Digitized by the Internet Archive in 2010 with funding from Open Knowledge Commons (for the Medical Heritage Library project) http://www.archive.org/details/diebedeutungdeshOOflei DIE BEDEUTUNG DES HERZSCHLAGES FÜR DIE ATHMUNG. EINE NEUE THEORIE DER RESPIRATION DARGESTELLT FÜR PHYSIOLOGE]^ U:^rD ARZTE VON D« ERNST FLEISCHL v. MARXflW, k. k. a. ö. Professor der Physiologie an der Wiener Universität, corr. Mitglied der kaiserl. Akademie der Wissenschaften zu Wien. STUTTGART. VERLAG VON FERDINAND ENKE. 1887. O T>/--i r62 Druck von Gebrüder Kröner in Stuttgart. ERNST VON BRÜCKE I^ DAI^KBAEEE YEEEHRUlSra GEWIDMET VON SEINEM SCHÜLER. VorAYort. ^^cj-L^ I Die in den folgenden Blättern enthaltene Untersucliung hat den Verfasser — nach seiner Ansicht — zu einer neuen physiolo- gischen Theorie geführt. Jedenfalls aber war ihm in der Darstellung derselben so reich- liche Gelegenheit geboten, seine Anschauungen zum Ausdruck zu bringen, dass nur aus dem Grunde noch eine besondere, vorläufige Verständigung mit dem Leser erforderlich scheint, weil diesem Buche einige ganz auffallende Eigenthümlichkeiten anhaften, die allerdings der Erklärung oder Entschuldigung dringend bedürfen. Die erste von diesen liegt darin, dass, trotz des Eingreifens meiner Lehre in die wichtigsten Theile der experimentirenden Phy- siologie, doch die vorliegende Darstellung derselben eine reine „Schreibtischarbeit" ist, und keine neuen, auf Versuche begründeten, physiologischen Thatsachen enthält. Doch ist der Grund hiervon keineswegs der, dass etwa meine Theorie zu abstract, oder sonstwie ungeeignet zur experimentellen Behandlung Aväre. Ln Gegentheil! Es fliessen aus ihr zahh*eiche Anregungen zu neuen, allem Anscheine nach, wichtigen Versuchen. Auch war mein Plan für die Darstellung dieser Untersuchung ursprünglich, bevor ich noch begonnen hatte, meine oberflächliche Kenntniss der einschlägigen Litteratur zu ergänzen, ein ganz an- derer, von dem hier zur Ausführung gelangten, völlig verschiedener; und damals schien mir auch die Einbeziehung von Ergebnissen theils bereits ausgeführter, theils damals noch in Ausführung be- — VI — griffener Versuche in eine eventuelle, öffentliclie Mittheilung über den Gegenstand, beinahe selbstverständlich. Mit der Uebersicht über den enormen Besitz von Forschungs- ergebnissen, welcher der Physiologie auf diesem Gebiete zu Eigen ist, entwickelte und befestigte sich dann aber in mir allmälig die Ueberzeugung, dass eben in diesem Besitze bereits das thatsächliche Material für einen empirischen Beweis meiner Theorie zur Genüge, und im Ueberfluss, enthalten ist. Nun schien es mir einerseits zweckmässig, die experimentellen Consequenzen aus dieser Theorie in der Darstellung zu trennen von der Entwicklung und Begründung der Theorie selbst aus bereits bekannten und anerkannten Thatsachen; — und anderseits empfahl sich eine zusammenhängende, systematische Darlegung des Inhaltes und ümfanges der neuen Lehre — vor jeder Specialuntersuchung über die eine oder die andere, in ihr enthaltene Frage — aus mehreren Gründen. Einige von diesen Gründen, welche mehr allgemeiner Natur sind, scheinen mir kaum einer ausdrücklichen Erwähnung zu bedürfen, — andere, welche mit der besonderen Beschaffenheit des, hier abgehandelten Gegen- standes in näherem Zusammenhange stehen, setzen eben die Kennt- niss dieser besonderen Beschaffenheit -so sehr voraus, dass sie ohne dieselbe gar nicht gewürdigt werden können; so dass ich ihre Vorführung theils in den Text selbst, theils an dessen Ende ver- wiesen habe. Auch folgende Ueberlegung hat dazu beigetragen, mich für den, hier ausgeführten Plan der Veröffentlichung zu bestimmen. Ich darf mir nicht einbilden, die Experimentaluntersuchungen, welche als nothwendige Forderungen durch die neue Anschauungs- weise bedingt werden, oder auch nur einen überwiegenden Theil davon, selbst durchzuführen. Welchen Sinn hätte es also, mit der Veröffentlichung meiner — wie ich glaube — schon jetzt wohl- begründeten Auffassung zurückzuhalten? Jede Unternehmung oder Bestrebung, die darauf abzielt, An- dere von wissenschaftlicher Arbeit abzuhalten, ist verwerflich. Der ZufaU, der mir die Bedeutung der „Percussion" des Blutes für den Lebensprocess der warmblütigen Thiere zeigte, verpflichtete - VII — mich zwar zu keiner Aeusserung über den noch unreifen, wissen- schaftlich unzulänglichen Ideencomplex , — berechtigt mich aber auch zu keinem Anspruch auf die Ausbeutung der, nach den Grund- sätzen unserer Wissenschaft, spruchreifen Theorie ! Aus demselben Grunde habe ich auch vermieden, h-gendwelche Andeutungen zu machen über die Versuche, mit welchen ich mich zunächst zu beschäftigen gedenke, und zum Theil bereits beschäf- tige, ausgehend von den Prämissen der „Percussionstheorie". Denn eine solche Ankündigung schiene mir, insoferne sie, auf die Discretion der Fachgenossen zählend, eine Abhaltung derselben von der Arbeit über die bezeichneten Themata bezweckte, im Sinne des ausgesprochenen Grundsatzes, verwerflich. — Diess mag einst- weilen genügen zur Rechtfertigung der Eigenthümlichkeit dieses physiologischen Buches, keine neuen Versuche zu enthalten ! Eine andere Abweichung vom allgemeinen Gebrauche, wegen deren ich mich zu rechtfertigen habe, liegt in der Verwendung, die in diesem Buche von der Litteratur gemacht ist. Da ich mich — wie soeben besprochen wurde — keiner neuen Thatsachen bediene ; eine Theorie aber nur auf thatsächlicher Grund- lage errichtet werden kann, so versteht es sich von selbst, dass mir die Erfalu'ungen Anderer zur Basis dienen mussten. Mir, der ich keine Geschichte der früheren Theorien, sondern eine, von ihnen allen verschiedene, neue Theorie des Gaswechsels zu verfassen hatte, lag es völlig fern, die Thatsachen, die mir dienen sollten, in der Beleuchtung und Auslegung, in der sie ihrem ersten Entdecker erschienen — überhaupt in irgend einer anderen, als einer rein pragmatischen Darstellung zu verwenden. Hätte ich auch nur die mindeste Gerechtigkeit — die natür- lichste, einfachste Billigkeit in der Verwendung der Litteratur für meinen Zweck walten lassen, so wäre meine ganze Darstellung da- durch sehr undurchsichtig und schleppend geworden, und viel weit- läufiger. Denn dann hätte ich doch jedenfalls den einschneidenden Unterschied zwischen den Anschauungen der beiden grossen, deut- schen, physiologischen Schulen zum Ausdrucke bringen müssen, in welche dermalen das, hier in Frage kommende Gebiet unserer — VIII — Wissenscliaffc gespalten erscheint — jedesmal, so oft ich in den Kreis meiner Betrachtungen eine Erfahrung einbezogen hätte, die von jenen beiden Standpunkten aus eine verschiedene Deutung er- halten hatte, die Gegenstand der Controverse gewesen ist. Da schien es mir doch weit besser, von vornherein auf alle historische Gerechtigkeit und litterarische Vollständigkeit zu ver- zichten, und mich grundsätzlich um keine frühere Meinungsverschie- denheit zu kümmern; sondern mir von den grossen Schulen, in welchen diese Arbeiten ausgeführt, diese Thatsachen gefunden, diese Meinungen vertheidigt und angefochten wurden, eine bestimmte aus- zuwählen, an die ich mich zunächst in meiner Darstellung wende und halte, insoferne ich überall da, wo es die Natur des Gegenstandes erheischt, von einer bestimmten, bekannten Auffassung der That- sachen auszugehen, mich der Anschauungsweise dieser Schule bediene. Also eine blosse Rücksicht auf Einfachheit und Klarheit der Darstellung war es, was mich zu dem, scheinbar ungerechten und willkürlichen Vorgehen bestimmt hat, andere, ebenso wichtige und werthvoUe Auffassungen unerwähnt zu lassen, und eine grosse An- zahl der bedeutendsten Arbeiten auf dem Gebiete der Respirations- lehre gar nicht zu beachten. Ich habe eben eine Untersuchung nur dann in den Kreis meiner Betrachtungen einbezogen, wenn ihr Inhalt in unmittelbarstem Zusammenhang mit der Darstellung oder Begründung der „Percussionstheorie" stand. Auch glaubte ich, bei dem Leser dieses Buches eine so weit gehende Bekanntschaft mit den wichtigsten Arbeiten und Lehren der Respirationsphysiologie voraussetzen zu dürfen, dass ich mir ein solches Vorgehen erlauben konnte, ohne befürchten zu müssen, dadurch zu Missverständnissen Anlass zu geben. Auf ein gewisses Maass physiologischer Vorkenntnisse ist auch insoferne beim Leser dieses Buches gerechnet, als ich eine ansehn- liche Reihe bekannter Thatsachen verwendet habe, ohne mich auf ihre Begründung, oder auf den Nachweis ihrer Provenienz einzu- lassen. Das entgegengesetzte Verfahren hätte gleichfalls den Um- fang meiner Schrift ungebülirlich vergrössert; und hätte sie zugleich ihres Charakters als Monographie entkleidet, und ihr dafür den eines Lehrbuches aufgedrückt. — IX — Dass ich unter den gegebenen Verhältnissen meine Theorie nicht weiter in's Einzelne verfolgt habe, wird man mir gewiss zu Gute halten, wenn man bedenkt, welchen grossen Gefahren des Irrthums ich mich sofort aussetze, wie ich mich verleiten lasse, den Boden der Thatsachen ganz zu verlassen, und Speculation an Speculation zu knüpfen. Ich habe desshalb bei vielen Gelegenheiten, wenn es mir auch so schien, als Hesse sich eine Frage leicht und ungezwungen aus meiner Theorie beantworten, dennoch die Antwort unterdrückt, oder lieber die Frage gar nicht aufgeworfen, falls sich für die Richtig- keit der Antwort kein Argument aus der Erfahrung, sondern nur ihre Folgerichtigkeit geltend machen Hess. Wenn ich auch nicht berechtigt bin, zu sagen, dass ich jeder solchen Gelegenheit zur Aufstellung von Hypothesen ausgewichen bin, so ist diess doch so häufig der Fall gewesen, dass ich mich jetzt genöthigt finde, den Leser zu bitten, er möge nicht aus jeder auffallenden, und dennoch unerörtert gebliebenen Beziehung der „Percussionstheorie" zu irgend einer Frage, sofort den Schluss ziehen, diese Beziehung sei der Aufmerksamkeit des Verfassers völlig entgangen. Nur solche Beziehungen dachte ich, zu erwähnen und zu er- örtern, die mir schon bei dem heutigen Umfange unserer positiven Kenntnisse eine entschiedene Bestätigung meiner Theorie zu ent- halten schienen; und dann solche, welche sich einstweilen mit letzterer nicht vereinbaren lassen, und die somit als Gegengründe gegen meine Auffassung anzusehen wären. Doch bin ich bisher keiner einzigen Erscheinung begegnet, welche eine solche wider- sprechende Beziehung zu der „Percussionstheorie" gehabt hätte. Sonst aber hatte ich keinen Anlass zu einer erschöpfenden, syste- matischen Darstellung der Lehre vom Gaswechsel. Denn die That- sachen, welche den materiellen Inhalt dieser Lehre bilden, sind unabhängig von der Auffassung, die ihnen zu Theil wird; und welches immer das Schicksal der, hier vorgetragenen, neuen An- schauung, der „Percussionstheorie", sein möge, ob sie den Fach- genossen als unhaltbar erscheinen, oder ob sie bestätigt, und als richtig befunden, und allgemein angenommen werden möge: an — X — den Fundamenten der Physiologie der Respiration wird sicli nichts ändern ; und auch daran wird sich nichts mehr ändern, weder jetzt noch später, dass Carl Ludwig und E. Pflüger die Begründer und Schöpfer dieses grossen Wissensgebietes sind, und dass ihnen alles Verdienst um diese ganze Lehre gebührt. Hätte ich aber anders verfahren, und alle Möglichkeiten und Denkbarkeiten, die sich der Speculation vom Standpunkte der neuen Lehre aus darbieten, wirklich verfolgen, und hier darlegen wollen, so hätte ich damit nur die Zahl meiner Irrthümer muth willig ver- grössert. Denn so fest ich auch davon überzeugt bin, dass die Theorie der „Percussion des Blutes" im Allgemeinen richtig ist, so wenig zweifle ich daran, dass sie in der Gestalt, welche ich ihr dermalen zu geben vermochte, von zahlreichen Lücken durchbrochen, und ausserdem mit zahlreichen Fehlern durchflochten ist. Wien, 24. October 1887. Inhalt. I. Einleitung 1 IL Der chemische Charakter des Lebens 8 IIL Darlegung- der Theorie über die Wirkungen des Herzschlages . 20 IV. Anwendungen der Theorie 36 V. Welchen Einfluss hat das Schütteln des Blutes auf seine Ent- gasung? 43 VI. Kritische Argumente 51 VII. Die Vorgänge in der Lunge 66 VIII. Die Wärmetönung im Blute 72 IX. Die Vorgänge im linken Herzen 81 X. Die Vorgänge in den Arterien 96 XL Die Vorgänge in den Capillaren 109 XIL Die Vorgänge in den Venen 124 XIII. Die Vorgänge im rechten Herzen 130 XIV. Die Strömungsverhältnisae im Gebiete des Halssympathicus . . 150 XV. Die Strömungsverhältnisse in anderen Organen 159 XVI. Die Intensität der Percussion bei den homöothermen Wirbel- thieren 166 XVII. Die Höhe der Temperatur bei den homöothermen Wirbelthieren 177 XVIII. Beschränkung der Percussionstheorie auf die homöothermen Wirbelthiere 180 XIX. Anderweitige Respirationsverhältnisse 184 XX. Bemerkungen zur Percussionstheorie. Schluss ....... 187 L Einleitung. Zu der einen oder der anderen von den folgenden beiden Voraussetzungen muss sich wohl jeder Physiologe bekennen: Ent- weder man muss annehmen, das Hämoglobin sei unter allen, im Thierkörper vorkommenden Substanzen diejenige, welche die grösste chemische Affinität zum Sauerstoff besitzt, — oder man muss an- nehmen, dass im Thierkörper — wenigstens zeitweise — Substanzen vorkommen, welche eine grössere chemische Affinität zum Sauerstoff besitzen, als das Hämoglobin. Nun ist — wie sich ohne grosse Schwierigkeit zeigen lässt — weder die eine, noch die andere von diesen beiden Annahmen in Einklang zu bringen mit den bekanntesten und unzweifelhaftesten Thatsachen der Physiologie. So dass wir uns offenbar mit unseren Anschauungen über die elementaren Vorgänge bei der Athmung nicht ganz auf richtiger Grundlage befinden. Ehe ich jedoch in die eigentliche Untersuchung dieses Gegen- standes eintrete, müssen gewisse — scheinbar ferne liegende — Ver- hältnisse des Capillarkreislaufes, und ihre nächsten chemischen Con- sequenzen erörtert werden. Nehmen wir an, es befinden sich in einem gemeinschaftlichen, indifferenten Lösungsmittel zwei Substanzen, A und B, in den Quan- titäten a und b aufgelöst ; und die Mischung der beiden Substanzen sei im Moment, in welchem wir sie zu betrachten beginnen, eine vollkommen homogene. Ferner sei die Beschaffenheit der beiden Substanzen eine solche, dass sie — in flüssigem Zustande einander begegnend — auf einander chemisch einwirken ; nehmen wir an, sie verbinden sich unter der genannten Bedingung ohne Weiteres mit einander zu der Substanz AB. Um gleich von vorn herein P'leiH<)il V. Marxow, liedfjutung des Herzschlagea. 1 — 2 — möglichst concrete Voraussetzungen zu machen, wollen wir als ge- meinsames Lösungsmittel beider Substanzen Wasser annehmen, und wollen unter A ein freies Säurehydrat, unter B ein basisches Metall- hydroxyd verstehen, und die Mengen a und b sollen sich so zu ein- ander verhalten, wie diejenigen Quantitäten von A und B, die sich mit einander zu dem Salze AB verbinden. — Die Flüssigkeit, in der die beiden Körper A und B — einstweilen noch als solche, unverbunden — gelöst sind, befinde sich in einem Gefässe von cylindrischer Gestalt, dessen Höhe seinem Durchmesser ungefähr gleich ist. . Wenn nun im nächsten Moment die chemische Wirkung zwischen A und B zum Ausdrucke kommt, so wird die Bildung des Körpers AB nicht auch schon in demselben Moment überall in der ganzen Flüssigkeit vollzogen sein, sondern — wie allgemein bekannt ist — die Herstellung der chemischen Verbindung wird mit einer end- lichen Geschwindigkeit erfolgen, welche, ausser von der besonderen Natur der auf einander einwirkenden Substanzen, noch von einer Reihe anderer Einflüsse, wie z. B. von der Temperatur, abhängt; und unter diesen Einflüssen ist einer, der sich wohl bei jedem derartigen Vorgange in sehr wesentlicher, und stets in der gleichen Weise geltend macht, und der uns hier ganz besonders interessirt: das ist die jeweilige Concentration der Lösung, ihr relativer Gehalt an noch unverbundenen Molekeln der Constituenten. Da diese Con- centration sich in währender chemischer Einwirkung continuirlich ändert, wird auch die Verbindungsgeschwindigkeit, d. i. die Quan- tität der Verbindung, welche während der Zeiteinheit in der Raum- einheit der Flüssigkeit entsteht, vom ersten Moment der Einwirkung angefangen, in jedem folgenden Moment eine andere sein, als sie im vorhergehenden war; und zwar wird sie, wenn der Einfluss der Concentration nicht durch andere Einflüsse überwogen wird — wie etwa durch eine erhebliche Temperatursteigerung — so lange der chemische Process überhaupt dauert, wie diess ja in der Natur der Sache begründet ist, in stetiger Abnahme begriffen sein. Ich sage, es liegt diess „in der Natur der Sache" begründet, und meine damit Folgendes. Man braucht weder auf dem Stand- punkte der heutigen kinetischen Flüssigkeitstheorie, noch auf irgend einem anderen bestimmten, theoretischen Standpunkte bezüglich der Constitution von Flüssigkeiten oder Lösungen zu stehen, um die Berechtigung der Vorstellung einzuräumen, dass die Zeit, die ver- geht, bis sich zwei bestimmte, in derselben Flüssigkeit gelöste Molekeln zu einer dritten verbinden, direct abhängt von der Ent- fernung, welche zu Beginn der Einwirkung dieser beiden Molekeln auf einander, zwischen ihnen in der Flüssigkeit gelegen ist; so dass also diese Zeitstrecke um so länger wird, je länger die Wegstrecke zwischen den beiden Molekeln zu Beginn ihrer Einwirkung auf ein- ander war. Auch mit der Annahme wird man nicht weit fehl gehen, dass sich jede Molekel der Substanz A mit derjenigen Molekel der Substanz B zur Salzmolekel AB verbindet, welche ihr im gegebenen Moment von allen die zunächst gelegene ist. Da wir angenommen haben, dass zu Beginn die Körper A und B in der Flüssigkeit in äquivalenten Quantitäten vertreten waren, so müssen wir auch zu- geben, dass während der ganzen Dauer des chemischen Processes, bei welchem ja nur die eine Verbindung AB, oder explicite: |A (n.aj -|- B (n.b) } ^) gebildet wird, die jeweiligen freien, noch unverbundenen Molekeln der beiden Körper A und B stets in dem ursprünglichen, äquivalenten Verhältnisse vorhanden sind. Haben wir aber erst diese, nicht abzuweisende Concession ge- macht, dann müssen wir uns auch bequemen, den Begriff der „mittleren, kleinsten Moleculardistanz" anzuerkennen. Dieser Begriff hat — vi nominis — zum Inhalte: jene Wegstrecke, welche in irgend einem Verflussmomente des chemischen Processes, im Mittel zwischen einer Molekel des Körpers A, und der ihr zunächst gelegenen Molekel des Körpers B sich befindet. Wie man sieht, ändert sich der Betrag dieser „mittleren, kleinsten Moleculardistanz" fortwährend, so lange der Process der Verbindung dauert, und zwar ist er in stetem Wachsen begriffen. Da aber von der Grösse dieses Betrages die Zeit abhängt, die vergeht, bevor sich eine Molekel A mit einer Molekel B wirk- lich räumlich berühren, und chemisch verbinden kann, und da ferner, wie aus einer oben gegebenen Definition folgt, von dieser Zeit wieder die jeweilige Verbindungsgeschwindigkeit selbst ohne Weiteres abhängt: so müssen wir auch zugeben, dass wir die vielfach be- stätigte Erfahrungsthatsache einer stetig abnehmenden Verbindungs- geschwindigkeit in allen Fällen von der Art des, dieser ganzen Be- trachtung zu Grunde gelegten Falles vollkommen verständlich — ja ') Hier bedeutet ri einen echten Bruch, dessen Zülilcr gleich pjins, dessen Nenner gleich der Zahl der scliliesslich vorliandenen »Salzniolekeln ist. __ 4 — nothwendig gefunden haben, zu Folge der Berücksichtigung der mittleren, kleinsten Moleculardistanz. Wir wollen jetzt eine, der soeben vorgenommenen ähnliche Betrachtung anstellen, der wir jedoch andere Voraussetzungen über die Anordnung der Materie zu Beginn der chemischen Einwirkung, und andere Bedingungen für den Ablauf derselben zu Grunde legen; und zwar die folgenden: Zwei Substanzen, A und B, welche sich mit einander chemisch zu verbinden vermögen (zu der Substanz AB), sind einstweilen noch in freiem Zustande vorhanden. Jede von ihnen ist in einer in- differenten Flüssigkeit — nehmen wir an: in Wasser — aufgelöst; doch sind die beiden Lösungen nicht, wie im vorhergehenden Bei- spiel, mit einander gemischt, sondern sie sind von einander getrennt. Die Lösung, welche den Körper A enthält, ist in die Form einer rechteckigen Tafel oder Platte von verschwindender Dicke gebracht; die Breite dieser Platte nennen wir „B"i ihre Länge „L". Die Anzahl von Molekeln der Substanz A, welche sich in dieser Platte gelöst befinden, sei „m". — Die Lösung der Substanz B ist in eine ähnliche, tafelförmige Gestalt gebracht. Die Breite dieser Tafel ist gleich der ersterwähnten: B; doch ist die Dicke dieser zweiten Tafel nicht eine verschwindende, sondern sie hat den Betrag „D", welchen wir uns von derselben Grössenordnung vorzustellen haben, von der die „mittleren kleinsten Moleculardistanzen" im früheren Beispiele waren. Die Länge dieser Tafel ist unbegrenzt, wir theilen sie aber in lauter gleich grosse Strecken ab, jede von der Länge X. In jedem Abschnitte unserer zweiten Tafel, der die Länge X hat, ist eine Anzahl von Molekeln des Körpers B enthalten, die so gross ist, wie der zehnte Theil von m; so dass ein Stück der zweiten Tafel, welches die Länge 10 X hat, ebenso viele Molekeln enthält, wie die erste Tafel deren überhaupt enthält. Ferner stellen wir uns vor, die Verbindung AB sei eine soge- nannte „Molecularverbindung", und es trete zu je einer Molekel derselben immer je eine Molekel von A mit je einer Molekel von B zusammen. Endlich sei die Möglichkeit gegeben, die beiden Platten so übereinander zu legen, dass Breite auf Breite, und Länge auf Länge fällt, so dass die beiden Lösungen in der Ausdehnung B X L mit einander in Berührung sind, und in dieser Lage sei die erste Platte längs der zweiten über diese hinzuschieben; — mit be- liebiger Geschwindigkeit. Auch wollen wir uns vorstellen, sämmt- liehe Molekeln der Substanz B seien in ihrer Platte an jener Fläche vertheilt, welche der Berührungsfläche dieser Platte mit der anderen Platte gegenüber liegt; und nun werde die erste Platte an die zweite angelegt, und sofort mit einer solchen Geschwindigkeit über diese hingeführt, dass an jeder Stelle derselben, über welche die erste Platte hingeglitten ist, sämmtliche, vorher freien Molekeln B in die Verbindung AB übergeojanffen sind. Fragen wir nun bei dieser Anordnung der Substanzen nach der Abhängigkeit der Verbindungsgeschwindigkeit von der Zeit, die seit dem Beginn der chemischen Einwirkung, also seit dem Beginn der Bewegung beider Platten längs einander, verstrichen ist, so erhalten wir folgende Antwort. Während der Zeit, die die erste Platte brauchte, um über eine Strecke von der Länge X der zweiten Platte sich fortzubewegen, wurde eine Anzahl von Molekeln der Verbin- dung AB gebildet, die gleich ist: — . — Während des darauffolgen- den, ebenso langen Zeitabschnittes, binnen dessen die erste Platte eine zweite Strecke X auf der zweiten Platte zurücklegte, bildeten sich abermals — r- Molekeln der Verbindung AB; ebenso während eines dritten, vierten u. s. w. ebenso langen Zeitabschnittes, und auch während des zehnten Zeitabschnittes; es hat sich ja während dieser ganzen Zeit an der Grösse, welche wir schon vom vorher- gehenden Beispiele her als die maassgebende kennen: nämlich an der mittleren Moleculardistauz nichts geändert. Während der Zeit aber, in welcher die erste Platte ein elftes Mal die Strecke X auf der zweiten Platte zurücklegt, wird gar keine Molekel der Ver- bindung AB mehr gebildet. In diesem Falle also, und in allen jenen Fällen, die ihrem Wesen nach mit ihm übereinstimmen, existirt keine Abhängigkeit der Verbindungsgeschwindigkeit von der Zeit! In diesen Fällen werden vielmehr — solange überhaupt noch eine chemische Ein- wirkung stattfindet — in gleichen Zeittheilen stets gleiche Mengen der Verbindung gebildet! Welches aber sind jene Fälle, die „ihrem Wesen nach" mit dem eben geschilderten übereinstimmen? Worin liegt das charakte- ristische Moment für diese Kategorie? Darin: dass während des Fortschreitens des chemischen Processes nichts an der mittleren Moleculardistanz geändert wird, dass diese constant bleibt; und — 6 — ferner darin: dass während des Fortschreitens des Processes die Zahl der, in der Zeiteinheit zur Wirkung gelangenden Molekelpaare nicht verringert wird. Hierfür ist aber nothwendig, dass die Molekeln der einen Substanz stets wieder ersetzt werden, und dass die der anderen Substanz stets im Ueberschuss vorhanden sind. Ersterer Bedingung kann genügt werden, entweder — wie in unserem Beispiele — durch eine Bewegung, der zu Folge stets neue Flüssigkeitsmassen den alten substituirt werden, oder durch einen wirklichen Ersatz an Ort und Stelle der, in die Verbindung übergeführten Molekeln durch neue, noch unverbundene ; der zweiten Bedingung kann genügt werden, entweder — wie in unserem Bei- spiele — durch einen wirklichen Ueberschuss der Molekeln dieser Substanz, oder wiederum durch einen stetigen Ersatz der aufge- brauchten durch neue, noch unverbundene Molekeln. Da eine Erfüllung der eben ausgesprochenen Bedingungen in Wirklichkeit nicht wohl auf eine andere Weise denkbar ist, als durch eine relative Bewegung, durch ein an einander Vorbei- gleiten der, in chemische Wechselwirkung tretenden Substanzen, so kann man die relative Bewegung der auf einander chemisch ein- wirkenden Körper als ein Kennzeichen dieser ganzen Kategorie von Fällen ansehen, die den eben erörterten Bedingungen unterworfen sind. Hiermit soll jedoch nicht behauptet werden, dass dieses Kenn- zeichen an sich und allein ausreiche, um danach die Unabhängig- keit der Verbindungsgeschwindigkeit von der Zeit zu beurtheilen; dazu berechtigt vielmehr in jedem einzelnen Falle erst die Würdi- gung sämmtHcher Umstände, und der Nachweis, dass sie den Be- dingungen dieser Kategorie wirklich Genüge leisten. Diess ist nun in ganz eminenter Weise der Fall bei jener Reihe chemischer Vorgänge, welche man als „innere Athmung" oder „Gewebeathmung" zu bezeichnen pflegt; wenn man nämlich unter die Bedingungen, welchen dieser Process unterworfen ist, auch die — allem Anscheine nach unvermeidliche — Voraussetzung mit aufnimmt: die Reduction des Hämoglobins in den Capillaren, und die Oxydation der in Frage kommenden Gewebsbestandtheile — also die Uebertragung des Sauerstoffes von ersterem auf letztere — sei der Ausdruck und die Consequenz einer stärkeren chemischen Affinität zum Sauerstoff von Seiten der Gewebsbestandtheile, im Vergleiche mit dem Hämoglobin. Diese Voraussetzung ist nun identisch mit der einen von den bei- den Annahmen, die am Eingang in diese Schrift als principielle Alter- native hingestellt sind, zwischen denen man zu wählen gezwungen ist, und von denen ich trotzdem zu zeigen mich bemühen will, dass sie beide gleicher Weise mit der Erfahrung nicht in Einklang zu bringen sind — wenigstens nicht auf Grundlage unserer gegen- wärtigen physiologischen Anschauungen. Ich lenke also an dieser Stelle wieder in die Hauptbahn meiner Untersuchung ein — nach einem Umwege, von dem alsbald deutlich werden Avird, in welcher Absicht ich ihn betreten habe. n. Der diemisclie Charakter des Lebens. Wir wollen nun den chemischen Vorgang, der zwischen dem flüssigen Inhalte, und der parenchymatösen Umgebung der Capillar- gefässe sich abspielt — insoferne er nämlich auf den Sauerstoff Bezug hat — genauer von den, im Vorhergehenden eingenommenen Standpunkten aus betrachten. ■Der Gegenstand, mit dem wir uns zunächst zu befassen haben, ist ein lebendes, von einem Capillargefässsystem durchsetztes Ge- webe eines, durch Lungen athmenden Wirbelthieres — eines Warm- blüters, eines Säugethieres oder Vogels — in physiologisch-normalem und -constantem Zustande; also während einer Zeitdauer, in der weder die Functionsphase, noch die Temperatur, noch Stärke und Geschwindigkeit des Blutstromes, noch sonst ein physiologisches Merkmal des Organes oder Gewebes eine merkliche Aenderung erleidet. Was den chemischen Vorgang in einer stagnirenden Flüssig- keitsmasse am schärfsten unterscheidet von dem chemischen Vor- gange in einem solchen lebenden Gewebe, das ist der Umstand, dass in der stagnirenden Masse innerhalb des betrachteten Raumes die Materie dieselbe bleibt, der Zustand aber sich stetig ändert; während im lebenden Gewebe die Materie sich stetig ändert, der Zustand aber sich gleich bleibt. Angesichts der ausführlichen Erörterungen in der Einleitung ist eine besondere, sorgfältige Begründung dieses Ausspruches nicht mehr erforderlich. Ich denke, es wird höchstens des Hinweises darauf bedürfen, dass eben im ersten Falle die Gesammtheit der Atome im gegebenen Räume unverändert bleibt, während ihre gegenseitige Lage aus einem homogenen Anfangszustande, in Folge des immer häufigeren Auftretens von Gruppen, die einem anderen — 9 — Schema angehören, also durch ebenso viele verschiedene Zustände oder Anorduungsweisen der Gesammtheit, übergeht in einen neuen, definitiven, und abermals homogenen Endzustand, in welchem jenes zweite Schema in allen Gruppen ausgeführt ist. — Im zweiten Falle sind von jeher und stets zwei Schemata der Gruppirung vertreten, und zwar in einem Zahlenverhältnisse der beiderlei Gruppen zu einander, welches unveränderlich ist — hiermit ist der Gesammt- zustand als stationär bedingt — , obwohl ein fortwährendes TJeber- gehen von Gruppen der ersten, in solche der zweiten Form statt- findet. Diess bleibt aber ohne Einfluss auf den Gesammtzustand, zu Folge der steten Einfuhr von Gruppen erster Art in den be- trachteten Raum, und zu Folge der steten Ausfuhr von Gruppen zweiter Art aus diesem Räume. Die Materie wandert eben durch diesen Raum, indem sie zugleich in ihm ein chemisches Phänomen in constanter Intensität erhält, — ähnlich wie die Tropfen eines Wasserfalles durch den Raum stürzen, und stets durch andere ersetzt werden, dabei aber das ruhende, und auch in seiner Helligkeit nicht schwankende Phänomen eines Regenbogens erzeugen. Daran, dass der chemische Vorgang bei der inneren Athmung ein Fall ist , welcher unserer zweiten Kategorie (der durch Be- wegung charakterisirten) zugehört, scheint mir, könne gar nicht gezweifelt werden. Denn es sind alle Requisite für dieses Urtheil vorhanden. Unsere „Molekeln B" der früheren, allgemeinen Er- örterung sind die, in den Maschenräumen des Capillarnetzes unter- gebrachten , der Oxydation anheimfallenden Gewebsbestandtheile. Sie sind in Minderzahl vorhanden, denn trotz ihrer überwiegenden Verwandtschaft zum Sauerstoff zieht der grösste Theil des Oxygens, an den Farbstoff des Blutes gebunden, mit dem Blute wieder aus dem Gewebe fort. Mit seltener Uebereiustimmung besagen zahl- reiche Analysen, dass das Hämoglobin des Hohlvenen- oder rechten Herzblutes weit mehr als zur Hälfte — im Mittel ungefähr zu zwei Dritteln — mit Sauerstoff beladen, und als Oxybämoglobin vor- handen sei. Für die stete Erneuerung des Bestandes an „Molekeln B" sorgt in unserem Falle der „Lebensprocess" des thierischen Körpers an und für sich. Auf der anderen Seite kann man aus dem Um- stände, dass eine unter solchen Verhältnissen sich abspielende Exi- stenz des ganzen Organismus die Gewälir einer sehr langen und — 10 — normalen Dauer in sich trägt, den Scliluss ziehen, dass es hierbei zu keinerlei Anhäufung einer „physiologisch nicht erledigten Sub- stanz" kommen könne; und diess ist gleichbedeutend mit einem, für die Beurtheilung des ganzen Vorganges wichtigen Moment. Es liegt nämlich hierin der Nachweis der regelmässigen, vollständigen, un- verzüglichen und rückstandlosen Verwendung oder Aufbrauchung der vorhandenen „Molekeln B" zur Bildung von „Molekeln der Sub- stanz AB", in unserem Falle der inneren Athmung, so dass in dieser Richtung kein Zweifel hinsichtlich der Subsumirbarkeit dieses Falles unter die „zweite Kategorie" bestehen bleibt. Wegen der allgemeinen Beschaffenheit des, in der Einleitung betrachteten Vorganges konnte dort einer Forderung noch keine Erwähnung geschehen, die sich sofort als eine unab weisliche Be- dingung darstellt, sowie über die sonstige Natur des Vorganges im Sinne des uns beschäftigenden Falles entschieden ist: die dem Wieder- ersatze der „Molekeln B" parallel laufende Abfuhr der schon ge- bildeten Verbindung „AB". lieber die Erfüllung dieser Bedingung erwächst uns volle Beruhigung aus der Beladung des Blutes in den Capillaren mit Kohlensäure — für die Gewebe im Allgemeinen ; und aus der Bildung, und Ableitung in eigenen Kanälen, bestimmter be- sonderer Producte — in verschiedenen einzelnen Organgeweben. Eine weitere Bedingung für die Subsumirbarkeit eines Vor- ganges unter unsere zweite Kategorie war eine, ihm nachweisbare Einrichtung, welche für die Herstellung — und wenn der Vorgang andauern sollte: auch für die Erhaltung — eines Ueberschusses an „Molekeln der Substanz A" Sorge trug. Für die Respiration des Thierkörpers erfüllt das Hämoglobin der Blutzellen diese Bedingung, indem es vermöge der bekannten Eigenschaften, die ihm zukommen, für einen — wie bereits erwähnt wurde — sehr beträchtlichen Ueberschuss an Sauerstoff in den Capillargefässen sorgt. Wie sich von selbst versteht, gilt diese Behauptung nur vom Hämoglobin, so lange das Blut, worin es enthalten ist, durch eine normale Ver- richtung der Lunge, und der übrigen Respirationswerkzeuge einer regelmässigen Lüftung zwischen je zwei Passagen durch capülare Gefässsysteme des Körperkreislaufes ^) unterzogen wird. Fiele diese regelmässige Ergänzung des verbrauchten Blutsauerstoffes, von einem ^) Mit. Ausnahme des Pfortadersj'stemes, von dessen Beziehungen zu diesen Fragen noch die Rede sein wird. — 11 — bestimmten Augenblick an, vollständig weg — (und wären die noch nicht zur Sprache gebrachten Punkte im gleichen Sinne, wie die be- sprochenen erledigt, so dass die Einreihung der inneren Athmung in die zweite Kategorie im Princip bereits entschieden wäre) — dann hätten wir ein Analogon zu jenem, in der Einleitung schon betrachteten Sonderfalle dieser Kategorie vor uns, der darin bestand, dass die Platte, welche die A-Molekeln enthielt, sich bei der Ver- schiebung entlaug der anderen Platte, jener Grenzlinie auf letzterer näherte, und sie dann auch überschritt, durch die die zehnte von der elften (je ein X langen) Strecke getrennt ist. Doch will ich dieses, nach meiner Ansicht nicht unwichtige Ergebniss hier nur andeuten, da ich später noch ganz ausführlich darauf zu sprechen kommen werde. Wir gelangen in der Analyse der Bedingungen des Capillar- kreislaufes in chemischer Hinsicht nunmehr zu jenen Fragen, welche sich auf die Dimensionen (und ihre Verhältnisse zu einander) be- ziehen, in welchen die beiden, in der zweiten Kategorie betrachteten Substanzen, oder deren Lösungen, angeordnet waren. Die Absicht, welche mich bei der Wahl der dort beschriebenen Anordnung leitete, wird keinem Leser verborgen geblieben sein — doch bin ich dabei, im Bestreben, die Unveränderlichkeit des Molecularabstandes mög- lichst sinnfällig und einleuchtend darzustellen, insoferne zu weit ge- eransfen, als ich — die Rücksicht auf ungehinderte und leichte Ueber- tragung des Schema's auf die Vorgänge im lebenden Thierkörper, bei der Ausführung dieses Theiles so weit aus den Augen verloren habe, dass ich hier nachträglich noch eine kleine Veränderung an jenem Schema anbringen muss. Unserer Annahme gemäss berührte die Platte, welche die Lösung B enthielt, mit ihrer einen Oberfläche die andere Platte. In der dieser Seite gegenüber liegenden Oberfläche waren die Molekeln der Substanz B enthalten. Bei dieser Anordnung, und der supponirten Geschwindigkeit der Bewegung beider Platten gegen einander wurden sämmtliche Molekeln von B in die Verbindung AB überjreführt. Wenn wir nun — statt alle Molekeln von B in jene Oberfläche zu verlegen — nur eine gewisse Anzahl dort unter- bringen, die übrigen aber im Innern der Platte, so wird, vor- ausgesetzt, dass alles andere bleibt, wie es war, gewiss dadurch das Resultat nicht berührt, das» alle B-Molekeln in die Verbindung AB einbezogen werden. Denn die Aenderung, welche wir anbringen. — 12 — führt ja nur Yerminderungen von Molecularabständen zwischen A und B ein; und die Folge hiervon kann nur in einer Yergrösse- rung der Verbindungsgeschw^indigkeit bestehen — nie im Gegentheile. Um nun unser Schema auf die Verhältnisse bei der Gew^ebe- athmung anzuwenden, müssen wir die Dicke „D" der Platte B vergleichen mit dem grössten Abstände zwischen einem Punkte im Gewebe, und dem nächstgelegenen Capillargefäss, welcher überhaupt in jenem Gewebe oder Organe sich vorfindet. Alle übrigen Punkte des Gewebes liegen um geringere Strecken ab von Punkten des Capillarsystemes. — Dass die Geschwindigkeit, mit der die Bewegung des Blutes in den Capillaren (die ja der Bewegung der Platten unseres Schemas entspricht) vor sich geht, ausreiche zur Oxydirung der oxydablen Gewebsbestandtheile in demselben Maasse, in welchem diese letzteren im Leben entstehen, das geht aus der Thatsache hervor, dass sich im normalen Thiere keine stetig anwachsenden Mengen oxydabler, aber nicht oxydirter Substanzen in den Geweben anstauen — wie diess ja der Fall sein müsste, wenn die oxydablen Producte nicht in dem Maasse, wie sie entstehen, auch sofort oxydirt, und aus dem Gewebe entfernt würden. Es bleibt somit kein Be- denken übrig, auch nicht bezüglich dieses Punktes, an der Vergleich- barkeit des Vorganges im Thierkörper mit dem unserer „zweiten Kategorie " . Die Platte, in welcher die Molekeln der Substanz A in Lösung untergebracht w^aren, besass eine verschwindende Dicke. Dem ent- spricht der Umstand im Thierkörper, dass die Halbmesser der Capillargefässe von verschwindender Länge sind, im Vergleiche mit den Dimensionen der Gewebeinseln zwischen den Maschen des Capillarnetzes. Dass überhaupt die verschwindend dünne Platte den Capillar- gefässen, die andere Platte des Schemas dem Parenchym eines Ge- webes, die Substanz A dem Sauerstoff, B den durch ihn zu oxy- direnden Gewebsbestandtheilen , und die relative Bewegung beider Platten der Bewegung des Blutes gegen das umliegende Gewebe entspricht — braucht wohl kaum noch hervorgehoben zu werden. Ich glaube, dass nach dem bisher Gesagten kein Zweifel mehr bestehen kann daran, dass der chemische Vorgang der Uebertragung des Sauerstoffes aus dem Capillarblute auf die oxydablen Bestand- theile der Gewebe ein Vorgang sei, der in die zweite Kategorie — 18 — von chemischen Processen gehört — immer natürlich unter der Voraussetzung: die zur Oxydation bestimmten Theile des Gewebes hätten eine grössere chemische Verwandtschaft zum Sauerstoff, als das Hämoglobin, an welches gebunden er in den Capillargefässen erscheint. Daraus, dass dieser Vorgang sich nach dem Schema der zweiten Kategorie abspielt, folgt nun aber: dass das Verschwinden des Sauerstoffes aus dem Blute ganz und gar unabhängig ist Yon der Menge, in welcher er im Blute vorhanden ist. Wenn also die Erfahrung lehrt, dass im normal athmenden Thiere das Blut in den Hohlvenen sein Hämoglobin zu zwei Dritt- theilen als Oxyhämoglobin enthält, dass also die Körpergewebe im Durchschnitte den dritten Theil des im Blut enthaltenen Sauerstoffes brauchen wäln-end der Zeit, in der sie vom Blute einmal durch- strömt werden, so folgt hieraus unweigerlich, dass für den Fall der Unterbrechung der Zufuhr des Sauerstoffes zum Blute (in den Lungen), dieses nach längstens drei ganzen Umläufen im Körper seines Sauerstoffes vollständig beraubt sein müsste, und gar kein Oxyhämoglobin, sondern ausschliesslich reducirtes Hämoglobin ent- halten könnte ^). In Wirklichkeit ist diess jedoch auch nicht im Entferntesten der Fall, sondern die Dinge verhalten sich in folgender, der Voraussetzung völlis' fremder Weise. ^) Bei der hervorragenden Wichtigkeit, welche dieser Schlussfolgerung hier beigemessen wird, muss mir Alles daran liegen, keinen Zweifel an ihrer Wahrheit und Gewissheit aufkommen zu lassen. Darum kann ich mir es auch nicht versagen, dem — meines Erachtens — unantastbaren Beweise, welchen die im Texte gegebene Ableitung des Satzes in sich schliesst, noch das Zeugniss einer ersten Autorität in diesen Dingen, beizufügen. Die Stelle, welche ich citire, fiel mir erst nach der Ausarbeitung dieses Abschnittes in die Augen, und die völlig von meinen Ansichten verschiedene Verwendung, welclie sie findet, scheint mir keinen Grund abzugeben, der mich davon ab- halten könnte, die Uebereinstimmung in Bezug auf den Satz selbst zu betonen und geltend zu machen. In einer im G. Bande des Pfliiger'schen Archives abgedruckten Ab- handlung, von der später noch oft die Rede sein wird, sagt Herr E. Pflüger (pag. 59): „ — — da bei jedem nur 10 — 20 Secunden dauernden Kreislauf »das Blut V» seines Sauerstoffs verliert, das Tliier also in 1 Minute bereits „am Ersticken sein muss, wenn kein P>satz in den Lungen stattfindet. Bei „Hunden ist diese Zeit, wie ich gefunden iiabe, nocli kürzer und geht bis ,30 Secunden unter Umständen herab." — 14 — Wenn ich hier von der Zeit spreche, die für drei ganze Kreis- läufe des Blutes in einem Thiere benöthigt wird, so ist ersichtlich, dass ich im Sinne habe, einen Beweis a fortiori zu führen. Denn aus mehr als einem Grrunde müsste ja sämmtli eher Sauerstoff schon viel früher aus dem Blute verschwunden sein. Doch ziehe ich es vor, mich hier nicht näher auf eine Untersuchung dieser Verhält- nisse einzulassen; da es nicht im geringsten auf eine ziffermässige Genauigkeit ankommt, sondern auf den Nachweis ganz grober Unterschiede. Beim Hunde beträgt die Zeit für drei ganze Umläufe des Blutes etwa 40, beim Menschen gegen 60 Secunden. Nach dieser Zeit ist aber nicht nur nicht, wie es nach der Voraussetzung eines Ueberwiegens der chemischen Affinität der Gewebe zum Sauerstoff der Fall sein müsste, dieses Gas bis auf den letzten Rest aus dem Blute verschwunden, und somit die Erstickung voll- endet, sondern es treten nach dieser Zeit etwa eben die ersten Symptome von Dyspnoe auf, welche objectiv mit Sicherheit wahr- nehmbar sind. Wenn ich auch nicht gerade behaupten will, dass es etwas Angenehmes sei, eine Minute unter Wasser zu bleiben, ohne zu athmen, so ist es doch auch nichts, was nicht jeder halbwegs geübte Schwimmer und Taucher zu leisten vermöchte. Das Blut enthält zu den erwähnten Zeitpunkten noch sehr an- sehnliche Mengen von Sauerstoff, die Abgabe desselben schreitet noch ziemlich geraume Zeit fort, ehe asphyktische Krämpfe ein- zutreten beginnen, und schreitet vor Allem nicht im Sinne der Voraussetzung fort; also nicht dergestalt, dass in gleichen, auf- einander folgenden Zeitabschnitten jedesmal die gleiche absolute Menge des Gases vom Blute abgegeben wird, sondern von An- beginn nach Maassgabe eines Zusammenhanges mit der Zeit, der — wenn er auch thatsächlich weit verwickelter ist — doch in erster, roher Annäherung etwa bei jedem der aufeinanderfolgenden Kreisläufe die Abgabe eines und desselben aliquoten Theiles von dem noch vorhandenen Sauerstoffquantum aus dem Blute an die Gewebe bedingt. — Ferner steht in directem Wider- spruche mit allen Consequenzen, die sich aus der Voraussetzung einer überwiegenden Affinität des Sauerstoffes zu den oxydablen GeAvebsbestandtheilen ableiten lassen: das übereinstimmende Er- gebniss zahlreicher Untersuchungen über die chemische Beschaffen- heit des Blutes erstickter Thiere, speciell über den Sauerstoff- — 15 — gehalt solchen Blutes. So findet Herr Zuntz^) bei einer Zusam- menstellung der Ergebnisse von 25 Erstickungsversuchen an Hunden, deren Blutgase dann analysirt wurden -), einen Mittelwerth für den, am Schlüsse der Erstickung noch im Blute enthaltenen Sauerstoff, ') Prof. N. Zu ritz, „Die Physiologie der Blutgase und des respira- torischen Gaswechsels" in L. Herrn an n's „Handbuch der Ph3'siologie" IV. 2. pag. 43. '^) Wir verdanken diese höchst werthvollen Daten zum grüssten Theile den Arbeiten Herrn Carl Ludwigs und seiner Schule, und dem Bonner Institute und seinem Oberhaupte, Herrn Pflüger, Von Herrn E. Pflüger rühren zwei unter den oben erwähnten 25 Analj'sen her. Während nun der Mittelwerth für den Sauerstoff aus diesen letzteren 0"96"/o beträgt, und zwar Volumprocente von dem Blute, bezogen auf das Gas bei 0" Temperatur, und 760 mm Quecksilberdruck, sind die beiden, von Herrn Pflüger herrührenden Werthe von ihm selbst ange- geben zu: ri "/o und 2'4",o. Da diese letzteren Angaben sich aber bei 0'' und 1 m Druck verstehen, so sind sie umzurechnen auf Atmosphärendruck, wodurch sie werden zu: r4''/o und 3"2 "/o. Sollte man es nun für möglich halten, aus diesen Zahlen einen anderen Schluss zu ziehen, als den ich daraus ziehe, nämlich: dass im Blute erstickter Thiere noch eine gewisse Menge auspumpbaren Sauerstoffes vorhanden ist? Und doch habe ich nöthig, mich gegen den genau entgegengesetzten Schluss zu verwahren, und gegen die mehrfach geäusserte Behauptung zu protestiren, im Erstickungsblute sei kein Sauerstoff enthalten ! Diess ist nämlich der Schluss, den Herr Pflüger selbst aus seinen Analysen zog, und den er in derselben Abhandlung (Pflüger's Archiv, I. pag. 61 — 106), in welcher er eben jene beiden Versuche ausführlich mit- theilte (pag. 98 und 99), mehrfach, unter Anderem in folgenden Worten (pag. 101) aussprach: „Wenn nun das Blut, wie wir gefunden haben, stets „nahezu mit Sauerstoff gesättigt ist , wenn ferner das Blut sonst [ohne „Athmung. Ref.] seinen Sauerstoff in V^ — 1 Minute total verbraucht . . ." Jenes „nahezu" gilt einer Differenz von 0"0 "/o Sauerstoff zwischen Arterienblut und gesättigtem Blut! Wie vermehrt es nicht das Gewicht des Wortes ,total" im zweiten Theile des Satzes! — Ich will, um hier keinem Zweifel Raum zu lassen, noch anfüliren, dass — nebst jenen beiden Er- stickungsversuchen — in derselben Schrift noch einige Analysen von Blut höchst dispnoütischer oder asphyktischer Hunde mitgetheilt sind, bei denen die Sauerstoffzufuhr eben seit ^/z — l Minute, und darüber, unterbrochen war. Die auf Atmospiiärendruck umgerechneten Sauerstoffprocente im Blute waren bei diesen Versuclien: .'M, 20, 0'3, 2-9. — Ich habe geglaubt, über den hier erörterten Widerspruch zwischen Herrn Pflüger's, und meiner Ansicht nicht stillschweigend weggehen zu dürfen, nachdem ich mich in einer, aufs engste mit demselben verknüpften Frage auf meine Uebercinstimmung mit diesem Forscher berufen iiabe. — Hierin liegt aber aucli aller Grund, der mich zu einer Hervorhebung dieses Unterschiedes veranlasst hat. — 16 — welcher sicli zum Sauerstoffgehalt des arteriellen Hundeblutes ver- hält, wie 1 ^0 zu 18'3^/o. Das heisst: In einem Thiere, in welchem der Sauerstoff hunger der Gewebe, die Anhäufung von Substanzen, die angeblich eine stärkere Affinität zum Sauerstoff besitzen, als das Blutroth, bereits einen solchen Grad erreicht hat, dass das Merkmal des Erstickungstodes, nämlich völlige Reflexlosigkeit, ein- getreten ist — in einem solchen Thiere sind von dem, im arteriellen Blute normaler Weise enthaltenen Sauerstoff noch 5^/2 Procente vorhanden, und zwar — wie aus dem Verhalten solchen Blutes unter der Gaspumpe hervorgeht — in derselben Weise mit Blut- roth verbunden, in Form von Oxyhämoglobin vorhanden, wie im Venenblute normal athmender Thiere, und wie — nach der ganz allgemeinen, noch nie ernstlich in Zweifel gezogenen Ansicht — auch im arteriellen Blute solcher Thiere der Sauerstoff, nur in relativ grösserer Quantität, enthalten ist. Wäre dieser Rest von Sauerstoff im Erstickungsblute das Ein- zige, was der Voraussetzung eines solchen Affinitätsverhältnisses widerspricht, so dürfte man über diesen Widerspruch keineswegs hinwegsehen — dazu ist er doch wohl zu direct^). Es würde in diesem Falle aber gewiss nicht an Stimmen fehlen, welche seine Bedeutung zu bestreiten suchten; die Einen, indem sie den Eintritt des „Todes" als eine willkürliche Begrenzung der chemischen Vor- gänge beim Ersticken bezeichnen, der kein solches Gewicht beizu- legen wäre, wegen der Einmischung des Nervensystemes in den ganzen Verlauf der Begebenheiten; die Anderen unter Berufung auf Nachrichten über derartige Untersuchungen, die ein entgegen- gesetztes Resultat, nämlich das Fehlen jeglichen Restes von aus- ^) Ich will aus der reichen Litteratur der eben verhandelten Frage nur noch einige Angaben aus Herrn N. Stroganow's Abhandlung: „Beiträge zur Kenntniss der Oxydationsprocesse im normalen und Erstickungsblute" (Pfl. Arch. XII. 18—50) hier in Erinnerung bringen. Der genannte Forscher hat unter Herrn Hoppe-Sejder's Leitung, und in dessen Laboratorium, ver- mittelst einer eigenthümlichen Methode spectroskopische Untersuchungen am Blute lebender und sterbender Thiere gemacht, so lange dieses sich noch innerhalb der intacten Gefässe befand. Unter den Ergebnissen dieser ganz tadellosen Methode sind auch die folgenden Sätze angeführt (1. c. pag. 24): „In allen Fällen fanden sich auch bei vollkommener Erstickung noch die jjbeiden Absorptionsstreifen des Oxyhämoglobins." „Sie wurden nicht nur direct nach Schluss der Athembewegungen, „sondern auch lange Zeit nachher noch unterschieden." — 17 — pumpbarem Sauerstoff im Blute erstickter Thiere, ergeben haben sollen, und Andere noch auf andere Weise. — Ich will jedoch nicht auf eine strenge Prüfung aller der Einwände und Zweifel ein- gehen, die sich vielleicht gegen die Beweiskraft dieses Argumentes erdenken Hessen. Immerhin glaube ich, im Vorhergehenden bewiesen zu haben: dass aus dem Widerspruch zwischen der Erfahrung, und den Postu- laten unserer Voraussetzung, der in der Art des Sauerstoffschwundes im Blute Erstickender liegt; aus der nicht andeutungsweisen Be- endigung dieses Vorganges mit vollführtem drittem Kreislauf der Blutmasse — aus der Erstreckung dieses Zieles bis weit über den zehnmal erfolgten ganzen Blutumlauf — kurz aus allen oben aus- geführten Gründen der Schluss gezogen werden kann und muss : Die der Oxydation zunächst anheimfallenden Gewebsbe- standtheile können unmöglich eine stärkere Affinität zum Sauerstoff besitzen, als das Hämoglobin. Viel leichter und einfacher scheint die Aufgabe zu sein, die Unhaltbarkeit der anderen Voraussetzung zu beweisen. Diese besagt: Die Affinität des Hämoglobins zum Sauerstoff ist die grösste und stärkste Affinität, die irgend ein Bestandtheil des Thierkörpers zu diesem Gas besitzt. Haben wir nämlich diese Voraussetzung zur unsrigen gemacht, so bereitet uns die Frage scheinbar unüberwindliche Schwierig- keiten, wie es denn überhaupt dann noch denkbar sei, dass der so fest gebundene Sauerstoff wieder abgegeben werde an Atomgruppen, die ihn alle, jede für sich, schwächer anziehen, als er vom Hämo- globin festgehalten wird. Dem Körper A, welcher einen Körper C aus seiner Verbindung mit dem Körper B zu lösen, und an sich zu binden vermag, dem schreibt eben die vis nominis unter den gegebenen Verhältnissen die stärkere — nicht die schwächere — Affinität zum Körper C zu. Da aber der Sauerstoff unzweifelhaft bei der inneren Athmung vom Oxyhämoglobin zu den oxydablen Gewebsbe-standtheilen übergeführt wird, kann das Hämoglobin unmöglich die stärkere und stärkste Affinität zum Sauer- stoff besitzen! Den Fall, dass die beiden Affinitäten: die des Hämoglobins, und die der Gewebsbestandtheile, zum Sauerstoff einander absolut FleiHclil V. Marxow, Hedeutung des HerzschlageH 2 — 18 — gleich, wären, brauche ich wohl nicht besonders auszuschliessen. Eine derartige absolute Gleichheit ist uns ja in der ganzen Natur nicht bekannt. Auch würde eine solche Gleichheit, wenn sie in der That für ganz bestimmte Bedingungen der Temperatur u. s. w. bestünde, sich — wegen des in Wirklichkeit stattfindenden fort- währenden Wechsels dieser Bedingungen — als ein stetes Ab- wechseln im üeberwiegen bald der einen, bald der anderen Affinität manifestiren. Dieser Fall aber — der des bloss zeitweisen Ueber- wiesfens der Verwandtschaft der Gewebe zum Sauerstoff — ist in- begriffen in dem Falle des Ueberwiegens dieser Affinität überhaupt, wie diess sich ganz von selbst versteht, übrigens auch in den ersten Zeüen dieser Schrift ausdrücklich gesagt ist. Ich behaupte also, dass von zwei Eventualitäten, die aber zu- sammen genommen die Gesammtheit aller möglichen und denkbaren Fälle einschliessen , weder die eine, noch, die andere in Wirklich- keit bestehe; und dass folglich in unseren elementarsten Grund- anschauungen über den Vorgang der Athmung irgend etwas nicht in Ordnung sein müsse. Diese Behauptung ist vorderhand nur auf Conclusionen und Exclusionen gegründet; und wenn ich überhaupt ausserdem nichts zu ihrer Begründung beizubringen hätte, so wäre es mir nicht in den Sinn gekommen, sie auszusprechen. Da ich jedoch im Besitze von Gründen zu sein glaube, welche sich den bereits vorgebrachten beigesellen, zur Unterstützung meiner Behauptung; da sich ferner mit Hülfe dieser Gründe ein leichter und sicherer Ausweg aus obigem Dilemma finden lässt; und ich auch an die Stelle der, als unzulänglich oder unrichtig bezeichneten Grundlagen andere zu setzen habe, welche den, an sie gerichteten Ansprüchen besser zu genügen scheinen, so habe ich es daraufhin gewagt, diese Behauptung, trotz der Kühnheit ihres Inhaltes, den- noch auszusprechen. Nach dem Plane, den ich mir zurecht gelegt habe, wäre meine nächste Aufgabe eine, vorläufig noch von aller Begründung ab- sehende, so zu sagen, rein erzählende Darstellung des gesammten Vorganges bei der Athmung — in der Lunge, sowie in den Geweben, und beim Blutkreislaufe, so wie ich mir eben diese physiologischen Processe jetzt ihrem Wesen nach vorstelle. Erst an diese Be- schreibung wird sich ein Versuch der Begründung aus Erfahrungs- thatsachen — und zwar einstweilen nur aus dem Vorrathe älterer, fremder Erfahrungen — anschliessen können. An Beziehungen er- — 19 — freulicher Art zu den Aussprüchen, Andeutungen, Anticipationen anderer Bearbeiter dieses Gebietes, die oft eine erstaunliche An- näherung au den Kern der neuen Lehre verrathen, wird es nicht fehlen. Aber im Begriffe, den vorgezeichneten Plan der Darstellung zur Ausführung zu bringen, sehe ich mich schon vor allem Anfang zwei Schwierigkeiten gegenüber. Die erste von diesen liegt in dem unzweideutig und unbedingt teleologischen Charakter meines Ausgangspunktes, zu dem ich mich nothwendiger Weise bekennen muss. Das Schlimmste dabei ist, dass ich so von der Berechtigung einer derartigen Denkungsweise durchdrungen bin, dass ich nicht einmal eine Entschuldigung hierüber für erforderlich halte, sondern nur gestehen kann, dass eine andere Art, über die Beschaffenheit und den Zusammenhang der uns um- gebenden Natur nachzudenken, mir überhaupt nicht bekannt ist. Die andere Schwierigkeit erwächst mir aus dem Umstände, dass eine Abhandlung, welche vor wenigen Monaten erschienen ist, und welche Alles enthält, was ich damals von physiologischen Er- gebnissen eines, daselbst zum ersten Male entwickelten Principes kannte, sich jetzt ganz von selbst dem Inhalte der vorliegenden Schrift als Theil desselben organisch einfügt. Ich spreche hier von meiner Abhandlung über „Eine bisher unerkannte Wirkung des Herzschlages" ^). Ich darf den Inhalt dieser Schrift eigentlich als bekannt voraussetzen. Wenn sie gleich in keinem der Facharchive, und auch nicht in den Berichten einer Akademie abgedruckt ist, so sichert ihr doch die Ehre, die ihr durch die Einräumung eines Platzes in jener Sammlung zu Theil wurde, die sie in Verbindung bringt mit einem so gefeierten Namen, zugleich auch ohne Zweifel eine ganz ungewöhnliche Verbreitung unter den Fachgenossen. Wenn ich dessenungeachtet — wie es meine Absicht ist — hier im Texte selbst den wesentlichen Inhalt jener Abhandlung in mög- lichst gekürzter Darstellung wiedergebe, so bestimmt mich hierzu nur die maassgebende Bedeutung, welche dem, in jener Schrift an- gewendeten, neuen Princip nach meiner festen Ueberzeugung auch für die Vorgänge zukommt, auf welche es hier zum ersten Male angewendet werden wird. Nun lässt es sich wohl nicht vermeiden, dass der Grundgedanke einer längeren und eingehenden Auseinander- *} Beiträge zur Pliysiologie. Carl Ludwig zu seinem 70. Geburts- tage gewidmet von seinen Schülern. Pag. 29 — 55. — 20 -- Setzung bei der Ausführung dieser letzteren eben aucli ausgesprochen und — sei es auch nur in Kürze — befestigt werde. Von dem übrigen Inhalte jener Abhandlung soll desshalb sonst nur noch die daselbst entwickelte Ansicht über die Schicksale der Kohlensäure so weit reproducirt werden, als eben zur Ergänzung der Schilderung nothwendig ist, die hier von den Vorgängen beim Gaswechsel ge- geben werden wird. Um mich jedoch nicht dem gerechten Vorwurfe auszusetzen, der mich treffen müsste, wollte ich den Inhalt einer bereits publi- cirten Abhandlung nochmals zum Gegenstande einer, für die Ver- öffentlichung bestimmten Darstellung machen; und um mich in keiner Weise an der Solidarität jenes Beitrages zur Festschrift für Herrn Carl Ludwig zu vergreifen, werde ich am geeigneten Orte einen (ziemHch genau ein Drittel des Umfanges der Abhandlung besitzenden) wörtlichen Auszug aus ihr in Form eines Citates ein- schalten. „Wörtlich" nenne ich diesen Auszug, weil er nur durch Auslassung von zwei Dritteln jenes Textes entstanden ist, und keine Veränderungen an demselben vorgenommen wurden; so dass in dem hier zu reproducirenden Auszuge sowohl der Ausdruck der Ge- danken, als auch ihre Reihenfolge beibehalten ist. in. Darlegung der Theorie über die Wirkungen des Herzschlages. Die Betrachtung, welche meinen Ausgangspunkt abgeben soll, bezieht sich auf den Herzschlag. Meines Wissens wurde bisher in der Physiologie die Frage, wozu der Herzschlag da ist, nicht nur nicht beantwortet, sondern sie wurde nicht einmal aufgeworfen. Man sollte doch meinen, der Herzschlag sei ein hinreichend auffallendes und wichtiges Phänomen; und die Art, wie das Herz der warmblütigen Wirbelthiere seine Aufgabe, das Blut im Körper herumzutreiben, löst, gebe genug zu denken, um Gegenstand der ernsten Aufmerksamkeit der Physiologen geworden zu sein. Will ein Physiologe von einem Phänomen im lebenden Körper behaupten, — 21 — dass er es „verstehe", so muss er Bescheid wissen auf die Frage, welche Rolle es im Leben des Körpers spielt — einfacher: wozu es da ist. Nun frage ich: „Wozu ist der Herzschlag da?" Wesshalb ertheilt das Säugethier- und Vogelherz der Flüssigkeit, welche es im Körper herumzutreiben hat, in jeder Minute, während des ganzen Lebens, 60 bis 200 heftige, scharfe Stösse ? Welchen Vortheil hat der Körper von diesen Stössen, im Vergleiche mit einer Kreis- bewegung des Blutes, die auf Triebkräften beruht, aus deren Ent- wicklung und Einwirkung solche vehemente Erschütterungen aus- geschlossen wären? Diese Fragen wird man keine müssigen und unberechtigten nennen, wenn man bedenkt, wie befremdlich unserem Verstände eine solche Lösung der Aufgabe erscheint, wie dunkel für uns der Zusammenhang zwischen dem Erforderniss einer permanenten Strö- mung, und der hierfür getroffenen Veranstaltung einer raschen Folge vehementer StÖsse ist. Dass die Mittel zur Hervorbringung der Blutbewegung, welche unserem Verstände einfacher, und näher gelegen scheinen, in der That auslangen würden für diesen directen Zweck, geht aus zahl- reichen Beispielen hervor, in denen die Blutcirculation wirklich auf eine solche Weise hervorgebracht wird. In den, dem Pfortader- system angehörenden Blutbahnen findet eine Strömung statt, die — in allem Uebrigen scheinbar ^) gleichbeschaffen — von einer vis a tergo abhängt, der bekanntlich nur das Wesen eines gleichmässigen Druckes zukommt, und welche gewiss nichts, an Stösse erinnerndes besitzt. Und der ganze Kreislauf der Fische ! Der Bulbus arteriosus und das ganze Capillarsystem der Kiemen vernichten jede letzte Spur einer Uebertragung des stossweise intermittirenden Charakters der Druckwirkung des Herzens auf die Blutmasse in der Aorta und ihren Verzweigungen. Von der Ausdehnung, in der gerade auch bei den Fischen der Typus der Pfortaderramification verwirklicht ist , gar nicht zu sprechen ! Kurz : wir sehen nicht im Geringsten ein, wesshalb die Kreisbewegung des Blutes durch eine Reihe so ') Wodurch diese Strömung, in Folge des gleichmässigen — nicht stoss- weise wirkenden — Druckes, der sie veranlasst, unterschieden ist von den übrigen Capiliarströmungen, das kann erst an einer späteren Stelle dieser Schrift gezeigt werden. — 22 — diclit aufeinanderfolgender, so heftiger Stösse eingeleitet wird, wie eben die Schläge des Herzens sie darstellen. Hingegen sehen wir eine erhebliche Complication in der Ein- richtung des ganzen Organismus, sowie zahlreiche Gefährdungen und Störungen seiner Gesundheit als unmittelbare Consequenzen der hef- tigen Erschütterungen und jähen Drackschwankungen beim Herz- schlage ein. Besonders die Wände und Zwischenwände (Klappen) des Circulationsapparates bedürfen in Folge der Ansprüche, welche an sie gestellt werden, von wegen der plötzlichen und häufigen Druckschwankungen, denen sie auf die Dauer Stand halten müssen, einer besonders widerstandsfähigen Textur; — alle Veränderungen, welche sich im Allgemeinen oder an umschriebenen, vereinzelten Stellen der Gefässwandungen entwickeln, werden zu viel bedenk- licheren Gefahren für den ganzen Organismus — eine ganze Reihe von Krankheiten und ätiologischen Momenten steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der besonderen Natur der Triebkraft für das Blut, welche im Herzschlag gegeben ist. Wir sehen also keine Leistung, keine Wirkung des Stossens und Intermittirens , mit dem die Blutpumpe arbeitet, die dem Or- ganismus irgendwie zum Vortheil gereichte — ja eine directe und bestimmte Wirkung des Herzschlages sehen wir überhaupt nicht; hingegen ziehen alle Consequenzen, die wir als solche von den Stössen, die das Herz dem Blut ertheilt, ableiten können, für den Organismus nachtheilige oder gefährliche Folgen nach sich. — Durch diesen Stand. der Dinge ist die Frage, wozu der Herzschlag da sei, gewiss sehr gerechtfertigt, und es scheint fast unbegreiflich, dass man sich diese Frage nicht längst gestellt hat, dass sie nicht eine der brennendsten Fragen der Physiologie ist. Fragt man sich doch auch, wozu die Schilddrüse, die Milz u. s. w. da seien! Solche Fragen abzulehnen, wird keinen guten Geschmack verrathen, es sei denn, man lehnte auch die Frage ab, wozu die KrystalUinse im Auge da sei. Hierauf jedoch pflegt man zu antworten — ohne den „Zweck "-Begriff, und seine Zulässigkeit zu kritisiren. — Nenne man es aber, wie immer: Zweck, Rolle, Wirkung, Arbeit, Folge, Leistung u. s. w. eines Organes, oder eines Phänomens im Thier- körper — auf die Frage nach irgend einem dieser Begriffe wird die Physiologie doch einräumen müssen, dass sie zu antworten habe, oder wenigstens sich nach einer Antwort auf diese Frage umzu- sehen habe. Mir ist aber — wie bereits erwähnt wurde — nicht — 23 — einmal eine Bestrebung der Physiologie in diesem Sinne hinsicht- lich des Phänomens des Herzschlages bekannt, so dass ich mit der Lösung dieses Problemes vom ersten Anfange zu beginnen habe. Ich behaupte, das Blut wird vom Herzen desswegen auf keine andere Weise, sondern durch eine rasche Aufein- anderfolge kurzer, jäher Stösse in Bewegung erhalten, weil es für die Vorgänge der Uebertragung des Sauerstoffes an die Gewebe, und der Aushauchung der Kohlensäure in der Lunge nicht hinreicht, dass das Blut continuirlich den grossen und kleinen Kreislauf durchströmt, sondern auch noth- wendig ist, dass dem Blute, unmittelbar bevor es die Lunge betritt, und unmittelbar nachdem es sie verlassen hat, je ein kurzer, praller Stoss versetzt werde — das erste Mal ein schwächerer — das zweite Mal ein stärkerer. Und zwar ist diess aus folgenden Gründen nothwendig. Ich habe in meiner oben citirten Arbeit nachgewiesen, dass die Aus- übung eines Stosses auf eine Flüssigkeit, welche ein Gas gelöst enthält, die merkwürdige Folge hat, dass das Gas zunächst aus der Lösung entbunden wird, und nun in feinster Vertheilung der Flüssig- keit beigemischt ist — mit ihr eine „moleculare Mischung" bildet. Diesen Nachweis habe ich folgendermaassen erbracht. Zunächst schilderte ich eine Reihe sehr einfacher, und jederzeit mit den ge- ringsten Mitteln leicht zu wiederholender Versuche, die ich mit dem — sehr reinen — Wasser der Wiener „ Hoch qu eil enleitung" angestellt habe ^). [Füllt man eine gut schliessende, gläserne Spritze — eine ge- wöhnliche Pravaz'sche Spritze, oder eine Wundspritze mit Glas- stiefel u. dgl. — durch langsames Aufziehen des Kolbens etwa bis zu vier Fünfteln ihrer Länge mit Wasser, so dass gar keine Luft mit eintritt, verschliesst man hierauf die Mündung der Spritze — entweder mit dem Finger, oder mittelst eines Hahnes — und zieht man nunmehr den Kolben vollends in die Höhe: so wird im Ver- ') Die liier beginnende, in eckige Klammern eingeschlossene Darstellung ist meiner, mehrfach citirten Abhandlung in dem Jubelbandc zu Herrn Carl Ludwig's 70. Geburtstage entnommen — in einer Weise, über welche ich oben, pag. 20, Rechenschaft abgelegt habe. — 24 — laufe der nächsten Minute eine Anzahl von Bläschen an den Wänden des Glasrohres sichtbar, die wenig Neigung haben, sich von diesen loszulösen, und eine andere, massige Anzahl von Bläschen erscheint im Innern des Wassers — langsam in diesem emporsteigend. Lässt man nach Verlauf einer bestimmten Zeit, etwa einer halben oder ganzen Minute, mit dem Zuge am Stempel der Spritze nach, so dass dieser wieder die Oberfläche des Wassers erreicht, so ver- kleinem sich bekanntlich alle diese Hohlräume beträchtlich, und man kann nun leicht die ganze, auf diese Weise aus dem Wasser ausgepumpte Luft in ein einziges Bläschen sammeln, und dann auf irgend eine Art dessen Grrösse bestimmen. Wir wollen nun ermitteln, wie viel Gras unter sonst identischen Bedingungen aus dem Wasser frei wird, wenn wir dieses, unmittel- bar vor der Anbringung eines nahezu leeren Raumes über ihm, der Wirkung eines Stosses aussetzen. Eine sehr gute Methode, diesen Stoss anzubringen, ist die, dass man die Spritze unter Wasser von dem früheren Inhalte entleert, so dass der Kolben vorne an- stösst, und nur der kurze und weite Kanal ihrer Mündung mit Wasser angefüllt bleibt. Ist die Spritze hierbei ganz unter Wasser, so tritt dieses beim Entleeren in den Raum über dem Kolben — ein ganz erwünschtes Ereigniss, da eine Wasserschicht über dem Kolben jeden Verdacht, dass später in den leeren Raum Luft neben dem Kolben, oder durch ihn hindurch eindringen könnte, beseitigt. Es war also auch schon bei dem früheren Versuche dafür zu sorgen, dass sich etwas Wasser über dem Kolben befindet. — Ist die Spritze entleert, dann verschliesst man ihre Mündung, die einstweilen jeden- falls unter Wasser zu bleiben hat, mit dem Finger, zieht den Kolben bis zum Beginne des obersten Fünftels der freien Rohrlänge empor, und entfernt nun plötzlich den Finger von der Mündung. Das in den leeren Raum hineinstürzende Wasser erfährt hierbei einen sehr heftigen Stoss. Da der Stoss bei weitem nicht so stark zu sein braucht, und da das eben geschilderte Verfahren einige Einwände gegen, die Reinheit des Versuches veranlassen könnte, so ist es rathsam, dasselbe Princip des Stossens, jedoch in folgender, milderer Form anzuwenden. Nachdem die Spritze wie früher entleert ist, wird sie durch langsames Aufziehen des Stempels nicht ganz, son- dern nur nahezu, bis zum Beginne des obersten Fünftels mit Wasser gefüllt, hierauf der Finger vor die, noch immer unter Wasser be- findliche Mündung gelegt, dann der Kolben durch Zug bis zur — 25 — Grenze des obersten Fünftels weiter gehoben, und im selben Momente, in dem er diese erreicht hat, der Finger weggezogen. Auf diese Art wird das Wasser nur durch verschwindend kurze Zeit einer vorläufigen Saugwirkung ausgesetzt, und erhält doch durch die kleine, zuletzt nachstürzende Wassermasse einen hinläncflich heftio-en Stoss. Dass das Saugen den Versuch nicht verunreinigt hat, erkennt man an der Abwesenheit jeglichen Luftbläschens. Zieht man aber nun den Kolben ganz hinauf, nachdem man zuvor selbstverständ- lich; wie früher, die Mündung wieder verschlossen hat, so wird man statt des früher beobachteten, allmäligen Auftretejiis vereinzelter Hohlräume nunmehr ein so plötzliches Entstehen zahlloser Bläschen gewahi- werden, dass die ganze Wassermasse sich in einen dichten, weissen, undurchsichtigen, feinen Schaum ver- wandelt. Das Wasser gewinnt sein gewöhnliches Aussehen erst wieder, nachdem, zufolge des Aufsteigens der einzelnen Bläschen, das Moussiren sich langsam nach oben zurückgezogen hat. Messungen ergaben — je nach den verschiedenen Variationen, die mit diesem Versuche vorgenommen wurden — dass die, aus dem gestossenen Wasser gepumpte Gasquantität 15—135 Mal so gross war, wie die aus nicht gestossenem Wasser unter sonst ganz gleichen Verhält- nissen ausgepumpte. Nun gibt es so viele verschiedene Versuchsweisen, welche die eben beschriebene Thatsache bestätigen, verdeuthchen, erweitern, dass ich mich hier auf die Mittheilung einer Auswahl aus den an- gestellten Experimenten beschränken muss. Ich will nur noch die Bemerkung einschalten, dass ich die Versuche auch mit anderen Flüssigkeiten als Wasser angestellt, und überall im Wesen das gleiche Verhalten angetroffen habe. Sehr schön sind die Erscheinungen am Alkohol, von dem ich eine 94procentige Sorte verwendet habe. Arbeitet man mit einer Spritze, deren Kolben so dicht scliliesst, und dabei so leicht geht, dass er, bei geschlossener Mündung empor- gezogen, und dann losgelassen, wieder ganz zurückschlägt, so kann man damit auf folgende, sehr einfache Weise den Versuch anstellen. Die Spritze wird durch langsames Aufziehen des Stempels mit Wasser gefüllt — etwa bis zur Hälfte; dann wird die Mündung ein- für allemal, am bequemsten vermittelst eines Hahnes, verschlossen. Die Spritze bleibt während des ganzen Versuches mit der Mündung nach unten gekehrt. Nun zieht man den Kolben so weit hinauf, als er überhaupt geht, hält ihn eine Weile oben, und lässt ihn dann ganz — 26 — langsam und vorsichtig wieder zurück, bis er das Wasser erreicht. Hierauf zieht man ihn ein zweites Mal empor, aber nicht ganz, sondern nur eine kurze Strecke, und lässt dann den Stempel los, worauf er mit solcher Geschwindigkeit zurückfährt, dass der Kolben auf das Wasser aufschlägt — ihm einen Stoss ertheilt; und nun zieht man den Stempel zum dritten Male empor, diesmal wieder ganz, und wird nun das plötzliche und mächtige Aufschäumen des Wassers, sowie die beträchtliche Vermehrung des ausgepumpten Gases beobachten können ^). Ich will nun gleich die beste Methode schildern, die mir be- kannt geworden ist, zur Untersuchung der Wirkung, die ein Stoss auf eine gleichzeitig unter negativem Drucke stehende Flüssig- keit hat. Man fülle durch langsames Aufsaugen die Spritze etwa bis zu drei Vierteln mit frischem Wasser, verschliesse hierauf für die ganze fernere Dauer des Versuches die Mündung luftdicht, kehre die Spritze mit der Mündung nach oben, und ziehe nun den Kolben noch weiter (um eine nicht allzu grosse Strecke) heraus , und halte ihn in dieser Lage fest. Nun nehme man ein Hämmerchen oder einen Holzschlägel in die rechte Hand, und übe damit auf die nach unten gekehrte Fläche des äusseren Stempelendes einen kurzen Schlag aus — nicht so heftig, dass man etwa die Stempelstange zwischen den sie fixirenden Fingern um ein merkliches Stück in die Höhe triebe. Der Erfolg tritt erst eine kurze, aber deutlich wahrnehm- bare Zeit nach Ertheilung dieses Stosses ein, und ist der bekannte des heftigen Aufschäumens der Flüssigkeit. Wenn der Stoss nicht zu stark war, so werden noch weitere, auf gleiche Weise applicirte Schläge den Erfolg der Entwicklung eines, mit wachsender Zahl der Stösse immer schwächer werdenden, und immer langsamer auf- tretenden Schaumes im Wasser hervorrufen. Noch einfacher kann man den Versuch mit einer Pravaz'schen Spritze so ausführen, dass man, wie angegeben, verfährt, und die zwischen den drei Fingern der Hand gehaltene Spritze mit dem nach unten ge- kehrten Knopfe am Ende der Stempelstange auf eine Tischplatte aufstösst. Ich warne nachdrücklich davor, diese Versuche, die man weder ganz unter Wasser, noch auch mit Wasserverschluss ^) Dieser Versuch, mit einer guten Spritze von etwa 3 cm Durchmesser angestellt, ist ganz besonders überraschend und auffallend. des Kolbens anstellen kann, gewiss mit keiner anderen, als einer sehr vollkommen schliessenden , ganz luftdichten Spritze vorzu- nehmen. Es ist ganz erstaunlich und für unsere spätere Betrachtung höchst wichtig und bedeutsam, wie unbedeutend und — wenn ich so sagen darf — wie „weich" der dem Wasser in den zuletzt be- schriebenen Versuchen mitgetheilte Stoss — wie gering die das Wasser treffende Erschütterung sein darf, ohne ihren Effect zu ver- fehlen. Ich spreche jetzt wieder von der correct zwischen den Fingern der einen Hand gehaltenen Spritze, ganz in dem Zustande, wie sie in dem obigen Versuche von unten her den Hammerstreich erhalten, oder auf die Tischplatte niederfahren sollte. Statt dieser starken Stösse kann man nun dem, unter einem Vacuum stehenden Wasser durch alle möglichen, von unten her das Stempelende treffen- den Körper, Stösse, und durch Mässigung der Geschwindigkeit, mit der man sie anstossen lässt, die Stösse sehr vielfach variirt und abgeschwächt ertheilen. Man wird sich hierbei leicht überzeugen, wie schon die Berührung des Stempelknopfes mit der Beere eines Fingers eine deutliche Wirkung hat, wenn auch die Bewegung eine so sanfte ist, dass man höchstens von einem „Antupfen mit dem Finger" sprechen kann. Zur Begründung meiner Ansicht über die Wirkung des Herz- schlages Avird das hier Mitgetheilte wohl genügen. — Bevor aber zur Entwicklung dieser Ansicht geschritten wird, bedarf es noch der folgenden, sich aus den eben berichteten Thatsachen ergebenden Ueberlegung und Schlussfolgerung. In derselben Weise, in welcher die im Wasser enthaltene Luft mit dem Wasser vereinigt ist, bevor es einen Stoss empfangen hat, kann die Luft nach erfolgter Einwirkung eines Stosses unmög- lich mit dem Wasser vereinigt sein, der Stoss muss nothwendig eine Aenderung in der molecularen Structur des lufthaltigen Wassers herbeiführen — das geht aus sämmtlichen besprochenen Versuchen hervor. Diese Aenderung kann sich aber, nachdem sie nicht am Wesen, noch an der Quantität der beiden, miteinander verbundenen Substanzen, Luft und Wasser, stattfindet, nur mehr auf die Art beziehen, in der diese miteinander verbunden sind. Ich glaube aber, dass es schwer wäre, eine andere, als die folgende Vorstellung ausfindig zu machen, die den sichtbaren Erscheinungen in so be- friedigender Weise gerecht würde, und mit den übrigen, uns ge- — 28 — läufigen Kenntnissen und Anscliauungen von den Eigenschaften der Materie in so gutem Einklänge stände. Die gewöhnliche Bestandform von Flüssigkeiten, die in hin- längliche Berührung mit Gasen gekommen waren, ist in sehr weit- gehender Analogie mit der Beschaffenheit von Lösungen crystalloider Körper (vielleicht sind sie insbesondere übersättigten solchen Lö- sungen an die Seite zu stellen). Wird nun eine gashaltige Flüssig- keit durch einen Stoss erschüttert, so wird der bisherige enge Zu- sammenhang der Molekeln von Flüssigkeit und Gas, in welchem das letztere seine physikalischen Eigenschaften völlig eingebüsst hatte, zerrissen, die Gasmolekeln liegen vollkommen ausserhalb der Flüssigkeitsmolekeln — so zu sagen — frei neben und zwischen letzteren. Die Wirkung des Stosses auf das Wasser besteht also in der instantanen Ueberführung einer echten Lösung in eine Juxta- position, eine vermuthlich moleculare Mischung, und es ist nicht unverständlich, dass mau von dieser Wirkung des Stosses, wenn kein Yacuum über dem Wasser steht, überhaupt nichts sieht. Ist aber im Momente des Stosses ein Vacuum da, oder wird ein solches kurz nach dem Stosse angebracht, so brauchen wir bloss an die Leichtigkeit, mit der sich Hohlräume im Innern einer Flüssigkeit unter diesen Umständen an allen Stellen ausbilden, zu denken, um zu begreifen, dass in der ganzen Masse des Wassers die frei ge- machten Luftmolekeln sich sehr rasch zu kleinen Luftbläschen ver- einigen, die durch ihr gleichzeitiges Auftreten an allen Stellen der Flüssigkeit das Aufschäumen hervorbringen. Ich unterdrücke ein weiteres Eingehen in die physikalischen Folgerungen aus den mitgetheilten Thatsachen, und beschränke mich darauf, das Ergebniss des bisher Entwickelten in folgende Worte zusammenzufassen: Wird eine gashaltige Flüssigkeit von einem Stosse betroffen, so verliert sie in Folge der Er- schütterung den Charakter einer echten Lösung, der bis- herige Verband der Molekeln wird aufgehoben, und die Gasmolekeln liegen frei zwischen denen der Flüssigkeit vert heilt. Eine der Consequenzen aus diesem Umstände, welche zugleich geeignet ist, ihn in sinnfälliger Weise darzulegen, ist das Verhalten einer solchen Flüssigkeit bei Verminderung des auf ihr lastenden Druckes. — 29 — Bekanntlich sind es die rothen Blutzellen, speciell das in ihnen enthaltene Hämoglobin, welche den Gasaustausch zwischen Blut und Lungenluft im Wesentlichen vermitteln. Es findet aber auch in den Luugencapillaren ein, den Diffusionsgesetzen unterworfener Aus- tausch statt zwischen den im Blutplasma enthaltenen Gasen, und der Alveolarluft, welcher keineswegs zu vernachlässigen ist neben dem Ersterwähnten. Zunächst soll hier nur von dem Austausche zwischen Luft und Plasmagasen die Rede sein. Ceteris paribus ist natürlich der Diffusionsvorgang in der Lunge um so lebhafter, je geringer die Kräfte sind, welche das Plasmagas im Plasma zurückzuhalten streben. Es kann also kaum ganz bedeutungslos sein, wenn die — wie bekannt — nichts weniger als unbeträchtliche Kraft, mit welcher das Plasma die, in ihm ge- lösten Gase festhält, während des ganzen Lebens ohne Unterbrechung stets in der, in die Lunge eintretenden, und in der, in ihr vorhandenen Blutmenge zu Folge einer, soweit wir sie nur zu verfolgen ver- mögen, höchst zweckmässigen Einrichtung überwunden ist, so dass die, die Lunge betretende Blutflüssigkeit das Gas, welches sie abzu- geben hat, schon hat müssen fahren lassen, ehe sie die Lunge selbst betrat, und es nun in einer solchen Weise mit sich führt, dass es widerstandslos, und für den Diffusionsvorgang in der geeignetsten Verfassung abgegeben werden kann. Denn ich glaube mit Recht, in der Verwandlung einer echten Gaslösung in eine Flüssigkeit, in der das Gas nur suspendirt ist, eine ebenso wirkungsreiche Vor- bereitung für einen Diffusionsact zu erblicken, wie diese Umwand- lung in unseren Versuchen als begünstigend für die gänzliche Ent- gasung der Flüssigkeit sich erwiesen hat. Es handelt sich nur um eine andere, übrigens sehr ähnliche Consequenz aus demselben Zu- .stande. An Stelle des Vacuums in den Versuchen tritt in der Lunge ein chemisch von dem, in der Flüssigkeit enthaltenen ver- schiedenes Gas. Bei allen unseren Versuchen war die freie Ober- fläche des Wassers verschwindend klein, es konnte also das Frei- gewordensein der Gasmolekeln zu nichts Anderem führen, als zu einer Vereinigung derselben mit einander zu wirklichen Bläschen, die nicht vor sich gehen konnte, so lange die Gasmolekeln mit denen des Wassers so fest verbunden waren, wie es eben in der echten Lösung der Fall ist. Das Vacuum an und für sich zeigte sich der Lösung gegenüber unfähig, ein Aufschäumen zu bewirken, und die Abgabe der Hauptmasse der Luft zu veranlassen. In der — 30 — Lunge, wo die Flüssigkeit zu solcher Oberfläclienentfaltung gelangt, uud in steter Bewegung ist, wird sich der Effect des Freigeworden- seins der Gasmolekeln als sehr beträchtliche Erleichterung und Be- schleunigung des Diffusionsvorganges zeigen. Wie in den Versuchen das Vacuum, so ist in der Lunge die, an einer grossen Oberfläche dargebotene Berührung mit einer anderen Gasart eine Gelegenheit, für das durch den Stoss in Freiheit gesetzte Gas, seine Freiheit zu benutzen, seine wiedererlangten physikalischen Eigenschaften zum Ausdrucke zu bringen. Denn den negativen Druck, dem die gestossene Blutmasse in den Lungen allerdings ausgesetzt ist, im Sinne einer, die Diffusion anbahnenden Einrichtung zu verwerthen, und seine Wirkung mit der des Vacuums in den Versuchen zu vergleichen, fällt mir nicht ein — eine Schaumbildung in den Lungencapillaren würde unserer Bewunderung der Zweckmässigkeit der ganzen Einrichtung endgiltig Einhalt thun, sowie sie, zahlreichen Erfahrungen gemäss, dem Leben selbst schleunigst Einhalt thut. Wenn man an die Plötzlichkeit denkt, mit der bei Beginn der Ventrikelsystole die Muskelmasse der Kammern um deren In- halt zusammenzuckt, wenn man die Gestalt der Druck- oder Ge- schwindigkeitscurven im kleinen Kreislaufe berücksichtigt, das fast senkrechte Ansteigen, und die beträchtliche Höhe des ersten Stückes dieser Curven, so wird man nicht bestreiten wollen, dass das Blut, auch das in der rechten Kammer, bei jedem Herzschlage einen ganz heftigen Stoss erleidet. Und dieser Stoss wird gewiss sehr erfolgreich als Erschütterung der Flüssigkeit wirken, weil er diese eben unmittelbar trifft, er wird also an und für sich verhältniss- mässig schwach sein dürfen — was er übrigens, im Vergleiche mit den wirksam befundenen Stössen bei manchen Versuchsanordnungen, durchaus nicht ist. Ferner bin ich überzeugt davon, dass für das Blut des kleinen Kreislaufes nicht nur der Stoss in Betracht kommt, den es vor dem Eintritte in die Lunge direct erlitten hat, sondern wir wissen, und verstehen auch aus den besonderen Verzweigungsverhältnissen, aus der Kürze des Weges, dass sich der Stoss, den der rechte Ventrikel seinem Inhalte ertheilt, vielfach und unter sehr verschiedenen Um- ständen in den Lungencapillaren, als deren „Puls" hat beobachten lassen. Ob nun ein solcher Puls, in dem Sinne, dass er mit einer Aenderung des Lumens verbunden ist — etwa nur für die direct — Bl- aus kleinen Arterien gespeisten — Lungencapillaren ein pliysiolo- gisches Vorkommen sei, mag dahingestellt bleiben; dass sich der scharfe Stoss, den der rechte Ventrikel zur Zeit des Tricuspidal- schlusses seinem Inhalte ertheilt, bis in die Lungencapillaren hinein fortpflanzt, ist ganz unfraglich, und ebenso scheint mir kein Zweifel daran zu bestehen, dass nicht nur der Stoss, den das Blut im rechten Ventrikel direct empfing, für die Befreiung der Plasmagase von Bedeutung ist, und die Gaslösung in eine „Suspensionsflüssigkeit" umwandelt, sondern dass auch die, in der Blutmasse selbst fort- gepflanzten Stösse, welche diese Suspensionsflüssigkeit später in rascher Aufeinanderfolge immer wieder empfängt, insofern nicht unwichtig sind, als sie gewiss jeder Wiedervereinigung der befreiten Gasmolekeln mit dem Plasma, jedem Beginne der Wiederherstellung einer echten Lösung entgegenwirken. Uebrigens ist die Zeit zwischen einer Systole, und dem Eintritte des, durch sie zunächst in die grossen Lungengefässe geworfenen Blutes in die Lungencapillaren selbst, nicht ausreichend zur Wiederauflösung der befreiten Gase in er- hebhchem Maasse — nach den Erfahrungen, die ich bei meinen Versuchen gemacht habe. Es scheint mir somit die Ansicht hinlänglich unterstützt zu sein, dass eine nicht unwichtige Wirkung des Herzschlages in der Vorbereitung des venösen Blutes für die Respi- ration liege, welche Vorbereitung darin besteht, dass die im Plasma gelösten Gase durch den Stoss, den der rechte Ventrikel bei der Systole seinem Inhalte ertheilt, in der auseinandergesetzten Weise aus der Lösung befreit, und dadurch in einen für den Vorgang der Diffusion geeig- neteren Zustand versetzt werden.] Ich bin nun in der Lage, meine Bemerkungen dahin zu er- weitern, dass nicht nur echte Lösungen von Gasen, sondern auch gewisse, besonders lockere, chemische Verbindungen von Gasen, in Folge der Erschütterung, welche eintritt, wenn die Flüssigkeit einen Stoss empfängt, zerstört, und für die nächste Zeit in eine moleculare Mischung von Gas und Flüssigkeit umgewandelt werden. Ebenso wie die echte Lösung, so stellt sich auch die chemische Bindung des befreiten Gases alsbald wieder her, wenn nicht eine andauernde Erschütterung durch weitere Stösse, die dem ersten nachfolgen, diess verhindert oder verzögert. — 32 — Zu diesen lockeren Verbindungen gehört z. B. die der KoMensäure in gewissen Bicarbonaten, vor Allem aber die des Sauerstoffes mit dem rothen Farbstoff der Blutzellen — das Oxyhämoglobin. Diese Behauptungen gründen sich zum Theile auf die bereits jetzt ganz gesicherten Ergebnisse einer, nach anderen Richtungen hin, noch nicht abgeschlossenen Experimentaluntersuchung, über deren Verlauf und Resultate seinerzeit an einem anderen Orte be- richtet werden wird — eine Verfügung, welche in so vollem und er- sichtlichem Einklänge mit einem bereits erwähnten, in diesem ganzen Buche strenge durchgeführten Grundsatze steht, dass es nichts am Beschlüsse, so vorzugehen, geändert hätte, wenn auch die hier be- sprochene Untersuchung nach allen Richtungen völlig abgeschlossen wäre, zur Zeit, da ich diese Zeilen schreibe. Die obigen Behaup- tungen finden aber ausserdem noch mächtige Stützen in älteren Erfahrungen anderer Forscher, ebenso allgemein bekannten wie an- erkannten Thatsachen, denen nur bisher nicht die Deutung und die Bedeutung zugedacht worden ist, welche ich ihnen beilege. Die neue Anwendung, die ich von diesen Erfahrungen zu machen vorhabe, wird natürlich die Gestalt einer Schlussfolgerung, eines Gedankenganges annehmen. Und in dieser Gestalt wird der vom Autor herrührende Antheil an der neuen Theorie deutlich ab- gegrenzt erscheinen von dem anderen Theile, welcher aus den That- sachen besteht, die jenen Schlussfolgerungen als Grundlage dienen. Dadurch nun, dass zu letzterem Zwecke nur bereits bekannte Erfahrungen anderer Autoren verwendet sind, wird es dem Leser ermöglicht, sich auch über diesen Theil der Darstellung ein objec- tives Urtheil zu bilden, ohne dass die Frage nach dem Vertrauen, welches er dem Autor schenken solle, überhaupt auftaucht. Jene Erfahrungen Anderer, welche meiner oben ausgesprochenen Behauptung als Stützen dienen, und zwar als so kräftige Stützen, dass mir der Beweis für diese Voraussetzung meiner Theorie durch sie hinlänglich befestigt erscheint, und ich mich der Verwendung jener Argumente für überhoben halte, die aus meinen eigenen Beobach- tungen abzuleiten wären — werden im Verlaufe dieser Darstellung noch so vielfach Gegenstand eingehender Erörterungen sein, dass ich hier — um lästigen Wiederholungen vorzubeugen — nur auf sie hindeuten will, ihre ausführliche Besprechung einer Gelegenheit vorbehaltend, die sich uns sehr bald bieten wird. Bei dieser Ge- — 33 - legenheit Avird besonders der Theil meiner Behauptung die nöthige Begründung finden, welcher sich auf die Zerlegbarkeit des Oxy- hämoglobins durch mechanische Erschütterung bezieht; die allge- meine Behauptung von der Zerlegbarkeit chemischer Verbindungen überhaupt durch Stösse, oder sonstige mechanische Einwirkungen, ist ja kaum eines Beweises bedürftig, angesichts der Häufigkeit und allgemeinen Bekanntheit von Vorkommnissen, wie die Einlei- tung von Explosionen durch Stösse. Allerdings haben die auf solche Weise zerlegbaren Verbindungen zumeist die Gestalt fester Körper, wie Knallquecksilber, Pikrinsäure, Kohlenoxydkalium etc.; doch fehlt es nicht an Beispielen von dampfförmigen und flüssigen Substanzen explosiver Natur. Handelt es sich speciell um tropfbar- flüssige Körper, die durch Stoss, mechanische Erschütterung zur Zersetzung angeregt werden, so kann man, nebst vielen anderen, Chlorstickstofl*, Nitroform (CH[N02]3), Nitroglycerin als Beispiele anfüliren. — Wir wollen uns aber hier zunächst mit der Anwendung beschäftigen, welche die Physiologie von der erwähnten Eigen- schaft des Oxyhämoglobins zu machen hat. Diese Verbindung bildet sich — wie bekannt ist — während, des Durchströmens des Blutes durch die Lungencapillaren. So locker aber auch diese Verbindung ist, so ist sie doch noch zu fest, als dass sie durch die oxydablen Gewebsbestandtheile, an denen das Blut in den Körpercapillaren vorbeifliesst, zerlegt werden könnte. Diess ist aber auch nicht nöthig. Denn sowie das Blut, ge- sättigt mit Sauerstoff, in den linken Vorhof, und dann in den linken Ventrikel des Herzens gelangt ist, erhält es bei der Systole von den zusammenzuckenden, mächtigen Wänden der linken Kammer einen so heftigen Stoss, dass die soeben entstandene Verbindung: Oxyhämoglobin, wieder zerfällt, und der frei gewordene Sauerstoff nun zunächst mit der Blutflüssigkeit eine moleculare Mischung bildet. Allerdings beginnt das Hämoglobin sofort wieder, den Sauer- stoff an sich zu binden; doch wird dieser Vorgang erstens durch die in der Aorta und den Arterien sich fortpflanzende, als Pulswelle auftretende Erschütterung des Blutes, also durch die nachfolgenden Stösse, mindestens stark verzögert, und zweitens ist inzwischen das Blut in die Capillargefässnetze der Organe gelangt, und wird dort der Wirkung oxydabler Gewebsbestandtheile ausgesetzt, welche ihre Fl« i sohl V. Marxow, Ücdeutujif,' und 4-9 "/o , für Arterienblut zwischen 2*6 ^o und G "/oi also für jenes um ihren eigenen sechsfachen, für dieses beinahe um ihren dreifachen Be- trag schwankend befunden wurden, der genannten Verwendung — 56 — dienen konnten, ist mir unverständlich. Welche Schwankungen im 0-Gehalt hätten denn auftreten müssen , um den Autor zu veran- lassen, dass er den Versuch verworfen hätte, eingedrungener Luft wegen? Und nachdem in den sieben ersten 0 -Bestimmungen im Yenenblut die Spannung nie den Werth von 2^/2^/0, in der achten eben den von 2^/4^/0 erreicht hatte; wesshalb wurde der Werth von 3"9 7o 0 in einer Probe, die mit demselben Blut wie die achte angestellt wurde, nicht für ein Zeichen von Undichtigkeit im Abschluss gegen die Atmosphäre genommen, um so mehr, als zu- gleich ein um 0'7 "/o geringerer CO2 -Werth sich so einfach aus dem gleichen Umstände erklären hätte lassen ; und um so gewisser, als in zwei Proben des Arterienblutes dieses Thieres jener hohe 0-Werth des Venenblutes einmal eben erreicht wurde, einmal aber eine 0-Tension sich ergab , die nur ^ji von der des Venenblutes betragen würde? Endlich: wesshalb wurden nicht die sämmtlichen 3 Einzeloperationen des 7. Versuches auf Grund dieses „Control- mittels" verworfen, da doch die 0-Spannung des Venenblutes hier auf einmal die vergleichsweise enormen Werthe von 4'57, 4*27, 3-91 0/0 erreicht? Die Antwort auf alle diese Fragen lautet: Weil die Herren Pflüg er und Strassburg sehr gut wussten, ob ihre Versuche in Ordnung waren oder nicht , ohne sich eines so vagen Control- verfahrens zu bedienen, wie das, aus den 0-Werthen abzuleitende eines abgegeben hätte; und weil sie also auch wussten, dass die oben herangezogenen Versuche correct durchgeführt waren. Aber vielleicht wird desshalb ein so geringes Gewicht auf die gefundenen 0-Werthe gelegt, weil sie selbst unverlässlich, ungenau bestimmt wm-den? Sicherlich nicht! Erstens pflegen aus dem Bonner Institut keine mangelhaften Gasanalysen hervorzugehen ; und zweitens wird Niemand Zahlen, die ihm überhaupt nicht gut genug sind, für gut genug ausgeben, um zur Controle seines ganzen Vorgehens zu dienen. Völlig unbegreiflich wird diese unvermittelte und unauf- geklärte Missachtung der einen Hälfte des gesammten Ergebnisses der Arbeit aber erst dann, wenn man erwägt, um wie viel mehr Mühe, Geduld und Zeit diese Hälfte verbraucht hat, im Vergleiche mit der anderen. Wer nur einigermaassen mit der Technik dieser Methoden aus eigener Erfahrung vertraut ist, der wird mir bei- pflichten, wenn ich die Aufgabe, den Sauerstoffgehalt eines Gas- gemenges aus N, CO2 und 0 auf zwei Decimalstellen genau zu — 57 — bestimmen, für unvergleichlich schwieriger und zeitraubender an- sehe, als die Aufgabe, den COg-Grehalt eines solchen Gemenges mit demselben Grade der Genauigkeit zu evaluiren. Herr Strassburg lässt sich über die von ihm benutzten Methoden nicht eingehender vernehmen. Aber schon die Bewerthung der dritten benannten Stelle bei den 0-Bestimmungen macht es unwahrscheinlich, dass er sich hierfür der Absorption durch Kaliumpyrogallat be- dient habe. Doch sei dem, wie immer: dass die Bestimmung des Sauerstoffes im Eudiometer mittelst Verpuffung ungleich beschwer- licher ist, als die der Kohlensäure, ist allbekannt; die Methode seiner Bestimmung durch pyrogallussaures Kalium halte ich aber, trotzdem sie als einfache Absorptionsmethode so leicht scheint, wie die CO., -Bestimmung, eigentlich für noch mühsamer als die Knall- gasmethode, wenn sie auf einen solchen Grad von Genauigkeit ge- bracht werden soll, dass die Angabe von zwei Decimalstellen der Procente des 0-Gehaltes Sinn und Berechtigung hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich eine solche Arbeit aufbürdet, wie die vielen 0-Analysen in der Strassburg'schen Untersuchung, wenn man ernstlich von vornherein mit sich darüber im Reinen ist, dass man ihren Ergebnissen kein Gewicht beilegen will oder wird. Ferner halte ich es nicht für Etwas, was dem Belieben, und der freien Verfügung des einzelnen Forschers ganz anheim- gestellt ist, wie viel Gewicht er den verschiedenen Nachrichten bei- legen will, die ihm (mit einerlei Gewicht an Wahrscheinlichkeit) im Verlaufe seiner Arbeit eröffnet werden. Ich zweifle an seinem Rechte, eine oder die andere von ihnen geflissentlich unbeachtet zu lassen. Ich verwahre mich ausdrücklich gegen eine Deutung meiner Be- merkungen, die etwa zwischen den Zeilen die Verdächtigung zu finden glaubt, Herr Strassburg habe die, für seine Schlüsse bedenklichen 0-Werthe eben desshalb, und um durch sie nicht gestört zu werden, gewissermaassen unterschlagen wollen. Dergleichen zu vermuthen, liegt mir ganz ferne. Es muss vielmehr die grosse Gewissenhaftig- keit der Darstellung anerkannt werden, welchß zwar, wie es vom Standpunkte des Autors aus leicht begreiflich ist, in den folgenden Versuchen mehrfach die Bestimmung des Sauerstoffes vermissen lässt, und sie da, wo sie vorliegt, nicht in tabellarischen Vergleich mit den, vor dem Schütteln eruirten 0-Werthen l^ringt, wie diess für die COsj-Werthe geschieht — die aber immerhin solche Mittheilungen — 58 — über den 0-Gehalt der Schüttelgase entliält, dass der wirkliche Zu- sammenhang daraus hergestellt werden kann, und zwar folgender- maassen: Der erste Schüttelversuch (der XIII. der ganzen Reihe) enthält keine Angabe über den 0-Gehalt des Gases nach dem Schütteln desselben mit dem Blute. Der nächste (XIY.) Versuch zeigt in der Tabelle, welche sein Ergebniss darstellt, dass der COg-Gehalt des Gases vor dem Schüt- teln — nach dem diflfusorischen Ausgleich mit dem ruhig fliessen- den, ungeronnenen Blute — 5*95 °/o betrug, nach dem Schütteln aber mit dem inzwischen defibrinirten Blute: 8'13 *'/o. Diese Tabelle führt den 0-Gehalt des Gases vor dem Schütteln nicht an, wohl aber den nach dem Schütteln, und zwar zu 5'33 *^/o. Da aber an- gegeben wird, dass dieser Versuch die Fortsetzung des Versuches VII a ist, so lässt sich leicht feststellen, dass der 0-Gehalt des Gases vor dem Schütteln 4"57 *^/o betrug. Durch das (Defibriniren und) Schüt- teln des Blutes mit dem Gas wuchs also dessen COg-Gehalt etwa um ^(s des Werthes, sein 0-Gehalt um etwa ^/e des eigenen Werthes. — Dieser letztere Umstand zeigt — wie ich oben bereits erörtert habe — die völlige Unhaltbarkeit und Unrichtigkeit der vom Autor gezogenen Folgerung über die Provenienz des COa-Zuwachses. Er beweist vielmehr, dass die freien Gase dieses Blutes durch die Operationen, denen es unterworfen wurde, überhaupt vermehrt wurden — respective: dass die Gase, die es enthielt, durch die Ope- rationen in Freiheit gesetzt wurden. Der geringere Betrag des 0-Zuwachses im Vergleich mit dem der COg darf uns nicht wundern. Der 0 bedarf zur Befreiung aus seiner chemischen Bindung an das Hämoglobin einer viel stärkeren Percussion, als die COg zur Be- freiung aus der Lösung im Plasma, oder im Serum des Blutes. Sind doch auch die Ventrikelwände beider Herzhälften, und die Stösse, welche sie dem, von ihnen eingeschlossenen Blute ertheilen, sehr verschieden mächtig! Das oxydirte Blut, welches durch Befreiung seines Sauerstoffes arterialisirt werden soll, erhält einen ungleich heftigeren Stoss, als das venöse, aus dem die COg zu ent- binden ist. Ja — es ist sogar nur einer besonderen Gunst der Um- stände zuzuschreiben, wenn bei dem Gang dieser Versuche eine positive Abgabe von Sauerstoff an das Schüttelgas erfolgt, wie in dem eben besprochenen Fall. Vor Allem wird es hierfür eines be- sonders heftio;en Schütteins bedürfen. — 59 — Denu wir wissen ja, dass venöses Blut aus der Luft, mit der es geschüttelt wird, Sauerstoff aufnimmt, und sich wieder hell röthet, und das Gleiche wissen wir von dem durch „Selbstzehrung" dunkel gewordenen Blute. Ich will hier nicht meine Ansichten über diese Dinge anticipiren, und bediene mich also der allgemein geläufigen Vorstellungsweise. Dieser gemäss haben wir zu gewärtigen, dass in dem Blute, welches sich in 0-Gleichgewicht mit dem Tonometer- Gase gesetzt hat, und welches dann wieder mit demselben Gase in Berührung kommen wird, inzwischen — während der geraumen Zeit des Aufsammeins, der Uebertragung in andere Gefässe, des Defibrinirens u. s. w. — besonders bei der Temperatur, die herrscht, eine fortwährende Reduction des noch vorhandenen Oxyhämoglobins stattgefunden hat ^) , die es stets ärmer an befreibarem Sauerstoff hat werden lassen; wir haben also im Allgemeinen zu gewärtigen, dass dieses Blut, wenn es nachher wieder mit dem Tonometergas zusammengebracht wird, aus diesem einen Theil des früher abge- gebenen Sauerstoffes wieder an sich nimmt. Nur ein ganz be- sonders heftiges Schütteln wird diess eventuell anders zu gestalten vermögen. Die ganz abnorm grosse COg-Spannung im Schüttelgase des eben besprochenen Versuches, welche Herr Strassburg selbst hervorhebt — „eine Spannung von 8*13 "/o ist ausserdem weder „Wolffberg noch mir bei unseren zahlreichen Bestimmungen leben- „digen Blutes jemals vorgekommen" — , lässt darauf schliessen, dass in diesem Versuche wirklich sehr heftig geschüttelt worden sei, so dass es zur weiteren Zerlegung von Oxyhämoglobin, und somit zur weiteren Abgabe von freiem Sauerstoff an das Gas kommen konnte. So gibt denn auch wirklich der Autor im nächstfolgenden Schüttelversuch eine 0-Spannung im Schüttelgase an, welche mit ihrem Betrage von 3*67 ^lo zwar immer noch die, von ihm eruirte Mittelzahl für die 0-Tension des venösen Blutes (2"9 "o) erheblich übertrifft, die aber, wie ein Vergleich mit jenem früher mitgetheilten Versuch, von dem der gegenwärtige die Fortsetzung ist, lehrt, fast um ein ganzes Procent kleiner ist, als die 0-Tension im Gase dieses Blutes vor dem Schütteln war. Hierin liegt, wie ich eben zeigte, nichts, was auffallen dürfte, zumal wenn man berücksichtigt, dass erstens bei diesem Versuche weniger stark geschüttelt worden sein dürfte, wie aus der weitaus geringeren COg-Zunahme zu schliessen ') Siehe die Anmerkung auf pag. 54. — 60 — ist; und zweitens, dass das Blut aus dem Thiere besonders rasch durch die Röhren des Aerotonometers floss — ein Umstand, dessen Einfluss auf die 0 -Zahlen ich wohl nicht mehr ausführlich zu er- örtern brauche. Leider hat Herr Strassburg bei den übrigen, von ihm vor- geführten Schüttelversuchen gar keine Angaben mehr über den Sauerstoff gemacht, so dass wir diese Betrachtung nicht weiter fortsetzen können. Ganz von dem Kriterium abgesehen, welches die 0-Tension für die Beurtheilung der Schüttelversuche abgibt, muss es fast un- begreiflich scheinen, dass die Möglichkeit der Vermehrung der CO^ in Folge des Schütteins gar nicht erwogen worden ist. — Wer hat es nicht schon erlebt, dass ein „Sodawassersyphon" in Folge mangel- haften Verschlusses des Ventiles „ausgeraucht" war, d. h. dass die Spannung der COg im Wasser, und in der darüber stehenden (mit der Atmosphäre comraunicirenden) Luft sich ausgeglichen hatte, und beim Druck auf den Hebel nichts aus dem Ausflussrohre heraus- getrieben wurde? Wer hat nicht bemerkt, dass man in solchen Fällen den Syphon bloss ganz kurze Zeit mit einem heftigen Ruck durchzuschütteln braucht, und nun das „Schüttelgas" eine so hohe Tension hat (die sich nicht schnell genug mit der Atmosphäre aus- gleichen kann), dass jetzt beim Druck auf den Hebel das Getränk ganz rasch aus dem Rohre herausfahrt, und dem Auge, sowie dem Geschmack seinen Gehalt an freier Kohlensäure zu erkennen gibt? Es ist dieser Fall in der That dem, in Herrn Strassburg's Schüttelversuchen mit defibrinirtem Blut vorliegenden, ganz ver- gleichbar. Der Gedanke, dass ein vorderhand noch ganz unbestimmter, möglicherweise aber sehr grosser Theil der zahlreichen und müh- säligen Untersuchungen über Fragen aus der Physiologie des Gas- wechsels, in welchen die Auspumpung und quantitative Analyse der Blutgase eine Rolle spielt, — Untersuchungen , deren Ergebnisse wir längst als kostbaren, unantastbar sicheren Besitz zu betrachten gewohnt sind, nunmehr durch die neuerkannten Beziehungen der Percussion zu dieser ganzen Gruppe von Vorgängen wieder völlig in Frage gestellt werden kann, dieser Gedanke hat — wenigstens für mich — etwas Peinliches, Besorgnisserregendes; obwohl ich 61 — vieUeicht mehr Grund hätte, meine Sorge der neuen Theorie zu widmen, als den alten Analysen. Sicherlich werden auch diese Zweifel ihre vollständige Erledi- ^ gung nur in Folge experimenteller Studien finden, die ja keineswegs m emer Wiederholung aller der Versuche und Messungen zu be- stehen haben werden, welche im Principe jenen Einflüssen der Per- cussion, und somit auch dem, aus ihrer Vernachlässigung abgelei- teten Zweifel unterworfen sind. Denn eine erneuerte Ausführung jedes einzelnen solchen Versuches ginge nicht aus einem Zweifeln, sondern aus völligem Verzweifeln an der Vertrauenswürdigkeit der älteren Untersuchungen hervor - aus der Meinung, es käme diesen nun kein anderer Werth mehr zu, als der des Gedankenganges welcher eben in der Feststellung des betreffenden Versuchsplanes semen vorläufigen Abschluss gefunden hatte; während es sich doch m Wirklichkeit nur darum handeln kann, die in der Litteratur vor- hegenden Angaben über derartige Versuche möglichst scharf zu präcisiren, um sie möglichst vollzählig und vollwerthig im dauern- den Besitze unserer Wissenschaft zu erhalten. Von einigen, für die Beurtheilung vorliegender, älterer An- gaben wichtigen Momenten kann aber, nach meinem Dafürhalten, schon jetzt— vor aller experimentellen Prüfung— mit vollem Rechte Gebrauch gemacht werden. Die Frage, um deren Erledigung es sich hier handelt, ist die nach dem Einfluss, den unter gegebenen Versuchsbedingungen die „Percussionsverhältnisse" des Blutes auf das Resultat haben könnten. Die Heftigkeit der Erschütterung, die Zeit, die seit der letzten Erschütterung des Blutes verstrichen ist — das sind die mir einstweilen bekannten Hauptmomente der „Percussion" , von denen die, vom Blute unter verschiedenen Bedingungen abgegebenen Gas- mengen sicherlich sehr stark abhängen. Aber unter wechselnden Umständen in sehr wechselnder Weise. Auch in besonderer Weise für den Sauerstoff, und für die Kohlensäure: so dass hier aus der Erfahrung noch eine reiche Belehrung zu erwarten ist über die Wirkung verschiedener Arten von Erschütterung unter verschiedenen Nebenumständen. Die Kenntnis« dieser Beziehungen vorausgesetzt, würden wir aus dem Maasse der, in jedem Verfahren vernachlässigten „Percussion« ohne Weiteres die Grenzen bestimmen können, inner- halb deren die gefundenen Werthe der beiden Gase von den wahren Werthen derselben abweichen konnten. Von einer solchen theore- — 62 — tischen Feststellung der, bei jedem einzelnen Verfahren zu gewär- tigenden, äussersten Grenzen der Unsicherheit der Resultate sind wir aber noch weit entfernt. Desto mehr Grund haben wir — glaube ich — , auf einzelne empirische Beziehungen Gewicht zu legen, wenn wir auch nicht einmal im Stande sind, alle solchen physikalisch zu erklären. So geht — meines Erachtens — aus den Zahlen in der Ab- handlung des Herrn Strassburg ganz deutlich hervor, dass in der aerotonometrischen Methode von Herrn P f 1 ü g e r solche Verhältnisse und Umstände vorliegen, dass bestimmte Schwankungen in der Percussion des Blutes viel geringere Schwankungen in den schliesslichen COg-Werthen veranlassen, als in den 0-Werthen. Zum Beispiele: der Mittelwerth der COg-Spannung venösen Blutes betrugt) 5*4°/o, der Mittelwerth der 0-Spannung: 2"97o. — Die Differenz zwischen dem grössten und dem kleinsten Werthe, der für die COg im Venenblut gefunden wurde, beträgt 1"7. Dieselbe Differenz für den 0 beträgt 3'3, also mehr als dessen ganzen Mittelwerth! Während somit die grösste Differenz zwischen den Einzelversuchen bei der CO2 nur 35*2 ''/o von ihrem Mittelwerthe ausmacht, erreicht die Differenz zwischen den Einzelversuchen beim 0 die sehr bedenkliche Höhe von 113'8% des Werthes selbst! Aehnlich, wenn auch nicht ganz so grell, sind die Verhältnisse beim Arterienblut. Für die CO^ liegen auch hier die äussersten Werthe um 1*7 auseinander; für den 0 um 2*8. Diess wäre mein Grund dafür, den Sauerstoffwerthen in der genannten Abhandlung kein grosses Gewicht beizulegen! Ein anderes Ergebniss der Vergleichung bereits vorliegender Angaben ist die Thatsache, dass durch die Gaspumpe solchem Blute, welches unter unbekannten Bedingungen der Percussion gestanden hat, wenn diese Bedingungen nur einander völlig gleich waren, auch völlig gleiche Quantitäten von Gas entnommen werden — bei wiederholter Analyse der in diesem Blute „enthal- tenen" Gase. Es beruht auf diesem Umstände die Vergleichbarkeit der, im Laufe einer Untersuchung gewonnenen Zahlen untereinander, in einer grossen Menge von Fällen. — Dass der Satz: „Gleichen Ur- sachen entsprechen gleiche Wirkungen" seine Gültigkeit auch für 0 1. c. pag. 77. — 63 — Blutentgasungen bewahre, bedarf natürlich keiner besonderen Ver- sicherung. Auch sollte nicht das mit dem zuletzt erwähnten „Er- gebnisse" bezeichnet werden. Wohl aber zeigen uns zahlreiche sogenannte „ Doppelversuche ", also quantitative Bestimmungen von Blutgasen, welche aus zwei, möglichst gleichzeitig und gleichartig demselben Thiere entnommenen Blutproben, durch ein möghchst unverändertes Verfahren ausge- pumpt wurden, auf's schönste, wie die Uebereinstimmung derWerthe je einer Doppelanalyse untereinander um so grösser wird, je mehr den Bedingungen, die eine Verschiedenheit in der Percussion des Blutes ausschliessen, genügt worden war. Ich führe als Beleg hierfür jene Doppelanalysen an, welche von Herrn H. Hirschmann ^) unter der Leitung und mit Beihülfe des Herrn H. Sczelkow, und von Herrn E. Pflüger ^) zum Zwecke einer Prüfung der auf pag. 45 erwähnten i\.ngaben der Herren Estor und Saint Pierre^) ausgeführt wurden. Die Herren Hirsch- mann und Sczelkow verfügten nicht über die Mittel, die erfor- derlich gewesen wären, um die beiden Blutportionen, die zu einer Doppelanalyse verwendet werden sollten, dem Versuchsthiere (Hund) gleichzeitig zu entnehmen. Sie waren also gezwungen, erst den Aderlass aus der Carotis, und nachher den aus der anderen Arterie vorzunehmen, wodurch sie natürlich ein Moment in ihre Versuche einführten, welches zu einer Differenz in der Percussion beider Blut- proben Anlass geben konnte. Auch in den anderen Manipulationen wurde das Princip der Identität von ihnen nicht absolut durchgeführt, welches Princip hingegen von Herrn Pflüg er bei seinen Versuchen mit der allergrössten Strenge festgehalten wurde *). Ich lasse nunmehr die Versuchsergebnisse in der Form der Zusammen- stellung folgen, welche von den betreffenden Autoren selbst benützt worden ist. ') Ein Beitrag zur Frage über den Ort der Kohlensäurebildung im Organismus, von Heinrich Hirsch mann, Stud. med. in Charkow. — Archiv für Anatomie, Physiologie etc. von Reichert u. E. du Bois- Reymond. Jahrgang 1866, pag. 502/7. — Die citirte Tabelle: pag. 511. 2) 1. c. I. pag. 286. ') 1. c. ■•) Wie aus der Besclireibung, die Herr P fl üger von diesen Versuchen gibt, zu ersehen ist. ~ 64 — A. Versuclie des Herrn Hirsclmiaiiii. CO2 0 N Gesammt- Menge Versuch I • • ) A. A. carotis femoralis 18-432 14-777 20-800 19-563 2-756 4-531 41-988 38-871 Versuch II . . ] A. A. carotis femoralis 30-918 32-492 12-861 12-857 1-974 1-892 45-753 47-241 Versuch III . . A. A. carotis femoralis 28-228 27-927 10-283 11-547 1-710 1-557 40-221 41-031 Versuch IV . . | A. A. carotis lienalis 29-158 27-283 12-325 13-882 2-455 2-401 43-938 43-566 Versuch V (bei . der ersten Aus- pumpung) ' A. A. carotis lienalis 17-702 16-874 8-668 7-878 0-934 0-823 27-304 25-575 Diese Zahlen geben die in 100 Volumina Blut enthaltenen Gasmengen bei 0^ C. und 1 m Quecksilberdruck an. Der I. Versuch ist durch etwas Luftzutritt zu beiden Portionen ein -wenig verunreinigt, der V. Versuch ist überhaupt nicht zu Ende geführt. B. Versuche des Herrn E. Pflüg er. Versuch I. A. carotis. A. femoralis. 11-1 > 26-6 > 1-3 % Sauerstoff Kohlensäure Stickstoff 11-2 0/0 26-8 > 1-3 % Versuch IL A. carotis. A. femoralis. 18-8 > 26-7 0/0 1-1 0/0 Sauerstoff Kohlensäure Stickstoff 18-7 > 26-8 0/0 1-2 0/0 Schon der flüchtigste Blick auf diese beiden Zahlenreihen lässt den gewaltigen Unterschied erkennen, der zwischen ihnen besteht 65 — hinsichtlich der Uebereinstimmung der zusammengehörigen Werthe jeder Doppelanalyse. Besonderen Werth möchte ich noch dem I. Versuche des Herrn Pflüger beimessen, als einem Falle, der direct für meme Auffassung spricht — freilich muss ich mich hierbei von der Deutung, die Herr Pflüger selbst diesen, von ihm eruirten Zahlen gegeben hat, etwas entfernen. Es spricht nämlich doch Manches dafür, den geringen Betrag von IP/o Sauerstoff im arteriellen Blute des ersten Hundes auf eine unvollständige Per- cussiou dieses Blutes zu beziehen — wenigstens theilweise. Hierfür spricht zunächst eben die sehr kleine Zahl selbst, dann aber auch die Bemerkung, welche Herr Pflüger diesem Versuche beigegeben hat: „das Blut floss aus einem engen Glasröhrchen gleichmässig und laugsam". Hieraus ist sehr leicht auf eine längere Zeitdauer, die sich zwischen den letzten Herzstoss, den dieses Blut empfing, und seine Auspumpung, oder seine Fixirung durch Kälte einschob, zu schliessen, das heisst : auf eine Beeinträchtigung der Percussion. Dass dieser selbe „grosse" Hund, von dessen schwächlichem oder heruntergekommenem Zustande keinerlei Andeutung gemacht ist, die eine so geringe 0-Menge etwa (nach Herrn Pflüger's Er- fahrungen) begreiflich machen würde, drei Stunden vor der Ver- wendung zu diesem Versuche einen Aderlass erlitten hatte, ist nach desselben Gewährsmannes wiederholter Aussage kein Grund, eine so auffallende 0-Armuth des Arterienblutes zu erwarten: mit einem Worte, dieser in sich so tadellos schöne Doppelversuch scheint mir mit vielem Rechte für einen Beweis meiner Behauptung gelten zu dürfen, dass identische Beeinträchtigungen der Percussion des Blutes auch identischen Verminderungen, also auch identischen Beträgen des evacuirbaren Gases (0) entsprechen. Auch kann ich nicht unterlassen, an dieser Stelle darauf auf- merksam zu machen, wie nach der Entdeckung der „momentanen Entgasung" des Blutes durch Herrn Pflüger eine Versuchsreihe von zwölf einzelnen Arterienblutgasanalysen diesem Forscher einen Mittelwerth für den Sauerstoff ergab, der viel enger zwischen dem maximalen und minimalen Werthe eingeschlossen ist, als diess je zuvor bei einer ähnlich ausgedehnten Versuchsreihe der Fall ge- wesen ist. Hier hat eben offenbar dieser Physiologe sein Unter- suchungsobject — das arterielle Hundeblut — in jedem einzelnen Falle möglichst nahe dem Zustande vollkommener Percussion in Arbeit genommen, woraus sich dann die geringen Abweichungen Flciflchl V. Marxow, Hedeutung des Ilfirzschlaßfis. g — 66 — vom Mittelwerthe von selbst, und ungezwungen erklären, besonders unter Rücksichtnahme auf die sonst eingehaltene Bestimmung, dass nämlich durchaus nur ganz gesunde, lebenskräftige Thiere zu dieser Serie zugelassen wurden. Vn. Die Vorgänge in der Lunge. Im III. Capitel dieses Buches ist eine ganz flüchtige, aller Mo- tivirung baare Schilderung der Vorgänge enthalten, welche nach der Ansicht des Autors dem Graswechsel der homöothermen Thiere zu Grunde liegen. Dem Plane entsprechend, den ich mir für die Darstellung meiner Theorie zurecht gelegt habe, würde nun eine ausführliche Begründung der Behauptungen, die in jener Schilde- rung enthalten sind, sich hier anzuschliessen haben. Und zwar wird es auch hierfür sich wieder empfehlen, das Blut auf seinem Wege durch beide Kreisläufe in Gedanken zu begleiten. Ganz bestimmte Gründe veranlassen mich, als Ausgangspunkt für diese Wanderung die Lunge zu wählen, trotzdem mit dieser Wahl eine gewisse Schwierigkeit verknüpft ist. Bekanntlich sind die beiden hervorragendsten Forscher auf diesem ganzen Gebiete der Physiologie — Herr Carl Ludwig und Herr Eduard Pflüger — gerade über den Gasaustausch zwischen Lungen- luft und Lungenblut in lebhafter Controverse. Doch liegt in diesem Umstände durchaus nicht die Schwierigkeit begründet, von der ich eben sprach. Denn es versteht sich für mich von selbst, dass ich mich vor jedem Scheine einer Einmischung in eine solche Contro- verse sorgfältig zu hüten habe. Ich wüsste nichts, worauf ich mich berufen könnte, wollte ich mir ein Recht anmaassen, in diese Con- troverse einzutreten. Der zwischen Herrn C. Ludwig und Herrn E. Pflüg er strit- tige Punkt, von dem hier die Rede ist, liegt in der Bemessung der Kj-äfte, durch welche die Sauerstoffaufnahme in das Blut bewerk- stelligt wird. Darüber, dass diese Kräfte ihrer Natur nach Span- nungsdifferenzen sind, und zwar Differenzen in den Diffusions- spannungen des Sauerstoffes in der Lungenluft und dem Lungenblute — 67 — — darüber sind die beiden genannten Forscher, wenn ich ihre Mei- nung richtig erfasst habe, einig. Die Verschiedenheit ihi-er An- sichten liegt in der Art der Ableitung der Kräfte, hinsichtlich ihrer Beträge, aus den gegebenen Zuständen. — Ich jedoch ver- trete die Ansicht, dass der Sauerstoff aus der Lungenluft in das Lungenblut im Wesentlichen überhaupt nicht durch Diffusion hinübergelange, also auch seine Geschwindigkeit bei dieser Bewegung nicht von Diffusionskräften erhalte, sondern dass vielmehr eine chemische Attraction, die von den Blutzellen auf den Sauer- stoff ausgeübt wird, die wesentliche Ursache seiner Bewegung sei, und somit von dieser chemischen Anziehungskraft auch die Gre- schwindigkeit , mit welcher er diese Bewegung ausführt, abhänge. Selbstverständlicher Weise ist von den beiden, öfters genannten Forschern die chemische Beziehung des Sauerstoffes zum Hämoglobin der Blutzellen nicht vöUig ausser Acht gelassen worden , bei ikren Erörterungen — aber sie ist nicht als Bewegungsursache unmittel- bar angesehen worden; sie wurde vielmehr in einer anderen Weise in Rechnung gezogen, bei der Erklärung des ganzen Vorganges. Und in der That lässt sich die chemische Verwandtschaft des Sauerstoffs zum Hämoglobin in zweierlei Weise als ein, die Oxy- dation des Blutes in der Lunge beschleunigendes Moment in Be- tracht ziehen. Geht man von der Vorstellung aus, dass der ununterbrochene Zufluss von Sauerstoff aus der Umgebung der Lungencapillaren nach deren Axe hin, seinem Wesen nach ein Diffusions ström sei, abhängig von der vergleichsweise hohen Spannung des Sauerstoffes in der Alveolarluft, und der niederen Spannung dieses Gases in dem Flüssigkeitsfaden, dann wird man die Geschwindigkeit, mit welcher der ganze Weg (im Durchschnitte) zurückgelegt wird, davon ab- hängig machen, wie stark das Gefälle der Spannung auf diesem Wege, oder wie gross der Unterschied der Spannungen dieses Gases an den beiden Endpunkten des Weges ist. Da dieser Unterschied in Folge der Bewegung des Gases selbst abnehmen, und sich zuletzt ganz ausgleichen würde, kann in einer Veranstaltung, die den am Ende des Weges anlangenden Sauerstoff sofort verschwinden macht, natürlich nur ein Moment erblickt werden, welches einer Abnahme des Spannungsgefälles vorbeugt, und folg- lich die Diffusionsströmung begünstigt. Aber diess ist ganz gewiss nicht die Art, wie die Verwandt- — 68 — Schaft des Hämoglobins zum Sauerstoff, den Eintritt dieses Gases ins Blut beschleunigt! Man vergegenwärtige sich nur die Verhält- nisse in der Lunge! Die neben dem Durchmesser der Capil- laren verschwindende Dicke ihrer Wand — der rasche Flüssig- keitsstrom in ihrem Innern! Wäre die Diffusionskraft nur überhaupt fähig, einen so raschen Sauerstoffeintritt ins Blut zu bewirken — ihr rasches Abnehmen wegen der sich aufstauenden Mengen wäre wohl eine letzte Sorge! Da müsste man sich doch wahrlich vorher fragen, wie denn dafür gesorgt sei, dass sich der Sauerstoff, nachdem er die zarte Capillarwand durchwandert hat, im Blutkörperchen, Schicht vor Schicht bis ins Innerste so rasch verbreitet, da doch im Centrum keine constante Spannung aufrecht erhalten wird. Und diese Wege im Leibe der Blutzelle sind allen Ernstes lang zu nennen im Vergleiche mit dem in der Gefässwand ! Viel einleuchtender ist die Beschleunigung des Sauerstoffein- trittes in's Blut durch ganz directe Anziehung. So wie alle „Kräfte", die wir kennen , alle Anziehungen , die der Gravitation , die des Magneten, die elektrischer Massen, elektrischer Ströme u. s. w., nicht erst in Thätigkeit treten, wenn die betreffenden materiellen Punkte in unmittelbarer Berührung mit einander sich befinden, son- dern sämmtlich eine „actio in distans" ausüben, so ist es nicht anders denkbar, als dass dieselbe räthselhafte Ursache, welche das feste Aneinanderhaften gewisser materieller Punkte — der chemi- schen Atome und Molekeln — bewirkt, schon vorher, ehe diese Punkte im Räume zusammengetroffen waren, eine Beschleunigung derselben gegen einander veranlasst hatte. Dass die Potential- function in diesem Ealle nicht dieselbe Form hat, wie im Falle der Gravitation , sondern von einer höheren Ordnung ist , hat an sich nichts, was unserem Verstände unzugänglich wäre. Ich erinnere nur an die Functionen mit höheren und gebrochenen Exponenten, die von C. Maxwell für die Begründung der kinetischen Theorie der Gase vorausgesetzt wurden. — Ich habe keine Lust, mich hier in abstracte Speculationen über das Wesen der Materie zu verlieren, glaube aber auch gar nicht, dass es deren bedarf, um der Vor- stellung von einer chemischen Fernwirkung, von einer wirklichen „Anziehung" chemisch verwandter Stoffe an einander, Eingang zu verschaffen. Ich war immer, und bin auch jetzt noch der Meinung, dass die überwiegende Mehrzahl der Gelehrten sich diese Dinge überhaupt niemals anders gedacht hat. Ich für mein Theil bin gar — 69 — nicht im Stande, mir sie anders vorzustellen. Doch kommt hierauf nichts an. Wohl aber darauf, dass gewisse Phänomene ohne die Annahme einer Anziehung chemisch verwandter Substanzpunkte gegen einander — auf relativ kurze Distanzen — gar nicht ver- standen werden können. Wenn ein Gemisch von Chlorgas und Wasserstoffgas sich im Augenblick, in welchem es von den Strahlen der Sonne getroffen wird, unter Detonation in Salzsäuredampf ver- wandelt, kann man sich hierbei nichts anderes denken, als dass die- selben Distanzen, welche früher, im Dunkeln, etwas zu gross waren, um eine merkliche Anziehung der beiderlei Molekeln an einander zu ermöglichen — so dass die chemische Verbindung sich nur ganz langsam, nach Maassgabe „zufälliger" Annäherungen vollzog — dass diese Distanzen nun für eine gesteigerte Anziehungskraft nicht mehr zu gross sind, so dass in der ganzen Masse an allen Punkten gleichzeitig das Aufeinanderstürzen , und die chemische Bindung erfolgt. Ich gestehe, unter einigem Erstaunen erst vor kurzer Zeit erfahren zu haben, dass nicht alle Physiologen darüber einig sind, dass die Oxydation des Blutes in der Lunge eine unmittelbare Folge der Anziehung des Sauerstoffes durch das Hämoglobin ist, und dass eben nur desshalb die kurze Anwesenheit des Blutes in der Lunge doch hinreicht zur Sättigung desselben mit Sauerstoff', weil die chemische Anziehung eine viel mächtigere Kraft ist, als die der Diffusion unter den gegebenen Verhältnissen — folglich auch eine viel grössere Geschwindigkeit der Bewegung des Sauerstoffes von der Aussenseite der Capillarwand in's Hämoglobin des Blutes be- dingt ^). — Dass ich aber mit dieser Auffassung nicht etwa allein ^) Wie aus einer Stelle meiner ersten Abiiandlung, die ich in den voranstehenden Auszug aus derselben nicht mit aufgenommen habe, hervor- geht, war mir zur Zeit, als ich jene Abhandlung verfasste, noch nichts davon bekannt, dass an dieser Ansicht gezweifelt wird — ich hielt sie für die, seit langer Zeit feststehende, einstimmige Ueberzeugung aller. Physiologen. Sonst hätte ich mich niclit so ausdrücken dürfen, wie ich es an jener Stelle gethan habe, nämlich in den Worten: „ — es war nicht die geringste Ueberein- „stimmung zwischen Berechnung und Beobachtung zu erzielen, so lange man „die Athmung als einen blossen Fall der Diffusion zwischen Gaslösungen ,und freien Gasen betrachtete. „Da kam auf einmal Liclit und Ordnung und Einklang mit der Theorie „in die Sache, soweit sie den Sauerstoff betrifft, als man in seiner cliemi- , seilen Affinität zum Hämoglobin jene Kraft gefunden liatte, welche seinen — 70 — stehe unter den Fachgenossen, davon habe ich mich seitdem mehr- fach zu überzeugen Gelegenheit gehabt. Jede nicht allzu selbstständige Denkungsweise muss sich bei einer solchen Lage der Dinge gedrängt fühlen, zu vernehmen, was die Wissenschaft, deren Gebiete die fraglichen Verhältnisse ange- hören, eben hierüber zu sagen weiss. Ich möchte in diesem Sinne jeden Leser dieser Schrift, der sich nicht als Fachmann mit den Lehren der theoretischen und physikalischen Chemie vertraut fühlt, dringend bitten, wenn nicht das ganze Werk, so doch mindestens den Anfang des dritten „Buches" in Herrn Lothar Meyer's be- rühmten Werke ^) zu lesen. Dieses dritte Buch führt die Ueber- schrift: „Dynamik der Atome", und beginnt mit dem § 186. Die für uns zunächst wichtigsten Aufschlüsse sind in den, vom eben genannten Paragraphen beginnenden Blättern, bis etwa zum § 214 enthalten, und ich werde noch oft Gelegenheit finden, mich auf den Inhalt dieses Abschnittes zu berufen. Hier will ich einstweilen bloss einige Worte (pag. 418) daraus citiren, welche die Berechtigung meiner Anschauung — wenn auch noch nicht ihre Richtigkeit — über jeden Zweifel erheben: „Jeder chemische Umsatz ist das Er- „gebniss aus dem Zusammenwirken der dissociirenden Wärme und „des als Affinität bezeichneten Strebens der Atome sich zu ver- „ einigen." Im Anschluss an diesen Ausspruch befindet sich eine Auseinandersetzung darüber, dass die unbefriedigte Affinität nicht nothwendig potentielle Energie sein müsse, sondern auch selbst schon eine Form der kinetischen Energie sein könne. Auf diese Unterscheidung brauchen wir nicht einzugehen, da sie nichts ändert an den für uns bedeutsamen Lehren. Ob nämlich das Wesen der Affinität — das ist: des, der Verbindung vorangehenden Zustandes — wirklich das einer Attractionsspannung ist, oder ob es eine, die Verbindung erzwingende oder erstrebende Bewegungsweise der Atome ist ; unter allen Umständen ist das dominirende Merkmal der Affi- nität: eine Existenzform, ein Zustand zu sein, dessen Definition nicht in ihm selbst, sondern in dem, auf ihn folgenden Zustand liegt, in „Eintritt ins Blut so ausserordentlich beschleunigt. Im Zusammenhange mit „derselben Bedingung also, durch deren Einfluss die in der Lunge gegebene „Berührung des Blutes mit der Luft ausreicht zu einer dem Erfordernisse ^entsprechenden Oxydation des Blutes, ." *) Lothar Meyer, Die modernen Theorien der Chemie und ihre Bedeutung für die chemische Mechanik. Vierte Auflage, Breslau 1883. - 71 — dem Zustande, welchen die Affinität eben ihrem eigenen Zustande substituiren zu wollen scheint — ein Schein, in welchem sich — für uns - — ihre ganze Wesenheit erschöpft. Diejenige, uns einstweilen noch völlig verhüllte Eigenschaft der Materie, duixh deren Erkenntniss wir wohl die directeste Ent- scheidung über unseren Fall gewinnen würden, ist Gegenstand der Frage nach der absoluten Entfernung im Räume, die zwischen zwei Atomen oder Molekeln noch liegen darf, damit die chemische Af- finität zwischen ihnen zum Ausdruck kommen könne. Wir wissen hierüber nicht mehr, als dass diese Entfernung jedenfalls nur eine sehr geringe ist — ich glaube aber nicht, dass irgend eine That- sache vorliegt, die schon die Dicke der Alveorlarwand als zu grosse Entfernung erscheinen liesse für das Bestehen einer Affinität zwischen dem Hämoglobin und dem Sauerstoff, die von beiden Seiten an diese Wand angrenzen. Sollte jedoch Jemand aus der Dicke der Schichte, welche diese beiden Substanzen von einander trennt, ein Bedenken ableiten wollen gegen die Wirksamkeit chemischer Anziehungskräfte, so möge er sich nur auch vor Augen halten, welche Schwierigkeiten aus dem gleichen Umstände einer Entfaltung diffusorischer Kräfte in dem erforderlichen Maasse erwachsen. Die Schwierigkeiten, welche sich der letzterwähnten Erklärung des Oxydationsvorganges in der Lunge entgegenstellen, wären aber selbst bei ganz verschwindender Dicke der Scheidewand keineswegs erledigt, sie scheinen mir vielmehr überhaupt den Charakter der Unmöglichkeit anzunehmen, sobald nicht bloss von der Uebertragung des Gases an die Oberfläche der Blutzellen, sondern — entsprechend den wirklichen Vorgängen — von der Sättigung des ganzen Leibes der Zellen mit Sauerstoff die Rede ist. Hierfür werden doch auf alle Fälle chemische Kräfte in Anspruch genommen werden müssen, nicht bloss für die Bindung, die Fixirung, sondern auch für die Beförderung des Sauerstoffes in die tieferen Schichten des Zellleibes. Und nachdem die Wanddicke wohl als klein angesehen werden muss, im Vergleiche mit den Dimensionen der Zellen, fehlt jeder Grund dafür, die Bewältigung dieser Strecken der chemischen Affinität anzuvertrauen, sie aber zurückzuweisen, wo es sich um die Verrichtung einer weit leichteren Aufgabe handelt. Hinsichtlich der CO^-Ausscheidung in der Lunge verweise ich bloss auf meine erste Abhandlung, respective auf den Auszug in der vorliegenden Schrift. — 72 — VIII. Die Wärmetönung im Blute. Ich komme nun zur Betrachtung einer ziemlich subtilen Con- sequenz meiner Theorie, welche aber, eben wegen dieser Beschaffen- heit, und dann auch wegen der vollständigen und ganz eindeutigen empirischen Erledigung, welche dieselbe bereits gefunden hat, sehr geeignet ist, als Probe auf die Richtigkeit der neuen Lehre zu dienen. Diese Consequenz ist die Wärmetönung, welche die einzelnen chemischen Vorgänge begleitet, die von meiner Theorie im Blute angenommen werden. Mit Rücksicht auf die, in medici- nischen Kreisen noch unvollständige Einbürgerung des, von Herrn Julius Thomsen in die Nomenclatur der Thermochemie einge- führten Ausdruckes „Wärmetönung" (W.T.), gebe ich hier eine ganz kurze Erläuterung des entsprechenden Begriffes. Jede chemische Umsetzung ist von einem Wärmephänomen begleitet. Entweder es entsteht Wärme, oder sie verschwindet — der Raum, in dem die Reaction vor sich geht, ändert seine Tem- peratur. Bevor man die heutige Kenntniss vom Wesen der Wärme besass, sprach man in solchen Fällen vom Freiwerden der Wärme, oder von deren Bindung, unterschied freie und latente Wärme. — Nun ist für die chemische Verbindung je zweier Sustanzen die, sie begleitende Wärmebildung oder -Vernichtung charakteristisch. Für jedes Gramm der sich bildenden Verbindung wird eine Wärmemenge entstehen, welche eine gewisse Anzahl von Grammen reinen Wassers um einen Grad Celsius zu erwärmen vermag. Diese Zahl nennt Herr J. Thomsen die „Wärmetönung", „W.T." der betreffenden chemischen Verbindung, gibt ihr ein positives Vorzeichen, wenn die Wärmemenge entsteht, ein negatives, wenn sie vergeht. Die W.T. solcher Verbindungen, welche sich, ohne weitere Maassregeln, beim Zusammentreffen der Constituenten von selbst bilden, ist stets positiv — insbesondere sind die Verbindungen ein- facher oder zusammengesetzter Substanzen mit freiem Sauerstoff — die reinen Oxydationen, Verbrennungen stets von einer erheblichen Wärmeentwicklung begleitet. Will man jedoch den wahren Werth einer W.T. kennen lernen, so darf man die, mit jeder chemischen Verbindung untrennbar verknüpften chemischen Zersetzungen nicht ausser Betracht lassen. Solche Zersetzuuffen fehlen selbst dann — 73 - nicht, wenn sich zwei freie Elemente, wie z. B. Wasserstoff und Chlor, oder H und 0 mit einander verbinden. Sie bestehen in solchen Fällen in der Zerlegung der Molekeln in Atome. Denn der Vorgang in dem ersten Beispiele vollzieht sich nicht etwa nach der Gleichung: H + Cl =- HCl; sondern , da bekanntlich beide Gase 2-atomige Molekeln haben, nach der Gleichung: HH + C1C1 = HC1 + HCl. Die rechte Seite dieser Gleichung zeigt uns das Zusammentreten eines H-Atoms mit einem Cl-Atom, und zwar ein zweimaliges Vorkommen dieses Ereignisses an; die linke Seite zeigt uns den hierfür erforderlichen Zerfall einer H^-Molekel in ihre beiden Atome, und ferner einer Cl^-Molekel in ihre beiden Atome an. Wie den Verbindungsvorgängen positive, so entsprechen den Zersetzungen im Allgemeinen negative Wärmetönungen. Und zwar ist der algebraische Werth der W.T. der gleiche für das Entstehen, und für das Zerfallen einer chemischen Verbindung — ihr Vor- zeichen ist jedoch in beiden Fällen verschieden. Es wäre ein anderes Verhältniss, als eben dieses, nicht mit dem Grundzuge der ganzen bestehenden Welt vereinbar: ein conservatives System zu sein, und nur conservative Systeme zu enthalten. Man wird jetzt wohl begreifen, wesshalb die calorimetrisch bestimmte Wärmemenge, welche bei dem Entstehen einer Verbin- dung in gleichfalls bekannter Quantität, sich gebildet hat, nie ohne Weiteres zur Bewerthung der, dieser Verbindung eigenthümlichen W.T. dienen kann, und wesshalb die Wärmetönungen, der zu dem- selben Processe gehörigen Zerlegungen in geeigneter Weise mit in die Rechnung einbezogen werden müssen. Ich gehe auf diesen Gegenstand aber hier nicht näher ein, und zwar aus dem Grunde, weil ich überhaupt nur in die Lage kommen werde, von positiven und negativen Wärmetönungen zu sprechen, nicht aber, mit ihnen zu rechnen, oder sie zu be- rechnen. Denn es fehlt bis jetzt hierfür in den, mich beschäfti- genden Fällen an dem AUerwichtigsten : an der experimentellen Grundlage für die Rechnung. Indem ich den Leser abermals auf das Werk des Herrn Lothar Meyer hinweise, in welchem den eben besprochenen Ver- — 74 - hältnissen eine sehr lehrreiche Auseinandersetzung ^) gewidmet ist, kehre ich wieder zur Erörterung der Vorgänge, die sich im Blute abspielen, zurück; und zwar wird uns zunächst die Verschiedenheit der Temperatur des Blutes an verschiedenen Stellen seiner Bahn beschäftigen. Was ich hierüber zu sagen habe, schliesst sich am bequemsten an eine im Jahre 1871 erschienene Abhandlung von Herrn R. Heidenhain ^) an. Dieser Forscher behebt vor Allem die letzten Zweifel an der Richtigkeit der, von Claude Bernard aufgestellten, von Herrn Gr. v. Liebig bestätigten Behauptung, dass das Blut des rechten Ventrikels wärmer sei, als das des linken. Durch zahl- reiche, theils thermometrische, theils thermoelektrische Messungen an 47 Hunden hat Herr Heidenhain die Thatsache endgültig festgestellt, dass das Blut des rechten Ventrikels stets um mehrere Zehntelgrade höher temperirt ist, als das des linken. Doch wendet er sich sehr entschieden gegen die, freilich ganz naheliegende Erklärung dieses Umstandes, welche man bis dahin allgemein für die richtige gehalten hatte, und der zu Folge die Wasserabdunstung in der Lunge, und die daselbst stattfindende Berührung mit kühlerer Luft die Ursachen sein sollten der niedreren Temperatur des, aus der Lunge in's linke Herz strömenden Blutes. Ich pflichte Herrn Heidenhain in der Verwerfung dieser Erklärung bei, und wüsste nicht, wie man sich anders verhalten könnte, nach Anhörung seiner Argumentation. Die Beobachtung selbst, durch die Herr Heidenhain zur Kritik der ganzen Ansicht angeregt wurde, hat schon das Gewicht eines schweren Einwandes gegen sie. Es fiel ihm nämlich auf, dass die, in Rede stehende TemperaturdiflPerenz sich unabhängig davon erwies, ob das Versuchsthier während der vergleichenden Messung normal athmete, oder ob es mittels künstlicher Athmung am Leben erhalten wurde, wobei doch wegen des directen Eindrin- gens der kalten Luft in die Lunge, eine stärkere Abkühlung des Blutes daselbst zu erwarten stand, und somit auch eine Zunahme der Differenz zwischen den, in beiden Herzhöhlen herrschenden Tem- ^) ]. c. §214 ff. ^) R. Heiden liain, Ueber den Temperaturunterschied des rechten und linken Ventrikels. Pflüger's Archiv IV, pag. 558—570. peraturen. Statt dessen war eine Wirkung des Wechsels zwischen normaler und künstlicher Athmung auf diese Teinperaturdifferenz überhaupt kaum wahrnehmbar, und wenn eine geringe Wirkung zu beobachten war, so war sie doch nicht eindeutig, sondern erfolgte auch im verkehrten Sinne. Ganz schlagend ist aber das Ergebniss der Versuche, welche Herr Heidenhain nunmehr direct zur Prüfung jener Erklärungs- weise anstellte. Er führte den Thieren in beide Ventrikel Thermo- meter oder Thermoelemente ein, und blies ihnen dann bei der künstlichen Athmung abwechselnd kalte Zimmerluft, und mit Feuch- tigkeit gesättigte, auf ca. 40'' erwärmte Luft ein. In letzterem Falle müsste nach jener Anschauung der Unterschied in der Tem- peratur des rechten und linken Herzblutes gänzlich verschwinden. Diess war jedoch nicht nur nicht der Fall, sondern selbst nach ^/2 Stunde lang fortgesetztem Einblasen der blutwarmen Luft war noch keine merkliche Aenderung in dem Betrage jenes Unterschie- des zu constatiren. — Hierdurch ist jener Erklärungsversuch bündig und rettungslos widerlegt, und endgültig beseitigt. Trotzdem hat Herr Heidenhain noch einen experimentellen Gegenbeweis gegen ihn in's Feld geführt, und zwar den folgenden. Rührte die Temperaturdifferenz zwischen dem Blute beider Herz- kammern von einer Abkühlung durch die Lungenluft her — so sagte dieser Gelehrte — dann stünde doch zu erwarten, dass sich diese Differenz in einem Abhängigkeitsverhältnisse zu der Zahl der Athemzüge befindet, und dass sie verschwindet, bei völliger Suspen- sion der Athmung. Unterbrach nun Herr Heidenhain die Respiration bei einem Hunde, in dessen Herzkammern je ein Thermoelement eingeführt worden war, so begann in der That nach 1 — 2 Minuten die Tem- peraturdifferenz sich zu verkleinern, und sich dem Werthe Null zu nähern. Prima facie scheint diess nun allerdings für die alte Lehre, und gegen Herrn Heidenhain zu sprechen. Letzterer kam der Sache aber sofort auf den Grund, dadurch, dass er die Thermo- elemente im Herzen des Hundes gegen Thermometer umtauschte. Da stellte sich denn heraus, dass zwar das Blut im Ganzen, in Folge einer Steigerung der Athmungsfrequenz sofort kühler, in Folge einer Verminderung derselben wärmer wird — aber allerwärts um die- selben Beträge, so dass die Differenz in beiden Herzhälften unge- ändert bleibt. Die anfänglich beobachtete Erscheinung eines all- — 76 — mäligen Schwindens der auf elektrischem Wege gemessenen Differenz führt unser Gfewährsmann auf eine, in beiden Ventrikeln gleich rasch sich einstellende Temperaturabnahme zurück, die er als typischen Befund an erstickenden Thieren kennen gelernt hatte ^). Nach dieser Widerlegung der Ansicht, welche die niedrere Temperatur des linken Herzblutes von der Abkühlung in der Lunge ableiten wollte, berichtet Herr Heidenhain über Messungen, in denen die Temperatur der Lunge zunächst mit der des Blutes im linken Ventrikel verglichen wurde. Auf die Befunde, welche bei diesem Anlass mitgetheilt werden, muss ich das aller- grösste Grewicht legen — sie gehören mit zu den besten und eindeutigsten Argumenten, welche ich für die Richtig- keit meiner Theorie vorzubringen habe. In einem Falle fand Herr Heidenhain die ganze Lunge des Hundes an allen Stellen wärmer, als das linke Herzblut. In den anderen Fällen zeigte die Lunge dieses Verhalten an den Basalantheilen bis zu Entfernungen von 5 cm vom Diaphragma, und ferner in der ganzen Umgebung des Herzens. Die wahren Ursachen, sowohl für die Temperaturdifferenz in beiden Herzhälften, als auch für die Ueberlegenheit der Temperatur in der Lunge — oder doch in einem so grossen Theil derselben — über die Blutwärme im linken Ventrikel, glaubt nun Herr Heiden- hain in einem Umstände gefunden zu haben, den ich nicht für den wirklich maassgebenden zu halten vermag — nämlich in der, durch Leitung fortgepflanzten, höheren Temperatur der Organe des Abdomens. Von der Leber wissen wir wohl, dass sie ein wenig wärmer ist, als die meisten anderen Organe — vom Magen ist das gleiche doch nur mit sehr erheblichen Einschränkungen richtig. Nun soll diese, um wenige Grade — wenn es hoch kommt — 0 R. Heidenhain in Pflüge r's Archiv III. pag. 504 — 565. — Für mein Verständniss besteht zwischen der Angabe (1. c. IV. 561), von der ich oben im Texte spreche, und derjenigen, auf die Herr Heidenhain zurück- weist (1. c. III. pag. 513. 3.), ein gewisser Widerspruch ; auch zweifle ich, ob zwei gleicli beschaffene, ungleich warme Tliermoelemente während gleich rascher Abkühlung keinen Differenzstrom geben — doch habe ich keinen Anlass, hier eine Klärung meiner Auffassung anzustreben, da die betreffenden Fragen nicht eigentlich zum Gegenstande dieser Schrift gehören. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass meine Zweifel auf einem Missverständnisse beruhen. — u — grössere Wärme der, unter dem fleischigen Zwerchfell liegenden Organe sich nicht nur durch dieses selbst, sondern auch noch durch 5 cm Lungenparenchym, ferner durch die Herzwände — besonders durch die des rechten Ventrikels u. s. w. fortge- pflanzt haben in einem Betrage, welcher der directen thermo- metrischen Messung ohne Weiteres zugänglich ist. Diess — muss ich gestehen — kommt mir ganz und gar unmöglich vor. Man frage sich nur, welcher von den Gewebsbestandtheilen der Lunge diese, 5 cm lange Fortleitung besorgt. Die stets wechselnde, und absolut keine Wärme leitende Luft ist ja von vornherein ausgeschlossen! Auch das Blut ist ganz sicher auszuschliessen. Erstens wechselt es gleichfalls sehr rasch in den Gefässen , zwei- tens aber müsste es doch, um die höhere Temperatur wieder weiter abzugeben, sie erst einmal selbst angenommen haben. Dann aber wäre es wieder unverständlich, warum das linke Herzblut kälter, und nicht wärmer ist , als die genannten Lungenpar- tieen. Die Ausflucht ') , es mische sich vor dem Eintritte in's Herz mit dem kälter gebliebenen Blute aus den übrigen Antheilen der Lunge, würde schon durch die eine, sichere Beobachtung ganz ausreichend widerlegt, welche die ganze Lunge wärmer zeigte, als das Blut der linken Kammer. Bleibt somit nur mehr übrig, die Alveolarwände anzusprechen, als jene Substanz, in der sich die Wärme fortleiten soll. Ich will nun gar nicht auf alle die Schwierig- keiten eingehen, welche sich einer solchen Vorstellung entgegen- thürmen, sondern nur auf ein paar Punkte aufmerksam machen. Die Gestalt der Bahnen, in denen sich hier die Leitung der Wärme zu vollziehen hätte , wäre im Allgemeinen die , zartester Häutchen. Die, im Vergleich mit ihrer Masse, colossale Oberfläche dieser Membranen ist in unmittelbarem Contacte mit der Luft, welche sich in stetiger Bewegung befindet! Da scheint mir selbst unter den günstigsten Voraussetzungen über das Wärmeleitungsvermögen der Alveolarwand , eine effective Fortleitung durch eine Strecke von mehreren Centimetern ganz undenkbar. Was aber am schwersten in's Gewicht fällt, ist der Umstand, dass diese präsumptive Leitungs- bahn an zahllosen Stellen gekreuzt wird von den Capillaren der ') Wenn sie nämlicli jenem Einwände als Widerlegung entgegengehalten würde — was jedoch, meines Wissens, niemals geschehen ist, und wozu auch bisher noch kein Anlass vorgelegen hat. Lunge. Durch diese, und ihren strömenden Inhalt müsste die fort- zuleitende Wärme durchgeleitet werden, ehe sie weiterschreiten kann. Dabei müsste nun zunächst wieder eine Erwärmung des Blutes selbst stattfinden, welche — wie oben schon bemerkt wurde — schwer zu vereinbaren wäre mit der beobachteten, geringeren Tem- peratur des linken Ventrikelblutes. Speciell in dem Falle, in welchem die ganze Lunge wärmer befunden wurde , als das Blut im linken Herzen, kann schlechterdings dieser Zustand nicht auf eine Fort- leitung der Wärme aus dem Abdomen bezogen werden ^). Ich glaube, mich hier auf diese Andeutungen beschränken zu dürfen, und halte nur noch die Erörterung der experimentellen Seite der Sache für erforderlich. Herr Heidenhain hat zwar den directen Vergleich der Temperaturen jener Gegend , die von unten her an ^) Hier sind auch noch die Resultate jener Versuche zu erwähnen, welche die Herren H. Kronecker und M. P h. Meyer in der Sitzung der Berliner physiologischen Gesellschaft am 20. Juni 1879 beschrieben haben (Archiv für [Anatomie und] Physiologie 1879, pag. 567 ff.). Diese Forscher haben Miniatur-Maximal-Thermometer von der Grösse einer kleinen Bohne, bestehend aus einem cylindrischen oder sphärischen Quecksilbergefäss, und einer kurzen, am freien Ende offenen Capillare, theils in den Nahrungscanal, theils in die Blutbahn verschiedener Thiere eingebracht, und nachdem sie dieselben im Körper der Thiere wiedergefunden hatten, die Temperatur be- stimmt, welche erforderlich war, um das Quecksilber wieder bis an das freie Ende des Ausflussröhrchens zu treiben. Diese war dann als identisch mit der höchsten Temperatur anzusehen, der das Instrumentchen ausgesetzt worden war. Von den, durchwegs sehr bemerkenswerthen Ergebnissen dieser Ver- suche will ich hier nur einige, besonders schwer gegen Herrn Heidenhai n's Meinung ins Gewicht fallende Daten citiren. Bei einem Hunde war die Temperatur im unteren Lappen der linken Lunge = 37"8*', im oberen Lappen derselben Lunge = SS'Q" gefunden worden. Der Magen war aber gleichzeitig nur 37"3° warm. Der Magen war, da das Thier gehungert hatte, leer. Bei einem anderen, ebensolchen Hunde war die Temperatur im rechten Ventrikel = 39"2**, im unteren Lappen der linken Lunge = 40'2°, im mittleren Lappen der rechten Lunge = 41"0°, im Magen = 40-0". In diesen Fällen also stieg die Temperatur in der Lunge sehr erheb- lich mit zunehmender Entfernung vom Diaphragma, und war ferner im Magen viel niedriger, als in dem, ihm zunächst liegenden Lungenlappen, und auch überhaupt niedriger, als sie irgendwo in der Lunge gefunden wurde. Das Zeugniss, welches diese Zahlen ablegen, scheint mir zu klar, als dass es nöthig wäre, ihnen noch irgend etwas hinzuzufügen. — 79 — das Diaphragma grenzt, und der, über letzterem gelegenen Theile, nicht vorgenommen, hat auch nicht eine stetige Temperaturabnahme nachzuweisen versucht, bei zunehmender Entfernung vom Zwerchfell, ebensowenig findet sich ein Vergleich der rechten mit der linken Lunge vor, obwohl erstere nach dieses Autors Ansichten (wegen der grösseren Nähe der Leber) wärmer sein müsste, als die andere — aber es sind andere Beobachtungen mitgetheilt, die für die Auf- fassung Herrn Heidenhai n's geltend gemacht werden. Schon die Eröfihung der Bauchhöhle, und Blosslegung der unteren Fläche des Zwerchfelles war von einem Sinken — der Temperatur di ff erenz beider Herzhöhlen gefolgt; viel rascher wirkt eine, unter das Diaphragma gebrachte Blase mit kaltem Wasser. Diese veranlasst eine Urakehrung des Unterschiedes — so dass das Blut der rechten Kammer das minder warme ist. Hingegen wird die Differenz gesteigert durch eine Blase mit wärmerem Wasser. — Mir scheinen diese Erfolge nicht für die Ansicht verwerthbar zu sein, der zu Folge der normale Unterschied auf Leitung der Wärme beruhe. Denn es scheint undenkbar, dass in diesen schlechten Wärmeleitern die Effecte so rasch durch Leitung hervorgebracht werden. Der Autor sagt selbst *) : „die Temperatur im rechten Herzen fällt sehr bald unter die des linken" und „die Temperatur- differenz beider Ventrikel lässt sich schnell steigern", je nachdem die Blase kaltes, oder überblutwarmes Wasser enthält. Hier ist doch offenbar die Beimischung des stark abgekühlten oder erwärmten Blutes der unmittelbar betroffenen Theile, zum Blute, das sich im rechten Ventrikel versammelt, in erster Linie maassgebend gewesen, in der Weise, wie dieser Einfluss discutirt wird in den „Vor- lesungen über allgemeine und experimentelle Pathologie" von Herrn S. Stricker^). Daselbst sind auch die hierhergehörigen Unter- suchungen der Herren Ed. Albert und S. Stricker^) referirt. Ich will nunmehr daran gehen, die aus meiner Theorie flies- sende Erklärung dieser Thatsachen zu entwickeln. — Das, aus dem rechten Herzen in die Lungencapillaren gedrückte, venöse Blut ent- ') 1. c. IV. pag. 567. ^) S. Stricker, Vorlesungen etc. III. Abtheilung, pag.74.5ff. Wien 1883. ') Ed. Albert und S. Stricker, Untersuchungen über die Wärme- ökonomie des Herzens und der Lungen. Medizinische Jahrbücher 1873, L Heft, pag. 30-52. Wien. — 80 — hält in seinen Zellen ein, ungefähr zu zwei Dritteln mit Sauerstoff verbundenes Hämoglobin. Man kann sich diess nicht anders vor- stellen, als dass zwei Drittel der vorhandenen Hämoglobin-Molekeln mit Sauerstoff gesättigt, zu Oxyhämoglobin verbunden sind, das dritte Drittel aber sauerstofffrei, reducirtes Hämoglobin ist. Die einzelne Molekel kann nicht theilweise gesättigt sein mit 0, son- dern nur entweder oxydirt, oder reducirt. Wenn ich nun einstweilen — aus Gründen, die später be- sprochen werden sollen — die Kohlensäureabsonderung unberück- sichtigt lasse, und nur die Sauerstoffaufnahme in Betracht ziehe, so darf ich mit Hinweis auf die Auseinandersetzung am Anfange dieses Capitels ohne Weiteres die Lunge als den Schauplatz eines chemischen Vorganges bezeichnen, dem eine positive Wärmetönung zukommt. Die Verbindung von Hämoglobin mit Sauerstoff besitzt jedenfalls eine positive Wärmetönung. Doch ist in der Lunge bei Weitem nicht das ganze, im Blute befindliche Hämoglobin "Zu oxy- diren, sondern nur etwa der dritte Theil davon. Denn offenbar reicht der Stoss des rechten Ventrikels nur zur Befreiung der Kohlensäure aus der Lösung hin, nicht aber zur Zerlegung des Oxyhämoglobins. Abgesehen davon, dass eine solche keinen denk- baren Vortheil für den Organismus mit sich brächte, geht eben aus den Temperaturverhältnissen hervor, dass eine solche Zerlegung im rechten Ventrikel nicht stattfindet. Hierauf komme ich später noch zurück. Immerhin wird aus der Wärmetönung, welche der Verbindung des dritten Theiles des Gesammthämoglobins des Blutes mit Sauer- stoff entspricht, eine erhebliche Steigerung der Temperatur des Blutes in der Lunge resultiren ; und somit auch eine gewisse, höhere Temperatur des Lungengewebes, welches, wenn es nicht der Ort einer ununterbrochenen Wärmeentwicklung wäre, durch die Wasser- abdunstung sehr stark abgekühlt würde. So aber, wie die Dinge in Wirklichkeit liegen, ist die, von Herrn Heidenhain beobachtete, hohe Temperatur der Lunge vollkommen verständlich. — 81 IX. Die Vorgänge im linken Herzen. So, wie die Lunge Schauplatz eines chemischen Vor- ganges ist, dem eine positive Wärmetönung entspricht, so ist die linke Herzkammer Schauplatz eines chemischen Vorganges, welchem eine negative Wärmetönung zukommt. Denn ich behaupte, dass der heftige Stoss auf das Blut, mit welchem der linke Ventrikel seine Entleerung ein- leitet, eine Zersetzung des gesammten Oxyhämoglobins in Hämoglobin und Sauerstoff bewirkt, Avelch' letzterer nunmehr der Flüssigkeit „molecular beigemischt" ist. Ueber diesen Vorgang sollen nun hier noch einige Bemer- kungen ihren Platz finden. — Dass überhaupt Stösse, mechanische Erschütterungen, Aulass werden können zu chemischen Processen, und zwar besonders zu Zerlegungen, das ist ja eine seit langer Zeit bekannte Thatsache! ChlorstickstofiF, Jodstickstoff, Knallquecksilber, und Avie viele andere Verbindungen, werden durch mechanische Erschütterung zur Explosion gebracht. Diese Erschütterung braucht nicht immer , wie z. B. bei der Pikrinsäure und ihren Salzen , ein wirklicher, heftiger Schlag zu sein, sondern wir wissen, dass sie — bei verschiedenen Substanzen verschieden — alle Grade bis herunter zur leisesten Berührung mit einer Federfahne durchläuft. Ja sogar die Erschütterung durch die Wellen des Schalles, der sich in der Luft, oder in Flüssigkeiten fortpflanzt, ist bekanntlich in vielen Fällen ausreichend zur Auslösung der Explosion, oder über- haupt , der chemischen Umsetzung. Es kommt den Vibrations- bewegungen sogar eine ganz besondere Fähigkeit in dieser Hinsicht zu, und wir haben — glaube ich — allen Grund, diesem Umstände unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, indem der zweite Herzton, und vielleicht auch der erste, nach meiner Vermuthung, eine wichtige Rolle spielt, während des Fliessens des Blutes in den arteriellen Gelassen. Im Jahre 1878 machte Herr M. D. Gernez^) der Pariser ') M. D. Gernez, Sur l'efficacitö d'un mouvement vibratoire pour provoquer la decomposition des liquides explosifs et rdbullition des liquides surcliaufTcs. Comptes rendiis hebd. des s^ances de l'Academie des sciences, FlciHchl V. Marxow, Bedeutung des Herzschlages. 6 — 82 — Akademie Mittlieilung von Versuclien über die Fähigkeit von Yibra- tionsbewegungen, cbemiscbe Zersetzungen einzuleiten, und überhitzte Flüssigkeiten zum Sieden zu veranlassen. Ich will bloss eines seiner lehrreichen Experimente hier wiedergeben. Ein Glasrohr von 1 m Länge und 6 mm lichter Weite wurde zuerst auf's Sorgfältigste gereinigt und dann , mit dem verschlossenen Ende abwärts, vertical aufgestellt, zu drei Viertheilen mit frisch ausgekochtem, ganz reinem Wasser gefüllt. Dann wurde es in Eis gestellt, und nun Hess man, Tropfen um Tropfen, flüssige Untersalpeter säure in das, im Rohr befindliche Wasser fallen. Es ist bekannt, dass sich unter solchen Verhältnissen die Untersalpetersäure in Salpetersäure und salpetrige Säure spaltet. Erstere löst sich farblos im Wasser auf, letztere sammelt sich als schön tiefblaue Flüssigkeit unter dem Wasser an. Obwohl nun die salpetrige Säure schon unter 0° siedet, und sich zersetzt, konnten doch solche oben offene Röhren Tage lang, selbst bei Temperaturen bis über 20*^ aufbewahrt werden, ohne dass eine merkliche Veränderung in ihrem Inhalte auftrat. Fasste man aber ein solches Rohr etwa in der Mitte seiner Länge mit der Hand, und brachte es durch Reiben der unteren Hälfte mit den Fingern der anderen Hand zum Tönen (Longitudinalschwingungen), so wurde im selben Moment, in dem der Ton zu Stande kam, die ganze Flüs- sigkeit aus dem Rohre mit grosser Heftigkeit mehrere Meter weit fortgeschleudert — zu Folge des plötzlichen Aufkochens und Zer- fallens der salpetrigen Säure in zwei andere Oxydationsstufen des Stickstoffs, von denen wenigstens die eine, das Stickoxyd, gasförmig ist. In ähnlicher Weise bewirkte vibratorische Erschütterung vehe- mentestes Verdampfen von Flüssigkeiten, die weit über ihren eigent- lichen Siedepunkt hinaus erhitzt worden waren. Herr Lothar Meyer ^) sagt in seinem öfters citirten Buche: „Sehr bemerkenswert!! ist, dass besonders Wellenbewegungen und „andere periodische Erschütterungen sehr leicht Explosionen erzeugen, „auch wenn sie von sehr geringer Intensität sind. Jede Substanz „aber, welche durch sie explodirt, erfordert eine bestimmte Ge- „ schwindigkeit der Schwingung. Jodstickstoff z. B. explodirt nicht tome 86, pag. 1549 ff. (Paris 1878), und : Etüde des Solutions gazeuses sur- saturees. Annales scientifiques de l'Ecole Normale superieure, 2® Serie, tome IV, pag. 311. 0 1. c. pag. 397. „auf einer sehr tief, wohl aber auf einer hoch tönenden Saite oder „Platte." Dass hier etwas eine Rolle spielt, was man den „mole- cularen Eigentou" der Substanzen nennen könnte, ist sehr wahr- scheinlich. Wird z. B. ein feuchtes Filter, auf welchem sich ein Niederschlag von Jodstickstoff befindet, in mehrere Stücke zerrissen, und werden dieselben an verschiedenen Stellen eines Zimmers trocknen gelassen, so explodiren sämmtliche Portionen in dem Augenblick, in welchem die eine von ihnen — sei es spontan, sei es durch eine leise Berührung mit einer Federfahne u. dgl. — explodirt hat. Es soll aber trockener Jodstickstoff mitunter nicht explodiren, wenn im Raum, in welchem er sich befindet, eine Pistole abgefeuert wird. Nur darf diess nicht auf die gewöhnliche Weise geschehen, wobei die Entzündung des Schiesspulvers durch die Detonation von knallsaurem Quecksilber eingeleitet wird, sondern das Pulver muss durch einen heissen Eisendraht, eine glühende Kohle u. dgl. angebrannt werden. Nun fühlt man allerdings nur ausnahmsweise — in patholo- gischen Fällen — ein „Schwirren" des Pulses, das heisst für gewöhn- lich wird der Arterienwand und ihrer Umgebung eine vibrirende Bewegung vom Blute nicht mitgetheilt; ob aber nicht eine solche Bewegung sich auch in normalen Zuständen vom Herzen aus längs der Flüssigkeitssäule in den Arterien fortpflanzt, das ist eine Frage, welche durch die Thatsache jedenfalls nicht verneinend be- antwortet wird, dass der Puls de norma nicht schwirrt. Es ist gar nicht zu erwarten, dass eine Longitudinalvibration des flüssi- gen Inhaltes sich durch Betasten der Wände erkennen lasse, wenn diese mit einer so glatten Oberfläche an die Flüssigkeit grenzen, und die letztere in so langsam sich verjüngende Bahnen von stets wachsendem Gesammtcj^uerschnitt drängen, wie diess in Wirklichkeit der Fall ist im Arteriensystem. Die Reibung an den Wänden ist zu gering, die Amplitude der Vibrationen zu klein, als dass der tastende Finger diese als Schwirren wahrnehmen könnte. Dass eine Vibrationsbewegung im Herzen erzeugt, und im Blute fortgeleitet wird, das lässt sich auf andere Art beweisen, als durch ein fühlbares Schwirren der Pulsadern. Vor Allem ganz direct aus dem Vorhandensein eines, noch auf beträchtliche Ent- fernung vom Herzen hörbaren Arterientones ^). ') Ich verweise den Leser hier auf die sehr klare und überzeugende Erörterung dieser Verhältnisse in einer kleinen Abhandlung: „Zur Genese Herr A. Rollett sagt in seiner Physiologie der Blutbewegung ^) über diese Töne folgendes: „Wir fügen gleich hier an, dass man „auch an den dem Herzen nahen Arterien normaler Weise zwei Töne „wahrnimmt. Der erste Arterienton ist lang gezogen; er fällt „mit der Systole der Ventrikel und der Diastole der Arterien zu- „sammen. Der zweite Arterienton ist kürzer; er fällt mit dem zweiten „Herzton und mit dem Beginn der Systole der Arterien zusammen. „Der zweite Arterienton ist der fortgeleitete zweite Herzton. Der „erste Arterienton entsteht nach Heynsius als Wirbelton an dem „im Vergleich zum Bulbus aortae oder Art. pulm. beträchtlich „engeren Ostium der betreffenden Arterien und wird längs der „Arterienstämme fortgeleitet. Ausser den normalen Arterientönen „entstehen, und zwar auch an Arterien, die vom Herzen entlegen sind, „durch locale Verengerung, z. B. Aufsetzen des Stethoskopes, Druck- „geräusche." Die eigentliche Anwendung dieser Betrachtungen auf unsere Theorie wird ihren Plate bei der Untersuchung des Blutstromes in der Arterienbahn finden. Jetzt haben wir nur den, am Anfang der Kammersystole, im Moment des Verschlusses der Atrio-Ven- tricularklappen, also noch vor Eröffnung der Semilunarklappen ein- tretenden, heftigen Stoss der Kammerwände auf das, in der Kammer angesammelte Blut zu analysiren, in Hinsicht auf seine chemischen der Herztöne" von Herrn S. Talma, welche im 23. Bande des Pflüger'schen Archives (pag. 275—279) abgedruckt ist, Herr Talma geht von einer experimentellen Kritik des sogenannten Rouanet'schen Versuches aus, und gelangt hierbei zu dem Ergebnisse : „Der „physikalische Grund des zweiten Herztones liegt in den Flüssigkeitsschwin- „gungen; der erste Herzton hat, wenigstens zu einem Theile, den nämlichen „Grund." — Zum Schlüsse fasst der Autor die Resultate seiner Versuche und Betrachtungen in folgenden Worten zusammen : „Wer diesen Versuch wieder- „holt, wird sofort einsehen, dass es a priori unsinnig ist, auch nur einen „Augenblick daran zweifeln zu wollen, dass die Bewegungen der FJüssigkeits- „ Säule die Bewegungen der Klappen gänzlich beherrschen." „Möglichst direct ist also bewiesen, dass bei der plötzlichen Spannung „der Klappen durch Flüssigkeit, wie im normal functionirenden Herzen, der „gebildete Schall von Schwingungen dieser Flüssigkeit, und nicht von Schwin- „gungen der Klappen abhängt. Schwingungen des Blutes sind also „die Ursache der Herztöne." ^) A. Rollett in L. Hermann's Handbuch der Physiologie. IV. Bd. 1. Theil, pag. 198—199. Wirkungen. Er veranlasst, so behaupte ich, eine Zerlegung des sämmtlichen Oxyhämoglobins. Die Wärmetönung, welche dieser Abtrennung des Sauerstoffes zukommt, ist natürlich negativ, und so gross A^-ie die positive W.T. der in der Lunge sich vollziehenden Vereinigung des Sauerstoffes mit Hämoglobin. Nur wird die Wärme- menge, welche aus dieser W.T. in der Lunge entspringt — im gleichen Volumen von Blut — weit geringer sein als die, welche im linken Ventrikel verloren wird; sie wird ungefähr den dritten Theil von letzterer betragen, wenn wir die Annahme festhalten, dass etwa der dritte Theil des Blutes im grossen Kreislaufe seinen Hämoglobinsauerstoff an die Gewebe verloren hat, und ihn im kleinen Kreislaufe wieder erhält. Nun müssen wir uns der Thatsache erinnern, dass das Blut aus dem linken Ventrikel noch nicht entleert ist, im Augenblick, nachdem es den mächtigen Stoss von dessen Wänden erhalten hat, sondern dass in diesem Moment eben erst die Entleerung beginnt, und während des grössten Theiles der Dauer der Kammersystole sich vollzieht. Denn: wie wir aus zahlreichen Untersuchungen wissen, besteht die Systole der Kammern aus drei Acten, die zusam- mengenommen etwa eine Drittelsecunde dauern. Der erste Act beginnt mit dem Stoss, und endet mit der Eröffnung der Semilunar- klappen — er ist der kürzeste von den dreien; der zweite Act umfasst den Vorgang des Blutaustrittes in die Aorta ; während des dritten Actes sind die Wände des leeren Ventrikels aneinanderge- presst. Die beiden ersten Acte, welche zusammen zwei Drittel der Systoledauer ausfüllen, sind also ein Zeitraum, während dessen die Höhlung des linken Ventrikels ein Blut enthält, in dem ein chemi- scher Vorgang ablief, welcher von einer negativen Wärmetönung begleitet ist, und demnach mit einer Temperaturerniedrigung dieses Blutes einhergehen musste. Da der chemische Vorgang das ganze im Blute enthaltene Hämoglobin betrifft, und aller Sauerstoff be- freit wird, so wird die Abkühlung, die das Blut dabei erfährt, eine relativ grosse sein müssen. Sie wird jedoch mit ihrem vollen Be- trage weder bei thermometrischer, noch bei thermoelektrischer ^) *) Es scheint mir niclit ganz undenkbar, eine periodische Temperatur- Schwankung, entsprechend dem thatsächlichen Vorgang im linken Ventrikel nachzuweisen durcii Combination äusserst zarter Tliermonadeln von möglichst geringer Masse mit einem Capillarelektrometer. Doch wird ein solcher Ver- — 86 — Beobachtung in die Erscheinung treten. Denn beide Methoden zeigen uns nur Mittelwerthe der Temperatur an, wenn diese eine periodische Function der Zeit, mit so kurzer Periode ist, wie die hier in Rede stehende. Die Physiologie lehrt uns, dass die ganze Systole der Kam- mern nur 40 — 45 ^/^ von der Zeit eines Herzpulses ausfüllt, und von dieser Zeit ist wieder nur ein Bruchtheil — etwa ^/s — ^/s — für die Anwesenheit des abgekühlten Blutes in der linken Kammer in Rechnung zu bringen, wenn man nicht die Annahme machen will, die kaum ganz zulässig sein dürfte, dass die innersten Schichten der Kammermuskulatur während der Berührung mit dem abgekühlten Blute die Temperatur desselben angenommen haben, und sie wäh- rend des letzten Actes der Systole behalten. Während der Zeit der AnfüUung des linken Ventrikels strömt aber in diesen das, aus der Lunge kommende Blut, dessen Temperatur gewiss höher ist, als wir auf Grund von Messungen annehmen, denen sammt und sonders der Verdacht anhängt, wegen der Störung oder Unterbrechung des Capillarkreislaufes in unmittelbarster Umgebung des Messinstrumen- tes immer einen wesentlichen Factor der Lungenwärme gerade an der Stelle eliminirt zu haben, an welcher die Temperatur gemessen wurde ^), nämlich die W.T. der Oxydation in der Lunge. Das Messinstrument, das wir in den linken Ventrikel einge- führt haben, wird in der Zeit eines ganzen Herzschlages von folgen- den Bedingungen, einer nach der anderen, betroffen werden; und ihnen allen Genüge leisten, insofern es denjenigen Grad der Tem- peratur anzeigen wird, welcher während der ganzen Zeitdauer des Herzschlages constant in der linken Kammer hätte herrschen müssen, um dieselbe Wärmemenge zu repräsentiren , die durch die schwankenden Temperaturen in der gegebenen Vertheilung über diese Zeit thatsächlich repräsentirt wird. Erst wird — wenn wir uns die Dauer eines Herzschlages in 100 gleiche Theile zer- such sehr schwer auszuführen sein — und wenn er ausgeführt ist, eine sehr strenge und vielseitige Kritik zu bestehen haben, ehe man ihn als eindeutig und beachtenswerth gelten lassen könnte. ^) Von dieser Fehlerquelle sind vielleicht jene Messungen der Lungen- blutwärme frei, welche nach der, weiter unten zu beschreibenden Methode des Herrn H. Kronecker ausgeführt werden. In der That wurden mit dieser Methode viel höhere Temperaturen in der Lunge gefunden, als mit irgend einer anderen. — 87 — legt denken — etwa 57 Zeittheilchen liindurch, ein Blut das Instru- ment umspülen, welches um ein Geringes wärmer ist, als das in der anderen Kammer, nämlich vermehrt um den dritten Theil der W.T. des Gesammthämoglobins, und vermindert um den geringeren Betrag der Lösungswärme der Kohlensäure. Nach Verlauf dieser Zeit erfolgt eine heftige Erschütterung, und von diesem Augenblicke an, durch die übrigen 43 Zeittheile erhebt sich die Bluttemperatur, nachdem sie im Moment der Erschütterung rasch abfiel, nicht wieder um einen merklichen Betrag. Jedoch das Instrument im linken Ventrikel ist nicht länger, als etwa die ersten 28 — 30 von diesen 43 Zeittheilen mit dem abgekühlten Blute in Berührung — die Kammer hat in dieser Zeit ihren flüssigen Inhalt mit dem molecular beigemischten Sauerstofi" in die Aorta entleert, und ihre Innenwände berühren nun einander oder, in unserem Falle: das Thermometer. Während der letzten 13 — 15 Zeittheile hat man sich wohl ein ganz geringes und allmäliges Ansteigen der Temperatur in der entleerten Kammer vorzustellen. — Von einer wirklichen Berechnung, insonder- heit der absoluten Temperaturen in den Höhlen der einzelnen Herz- abschnitte, und in der Lunge kann bei dem Mangel aller Daten natürlich nicht die Rede sein ; doch lassen sich auf Grund der vorgetragenen Betrachtungen Vergleiche anstellen, relative Werthe der Durchschnittstemperaturen an den genannten Orten näherungs- weise abschätzen, und das wesentlichste Ergebniss der Anwendung meiner Theorie auf die Wärme top ographie der Brustorgane ist in so tadelloser Uebereinstimmung mit den sorgfältigsten Messungen; dass ich vielleicht berechtigt bin, hierin eine sehr feste und ver- lässliche Stütze meiner ganzen Theorie zu erblicken. Diese erklärt nicht nur die thatsächlichen Temperaturverhältnisse der Brustorgane ohne alle Schwierigkeit, und ohne irgend eine anderweitige Hypo- these zu Hülfe zu rufen; sondern sie postulirt dieselben a priori, wie denn auch wirklich ein (noch nicht besprochenes) Detail, dessen Vorkommen meine Theorie verlangt, in durchaus befriedigender Weise durch vielfache Messungen constatirt ist, als sicheres Ergeb- niss der Erfahrung, und in absoluter Uebereinstimmung mit meiner Erwartung. Wie leicht und einfach ist die Temperaturdift'erenz im Blute beider Herzkammern einzusehen, und wie ungezwungen die höhere Temperatur der Lunge im Vergleich mit dem linken Ven- trikelblute zu erklären! Und diess sind Zustände, welche bisher noch von keiner Theorie völlig befriedigend erklärt wurden. Man erinnere sich nur, dass Herr Heidenhain, der diesen Dingen mit solchem Erfolge nachgeforscht hat, wie kein Anderer, und der sie ja auch — was das Thatsächliche anlangt — grossentheils erle- digt hat, bei der Erklärung der höheren Temperatur, welche den, über dem linken Ventrikel gelegenen Lungenschichten, im Vergleiche mit dem Blute dieses Ventrikels zukommt, sich zu der Vorstellung gezwungen sieht, dieser Ueberschuss an Wärme sei den erwähnten Lungentheilen vom Abdomen aus durch's Zwerchfell ^) und das Herz selbst hindurch zugeleitet! Dass dabei das Kammerblut kalt bleibt, das ist recht leicht aus seinem flüchtigen Verweilen in der Bahn der Wärmeleitung zu verstehen. Dass aber die, jenseits dieses Blutes gelegenen Theile der Herzwand, und die daran angrenzenden Lungentheile — trotz dieser Unterbrechung der Leitungsbahn — doch eine höhere Temperatur zugeleitet bekommen, das ist entweder gar nicht, oder nur so zu verstehen, dass eben die höhere Tem- peratur den Umweg um die Ventrikelhöhle herum nicht scheut, und sich in der Substanz der Herzwand fortbewegt, um sich an Ort und Stelle zu begeben. Man wird kaum von einer Theorie verlangen, dass sie so unsichere und wechselnde Erscheinungen erkläre, wie die, von Herrn Heidenhain bemerkte, höhere Temperirung gewisser Gegenden der Lunge, besonders wenn man die Unregelmässigkeit des Befundes, und ferner die bereits angedeutete Fehlerquelle in Betracht zieht, welche den beobachteten Werthen der Temperatur in der Lunge die Bedeutung von Minimalwerthen beilegt; man wird also auch meiner Theorie keinen Vorwurf daraus machen, wenn sie nicht sofort alle Details, die jemals in der Vertheilung der Temperatur über die Lunge beobachtet wurden, zu deuten vermag. Auch vermeide ich absichtlich eine, jetzt noch nicht erspriessliche Ausführung oder Anwendung meiner Theorie in's Minutiöse und Subtile. Doch kann ich im gegebenen Falle nicht umhin, auf einige Verhältnisse einzugehen, welche geeignet wären, die Thatsache einer ungleichmässigen Lungentemperatur — wenn •*) Einen ganz entscheidenden Einwand gegen diese Auffassung bringen die Herren Ed. Albert und S. Stricker in ihrer bereits citirten Abhand- lung vor. Diese Forscher fanden nämlich den rechten Ventrikelinhalt, in Uebereinstimmung mit den oben erwähnten Autoren, wärmer, als den Inhalt des linken Ventrikels. Sie sagen jedoch (pag. 46): „In unseren Versuchen war das rechte Herz von der Leber durch eine breite Luftschichte getrennt und kam daher jene nicht in Betracht." — 89 — sie sichergestellt wäre — in guten Einklang mit meiner Theorie zu bringen. Es ist eine sehr alte und verbreitete Erfahrung, class der Defect oder der Functionsausfall ansehnlicher Bruchtheile des Lungen- gewebes ohne jede nachweisbare Störung des Wohlbefindens ertragen wird, nicht nur vorübergehend, sondern dauernd. Eine unvollständige Oxydation des Blutes wird aber auf die Dauer nicht ertragen. Wenn jedoch das Blut in einer solchen, nur mehr theilweise erhaltenen Lunge, noch vollständig oxydirt wird, so wird es beim Durchtritte durch die capillaren Bahnen einer vollkommenen, normalen Lunge schon vollständig oxydirt sein, bevor es noch am Ende dieser Bahnen angelangt ist, bevor es sie ganz durchmessen hat. Wenig- stens scheint mir dieser Schluss zwingend zu sein. Das heisst aber so viel, wie: Es gibt Theile der Lungencapillarbahn , an denen in einer intacten Lunge keine Oxydation des Blutes stattfindet. Ob diese Theile ganz gleichmässig im Parenchym angeordnet sind, oder ob es grössere Bezirke gibt, in denen sie angehäuft sind, so dass daselbst ein im Ganzen minder lebhafter Oxydationsprocess abläuft — das wissen wir nicht mit Bestimmtheit zu entscheiden. Dass aber die capillare Bahn in den Spitzen und an den Rändern, be- sonders an den scharfen Rändern der Lungen, länger ist, als anderwärts in diesem Organ, hat ausserordentlich viel Wahrschein- lichkeit für sich. Wie aus einer solchen Anordnung, wenn sie besteht, eine verhältnissmässig geringere Wärmeproduction, und niedrigere Tem- peratur in diesen Antheilen der Lunge folgen müsste, brauche ich wohl nicht weitläufig zu zeigen. Aber der hier wahrscheinlich ge- machte Zusammenhang des Abfalles der Temperatur in denjenigen Lungentheilen, in welchen Herr Heidenhain einen solchen öfters beobachtet hat, mit gewissen Circulationsverhältnissen, gewinnt da- durch an Bedeutung, dass die bekannte Prädilection gewisser patho- logischer Vorgänge für eben dieselben Gegenden der Lunge, auf die gleiche Vermuthung, als auf ihre Erklärung hinweist — eine Andeutung, deren weitere Ausführung wohl gleichfalls unter- bleiben darf. Nachdem wir also die neue Lehre an den Temperaturverhält- nissen im Thorax erprobt, und zugleich einen neuen Standpunkt für die Beurtheilung dieser letzteren gewonnen haben, kehren wir zur Betrachtung des Kreislaufes zurück, den wir bis zum Eintreten - 90 — des Blutes in die Aorta verfolgt haben. Die Temperatur im linken Ventrikel hatte sich als eine Durchschnittstemperatur erwiesen; das Blut betrat ihn warm, wurde in ihm abgekühlt, und verweilte vor- her wie nachher eine gewisse Zeit; eine dritte Zeitperiode wird durch den ausschliesslichen Einfluss der Kammerwand selbst aufs Thermometer ausgefüllt. Der Stand des Quecksilbers in diesem ist also noch kein Maass für die Temperatur des arteriellen Blutes, wie vielfach angenommen wird. Nach der von mir vertretenen Auffassung der Dinge ist nun aber zu gewärtigen, dass das Blut in der Aorta kälter scheine, als das arterielle Blut in der linken Kammer. Ich sage, es „scheine" kälter, weil es in Wirklichkeit eher um eine Spur wärmer ist, als das arterielle Kammerblut, aber gewiss nicht weniger warm '). Ich nenne eben das Blut, das aus den Lungenvenen in's linke Herz tritt: „oxydirt" — für mich ist das Blut im linken Ventrikel erst nachdem es den Stoss empfangen hat: „arteriell". So wünschenswerth mir nun auch eine empirische Bestätigung des Postu- lates meiner Theorie sein muss, dass die Temperatur in der Aorta niedriger sei, als im linken Ventrikel — so sehr ich auch nach vergleichenden Messungen beider Temperaturen in den Arbeiten der Physiologen gesucht habe: ist es mir doch bis jetzt nur gelungen, äusserst spärliche solche Zahlenangaben aufzufinden ^). Doch ge- ^) In dieser Ansicht, dass nämlich die Aorta — trotz des unmittelbaren Beobachtungsresultates — doch kein kälteres Blut führt, als die linke Kammer, stimme ich mit den Herren Ed. Albert und S. Stricker überein; doch besteht ein Unterschied in den beiderlei Begründungen. Siehe die hierauf bezüglichen Bemerkungen, weiter unten. ^) Heinrich Koerner, Beiträge zur Temperaturtopographie des Säuge- thierkörpers. Inauguraldissertation. Breslau 1871. Es ist diess dieselbe Schrift, von welcher die oben weitläufig besprochene Mittheilung des Herrn Heidenhain im IV. Bande des Pf lüger'schen Archives theils ein Auszug, theils eine Ergänzung ist. Durch einige Andeutungen in dieser letzteren Arbeit wurde in mir der Wunsch angeregt, die Dissertation selbst zu lesen, und die Hoffnung erweckt, unter ihren vielen Zahlenangaben auch solche zu finden, die sich für die Entscheidung der in Rede stehenden Frage verwenden lassen. — Man kennt den gewöhnlichen Erfolg von Be- mühungen um Dissertationen irgend älteren Datums. Mir sollte es diessmal besser gelingen; denn kaum hatte ich Herrn Heidenhain in einem Briefe mit meinem Begehren bekannt gemacht, und ihn um seine Hülfe gebeten, als er mir auch schon sein Exemplar der Dissertation zusandte, mir über einige Punkte, über die ich mir Aufklärung erbeten hatte, Aufschluss gab, und mich — 91 — reicht es mir zu grosser Befriedigung, class von sämmtliclien, über- haupt angestellten Vergleichen zwischen Blut der linken Kammer und der Aorta, kein einziger von der Forderung meiner Theorie abweicht, sondern jedesmal eine niederere Temperatur in der Aorta gemessen wurde, als im linken Ventrikel, Da es bei diesem Unternehmen auf den in Rede stehenden Vergleich durchaus nicht abgesehen war, sondern letzterer nur gelegentlich — ■ nebst vielen anderen — vorgenommen wurde, so ist natürlich auf seine Einzelheiten bei der Aufzeichnung keine besondere Sorgfalt ver- wendet worden, sondern nur eben die Zahlenwerthe selbst mit- getheilt. Demzufolge muss ich auch hier auf alle weiteren Discus- sionen derselben verzichten — ist doch die Thatsache an und für sich schon sehr werthvoll, dass der meiner Lehre entsprechende Unterschied so regelmässig und eindeutig constatirt wurde! Aehnliches gilt für eine andere Reihe vergleichender Tem- peraturmessungen in der linken Kammer und in der Aorta, deren dadurch zum tiefsten Danke verpflichtete, den ich keineswegs abgetragen glaube, wenn ich den Anlass, der sich mir bietet, benütze, um Herrn Heiden hain für seine grosse Freundlichkeit und Güte hier öffentlich zu danken. Ich theile nun alle Angaben, welche sich in der Arbeit des Herrn Koerner über die Temperatur des Aortablutes vorfinden, im Vergleiche mit den, unmittelbar vorher oder nachher bestimmten Temperaturen in den beiden Ventrikeln mit. Die Temperatur des linken Kammerblutes wird dabei, con- form der Darstellung im Originale, als Ausgangspunkt für den Vergleich ge- nommen, und die sie übertreffenden Temperaturen werden durch Angabe der Differenz mit positivem Vorzeichen, die unter ihr liegenden durch die Differenz mit einem Minuszeichen ausgedrückt. Temperatur des Blutes in der n Kamm« ;r rechten Kammer Aorta 3710 -f- 0-3 (= = 37-4) - 0-17 (= = 36-93) 37-31 + 0-2 — 0-06 38-86 + 0-02 — 0-08 39-13 + 0-08 — 0-02 39-39 + 0-18 - 0-05 Mittel: +0-16 — 0-08 Es war also im Mittel aus diesen fünf Versuchen das Blut der Aorta um etwa V4 " kühler, als das der rechten Kammer. Das Blut der linken Kammer lag zwischen beiden mit seiner Temperatur, und zwar war es um V' der ganzen Differenz wärmer, als das der Aorta; und um ^/a der Differenz kühler, als das der rechten Kammer. — 92 — Ergebniss sich gleichfalls in der besten Uebereinstimmung mit der oben entwickelten Forderung der Percussionstlieorie befindet. Es sind diess die Messungen der Herren Ed. Albert und S. Stricker, welche in deren, oben citirter Abhandlung über die „Wärmeökonomie des Herzens und der Lungen" besprochen werden. Auf diese Mes- sungen ist offenbar viele Sorgfalt verwendet worden, doch erfahren wir nichts über die Resultate der einzelnen Versuche, sondern die genannten Forscher theilen bloss das allgemeine Ergebniss mit, dass sie die abgelesenen Temperaturen „in der Wurzel der Aorta um etwa O'l" niedriger fanden, als im linken Ventrikel". Dieser Werth von ca. O'P stimmt recht gut mit dem oben berechneten Mittel aus fünf Vergleichun gen , welches O'OS'^ betrug. Dass auch die Herren Albert und Stricker die, für die Kritik meiner Theorie so wichtige Thatsache, von der hier die Rede ist, bei ihren Untersuchungen allgemein bestätigt fanden, hat natür- lich für mich einen um so höheren Werth, als die Gesammtzahl der, mir für dieses Argument zur Verfügung stehenden Beobachtungen eine so kleine ist. Wenn ich nun auf die Verwendung, welche die beiden Autoren in ihrer Abhandlung von der hier erörterten Thatsache machen, nicht weiter eingehe, so bestimmt mich hierzu der Umstand, dass eine Discussion der zahbeichen Einflüsse auf die Temperatur des Herzblutes , welche ausser dem , hier zum ersten Mal erwogenen, sonst noch Gregenstand der Betrachtung gewesen sind, überhaupt eine viel gleichmässigere und ausführlichere Berücksichtigung der Litteratur bedingen, und mich weit ab von dem Zwecke dieses Buches, und weit über seine natürlichen Grenzen hinaus führen würde. — Ich werde übrigens auf die zuletzt erwähnte Abhandlung noch mehrfach im Verlaufe dieser Schrift zurückkommen, und bei einer von diesen Gelegenheiten sollen die Momente, aus welchen die Herren Verfasser die, von ihnen beobachteten Temperaturdifferenzen hauptsächlich erklären, wenigstens angedeutet werden. Ich muss nun auf einen Umstand aufmerksam machen, der bisher — meines Wissens — nicht berücksichtigt wurde; nicht etwa, weil er unbekannt gewesen wäre, sondern weil kein Anlass vorhanden war, sich um ihn zu kümmern, und sich ihn deutlich zu machen. Das Blut, welches nach erlittenem Stoss zuerst die Kammer verlässt, und in die Aorta tritt, befindet sich, nach vollendeter Aus- - 93 — treibung des Blutes aus dem Ventrikel, am weitesten von diesem entfernt — am nächsten an den Capillaren. Das Blut hingegen, welches am spätesten nach der Erschütterung aus dem Ven- trikel entleert wurde, und am längsten in ihm nach dem Stoss noch verweilte: dieses Blut steht dann dicht am Ventrikel, im An- fangsstück der Aorta, und wird auch erst als letztes, dieser Systole zugehöriges, ein Capillarsystem betreten. Nun ist aber für uns die Länge der Zeit, die verstrichen ist, seitdem das Blut eine Erschüt- terung erfuhr, nicht mehr gleichgültig: wir müssen also sagen, das zuletzt aus dem linken Ventrikel ausgetriebene Blut befinde sich unter den ungünstigsten Verhältnissen der Percussion. Das bei derselben Systole zuerst aus der Kammer getriebene Blut ist ihm — wie eine einfache Ueberlegung ergibt — zeitlich voraus; und zwar nicht um weniger, als eine Systole; und nicht um mehr, als einen Herzschlag; und räumlich voraus um ein Stück Arterienbahn, welches von der Blutmenge ausgefüllt wird, die sich in einer Systole in sie ergiesst. In Wirklichkeit jedoch kann der zeitliche Vor- sprung der ersten vor den letzten Blutmengen nicht so gering werden, wie das oben fixirte Minimum. So lange wir aber nichts Bestimmteres über die physiologische Bedeutung so grosser Per- cussionsdifferenzen wissen, ist kein Umstand, der auf sie Einfluss nimmt, von uns zu vernachlässigen. Also auch nicht der folgende, dessen Wirkung in einer Ausgleichung, einer Correctur jener Dif- ferenz zu bestehen scheint. Die systolische Erschütterung des Blutes, welche seiner Aus- treibung aus der Kammer unmittelbar vorhergeht, kommt den zuletzt entleerten Antheilen allerdings am wenigsten zu gute; dafür sind sie unter den günstigsten Bedingungen für den Empfang jener Erschütterung, welche von der nächstfolgenden Kammersystole herrührt, und deren Wesen, nach unserer Anschauung, sich nicht auf den Ablauf einer, immer flacher werdenden Pulswelle beschränkt, sondern auch noch eine vibratorische, schwirrende Bewegung in sich schliesst. Ferner waren diese zuletzt entleerten Blutmengen auch schon insofern günstiger, als die zuerst beförderten Mengen situirt, als die, sofort nach dem Eintritt der letzten Tropfen in die Aorta erfolgende Bildung des zweiten Herztones eine vibrirende Bewegung im Blute ganz zweifellos veranlasst, welche aber um so beträcht- licher sein muss , je näher am Erzeugungsorte des Tones, also am arteriellen Ostium das Blut sich befindet. So scheint eine Art Aus- — 94 - gleich, Compensation stattzufinden in der Percussion des arteriellen Blutes. Ehe wir letzteres auf seiner Bahn weiter verfolgen, sei es mir gestattet, einige Bemerkungen über die Natur des Herzens vor- zubringen. Im Ganzen arbeitet der menschliche und thierische Organis- mus in bewunderungswürdiger Weise geräuschlos. Wenn man vom Muskelton der Skeletmuskeln absieht, da er ja durch künst- liche Hülfsmittel hörbar gemacht werden muss, so darf man sagen, dass das Leben an sich, und das Functioniren der complicirtesten und subtilsten, sowie der gewaltigsten und massigsten Organismen völlig lautlos abläuft. Das Gehen des Elephanten, das Schwimmen des Seelöwen, der Flug des Albatros ist unhörbar — zolldicke, hornartig feste Haut legt sich in Runzeln und Falten, fussdicke Knochenenden gleiten in Gelenken an einander hin — lautlos, un- hörbar. Nur ganz allein die Bewegung des Blutes ist begleitet von lauten, deutlich an allen Stellen des Thorax vernehmbaren Tönen — gerade dieser Vorgang, bei dem nur flüssige oder weichste Massen, glatteste Oberflächen in's Spiel kommen. Diese Töne sind nicht un- vermeidlichen Nachtheilen gleich zu setzen, welche eben durch irgend ein unentbehrliches Element bedingt sind, und somit hingenommen werden müssen, wie z. B. die Töne, welche beim Gehen von Pendel- uhren und Chronometern erzeugt werden — sie sind vielmehr die Folge gewisser Einrichtungen, die sonst mit keiner anderen Be- stimmung in Zusammenhang zu stehen scheinen. Die Natur, welche im Thierkörper oft Klappen anbringt, wo es sich um zeitweiligen, dichten Verschluss handelt, gibt diesen Klappen sonst eine gewisse Dicke, welche ihren Bestand sichert, wie z. B. dem Gaumensegel, dem Kehldeckel. Aber die Ausstat- tung der beiden venösen, und der beiden arteriösen Herzkammer- ostien mit Klappenventilen, die wohl sehr geeignet erscheinen für ihre Function, jedoch sicherlich nicht den Eindruck hervorbringen, als wären sie tauglich, 70 Jahre hindurch in jeder Minute 70 heftige Stösse auszuhalten, im Ganzen also mehr als 2500 Millionen solche Stösse — die Ausstattung des Herzens mit so zarten, dünnen Häutchen muss uns wohl in Verwunderung setzen. Welche enorme Leistung ist diesen Membranen zugemuthet — wie schwer sind die Folgen jeder leisen Beschädigung derselben! Allerdings sind sie im höchsten Grade geeignet, und wohl das einzige so passende Mittel zur Er- reichung einer möglichst ausgiebigen Erschütterung des - 95 — Blutes hl den Kammern bei deren plötzlich anhebender Systole, und zur Erreichung einer möglichst intensiven, v i b r i r e n d e n Bewegung im Blute sowohl der Kammern, als auch der grossen arteriellen Gefässe, und ihrer VerzAveigungen ! Denn wenn die starren Wände eines Sackes plötzlich auf dessen flüssigen Inhalt einen Druck zu üben beginnen, so wird der Stoss, mit dem dieser Druck einsetzt, die Flüssigkeit natürlich viel intensiver erschüttern, wenn ein, nicht zu kleiner Theil der Gefäss- wand der anprallenden Flüssigkeit zuerst einen verschwinden- den Widerstand entgegensetzt, der aber nach geringem Aus- weichen dieses Wandtheiles sich rasch in einen absoluten Widerstand verwandelt, als der Stoss die Flüssigkeit zu erschüttern vermöchte, wenn gar keine Möglichkeit eines Ausweichens vorhanden wäre. Dass gespannte Membranen überhaupt die Entstehung von Vibrationen, von Schallwellen im umgebenden Medium begünstigen, bedarf keiner besonderen Begründung. Freilich versteht es sich im' Allgemeinen von selbst, dass Alles, so wie es ist, möglich und nothwendig ist, und uns zweck- mässig zu sein scheint. Unser ganzes Streben gilt jedoch nur der Erkenntniss dieses Scheines. Ich glaube schon nach- gewiesen zu haben, dass das Phänomen des Herzschlages überhaupt nur erklärlich und verständlich ist vom Standpunkte meiner Theorie aus. Letztere macht es nun auch begreiflich, dass der Herzschlag ein so häufiger ist, dass das Herz so klein ist, im Vergleich mit der Blutmasse, und mit so tumultuarischer Vehemenz arbeiten muss, um sie in Bewegung zu halten. Denn nur auf diese Art können grössere Ungleichheiten im Percussionszustande des arteriellen Blutes vermieden werden. Eine geringere Häufigkeit, und längere Dauer der Systole würde zu grosse Verluste an Percussion für die, später zur Entleerung gelangenden Blutmengen bedingen, so wie auch grössere Dimen- sionen der Herzhöhlen eine ungünstige Auswerthung der Muskel- masse des Herzens für die Percussionsarbeit bedingen würden. Endlich sei noch darauf hingewiesen, dass meine Theorie auch einen neuen Gesichtspunkt enthält für die Auffassung der „Selbst- steuerung" des Herzens^). Ohne diese Einrichtung würden, statt der letzten Antheile des ausgetriebenen Blutes der letzten Systole, die der vorletzten Systole zur Ernährung des Herzfleisches dienen 'j Ernst Brücke, Die Selbststeuerung des Herzens. — 96 — müssen; denn diese sind es, welche im Beginn der Entleerung des Ventrikels das Anfangsstück der Aorta anfüllen, und welche also an den Ostien der Coronararterien stehen. Dieses Blut, dessen Percussionszustand ein möglichst ungünstiger ist, da es während der ganzen Dauer der Kammerdiastole schon in der Aorta stand, wird nun nicht zur Versorgung des Herzfleisches mit Sauerstoff verwendet, sondern durch die Selbststeuerung vom Eindringen in die Coronararterien abgehalten; in diese gelangt statt dessen das viel recenter percutirte Blut der letzten Systole — allerdings mit seinen letzten Antheilen. X. Die Vorgänge in den Arterien. Nunmehr im System der Aorta angelangt, schreitet das Blut anfänglich offenbar viel zu rasch vorwärts, als dass eine erhebliche Aenderung seines Percussionszustandes sich in ihm ausbilden könnte; erst mit der Auflösung der kleinsten Arterien in Capillaren ist eine sehr ausgiebige Vergrösserung des Gresammtquerschnittes der Blutbahn, und somit auch eine ansehnliche Verringerung der Strö- mungsgeschwindigkeit verbunden. Dadurch wird es erreicht, dass während des Durchlaufens der Arterienbahn keine merklichen Ver- luste an Percussion im Blute stattfinden, und dass der Sauerstoff des Blutes diesem noch als freies Gas molecular beigemischt ist, wenn es die capillaren Antheile seiner Bahn erreicht und betritt. Ich kann nicht umhin, an dieser Stelle meiner Bewunderung für den Scharfblick des Mannes Ausdruck zu verleihen, welcher vor beinahe 20 Jahren zu wiederholten Malen, und mit grossem Nachdrucke seine Ueberzeugung ausgesprochen hat, dass das arterielle Blut den wesentlichen Theil seines Sauerstoffes in Form eines freien Gases enthalte. Ich hoffe, Herrn E. Pflüger — er ist es, den ich meine — nicht zu nahe zu treten, wenn ich die unbedingte Zu- versicht seiner Ueberzeugung in diesem Falle auf eine Art von Intuition zurückführen möchte, nachdem sie aus einer directen und stringenten Analyse nicht abzuleiten ist. Was Herr Pflüger an Argumenten zur Unterstützung seiner Ansicht beibringt, wäre nicht ~ 97 - einmal zulänglicli für eine Erklärung der Anwesenheit freien Oxygens im Arterienblute , selbst wenn diese Tliatsache an und für sich bereits als solche nachgewiesen, und jeder Zweifel an ihr beseitigt wäre. In Wirklichkeit jedoch findet sich die fertige Ueberzeugung an mehreren Stellen in Form directer Behauptungen ausgesprochen — ein Versuch, die Thatsache als solche zu befestigen, ist mir überhaupt nicht bekannt. — Hierin dürfte wohl auch mit Recht der Grund dafür gesucht werden, dass die so markante Behauptung Herrn Pflüger's weiter keine Folgen gehabt hat, und aus dem Vorstellungskreise der Physiologen verschwunden zu sein scheint, ohne jenen Eindruck zu hinterlassen, den sie sicher hervorgebracht hätte, wenn sie selbst fester und überzeugender begründet, und somit besser geeignet gewesen wäre, Ausgangspunkt oder Anregung zu einer neuen, fundamentalen Umgestaltung der Physiologie des Gaswechsels zu werden. Wie dem aber auch sein möge: weder der Mangel an Be- gründung sowie an Wirkung, den diese Behauptung gewahren lässt, noch der Umstand, dass ich erst nach Vollendung des Auf- baues meiner Theorie mit ihr bekannt wurde, ändern irgend etwas an meiner Verpflichtung, die Priorität Herrn Pflüger's volP) anzu- erkennen, hinsichtlich des Gedankens, dass der, für die Athmung der Gewebe bestimmte Sauerstoff im arteriellen Blute als freies Gas, und nicht gebunden an Hämoglobin, enthalten ist. So weit, aber auch nicht weiter, erstreckt sich die Vorgängerschaft von Herrn Pflüger; weder die Art der Befreiung des Sauerstoffes, noch die Verlegung derselben in's Herz, noch die Vollständigkeit derselben, noch der Nachweis ihres wirklichen Stattfindens, noch irgend ein anderer Antheil meiner Lehre steht in einem solchen Verhältniss zu diesem, oder überhaupt zu einem früheren, mir bekannten Aus- ') Ich kann mich mit dem, gar nicht ungewöhnlichen Verfahren nicht einverstanden erklären, einem Vorgänger, dem man zugestehen muss, dass seine Aussage richtig ist, wenigstens abzustreiten, dass seine richtige Aus- sage berechtigt war. Denn es war Sache des ersten Autors, für eine zuläng- liche Begründung zu sorgen, oder niclit zu sorgen. In letzterem Falle blieb dem zweiten Autor eine wichtige Aufgabe zu lösen, die ihm jedoch keinerlei anderen Anspruch verschafft, — und eine besondere Berechtigung zum Recht- haben braucht man nicht erst zu erwerben, noch ist es schicklich, Jemandem vorzuhalten, dass er seine richtige Meinung gar nicht hätte haben dürfen, wenn er seine Pflicht besser gekannt hätte. FleiHchl v. Marxow, Bedeutung des Herzschlages. 7 — 98 — Spruche ^) ; und so wertlivoU es mir ist, dass ein Forscher, welcher so viel in dieser Richtung gearbeitet hat, wie Herr Pflüger, die Nothwendigkeit erkannt und anerkannt hat, dass der Sauerstoff im ^) Wenn man unsere ganze Litteratur, besonders den älteren, und im Ausdrucke heutzutage nicht mehr durchaus verständlichen Theil derselben daraufhin durchsuchen wollte, so zweifle ich gar nicht, dass man zahlreiche Stellen finden könnte, denen sich ein, der Percussionstheorie adäquater Sinn unterlegen lässt. Insbesondere, wenn die Sätze, um die es sich handelt, aus ihrem Zusammenhange losgelöst werden, und wenn man den Anschauungen und dem ganzen Gedankenkreise jener alten Autoren, und ihrer Epoche keine Rechnung trägt, wird es nicht an Gelegenheit zu frappirenden Citaten fehlen. Ein Beispiel für solche scheinbare Anticipationen , die aber in Wirk- lichkeit nicht die mindeste Beziehung zur Percussionslehre haben, wird jeden- falls genügen. Ich wähle aus mehreren, mir vorliegenden, eine Stelle von Harvey zur Illustration dieser Gattung von Anklängen aus. Sie lautet, wie folgt: „— — adeoque Aristotelis sententia, de pulsatione cordis (fieri „eam seil, ad modum ebullitionis) aliquatenus vera est. Quod enim „in lacte ab igne calefacto, et cerevisiae nostrae fermentatione quotidie cerni- „mus; idem etiam in pulsu cordis usu venit; in quo sanguis, quasi fermen- „tatione aliqua turgescens, distenditur, et subsidit ." (Exercitationes de generatione animalium auctore Gulielmo Harveo, Anglo etc. Lugduni Bata- vorum apud Johannen! van Kerckheim, 1737. Exercitatio LI. pag. 201.) Eine zweite Gruppe von Anklängen rührt von neueren Autoren her, und besteht aus Aussprüchen, welche ohne die Percussionstheorie unverständ- lich und willkürlich erscheinen, denen somit eigentlich nur der Zufall nach- träglich zu einem Sinne verholfen hat. Bei den Sätzen der ersten Gattung wissen wir nicht, was der Autor sagen wollte; bei den Sätzen der zweiten Gattung ist es der Autor selbst, dem diese Kenntniss abgeht. Ich belege auch diese Gattung durch ein Beispiel, ziehe es jedoch, in Anbetracht der Härte des eben gefällten Urtheils vor, die Provenienz der Stelle nicht nach- zuweisen. Nachdem von der Thatsache die Rede gewesen ist, dass das Blut der Leber- und Nierenvenen wärmer angetroffen wird, als das der zugehörigen Arterien, heisst es: „En effet, Felevation de la temperature dans ces glandes „est la consequence de l'action exercee par l'oxygene sur les materiaux du „sang et de la production de nombreux produits de secretiou resultant de „combustions plus ou moins avancees." Die Percussionstheorie kennt allerdings sowohl freien Sauerstoff, als auch jene Substanz im Capillarblute, auf welche er chemische Einwirkung ausübt, die mit Wärmeentwicklung einhergeht. Sie wird überhaupt nichts an der Behauptung auffällig finden. Was aber die bisher bekannten Theorien mit diesem Ausspruche für Vorstellungen verbinden sollten, weiss ich nicht. Eine dritte Art von Anklängen an die Percussionstheorie finde ich in solchen, ihr zeitlich vorangehenden Aeusserungen, welche irgend einen Theil — 99 — Arterienblut frei sein müsse, so bedauerlich ist mir der Mangel an ähnlichen Anknüpfungen in allem Uebrigen. Ich sehe es voraus, wie hinderlich diese völlige Isolirung, diese gänzliche Umformung der Gedanken, aus denen diese Theorie besteht, in voller Klarheit und Deut- lichkeit aussprechen ; Aeusserungen, die nur aus dem Grunde nicht als Ver- kündigungen der Theorie selbst, oder als Vorstufen, Entwicklungsformen der- selben anzusehen sind, weil weder objectiv eine Beziehung zum Gegenstande der Percussionstheorie in ihnen enthalten ist, noch auch subjectiv ein solcher Zusammenhang besteht; denn wäre ich durch einen von diesen Aussprüchen angeregt worden zur Begründung meiner Theorie, so würde ich mich der Pflicht, diess anzuerkennen, nicht entziehen. Von allen Stellen, die ich in der Litteratur gefunden habe, scheint mir aber keine einen so klaren und präcisen Ausdruck eines Grundgedankens der Percussionstheorie zu enthalten, wie die, welche ich als Paradigma der dritten Gattung sogleich anführen werde. — Ich will nur vorher noch bemerken, dass, während die erste Gattung von Anklängen auf Unverständniss, und die zweite auf Missverstä,ndniss beruhen, die dritte Gattung auf wirklichem Elnverständniss beruht. Den Beleg für letztere entnehme ich der Abhandlung „Ueber Wärme und Ox}'dation der lebendigen Materie" von Herrn E. Pf lüger. Dieselbe ist im 18. Bande des Archivs für die gesammte Physiologie abgedruckt, und in der Einleitung wird die Natur der Kräfte discutirt, durch welche die Zersetzungen im lebenden Thierleib bewirkt werden. Auf pag. 250 1. c. heisst es dann : „Ich dachte bei der thierischen Zersetzung an den mechanischen Stoss, welcher „sie sofort erregt: wie der Schall das Ohr, der Druck die Haut, Verletzung „jeder Continuität die Nerven. Die Nadelspitze, welche über Muskelsubstanz, „selbst solche, die durch Curarevergiftung des Nerveneinflusses beraubt ist, , streift, bringt Zuckung, d. h. sofortige Kohlensäurebildung hervor. Ein „Stich erregt sogar ein frisches, ausgeschnittenes Brustorgan, so dass es „phosphorescirt, d.h. sich oxydirt. Wer hätte je vernommen, dass ein mecha- „nischer Stoss einen Fäulniss- oder Gährungsprocess bedinge oder ihn plötz- „lich steigere? Wohl aber bringt ein Stoss den Chlorstickstoff, das Nitro- „glycerin zur Explosion, d. h. erzeugt eine Umlagerung der Atome, die zur „Sprengung führt, dort ohne, hier mit innerer Oxydation — principiell gerade „so, wie in der lebendigen Materie. Offenbar liegen die Bahnen des zur „inneren Oxydation bestimmten schwingenden Sauerstoffatomes so, dass eine „geringe Verschiebung desselben in bestimmter Richtung genügt, es in die „Activitätssphäre des Kohlenstoffs zu lüliren und so wie bei den Nitrokörpern „die Explosion zu veranlassen." Etwas weiter, auf der nächstfolgenden Seite, sagt dann Herr Pflüger: „Meine Theorie leitet alle diese Erscheinungen aus einem Gesichts- „punkte ab, indem ich annehme, dass, um es nochmals hervorzu- „heben, die Balin des zur inneren Oxydation bestimmten intramolecularen „SaueretofTatomes eine selir labile sei, wie etwa im Niti-ogiycerin, so dass „eine kleine Verschiebung in bes ti m m t er Richtung genügt, um eine Inter- „ferenz der Activitätsephären des Sauerstoff- und Kolilenstoffatomea zu be- — 100 - unserer Ansichten von der Athmung, von den untersten Funda- menten an, der Verbreitung meiner Theorie sein wird, und wie schwer sie es empfinden wird, dass sie aller Berufung auf die Bei- stimmung von Autoritäten entbehren, und ganz allein für sich selbst sprechen muss. Jene Aussprüche von Herrn Pflüger, welche uns hier be- schäftigen, sind so eindeutig und bestimmt, dass sie die Vermuthung nahe legen, der Autor selbst — wenn schon Niemand anderer — sei von der Wichtigkeit ihres Inhaltes durchdrungen, und dem ent- sprechend werde die Begründung derselben beschaffen sein. Nun wollte ich zwar mit der oben angedeuteten Beziehung dieser Er- kenntniss zu einer Intuition nicht etwa sagen, es scheine mir, als habe Herr Pflüger den Sinn seiner Behauptung willkürlich und zufällig errathen oder erfunden, sondern ich wollte der Vermuthung Ausdruck geben, die häufige und intensive Beschäftigung des Geistes und der Sinne mit den Phänomenen des Kreislaufes habe in ihm eine Ueberzeugung veranlasst, von deren Entstehung und Begrün- dung er sich selbst vielleicht keine vollständig klare Rechenschaft geben konnte, und Herr Pflüg er habe, vielleicht ohne es zu wissen, bessere Gründe für seine Ansicht, als die, welche er dafür geltend macht. Ich will hier nur zwei kurze Stellen wiedergeben, in denen diese seine Ansicht klar zu Tage tritt; werde jedoch auf eine Discussion der Erörterung, welche Herr Pflüger zur Stütze seiner Meinung vorbringt, nicht eingehen. Und zwar aus dem Grunde nicht, weil eine solche Kritik nicht in unmittelbarem Zusammenhange mit dem Gegenstand und dem Zwecke dieses Buches stünde. Jene Stellen sind einer, von mir bereits citirten Abhandlung ^) Herrn Pflüger's entnommen, und lauten: „Mir scheint es [indessen] unzweifelhaft, „dass in dem lebenswarmen Blute immer freier Sauerstoff ist und „nicht gelockert zu werden braucht" ^). „Der freie Sauerstoff des ,.Blutes ist aber der eigentlich physiologisch wirksame" ^). „dingen. Jedes Agens also, welches eine Molecularerschütterung erzeugen ,kann, wie Licht, Elektricität, mechanische Schwingung, Wärme, kann auch „die Zersetzung erzeugen — — ." ^) E. Pflüg er, Die Gase der Secrete. Pflüger's Archiv II, pag. 156— 179. 2) 1. c. pag. 169. ') 1. c. pag. 176. — 101 — Zu den zahlreicheu Aufgaben , welche der experimentellen Forschung aus der Percussionstheorie erwachsen , wird auch die gehören, den Einfluss festzustellen, welchen die verschiedenen Rami- ficationsverhältnisse im Arteriensysteme auf den Percussionszustand des Blutes haben. Abzweigungswinkel und Querschnitte werden zunächst auf diesen Einfluss zu untersuchen sein. Was man von dem auffallenden Forschungsergebnisse der Herren Estor und Saint-Pierre ^) zu halten habe, davon ist bereits die Rede gewesen. Hingegen habe ich noch der Arbeit zweier anderer französischer Forscher zu gedenken, welche ein so para- doxes und unverständliches Resultat zu Tage gefördert haben, dass es kaum zu begreifen ist, mit welchem Ernste und welcher Achtung von diesem Ergebnisse, quasi de re bene gesta, in Abhandlungen und Lehrbüchern gesprochen wird. Ich meine die Arbeit der Herren Mathieu und Urbain^). Diese Untersuchung hat zwar keine Ab- hängigkeit des Sauerstoffgehaltes im arteriellen Blute von der Ent- fernung vom Herzen constatirt, aber ihr Ergebniss gipfelt in dem Satze, dass in den kleinen Arterien ein an geformten Ele- menten ärmeres Blut fliesse, als in den grossen Stämmen. Ich weiss nicht, wie es anderen Lesern in solchem Falle ergeht — was mich anlangt, so kann ich nicht umhin, mir sofort nach der Anhörung dieser Botschaft die Frage vorzulegen: was denn im weiteren Verlaufe der Begebenheiten aus den grossen Stämmen, und aus dem, in ihnen fliessenden Blute wird. Die grossen Stämme geben fortwährend kleine Aeste ab, und lösen sich schliess- lich ganz und gar in solche auf. Und dabei ist immer wieder das specifische Gewicht des Blutes in den Aesten kleiner, als das des Blutes in den Stämmen! Man fragt sich billig nach dem Unter- schiede in der Concentration des Blutes, welches das eine Mal aus einer, vom Stamme abzweigenden, kleinen Arterie entnommen ist, das andere Mal aus einer ebenso grossen, aber weiter entfernt vom Herzen aus demselben Stamm entspringenden Arterie. Man kann nur entweder die, von den genannten Forschern behaupteten Con- centrationsunterschiede, welche zwischen dem Blut der dicken Stämme, ') 1. c. — Siehe oben pag. 45. ^) Mathieu und Urbain, Aich. de ph3'siologie IV, 1871 — 1872. Des gaz du sang. Pag. 1—26, 190-204, 304—319, 447—470, 573-588, 710-732. Die hier besproclienen Beziehungen werden in der pag. 190 beginnenden Fortsetzung verhandelt. — 102 — und dem der dünnen Aeste bestehen sollen, auch anzutreffen er- warten im Blute zweier gleich dicker Aeste desselben Stammes, welche in verschiedenen Entfernungen vom Centrum entspringen, oder, wenn man die Behauptung anders (wörtlich) auffasst, und sich das Blut in allen Arterien höherer Ordnung und kleineren Calibers minder dicht, in den grossen Stämmen aber dichter, reicher an geformten Elementen vorstellt: dann muss man sich auf eine, mit der Zeit stets zunehmende Anstauung von Blutkörperchen in den grossen Stämmen, die aus der Aorta entspringen, gefasst machen, wozu man sich aber auch nicht leicht entschliessen dürfte. — Das, was von den Herren Mathieu und Urbain zunächst aufgefunden wurde, und ihnen Anlass zur Aufstellung dieser wunderlichen Be- hauptung gab, das waren Unterschiede im Gehalte des Blutes an auspumpbarem Sauerstoff, je nach der Entnahme der, zur Analyse verwendeten Blutproben aus dickeren oder feineren Arterien — eine Beobachtung, welche, wie man sieht, wesentlich verschieden ist von derjenigen, auf die die Herren Estor und Saint-Pierre sich berufen. Diese Letzteren haben im Arterien- systeme eine, mit der Entfernung vom Herzen sehr rasch zunehmende Verarmung des Blutes an auspumpbarem Sauerstoff behauptet. Ihre Beobachtung war falsch, ihre Behauptung an sich sehr unwahrscheinlich. Ich habe jedoch keinen Grund, die that- säclalichen Angaben der Herren Mathieu und Urbain zu bezweifeln: ihre Beobachtung war richtig, dafür ist aber ihre Behauptung an sich ganz unmöglich. Doch interessiren uns ihre Ergebnisse, denen sich eine ganz andere Deutung geben lässt, so sehr, dass wir uns etwas eingehender mit ihnen befassen werden. Für richtig und vertrauenswürdig halte ich ihre Angaben über die Gas-, speciell Sauerstoffmengen, welche die untersuchten Blut- proben enthielten, aus folgenden Gründen: Erstens beschreiben diese Forscher ihre Methoden der Blutgewinnung, der weiteren Be- handlung, und der Analyse des Blutes ausführlich — und diese Methoden sind ganz zweckentsprechend und einwandfrei. Zweitens berücksichtigen sie in aller Strenge jene Umstände, die von Ein- fluss auf das Ergebniss der Gasanalyse sein konnten, wie z. B. die Succession der Blutentziehungen; die Zeit, die zwischen der Entnahme des Blutes aus dem Thier, und der Ausführung der Analyse verstrich; die Temperatur, auf welcher das Blut während dieser Zeit erhalten wurde, und noch einige andere solche Bedin- — 103 — gungen. Drittens scheinen mir diese Analysen vertrauenswürdig, weil ihre Resultate, da, wo sie sich auf analoge Objecte beziehen, mit den Ergebnissen, die Herr Pflüg er erhielt, sehr gut überein- stimmen. So z. B. die Untersuchung, welche sich mit dem Ver- gleich zweier Proben des Pulsaderblutes befasste, die aus gleich mächtigen, jedoch vom Herzen sehr verschieden weit entfernten Stämmen des arteriellen Systemes bezogen waren. Diese Wieder- holung einer, von ihren Landsleuteu mit so vielem Misserfolg an- gestellten Untersuchung führte die beiden Herren zu einer Reihe von Werthen, die sehr schöne Bestätigungen der, von Herrn Pflüger gewonnenen Zahlenangaben genannt werden müssen. Auch sie fanden den Sauerstoffgehalt des Carotidenblutes nicht immer im selben Sinne verschieden von dem des Femoralarterienblutes — im Durchschnitt um nicht ganz O'S Procent i) grösser — und sahen nie eine grössere Differenz beider Werthe als 1 Procent. Nach so überzeugenden Beweisen ihrer Zuverlässigkeit haben die Zahlen, w-elche diese Forscher bei ihi-en anderweitigen Vergleichen eruirten, Anspruch auf Beachtung; — wenigstens von ihren, auf Gasvolumina bezogenen Zahlen, muss man mit Zuversicht, und wie von That- sachen sprechen. So wenig aber andere, ganz unzweifelhafte That- sachen um jeden Preis erklärt werden müssen, sondern möglicher Weise von unseren Sinnen allein, nicht auch zugleich von unserem Verstände aufgefasst sein können ; so wenig war es nothwendig, die merkwürdigen Differenzen im Sauerstoff von Blutproben aus grossen und kleinen Arterien, welche von diesen Forschern constatii-t wur- den, durch eine so gewundene, und dabei so oberflächliche Erklärung zu erledigen, wie die ist, welche von den Entdeckern der Thatsache selbst ausgesprochen, und mit einer ganz ki'itiklosen Pünkthchkeit allerwärts nachgesprochen wurde, und wird; trotzdem sie nur sehr gesucht, aber gar nicht gefunden ist. Allerdings lässt sich eine Erklärung von einem anderen Standpunkte, als dem der Percussions- theorie, schwerlich geben — aber jeder Weg hätte näher am Ziele vorbeigeführt, als der eingeschlagene. Da die, von den Herren Mathieu und Urbain in zahlreichen und sorgfältigen Versuchen fest- gestellte Thatsache, dass die grösseren Arterien ein sauerstoffreicheres ') Auch liier ist die Gasmenge stets in Volumprocenten des Blutes ausgedrückt; hier liegt den Zahlen die Annahme eines Druckes von 760 mm Quecksilber zu Grunde. — 104 — Blut führen, die kleineren ein, an diesem Gas ärmeres Blut, und dass diese Differenz bis zu 3 Procent, also etwa bis zu ^js des überbaupt im Carotidenblut enthaltenen Sauerstoffes beträgt, nicht nur als Thatsache, sondern in Begleitung der, von den Entdeckern ihr an- gehängten Betrachtungen und Vermuthungen, bis in die allerjüngste Zeit in angesehene Lehr- und Handbücher der Physiologie aufge- nommen, und als richtig hingestellt wird; so sehe ich mich vor einer Anwendung der Percussionstheorie auf die Thatsache zu einer Widerlegung der allgemein recipirten Erklärung derselben genöthigt. Diese Erklärung beruft sich vor Allem auf eine zweite That- sache, welche von denselben Autorc n entdeckt worden ist, und zwar : auf das grössere specifische Gewicht des, einer grossen Schlagader entnommenen Blutes, im Gegensatze zum Blute, das aus einer kleinen, dünnen Arterie stammt — ohne Rück- sicht auf die Entfernung des Gefässes vom Herzen. Diese Angabe scheint mir — wie ich später begründen werde — wenig glaub- würdig zu sein. Das Blut soll nun nach der Annahme der beiden Autoren durch sein höheres specifisches Gewicht einen grösseren Gehalt an Blutkörperchen verrathen. Die kleinen Arterien sollen also ein, an geformten Elementen ärmeres Blut führen, als die grossen, und zwar soll diess daher rühren, dass den Blutzellen wegen ihrer grösseren Dichte auch ein grösseres Trägheitsmoment inne- wohnt, als der Blutflüssigkeit, dem Plasma. Aus diesem Grunde wieder sollen bei einer jeden Abgangsstelle eines Seitenzweiges die Zellen ein grösseres Bestreben zeigen, in der Richtung ihrer Bahn zu bleiben, als das Plasma, so dass von letzterem ein relativ grosses Quantum, von den Zellen aber ein relativ kleines Quantum in den Seitenast abbiegt, und im Hauptstamm ein zellenreicheres Blut weiter- fliesst. Und da endlich die Sauerstoffmenge von der Anzahl rother Zellen im Blute abhängt, so muss sich ceteris paribus dort mehr Sauerstoff finden lassen, wo die relative Menge der Zellen eine grössere ist — das heisst in den grossen Stämmen. Ich kann von alledem gar nichts gelten lassen. Die obenan- stehende „Thatsache" ist mir höchst verdächtig. Wie wurde denn das specifische Gewicht der verschiedenen Blutarten bestimmt ? Die Autoren lassen sich hierüber nicht vernehmen. Es versteht sich jedoch von selbst, dass die Bestimmung auf aräometrischem Wege ausgeschlossen war, und somit die piknometrische Methode zur Anwendung kam, also eine Gewichtsbestimmung. Denn, abge- — 105 — sehen von anderen, sehr naheliegenden Gründen, vereitelt die Gre- rinnbarkeit des Blutes jede aräometrische Auswerthung seines specifi- schen Gewichtes. Nun werden im Ganzen vier Vergleiche zwischen Carotisblut einerseits, Blut aus verschiedenen kleinen Arterien ander- seits mitgetheilt. Im Carotisblut schwanken die Werthe der Dichte in diesen vier Angaben zwischen 1041*26 und 1059*64, und ebenso die für die Dichte des anderen Blutes. Die Differenz jedoch zwi- schen den Dichten desselben Blutes in der Carotis und in einer kleinen Arterie beträgt eine, höchst zwei Einheiten der vierten Stelle. Erwägt man ausserdem die zahlreichen Fehlerciuellen dieser Bestimmungen, und vor Allem die Aenderung in den Strömungsverhältnissen, welche durch die Eröffnung der Gefässe nothwendig herbeigeführt wird, und welche nicht die gleiche sein kann, bei so differenten Calibern, so wird man kaum in diesen Zahlen einen hinreichenden Beweis für die Behauptung der Autoren erblicken wollen. Davon war ja schon die Rede, dass die ganze Behauptung an sich widersinnig a priori ist. Allerdings ist sie diess noch nicht, solange die gerin- gere Dichte nur von solchem Blute prätendirt wird, welches in eine kleine, sich unter jähem Richtungswechsel abzweigende Arterie aus einem grossen Stamm übertrat. Denn solange die hier betonte Veräst- lungs weise die Bedingung enthielte für die Trennung des Blutes in eine minder dichte, und eine dichtere Portion, wäre man doch wenig- stens über den Verbleib der letzteren beruhigt. Undenkbar und a priori widersinnig wird die Behauptung aber dann, wenn jenes Kriterium entfällt, und sie allgemein von einem Unterschied in der Dichte des Blutes in den grossen, und in den kleinen Arterien spricht, als von der Ursache des beobachteten Unterschiedes im Sauerstoffgehalt. Diess aber ist wirklieh der Fall. Denn sobald der erwähnte Zusammenhang zwischen Blutdichte und Caliber der Arterie mit Hülfe der, in die Betrachtung einbezogenen Vorgänge am Ostium eines Arterienästchens etablirt ist, lassen die Verfasser dieselben zu Boden gleiten — um sich nicht wieder nach ihnen umzusehen. Es ist nur mehr von grossen und kleinen Arterien die Rede — um Ursprungswinkel und Verlaufsrichtung wird nicht mehr gefragt. Um von der Allgemeinheit, in der die Sätze ausgesprochen werden, einen Begriff zu geben, stelle ich einige Angaben aus dem Original hierher. „1) II n'existe pas de diff^rences bien marqudes entre le flSang des arteres u peu pres de meme diametre." — 106 — „2) De deux arteres de dimensions inegales, la plus volumi- „neuse est celle dont le sang renferme le plus d'oxygene et d'acide „carbonique" ^). „L'inegalite dans la proportion des gaz reposant sur la densite „variable du sang suivant l'activite de son cours, les globules rouges „devaient se trouver dans les grosses arteres en plus grand nombre „que dans les petites branches, qui presentent plus d'obstacles ä la „circulation" ^). Ich finde nirgends in der ganzen Arbeit kleine Arterien erwähnt, oder gar gekennzeichnet, welche von der ganz allgemein hingestellten Regel ausgenommen wären, der zu Folge das Blut in den Pulsadern um so geringere Dichte haben soll, je kleiner ihr Caliber ist. Wäre es gerade umgekehrt, dann könnte man etwa an eine merkliche Transsudation von Plasma schon durch die Wände der grösseren Arterien denken, um sich eine solche Beobachtung zu erklären — ähnlich wie ja das Blut in Wirklichkeit auf seinem Wege durch die Capillargefässe durch Transsudation von Lymphe eine sehr erhebliche Eindickung erleidet, die nach gewissen, freilich auch nicht vöUig unverfänglichen Angaben^) bis zu einer solchen Vermehrung der geformten Bestandtheile im Blute der Vene, gegenüber der in der Volumeinheit des Blutes der zugehörigen Arterie enthaltenen Anzahl derselben, führen soll, dass sich die beiden Zahlen zu einan- der verhalten, wie 5 zu 4. Immerhin wäre auch eine derartige Vorstellung mit grossen Bedenken behaftet, ja kaum zulässig, ohne einen directen Nachweis der Permeabilität der Arterienwand für das Blutplasma. — So aber, wie die Behauptung von unseren Autoren aufgestellt wird, scheint mir jede Möglichkeit eines Verständnisses von vornherein ausgeschlossen, und unbegreiflich finde ich sogar 0 1. c. pag. 196. 2) 1. c. pag. 201. ^) J. G. Otto, Untersuchungen über die Blutkörperchenzahl und den Hämoglobingehalt des Blutes. Drei aufeinanderfolgende Abhandlungen in Pflüg er's Archiv XXXVI. pag. 21—58. — Was mich zu dem im Texte aus- gesprochenen Zweifel veranlasst, ist die Unvereinbarkeit der Resultate, welche der Autor an ein und demselben Blute nach zwei verschiedenen Bestimmungs- methoden für die Eindickung des Blutes erhalten hat. So z. B. findet man in den Tabellen auf pag. 47 die Zahl der Blutzellen in der Volumeinheit des Venenblutes um 7^ grösser, als die der Arterie zugehörige ; während die Hämoglobinmengen beider Blutproben sich nur um Vi 5 des ganzen Betrages von einander unterscheiden! — 107 — die ungestörte Duldung, deren sie sich sclion seit so lauger Zeit zu erfreuen hat. Selbstverständhcher Weise kann sich ein so abspre- chendes Urtheil nur auf den, von den Autoren angegebenen Zusam- menhang, auf die Interpretation der Erfahrungen beziehen, die sie gemacht haben. Ich habe zwar die thatsäcliliche Verschieden- heit im specifischen Gewichte der, aus verschieden dicken Arterien entnommenen Blutproben, ebenfalls angezweifelt, oder als ein, mög- licher Weise erst durch die Versuchsbedingungen erzeugtes Artefact bezeichnet — doch bin ich weit entfernt davon, diese Thatsache selbst als eine unmögliche hinzustellen. Sollte sie sich nun wider Erwarten bestätigen lassen — dann, glaube ich, müsste man ernst- lich daran denken, sie aus einer Beschaffenheit des Blutes zu erklären, welche mit dessen Percussion zusammenhängt. Es wird übrigens, von dieser ganzen Behauptung abgesehen, jedenfalls noth- wendig sein, die Frage nach dem Einflüsse der Percussion auf das specifische Gewicht einer gashaltigen Flüssigkeit in Erwägung zu ziehen. Ich halte jedoch alle vorläufige Speculation über diesen Punkt für müssig, und eine experimentelle Untersuchung über diese Verhältnisse für den zunächst erforderlichen Schritt. Auch kann die, in so grosser Entfernung, und in so verschwom- menen Umrissen unserem Blicke sich zeigende Möglichkeit eines Zusammenhanges zwischen der fragwürdigen Beobachtung der fran- zösischen Forscher, und der sehr fraglichen Veränderung der Per- cussion im Blute, das die Arterienbahn durcheilt, keinesfalls aus- reichen zu einer Annahme über das Bestehen, und über die Art, und den Betrag einer solchen Umänderung im physikalischen oder chemischen Zustande des arteriellen Blutes vor seinem Uebergang aus den kleinsten Arteriolen in Capillaren. Wir haben keinen Grund, eine solche Annahme an die Stelle der oben ausgesprochenen Meinung zu setzen, nach welcher im Blute keine merkliche Schwankung der Percussion stattfindet, so lange es im Systeme der Aorta dahinströmt. Ehe ich in diesen Betrachtungen weitergehe, und die Ver- änderungen, welche das Blut in den Körpercapillaren erleidet, vom Standpunkte der Percussionstheorie aus zu erfassen versuche, glaube ich noch einen Umstand zur Sprache bringen zu soUen, dessen Auf- klärung wohl nicht so bald zu erwarten ist. Schon seit einer längeren Reihe von Jahren pflegen sorgfältige Experimentatoren, wenn sie in die Lage kommen, Gasanalysen von Blutproben machen — 108 — zu müssen, welche wegen der Häufung der Operationen nicht alle gleich nach der Entnahme des Blutes aus dem Thierkörper zur Auspumpung gelangen können, in der Weise vorzugehen, dass sie jene Blutmengen, deren Evacuirung aufgeschoben werden muss, so rasch wie möglich nach dem Austritt aus der Arterie (oder Vene) deiibriniren und abkühlen, und sie dann, bis zur weiteren Bearbei- tung, vor Verdunstung, Staub u. s. w. geschützt, bei einer Tem- peratur von 0'', oder von wenigen Graden darüber, aufbewahren. Diesem Verfahren liegt aber die stillschweigende oder aus- drückliche Voraussetzung zu Grrunde, dass die am Blute ausgeführten Maassnahmen die Unveränderlichkeit der aus ihm auspumpbaren Sauerstoffquantitäten zur sicheren Folge haben, dass also in dem Augenblick, in welchem das Blut den Körper des lebenden Thieres verKess, der Zustand (zunächst wenigstens in der fraglichen Be- ziehung) sich in diesem Blute dauernd und unverändert, als ein merklich constanter festsetzte und erhält. Nach Allem, was wir bisher über die Eigenschaften der Per- cussion wissen, ist es aber nicht wahrscheinlich, dass in Folge einer solchen Behandlung der Zustand der Percussion des Blutes ein un- veränderlicher werde, sondern es spricht vielmehr Alles, was unsere Erfahrung enthält, besonders aber die bereits früher citirte Beob- achtung von Herrn Pflüger an kalten Oxyhämoglobinlösungen im Vacuum dafür, dass unter solchen Umständen die Wirkung der vor- angegangenen Percussion sehr rasch vollständig verschwindet, und aller Sauerstoff, der im arteriellen Blute als freies Gas in molecu- larer Vertheilung der Flüssigkeit beigemischt war, in chemische Verbindung mit dem Hämoglobin der rothen Blutzellen tritt , und . dass er in dieser Verbindung — nach Ablauf der ersten paar Minuten — durch lange Zeit verharre , ohne merkliche Veränderung. Soll aber dieser Sauerstoff dann einmal vom Blute wieder abgegeben werden, etwa in einer Quecksilbergaspumpe: dann muss die chemische Bindung, die ihn am Hämoglobin festhält, aufgehoben werden, durch Erhöhung der Temperatur, oder durch Percussion, durch heftiges und fortgesetztes Schütteln. Es ist vielleicht ohne Mitwirkung der Percussion der genannte Zweck überhaupt nicht ganz vollständig zu erreichen, da eine anderweitige Verwendung des Sauerstoffes unter der andauernden Einwirkung einer sehr hohen Temperatur von vornherein nicht mit Sicherheit ganz ausgeschlossen ist. Jedenfalls lässt sich aus solchem Blute eine, mit wachsender Dauer der Auf- — 100 — bewahrung des Blutes nur sehr langsam abnehmende Quantität Sauer- stoff, die der ursprünghch darin enthaltenen Menge entspricht, durch das Zusammenwirken von Vacuum und Percussion (Schütteln) gewinnen. XL Die Vorgänge in den Capillaren. Wenn nunmehr das Blut aus den kleinsten Arterien in die Capillargefässe der Organe übertritt, wird der freie Sauerstoff, den es in molecularer Vertheilung mit sich führt, in vielfache chemische Wirkungen einbezogen, welche zum Theil einen allgemeinen Cha- rakter haben, und an allen Orten des Capillarkreislaufes sich in gleicher Weise, wenn auch nicht in gleichem Maasse abspielen; zum anderen Theile aber von Organ zu Organ wechseln, und ihre spe- cifische Natur auch noch innerhalb der einzelnen Organe durch ihre Abhängigkeit vom physiologischen Zustande derselben docu- mentiren. Die Unterscheidung dieser beiden Gruppen von Vor- gängen, an denen der Sauerstoff des Capillarblutes betheiligt ist, deckt sich nur sehr unvollständig mit der Einreihung dieser selben Vorgänge in zwei Kategorien, die aus einem anderen Eintheilungs- principe hergeleitet sind; und zwar im Gegensatze zur rein logi- schen Natur des ersten Eintheilungsgrundes , aus einem physio- logischen Principe. Es lässt sich nämlich das Verhalten der Sauerstoffmolekeln danach in zwei besondere Arten unterscheiden, ob die Molekel ihre nächste Verwendung in einer incjuilinen Action findet, in einer Wirkung, deren ganzer Schauplatz inner- halb des Capillarrohres liegt, oder ob sie durch ihre nächste Be- stimmung zu einem Austreten aus diesem Rohre, einem (zeitweiligen oder definitijen) Verlassen der Blutbahn gezwungen wird. Die Percussionstheorie kennt nun einen chemischen Vorgang, bei dem der Sauerstoff des Capillarblutes eine Hauptrolle spielt, und an dem sich weit mehr als die Hälfte des Gesammtsauerstoffes im Blute betheiligt, einen Vorgang von unübersehbarer Wichtigkeit für den ganzen Organismus, durch dessen Würdigung zahlreiche unerklärliche und räthselhafte Erscheinungen ihre Begründung er-^ halten, von dem aber bisher in der Physiologie noch nicht die Rede — 110 — gewesen ist. Dieser Vorgang gehört der ersten Gruppe an, sowohl nach der einen, wie auch nach der anderen Eintheilung; er ist also ein allgemeines, und ferner ein, für die chemische Bewegung im Blute — der sämmtlichen Capiilarsysteme — charakteristisches Merk- mal, und besteht in der Wiedervereinigung des grössten Theiles des Sauerstoffes, der durch den Stoss der linken Kammerwände auf das Blut in Freiheit gesetzt worden war, mit dem Hämoglobin der rothen Blutkörperchen zu Oxyhämoglobin; wir wollen ihn mit dem Namen „inquiline Re- oxydation" bezeichnen. Dieser Wiederbindung des befreiten Sauer- stoffes hatte bis zum Beginne der Capillarbahnen der Percussions- zustand des arteriellen Blutes entgegengewirkt. Nothwendiger Weise muss dieser Zustand eine, wenn auch noch so kurze, so doch endliche Zeit brauchen, um aus dem Blute zu verschwinden, nachdem dieses die Capillarbahn betreten hat, und dem percutirenden Einfluss der Herzstösse entrückt ist. Diese kurze Zeit ist vielleicht von Wichtigkeit für den ganzen Vorgang der Grewebeathmung. Sie kommt möglicher Weise der Oxydation der Gewebsbestandtheile zu Gute, und bedeutet eine Bevorzugung der letzteren vor dem Hämoglobin, was die Aneignung des freien Blut- sauerstoffes im Beginn des Capillarkreislaufes anlangt. Aber offenbar ist die Summe von Bedingungen, die der capillare Antheil der Blutbahn dem Blute darbietet, eine ausserordentlich wirksame Veranstaltung zur Vernichtung der Percussion. Das geht schon daraus hervor, dass unter gewöhnlichen Verhältnissen das Blut selbst aus den kürzesten Capillargefässen in die Venenwurzeln in einem so sehr veränderten Zustande übertritt, in einem Zustande, in dem es fast keinen freien Sauerstoff mehr enthält (und noch keine freie Kohlensäure), wohl aber die Hälfte, bis zu zwei Dritteln, des arteriellen Sauerstoffes an Hämoglobin chemisch fixirt. Wie wirksam aber das Strömen durch enge Röhren für die Vernichtung der Percussion ist, lehrt auch die Beobachtung von Claude Bernard, dass das Blut aus den erweiterten kurzen Capil- laren der Speicheldrüse während der Secretion noch hellroth, und überhaupt ganz mit dem Ansehen des arteriellen Blutes in die Drüsenvenen, und ebenso aus diesen in ein luftdicht verschliessbares Gefäss ausströmt; und dann aber daselbst sehr viel rascher dunkel, venös wird, als gleichzeitig demselben Thiere aus einer Arterie ent- nommenes Blut, welches in jeder Hinsicht ganz analog behandelt — 111 — wurde. Mit grossem Scharfblick hat Herr C. Ludwig vor 25 Jahren die Ohnmacht der damaligen Theorie der Athmung — und diese ist auch die, heute noch ganz allgemein herrschende — gegenüber dieser Thatsache erkannt, und hat dem ein so erhebliches Gewicht beigelegt, dass er eigentlich davon Anlass nimmt, von dem weiteren Ausbau der Theorie ahzurathen ^). Die Percussioustheorie hingegen findet nicht nur nicht die ge- ringste Schwierigkeit in dem Verständniss dieser Thatsache, sondern es lässt sich mit den einfachsten Mitteln ganz direct durch den Versuch beweisen, dass eine jede, mit einem percutirbaren Gas (chemisch oder physikalisch) beladene Flüssigkeit, unter den, für die eben besprochene Beobachtung maassgebenden Bedingungen, die beobachteten Eigenschaften zeigt. Man fülle die zum Versuch bestimmte Flüssigkeit in eine gläserne Spritze, percutire sie daselbst auf eine angemessene Weise, und treibe unmittelbar nach erfolgter Erschütterung die eine Hälfte der Flüssigkeit durch ein an den Tubus der Spritze befestigtes, langes, enges, gläsernes Capillarrohr in eine zweite Spritze hinüber, die, gleich der ersten, einen verschliessbaren Tubus besitzt. Werden nun beide Tuben verschlossen, und gleichzeitig die beiden Hälften der Flüssigkeit — durch Aufziehen des Stempels, und Herstellung eines Vacuums — auf ihren Percussionszustand geprüft, so zeigt sich in derjenigen Hälfte, welche in der ersten Spritze geblieben ist, noch das Vorhandensein einer grossen Menge freien, molecular beigemischten Gases durch heftiges Aufschäumen, wenn in der anderen Hälfte entweder ein viel geringeres, oder auch gar kein merkliches Aufschäumen mehr zu gewahren ist. Hat man sich unter Beachtung der Zeitverhältnisse von diesem Unterschiede über- zeugt, so kann leicht der Versuch nunmehr so variirt werden, dass *) Carl Ludwig, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. IL Band. 2. Auflage 1861. Daselbst heisst es auf pag. 473: „ Beobachtung von „Setschenow. Diese besteht darin, dass Thiere noch Athembewegungen ,und Herzschläge erkennen lassen, wenn selbst ihr Blut vollkommen frei von , verdunstbarem 0 ist. Diese Thatsache würde unter der obigen Voraus- „setzung noch zu ganz anderen Betrachtungen Veranlassung geben über das „Verhältniss der Verwandtschaften, der Muskelstoffe und der Blutkörperchen „zu freiem Sauerstoff. Aber ein genaueres Eingehen in den Gegenstand er- „scheint nicht gerathen, solange die Beobaclitung von Bernard aufrecht „steht, dass das Blut ", — und nun folgt eben die Schilderung des, hier oben im Texte besprochenen Versuches. — 112 — er eine grössere Analogie mit der Beobachtung Claude Bernard's erhält. Man hat die Umstände eben so zu gestalten, dass nach der TJeberführung einer Hälfte der percutirten Flüssigkeit in die andere Spritze durch das Capillarrohr, beide Hälften noch eine ge- wisse Zeit hindurch in ihren Behältnissen in Ruhe gelassen werden können, bevor die Prüfung an ihnen vorgenommen wird. Was aber den oben erwähnten Versuch von Claude Bernard anlangt, so kann seine Erklärung aus der Percussionstheorie wohl keinem Zweifel unterliegen. Selbst wenn die eben besprochene Wirkung der Passage percutirter Flüssigkeiten durch Bahnen von capillarer Enge auf ihren Molecularzustand ganz ausser Betracht gelassen wird, ist die Beobachtung des berühmten französischen Physiologen eigentlich selbstverständlich. Man darf nur nicht ver- gessen, dass hellrothes Blut, welches aus den Venen einer secerni- renden Speicheldrüse, gleichzeitig mit arteriellem Blut aus der Ca- rotis, aufgefangen wurde, doch keineswegs gleichzeitig mit diesem aus dem linken Ventrikel ausgetreten ist; dass ferner eine bestimmte absolute Zeit verstrichen sein muss, ehe arterielles Aortenblut venös wird, dunkelt. Für gewöhnlich ist die Zeit, die das Blut in, was immer für einem Capillarsysteme zubringt, bevor es die Venen er- reicht, hinlänglich gross, um ihm eben das venöse Ansehen zu ver- schaffen. Nun ist es doch nicht schwer, sich eine allmälige Ver- kürzung, Erweiterung der Capillarbahn in einem bestimmten Organe, zumal in einem, besonders nahe am Aortenstamm gelegenen Organe vorzustellen, die endlich ein solches Maass erreicht, dass das Blut gerade etwas weniger Zeit braucht, um durch dieses Capillar System in die Venen des Organes überzutreten, als es braucht, um den venösen Charakter anzunehmen. Solches Blut wird natürlich noch arteriell aus den durchschnittenen Venen ausfliessen, und wird unmittelbar — oder sehr bald — danach, das venöse Aussehen annehmen müssen; viel früher jedenfalls, als Blut, welches überhaupt noch nicht bis zu einem Capillarsysteme vorgerückt ist — geschweige denn: durch ein solches, wenn auch noch so breites, durchgetreten ist. Ich kann mir's nicht versagen, hier nochmals auf die vor- treffliche Uebereinstimmung der eben erörterten Verhältnisse in der secernirenden Speicheldrüse mit den Ergebnissen der Forschung des Herrn E. Pflüger ^) über die Gase der Secrete hinzuweisen. Die ') 1. c. — 113 — von Herrn Pflüger entdeckte Thatsache, class der Speichel 5 — Gmal so viel freien Sauerstoff enthält, wie die übrigen Drüsensäfte, wurde bereits oben ^) als ein Argument zur Unterstützung der Percussions- theorie verwerthet. Hierbei wurde aber das Hauptgewicht auf die ana- tomische Lage dieser Drüsen, und die hieraus folgende Beschaffen- heit des, sie versorgenden Blutes gelegt; während anderer Momeute, die gleichfalls von Wichtigkeit sind für das Verständniss dieser Thatsache, dort bloss ganz flüchtige Erwähnung geschah. Ab- gesehen also von den, aus der anatomischen Lage der Speicheldrüsen abgeleiteten Einflüssen wären noch die folgenden als maassgebend für den Gehalt des Speichels an freiem Sauerstoff zu betrachten. Das Blut tritt im Allgemeinen als arterielles in die Organe ein, und verlässt sie als venöses. Nur aus den secernirenden Spei- cheldrüsen tritt das Blut noch als arterielles aus. Setzen wir also den Sauerstoffgehalt des arteriellen Blutes gleich Eins, so ist im Allgemeinen dem Drüsen-Gewebe und -Secrete ein Blut zum diffu- sorischen Verkehr angeboten, welches die Drüsen mit dem Sauer- stoffgehalt 1 betritt, und sie mit dem Sauerstoffgehalt ^/s verlässt. Daraus, dass die Diffusion in den Speicheldrüsen gegen ein Blut stattfindet, dessen Sauerstoffgehalt nicht durch die Zahlen 1 und ^/a begrenzt ist, sondern durch die Zahl 1 und eine zweite Zahl, die — wenn auch nicht ganz gleich — so doch beinahe gleich 1 ist, und jedenfalls viel grösser , als ^/s , Hesse sich schon ein Ueber- wiegen des Sauerstoffgehaltes im Speichel, gegenüber allen anderen Secreten, verstehen; wenn auch diese Betrachtung nicht zur Er- klärung eines so grossen Unterschiedes, wie er in Wirklichkeit besteht, ausreichen würde. Hierzu ist sie aber auch gar nicht berufen. Denn nach unserer Anschauungsweise kommt für den diffusorischen Verkehr mit den Geweben und Säften des Körpers nur der freie Sauerstoff des Blutes in Betracht. Von diesem Standpunkte aus erscheint das Blut in den übrigen Drüsen am Eintritt mit einer Zahl 1 , am Austritt jedoch mit der Zahl Null, oder einer, nur wenig von 0 verschiedenen Zahl, für seinen Gehalt an diffundirbarem Sauer- stoff. In den Speicheldrüsen hingegen finden wir, statt der Zahlen 1 und 0, die Zahlen 1 und 1 (oder nahezu 1) als bezeichnend für die Grenzen des Sauerstoffgehaltes des, sie durchströmenden Blutes. ') Siehe oben, pag. 39 u. 40. Fleischl v. Marxow, Bedeutung (Ich Herzschlages. _ 114 _ Bei der Geschwindigkeit, mit der das Blut durch eine, in Secretion begriffene Speicheldrüse strömt, liegt keine Schwierigkeit in der Vorstellung, dass auf der einen Seite — an das Secret — ■ eine auffallend grosse Menge freien Sauerstoffes abgegeben wird, und doch, auf der anderen Seite — in die Speichelvenen — ein Blut austritt, welches sich ebenfalls durch seinen abnorm hohen Sauerstoffgehalt auszeichnet. Man könnte sich sogar fragen, wess- halb unter solchen Verhältnissen der Sauerstoffgehalt des Speichels nicht noch bei weitem grösser ist, als er in Wirklichkeit gefunden wird. Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass ja der diffusorische Verkehr zwischen Blut und Secret kein directer ist, sondern beide Flüssigkeiten, ausser durch die Capillargefässwand noch durch Theile des Drüsengewebes, hauptsächlich durch die Enchymzellen selbst, von einander getrennt sind. Wenn nun auch in unmittelbarster Nähe der Blutwege in den secernirenden Speicheldrüsen eine Sätti- gung mit Sauerstoff, eine Apnoe des Gewebes besteht, so muss doch jede Sauerstoffmolekel, welche im secernirten Speichel gelöst vor- gefunden wird, ehe sie dahin gelangte, den vielen Gelegenheiten zur Bindung an oxydable Stoffe entgangen sein, welche sich ihr auf dem Wege vom Blut in den Speichel darbieten. Ueberhaupt sind die Bedingungen, welche die Diffusion im Allgemeinen, und die des Sauerstoffes insbesondere, zwischen Blut und Secret in den Drüsen beherrschen, viel zu unvollkommen ge- kannt, als dass sich von vornherein irgend etwas über die Menge freien Sauerstoffes aussagen Hesse, die man unter bestimmten Ver- hältnissen in einem Drüsensecrete zu erwarten hat. Nur so viel folgt aus den Grundsätzen der Percussionstheorie, dass die Flüssigkeit, aus der heraus die Diffusion des Sauerstoffes stattfindet, sehr verschieden reich an Sauerstoff ist in den Speichel- drüsen einerseits, und in allen übrigen Drüsen anderseits. Einer so eingreifenden Verschiedenheit der Bedingungen mag schon ein sehr beträchtlicher Unterschied in den Ergebnissen ent- sprechen. Die von Herrn Pflüg er nachgewiesenen Thatsachen begreifen sich von diesem Standpunkte aus ganz leicht ^). Niemand 0 Jedenfalls leichter, als sich die, von Herrn Pflüger, zum Behufe einer Erklärung der von ihm entdeckten Thatsache, gemachten Voraus- setzungen begreifen lassen. Wenngleich dieser Forscher bei der Discussion eben dieser neuen Funde durch seine Speculationen auf die Vermuthung — 115 — wird etwas anderes erwarten, als dass ein Diffusat, ein Secret, dessen Mutterflüssigkeit allerwärts grosse Mengen freien, molecular ver- theilten Sauerstofi's enthält, wie sie eben erforderlich, sind, um dem Blute für unser Auge den arteriellen Charakter zu ertheilen — dass nicht nur, sondern vielmehr zu der bestimmt ausgesprochenen Ueberzeugung gebracht wurde, von der Gegenwart einer ausserordentlich grossen Menge von Sauerstoffgas im Blutplasma, nämlich einer, die absorbirbare Menge mehr als zweifach (unter den obwaltenden Umständen) übertreffenden Quan- tität dieses Gases, so hindert diess doch nicht, dass der genannte Autor in derselben Speculation zur Annahme gelangt, es werde eigentlich vom Blute in allen Drüsen eine gleiche, und zwar sehr erhebliche Sauerstoffmenge mit dem Secrete, oder an dieses abgegeben, doch besässen die Drüsenepithelien die Eigenschaft, den Sauerstoff fortwährend an sich zu binden, ihn zu ,con- sumiren", so dass das aus ihnen wieder austretende Secret nur mehr „Spuren" dieses Gases gelöst enthält, es sei denn, dass, wie eben für den Speichel angenommen wird, das Durchtreten des Secretes so rasch erfolgt, dass die Epithelien nicht Zeit finden, allen Sauerstoff zu consumiren. Unter äusserst bescheidenen Voraussetzungen führt diese Vorstellung alsbald zu der Forde- rung an die Epithelialgebilde rascher secernirender Drüsen (Niere, Milchdrüse in der Lactation), täglich mehr als ihr eigenes Volumen an Sauerstoff zu consumiren. Welche Substanz wäre geeignet, einer solchen Forderung zu genügen? Und dann wäre doch die Nothwendigkeit gar nicht zu bestreiten, den solchermaassen mit der Zeit sich anhäufenden Sauerstoff in diesen Ge- bilden nachzuweisen, oder doch die Wege anzuzeigen, auf denen er sich wieder aas den Epithelzellen entfernt ! Uebrigens darf ich auch nicht unterlassen — ohne dass ich damit die Bedeutung jener von Herrn Pflüger ausgesprochenen Behauptung autasten wollte — den Umstand hervorzuheben, dass seine ganze, von dieser An- schauung ausgehende Respirationstheorie — abgesehen von anderen Be- denken — mit der ferneren Voraussetzung, die sie zu machen gezwungen ist, dass nämlich das Blut der Lungencapillaren kälter sei, als das aller Körpercapillaren, so unweigerlich verknüpft ist, dass man wohl sagen darf: sie stehe zwar noch keineswegs fest, wenn diese Prämisse zu Recht besteht, falle aber, sobald diese fällt. Denn dann bliebe kein, mit dem Wesen dieser ganzen Anschauungsweise vereinbarer Grund übrig, auf welchen sich ein Verständniss der fundamentalen Thatsache stützen konnte, dass in den Lungen- capillaren Sauerstoff an Hämoglobin gebunden wird. Kun geht aber schon aus den, von Herrn Heidenhain vorgenommenen Messungen ganz unzweifelhaft hervor, dass das Blut auf seinem Wege durch den Körper- und Lungenkreislauf keineswegs in den Lungencapillaren auf dem Minimum seiner Temperatur anlangt; und jene, IVüiier ausführlich be- sprochenen Versuclie desselben Forschers, in denen er den Tliieren, eine über 40" erwärmte, mit Feuchtigkeit gesättigte Luft in die Lungen gelangen Hess, bezeugen ebenfalls die Thatsache, dass die Sauerstoffaufnahrae ins Blut nicht — 116 - ein solches Secret ebenfalls unvergleichlich mehr freien Sauerstoff enthält, als jedes andere, dessen Mutterflüssigkeit nur an dem einen Ende der Bahn jenen Charakter aufweist, den die ersterwähnte an allen Punkten der Bahn, und auch an deren anderem Ende besitzt, Avährend jene zweite Stammflüssigkeit das Ausflussende der Diffu- sionsbahn mit den Anzeichen völligen Mangels von freiem Sauer- stoff erreicht. Hiermit sind wir aber bei einer Frage angelangt, deren directe Beantwortung gewiss nur die Errungenschaft zahlreicher und schwieriger Specialuntersuchungen sein wird, die jedoch schon jetzt zu einigen Betrachtungen Anlass gibt. Diese Frage lautet: Ist denn in der That jedes dunkle Blut, das ein ent- schieden venöses Aussehen hat, gänzlich baar allen freien Sauer- stoffes? Oder vollzieht sich nicht vielmehr in den Capillarsyste- men des grossen Kreislaufes nur ein überwiegender Antheil der Wiederbindung des Sauerstoffes an das Hämoglobin, und setzt auf einer geringen Höhe der Bluttemperatur in den Lungengefässen beruht. Endlich lässt sich nicht bestreiten, dass aus den zahlreichen, in der Litteratur enthaltenen Angaben, denen zu Folge Menschen und Thiere viele Minuten lang in feuchten und trockenen Räumen, deren Temperatur weit über der höchsten Bluttemperatur, ja bei 70", 80° und selbst über 100° lag, verweilen konnten, mit aller Bestimmtheit folgt: dass die von Herrn Pflüger ver- tretene Ansicht nicht haltbar ist, welche den Grund für die Sauerstoffauf- nahme ins Lungenblut, und für die Sauerstoffabgabe aus dem Körperblute in der Verschiedenheit der Temperatur beider Blutarten findet, oder doch den Temperaturverhältnissen im Blute hierfür jene besondere Art von Bedeu- tung beimisst, welche ihnen eben Herr Pflüg er auf pag. 177 des II. Bandes seines Archives zuschreibt. Es scheint mir nicht überflüssig, durch eine directe Erklärung und Präcisirung meines Standpunktes, jedem Missverständnisse der Beweggründe vorzubeugen, die mich zu dieser Bekämpfung der, von Herrn Pflüger entworfenen Theorie veranlassen. Man könnte es ja vielleicht, angesichts der mehrfach hervorgehobenen Uebereinstimmung zwischen seiner und meiner Anschauung, befremdlich finden, dass ich nicht die von Herrn Pflüg er aufgestellte Theorie weitergeführt und ausgebaut habe, sondern eine davon ganz unabhängige und neue Theorie aufgestellt habe, oder auf- gestellt zu haben behaupte; man könnte diess als einen Verstoss gegen den, von mir selbst in der Anmerkung auf pag. 97 vertretenen Grundsatz bezeichnen, wenn ich nicht den Nachweis führe, dass die Anschauung Herrn Pflüger's von der meinigen toto coelo verschieden ist. Für den Kenner dürfte dieser Nachweis in den soeben vorgebrachten Bemerkungen enthalten sein. — 117 — sich dann dieser Process während des Fliessens in den Venen weiter fort? Ich werde sogleich meine Gründe vorbringen, die mir mit grosser Entschiedenheit dafür zu sprechen scheinen, dass die erste von diesen beiden Fragen mit „Nein", die zweite mit „Ja" zu be- antworten sei. Ich bin sogar der Meinung, dass man unbedenklich dieser Antwort noch die weitere Behauptung beifügen dürfe: es seien die quantitativen Beziehungen des in Rede stehenden Vor- ganges von Organ zu Organ ausserordentlich variable, und diese Beziehungen seien ferner auch nicht einmal für ein bestimmtes, individuelles Organ feste , sondern, den jeweiligen physiologischen Bedingungen entsprechend, für jedes einzelne Organ der Zeit nach sehr schwankende. Es ist nämlich nicht leicht möglich, sich mit der Vorstellung zu befreunden, die Capillarbahn sei im Allgemeinen um so Vieles länger, als nöthig wäre, um die ganze, nicht in's Gewebe austretende, sondern im Blute verbleibende Menge freien Sauerstoffes jedenfalls noch während des Fliessens in Capillargefässen zur Wiederbindung an Hämoglobin gelangen zu lassen, dass dieser wichtige Vorgang sogar im ungünstigsten Falle, also bei der grössten erreichbaren Strömungsgeschwindigkeit auch noch in den kürzesten Capillaren sich völlig abgespielt haben müsse. Ja, ich stehe nicht an, diese Vorstellung als geradezu unhaltbar zu bezeichnen. Da sie mit allen ihren Elementen und Prämissen gänzlich in dem Boden der Percus- sionstheorie wurzelt, so kann sie natürlich auch nur vom Standpunkte dieser Theorie aus beurtheilt werden. Versucht man aber, sich in diesem Sinne näher mit der eben definirten Vorstellung zu beschäf- tigen, so wird man alsbald mit Nothwendigkeit auf eine Anschauungs- weise geführt, die kaum mit der Auffassung irgend eines Physio- logen in Einklang zu bringen sein dürfte. Sind nämlich schon die kürzesten Capillaren so lang, wie eben besprochen wurde, dann werden sie in allen Fällen einer irgend untermaximalen Stromgeschwindigkeit — alle anderen Capillaren, die nicht kürzeste sind, aber werden schlechthin, unter allen Um- ständen, folgender Eintheilung sich unterwerfen müssen. Es wird an jeder solchen, im Allgemeinen also: überhaujit an jeder Capillare einen ersten, der Arterie zunächst liegenden, und einen zweiten Abschnitt geben, welcher durch den Kesfc der Länge bis zum Be- ginn der Vene gebildet wird. Die Grenze zwischen diesen beiden — 118 — Abschnitten ist nicht durch ein anatomisches, sondern durch ein physiologisches Merkmal bestimmt. Der erste Abschnitt jeder capillaren Blutbahn wird sich eben so weit von der Arterie aus erstrecken, als freier Sauerstoff molecular dem Blute beigemischt ist. Von dem Querschnitte der Bahn, in welchem die letzte freie Sauer- stofimolekel an Hämoglobin wiedergebunden wurde, ist der zweite Abschnitt zu rechnen. In jedem solchen zweiten Abschnitte fliesst also nur Blut, das überhaupt gar keinen freien Sauerstoff enthält: denn so lange solcher im Blute vorhanden ist, wird er in irgend einem Verhältnisse zwischen Hämoglobin und Grewebe vertheilt — wenn also kein Sauerstoff mehr zur Bindung an Hämoglobin vorhanden ist: dann ist überhaupt kein freier Sauerstoff mehr im Blute, und folglich auch kein für die Gewebe verfügbarer vorhanden. Der bereits an Hämoglobin gebundene Sauerstoff ist aber, nach der ersten Voraussetzung der ganzen Theorie, für die Gewebe so gut wie gar nicht vorhanden. So gewinnen also die beiden Abschnitte jeder Capillare für uns die Bedeutung, dass nur die ersten Abschnitte das sie umgebende Gewebe mit Sauerstoff zu versorgen fähig sind — die zweiten Abschnitte mögen Kohlensäure aufnehmen, und auch sonst noch mancherlei nützliche Dinge am Gewebe verrichten: eine „innere Athmung" können sie ihm nicht bieten, noch ersetzen. Da aber — wie eine sehr einfache Ueberlegung ergibt — stets die- selben, und zwar gar nicht unansehnliche Gewebsparthien bei einer solchen Einrichtung des Circulationsapparates von der Versorgung mit Sauerstoff ausgeschlossen blieben, so wären nach Allem, was wir über die Lebens-Bedürfnisse und -Bedingungen der Parenchyme wissen, solche Verhältnisse, wie sie aus dieser Voraussetzung folgen würden, nicht geeignet, den Bestand und die Function der Organe zu unterhalten. Der Vortheil der obigen Erörterung soll mm nicht bloss darin bestehen, dass wir durch sie vom Nachtheil überzeugt werden, welchen die besprochene Anordnung mit sich führen würde. Es wird vielmehr nur gewisser Aenderungen bedürfen, um mittels eines, dem obigen ganz analogen Gedankenganges zur Vorstellung von einer Einrichtung zu gelangen, die — wie die eben von uns verworfene Ansicht, der ersten — so der zweiten von den beiden früher vorgelegten Fragen, jener, die wir mit „Ja" beantworten, entspricht. Im soeben abgehandelten Fall war „selbst die kürzeste — 119 — Capillare zu lang", als dass sich der Vorgang der Wiederbindung des Sauerstoffes au das Hämoglobin bis an ihr venöses Ende hätte fortschleppen können. Diess war gleichbedeutend mit einer Garantie gegen das Vorkommen der „inquilinen Reoxydation des Blutes" in den Venen. Jetzt betrachten wir den entgegengesetzten Fall. Unter der extremen Voraussetzung der geringsten Strömungsgeschwindigkeit des Blutes sei also „selbst die längste Capillare noch zu kurz", als dass in ihr die ganze Percussion des arteriellen Blutes verloren werden könnte — oder mit anderen Worten: zu kurz, als dass der Sauerstoff, welcher dem Blute beim Betreten der Capillare molecular beigemischt war, beim Austreten aus ihr gänzlich in chemische Verbindungen übergegangen sein könnte, wenn ihm hier- für eben nur die, in Wirklichkeit vorhandenen Gelegenheiten geboten sind. Eine unmittelbare Folge dieser Veranstaltung ist natürlich die Gegenwart irgend einer Quantität molecular beigemischten Sauerstoffes in allem Blute, welches aus der capillaren Bahn in die venöse übertritt. Soll die Vorkehrung diesem Zwecke auch bei der geringsten, im normalen Zustande des Organismus vorkommenden Stromge- schwindigkeit genügen: so wird sie bei jeder anderen, supramini- malen Geschwindigkeit des Blutstromes in derselben Bahn ein Fort- bestehen der letzten Reste von Percussion, eine Anwesenheit freien, molecular dem Blute beigemengten Sauerstoffes, auch im venösen Systeme, nothweudig bedingen. Und wegen der bekannten, sehr erheblichen Einengung des Strombettes beim Uebergang vom capil- laren zum venösen Antheile eines jeden einzelnen Gefässbezirkes ; und wegen der davon herrührenden, viel grösseren Geschwindigkeit der Blutbewegung, die im Venensysteme, gegenüber dem der Haar- gefässe, herrscht, dürfte die Ueberführung der letzten Spuren von Sauerstoff aus dem freien Zustande in jenen der chemi- schen Bindung an Hämoglobin ihren Schauplatz nicht allzuweit entfernt von der Einmündung der Hohlvenen in den rechten Vorhof haben. Freilich ist diess einstweilen nicht mehr, als eine blosse Vermuthung, für die ich aber, ausser dem eben vorgebrachten, noch einen anderen Umstand geltend machen möchte. Derselbe liegt wieder in den Temperaturverhältnissen der verschiedenen Blutarten. Da zwischen dem Uebergang der Arterien in Capillaren einer- — 120 — seits, und dem der Hohlvenen in den rechten Vorhof anderseits, die Reoxydation von ungefähr zwei Dritteln des, im Blute enthaltenen Hämoglobins stattfindet, und da dieser chemische Process, vrie v^ir früher bereits gesehen haben, mit einer sehr merklichen, positiven Wärmetönung einhergeht, so versteht es sich von selbst, dass das Blut wesentlich wärmer wieder in's Herz zurückkehrt, als es dasselbe verlassen hatte. Leider müssen wir uns vorderhand bei der Berücksichtigung dieses einen, allerdings maassgebenden, aber sicherlich nicht ein- zigen Factors, nämlich der Wärmetönung, die von der Oxydation des Hämoglobins in der Lunge, und im Capillar- und Venensystem, sowie (negativ) von der Percussion des Oxyhämoglobins im linken Ventrikel herrührt, bescheiden. Wenn wir auch an der Existenz und Mitwirkung anderer Wärmetönungen nicht zweifeln, so fehlt uns doch jeder Anhaltspunkt für eine Abschätzung und Einbeziehung derselben in die Betrachtung. Von den vielen specifischen Pro- cessen, an denen sich das Blut in den verschiedenen drüsigen Organen betheiligt, gar nicht zu sprechen: gebricht es uns einstweilen sogar noch an den einfachen Requisiten für eine Würdigung des Wärme- werthes der allgemeinen Vorgänge im Blute, wie z. B. : an den Mitteln, um die Abgabe des freien Sauerstoffes an die Organe, oder die Aufnahme der freien Kohlensäure in's Blut mit in Rechnung zu ziehen, bei der Beurtheilung der Temperaturdiflferenz zwischen rechtem und linkem Herzblute. Ja! Es steht noch weit schlimmer! Nicht einmal den Wärmewerth der Kohlensäurepercussion im rechten Ventrikel können wir in Abzug bringen, von der positiven W.T., welche von der inquilinen Reoxydation des daselbst an- langenden Blutes herrührt, und deren Betrag wir ja nicht als solchen, sondern vermindert um den jener W.T. beobachten, die von der Entbindung der Kohlensäure aus ihrem gelösten Zustande abstammt. Immerhin brauchen wir in dieser Sache nicht völlig zu ver- zweifeln; sondern ich glaube, es lässt sich wenigstens über das Verhältniss, in welchem die Grössenordnungen gewisser Wärme- wirkungen zu einander stehen, schon jetzt eine Ansicht gewinnen. Die Gründe, welche sich für dieselbe darbieten, scheinen mir einem vollständigen Beweise mindestens sehr nahe zu kommen. Diese Ansicht hat den Inhalt, die W.T. der CO2 -Entbindung sei neben den, in erster Linie in Betracht kommenden Wärme- — 121 — tönungen, die vom Sauerstoff herrühren, zu vernachlässi- gen. Wenn nämlich neben der — von Vornherein nicht ausser Acht zu lassenden — unmittelbaren, positiven Wärniewirkung des Stosses des rechten Ventrikels, die negative W.T. der, von diesem Stosse eingeleiteten und bedingten CO2 -Entbindung merklich in Betracht käme, so wäre doch gewiss zu erwarten, dass das Blut des rechten Ventrikels etwas kälter wäre, als das des rechten Vorhofes. Doch ist von einem solchen Verhalten bisher, bei allen mir bekannt ge- wordenen, vergleichenden Messungen, nichts bemerkt worden; im Gegentheile : es hat sich stets ein kleiner Temperaturunterschied zu Gunsten der Kammer gezeigt. Woher diese Erscheinung rührt, das kann ich an dieser Stelle noch nicht, und überhaupt nur ver- muthungsweise angeben. Doch darf aus dem Umstände, dass sich die Percussion des venösen Blutes ohne unmittelbar wahrnehmbare Temperaturerniedrigung vollzieht, wohl mit Recht auf einen sehr geringen Wärmewerth der Entbindung der Kohlensäure aus dem Zustande der echten Lösung geschlossen werden, auf eine Wärme- tönung, die eben zu gering ist, als dass sie neben den übrigen, gleichzeitig wirkenden Beeinflussungen der Bluttemperatur zum deutlichen Ausdruck gelangen könnte. Wichtiger als diess scheint es mir zu sein, dass aus denselben Beobachtungen der Schluss auf ein Unterbleiben der Sauer- stoffpercussion im rechten Ventrikel zu ziehen ist. Ich habe diese Frage früher wohl, schon berührt i), habe sie jedoch offen gelassen. Hier scheint mir nun der Ort zu sein, näher auf ihre Beantwortung einzugehen. Folgende zwei Momente sind es, die für mich die Gründe abgeben, um aus dem Umstände, dass das Kammerblut des rechten Herzens nicht kälter gefunden wird, als sein Vorkammerblut, den Schluss zu ziehen, dass der Stoss des rechten Ventrikels nicht ausreicht zur Zerlegung des Oxyhämoglo- bins. Erstens: die grosse Quantität von Oxyhämoglobin, welche das Blut des rechten Herzens enthält, und zweitens: die deutliche Temperaturdifferenz, welche zwischen dem Blut der linken Kammer, und dem der Aorta besteht. Da nämlich die zu percutirende Quan- tität Oxyhämoglobins nur um V3 kleiner wäre, als die, in der linken Kammer thatsächlich percutirte, und da wir aus den Beobachtungen über die Temperatur des linken Herz- und des Aortablutes die Grösse ') Siehe pag. 80. — 122 — des Effectes einer solchen Percussion im rechten Herzen abschätzen können ; und ferner auch 'wissen, welchen Antheil dieses Effectes wir etwa in der Kammer selbst, als Erniedrigung der Durchschnitts- temperatur wahrzunehmen erwarten dürften, so zwingt uns das Er- gebniss der Messung und Vergleichung der Temperaturen in beiden Räumen des rechten Herzens zu dem Schlüsse, dass die Percussion, welche das Blut in der Kammer desselben erfährt, sich mit ihrer Wirkung nicht auf das Oxyhämoglobin erstreckt, sondern auf die Kohlensäure beschränkt bleibt. Für den Fall, dass in der rechten Kammer constant eine etwas niedrigere Temperatur zu beobachten wäre, als im Vorhof, wäre es nicht so leicht, dieser Thatsache eine sichere, eindeutige Inter- pretation zu geben. Man wäre in Verlegenheit, welcher der beiden Percussionswirkungen man diese Differenz zuschreiben, oder wie man jeder von beiden ihren Antheil daran zuerkennen sollte. Denn theoretisch sind wir nicht in der Lage, mehr als die eine Annahme für völlig sicher zu halten: dass sowohl die Befreiung des Sauer- stoffes aus der chemischen Bindung, als auch die der Kohlensäure aus der Lösung, eine negative Wärmetönung habe. — Bei dem wirklichen Sachverhalte sind wir insoferne berechtigt, etwas weiter zu gehen, als wir eben in diesem Falle, von der Nichtmerkbarkeit einer negativen Wärmetönung, auf die Beschränkung ihrer Prove- nienz auf Kohlensäurepercussion schliessen dürfen. Denn wir wissen, dass, wenn eine Percussion des Sauerstoffes im rechten Herzen überhaupt stattfände, die von ihr herrührende W.T. jedenfalls bemerkbar wäre. Diese ganze Auffassung erhält übrigens noch eine weitere Stütze durch folgende Betrachtung. Es lässt sich die Percussion des Oxyhämoglobins im rechten Ventrikel auch dadurch ausschliessen, dass sich beweisen lässt: fände eine solche Percussion statt, dann könnte auch das Blut des linken Ventrikels nicht kälter sein, als das des rechten. Dieser Beweis ist einfach. Das Blut käme mit irgend einer Temperatur in der rechten Kammer an. Daselbst würde nun im Blute eine niedrigere Temperatur, als die des anlan- genden Blutes war, gemessen werden : ein Durchschnitt, entsprechend dem Verhältniss der Zeittheile, während welcher percutirtes und nichtpercutirtes Blut die Kammer erfüllt. Das percutirte Blut wäre abgekühlt, entsprechend der negativen W.T. von ^/s des Gesammthämogiobins, welche ja als Oxyhämoglobin im venösen Blute — 123 — vorhanden sind, und, nach der Annahme, der Dissociation des Sauer- stoflFes durch die Percussion der rechten Kammer unterhegen sollen. Dieses Blut Avürde dann in den Lungen, nicht wie unsere Theorie behauptet, einer Oxydation von ^^3 seines Gesammthämoglobins, sondern der Oxydation seines gesammten Hämogiobines unterworfen, und demnach, entsprechend einer dreimal so grossen W.T., als wir der Lunge zuschreiben, erwärmt. Im linken Ventrikel würde dann wieder, ganz so wie unsere Lehre es annimmt, eine negative W.T., entsprechend der Dissociation des Gesammthämoglobins, eintreten. Diese negative W.T. hätte somit denselben absoluten Werth, wie die positive in der Lunge. Die Temperatur des Blutes in der Aorta wäre folglich dann gleich der des Blutes in der Pulmonalarterie ; die Durchschnittstemperatur in der linken Kammer aber wäre sogar höher, als die in der rechten — wie eine einfache Ueberlegung, oder auch folgende, schematische Rechnung ergibt. Wir wollen annehmen, das Blut werde durch Oxydation seines Gesammthämoglobins um 1^ erwärmt. Es habe beim Eintritt in's rechte Herz die Temperatur 39 ^/s ". Ferner mag die Zeit vom Beginn der Systole bis zur völligen Entleerung der Ventrikel ^/s der ganzen Herzperiode betragen, und der Einfachheit halber die Herzpause zur Diastole gerechnet werden, bei der Ermittelung der Durchschnittstemperaturen. Der rechte Ventrikel wird dann eine Thermometerablesung ergeben von: (^/a X 39^/3*^) + (Vs X 39'') ^= 39'*, 9". In der Lungenarterie herrscht eine Temperatur von 39'^, dieselbe steigt während des Fliessens des Blutes durch die Lunge auf eine Höhe von 40*^; der Betrag für den linken Ventrikel berechnet sich hieraus zu (2/3 x 40'') + (1/3 X 39") = 39 "/o"; erst in der Aorta würde sich der reine Werth der Percussion, die im linken Ventrikel stattgefunden hatte, durch die Abkühlung des Lungen- oder Lungenvenen-Blutes um einen ganzen Grad, von 40'' auf 39'', ausdrücken; und durch Reoxydation von zwei Dritteln des Hämo- globins während des grossen Kreislaufes würde das Blut bei seinem Eintritt in's rechte Herz wieder die Temperatur von 39^/3" erreichen, von der wir ausgegangen sind. Da also aus der Annahme einer Percussion des Oxyhämoglo- bins im rechten Herzen eine höhere Temperatur des Blutes im linken, als im rechten Ventrikel folgen würde; hingegen aus der Annahme, dass die Percussion des rechten Herzens sich nicht auf das Oxyhämoglobin erstrecke, im rechten Herzen eine höhere Tem- — 124 — peratur, als im linken folgt ; und da alle genauen und verlässliclien Forscher darüber einig sind, dass das letztere Verhältniss das in Wirklichkeit vorhandene ist; so glaube ich mit Recht diese Frage als beantwortet ansehen zu dürfen, und reihe sie somit den anderen hier erörterten Problemen an, welche ihre Erledigung durch die Beobachtung oder das Experiment bereits gefunden haben, lange bevor sie zum ersten Male zur Sprache gebracht wurden. XII. Die Vorgänge in den Venen. Nach dieser Digression kann ich mich nunmehr an die Dar- legung jenes Gedankenganges begeben, aus welchem ein Argument zu der Frage abgeleitet werden sollte, wie weit in das venöse Ge- biet hinein sich der Vorgang der inquilinen Reoxydation mit seinen letzten Antheilen erstreckt. Nicht ohne guten Grund habe ich die obige Erörterung der Temperaturverhältnisse im rechten Herzen vorangeschickt. Ohne ihre Beihülfe wäre die Vermuthung, die ich auszusprechen im Begriffe bin, gewiss unzulänglich gerechtfertigt. Wenn wir die Reoxydation des Hämoglobins im grossen Kreis- laufe als eine Function der Zeit betrachten, die seit dem Momente der Percussion verstrichen ist, so wird — wegen der, mit der Sauer- stoffbindung einhergehenden positiven Wärmetönung — auch die Temperatur des Blutes eine Function dieser Zeit sein; und wegen der grossen Differenzen in der Länge, Anzahl, Anordnung der Capillaren in den einzelnen Organen, wegen der Verschiedenheit der Entfaltung verschiedener Arterien nach ihrem Eintritte in's Paren- chym, wird das Blut beim Austritte aus den einzelnen Parenchymen und Organen um sehr verschiedene Zeiten und Räume vom Augen- blick und vom Orte seiner Percussion entfernt sein, und wird schon desshalb — abgesehen von den specifischen Vorgängen, an denen es sich betheiligt — mit sehr verschiedenen Temperaturen in den Haupt venenstämmen anlangen. Wir wissen äusserst wenig über die Geschwindigkeit, mit welcher in Folge einer chemischen Umsetzung (die natürlich mit irgend einer Wärmetönung einhergeht) die entsprechende Tempe- — 125 — raturänderung eintritt. Aber dass überhaupt eine endliclie Zeit verstreichen müsse, bis die Molekeln die der neuen Temperatur entsprechende, oder vielmehr: die sie bedingende Geschwindigkeit angenommen haben — daran kann gar kein Zweifel bestehen. An diese Verzögerung des manifesten Eintretens oder Auftretens der Temperaturänderung in Folge einer chemischen Wirkung wird man vielleicht in den uns hier interessirenden Fällen auch zu denken haben bei der Analyse gewisser Erscheinungen. So dürfte vielleicht die ganz allgemein behauptete, besonders hohe Temperatur des Leberparenchyms und des Lebervenenblutes — zum Theile wenigstens — mit der erwähnten Verzögerung zusammen- hängen; insoferne der ganze Betrag der, innerhalb eines Capillar- systemes erfolgten inquilinen Reoxydation nicht schon innerhalb desselben mit seiner Wirkung auf die Bluttemperatur zum vollen Ausdrucke gelangen, sondern diess vielleicht erst so weit hinterhalb des betreflFenden Organes erfolgen könnte, dass an der Stelle der venösen Bahn, an welcher diess der Fall wäre, das betrachtete Blut nicht melir isolirt, sondern mit kälterem Blute, wie es z. B. aus den, der Peripherie nahe gelegenen Netzen zurückkehrt, vermischt dahinströmt. In einem solchen Falle wird natürlich das Maximum der Temperatur, welches von jenem Blute erreicht worden wäre, überhaupt nicht erreicht werden. Völlig anders sind aber die Bedingungen, unter denen die thermischen Begleiterscheinungen des Reoxydationsprocesses im Pfortadersysteme ablaufen! Wenn das Blut aus den, vor allem Wärmeverlust nach Aussen wohlgeschützten Organen : Milz, Magen- und Darmwand zurückkehrt, bevor es die Temperatur erreicht hat, die der Reoxydation von etwa zwei Dritteln seines Hämoglobines entspricht, so findet es doch gewiss die, für eine etwa zu vervoll- ständigende Bindung des freien Sauerstoffes, der noch nicht bis auf den letzten Rest in den Capillaren gebunden wurde, nöthige Zeit während seines Aufenthaltes in der Pfortader, und findet ganz be- stimmt bis zum Eintritt in die Lebervenen alle erforderliche Zeit zur Entwickelung der Temperatur, welche dieser ganzen positiven W.T. entspricht. Wir brauchen somit weder auf eine besondere Wärmequelle, etwa in Form einer specifischen chemischen Umsetzung mit grosser positiver Wärmetönung, in der Leber zu fahnden ; noch haben wir irgend Anlass zu der Voraussetzung, es bedürfe das percutirte Arterienblut so viel Zeit zur inquilinen Reoxydation, dass — 126 — sich dieser Process vollständig nur während der Passage durch zwei hintereinandergeschaltete Capillarb ahnen abspielen könne. Eine solche Voraussetzung würde uns sogar in Widerspruch mit einer Anwendung der Percussionstheorie bringen, die wir weiter oben ') gemacht haben, und die sich gleichfalls mit der Blutströmung in der Leber beschäftigte. Die Dinge scheinen vielmehr so zu liegen, dass es eines zweiten Capillarsystemes hinter dem ersten nur zur Manifestirung der wirklichen Maximaltemperatur, die der voll- ständigen Reoxydation entspricht, bedarf; insoferne, als uns sonst keine Einrichtung im Säugethierkörper bekannt ist, welche das, aus einem Organe durch dessen Venen ab fliessende Blut vor einer so frühzeitigen Mischung mit anderem Venenblute beschützt, wie wir sie oben als störend für die Reinheit der Beobachtung der frag- lichen Vorgänge erkannt haben. Denn: dass die Temperatur eines Organes selbst schon gleich sei der Maximaltemperatur des, in ihm sich eben erst reoxydirenden Blutes — das zu erwarten, haben wir kein Recht und keinen Grund; selbst dann nicht, wenn wir von der, in Wirklichkeit nie fehlenden Ein- mischung anderer Wärmequellen in den Parenchymen ganz absehen. Von diesen anderweitigen Wärmequellen dürfen wir aber — im Allgemeinen — nicht absehen; und es wurde auch von zahl- reichen Physiologen und Aerzten dem Gebiete, das wir hier berühren, ein aufmerksames Studium gewidmet. Doch brauchen diese Dinge hier nicht erörtert zu werden. Bloss eine einzige Betrachtung von dieser Art schalte ich hier ein, weil ich sie eben für die Weiter- führung des hier entwickelten Gedankenganges nicht entbehren kann. Jenes eine Drittel des freien BlutsauerstoflPes , welches nicht zur inquilinen Reoxydation des Hämoglobins verwendet wird, findet natürlich ausserhalb der Capillarwände , je nach der Besonderheit des Organes oder Parenchymes, das sich seiner bemächtigt, die verschiedenartigsten Bestimmungen. Von der Natur der Substanzen, mit denen dieser Sauerstoff sich verbindet, und von der Wärme- tönung bei ihrer Oxydirung; dann aber auch von der Quantität des „Organsauerstoffes" und von ihrem Verhältniss zum anderen Antheile, dem „Blutsauerstoffe", wird es zunächst abhängen, ob das Blut, welches ein Organ verlässt, oder ob das Organ selbst, höher tem- perirt ist. 0 Siehe pag. 36 ff. — 127 - Es versteht sich von selbst, class die, wie im ganzen vor- liegenden Buche, so auch hier beibehaltene Voraussetzung einer Abgabe von Sauerstoff an die Gewebe ^ ^/s, und eines Gehaltes des Venenblutes = -/s vom ganzen Blutsauerstoff, nur die Bedeutung einer ganz allgemeinen, ungefähren Schätzung haben kann, etwa für eine erste Annäherung an den wirklichen Betrag dieser Grössen gelten darf, der ja für jedes andere Organ von vornherein ein anderer, und auch mit den jeweiHgen physiologischen Verhältnissen veränderlich sein wird. Wie bereits gesagt wurde, ist das Temperaturverhältniss zwischen Parenchym und Venenblut von diesen Beträgen abhängig. Der zum thermometrischen Ausdruck gelangende Unterschied beider Temperaturen wird aber weiters auch noch von der Länge, und von der Anordnung der capillaren Blutbahnen im Gewebe, und von der Geschwindigkeit des Stromes in ihnen, abhängig sein. Je kürzer die Capillaren, also je geringer der Contact zwischen Blut und Gewebe, und je rascher der Blutstrom im Organe: desto grösser wird der wirkliche Unterschied zwischen Organ- und Blut-Temperatur sein — caeteris paribus. Die im Gehirne obwaltenden Umstände begründen nun offen- bar ein beträchtliches Ueberwiegen der Temperatur dieses Organes. Zu diesen Umständen zählen aber nicht bloss die Besonderheiten der chemischen Vorgänge in diesem Organe, und die Menge von Sauerstoff, die darin zurückbehalten wird, sondern auch die Ge- schwindigkeit des Stromes in den Blutgefässen innerhalb des Ge- hirnes, und in den dasselbe verlassenden Gefässen. Mit der ver- gleichsweise geringen Gesammtlänge dieser Blutbahn, und mit der grossen Geschwindigkeit der, in ihr strömenden Flüssigkeit mag — nebst anderen Ursachen — die niedrige Temperatur des Blutes in der oberen Hohlvene zusammenhängen^). Nach dem Newton'schen Gesetze wird zwar, je grösser die Stromgeschwindigkeit in den Gefässen des Hirnes ist, desto grösser die, ihm in der Zeiteinheit vom Blute entzogene Wärmemenge sein müssen. Denn der Wärmeaustausch ist um so mächtiger, je grösser die auszugleichende Differenz ist. Strömte das Blut langsamer durch ') Im Mittel aus einer erheblichen Zahl von Einzelbeobachtungen, die ich in der Litteratur vorfand, beträgt der Unterscliied der Tenoperaturen des Blutes der oberen und unteren Ilohlvene 0"8°. — 128 — das Gehirn, so hätte es Zeit, sich stärker zu erwärmen, und je stärker es bereits erwärmt wurde, desto langsamer findet die Wärme- abgabe vom Grehirn ans Blut statt. Dieses würde dann allerdings mit einer höheren Temperatur das Gehirn verlassen; die dem Gehirn entzogene Wärmemenge wäre jedoch eine geringere. Wem hierin ein Widerspruch zu liegen scheint, der möge nur bedenken, dass, im Falle langsamerer Strömung, die dem Gehirn entzogene Wärmemenge auf eine, um so vieles kleinere Blutquantität vertheilt ist, während die, an sich grössere Wärmemenge, die das Gehirn an das rascher strömende Blut abgibt, auf eine, um so viel grössere Blutmenge vertheilt wird, als eben in der Zeiteinheit bei grösserer Geschwindigkeit mehr Blut aus dem Gehirn ausfliesst. Aber noch ein zweites, mit der grösseren Stromgeschwindig- keit, und mit der kürzeren Strombahn im System der Kopfgefässe innig verknüpftes Moment wirkt im Sinne einer Temperatur- erniedrigung. Es ist diess die, aus den erwähnten Bedingungen folgende, kürzere Gesammtdauer des Blutkreislaufes im Kopfe. In Erwägung der vorhergehenden Analyse dieser ganzen Gruppe von Einflüssen muss es nahe liegen, aus der vergleichsweisen Kürze dieser Zeitdauer auf eine verhältnissmässig unvollkommene Wieder- bindung des im Blute verbliebenen Sauerstoffes zu schliessen. Die hohe Temperatur des Gehirnes macht ausserdem eine relativ grosse Menge von „ Organsauerstoff " ^) , also eine relativ geringe Menge von im Blute bleibendem Sauerstoff wahrscheinlich, aus deren Ver- wendung zur Oxydation van Hämoglobin also eine, an sich schon relativ geringe Erwärmung des Blutes folgen würde. Nun kommt aber noch hinzu, dass auf dem relativ kurzen, und mit relativ grosser Geschwindigkeit durchlaufenen Wege der Jugularis-interna- Bahn eine vollständige Ueberführung des Blutsauerstoffes in den Zustand chemischer Bindung von vornherein unwahrscheinlicher ist, als der vollständige Ablauf des gleichen Vorganges in irgend einer anderen Blutbahn des Säugethierkörpers ; da die zeitlichen Be- ') Das heisst: von Sauerstoff, welclier zu Oxydationen innerhalb des Organes, ausserhalb der Blutgefässe, verbraucht wird. Denn es wird bekannt- lich niemals eine Beimischung von Sauerstoff in dem Gase vorgefunden, welches sich aus dem Grewebe auspumpen lässt. Freier Sauerstoff scheint also in den Geweben nicht vorzukommen. Doch möchte ich es nicht als undenkbar bezeichnen, dass im Gewebe der secernirenden Speicheldrüse etwas auspumpbarer Sauerstoff vorhanden ist. — 129 — diugungen hierfür in allen anderen Blutbahnen günstigere sind, als in der Bahn der Drosselvene. Nun lässt sich aber ein Einwand gegen diese Begründung der Temperaturdiflferenz im Blute der beiden Hohlvenen erheben. Man könnte nämlich die niedrere Temperatur des Blutes der Vena cava superior darauf zurückführen wollen, dass sich in dieses Sammel- rohr sehr viele Venen ergiessen, welche Blut von der Körper- oberfläche, und Blut von den Wänden des obersten Theiles der Respirationswege zubringen; also Blut von unfraglich geringerer Temperatur. Was das Verhältniss von Oberfläche und Inhalt jener Körper- theile anlangt, die zum Gebiete der oberen Hohlvene gehören, im Vergleiche mit demselben Verhältniss im Gebiete der unteren Hohl- vene, so dürfen die vorderen Extremitäten wohl gleichgesetzt werden den hinteren — es beziehen sich ja die Messungen fast ausschliesslich auf Hunde und Pferde — und vom Kopf lässt sich sogar sagen, dass seine Gestalt mehr, als die eines anderen Körperabschnittes der Kugel angenähert ist, also jener Gestalt, die von allen mög- lichen, bei gleichem Inhalte die kleinste Oberfläche, und bei gleicher Oberfläche den grössten Inhalt hat; und somit die günstigsten Be- dingungen gegen die Abkühlung des Blutes an der Oberfläche verwirklicht. Doch ist bei Thieren die Abweichung des Kopfes von der Kugelgestalt meistens viel grösser als beim Menschen, und oft recht beträchtlich. Ferner liegt in der geringeren absoluten Grösse des Kopfes bei Thieren ein, die Abkühlung seines Blutes begünsti- gendes Moment, und dann ist der starken Entfaltung der Ohr- muschel bei den meisten Säugethieren, und des grossen Einflusses derselben auf die Temperatur des Blutes zu gedenken. Diese Ver- hältnisse sind jedenfalls zu complicirt, um einen deutlichen Einfluss auf das Endresultat mit Sicherheit erkennen zu lassen. Einfacher und klarer ist der Einfluss, den die Blutgefässsysteme der Nasen-, Mund- und Rachenschleimhaut auf die Temperatur des Blutes in der Cava superior nehmen. Der abkühlende Effect dieser Blut- mengen auf das Blut, dem sie sich beimischen, ist gar nicht zu verkennen. An den genannten Oberflächen wird die, in die Lunge einzuathmende Luft beträchtlich vorgewärmt, und Herr Heiden- hain*) bemerkt mit Recht, dass eben hierin die Ursache für die 'j 1. c. Fleischl v. Marxow, Bedeutung des Herzschlages. — 130 — unmerkliche Abkühlung des Lungenblutes durch die Lungenluft liege. Entsprechend der Erwärmung der Luft in den vordersten Antheilen des Respirationsrohres wird natürlich die Abkühlung des Blutes sein, welches aus den Wandungen dieses Cavums zurückkehrt. Lässt es sich somit nicht bestreiten, dass aus den eben erörterten Umständen eine Abkühlung des Blutes folgt, welches in der oberen Hohlvene fliesst; so möchte ich doch noch nicht zugeben, dass diese Umstände die alleinige und ganze Ursache der erheblichen Temperaturdifferenz zwischen beiden Hohlvenen darstellen. Ich glaube, dass eine Beobachtung, auf welche bisher meines Wissens nur von den Wenigsten Werth gelegt wurde, Anhaltspunkte bietet für die Auf- fassung, dass die niedrere Temperatur des Blutes der absteigenden Hohlvene zum Theile auch von der minder weit fortgeschrittenen chemischen Bindung des Blutsau erstofiPes herrührt, welche selbst wieder aus der Kürze der Blutbahn, im Vergleiche mit der der unteren Hohlvene, zu erklären ist. Wenn die Dinge so liegen, wie ich hier voraussetze,, dann ist zu erwarten, dass auch noch während des Aufenthaltes des Blutes im rechten Herzen die inquiline Re- oxydation des Blutfarbstoffes ihren Fortgang nimmt, und mit ihr zugleich auch die Wärmebildung, die Steigerung der Bluttemperatur. XIII Die Vorgänge im rechten Herzen. Eine solche Steigerung können wir nur auf eine Weise zu beobachten hoffen, nämlich durch eine Vergleichung der Blut- temperaturen des rechten Vorhofes und der dazu gehörigen Kammer. Ergibt sich hierbei kein Unterschied, oder zeigt sich das Kammer- blut kälter, dann ist natürlich aus einem solchen Befunde gar kein Schluss — weder für, noch gegen die obige Muthmaassung abzu- leiten. Denn die negative Wärmetönung, welche der Percussion der Kohlensäure in der rechten Kammer entspricht, könnte leicht eine geringe, von der noch andauernden Rückbindung des Sauer- stoffes herrührende Erwärmung des Blutes daselbst ausgleichen oder übertreffen, und es wäre wohl sehr schwierig, herauszufinden, ob die zur Beobachtung gelangende Temperaturdifferenz der ganze und — 131 - reine Ausdruck der negativen W.T. aus der Kolilensäureentbindung ist ; oder ob dahinter auch noch ein entgegengesetzter, aber geringerer Effect von Sauerstoffbindung verborgen ist. Lässt sich hingegen ein regelmässiges Ueberwiegen der Temperatur in der rechten Kammer über die des rechten Vorhofes feststellen, dann ist das Verhältniss das umgekehrte: dann kann kein Zweifel bestehen über die An- Wesenheit eines temperatursteigernden Einflusses auf das Blut des rechten Herzens, und fraglich kann es bloss sein, ob dieser allein vorliegt, oder ob gleichzeitig eine entgegengesetzte aber geringere Einwirkung besteht. Nach allem Vorhergehenden scheint mir diess letztere zwar nicht mehr zweifelhaft; doch braucht das hier nicht entschieden zu werden. Wohl aber werden wir uns ernstlich nach einem temperatursteigernden Einfluss auf das Blut des rechten Herzens umsehen müssen; denn in der mir zugänglichen Litteratur finde ich zwar im Ganzen nur wenige Angaben, in welchen die beiden Abtheilungen des rechten Herzens, hinsichtlich der in ihnen herrschenden Temperatur, miteinander verglichen sind, aber in allen diesen ist übereinstimmend die höhere Temperatur im Ventrikel gemessen worden, und es ist hervorzuheben, dass diesen Angaben trotz ihrer geringen Zahl doch eine um so höhere Bedeutung bei- gelegt werden muss, als sie das Resultat von Messungen nach drei verschiedenen Methoden repräsentiren, und als sie überhaupt in jeder Hinsicht sehr vertrauenswürdig sind. — Fünf von diesen Angaben habe ich in der oben bereits erwähnten Inauguraldissertation des Herrn H. Koerner^) vorgefunden. Sie lauten: iter Vorhof Rechter Ventrikel 38-11 38-58 38-01 38-22 39-13 39-18 39-38 39-91 39-39 39-58— -81 Diese Zahlen, deren mittlere Differenz 0-31 "^ zu Gunsten der Kammer beträgt, sind an grossen Hunden gewonnen worden, und zwar die beiden ersten Paare und das letzte Paar durch thermo- metrische Messung, die beiden übrigen Paare auf thermoölektrischem Wege. ') 1. c. — 132 — Eine sechste Angabe entnehme ich der, gleichfalls schon citirten Mittheilung der Herren H. Kronecker und M. Ph. Meyer an die Berliner physiologische Gesellschaft ^). Diese Herren be- stimmten nach ihrer neuen, gerade für die Entscheidung solcher Fragen in sehr hohem Grade geeigneten Methode bei einem Hunde die Temperatur im rechten Vorhof zu 39*0 ^, die in der rechten Herzkammer zu 39*2 ^. Sie fanden also einen Unterschied von 0*2 *^, der von dem oben berechneten Mittelwerthe nicht zu weit entfernt ist. Der Werth dieser einen Angabe scheint mir aber ein ganz besonders grosser zu sein, eben wegen der Methode, mittels deren er bestimmt wurde. Diese bringt es nämlich, wie man sich erinnern wird, mit sich, dass die angegebenen Zahlen Maximalwerthen der Temperatur entsprechen, der das kleine Ausflussthermometer während der ganzen, langen Dauer seines Verweilens am Fundorte ausgesetzt war. Gerade für den uns beschäftigenden Fall liegt nun hierin ein wichtiger Vortheil, wegen der grossen Verschiedenheit der Tempe- ratur des Blutes der unteren und der oberen Hohlvene, deren Inhalt sich im Vorhofe mischt, und wegen der Gefahr, die nach den übrigen Methoden bestehen bleibt, dass sich die kleine Masse des Quecksilbergefässes , oder der Löthstelle zur Zeit der Ablesung in einer Gegend des Atriums befindet, an der sie vorwiegend vom kälteren Strome des Blutes der oberen Hohlvene getroffen wird, und dadurch eine Ablesung des Temperaturgrades bedingt, die niedriger ist, als sie dem gleichmässigen Gemisch des Blutes beider Venen entspräche. Es ist wohl richtig, dass der entgegengesetzte Fehler — wenn man diess so nennen will — bei diesem Verfahren nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern sogar mit grosser Wahr- scheinlichkeit herbeigeführt wird, dass nämlich die, für das rechte Atrium gewonnene Zahl höher ist, als die Temperatur einer homo- genen Mischung des Inhaltes dieser Höhle, und sogar nicht viel unter der Temperatur des wärmeren Stromes, den die untere Hohl- vene in das Atrium ergiesst, zurückbleibt. Denn es ist sehr wahr- scheinlich, dass das kleine Ausflussthermometer, während seines längeren Aufenthaltes im rechten Vorhofe, zeitweise dem wärmeren Strome ausgesetzt war, bevor dieser sich mit dem, aus der oberen Hohlvene ergossenen Strome völlig gemischt hatte. Doch lässt sich hieraus kein Bedenken ableiten gegen unser Vertrauen in Angaben, 1) 1. c. pag. 569. — 133 — welche auf diese Weise entstanden. Der Fehler, welcher bei der Bestimmung der Blutwärme im rechten Atrium eintreten kann, hat ja nur die Wirkung, die von uns behauptete Differenz zu verkleinern. Es darf also aus den Resultaten solcher Messungen nach der Methode des Herrn Kronecker a fortiori geschlossen werden, dass das Blut in der rechten Kammer wärmer sei, als das der Vorkammer. Weitaus am wichtigsten sind aber für unsere Frage die Er- gebnisse der Untersuchungen der Herren Ed. Albert und S. Stricker^) über die Temperaturverhältnisse im rechten Herzen. Nicht nur aus dem Grunde, weil die Angaben dieser Forscher sich auf die grösste Anzahl von Einzelbeobachtungen stützen; sondern auch, und zwar hauptsächlich desshalb, weil ikre Angaben kein zufälliges oder nebensächliches Resultat von Bemühungen sind, die zunächst anderen Zielen galten, wohl aber die Entscheidung einer Hauptfrage, auf deren Erledigung somit von vornherein eine zielbewusste Aufmerk- samkeit gerichtet war. In Folge davon, dass die genannten Forscher die Vergleichung der Temperaturen im rechten Herzen geradezu als einen Theil ihrer Aufgabe betrachteten, ist ihre Abhandlung natür- lich sehr viel reicher an Aufschlüssen über hierhergehörige Punkte, als jede andere, nicht so unmittelbar auf dieses Ziel gerichtete. Ich reproducire nun zunächst eine Stelle 2) aus dem Texte dieser Ab- handlung : „Führt man ein Thermometer von der rechten Vena jugularis „eines curarisirten Hundes absatzweise bis an den Grund des rechten „Ventrikels, und wieder zurück, so erfährt man, dass die Queck- „silbersäule auf dem Hinwege allmälig, wenn auch nicht gleich- „ massig ansteigt, und auf dem Rückwege in derselben Weise wieder „sinkt. Eröffnet man nun den Thorax von irgend einer Seite, am „bequemsten von der Linea alba aus, so weit, dass man sich mit „Hülfe der Hand über die Lage des Quecksilbergefässes orientiren „kann, so überzeugt man sich ferner, dass der Vorhof wärmer ist, „als die obere Hohlvene, dass der Ventrikel wieder wärmer ist, als „der Vorhof, und dass es im Ventrikel selbst endlich in der Nähe „der Herzspitze wärmer ist, als in der Nähe der Klappen. ') Wiener med. Jahrbücher 1873. ^) 1. c. pag. 34. — 134 — „Wenn man die untere HoUvene absperrt, so ändern sicli die „ Vergleichs werthe, aber die Temperaturunterschiede werden dadurch „nicht aufgehoben; ja sie werden, wenn die Sperre längere Zeit „andauerte, zwischen einzelnen der genannten Gebiete zuweilen noch „grösser, als sie waren." Mehrere, der Abhandlung beigegebene Versuchsprotokolle ent- halten, je eines eine ganze Reihe von Belegen für die citirten, sowie für einige noch zu erwähnende Sätze, in Form von Gruppen zu- sammengehöriger Thermometerablesungen, die in variirter Auf- einanderfolge mehrfach am selben Thier, und an denselben Stellen im Herzen, wiederholt wurden. Ich hebe selbst aus diesen Beispielen wieder ein paar Zahlen als Beispiel heraus. Bei einem grossen Hunde wurden am Thermometer, während des Vorschiebens an folgenden vier Stationen Ablesungen gemacht: Cava descendens ober der Einmündung 39"5, rechter Vorhof ober den Klappen 39'8, dicht unter den Klappen im Ventrikel 39'9, tief unten im Ventrikel 40*0. Hierauf wurden beim Zurückziehen, an vier von den erst- geprüften etwas verschiedenen Stellen derselben Bahn die Tempe- raturen abgelesen: 40'00, 39*95, 39*80, 39*45. Diese Temperaturen wurden allesammt gemessen, bevor am Thiere eine weitere Ver- änderung vorgenommen war, als die für die Messungen selbst noth- wendigen Vorbereitungen. Nunmehr aber wurde die Vena cava ascendens unterbunden, nach einigen Minuten wieder wegsam ge- macht, später abermals unterbunden, und während der ganzen Zeit die Temperatur auf der Strecke zwischen der oberen Hohlvene, und einem tief unten in der rechten Kammer gelegenen Punkte gemessen. Ich greife aus den, in der letzten Periode, also bei gehemmtem Zufluss durch die untere Hohlvene, gemachten Ablesungen, wieder vier aufeinanderfolgende aus einer grösseren Reihe von ganz ähn- lichen Zahlen heraus: Tief im Ventrikel 40*0; mitten im Ventrikel 39*9; Vorhof 39*6; Cava descend. Mündung 39*5. Wie man sieht, ist die Zu- nahme der Temperatur von der Einmündung der oberen Hohlvene bis in die Tiefe des rechten Ventrikels eine stetige, und keineswegs unerhebliche. Dieselbe betrug im Mittel aus den Angaben von Herrn Koerner: 0*31°; nach Herrn Kronecker's Messung: 0*2°; und im Mittel, welches ich aus sämmtlichen, von den Herren Albert und Stricker angeführten Zahlen berechnet habe, 0*26*^ — bei - 135 — offener Vena cava ascendens ^) ; während sich aus den zehn Doppel- messungen, deren Ergebnisse in der Abhandlung der zuletzt ge- nannten Autoren mitgetheilt sind, bei verschlossener unterer Hohlvene ein mittlerer Unterschied zwischen rechtem Vorhof und Ventrikel von 0'34 '^ berechnet. Die Steigerung dieses Unterscliiedes, welche nach Verschliessung der unteren Hohlvene zu Stande kommt, und welche sich in den, von mir aus den Angaben der Herren Albert und Stricker berechneten Mittelzahlen so deutlich aus- spricht, war übrigens diesen Forschern keineswegs entgangen; der Schlusssatz des Citates auf pag. 134 ist ja eine Constatirung dieser Thatsache, welche im weiteren Verlaufe dieser Betrachtung für uns noch eine unvorhergesehene Bedeutung gewinnen wird. Wenn ich mich nun um die Ursache frage für die höhere Temperatur des, in der rechten Kammer angelangten Blutes, so bietet sich mir zunächst als Ausgangspunkt, von dem aus zu einem Verständniss dieser, wenn auch nicht sehr zahlreichen, so doch völlig übereinstimmenden und eindeutigen Beobachtungen zu ge- langen wäre, die Verlegung der Wärmequelle in das venöse Blut des Herzens selbst dar. Wenn im Blute, welches den rechten Vor- hof bei seiner Diastole allmälig anfüllt, im Augenblick, in dem es sich in diese Höhle ergiesst, noch freier, molecular vertheilter Sauer- stoff enthalten ist, dessen Wiederbindung an Hämoglobin also noch aussteht, so trägt dieses Blut allerdings eine Quelle künftiger Wärmeentwicklung in sich. Hier also begegnen wir dem vorhin ausgesprochenen Gedankengange wieder, und finden uns auch in dieser Auffassung der beobachteten Verhältnisse durch anderweitige, früher angestellte Betrachtungen über die Bedingungen, welche hier maassgebend sind, unterstützt. Wenn im Gebiete der oberen Hohl- vene die inquiline Reoxydation im Allgemeinen noch merklich un- vollständig abgelaufen ist, zu der Zeit, in der das Blut in den rechten Vorhof ergossen wird, so wird wohl auch im Gebiete der unteren Hohlvenc ein gewisser Rückstand dieser Art überhaupt vorkommen; ') Die Uebereinstimmung dieser Durclischnittswerthe unter einander darf um so melir befriedigen, wenn man bedenkt, dass sie von verschiedenen Forschern, und durch die Anwendung verschiedener Methoden gewonnen wurden ; und wenn man berüclisichtigt, dasa der kleinste Werth (0'2'', neben 0*26" und O'Sl") das Ergebniss einer Methode ist, welche — wie oben bereits erörtert wurde — ilirer Natur nach berufen ist, Maximalwertlie für den Subtralicndus, also Minimal werth c für die Differenz selbst zu liefern. — 136 — es werden die Blutmengen, welche auf den kürzesten, breitesten Wegen dieses ganzen Gebietes zum Herzen zurückkehren, wohl auch noch einen Rest freien Sauerstoffes dahin mitbringen — nur einen, im Verhältniss zur Blutmenge, die ihn mit sich führt, sehr viel geringeren Rest. Nun wollen wir in allen Stücken die günstigsten Annahmen machen, welche — gleich der zuletzt ausgesprochenen Muth- maassung — einer Wärmeentwicklung im rechten Herzblute, als Folge des, in ihm noch andauernden Oxydationsvorganges, zu Statten kommen. Bewilligen wir ferner jedes, irgend verantwortbare Zu- geständniss an die Tendenz, den aus diesem Vorgange zu er- klärenden Temperaturzuwachs möglichst klein erscheinen zu lassen. Und dann wollen wir untersuchen, ob unter solchen Bedingungen die Erwärmung des Blutes bei seinem Uebergang aus dem rechten Vorhof in die Kammer aus der, von uns vermutheten Ursache zu erklären ist. Den Zahlen selbst, welche uns für die fragliche Temperatur- schwankung vorliegen, lässt sich weiter nichts abgewinnen. Alles, was in dieser Absicht zu Gunsten des Argumentes geschehen kann, ist meines Erachtens damit gethan, dass man die Möglichkeit ein- räumt, die von der Kohlensäurebefreiung herrührende negative Wärmetönung sei an und für sich schon so geringfügig, dass die, von ihr verursachte Erniedrigung der Durchschnittstemperatur im rechten Ventrikel an den gebräuchlichen Messinstrumenten nicht zum Ausdrucke käme, auch wenn sonst kein anderes Moment die Tem- peratur dieses Blutes veränderte. Durch diese Voraussetzung ent- fällt wenigstens die Nothwendigkeit, dem Reoxydations Vorgang im Herzblute eine noch grössere Wärmeproduction zuzuschreiben, als die ist, welche der direct messbaren Temperatursteigerung entspricht. Ob aber eine solche Voraussetzung auch wirklich berechtigt sei, das ist eine andere Frage, die ich nicht ohne Weiteres mit „Ja" beantworten möchte. Wenn wir nun bedenken, wie kurz die Zeit ist, während welcher das Blut im rechten Herzen verweilt, verglichen mit der Zeit vom Eintritt des Blutes in ein Capillargefässsystem bis zu seinem Eintritt ins rechte Atrium; und ferner bedenken, um wie vieles lebhafter jedenfalls die inquiline Reoxydation am Beginne, als am Ende des ganzen Vorganges sich vollzieht; endlich nur 0*2 '^ als den Betrag annehmen, um welchen sich das Blut im rechten — 137 — Herzen erwärmt: so werden wir deunocli alsbald die Absicht fallen lassen, diese Temperatur Steigerung als die blosse Wirkung der, bis in's Herz hinein sich erstreckenden Wiederbindung des SauerstojBfes aufzufassen. Rechnen wir von der, etwa 20 Secunden betragenden Dauer eines ganzen Kreislaufes nur zwei Drittel für den Weg zwischen den feinsten Arterien und dem rechten Herzen, rechnen wir die Dauer des Verweilens eines Bluttropfens im rechten Herzen gleich einer ganzen Secunde, und nehmen wir an, die Intensität des Oxy- dationsvorganges, welcher ihn während dieser Secunde um 0*2'^ erwärmt, sei vom ersten Anbeginn in den Capillargefässen auf der- selben, unveränderlichen Stufe gewesen und geblieben, auf welcher wir diese Intensität im rechten Herzen antreffen — durchgehends Annahmen, welche nicht mehr ungünstiger gewählt werden konnten, ohne allen Zusammenhang mit der Wirklichkeit oder Möglichkeit einzubüssen! Und selbst aus diesen Annahmen würde noch ein An- steigen der Temperatur des Blutes auf dem Wege vom Anfang des Capillarsystemes bis zum Ende des Venensystemes, von nicht weniger als drei ganzen Graden folgen. Was aber geht aus diesem Resultate hervor? Dass unsere Voraussetzung, der bis in's rechte Herz hinein protrahirte Vorgang inquiliner Reoxydation sei Ursache einer Temperatursteigerung des Blutes während seines Durchganges durch das rechte Herz, falsch ist? Durchaus nicht! Ueber die Richtigkeit oder Unrichtigkeit dieser Voraussetzung fliesst keinerlei Entscheidung aus der zuletzt ange- stellten Betrachtung. Wohl aber kann man aus ihr mit einiger Sicherheit den Schluss ziehen, dass der Vorgang, in welchem wir die Ursache der Temperatursteigerung des Blutes beim Durchtritt durch das rechte Herz zu erkennen dachten, günstigsten Falles eine Ursache dieser Veränderung ist. Dass die inquiline Reoxydation mit den letzten Resten, die sich im Blut der rechten Herzhöhlen abspielen, nicht ausreichen kann, um binnen so kurzer Zeit eine so ansehnliche Temperatur- erhöhung in so grossen Massen Blutes zu bewirken, hat ebenso- wenig die Bedeutung eines Argumentes für wie gegen das Bestehen überhaupt dieser Wärmequelle im venösen Herzblute. Um über diese Frage weitere Aufschlüsse zu erwerben, müssen wir sowohl nach directen Gründen, für oder gegen die Abwicke- lung von Oxydationsprocesen im venösen Herzl)lut , als auch nach den Einflüssen, auf deren Wirkung man sich sonst noch — 138 — bei der Erklärung jener Teniperaturdifferenzen berufen könnte, forscben. Ich werde mich zuerst mit derjenigen von diesen beiden Auf- gaben beschäftigen, welche zuletzt erwähnt wurde; und zwar aus dem Grunde, weil mir dadurch Grelegenheit geboten wird, die früher ^) schon in Aussicht gestellte Darlegung der von den Herren Albert und Stricker zur Erklärung jener TemperaturdiflPerenzen heran- gezogenen Momente, in ziemlich dichtem Anschluss an das folgende — keineswegs erschöpfende — Referat über die Beobachtungen dieser Forscher, vorzubringen. In der, von den Herren Albert und Stricker gegebenen Erklärung wird das Hauptgewicht auf die, im Herzmuskel selbst erzeugte Wärme gelegt, und auf den Einfluss, welchen diese auf die Bluttemperatur in den verschiedenen Herzabschnitten nimmt. Die in der Substanz der Herzwand gebildete Wärme beeinflusst selbst wieder auf zweierlei Weise die Temperatur des Inhaltes der Herzhöhlen: einmal direct, durch Abgabe von Wärme an der inneren Oberfläche des Herzens; und dann indirect, durch Mischung des aus den Herzwänden zurückkehrenden Blutes mit dem Blute des rechten Vorhofes. Soviel ich weiss, sind die Herren Albert und Stricker die Ersten ^), welche diese beiden Einwirkungen auf die Temperatur des venösen Herzblutes unter einem höheren, allgemeineren Begriffe zusammengefasst, und den Satz ausgesprochen haben, beide seien Wärmeleistungen des Herzmuskels. Eine dritte Beeinflussung der abgelesenen Quecksilberstände von Seiten des Herzmuskels wurde von diesen Forschern in den Wirkungen einer directen Berührung zwischen Thermometergefäss und Herzwand erkannt und gewürdigt. Ferner ist ihnen der Ein- ^) Siehe pag. 92. ^) Jeder einzelne von diesen Einflüssen ist aucli von früheren Be- arbeitern dieses Gebietes erkannt, und in Rechnung gezogen vs^orden, so besonders von den Herren Heidenhain und Koerner. Obige Bemerkung bezieht sich nur auf die Subreption der, jedem Zweifel an ihrem Bestehen entrückten Einflüsse auf die Blutwärme im Herzen unter einen gemeinsamen, einheitlichen Begriff. Da mir aber diese Anschauungsweise nicht bedeutungslos zu sein scheint, und ich ihr weder in früheren, noch in späteren Schriften, sondern nur in dieser einen Abhandlung begegnet bin, glaubte ich Recht zu thun, indem ich auf diesen Umstand aufmerksam machte. — 139 — fluss nicht entgangen, welchen die Behinderung des Blutstromes durch die Anwesenheit des Thermometers im Strombett auf die, zur Ablesung kommende Temperatur bei den verschiedenen Anordnungen ihrer Versuche gehabt hat. Nachdem nun die Herren Albert und Stricker diese Ein- flüsse alle discutirt haben, und zwar in viel eingehenderer Weise, als ich diess hier thue, fragen sie sich nach der Zulänglichkeit der in Betracht gezogenen Momente für die Begründung der beobach- teten Steigerung der Bluttemperatur im rechten Herzen. Wenn sie nun auch — wie natürlich — zu keiner definitiven Antwort auf diese Frage gelangen, so geben sie doch dem Zweifel an der Zu- länglichkeit der namhaft gemachten Einflüsse unverhohlenen Aus- druck ; und ich glaube nicht fehl zu gehen , wenn ich aus ihren Bemerkungen die Meinung herauslese, dass die Temperaturdifferenz zu gross ist, als dass die in Betracht gezogenen Einflüsse zu ihrer Begründung ausreichten. Die beiden Forscher enthalten sich jeder Aeusserung darüber, ob sie mehr zur Ansicht hinneigen, dass an den beobachteten Werthen Correcturen anzubringen sind, welche ihren Betrag reduciren, oder ob sie die Mitwirkung von anderen Einflüssen (im Sinne einer Temperatursteigerung), ausser den, von ihnen berücksichtigten, für wahrscheinlicher halten. Sie beschränken sich vielmehr darauf, sich gegen die Möglichkeit einer so weit gehenden Einmischung von Fehlerquellen in ihre Beobachtungen zu verwahren, dass das ganze Ergebniss der letzteren dadurch principiell in Frage gestellt scheinen könnte. Ich denke, die Autoren der in Rede stehenden Abhandlung wären — wenn sie sich sonst dazu veranlasst gesehen hätten — in der Lage gewesen, mit ihren Behauptungen viel weiter zu gehen, als sie thatsächlich zu gehen, für gut befunden haben. Doch stünde es mir übel an, wollte ich die Consequenzen weiter treiben, als es von den Verfassern der Arbeit selbst geschah. Immerhin möchte ich aber auf einige Punkte aufmerksam machen , welche von den Herren Albert und Stricker nicht in die Discussion ihrer Beob- achtungen einbezogen wurden — offenbar aus dem Grunde, weil jeder Anlass zur Erörterung derselben mangelte. Zunächst scheint es mir berechtigt, den Zufluss von Blut aus dem Sinus coronarius nur als ein Moment gelten zu lassen, welches zur Erliöhung der Bluttemperatur im Vorhof, gegenüber der in den Hohlvenen herrschenden, beitragen kann; die weitere Steigerung der — 140 — Temperatur aber, wie sie beim Vorrücken durcli das Ostium atrio- ventriculare, und im Ventrikel selbst regelmässig beobachtet wird, als unabhängig von der Beimiscliung des Coronarblutes anzusehen. Eine Begründung dieser Ansicht ist wohl entbehrlich ; sie ist in der That selbstverständlich. Ferner ergibt sich für die Blutwärme im Ventrikel, für deren Steigerung uns — nachdem der Zufluss des Coronarblutes von den Ursachen soeben ausgeschlossen wurde — nur mehr die directe Einwirkung der Kammerwände als Grundlage übrig geblieben ist, aus Allem, was uns sonst von hierhergehörigen Verhältnissen bekannt ist, die Erwartung : die Temperatur des Blutes in der rechten Kammer werde vom venösen Ostium gegen die Herzspitze und von da gegen das arterielle Ostium in fortwährender Zunahme begriffen sein, werde ferner in der Nähe der Kammerscheidewand höher sein, als in der Nähe der viel dünneren Aussenwand der rechten Kammer, und überhaupt in der Nähe der Kammerwände höher, als im Binnenraume. Von Alledem bestätigt aber die Erfahrung nichts, als die Zunahme der Temperatur von der Zipfelklappe zur Herz- spitze. Von dieser bis zum arteriellen Ostium wäre eine weitere Temperatursteigerung des Blutes aus zwei Gründen zu gewärtigen. Erstens wegen des längeren Aufenthaltes des Blutes in der Kammer, und zweitens wegen der grösseren Nähe des Septum ventriculorum, von welchem aus die erheblichste Wärmeabgabe an das Blut der rechten Kammer vorauszusetzen ist, weil dieses Septum bei weitem die mächtigste Herzfleischmasse ist, mit welcher dieses Blut in Berührung kommt. Statt dessen sinkt die Bluttemperatur auf dem Wege von der Herzspitze gegen den Ursprung der Pulmonalarterie — wie die Herren Albert und Stricker finden — fortwährend ab; und sinkt noch weiter ab im Anfangsstück der Pulmonalarterie selbst. Stimmt dieser Befund nicht gut überein mit der Annahme einer meritorischen Heizung des rechten Kammerblutes durch die Kammerwände, so stimmt er um so besser mit der Voraussetzung der Percussionstheorie überein. Diese verlangt nämlich, dass dort, wo dieses Verhältniss nicht durch stärkere, entgegengesetzte Ein- flüsse verdunkelt ist (wie solche in der Beimischung des Coronar- blutes, und in der Wärmetönung der inquilinen Reoxydation des, auf der kürzesten Bahn anlangenden Blutes gegeben sind) , dass dort die negative Wärmetönung der Kohlensäureentbindung in Gestalt — 141 — einer Abkühlung des Blutes zu Tage trete, welches die Per- cussion durch die Wände des rechten Ventrikels erlitten hat. Wir werden aber zu keiner Zeit mit mehr Berechtigung die Mani- festirung dieser neo^ativen W.T. erwarten dürfen, als nach er- folgter Beeinflussung des Kammerblutes von Seiten der anderen, stärkeren Momente, also besonders nach Ablauf der letzten Sjiuren von inquiliner Reoxydation, und nach Herstellung der, von diesem Vorgang bedingten Temperatur im Blute. Ich habe nicht den mindesten Anlass, an der, von den Herren Albert und Stricker vermutheten Beziehung zwischen den Tem- peraturen der Wand, und des Inhaltes der rechten Herzkammer zu zweifeln, und ich gebe gerne zu, dass eine Einwirkung von Seiten der Kammerwände auf das Blut, in dem von diesen Forschern an- gezeigten Sinne, besteht. Doch scheint es so, als wäre diese Ein- wirkung schwach genug, um von der entgegengesetzten Wirkung der, wie wir wissen, an sich geringen negativen Wärmetönung der Kohlensäureentbindung noch übertroflfen und verdeckt werden zu können. Ein weiteres Argument für die, von mir vertretene Auffassung der, von den Herren Albert und Stricker beobachteten Thatsachen ist das folgende: Wie oben auseinandergesetzt wurde , erfährt die Differenz zwischen den Temperaturen des Blutes im rechten Vorhof, und im rechten Ventrikel eine Vergrösserung, in Folge der Absperrung des Zuflusses durch die untere Hohlvene. Rührt nun, wie ich glaube, ein Theil dieser Differenz von der Reoxydation im Blute, das die obere Hohlvene bringt, her: dann ist erstens ein Anwachsen der Differenz in Folge der Abschliessung der unteren Hohlvene ohne Weiteres verständlich, weil eben die Oxydationswärme nur zur Er- höhung der Temperatur des Blutes verwendet wird, in dem die Oxydationen ablaufen; während durch die untere Hohlvene, wenn sie wegsam ist, eine grosse Menge fast vollständig sauerstofffreien Blutes, welches auch bereits auf den Grad erwärmt ist, der der abge- laufenen Oxydation entspricht, in den rechten Vorhof entleert wird. Ist meine Auffassung richtig, dann wird die Diu*chgängigkeit oder Unwegsamkeit der unteren Hohlvene keinen merklichen Einfluss auf die Maximaltemperatur, die das Blut in der Tiefe der rechten Kammer erreicht, nehmen dürfen. Diese Temperatur wird nämlich in allen Fällen von der Wärmetönung der inquilinen — 142 — Reoxydation wesentlich bedingt werden. Und da, soviel wir wissen, kein merklicher Unterschied im Gehalte des Blutes beider Hohlvenen an auspumpbarem Sauerstoff besteht, so wird beiderlei Blut, nach vollendeter Wiederbindung des Sauerstoffes, die gleiche Temperatur annehmen. Nur hat das Blut der unteren Hohlvene bereits diese Temperatur beim Eintritt in den rechten Vorhof — das Blut der oberen Hohlvene erreicht diese Temperatur erst in der Kammer. Die an letzterem Orte erreichte Maxim altemperatur wird also, sage ich, von der Wegsamkeit der unteren Hohlvene unbeeinflusst bleiben. Die Differenz zwischen der Yorhof- und der Kammer- temperatur wird jedoch bei verschlossener unterer Hohlvene um eben- soviel wachsen , als das Gemisch des Blutes beider Hohlvenen wärmer ist, als das Blut der oberen allein. Die Endtemperatur im rechten Herzen ist unveränderlich. Die Anfangstemperatur aber ist um so niedriger, je weniger weit die inquiline Reoxydation des, den Yorhof erfüllenden Blutes vorgeschritten ist ; sie ist also niedriger, wenn nur Blut aus der oberen Hohlvene in den Yorhof strömt, höher, wenn beide Yenen ihr Blut in ihn ergiessen. Ein Blick auf die Protokolle, welche in der oft erwähnten Abhandlung der Herren Albert und Stricker mitgetheilt sind, belehrt uns nun darüber, dass in der That, ganz so, wie es von der Percussionstheorie ge- fordert wird, die im rechten Yentrikel abgelesene höchste Blut- temperatur ganz unverändert dieselbe innerhalb jedes einzelnen Yersuches geblieben ist; und sich speciell als ganz unabhängig und unberührt von dem Umstand erwiesen hat, ob die untere Hohl- vene offen, oder verschlossen war. Diese Zahlen bestätigen ferner aufs schönste die ausschliessliche Abhängigkeit des Betrages der Temperaturzunahme im rechten Herzen von der „Anfangstemperatur", welche das, in den Yorhof einströmende Blut hat. Diese Anfangs- temperatur liegt in sänimtlichen, mitgetheilten Yersuchen, bei ver- schlossener unterer Hohlvene sehr viel näher an der Temperatur in der Yena cava descendens, als bei offener unterer Hohlvene; ist jedoch auch in den ersteren Fällen stets etwas höher, als die des oberen Hohlvenenblutes. Aus der Constanz der Maximaltemperatur in der rechten Kammer folgt die Unabhängigkeit aller übrigen, das Blut des rechten Herzens erwärmenden Factoren von der absoluten Temperatur, welche eben dieses Blut zur Zeit der Einwirkung besitzt. Wir werden somit nur solche Einflüsse auf dieses Blut als wirklich, und in merklichem — 143 — Grade vorhanden, ansehen dürfen, deren Wirkung davon unabhängig ist, ob das Blut vorher oder ob es nachher eine gewisse selbst- ständige Temperaturerhöhung erfährt. — Von den beiden Arten der Einwirkung der Herzwände, welche die Herren Albert und Stricker in Erwägung zogen, ist nun die eine mit ihrem Effect von der absoluten Temperatur des Blutes in der Weise unabhängig, dass Blut, dessen Temperatur jedenfalls — in Folge eines, ganz ausser Zusammenhang mit ihr stehenden Einflusses — eine bestimmte Aenderung zu einer unbestimmten Zeit erleidet, schliesslich eine und dieselbe bestimmte Temperatur haben wird, ob nun diese Aenderung vor, während, oder nach der Einwirkung von Seiten der Herzwände eingetreten sei. Es ist diess die Beimischung des Coronar- blutes. Sobald nur eine gewisse Menge Coronarblutes von einer gegebenen Temperatur dem, aus den Hohlvenen eintretenden Blute zugemischt wird, ist die schliesslich erreichte Temperatur des Ge- misches eine bestimmte, und unabhängig von der Phase des Reoxy- dationsprocesses , welche zur Zeit der Mischung mit dem Coronar- blut eben im Hohlvenenblut vorhanden war. Dass dem so sein müsse, geht aus einem bekannten Lehrsatze der Physik, und einem ebenfalls ganz verbreiteten Gesetze der theoretischen Chemie auf die einfachste Weise hervor. Da — wie oben erwähnt wurde — die Erwärmung des Blutes auf dem Wege durch das rechte Herz nur solche Wärmequellen haben kann, deren Effect von der absoluten Temperatur des Herz- blutes unabhängig ist; da ferner die Mitwirkung anderer Wärme- quellen, ausser der W.T. der inquilinen lleoxydation, sich als ein kaum entbehrliches Postulat herausgestellt hat ; und da schliesslich in der Zumischung des Coronarblutes eine Wärmequelle von der erforder- lichen Beschaffenheit erkannt wurde ; so glaube ich, mich unbedenk- lich für die Ansicht entscheiden zu dürfen, dass ausser der fort- schreitenden Sauerstoffbindung, auch die Beimischung des Coronar- blutes zur Erwärmung des Blutes auf seinem Wege von den Hohlvenen in die rechte Herzkammer beitrage. Dass übrigens eine solche Wirkung auf das Hohlvenenblut von dem Coronarblute ausgeübt wird , geht auch ganz direct aus dem plötzlichen Sprung der Bluttemperatur hervor, den man beim Vorschieben des Thermometergefässes aus der oberen Hohlvene in die rechte Vorkammer beobachtet; — besonders während der Zu- fluss des Blutes aus der unteren Hohlvene gesperrt ist. — 144 — Die zweite Art der Beeinflussung des venösen Herzblutes durcli die Temperatur des Herzmuskels, welche wir in Betracht zu ziehen haben, nämlich die directe Erwärmung durch die innere Oberfläche der Herzwände, war uns bereits aus anderen Grründen unwahrschein- lich geworden, was die Merklichkeit ihres Efi'ectes anlangt^). Auch der hier entwickelte Gedankengang führt zu diesem Resultat. Denn diese Wärmequelle ist keineswegs von der Beschaffenheit, welche wir als Bedingung für die Zulässigkeit einer Wärmequelle zur Be- gründung der Temperatursteigerung des Blutes im rechten Herzen erkannt haben. Sie ist mit ihrem Effecte — ganz im Gegentheile — sehr abhängig von der absoluten Bluttemperatur; dem Newton'schen Gesetze unterworfen, welches eine viel grössere Wärmeabgabe des Herzfleisches an das kältere Blut der oberen Hohlvene bedingen würde, als an das Gemisch des Inhaltes beider Hohlvenen; so dass aus einer merklichen Betheiligung dieses Einflusses, im Falle der Absperrung der unteren Hohlvene, eine ganz beträchtliche Ab- kühlung des Herzmuskels folgen würde, welche diesen letzteren, dessen Wärmeproduction — so viel wir wissen — keine entsprechende Vergrösserung erfährt, sehr bald unfähig machen müsste, die zur Begründung der beobachteten Thatsachen erforderlichen Wärme- mengen abzugeben. Wir sind also zu der Annahme gedrängt, dass die directe Er- wärmung des Herzblutes durch die Herzwände, deren Bestehen ja theoretisch gar nicht in Zweifel gezogen werden kann, in Wirklich- keit eine äusserst geringfügige ist, und neben den anderen Factoren keine merkliche Rolle spielt. Die indirecte Erwärmung des venösen Herzblutes durch die Beimischung des, aus den Herzwänden zurückkehrenden Coronarblutes müssen wir aber als eine merkliche und wesentliche Einwirkung ansehen, gewissermaassen als den constantenAntheil der Tempe- ratursteigerung, welche das Blut im rechten Herzen erfährt, während der mit der Zeit variable Antheil derselben, also die, auf dem Wege durch das rechte Herz noch fortschreitende Temperaturzunahme auf die Wärmetönung zurückzuführen ist, die der inquilinen Reoxy- dation im rechten Herzen entspricht. ^3 Siehe pag. 141. — 145 — Ich eutnehme der Abhandlung der Herren Albert und Stricker noch folgende Anhaltspunkte für eine directe Beurtheilung des un- mittelbaren Einflusses der Herzwand auf die Temperatur des Blutes in den Herzhöhlen. Auf Seite 32 ihrer Abhandlung berichten die eben genannten Herren über Versuche, welche sie geradezu in der Absicht angestellt hatten, den in Rede stehenden Einfluss des Herzfleisches auf die Blutwärme zu studiren. Aus naheliegenden Gründen ist dieser Ein- fluss viel schwieriger und unsicherer zu beobachten im dünnwandigen, mit wärmerem Blute gefüllten, rechten Ventrikel, als im linken Ventrikel, dessen Wand fast die dreifache Dicke, dessen Inhalt von vorn herein eine entschieden niedrigere Temperatur hat. Diese beiden Verhältnisse begünstigen offenbar eine Wärmeabgabe der Wand an den Inhalt; und es ist den beiden oben genannten Forschern in der That gelungen, diesen Vorgang am linken Ventrikel nachzuweisen; und zwar durch das folgende Verfahren. Zunächst überzeugten sie sich durch oft wiederholtes Vor- und Zurückschieben eines Thermo- meters, zwischen Aorten wurzel , und Ventrikel eines Hundes, von dem Bestehen einer, nicht über 0"P hinausgehenden Differenz der Bluttemperaturen in der linken Kammer und in der Aorta — ein Befund, dessen wir bereits an einer anderen Stelle Erwähnung ge- than haben. Hierauf „tödteten wir das Thier. Nach einigen Minuten „stieg dieser Unterschied auf einen ganzen Grad. Der Thorax war „dabei nur von der Linea alba aus zugängig gemacht worden; es „war also nicht daran zu denken, dass eine so rasche Abkühlung „in der Aorta stattgefunden habe, um die Unterschiede zu erklären. „Die Erscheinung wird aber verständlich unter der Annahme, dass „das Herzfleisch während des Lebens wärmer ist als das im Ventrikel „enthaltene Blut, und dass mit dem Stillstande des Herzens ein „Ausgleich stattfindet, bei dem das Blut an Wärme gewinnen muss." Wenn ich nun die, gewiss bescheidenen Annahmen mache, unter „einigen" Minuten seien deren nur drei zu verstehen, und es schlage das Herz nur GOmal in der Minute, so ergibt sich schon eine Ver- theilung dieser 9 Zehntheile eines Temperaturgrades auf 180 Blut- portionen; so dass das, durch den linken Ventrikel durchtretende Blut eine Vermehrung seiner Temperatur um V200 eines Centigrades erfahren v/ürde. — Nun kann man allerdings geltend machen, dass bei .stetem Wechsel des Kammerinhaltes die Wärmeabgabe etwas rascher vor sich gehe, wegen der aufrecht erhaltenen, grösseren FleiHchl V. Marxow, Bedeutung des Herzschlages. 10 — 146 — Differenz zwischen beiden Temperaturen. Icli kann dem nichts entgegenstellen; aber ich hoffe dadurch, dass ich das Resultat aus den obigen, gewiss äusserst günstigen Voraussetzungen, noch mit 2 multiplicire, jedes Bedenken zu beseitigen, welches man etwa gegen den, von mir abgeleiteten Maximalbetrag der Erwärmung des Blutes durch die Kammerwände erheben könnte. Um. Temperaturänderungen von der Grösse von 0'005*' oder von O'Ol^ handelt es sich aber bei allen, hier zur Sprache gebrachten Messungen und Erörterungen gar nicht. Wir sind zwar im Besitze von Mitteln und Methoden, die uns in den Stand setzen, so geringe Temperaturunterschiede noch mit grosser Sicherheit zu erkennen und zu messen; unter den Forschern, auf deren Beobachtungen und Angaben ich mich in diesem Buche berufe, ist jedoch keiner, der die Anwendung solcher Methoden auf die Tragen der Wärmetopographie im lebenden Organismus für erspriesslich und gerechtfertigt gehalten hätte. Nachdem wir nun aus der oben citirten Beobachtung eine — jeden- falls noch viel zu hoch gegriffene — obere Grenze für die Erwärmung des Blutes im lebenden Thiere durch die Wände der linken Kammer im Betrage von ^/i o o *^ abgeleitet haben, wird sich der entsprechende Werth für die rechte Herzkammer aus jenem Betrage in Form folgender Abschätzungen entwickeln lassen. Zwei Umstände sind in Betracht zu ziehen. Erstens die viel geringere Dicke der Wände, die den rechten Ventrikel umschliessen. Ich bin der Meinung, dass dieser Umstand von verschwindendem Einfluss auf die Grösse der Wärmeabgabe an das Blut ist. Zweitens muss die, bekanntlich um einige Zehntelgrade höhere Temperatur des Blutes im rechten Ventrikel berücksichtigt werden. Bei der, an sich schon so geringen Grösse des Unterschiedes zwischen Herz- und Bluttemperatur, wird eine weitere Reduction dieses Abstandes um ungefähr 0*3*' jedenfalls eine sehr beträchtliche Verminderung der Wärmeabgabe an das Blut zur Folge haben; so dass das Blut bei seinem Durchtritt durch die rechte Kammer von den Wänden derselben eine directe Wärme- zugabe von so geringem Betrage erhält, dass die davon herrührende Steigerung der Bluttemperatur weit unter '/i o o ° zurückbleiben muss. Ein numerischer Ausdruck der oberen Grenze dieses Werthes kann nicht gegeben werden, da alle Grundlagen selbst für die rohste Schätzung fehlen. Dieser Umstand ist aber ohne grosse praktische Bedeutung, da ja schon der andere, für die rechte Kammer jedenfalls sehr viel — 147 — zu grosse , Maximalwertli von ^/x o o '^ , einer zu geringen Grössen- ordnung angehört, als dass die experimentirende Physiologie einen, ihrer Berücksichtigung zugänglichen Factor in einer solchen Ein- wirkung auf den Wärmegrad des Blutes erblicken könnte, aus deren Betheiligung an der Wärmebilanz des Blutes, Temperaturveränderungen an bestimmten Orten des Kreislaufes bedingt werden, die den Um- fang eines Hundertstelgrades niemals zu erreichen vermögen. Ein weiteres Argument für die Ansicht, dass der Herzmuskel mit seiner Wärme merklich nur durch Vermittlung des Coronar- blutes, nicht aber durch directe Berührung an der Innenfläche des rechten Ventrikels, an der Steigerung der Bluttemperatur im rechten Herzen mitwirkt, glaube ich einer anderen Angabe der Herren Albert und Stricker (1. c, pag. 33) entnehmen zu können, welche folgendermaassen lautet. Nachdem diese Forscher an einer voran- gehenden Stelle über Versuche Bericht erstattet haben, die in der Vergleichung der Ablesungen an einem Thermometer gipfeln, dessen Gefäss einmal frei in der Höhle der linken Kammer lag, das andere Mal aber (in einer von aussen durch den Druck der Hand erzeugten Falte der Kammerwand, oder in einem, mit dem Thermometer selbst ins Herzfleisch gebohrten Kanal) allseits von der Substanz der Kammerwand berührt wurde ; und als Ergebniss dieser Versuche die Thatsache mitgetheilt haben, dass sich die Wand der linken Kammer um Beträge zwischen einem halben, und einem ganzen Grad wärmer erweist, als der Inhalt dieser Kammer, reinigen sie in einer längeren Auseinandersetzung diese ihre Versuchsergebnisse von jedem Verdachte einer Einmischung anderer, als der meritorischen Einflüsse, oder einer missverständlichen Deutung der Beobachtung. Sie schliessen hieran den Bericht über jenen Versuch, von dem ich bei der Berechnung am Anfange der Erörterung ^) ausgegangen bin, und welche mich zu der Ueberzeugung geführt hat, dass der directe Wärmeaustausch zwischen Blut und Herzwand ein sehr geringfügiger ist, und dass die von ihm herrührende Aenderung der Temperatur des Herzblutes durchaus unmerklich und vernachlässigungswerth ist. Indem die Herren Albert und Stricker dann wieder an die Versuche anknüpfen, welche sie zur directen Vergleichung von Wand und Inhalt der linken Kammer unternommen hatten, bedienen sie sich der Worte: -Am rechten Ventrikel waren die Versuchsresultate 'j Siehe pag. 145. — 148 — „weniger ausgesproclien. Die liöcliste Steigerung, welche wir nach „einer Umfassung des Thermometergefässes mit der Herzwand wahr- „ nahmen, betrug 0"1, sehr häufig betrug sie nur einige Hundertstel, „und zuweilen war sie negativ. Aehnliche Erfolge sahen wir durch „das Einbohren des Thermometerendes in den Grund des Ventrikels, „unter der Bedingung allerdings, die an alle unsere Versuche ge- „knüpft war, dass nämlich der Ventrikel durch eine Luftschichte „vom Zwerchfell getrennt blieb." Die Herren Verfasser weisen dann zur Aufklärung der, scheinbar in diesen Resultaten liegenden Wider- sprüche auf die Möglichkeit hin, dass die niedrigeren Ablesungen an dem, in Herzfleisch gehüllten Thermometer nicht dem wahren Sachverhalt entsprechen, sondern nur die Wirkung äusserer, störender Einflüsse auf die betreffenden Stellen der Herzwand zum Ausdruck bringen. So könnte bei der Faltenbildung die Hand des Experi- mentators — beim Einsenken in das Fleisch des rechten Ventrikels die äussere Luft eine so starke Abkühlung durch die dünne Herz- wand hindurch bewirkt haben. „In der That haben wir uns über- „ zeugt, dass eine Senkung [unter die Bluttemperatur, Ref.] dann „eintrat, wenn das Herzfleisch stark vorgewölbt wurde." Die Herren Verfasser entscheiden sich dann in Würdigung dieser Umstände dafür , bloss die Beobachtungen , welche die Kammerwand wärmer zeigten als das Blut, für den richtigen Ausdruck der normalen Ver- hältnisse anzusehen, und somit die, von ihnen am linken Ventrikel direct nachgewiesene Regel auch auf den rechten Ventrikel auszu- dehnen. — So gerne ich nun bereit bin, die von den Herren Verfassern beigebrachten Gründe für ihre Verwendung des Erfahrungsmateriales gelten zu lassen, und die Berechtigung des Schlusses, den sie ziehen, ohne Einschränkung anzuerkennen, so wenig möchte ich doch ander- seits auf mein Recht verzichten, welches ich zu besitzen glaube, und das mir die Verwendung derselben Gruppe von Beobachtungen zu einem Argumente für die hier von mir vertretene Anschauung frei- stellt. Wer dieser Entwicklung aufmerksam gefolgt ist, wird zu- geben, dass hierin kein Widerspruch liegt. Oder worin sollte denn der Widerspruch liegen, wenn aus einer und derselben Reihe von Beobachtungen, einmal auf das positive Vorzeichen, ein anderes Mal auf einen sehr geringen absoluten Betrag einer gewissen Grösse geschlossen wird? So wenig, wie ich daran denke, der oben in Kürze referirten — 149 — Schlussweise, oder der Ansicht der Herren Albert und Stricker entgegenzutreten, dass nirgends im Herzen die Temperatur des Blutes an die der Wand, welche es einschliesst , heranreicht: so wenig dürften diese beiden Herren etwas dagegen einwenden wollen, wenn ich mich ohne Weiteres an die, von ihnen beschriebene That- sache halte, dass die Wand der rechten Kammer nie um mehr, als höchstens O'l*^ über die Temperatur des Blutes im Inneren dieser Höhle sich erhebt. Ich finde mich aber veranlasst, dieses Ergebniss zu betonen, weil ich — ohne auf einen der früheren Beweise für meine An- schauung zurückzugreifen — eben aus dem hervorgehobenen Ver- hältniss einen, mii* ganz unanstastbar scheinenden Beweis für meine Behauptung ableiten kann. Man erwäge nur die sehr weit gesteigerte Ungunst der sämmt- lichen, im rechten Ventrikel verwirklichten Verhältnisse, von denen der Wärmeverkehr zwischen Blut und Herzwaud, dem Maasse nach, abhängt. Da erfahren wir, dass zu den übrigen, allgemein für das Herz geltenden , äusserst ungünstigen Bedingungen , als da sind : sehr schlechtes Leitungsvermögen beider Substanzen, kurze Dauer, und — sowohl absolut, als auch relativ — geringe Oberfläche des Contactes, kleiner Unterschied der beiden Temperaturen ; im rechten Ventrikel noch eine Beziehung von so ungünstiger Bedeutung für den Wärmeaustausch dazukommt, dass dieser nothwendig auf eine fast verschwindende, jedenfalls unmerkliche Spur reducirt wird. Ich meine die Annäherung beider Temperaturen an einander bis auf höchstens ^io '^ Unterschied, wie sie in der rechten Kammer, nach den oben erwähnten Messungen, besteht. Wenn zwei so schlechte Wärmeleiter in so geringer Fläche während so kurzer Zeit einander berühren, welche Temperaturänderung ist dann wolil in der so be- trächtlichen Masse des einen von ihnen zu gewärtigen, bei einer Differenz beider Temperaturen, die nur im äussersten Fall die Grösse eines Zehntelgrades beträgt? Es gibt nun einen scheinbaren Einwand gegen diese Schluss- folgerung aus den Beobachtungen der Herren Albert und Stricker, den ich nicht unerwähnt lassen will, obwohl ich nicht glauben kann, dass Jemand ihn im Ernste erheben wird. Man könnte mir nämlich entgegnen, diese geringen Temperaturunterschiede seien nicht als Bedingungen anzusehen, unter denen sich der Wärmeaustauch zwi- schen Blut und Herzwand zu vollziehen hat, sondern sie seien der — 150 — Maassstab, an dem zu erkennen ist, wie weit dieser Austausch ge- gangen ist, bis zu welchem Gerade sich die beiden Temperaturen ausgeghchen haben. Es scheint mir nicht nothwendig, eine solche Auffassung hier zu widerlegen. XIV. Die Strömungsverhältnisse im Gebiete des Hals- sympathicus. Dass der Process der inquihnen Reoxydation im Blute, welches aus dem Kopf durch die obere Hohlvene in's rechte Herz gelangt, am wenigsten weit vorgeschritten ist, und dass die Ergänzung dieses Vorganges durch die, mit ihr einhergehende Wärmeentwicklung zur Erhöhung der Temperatur des Blutes im rechten Herzen einen merklichen Beitrag zu liefern vermöge, ist eine Yermuthung, die ich nur mit der grössten Reserve ausspreche. Ich würde überhaupt nicht wagen, sie auszusprechen, wenn ich ausser der Erwägung, dass das Kopfblut die kürzeste Strombahn zu durchlaufen hat, und der Erfahrung, dass das Blut der oberen Hohlvene kälter ist, als das der unteren, keine Gründe für die Prämisse hätte, dass im Blut der Jugularvenen noch eine ansehnliche Menge freien, molecularen Sauerstoffes enthalten ist. Einen meiner Gründe für diese Annahme habe ich aber noch nachzutragen. Er beruht auf einer Erscheinung, die viel Aehnlichkeit mit der, oben besprochenen Erscheinung an den Speicheldrüsen besitzt, und der ich auch eine ähnliche Deutung geben möchte. Die Erscheinung, von der ich spreche, wurde von Claude Bernard entdeckt, und ist ganz allgemein bekannt. Wenn man den Grenzstrang des Sympathicus am Halse durchschneidet, so gehen alsbald sehr auffallende Veränderungen in der Hälfte des Kopfes vor sich, welche dem durchschnittenen Nerven angehört. Ich werde diese Veränderungen nicht alle beschreiben, weil sie einestheils so bekannt sind, dass diess nicht nothwendig erscheint, anderntheils aber nicht unmittelbar mit dem Gegenstande dieses Buches zusammen- hängen. Nur das Phänomen nimmt unser Interesse in Anspruch, welches sich am Blute dieser Kopfhälfte begibt. Es zeigt nämlich — 151 — das Blut der Jugularvene auf der Seite, auf welcher der Sjnipathicus durchschnitten wurde, ganz dieselben Merkmale, wie das Blut der Speicheldrüsenvenen nach Reizung der Chorda tympani. Das Blut der Drosselader strömt also nach Durchtrennuns' des Halsstrano-es ungleich reichlicher, heller, an Farbe röther, ja geradezu dem arteriellen Blute gleich. lieber die Temperatur dieses Blutes äussert sich Claude Bernard^) nicht so direct , wie über die andern Punkte, doch gelangt er zur Ansicht, dieselbe sei im Vergleiche mit der gesunden Seite erhöht. Auch betont er, das dieses Blut viel rascher gerinnt, als das normale Blut der Venen, und dass sich demzufolge keine so deutliche und mächtige Speckhaut in ihm ent- wickle, wie diess sonst der Fall ist. Claude Bernard hat näm- lich diese Versuche an Pferden ausgeführt. Auf diesen Umstand, dass die Gerinnungszeit abgekürzt erscheint, stützt er sich auch bei seinem Widerspruche gegen eine Auffassung, welche ich zu ver- treten versuchen werde. So sagt er^): „Wir kommen also zu dem „Schluss, dass das venöse Blut nach Durchschneidung des Sympa- „thicus röther, wärmer und gerinnungsfähiger ist. Man könnte im „ersten Moment glauben, dass das Blut weniger venös sei und dass „es den arteriellen Charakter zum grossen Theile beibehalten hat. „Diess bestätigt sich aber nur hinsichtlich des Sauerstoffgehaltes, „welcher grösser bleibt; allein das venöse Blut des Pferdes gerinnt „dann schneller als das arterielle, wahrscheinlich weil es wärmer „ist; das Verhältniss des Fibringehaltes ist ein anderes geworden" u. s. w. Ich bin gezwungen, den Umstand klarzustellen, dass Claude Bernard seine Aussage über die Temperaturerhöhung des Venen- blutes auf der verletzten Seite nicht auf directe Messungen oder Vergleichungen, sondern auf ein ziemlich complicirtes Rai- sonnement gründet. Ich würde mich nicht leicht entschliessen, einer von Claude Bernard aufgestellten Behauptung zu wider- sprechen, wenn selbe sich auf eine von ihm ausgeführte Beobach- tung oder Messung stützte. Aber hier liegt die Sache ganz anders. Claude Bernard muss bei dem Versuch, die höhere Temperatur des Venenblutes auf *) Claude Bernard, Vorlesungen über die thierisclie Wärme, über- eetzt von A. Schuster. Leipzig 1876, pag. 298— 300. *) 1. c. pag. 301. — 152 — der operirten Seite direct nachzuweisen, entweder gar kein, oder das entgegengesetzte Resultat erhalten haben; das geht daraus hervor, dass er dort '), wo man bei der Begründung seiner Ansicht die Berufung auf Messungen zu finden erwartet, eine Kritik der Methoden gibt, welche zur Bestimmung der Temperatur im lebenden Gewebe benützt werden, ihre Unzulänglichkeit, und geringe Feinheit beklagt, und ihre Verlässlichkeit in Frage stellt. Von vergleichenden Messungen in beiden Jugularvenen, oder zu verschiedenen Zeiten in einer und derselben Vene, wird gar nicht gesprochen — das einzige Resultat von Temperaturvergleichungen am Thiere mit Sympathicus- discission, welches wir erfahren, lautet^): „. . . man findet, wenn „man jeden Verlust von Wärme durch Einwickeln des Pferdekopfes „in Watte zu vermeiden sucht, dass das Blut in der Vena jugularis „wärmer ist, als in der carotis". Ich finde dieses Ergebniss ganz und gar begreiflich, und möchte beinahe behaupten, dass Claude Bernard den Unterschied noch grösser gefunden hätte, wenn er das Jugularvenenblut der nicht operirten Seite mit dem Carotidenblute an diesem, in Watte ge- hüllten Pferdekopf verglichen hätte. Wie wenig die Temperaturmessung ein Mittel darstellt zur Beurtheilung der Wärmeproduction, das wissen wir. Ich habe oben^) einen Fall analysirt, der zur Illustration dieses Satzes sehr geeignet ist — den der Circulation im Gehirn. Ich möchte nicht Alles, was dort gesagt wurde, hier wiederholen. Bloss an das Hauptresultat der ganzen Betrachtung möchte ich erinnern: dass nämhch bei unveränderter Wärmeproduction in einem Organ, aber veränderlicher Geschwindigkeit des Blutstromes in demselben, die dem Organ entnommene Wärmemenge wächst, und gleichzeitig die Temperatur des, aus dem Organ austretenden Blutes abnimmt, wenn sich die Geschwindigkeit des Blutstromes steigert. Stellen wir uns vor, ein in sich geschlossenes, mit Wasser ge- fülltes Röhrensystem sei an einer Stelle mit einem herzartig wirkenden Triebwerke versehen, und liege mit einem Antheile seiner Länge im Heizraume eines Ofens. An der, dem Ofen gegenüberliegenden Stelle sei das Röhrensystem innerhalb eines relativ kleinen Raumes, durch 0 ibidem. ') 1. c. pag. 300. ') Siehe pag. 127 f. — 153 — vielfache Umbiegungen, oder durch Verzweigung, zu einer grossen Oberfläcbenentwickelung gebracht, in der Art der sogenannten „Caloriferes". An dieser Stelle sei ein Thermometer zwischen den Röhi'en, oder in einer derselben, angebracht; ein anderes solches Instrument taucht in das, aus dem Heizraum austretende Rohr. Die Temperatur im Heizraum denken wir uns merklich constant. Die Geschwindigkeit des, im Rohrsystem circulirenden Wassers sei veränderlich. Wenn nun Jemand, der das Thermometer innerhalb der Schlangenwindungen steigen sieht, hieraus den Schluss zöge, das Quecksilber im anderen Thermometer stehe jetzt gleich- falls höher, als zuvor; so würde er sich höchst wahrscheinlich täuschen. Es ist vielmehr zu vermuthen, dass das Wasser jetzt rascher fliesst, als früher, und dass desshalb das Thermometer, welches in das, aus dem Heizraum des Ofens austretende Rolir ein- taucht, niedriger, das andere Thermometer aber höher steht, als zuvor. Das Raisonnement Claude Bernard's, auf das ich oben hin- wies, durch welches er die höhere Temperatur des Jugularblutes auf der operirten Seite festgestellt zu haben glaubt, beruht auf einem ganz analogen Trugschluss, auf einer besonderen Art der Verwechslung der beiden Begriffe: „Thermometrie" und „Calori- metrie". Die Thatsache, von welcher Claude Bernard bei diesem Raisonnement ausgeht, ist nämlich die, der Steigung der Temperatur des ganzen Thieres, an dem die einseitige Sympathicusdurch- schneidung gemacht wurde. Einige Stunden nach Ausführung dieser Operation haben sich bereits die Unterschiede zwischen den Merk- malen der gesunden, und denen der operirten Seite, theilweise aus- geglichen. Doch gilt diess nur von gewissen, nicht von allen Veränderungen, die als Folgen der Sympathicusdurchschneidung auftreten. Hauptsächlich gilt es, nach Claude Bernard, von den Temperaturerscheinungen, und von den Gerinnungsvorgängen. Wäh- rend unmittelbar nach der Operation am Nerven das Blut aus der gegenüberliegenden Jugularvene erst nach 40 Minuten gerinnt, und einer Speckhaut Zeit zum Entstehen lässt, die fast den dritten Theil der Höhe der Blutmasse einnimmt, das Blut aus der selbseitigen Jugularis aber schon binnen 14 Minuten gerinnt, und keine, oder nur eine sehr unansehnliche Speckhaut bildet; haben sich vier Stunden später die Verhältnisse so weit ausgeglichen, dass auch — 154 — das jenseitige Drosselvenenblut nur unter Bildung einer sehr dünnen Speckhaut gerinnt, das der operirten Seite aber gar keine solche Haut bildet. Leider finde ich bei Claude Bernard keine Angabe darüber, wie sich das Blut aus anderen, nicht im Kopf gelegenen Venen der operirten Pferde in diesen Fällen beim Gerinnen verhalten hat, und kenne auch keine sonstigen Versuche hierüber. Und doch wäre es sehr interessant, die Antwort auf diese frage zu kennen. Denn sie würde Aufschluss geben über die Natur der, von Claude Bernard an den Kopfvenen beobachteten, merkwürdigen Veränderungen. Verhält sich das Körpervenenblut auch so, wie das der Drosselvene der gesunden Seite : dann darf man auf eine Veränderung im Blute schliessen, die eine Folge der Sympathicusdurchschneidung ist, und sich im Blute dauernd erhält; und sich nach und nach, je mehr Blut durch das Gebiet des zerschnittenen Sympathicus geflossen ist, desto deutlicher am ganzen Blute ausdrückt, während sie anfäng- lich nur dem, unmittelbar aus diesem Gebiete kommenden Blute eigen war. Zeigt jedoch auch nach mehreren Stunden das Blut anderer Körpervenen nichts von dieser Veränderung, dann würde man ihr Uebergreifen von der operirten auf die gesunde Kopfhälfte auf eine, langsam sich einstellende Erweiterung der, in der Medianebene des Kopfes an die gelähmten Gefässe sich ansetzenden Blutgefässe der anderen Hälfte, und auf einen immer ausgiebigeren Abfluss von Blut aus den gelähmten Gebieten durch Venen der anderen Seite zurückführen müssen, und sich dabei unzählige Variationen des Eingreifens nervöser Vorgänge vor Augen halten müssen i). 0 Das eine Extrem dieser Reihe von Möglichkeiten würde den Einfluss von Nervenerregungen ganz ausschliessen, und die immer stärkere Beimischung von Blut der operirten Seite zum Inhalte der Drosselader der gesunden Seite auf Grund der so zahlreichen und breiten, intra- und extracraniellen Ana- stomosen der Blutleiter und Venen, welche zum Ursprungsgebiete der Jugu- lares Internae gehören, zu erklären suchen. Die unpaarigen, in der Median- ebene selbst verlaufenden Sinus, die als „Torcular Herophili" bekannte Sammelstelle, die vielfachen Querleitungen zwischen den paarigen Blutleitern, so der mächtige, ringförmige Kanal um den Stiel der Hypophyse, Herrn Virchow's Plexus basilaris, nebst vielen anderen bilden eine breite, anato- mische Grundlage für eine solche Ansicht. Viel weniger sicher scheint mir die physiologische Basis derselben beschaffen zu sein. Besonders die Er- klärung der Richtung, die der Blutstrom in diesen Bahnen theil weise ein- — 155 Doch mögen sich diese Dinge in Wirklichkeit verhalten, wie immer: den Nachweis einer Temperatursteigerung in dem hellroth, ai-teriell aussehenden Blute, welches nach Durchschneidung des Sympathicus aus der Jugularvene strömt, hat Claude Bernard, soviel mir bekannt ist, nicht erbracht; und ich glaube, es liegt überhaupt kein Grund vor, welcher gegen die, an und für sich sehr unbedenkliche Auffassung spräche, der zu Folge der ganze Zustand, der sich nach Durchtrennung des Halsstranges einstellt, das eine Extrem jener stetigen Reihe verschiedener Zustände ist, welche den verschiedenen Erregungsstufen des unversehrten Halsstranges ent- sprechen, als Reactionen der, von diesem Nerven abhängigen Organe auf seinen Einfluss. Der Sympathicus ist aller Grade der Erregung, von der äussersten Erschlaffung bis zur intensivsten Reizung fähig; und jedem dieser Zustände des Nerven wird ein anderer Zustand des von ihm beherrschten Organcomplexes entsprechen. — Möglich, dass das eine Extrem, jenes, dem eine Erregung des Nerven von der Intensität Null entspricht, ausserhalb der physiologischen Sphäre liegt, dass es im normalen, intacten Organismus nie verwirklicht wird, sondern nur als Folge einer Erkrankung oder Verletzung des Nervus sympathicus zu Stande kommt; wie eben in den uns be- schäftigenden Versuchen Claude Bernard's alle Reize, die den Geweben des Kopfes auf der Bahn des Halsgrenzstranges zugeführt werden können, durch die Zerstörung dieser Bahn ausgeschlossen wurden; - das andere Extrem, das intensivster Erregung dieses Nerven, und der von ihm versorgten reizbaren Gebilde, liegt gewiss innerhalb der physiologischen Breite, denn wir erreichen durch die Anwendung der heftigsten künstlichen Reizmittel auf den schlagen müsste, wird mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wenn nur mechanische, und nicht auch nervöse Wirkungen vorausgesetzt werden sollen. Das andere Extrem würde repräsentirt durch die Vorstellung einer rein nervösen Uebertragung auf die gesunde Seite, einer „sympathischen Affection des Sympathicus" nach dem Paradigma der sympathischen Ophthal- mitiden, und der, oft mit peinlicher Genauigkeit dem Gesetze der Symmetrie gehorchenden HautafTectioncn „auf nervöser Basis". Wie weni-^ innere Wahrscheinlichkeit ein solcher exclusiver Erklärungs- versuch besässe" zeigt schon eine oberllächliche Ueberlegung. Vor Allem wäre die Beschränkung der Uebertragung auf einzelne Symptome auf diese Weise schwierig zu verstehen. — 156 — Nerven selbst, im Versuche keine stärkeren — ja, in gewissen Be- ziehungen, nicht einmal ebenso starke Wirkungen im Innervations- gebiete des Sympathicus, wie natürliche Reize auf reflectorischem Wege sie im unversehrten Thiere hervorzubringen vermögen. Immer- hin wird auch die Auffassung des Zustandes völliger Erschlaffung, als eines im normalen Thiere nicht verwirklichten Extremes, für den in Rede stehenden Nerven eine gewisse Einschränkung erfahren; ganz ähnlicher Verhältnisse wegen, wie sie soeben für die stärksten Reize erwähnt wurden. Wie bekannt ist, treten diese reflectorischen Erregungs- und Erschlaffungswirkungen nicht gleichmässig und gleichzeitig an allen Elementen des Kopf sympathicus auf, nach einem sensorischen oder psychischen Einüuss auf das Nervensystem; sondern es betrifft der Reflex bestimmte, physiologisch definirte Gruppen von Sympathicusfasern. Unter diesen Gruppen ist die der Blutgefässnerven von eminenter Wichtigkeit in jeder Hinsicht, und auch für uns hier vom grössten Interesse. Wer nun Claude Bernard' s eigenthümliche Ansichten über die, von der Gefässverengerung unabhängige, „Kälte erzeugende" Wirkung des Sympathicus kennt, wird mir gewiss Recht geben, wenn ich auf eine Zergliederung dieser Auffassung hier nicht eingehe. Für uns genügt es, den Vorgang der Blutcirculation im Kopf als einen, was zunächst seine Geschwindigkeit anlangt, in solcher Weise vom Reizungszustande des Nervus sympathicus abhängigen, erkannt zu haben, dass die in der Zeiteinheit durch die Drosselader abfliessende Menge Blutes wächst, mit abnehmender Erregung des Sympathicus. Ferner wissen wir, dass im Falle eines, bis zum völligen Verschwinden der Erregung gediehenen Abnehmens der Reizstärke im Sympathicus, die Blutbahn so breit, und die Strom- geschwindigkeit in ihr so gross wird, dass nicht nur eine vielmals grössere Blutmenge in der Zeiteinheit durch die Jugularis interna strömt, sondern das Blut in diesem Gefässe sogar noch sein arterielles Aussehen zum grössten Theile bewahrt hat, und auch wirklich nur sehr wenig von seinem auspumpbaren Sauerstoff verloren hat. Nun ist uns ferner bekannt, dass die Temperatur des Blutes in der Arteria carotis interna niedriger ist, als in der Vena ju- gularis interna unter gewöhnlichen Verhältnissen — und dass beide Temperaturen weit unter der Binnentemperatur des Gehirnes liegen. — 157 — Aus einer weiter oben ^) vorgetragenen Ueberlegung folgt nun zunächst, wenn Avir einstweilen alle anderen Einflüsse unberück- sichtigt lassen: 1) Aus der grösseren Stromgeschwindigkeit im Systeme der Vena jugularis interna^): eine gegen die Norm verminderte Temperatur des Blutes in diesem Gefäss; zugleich aber die Uebertragung einer grösseren Wärmemenge vom Gehirn an das Gehirnblut, in der Zeit- einheit, so dass also während einer Minute durch die Jugularis in- terna mehr aus dem Gehirn ausgewaschene Wärme fliesst, wenn der Sympathicus am Halse durchschnitten ist, als sonst. 2) Aus demselben Grunde: eine gegen die Norm vermehrte Temperatur des Blutes in der Vena facialis communis und Vena jugularis externa; zugleich aber die Abgabe einer grösseren Wärme- menge aus den Gebieten dieser Venen an die atmosphärische Luft, in der Zeiteinheit. 3) Aus demselben Grunde, der jedoch hierfür besser in der Gestalt der kürzeren Dauer der Uebertragung aus der Carotis in die Jugularis angeführt wird : eine minder weit vorgeschrittene inquiline Reoxydation des Blutes, beim Anlangen in letzterem Gefässe, und folglich auch in der oberen Hohlvene; und im Zusammenhange damit: eine relativ niedere Temperatur des Blutes beim Eintritt in's rechte Herz, eine stärkere Temperatur-Zunahme des Blutes während des Durchtrittes durch dieses Organ. Ob sich aus dem Zusammentreffen der einander entgegen- wirkenden Momente, welche unter 1 und 2 angeführt wurden, im Ganzen eine Erhöhung, oder eine Erniedrigung der Bluttemperatur im Gemische ergeben werde, — das lässt sich a priori natürlich nicht bestimmen; auch hängt das Resultat, wie diess ja auch aus der oben citirten Beobachtung Claude Bernard 's hervorgeht, sehr von dem relativen Gewichte der beiden Momente, also von den besonderen Bedingungen des Vorganges ab. Dass sich aber aus dem, unter 3 in Erinnerung gebrachten Moment eine Erklärung der deutlichen Erwärmung des Blutes beim Durchgange durch's rechte Herz gewinnen lässt — das scheint mir, ') Siehe pag. 127 f. ^) In dieser ganzen Auseinandersetzung ist unter „Vena jugularis in- terna" stets der Stamm dieses Gefässes, vor der Einmündungssteile der Vena facialis communis in selbes verstanden. — 158 — wenigstens für Fälle, bei denen eine DurcMrennung des Halssym- pathicus vorgenommen wurde, ganz klar zu sein, doch, ist dieser Temperaturzuwachs keineswegs nur auf solche Fälle beschränkt; — ja ich weiss nicht einmal, ob er je an solchen Fällen besonders nachgewiesen wurde, und noch weniger, ob er unter dieser Be- dingung eine erheblichere Grösse gehabt hat, oder haben würde. Aber nachdem wir den Vorgang inquiliner Reoxydation, im extremen Fall absoluter Nichterregung der Grefässnerven des Kopfes, so weit zurückgeblieben finden, dass das Yenenblut dicht vor dem Eintritt in eine Hohlvene noch (nach den beiden wichtigsten Kri- terien: dem Aussehen, und der quantitativen Sauerstoffanalyse) den arteriellen Charakter an sich trägt — möchte ich kaum bezweifeln, dass dieser Vorgang auch in den gewöhnlichen Fällen mittlerer, ja selbst in denen, abnorm starker Erregung der Kopfgefässnerven nicht ohne Rückstand, und zur Gränze abgelaufen ist, in diesem selben Gebiete der Blutbahn, bei deren Einmündung in die grossen venösen Hohlräume. Was aber die, von Claude Bernard beobachtete, allmälig sich einstellende Erhöhung der gesammten Körpertemperatur an- langt, so bedarf es keiner anderen, als der einfachen Annahme, dass trotz der vermehrten Wärmeabfuhr aus den Binnengeweben des Schädels, speciell: aus dem Gehirn, die daselbst von vornherein herrschende, vergleichsweise hohe Temperatur auf ihrem ursprüng- lichen Grade erhalten werde — durch irgend eine, diese Constante garantirende Einrichtung — um einzusehen, dass aus einer Lähmung der Kopfgefässmuskulatur nothwendig eine solche allgemeine Er- hebung der Körpertemperatur auf ein höheres Niveau folgen müsse. Für meine Prämisse, dass sich im Blute der Drossel- und der Gesichts- venen eine nicht unerhebliche Menge freien, molecular beigemischten Sauerstoffes befinde, dass — mit anderen Worten — in diesem Blute noch ein merklicher Rest von Percussion vorhanden sei, haben sich aus den eben erörterten Versuchen Claude Bernard 's, wie ich glaube, sehr gewichtige Gründe entwickeln lassen. Mit dieser Prämisse gewinnt aber natürlich, schon aus rein formalen Gründen, auch der auf sie gebaute Schluss an Wahrschein- lichkeit. Dieser Schluss leitet bekanntlich einen Theil der Tem- peratursteigerung des Blutes bei seinem Durchgange durch's rechte Herz von der Wärmetönung der inquilinen Reoxydation her. Die Annahme, welche für die Entwickelung der eben vorge- - 159 — trageuen Anschauung verwendet wurden, stehen alle in Beziehung zur Percussionstheorie, Irre ich nicht, so unterstützen sie einander durch die weitgehende Uebereinstimmung der aus ihnen fliessenden Consecjuenzen mit der Erfahrung, und unterstützen eben dadurch allesamnit die Percussionslehi'e. Die Stichhaltigkeit der, nach so verscliiedenen Richtungen aus einem einheitlichen Ursprung abge- leiteten Folgerungen spricht wohl für die Lauterkeit eben dieser gemeinsamen Quelle — doch hat das Urtheil über die Percussions- theorie nichtsdestoweniger unabhängig zu bleiben von der Ent- scheidung, welche von Seite der Forschung über die Berechtigung dieses Gedankenganges gefällt werden wird — ich kann den durchaus hypothetischen Charakter, der auf den letzten Blättern auseinander- gesetzten Anschauungen nicht oft und scharf genug betonen. XV. Die Strömungsverhältnisse in anderen Organen. Die Beziehungen der Percussionstheorie zu allen jenen phy- siologischen Vorgängen, welche nicht im engsten Zusammenhange mit dem Wechsel der Blutgase stehen, sollen zwar hier — unserem Plane gemäss — ausser Betracht bleiben: einzelne von ihnen sind jedoch so innig mit dem, hier bereits besprochenen Stoffe verflochten, dass ihre fernere Ausserachtlassung sich nicht wohl durchführen liesse. So war im vorhergehenden Abschnitte dieses Buches schon so vielfach von den Veränderungen die Rede, welche das Blut der Speichelvenen, und das der Drosselvenen in seiner Farbe, seinem Sauerstoffgehalte, und in seiner Temperatur erleidet, wenn gewisse Einflüsse das Parenchym treffen, in das die Capillarbahnen dieses Blutes eingebettet sind, dass es mir kaum ausführbar scheint, diesen Gegenstand zu verlassen, ohne jener Veränderungen Envähnung gethan zu haben, welche die Physiologie am Blute anderer Organe kennt, als mit der Thätigkeit dieser Organe zusammenhängende Erscheinungen. Und es kommt mir um so dringender geboten vor, auf diese Veränderungen einzugehen, als dieselben theilweise von den, früher — 160 — besprochenen abweichen, und als sie der Percussionstheorie, aus der sie sich, wie wir sehen werden, einfach und vollständig verstehen lassen, vielleicht auf den ersten Blick zu widersprechen scheinen könnten. Der Leser weiss längst, dass ich von dem Blute der Nieren- venen, und von dem der „quergestreiften", in Thätigkeit befind- lichen Muskeln sprechen will. Bekanntlich ist das Nierenvenenblut erheblich heller roth, als das der anderen Körpervenen — wenn auch nicht so arteriell von Ansehen, wie das der Speicheldrüsenvenen bei Chordareizung. Von der Temperatur des, aus der Niere kommenden Blutes wird meistens behauptet, sie sei etwas höher, als die des anderen Venenblutes — diese Angabe hat aber wenig Bedeutung. Das Blut der Muskelvenen ist hingegen, wenn es aus einem, in lebhafter Arbeit befindlichen Muskel kommt, tiefdunkelroth, schwärzer als das anderer Venen, und dieses Blut ist gewiss wärmer, als das Blut in derselben Vene zur Zeit der Ruhe des Muskels. Trotz der grossen Verschiedenartigkeit der Veränderungen, welche also das Venenblut eingeht, sobald das Parenchym, aus dem es kommt, in den Zustand der Thätigkeit vesetzt wird, hoffe ich doch, alle diese Veränderungen aus dem Princip der Percussions- theorie einheitlich erklären zu können. Zunächst besteht zwischen den Erscheinungen an der Niere, und denen an der Speicheldrüse, kein Widerspruch. Claude Ber- ilard weist selbst mehrfach darauf hin, dass die Niere ein con- tinuirlich thätiges Organ sei, während die Speicheldrüsen eine inter mittlren de Thätigkeit besitzen. Daraus lässt sich ohne Weiteres verstehen, dass das Blut der Vena renalis stets hellroth ist, das der Speicheldrüsenvenen aber nur während der Dauer der Secretion. — Dass die Röthe des Nierenvenenblutes nicht so lebhaft ist, wie die des Speichelvenenblutes, erklärt sich wohl leicht aus der Verschiedenheit der Wege, welche das Blut in beiden Organen zurückzulegen hat; und aus der Kürze der Zeitdauer, die das Speichelvenenblut vom Augenblicke der Percussion trennt, im Vergleiche mit der Zeitdauer, die das Nierenvenenblut von diesem Momente trennt. — 161 - Was die Temperatur des Nierenvenenblutes anlangt, so scheint es mir in der Natur der Dinge begründet, dass wir keine klaren, eindeutigen Erfahrungen darüber besitzen. Claude Bernard spricht sich mit Bestimmtheit nur darüber aus^), dass das Blut der Vena renalis wärmer sei, und zwar um 2 bis 3 Zehntelgrade, als das der Arteria renalis. Diess finden wir einerseits fast selbstver- ständlich, anderseits aber unwesentlich. Um diesen Vergleich handelt es sich jedoch nicht. Von Belang wäre : zu wissen, wie das Venen- blut der secernir enden, im Vergleich mit dem der ruhenden Niere temperii-t ist. Aufschlüsse hierüber haben wir aber kaum zu erwarten, da der Zustand der Thätigkeit von dem der Ruhe an der Niere nicht so scharf geschieden ist, wie an anderen Organen, deren Function unmittelbarer unter die Herrschaft centrifugaler Nerven gestellt ist, als die der Niere. Wissen wir doch, dass diese Drüse eigentlich continuirlich secernirt, und dass die beträchtlichsten Stei- gerungen der Greschwindigkeit, mit der der Harn abgesondert wird, durch die Einführung gewisser Substanzen (Zucker, Harnstoff, Chili- Salpeter u. s. w.) in die Blutmasse erzielt werden, nicht durch eine Beeinflussung der Nierennerven. Ungleich entschiedener und deutlicher sind die Veränderungen des Venenblutes der Skeletmuskeln beim Uebergang dieser Organe aus der Ruhe in die Thätigkeit. Es ist eben dieser Uebergang selbst, hier ein so viel rascherer und präciserer, die beiden Zustände selbst, sind hier so viel weiter von einander verschieden, dass diess nicht anders zu erwarten ist. Die Thatsachen, deren Erklärung an diesen Gebilden der Theorie obliegt, sind die folgenden : 1. Der thätige Muskel selbst ist wärmer, als der ruhende. 2. Das aus dem thätigen Muskel kommende Blut ist (im Gegen- satze zu den drüsigen Organen) viel dunkler, als das aus dem ruhenden Muskel kommende. 3. Die Temperatur des Muskelvenenblutes wird gesteigert bei der Thätigkeit des Muskels. 4. Die Menge des Blutes, welches aus dem Muskel kommt, nimmt zu bei der Thätigkeit des Muskels (wie bei den Drüsen), doch ist die Zunahme verhältnissmässig gering. Ein Umstand, auf welchen bisher vielleicht kein hinreichendes ') 1. c. FleiHchl V. Marxow, Bedeutung des Hfirzsrhlages. H — 162 — Gewicht gelegt worden ist, und der für die Analyse solcher physio- logischer Fragen, wie sie uns hier beschäftigen, gewiss von Belang ist, liegt in der absoluten Länge der Capillargefäs se der Organe, Meines Wissens finden sich in keinem anderen Organe so lange Capillargefässe, wie in den, der Willkür unter- worfenen Muskeln. Unter Anderem folgt aus diesem Verhalten eine vollständigere Ausgleichung der Temperaturen von Parenchym und Blut; und bei der merklichen Identität der Wärmecapacitäten des Blutes, und des Muskeiflei ches ; und bei dem ausserordentlichen Ueberwiegen des letzteren hinsichtlich der Masse, wird wohl jeder andere Umstand, der sonst von Einfluss wäre, und die Temperatur des Blutes mit- bestimmte, gegen den oben genannten, aus der grossen Länge der Capillaren hervorgehenden Einfluss, verschwinden, und die Tem- peratur des Blutes in den Muskelvenen wird unter allen Umständen merklich gleich sein der des Muskelfleisches. Auf diese Voraussetzung werden wir uns bei dem Versuche, die am Muskelblute beobachteten Erscheinungen mit der Percus- sionstheorie in Einklang zu bringen, berufen. Eine Reihe anderer Umstände, welche berücksichtigt werden müssen, wenn man die grosse Verschiedenheit im Verhalten des Blutes der Muskeln einer- seits, der Speicheldrüsen, des Gehirnes, der Nieren u. s. w., ander- seits verstehen will, wird im Verlaufe der Erörterung dieser Frage namhaft gemacht werden. Ad 1. Dass die Temperatur des arbeitenden Muskels höher ist, als die des ruhenden, ist eine zu genau bekannte, und zu häufig analysirte Thatsache, als dass die Percussionstheorie es für ihre Aufgabe halten könnte, an den hierüber bestehenden Ansichten etwas zu verändern. Sie wird aus den bekannten Ergebnissen zahlreicher Unter- suchungen über den Gegenstand bloss die Meinung ableiten, dass das Verhältniss des „Organ-Sauerstoffes" zum „Blut-Sauerstoff" im thätigen Muskel eine Aenderung in dem Sinne erfährt, dass die Menge des, zur Oxydation des Gewebes verwendeten Oxygens er- heblich zunimmt, wenn der Muskel arbeitet; dass also der Antheil, welcher im Blute bleibt, und der inquilinen Reoxydation anheim- fällt, wesentlich abnimmt, bei der Arbeit des Muskels. Ad 2. Der soeben erwähnte Umstand trägt gewiss mit bei — 163 — zu dem besonders dunklen Aussehen des Venenblutes eines arbeiten- den Muskels; und zwar in zweierlei Weise. Erstens dadurch, dass die inquiline Reoxydation um so rascher vollzogen sein wird, je weniger inquiliner Sauerstoff vorhanden ist. Zweitens dadurch, dass eben die Farbe des Blutes um so dunkler wird, je weniger Sauerstoff überhaupt darin enthalten ist. Dass die Dunkelheit dieses Blutes von der geringeren Menge inquilinen Sauerstoflfes herrührt, ist wohl keinem Zweifel ausgesetzt. Ob derselbe Umstand aber auch ausreiche zm' Begründung der be- trächtlichen Abkürzung der Zeit, welche für den Vollzug des Pro- cesses der inquilinen Reoxydation erfordert wird, so dass dieser schon abgelaufen ist, wenn das Blut aus dem Muskel in dessen Vene übertritt — das ist eine andere Frage, die ich mich nicht ohne Weiteres getrauen möchte, mit „ja" zu. beantworten. — Doch ist noch ein Moment im arbeitenden Muskel vorhanden, welches be- schleunigend auf diesen Vorgang wü-ken kann. Diess ist die höhere Temperatur, welche ja allgemein als eine Bedingung für das rasche Venöswerden des Blutes gilt. Ich weiss jedoch nicht ganz genau, in welchem Sinne diese Angabe zu verstehen ist, und will mich hier noch nicht auf die Discussion solcher wichtiger Fragen ein- lassen, welche sich unter den Voraussetzungen der Percussionstheorie aufdrängen, hinsichthch des Begriffes „venös werden". Ad 3. Den, meiner Ansicht nach, weitaus wichtigsten Grund der hohen Temperatur des, aus dem thätigen Muskel abströmenden Blutes habe ich bereits dargelegt bei der Erörterung der nächsten Folgen einer so ausserordentlich langen Erstreckung der Capillar- gefässe, wie wir sie im Muskelfleische der Warmblüter vorfinden. — Offenbar verschwinden gegenüber den thermischen Leistungen der Muskelsubstanz bei der Contraction alle jene Einflüsse, die sonst zum Ausdruck kämen, und deren Besonderheit im vorliegenden Falle vermuthlich durch die Aenderung des Massenverhältnisses von „Organsauerstoff'" und „Blutsauerstoff" bedingt würde. Icli glaube, es ist hier der richtige Ort für folgende Be- merkung über die allgemeinen Postulate der Percussionstheorie hin- sichtlich der Temperatur des Venenblutes, welches einem functio- nirenden Organe entströmt. So lange einerseits sowohl die Abgabe von Sauerstoff aus dem Blute an ein solches Organ, als auch die — 164 — Gescliwindigkeit des Blutstromes in einem solchen Organ als ver- grössert zu betrachten sind, anderseits aber keine genaueren An- gaben gemacht werden über das Maass eines jeden dieser beiden Zuwüchse, und über die absoluten, für dieses Organ charakteristi- schen Constanten, deren Betrag in Rechnung kommt, bei der Be- stimmung des Wärmewerthes dieser Zuwüchse — lässt sich aller- dings nicht einmal die Richtung angeben, in welcher eine Aenderung in der Temperatur des Blutes stattfindet, welches aus diesem Organe strömt, je nachdem dieses functionirt oder ruht. Denn die Ver- ringerung der Menge des inquilinen Sauerstoffes im Blute, sowie die räumliche Protraction des Vorganges der inquilinen Reoxydation, die im Allgemeinen mit der Beschleunigung des Blutstromes ver- bunden ist, wirken beide im Sinne einer Temperaturherabsetzung: die Vermehrung der Oxydationsprocesse im Organe wirkt im ent- gegengesetzten Sinne. Ohne genaue Kenntniss der speciellen Ver- hältnisse, welche gerade vorliegen, ist es aber nicht möglich, zu bestimmen, welcher von diesen Einflüssen überwiegend wirkt. Zu diesen Complicationen tritt nun noch ein, beim Muskel offenbar sehr wesentliches, bei anderen Organen aber vielleicht nur noch nicht hinreichend bekanntes und gewürdigtes Moment hinzu, in Grestalt der, von der Blutzufuhr unabhängigen, mit der physio- logischen Function an sich verknüpften Wärmeentwicklung. Endlich möchte ich noch auf einen Umstand aufmerksam machen, der vielleicht auch mit in Betracht kommt für die Be- gründung der im Gehirn so geringen, im Muskel so maassgebenden, Uebertragung der Organwärme auf das Blut. Es lässt sich für diesen Unterschied vielleicht ein zweites morphologisches Vorkonimniss, neben der Verschiedenheit der abso- luten Länge der Blutcapillaren in beiden Organen, geltend machen: das ist die Einscheidung der Blutcapillaren der Gehirn- substanz in die sogenannten „perivasculären Lymph- räume". Wer je einen zweckmässig behandelten Schnitt durch irgend einen Theil eines Säugethier- oder Vogelgehirnes unter dem Mikroskop mit einiger Sorgfalt betrachtet hat, der weiss, dass die Blutbahnen im Gehirne in ein System cylindrischer , conaxial zu ihnen angebrachter, unter einander communicirender, mit (im Tode gerinnender) Flüssigkeit erfüllter Hohlräume von erhebhchem Durch- — 165 — messer eingehüllt sind. Man ist über den Zusammenhang dieser Räume mit anderen, unzweifelhaften Lymphräumen längst einig. Wenn man sich an die Weite dieser Räume erinnert, in denen, ausser dem Capillargefäss, welches in der Axe verläuft, noch hie und da ein Lymphkörperchen Platz findet, und sich nun vor- stellt, dass in ihnen eine stetige Bewegung der transsudirten Flüssig- keit, sowohl gegen den Inhalt der Capillaren, als auch gegen die umgebende Hirnsubstanz, stattfindet, so wird man leicht einsehen, dass in der ganzen Anordnung, welche liier geschildert wurde, eine isolirende Wirkung vorbereitet ist, die sich dem raschen Ausgleiche der Temperaturen zwischen Blut und Parenchym entgegenstellt. Eine solche, bewegliche, flüssige Zwischenschicht, mit ihrer temperaturisolü-enden Wirkung, fehlt nun, soviel wir wissen — jedenfalls in solcher Mächtigkeit, wie sie im Gehirn besteht — den Blutgefässen anderer Organe; und scliiebt sich vor Allem nicht zwischen Muskelfleisch und Muskelblut ein. Ob sich nun in Wirk- lichkeit neben der mächtigen Wärmeproduction, die dem arbeitenden Muskel, unabhängig von der Blutcirculation, eigen ist; und neben der, relativ sein- beträchtlichen Länge der Capillargef ässe im Muskel, noch der eine oder der andere von den übrigen, hier erwähnten Einflüssen in merklichem Grade geltend macht, ist eine Frage, deren Beantwortung ich — wie die so vieler anderer, dahingestellt lassen muss. Eine der Variablen, von denen die Temperatur des Muskel- venenblutes im Principe abhängig ist, wurde bisher nicht in Betracht gezogen, da sie in der folgenden Alinea specielle Würdigung erfährt. Ad 4. Dass die Geschwindigkeit des Blutstromes im gereizten Muskel eine Zunahme erleidet, und worauf diese zurückzuführen sei, ist ein, von Herrn C. Ludwig und seinen Schülern so vielfach und gründlich in Untersuchung genommenes Thema, dass wenige Capitel der Physiologie ein so reiches, unserer Erkenntniss erschlossenes Material enthalten, wie dieses. Eine gedrängte Zusammenstellung der wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchungen findet man in Herrn L. Hermann's „Allgemeiner Muskelphysik" ^), woselbst auch die hierhergehörigen Citate der Originalarbeiten nachzusehen sind. ') L. Hermann, Handbuch der Physiologie, I.Band, l.Theil, pag. 133ff. — 166 — Für unsere Betrachtung ist zunäclist der Umstand von Wichtig- keit, auf welchen schon oben hingewiesen wurde: dass die Be- schleunigung des Blutstromes hei der Arbeit des Muskels eine geringe ist, im Vergleiche mit dem analogen Vorkommniss im Gebiete der Speicheldrüsen- und der Drosselvenen, nach Reizung der Chorda tjonpani, beziehlich Durchschneidung des sympathischen Nerven. Ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass eben dieser Umstand auch wieder mit der besonders grossen Länge der Muskelcapillaren zu- sammenhängt, und zwar — wenn ich mich dieses Vergleiches bedienen darf — nach Art der Grössen in der Ohm'schen Formel. Denn dort, wie hier, ist der Einfluss einer Widerstandsänderung auf die Geschwindigkeit eines Strömungs Vorganges, oder (mit etwas anderen Worten) auf die Intensität eines Stromes geringfügig, so- bald der Widerstand überhaupt von höherer Grössenordnung ist, als die an ihm angebrachte Aenderung. — Von Wichtigkeit ist aber die vergleichsweise Unbeträchtlichkeit der Zunahme des, in der Zeit- einheit durch den Muskel strömenden Blutquantums bei der Arbeit aus dem Grunde, weil auch hierin ein Moment erblickt werden kann, welches den Parallelismus der Temperatur Schwankungen im Muskel- fleisch, und im Muskelvenenblut erklären hilft, der sich bei der Abwechslung von Ruhe, und Arbeit des Muskels beobachten lässt. Ich glaube nicht, dass nach Allem, was über diesen Gegenstand hier gesagt worden ist, eine ernsthafte Schwierigkeit für die Per- cussionstheorie in dem Antagonismus erblickt werden wird, der zwischen Muskelgewebe und Drüsensubstanz besteht, hinsichtlich der Veränderungen an dem, aus beiden austretenden Blutstrome, welche den Zuständen der Ruhe, und der Thätigkeit beider Arten von Organen entsprechen. XVI Die Intensität der Percussion bei den homöothermen Wirbelthieren. So wären wir denn nach langen und umständlichen Erörte- rungen endlich dahin gelangt, die grosse und vielseitige Wahr- scheinlichkeit zu erkennen, welche der Anschauung innewohnt, der — 167 — Stoss des recMen Herzens sei zu schwacli für eine Per- cussion des Sauerstoffes im Oxyhämoglobin des Venenblutes, sondern reiche bloss hin für die Percussion der, in letz- terem gelösten Kohlensäure; der Stoss des linken Herzens jedoch genüge für die Percussion des, an das Blutroth gebundenen Sauerstoffes! Es lässt sich nicht verkennen, dass mit einer solchen Auf- fassung Consequenzen verknüpft sind, die zu sehr weitgehenden, und sehr bestimmten Forderungen führen. Nach den Anschauungen der Percussionstheorie ist eine be- stimmte, absolute Intensität des Stosses des rechten Ventrikels ; und ebenso eine bestimmte, andere, erheblich grössere, absolute Intensität des Stosses des linken Ventrikels aller warmblütigen Thiere, unerlässlich nothwendige Bedingung für das Leben dieser Thiere. Alle Unterschiede in der Grösse, sowie alle übrigen, enormen Unterschiede in der Organisation der homöothermen Wirbelthiere werden ohne Belang bleiben für die Forderung, dass der Stoss des rechten, sowie der des linken Herzens je eine ganz bestimmte, absolute Intensität habe, welche für alle Species dieser zahl- reichen und bunten Reihe von Thieren eine und dieselbe, nur innerhalb sehr enger Grenzen veränderliche Grösse besitzen m u s s ! Diese Forderung ist nun, so wenig wahrscheinlich, und so schwierig ihre Erfüllung auch auf den ersten Blick zu sein scheint, doch in aller Strenge wirklich erfüllt; und der Nachweis dafür, dass sie erfüllt ist, ist eigentlich schon längst erbracht. Es gibt nämlich eine Bedingung, von deren Beschaffenheit gleichzeitig die Intensität, die der Stoss eines Ventrikels mindestens erreichen muss, und die Intensität, die er höchstens erreichen kann, ganz unmittelbar und eindeutig abhängt. Diese Bedingung ist: die Spannung, oder der Druck, unter dem das Blut im Anfangsstück der Aorta, und der Pulmonalis, steht. Denn von diesem Druck hängt die Kraft des Verschlusses der Semilunarklappen in beiden arteriellen Ostien ab. Und von dieser Kraft hängt wieder die Kraft ab, die für die Ueberwindung und Durchbrechung dieses Verschlusses erfordert wird, also die Höhe, welche der Druck des Kammerblutes auf die convexe (untere, äussere) Fläche der halbmondförmigen Klappen erreichen muss, um — 168 — eine ausweichende Bewegung dieser Klappe im Sinne des Druckes zu veranlassen. Gegen die Anschauung, dass es bei der Eröffnung des arteriellen Ostiums nicht auf ein Ueberwiegen der einen Druckhöhe über die andere ankomme, sondern dass sich der Druckspannung des Herz- kammerblutes ein Geschwindigkeitspotential beigeselle, welches von der Bewegung des Blutes gegen die Klappe herrühren, und deren Eröffnung in einem Moment bedingen soll, in dem der Druck in der Kammer für sich allein, den Druck über der Klappe (also im Aortensystem), nicht erreicht, geschweige denn: übertrifft — gegen diese Vorstellung, die gewiss viel mehr Grund hat, auf ihre Anhänger stolz zu sein, als ihre Anhänger Grund haben, auf sie stolz zu sein, bedarf es kaum eines anderen Gegenbeweises, als der Bemerkung, dass eine wirkliche Bewegung des Herzblutes nach der Aortenwurzel hin nicht eher zu Stande kommen kann, als die Klappe sich öffnet. Wir müssen also anerkennen, dass die Spannung, oder der Druck in der Aorta (ebenso wie in der Pulmonalarterie) die Be- deutung einer unteren Grenze besitze, die vom Drucke in der Kammer mindestens erreicht und überschritten werden muss, damit sich dem Blute die Austrittspforte aus der Kammer in die Aorta (oder Pul- monalis) eröffne. — Ebenso leicht ist aber auch einzusehen, dass die Druckhöhe, welche constant in der Aorta auf einem bestimmten Werthe verbleibt, zugleich die Bedeutung einer oberen Grenze besitzt, über welche sich der Blutdruck in der Kammer nicht wesentlich erheben kann. Würde nämlich nach der Eröffnung der Semilunarklappen der Druck in der Kammer noch weiter wachsen, so müsste auch der Druck in der Aorta sich steigern, und könnte nicht auf einem niedreren Werthe verbleiben. Die Beschaffenheit der Abflusswege aus der Aorta, welche den Druck, unter den das Blut in dieser höchstens gesetzt werden kann, regulirt und bedingt, bedingt gleichzeitig das Maximum des Druckes, dem das Blut in der Kammer ausgesetzt werden kann. Es versteht sich von selbst, dass ein periodisch wiederkehrendes Druckmaxiraum in der Kammer, welches einem absolut constanten Aortendruck nur eben genau gleich würde, ihn aber nie überträfe, keine Veranlassung zur Circulation des Blutes abgeben könnte. Der Blutdruck in der Aorta ist aber bekanntlich kein absolut constanter, sondern schwankt zwischen zwei Grenzwerthen, deren gegenseitiger Abstand aber, im Vergleiche mit der Druckhöhe selbst, ein geringer — 169 — genannt werden muss. Das oben Gesagte ist nun dahin abzuändern, dass der Druck, unter den das Kammerblut nothwendig gesetzt werden muss, damit es in die Aorta einströme, jedenfalls grösser werden muss, als der untere Grenzwertb des Aortendruckes; und keinesfalls grösser werden kann, als der obere Grenz werth des Aortendruckes. Das Gleiche gilt für das, in die Pulmoualarterie zu befördernde Herzblut. Nun haben wir uns früher zu der Forderung gedrängt gesehen, „dass der Stoss des rechten, sowie der des linken Herzens je eine „ganz bestimmte, absolute Intensität habe, welche für alle Species „der zahlreichen und bunten Reihe von [warmblütigen] Thieren „eine und dieselbe, nur innerhalb sehr enger Grenzen veränder- „Kche Grösse besitzen muss". Die „Intensität" eines solchen Stosses, wie ihn die, den Ventrikel ausfüllende Blutmasse von den, sie einschliessenden. um sie zusammenzuckenden Muskelmassen der Yentrikelwände zu Beginn der Systole erleidet, hängt nun hauptsächlich von der Höhe des Druckes, unter den der flüssige Inhalt gestellt wird, und von der Zeit, binnen welcher diese maximale Druckhöhe erreicht wird, ab. Da nun erstens die Frequenz der Herzschläge innerhalb der beiden obersten Wirbelthierclassen allerdings keine constante, aber doch nur eine, zwischen nicht sehr weit von einander entfernten Grenzen schwankende ist; und da ferner — worauf ein besonderes Gewicht zu legen ist — alle Erfahrungen, die wü- hierüber besitzen, darin übereinstimmen, dass die Veränderungen dieser Frequenz von Aenderungen der Dauer der Diastole, und der sogenannten Herz- pause bedingt sind, während die Dauer der ganzen Systole fast unveränderlich erscheint; da endlich innerhalb dieser letz- teren Zeitdauer auch Avieder die ganz geringen Aenderungen, welche beobachtet wurden, hauptsächlich oder ausschliesslich auf den Abschnitt der Systole zu beziehen sind, der mit der Eröffnung der Semilunarklappen anfängt, und für die Austreibung des Blutes aus der Kammer benöthigt wird: so ergibt sich für den Zeitabschnitt, der mit dem Anfang der Drucksteigerung im Ventrikel beginnt, und mit der Erreichung des Maximums des Druckes im Ventrikel ab- schliesst, eine vollständige, oder nahezu vollständige, unter allen Umständen höchst bemerkenswerthe Constanz, eine weder von der Körpergrösse abhängige, noch durch den Charakter, das Geschlecht, das Alter, die Lebensweise, — 170 — Lebhaftigkeit der Thierspecies beeinflusste, allen Säu- gern und Yögeln gemeinsame, gleiche, absolute Dauer der Entwicklung des Druckes. Wenn wir nun als maassgebend für die Intensität des Stosses, der das Blut percutirt, die Höhe und die Dauer der Druck- schwankung ansehen — wie wir diess oben beschlossen haben — und es stellt sich die Dauer der Schwankung als merklich constant heraus, so werden wir, nachdem wir eine Constanz der Intensität des Stosses als nothwendige Folgerung aus der Percussionstheorie erkannt haben, eine und dieselbe Höhe des Maximaldruckes in der Herzkammer aller Warmblüter zu finden erwarten müssen; und wegen der, gleichfalls bereits eingesehenen Identität des Maximal- druckes in der Kammer, und des mittleren Druckes in der Aorta, werden wir den arteriellen Blutdruck in der Aorta oder Carotis bei allen warmblütigen Thieren gleich hoch anzutreffen, vorbereitet sein. Und ebenso müssen nach unserer Erwartung die Druckhöhen, welche in der Pulmonalarterie dieser Thiere bestehen, alle einander nahezu gleich sein; doch liegen für einen Vergleich dieser letzteren Druck- höhen bei weitem nicht genug Messungen vor. Was aber den Blutdruck in der Carotis anlangt, so ist dieser wirklich in sehr hohem Grrade unabhängig von der Körpergrösse und den übrigen Veränderlichen — und ist wirklich bei allen warmblütigen Wirbelthieren bei- nahe identisch ein und derselbe. Je mehr im Laufe der Zeiten die Methoden zur Bestimmung des arteriellen Blutdruckes vervollkommnet wurden, je mehr man andere Einflüsse auf die gemessene Druckhöhe eliminiren gelernt hat: desto deutlicher und genauer trat die Constanz dieser Grösse in der ganzen Reihe der Säugethiere und Vögel an den Tag. Am störendsten war bei den älteren Bestimmungen des arteriellen Blut- druckes ein Fehler gewesen, der aus der Einmischung eines, mit der absoluten Körpergrösse des Thieres nahe zusammenhängenden Factors, in das Ergebniss der Druckmessung hervorging. Um so gefährlicher ist dieser Fehler, als er die Resultate in einer Weise fälscht, die zu keinen auffallenden Widersprüchen führt, also auch keinen Verdacht erweckt. Es wird vielmehr durch seinen Einfluss eine, scheinbar ganz leicht begreifliche und naturgemässe Abhängig- keit des Blutdruckes von der Körpermasse vorgetäuscht, welche sich mit allen bisher üblichen Anschauungen wohl vereinbaren liess; mit — 171 - der Percussionstheorie jedoch in offenbarem Widerspruche stünde, wenn nicht schon längst durch die, von Herrn C. Ludwig in die Physiologie eingeführten, exacteren Methoden der Blutdruckmessung, sowie durch die von Herrn A. Fick erfundenen Messweisen diese Fehlerquelle beseitigt, und die aus ihr abgeleiteten Irrthümer durch die Erkenntniss ersetzt worden wären, dass der Blutdruck in allen warmblütigen Thieren derselbe ist. Der Fehler, von dem ich hier spreche, besteht in den Blutverlusten, welche nach den älteren ^) manometrischen Methoden erforderlich waren , zur Herstellung der Niveaudifferenz in den beiden Schenkeln des U- förmigen Rohres. Diese Blutverluste, welche man jetzt auf all- gemein bekannte Weise vermeiden gelernt hat, waren so gut wie belanglos, wenn die Messung an einem sehr grossen Thiere, wie etwa an einem Pferde, vorgenommen wurde. Bei Hunden, Schafen u. s. w. waren sie schon nicht mehr ganz ohne Einfluss auf das Resultat, weil man damals, um die Gerinnung des, aus dem Blut- gefäss ausgetretenen Blutes zu verzögern, recht weite Röhren als Canülen, und zur Leitung verwendete, und dieselben gewöhnlich auch gleich als Manometer benützte. Den schädlichsten Einfluss hatte dieser Fehler beim Uebergang zu Messungen an noch kleineren Thieren, wie z. B. an Kaninchen, die noch dazu recht wenig Blut besitzen. Da findet sich in älteren Tabellen ein plötzlicher Sprung in der Höhe des Blutdruckes. Es scheint, dass dann für solche, und für noch kleinere Thiere, ein anderes Manometer, aus engerem Glasrohre gebogen, verwendet wurde; was die grossen Differenzen in diesen Angaben veranlasst haben mag. Seitdem man sich vor diesen Fehlern hütet, erhält man Werthe für den Blutdruck in der Carotis, die ganz gleich sind, ob die Messung an einem Elephanten, oder an einer Spitzmaus ; ob sie am Pferde, oder an der Taube ge- macht ist. Die Quecksilbersäule, welche diesem Druck das Gleich- gewicht hält, ist 150 Millimeter hoch; und ich will nur einige, wenige Zahlen hier anführen, um die obige Behauptung zu illustriren. Herr C. Ludwig fand den Blutdruck in der Carotis eines Pferdes, welches er als „alt und elend" bezeichnet, 122 mm Queck- silber hoch, Herr Spengler fand diesen Druck an einem Pferde, ') Von den ältesten Messungen, bei denen Haies einlach die Höhe beobachtete, bis zu der das Blut in einer, in die Arterie eingebundenen, ver- tical gestellten, oben offenen Glasröiire stieg — gar nicht zu spreclien. — 172 — welches bloss „alt" genannt wird = 140 mm, während er ihn an einem andern Pf erde, dem gar kein Epitheton zugedacht ist^ 150 mm fand. 150 ist die Zahl, welche von Herrn C. Ludwig an einer Katze für den Blutdruck bestimmt wurde, während ein Hund bloss 143 ergab. Herr Blake fand an einem anderen Hunde 157, an einer Taube ebenfalls 157, an einem Schaf 156, am Kalb 153, hingegen an einer Gans 162, an einem Storch 161 u. s. w. Bei der Beurtheilung anderer Ergebnisse von Blutdruck- messungen, welche etwas höhere Zahlen zu Tage förderten, darf der bekannte Reflex, den jeder heftigere Schmerz auslöst, und der zu einem Krampf der Yasoconstrictoren führt, nicht ausser Acht gelassen werden. Denn, dass es auf diese Weise zu einer vorüber- gehenden Steigerung des Druckes im Arteriensystem kommt, wissen wir ja; ebenso wie wir die gleiche Veränderung als Folge heftiger, psychischer Erregungen kennen, wie solchen eben die Thiere, an denen derartige Messungen vorgenommen werden, ausgesetzt sind. Ander- seits fehlt es auch nicht an Erfahrungen über EjEfecte psychischer Beeinflussung, die sich in Gestalt von Herabsetzung des arteriellen Druckes manifestiren. Alles dieses, nebst vielem anderem, was sonst noch von Einfluss auf das Resultat Druck oder Spannung im Aortensystem messender Versuche sein mag, ist durchaus nicht von solcher Art und Be- deutung, dass es die Sicherheit und Schärfe unserer Erkenntniss zu beeinträchtigen vermöchte. Vielmehr wird die ganze Lehre von den Einflüssen auf den Blutdruck in den Arterien zur Befestigung des Wissens von der Gleichheit der Höhe dieses Druckes bei allen Warmblütern insoferne beitragen, als manche von den scheinbaren Ausnahmen sich aus dem einen oder dem anderen dieser Einflüsse verstehen, und auf die Regel zurückführen lassen werden. Ich würde weiter gehen, als ich gehen darf, wollte ich aus dem Umstände, dass die Organismen, von denen wir sprechen, über- haupt automatisch und reflectorisch wirkende Einrichtungen zur Regulirung des Blutdruckes besitzen, ein Argument zu Gunsten der Percussionstheorie ableiten. Und zwar wäre das aus dem Grunde unrichtig, weil die Regulirung des Blutdruckes gewiss nicht bloss unter den Voraussetzungen meiner Lehre als nothwendige oder nützliche Einrichtung eingesehen werden kann, sondern eine Ein- — 173 — richtung ist, deren Vortbeile für den Organismus unter allen Um- ständen klar am Tage liegen. Eher möchte sich schon der Umstand, als ein unter dem Ge- sichtspunkte der Percussionstheorie besonders einleuchtender, zu einem Argumente im Sinne dieser Theorie eignen, dass alle Vor- richtungen zur Regulirung des Blutdruckes, innerhalb eines weiten Kreises physiologischer Verhältnisse, auf die Herstellung und Er- haltung eines und desselben, ganz bestimmten, unverkennbar höchst bedeutungsvollen, und dringend wichtigen Blutdruckes abzielen. Und von den beiden Richtungen der Veränderung, die der Blutdruck erleiden kann, ist es wieder die Abnahme, gegen welche er, sobald er überhaupt Gefahr läuft, unter einen gewissen, unteren Grenzwerth herabzusinken, so zu sagen, vom ganzen Organismus, und mit allen zu Gebote stehenden Mitteln, und — in des Wortes buchstäblichem Sinne — bis auf den letzten Blutstropfen ver- theidigt wird. Ich kann unmöglich hier die ganze, grosse Lehre von der automatischen Regulirung des Blutdruckes reproduciren , um die Richtigkeit des soeben ausgesprochenen Satzes zu beweisen. Nur erinnern kann ich an die wichtigsten Ergebnisse jener zahlreichen und schönen Untersuchungen, welche ■ — meistentheils in Herrn C. Ludwig's Laboratorium — über diesen Gegenstand ausgeführt wurden. Unter den Mitteln, über welche der Organismus zum Behufe einer Regulirung, respective : Constanterhaltung des Blutdruckes ver- fügt, steht obenan die Veränderung der Blutgefässlumina. Die Ab- hängigkeit dieser letzteren von elastischen und contractilen Gewebs- elementen in der Wand der Blutgefässe ist allbekannt. Für die Auf- fassung der drucksteigernden Wirkung der Contraction der Gefässe sind nun mehrere Einflüsse von einander zu unterscheiden, wenn sie auch im Organismus selbst nicht völlig getrennt und einzeln zur Anschauung gebracht werden können. Das Blut, welches in einem gegebenen Falle, und während einer bestimmten Zeit, aus dem Ventrikel in das Arteriensystem befördert werden kann, wird natür- lich unter einem um so höheren Druck — und folglich auch mit einem um so heftigeren Stoss — die Kammerhöhle verlassen, je kleiner in der Gleichgewichtslage der Arterienwände, das von diesen im Ganzen umschlossene Volumen ist, das heisst: je enger die Arterien in ihrer Gleichgewichtslage wären (zu Folge des Contractions- — 174 — grades der Muskeln, der eben besteht, und zu Folge der übrigen Bedingungen) , wenn sie kein Blut entbielten. Ausser auf diese Weise, kann aber auch noch in der Art der arterielle Druck durch Gefässcontraction gehoben werden, dass die Menge des, in einer bestimmten Zeit dem Herzen zugeleiteten, und somit auch die Menge des, gleichzeitig aus ihm austretenden Blutes vermehrt wird. Hierfür wird namentlich der Contractionszustand der Venenwände, oder mit anderen Worten : die Capacität des Venen- (und Pfortader-) Systems von Belang sein ; ferner der Zustand, in welchem sich die CapiUar- systeme befinden, — endlich gehören gewiss auch noch hierher die anämischen oder Verblutungskrämpfe der quergestreiften Muskulatur. Dass ich mich auf keine Zergliederung dieser Vorgänge ein- lasse, sondern mich auf die obigen. Lochst flüchtigen Andeutungen beschränke, wird in Anbetracht der grossen Ausdehnung des Stoffes, und der relativ weit gehenden Einsicht in seinen inneren Zusammen- hang, die wir der physiologischen und klinischen Forschung auf diesem Gebiete verdanken, kaum bedauert werden. Hingegen scheint mir eine Besprechung jener Thatsachen hier wohl an ihrem Platze zu sein, aus denen sich die folgende Behauptung abstrahiren lässt: Es besteht eine Constanz des Blutdruckes in der Aorta (und folglich auch eine Constanz des systolischen Percussions- stosses) nicht nur in dem Sinne, dass diese Grössen in der ganzen Reihe der Warmblüter bei allen Species einen und denselben absoluten Werth haben; sondern auch in dem Sinne, dass dieser Werth bei den mannigfaltigsten physio- logischen und pathologischen Vorgängen a"m einzelnen Organismus in erstaunlicher Weise unverändert festge- halten wird, auf einer und derselben Höhe. Von Vollständig- keit wird natürlich auch bei dieser Erörterung nicht entfernt die Rede sein. ' Als wichtigste hierhergehörige Thatsache betrachte ich den Umstand, dass mit wachsender Entfernung einer, den Blutdruck be- einflussenden Bedingung von ihrer physiologischen Beschaffenheit, die Entfernung des Blutdruckes selbst von seiner normalen Höhe nicht etwa in irgend einer Weise stetig zunimmt, sondern vielmehr folgendes Verhalten platzgreift. Der Blutdruck wird, bei wachsender Entfernung jener Bedingung von der physiologischen Norm (z. B. bei steter Verminderung der Blutmasse, wie sie beim langsamen Verbluten durch eine kleine Arterie oder Vene statt- — 175 — findet), zu Folge der automatischen Thätigkeit der Regulirvorrichtung, durch geraume Zeit ganz unverändert auf seiner physiologischen Höhe erhalten; und dann endlich, wenn die Bedingungen sich zu weit von denen des normalen Zustandes entfernt haben, so dass die Regulirvorrichtungen nicht mehr ausreichen zur völligen Compen- sation der störenden Einwirkung, und somit zur Erhaltung des Blutdruckes auf seiner uormalen Höhe: dann geben die Regu- lirungsvorrichtungen , die noch vor Kurzem den Anschein voller, unverminderter Leistungsfähigkeit erweckt hatten, durch ein plötz- liches, unaufhaltsames Zusammenbrechen zu erkennen, dass ihre Rolle hier zu Ende gespielt ist, dass sie dem Organismus, von dem sie ein Theü sind, gar nichts mehr nützen, da sie ihm nicht ihre ganze, volle Leistung darbringen können. In der That ist die unmittelbare Folge dieses Zusammenbrechens ein jäher und tiefer Absturz des Blutdruckes — der Eintritt des Todes. — VöUig irrig wäre die Auffassung des geschilderten Verhaltens der Druckregulatoren als eine besondere, eigenthümliche Ermüdungs- erscheinung. Ich fasse vielmehr das Ganze als einen besonderen und eigenthümlichen Fall der Aufgabe oder Leistung auf, die einem Reflexapparate vorgeschrieben ist. Nicht zu reguliren hat er den Blutdruck, sondern zu fixiren. Kann er das nicht mehr, dann kann er überhaupt nichts leisten, was dem Organismus zu Statten kommt, und er wird nicht in weiteren Anspruch genommen. Wie eine Feuerspritze, deren Strahl aus irgend einem Grunde den Ort des zu löschenden Brandes nicht mehr zu erreichen vermag, sofort hinsichtlich des vorliegenden Zweckes ganz und gar untauglich ist, und wenn das Wasser auch nur ein paar Millimeter vor der brennenden Fläche zu Boden fällt. — Ich denke natürlich nicht daran, eine Aenderung in unserer Nomenclatur vorzuschlagen, aber es scheint mir der Mühe werth, den feinen Unterschied nicht fallen zu lassen, der zwischen den Bedeutungen folgender beider Ausdrücke besteht: „Eine Vorrichtung zur Regulirung eines Druckes" ; „Eine Vorrichtung zur Fixirung eines Druckes auf eine bestimmte Höhe" ^). ') Man kann die Sache zwar so auffassen, dass man ersteren Begriff als den allgemeineren ansieht, in dem der zweite als speciellerer enthalten ist. Man kann also sagen: „fixiren" ist eine besondere Art von „reguliren". Doch finde ich diese Definition nicht zutreffend. — Ich würde die beiden Begriffe lieber einander gegenüberstellen, als sie einander unterordnen. Wenn — 176 — Eine solclie Vorrichtung zur Fixirung der Höhe des Blut- druckes ist nun eigentlich jener Reflexapparat, der die Gefässnerven- centra als einen seiner Hauptbestandtheile enthält. Aber nicht in jeder Verwendung hat dieser Apparat die angegebene Bedeutung, sondern — wie es scheint — nur für die, vom Grefässsystem selbst ausgehenden Reize, durch welche eben die Constanz des Blutdruckes gewährleistet wird. Denn ohne die Annahme von Reflexbögen, die mit ihren beiden Fusspunkten in der Blutgefässwand stehen, und zwar nahe aneinander, ist nach meiner Ansicht schlechterdings nicht auszu- kommen. Dass die motorischen Enden dieser Bögen in den con- tractilen Faserzellen der Tunica media liegen, daran, glaube ich, kann ebensowenig gezweifelt werden, wie daran, dass der Erregungs- vorgang von der centripetalen in die centrifugale Bahn innerhalb des Gefässnervencentrums reflectirt wird. Worüber schwer eine Vorstellung zu erlangen ist, das ist die Beschaffenheit der irritablen Anfangspunkte dieser Reflexbögen. Auch an den Fall könnte übrigens, als einen möglichen, ge- dacht werden, dass der Vorgang sich auf kurzem Wege erledigt, und dass die peripheren Ganglienzellen in den S3'^mpathischen End- geflechten der Gefässwände dabei eine Rolle spielen. ich einen Vorgang oder Zustand in solche Verbindung mit einem anderen bringe, dass von jedem speciellen Falle des zweiten, ein speci eller Fall des ersten bedingt wird, ihn also gewissermaassen zur abhängig Variablen in einem Functionsverhältnisse gemacht habe: dann darf ich sagen, ich habe ihn „regulirt". — Finde ich ihn hingegen in einer solchen Abhängigkeit vor, und löse entweder den Zusammenhang ganz auf, oder ändere ihn in solcher Weise ab, dass die frühere abhängig Variable nunmehr (innerhalb gewisser Grenzen) stets merklich den gleichen Werth hat, wie immer auch ihre Argu- mente sich ändern mögen: dann darf ich sagen, ich habe ihn „fixirt". — Ich kenne einen Fall aus der Sprache unserer Technik, der sich dafür geltend machen lässt, dass das Sprachgefühl die Sache in dem, von mir vertretenen Sinne entscheidet. Man ist in neuester Zeit — wie es scheint, ziemlich all- gemein — davon abgekommen, die Vorrichtungen zur Herstellung einer Constanten Temperatur in einem bestimmten Räume „Regulatoren" zu nennen, und bezeichnet sie jetzt als „Thermostaten", — 17' XVn, Die Höhe der Temperatur bei den homöothermen Wirbelthieren. Wie dem aber auch sein möge : ohne Beispiel in der Phy- siologie der Warmblüter ist der Fall einer automatischen Fixirungsvorrichtung nicht. Denn , geht man überhaupt auf den, hier eingeführten Unterschied zwischen „fixiren" und „regu- liren" ein, so muss man zugestehen, dass zwar eine Regulirun g der Wärmeproduction im Körper der homöothermen Thiere existirt, dass selbe aber von einer Beschaffenheit ist, welche ihr zugleich den Charakter einer Fixirung des Temperaturgrades verleiht. Ganz ebenso, wie den Blutdruck sehen wir auch die Tem- peratur bei allen Warmblütern von vornherein auf eine und dieselbe Höhe gebracht, oder doch zwischen zwei Grenz- werthe eingeengt, die sehr, sehr nahe an einander liegen. Beide, der Blutdruck und die Körpertemperatur, sind zahlreichen und mächtigen Beeinflussungen ausgesetzt, welche häufige und heftige Schwankungen ihres Betrages veranlassen müssten, stünden sie nicht beide auch noch unter der Herrschaft je eines anderen Sjstemes von Bedingungen, die ihnen — nach Art einer Selbststeuerung — in allen Fällen (innerhalb gewisser Grenzen) Impulse ertheilen, deren Richtung entgegengesetzt ist der Richtung der eingeleiteten Schwankung, Impulse, deren Stärke in so eigenthümlicher Art von den Graden der verschiedenen, störenden Einflüsse abhängt, dass der ursprüngliche, normale Zustand im Blutdruck, oder in der Körpertemperatur stets wieder, kurze Zeit nach der Störung, herbei- geführt ist — ja dass es, ganz extreme Fälle abgerechnet, über- haupt zu keiner andauernden oder namhaften Schwankung des Druckes und der Temperatur im Blute kommt. Welche dritte, nach irgend einem Maasse messbare, das heisst: in Centimeter, Gramm, Secunde ausdrückbare Grösse im thierischen Organismus existirt, deren absoluter Betrag sich gleich bleibt in allen Arten von Säugern und Vögeln, so, wie der Blutdruck und die Temperatur bei allen diesen Thieren den gleichen Werth haben: 150 mm Hg und 40" C. ? Die Thatsache aber, dass gerade eben diese beiden Dimen- FleiHchl V. Marxow, IJedeutung de» Herzschlages. 12 — 178 — sionen bei den Warmblütern so festgelegt sind, gibt zu denken; und ich habe die Constanz der Bluttemperatur nicht umsonst so ausführlich mit der des Blutdruckes verglichen, habe sie überhaupt nicht nur des Vergleiches wegen, sondern um ihrer selbst willen erwähnt. Denn der oben vorgeführte Schluss : „ Soll der Sauerstoff (und die Kohlensäure) durch Percussion dissociirt werden, so wird der percutirende Herzstoss überall gleich stark sein müssen; soll er das sein, so wird seine Dauer, sowie der durch ihn er- zeugte Druck überall gleich gross sein müssen; soll letzteres der Fall sein, so wird der Druck in der Aorta oder Carotis überall gleich hoch sein müssen; nun ist in der That dieses Postulat erfüllt: somit habe ich eine Instanz für meine Theorie gewonnen" — dieser Schluss ist so, wie er hier steht, nicht ganz einwandfrei. Es ist noch eine Voraussetzung erforderlich, zu seiner Concludenz, welche aber bisher stets stillschweigend als erfüllt betrachtet wurde, nämlich die: dass die übrigen Dissociationsbedingungen bei allen Thieren der beiden obersten Classen in ganz gleicher Weise erfüllt sind; dass also das Hämoglobin bei allen ein und der- selbe chemische Körper ist, und ferner: dass die Tempera- tur überall die gleiche ist. Ist doch der grosse Einfluss der Temperatur auf Dissociationen im Allgemeinen, und speciell auf die des Oxyhämoglobins durch die wichtigen Arbeiten von Donders hinlänglich bekannt. Nun gehört es zu der uns angebornen Logik, und keine doctrinäre Berichtigung vermag uns davon zu befreien, dass wir eine These für um so wahrscheinlicher halten, je zahlreicher und complicirter und eigenthümlicher die, aus ihr hervorgehenden Postu- late sind, die als erfüllt nachgewiesen werden können. Ich habe den Weg, auf welchem ich zur Erkenntniss der Percussionstheorie gelangt bin, und die Reihenfolge, in der ihre einzelnen Theile mir in's Bewusstsein kamen, in diesem ganzen Buche — so genau ich nur konnte — eingehalten, als Richtschnur für die Darstellung meiner Theorie ; weil ich der Meinung bin, dass etwas Neues, das verstanden werden soll, auf keine sichrere Weise dieses Erfolges theilhaft gemacht wird, als durch möglichst nahen Anschluss des Ganges der Darstellung an den Gang der Gedanken, welcher zur Erkenntniss selbst geführt hat. Der Leser weiss also, dass die Gesichtspunkte, von denen aus — 179 — ich selbst zuerst den Hauptinhalt der Theorie kennen lernte, ganz und gar verschieden sind von den, in der obigen Betrachtung ein- genommenen. Ich will aber nicht verhehlen, dass trotz der Richtig- keit und Beweiskraft, welche mir — damals, wie jetzt — jene, in der Respiratiouslehre selbst gelegenen Argumente zu besitzen schienen, mein Vertrauen in die neue Lehre doch ein recht zag- haftes war, und dass die Besorgniss vor einem heimhchen, funda- mentalen Irrthume, der meinen Blicken unentdeckbar verbliebe, mich nicht verliess, so lange mir eben nur jene, vergleichsweise directen, analytischen Beweisgründe zur Verfügung waren. Erst, als ich die Erfüllung aller der zahlreichen und com- pHcirten Postulate der Wärmetopographie , der weitgehenden und heiklen Ansprüche an die Physiologie des Blutdruckes, und an die vergleichende Physiologie überhaupt, kennen lernte, trat an die Stelle jener zögernden, eine feste und ernste Ueberzeugung von der Wahrheit meiner neuen Lehre. Soll die Percussionstheorie Recht haben, so muss die Körper- temperatur der Thiere, auf die sie überhaupt angewendet wird, durchwegs eine und dieselbe absolute Höhe haben; und diese Tem- peratur muss ferner bei jedem dieser Thiere während des ganzen Lebens mit grosser Genauigkeit auf dieser Höhe erhalten werden! Diess ist eine strenge, und eine schwer zu erfüllende Be- dingung ! Aber bei der eminenten Wichtigkeit, welche der Tem- peratur unter den Bedingungen der chemischen Vorgänge über- haupt, der Dissociationen insbesondere zukommt, sieht man leicht ein, wie unerlässlich gerade diese Forderung ist. Es wird behauptet, die Verwendbarkeit des Blutsauerstoffes für die Oxydationen im Körper hinge von seiner Befreiung aus einer chemischen Verbindung durch Dissociation ab, und diese Dis- sociation werde nach Art der Explosionen durch eine mechanische Erschütterung eingeleitet. Da sich diese Erschütterung im Organismus zu vollziehen, imd zwar unter Verhältnissen zu vollziehen hat, welche ohnehin eine ganze Reihe der bedeutsamsten, eigenthümlichsten Anstalten und Vorsichtsmaassregeln nothwendig machen, da die Häufigkeit und Heftigkeit der Stösse, ihre ungeheure Gesammtzahl während des ganzen Lebens, der ganzen Einrichtung für unseren Verstand das Ansehen einer schwierigen und gefährlichen Aufgabe verleihen: so sträubt sich Alles in uns gegen die Vorstellung, die fragliche — 180 — Erschütterung sei heftiger, es sei dem Organismus in dieser Hin- sicht mehr zugemuthet, als eben nothwendig ist, für die Voll- ziehung jener Dissociation. Wenn nun also der Herzstoss nicht heftiger ist, als nöthig — dann wird an den übrigen Bedingungen der, durch ihn einzuleitenden Dissociation auch nicht viel verändert werden dürfen, ohne den ganzen Effect zu gefährden. Vor Allem wird hierdurch die Dissociationstemperatur ganz eindeutig bestimmt und fest- gelegt sein; und keinen, irgend erheblichen Schwankungen unter- worfen werden dürfen, wenn der Erfolg nicht aufs Spiel gesetzt erscheinen soll! „Eindeutig" desshalb, weil die obere Grenze der Körper- temperatur — bei den Wirbelthieren wenigstens — durch die Eigenschaften der, zu ihrem Aufbau verwendeten Eiweisssubstanzen unwiderruflich fixirt ist; und weil eben die Percussionstheorie eine ähnliche Unbeweglichkeit der unteren Grenze zu bedingen scheint, durch das Postulat, dass ein Stoss von nicht sehr weit vermehr- barer Stärke ausreichen müsse zur Dissociation einer bestimmten chemischen Verbindung: des Oxyhämoglobins. Und dabei: welche unabsehbare Reihe von Ordnungen und Arten musste sich nicht diesem Gesetze fügen, wenn es — der Behauptung nach — gelten sollte von allen warmblütigen Wirbel- thieren — allen Säugethieren und Vögeln! . Diess die Beschaffenheit, die Ausdehnung der Postulate! Ihre Erfüllung liegt in der wunderbaren Thatsache, dass wirklich alle diese zahllosenThiere fast unverrück- bar angewiesen sind auf eine und dieselbe Bluttempera- tur von 40*'. XVIII. Beschränkung der Percussionstheorie auf die homöothermen Wirhelthiere. Alle Behauptungen in diesem Buche sind nur auf die beiden oberen Wirbelthierclassen bezogen, und diese Beschränkung ist bei jeder Gelegenheit hervorgehoben und betont worden. — 181 — Die Gründe für dieselbe sind — theilweise — gleichfalls schon im Vorhergehenden enthalten. Nämlich insoferne, als sie mit der merkwürdigen — ja beispiellosen Constanz des Blutdruckes und der Bluttemperatur in den beiden oberen Wirbelthierclassen zusammen- hängen. Denn beim Uebergange aus diesen Classen in die der (be- schuppten) Amphibien verschwindet ganz unvermittelt und voll- ständig das so bedeutsame Merkmal wie mit einem Schlage. In der Beschränkung der Constanz des Blutdruckes und der Bluttemperatur auf die beiden oberen Wirbelthierclassen; in der Deutlichkeit und Schärfe dieser Abgrenzung liegen also für mich auch schon Gründe für die Beschränkung der Percussionstheorie auf eben diese Classen. Ein weiterer Grund musste für mich darin liegen, dass der Charakter der Herzbewegung bei den niederen Wirbelthieren ein ganz anderer ist, als bei den Warmblütern. Die Contractionen des Herzens haben bei ersteren vielfach einen mehr schleppenden Verlauf, ein peristaltisches Wesen. Und als ein ferneres Unterscheidungsmerkmal tritt auch noch eine einfachere Einrichtung des Pumpwerkes, eine unvoll- ständige Trennung des arteriellen und venösen Kreislaufes im Herzen der unteren Wirbelthiere auf. Betrachten wir aber die unteren Classen der Vertebraten ge- sondert, in Bezug auf die Anwendbarkeit der Schlüsse, die zur Percussionstheorie geführt haben, so ergibt sich Folgendes. Für die beiden ünterclassen der Amphibienclasse gilt der Satz, dass die Lungenathmung nur einen untergeordneten Werth, eine Bedeutung für die Fortdauer des Lebens hat, welche — ver- glichen mit der Wichtigkeit der Lungenathmung für das Leben der Säugethiere und Vögel — geradezu geringfügig zu nennen ist. Der ganze Haushalt des Amphibienlebens ist auf so völlig andere Grund- lagen gestellt, als der des Lebens der höheren Thierclassen , dass es zum mindesten sehr unvorsichtig wäre, den Verkehr des Sauer- stoffes in beiden Gruppen von Organismen für die Wirkung ana- loger, und nach gleichen Grundsätzen functionirender Einrichtungen zu erklären, bevor diese Uebereinstimmung in den beiderlei Ath- mungsvorgängen direct erwiesen ist. — 182 — Was aber die Classe der Fisclie anlangt, so wird es einer besonderen Rechtfertigung dafür gar nicht bedürfen, dass ich nicht von der Voraussetzung auszugehen wage, ihr Gaswechsel beruhe auf denselben Grundlagen, wie der der doppelherzigen, warmblütigen, luffcathmenden Thiere. Uebrigens tritt zu dem schon erwähnten, dem Zustandekommen einer Percussion ungünstigen Contractionsmodus der Herzen vieler, den niederen Wirbelthierclassen angehörender Species, bei den Fischen noch ein besonderer Umstand hinzu, der jeden, im Herzen etwa herbeigeführten Grad von Percussion sicher auf Null zurück- führt, bevor das Blut zu den Capillarsystemen des Kiemen- und Körperkreislaufes gelangt. Ich meine den Bulbus arteriosus, in dessen, nur von elastischem Gewebe umschlossener Höhle jede Percussion, die das Blut etwa im Ventrikel erfahren haben kann, sicher gründlich beseitigt wird. Aber auch bei jenen Fischen, welche keinen Bulbus, sondern einen Conus arteriosus, mit musculösen Elementen in der Wand, und mehrere (2 — 5) Reihen von halbmondförmigen Klappen an der inneren Oberfläche derselben besitzen — also bei der ganzen Ordnung der Selachier, mit ihren Unterordnungen, den Holo- kephalen (Chimären), und den Plagiostomen, unter welche sich wieder die Squaliden (Haifische), und die Rajiden (Rochen) einordnen; ferner bei der, fast ausgestorbenen, Ordnung der Ganoi- den; endlich bei der merkwürdigen Ordnung der Dipnoi (Lurch- fische), die mit ihrer Kiemenathmung an die Fische, mit der, gleich- zeitig vorhandenen Lungenathmung ^) an die Amphibien erinnern — bei allen diesen Fischen bleibt, meines Erachtens, trotz der ange- deuteten, anatomischen Verhältnisse, und trotz der entsprechenden physiologischen Zustände, immer noch kein Zweifel offen, an der principiellen Gleichartigkeit ilirer Blutcirculation , und der aller ^) Die Ordnung der Dipnoi zerfällt in zwei Unterordnungen (Mono- pneumona, Dipneumona), für welche zunächst das Unpaarig- oder Paarig-Sein der Lungensäcke charakteristisch ist. In der ganzen Ordnung finden sich Ansätze zu einer Zweitheilung des Vorhof- und Ventrikel- Raumes — rudimentäre Septa, von denen eine deutliche Fortsetzung sich sogar in den Raum des Conus arteriosus hineinerstreckt. Letzterer erinnert durch seine Klappenreihen bei den Monopneumona noch sehr an den Conus der Ganoiden — bei den Dipneumona aber, durch seine ge- wundenen Längsfalten, schon an Einrichtungen der (nackten) Amphibien. — 183 — übrigen Fische, uud an der principiellen Verschiedenheit zwischen diesem Vorgang bei den Fischen (mit Einschluss der oben genannten Ordnungen), uud bei den Homöothermen. Denn, wollte man selbst ganz absehen von dem Einfluss des Bulbus oder Conus arteriosus auf die Strömungsweise des Blutes, so bliebe noch immer das ganze Capillargefässsystem der Kiemen übrig, um den Effect einer, im Ventrikel ausgeübten Percussion im arteriell gewordenen Blute auf Null zurückzuführen. Dass ich unter solchen Verhältnissen nicht daran gedacht habe, meine Theorie auf die poikilothermen Thiere auszudehnen, wird man wohl begreiflich finden. Doch habe ich damit, dass ich die Percussionstheorie nicht über die deutliche, scharfe Grenze hinaus anzuwenden strebe, welche ihr von der Natur vorgeschrieben ist, noch lange nicht meine Schuldigkeit gethan. Eben die Betrachtung dieser erstaunlich scharfen Scheidelinie, welche einem physiologisch so völlig unver- mittelten, enormen Sprunge entspricht, wie er kein anderes Mal in der ganzen organischen Natur sich wiederfindet, einem Wechsel der Organisation in ihren untersten physiologischen Grundlagen, ohne jede Spur eines Ueberganges, wie ihn die fundamentalsten morpho- logischen Abtheilungen — Pflanze und Thier; Wirbellose und Wirbelthiere — in so schroffem Gegensatze bei weitem nicht ge- wahren lassen; — .die Betrachtung dieses ganz einzigen und bei- spiellosen, physiologischen Sprunges wird uns zu der Einsicht, und zu dem Bekenntniss zwingen, dass die beiden chemischen Dissocia- tionsprocesse, welche zusammen für die Respiration charakteristisch sind, und von deren regelmässigem Ablaufe wir das Leben der warmblütigen Wirbelthiere in so hohem Grade abhängig wissen, nicht an jene merkwürdigen, ungeahnten Bedingungen, welche die Percussionstheorie kennen lehrt, ausschliesslich gebunden sind, sondern dass vielmehr das Blut mit seinem Plasma der Kohlensäure- abfuhr, und mit dem Roth seiner Zellen der Sauerstofi"einfuhr dienen kann, auch unter Umständen, welche jene Temperatur, und jene Erschütterung ausschliessen, die in der anderen Hälfte der Fälle die Hauptbedingungen abgaben, für die genannten Leistungen des Blutes. — 184 — XIX. Anderweitige Respirationsverhältnisse. Wenn wir in der imposanten Gruppe der warmblütigen Thiere allüberall dieselbe Temperatur, und dieselbe percutoriscbe Kraft des Herzens antreffen — und wenn wir uns den neuen Anschauungen über die Bedeutung dieser Thatsachen, welche in diesem Buche ent- wickelt sind, anschliessen — so wird die Ueberzeugung gar nicht lebhaft genug in unserem Bewusstsein erhalten werden können: dass die neue Lehre zwar Aufschluss darüber gibt, wie ein sehr grosser Theil der Thiere seinen Gaswechsel besorgt; dass aber der andere Theil der Thiere diess nach ganz an- deren Gesetzen vollzieht, als die der Percussionstheorie sind. Und wenn wir einmal überhaupt wissen, dass es ausser den Wegen, die hier beleuchtet wurden, noch andere geben muss, und gibt, auf denen die Dissociationen beim Athmen sich abspielen, so wird es ernsthaft und nachdrücklich zu überlegen sein, inwieferne diese anderen Bedingungen der Dissociationen vielleicht auch bei der Respiration der homöothermen Thiere mit in Betracht kommen. Ich bin im Augenblick nicht im Stande, mich zu der be- sprochenen Sache zu äussern, und die Frage nach der Mitwirkung oder Einmischung der — an sich noch völlig dunklen, unaufge- klärten — Dissociationsprocesse, wie sie im Blute der Poikilo therm en ablaufen, in den Respirations Vorgang der Homöothermen, irgendwie zu beantworten — nur hingewiesen möchte ich haben auf einige Fälle, bei denen man sich vielleicht am ehesten versucht fühlen dürfte, an eine^ solche Einmischung zu denken. Da wäre zuerst die künstliche Poikilothermie zu er- wähnen, wie wir sie an Säugethieren (Hunden, Katzen, Kaninchen u. s. w.) kennen, die zum Behufe eines physiologischen Experimentes durch Curare gelähmt wurden, und nun durch (gewöhnlich überreichliches) Einblasen kalter Luft durch eine Tracheal- — 185 — canüle, also Termöge „künstlicher Respiration" am Leben erhalten werden. Bekanntlich külilen solche Thiere , wenn keine besonderen Maassregeln dagegen vorgekehrt werden, binnen Bälde sehr stark aus, und — was mich hauptsächlich dazu veranlasst, sie hier als Beispiel anzuführen — acquiriren dabei einige, ganz typische Eigen- thümlichkeiten poikilotliermer Thiere, Hinsichtlich ihrer Respiration; zunächst vermindert sich ihr Athmungsbedürfniss sehr stark, so dass es nach einiger Zeit kaum grösser sein dürfte, als das, mancher Reptilien. Da, bei etwas grösseren Dosen Curare, auch die Energie der Herzthätigkeit bedeutend absinkt; und wir es also in solchen Fällen mit einer, gleichzeitig vorhandenen Herabsetzung der Percussionsgrösse, der Bluttemperatur, und des L üf tun gs drang es zu thun haben, dürfte die oben ausgesprochene Vermuthung, dass Sauerstoff iraport und Kohlensäureexport bei sol- chen, curaresirten, und künstlich ventilirten Säugethieren allmälig immer mehr unter jenen Bedingungen sich vollziehen, welche diese Vorgänge normaler Weise bei den Rej)tilien und Am- phibien beherrschen, vielleicht nicht ganz unberechtigt erscheinen. Aehnliche Veränderungen lassen sich bei acuter Morphium- intoxication beobachten. Der Blutdruck im Arteriensystem sinkt beträchtlich ab, dessgleichen die Temperatur; und ferner ist mehrfach ein, bis auf die Hälfte, und darunter, ver- minderter Gehalt des arteriellenBlutes solcher Thiere an auspumpbarem Sauerstoff constatirt worden, wobei zu bemerken ist, dass ganz besonders in letzterem Umstände eine Analogie mit den Verhältnissen bei den kaltblütigen Wirbelthieren liegt. Es ist somit wohl zulässig, eine solche Vermuthung, wie sie eben für die Curarevergiftung ausgesprochen wurde, auch für die acute Morphiumintoxication zu äussern. Es liegt in den bekannten toxischen Eigenschaften der hier in Betracht gezogenen Alkaloide begründet, dass die Morphium- narkose beim Thierexperiment, an und für sich, noch nicht die An- wendung künstlicher Respiration bedingt; so dass bei Thieren, welche auf diese Weise gelähmt wurden, im Allgemeinen keine so beträcht- lichen Abnahmen der Temperatur beobachtet wurden, wie bei Thieren, die durch Curare vergiftet wurden, und bei welchen fast ausnahmslos die künstliche Respiration in Anwendung gezogen werden muss. Vermindert dieser Umstand vielleicht in Etwas die — 186 — Vergleichbarkeit von morpliinvergifteten Thieren mit kaltblütigen, so ersetzt das Morphium diess wieder durch seinen auffallenden Einfluss auf die, im Blute vorhandene, auspumpbare Sauerstoffmenge. Am deutlichsten finden wir jedoch das Hineinragen eines wesentlich vom percutorischen verschiedenen Respirationstypus in die Oekonomie homöothermer Thierkörper in einem Falle ausgebildet, in welchem nicht das physiologische Experiment, sondern die Natur selbst die temporäre Umwandlung der homöotherm angelegten Or- ganismen in poikilotherme veranlasst — im Falle des Winter- schlafes. Die Litteratur über die Physiologie des Winterschlafes ist keine ganz unbeträchtliche. Trotzdem sind unsere Kenntnisse von diesem merkwürdigen Zustande noch sehr lückenhaft. Eine bedeut- same Thatsache scheint mir jedoch immerhin ausreichend durch die Erfahrung befestigt zu sein — und zwar folgende: Sowohl in den früher erwähnten Fällen aus der Pathologie, als auch im Falle des Winterschlafes sehen wir stets eine völlige Umwandlung im Lebens- charakter eines ganzen Warmblüterorganismus eintreten, in Be- gleitung jener Aenderung im Thiere, die uns an der Grültigkeit der Percussionstheorie für die Art seiner Versorgung mit Sauerstoff zweifeln machte. Nicht ein einzelnes Organ, oder eine Gruppe von solchen, ändert seine Functionsweise — sondern der gesammte Or- ganismus des Thieres ändert den typischen Charakter, nach welchem in ihm das Leben überhaupt in die Erscheinung tritt. Und zwar ist es überall ein und derselbe Typus, der an die Stelle des früheren, verlorenen gesetzt wird: er hat viel Gemein- sames mit dem des kaltblütigen Wirbelthieres. Die Natur ist also nicht im Stande, die Forderungen des homöothermen Organismus an Sauerstoffzufuhr auf eine andere Weise zu befriedigen, als durch den Mechanismus der Percussion; wohl aber ist sie im Stande, auf diese Forderungen, unter gewissen Bedingungen, überhaupt zu verzichten, und an ihrer Statt sich mit anderen Leistungen desselben Organismus zu begnügen, denen dieser, weil sie keine Percussion des Blutes voraussetzen, auch in dem reducirten Zustande, in welchem er sich befindet, ge- wachsen ist. Mit der allergrössten Reserve möchte ich einer Vermuthung Ausdruck geben, die sich mir oft aufgedrängt hat. Berichte, über deren Authenticität kein Zweifel besteht, melden uns, dass es bis vor — 187 — etwa einem Meusclienalter in Indien Personen gegeben habe, die sich in eine unterirdische Gruft, zu der die Luft keine sichtbaren Zugänge hatte, ohne Trank und Speise, einmauern Hessen, und die dann — nach vielen Wochen wieder ausgegraben — aus einem Zustande des Scheintodes, in dem man sie antraf, allmälig wieder zum vollen Leben zurückkehrten. Meine Vermuthung geht nun dahin, dass man es hier vielleicht mit einem, den oben besprochenen Fällen, analogen Falle, mit einer Art willkürlichen Winterschlafes, zu thun habe. In allen diesen Fällen hört mit der Percussion des Blutes eine ganze Reihe von normalen Fähigkeiten und Leistungen des Orga- nismus auf, zu existiren, unter diesen in erster Linie : die willkür- liche Bewegung, und das Bewusstsein. Dieses jedenfalls bis zu einem gewissen Grade. Auf irgend eine Weise, über die ich mir gar keine bestimmte Vorstellung zu bilden vermag, reicht die Circulation des Blutes, und sein Contact mit der Lungenluft auch ohne Percussion hin, für eine gewisse, spärliche Versorgung des Körpers mit Sauerstoff, wobei aber der homöotherme Organismus den grössten Theil seiner nor- malen Fähigkeiten nicht zu entfalten vermag. Denn für das Lei- stungsvermögen des normalen Warmblüters ist offenbar die Per- cussion des Blutes, mit der reichlichen Sauerstoffzufuhr, die sie vermittelt, unerlässlich. Diese „langsame" Wirkungsweise des Hämoglobins ist aus- reichend für das Sauerstoffbedürfniss des kaltblütigen Wirbelthieres — sie repräsentirt seine normale Respiration. Beim Warmblüter mit seinen mannigfaltigen, lebhaften Verrichtungen tritt sie aber ganz in den Hintergrund neben der Athmung durch Percussion; und nur in besonderen Ausnahmsfällen wird sie — unter gleich- zeitigem Verschwinden der Homöothermie — auch für ihn wesentHch. XX. Bemerkungen zur Percussionstheorie. Schluss. Dass nicht ausschliesslich der frisch percutirtc Oxyhümoglobin- sauerstoff jene Form dieses Gases darstellt, in welcher es zur vitalen Oxydation von oxydationsfähigen, und wirklich der Oxydation — 188 — anheimfallenden Bestandtheilen lebender Organismen — im weitesten Sinne — sich überhaupt eignet — das geht aus Thatsachen von so überwältigender Einfachheit und Gewissheit hervor, wie sie sich eben nur im Besitze der Botanik — jener so vielfach und so be- trächtlich vom Glücke bevorzugten Schwester unserer armen Wissen- schaft — vorfinden. Meine eignen Kenntnisse in diesem Fache sind jedoch viel zu mangelhaft und ungewiss, als dass ich etwas Anderes thun könnte, als den Leser auf jene Quelle verweisen, aus der ich mich selbst über jene wichtigen Thatsachen zum Zwecke der vorliegenden Untersuchung eines Näheren belehrt habe. Es sind diess die, kürzlich in zweiter Auflage erschienenen „Elemente der Anatomie und Physiologie der Pflanzen", von meinem verehrten CoUegen, Herrn Prof. J. Wiesner. Einzelne Stellen aus dem genannten Werke hier zu reprodu- ciren unterlasse ich, weil der hier zu überblickende Kreis von That- sachen doch viel zu gross ist, als dass der Ueberblick über die- selben anders erworben werden könnte , als durch wirkliches Stu- dium, — ein paar Citate können hier nichts fördern. Wohl aber findet sich in der berühmten Arbeit von Herrn E. Pflüg er, „Ueber die physiologische Verbrennung in den leben- digen Organismen", Pflüger's Archiv X 251 — 365, eine sehr aus- führliche und durchsichtige Darstellung eben dieser Vorgänge, welche übrigens bekanntlich auch sonst sehr viel Neues, Grund- legendes enthält. Diese Abhandlung darf man als den eigentlichen Ausdruck der Athmungstheorie von Herrn Pf lüg er betrachten, und thut gut, sie in dieser Absicht mit dem „Nachtrage", den Herr Pflüg er ihr am Schlüsse desselben Bandes seines Archives beigegeben hat, zu ver- einigen. Ich gebe hier keine Darstellung von Herrn Pflüger's Theorie, sowohl aus bekannten, allgemeinen Gründen, als auch desswegen, weil man den Inhalt dieser Arbeit bei jedem Physiologen als be- kannt voraussetzen darf. Einige wenige Punkte jedoch, welche in dieser Abhandlung vorkommen , muss ich hier noch besprechen , wegen ihrer Be- ziehungen zur Percussionstheorie. Der erste von ihnen betrifft das Leuchten des Meeres bei Nacht, welches Herr Pf lüg er als Beispiel eines, durch Bewegung — 189 — hervorzurufenden oder anzufachenden Oxydationsvorganges im thie- rischen Organismus anführt. Als ich überall nach Argumenten ausblickte, die ich für meine Anschauung geltend machen könnte , fiel mir auch die Thatsache, die ich zum Theile aus eigenen Erfahrungen auf zwei Seereisen über den atlantischen Ocean kannte, ein, dass das herrliche, unbe- schreiblich schöne, nächtliche Leuchten und Funkeln und Glühen des Meeres aufs Innigste mit der Erschütterung und Bewegung oxydablen thierischen Protoplasmas zusammenhänge. Wo und wann dieses erschüttert wird, da wird auch die, dasselbe umgebende und durchziehende wässrige Sauerstofflösung, die das Meer — wenigstens in den obersten Schichten — bildet, erschüttert : der Fall liesse sich vielleicht auf den der Sauerstoffpercussion reduciren. — So dachte ich einen Augenblick — dann aber liess ich diesen Gedanken wieder fallen. Nicht, weil er mir fehlerhaft erschienen war. Sondern nur desshalb, weil ich unter der „Percussion des Oxygens" bei der Athmung einen ganz genau und' scharf umschriebenen Vor- gang verstehen wollte und konnte, wenn ich mich an die engste, strengste Analogie band. Und diess schien mir für das unmittel- bare Verständniss der Athmung der Homöothermen ein solcher Ge- winn, dass ich den schönen Vergleich mit dem blendenden Schau- spiel des Meerleuchtens, und noch manches andere Gleichniss diesem Vortheil gerne opferte, wenn es der Forderung genauester Analogie mit der Respiration nicht wirklich Stand hielt. Im Meerwasser wird nebst diesem, und sogar zunächst das zu oxydirende Plasma erschüttert. Bei der Percussion wird nur der später zur Oxydation dienende Sauerstoff — das zu oxydirende Parenchym aber gar nicht erschüttert. — Ich sehe in der „Percussion des arteriellen Blutes" zunächst nichts, als einen Anlass zur Zerlegung, Reduction des Oxy hämoglobins! Da schien es mir nicht mehr erlaubt, mich des Vergleiches mit dem Meerleuchten zu bedienen, wenn ich auch ganz gerne zu- gebe, und Herrn Pflüg er darin gar nicht entgegentreten will, dass es einen gewissen entfernten, allgemeinen Gesichtspunkt gibt, unter dem diese beiden, und noch viele andere Vorgänge in einen sehr umfassenden Begriff zusammenfliessen. Für Herrn Pflüger ist jedoch eine unmittelbare Analogie zwischen diesen Vorgängen, wie das Meerleuchten einer ist, und dem Respirationsprocess über- haupt vorhanden. — 190 — Im Uebrigen besteht nichts weniger als eine Beziehung des ausschliessenden Gegensatzes zwischen Herrn Pflüg er's und meinen Anschauungen. — Herrn Pflüger ist das Hämoglobin „für den „Körper der lebhaft respirirenden Vertebrateu nur ein bequemer „Lastwagen von grosser Capacität" — mir ist es ein rasch arbeiten- der Lastträger, der dann, nachdem er im Magazin den Wagen schnell voll geladen, selbst mitfährt, und nicht hindern kann, dass während der Fahrt ein Theil der Ladung vor seinen Augen aus dem Wagen entnommen wird. Hinsichtlich der polemischen Antheile der in Rede stehenden Abhandlung wäre es ein Missverständniss, aus obigen Sätzen eine, wie immer geartete Meinung herauslesen, und als die meinige be- trachten zu wollen. Diess gilt allgemein, und gilt insbesondere von der polemischen Stelle, welcher ich folgende Worte entnehme, weil sie der Ausdruck einer, für die Percussionstheorie wichtigen Thatsache sind, und auch weil sie eine Richtigstellung der früheren, im V. Capitel dieses Buches ausführlich widerlegten Ansicht Herrn Pflüg er's über die Bedeutung des Schütteins von Blut mit Luft oder Sauerstoff enthalten. Auf Seite 269 sagt nämlich Herr Pflüg er: „Es ist nicht „zu vergessen, dass Schütteln von Arterienblut mit Luft zwar eine „nicht grosse weitere Aufnahme von Sauerstoff zur Folge hat, wohl „aber eine colossale Steigerung der Tension dieses Gases." Da es nicht dem leisesten Zweifel unterliegen kann, dass hier die Tension des Sauerstoffes im Blute gemeint ist, und nicht etwa die im Schüttelgas, *so liegt für mein Verständniss in diesem Ausspruch eine Erklärung der Wirkung des Schütteins von kaltem, arteriellem, unter einem Vacuum stehendem Blute, welche mit der meinigen übereinstimmt, und im directesten Gegensatze zu der älteren Ansicht Herrn Pflüger's über diese Sache steht; so dass es mir erlaubt scheint, diese ältere Ansicht als in diesen Worten widerrufen zu betrachten, wenn auch ein solcher Widerruf nicht in der Absicht Herrn Pflüger's gelegen haben mag, als er diese Worte nieder- schrieb — was ich natürlich nicht wissen kann. Aber das ist klar, dass, wenn arterielles Blut beim Schütteln mit Luft, trotz unbe- deutender Vermehrung seines Sauerstoffgehaltes, doch eine colossale Steigerung der Tension dieses Gases erfährt — dass dann die Steigerung der Gasspannung in der Flüssigkeit direct mit dem Schütteln zusammenhängen muss. Und wenn Herr Pflüg er ein- — 191 — mal das zugibt, so wird er gewiss auch gerne zugeben, dass in jenem Versuche mit dem kalten Blute im Vacuum die, durch das Schütteln so sehr gesteigerte Spannung des Sauerstoffes im Blute die Ursache der Abgabe dieses Gases an den leeren Raum ist, der darüber steht: und nicht die stete Erneuerung der, die Oberfläche bildenden Bluttheile, wie er früher geglaubt hatte. Es wäre mir eine grosse Freude, wenn ich mit dieser Auffassung Recht hätte, und wenn also Herr Pflüger jetzt meiner Erklärung der, von ihm entdeckten, wichtigen Thatsache wirklich zustimmte. Eine gewisse Differenz zwischen unseren Ansichten bliebe freilich auch in diesem Falle noch übrig. Herr Pflüg er sagt nämlich im Anschluss an die zuletzt citirte Stelle, solche hohe Spannungen, wie sie da beim Schütteln erzeugt werden, kämen während des Lebens niemals vor. — Nun, ich bin der Meinung, solche Spannungen würden im Blute des linken Herzens bei jedem Schlage desselben erzeugt — das ist ja eben der Inhalt meiner Theorie. Und da Herr Pflüger noch keine Gelegenheit hatte, sich über letztere auszusprechen, so brauche ich auch in der angedeu- teten Differenz noch keinen Widerspruch Herrn Pflüger's gegen meine Theorie zu erblicken; und es ist ein Umstand von grösster Wichtigkeit und Bedeutung für mich, diess nicht zu müssen ! Gewiss hat es manchen Leser befremdet, dass bisher in diesem ganzen Buche von der optischen Natur des Blutes und seines Farb- stoffes, speciell von den prägnanten Lichtabsorptionen, die das Spectroskop nachweist, so gut wie gar nicht die Rede gewesen ist; und dass die Beziehungen dieser Gruppe von Phänomenen zur Percussionstheorie unerörtert geblieben sind. — Ich halte es nicht für überflüssig, über diesen Umstand hier einige, aufklärende und entschuldigende Worte vorzubringen. Niemand wird das Interesse bestreiten wollen, welches sich an die Entdeckungen der Herren Hoppe-Seyler und Stokes über die Absorptionsspectra des Hämoglobins knüpft; und mit Recht hat man der Erforschung des Zusammenhanges dieser Phänomene mit den chemischen und physiologischen Zuständen des Blutfarb- stoffes die grösste Aufmerksamkeit zugewendet. Vom Standpunkte der Percussionstheorie aus betrachtet, ge- — 192 — winnen die Fragen, welche bislier an diese optischen Phänomene geknüpft wurden, eine neue Gestalt, und es wird eine der Aufgaben sein, welche aus der neuen Respirationslehre entspringen, diese Fragen in ihrer veränderten Gestalt zu beantworten. Es wäre aber ganz unrichtig, der Percussionstheorie, welche — wenigstens in der Form, in welcher sie hier auftritt — eine neue physiologische Theorie ist, die Berechtigung zur Existenz streitig zu machen, so lange sie sich in keine genauere Beziehung zur Lehre von den Absorptions- spectris des Blutfarbstoffes gesetzt hat. Unmittelbar hat diese letztere gar nichts mit den physiologischen Problemen der Respiration und des Gaswechsels zu thun. Und dass ich mich hier noch nicht auf die Untersuchung der Beziehungen einlasse, zwischen den verschiedenen Zuständen, in denen sich das Blut nach den Anschauungen der Percussionstheorie befinden kann, und den verschiedenen optischen Phänomenen, welche wir am Blute beobachten — das wird Jeder in Ordnung finden, der bedenkt, dass der ausdrückliche Zweck des vorliegenden Werkes nicht die Mittheilung der Ergebnisse dieser und jener Specialunter- suchung — sondern die Darlegung einer neuen Auffassung gewisser Vorgänge, und die Begründung dieser Auffassung aus völlig bekannten Thatsachen, ist. Wie wenig aber diejenigen Kenntnisse, über welche wir bis- her hinsichtlich der spectroskopischen Eigenschaften des Blutfarb- stoffes verfügen, geeignet sind, irgend ein Argument a priori zu Gunsten, oder zu Ungunsten einer neuen Respirationslehre abzu- geben — das sieht man sofort ein, wenn man den wirklichen, posi- tiven Inhalt dieser unserer Kenntnisse vom Hämoglobinspectrum überbHckt; und wenn man auf der anderen Seite überlegt, wie wenig wir von den allgemeinen Gesetzen jener spectroskopischen Veränderungen wissen, welche Veränderungen im chemischen Zu- sammenhange der Substanzen entsprechen. Es gibt Beispiele im Ueberfluss dafür, dass die unzweifel- haftesten Dissociationen, solche — bei denen sich der Aggregat- zustand ändert — keine Aenderung im Absorptionsspectrum bedingen. Ich erinnere nur an die optischen Eigenschaften des, in Schwefelkohlenstoff gelösten, und des dampfförmigen Jod's. Es gibt auf der einen Seite zahllose Beispiele für die Unveränderlichkeit der Absorptionsapectra beim Uebergang desselben Körpers (des Didym's, etc.) in die verschiedenartigsten chemischen Bindungen — — 193 — imd gibt, auf der anderen Seite, wieder zahlreiche Beispiele für Aenderungen im Absorptionsspectrum, die nicht einmal wirkHchen chemischen Aenderungen der Substanz (nach unserer heutigen An- schauungsweise) entsprechen, sondern blossen Aenderungen des Lösungsmittels, oder auch bloss der Concentration desselben, in Bezug auf die wirksame, oder sogar auch nur in Bezug auf eine dritte, scheinbar indifferente Substanz! Unter diesen Umständen hat man — glaube ich — kein Recht, von jeder neuen physiologischen Hypothese oder Theorie, die sich mit den verschiedenen Zuständen des Blutes, und den, damit zu- sammenhängenden Veränderungen im lebenden Organismus befasst, zu fordern, dass sie sich zunächst, und vor allem Anderen als, in unmittelbarem Einklänge mit den Spectralreactionen des Blutfarb- stoffes befindlich ausweise. Welches sind denn die wirklich klaren, festen, in sich zu- sammenhängenden Kenntnisse vom optischen Verhalten des Blut- farbstoffes, denen eine solche neue Lehre — etwa die hier vorge- tragene — zu entsprechen hat, bevor man sich weiter mit ihr einlassen kann? Was wissen wir denn so Wichtiges und Gewisses über die Beziehungen der Bausteine, aus denen der Blutfarbstoff in semen diversen Erscheinungsweisen zusammengesetzt ist, zu diesen Erscheinungsweisen selbst? Wie dürfen, und wie müssen denn die Entfernungen und die Bewegungen der Molekeln von Hämoglobin und Sauerstoff gegeneinander beschaffen sein , damit gerade diese Aetherwelle in bestimmtem Maasse gedämpft werde, und jene Welle von anderer Länge wieder in bestimmtem anderem Maasse? Auf solche Fragen müssten wir die Antworten fertig haben, um uns in der Lage zu fühlen, vom Standpunkte der Blutoptik aus, Respira- tionstheorien zu kritisiren. Solchen Kenntnissen gegenüber bestünde dann allerdings die unabweisliche Verpflichtung für jede derartige neue Behauptung, vor Allem ihre Vereinbarkeit mit den bekannten optischen Gesetzen und Beziehungen nachzuweisen. Wie aber die Dinge heutzutage in Wirklichkeit liegen, wäre es wohl kaum möglich, einen so widersinnigen und unnatürlichen Kreis von Vorstellungen über die Respirationsvorgänge auszuhecken, dass ein Argument zum Nachweis seiner Unhaltbarkeit schon aus seinem Widerspruch gegen die optischen Eigenschaften des Blut- farbstoffes abgeleitet werden könnte. Die Percussionstheorie aber hat — ich wiederhole es — als Fl ei« Chi V. Marxow, Bedeutung des Ilerzsclilagos. 13 — 194 — eine rein physiologische Lehre, keine Pflicht; und in der Weise, in welcher sie hier zuerst an die Oeffentlichkeit tritt, nämlich als aus- drücklich sich beschränkend auf allgemein bekannte und anerkannte Thatsachen, als auf ihre Grundlagen und Beweise, wie sie sich ja dessen zu Beginn dieses Werkes anheischig gemacht hat, besitzt sie nicht einmal ein Recht, auf die ebenso dankbare wie schwierige Untersuchung der Frage hier schon einzugehen, wie sich jene Be- standformen des lebenden Blutes, welche bisher für identisch ge- halten, und gar nicht von einander unterschieden wurden, deren fundamentale, physikalische, chemische und physiologische Verschie- denheit sich jedoch in dem Vorgänge der Percussion begründet gefunden hat, in anderen physikalischen, chemischen und physio- logischen Beziehungen noch weiters von einander unterscheiden mögen, als eben in jener einen fundamentalen. Aber auch ganz abgesehen von diesem, mehr formellen Grunde, scheint es mir wohlberechtigt, von den sämmtlichen Verschieden- heiten in den Eigenschaften der, bisher noch nicht von einander geschiedenen Bestandformen des lebenden Blutes, also von allen Verschiedenheiten, die zwischen percutirtem und nicht percutirtem Blute obwalten, zunächst diejenige zu betrachten, und physiologisch zu erörtern, welche eben die unmittelbarsten und wichtigsten physio- logischen Folgen nach sich zieht: das ist die Verschiedenheit der Form, in der das Blutgas im Blute enthalten ist, und der Leichtig- keit, mit der es dem Blute entnommen wird. Im Vergleiche mit dem Interesse, welches sich für den Physiologen an diesen Unter- schied knüpft, kann füglich das Interesse an der, durch die Percussion gleichzeitig hervorgerufenen Veränderung der Farbe des Blutes ein secundäres genannt werden. Aber es bedrückt mich noch eine schwere Sorge — und die Erwähnung dieses Umstandes erheischt um so dringender eine Ent- schuldigung, als derselbe bereits einmal — in der Vorrede — Gegenstand der Besprechung war. Mein Buch enthält keine neuen physiologischen Thatsachen! Wird man ihm das verzeihen? — Ich denke doch, man sollte das thun. Vielleicht trägt folgende Auffassung, die ich zu überlegen gebe, dazu bei, dass es geschehe. Im Ganzen ist ja gewiss kein unansehnliches Material physio- — 195 — logischer Thatsachen herangezogen worden zur Begründung und Befestigung der neuen Theorie. Dürfte ich nur den kleinsten Theil davon mein Eigen nennen — ja: wäre auch nur der fünfzigste Theil der in diesem Werke vorgebrachten Thatsachen neu, — so hätte ich alles Recht, stolz darauf zu sein, und mich meines im- posanten Reichthumes an eignen Erfahrungsthatsachen unter den zur Argumentation verwendeten Gründen, als eines ganz ausser- ordentlichen, und unabhängig von der Beziehung zur Theorie höchst befriedigenden Besitzes zu rühmen. Dass ein so grosser Besitz für den Autor höchst vortheilhaft, und ihm sehr erfreulich wäre, bedarf weiter keiner Beweise. Ob aber nicht die thatsächliche Armuth des Autors an Erfahrungen, die hier verwendbar wären, einen Vortheil für die zu begründende neue Lehre bedeute — das ist eine ganz andere Frage, über deren Beantwortung aber gleichfalls kaum ein Zweifel bestehen kann. Man kann ein sehr gewissenhafter Forscher sein, volles Vertrauen gemessen, und sich auch des Vertrauens, das man geniesst, stets würdig bewiesen haben — man bleibt doch immer ein, dem Irrthum preisgegebener, und jeder Art von Täuschung zugänglicher Mensch. Wer einerseits die grosse Schwierigkeit der, gerade in diesem Theile der Wissenschaft anzuwendenden Untersuchungsmethoden kennt — und wer anderseits je an sich erfahren hat, welche sieghafte Macht über unser ganzes Wesen allmälig eine neue Idee gewinnt, wälirend sich ihi-e Lebensfähigkeit und ihre Bedeutung in uns schrittweise zu befestigen und zu entfalten fortfährt — wie gleichzeitig mit der Zahl und dem Gewicht der Beweise, mit der Klarheit der Erkennt- niss, und der Festigkeit der Ueberzeugung auch die stille Angst vor der Verblendung wächst, — wer es an sich erfahren hat, sage ich, wie zuletzt eine eigene sorgfältige Pflege und stete Prüfung und Ueberwachung unserer objectiven, analytischen Denkfähigkeit auf ihre unbefangene Ruhe, und allseitige, unverminderte Wider- standskraft uns zur Nothwendigkeit und zum Bedürfniss wird, ohne dessen volle Beschwichtigung wir endlich gar nicht mehr leben, das heisst: der Idee nachdenken können, die uns völlig ausfüllt — wer das an sich erfahren hat, der wird mich leicht begreifen, wenn ich mich glücklich preise, die Verantwortung für die empirischen Argu- mente nicht auch noch tragen zu müssen. Die Methoden des Experimentes, und der chemischen Analyse für dieses Gebiet der Physiologie sind so ausserordentlich schwierig — 196 — — wenn man die höchsten Anforderungen an die Resultate stellt — , dass eine grosse Gewährleistung für die Verlässlichkeit der, in diesem Buche zur Verwendung gelangenden Thatsachen in den Namen der Forscher liegt, denen wir diese Thatsachen verdanken. Und nach dieser Grewähr liegt eine andere in dem Umstände, dass alle diese Thatsachen in der grössten, überhaupt denkbaren Unabhängigkeit von der Theorie gefunden worden sind, zu deren Begründung und Befestigung sie dienen, dass keine einzige unter ihnen von dem ersten und bisher einzigen Vertreter dieser Theorie, von dem Autor dieses Buches herrührt. Wer die Richtigkeit dieser Sätze zugibt, der gibt auch zu, dass es unmöglich der grösste Fehler dieses Werkes sein kann, keine neuen physiologischen Thatsachen zu enthalten. ■^>oo^o