinoschaf übertrifft. Es ist ein Abkömmling des Arkal und in der T'hat erscheint es auf den altassyrischen Darstellungen noch sehr arkalähnlich. Das Gehörn ist spiralig gewunden, bei weiblichen Tieren häufig fehlend; auch beim Widder ist es zuweilen kümmerlich entwickelt. Der durchweg lange Schwanz ist durch starke Fettwucherung ausgezeichnet. Zohlig bemerkt, dass beim persischen Schaf der Schwanz nicht selten den vierten Teil des (Gesamtgewichtes des Tieres erreicht und dann zur unbequemen Last wird. Augenscheinlich ist die Rasse sehr alt und wurde offenbar zuerst in Mesopotamien gezüchtet. Nach Osten hin geht die Rasse nicht erheblich über Persien hinaus. Von den bisher bekannt gewordenen Schlägen Asiens mag das anato- lische und syrzsche Fettschwanzschaf hervorgehoben werden; der Fettschwanz ist bei diesen sehr lang und in der Höhe des Sprunggelenkes nach oben gekrümmt. Arabien hat sehr früh Fettschwanzschafe besessen, da sie bereits von Zerodot und Diodor erwähnt werden. Der ducharische Schlag wird von den Kirgisen und Tartaren gehalten; die edelsten Zuchten scheint Persien zu besitzen, wo prächtige Zuchtwidder mit erstaunlichem Woll- reichtum vorkommen. Nach Westen sind nur vereinzelte Ausläufer bis nach Südeuropa ge- langt, dagegen hat Afrika die Rasse in ziemlichem Umfang übernommen. Sie erscheint dort von Aegypten bis nach Abessinien, dann über ganz Nord- afrika bis nach Marokko verbreitet; auch Südafrika hat das Fettschwanz- schaf eingebürgert. Dem Schwanzende fehlen bei diesen Afrikanern häufig die Fettwucherungen, so namentlich beim algerischen Fettschwanzschaf. Das Feltsteissschaf (Ovis aries steatopyga) besitzt in seiner asiatischen Heimat meistens ein Gehörn, selbst weibliche Tiere haben halbmondförmige, Die Hausschafe. 19 Sr nach hinten gerichtete Hörnchen: sie können indessen auch fehlen. Der Schwanz ist verkümmert, der Steiss entwickelt zwei auffallende, schön ge- rundete Fettkissen, deren Inhalt mit Vorliebe von moslemitischen Völkern zum Gebrauch gelangt. Was die Abstammung dieser eigentümlichen Rasse, die namentlich die innerasiatischen Steppen erfüllt, anbetrifft, so sind die bisherigen Annahmen von einander abweichend. ZPallas will sie vom Argali ableiten, wogegen /7tzznger Widerspruch erhob. 7. Dohm!) stellt sie zu Kig. 77. Somali-Schaf. Original. den kurzschwänzigen Schafen von Nordeuropa, aber gegen eine Stammes- verwandtschaft mit denselben lassen sich tiergeographische und anatomische Einwände machen. Leider geben uns assyrische und altpersische Denk- mäler keine genügenden Aufschlüsse, //erodot erwähnt, dass die Rasse in Arabien vorkomme. An einem aus China stammenden Schädel finde ich neben der auffallend schmalen Stirnzone röhrenförmige, stark vortretende Augenhöhlen mit schiefer Stellung, was auf den Arkal als Stammquelle schliessen lässt. 8) Es scheint mir daher naturgemäss, die Fettsteissschafe als Zuchtformen 1) $. Bohm. Die Schafzucht. Zwei Bände. Berlin. 1883, 196 Die Abstammung der ältesten Haustiere. zu betrachten, die aus Fettschwanzschafen hervorgingen. Die wesentlichste Umbildung besteht in einer Rückbildung der Schwanzwirbel, so dass die Fettlagen in die Steissgegend hinaufrücken mussten. Die Erscheinung ist nicht isoliert, da ja die Hauskatze in Ostasien ebenfalls stummelschwänzig geworden ist. Vielleicht ist das algerische Schaf eine uns erhalten ge- bliebene Zwischenstufe. Zu den Fettsteissen gehört das ZTariaren-Schaf, das vom Ostrand des Schwarzen Meeres bis zum Baikalsee reicht und fast das einzige Vermögen der dortigen Steppenvölker ausmacht. Die Widder sind stark gehörnt. Fettsteisse leben auch in Persien und Arabien. Mehr nach Osten nehmen sie an Menge ab. Birma besitzt sie erst seit 1855. Das chinesische Schaf ist hornlos, der Fettsteiss nur wenig entwickelt. Nach Japan vermochte es nicht mehr vorzudringen; man hat zwar in der Neuzeit versucht, dort Schafe einzubürgen, musste aber darauf verzichten, da parasitäre Erkrankungen die Tiere dahinrafften. Im Westen ist das Fettsteissschat auf afrikanischem Boden stark ver- breitet und dürfte von Arabien herstammen. Die gewöhnliche Form ist weiss mit schwarzem Kopf und schwarzem Hals. In den Ländern am oberen Nil wird es in grosser Zahl gehalten; es reicht dort bis zum Gebiet der Dinka, wo es von dem ziegenartigen Dinkaschaf abgelöst wird. In der Gegend von Massaua fand ich neben schwarzköpfigen Schafen auch braun- gefärbte und gefleckte Tiere; häufig pflegt man ihnen die Ohren bis auf einen kurzen Stumpf abzuschneiden. In den Somaliländern ist die Schafzucht sehr ausgedehnt und die Häute bilden einen nicht unwichtigen Exportartikel; die Tiere sind hornlos, der herzförmige Fettsteiss ist wenig entwickelt und verschwindet bei Abmagerung fast vollständig. Ausnahmsweise kommen in den Herden ganz schwarze Schafe vor, sowie solche mit schwarzem Steiss und weissem Fell; die Rasse bleibt auffallend klein. Südafrika besitzt ebenfalls Fettsteissschafe, im ostafrikanischen Archipel sind sie nicht zahlreich. Im Innern von Madagaskar findet man sie bei den Howa, aber in einer etwas degenerierten Rasse, deren Fleisch trocken ist. An den Küsten der grossen Insel scheint sie nicht zu gedeihen. c) Die afrikanischen Tragelaphus- Rassen. Auf dem Boden Afrikas haben von jeher starke Völkerverschiebungen stattgefunden, die naturgemäss auf die Verbreitung der Haustiere starken Einfluss gewonnen haben; dazu kommt, dass im Norden von Afrika und im Nilthal die wirtschaftlichen Zustände eine raschere Entwicklung durchliefen als auf den übrigen (Gebieten. Daher finden wir den autochthonen Stamm der alten afrikanischen Hausschafe an ihrer Ursprungsstätte nicht mehr vor, sondern stark nach Süden und Westen abgedrängt. Es sind sozusagen weit versprengte Reste, deren wirt- schaftliche Bedeutung längst im Rückgang begriffen ist. Seltsamerweise leben einzelne Rassentrümmer auch noch auf asiatischem und europäischem Boden, Die Hausschafe. 197 Wie früher bemerkt wurde, sind die ältesten Hausschafe Afrikas aus dem ziegenartigen Halbschaf (Ammotragus tragelaphus) hervorgegangen. Das mit langer Halsmähne gezierte zahme Negradahschaf ist in seiner ur- sprünglichen Form erloschen, es bildet den Vorläufer zum altägyptrschen Isländisches Schaf Nordrussische Ä Schafe a N | Hebridenschaf r Stammbaum der Hausschafe Merinos r Norfolkschaf A x Bergamasker r f Walliserschat A Marschschafe Zackelschafe A A A n / Dinkaschaf x \ Fettsteiss- N schaf 4 / Sardenschaf 4 Fettschwanzschaf Norddeutsche Landschafe Nigerschaf A Nedjeschaf (Arabien) + BE Bündnerschaf 7 / 2 Torfschaf z Altägyptisches Schaf | | Negadahschaf «x Fezzanschaf «_\ >, x Haidschnucken A r Ovıs arkal (Westasien) vıs musimon Ammotragus tragelaphus (Südeuropa) (Afrika) Hausschaf, das zum Teil hängeohrig war und in Schlägen gezüchtet wurde, von denen nur wenig veränderte Nachkommen jetzt noch leben. Eines jener Rassenfragmente tritt uns beispielsweise am oberen Nil im Dinkaschaf entgegen. Es ist ausgezeichnet durch einen eigentümlichen Haarmantel, welcher mähnenartig an Hals und Vorderbrust herabfällt; der 198 Die Abstammung der ältesten Haustiere. übrige Körper ist kurz behaart, ebenso der lange, dürre Schwanz. Das Dinkaschaf ist ziegenartig, indem die kurzen kräftigen Hörnchen sich scharf nach hinten wenden, um eine halbmondförmige Krümmung zu beschreiben. Die Färbung ist rein weiss, auch rotbraun oder weiss und schwarz gefleckt. Schweinfurth fand dieses Schaf bei den Dinka, Nuer ünd Schilluknegern. Das Hezzanschaf oder /ybzsche Schaf ist ebenfalls stark bemähnt und vorwiegend weiss gefärbt. Der dürre Schwanz trägt am Ende eine grosse (Juaste, ähnelt also einem Kuhschwanz. Am interessantesten ist wohl das Azgerschaf, von dem unlängst ein Exemplar nach Berlin gelangte. Auch dieses besitzt am Vorderkörper verlängerte Haare; der Kopf ist hängeohrig und besitzt noch ganz den Charakter des altägyptischen Schafes, wie es in den Grabkammern und als hieroglyphisches Zeichen abgebildet wird. Die Hörner sind lang, hori- zontal abstehend und schraubenartig gewunden. Dieses hochbeinige Schaf lebt am oberen Niger. Abkömmlinge davon verbreiten sich bis nach Senegambien und nach dem Golf von Guinea. Meiner Auffassung nach enthalten die Sezegalschafe, dann das hänge- ohrige, hochbeinige Gwrneaschaf, das Congoschaf und das kropfige Argola- schaf oder Zunu eine gute Dosis Tragelaphusblut, das aber mehr oder weniger stark mit solchem vom Fettschwanzschaf gemischt ist. Auf asiatischem Boden hat sich die Tragelaphus-Rasse nach Inner- arabien ausgebreitet und in den Schafen von Nedje bis heute erhalten. Der Uebertritt auf europäisches Gebiet hat dem alten Zorfschaf den Ursprung gegeben, wie ich nachgewiesen habe.') Es hat sich in dem heutigen Dündnerschaf wenig verändert forterhalten, ist aber gegenwärtig am Erlöschen. ') €. Keller. Die Abstammung des Bündnerschafes und Torfschafes. Vorgetragen in der II. allg. Sitzung der Schweiz. Naturforscher-Versammlung in Thusis. Chur. 1900. xl. DIE /HAUSZIEGE (Capra Hircus.) eder unsere europäischen zahmen Ziegen, noch diejenigen unserer Nachbarkontinente sind mit der wünschenswerten Vollständigkeit untersucht; immerhin gestatten die bisher ermittelten Thatsachen die Annahme eines polyphyletischen Ursprungs. In Europa erscheint die Hausziege schon sehr früh, d. h. mit Beginn der Pfahlbauperiode. Wie /läötzmeyer') bereits hervorhob und andere seither bestätigt haben, sind die Reste der Ziege in den älteren Pfahlbauten weit häufiger als diejenigen des Schafes; in den jüngeren Pfahlbauten kehrt sich das Verhältnis freilich um. Die Ziege ist eben eine Begleiterscheinung primitiver Kultur; auch auf griechischem Boden wiederholt sich das an- fängliche Ueberwiegen der Ziege und noch heute tritt dieses Geschöpf in den primitiven Kulturen Afrikas stark in den Vordergrund. Bei der grossen Selbständigkeit, die es im Hausstande bewahrte, müssen wir annehmen, dass die Pfahlbauziege von unserer heutigen Hausziege nur wenig abwich, sie war nur etwas kleiner; schon während der Bronzezeit hat sie durch bessere Pflege und sorgfältigere Zucht an Grösse gewonnen, wie @Glaır hervorhebt.”) Mehrfache Funde weisen darauf hin, dass schon in prähistorischer Zeit nordwärts der Alpen auch eine auffallend grosse Rasse vorhanden war. Ebenso liess sich in den römisch-helvetischen Niederlassungen Vindonissa und Aquae neben der kleinhörnigen Hausziege das häufige Vorkommen einer grosshörnigen Rasse nachweisen. Beide zeigen in dem Verlauf und in der Obertlächenbeschaffenheit der Hornzapfen beständige Unterschiede. Die Häufigkeit der Relikte beweist, dass die grosse Ziegenrasse zur Römer- zeit in der Schweiz allgemein verbreitet war, während sie heute auf das Oberwallis beschränkt ist. Bildliche Darstellungen auf einer grossen Silberpfanne aus jener Nieder- lassung, zweifellos römische Arbeit, lassen diese grosshörnige, langbehaarte Ziege deutlich erkennen, sie begegnet uns vielfach auf römischen Darstell- ungen, sowie auf altgriechischen Münzen. Es handelt sich augenscheinlich um eine Kulturrasse der Mittelmeerländer, die frühzeitig, besonders zahl- reich in Begleitung römischer Kultur, im Norden der Alpen eindrang. I) 7. Zätimeyer. Fauna der Pfahlbauten. 1562. ?) G. Glur. Beiträge zur Fauna der schweiz. Pfahlbauten. Bern. 1594. 200 Die Abstammung der ältesten Haustiere. In Griechenland hatte die Ziege Kultbedeutung erlangt, die ägäischen Inseln erhielten von ihr den Namen, offenbar ‘ihres Ziegenreichtums wegen, den auch die Odyssee wiederholt hervorhebt. Ihren Spuren begegnen wir auch frühzeitig im altägyptischen und altassyrischen Kulturkreis. Der heutige Ziegenbestand der alten Welt weist eine grosse Zahl von Fig. 78. Sattelziege des Ober-Wallis. (Nach Fadny.) Formen auf, die sich durch Grösse, Art der Behaarung und Hornbildung stark unterscheiden. Wir kennen grosshörnige, kleinhörnige und hornlose Rassen; dann ramsnasige, hängeohrige, kurz- und langhaarige Ziegen, deren Unterschiede zum Teil durch Zucht, zum Teil durch Abstammung bedingt sind. Am einfachsten ist die Rassenzusammensetzung in Europa. Für das Alpengebiet der Schweiz, in welchem wir noch ursprüngliche Verhältnisse zu erwarten haben, hat nach meiner Meinung NV. Falmy') die natürlichste Sinteilung vorgeschlagen, indem er vier Rassen aufstellt: 1. die schwarz- ') N. Fulmy. Die Ziegen-Rassen der Schweiz. 1896. Die Hausziege. 201 halsige Walliserrasse; 2. die gemsfarbige Alpenrasse; 3. die weisse Saanen- rasse und 4. die Toggenburgerrasse. Die beiden letztern sind ungehörnt. Es ist offenbar die weit verbreitete gemsfarbige Alpenrasse die Ausgangs- form, von der alle übrigen abzuleiten sind; sie hat sich augenscheinlich in unseren Gebirgen seit der Pfahlbauzeit fast unverändert erhalten und nur in der Grösse etwas gewonnen. Die Pyrenäenziege und wohl die meisten Gebirgsziegen im übrigen Europa dürften dieser in beiden Geschlechtern gehörnten gemsfarbigen Rasse angehören, wenigstens finde ich bei Zudwzg von Lorenz-Liburnau, dass ihr Habitus bei Hausziegen in Griechenland und den Balkanländern vielfach wiederkehrt und in Bosnien überall auftritt.') Die hornlosen Ziegen sind Abkömmlinge der alten Rassen, die Toggen- burgerziege steht ihr wohl am nächsten, während die Saanenziege durch ihren Albinismus die jüngere Form darstellt. Als eigenartige Kulturrasse muss die Walliserrasse (Sattelziege) auf- gefasst werden; sie ist stattlich gebaut und sehr langhaarig, am Vorder- körper tiefschwarz, am Hinterkörper schneeweiss. Sie gehört zur Staffage der Bezirke um den Simplon herum und ist oberhalb Brieg sehr häufig. Ihr Vorkommen in der Nähe einer alten Gebirgsstrasse, die frühzeitig den Verkehr mit dem Norden der Alpen vermittelte, lässt sie unschwer als ein lebendes Relikt aus der Römerzeit erkennen, sie ist hier gleichsam hängen geblieben, wie die römischen Molosserhunde und die brachycephalen Rinder, die sich zum Bernhardinerhund und Eringerrind umgestalteten. Viel verwickelter erscheinen die Rassenverhältnisse der asiatischen Formen. Die syrische Mamberziege ist gross, langhaarig und schlappohrig. Als edelste Rasse gilt die Angoraziege Kleinasiens mit langem, blendend- weissem Wollhaar und grossem, spiralig nach aussen gedrehtem Gehörn. Ueber die persischen Ziegen bemerkt //. Pohlrg,?) dass am häufigsten eine kleine, schwarze Wollziege gehalten wird, deren Ohren hängend und deren Hörner spiralig nach auswärts gedreht sind. Daneben halten die persischen Bergvölker die der indischen Kaschmirziege nahe verwandte Murgusziege. In Arabien ist die Ziege ausserordentlich verbreitet und vom primitiven Typus unserer gemsfarbigen Alpenziege, mit denen einzelne Individuen in der Färbung übereinstimmen; letztere variiert übrigens sehr, wie ich meinen Reisenotizen aus Südarabien entnehme. Man findet ganz weisse Tiere, andere sind weiss mit schwarzem Rückenstreif, schwarzbraun oder gelb- braun, das säbelförmige Gehörn ist nur ausnahmsweise gross. Das Euter ist ungewöhnlich gross und muss oft in einen Sack gebunden werden, damit es nicht auf dem Boden schleift. Das Flaar ist kurz, dicht anliegend, zu- weilen auch etwas kraus. Unter den südasiatischen Ziegen ist die ziemlich kleine Kaschmirziege 1) 7. von Lorenz-Liburnau. Wissenschaftl. Mitt. aus Bosnien und der Herzogowina. VI. Bd. 1899. ®) H. Pohlig. Berichte des landw. Inst. der Universität Halle. VII. 1887. 202 Die Abstammung der ältesten Haustiere. weit über lHochasien ausgebreitet; das Haarkleid ist ein langes Vliess, das schartkantige Gehörn- schraubenförmig nach aussen gedreht; die Ohren hängend. In Ostasien tritt die Hausziege stark zurück. Eine eigentümliche Rasse bildet die Malayenziege, von der ich drei Schädel aus Sumatra erhielt. Das Gehörn ist auffallend dick, im Halbkreis nach hinten gebogen und im Verhältnis zur Dickenentwicklung sehr kurz. Eine chinesische Ziege der hiesigen Sammlungen zeigt nahe Verwandtschaft zur malayischen Rasse. Fig. 79. Zwergziege von Westafrika. (Original.) Die afrikanischen Ziegen weisen im Nilthal zunächst enge Beziehungen zu Asien auf, in dem die schlappohrige, ramsnasige Nilziege mit der syrischen Form verwandt ist. Nordabessinien dürfte seine Rasse von Arabien her erhalten haben. In der Umgebung von Massaua fand ich am häufigsten eine kastanienbraune, mittelgrosse Ziege, die einen schwarzen Längsstreifen auf dem Rücken und dunkle Längsstreifen im Gesicht aufwies, die Hörner sind lang, flachgedrückt und von der Mitte an auseinandergebogen. Sie erinnert ganz an die gemsfarbige Ziege unserer Alpen. Es kommen auch braun und weissgefleckte, sowie schwarze Varietäten vor. In den übrigen Gebieten des tropischen Afrika bis zur Westküste herrscht eine kleine Rasse mit kurzen Höruern vor, die sogenannte Zwerg- ziege mit verschiedenen Varietäten. Die schönste Form derselben ist wohl die Somaliziege. Bei den einzelnen Stämmen im Innern fand ich zahl- Die Hausziege. 203 reiche Herden, die meist mit den kleinen Fettsteissschafen zusammen auf die Weide getrieben werden. Das Gehörn ist kurz, nach hinten und schwach nach aussen gekrümmt. Die Farbe ist meist blendend weiss, sehr beliebt ist auch weiss mit drei Längsstreifen von dunkelbrauner Farbe im Gesicht und dunkeln Längsstreif über den Rücken. Die Somaliziege ist intelligent und gut gewöhnt, die Milchergiebigkeit ist entsprechend der geringen Aus- dehnung des Euters nicht gross, das Fleisch fett und sehr schmackhaft. DIE WILDZIEGEN. ABSTAMMUNG DER HAUSZIEGEN. Die heutigen Wildziegen scheinen ihren Bildungsherd in der Gebirgs- welt Asiens zu haben. Soweit die spärlichen palaeontologischen Funde einen Schluss zulassen, handelt es sich bei den Capriden um eine geologisch junge Gruppe, deren älteste Reste im oberen Pliocaen Frankreichs er- scheinen; Funde aus Innerasien müssen wir noch abwarten. Die jetzt lebenden Arten lassen sich auf drei natürliche Gruppen verteilen: I. Gruppe: Ture. Ihr Gehörn ist nach rückwärts und auswärts ge- bogen und im Querschnitt mehr oder weniger gerundet, so dass sie eine Mittelstellung zwischen den Halbschafen und den echten Ziegen einnehmen. Hieher gehören zunächst die beiden Ture des Kaukasus, nämlich Capra eylindricornis und Capra caucasica; letztere Art lässt am Vorderrand regel- mässige Wülste erkennen, während solche bei Capra cylindricornis nur schwach angedeutet sind. Beide endemische Arten gehören dem Hoch- gebirge des grossen Kaukasus an, C. cylindricornis ist die östliche, C. cau- casica die westliche Form. Auf dem Grenzgebiet beider fand @. Aadde') Gehörne, die einen Mischcharakter erkennen lassen und auf Bastardierung beider Arten hinweisen. Eine dritte Art, die Prof. Mensbier als Capra Sewertsowi unterschied, gehört offenbar in den Formenkreis von C. cau- casica hinein. Auf einem geographisch ziemlich weit entlegenen Gebiet, in Südspanien, lebt eine Wildziege, die „Cabra montes“ der Sierra nevada, welche nach den Untersuchungen von ZZ @0/1?) den kaukasischen Turen am nächsten steht. Il. Gruppe: ‚Siernböcke. Auch sie sind echte Hochgebirgstiere, die man in einer besonderen Untergattung (Ibex) vereinigt. Ihr nach hinten gebogenes Gehörn entfernt sich von der Mittelebene durchschnittlich weniger als bei den Turen; auf dem Querschnitt erscheint es länglich viereckig, da es wohl abgeplattet ist, aber keine scharfen Kanten aufweist. Der Vorderrand ist mit stark vorspringenden, regelmässig angeordneten Querwülsten besetzt. Stammform der ganzen Gruppe ist augenscheinlich der Sibirische Stein- bock (Capra sibirica), dessen Verbreitungsgebiet vom Altai bis zum 1) G. Radde. Die Sammlungen des kaukasischen Museums. Tiflis. 1899. 2) A. Gol. Le Globe. Tome XXXVIl. Geneve. 1898. 204 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Himalaja reicht und auch für Persien und Afghanistan angegeben wird. Von hier aus hat eine Ausstrahlung nach Süden und Westen stattgefunden. Der Steinbock der Alpen (Capra ibex), seit langer Zeit im Rückgang be- griffen, ist gegenwärtig nur noch im Aostathal heimisch. Der Pyrenäen- steinbock (Capra pyrenaica) gilt als selbständige Art, die in der Gehörn- bildung vom Alpensteinbock abweicht. Das Sinaigebiet wird wiederum von einer eigenen Spezies bewohnt (Capra sinaitica Hempr. und Ehr.), von welcher der Steinbock Nubiens (C. nubiana), derjenige Abessiniens (C. Walie Rüpp.) und der Maskatsteinbock in Südarabien (C. Mengesi Noack) wohl nur Lokalformen darstellen. III. Gruppe: Zzegen (im engeren Sinne). Sie bilden das Endglied der Capriden und werden nach dem Vorgang von Gray in einer besonderen Untergattung Hircus vereinigt. Ihre Grösse steht derjenigen der Steinböcke etwas nach, der Kopf ist durch ein plattgedrücktes Gehörn ausgezeichnet, dieses ist scharfkantig und an der vorderen Kante mit unregelmässigen Knoten, aber niemals wie bei den Steinböcken mit regelmässigen Quer- wülsten versehen. Die Hornzapfen sind so stark genähert, dass zwischen denselben am Hinterschädel eine Furche entsteht; die Hornscheiden wenden sich säbelförmig nach hinten oder sind schraubenförmig gedreht. Ihr eigentliches Wohngebiet ist Asien, dem afrikanischen Boden fehlen sie ganz, greifen aber in Südosteuropa auf die griechischen Inseln hinüber. Als bekannteste Wildform mag hier zunächst die Dezoarziege (Capra aegagrus) angeführt werden, deren Verbreitungsgebiet sich über das mittlere und westliche Asien erstreckt. Oestlich reicht sie von Persien bis nach Beludschistan und dem westlichen Sind. Im Norden endet sie im grossen Kaukasus und 'Transkaspien. Sie ist in Armenien besonders auf dem Ararat verbreitet. Ihr bogenförmiges, am vorderen Rande mit Knoten besetztes (sehörn scheint bei allen asiatischen Formen sich erst langsam auswärts zu biegen, um gegen die Spitze hin wieder zu konvegieren, so dass die Enden oO gelegentlich gekreuzt erscheinen. Wir müssen der Bezoarziege noch vermeintliche endemische Arten der griechischen Inselwelt anreihen. Seit langer Zeit kennt man das Vorkommen von Wildziegen auf Kreta, wo sie besonders zahlreich im Gebirge von Ida vorkommen. Drzsson hat für diese den Namen Capra cretensis geschaffen. Von der Insel Erimomilos hat 1858 Zrhard'!) unter der Speziesbezeichnung „Aegocerus pictus“ eine Wildziege beschrieben, die von C. aegagrus da- durch verschieden sein soll, dass sie eine geringere Grösse und ein mit den Spitzen nach aussen gedrehtes Gehörn besitzt. Die Bestände waren vor Dezennien noch sehr zahlreich, gegenwärtig aber sind sie wegen der schonungslosen Jagd stark zurückgegangen. Frühere spärliche Nachrichten erwähnten auch Wildziegen von den Sporadeninseln, ein an den zoologischen Garten nach Berlin gesandter wilder Bock von der Insel Joura hat Zezchenow !) Erhard. Fauna der Cykladen. 1858. Pag. 32. Die Hausziege. 205 eingehender untersucht und darauf seine neue Art Capra dorcas gegründet.') Bei derselben ist die Vorderkante des Gehörns nach innen gekehrt, die Hornscheiden entfernen sich von der Wurzel an, durch eine etwas spiralige Drehung erscheinen die Spitzen nach aussen gewendet. Unlängst hat Zorenz-Zrburnau eine sehr eingehende Untersuchung dieser griechischen Inselziegen veröffentlicht und vortreflliche Abbildungen der Joura-Ziegen und der Erimomilos-Ziegen geliefert.?) Auf Grund sorg- fältiger anatomischer Vergleiche kommt er zu dem jedenfalls sehr zutreffen- den Schluss, dass die Kretaziege als echte Wildziege von der asiatischen Capra aegagrus im Schädelbau so wenig abweicht, dass sie mit ihr zu- sammen eine Art bildet. Auch die Erimomilosziege ist nur eine Lokal- form der westasiatischen Bezoarziege und möglicherweise von Kreta importiert. Anders verhält es sich mit Capra dorcas /lerchenow der Insel Joura, die nichts weiter als eine verwilderte Hausziege ist, wofür neben dem Horn- verlaut besonders auch die stärker aufgetriebene Stirn spricht. Dass sie in der Färbung des Haarkleides auffallend mit C. aegagrus übereinstimmt, ist eine Rückschlagserscheinung, die sich aus Abstammungsverhältnissen erklärt. Wir begegnen ja aut andern Inseln des Mittelmeeres verwilderten Ziegen ; berühmt sind die Bestände von Tavolara im Norden von Sardinien, aber auch auf der Hauptinsel werden in den Bergen nach den mir zugekommenen Mitteilungen verwilderte Ziegen gejagt.*) Im Osten des asiatischen Kontinentes, im Himalajagebiet lebt eine andere, stattliche Wildziege, der Markhor (Capra Falconeri) mit gerade gerichtetem Spiralgehörn, das beim Männchen meterlang werden kann. Diese Schraubenziege reicht von Kaschmir bis zum nördlichen Afghanistan. Man wollte in ihr gelegentlich die verwilderte Form einer Hausziegen- spielart erblicken (Blyth), allein nach dem ich den Schädel zu untersuchen Gelegenheit hatte, erscheint mir eine derartige Deutung ausgeschlossen; es handelt sich offenbar um eine echte Wildform. Anhangsweise mag noch eine andere Himalaja-Wildziege, der Tahr (Capra jemlaica oder Hemitragus jemlaicus) Erwähnung finden. Er ist Ver- treter der Halbziegen und bildet eine Uebergangsform zwischen den Anti- lopen und den echten Ziegen. Die langbehaarte Himalajaziege trägt ein kurzes, seitlich zusammengedrücktes Gehörn, dessen Kanten gerundet sind; die Hornspitzen sind einwärts gerichtet. Untersuchen wir die Abstammungsverhältnisse der verschiedenen Haus- ziegen, so bleiben als wilde Stammformen jedenfalls die beiden Gruppen 1) Reichenow. Zoolog. Jahrb. III. 1888. 2) Lorenz-Liburnau. Die Wildziegen der griechischen Inseln. Wissensch. Mitt. aus Bosnien und der Herzogowina. VI. Bd. 1899. 3) C. Keller. Verwilderte Haustiere in Sardinien. Globus. 1899, 206 Die Abstammung der ältesten Haustiere. der Ture und der Steinböcke vollkommen ausgeschlossen. Zwar erfahren wir durch /adde'), dass im Kaukasus sich Capra cylindricornis (5) mit der Hausziege (5) kreuzen kann und fruchtbare Bastarde erzeugt, ebenso ist längst bekannt, dass die Bastardierung zwischen Steinbock (Capra ibex) und der Hausziege leicht gelingt und diese Bastardsteinböcke ebenfalls fruchtbar sind. Allein dieses physiologische Moment beweist für die Ab- stammung gar nichts. Man muss gegen die nähere Verwandtschaft ein- wenden, dass die Hornbildung zunächst ganz verschieden ist. Die Horn- zapfen als Bestandteile des Skelettes und die Hornscheiden als epidermoidale Bildungen gehören Organgebieten an, die sich sehr konservativ verhalten und daher phylogenetisch mit Nutzen verwendet werden können. Daher muss auch die Stammvaterschaft der Steinböcke abgelehnt werden. An der Erzeugung der verschiedenen Hausziegen-Rassen sind offenbar drei wilde Arten beteiligt. Die westlichen Ziegenschläge, die Westasien und Arabien, dann Europa und ganz Afrika bewohnen, weisen im ganzen einen einförmigen Charakter auf, der auf eine einheitliche Abstammung hinweist. Als den primitivsten Typus sehe ich die gemstarbige Gebirgsziege an, die uns nicht nur in ganz Europa, sondern auch in Abessinien und Arabien begegnet. Die stärkste Umbildung, die unter dem Einfluss langer Domestikation entstand, sehen wir bei den hängeohrigen Schlägen Westasiens. Diese westliche Gruppe stammt von der Dezoarziege (Capra aegagrus) ab, wofür eine Reihe von Gründen sprechen. Zunächst liegt das Verbrei- tungsgebiet dieser Wildziege im Bereich der ältesten Kulturkreise, in welchen nachweisbar die Ziege als Haustier sehr früh erscheint und durch Zucht am meisten abgeändert wurde. Die zoologische Uebereinstimmung ist sehr gross. Das Gehörn unserer primitiveren Ziegenschläge ist scharfkantig und plattgedrückt, am Vorder- rande beim Bock oft mit unregelmässigen Knoten besetzt, wie bei der Bezoarziege; dass die Spitzen bei der zahmen Form sich nach aussen wenden, ist wohl eine nebensächliche, durch Domestikation bedingte Ab- weichung. Der Bart, der sich in beiden Geschlechtern wohl entwickelt findet, ist auch bei C. aegagrus stark ausgesprochen. Besonders auffallend ist neben der Uebereinstimmung im allgemeinen Körperbau und in den Grössenver- hältnissen die Aehnlichkeit in Färbung und Zeichnung des Haarkleides, die sich bekanntlich zähe vererbt und daher phylogenetisch von grossem Wert ist. Viele Individuen unserer Alpenziegen stimmen in ihrer Gemsfarbe, dem schwarzen Aalstrich auf dem Rücken, der dunkelbraunen Stirn- und Hals- färbung, der dunkeln Aussenseite der Vorderläufe bis ins einzelne mit der !) G. Madde. Die Sammlungen des kaukasischen Museums. 1899. Die Hausziege. 207 westasiatischen Wildziege überein. Der charakteristische dunkle Rücken- streif des Aegagrus, sowie die dunkle Stirn und die dunkeln Streifen vor den Augen haben sich sogar bei den durch Albinismus ausgezeichneten Somaliziegen vielfach erhalten. Wie 7. Pohlig in Persien beobachten konnte,!) besitzt die Bezoarziege eine hohe Empfänglichkeit für die Domestikation. In Djulfa sah er eine Alte mit ihren beiden Jungen sich in einem Gehöfte einnisten und sich so an die Umgebung gewöhnen, dass sie von ihren Ausflügen pünktlich zur Fütterungszeit zurückkehrten. Indessen ist dies nicht die einzige Stammform. Wir finden auf asiati- schem Boden noch andere Rassen heimisch, die sich durch lange Behaarung Fig. 80, Schädel der Malayen-Ziege aus Sumatra, Original. (Landw, Sammlung Zürich.) und schraubenartiges Gehörn auszeichnen. Diese enthalten offenbar Blut von der Schraubenziege (Capra Falconeri), deren Heimat das Himalaja- gebirge ist, die aber vor dem wohl bis Persien reichte. Die Falconeri-Rasse scheint in reinster Form im alten Mesopotamien vorhanden gewesen zu sein, wenigstens ist es mir auffallend, dass altassyrische Bilder eine hängeohrige und langbärtige Ziege darstellen,?) deren Schraubengehörn gerade verläuft, sich fast senkrecht vom Kopf erhebt und lang ist. Die Angoraziegen und die indischen Kaschmirziegen dürften mehr oder weniger als reine Ab- kömmlinge der assyrischen Rasse, die langhaarig dargestellt wurde, anzu- sehen sein. EZ Pokhg. Jroc. cit. Bag. 98. 2) Vergl. Zayard. Monuments of Niniveh. 1849. Plate 58 und 60, 208 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Als dritte Wildziege, die meiner Auffassung nach Blut auf die Haus- ziege vererbt hat, bezeichne ich den ZaAr (Capra jemlaica). Die betreffenden Rassen erscheinen auf Ostindien und die malayische Inselwelt beschränkt. Bei einem Bock aus Sumatra finde ich ein kurzes und auffallend dickes Gehörn, das zwar als zweikantig bezeichnet werden kann, die Kanten er- scheinen jedoch gerundet: es erhebt sich halbkreisförmig über der Stirn, wendet sich gar nicht nach aussen und endigt mit den Spitzen in der Höhe Fig. 81 Indische Ziege von der Malabarküste, (Original) der Hinterhauptsschuppe. Zwei weibliche Schädel, ebenfalls aus Sumatra stammend, zeigen die Hornenden etwas nach aussen gedreht. Aus Tibet finde ich eine kreuzhörnige Ziege erwähnt, deren Gehörn offenbar an den Tahr erinnert. Wie bei Capra jemlaica (Hemitragus jemlaicus) sind an der Aussen- seite der IHornscheiden regelmässig angeordnete, breite aber niedrige Quer- wülste vorhanden. Die Augenhöhlen treten nur wenig vor und erscheinen enger als bei andern Hausziegen. Damit will ich durchaus nicht behaupten, dass ich die Malayenziege als domestizierten Tahr betrachte, denn im Schädel sind wiederum Ab- weichungen vorhanden, die sich mit einer solchen Annahme nicht ver- einigen liessen. Ich glaube vielmehr, dass es sich um ein Kreuzungsprodukt handelt, Die Hausziege. 209 wobei allerdings eine erhebliche Menge T’ahrblut vorhanden ist. Die wenigen Beobachtungen, die ich an lebenden Ziegen Ostasiens zu machen in der Lage war, deuten darauf hin, dass der Anteil von Tahrblut Schwankungen unterworfen ist. Das südasiatische Festland ist offenbar als Bildungsherd dieser Bastard- Rasse anzusehen. Man braucht nicht notwendig das Hochland von Tibet als solches anzunehmen, da auch in den Gebiresgegenden Südindiens eine dem Tahr nahestehende Form als geographische Varietät vorkommt. Die Dravidastämme Indiens besitzen eine Hausziege, die der Sumatraziege sehr nahe steht. Zwei Ziegen von der Malabarküste, die ich untersuchte, stimmen im Gehörn vollkommen mit der Malayenziege Sumatras überein. Die langen und breiten Hängeohren erinnern an die Angoraziege. die Augen besitzen eine lichtgelbbraun gefärbte Iris. Der Körper ist bei dem einen Exemplar fast überall kurz behaart und von tiefschwarzer Färbung, beim ‚andern ist der Kopf tahrfarben, d. h. rötlich-kastanienbraun mit breiter, schwarzer Stirnbinde und schwarz eingefassten, kastanienbraunen Ohren. Der Körper ist im übrigen mit Ausnahme der kurzbehaarten Beine mit langem, grobem Grannenhaar bedeckt, dessen Farbe an den Seiten in Schiefer- grau übergeht. Also ein merkwürdiger, wenn auch bei den einzelnen Individuen wech- selnder Mischcharakter von Raschmirziege und Tahr. Das Auftreten solcher Bastarde, deren durchschnittliche Körperlänge 120 Centimeter betragen mag, darf nicht überraschen, da einmal nach den Beobachtungen von Aznloch Capra jemlaica sich leicht zähmen lässt und anderseits bekannt ist, dass der Tahr sich leicht mit der Hausziege paart,') ja die Eingeborenen behaupten, dass für den Tahrbock ein weibliches Moschustier sogar Gegenstand der Begehrlichkeit sein kann. I) Brehms Tierleben. 3. Auflage. Bd. Ill... Pag. 213. 4 x DANSK Jie Kameliden sind nach ihrer palaeontologischen Entwicklung ‚ von hohem Interesse geworden, indem sie sich am frühesten (d ' vom Stamm der Wiederkäuer ablösten und daher in ihren ee» . heutigen Repräsentanten einen recht alten Zweig darstellen. Ihr ea Charakter spricht sich deutlich darin aus, dass sie die einzigen Wiederkäuer sind, welche im Oberkiefer noch Schneidezähne erhalten haben. Die völlige Abtrennung von den selenodonten Huftieren erfolgte schon im Miocaen, bevor sich Geweihe oder Gehörne ausbildeten, denn diese Waffen fehlen den kamelartigen Tieren der Gegenwart wie den ausgestorbenen Gattungen, unter denen das mitteltertiäre Po@brotherium die Stammform bildet. Die ursprüngliche Heimat ist Nordamerika, wo während der jüngeren Tertiärzeit die reichste Entfaltung bemerkt wird, dort aber erlischt die Gruppe mit dem Diluvium, während die noch lebenden Nachkommen sich weit von ihrem ursprünglichen Wohnsitz entfernt haben. Die Schafkamele oder Llamas (Auchenia) wanderten nach Südamerika aus und sind schon in der präkolumbischen Zeit teilweise in den Dienst des Menschen ein- getreten; sie sollen hier nicht weiter berücksichtigt werden. Ein anderer Zweig, die Gattung Camelus bildend, siedelte sich in der alten Welt, in Asien, an und lebt heute noch auf den hochasiatischen Wüsten- flächen zahlreich in ursprünglicher Wildheit. Aus diesem gewann der Mensch eines der brauchbarsten altweltlichen Haustiere, dessen Domestikation nach den bisher gewonnenen Anhaltspunkten sich zweifellos in die prähistorische Zeit verliert. Man pflegte bisher ziemlich allgemein das zweihöckerige Kamel oder Trampeltier (Camelus bactrianus) artlich von dem einhöckerigen Dromedar (Camelus dromedarius) zu trennen. Morphologisch lässt sich ein Artunter- schied nicht aufrecht erhalten. Der Fetthöcker allein ist nicht massgebend. Ob diejenigen Recht behalten, die ihn lediglich infolge der fortwährenden Belastung des Rückens entstehen lassen oder ob er in schwächerer Aus- bildung schon beim Wildkamel vorhanden ist, wird eine genaue Unter- suchung der letzteren lehren. In seiner heutigen Entwicklung ist er augen- scheinlich ein Produkt künstlicher Züchtung; er lässt sich ähnlich wie beim Höckerrind bis zu extremen Dimensionen steigern, was ich oft an gemästeten Kamelen im afrikanischen Osthorn beobachten konnte, oder durch lange Das Kamel. sıl Anstrengung bei knapper Nahrung in wenigen Wochen zum Verschwinden bringen. Bei Embryonen von Dromedaren fand ich die Rückenlinie zwar gebogen, den Höcker aber kaum angedeutet. Lombardin? hat nun den Nachweis geliefert, dass der Dromedar im Grunde genommen auch zweihöckerig ist und die erste Anlage beim Embryo doppelt erscheint.!) Für die Abstammungsgeschichte ist diese Thatsache von besonderer Wichtigkeit, dass wir nunmehr mit einer einzigen wilden Stammform auskommen, das zweihöckerige Kamel als die ursprünglichere zahme Rasse bezeichnen und davon den Dromedar als jüngere Zuchtrasse ableiten können. Auch physiologische Gründe sprechen für die Zusammengehörigkeit beider Hauptrassen, da sich Camelus bactrianus und C. dromedarius leicht kreuzen lassen und fruchtbare Blendlinge liefern.) Die geistigen Eigen- schaften stimmen auffallend überein, beide Formen sind wenig begabt, wie es die tiefe Stellung der Familie mit sich bringt; beide zeigen neben stör- rischem Wesen eine auffallend geringe Anhänglichkeit an den Menschen. Endlich sprechen auch tiergeographische Gründe für eine Zusammen- gehörigkeit beider Rassen, in dem sie schon zu einer Zeit in Asien neben einander vorkommen, da sie die Westgrenze ihres heimatlichen Kontinents noch nicht überschritten haben. Da der Dromedar in seiner Verbreitung mehr auf den Süden angewiesen ist, liegt die Vermutung nahe, dass er auf dem Boden Arabiens zuerst als Zuchtrasse entstanden ist. Die Formenverhältnisse der Kamele lassen erwarten, dass die Nutzungs- richtung eine einseitige sei. Als Lasttiere und Reittiere leisten sie unter gewissen Bodenbedingungen unschätzbare Dienste und man kann sagen, dass der Mensch mit Hülfe des Kamels die gewaltigen Steppen und Wüsten Asiens und Afrikas eigentlich erschlossen und erobert hat. Aber auch als Zugtier findet das Geschöpf häufig Verwendung. In Aegypten spannt es der Fellah — drollig genug — zusammen mit der Kuh vor den Pflug, um das Feld zu beackern; in Südarabien habe ich es den schweren Wasser- karren ziehen sehen. Die Kamelstuten liefern eine konzentrierte, wohl- schmeckende Milch, die mit Wasser verdünnt, ein angenehmes Getränk bildet: die Wolle wird in Persien zu dauerhaften Filzdecken verarbeitet; in den Somaliländern versorgen gemästete Kamele den Fleischmarkt der grösseren Orte und das Kamelfleisch wird gerühmt; ich kann nur sehr be- dingt in dieses Lob einstimmen, denn der Geschmack ist wohl nicht unan- genehm, das Fleisch jedoch recht zäh. Die heutige Verbreitung zahmer Kamele lässt sofort erkennen, dass die zweibuckelige Rasse (Camelus bactrianus) fast ausschliesslich auf Asien beschränkt bleibt und hier die kühleren Distrikte bewohnt, indem sie in 1) Lombardim. Ricerche sui Camelli. Pisa. 1879 und Referat darüber im Kosmos. 1879. Pag. 144. ?) Brehms Tierleben. Bd. III. 912 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Innerasien. im südlichen Sibirien und bei den Mongolen Ostasiens die Allein- herrschaft erlangte. In China spielt das zweihöckerige Kamel eine wichtige Rolle im Karawanenverkehr mit Sibirien und der Mongolei; im südwest- lichen Sibirien wird dasselbe seit der raschen Entwicklung der Landwirt- schaft häufig vor den Pilug gespannt. Ueber den Östrand Asiens ver- mochte es nicht hinauszudringen, weil für die insularen Gebiete der Büffel besser passt. In Japan, wo man alle möglichen Nutztiere einzubürgern ver- suchte, ist das Kamel erst vor kurzer Zeit eingetroffen. Im chinesisch- japanesischen Krieg wurden den Chinesen eine Menge dieser Tiere abge- nommen und nach Tokio gebracht. Sie wurden von der Regierung teils an das dortige \eterinärinstitut, teils an Privatpersonen verschenkt, aber man wusste nirgends etwas damit anzufangen: heute dürfte dieser Fremd- ling auf japanischem Boden vollständig verschwunden sein. Im Westen kommen in Persien, Mesopotamien und Kleinasien beide Rassen neben einander vor, zweihöckerige Kamele leben auch in den Ländern des Kaukasus und sporadisch in Südrussland. Der Dromedar, die südliche Rasse, erlangte die ausschliessliche Herr- schaft in dem arabischen und afrikanischen Gebiet, reicht aber auch bis nach Indien. In Arabien wird seine Zucht stark betrieben. Im nördlichen Teil von Afrika besorgt er überall den Karawanendienst bis nach Marokko und reicht selbst auf die kanarischen Inseln hinüber. In Aegypten und Nubien stark verbreitet, verengert sich sein Wohngebiet bei Massaua auf eine schmale Zone, da die Hochländer von Aethiopien den Dromedar durch Esel und Maultier ersetzen. Im Osthorn dagegen sind einzelne Bezirke mit zahlreichen Kamelherden erfüllt. Besonders stark wird das Kamel von den Somalen in den Ebenen des südlichen Ogadeen gezüchtet, ich habe in der Nähe von Faf eine Herde von etwa 10,000 Stück angetroffen. Auch im Gallagebiet ist der Dromedar eingebürgert, indem regelmässige Kara- wanen vom Djubathal aus über das Gebiet der Borangalla nach dem Rudolfsee und nach den grossen äquatorialen Seen verkehren. Nach Süden ist das Kamel bis Zanzibar vorgedrungen, dem waldreichen Westen tehlt es naturgemäss. In Südeuropa vermochte es sich nicht in grösserer Zahl einzubürgern. Sporadisch trift man den Dromedar auf der Balkanhalbinsel, in Sizilien und Südspanien war sein Erscheinen mehr vorübergehend, dagegen hat sich das Kamelgestüt von San Rassore bei Pisa erhalten. Die Einbürgerung ist auch in Nordamerika versucht worden, scheint aber nicht gelingen zu wollen, dagegen berichten neuere Reisende von seiner Verwendbarkeit in dem steppenreichen Australien. Auf die zahlreichen Schläge. die von der einbuckeligen Rasse gehalten werden, kann hier nicht näher eingetreten werden, da sie zum "Teil noch ungenau beschrieben sind. Das Kamel. 913 Die Frage nach der Abstammung der zahmen Kamele lässt sich heute ziemlich befriedigend beantworten, da wir nur eine einzige Wildform als Ausgangspunkt anzunehmen haben. Man hat mit Rücksicht auf das hohe Alter des Haustieres gelegentlich die seltsame Idee geäussert, das Kamel möchte ähnlich wie andere Haustiere bereits als zahmes Tier aus Amerika eingewandert sein.') Diese Annahme bedarf kaum einer Widerlegung. Die Angabe von Porme/, dass in Nordafrika, beziehungsweise in Algier, Knochenreste von Kamelen in quatärnären Ablagerungen angetroffen wurden,°) könnte die Vermutung nahelegen, dass wenigstens die Dromedare eine afrikanische Herkunft besitzen. Aber die geschichtlichen Thatsachen sprechen durchaus dagegen. Wenn Zomel und 7T’homas Kamelreste (ein Schädel und zwei Unterkiefer) in pleistocaenen Ablagerungen Algiers nach- weisen konnten, so handelt es sich um ein Wildkamel, das in Asien noch nicht erloschen ist, zur Quartärzeit aber wie andere asiatische Steppentiere sehr weit nach Westen vorgeschoben erschien, sich jedoch bereits in vor- geschichtlicher Zeit wieder zurückzog. Wir kennen ähnliche Funde von anderen Lokalitäten, so von Sarepta am linken Ufer der Wolga, aus Süd- sibirien und selbst aus Rumänien, wo @. ‚Stefanescu unweit Slatina zwei Unterkiefer von Wildkamelen im diluvialen Sand sechs Meter unter der Oberfläche auffand.”) Er gründet darauf seine neue Art Camelus alutensis, sie ist aber wohl identisch mit dem noch lebenden innerasiatischen Wildkamel. Die Verbreitungsgeschichte, die ziemlich klar vor uns liegt, weist auf einen asiatischen Bildungsherd der zahmen Kamele. Arzsioteles kannte bereits beide Rassen und erwähnt, dass einzelne Besitzer Innerasiens Kamel- herden halten, die nach Tausenden zählen. Die biblische Ueberlieferung nennt das Kamel wiederholt und berichtet, dass die Königin von Saba, als sie Salomo besuchte, mit zahlreichen Kamelen in Jerusalem einzog. Sie müsste diese entweder aus Südarabien mitgebracht oder unterwegs ge- mietet haben. Im Nilthal ist der Dromedar verhältnismässig spät eingetroffen und jedenfalls hatten sich die wilden Kamele Nordafrikas längst vorher nach Osten zurückgezocen, so dass keine Kontinuität angenommen werden kann. Durchgeht man die bildlichen Darstellungen der Pharaonenzeit, so erscheint es auffallend. dass gerade während der klassischen Kunstepoche des alten Reiches unter den zahllosen Tierfiguren das Kamel niemals erscheint. Auch im mittleren Reich wird es nicht abgebildet, im neuen Reich erst zu einer Zeit, da ein Eindringen griechischen Einflusses bemerkbar wird. Man hat behaupten wollen, dass irgend eine religiöse Scheu die ägyptischen ') Vergl. Kosmos. 1875. 2) Nach A. de Mortillet. Origines de la chasse, de la peche et de l’agriculture. Paris. 1890. 3) Gregor Stefanescu. Camila Fosila din Rumania, Anuarulu Museului de Geologia si de Palaeontologia. Bucaresci, 1896, 914 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Künstler abgehalten habe, das fremdartige Geschöpf abzubilden. Ich möchte jedoch dem entgegen halten, dass satyrische Papyrus aufgefunden wurden, deren Bildereien sich ganz von der herrschenden Kunstüberlieferung frei machen und es mit der guten Sitte wenig genau nehmen. Aber auch hier wird meines Wissens das Kamel nirgends abgebildet. Man darf daher an- nehmen, dass es als Haustier wirklich fehlte. Das Eindringen des Dromedars in Afrika muss jedoch über Aegypten erfolgt sein. Wäre er frühzeitig vom Süden des Roten Meeres nach Aethiopien gelangt und dann von Süden her nach Norden vorgedrungen, so hätte man ihn vermutlich in Theben abgebildet, aber noch zur Zeit Ramses Ill. wird ausdrücklich der Esel als Transporttier für die Wüste er- wähnt. Daher ist auch die Hypothese, dass während des mittleren Reiches der Einfall der Hyksos, d. h. der semitischen Hirtenvölker in Nordosten des Reiches das Kamel nach Aegypten verbreitet habe, nicht gerade wahrscheinlich. Adolf Erman weist darauf hin,!) dass der Versuch, im Altägyptischen ein Fremdwort für das Kamel nachzuweisen, gescheitert sei und er hält dafür, dass die Pharaonenleute mit diesem Tier erst unter griechischer Herrschaft bekannt wurden, d. h. frühestens im vierten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Weit früher begegnet man deutlichen Spuren beider Kamel-Rassen im Zweistromland. In Niniveh fand //ace ein Basrelief aus dem siebenten vor- christlichen Jahrhundert,’) auf dem ein assyrischer Bogenschütze auf einem Dromedar reitend dargestellt wird. Zayard hat in seinem zweibändigen monumentalen Bilderwerk®) mehrfach altassyrische Darstellungen von Kamelen veröffentlicht, darunter einen beladenen Dromedar aus Kujundschik und einhöckerige Kamele aus Nimrod, ferner ein zweihöckeriges Kamel, das neben dem Elefanten auf einem im britischen Museum aufbewahrten Marmor- obelisk abgebildet wird. Wir finden daher beide Kamel-Rassen auf asiatischem Boden schon scharf ausgeprägt zu einer Zeit, da der Dromedar in Afrika noch nicht angelangt ist. Ihre erste Domestikation reicht jedenfalls in eine weit ältere Zeit zurück und wir werden kaum fehl gehen mit der Annahme, dass inner- asiatische Völker das Kamel in Hochasien zur prähistorischen Zeit gezähmt haben, Diesen Auffassungen kommt die Entdeckung eines passenden Wild- materials in jener Region sehr zu Gute. Schon im vorigen Jahrhundert gelangten Nachrichten nach Europa, denen zutolge wilde Kamele in der Dsungarei leben sollen; sie waren zu unbestimmt, um vollkommen glaubwürdig zu erscheinen. Der russische Reisende Przewalsk’ hat in der Neuzeit mit mehr Bestimmtheit ihr Vor- !) Adolf Erman. Aegypten und ägyptisches Leben im Altertum. 1885. ®) Abgebildet in A. de Mortillet. Loc. cit. Pag. 421. °) A. 4. Layard. The monuments of Nineveh. London. 1849. Das Kamel. 215 kommen im Gebiet des Lob-nor, d. h. im westlichen Teil der Wüste Gobi signalisiert; es ist jedoch der Einwand erhoben worden, es möchten dies einzelne entlaufene und verwilderte Kamele gewesen sein. In der jüngsten Zeit hat jedoch Sven Hedin so eingehende Angaben über zahlreiche Herden von Wildkamelen in jener Region auf Grund eigener Beobachtung veröffentlicht, dass Zweifel ausgeschlossen sind. In seinem Reisebrief!) aus Obdal vom Juni 1900 schreibt er über den westlichen Gobi: „In der Gegend, die wir durchwanderten, kamen zwz/de Kamele „in grosser Anzahl vor, und wir sahen und beobachteten sie täglich durch „unsere Ferngläser. Sie halten sich längs des Fusses der Berge und in der „Wüste auf, begeben sich aber von Zeit zu Zeit zu den schirmenden Quellen, „um zu trinken und zu grasen. Es gewährt einen herrlichen Anblick, wenn „man eine solche Herde, nach dem man ihr den Wind abgefangen, unver- „mutet überrascht. Einige der Kamele standen gewöhnlich aufgerichtet als „Späher da, während die andern sich in liegender Stellung ausruhten. Es „erweckte mein Staunen, dass wir diese Tiere immer nur in den unwirt- „lichsten, sterilsten und wasserärmsten Wüsten antrafen, wo wir mit unseren „zahmen Kamelen Gefahr liefen, vor Durst umzukommen. Wunderschön „ist auch der Anblick einer durch unsere Annäherung, oder noch vielmehr „durch einen Büchsenschuss erschreckten fliehenden Herde. Sie sehen sich „nicht um, sie fliehen blos und sie fliegen über die Wüste dahin wie der „Wind und verschwinden in einigen Minuten am Horizonte, um erst wieder „Halt zu machen, wenn sie sich ganz sicher fühlen, weit, weit hinten im Sande.“ Diesen Schilderungen nach persönlichen Eindrücken hat Sven Hedin noch Notizen über die Lebensweise beigefügt, die ihm die eingebornen Jäger machten. Aus allem geht hervor, dass es sich um Geschöpfe mit dem Betragen eines echten wilden Tieres handelt. Die Verbreitungswege des Kamels liegen somit ziemlich klar vor uns. Die erste Zähmung dürfte nicht allzuweit von dem heutigen Wohngebiet der Wildkamele abliegen, also in Hochasien erfolgt sein; als Haustier stieg es in die warmen Ebenen von Mesopotamien herab, wo vermutlich die benachbarten Araber die südliche Rasse des Dromedars aus dem zwei- höckerigen Kamel umgezüchtet haben. Kurz vor Beginn der heutigen Zeitrechnung setzte die Dromedar-Rasse nach dem afrikanischen Kontinent hinüber. Vieleicht ist sie in grösseren Kontingenten erst später angelangt und Mortzllet hat möglicherweise Recht, wenn er annimmt, dass erst mit dem Eindringen der Araber in der zweiten Hälfte des ersten Jahrtausends n. Chr. der Dromedar sich allgemeiner in Nordafrika eingebürgert habe. SEN 1) Rekeprier von Sven Hedin in der Zeitschrift „Die Umschau“, herausgegeben von Dr. %. H. Bechhold. Nr. 44. Oktober 1900. VEBERSICHT | UEBER DIE .STAMMESVERHAELTNISSE.DER ANEFTESTEN FHAUSTMERE: Wildform Urheimat Zahme Abkömmlinge l. Canis aureus Schakal 2. Canis pallipes Landga Canis anthus 9») Schakalwolt 4. Canis simensis Walgie 5. Canis niger SchwarzerTibetwolf 6. Canis latrans Coyote 7. C. occidentalis Falbwolf S. Felis maniculata Falbkatze 9. Equus Prze- walskii Przewalskisches Pferd 10. Equus caballus fossilis Diluvialpferd 11. Equus taeniopus Nubischer Steppen- Esel 12. Equus onager Onager 13. Sus vittatus Bindenschwein Westasien Indien Nordostafrika Aethiopien Tibet Nordamerika Nordamerika Nordostafrika Hochasien Europa Nordostafrika Westasien Ostasien Torfhund, Spitzhunde, Pinscher. Tungusenspitz, Tschau, Battakhund. Bronzehund, Schäferhund, Collie, :Pudel. Aegyptische und westasiatische Pariahunde. Altägyptischer Windhund. Slughi, Tasi, Barzoi, Wolfhound, hunde, Haussahund. Laufhund und Vorstehhund | Deerhound, Windspiele, Jagdwind- | (zum Teil gekreuzt), Dachshund. Tibetdogge, Altassyrische Dogge, Molosserhund, Neufundländer, Bernhardiner, Bulldoggen, Mops. | Gewisse Indianerhunde, Eskimohund.(?) Inkahund in drei verschiedenen Rassen. Hauskatzen. Orientalische Pferderassen, Mongolenpferd, Araber, Gallapferd, nordafrikanische und ost- | europäische Pferde. Occidentale Pferde, norisches Pferd, deutscher | Karrengaul, Normännerpferde, engl. Karrenpferd. | Altägyptischer Esel, kleinere Esel der Mittel- meerländer (Taeniopus-Rasse). Isabellfarbene und ‚weisse Hausesel, Nedje- Esel. (Onager-Rasse.) Chinesisches Schwein, Maskenschwein. Papua- | schwein, romanisches Scnwein, englische Rassen, Torfschwein, Bündnerschwein. Uebersicht über die Stammesverhältnisse der ältesten Haustiere. 217 Wildform 14. Sus scrofa Europ. Wildschwein 15. Bos primigenius Ur Bos sondaicus Banteng 7. Ovis musimon Mouflon j. Ovis arkal Steppenschaf 19. Ovistragelaphus Mähnenschaf 20. Capra aegagrus Bezoarziege 21. Capra falconeri Schraubenziege 22. Capra jemlaica Fahr 23. Camelus ferus Wildkamel Europa Europa Südasien (Java) Südeuropa Westasien (Transkaspien) Nordafrika Westasien Himalaja Himalaja Hochasien (Mongolei) Zahme Abkömmlinge Karpfenrückiges Landschwein. Englisches Parkrind, norddeutsche Niederungs- rinder, holländisches Rind, Steppenrind, Simmen- thaler und Freiburger Fleckvieh. Zebu-Rinder, Langhornrind, algerisches Zebu, Rind, Asiatische afrikanischer altägyptisches Torfrind, Albanesenrind, Sardenrind, spanisches Rind. polnisches Rotvieh, Kanalrinder, hornlose Fjellrinder, Braunvieh der Alpen. Haidschnucken, Hebridenschaf, Marschschaf. Zackel- schafe, Sardenschaf, Walliser Schaf, norddeutsche Altassyrische Schafe, Merinoschafe, Landschafe, Fettschwanzschaf, Fettsteissschaf, Bergamaskerschaf. Negadah-Schaf, ägyptische Schafe des alten Dinkaschaf. Nedjeschaf, Torfschaf, Bündnerschaf. Reiches, Fezzanschaf, Nigerschaf, Torfziege, westasiatische Ziegen, europäische Ziegen. arabische Ziege, ostafrikanische Ziege, westafrikanische Zwergziege. Altassyrische Ziege, Angoraziege, Kaschmir- ziege. Indische Ziegen der Malabarküste, Sumatraziege (beide aus Kreuzung von Capra falconeri und Capra jemlaica entstanden). Trampeltier, Dromedar. NACHTRAG ZUMPRAPITEE „EHAUSRINDERZ Zeburind mit Aalstrich. Beim Braunvieh und beim einfarbigen Kurz- kopfrind der Alpen verläuft über den Rücken ein heller Streifen, der sogenannte Aalstrich. Ich suchte denselben auch beim Zebu nachzuweisen gemäss meiner Auffassung, dass der Braunviehstamm aus der Zebugruppe hervorging, doch standen mir einfarbige Höckerrinder früher nicht zu Ge- bote. Nach Drucklegung der vorigen Kapitel kommt mir ein indischer Zebu zu Gesicht, der einfarbig grauweiss ist. Das Flotzmaul ist schwarz, der Fettbuckel stark entwickelt und von demselben verläuft über den Rücken bis zur Schwanzwurzel ein breiter, vollkommen weisser und deutlich abge- setzter Aalstrich. Ich trage diese Thatsache nach, weil sie einen neuen g unseres Alpen-Braunviehs liefert. Beleg für die Zebu-Abstammung RÜBEKBEIER. r>\eberschauen wir die einzelnen Formenkreise derjenigen Haustiere, welche schon in den allerältesten Zeiten dem menschlichen Be- D| sitzstande einverleibt wurden, so drängen sich unwillkürlich 2 eine Reihe von Fragen allgemeiner Natur auf, die entweder lese oder physiologische Thatsachen betreffen. Dass die Ausgangsformen domestizierter Arten bei den wildlebenden Formen gesucht werden müssen und dass diese wilden Stammarten grössten- teils heute noch irgendwo ihr Freileben fortführen oder wenigstens noch in die historische Zeit hinein reichten, darüber herrscht wohl unter den Zoologen völliges Einverständnis. Der Vergleich der Wildform mit den zahmen Deszendenten ergiebt ein für die Morphologie höchst wichtiges Ergebnis. Jene so gut wie diese sind nach dem jetzigen Stand unserer wissen- schaftlichen Erkenntnis in beständigem Formentluss begriffen. Dieser voll- zieht sich aber in der freien Natur ausserordentlich langsam und zwar so langsam, dass wir für unsere phylogenetischen Zwecke keinen Fehler begehen, wenn wir annehmen, dass die Wildform von dem Punkte an, da sich die zahme Reihe von ihr abgezweigt hat bis in die Gegenwart hinein keine erheblichen Umänderungen erlitten hat. Schon Cuvzer konnte ja an dem von @eoffroy St. Hılarre während der napoleonischen Expedition gesammelten Material aus der Pharaonenzeit den Nachweis liefern, dass die Veränderungen seit der altägyptischen Periode bei freilebenden Tieren gleich Null anzu- setzen sind. Gegenwärtig verarbeitet ZorZei, wie er mir schreibt, ein reiches Material von altägyptischen Tierresten und seine Ergebnisse dürften in der angedeuteten Richtung besondere Beachtung verdienen. Ich konnte schon früher als beachtenswerte Thatsache hervorheben, dass aus den ältesten Dynastien die Darstellung eines dem Canis simensis ungemein ähnlichen Hundes erhalten ist, die im wesentlichen übereinstimmt mit der Abbildung, welche uns Aüöppel geliefert hat. Sobald ein Geschöpf in den Hausstand des Menschen eintritt, so wird — Ausnahmen kommen vor — der Gang der Veränderungen in auffallender Weise beschleunigt. Die Zeiträume, welche in Frage kommen, lassen sich heute selbst für die ältesten Haustiere annähernd übersehen. Die frühesten bildlichen 330 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Darstellungen von zahmen Arten reichen etwa in das sechste vorchristliche Jahrtausend zurück. Die primitiven, aber offenbar sehr naturwahren Bilder von Rind, Schaf und Esel aus der urägvptischen Negadahzeit sind nach dieser Richtung Dokumente von hohem Wert. Man ersieht aus ihnen, dass der züchterische Einfluss damals erst begonnen hat, die Formen abzuändern, denn diese steht der wilden Stammform viel näher als dies in den folgenden Jahrtausenden der Fall ist. Geben wir mit Rücksicht auf das Rind, das in Altägypten offenbar von Asien her bezogen wurde, noch zwei Jahr- tausende hinzu für die Periode der Migration, so dürften wir damit so ziemlich bei der äussersten Grenze angelangt sein, die wir zeitlich für die Entstehung der allerersten Haustiere ansetzen dürfen. Im Maximum würden wir also auf 10,000 Jahre kommen, die unsere Gegenwart von dem Beginn der ältesten Haustierwerdung trennen. Die Ziffer ist jedenfalls hoch genug angesetzt und ich glaube, dass zukünftige Funde im Gebiet der mesopo- tamischen Kultur dieselbe kaum wesentlich ändern werden. Haben S— 10 Jahrtausende freilebende Arten, die hier in Betracht kommen, nicht erheblich umändern können, so vermochten sie dagegen die zahmen Abkömmlinge in manchen Fällen in weitgehendster Weise umzu- gestalten. Es ist somit der Einfluss des Menschen, der dem Umbildungs- prozess ein rascheres Tempo verliehen hat und zwar in zwiefacher Weise. Einmal durch die Migration, die neue Lebensbedingungen zur Folge hatte. Indem der Mensch auf seinen ausgedehnten Wanderungen seine Haustiere nach neuen (sebieten verschleppte, haben die komplexen Reize, die wir unter dem Namen Klima und Wohnortsverhältnisse zusammenfassen, den ersten Anstoss zu Veränderungen gegeben. Doch lehrt die Erfahrung, dass man diese Faktoren in gewissen Fällen nicht überschätzen darf. Manche Rassen bleiben merkwürdig beständig; auch wenn sie in neue Wohngebiete versetzt werden. Beispielsweise hat sich die Sus indicus-Form unserer Hausschweine in Europa stellenweise, so in unseren Alpenthälern, stark konservativ verhalten. Das kleine Rind Sardiniens, ein Ausläufer der asiatischen Rindergruppe, weist noch Anklänge an die Zeburinder auf. Der russische Windhund ist in seiner Gesamt- erscheinung dem altägyptischen Windhund sehr nahestehend. Von weit grösserem Einfluss erscheint die züchterische Auslese oder Selektion. Direkt vermag sie allerdings nichts neues zu schaffen, aber indirekt wird sie ausserordentlich schöpferisch, in dem sie über das Fort- bestehen von zweckmässigen Abänderungen entscheidet und verhindert, dass dieselben bei unkontrollirter Vermischung der Haustiere wieder teilweise oder ganz verloren gehen. "I’hatsächlich kommt es auf dasselbe hinaus, ob die Selektion nur die sekundäre Führung übernimmt und primär noch andere Faktoren mitspielen — sie ist ein Hauptfaktor bei der Umgestaltung der Haustierformen. Die züchterische Auslese wird, was jedem denkenden Landwirt bekannt Rückblick. 221 ist, in der gegenwärtigen Wirtschaftsperiode mit dem höchsten Raffinement betrieben. Jeder erzielte Erfolg lässt sich eben sofort in klingende Münze umsetzen und dieser Umstand giebt den Ausschlag im Kampf ums Dasein der Landwirte. Die Fleckviehzüchter des Simmenthal wissen das sehr wohl; auch die Geschichte der Merino-Zucht liefert einen klassischen Beleg für das Gesagte. Indessen hat bereits Darzwznr in seinem 1859 erschienen Werke: „On the origin of Species“ sehr richtig darauf hingewiesen. dass die Annahme unzutreffend sei, dass man erst in der neueren Zeit eine kunstgerechte Züchtung betreibe. In der That lehrt uns das Studium der alten Kulturkreise, dass eine Selektion mit bestimmten Zuchtzielen schon sehr früh bewusst in Anwendung gebracht wurde. So sehen wir im Pharaonenlande bereits während der ältesten Dynastien eine ausgesprochene Reinzucht geübt. Die schönen Windhunde Altägyptens sind vollkommen reinblütig. Für die Aufzucht der Rinder wurden geeignete Kühe ausgesucht und untaugliche Stiere, wenn sie dieselben decken wollten, mit dem Stock verjagt. Für die ägyptischen Stiergefechte züchtete man eine besondere Rasse von Kampfstieren. Die hochentwickelte Kultur im alten Nilthal war in mancher Hinsicht vorbildlich für die antike Kulturwelt in Griechenland und es ist zu ver- muten, dass die züchterische Erfahrung von Aegypten aus sich nach Rlein- asien und Griechenland verpflanzt hat, doch lässt sich zur Zeit noch nicht genauer nachweisen, in welchem Umfang dies der Fall war. Sicher ist nur so viel, dass Nordafrika an Südeuropa an zahmen Rassen frühzeitig viel mehr abgegeben hat, als man bisher zugestehen wollte. Im alten Griechenland sind die beiden Methoden der Reinzucht und der Kreuzungszucht sehr bewusst gehandhabt worden. Man scheute keine Ausgaben, um aus fremden Ländern geeignete Zuchttiere zu beschaffen. Die züchterischen Erfahrungen verbreiteten sich nach den griechischen Kolonien in Süditalien und wurden von den Römern verständnisvoll weiter entwickelt. Letztere waren es auch, die später in ihren Kolonien, nament- lich im Norden der Alpen eine Umgestaltung und Verbesserung der Haus- tier-Rassen herbeiführten. Unabhängig von Kultureinflüssen der alten Welt wurde auch im prä- kolumbischen Amerika eine Rassenzucht mit Erfolg betrieben, wie Vehring: am Beispiel der altamerikanischen Hunde nachgewiesen hat. Freilich kennen wir selbst auf europäischem Boden Gebiete, wo der Mensch nur wenig in den Entwicklungsgang seiner domestizierten Tiere eingegrilfen hat und die vorhandenen Rassen stabil geblieben sind. Auf geographisch wenig auseinander liegenden Distrikten finden sich merk- würdige Gegensätze. Man vergleiche in der Schweiz beispielsweise das Simmenthal mit seinem hochgezüchteten Fleckvieh und das benachbarte Wallis, dessen Rinder, Schafe und Ziegen zum Teil recht alte, konservativ 19 [80} Die Abstammung der ältesten Haustiere. gebliebenen Rassentypen aufweisen. Und England beherbergt auf seinem Boden neben ganz modernen Zuchten noch solche, die offenbar seit langer Zeit unverändert geblieben sind. Die grossartigen Veränderungen, welche uns die Geschichte einzelner Haustiere vor Augen führt, hat Darwin bereits in richtiger Beleuchtung gezeigt: diese Veränderungen sind geeignet, das Verständnis für die viel langsameren Umbildungen in der freien Natur zu eröffnen. Es mag dies hier um so nachdrücklicher betont werden, da gerade in der Gegenwart an den Grundanschauungen des Darwinismus stark zu rütteln versucht wird. Rein wissenschaftlich betrachtet, ist die züchterische Arbeit, welche so tief eingreifende Umbildungen an unseren Haustieren hervorgerufen hat, nichts anderes als ein Tahrtausende hindurch fortgesetzies Experiment, das die Jüuchtigkert der Transmutalions- und Selektionslehre beweist. Die (seschichte der allerältesten Haustiere soll uns die verschiedenen Phasen vor Augen führen. welche von den einzelnen Rassen bei diesem natur- wissenschaftlichen Experiment durchlaufen wurden. Ich weiss, dass dieser Standpunkt neuerdings hart angefochten wird. Es wird von vielen Seiten darauf hingewiesen, dass man aus den Vorgängen der künstlichen Züchtung nicht so ohne weiteres Schlüsse auf die Vorgänge in der freien Natur ziehen dürfe, weil die natürliche Zuchtwahl mit anderen Mitteln arbeite wie die künstliche Auslese. Dieser Einwand ist unter den Botanikern erhoben worden, so von Wand, Mägeli, Reinke und neuer- dings (1901) wieder von de Vrzes, welcher behauptet, die wahre Klippe der Darwin'schen Theorie sei der Uebergang von der künstlichen Zucht- wahl zu der natürlichen Zuchtwahl. Auch von zoologischer Seite wurden ähnliche Bedenken laut, so von Haacke, Emery und Ortmann. Car! Nägel betrachtet auffallenderweise die Haustiere und Kultur- pflanzen als abnorme Produkte, deren vererbendes Plasma krankhaft ge- schwächt ist und //aacke scheint dieser Annahme ebenfalls zuzuneigen, wenn er bei Haustieren von einer Lockerung des Plasmagefüges spricht. In diese Allgemeinheit gefasst, kann ich obigen Sätzen nicht zustimmen. Dann wäre überhaupt jede Veränderung an Lebewesen als krankhaft zu bezeichnen und in der That hat Audolf Virchozw diese Konsequenz gezogen und jede Veränderung als pathologisch bezeichnet. Die belebte Natur wäre somit nichts weiter als ein grosses Krankenlager! Ich leugne keineswegs, dass die künstliche Züchtung unter Umständen Produkte erzeugt, die krankhaften Charakter an sich tragen. Jedem Tier- züchter ist bekannt, dass zu weit getriebene Inzucht oder gar Incestzucht eine Rasse verschlechtern kann. Aber das berechtigt noch nicht, jede Haustier-Rasse als ein abnormes, pathologisches Produkt aufzufassen. Wer die Zuchten in unseren Alpen näher beobachtet, wird wohl rasch vom Gegenteil überzeugt werden. Esel und Rinder sind seit Jahrtausenden in den ostafrikanischen Steppen angesiedelt und erfreuen sich heute noch Rückblick. 223 einer exemplarischen Vitalität. Der europäische Ur (Bos primigenius) erwies sich in der freien Natur nicht hinreichend lebensfähig; er ist untergegangen, während sich seine zahmen Nachkommen heute noch einer blühenden Ge- sundheit erfreuen, man braucht nur auf die stattlichen Steppenrinder und friesischen Rinder hinzuweisen. Die Bildungsgesetze sind also in der freien Natur prinzipiell nicht ver- schieden von den Umbildungsgesetzen im Flausstand oder dann müsste man die Richtigkeit und die Beweiskraft eines vom Menschen unternommenen naturwissenschaftlichen Experiments geradezu bezweifeln. Ich darf vielleicht ein Bild gebrauchen. Eine starke elektrische Entladung kann auf einen Organismus eine tötliche Wirkung ausüben. Ob ein Mensch vom Blitz erschlagen wird, oder ob in Nordamerika vom Elektrotechniker eine Hinrichtungsmaschine erstellt wird, um einen Präsidentenmörder ins Jenseits zu befördern, kommt doch schliesslich in beiden Fällen auf die Elektrizität als Ursache hinaus. Die Natur schafft keine Hinrichtungsmaschinen, keine submarinen Kabel, keine ektrischen Tramwagen und keine Bogenlampen. Es ist der Mensch, der diese Dinge geschaffen hat — die Gesetze der Elektrizität sind dieselben wie in der freien Natur und niemand wird z. B. das elektrische Licht als krankhaften Ausfluss einer Naturkraft erklären wollen. Hier bemeistert der Mensch einfach die Naturgesetze und ebenso nimmt er die Bildungs- gesetze der Natur in seine Hand, wenn er auf experimentellem Wege dem Haustier eine neue, ihm zusagende Form mit geeigneten Leistungen verleiht. Verfolgen wir nun den Gang der Entwicklung, welcher zur Entstehung der einzelnen Rassen führte, so vollzog er sich nicht überall in gleicher Weise. In gewissen Fällen ist die Umbildung langsam vor sich gegangen, jede sprunghafte Entwicklung erscheint ausgeschlossen. Ein sehr lehrreiches Beispiel bietet sich uns in der Geschichte der Merino-Schafe, die wir in ihren einzelnen Phasen recht gut überblicken können. Jahrhunderte hindurch mussten viele (Generationen von Züchtern mit aller Sorgfalt arbeiten, um nach und nach den edlen spanischen Stamm zu erzielen, von dem sich seit Ende des 18. Jahrhunderts einzelne Zweige abgelöst haben, um in Frankreich, in Oesterreich und in Sachsen wieder neue und eigenartige Zuchten zu begründen. Das europäische Frontosusrind hat sich frühzeitig in einer nördlichen Region vom Primigeniusstamm abgezweigt. Auf dem Boden der Schweiz ist es in neuerer Zeit auffallend stark umgestaltet worden. Wenn ich mir vergegenwärtige, wie eine Simmenthalerzucht vor 30 Jahren aussah und damit die Zuchtprodukte vergleiche, welche gegenwärtig an die Ausstel- lungen gelangen, so muss ich bekennen, dass mit diesem jetzt hochgezüchteten Simmenthaler Fleckvieh erstaunliche Veränderungen in wenigen Dezennien vorgegangen sind. Im Norden von Europa vollzieht sich langsam ein Ueber- gang von kleinen brachyceren Rindern in völlig hornlose Formen, Die Abstammung der ältesten Haustiere. DD DD = Wir dürfen wohl annehmen, dass in der freien Natur die Transmutation der Arten sich in ähnlicher Weise vollzog und immer wieder im Laufe der Entwicklung eine Stufe über die andere hinaus ging. Die Palaeontologie hat in der T’'hat solche zusammenhängende Ketten aufgedeckt — ich brauche nur an das klassische Beispiel der tertiären Pferde zu erinnern. Aber auch in der gegenwärtigen Lebewelt sind auf einem verhältnis- mässig wenig ausgedehnten Areal ähnliche Entwicklungsreihen neben ein- ander lebend nachgewiesen worden. Ausgezeichnete Beispiele haben Pazıl und Zrzlz Sarasın in ihren tiergeographischen Untersuchungen bei den Landmollusken von Celebes nachgewiesen. Es giebt dort lange Ketten von Arten, von denen jede um einen Schritt über die vorhergehende hin- aus reicht. Derartige Thatsachen bestätigen für die freie Natur eine Annahme, zu der uns die Ergebnisse der experimentierenden Transmutation, d. h. die rationelle Tierzucht geführt haben. Damit stellen wir uns freilich in Gegen- satz zu der jetzt viel besprochenen „Mutationstheorie“. wie sie 1901 von Hugo de Vries zu begründen versucht worden ist und das Problem der Artbildung von einer ganz neuen Seite beleuchten will. Der Gedanke einer sprungweisen Entwicklung (Mutation) in der organischen Natur ist wiederholt ausgesprochen worden aber wohl nie so nachdrücklich und mit so gewichtigen Beweismitteln, wie dies bei // de Fries der Fall ist. Der genannte Amsterdamer Botaniker hat in sehr ge- schickter Weise die Gegensätze zwischen den früheren Anhängern der Konstanzlehre und der T'ransmutationstheorie zu vermitteln versucht, indem er die Spezies während einer langen Periode konstant sein lässt, bis diese in die sogenannte Mutationsperiode eintritt und in kurzer Zeit neue, be- ständige Arten liefert. Sind die Arten einmal da, dann entscheidet der Kampf ums Dasein über deren Fortexistenz. Im Gegensatz zu Darwin, welcher den Kampf ums Dasein als züchtendes Moment ansieht, soll dieser nicht neue Arten entstehen lassen, sondern umgekehrt gewisse Arten vernichten. H. de Vries konnte an einer amerikanischen Nachtkerze (Oenothera Lamarckiana) ein Beispiel nachweisen, dass sich diese Art gegenwärtig im Zustand der Mutation befindet. Seit der Einführung nach Europa hat diese Pflanze in kurzer Zeit mehrere neue, formbeständige Arten geliefert. Die beobachteten T'hatsachen sind zweifellos höchst interessant. Aber die Induktionsreihe erscheint mir zunächst viel zu klein, um darauf gestützt eine allgemeine T'heorie aufzubauen. Meiner Ansicht nach hätten vorerst ausgedehnte Parallelversuche mit den neuen Formen in Amerika angestellt werden sollen, um zu erfahren, wie sie sich in der alten Heimat verhalten. Vorläufig kann man aus den mitgeteilten Thatsachen höchstens den Schluss ziehen, dass gelegentlich neue Arten infolge von Mutation einer schon vor- handenen Art auftauchen. Ob dies in der freien Natur Regel oder nur Rückblick. 995 gelegentliche Ausnahme ist, bleibt dahingestellt. Ich möchte die Mutation als Ausnahme betrachten. Wir kennen ja aus der Rassengeschichte einen berühmten und gut untersuchten Fall von plötzlicher Mutation, der zur Entstehung einer be- sonderen Schafrasse geführt hat. Es betrifft derselbe das Mauchamp-Schaf. 1528 wurde in Mauchamp in einer Merino-Zucht ein Bocklamm beobachtet, das nicht das gewöhnliche gekräuselte Wollhaar, sondern ein langes, seiden- artiges Vliess besass. Der Pächter Graux erzog mit Hülfe dieses Bockes, der eine auffallend starke Individualpotenz aufwies, Nachkommen mit langer, fester und weicher Wolle (Seidenwollhaar), die schon 1835 auf einer land- wirtschaftlichen Ausstellung gezeigt wurden und später sehr gut vererbten. Die Merino-Schafe zeigen daher langsame und stetige Umbildung als Regel und Mutation als Ausnahme. Ich halte es für möglich, dass bei diesen plötzlichen Veränderungen primäre Ursachen im Keimplasma zu suchen sind. Eine ungemein ergiebige und für die Haustier-Morphologie bedeutsame Quelle zur Entstehung neuer Formen bildet die Kreuzung. Jedenfalls erzielt der Züchter damit rasche Erfolge, die aber nicht immer andauern. Auf weiten Gebieten überwiegen die Kreuzungsprodukte gegenüber reinrassigen Tieren. Schon während der prähistorischen Zeit lassen sich häufig Spuren von Kreuzungen erkennen. In den jüngeren Pfahlbauten der Westschweiz lassen sich solche für das Rind nachweisen, indem das kleine Torfrind mit dem später anlangenden grossen Rind gekreuzt wurde. In der Bronzezeit taucht eine als Canis intermedius beschriebene Rasse auf, die augenscheinlich aus einer Kreuzung des kleinen Torfhundes mit dem grösseren Bronzehund hervorging. Auch das 'Torfschaf enthält ver- mutlich etwas Blut von fremder Rasse beigemischt. In der Gegenwart hat diese Erscheinung einen ungleich grösseren Umfang angenommen. Man durchmustere in unseren Städten nur einmal das vorhandene Hundematerial, so ist vielfach von Rassereinheit keine Rede mehr und man wird oft Mühe haben, in dieser Mulattengesellschaft die Stammquelle sicher heraus zu finden. Aehnlich verhält es sich mit unserem europäischen Pferdematerial. Orientalisches und abendländisches Blut ist auf weiten Gebieten in allen möglichen Abstufungen gemischt. Seit die asiatischen Schweinerassen sich immer mehr auf dem Kontinente einzubürgern beginnen, geht die früher stark verbreitete alte Landrasse immer mehr in derselben auf. In Mittel- europa ist von einem Rinde reiner Rasse vielorts gar keine Rede mehr und nur einzelne Grossgrundbesitzer treiben Reinzucht. In einzelnen Fällen gehen die Erzeugnisse der Kreuzung in einem allgemeinen Formen-Wirrwar auf, in anderen dagegen führten sie zur Ent- stehung von scharf umschriebenen Rassengruppen. Das Bündnerschaf als direkter Abkömmling des alten 'Toorfschates, in welchem neben afrikanischem Blut vermutlich etwas europäisches oder 15 336 Die Abstammung der ältesten Haustiere. asiatisches Blut vorhanden ist, bildet eine scharf gekennzeichnete Rasse. Im Osten Asiens erscheint die Malabarziege Indiens und die Malayen-Ziege als ein recht auffallendes Geschöpf. Die Behaarung scheint zu starken individuellen Abänderungen geneigt, aber der gesamte Habitus des Tieres und namentlich der Bau des Kopfes sind recht scharf markiert. Ich ver- suchte nachzuweisen, dass diese Rasse die eigentümliche Kopfbildung dem ein- geflossenen Tahrblut verdankt und daher als Bastard aufzufassen ist. Unter den Hunden ist die deutsche und die damit verwandte dänische Dogge trotz der Kreuzung zu einem sehr beständigen Typus geworden, der nun in Reinzucht fortgeführt wird. Manche wollen die sehr beständige Schwarzileckrasse von Freiburg nicht als ganz reines Frontosus-Rind ansehen, sondern vermuten in ihr ein Kreuzungsprodukt. Wahrscheinlicher ist dies unter den Braunviehrindern für den Schwyzer Schlag. Mögen neue Formen so oder anders entstanden sein — im Wesent- lichen handelt es sich um Einwirkungen von Seiten des Menschen, da klimatische und topographische Faktoren doch mehr sekundär sind. Von menschlichen Einwirkungen kommen hauptsächlich in Betracht die Art der Ernährung, sodann die Uebung der Organe bei Haustieren, welche bestimmten nützlichen Leistungen angepasst werden und endlich die Regulierung der Fortpflanzung bei der züchterischen Auslese. Der langsame Gang der Umbildung in der freien Natur im Vergleich mit dem ungemein raschen T’empo der Entwicklung der Tierwelt im Haus- stande bereitet dem Zoologen eine grosse Verlegenheit, wo es sich um die Handhabung des Speziesbegriffes handelt. Im Sinne der herkömmlichen Schulzoologie muss für unsere Haustiere dieser Begriff entweder gänzlich fallen gelassen oder dann so modifiziert werden, dass man nur die genetische Seite, die gemeinsame Abstammung der Individuen, betont, dagegen auf die morphologische Forderung der Formenähnlichkeit ganz verzichtet. Man hat früher infolge Unkenntnis der genetischen Verhältnisse bei manchen Haustierarten die Variationsfähigkeit überschätzt und manche körperlichen Unterschiede als Wirkung der Züchtung betrachtet, die heute aus einer Verschiedenheit der Abstammung erklärt werden müssen. Aber trotzdem ist die Formenbiegsamkeit der einzelnen Reihen noch gross genug, um die morphologische Forderung des herkömmlichen Speziesbegriffes ein- fach illusorisch zu machen. Ueberschauen wir z. B. dieFormenreihen der Hausrinder Asiens und Afrikas mit ihrer gemeinsamen südasiatischen Stammquelle, so kann man hier von einer Spezies in gewöhnlichem Sinne gar nicht mehr reden. Ebenso haben sich die Rinder europäischer Provenienz in ihren Endgliedern heute bereits soweit ent- fernt, dass man im Sinne der Schulzoologie die podolischen Rinder, die Nieder- ungs-Rinder und die Frontosus-Rinder als drei gute Arten taxieren müsste. Rückblick. 937 Der asiatische Stamm der Schafe erwies sich so ausserordentlich bild- sam, dass er in eine Reihe guter und mehrere weniger gute Arten zer- spalten werden könnte. Bis heute besitzen wir aber keine einheitliche und allgemein anerkannte Nomenklatur unserer Haustierformen. Gegenwärtig noch von einem Canis familiaris im Sinne Zznne’s reden zu wollen, hat doch zoologisch genommen keinen Sinn mehr, denn die gut umschriebenen Formenreihen unserer Haushunde sind ja auf ganz verschiedene Wildspezies zurückzuführen, können also aus rein genetischen Gründen nicht zu einer einzigen Art verschmolzen werden. Was sollen wir unter Ovis aries verstehen? Was gewöhnlich unter diesem Namen figuriert, ist ein Sammelsurium von heterogenen Formen zahmer Schafe, die drei ganz verschiedene Ausgangsformen haben. Unsere Rinder zoologisch als Bos taurus zu bezeichnen, ist jedenfalls unzulässig, da sie zwei morphologisch und geographisch auseinander liegen- den Arten entsprungen sind. ; Es wird also eine Aufgabe der Zukunft sein, für die domestizierten Tiere eine brauchbare Nomenklatur zu schaffen. Es lassen sich verschiedene Wege denken. Entweder befolgt man die gleichen Regeln, wie man sie bei freilebenden Formen angenommen hat, d.h. man verwendet die binäre Nomenklatur im Sinne der Systematik und wird dann, ohne eine scharfe Abgrenzung vornehmen zu können, eine Masse neuer Arten kreieren müssen, oder man sieht von diesem konsequenten Verfahren ab und macht bei den Haustieren eine Ausnahme. Dann könnte man, wie es von Z. Zrtzinger seinerzeit versucht, aber leider sehr wenig rationell durchgeführt wurde, bei der wissenschaftlichen Nomenklatur drei Namen verwenden, wobei gleichzeitig die Stammform aufgenommen wird. Es setzt dies naturgemäss eine gesicherte Phylogenie voraus und eine derartige Nomenklatur müsste also ganz neu geschaffen werden. Bei Formen, die sich von der wilden Stammart noch wenig entfernt haben, genügte es, dem bisherigen Speziesnamen einfach beizufügen, dass es sich um die domestizierte Form handelt. Die Hauskatze würde man somit als Felis maniculata domestica, das europäische Landschwein als Sus scrofa domesticus, das chinesische Haus- schwein als Sus vittatus domesticus bezeichnen. Wo die Umbildung der Formen weiter gediehen ist, kommen andere Benennungen zur Verwendung. Das eigentümliche Maskenschwein Ostasien erhielte etwa den Namen Sus vittatus plieiceps. Im asiatischen Stamm der Schafe würde ich etwa als Arten aufstellen: l. Das Fettschwanzschaf (Ovis arkal platyura); 2. das Fettsteissschaf (Ovis arkal steatopyga); 3. das Zackelschaf (Ovis arkal strepsiceros) und 4. das Merinoschaf (Ovis arkal hispanica) mit seinen verschiedenen Varietäten. 398 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Für das Rind wird der Name Bos taurus ganz hinfällig, die bisher häufig zur Verwendung gelangten Bezeichnungen Bos taurus primigenius, Bos taurus frontosus, Bos taurus brachyceros und Bos taurus brachycephalus sind wiederum nicht ganz glücklich. Will man die einzelnen Formenkreise nach ihren Stammesbeziehungen gruppieren, so liessen sich für die altweltlichen Hausrinder etwa folgende Speziesformen aufstellen: 1. Steppenrinder (Bos primigenius podolicus) ; 2. Marschrinder (Bos primigenius hollandieus); 3. Grossstirnrinder (Bos primigenius frontosus); 4. Grosshörnige Zeburinder (Bos sondaicus macro- ceros); 5. Kurzhornrinder (Bos sondaicus brachyceros) und 6. Hornlose Rinder (Bos sondaicus akeratos). Es sind das vorläufig nur Andeutungen, wie man vorgehen sollte und ich begnüge mich an dieser Stelle damit. Die bisher berührten Umbildungen im Hausstande drängen uns auch eine physiologische Betrachtungsweise auf. Es entsteht die Frage, wo sie ihre erste Entstehung genommen haben. Sind sie primär im somatischen (Grebiet aufgetaucht und hinterher auf die Keimsphäre übertragen worden oder entstanden sie zuerst im Keimplasma. In der Neuzeit hat sich in der Vererbungslehre bekanntlich der Gegen- satz zwischen beiden Anschauungen stark zugespitzt. Der ältere Zamar- kısmus, der eine Uebertragung aus dem somatischen Gebiet auf das Keim- plasma annimmt, ist von dem modernen Wezrsmannzsmus, der diese Ueber- tragungsmöglichkeit leugnet, zu erschüttern versucht worden. Mir scheint, dass die Haustiergeschichte neben dem physiologischen Experiment in erster Linie dazu berufen ist, zur Klärung der Streitfrage beizutragen. Sie gewährt uns einen weiten Ueberblick über die Erfolge der Tier- zucht und diese ist ja auch ein Experiment auf dem (sebiet der Vererbungs- physiologie. Sie sollte daher heute eine Aufklärung liefern können. Schon die oben berührte Thatsache, dass mit dem Uebertritt einer Wildform in den Hausstand die Umbildung, beziehungsweise Entwicklung ein viel schnelleres Tempo anschlägt als bei den unter gleichen örtlichen Bedingungen lebenden Verwandten in der freien Natur, giebt uns deut- liche Winke. Vom Wildstande her werden eine grosse Zahl vererbbarer Eigenschaften in die neuen Verhältnisse herübergenommen. Um diesen eisernen Bestand gruppieren sich im Laufe vieler Generationen neue Eigenschaften, die sich entweder schon regelmässig vererben oder deren Vererbung erst noch be- festigt werden muss. Dieselben besitzen ein verschiedenes Alter, da ja die Aufnahme in das vererbende Inventar nicht gleichzeitig, sondern nach und nach erfolgt. Dahin rechne ich vorab die Rassenmerkmale, die Eigen- tümlichkeiten einzelner Schläge und Zuchtfamilien. Diese sind es, welche NEE Rückblick. 229 wir als die vom Haustier erworbenen Eigenschaften bezeichnen können und auf deren Weitervererbung der Züchter rechnet. Wenn die neuen Eigenschaften zuerst im somatischen Gebiet auf- tauchen, wie der Lamarckismus annimmt, dann setzt deren Vererbung einen Mechanismus voraus, der äussere Veränderungen auf das Keimplasma über- tragen kann. Indem A. Wersmann alle Abänderungen zuerst im Keimplasma erscheinen lässt, macht er diesen übertragenden Mechanismus entbehrlich. Nun scheint mir der scharfsinnige Car! Nägel’ durch seine wenigstens im Prinzip richtige Idioplasmalehre die Art angedeutet zu haben, wie wir uns einen bis zur Keimzelle reichenden Uebertragungs-Mechanismus vorstellen können. Setzen wir an Stelle seines im Körper verzweigten Plasmanetzes, das zur Vererbung bestimmt ist, ein System von Punkten, resp. Zellkernen, die gegenseitig Fühlung besitzen, wenn auch nur in dynamischem Sinne, so ist der Nägelr’sche Gedanke in eine Form gebracht, die unseren heutigen cellular-physiologischen Anschauungen entspricht. Bei dem geordneten Ineinandergreifen der einzelnen Gewebe müssen wir eine solche gegenseitige Fühlung als vorhanden annehmen und die mikroskopische Anatomie hat auch durch zahlreiche Beobachtungen nach- gewiesen, dass gerade bei den physiologisch sehr energischen Geweben (Epithelien, Muskeln, Nerven) die einzelnen Zellen unter sich in Verbindung stehen und besondere Nervenbahnen überall regulierend eingreifen. Die Vorstellung, dass dies nur für Körperzellen der Fall sei, die Keimzellen dagegen eine Ausnahme bilden und sozusagen eine getrennte Buchführung besitzen, erscheint mir vom physiologischen Gesichtspunkte aus betrachtet doch etwas gewagt, anderseits will ich der Wezsmann’schen Richtung zu- geben, dass in gewissen Fällen auch Anlagen zu neuen Eigenschaften zuerst im Keimplasma auftauchen können, da die Keimzellen ebenso gut der Ver- änderung fähig sind wie die übrigen Zellen. Wahrscheinlich sind sprung- weise Abänderungen wie plötzlicher Albinismus, Melanismus u. s. w. primär im Keimplasma entstanden. Anhänger wie Gegner der Zamarck'schen Ansichten haben vorwiegend Wahrscheinlichkeitsbeweise ins Feld geführt. In jüngster Zeit hat jedoch der Entomologe Dr. £. Z7scker experimentelle Studien an Insekten ver- öffentlicht'), die mir eine Uebertragung neuerworbener Eigenschaften des somatischen Gebietes auf das Keimplasma als zweifellos erscheinen lassen. Er verfuhr in der Weise, dass er aus einer Zucht des bekannten Bären- spinners (Arctia caja) eine Anzahl Raupen sich normal entwickeln liess, die andern nach der Verpuppung einer Kälte von S° C aussetzte und da- mit Falter mit auffallenden Aberrationen gewann. Während die normalen Falter durchweg normale Nachkommen lieferten, haben die durch das !) Dieselben wurden öffentlich bekannt gegeben anlässlich der Versammlung der schweiz. Naturforscher in Thusis (1900). 230 Die Abstammung der ältesten Haustiere. Experiment abgeänderten Falter, welche zur Fortpflanzung gebracht werden konnten und deren Brut jetzt unter normalen Verhältnissen aufgezogen wurde, die Abänderung unzweideutig vererbt. Der Einwand, dass dies wohl für Insekten richtig sei, aber daraus kein verbindlicher Schluss auf höhere Tiere z. B. auf unsere Haustiere gezogen werden dürfte, ist nicht stichhaltig. Es handelt sich bei solchen Erschei- nungen um ganz allgemein verbindliche Gesetze. Der Tierzüchter setzt denn auch die Üebertragbarkeit der im somatischen Gebiete neu erworbenen Eigenschaften voraus und 4. Wrlckens sagt wohl zutreffend, dass jeder Fortschritt auf dem Gebiet der Tierzucht unmöglich wäre, wenn jene Uebertragbarkeit auf das Keimplasma nicht stattfände. Er beweist dies an dem Beispiel des englischen Rennpferdes, bei dem seit etwa 200 Jahren durch fortwährende Uebung auf der Rennbahn der Kopf kleiner, der Hals länger, das Gestell höher geworden ist. 4A. Wezs- mann will dagegen diese Veränderungen lediglich auf Selektion zurückführen. Mir scheinen in dieser Streitfrage die Thatsachen entscheidend, die wir hinsichtlich der ausserordentlichen Veränderungen im psychischen Charakter unserer Haustiere unter dem Einfluss des Menschen beobachten können. Der psychische Vergleich zwischen einer Wildform und der zugehörigen zahmen Form lässt oft eine tiefe Kluft im geistigen Wesen erkennen, deren Entstehung nicht durch blosse Auslese erklärt werden kann, wenn wir auch zugeben, dass die Auslese unterstützend gewirkt hat. Sie that dies nur sekundär. Alle unsere ältesten Haustiere stammen von Wildarten ab, die gesellig gelebt haben, somit schon im Freileben der Suggestion zugänglich waren. Mit dem Eintritt in den Hausstand hat der erzieherische Eintluss des Men- schen diese Suggestionsfähigkeit benutzt und dem geistigen Wesen seiner Haustiere eine neue Richtung gegeben, die sich im Laufe der Zeit sehr streng vererbt hat. Soweit die Psychologie das Wesen der Suggestion ermittelt hat, handelt es sich stets um dussere Fimzvirkungen, welche die psychische Funktion abändern. In unserem Fall wirkt der Mensch durch allerlei Suggestiv- mittel auf das Nervensystem ein, wodurch Veränderungen im Grosshirn hervorgerufen werden. (Gewisse Vorstellungen werden beseitigt, andere treten ganz zwangsmässig in den Vordergrund. Wie ©. Stoll in seinem ideenreichen Werke „Suggestion und Hypnotismus“ ungemein treffend be- merkt, ist die Suggestion die „/Zwangsjacke des (sedankens“. Handelt es sich um Dressur der Haustiere, so wird die Suggestion systematisch ge- steigert und ein auf den Mann dressierter Hund lässt sich auf einen völlig imaginären Gegenstand hetzen, so bald man bestimmte Suggestivmittel in Anwendung bringt. Die Haustiergeschichte sagt uns nun ungemein klar, dass diese äusseren Einwirkungen im Laufe der Zeit sich durch Vererbung befestigt haben. Rückblick. Merkwürdigerweise ist das Resultat dieser Einwirkungen bei den ein- PH R A Lale ER \ "zelnen Arten sehr verschieden ausgefallen; einige haben geistig ungemein viel gewonnen, andere dagegen verloren. Am merkwürdigsten verhält sich die Hauskatze. Von Haus aus intelligent, > behielt sie ihre Selbständigkeit mehr wie irgend ein anderes Geschöpt. ve. uggestiv sehr empfänglich, verlangt sie gute Behandlung, ist dies nicht “ der Fall, so antwortet sie sofort durch eine Konträr-Suggestion. Der Um- “stand, dass sie in ihrer ursprünglichen Heimat, in Aegypten, sehr lange als u Kultgegenstand behandelt wurde, dürfte dieses selbständige und aristokratische Wesen gesteigert haben. Durchaus entgegengesetzt verhielt sich der Hund, der übrigens im Verkehr mit dem Menschen ausserordentlich an Intelligenz gewonnen hat. Geistig verloren hat der Esel, wenigstens in den romanischen Ländern Südeuropas, was der schlechten Behandlung zugeschrieben werden muss. Im Orient, wo man auf ihn viel mehr Sorgfalt verwendet, ist sein Charakter weit angenehmer. Der Büffel, im wilden Zustand sehr agressiv, hat sich im Hausstand zum gutmütigsten Wesen entwickelt, das sich von jedem Kinde lenken lässt. Das Schwein ist nicht ohne Intelligenz und wie einzelne Beispiele lehren, erziehungsfähig, aber es ist vom Menschen immer vernachlässigt worden. Weitaus die grössten Veränderungen weist das Schaf auf. Seine Zucht ist sehr alt, aber psychisch hat es gewaltig eingebüsst. Die Wildschafe sind vorwiegend Gebirg: ‚ Es wird von allen Beobachtern hervor- gehoben, dass sie Gefahren nut Klugheit zu erkennen wissen und sich durch Mut und Kampflust auszeichnen. Im Hausstand ist zwar die starke Sug- gestionsfähigkeit geblieben, aber an die Stelle der Klugheit ist eine un- glaubliche Willenlosigkeit und Dummheit getreten, der Mut ist einer grenz- losen Feigheit gewichen. Diese neuen Erwerbungen haben sich durch Vererbung so streng be- festigt, dass unsere Hausschafe wegen ihrer Unbeholfenheit gar nicht mehr verwildern können: der Freiheit überlassen würden sie aus Mangel an Ver- teidigungsfähigkeit dem ersten besten Raubtier zum Opter fallen. Sollen wir nun annehmen, dass mit dem Eintritt in den Hausstand im Keimplasma bei allen drei Stammreihen (denn das Hausschaf lässt sich ja auf drei verschiedene Stammformen zurückführen) plötzlich Feigheits- determinanten aufgetreten seien, die der Mensch ihrer Zweckmässigkeit wegen weiter züchtete und zur Vererbung brachte? Eine solche Annahme erschiene durchaus unnatürlich, dagegen liegt die auf das Keimplasma übertragene Veränderung, die durch suggestive Einflüsse zuerst im somati- schen Gebiet erworben wurde, auf der Hand. Dass die züchterische Aus- lese hinterher noch unterstützend eingriff, soll deswegen nicht geleugnet werden. Was für das Nervensystem gilt, trifft auch für andere Organgebiete 232 Die Abstammung der ältesten Haustiere. zu, ihr Gebrauch oder Nichtgebrauch bewirkt Veränderungen, die erblich übertragen werden können. Lehrreich sind auch jene Fälle, wo ein Haustier sein Verhältnis zum Menschen löst und zum Wildleben zurückkehrt. Dieses Verwildern kennen _ wir bei den meisten Haustieren, so bei Katzen, Funden, Rindern, Pferden Schweinen, Ziegen und Kaninchen. Dann steigen die im Hausstande neu erworbenen Eigenschaften von der Höhe ihrer Entwicklung herab, sie be treten eine rückläufige Bahn, um sich der wilden Stammform wieder anzu- nähern. Ich habe früher darauf hingewiesen, dass die asiatischen Schweine be Sardiniens den Wildcharakter wieder so vollkommen angenommen haben, dass im Schädel die Spuren der Domestikation völlig verwischt werden und der Sus vittatus-Charakter zurückerobert wurde. So Hluktuiert die Körperform, durch wechselnde äussere Einwirkungen getroffen, im Laufe längerer Zeitperioden hin und her. \ | | |