— a | NEW YORK | + Wy aa Nag ; Rea 7 DIE FUNCTIONEN DES CENTRALNERVENSYSTEMS UND IHRE PHY LOGENSESE. ERSTE ABTHEILUNG. Holzstiche aus dem xylographischen Atelier von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig. Roe pier aus der mechanischen Papier-Fabrik der Gebrider Vieweg zu Wendhausen bei Braunschweig. DIE FUNCTIONEN DES CENTRALNERVENSYSTEMS UND IHRE PHYLOGENESE Dz. J. STEINER, a. o. Professor der Physiologie in Heidelberg. ERSTE ABTHEILUNG: UNTERSUCHUNGEN UBER DIE PHYSIOLOGIE DES FROSCHHIRNS. MIT 32 EINGEDRUCKTEN HOLZSTICHEN. TRF BRAUNSCHWEIG, DRUCK UND VERLAG VON FRIEDRICH VIEWEG UND SOHN. 15°35. Alle Rechte vorbeh 1 i re { Bimle piu nce’, sae, 2 ite at epuiae eth a aad iN ae I Erstes Capitel. Die normalen oder geradlinigen Bewegungen. Bs) te. butane ides. Grosshirns .-. 10). . 4.23... ne ee §. 2. Analyse der Versuche oh Tat ehh at Sa aaa» a5 eta Nn aR §. 3. Abtragung des Grosshirns und der Sebhugelgy: : ssca)..5 meee Bees eee ererer Versuche vy. 0. oo te, BR oe §. 5. Abtragung der hinter den Sehhiigeln gelegenen Theile inclusive : der vordersten Abtheilung des verlingerten Markes. ..... . A. Abtragung der Zweihiigel (Mittelhirn). ..... . ash Bb. Abtragung des Kleinhirns <9. ._.. 2 i) gh . > Pa C. Abtragung des vordersten Theiles des verlangerten Markes (Nackenmark)- igs" so .uuee ort. Fs ts oe EON io io alt ade d) und ist ein unechter Bruch. Nun besteht d aus einem exclusive Lungeninhalt entspricht, und einem variablen Theile z, welcher der in den Lungen enthaltenen Luft entspricht und welcher die Dichtigkeit des Froschkorpers verringert, so dass d—=a— wz und das a— x ai kdnnen, so muss dieser Bruch ein echter sein. Da d1 und a@ unverinder- zu betrachtende Verhiltniss ist Soll der Frosch schwimmen lich sind, so kann dies nur durch Veriinderung von x erzielt werden Ursache der Schwimmbewegungen. 73 und zwar durch eine bestimmte Zunahme von wz, d. h. bei einem ge- wissen Luftgehalte der Lungen wird der Frosch ohne jedes weitere Hiilfsmittel auf der Oberfliiche des Wassers schwimmen konnen. Ob man aber 2 bis zu der nothwendigen Grosse wachsen lassen kann, vermag nur der Versuch zu entscheiden. Hat man einige noch frische todte Frésche, deren Tod aus irgend einem Grunde, z. B. nach eingreifenden Hirnoperationen eingetreten ist und bringt man dieselben ins Wasser, so wiirde man gemeiniglich erwarten, dass sie alle in gleicher Weise auf den Boden des Gefiisses untersinken. Das ist aber durchaus nicht der Fall, denn wenn auch der eine und andere auf den Boden sinkt, so bleiben doch eimige in verschiedener Hohe des Wassers schwimmend regelmiissig in senkrech- ter Stellung mit lang ausgestreckten Hinterbeinen, so dass sich der Kopf theils unter der Oberfliiche des Wassers in verschiedener Entfer- nung von derselben befindet, theils ragt er mehr oder weniger iiber die Oberfliche empor. Wenn der Zufall giinstig ist, kann man eine ganz regelmissig aufsteigende Reihe solcher Frésche im Wasser han- gen resp. schwimmen sehen. Von dem Frosche, der auf den Boden gesunken ist, setzt man wohl voraus, dass sein « = 0 sein wird. Das ist aber, wie die sofort vorgenommene Section zeigt, durchaus nicht der Fall, sondern es befindet sich in den Lungen noch anscheinend viel Luft. Dies lehrt, dass schon bei irgend einem endlichen Werthe von x unser d noch grosser ist als d1, so dass der Frosch auf den Boden sinkt. Die innerhalb des Wassers befindlichen oder daraus hervor- sehenden Frésche hatten ebenfalls Luft in den Lungen, deren Menge offenbar grésser gewesen sein muss als bei dem ersten Frosche, ohne dass die directe Inspection dariiber Auskunft geben konnte. Sollte d wesent- lich kleiner als d! werden kénnen, so miisste offenbar w noch bedeutend -zunehmen. Nachdem einem todten Frosche durch einige Nihte die Hinterbeine in die hockende Stellung gebracht worden waren, wie er sie auf dem Lande zu zeigen pflegt, wurde den Lungen mit eimer kleinen Spritze soweit als thunlich eine gréssere Menge Luft einge- blasen und dafiir gesorgt, dass sie nicht sogleich wieder entweichen konnte. Der Frosch wurde aufs Wasser gesetzt und schwamm darauf genau wie ein normaler Frosch. Es folgt daraus, dass ein Frosch allein mit seinen physikalischen Mitteln im Stande ist, auf der Ober- 74 Ursache der Schwimmbewegungen. flache des Wassers zu schwimmen oder, anders ausgedriickt, dass der Frosch ohne jede physiologische Leistung die Fahigkeit besitzt, im Wasser sein Gleichgewicht zu behaupten, d. h. auf der Oberfliche desselben zu schwimmen. Der Schluss ist indess nicht streng, weil noch nicht bewiesen ist, dass ein normaler Frosch sich so viel Luft in seine Lunge einpumpen kann, als es hier auf kiinstlichem Wege geschehen ist. Setzt man einen normalen Frosch (des bequemen Experimentirens wegen einen Frosch ohne Grosshirn) auf den Boden irgend eines leeren, geniigend weiten Gefisses und giesst man seitlich Wasser in das Gefiaiss, ohne den Frosch dabei zu treffen, so schwimmt der Frosch, wenn das Wasser geniigend hoch in dem Gefisse steht, auf der Oberfliche des Wassers genau in der Stellung, die er sonst auf dem Lande einzunehmen pflegt und genau in der Stellung, welche der todte Frosch oben eingenommen hatte. Daraus folgt nun aber ganz streng, dass der Luftgehalt in den Lungen des normalen Frosches vollkommen ausreicht, um a@ — «= d<_d! zu machen, so dass er also, so lange er unthitig ist, nicht allein auf der Oberfliiche schwimmen kann, sondern sogar dazu gezwungen ist und erst in irgend einer Weise activ eingreifen muss, wenn er untertauchen will, wovon noch spiiter gesprochen werden wird. Wenn der Frosch also ohne jede physiologische Leistung im Wasser fiir sein Gleichgewicht sorgt, so kommen wir nunmehr zu der Frage nach den Griinden, welche ihn zu ,Schwimmbewegungen“ veranlassen. Der obige Versuch lehrt zuniichst, dass der Gewichtsverlust, den der Kérper im Wasser erfihrt, resp. die daraus resultirende Druck- abnahme an der Haut, nicht die gesuchte Ursache sein kann; auch nicht der einfache Contact der Haut mit dem Wasser, was auf den ersten Eindruck sehr einladend erscheint. Aber wir wollen vorsichtiger- weise lieber sagen, der Contact des Wassers mit der Bauchflache des Frosches ist nicht die alleinige Ursache der Schwimmbewegungen. Wenn man einen Frosch vorsichtig aufs Wasser setzt, so dass er die Landstellung einnimmt, so kann man ihn bei Abhaltung jedes ‘iusseren Reizes sehr lange in dieser Lage verharren sehen, ohne dass er zu Schwimmbewegungen tibergeht. Wenn er dann zu schwimmen anfangt, so ist haufig gar kein dusserer Grund dafiir nachweisbar. Ursache der Schwimmbewegungen, 75 Ich méchte diese Beobachtung auf eine Stufe stellen mit der ana- logen Beobachtung, die man beim enthirnten Frosche auf dem Lande macht: Derselbe verhilt sich im Allgemeinen ruhig, macht aber dann und wann eine Bewegung, die wir inneren Reizen zuschreiben, Ich bin geneigt, bei dem Versuche im Wasser ebenfalls anzunehmen, dass die Ursache seiner Schwimmbewegung in diesem Falle eine innere ist, wozu hier noch mehr Gelegenheit dadurch geboten ist, als bei jeder Athembewegung auch der ganze Koérper einen leichten Stoss bekommt, dem er in kleinen Schwankungen fortwihrend folgt. Dagegen sehen wir, dass ausnahmslos jeder Frosch, wenn er ins Wasser springt oder in dasselbe geworfen wird, zu Schwimmbewegungen iibergeht. Daher michte ich schliessen, dass der allseitige Contact der Haut gegen das bewegte Wasser die eigentliche Ursache der Schwimmbewegungen bildet. Dagegen fillt aber sehr schwer ins Gewicht die Thatsache, dass ein Frosch, dem man die ganze Haut abgezogen hat, wenn er ins Wasser gebracht wird (Kochsalzbad!) vollkommen normal schwimmt, freilich nur sehr kurz, nicht wie ein unversehrter Frosch, aber er schwimmt doch und das geniigt; eine Beobachtung, welche wenig- stens in ihrem ersten Theile auch schon Onimus gemacht hatte (1. ¢. S. 645). Streng genommen wiirde man hier schliessen, dass die Be- rihrung der Haut mit dem Wasser gar nichts zu thun habe mit der Einleitung der Schwimmbewegungen, aber wir haben genug Beispiele in der Biologie dafiir, dass ein solcher Schluss zum wenigsten nicht vorsichtig ist; denn die Haut kann ein Factor sein und an einer ande- ren Stelle kann noch ein weiterer Factor wirken. Wir schliessen also vorsichtigerweise aus jenem Versuche, dass der Contact mit dem Wasser nicht die alleinige Ursache der Schwimmbewegungen ist, sondern dass es noch eine andere geben wird, die selbst den hautlosen Frosch zu Schwimmbewegungen anregt. Ich erinnere hierbei an die ganz ahn- lichen Verhaltnisse des Muskel- oder Gliedmaassentonus. Wenn man ein Riickenmarkspriiparat auf den Tisch legt, so bringt dasselbe die Beine bekanntlich in die hockende Normalstellung. Jedermann leitet diese Thatsache von einer Thiitigkeit der Hautnerven her, welche durch die Beriihrung mit der Tischplatte erregt worden. Zieht man diesem Praparate die Haut ab, so leistet es gar nicht selten immer noch das- selbe, weil, wie es scheint, die Nerven der Gelenke, sowie die der Sehnen 76 Ursache der Schwimmbewegungen. und Muskeln jenen Dienst besorgen. Ganz ebenso kann das Verhiltniss beim Schwimmen sein: Wenn die Haut entfernt ist, so mégen ebenfalls die Nerven der Gelenke, der Sehnen und vielleicht auch der Muskeln durch das bewegte Wasser zu den Schwimmbewegungen angeregt werden. Hiermit sind die Ermittelungen iiber die Ursache der Schwimm- bewegungen erschopft. Ich kann gestehen, dass das Resultat insofern meinen Wiinschen nicht entspricht, als ich ein pradciseres und ein- deutigeres Resultat gern gesehen hatte. Nichtsdestoweniger kann es richtig sein! Will man es nicht annehmen, so bleibt nichts Anderes iibrig als dem Gehirn des Frosches eine immanente Erkenntnissfihigkeit iiber Wasser oder Land zuzuschreiben. Wie ich mir diese Qualitit auch vorstellen mag, so bleibt fiir mich doch immer die Forderung iibrig, dass diese Erkenntniss nur auf Grund bestimmter peripherer Signale ge-: wonnen werden kann. Mit dieser Forderung stehen wir aber wieder an dem Ausgangspunkte dieser Untersuchung. Zu alledem kommt noch die Schwierigkeit, dass Schwimmbewegungen gemacht werden, so lange als Locomotionen auf dem Lande méglich sind, d. h. so lange als das Hirncentrum erhalten ist. | Wir werden deshalb bis auf Weiteres schliessen, dass die Schwimm- bewegungen des Frosches durch den allseitigen Contact der Haut mit dem bewegten Wasser ausgelost werden. Um einfach auf der Oberfliche des Wassers zu schwimmen, bedarf es fiir den Frosch nicht der geringsten physiologischen Leistung seiner Muskeln; dieser Vorgang ist ausschliesslich Function des Luftgehalts der Lungen, der ihn sogar an die Oberfliiche bannt, denn jedesmal, wenn er in die Tiefe tauchen will, entquillt seinen Lungen ein reichlicher Luftstrom. Dass iibrigens centripetale Erregungen zum Centrum gelangen miissen, wenn Schwimmbewegungen moglich sein sollen, geht aus einem Versuche Cl. Bernard’s hervor (Systeme nerveux, t. I, p. 251), wo es heisst: ,Sur une autre grenouille on a ouvert le rachis dans toute son étendue; puis on a coupé les racines postérieures des quatre membres. Dans VYeau Vanimal reste immobile et ne se meut pas spontanément. (Juand on excite en piquant la téte qui est resté sensible l’animal fait des mouvements désordonnés de ses quatre membres; mais ces mouve- ments ne sont pas en harmonie les uns avec les autres pour déterminer un mouvement commun, celui de natation par exemple.“ — Ursache der Schwimmbewegungen. a! Gleichzeitig mége hier einer Beobachtung gedacht werden, die, obgleich sehr in die Augen fallend, bisher nur wenig gewiirdigt worden ist. Wenn man den Frosch in der Landstellung aufs Wasser setzt und ihn durch irgend einen Reiz zum Schwimmen anregt, so nimmt er, wenn seine Bewegungen aufgehort haben, die alte Ruhelage nicht wieder ein, sondern er kommt in einer neuen Lage zur Ruhe, welche sich yon der Ruhelage auf dem Lande dadurch unterscheidet, dass namentlich die Hinterbeine vom Leibe ab in horizontaler Richtung ausgestreckt werden, so dass er mit seinem Korper in dieser neuen Ruhelage auf dem Wasser eine viel gréssere Fliiche bedeckt als in der anderen Lage. Die Fig. 13 (a. f£. 8.) zeigt besser als jede Beschreibung diesen Unter- schied, dessen Onimus auch schon Erwihnung thut, aber die Angaben sind wenig ausfiihrlich und die dazu gegebenen Abbildungen zwar sehr schon, aber so wenig anschaulich, dass sie kaum die Aufmerksamkeit der Leser haben erregen konnen. Es folgt daraus, dass der Frosch zu Lande und zu Wasser zwei ver- schiedene Ruhelagen hat; dass diese Ruhelage im Wasser ihre Ent- stehung ebenso einem Tonus zu verdanken scheint, welcher durch den Contact der Haut, der Gelenke u. s. w. mit dem bewegten Wasser in Thitigkeit versetzt wird, wie auf dem Lande durch den Contact mit der festen Unterlage. Dieser Tonus fir die Ruhelage im Wasser tritt merkwiirdiger Weise immer erst dann in Thatigkeit, wenn der Frosch im Wasser schon in Bewegung gewesen ist, fehlt aber durchaus, wenn man den Frosch ruhig auf das Wasser setzt. Es scheinen iiberhaupt fiir ihn dieselben Bedingungen maassgebend zu sein, wie fiir die Ursache der Schwimm- bewegungen. — Endlich seien zu dem Bisherigen noch folgende Thatsachen erwihnt: Der Frosch ohne Grosshirn schwimmt auf dem Wasser so, dass innerhalb des Wassers sich befinden die Extremitiiten und ein sehr kleiner Theil des Beckens, alles Uebrige ragt iiber das Wasser empor. Der Frosch, dessen Mittelhirn vollstiindig entfernt ist, schwimmt, wie schon erwihnt, auch auf dem Wasser, aber regelmiissig befinden sich unter dem Wasser alle Theile bis etwa auf den Kopf, dessen Ausdehnung etwas reichlich genommen. Merkwiirdig verhalt sich der Frosch, dem Grosshirn und Sehhiigel abgetragen sind. Derselbe pflegt sehr regelmiassig nach einigen 78 Ursache der Schwimmbewegungen. Schwimmbewegungen reichlich Luft aus seinen Lungen auszustossen und dann unter das Wasser auf den Boden des Gefiisses zu sinken. Fig. 13. Da wir oben gesehen haben, dass die Tiefe, bis zu welcher unsere Frésche im Wasser einsinken, lediglich Function des Luftgehaltes der Lungen ist, so folgt aus diesen Beobachtungen, dass der Luftgehalt Athmungscentren im Gehirn. 79 der Lungen nach den angefiihrten Operationen ein verschiedener sein muss, und weiterhin, dass diese Hirntheile einen Einfluss auf den Luftgehalt der Lunge ausiiben. Worin besteht dieser Einfluss? Wenn der Frosch ohne Sehhiigel jedesmal, ins Wasser gebracht, Luft aus- stésst, so scheint es, dass in dem restirenden Hirntheile ein Punkt vorhanden ist, der beim Eintritt des Thieres in das Wasser gereizt wird und Exspiration macht. Nennen wir den Punkt vor der Hand accessorisches Exspirationscentrum. Wenn das richtig ist, so diirfte, weil beim Vorhandensein der Sehhiigel der Einfluss dieses Centrums niemals hervortritt, es wahrscheinlich sein, dass in den Sehhiigeln selbst ein jenes Exspirationscentrum balancirendes accessorisches In- spirationscentrum liegen mag. Es fragt sich nunmehr, in welcher Gegend des Mittelhirns das accessorische Exspirationscentrum legt? Macht man eine Abtragung in der Linie a (s. Fig. 12), so bekommt man, wie oben erwihnt, einen Frosch, der sich in seinen locomotorischen Fahigkeiten nicht von jenem, dessen Sehhiigel allein abgetragen worden sind, unterscheidet; nur in einem Punkte besteht ein Unterschied, nimlich in seinem Ver- halten im Wasser, indem er namlich dort keine Luft aus der Lunge ausstosst und nicht auf den Boden sinkt, sondern auf der Oberflaiche bleibt, aber er sinkt tiefer in das Wasser ein, als der Frosch mit erhaltenen Sehhiigeln. Bei diesem Frosche wiirde also der Luftgehalt der Lunge ausserordentlich durch die Thitigkeit des alten in der Spitze der Schreibfeder gelegenen Athemcentrums bestimmt werden, welches allein nicht im Stande zu sein scheint, die Lungen mit Luft so zu erfiillen, wie es mit Hiilfe der accessorischen Athemcentren des Mittelhirns geschehen kann. Macht man einen Schnitt in der Linie 6 (s. dieselbe Figur), so be- kommt man einen Frosch, der riickwiirts geht, in Bezug auf sein Ein- tauchen im Wasser sich wie der vorige verhilt. Trigt man endlich die ganze Vierhiigelgegend ab, so sinkt der Frosch noch tiefer ein und es scheint, dass mit Annaherung der Operationsstelle an das Athmungs- centrum Alterationen in der Thitigkeit desselben gesetzt werden. Diese Verhiltnisse, soweit sie sich auf die Erschliessung von Athmungscentren im Mittelhirn beziehen, erinnern an Versuche von N. Martin, welcher Beziehungen der Zweihiigel zu den Athem- 80 Athmungscentren im Gehirn. bewegungen beim Frosche aufgefunden hat. Doch verlegt er an diese Stelle ein Inspirationscentrum. Meine Beobachtungen sind nur neben- bei gemacht, also nicht abgeschlossen; eine bestimmte Meinung méchte ich nur dahin dussern, dass die Zweihiigel und die Sehhiigel einen Einfluss auf die Athembewegungen haben; ob derselbe aber inspira- torisch oder exspiratorisch ist, mogen weitere Untersuchungen lehren. Dagegen habe ich, entgegen v. Wittich’s Angaben, nach Durchschnei- dung der Zweihiigel trotz Abhaltung jeden Reizes, die Athembewegungen niemals ausbleiben sehen. (Vergl. Eckhard, 1. c. 8. 117, 128.) Dass dagegen das Athmungscentrum des Frosches an dieselbe Stelle zu verlegen ist, an welcher man es auch bei den héheren Wirbel- thieren zu suchen pflegt, ist schon oben (8. 43) angegeben worden. Weitere Aufschliisse iiber den Einfluss des Gehirns auf die Haut- farbe, wovon oben (S. 29) Erwihnung geschehen ist, werden an anderer Stelle gegeben werden. Zweites Capitel. Die krummlinigen Bewegungen oder Zwangsbewegungen. Erster Theil: Die Versuche tiber Zwangsbewegungen. Das stérende Auftreten von Zwangsbewegungen bei vielen Opera- tionen, welche im ersten Capitel beschrieben worden sind, zwangen mich schliesslich dazu, na&her auf dieses Gebiet eimzugehen. Diese Arbeit erwies sich nach zwei Seiten hin von Vortheil; einmal brachten die neuen Thatsachen Aufschliisse und Bestiitigungen zu den geradlinigen Bewegungen, andererseits konnte das ganze Gebiet selbst emem gewissen Abschlusse zugefiihrt werden. Bei niherer Betrachtung stellte sich naimlich heraus, dass hier eine ausserordentliche Unsicherheit in den thatsaichlichen Angaben herrscht, derart, dass kaum eine Beobachtung vorhanden ist, welche nicht durch eine entgegenstehende aufgehoben werden konnte. Die Unsicherheit bezieht sich namentlich auf die Localititen, von denen aus diese oder jene Form der Zwangsbewegung erzeugt werden soll, sowie auf die Richtung, in welcher die auftretende Zwangsbewegung erfolgt, d. h. ob nach der verwundeten oder nach der gesunden Seite hin. Sicher und zutreffend dagegen bleiben die Angaben, welche iiber die Formen der Bewegung gemacht worden sind. Nach wie vor steht es fest, dass die regelmiissig angegebenen drei Gruppen alle bisher bekannten Formen yon Zwangsbewegungen umfassen oder dass sie sich auf diese Grundtypen zuriickfiithren lassen. Man unterscheidet bekanntlch drei Typen: 1) Die Manégebewegung, welche darin besteht, dass der Frosch mit der Liingsaxe seines Kérpers sich in der Peripherie eines Kreises bewegt. Steiner, Froschhirn. (or) 82 Zwangsbewegungen. 2) Die Rollbewegung, bei welcher der Frosch um _ seine Liingsaxe rotirt. ) 3) Die Uhrzeigerbewegung, wobei der Frosch sich wie der Zeiger der Uhr auf dem horizontal legenden Zifferblatte um sein Beckenende dreht; der Radius des entstehenden Kreises ist etwa gleich der Lange des Froschkérpers. Die Drehung erfolgt entweder im Sinne des Uhrzeigers oder in umgekehrter Richtung. Diese drei Typen sind, wenn auch der Form nach _ verschieden, ihrem inneren Wesen nach im Allgemeinen als gleichwerthig behandelt worden. Das ist aber unrichtig, denn, wie ich schon hier vorweg- nehmen will und weiterhin beweisen werde, ist, was bisher unbekannt war, die Uhrzeigerbewegung eine Reizungserscheinung, also von verganglicher Art, wihrend die beiden anderen Formen wahre Ausfallserscheinungen darstellen und unvergiinglich sind, so lange das Thier am Leben erhalten wird. Die Aufgabe, deren Losung hier angestrebt wurde, war eine dop- pelte; einmal nimlich waren die Punkte zu fixiren, deren Verletzung die entsprechenden Formen von Zwangsbewegungen entstehen lassen, und es war die jedesmalge Richtung der Bewegung genau zu bestim- men; andererseits aber, und das ist der viel schwierigere Theil der Aufgabe, mussten die Ursachen aufgefunden werden, welche die ab- weichenden Angaben der Autoren verursacht hatten. Die Aufgabe wird als gelést zu betrachten sei, wenn man alle Angaben, welche iiber Zwangsbewegungen gemacht worden sind, entsprechend zu locali- siren vermag. Kine historische Entwickelung dieser Frage hier zu geben, erscheint wegen der grossen Masse von Material sowohl als auch deshalb tiber- fliissig, weil man sie in jedem grdsseren Werke iiber Physiologie und auch anderweitig reichlich genug vorfindet; im Uebrigen verweise ich auf Eckhard’s Darstellung 2). Die Zwangsbewegungen entstehen bekanntlich nach einseitigen Ver- letzungen des Gehirns und des Nackenmarkes oder, allgemeiner ausge- driickt, nach asymmetrischer Verletzung der angegebenen Theile, insofern als auch beide Seiten verletzt sein kénnen, aber in ungleichem Grade. a) 1p, Com 100) oh ae. Kinseitige Abtragung des Grosshirns. 83 Um fiir die ersten Versuche eine feste Basis zu haben, wurde die asymmetrische Verletzung so eingerichtet, dass jedesmal ein bestimmter, in anatomische Grenzlinien eingeschlossener Hirntheil einseitig voll- kommen abgetragen worden ist. So wurden der Reihe nach einseitig das Grosshirn, der Sehhiigel, der Zweihiigel, das Kleinhirn abgetragen und endlich eine einseitige totale Durchschneidung des Nackenmarkes vorgenommen. Nach der Operation wurden die Thiere auf den Tisch gesetzt, sogleich beobachtet, ohne sie aber zu reizen; die nahere Unter- suchung geschah erst nach 24 Stunden und wurde bis mindestens iiber zwei Wochen ausgedehnt. Die Beobachtungen beziehen sich auch hier ausnahmslos auf den Frosch. §. 1. Hinseitige Abtragung des Grosshirns. Nach dieser Operation sieht man nichts, was den Zwangsbewegun- gen Abnlich sehe. Die bisherigen Angaben sind damit ebenfalls in Uebereinstimmung. §. 2. Einseitige Abtragung der Sehhiigel. Mit demselben kleinen Messerchen, das oben in Fig. 3 abgebildet ist, wird der Sehhiigel umschnitten und zwar in der Trennungslinie zwischen Seh- und Zweihiigel, ferner in der Trennungslinie zwischen Sehhiigel und Grosshirn, endlich ein Schnitt in der Mittellinie, der die Sehhiigel der beiden Seiten von einander trennt. Das umschnittene Stiick wird regelmissig mit der Pincette herausgehoben und man iiberzeugt sich durch Auftupfen des Blutes vermittelst kleiner Schwimmchen von dem bis auf die Basis cranii gesetzten Defecte. Ein Bild der Abtragung giebt die Fig. 14 (a. f. 5.). Die Ausfithrung dieser sowie aller folgenden Operationen ist an sich nicht gerade schwierig; erfordert aber, soll sie gut gemacht werden, Erfahrung und Uebung. 6* 84 Einseitige Abtragung des Sehhigels oder Zweihigels. Bringt man den Frosch auf den Tisch, so beobachtet man ent- weder eine starke Prostration: der Frosch sitzt bewegungslos; oder Fig. 14. aber man sieht sogleich sehr schéne Uhrzeiger- bewegungen auftreten, die nach der gesunden Seite gerichtet sind. Welche Erscheinung auftritt, lasst sich in keinem Falle voraussagen; das unter- hegt durchaus dem Zufall resp. inneren Vorgangen, die mit dem Schnitt und der Erregbarkeit der Schnittstelle zusammenhingen und die man niemals beherrschen kann. Wenn eine Anzahl solcher Uhr- zeigerbewegungen gemacht worden sind, tritt Ruhe ein: die Uhrzeigerbewegung ist verschwunden und kehrt niemals mehr wieder. Wenn man den Frosch nach einer kurzen Pause mechanisch reizt, so macht er keine Uhrzeigerbewegung, sondern beschreibt einen grossen Manegekreis nach der gesunden Seite. Nach vierundzwanzig Stunden ist Alles verschwun- den; der Frosch bewegt sich wieder geradlinig und ist von einem normalen Thiere kaum zu unterscheiden. §. 3. Hinseitige Abtragung der Decke des Zweihigels. Trigt man mit der Bajonettscheere die Decke des Zweihiigels der einen Seite vorsichtig ab, so bleibt dieser Eingriff ohne weitere Folgen; selbst bei sehr gutem Willen habe ich keine Abweichung von dem geraden Wege sehen konnen. §. 4. Einseitige Abtragung der Basis der Zweihtgel. Um diese Operation auszufiihren, wird mit demselben Messer ein Schnitt gefiihtt in der Trennungslinie zwischen Zweihiigel und Nacken- mark, ein zweiter zwischen Zweihiigel und Sehhiigel, ein dritter in Hinseitige Abtragung der Zweihiigelbasis. 85 der Mittellinie zur Trennung der beiderseitigen Zweihiigel. Der abgetragene Theil wird entfernt und man iiberzeugt sich durch den Augenschein, dass die projectirte Abtragung auch ausgefiihrt worden ist. Die Abtragung umfasst naturgemiiss auch die Decke des Mittel- hirns. Die Fig. 15 zeigt die Ausdehnung der Operation. Sowie man diesen Frosch auf den Tisch setzt, beginnt er mit grosser Heftigkeit eme Manégebewegung und zwar in der Richtung nach der ge- sunden Seite. Die Bewegung dauert eine Zeit lang, dann hort sie auf, offenbar in Folge der Ermiidung. Jetzt kann man beobachten, dass der Frosch auch eine Zwangsstellung aufweist, die sich wesentlich auf den Kopf bezieht. Derselbe ist niim- lich nach der gesunden Seite hin etwas gesenkt und gedreht, steht gewissermaassen in Diagonalstellung. Wenn man den Frosch nach 24 Stunden aufsucht, so sieht man, wenn er isolirt in einem Topfe sich befunden hatte, weder die Zwangsstellung des Kopfes, noch macht er Manegebewegung; reizt man ihn aber mechanisch oder bringt ihn ins Wasser, so beginnt sogleich wieder die Manegebewegung in demselben Sinne wie Tags vorher, und kommt er wieder zur Ruhe, so erscheint auch die Zwangsstellung des Kopfes wieder. | Was die Bewegung im Wasser anbetrifft, so schwimmt er ebenfalls im Kreise herum; was aber sehr auffallend ist und bisher wenig beachtet wurde, ist die Thatsache, dass er vollkommen coordinirt schwimmt. Die Anomalie in der Bewegung besteht also nicht in der Form der Be- wegung, sondern ausschhesslich in der-Art der Bewegung, indem die- selbe Bewegungsform aus der geradlinigen in die krummlinige Richtung iibergegangen ist. In dieser Form erhialt sich die Erscheinung unbeschriinkte Zeit, sie ist also unvergiinglich. Wir miissen deshalb genau unterscheiden, dass die Manegebewegung unmittelbar nach der Operation eine Reizungs- erscheinung und verginglicher Natur ist; dass aber als Ausfalls- erscheinung ebenfalls eine Manegebewegung bleibt, welche aber nur auf einen iiusseren Reiz zum Vorschein kommt. Auf diese letztere 86 Einseitige Abtragung der Zweihigelbasis. Thatsache hat schon vor vielen Jahren Schiff aufmerksam gemacht, ohne jedoch, wie es scheint, damit geniigendes Interesse erweckt zu haben, Aber diese Thatsache ist wichtig genug, um unsere volle Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. | Der Kreis der Manegebewegung ist ausserordentlich verschieden; er ist bald grésser, bald kleiner, ohne dass sich daftir vorlaiufig ein plausibler Grund angeben lisse. Die eben beschriebenen Erscheinungen als Folgen der Abtragung der Basis eines Lobus opticus sind so constant, dass ich davon niemals Fig. 16. eine Ausnahme gesehen habe, allerdings unter der (Si Voraussetzung, dass der eine Lobus auch wirklich | \ total entfernt worden ist. Man sollte diese Voraus- | Fig. 17, setzung eigentlich fiir selbstverstiindlich ' halten und sie ist es auch, aber die That man erreicht hier hiufig nicht das, was man mit bestem Willen angestrebt hat. Damit hat es folgende Bewandtniss: Unter den in der angegebenen Weise operirten Froschen findet man nicht selten solche, welche nicht Manegebewegung nach der unvyerletzten Seite machen, sondern mehr Neigung zur Bewegung nach der verletzten Seite zeigen | und vor Allem dabei hiufig Rollbewegungen nach der Seite der Verletzung machen. In der folgenden Zwangs- stellung ist der Kopf auch nach der verletzten Seite geneigt; und das Alles, obgleich man fest tiberzeugt ist, den ganzen Lobus opticus der einen Seite entfernt zu haben. Wenn man diesen Frosch todtet, den Kopf in Alkohol erhartet und genau controlirt, was eigentlich von der Hirnmasse abgetragen worden ist, so findet man ausnahmslos, dass an der Basis ein kleines Stiickchen des Mittelhirns stehen geblieben ist. Die Fig. 16 zeigt (schematisch) bei a den Rest der Mittelhirnbasis. Solche Irrthiimer kommen vor trotz eines guten Messers und trotz der Ueberzeugung, dass man den Schnitt bis auf die Basis gefiihrt hat; kurz, trotz der menschenmoglichsten Vorsicht. Der begangene Fehler scheint mir entspricht nicht immer dem Wunsche; denn ~ Hinseitige Abtraguug des Kleinhirns. 87 daher zu riihren, dass das Messer, wenn man es bei der Schnittlegung horizontal von innen nach aussen zieht, iiber Hirnpartien wegstreifen kann, ohne sie zu durchschneiden. Um diesen Fehler moéglichst zu vermeiden, habe ich das Messerchen, wie es Fig. 17 zeigt, anfertigen lassen; es ist die Hiilfte des Messers von Fig. 6 und schneidet in halber Breite des Mittelhirns von oben nach unten in senkrechter Richtung. Die Resultate sind besser; nichtsdestoweniger muss auch hier, will man Tiauschungen vermeiden, eine scharfe Controle der gemachten Verletzung echandhabt werden. Sd. Hinseitige Abtragung des Kleinhirns. Die Operation wird mit der Bajonettscheere ausgefthrt; aber sie muss gewissermaassen mit noch mehr Sorgfalt behandelt werden, als die totale Abtragung des Kleinhirns, weil dort das Auftreten einer Zwangsbewegung sogleich die Verletzung der sehr empfindlichen Nach- barschaft aufdeckt, wahrend hier, wo wir umgekehrt Zwangsbewegungen suchen, leicht dem Kleinhirn eine Zwangsbewegung zugesprochen werden kann, die thatsiichlich der Nachbarschaft angehort. In der That sieht man aber nach einseitiger Abtragung des Kleinhirns gar keine Abweichung von der geradlinigen Bewegung auf- treten. §. 6. Hinseitige Schnitte in das Nackenmark. Man legt das Nackenmark in der oben beschriebenen Weise voll- kommen bloss, sticht mit dem kleinen Messerchen aus Fig. 3 in die Mittellinie ein und fiihrt senkrecht zur Axe den Schnitt nach aussen, wie er in Fig. 18 (a. f. 8.) durch die Linie a angegeben ist. Fallt der Schnitt in den vorderen Theil des Nackenmarkes, doch nicht vor den hinteren Rand des Kleinhirns, so fiihlt man schon wahrend des Schnittes vielfache Muskelzuckungen. Setzt man den Frosch auf den Tisch, so 88 Einseitige Schnitte in das Nackenmark. springt er mit grosser Kraft auffallend senkrecht in die Hohe und iiberschlagt sich beim Herunterkommen so auf die verwundete Seite, dass er in derselben Richtung um seine Axe rollt. Diese auffallenden Spriinge werden bis zur Ermiidung fortgesetzt. Kommt er auf diese Weise zur Ruhe, so sieht man ihn in einer Zwangsstellung, die eben- falls besonders den Kopf betrifft, welcher nach der verwundeten Seite so stark gesenkt sein kann, dass das Auge der gesunden Seite fast senkrecht in die Hohe sieht. Dadurch ist auch der Schultergiirtel der gesunden Seite hoch gestellt und mit ihm die Vorderextremitat derselben Seite vollkommen gestreckt, auf welcher der Schultergiirtel wie auf einer Siule ruht. Ob iibrigens diese Stellung der Vorderextremitiit, wie es hier dar- gestellt ist, secundiir oder ob sie primi ist, lasst sich nicht entscheiden. Nicht zu iibersehen ist aber, dass auch die Hinterextremitiit derselben, also der gesunden Seite, ofter nicht geordnet am Korper anlegt, sondern mehr oder weniger und kiirzere oder lingere Zeit ausgestreckt daliegt, bis sie wieder in die normale Lage zuriickkehrt. Bringt man ihn ins Wasser, so beginnt er zunachst eine Manéegebahn um die gesunde Seite zu be- schreiben, bis er plotzlich nach der verwundeten Seite umschligt und um seine Axe rollt, oder aber er beginnt sogleich um seine Axe zu rollen und zwar ebenfalls in der Richtung der verwun- deten Seite. Die Form der Bewegung im Wasser ist sehr verschieden, aber ausnahmslos tritt das Moment der Roll- bewegung hervor. In dem Stadium der Manegebewegung, die oft in Stossen erfolgt, ist die Schwimmbewegung ebenfalls immer coordinirt, was besonders zu bemerken ist. Ueberlasst man den Frosch, ebenfalls allen in einem Topfe, ungestorter Ruhe und sucht ihn nach 24 Stunden wieder auf, so findet man ihn in fast vollig normaler Haltung bis auf eine gering- fiigige Neigung des Kopfes nach der verletzten Seite, die fliichtiger Betrachtung leicht entgehen kann, aber im Uebrigen ist er voll- kommen unbeweglich. Reizt man ihn mechanisch, so springt er Schliisse aus den Versuchen, 89 sogleich in die Hohe und schliigt beim Herunterkommen nach der verletzten Seite iiber, so dass er leicht auf den Riicken zu legen kommt. Bringt man ihn ins Wasser, so macht er die beschriebenen Rollbewegungen in derselben Weise. Kommt er durch Krmiidung zur Ruhe, so sieht man ihn in derselben Zwangsstellung wie oben. Dem- nach wiederholt sich auch hier die Thatsache, dass die Bewegungen sogleich nach der Verwundung Reizungserscheinungen sind, dass die spiitere’ Beobachtung aber die Ausfallserscheinungen rein hervortreten liisst. Solche Frésche sind in unveriindertem Zustande bis sechs Wochen beobachtet worden; die Wunde war geheilt. Leet man den Schnitt in den hintersten Theil der Rautengrube, wenig oberhalb der Spitze des Culamus seriptorius, etwa in die Linie b der Fig. 18, so sieht man keinerlei Stérungen. Die Schnitte gehen bis auf den knéchernen Grund, Sieh Hinige Schlisse aus den bisherigen Versuchen. Es ergeben sich aus den bisher mitgetheilten Versuchen ganz direct eine Reihe von Schliissen, die ihrer Wichtigkeit wegen hier gleich gezogen werden moégen. Dieselben sind die folgenden: 1) Zwangsbewegungen entstehen beim Frosche ausschliesslich nach asymmetrischen Verletzungen der Sehhiigel, der Basis der Zweihiigel und der vorderen Hilfte des Nackenmarkes. 2) Die Uhrzeigerbewegung nach Abtragung des Sehhiigels ist ver- gainglich, daher eine Reizungserscheinuneg. Hier befinden wir uns an jener Stelle, von der in der Einleitung gesprochen worden ist, dass nimlich gelegentlich einmal sogenannte Nebenwirkungen der Operation im Sinne von Wernicke und Goltz gerade zur Hauptwirkung werden kénnen, ein Fall, dessen Wahr- scheinlichkeit Goltz auch vorhergesehen hatte. Aus diesem Grunde habe ich oben die Bezeichnung ,Nebenwirkung* nicht annehmen konnen und dafiir Reizungserscheinungen zu setzen vorgeschlagen. 3) Die Manege- und die Rollbewegung sind Ausfallserschei- nungen, weil sie dauernd bestehen. 90 Fortsetzung der Experimente. 4) Die einseitige Zerstorung des Sehcentrums erzeugt keinerlei Zwangsbewegung, obgleich eine ganze Seite dieses Centrums mit einem Auge in Verbindung steht — die Nn. optici des Frosches sind total gekreuzt (Renzi, Blaschko). 5) Da die Frésche mit allen Formen der Zwangsbewegungen coordinirt zu schwimmen vermodgen, wobei, soweit zu ersehen, simmt- liche Muskeln wie bei normaler Bewegung in Thatigkeit gerathen, so folgt daraus, dass nirgends eine periphere Lihmung oder teta- nische Contraction vorhanden sein kann, sondern dass die Zwangs- bewegungen, mdgen sie als Reizungs- oder als Ausfallserscheinungen auftreten, durch centrale Storung der Innervation hervorgerufen sein miissen; ein Schluss von wesentlicher Bedeutung, der sich wbrigens auch schon bei Schiff unter dem etwas misslichen Namen _,,centrale Lihmung“ vorfindet. Diese Folgerung ist von Interesse, weil sie alle Erklarungsversuche der Zwangsbewegungen von der Hand weisen muss, die auf peripherer Lahmung oder auf einseitigen Convulsionen beruhen. 6) Die Zwangsbewegungen als Ausfallserscheinungen treten nur auf aussere Reize ein (ebenfalls schon von Schiff bemerkt). Daraus folgt, dass von einem inneren Triebe, einem inneren Zwange, wie Magendie sich vorgestellt hat, nicht die Rede sein kénne, um daraus die anomale Bewegung abzuleiten. Es ist kein gliicklicher Griff, wenn Vulpian diese Auffassung wiederholt, fast ein Menschenalter, nach- dem schon Schiff deutlich genug die Unhaltbarkeit derselben nach- gewiesen hatte. Daher ist eigentlich der Name Zwangsbewegung nnrich- tig, aber er hat sich so eingebiirgert und Jedermann weiss so gut, was man darunter versteht, dass es besser ist, ihn beizubehalten; allerdings nur zu dem Zwecke, um damit den Complex eigenartiger Bewegungen zu bezeichnen unter Verzicht auf die Betonung ihres Entstehens. S48. Fortsetzung der Experimente. Die Versuche iiber Zwangsbewegungen, die bisher mitgetheilt worden sind, habe ich viele Male, besser wohl sehr viele Male wieder- Fortsetzung der Experimente. 91 holt; sie kehren stets mit demselben Resultat wieder, wenn die an- gegebenen Bedingungen genau eingehalten werden; Ausnahmen davon kommen, soweit solche nicht oben (5S. 86) erwihnt worden sind, nicht vor. Unvereinbar damit sind andere Angaben von friiheren Forschern, die sich namentlich auf die Richtung der Drehung, aber auch auf die Form der Zwangsbewegung, namentlich im Gebiete der Rollbewegun- gen beziehen. So z. B. hatte ich angegeben, die Uhrzeigerbewegung nach Abtragung des Sehhiigels gehe nach der unverwundeten Seite; dagegen schreibt Flourens!): ,J’ai retranché, sur une grenouille, la couche optique (Sehhiigel) droite: la grenouille a tourné longtemps et irrésistiblement sur le cété droit.“ Also gerade das Gegentheil zu meiner Beobachtung. Ebenso Renzi?): ,Una lesione profonda Vun talamo ottico induce nella rana un seguito di movimenti forzati in forma di circuiti. Il lato che guarda il centro dei circuiti € sempre il corrispondente alla lesione; dal qual lato anzi la rana sempre sinclina.“ Also dieselbe Angabe wie bei Flourens und vollig im Widerspruch mit dem, was ich gesehen habe. Aber nicht genug dies; auch fiir die Basis der Zweihiigel giebt Renzi an, dass nach einsei- tiger Verletzung derselben Manegebewegungen nach der verletzten Seite vorkommen, die im Wasser sogar in Rollbewegungen nach der verletzten Seite iibergehen (1. c. 172). Endlich sah Baudelot nach einseitiger Verletzung des verliingerten Markes nicht alle Rollbewe- gungen, sondern auch Manegebewegungen nach der unverletzten Seite 3). Die Differenz gegen meine Angaben betreffen also nicht allein die Richtung der Zwangsbewegung, sondern auch deren Form, inso- fern als Zwangsbewegungen nach der verletzten Seite auf Verletzung der Seh- und Zweihiigel vorkommen kénnen, sowie Rollbewegungen nach Verletzung der Zweihiigel und Manegebewegung nach Verletzung des Nackenmarkes; der Differenzen also genug. Wenn Autoren solche Angaben machen, so hat man kein Recht, daran zu zweifeln, dass sie derlei nicht sollten gesehen haben; wenn diese Autoren noch dazu Flourens und Renzi heissen, d. h. Autoren, welche auf diesem Gebiete zu den Berufensten gehdren, so bleibt jeder Irrthum in im Ui acit. oy 51%, 2) L. cit. p 164. - 9) 9.) citi ps) 5. 92 Kinseitige Verletzungen durch Schnitt. Grunde genommen so einfachen Dingen ihrerseits vollig ausgeschlossen, Andererseits habe ich meine Versuche so hiutig wiederholt und stets dasselbe Resultat gefunden, dass auch von meiner Seite ein Irrthum nicht begangen worden ist. Daraus folgt, dass zwischen den Versuchen jener Autoren und den meinigen ein Gebiet liegt, das bisher unbebaut gebheben ist und der Aufschliessung harrt; der Gewinn aus dieser Arbeit kann die Klirung aller differenten Angaben bringen. Man bezeichnet im Allgemeinen das Froschhirn als so klein, dass man hochstens die innerhalb der anatomisch gegebenen Linien lie- genden Hirntheile abzutragen wagt. Vollig ausgeschlossen erachtet man aber das methodische Eindringen in die einzelnen Hirnpartien, wobei naturgemiss von jenen Versuchen abzusehen ist, in denen ein Messer aufs Gerathewohl in einen Hirntheil eingestossen wird. Dass man indess durch methodische und genau controlirte Abtragungen von Hirnsubstanz auch innerhalb der einzelnen Hirntheile Erfolge erzielen kann, ist im ersten Capitel gezeigt worden. Ich hoffte des- halb hier ebenso durch einseitige Verletzungen innerhalb der Hirn- theile selbst zu einem Resultate zu gelangen. g. 9. Hinseitige Verletzungen verschiedener Hirntheile durch Schnitt. Wenn irgendwo, so ist in dieser Reihe von Versuchen die aller- scharfste Controle der gemachten Verletzung durch die folgende Autopsie (nach Erhirtung in Alkohol) nothwendig; es ist geradezu erstaunlich, welchen Irrthiimern man ausgesetzt ist. So kann es vor- kommen, dass man mit aller Sicherheit bis auf die Basis den Schnitt gefiihrt zu haben itiberzeugt ist: die Autopsie lehrt gelegentlich, dass der Schnitt doch nicht alle Elemente bis zur Basis getrennt hat, wie auch schon oben erwihnt worden ist. A. Schnitte im Bereiche der Sehhiigel. Fiuhrt man einen Schnitt (Gmmer bis auf die Basis!) in der Trennungslinie zwischen Seh- und Zweihiigel, entsprechend der Linie es o Schnitte in Seh- oder Zweihigel. 93 a in Vig. 19, so ist der Erfolg genau derselbe wie jener nach totaler Abtragung des Sehhiigels, d. h. Uhrzeigerbewegung nach der unver- letzten Seite. Legt man den Schnitt mitten durch den Sehhiigel senkrecht zur Liingenaxe, entsprechend der Linie 6 derselben Figur, so erfolet die Uhrzeigerbewegung nach derselben Seite, d. h. nach der Seite der Verletzung. Die weiteren Vorgiinge sind dieselben wie oben schon angegeben. B. Schnitte im Bereiche der Zweihiigel. Ich werde mich hier vor der Hand an die Linien halten, welche schon oben in Fig. 12 fiir diesen Hirntheil fixirt worden sind. Legt Fig. 19. Fig. 20. man einen einseitigen Schnitt in die Linie a (s. Fig. 20), so sind die Folgen im Allgemeinen tihnlich, wie wenn man den Schnitt in die Grenzlinie von Seh- und Zweihiigel gelegt hitte. Legt man den Schnitt in die Linie 6, so bekommt man Manegebewegung nach der unverletzten Seite, wie bei totaler Abtragung des Zwei- hiigels. Dasselbe Resultat hat ein Schnitt in der Linie ¢ resp. auf der Grenze vom Zweihiigel und Nackenmark. Bis hierher haben wir keine _ weitere Aufklarung bekommen. Legt man einen Schnitt in die Diagonale, der Figur nach in die Linie d, so sieht man zunichst unmittelbar nach der Operation den Frosch sich abwechselnd nach der einen und nach der anderen Seite drehen. Der Kopf selbst ist in der Richtung nach der verwundeten Seite so verbogen, dass das Auge der liadirten Seite tiefer steht. Eine Gesetz- missigkeit in der Richtung der Bewegung ist vorliufig nicht vor- handen, d. h. wir haben es offenbar mit einer complicirten Reizwirkung 94 Schnitte im Zweihigel. zu thun. Wenn man den Frosch aber 24 Stunden sich selbst iiber- lasst, so macht er nunmehr ausnahmslos auf Reiz Manegebewegungen nach der verletzten Seite, wobei hiufig eine Tendenz zum Um- schlagen auf den Riicken bemerkbar ist. Setzt man den Frosch ins Wasser, so schwimmt er zunichst Manege nach der verletzten Seite, geht aber nach kiirzerer oder lingerer Zeit in Rollbewegungen um die verletzte Seite tiber oder aber ér macht diese Rollbewegungen yon vornherein und geht spiter in Manege iiber, aber beide Bewegungen regelmassig in der Richtung nach der verletzten Seite. Man kann die Moglichkeit, dass es sich bei dem Diagonalschnitt um Mitverletzung des benachbarten Nackenmarkes handelt, dessen Verwundung im Allgememen Rollbewegungen giebt, vollig ausschliessen, einmal dadurch, dass man die knécherne Schideldecke soweit stehen lasst, dass man mit dem Messer gar nicht an das Nackenmark kommen kann; viel beweisender ist aber weiter die Thatsache, dass Verletzung gerade der dem Zweihiigel benachbarten Partie des Nackenmarkes nie- mals Rollbewegungen giebt, wortiber spater noch mehr. Das ist nunmehr offenbar der Fall, den Renzi gesehen, aber nicht geniigend pricisirt hat. Wir wissen nunmehr ganz genau, an welcher Stelle wir diesen Renzi’schen Versuch sowie jenen von Flourens zu suchen haben werden. Dagegen habe ich mich vergeblich bemiiht, diese Manegebewegung nach der verletzten Seite von der ihr folgenden Rollbewegung zu trennen. Es scheint daraus hervorzugehen, dass dieser Zusammen- hang entweder in der hier vorhandenen Organisation gegeben ist oder aber, dass vielleicht Schnitte derselben Richtung bis in verschiedene Tiefen geftihrt zu dem angestrebten Resultate fiihren. Die Autopsie hat fiir letztere Moglichkeit keine greifbaren An- haltspunkte geboten, doch konnte es niitzlich sem, die Untersuchung nach dieser Richtung spiter wieder einmal aufzunehmen. Leet man einen Schnitt in die andere Diagonale, in die Linie e, so ist diese Verletzung wieder von Manége nach der gesunden Seite eefolet. Nunmehr bleibt nur noch eine Schnittrichtung moéglich, namlich parallel der Kérperaxe, z. B. in der Linie n; das Resultat ist ebenso tiiberraschend als bedeutungsvoll. Kurz nach der Operation aga td Schnitte im Nackenmark. 95 macht der Frosch Manegebewegung nach der gesunden Seite hin in ziemlich grossem Kreise; nach 24 Stunden aber ist Alles verschwunden, die Bewegungen erscheinen vollig normal, wie wenn sie einem gesunden Frosche angehdren wiirden. Beobachtet man nicht direct nach der Operation, sondern erst spaiter, so kommt man leicht zu der An- schauung, dass dieser Schnitt gar keine Zwangsbewegung erzeugt. Man kann den Schnitt in beliebige Entfernung von der Mittellinie legen; ist nur dafiir gesorgt, dass er parallel zur Axe bleibt, so ist die Wir- kung dieselbe. ©. Schnitte im Bereiche des Nackenmarkes. Ueber die Folgen einseitiger Verletzungen im Nackenmark herrscht unter den Autoren im Allgemeinen Uebereinstimmung: man erhalt Rollbewegung nach der verletzten Seite, wie auch meinen obigen Versuchen entspricht. Nichtsdestoweniger kann man hier doch ganz reine Manegebewegung zu sehen bekommen, wenn man direct auf das Kleinhirn einschneidet. Diese Verwundung giebt dauernde Manége nach der unverletzten Seite, die wir dem Nackenmark zuschreiben miissen, da der Theil, welcher unter dem Kleinhirn liegt, nach der landliufigen Anatomie zweifellos dem Nackenmark angehort. Das ist der Punkt, auf den ich oben verwiesen hatte, dass gerade die dem Zwei- hiigel benachbarte Partie des Riickenmarkes gar keine Rollbewegung giebt, und das ist wohl auch die Stelle, die Baudelot im Auge ge- habt hatte, um so wahrscheinlicher, als man mit dem Schnitte bis dicht an den hinteren Rand des Kleinhirns riicken kann. Damit wire hier die Untersuchung beendet, wenn sich meine Auf- merksamkeit nicht schon seit lingerer Zeit folgender Thatsache zuge- wendet hatte: Die Rollbewegungen, die man nach Verletzung des Nacken- markes sieht, zeigen im Wasser zwei ganz verschiedene Typen; der eine Typus ist der, dass der Frosch, sobald er ins Wasser gesetzt wird, zunichst gewohnlich in einem oder mehreren Stossen einen regel- rechten Manegebogen nach der unverletzten Seite beschreibt, am Ende dieses Stosses schligt er dann um und rollt einmal um die verwundete Seite, rafft sich danach auf, setzt seine Manégebewegung in der alten Richtung wieder fort, schlagt wieder eimmal um u. s. f. Der 96 Fortsetzung. Frosch beschreibt also in der That einen regelmassigen Manegekreis, innerhalb dessen er wiederholt um die verwundete Seite rollt, so dass er thatsichlich zwei gesonderte Bewegungen ausfiihrt, welche- nach entgegengesetzter Richtung stattfinden. Der andere Typus ist der, dass der Frosch beim Eintritt ins Wasser-sogleich die Rollbewegung be- ginnt und mit grosser Geschwindigkeit ohne Unterbrechung bis zu volliger Ermiidung fortsetzt; eine translatorische Bewegung findet hier- bei zwar auch statt, aber man kann nicht mit Sicherheit angeben, ob der Weg irgend einer regelmissigen Curve entspricht. Wenn man von allen anderen Bewegungen absieht und wesentlich nur die Roll- bewegung im Auge behalt, so kann man die erste Form als periodische, die andere als continuirliche Rollbewegung bezeichnen. Auf diesen Unterschied in der Rollbewegung ist meines Wissens bisher noch nicht aufmerksam gemacht worden. Nach meinen bis- herigen Erfahrungen schien es mir wahrscheinlich, dass diese beiden Typen ihre Entstehung zwei ganz verschiedenen Verwundungen ver- danken miissen. Auch anderweitige Ueberlegungen veranlassten mich, diese Verhiltnisse niher zu studiren. Die nichste Aufgabe war, die Schnitte, welche durch das halbe Nackenmark gehen, in verschiedener Hohe desselben anzulegen. Man operirt wieder bei vollig klarem Object und controlirt die Schnitte durch die Autopsie. Da hier keine anatomischen Linien vorhanden sind, so mussten wieder solche Linien fixirt werden. Es wurde eine Linie gezogen hinter dem Kleinhirn, eine zweite von da auf halbem Wege bis zur Spitze der Schreibfeder und eine dritte ein wenig ober- halb der letzteren Stelle. Um kurz zu sein, bemerke ich, dass diese Schnitte keine constanten Resultate geben, vor allen Dingen traf ich nirgends auf die continuirliche Rollbewegung, die ich eigentlich am meisten gesucht hatte. Die Erfolglosigkeit meiner Bemiihungen schien durch die immerhin grosse Unsicherheit der fixirten Schnittlinien ver- schuldet zu sein. Aber ich hatte doch dabei beobachtet, dass 6fters Exemplare, deren Auge yollkommen starr war, regelmiissige Anomalien zeigten. Das war offenbar die Gegend, wo der N. trigeminus passitt, und diesen Punkt konnte man als festen Ausgangspunkt wihlen. Bezeichnet man diesen Punkt als Regio trigeminalis, so heisst die dariiber legende Abtheilung Regio supratrigeminalis und die darunter Fortsetzung. oF gelegene Regio subtrigeminalis. In der Fig. 21 sind diese drei Stellen mit a, b, ¢ bezeichnet. Der Schnitt in der Regio supratrigeminalis, der dicht hinter das Kleinhirn fallt, giebt bei mittelgrossen Fréschen immer nur Manegebewegung nach der unverletzten Seite. Der Schnitt in der Regio trigeminalis giebt neben Starre des Auges regelmissig periodische Rollbewegung in dem oben entwickelten Sinne. Die Breite dieser Region erstreckt sich etwas weiter nach unten, denn dieselbe Rollbewegung tritt noch auf, wenn die Storungen am Auge ofter nur geringe sind. In der Regio subtrigeminalis beobachtet man wieder eine Manegebewegung nach der verletzten Seite, aber der Frosch hat Fig. 21. die Tendenz, fast auf der Kante der gesunden U \ Seite zu schwimmen und hat eine grosse Toleranz / y gegen die Riickenlage (im Wasser). Damit haben wir endlich wenigstens den | Punkt gefunden, von dem aus sicher und regel- massig die periodische Rollbewegung einzuleiten ist. Aber wo bleibt die andere Form der Roll- bewegung? Bis hierher haben wir sie vergeblich gesucht. \ Es wird offenbar nothig sein, den Versuch A. we zu wagen, sich auf noch kleinere Schnitte zu (oe aN beschrinken. Da fallt immer der starke Wall auf, welcher das Nackenmark des Frosches seiner ganzen Lange nach zu beiden Seiten begrenzt; jenen Wall, an dem ich, schon friiher in seiner Nahe operirend, gelegentlich’ unlicbsame Erfahrungen gemacht hatte. Ich setzte mir nun vor, ibn an denselben drei Stellen isolirt zu durchschneiden. Fihrt man den Schnitt in der Regio supra- oder subtrigeminalis, so sieht man danach keine Storung; legt man ihn aber in die Regio trigeminalis selbst (s. Fig. 21d), so hat man endlich die lange gesuchte-con- tinuirliche Rollbewegung und zwar in der vollendetsten Form, die sich denken lasst: das Auge ist normal, die Storung ist wochen- lang beobachtet worden. Der Versuch zihlt jetzt fiir mich zu den leichtesten und sichersten des ganzen Gebietes. Steiner, Froschhirn. ~ 98 Folgerungen, §. 10. Folgerungen aus den letzten Versuchen. Die Folgerungen, zu denen wir auf Grund der letzten Versuchs- reihe gelangen, sind folgende: 1. Wir haben es in der Hand, jede beliebige sogenannte Zwangs- bewegung zu erzeugen, d. h. wir beherrschen alle Bedingungen, welche Zwangsbewegungen hervorrufen. Wir konnen also erzeugen: a) Uhrzeigerbewegung nach der verletzten und unverletzten Seite; beide sind Reizungserscheinungen, also vergiinglich und gehdren ausschliesslich dem Gebiete der Sehhiigel an, welche in ver- schiedener Weise verletzt werden miissen, um die eine oder die andere Richtung zu erzeugen [&hnliche Aufklarung hatte auch schon Schiff (1. ce S. 343) fiir die Siugethiere ge- bracht]. b) Manegebewegung nach der unverletzten und der verletzten Seite; beide sind Ausfallserscheinungen und gehdren sowohl dem Gebiete der Zweihiigel als dem Nackenmark an. Beide konnen sich mit Rollbewegungen verbinden. Wenn dies der Fall ist, so erfolgt die Rollbewegung in dem einen Falle nach derselben Seite wie die Manegebewegung, in dem anderen Falle erfolgt sie nach der entgegengesetzten Seite. Der erste Fall scheint ausschliesslich dem Zweihiigel, der andere dem Nackenmark anzugehoren. c) Rollbewegung nach der verletzten Seite; sie ist eine Ausfalls- erscheinung und gehdrt dem Nackenmark sowie dem Zwei- hiigel an. Dagegen fehlt die Rollbewegung nach der unyer- letzten Seite. Wie es scheint, existirt diese Combination iiberhaupt nicht oder sie ist wenigstens fiir unsere bisherige Methode nicht erreichbar. 2. Wihrend im Gebiete der Zweihiigel sowohl die totale einseitige Abtragung, sowie simmtliche Transversal- und Diagonalschnitte dauernde Zwangsbewegungen geben (welche Form ist gleichgiiltig), geben hochst auffallender Weise Parallelschnitte nur voriibergehende he, Fortsetzung. 99 Zwangsbewegungen. Wie lisst sich dieser auffallende Unterschied erklaren ? Welche Erklirung man den Zwangsbewegungen auch geben mag, man wird immer darauf fussen miissen, dass das Hirncentrum als einziges Bewegungscentrum diese Bewegungen ausfiihren muss. Han- delt es sich, wie in unserem Falle, um die Beurtheilung von Theilen, die oberhalb dieses Centrums liegen, so kann man jede Beschidigung seiner centrifugalen Bahnen als ausgeschlossen erachten. Auf der anderen Seite aber miissen dem Centrum geniigend sensible Reize zugeleitet werden. Werden ihm diese Quellen vollstiindig abgeschnitten, so miisste das Centrum unthitig werden, oder werden sie ihm simmt- lich nur einseitig abgeschnitten, so wiirde das Centrum dauernd nach der einen Seite hin thiatig sein. Werden ihm aber nur eine Anzahl dieser Quellen abgeschnitten, so kann das Centrum annihernd normal functioniren, und bei einseitiger partieller Eliminirung der Reize kann man sich vorstellen, dass sich in kiirzerer oder lingerer Zeit der alte Gleichgewichtszustand wieder herstellt, so dass die einseitige Storung nur voriibergehend ist. Wenn wir durch die Zweihiigel Transversal- oder Diagonalschnitte legen, so werden offenbar immer simmtliche Elemente des Zweihiigels durchschnitten; legen wir aber Parallelschnitte an, so wird nur ein Theil der Fasern des Zweihiigels zerstért, ein anderer Theil aber bleibt in Function, wodurch sich dieser auf den ersten Anblick so frappirende Unterschied zwischen den _ beiden Schnittgruppen einfach erklirt. Dieses Verhaltniss ist fiir uns aber von sehr grossem Interesse aus folgendem Grunde: Der Transversalschnitt durch den Zweihiigel trifft dort nicht allein relativ simmtliche dem Hirncentrum zufliessende sensible Fasern, sondern sogar absolut alle sensiblen Fasern (mit Aus- nahme der nachweisbar sehr wenigen Fasern, die vom Kleinhirn zum Hirncentrum gelangen und ebenso der Fasern, welche den Kopfbewe- gungen vorstehen), Das ist aber genau derselbe Schluss, zu dem wir oben auf ganz anderem Wege gelangt sind, namlich dass die Basis der Zweihiigel den gréssten Theil aller der dem Hirncentrum unterstehen- den sensiblen Bahnen enthilt, wodurch dieser Hirntheil so ausserordent - liche Bedeutung erhalt und worin er sich von dem Sehhiigelsystem, das wir ebenfalls als sensibel bezeichnet hatten, wesentlich unterscheidet. i 100 Fortsetzung. 3. Die Manegebewegungen nach der unverletzten oder jene nach der verletzten Seite zeigen einen charakteristischen Unterschied, der darin besteht, dass der Manégekreis im zweiten Falle regelmassig viel kleiner ist, als in dem anderen Falle, vorausgesetzt, dass die Beobachtung an dem nicht ermiideten Thiere geschieht. Der Kreis im zweiten Falle ist hiufig sogar von solchen Dimensionen, dass man die ganze Bewegung als Uhrzeigerbewegung aufzufassen geneigt sein kénnte, aber die dazwischen wieder auftretende translatorische Bewe- gung lasst eine solche Auffassung nicht zu, sondern lehrt, dass der Manegekreis in diesem Falle eben sehr klein ist. Ein zweiter Unter- schied ist darin gegeben, dass die Manegebewegung nach der verwun- deten Seite haufig in Rollbewegung nach derselben Seite ' tibergeht. Daraus leitet sich endlich noch der Unterschied ab, dass die Roll- bewegungen, welche vom Zweihiigel oder vom Nackenmark ausgehen, obgleich sie nach derselben Richtung erfolgen, doch von einander zu unterscheiden sind dadurch, dass die erstere mit der Manegebewegung nach derselben Seite wechseln kann; die letztere, wenn sie periodisch ist, mit einer Manegebewegung nach der entgegengesetzten Seite, wenn sie continuirlich ist, ohne jede Manegebewegung verlauft. 4. Es fehlt trotz vollstandiger einseitiger Transversalschnitte bis in die Gegend des Athmungscentrums hin dem Froschhirn jede Erscheinung, welche sich der Hemiplegie des Menschen an die Seite stellen liesse. Es wird deshalb wahrscheinlich, dass eine solche Storung unter den angefiihrten Bedingungen beim Frosch tiberhaupt nicht vorkommen kann, aus Griinden, die aus den theoretischen Er- orterungen im ersten Capitel sich leicht ableiten lassen. In Ueberein- stimmung hiermit bemerkt Cl. Bernard (t. I, p. 408): ,Quant a Vhémiplégie invoquée, je ne lai jamais rencontrée chez les animaux et je ne sache pas que personne lait jamais vue. J’ai consulté a cet égard plusieurs vétérinaires éminents; tous avaient observé fréquemment des paraplégies chez les animaux mais jamais une hémiplégie réelle.“ Indem ich die Versuchsreihe vorliufig hier schliesse, hoffe ich jene Zweifel beseitigt zu haben, welche bisher auf diesem Gebiete vorhanden waren, sowohl in Hinsicht des Hirnpunktes, der verletzt sein musste, um eine bestimmte Zwangsbewegung zu erzeugen, als auch tiber die Richtung, in welcher die anomale Bewegung erfolet. Weitere Versuche. 101 Sole Man combinirt einen asymmetrischen Schnitt mit einer symmetrischen Abtragung von Theilen, welche vor jenem Schnitte liegen. Es ist vielfach untersucht worden, wie tief ins Nackenmark man hinabsteigen muss, damit trotz asymmetrischer Verletzung die Zwangs- bewegungen ausbleiben. Man kann aber auch die Frage zu beant- worten versuchen, wie viel an Gehirnsubstanz muss man durch von vorn nach hinten fortschreitende symmetrische Abtragunug zerstoren, um trotz folgender asymmetrischer Verwundung die Zwangsbewegungen verschwinden zu sehen? Der Sinn dieser Frage ist der, dass offenbar die Zwangsbewegungen dann aufhéren werden, wenn man mit den symmetrischen Abtragungen so weit fortgeschritten ist, dass man den centralen Herd, von dem sie ausgehen, zerstért hat; eine Angelegenheit, die fiir uns von grésster Bedeutung ist. Diese Versuchsreihe wird am besten so angestellt, dass man irgend einen einseitigen Schnitt in das Mittelhirn macht, darauf die ein- getretene Zwangsbewegung priift, nun von vornher gewisse Hirntheile symmetrisch abtrigt und darauf untersucht, was aus der Zwangs- bewegung geworden ist. Ich werde daher von der asymmetrischen Verletzung als etwas Selbstverstindlichem dabei gar nicht reden, sondern nur die symmetrische Hirnabtragung nennen. Dass alle Formen von Zwangsbewegungen noch vorhanden sind, wenn man das Grosshirn beiderseits abgetragen hat, folgt schon aus den friiheren Versuchen. Triigt man die Sehhiigel ab, so kann man natiirlich keine Uhrzeigerbewegung herstellen, weil dieselben, wie oben bemerkt, ausschliesslich durch einseitige Verletzung der Sehhiigel selbst entstehen. Aber Manége- und Rollbewegungen treten bei den entsprechenden unilateralen Verletzungen in derselben Weise wie vor- her auf. Die niichsten Versuche haben mich viele Zeit aufgehalten und doch waren die Resultate héchst mangelhaft und unsicher, so lange ich nach der alten Methode arbeitete. Die Sache stand hiufig so. 102 Fortsetzung. dass ich an der stricten Beantwortung der vorgelegten Frage voll- kommen zweifelte. Seitdem ich mich aber der neuen Methode bediene, sind die Schwierigkeiten gehoben und das Resultat fallt so klar aus, wie bei den anderen Versuchen. Wir haben hier die Frage zu beantworten, ob nach Abtragung der Zweihiigelbasis durch unilaterale Verletzung des Nackerfmarkes noch eine Zwangsbewegung entsteht oder nicht. Diese Frage ist eigentlich schon oben (S. 37) beantwortet worden, wo nimlich dar- iiber geklagt worden ist, dass selbst nach anscheinend gut gelungener symmetrischer Abtragung der Zweihitigel einzelne Frosche, wenn sie ins Wasser gesetzt worden sind, deutliche Manegebewegungen machen. Ich pflegte mir dabei vorzustellen, dass ein kleines Stiickchen vom Zweihiigel der einen Seite stehen geblieben sei, aber die Autopsie bot hierfiir keinen Anhalt; es kann aber auch sein, dass vom Nackenmark auf der einen Seite etwas mehr abgetragen worden ist als auf der anderen Seite und das halte ich auch fiir die wahre Ursache dieser Zwangsbewegungen. Wenn das richtig ist, so folgt schon daraus, dass nach Abtragung der Zweihiigel eime auch nur geringfiigige einseitige Verletzung des Nackenmarkes noch Manégebewegung giebt. Aber iiberzeugend ist diese Beobachtung nicht. Man kann der ganzen Calamitiit einfach aus dem Wege gehen, wenn man die viel markirtere Rollbewegung zu produciren sucht, welche sehr leicht in der oben angegebenen Weise zu erhalten ist. Zu dem Ende durchschneidet man auf der einen Seite den Wall der Rautengrube in der Regio trigeminalis, iiberzeugt sich von der Rollbewegung und trigt nunmehr beiderseits die Zweihiigel ab. Jetzt sieht man haufig den Frosch gleich nach der Operation heftige Spriinge machen, wobei er leicht um die verwundete Seite auf den Riicken rollt. Untersucht man ihn nach 24 Stunden, indem man ihn gleich ins Wasser setzt, so tiberzeugt man sich, dass er jetzt ebenfalls noch Rollbewegungen macht, die sich von den friiheren nur insoweit unter- scheiden, was iibrigens auch von den Manégebewegungen gilt, dass sie weniger miichtig sind, dass sie immer nur im Zustande ungeniigen- der Coordination ausgefiihrt werden, wodurch aber fiir die oberflich- liche Betrachtung dem Charakter dieser Bewegungen nichts genommen ist. Das ist aber Alles ohne Belang. Wird auch der vorderste Theil Schluss der Versuche. 103 des Nackenmarkes abgetragen, so hdren alle Zwangsbewegungen auf. Uebrigens berichtet auch Eckhard neuestens (seine Beitriige zur Anatomie und Physiologie, 1883, 5. 124) von &hnlichen Erfolgen. Die Antwort auf die obige Frage lautet demnach: So lange die vorderste Abtheilung des Nackenmarkes, die Pars commissuralis, erhalten ist, kann man durch passend im Nackenmark angebrachte einseitige Verletzungen Zwangsbewegungen erzeugen, die aber verschwinden, wenn auch jener Hirntheil abgetragen wird. Daraus folgt, dass in jenem Theile des Nackenmarkes ein allgemeines Bewegungs- centrum liegen muss. So einfach das Resultat dieser Versuchsreihe aussieht, so kann ich die Bemerkung nicht unterdriicken, dass es eine der schwersten Aufgaben des ganzen Gebietes war, hier wirklich iiberzeugende Resul- tate zu erhalten. Und um so schwieriger, als ich darauf ausgegangen ~ war, einen Fund zu machen, der mich berechtigen sollte, in die Basis des Mittelhirns ein weiteres Bewegungscentrum verlegen zu diirfen, denn die Wichtigkeit dieses Hirntheiles fiir die Bewegung tritt dem Ex- perimentator von allen Seiten entgegen. Der Leser wird verstehen, dass es unter diesen Voraussetzungen sehr priciser Versuche bedurfte, um mich von jener sehr lange festgehaltenen Ansicht zu bekehren. Mir erscheint diese Versuchsreihe entscheidend fiir die Auffassung, dass in der Mittelhirnbasis kein weiteres Bewegungscentrum liegen kann, sondern dass unser Hirncentrum im Nackenmark das einzige Bewegungscentrum des Gehirns ist (vergl. 5. 51). 104 Theorie der Zwangsbewegungen. Zweiter Theil. Theorie der Zwangsbewegungen. Die Ueberlegung, dass die Bewegungen, welche von den lebenden Wesen erzeugt werden, in letzter Instanz denselben Gesetzen folgen miissen wie jene, welchen die leblosen Objecte unterliegen, fiihrten dazu, die Zwangsbewegungen nach den dort tblichen Methoden zu analysiren. Das Resultat dieser Analyse bildet den Inhalt der folgen- den Blatter. Sri Die Manégebewegung. Es sei gegeben ein in der Ebene gelegener materieller Punkt A, dem durch irgend eine Kraft, z. B. eine Stosskraft, eme Geschwindigkeit ertheilt wurde, die ihrer Be Richtung und Grosse nach ichtung und sse nac durch die Linie AD aus- D gedriickt sei (s. Fig. 22). ) Diese Bewegung lisst sich - nach dem Parallelogramm der Krifte in zwei Com- ponenten zerlegen, von denen wir der Einfachheit halber festsetzen wollen, dass sie eimander gleich sein mogen!); dann ist das entstehende Paral- lelogramm ein gleichsei- tiges. Im Uebrigen ist dasselbe aber vollig un- bestimmt, so lange der 1) Es wiirden iibrigens, wie wir an einer spiteren Stelle zeigen werden, alle die folgenden Betrachtungen auch bei der Zerlegung in zwei ungleiche Com- ponenten im Wesentlichen bestehen bleiben. Die Manégebewegung. 5 105 Winkel nicht bekannt ist, unter welchem die beiden Componenten gegen einander wirken. Aber soviel ist gewiss, dass die Resultante AD diesen Winkel, den wir @ nennen wollen, halbiren muss. Die Natur der hier zu ldésenden Aufgabe gewihrt uns den Vortheil, den Winkel vor der Hand noch unbestimmt lassen zu konnen, d. h. wir kénnen jeden beliebigen Winkel wihlen, der grosser als Null und kleiner als 2 R ist. Nehmen wir @ gleich einem stumpfen Winkel, so ist das Parallelogramm ein Rhombus, dessen zwei gleiche’ vom Punkte A ausgehende Seiten AC und AB heissen mogen. Wenn “vir jetzt eine dieser beiden Componenten; z. B. die Componente A C vernichten, so wird der Punkt A nunmelhr statt in der Richtung AD in jener von AB sich bewegen und nach einer bestimmten Zeit 1 im Punkte B angekommen sein. Die Abweichung von seinem urspriing- lichen Wege AD ist gemessen durch den Winkel = welcher deshalb der Abweichungs- oder Deviationswinkel heissen moge. Wenn sich derselbe Vorgang wie eben in A in B wiederholt, so wird der bewegte Punkt von seiner geradlinigen Bewegung wieder um — abgelenkt und a By wir finden ihn nach einer Zeit 2 im Punkte B’ wieder. Wiederholt sich dieser Vorgang nochmals, so finden wir den Punkt nach einer Bbc atee 9 nb iene Zeit 3 wieder um 5) abgelenkt in B” angekommen, der jedenfalls auf der Peripherie desjenigen Kreises sich befinden muss, den man durch die drei vorherigen Punkte A, B, B’ legen kann. Wiederholt sich die Bewegung unter denselben Bedingungen, so wird der Punkt in gleichen Zeitrdumen in ferneren Punkten B”, B™ us. f anlangen, die alle auf derselben Peripherie legen miissen. Je zwei der Ver- bindungslinien AB, BB’, B'B" u. s. w. bilden immer denselben ; LS Poa ewe : : ‘ Winkel Di mit einander, welcher der Contingenzwinkel zweier auf- einander folgender Tangenten zu dem erwahnten Kreise ist. Hherbei sind drei wesentlich verschiedene Falle moglich; ist niim- : oT lich x 8° beschaffen, dass 2% An rrr 9% oy = 4 eine ganze Zahl, etwa = nm ist, so wird 106 Fortsetzung. der Punkt A nach einem Umgange von Stossen zu seem Ausgangspunkte zuriickkehren. Es wird namlich ein regel- miassiges n-Eck entstehen miissen, wobei jeder Aussenwinkel = und ihre Summe — 4R ist. Ist aod 4 1 : : : : 2) = 4 = © oleich einem rationalen Bruche, so wird der q Punkt A nach q Umliufen, also in pq Stéssen zu seinem Aus- gangspunkte zuriickkehren. Ist 4a z : : 2 Saar eae irrational, so wird der Punkt A erst nach unendlich vielen Umliiufen zu seinem Ausgangspunkte zuriickkehren. Handelt es sich nun um den ersten Fall, so wird man stets bei : Ore. 2 : ; gegebenem Winkel a die Zahl n finden konnen, welche angiebt, wie oft der Bewegungsvorgang sich wiederholen muss, bis ein Umlauf vollendet ist, nimlich » = und umgekehrt kann man immer den . (i Aes Heian Winkel z finden, wenn man 7 a priori kennt!). Gehen wir mit diesen Vorkenntnissen zu den Bewegungen des Frosches iiber, so beobachtet man leicht, dass die Bahn, welche der Fig. 23. springende Frosch beschreibt, etwa a eee die in Fig. 23 ist: ab sei die Sprung- YZ ee weite, gemessen in der Horizontalen, a b acb die Sprungbahn mit ae als auf- steigendem und cb als absteigendem Theile. Man erkennt ohne Miihe, dass diese Bahn nahezu zusammenfallt mit der des schiefen Wurfes, d. h. also eine Parabel ist, deren Entstehung hier die gleiche ist wie dort; denn auch hier wirkt ausser der Schwerkraft nur noch die durch die Muskeln erzeugte Stosskraft, welche dem Frosche eine der Grdésse und Richtung nach bestimmte Anfangsgeschwindigkeit ertheilt. Legen wir durch die Richtung der Anfangsgeschwindigkeit (siehe Fig. 24) AD, eine Verticalebene AD, D und eine zu derselben senk- 1) Es ist selbstverstiindlich, dass zu denselben Resultaten die Anschauung des in das Polygon eingeschriebenen Kreises fiihren muss, wobei ebenfalls die oben angefiihrten drei Falle zu unterschieden sein werden. Vergl. Fig. 22. es Fortsetzung. 107 recht stehende Ebene C,AB,; zerlegen wir innerhalb der letzteren die Anfangsgeschwindigkeit in zwei Componenten AB, und AQ, welche einander gleich sind und unter gleichem Winkel von der Re- sultante AD, abweichen; projiciren wir nun die Anfangsgeschwindig- keit mit ihren beiden Componenten auf die Horizontalebene, so werden die Projectionen AB und AC der Componenten AB, und AC, ihrer- seits Componenten der Projection AD der Anfangsgeschwindigkeit Fig. 24, sein, welche jedenfalls einander gleich D4 sind und mit AD gleiche Winkel ein- schlessen. Vernichten wir eine der Componenten der Anfangsgeschwindig- keit, zB. AC,, so wird zu gleicher Zeit ihre Projection A C vernichtet und wir stehen dann vor demselben Problem, das wir oben schon geldst haben. Wir i I | 1 ! | ! | 1 | 1 ! ! | I! 1 1 ! : 1 1 | 1 ! erhalten nimlich eine neue, unter 1 einem gewissen Winkel 2. gerichtete Anfangsgeschwindigkeit, deren Projec- tion mit der Projection der Anfangs- geschwindigkeit einen Winkel 4 pildet. od Lassen wir ausser der Anfangs- geschwindigkeit noch die Schwere wir- ken, so wird eine Parabel entstehen, deren Projection mit der Pro- jection der Anfangsgeschwindigkeit zusammenfillt. Bezeichnen wir den Durchschnittspunkt der Parabel mit der Horizontalebene mit B. Wiederholt sich dieser Process von dem Punkte B aus unter denselben Bedingungen wie friiher von A ausgehend, so wird die neu entstandene Parabel die Horizontalebene in B' treffen, so dass BB' wie AB den- selben Winkel ue einschliesst. Anstatt aber den Zusammenhang zwischen den auf einander fol- genden Anfangsgeschwindigkeiten im Raume zu studiren, werden wir nunmehr bloss die Projectionen der entsprechenden Parabeln be- trachten. 108 Fortsetzung. Stellen wir uns vor, dass bei den auf einander folgenden Spriingen des Frosches jedesmal die eine Componente der Anfangsgeschwindigkeit vernichtet bleibt, so werden die Projectionen seer Bahnen in der Horizontalebene genau denselben Bedingungen unterworfen sein, wie wir sie oben fiir den Punkt A entwickelt haben. Er wird namlich jedenfalls immer in Punkten A, B, B’, B" u. s. w. der Peripherie eines und desselben Kreises auf die Horizontalebene anlangen, so oft sich die Spriinge auch wiederholen mégen, und es waren nur noch die f age et 4a : obigen Fille in Bezug auf —— — 4 zu unterscheiden. Y Es kommt jetzt Alles darauf an, den Frosch unter diesen immer gleich bleibenden Bedingungen im Kreise herumspringen zu lassen und dabei zu beobachten, in wie weit er etwa einem jener drei Falle geniigt. Dies leistet der Frosch, wenn man ihn in der friher an- gegebenen Weise zu der sogenannten Manegebewegung zwingt. Hierzu fiihrt man die entsprechende Operation am Gehirn aus und wartet mit dem eigentlichen Versuche so lange, bis alle Reizungs- erscheinungen abgelaufen sind, was regelmiissig nach 24 bis 48 Stunden der Fall zu sein pflegt. Setzt man einen solchen Frosch nunmehr auf den Tisch, reizt den Frosch durch annihernd gleichen Druck des Fingers an derselben Hautstelle, so erfolgt auf jeden Reiz ein Sprung von etwa gleichen Dimensionen. Markirt man den Aus- gangspunkt des Frosches, so findet man unter den operirten Froschen regelmiissig einige, welche zu jenem Punkte wieder zuriick- kehren und zwar nach sieben bis acht Spritingen. Wir behan- deln diese Reihe demnach conform dem ersten Falle, indem wir n = 8 annehmen und dadurch erhalten zur Bestimmung des Winkels @: 47 a= S also: ==, : und - = ai Also durchspringt der Frosch in der Manegebahn ein geschlos- senes regulires Polygon und weicht dabei jedesmal von der Ate Peis : 7) J eeraden Linie um den Deviationswinkel > = > & ab. hl ad _ Fortsetzung. 109 (In Wirklichkeit kann also nach dem eben Auseinandergesetzten der Winkel § von einem rechten hodchstens um so wenig abweichen, als bei den Versuchen die oben angenommene Anniherung eine Un- genauigkeit einfiihren sollte.) Wir haben nunmehr zu erliutern, welche physiologische Stellung wir dem obigen Schema geben werden, insbesondere wo wir im Frosche die beiden Componenten AB und AC, die von hier ab R und L heissen mdgen, zu suchen haben, woraus sich alles Uebrige, nament- Fig. 25. lich die Stellung des Winkels @, Ww von selbst ableiten wird. Da wir schon oben als Ur- sache der Stosskraft die in den Muskeln des Frosches entwickelte Muskelkraft angegeben haben, so miissen auch die den Componenten Fund L entsprechenden Kritfte acd Muskelkrafte sein. Wie dieselben a auch sonst beschaffen sein mégen, ‘A so steht doch fest, dass sie in Folge des bilateral symmetri- schen Baues des Wirbelthierkor- | pers gleich und symmetrisch | zur Mittellinie des Korpers angeordnet sein miissen; derselben Bedingung sind auch ihre Angriffspunkte unterworfen, die wir m und m» nennen wollen 1) (sieche Fig. 25). Die Richtung, welche R und LZ haben, ist bestimmt durch 1) Angenommen, wir hiatten es mit einem Thiere zu thun, bei welchem die bilaterale Symmetrie nicht existire, sondern es wiire z. B. der rechte Hebel gegen die Mittellinie um einen Winkel geneigt, der etwa zweimal so gross wire, als der Neigungswinkel des linken Hebels. Alsdann miisste jedenfalls der linke Hebel eine gréssere Kraft auszuiiben im Stande sein als der rechte, wenn das Thier die Higen- schaft besitzen soll, im normalen Zustande sich geradlinig zu bewegen. Setzen wir bei diesem Thiere als einzige Bedingung voraus, dass die beschriebene Anordnung beider Hebel wiihrend unserer Betrachtung constant dieselbe bleibt, so wiirden alle obigen Behauptungen von dem Frosche auch fiir dieses Thier Geltung haben miissen. Wir werden nur die resultirende Stosskraft in zwei ungleiche Compo- os f 2 5 Yr Seay 5 C Y nenten, naimlich in eine linke oy V3 und in eine rechte a zerlept haben, wenn 110 Fortsetzung. den Winkel 4, welcher sofort zu Tage tritt, wenn man R und L iiber ihre Angriffspunkte hinaus verlingert, bis sie sich in emem Punkte der Mittellinie, welcher dem Punkte A unseres obigen Schemas ent- spricht, schneiden. Da diese Mittellinie mit der Wirbelsiule zusammen- fallt, so ist sie mit W bezeichnet worden, so dass nunmehr ist WAR resp. WAL = : und RAL—@. Aber es ist durchaus nicht bekannt, dass die Muskelkrifte des Frosches, welche der Locomotion dienen, so angeordnet sind, dass sie den Richtungen R und L entsprechen; keines- falls sind auf jeder Seite der Wirbelsiiule etwa zwei Muskeln vorhanden, welche in der geforderten Richtung thitig sind. Das ist aber auch gar nicht nothig, denn betrachten wir unser Krafteparallelogramm, so lassen sich die Componenten AB und AC paarweise in zwei Componenten beliebig oft weiter zerlegen, die, wenn sie paarweise wieder vereinigt werden, die urspriinglichen Componenten AB und AC resp. R und L zu Resultanten haben. Die Muskeln, welche zu beiden Seiten der Wirbelsiiule liegen und jene, welche den Extremitiiten angehéren und der Locomotion dienen, haben eine dusserst complicirte Anordnung, deren der Locomotion dienende Wirkung sich im Detail gar nicht iibersehen lasst, aber es steht nichts im Wege, dieser Wirkung die Richtung der Resultanten R und L zu geben; die Mechanik der Be- die Neigungen gegen die Mittellinie sich verhalten wie 1: 2, Wiirden wir auch in diesem Falle den Winkel, den beide Hebel mit einander bilden, mit 0 bezeichnen, A 6 y : : ie ; so wiirde der linke Hebel um rare der rechte um x gegen die Mittellinie geneigt sein. Bei der Zerstérung eines dieser Hebel wiirde auch dieses Thier bei fort- gesetzten periodischen Bewegungen immer zu Punkten kommen, welche alle auf die Peripherie eines und desselben Kreises fallen, wobei man immer die- selben drei wesentlich von einander verschiedenen Falle zu betrachten haben wird, wie oben bei der bilateral symmetrischen Anordnung, welche wir beim Frosche vorausgesetzt haben. In den ersten zwei der genannten Falle, wo nach einer end- lichen Anzahl yon Spriingen genau der Ausgangspunkt wieder erreicht wird, wird diese Anzahl allerdings verschieden sein, je nachdem wir den linken oder den rechten Hebel vernichten. Diese Betrachtung hat fiir uns unter Anderem noch ein erosses Interesse dadurch, dass sie uns unmittelbar auf eine Methode fiihrt, die bilaterale Symmetrie bei unserem Frosche durch die gleichbleibende Anzahl von Spriingen zu controliren, je nachdem man die linke oder rechte Seite eliminirt; eine héchst interessante Methode, die sich unter Umstiinden auch auf andere Thiere ausdehnen lasst *). *) Bei diesen Explicationen hatte ich mich der Unterstiitzung meines verehrten Collegen Dr. Schapira zu erfreuen, dem ich hier besten Dank sage. Fortsetzung. 111 wegung zwingt uns sogar diese Combination auf, da auf diese Weise am einfachsten die Entstehung der geradlinigen Bewegung des Frosches zu denken ist. Und @ ist der Winkel, den die beiden Resultanten siimmtlicher Muskelkrafte der beiden symmetrischen Korperhilften mit einander bilden, dessen Kenntniss allein die auf diese Untersuchung aufgewandte Miihe lohnt. An anderer Stelle gesucht, wiirde seine Auffindung wohl den gréssten Schwierigkeiten begegnet sein, wihrend wir ibn hier relativ leicht haben bestimmen kdnnen. Endlich ist = der Winkel, den die Axe der Wirbelsiiule mit einer der beiden Resul- tanten R oder LZ bildet; er ist constant bei allen Thieren derselben Gattung in Folge der gleichen anatomischen Anordnung der Muskeln, so dass die hier entwickelte Theorie fiir simmtliche Individuen derselben Gattung, also z. B. Frosche und wohl auch Kroten, Geltung haben muss. Wir wissen, dass der Frosch, welcher in Manége lauft, dabei con- stant um 3 vou der geradlinigen Bahn abweicht; deshalb ist die Grésse ad des Polygons, das er durchlauft, in letzter Instanz nur abhingig von der Grosse der Stosskraft, welche jeden beliebigen Werth haben kann, nur muss sie innerhalb eines Umlaufes constant bleiben, was in der That so lange der Fall ist, bis die Muskeln in I’olge der constanten In- anspruchnahme ermiiden. Dann aber koénnen wir den Versuch auch abbrechen. Auf diese Weise haben wir eine sehr einfache Erklairung fiir die Thatsache, dass die Manégebahn nicht allein bei den verschiede- nen Individuen, sondern bei ein und demselben Individuum zu _ ver- schiedener Zeit verschieden gross sein kann — eben proportional der jeweils entwickelten Muskelkraft, welche aus verschiedenen Ursachen variiren kann. Wir kommen jetzt zur Untersuchung der Frage, auf welche Weise wir die eine der beiden Componenten R& oder L vernichtet haben, als dem absoluten Erforderniss, um den Frosch aus seiner geradlinigen in die krummlinige Bahn des Polygons zu zwingen, d. h. wir hatten anzu- geben, wie die Muskeln der einen Seite hier ausser Function gesetzt worden sind. Wir hatten zu dem Zwecke, wie oben angegeben, die Zwei- hiigelbasis zerstért. Da die Bewegungen wesentlich auf Reiz cin- 112 Fortsetzung. treten, so handelt es sich zweifellos um solche Bewegungen, deren Ent- stehung, was ihre Innervation anbetrifft, den Reflexbewegungen am niichsten kommt. Eine Reflexbewegung erfordert eine Reflexbahn, von der wir sogleich die peripherischen Antheile der centripetalen und centrifugalen Nerven ausschliessen kénnen, auf Grund der schon friiher (S.90) gezogenen Folgerungen. Es bleibt also nur iibrig, die Zerstorung innerhalb der centralen Station, wo wir zweiGlieder unterscheiden k6n- nen, namlich die sensiblen und die motorischen Ganglien, welche local getrennt gedacht werden konnen. Der Effect der Zerstdrung eines der beiden Glieder wird aber nach unseren Vorstellungen hier der nimliche sein und die Manégebewegung als solche giebt uns kein Mittel an die Hand, um nach einer Seite zu entscheiden. Aber wir hatten schon friiher bewiesen, dass in die Zweihiigelbasis fast simmtliche sensible Erregungen eintreten, welche zu dem weiter riickwarts gelegenen Hirn- centrum gelangen sollen; daher schliessen wir, dass die Vernichtung der Componente dadurch herbeigefiihrt ist, dass man der Reflexbahn der einen Seite und mittelbar den Muskeln der gegeniiberliegenden Seite jeden Zufluss an sensibler Erregung abgeschnitten hat. Wir haben endlich zu untersuchen, welches die relative Lage des zerstorten centralen Herdes gegen die eine der beiden Kraftcomponen- ten sein ‘muss, um diejenige Manéegebewegung zu erzeugen, welche nach der unverwundeten Seite hin gerichtet ist. Um die Vorstellung zu vereinfachen, setzen wir an Stelle der Com- ponenten # und LZ zwei Muskeln, deren Richtung der Richtung der Componenten parallel lauft und zu denen aus der Zweihiigelbasis, welche wir aus denselben Griinden jetzt als den Gesammtherd der centralen Thitigkeit behandeln wollen, zwei Nervenfasern treten. Hierbei sind zwei Faille méglich: die Nervenfasern laufen namlich zu den Muskeln derselben Seite oder sie iiberschreiten die Mittellinie und verlaufen zu den Muskeln der anderen Seite; in letzterem Falle miisste also eine Kreuzung der Bahnen der beiden Seiten an irgend einem Punkte ihres Verlaufes stattfinden. Die Figur 26, welche ohne weitere Erklirung verstandlich ist, reproducirt das Schema dieses Verlaufes. Wenn man fiir den Fall der Kreuzung, also der gestrichelten Linien, den Zweihiigel der rechten Seite zerstort, so wird dadurch die Componente der anderen Seite Z vernichtet, weil ihrem Muskel die Innervation fehlt; der Frosch Fortsetzung. 113 wird sich also in der Richtung der anderen Componente R bewegen, d. h. er wird in Manége nach der verletzten Seite gehen. Da diese Ab- leitung aber unserem Versuche widerspricht, so kann eine solche Kreuzung der Fasern nicht stattfinden, sondern die Fasern werden, ent- sprechend den ausgezogenen Linien, von dem Zweihiigel zu dem Muskel derselben Seite verlaufen, so dass z. B. die Zerstorung des rechten Zwei- hiigels die Componente derselben Seite R ausser Function setzt und die Bewegung des Frosches in der Richtung der Componente LZ hin erfolgt, d. h. nach der der Verwundung entgegengesetzten Seite — in voller Uebereinstimmung mit der Erfahrung. Daraus folgt, dass Verwundung und ausser Function gesetzte Muskelgruppe auf derselben Seite der Wirbelsiule legen, d.h. wir konnen nach unserem Versuchsmaterial nur die beiden Enden dieser Bahn bestimmen. Es bleibt nicht allein nicht ausgeschlossen, erscheint im Gegentheil hochst wahrscheinlich, dass die Bahn innerhalb dieses Weges. eine oder mehrere Kreuzungen besitzt. Zunachst muss eine Verbindung vom Zweihiigel zum Hirncentrum vorhanden sein, welche die Mittellinie tiberschreiten kann; ist das aber einmal geschehen, so muss eine noch- malige Ueberschreitung der Mittellinie eintreten, weil die austretende Faser auf derselben Seite legen muss, wo auch die Hirnwunde liegt. Wenn wir demnach in Zukunft festzuhalten haben werden, dass Hirnwunde und austretende motorische Faser auf derselben Seite des Korpers liegen miissen, so erscheint es doch auf der anderen Seite wieder sehr wahrscheinlich, dass eine kleinere Anzahl von Fasern definitiv die Mittelliie ttberschreitet und auf der der Hirnwunde gegeniiberliegenden Seite austritt. Am eindringlichsten spricht dafiir die Beobachtung der Schwimmbewegung im Wasser; wenigstens kann ich nur auf diese Weise verstehen, dass nach einseitiger Abtragung des Zweihiigels die Schwimmbewegungen keine Coordinationsstodrungen zeigen, welche nach beiderseitiger Abtragung der Zweihiigel niemals fehlen (derselbe Schluss trifft auch die Innervation des Stimmorgans, denn der Quackversuch persistirt in wenigstens iiusserlich normaler Weise auch nach totaler Abtragung des einen Zweihiigels). Einer besonderen Erwahnung bediirfen noch die Wege der centri- petalen Nerven, welche dem Gehirn die peripheren Impulse vermitteln; sie sind bisher von der Betrachtung vollig ausgeschlossen gewesen. Steiner, Froschhirn. 8 114 : Fortsetzung. Die Thatsache, dass die Erregbarkeit der unverletzten Seite herab- gesetzt ist, fiihrt zu der Vorstellung, dass die sensiblen Fasern, bevor sie ins Gehirn eintreten, sich kreuzen. Wo diese Kreuzung aber statt- findet, ob kurz vor dem Eintritt in das Mittelhirn oder tiefer unten, das wissen wir nicht. In dem Schema der Fig. 26 sind die sensiblen ~ Fig. 26. Bahnen durch die punktirten Linien dargestellt mit der Kreuzung am unteren Ende des Nacken- markes aus Griinden, die spater klar sein werden. Es steht dieser Folgerung von anderer Seite vor- laufig kein Hinderniss im Wege, im Gegentheil, wir werden diese Combination spiater sehr brauch- bar finden. Wenn wir zu der polygonalen Bahn des Fro- sches wieder zuriickkehren und uns die Thatsache ins Gedichtniss zuriickrufen, dass das Polygon ein gleichseitiges ist, dessen Eckpunkte die Wende- punkte der Bahn bezeichnen, so stellt sich die ale Manegebewegung in Wirklichkeit als eine Bewe- wy gung dar, welche in circa 8 congruenten Parabeln stattfindet, die senkrecht auf den gleichen Sehnen eines durch die Kicken des Polygons gelegten Kreises stehen. Die Fig. 27 giebt em Bild Fig. 27. ee Nee eee PAG Ber reees XX | \\ 4 Pa or, y- = Ra ee dieser Bahn in perspectivischer Ansicht aufgenommen. Die Curve, welche diese Bewegung darstellt, ist keine einheitliche, sondern eine % Analyse der Rollbewegung, 115 zusammengesetzte krumme Linie, in der wir gesondert den basalen Kreis und die auf dessen Sehnen senkrecht stehenden Parabeln unter- scheiden kénnen. Da diese Parabeln, wie oben gezeigt worden ist, _ genau die gleichen sind, welche der Frosch auch bei geradliniger Be- wegung beschreibt, so kénnen sie fiir die krummlinige Bewegung nicht charakteristisch sein. Daher bleibt als charakteristisch nur der basale Kreis, auf dessen Peripherie die Wendepunkte der Bahn liegen. Ich wiirde deshalb vorschlagen, diese Bewegungsform fortan als » Kreis- bewegune* zu bezeichnen, womit im Grunde genommen nichts Neues verlangt wird, da die franzdsischen Autoren schon lange statt ,,mouye- ment de manége“, bfter auch »mouvement circulaire“ gesetzt haben. Endlich aber ist erwiesen, dass die Bewegung nicht allein eine Kreis- bewegung ist, sondern dass es keine andere Bewegung sein kann, so lange die angegebenen Bedingungen erfiillt werden, Seas Die Rollbewegung. Wenn man die sogenannte Rollbewegung etwas genauer betrachtet, namentlich im Wasser, so findet man leicht, dass sie keine einfache Rollbewegung, vielmehr eine Schraubenbewegung ist. Ganz allgemein setzt sich jede Schraubenbewegung aus zwei Be- wesunsen zusammen, 1) einer translatorischen, welche den Korper parallel seiner eigenen Axe verschiebt, und 2) einer Rotation, bei welcher die Bewegung um die Axe, die Rotationsaxe, so erfolgt, dass alle nicht in der Axe gelegenen Punkte Kreishégen beschreiben, deren Radius gleich ihrer senkrechten Entfernung von der Axe ist. Wenn die Axe der Translation und jene der Rotation identisch sind und wenn die Grésse der Translation stets parallel ist der Rotationsamplitude, so ist die Schraubenlinie die gemeine Cylinderschraube, eine Form der Be- wegung, die wir vorliiufig fiir unseren Frosch voraussetzen wollen. Da wir die Mechanik der translatorischen Bewegung schon kennen, so haben wir ausschliesslich den Mechanismus der Rotationsbewegung zu behandeln. Nehmen wir als Rotationskérper einen beliebigen Cylinder an, so lassen sich sehr verschiedene Anordnungen aussinnen, um den Cylinder 8* 116 Fortsetzung. um seine Axe rotiren zu machen, z. B. durch Ansetzung einer Kurbel | an die Axe und entsprechende Bewegung derselben. Aber es kann nicht unsere Aufgabe sein, alle méglichen Combinationen durchzugehen, sondern es kommt hier darauf an, die Combination ausfindig zu machen, welche sich mit dem meisten Vortheil auf unser physiologisches Problem iibertragen liisst, selbst wenn sie vom rein mechanischen Standpunkte aus nicht gerade die einfachste sein sollte. Setzen wir unserem Cylinder vier auf einander senkrechte Fliigel (a, b, c, d) auf, wie die der Wind- miihlen, und belasten den einen horizontalen Fliigel a@ mit eimem Ge- wichte, so erfolgt eine Rotation um 90°, der Fliigel a steht senkrecht und an seine Stelle tritt der Fliigel 6; entfernt man das Gewicht bei a und hingt es an 6, so entsteht wieder eine Bewegung von 90° u. s. w., bisa den Weg um 360° zuriickgelegt hat und sich wieder an seiner Aus- gangsstelle befindet. Man kann sich aber auch eine Combination vor- stellen, welche mechanisch viel unpraktischer erscheint, uns aber unserem Problem viel niher fiihrt. Es kénnen niamlich zwei von einander vollig unabhingige und verschiedene Krafte so vertheilt sein, dass die eine den Cylinder um 180° und die andere sich direct anschliessend ihn von da bis 360° bewegt. Wenn die zweite Kraft, welche das System von 180 bis 360° fiihrt, gegeben, resp. von andersher bekannt ist, so haben wir nur noch die erste Kraft zu finden, welche das System von 0 bis 180° dreht. Wir wollen fiir unser System hier vorlaufig als bewegende Kraft, wie oben, irgend ein Gewicht annehmen, welches als Uebergewicht an- gebracht, das System von 0 bis 180° bewegt, wo die zweite, gut be- kannte Kraft die Bewegung im angefangenen Kreise fort und zu ihrem Ausgangspunkte zuriickfihrt. Nach diesen Vorbemerkungen kehren wir wieder zu der Rotations- bewegung des Frosches zuriick, die nach der Definition so _ be- schaffen ist, dass irgend ein Punkt der Korperoberfliche einen Kreis beschreibt, dessen Radius gleich der Entfernung derselben von der Koérperaxe ist, wobei der Frosch sich also um 360° bewegt. Diese Be- ~ wegung kénnen wir wie oben betrachten von 0 bis 180° und von 180 bis 360°. Der zweite Theil der Bewegung geschieht durch eine uns gut bekannte Kraft, die gleich naher betrachtet werden soll. Im ersten Capitel dieser ganzen Untersuchung haben wir nimlich gesehen, dass ein Frosch, den man auf den Riicken legt, sich immer Fortsetzung. 117 wieder auf den Bauch umdreht. Das ist aber genau dasselbe, was bei der Rollbewegung des Frosches zunachst auf dem Lande, aber auch im Wasser, in derselben Weise geschieht, d. bh. also wenn der Frosch von 180 bis 360° rotirt, so geschieht das durch dieselbe Kraft, welche ihn aus der Riickenlage immer wieder in die Bauchlage zuriickfiihrt. Da wir diese Kraft kennen, so ist die Entstehung der Bewegung von 180 bis 360° gegeben und bedarf keiner weiteren Untersuchung. Hinzu- zufiigen wire nur noch, dass bei der Rollbewegung immer das Umdrehen nach der entsprechenden Seite bevorzugt werden muss. Bei normalen Fréschen, welche auf ein Bevorzugen einer Seite beim Umdrehen untersucht worden sind, stellte sich heraus, dass fiir das Umdrehen keine Richtung ausgeschlossen ist, d. h. dass sie nach jeder Richtung erfolgen kann und diejenige vorziehen wird, welche ihr aus anderen Griinden das Umdrehen erleichtert. Ein solcher Grund aber ist vorhanden in dem Schwunge, mit welchem die von 0 bis 180° erfolgende Bewegung dort ankommt. Dieses Moment wird dariiber entscheiden, ob der Frosch die Umdrehung in der Richtung zuriick von 180 nach 0° oder die vor- wirts von 180 nach 360° vorzieht. Man kann gar nicht daran zweifeln, dass er bei freier Wahl, die wir auf Grund unserer Beobachtungen haben voraussetzen kénnen, in der Richtung von 180 nach 360° sich um- drehen wird, weil in dieser Richtung nicht allein kein Widerstand zu iiberwinden ist, sondern im Gegentheil sogar eine noch im Gange be- findliche Bewegung benutzt werden kann. Fiir die Mitbenutzung dieser Kraft spricht endlich auch die Thatsache, dass die Rollbewegung so lange vorhanden ist, als die Fihigkeit zam Umdrehen erhalten bleibt; das war nach den friiheren Mittheilungen so lange, als das Hirncentrum noch erhalten war. Mit dessen Zerstorung verschwindet die Roll- bewegung und die Moéglichkeit des Umdrehens vom Riicken zuriick in die Bauchlage. Wenn somit die Kraft, welche die Rotation um 180 bis 360° be- wirkt, gegeben ist, so bleibt uns nur noch die Aufgabe, jene Kraft zu construiren, welche die Rotation von 0 bis 180° besoret. Betrachten wir unsere Fig. 24, deren Bedeutung uns von oben her bekannt ist, so konnen wir die Resultanten Z und F# in neue Componen- ten zerlegen. Wahrend wir uns dort aber mit in der Horizontal- ebene liegenden Componenten begniigen konnten und es der Kinfach- 118 Fortsetzung. heit wegen auch thaten, miissen wir durchaus hier die Zerlegung im Raume vornehmen, also auch die Raumcomponente construiren. Es mogen L und R als Componenten in der Kbene L’ und L", sowie ?’ und R” geben, die uns nicht weiter interessiren. Die Raumcompo- nenten heissen P, und P,; sie stehen aufrecht in den Angriffspunkten m und » unter einem Winkel gegen die Horizontalebene geneigt, den wir nicht kennen, der aber jedenfalls grosser als 45° sein wird. Die Kenntniss dieses Winkels interessirt uns vorlaufig auch so wenig, dass wir P, und P, sogar senkrecht in m und m» uns vorstellen wollen; aber die eine Bedingung ist in Folge der bilateralen Symmetrie des Fig. 28. Korpers zu erfillen, dass P, sie gleich und symme- trisch zur Mittellinie ste- hen miissen (s. Fig. 28). Es stehen also in der angegebenen Weise an- geordnet P; und P, in m und » senkrecht zur Flache des Papiers und tiben beiderseits einen gleichen Zug nach oben BR aus. (Die Zerlegung von Lund £& ist unterlassen worden, um die Uebersichtlichkeit der Figur nicht zu beeintrachtigen.) Legen wir nun durch P, und P, einen Normalschnitt zur Mittellinie des K6rpers (der also ebenfalls senkrecht zur Papierfliiche steht), dem wir, ausschliesslich aus Griinden grésserer Anschaulichkeit, die Form eines Halbkreises so geben wollen, dass derselbe auf der Verbindungslinie mn steht und von P; wie von P, in diesen Punkten tangirt wird, so bekommt das System, wenn man z.B. P, zum Theil oder vollig zerstort, ein Drehungsmoment mit der Tendenz nach der Seite um P,, also im Sinne des Uhrzeigers zu rotiren. So lange der Frosch aber auf der festen Unterlage der Tischplatte ruht, kann es zu einer Rotation nicht kommen, weil der Druck, den die rechte Seite in der Richtung der ten- dirten Rotation ausiibt, durch den Gegendruck der festen Unterlage aufgehoben wird; es wird in diesem Falle keine Rotation, sondern nur oo Fortsetzung. 119 eine Senkung der verwundeten Seite zu Stande kommen, wiihrend die gegentiberliegende, die unverwundete Seite, erhoben wird. Diese Ab- leitung enspricht der Beobachtung aufs Genaueste, denn so lange der Frosch auf den angewendeten Reiz keine Locomotion macht, erfolgt nur die Senkung der verwundeten Seite; dasselbe beobachtet man als Nach- wirkung einer vorausgegangenen Bewegung. Wenn aber unser Frosch einen Sprung macht, so ist der Gegendruck der Unterlage nicht mehr vorhanden, der Halbkreis resp. Frosch rollt nach der Seite der ver- nichteten Componente, nach der Seite der Verwundung. In der That sieht man die Rollbewegung des Frosches auf dem Lande nur dann, wenn er sich im Sprunge vom Boden erhebt. Scheinbar anders ver- halt sich die Erscheinung im Wasser, insofern als die Rollbewegung dort sogleich beginnt. Das ist aber leicht verstiindlich, da das Wasser der Bewegung keinen Widerstand, wie die Tischplatte, entgegensetzt. Ist der Frosch durch diese Rollbewegung auf den Riicken gekommen, so tritt in diesem Momente die andere Kraft auf, welche ihn wieder aus der Riicken- in die Bauchlage zuriickfiihrt, wo der Vorgang sich wiederholt, wenn von Neuem ein Reiz auf den Frosch einwirkt. Dies Alles ist am deutlichsten auf dem Lande, nicht im Wasser zu beobachten; man sieht hier sogar nicht selten eine kleine Pause in der Bewegung eintreten, wenn die beiden Kriafte wechseln, eine Beob- achtung, die wir ihrerseits fiir die Theilnahme zweier Krifte sprechen lassen konnen, Nachdem der mechanische Theil des vorgelegten Problems gelost ist, miissen wir an den physiologischen Theil der Aufgabe herantreten, welche allein darin besteht, den Weg anzugeben, auf welchem es még- lich ist, die Raumcomponenten P durch die angefiihrte Operation zu eliminiren unter Beachtung des Umstandes, dass die Rollbewegung nach der verletzten Seite hin geschieht. Wir betrachten den allge- meinsten Fall, dass die Rollbewegung erzeugt worden ist durch Verletzung innerhalb des Nackenmarkes (s. S. 87). Wir befinden uns nachweisbar mit dieser Verletzung in einer Gegend, wo kein centraler Innervationsherd mehr in Betracht kommen kann, sondern wo es sich ausschliesshch um Verletzung von Leitungsbahnen handeln muss und zwar von sensiblen oder motorischen oder von beiden zugleich. Be- trachten wir die Fig. 26 und beriicksichtigen wir, dass die zu eliminirende 120 Analyse der Uhrzeigerbewegung. Componente, wenn es zur Rollbewegung kommen soll, auf der der Verwundung gleichen Seite liegen muss, so ist klar, dass der gesuchte Zweck erreicht ist, wenn in der motorischen Bahn eine Eliminirung der Fasern fiir die P-Componente durch die Verwundung ausgefihrt wird. Aber ein Gleiches erreichen wir auch durch Trennung der sen- siblen Bahn, wenn wir annehmen kénnten, dass die gefundene Kreuzung dieser Fasern tief unten, wie es hier gezeichnet, nicht aber hoch oben im Nackenmark stattfindet. Da die Untersuchung der Hautempfindungen vor der Hand resul- tatlos geblieben ist, so kann zwischen diesen zwei Méglichkeiten bis auf Weiteres nicht entschieden werden. Es wurde oben angenommen, dass die von dem Frosche beschriebene Schraube die gemeine Cylinderschraube ist. Diese Annahme entspricht aber insofern nicht ganz den Thatsachen, als die translatorische Be- wegung nicht immer geradlinig ist, sondern hiiufig selbst wieder im Kreise herumgeht. Vollkommen deutlich tritt die gleichzeitige Kreisbewegung bei der periodischen Rollbewegung auf, so dass diese letztere in der That eine in sich zuriicklaufende Schraubenbewegung darstellt. Bei der continuirlichen Rollbewegung beschreibt die translatorische Be- wegung ebenfalls eine krumme Bahn, aber die Natur dieser krummen Linie ist mit Sicherheit bisher noch nicht anzugeben. Es wire daher richtiger, die bisher als Rollbewegung bezeichnete Zwangsbewegung in Zukunft Schraubenbewegung zu nennen. §. 3. Die Uhrzeigerbewegung. Mechanisch ist die Bewegung in dieser Auffassung wenig angreif- bar; sie wird aber sogleich gefiigiger, wenn wir sie betrachten als eine Rotationsbewegung, welche um eine verticale Axe ausgefiihrt wird. Betrachten wir in Fig. 22 die Horizontalcomponenten AB und AC, so haben wir dort die Kreisbewegung hervorgehen lassen aus der Vernichtung der einen der beiden Componenten. Es liegt aber ohne Weiteres auf der Hand, dass eine solche Kreisbewegung auch dann entstehen muss, ‘wenn man die eine der beiden Componenten Fortsetzung. 121 verstiirkt und zwar wird die resultirende Bewegung der Richtung der verstiirkten Componente folgen. Da die Uhrzeigerbewegung erwiesener- maassen eine Reizungserscheinung ist, so befinden wir uns zweifellos hier in dem Falle, dass die eine Componente verstiirkt worden ist. Und kann man in dem Polygon derselben Figur die Translation gleich Null machen, so hitten wir die gesuchte Rotation. Indess wird es vortheilhaft sein, diesen Vorgang etwas naher zu erliutern und dem physiologischen Gesichtspunkte etwas mehr Rechnung Fig. 29. zu tragen. Die Fig. 29 zeigt ee 7 i ae wieder unsere Horizontalcom- gs ponenten # und L in ihrer R symmetrischen Lage zur Kor- of peraxe, mn sei ihre Verbin- dungslinie, deren Mitte O der Mittellinie des Korpers entspre- chen wiirde. Erfahrungsgemass A wissen wir, dass Operationen in den Sehhiigeln, deren Verwundung allein die Uhrzeigerbewegung er- zeugt, regelmissig von Hemmungserscheinungen)!) gefolgt sind, welche ohne Zweifel als Folge der mechanischen Verletzung, in unserem Sinne als Reizung aufzufassen sind, d. h. die mechanische Verletzung erzeugt eine Hemmung. Wie lisst sich aber die physiologische Hemmung in die Mechanik iibertragen? Offenbar als eine zu einer vorhandenen Kraft in entgegengesetzter Richtung wirksame neue Kraft, am einfachsten von gleicher Grésse mit der ersten. Wir werden daher zu & im Punkte nm eine entgegengesetzt gerichtete Kraft gleicher Ordnung anbringen, so dass wir jetzt ein -- R und — # haben. Der Schnitt in die Hirn- masse wird aber neben dem Reize noch einen anderen Effect hervor- bringen; er unterbricht gleichzeitig gewisse Verbindungen und kann daher auch laihmend wirken. Nichts hindert uns anzunehmen, dass diese Lihmung unser + R getroffen hat, und nunmehr haben wir ein typisches Drehungsmoment, welches das System in der Richtung nach der rechten Seite, in der Richtung des Pfeiles drehen muss. In dem 1) Hs soll hier nur ein Hemmungsvorgang im weitesten Sinne gedacht werden; yon den speciellen Hemmungscentren von Setschenow ist abzusehen. 122 Fortsetzung. Moment, wo die erregende Wirkung des Schnittes schwindet und die Hemmung beseitigt resp. — R wieder ausgeloscht ist, wird die Rotation. aufhodren und an ihre Stelle eine Translation in der Richtung gegen die andere Seite auftreten; leider aber entspricht das Resultat nicht unseren Versuchen, denn Rotations- und Kreisbewegung gehen hier nach entgegengesetzten Seiten, wihrend der Versuch gelehrt hatte, dass die beiden Bewegungen stets nach derselben Richtung geschehen. Aber der leitende Gedanke bleibt richtig und es ist wahrscheinlich, dass eine unserer Voraussetzungen nicht zutreffend ist. Das diirfte in der That die Auffassung sein, dass die hier auftretende Kreisbewegung eine Aus- fallserscheinung ist; nach unserer Auffassung kann sie es aber gar nicht sein, sondern sie muss, da sie voriibergehend ist, ebenso wie die Rotationsbewegung eine Reizungserscheinung sein. Es ist nicht auffal- lend, dass diese Reizung so lange dauert, denn wir wissen, dass Reizun- gen von Ganglienzellen von ganz anderen Nachwirkungen gefolgt sind, als die der leitenden Nerven. Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, gestaltet sich der Vorgang folgendermaassen: die Verwundung erzeugt einerseits eine Reizung und verstiirkt damit die Componente R = no (s. Fig. 29) zu n 6; andererseits etablirt sie eine Hemmung, die zu np entgegengesetzt wirkt und gleich ny sein moge. Ist ny > nf, so ent- steht ein Drehungsmoment, welchem das System in der Richtung des Pfeiles folgt, d. h. die im Versuche beobachtete Rotation nach der ver- wundeten Seite. Sobald die Hemmung verschwindet, wiihrend die Rei- zung auf der positiven Seite noch andauert, geht die Rotation in eine Translation nach derselben Seite tiber, weil R> JL ist, d. h. nunmehr in voller Uebereinstimmung mit dem Versuch. Gehen die beiden Be- wegungen nach der gesunden Seite, so wird man an jener Stelle eine entgegengesetzte Anordnung der wirkenden Elemente anzunehmen haben. Dass hier aber thatsichlich solche differenzirte Anordnungen vorhanden sein konnen, geht aus der Schilderung des anatomischen Baues der Sehhiigel hervor. Stieda (1. c. 305) schreibt: ,,In der nach- sten Umgebung des dritten Ventrikels befindet sich in der Grundsub- stanz eine grosse Anzahl kleiner Nervenzellen und Zellkerne; je weiter von dem Ventrikel entfernt, um so sparlicher werden sie. Auch hier sind sie reihenweise geordnet und durch faserige Grundsubstanz von einander getrennt.“ —> Fortsetzung. 123 Niaher anzugeben, welche physiologische Bahnen gereizt worden sind, bin ich bei der geringen Kenntniss, die wir iiber die Sehhiigel ge- wonnen haben, ausser Stande !). Zum Schluss haben wir aus Praxis und Theorie noch einige wesent- liche Folgerungen abzuleiten. Die letztere zeigt mit voller Bestimmt- heit, dass Zwangsbewegungen nur dann entstehen kénnen, wenn asymmetrische Verletzungen des Gehirns angebracht werden, welche eine ungleiche Innervation derjenigen Elemente einer Seite zur Folge haben, welchen die Locomotion obliegt. Je grésser die Asymmetrie der Innervation dadurch wird, um so sicherer und um so intensiver werden die Zwangsbewegungen erscheinen; unterhalb eimer gewissen Grenze dieser Asymmetrie scheinen Zwangsbewegungen tiberhaupt zu fehlen. Wenn die turbulenten Erscheinungen, welche der Schnitt als mechanischer Reiz erzeugt hat, abgelaufen sind und wenn man das Thier vor dusseren Reizen schiitzt, so treten trotz der vorhandenen Asymmetrie der Verletzung doch keine Zwangsbewegungen auf. Daraus folet, dass eine Anregung zur Innervation eintreten muss entweder von Seiten des Willens oder von aussen, von der Peripherie her. Da unsere Frésche aber nach Abtragung des Grosshirns, womit der Wille eliminirt wird, auf folgende asymmetrische Verletzung des Gehirns Zwangs- bewegungen machen konnen, wenn ein ausserer Reiz auf sie einwirkt, so folet daraus unabweisbar, dass der Wille fiir das Zustandekommen der Zwangsbewegung vollkommen entbehrlich ist. Aber das schliesst nicht aus, dass der Wille, wenn er nachweisbar erhalten ist, in der- selben Weise eingreift, wie ein peripherer Reiz, d. h. durch die will- kiirlich intendirte Innervation eine Zwangsbewegung hervorruft; aber weiter nicht. 1) Eckhard spricht in seinem Werke den Wunsch aus, dass genaue Angaben iiber die Localitaten gemacht werden sollten, deren Verletzung einerseits zu Zwangs- bewegungen, andererseits zu Hemmungserscheinungen fihrt. Fiir die Zwangs- bewegungen ist dieser Wunsch oben bereits erfiillt worden. In Bezug auf die Hemmungserscheinungen will ich bemerken, dass operative Hingriffe in die Sehhiigel, welche wohl mechanischer Reizung gleich gesetzt werden kénnen, ausnahmslos von Hemmungserscheinungen gefolgt sind, welche sich in einer tiefen aber vor- libergehenden Depression aller Bewegungen kund thun. Bei Operationen im Mittelhirn oder anderen Theilen des Gehirns ist bei Anwendung eines zweckmissigen Operationsyerfahrens Aehnliches nicht beobachtet worden. 124 Fortsetzung. Wir gelangen somit zu folgender unsere Versuche umfassenden Definition der Zwangsbewegungen: Die Zwangsbewegungen sind krummlinige Bewegungen, welche durch asymmetrische Innervation von geniigender Grédsse derjenigen Elemente entstehen, die der Locomotion dienen. Die Asymmetrie der Innervation kann durch eine Verstarkung (Reizung) oder durch eine Verminderung (Lahmung) der normalen Inner- vation der einen Seite gegeben sein. Drittes Capitel. Die Beobachtungen auf der horizontalen Centrifugalscheibe. Saul ie Die Versuche. Die Versuche auf der Centrifugalscheibe sind oben an den beziig- lichen Stellen fortgelassen worden, weil sie ihres Umfanges und ihrer besonderen Bedeutung wegen einen eigenen Abschnitt beanspruchen und durch ihr Fehlen dem Gange der Untersuchung dort keinen Ab- bruch gethan hatten. Die rotirende Scheibe ist, so viel mir bekannt, von Goltz in unser Gebiet eingefiihrt worden; er beschreibt seinen Versuch in folgender Weise (1. c. 71): ,Setzt man den Frosch auf eine Scheibe, welcher man eine kreisformige Drehung nach rechts ertheilt, so wird er sich fort- wihrend nach links herumdrehen und so die urspriingliche Lage im Raume behaupten. Ein Thier, dem man das ganze Gehirn weggenommen und nur das Riickenmark gelassen hat, zeigt unter gleichen Verhalt- nissen keine Drehbewegung; das Centralorgan, welches jener Dreh- bewegung vorsteht, liegt demnach in irgend einem Theile der Gehirn- partien, welche zwischen der hinteren Grenze der Grosshirnlappen und dem vorderen Ende des Riickenmarkes gelegen sind.“ Die von Goltz beobachtete Thatsache enthilt, wie ich gleich bemerken will, nur den Anfang zu einer grossen Reihe von Beobachtungen, die diesem vortrefflichen Beobachter aus irgend einem Grunde entgangen sind. 126 - Versuche auf der Centrifugalscheibe. Ich pflegte den Versuch im Anfang so zu machen, dass ich den gross- hirnlosen Frosch auf eine Holzscheibe von 30cm Durchmesser, radial mit dem Kopfe gegen die Peripherie gerichtet, setzte und diese auf das Wasser brachte, wo sie durch zweckmissiges Anstossen mit beiden Handen in Rotation versetzt werden konnte. Hierbei bestitigt man leicht die Goltz’sche Beobachtung, dass der Frosch sich gegen die Richtung der Drehung in Bewegung setzt; aber man sieht noch mehr, denn der Frosch setzt sich nicht allein gegen die Drehung in Bewegung, sondern beschreibt hierbei einen Kreis, der stets der Richtung der Rotation entgegengesetzt gerichtet bleibt. Der Radius dieses Kreises ist entweder gleich der Korperlinge oder um Weniges grosser als diese. Die Bewegung scheint withrend der ganzen Zeit der Rotation mehr oder weniger anzuhalten. Sie beginnt regelmissig zuerst am Kopfe, welcher sich in seinem Gelenke seitlich dreht und geht dann auf den Rumpf iiber, so dass man diese beiden Bewegungen deutlich in der Beobachtung unterscheiden kann. Hort die Drehung der Scheibe auf, so beschreibt der eben zur Ruhe gekommene Frosch von Neuem einen Kreis von gleichen Dimensionen wie oben, aber in entgegen- gesetzter Richtung, d. h.in gleichem Sinne mit der Rotation der Scheibe. Zieht man diesem Frosche die Holzscheibe unter dem Bauche fort oder besser, setzt man ihn in ein zweites Wasserbassin, so setzt er activ die Kreishbewegung fort, die allmiilig in eine archi- medische Spirale ausliuft. Macht man die Rotation sehr langsam, so dreht sich nur der Kopf gegen die Bewegung der Scheibe so weit als es die mechanische Einrichtung des Kopfgelenkes eben gestattet; hilt man die Scheibe an, so bewegt sich der Kopf durch die Mittellinie hin- durch in die entgegengesetzte Richtung, d. h. in die Richtung der yor- aufgegangenen Rotation der Scheibe; erst spiiter stellt sich der Kopf wieder in die Mittellinie ein. Rotirt man die Scheibe sehr rasch, so wird der Frosch nach wenigen Bewegungen vollkommen ruhig und driickt den Rumpf sammt Kopf gegen die Unterlage. Hort die Drehung auf, so beschreibt er seinen Kreis, wie oben angegeben. Dieselben Versuche gelingen auch an einem vollig unversehrten Frosche, nur hat man mit dem Arrangement viel mehr Miihe. Nennen wir der Kiirze halber die Erschemungen bei Beginn der Rotation ,,Anfangserscheinungen* und jene bei Aufhéren oder Stillstand Fortsetzung. 127 der Bewegungen ,.Enderscheinungen“, so sei bemerkt, dass die End- erscheinungen alle deutlicher im Wasser zu beobachten sind; doch ver- siiume man nicht die Beobachtungen auch auf der Scheibe selbst. Wir kommen somit zu einem allgemeinen Satze, der siimmtliche Beobachtungen in folgender Weise umfasst: Frosche ohne Gross- hirn, welche manradial mitdem Kopfe gegen die Peripherie eerichtet auf einerotirende Scheibe setzt, machen Kreis- bewegungen in einer der rotirenden Scheibe entgegen- eesetzten Richtung. Wird der Gang der Scheibe verzogert oder halt sie still, so beschreiben sie einen Kreis in ent- eegengesetzter Richtung, d.h. in gleicher Richtung mit dem Sinne der rotirenden Scheibe. Im Wasser liuft dieser Kreis in eine Spirale aus. Die Bewegungen beziehen sich auf Rumpf und Kopf. Der hier auftretende Einfluss ist so michtig, dass er im Stande ist, der ,Kreisbewegung“ nach Verletzung des Mittelhirns die entgegen- sesetzte Richtung aufzuzwingen, man hat eben nur nodthig, die Scheibe in der betreffenden Richtung zu drehen. Der Frosch, welcher z. B, Kreisbewegungen nach rechts ausfiihrt, macht, wenn man die Scheibe nach links gedreht hat und ihn darauf ins Wasser setzt, nunmehr dort im Wasser die Kreisbewegung nach links, wie wenn es ein normaler Frosch wire. Selbst der ungefiigigen Schraubenbewegung kann man andere Richtung anweisen. Weitere Erkenntniss war bei dieser primitiven Methode nicht zu erwarten. Kin vollkommenerer Rotationsapparat, den ich aus der Sammlung des hiesigen physikalischen Laboratoriums erhielt !) und auf den meine Holzscheibe leicht aufgekittet werden _konnte, setzte mich in den Stand, einige weitere Fragen zu beantworten. Der Apparat war mit einer Anordnung versehen, welche mit wenig Miihe eine Bestimmung der Rotationsgeschwindigkeit gestattete. Zuerst wurden die Grundthatsachen wiederholt und leicht bestatigt. Weiter aber musste vor Allem entschieden werden, wie sich der Frosch bei constanter Umdrehungsgeschwindigkeit verhalten wiirde. Hierbei 1) Dafiir sowie fiir manchen guten Rath spreche ich Herrn Prof. G, Quincke meinen yerbindlichsten Dank aus. 128 Fortsetzung. stellte sich heraus, dass die beschriebenen Bewegungen nur im An- fange der Bewegung und nach dem Aufhoéren derselben auftreten, resp. bei Eintritt einer Verzogerung der Be- wegung; dass aber mit dem Moment, wo die Geschwindigkeit constant geworden ist, jede Bewegung des Frosches aufhort, vielmehr von dem- selben eine yollig normale Haltung eingenommen wird. Die Scheibe machte 60, 40 und 20 Umdrehungen in der Minute, wobei in der Pe- riode der constanten Rotation selbst der Kopf keine Drehung zeigte, sondern in der Flucht der Korperaxe feststand. Eine weitere Herab- setzung der Umdrehungsgeschwindigkeit schien nicht mehr nothig !). Es folgt aus dieser Reihe von Beobachtungen, dass die Bewegungen auf der rotirenden Scheibe nur durch die Winkelbeschleu- nigung, nicht durch die Winkelgeschwindigkeit veranlasst werden, Nachdem dieser Punkt festgestellt war, musste ermittelt werden, welches die Richtungen der Froschbewegungen waren fiir den Fall, dass man die Stellung des Frosches auf der Scheibe varurt; wenn er also die radiale Stellung einnahm, das eine Mal mit dem Kopfe gegen die Peripherie, das andere Mal gegen den Mittelpunkt des rotirenden Kreises. Endlich wurde der Frosch in die Tangente der Bewegung resp. auf eine Sehne des Kreises gestellt, welche als Tangente des nichsten concentri- schen Kreises betrachtet werden kann, bald mit dem Kopfe in die Rich- tung der Bewegung, bald gegen dieselbe gestellt. Um nicht zu breit zu werden, ohne an Uebersichtlichkeit zu gewinnen, mag die protocollirte Tabelle hier im Original eingefiigt werden, wobei die Bewegungen auf die Korperseiten des Frosches bezogen sind, wihrend die Rotation der Scheibe nach den Bewegungen des Uhrzeigers bestimmt werden und ihre Zahl fiir jeden Versuch nicht mehr als 5 bis 10 betrigt. 1) Bei dem primitiven Verfahren der Rotation des Holztellers auf dem Wasser wurde eine constante Rotation erst bei grésserer Geschwindigkeit erzielt, in welchem Falle auch oben schon jede Bewegung fehlte; bei der geringeren Geschwindigkeit pflegte die Rotation immer sehr unregelmiissig zu sein. 129 Fortsetzunge. e+ SaoyuTy Ss f e :DUNULOYOsSLa pug I] Ut orm sostory n> wayqoor Ay? :SUNULaYoOsAasouvjuy J JUIyOI oqteyog (q pied, 228 sep “ aazyoor ‘ # idSunuLeyosdopugy | ‘T Ul oIM Sun iMor aie Tpaueees d al1oy diate : ueyury SO ss :SunuteyosaosSuesuy | qATJOI AQroyoR (vB Pere MOSSEL G pec! 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Um iiber dieselben eine leichtere Uebersicht zu gewinnen, betrachte man die Fig. 30, in welcher der Kreis mit dem Mittelpunkte O die rotirende Scheibe bedeute; die doppelt gefiederten Pfeile auf der Peripherie des Kreises in der Nahe von A und B bezeichnen den Sinn der Rotation der Scheibe. Im Ra- dius OA stehe der Frosch einerseits mit dem Kopfe nach A, das andere Mal nach O gerichtet, was durch die entsprechenden auf dem Radius angebrachten Pfeile markirt ist. Auf dem Radius OB wiederholt sich dasselbe fiir die entgegengesetzte Richtung der Drehung. In ab sei die ES oO Fig. 30. Stellung des Frosches in der Peripherie der Scheibe gegeben fiir den Fall der Scheibenbewegung wie bei B, in a’d’ fiir den Fall der entgegengesetz- ten Richtung. Die doppelt gestrichenen Pfeile bedeuten fiir alle 6 Falle die Richtung der eingeschlagenen Bewegung. Da die Enderscheinung ausnahmslos entgegengesetzt zu der Anfangserscheinung ist, so ist in der Figur nur die letztere angezeichnet worden. So gewinnen wir in der Figur ei leicht iibersichtliches Bild aller beobachteten Erschemungen. Auf den ersten Blick scheinen dieselben durcheinander zu laufen und keinem Gesetze sich unterzuordnen; wenn wir aber tiberall da auf der Fortsetzung. 15 Scheibe, wo der Frosch in Bewegung begriffen ist, der letzteren analog kleine Kreise einzeichnen, wie es in Fig. 31 geschehen ist 1), wenn wir deren Peripherie mit dem Richtungspfeile versehen und diese Richtung mit Bezug auf die Bewegung des Uhrzeigers mit der Richtung der Rotation der Scheibe vergleichen, so stellt sich allgemein heraus, dass jedesmal, wenn die Rotationsscheibe sich im Sinne des Uhrzeigers be- weet, simmtliche Bewegungen des Frosches auf der Scheibe entgegen dem Sinne des Uhrzeigers vor sich gehen und umgekehrt, d. h. die Richtung der auf der rotirenden Scheibe auftretenden Fig. 31. Bewegungen ist ausschliesslich abhangig von der Richtung ihrer Rotation derart, dass beim Angehen der Rotation jener ent- gegengesetzt gerichtete, beim Aufhdren der Rotation jener gleich- gerichtete Bewegungen von dem Frosche ausgefiihrt werden. Die Nachwirkung erscheint am vollendetsten, wenn man nach Aufhoren der 1) Zur Erlauterung der Figur sei nur bemerkt, dass die rechte Seite bei B die Bewegung der Scheibe im Sinne des Uhrzeigers darstellt, wihrend die linke bei A die entgegengesetzte Rotation anzeigt, wie die grossen seitlichen Pfeile angeben. Die gestrichelte Linie a’a trennt die beiden Abtheilungen von einander. 1382 Analyse der Versuche. Rotation den Frosch ins Wasser setzt, wo die Kreisbewegung in die archimedische Spirale tibergeht, welche uns ein deutliches Bild davon giebt, wie die Erregung ,abklingt‘. Der Leser wird schon bemerkt haben, dass diese Versuche in einer Reihe stehen mit jenen, welche E. Mach!) an sich selbst an- gestellt und unter dem Titel: ,,Physikalische Versuche iiber den Gleichgewichtssinn des Menschen“ ver6ffentlicht hat. In den Resul- taten besteht em Unterschied darin, dass beim Menschen im Allge- meinen Bewegungsempfindungen vorhanden sind, wo der Frosch wirkliche Bewegungen ausfiihrt, aber es ist die Richtung der Drehempfindungen immer entgegengesetzt der vom Frosch wirklich ausgefiihrten Drehbewegung. §. 2. Analyse der Versuche. Wir haben hier die Ursachen zu eruiren, welche den auf die rotirende Scheibe gesetzten Frosch zu den beschriebenen Bewegungen antreiben und denselben eine bestimmte Richtung zuweisen. Es haben in neuerer Zeit Forscher, welche sich mit dem Einfluss der Schwere auf den Furchungsprocess beschiftigt haben, diesen Einfluss dadurch aufzuheben gemeint, dass sie die Eier auf eine horizontale Centrifugalscheibe gesetzt haben. Aber eine solche Scheibe bildet eine Niveaufliche, d. h, eine Flache, die in allen ihren Punkten gleiche Potentialwerthe der Schwerkraft besitzt und die Rotation der Scheibe kann an diesem Verhiiltnisse nichts indern. Wir konnen daher von vornherein jeden Einfluss resp. jede Aenderung der Schwerkraft als Ursache der Bewegung von unseren Betrachtungen ausschliessen. Dagegen wird durch die Rotation selbst eine ganz neue Kraft erzeugt, die Centrifugalkraft, welche in der Richtung des Radius vom Mittelpunkte gegen die Peripherie hin wirksam ist. Aber der Versuch hatte gelehrt, dass die Bewegungserscheinungen auf der rotirenden 1) Sitzungsberichte d. k. Akademie der Wissenschaften in Wien 1873 und 1874. Erste Mittheilung, Bd. 68, Abth. III, 8. 124. — Zweite Mittheilung, Bd. 69, Abth. II, 8. 121. — Dritte Mittheilung, Bd. 69, Abth. III, 8. 44. Analyse der Versuche. 133 Scheibe nur durch die Richtung der Rotation bestimmt werden, von der Centrifugalkraft also unabhingig sein miissen, da die letztere stets nur in einer Richtung wirksam ist. Wenn wir oben nachgewiesen haben, dass die Bewegungserschei- nungen auf der rotirenden Scheibe durch die Richtung der Drehung und durch die Winkelbeschleunigung bestimmt werden, so heisst das nichts Anderes als dass sie durch die Bahn bestimmt werden, welche die Scheibe resp. ihre Peripherie mit beschleunigter Geschwindigkeit durchliuft. Da die vorgeschriebene Bahn eine krummlinige ist und ihre Richtung in jedem Augenblick durch die zugehorige Tangente bestimmt wird, so miissen nothwendiger Weise Ursache und Richtung der Drehung des Froschkérpers durch die in der Richtung der Tan- gente wirkende beschleunigende Kraft bedingt sein. Es wird sich darum handeln, diese Ableitung im Einzelnen durchzufiihren. Betrachten wir die Richtung der Tangente (ich méchte erwahnen, dass alle kommenden Auseinandersetzungen nur fiir eine Richtung der drehenden Scheibe durchgefiihrt werden, weil bei Aenderung der- selben nichts Neues auftritt, sondern sich alle Verhaltnisse eben nur umkehren), so findet sich, dass, wenn der Frosch im Radius steht, die Tangente senkrecht zur Axe des Korpers liegt; steht der Frosch in der Sehne, so befindet er sich parallel der Tangente. Diese Lage der Richtung der Beschleunigung zu der Axe des Froschkorpers miisste jene Bewegungen erzeugen! Ob das modglich ist, lasst sich durch den Versuch direct priifen, welcher die einfache Frage beant- worten muss, ob eine in gerader Linie wirkende Beschleunigung auf den Frosch bewegungsanregend wirkt, wenn er parallel oder senkrecht zu der Beschleunigung steht. Man nimmt einen einfachen, auf vier Rollen rollenden Wagen oder am einfachsten einen gentigend beschwerten Puppenwagen, setzt den grosshirnlosen Frosch auf denselben, einmal parallel, ein zweites Mal senkrecht zu der Zugrichtung und beobachtet das Verhalten des Frosches, wenn man den Wagen ohne zu starkes Riitteln mit beschleu- nigter Geschwindigkeit in gerader Linie nach yvorwirts zieht. Nach einer kleinen Pause driickt man den Wagen ebenso nach riickwarts. Der Versuch fallt vollkommen negativ aus: Der Frosch sitzt unbe- kiimmert um alle Bewegungen ruhig da, so lange die Bewegungen 134 Analyse der Versuche. des Wagens durch plotzliche Stésse und dergleichen nicht gestért werden. Betrachtet man die ,Wagenversuche“ etwas genauer, so -stellt sich heraus, dass sie das nicht leisten konnen, was wir ihnen zuge- muthet haben. Sitzt der Frosch senkrecht zur Axe des Wagens auf demselben, so ist die Beschleunigung, welche er erhilt, in allen Theilen | die niimliche — dieser Einfluss bleibt ohne Wirkung; sitzt er parallel der Axe mit dem Kopfe in der Richtung der Bewegung, so kénnen Kopf- und Beckenende zwar verschiedene Beschleunigung haben und das konnte zu einer translatorischen Bewegung parallel der Axe Fig. 32. oe p! fihren. Da dies aber nicht der Fall ist, so ist der Reiz unterhalb der Reizschwelle geblieben. Steht der Frosch aber auf der Scheibe im Radius des Kreises mit dem Kopfe gegen die Peripherie, so hat die Beschleunigung, die tangential am Kopfende einsetzt, einen viel hoheren Werth als am Beckenende, also in Fig. 32 ist kk' > BB’. Das giebt ein Drehungsmoment in der Richtung von kk’, also in der Richtung der Drehung der Scheibe. Genau in derselben Weise bekommt der Frosch, wenn er radial mit dem Kopfe gegen die Mitte steht, ein Drehungs- moment nach derselben Richtung, wobei aber k”k'’ < B" p"" ist. Steht der Frosch in der Sehne, so dass Kopf- und Beckenende 4 und w Analyse der Versuche. 135 an die Peripherie des Kreises anstossen, so hat die Beschleunigung in diesen beiden Punkten die Richtung der dort gelegten Tangenten AA' und wu’. Diese lassen sich zerlegen parallel zu du in Ad’ und uw’, sowie senkrecht darauf in 4A” und wu”. Die Beschleunigung in der Richtung wa resp. w'’A’” erzeugt keine Bewegung, so wenig wie oben der Wagenversuch eine solche erzeugt hat. Dagegen geben die senkrecht zu Aw stehenden Beschleunigungen Ad” und we” ein typisches Drehungsmoment, welches den Frosch in gleichem Sinne mit der o- tation der Scheibe zu drehen bestrebt ist. Wir haben nunmehr fiir alle drei Stellungen des Frosches auf der Drehscheibe Drehungsmomente, die in gleichem Sinne mit der Drehung der Scheibe wirken. Wenden wir darauf die oben (S. 21) eingefiihrte allgemeine physiologische Erfahrung an, wonach der Frosch regelmiissig die dem Reize entgegengesetzte Richtung der Bewegung einschligt, so miissen sich unsere Frésche in allen drei Fiillen im entgegengesetzten Sinne zur Rotation der Scheibe drehen, wie der Versuch gelehrt hat. Wird die Bewegung verzogert, so erzeugt diese Verzogerung ein Drehungsmoment im entgegengesetzten Sinne und der Frosch muss sich im Sinne der Rotation bewegen. Indem wir zu dem eigentlich physiologischen Theil unserer Aufgabe iibergehen, haben wir uns mit der Frage zu beschiftigen, auf welche Organe das aufgefundene Drehungsmoment seine Wirkung entfaltet. Wir befinden uns hierbei gegeniiber den Versuchen am Menschen insofern im Vortheil, als wir durch entsprechende Kingriffe in das Nervensystem jenen Factor, wenn auch nicht beliebig, so doch vielfach variiren kénnen. Dieser Zweck wurde zunichst dadurch an- gestrebt, dass allmilig immer groéssere Partien des Gehirns abgetragen und diese Frésche der Beobachtung auf der rotirenden Scheibe unter- worfen wurden. Man kann sich mit einer Stellung des Frosches auf der Scheibe begniigen; es wurde hier wesentlich die radiale Stellung mit der Richtung des Kopfes gegen die Peripherie beriicksichtigt. Wenn man bei einem Frosche die Sebhiigel abtragt, so macht auf der Scheibe nur der Kopf die drehenden Bewegungen in dem oben beschriebenen Sinne. Die Enderscheinungen im Wasser fallen sehr mangelhaft aus, weil diese Frosche, wie schon oben bemerkt, regelmissig sehr bald auf den Boden sinken und dort ruhig sitzen 136 Analyse der Versuche. bleiben (s. S. 32). Tragt man auch das Mittelhirn ab, so dreht sich der Kopf, merkwiirdiger Weise aber auch der Rumpf ganz ebenso, wie wir es oben fiir den grosshirnlosen Frosch beschrieben haben.- Im Wasser treten die Enderscheinungen ganz deutlich hervor, Die An- fangserscheinungen hat auch im letzten Sommer Luchsinger gesehen 1) und in seinem Berichte bemerkt, dass im vorderen Theile des. Nackenmarkes Gleichgewichtscentren vorhanden sein miissten, Als Luchsinger’s Notiz erschien, war mir der Sachverhalt schon lange bekannt und ich hatte denselben, da er durchaus auffillig war, nach allen Seiten sicher gestellt. Die Thatsache ist also richtig und ich freue mich, sie bestiitigen zu konnen, aber die Erkliirung ist es nicht, wie es auch nicht anders sein konnte, da Luchsinger aus einem Complex von Thatsachen eben nur eine einzige herausgegriffen hatte. Tragt man endlich den vordersten Theil des Nackenmarkes ab, so ubt die rotirende Scheibe keinerlei Einfluss mehr ‘auf diesen Frosch aus (nebenbei bemerkt, finden wir das dritte Mal die Stelle als die- jenige wieder, von der alle Locomotion ausgeht). Dass der Frosch ohne Mittelhirn auf der Drehscheibe eigentlich mehr leistet, als der andere mit Mittelhirn, war so auffallend, dass niher untersucht werden musste, wo der Uebergang der einfachen Kopfdrehung zur Drehung des ganzen Korpers stattfindet. Es wurden deshalb theilweise symmetrische Abtragungen des Mittelhirns aus- gefiihrt, wobei die Beobachtung ergab, dass mit dem Moment, wo die Schwimmbewegungen uncoordinirt werden, auf der rotirenden Scheibe neben den Kopfdrehungen auch Rumpfdrehungen erscheinen. Das trifft ungefihr zu, wenn man mit den Abtragungen beim hintersten Drittel des Mittelhirns angelangt ist. Weiteres hat sich nicht eruiren lassen, Da alles Hirn bis zum Nackenmark hin abgetragen sein kann, ohne dass die Kopfdrehungen aufhéren, so miissen wir von vornherein nach allen unseren Kenntnissen daran denken, dass tiberhaupt nur noch sehr wenig centrale Empfindungselemente vorhanden sein diirften. Aber einmal im Nackenmark erinnern wir uns, dass dort auch die Gehor- nerven ihr centrales Ende erreichen und wir kommen, was bisher noch an 1) Pfliiger’s Archiv, Bd. 34. Analyse der Versuche. 137 keiner Stelle geschehen ist, dazu, auf die Function der halbzirkelformigen Caniile des Ohres zu recurriren. Ich werde mich weder mit der Geschichte noch Kritik der zahlreichen Versuche iiber diese Organe beschiftigen ; ich werde sie weder als Organe des Gleichgewichts noch Organe eines Raumsinnes in Anspruch nehmen, wie es Mach fiir seine Versuche gethan hat, sondern ich werde mich auf die ganz kleine aber pricise Fragestellung beschrinken: Treten die Drehbewegungen auf der rotirenden Scheibe noch nach Eliminirung jener Organe auf oder verschwinden sie? Man kann diese Organe nach zwei Methoden eliminiren, einmal dadurch, dass man sie loco zerstort, wie vielfach geschehen ist, oder zweitens dadurch, dass man den Nerven durch- schneidet, der die Verbindung mit dem Gehirn vermittelt; da dieser Nerv der N. acusticus ist, so verlangt die zweite Methode die beider- seitige Durchschneidung dieses Nerven, wobei man stillschweigend die allerdings berechtigte Voraussetzung macht, dass auf anderem Wege keine Nerven zu den halbzirkelformigen Canilen gelangen. Ich habe aus leicht ersichtlichen Griinden der zweiten Methode den Vorzug gegeben und nach dem Vorgange von Schiff+) die Nn. acustici beider- seits vom Munde aus durchschnitten, Die Ausfiihrung der Operation ist nicht leicht und bedarf reichlicher Uebung. Es ist selbstverstiind- lich, dass man dabei die sehr empfindliche Basis des Gehirns und Nackenmarkes nicht verletzen darf, weil sonst leicht Zwangsbewegungen entstehen, welche die klare Beobachtung unmoglich machen 2). Wenn die beiderseitige Durchschneidung der Nn. acustici auf diese Weise ohne Nebenverletzung gelungen ist und man setzt diesen Frosch auf die Drehscheibe, so reagirt der Kopf gegen die Rotation in derselben Weise wie vorher, aber die Bewegungen des Rumpfes bleiben aus. Wenn der Leser daraus schliessen will, dass die Drehbewegungen des Rumpfes von den halbzirkelformigen Canilen abhiingen, jene des Kopfes davon aber unabhingig sind, so ist gegen die Correctheit dieses Schlusses vorerst nichts einzuwenden. Wenn man aber iiberlegt, dass es eine Rotationsgeschwindigkeit giebt, bei der sich trotz voller Integritit Oi ¢., 8.399: *) Ich behalte mir vor, auf diese Zwangsbewegungen spiter an anderer Stelle zuriickzukommen. 138 Analyse der Versuche, des Frosches ebenfalls nur der Kopf dreht, und man daraus schliessen kann, dass die Erregbarkeit der Elemente, welche der Rumpfdrehung vorstehen, geringer ist als jene, welche die Drehung des Kopfes be- sorgen, so wird man sich wohl die Frage vorlegen miissen, ob durch die angebrachte Operation, welche fiir die Durchschneidung der Nn. acustici nothwendig war, die Erregbarkeit, kurz gesagt, der Rumpfbewegungs- elemente nicht wesentlich alterirt resp. herabgesetzt worden ist: man entblosst eine immerhin ansehnliche Partie der ausserordentlich empfind- lichen Basis des Nackenmarkes, wo gerade das allgemeine Bewegungs- centrum liegt, ohne dass wir den Einfluss einer solchen Behandlung kennen. Dazu kommt, dass die scharfen Rinder der Knochenwunde das frei liegende Mark bei jeder Bewegung irritiren. Wenn man end- lich einen Frosch in derselben Weise operirt, ohne die Nn. acustict zu durchschneiden, so bleiben ahnliche Storungen nicht aus. Alles zusammengenommen fiihrt mich zu der Ansicht, dass die Nn. acustici resp. die halbzirkelformigen Caniile bei dem Zustandekommen der Drehbewegungen auf der rotirenden Scheibe unbetheiligt sind. Wenn wir nunmehr nicht die Annahme machen wollen, dass die Ganglienzellen direct auf die Beschleunigung reagiren, da wir von derlei Leistungen der Ganglienzelle zur Zeit keine Kenntniss haben, so kommen wir per exclusionem zu der Erklarung, dass die in der Rich- tung der Tangente wirkende Beschleunigung am Korper direct angreift, wodurch Muskeln und Gelenke gespannt werden, die ihrerseits wieder durch eine Bewegung in entgegengesetztem Sinne reagiren. Ist die Be- schleunigung eine sehr geringe, also der Reiz klein, so reagirt nur der viel erregbarere Apparat, an dem der Kopf aufgehangt ist und es er- folgen allein die Drehungen des Kopfes. Werfen wir zum Schluss noch einen kurzen Riickblick auf das behandelte Gebiet, so treten drei Punkte aus dem Rahmen der Betrach- tung ganz besonders hervor. Zunichst nimlich haben wir auf drei verschiedenen Wegen gefunden, dass im vordersten Theile des Nacken- markes ein Locomotionscentrum fiir den ganzen Korper liegt. Da wir sehr wabrscheinlich haben machen kénnen, dass dieses Locomotions-- Schlussbemerkungen. 139 centrum das einzige Bewegungscentrum des Gehirns ist, so haben wir es kurzweg als ,Hirncentrum*“ bezeichnet. Wenn wir zweitens die vielfach auftretenden Kopfbewegungen ins Auge fassen, die selbstiindig oder neben Rumpfbewegungen erscheinen, so wird man zu dem Gedanken angeregt, dass diese Kopfbewegungen eine viel gréssere Bedeutung haben mogen, als man bisher hat wissen konnen. Es scheint hier ein Mechanismus von ganz ungeahnter Fein- heit vorzuliegen, dessen naheres Studium eine Aufgabe der nichsten Zeit sein diirfte. Endlich bemerkt man drittens, dass im Allgemeinen Druckschwan- kungen an der Haut, in den Muskeln und den Gelenken den Frosch in »Lage“ und ,,Bewegung* bestimmen; dass andere Einfliisse zum wenig- sten nicht nothwendig sind; eine Beziehung, die merkwiirdiger Weise ein Physiker als moglich schon vorausgesagt hat. E. Mach bemerkt an jener Stelle in einer Anmerkung (1. c. 8. 133): ,,Die specifischen Energien festgehalten, wire es sogar moglich, dass die Empfindung der Lage (bezieht sich auf den Menschen, Ref.) und die Empfindung der Bewe- gung durch verschiedene Nerven vermittelt wird. Die Empfindung der Lage bleibt, so lange die Lage bleibt. Die Empfindung der Bewegung verschwindet immer, wenn die Bewegung gleichformig wird. Nimmt man an, dass nur der Druck empfunden wird, so reicht freilich eine Art von Nerven aus.“ Im Allgemeinen lauft die Thatigkeit unseres Frosches wie die einer pricis arbeitenden Maschine ab und alle Leistung kann aus- schliesslich auf fussere Anregung hin geschehen. . Nur der Wille scheint aus sich heraus zu wirken. Ob Letzteres richtig ist, weiss ich nicht; aber wir bekommen einen Fingerzeig, woher der Wille schépft, wenn wir beobachten, dass ein geblendeter Frosch sich so verhiilt, wie jener, der des Grosshirns beraubt worden ist. Nachtrage. LW oelcec Ss oumG: 2G: Die Analyse der Versuche auf der Drehscheibe fithrt zu einer zgweiten Erklirung fiir die Thatsache, dass der Frosch, welcher die schiefe Ebene in regelmissigem Vorwirtsgang hinaufsteigt, den Kopf senkt, wiihrend er ihn erhebt, wenn er mit Riickwirtsgang den Weg zuriicklegt. Denkt man sich nimlich die Scheibe in Fig. 30. statt horizontal, wie sie dort gezeichnet ist, m verticaler Stellung und den Frosch auf einer untersten Sehne dieses Kreises in horizontaler Ebene sitzend, so ist klar, dass bei eintretender Rotation der Scheibe, welche den Frosch nach vorn in die Hohe fiihrt, durch die in tangen- tialer Richtung wirkende Beschleunigung in derselben Weise, wie es auf S. 134 entwickelt worden ist, ein Drehungsmoment erzeugt wird, welches bestrebt wiire, das Kopfende des Frosches von der Unterlage abzuheben und das Beckenende anzupressen. Nach dem anfangs ein- gefiihrten physiologischen Principe der dem Reize in entgegengesetzter Richtung wirkenden Reaction wird der Frosch den Kopf senken, wah- rend das Beckenende in Ruhe bleibt, da es mit dem iibrigen Korper unbeweglich verbunden ist und jenem Antriebe nicht folgen kann. Wird die senkrechte Scheibe in entgegengesetzter Richtung bewegt, so dass der Frosch mit dem Beckenende voraus die schiefe Ebene auf- steigt, ‘so tritt genau das entgegengesetzte Drehungsmoment auf und der Frosch erhebt den Kopf. Was sich gegen diese Auffassung einwenden lesse, ware nur aus dem Bedenken abzuleiten, ob die Geschwindigkeit der Bewegung, welche man der schiefen Ebene in jenem Versuche zu geben pflegt, irgendwie mit der Geschwindigkeit der rotirenden Scheibe in Ver- eleich zu setzen wire. Daran kann man aber keinen Augenblick zweifeln, wenn man sieht, wie die denkbar minimalste Rotation, welche —_ Nachtrige. 141 man der Scheibe ertheilt, schon ausreicht, um die Drehung des Kopfes hervorzurufen. Dies giebt mir Veranlassung, noch einige Bemerkungen hinzuzufiigen tiber die Winkelgeschwindigkeit, mit welcher man in dem Balancirversuch die schiefe Ebene zu bewegen hat, um den besten Effect zu erzielen. Ich habe dariiber keine speciellen Versuchsreihen angestellt, aber regelmissig auf dieses Moment geachtet, so dass ich bei den vielen Beobachtungen, die ich tiberhaupt gemacht habe, ein bestimmtes Bild davon gewonnen habe. Zuniichst ist, wie mir scheint, schon bekannt, dass, wenn man von vornherein die schiefe Ebene zu rasch bewegt, der Frosch nicht folgt, sondern heruntergleitet. Erhebt man die schiefe Ebene mit minimaler Geschwindigkeit, so kann ich mir sehr gut denken, ohne es aber gesehen zu haben, dass der Frosch nicht aufsteigen wird. Ist der Frosch tiberhaupt zum Aufstieg sehr geneigt, so pflegt er schon bei der ersten Erhebung die schiefe Ebene geradezu hinaufzulaufen, in solchem Falle ist der Beobachtung wenig Spielraum geboten. Dagegen sind die hier in Betracht zu ziehenden Momente am besten bei solchen Exemplaren zu studiren, welche nur wenig geneigt sind, in die Hohe zu steigen. Man kann solche Exem- plare mit Erfolg unterstiitzen, wenn man nach rascher Wieder- herstellung der Horizontale immer wieder von Neuem die Erhebung ausfihrt. Mir scheint daraus zu folgen, dass auch hier, wie es fiir die horizontale Drehscheibe bewiesen worden ist, nicht die Geschwin- digkeit der Bewegung auf den Frosch wirkt, sondern die Winkel- beschleunigung. Und das ist im Grunde genommen nichts Anderes, ~als was seiner Zeit E. du Bois-Reymond in dem Gesetze der Kr- regung von Muskel und Nery durch den elektrischen Strom aus- gesprochen hat und was fiir das Individuum als Ganzes gegeniiber allen anderen Arten von Reizen in derselben Weise Geltung zu haben scheint. Der oben nur fingirte Versuch auf der verticalen. Rotationsscheibe liisst sich iibrigens verificiren, wenn man den Frosch auf ein Pendel resp. auf eine Gartenschaukel, deren Einrichtung Jedermann kennt, setzt. Erhebt man sie langsam mit der Hand, so wiederholt man den ersten Versuch auf der schiefen Ebene; versetzt man sie aber in pendelnde Bewegung, schaukelt man also den Frosch, so sieht man die vorgeschriebenen Kopfbewegungen bis zur Ermiidung auftreten. Der Rumpf bleibt stets in Ruhe, weil die Bewegung zu rasch ist und 149 Nachtriage. weil, wie wir wissen, der Rumpf fiir diese Reize eine viel geringere Erregbarkeit besitzt als der Kopf. Ks ist nicht ausgeschlossen, sogar gewiss, dass, wenn man ein gentigend langes Pendel zur Verfiigung hitte und die Frésche geniigende Erregbarkeit besitzen (meine Ver- suche sind an allmiilig warm gemachten Winterfroschen ausgefiihrt worden), wie z. B. die Sommerfrésche, auch der Rumpf in Bewegung gerathen konne. Zu Seite 62: bis 7 1. Es ist auf jenen Seiten die Locomotion als adiquate Bewegung des Hirncentrums bezeichnet worden, ohne damit indess ausschliessen zu wollen, dass es auch solchen Bewegungen vorstehen kénnte, die nicht Locomotion bezwecken, sondern Lageverainderungen einzelner Glied- maassen, wie z. B. Heben oder Senken eines Armes oder Beines u. a. Wir wollen solche Bewegungen der Kiirze halber Theilbewegungen nennen, insofern als dabei nur Theile des Kérpers bewegt werden, wihrend durch die Ortsbewegung der Kérper als Ganzes bewegt wird (weshalb sie nicht als Reflexbewegungen bezeichnet werden konnen, wird gleich einleuchten). Da ich dort das Gehirn nur als eine Erregungsquelle benutzt hatte, die auf gleiche Stufe mit irgend einem centripetalen Nerven gestellt wurde, so konnten alle Bewegungen, die nicht Ortsbewegungen waren, als einfache Reflexbewegungen aufgefasst und dem Riickenmarke zugeschrieben werden. Und dieses war geschehen, um der Complication zu entgehen, welche nothwendig mit der Einfiihrung des Grosshirns in seiner vollen Function verbun- den ist. Dieses Princip ist dort auch moglichst durchgefiihrt worden. Bei fortgesetzter Ueberlegung aber erscheint es mir nothwendig, um Missverstiindnisse zu vermeiden, noch den Fall zu behandeln, dass ein Individuum willkiirlich ohne nachweisbaren iusseren Reiz eine Theilbewegung ausfiihrt. Hierbei wird es sich zunaichst fragen, ob das Hirncentrum bei solchen Bewegungen als erste motorische Ganglien- station, vom Grosshirn aus betrachtet, fungirt oder ob directe Bahnen mit Umgehung des Hirncentrums zu den entsprechenden Centren des Riickenmarkes gehen und auf diese Weise die Theilbewegungen be- sorgen. Zwischen diesen beiden Moglichkeiten ist vorlaufig nicht zu Nachtrage. 145 entscheiden, aber das erstere erscheint mir wahrscheinlicher und viel- leicht sind sogar in der Wirbelthierreihe beide Schemata verwirklicht. Gehen jene Bahnen durch das Hirncentrum, so wird es bei will- kiirlicher Innervation der Bewegung niemals zu Stérungen zwischen Orts- und Theilbewegungen kommen und die obige Aufstellung wiirde dahin zu erweitern sein, dass die adiquate Bewegung des Hirncentrums in Locomotion und Theilbewegung, die des Riickenmarkes aber nur in Theilbewegung resp. Reflexbewegung besteht. ee creed ei eae ec toy Aaa ee DIE FUNCTIONEN CHENTRALNERVENSYSTEMS UND IHRE PEEy b@) Go NAS Il. * Y . a oes . Re a0 ; Narre Bra bab . : ; ; * te y i ee . = a os Sg s 7 . j Alle Rechte vorbehalten. a 4 = - es ‘ af ‘ ely: | t r ae fae j #0 . a A pie «+ a u if f ! * ae he na Meas "a i ivi : f @ A a na ) : ‘ nh aay it Us Ho 4 i nh ¢ ii pS . iy , . ue = es a ay a i 5 ae ' i? 4 i if fi i f va i j r