Iqjh 431 W 423 l 7» * m Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung nj r^ i-=» Q — I D O CD 2 für die Selektions-Theorie von Dr. August Weismann, Professor in Freiburg i. Br. CD m o o r • » Jena, Yerlag von Gustav Fischer. 1886. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Von Aug. Weismann sind erschienen: Die Kontinuität des Keimplasmas als Grundlage einer Theorie der Vererbung. 1885. Preis: 2 Mark 50 Pf. lieber Leben und Tod. Eine biologische Untersuchung. Mit 2 Holzschnitten. 1884. Preis: 2 Mark. "Heber die Vererbung. Ein Vortrag. 1883. Preis: 1 Mark 50 Pf. Ueber die Dauer des Lebens. Ein Vortrag. 1882. Preis : 1 Mk. 50 Pf. Die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen. Zugleich ein Beitrag zur Kenntniss des Baues und der Lebenserscheinungen dieser Gruppe. Mit einem Atlas von 24 Tafeln und 21 Figuren in Holzschnitt. Preis : 66 Mark. Karl Düsing. Die Regulierung des Geschlechtsverhältnisses bei der Vermehrung der Menschen, Tiere und Pflanzen. Mit einer Vorrede von Dr. W. Preyer, o. 8. Professor der Physiologie und Director des physiologischen Instituts der Universität Jena. Preis: 6 Mark 50 Pf. Ernst Haeckel, Professor der Zoologie an der Universität Jena. Ursprung und Entwickelung der thierischen Gewebe. Ein histogenetischer Beitrag zur Gastraea-Theorie. 1884. Preis: 2 Mark. Die Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung für die Selektions^Theorie von Dr. August Weismann, Professor in Freiburg i. Br. Jena, Verlag von Gustav Fischer 1886. Das Recht der Uebersetzung in fremde Sprachen bleibt vorbehalten. ^MMAAA.U,UMM i. i U i M i H H ü I H i j ' \C -*8 — & -^ ■ /7 T T TT? T T T T T T T T I T ? T ? ff fft T f I T T TT T T f f f f K$fc\ k* l i Vorwort. Jliin grosser Theil des Inhalts der vorliegenden Schrift wurde in der ersten allgemeinen Sitzung der deutschen Naturforscher- Versammlung zu Strassburg am 18. September 1885 vorgetragen und findet sich in den Verhandlungen der 58. Naturforscher- Versammlung ab- gedruckt. Die Form des Vortrags ist auch in der jetzt vor- liegenden Ausgabe beibehalten worden, der Inhalt aber hat manche Erweiterung erfahren. Ausser vielen kleine- ren und einigen grösseren Einschaltungen in den Text, folgen am Schluss der Rede noch sechs „Zusätze", be- stimmt, einzelne Punkte eingehender zu begründen und besser auszuführen, als dies in dem Vortrag selbst ge- schehen konnte, wo öfters blosse Andeutungen genügen mussten. Es schien mir dies um so notwendiger, als manche der Anschauungen und Vorstellungen, auf denen die Rede fusst, wenn sie auch in früheren Schriften schon von mir dargelegt sind, doch nicht als Allen be- — IV — kannt und geläufig betrachtet werden durften. So vor Allem der Begriff der „erworbenen" Eigenschaften, der, wie es scheint, besonders in medicinischen Kreisen leicht zusammengeworfen wird mit dem viel weiteren Begriff der neu aufgetretenen Eigenschaften überhaupt. Nur solche neu auftretenden Charaktere können als er- worbene bezeichnet werden, wellche äusseren Ein- flüssen den Ursprung verdanken, nicht aber solche, die auf dem geheimnissvollen Zusammenwirken der ver- schiedenen Vererbungstendenzen beruhen, wie sie im be- fruchteten Keim zusammentreffen. Diese Letzteren sind nicht erworben, sondern ererbt, wenn auch die Vorfahren sie selbst noch nicht besessen haben, sondern nur gewissermassen die einzelnen Elemente, aus denen sie sich zusammensetzen. Diese Art von neu auftreten- den Charakteren gestattet fürs Erste noch keine ge- nauere Analyse, wir müssen uns damit begnügen zu konstatiren, dass sie vorkommen; die erworbenen Eigenschaften aber sind für die Theorie der Vererbung von entscheidender Bedeutung und damit auch zugleich für die Mechanik der Artumwandlung. Wer mit mir der Ansicht ist, dass erworbene Charaktere nicht auf die Nachkommen übertragen werden, der wird sich auch genöthigt sehen, den Selektionsprocessen ein noch weit grösseres Feld bei der Artumwandlung einzuräumen, als bisher, denn der verändernde Einfluss äusserer Ein- wirkungen kann dann in einer überaus grossen Zahl von Fällen keinen Antheil an der Artumwandlung haben, da er auf das Individuum beschränkt bleibt. Derselbe — V — wird sich aber auch weiter veranlasst sehen , seine bis- herige Vorstellung von der Entstehung der Variabilität der Individuen aufzugeben und nach einer neuen Quelle dieser Erscheinung zu suchen, ohne welche auch Se- lektionsprocesse nicht vor sich gehen können. Diese Quelle nachzuweisen habe ich hier versucht. Freiburg i. Br., 22. November 1885. Der Verfasser, Inhalts-Ueb er sieht. Seite Ist das Selektionsprincip unentbehrlich? 2 Nägeli's innere Ursachen der Transformationen . 3 Bestimmte Entwicklungsbahnen sind auch ohne ein selbstveränderliches Idioplasma möglich .... 7 Entscheidende Bedeutung der „Anpassungen" . . 9 Beispiel der Wale 11 Die Transformationen erfolgen in kleinsten Schrit- ten 16 Grundlage derselben ist die individuelle Yariation . . 19 Schwierigkeit der Herleitungen der Variabilität auf Grundlage der Annahme einer Kontinuität des Keim- plasma's 20 Bisherige Herleitung 22 Nichtvererbung erworbener Charaktere 23 Nägeli's und Alexis Jordan's Versuche ... 24 Schwerveränderlichkeit des Keimplasma's . . 26 In der sexuellen Fortpflanzung liegt die Quelle der individuellen Variation 28 Inhalts-Uebersicht. VII ■ Seite Selektionsprocesse fallen weg bei ungeschlechtlicher Yermehrung 33 Ursprung der Variabilität bei den Einzelligen ... 37 Combinatorische Wirkung der sexuellen Fortpflan- zung 41 E. van Beneden's und Y. Hensen's Auffassung der sexuellen Fortpflanzung als „Verjüngungspro- cess" 44 Theoretische Bedenken dagegen 46 Ursprüngliche Bedeutung der Conjugation .... 52 Erhaltung der sexuellen Fortpflanzung durch Ver- erbung 53 Verlust derselben aus Zweckmässigkeitsgründen bei der Parthenogenese 54 Parthenogenese bedingt Unvermögen zu weiterer Trans- formation 58 Sie schliesst Panmixie aus und verhindert damit das Rudimentärwerden nichtgebrauchter Organe ... 59 Schlussbetrachtung 64 Zusätze. 1) Ein Beweis gegen die Umwandlung aus inneren Gründen 73 2) Nägeli's Erklärung der Anpassungen ... 77 3) Anpassungen bei Pflanzen 90 28928 VIII Inhalts-Üebersicht. Seite 4) Ueber die behauptete Vererbung erworbener Veränderungen 93 Die Brown- Se*quar duschen Versuche an Meer- schweinchen 93 Ein scheinbarer Fall von Vererbung erworbener Eigenschaften . 107 5) Zur Entstehung der Jungfernzeugung . . . 114 6) Die Vererbungstheorie von W. K. Brooks . 119 jt ej »j^. vi^i ^u .yL" »x* ■si^ -vU -sU •sL- *x* ■vi^ ■sU vL" nL* nL» nL- nL- •sL' *X" e yc ^^ ^ ^ •[s; ^ z^z z^z ^j\. x •js. z^z z^z z^z z^z •rc zrz zrz ^Ts. rg \^ In dem Vierteljahrhundert, welches verflossen ist, seitdem die Biologie sich allgemeinen Problemen wieder zugewandt hat, ist durch die vereinte Arbeit zahlreicher Forscher wenigstens doch der eine Hauptpunkt zur Klar- heit gebracht worden, dass die einzige, wissenschaftlich mögliche Hypothese über die Entstehung der organischen Welt die Descendenz-Hypothese ist, die Vorstel- lung einer Entwicklung der Organismenwelt. Nicht nur gewinnen zahlreiche Thatachen erst in ihrem Licht Sinn und Bedeutung, nicht nur fügt sich unter ihrem Einfluss Alles, was bis jetzt an Thatsachen vorliegt, zu einem harmonischen Gesammtbild zusammen, sondern auf einzelnen Gebieten hat sie sogar jetzt schon das Höchste geleistet, was von einer Theorie überhaupt er- wartet werden kann, sie hat es möglich gemacht, That- sachen vorauszusagen, nicht mit der absoluten Sicherheit der Rechnung, aber doch immerhin mit einem hohen Grad von Wahrscheinlichkeit. Man hat es voraus- gesehen , dass der Mensch , der im erwachsenen* Zustand bekanntlich nur 12 Rippen besitzt, im embryonalen deren 13 — 14 haben würde, man hat es vorausgesehen, dass — 2 — er in derselben frühesten Periode seiner Existenz den unscheinbaren Rest eines kleinen Knöchelchens in seiner Handwurzel haben würde, das sog. Os centrale, das seine weit in grauer Vorzeit zurückliegenden Ahnen in er- wachsenem Zustande besessen haben müssen. Beide Vor- aussagen trafen ein, ähnlich wie seiner Zeit der Planet Neptun entdeckt wurde, nachdem man seine Existenz aus den Störungen in der Bahn des Saturn vorausge- sagt hatte. Dass die heutigen Arten von anderen, jetzt meist ausgestorbenen abstammen, das sie nicht selbstständig entstanden sind, sondern sich aus andern entwickelt haben, und dass im Allgemeinen diese Entwicklung in der Richtung vom Einfacheren zum Verwickelteren statt- gefunden hat, das dürfen wir mit derselben Bestimmt- heit behaupten, mit welcher die Astronomie behauptet, die Erde bewege sich um die Sonne, denn für die Gültig- keit eines Schlusses ist es gleichgültig, ob er durch Rechnung, oder sonstwie gefunden wird. Wenn ich diesen Satz so bestimmt hinstelle, so thue ich es nicht, weil ich etwa glaube, Ihnen damit etwas Neues zu sagen, auch nicht, weil ich glaube, eine etwa noch vorhandene Opposition bekämpfen zu müssen, son- dern vielmehr deshalb, weil ich zuerst den sicheren Boden bezeichnen möchte, auf dem wir stehen, ehe ich dazu übergehe, das viele noch Unsichere ins Auge zu fassen, welches sich zeigt, sobald man von dem „dass" zu dem „wie" weiter fortgeht, sobald man von dem Satz: „die Organismenwelt ist durch Entwicklung entstanden, zu der Frage kommt: „wie aber ist dies geschehen, durch — 3 — welche Kräfte, durch welche Mittel, unter welchen Um- ständen ? Hier ist noch nichts weniger, als Sicherheit, hier stehen sich noch widerstreitende Meinungen entgegen, aber hier ist auch das Gebiet für die weitere Forschung, das unbekannte Land, in welches einzudringen ist. Ganz unbekannt freilich ist es nicht, und wenn ich nicht irre, so hat der moderne Wiedererwecker der so lange in tiefem Schlaf begrabenen Descendenzhypothese, Ch. Darwin, bereits eine Skizze dieses Gebietes ge- liefert, die als Grundlage für die spätere vollständige Karte sehr wohl dienen kann, wenn auch vielleicht noch gar Manches hinzuzufügen, auch Manches wieder weg- zunehmen sein wird. Ich meine: Darwin hat in dem Selektionsprinzip den Weg gezeigt, auf welchem wir in das unbekannte Land eindringen können. Nicht Alle aber unter uns sind dieser Ansicht, und erst kürzlich hat Karl Nägeli1), der hochverdiente Botaniker, seine Zweifel an der Tragweite des Selektions- prinzips energisch zum Ausdruck gebracht. Ihm scheint das Zusammenwirken der äusseren Lebensbedingungen mit den bekannten Kräften der Organismen: Ver- erbung und Variabilität nicht zu genügen, um den „ge- setzmässigen" Gang in der Entwicklung der Organismen- welt zu erklären, ihm ist das Selektionsprinzip höchstens ein Hülfsprinzip , das Vorhandenes annimmt oder ver- wirft, das aber nicht im Stande ist, selbst Neues zu schaffen. Er sucht die Ursache der Umwandlungen im 1) C. Nägeli, „Mechanisch-physiologische Theorie der Abstam- mungslehre". München u. Leipzig 1884. I* — 4 — Inneren der Organismen allein, indem er in sie eine Kraft verlegt, die es mit sich bringt, dass perio- dische Umwandlungen der Arten eintreten. Er denkt sich die Organismenwelt als Ganzes in ähnlicher Weise entstanden, wie das einzelne Individuum. Wie aus einem Samenkorn eine bestimmte Pflanze hervorwächst, in Folge der Beschaffenheit dieses Samen- korns, und wie dabei zwar gewisse äussere Bedingungen erfüllt sein müssen — Licht, Wärme, Feuchtigkeit u. s. w. — , damit die Entwicklung eintrete, ohne aber für die Art und Weise derselben bestimmend zu sein, so soll auch aus den ersten und niedersten Anfängen des Lebens auf unserer Erde allmählich der ganze Baum der Organismenwelt mit innerer Notwendigkeit hervor- gewachsen sein, unabhängig im Grossen und Ganzen seiner Gestaltung von den äusseren Einflüssen. Inder lebenden Substanz selbst, in ihrer Moleku- larstruktur soll die Ursache liegen, dass sie sich von Zeit zu Zeit, d. h. im Laufe ihres säkularen Wachs- thums, verändert und sich zu neuen Arten umprägt. Nicht ohne aufrichtige Bewunderung und wahren Genuss kann man die Darlegungen lesen, in denen Nägeli gewissermassen das Facit seines arbeit- und erfolgreichen Lebens in Bezug auf die grosse Frage der Entwicklung der organischen Welt zieht. Aber so viel Freude man auch an dem, wie ein Kunstwerk, phantasievoll ent- worfenen und scharfsinnig ausgeführten theoretischen Gebäude empfindet, soviel Anregung man daraus schöpft, und so überzeugt man ist, dass es Fortschritt in sich birgt und die Schwelle bildet, über die wir zu mancher - 5 — tieferen Erkenn tniss gelangen werden — in der Grund- anschauung ist man doch ausser Stande, beizustimmen, und ich glaube, es wird nicht nur mir allein so gehen, sondern — auf zoologischem Gebiete wenigstens — wird es Wenige geben, die sich Nägeli in seiner Grundan- schauung anschliessen können. Es ist nicht meine Absicht, heute meine abweichende Meinung im Speziellen zu begründen, aber der eigent- liche Gegenstand dieser Abhandlung nöthigt mich, wenig- stens kurz meine Stellung Nägeli gegenüber zu be- zeichnen und zu motiviren, warum mir auch heute noch eine innere treibende, d. h. aktive Umwandlungskraft oder -Ursache nicht annehmbar scheint und warum ich an der Selektionstheorie festhalten muss. Die Theorie einer solchen phyletischen Umwand- lungskraft (1) hat meiner Ansicht nach den grössten Mangel, den eine Theorie überhaupt haben kann: sie erklärt die Erscheinungen nicht! und nicht etwa in dem Sinn, dass sie zur Zeit noch nicht im Stande wäre, diese oder jene mehr untergeordnete Erscheinung verständlich zu machen — nein! sie lässt gerade die überwältigende Masse der Thatsachen völlig unerklärt; sie hat keine Erklärung für die Zweckmässig- keit der Organismen! Und diese ist doch gerade das Hauptsräthsel , welches uns die organische Welt zu lösen aufgibt! Dass die Arten sich von Zeit zu Zeit in neue umwandeln, das liesse sich ja allenfalls auch durch eine innere Umwandlungskraft verstehen; dass sie sich aber gerade in der Weise umwandeln, wie es für die neuen Bedingungen, unter denen sie zu existiren — 6 — haben, zweckmässig ist, das bleibt dabei völlig unver- ständlich. Oder sollen wir Nägeli's Behauptung, der Organismus besitze die Fähigkeit, sich auf irgend einen äusseren Reiz zweckentsprechend umzugestalten, für eine Erklärung gelten lassen? (2). Diesem fundamentalen Mangel gegenüber kommt es kaum noch in Betracht, dass doch auch irgend ein Be- weis für die Grundlage der Theorie, für die Existenz einer inneren Umwandlungsursache vollständig fehlt. In genialer Weise hat Nägel i seinen bedeutungs- vollen Begriff des Idioplasmas konstruirt. Derselbe ist sicherlich eine wichtige Errungenschaft und wird Dauer haben, wenn auch nicht in der speziellen Ausführung, welche ihm sein Erfinder gegeben hat. Ist aber eben diese spezielle Ausführung, ist die scharfsinnig ausge- dachte Darstellung, welche von der feinsten Molekular- struktur dieses hypothetischen Lebensträgers gegeben wird, etwas mehr, als reine Hypothese? Könnte dieses Idioplasma nicht auch in Wirklichkeit ganz anders ge- baut sein, als Nägeli meint, und können Schlüsse, die aus dieser vermeintlichen Struktur gezogen werden, irgend etwas beweisen ? Wenn wirklich aus der Struktur dieses Idioplasmas mit Notwendigkeit hervorginge, dass es sich im Laufe der Zeiten verändern muss, so thut es dies doch nur deshalb, weil Nägeli es von vornherein darauf eingerichtet hat! Niemand wird zweifeln, dass sich auch eine Idioplasma-Struktur ausdenken Hesse, bei der eine Abänderung von innen heraus ganz unmög- lich wäre. Mag es aber auch theoretisch möglich sein, eine — 7 — solche Substanz auszudenken, deren physische Natur es mit sich bringt, dass sie sich durch blosses Wachsthum in bestimmter Weise verändert, in jedem Fall wären wir zu ihrer Annahme und damit zur Annahme eines neuen, völlig unbekannten Prinzips nur dann berechtigt, wenn erwiesen wäre, dass wir mit den be- kannten Kräften zur Erklärung der Erscheinungen nicht ausreichen. Dass aber dieser Beweis erbracht wäre, wer möchte das behaupten? Wohl wird stets wieder von Neuem auf die Kegelmässigkeit und Gesetzmässig- keit hingewiesen, welche besonders in der phyletischen Entwicklung des Pflanzenreichs hervortrete, auf das Ueberwiegen und die grosse Beharrlichkeit der sog. rein morphologischen Charaktere bei den Pflanzen. Aber wenn nun auch aus der natürlichen Gruppenbildung des Pflanzen- und nicht minder des Thierreichs unzweifel- haft hervorgeht, dass die Organismenwelt in ihrer Entfal- tung sehr häufig längere oder kürzere Zeiträume hindurch bestimmte Entwicklungsrichtungen einhält, zwingt denn das schon zur Annahme unbekannter innerer Kräfte, die diese Richtung bestimmen? Ich habe schon vor vielen Jahren zu zeigen ver- suchtx) — und zwar damals gegen Darwin — dass die Konstitution eines Organismus, die physische Natur einer jeden Art einen beschränkenden Einfluss auf seine Veränderungsfähigkeit ausüben muss. Es kann nicht eine bestimmte Art sich in jede denkbare neue Art um- 1) „Ueber die Berechtigung der Darwinschen Theorie" Leipzig 1868, p. 27. — 8 — wandeln, ein Käfer kann nicht zu einem neuen Wirbel- thier werden, nicht einmal zu einer Heuschrecke, oder einem Schmetterling, sondern zunächst nur zu einer neuen Käferart und zwar nur zu einer Käferart derselben Familie und derselben Gattung. Das Neue kann nur an das schon Gegebene anknüpfen, und allein darin liegt schon die Notwendigkeit, dass bestimmte Richtungen der phyletischen Entwicklung eingehalten werden. Ich begreife vollkommen, dass es dem Botaniker näher liegt, als dem Zoologen, zu innern Entwicklungs- kräften seine Zuflucht zu nehmen; die Beziehungen der Form zur Funktion, die Anpassung des Organismus an die innern und äussern Lebensbedingungen treten bei den Pflanzen weniger hervor, fallen weniger in's Auge, ja sind oft nur mit grossem Aufwand von Beobachtung und Scharfsinn überhaupt aufzudecken. Die Versuchung liegt deshalb näher, Alles von innern beherrschenden Ursachen abhängig zu denken. Nägeli fasst dies nun freilich gerade umgekehrt auf, er meint, bei den Pflanzen trete gerade die eigentliche, tiefere Ursache der Umwandlungen zu Tage, die bei den Thieren durch die Anpassungen mehr verschleiert werde l). Aber ist es wirklich ein ausreichender Grund zu dieser Auffassung, dass man viele Charaktere der Pflanzen noch nicht als Anpassungen zu erkennen vermag? Wie sehr ist doch die Zahl der vermeintlichen „morphologischen" Merk- male der Pflanzen in diesen letzten zwei Jahrzehnten zusammengeschmolzen ! In wie ganz anderm Licht er- 1) A. a. O. Vorwort, p. VI. — 9 — scheinen heute die oft so sonderbaren und scheinbar so willkürlichen Formen und Farben der Blumen, seitdem die alte Entdeckung Sprengel' s durch Dar- win's Untersuchungen zur Geltung gebracht und durch Hermann Müller in bewunderungswürdiger Weise weitergeführt wurde ! Und nun hat sich auch der früher für ganz bedeutungslos gehaltene Aderverlauf der Blätter unter der scharfsichtigen Analyse von Julius Sachs als biologisch höchst bedeutungsvoll herausge- stellt (3). Und wir stehen doch noch nicht am Ende der Forschung, und es lässt sich nicht absehen, warum wir nicht dereinst auch noch dahin kommen sollten, die heute noch unverständlichen Charaktere als durch ihre Funktion bedingt verstehen zu lernen! Jedenfalls kann der Thier- Biologe gar nicht genug betonen, wie genau und wie bis in's Kleinste hinein Form und Funktion zusammenhängen, wie vollkommen beherrschend die Anpassung an bestimmte Lebensbe- dingungen sich im thierischen Körper geltend macht. Da ist nichts Gleichgültiges, Nichts, was auch anders sein könnte; jedes Organ, ja jede Zelle und jeder Zell- theil ist gewissermassen abgestimmt auf die Rolle, welche er der Aussenwelt gegenüber zu übernehmen hat. Gewiss sind wir nicht im Stande, bei irgend einer Art alle diese Anpassungen nachzuweisen, aber wo immer es uns auch gelingt, die Bedeutung eines Strukturver- hältnisses zu ergründen, entpuppt es sich immer wieder als eine Anpassung, und wer je es versucht hat, den Bau irgend einer Art eingehend zu studiren und sich Rechenschaft zu geben von der Beziehung seiner Theile — 10 — zur Funktion des Ganzen, der wird sehr geneigt sein, mit mir zu sagen : es beruht Alles auf Anpassung, es gibt keinen Theil des Körpers, und sei es der kleinste und unbedeutendste, überhaupt kein Strukturverhältniss, das nicht entstanden wäre unter dem Einfluss der Lebens- bedingungen, sei es bei der betreifenden Art selbst, sei es bei ihren Vorfahren ; keines, das nicht diesen Lebens- bedingungen entspräche, wie das Flussbett dem in ihm strömenden Fluss. Das sind Ueberzeugungen — ich gebe es zu — keine absoluten Beweise, denn bis jetzt sind wir eben nicht im Stande, irgend eine Art so zu durch- schauen, dass wir Wesen und Bedeutung aller ihrer Theile in allen ihren Beziehungen nachweisen könnten, und sind noch viel weniger im Stande, in jedem einzelnen Fall in die Geschichte der Vorfahren hinabzusteigen und die Entstehung solcher Bauverhältnisse zu eruiren, deren Vorhandensein bei den Nachkommen in erster Linie auf Vererbung beruht. Aber es liegt doch bereits ein recht beachtenswerther Anfang eines Induktionsbeweises vor, denn die Zahl der nachweisbaren Anpassungen ist jetzt schon eine überaus grosse und sie mehrt sich mit jedem Tage. Wenn nun aber der Organismus überhaupt nur aus Anpassungen auf Grundlage der Konstitution der Vorfahren besteht, dann ist nicht abzusehen , was noch zu thun übrig bliebe für eine phyletische Kraft, mag man sie sich auch in der verfeinerten Form des Nä gelo- schen selbstveränderlichen Idioplasma's vorstellen. Vielleicht ist es nicht nutzlos, meine Ansicht an einem bestimmten Beispiel anschaulich zu machen. Ich — II — wähle eine bekannte Thiergruppe : die Wale oder Wal- fische. Es sind Säugethiere und zwar placentale Säuger, welche aller Wahrscheinlichkeit nach zur Sekundärzeit durch Anpassung an das Wasserleben aus Landsäuge- thieren hervorgingen. Alles nun, was für sie charakteristisch ist, was sie von den übrigen Säugethieren scheidet, beruht auf An- passung, auf Anpassung an das Wasserleben. Ihre Arme sind zu steifen, nur noch im Schultergelenk beweglichen Flossen umgewandelt, auf ihrem Rücken, an ihrem Schwanz breitet sich ein Hautkamm aus, ähn- lich der Rücken- und Schwanzflosse der Fische; ihr Gehör ist ohne Ohrmuschel und ohne lufthaltigen äussern Gehörgang; die Schallwellen kommen nicht durch den äussern Gehörgang zum mittleren und von diesem zum eigentlich percipirenden innern Ohr, sondern sie gehen direkt durch die besonders dazu eingerichteten lufthaltigen Kopfknochen zur Paukenhöhle und von hier durch das runde Fenster zum Labyrinthwasser der Schnecke, eine Einrichtung die man dem Luftgehör der übrigen Säugethiere gegenüber als Wassergehör be- zeichnen könnte. Auch die Nase zeigt Besonderheiten; sie öffnet sich nicht vorn an der Schnauze, sondern oben an der Stirn, so dass das luftbedürftige Thier auch im sturmbewegten Meer athmen kann, sobald es an die Ober- fläche emportaucht. Der ganze Körper hat sich in die Länge gestreckt, ist spindelförmig, fischähnlich geworden, geschickt zum raschen Durchschneiden des flüssigen Ele- ments. Bei keinem andern Säugethier, die ebenfalls fisch- ähnlichen Sirenen ausgenommen, fehlen die hintern Ex- — 12 tremitäten, die Beine; bei den Walen aber sind sie wie bei den Sirenen durch den mächtig entwickelten Ruderschwanz überflüssig geworden, sind rudimentär ge- worden und stecken jetzt tief im Fleisch des Thieres verborgen, als eine Reihe kleiner Knochen und Muskeln, die noch den ursprünglichen Bau des Beines bei einzelnen Arten erkennen lassen. Aus demselben Grund, weil es überflüssig war, ist das den Säugethieren zukommende Haarkleid geschwunden; die Wale brauchen es nicht mehr, weil eine dicke Specklage unter der Haut ihnen einen noch besseren Wärmeschutz verleiht. Diese aber wiederum war noth wendig, um ihr specifisches Ge- wicht herabzusetzen und dem des Seewassers gleich zu machen. Sehen wir uns den Bau des Schädels an, so zeigt auch dieser eine ganze Reihe von Eigen- thümlichkeiten , die alle direkt oder indirekt mit der Lebensweise zusammenhängen. Bei den Bartenwalen fällt besonders die ungeheure Grösse desGesichtstheils des Schädels auf, die ganz enormen Kiefer, welche einen ungeheuren Rachen umschliessen. Ist vielleicht diese so sehr charakteristische Bildung ein Ausfluss jener innern Bildungskraft, jener innern selbstständigen Umwandlungen des Idioplasma's ? Keineswegs ! Denn es lässt sich leicht zeigen, dass sie auf Anpassung an ganz eigenthümliche Ernährungsweise beruht. — Zähne fehlen, sie sind nur noch als Zahnkeime beim Embryo vorhanden, eine Reminiscenz an die bezahnten Ahnen ; von der Decke der Mundhöhle aber hängen grosse Platten von Fisch- bein senkrecht herab, an den Enden in Fransen zer- schlissen. Diese Wale leben von kleinen, etwa zoll- — 13 — langen Weichthieren , welche in zahllosen Schaaren im Meer umherschwiinmen oder -treiben. Um nun von so winzigen Bissen leben zu können, ist es unerlässlich, dass die Thiere sie in kolossaler Menge bekommen können, und dies wird erreicht durch den ungeheuren Rachen, der grosse Wassermassen auf einmal aufnehmen und durch die Barten durchseihen kann; das Wasser läuft ab, die kleinen Weichthiere aber bleiben im Rachen zu- rück. Soll ich nun noch hinzufügen, dass auch die inneren Organe, soweit wir ihre Funktion im Genaueren verstehen, und insofern sie abweichen vom Bau der andern Säuger, direkt oder indirekt durch die Anpassung an das Wasserleben verändert sind? Dass sehr eigen- thümliche Einrichtungen an der inneren Nase und dem Kehlkopf vorhanden sind, die gleichzeitiges Athmen und Schlucken ermöglichen, dass die Lungen von unge- wöhnlicher Länge sind, und dadurch dem Wal die hori- zontale Lage im Wasser geben, ohne dass Muskelan- strengung stattzufinden braucht; dass das Zwerchfell in Folge dieser Länge der Lungen beinahe horizontal liegt, dass gewisse Einrichtungen an den Blutgefässen getroffen sind, die dem Thier das lange Tauchen ge- statten, u. s. w. ? Und nun wiederhole ich meine vorhin gestellte Frage in Bezug auf diesen speziellen Fall: Wenn Alles, was an den Thieren Charakteristisches ist, auf Anpassung beruht, was bleibt dann noch übrig für die Thätigkeit einer inneren Ent- wicklungskraft? Oder was bleibt noch vom Walfisch übrig, wenn man die Anpassungen hinwegnimmt? Nichts — 14 — als das allgemeine Schema eines Säugethiers; dieses aber war schon vor der Entstehung der Wale in ihren Vorfahren gegeben, die bereits Säuge thiere gewesen sein müssen. Wenn aber das, was die Wale zu Walen macht, durch Anpassung entstanden ist, dann hat also die innere Entwicklungskraft keinen Antheil an der Entstehung dieser Gruppe von Thieren. Und doch soll diese Kraft der Hauptfaktor der Transmutationen sein, und Nägeli sagt ganz ausdrück- lich, dass das Thier- und Pflanzenreich ungefähr so, wie es thatsächlich ist, auch dann geworden sein würde, wenn es auf der Erde gar keine Anpassung an neue Verhältnisse und keine Concurrenz im Kampf ums Da- sein gäbe. (A. a. 0. p. 117 u. p. 286). Aber gesetzt auch, es sei nicht bloss ein Verzicht auf eine Erklärung, sondern eine Erklärung selbst, wenn man sagt, ein Organismus, dessen charakteristische Eigen- thümlichkeiten alle auf Anpassung beruhen, sei durch innere Entwicklungskraft ins Dasein gerufen worden, so bliebe doch immer noch unbegreiflich, wie es kommt, dass dieser für ganz bestimmte Lebensbedingungen be- rechnete und unter anderen Bedingungen gar nicht existenzfähige Organismus gerade an d e r Stelle der Erde auftrat und zu der Zeit der Erdentwicklung, welche die geeigneten Existenzbedingungen darbot. Wie ich schon früher einmal sagte: Die Anhänger einer innern Ent- wicklungskraft sind genöthigt, eine Hülfshypothese zu erfinden, eine Art von prästabilirter Harmonie, welche es mit sich bringt, dass die Veränderungen der Organismen weit Schritt für Schritt parallel gehen den — 15 — Veränderungen der Erdrinde und der Lebensbedingungen, sowie nach Leibnitz Körper und Geist, obgleich un- abhängig von einander, doch vollkommen parallel gehen, wie zwei gleichgehende Chronometer. Und selbst mit einer solchen Annahme käme man nicht aus, weil eben nicht blos die Zeit, sondern auch der Ort in Betracht kommt, und weil es einem Walfisch nichts nützt, wenn er auf dem Trocknen entsteht. Und wie unzählige Fälle kennen wir nicht, in denen eine Art ausschliesslich einem ganz bestimmten Fleckchen der Erde genau angepasst ist und nirgends anders gedeihen könnte! Denken sie nur an die Fälle von Nachäffung, in welchen ein Insekt das andere kopirt und dadurch Schutz erhält, oder an die schützende Nachahmung einer bestimmten Baumrinde, eines bestimmten. Blattes , oder an die oft so wunder- baren Anpassungen an ganz bestimmte Theile eines ganz bestimmten Wirthes bei den parasitisch lebenden Thieren ! Solche Arten können sich an keiner anderen Stelle gebildet haben, als an der, an welcher sie allein leben können; sie können nicht entstanden sein durch eine innere Umwandlungskraft! Wenn aber einzelne Arten und zwar ganze Ordnungen, wie die der Wale unabhängig von ihr entstanden sein müssen, dann dürfen wir kühn behaupten: eine solche Kraft existirt überhaupt nicht, wir haben weder einen Grund, noch ein Recht zu ihrer Annahme. So wird es denn gerechtfertigt erscheinen, wenn wir den Versuch Darwin's fortführen, auf die Annahme unbekannter Kräfte verzichtend, die Umwandlungen der Organismen aus den bekannten Kräften und Er- — i6 — scheinungen abzuleiten. Ich sage: fortführen, weil ich nicht glaube, dass unsere Erkenntniss mit Darwin nach dieser Richtung hin abgeschlossen ist, ja weil es mir scheint, dass wir inzwischen zu Vorstellungen ge- kommen sind, die unverträglich sind mit wichtigen Punkten seiner Auffassung, die somit eine Aenderung derselben nöthig machen. Die Selektionstheorie lässt neue Arten daraus hervorgehen, dass von Zeit zu Zeit veränderte Lebens- bedingungen eintreten, welche neue Ansprüche an den Organismus stellen, falls er ihnen auf die Dauer Stand halten soll, und dass in Folge dessen Selektionsprozesse einsetzen, welche bewirken, dass unter den vorhandenen Variationen allein diejenigen erhalten bleiben, welche den veränderten Lebensbedingungen am meisten ent- sprechen. Durch stete Auswahl in der gleichen Richtung häufen sich die anfangs noch unbedeutenden Abweichungen und steigern sich zu Art-Unterschieden. Dabei möchte ich schärfer, als es Darwin gethan hat, betonen, dass die Veränderungen der Lebensbe- dingungen sowohl als die des Organismus in kleinsten Schritten erfolgen müssen , langsam , und zwar so, dass in keinem Augenblick des ganzen Um- wandlungsvorgangs die Art den Lebensbe- dingungen nicht genügend angepasst bliebe. Die plötzliche, sprungweise Umwandlung ist nicht denk- bar, weil sie die Art existenzunfähig machen müsste. Wenn die gesammte Organisation eines Thieres auf An- passung beruht, wenn der Thierkörper gewissermassen eine ungemein komplizirte Kombination von alten und — 17 — neuen Anpassungen ist, dann würde es doch ein höchst wunderbarer Zufall sein, wenn bei einer plötzlichen Abänderung zahlreicher Körpertheile diese alle gerade so abänderten, dass sie zusammen wieder ein Ganzes bildeten, welches mit den veränderten äusseren Be- dingungen genau stimmt. Diejenigen, welche eine sprung- weise Umwandlung annehmen, übersehen dabei, wie genau Alles an einem thierischen Organismus auf die Existenz - fähigkeit der Art berechnet ist, wie es gerade dazu ausreicht, nicht aber darüber hinaus, und wie die kleinste Veränderung des unscheinbarsten Organs genügen kann, um Existenzunfähigkeit der Art herbeizuführen. Man wird mir vielleicht einwerfen, dass dies bei Pflanzen anders sei, wie die verschiedenen ameri- kanischen Unkräuter bewiesen, die in Europa sich aus- gebreitet haben , oder die europäischen Pflanzen , die in Australien heimisch geworden sind. Man könnte auch Bezug nehmen auf jene Pflanzen, welche zur Eiszeit die Ebene bewohnten, später aber theils auf die Alpen, theils in den hohen Norden gewandert sind und die trotz des langen Aufenthalts unter so — wie es scheint — ganz verschiedenen Existenzbedingungen sich dennoch gleich- geblieben sind. Aehnliche Beispiele gibt es auch auf thierischem Gebiet. Das Kaninchen, welches vor 400 Jahren ein Matrose auf der afrikanischen Insel Porto-Santo aussetzte, hat sich dort in zahlreichen Nachkommen festgesetzt; die europäischen Frösche, welche man nach Madeira brachte, haben sich dort bis zu einer förmlichen Landplage vermehrt, und der — 18 — europäische Sperling gedeiht heute in Australien so gut wie bei uns. Aber beweist dies, dass es auf die Anpassung an die Lebensbedingungen nicht so genau ankommt? dass ein Organismus, der für ein bestimmtes Wohngebiet angepasst ist, auch unter andern Existenz- bedingungen existenzfähig bleibt? Es beweist meines Erachtens nichts Anderes, als dass die betreffenden Arten in jenen fremden Ländern dieselben Lebensbedingungen vorfanden, wie zu Hause, oder doch solche, denen sich ihr Organismus unterwerfen konnte, ohne sich zu ändern. Nicht jede Verschiedenheit eines Wohngebietes setzt auch schon für jede Pflanze oder Thierart veränderte Be- dingungen. Das Kaninchen von Porto- Santo nährt sich gewiss von andern Kräutern als seine wilden Verwandten in Deutschland, aber das bedeutet für die Art keine Veränderung der Lebensbedingungen, denn beide bekom- men ihm gleich gut. Nehmen Sie aber dem wilden Kaninchen, wie es in Europa noch vorkommt, nur ein Minimum von seiner Scheuheit oder seiner Scharfsichtigkeit oder seinem feinen Gehör oder Geruch, oder geben Sie ihm eine andere als seine natürliche Körperfärbung, so wird es als Art nicht mehr existenzfähig sein und wird durch seine Feinde aus- gerottet werden. Sehr wahrscheinlich würde dieselbe Folge eintreten , wenn Sie im Stande wären , irgend eine Ver- änderung au inneren Organen, der Lunge, der Leber, den Kreislaufsorganen eintreten zu lassen; das einzelne Tili er würde dadurch vielleicht nicht lebensunfähig werden, iiber die Art würde nach irgend einer Seite hin von (lein Maximum ihrer Leistungsfähigkeit herabsinken — 19 — und dadurch als Art existenzunfähig werden. Die sprung- weise Umwandlung der Arten erscheint mir — auf zoologi- schem Gebiet mindestens — als physiologisch undenkbar. So würde denn also die Umwandlung der Arten nur in kleinsten Schritten erfolgt sein und würde beruhen auf der Summation jener Unterschiede, welche ein Individuum vom andern kennzeichnen, der indivi- duellen Unterschiede. Es leidet keinen Zweifel, dass solche überall vorhanden sind, und es erscheint sonach auf den ersten Blick ganz selbstverständlich, dass sie auch alle das Material darstellen können, mittelst dessen Selektion neue Formen hervorbringt. Die Sache ist indessen nicht so einfach, als sie bis vor Kurzem noch erschien, wenn wenigstens richtig ist, was ich selbst für richtig halte, dass bei allen durch ächte Keime sich fortpflanzenden Thieren und Pflanzen nur solche Charaktere auf die fol- gende Generation übertragen werden können, welche der Anlage nach schon im Keim ent- halten waren. Ich stelle mir vor, dass die Vererbung darauf beruht, dass von der wirksamen Substanz des Keimes, dem Keimplasma, stets ein Minimum unverändert bleibt, wenn sich der Keim zum Organismus entwickelt, und dass dieser Rest des Keimplasma's dazu dient, die Grundlage der Keimzellen des neuen Organismus zu bilden1). Es besteht demnach also Continuität des 1) Vergl. Weismann „Ueber die Vererbung". Jena 1883 und „Die Continuität des Keimplasma's als Grundlage einer Theorie der Vererbung", Jena 1885. 2* — 20 — Keimplasma's von einer zur anderen Generation. Man kaün sich das Keimplasma vorstellen als eine lang dahinkriechende Wurzel, von welcher sich von Strecke zu Strecke einzelne Pflänzchen erheben: die Individuen der aufeinanderfolgenden Generationen. Daraus folgt nun: die Nichtvererbbarkeit erworbener Charaktere, denn wenn das Keim- plasma nicht in jedem Individuum wieder neu erzeugt wird, sondern sich von dem vorhergehenden ableitet, so hängt seine Beschaffenheit, also vor allem seine Mole- kularstruktur nicht von dem Individuum ab, in dem es zufällig gerade liegt, sondern dies ist gewissermassen nur der Nährboden, auf dessen Kosten es wächst,'; seine Struktur aber ist von vorneherein gegeben. Nun hängen aber die Vererbungstendenzen, deren Träger das Keimplasma ist, eben an dieser Molekular- struktur, und es können somit nur solche Charaktere von einer auf die andere Generation übertragen werden, welche anererbt sind, d. h. welche virtuell von vorn- herein in der Struktur des Keimplasma's gegeben waren, nicht aber Charaktere, die erst im Laufe des Lebens in Folge besonderer äusserer Einwirkungen erworben wurden. Man hat bisher bekanntlich das Gegentheil ange- nommen; es galt als selbstverständlich, dass auch er- worbene Eigenschaften sich vererben könnten, und man suchte sich durch verschiedene, immer sehr komplicirte und künstliche Theorien plausibel zu machen, wie es möglich sei, dass Abänderungen, die im Laufe des Lebens durch äussere Einwirkungen entstehen, sich dem Keim — 21 mittheilen und so übertragbar werden. Bis jetzt liegt noch keine Thatsache vor, welche wirk- lich bewiese, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden können — Vererbung künstlich erzeugter Krankheiten ist nicht beweisend — und so lange dies nicht der Fall ist, haben wir kein Recht, diese Annahme zu machen, es sei denn, dass wir dazu ge- zwungen würden durch die Umöglichkeit , die Artum- wandlung ohne diese Annahme zu beweisen (4). Offenbar war es auch das dunkle Gefühl, dass die Sache so liege, welches es bisher verhindert hat, an das Axiom der Vereinbarkeit erworbener Charaktere zu rüh- ren; man glaubte dasselbe nicht entbehren zu können zur Erklärung der Artumwandlung; nicht nur Solche, die der direkten Einwirkung äusserer Einflüsse Viel ein- räumen, sondern auch Diejenigen, die das Meiste auf Selektionsprocesse beziehen. Die erste und nicht zu missende Grundlage der Selektionstheorie ist die individuelle Variabilität; diese liefert das Material kleinster Unterschiede, durch deren Summation im Laufe der Generationen neue Formen entstehen sollen. Wo sollen aber vererbbare indivi- duelle Merkmale herkommen, wenn die Veränderungen, welche das Individuum im Laufe seines Lebens in Folge äusserer Einflüsse erfährt, nicht vererbbar sind? Es muss möglich sein, eine andere Quelle erblicher individueller Verschiedenheiten nachzuweisen, sonst würde entweder die Selektionstheorie hinfällig werden, — in dem Fall nämlich, dass sich das t tat- sächliche Fehlen erblicher individueller Unter- — 22 — schiede herausstellte, — oder, wenn solche Unterschiede unzweifelhaft existiren, so würde dies zeigen, dass in der Ihnen soeben skizzirten Theorie von der Continuität des Keimplasma's und der damit verbundenen Nichtver- erbuüg erworbener Eigenschaften ein Fehler stecken müsse. Ich glaube indessen, dass es sehr wohl möglich ist, sich die Entstehung vererbbarer individueller Unter- schiede noch in anderer Weise vorzustellen, als es bis- her geschehen ist, und dies zu thun, ist die Aufgabe, die ich mir heute gestellt habe. Man konnte bisher sich die Entstehung der indi- viduellen Variabilität etwa folgendermassen zurechtlegen: Aus den Erscheinungen der Vererbung muss geschlossen werden, dass ein jeder Organismus die Fähigkeit be- sitzt, Keime zu liefern, aus welchen genaue Copieen seiner selbst hervorgehen können — theoretisch wenigstens. In Wirklichkeit aber wird dies nun nie voll- ständig genau der Fall sein, und zwar deshalb, weil jeder Organismus zugleich auch die Eigenschaft besitzt, auf die verschiedenen äusseren Einflüsse, welche ihn treffen und ohne welche er sich weder entwickeln, noch überhaupt existiren könnte, in verschiedener Weise zu reagiren, in dieser oder jener Weise verändert zu werden. Gute Ernährung lässt ihn stark und gross, schlechte klein und schwach werden, und was für das Ganze gilt, gilt auch für die einzelnen Theile. Da nun selbst die Kinder ein und derselben Mutter vom Beginn ihrer I xisteflz an immer schon von verschiedenartigen und ver- schifleien starken Einwirkungen getroffen werden, so müssen sie notliweniligerweise auch dann ungleich werden, wenn — 23 — sie von absolut identischen Keimen abstammten mit genau den gleichen Vererbungstendenzen. Damit hätten wir denn also individuelle Verschieden- heiten. Sobald nun aber erworbene Eigenschaften nicht vererbbar sind, wird diese ganze Deduction hinfällig, denn alle Veränderungen, welche durch bessere oder schlechtere Ernährung einzelner Theile oder des ganzen Organismus hervorgerufen werden, inbegriffen die Re- sultate der Uebung, des Gebrauchs oder Nicht- gebrauchs einzelner Theile, sie alle können keine erbliche Unterschiede abgeben, können nicht auf die folgende Generation übertragen werden; sie sind, so zu sagen, vorübergehende, passante Charaktere. Die Kinder des Klaviervirtuosen erben nicht die Kunst des Klavierspiels, sie müssen sie ebenso mühsam lernen, wie der Vater; sie erben nichts, als was der Vater auch als Kind schon besessen hat, eine ge- schickte Hand und ein musikalisches Gehirn. Auch die Sprache erben unsere Kinder nicht von uns, obwohl doch nicht nur wir, sondern eine beinahe endlos scheinende Reihe von Vorfahren dieselbe ausgeübt hat. Erst kürz- lich sind wieder die Thatsachen zusammengestellt und verarbeitet worden 1 ), welche lehren , dass menschliche Kinder hoch civilisirter Nationen, wenn sie isolirt von Menschen in der Wildniss aufwachsen, keine Spur einer Sprache aufweisen. Die Fähigkeit zu sprechen ist eine erworbene oder passante, keine ererbte Eigenschaft; sie vererbt sich nicht, sie vergeht mit ihrem Träger. 1) Vergl. Raub er „Homo sapiens ferus oder die Zustände der Verwilderten" Leipzig 1885. — 24 — Damit stimmen auch die Erfahrungen auf pflanz- lichem Gebiete, ja sie sind hier ganz besonders prägnant. Wenn Nägeli') Alpenpflanzen von ihrem natür- lichen Standort in den botanischen Garten von München versetzte, so veränderten sich manche Arten dadurch so bedeutend, dass man sie kaum wiedererkannte; die kleinen Alpen-Hieracien wurden gross, stark verzweigt und reichblüthig. Wurden aber dann solche Pflanzen, oder auch erst ihre Nachkommen wieder auf mageren Kiesboden verpflanzt, so blieb Nichts von allen den Neuerungen erhalten; sie verwandelten sich wieder zu- rück in die ursprüngliche alpine Form, und zwar war die Rückkehr zur Stammform stets eine vollständige, und auch dann, wenn die Art mehrere Generationen hindurch in fetter Gartenerde kultivirt worden war. Aehnliche Versuche mit ähnlichen Resultaten sind schon 20 Jahre vor Nägeli von Alexis Jordan an- gestellt worden und zwar hauptsächlich am Hunger- blümchen, Draba verna 2). Die Versuche sind um so beweisender, als ihnen ursprünglich jede theoretische Tendenz fernlag. Der Verfasser wollte durch das Ex- periment entscheiden, ob die zahlreichen Varietäten von Draba verna, wie sie auf verschiedenen Standorten wild vorkommen, blosse Variationen sind, oder aber Arten. Da er fand, dass sie rein züchten und sich immer 1) Sitzungsberichte d. bair. Akad. d. Wissensoli. v. 18. Nov. 1865. Vergl. auch „Mechan. phys. Theorie d. Abstammungslehre" p. 102 u. f. lj) Jordan ,, Remarques sur le fait de l'existence en societe des especes fregötales affines", Lyon 1873. — 25 — wieder herstellen, wenn sie durch Cultur auf fremdem Boden verändert worden waren, so nahm er das Letztere an. Alle diese Versuche bestätigen also, dass äussere Einflüsse das Individuum zwar verändern können , dass aber diese Veränderungen sich nicht auf die Keime über- tragen, nicht erblich sind. Nägeli behauptet nun freilich, es gäbe überhaupt keine angeborenen individuellen Verschiedenheiten bei den Pflanzen, die Unterschiede, welche wir thatsächlich zwischen der einen und der andern Buche oder Eiche sehen, seien alle nur Standorts-Modifikationen, hervorgerufen durch die Verschiedenartigkeit der lokalen Einflüsse. Darin geht er indessen offenbar zu weit, wenn auch zugegeben werden kann, dass die angebornen in- dividuellen Verschiedenheiten bei den Pflanzen viel schwe- rer von den erworbenen zu unterscheiden sind, als bei den Thieren. Bei diesen unterliegt es keinem Zweifel, dass ange- borene und vererbbare individuelle Charaktere vorkom- men. Ganz besonders wichtig ist uns in dieser Beziehung der Mensch. Bei ihm ist unser Auge geübt, die kleinsten Verschiedenheiten scharf aufzufassen, ganz besonders die Gesichtszüge. Jedermann weiss, dass bestimmte Züge durch ganze Generationsfolgen gewisser Familien sich forterben — ich erinnere nur an die breite Stirn der Julier, das vorstehende Kinn der Habsburger, die gebogene Nase der Bourbonen. Beim Menschen also gibt es sicherlich erbliche individuelle Charaktere; mit derselben Sicherheit darf dies von allen unseren Hausthieren gesagt werden, und es ist nicht abzusehen, — 26 — warum wir an ihrer Existenz bei andern Thieren und bei den Pflanzen zweifeln sollten. Nun erhebt sich aber die Frage: Wie können wir ihr Vorhandensein erklären, wenn wir auf der Vorstellung einer Continuität des Keimplasnia's fussen, wenn wir die Annahme einer Vererbung erworbener Charaktere zu- rückweisen müssen? Wie können die Individuen einer und derselben Art verschiedenartige Charaktere erb- licher Natur annehmen, da doch alle Veränderungen, welche durch äussere Einflüsse an ihnen entstehen, ver- gänglicher Natur sind und mit dem Individuum wieder verschwinden ? Warum unterscheiden sich die Individuen nicht blos durch jene flüchtigen Verschiedenheiten, welche wir vorhin als passante bezeichneten, und wodurch entstehen jene tiefersitzenden erblichen individuellen Merkmale, wenn sie doch durch die äussern Einflüsse, welche das Individuum treffen, nicht hervorgerufen werden können ? Man wird zunächst daran denken, dass verschieden- artige äussere Einflüsse nicht nur das fertige oder in Entwicklung begriffene Individuum selbst treffen können, sondern auch schon die Keimzelle, aus der es sich dereinst entwickeln wird. Es erscheint denkbar, dass solche Einflüsse auch verschiedenartige kleine Ab- änderungen in der molekularen Struktur des Keimplas- ma's hervorrufen könnten. Da das Keimplasma — unserer Annahme gemäss — sich von einer Generation auf die andere überträgt, so müssten also solche Veränderungen erbliche sein. ohne das Vorkommen solcher direkt die Keime — 27 - verändernden Einflüsse ganz in Abrede zu stellen, rauss ich doch glauben, dass sie am Zustandekommen erblicher individueller Charaktere keinen Antheil haben. Das Keimplasma, oder — wenn man lieber will — das Idioplasma der Keimzelle ist zwar gewiss in seiner feinsten Struktur äusserst komplizirt, aber trotzdem doch eine Substanz von ungemein grossem Be- harrungsvermögen, eine Substanz, die sich ernährt und wächst bis ins Ungeheure, ohne aber dabei im Ge- ringsten ihre komplizirte Molekularstruktur zu ändern. Wir dürfen dies mit Nägeli mit aller Bestimmtheit behaupten, obwohl wir direkt von dieser Struktur Nichts erfahren können. Wenn wir aber sehen, dass manche Arten Jahrtausende hindurch sich fortgepflanzt haben, ohne sich zu verändern, — ich erinnere nur an die heiligen Thiere der alten Aegypter, deren einbalsamirte Körper doch zum Theil 4000 Jahre alt sein müssen — so beweist uns dies, dass ihr Keimplasma heute noch genau dieselbe Molekularstruktur besitzt, die es vor 4000 Jahren besessen hat. Da nun ferner die Menge von Keimplasma, welche in einer einzelnen Keimzelle enthalten ist, sehr gering angenommen werden muss, und da davon wiederum nur ein sehr kleiner Bruchtheil un- verändert bleiben kann, wenn die betreffende Keimzelle sich zum Thier entwickelt, so muss also schon innerhalb jedes einzelnen Individuums ein ganz enormes Wachs- thum dieses kleinen Bruchtheils an Keimplasma statt- finden. Entstehen doch in jedem Individuum in der Regel Tausende von Keimzellen. Es ist deshalb Dicht zu viel gesagt, dass das Wachsthum des Keimplasma's — 28 — beim ägyptischen Ibis oder dem Krokodil in jenen 4000 Jahren ein geradezu unermessliches gewesen sein muss. In den Pflanzen und Thieren, welche zugleich die Alpen und den hohen Norden bewohnen, haben wir aber Bei- spiele von Arten, die noch viel längere Zeiträume hin- durch, nämlich seit der Eiszeit, unverändert geblieben sind, bei welchen also das Wachsthum des Keimplasma's ein noch viel grösseres gewesen sein muss. Wenn nun trotzdem die Molekularstruktur des Keim- plasma's völlig dieselbe geblieben ist, so muss dieselbe nicht leicht veränderbar sein, und es bleibt wenig Aus- sicht, dass die flüchtigen kleinen Verschiedenheiten in der Ernährung, wie sie ja allerdings die Keimzellen so gut als jeden andern Theil des Organismus treffen werden, eine wenn auch noch so kleine Veränderung seiner Mole- kularstruktur hervorrufen sollten. Sein Wachsthum wird bald schneller, bald weniger schnell vor sich gehen, aber seine Struktur wird davon um so weniger berührt werden, als diese Einflüsse meist wechselnder Natur sind, bald in dieser und bald in einer andern Richtung erfolgen. Die erblichen individuellen Unterschiede müssen also eine andere Wurzel haben. Ich glaube, dass sie zu suchen ist in der Form der Fortpflanzung, durch welche die meisten der heute lebenden Organismen sich vermehren: in der sexuellen, oder — wie wir mit Häckel sagen können — in der amphigonen Fortpflanzung. Dieselbe beruht bekanntlich auf der Verschmelzung zweier gegensätzlicher Keimzellen oder vielleicht auch nur ihrer Kerne; diese Keimzellen enthalten die Keim- — 29 — Substanz, das Keimplasma, und dieses wiederum ist ver- möge seiner spezifischen Molekularstruktur der Träger der Vererbungstendenzen des Organismus, von welchem die Keimzelle herstammt. Es werden also bei der amphi- gonen Fortpflanzung zwei Vererbungstendenzen gewisser- massen miteinander gemischt. In dieser Vermisch- ung sehe ich die Ursache der erblichen indi- viduellen Charaktere und in der Herstellung dieser Charaktere die Aufgabe der amphi- gonen Fortpflanzung. Sie hat das Material an individuellen Unterschieden zu schaffen, mittelst dessen Selektion neue Arten her- vorbringt. Das klingt vielleicht sehr überraschend und im ersten Augenblick wohl gar ganz unglaublich. Man möchte doch eher geneigt sein, zu glauben, dass eine fortgesetze Ver- mischung etwa schon vorhandener Unterschiede, wie sie durch Amphigonie gesetzt wird, nicht zu einer Steiger- ung dieser Unterschiede, sondern zu einer Absch wäch- u n g und allmählichen Ausgleichung derselben führen müsse, und es ist auch in der That die Meinung schon ausgesprochen worden, die sexuelle Fortpflanzung habe die Folge, die Abirrungen vom Speciescharakter rasch wieder zu verwischen. In Bezug auf die Speciescha- raktere mag dies auch richtig sein, weil Abweichungen von ihnen so selten vorkommen, dass sie der grossen Masse normal gebauter Individuen gegenüber nicht Stand halten können. Bei den kleinen Verschiedenheiten aber, welche die Individuen charakterisiren , ist dies anders, weil eben jedes Individuum sie besitzt, nur wieder in — 30 — andrer Weise. Hier könnte ein Ausgleich der Verschie- denheiten nur dann eintreten, wenn wenige Individuen schon die ganze Species ausmachten. Die Zahl der Indi- viduen aber, welche zusammen eine Art darstellen, ist im Allgemeinen nicht nur eine sehr grosse, sondern für die Rechnung geradezu eine unendlich grosse. Eine Kreu- zung Aller mitAllen ist unmöglich und deshalb auch eine Ausgleichung der individuellen Unterschiede. Um die Wirkung der sexuellen Fortpflanzung klar zu legen, nehmen wir zuerst einmal an, die Fortpflanzung sei eine monogone, eingeschlechtliche, wie solche ja in der Parthenogenese thatsächlich vorkommt; ein jedes In- dividuum bringe also Keimzellen hervor, von denen eine jede allein für sich zu einem neuen Individuum werde. Denken wir uns eine Art, deren Individuen völlig gleich sind, so werden auch ihre Nachkommen durch beliebig viele Generationen hindurch gleich bleiben müssen , wenn wir absehen von jenen passanten Unterschieden, wie sie durch verschiedene Ernährung u. s. w. hervorgerufen werden, ohne aber vererbbar zu sein. Die Individuen dieser Art würden also thatsäch- lich zwar verschieden sein können, virtuell aber den- noch identisch sein; d.h. der Ausführung nach wür- den sie verschieden sein können, der Anlage nach müssten sie aber alle identisch sein; die Keime aller müss- ten genau dieselben Vererbungstendenzen enthalten, und wenn es möglich wäre, sie unter genau denselben Ein- flüssen sich entwickeln zu lassen, so müssten sie auch völlig identische Individuen aus sich hervorgehen lassen. Verändern wir nun die Annahme dahin, dass die — 3i — Individuen der monogam, also ohne Kreuzung sich fort- pflanzenden Art sich nicht nur durch passante, sondern durch erbliche Charaktere unterschieden. Dann würde jedes Individuum Nachkommen hervorbringen, die die gleichen erblichen Verschiedenheiten besässert, die es selbst besitzt; es würden also von jedem Individuum Generationsfolgen ausgehen , deren einzelne Individuen alle virtuell identisch wären mit ihren ersten Vorfahren. Immer wieder die nämlichen individuellen Unterschiede würden sich in jeder Generation wiederholen, und wenn alle Nachkommen auch zur Fortpflanzung gelangten, so müssten schliesslich so viele Gruppen virtuell gleicher Individuen vorhanden sein, als anfangs einzelne Indivi- duen vorhanden waren. Aehnliche Fälle kommen in Wirklichkeit vor, bei manchen Gallwespen, bei gewissen niedern Krustern, über- haupt bei manchen Arten, bei welchen die sexuelle Fort- pflanzung ganz durch die parthenogenetische verdrängt worden ist ; sie unterscheiden sich aber alle in dem einen und wichtigen Punkte von unserem hypothetischen Falle, dass bei ihnen niemals alle Nachkommen auch zur voll- kommenen Entwickelung und zur Fortpflanzung gelangen, dass vielmehr im Allgemeinen die meisten Nachkommen vorher zu Grunde gehen, und nur etwa so viele Indivi- duen zur Nachzucht übrig bleiben, als auch in der vor- hergehenden Generation zur Fortpflanzung gelangten. Es fragt sich nun , ob eine solche Art Selek- tion sprocesse eingehen kann. Setzen wir den Fall, es handle sich um ein Insekt, das im grünen Laub lebt und das dort durch die grüne Farbe seines Körpers — 32 — Schutz vor Entdeckungen geniesst. Die erblichen indi- viduellen Unterschiede sollen in verschiedenen Nuancen von Grün bestehen. Gesetzt nun diese Art würde im Laufe der Zeit durch das Aussterben ihrer bisherigen Futterpflanze genöthigt, auf einer andern und etwas an- ders grün gefärbten Pflanze zu leben, so würde sie nun diesem andern Grün nicht mehr vollkommen angepasst sein. Sie würde also — um nicht immer stärker durch ihre Verfolger dezimirt zu werden, und so einem lang- samen, aber sicheren Untergang entgegenzutreiben — bildlich gesprochen, sich bemühen müssen, ihre Farbe dem Grün der neuen Nährpflanze genauer anzu- passen. Man sieht leicht ein, dasssie dazu ganz und gar ausser Stande ist. Ihre erblichen Variationen bleiben Generation auf Generation stets dieselben; wenn also nicht schon von vornherein die erforderliche Nu- ance von Grün bei einem Individuum vorhanden war , so kann sie auch nicht hervorgebracht werden. Wäre sie aber bei Einzelnen vorhanden, dann würden nach und nach die anders gefärbten Individuen aussterben und nur die mit dem richtigen Grün würden übrig bleiben. Das wäre dann aber keine Anpassung im Sinne der Selek- tionstheorie ; es wäre allerdings auch eine Auslese, aber es würde doch nur den Anfang des Processes darstellen, den wir als Selektionsprocess bezeichnen. Wenn dieser nichts mehr leisten könnte, als vorhandene Merkmale zur Alleinherrschaft zu bringen, dann wäre er keiner grossen Beachtung werth, denn dann könnte niemals durch ihn eine neue Art entstehen. Niemals schliesst — 33 — eine Art von vornherein schon solche Individuen in sich ein, die soweit von den übrigen abweichen, wie die Indi- viduen der nächst verwandten Art von ihr abstehen, und noch viel weniger könnte man daran denken, mit diesem Princip die Entstehung der ganzen Organismenwelt zu erklären. Da müssten ja in der ersten Art schon alle übrigen Arten als Variationen enthalten gewesen sein. Selektion muss unendlich viel mehr leisten, wenn sie als Entwicklungsprinzip Bedeutung haben soll. Sie muss im Stande sein, die kleinen gegebenen Unterschiede in der Richtung des angestrebten Zieles zu summiren und so neue Charaktere zu schaffen. In unserm Beispiel müsste sie im Stande sein, diejenigen Individuen, deren Grün dem verlangten Grün am nächsten käme, zu erhal- ten, und ihre Nachkommen mehr und mehr diesem Ideal zuzuführen. Grade davon kann aber bei der ungeschlechtlichen Art der Fortpflanzung keine Rede sein. Mit andern Wor- ten: Selektionsprozesse im eigentlichen Sinn des Wortes, solche die neue Charaktere liefern durch all- mähliche Steigerung bereits vorhandner, sind nicht möglich bei Arten mit ungeschlechtlicher Fortpflanzung. Wenn jemals nachgewiesen würde, dass eine durch reine Parthenogenese sich fortpflanzende Art zu einer neuen umgewandelt worden wäre, so wäre damit zugleich der Beweis geführt, dass es noch andre Umwandlungskräfte gibt, als Selektionsprozesse, denn durch Selektion könnte sie nicht entstanden sein. Wenn hier überhaupt eine Auswahl der Individuen im Kampf ums Dasein eintritt, dann führt sie zum Ueberleben einer 3 — 34 — Individuengruppe und zur Vernichtung aller übrigen. In unserm Beispiel würde nur diejenige Gruppe von Indivi- duen übrig bleiben, deren Urahn schon die richtige Nuance von Grün besessen hätte : — damit wären denn aber zu- gleich wieder alle erblichen, individuellen Charaktere ge- schwunden, da diese ja — unserer Voraussetzung gemäss — von Anfang an innerhalb der einzelnen Gruppen gefehlt haben. Wir kommen so zu dem Resultat, dass mono- game Fortpflanzung nie im Stande ist, erbliche indivi- duelle Variabilität zu veranlassen, dass sie dagegen sehr wohl zu ihrer gänzlichen Beseitigung führen kann. Alles dies verhält sich ganz anders bei der sexu- ellen Fortpflanzung. Sobald hier ein Anfang indi- vidueller Verschiedenheit gegeben ist, so kann nie wieder Gleichheit der Individuen eintreten, ja die Verschieden- heiten müssen sich sogar im Laufe der Generationen steigern, nicht im Sinne grösserer Unterschiede, wohl aber indem immer neuer Kombinationen der individuellen Charaktere. Beginnen wir hier mit derselben Annahme einer Anzahl von Individuen, die sich voneinander durch einige erbliche individuelle Charaktere unterscheiden, so wird schon in der folgenden Generation kein Individuum dem andern gleich sein können, sie werden alle verschie- den sein müssen, und zwar nicht blos th atsächlich, 'Klein auch virtuell, nicht blos der zufälligen Aus- führung nach, sondern auch der Anlage nach. Es wird auch keiner der Nachkommen mit einem der Vor- fahren identisch sein können, da ja Jeder die Vererbungs- Tendenzen zweier Vorfahren, der Aeltern, in sich vereinigt — 35 - und sein Organismus somit gewissermassen ein Kompro- miss zwischen diesen beiden Entwicklungs-Tendenzen sein wird. In der dritten Generation treffen dann die Vererbungs-Tendenzen zweier Individuen der zweiten Generation zusammen. Da aber deren Keimplasma kein einfaches mehr ist, sondern bereits aus zwei indi- viduell verschiedenen Sorten von Keimplasma zusammen- gesetzt ist, so wird also ein Individuum der dritten Ge- neration durch einen Kompromiss von vier verschiedenen Vererbungs-Tendenzen entstehen. In der vierten Genera- tion müssen 8, in der fünften 16, in der sechsten 32 ver- schiedene Vererbungs-Tendenzen zusammentreffen. Eine jede von diesen wird sich in diesem oder jenem Theil des auszubauenden Organismus stärker oder schwächer geltend machen, und so wird schon in der sechsten Ge- neration eine Menge der verschiedensten Kombinationen der individuellen Merkmale der Ahnen zum Vorschein kommen , Kombinationen , wie sie weder vorher je dage- wesen waren , noch später jemals wiederkehren können. Wir wissen nicht, auf wie viele Generationen hinaus sich die spezifischen Vererbungs-Tendenzen der ersten Generation noch geltend machen können ; manche That- sachen scheinen dafür zu sprechen, dass ihre Zahl gross ist; jedenfalls wohl ist sie grösser als sechs. Wenn wir nun bedenken, dass schon in der zehnten Generation 1020 verschiedenartige Keimplasmen mit den ihnen inne- wohnenden Vererbungs-Tendenzen in einem Keim zu- sammentreffen würden, so können wir nicht zweifeln, dass bei fortgesetzter sexueller Fortpflanzung sich nie- mals genau dieselben Kombinationen individueller Merk- 3* - 36 - male wiederholen werden, sondern immer wieder neue entstehen müssen. Zu diesem Resultate trägt vor Allem auch der Um- stand bei, dass die verschiedenen Idioplasmen, welche das Keimplasma der Keimzellen eines bestimmten Indi- viduums zusammensetzen, zu verschiedener Zeit seines Lebens in verschiedener Intensität vorhanden sind, oder mit anderen Worten, dass die Intensität dieser einzelnen Idioplasmen eine Funktion der Zeit ist. Wir müssen das aus der Thatsache schliessen, dass die Kinder derselben Aeltern niemals gleich sind, dass in dem einen mehr die Merkmale des Vaters, in dem andern die der Mutter, oder der Grossmutter, oder des Urgrossvaters hervortreten. So führt uns denn diese Ueberlegung dahin, dass durch sexuelle Fortpflanzung schon in wenigen Genera- tionen eine grosse Anzahl wohlmarkirter Indi- vidualitäten hervorgehen muss, selbst in dem einst- weilen einmal stillschweigend angenommenen Fall einer vorfahrenlosen ersten Generation mit nur wenigen individuellen Merkmalen. Nun entstehen aber Organis- men, die sich auf sexuellem Wege fortpflanzen, niemals vorfahrenlos, sie haben Vorfahren, und falls diese be- reits auch die sexuelle Fortpflanzung besessen haben, so befindet sich also jede Generation einer Art in dem Zustand, den wir vorhin für die zehnte oder irgend eine noch spätere Generation angenommen haben, d. h. jedes Individuum enthält bereits ein Maximum von Vererbungs- Tende&zen in sich und eine unendliche Mannigfaltigkeit der überhaupt möglichen individuellen Merkmale (6). — 37 — Damit haben wir aber die erbliche indivi- duelle Variabilität, wie wir sie vom Menschen und den höheren Thieren her kennen, und wie die Theorie sie braucht zur Umwandlung der Arten mittelst Se- lektion. Ehe ich weiter gehe, muss ich aber jetzt eine nahe- liegende Frage zu beantworten suchen. Ich bin in meiner Darlegung ausgegangen von einer ersten Generation, welche bereits individuelle Merkmale besass. Woher stammen diese? Sind wir genöthigt, sie einfach als gegeben anzunehmen, ohne auf ihre Wurzel zurückgehen zu können? In diesem Falle würden wir das Problem der erblichen Variabilität nicht völlig gelöst haben. Wir haben zwar gezeigt, dass erbliche Unterschiede, wenn sie überhaupt einmal aufgetreten sind, durch sexuelle Fortpflanzung zu der Mannigfaltigkeit ausgebildet werden musste, wie wir sie thatsächlich beobachten, aber es fehlt noch der Kachweis, woher sie stammen. Wenn die äusseren Einflüsse, welche die Organismen selbst treffen, nur passante Unterschiede an ihnen hervorrufen können, wenn andererseits solche äussere Einflüsse, die die Keim- zelle treffen, eine Veränderung ihrer Molekülarstruktur höchstens dann bewirken könnten, wenn sie sehr lange Zeiträume hindurch einwirken, so scheinen die Möglich- keiten für die Herleitung der erblichen Unterschiede erschöpft. Ich glaube indessen, wir brauchen die Antwort auf die gestellte Frage nicht schuldig zu bleiben. Der Ur- sprung der erblichen individuellen Variabilität kann allerdings nicht bei den höheren Organismen, den Me- - 38 - tazoen und Metaphyten liegen, er ist aber bei den niedersten Organismen zu finden, bei den Einzelligen. Bei diesen besteht ja noch nicht der Gegensatz von Körper- und Keimzellen ; sie pflanzen sich durch Theilung fort. Wenn nun ihr Körper im Laufe seines Lebens durch irgend einen äussern Einfluss ver- ändert wird, irgend ein individuelles Merkmal bekommt, so wird dies auf seine beiden Theilsprösslinge übergehen. Wenn z. B. ein Moner durch häufiges Ankämpfen gegen Wasserströmungen die Sarkode seines Körpers etwas derber, resistenter oder auch stärker anhaftend gemacht hätte als viele andere Individuen seiner Art, so würde sich diese Eigenthümlichkeit auf seine beiden Nach- kommen direkt fortsetzen, denn diese sind ja zunächst nichts anderes als seine beiden Hälften ; jede im Laufe seines Lebens auftretende Abänderung, jeder irgendwie entstandene individuelle Charakter müsste sich noth wendig auf seine Theilspröss- linge direkt übertragen. Wenn der Klavierspieler, dessen ich vorhin schon gedachte, seine Finger-Muskulatur durch Uebung zur höchsten Schnelligkeit und Kraftentwicklung herange- bildet hat, so ist dies ein durchaus passanter Charakter, eine Ernährungs-Modifikation , die sich nicht auf seine Kinder forterbt, weil sie eben nicht im Stande ist, irgend eine Veränderung in der Molekülarstruktur seiner Keim- zellen hervorzurufen, geschweige denn gerade die ad- äquate, d. h. diejenige Veränderung, welche zur Ent- wicklung der veränderten Charaktere des Vaters in dem Kinde führen müsste. — 39 - Beim niedersten Einzelligen ist das noch anders. Hier ist Elter und Kind in gewissem Sinn noch ein und dasselbe Wesen, das Kind ist ein Stück vom Elter und zwar gewöhnlich die Hälfte. Wenn also überhaupt die Individuen einzelliger Arten von verschiedenen äusseren Einflüssen getroffen werden, und wenn diese verändernd auf sie einwirken können , dann ist das Auftreten erb- licher individueller Unterschiede bei ihnen unvermeidlich. Beide Voraussetzungen aber sind unbestreitbar. Auch lässt sich direkt beobachten, dass individuelle Unter- schiede bei Einzelligen vorkommen, Unterschiede der Grösse, der Farbe, Form, Bewimperung. Freilich hat man bis jetzt darauf nicht weiter geachtet, auch sind unsere besten Mikroskope so kleinen Organismen gegen- über recht grobe Beobachtungsmittel, immerhin aber kann es nicht zweifelhaft sein, dass die Individuen einer Art nicht absolut gleich sind. So läge denn die Wurzel der erblichen individuellen Unterschiede wieder in den äusseren Einflüssen, welche den Organismus direkt verändern, aber nicht auf jeder Organisationshöhe — wie man bisher zu glauben geneigt war — kann auf diese Weise erbliche Variabilität entstehen, vielmehr nur auf der niedersten, bei den ein- zelligen Wesen. Sobald aber einmal bei diesen die Ungleichheit der Individuen gegeben war, musste sie sich bei der Entstehung der höheren Organismen auf diese übertragen. Indem nun gleichzeitig die amphigone sexuelle Fortpflanzung sich ausbildete, verschärfte und ' i /► 9 V — 4o — vervielfachte sie die überkommene Ungleichheit und er- hielt sie in immer wechselnden Kombinationen. Sie verschärfte sie, weil bei der steten Kreuzung von je zwei Individuen nothwendig und wiederholt der Fall eintreten muss, dass gleiche Anlagen in Bezug auf die Beschaffenheit eines bestimmten Körpertheils zu- sammentreffen. Wenn aber z. B. derselbe Körpertheil bei beiden Aeltern stark ausgebildet ist, so wird er nach den Erfahrungen der Züchter geneigt sein , bei den Kindern in noch stärkerer Ausbildung aufzutreten, und umgekehrt ein schwach ausgebildeter in noch schwächerer. Die amphigone Fortpflanzung muss also die Folge haben, dass ein jeder Charakter der Art, der überhaupt individuellen Schwankungen unterworfen ist, in vielen Individuen in verstärkter, in vielen anderen in abgeschwächter, in noch zahlreicheren in einem mittleren Ausbildungsgrad anzutreffen ist. Damit aber ist das Material gegeben, mittelst dessen Se- lektion jeden Charakter je nach Bedürfniss weiter steigern oder weiter abschwächen kann, indem sie durch Beseitigung der minder passenden Individuen die Chance geeigneter Kreuzungen von Generation zu Generation steigert. Theoretisch aber wird man zugeben, dass, wenn ein«; Art existirte, die nur eine kleine Anzahl indivi- dueller Unterschiede besässe, die aber bei verschiednen Individuen verschiedne Theile beträfen, diese Anzahl l> mit jeder Generation vermehren müsste, und zwar lange, bis alle Theile, an denen überhaupt Variationen vorkamen, bei allen Individuen ihr besonderes, indivi- duelles Gepräge erhalten hätten. / — 4i — Sexuelle Fortpflanzung muss aber weiterhin die mindestens ebenso wichtige Folge haben, die vorhandenen^ Unterschiede zu vermehren und sie stets wieder neu zu kombiniren. Das Erstere wird bei den heute bestehenden Arten kaum noch der Fall sein können, weil bei ihnen kein Theil mehr ohne individuelles Gepräge sein wird. Viel wichtiger ist der zweite Punkt, die Erzeugung im- mer neuer Kombinationen von individuellen Merk- malen durch die sexuelle Fortpflanzung. Denn wir müssen uns vorstellen — wie auch schon Darwin es ausgesprochen hat — dass bei dem Züchtungsprozess der Natur nicht bloss einzelne Merkmale umgeändert werden, sondern wohl immer mehrere, vielleicht sogar zahlreiche zu gleicher Zeit. Es gibt keine zwei noch so nahe verwandte Arten, welche sich nur in einem einzigen Charakter unterschieden; auch für unser nicht besonders scharfes Auge sind der unterscheidenden Merk- male immer mehrere, oft viele, und wenn wir im Stande wären, in absoluter Schärfe zu vergleichen, würden wir wahrscheinlich Alles an zwei nahestehenden Arten ver- schieden finden. Nun beruht allerdings ein grosser Theil dieser Unterschiede auf Korrelation, aber ein anderer Theil muss auf gleichzeitiger primärer Abänderung be- ruhen. Ein oft genannter grosser Schmetterling der ostindischen Wälder, die Kallima paralecta, gleicht in sitzender Stellung sehr täuschend einem welken Blatt, nicht nur in der Farbe, sondern auch in einer Zeich- ■ _ 42 — nung, welche die Rippen des Blattes nachahmt. Nun setzt sich aber diese Zeichnung aus zwei Stücken zu- sammen, von welchen das obere auf dem Vorderflügel das untere auf dem Hinterflügel steht. Die beiden Flügel müssen also vom Schmetterling in der Ruhe so gehalten werden, dass die beiden Stücke der Zeichnung genau aufeinanderpassen , andernfalls würde die Zeich- nung dem Schmetterling nichts nützen. Wirklich hält auch der Schmetterling die Flügel so, wie es nöthig ist, natürlich unbewusst dessen , was er thut. Es ist also in seinem Gehirn ein Mechanismus vorhanden, der ihn dazu zwingt. Nun ist es klar, dass dieser Mechanismus sich erst ausgebildet haben kann, als die Flügelhaltung für den Schmetterling wichtig wurde, d. h. als die Aehn- lichkeit mit einem Blatt bereits im Werden war, und umgekehrt konnte diese Aehnlichkeit mit dem Blatt sich erst ausbilden, als der Schmetterling die Gewohnheit annahm, seine Flügel in der bestimmten Weise zu halten. Beide Charaktere müssen sich also gleichzeitig und in Gemeinschaft miteinander ausgebildet und gesteigert haben, die Zeichnung, indem sie aus einer ungefähren Aehnlichkeit zu einer immer genaueren Lage des Blattes fortschritt, die Flügelhaltung, indem sie sich immer ge- nauer auf eine ganz bestimmte Stellung präzisirte. Es muss also hier gleichzeitig eine Züchtung gewisser feinster Strukturverhältnisse des Nervensystems und eine solche der Vcrtheilung der Farbstoffe auf dem Flügel stattge- funden haben, und es werden also solche Individuen zur Nachzucht ausgewählt worden sein, welche nach beiden Richtungen hin Brauchbares lieferten. — 43 — • Solche Kombinationen der geforderten Merk- male zu bieten, ist offenbar die sexuelle Fortpflanzung leicht im Stande, da sie ja fortwährend die verschiedensten Charaktere durcheinander mischt, und darin scheint mir in der That eine ihrer bedeutendsten Wirkungen zu liegen. Ueberhaupt wüsste ich der sexuellen Fortpflanzung keine andere Bedeutung beizumessen, als die, das Ma- terial an erblichen individuellen Charakteren zu schaffen, mit welchen die Selektion arbeiten kann. Die sexuelle Fortpflanzung ist so allgemein verbreitet unter allen Abtheilungen der vielzelligen Pflanzen und Thiere, die Xatur geht so selten, man möchte sagen so ungern von ihr ab, dass ihr nothwendig eine ganz hervorragende Bedeutung innewohnen muss. Wenn aber in der That Selektionsprozesse es sind, welche neue Arten hervorbringen, dann beruht ja die Entwicklung der ge- sammten Organismenwelt auf diesen Prozessen, und dann ist in der That die Rolle, welche Amphigonie in der Natur zu spielen hätte, indem sie die Selektionsprozesse bei den vielzelligen Organismen ermöglicht, nicht nur keine unbedeutende, sondern vielmehr eine der denkbar grossartigsten. Wenn ich aber sage, die sexuelle Fortpflanzung habe die Bedeutung, die Umgestaltung der höheren Organis- men zu ermöglichen, so ist das nicht etwa gleichbe- deutend mit der Behauptung, die sexuelle Fortpflanzung sei entstanden, um die Artbildung möglich zu machen. Ihre Wirkung kann nicht zugleich ihre Ursache sein ; erst rausste sie da sein, ehe sie die erb- liche Variabilität hervorrufen konnte. Ihr erstes Auf- — 44 — treten muss also eine andere Ursache gehabt haben. Welches diese war, das kann heute wohl Niemand schon mit Sicherheit und in präciser Weise sagen. Die Lösung des Räthsels liegt in dem Vorläufer der eigentlichen sexuellen Fortpflanzung, in der Konjugation der Einzelligen. Die Verschmelzung zweier einzelliger Individuen zu Einem, wie sie die einfachste und also wohl ursprünglichste Form der Konjugation darstellt, muss eine direkte und unmittelbare Wirkung haben, welche von Nutzen für die Existenz der betreffenden Art ist. Vermuthungen Hessen sich darüber wohl aufstellen, und es ist vielleicht nicht ohne Nutzen, sie etwas näher ins Auge zu fassen. Biologen von der Bedeutung Vic- tor Hensen's1) und Eduard van Beneden's2) haben geglaubt, die Conjugation sowie ganz allgemein die sexuelle Fortpflanzung als eine „Verjüngung des Lebens" auffassen zu sollen. Auch Bütschli vertritt diese Anschauung wenigstens in Bezug auf die Conjuga- tion. Diese Forscher stellen sich vor, die wunderbare Erscheinung des Lebens, die ja in ihren tieferen Ursachen noch immer als ein Räthsel vor uns liegt, könne nicht aussichselbsthe raus ins Unbegrenzte weiterdauern, das Uhrwerk bleibe nach längerer oder kürzerer Zeit stille stellen, die Vermehrung der auf rein ungeschlecht- lichem Wege sich fortpflanzenden Organismen höre zuletzt li S. Hermann'fl ..Handbuch d. Physiologie" Theil II, „Physio- logie der Zeugung" von V. Heusen. E van Beneden, „Recherches sur la maturation de l'oeuf, la fecondation <-.t la division oellulaire." Gand u. Leipzig 1883 s. 404 u. f. — 45 - auf, etwa so, wie das Leben des Einzelnen schliesslich aufhört oder wie ein in Umdrehung begriffenes Rad in Folge der Reibung schliesslich still steht und eines neuen Anstosses bedarf, um sich weiter zu drehen. Damit die Fortpflanzung ununterbrochen fortdauere, sei eine „Ver- jüngung" der lebendigen Substanz nöthig, ein Auf- ziehen des Uhrwerks der Fortpflanzung und diese „Ver- jüngung14 sehen jene Forscher in der sexuellen Fort- pflanzung und in der Conjugation, also in der Vereinigung zweier Zellen, der Keimzellen oder zweier einzelliger Organismen. Edouard van Beneden drückt dies folgender- massen aus: „II semble que la faculte que possedent les cellules, de se multiplier par division soit limitee: il ar- rive un moment oü elles ne sont plus capables de se diviser ulterieurement, ä moins qu'elles ne subis- sent le phenomene durajeunissement par le fait de la fecondation. Chez les animaux et les plantes les seules cellules capables d'etre rajeunies sont les oeufs; les seules capables de rajeunir sont les spermatocytes. Toutes les autres parties de Findividu sont vouees ä la mort. La fecondation est la condition de la continuite dela vie. Par eile le generateur echappe ä la mort." (A. a. 0. p. 405). Nach Victor Hensen aber lässt sich der Satz vertheidigen : „Durch die nor- male Befruchtung wird der Tod vom Keim und dessen Produkten ferngehalten." Das bis zur Entdeckung der Parthenogenese „angenommene Gesetz," dass das Ei be- fruchtet werden müsse, gelte zwar jetzt nicht mehr, - 46 - aber man sei gezwungen, die Hypothese zu machen, „dass dennoch nach vielen Generationen selbst das am mei- sten parthenogenetische Ei einer Befruchtung bedürfen" werde. (A. a. O. p. 236). Wenn man dieser Anschauung auf den Grund geht, so ist sie eigentlich nichts Anderes, als eine Uebersetz- ung der Thatsache, dass die sexuelle Fortpflanzung unbe- grenzt fortdauert — soweit wir sehen können. Daraus und aus ihrer allgemeinen Verbreitung wird geschlossen, dass ungeschlechtliche Fortpflanzung nicht unbegrenzt fortdauern würde, falls sie bei einer Thierart zur alleini- gen Fortpflanzungsart geworden wäre. Der Beweis für diesen letzteren Satz kann aber nicht beigebracht werden, und man würde vielleicht überhaupt nicht dazu gekom- men sein, ihn aufzustellen, wenn man die Allgemeinheit der sexuellen Fortpflanzung auf eine andre Weise zu erklären gewusst, wenn man dieser offenbar überaus be- deutungsvollen Einrichtung eine andere Bedeutung zuzu- schreiben gewusst hätte. Aber auch abgesehen von der Unmöglichkeit eines Beweises scheint mir die Verjüngungs-Theorie doch auch wenig befriedigend. Der ganze Begriff der „Verjüngung" hat etwas Unbestimmtes, Nebelhaftes, die Vorstellung von der Notwendigkeit einer Verjüngung des Lebens, so geistreich sie ist, lässt sich wohl nur schwer mit unsern sonstigen, auf rein physikalische und mechanische Trieb- kräfte abzielenden Vorstellungen vom Leben vereinigen. Wie soll man es sieh denken, dass ein Infusorium, wel- ches durch fortgesetzte Zweitheilung seine Fortpflanzungs- — 47 — fähigkeit zuletzt eingebüsst hätte, dieselbe dadurch wieder- erlangt, dass es mit einem andern, ebenfalls zu weiterer Zweitheilung unfähig gewordenen Individuum sich ver- einigt und zu einem Individuum verschmilzt? Zwei Mal Nichts kann nicht Eins geben, und wollte man annehmen, in jedem solchen Thier stecke nur */2 Fortpflanzungs- kraft, so würden die Beiden zusammen zwar Eins geben, aber man könnte das kaum eine „Verjüngung" nennen ; es wäre ganz einfach eine Addition, wie sie unter andern Umständen auch durch blosses Wachsthum erreicht wird — wenn wir jetzt einmal von dem in meinen Augen wich- tigsten Moment der Conjugation absehen : der Vermisch- ung zweier Vererbungstendenzen. Wenn der Begriff der Verjüngung Etwas bedeuten soll, so müsste durch die Conjugation eine lebendige Kraft erzeugt werden, welche vorher in den Einzelthieren nicht vorhanden war. Diese Kraft müsste aus Spannkräften entstehen, welche sich in den Einzelthieren während der Periode ihrer ungeschlecht- lichen Fortpflanzung angesammelt hätten, und diese müss- ten verschiedener Natur sein und so beschaffen, dass sie sich im Moment der Conjugation zur lebendigen Fort- pflanzungskraft verbänden ! Der Vorgang wäre etwa vergleichbar der Bewegung zweier Raketen, die durch einen in ihnen selbst gelegenen Explosivstoff, etwa Nitroglycerin, so fortgeschleudert wür- den, dass sie sich unterwegs einmal treffen müssten. Das Fortfliegen würde so lange andauern , bis alles Nitrogly- cerin vollständig verbraucht wäre, und es müsste dann Stillstand eintreten, wenn nicht während des Davon- - 48 - fliegens sich der explosive Stoff von Neuem wieder er- zeugte. Dies geschähe nun so, dass in der einen Rakete Salpetersäure, in der andern Glycerin gebildet würde, so dass beim Zusammentreffen wieder Nitroglycerin in der- selben Menge und in gleicher Vertheilung auf beide Raketen entstehen könnte, wie es beim Beginn der Be- wegung vorhanden war. So würde sich die Bewegung immer wieder mit der gleichen Geschwindigkeit erneuern und in alle Ewigkeit fortdauern können. Theoretisch lässt sich ja so Etwas ausdenken, aber bei der Uebertragung auf wirkliche Verhältnisse stösst man doch auf erhebliche Schwierigkeiten. Von allem Andern abgesehen, wie soll es möglich sein, dass das Nitroglycerin, also die Fortpflanzungskraft sich durch die fortgesetzte Theilung erschöpft und doch zugleich in ihrem einen Bestandteil , sich in demselben Körper und wäh- rend derselben Zeit wieder erzeugt? Der Verlust der Theilungsfähigkeit kann in letzter Instanz doch nur auf dem Verlust der Assimilation, der Ernährungs- und Wachsthumskraft beruhen, wie sollte aber diese abge- schwächt und schliesslich verloren gehen und doch zu- gleich dieselbe Kraft in ihrer einen Componente wieder angesammelt werden können? Ich glaube, ehe man zu so gewagten Annahmen scli reit et, ist es doch besser, sich mit der einfachen Vor- stellung zu begnügen, dass die Kraft unbegrenzter Assi- milation und damit auch unbegrenzter Fortpflanzungs- fälligkeit ein Attribut der lebendigen Materie ist, und dass die Form der Fortpflanzung, ob geschlechtlich, ob — 49 — ungeschlechtlich, an und für sich keinen Einfluss auf die Fortdauer dieses Processes hat, dass Kraft und Ma- terie auch hier unzertrennlich verbunden sind, und dass die Kraft kontinuirlich mit der Materie wächst. Das schliesst nicht aus, dass Verhältnisse eintreten können, unter welchen Beides nicht mehr geschieht. Zu der Vorstellung von der „Verjüngung" könnte ich mich nur dann entschliessen , wenn nachgewiesen würde, dass in der That eine Vermehrung durch Theilung niemals — nicht etwa blos unter bestimmten Bedingun- gen — ins Unbegrenzte fortgehen könne. Das kann aber nicht nachgewiesen werden, ebensowenig, als das Gegentheil. Soweit also ist der Boden des Thatsächlichen auf beiden Seiten gleich unsicher. Der Verjüngungs-Hy- pothese aber steht die Thatsache der Parthenogenese entgegen, denn wenn überhaupt die Befruchtung eine Verjüngung bedeutet und auf der Vereinigung diiferenter Kräfte und Stoffe beruht, welche dadurch Fortpflanzungs- kraft hervorbringen, dann ist nicht abzusehen, wieso die- selbe Fortpflanzungskraft gelegentlich auch einmal durch den einen Stoff allein (die Eizelle) gebildet werden kann. Logischerweise sollte das so wenig möglich sein, als dass Salpetersäure oder Glycerin, jedes allein für sich die Wirkung des Nitroglycerins ausübt! Man flüchtet sich nun freilich hinter die Annahme, dass in dem Fall der Jungfernzeugung „eine Befruchtung für eine ganze Keine von Generationen ausreiche," allein das ist nicht nur eine unerweisbare Annahme, sondern sie steht in Widerspruch mit der Thatsache, dass dasselbe Ei, welches sich 4 _ 5o - parthenogenetisch entwickeln kann, auch befruchtungsfähig ist. Wenn seine Fortpflanzungskraft hinreichte, um sich zu entwickeln, wieso kann es dann auch befruchtet werden, und wenn sie nicht hingereicht hätte, wieso kann es sich entwickeln ? Und doch kann ein und dasselbe Ei der Biene unbefruchtet oder befruchtet ein neues Thier aus sich hervorgehen lassen und man kann auch dadurch diesem Dilemma nicht entschlüpfen, dass man die weitere, eben- falls nicht zu beweisende Annahme macht, zur Entwick- lung eines männlichen Thieres gehöre weniger Fortpflan- zungskraft als zu der eines weiblichen. Allerdings gehen aus den unbefruchteten Eiern der Biene die Männchen, aus den befruchteten die Weibchen hervor, aber bei andern Arten verhält es sich umgekehrt, oder die Befruchtung steht in gar keiner Beziehung zum Geschlecht. Wenn aber die blosse Thatsache der Parthenogenese — wie mir wenigstens scheint — genügt, um die Verjün- gungstheorie zu widerlegen, so soll doch nicht unerwähnt bleiben, dass bei manchen Arten die parthenogenetische Fortpflanzung heute — wir wissen nicht, seit wie langer Zeit — die einzige Fortpflanzungsform ist, ohne dass wir auch nur die geringste Abnahme in der Fruchtbarkeit der betreffenden Arten bemerken könnten. Aus allen diesen Erwägungen geht wohl hervor, dass weder die jetzige, noch die ursprüngliche Bedeutung der Conjugation die eines „Verjüngungsprocesses" in dem oben bezeichneten Sinn gewesen sein kann, und es fragt sich, welche andere Bedeutung der Process in seinen ersten Anfängen gehabt haben mag? — 5* - Rolph1) sprach vor längerer Zeit den Gedanken aus, die Conjugation sei eine Art der Ernährung; die zwei zusammenfliessenden Individuen verzehrten sich ge- wissermassen. Auch Cienkowsky2) will in der Con- jugation nur eine beschleunigte Assimilation sehen. Allein zwischen dem Vorgang der Conjugation und dem der Ernährung besteht nicht nur ein wesentlicher Unterschied sondern gradezu ein Gegensatz! Hensen3) bemerkte zu der Cienkowsky'schen Ansicht sehr richtig: „die Ver- schmelzung an sich ist noch keine beschleunigte Ernäh- rung, weil selbst dann, wenn sich beide Individuen dabei ernähren wollten, doch keines von Beiden dabei ernährt wird, solange nicht das eine oder andere untergeht und dann wirklich gefressen wird." Damit ein Thier einem andern zur Nahrung diene, muss es getödtet , in flüssige gelöste Form gebracht und schliesslich assimilirt werden, hier aber treten die zwei Protoplasma-Leiber aneinander, und verschmelzen zusammen, ohne dass Eins von ihnen in gelöste Form überginge. Zwei Idioplasmen mit allen in ihnen enthaltenen Vererbungsten- denzen vereinigen sich. Wenn aber auch gewiss keine Ernährung im eigentlichen Sinne hier stattfindet, insofern keines der beiden Thiere durch die Verschmel- zung ein Plus von gelöster Nahrung erhält, so muss doch nach einer Richtung hin die Folge der Verschmel- zung eine ähnliche sein , wie sie auch durch Ernährung 1) Rolpb, „Biologische Probleme." Leipzig 1882. 2) Cienkowsky, Arch. f. mikr. Anat. IX, p. 47. 1873. 3) Hensen, „Physiologie der Zeugung." p. 139. 4* _ 52 - und Wachsthum eintreten würde: Die Körpermasse ver- mehrt sich und zugleich die Gesammtmenge der an sie gebundenen Kräfte, und es ist nicht undenk- bar, dass auf diese Weise, Leistungen ermöglicht werden, die unter den speciellen, grade ob- waltenden Verhältnissen ohnedies nicht hätten eintreten können. In dieser Richtung wird man wenigstens zu suchen haben, wenn man die ursprüngliche Bedeutung der Con- jugation und damit zugleich ihre phyletische Entstehung erforschen will. Soll aber jetzt schon eine vorläufige Formel für diese erste Wirkung und Bedeutung der Con- jugation gegeben werden, so würde ich sagen: die Con- jugation ist ursprünglich eine Stärkung der Kräfte des Organismus in Bezug auf Vermehrung, welche dann ein- trat, wenn aus äussern Gründen (Luft, Wärme, Nahrungs- Mangel u. s. w.) das Heranwachsen des Einzelthiers zu der dazu erforderlichen Grösse nicht möglich war. Dies kann nicht etwa als gleichbedeutend mit „Ver- jüngung" betrachtet werden, denn diese soll nothwendig zur Erhaltung der Fortpflanzung sein und müsste somit ganz unabhängig von äussern Umständen periodisch ein- treten, während in meinen Augen die Conjugation ursprüng- lich nur unter ungünstigen Lebensbedingungen eintrat und der Art über diese hinweg half. Welches nun aber auch die ursprüngliche Bedeutung der Conjugation gewesen sein mag, bei den höheren Pro- tozoen scheint dieselbe schon ganz in den Hintergrund getreten zu sein. Darauf deutet schon die Veränderung — 53 - im Verlauf des Processes selbst. Verschmelzen doch höhere Infusorien in der Conjugation in der Regel nicht vollständig und dauernd miteinander1), wie dies niedere Protozoen thun. Es scheint mir möglich, ja wahrschein- lich, dass bei diesen der Vorgang schon die volle Bedeu- tung der sexuellen Fortpflanzung hat und nur noch als Variabilitätsquelle in Betracht kommt. Mag sich dies aber so verhalten oder nicht, so viel scheint mir sicher, dass, sobald einmal Metazoen und Metaphyten bestanden, welche von den Einzelligen her die sexuelle Fortpflanzung überkommen hatten, diese nicht wieder auf die Dauer verloren gehen konnte. Wir wissen ja, dass Charaktere und Einrichtungen, die schon in einer Reihe von Ahnen bestanden haben, mit ungemeiner Zähigkeit weiter vererbt werden , auch wenn sie von einem unmittelbaren Nutzen für den Trä- ger nicht sind; die rudimentären Organe der verschie- densten Thiere und nicht zum wenigsten des Menschen geben uns davon eindringliches Zeugniss. Hat doch noch die jüngste Zeit wieder einen solchen Fall ans Licht gebracht, ich meine den Nachweis eines sechsten Fingers beim menschlichen Embryo2), eines 1) Bei der sog. „knospenförmigen Conjugation der Vorticellinen, Trichodinen u. s. w. findet Verschmelzung statt. 2) Vergl. 1. Bardeleben „Zur Entwicklung der Fusswurzel", Sitzungsber. d. Jen. Gesellschaft. Jahrg. 1885, 6. Febr. u. Verhandl. d. Naturforscherversammlung zu Strassburg, 1885, p. 203. 2. G. Baur „Zur Morphologie des Carpus und Tarsus der Wirbelthiere", Zool. An- zeiger, 1885 p. 326 u. 486. - 54 - Theils, der schon seit der Entstehung der Amphibien nur noch als Rudiment fortgeführt wurde1). Ueberaus langsam nur werden überflüssige Organe rudimentär, und ungeheure Zeiträume müssen vergehen, ehe sie voll- ständig geschwunden sind. Je älter aber ein Charakter ist, um so unvertilgbarer ist er dem Organismus einge- prägt. Darauf beruht ja eben das, was oben als „phy- sische Constitution der Art" bezeichnet wurde, das Ensemble von vererbten und einander angepassten, zu einem harmonischen Ganzen verwebten Charakteren. Diese specifische Natur des Organismus ist es, welche ihn in andrer Weise reagiren lässt gegen äussere Ein- flüsse, als irgend einen andern Organismus, welche es bedingt, dass er nicht in jeder beliebigen Weise sich verändern kann, sondern dass zwar sehr zahlreiche, aber doch nur bestimmte Variations- Möglichkeiten für ihn gegeben sind. Darauf beruht es ferner, dass nicht Cha- raktere aus der Constitution einer Art beliebig heraus- genommen und andre dafür eingesetzt werden können. Variationen eines Wirbelthiers ohne Wirbelsäule oder feste Achse können nicht vorkommen, nicht deshalb, weil die Wirbelsäule als Stütze des Körpers unentbehr- lich ist, sondern vielmehr deshalb, weil dieser Charakter seit undenklichen Zeiten vererbt und dadurch so be- festigt ist, dass eine Variation desselben in irgend einem höheren, die Existenz des Organs bedrohenden Grade 1) Bei Fn.Mhen existirt die sechste Zehe an den Hinterfüssen als rudimentärer Praehallux. Vergl. Born, Morpholog. Jahrhuch, Bd. I, 1876. — 55 — überhaupt nicht mehr vorkommen kann. Gerade die Auffassung von der Entstehung der erblichen Variabilität durch die amphigone Fortpflanzung macht es klar, dass der Organismus gewissermassen nur an seiner Oberfläche im Schwanken erhalten wird, während die von langeher ererbten Grundfesten seiner Constitution dadurch nicht berührt werden. So wird auch die sexuelle Fortpflanzung selbst, nachdem sie einmal ungezählte Protozoen-Generationen und -Arten hindurch in Form der Konjugation bestan- den hatte, nicht wieder aufgehört haben, auch wenn der ursprünglich damit verknüpfte physiologische Effekt an Wichtigkeit verlor oder ganz in den Hintergrund trat. Sie konnte aber um so weniger aufgegeben werden, wenn durch sie allein der unermessliche Vor- theil der Anpassungsfähigkeit der Art an neue Existenzbedingungen beibehalten wer- den konnte. Was unter den niederen Protisten auch ohne Amphigonie erreichbar war, die Bildung neuer Arten, das war bei den Metazoen und Metaphyten nur noch mit ihr zu erreichen. Erbliche Verschiedenheiten der Individuen konnten nur noch auf diesem Wege entstehen und sich erhalten. Aus diesem Grunde konnte die Amphi- gonie nicht wieder verschwinden, denn jede Art, die sie beibehielt, musste den andern, denen sie etwa verloren gegangen war, überlegen sein und sie im Laufe der Zeiten verdrängen, denn nur sie konnten sich den wechseln- den Bedingungen der Existenz fügen, sich neuen Ver- hältnissen anpassen. Je länger aber die sexuelle Fort- _ 56 - Pflanzung andauerte, um so fester musste sie sich der Art-Konstitution einfügen, um so schwerer konnte sie wieder verloren gehen. Dennoch ist sie in einzelnen Fällen verloren ge- gangen, wenn auch zunächst nur in bestimmten Ge- nerationen. So wechseln bei den Blattläusen und bei manchen niederen Krustern Generationen mit partheno- genetischer Fortpflanzung mit solchen ab, die sich noch auf sexuellem Wege fortpflanzen. In den meisten Fällen aber lässt sich einsehen, dass hier ein bedeutender Nutzen aus dem theilweisen Wegfall der Amphigonie für die Existenzfähigkeit der Art entsprang; durch die partielle Parthenogenese konnte in gegebener Zeit eine ungleich stärkere Vermehrung der Individuenzahl erreicht werden, und diese ist bei den eigenthümlichen Existenzbedingungen dieser Arten von entscheidender Bedeutung. Eine Kruster- art, die in rasch austrocknenden Pfützen lebt und aus Dauereiern hervorgeht, die im Schlamm eingetrocknet lagen, hat meist nur eine sehr kurze Spanne Zeit zur Verfügung, um die Existenz einer folgenden Generation zu sichern. Die wenigen Dauereier, welche den Nach- stellungen zahlreicher Feinde entgangen sind, schlüpfen aus bei der ersten niedergefallenen Regenmenge ; sie wachsen in wenigen Tagen heran und pflanzen sich nun als „Jungfern - Weibchen" in rascher Folge fort. Ihre Nachkommen desgleichen, und so entsteht in kurzer Zeit eine unglaubliche Menge von Individuen, die nun auf geschlechtlichem Wege wieder Dauereier erzeugen. Wenn dann auch die Pfütze wieder austrocknet, so ist — 57 — dennoch die Existenz der Kolonie gesichert, denn bei der enormen Zahl von Thieren, die Dauereier erzeugten, ist auch die Zahl der Dauereier eine überaus grosse, und aller Zerstörung zum Trotz werden immer noch genug übrig bleiben, um später eine neue Generation entstehen zu lassen. Die sexuelle Fortpflanzung ist also hier nicht etwa zufällig oder aus inneren Gründen, sondern aus ganz bestimmten äusseren Zweckmässigkeitsgründen auf- gegeben worden. Es gibt aber auch einzelne Fälle, in denen die sexuelle Fortpflanzung ganz ausgefallen ist und Partheno- genese die einzige Form der Fortpflanzung bildet. Im Thierreich sind das vorwiegend solche Arten, bei deren nächsten Verwandten wir den eben besprochenen Wechsel von Parthenogenese und Amphigonie beobachten, manche Gallwespen und Blattläuse, auch einzelne Krust er des süssen und salzigen Wassers. Man kann sich vor- stellen, dass sie aus jenen Fällen mit Wechselfortpflanzung hervorgegangen sind durch Ausfall der amphigonen Ge- nerationen. Aus welchen Motiven dies geschah, ist im einzelnen Fall nicht immer ganz leicht auszumachen, doch werden im Allgemeinen hier dieselben Momente in Betracht ge- kommen sein, welche auch die erste Einführung der Parthenogenese veranlassten. Wenn eine Crustaceen-Art mit der eben kurz skizzirten Wechselfortpflanzung (Hetero- gonie) in noch höherem Grade als bisher von Feinden decimirt würde, so würde offenbar in einer noch mehr gesteigerten Fruchtbarkeit der drohenden Vernichtung Lu \i - 58 - Schach geboten werden können. Diese aber würde durch reine Parthenogenese erreicht werden können (5), indem dadurch die Zahl der eierproducirenden Individuen der bisherigen Geschlechts-Generationen auf das Doppelte der bisherigen Zahl vermehrt würden. In gewissem Sinne wäre dies das letzte und äusserste Mittel, durch welches eine Art ihre Existenz sichern könnte, ein Mittel, welches sie aber später einmal theuer zu bezahlen haben würde. Denn wenn meine Ansicht über die Ursachen der erblichen individuellen Variabilität richtig ist, dann müssen alle solche Arten mit rein par- thenogenetischer Fortpflanzung auf den Aussterbe-Etat gesetzt sein, nicht in dem Sinn, dass sie unter den jetzt herrschenden Lebensbedingungen aussterben müssten, wohl aber in dem, dass sie unfähig sind, sich neuen Lebensbedingungen anzupassen, sich in neue Arten um- zuwandeln. Sie können Selektionsprozesse nicht mehr eingehen, weil sie durch den Verlust der sexuellen Fort- pflanzung die Möglichkeit verloren haben , die erblichen individuellen Charaktere, welche bei ihnen vorkommen, zu mischen und zu steigern. Die Thatsachen — soweit solche vorliegen — be- stätigen diesen Schluss , denn wir begegnen nirgends ganzen Gruppen von Arten oder Gattungen, die sich rein parthenogenetisch fortpflanzten. Dies müsste aber der Fall sein, wenn jemals Parthenogenese durch ganze Artfolgen hindurch die alleinige Fortpflanzungsform ge- wesen wäre. Wir finden sie immer nur sporadisch und unter solchen Verhältnissen, die uns schliessen lassen, — 59 — dass sie erst bei der betreffenden Art zur ausschliess- lichen Herrschaft gelangt sei. So verhält es sich bei den Thieren, und bei den Pflanzen bildet die von de Bar y entdeckte Apogamie einer einzelnen Varietät einer Farn- art einen genau entsprechenden Fall. Es gibt schliesslich noch eine Gruppe von That- sachen ganz anderer Art, welche, soweit wir heute ur- theilen können, mit meiner Auffassung von der Bedeutung der sexuellen Fortpflanzung stimmen und als eine Stütze derselben aufgeführt werden können. Ich meine das Verhalten funktionsloser Organe bei Arten mit parthenogenetischer Fortpflanzung. Unter der Voraussetzung, dass erworbene Charaktere nicht vererbt werden — und dies ist die Grundlage der hier entwickelten Ansichten — können Organe, die nicht mehr gebraucht werden, nicht auf dem direkten Wege rudimentär werden, wie man sich es bisher vor- stellte. Wohl nimmt das nicht funktionirende Organ an Stärke und Ausbildungsgrad ab in dem Individuum, welches dasselbe nicht gebraucht, allein die erworbene Verschlechterung desselben vererbt sich nicht auf die Nachkommen. Die Erklärung für das thatsäch- lich feststehende Eudimentärwerden nicht mehr gebrauch- ter Theile muss somit auf einem andern Weg versucht werden. Mau wird dabei von dem Gesichtspunkt aus- gehen müssen, dass neue Formen nicht nur durch Se- lektion geschaffen werden, sondern auch erhalten. Damit ein Theil des Körpers bei irgend einer Art auf der Höhe seiner Leistungen erhalten werde, müssen alle — 6o — Individuen, welche ihn in minder vollkommener Weise besitzen, von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden, d. h. sie müssen im Kampf ums Dasein unterliegen. Oder um ein bestimmtes Beispiel zu geben: bei einer Art, die, wie etwa Raubvögel, in ihrem Nahrungserwerb von der Schärfe ihres Sehorgans abhängen, werden un- ausgesetzt alle minder scharfsichtigen Vögel ' ) ausge- merzt werden müssen, weil sie die Wettbewerbung um die Nahrung mit den höchst scharfsichtigen nicht aus- halten können. Sie gehen zu Grunde, ehe sie zur Fort- pflanzung gelangt sind, und ihre minder guten Sehorgane werden nicht weiter vererbt. Auf diese Weise erhält sich die Scharfsichtigkeit der Eaubvögel auf der grösst- möglichen Höhe. Sobald nun aber ein Organ nicht mehr gebraucht wird , hört diese unausgesetzte Auslese der Individuen mit den besten Organen auf, und es tritt das ein , was ich als P a n m i x i e bezeichne. Jetzt gelangen nicht mehr blos die auserlesenen Individuen mit den besten Organen zur Fortpflanzung, sondern ebensowohl auch solche mit minder guten. Eine Vermischung aller überhaupt vorkommenden Gütegrade des Organs muss die unausbleibliche Folge sein, und somit auch im Laufe der Zeit eine durchschnittliche Verschlechterung des be- treffenden Organs. So wird eine Art, die sich in lichtlose Höhlen zurückgezogen hat, nothwendig nach 1) Ich wiederhole hier das Beispiel , welches ich schon früher bei dem ersten Versuch, die Wirkungen der Panmixie klar zu legen, gewählt habe. Vergl. meine Schrift: ,,Ueber Vererbung". — 6i — und nach schlechtere Augen bekommen, da kein Fehler im Bau dieses Organs, der in Folge der individuellen Variation einmal vorkommt, korrigirt wird, sondern ein jeder sich weiter forterben und befestigen kann. Dies muss um so mehr geschehen, als die Nachbar-Organe, die ja alle für das Leben des Thieres von Bedeutung sind, an Stärke gewinnen, was das funktionslose Organ an Raum und Nahrungsstoffen verliert. Da nun auf jeder Stufe rückschreitender Umbildung immer wieder individuelle Schwankungen des Organs vorkommen, so wird das Sinken desselben von seiner ursprünglichen Höhe sehr langsam zwar, aber ganz sicher so lange fortgehen müssen, bis auch der letzte Rest desselben geschwunden ist. Wie ungeheuer langsam dies vor sich geht, das zeigen ja zahlreiche Fälle von rudimentären Organen , der oben erwähnte embryonale sechste Finger des Menschen so gut, als die im Fleisch steckenden Hinterbeine der Wale, oder die embryonalen Zahnkeime derselben Thiere. Ich glaube, dass gerade die enorme Langsamkeit dieses allmählichen Schwindens funktions- loser Organe viel besser mit meiner Auffassung stimmt als mit der bisherigen. Denn der Effekt des Nichtge- brauchs eines Organs ist im Laufe eines Einzellebens schon ein recht beträchtlicher. Uebertrüge er sich, selbst nur in Abschwächung , direkt auf die Nachkommen, so müsste ein Organ schon in hundert, geschweige in tausend Generationen auf ein Minimum reducirt sein. Und wie viel Millionen von Generationen mögen ver- gangen sein, seit etwa die Bartenwale ihre Zähne nicht — 62 — mehr gebraucht und durch die Fischbeinbarten ersetzt haben? Wir wissen es nicht ziffermässig, aber die ganze Masse der Tertiärgebirge ist seit jener Zeit von den älteren Schichten als Schlamm abgeschwemmt, ins Meer versenkt, gehoben und zum grossen Theil wieder abgeschwemmt worden. Wenn nun diese Ansicht von den Ursachen der Ver- kümmerung nichtgebrauchter Organe als richtig ange- nommen werden darf, dann folgt daraus, dass rudi- mentäre Organe nur bei Arten mit sexueller Fortpflanzung vorkommen können, nicht bei solchen mit ausschliesslich parthenogenetischer Fort- pflanzung. Denn Variabilität beruht nach meiner Auf- fassung auf der sexuellen Fortpflanzung, das Verkümmern eines nicht mehr gebrauchten Organs aber beruht so- gut auf der Variabilität desselben, wie irgend eine Ver- änderung in aufsteigender Richtung. Aus doppeltem Grunde müssen wir also erwarten, dass Organe, welche nicht mehr gebraucht werden, bei Arten mit ungeschlecht- licher Fortpflanzung unverkümmert bleiben : erstens, weil überhaupt nur ein sehr geringer Grad von vererbbarer Variabilität vorhanden sein kann , soweit nämlich ein solcher aus der Zeit der geschlechtlichen Fortpflanzung der Vorfahren sich weitergeerbt hat, und zweitens, weil selbst diese geringe Variabilität nicht zur Vermischung kommt, weil Panmixie nicht eintreten kann. Es scheint sich nun wirklich so zu verhalten, wie die Theorie es verlangt: bei parthenogenetisch sich fortpflanzenden Arten werden über- - 63 - flüssige Organe nicht rudimentär. Soweit meine Erfahrungen reichen, verkümmert z. B. die Samentasche, das Receptaculum seminis nicht, obgleich es doch bei der Parthenogenese völlig ausser Funktion gesetzt ist. Ich lege kein grosses Gewicht dem Umstand bei, dass die Psychiden und Solenobien, Schmetterlinge, deren parthenogenetische Fortpflanzung durch Siebold und Leuckart festgestellt wurde, noch den vollständigen weiblichen Geschlechtsapparat besitzen, weil bei diesen Arten hier und da noch Kolonien mit Männchen vor- kommen. Wenn auch die meisten Kolonien rein weibliche sind, so weist doch das Vorkommen von Männchen in andern darauf hin , dass die Eingeschlechtlichkeit der ersteren noch nicht von sehr langer Dauer sein kann. Der Process der Umwandlung der Art aus einer zwei- geschlechtlichen in eine eingeschlechtliche, nur aus Weib- chen bestehende ist hier noch nicht überall zum Ab- schluss gelangt, er ist noch in Gang. Aehnlich verhält es sich mit mehreren Arten von Gallwespen, die sich durch Parthenogenese fort- pflanzen. Auch hier kommen noch einzelne Männchen vor, und zwar nicht blos in einzelnen Kolonien, sondern überall. So zählte Adler bei der gewöhnlichen Rosen- Gallwespe sieben Männchen auf 664 Weibchen 1). Dagegen scheinen bei einigen Muschelkrebs- chen (Ostracoden) die Männchen völlig zu fehlen, wenigstens habe ich mich seit Jahren vergeblich bemüht, 1) Adler, Zeitschrift f. wiss. Zool. Bd. XXXV, 1881. - 64 - sie irgendwo, oder zu irgend einer Jahreszeit aufzu- finden *). Dahin gehört Cypris vidua und Cypris reptans. Trotzdem nun hier die Umwandlung der früher zwei- geschlechtlichen Art zu rein weiblichen Arten abge- schlossen zu sein scheint *), besitzen die Weibchen doch noch die grosse, birnförmige Samentasche mit ihrem langen, in vielen Spiralwindungen aufgerollten, mit starkem Drüsenbelag versehenen Stiel. Dies ist um so auffallender, als gerade bei den Muschelkrebschen dieser Apparat sehr komplicirt ist, also rückläufige Verän- derungen desselben leicht zu bemerken wären. Auch bei den Rindenläusen (Chermes) ist die Samentasche den Weibchen unverkümmert geblieben, obwohl hier die Männchen ganz zu fehlen scheinen, wenigstens trotz der vereinten Anstrengungen mehrerer scharfsichtiger Beob- achter nicht aufgefunden werden konnten. Ganz anders verhält es sich dagegen bei Arten mit Wechsel - fortpflanzung. Den Sommerweibchen der Blattläuse ist die Samentasche verloren gegangen, aber bei diesen 1) Vergl. meinen Aufsatz: „Parthenogenese bei den Ostracoden" im ,,Zool. Anzeiger" 1880, p. 82. Derartige negative Befunde wiegen sonst nicht schwer, und mit Recht. Hier aber verhält es sich anders, weil die Anwesenheit von Männchen in einer Kolonie von Muschel- krebsen auf indirektem Wege sehr leicht festzustellen ist. So- bald eine Kolonie überhaupt Männchen enthält, findet man die Samen- tasche aller reifen Weibchen mit Samen gefüllt, und umgekehrt kann man völlig sicher sein, dass die Männchen fehlen, wenn man in der Samen- tasche einer Anzahl von reifen Weibchen keinen Samen gefunden hat. 2) Völlige Sicherheit können wir darüber deshalb nicht haben, weil es ja denkbar ist, dass in andern als den untersuchten Kolonien noch Männchen vorkommen. - 65 - Insekten hat die geschlechtliche Fortpflanzung nicht aufgehört, sondern wechselt regelmässig ab mit der Jungfernzeugung. Gewiss ist auch dieser Beweis für die Richtigkeit meiner Auffassung der sexuellen Fortpflanzung kein ab- soluter, vielmehr nur ein Wahrscheinlichkeits-Beweis. Mehr lässt sich zur Zeit überhaupt noch nicht geben, dazu sind wir noch nicht reich genug an Thatsachen, von denen viele erst aufgesucht werden können, nachdem die Frage einmal gestellt ist. Es handelt sich hier um verwickelte Erscheinungen, deren Erkenntniss wir uns nicht auf einmal, sondern nur allmählich nähern können. So viel hoffe ich indessen doch gezeigt zu haben, dass die Selektionstheorie keineswegs unvereinbar ist mit dem Gedanken von der „Continuität des Keim- plasma's" und weiter, dass — sobald wir diesen Ge- danken als richtig annehmen — die sexuelle Fortpflanzung in einem ganz neuen Licht erscheint, einen Sinn be- kommt, gewissermassen verständlich wird. Die Zeit ist vorüber, in der man glaubte, durch das blosse Sammeln von Thatsachen die Wissenschaft vorwärts zu bringen. Wir wissen, dass es nicht darauf ankommt, möglichst viele beliebige Fakta aufzuhäufen, gewissermassen einen Katalog der Thatsachen anzulegen, sondern dass es sich darum handelt, solche Thatsachen festzustellen, deren Verbindung durch den Gedanken uns in den Stand setzt, irgend einen Grad von Einsicht in irgend einen Naturvorgang zu erlangen. Um aber zu 5 — 66 — wissen, auf welche neue Feststellungen es zunächst an- kommt, ist es unerlässlich, das, was wir bereits davon besitzen, zu ordnen, zusammenzufassen und zu einer theoretisch begründeten Gesammtauffassung zu ver- binden. Das ist es, was ich heute versucht habe zu thun. Aber handelt es sich hier nicht vielleicht um viel zu verwickelte Erscheinungen, als dass wir sie jetzt schon in Angriff nehmen dürften, sollten wir nicht ruhig warten, bis erst die einfacheren Erscheinungen in ihre Komponenten zerlegt sein werden, und ist die Mühe und Arbeit, die wir uns gegenüber solchen Fragen, wie der von der Vererbung oder der Umwandlung der Arten geben, nicht nutzlos und verloren? Allerdings hört man gar manchmal solche Aeusse- rungen; ich glaube aber, sie beruhen auf einer Unklar- heit über die Methode der Naturforschung, welche die Menschheit bisher eingehalten hat und welche somit doch wohl in den natürlichen Beziehungen begründet ist, in welchen wir zur Natur stehen. Man vergleicht nicht selten die Wissenschaft mit einem Gebäude, welches in solidester Weise aufgeführt werde, indem man Stein auf Stein, Thatsache auf That- sache lege und so allmählich zu immer grösserer Höhe und Vollendung emporsteige. Bis zu einem gewissen Punkt trifft ja auch dieser Vergleich zu, aber er lässt doch leicht übersehen, dass dies Gebäude an keiner Stelle den Boden berührt, dass es für jetzt min- destens noch vollständig in der Luft schwebt. Denn keine einzige Wissenschaft, auch die Physik nicht, hat - 67 - ihren Bau von unten angefangen, vielmehr haben sie alle mehr oder weniger hoch oben in der Luft begonnen und dann weiter nach unten gebaut; den Erdboden aber hat auch die Physik noch nicht erreicht, die ja gerade über das Wesen der Materie und der Kraft noch am aller unsichersten ist. Wir können bei keiner Erschei- nungsgruppe mit der Erforschung ihres letzten Grundes anfangen, weil uns gerade hier die Mittel zur Erkennt- niss versagen ; wir können nicht vom Einfachen anfangen und zum Complizirten fortschreiten, nicht synthetisch und deduktiv verfahren und die Erscheinungen von unten an aufbauen , sondern analytisch und induktiv von oben nach unten; wenigstens doch im Grossen und Ganzen. Das ist ja auch unbestritten, aber es wird doch oft vergessen, wie der vorhin berührte Einwurf beweist. Dürften wir die verwickelten Erscheinungen erst dann in Angriff nehmen, wenn wir die einfacheren vollständig — soweit dies möglich — erkannt hätten, dann müssten wir sammt und sonders Physiker und Chemiker werden und erst, wenn wir mit Physik und Chemie vollständig fertig wären, dürften wir zur Erforschung der leben- den Natur übergehen. Dann dürfte es auch heute noch keine wissenschaftliche Medizin geben, da doch die pa- thologische Physiologie nicht angefangen werden könnte, ehe nicht die normale Physiologie fertig wäre. Und wie Manches verdankt doch die normale Physiologie der pathologischen, ein Beispiel, dass es nicht nur er- laubt, sondern in hohem Grade vortheilhaft ist, wenn die verschiedenen Erscheinungskreise gleichzeitig bear- beitet werden. 5* — 68 — Wo wäre ferner — wenn wir den Weg vom Ein- fachen zum Zusammengesetzteren überall einzuhalten hätten — die Descendenzlehre, deren Einfluss un- sere Erkenntniss auf biologischem Gebiet in geradezu unermesslicher Weise gefördert hat? Aber unter der oft gehörten Forderung, man solle so komplizirte Erscheinungen, wie z. B. die Vererbung jetzt noch nicht in Angriff nehmen, verbirgt sich noch eine andere Unklarheit, nämlich die, als sei eine That- sache deshalb unsicherer, weil ihre Ursachen sehr ver- wickelte, für uns zunächst noch nicht übersehbare sind. Aber ist es denn weniger sicher, dass aus dem Ei eines Adlers wieder ein Adler wird, oder dass die Eigentüm- lichkeiten des Vaters und der Mutter auf das Kind über- tragen werden, als dass ein Stein zu Boden fällt, wenn er nicht unterstützt wird? Und lässt sich nicht aus der Thatsache, dass der Vererbungsantheil von Vater und Mutter ganz oder nahezu gleich ist, ein ganz bestimmter und sicherer Schluss ziehen auf die Menge der wirksa- men Substanz in den beiderlei Keimzellen ? Oder ist es nutzlos, dergleichen Schlüsse zu ziehen? ist es nicht vielmehr der einzige Weg, auf dem wir allmälig in die Tiefe der Erscheinungen hinabsteigen können? ^Nein! Die Wissenschaft vom Lebendigen hat nicht zu warten, bis Physik und Chemie fertig sind, und die Erforschung der Vererbungsvorgänge hat nicht zu war- ten, bis die Physiologie der Zelle fertig ist. Ich möchte die Wissenschaft im Ganzen eher einem Bergwerk ver- gleichen, das zur Aufgabe hat, ein ausgedehntes und - 69 - vielfach verzweigtes Erzlager aufzuschliessen. Es wird nicht nur von einem Punkt, sondern von vielen zugleich in Angriff genommen. Von gewissen Stellen aus kommt man rascher auf die tieferen Erzgänge, von anderen kann man nur die oberflächlicheren erreichen, von allen aber wird irgend eine Strecke des komplizirten Ganzen klar gelegt. Je vielfacher die Angriffspunkte sind, um so vollständiger wird die Kenntniss werden, die man von dem Ganzen erlangt, und überall ist werthvolle Einsicht zu erreichen, wenn nur mit Umsicht und Ausdauer ge- arbeitet wird. Aber eben die Umsicht gehört auch dazu; oder um aus dem Bilde zutreten: das Verbinden derThat- sachen durch den Gedanken. So wenig Theorien werth sind ohne festen Boden, so wenig sind Thatsachen werth, die zusammenhangslos nebeneinander liegen. Ohne Hypothese und Theorie giebt es keine Naturforschung. Sie sind das Senkblei, mit dem wir die Tiefe des Oceans unverstandener Erscheinungen untersuchen, um danach den ferneren Kurs unseres Forschungsschiffes zu bestim- men. Sie geben uns kein absolutes Wissen, aber sie geben uns den Grad von Einsicht, der augenblicklich möglich ist. Ohne Leitung theoretischer Anschauungen aber weiterforschen, heisst soviel als im dicken Nebel auf gut Glück weiter gehen ohne Weg und ohne Com- pass. Man kommt auch auf diese Weise wohin, aber ob in eine Steinwüste unverständlicher Thatsachen, oder in das geordnete System klarer, zusammenhängender, nach einem Ziel führender Wege, das ist dann Sache des — 7o — Zufalls, der in den meisten Fällen gegen uns ent- scheidet. In diesem Sinne mögen Sie auch den Wegweiser oder Compass des Gedankens, den ich Ihnen heute vor- legte, aufnehmen. Sollte ihm auch bestimmt sein, später durch einen besseren ersetzt zu werden; wenn er nur im Stande ist, die Forschung ein Stück weiter zu füh- ren, so hat er seinen Zweck erfüllt. ZUSÄTZE. *®& 1. Ein Beweis gegen die Umwandlung aus innern Gründen *). Wenn Nägel i's Anschauung von der in den Or- ganismen selbst liegenden treibenden Umwandlungsur- sache als „phyletische Umwandlungskraft" bezeichnet wurde, so soll damit nicht gesagt sein, dass dieselbe etwa jenen mystischen Principien zuzurechnen sei, welche nach Anderen als „das Unbewusste" oder unter irgend einem sonstigen Titel die Direktion der Transmutationen übernehmen sollten. Das sich von innen heraus ver- ändernde „Idioplasma" Nägeli's ist im Gegentheil durchaus als naturwissenschaftliches, d. h. mechanisch wirkendes Princip gedacht; es ist theoretisch unzweifel- haft vorstellbar, es fragt sich nur, ob es in Wirklichkeit so existirt. Nach Nägeli stellt „die wachsende orga- nische Substanz" (eben das „Idioplasma") „nicht nur ein Perpetuum mobile dar, insofern der Substanz ohne Ende Kraft und Stoff von aussen geboten wird" zum unausgesetzten Fortwachsen, „sondern auch durch innere Ursachen ein Perpetuum variabile" (a. a. 0. p. 118). Gerade dies ist aber fraglich, ob es die Struktur des Idioplasma's selbst ist, welche es zwingt, sich im Laufe seines Wachsthums allmählich zu verändern, oder ob nicht vielmehr die äusseren Bedingungen es sind, welche das in kleinen Amplituden hin und her schwankende Idioplasma durch Summirung dieser kleinen Unterschiede 1) Zusatz zu pag. 5. - 74 - in bestimmter Richtung zur Veränderung zwingt. Im Text wurde schon gezeigt, dass wir mit der Nägeli'- schen Annahme Nichts gewinnen, weil das Haupträthsel, welches uns die organische Natur zu lösen aufgibt, die Anpassung dabei ungelöst bleibt. Diese Theorie er- klärt also die Erscheinungen nicht; ich glaube, es lässt sich aber auch zeigen, dass sie mit Thatsachen im Widerspruch steht. Wenn das Idioplasma wirklich die ihm von Nägeli zugeschriebene Eigenschaft der spontanen Veränderlich- keit besässe, wenn es sich durch sein Wachsthum selbst allmählich verändern und dadurch neue Arten hervor- bringen müsste, dann sollte man erwarten, dass die Lebensdauer der Arten, der Gattungen, Familien u. s. w. nahezu die gleiche sein würde, wenigstens doch bei Formen von gleicher Complikation des Baues. Die Zeit, welche das Idioplasma braucht, um sich so weit zu verändern, dass die Umwandlung zur neuen Art erfolgt, müsste bei gleicher Organisationshöhe, oder, was dasselbe ist, bei gleicher Complicirtheit der Mo- lekül arstruktur des Idioplasma's die gleiche sein. Mir scheint es eine unabweisbare Consequenz aus der Nägeli' sehen Annahme zu sein, dass das verän- dernde Moment allein in dieser Molekülarstruk- tur selbst liege. Wenn nichts weiter zur Verände- rung des Idioplasma's gehört, als eine bestimmte Wachs- thumsgrösse desselben — d. h. also eine bestimmte Zeit, während deren sich die Art mit einer bestimmten Intensi- tät fortpflanzt — dann muss die Veränderung bei jedem Idioplasma nach Erreichung dieser Wachsthumsgrösse, oder - 75 - nach Ablauf dieser Zeit eintreten. Mit andern Worten: die Lebensdauer einer Art von ihrer Entstehung durch Umwandlung aus einer älteren Art bis zu ihrer Um- wandlung in eine neue muss bei Arten von gleicher Or- ganisationshöhe die gleiche sein. Dieser Folgerung aus dem Nage li' sehen Princip entsprechen aber die That- sache durchaus nicht. Die Lebensdauer der Arten ist eine überaus verschiedene. Manche ent- stehen und vergehen wieder innerhalb einer einzigen geologischen Formation, andere dauern mehrere Forma- tionen hindurch, wieder andere sind nur auf einzelne Abtheilungen einer Formation beschränkt. Nun kann man ja allerdings die Organisationshöhe einer Art nicht so genau abschätzen, die Unterschiede könnten also auf Ungleichheiten in der Organisationshöhe beruhen, oder auch vielleicht darauf beruhen, dass es Arten gäbe, die überhaupt nicht mehr umwandlungsfähig sind, und die nun, ohne sich weiter umzuformen, unter günstigen äussern Verhältnissen noch un gemessene Zeiträume weiter leben könnten; das wäre aber eine weitere Hypothese, und zwar eine, die mit der ersten Hypothese von der nothwendig in der Molekülarstruktur begründeten Ver- änderlichkeit des Idioplasma's durch das Wachsthum allein in direktem Gegensatz stände. Auch sagt Nägel i selbt: „Durch die inneren Ursachen verändert sich die Substanz der Abkömmlinge der Urwesen" — das heisst also das Idioplasma — „beständig, auch wenn die Generationenreihe eine unendliche Dauer er- reichte" (a. a. 0. p. 118); sonach gibt es also keinen Stillstand in dem Veränderungsprocess des Idioplasma's, - 76 - so wenig bei der einzelnen Art als bei der Organismen- welt im Ganzen. Man könnte sich auch hinter die Lückenhaftigkeit unserer geologischen Kenntnisse flüchten, allein die Anzahl sicherer Daten ist doch zu gross, und die Thatsache steht fest, dass manche Gattungen z. B. die Cephalopoden-Gattung Nautilus, vom Silur an- fangend durch alle drei geologischen Zeitalter hindurch bis in unsere Tage ausgedauert hat, während alle ihre Verwandte aus dem Silur (Orthoceras, Gomphoceras, Goniatites u. s. w.) schon seit zwei geologischen Zeit- altern ausgestorben sind. Eine kühne und gewandte Dialektik kann ja gegen alle derartige Argumente immer noch manches einwen- den ; für einen an und für sich schon ausreichenden Be- weis gegen die Selbstveränderlichkeit des Nägeli' sehen Idioplasma's will ich deshalb auch die geologischen Thatsachen nicht ausgeben; sie sind dazu in der That nicht vollständig genug. Man könnte ja in dem Fall von Nautilus z. B. nur einwerfen, dass wir hinter das Silur nicht zurückgehen können in Bezug auf Cephalo- poden-Schalen, dass es also möglich sei, die silurischen Verwandten des Nautilus hätten schon ebensolang in vor silurischer Zeit gelebt , als Nautilus in nach silu- rischer. Immerhin wird man das mindestens zugeben müssen, dass die Thatsachen der Geologie der Nägeli'- schen Hypothese keinen Anhalt gewähren: von einem auch nur annähernd regelmässigem Wechsel der Formen ist keine Spur zu erkennen. -•♦►- 2. Nägeli's Erklärung der Anpassungen l). Zur Erklärung der Anpassungen nimmt Nägeli an, dass äussere Einwirkungen unter Umständen geringe bleibende Veränderungen zur Folge haben können. Wenn dann derartige Einwirkungen „während langer Zeiträume beständig in dem gleichen Sinne thätig sind", so kann sich „die Umstimmung" — (im Idioplasma) — „zu einer bemerkbaren Grösse steigern, d. h. zu einer Grösse, welche in sichtbaren äussern Merkmalen sich kundgibt" (p. 137). Daraus allein resultirt nun noch keine Anpassung, die ja darin besteht, dass die ein- tretende Abänderung zweckentsprechend ist. Nägeli macht nun geltend, dass äussere Reize häufig ihre „Hauptwirkung gerade an der gereizten Stelle geltend machen, und zwar bei einem schädlichen Eingriff in der Weise, dass der Organismus sich bereit macht, denselben abzuwehren. Es findet ein Zudrang von Säften nach der Stelle statt, welche von dem Reiz getroffen wurde, und es treten diejenigen Neubildungen ein, welche ge- eignet sind, die Integrität des Organismus wiederher- zustellen und allenfalls verloren gegangene Theile, so- weit es möglich ist, wieder zu ersetzen." So beginnt 1) Zusatz zu pg. 6. - 78 - um die verwundete Stelle eines lebenden Pflanzenge- webes das gesunde Gewebe zu wuchern und die Wunde mit einer „vielschichtigen undurchdringlichen Korkhaut (Wundkork)" abzuschliessen und zu schützen u. s. w. Gewiss gibt es zahlreiche derartige zweckmässige Reak- tionen des Organismus, auch des thierischen. Auch die Verwundungen unseres eignen Körpers rufen eine Wuche- rung des umgebenden Gewebes hervor, welche zum Schluss der Wunde führt, und bei Salamandern wächst sogar das abgeschnittene Bein, oder der Schwanz wieder von Neuem. Ja die zweckmässige Beantwortung der Reize geht so weit, dass der hellgrüne, auf hellgrünem Blatt sitzende Laubfrosch dunkelbraun wird, wenn man ihn in dunkle Umgebung bringt. Er passt sich der Farbe seiner Umgebung an und erlangt dadurch Schutz vor seinen Feinden. Es fragt sich nur, ob diese Fähigkeit der Organismen auf gewisse Reize in zweckmässiger Weise zu antworten, primäre, ursprüngliche Eigen- schaften der betreffenden Organismen sind. Die Fähig- keit, ihre Hautfarbe der Umgebung entsprechend zu ändern, ist eine wenig verbreitete und beruht z. B. beim Laubfrosch auf einem recht verwickelten Reflex-Mecha- nismus, darauf nämlich, dass gewisse Farbzellen der Haut mit Nerven in Verbindung stehen x), welche aus dem Gehirn des Thieres kommen und dort durch Ver- mittlung von Nervenzellen mit den nervösen Centren des Sehorganes in der Weise zusammenhängen, dass starkes Licht, welches die Netzhaut des Auges trifft, 1) Vergl. Brücke, „Farbenwechsel des Chamäleon" Wien. Sitzber. 1851 undLeydig „Die in Deutschland lebenden Saurier." 1872. — 79 — einen Reiz auf sie ausübt, der nun durch die erwähnten Hautnerven nach jenen Farbstoffzellen der Haut hinge- leitet wird, diese Zellen zur Zusauimenziehung veran- lasst und auf diese Weise der Haut die hellgrüne Fär- bung verleiht. Hört der starke Lichtreiz auf, so dehnen sich die Farbstoffzellen wieder aus und bedingen dadurch eine dunkle Färbung der Haut. Dass die Chrom atophoren der Haut hier nicht direkt auf den Lichtreiz rea- giren, beweist der Li st er' sehe Versuch1): geblendete Laubfrösche reagiren nicht mehr auf Licht. Hier liegt es auf der Hand, dass wir es mit einer sekundär er- worbenen Eigenschaft des betreffenden Organismus zu thun haben; aber es wäre doch erst noch zu beweisen, dass nicht sämmtliche von Nägeli angeführte zweck- mässige Reaktionen der Organismen erworbene Eigen- schaften, Anpassungen sind, und keineswegs primäre oder Ur-Eigenschaften der lebenden Substanz. Gewiss gibt es auch Reaktionen der Organismen, die nicht auf Anpassung beruhen, aber diese sind auch gar nicht immer zweckmässige. Sonderbarerweise führt Nägeli unter seinen Beispielen zweckmässiger Reaktio- nen auf äussere Reize auch die Gallenbildung bei Pflanzen an. Man kann aber wohl kaum behaupten, dass die Gallen von irgend welchem Nutzen für die Pflanze seien; sie sind im Gegentheil zuweilen recht schädlich. Nützlich sind sie nur für das Insekt, welches unter dem Schutz und der Ernährung der Galle heran- wächst. Es ist durch die neueren vortrefflichen Unter- 1) Philosoph. Transact. Vol. 148, p. 627—644. — 8o — suchungen von Adler in Schleswig1) und von Beye- rinck2) in Delfft nachgewiesen worden, dass nicht, wie man früher glaubte, der Stich der eierlegenden Gall- wespe den Reiz zur Entwicklung der Galle setzt, sondern vielmehr lediglich die aus dem Ei sich entwickelnde Larve. Die Anwesenheit dieses sich bewegenden kleinen Fremdkörpers reizt die Gewebe der Pflanze in ganz be- stimmter Weise und zwar so, wie es für die Larve vor- teilhaft ist, nicht für die Pflanze! Für diese würde es vortheilhaft sein, wenn sie den lebendigen Fremd- körper tödtete, ihn einkapselte mit einer nahrungslosen Holzschicht, ihn vergiftete mit einem ätzenden Sekret oder auch ihn einfach durch Zellwucherung erdrückte. Aber nichts von alledem geschieht ! Die Wucherung in- differenter Zellen, das sog. „Piastern" Beyerinck's ge- schieht rund um den noch in der Eihülle eingeschlossenen Embryo, aber nur um ihn herum, nicht in der Rich- tung gegen ihn, er selbst bleibt frei, und es bildet sich so eine eng ihn umschliessende Höhle, die sog. Larvenkammer. Es ist hier nicht der Ort darauf ein- zugehen, wie wir uns etwa vorstellen können, dass die Pflanze hier zu einer ihr selbst mindestens doch in- differenten, oft auch- geradezu schädlichen Bildung ge- zwungen wird, zu einer Bildung, die ihrem Feind zum 1) Adler, „Beiträge zur Naturgeschichte der Cynipiden", Deutsche entom. Zeitschr. XXI, 1877, p. 209 und: Derselbe „lieber den Generationswechsel der Eichen-Gallwespen", Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXXV, p. 151. 1-880. 2) Beyerinck, „Beobachtungen über die ersten Entwicklungs- phasen einiger Cynipidengallen". Verhandl. d. Amsterd. Akad. d. Wiss. 1883. Bd. 22. — 8r — Nutzen gereicht und aufs Genaueste seinen Bedürfnissen angepasst ist. So viel aber leuchtet ein, dass hier ein Fall von selbstschützender Reaktion auf den Reiz nicht vorliegt, dass somit keineswegs immer die Reaktion des Organismus auf äussere Reize eine für ihn selbst zweckmässige ist. Wenn man nun aber auch wirklich die vorkommen- den zweckmässigen Antworten der Organismen auf Reize als primäre und nicht als erworbene Eigenthümlichkeiten des Organismus ansehen dürfte, so würde dies doch nicht im entferntesten zur Erklärung der thatsächlich vorhandenen Anpassungen ausreichen. Nägeli versucht es, einige specielle, von ihm ausgewählte Fälle mit diesem Princip der „direkten Bewirkung" zu erklären. Er be- trachtet den dicken Haarpelz der Säugethiere kalter Klimate, den Winterpelz von Thieren der gemässigten Zone als direkte Reaktion „des Hautorgans" auf die „Ein- wirkung der Kälte", die „Hörner, Krallen, Stosszähne der Thiere als entstanden durch den Reiz, der beim Angriff oder bei der Vertheidigung auf bestimmte Stellen der Körperoberfläche ausgeübt wurde" (a. a. 0. p. 144). Es ist dies dieselbe Erklärung, welche schon im Anfang dieses Jahrhunderts von Lamarck gegeben wurde. Sie klingt noch einigermassen annehmbar, da ja in der That z. B. das Auftreten eines dichten Pelzes bei den Säugethieren gemässigten Klima's mit der kalten Jahres- zeit zusammentrifft. Es fragt sich nur, ob die Fähig- keit der Haut solcher Thiere, beim Eintritt der Kälte eine grössere Anzahl Haare hervorwachsen zu lassen, nicht selbst wieder eine sekundär erworbene Eigenschaft 6 — 82 - ist, so wie das Grünwerden des Laubfrosches auf den Reiz starken Lichtes hin! Hierbei handelt es sich aber doch nur um die zahl- reichere Hervorbringung schon vorhandener Theile, wie aber soll es möglich gewesen sein, dass die Blumen- blätter mit ihren so bestimmten und oft so komplicirten Formen sich dadurch aus Staubgefässen entwickelten, dass „die blüthenstaub- und säfteholenden Insekten fort- während durch Krabbeln und kleine Stiche" einen Reiz setzten, der eine „Steigerung des Wachsthums" veran- lasste ! Wie ist es überhaupt möglich, aus einer Steige- rung des Wachsthums allein die Entstehung einer Bil- dung zu erklären, an der jeder Theil seine bestimmte Bedeutung hat, seine bestimmte Rolle bei der Anlockung der Insekten, beim Vorgang der durch sie vermittelten Kreuzungsbefruchtung zu spielen hat ! und nicht nur die mannigfachen Eigen thümlichkeiten der Form, sondern auch die der Farbe. Warum sind Nachtblumen durch die Insektenkrabbelei weiss geworden, Tagblumen aber bunt, warum findet sich so häufig ein bunter oder glänzen- der Fleck am Zugang zu dem in der Tiefe versteckt liegenden Honig der Blume, das sog. Saftmal? Ueberdies gibt es ja noch eine ganze Schaar von Farben- und Form-Anpassungen der auffallendsten Art, bei welchen von einem Reiz gar nicht die Rede sein kann, der auf das betreffende Organ eingewirkt haben könnte. Oder sollte die grüne Raupe, Wanze, Heu- schrecke durch das Sitzen im Grünen einem Hautreiz ausgesetzt sein, der in der Haut grünes Pigment erzeugt? Sollte die einem dürren Zweig ähnliche Stabheuschrecke - 83 - durch das Sitzen auf solchen Zweigen, oder durch das An- sehen derselben einem umgestaltenden Reiz auf ihren Körper unterliegen ? Und wenn man nun vollends an die Fälle eigentlicher Nachäffung denkt, wie kann eine Art von Schmetterling dadurch, dass sie in Gemeinschaft mit einer andern Art umherfliegt, einen derartigen Reiz auf diese Letztere ausüben, dass sie ihr in Gestalt und Färbung ähnlich wird ? Und in vielen Fällen von Nach- äffung leben Vorbild und Nachbild nicht einmal immer an denselben Orten ! So die Schmetterlinge, Fliegen und Käfer, welche die gefürchteten Wespen nachahmen. Die Erklärung der Anpassungen ist der schwache Punkt der Nägeli' sehen Theorie. Es ist geradezu wunderbar, dass ein so scharfer Denker dies nicht selbst bemerkt hat. Man hat fast den Eindruck, als wollte er die Selektionstheorie nicht verstehen , wenn er z. B. über die gegenseitige Anpassung der Schmetterlings- Rüssel und der Blumen mit röhrenförmiger Blumen- krone Folgendes sagt (p. 150): „Zu den merkwürdigsten und allgemeinsten Anpassungen, die wir an der Gestalt der Blüthen beobachten, gehören die langröhrigen Kronen in Verbindung mit den langen Rüsseln der Insekten, welche im Grunde der engen und langen Röhren Honig holen und dabei die Fremdbestäubung der Pflanzen ver- mitteln. Beide Einrichtungen" „haben sich allmählich zu ihrer jetzigen Höhe entwickelt, die langröhrigen Blüthen aus röhrenlosen und kurzröhrigen, die langen aus kurzen Rüsseln. Beide haben sich ohne Zweifel in gleichem Schritt ausgebildet, so dass stets die Länge der beiden Organe ziemlich gleich war." - 84 - Dagegen ist nichts einzuwenden, aber nun folgt weiter : „Wie könnte nun ein solcher Entwicklungsprocess nach der Selektionstheorie erklärt werden, da in jedem Stadium desselben vollkommene Anpassung bestand ? die Blumenröhre und der Rüssel hatten beispielsweise ein- mal die Länge von 5 oder 10 Mm. erreicht. Wurde nun die Blumenröhre bei einigen Pflanzen länger, so war die Veränderung nachtheilich, weil die Insekten beim Besuch derselben nicht mehr befriedigt wurden und daher Blüthen mit kürzeren Röhren aufsuchten, die längeren Röhren mussten nach der Selektionstheorie wieder verschwinden. Wurden andrerseits die Rüssel bei einigen Thieren länger, so erwies sich diese Veränderung als überflüssig und musste nach der nämlichen Theorie als unnöthiger Auf- wand wieder beseitigt werden. Die gleichzeitige Um- wandlung aber der beiden Organe wird nach der Se- lektionstheorie zum Münchhausen, der sich selbst am Zopf aus dem Sumpfe zieht." Nach der Selektionstheorie gestaltet sich aber dieser Fall ganz anders. Blume und Schmetterlingsrüssel käm- pfen nicht etwa miteinander um die grössere Länge der entsprechenden Theile, sie steigern sich nicht gegen- seitig, sondern allein die Blume verlängerte allmählich ihre Krone, und der Schmetterling folgte nur nach. Das Verhältniss ist nicht dasjenige von Verfolger und Ver- folgtem, wo etwa Jeder der schnellere zu sein strebt und so die Schnelligkeit Beider im Laufe der Generationen bis zur grösstmöglichen Höhe gesteigert wird. Sie ver- halten sich auch nicht, wie ein insektenfressender Vogel zu einer von ihm hauptsächlich verfolgten Schmetter- - 85 - lingsart, in welchem Fall zwei ganz verschiedene Eigen- schaften fort und fort bis zu ihrem erreichbaren Maximum gesteigert werden können, beim Schmetterling z. B. Aehn- lichkeit mit den welken Blättern am Boden, zwischen welche er sich flüchtet, wenn er verfolgt wird, beim Vogel aber die Scharfsichtigkeit. Solange die letztere noch steigerbar ist, so lange wird es einem Schmetter- lings-Individuum noch zum Vortheil gereichen, dem Blatt ein Wenig mehr zu gleichen als seine übrigen Artge- genossen, denn er wird im Stande sein, auch den etwas scharfsichtigeren Vogel-Individuen zu entschlüpfen, wäh- rend umgekehrt das etwas scharfsichtigere Vogel-Indi- viduum mehr Aussicht hat, auch besser geschützte Schmetterlings-Exemplare zu erhaschen. Nur auf diese Weise können wir uns das Zustandekommen so weit- gehender Aehnlichkeiten mit Blättern und andern Pflanzen- theilen erklären, wie sie ja mehrfach bei den Insekten vor- kommen. Zu jeder Zeit waren beide Theile voll- kommen angepasst, das heisst: sie waren so weit geschützt, oder so weit genährt, als sie sein mussten, um nicht an Individuenzahl dauernd abzunehmen und also als Arten auszusterben1). Das hindert aber durchaus nicht, dass sie ihre schützen- den oder erspähenden Eigenschaften nicht hätten steigern können, vielmehr mussten sich unvermeidlicherweise dieselben so lange langsam steigern, als auf beiden i Seiten die physische Möglichkeit dazu noch da war. Solange einzelne Vögel vorkamen, die noch ein Wenig 1) Der Einfachheit nehme ich an, dass der Verfolger nur diese eine Beute, der Verfolgte nur diesen einen Feind hat. — 86 — schärfer sahen als die Uebrigen bisher gesehen hatten, so lange waren auch noch solche Schmetterlinge im Vor- theil vor Ihresgleichen, die die Blattrippen auf ihrem Flügel deutlicher hervorgehoben trugen; von dem Mo- ment aber, in welchem das Maximum der erreichbaren Scharfsichtigkeit wirklich erreicht war, in welchem also alle Schmetterlinge so täuschend dem Blatte glichen, dass auch die scharfsichtigsten unter den Vögeln sie im Sitzen nicht mehr von einem Blatte unterscheiden konnten, musste die weitere Steigerung der Blattähnlichkeit auf- hören, denn nun hörte zugleich auch der Vortheil einer solchen Steigerung auf. Diese gegenseitige Steigerung der Anpassungen scheint mir eines der wichtigsten Momente bei dem ganzen Um- wandlungsprocess der Arten gewesen zu sein, sie muss durch lange phylogenetische Arten-Reihen hindurch sich fortgesetzt haben, bei den verschiedensten Thierguppen und den verschiedensten Theilen und Charakteren vor- gekommen sein und noch vorkommen. Bei den oftgenannten grossen Tagfaltern indischer und afrikanischer Wälder, den auch im Text erwähnten Kallima paralecta, inachis und albofasciata ist die Blatt- zeichnung, „Färbung und Gestalt" so täuschend ausge- bildet, dass Unvorbereitete auch in nächster Nähe ein Blatt zu sehen glauben. Dennoch ist die Aehnlichkeit keine vollsändige, wenigstens habe ich unter etwa 16 Exemplaren, die ich in den Sammlungen von Amsterdam und Leyden musterte, keines gefunden, welches mehr als zwei Seitenrippen auf der einen und mehr als drei auf der andern Seite der Mittelrippe des vermeintlichen - 87 - Blattes aufgewiesen hätte, während etwa 6 oder 7 Seiten- rippen jederseits hingehört hätten. Die 2 — 3 Seiten- rippen genügen aber so vollständig zur Täuschung, dass man sich nur wundern muss, wie es zu einer relativ so genauen Nachahmung hat kommen können, wie die Scharf- sichtigkeit der Vögel eine so hohe werden konnte, dass sie im raschen Flug diese rippenähnlichen Linien über- haupt noch erkannten, oder genauer, dass sie die minder vollständige Uebereinstimmung mit einem Blatt bei Exem- plaren mit einer Rippe weniger noch bemerkten. Es ist übrigens sehr möglich, dass der Process der Steigerung in dem Falle von Kallima noch im Gange ist ; wenigstens fielen mir ziemlich starke individuelle Unterschiede in der Blattzeichnung auf. Bei der Steigerung der Länge der Röhrenblumen und der Schmetterlingsrüssel nun liegt das trei- bende Moment weder in der Blume, noch in dem Schmet- terling, sondern in den andern Besuchern der Blume, welche ihr den Honig rauben, ohne ihr den Gegendienst der Fremdbestäubung zu leisten. Kurz gefasst kann man sagen: aus flachen Blumen mit offen liegendem Honig, wie sie als die ältesten angenommen werden müssen, wurden allmählich solche mit tiefer liegendem, geborgenen Honig. Vermuthlich ging auch der ganze Process zunächst von der Blume aus, indem eine Tiefer- legung des Honigs den Vortheil hatte, ihn vor Regen zu sichern (Hermann Müller), und eine grössere Menge Honig aufzuspeichern, somit also den Besuch der Insekten zu steigern und überhaupt zu sichern. Sobald dies geschah, begann auch der Züchtungsprocess der In- — 88 — sekten-Mundtheile, indem ein Theil derselben ihren Rüssel in dem Masse verlängerte, in welchem der Honig in die Tiefe rückte. Dieser Process musste andauern, denn so- bald einmal die blumenbesuchenden Insekten sich in kurzrüsselige und längerrüsselige getheilt hatten, musste bei allen denjenigen Blumenarten eine weitere Steigerung der Blumenröhre eintreten, für welche der ge- sicherte Besuch weniger Insektenarten vor- theilhafter war, d. h. ihre Wechselbefruch- tung sicherer vermittelte als der unsichere Besuch zahlreicher verschiedener Arten. Hierin liegt der Grund der weiteren Steigerung, und es leuchtet ja ein, dass die Wechselbefruchtung einer Blumenart um so sicherer durch ein Insekt vermittelt werden wird, je weniger Blumenarten dasselbe besucht und je genauer dasselbe in Grösse, Gestalt, Behaarung, in seiner Art des Eindringens in die Blüthe den Eigenthümlichkeiten derselben angepasst ist. Insekten, welche aus allen mög- lichen Blumen Honig holen, werden häufig den Pollen nutzlos vergeuden, indem sie ihn in eine ganz andere Pflanzenart hineinbringen, Insekten aber, welchen nur wenige Blumen zugänglich sind, müssen viele Blumen derselben Art hintereinander besuchen, bringen also den Pollen meist an den richtigen Ort. Die Blumenröhre und der Rüssel der sie befruchten- den Schmetterlinge musste also so lange zunehmen, als es für die Blume noch vortheilhaft war, andere, minder ständige Besucher auszuschliessen und als es für den Schmetterling vortheilhaft war, sich den Alleinbesitz der Blume zu sichern. Der Wettkampf findet also - 89 - hier nicht statt zwischen der Blume und dem sie befruchtenden Schmetterling, sondern zwischen diesen Beiden und den übrigen Be- suchern der Blume, welche ausgeschlossen werden sollen. Das Nähere über die Vortheile, welche im Ausschluss anderer Besucher für die Blume, im Allein- besitz der Blume für den Schmetterling liegen, über die vielseitigen und genauen Anpassungen zwischen Blume und Insekt, über die Vor- und Nachtheile, welche die Bergung des Honigs u. s. w. mit sich führen, sehe man bei Hermann Müller1) nach, der diese Verhältnisse bis ins Einzelne hinein erörtert und in vortrefflicher Weise klar gelegt hat. 1) Hermann Müller „Die Befruchtung der Blumen durch In- sekten und die gegenseitigen Anpassungen Beider". Leipzig 1873 p. 434 u. f. Siehe auch die zahlreichen späteren Arbeiten desselben über das gleiche Thema. * ) 3. Anpassungen bei Pflanzen x). Dass Christian Conrad Sprengel der Erste war, der erkannte, dass die Formen und Farben der Blumen keine Zufälligkeiten , „Naturspiele" oder gar Augenergötzungen für den Menschen bedeuten, sondern dass sie die Wirkung haben, Insekten als Kreuzungsver- mittler anzulocken, ist allgemein bekannt. Ebenso, dass diese schon vom Ende des vorigen Jahrhunderts herrüh- rende Entdeckung, welche damals Aufsehen machte, spä- ter wieder in Vergessenheit gerieth und erst durch Ch. Darwin's Wiederaufnahme des Problems wieder ans Licht gezogen wurde. Sprengel hatte in seinem 1793 in Berlin erschie- nenen Werk: „Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und der Befruchtung der Blumen" an mehreren hun- dert Blumen die Eigenthümlichkeiten im Bau und der Färbung der Blumen als berechnet auf Anlockung der Insekten und Befruchtung der Blumen durch Insekten nachgewiesen. Aber erst sein Nachfolger auf diesem Gebiete erschloss auch die Bedeutung dieser Kreuzungs- vermittlung der Insekten, indem er zeigte, dass, wenn auch nicht in allen, so doch in vielen Fällen die Absicht der Natur auf Vermeidung der Selbstbefruchtung gerichtet ist, und dass durch Kreuzung kräftigere und zahlreichere Nachkommen entstehen, als durch Selbst- befruchtung (vergl. Darwin „On the fertilisation of Orchids by Insects" London 1877). 1) Zusatz zu p. 9. — 9i — ^Seither haben verschiedene Forscher diese Verhält- nisse weiter aufgeklärt, so Kern er, Delpino, Hilde- brand; in besonders vielseitiger und durchgreifender Weise aber Hermann Müller, der an der einheimi- schen Blumenflora durch direkte Beobachtung einerseits feststellte, welche Insekten- Arten die Kr euzungs- Ver- mittler einer bestimmten Blumenart sind, andrerseits den Bau der Insekten mit dem der Blumen in Zusam- menhang betrachtete und die Beziehungen zwischen bei- den zu ermitteln suchte. Auf diese Weise gelang es ihm in vielen Fällen, in den Vorgang der Blumenge- staltung bis zu einem gewissen Grade einzudringen und bestimmte Insekten als die „unbewussten Züchter" gewisser Blumenformen nachzuweisen. Er unterscheidet nicht nur die von Fäulnissstoffen liebenden Zweiflüglern hervorgerufenen, widerlich riechenden, meist auch un- scheinbaren „Ekelblumen" von den „Falter- und Schwär- mer-Blumen", sondern auch diese wiederum von den durch Schlupfwespen gezüchteten, von den „Grabwespen- Blumen" und den eigentlichen Bienenblumen, sondern er glaubt auch in einzelnen Fällen (Viola calcarata) nach- weisen zu können, dass eine Blume, die ihre ursprüng- liche Gestalt der Züchtung durch Bienen verdankt, später dadurch zu einer Falterblume umgewandelt wurde, dass sie in die alpine Kegion emporwanderte, in welcher die Falter bei weitem die Bienen an Menge über- treffen. Wenn auch der Natur der Sache nach manches Hypothetische in den Deutungen mit unterläuft, welche er den einzelnen Theilen der Blume gibt, so ist doch — 92 — die grosse Mehrzahl derselben sicherlich richtig und es ist gewiss von grossem Interesse, zu sehen, bis in welche Einzelheiten und „Kleinigkeiten" hinein die Bau- und Färbungsverhältnisse der Blumen sich als Anpassungen verstehen lassen x). Ueber den Aderverlauf der Blätter und seine Bedeutung für die Funktion des Blattes hat Sachs („Vorlesungen über Pflanzen-Physiologie" Leipzig 1882 p. 58 und folgende) sehr einleuchtende Aufklärungen ge- geben. Er zeigt, wie die Nervatur des Blattes in jedem einzelnen Fall gerade so beschaffen ist, wie sie sein muss, um ihren Zweck vollständig zu erfüllen. Sie hat zunächst die Aufgabe, die Zu- und Abfuhr der Nähr- stoffe zu besorgen, weiter aber soll sie die dünn ausge- breitete, assimilirende Chlorophyllschicht gespannt er- halten und „flach ausgebreitet dem Lichte darbieten"; endlich aber wird sie dazu verwendet, das Blatt vor dem Zerreissen zu schützen. In sehr überzeugender Weise wird gezeigt, wie aus diesen drei Principien heraus sich die ganze Mannigfaltigkeit der Blatt-Nervatur ver- stehen lässt. Auch hier also , wo man früher nur ein verwirrendes Chaos mehr zufälliger Gestaltungen, ein reines Spiel der Natur mit Formen zu sehen glaubte, herrscht Zweckmässigkeit. 1) Vergl. Hermann Müller ,,Die Befruchtung der Blumen durch Insekten und die gegenseitigen Anpassungen Beider". Leipzig 1873 und ausserdem noch viele Aufsätze im „Kosmos" und andern Zeitschriften. -4-»- 4. Ueber die behauptete Vererbung erworbener Veränderungen *). Wenn oben gesagt wurde: „Vererbung künstlich er- zeugter Krankheiten ist nicht beweisend", so bezieht sich dies auf die einzigen Versuche, welche meines Wissens bis jetzt für die Vererbbarheit erworbener Eigenschaften an- geführt werden konnten, auf die Versuche von Brown- Sequard2) an Meerschweinchen. Bekanntlich erzeugte derselbe an Meerschweinchen künstlich Epilepsie, indem er gewisse Theile des centralen oder auch des peripheri- schen Nervensystems durchschnitt. Die Nachkommen dieser mit erworbener Epilepsie behafteten Thiere erbten mitunter die Krankheit der Aeltern. Die Versuche sind später von Obersteiner3) in Wien wiederholt und in sehr präciser und vollkommen objectiver Weise dargestellt worden. An der Thatsache selbst ist nicht zu zweifeln ; dass wirklich einzelne Junge künstlich epileptischer Thiere in Folge der Krankheit ihrer Aeltern wieder Epilepsie bekommen haben, darf als 1) Zusatz zu p. 21. 2)Brown-Sequard „Researches on epilepsie ; its artificial production in animals and its etiology, nature and treatment". Boston 1857. Ausserdem verschiedne Aufsätze im Journal de physiologie de l'homme Bd. I und III 1858 und 1860, und in „Archives de physiolo- gie normale et pathologique" Bd. I— IV, 1868 — 1872. 3)„Oesterreichische medicinische Jahrbücher" Jahrgang 1875, p. 179. — 94 — feststehend angenommen werden, allein meines Erachtens hat man kein Recht, daraus den Schlus zu ziehen, dass erworbene Charaktere vererbt werden können, denn Epilepsie ist kein morphologischer Charak- ter, sondern eine Krankheit. Von Vererbung eines morphologischen Charakters könnte doch nur dann die Rede sein, wenn hier durch die Nerven Verletzung eine bestimmte morphologische Veränderung gesetzt würde, welche zugleich Ursache der Epilepsie wäre, und welche sich bei den Jungen ebenfalls zeigte und auch dort die Krankheitserscheinungen der Epilepsie hervor- riefe. Dass es sich aber so verhält, ist nicht nur nicht nachgewiesen, sondern ist sogar in hohem Grade unwahr- scheinlich. Nachgewiesen ist nur, dass viele der Jungen solcher künstlich epileptisch gemachter Aeltern klein, schwächlich, marastisch sind, oft bald absterben, dass andere Lähmungserscheinungen an verschiednen Körper- theilen zeigen, an der einen oder an beiden hintern oder auch an den vordem Extremitäten, andere wieder trophische Lähmungen an der Hornhaut des Auges, die zu Entzündung und Vereiterung derselben führen. In ganz seltenen Fällen zeigen die Jungen neben solchen paretischen Erscheinungen auch noch die Neigung, auf einen gewissen Hautreiz hin in jene tonischen und klonischen Krämpfe zu verfallen, verbunden mit Verlust des Bewusstseins, wie sie das Bild des epileptischen An- falls darstellen. Unter 32 Jungen epileptischer Aeltern waren nur zwei derartige, und beide gingen, „da sie wenig lebensfähig waren", in kurzer Zeit zu Grunde. Die Versuche sind ja in jedem Fall höchst interes- — 95 — sant, aber man kann doch nicht sagen, dass hier eine bestimmte morphologische Abänderung, welche bei den Aeltern künstlich hervorgerufen wurde, sich auf die Kinder vererbt habe. Nicht der Defekt in dem durch- schnittenen Nervenstamm, oder das Fehlen eines heraus- geschnittnen Stückes Gehirn vererbt sich. Was sich vererbt, ist vielmehr ein Krankheitsbild, und es fragt sich doch erst, worauf die Entstehung dieser Krankheit im Nachkommen beruht. Das bestimmte Krankheitsbild der Epilepsie überträgt sich aber nicht einmal immer, oder in vielen, sondern nur in sehr wenigen Fällen und auch in diesen nicht rein, sondern vermengt mit andern Krankheitssymptomen. Die Jungen sind entweder ganz gesund — 13 von 30 Fällen — , oder sie sind mit den oben genannten verschiedneu Funktionsstörungen des Nervensystems, motorischen und trophischen Lähmungen behaftet, wie sie durchaus gar nicht zur Epilepsie ge- hören. Wenn man also den Sachverhalt genau ausdrücken will, so wird man nicht sagen dürfen, die Epilepsie ver- erbt sich auf die Nachkommen, sondern vielmehr: der- artige künstlich epileptisch gemachte Thiere übertragen auf einen Theil ihrer Nachkommen die Anlage zu verschiedenen Nervenkrankheiten, zu moto- rischen, weniger zu sensibeln, in ausgesprochner Weise aber zu trophischen Nervenlähmungen; in selt- neren Fällen, und zwar in solchen, iu welchen die Läh- mungserscheinungen einen hohen Grad erreicht haben, überträgt sich auch die Epilepsie. Wenn man nun bedenkt, dass doch schon eine be- - 96 - trächtliche Zahl von Krankheiten bekannt ist, welche auf der Anwesenheit eines lebendigen Krankheitserregers im Körper beruhen und welche durch diese Krankheits- erreger von einem auf den andern Organismus übertragen werden können, dürfte man da nicht allein schon aus den eben angeführten Thatsachen mit grösserem Kecht an einen noch unbekannten Bacillus denken, der seinen Nährboden in der Nervensubstanz hat, als an eine mor- phologische Aenderung, etwa in der histologischen oder molekularen Struktur eines bestimmten Hirntheils? Je- denfalls würde sich die Uebertragung einer solchen Strukturänderung auf die Keimzelle schwieriger verstehen lassen als die Uebertragung eines Bacillus durch Eindrin- gen desselben in die älterliche Sperma- oder Eizelle. Für die Möglichkeit des Ersteren liegt noch keine einzige Thatsache vor, Letzteres ist für Syphilis, Blattern und neuerdings auch für Tuberkulose l) wahrscheinlich gewor- den, wenn auch der Bacillus selbst im Ei oder der Sa- menzelle noch nicht gesehen wurde ; für die Muscardine- Krankheit der Seidenraupe ist es aber sicher erwiesen. Jedenfalls lässt sich auf diese Weise verstehen, warum die Jungen verschiedene Formen von Nervenkrank- heiten bekommen, was unverständlich bleibt, wenn man annehmen will, es finde hier eine wirkliche Vererbung, 1) Auch bei [Tuberkulose ist jetzt eine direkte Uebertragung des Krankheits - Erzeugers durch den Keim wahrscheinlich gewor- den , nachdem bei einem achtmonatlichen Kalbsfotus in den Lungen Tuberkel-Bacillenhaltige Knötchen nachgewiesen wurden , während die Mutter in hohem Grade an Lungen-Tuberkulose litt. Eine Infektion durch die Placentar-Gefässe wäre freilich wohl nicht ganz auszuschlies- sen. Vergl. „Portschritte der Medicin" Bd. III, 1885 p. 198. — 97 — d. h. eine erbliche Uebertragung eines morphologischen Charakters statt, einer krankhaften Strukturveränderung irgend eines Nervencentrums. Auch die Art, wie die künstliche Epilepsie nach der Operation sich zeigt, spricht für die infektiöse Natur der Krankheit in diesen Fällen. Einmal folgt Epi- lepsie nicht blos einer bestimmten Verletzung des Ner- vensystems nach, sondern den verschiedensten. Brown- Sßquard rief sie hervor, indem er ein Stück der grauen Substanz des Gehirns herausschnitt, ferner, indem er das ganze Rückenmark durchschnitt, oder nur die eine Seitenhälfte, oder nur die Hinterstränge desselben, oder nur die Vorderstränge, oder indem er nur einen Stich ins Rückenmark ausführte. Am wirksamsten schie- nen die Verletzungen des Rückenmarks in der Strecke vom 8. Brust- bis 2. Lendenwirbel zu sein, allein der Erfolg trat auch zuweilen nach der Verletzung jedweden andern Abschnittes ein. Ferner trat Epilepsie ein nach Durchschneidung des Nervus ischiadicus, des Nervus popli- taeus internus, der hintern Wurzeln für die Nerven des Beins. In allen diesenFällen entwickelt sich dieKrankheit erst im Laufe von Tagen oder W o c h e n , und erst wenn 6—8 Wochen nach der Operation vergangen sind, ohne dass ein Anfall aufgetreten ist, kann man nach Brown -S equard sicher sein, dass die Ope- ration erfolglos war. Obersteiner sah stets erst „einige Tage nach der Durchschneidung eines Nervus ischiadi- cus" die ersten Symptome einer beginnenden Erkrankung einsetzen: „an einer gewissen Parthie des Kopfes und Halses, auf der Seite der Operation nimmt die Empfind- 7 _ 93 - lichkeit ab" ; „kneift man das Thier an dieser, Zone epi- leptogene genannten Gegend, so krümmt es sich nach der Seite der Verletzung, und es erfolgen einige heftige Kratzbewegungen mit dem Hinterbein derselben Seite; wartet man wieder einige Tage, mitunter mehrere Wo- chen, so wird nach Kneifen in der Zone mit diesen Kratzbewegungen ein vollständiger epileptischer Anfall eingeleitet". Die Veränderung, welche die Durchschnei- dung an dem Nervenstamm verursacht, ist also offenbar nicht die direkte Ursache der Epilepsie, sondern nur die Einleitung zu einem Krankheitsprocess , der sich vom Nerven aus centripetalwärts fortsetzt nach irgend einem wie es scheint in der Pons und im verlängerten Mark, nach Andern1) in der Hirnrinde gelegenen Cen- trum. Nach der Ansicht Nothnagel^2) müssen in jenem Centrum gewisse, ihrem Wesen nach noch völlig unbekannte, vielleicht histologische, vielleicht auch nur „molekulare" Veränderungen hervorgerufen wer- den, welche eine funktionelle Veränderung, nämlich eine erhöhte Irritabilität der dort liegenden grauen Ner- vencentren, hervorrufen. Nothnagel selbst hält es für „möglich, ja für wahrscheinlich-', dass in den Fällen, in welchen Epilepsie auf Nervendurchschneidung folgte, eine Neuritis ascendens 1) Vergl. Unvericht ,, Experimentelle und klinische Untersu- chungen über die Epilepsie". Berlin 1883. In Bezug auf die Frage der Vererbung ist es gleichgültig, an welchem Punkte des Gehirns das epileptische Centrum liegt. 2) Vergl. Ziemssen's Handbuch der spec. Pathologie und The- rapie Bd. XII, 2. Hälfte; Artikel: ,, Epilepsie und Eklampsie". Leipzig 1877. - 99 — d. h. also eine am Nerven sich hinaufziehende Entzün- dung die Ursache der centralen Veränderungen sei. Nach dem, was wir heute von Bakterien und den durch sie erzeugten Krankheitsprocessen wissen, fände wohl die oben geäusserte Vermuthung, dass es sich in diesen Fällen um eine Infektionskrankheit handelt, in dieser von Nothnagel angenommenen Neuritis ascendens eine nicht unwesentliche Stütze. Nimmt man aber noch hinzu, dass die Nachkommen solcher künstlich epileptischen Thiere selbst wieder epileptisch werden können, in den meisten Fällen aber überhaupt nur nervenkrank werden, bald in diesem bald in jenem Theil, bald mehr lokal, bald ganz allgemein (Marasmus in Folge trophischer Nervenstörungen), so wüsste ich wahrlich nicht, in welch' anderer Weise man ein Verständniss dieser Thatsachen gewinnen wollte, als durch die Annahme, dass es sich in diesen Fällen traumatischer Epilepsie — wenn ich so sa- gen darf — um eine Infektionskrankheit handelt, angeregt durch Mikrobien, deren Nährboden die Nervensubstanz ist und deren erbliche Uebertragung auf ihrem Eindrin- gen in die Eizelle und in das Spermatozoon beruht. Ober steiner fand, dass die Jungen häufiger krank waren, wenn die Mutter, als wenn der Vater epileptisch war. Die Eizelle ist eben dem Samenfaden tausendmal an Masse überlegen, wird also auch häufiger von Mikro- bien inficirt werden und zahlreichere enthalten können. Es versteht sich, dass damit nicht gesagt sein soll, dass jede Epilepsie auf Infektion , oder auf der Anwe- senheit von Mikrobien im Nervensystem beruhen müsse. Westphal erzeugte Epilepsie, indem er den Meer- IOO — schweinchen einen oder mehrere starke Schläge auf den Kopf versetzte, und hier trat der epileptische Anfall so- fort ein und wiederholte sich später von selbst wieder. Von Mikrobien kann also hier keine Rede sein, die Er- schütterung muss vielmehr hier dieselben morphologischen und funktionellen Veränderungen in den Centren des Pons und der Medulla oblongata hervorgerufen haben, wie sie in jenen andern Fällen durch das Eindringen von Mikrobien hervorgerufen wurden. Nothnagel sagt auch in Uebereinstimmung damit ausdrücklich: „Wahr- scheinlich liegt der Epilepsie überhaupt nicht eine gleichmässige , stets wiederkehrende histologische Ver- änderung zu Grande; vielmehr möchten verschieden- artige anatomische Alterationen den sie bildenden Symp- tomenkomplex hervorrufen können, vorausgesetzt, dass diese Alterationen immer die gleichen (anatomisch und auch physiologisch gleichwertigen) Partien in Brücke und verlängertem Marke betreffen" (a. a. O. p. 269). Wie ein sensibler Nerv durch verschiedene Reizungen als Druck, Entzündung, Malaria-Infection zu derselben Re- aktion, zu Schmerz veranlasst wird, so könnten auch jene Nervencentren durch verschiedene Reize zu Auslö- sungen jener Krampf- Anfälle und ihren weiteren Folgen veranlasst werden , die wir Epilepsie nennen. Solche Reize wäre bei den W e s t p h a 1 'sehen Fällen starke me- chanische Erschütterung, bei den Brown-Sequard' sehen das Eindringen von Microbien. Mag nun diese Ansicht richtig sein oder nicht, in keinem Fall wird man sich irgend eine Vorstellung da- von machen können, wie es möglich sein soll, dass eine 101 — morphologische, erworbene Abänderung, die nicht grob anatomisch, ja wahrscheinlich auch nicht histologisch, sondern die rein molekularer Art ist, sich derart auf die Keimzellen des betreffenden Individuums übertragen sollte, um dort eine Veränderung in der feinsten Mole- külarstruktur des Keimplasma's zu veranlassen , und zwar eine solche, die zur Folge hat, dass diese Keim- zelle, wenn sie befruchtet wird und sich zum neuen Thier aufbaut, zu der nämlichen epileptogenen Molekü- larstruktur jener Nerven-Elemente in dem grauen Kern des Pons und der Medulla oblongata führte, wie sie die Aeltern erworben hatten! Wie sollte das geschehen? Was sollte überhaupt in die Ei- oder Samenzelle hinein- geführt werden, damit sie die betreffende Veränderung erlitte ? D a r w i n'sche „Keimchen" vielleicht ? aber diese repräsentiren ein jedes eine Zelle; hier aber haben wir es nur mit Molekülen oder Molekülgruppen zu thun, man müsste also für jede Molekülgruppe ein besonderes Keimchen annehmen und somit die ohnehin schon un- endliche Zahl der Keimchen noch um etliche Milliarden vermehrt denken! Aber gesetzt selbst, die Theorie der Pangenesis sei richtig, es cirkulirten wirklich „Keimchen" im Körper und unter ihnen auch solche von jenen er- krankten Gehirnelementen, und auch von Letzteren ge- langte ein Theil in die Keimzellen des Thieres, zu welch' abenteuerlichen Vorstellungen führte die weitere Verfol- gung dieser Idee. Welch' umfassbare Menge von Keim- chen müssten sich da in einem einzigen Samenfaden zusammenfinden, wenn jedes Molekül oder jede Molekül- gruppe (Micell) des ganzen Körpers, welche zu irgend — 102 — einer Periode der Ontogenese an ihm Theil genom- men hatte, nun auch in der Keimzelle durch ein Keim- chen vertreten sein müsste! Und doch wäre dies die unvermeidliche Consequenz der Annahme, dass erwor- bene Molekülarzustände bestimmter Zellgruppen sich vererben könnten. Nur mittelst einer Evolutions- theorie — und die Pangenesis Darwin's ist nichts Anderes — könnte dies theoretisch verständlich gemacht werden, d. h. durch die Annahme, dass die einzelnen Theile und Entwicklungszustände des Körpers als be- sondere Stückchen Materie schon im Keim ent- halten wären, als Anlagen, die den betreffenden Theil und den betreffenden Zustand des Theils aus sich her- vorgehen Hessen, wenn die Reihe sich zu entwickeln an sie gekommen wäre. Ich will nur kurz darauf hinweisen, in welche un- lösbare Widersprüche man durch eine solche Theorie verwickelt würde. Ein und derselbe Körpertheil müsste durch eine Vielheit von Keimchen in Ei- oder Spermazelle vertreten sein, die den verschiedenen Ent- wicklungsstufen desselben entsprächen. Denn wenn Keimchen von jedem Theil des Körpers abgegeben wer- den, die diesen Theil, so wie er gerade augenblicklich ist, später beim Aufbau des jungen Thieres wieder bilden können, so müssen besondere Keimchen für jede Entwicklungsstufe abgegeben werden , wie dies Darwin in seiner „provisorischen Hypothese" der Pan- genesis auch ganz folgerichtig annimmt. Nun ist aber doch die Ontogenese eines jeden Theils ein Continunm und setzt sich in Wahrheit nicht aus getrennten Stufen — 103 — zusammen, sondern diese „Stufen" sind von uns in den kontinuirlichen Gang der Ontogenese hineingetragen! Wir bilden hier wie überall in der Natur künstliche Abtheilungen, um uns dadurch den Ueberblick möglich zu machen und feste Punkte zu ge- winnen inmitten des ununterbrochenen Formenflusses. Wie wir Arten im Verlauf der Phylogenese unterschei- den, während doch in W7ahrheit nur allmähliche Umwand- lungen ohne scharfe Grenzlinien stattgefunden haben, so sprechen wir auch von Stadien in der Ontogenese, wäh- rend doch nie zu sagen ist, wann die eine Entwicklungs- stufe aufhört und die folgende anfängt. Diese ein- zelnen „Stufen" aber sich im Keim als besondere „Anlagen" zu denken, scheint mir doch eine etwas kindliche Vorstellung zu sein, ähnlich derjenigen, welche den jugendlichen Schädel des heiligen Laurentius in Madrid, den erwachsenen in Rom aufbe- wahrt sein lässt. Zu solchen Vorstellungen aber wird man nothwendig getrieben , wenn man die Vererbung erworbener Eigen- schaften annimmt. Und doch gibt eine Evolutions- theorie allein noch die Möglichkeit, eine Erklärung zu versuchen; eine epigenetische Theorie kann daran gar nicht denken. Nach einer solchen enthält der Keim keine vorgebildeten Anlagen, sondern er ist in seiner Gesammtheit so beschaffen, seiner chemischen und mo- lekularen Zusammensetzung nach, dass unter bestimmten Verhältnissen aus ihm ein bestimmter zweiter Zustand her- vorgeht — ich will z. B. sagen : die zwei ersten Furchungs- zellen — : diese sind wiederum so beschaffen, dass aus * - ... V — 104 — ihnen nur ein ganz bestimmter dritter Zustand hervor- gehen kann — die vier ersten Furchungszellen , und zwar die einer ganz bestimmten Species und eines ganz bestimmten Individuums. Aus dem dritten Zustand folgt der vierte u. s. w., — und so entsteht schliesslich ein ausgebildeter Embryo und noch später ein erwach- senes geschlechtsreifes Thier. Keiner seiner Theile war im Ei, aus dem es sich entwickelt hat, als besondere Anlage, als materielles, noch so kleines Theilchen vorhanden; die Hauptmasse der Materie, aus der das Thier besteht, ist ja überhaupt erst während seines Wachthums hinzugekommen. Wenn also in irgend einem Organ des fertigen Thieres eine ererbte Besonderheit sich einstellt , so ist dieselbe Folge der vorangehenden Ent- wicklungszustände, und wenn wir im Stande wären, bis zur Molekülarstruktur hinab alle diese aus einander her- vorgegangenen Zustände rückwärts bis zur Eizelle hinab zu durchschauen, so würden wir auch in dieser irgend eine minimale Difierenz in der Molekülarstructur finden, die sie von den übrigen Eizellen derselben Art unter- scheidet und die die Ursache ist, weshalb auf einer viel späteren Stufe der Entwicklung jene Besonderheit .sich einstellt. Nur auf diese Weise könnten wir uns die Ursache der individuellen Unterschiede und also auch der individu- ellen erblichen Krankheits-Anlagen vorstellen. Die ange- borene erbliche Epilepsie, falls sie nicht auch , wie ver- muthlich die erworbene, aufMikrobien beruht, würde in dieser Weise aufzufassen sein. Nun fragt es sich aber, wie man sich vorstellen könne, dass traumatische, also erworbene Epilepsie sich — io5 — den Keimzellen mittheilen könne! Offenbar fehlt dazu auf Grundlage der eben dargelegten epigenetischen Ent- wicklungstheorie jede Möglichkeit! Denn auf welche Weise sollte die Keimzelle von der in der Pons Varolii und der Medulla oblongata eingetretenen Molekülar- Umstimmung, oder wenn man lieber will: histologischen Veränderung betroffen werden ? Und nehmen wir selbst einen Augenblick an, trophische Nerveneinflüsse vermöch- ten vom Gehirn her einen Einfluss auf die Keimzellen auszuüben, und dieser könnte noch in etwas Anderm be- stehen als in besserer oder schlechterer Ernährung, er vermöchte auch das Keimplasma in seiner sonst so un- erschütterlichen Molekülarstruktur zu verändern, wie sollte man sich vorstellen, dass diese Veränderung nun gerade in dem Sinne erfolgte, wie es nöthig wäre, um dem Idioplasma die Molekülarstruktur der ersten onto- genetischen Stufe eines Epileptiker-Idioplasma's zu ge- ben ? Wie sollte nun die letzte ontogenetische Stufe der Epileptiker-Ganglienzellen (wie sie in der Pons des epileptischen Thieres ihren Sitz haben) dem Keimzellen- Idioplasma desselben Thieres diejenige Veränderung sei- ner Molekülarstruktur aufprägen können, durch welche es zum Epileptiker-Keimplasma wird? nicht etwa da- durch, dass etwas hinzugefügt würde — die Epigenesis kennt keine „Anlagen" in der Form vorgebildeter mate- rieller Besonderheiten — , sondern so, dass die Gesammt- masse des Keim-Idioplasma's, um ein Minimum in seiner Molekülarstruktur verändert würde. Mit vollkommenem Recht betont Nägeli, dass nur das feste Protoplasma Träger erblicher Anlagen sein kann, nicht das flüssige, — io6 — d. h. in Lösung übergegangene. Dafür liefert die That- sache den unzweifelhaften Beweis, dass der Antheil von materieller Substanz, welchen der Vater zum Aufbau des Kindes liefert, fast bei allen Thieren ein ungleich gerin- gerer ist als der der Mutter, ja bei den Säugethieren vielleicht nur etwa den „Hundertbillionsten Theil" vom Antheil der Mutter beträgt, und dass trotzdem die Ver- erbungsintensität auf Seiten des Vaters ebenso gross ist als auf der der Mutter x). In unserm Fall nun kann — vom Standpunkt der Epigenese aus — kein Gehirn- Molekül des epileptischen Thieres zu den Keimzellen in anderer als gelöster Form gelangen ; es kann also auch kein direkter Zuwachs an Idioplasma ihnen zugeführt werden, ganz abgesehen davon, dass in den epileptisch veränderten Gehirnzellen oder -Fasern das letzte Sta- dium der epileptischen Anlage, in den Keimzellen da- gegen das erste enthalten sein muss, dass also ein solcher Zuwachs nicht einmal etwas nützen könnte ! Man darf bestimmt aussprechen, dass eine andere als höchstens blos nutritive Beeinflussung der Keimzellen unter der Voraussetzung der Epigenese unmöglich ist. Eine nutritive Beein- flussung könnte, denkbarerweise, durch Veränderungen in dem trophischen Einfluss des Nervensystems auf die Geschlechtsorgane eintreten, allein durch blosse Ernäh- rungsdifferenzen kann die Struktur des Idioplasma's nicht geändert werden, jedenfalls nicht in dem bestimm- ten Sinn, in dem es hier verändert werden müsste. Die Vererbung künstlich erzeugter Epilepsie Hesse 1) Vergl. Nägeli, a. a. O. p. 110. — 107 — sich deshalb weder auf der Grundlage der epigenetischen Entwicklungstheorie erklären, noch auf der der evolu- tionistischen ; sie ist nur zu verstehen unter der Annahme, dass (in diesen Fällen mindestens) die Epilepsie auf der Einschleppung und Anwesenheit von lebendigen Krank- heitserregern, von Mikrobien, beruht. Bis jetzt war die Vererbung künstlich erzeugter Krankheiten, eben der Epilepsie, die einzige sichere Thatsache, welche für die Vererbung erworbener Eigenschaften angeführt werden konnte. Ich glaube gezeigt zu haben, dass diese Stütze eine trügerische ist, nicht weil die Thatsache der Ueb er- tragung der Krankheit unsicher wäre, sondern weil sie nicht auf Vererbung b eruhen kann, son- dern auf Ansteckung des Keimes beruhen muss. Es ist mir überhaupt, seitdem ich die Vererbung erworbener Eigenschaften angezweifelt habe, kein Fall entgegengehalten worden, der meine Ansicht zu er- schüttern im Stande gewesen wäre, wohl aber manche, bei welchen, wie in dem der künstlich erzeugten Epilep- sie, zwar die Vererbung feststand,, ohne dass es sich aber dabei um einen in Wahrheit erworbenen Cha- rakter gehandelt hätte. So theilte mir Fritz Müller noch kürzlich einen Fall mit, welchen er selbst als „ei- nen kaum anfechtbaren Fall von Vererbung erworbener Eigenschaften" auffasste. Die Beobachtung ist in mehr- facher Beziehung so interessant, dass ich sie hier mit- theilen möchte. In dem betreffenden Brief heisst es: „Unter den Beständen zweier Abutilon- Arten , an denen ich nie, weder vorher, noch nachher sechsblättrige Blu- — 108 — men gesehen habe, war eine Pflanze, die einige wenige sechsblättrige Blumen trug. Da diese Blumen mit Blü- thenstaub derselben Pflanze unfruchtbar sind, musste ich, um Samen einer solchen sechsblättrigen Blume zu er- halten, dieselbe mit Blüthenstaub einer anderen Pflanze befruchten, die nur fünfblättrige Blumen trug. An einer so erhaltenen Tochterpflanze der sechsblättrigen Mutter und des fünfblättrigen Vaters untersuchte ich nun drei Wochen lang alle Blumen ; es waren 145 fünfblättrige, 103 sechsblättrige und 13 siebenblättrige! Während derselben Zeit wurden die Blumen einer anderen, von denselben beiden Eltern, aber von zwei fünf blättrigen Blumen stammenden Pflanze untersucht; es waren 454 fünf- und 6 sechsblättrige, also nur 1,3 °|0 der letz- teren". Gewiss wird man zugeben müssen, dass die grosse Zahl der abnormen sechsblättrigen Blüthen bei der ersten der beiden Tochterpflanzen auf Vererbung beruhen muss. Allein die Sechsblättrigkeit ist keine erworbene, son- dern nur eine neu auftretende Eigenschaft, sie ist nicht die Reaktion des pflanzlichen Organismus auf äussere Reize, sondern zeigte sich bei Pflanzen, die unter den- selben äusseren Bedingungen standen wie die übrigen Abutilon-Pflanzen, die nur normale fünfblättrige Blüthen trugen. Sie muss also aus der anererbten Anlage der Pflanze selbst hervorgegangen sein, sei es durch eine spontane Aenderung des Idioplasma's derselben, sei es dadurch, dass in dieser Pflanze grade älterliche Keim- plasmen zusammentrafen, deren Combinirung im Tochter- Organismus zu scheinbar oder zu wirklich neuen Cha- — log — rakteren führen musste. Wir wissen ja, dass das Keim- plasma eines jeden Individuums nichts Einfaches ist, sondern ein sehr Zusammengesetztes; es besteht aus ei- ner Anzahl von Vorfahren-Keimplasmen, die in sehr ver- schiedener Proportion darin vertreten sind, obgleich wir nun über die Wachsthumsvorgänge des Keimplasma's und der aus ihm hervorgehenden ontogenetischen Idio- plasma-Stufen direkt Nichts erfahren können, so wissen wir doch, vornämlich aus den Erfahrungen am Menschen, dass die Merkmale der Vorfahren in sehr verschiedenen Combinationen und in sehr verschiedener Stärke bei den Kindern auftreten. Dies lässt sich etwa durch die An- nahme erklären , dass durch die Vereinigung der älter- lichen Keimplasmen bei der Befruchtung die in ihnen enthaltenen verschiedenen Vorfahren-Idioplasmen in ver- schiedener Weise zusammentreffen, sich verbinden und dadurch zu verschieden starkem Wachsthum gelangen. Gleiche Vorfahren-Idioplasmen werden durch ihr Zusam- mentreffen zur doppelten Wirkung gelangen, entgegen- gesetzte werden sich aufheben, und zwischen diesen beiden Extremen werden viele Zwischenstufen möglich sein. Diese Combinationen werden aber nicht nur im Momente der Befruchtung eintreten, sondern auch wäh- rend der ganzen Ontogenese, auf jeder Stufe derselben, denn jede Stufe hat ein aus Vorfahren-Idioplasma zu- sammengesetztes Idioplasma. Wir sind noch nicht weit genug, um im Einzelnen nachweisen zu können, wieso aus solcher Combinirung verschiedenartiger Idioplasmen wirklich neue Cha- raktere hervorgehen können, aber doch scheint mir diese — ITO — Auffassung z. B. der Knospen- Variation die bei weitem natürlichste zu sein. Ein Fall ist auch bekannt, in welchem sich bis zu einem gewissen Punkt einsehen lässt, wie ein neuer Charakter auf diese Weise entstehen kann. Es gibt Kanarienvögel mit Federbüschen auf dem Kopf, paart man aber zwei solcher Vögel miteinander, so werden diese, anstatt besonders schöne Federbüsche zu bekommen, meist kahlköpfig 1). Die Bildung des Federbusches beruht darauf, dass die Federn hier spar- samer stehen, und ein Streif der Haut des Kopfes über- haupt frei von Federn ist. Summirt sich nun diese sparsame Befiederung von beiden Aeltern her, so entsteht Kahlköpfigkeit, ein Charakter, der in der Vorfahrenreihe der heutigen Kanarienvögel wohl kaum je vorgekom- men ist. Worauf es nun beruht, wenn ein Blumenblatt mehr in einer Blume gebildet wird, wissen wir nicht, so we- nig, als wir einsehen können, aus welchen Ursachen der eine Seestern fünf, der andere sechs Arme hat; in die Mysterien des Aufeinanderwirkens der zwei älterlichen Keimplasmen mit ihrer Unzahl von Vorfahren-Idioplasma erster, zweiter bis xter Ordnung können wir im Ein- zelnen nicht eindringen, wir können aber trotzdem mit Bestimmtheit im Allgemeinen sagen, dass derartige Ab- weichungen das Kesultat dieses verwickelten Kampfes der Idioplasmen in dem sich aufbauenden Organismus ist, nicht aber das Resultat äusserer Einwirkungen. Wenn aber von erworbenen Charakteren gespro- 1) Siehe: Darwin „Das Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustand dnr Domestikation". Stuttgart 1873. — III — chen wird und zwar in Bezug auf die Frage von der Umgestaltung der Arten, so können damit nur diejenigen Veränderungen gemeint sein, welche eben nicht von innen heraus entstanden sind, sondern als Reaktion des Organismus auf äussere Einflüsse, vor Allem als Folge vermehrten oder verminderten Gebrauchs eines Theils oder Organs. Denn es handelt sich darum, zu erfahren, ob veränderte Lebensbedingungen, indem sie das Thier zu neuen Gewohnheiten zwingen , dadurch allein schon den Organismus direkt umzugestalten ver- mögen, oder ob die Wirkungen des vermehrten oder verminderten Gebrauchs auf das einzelne Individuum beschränkt bleiben und eine Umgestaltung der Art durch sie auf direktem Wege nicht möglich ist. Der von Fritz Müller beobachtete Fall ist aber noch in einer andern Beziehung von Interesse. Er scheint nämlich gegen meine Auffassung von der Ver- erbung zu sprechen, gegen die „Continuität des Keim- plasma's". Wenn eine einzelne Blume spezielle Ab- änderungen auf ihre Nachkommen übertragen kann, welche doch ihre Vorfahren nicht besessen haben, so liegt der Schluss nahe, dass hier nicht das Keimplasma der Aeltern in die Keimzellen der betreifenden Blume gelangt und dort die weiblichen Keimzellen gebildet haben könnten, sondern dass in der Blume neues Keim- plasma entstanden sei. Denn die neuen Eigenschaften stammen ja eben von dieser Blume und nicht von den Aeltern. Allein die Sache lässt sich doch auch anders auffassen. Ein Abutilon-Busch mit vielen Hundert Blu- men ist keine einfache Person, sondern ein Stock mit — 112 — vielen Personen, deren einzelne durch Knospung entstanden sind und zwar von dem ersten, aus dem Sa- men entwickelten Individuum. Ich habe bisher die Knospung noch nicht in den Bereich meiner theoretischen Erörterungen gezogen, es leuchtet aber ein, dass ich von meinem Standpunkte aus sie durch die Annahme verständlich machen muss, dass in knospenden Individuen nicht nur unveränder- tes Idioplasma der ersten ontogenetischen Stufe (Keim- plasma), sondern auch soweit verändertes enthalten ist, als es dem veränderten Bau der wurzellosen , auf dem Stamm oder den Aesten entspringenden Sprosse entspricht. Die Veränderung wird nur eine geringe sein, vielleicht sogar nur eine ganz unbedeutende, in- sofern es denkbar ist, dass die Hauptabweichungen der sekundären Sprosse von der primären Pflanze grossen- theils von den veränderten Bedingungen abhängen könn- ten, unter welchen sie sich entwickeln — nicht frei in der Erde, sondern im Pflanzengewebe. So wird man sich vorstellen dürfen, dass solches Idioplasma, wenn es zu einem Blüthenspross auswächst, zugleich diesem und den in ihm sich entwickelnden Keimzellen den Ursprung gibt. Damit aber ist das Verständniss der von Fritz Müller angeführten Beobachtung angebahnt, denn wenn der ganze Spross, der die Blüthe treibt, aus demselben specifischen Idioplasma hervorgeht, von dem ein Theil auch seine Keimzellen bildet, dann erklärt es sich, wa- rum diese Keimzellen dieselben Vererbungstendenzen enthalten , die auch bei der betreffenden Blume zum Ausdruck gekommen sind. Dass aber überhaupt an — ii3 — einem einzelnen Spross Abweichungen vorkommen können, das beruht wieder auf den oben auseinandergesetzten, im Laufe des Wachsthums eintretenden Verschiebungen in der Zusammensetzung des Idioplasma's, in dem ver- schiedenen Mengenverhältniss , in welchem die verschie- denen Vorfahren-Idioplasmen in ihm enthalten sein können. Gerade in der Fritz Müller'schen Beobachtung liegt eine schöne Bestätigung dieser Anschauung. Wäre es nämlich die einzelne Blume, welche ihre Sechsblättrigkeit auf das Plasma ihrer Keimzellen übertrüge, dann ver- stünde man nicht, warum in dem Gegenversuch, bei der Kreuzung fünfblättriger mit fünfblättriger Blume doch auch einige sechsblättrige Blumen zum Vorschein kamen, die doch sonst zu den grössten Seltenheiten gehören. Eine Erklärung dafür liegt nur in der Annahme, dass das in der Mutterpflanze enthaltene Keimplasma wäh- rend seines Wachsthums und seiner Verbreitung durch alle Aeste und Sprosse des Stocks an vielen Stellen zu einer solchen Combination sich zusammengeordnet hatte, welche überall da, wo sie allein dominirte, zur Bildung sechsblättriger Blumen führen musste. Ich will dabei gar nicht untersuchen, ob diese Combination etwa als Rückschlag aufgefasst werden kann, oder ob sie ein Novum darstellt. Das ist gleichgültig, aber die sechs- blättrigen Blumen des Gegenversuchs beweisen meines Erachtens, dass derartig kombinirtes Keimplasma in der Mutterpflanze verbreitet war und auch in solchen Spros- sen vorkam, welche keine sechsblättrigen Blumen hervor- brachten. < > » 8 5. Zur Entstellung der Jungfernzeugung1). Die Umwandlung der Wechselfortpflanzung (Hetero- gonie) zu reiner Jungfernzeugung (Parthenogenese) er- folgte offenbar nicht blos aus den im Text erwähnten Motiven, vielmehr spielen dabei noch verschiedene Um- stände mit. Auch kann reine Parthenogenese ohne die dauernde Zwischenstufe der Wechselfortpflanzung zu Stande kommen. So ist z. B. die reine und ausschliess- liche Jungfemzeugung, mittelst welcher sich der grosse blattfüssige Kiemenfuss (Apus) an den meisten seiner Wohnplätze vermehrt, nicht durch Ausfall ehemaliger Geschlechtsgenerationen entstanden, sondern vielmehr einfach durch Wegfall der Männchen und gleichzeitiger Erwerbung der Fähigkeit der Weibchen, Eier hervor- zubringen, die der Befruchtung nicht bedürfen. Wir sehen dies daraus, dass in diesem Falle hier und dort noch Kolonien vorkommen, in denen auch Männchen enthalten sind, oft sogar in bedeutender Zahl, wir wür- den jes aber auch, ohne davon Kenntniss zu haben, daraus schliessen dürfen, dass der Kiefenf uss nur eine Form von Eiern hervorbringt, nämlich hartschalige Dauereier. Ueber- rall aber, wo die Parthenogenese zuerst im Wrechsel mit geschlechtlicher Fortpflanzung eingeführt wurde, werden 1) Zusatz zu p. 57. - n5 — die Dauereier von der Geschlechtsgeneration hervorge- bracht, während die Jungferngenerationen dünnschalige Eier erzeugen, deren Embryo sofort ausschlüpft. Darauf beruht es eben, dass die Parthenogenese zu einer sehr raschen Vermehrung der Kolonie führt. Bei dem Kiefen- fuss wird diese Vermehrung der Individuenzahl auf ganz anderem Wege erzielt, nämlich dadurch, dass jedes Thier Weibchen ist, schon sehr früh anfängt Eier hervorzu- bringen und damit in steigender Fruchtbarkeit bis zu seinem Tode fortfährt. Dadurch sammelt sich eine so ungeheure Zahl von Eiern auf dem Boden der Pfütze an , die die Kolonie bewohnt , dass nach der Austrock- nung, bei der nächsten Füllung der Lache mit Wasser trotz vielfacher Zerstörung und Verschwemmung von Eiern doch immer noch eine grosse Zahl übrig bleibt, um einer zahlreichen Kolonie den Ursprung zu geben. Diese Form der parthenogenetischen Fortpflanzung ist für solche Fälle besonders passend, in denen die Art wirkliche vom WTetter völlig abhängige Regenpfützen bewohnt, die jeden Augenblick wieder verschwinden können. Hier ist die Zeit, während deren die Kolonie leben kann, oft eine so kurze, dass sie nicht genügen würde, um mehrere Generationen durch Sommer- oder Subitan-Eier auseinander hervorgehen zu lassen; ehe noch die parthenogenetischen Generationen abgelaufen wären, müssten alle durch plötzliches Austrocknen der Pfütze zu Grunde gehen, und die Kolonie wäre damit ausgestorben, denn die geschlechtliche Generation war noch nicht aufgetreten, Dauereier also noch nicht gebildet. Man sollte nun danach denken, dass solche Crusta- 8* — n6 — ceen, welche, wie die Daphniden, sich durch diesen Mo- dus der Wechselfortpflanzung entwickeln, in ganz epheme- ren Wasser-Ansammlungen überhaupt sich nicht halten könnten. Allein die Natur hat auch hier einen Weg der Anpassung gefunden. Wie ich früher gezeigt habe l), sind solche Daphniden-Arten, welche kleine Pfützen bewohnen, so regulirt, dass sie zwar auch zuerst durch Jungfern- zeugung sich vermehren und dann erst auf geschlecht- lichem Wege und durch Dauereier, aber nur die erste, aus den Dauereiern geschlüpfte Generation besteht rein nur aus Jungfern weibchen ; schon die zweite enthält zahlreiche Geschlechtsthiere, so dass also bei der raschen Entwicklung der Thiere schon wenige Tage nach Grün- dung der Kolonie, d. h. nach dem Ausschlüpfen der ersten Generation, Dauereier gebildet und abgelegt werden, und damit der Fortbestand der Kolonie gesichert ist. Aber auch bei den Daphniden kann die Wechsel- Fortpflanzuüg in reine Parthenogenese übergehen, und zwar durch Ausfall der Geschlechtsgenerationen. Bei einigen Bosmina- und Chydorus-Arten scheint dies ein- getreten zu sein , wenn vielleicht auch nur an solchen Kolonien, deren Bestand das ganze Jahr hindurch ge- sichert ist, also bei Seebewohnern und den Bewohnern nie zufrierender Wasserleitungen und Brunnen. Aber auch bei den Insekten ist bei einigen Arten (Chermes abietis) reine Parthenogenese auf ähnliche Weise ent- standen, nämlich durch Ausfall der Männchen bei der zweiten Generation. 1) Weismann, Naturgeschichte der Daphnoiden, Zeitschrift f. wiss. Zool. XXIII, 1879. — 117 — Keineswegs in allen Fällen liegen aber die Nützlich- keits-Motive, welche wir als Ursache eingetretener Par- thenogenese ansehen dürfen, so klar vor. Manchmal hat es den Anschein, als herrsche dabei die vollste Will- kür. So besonders bei der Parthenogenese der Muschel- krebse (Ostracoden). Hier pflanzt sich die eine Art rein nur durch Jungfernzeugung fort, die andere nur auf geschlechtlichem Wege, und eine dritte wechselt mit beiden Fortpflanzungsarten ab. Und doch stehen sich diese Arten alle sehr nahe, leben häufig miteinander an denselben Orten und scheinbar auch auf die gleiche Weise. Es ist aber dabei doch nicht zu vergessen, dass wir in die Einzelheiten des Lebens so kleiner Thiere nur mit grosser Schwierigkeit einigermassen eindringen können, und dass da, wo für unsern Blick ganz gleiche Lebensverhältnisse vorliegen, dennoch tiefgreifende Unter- schiede in Ernährung, Gewohnheiten, Feinden und Wider- standsmittel gegen Feinde, Angriflsmittel gegen Opfer bestehen können, die zwei am gleichen Orte lebende Arten doch auf eine ganz andere Existenz-Basis stellen. Dies kann nicht nur der Fall sein, sondern dies muss sogar meist so sein, sonst würden die Arten nicht aus- einandergewichen sein. Dass aber selbst bei ganz gleichen Lebensgewohn- heiten, wie sie ja verschiedenen Kolonien ein und der- selben Art zukommen, Verschiedenheit in der Fort- pflanzungsweise vorkommt, kann entweder darauf beruhen, dass diese Kolonien unter verschiedenen äusseren Be- dingungen leben, wie bei den oben erwähnten Daphniden Bosmina und Chydorus, oder aber darin, dass der Ueber- — n8 — gang von der geschlechtlichen Fortpflanzung zur Par- thenogenese nicht in allen Kolonien der Art sich mit gleicher Leichtigkeit und Schnelligkeit vollzieht. So- lange in einer Apus- Kolonie immer noch Männchen auftreten, wird die sexuelle Fortpflanzung nicht ganz schwinden können. Wenn wir nun auch die Ursachen, welche das Geschlecht bestimmen, noch durchaus nicht mit Sicherheit bezeichnen können, so darf doch be- hauptet werden, dass sie in zwei weit von einander getrennten Kolonien verschieden sein können. Sobald aber einmal Parthenogenese ein Vortheil für die Art ist, und ihre Existenz besser sichert als geschlechtliche Fortpflanzung, werden nicht nur solche Kolonien im Vortheil sein, welche weniger Männchen hervorbringen, sondern innerhalb der zweigeschlechtlichen Kolonien müssen auch solche Weibchen im Vortheil sein , deren Eier entwicklungsfähig sind, ohne dass eine Begattung vorhergegangen ist. Bei der Minderzahl der Männchen sind die anderen Weibchen nicht mehr sicher, der Be- fruchtung theilhaftig zu werden und entwicklungsfähige Eier abzulegen. Mit andern Worten: sobald überhaupt unter solchen Umständen Weibchen vorkommen, deren Eier von sich allein aus entwicklungsfähig sind, so bald muss auch die Entwicklungstendenz auf Beseitigung der geschlechtlichen Fortpflanzung gerichtet sein. Es scheint aber, dass wenigstens im Thierkreis der Gliederthiere die Fähigkeit, parthenogenetische Eier hervorzubringen, weit verbreitet ist. 6. Die Yererbungstheorie Ton Brooks l). Die einzige Theorie der geschlechtlichen Forpflanzung, welche wenigstens in einem Punkte mit der meinigen übereinstimmt, ist vor zwei Jahren von W. K. Brooks in Baltimore aufgestellt worden 2). Die Uebereinstim- mung liegt darin, dass auch Brooks die geschlechtliche Fortpflanzung als das Mittel ansieht, dessen die Natur sich bedient, um Variationen hervorzubringen. Die Art, wie er sich vorstellt, dass die Variabilität entsteht, ist freilich weit von meiner Ansicht entfernt, wie wir denn überhaupt in der Grundanschauung auseinandergehen. Während ich die Continuität des Keimplasma's als Grund- lage meiner theoretischen Auffassung der Vererbung hinstellte und deshalb dauernde und erbliche Veränder- lichkeit nur dadurch entstanden denken kann, dass entweder äussere Einflüsse direkt das Keimplasma ver- ändern, oder aber dass individuell verschiedenes Keim- plasma zweier Individuen bei jeder Zeugung miteinander gemischt und zu den verschiedensten Combinationen verarbeitet wird, fusst Brooks im Gegentheil auf der Vererbbarkeit erworbener Abänderungen und derjenigen 1) Zusatz zu p. 28 u. f. 2) Vergl. W. K. Brooks „The law of Heredity a study of the cause of Variation and the origin of living organisms." Baltimore 1883. — 120 — Anschauung, welche ich oben als den „Kreislauf des Keimplasma's" bezeichnete. Seine Theorie der Vererbung ist eine Modifikation der Darwinschen Pangenesis. Auch er nimmt an, dass jede Zelle des Körpers höherer Organismen winzige Keimchen abwerfe, aber nicht immer und unter allen Um- ständen, sondern nur dann, wenn sie unter neue, ungewohnte Bedingungen geräth. Solange die gewöhnlichen Verhältnisse, an welche sie angepasst ist, anhalten, funktionirt die Zelle in ihrer specifischen Weise, als ein Theil des Körpers, sobald aber ihre Funk- tion gestört wird und ihre Lebensbedingungen ungünstig werden „it throws of small particles which are the germs or gemmules of this particular cell". Diese Keimchen können dann nach allen Theilen des Organismus gelangen, sie können in ein Eierstocksei eindringen oder in eine Knospe, aber die männliche Keimzelle hat eine besondere Anziehungs- kraft, sie in sich zu sammeln und aufzu- speichern. Variabilität entsteht nun nach Brooks dadurch, dass bei der Befruchtung sich jedes Keimchen der Samen- zelle mit demjenigen Theil des Eies vereinigt, „der be- stimmt ist, im Laufe der Entwicklung zu derjenigen Zelle zu werden, welche der entspricht, von welcher der Keim herstammt". Wenn nun diese Zelle im Nachkommen sich ent- wickelt, so muss sie als Bastard Neigung haben zu variiren. Ein Eierstocksei wird sich ganz ebenso verhalten, und so werden die betreffenden Zellen so lange — 121 — variabel bleiben, bis eine günstige Abänderung von der Naturzüchtung aufgegriffen wird. Sobald dies eintritt, wird die „Keimchenproduktion aufhören, denn da der durch Selektion bevorzugte Organismus seine Eigen- schaften von einem Ei hat, und da dieses seine Eigen- schaften auf das Ei der folgenden Generation überträgt, so wird der betreffende bevorzugte Charakter zum festen Rassen-Charakter werden und wird von nun an als solcher von Generation auf Generation übertragen werden. Auf diese Weise glaubt Brooks zwischen Darwin und Lamarck zu vermitteln, indem er zwar die äussern Einflüsse den Körper oder einen Theil desselben variabel machen, die Natur der siegreichen Variation aber durch Selektion bestimmen lässt. Ein Unterschied von Dar- win's Auffassung ist allerdings vorhanden, wenn auch nicht in der Grundanschauung. Darwin lässt auch den Organismus durch äussere Einflüsse variabel werden und nimmt an, dass erworbene, d. h. durch äussere Einflüsse hervorgerufene Abänderungen sich dem Keim mittheilten und vererbt werden können. Aber nach seiner Ansicht gibt jeder Theil des Organismus fort- während Keimchen ab, die sich in den Keimzellen des Thiers ansammeln können, nach Brooks nur solche Theile, welche sich unter unvortheilhaften Bedingungen befinden oder deren Funktion gestört ist (p. 82). Auf diese Weise sucht der geistreiche Verfasser die unglaub- liche Anzahl von Keimchen herabzumindern, welche sich nach Darwin's Theorie in den Keimzellen ansammeln müssen und dabei zugleich zu zeigen, dass stets gerade — 122 — diejenigen Theile variiren müssen, die nicht mehr gut den Lebensbedingungen angepasst sind. Ich fürchte nur, dass Brooks hier zwei Dinge zu- sammenwirft, die verschieden sind und die nothwendig getrennt behandelt werden müssen, will man nicht zu unrichtigen Schlüssen gelangen, nämlich die Anpassung eines Körpertheils an den ganzen Körper, und die An- passung dieses selben Theils an die äussern Verhältnisse. Das Erste kann der Fall sein ohne das Zweite, und wenn das Zweite fehlt, so folgt daraus nicht im Gering- sten schon das Erste. Wie sollen Theile abändern, die den äussern Lebensbedingungen zwar schlecht angepasst sind, dagegen mit den übrigen Theilen des Körpers in vollkommener Harmonie stehen ? Wenn für das Abwerfen der Variation erzeugenden Keimchen die „Lebensbeding- ungen" der betreffenden Zellen „ungünstig" werden müs- sen, so tritt dies doch in einem solchen Fall offenbar nicht ein. Gesetzt die Stacheln eines Igels seien nicht lang, oder nicht spitz genug, um dem Thier hinlänglichen Schutz zu verleihen, so kann doch daraus kein Anlass zum Keimchen- Ab werfen, d. h. zur Variabilität der Stacheln hervorgehen, denn die Matrix der Stacheln befindet sich ja unter vollkommen normalen und günstigen Bedingungen, mögen die Stacheln nun länger oder kürzer sein. Sie werden ja nicht davon betroffen, wenn in Folge zu kur- zer Stacheln mehr Igel zu Grunde gehen als für die Art gut ist. Oder nehmen wir eine Raupe, die braun gefärbt ist, viel besser aber grün wäre, wie soll eine un- günstige Bedingung ihrer Hautzellen daraus hergeleitet werden, dass in Folge der braunen Färbung zahlreichere — 123 — Raupen von ihren Verfolgern entdeckt werden, als wenn sie grün wären? Und ganz ebenso steht es mit allen Anpassungen! Harmonie der Theile des Organismus ist die erste Bedingung der Lebensfähigkeit des Individuums ; ist diese nicht vorhanden, so ist es eben krank, dadurch aber, dass ein Theil oder ein Charakter den äussern Lebensbedingungen nicht genügend angepasst ist, kann nimmermehr diese Harmonie, d. h. also die richtige Er- nährung und Functionirung irgend eines Theils, irgend einer Zelle oder Zellengruppe gestört werden. Darwin lässt alle Zellen des Körpers fortwährend „Keimchen" abgeben, und dagegen lässt sich zunächst nichts weiter sagen, als dass es nicht erwiesen und überaus unwahr- scheinlich ist. Ein weiterer wesentlicher Unterschied von Darwin's Pangenesis-Theorie liegt aber darin, dass Brooks den beiderlei Keimzellen eine verschiedene Rolle zuweist, in- dem er sie — wie oben schon angedeutet wurde — in verschiedenem Grade mit Keimchen beladen oder gefüllt sein lässt, die Eizelle mit viel weniger als die Samen- zelle. Ihm ist die Eizelle das konservative Princip, wel- ches der Vererbung der ächten Rasse-Charaktere, oder der Art-Charaktere vorsteht, während er die Samenzelle für das fortschrittliche Element erklärt, welches die Varia- tionen vermittelt. Die Umwandlung der Arten soll also grösstentheils dadurch zu Stande kommen, dass Theile, die durch äussere Einwirkung in ungünstige Lage versetzt variirt haben, Keimchen abwerfen, diese den Samenzellen zusenden, und dass nun diese Samenzellen durch die Befruchtung die — 124 — Variation weiter fortpflanzen. Eine Steigerung der Varia- tion kommt dadurch zu Stande, dass die von der männ- lichen Keimzelle dem Ei zugeführten „Keimchen" sich im Ei mit Theilchen „vereinigen oder conjugiren können, welche ihnen nicht genau äquivalent sind, vielmehr nur sehr nah verwandt." Brooks nennt dies eine „Bastar- dirung", und da Bastarde variabler sind als reine Arten, so müssen also auch solche bastardirte Zellen variabler sein als andere. Der Verfasser hat mit vielem Scharfsinn seine Theorie bis ins Einzelne auszuarbeiten und seine Annahmen, so- weit möglich, durch Thatsachen zu stützen versucht. Es lässt sich auch nicht leugnen, dass es einzelne That- sachen gibt, die so aussehen, als spiele die männliche Keimzelle eine andere Rolle bei der Bildung des neuen Organismus wie die weibliche. So ist bekanntlich das Resultat der Kreuzung zwi- schen Pferd und Esel verschieden, je nachdem der Vater ein Pferd oder ein Esel war. Hengst und Eselin er- zeugen das mehr pferdeähnliche Maulthier, Esel und Stute den dem Esel sehr ähnlichen Maulesel. Ich will davon absehen, dass viele Autoren, wie Darwin, Flou- rens und Bech stein, der Meinung sind, dass der Ein- fluss des Esels überhaupt der stärkere sei, im weib- lichen Geschlecht aber weniger stark, und will die Mei- nung von Brooks annehmen, nach welcher der Einfluss des Vaters in beiden Fällen grösser ist als der der Mutter. Verhielte es sich so bei allen Kreuzungen ver- schiedener Arten, überhaupt bei allen normalen Befruch- tungen innerhalb derselben Art, dann würden wir aller- - I25 - dings auf einen, wenigstens der Stärke nach verschiede- nen Einfluss der männlichen und der weiblichen Keim- zelle auf das gemeinsame Produkt schliessen müssen. So verhält es sich aber keineswegs. Selbst bei Pferden kommt auch der umgekehrte Fall vor. „Gewisse Stuten von Rennpferden überlieferten stets ihren eignen Charak- ter, während andere den des Hengstes überwiegen Hessen/' Beim Menschen überwiegt ebenso häufig die mütter- liche als die väterliche Anlage, und obwohl in gewissen Familien die meisten Kinder dem Vater, in anderen die meisten der Mutter nachschlagen, so gibt es doch wohl keine Familie mit zahlreichen Kindern, in denen alle Kinder vorwiegend demselben Erzeuger nachfolgen. Wenn wir nun, ohne einstweilen noch der tieferen Ursache nachzuspüren, das Überwiegen des einen Erzeugers auf eine grössere Stärke der „Vererbungskraft" beziehen wollen, so werden wir also aus den Thatsachen nur das schliessen dürfen, dass diese „Vererbungskraft" selten oder nie in den beiden zusammen sich conjugirenden Keimzellen genau gleich ist, sondern dass auch inner- halb derselben Art bald die männliche, bald die weib- liche Zelle die stärkere ist, ja dass dass Verhältniss die- ser beiden Zellen wechselt, wenn sie von denselben beiden Individuen herrühren. Wie wären denn sonst die Kinder derselben Aeltern stets wieder in ver- schiedener Weise aus den Vererbungstendenzen der bei- den Aeltern gemischt? Es müssen also hier die nach- einander reifenden Eizellen derselben Mutter und ebenso die Samenzellen desselben Vaters verschieden sein in der Stärke ihrer Vererbungskraft. Wir können uns so- — 126 — mit kaum darüber wundern, dass auch die relative Ver- erbungskraft der Keimzellen verschiedener Spe- cies eine verschiedene ist, wenn wir auch noch nicht einsehen, warum dies der Fall ist. Es wäre übrigens nicht so schwierig, sich dies in allgemeiner Weise nach physiologischen Principien zu- recht zu legen. Die Menge des Idioplasma's, welche in einer Keimzelle enthalten ist, ist sehr gering; sie muss während der Entwicklung des Organismus fort und fort durch Assimilation vermehrt werden. Sollte nun die Fähigkeit zu assimiliren beim Keimplasma und den aus ihm hervorgehenden Idioplasma der verschiedenen onto- genetischen Stufen nicht immer genau gleich sein bei der männlichen und weiblichen Keimzelle, so würde sich daraus ein rascheres Wachsthum des väterlichen oder des mütterlichen Idioplasma's , und damit ein Ueberwiegen der väterlichen oder der mütterlichen Ver- erbungstendenzen ergeben. Oflenbar gibt es nun niemals zwei Zellen der gleichen Art, die ganz identisch sind, und so werden sie auch in Bezug auf ihre Fähigkeit zu assimiliren kleine Unterschiede besitzen. Daraus erklärt sich die verschiedene „Vererbungskraft" der in dem- selben Ovarium entstandenen Eizellen, noch leichter die verschiedene Vererbungskraft der in den Ovarien oder Spermarien verschiedener Individuen derselben Art ent- standenen Keimzellen, am leichtesten schliesslich die verschiedene Vererbungskraft der Keimzellen verschiede- ner Arten. Natürlich ist diese „Vererbungskraft" immer etwas relatives, wie man aus den Kreuzungen verschiedener — 127 — Arten und Rassen leicht ersieht. So überwiegen bei Kreuzung der Pfauentaube mit der Lachtaube die Cha- raktere der Ersteren, bei der Kreuzung der Pfauentaube mit der Kropftaube aber die Charaktere der Letzteren1). Nach weniger ausreichend für Begründung der Brook'schen Ansicht scheinen mir die Thatsachen zu sein, welche die Kreuzung von Bastarden mit der reinen Art und der daraus resultirende Grad von Variabilität der Nachkommen an die Hand gibt. Sie scheinen mir alle einer anderen Auslegung fähig als sie ihnen Brooks zu Theil werden lässt. Wenn ferner Brooks für seine Ansicht noch die sekundären Geschlechtsunterschiede herbeizieht, so scheint mir auch hier seine Auslegung der Thatsachen sehr angreifbar. Daraus dass die Männ- chen bei vielen Thierarten variabler sind oder stärker vom Urtypus abweichen als die Weibchen, kann man doch kaum schliessen, dass sie es sind, die Variabilität erzeugen. Gewiss hat bei vielen Arten das männliche Geschlecht in dem Umwandlungsprocess die Leitung übernommen , das . weibliche Geschlecht ist nachgefolgt, allein dafür lassen sich unschwer bessere Erklärungen finden als die Annahme, „that something within the animal compels the male to lead and the female to fol- low in the evolution of new breeds". Brooks hat mit vielem Scharfsinn einige Fälle herausgefunden, welche sich unter dem Darwinschen Gesichtspunkt der ge- schlechtlichen Zuchtwahl nicht mit voller Sicherheit heute schon deuten lassen. Berechtigt dies aber schon 1) Siehe: Darwin „Variiren der Thiere und Pflanzen im Zustand der Domestikation-' Stuttgart 1873. Bd. II, p. 75. — 128 — dazu, das Princip für ungenügeud zu halten und seine Zuflucht zu einer Vererbungstheorie zu nehmen, die ebenso complicirt als unwahrscheinlich ist? Die ganze Anschauung von der Uebertragung von „Keimchen" aus den modificirten Körperth eilen in die Keimzellen beruht schon auf der unerwiesenen Voraussetzung: dass erworbene Charaktere vererbt werden können. Die Ansicht aber, dass die männliche Keimzelle eine andere Rolle zu spielen habe bei dem Aufbau des Embryo als die weibliche, scheint mir schon deshalb nicht haltbar, weil sie mit der einfachen Beobachtung in Widerspruch steht, dass die menschlichen Kinder im Ganzen ebensoviel vom Vater als von der Mutter erben können. Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pöble) in Jena. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Oscar und Richard Hertwig. o. ö. Professoren an den Universitäten Jena und München. Untersuchungen zur Morphologie und Physiologie der Zelle. Heft 1. Die Kerntheilung bei Actinosphaerium Eichhorni. (Von R. Hertwig.) Mit 2 lithographischen Tafeln. 1884. Preis: 2 Mark. Heft 2. Welchen Einfluss übt die Schwerkraft auf die Theilung der Zellen? (Von 0. Hertwig.) Mit 1 lithographischen Tafel. 1884. Preis : 1 Mark 50 Pf. Heft 3. Das Problem der Befruchtung und der Isotropie des Eies, eine Theorie der Vererbung. (Von 0. Hertwig.) 1884. Preis: 1 Mark 50 Pf. Experimentelle Untersuchungen über die Bedingung der Bastardbefruchtung. (Von 0. und R. Hertwig.) 1885. Preis: 1 Mark 60 Pf. Dr. Oscar Hertwig, o. ö. Professor der Anatomie und Director der anatomischen Anstalt der Universität Jena. Die Symbiose oder das Genossenschaftsieben im Thierreich. Mit einer Tafel in Farbendruck. Preis : 1 Mark 80 Pf. Otto Hamann, Docent und Assistent am zoologischen Institut der Universität Göttingen. Beiträge zur Histologie der Echinodermen. Heft 1. Die Holotliurien. Mit 6 Tafeln und 3 Holzschnitten. Heft 2. Die Asteriden. Anatomisch und histologisch untersucht. Mit 7 Tafeln und 3 Holzschnitten. 1884. Preis: 7 Mark. 1885. Preis: 9 Mark. Verlag von Gustav Fischer in Jena. Eduard Strasburger, o. ö. Professor der Botanik an der Universität Bonn. Neue Untersuchungen über den Befruchtungsvorgang bei den Phanerogamen als Grundlage für eine Theorie der Zeugung. Mit zwei lithographirten Tafeln. 1884. Preis: 5 Mark. Prof. Dr, Wiedersheim, Director des anatomischen und vergl. anatomischen Instituts der Universität Freiburg i. Br. Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere auf Grundlage der Entwicklungsgeschichte bearbeitet. Mit 607 Figuren in Holzschnitt. 1882183. Preis: 24 Mark. Grundriss der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. Für Studierende bearbeitet. Mit 225 Holzschnitten. 1884. Preis broschiert: 8 Mark, gebunden: 9 Mark. Francis M. Balfour, m.a., f.r.s. Fellow and lecturer of Trinity College, Cambridge. Handbuch der vergleichenden Embryologie. Mit Bewilligung des Verfassers aus dem Englischen übersetzt von Dr. B. Vetter, Professor am Polytechnikum in Dresden. Zwei Bände. Erster Band 1880. Preis: 15 Mark. Zweiter Band 1882. Preis: 18 Mark. Frommannschc Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.