Ä e: b v 2 e Die Geschichte der Diphtherie. Mit besonderer Berücksichtigung der Immunitätslehre. Von Leipzig. Verlag von Georg Thieme. 1893. Fr R Av 30 163 843466 De ae ae Vorwort. = Die Diphtherie ist im Laufe der letzten 50 Jahre e ständige Krankheit der europäischen Länder ge- rden, und erfahrene Beobachter schliessen sich der Ansicht Zenoch's an, welcher es für unbestreitbar hält, er die Diphtherie sowohl in Bezug auf Frequenz, vie auf Malignität in einer fortwährenden Steigerung . griffen ist“. Ueber ihre Häufigkeit speciell im Kindesalter kann "sich ein ungefähres Bild aus folgenden Zahlen chen, die sich aus Angaben der Preussischen Statistik usrechnen lassen. Man kann danach annehmen, dass bei I0o000 im ten Jahre stehenden Kindern die allgemeine Sterb- keit den fünften Theil ausmacht; von 10000 ı bis ahre alten Kindern stirbt der 14. Theil, von 10000 — 3 Jahre alten der 25. Theil, von 10000 3—5 Jahre n der 40. Theil, von 10000 5—ı0 Jahre alten der Theil, von 10000 10—ı35 Jahre alten nur noch der Unter den Ursachen für die so hohe Sterblichkeit rsten Lebensjahre figuriren hauptsächlich „Krämpfe“, nächst „angeborene Lebensschwäche“, dann kommen trophie*“, „Keuchhusten“ und erst in fünfter Reihe phtherie und Croup“. Im 2. Lebensjahre stehen „die npfe“ noch obenan; die Diphtherie aber rückt an zweite Stelle, indem von den ı—2 Jahre alten, ins- IV gesammt sterbenden Kindern ihr etwa der 6. Theil zum ‘Opfer fällt. Vom 3. bis 5. Lebensjahre aber ist die Diphtherie die am meisten mörderische Krankheit; mehr als der vierte Theil der Todesfälle wird in diesem Alter durch sie verursacht; es sterben von 10000 2—3 Jahre alten Kindern rund 400, davon an Diphtherie allein über 100; an zweiter Stelle stehen „Krämpfe“ mit 47, dann Scharlach mit 44, dann kommt „Atrophie“ mit 32, Masern mit 24, Keuchhusten mit 23, Tuberculose mit ı3 u.s.w. Für die im 3. bis 5. Jahr stehenden Kinder, von welchen unter 10000 ca, 240.sterben, kommt aber auf die Diphtherie fast der dritte Theil der Sterbefälle (über 70); die anderen Krankheiten, wie Krämpfe (15), Atrophie (12), Keuchhusten (10), Tuberculose (7), treten da alle weit zurück; und Scharlach (35) und Masern (13), die jetzt ihre relativ höchste Frequenz haben, erreichen auch zusammen noch lange nicht die Mortalitätsziffer der Diphtherie. Auch vom 5. bis ro. Jahre dominirt noch die Diphtherie, wird dann aber in den späteren Lebensjahren immer weniger gefährlich.”) Wir sehen also, wie die Gefahr der Eltern, ihre Kinder bis zum Eintritt in die Schulzeit zu verlieren, vom dritten Jahre ab hauptsächlich durch die Diphtherie bedingt wird, und dass die Angst der Mütter vor dieser schrecklichen Krankheit nur zu sehr gerechtfertigt ist. Sind es doch gerade die Jahre des kindlichen Lebens, in denen das erwachende Geistesleben anfängt, am meisten den Angehörigen Freude zu machen, in denen die Sorge um den Verlust durch Ernährungsstörungen mehr und mehr zurücktritt und die Hülflosigkeit der Kleinen gerade einem frischen fröhlichen Gedeihen und ») S. A. Gärtner, Ueber die Erblichkeit der Tuberculose S, 148 und ı49 (Zeitschr. f. Hyg. u. Inf. K. Bd. XIII. 1893). V der schönsten Bethätigung der körperlichen und psy- chischen Functionen Platz gemacht hat! Es wird nur nöthig sein, den Beweis zu liefern, “dass wir nicht rathlos und mittellos der Diphtherie gegenüber stehen, sowohl was ihre Heilung betrifft, wie ihre Verhütung, um in den weitesten Kreisen Unter- stützung zu finden für das Bestreben, derselben Herr _ zu werden und sie zu einer ebenso seltenen Todes- ursache werden zu lassen, wie das schon jetzt für die Pocken erreicht ist. Dieser Beweis aber #%a»r, wie ich muthig behaupten > darf, geliefert werden. 5 Die Diphtherie ist eine vermeidbare Krankheit. Bretonneau, dessen Leistungen bei der Darstellung der Geschichte der Diphtherie uns noch eingehend be- schäftigen werden, hat das schon erkannt, und in seiner "Publication aus dem Jahre 1855, von der ich die Ein- E. _ leitung dieser meiner Arbeit vorangestellt habe, hat er in beredten Worten seiner Ueberzeugung Ausdruck ge- geben. :) En Wir haben gegenwärtig aber ein viel grösseres Recht, als Bretonneau, darauf zu hoffen, dass die Diphtherie | zu einer ungefährlichen Krankheit gemacht wird, nach- dem wir in dem Blutserum diphtherieimmunisirter Thiere ein Mittel besitzen, mit Hülfe dessen wir im ‚Stande sind, noch viel einfacher, sicherer und in weniger bedenkenerregender Weise einen individuellen Krankheits- schutz gegenüber der Diphtherie den Kindern zu ge- währen, als das für die Pocken der Fall ist. Es war ursprünglich meine Absicht, die Auseinander- setzungen über diesen Gegenstand mit der Mittheilung ') Im Text ist fälschlich die Jahreszahl 885 statt 7855 stehen geblieben. VI meiner experimentellen Ergebnisse zu beginnen, die bei meinen blutserumtherapeutischen Arbeiten der letzten Jahre gewonnen sind. Ich halte es jedoch für zweckmässiger, denselben einen geschichtlichen Ueberblick über die Entwicklung der Lehre von der Diphtherie vorauszuschicken, um später es nicht nöthig zu haben, immer von Neuem gegen Vorurtheile und falsche Anschauungen ankämpfen zu müssen, die in sich selbst zusammenfallen, wenn man die Geschichte der Diphtherie kennen gelernt hat. Sollte der Leser finden, dass die Litteratur in einiger Vollständigkeit auf Grund des Studiums der Original- arbeiten von mir berücksichtigt ist, dann will ich nicht verschweigen, dass mir die Einsicht in dieselben ver- hältnissmässig leicht gemacht worden ist. u Der Geh. Med.-Rath Prof. G. Zewin hat mit einer Sorgfalt die Arbeiten über Diphtherie, Croup und Angina, welche seit Dreionneau veröffentlicht sind, in seiner Bibliothek gesammelt und geordnet, die kaum eine ge- legentliche Mittheilung in medicinischen und politischen Zeitungen sich’ entgehen liess, wenn sie des Aufhebens werth war; deutsche und französische Dissertationen sind von ihm in unübersehbarer Fülle gesammelt. Von wichtigeren Monographien aber dürfte ihm kaum eine entgangen sein. Alle seine im Laufe von über 40 Jahren mühsam gesammelten Bücher und Aufsätze standen mir durch das Entgegenkommen des Geh. Rath Zewi» zur Ver- fügung. : Ich verfehle nicht, dafür auch an dieser Stelle ihm meinen Dank abzustatten. Inhaltsangabe. Brief an die Herren Blache und P. Guersant. Von stonneau (1855) . - ee sch-kritische Uebersicht über die epidemiologischen, hen und pathologisch-anatomischen Beobachtungen D e Geschichte der ätiologischen Untersuchungen. . . . ch-kritische Uebersicht über die klinischen Beob- n und experimentellen Untersuchungen betreffend u . . . . . - . . . . er . . . . . 2 1 und Classificirung der bisher bekannt gegebenen oden der Diphtherie-Immunisirung . . . ... . über, der Diphtherie sich vollzieht . . . . . . . _Diphthericheilserum und seine Eigenschaften. . . . Heilung und Verhütung der Diphtherie . . . .. . . 35 57 Diphtherie. & 5 : Ri - EB: N ou ‚088 7, alla En EREN a u rk a he ln a a Ka DE u 3 r, Offener Brief an die Herren Blache und P. Guersant. Von P. Bretonneau (Arch. gener. 1885 Januar-Heft). „Seitdem die Diphtherie mehr und mehr endemisch in Paris geworden ist, hat man nicht wenige Fälle von sehr schnell verlaufenden diphtherischen Infectionen zu beklagen gehabt, welche ohne Larynxstenose tödtlich endeten. Es sind jetzt 34 Jahre her, dass die „maligne An- gina“ (zur Gangrän neigende Form der Rachendiphtherie) nach Tours eingeschleppt durch die Vendee-Legion, dort in wenigen Monaten 60 Personen von jedem Lebens- alter, besonders aber viele Kinder dahinraffte. Ange- trieben durch das mächtige Interesse, welches solche unerwarteten schlimmen Ereignisse hervorrufen, und durch den Wunsch, einen besseren Einblick in dieselben zu bekommen, nachdem ich sie zuerst nur unvollkommen 3 und flüchtig erschaut, getrieben ferner durch eine Wiss- begierde, die mir keine Ruhe liess, machte ich mich ‘ daran, auf’s eifrigste die periodischen Zeitschriften Frankreichs und Englands zu lesen, sowie allerlei alte Bücher, die ich mir kaufte und lieh, und endlich alles, E- was überhaupt über das Auftreten dieser schrecklichen - Geissel des Menschengeschlechtes bis in die fernst ge- _ legenen Jahrhunderte geschrieben war. —- 4 — ; Aber ich muss gestehen, dass in meiner umfang- reichen Sammlung alter Bücher Originalarbeiten nicht übermässig zahlreich waren; Bücherschreiber haben wenig Geschmack an Specialarbeiten, und es kommt ihnen mehr auf das Wahrscheinliche an als auf das Wahre. Indessen soviel ging doch aus meinen Studien schon hervor, dass die ägyptische Krankheit (Dreionneau's „Diphtheritis“) jedes Mal, so oft sie irgendwo auftrat, die Bevölkerung und die Aerzte in Schrecken versetzte, alle Betroffenen tödtete, bis die therapeutischen Maass- nahmen des Aretaeus, die aber immer wieder vergessen wurden, mit grösserem oder geringerem Geschick zur erneuten Anwendung gelangten. Sicherlich wird durch Augenzeugen der fürchter- lichen Epidemieen des ı6. Jahrhunderts, welche von Spanien und Sicilien aus unseren Erdtheil überflutheten und später in Amerika anlangten, wo auch Washington am Croup gestorben ist, eine Schilderung dieser schrecken- verbreitenden Krankheitszüge entworfen sein, und ohne Zweifel liegen Beschreibungen dieser Epidemieen ver- gessen irgendwo in einem verborgenen Winkel. Aber nur bei Leuten, die selber mit Aufmerksamkeit eine gleiche Sache verfolgen, findet die achtsame Beobachtung Anderer einen Widerhall, und wo giebt's jetzt wohl Interesse und Verständniss dafür? Sicher nicht bei uns, wo allerlei verderbenbringende Uebel die volkreichen Städte verwüsten und die Aufmerksamkeit von jenen Zeiten ablenken. Indem ich nun Sie, mein lieber Zache, Sie und die Ihrigen im Auge habe, welche den Gefahren heim- tückischer Ansteckung ausgesetzt sind, einer Ansteckung, die entweder überhaupt geleugnet oder nicht richtig verstanden wird, fühle ich das Bedürfniss, die Vorsichts- maassregeln Ihnen mitzutheilen, die ich am meisten wirksam gefunden habe. Day TORE) u ut a el 5 = Ich will Ihnen-meine Ueberzeugungen nicht auf- drängen, aber wenigstens den Versuch will ich machen, ob Sie sich denselben anschliessen wollen. Leider geht’s uns hier, wie auch in anderen Dingen, in welchen die mit Vorurtheilen erfüllte Zeit im Wider- streit mit der Wahrheit und Wirklichkeit steht: 4427 allen Mitteln sucht man den Glauben an die Uebertrag- barkeit der Krankheit den Leuten zu rauben. Wenn ich auf diesen Puukt eingehe, so will ich für meine Ueberzeugung von dem. Vorhandensein einer solchen nicht auf Deductionen mich einlassen, sondern Thatsachen anführen; und das wird mir besser gelingen, wenn ich von der Uebertragbarkeit der Pocken aus- gehe, bei welcher Infectionskrankheit das Studium der Contagiosität weiter vorgeschritten ist, als bei der Diphtherie. Die Impfung gegen die Pocken, welche in der Mitte des ı8. Jahrhunderts aus dem Orient bei uns eingeführt wurde, ist bald in mehreren Staaten Europas, besonders aber in England, allgemeiner angewendet worden und gab die Veranlassung zu Jenner's Entdeckung. Die Pockenimpfung wird danach zu einer Modesache und erregt als solche allgemeine Aufmerksamkeit. Verschie- dene Arten der Ueberimpfung werden gerühmt, studirt, verglichen, angenommen, verworfen; aber nur in ge- ringem Grade dient die Wirklichkeit als Führer für das Vorgehen der einzelnen Aerzte. Meist werden die Bedingungen für die‘ Uebertrag- ‚barkeit schlecht verstanden; es werden Impfungen von Arm zu ‚Arm, Pockenübertragung durch Zusammen- liegen Gesunder mit Pockenkranken in einem Bett vor- genommen, während andere Aerzte die auf Pocken- pusteln sich bildenden trockenen Krusten zerreiben und ‚damit die Kinder bepudern, nachdem sie für die Haft- barkeit des Infectionsstoffes in geeigneter Weise vor- bereitet sind. rn Vielfach glaubte man in jener Zeit an spontan autf- tretende Pocken, und dieser Glaube ist noch immer nicht vollständig ausgelöscht. Man glaubte auch an einen Krankheitskeim, welchen schon bei der Geburt der später krank werdende Mensch mitbekomme. (Solch’ ein Keim müsste sich dann Zeit lassen, bevor er sich entwickelt und .in Action . tritt!) Man nahm an, dass der Ausbruch der Pocken ein Reinigungsprocess sei (Despumation), welcher von Zeit zu Zeit zum Wohle des Individuums sich vollziehe. Ja. man hat sich mit der Meinung des arabischen Arztes AAasez befreundet, nach welchem das noch mit dem Menstrualblut behaftete Kind einer solchen Reinigung bedürfe. Heutzutage, nach all’ diesen scholastischen und akademischen Hirngespinnsten, wird die Contagiosität der Pocken kaum mehr angezweifelt. Jetzt weiss man, dass die Pocken, wie so viele andere epidemische Krank- heiten, sich nur durch Uebertragung fortpflanzen, mögen sie nun sporadisch auftreten oder eine ganze Bevölkerung ergreifen; und man weiss, dass die Uebertragbarkeit . so gross ist, dass sie auf Pistolenschussweite sich noch vollziehen kann. Seitdem durch die Schutzpocken- impfung das ungehinderte Umsichgreifen der Pocken verhindert ist, konnte diese Thatsache in unzählig vielen Fällen so sicher wie in einem Experiment, dessen Be- weiskraft den strengsten Anforderungen genügt, con- statirt werden; man weiss, dass Leute, die an einem genau bekannten, isolirten Pockeninfectionsherde sich ansteckten, von der gleichen Krankheit nach einem In- cubationsstadium von bestimmter Dauer befallen wurden; das kann Jeder erkennen, der überhaupt im Stande ist, zu beobachten. Darauf beschränkt sich aber nicht die Ansteckungs- kraft des Pockeninfectionsstoffes. Er kann im Uterus einer schwangeren Frau, die während ihrer Schwanger- _ —— F mL x _ schaft sich viel mit Pockenkranken abgegeben hat, ‚ohne selber pockenkrank zu werden, den Fötus befallen. Wie geht hier die rtragung vor sich’? Je mehr man sich in die Entstehungsbedingungen einer Ansteckung vertieft, um so dunkler wird das Problem. Hier muss das ansteekende Princip doch in der Luft vorhanden gewesen, es muss in der Luft fein vertheilt und in Folge dieser feinen Vertheilung abgeschwächt (attenue) worben sein, dann muss es die verschiedenen Gewebsschichten passirt haben und ist in dem Gewebe dem dort statt- habenden Stoffwechsel und im Respirationsapparat der Bluteinwirkung unterworfen gewesen. Trotzdem, durch nichts wurde es aufgehalten, durch nichts unwirksam gemacht; es kam schliesslich doch zur Wirkung. Ob-» wohl der Fötus eine ganz andere Art der Circulation _ besitzt, als der mütterliche Organismus, obwohl er nur in der Anlage die Merkmale des Säugethiertypus zeigt, nicht athmet und eigentlich nur wie ein Fisch lebt, schwimmend in der Amniosflüssigkeit, ist doch das Virus bis zu ihm durchgedrungen. Zwei Fälle von Pocken beim Fötus, ohne Erkran- kung der Mutter, sind sehr sorgfältig beobachtet von Mead, drei andere durch das Impfcomite in Paris (Se- cretär Zusson), ein sechster Fall wiederholte sich im Jahre 1827 in 7ours: Eine arme Frau kam rechtzeitig nieder mit einem Knaben; das Gesicht und die übrige Körperoberfläche waren besät mit Pockenpusteln, die eine dem vierten Tage der Entwicklung entsprechende Aus- bildung zeigten; unter meinen Augen schritt die Ent- wicklung weiter vor und vollzog sich in typischer Weise. Auf’s sorgfältigste untersuchte ich die Pusteln; sie zeigten alle Charaktere der Hautpocken, trotzdem die Haut zur Zeit des Entstehens derselben von einer Flüssigkeit um- spült war; die Pusteln sprangen hervor (etaient saillantes) und zeigten deutliche Convexität (bombees et non ni- I .R vellees), wie das der Fall ist bei solchen Pusteln, die sich auf den Schleimhäuten entwickeln. Der Knabe wuchs heran und dient jetzt bein Militär. Ich habe, um von der Contägiosität der DzröAhtherie zu reden, weit ausgeholt, aber die bei der alten egy?- tischen Infectionskrankheit (Diphtherie) zu beobachtenden Thatsachen sind so eigenartig und seltsam, dass zur Vermehrung ihrer Glaubwürdigkeit es vielleicht ganz. gut sein dürfte, dass man beglaubigte Beispiele von unerklärlichen‘) Thatsachen (prodiges) bei einer anderen Infectionskrankheit vor Augen hat. Das Pockenvirus kann durch die Luft transportirt werden; aber wir müssen weiter hinzufügen, dass ihm ‚auch ein anderer und weit greifbarerer Uebertragungs- modus zukommt, nämlich durch den getrockneten Pustel- inhalt, dessen Ansteckungsfähigkeit sich ausserordentlich lange erhält. 77ssoz konnte sich für seine Impfungen mit Erfolg eines Fadens bedienen, den er mit Variola- eiter imprägnirt hatte, indem er ihn durch eine Pustel hindurchzog, und welchen er drei Monate lang ohne besondere Cautelen in einem Buche aufbewahrt hatte. Die Abnahme von Pusteleiter Seitens der Impfärzte hat ı) Bei dem heutigen Stande unserer Kenntnisse sind die oben von Breionneau berichteten Thatsachen, betreffend das Befallenwerden des Fötus von Pocken, ohne dass die Mutter an den Pocken erkrankt» nicht mehr ganz unerklärlich. Wir wissen, dass unter Umständen ein Individuum Immunität gegen sehr gefährliche Infectionskrankheiten er- langen kann, und dass die Immunität dann bedingt wird durch eine specifisch-chemische Veränderung des Blutes. Gerade die besonderen Verhältnisse der Blutcirculation des Fötus, auf welche Brelonneau hinweist, und die besonderen, vom Organismus der Mutter verschie- denen individuellen Eigenschaften des Fötus, die eine grössere Em- pfänglichkeit desselben für die Pockenerkrankung bedingen, machen es uns verständlich, dass das Pockenvirus die Blutbahn des mütter- lichen Organismus passiren kann, ohne an denselben deutliche Krank- heitserscheinungen hervorzurufen, während der weniger widerstands- fähige, d. h. leichter empfängliche fötale Organismus mit typischem Kranksein auf das Virus reagirt. — 9 nie gleichfalls in zahllosen Fällen die grosse Haltbarkeit „der ansteckenden Kraft von Pusteleiter bei der Con- _ servirung bewiesen. ; ' Wenn ich dies besonders betone, so geschieht das deswegen, weil gerade diese Art der Pockenübertragung es 252, die für die Uebertragung der Diphtherie in Frage kommt; denn die Uebertragung durch die Luft kommt dei der Diphtherie nicht vor. Unzählige Fälle sprechen dafür, dass Krankenpfleger - keine Diphtherie bekommen, ausser wenn Absonderungs- producte von Diphtheriekranken in directen Contact mit _ ihrer Schleimhaut in succulentem oder succulent gewor - denem Zustande (membrane muqueuse molle ou amollie) gelangt oder mit der äusseren Haut an einer von der Epidermis entblössten Stelle. Kurz zur Uebertragung der egyptischen Krankheit bedarf es einer wirklichen Einimpfung. Seit dem Jahre 1818 beweisen die in dem Departement d’Indre-et-Loire entstandenen Epidemieen ‚auf's deutlichste, dass die atmosphärische Luft »zcht ‚eine Diphtherieinfection vermitteln kann. Durchaus einwandsfreie und beweisende Thatsachen sind in dieser Richtung durch sorgfältige Beobachtung gesammelt und der Wissenschaft überliefert an sehr kleinen Ortschaften. _ Die Beobachter konnten hier jede Einzelheit notiren, - den Tag, ja die Stunde der Einschleppung der Krank- heit, ihren Sitz, ihr Uebergreifen von einer Familie auf - die andere, die Bedingungen, unter welchen die Weiter- _ wanderung sich vollzog, ihre Uebertragung auf einzelne _ Häusergruppen (hameaux) und andere Ortschaften, unter Angabe der Entfernungen und der Jahreszeiten, in denen - all’ das eintrat. In dieser Beziehung verdanke ich be- - sonders dem Dr. Henr: Brault, Arzt in Beaumont-la- Ronce, zahlreiche und sehr werthvolle Beobachtungen. _ Ich würde allenfalls noch einen Zweifel an meiner Beob- E achtung für berechtigt halten, wenn die dieselbe be- _ weisenden Daten nur ‚von ezzem' Beobachter und an einem Orte herrührten; aber 35 Jahre lang haben sich die gleichen Thatsachen immer wiederholt, und zwar an einer sehr grossen Zahl von Orten, und stets in Uebereinstimmung mit denen, die uns aus vergangenen Jahrhunderten überliefert sind. Ist einmal das Diphtherievirus darauf angewiesen, durch Zrocwlatron die Krankheit zu erzeugen, so fragt es sich, welches der nähere Vorgang dabei ist, und wenn wir da den Uebertragungsmodus verfolgen, so sehen wir, dass derselbe noch viel mehr Verwunder- liches hat, als der der Pocken. Einerseits ist er ähnlich dem der Syphilis; und zwar sind ‘die Beziehungen der egyptischen Krankheit (syri- schen, Diphtherie) und der neapolitanischen (Syphilis) unter einander so innig, dass bei einer Classification diese beiden Krankheiten in einer Reihe stehen müssten. Aretaeus freilich konnte solche Analogien noch nicht aufstellen, da die Syphilis zu seiner Zeit noch unbe- kannt war; aber im ı6. Jahrhundert hat ein palermi- tanischer Arzt, Alayma, dieselbe sehr wohl erkannt, wenn er sagt: „Ita dum Egyptiaca ulcera dicimus, varios modos, quibus hic morbus humanum genus insultat, unico verbo explicamus.“ „JAJegyplische Geschwüre” nennt Alayma die diphtherischen Erkrankungen, weil diese Bezeichnungsweise alle verschiedenen Formen der Krank- heit umfasse, wze der Ausdruck “le mal francais“ alle verschiedenen Erscheinungsformen der Syphilis bezeichne. Ein ähnlicher Grund, wie derjenige, von welchem Alayma bei seiner Namengebung geleitet wurde, hat mich veranlasst, den verschiedenen Formen der egypti- schen »oder diphtherischen Infection die Bezeichnung „Diphtheritıs“ zu geben. Vielleicht hätte ich besser ge- than, den alten Namen beizubehalten, aber ich wollte mit diesem besonderen Namen die Abtrennung einer specifischen Phlegmasie von anderen ähnlichen Krank- heitsformen erreichen. Wenn ıch nun jedoch sehe, wie E meine Bezeichnung toto die in einem Sinne gebraucht wird, der das gerade Gegentheil 2st von dem von mir diesem Krankheisnamen beigelegten, dann muss ich schliesslich nun doch eingestehen, dass ich ein Unrecht begangen habe. Durch die Aehnlichkeit, welche zwischen Diphtherie und Syphilis besteht, sind mancherlei folgenschwere Täuschungen hervorgerufen worden; so haben 7yrozsseau und Ramon in der Epidemie von Sologne Fälle gesam- melt, in welchen Fälle von Diphtherie der Vulva und - der äusseren Haut verkannt und tödtlich verlaufen sind. Ich möchte noch hinzufügen, dass das Epitheton „egyPplisch”, welches ganz alt sein muss, von practischer Bedeutung ist. Für die alten Griechen bezeichnete es die Gegend, aus welcher die Krankheit zu ihnen ge- langt war; solche von bestimmten Ländern hergenom- menen Bezeichnungen, wie Cholera aszatzca, egyptische Augenkrankheit, orientalische Pest, französische oder neapohlanıische Krankheit, zeigen an, dass die Krank- heit einen exotischen Ursprung hat, und in der Gegend, in welcher sie den Namen bekam, ursprünglich unbe- kannt war. Ich kann nur immer wiederholen, dass solche Krankheiten eingeschleppt sein müssen durch kranke Individuen oder durch Gegenstände, die mit dem E contagiösen Princip behaftet sind. Ja, und tausendmal ja, das allein ist die Wahrheit; von dort, von Aegypten ist die Diphtherie gekommen, bis sie schliesslich bei _ uns anlangte vermöge ihrer Contagiosität, die einzig und allein die Entstehung vermittelt; denn es ist schon _ zum Ueberfluss erwiesen, wie weder die Temperatur, - noch die Jahreszeit, noch das Klima, noch die Sonnen- = wärme anders für die Entstehung eine Rolle spielen, als durchaus eine solche von untergeordneter Bedeutung, _ und dass alle diese Momente zusammengenommen nie _ und nimmer die geheimnissvollen Wirkungen des con- tagiösen Agens zu erzeugen im Stande sind. « Man wird vergeblich es immer wieder zu leugnen unternehmen, dass die Uebertragung durch Ansteckung (contagion) die Ursache der meisten Epidemieen ist; das ist die Art, wie diese Geisseln die Menschheit peinigen, nur gradweise verschieden treffend die verschiedenen Menschenragen, weisse, rothe und schwarze; ja die so- gar manche Thierarten ergreifen, wenn sie 2» Haufen zusammenleben. In der That, es war zu einer Zeit, wo das Wort Jornog mit Pest, Contagion, und contagiösem Agens gleichbedeutend war, als die Diphtherie nach Griechen- land durch die egyptischen Colonisten eingeschleppt wurde und den Namen egyZtsche Krankheit bekam, eine Zeit, die dem Zomer noch näher lag als dem Hippokrates, und bis zu dieser Zeit ist zurückzudatiren die Bezeichnung „Aegyptische Salbe* —= mel cupratum; die Auflösung von Kupfer in Honig ist ein antidiph- therisches Mittel von hohem Werth, welches Zezxze noch in der Pharmacopie enthalten ist und seit Jahrhunderten in derselben den Namen „Unguentum egyptiacum“ trägt. Sie sehen, meine lieben Freunde, bis zu welchem Grade die medicinische Kunst noch in den Windeln liegt (reste emmailloteE). Da haben wir seit undenk- lichen Zeiten ein Mittel für eine tödtliche Krankheit. Was hat uns das genützt? Hat man das Mittel benützt, um das Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten? Der Nasze des Mittels ist noch übrig; seine Anwendung aber ist vergessen worden. Zehn Jahrhunderte später hat uns der grosse Arzt Aretaeus ein noch reicheres Geschenk hinterlassen, er der Zeitgenosse des Galen, aber in höherem Grade noch als dieser der Nachfolger des gottbegnadeten Arztes Zrppocrates. Sein hinterlassenes Werk ist ver- stümmelt, aber was wir von ihm (Areiaeus) besitzen, ist noch heute ein treues Gemälde unserer Krankheiten. ae Eins der schönsten Blätter aber ist die bewunderungs- würdige Beschreibung, welche er von der egyptischen | Krankheit gegeben hat, von welcher an einer anderen Stelle er auch die kunstgemässe Behandlung schildert. 5 | Bis zur Erfindung der Buchdruckerkunst befand | sich das werthvolle Manuscript nur in den Händen der | Sprachforscher; aber lange Zeit schon vor den Epi- | demieen des ı7.. Jahrhunderts sind mehrere Ueber- / setzungen veröffentlicht worden. & "Ich komme jetzt zu einer Zeit, die uns näher liegt 2 (1809— 15). Im Beginn dieser Zeit war während der e- Dauer von mehreren Monaten die Königin Hortense von einer Gengrvitis diphtheritica. ergriffen, ohne dass eine Behandlung den Fortschritt des Uebels aufgehalten hätte; da starb ihr ältester Sohn an Kehlkopfdiphtherie. Später starb ihre Mutter, die Kaiserin Josephine in einem Croupanfall, nachdem sie mehrere Tage vorher von einer diphtherischen Pharynx - Angina ergriffen war, ohne dass ein Arzt versucht hätte, die Krankheit in diesem Stadium zum Stillstand zu bringen.') 0 Unvergessen ist noch die berühmte Preisaufgabe, welche der Kaiser Mafoleon beim Tode des Prinzen, seines Neffen, stellte und unvergessen noch, wie der Preis getheilt- wurde zwischen Jwrrne aus Genf und Albers aus Bremen, welche Autoren beide überein- _ stimmend versichern, dass die Angina (maligna) diph- - theritica und der Larynxcroup ganz verschiedene Dinge seien. 5 Doch das mögen dieselben mit sich selber aus- machen. Das ist nun einmal so mit den wissenschaft- 2) Hier ist zu erwähnen, dass Brefonneau durch seine Erfolge ‚in den verschiedensten Epidemieen sich zu der Ansicht. berechtigt glaubt, dass er bei rechtzeitiger Anwendung kunstgemässer Medica- tion den Diphtherietod, besonders bei Erwachsenen, verhüten und den Fortschritt der Erkrankung durch locale Behandlung aufzuhalten im Stande sei. — 14 — lichen Lehrmeinungen (nämlich, dass sie immer das Un- glück haben, am Richtigen und Wahren vorbeizugehen); aber ich habe die feste Ueberzeugung, dass sowohl die Kaiserin sich ihre Diphtherie, wie ihr Neffe seinen Croup von der Königin Zoriense geholt haben; und diese war doch zu jener Zeit auf’s sorgfältigste ärztlich beobachtet. Der grosse Heilkünstler Corvisar? war da und viele hervorragende Vertreter unseres Standes, sowie die Chefärzte der in Paris vereinigten Armeen. Das ist eine Sache, meine Freunde, welche mich wenig hoffen lässt von weiteren Fortschritteu der inneren Medicin, die von der Chirurgie weit überholt ist.“ Bretonneau fährt in seinem Expose€ über die ver- schiedenen Arten der Diphtherieansteckung weiter fort und führt zahlreiche Beispiele an, welche unwiderleglich ihre Contagiosität beweisen. Er citirt (S. 9) das bekannte Beispiel der An- steckung des Professor Zerpin, welcher im Jahre 1843 von einem diphtherischen Kinde, während er es cau- terisirte, in der Weise inficirt wurde, dass etwas vom Auswurf des Kindes ihm in die linke Nasenöffnung durch heftiges Aushusten hineingeschleudert wurde, und der dann nicht bloss eine richtige Diphtherie der Nase und des Rachens bekam, sondern auch ganz merk- würdige Gesichts-Motilitäts- und Sensibilitätsstörungen, Gaumenlähmung u. s. w. Dretonneau hat die Kranken- geschichte nach dem Dictat von Prof. Zerßin zu Leb- zeiten desselben niedergeschrieben. Zerp?n ist elend an den Lähmungen zu Grunde gegangen. Auf weitere Einzelheiten werde ich noch in der historisch-kritischen Uebersicht einzugehen haben. ke en nn en re er “ z De ; I. Historisch-kritische Uebersicht über die : epidemiologischen, klinischen und pathologisch- anatomischen Beobachtungen. Die vielgestaltigen Krankheitsformen, welche beim Menschen durch die Invasion der Diphtheriebacillen er- zeugt werden können, sind als zusammengehörig erkannt und auf eine einzige Art der Infection zurückgeführt worden durch Dreionneau aus Tours, welcher im Jahre ı821ı das von ihm entworfene Krankheitsbild der Diph- therie in zwei Denkschriften schilderte, die in der Academie royale de medecine (Paris) vorgelesen und dann (1826) zusammen mit einer grösseren Zahl anderer Arbeiten als 7Trazie de la diphtherite unter folgendem ‚ausführlicheren Titel veröffentlicht wurden: „Des inflammations speciales du tissu muqueux et en particulier de la diphtherite ou inflammation pelliculaire, connue sous le nom de croup d’angine maligne, d’angine gangreneuse etc.“ Par ?. Bre- Zonneau, medecin en chef de I’höpital de Tours. (Chez Crevot, Paris.) Motto: Few men even those of considerable capacity distinguish accurately between opinion and fact. M. Moore. In diesem Buch erweist sich BZreionneau als medi- ‚einischer Klassiker ersten Ranges. Trotz des ungemein - reichen Inhalts an vorher unbekannten, erst durch ihn % Ben selbst aufgedeckten Thatsachen, trotz der zahlreichen, von aller landläufigen Meinung abweichenden An- schauungen, die seinen Zeitgenossen so kühn und ge- wagt erschienen, dass selbst der weitblickende Zaönmee erklärte, Dreionneau nicht folgen zu können, werden wir heute kaum einen Satz in dem ganzen 540 Seiten starken Buche finden, dessen Lectüre uns ein Recht zu dem Gefühl der Ueberlegenheit geben könnte, mit welchem . wir heutzutage nur zu leicht geneigt sind, medicinische und namentlich medicinisch-theoretische Bücher aus früherer Zeit nach flüchtigem Einblick bei Seite zu legen. Ich sage nicht zu viel mit der Behauptung, dass von Anfang bis zu Ende der Inhalt dieses traite de la diphtherite noch ac/welle Bedeutung für uns hat. Die schwierigsten Probleme, betreffend das Zustandekommen der Diphtherie, ihre Uebertragung von einem Individuum auf das andere, ihre Entstehung bei vielen Individuen gleichzeitig aus gemeinsamer Infectionsquelle, die Ur- sachen des Aufhörens und des Wiederkehrens der Epi- demieen, die über das gewöhnliche Maass verringerte und vermehrte Empfänglichkeit, die Heilung und die Immunisirung —, werden von Dreionneau nicht bloss gestreift, sondern scharf erfasst und in einem Sinne zu lösen gesucht, der fast überall das Richtige trifft, unter allen Umständen aber auch heute noch unsere Bewun- derung seiner kritischen Schärfe hervorruft. Mit unbegründeten Hypothesen und Speculationen geht Dreionneau mitleidslos um, wo er sie überhaupt einer Besprechung würdigt. Ein Beispiel dafür mag hier citirt sein, welches geeignet ist, die Abneigung unseres Autors gegen Gedankenspielerei und solche geistreiche Hypothesen zu illustriren, die nicht durch Thatsachen gestützt sind. Fvancıscus Nola, ein italienischer Arzt, der zu An- fang des ı7. Jahrhunderts lebte und eine gute Be- schreibung einer von ihm beobachteten epidemisch auf- tretenden Krankheit lieferte, die aus seiner Schilderung ganz sicher als Diphtherie erkannt werden kann, stellte in seiner diesbezüglichen Abhandlung auch eine Theorie ‚der Verbreitungsweise der Krankheit auf. Nach No/a ist der „morbus strangulatorius“ zweifellos eine In- fectionskrankheit. Wenn aber weiter entschieden werden soll, ob sie von Person zu Person übertragen wird, oder ob ..der Krankheitsstoff anderswoher komme, dann ist dieser morbus nach ihm nicht contagiös, sondern, wie man in späterer Zeit sich ausgedrückt haben würde, miasmatisch, und zwar sollten es nach NoJa Boden- _ exhalationen sein, welche die Krankheit verursachen. Der Krankheitsstoff erfahre im Boden auch eine Ver- _ änderung, eine Art Reifung; erst erkrankten daran _ bloss Thiere, dann Kinder, später auch erwachsene "Menschen. „La premiere annee (citirt Bretonneau), ces exhalaisons ont occasione une epizootie, en affectant dabord les animaux quils se tiennent le museau plus _ rapproche de terre: dans les annees suivantes les enfants _ en furent atteints, et enfin les adultes.“ Man sollte glauben, dass diese „Bodentheorie“, welche ja im Wesentlichen mit denselben Begriffen operirt, die noch bis in die neueste Zeit den Hygienikern zu schaffen machen, in Anbetracht des Umstandes, dass sie von Nola originaliter aufgestellt war, einige Aner- = kennung verdiene; und etwas derart lässt denn auch 2re- tonneau darüber vernehmen, wenn er sagt: „Il n’est pas sans interet d’entendre, sur les m&mes faits, observes _ dans les m&mes lieux et ä la m&me &poque, un homme qui parait assez dispos€ ä se mettre en opposition avec ‚les idees recues.“ Im Uebrigen aber erklärt er No/a für einen Autor, der durch solche Betrachtungen zeige, dass er noch nicht aus dem Stadium der schriftstelle- rischen Lehrjahre heraus sei; die Meinung, dass die Thiere eher erkranken als die Menschen, hält er für „puerile“ und „paradoxale“ und bedauert dann schliess- Behring, Die Diphtherie, 2 Ba lich, dass Mo/a nicht, statt Phantasiegemälde zu liefern, die Thierkrankheit, von der er spricht, ordentlich beschreibt. „/Nola aurait pu enrichir la science de faits precieux, sil eüt mieux observe l’Epizootie dont il parle; mais il la decrit plus en poete qu’en medecin et on ne peut y entrevoir qu’une analogie fort douteuse avec l’affection epidemique.* Sehr wenig rücksichtsvoll ist Arefonneau auch gegen solche Autoren, die durch die Macht ihres Namens und durch die Sicherheit, mit welcher sie ihre Meinung vor- bringen, die anderen Aerzte auf einen falschen Weg locken. Ein Beispiel hierfür giebt Zome ab, ein schottischer Arzt, dem es zu verdanken ist, dass alle Welt noch bis heute eine bestimmte Krankheitsform der Diphtherie als „Croup“ bezeichnet. Home's berühmte Abhandlung aus dem Jahre 1765 „Ueber die Natur, Ursache und Heilung des Croup* existirt auch in deutscher Uebersetzung (von Mohr, er- schienen in Dremen bei Joh. G. Heyse 1809); sie hatte die Wirkung, dass’ die in der ersten Hälfte des 18. Jahr- hunderts namentlich durch G%zs2 (1740) gewonnene Er- kenntniss von der Zusammengehörigkeit der Rachen- diphtherie mit der Larynx-, Tracheal- und Bronchial- diphtherie wieder verloren ging, — ein Ereigniss, das freilich in unserer Zeit nochmals eingetreten ist, trotz der epochemachenden Arbeiten Dreionneau's. Home hatte sich die Aufgabe gestellt, „zu zeigen . (Uebersetzung S. 6), wie man die Krankheit von anderen unterscheidet, wie man ihre Natur entdeckt; wie man die Fälle bestimmt, wo sie heilbar und nicht heilbar ist, und wie man die bisherige Heilung in ihren ver- zweifeltsten Fällen vielleicht verbessern könne“. Er fügt hier hinzu: „Der erste Schriftsteller von einer Krankheit zu sein, keinen Beistand von vorhergegangener Erfahrung zu haben, ist ‘in diesen neueren Zeiten eine etwas ungewöhnliche Lage“. - . — Am Schlusse seiner 66 Seiten umfassenden Abhand- lung, die ı2 Krankengeschichten enthält, davon mehrere mit Sectionsbefunden , welche durch einen Wundarzt _ (Wood) aufgenommen wurden und meist sich auf die e Eröffnung des Kehlkopfes und der grösseren Luftröhren- _ äste beschränkte, sagt #ome (Uebers. S. 66): „Wir haben nun unsere Untersuchung zu Ende gebracht. Wir hoffen, dass die Thatsachen auserlesen, genau und zahlreich genug sein werden; dass der Vortrag so wird ‘befunden werden, als er in der Mathematik und Natur- lehre zur Entdeckung unbekannter Wahrheiten ge- bräuchlich ist, und dass die Schlüsse neu, überraschend und von den Thatsachen hergeleitet sein werden u. s. w.“ - Nun geht die Zosme’sche Abhandlung in ihrer Durch- arbeitung kaum über dasjenige hinaus, was wir heutzu- tage als „vorläufige Mittheilung“ bezeichnen; und wenn man auch nicht grade verlangen möchte, dass er bei einer ihm selbst so wichtig erscheinenden neuen Krankheit in nen litterarischen Studien bis auf Areiaeus und Aötrus arückging, so hätte er mindestens doch die damals modernen Schriftsteller kennen müssen, welche Anfangs des ı8. Jahrhunderts in Italien (besonders Carnevale und @%zs7) und in Spanien (Mercatus, Leibarzt Philipp Il.) : grossen Diphtherieepidemieen beschrieben, welche “über das ‚südliche Europa damals ER unter 9* (parce que ceux qui en Etaient atteints perissaient s’ils avaient ete etrangles avec une corde), in / „male in canna“ (Luftröhrenkrankheit) affectus rius u. S. w. | Trotzdem war es Home vollständig sie den -oup aus dem Gesammtbilde der Infectionskrankheit, ‘wir unter dem Namen Diphtherie als ätiologische 2 an die Möglichkeit zu denken, dass der membran- * RAS HERIS Y Bar: Se bildende Krankheitsprozess im Kehlkopf in Zusammen- hang stehen kann mit dem weissen Belage, der sich auf den Tonsillen zeigt und mit den entzündlichen Verände- rungen, die im Nasenrachenraum fast ausnahmslos in den Fällen von epidemisch auftretendem Croup zu finden sind. Man sollte so etwas nicht für möglich halten; aber welchen Einfluss auf die Denkweise der Aerzte die Stimme einer anerkannten Autorität ausübt, haben wir selbst ja erfahren, bei dem Zwange, den wir uns aufer- legten, am Lebenden zu unterscheiden zwischen Croup und Diphtherie und zwar bei denselben Individuen! Wohl haben einzelne Kliniker sich lebhaft gegen diese Unterscheidung pathologischer Anatomen gesträubt, und das Wort Waldenöurgs zu dem ihrigen gemacht: „Lassen wir diese Unterschiede den Anatomen, wir haben mit der Diphtherie als Infectionskrankheit zu thun.“ Und doch, der Nachwuchs der Aerzte, dem die pathologisch-anatomischen Differenzen krankhaft ver- änderter Theile an der Zezcke als das einzig sichere Kriterium für die wzssenschaftliche Betrachtungsweise der Krankheitsprocesse immer wieder hingestellt wurde, musste immer von Neuem erst wieder‘ durch die prak- tische Erfahrung belehrt werden, dass uns dieses Krite- rium am Krankenbett nicht bloss im Stiche lässt, sondern irreführt und am richtigen ärztlichen Erkennen, Prog- nosticiren und Handeln behindert, Man kann eine Art von Tröstung darin finden, dass es früher hierin nicht besser ging, wie jetzt, und dass’ auch Dretonneau schon gestehen musste: „J’ai employe beaucoup de temps A retourner au point ou les anciens, et surtout les auteurs du dix-septieme siecle, etaient parvenus u, s. w.“ Aber wir werden es nun auch verstehen, dass er gelegentlich seinem Unwillen darüber Ausdruck in scharfen Worten verleiht, wie in den folgenden: „On a ES peine a concevoir comment un ouvrage (das von Hose) qui ne contient qu’un petit nombre de faits isoles et disparates a pu faire perdre la trace des anciennes tra- ditions, et comment il a pu, pendant un demi-siecle, conserver une telle influence sur l’opinion des praticiens! Telle est cependant la verite. Frapp€ du mode de ter- _ minaison le plus ordinaire de l’angine maligne, Francois Home se persuade qu’il vient de rencontrer une affec- tion des canaux aeriferes qui avait jusque-la Echappe a l’attention de ses precedesseurs; il croit devoir lui _ donner le nom populaire sous lequel il l’avait trouvee - designee dans une province d’Ecosse; le bruit de sa Br decouverte se repand, et la nouvelle denomination fas- _ eine tellement tous les yeux, qu’elle empeche de recon- naitre une maladie observee des la plus haute antiquite, _ et qui de nos jours s’accompagne de tous les symptomes sous lesquelles elle n’a jamais cess@ de se montrer.“ Nichts aber wäre verfehlter, als wenn man schliessen _ wollte, dass Dreionneau die Bedeutung der patholo- gischen Anatomie nicht erkannte, weil er die Ueber- schätzung eines einzelnen anatomischen Kennzeichens verurtheilte, die Zome sich zu Schulden kommen liess. - Niemand unter seinen Zeitgenossen hat wie Bre- Zonneau mit Eifer und Erfolg den Weg beschritten, welchen Zaönzec vorzeichnete, indem er das Krankheits- bild der Tuberculose schuf, ausgehend von der häufigen Wiederkehr eigenartiger Gebilde in den Leichen solcher Personen, die während des Lebens an Lungenphthise ‚gelitten hatten; dieser Weg führte schliesslich Zaeznec dazu, dass er die tuberculösen Erkrankungen des Men- ‘schen zu einer einheitlichen Krankheitsgruppe vereinigen nnte, die sich ziemlich vollständig deckt mit der- ‚jenigen, welche jetzt durch ein ätiologisches Moment, durch den Tuberkelbacillus, charakterisirt ist. Wie aber dieser kühne Griff Zaönnec's zugleich ein _ glücklicher nur dadurch werden konnte, dass er für das BEE . Zusammenlegen und für die Trennung verschiedener Krankheitsformen im letzten Grunde doch wieder die am Lebenden gemachten Beobachtungen entscheidend sein liess, und dass ihm der Leichenbefund nur dazu diente, um gewissermaassen den „ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht“ der klinisch ähnlichen Krankheits- processe zu finden, so ist auch Drefonneau stets von dem Studium am /ebenden kranken Menschen ausgegangen. Er selbst spricht sich hierüber in folgender Weise aus (S. 5 ft.): # C’est le sentiment de M. le professeur Laenzee, que les maladies ne peuvent Etre plus sürement distinguees que par leurs caracteres anatomiques. Profondement imbu de cette opinion je n’ai laisse echapper aucune occasion de multiplier mes recherches n&croscopiques pendant le cours de l’epid&emie que j’ai et@ a portee d’observer. Ce n’est en effet qu’en suivant les chan- gements d’aspect de chaque lesion morbide, et en com- parant les resultats d’un grand nombre d’observations faites dans des temps et des lieux differents, qu’il est possible de constater les alterations qui appartiennent aA une seule et m&me espece de maladie.“ 60 Sectionen von Diphtherieleichen hat er bis zum Jahre 1820 aus- geführt (S. 12) und bis zum Jahre 1826 dann noch fast ebensoviele.e. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die- selben oft unter den schwierigsten. Verhältnissen und in Privathäusern vorzunehmen waren, und dass zu jener Zeit noch viel mehr als jetzt der Widerstand der Ange- hörigen gegen die Leichenöffnungen überwunden werden musste; „aber“, fährt er nach Schilderung dieser Hinder- nisse fort (S. 6): „ich würde mich der Uebertreibung und der Undankbarkeit schuldig machen, wenn ich nicht anerkennen wollte, dass dieselben oft durch den Ein- fluss von weltlichen und geistlichen Autoritäten geebnet wurden, und wenn ich hinzuzufügen vergässe, dass ich den Widerstand, bedingt durch Voreingenommenheit gegen die Section, von ‚Tag zu Tag schwinden sah. _ Mit ein wenig Hartnäckigkeit (perseverance) bringt man selbst das tiefstwurzelnde Vorurtheil zum Weichen, wenn _ die Leute erkennen, dass wir uns nicht durch unseren ‚eigenen Vortheil dabei bestimmen lassen, sondern dass wir alle unsere Kräfte einsetzen, um für das allgemeine Wohl zu wirken.“ Die Sectionen sind stets möglichst vollständig aus- geführt worden, und „wenn auch (S. ı2) ein oder das _ andere Mal ein Organ, das während des Lebens keinen = Anlass zur Annahme krankhafter Veränderung bot, nicht genauer untersucht worden ist: die Respirations- organe wenigstens und der Verdauungsapparat (canal digestiv) sind stets mit der minutiösesten Genauigkeit durchsucht worden“. Zur Charakterisirung > Gewissenhaftigkeit und des Feuereifers, mit dem Bretonneau seine Aufgabe er- fasste, möchte ich bloss noch folgendes Beispiel an- _ führen, bevor ich zum Specialinhalt des Buches über- gehe. S. ıgff. schildert er die Beobachtung des ersten Diphtheriefalles, der ihm zur Section kam. (November 1818.) Ein fünfjähriges Kind mit starker Dyspnoe, fahlem Gesicht, stimmlos, hat stinkenden Athem, zeigt _ über die ganze Oberfläche des Pharynx ausgedehnte ‚Schorfe (escavres) von schmutzig-dunkler Farbe (grise- _ noitre); der Puls ist ausserordentlich schnell und klein. Bretonneau stellt die Diagnose: Gangrän des Pharynx und des Nasenrachenraumes und die Prognose absolut ‚schlecht. Wenige Stunden nach der Untersuchung stirbt dies Kind eines ruhigen Todes (une mort paisible). Trotz der nach den damaligen Anschauungen ganz gesicherten Diagnose wird Breionneau doch durch den so schnellen Todeseintritt veranlasst, sich die Möglich- keit der Section zu verschaffen, um die Ausbreitung und den wahren Sitz der krankhaften Veränderungen kennen zu lernen. Er findet ausser einem faulig zersetzten Belag auf den Mandeln und-den schmutzig-dunklen, auf der Wan- dung des Gaumensegels und: des ganzen Nasenrachen- raumes ausgebreiteten Schorfen einen Belag von unrein weisser Farbe (teinte d’un blanc mat), welcher sich in den Kehlkopf hinein fortsetzt. Merkwürdig war nun, dass die Gangrän nirgends, wie man das bei einem so unheimlich schnellen Verlauf erwarten sollte, in die Tiefe des Gewebes gedrungen war, und dass auch sonst der Leichenbefund nicht dafür sprach, dass hier über- haupt eine Gangrän im eigentlichen Sinne des Wortes vorlag. Keinenfalls konnte der Eintritt des Todes durch die während des Lebens gesehenen Veränderungen er- klärt werden und Dreionneau meint, dass er bei ge- nügender Würdigung der Incongruenz zwischen Schwere der Allgemeinerkrankung und Beschaffenheit des localen Processes schon intra vitam nach weiteren Veränderungen hätte suchen müssen, und dass er dann den post mortem am Kehlkopf aufgenommenen Befund am Krankenbett hätte constatiren können; das hätte aber natürlich eine ganz andere Beurtheilung und Behandlung des Falles zur Folge gehabt. Hören wir nun, wie er selbst seine Unterlassungssünde auffasst (S. 21): „On ne pouvait plus mal observer. A quel point la prevention n’offusque-t- elle pas le jugement! La pr&occupation d’une affection gangreneuse l’emporta sur l’evidence. Si rien ne peut justifier le defaut d’attention dans un cas si grave, oü tout commandait la plus exacte investigation, quelques eirconstances excusent du moins la precipitation de cet examen: il fut fait au milieu de la nuit, dans un local reserve, et sous les yeux des parents, dont la morne douleur m’inspirait la crainte d’avoir deja porte trop loin le zele de la science.“ ee Aber diese herbe Selbstkritik trug ihre guten Früchte. In Anbetracht des Umstandes, dass solche ‚und ähnliche unheimlich schnell verlaufende Krankheits- _ processe, die allgemein bis dahin in Frankreich der " Gangrän zugerechnet wurden, sich in Tours zu einer _ schweren Epidemie anhäuften, in Anbetracht weiter der Thatsache, dass auch die äussere Aehnlichkeit mit einer gangränösen Angina in vielen der weiter beobachteten Fälle in den Hintergrund trat und statt dessen das Krankheitsbild des Croup prävalirte, endlich unter Be- rücksichtigung der bei den zahlreichen Sectionen fast ausnahmslos zu findenden Croupmembranen, konnte schliesslich kein Zweifel mehr sein, dass es sich hier nicht um eine gewöhnliche „mzalgne Angina“ handeln konnte, dass vielmehr der membranbildende Process im Kehlkopf und in den Luftwegen in den tödtlich ver- laufenden Fällen dieser Epidemie in Tours die Haupt- rolle spiele. Schon bei dem nächsten Fall, der zur Section kam, ‚einem siebenjährigen Kinde, bei welchem die maligne Angina mit den scheinbar gangränescirenden Eigen- schaften des Krankheitsprocesses am Gaumensegel und den Pharynxwandungen noch ausgeprägter war, wurde die Vergesellschaftung. mit ganz typischem Croup ganz ‚evident. Hier waren die Trachea und die Verzweigungen der Bronchien mit richtiger Croupmembran ausgefüllt: Un tuyau de substance membraniforme, blanc, souple, elastique, consistant, qui adhere faiblement ä la mem- ane muqueuse, ou m&me ne lui est qu’applique, s’etend lorifice. du larynx aux dernieres divisions des bronches“ (S. 26), und was als merkwürdigstes Resultat der Section von Dretonneau bezeichnet wird: „Dre rynxzwand zeigte auch keine Spur von EEE grän, wenn sie genauer untersucht wurde. S. 27: qui est plus digne de remarque, c’est que les con- tions (des Pharynx) une fois enlev&es (et pour les ver et les detacher, il a suffi de les soulever avec Ppinces ä dissequer), les parois du pharynx n’offrent re pas la moindre trace d’alteration gangreneuse; des taches rouges et pointillees elles-memes de rouge plus fonce, sans Erosion, sans Epaississement de tissu, sont les seules marques d’inflammation qu'on y puisse observer: la rougeur inflammatoire est encore moins prononcee dans la trachee.* In diesem Falle war Dreionneau immer noch im Zweifel, ob es sich um eine Complication der malignen Angina mit Croup, oder des Croup mit maligner Angina handle, oder ob beide Krankheiten auf die gleiche Ur- sache zurückzuführen seien. (S. 29): „L’angine maligne et le croup, n’etaient ils donc que des formes variees d’une seule et me&eme espece de phlegmasie?“ Zuerst war ihm diese letztere Möglichkeit am unwahrschein- lichsten. Dann kamen aber Beobachtungen, die un, “ widerleglich bewiesen, dass von älteren Personen, mit maligner Angina ohne Croup, jüngere angesteckt wurden- die dann ihrerseits richtigen Croup bekamen; anatomisch- mikroskopische Untersuchungen ergaben bei 22 Leichen, dass sowohl die Beläge auf den Tonsillen und im Pha- rynx, wie die Croupmembranen des Larynx gleicher- weise aus zchi organısırtem Material bestanden („Etaient bien reellemernit zne substance inorganique“), dass unter diesen „concretions“, wie Dretonneau von jetzt ab die Beläge nennt, die Schleimhaut mehr oder weniger intact war (les tissus organises que les concretions recouvraient, conservaient leur integrite); endlich kamen in derselben Epidemie Fälle von Croup vor, wo der fötide Geruch aus dem Munde gänzlich fehlte. Unter der Wucht dieser Thatsachen musste die zuerst am unwahrschein- lichsten klingende Möglichkeit die einzig zutreffende sein: Croup und maligne Angina sind auf die gleiche krankmachende Ursache zurückzuführen. Nun wissen wir jetzt zwar, dass in der That bei gleichzeitigem Vorhandensein von weissen Pharynx- belägen und von Kehlkopfcroup beide Veränderungen durch die Diphtheriebacillen verursacht werden, wir wissen andererseits aber auch, dass die »asgre Angina, bezw. das Gangränähnliche bei der Angina diphtheritica, durch andere Krankheitserreger zu Stande kommt. Aber auch das ist der gewissenhaften und scharfsinnigen Beobachtung Breionneau's auf die Dauer nicht entgangen. In seinem Generalbericht über die Epidemie in Tours sagt er (S. 45): Im Beginn der Epidemie herrschte die Neigung vor, bei den schnell dahinsterbenden Arn- dern Croup zu diagnosticiren, bei den chronischen Fällen der Erwachsenen mit Rücksicht auf ihren stinkenden Athem und ihr septisches Aussehen Gangrän zu sup- _ poniren. Aber die Differenz des Aussehens der Krank- heit, welch’ letztere in beiden Fällen im Wesen die ‚gleiche ist, erklärt sich durch die verschiedene Em- "pfänglichkeit der verschiedenen Lebensalter und durch den Unterschied in der Entwicklung der Luftcanäle. Was aber den stinkenden Athem betrifft und den gangränös aussehenden Pharynx, so liegt das an der _ putriden Erweichung der Membranen; und auch die Farbenveränderung ist etwas Accidentelles; denn (S. 46): „lexsudation du sang, phenomene ordinaire de l’inflam- mation diphtheritique, complete l’erreur. La fausse _ membrane, colore' par ce fluide, prend successivement verses teintes, indices de sa decomposition. Le con- tact de l’air, l’influence de la chaleur humide, toutes les conditions propres a favoriser la putrefaction, celles memes qui peuvent lui imprimer le caractere d’une alteration gangreneuse sont reunies.“ Können wir heute besseres darüber sagen, als Dre- neau vor 70 Jahren? ’ Ich habe es nicht für überflüssig gehalten, in solcher sführlichkeit zu zeigen, wie ungemein vorsichtig Dre- neau in seinen Schlussfolgerungen ist und wie er zum A rynx und der Croup der Luftwege nur verschiedene Er- scheinungsformen derselben Krankheit sind, alle nur mög- lichen Mittel der Untersuchung benutzt hat, insbesondere die Beobachtung des genius epidemicus, das Studium der Uebergangsformen zwischen reiner maligner Angina und zwischen reinem Croup, die Entstehung einer Krank- heitsform aus der anderen, die vergleichende Analyse der anatomischen Veränderungen durch makroskopische und mikroskopische Betrachtung, die Fixirung des Wesentlichen und die Ausscheidung des bloss Zufälligen im Krankheitsbilde. Nicht bloss die Exactheit dieser mühevollen aber zielbewussten Arbeiten, sondern auch das schliesslich durch dieselben gewonnene Resultat ist so bedeutsam, dass es allein schon genügen müsste, den Namen Dre- Zonneau’s der Nachwelt zu überliefern; da ist es denn wohl nicht ganz gerechtfertigt, wenn Gerhardt in seinem Vortrage über die Diphtherie auf dem zweiten Congress für innere Medicin in Wiesbaden (1883) über diese Leistung Dreionneau’s mit dem Bemerken hinweg geht, dass „wir wohl nicht mehr vollständig dem beistimmen können, dass man Croup und maligne Angina als erxe Krankheit bezeichnen müsse“, und wenn von den neun Klinikern, die sich auf jenem Congress an der Dis- cussion über die Diphtherie betheiligten, auch nicht einer es für angemessen hielt, diesem Ausspruch gegenüber Bretonneau's Partei zu ergreifen. Unter allen Umständen wissen wir jetzt auf Grund der scharfen Abgrenzung der Diphtherie, welche durch die Entdeckung der Diph- theriebacillen ermöglicht ist, ganz sicher, dass mit der Einschränkung, die von Dreionneau selbst gemacht ist, Croup und Angina ätiologisch als ez»e Krankheit auf- - zufassen sind. Auf eben demselben Wiesbadener Congress hat Gerhardt noch eine andere Krankheitsform, welche von Bretonneau der Diphtherie zngerechnet wird, von der- selben abtrennen wollen; auch das, wie ich glaube, mit Unrecht. Es handelt sich dabei um eine unter dem Namen „scorbutische Gangrän“ in Frankreich bekannt gewordene Krankheit, welche Dreionneau bei einem = © Truppentheil zu beobachten Gelegenheit fand, der im Jahre 1818 von der Garnison Bowxrbon-Vendee nach Tours versetzt war. Ueberaus zahlreiche Mannschaften dieses Truppentheils waren davon befallen. Die Krankheit war von Bourbon-Vendee (jetzt La Roche sur Yon (?)) aus mitgebracht; in Zours war vorher keine ähnliche Erkran- kung gesehen worden. Sie äussert sich in der Mehr- zahl der Fälle in schmutzig-grauen Geschwüren des Zahnfleisches neben abnorm reichlicher Zahnsteinbildung an den Zähnen, Lockerung des Zahnfleisches und schliesslich Abbrechen der Zähne nach voraufgegangenem Zahnschwund, da, wo die Zähne vom Zahnfleisch um- grenzt sind. Die kranken Stellen bluten ausserordent- lich leicht. Beim Uebergang des Krankheitsprocesses ‚auf die Lippen- und Wangenschleimhaut, welcher nicht ‚selten erfolgt, sieht man zuerst immer einen weissen ' Belag entstehen, der aber sehr bald sich in’s dunkel- graugrünliche verfärbt. Oft lösen sich Fetzen ab, die aber bald durch neue ersetzt werden. Die Lymph- drüsen in der Nachbarschaft sind geschwollen. Aus dem Munde entströmt eine pestilenzialisch stinkende Luft und in den vorgeschrittenen Fällen lässt sich kaum ‚ein Unterschied mehr feststellen zwischen dieser Krank- heitsform und der im Wesen und Verlauf ganz ver- schiedenen Mundgangrän. Die schliesslich nach langem Bestehen der Krankheit eintretende Heilung ist beson- ‚ders dadurch bemerkenswerth, dass sie erfolgen kann, ‚ohne jede Narbenbildung. Bretonneau erkannte bald, dass diese Krankheit ‚nichts zu thun habe mit dem Scorbut (n’avait rien de commun avec le scorbut). Die davon befallenen Leute waren, abgesehen von ihrer scheusslichen Localaffection, bei vollster Gesundheit; und von dem, was man scor- butische Diathese nennt, war bei ihnen nie etwas zu constatiren. Das Dunkel, welches diese Krankheit ursprünglich umhüllte, begann sich allmählich zu lichten, als bei einer nicht geringen Zahl der Soldaten die Affection auf die Tonsillen und den Pharynx übergriff und nunmehr, ab- gesehen von, dem primären Befallensein des Zahn- fleisches, durchaus das Bild der malignen Angina dar- bot, wie es auch sonst in jener Epidemie bei er- wachsenen Menschen zu sehen war. Der Grund, aus welchem bei diesen Soldaten, die in einer Kaserne zusammenwohnten , der Krankheits- process grade am Zahnfleisch anfing, wurde von Dre- zonneau darin gefunden, dass dieselben gemeinsam die gleichen Trinkgefässe benutzten, und dass durch diese letzteren das Uebel von einem Mann auf den anderen übertragen wurde. Jeder neunte Mann etwa von den mit Zahnfleisch- gangrän behafteten zeigte gleichzeitig die Symptome der charakteristischen malignen Angina (S. 120). Die übrigen Stadtbewohner waren fast frei von der soge- nannten scorbutischen Gangrän; „j’ai deja dit“ fügt Dre- Zonneau hier nochmals hinzu, „que cette difference fut attribuce a l’usage des vases dont les soldats se ser- vent en commun. Die Gründe, aus welchen auch diese Krankheit der Diphtherie zuzurechnen ist, gleichen fast vollständig den- jenigen, welche oben für die maligne Angina angeführt worden sind. Später hat Dreionneau die scorbutische Gangrän, oder wie man nunmehr vielleicht besser sagen Könnte, die Gingivitis diphtheritica noch in einer Diphtherie- epidemie zu Chenusson (im Winter 1825) beobachtet; und zwar sah er dieselbe bei einem Soldaten, der von einem enderen angesteckt war, sei es dadurch, dass sie — . 31 — beide in einem Bett zusammenschliefen, oder durch ge- meinschaftlichen Gebrauch derselben Pfeife (S. 448): „en outre, ces deux hommes avaient frequemment fait usage de la m&me pipe.“ Durch rechtzeitige Alaunbehandlung wurde das Fortschreiten des Krankheitsprocesses sehr bald verhindert und schnelle Heilung erzielt; auch war es nicht zur eigentlichen Geschwürsbildung gekommen, sondern beim häutigen Belage geblieben („inflammation pelliculaire, bornee aux gencives des dents incisives*). Ueberaus wichtig ist nun. die Beobachtung Dre- Zonneau's, dass kein einziger derjenigen Soldaten in E Tours, die eine solche Gingivitis überstanden hatten, * während der ganzen, zwei Jahre andauernden, Epidemie vom Croup befallen wurde. Die aus Vendee nach Zours versetzte Truppe wurde nach einiger Zeit in _ eine andere Garnison verlegt, und es zog anstatt ihrer _ ein neuer Truppentheil in die Kaserne ein; znier den Soldaten dieser neuen Truppe trat die Diphtherie in Form von schwerer Angina diphtheritica auf. (S. 55): „Ce n’est point la gangrene scorbutique qui s’est montre parmi ces militaires, mais langine diphtheritique, qui ‚mit trois individus en grand risque de la vie“: = Hierzu macht Dreionneau in seiner vorsichtigen Weise folgende hochbedeutsame Bemerkungen über die _ erworbene Immunität, welche durchaus auf der Höhe unserer heutigen Betrachtungsweise derselben stehen AS. 55): „L’organisme semble acquerir par accontumance la facult€e de resister aux maladies, comme il acquiert la faculte de resister a l’action gradude des poisons et des venins. On l’obtient, pour un temps plus ou moins durable, en payant un premier tribut a la variole, & la vaccine, au climat etc.“ Ich meine, gegenüber solchen jahrelang fortgesetzten "und mit dem grössten Scharfsinn ausgeführten Unter- suchungen hätte Herr Prof. Gerhardt mindestens seine gegentheilige Ansicht, dass. die sogenannte scorbutische Gangrän von Drelonneau mit Unrecht aus dem Krank- heitsbegriff des Scorbuts herausgenommen und dem von ihm geschaffenen Krankheitsbegriff der Diphtherie ein- verleibt ‘sei, einigermaassen motiviren müssen. Wer nichts weiter von Dreionneau weiss und hört, als dass derselbe zwar sich das Verdienst der Namengebung für eine Krankheit erworben habe, dass aber die Krankheits- formen, welche er unter diesem Namen zusammenfasst, ganz heterogene Dinge sind, muss sicherlich ein falsches Bild von den Leistungen dieses Mannes bekommen; und wenn solch’ ein Urtheil Gerkardt ausspricht, der gerade auf diesem Specialgebiet in seiner 1859 -erschienenen Arbeit „der Kehlkopfceroup“ so sorgfältige klinische und gatkölasischjanstpinidche Untersuchungen bekannt ge- geben hat, dann wird die Gefahr der Verkennung von Bretonneau's Bedeutung und seiner grossartigen Lei- stungen um so mehr zu befürchten sein. Aus diesem Grunde gehe ich auch noch auf einen dritten principiell wichtigen Punkt ein, in: welchem Gerhardt mit Dre- tonneau nicht übereinstimmt. Nicht bloss soll Arefonneau in den Krankheitsbegriff der Diphtherie zwei Krankheits- formen, die maligne Angina und die scorbutische Gan- grän, mit Unrecht hineingenommen, er soll auch mit Unrecht eine sehr wichtige, rechtmässig zur Diphtherie gehörige Form von jenem Begriff abgetrennt haben, nämlich die scarlatınöse Angına. Bretonneau widmet der scarlatinösen Angina ein besonderes Kapitel (S. 250 ff.) und kommt aus sechs Gründen zu der ganz besonders entschieden ausge- sprochenen Ansicht, dass sie nichts zu thun habe mit der Angina diphtheritica. Erstens sei das Fibrinexsudat bei der scarlatinösen Angina nicht wie bei der diphtheritischen in Gestalt einer Haut abhebbar, sondern es liege mehr 2» der Schleimhaut, ist also eine Diphtherie in Virchow’ s Sinne, nicht im Sinne von Dreionneau. = Zweitens sei bei derselben die Entzündung der Pharynxschleimhaut nicht, wie das gewöhnlich bei der Diphtherie_der-Fall ist, zu Anfang eng und scharf um- ‚grenzt, sondern breite sich gleich von ihrem Beginn über den ganzen Pharynx und den ‘Nasenrachenraum aus. ö ' Drittens habe der scarlatinöse Exsudationsprocess "nicht die Tendenz, auf den Kehlkopf überzugreifen; wenigstens habe im Verlauf von 20 Jahren Zreionneau bei keinem an Scarlatina Verstorbenen eine ähnliche Larynxaffection gesehen, wie sie zur diphtherischen Angina so häufig hinzutritt. | Viertens habe er durch sorgfältigste Section von neun an Scarlatina verstorbenen Personen die Ueber- zeugung gewonnen, dass der Sectionsbefund ganz ab- weicht von dem bei Diphtherieleichen, und dass die _ localen krankhaften Veränderungen auch nicht entfernt so ausgeprägt sind, wie bei der Diphtherie. — Fünftens sei die Dyspnoe Scharlachkranker ein Symptom, das durch eine dem Scharlachfieber zu Grunde _ liegende /nlox:cation bedingt ist, während sie bei der - Diphtherie sich auf locale Athemhindernisse zurück- führen lasse. Sechstens. Das pfeifende Athmungsgeräusch in Folge von Suffocation (suffocation striduleuse) sei "kein der Scarlatina zugehöriges Symptom, komme dagegen sehr häufig bei der Diphtherie vor. An einer anderen Stelle (S. 354) erwähnt Breionneau noch als weitere Thatsache, welche für die Verschieden- ‚heit des Wesens der scarlatinösen und der diphtherischen Angina spricht, dass er in der Epidemie von Za Fer- riere (Winter 1824) Diphtherie und Scarlatina, beide ankheiten in heftigen Epidemieen, neben einander ‚herrschend gesehen, aber stets die scarlatinöse und ‚diphtheritische Angina habe auseinanderhalten können; se! denn auch constaliri worden, dass das Ueber- hen der .einen Krankheit keinen Schutz gewähre gegen Behring, Die Diphtherie. 3 die andere. Das ist ihm für die Verschiedenheit beider Krankheiten der stärkste Beweıs. Auch in der Frage, betreffend die Zugehörigkeit der scarlatinösen Angina zur Diphtherie, wird wohl Dre- fonneau wieder Recht behalten. Soweit ich bis jetzt unterrichtet bin, hat auch die neuere ätiologische For- schung seit Zöfler's Entdeckung der Diphtheriebacillen gelehrt, dass diphtheritische und scarlatinöse Angina zu trennen sind. ZLöfler selbst sagt hierzu auf dem dritten Congress für innere Medicin (1884 Berlin): „In einer anderen Gruppe fanden sich kettenbildende Coccen; es waren dies meist solche Fälle, in welchen nicht sowohl Membranbildung vorhanden war, als vielmehr Nekro- tisirung und Substanzverluste der Schleimhaut. Samemt- liche Fälle von Scharlachdiphtheritis gehören in diese Kategorie.“ In seiner späteren Arbeit aus dem Jahre 1890 (Deutsche medicinische Wochenschrift 1890 Nr. 5 und 6) ceitirt Zöfler dann noch Aolsko und Palauf (Wien), „welche bei der gewöhnlichen mit dem Schar- lach einhergehenden, diphtheritischen d.h. nekrotisirenden Angina die Diphtheriebacillen stets vermisst haben (Wiener klinische Wochenschrift 1889 No. 8), auch Zar- nıkow (Centralblatt für Bacteriologie Band 6 u. Dissert. Kiel 1889) habe bei der Scharlachangina keine Diph- theriebacillen gefunden. Dass übrigens Verchow's und Gerhardt's Lehre von der Zugehörigkeit der Scharlachangina zur Diphtherie nicht überall die durch Dreionneau gewonnene Erkennt- niss von ihrer wesentlich differenten Natur bei den Aerzten hat verloren gehen lassen, dafür mag fol- gendes Citat aus ZZenoch’'s „Vorlesungen über Kinder- krankheiten“ (VI. Aufl. 1892) Zeugniss ablegen: Zenoch charakterisirt daselbst (S. 662) die Scharlachangina als eine „wekrotlisirende Entzündung“ und sagt über die- selbe: „Ich ziehe diese Bezeichnung der üblichen „diph- theritisch* aus dem Grunde vor, weil meiner Ansicht nach nichts der richtigen Anschauung von dem Wesen dieser Processe mehr geschadet hat, als diese Be- nennung. Nachdem Dreionneau unter dem Namen '„Diphtherie“ ein fast erschöpfend klares Bild dieser specifischen Infectionskrankheit aufgestellt hatte, brachte die pathologische Anatomie dadurch Verwirrung hervor, dass sie diesen könischen Begriff in einen anatomischen umsetzte und mit dem Namen „dzphtheritisch“ alle Pro- . cesse bezeichnete, welche sich durch Einlagerung fibri- nöser Exsudate in die Schleimhäute oder auch in die _ äussere Haut mit nachfolgender Nekrose charakterisiren. So kam es, dass die Aerzte, welche bereitwillig dieser Lehre Vrrchow's folgten, bei den verschiedensten Krank- heiten, in welchen sich die oben erwähnten Processe _ vorfanden, eine Complication mit „Dzphtherie“ annahmen, und dass diese Verwirrung auch auf das Publikum über- griff. Ganz besonders gilt dieses in Bezug auf das Scharlachfieber, in welchem jene Processe überaus häufig, namentlich im Pharynx, auftreten. Man spricht immer noch von Scharlach mit „Diphtheritis“, ohne sich davon Rechenschaft zu geben, ob denn die specifische Infectionskrankheit, welche wir „Diphtherie“ nennen, wirklich dabei im Spiel ist. Die „»ekrotisirende Ent- zündung“, wie ich sie nenne, kommt bei ganz ver- schiedenen Krankheiten vor, am häufigsten bei wirk- licher Diphtherie und beim Scharlach, demnächst auch bei Variola, Dysenterie, Pyämie, Cholera. Aber die icht die Identität der Krankheitsprocesse.“ Wir erkennen an diesen Ausführungen Henoch’s f’s deutlichste, wohin es führt, wenn der pathologisch- atomische Befund zum entscheidenden Kriterium für ' Beurtheilung der Zugehörigkeit von krankhaften eränderungen zu dieser oder jener Infectionskrankheit macht wird. Nicht bloss bei der Diphtherie, auch der Tuberculose und manchen anderen Infectionen 2. war durch die Herrschaft, welche Virchow's Autorität über die meisten Mediciner gewonnen hatte, fast in Ver- gessenheit gerathen, dass die Infectionskrankheiten organische Processe sind, die sich nur am dJebenden Individuum manifestiren. Die Diphtherie ist eine Zedens- erscheinung, deren Gesammtcharakter im Laufe der Jahr- hunderte und vielleicht im Laufe der Jahrtausende typisch sich erhalten hat, und in Folge dessen in den- jenigen Fällen, wo sie sich an lebenden Individuen manifestirt, identificirt :werden kann; wenn man nun aber sagen soll, wodurch der Kenner des Krankheits- typus der Diphtherie im einzelnen-Fall denselben von anderen ähnlichen Infectionstypen unterscheidet, dann ist hierfür ein einzelnes Kennzeichen nicht ausreichend, am allerwenigsten aber eines, welches so wenig charakte- ristisch ist, wie die von Virchow als diphtherisch be- zeichnete Art der Schleimhautnekrose. Dass die Localerscheinungen nicht einmal, wenn sie in ihrer fortschreitenden Entwicklung am Lebenden be- obachtet werden, zur Identificirung der Diphtherie für sich allein ausreichen, hat schon Dretonneau gelehrt, indem er beispielsweise durch Canthariden eine Ent- zündung mit genau dem gleichen localen Verlauf er- zeugte, wie bei diphtherischer Entzündung. Es ist eine überaus exacte experimentelle Arbeit, in der er den Beweis hierfür liefert, und von welcher er einen Auszug auf Seite 355—364 seines Traite de la diphtherite giebt; ich führe hier nur den folgenden Satz an (S. 356): „Le principe vesicant des cantharides, extrait au moyen de l’ether et dissous ensuite dans l’huile d’olive, a donne naissance ä un ensemble de phenomenes morbides qui offre une complete analogie avec l’inflammation diph- theritique.“ In der That, wenn man seine Beschreibung der Pseudomembranen liest, die er mit Canthariden- extract im Larynx und den Bronchen von Hunden er- zeugte, dann tritt die Analogie so vollständig zu Tage, dass man sich wundern muss, wie Drelonneau trotzdem an der Specificität des Krankheitsprocesses der Diph- therie fest esthalten könnte, und es wird das blos dann ‚erklärlich, wenn man berücksichtigt, dass ihm die Krank- heit eine ä#ologische und nicht eine anatomische Ein- heit war. Bretonneau ‚hatte es noch nicht so leicht, wie wir jetzt durch den Nachweis des heterogenen ursächlichen Moments der Diphtherie in Gestalt des Diphtherie- bacillus, zu entscheiden, was dieser Krankheit zuzu- rechnen und was von anatomisch ähnlichen Krankheits- producten von ihr auszuscheiden ist. Erst durch müh- same epidemiologische Studien, durch sorgfältigste Be- obachtung jedes einzelnen Krankheitsfalles und überaus _ zahlreiche vergleichend anatomische Untersuchungen ist er dazu gelangt, alles was wir jetzt als ätiologisch zu- sammengehörig kennen, in seinem Krankheitsbild der Diphtherie zu vereinigen; überall, wo eine Epidemie war, ging er selbst hin und in den Jahren 1ı818— 1826, _ über welche er genauer Bericht erstattet, hat er in den E Epidemieen von Tours, La Ferriöre und Chenusson, ausserdem aber noch in vielen sporadisch auftretenden "allen die Aetiologie mit solchem Aufwand von uner- akter der Diphtherie als einer ansteckenden In- skrankheit zweifelten, war Dreionneau fast überall angewiesen, selber dem Ursprung der Einzeler- kung nachzuforschen. In manchen F ällen. war das Be Diphtherieerkrankungen vorkamen, eine junge Frau, der jenes Kind zur Pflege übergeben war, acht Tage nach der Inpflegenahme des Kindes an typischem Kehlkopf- croup zu Grunde geht; ebenso wenn (S. 339) von allen Nachbarorten kein einziger von der Diphtherie befallen wird mit Ausnahme eines Gehöftes, in welchem ein 45 jähriger Mann Diphtherie bekam, der vorher viel in einem Hause von La Ferriere war zu einer Zeit, als in demselben zwei Kinder an bösartiger Diphtherie krank lagen und starben. Aber in anderen Fällen war die Ansteckungsquelle auf keine Weise zu finden; da ist es denn geradezu. bewunderungswürdig, mit welchem Scharfsinn Arefonneau alle Möglichkeiten für das Zustandekommen der Diph- therie erwägt, und wie gewissenhaft er zu Werke geht, ehe er eine eigene Meinung äussert. S. 289 berichtet er, dass im Jahre ı823 in 7oxrs mitten in diphtherie- freier Zeit ein einziges fünfjähriges Kind an Croup starb, ohne dass hinterher Diphtheriefälle auftraten. Alle Zweifel, dass es wirklich Diphtherie war, mussten Angesichts des typischen Krankheitsverlaufes im Verein mit dem typischen Sectionsbefunde schwinden. Aber in Ermangelung eines gegenwärtigen Ansteckungs- heerdes forscht Bretonneau weiter nach und erfährt endlich, dass vor drei Jahren in derselben Wohnung drei andere Kinder an diphtherischem Croup gestorben sind. „Peut-on soupconner que le germe de cette affec- - tion ait &t€ conserve et transmis apres un si long es- pace de temps?“ Wir stehen auch jetzt noch oft genug vor dieser Frage und unsere Antwort kann auch jetzt noch nicht viel anders lauten, als wie sie von Dreionneau gegeben wird (S. 342): „Sans doute cette affection est conta- gieuse; mais c’est certainement sous des conditions par- ticulieres, et qui lui sont propres qu’elle se transmet, Comment se conserve le germe qui la reproduit?* Ausser diesen epidemiologischen Nachforschungen, um sich des ätiologischen Zusammenhanges zu ver- gewissern, hat Dreionneau auch von allen anderen Mitteln Gebrauch gemacht, die ihm zur Erforschung der Natur der Krankheit zu Gebote standen; und was die pathologisch-anatomische Untersuchung betrifft, so haben wir schon oben gesehen, dass er soviel Sectionen selber ausführte, wie sich dessen heutzutage nur wenige Aerzte, pathologische Anatomen mit eingerechnet, rühmen können. Aber für ihn blieb der Sectionstisch immer nur die Stelle „ubi mors gaudet succurrere vitae“; nicht an sich war ihm der Sectionsbefund von Bedeutung, sondern nur insoweit, als er durch denselben besser die bei Leb- zeiten des Kranken wahrgenommenen oder supponirten materiellen Veränderungen der Untersuchung zugänglich machen konnte. So hat er alle Methoden naturwissenschaftlicher Forschung der damaligen Zeit ausgenützt, und so ist es ihm gelungen, herauszufinden, was wzr erst auf Grund unserer Kenntniss der Eigenschaften. und Fähigkeiten der von aussen stammenden krankmachenden Ursache entdecken konnten, vor Allem den Polymorphismus der _ diphtherischen Infection, bedingt durch örtliche, zeit- liche und individuelle Disposition und besonders auch bedingt durch die Verschiedenheit der Invasionspforten, durch welche der Krankheitskeim in den Organismus eintritt. s Er selbst ist darauf aufmerksam seaonden, dass ausnahmsweise auch einmal die Zunge und der Oeso- phagus die Primäraffection zeigen; ferner hat er auf Grund von Beobachtungen anderer Autoren, wie Gwer- sant (S. 53) und Siarr (S. 54) in Frankreich, Samuel Bard in Amerika, uns überliefert, wie nach Entblössung der Epidermis durch Vesicantien auch von der Cutis der - diphtherische Process ausgehen kann, und seine Aus- führungen darüber entsprechen durchaus schon im Wesentlichen der Schilderung, die uns Zenoch von diesen exceptionellen Erscheinungsformen der Diph- therie giebt, wenn er (Seite 724 seiner Vorlesungen) die Lippenschleimhaut, die Conjunctiva, Gesicht und Ohren (bei vorhandenem Ekzem), die übrige äussere Haut, die Genitalien, auf Grund eigener Untersuchun- gen als xelegentlich diphtherisch inficirte Stellen an- führt. | Besonders bewunderungswürdig ist aber, was Dre- Zonneau über das Stationärwerden der Krankheit beim Einzelnen und über das Aufhören derselben in der Ge- sammtbevölkerung sagt, indem er schon dasjenige Resul- tat vorgreift und mit grösster Schärfe präcisirt, welches wir erst als Frucht der neuesten Immunitätsarbeiten an- zusehen gewohnt sind, soweit wir überhaupt uns mit diesem schwierigsten unter allen dem Arzte aufstossenden Problemen ernsthaft beschäftigt haben. „Ordinairement (sagt er S. 54) quelques jours apres son invasion, la marche rapide de la diphtherie se ralentit. Ce pheno- mene ne lui est particulier; il se reproduit dans plu- sieurs autres maladies, et les’symptomes locaux de la syphilis, par exemple, apres avoir assez rapidement leur plus haut degre d’intensite et d’etendue, perdent bientöt de leur activite. Dans le cas present, cette ten- dance ä l’etat stationnaire est d’une importance toute particuliere pour le pronostic, puisque c'est par sa pro- pagation dans les voies aöriennes que l’inflammätion pelliculaire devient funeste. En effet iln’y apas le moindre rapport entre le danger d’une affection pelli- culaire de la bouche, si grave qu’on la suppose, pourvu surtout que le mal en s’etendant ait deja perdu une partie de son Energie, ‘et le peril auquel expose une petite tache diphtheritigque qui se montre d’abord A la surface des tonsilles, d’ou elle peut se propager en peu de jours, quelques fois meme en peu d’heures & Be la trachde et bientöt aux dernieres ramifications des bronches. L’organisme- semble acquerir par accoutumance la faculte de resister aux maladies, comme il acquiert la faculte de resister ä l’action gradude des poisons et des venins. On l’obtient, pour un temps plus ou moins du- rable, en payant un premier tribut ä la variole, ä la vaccine, au climat, sans parler de l’inaptitude ä& con- tracter la blenorrhagie, inaptitude qui peut aussi s’ac- querir et s’entretenir, si on en croit les assertions de em Hunter. 57 Peut-eire cette influence de lhabitude contribue-t- ER elle a l'extinchon de queiques afeclions contagieuses . ePidemiques en usant la disposition @ les contracter. a Es ist ein „vielleicht“, mit dem er seine Zurück- führung des Aufhörens von Epidemieen auf das Immun- werden der Individuen, nachdem sie leichtere Infectionen erlitten haben, einleitet. Aber schliesslich sind wir _ auch jetzt noch nicht über die blosse Möglichkeit dieses Erklärungsprincips hinausgekommen. _ Auf gleicher Höhe, wie diese epidemiologischen _ Bemerkungen, steht seine Beschreibung von der specifi- schen Natur der diphtherischen. Entzündung. Wenn ich _ diese hier in extenso anführe, dann geschieht es haupt- ‚sächlich auch deswegen, weil ich eine bessere nirgends gefunden habe und weil ich mir auch kaum einen ad- ‚äquateren anatomischen Ausdruck für die specifisch ‚diphtherischen Processe denken kann, als den von Bre- Zonneau gefundenen. 2.8.40 ff. sagt er: „Es ist manchmal ziemlich schwer,den organischen Process dieser Veränderung zu verfolgen, von welchem die Exsudation, die hinterher ein festes Produkt liefert, ausgeht. Oft beschränkt sich diese Veränderung auf punktförmig auftretende rothe, unregelmässig ver- breitete Flecke, ohne jede Spur von Schwellung; selbst ne etwaige Schwellung des submucösen Zellgewebes involvirt durchaus nicht auch eine solche der Schleim- haut selbst. Was die letztere betrifft, so ist sie an einer Schwellung des darunter und in der Nähe befindlichen Gewebes nicht mehr betheiligt, als die Haut über den geschwollenen Lymphdrüsen, welche in der Gegend der diphtherischen Schleimhautpartien gelegen sind. Die Lymphdrüsenschwellung ist regelmässig vor- handen; und sie ist gleich Anfangs verhältnissmässig stark ausgesprochen, correspondirt aber durchaus nicht immer in ihrer Stärke mit der Intensität und Extensi- tät der diphtherischeh Entzündung. Zweimal sah ich, wie die diphtherische Drüsenschwellung genau den gleichen Verlauf und Ausgang in Eiterung nahmen, wie das bei Bubonen beobachtet wird. Diese fleckweise Röthe der Schleimhaut, welche ganz oberflächlich bleibt und ohne Verdickung der Schleimhaut besteht, trotzdem aber sich mit fest- werdenden Exsudaten von ausserordentlicher Reichlich- keit vergesellschaftet, ist es, die mir der diphtherischen Entzündung einen ganz besonderen Charakter zu ver- leihen scheint. Ich würde noch nicht ganz ausdrücken, was ich darüber denke, wenn ich nicht noch hinzufügte, dass ich in dieser zur Ausscheidung von speckhautähnlichem Exsudat führenden Entzündung eine ganz specihische Phlegmasie erblicke, welche von einer katarrhalischen Entzündung ebenso verschieden (st, wie der Milzbrand von einem Herpes zoster, die ferner von der scarlalı- nösen Erkrankung noch mehr verschieden ist, als die. Scarlalına von den Pocken; kurz, dass es sıch hier um eine Krankheit sul generis handelt, welche ebensowenig ein höherer Grad eines Katarrhs ist, wie die Ichthyosis (dartre sguameuse) als höherer Grad des Erysipels an- gesehen werden kann. Da ich nun unmöglich einer derartig specifischen Entzündung einen derjenigen Namen geben kann, mit . welchen man partielle Erscheinungsformen derselben be- legt hat, so sei es mir gestattet, diese specifische Fhleg- masie als „Dißhiheritis“ (von Öwwpdepa, Pellis, exuvia, vestis coriacea und Öwdepow gleich corio obtego) zu be- -zeichnen. | Je mehr ich meine Aufmerksamkeit den charakte- ristischen Merkmalen der diphtherischen Entzündung zuwandte, um so mehr erwiesen sich dieselben als durch- aus verschieden von denen jeder anderen Entzündung. Wenn man mikroskopisch die am lebhaftesten in der Entwicklung begriffenen circumscripten Flecke unter- sucht, welche vom blossen Auge punktförmig und zwar als rothe und als weisse Punkte gesehen werden, so erkennt man eine äusserst feine Vascularisirung der _ Schleimhaut und dass die lebhaft gerötheten Punkte in _ derselben kleine Ekchymosen sind, während die weissen - Flecke durch die vorspringenden Oeffnungen der Schleim- -— _ hautfollikel repräsentirt werden. >... Was die Verbreitungsweise der diphtherischen Ent- zündung betrifft, so geschieht dieselbe in ganz eigen- - artiger Weise; sze schreitet in ähnlicher Weise vor, wie ein Flüssigkeitstropfen, der in die Umgebung sich imbi- birt und an abhängiger Stelle heruntergleitet. (L’in- flammation s’y etend & peu pres comme un liquide qui s’epanche ou qui coule.), Oft erkennt man, wie ein langer, schmaler Streifen vom tiefsten Roth, sich in den Pharynx hinein ver- breitet, oder nach der Trachea hinuntersteigt, zuweilen auch mehrere solcher Streifen nebeneinander. In der Mitte jedes dieser Streifen entsteht nun überall das feste Exsudat. In diesem frühesten Stadium der Exsudatbil- _ dung kann man noch rundliche Oeffnungen oder viel- mehr halbdurchscheinende Bläschen in den Concretionen beobachten.“ -... „Nun dehnt sich allmählich der Process auch in die Breite aus, bis zusammenhängende Lamellen ent- a , stehen, die bloss durch Exsudatpfröpfe, welche in die Oeffnungen der Schleimhaut/ofz2e/ hineingehen, an der darunterliegenden Schleimhaut festhaften. Löst sich aber solch’ eine Lamelle los, dann nimmt die Röthung der Schleimhaut zu; es entsteht von Neuem eine Mem- bran, die durch Nachschübe verdickt wird und grada- tim mit zunehmender Verdickung an der organisirten Schleimhaut immer mehr festhaftet.“ (Ferner S. 51): „Mit zunehmender Verdickung und engerem Connex zwischen Schleimhaut und Pseudomem- bran wird auch die Schleimhaut selbst mehr und mehr verändert: es kann dann vorkommen, dass sogar das Exsudal ın der Schleimhaut eingelagert ist. Erosionen und Ekchymosen entstehen an den einer Reibung aus- gesetzten Punkten und wenn nun noch Blut austritt, dann entstehen jene Veränderungen der ursprünglich weissen und geruchlosen Membran, die zu einer Putre- faction führen, welche den specifischen Charakter der Diphtherie ganz verdecken kann.“ Das. ıst das anatomische Bild- des diphtherischen Entzündungsprozesses, wie ich. es auch bei der experi- mentell zu erzeugenden Diphtherie bei Thieren fand. Dagegen das Bild, wie es von pathologischen Anatomen entworfen wird, ist alles andere, bloss keine Diphtherie in Dreionneau's Sinne. Hören wir, wie beispielsweise Or in seinem „Compendium der pathologischen Diagnostik“ (III. Aufl. 1884) die diphtherischen Veränderungen schildert (S. 257 ff.): „Nicht ungewöhnlich kommen auch diphtherische Erkrankungen im Kehlkopf und Trachea vor. Man wird nicht nur am Kehldeckel, sondern auch tiefer im Kehl- kopf und in der Trachea zuweilen Membranen finden, welche nur mit grosser Gewalt sich entfernen lassen und unter denen die Schleimhaut in eine graue nekro- tische Masse verwandelt erscheint. Am häufigsten sieht a is F _ man in der Trachea diese diphtherischen Veränderungen in der Nähe von Tracheotomiewunden, deren häufige diphtherische-Infection ja allgemein bekannt ist. Die bei vielen Infectionskrankheiten, besonders bei acuten Exanthemen vorkommenden Entzündungen des Larynx und der Trachea nehmen oft einen diphtherischen Cha- rakter an. Besonders bei Variola kommen kleinere diphtherische Herde in der Trachea (meist über den Knorpelringen) vor, die oft fälschlich für Pockenpusteln gehalten worden sind. Gerade zu den diphtherischen Affectionen des Larynx und der Trachea, aber auch zu den auf die Pharynx beschränkten, gesellen sich leicht durch Einathmen kleiner Partikel der diphtherischen Massen entstandene Pneumonieen, welche meist katarrh- alische Bronchopneumonieen sind, aber, wenn die diph- therischen Massen zugleich Fäulnissstoffe enthielten, auch einen gangränösen Charakter annehmen können. Die _ fibrinösen und diphtherischen Entzündungen kommen hier fast stets im Anschluss an ähnliche Veränderungen am Rachen vor, doch kann auch der Rachen frei sein, ohne dass deswegen die Entzündungsursache eine andere zu sein brauchte.“ Auf Seite 246—249 bespricht Orzfh eingehender den makroskopischen und mikroskopischen Befund bei der Pharynxdiphtherie.e Danach sind ihm Diphtherie und Croup „höhere Grade von Entzündung“ und (S. 248) „die Diphtherie des Gaumens und Rachens kann durch verschiedene Ursachen erzeugt werden.“ Die vorzugsweise bei Kindern auftretende Form will er, Senator folgend, als „Synanche“ bezeichnet wissen. Damit wäre denn wissenschaftlich die Diphtherie _ als ätiologisch einheitliche Infectionskrankheit aus der Welt geschafft. n Man hat der jüngeren Generation von Äerzten den „historischen Sinn“ in der medicinischen Wissenschaft abgesprochen; ich glaube aber, wir brauchen diesen Vorwurf nicht zu tragisch zu nehmen in einer Zeit, wo der medicinischen Forschung neue Gebiete erschlossen sind, deren Bearbeitung lohnender ist, als die Beschäfti- gung mit den Lehrmeinungen einer von der Beobach- tung des lebenden kranken Menschen losgelösten Pa- thologie. Ja fast möchte ich durch meine historisch- kritischen Studien bei denjenigen Krankheiten, mit welchen ich mich genauer beschäftigt habe, zu der Mei- nung kommen, dass die doctrinären Anschauungen der pathologischen Anatomie der letzten 50 Jahre erst ein überwundener Standpunkt werden müssen, ehe man mit Aussicht ‘auf Erfolg bei den Infectionskrankheiten an eigene productive Arbeit herangehen kann. Was die Diphtherie betrifft, so muss sich schon bei der bisherigen Analyse des Wesens und der Er- scheinungsformen dieser Infectionskrankheit ein solches - Urtheil aufdrängen. In noch höherem Grade wird sich aber bei der Besprechung der weiteren positiven Er- rungenschaften in der Diphtherieforschung zeigen, wie die Herrschaft einer einseitig pathologisch-anatomischen Betrachtungsweise der Construction eines Krankheits- bildes hinderlich sein musste, in welchem das öZologrsche Moment entscheidend ist für die Zugehörigkeit ganz verschieden aussehender Krankheitsformen zu dem- selben. * Ganz besonders deutlich tritt dies zu Tage bei der- jenigen diphtherischen Erkrankung, die uns beim Le- benden in Gestalt von Lähmungserscheinungen ent- gegentritt. Nichts von denjenigen Charakteren, die an der Leiche als Kriterium für die Diphtherie geltend ge- macht werden, ist hier zu finden, und trotzdem ist gerade die Erzeugung specifisch-diphtherischer Lähmungser- scheinungen, mit ihrem ganz eigenthümlichen Auftreten erst nach Ablauf des local diphtherischen Processes und mit ihrem zur spontanen Heilung hinneigenden Verlauf, entscheidend gewesen für die Beweiskraft der ätiologi- schen Untersuchungen von Roux und Yersın. Hier ist es einleuchtend, dass nicht der pathologi- sche Anatom das Superarbitrium darüber abgeben kann, ob wir-intra vitam eine richtige Diagnose gestellt haben; ebensowenig aber kann er es in den zahlreichen anderen Fällen, wo functionelle Störungen einer Krank- heit ihren specifischen Stempel aufdrücken, beim Teta- nus, bei syphilitischen, leprösen und vielen anderen Infectionen. Für den gut beobachtenden Arzt sind gewisse Lähmungsformen so zweifellos diphtherische Erkran- kungen, dass beispielsweise Zenochk die Diagnose auf Diphtherie auch dann zu stellen sich für berechtigt hält, wenn er in Diphtherieepidemieen eine Gaumenlähmung zu Gesichte bekommt, ohne dass vorher eine Rachen- diphtherie constatirt worden ist; und doch würde auch die sorgfältigste anatomische Untersuchung nicht im Stande sein, hier die ärztliche Diagnose zu bestätigen. Gleichwohl werden wir zur näheren Erforschung des anatomischen Substrats auch dieser Krankheitsformen jede Gelegenheit und jedes Mittel benutzen, aber nicht in dem Glauben, welcher in den letzten Jahrzehnten grossgezogen wurde, dass wir erst in die pathologischen Institute gehen müssten, um autoritativen Aufschluss über die bei solchen Untersuchungen anzuwendenden Methoden zu bekommen. Diphtherische Lähmungen sind schon in sehr frühen Zeiten ärztlicherseits beobachtet worden. Ghist erwähnt in seinem berühmten Briefe aus dem Jahre 1749 (Cremona), dass sein eigener Sohn, nach- dem derselbe von der häutigen Bräune fast vollständig geheilt war, von einer Gaumenlähmung befallen: wurde und fügt hinzu: „Wir (GAisz und Scozi) überliessen es der Natur, die Heilung dieser merkwürdigen Nachkrank- heit zu besorgen, welche man ausserordentlich häufig bei solchen Personen beobachtet, die von der ursprüng- lichen Krankheit schon wiederhergestellt waren, und die etwa einen Monat lang nach erfolgter Heilung der Angina und des sich an dieselbe anschliessenden Drüsen- abscesses bei dem eigenen Kinde andauerte; dasselbe sprach andauernd durch die Nase und flüssige Speisen liefen oft durch die Nase zurück“ (eitirt nach Dretonneau, Traite de la diphtherite S. 460). Der G%isz’sche Brief scheint sehr schwer zu haben zu sein; Dreionneau fand ihn in keiner Bibliothek, bekam aber schliesslich ein Originalexemplar durch Dr. Dowbdie. In demselben Jahre (1749) gab auch Chomel in seiner Dissertation „Sur le mal de gorge gangreneux* eine naturgetreue Schilderung der Gaumenlähmung; eine Dame (Demoiselle de Bonmac) wurde in einem Hause, in welchem mehrere Kinder an häutiger Bräune krank waren, gleichfalls von dieser Krankheit ergriffen, aber bald geheilt. 40 Tage später stellten sich Läh- mungserscheinungen bei ihr ein „La malade parlait beau- coup du nez, £tait louche et contrefaite; mais en repre- nant ses forces elle a repris aussi de jour en jour son etat naturel (eitirt nach Maingault „De la paralysie diphtherique“ Paris 1860 S. 3). Wir sehen also, dass schon in den ersten be- glaubigten Fällen von Diphtherie, und zwar an den weitest von einander entfernten Orten, Lähmungser- scheinungen die Aufmerksamkeit der Aerzte auf sich lenkten; so citirt Maingault (S. 3), auch Samuel Bard, welcher aus New-York ungefähr zu gleicher Zeit mit den beiden obengenannten Autoren fol- genden Krankheitsfall berichtete. Ein zweieinhalb- jähriges Mädchen, welches Angina und Croup über- standen hatte, und dann vollständig stimmlos wurde, konnte feste Speisen ziemlich gut zu sich nehmen, Flüssigkeiten verursachten aber Hustenanfälle und wurden sehr schlecht geschluckt. Die letzteren Symp- tome verloren sich ziemlich schnell; dagegen dauerte die Aphonie und eine allgemeine Schwäche sehr lange RE an; das Gehen ohne Unterstützung lernte die kleine Kranke erst ı2 Monate später. Maingault, dessen umfangreiche Monographie über die diphtherischen Lähmungen sehr lesenswerth ist, bringt Auszüge über Krankenbeobachtungen von dem jüngeren Sedilot (1810), Gurmier, Ozanam, Loyatete, hebt besonders rühmend hervor Oridard (Societe de Poitiers 1834—36), welcher ausser Gaumenlähmungen _ auch Taubheit und Sehstörungen als diphtherische Rachenkrankheiten beobachtete, und eine sehr exacte Schilderung von Muskelschwäche und Zittern der Ex- 4 tremitäten, sowie von tabischen Erscheinungen entwarf; a er zählt weiter Beobachtungen auf von 7%zrzal (Assistent von Trousseau) und geht dann genauer auf die grund- legenden Untersuchungen von Zrousseau selber ein, von denen ab die Litteratur über diphtherische Lähmungen fast unübersehbar anschwillt. Trousseaw's scharf entworfene Krankheitsbilder sind hauptsächlich durch seine klinischen Vorlesungen An- fangs der füntziger Jahre weiteren Kreisen bekannt ge- worden. Ich will bloss noch erwähnen, dass in dieser Zeit auch Dreionneau noch wieder aus dem grossen Schatz seiner Erfahrungen dieses Specialgebiet der Diph- therie bereichert hat in seiner Arbeit „Memoire sur les _ moyens de prevenir le .developpement et les progres E- de la diphtherie“, Archives generales de medecine Janvier 1855). Zur Darstellung des ac/wellen Standes der Frage von den diphtherischen Lähmungen führe ich das _ jenige hier an, was Zenoch darüber in seinem Lehr- buch der Kinderkrankheiten sagt (S. 747): „Die „dzph- therische Lähmung“ ist eine so häufige Nachkrank- heit der Diphtherie, dass man in jedem Fall auf die- selbe gefasst sein muss. Ich selbst sah die Lähmung - immer nur im Gefolge der Rachendiphtherie auftreten. - Andere wollen sie auch nach der Diphtherie der Haut, Behring, Die Diphtherie. 4 - z. B. der Finger, beobachtet haben. Die Ansichten über die Bedingungen dieser Paralyse, die schon da- durch merkwürdig ist, dass die Beeinträchtigung des Nervensystems durch den Infectionsstoff sich meistens erst zu einer Zeit geltend macht, in welcher die Kranken die Infection längst überwunden zu haben scheinen, waren sehr getheilt. Erst in neuester Zeit haben sorgfältige Untersuchungen ergeben, dass es sich hier vorzugsweise um einen weuritischen Process in den peripherischen Nerven handelt, wobei aber analoge Veränderungen auch im. Rückenmarke vorhanden sein können. Dee- rine (Arch. de phys. normale et pathologique 1878) fand in den vorderen Wurzeln der Spinalnerven, wie auch in vielen peripherischen Nerven Fettkörnchenbil- dung und Schwinden der Achsencylinder, ausserdem Atrophie der Ganglienzellen in den Vorderhörnern und Vermehrung des interstitiellen Bindegewebes, also eine „Darenchymatöse Neuritis und Myelttis“ und P. Meyer (Virch. Arch. Bd. 85 Heft 2) sah in einem Fall von sehr verbreiteter diphtheritischer Lähmung fast in allen peri- pherischen Nerven deutliche Zeichen einer parenchyma- tösen Neuritis (Zerklüftung des Markes, Kernwucherung in der Schwann’schen Scheide, Umwandlung in Körnchen- zellen, Knötchenbildung durch Oedem und Schwellung des Bindegewebes). Dieselben Veränderungen fanden sich in den Wurzeln der Spinalnerven und in vielen Spinalganglien, während im Rückenmark selbst viele Ganglienzellen ihre Fortsätze ganz oder zum Theil eingebüsst hatten. Diese Befunde, sowie .einige schon 1862 von Charcot und Vulpran, und 1867 von Buhl ge- machte Beobachtungen fordern zu fortgesetzter Unter- suchung des Derzpherischen Nervensystems bei der diph- therischen Lähmung auf. Auch in einem Falle von diphtherischer Herzlähmung mit plötzlichem Tode fand Gombault (bei Gadet de Gassicourt „Diphtherie prolon- gee“, Revue mens. 1883 Janvier II. S. 349) zwar den ae. die Medulla Sonn und die ans durchaus intact, aber, gleichwie in zwei anderen ana- _ logen Fällen, die vorderen Wurzeln der Spinalnerven wenigstens theilweise in ähnlicher Weise verändert, wie es von Dejerine beschrieben wurde. Daneben können auch die Muskeln selbst entzünd- liche Veränderungen, interstitielle und fibrilläre, (Zoch- haus, Virch. Arch. Bd. 124 Heft 2) darbieten, was be- sonders an denen des Gaumens und des Rachens leicht : begreiflich ist. Wahrscheinlich handelt es sich um die Einwirkung des von den Bacillen producirten toxischen Stoffes auf das Muskel- und Nervensystem, da nach den _ Untersuchungen von Roxwx und Yers:» (Ann. de IIn- stitut Pasteur 1889 Juin. — HAansemann, Virch. Arch. Bd. ı15, 1889) dieser Stoff auch bei Thieren paralytische Symptome hervorbringt, die mit den bei Menschen be- bachteten grosse Aehnlichkeit haben. Die diphtherische Lähmung, welche grade nach den leichteren Fällen der Krankheit am häufigsten aufzu- ‚treten pflegt, kündigt sich in der Regel zwei bis drei Wochen nach Ablauf der Krankheit durch Paralyse des Gaumens an. Seltener tritt sie früher auf, so in einem _ meiner Fälle am zehnten, in einem anderen sogar schon am fünften Krankheitstage, worauf wenige Tage später der Tod an Herzlähmung erfolgte. Sehr häufig bleibt die Paralyse des Gaumens das einzige Lähmungssymp- tom. Die Kinder bekommen eine nasale mehr oder weniger unverständliche Sprache u. s. w.“ 8.748: „Die Gaumenlähmung kann, wie ich wieder- a Beobarhtete, besonders in den niederen Ständen, - von den Eltern ganz übersehene, und spontan ge- Ite Rachendiphtherie verräth.“ - Ferner erwähnt dann Zenoch Seicinien des Ses- mögens durch Paralyse des tensor choroideae; weiter- Ar keit der unteren Extremitäten, Adkhonia paralytica, Läh- mung der vespiratorischen Muskeln mit sehr frequenter Athmung; Fehlen der Sesnenreflexe, insb. der patellaren. Hemiplektische Formen hat Zenoch nicht gesehen. Sensibilitätsstörungen seien sehr selten. Aus dieser kurzen Uebersicht über das Krankheits- gebiet der diphtherischen Lähmungen ergiebt sich allein schon eine solche Mannigfaltigkeit der symptomatisch in Erscheinung tretenden Diphtherieformen, dass dem Polymorphismus dieser Krankheit vielleicht bloss noch die durch den Streptococcus longus entstehenden Er- krankungen des Menschen an die Seite gestellt werden können. Demgegenüber nehmen selbst die Tuberculose und die Syphilis, klinisch betrachtet, einen relativ einförmigen Verlauf. Noch weniger polymorph sind andere Infectionen des Menschen, wie die durch Malariaparasiten, durch den A. Fraenkel’schen Pneumoniebacillus, durch den Typhusbacillus erzeugten. Und gar erst die Cholera asiatica, die Ruhr, .der Tetanus, die Gonorrhoe sind in der Regel ganz scharf abgegrenzte Krankheiten. Berücksichtigen wir aber die gesammten Erschei- nungsformen der Diphtherie mit ihren örtlich, zeitlich und individuell zu Tage tretenden Differenzen, dann wird es begreiflich einerseits, dass es der Lebensarbeit und der Genialität eines Mannes wie Dreionneau be- durfte, um innerhalb derselben das einheitliche Band der gemeinsamen Aetiologie aufzufinden, und anderer- seits, dass für weniger weitblickende- und weniger in ‘das Wesen der Dinge eindringende Geister dieser Ariadnefaden, mit Hilfe dessen man sich in dem Laby rinth von Krankheitsformen zurechtfinden kann, immer von Neuem abriss und verloren ging, so lange, bis durch die Entdeckung des Diphtheriebacillus ein neues, _ = -b, 03 — _ für den Kundigen einfaches und zuverlässiges Orienti- - rungsmoment gegeben war. In der That, wie sollte Jemand ohne epidemio- logische Erfahrung auf den Gedanken kommen, dass eine Ataxie nur eine verschiedene Aeusserung derselben Ursache ist, die vor längerer Zeit bei den von ihr be- fallenen Individuen eine membranöse Gingivitis, oder _ eine Angina, oder einen Croup erzeugt hatte, wo doch der Sitz, das Aussehen und der Verlauf dieser eben- erwähnten Krankheitsformen so different sind, dass 60 Jahre nach den denkwürdigen Untersuchungen re- Zonneau's ein so hervorragender Kliniker wie Gerhardt ihre ätiologische Zusammengehörigkeit wieder in Frage ‚stellen konnte? Wenn im 16. Jahrhundert G%zsz nach der Heilung seines Kindes von der Rachendiphtherie _ die Unfähigkeit desselben, flüssige Speisen zu schlucken und die Eigenthümlichkeit, durch die Nase zu sprechen, auf die überstandene Krankheit zurückführte, dann darf man die Erkennung eines solchen Causalnexus schon _ als Zeichen scharfer Beobachtungsgabe ansehen; indessen hier, wo die Lähmung an demselben Ort auftrat,, der vorher den diphtherischen Belag zeigte, lag die Annahme eines ursächlichen Zusammenhangs noch ziemlich nahe. hier nur flüchtig die Rede war: ich meine die diphthe- rischen Erkrankungen der äusseren Haut. Aber auch hier, welche Fülle von Beobachtungen, ehe man einiger- maassen unterscheiden lernte, was von den membran- bildenden und anderweitigen Hautkrankheiten zur Diph- therie gehört und was von derselben auszuscheiden ist! Als erste Beobachter von Hautdiphtherie werden von Dretonneau citirt Chomel (1759) und. Samuel Bard (1771). Dretonneau selbst sah nur wenig Fälle und Trousseau. ist der eigentliche Begründer der Lehre von der Hautdiphtherie; in seinem Kinderhospital zu Paris und bei seinen im Regierungsauftrage erfolgten Reisen in die verschiedenen Departements von Frankreich zur Erforschung der Diphtherie, vor allem im departement Loir-et-Cher, hat er ein riesiges Beobachtungsmaterial angesammelt. Seine die Hautdiphtherie betreffenden Bemerkungen finden sich in einem „memoire“ (1830 publicirt in Ar- chives generales de medecine t. XXIII. S. 383), ferner in seiner „clinique medicale“ und in einem Bericht, der im „Journal de medecine et de chirurgie pratiques“ VI. (p. 125) enthalten ist. Diese letzterwähnte Arbeit ist noch dadurch bemerkenswerth, dass hier zum ersten Male die egyptische Krankheit nicht, wie es von Dre- tonneau geschah, als dıphtherite (Diphtheritis) bezeichnet wird, sondern als drephtherie;, Trousseau wollte durch diese Namensänderung zum Ausdruck bringen, dass er Bretonneau's Ansicht nicht theile, wonach die Krankheit local beginne, dass vielmehr die specifische diphtheri- tische Phlegmasie am Pharynx, an der Trachea, an der Haut u. s. w. Localisationen einer im Blut ablaufenden krankhaften Veränderung sind. Die von den patho- logischen Anatomen später v@fsuchte Scheidung des Wortsinnes in „Diphtherie“ und „Diphtheritis“ ist viel- leicht auf 7Zyousseau's Vorgehen zurückzuführen, von welchem wir jetzt wissen, dass es von falschen Voraus- \ x ; setzungen den Ausgang genommen hat. Die Diphtherie ist thatsächlich, wie Dreionneau lehrte, eine Impfkrank- heit, die in der Regel im Pharynx ihre Eingangspforte findet und hier erst locale Entzündungserscheinungen ‚hervorruft, bevor sie zu einer allgemeinen Vergiftung führt; und eine diphtherische Pharynx- und Larynx- affection ist nicht etwa gleich den Pockenpusteln als Localeruption bei einer primär im Blute beginnenden Krankheit aufzufassen. Uebrigens wurde in Frankreich für die locale diphtherische Hauterkrankung auch noch ein besonderes Wort „diphtheroide“ einzuführen ver- sucht von Boussuge („de la dzphtheroide*, Theses de Paris, No. 184 im Jahre 1860, eine Arbeit, bemerkens- 'werth durch anatomische Untersuchungen). Die Beob- achtungen und Untersuchungen 7yozsseau’s haben noch _ eine weitere Verarbeitung erfahren durch seinen Schüler Moynier, welcher vier Fälle von Hautdiphtherie ‘aus Trousseaus Klinik beschrieben hat (Compte rendu des _ faits de diphtherie observes dans le service du pro-' fesseur Zyousseau pendant le premier semestre de lannee 1859). Von Wichtigkeit ist dann fernerhin Rodert’s ne ‚therie des plaies“ (conference chirurgicale 1860); i _ dieser Publication wird einer Verwechslung der fälschlich _ oft als „Wunddiphtherie“ bezeichneten „pourriture d’höpi- _ tal“ (Hospitalbrand?) mit wirklicher Hautdiphtherie vor- _ zubeugen gesucht. Wieder eine andere Krankheitsform schildert Jodert de Lamballe mit seinen Schülern Chavanne und Bän, _ welcher Diphtherieformen beschreibt, die er im Anschluss an operirte Urogenitalfisteln bei Frauen beobachtete. ee: Die am ausführlichsten alles zusammenfassende Ar- beit über Hautdiphtherie dürfte aber die von Gyoux aus Bordeaux sein, welcher in einer Monographie vom Jahre 1869 („L’Etude statistique et hygieniquejisur la diphtherie cutande“) 32 eigene Fälle beschreibt und eine a erschöpfende Literaturübersicht daselbst bringt, aus welcher auch ein grosser Theil der obigen Citate ent- nommen ist. Trotz der im Laufe der Zeit recht stattlich gewor- denen Zahl von Specialarbeiten und gelegentlich mit- getheilten Untersuchungen über die „diphtherie cutanee* scheint mir doch grade diese Krankheitsform auf Grund der gegenwärtig genauer erkannten bezw. besser beweis- baren Aetiologie der Diphtherieinfectionen noch einer Neubearbeitung bedürftig zu sein, und so mag zur leichteren Orientirung für spätere Untersuchungen dieser Literaturauszug hier stehen, ohne dass ich auf eine Analyse des Inhalts der citirten Arbeiten eingehe, Hier und da wird gelegentlich der Mittheilung meiner eigenen experimentellen Untersuchungen auf manches darin Enthaltene noch zurückzukommen sein. Ich schliesse hier denjenigen Theil der historisch- kritischen Uebersicht ab, in welchem von der Abgren- ‘zung des Geltungsbereiches der Diphtherie die Rede war, soweit eine solche auf Grund von klinischen Beobachtungen kranker Individuen, auf Grund ferner von epidemiologischen Nachforschungen und endlich auf Grund von anatomischen Untersuchungen erfolgt ist, und übergehe absichtlich dabei die Geschichte der Irrungen, wie sie in den einseitigen Darstellungen namentlich der englischen Literatur, in nicht geringem Grade aber auch bis in die letzten Jahre hinein in der deutschen sich abgespielt hat. Unter den Publicationen, die ich dabei im Auge habe, befinden sich ganz aus- gezeichnete Detailuntersuchungen; aber für das gesammte Krankheitsbild der Diphtherie liefern sie nur Beiträge, die kaum eine episodische Bedeutung in Anspruch nehmen können. | Die Geschichte der Sfogischen Unter- suchungen. In dem vorhergehenden Abschnitte waren es haupt- sächlich /ranzösische Aerzte, welche Arbeiten von bleibendem Werth für die Construction des Krankheits- bildes der Diphtherie und für die Beurtheilung ihrer _ Entstehungsweise geliefert haben, und wenn wir jetzt den offenen Brief Dretonneau's aus dem Jahre 1869 mit. seinem siegesgewissen Tone, in welchem der Polymor- phismus dieser Krankheit trotz der durchaus einheit- lichen Aetiologie hervorgehoben, ihr contagiöser Cha- rakter in lebhaften Farben geschildert und die prak- tische Wichtigkeit der neu erworbenen Erkenntniss in n Vordergrund gestellt wird, noch einmal auf seinen = halt prüfen, dann werden wir gestehen müssen, dass nur vorübergehend noch durch die Lehrmeinungen pathologischer Anatomen und solcher Kliniker, welche u sa, Die ersten Andeutungen über eine Verwerthung experimenteller Untersuchungen für die Erkenntniss des Wesens der Diphtherie habe ich in der „Sammlung von Beobachtungen und Thatsachen“, welche die häutige Bräune (Crouß) betreffen. Von M. M. Friedländer (Paris). Uebersetzung in Tübingen 1808 (Cotta) gefunden. In dieser Sammlung ist das hauptsächlich von SchwilgueE zusammengestellte litterarische Material ent- halten, welches bei der Ausschreibung des Napol£on:- schen Croup - Preises von 12000 Frances (durch den _ Minister des Innern CAampagny vom 21. Juli 1807) einer Commission zur Bearbeitung übergeben war. Der Com- mission gehörten die Herren Moreau, Laönnec, Schwil- gue, Pariset und Friedländer an. Schwilgue selbst starb ganz unerwartet im Jahre 1808. Die Publication er- folgte gleich nach dem Tode Schwz/gue's, um den Be- werbern um den Croup-Preis „langweilige Nachunter- suchungen zu ersparen.“ In dieser Sammlung sind nun auch die sieben Kate- gorien von Fragen mitgetheilt, die von der Commission aufgestellt waren, und welche unter allen Umständen von den Preisbewerbern berücksichtigt werden sollten. - In der fünften Kategorie ist von der „Natur der schleimigen Concretion“ die Rede, „welche zum Ent- stehen der falschen Membran Veranlassung giebt“, und in der Erläuterung dazu wurde noch folgende Unter- frage gestellt (S. 70): „Besitzt zufolge der natürlichen Ursachen, die diese Concretion in der membranösen Bräune bestimmen, wohl die Kunst die Mittel, eine ähnliche Wirkung in lebendigen Thieren hervorzubringen? — Welches sind die Erscheinungen, die sich äussern, während man dıe Untersuchungen, die sıe veranlassen, anstellt?*“ es = ir nl EN DEE E TRIRTEN" ER: 2 Die „Sammlung“ selbst giebt darauf folgende orien- tirende Auskunft: „Herr Chausszer ist der einzige Schrift- steller, der sieh besonders mit dieser Art von Unter- suchungen abgegeben hat. „In verschiedenen . Ver- suchen, sagt er, die wir mit mehreren Thieren ange- stellt haben, sind wir durch beständiges Reizen dahin gelangt, auf der Oberfläche verschiedener Membranen, eine neue Art von Action hervorzubringen, die den Zu- stand der Villositäten der Secretionsoberfläche gänzlich verändert und ein Entwickeln von sehr sichtbaren Ge- fässen, die eingespritzt werden konnten, hervorgebracht hat, die wir zuweilen bis auf 2 ctm sich verlängern ge- sehen haben. (Essay sur les irritations 1807.) Ein solches, auf der Basis der Lehre von den all- - gemeinen Entzündungsreizen erwachsenes Phänomen konnte nur dann zu der vorliegenden Frage in Be- ziehung gesetzt werden, wenn der Begriff einer specifi- schen, heterogenen Krankheitsursache in den Ideenkreis der Commission noch nicht eingetreten war; und auch hier wieder ist es Dreionneau, welcher zuerst (1821) im Experiment denjenigen Standpunkt einnahm, welcher als der einzig richtige zwar nicht ihn selbst, aber spätere Forscher zum Ziele führte. Bretonneau zeigt sich in seinen Untersuchungen _ über die membranbildenden Fähigkeiten des Ammoniak, des Calomel, besonders aber des Cantharidenextracts als ein Experimentator ersten Ranges. Mit dem letzteren (S. 355—364 seines Traite) hatte er bei Hunden ein auf's täuschendste croupähnliches anatomisches Bild im Kehlkopf, der Trachea und den Bronchen von Hunden erzeugt. Aber er war weit davon entfernt, zu glauben, dass er nun damit einen dem Diphtheriecroup des Menschen entsprechenden Krankheitsprocess vor sich habe. In dem Capitel „Von der Specificität der diph- therischen Entzündung“ (S. 365 — 372) sagt er auf 'S. 368: RE „Welches auch die Natur der diphtherisch entzünd- lichen Secretion sei, sie stellt eine Action dar, welche, ich gestehe es zu, in hohem Grade der des Canthariden- extractes gleicht. Aber damit ist auch die Analogie zu Ende; und je mehr sie ihren vollständigen Charakter entwickelt, um so zweifelloser tritt die Specificität in der verschiedenen Art des Verlaufess zu Tage. Man kommt dann zu der Ueberzeugung, dass diese beiden Arten der Entzündung, die unter einander eine so grosse Zahl von Beziehungen besitzen, durchaus nicht identisch sind; und ferner, dass die Gewissheit nur um so grösser dadurch wird, dass nicht jede zur Membranbildung führende Entzündung (inflammation couenneuse) wegen dieser Eigenschaft auch eine diphtherische Entzün- dung ist. Es ist ja auch nicht so verwunderlich, dass zwischen zwei Arten der Schleimhautentzündung eine .so grosse Aehnlichkeit herrschen kann, ohne dass sie deswegen aufhören, differenter Natur zu sein; verhält es sich denn mit mehreren anderen Entzündungsformen der Haut (phlegmasies cutandes) nicht ebenso? Obwohl es eines geübten Auges bedarf, um die Unterschiede, welche zwischen Scharlach und Masern bestehen, schnell zu er- fassen, so wird ja doch kein verständiger Praktiker es für unnöthig oder für besonders schwierig erachten, diese beiden Krankheiten auseinanderzuhalten.“ Er erkannte ganz klar, dass der experimentelle Be- weis für (die Contagiosität der Diphtherie nur durch die Erzeugung derselben mit den Producten des diphtheri- ‘schen Krankheitsprocesses selbst zu erbringen sei, und dementsprechend hat er auch Thierversuche angestellt; aber dieselben leisteten ihm nicht das, was er damit beweisen wollte. „Jai fait des tentations inutiles pour communiquer la diphtherite ä des animaux“ sagt er auf S. 85 seines „Traite*. = en Damit ist nicht ausgeschlossen, dass er gar keine positiven Resultate bekommen hat; es ist ihm dabei vielleicht gegangen, wie Zzchtherm, welcher gleichfalls erklärte (Il. Congress für innere Medicin 1883), dass seine Resultate negativ gewesen seien, während wir aus der Beschreibung seiner Thierversuche erkennen können, dass er genau dasselbe gesehen hat, was wir jetzt mit Sicherheit als specifische Erscheinungs- form diphtherischer Hautentzündung bei Thieren kennen. Ich gebe diese historisch bemerkenswerthe Beschreibung Lichtheim's (S. ı68 der Congress-Verhandlungen) hier wörtlich wieder. „Ich meine, wenn man an die Frage der Aetiologie herantritt, soll man seinen Ausgang nehmen von der- jenigen Form, welche vom Halse anfangend in die Re- - spirationswege herabsteigt ... Die Frage, ob diese _ im klinischen Sinne eine einheitliche Krankheit ist, glaube ich, werden wir nicht Anstand nehmen zu bejahen, und deshalb habe ich mit ihren Producten eine Reihe von Impfversuchen zu einer Zeit vorgenommen, wo die Tech- nik noch nicht so entwickelt war, wie heutzutage Diese Versuche schienen zu dem Resultate zu führen, dass auch diese Form der Diphtherie keine einheitliche Krankheit ist, dass auch von dieser Affection verschiedene Dinge erzeugt werden können. Es kann davon erzeugt werden die bekannte Impfkrankheit, die Oertel/ be- schrieben hat, die ihren Ausgang nimmt von der Impf- stelle mit ödematöser Infiltration der Gegend und längs der Lymphbahnen fortschreitet. Eine zweite Form, die - viel seltener vorkam, war ganz anderer Natur. Sie be- stand in einer eigenthümlichen, von der Impfstelle aus- gehenden nekrotisirenden Entzündung.“ Wenn Zechtheim dazu sagt: „Welchen Schluss habe ich aus diesen Resultaten gezogen? Den, dass alle _ diese Krankheiten absolut nichts mit der Diphtherie zu N a thun haben“, so spricht das nur für die Strenge seiner Selbstkritik, welche, auch wenn sie über das Ziel hinaus- schiesst, viel höher steht, als wenn Jemand umgekehrt nichts beweisende Versuche anstellt und daraus ein positives Ergebniss ableitet, welches dann später sich zufällig als richtig erweist. Derjenige Autor, welcher zuerst nicht bloss richtige specifisch-diphtherische Entzündungen bei Thieren will- kürlich erzeugte, sondern auch in beweiskräftiger Form daraus die Contagiosität der Diphtherie ableitete, ist Oertel, der scharfsinnige Begründer einer rationellen Therapie von Circulationsstörungen, durch deren Ueber- tragung in die Privat-Praxis später Sckwenzinger sich in weiteren Kreisen bekannt gemacht hat. Vor Oertel hatte schon Trendelenburg in einer ÄAr- beit „Ueber die Contagiosität und locale Natur der Diphtheritis“ (Arch. f. klin. Chir. Bd. X S. 720) an Kaninchen und Tauben mit diphtheritischen Membranen elf mal (bei acht Kaninchen und drei Tauben) eine pseudomembranöse Entzündung der Luftröhre und ein- mal der Kropfschleimhaut erzeugt und damit den Grund gelegt für weitere Untersuchungen; was aber Oerzel's Versuche besonders auszeichnet, das ist die Uebertra- gung der Diphtherie nicht bloss direct vom Menschen aut’s Thier, sondern auch die Fortpflanzung derselben von Thier zu Thier und weiterhin die Erkennung _ solcher specifischer Entzündungsproducte als diphtheri- scher, bei denen statt einer Membranbildung, die öde- matöse Entzündung, Ekchymosirung und Nekrotisirung in den Vordergrund der Beobachtung treten. Oertel hat seine Beobachtungen veröffentlicht im Archiv für klinische Medicin Bd. VII (1871, ı15 Seiten). Von seinen Versuchsreihen ist es namentlich die fünfte, welche uns hier interessirt, und über deren Anordnung folgende tabellarische Darstellung Auskunft giebt. uayaujueyy "IOA sap ujPySnwpayuayag uap sne 'IsyeW xuf1e] uap ur Junyduy x s uayouuey sazıemyss | 9 yansıa A ‘sqne] 'A 'p "few sang] 'A'p few Yoad'w wop ‘aqne]L Ip few "sqne] ı>p "few pad’'w'nzdosywapsneyew pun jdormy wap sne eWw Yood "m Sop upysnw ew 'P>d Mm sap uppysnw YeN ’ xufre] uap ur Zunydug 'xuke] usp ur Sunyduwy "pyuayog usp ur Zunydwgp pxuayog usp ur Zunyduy -uoyouueyy soneıd uayouruey SOZIemyds -uayoupuey] sazIemyos uoyauruey} SISSYM “— gs yonsaa »S yansıaA "q$ yansıa\ es yonsıa a \ \ | -uayouruey] 'A'P'A Jepnsxg S9SQIOS 'n IYO9nIsSPPySnW IeN "suayouuey] 'IOA SOp ujPysnwuayoeN "Dyur "TeW © ‘few 7994 "wm uop ur 'n Jdory usp ur Zunydup 'ydwp3 few "pad "mw usp u] »qne] azıemyos qPr yansıoy Sqne] oneıd er yonspoy | | | | 'suayoupuey ‘A 'p uppysnwusyoeNn USJAOyur usp sne ‘em ; -upoysnwuoyoen Ip ur Zunydu s ze uoypuruey} | °E yonsıoA Der 'susy9ufuey] U9F110A Sp eaydeL]L Jop sne [erlsjeW x ee \ -upoysnwusypen SIp ur Sunydu 3 | R “uoyoupuey | '= yonsıoa ET RE xuäıe] wayoıppury wouro sne tepzsgemyduy . ; : Mae Ban a1p ur Zunyduj e' = BPR. Die aus den Experimenten sich ergebenden Schlüsse lasse ich hier mit Oertel’s eigenen Worten folgen: „In dieser Versuchsreihe hat somit das Contagium mit dem letzten Experimente bereits sechs Thierkörper, zuerst die Körper von drei Säugethieren, dann den von einem Vogel, und schliess- lich wieder jene von zwei Säugethieren durchwandert und bis zum letzten sich noch wirksam erwiesen. In gleichem Sinne wurden ferner noch zwei Versuchsreihen ausgeführt. Die erste Versuchsreihe umfasste drei Versuchsthiere, von denen das erste mit diphtheritischem Contagium aus einer mensch- lichen Leiche in die Trachea geeimpft wurde; von dem daselbst sich entwickelnden diphtheritischen Exsudate wurden dem zweiten kleine Stückchen in die Nackenmusculatur eingebracht nnd von den Krankheitsproducten dieses Thieres die Trachea des dritten inficirt. Der Erfolg war beim ersten Kaninchen ein vollkommener, der zweite Versuch glich in seinem Ergebniss dem fünften b der vorigen Versuchsreihe, und bei dem dritten Kaninchen kam es zu keiner Entwicklung einer Pseudomembran in der Luftröhre, während die allgemeinen Erscheinungen Aehnlichkeit mit as des sechsten Versuchs der vorigen Reihe hatten. Die letzte Versuchsreihe umfasste vier Thiere und die Im- pfung geschah in der Weise, dass das erste Thier von mensch- lichem Contagium in die Trachea geimpft wurde, und den übrigen immer diphtheritische Massen von dem vorhergehenden Thiere, und zwar dem zweiten in die Nackenmuskulatur, dem dritten in ‘den Oberschenkel, dem vierten wieder in die Trachea einge- bracht wurden. Der Erfolg war bei allen vier Thieren ein voll- kommen günstiger, und beim letzten Kaninchen kam es zur Ent- wicklung einer etwa ein Millimeter dicken Pseudomembran in der Luftröhre, die bis über die Mitte derselben .hinabreichte. Schluss. 3 Durch die Möglichkeit, die Diphtherie auf Thiere zu über- * tragen ist es, wie ich glaube, auf experimentellem Wege ge- lungen, die Frage über den Charakter dieser Krankheit und den Gang ihrer Entwicklung in erster Linie zu beantworten. Nach diesen Ergebnissen beginnt die Diphtherie local und verbreitet sich allmählig in kürzerer oder längerer Zeit über den inficirten Körper, zerstört immer grössere Parthien seiner Gewebe bis sie durch allgemeine Blutvergiftung als allgemeine Infections- krankheit die Lebensfähigkeit des Organismus aufhebt, den Tod desselben herbeiführt. Die Krankheit haftet somit zuerst an einer ergriffenen Stelle, dem Infectionsheerde, wenn wir diese zuerst erkrankte Parthie so _ mennen wollen, und breitet sich von da radienförmig über den Körper aus. Es ist dieses Verhältniss das vollkommene Gegentheil von jener Ansicht, nach welcher diese Krankheit zuerst als allge- _ meine Infectionskrankheit, deren Gift auf irgend eine Weise durch _ Lunge, Magen oder Darm ohne örtlich wahrnehmbare Zer- ‚störnngen aufgenommen wurde, den ganzen Organismus durch- _ dringen und schliesslich in centripetaler Richtung an einer Stelle sich gipfeln und dort sich localisiren soll. Wo das diphtheritische Contagium am Körper haftet, er- _ zeugt es überall zuerst eine locale Erkrankung und von den _ anatomischen Verhältnissen der afficirten Theile, ihrer leichtern - Durchdringbarkeit, und ihrem Resorptionsvermögen wird es ab- _ hängen, in welcher Zeit dieses Contagium immer weiter um sich _ greifen, den Körper durchseuchen und aus der localen Infection die Erkrankung des ganzen Organismus, die allgemeine Infec- tionskrankheit herausbilden wird. Dieser Fall wird am schnellsten natürlich da eintreten, wo das diphtheritische Contagium Wunden inficirt, und die dürchschnittenen Saftcanälchen, Lymph- und Blut- gefässe ein rasches Aufsaugen des auf der Wundfläche haftenden _ und mit rapider Schnelligkeit sich vermehrenden Giftes vermitteln. So verendeten nicht selten Kaninchen, welchen diphtheritische Exsudatstückchen in das Unterhautzellgewebe und in die Mus- _ eulatur eingebracht wurden, innerhalb 30 Stunden. Es erklärt sich aus diesen Versuchen die ausserordentliche Gefahr für Wunden, wenn sie vom diphtheritischen Contagium inficirt werden, und der Tod tritt bei hochgradigem Umsichgreifen des Processes _ unter denselben Bedingungen ein, wie bei jenen unter die Haut _ und in die Muskeln geimpften Kaninchen. In diesen Fällen ist der Krankheitsprocess, der sich aus der Infection der Wunde ‚entwickelt, identisch mit jenem, welcher durch die Infection der Schleimhäute des Rachens und der Luftwege überhaupt entsteht, und die so auffallenden divergirenden Erscheinungen werden Behring, Die Diphtherie. 5 er lediglich nur durch die Verschiedenheit der getroffenen Gewebe, ihre Reaction und der durch den Process gesetzten Functions- störung und der Rückwirkung dieser auf den Gesammtorganismus bedingt. Da das diphtheritische Contagium ohne Zweifel von der atmosphärischen Luft transportirt werden kann, an verschie- denen Gegenständen, mit welchen unser Körper in Berührung kommt, zu haften vermag, so ist eine directe Uebertragung von Rachen- und Kehlkopfsdiphtherie, und das epidemische Vor- kommen dieser Krankheit an einem bestimmten Orte für die diphtheritische Infection einer Wunde nicht als nothwendig zu erachten. Durch die Versuche mit Ammoniak wurde gezeigt, dass es durch Einträufeln einiger Tropfen dieser Flüssigkeit in die Luft- röhre von Kaninchen möglich ist, einen Process zu erregen, welcher mit der croupösen Entzündung alle anatomischen Cha- ractere theilt, und dessen Exsudat ähnliche Elemente aufweist, wie sie in einer diphtheritisch inficirten Trachea gefunden werden. Dagegen fehlte in allen diesen Versuchen jede Spur jener furcht- baren Zerstörungen, welche die Diphtherie als allgemeine Infec- tionskrankheit charakterisiren, so dass wir nach diesen Experi- menten beide Processe streng auseinanderhalten müssen. Die Diphtherie kann eine croupöse Entzündung hervorrufen, der Croup kann nie die Grenzen einer localen Entzündung über- schreiten. Wir sind bis jetzt nicht im Mindesten zur Annahme berechtigt, dass nur das diphtheritische Contagium diese Ent- zündung beim Menschen hervorruft, und nicht auch andere schäd- liche Einflüsse in der Natur, atmosphärische Verhältnisse u.s. W. - dieselbe Einwirkung auf eine empfängliche Trachealschleimhaut ausüben können. Die für den diphtheritischen Process eigenthümlichen Zer- störungen wurden in allen Versuchen durch die Vegetation von pflanzlichen Organismen, von Pilzen hervorgerufen, die auf ver- schiedene thierische Körper übertragbar sind, dort auf der Höhe der Krankheit in Milliarden den Organismus durchsetzen, immer die gleichen Erscheinungen hervorrufen, und mit deren Elimina- tion und deren Verschwinden die Einleitung eines allmähligen Heilungsprocesses einhergeht. Ich habe diese pflanzlichen Or- ganismen, diese Pilzformen als Fäulnisshefe, nach dem Vorgang von Hallier als Micrococcus bezeichnet, und mich enthalten, die rein botanische Frage über ihre Natur und Abstammung an diesem Orte zu besprechen. Sie gehören einer Gruppe an, deren Form _bei-ihrer ausserordentlichen Kleinheit, indem sie an der Grenze des Sichtbaren stehen, in Beziehung auf ihre Or- ganisation noch höchst ungenügend bekannt sind, und unter den Gattungsnamen Vibrio, Bacterium, Zoogloea Cohn etc. zusammen- gefasst wurden. Naegeli hat sie als Schizomyceten bezeichnet, welche morphologisch betrachtet, von den Pilzen auszuschliessen und den Oscillarien an die Seite zu stellen seien, wenn auch ihr Vegetationsprocess dem der Pilze gleich sei. aller endlich hält diese pflanzlichen Organismen für die Hefeformen bestimmter a@rophytischer und ana@rophytischer Pilze, aus welchen sich letztere unter bestimmten Verhältnissen entwickelten, so dass aus solchen kleinsten Zellchen, die oft von einander nicht zu _ unterscheiden sind, durch Cultur ganz specifische Pilze herange- zogen werden könnten, und somit jedem Pilze eine eigene wenn _ auch mikroskopisch nicht im Vornherein bestimmbare Hefe ent- 2 spreche. Die endgültige Entscheidung dieser Fragen wird den "späteren Untersuchungen der Botaniker anheimfallen, für uns sind an diesem Orte die in den obigen Versuchen aufgefundenen Thatsachen allein von Wichtigkeit. Ueber die Vegetation der pflanzlichen Parasiten im thieri- ‚schen Organismus haben wir zur Zeit nur geringe Kenntnisse gewonnen. Es wird daher nicht möglich sein, eine auch nur annähernd ausreichende Erklärung der verschiedenen pathologi- ‘schen Veränderungen, welche in einem von Pilzen inficirten _ Organismus getroffen werden, abzugeben, die Ernährungs- _ Störungen und Reactionserscheinungen in den Geweben zu be- stimmen, welche von Flüssigkeiten durchdrungen sind, in denen durch die Vegetations- und Assimilationsthätigkeit von Milliarden _ von Pilzen abnorme Zersetzungsprocesse eingeleitet wurden. Wir _ müssen uns daher begnügen, nach den bis jetzt bekannten Er- scheinungen, unter welchen die physiologische Thätigkeit der z Pilze und Hefe-Zellen sich äussert, uns ungefähr eine Vorstellung _ über ihre mögliche Einwirkung auf den thierischen Organismus zu bilden. Bei den mit diphtheritischem Imptstoff inficirten Thieren ver- »breiteten sich ausgedehnte Pilzwucherungen weithin über die Schleimhaut der Trachea, belagerten die Zellen, drangen nament- ” Bu 4 ae lich in die jungen Exsudatzellen ein und führten durch ihre Ve- getation eine allmälige Auflösung derselben herbei. Im submu- cösen und subcutanen Bindegewebe fanden sich massenhafte Lager von Pilzen, erfüllten die Saftkanälchen und Lymphgefässe, und bewirkten auf mechanische Weise eine Aufstauung der ab- strömenden Gewebsflüssigkeit, die nothwendigerweise zu seröser Exsudation führen musste. Es mag hierin eine Ursache der bei allen Versuchen so charakteristischen weit ausgebreiteten serösen Infiltration des Unterhautzellgewebes liegen. Auch an den Wan- dungen der Capillargefässe, innerhalb derselben und ihnen aussen ın Haufen aufgelagert fanden sich Pilzwucherungen, so dass sie auch hier theils eine Verlangsamung und Stauung in der Blut- circulation bewirkten, theils durch ihre Vegetations- und Assimi- lationsthätigkeit mehr oder weniger hochgradige Ernährungs- störungen in den Wandungen der Capillaren und schliesslich bei dem durch gehinderten Blutabfluss erhöhtem Seitendruck eine . Zerreissung derselben hervorbringen mussten. Auch in den Saftkanälchen und Lymphgefässen des Muskelgewebes fanden sich Anschoppungen von Micrococcusballen, und die Muskelfasern selbst waren durch die Wucherungen der parasitischen Pilze, die in Milliarden ihre Nährstoffe aus ihnen aufnahmen, in eigenthüm- licher Weise degenerirt und zerstört. In den Nieren waren in Fällen hochgradiger allgemeiner Erkrankung ungeheuere Pilz- massen sowohl in den Harnkanälchen wie in den Ma/pighz’schen Knäueln angehäuft, die Zellen der Harnkanälchen mit denselben belagert, capilläre Blutungen im Parenchym und alle Zeichen einer acuten Nephritis als Folge der Aufstauung und des Assi- milationsprocesses dieser Schmarotzer vorhanden. Ausserdem zeigte der an Pilzen ausserordentlich reiche Urin dieser Thiere, dass in den Nieren eine Ausscheidung der durch das Blut zuge- führten pflanzlichen Organismen stattfindet. Im Blute konnten bei der Unzuverlässigkeit aller bisher bekannten Untersuchungs- methoden keine so in die Augen’ fallenden Veränderungen in seinen Bestandtheilen nachgewiesen werden, die aber bei der physiologischen Bedeutung des an Sauerstoff reichen arteriellen und kohlensäurehaltigen venösen Blutes und der von den Bo- tanikern beobachteten eigenthümlichen Einwirkung der vege- tirenden Pilze auf ihre Nährflüssigkeit gewiss von hoher Wichtig- keit sein werden. In den schlimmsten Fällen der Infection über- 3098 traf die Zahl der schwärmenden Pilze gewiss weit um das Sechs- fache die der rothen Blutkörperchen. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, dass in allen Ver- suchen die Impfwunde und die entzündliche Reaction der durch- schnittenen Theile einen günstigen Boden für das Haften des diphtheritischen Contagiums und für seine Resorption schufen. In dieser Beziehung verhält sich wohl der wenschliche und thierische Organismus in analoger Weise. Schon Trendelendurg hat eine grosse Reihe von Versuchen angestellt, in welchen er bestrebt war, das diphtheritische Contagium auf einer unver- letzten Schleimhaut haften zu machen, doch immer mit negativem Erfolge. Ich habe gleichfalls bei ıı Thieren versucht, die Krankheit auf die verschiedensten unverleizten Schleimhäute zu übertragen, und nur in einem einzigen Falle ist es mir ge- Zungen, in der Vagina eines Kaninchens durch Eindringung von diphtheritischen Membranen eine diphtheritische Entzün- dung mit Membranbildung, Kerninfiltration des subepithelialen Gewebes, und seröse Infiltration mit zahlreichen capillären . Blutungen im umliegenden Gewebe hervorzurufen. Das Thier wurde am dritten Tage nach der Operation getödtet. Beim Menschen ist es eine wiederholt constatirte Thatsache, dass es Individuen giebt, welche unter den günstigsten Verhältnissen mit diphtheritisch Erkrankten zusammenleben, mit ihnen in die innigste Berührung kommen, und von der Krankheit verschont bleiben, während andere eine ausserordentliche Empfänglichkeit für die Krankheit zeigen, und bei der äussersten Vorsicht, wenn sie mit solchen Kranken zusammen kamen, wiederholt inficirt wurden. Ich behandelte vor drei Jahren ein Kind an Diphtherie, bei welchem in Folge rasch eintretender Kehlkopfstenose von Hrn. Prof. Nussbaum der Luftröhrenschnitt gemacht werden musste, und das nach der secundären Infection der Tracheal- wunde an der allgemeinen Erkrankung zu Grunde ging. Von. der Umgebung dieses Kindes erkrankten der Vater, die Mutter, eine Tante, zwei Wärterinnen trotz der scrupulösesten Beobach- tung aller Vorsichtsmassregeln, und nur eine Wärterin, die ich überraschte, wie sie allen Warnungen zum Trotz, nachdem die Wunde schon diphtheritisch geworden, die Tracheotomiecanüle zur Reinigung in den Mund nahm und ausblies, ist allein von der Krankheit verschont geblieben. Sie hatte, wie sie nachher Day eingestand, dieses Manöver zur besseren Reinigung des Röhrchens während der vier Tage, die seit der Tracheotomie verflossen waren, immer mehrmals des Tages ausgeführt und entschuldigte sich damit, dass sie niemals in ihrem Leben an einer Halskrank- heit gelitten habe, und überzeugt war, auch davon keinen Schaden zu nehmen. Wir müssen annehmen, dass in solchen Fällen das diphtheritische Contagium mit einer Schleimhaut in Berührung kommt, die aus uns noch unbekannten Gründen unempfänglich für dasselbe ist, und wenn wir die Pilze als Ursache der diph- theritischen Erkrankung ansenen, bei ihrer vollkommen normalen Beschaffenheit nicht jene Bedingungen gewährt, welche zu ihrem Haften auf derselben und ihrer weiteren - Entwickelung noth- wendig sind. Im Gegensatz zu diesen unempfänglichen Schleim- häuten finden wir andere, auf welchen sich häufig katarrhalische und auch phlegmonöse Processe auszubilden pflegen, die im Zu- stand einer vorübergehenden katarrhalischen Reizung, einer Auf- lockerung, oder eines mehr oder weniger ausgesprochenen chro- nischen Katarrhs sich befinden, am häufigsten und selbst wieder- holt von diphtheritischer Entzündung ergriffen. Dass in dieser Weise die klimatologischen Verhältnisse der Länder, rasche Temperatursprünge, sehr hohe oder mcedere Temperatur, nass- kalte Witterung, scharfe Nordostwinde durch Erzeugung katarrh- alischer Processe auf den Schleimhäuten des Rachens und der Luftwege prädisponirend für die Diphtherie wirken, ist als sicheres Factum anzunehmen, und bei jedem häufigeren Auftreten dieser Krankheit sind fast immer katarrhalische Anginen, Nasen-, Kehlkopf-, Brustkatarrhe auch allgemein verbreitet. Die normale Schleimhaut der Kaninchen und einer Reihe von Thieren scheint für das Haften des diphtheritischen Contagium keinen besonders günstigen Boden darzubieten; inwiefern aber, und bis zu welchem Grade eine entzündliche Reizung derselben in der Mehrzahl der Fälle für das Gedeihen jener Pilzwucherungen nothwendig ist, muss einer ferneren Versuchsreihe überlassen werden. Es ist nicht möglich, so manchen Fragen in Beziehung auf die Einwirkung der parasitischen Pilze auf den thierischen Or- ganismus in der Art Rechnung zu tragen, wie es in der Pflanzen- pathologie bereits geschehen. Hier sind vorerst noch eine Reihe von Principienfragen durch die Botaniker selbst zu lösen, die verschiedenen Hefeformen, die Fäulnisshefe, der Micrococcus, die Schizomyceten etc., ihr Zusammenhang mit bestimmten Pilz- formen oder ihre selbständige Individualität und die Bedingungen ihres Vegetationsprocesses werden noch in umfassender Weise zu erforschen sein, bevor die Möglichkeit gegeben ist, durch Einimpfung irgendwelcher Pilzsporen einen exacten pathologischen Versuch anzustellen. In diesem Sinne suchten nun die vorliegenden Experimente die Fragen über den Krankheitscharakter der Diphtherie und der Art ihres Contagiums zu lösen und ich glaube auch deshalb bei der gestellten Aufgabe auf eine botanische Bestimmung jener pflanzlichen Parasiten durch Culturversuche und auf Impfungen mit einem auf diese Weise gezogenen Material vorerst verzichten zu müssen. Ebenso wenig konnte ich andere interessante Punkte, welche im Gange der Untersuchung noch hervortraten, näher be-. leuchten, oder wichtige Fragen über homologe Krankheiten, über die Empfänglichkeit der verschiedenen Schleimhäute für pflanz- liche Parasiten, über Vegetationsbedingungen derselben und therapeutische Beobachtungen berücksichtigen, wenn sich die vorliegende Arbeit nicht weit über den abgesteckten Rahmen hinaus verbreiten sollte. Wir erkennen aus dieser Darstellung, dass Oertel die bacteriologischen Irrthümer seiner Zeit und nament- lich auch seiner näheren Münchener Umgebung theilend, zum Auffinden des lebenden Krankheitserregers der Diphtherie nicht gelangt ist; insbesondere ergiebt das Studium seiner sehr genauen Beschreibungen der makro- skopischen und mikroskopischen Sectionsbefunde bei den Versuchsthieren, dass ihn die in Diphtheriemembranen so häufig vorkommenden Streptococcen an der para- sitologischen Begründung der Diphtherieätiologie ge- hindert haben; dagegen darf sein Versuch, durch Thier- experimente die contagiöse Natur der Krankheit zu er- weisen, als durchaus gelungen angesehen werden. Die bacteriologischen Bemerkungen Oerte?’s habe ich nur deswegen hier so ausführlich wiedergegeben, um gleich- zeitig die Schwierigkeiten anschaulich zu machen, welche "in Folge der Hallier'schen und Nägelr’schen Irrlehre in — 72 — damaliger Zeit jeder zu überwinden hatte, ‘der in den Bacterienbefunden bei Krankheitsprocessen sich zurecht finden wollte. Wenn demnach Dretonneau durch epidemiologische Studien richtige Anschauungen über die Natur der Diphtherie, als einer contagiösen Infectionskrankheit ver- breitet hat, so muss Oerze/ das Verdienst zugesprochen werden, den experimentellen Beweis für die Uebertrag- barkeit der Diphtherie erbracht zu’ haben. | Der nächste grosse Fortschritt in der Erforschung der Aetiologie gebührt dann Zöfler, welcher in seinem Diphtheriebacillus uns den alleinigen specifischen Er- reger der Krankheit kennen lehrte. Zwar hat Älebs ein Jahr vor Zöfler (1883) auf dem II. Congress für innere Medicin einen Bacillus demon- strirt, der höchstwahrscheinlich mit dem Zöffler’schen identisch gewesen ist. Indessen den Beweis für‘ die Specificität desselben hat er ebensowenig erbracht, wie für sein Mikrosporon diphtheriticum, welches nach seiner Schilderung „Stäbchen und Mikrococcenballen als ver- schiedene Entwickelungsstadien des gleichen Organismus producirt“, und das er als die Ursache einer sehr schwer verlaufenen Diphtherieepidemie in Prag bezeichnete. Weder hat er Reinculturen der von ihm demonstrirten Bacillen anzulegen vermocht, noch hat er in Ueber- tragungsversuchen die Bacillen als Erreger der gleichen oder einer ähnlichen Krankheit bei Thieren nachge- wiesen. Ueberdies ist die Beschreibung seines Bacillus in wesentlichen Dingen nicht auf die wirklichen Diph- theriebacillen zutreffend, z. B. wenn er dieselben als „sporentragend“ bezeichnet. Er sagt darüber (S. 145 der Congressverhandlungen): „Eine ziemliche Anzahl der Bacillen ist sporentragend, und zwar befinden sich stets zwei endständige Sporen in je einem Stäbchen. Bei dem Eintrocknen diphtherischer Membranen, wenn dasselbe allmählich, in gewöhnlicher Temperatur über Schwefelsäure geschieht, vermehren sich die Sporen sehr bedeutend, und trifft man dann selten ein Stäbchen, welches keine-solchen enthält; viele enthalten bis vier Sporen.“ Das alles entspricht so wenig den Anforderungen „an die Klarlegung der parasitären Natur einer Infections- krankheit, dass meines Erachtens ganz mit Unrecht für KÄlebs von manchen, namentlich von französischen Au- _ toren, die Entdeckung des Diphtheriebacillus reclamirt wird. Es wird ja wohl auch XZeds bei seinen Diph- therieuntersuchungen die Zöfler’schen Bacillen thatsäch- lich gesehen haben, ebensowie ja ganz gewiss die mikro- skopirenden Untersucher der Choleradärme aus den 5oger Jahren die Äoch’schen Kommabacillen in ihren Präparaten gehabt haben werden und wie nicht wenige Autoren angeben, dass sie den R. Pfeifer'schen Influ- enzabacillus vor Pfeifer gesehen und beschrieben hätten. Gleichwohl, wenn wir die Entdeckung der Krankheits- erreger in diesen Fällen an bestimmte Namen knüpfen, dann werden wir stets nur vom ZöfZer'schen Diphtherie- _ bacillus, vom Xoch’schen Kommabacillus der Cholera asiatica und vom Pfeifer’ schen Influenzabacillus reden können. Löffler hat seine erste Darstellung der parasitären _ Natur der Diphtherie im Jahre 1884 auf dem Congress _ für innere .Medicin in Berlin gegeben. Er erklärte daselbst mit vollkommener Bestimmt- _ heit, dass die in Diphtheriemembranen fast regelmässig _ sich vorfindenden Streptococcen „mit der Aetiologie - der typischen Infectionskrankheit, „der Diphtherie“, nichts zu thun haben, da Reinculturen derselben, wenn sie auf Mäuse, Meerschweinchen, Kaninchen, verschiedene Vögelarten, Affen und Hunde verimpft _ wurden, nie Veränderungen hervorriefen, die mit den durch die Diphtherie beim Menschen gesetzten auch nur entfernte Aehnlichkeit gehabt hätten. „Die Meer- schweinchen und Vögel waren. gänzlich unempfänglich für diese Coccen, sei es, dass man diese unter die Haut spritzte, oder in die Trachea einführte, oder in die Augenbindehaut einimpfte. Die Mäuse verhielten sich etwas anders; einzelne starben nach Einführung grösserer Mengen der Coccen. Bei ihnen fanden sich zierliche Ketten in den Blutgefässen der inneren Organe. Wenn man die Coccen in die Bauchhöhle einspritzte, entstand Peritonitis und es erfolgte Aufnahme der Coccen in die Lymphbahnen. Bei den Kaninchen entstand nach der Impfung in die Haut ein erysipelasähnlicher Pro- cess mit Schwellung der Lymphdrüsen an der Ohr- basis; nach einiger Zeit ging dieser Process zurück; weitere Erkrankung wurde nicht beobachtet. Inter- essant war es, dass nach Injection grösserer Mengen der Coccen in die Blutbahn von Kaninchen sich eitrige Gelenkentzündungen entwickelten. 6—7 Tage nach der Injection begannen die Thiere lahm zu gehen; meist schwollen zuerst die Hinterfussgelenke an, dann auch die Vorderfussgelenke, die Schultergelenke und andere Gelenke. Bei der Untersuchung der Gelenke fand ich . kettenbildende Mikrococcen in dem dieselben erfüllenden käsig-eitrigen Materiale. Dieselbe Affection erzielte ich durch Injection von Erysipelascoccen in die Blutbahn bei einer Anzahl von Kaninchen... . Meine Ansicht über die Bedeutung der ketten- bildenden Coccen geht nun dahin, dass dieselben eine Complication der Diphtherie darstellen.“ Was die von ihm gefundenen Stäbchen betrifft, so gab er ein Verfahren an, wie man dieselben leicht und sicher in Reinculturen auf schräg erstarrtem Blutserum gewinnen kann, beschrieb ihre Eigenschaften auf diesem, wie auch auf allen anderen gebräuchlichen Nährböden, das Aussehen im mikroscopischen Bilde, ihre Wider- standsfähigkeit gegenüber höheren Temperaturgraden, _ wobei er constatirte, dass sie bei 60° C. schon ab- sterben, und dass schon aus diesem Grunde die An- nahme sporentragender Diphtheriebacillen von Aleds irrthümlich sein müsse. Weiterhin schildert Zöfler die Resultate der Ueber- tragung von Reinculturen bei cutaner und subcutaner _ Impfung, bei Injection in die Blutbahn, bei Verimpfung auf verletzte und unverletzte Schleimhaut des Rachens, der Conjunctiva, der Trachea und der Vulva. Er theilte mit, dass Mäuse und Ratten sich dabei immun erwiesen; Meerschweinchen und kleine Vögel dagegen sehr em- pfänglich; gab den Vertheilungsmodus der Bacillen im inficirten Organismus an und constatirte schon hier fol- gende grundlegende Thatsachen: „In Schnitten findet man, dass nur an der Impfstelle Bacillen nachweisbar sind, dagegen in keinem der inneren Organe. Zs ist daher unzweifelhaft der Verlauf der Impfung der, dass von den Bacillen an der Impfstelle ein chemisches Agens producirt wird, welches von den Blutgefässen aufge- nommen wird, zu Hämorrhagien in den Drüsen führt und zu Ergüssen in die Pleurahöhlen.“ Bei Kaninchen erzeugte er an der Conjunctiva dicke Pseudomembranen, in der Trachea membranöse Tracheitis; das gleiche gelang ihm bei Tauben und _ Er constatirte ferner, dass in der Mundhöhle der meisten gesunden Menschen die Bacillen nicht vorhanden _ sind; indessen unter 29 Fällen züchtete er einmal bei _ einem gesunden Kinde aus dem Rachensecret „Colonien von identischem Aussehen, welche auf Meerschweinchen _ verimpft, dieselben Erscheinungen machten, wie die _ aus den Diphtheriemembranen gezüchteten Stäbchen“. Er wies nach, dass die bei Kälbern und bei Tauben spontan vorkommenden diphtherieähnlichen Infections- krankheiten parasitologisch ganz verschieden sind von der Diphtherie des Menschen. —. Diese Mittheilungen wurden dann noch vervoll- ständigt durch die Beschreibung eines Färbeverfahrens tür die Bacillen mittelst alkalischer Methylenblaulösung, das namentlich für die Schnittfärbung sich bald allge- meiner Anerkennung erfreute. Wenn wir jetzt auf die späteren Untersuchungen einer unzähligen Schaar von anderen Autoren zurück- schauen, im Speciellen auf das, was für die Aetiologie der Diphtherie neu hinzugekommen ist, dann sind wir erst im Stande, die imponirende Fülle und Vollständigkeit der positiven Angaben Zöfler’s zu würdigen. Nur in 'unwesentlichen Dingen, beispielsweise in Bezug auf die Temperatur, bei welcher die Diphtheriebacillen noch in Gelatine wachsen, sind seine Befunde etwas zu modifi- ciren. Die Diphtheriebacillen wachsen da in der Mehr- zahl der Fälle nicht erst bei 22—23° C., sondern auch schon unter 20° C., bei Zimmertemperatur. Alles Wesentliche aber ist vollauf bestätigt worden, und gerade dasjenige, was anfänglich die Ursache einer etwas skeptischen Aufnahme von ZöfßZers Mitthei- lungen gewesen ist, namentlich, dass auch bei einem gesunden Individuum sich die Bacillen vorfanden, müssen wir jetzt als ein hervorragendes Zeichen der Schärfe und Gewissenhaftigkeit seiner Beobachtungen ansehen. So war durch die Zöfler’sche Entdeckung von Neuem die glänzende Leistungsfähigkeit der durch R. Koch in die ätiologische Forschung eingeführten Principien erwiesen. Das zielbewusste Suchen nach ge- eigneten Thierarten für die Uebertragungsversuche, die Trennung der verschiedenen Mikroorganismen in den Krankheitsproducten durch ihre Züchtung auf festen Nährböden, die Ausscheidung derjenigen Mikroorga- nismen, welche für das Zustandekommen des specifi- schen Charakters der Krankheit unwesentlich sind, -die künstliche Züchtung der muthmasslichen Krankheitser- a 7 reger, ihre Reincultur und das genaue morphologische Studium derselben, das Arbeiten mit Keinculturen bei Versuchen, willkürlich durch Impfung die Krankheit zu erzeugen — diese methodischen Errungenschaften erfüllten damals noch mit gerechter Bewunderung und mit Staunen die ganze wissenschaftliche Welt. Zwei Jahre waren erst vergangen, seit mit ihrer Hilfe die parasitäre Natur der 7%bercwlose unwiderleglich und in solcher Vollständigkeit klargelegt war, dass andere Autoren bis heute etwas Erhebliches nicht hinzugethan haben; bald darauf wurde durch Zöfler und Schätz die Aetiologie des Ro/z klar gelegt, und gerade zur Zeit der Zöfler’schen Arbeiten über Diöhtherie kamen aus Egypten und Indien die Nachrichten Äoch’s von dem Krankheitserreger einer anderen mörderischen Seuche, der asiatischen Cholera, welcher mit den gleichen Mit- E teln der Untersuchung aufgefunden war. Schon hatte _ sich damals R. Koch einen festen Stab von Mitarbeitern herangezogen, und die Ueberlegenheit der ÄKoch’schen deutschen Schule über die in der Meinung vieler noch - dominirende /ranzösische war durch all’ diese epoche- machenden Forschungsergebnisse fest begründet; der Ein- fluss Zallier's aber und Nägeli’s auf die Aerzte, dem selbst ein so scharfer Beobachter wie Oerze/ sich nicht hatte entziehen können, war für immer zu Grabe getragen. - Von jetzt ab wurde die Lehre R. Aoch’s von der Specifi- eität und Artverschiedenheit der differenten Krankheits- _ erreger, welche sich an die von / Con vertretene botanische Systematisirung anlehnte, die herrschende, ; und seine Methoden, die im Wesentlichen schon in den - „Untersuchungen über die Aetiologie der Wundinfec- „tionskrankheiten“ vom Jahre 1878 enthalten sind, _ wurden nunmehr überall, besonders aber auch in Paris, ja sogar in München acceptirt; hier allerdings nur mit "Widerstreben und daher wohl auch nicht mit so grossem Erfolge wie anderswo. Jede einzelne der vier genannten Infectionen, deren parasitäre Natur durch den Nachweis eines spe- cifischen, die Krankheit erzeugenden Mikroorganismus erwiesen wurde, bot aber eine Fülle neuer Beobach- tungen, die nicht nutzlos blieben für die Theorie der Infectionskrankheiten, sondern theils eine Erweiterung, theils aber, auch eine Modification der theoretischen Be- trachtungsweise zur Folge hatten. Durch die Untersuchungen bei der Diphtherie ist namentlich nach der Richtung eine Wandlung einge- treten, dass nicht mehr die Forderung aufrecht erhalten wurde, welche R. Koch 1878 (l. c. S. 22) aufstellte, wo- nach „die Bacterien ausnahmslos und in derartigen Ver- hältnissen betreffs ihrer Menge und Vertheilung nach- gewiesen werden müssen, dass die Symptome der Krank- heit ihre vollständige Erklärung dadurch finden“. War schon bei der Tuberculose und beim Rotz ° diese Forderung lange nicht mehr in dem Grade er- füllt wie bei den zuerst von Koch studirten Krankheiten, dem Milzbrand, der Mäusesepticämie, der Pyämie und Septicämie der Kaninchen, so wurde bei der Cholera es auf das höchste wahrscheinlich, dass der Tod an dieser Krankheit nicht in Folge der „Menge und Ver- theilung der lebenden Bacterien im Blut und in den Organen“ sondern in Folge der Resorption eines von den Kommabacillen im Darm producirten Giftstoffes, also einer Intoxication, eintrete. Für das Verständniss der Choleraätiologie postulirte daher Äock als noth- wendige Voraussetzung die Entstehung eines specifischen Choleragi/zes, und in der ersten Choleraconferenz (1884) sprach er sich darüber in folgender Weise aus (Berl. klin. Wochenschr. 1884 No. 32 S. 498): „Mit der Annahme, dass die Kommabacillen ein specifisches Gift produciren, lassen sich die Erschei- nungen und der Verlauf in folgender Weise erklären: Die Wirkung des Giftes äussert sich theils in unmittel- = _barer Weise, indem dadurch das Epithel und in den schwersten Fällen auch die oberen Schichten der Darm- schleimhaut abgetödtet werden, theils wird es resor- birt und wirkt auf den Gesammtorganismus, vorzugs- _ weise aber auf die Circulationsorgane, welche in einen lähmungsartigen Zustand versetzt werden. Der Symp- _ tomencomplex des eigentlichen Choleraanfalles, welchen "man gewöhnlich als eine Folge des Wasserverlustes und der Eindickung des Blutes auffasst, ist meiner Mei- nung nach im Wesentlichen als eine Vergiftung anzu- “sehen; denn er kommt nicht selten auch dann zu Stande, "wenn verhältnissmässig sehr geringe Mengen Flüssig- _ keit durch Erbrechen und Diarrhoe bei Lebzeiten ver- loren sind, und wenn gleich nach dem Tode der Darm ebenfalls nur wenig Flüssigkeit enthält.“ ‚Die Diphtherie aber ist es gewesen, bei welcher nicht bloss ein specifisches Gift als schliessliche Ur- sache der Krankheit und des Todes s#52onirt, sondern _ auch in greifbarer Form nachgewiesen wurde und won den Untersuchungen bei der Diphtherie ist daher der Beginn der neuen Aera in der Lehre von den In- _Fectionskrankheiten herzudatiren, welche durch die Auf- Jfassung der infectiösen Krankheitsprocesse als Reac- tionen auf die Giftwirkung belebter Organismen charak- _ terisirt wird. _ Beginn dieser neuen Aera nennen sollen, so werden wir ihn an die im December des Jahres 1888 in Pasteur's Annalen erschienene Arbeit von Roxx und Yersin an- "knüpfen müssen, in welcher zuerst die Beschreibung der Gewinnung des Diphtheriegiftes und seiner Eigenschaften ‚in solcher Weise enthalten ist, dass es seitdem jedem halbwegs geschulten Bacteriologen leicht gemacht war, sich durch eigene Versuche von der Existenz desselben zu überzeugen. Auf diesen letzteren Umstand lege ich einen besonderen Werth, wenn ich in dieser historischen Wenn wir einen bestimmten Zeitpunkt für den - ae Darstellung die Abgrenzung der Perioden, in welchen neue und epochemachende Ideen zur Herrschaft gelangten, mit bestimmten Arbeiten und Namen vornehme; denn hier, wie überall bei wichtigen Ereignissen kann man die Beobachtung machen, dass für dieselben der Boden vorbereitet sein muss, und dass, wenn man mit kundigem Blick in vergangenen Zeiten nachforscht, gleiche oder ähnliche Ideenkeime schon lange vorhanden gewesen sind, aber sei es wegen ungünstiger Zeitverhältnisse, sei es wegen der geringeren Klarheit und Energie ihrer Vertreter eine grosse Wirkung und eine, werbende Kraft nicht entfalten konnten. Bei der Diphtherie hatte schon in Seiner ersten Mit- theilung Zöfler davon gesprochen, dass sein Bacillus „ein für so viele Thiere, ausserordentlich deletäres Gift erzeugt;“ später (1887) versuchte er aus Culturen das wirksame Gift, ohne die Mitwirkung von lebenden Ba- cillen, zur Action zu bringen, zunächst aber ohne Er- folg; erst als er im Anschluss an die Enzymlehre und an die ‚Erfahrungen von Salomonsen und Christmas- Dirckink-Holmfeld über die geringe Widerstandsfähig- keit des enzymähnlichen Giftes in den lequiritysamen gegenüber höheren Temperaturen (65—70 °), zusammen mit Holz, im Sommer 1888 erneute Versuche unternahm und das Eindampfen der Culturen sowie andere diffe- rente Eingriffe vermied, kam er zu einem positiven Re- sultat; er beschickte Glaskolben mit frischem Fleisch, welches zerhackt, neutralisirt, mit Diphtheriebacillen in- fieirt, dann 4—5 Tage bei 37° C. im Brütschrank ge- halten wurde, und es gelang ihm, daraus einen Gly- cerinauszug herzustellen, welcher das specifische Diph- theriegift enthielt. Fällte er nämlich den Glycerinaus- zug mit dem fünffachen Volum von absolutem Alkohol und löste er schliesslich den gereinigten Alkoholnieder- schlag in wenig Wasser auf, so bekam er mit o,ı bis 0,2 ccm nach subcutaner Injection bei Meerschweinchen - — dB :— — an den Injectionsstellen „derbe fibröse Knoten mit Hämorrhagien in der Muskulatur und Oedemen in der _ — Umgebung, welche zu Hautnekrose führten. Die der — Injectionsstelle entsprechenden Lymphdrüsen waren ge- schwollen, von Blutungen durchsetzt.“ ... . „Injectionen in die Bauchhöhle tödteten die Thiere mit den Er- scheinungen einer heftigen Entzündung des Peritoneums“ ‚(Deutsche medic. Wochenschrift 1890 No. 5 u. 6). £ Es kann darnach gar kein Zweifel für uns sein, dass Zöfler im Jahre 1888 das specifische Diphtherie- gift in Händen gehabt hat. Die Mittheilung seiner Be- funde erfolgte im Beginn des Jahres 1889 im Greifs- walder medicinischen Verein, zu einer Zeit, als die erste Arbeit von Roxx und Yersin schon im Druck vorlag. Erst durch die Untersuchungen dieser Autoren sind wir mit den Bedingungen bekannt geworden, unter welchen das Diphtheriegift in den Culturen leicht nach- weisbar wird und von denen es abhängig ist, dass man das eine Mal mit Bruchtheilen eines Cubikcentimeters Meerschweinchen und Kaninchen in kurzer Zeit unter den charakteristischen Symptomen der Diphtheriever- ‚giftung tödten kann, während ein andermal erst die Ein- spritzung von 35 ccm und darüber Intoxicationserschei- nungen hervorruft. Sie zeigten nämlich, dass es gar nicht besonders kunstvoll zusammengesetzter Nährböden bedarf, um das Gift in reichlicher Menge zu gewinnen, "sondern dass die gewöhnliche Bouillon dazu genügt; es ist dies auch von principieller Wichtigkeit, da hierdurch schon es unwahrscheinlich gemacht wurde, dass das Gift etwa präformirt in den Nährböden enthalten und durch die Thätigkeit der Diphtheriebacillen nur abge- spalten werde; beinahe zur Gewissheit ist dann die Ab- _stammung der Giftsubstanz direct von den Zellenleibern | “der Bacterien gemacht worden durch Gwinochet, welcher im Laboratorium von S/raus in Paris im eiweissfreien Behring, Die Diphtherie. 6 a alkalisirten menschlischen Urin die Diphtheriebacillen züchtete und daraus in gleicher Weise, wie aus Pepton- bouillonculturen das Diphtheriegift extrahiren konnte (Gamaleia „Les poisons bacteriens“ 1892). Die Versuchsbedingungen, unter welchen eine er- giebige Giftproduction zu erzielen ist, sind nach Roxx und Yersin hauptsächlich folgende: Erstens muss die Cultur, von welcher der flüssige Nährboden geimpft wird, einen hohen Grad von Virulenz besitzen. Es darf Roux und Yersin zu besonderem Ver- dienst angerechnet werden, dass sie auf die grossen Unterschiede hingewiesen haben, welche die aus ver- schiedenen Diphtheriefällen beim Menschen gezüchteten Culturen erkennen lassen; manchmal genügen schon die ' kleinsten Culturquantitäten, um eine sehr acut verlaufende Diphtherieinfection zu erzeugen, und andere Male zeigen sich Culturen so wenig infectiös, dass selbst mit grös- seren Quantitäten kaum deutlich erkennbare Krankheits- erscheinungen hervorgerufen werden, so dass man zweifelhaft wurde, ob es sich hier überhaupt noch um echte Diphtheriebacillen, trotz morphologischer Identität, handle, und dass man eine besondere Art, den „Pseudo- diphtheriebacillus“, für die unwirksamen Bacterien auf- stellte; aber es finden sich, wenn man aus sehr vielen diphtherischen Membranen Culturen herauszüchtet, alle Uebergänge von den virulentesten Formen bis zu gänz- lich inoffensiven, und es liegt jetzt kein Grund mehr vor, innerhalb derjenigen Bacterien, die morphologische Differenzen nicht aufweisen, auf Grund differenter Vi- rulenzgrade besondere Arten anzunehmen. Im Allge-. . meinen sind die Diphtheriebacillen um so mehr virulent, je schwerer der Krankheitsprocess war in dem Falle, von welchem sie herstammen. Ganz ausnahmslos aber ist ceteris paribus die Giftausbeute aus Culturen um so grösser, je virulenter die zur Abimpfung benutzte Cultur gewesen war. | a Die zweite Bedingung für veichlichere Giftansamm- lung in den Culturen. ist ein längeres Wachsthum der- selben. Die Cönstatirung dieser Thatsache ist uns als ein vollständiges novum von Roux und Yersin über- liefert worden, und es ist dieselbe um so bemerkens- werther, als es dabei nicht etwa bloss auf die Reich- lichkeit des Wachsthums ankommt; nach 14tägigem bis 3 Wochen langem Wachsthum ist die Masse der Bac- terien so ziemlich auf der Höhe angelangt, aber nicht damit auch die Menge des löslichen Giftes. Während dieser Zeit ist die Quantität desselben noch verschwin- dend klein im Verhältniss zu derjenigen, welche von der dritten Woche ab bis in die siebente hinein und noch später sich allmählich ansammelt. Erst wenn das _ reichlichere Wachsthum aufhört, und wenn die zur Zeit der reichlicheren Vermehrung stark getrübte Bouillon sich in Folge des zu Bodenfallens der Diphtherie- bacillen mehr und mehr klärt, kann man durch die Prüfung an Thieren die jetzt schnell sich steigernde Giftproduction constatiren. Noch ein anderes Kriterium fanden dann die Autoren, welches den Zeitpunkt mar- kirt, von dem ab das Gift schnell an Menge zunimmt; dasselbe ist gegeben durch das Verhalten der Reaction in der Cultur. Auch eine ursprünglich sehr deutlich alkalische Bouillon zeigt ausnahmslos einen Umschlag in immer stärker sauer werdende Reaction, sobald die Vermehrung der Diphtheriebacillen in erheblicherem Grade begonnen hat, und die saure Reaction dauert so lange an, als noch die Cultur sich durchweg deutlich getrübt zeigt. Mit der beginnenden und fortschreitenden .. Klärung wird die Reaction dann aber immer weniger sauer, um schliesslich wieder alkalisch zu werden, und zwar zuletzt viel stärker alkalisch, als es die ungeimpfte Bouillon gewesen war. Diese fundamentalen Beobach- tungen und ihre classische Darstellung durch Rozx und 'Yersin wurde dann noch ergänzt durch eine sehr grosse 6* Zahl äusserst subtiler Untersuchungen, welche sich mit der Frage der willkürlichen Vermehrung und Vermin- derung des Virulenzgrades von Diphtherieculturen und mit der willkürlichen Steigerung ihrer Toxicität be- schäftigten; ferner durch grundlegende Studien über die Extraction des Diphtheriegiftes aus den Culturen mittelst verschiedener Fällungsmittel, wobei die Widerstands- fähigkeit des Giftes gegenüber chemischen Agentien und atmosphärischen Einflüssen eingehend berücksich- tigt werden musste. Es lässt sich noch nicht überall hier beurtheilen, an welche von den diesbezüglichen Resultaten anknüpfend die spätere Forschung in ihrem Bestreben, die chemische Natur des Diphtheriegiftes zu ergründen, am meisten vorwärts kommen wird. Vorläufig müssen wir gestehen, dass Alles, was andere Autoren hierüber be- kannt gegeben haben, als ein wahrer Fortschritt in der Sache nicht angesehen werden kann, weder das, was Brieger und Fraenkel von ihren sogenannten Toxalbu- minen, noch was Gasmaleia von seinen Nucleoalbuminen berichtet hat. Roux und Yersin haben in Uebereinstimmung mit Löffler das Diphtheriegift als eine ferment- oder enzym- artige Substanz charakterisirt. Nun kann man sagen, das sei eine nicht zulässige Definition, da sie ein ignotum per ignotius zu erklären versuche; immerhin knüpft aber diese Classification doch an etwas an, von dessen Existenzberechtigung die Mehrzahl der heutigen For- scher auf diesem Specialgebiet überzeugt ist. Dagegen durch die Charakterisirung als Albumine, als Nucleo- albumine täuschen wir uns selbst bloss über unsere thatsächliche Unwissenheit hinweg. Die Charakterisirung des Diphtheriegiftes als eines Toxalbumins durch rieger und Fränkel, mit anderen Worten eines giftigen Albumins, ist schon deswegen zu beanstanden, weil bei der Art des Vorgehens dieser Autoren zur .Gewinnung des Giftes Körper mit genau den gleichen chemischen Eigenschaften schon vorher in dem Nährboden enthalten waren (Proskauer und Wassermann), aus welchem dann später das Gift zu isoliren versucht wurde. Sie mussten also unfehlbar bei ihren Fällungsversuchen in die Fällung Körper hinein- bekommen, welche — ganz gleichgiltig, ob das speci- ‘ fische Gift in derselben mit enthalten war oder nicht — die Reactionen der sogenannten Toxalbumine gaben. Aber auch alle anderen Classificationen des Diph- theriegiftes, sowie anderer Bacteriengifte, welche die Eiweissnatur der letzteren zur Voraussetzung haben, leiden an einem Principalfehler, der den Chemikern zwar längst bekannt, den chemisch denkenden Medi- einern in anschaulicher Weise aber erst durch Dxclaux zum klaren Bewusstsein gebracht ist. Als ich im Jahre 1888 im chemischen Institut des Geh. Raths ÄekwlE in Bonn von meinem damaligen _ Lehrer Herrn Prof. Wallach ein Buch haben wollte, in welchem die Lehre von den Eiweisskörpern am besten dargestellt sei, da bekam ich die Antwort, dass, wenn man die Sache im rechten Licht betrachte, ein Chemiker „Eiweiss“ als chemischen Stoff überhaupt nicht kenne. Auf den ersten Blick war mir das wohl etwas verwun- derlich; indessen von Jahr zu Jahr habe ich mich immer mehr überzeugen müssen, dass auch wir Mediciner gut daran thun würden, den Gebrauch des Wortes „Eiweiss“ (und aller Worte, die damit zusammenhängen) zum Zweck einer Aussage über die Natur eines chemischen Körpers möglichst zu vermeiden. Nirgends aber habe ich ein so lebhaftes Gefühl von der Richtigkeit dieser Ueberzeugung gehabt, als bei der Lectüre der „Revue eritique“ von Daxc/aux „Sur la Constitution des matieres albuminoides“ (Ann. de I’Inst. Pastewr ı891 und 1892). Bei dem grossen Unfug, welcher gerade in unserem Specialgebiet so viel mit den Eiweisskörpern getrieben wird, halte ich diese Stelle für geeignet, um das A ‚aakle, Wesentlichste der lichtvollen Auseinandersetzungen von Duclaux hier wiederzugeben. Nach einer genaueren ‚Besprechung der Unter- suchungen von Hasiwetz und Habermann, besonders aber der von Schätzenberger, welcher letztere die Spal- tungsproducte des Hühnereiweiss untersuchte, nachdem er dasselbe in geschlossenen Gefässen bei 200° einer Behandlung mit Barythydrat unterworfen hatte, und welcher dabei ausser Kohlensäure, Oxalsäure und Essig- säure, zur Hälfte Amidösäuren und zwar am reichlichsten Leucine fand, daneben aber auch Tyrosin, einen Körper, welcher sich von jenen Körpern der Fettreihe durch die Anwesenheit des Benzolkerns wesentlich unter- scheidet, ferner Körper, die mit dem Pyrrol in Zu- sammenhang stehen, — stellt Dxclaux folgende Er- wägungen an: „Es fragt sich, ob abgesehen von der Hydralation, die bei dieser Zerlegung des Hühnereiweiss eine Rolle spielt, dasselbe nicht in erheblicherer Weise verändert ist, und ob die neu gewonnenen Körper thatsächlich im Hühnereiweiss präformirt waren; etwa wie wenn man einen Baum zerlegen würde in den Stamm, die Aeste, Blätter u. s. w. Das letztere würde sehr wahrscheinlich gemacht werden, wenn man das Hühner- eiweissmolecül oder wenigstens ein ihm nahestehendes Molecül aus den Spaltungsproducten wieder reconstruiren könnte, wie denn in der That Schüzzenderger behauptet, auf diese Weise Peptone componirt zu haben. Aber jene Behauptung stützt sich auf nicht genügend gesicherte Fundamente. Die Analogien der künstlichen Compositionen mit Eiweisssubstanzen werden aus der Gemeinsamkeit gewisser Reactionen abgeleitei, die man vielfach als charakteristische Eiweissreactionen ansieht, ohne dass dieselben diesen Anspruch mit Recht erheben könnten. We Die Millon’sche Reaction ist weiter nichts als eine Tyrosin-Reaction, welche auch dem Phenol, Kresol "Die e Xanthoprotein-Reaction stammt vom Indol, Ska- iX und verwandten Körpern her. Die Adamkiewicz'sche Reaction tritt bei der Indol- gruppe und besonders schön dann auf, wenn die zu prüfende Flüssigkeit „l’acide scatolcarbonique* enthält. Die Biuret-Reaction fand Grimaux bei der Äsparagin- säure und ©. Zöw bei Aethern des Glykocoll. Die Ziedermann’sche Reaction wird durch Körper aus der Fettreihe erzeugt. Keine der fünf oben genannten Reactionen bietet eine Sicherheit, dass sie durch unveränderte Eiweiss- substanzen erzeugt werde. Noch viel weniger einwandsfrei sind die Fällungs- _ reactionen mit Tannin, Phosphormolybdänsäure, alka- lischen und erdigen Salzen. © Die letzteren werden. benutzt zur Unterscheidung verschiedener Arten von Eiweisskörpern und man be- a zeichnet beispielsweise als Globuline Alles, was sich unter der Einwirkung eines Ueberschusses von Magnesium- sulfat aus einer Eiweisslösung niederschlägt, als Albu- Ba / die Globuline gefällt werden, nicht aber die Albumine. “ Zur schnellen Orientirung ist folgendes Schema sehr instructiv, in welchem L= löslich, U=unlöslich bedeutet: Reines Wasser ne Fam Nucleoalbumine . . . . U U U? Btabuiine nu U I, TER Albumine'2 915 39°..283% L L L So präcise nun anscheinend diese Unterscheidungen sind, so wenig können sie dazu dienen, unsere Kennt- niss über die Natur der Eiweisskörper zu vermehren. Diese Classifcation, bei welcher das diferente Verhalten derselben gegenüber Neutralsalzen als Eintheilungsprincip gewählt wird, ist durchaus conventionell. Es wäre in Wirklichkeit für das Studium der Natur der Eiweiss- körper vecht Bedeutendes gewonnen, wenn die durch die Salzfällung differenzirten Körper, nachdem sie von den Salzen wieder gereinigt sind, sich als gut charakte- risirte Individuen mit constanten Eigenschaften erweisen würden; aber das ist durchaus nicht der Fall. Wenn diese drei Substanzen aus Hühnereiweiss mit Hilfe von verschiedenen Salzzusätzen ausgeschieden und von einander getrennt sind, und, wenn wir nun die- selbe Procedur an der Milch oder an einem Blutserum vornehmen, sind dann die Eigenschaften der aus Hühner- eiweiss, Milch und Serum gewonnenen Albumine iden- tisch? Stimmen die Globuline, die Nucleoalbumine in ihren Eigenschaften dann überein? 5 Es ist das so wenig der Fall, dass selbst die über- zeugtestien Anhänger des Studiums der Eiweisskörper durch Salzfällung ein Serumalbumin, ein Lactalbumin, ein Ovalbumin von Neuem unterscheiden müssen, und zwar auf Grund sehr wesentlicher Unterschiede. Und so stehts mit den anderen Eiweissgruppen auch. Man hat sich sonst in der Wissenschaft gewöhnt, trotz gleicher oder ähnlicher Gewinnungsweise von chemischen Körpern f = E — 89 ar dieselben mit verschiedenen Namen zu belegen, wenn sie verschiedene Eigenschaften besitzen. Hier geschieht aber Folgendes. _ _Wenn man aus Hühnereiweiss und aus Blutserum mittelst Ammoniumsulfat das Albumin ab- geschieden, dann bei 100° C. bis zum Constantbleiben des Gewichtes getrocknet hat, und wenn man nun die noch salszhaltigen Albumine in Wasser aufnimmt, so dass das mitgerissene Salz aufgelöst wird, so bildet das aus Hühnereiweiss gewonnene Albumin eine schwammige hartelastische Masse, auf deren Consistenz das Wasser keinen Einfluss auszuüben vermag, wogegen das aus Bluiserum gewonnene Albumin, ganz ebenso behandelt, durch Wasser zu einer fadenziehenden Flüssigkeit auf- gelöst wird, die auch durch Erhitzen bis auf 100° nicht " wieder gerinnt. Trotz dieser so grossen Verschiedenheit giebt man nun beiden Substanzen den gleichen Namen „Albumin“. Ist das nicht geradeso, als ob man allen Früchten in einem Garten deswegen einen und den- ‚selben Namen geben wollte, weil man sie mit einem und demselben Stocke von den Bäumen herunterschlagen kann? ; Die ganze Classification der Eiweisskörßer in Nu- eleoalbumine, Globuline und Albumine läuft ungefähr auf dasselbe hinaus, wie etwa eine Classification der Men- schen, die mit der Eisenbahn fahren, in reisende Men- schen I, II. und III. Klasse, mit der Supposition, dass die Individuen einzelner Reiseclassen unter einander wesentlich verschieden sein müssten. 0 Im der Chemie aber sollen die Präcißitationsmethoden nicht zur Artbestimmung, sondern nur zur Trennung behufs Reinigung der Körper dienen. Die Artbestim- \ mung kann erst durch besondere Arbeiten in Angriff genommen werden, nachdem man reine chemische Indi- viduen gewonnen hat. ö Nun kommt aber noch hinzu, dass bei der Salsbe: x handlung nicht einmal von einer richtigen Präcipitation die Rede sein kann, sondern bloss von einer Congula- tion, wie wir: sie ausser bei den Eiweisssubstanzen auch noch bei einer Menge anderer colloidaler Körper kennen, bei der Seife, gekochter Stärke, Inulin, Cly- cogen, Jodstärke, Gelatine, bei verschiedenen Farb- stoffen; ja nicht bloss bei organischen, sondern auch bei anorganischen Stoffen, wie Silicium, Aluminium, Eisenoxydverbindungen. Kurz es ist so, wie Nasse näher ausgeführt hat, dass für die Fällung nicht die Artbeschaffenheit der Substanzen von Bedeutung ist, auf welche die in Frage kommenden Neutral- salze einwirken, sondern der colloidale Zustand, bei dem es sich nicht um eine wirkliche Lösung, son- dern um eine gleichmässige Suspensation unlöslicher Theile handelt. Berücksichtigt man dag, so würden wir jetzt, unter zu Grundelegung des Verhaltens gegenüber Neutral- salzen, Globuline beispielsweise zu definiren haben, als solche Eiweisssubstanzen, die in Gegenwart der in Frage kommenden Salze ein Papierfilter nicht passiren, während sie das thun, wenn sie bei Abwesenheit der Salze sich in verdünntem Zustande befinden, und wir kommen zu dem Resultat, dass die Eiweissfällung nicht sowohl ein chemischer, als vielmehr ein physikalischer Vorgang ist, der zur chemischen Charakterisirung nichts beitragen kann. Auf dieselbe Weise können wir durch Salzfällung aus dem Chininsulfat ein Nucleochinin, ein Globulochi- nin, ein Albumochinin abtrennen, ohne dass wir that- sächlich etwas anderes abgetrennt haben, als neutrale Chininsulfatkrystalle. Aus diesen Auseinandersetzungen lässt sich der Werth abmessen, den die in jüngster Zeit an’s Tages- licht geförderten Albumotoxine, Globulotoxine, T' oxopeß- tone u. s.w. besitzen. Wäre z.B. Chinin, Strychnin, Brucin oder ein anderes giftiges Alkaloid in die auf Eiweisskörper zu prüfenden Bacterienculturen zufällig hineingekommen, so würden wir die schönsten Strychnin- u. Ss. w. Wirkungen mit den Toxalbuminen, Toxoglo- bulinen, Toxopeptonen bekommen, ohne dass die Ei- weisskörper das Geringste mit der Giftwirkung zu thun haben.“ . Nach alledem ist der Satz, mit welchem Dxclaux seine Abhandlungen abschliesst, gewiss beherzigens- „Dans le melange de foi et de scepticisme qu'il faut apporter dans l’etude de toutes les questions scienti- fiques, c'est le scepticisme qui doit l’emporter au sujet de la differentiation des matieres albuminoides“; und für mich wenigstens hat sich daraus die gleiche Lehre ergeben, wie für Dxclaux: „de reagir contre ces sub- _ tilites et cette incoherence.“ Weder in Bezug auf die Bacteriengifte noch in Be- zug auf die im Blute zu findenden Heilkörper habe ich . in meinen Arbeiten die neuen Namen adoptirt, welche _ zu einer hypothetischen Eiweissnatur in Beziehung stehen, und ich gedenke auch später das solange nicht zu thun, als nicht durch solche Bezeichnungen etwas den thatsächlichen und wesentlichen Eigenschaften dieser | Dinge nachgewiesenermaassen mehr Entsprechendes aus- gedrückt wird, als das bis jetzt der Fall war. Ebensowenig freilich wie durch die Aussage, dass. die Bacteriengifte Eiweisskörper oder Toxalbumine seien, bisher auch nur das Geringste beigetragen ist zur Kenntniss ihrer chemischen Constitution und zur An- weisung der Stelle, die sie unter den gut charakteri- sirten Körpergruppen der Chemiker einnehmen, ebenso- wenig wird das durch ihre Bezeichnung als „Fermente*“ oder „Enzyme“ geleistet. - Indessen liegt. hier doch die Sache etwas anders, als bei den Toxalbuminen, Toxopeptonen, Globulo- _toxinen, giftigen Albumosen u. s. w. Wenn Zöfler — 92 — den Ausdruck „Enzym“ auf das Diphtheriegift anwendet, so hat er im Princiß wenigstens den richtigen Weg eingeschlagen, um uns einen Begriff von dem Diphtherie- gift zu verschaffen, indem er nämlich die Eigenschaften und Wirkungen desselben auf uns schon bekannte und geläufige Anschauungen zurückzuführen sucht. An- knüpfend an Salomonsen’s und Christmas-Dircking-Holm- feld’s Untersuchungen über das Gift in den Jecquirity- samen, wonach dasselbe in Wasser und Glycerin lös- lich, in Alkohol, Aether, Benzin und Chloroform un- löslich ist, durch eine einstündige Erwärmung auf 65° bis 70° vollständig unwirksam wird, bei Thieren in wirksamem Zustande auf Schleimhäuten heftige Ent- zündungen und Pseudomembranen erzeugt, constatirt er ähnliche Eigenschaften beim Diphtheriegift; und da nun jene Autoren ihr Gift als „Enzym“ bezeichnet hatten, so ist ZöfZer ihnen darin gefolgt. ; Aehnliche Erwägungen waren es, die ARozx und Yersin zur Charakterisirung des Diphtheriegiftes als eines Ferments veranlassten. Nun glaube ich, dass wir jetzt die Eigenschaften und Wirkungen des Diphtheriegiftes besser kennen als die irgend eines’ Ferments oder Enzyms, und vielleicht wird durch weitere Untersuchungen der Bacteriengifte auch ein Licht geworfen auf die mit dem Namen „Fer- mente“ und „Enzyme“ bezeichnete Klasse von Körpern. Die Einrangirung des Diphtheriegiftes unter die Fer- mente und Enzyme schafft aber eine falsche Vorstellung in gewisser Beziehung von dem Wesen desselben. Mit dem Begriff „Ferment“ und „Enzym“ verbinden wir immer die Vorstellung, dass dieselben insofern, als sie andere Körper physikalisch verändern oder chemisch zersetzen, von anderen ähnlich wirkenden Agentien da- durch sich unterscheiden, dass ihre Wirkung fast un- begrenzt ist. Manche Fermente lösen feste Körper auf; das thun andere Substanzen auch. Wir kennen ferner hydrolytische Fermente; und auch die besondere Art ‚chemischer Zersetzung, welche als Hydrolyse bezeichnet A wird, kommt nicht den Fermenten allein zu. = = Das Besondere der Fermente besteht immer darin, | dass, während andere Lösungsmittel und Mittel mit hydro- Iytischer u. s. w. Wirkung in quantitativ zu berechnender Menge angewendet werden müssen, um Effecte von be- _ stimmter Grösse hervorzurufen dieses bei den Fermenten und Enzymen nicht der Fall ist; diese äussern, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, snabhängig von der Stoff- menge, die man auf fermentationsfähige Massen anwen- det, ihre Wirkung in’s Unbegrenzte. Dazu kommt als ein weiterer Nebenbegriff der Fermente und Enzyme, dass in den Massen, in welchen durch sie die Fermentation eingeleitet ist, nach statt- 'gehabter Wirkung nicht bloss kein Verbrauch der ur- ' sprünglich angewendeten Stoffmenge von Fermenten und Enzymen zu merken, sondern dass vielmehr ein Plus zu finden ist. . Die Frage, ob es solche Stoffe giebt, brauche ich hier nicht zu erörtern; aber das ist ganz sicher, dass das Diphtheriegift ebensowenig ein solcher Stoff ist, wie das Tetanusgift und andere gut studirte Bacterien- gifte. Man kann auf's genaueste die Menge des Giftes - berechnen, welche erforderlich ist, um Meerschweinchen, Kaninchen, Schafe von bekanntem Gewicht und Alter zu tödten oder bloss krank zu machen; und wenn wir Analogien in der Art der Entstehungsweise und des Ver- laufs von Infectionskrankheiten mit fermentartigen Wir- kungen. suchen, dann finden wir solche nie bei dem Arbeiten mit Bacteriengi//en, sondern bloss bei den lebenden, vermehrungstähigen Daczerien. . Mit Rücksicht auf diesen fundamentalen Unterschied _ wird man es für sehr gewagt erklären müssen, auf die Bacteriengifte Rückschlüsse zu machen von dem, was _ wir über einige Fermente wissen. * Wohin ‘uns die Bemühungen zur Erforschung der chemischen Zusammensetzung des Diphtheriegiftes noch führen werden, das lässt sich zur Zeit kaum ab- sehen. z ; Für sehr wichtig halte ich für das weitere Vorgehen die Berücksichtigung der Untersuchungen’ und Ausfüh- rungen von Z. Buchner über diejenigen Körper, welche er als „Alexine“ bezeichnet. Mit vollem Recht betont Buchner, wie es nicht ausschliesslich‘ auf „den Stoff als solchen, d. h. auf seine elementaren Bestandtheile an- kommt, sondern dass die Anordnung, die gegenseitige Lagerung der Theilchen wesentlich mitbestimmend ist“ (Münchener medicinische Wochenschrift 1892 No. 8). In rein chemischer Beziehung könne ein hochconstituirtes Molecül, das mit physiologischen Fähigkeiten begabt ist, unverändert bleiben und dabei doch die letzteren verlieren, eben in Folge einer veränderten Lage der Atome; das sei der Fall bei der Einwirkung verhält- nissmässig noch nicht sehr hoher Temperaturen, bei verändertem Salzgehalt der Lösungen und manchen anderen Eingriffen, die eine chemische Zersetzung noch nicht zur Folge haben. 4. Buchner hat von solchen physiologischen Fähigkeiten die bacterientödtende und die globulicide genauer geprüft, und was er dabei im Einzelnen betreffs der. Labilität und der schweren Dia- lysirbarkeit der Körper, an welche diese Fähigkeiten gebunden sind, eruirt hat, das gilt auch für die toxischen Wirkungen des Diphtherie- und Tetanusgiftes. ; Sind nun aber die toxischen Eigenschaften gebun- den an ein bestimmtes, leicht veränderliches Lagerungs- verhältniss der Atome in einem hochconstituirten Mole- n cül, oder vielleicht bloss einer Atomgruppe in demselben, si dann ist die chemische Analyse selbst nach besserer Isolirung der Bacteriengifte, als sie bisher erreicht ist, ziemlich werthlos für uns; eine Auskunft. darüber, welche Atomverschiebungen vor sich gehen, wenn die zu-unter- as A ‚suchende Substanz aus dem wirksamen in den unwirk- samen Zustand übergeht, dürfte von viel grösserem Werth für uns sein, als die schönste quantitative Ana- lyse einer Substanz, die nothwendiger Weise durch den Act der Analyse schon inactiv geworden sein muss; _ denn worauf es uns ankommt, ist doch immer die Kenntniss von der chemischen Zusammensetzung der activen Substauz. 5 Wenn wir in dieser Richtung noch so gut wie gar nichts wissen, so steht es um so besser mit unserer _ Kenntniss von den /unctionellen Eigenschaften des ‚Diphtheriegiftes. Und hier ist es namentlich die Er- kenntniss der Speeitcität der Giftwirkung, welche einen vollkommenen Umschwung in den Studien über die _ Entstehung der Krankheitserscheinungen nicht bloss bei der Diphtherie, sondern bei den Infectionskrankheiten ‚ überhaupt, zu Stande gebracht hat. Die Specificität des Diphtheriegiftes äussert sich in ‚doppelter Richtung; einmal unterscheidet sich dasselbe durch die besondere Art der localen und allgemeinen Veränderungen, die es im lebenden Thierkörper hervor- "ruft; dann aber tritt seine Specificität in ausserordentlich stark ausgeprägtem Grade darin zu Tage, dass es ee Thierarten giebt, die auf sehr kleine Dosen einer keimfrei gemachten alten Diphtheriebouilloncultur schon mit Kranksein reagiren und schliesslich daran zu Grunde gehen, während Thiere von anderer Art nur wenig oder gar nicht empfänglich sind, so dass, wenn man Individuen der letzteren Art zur Prüfung aussuchen _ würde, die Giftwirkung gar nicht zum Ausdruck zu bringen wäre. Ich habe gelegentlich des VI. inter- nationalen hygienischen Congresses in London (1891) von einem Bouillonfiltrat berichtet, welches noch in _ der Menge von 0,01 ccm für Meerschweinchen giftig war. Dieses Filtrat, welches ich noch besitze, und welches nach länger als zwei Jahren fast unverändert ee wirksam geblieben ist, erregt in einer Menge von 0,25 bis 0,5 ccm bei grossen Schafen subcutan eingespritzt ein hohes Fieber (bis zu 42°); für Kaninchen ist es ebenso giftig, wie für Meerschweinchen, auch Hunde sind sehr empfindlich dagegen; aber Ratten vertragen bis zu ı ccm davon, ohne deutlich krank zu werden, und für Mäuse ist es als ungiftig zu betrachten, da selbst ı ccm höchstens local einen entzündlichen Process hervorruft. Während also bei Mäusen, auf das Körper- gewicht dieser Thiere berechnet, ı :20 noch fast un- wirksam ist, ist diese Diphtheriegiftlösung für Schafe schon bei 1: 150000 ein Gift, also in 7500 mal kleinerer Menge. Für das Tetanusgift liegen die Verhältnisse ähnlich, nur dass die giftempfindlichen Thierspecies hier andere sind; und vom Tuberkulin, der aus den Tuberkelbacillen extrahirbaren Substanz, wissen wir, dass die Differenzen in der Giftempfindlichkeit noch crasser hervortreten; kann man doch von demselben einer Maus 0,5 ccm ohne Schaden einspritzen, während manche Menschen schon auf Bruchtheile eines Centigramms stark reagiren. Die Erkennung dieser Specificität der Bacteriengifte ist ein Ereigniss -in der Lehre von den Infectionskrank- heiten, welches man in seiner Bedeutung der Erkennung der Specificität der lebenden Krankheitserreger an die Seite stellen kann. Sie ist eine rettende That gewesen, die mit einem Schlage das Hin- und Herwogen der Meinungen über die Rolle, welche den Krankheitsgiften zuzuertheilen sei, zum Stillstand gebracht hat, in gleicher Weise, wie die Beseitigung der Lehre von der Um- wandlungsfähigkeit und die Statuirung der Artconstanz der krankmachenden Bacierien durch R. Koch solche Discussionen unmöglich gemacht hat, wie sie vor ihm unter den Aerzten die Tagesordnung beherrschten mit den Schlagworten „Schädlichkeit der Bacterien“ ‚und „Unschädlichkeit der Bacterien“. t } E ra f ine A ae Zu lee a BET eig TITIEN EN ES £ BEST Für die Lehre von der Aetiologie der Infections- krankheiten beginnt die Geschichte der Bacteriengifte erst mit der Kenntniss ihrer Labilität einerseits, ihrer Specifität andererseits, und so interessant das „putride Bacteriengifi‘ Panum's, das „Sepsin“ von Bergmann und Schmmiedeberg, die Plomaine von Selmi, Nencki und Brieger auch in anderen Beziehungen sein mögen, mit unseren jetzt als integrirenden Momenten in der Ent- stehung der Infectionskrankheiten erkannten Bacterien- giften haben alle diese Körper nichts zu thun. Ich kann mich daher hier mit dem Hinweis darauf begnügen, dass schon die Methoden zur Herstellung des „Tetanins“ aus Tetanusculturen, des „Putrescins“ aus Staphylo- coccusculturen u. s. w. es ausschliessen, dass in diesen chemischen Körpern das specifische Tetanusgift bezw. das Staphylococcengift gefunden sein könnte. Einige Andeutungen von der Zadilität der Bacterien- gifte finden wir bei Bergmann, wenn er angiebt, dass bei toxisch wirkendem Blut die Toxicität nach einigen Tagen geringer werde, und bei Bil/roth, welcher zeigte, dass toxisch wirkender Eiter gerade dann am giftigsten wirke, wenn er noch am meisten frisch und am wenigsten „putride“ ist (Gamaleia: „Les poisons bacteriens“ S. 5 und 6); bei diesen Beobachtungen war wohl aber die Action der lebenden Mikroorganismen nicht ausge- schlossen. Später, als durch R. Koch die krankmachende Fähigkeit der Bacterien, auch ohne jede Spur von ihnen anhaftendem, aus dem Thierkörper stammenden Gift, über allen Zweifel erhoben war, und als man die Gift- gewinnung aus Reinculturen beabsichtigte, da begegnen wir auch dem Begriff der Specificität, wenigstens nach der einen der oben erwähnten Richtungen, nämlich in Bezug auf die qualitativ differente Toxicität der ge- .wonnenen Substanzen, je nach der Art der Culturen; ebenso ist die dritte Haupterrungenschaft der Neuzeit, die vegetabilische Herkunft der Bacteriengifte, früher Behring, Die Diphtherie. h 7 Be schon discutirt worden, um allerdings wieder in der Lehre von den Ptomainen verneint zu werden: Aber jede dieser drei Eigenschaften für sich kommt auch noch einer Menge von anderen Substanzen :zu, die nichts mit unseren specifischen Bacteriengiften zu thun haben; und erst die Untersuchungen von Roux und Yersin und von Löfler über das Diphtheriegift, von Äoch über das Tuberkulin, von Äifasato unter .der Leitung von Koch über das Tetanusgift, haben die Möglichkeit der Fort- schritte angebahnt, welche nicht bloss in der Erkennt- niss der Aetiologie, sondern auch in Bezug auf die Heilung und Verhütung der Infectionskrankheiten seit- dem gemacht sind. ia Sg A Er ne IV. Historisch-kritische Uebersicht über die klinischen Beobachtungen und experimentellen Untersuchungen betreffend die Heilung und Verhütung der Diphtherie. Ueber die Heilbarkeit der Diphtherie und über Heilungsmittel finden sich interessante historische Be- merkungen in dem offenen Briefe Dreionneau's,- welchen ich dieser Arbeit vorangestellt habe. Wir erfahren dort, dass man schon in vorhistorischen Zeiten versucht hat, das Fortschreiten des local-diphtherischen Processes im Pharynx mit einem Metallsalzpräparat (Kupfer) me- dicamentös zu beeinflussen. Es wäre jedoch verlorene Mühe, die im Laufe der Jahrhunderte angewendeten Behandlungsmethoden der Diphtherie im Einzelnen durchzugehen, und ich fange auch hier gleich damit an, dass ich den Standpunkt fixire, welchen Dreionneau auf Grund langjähriger eigener Erfahrung am Krankenbett in therapeutischer Beziehung eingenommen hat. Er hat den Aderlass schädlich, Brechmittel, Vesi- cantien und andere ableitende Verfahren, wie Purgantien, Pediluvien, Sinapismen, von höchstens zweifelhaftem Nutzen gefunden (S. 88 ft.). Eine Allgemeinbehandlung hatte überhaupt nur bei zwei der vielen von ihm angewendeten Verfahren einen 7 >— TOO er unverkennbaren Einfluss auf den Verlauf der Diphtherie; bei der Anwendung der Polygala (Senega) und bei mercurieller Behandlung insbesondere mit Calomel. „Die Polygala (S. 241) ist ein Brechmittel und Abführmittel, wenn sie in der Dosis von einigen Gran Kindern verabreicht wird. Auf die Schleimhautsecretion der Luftwege übt sie einen moderirenden Einfluss aus; bei bestehendem chronischem Katarrh der Luftwege mit schleimig-eitriger Absonderung macht sie, in klei- neren Dosen öfters gegeben, das Secret dünnflüssiger und reichlicher.* Diese letztere Eigenschaft, welche Bretonneau namentlich bei tuberculösen Kranken an der Polygala kennen und schätzen gelernt hatte, versuchte er nun in denjenigen Diphtherietällen zu verwerthen, in welchen ein quälender, trockener Husten andeutete, dass die Schleimhautsecretion sehr gering war, und dass in Folge dessen die Loslösung und das Aushusten der Pseudomembranen erschwert wurde. In der That leistete ihm auch dieses Mittel gute Dienste, namentlich wenn er es mit der Calomelbehandlung combinirte. Diese wurde von ihm soweit getrieben, dass eine mässige Abführwirkung bei Kindern davon erfolgte. Für ein 2’/jähriges Kind (32. Beobachtung S. 189) waren hierzu "/,stündlich je 2 Gran, Tag und Nacht dargereicht, erforderlich. Bei eben demselben Kinde, das wegen einer sehr schweren Diphtherie des Pharynx und des Larynx am dritten Krankheitstage in die Be- handlung kam, wurde bei fortgesetzter Calomelbehand- lung am fünften Krankheitstage der Husten auffallend trocken und heiser; als nunmehr noch „polygala seneka“ in der Dosis von 5 Gran, alterirend mit Calomel, stünd- lich einmal gegeben wurde bis zum Eintritt brechen- erregender Wirkung, erfolgte sehr bald die Expecto- ration von Membranstücken. In diesem Falle, wie in mehreren anderen genau beschriebenen, ist Breionneau der Ansicht, dass diese combinirte Behandlung eine = OE Re lebensrettende Wirkung gehabt habe; aber, um dieselbe zu erzielen, mussten Calomel und event. die Polygala consequent bis zum Verschwinden der gefahrdrohenden Symptome fortgegeben werden. Jenes 2'/,jährige Kind hatte innerhalb von 63 Stunden nicht weniger als 216 Gran (3 gros) = ı2 g Calomel und 72 Gran (1 gros) =4g Polygala bekommen, ohne dass die Recon- valescenz ungünstig durch diese energische Behandlung beeinflusst worden wäre. Bei Erwachsenen wurde zuweilen die Calomel- behandlung noch mit energischer Schmiercur vereinigt. In einem Falle (30. Beobachtung S. ı80 ff.), bei einem 23jährigen Soldaten mit sehr weit vorgeschrittener und schwerer Diphtherie, wurden vom vierten Krankheits- tage ab stündlich 3 Gran Calomel (= 0,18 g) gegeben und ausserdem nach einander der Hals, die Brust und die Arme mit je 4 g (ı gros) grauer Salbe in drei- stündlichen Intervallen eingerieben. Am fünften Krank- heitstage wurden die Einreibungen mit etwas längeren Intervallen und ebenso die Calomelbehandlung fort- gesetzt. Bis zum siebenten Krankheitstage waren 30 (eine Unze) Ungu. hydrarg. cinerei duplic. in Form von Einreibungen und gleichzeitig 10 g (2'/. gros) Calomel (innerhalb von nicht ganz 60 Stunden) verbraucht! — Trotz dieser energischen Quecksilbercur sind Stomatitis und andere locale Intoxicationserscheinungen vermieden worden. Allerdings waren Abmagerung, schneller Puls und sehr starker Durst Folgeerscheinungen dieser Cur; aber bei dem sehr starken Appetit des Patienten wäh- rend der Reconvalescenz stellte sich bald volle Ge- sundheit und blühendes Aussehen ein. Freilich hat einige Male auch eine sehr üble Wir- kung der Quecksilberbehandlung sich bemerkbar ge- macht. Wenn bei bestehender hartnäckiger Obstipation Calomel weitergegeben wurde, ohne dass danach Stuhl- gang erfolgte, beobachtete Aretonneau häufig den Ein- ”— EOS tritt heftiger Salivation. Dieselbe wurde besonders störend bei Patienten, die an cariösen Zähnen oder anderweitigen präexistirenden krankhaften Verände- rungen der Mundhöhle litten. „Un tel effet (die Sali- vation) sera d’autant plus prompt, qu’une fluction, entre- tenue par la carie d’une dent, ou toute autre irritation preexistante, attirera vers la bouche l’action de la pre- paration metallique qui a et€ avidement absorbe“ (S.197). Zuweilen war scheinbar Alles gut abgelaufen, und erst nach Jahr und Tag traten Veränderungen allge- meiner Art ein mit scorbutähnlichem kachektischem Charakter, die auf frühere energische Quecksilber- behandlung zurückgeführt werden mussten (S. 198). Diese üblen Erfahrungen gaben Dreionneau Ver- anlassung, sich von den eigenartigen und merkwürdigen Quecksilberwirkungen durch Thierexperimente genauere Kenntniss zu verschaffen. Er arbeitete dabei an Hunden. Da erkannte er sehr bald, dass die Wirkung verschie- dener Präparate recht verschieden ausfiel. Ein Queck- silberchlorür, welches er durch Sublimation mit Wasser- dampf erhielt (e vapore paratum, calomel anglais), hatte die gleichmässigste Wirkung. Andere Chlorüre, die er durch einfache Sublimation und durch Fällung aus einer Mercuronitratlösung mittelst kochsalzhaltiger Soda- oder Ammoniaklösung gewonnen hatte, zeigten eine sehr ausgesprochene brechenerregende und durchfall- erzeugende Wirkung; bei jenem calomel anglais dagegen war: das gar nicht oder doch in viel geringerem Grade der Fall. Nach 12—ı5tägiger Behandlung dreier Hunde mit kleinen, öfters wiederholten Calomeldosen, die dreimal kleiner gewählt wurden, als die für kleinere Kinder verabreichten, also höchstens zu je ı Gran, ent- standen Lippengeschwüre von ganz eigenthümlichem “ Aussehen: „Ulcerations chancreuses, exuberantes, se montrerent ä la partie interne des levres; elles Etaient disposees symmetriquement et correspondaient aux ” ER; 103 TEE saillies des dents; la sertissure des canines offrait, de plus, un commencement d’Erosion.“ Mit Quecksilberoxyda/ gelang die Erzeugung solcher Geschwüre nicht; es traten danach heftige Durchfälle auf, die schnelle Abmagerung zur Folge hatten, und obwohl in einem Falle die Behandlung sistirt wurde, weil der Hund jede weitere Quecksilberdosis refüsirte („on ne pouvait plus le tromper; il reconnaissait la presence de la moindre quantite de mercure, sous quelque forme qu’on cherchät ä lintroduire dans ses aliments“), blieben doch die Entleerungen sehr häufig, wurden blutig und enthielten viel Schleim, bis schliess- lich das Thier an Marasmus zu Grunde ging. Andere Hunde, die Quecksilberoxydul bekamen, verendeten, weil sie gar nicht zu bewegen waren, Nahrung anzu- nehmen. Mehrere aber, die Dreionneau dann wieder vorsichtig mit Calomel fütterte, zeigten wiederum die Geschwüre an den Lippen und ausserdem auch solche am Zahnfleisch und an der Zunge; bei einem Hunde von mittlerer Grösse waren im Ganzen 42 Gran Calomel verfüttert worden (S. 203); einmal war auch die Glans penis davon befallen, nachdem 1*/. Monate mit Calomel gefüttert worden war. Die Ungleichmässigkeit der experimentell zu er- ‚zeugenden Calomelvergiftungserscheinungen konnte nicht immer auf ihre Endursachen zurückgeführt werden. Ganz zweifellos von Einfluss war aber die Lufttempe- ratur und der Umstand, ob die Versuche in feuchter oder trockener Zeit angestellt wurden. Racenunter- schiede machten demgegenüber nicht so viel aus (S. 204ff. und besonders auch S. 449). In der Mehrzahl der Fälle glichen die Quecksilber- vergiftungssymptome den beim Menschen zu beob- achtenden. „On voit survenir presque dans tous les cas la liquefaction et la decoloration du sang, la pro- stration des forces, le marasme et la mort.“ Diese experimentellen Resultate und die am Men- schen in ganz unvorgesehener Weise zuweilen einge- tretenen Vergiftungen waren Grund genug, um Dre- fonneau za der Mahnung an andere Aerzte zu veran- lassen: „zu der Quecksilber- Allgemeinbehandlung der Diphtherie, trotz ihrer specihschen Beeinflussung des Krankheitsprozesses, nur im Nothfall zu greifen.“ Abgesehen von der Allgemeinwirkung kommt dem Calomel nach Brvetonneau auch eine /ocale zu, indem der Contact diphtherisch erkrankter Schleimhäute mit dem Calomel die Membranabstossung beschleunigt und die Neubildung aufhält. Eine ausschliesslich locale Behandlung ist bei de- ginnender Diphtherie einzuschlagen, wenn die ersten Anzeichen eines Belages sich auf den Tonsillen zeigen. Die Menge der hierfür empfohlenen Mittel war schon damals eine sehr grosse. Eine strengere Kritik hielten aber nur‘ zwei davon aus: Der von Arelaeus empfohlene Alaun in Pulverform und die von van Swieten zuerst angewendete Salzsäure. Die Salzsäure hat Breionneau zuerst in der Weise mit Erfolg angewendet, dass er ı Theil derselben mit 3 Theilen Honig’ mischte; später fand er die reine con- centrirte Salzsäure vortheilhafter. In je 24 Stunden ist selbe nicht öfter als einmal zur Cauterisation zu ver- wenden, dann aber in energischer Weise; das sei viel zweckmässiger, als wenn man weniger concentrirte Säure und dieselbe öfter am Tage benütze (S. 92). Einathmung von Salzsäuredämpfen erwies sich auch wirksam, aber wegen der danach leicht eintretenden Erstickungsanfälle bedenklich. ‚Andere Säuren, wie Schwefelsäure, leisteten weniger. In späterer Zeit, gelegentlich der Epidemie von Chenusson im Jahre 1825 (S. 444), liessen zahlreiche Beobachtungen den Schluss zu, dass die im Allgemeinen von Bretonneau bevorzugte Salzsäureätzung der diph- therischen Primärerkrankung doch wohl durch die beiden anderen Mittel, deren specifischen Einfluss auf den membranbildenden Process er erkannt hatte, mit Vortheil ersetzt werden könne, durch Ca/ome/ und durch Alaun. Die günstige al/gemeine Umstimmung der Krankheit durch energische Calomelbehandlung schreibt er der Fähigkeit dieses Mittels zu, das Blut so zu verändern, dass seine Consistenz dünnflüssiger wird; ferner der Fähigkeit, den Blutzufluss nach schon vorher entzündlich veränderten Gewebspartieen zu vermehren und dieselben zur Mortification zu bringen, wodurch die specifisch- diphtherische Entzündung modificirt und die Neubildung von Membranen verhindert werde (S. 444). Gegenüber dieser erwünschten Calomelwirkung stehe nun aber die Vergiftungsgefahr bei Anwendung so grosser Dosen, wie sie zur Erreichung jener Effecte erforderlich seien; und es fragte sich, nach Constatirung der /ocalen Calomelwirkung, ob man nicht mit. dieser allein auch zum Ziel kommen könne, ohne Intoxications- gefahr. Leider erwies sich die Hoffnung, dass das Calomel durch die Pseudomembran hindurch das darunter liegende lebende Gewebe in der beabsichtigten Weise beeinflussen würde, als trügerisch („cette action ne peut s’excercer a travers la fausse membrane qui recouvre les tissus affectes. On ne doit pas en £tre surpris quand il s’agit d’une substance aussi insoluble que le protochlorure de mercure“), und überdies komme man nicht überall hin zu den erkrankten Partieen. Immerhin versuchte er durch energische Insufflation in den Nasenrachenraum möglichst viel Calomelpulver hineinzubringen, wobei die unerwünschte Allgemein- ‘ wirkung durch die Anwendung von Abführmitteln zu verhüten gesucht wurde, indem hierdurch eine schnellere Ausscheidung des Quecksilbers erzielt werden sollte (S. 446). OR Aber auch so noch blieben unangenehme Neben- wirkungen nicht aus; und deswegen nützte später Dre- tonneau die den diphtherischen Process gleichfalls günstig beeinflussende Fähigkeit des Alaunpulvers aus, welches allgemeine Vergiftungserscheinungen auch in grösseren Dosen nicht zur Folge hat. Auf die günstigen Resultate, die er mit dem Alaun in ganz einwandsfreier Weise namentlich bei der Behandlung von Hautdiphtherie und der Gingivitis diphtheritica bekam, bezieht sich die in seinem „Offenen Brief“ enthaltene Stelle, wo er von dem „Geschenk“ spricht, „das uns Aretaeus hinterlassen hat“. Man findet: noch öfter in dem Buche Dretonneau's den Kampf geschildert, den er mit sich selber immer von Neuem durchzuführen hatte, wenn es sich darum handelte, ob er auf die Ueberlegenheit der specifisch den Krankheitsprocess alterirenden Quecksilberwirkung in schweren Fällen verzichten sollte. Immer von Neuem aber wurde er durch die damit verbundene Gefahr für das behandelte Individuum abgeschreckt; eine Gefahr, die nicht so sehr von der Grösse der angewendeten Dosis abhängig war, als von den zufällig die Krankheit begleitenden Umständen, die sich jeder Berechnung entzogen. | Während die Allgemeinbehandlung mit Queck silberpräparaten und die Localbehandlung mit Salzsäure, Calomel und Alaun einer Indicatio causalis entsprechen, bleibt dann noch ein rein syrzPZormatisches Behandlungs- verfahren zu nennen, das durch Dreionneau zu hohen Ehren gekommen ist: Die Tracheotomie. Bis zum Jahre 1826 hat er dieselbe fünfmal aus- geführt, viermal, ohne den tödtlichen Ausgang damit verhüten zu können, darunter aber dreimal mit deutlich lebensverlängerndem Erfolg; einmal, bei seiner driften Tracheotomie, mit lebensrettender Wirkung. Diese historisch berühmt gewordene Tracheotomie betraf die jüngste vierjährige Tochter des Grafen vo» 17 — Puisegur, Elisabeth, welche im Jahre 1824 an Diphtherie erkrankte, nachdem drei Geschwister vorher dieser Krankheit erlegen waren. Am siebenten Krankheitstage war fast jede Hoffnung auf die Lebenserhaltung ge- schwunden. Fortwährende Somnolenz und äusserste Schwäche liessen trotz der zur Operation auffordernden Asphyxie Dretonneau lange zweifelhaft bleiben, ob er noch die Tracheotomie ausführen sollte, da kaum eine Hoffnung auf mehr als vorübergehende Erleichterung, wenn man die bisherigen Misserfolge der Tracheotomie berücksichtigte, vorhanden war: „A en juger par liissue des deux cas rapportes (die zwei ersten Tracheotomieen), ‘que pouvait-on s’en promettre? Dans lun, la vie avait a peine Eet€ prolongee pendant douze heures, et, dans lautre, des esperances qui semblaient mieux fondees, avaient et€E cruellement desues. Devais-je donc ajouter &a un malheur qui semblait inevitable, le tourment d’une longue et inutile perplexite?“ Indessen in den beiden voraufgegangenen Jahren hatte Dretonneau, belehrt durch seine früheren Beob- achtungen und durch eigens angestellte Thierexperimente, die Verbesserungsfähigkeit in der Ausführung der Tracheotomie erkannt. Der Hauptfehler, dessen er sich in den beiden ‚ersten Fällen anschuldigte, war die zu geringe Weite der Canülen, die er in die eröffnete Luftröhre ein- gebracht hatte. In dieser Richtung waren ihm Beob- ‚achtungen an zwei Pferden ausserordentlich lehrreich. Fortwährend während eines Zeitraumes von mehr als zwei Jahren hatte er den Einfluss verfolgt, welchen die _ Canülenweite auf den Athmungsprocess dieser Thiere _ ausübte. Dieselben waren wegen einer mit Erstickungs- gafahr verbundenen keuchhustenähnlichen Erkrankung (.cornage‘, gene bruyante de la respiration S. 219) tracheotomirt worden, wonach ihnen zunächst Canülen _ eingelegt wurden, die wegen ihres zu geringen Lumens — : 108 — die Athmung behinderten. Dann ging es besser, als Canülen mit einer lichten Weite von 6—7 Linien in die Luftröhren eingeführt wurden, aber nur so lange, als sich die Thiere im Ruhezustande befanden; bei jeder Anstrengung trat wieder Athemnoth ein; erst als die Canülendicke die Stärke des Daumens (tuyau d’un pouce de diametre) eines erwachsenen Menschen besass, blieb die Athmung unter allen Umständen unbehindert; vier Jahre lang sah Dreionneau diese Pferde mit ı2 Linien im Durchmesser betragenden eisernen Röhren in der Trachea ihre nicht leichte Arbeit (in einer Bleifabrik) verrichten. ? Neben der Canülenweite hatte er dann seine Auf- merksamkeit der Frage nach der Wahl der Operations- stelle und nach der Ausdehnung der Trachealöffnung zugewendet. In dieser Beziehung kam er nach Ver- suchen an Hunden, nach Leichenoperationen und unter Berücksichtigung seiner Erfahrungen bei den erst- operirten Kindern zu dem Resultat, dass der Einschnitt in die Trachea am besten oberhalb der Schilddrüse beginnt, deren beide seitliche Hälften ohne Gefahr ge- theilt werden können (divise); nach unten soll der Schnitt möglichst weit geführt werden, jedoch nicht bis an die Kreuzung mit dem oberen Sternalrand (au delä de l’Echancrure sus-sternale); und zwar aus folgenden drei Gründen: Erstens stosse man dort alsbald auf die rechte Carotis, welche in dieser Höhe über die Trachea hinwegzieht, zweitens entspringen hier die Schild- drüsenvenen, deren Verletzung unangenehme Blutung verursache, die um so heftiger sei, als in der Regel in den zur Operation gelangenden Fällen die Venen sehr stark erweitert sind; drittens liege hier die Luft- röhre schon ziemlich tief, da sie ja, der Wirbelsäule nahe bleibend, um so weiter von der vorderen Hals- gegend sich entferne, je mehr man sich dem Sternum nähert. Als eine weitere Vorsichtsmaassregel, die sehr zu - . beachten sei, erklärt Arefonneau dann die Verhinderung ‚des Einströmens ungenügend vorgewärmter Luft in die Luftröhren und die Lungen (S. 219). Endlich sei von grosser Wichtigkeit die Nachbe- handlung, welche nicht bloss auf die zweckmässige Entfernung der Membranen aus den Luftröhrenästen und auf die sorgfältige Reinigung und Freihaltung der Canüle ihr Augenmerk Zu richten habe, sondern auch auf die Anwendung geeigneter Mittel, um die Neubildung von Pseudomembranen nach Ausstossung der alten zu verhüten. Für diesen Zweck finden wir ihn wieder ‚oftmals auf der Suche nach einem Ersatz des Calomels durch Einathmung von Säuredämpfen u.ä. Er ist aber schliesslich doch immer wieder auf das Calomel zurück- gekommen. Erst viele Jahre später fand er im Höllen- siein ein Mittel, welches bei geringerer Vergiftungs- ‚gefahr eine noch bessere Localwirkung entfaltete. Was dann noch das Material betrifft, aus welchem die Canüle zu bestehen habe, und ihre Form, so hatte er Anfangs elastische Canülen gewählt, sah dann aber, dass ein festes Material zweckmässiger sei, nur müsse ‘dann die Canüle eine geeignete Krümmung haben und unten schief abgeschnitten sein (coupe en biseau). = Alle diese Erfahrungen und Erwägungen berück- sichtigend, entschloss sich Brefonneau trotz der traurigen Prognose zur Operation, die wegen der colossalen Venenstauung recht schwierig war; durch Unterbindung einzelner Venen konnte er eine genügende Blutstillung nicht erwirken, und erst nach Anlegung von Massen- ligaturen riskirte er die Eröffnung der Trachea, von welcher er fünf Ringe durchschnitt. Dann legte er eine silberne gekrümmte Canüle ein, die etwas abge- plattet war (canule d’argent courbe et meplate), und _ befestigte dieselbe mittelst zweier Bänder, welche durch seitlich am Canülenrande angebrachte Oesen hindurch- HR LIN Fe gezogen und hinten am Halse zusammengeknotet wurden. Die Athmung wurde alsbald etwas ruhiger, aber erst nach Herausbeförderung mehrerer Membranen und zäher Schleimmassen im Laufe der folgenden Nacht und des folgenden Tages liessen die gefahrdrohenden Störungen nach; alsbald nach der Operation und während der folgenden Zeit wurde öfters Calomel durch die Canüle hindurch insufflirt. Mancherlei Zwischenfälle stellten während der nächsten fünf Tage besonders beim Ca- nülenwechsel die Erfindungsgabe Dreionneau's auf die Probe. Am fünften und sechsten Tage, als die ersten deutlichen Zeichen sich bemerkbar machten, dass Luft durch den Kehlkopf hindurch beim Canülenwechsel hindurchging, begann er auf Heilung zu hoffen. Das Calomel wird jetzt in Wasser suspendirt durch die Canüle tropfenweise instillirt (S. 314). Am siebenten Tage war das Kind munter, sass im Bett, zeigte Appetit, und die Canüle konnte wegge- lassen werden. Aber schon in der folgenden Nacht musste sie wegen plötzlicher Erstickungsgefahr unter grossen Schwierigkeiten wieder eingeführt werden, wo- rauf eine ganze Menge von Membranstücken nach und nach ausgehustet wurden. Erneute Calomelinstillationen schienen die Membranbildung wieder zu beschränken, jedoch nicht gänzlich zu sistiren. Vom ı9. Tage ab nach der Operation liess Zreionneau wieder die Canüle weg, da ihr Anliegen an der Larynxwand heftigen Reizhusten verursachte. Die Wunde wurde dabei zuerst durch ein Schwämmchen offen gehalten; dasselbe schien aber. stark zu reizen und wurde daher entfernt. Alles ging von da ab gut, und vom 20. Tage nach der Ope- ration an konnte das Kind als geheilt betrachtet werden. In den epikritischen Bemerkungen, welche Bre- fonneau an diesen Fall anschliesst, geht er auf die un- angenehmen Zufälle ein, welche die Verstopfung der Canüle und der dadurch häufig nothwendig werdende re SE Canülenwechsel mit sich bringt. Das führte ihn darauf, eine Doppelcanüle anfertigen zu lassen. „Un second tuyau, exactement adapte ä la canule, pouvant £tre enleve, nettoy& et remis avec la plus grande facilite, eüt Eevit€ les inconvenients d’un deplacement qui, slil n’etait pas fort douloureux, avait au moins l’inconvenient de causer ä la petite malade beaucoup d’impatience et de contrariete. J’ai fait executer ce double tuyau par un habile ouvrier, mais trop tard pour qu’on ait pu en faire usage (S. 326).“ Man wird gestehen, dass die Ausführung der Tracheotomie und die Technik der Nachbehandlung durch Zretonneau eine Höhe der Ausbildung erfahren hat, die nur in weniger wesentlichen Dingen noch durch spätere Aerzte und Chirurgen überschritten ist. Was das aber für die damalige Zeit besagen will, das können wir erst recht würdigen, wenn wir berücksichtigen, dass zwar schon #Zome die Tracheotomie vorschlug und Caron dieselbe befürwortete, weil er einen glück- lichen Erfolg derselben einmal gesehen hatte, als er sie bei einem Kinde ausführte, welchem eine Bohne in die Trachea gelangt war, dass aber die allgemeinen An- schauungen durchaus den Nutzen der Tracheotomie verneinten. Jwrine, der Eine von den mit Napoleons Crouppreis gekrönten Bewerbern, lässt am besten in seiner Arbeit erkennen, worauf dieses Urtheil sich stützte: „Die wesentliche Ursache der Croupanfälle sei in einem Krampjzustande zu suchen, und durch den operativen Eingriff werde der Krampf bloss noch ver- mehrt.“ „Ce n’est pas toujours la presence de la fausse membrane qui fait perir les malades; le retour perio- dique des acc&s de suffocation, m&me avant la formation de la concretion, atteste evidemment l’action d’un autre agent. Ne sait-on pas que la concretion, molle et flexible de sa nature, se moule exactement sur le con- duit a@rien, et niintercepte jamais entierement l’ouverture Kar EIER. de la glotte, comme pourrait le faire un autre corps etranger? Ne sait-on pas aussi que plusieurs individus ont porte plus ou moins longtemps de semblables con- cretions sans en £tre suffoques?“ (S. 259 in der Arbeit von Jurine). Der Umstand, dass die bedeutendsten Aerzte der damaligen Zeit die eine solche Anschauung vertheidi- gende Arbeit des Preises tür würdig erachteten, zeigt besser als alles Andere, wie sehr Dreionneau seine Zeitgenossen überragte, wenn er auf Grund ausschliesslich von eigenen klinischen Beobachtungen und experimen- tellen und chirurgischen Erfahrungen eine Zusammen- fassung des Vorgehens bei der Tracheotomie geben konnte, wie die folgende, welche auch heute noch den besten Vorschriften sich würdig an die Seite stellen lässt (S. 339): „S’il me fallait aujourd’hui pratiquer la tracheotomie sur un objet parvenu au dernier terme de la suffocation croupable, je ferais aux teguments une incision qui s’etendrait du corps thyroidien ä lechan- crure sus-sternale; avec la pince A mors recourbes, jecarterais les muscles sternohyoidiens, et si je ne par- venais pas, par ce m&me moyen, a degager la ligne mediane de la-trachee du plexus veineux dont elle est ordinairement recouverte, je prendrais le parti de lier dans le sens convenable et avant de les ouvrir, celles des veines que je ne pourrais eviter. Enfin, apres avoir incise un des cerceaux cartilagineux de ce conduit, je terminerais l’op£ration en divisant ensuite trois ou quatre autres anneaux avec un bistouri ä lame etroite et boutonnee, ef je me laisserais d’autant moins arreter par Vefusion dun peu Ve sang, que Phemorrhagie ba- veuse fournie par les levres de la plaie, Sarrete aussitöt que la respiration Sexecute librement.“ Bretonneaws Schüler Trousseau hat 25 Jahre später (1851) in der Union me&dicale (gr und 92) viele weitere Details in meisterhafter Weise geschildert, welche bei Dr u der Ausführung der Tracheotomie in Frage kommen; vor Allem setzte er die Regeln fest für die Art, wie man in-einem geordneten Krankenhause zu operiren hat; jedoch seine Empfehlung, die Unterbindung kleinerer Gerässe zu unterlassen, hat sich auf die Dauer nicht bewährt, Chassaignac's Verfahren bei der Tracheotomie (Le- gons sur la tracheotomie 1855), welches durch die Schnelligkeit der Ausführung zuerst sehr imponirte, ist allgemein wieder verlassen worden. Nach Chassaignac soll die cartilago cricroidea mit seinem „tenaculum“ fixirt werden, und danach könne man mit eirern Schnitt die Trachea eröffnen, indem man ein Bistouri dem „te- naculum“ entlang durch die Haut bis in die Trachea auf einmal („sans hesitation*) einsticht und dann drei bis vier Trachealringe durchschneidet. („Saisissant le tenaculum de la main gauche, attirant en avant le car- tilage cricoide et par consequent la trachee, puis pre- sentant le bistouri adosse a la convexite du tenaculum, le chirurgien le plonge par un mouvement de ponction dans la trachee, immediatement au contact du point ou le tenaculum est implante et divise Ze conduit d’un seul couß en meme temps que la peau. Immediatement apres cette premiere ponction on introduit dans la petite plaie _ an bistouri boutonne€ et I’on incise, en suivant la ligne mediane, tous les tissus, depuis la peau jusqu’a la trachee, dans une etendue de deux centimetres environ.“) Man hat diesem Öperationsverfahren namentlich chirur- gischerseits manche ungerechten Vorwürfe gemacht; aber beglaubigte Fälle von Scheintod und wirklichem Tod in Folge der andauernden Fixation der Trachea bei den an sich schon in Erstickungsgefahr befindlichen Kindern hat auch Chassaignac selbst nicht zu leugnen vermocht; dagegen ist nach dem Urtheil mehrerer Autoren (Zsambert, Millet) die Gefahr der Biutung nicht _ so gross, wie man von vornherein glauben sollte, und Behring, Die Diphtherie. 8 die Einführung der Canüle macht keine Schwierigkeiten, wenn man sich des von Chassaignac eigens für diesen Zweck construirten „dilatateur“ bedient. Auch das ingeniös. erfundene „7vacheotom*“ von Maisonneuve, welches derselbe ı861 der Akademie de- monstrirte, hat nur wenige Anhänger gefunden, und auch andere Bestrebungen, den Act der Operation zu beschleunigen, wurden nach vorübergehendem Aufsehen bald wieder vergessen; man hat sich immer mehr von der Richtigkeit des Ausspruchs Tyrousseau’s überzeugt, dass die Tracheotomie nicht zu denjenigen Operationen gehört, bei welchen ‘es auf besondere Schnelligkeit ihrer Zuendeführung ankomme; im Gegentheil, sie könne nicht langsam genug gemacht werden („elle doit £tre faite lentement, tres-lentement, trop lentement*“). Als einen wesentlichen Fortschritt dagegen kann man die Einführung der Ciloroformnarkose bei der Tracheotomie ansehen. Zwar sind die Meinungen über den Nutzen derselben noch nicht ganz geklärt; indessen auf die Frage: „SoZ man chloroformiren?“ werden gegenwärtig die meisten Chirurgen nur wenig gegen die Antwort einzuwenden haben, welche A Aönig in seinem Lehrbuch der speciellen Chirurgie (1878 S. 574) giebt. Er sagt daselbst: „Ich war früher mit vielen Anderen aus theoretischen Gründen ein Gegner der Narkose, aber die Praxis hat mich bekehrt. Gern ge- stehe ich zu, dass es Fälle giebt, in denen Zeit zum Chloroformiren überhaupt nicht mehr bleibt, in denen auch oft schon die Kohlensäure eine fast vollkommene Anaesthesie herbeigeführt hat, auch sind mir ganz seltene Fälle vorgekommen, in welchen das Chloroform die Aufregung und Erstickungsangst so vermehrte, dass man sich dadurch bestimmen liess, lieber auf die An- wendung desselben zu verzichten; aber im Allgemeinen ist, besonders, wenn man im Stadium der Erstickungs- angst operirt, die Anästhesie ein entschiedenes Erleich- r — 115 — terungsmittel der Operation. Die tobenden Kleinen werden ruhig, ja sie athmen auch weit ruhiger, und die Chloroformnarkose pflegt die Kohlensäurenarkose durchaus nicht zu vermehren. Dazu kommt, dass die heftigen Bewegungen und das exspiratorische Drängen durch die Narkose aufgehoben wird und somit auch die wenösen Blutungen bei weitem nicht von der Be- deutung sind, ‚wie bei den meisten unnarkotisirten Kranken.“ An die Ausführung der Tracheotomie schliesst sich noch eine grosse Zahl anderer wichtiger Fragen an, die zum Theil auch jetzt noch immer discutirt werden. Wann soll operirt werden? Da stehen sich die Ansichten Derer gegenüber, die so früh wie möglich, und Derer, die so spät wie möglich operiren wollen. Allgemein wird aber anerkannt, dass das Auftreten erheblicher inspiratorischer Einsenkungen im Jugulum, in der Fossa supraclavicularis, im Scrobiculum cordis ein wichtiges Anzeichen für die beginnende Erstickungs- gefahr ist. Es ist das zwar, wie Äönig sich ausdrückt, noch ein ac/ives Stadium, in welchem noch Sauerstoff genug im Blut ist, um das Gehirn soweit zu ernähren, dass das Bewusstsein frei bleibt; durch forcirte Athmung 2 wird ein Ausgleich der durch die Stenose bedingten 3 Erschwerung der Luftzufuhr versucht; es besteht die äusserste Erstickungsazgs/, aber die Wangen sind noch geröthet als Zeichen dafür, dass Kohlensäureüberladung des Blutes noch nicht eingetreten ist. Wie lange aber _ dieses Stadium andauert, ob es spontan überwunden - wird, oder bald in das der Apathie mit Schläfrigkeit E übergeht, wobei das weisse Gesicht und die bläulichen Lippen die Sauerstoffarmutk des Blutes anzeigen, das lässt sich nicht vorausberechnen. Die meisten Chirurgen operiren in jenem activen Stadium; freilich kann man _ auch im Somnolenzstadium noch tracheotomiren; aber = die Chancen für eine lebensrettende Wirkung der Ope- 8 — 116 — ration sind viel grösser bei früherer Ausführung der- selben. Bezüglich der Frage, ob man statt der Tracheo- tomie die Zaryngotomie oder die Zaryngo-Tracheotomie anwenden solle, können wir uns an folgendes Urtheil Chassaignac’s („Legons sur la tracheotomie“, Paris 1855) halten: „De toutes les operations qui ont Et€ pr&conisees pour ouvrir l’arbre a@rien, la trach&otomie est la meilleure A nos yeux; elle est m&me la seule qui soit bonne et qui merite d’etre adopte comme methode generale. La laryngotomie est une mauvaise operation; on en attenue un peu les defauts quand on la combine avec la trach@otomie; mais dans ce dernier cas, liinceision du larynx a linconvenient d’etre aA peu pres inutile. La seule operation vraiment rationelle pour l’ouverture chirurgicale des voies a@riennes, c’est la tracheotomie. Sans entre dans toutes les considerations qui motivent notre maniere de voir, nous nous. bornerons ä dire que la condition essentielle de toute bonne operation Jaite sur les voies aöriennes, cest de permettre Üetablissement d’une canule dans la plaie de operation. Or, Ü my a que la section des anneaux de la trachee qui melte a meme de realiser cette condition d’une maniere salis- JFaisante“ Welche Methode man aber auch wählen mag für die Operation, und in welchem Stadium der Erstickungs- gefahr bei schwerer Diphtherie die Tracheotomie aus- geführt sein mag, es haben sich die Erfolge seit Dre- Zonneau nicht wesentlich gebessert, und die Mühen, welche die Nachbehandlung in dem ersten, glücklich verlaufenen Verfall bei der kleinen Züsabeth Puysegur erforderte, sind gleichfalls nicht geringer geworden. „Der Chirurg, welcher glaubt (sagt König 1. c. S. 579), es sei mit dem Niederlegen des Messers und dem Ein- führen der Canüle bei dem wegen Diphtherie tracheo- tomirten Kinde Alles geschehen, hätte für die meisten Nee Tg a a a SE anerrinn . FERN Fälle besser gethan,. die Operation überhaupt nicht vorzunehmen.“ Abgesehen davon, dass durch die Tracheotomie ja nur ein Symptom der Krankheit, die Kehlkopfstenose, beseitigt wird, während die Tendenz des Krankheits- processes, sich auf die Luftröhre und ihre Verzweigungen auszubreiten, sowie im Lungengewebe Veränderungen hervorzurufen, nicht ‚aufgehoben wird, abgesehen von dem Eintritt asphyktischer Zustände in Folge von Ver- stopfungen der Canüle, welche die sorgfältigste Beob- achtung und sachverständige Behandlung erfordern, sind noch mancherlei Folgezustände der Operation selbst oft genug unheilbringend geworden. Die Erstickungsgefahr nach dem Entfernen der Canüle kann nicht bloss durch zu frühzeitiges Entfernen, sondern auch, nachdem sie sehr lange getragen war, eintreten; ich sah in der Praxis von Dr. Paz/y in Posen solche Fälle, wo Granulationswucherungen das Leben bedrohten, nachdem schon lange Zeit die Canüle weg- gelassen und die Hautwunde fast verheilt war. Die Stimmbandmuskeln können in Folge des langen Nicht- gebrauchs gelähmt werden (Bose und Trendelenburg). Trachealgeschwüre und Blutungen aus denselben sind als Todesursachen beobachtet worden, wenn schlecht passende Canülen die Trachea erodirt hatten, Narbige Stenosen können die Kranken zum fortwährenden Tragen der Canüle verurtheilen. Knorpelnekrose und phleg- monöse Processe an der tracheotomischen Wunde sind zwar selten, kommen aber vor. Kurz, auch die vom Erstickungstode durch die Tracheotomie zunächst ge- retteten Kranken sind noch so vielen Gefahren ausge- setzt, dass das Wort Malgaigne's sich noch jetzt immer bewahrheitet: „Die Einführung des Luftröhrenschnitts in die Behandlung der Diphtherie war ein grosses Ver- dienst um die Menscheit, ein noch grösseres aber würde es sein, wenn es gelänge, denselben vermeidbar zu machen.“ — 'm8 — Loiseau, ein Arzt in Montmartre, hatte im Jahre 1857 der Academie francaise ein Verfahren unterbreitet, welches diesen Zweck erfüllen sollte. Er versuchte das Athemhinderniss der in Erstickungsgefahr befindlichen Kinder dadurch zu beseitigen, dass er den Larynx kathetrisirte, und die Commission, welche zur Prüfung seines „catheterisme laryngien“ eingesetzt war (Tvousseau, Blache etc.), bestätigte, dass in der That das Einführen von elastischen Kathetern in den Larynx und die Trachea bei genügender Uebung gut gelinge; aber Zoiseaws Methode, die übrigens nach 7yoxsseau schon in ähnlicher Art 1839 von Diefenbach angegeben war, hat die Tracheotomie nicht verdrängt. Ebensowenig ist das geschehen durch Dozchut’s „tubage de la glotte“. Bouchut führte mit Hülfe von an beiden Enden offenen Kathetern cylindrische Silberringe („des viroles d’argent cylindriques“) von 17. —2 cm Länge in den Kehlkopfeingang ein, wo ein solcher Ring mit seinem oberen Rande unterhalb der oberen Stimm- bänder, mit dem unteren an der Innenfläche der cartilago cricoidea zu liegen kam. Die Ränder des Ringes (oder besser der kurzen „Canüle“) waren oben und unten mit Einfassungen von elastischem Material („bourrelets“) versehen und hatten Oeffnungen, an denen Seidenfäden befestigt waren, welche dazu dienen sollten, die Canüle aussen festzuhalten. Diese „tubage de la glotte“* wurde von Tyrousseau in der Academie francaise auf’s heftigste. angegriffen. Sie mache Ulcerationen, Nekrosen, Phleg- monen und schliesslich Glottisoedem, so dass schliesslich doch die Tracheotomie nothwendig werde. Verfolgt man die Entwicklung, welche in Arank- reich die Diphtheriebehandlung bis zu unserer Zeit weiter genommen hat, so lässt sich erkennen, dass man dort sich nicht allzuweit von den durch Dreionneau ; ee A { 1 Oee aufgestellten Principien entfernte. Zwar ist seit dem siegreichen Vordringen der antiseptischen Wundbehand- lung die Zocalbehandlung des beginnenden diphtherischen Krankheitsprocesses insofern etwas modificirt worden, als in Frankreich ziemlich allgemein die Methode von Gaucher acceptirt ist, welche im Wesentlichen darin besteht, dass zunächst die Pseudomembranen künstlich entfernt und dann die erkrankten Stellen mit einer starken antiseptischen Lösung geätzt werden, wobei lösliche Quecksilberpräparate der Mercurireihe den Vorzug erhalten haben vor dem unlöslichen Queck- silberchlorür Dreionneau's; auch hält man es für erfor- derlich, hinterher Ausspülungen der Mundhöhle und des Rachens mit dünnen antiseptischen Lösungen vorzu- nehmen .(Dourges, „La diphthierie“ S. 201); indessen ein- flussreiche Autoren halten die gewaltsame Entfernung der Pseudomembranen für keinen Fortschritt in der Behandlung; so sagt Roxx: „Je ne suis pas du tout partisan du raclage ä outrance des fausses membranes pharyngees, On traumatise sans cesse de la sorte la surface des amygdales. En detruisant les fausses mem- branes, on detruit aussi certaines parties de la muqueuse, et on cr&e de nouvelles portes ä l’absorption de la toxine sans cesse produite par les microbes qui pullulent ‚sur lepithelium* (Zowrges 1. c. S. 205). In der Allgemeinbehandlung wird, dem Zuge a: Zeit folgend, die Ernährungstherapie vorangestellt (l. c, S. 206), aber wir sehen doch die Tradition der speci- fischen Quecksilberwirkung sich forterhalten, wenn Bourges (l. c. S. 207 ff.) sagt: „Quand l'engorgement ganglionnaire prend des proportions trop considerables, on peut faire sur les parties malades des onctions d’onguent napolitain“; daneben werden allerdings auch neuere Antiseptica empfohlen. In Bezug auf die Beseitigung der Erstickungsgefahr ist man wohl ganz wieder in die Fussstapfen Breionneaw's RE — ae Re gerathen, indem man die von demselben eingeführte Tracheotomie als das beste Mittel hierfür betrachtet. In Deutschland ist man bis auf die Tracheotomie nur mit dem einen Theil der therapeutischen Er- fahrungen Dretonneaus dauernd in Uebereinstimmung geblieben, nämlich mit der »egirenden Kritik. Das Wort Dretonneau's „La multitude m&me des moyens auxquels on a eu recours, ne prouve que trop lin- suffisance du plus grand nombre“ hört man in allen Tonarten variirt wiederholen; den 2osifiven Theil der therapeutischen Errungenschaften Dreionneau's hat man aber immer wieder vergessen;') trotz aller Skepsis und trotz aller streng wissenschaftlichen Kritik hat dabei aber doch jeder Kliniker zeitweise sein besonderes Diphtheriemittel. Wenn Gerhardt („Der Kehlkopferoup“) von der grossen Zahl von Aetzmitteln, von Excitantien, ‚von ableitenden Mitteln aller Art, Blutentziehungen u. s. w. nichts hält, wenn er vor der „tubage de la glotte“ warnt, „ehe. Beweise ihrer Leistungsfähigkeit vorliegen,“ wenn er die scheinbar so günstigen Erfolge der Tracheotomie in den Statistiken des „Höpital des enfants“, mit ihren 63°/. Heilungen bei früh ausgeführter Operation, in scharfer, aber gerechter Weise mit fol- genden Worten kennzeichnet: „Schon vor diesem Sta- dium (vor Beginn eigentlicher Asphyxie) soll operirt werden, um zahlreiche Heilungen zu erzielen. Wir glauben es gerne, man wird mehr Heilungen haben, aber man wird auch den Vorwurf haben, zum Messer gegriffen zu haben, wo kein Croup vorlag, jenen Vor- wurf, den Malgaigne fest auf einzelne, wenn auch wenige Fälle gestützt gegen das Verfahren im Höpital des en- ) Die Quecksilberinunctionen hat Zrerichs specifisch wirksam gefunden, wie Bartels (Deutsches Archiv f. klin. Med. II. Bd. S. 367 bis 452) aus seiner Assistententhätigkeit bei demselben berichtet (1852); ‚auch Bohn in Königsberg und G. Zewin rühmen eine energische Quecksilberbehandlung bei der Diphtherie. ME N. SER - N BE u 9 De fants erhoben hat. Freilich, was liegt in einem Hospital daran, drei oder vier Croupfälle ohne Croup operirt zu haben; was liegt daran, wo nur die Zahlen entscheiden, wo es nur darauf ankommt, entscheidende Zahlen zu gewinnen“ (l. c. S. 79), — so wird sich gegen seine Kritik nichts Stichhaltiges einwenden lassen; aber wenn wir nun nach dem ZosiZiven Theil der Therapie in seiner Monographie uns umschauen, dann stossen wir auch wieder auf die Empfehlung eines Verfahrens, welches sich einer unbedingten Anerkennung kaum erfreuen wird. Er sagt (S. 81): ... „Wir rathen, schon beim ersten Verdachte zur Anwendung von Brechmitteln zu schreiten und halten es zwar nicht für erwiesen, doch auch keineswegs für unwahrscheinlich, dass so eine frühzeitige Beendigung des ganzen Krankheitsprocesses erreicht werden könne. Gelingt dies nicht, so wären unter Fort- setzung der Emetica Aetzungen oder auch je nach Um- ständen einige Blutegel an das Manubrium sterni damit zu verbinden; wo diese Mittel sich nicht bald wirksam erweisen und die Diagnose ganz feststeht, ist die Tracheo- tomie vorzuschlagen“; und bei drohender oder herein- gebrochener Asphyxie die Excitantien als unwirksam charakterisirend, fährt G. an anderer Stelle fort: „Lange würde ich daher nicht auf die Wirkung dieser Excitantien warten, sondern mich in ganz desparaten Fällen, um dem Decorum Genüge geleistet zu haben, auf die Ap- plication einiger Hautreize, Sinapismen u. dergl. be- schränken, in etwas besseren Fällen alsbald zur An- wendung Aalter Begiessungen im lauen Bade wenden. Diese stellen das kräftigste, wirksamste, revulsorische Mittel dar und vermögen noch am ehesten, wo es überhaupt möglich ist, das entschwundene Bewusstsein, wenn auch nur auf Momente, zurückzurufen.“ Seit dem Erscheinen der Arbeit von Gerhardt sind jetzt mehr als 30 Jahre vergangen, aber ich glaube, dass sich bei uns noch immer nicht eine Uebereinstimmung der Kli- re 2 niker darin ergeben hat, wie man es mit der Local- behandlung, wie mit der allgemeinen Behandlung und dem Gebrauch von Brechmitteln, Blutentziehungen, ab- leitenden Reizen, Abführmitteln, Calomel, Bädern u. s. w. zu halten habe, und eventuell ob man überhaupt ernstlich etwas gegenüber einer Diphtherieerkrankung thun solle. Ich meine, das wird auch nicht anders werden, bevor wir uns nicht durchdringen lassen von der Wahr- heit des folgenden Satzes, den Dretonneau (S. 92) seinen therapeutischen Betrachtungen zu Grunde legt: „C’esz par le fait meme de Fefficacite constante du traitement, que ses avanlages doivent etre apprecies.“ Das einzig sichere Kriterium eines Mittels, welches zuverlässig und zu allen Zeiten bei einer Krankheit Bedeutung behalten wird, ist die Constanz, die Speciftci- tät seiner Wirkung; wie in einem gut gelungenen Ex- pberiment müssen bestimmte Veränderungen in dem er- krankten Organismus mit Sicherheit vorausberechnet werden können nach der Application des Mittels, und diese Veränderungen müssen zu dem Wesen der Krank- heit in intimem Zusammenhang stehen und auch objectiv nachweisbar sein. Solch’ ein Mittel glaubte Aretonneau in der Salz- säure gefunden zu haben gegenüber der Hautdiphtherie und gegenüber der Schleimhautdiphtherie bei local be- grenztem Krankheitsheerd, unter der Voraussetzung, dass das Mittel den Krankeitsheerd in seinem ganzen Umfang treffe. Ich glaube, dass Dreionneau in der That einen glücklichen Griff mit der Wahl der Salzsäure gemacht hat, wenn ich berücksichtige, dass die Salzsäure zu den wenigen Mitteln gehört, mit welchen man diphtherie- inficirte Thiere mit Sicherheit durch Localbehandlung der Infectionsstelle heilen kann. Die wenigen anderen Medicamente, die solches leisten, stehen ausserdem in inniger Beziehung zu der Salzsäure, bezüglich zu der Chlorwirkung. Es sind dies Chlorzink, Goldnatrium- chlorid und Jodtrichlorid. Die -sonst als vorzügliche Antiseßtica bekannten Präparate, welche Sanitäts-Rath Boer in sehr sorgfältig angestellten Thierversuchen geprüft hat, nämlich die Quecksilberpräparate der Mercurireihe, die Anilinfarb- stofe, Arsen, die meisten Präparate aus der Benzolreihe, viele sonst bei der Diphtherie angewendeten Mittel, wie das Kali chloricum, leisten überhaupt nichts gegenüber der experimentell erzeugten Diphtherie oder doch nicht annähernd so viel, wie die Salzsäure und solche Körper, welche Salzsäure oder freies Chlor im Contact mit Zebendem Gewebe abspalten. Wir können auch noch in anderem Sinne, abgesehen von der Coxstanz der Wirkung auf den localdiphthe- rischen Process, einen intimen Zusammenhang der Salz- säure und der chlorabspaltenden Körper mit der Diph- therie erkennen, nämlich das Zustandekommen der Immunität nach dem Ausheilen der Heerderkrankung. In der That muss man hierin etwas Specifisches er- blicken, denn wenn Jemand die Salzsäure- und Chlor- wirkung einfach auf eine Zerstörung der kranken Stelle und in Folge dessen einer Elimination derselben, ähnlich wie wenn man sie aus dem lebenden Organismus heraus- geschnitten hätte, zurückführen wollte, dann steht dieser Auffassung sofort die Thatsache entgegen, dass in dem letzteren Fall Immunität nicht eintritt. Durch die Salz- säurebehandlung wird der Krankheitsheerd nicht mit einem Male weggeschafft und damit die Krankheit sofort aufgehoben, sondern es entsteht nur eine Modiftication des Krankheitsprocesses, eine leichtere Form der speci- SJischen Diphtherieerkrankung. Eine solche Constanz der Wirkung kommt weder den Antisepticis im Allgemeinen, noch den Blut- entziehungen, Brechmitteln, Abführmitteln, Bädern, guten a Nahrungsmitteln u. s. w. zu; und wenn man sich fragt, woher es denn eigentlich komme, dass trotzdem jene Mittel und Behandlungsmethoden mit solcher Hart- näckigkeit doch immer wieder auf der Bildfläche er- scheinen, dann ist das eöize ganz sicher, dass keines derselben nachgewiesenermaassen einen specifischen Zu- sammenhang mit der Diphtherie besitzt; aber sie haben vielleicht bei anderen Krankheiten gute Dienste gethan; das Kali chloricum z. B. ist ein ausgezeichnetes Speci- ficum gegenüber gangränähnlichen Formen von Mund- krankheiten; oder sie haben einen symptomatischen Erfolg, setzen beispielsweise die Temperatur herunter, etwas was im Thierexperiment zwar eine ungünstige Beeinflussung des Krankheitsprocesses bedeutet, beim Menschen aber von vielen Aerzten in unserer Zeit als ° Ziel der Behandlung hingestellt wird; andere Mittel werden auf Treu und Glauben hingenommen, weil ein- flussreiche Persönlichkeiten sie empfohlen haben. Kurz überall haben wir zwar Gründe für die Anwendung der- jenigen Mittel, die man mehr oder weniger als Modesachen ansehen kann, aber es fehlt ihnen das einzig sichere Kriterium eines wirklichen Heilmittels: Die Constanz der specifischen Beeinflussung des Krankheitsprocesses unter gegebenen Bedingungen. ö An Stelle dieses Kriteriums ist ein anderes in neuerer Zeit bei den Klinikern herrschend geworden: Die Wahrscheinlichkeitsrechnung der Zählmethode. Man ist sich vollkommen bewusst, welche Unzuver- lässigkeit derselben anhaftet, wenn es sich nicht um ganz einfache Fragen und um überwältigende Majoritäten handelt; aber sie ist eben bei dem Mangel an specifischen Heilmitteln unvermeidlich, wenn man einen Grund dafür anführen will, warum kalte Bäder bei der Diphtherie besser sein sollen als warme, oder gar keine, oder wenn man bei der Neueinführung des Kairins, des Thallins, des Chinolins, Antipyrins, Salipyrins in die Behandlung specifischer Infectionskrankheiten schnell — 135 — ein Urtheil gewinnen will, ob diese Mittel mehr leisten als diejenigen, welche vorher Mode gewesen waren. Bei der ausserordentlich grossen praktischen Bedeutung, welche dem jetzt üblichen Verfahren beigemessen wird, durch Zählung zu entscheiden, ob ein Mittel in der Therapie einer Krankheit Existenzberechtigung hat, lasse ich hier die beredte Schilderung dieser Methode folgen, wie sie von Bowchard in seiner Vorrede zu der französischen Ausgabe der Arzeneimittellehre von No/k- magel und KRossbach 1880 entworfen ist (übersetzt von Jul. Grosser S. ı2 ff.): „Wenden wir das Verfahren der Zählung auf die Pneumonien an, welche verschiedenen Behandlungs- weisen unterworfen wurden, so kommen wir zu jenen Durchschnittszahlen, welche, zwar immer fehlerhaft, dennoch uns zu einem Urtheil über die therapeutischen Methoden gelangen lassen. Ich kenne nichts Gröberes, als ein solches Untersuchungsverfahren, allein ich weiss nicht, was man ihm substituiren soll, So kat sich eine neue Methode gebildet, die statistische Therapeutik. Sie ist fehlerhaft im Princip, fehlerhaft im Verfahren, sie 25? nichts weiter als ein ungezügelter Emfirismus, und dennoch zweifle ich, dass man ohne sie den Werth einer Behandlungsmethode feststellen kann, denn sie ist nichts Anderes als die Beobachtung, die Beobachtung, welche im allgemeinen Ganzen gewinnt, was sie an Genauigkeit im Einzelnen verliert. Diese empirische Methode beur- theilt nicht allein den Werth der empirischen Mittel, sie schätzt alle anderen Methoden ab und spricht sich über die relative Wirksamkeit aller Behandlungsarten aus, ihrerseits setzt sie also allgemeine Indicationen fest. Diese so hoch gepriesene und so sehr verschrieene Me- thode erfindet nichts, aber sie richtet, und ihre Gerichts- barkeit erstreckt sich auf Alles, was auf Heilenwollen Anspruch macht. Weichen Vorbehalt man auch in Hin- sicht auf die Infallibilität ihres Urtheils machen, mit — 126 — welcher Geringschätzung man auch auf die numerische Methode herabsehen mag, kein Arzt kann sich ihrer Beweiskraft entziehen, denn es giebt keinen Arzt, welcher sich nicht eine Meinung über den relativen Werth der Behandlungsarten macht oder machen will. Keiner wird diese nach dem glücklichen oder unglücklichen Erfolge abschätzen, welche er in einem einzelnen Falle beob- achtet hat, alle warten ab, ehe sie sich erklären, bis ihre Erfahrung sich vervie/fältigt hat. Der Arzt, welcher, auf seine eigenen Verfahrungsweisen sich stützend, den Eindruck in Betracht zieht, den er aus einer ausge- breiteten Praxis gewonnen hat, treibt statistische Thera- peutik, nur macht er seine Statistik aus dem Gedächt- niss und von ungefähr. Wir haben alle solche Eindrücke, und es kann geschehen, dass, wenn wir die Beobach- tungen im Gedächtniss behalten, die diese Eindrücke haben entstehen lassen, wenn wir sie zusammenstellen, wenn wir sie analysiren, wenn wir sie zählen, wir uns oft genöthigt sehen zu erkennen, dass unsere Verstandes- rechnung irrthümlich, dass unsere Eindrücke ungenau waren. Ein dieses Namens würdiger Arzt wird die Elemente seiner Berechnung auswählen: er wird z. B. numerische Daten, welche für die Behandlung der Kinder richtig sein mögen, nicht auf die Therapie bei Greisen anwenden; er wird sich misstrauisch verhalten gegen- über den Statistiken en bloc, welche auf Beobachtungen gegründet sind, die wer weiss woher gekommen sind. und den Horizont der Kritik überschreiten. Aber er wird das Uebergewicht der Schlüsse aufrecht erhalten, welche er aus den Thatsachen gezogen hat, die er selbst beobachtete, abwog und zählte. Daraus folgt, dass die individuellen Statistiken die besten von allen sind. Wenn ähnliche Statistiken, von Aerzten geliefert, die zu beob- achten und zu urtheilen verstehen, übereinstimmende Resultate geben, so stellt sich in der Therapeutik eine Durchschnittsannahme her, welche zwar der Revision unterliegt, welche nicht in Rechnung zu ziehen aber _ Vermessenheit wäre.“ — Leider spricht gerade bei ‘der Behandlung der Diphtherie die Erfahrung nicht dafür, dass durch die Wahrscheinlichkeitsrechnung der Zählmethode ein einiger- maassen sicheres Urtheil über den Werth einzelner Mittel und Behandlungsmethoden gewonnen wird. Ich habe in vielen hundert Einzelabhandlungen über die Diph- therietherapie, welche ich durch Herrn Geh. Rath Prof. G. Lewin in elf voluminösen Bänden gesammelt erhielt, zu verfolgen gesucht, was dabei herausgekommen ist; und ich kann danach nicht sagen, dass das Resultat ermuthigend wäre. Bretonneau's Quecksilberbehandlung ist von der. Mehrzahl der Aerzte verurtheilt worden als unwirksam oder als schädlich, und die Zahlen, welche man dafür anführt, scheinen in der That zu beweisen, dass dieses abfällige Urtheil begründet ist. Aber wenn man ge- nauer zusieht, so zeigt sich, dass die von Drefonneau so sorgfältig studirten Bedingungen, unter welchen die Inunctionscur und die Localbehandlung mit Calomel Gefahren bringt, vergessen waren, die Dosirung aber für eine wirksame Therapie ganz unzureichend gewählt _ wurde. Für die Salzsäure-, Alaun- und Höllenstein- behandlung ist einerseits die sorgfältige Auswahl der dafür geeigneten Fälle vernachlässigt worden, anderer- seits sind diese Präparate nicht in der richtigen Con- centration ihrer Lösung und der zweckmässigen Appli- ‚cationsweise verwendet worden. Allermeist aber kann man die betrübende Thatsache erkennen, wie die ein- zelnen Beobachter in ihren Statistiken mit ganz ver- schiedenem Maass messen; die alten Mittel und Methoden werden auf’s strengste kritisirt und an ihre Leistungs- fähigkeit stellt man ganz unberechtigte Anforderungen; die neuen Mittel derselben anspruchsvollen Kritiker werden auf Grund von so ungenügenden Erfahrungen 498 — empfohlen, dass man sich verwundert fragt, wie es nur möglich ist, dass wahrheitsliebende und sachlich ur- theilende Autoren in dieser Weise sich selbst betrügen können. Wie es aber mit dem Ergebniss der Statistik be- treffend den Werth der Tracheotomie steht, darüber möchte ich einen Mann reden lassen, über dessen Ob- jectivität in der Beurtheilung medicinisch-chirurgischer Fragen nur eine Stimme herrscht, und dessen Competenz nicht angezweifelt werden kann; ich meine A. König. Dass derselbe im Uebrigen gerade bezüglich der Tracheotomie nicht zu scharf kritisirend verfährt, wird aus dem Tenor seiner diesbezüglichen Schilderung er- kannt werden können. Auf S. 547 ff. seines Lehrbuches (l. ec.) sagt König: „Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass von manchen Seiten Angriffe gegen die Berechtigung der Tracheo- tomie bei Diphtherie gemacht worden sind, weil eben trotz der Operation viele, ja zuweilen alle Operirten Kinder sterben. Wir werden noch. auf die statistischen Ergebnisse zurückkommen, aber hier muss ich schon als meine feste Ueberzeugung hervorheben, dass, wenn auch noch weniger Kranke gerettet würden, als die Statistik ergiebt, der Chirurg trotzdem nicht nur die Berechtigung, sondern die Verpflichtung hat, dem durch diphtheritische Stenose erstickenden Kranken zu helfen, _ so lange er noch kann. Ob der Kranke vielleicht später den Folgen der bösartigen Krankheit erliegen wird, das kann den Chirurgen ebensowenig abhalten, seine Pflicht zu thun und durch die Eröffnung der Luft- röhre die bestehende Beengung momentan zu beseitigen, als ihn etwa eine bestehende, wahrscheinlich zum Tode führende Pyämie abhalten kann, eine während des Ver- laufs derselben auftretende schwere Blutung durch Zu- binden des Gefässes zu stillen. Ich stehe also nicht an, das Unterlassen des Vorschlags zur Tracheotomie von ——— I 29 — Seiten des Arztes für eine Fahrlässigkeit hinzustellen, kann aber dazu die aus meiner Praxis entnommene tröstliche Versicherung hinzufügen, dass man für das ‚energische Festhalten an dieser Verpflichtung nicht selten durch die Rettung eines Lebens belohnt wird, welches man selbst für äusserst bedroht halten musste, und dass auch in den Fällen, in welchen der tödtliche Ausgang nicht abgewandt werden konnte, das Sterben nach der Operation fast stets leichter wurde, als die Erstickung bei uneröffneter Trachea. Bei einer solchen Auffassung ist es überhaupt nicht nöthig, darüber zu debattiren, ob man auch operiren soll, falls bereits eine Affection der I.unge besteht. Diese Complication kann die Prognose sehr erschweren, aber falls eben durch die Kehlkopfstenose der grössere Antheil der augenblicklich bestehenden Erstickungs- gefahr bedingt wird, die von uns aufgestellten Grund- sätze nicht erschüttern. Leider sind wir nicht im Stande, in der Art, wie wir es bei anderen Operationen können, durch zuver- lässige statistische Beläge die Ungefährlichkeit und günstige Wirkung der Operation zu stützen. Kühn hat in seiner Bearbeitung des betreffenden Gegenstandes in der Gäünther'schen Operationslehre ‚ verschiedene, diese Frage betreffende Zahlen zusammen- gestellt, aus welchen hervorgeht, dass manche Opera- teure von ihren sämmtlichen Operirten auch nicht einen, während andere bis zur Hälfte durchbrachten. Eine Zusammenstellung, welche er dann von allen den zu- sammengebrachten Zahlen macht, ergiebt auf 1048 Ope- rationen 195 Heilungen, also etwa 17": °J. Seszier hat aber dagegen eine Statistik aufgestellt, welche viel bessere Ergebnisse liefert, welche beweist, dass vielleicht /; aller Operirten mit dem Leben davonkamen. Es gehört wenig dazu, um einzusehen, wie gering der Werth aller dieser Zusammenstellungen ist. ‚Vorerst Behring, Die Diphtherie. 9 130 — wissen wir ja nicht, wie viele von den operirten Diph- theritischen ohne die Operation noch hätten genesen können, denn diese Möglichkeit ist ja, falls wir früh operiren, nicht ausgeschlossen. ' ° Aber auch wenn wir von dieser nicht zu beant- wortenden Frage absehen, so bleiben doch noch eine Reihe von Ursachen, welche für sich ganz unabhängig \ von der Operation die Prognose beeinflussen. Vor Allem ist hier zu berücksichtigen die Verschiedenartig- keit der einzelnen Epidemien. Die Diphtherie kann in einer Epidemie einen so bösartigen Verlauf nehmen, dass das Befallenwerden von der Krankheit so gut wie ein Todesurtheil ist, während ein andermal fast nur leichte Fälle, nur croupöse Affectionen beobachtet werden. So kann es kommen, dass Gosselin, Deguise, Huguier und Andere bei 95 Operationen auch nicht ein Kind genesen sahen, während Andere zu bestimmten Zeiten über die Hälfte durchbrachten, wie ich selbst einmal in etwa einem Jahre bei ı2 Operationen 7 Kinder am Leben erhielt. Freilich influiren auch noch andere Umstände sehr wesentlich. Von der allergrössten Bedeutung ist der Zeitpunkt, in welchem die Kinder operirt werden. Die frühe Operation rettet immer eine Anzahl Kinder mehr. Da kann nun allerdings eingewendet werden, dass ein Theil dieser Kinder auch noch ohne Operation, hätte durchkommen können, ein Einwand, welcher für den einzelnen Fall absolut nicht zu widerlegen ist. Operirt also ein Chirurg früh, so wird er im Durchschnitt mehr Kinder am Leben erhalten als der, welcher den Kehl- schnitt als ultimum refugium ansieht. Doch ist dies nicht der einzige Grund, weshalb der einzelne Operateur bessere Resultate erzielt als der andere. Sehen wir hier von der grösseren oder geringeren technischen Betähigung bei der Operation selbst ab, so liegt der Schwerpunkt offenbar in der Methode der Nachbehand- lung, wenn bei gleichem Material der eine günstigere Resultate erzielt als der andere. Dass aber auch indi- viduelle Differenzen des Operirten vorhanden sind, das ist unzweifelhaft. Ich brauche hier nur an ein absolut unleugbares Verhältniss zu erinnern, nämlich daran, dass die Prognose der Operation um so schlimmer wird, je jünger das Kind, so dass Kinder unter einem Jahre nur in seltenen Ausnahmefällen durch die Tracheotomie am Leben erhalten bleiben. Eine sehr dankenswerthe Arbeit für die Wärdigung der Tracheotomie hat Krönlein geliefert. Er berichtet nämlich über die Resultate, welche in Langenbeck’s Klinik bei der Behandlung von 367 diphtheritischen Kindern erzielt wurden. Im Allgemeinen bestätigt sie das, was wir in den vorhergehenden Zeilen angeführt haben, zum Theil erweitert sie unsere Kenntniss, indem sie eine Anzahl von Fragen auf statistischem Wege beantwortet. Die grösste Zahl der aufgenommenen Kinder befand sich im Alter von 3—4 Jahren, nahm dann allmählich ab, so dass nach dem 16. Jahr fast keine Diphtherie- kranke zum Zweck der Tracheatomie mehr aufgenommen wurden. Die Prognose der Krankheit war am schlech- testen in den ersten 2 Lebensjahren. Es starben von diphtheritischen Kindern in diesem Alter 89,4 pCt. Am geringsten war die Letalität der Krankheit im 7.—8. Jahr (444 pCt.) Bei 504 Kranken musste die Tracheotomie vorge- nommen werden. Nach derselben starben 70,8 pCt. Selbst aus dem allerfrühesten Lebensalter (7. Monat) bis zum 2. Jahr wurde eine Anzahl von Kindern er- halten (1ı unter 85).“ Ich schliesse hiermit die kritische Uebersicht über _ die Zherapeutischen Bestrebungen bei der Diphtherie und gehe noch kurz ein auf ihre Prophylaxis. | War schon bezw. der Therapie das Ergebniss ein wenig erfreuliches, so ist es noch schlimmer bestellt * 9 — 12 — mit dem, was man in der Verkätung der Diphtherie erreicht hat. Man sollte glauben, dass eine Krankheit, die in allen Ländern gegenwärtig ungezählte Opfer in den Hütten der Armen und in den Palästen den Reichen in tückischer Weise dahinrafft, mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln auszurotten versucht würde. Nun ist es gar keine Frage, dass die Möglichkeit dazu vorhanden ist. Auch die hartnäckigsten Zweifler an der Lehre Bretonneau's von der Entstehung der Diphtherie einzig und allein durch Uebertragung von kranken Individuen bezw. von deren Krankheitsprodukten auf Gesunde, sind schliesslich, wenn sie mehr Erfahrungen sammelten und vorurtheilsfrei die Sache betrachteten, überzeugte An- hänger derselben geworden. Um ein Beispiel für viele zu citiren, will ich bloss daran erinnern, dass Gerhardt im Jahre 1859 die Con- tagiosität für mindestens zweifelhaft hielt und erklärte, dass der Croup bezüglich seiner Verbreitungsweise streng an bestimmte Verhältnisse von Temperatur und Jahreszeit gebunden ist, dass ferner „die grössere Häu- figkeit, ja Endemicität desselben in grösseren Städten, seine erwiesene Vorliebe für die unreinen und feuchten Wohnungen der Armen, besonders sofern eine grössere Anzahl von Kindern darin zusammengedrängt lebt“, sowie der Umstand, dass (nach Guersant) „im Höpital des enfants sich die Zahl der innerhalb zu Stande kommenden Crouperkrankungen mit der verminderten Zahl der Betten und der besseren Lüftung der Säle beträchtlich verringerte“, „die Annahme einer mias- matischen Entstehung wahrscheinlich“ und die Conia- giosität unwahrscheinlich machen. Gerhardt kannte auch 1859 schon Dretonneau's Argumente für die Contagiosität des Croup und führte selbst (l. c. S. 9) ein Beispiel an, welches ich ander- weitig nicht citirt gefunden habe: Ein anticontagio- nistischer Arzt „von den Ufern des Weener Sees bettete — 133 , sein eigenes Kind zu einem Croupkranken, und sah es # erkranken und bald sterben — ein Opfer seines Ver- a suches, dem er bald aus Gram in's Grab gefolgt sein h soll.“ Indessen damals (1859) war Gerhardt der Meinung, | (l. ce. S. 10) dass viele und gewichtige Autoritäten die Contagiosität in Abrede stellen, „dass alltäglich ver- einzelte Fälle beobachtet werden, von welchen Niemand weiss, woher sie eingeschleppt sein könnten, und die keine weiteren Erkrankungen trotz vielfacher Gelegen- heit zur Uebertragung des Contagiums nach sich ziehen.“ Es sind das ganz dieselben Bedenken, welche auch & gegenwärtig noch wieder bei der Entstehung der Cholera E zu ernsten oder scherzhaften Bemerkungen hervorragen- j den Klinikern Veranlassung geben, wenn sie den Ver- E such für vergeblich erklären, herauszubekommen, woher wohl die Cholerakeime nach Nietleben gekommen sein mögen. Jm Jahre 1883 dagegen, auf dem II. Congress für innere Medicin, ist Gerhardt zu der ganz bestimmten Anschauung gekommen, dass die Diphtherie eine con- tagiöse Krankheit sei. Er sagt daselbst (Verh. S. 128) „Die Diphtherie ist ansteckend und zwar wenn man _ unterscheiden will zwischen ansteckend und ansteckend, so ist sie zunächst überimpfbar. Das hat nicht allein das Thierexperiment, das haben zahlreiche Verluste, die der ärztliche Stand erlitten hat, bewiesen, von Valleix und Blache bis zu O, Weber und Carl Heine, und wir kennen von vielen dieser traurigen Fälle die Geschichte so genau, dass die Ansteckung wohl kaum _ bezweifelt werden kann. Das Ueberimpfbarsein beweist ja noch nicht, dass sie ansteckend ist im gewöhnlichen Sinne. Die Intermittens ist auch überimpfbar aber gewiss nicht ansteckend. Ich habe Blut von einem Intermittenskranken einem Gesunden subcutan_ injieirt und nach ı4 Tagen Incubation begannen Frostanfälle ‚von gleichem Rhythmus. Nun, die Diphtherie ist an- ER a rl un za, a Pos steckend; der Ansteckungsstoff ist in den Membranen selbst enthalten.“ Was lag nun näher als die consequente Durch- führung von Maassnahmen, die in der Familie, in den Gemeinden, im Staat und im internationalen Verkehr die Weiterverbreitung der Diphtherie durch die An- steckung gesunder Menschen durch kranke auf jede Weise verhüten? Aber was sehen wir in Wirklichkeit geschehen? Selbst die Anfänge einer zweckmässigen Prophy- laxis sZaatlicherseits, wie sie von Dretonneau für die Diphtherie erstrebt und von AR. Koch gegenwärtig für die Cholera durchgeführt wird, fehlen noch im neu projectirten Seuchengesetz des deutschen Reiches; und was in Krankenhäusern und in der Familie geschieht, um die Uebertragung der Diphtherie von einem Indi- viduum auf das andere und die. Entstehung von Infectionsmöglichkeiten durch inficirte Kleider, Wäsche- gegenstände, Betten, Utensilien und Möbel jeder Art zu vermeiden, das lässt nur zu oft jedes Verständniss für die Bedingungen des Zustandekommens der An- steckung vermissen. Hatten wir doch jüngst noch Gelegenheit, einen Kliniker in angesehener Versammlung von Medicinern davon reden zu hören, dass es in seinem Krankenhause so reinlich zugeht, dass eine diphtherische Infection daselbst unmöglich ist! Von einem ernsthaften Bestreben, einen allgemeinen Infections- schutz gegenüber der Diphtherie zu erreichen, kann da bis jetzt noch nicht die Rede sein. Der Infectionsschutz aber für den eöizze/nen Menschen, wie er gegenwärtig empfohlen wird, lässt sich in die Worte zusammenfassen, die im 17. Jahrhundert Carnevale seiner Beschreibung der damals in Italien herrschenden Diphtherieepidemie voranstellte: „Cede cito, longinquus abi, serusque reverte.“ Solange, wie noch {mit Erfolg Discussionen ins grosse ‘er R ER: % r fE: ur Er 135 ae Publikum getragen werden, die immer wieder die Specificität der Krankheitsursachen in Frage stellen, wird das- wohl auch nicht anders werden, und wenn Bretonneau wieder auflebend v. Peitenkofer und Hüppe gelegentlich der gegenwärtig discutirten Abwehrmaass- regeln gegenüber der Cholera an der Arbeit sähe, dann würde er schwerlich das geringe Verständniss für das, was Noth thut, als ein Zeichen bloss seiner Zeit erklären. Es kann keine Frage sein, dass Krankheiten wie die Syphilis, die Diphtherie, die Cholera vermeidbare Infectionen sind, und man mag noch so sehr darüber spötteln, dass der Verkehr sich nicht „Pülzdicht“ ge- stalten lässt, — für denjenigen, der in zielbewusster experimenteller Arbeit erfahren ist, kann gar kein Zweifel darüber bestehen, dass wir in früherer oder späterer Zeit diese Krankheiten für das Menschen- geschlecht ebenso ungefährlich machen werden, wie das für die Pocken schon jetzt geschehen ist. Allerdings werden wir zur Beurtheilung darüber, welche Mittel hierfür zu wählen sind, uns nicht auf die Statistik verlassen dürfen, weder wenn wir diese Mittel auffinden, noch wenn wir sie auf ihre IE prüfen wollen. V. Die wissenschaftlichen Voraussetzungen der Blutserumtherapie. Es stände schlimm um die medicinische Kunst, wenn sie auf immer in der /Aerapeutischen Statistik das einzige Mittel besitzen sollte, um zu neuen Heilmitteln zu gelangen. Wir wollen jetzt Anderes und Besseres, wir wollen in noch höherem Grade, als wie Dreionneau schon es sich zum Ziele setzte, sPecifssche Mittel anwenden, die im Experiment constant und ausnahmslos unter ge- gebenen Bedingungen den diphtherischen Krankheits- process in eigenartiger Weise beeinflussen. Unsere specifischen Mittel müssen freilich jeder Kritik und so auch derjenigen, welche auf die Zählungsmethode be- gründet ist, Stand halten, wenn sie das leisten, was wir von ihnen erwarten; aber die therapeutische Statistik hat weder bei dem Auffinden dieser Mittel mitgewirkt, noch ist sie entscheidend für die Zuversicht, mit welcher wir darauf rechnen, dass sie uns in der Heilung und Verhütung der Diphtherie weiter bringen werden. Eine Geschichte über die Auffindung der specifischen Heilkörper für die Diphtherie zu schreiben, wird die Aufgabe späterer Zeiten sein. Ich möchte aber meine historisch-kritischen Unter- suchungen über die Wandlungen, welche im Laufe der 38 | Jahrhunderte die ärztlichen Anschauungen in Bezug auf die Diphtherie erfahren haben, doch nicht weiterführen, ohne wenigstens den Ideengang anzudeuten, der nach vielen Irrwegen mich schliesslich zur Entdeckung speci- fischer Heilkörper führte. Man wird auch hier die Ver- bindungsfäden wahrnehmen, welche die uns beschäfti- genden Probleme mit denen früherer Zeiten auf's engste verknüpfen. Naturforschenden Aerzten war von jeher bei ihrer Beobachtung des Verlaufes von Krankheiten die spon- tane Heilbarkeit derselben eines der schwierigsten Probleme. ‘ Am meisten musste dieses Problem bei kritisch endigenden Krankheiten sich dem medicinischen Denken aufdrängen. Eine Krankheit beispielsweise wie die Pneumonie, wenn sie den kräftigen gesunden Menschen befällt, von Tag zu Tag immer bedrohlicheren Umfang annimmt, immer mehr die normaler Weise ablaufenden Lebens- functionen revolutionirt, sieht man von einem bestimmten Tage, ja von einer bestimmten: Stunde an rückläufig werden; zu einer Zeit, wo die Perturbationen am hef- tigsten geworden sind und der Lebensfaden abzureissen scheint, nimmt Alles eine andere Wendung. Die heisse trockene Haut wird feucht, bedeckt sich mit Schweiss, _ die stürmische und mühsame Athmung wird ruhiger, die Delirien hören auf, es tritt Schlaf ein, und nach dem Erwachen sehen wir statt eines lebensgefährlich kranken einen genesenden Menschen vor uns; schwach zwar noch und wie von einem schweren Kampfe er- schöpft, aber in nichts mehr erinnernd an den stürmisch aufgeregten und die beobachtende Umgebung aufregen- ‚den Zustand von vorher. Es ist, wie wir sagen, die Krisis eingetreten. Was ist es da, was diese wunderbare Wendung : herbeigeführt hat? Gewohnt, überall, wo wir eine Wirkung sehen, auch eine Ursache vorauszusetzen, stehen wir hier vor einer ähnlichen Frage, wie wenn wir in einem stürmi- schen Gebirgsbach die herunter rollenden Wässer mit einem Male stillstehen und schliesslich sogar wieder zurückfliessen sehen würden. Unser Causalitätsbedürfniss zwingt uns, nach der Kraft zu forschen, die diesen Stillstand und die rück- . läufige Bewegung bewirkt hat, und so sehen wir in der That, wie die Aerzte von Zippokrates .an in der Krisen- lehre die Kräfte, welche in den fortschreitenden Krank- heitsprocess eingreifen, zum Gegenstand ihrer tief- sinnigsten Studien gemacht haben. : Ist nun im Laufe der Jahrtausende, während welcher die scharfsinnigsten Köpfe mit dem hier vorliegenden Problem sich beschäftigt haben, dasselbe gelöst oder auch nur der Lösung näher gebracht worden? Ich will gleich hier meine Meinung dahin abgeben, dass das nicht der Fall ist. Zwar sind eine grosse Menge von Begleiterschei- nungen, die in näherer oder entfernterer Beziehung zur | Beendigung ursprünglich progredienter Krankheits- ; processe stehen, auf’s sorgfältigste analysirt worden; 3 aber das Grundproblem, welches auf den vorurtheils-- freien Beobachter einen ähnlich verwunderlichen Eindruck macht, wie Münchhausen's Erzählung, dass er sich am E eigenen Schopfe aus dem Sumpfe gezogen, dieses Grundproblem ist nach wie vor das gleiche Räthsel ür uns geblieben. | Wir sind jetzt in der Erkenntniss einiger Bedingungen für das Zustandekommen vieler Krankheitsprocesse mit exquisit progressivem Charakter weitergekommen, als unsere Altvorderen. Es ist der unanfechtbare Beweis geliefert worden, dass dieselben ausgelöst werden durch von aussen stammende materielle Ursachen; und durch R. Koch's bahnbrechende Untersuchungen haben wir für LEER EEE AEN 8 ag x PS aa = re e: diejenigen Krankheiten, welche jetzt einer Infection zu- geschrieben werden, diese materiellen Ursachen auf belebte Mikroorganismen zurückzuführen gelernt. Jenes Grundproblem, welches uns Aerzte beschäftigt, ist dadurch zunächst aber noch räthselhafter geworden. Wenn eine Krankheit durch lebende Mikroorganis- men erzeugt und unterhalten wird, sei es direkt durch die parasitische Existenz derselben im Wirthsorganismus, sei es indirekt durch chemische Gifte, die von den Mikroorganismen erzeugt werden, wie sollen wir uns dann vorstellen, dass dem Leben der Parasiten, ihrer Vermehrung und der Giftproduction ein Ende gesetzt wird, ohne dass ein neues Kraftmoment eingreift? Der Progressive Charakter der Infectionskrankheiten ist durch die Lehre von den belebten Krankheitsursachen in durchaus befriedigender Weise verständlich geworden; und ohne Weiteres verstehen wir es, wenn die Tendenz der Parasiten zur ungemessenen Vermehrung und Aus- breitung das Verderben und den Tod des Wirths- organismus zur Folge hat. Wie aber ist es zu begreifen, dass dieser tödtliche Ausgang zuweilen ausbleibt; wie sollen wir die Zeilung von einer schweren Infection erklären? Wenn im einzelnen Fall der behandelnde Arzt zu einer schweren Infection hinzugezogen wird und ein Medicament dem kranken Organismus einverleibt, dann können wir sagen, dass mit dem Medicament eine neue den Krankheitsprocess alterirende Kraft zur Wirkung gelangt. Wie aber, wenn ohne jeden äusseren Eingriff die Heilung eintritt? Die alten Aerzte wussten sich nicht anders zu helfen, als dass sie eine besondere Kraft im Innern des er- krankten Individuums annahmen; sie personificirten die- selbe gewissermaassen und waren nur darüber uneinig, ob sie solche eclatante Umstimmung eines Krankheits- processes, wie wir sie bei der Pneumonie beobachten, der allgemeinen Lebenskraft oder einer besonderen Naturheilkraft zuschreiben sollten. Unter allen Um- ständen war es für sie kein Zweifel, dass etwas Meta- physisches hinter den Heilungsvorgängen stehe; auch da, wo offenbare Beeinflussung durch Medicamente zu constatiren war, fassten sie die medicamentöse Wirkung immer nur so auf, dass durch dieselbe die Thätigkeit der Naturheilkraft in andere Bahnen gelenkt wurde; immer aber war es diese geheimnissvolle vizale Kraft, welcher bei günstigem Ausgang die Genesung zu danken war. In unserer Zeit ist die Lebenskraft und die Natur- heilkraft in Misscredit gekommen. Wir bemühen uns auf's sorgfältigste bei unseren naturwissenschaftlichen Erklärungsversuchen, derartige metaphysische Kräfte auszuscheiden, und an Stelle derselben physische und mechanische zu setzen, die nicht willkürlich und capriciös in das Geschehen der Dinge eingreifen, sondern den allgemeinen Naturgesetzen folgen. Und so sind wir’ auch hier nicht auf dem Stand- punkt stehen geblieben, dass wir die Heilung von parasitären Krankheiten einer nicht weiter’ zu unter- suchenden Naturheilkraft zurechnen, sondern wir be- mühen uns, in der scheinbaren Willkürlichkeit und Regel- losigkeit ein Gesetz zu entdecken, dem Alles sich fügt. Aus diesem Bestreben sind die Untersuchungen hervorgegangen, welche nach Zaszeurs Vorgang dazu geführt haben, in einer solchen Weise gesunde Individuen vorzubehandeln, dass sie durch sonst tödtliche Infectionen nicht mehr gefährdet werden. Aus dem gleichen Bestreben sind die Untersuchungen entstanden, welche darauf gerichtet waren, den Mecha- nismus aufzudecken, dessen der lebende Organismus sich bedient, wenn er einer schon bestehenden Krank- heit Herr wird. m. 2 Zu dem Zweck wurden lebende und leblose Theile gesunder, kranker und geheilter Individuen daraufhin geprüft, ob etwa ganz regelmässige Unterschiede in ihren Eigenschaften den verschiedenen Zuständen, die zwischen Gesundheit, Krankheit und Heilung liegen, entsprechen. Es ist nun in der That, zunächst allerdings nur für einzelne Infectionen, ein solches Verhalten festgestellt worden, indem nämlich in den zellenfreien Körper- flüssigkeiten ganz specifische Differenzen nachgewiesen wurden, je nachdem die Untersuchung eines und des- selben Individuums vor, während und nach der Infection stattfand. Die specifischen Differenzen, welche im Verhalten der Körperflüssigkeiten eines Individuums in gesundem, krankem und geheiltem Zustande zu constatiren sind, bestehen in Folgendem: ı. Die Körperflüssigkeiten des gesunden Individuums, wenn sie auf Individuen gleicher oder ähnlicher Art übertragen werden, sind an sich nicht im Stande, krankmachende Wirkungen hervorzurufen. 2. Die Körperflüssigkeiten des kranken Individuums sind befähigt, die gleiche Krankheit auch auf andere Individuen zu übertragen, auch wenn die Anwesenheit lebender Krankheitserreger mit aller Sicherheit ausge- schlossen wird. 3. Die Körperflüssigkeiten, insbesondere das Blut, des geheilten Individuums besitzen die Fähigkeit, andere gesunde Individuen so zu beeinflussen, dass sie auf die _ Infection nicht mehr mit Kranksein reagiren, dass sie dadurch also, wie wir sagen, „immun“ werden. Eben- dasselbe Blut, nachdem es von allen körperlichen Ele- * menten befreit ist, besitzt auch die Fähigkeit, Individuen nach der Infection mit den in Frage kommenden In- fectionsstoffen zu heilen. EEgEr? 142 ag “ Es sind dies die Zndresultate der Blutuntersuchungen, wie sie zuerst für die Diphtherie und dann für den Tetanus ausgeführt wurden. Man darf aber im einzelnen Fall nicht darauf rechnen, so ohne Weiteres den Nach- weis jener im Princip ganz ausnahmslos bestehenden Beziehungen führen zu können. Im einzelnen Fall kann das Blut eines ganz gesunden Individuums durch Uebertragung auf ein anderes Krank- heit und Tod desselben herbeiführen. Wir wissen, dass ‘mit dem Blut aus der Luft und von unreinen Instru- menten krankheitserregende Agentien zur Wirkung ge- langen können, dass die Bluttransfundirung als solche bei unzweckmässiger Ausführung Gefahren mit sich bringt; vor Allem aber ist es wichtig zu wissen, dass in das Blut eines ganz gesunden Individuums heterogene Stoffe von aussen hineingelangen können, welche zwar für dieses unschädlich sind, für andere Individuen aber krankheitserzeugend wirken können, All das hat aber mit unserem ersten Satz nichts Wesentliches zu thun, welcher nur den specifschen Unterschied im Verhalten des Blutes vor und »ach der Infection zum Ausdruck bringen soll. Noch viel mehr Schwierigkeiten kann die Bestäti- gung des zweiten Satzes machen. Wenn wir erwägen, dass die Ursache einer krank- machenden Wirkung des von allen körperlichen Ele- menten befreiten Blutes nur in einem gelösten, also zweifellos chemisch wirksamen Agens, welches einer Reproduction nicht fähig ist, gesucht werden kann, dann ist es auf den ersten Blick gar nicht einmal so leicht, den Gedanken zu fassen, dass man mit Blutserum überhaupt die gleiche Krankheit auf ein anderes Indi- viduum zu übertragen vermag. Chemisch wirksame - Stoffe kann man quantitativ begrenzen und berechnen; bezeichnen wir nun beispielsweise diejenige Menge des diphtherieerzeugenden Giftes, welche ein Meerschwein E, iR N € = | (u 8 De Zn, “nk Am nd a ee . -r a a ” E Br: 3 k 4 f zu tödten im Stande ist, mit der Zahl ı, dann werden wir mit einem Bruchtheil der gesammten Blutmenge dieses Meerschweins offenbar auch nur einen Bruchtheil der den Tod herbeiführenden Giftmenge auf ein anderes übertragen können. Im günstigsten Fall wird durch eine solche Blutübertragung höchstens eine leichte Local- erkrankung erzeugt werden, aber nicht eine tödtliche Vergiftung. Wenn wir nun doch tödtliche Diphtherievergiftungen mit dem Blutserum diphtherieverendeter Thiere zu Wege bringen können, dann kann das erst durch Ausnützung ganz besonderer Verhältnisse geschehen, welche durch weitere Studien aufgedeckt sind. Wir wissen, dass, auf das Körpergewicht eines Thieres berechnet, die tödtliche Minimaldosis an Diph- theriegift für verschiedene Thierarten verschieden ist. Für Ratten z. B. ist sie viel grösser als für Meer- schweinchen, und so kann es verständlich werden, dass man mit dem Blut einer diphtherievergifteten Ratte leichter bei Meerschweinen Diphtherie hervorzurufen vermag, als mit der gleichen Menge Blut von einem diphtheriekranken Meerschwein. Ebenso ist die tödtliche Minimaldosis für ein Meer- schwein, das schon Diphtherieerkrankungen durchge- macht hat und dadurch immun wurde, grösser als ı. Daher kann man auch mit dem Blut solcher immuner Meerschweine, wenn sie durch eine intensivere Infection doch noch diphtheriekrank gemacht sind, zuweilen andere gesunde Meerschweine an Diphtherie sterben lassen. Man kann aus alledem erkennen, dass der Satz „mit bacterienfreiem Blutserum eines an einer Infections- krankheit leidenden Individuums kann anderen Individuen die gleiche Krankheit übertragen werden“ nicht un- richtig zu sein braucht, wenn im einzelnen Fall es nicht gelingt, die Richtigkeit durch’s Experiment zu erweisen. \ era 144 en Vollends mühsam und auf fast unüberwindlich schei- nende Schwierigkeiten stossend, erwies sich Anfangs die Beweisführung für die beiden, in dem dritten Satz ausgesprochenen Principien, welche besagen, dass die Körperflüssigkeiten, in specie das Blutserum geheilter Individuen, andere Individuen gegen die gleiche Krank- heit zu schützen und von derselben zu heilen vermag. Erst die Erkenntniss, dass die Production von Heil- körpern um so grösser ist, je intensiver der Krankheits- process war und weiterhin das Auffinden des merk- würdigen Verhaltens, dass durch öfteres Ueberstehen der gleichen Krankheit eine Anhäufung der Heilkörper zu Stande kommt, schaffte überhaupt die Möglichkeit, die Heilkörper durch’s Experiment nachzuweisen, und wenn Jemand der Meinung sein sollte, dass zum Nach- weis der specifischen Heilwirkung bei einer Infections- krankheit das Blut eines jeden Individuums, w@lches schon einmal diese Krankheit überstanden hat, genüge, dann würde er in der Mehrzahl der Fälle sich täuschen. Virtuell und qualitativ ist in der That bei jedem Individuum nach dem VUeberstehen einer Infections- krankheit der specihsche Heilkörper im Blute desselben vorhanden, ob er aber in solcher Menge darin enthalten ist, dass man mit grösseren oder kleineren Ouantitäten solchen Blutes bei anderen Individuen die gleiche Krank- heit heilen kann, das ist eine Frage, die mit jener That- sache im Princip nichts zu thun hat. Wenn ich nun nach diesen Ausführungen die Unter- suchung der oben aufgestellten Frage von Neuem auf- nehme: „Was ist es, was in den Krankheitsprocess der Diphtherie, der Pneumonie und anderer Infectionskrank- heiten eingriff, wenn derselbe zum Stillstand und zur Heilung gebracht wird?“ dann werden wir jetzt geneigt sein, für den Versuch der Beantwortung die Heilkörper chemischer Art im Blut zu berücksichtigen, die ja auch bei der Preumonie, wie die Brüder Älemperer gezeigt — 1453 — haben, mit dem Eintritt der Genesung im Blut nach- weisbar sind; und dass diese Heilkörper in Wirklichkeit eine wesentliche Beziehung zur Spontanheilung haben, dass sie unter den Momenten, die dieselbe herbeiführen, 2 ein integrirendes darstellen, darüber dürfte gegenwärtig wohl kaum noch irgendwo ein Zweifel sein, nachdem auch bei von der Cholera geheilten Menschen ihr Vor- handensein von allen Seiten bestätigt ist. => Da müssen wir aber sofort weiter fragen, wo kommen diese Heilkörper her, in welchem Moment der beginnenden und fortschreitenden Krankheit stellen sie sich ein, und was ist es, was den lebenden Organismus veranlasst, diese Heilkörper das eine Mal in solcher Menge zu produciren, dass die Krankheit überwunden wird, das andere Mal nicht? Da stehen wir genau wieder auf demselben Fleck, _ wie unsere Vorfahren, und mir scheint, dass auch bei der Fortführung unserer Studien bis zur äussersten Grenze des menschlichen Könnens immer noch die Frage ‚ nach dem primum movens übrig bleiben, dass immer noch ein mechanisch unerklärbarer Rest speculativen Köpfen zu schaffen machen wird. In meiner Eigenschaft als Mediciner. habe ich nicht - geglaubt, der Neigung zu weiteren theoretischen Unter- suchungen gar zu sehr nachgeben zu sollen. Vielmehr habe ich mich begnügt, den Mechanismus, dessen der lebende Organismus sich bedient, wenn er der Krank- heit Herr wird, soweit zu verfolgen, dass die Bedin- ‚gungen, unter welchen die Production der specifischen Heilkörper erfolgt, experimentell wiederholt werden konnten. Vor Allem aber habe ich dann versucht, die ex- perimentellen Arbeiten bei Versuchsthieren so zu ge- stalten, dass die Ausbeute an Heilkörpern eine so grosse wird, um mit derselben auch für den Menschen die Blutserumtherapie brauchbar zu machen. Behring, Die Diphtherie. 10 Be 146 ar Das ist jetzt, wie ich glaube, für zwei Krankheiten der Fall, für den Tetanus und für die Diphtherie. Ich werde in dem experimentellen Theil, welcher dieser meiner geschichtlichen Darstellung folgen wird, über gelungene Immunisirung von 40 Schafen berichten, die ein Serum liefern, welches nachgewiesenermaassen für den Menschen ebenso unschädlich ist, wie das Tetanusheilserum, und dort Gelegenheit nehmen, über den gegenwärtigen Stand der Diphtherieheilungsfrage mich auszusprechen. In diesem geschichtlichen Ueber- blick bleibt mir aber noch übrig, der Methoden, mit Hülfe deren zum Zweck der Gewinnung von Diphtherie- heilserum Thiere gegenüber der Diphtherie immunisirt werden können, zu gedenken. a sen ee ea er > a a nid a 2 7550 Han ae vi. Aufzählung und Classificirung der bisher bekannt gegebenen Methoden der Diphtherie -Immunisirung. Die künstliche Immunisirung gegenüber der Diph- therie wurde im Hygienischen Institut des Geh. Raths _R. Koch im Jahre 1890 von Prof. C. Fraenkel und von mir in Angriff genommen und ist von mir dort auch zu Ende geführt worden, während C. Fraenkel seine Arbeit in Königsberg beendigte. Wir gingen von ganz verschiedenen Gesichtspunkten aus. Während C. Fraenkel gleich von vornherein sein Augenmerk auf die Immunisirung mit Hülfe von Diphtherieculturen und den Stoffwechselproducten der Diphtheriebacillen rich- tete, ergab sich mir diese Art der Immunisirung erst als Resultat von Versuchen, die ursprünglich auf die Heilung der Diphtherie mit Chemikalien gerichtet waren. In meiner ersten Diphtheriearbeit sagte ich darüber Folgendes (Deutsche med. Wochenschrift 1890 No. 50): „Eine bis jetzt wohl noch nicht benutzte Immunisirungs- methode . . . besteht darin, dass man die Thiere zuerst infieirt und dann die deletäre Wirkung der Infection durch therapeutische Behandlung aufhebt. Es erinnert diese Methode einigermaassen an das Zustandekommen der Immunität nach dem Ueberstehen mancher Infections- krankheiten des Menschen. ı0* Br 148 20 Die in einer später mitzutheilenden, gemeinschaftlich mit Herrn Hofarzt Dr. Boer ausgeführten Arbeit erzielten Versuchsresultate bei ca. 30 Mitteln beweisen, dass es nicht leicht ist, diphtherieinficirte Thiere zu heilen. Sehr vorzügliche Desinficientien, : wie das Silbernitrat und das Quecksilber in seinen verschiedenen Verbin- dungen, das Goldkaliumcyanid u. s. w. lassen da voll- kommen im. Stich. Aber es giebt einige wenige Des- infectionsmittel, welche Meerschweinchen, die nach sub- cutan erfolgter Infection alsbald in Behandlung ge- nommen werden, zu heilen vermögen. So besitzt Dr. Boer vereinzelte Meerschweinchen, die durch Godd- natriumchlorid, durch Naphtylamin, durch Trichloressig- säure, Carbolsäure geheilt sind. Obenan in der Leistungsfähigkeit steht aber das Jodtrichlorid. Von acht Meerschweinchen, die ich mit 0,3 ccm Cultur subcutan inficirte, starben zwei nicht behandelte Thiere nach 24 Stunden. Vier Thiere, wel- chen sofort nach der Infection 2 ccm einer Jodtrichlorid- lösung (zwei kleinere erhielten ı°/.ige, zwei grössere 2°Jige Lösung) an die Stelle der Infection subcutan eingespritzt wurden, blieben sämmtlich am Leben; bei zwei Thieren wurde die Behandlung erst nach sechs Stunden begonnen; eins derselben starb nach vier Tagen, das andere blieb am Leben; bei allen Thieren wurde an den drei nächstfolgenden Tagen eine neue Jodtri- chlorideinspritzung gemacht. Ueber sechs Stunden hinaus nach der Infection habe ich bei Meerschweinchen einigermaassen sichere Resultate nicht mehr bekommen, auch dann nicht, wenn die Thiere so schwach geimpft wurden, dass dabei normale Thiere erst nach vier Tagen starben. Die überlebenden Meerschweinchen sind lange Zeit krank; ihre Heilung wird eingeleitet durch eine demar- kirende Entzündung an der Injectionsstelle; später bildet sich ein trockener Schorf, der immer weniger festsitzend wird, bis man ihn schliesslich abheben kann; z»ter diesem Schorf sind noch nach drei Wochen lebende und virulente Diphtheriebacillen nachweisbar gewesen. Inficirtt man nun solche Thiere, bei denen zwar das Allgemeinbefinden schon ganz gut geworden ist, bei denen aber noch eine offene Geschwürsfläche besteht, ‚so zeigen sie eine erheblich grössere Widerstandsfähig- keit gegen die Infection als normale; jedoch erst nach vollkommener Verheilung und Narbenbildung habe ich mehrere jodtrichloridgeheilte Thiere, und hat Dr. Zoer ein mit Goldnatriumchlorid geheiltes soweit immun ge- funden, dass diese Meerschweinchen vollvirulente Diph- therieimpfung vertrugen, an der die Controllthiere in 36 Stunden starben. 34 Ich will noch beiläufig erwähnen, dass man mit _ dem Jodtrichlorid bessere Heilerfolge bei Kaninchen erzielen kann. Diese Thiere können geheilt werden, ohne dass sie einen Aetzschorf bekommen, und es ge- lingt noch nach 24 Stunden eine erfolgreiche Behand- lung, wenn die Infection etwa so stark war, dass Con- trollkaninchen in vier Tagen starben. Ueber die etwa eintretende Immunität der geheilten Kaninchen bin ich bis jetzt noch nicht in der Lage, etwas aussagen zu können. Ich benutze diese Gelegenheit, um dem Irrthum vor- zubeugen, als ob wir in dem Jodtrichlorid, welches bei Thieren so respectable therapeutische Wirkungen hervor- = zurufen im Stande ist, nun auch ein Diphtherieheilmittel = für. den Menschen besässen. Abgesehen von der starken Aetzwirkung dieses Mittels, und abgesehen davon, dass ich über die Heilungsmöglichkeit solcher Thiere, die von dem Larynx oder der Trachea aus inficirt worden sind, nur wenig Erfahrungen habe, bin.ich durch besondere, vorsichtig an diphtheriekranken Kindern angestellte Ver- suche zur forcirteren Anwendung des Jodtrichlorids micht sehr ermuthigt worden, und ich betone, dass ich für den Menschen kein Diphtherieheilmittel habe, son- dern erst danach suche.“ Die im Vorstehenden geschilderten Erfahrungen sind für mich der Ausgangspunkt geworden für die Auf- suchung einer Methode, durch deren Anwendung schnell und sicher hohe Diphtherie-Immunitätsgrade erreicht werden können. Meine diesbezüglichen Versuche sind: bis in die jüngste Zeit fortgesetzt worden; sie haben schon jetzt ein Resultat ergeben, welches die kühnsten, ursprünglich gehegten Erwartungen weit übertrifft, ohne dass ich deswegen glaube, an der Grenze der Ver- besserungsfähigkeit meiner jetzt bevorzugten „com- binirten Immunisirungsmethode“ angekommen zu sein. Worauf es mir kier ankommt, ist jedoch nicht sowohl die Beschreibung des am meisten zweckmässigen Im- munisirungsverfahrens, als vielmehr die Aufzählung der einzelnen bis jetzt bekannt gegebenen Methoden. Die ersten Mittheilungen über gelungene Diphtherie- Immunisirung bei Thieren sind, nach vorhergehender Besprechung und Verständigung zwischen Professor C. Fraenkel und mir, zwar an verschiedenen Stellen, jedoch zu gleicher Zeit erfolgt. Die diesbezügliche Mittheilung von C. Fraenkel ist aus dem Laboratorium desselben in Königsberg in der Berliner klinischen Wochenschrift No. 49 vom 3. De- cember 1890 publicirt unter der Ueberschrift „Immuni- sirungsversuche bei Diphtherie“. Meine eigene erste Mittheilung findet sich in der Arbeit „Ueber das Zustandekommen der Diphtherie- Immunität und der Tetanus-Immunität von Thieren* von Behring und Kitasato, publicirt in No. 49 der deutschen medicinischen Wochenschrift vom 4. December 1890, Die zeitliche Differenz der Publication wurde durch den Umstand bedingt, dass die deutsche medicinische Wochenschrift am Donnerstag jeder Woche, die Ber- liner klinische nominell am Montag, de facto aber am Sonnabend ausgegeben wird; das ist einigermaassen da- durch auszugleichen gesucht worden, dass ausnahmsweise zwischen die No. 49 und No. 5ı der Berl. klin. Wochen- schrift eine Zwischennummer eingeschoben wurde; diese (No. 50) wurde am Mittwoch, also sogar schon einen Tag früher, ausgegeben als die No. 49 der Deutsch. medicin. Wochenschrift, und so lässt sich denn die Thatsache nicht aus der Welt schaffen, dass C. Fraenkel’s Publi- cation eine Priorität von einem Tage besitzt. In Wirk- lichkeit hat uns, den Aztoren, ein Prioritätsstreit so fern gelegen, dass wir monatelang vor der Publication uns gegenseitig über unsere Arbeiten orientirten, wie ich denn auch in der Lage war, in meiner eigenen Diphtheriearbeit schon die /raenkel’sche Immunisirungs- methode als eine „sehr zuverlässige“, auf Grund eigener Versuche, zu bezeichnen. Andererseits sind auch die von mir angegebenen vier Diphtherie-Immunisirungs- methoden in C. Fraenkel’s Laboratorium in Königsberg nachgeprüft worden; die Publication der Resultate dieser Nachprüfung erfolgte freilich erst zu einer Zeit (durch Zimmer), als durch die Mittheilung wesentlich erweiterter Erfahrungen „Ueber Immunisirung und Heilung von Versuchsthieren bei Diphtherie* (von Wernicke und „mir, Zeitschrift für Hygiene und Infectionskrankheiten 1892 Bd. XI.) die ac/welle Bedeutung meiner ersten Ver- öffentlichungen sehr verringert war. Zur Klarlegung des Antheils, welchen NR Autoren an der Diphtherie-Immunisirung haben, bedarf es noch einiger weiterer Bemerkungen. Aus dem Um- stande, dass meine erste diesbezügliche Mittheilung in einer gemeinschaftlich mit Äüfasato veröffentlichten Ar- ‚beit enthalten war, haben weniger aufmerksame Leser deducirt, dass auch Aiasato an den Untersuchungen über die Diphtherie-Immunisirung betheiligt gewesen sei. Das ist nicht der Fall. In. unserer gemeinschaft- lichen Arbeit ist expressis verbis darauf aufmerksam gemacht worden, dass die Diphtherieuntersuchungen von mir allein ausgeführt worden sind, und dass unsere gemeinschaftlichen Experimente nur die Anwendung meiner bei der Diphtherie gesammelten Erfahrungen auf den Teranus der Kaninchen betreffen. Die Immu- nisirung gegenüber dem Tetanus der Kaninchen ist von mir und Kitasato gemeinschaftlich, die Immunisirung gegenüber der Diphtherie aber von mir allein gefunden worden, und zwar vor dem Beginn der Tetanus-Im- munisirungsversuche. Bisher war nur von der gelungenen Diphtherie- Immunisirung #2 Allgemeinen die Rede ohne Rücksicht auf die Auffindung der einzelnen Immunisirungsmethoden. Es sind das folgende: 1. Die Vorbehandlung von Meerschweinchen mit Diph- theriebouilloncultur, welche durch Einwirkung höherer Temperatur sterilisirt ist. 2. Die Vorbehandlung von Meerschweinchen mit jodtrichloridbehandelten Diphtheriebouillonculturen. 3. Die Vorbehandlung von Meerschweinchen mit Körpersäften diphtheriekranker und diphtherieverendeter Thiere. 4. Die Heilung diphtherieinficirter Meerschweinchen durch Localbehandlung mittelst verschiedener chemischer - Agentien. 5. Die Vorbehandlung von Meerschweinchen und Kaninchen mit Wasserstoffsuperoxyd. 6. die Vorbehandlung von Meerschweinchen mittelst einer combinirten Methode zum Zweck der Erreichung hoher Immunitätsgrade, bei welcher zuerst die Behand- lung mit adgeschwächten Culturen und hinterher mit allmählich gesteigerten virulenten Culturen, bezw. mit nicht abgeschwächtem Diphtheriegift vorgenommen wird. 7. Die: Vorbehandlung von Äaninchen durch sub- cutane Impfung mit einem erhitzten diphtheriegifthaltigen Kalkniederschlag. 8. Die Vorbehandlung von Hunden mit steigenden Dosen eines nicht abgeschwächten Diphtheriegiftes und mit nicht abgeschwächten Diphtheriebouillonculturen. 9. Die Fütterung von Meerschweinchen, Kaninchen und Hunden mit Diphtheriegift. Von diesen Methoden ist die erste auf C. Fraenkel, die vier folgenden sind auf mich zurückzuführen. Bei der sub 4. genannten Methode hat Sanitätsrath Boer mitgewirkt; bei der sub 5. zum Theil (soweit es sich um Kaninchen EYE. Stabsarzt Züdbert (jetzt in Dresden). Die sub 6., 7. und 9. genannten Methoden sind in gemeinschaftlich von Stabsarzt Wernicke und mir aus- geführten Arbeiten gefunden worden; die sub 8. von Wernicke allein, und unabhängig von ihm auch von . Dr. Aronson. Die diesbezüglichen Mittheilungen sind erfolgt für die Methoden sub 2. bis 5. in meiner Arbeit „Unter- Br; suchungen über das Zustandekommen der Diphtherie- Immunität bei Thieren“ Deutsche med. Wochenschrift 1890 No. 50; für die Methode sub 6. in einem auf dem VI. internationalen Congress in London vorgelesenen Vortrag „Ueber Desinfection am lebenden Organismus“ (im August 1891), für die Methode sub 7. und zum Theil der sub 9. in der Arbeit: „Ueber Immunisirung und Heilung von Versuchsthieren bei der Diphtherie“* von _ Behring und Wernicke (im Februar 1892; in dieser Ar- beit ist auch die Anwendung der Methode sub 7. auf Schafe mitgetheilt worden); die Methode sub 8. hat - Wernicke am ı9. December 1892 im Verein für Öffent- liche Gesundheitspflege beschrieben und dabei ausser- ‘dem auch die Verfütterung eines diphtherieverendeten Schafes an Hunde erwähnt; Aronson brachte in der Sitzung vom 21. December 1892 der medicinischen Ge- sellschaft, also 2 Tage später als Wernicke, seine Mit- theilung. n Es ist dann noch zu Beginn des Jahres 1892 eine Diphtherie-Immunisirungsmethode von Brieger, Kitasato und Wassermann angegeben worden, welche mit Hülfe von Thymusdrüsenextract den Immunisirungsvorgang erleichtern sollte, indem Diphtheriebouillonculturen, welche mit solchem Extract behandelt waren, zur Vor- behandlung von Meerschweinchen benutzt wurden. In- dessen diese Behandlungsweise kann auf den Namen einer selbstständigen Methode nicht Anspruch machen, da die Culturen von jenen Autoren, ‘ebenso wie von C. Fyaenkel, erhitzt wurden; immerhin würde das Ver- fahren derselben noch in dem Falle als besondere Me- thode aufgeführt werden können, wenn die Voraussetzung und Behauptung stichhaltig wäre, dass das Thymus- drüsenextract vermöge einer antitoxischen Wirkung das Diphtheriegift zu verändern im Stande sei. Diese Voraus- setzung hat sich aber als irrig erwiesen. Untersuchen wir nunmehr, inwieweit durch die oben aufgezählten Immunisirungsmethoden nicht bloss für die Diphtherie, sondern für die Immunisirung gegenüber den Infektionskrankheiten überhaupt etwas Neues hin- zugekommen ist, dann finden wir, dass zwar jede der- selben ihre Besonderheiten hat, dass aber mit Ausnahme der Wasserstoffsuperoxydmethode bei allen das immuni- sirende Princip sich an die in Frankreich von Zaszeur bei der Hühnercholera und beim Milzbrand entdeckte, und dann von seinen Schülern und Nachfolgern beim Rauschbrand, bei der Pyocyaneus-Erkrankung und an- deren Krankheiten weiter ausgebildete Vaccinations- methode anschliesst, während andererseits. bekanntlich die Pasteur'sche Methode auf Jenner's Schutzpocken- impfung fusst, und diese wieder zurückzuführen ist auf Beobachtungen von der Schutzwirkung des Ueberstehens der Pocken nach Spontanerkrankung und von der Schutz- wirkung der willkürlichen Pockenerzeugung durch den Contact-gesunder Menschen mit Pockenkranken, wovon Lady Montague im Anfang der 4oger Jahre des vorigen Jahrhunderts die Kunde aus China nach West-Europa brachte. | Dass nicht bloss die Uebertragung /edender Keime die Schutzwirkung ausüben könne, wie Pas/eur anfäng- lich annahm, sondern auch die von lebenden Krankheits- erregern befreiten specifischen Krankheitsgi//e, hatte zuerst wohl 7owssaint in einem am ı2. Juli 1880 der französischen Akademie übergebenen und am 2. August desselben Jahres geöffneten „pli cachete“ thatsächlich angegeben, indem er dort das Gelingen der Milzbrand- immunisirung durch erhitztes Milzbrandblut mittheilte. Als jedoch die Immunisirung gegen Milzbrand durch An- wendung /edender Culturen, nachdem dieselben durch höhere Temperaturen adgeschwächt sind, Seitens Pasteur, Chamberland und Roux (am 28. Februar 1880) ihre epochemachende Bedeutung documentirt hatte, gab Toussaint seine Hypothese von der vaccinirenden Wir- kung durch ein chemisch wirksames Agens wieder auf, und der alleinige Vertreter dieser Idee blieb nunmehr Chauveau, welcher der französischen Akademie am 19. Juli 1880 bekannt gegeben hatte, dass die Föten von milzbrandvaccinirten Mutterschafen, wenn sie nach der Geburt heranwuchsen und dann versuchsweise ge- _ impft wurden, einen gewissen Grad von Milzbrandim- munität erkennen liessen. Chauveau hatte daraus den ganz richtigen Schluss gezogen, dass hier das immuni- sirende Princip ein chemischer löslicher Körper sein müsse, der aus dem Blute des mütterlichen Organismus in den fötalen Kreislauf übergetreten sei. Auf Grund ‚unserer gegenwärtigen Kenntnisse kann freilich der weitergehende Schluss CAhawveaw’s, dass dieses chemische _" Agens von den Milzbrandbakterien producirt werde, nicht als einwandsfrei bewiesen betrachtet werden; es ist sogar sehr wahrscheinlich, dass es sich hier nicht um die immu- ee nisirende Wirkung eines supponirten Milzbrandgiftes han- delt, sondern um die Wirkung von direkten Heilkörpern des mütterlichen Organismus. Der einwandsfreie Be- weis einer „vaccination chimique“ ist erst 6 Jahre später durch Salmon und Smith im September 1887 und durch Charrin in einer Mittheilung vom 24. October 1887 ge- liefert worden. Die beiden ersteren hatten Tauben, wie Bouchard S.50 seines Buches „Les microbes pathogenes*“ (Paris 1892) berichtet, „avec les produits solubles du cholera des porcs“ immunisirt; und Charrin hatte ähn- liches für die Pyocyaneus-Erkrankung der Kaninchen bewiesen. In einem Briefe Pasteur’s an Duclaux vom 25. Januar 1887 (veröffentlicht in Paszeur’s Annalen) war jedoch auf die Thatsächlichkeit und Wichtigkeit der „vaccination chimique“ schon vorher hingewiesen worden auf Grund von theils experimentellen Beobachtungen, theils theoretischen Erwägungen. Die Methoden sub ı, 2, 4, 6, 7 und 8 sind ihrem Prineip also bis in das Jahr 1887 und dann weiter bis ı880 und schliesslich bis zu Jerner und bis zu dem Pockenschutz der Chinesen in alten Zeiten zurückzuver- folgen, und gegenwärtig mag es einigermaassen unver- ständlich sein, wie seinerzeit die gelungene Immunisi- rung von diphtherieempfänglichen Thieren als die Lö- sung eines sehr schwierigen Problems gelten konnte, da ja doch die Idee der Immunisirung eine schon längst bekannte sei und da es auf so viele Arten gelinge, zum Ziele zu kommen. Demgegenüber ist es vielleicht nicht unnöthig, daran zu erinnern, dass die Mehrzahl der Aerzte und Bakteriologen beim Beginn der Versuche von C. Fraenkel und von mir der Meinung war, dass die Diphtherie eine Krankheit sei, bei welcher eine Immunisirung überhaupt nicht gelingen Aözne. Es wurde da das schon gegenüber Paszeur’s Milzbrandimpfungen von ZLöfler benutzte Argument (I. Band der Mitth. aus dem Reichsgesundheits-Amt) in’s Feld geführt, dass eine Krankheit, deren einmaliges Ueberstehen keinen u Schutz gegen eine Neuerkrankung gewähre (und als = solch’ eine Krankheit wurde die Diphtherie ebenso wie ä früher der-Milzbrand angesehen) keine Aussicht biete, dass man bei ihr, wie bei den Pocken,, durch Einimpfung ' der Krankheitsprodukte eine Schutzwirkung erreichen ‚könne. Jetzt ist freilich von solchen apriorischen Ar- ‚gumenten nicht mehr die Rede; jetzt hält man selbst ‚eine Immunisirung gegenüber den Streptokokkenkrank- heiten nicht mehr für unmöglich. Aber dabei wird dann wieder leicht die Schwierigkeit des Auffindens von geeigneten Immunisirungszzeihoden gegenüber solchen Krankheiten übersehen, die nicht erfahrungsgemäss, jedes Mal, nachdem sie überstanden sind, einen Infec- tionsschutz hinterlassen. In der That kann man es Aexte noch als ein Zeichen sehr guter Schulung ansehen, wenn unter Benutzung der schon bekannten Immunisirungsmethoden Jemand ohne erhebliche Verluste eine ' grössere Zahl von Meer- , schweinchen bis zu einem nennenswerthen Grade der E. - Diphtherieimmunität zu bringen vermag. 3 Die Möglichkeit der Diphtherieimmunisirung war übrigens schon durch ZöfZer bewiesen. In dem Bericht „Ueber den gegenwärtigen Stand nach der Frage der Diphtherie“, (Dtsch. med. Wochen- ' schrift 1890 No. 5 u. 6) findet sich folgende Notiz dar- über: „Ein schwarzweisses Meerschweinchen wurde am - 30. Mai 1888 mit einer vom 14.—29. Mai auf Agar ge- _ wachsenen. Cultur der Stäbchen geimpft. Das Thier wurde schwerkrank, es entwickelte sich eine ausge- dehnte Hautnekrose. Als der grosse Defekt der Haut . verheilt war, was etwa 4—5 Wochen nach der Impfung der Fall gewesen war, impfte ich das Thier mit einer frischen Blutserumcultur. Es entwickelte sich nur eine lokale Schwellung, wenige Tage später aber fand ich eines Morgens das Meerschweinchen in folgendem Zu- stande. Die Haare waren struppig, das Thier sehr mager, die Athmung mühsam. Das hintere Körperende lag glatt auf dem Boden, nur mühsam vermochte das Thier bei Anreizungen zu Bewegungen diesen Körper- theil mit Hilfe der Rumpfmuskulatur nachzuschleppen. Es bestand eine ausgesprochene Lähmung der hinteren Körperhälfte. Dabei frass das Thier vorgehaltene Kohl- blätter mit Begier. Ich.glaubte nicht, dass das Meer- schweinchen diesen Zustand überleben würde, Im Ver- lauf der nächsten 14 Tage indess besserten sich die Erscheinungen. Das Haar wurde glatter, die Parese nahm ab, die Respiration wurde freier, und nach etwa 3 Wochen war das Thier als geheilt zu betrachten. Es ist noch jetzt in meinem Besitz. Seit jener Zeit ist es mehrere Male mit Bacillenculturen geimpft worden, hat die Impfungen aber überstanden ohne erhebliche locale Reaction.“ Ganz ähnliche Beobachtungen habe ich selbst im Laufe der beiden letzten Jahre mehrfach gemacht, und es ist gegenwärtig gar kein Zweifel mehr, dass man durch die von Löffler berichtete Behandlungsweise gleich- falls immune Meerschweinchen sich verschaffen kann. Wollte man dieselbe methodisch verwerthen, und als Methode classificiren, so würde sie ihre geeignetste Stelle neben der von mir sub 4 angeführten finden, die ja gleichfalls von diphtherieinficirten Thieren ausgeht, bei der aber der Heilungsvorgang durch eine Nachbehand- lung mit Jodtrichlorid in höherem Grade sichergestellt wird, als wenn man denselben ganz der Natur über- lässt. / Die sub. 5 aufgeführte Immunisirung mit Wasser- stoffsuperoxyd hat kaum bisher ein Analogon; je mehr die Immunitätsstudien vertieft werden, um so mehr gewöhnen wir uns an die Annahme einer derartigen Specificität der Immunisirungsmittel, dass dieselben in irgend einem directen oder indirecten Zusammenhang stehen mit dem Krankheitserreger selbst, gegen welchen man immunisiren will, oder mit seinen Stoffwechsel- ‚4 producten. Es sind ja-Bedingungen bekannt, die bis zu einem gewissen Grade die Widerstandsfähigkeit _ gegenüber verschiedenen Infectionen dadurch beein- — flussen, dass sie auf den allgemeinen Ernährungs- und : Gesundheitszustand einwirken; wir wissen namentlich auch, dass das Aelter- und Grösserwerden der Individuen nicht gleichgiltig für die Empfänglichkeit ist; aber eine so sehr der specifischen Immunisirung gleichende Wir- kung, wie die des Wasserstoffsuperoxyds gegenüber der Diphtherie der Meerschweinchen, habe ich bei keiner Krankheit und durch keine Beeinflussung bisher gefunden, ausgenommen vielleicht noch durch das Goldnatriumchlorid auch gegenüber der Diphtherie. B Was die Besonderheit der Methode sub 3 betrifft, 1 welche darin besteht, dass bacterienfreie diphtheriegift- haltige Körperflüssigkeiten eine Immunisirung zu Stande bringen können, so ist auch das Princip dieser Methode nicht neu. An sich macht es ja überhaupt keinen Jrin- £ißiellen Unterschied aus, ob die chemisch vaccinirenden Bacterienprodukte sich in einer .bacterienfrei gemachten - Culturflüssigkeit oder — nach ihrer Isolirung — wieder aufgelöst im Wasser befinden, oder ob sie im Urin oder im Blut oder in Exsudaten gelöst zur Wirkung kommen; ihr naheliegendes Analogon findet diese Me- thode in der Immunisirung gegen die Pyoceanuskrank- heit, welche Bowxchard und seine Schüler erzielten, als sie den pyoceanusgifthaltigen Urin von Kaninchen dazu benutzten (Mittheilung vom 4. Juni 1884); das ist ohne Weiteres verständlich. Entgangen ist es aber den meisten Autoren, die über die Entwicklung der Immu- _ nisirungslehre nachgedacht haben, dass auch die Ver- £ suche von Zericourt und ZRichet hierher gehören, in welchen eine Immunisirung gegenüber dem „staphylo- coccus pyosepticus“ bei Kaninchen mit dem B/te solcher —: 160° — Hunde erreicht wurde, denen vorher eine Cultur eben . . i desselben Staphylococcus eingespritzt worden war, und welche eine darauf erfolgende Erkrankung überstanden. Die Hierhergehörigkeit dieses Versuchsresultates ist‘ wohl nur deswegen übersehen worden, weil in der Benutzung von Blut für die Immunisirung eine äussere Aehnlichkeit mit der immunisirenden Wirkung eines aus dem Blute immunisirter Thiere gewonnenen Heil- serums besteht. Aber abgesehen davon, dass Zericourt und Äöichet selber, sowie auch andere französische Autoren, z.B. Bouchard, diesen Immunisirungseffect ganz richtig als „vaccination* bezeichneten, bedarf es nur einer Nachuntersuchung, um sich davon zu überzeugen, dass man auf die Art, wie ZHericourt und Richet es machten, nämlich bei einmaliger Staphylokokkeninfection, nie zu einem Zeilenden Blut, d. h. zu einem solchen gelangen kann, welches bei schon erkrankten Thieren lebensrettende Wirkung ausübt, sondern bloss zu einem immunisirenden, welches einige Zeit vor der Infection zur Anwendung kommen muss. Solch eine immuni- sirende Wirkung kann von Heilkörpern herstammen, die sich bei immunisirten Thieren infolge specifischer Reactionen allmählich im Blute ansammeln; sie kann aber auch herstammen von den im Blute inficirter Thiere noch kreisenden Bakterien oder von Bakterienproducten. Welche dieser drei Möglichkeiten im einzelnen Falle zutrifft, das muss jedesmal besonders untersucht werden, Speciell in Bezug auf den Staphylococcus pyogenes aureus habe ich mich davon überzeugt, dass Zei/körper in so kurzer Zeit, wie es von Hericourt und Richet in ihren Versuchen berichtet wird, sich nicht in solcher Menge im Blute einfinden, dass man damit Kaninchen immunisiren, geschweige denn heilen könnte. Es wäre gewiss der Mühe werth, wenn solche Autoren, die in den Versuchen von Zericourt und Aichet den Beginn der Blutserumtherapie erblicken, sich durch eigene Ye FRR = — 161 — - - Nachforschungen das Recht zu einer solchen Behauptung erwerben wollten. Ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam machen, dass es Mittel giebt, um sich davon zu über- zeugen, ob die noch nicht ganz geschwundenen Staphylo- kokken bezw. ihre Producte die Schutzwirkung ausüben, oder ob in der That Hei/körper im Blute vorhanden, aber zur Rettung schon kranker Thiere nicht ausreichend sind. Man inficire mehrere Kaninchen von gleichem Alter, Körpergewicht und Race mit der als sicher tödtlich erprobten Dosis einer Staphylokokkencultur und bringe einem Theil derselben die zur Immunisirung ausreichende 3 Blutmenge bei zu einer Zeit »ack der Infection, in 3 welcher Krankheitserscheinungen noch nicht deutlich bemerkbar sind. Handelt es sich nun um immunisirende _ Heilkörper im eingespritzten Blute, dann wird mindestens eine Verzögerung des Todes erkennbar sein müssen; sind es aber Staphylokokken oder giftige, von denselben herstammende Substanzen, welche im Blute immunisirend wirken, dann tritt eine den Tod verzögernde Wirkung voraussichtlich nicht zu Tage; ja es werden dann mög- licherweise die blutbehandelten Thiere noch in kürzerer Zeit zu Grunde gehen .als die Controlthiere. Wir werden in dem folgenden CGapitel uns mit solchen Versuchsbedingungen zu beschäftigen haben, unter denen auch giftige Producte krankmachender Bacterien nicht bloss bei einer Vorbehandlung Krank- heitsschutz gewähren, sondern auch zack stattgehabter Infection; es ist selbstverständlich, dass in solchen Fällen eine den tödtlichen Ausgang hinausschiebende oder gänzlich verhütende Wirkung nicht als Beweis für das Vorhandensein von directen Heilkörpern gelten kann. Derartige Versuchsbedingungen kommen aber - bei dem Immunisirungsverfahren von Zericourt und E- Richet nicht in Frage. Ueberblicken wir jetzt zum Schluss die bei der Behring, Die Diphtherie. 1 E | | — 19.2 — Diphtherie zum Ziele führenden Immunisirungsmethoden, . welche oben beschrieben sind, und versuchen wir es, dieselben dem Schema einzufügen, welches ich in meiner Blutserumtherapie I (Leipzig, bei Thieme 1892) S. 60 ff. aufgestellt habe, so finden wir fast alle Arten der _ Immunisirung vertreten. Die Abschwächungsmethode durch Anwendung ab- geschwächter lebender Culturen (Pasteur's vaccination) ist die einzige, von welcher bisher Erfolge nicht publieirt sind. Dagegen ist die Abschwächungsmethode durch Anwendung abgeschwächten Giftes in den sub ı, 2, 4, 7 und 9 aufgezählten Methoden repräsentirt. Ich rechne auch die sub 9 (Fütterung von Meerschweinchen, Kaninchen und Hunden mit Diphtheriegift) hierher, weil in der That durch die Einwirkung der Verdauungs- säfte, hauptsächlich wohl durch die Magensäure, eine Abschwächung des Diphtheriegiftes resultirt, ehe die Aufnahme desselben in die Blutbahn erfolgt. j Für diejenige Methode, welche ich als Verdünnungs- methode bezeichnet habe, und deren Wesen darin be- steht, dass man die Behandlung mit kleineren Dosen vollvirulenter Cultur und vollgiftiger Culturflüssigkeiten’ beginnt, worauf dann die Dosirung allmählich gesteigert. wird, bieten die sub 3 und 8 genannten Verfahren Beispiele. _ Meine combinirte Methode ist sub 6 angeführt. Die Immunisirung endlich mit Hilfe von krank- machenden Stoffen anderer Art, als diejenigen sind, gegen welche immunisirt werden soll, gelangt in der Wasserstoffsuperoxydmethode (sub 5) zur Anwendung. Von vornherein hat sich nicht voraussehen lassen, auf welchem dieser verschiedenen Wege man am schnellsten und sichersten zu hohen Immunitätsgraden gelangen kann, und ich habe daher jede dieser Me- thoden eine Weile weiterverfolgt. Gegenwärtig bevor- zuge ich für die Immunisirung von grossen Thieren * DE in 4 © oe au Fe Zn > 2 Zend du 1 m a I Aa a ne Fe N N heilserum meine combinirte. Methode. Ich gehe dabei in der Weise vor, dass ich abgeschwächtes Diphtherie- gift in einer solchen Dosis den Schafen unter: die Haut. ‚spritze, dass dieselben ähnliche Fieberreactionen be- "kommen, wie das bei der nach AR. Koch’s Vorschrift geleiteten Tuberkulinbehandlung des Menschen der Fall ist. Diese Einspritzungen werden solange wiederholt, ‚bis keine Temperatursteigerung mehr eintritt. Danach steigere ich zunächst die Dosis des abgeschwächten Giftes, um immer neue Reactionen zu bekommen, und erst wenn auch auf grosse Quantitäten desselben (50 bis 100 ccm) keine Reaction mehr erfolgt, gehe ich zu ‚nicht abgeschwächten Culturflüssigkeiten über. Die Frage, ob bezüglich der letzteren sich vollvirulente Zebende Culturen oder vollgiftige baczterienfreie Cultur- Hüssigkeiten mehr bewähren werden, ist für mich noch ‚nicht abgeschlossen; positive und befriedigende Resultate habe ich sowohl mit den ersteren wie mit den letzteren bekommen. Misserfolge habe ich im Laufe der letzten 6 Monate nicht mehr gehabt, obwohl ich während dieser Feeasner mehr als 40 Schafe gegen Diphtherie immu- nisirt habe. ıı* vn. Von den Bedingungen, unter welchen die Immunisirung gegenüber der Diphtherie sich vollzieht. Obwohl die verschiedenen Immunisirungsverfahren, welche auf der Anwendung des Princips der Giftab- schwächung basiren, sämmtlich zuerst bei der Diphtherie ausgearbeitet und später erst für die Immunisirung gegen andere Infectionskrankheiten verwerthet sind, so hat doch die Vertiefung in die Bedingungen des Zustande- kommens der erworbenen Immunität besonders gute Früchte getragen, als ich in Gemeinschaft mit mehreren Mitarbeitern die Telanusimmunisirung genauer studirte, und allmählich ist jetzt das Verhältniss ein umgekehrtes geworden. Zuerst suche ich die neu aufstossenden Probleme in der Immunisirungslehre durch Experimente zu lösen, die den 7efanus betreffen, und hinterher erst sehe ich zu, ob die Ergebnisse auch für die DiöAtherie Anwendung finden. Es hat sich im Laufe der Zeit dabei gezeigt, dass in allen principiellen Fragen eine vollkommene Analogie zwischen diesen beiden Krank- heiten besteht, so sehr sie auch in ihren Erscheinungs- formen von einander differiren. Wegen der mehr in die Augen springenden Art der Tetanuserkrankung, ferner wegen des Umstandes, dass das Bacteriengift aus Tetanusculturen schneller und in stärkerer Wirksamkeit ur 165 Sn zu gewinnen ist, als aus Diphtherieculturen, endlich ‚wegen der Möglichkeit, die Tetanusexperimente an einem verhältnissmässig billigen Thiermaterial auszu- _ führen, ist aber das Arbeiten über die Tetanusimmuni- sirung erheblich leichter, als das über die Diphtherie- immunisirung, und das ist der Grund, aus welchem — trotz der grösseren Wichtigkeit der Diphtheriestudien — in letzter Zeit die Publicationen über den Tetanus in den Vordergrund gerückt sind. Es ist nur ein Act der Gerechtigkeit, .wenn ich auch an dieser Stelle bei der Besprechung der Bedin- gungen, unter welchen die Immunisirung mit Hilfe von Bacteriengiften sich vollzieht, vom Tetanus ausgehe und dabei der unermüdlichen Mitarbeit des Herrn Dr. Änorr gedenke, welche allein es ermöglicht hat, dass in ver- hältnissmässig kurzer Zeit eine ganze Reihe von prin- cipiellen Fragen entschieden werden konnte oder wenigstens der Entscheidung näher gebracht worden ist. Vor allem bedeutungsvoll ist von den hauptsächlich Be durch Knorr eruirten Versuchsergebnissen der Nachweis, 2 dass es gelingt aus Tetanusbouillonculturen, durch eigen- . artige Behandlung derselben, Stofe herzustellen, welche auch noch nach. der Tetanusinfection und Tetanus- intoxication lebensreitend wirken. Die zunächst in _ diesem Capitel zu besprechenden Verhältnisse, betreffend die Reactionen, welche man im Gefolge der immuni- sirenden Behandlung auftreten sieht, sind allerdings in ihren wesentlichsten Zügen zuerst bei der Dißhtherie- immunisirung von Schafen beobachtet und dann erst beim Tetanus genauer studirt worden. Gelegentlich der Immunisirung von Pferden und Schafen gegenüber dem Tetanus mit Hülfe von Cultur- flüssigkeiten zeigte sich, dass dem Immunwerden- mehr oder minder ausgesprochene Reactionen vorauf- “gehen, welche durch .die Immunisirungsmittel ausgelöst werden. ser. ran. ER an FR n ng f er —:.166 — Diese Reactionen können sich äussern durch ein Krankwerden unter den charakteristißschen Symptomen des Tetanus. Es können aber auch tetanische Erscheinungen gänzlich fehlen und dabei doch recht erhebliche und langandauernde krankhafte Veränderungen bestehen; die Thiere haben dann wochenlang Fieber, verlieren die Fresslust und magern ab; bei mehreren Schafen zog sich ein solches Kranksein, auch nachdem die immuni- sirende Vorbehandlung gänzlich eingestellt war, sogar zwei bis vier Monate lang hin. Prüfte man während dieser Zeit die Widerstandsfähigkeit der Thiere gegen- über dem Tetanusgift, so wurde dieselbe im Vergleich zu derjenigen, welche vor dem Krankwerden constatirt war, nicht grösser, sondern geringer gefunden. Zuweilen war die Giftwiderständigkeit um mehr als das hundert- fache zurückgegangen. Erst wenn nicht bloss die Körpertemperatur wieder normal geworden ist, sondern auch das Gewicht seine alte Höhe erreicht hat, fängt die Zunahme der Giftimmunität an, und diese Zunahme lässt sich dann wochenlang und monatelang weiter ver- folgen, auch wenn man inzwischen keine weiteren Gift- einspritzungen macht. Eine dritte Art der Reaction äussert sich in kurz- dauerndem Fieber ohne nennenswerthe Gewichtsabnahme. Diese Reaction kann man kaum als eine Krankheit bezeichnen. Auch wenn die Temperatursteigerung, welche in diesem Fall schon wenige Stunden nach der Gifteinspritzung beginnt, sehr hoch wird, bei Pferden von 37,0 bis 41°, bei Schafen von 39,5 bis 41,5° und darüber, merkt man äusserlich den Thieren kein Krank- sein an; ihre Fresslust ist unvermindert; ‘die Munterkeit zuweilen scheinbar noch gesteigert; und die Gewichts- messungen ergeben höchstens am zweiten und dritten Tage nach der das Fieber hervorrufenden Injection eine geringe Abnahme; dieselbe wird aber an den folgenden ES 167 Eee Tagen nicht bloss ausgeglichen, sondern erheblich über- > eompensirt. Der Verlauf der Temperatursteigerung und des Temperaturabfalls entspricht genau dem, was wir von kräftigen Reactionen bei einer gut geleiteten Tu- berkulinbehandlung wissen. Endlich lässt sich noch eine vierte Art der Reaction auf das Tetanusgift beobachten, die dadurch charak- terisirt ist, dass das Fieber vollständig fehlt oder bloss. durch Decigrade angedeutet ist, dass auch ein Gewichts- verlust gar nicht eintritt, dass aber die Blutuntersuchung ‚objectiv nachweisbare Veränderungen erkennen lässt. Ich habe meine Aufmerksamkeit nach dieser Richtung besonders dem Gerinnungsprocess des Aderlassblutes zugewendet und gefunden, dass derselbe in Fällen _ von einer solchen Vorbehandlung mit Tetanusgift, die ohne ein Erkennbarwerden sonstiger Krankheitssym- ptome zur Erhöhung der Tetanusgiftwiderständigkeit führte, verlangsamt ist, und ausserdem dass die Aus- beute an Serum auch bei längerem Stehen des Blutes eine geringere wird. Die sehr zahlreichen Einzelbeobachtungen haben er- geben, dass diese vier Arten der Reaction, von denen die letzte den leichtesten Grad, die erste den schwersten re- _ präsentirt, ohne markante Unterschiede in einander über- gehen. Im Allgemeinen liess sich dabei erkennen, dass _ die der vierten Art der Reaction zukommende Ver- änderung des Gerinnungsprocesses bei der dritten, zwei- _ ten und ersten Reaction, ferner das hohe Fieber der dritten als Initialfieber bei der zweiten und ersten und ‚das continuirliche bezw. remittirende Fieber der zweiten _ Reaction nebst dem Gewichtsverlust bei der ersten wiederzufinden sind. Hierzu bedarf es jedoch einiger einschränkender Bemerkungen. Bei der ersten Reaction "kann das hohe Initialfieber vorhanden sein, es kann aber auch gänzlich fehlen oder nur angedeutet sein; und zwar fehlt es um so gewisser, je schwerer die — : 168: — tetanische Erkrankung ist. Die verlangsamte Gerinnung ° aber des Aderlassblutes hält nicht während der ganzen Dauer des Krankseins an, sondern nur so lange, als dabei Temperatursteigerung besteht, und wenige Tage nach dem Ablauf derselben; in der Periode des Ge- wichtsverlustes erfolgt bei »iedriger Temperatur sogar die Beendigung der Blutgerinnung schneller, als bei normalem Verhalten der Thiere, und die Serumausbeute ist eine abnorm grosse. Nachdem ich diese bemerkenswerthen Verhältnisse erkannt und classificiren gelernt, und nachdem ich für die Leitung der Immunisirung die genaue Verfolgung des Ablaufs der Reactionen als ein überaus werthvolles Kriterium ausgenützt hatte, ging das weitere Bestreben dahin, diejenige Art derselben ausfindig zu machen, welche für meine Zwecke am vortheilhaftesten erschien. Nun sind meine Immunisirungsarbeiten stets auf das Ziel gerichtet, mit Hülfe derselben ein möglichst heil- kräftiges Blut von den Thieren zu bekommen; zur Er- reichung dieses Zieles aber ist es 22 Prineip gleich- gültig, ob wir die Immunisirung so handhaben, dass wir die Thiere schwere Erkrankungen überstehen lassen, oder ob wir alle äusserlich wahrnehmbaren, oder auch durch Temperaturmessungen und Gewichtsbestimmungen zu constatirenden Gesundheitsstörungen vermeiden und nur durch sorgfältige Blutuntersuchungen kenntlich wer- dende Reactionen auslösen. Es erwies sich dagegen die Art des Vorgehens nicht gleichgiltig, wenn nicht bloss ein hoher Grad der Tetanusimmunität und dementsprechend ein kräftiges Heilserum bekommen, sondern wenn dieses Ziel auch in möglichst kurzer Zeit und möglichst ohne die Gefahr von Verlusten erreicht werden sollte. - Positive und befriedigende Resultate habe ich ge- wonnen sowohl bei solchen Fhieren (Pferden), die einen A Miss ulären Tetanus überstanden, wie bei solchen, die zu "keiner Zeit nennenswerthe Krankheitserscheinungen er- ‚kennen liessen. Aber die schnellste und sicherste Art der Immunisirung ist bisher diejenige gewesen, welche durch häufige Wiederholung von Reactionen der dritten Art erhalten wird, die also nach dem Typus der von R. Koch empfohlenen Tuberkulinbehandlung beginnender Zuberkulose verläuft. Es verdient hier erwähnt zu _ werden, dass vielleicht die günstigen Erfolge bei meinem Immunisirungsverfahren gegenüber dem Tetanus nicht sobald gewonnen worden wären, wenn nicht ganz ana- _ loge Beobachtungen bei der Diphtherieimmunisirung von _ Schafen voraufgegangen wären; und diese wiederum ist in ganz bewusster Weise angelehnt worden an AR. Koch’s 'epochemachende Mittheilungen über den Eintritt der " Tuberkulinimmunität nach subcutaner Injection allmählich ‚gesteigerter Tuberkulindosen. Auf welche Weise "man diese schnell und ohne ‚sonstige krankhafte Veränderungen ablaufenden Fieber- reactionen im Verlauf der Tetanusimmunisirung erreicht, ob durch lebende Tetanusculturen, oder durch Culturen, in denen die Tetanusbacillen durch Carbolsäure abge- ‚tödtet sind, sodass bloss noch das Tetanusgift und viel- leicht die Tetanussporen für die Wirkung, in Frage kommen, ob durch filtrirte Culturen, in denen das Gift ‚sicher allein als wirksames Princip enthalten ist, ob end- lich durch znverändertes oder ein durch langes Stehen- lassen und Einwirkung des atmosphärischen Sauer- ‚stoffs, durch Hitze oder Chemikalien adgeschwächtes Gift, ‚das alles ist wiederum a» sich ganz gleichgiltig. Fragt man aber, wie zw concreten Fall sich die ‚Sache gestaltet, dann bedarf es der sorgtältigsten Ab- wägung der verschiedensten Umstände. | Vor Allem kommt es darauf an, von welcher Art ‚die Thiere sind, die man immunisiren will, und in welcher Se 170 Bere Immunisirungsperiode sich dieselben befinden. Thiere, welche für die Erkrankung an Tetanus durch Giftein- spritzung und durch Infection mit den lebenden Bacillen weniger leicht empfänglich sind, wie Hunde und alte Schafe, kann man gleich von vornherein mit kleinen Dosen des unveränderten Tetanusgiftes behandeln. Allen- falls angängig ist das auch bei Kaninchen. Mäuse, Meerschweinchen, Lämmer, Pferde müssen ‘aber, wenn man bei diesen Thieren sicher und schnell zum Ziel ge- langen will, mit aögeschwächtem Gift in der ersten Im- munisirungsperiode behandelt werden. Sind sie erst auf einen gewissen Immunitätsgrad gebracht, dann können sie nicht bloss mit unverändertem Gift oder mit vollvirulenter Cultur zur Erreichung sehr hoher Immuni- tätsgrade weiter behandelt werden, sondern es 2u5S das geschehen, da sonst Reactionen ausbleiben und da- mit auch die Steigerung der Immunität. In Gemeinschaft mit Herrn Prof. ‚Schütz habe ich mich durch eigens darauf gerichtete Versuche an Pferden von der Möglichkeit, durch gleich von vornherein ver- abfolgte Gaben sehr kleiner Mengen zuveränderten Tetanusgiftes diese Thiere über die erste Immunisirungs- periode hinwegzubringen, überzeugt. Wir haben dabei aber Verluste gehabt und gesehen, dass man schneller und sicherer vorwärts kommt bei der Anwendung ab- geschwächter Culturen. Wie bei Meerschweinchen und Mäusen die princi- pielle Entscheidung der Frage von der Anwendbar- keit dieser Verdünnungsmethode schliesslich lauten wird, muss vorläufig noch in suspenso gelassen werden. Dagegen habe ich in Gemeinschaft mit Dr. Anorr eine andere, zunächst theoretisch wichtig erscheinende Frage durch Experimente an Mäusen zu beantworten gesucht, die mit dem fundamentalen Problem des Unter- schiedes zwischen der Verdünnungsmethode und der Ab- schwächungsmethode in innigster Beziehung steht. GERNE IE — I — Das hier in Frage stehende Problem ist folgendes: Nach der bis vor Kurzem in Frankreich geltenden _ Doctrin sollen in den Culturen krankmachender Bakte- | rien Giftstoffe und vaccinirende Stoffe nebeneinander _ vorkommen, und man gab sich demgemäss der Hoff- mung hin, dass man durch geeignete Maassnahmen die - Giftwirkung aus den Culturen eliminiren und die vacci- nirende Wirkung allein übrig behalten könne. Charrin, Roger, später wohl auch die in Paszeur’s Institut dieses _ Gebiet bearbeitenden Bakteriologen, nahmen das auf Bouchard zurückzuführende Dogma von der Selbst- ständigkeit und Präexistenz eines immunisirenden Prin- _ eips in den Culturen an, wobei namentlich die Pyocy- aneusimmunisirung der Kaninchen als Paradigma diente. > In Deutschland wurde dieses Dogma von C. Fraen- kel für die Diphtherie, von BDrieger, Kitasato und Wassermann für die Immunisirung gegenüber dem Te- _ tanus, der Diphtherie, dem Typhus, der Cholera gläubig _ acceptirt und womöglich noch bedingungsloser bekannt. Von dieser Doctrin aus musste selbstverständlich die Immunisirung als am besten erreichbar betrachtet werden, _ wenn der Giftstoff von dem supponirten immunisirenden - Stoff reinlich getrennt würde, und es sind denn auch _ Versuche nach dieser Richtung hin angestellt worden. Als dieselben resultatlos verliefen, wurde mehr oder weniger bewusst damit gerechnet, dass der Giftstoff durch Hitze und durch Chemikalien leichter zerstörbar sei, als die supponirte immunisirende Substanz; und so hat €. Fraenkel geglaubt, das giftige Princip aus drei Wochen alten Diphtherieculturen vollständig zu ent- fernen, wenn er dieselben auf 65° C. erhitzte, und Brieger, Kitasato und Wassermann haben Aehnliches behauptet für die Wirkung von Thymussubstanz auf Bakterienculturen. ; Ich habe nun genügende Veranlassung, die diesen Versuchen zu Gründe liegende Theorie Bouchard’s als El — 172. — nicht zutreffend zurückzuweisen, insofern als in meinen eigenen Versuchen Alles dafür spricht, dass die giftige und immunisirende Substanz identisch sind und dass in den Versuchen Bowchard’s und seiner Schüler, sowie in denen der genannten deutschen Autoren die Giftwir- kung nicht e/minirt worden ist, sondern dass die in Frage kommenden Gifte thatsächlich bloss schwächer wirksam gemacht worden sind. Indessen, gar so einfach sind die Verhältnisse nicht, und ein so scharfsinniger Beobachter, wie Bouchard es ist, wäre gewiss nicht zu seiner Lehre gekommen, wenn nicht eine Reihe wichtiger Thatsachen zu Gunsten der- selben sprechen würde. Die wichtigste unter diesen Thatsachen ist aber eben die, dass es Fälle giebt, wo nach dem bisherigen Stande unserer Kenntnisse eine Immunisirung mit Bakterienculturen nur dann möglich ist, wenn dieselben durch physikalische oder chemische Agentien verändert sind, und dass man da, wo vor der Einwirkung der letzteren schon mit kleinen Culturmengen der Tod der Versuchsthiere herbeigeführt werden konnte, nach einer abschwächenden Behandlung der Cultur- flüssigkeiten selbst mit sehr grossen Mengen derselben nicht einmal eine deutliche Erkrankung zu erzielen war, dass aber gerade hierbei, bei der Anwendung grosser Mengen scheinbar ungiftig gewordener Cultur, die besten Immunisirungseffekte erreicht wurden- Die Hoffnung, welche an diese Thatsache geknahit wurde, dass es gelingen könnte, unter gänzlicher Aus- schaltung des fertigen Giftes oder der krankmachenden Wirkung lebensfähiger Parasiten, den Krankheitsschutz zu erreichen, hat sich aber nicht erfüllt. Der premier vaccin für den Milzbrand der Schafe, welcher für diese Thiere fast inoffensiv ist, bleibt ein tödtliches Virus für Mäuse, die immunisirenden Producte in Pyoceanuscul- turen, welche durch Erhitzen und andere Behandlungs- methoden derselben in Erscheinung treten, rufen immer noch. Fieber hervor, wenn sie in genügender Menge Kaninchen incorporirt werden. Aehnliches gilt für die erhitzten und mit Chemikalien behandelten immuni- irenden Diphtherie-, Tetanus-, Typhus- und Cholera- _ Dr. Knorr die in Frage kommenden Fälle mitbeobachten, solange, bis wir auch mit kleineren Mengen bei sub- 2 eutaner Injection schwere und vorgeschrittene Tetanus- fälle sicher heilen können. Das Angebot der Serum- abgabe durch Vermittelung von Herrn Meinhardt und - Herrn Lautenschläger, welches in meiner Blutserum- therapie II, 5. 81 ff. enthalten ist, wird demnach hier- durch aufgehoben, und zunächst wird überhaupt nur innerhalb von Berlin von Dr. Knorr (Institut für Infectionskrankheiten, Charitestr. ı) Teianusheilserum, welches von mir geprüft ist, zu bekommen sein. Für Militärärzte in Garnisonlazarethen wird Tetanusheil- serum von Herrn Stabsarzt Wernicke, Klosterstr. 36 ab- gegeben. Auch die Gründe, aus welchen ich bisher über Diphtherieheilungsversuche an Menschen nichts habe verlauten lassen, trotzdem dieselben an verschiedenen Orten schon seit einem Jahre ausgeführt werden, ‘sind auf meine Erfahrung beim Tetanus zurückzu- Wenn man sich eine Vorstellung davon zu machen ‚sucht, wie es anzufangen ist, um ein Urtheil zu be- kommen, ob die Heilkraft des Diphtherie- oder Tetanus- 'heilserums schon gross genug ist, um damit in die Oeffentlichkeit treten zu können, dann sollte man glauben, Behring, Die Diphtherie. 13 dass nichts einleuchtender wäre als die Nothwendigkeit, sowohl solche Dosirung zu versuchen, welche unterhalb der heilenden bleibt, als diejenige, welche ein Multiplum derselben darstellt; denn unter der Voraussetzung, dass für eine bestimmte Kategorie von Krankheitsfällen das Serum überhaupt specifisch heilend und lebensrettend wirkt, wollen wir zwar eine ausreichende Dosirung haben, wir wollen aber das Mittel auch nicht ver- schwenden. Da macht man’s dann wie der Artillerist, wenn er sich auf ein Ziel einschiesst; zuerst geht man darüber weg, dann schiesst man zu kurz, und zuletzt stellt man die Richtung des Geschützes so ein, dass dieselbe ziemlich genau auf das Ziel gerichtet ist. Der Vergleich hinkt zwar etwas; unser Ziel, die Krankheit zu heilen, erreichen wir auch, wenn wir die Dosis grösser nehmen als nothwendig; worauf ich aber hinaus will, ist die Kenntniss der heilenden Minimaldosis, und - diese kann nicht erlangt werden, ohne dass probeweise. man absichtlich unter der heilenden Dosis bleibt; es sind demnach bei demVersuch, die richtige Dosirung heraus- zubekommen, eo ipso Misserfolge in der Behandlung nothwendig, und es wäre ganz verfehlt, danach den Werth oder Unwerth des Mittels aus solchen Vorversuchen abmessen zu wollen; da ich gleichwohl aber ein Ver- ' ständniss hierfür bei meinen Erfahrungen über den Tetanus nicht gefunden habe, so theile ich die Vor- versuche bei der Diphtherie überhaupt nicht mit, bevor sich nicht für mich aus denselben diejenige Dosirung ergeben hat, welche ohne Serumverschwendung zur Heilung ausreicht. Nachdem diejenigen Herren Kliniker, welche im Einverständniss mit mir die Diphtherieheil- versuche vornehmen, von der Unschädlichkeit des Diphtherieheilserums einerseits, von seinem Nutzen andererseits sich überzeugt haben, wird es nicht schwer sein, an Hunderten von Fällen schliesslich zu einem gesicherten Urtheil zu kommen. — 195 — Zum Schluss dieses Capitels habe ich noch einer praktisch wichtigen Frage zu gedenken, die gleichfalls - schon in der oben citirten Arbeit von Wernicke und _ mir berührt ist, der Frage nach der Dauer der durch das Diphtherieheilserum übertragenen Immunität. Wir sagten dort (S. 9): „Was die Dauer der Immunität - betrifft, wenn Meerschweinchen bloss Serum bekommen haben und keine nachfolgenden Diphtherieinfectionen _ erlitten hatten, so können wir darüber noch nichts Endgiltiges aussagen. Mindestens einige Wochen dauert _ in diesem Falle die Immunität an.“ Diesen Worten kann gegenwärtig hinzugefügt werden, dass die Dauer der Immunität abhängig ist von der Menge der in- - corporirten Heilsubstanz. Je grösser dieselbe ist, für um so längere Zeit kann man das behandelte Individuum immun machen. Bei der weitgehenden Analogie zwischen den Heil- körpern für die Diphtherie und für andere Infections- _krankheiten trage ich kein Bedenken, hier auch die Erfahrungen zu verwerthen, welche für den Tetanus und für die Hundswuth beweisen, dass die Dauer der _ Immunität über das Individualleben hinaus auf die E Descendenten sich erstrecken kann. Es sind dabei die Untersuchungen von Zrlich zu berücksichtigen, welche _ die Vererbung der Tetanusimmunität voz der Mutter ‚auf die Nachkommen unter gewissen Bedingungen er- geben haben, und die Untersuchungen von 77z20ni und seiner Mitarbeiter, aus welchen hervorgeht, dass sowohl bei der Hundswuth, wie beim Tetanus die erworbene Immunität vom Vater auf die Descendenten vererbt werden-kann. Bezüglich der Tragweite namentlich der Resultate Tizzones schliesse ich mich durchaus der Auffassung des letzteren an, welcher er in seinen Mittheilungen vom December 1892 („Die Vererbung der Immunität gegen Rabies von dem Vater auf das Kind“, Central- n; 1 3* blatt für ir Bacteriologie und Para Ayikuk gegeben hat. In der der germinalen Vererbung eines ein weiterer Ansporn, die Immunisirungsa Wohle der Menschheit mit allen uns zu Gebote Mitteln fortzusetzen. Schlusswort zum geschichtlichen Theil. Wenn wir zurücksehen auf die Thatsachen und Probleme in der Krankheitslehre der Diphtherie, die = _ bisher erörtert worden sind, so lässt sich erkennen, wie dieselben in innigem Zusammenhang stehen mit denen der Krankheitslehre überhaupt. Die Diphtherie zeigt vieles Bemerkenswerthe in der Art ihres epidemischen und endemischen Auftretens. Das Entstehen und Vergehen der Epidemien; ihr + Charakter in Bezug anf den Procentsatz der befallenen _ Individuen und in Bezug auf die grössere oder geringere Mortalität derselben; die in verschiedenen Epidemien, Ländern, Zeiten und bei verschiedenen Racen und _ Lebensaltern zu Tage tretenden Differenzen im Krank- _ heitsbilde und in den Morbiditäts- und Mortalitätsziffern _ bieten noch immer eine unerschöpfliche Fundgrube für die epidemiologische Forschung; aber die Errungen- ‚schaften der genialen Arbeiten Breionneaws auf diesem Gebiete sind nicht der Diphtherie allein zugute ge- _ kommen, sondern haben anregend und klärend gewirkt auf die Auffassungsweise auch aller anderen Infections- krankheiten. | Die Lehre von der Contagiosität, die für die Diph- therie von Bretonneau fest begründet wurde, und die in seinem offenen Briefe einen so überzeugenden Aus- _ druck gefunden hat, kann fast mit denselben Worten _ auf die Cholera übertragen werden; sie zeigt aber auch, EN: 198 2 wenn wir uns in dieselbe vertiefen, wie sehr man- sich hüten muss, mit Schlagworten und Gemeinplätzen ale Infectionskrankheiten nach demselben Schema rück- sichtlich ihrer Verbreitungsweise zu beurtheilen. Die Unterschiede sind da so gross, dass man fast einen vollständigen Gegensatz herausfinden kann, wenn man die acuten Exantheme damit vergleicht. Bei einer solchen Gegenüberstellung wird es verständlich, wie man zu einer Eintheilung der Infectionskrankheiten in contagiöse und smiasmatische kommen konnte. Auf der einen Seite die Diphtherie, die Syphilis, die Pocken; auf der anderen Scharlach, Masern, Flecktyphus. Wie unzulänglich aber solche . Unterscheidungen sind, das zeigte sich schon früher darin, dass man sich zur Aufstellung einer Gruppe von contagiös-miasmati- schen Krankheiten genöthigt sah; und seit von R. Koch eine Reihe von Krankheiten als Infectionen erkannt sind, deren speecifisch infectiösen Charakter noch jetzt manche Leute in Frage stellen möchten, die Cholera, die Tuberkulose, die Pneumonie, der Tetanus, der Abdo- minaltyphus, da ist es bloss noch ein ‚Streit um Worte, ob man eine Krankheit, welche durch belebte und ver- mehrüngsfähige Parasiten übertragen werden kann, deswegen als contagiös oder nicht contagiös bezeichnen will, weil der Krankheitskeim leichter oder schwerer haften bleibt. Der die Diphtherie erzeugende Bacillus haftet im Allgemeinen ziemlich leicht, insbesondere bei jugend- lichen Individuen und zumal in Zeiten, in welchen er- fahrungsgemäss die zur Aufnahme der Bacillen befähigten Schleimhäute unter dem Zinfluss atmosphärischer Ver- hältnisse stehen, welche Reizzustände derselben bedingen. Aber wie bei allen Infectionskrankheiten gehört zum Entstehen von Diphtherieepidemien ausser dem specih- schen Krankheitserreger und ausser einer durch Witte- rungseinflüsse und andere Verhältnisse bedingten Däs- - Bonirung der Schleimhäute nach manches andere. Unter sonst gleichen Bedingungen wird das Umsichgreifen der _ Diphtherie um so leichter erfolgen, je virwlenter die in einer Gegend, in einem Hause oder in einem be- ‚stimmten Zimmer deponirten Krankheitskeime sind. Es _ wird aber weniger leicht stattfinden, je mehr Individuen durch das Vederstehen der Krankheit vor weiteren _ Infectionen geschützt sind. In dieser Richtung sind freilich die statistischen _ Erhebungen noch nicht ausreichend, um auch den bis- ' herigen Zweiflern an der Schutzkraft der einmaligen Erkrankung zu beweisen, dass eine solche besteht. Aber ich habe in der ganzen Litteratur keinen nennens- werthen Autor gefunden, ‘welcher nicht mindestens zu- gesteht, dass eine mehrmalige Infection zu den Aus- nahmen gehört; und die wenigen beglaubigten Angaben darüber sind ausserdem noch einer verschiedenen _ Deutung fähig; so werden von Millet aus Tours, einem Schüler Zretonneau's, in dessen Preisarbeit vom Jahre 1863 („Trait€e de la diphtherie* [ouvrage couronn&@ par la societe des sciences de Bruxelles] Paris bei F. Savy) die oft citirten Fälle von mehrmaliger Tracheotomie bei denselben Individuen als Aecidive gedeutet, nicht als Neuinfectionen, und ich möchte glauben, mit vollem >: Recht, wenn ich meine Erfahrungen in den Thier- _ experimenten berücksichtige. Dass Recidive bei der Diphtherie vorkommen, ebensogut wie bei der Syphilis, ohne dass man deswegen an der Schutzkraft des ein- maligen Ueberstehens der letzteren zweifelt, ist ganz sicher; _ nur nehmen dann dieselben noch viel häufiger als bei - der Syphilis Besondere Krankheitsformen an. Sie docu- _ mentiren sich als Lähmungen und Kachexien; ob aber solche Erkrankungen, die der primären Diphtherie _ gleichen, als Recidive aufzufassen sind oder nicht, das lässt sich hier nicht so leicht feststellen, wie bei der Syphilis, beim Typhus, bei der Malaria. v 7290 Wie lange die Schutzkraft andauert, darüber wissen wir noch weniger Sicheres. Von grossem Interesse war es mir bei Millet davon zu lesen, dass man in Tours, wo BDretonneau’s Wirksamkeit naturgemäss die Augen für die epidemiologische Beobachtung geschärft hatte, sogar über das Individualleben hinaus für die Descen- denten eine solche nicht ausschloss. Seite 258 (l. c.) sagt er: „A Tours, on dit que le croup suit le sang.* Allerdings wird, wie der Krankheitsschutz, auch die vermehrte Krankheitsdisposition „im Blute“ liegen; für die hier angeregte Frage nach den Bedingungen des Zustandekommens von Diphtherieepidemien werden wir dadurch aber nur noch mehr darin bestärkt werden, auch die Heredität als einen wirksamen Factor in. Rechnung zu ziehen. Wir sehen, es sind das die gleichen Probleme, die uns bei anderen verderblichen Krankheiten des Menschen- geschlechts beschäftigen. Mehr als je hat aber in neuerer Zeit die medici- nische Forschung bewiesen, wie man aus der Klarlegung des Krankheitswesens eizer Krankheit reichen Gewinn ziehen kann auch für das Verständniss vieler anderer. Nachdem für die Diphtherie auf’s strengste bewiesen ist, wie bei ätiologischer Einheit ein fast in’s Unge- messene gehender Polymorphismus ihrer Erscheinungs- /ormen:) bestehen kann, können wir mit gutem Muth auch an die Aufgabe herangehen, das vielgestaltige Bild der Streptococcenkrankheiten einheitlich zu be- trachten, und welchen praktischen Werth eine solche Betrachtungsweise für die Verhütung und Heilung der Infectionen zur Folge haben kann, das können wir so recht erkennen, wenn wir die Tragweite berücksichtigen, welche die auf dem Boden der ätiologischen Einheu !) Dieser Polymorphismus geht jedoch nicht so weit, se ein Kliniker der Jetztzeit annimmt, der sogar eine ib geniei mit Tetanus- symptlomen für möglich hält. “ 201 as erwachsene Lehre von der Specifcität des krankheits- erzeugenden Dißhtheriegiftes bekommen hat. Es dürfte in der Geschichte der Medicin noch nicht dagewesen sein, dass in dem kurzen Zeitraum von _ wenigen Jahren sich eine so totale Umwälzung in der _ Krankheitslehre vollzogen hat, wie wir sie erlebten. Man lese Hufeland’s und Schönlein's oder auch Virchow's _ Darstellung solcher Krankheiten, die wir jetzt als tu- berculöse, pneumonische, diphtherische u. s. w. bezeich- _ nen, und vergleiche damit, was seit R. Koch’s Eintreten in die medicinische Forschung daraus geworden ist. Man vergegenwärtige sich den gegenwärtigen Stand unserer Kenntniss von der Natur der Krankheitsgifte, seitdem vor vier Jahren das Diphtheriegift entdeckt ist, und erinnere sich dabei an die vorher an die Herstellung _ der sogenannten Ptomaine geknüpften Hoffnungen. Man berücksichtige die Thatsache, dass seit der Entdeckung von specifischen Krankheitsgiften es kaum noch eine _ Infection giebt, gegen welche man nicht willkürlich unter Zuhülfenahme der Abschwächungsmethode Im- mumität erzeugen kann, wo doch, nach den ersten Mit- theilungen Pasteur's darüber, auf Grund von epidemio- | logischen Erwägungen selbst die Möglichkeit der Schutz- _ impfung gegenüber der Mehrzahl der menschlichen In- 3 e ee krankbeiten in Abrede gestellt wurde. Man denke daran, dass noch vor wenigen Jahren auf medi- einischen Congressen die versammelten Kliniker Europa’s kategorisch erklärten, dass die Entgiftung im lebenden Organismus in Ewigkeit ein frommer Wunsch bleiben werde, und dass das Auffinden specifischer Heilmittel nie und nimmer in irgend wie beschaffenen Laboratorien erwartet werden könne, während jetzt selbst die hart- näckigsten medicinischen Pessimisten zum mindesten eine wohlwollend abwartende Stellung gegenüber der Blutserumtherapie für angezeigt halten: und man wird zugeben, dass es der Mühe werth ist, sich in das Stu- 202 — R dium eizer Krankheit zu vertiefen. Denn in der That, diese Errungenschaften sind nicht das Verdienst der Encyclopädisten, die sich ein System zurecht machten, in welchem sie von allgemeinen Krankheitsbegriffen ausgehend die wissenschaftliche Medicin zu einer Samm- lung von schönen Wortdefinitionen machten; sondern sie sind das Verdienst von Männern, die in einsamer Arbeit vom Kleinen und Kleinsten anfingen, und die sich nicht beirren liessen durch den Vorwurf, als ob sie bei ihren bacteriologischen Studien den Blick für's Grosse und Ganze verloren hätten. All’ diese Errungen- schaften sind schrittweise erworben worden in der Art, dass an einer kleinen Stelle zuerst Fuss gefasst und kein Schritt weiter gethan wurde, ehe nicht fester Boden für das weitere Vorschreiten gewonnen war. ; Diese Art des Vorgehens garantirt auch den neuen Lehren Dauer und Bestand. Wohl ist es verständlich, wenn die in der speculativen und systematisirenden Methode der medicinischen Wissenschaft alt gewordenen verdienstvollen Forscher skeptisch bleiben. _Wer nicht mitten in der neuen Arbeit drin steht, kann ja über die Zuverlässigkeit der durch dieselbe gewonnenen Resultate sich ein eigenes Urtheil nicht bilden. Für die selbstthätig experimentell arbeitenden Me- dieiner ist es aber kein Zweifel mehr, dass diese Zuverlässigkeit eine ganz andere ist, in Bezug auf die Diagnose der Infectionskrankheiten sowohl, wie in Bezug auf ihre Heilung und Verhütung, als wie die, welche man Jvrüher durch die Statistik bekam. Wir werden die Statistik auch jetzt noch als ein werthvolles Mittel benutzen, um uns Auskunft zu verschaffen über die Häufigkeit der Diphtherie und anderer Krankheiten in verschiedenen Klimaten und Lebensaltern, über ihre Prognose und über den Werth von Abwehrmaassregeln und Heilmitteln; wir werden uns dabei aber immer bewusst bleiben der ausserordentlich zahlreichen und meist unvermeidbaren Fehlerquellen, welche den aus ed Mae De > en 4 > = % 203 — i der Statistik gezogenen ‚Schlussfolgerungen anhaften. Der Boden, auf welchem wir fussen, wenn wir zum Zweck der Beantwortung wissenschaftlicher Fragen den Weg der Statistik beschreiten, ist eben ein so schwan- _ kender, dass man da nicht weit kommt. Ganz anders _ verhält es sich mit den experimentell gewonnenen, in jedem Einzelfall ausnahmslos wie ein Naturgesetz sich wiederholenden Ergebnissen, die zur Kenntniss der Speciheität der Krankheitserreger, der Specificität der Krankheitsgifte, der Specificität der Immunisirungs- mittel und der Specificität der Heilkörper im Blute immunisirter Thiere geführt haben. Mit diesen Dingen wird gerechnet werden müssen, solange es eine medi- _ einische Forschung giebt. Mehr noch als die Statistik muss die Speczlation _ mit kritischem Auge betrachtet werden, wenn sie den Anspruch erhebt, auf unser medicinisches Handeln Ein- _ fluss zu gewinnen. Die Krankheitstheorien in der Medicin, _ die humoral-pathologische, die solidare und cellulare _ und alle ihre Unterarten und Abarten sind als specu- lative Constructionen von der Zeitmeinung und dem ' Stande unserer Kenntnisse abhängig; brauchbares ‚Material enthalten sie alle, und jede von ihnen besitzt einen gewissen heuristischen Werth, den experimentell arbeitende Mediciner nicht hoch genug schätzen können; die Krankheitstheorien werden aber verderblich, wenn "man sich ihnen nicht als Kritiker gegenüberstellt, sondern als Dogmatiker. En Im Uebrigen giebt es über jede wichtigere medici- nische Thatsache ebenso viele Theorien, als selbst- “ständig darüber nachdenkende Mediciner; und es wäre - ein vergebliches Bemühen, wenn ich in dieser Geschichte 3 _ der Diphtherie den Spuren für das Entstehen der indi- widuellen Aufassungsweise von dem Wesen der Krank- heit, ihrer Heilung und ihrer.Verhütung ebenso würde nachgehen wollen, wie ich es in Bezug auf feststehende 2 Thatsachen und wichtige Probleme gethan habe. a Pa si rn Re En ca fan Zee a ER TFRETEETEEEI Namen -Regıster. A. Adamkiewicz 87 (Reaction auf die Indolgruppe). Aetius 19, Alayma ı0 (Egyptisch. Geschwüre). Albers 13 (Napoleons Crouppreis). Althoff ı91. Aretaeus 4. IO. 12. IQ. 104. 106. Aronson ı53 (Diphtherie-Immuni- sirung von Hunden). B. Bard, Samuel 39. (Hautdiphtherie) 48. (Diphtherische Lähmungen) 54- Sant Bartels ı20 (Quecksilberbehand- lung bei Diphtherie). Behring 150. (— u. Kitasato) 153. (— u. Wernicke) ı82. 183. Bergmann, v. 97 (— u. Schmiede- berg — „Sepsin“). Billroth 97 (Putrider Eiter). Blache 3. 4. ı18. 133. Blin 55 (— u. Chavanne, Diphtherie im Anschluss an operirte Uro- genitalfisteln). Boer 123. (Antiseptica) 148. 149. ı53 (Diphtherie-Immunisirung). Bohn 120 (Inunctionscur bei Diph- therie). Bonac (Demoiselle de). Bose ı1ı7 (Stimmbandlähmung in Folge von Nichtgebrauch). Bouchard ı25 (Zählmethode). 156. 159 (Vaccination). 160. 171. 172. 174 (produits bacteriens vacci- nantes) 178. Bouchut 118 (tubage de la glotte). Bourges ı19 („La diphtherie*). Boussuge 55 (de la diphtheroide). Brault 9. Bretonneau 3. 4, 8. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24 25. 26. 27. 28. 29. 30: 322 32 33. 34. 35. 36. 37. 38. 39. 40. 41. 44: 48. 49. 52. 53. 54. 55 57. 59. 72. 99. 100. 101. 102. 104. 106. 107. 108. 109. 110. 111. 112. 126. 230. 110 108 127.. 132.. 134: 238. 1300 199. 200. Brieger 84 (- und Fraenkel). 97. (Ptomaine) ı7ı1. (— Kitasato u. Wassermann) 178, Buchner 94 (Alexine). Buhl 5o (Diphtherische Affection der peripherischen Nerven). C. Carnevale 19. 134. Caron ııı (Tracheotomie). E' Chamberland ı55 (— Pasteur und “4 Roux). Ri 197508 Dejerine 50. zı Charrin 156. ı7ı . Ehrlich Champagny 58 (Napoleons Croup- preis). Charcot ER (Pyocyaneus- Immunisirung). Chassaignac 113. 114. 116 (Tra- cheotomie). Chaussier 59 (Arteficielle Erzeu- gung von Croup). Chauveau ı55 (Immunität, Ver- erbung derselben). Chavanne 55 (— u. Blin). Chenusson 30. _ epidemie). Chomel 48. 54 (Hautdiphtherie). 104 (Diphtherie- ; Christmas-Dirking-Holmfeld 80. 92 (Jeequiritygift). Cohn 67. 77. v. Coler ıgı. Corvisart 14. D. Deguise 130 (Tracheotomie). (Diphtherische Lähmung). Dieffenbach 118 (catheterisme la- ryngien). Duclaux 85.86. gı (Eiweisskörper). 156 (Brief Pasteur’s an —). E. 195 (Vererbung erwor- bener Immunität). F. Fränkel, A., 52 (Pneumoniebacil- lus), Fränkel, C., 84. 147. 150. ısı. "154. 156. 171, 173. Ferrichs ı20 (Inunctionscur bei -Diphtherie). Friedländer 58 (Napoleon’s Croup- preis). 205 G. Gadet de Gassicourt 5o (Diphthe- rische Herzlähmung;). Galen 12. Gamaleia 82. 84. 97 („Les poisons bacteriens*“). Gaucher ı19 (Methodische Diph- theriebehandlung;). Gerhardt 28 (Maligne Angina). 31 Scorbutische Gangrän). 32. 34 (Scarlatinöse Angina). 53. 120. ı2ı (Kritik). 133 (Con- tagiosiät). Ghisi 18. 19. 47. 48. 53. Gombault 50 (Diphtherische Herz- lähmung). 132. ‚Gosselin 130 (Tracheotomie). Grimaux 87 (Biuret-Reaction). Günther 129 (Operationslehre). Guersant 3. 39. 132. Guimier 49 (Diphtherische Läh- mung). Guinochet 8ı (Züchtung von Diph- theriebacillen im menschlichen Urin). Gyoux 55 (Hautdiphtherie). H. Habermann 86 (— u. Hlasiwetz, Eiweisskörper). Hallier 66. 67. 71. 77. Hansemann 51. Heine ı33 (Tod an Diphtherie). Henoch 34. 35. 40. 47. 49. 51. 52. Hericourt 159. 160. 161 (u. Richet). Herpin ı4 (Tod an diphtherischer Lähmung). Hippocrates ı2. 138. Hlasiwetz 86 (— u. Habermann). Hochhaus 5ı (Diphtherische Mus- kelentzündung). Home 18. ıg. 21. ııı (Croup). Sn OR ee Hortense 13. 14 (Königin, Gingi- vitis diphtheritica). Hufeland 201. Huguier 130 (Tracheotomie). Hunter 4ı (Immunität gegen Eite- rungsprocesse). Husson 7 (Secretär des Pocken- impfungs-Comite. I.()). Jenner 4. 1354. 156. Jobert de Lamballe 55 (Diphtherie bei Urogenitalfisteln). Josephine Croup). Isambert 113. Jurine 13. ııı. ı3 (Kaiserin, Tod an ıı2 (Crouppreis). K. Kitasato 98. 150. 151. 152 154. 171.2177- Klebs 72. 73. 75 (Diphtherie- bacillus). Koörr: ‘165. 190. 195. 176. 178, 184. 193. Koch, Robert 37. 73. 76. 77: 78. 96. 97. 98. 134. 138. 147. 163. 169. 189. 191. 198, 201. König ı14. 115. 116. ı28 (Tra- cheotomie). Kolisko 34 (— u. Paltauff, scarla- tinöse Angina), Kühn ı29 (Tracheotomie). L. Laönnec. ı6. 2ı (Tuberculose). 22. 58 (Napoleon’s Crouppreis, Commission). Lautenschläger 193. Lewin, G. ı20 (Inunctionscur bei Diphtherie). 127 (Literatur über Diphtherie). Lichtheim 61 (Diphtherie - Aetio- logie). 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