VORWORT ZUR ERSTEN ENGLISCHEN AUFLAGE.

Diese hier dargebotenen Vorlesungen sind auf Ver- anlassung und Bestimmung der Ersten Präsidentschaft der Kirche ausgearbeitet worden. Die Mehrzahl derselben wurde vor der theologischen Klasse der Kirchenuniversität gehalten; nach Schluß der Klassensitzungen wurden sie vor anderen Vereinigungen innerhalb der Kirche, die sich mit dem Studium der Theologie befaßten, fortgesetzt. Dem von der Leitung der Kirche ausgesprochenen Wunsche, die Vorlesungen möchten zum Gebrauch in den verschiedenen Bildungsanstalten der Kirche gedruckt werden, nachkom- mend, ist der Stoff wieder durchgesehen worden und wird jetzt in der vorliegenden Form herausgegeben.

Im Hinblick auf etwaige Kritik und Fragen wegen der Ungleichheit im Umfange mehrerer Vorlesungen, darf hier zum voraus erklärt werden, daß jede der Ansprachen zwei oder mehrere Klassensitzungen in Anspruch genommen hat, und daß die jetzige Ordnung des Stoffes in getrennte Vorlesungen mehr eine nachträgliche Zusammenstellung als eine ursprüngliche Darbietung ist.

Der Verfasser ist zu Dank verpflichtet, und stattet auch seinen herzlichen Dank ab dem von der Ersten Prä- sidentschaft bestimmten Ausschuß, dessen unverdrossene und fruchtbare Prüfung des Manuskripts, ehe die Vorle- sungen gehalten wurden, dem Verfasser Vertrauen in den voraussichtlichen Wert des Buches für Mitglieder der Kirche eingeflößt hat. Der erwähnte Ausschuß bestand aus den Ältesten Francis M. Lyman, Abraham H. Cannon und Anthon H. Lund vom Kollegium der zwölf Apostel,

lY Vorwort.

George Reynolds, einem der Präsidenten des vorstehenden Kollegiums der Siebziger, dem Ältesten John Nicholson und Dr, Karl G. Maser.

Die Vorlesungen werden jetzt von der Kirche veröffent- licht und mit ihnen geht die Hoffnung des Verfassers, daß sie den vielen Forschern in der Schrift unter unserem Volke und andern ernsten Untersuchern der Lehren und Gebräu- che der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage von Nutzen sein mögen.

James E. Talmage.

Salt Lake City, Utah, den 3. April 1899.

VORWORT ZUR ACHTEN ENGLISCHEN AUFLAGE.

Diese Auflage des Buches ,,Die Glaubensartikel" unter- scheidet sich nur wenig von der fünften. Zum größten Teil sind dazu die gleichen Galvanoplatten verwendet worden, wie zu jener Auflage, wenn auch in dieser etliche kleine Neuerungen wie z. B. Zusätze zu den Anmerkungen und Hinweisungen und andere geringfügige Änderungen ent- halten sind. Die sechste Auflage war eine Ausgabe in Taschenformat, die siebte Auflage, Oktavformat, wurde in England herausgegeben.

James £. Talmage.

Salt Lake City, Utah, im Dezember 1912.

INHALT.

Vorlesung I. Einleitung.

Die Wichtigkeit des theologischen Studiums. Was ist Theologie? Der Umfang dieser Wissenschaft. Theologie und Religion. Die Entstehung der „Glaubensartikel". Die maßgebenden Kirchen- bücher. — Joseph Smith, der Prophet. Seine Eltern und seine .Jugend. Sein Forschen nach Wahrheit und das Ergebnis. Erstes Gesicht. Besuche des Engels. Spätere Entwicklung, sein Mär- tyrertum. Glaub^vü^digkeit seiner Mission 1 31

Vorlesung II, Artikel 1. Gott und die Gottheit.

Das Dasein Gottes. Bezeugt durch allgemeine Zustimmung der Mensch- heit. — Begründet durch Geschichte und Überlieferung. Das durch die menschliche Vernunft gewonnene Zeugnis. Das Zeugnis der unmittelbaren Offenbarung. Die Gottheit eine Dreiheit. Einlieit der Gottheit. Unbereclitigte Glaubenssätze widerlegt. Die Per- sönlichkeit eines jeden Mitglieds der Gottheit. Einige der göttlichen Eigenschaften. Abgötterei imd Gottesleugnung. Immaterialis- mus (Unkörperlichkeitslehre), eine Art Gottesleugnung. Gott in der Natur 32 64

Vorlesung III, Artikel 2. Die Übertretung und der Fall Adams.

Der freie Wille des Menschen vom Herrn anerkannt. Verantwortlichkeit des Menschen. Sünde. Sünden in Unwissenheit begangen. Strafe für Sünde, natürlich und notwendig. Die Dauer der Strafe. Widerlegung der falschen Lehre von der endlosen Qual. Satan, sein erster Stand und sein Fall. Unsere ersten Eltern in Eden. Die Versuchung und der Fall. Adams weise Wahl. Austreibung aus dem Garten. Der Baum des Lebens. Die Folgen des Falles. Der Fall vorherbestimmt und notwendig. Die gesegnete Erbschaft der Sterblichkeit 65 90

VI Inhalt.

Vorlesung IV, Artikel 3. Das Sühuopfer und die Seligkeit.

Das Wesen des Sühn op fers. Versöhnung. Ein stellvertretendes Opfer

Freiwillig und durch Liebe veranlaßt. Das Sühnopfer vorher- verordnet und vorausgesagt. Umfang der Versöhnung. Allge- meine Seligkeit. Persönliche Seligkeit. Seligkeit und Erhöhung.

Stufen der Herrhchkeit. Himmlische, irdische und unterir- dische Herrlichkeit 91 117

Vorlesung V, Artikel 4. Glaube und Buße.

Das Wesen des Glaubens. Fürvs'arhalten, Glaube, und Kenntnis mit einander verglichen. Glaube bei den Teufeln. Die Grundlage des Glaubens. Der Glaube ein Grundsatz der Macht. Eine Be- dingung des lebendigen Glaubens. Der Glaube zur Seligkeit not- wendig. — Eine Gabe Gottes. Glauben und Werke. Das Wesen der Buße. Bedingungen zur Erhaltung der Vergebung. Buße zur Seligkeit notwendig. Buße eine Gabe Gottes. Buße nicht immer möglich. Die Gefaliren des Hinausschiebens der Buße. Buße im Jenseits 118 146

Vorlesung VI, Artikel 4. Die Taule.

Das Wesen der Verordnung. Ihre Einsetzimg. Die Taufe Adams. Der besondre Zweck der Taufe. Würdige Täuflinge. Die Kinder- taufe. — Die Geschichte dieser ungesetzlichen Sitte. Die Kinder- taufe von der Bibel nicht unterstützt und durch andere Schriften verboten. Die Taufe zur Seligkeit notwendig. Die Taufe Christi.

Um alle Gerechtigkeit zu erfüllen 147 166

Vorlesung VII, Artikel 4. Die Taufe, Fortsetzung.

Die Wichtigkeit der richtigen Vollziehung dieser Verordnung. Der Ur- sprung des Worts „taufen", und sein erster Gebrauch. Unter- tauchung die einzig richtige Weise. Das heilige Sinnbild der Ver- ordnung wird in keiner anderen Form gewahrt. Untertauchimg die einzige in früheren Tagen befolgte Form. Die Taufe durch Untertauchung bei den Xephiten. Die neuzeitliche Taufe. Die „Wiedertaufe" nicht eine besondere Verordnung. Die in der Schrift berichteten „Wiedertaufen" sind seltene Ausnahmefälle. Die Taufe für die Toten. Christi Werk unter den Verstorbenen. Die Geister im Gefängnis. Stellvertretendes Werk der Lebendigen für die Toten. Die himmlische Botschaft des Elia. Die Tempel, früher und jetzt 167 194

Inhalt. VII

Vorlesung VIII, Artikel 4.

Der Ileiliye Geist.

Der verheißene Tröster. Der Heilige Geist ein Glied der Gottheit. Seine besondere Persönlichkeit. Seine Mächte. Sein Amt im Dienste der Menschheit. Wem gegeben. Außergewöhnliche Fälle seines zeitweiligen Besuches vor der Taufe. - Die Verordnung der Spendung. Die Macht des Pricstertums erforderlich. Die Gaben des Geistes. Das Auflegen der Hände ein Merkmal heiliger Ver- ordnungen 195 209

Vorlesung IX, in Verbindung mit Artikel 4. Das Sakrament des heiligen Abendmahls.

Bedeutung des Wortes „Sakrament". Des Herrn Abendmahl. Ein- setzung der Verordnung unter den Juden. Auch bei den Nephiten. Würdige Empfänger des Abendmahls. - Der Zweck der Verordnung und die damit verbundenen Verheißungen. Die Sinnbilder der Ver- ordnung. — Die Art und Weise der Segnung imd Austeilung. Das Passahfest und das Abendmahl. Irrtümer hinsichtlich des Abend- mahls 210—220

Vorlesung X, Artikel 5. V'ollmacht im Amt.

Von Gott berufene Männer. Beispiele aus der Schrift. Ordination zum Amt. Das bevollmächtigte Auflegen der Hände. Der Frevel des eigenmächtigen Amtierens ohne Vollmacht. Beispiele des göttlichen Zornes. Wahre und falsche Lelirer. Göttliche Vollmacht in der gegenwärtigen Dispensation. Die Wiederher- stellung des aaronischen Priestertums durch Johannes den Täufer des melchizedekischen durch Petrus, Jakobus und Johannes. —Die Vorordination von Männern zu besondern Berufungen. Die Vor- ordination Christi. - Die Präexistenz der Geister. Unsere früheste Kindheit 221 240

Vorlesung XI, Artikel 6.

Die Kirche und ihre Ordnung.

Die Kirche in alter und neuer Zeit. Die ursprüngliche Kirche. Der Abfall von der ursprünglichen Kirche. Der große Abfall war vorausgesagt. Die Wiederherstellung der Kirche in der Dispensation der Fülle der Zeiten. Der Verwaltungsplan der wieder- hergestellten Ivirche. Ordnungen und Ämter im Priestertum. Das aaronische schließt das levi tische ein. Die raelchizedekische Ordnung. Besondere Ämter im Priestertum. Diener (Diakone), Lehrer, Priester. Älteste, Siebziger, Hohepriester. Patriarchen oder Evangelisten. Apostel. Die Erste Präsidentschaft. Die

VIII Inhalt.

zwölf Apostel. Das vorstehende Kollegium der Siebziger, Die vorstehende Bischofschaft. Örtliche Gliederung, Pfähle und Ge- meinden. — Die Pfahlpräsidentschaft. Der hohe Rat. Die Bischofschaft der Gemeinde (Ward). Helfer in der Verwaltung.

241—262

Vorlesung XII, Artikel 7. Geistige Gaben.

Geistige Gaben ein Merkmal der Kirche. Das Wesen dieser Gaben. Wunder. Unvollständige Aufzählung der Gaben. Zungen und Auslegung der Zungen. Heilung. Gesichte und Träume. Prophe- zeiung. — Offenbarung. Das Zeugnis der Wunder kein unfehlbarer Führer. Nachahmungen geistiger Gaben. Wunder durch böse Mächte. Teufel wirken Wunder. Geistige Gaben heutzu- tage 263—287

Vorlesung XIII, Artikel 8. Die Bibc!.

Das erste unsrer maßgebenden Kirchenwerke. Der Name „Bibel". Das Alte Testament. Sein Ursprung und sein Wachstum. Die Sprache des Alten Testaments. Die Septuaginta. Die fünf Bücher Mose. Geschichtliche Bücher. Poetische Bücher. Die Bücher der Propheten. Die Apokryphen. Das Neue Testament.

Ursprung und Glaubwürdigkeit. Einteilung der Bücher. Die ersten Übersetzungen der Bibel. Neuere Übersetzungen. Echt- heit und Glaubwürdigkeit. Das Zeugnis des Buches Mormon von der Bibel 288—314

Vorlesung XIV., Artikel 8. Das Buch Mormon.

Beschreibung und Ursprung. Moronis Besuch bei Joseph Smith. Das inspirierte Titelblatt. Das Ncphilische Volk. Die Jarediten. Die alten Platten. Mormons Abkürzung der Platten Nephis. Die Übersetzung der Urkunden, Einteilung und Ordnung der Bücher. Echtheit des Buches Mormon, Das Zeugnis der Zeugen.

Erklärungsversuche für seinen Ursprung. Die Spaulding-Ge- schichte 315—338

Vorlesung XV, Artikel 8. Das Buch Mormon, Fortsetzung.

Glaubwürdigkeit des Buches Mormon. Das Buch Mormon imd die Bibel,

Durch das Hervorkommen des Buches Mormon erfüllte alte Pro- phezeiung, — Die innere t^bereinstimmung des Buches, Die darin enthaltenen Prophezeiungen. Äußeres Zeugnis. Zeugnis der

Inhalt. IX

Altertumskunde über die frühere Besiedehing Amerikas. Israeli- tischer Ursprung der amerikanischen Ureinwohner. Gemeinsamer Ursprung aller eingeborenen „Rassen". Die Sprache des Buches Mormon mit der Sprache der Uramerikaner verglichen. Der Über- rest des Ägyptischen und des Hebräischen. Das Zeugnis der For- scher 339—360

Vorlesung XVI, Artikel 9. Offenbarung in der V'ergangenheit, der Gegemvarl und der Zukunft.

Was ist Offenbarung? Offenbarung und Inspiration. Wie Gott mit den Menschen verkehrt. Offenbarer in alter Zeit, Christus, em Offenbarer. Die Lelire von fortdauernder Offenbarung. Wohlbe- gründet, schriftgemäß, vernünftig. Angeblich biblisch begründete Einwendungen und deren Widerlegung. Neuzeitliche Offenbarung. Ohne Offenbarung kann keine wahre Kirche bestehen. Weitere Offenbarungen noch zu erwarten 370 391

Vorlesung XVII, Artikel 10. Die Zerstreuung Israels.

Israel. Kurze Geschichte des Volkes. Die Zerstreuung vorausgesagt. Biblische Prophezeiungen. Voraussagungen im Buch Mormon. Die Erfüllung dieser schrecklichen Prophezeiungen. Das Schick- sal des Reiches Israel. Die Zerstreuung Judas. Die verlorenen Stämme 392 i08

Vorlesung XVIII, Artikel 10. Die Sammlung Israels.

Voraussagungen über die Sammlung. Prophezeiungen in der Bibel und in dem Buch Mormon. Neue Offenbarungen inbezug auf die Samm- lung. — Umfang und Zweck der Sammlung. Israel ein auser- wähltes Volk. Alle Volker durch Israel gesegnet. Die Wieder- herstellung der zehn Stämme. Zion soll erst gegründet werden.

Die Sammlung geht jetzt vor sich 409 426

Vorlesung XIX, Artikel 10.

Zlon.

Zwei Versammlungsorte bezeichnet. Jerusalem und das Neue Jerusalem.

Die Bedeutung von „Zion". Das Zion Henochs. Des Herrn Erklärung über ,,Zion". Neuzeitliche Offenbarung über Zion. Die Gründung aufgehalten. Der Mittelpunkt in Missouri. Die Gründung Zions in den letzten Tagen 427 439

X Inhalt.

Vorlesung XX, Artikel 10. Die Regierung Christi auf Erden.

Das erste und das zweite Kommen Christi mit einander verglichen. Vor- aussagungen seiner Wiederliunft. Die Zeichen beschrieben. Neu- zeithclie Offenbarung darüber. Die genaue Zeit nicht bekannt. Christi Regienuig. Das Reich Gottes. Das Himmeheich. Reich rnid Kirche. Das Tausendjährige Reich. Satans Macht soll ver- mindert werden 440 460

Vorlesung XXI, Artikel 10. Erneuerung und Auferstehung.

Die Erde unter einem Fluch. Die Erneuerung der Erde. Die Erde während des Tausendjähiigen Reiches imd nach demselben. Der Mangel an \\issenschaftlichen Beweisen. Die Auferstehung des Leibes. Die Voraussagungen. Zwei allgemeine Auferstehungen, die erste und die letzte. Die Auferstehung der Gerechten. Und die der Ungerechten. Christi Auferstehung und die, die unmittelbar darauf folgte. Die Auferstehung zur Zeit des zweiten Kommens Christi. - Die Heiden in der ersten Auferstehung. Die Auferste- hung nach dem Tausendjährigen Reich 461 487

Vorlesung XXII, Artikel 11.

Religiöse Freiheit und Duldsamkeit.

Was ist Gottesverehnmg ? Freiheit in der Verehrung Gottes, ein unver- äußerliches Recht. Religiöse Unduldsamkeit ist sündhaft. - Dulden heißt nicht gutheißen. Die Verantwortlichkeit des Menschen. Die Folgen seiner Taten. Vorbereitete Stufen der HerrUchkeit. Die himmlische Herrlichkeit. Die irdische. Die unterirdische. Abstufungen innerhalb der verschiedenen Reiche. Die Söhne des Verderbens 488 509

Vorlesung XXIII, Artikel 12. Unterwerfung unter die Landesgesetze.

Biblische Anerkennung der staatlichen Gewalt. Von Cliristus und seinen Aposteln gegebene Beispiele. Apostolische Belehrungen. Neu- zeithche Offenbarung über die Pflichten den Landesgesetzen gegen- über. — Das Volk Gottes ist notwendigerweise gesetzhaltend. Die Lehren der Kirche heutzutage 510 530

Inhalt. XI

Vorlesung XXIV, Artikel 13. Praktische Religion.

Die Religion hat mit dem täglichen Leben zu tun. Der Umfang unserer Rehgion. Die Wohltätigkeit zur Pfliclit gemacht. Freiwillige Opfer. Das Fastopfer. Der Zehnte. Weihimg und Verwalter- schaft. — Die Gütergemeinschaft. Soziale Ordnung in der Kirche. Die Ehe. Die himmlische Ehe. Ungesetzlicher Verkehr der Geschlechter. Die Heiligkeit des Körpers 531 555

Anhang: Leitfaden zur Wiederholung der Vorlesungen in den Klas- sen 557—574

Xamen- und Sachregister 575 584

DIE GLAUBENSARTIKEL

DER KIRCHE JESU CHRISTI DER HEILIGEN DER LETZTEN TAGE.

1. Wir glauben an Gott den ewigen Vater und an seinen Sohn Jcsum Christum und an den Heiligen Geist.

2. Wir glauben, daß alle Menschen für ihre eigenen Sünden gestraft werden und nicht für Adams Übertretung.

3. Wir glauben, daß durch das Sühnopfer Christi die ganze Mensch- heit selig werden kann diu-ch Befolgung der Gesetze und Verordnungen des Evangeliums.

4. Wir glaubfn, daß die ersten Prinzipien und Verordnungen des Evangeliums sind: 1. Glaube an den Herrn Jesum Christum, 2. Buße, 3. Taufe durch Untertauchung zur Vergebung der Sünden, 4. das Auflegen der Hände für die Gabe des Heiligen Geistes.

5. V/ir glauben, daß ein Mann von Gott berufen sein muß durch Offenbarung und duixh das Auflegen der Hände derer, welche die Voll- macht dazu haben, das Evangelium zu predigen und in dessen Verord- nungen zu amtieren.

6. Wir glauben an die gleiche Organisation, die in der ursprüng- lichen Kirche bestand, nämlich: Apostel, Propheten, Hirten, Lelirer. Evangelisten usw.

7. Wir glauben an die Gabe der Zungen, Prophezeiung, Offenbarung, Gesichte, Heilung, Auslegung der Zungen usw.

8. Wir glauben an die Bibel als das Wort Gottes, soweit sie richtig übersetzt ist; wir glauben auch an das Buch Mormon als das Wort Gottes.

9. Wir glauben alles, was Gott geoffenbart hat, alles, was er jetzt offenbart, und wir glauben, daß er noch viele große und wichtige Dinge offenbaren wird inbezug auf das Reich Gottes.

10. Wir glauben an die buchstäbliche Sammlung Israels imd an die Wiederherstellung der zehn Stämme, daß Zion auf dem amerikanischen Kontinent aufgebaut werden wird, daß Cliristus persönlich auf der Erde regieren und daß die Erde erneuert werden und ihre paradiesische Herr- Uchkcit erhalten wird.

11. Wir erheben Anspruch auf das Recht, den allmächtigen Gott zu verehren nach den Eingebungen unsers Gewissens und gestatten allen Menschen dasselbe Recht, mögen sie verehren wie, wo oder was sie wollen.

12. Wir glauben daran, Königen, Präsidenten, Herrschern und Magi- straten untertänig zu sein, den Gesetzen zu gehorchen, sie zu ehren und zu unterstützen.

13. Wir glauben daran, ehrlich, getreu, keusch, wohltätig und tugend- haft zu sein und allen Menschen Gutes zu tun; in der Tat möchten wir sagen, daß \\ir der Ermahnung Pauli folgen; „Wir glauben alles, wir hoffen alles", wir haben vieles ertragen und hoffen fähig zu sein, alles zu ertragen. Wo etwas Tugendhaftes, Liebenswürdiges oder von gutem Rufe oder Lobenswertes ist, trachten wir nach diesen Dingen. Joseph Smith.

VORLESUNGEN

ÜBER

DIE GLAUBENSARTIKEL

DER KIRCHE JESU CHRISTI DER HEILIGEN DER LETZTEN TAGE.

Vorlesung I. Einleitung.

1. Die Wichtigkeit des theologischen Studiums.

In dem kurzen Zeitraum, der die Spanne des sterblichen Lebens mißt, ist es dem Menschen unmöglich, irgend einen beträchtlichen Teil des unermeßlichen Reiches der Erkennt- nis zu erforschen. Daher ist es der Weisheit Pflicht, die Fächer des Studiums auszuwählen, die versprechen am wertvollsten zu sein. Alle Wahrheit ist kostbar ja unbezahlbar an ihrem Platz; inbezug auf ihre Anwen- dungsmöglichkeit jedoch sind einige Wahrheiten von un- vergleichlich größerem Wert als andere. Eine Kenntnis der Grundsätze des Handels ist für den Erfolg des Kauf- manns notwendig; ein Vertrautsein mit den Gesetzen der Seeschiffahrt wird von dem Seemann gefordert; Ver- trautsein mit dem Verhältnis von Boden und Anpflan- zung ist dem Landmann unentbehrlich; ein Verständ- nis der tiefgehenden Grundsätze der Mathematik ist dem Ingenieur und Astronomen nötig; in gleicher Weise ist auch eine brauchbare Kenntnis von Gott notwendig zur Seligkeit jeder menschlichen Seele, welche das Alter

2 Die Glaubensartikel, IVorl. L

der Urteils- und der Zurechnungsfähigkeit erreicht hat. Der Wert theologischer Kenntnisse sollte deshalb nicht unterschätzt werden. Es fragt sich, ob ihre Wichtigkeit in irgend einer Weise überschätzt werden könnte.

2. Was ist Theologie? Das Wort „Theologie" ist griechischer Abstammung. Es kommt von „theos", was Gott bedeutet, und ,, logos", eine Abhandlung oder Rede, und bedeutet daher durch Abstammung, vergleichende Wissenschaft von der Gottheit, oder die Wissenschaft, die uns über Gott belehrt. Sie schließt auch das Ver- hältnis von dem Allmächtigen zu seinen Geschöpfen in sich ein. Das Wort ist von sehr altem Gebrauch und kann bis auf heidnische Quellen zurückgeführt werden. Plato und Aristoteles reden von der Theologie als von der Lehre von der Gottheit und von göttlichen Dingen. Bündig erklärt, die Theologie ist ,,jene geoffenbarte Wissenschaft, die von dem Wesen und den Eigenschaften Gottes sei- nem Verhältnis zu uns den Fügungen seiner Vorsehung seinem Willen inbezug auf unsere Handlungen und seinen Absichten inbezug auf unser Ende handelt."^)

3. Es wird von einigen als W^ahrheit gehalten, daß theologische Erkenntnis kein geeigneter Gegenstand für analytische und sonst wissenschaftliche Behandlung von Seiten des INIenschen sei, und zwar deshalb nicht, weil ein wahrer Begriff der Gottheit, mit dem die Theologie in- sonderheit zu tun hat, auf Offenbarung aus göttlicher Quelle gegründet sein müsse, wir also solche Kenntnis nur bekommen können in dem Maße, wie sie gnädig gegeben wird; und daß der Versuch kritischer Untersuchung der- selben, wegen der fehlbaren Kräfte des menschlichen Urteils, das Anwenden der gänzlich unzulänglichen Weisheit des Menschen das Maß für das Tun Gottes sein würde. Viele

0 Siehe Lelire u. Bündn. „Fragen und Antworten", erste Vor- lesung über Glauben; Bucks Theologisches Wörterbuch, S. 582.

Einleit.] Theologie. 3

Wahrheiten sind der hilflosen menschlichen Vernunft unbegreiflich, und es ist erklärt worden, theologische Tat- sachen seien über den Verstand erhaben. Dieses ist inso- fern wahr, als derselbe Einwand auch bei irgend einer anderen Art von Wahrheit erhoben werden könnte; denn alle Wahrheit, da sie ewig ist, ist über dem Verstand erha- ben, in dem Sinne, daß sie dem Verstand zwar offenbar ist, aber doch keine Schöpfung des Verstandes darstellt. Den- noch sollen Wahrheiten durch die Ausübung der Vernunft geschätzt und verglichen werden.

4. Der Umfang der Theologie. Wer kann die Gren- zen dieser Wissenschaft erforschen ? Sie hat mit der Gott- heit, dem Ursprung der Erkenntnis, der Quelle der Weis- heit, zu tun ; mit den Beweisen des Daseins eines allmäch- tigen Wesens und anderer übernatürlichen Persönlichkei- ten; mit den Zuständen, unter denen und mit den Mitteln, wodurch göttliche Offenbarung erteilt wird ; mit den ewigen Grundsätzen, die die Erschaffung der Welten regieren; mit den Gesetzen der Natur in all ihren verschiedenen Kundgebungen. Insonderheit ist die Theologie die Wissen- schaft Gottes und der Religion. Sie sucht „die systema- tische Darlegung der geoffenbarten Wahrheit, die Wissen- schaft des christlichen Glaubens und Lebens" darzubieten. Aber in einem allgemeineren Sinn hat die Theologie auch mit anderen Wahrheiten zu tun, nicht nur mit denen, die ausgesprochen geistig genannt werden können. Ihr Ge- biet ist an Ausdehnung dem der Wahrheit gleich.

5. Die gewerblichen Bestrebungen, die der Mensch- heit Nutzen bringen, die Künste, die erfreuen und ver- edeln, die Kenntnisse die das Gedächtnis erweitern und erhöhen, sind nur Bruchstücke des großen, doch noch uner- schlossenen Gebietes der Wahrheit, die aus einer ewig unerschöpflichen Quelle zur Erde gekommen ist. Das umfassende Studium der Theologie würde daher alle be-

4 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

kannten Wahrheiten in sich begreifen. Gott hat sich selbst als den großen Lehrer eingesetzt.^) Durch persönliche Kundgebungen oder durch die Amtierung der durch ihn er- nannten Diener unterrichtet er seine sterblichen Kinder. Der Herr machte Adam mit der Kunst der Landwirtschaft bekannt,^) und lehrte sogar durch Beispiel die der Schnei- derei ;3) Noah und Nephi gab er Belehrungen über die Kunst des Schiffbaues,*) Lehi und Nephi wurden von ihm unter- richtet in der Kunst der Seeschiffahrt,^) und zur Führung auf ihren Reisen zu Wasser und zu Lande bereitete er für sie den Liahona,^) einen durch eine Kraft, die wirksamer als die des irdischen Magnetes ist, arbeitenden Kompaß; überdies erhielt Mose Unterricht in der Baukunst.')

6. Theologie und Religion, obwohl eng verwandt, sind in keiner Weise ein und dasselbe. Ein Mensch mag in theo- logischer Lehre durch und durch bewandert sein und doch Mangel leiden an religiösen und sogar an moralischen Charakterzügen. Die Theologie kann als Lehre verghchen werden, während die Religion das Leben darstellt. Ist die Theologie die Regel, dann ist die Religion die Ausübung. Eines soll die Ergänzung des andern sein. Theologische Kenntnis sollte den religiösen Glauben und seine Betäti- gung stärken. Der Begriff Theologie, wie er von den Hei- ligen der letzten Tage angenommen wird, umfaßt den ganzen Plan des Evangeliums. , .Theologie ist geordnetes Wissen und stellt auf dem Gebiete des Verstandes das dar, was Religion im Herzen und Leben des Menschen darstellt. ' ' ^)

') Siehe „Schlüssel zur Gottesgelehrtheit" von Parley P. Pratt, erstes Kapitel.

') 1. Mose 2:8; Köstl. Perle, Moses 3:15.

') 1. Mose 3:21; Köstl. Perle, Moses 4:27.

*) 1. Mose 6:14; Buch Mormon 1. Nephi 17:8; 18:4.

') 1. Nephi 18:12, 21.

•) 1. Nephi 16:10, 16, 26 30; 18:12, 21; Ahna 37:38.

') 2. Mose 25, 26, 27.

•) W. E. Gladstone.

Einleit.] Theologie. 5

Die Erkenntnis mag nur mit dem Verstand zu tun ha- ben, und wie erhaben ihr Sinn auch sein mag, so kann sie doch verfehlen, auf das harte Herz zu wirken.

7. Die Glaubensartikel. Die Glaubensansichten und vorgeschriebenen Gebräuche der meisten religiösen Gemeinschaften werden gewöhnlich in förmlichen Glaubens- bekenntnissen erklärt. Die Heiligen der letzten Tage stellen kein Glaubensbekenntnis als eine vollständige Gesetzessammlung ihres Glaubens auf. Denn obwohl sie dafür halten, daß die Gebote zur Erlangung des ewigen Lebens unveränderlich sind, nehmen sie doch den Grund- satz der fortdauernden Offenbarung als einen bezeichnen- den Zug ihres Glaubens an. Als Joseph Smith jedoch um eine bündige Darlegung unserer Hauptansichten über die Religion gebeten wurde, verkündete er, der erste Prophet der Kirche in der gegenwärtigen Dispensation, als eine Glaubenserklärung die „Glaubensartikel der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage". Sie enthalten die wichtigeren und kennzeichnenden Stücke des Evangeliums, wie es von dieser Kirche angenommen wird; sie sind jedoch als eine Erklärung unseres Glaubens nicht vollständig, denn in einem der Artikel wird gesagt, ,,Wir glauben alles, was Gott geoffenbart hat, alles, was er jetzt offen- bart, und wir glauben, daß er noch viele große und wichtige Dinge offenbaren wird inbezug auf das Reich Gottes." Seit ihrer ersten Veröffentlichung sind die Glaubensartikel von dem Volke angenommen worden, i) und am 6. Oktober 1890 haben die zu einer Generalkonferenz versammelten Heiligen die „Artikel" zum guten Teil als Führer im Glau- ben und Leben wieder angenommen. Da diese Glaubens- artikel die Haupt-Lehrsätze der Kirche in planmäßiger Ordnung darstellen, bilden sie einen geeigneten Leitfaden für unsere Untersuchung.

») Siehe Anmerkung 1.

6 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

8. Die maßgebenden Kirchenbücher bilden unsre geschriebene Richtschnur der Lehre. Sie sind aber in keiner Weise unsere einzigen Quellen der Erkenntnis und Beleh- rung über die Theologie der Kirche. Wir glauben, Gott ist heute ebenso willig, den Menschen seine Absichten und seinen Willen zu offenbaren, als er es je gewesen ist, und daß er es auf auserwählte und bestimmte Wege auch tut. Da die führenden Männer als Propheten und Offenbarer und als im Besitz des heiligen Priestertums von der Kirche anerkannt und angenommen werden, verlassen wir uns auf die Belehrungen dieser lebenden Willensver- künder Gottes, als von gleicher Rechtskräftigkeit wie die Lehren des geschriebenen Wortes. Die durch die Stimme der Kirche als maßgebende Führer im Glauben und in der Lehre angenommenen geschriebenen Werke sind die folgenden vier: die Bibel, das Buch Mormon, die Lehre und Bündnisse und die Köstliche Perle. Andere Werke sind von Beamten und Mitgliedern der Kirche herausgegeben worden und werden noch herausgegeben werden ; viele von ihnen werden von dem Volke und seiner geistlichen Obrig- keit ohne Vorbehalt gutgeheißen. Die genannten vier Werke sind jedoch die einzigen regelrecht eingesetzten maßgebenden Bücher der Kirche. Von der in den recht- mäßigen, maßgehenden Werken behandelten Lehre dürfen die Glaubensartikel als ein guter, wenn auch notwen- digerweise unvollständiger Auszug betrachtet werden.

Der Prophet Joseph Smith.

9. Joseph Smith, dessen Name den Glaubensartikeln angefügt ist, war der Prophet, durch den der Herr in diesen letzten Tagen das Evangelium auf Erden wiederhergestellt hat, und zwar in Übereinstimmung mit Voraussagungen in früheren Dispensationen. Die Frage der Glaubwürdig-

Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 7

keit der göttlichen Mission dieses Mannes ist ernsten Unter- suchern der Lehren der Heiligen der letzten Tage äußerst wichtig. Sind seine Behauptungen von einer von Gott kommenden Berufung falsch, so kann auch der ganze Bau nicht fest sein, da sie die Grundlage der Kirche in der letzten Dispensation bilden. Ist er aber tatsächlich unter den Händen himmlischer Persönlichkeiten ordiniert worden, so braucht man nicht weiter nach der Ursache der außer- ordentlichen Stärke und Entwicklungskraft der wieder- hergestellten Kirche zu suchen. Die Umstände und die Art und Weise des göttlichen Verfahrens mit Joseph Smith; die wunderbare Entwicklung des durch diesen Propheten der Neuzeit angefangenen Werkes; die durch seine Ver- mittlung herbeigeführte Erfüllung vieler der erhabensten alten Voraussagungen, und seine eigenen prophetischen Äußerungen mit ihrer buchstäblichen Verwirklichung werden noch als entscheidender Beweis der Gültigkeit seiner Mission weithin anerkannt werden.^) Die erhabenen Behauptungen, die für ihn und sein Lebenswerk gemacht werden; der Ruf, der seinen Namen unter den meisten gesitteten Völkern der Erde für Gutes oder Böses bekannt gemacht hat und die Lebens- und Entfaltungskraft der reli- giösen und sozialen Systeme, die ihren Ursprung als Ein- richtungen des neunzehnten Jahrhunderts dem Wirken dieses Mannes verdanken, geben ihm eine persönliche Be- deutung, die wenigstens einer vorübergehenden Betrach- tung wert ist.

10. Seine Eltern und seine Jugend. Joseph Smith, der dritte Sohn und das vierte Kind in einer Familie, die deren zehn hatte, wurde am 23. Dezember 1805 zu Sharon, Windsor County (Vermont) geboren. Er war der Sohn von Joseph Smith und Lucy Smith geb. Mack, einem

») Siehe Anmerkung 3.

8 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

würdigen Ehepaar, das zwar in Armut aber glücklich auf seiner heimatlichen Scholle lebte, die eine Stätte des Flei- ßes und der Genügsamkeit war. Als Joseph zehn Jahre alt war, verließ die Familie Vermont und siedelte sich im Staate New-York, erst zu Palmyra und später zu Man- chester, Ontario County, an. Hier in Manchester hat der zukünftige Prophet den größten Teil seiner Jugendzeit zu- gebracht. Gleichwie seine Geschwister hatte er nur wenig Schulunterricht genossen; und die einfachen Anfangs- gründe, die er durch ernsten Fleiß hatte erwerben können, mußte er seinen Eltern verdanken, die die Gewohnheit hatten, einen Teil ihrer freien Zeit der Belehrung der jüngeren Mitglieder der Familie zu widmen.

11. In ihren religiösen Ansichten neigte die Familie der Presbyterianer-Kirche zu. Die Mutter und drei oder vier der Kinder hatten sich dieser Sekte angeschlos- sen. Aber Joseph, da er durch den Streit und die Uneinig- keit, die damals zwischen den Kirchen entstanden waren, unschlüßig war, bewahrte sich vor jeder sektiererischen Mitgliedschaft, obwohl er einmal von dem Methodisten- Glauben einen günstigen Eindruck bekommen hatte. Mit Recht erwartete er, daß in der Kirche Christi Einigkeit und Einklang seien. Statt dessen sah er unter den strei- tenden Sekten nur Verwirrung. Als Joseph in seinem fünfzehnten Lebensjahre stand, wurde die Gegend, wo seine Eltern wohnten, von einem Sturm heftiger religiöser Aufregung heimgesucht, der unter den Methodisten an- fing und bald alle Sekten ergriff. Es gab Erweckungen und langwierige Versammlungen, und der Kundgebungen sektiererischen Wetteifers wurden es viele und verschie- denartige. Diese Zustände trugen viel dazu bei, Not und Trübsal des jungen Forschers nach Wahrheit zu verm.ehren.

12. Sein Forschen nach Wahrheit und das Ergebnis. Was Joseph nun unternahm, schildert er selbst mit folgen-

Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 9

den Worten: Inmitten dieses Wortkrieges und des Meinungsgeschreies sagte ich oft zu mir selber: Was ist hier zu tun ? Welche von all den Parteien ist die richtige ? Oder sind sie alle zusammen falsch? Wenn irgend eine von ihnen richtig ist, welche ist es, und wie kann ich es ausfinden? Während ich mit den außerordentlichen Schwierigkeiten kämpfte, die durch die Streitigkeiten dieser Religionsparteien entstanden, las ich eines Tages im ersten Kapitel des Jakobusbriefes den fünften Vers, welcher lautet: ,,So aber jemand unter euch Weisheit mangelt, der bitte Gott, der da gibt einfältig jedermann und rückt's niemand auf, so wird sie ihm gegeben werden ."^) Nie war eine Schriftstelle mit mehr Macht in das Herz eines Menschen gedrungen, als diese zu dieser Zeit in das meine drang. Sie schien mit voller Gewalt in jedes Gefühl meines Herzens zu dringen. Ich überlegte sie wieder und immer wieder, mit dem Bewußtsein, daß, wenn irgend eine Person Weisheit von Gott nötig hätte, ich diese sicher- lich sei, denn ich wußte nicht, wie ich handeln sollte; und es sei denn, daß ich mehr Weisheit empfinge, als ich schon besaß, ich es nie wissen würde; denn die Religionslehrer der verschiedenen Sekten legten die gleiche Schriftstelle auf so verschiedene Weise aus, daß alle Hoffnung und alles Vertrauen, die Frage durch Berufung auf die Bibel zu entscheiden, zerstört wurde. Endlich kam ich zu dem Entschlüsse, daß ich entweder in Finsternis und Wirrwarr bleiben oder aber tun müsse, was Jakobus vorschreibt, nämlich „von Gott bitten". Ich faßte schließlich den festen Vorsatz, von Gott zu bitten, denn ich glaubte, daß, wenn er denen Weisheit gebe, welchen Weisheit mangelt, und jedermann einfältiglich gebe und es niemand aufrücke, ich es wagen dürfe. In Übereinstimmung mit diesem meinem Entschluß, von Gott zu bitten, begab ich mich

') Jakobus 1:5.

10 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

in einen Wald, um den Versuch zu machen. Es war am Morgen eines herrlichen, klaren Tages, in den ersten Früh- lingstagen des Jahres 1820. Zum erstenmal in meinem Leben machte ich einen solchen Versuch, denn in all meinen Ängsten hatte ich bis dahin noch nie gewagt, laut zu beten.

Nachdem ich mich an den Ort zurück gezogen hatte, den ich mir vorher dazu ausersehen, und mich umschaute und fand, daß ich allein war, kniete ich nieder und fing an, die Wünsche meines Herzens vor Gott zu bringen. Kaum hatte ich das getan, so wurde ich plötzlich von einer Macht ergriffen, die mich gänzlich übermannte, und die eine so erstaunliche Einwirkung auf mich hatte, daß meine Zunge gebunden war, und ich nicht sprechen konnte. Dichte Finsternis umgab mich, und es schien eine Zeitlang, als sei ich einer plötzlichen Vernichtung preisgegeben. Aber ich strengte alle meine Kräfte an, um Gott anzurufen, daß er mich aus der Gewalt dieses Feindes, der sich meiner bemächtigt hatte, befreie. Grade in dem Augenblick, da ich im Begriffe war, in Verzweiflung zu sinken, und der Vernichtung anheimzufallen nicht einer vermeintlichen oder nur scheinbaren Vernichtung, sondern der Gewalt eines wirklichen Wesens aus der unsichtbaren Welt, das eine so erstaunliche Gewalt hatte, wie ich sie noch nie vor- her in irgend einem Wesen verspürt hatte grade in diesem Augenblick großer Angst, sah ich unmittelbar über meinem Haupt eine Lichtsäule, heller als die Sonne, die sich all- mählich herniederließ, bis sie auf mir ruhte. Sobald sie erschien, fand ich mich von dem Feinde, der mich gebun- den gehalten hatte, befreit. Als nun das Licht auf mir ruhte, sah ich zwei Gestalten, deren Herrhchkeit und Glanz aller Beschreibung spottet, über mir in der Luft stehen. Eine von ihnen sprach zu mir, mich mit meinem Namen

Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 11

nennend, und sagte (auf die andere deutend): „Dies ist mein geliebter Sohn, höre ihn."^)

13. Als Antwort auf sein Gebet um Führung, zu wissen welche von allen Sekten Recht hätte, wurde ihm gesagt, sich keiner anzuschließen, denn ihre Glaubens- bekenntnisse, die in den Augen Gottes ein Greuel sind, und ihre Lehrer, die verderbt sind, weil sie sich dem Herrn mit ihren Lippen nahen, während ihre Herzen ferne von ihm sind, seien alle falsch; sie lehrten als Lehren die Gebote der Menschen und hätten einen Schein der Gott- seligkeit, aber deren Kraft verleugneten sie.

14. Eine solche Auskunft, wie sie in dieser beispiel- losen Offenbarung erteilt wurde, war nicht in dem Herzen des Jünglings verschlossen zu halten. Er zögerte nicht, die glorreichen Wahrheiten mitzuteilen, und zwar zuerst den Gliedern seiner Familie, die sein Zeugnis mit Ehr- furcht empfingen, und dann den sektiererischen Geist- lichen, die so fleißig gearbeitet hatten, um ihn zu ihren ver- schiedenen Glaubensbekenntnissen zu bekehren. Zu sei- nem Erstaunen begegneten die angeblichen Lehrer Christi seinen Behauptungen mit der äußersten Verachtung und erklärten, daß die Tage der Offenbarung von Gott längst vorüber seien, und daß die Kundtuung, wenn er überhaupt eine solche bekommen hätte, sicher vom Satan sei. Trotz- dem bemühten sich die Geistlichon und zwar mit einer Einigkeit in der Absicht, die in einem seltsamen Wider- spruch zu ihrer frühern gegenseitigen Feindschaft stand den jungen Mann zu verspotten und sein Zeugnis zu ent- kräften. Die Nachbarschaft wurde aufgeregt. Heftige und rachsüchtige Verfolgungen wurden gegen ihn und seine Familie geführt. Es wurde sogar von einem angehenden

») Köstl. Perle, Auszüge aus der Geschichte des Propheten Joseph Smith, S. 72—74.

12 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

Meuchelmörder auf ihn geschossen. Doch durch alle diese Fährnisse hindurch wurde er vor körperlicher Verletzung bewahrt; und trotz des wachsenden Widerstandes blieb er in seinem Zeugnis von dem himmlischen Besuch getreu- lich standhaft. 1) In diesem Zustand der Prüfung blieb er drei Jahre ohne weitere Offenbarung; beharrlich er- wartete er sie, bekam aber zunächst das weitere Licht und die vermehrten Unterweisungen, wonach er sich sehnte, nicht. Er empfand seine eigene Schwachheit sehr stark und war sich seiner menschlichen Unvollkommenheiten bewußt. Seine Fehler eingestehend, flehte er den Herrn um Hilfe an.

15. Besuche des Engels. In der Nacht vom 21. September 1823, als er um Vergebung seiner Sünden und um Führung in seinen weiteren Handlungen bat, wurde er mit einer anderen himmlischen Offenbarung gesegnet. Es erschien in seinem Zimmer ein glänzendes Licht, in dessen Mitte eine weiß gekleidete Person stand, deren Antlitz von strahlender Reinheit und Lieblichkeit war. Der himmlische Besucher stellte sich als Moroni, einen von der Gegenwart Gottes ausgesandten Boten vor, und fuhr dann fort, den Jüngling von einigen göttlichen Plänen zu unterrichten, in denen Joseph eine höchst wichtige Rolle spielen sollte. Der Engel sagte, daß durch Joseph als das irdische Werkzeug, die wahre Kirche auf Erden wiederhergestellt werden solle, und daß sein Name, von den Guten verehrt und von den Bösen geschmäht unter allen Völkern und Sprachen bekannt werden würde; daß eine auf goldenen Platten gravierte Urkunde, die eine Geschichte der Völker, die früher auf dem westlichen Kontinent gewohnt hatten, und einen Bericht von dem Wirken des Heilandes unter dem Volk dieses Landes ent-

') Siehe Anmerkung 2.

Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 13

halte, in einem nahen Hügel vergraben sei; daß zwei heilige, als der Urim und Thummim bekannte Steine, durch deren Gebrauch Männer in alten Zeiten Seher geworden waren, auch mit den Platten vergraben seien, und daß Gott durch diese Werkzeuge Joseph ermächtigen werde, die auf den Platten gravierten Urkunden zu übersetzen.

16. Der Engel wiederholte dann mehrere von den in den alten Schriften enthaltenen Prophezeiungen. Einige der Anführungen wurden mit Abweichungen von unsern bib- lischen Lesarten gegeben. Von den Worten Maleachis wurde folgendes angeführt: „Denn siehe, es kommt ein Tag, der brennen soll wie ein Ofen ; da werden alle die Stol- zen, ja und alle, die Böses tun, brennen wie Stoppeln, denn die, welche kommen, sollen sie verbrennen, sagt der Herr der Heerscharen, daß ihnen weder Wurzel noch Zweig bleiben soll."^) Und weiter: „Siehe, ich will euch das Priestertum offenbaren durch die Hand des Propheten Elia, ehe denn da komme der große und schreckliche Tag des Herrn. Und er soll in die Herzen der Kinder die den Vätern gemachten Verheißungen pflanzen, und die Herzen der Kinder sollen sich zu den Vätern kehren. Wenn es nicht so wäre, würde die ganze Erde bei seiner Wieder- kunft völlig verwüstet werden. "2) Unter anderen Schriften erwähnte Moroni die Prophezeiungen des Jesaja, über die Wiederherstellung des zerstreuten Israels und die ver- heißene Herrschaft der Gerechtigkeit auf Erden^) und sagte, daß die Voraussagungen bald erfüllt werden würden; ferner die Worte Petri zu den Juden, inbezug auf den Pro- pheten, der, wie Mose sagte, erweckt werden sollte, und er- klärte, daß dieser Prophet, Christus ist, und daß der Tag

') Vergleiche Maleachi 4:1 (3:19).

>) Vergleiche Maleachi 4:5, 6 (.S:23, 24).

') Siehe Jesaja 11.

14 Die Glaubensartike]. [Vorl. I.

nahe sei, wo alle, welche die Worte des Heilands verwerfen werden, von dem Volke abgeschnitten werden sollten.^)

17. Nachdem er seine Botschaft überbracht hatte, schied der Engel. Das Licht in dem Zimmer schien sich um seinen Körper zusammenzuziehen und verschwand mit ihm. Doch kehrte der himmlische Besucher während der Nacht ein zweites und ein drittes Mal wieder, und jedesmal wiederholte er die Belehrungen und fügte Er- mahnungen hinzu, über die Erfordernisse und Warnungen vor den Versuchungen, die den jugendlichen Seher über- fallen würden. Am folgenden Tag erschien Moroni dem Joseph wieder, wiederholte von neuem die Belehrungen und Warnungen der vergangenen Nacht und gebot ihm, seinen Vater von allem, was er gehört und gesehen hat, in Kennt- nis zu setzen. Dies tat der Jüngling, und der Vater bezeugte sofort, daß die Mitteilungen von Gott seien.

18. Bald begab sich Joseph nach dem ihm in dem Gesicht geschilderten Hügel. Er erkannte den von dem Engel gezeigten Ort, und mit einiger Mühe entblößte er einen steinernen Kasten, der die Platten und die anderen Dinge, wovon Moroni sprach, enthielt. Der himmlische Bote stand ihm wieder zur Seite, verbot das Wegnehmen des Inhalts zu dieser Zeit und sagte, daß vier Jahre ver- gehen müßten, ehe die Platten in seine Hände gelegt werden sollten, und daß es seine Pflicht sei, diesen Ort alljährlich zu besuchen. Bei jedem dieser Besuche unter- richtete der Engel den jungen Mann noch gründlicher über das große für ihn bestimmte Werk.

19. Es ist nicht der Zweck dieser Vorlesung, das Leben und das Werk Joseph Smiths in ihren Einzelheiten zu betrachten. 2) Wegen der außerordentlichen Bedeu-

») Vergleiche Apostelgesch. 3:22, 23. ') Siehe Anmerkung 5.

Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 15

tung, die der Einführung der neuzeitlichen oder neuen Dispensation der Vorsehung Gottes zukommt, ist den eröff- nenden Szenen seiner von Gott bestimmten Mission so viel Aufmerksamkeit gewidmet worden. Das Entfernen der Platten von ihrem Jahrhunderte alten Ruheplatz, ihre Übersetzung durch göttliche Macht und das Herausgeben der Urkunde als das Buch Mormon, werden bei späterer Gelegenheit Beachtung finden. Hier genügt es wohl zu sagen, daß der alte Bericht übersetzt, das Buch Mormon der Welt übergeben, und der Band als heiliger Führer von den Heiligen der letzten Tage angenommen worden ist. 20. Spätere Entwicklungen, das Märtyrertum. Mit der Zeit wurde die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage organisiert. Das Priestertum wurde durch die Ordination Joseph Smiths von denen, welche die Schlüs- sel dieser Autorität in früheren Dispensationen hielten, zurückgebracht. Von einer anfänglichen Mitgliedschaft von nur sechs Personen, wuchs die Kirche, um noch zu Lebzeiten des Propheten Joseph Tausende in sich zu ver- einigen, und ihr Wachstum hat sich bis zur gegenwärtigen Zeit mit außerordentlicher Schnelle und Beständigkeit fort- gesetzt. Die von der alten Kirche innegehabten Kräfte und Vollmachten wurden eine nach der andern durch diesen Mann, der auserwählt und ordiniert war, der erste Älteste der letzten Dispensation zu sein, wiederhergestellt. Mit der Ausbreitung der Kirche nahm die Verfolgung zu, und die Wirkung bösen Widerstandes erreichte am 27. Juni 1844 in dem grausamen Märtyrertum des Propheten und seines Bruders Hyrum, des damaligen Patriarchen der Kirche, den höchsten Grad. Die Ereignisse, die dazu führten und die ihren Höhepunkt in dem niederträch- tigen Mord dieser Männer zu Carthage (Illinois) erreichte, sind Dinge der öffentlichen Geschichte. Genüge es zu sagen, daß der Prophet und der Patriarch zum Zeugnis

16 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

der Wahrheit, das sie so mutig angesichts unduldsamer Verfolgung beinahe ein Viertel] ahrhundert lang behauptet hatten, das heilige Siegel ihres Lebensbluts gaben. i)

21. Glaubwürdigkeit der Mission Joseph Smiths. Der Beweis der göttlichen Vollmacht zu dem von Joseph gegründeten Werke und der Rechtfertigung der von dem Mann und der für ihn gemachten Behauptungen kann fol- gendermaßen zusammengefaßt werden:

1. Durch die durch seine Vermittlung geschehene Wiederherstellung des Evangeliums und der Kirche auf Erden sind alte Prophezeiungen erfüllt worden.

2. Durch unmittelbare Ordination und Einsetzung unter den Händen derer, welche die Vollmacht in früheren Dispensationen gehalten hatten, empfing er die Vollmacht, in den verschiedenen Verordnungen des Evangeliums zu amtieren.

3. Durch das Ergebnis seines Wirkens hat es sich gezeigt, daß er im Besitz der Kraft der wahren Prophe- zeiung und anderer geistigen Gaben war.

4. Seine Lehren sind sowohl wahr, als auch schrift- gemäß. —

Jeder dieser Klassen von Beweisen wird im Laufe unsres Studiums der Glaubensartikel Beachtung geschenkt werden und jede wird ausführlich Erklärung finden; eine genaue Betrachtung wird in ^esem Teil unsrer Untersuchungen nicht angestrebt. Ein paar kurzgefaßte Erläuterungen mögen aber am Platze sein.

22. 1. Die Erfüllung der Prophezeiung, die durch das Lebenswerk Joseph Smiths zustandegebracht wurde, zeigt sich zur Genüge. Durch sein prophetisches Gesicht über die Dispensation der letzten Tage hatte Johannes der Offenbarer verstanden und vorausgesagt, daß das

') Siehe Anmerkung 4.

Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 17

Evangelium vom Himmel gesandt und durch die unmittel- bare Vermittlung eines Engels auf Erden wiederhergestellt werden sollte: „Und ich sah einen Engel fliegen mitten durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evangelium zu verkündigen denen, die auf Erden w'ohnen, und allen Heiden und Geschlechtern und Sprachen und Völkern,"^) Es wird behauptet, daß sich diese Voraussagung teilweise erfüllt hat durch die Erscheinung des Engels Moroni zu Joseph Smith, wie schon beschrieben, wodurch die Wiederher- stellung des Evangeliums angekündigt und die baldige Erfüllung andrer alter Prophezeiungen versprochen wurde; und ein Bericht, teilweise beschrieben, daß er ,,die Fülle des ewigen Evangeliums" enthalte, wurde seiner Sorgfalt anvertraut, daß er ihn übersetze und er unter allen Völ- kern, Geschlechtern und Sprachen veröffentlicht werde. Der Rest des schicksalschweren Ausspruchs von Johannes, betreffs des bevollmächtigten Rufes zur Buße und der Ausführung von Gottes Gerichten, die auf die schreck- lichen Szenen der letzten Tage vorbereiten, ist jetzt im Begriffe, sich schnell und buchstäblich zu erfüllen.

23. Maleachi prophezeite, daß Elia, mit besonderer Vollmacht ausgerüstet, kommen werde, um das Werk des Zusammenarbeitens der Väter und Kinder zu eröffnen und verkündigte diese Mission als eine notwendige Vorberei- tung auf „den großen und schrecklichen Tag des Herrn. "2) Der Engel Moroni bestätigte die Wahrheit und Wichtig- keit dieser Voraussagung in einer nachdrücklichen Wieder- holung.3) Joseph und sein Mitarbeiter in dem Werke, Oliver Cowdery, bezeugen feierlich, daß sie in dem Tem.pel zu Kirtland (Ohio) am 3. April 1836 von dem Propheten Elia besucht wurden, bei welcher Gelegenheit der himm-

') Offenbarung .Johannes 14:6. *) Maleachi 4:5, 6. ') Siehe Abschnitt 16.

18 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

lische Bote erklärte, daß der Tag, von dem Maleachi ge- sprochen hatte, völlig da sei. ,, Deshalb" fuhr er fort, „sind die Schlüssel dieser Dispensation in eure Hände übergeben worden, und durch dieses könnt ihr wissen, daß der große und schreckliche Tag des Herrn nahe, ja sogar vor der Türe ist."^) Das besondre Wesen dieser Verbindung der Väter und der Kinder, worauf sowohl Moroni als auch Maleachi großen Nachdruck gelegt hatte, ist dahin erklärt worden, daß es aus dem Werke der stell- vertretenden Verordnungen bestehe, und daß es in sich schließe die Taufe für solche Toten, die ohne eine Erkennt- nis des Evangeliums von der Erde geschieden sind. Unter allen sich zum Christentum bekennenden Glaubensparteien steht heute die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage allein mit dem Lehren dieser Lehre und in der Erfül- lung ihrer Verordnungen.

24. Die alten Schriften sind voller Prophezeiungen über die Wiederherstellung Israels in den letzten Tagen und die Sammlung der ausersvählten Völker aus den Nationen und Ländern, wohin sie als Strafe für ihre Ver- kehrtheit und Sünde geführt oder getrieben worden sind.^) Diesem Werk der Sammlung wird in den Voraussagungen der alten Zeit eine so hervorragende Bedeutung und Wich- tigkeit beigemessen, daß seit dem Auszug Israels aus Ägyp- ten, die letzten Tage in der Heiligen Schrift geradezu als eine Dispensation der Sammlung bezeichnet worden sind. Die Wiederkehr der Stämme aus ihrer langen und weiten Zerstreuung ist zum vorbereitenden Werk gemacht für die Aufrichtung der vorausgesagten Herrschaft der Gerech- tigkeit, mit Christus auf dem Thron der Welt. Die Voll- endung der Rückkehr ist als ein sicherer Vorläufer des Tausendjährigen Reiches angegeben. Jerusalem soll als

1) Lehre u. Bündn. 110:13 16.

') Siehe Vorlesungen über Artikel 10.

Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 19

die Stadt des großen Königs auf der östlichen Halbkugel wiederhergestellt, Zion oder das Neue Jerusalem auf dem "westlichen Kontinent aufgebaut, die zehn Stämme von ihrem Versteck im Norden zurückgeführt und der Fluch von Israel genommen werden.^) Von den ersten Tagen seines Wirkens an lehrte Joseph Smith, daß die Lehre von der Sammlung eine gegenwärtige Pflicht der Kirche auferlege; dieser Teil des Wirkens der Heiligen der letzten Tage ist einer seiner auffallendsten Züge. Joseph Smith und Oliver Cowdery erklären, daß Mose, der als Israels Führer in früheren Zeiten die Schlüssel der Vollmacht hielt, die Vollmacht zur Ausführung dieses Werkes durch sie auf die Kirche übertragen hat. Ihr Zeugnis in der über die Offenbarung vom 3. April 1836 im Kirtlandtempel gegebenen Beschreibung lautet wie folgt: „Mose erschien und übergab uns die Schlüssel zur Sammlung Israels von den vier Teilen der Erde, und der Herbeiführung der zehn Stämme von den nördlichen Ländern. "2) AlseinenBeweisfür den Ernst, mit dem dieses Werk angefangen worden ist, und den darin schon gemach- ten guten Fortschritt, betrachte man die Hundert- tausende, die den Familien Israels angehören, die schon in den Tälern der Felsengebirge um das jetzt errichtete Haus des Herrn gesammelt sind und höre den Lobgesang des auserwählten Samens unter den Völkern der Erde, gesungen zur Begleitung wirksamer Taten: ,, Kommt, laßt uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre seine Wege und wir auf seiner Straße wandeln! Denn aus Zion wird das Gesetz ausgehen und des Herrn Wort aus Jerusalem.^)

') Siehe Vorlesungen 17 20. ') Lehre u. Bündn. 110:11. ») Micha 4:1—2.

20 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

25. Das Hervorkommen des Buches Mormon wird von den Heiligen der letzten Tage als eine unmittelbare Erfüllung alter Prophezeiung betrachtet.^) Als Jesaja die Erniedrigung Israels, dem die Macht des Priestertums in früheren Tagen übergeben worden war, prophezeite, ver- kündigte er die Worte Gottes in folgender Weise: „Alsdann sollst du erniedrigt werden und aus der Erde reden und aus dem Staube mit deiner Rede murmeln, daß deine Stimme sei wie eines Zauberers aus der Erde und deine Rede aus dem Staube wispele."2) Das Buch Mormon ist in der Tat die Stimme eines erniedrigten Volkes, das aus dem Staube redet, denn das Buch wurde buchstäblich aus dem Staube genommen. Das Buch gibt vor, die Geschichte nur von einem kleinen Teil des Hauses Israel zu sein sogar nur einem Teil des Hauses Joseph das sechshundert Jahre vor der Zeit Christi durch eine wunderbare Macht nach dem westlichen Kontinent geführt wurde. Über die Urkunde Josephs und ihr Hervorkommen als ein Seitenstück zu dem Zeugnis Judas, oder einem Teil der Bibel, sprach der Herr durch den Propheten Hesekiel: ,,Du Menschenkind, nimm dir ein Holz und schreibe darauf: Des Juda und der Kinder Israel, seiner Zugetanen. Und nimm noch ein Holz und schreibe darauf: Des Joseph, nämlich das Holz Ephraims, und des ganzen Hauses Israel, seiner Zugetanen. Und tue eines zum andern zusammen, daß ein Holz werde in deiner Hand. So nun dein Volk zu dir wird sagen und sprechen: Willst du uns nicht zeigen, was du damit meinst? so sprich zu ihnen: So spricht der Herr, Herr: Siehe, ich will das Holz Josephs, welches ist in Ephraims Hand, nehmen samt seinen Zugetanen, den Stämmen Israels, und will sie zu dem Holz Judas tun und ein Holz daraus machen.

') Siehe Vorlesungen „Das Buch Mormon", Artikel 8.

') Jesaja 29:4; Siehe auch Buch Mormon, 2. Ncphi 3:19.

Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 21

und sollen eins in meiner Hand sein."^) Die darauffolgen- den Verse erklären, daß die Sammlung und Wiederher- stellung Israels dem Vereinigtwerden der Zeugnisse von Juda und Joseph gleich folgen würden. Die zwei Urkun- den liegen der Welt vor ein einheitliches Zeugnis von dem ewigen Evangelium; und das Werk der Sammlung ist in offensichtlichem Fortschritt begriffen.

26. Aus der Heiligen Schrift geht weiter hervor, daß die Dispensation des Evangeliums in den letzten Tagen eine des Wiederbringens und der Wiederherstellung sein sollte in Tat und Wahrheit ,,eine Dispensation der Fülle der Zeiten." Paulus erklärt es als das Wohlgefallen des Herrn, ,,daß es ausgeführt würde, da die Zeit erfüllet war, auf daß alle Dinge zusammengefaßt würden in Chri- sto, beides, das im Himmel und auf Erden ist, durch ihn. "2) In einer Äußerung des Propheten Nephi, findet diese Vor- aussagung ihr Seitenstück: ,,Alle Dinge, die den Menschen- kindern früher geoffenbart wurden, sollen an dem Tag wieder offenbar werden. "3) Und im Einklang mit diesem steht die Lehre Petri: ,,So tut nun Buße und bekehret euch, daß eure Sünden vertilgt werden ; auf daß da komme die Zeit der Erquickung von dem Angesichte des Herrn, wenn er senden wird den, der euch jetzt zuvor gepredigt wird, Jesus Christus, welcher muß den Himmel einnehmen bis auf die Zeit, da herwiedergebracht werde alles, was Gott geredet hat durch den Mund aller seiner heiligen Propheten von der Welt an."*) Nun kommt Joseph Smith mit der Erklärung, daß ihm die Vollmacht gegeben worden ist, diese, die Dispensation der Fülle, der Wiederherstellung und des Wiederbringens zu eröffnen, und daß durch ihn

') Hesekiel 37:16—19.

«) Epheser 1:9, 10.

>) 2. Nephi 30:18.

•) Apostelgesch. 3:19 21.

22 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

die Kirche mit allen in früheren Zeiten gehaltenen und gebrauchten Schlüsseln und Kräften des Priestertums ausgestattet worden ist. Der Kirche „ist die Kraft dieses Priestertums zum letztenmal und für die letzten Tage ge- geben, in welchen die Verkündigung der Fülle der Zeiten ist. Welche Macht sie in Verbindung mit allen jenen hält, die zu irgendeiner Zeit von Anfang der Schöpfung an, eine Dispensation erhalten haben, "i) Der tatsächliche Besitz dieser verbündeten und vereinigten Kräfte wird durch das umfassende Werk der Kirche in der gegenwärtigen Ausdehnung ihres Wirkungskreises hinlänglich bewiesen.

27. 2. Joseph Smiths Vollmacht wurde durch unmittel- bare Vermittlung himmlischer Wesen auf ihn übertragen; jedes dieser Wesen hatte dieselbe Macht früher einmal auf Erden ausgeübt. Wir haben schon erwähnt wie der Engel Moroni, der früher ein menschlicher Prophet unter den Nephiten gewesen war, die Berufung auf Joseph Smith übertrug, die Urkunde hervorzubringen, die er, Moroni, mehr als vierzehnhundert Jahre zuvor in die Erde be- graben hatte. Wir erfahren weiter, daß am 15. Mai 1829 unter der Hand Johannes des Täufers das niedere oder aaronische Priestertum auf Joseph Smith und Oliver Cowdery2) übertragen wurde. Auch dieser himmlische Botschafter kam in unsterblichem Zustand und brachte die besondre Ordnung des Priestertums, die die Schlüssel des Dienens der Engel, der Lehre der Buße und der Taufe zur Vergebung der Sünden in sich begreift. Es war dies derselbe Johannes, der mit der Stimme eines Predigers in der Wüste und als der unmittelbare Vorläufer des Messias dieselbe Lehre verkündigt und dieselbe Verord- nung in Judäa vollzogen hat. Bei der Uberbringung

1) Lehre u. Bündn. 112:30, 32. ») L. u. B. 13.

Einleit.) Der Prophet Joseph Smith. 23

seiner Botschaft erklärte Johannes der Täufer, daß er amtiere unter der Leitung von Petrus, Jakobus und Jo- hannes, den Aposteln des Herrn, in deren Händen die Schlüssel des höheren oder melchizedekischen Priestertums ruhen, die mit der Zeit auch gegeben werden sollen. Etwa einen Monat später wurde dieses Versprechen er- füllt, indem die erwähnten Apostel sich Joseph und Oli- ver offenbarten und sie zu dem Apostelamt^) ordinierten, welches Amt alle Ämter der höheren Ordnung des Priester- tums in sich begreift und Vollmacht hat, in allen festge- setzten Verordnungen des Evangeliums zu amtieren.

28. Einige Zeit nachdem die Kirche in gehöriger Form organisiert worden war, wurde dann Vollmacht für besondre Obliegenheiten gegeben. In jedem Falle war der berufende Bote derjenige, dessen Recht es war, kraft seines Auftrages, den er in den Tagen seiner Sterblichkeit gehalten hatte, in dem betreffenden Werk zu amtieren. So erteilte Mose, wie schon erwähnt, die Autorität, das Werk der Sammlung Israels zu betreiben; und Elia, der in einem eigentümlichen Verhältnis zu den Toten wie zu den Lebenden stand, weil er den Tod nicht geschmeckt hatte, übertrug die Vollmacht für den stellvertretenden Dienst für die Verstorbenen. Diesen Berufungen durch himmlische Autorität sollte die durch Elias gegebene Be- rufung folgen. Elias erschien Joseph Smith und Oliver Cowdery und „übertrug die Dispensation des Evangeliums Abrahams" und sagte wie dem Vater der Gläubigen und seinen Nachkommen in alten Zeiten gesagt worden war daß in ihnen und ihrem Samen alle nachfolgenden Geschlechter gesegnet werden sollten. 2)

29. Es ist also offenbar, daß die von der Kirche be- treffs ihrer Vollmacht erhobenen Ansprüche inbezug auf

') Lehre u. Bündn. 17:12. ') L. u. B. 12.

24 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

die Quelle der behaupteten Kräfte wohl begründet und hinsichtlich der Mittel, wodurch sie wieder zur Erde ge- bracht worden sind, mit sich selbst übereinstimmen. Schrift und Offenbarung, alte und neue, unterstützen als unabänderliches Gesetz den Grundsatz, daß niemand eine Vollmacht auf einen anderen übertragen kann, die er selbst nicht besitzt.

30. 3. Joseph Smith «ar selbst ein wahrer Prophet. Diese Behauptung, wenn völlig bestätigt, würde schon an und für sich genügen als Beweis dafür, daß die Ansprüche dieses Propheten der Neuzeit begründet sind; und die Probe ist in ihrer Anwendung nicht schwierig. In den Tagen des alten Israel war eine wirksame Weise vorge- schrieben, um die Behauptung, ein Prophet zu sein, zu prüfen, ,,Wenn der Prophet redet in dem Namen des Herrn, und es wird nichts daraus und es kommt nicht, das ist das Wort, das der Herr nicht geredet hat; der Pro- phet hats aus Vermessenheit geredet, darum scheue dich nicht vor ihm."^) Umgekehrt, wenn die Worte des Prophe- ten durch Erfüllung sich als wahr erweisen, so ist wenigstens ein Wahrscheinlichkeitsbeweis für seine Echtheit vorhan- den. Von den vielen von Joseph Smith geäußerten Voraus- sagungen, die schon erfüllt worden sind oder die die be- stimmte Zeit ihrer Erfüllung erwarten, werden ein paar Anführungen unsrer jetzigen Absicht genügen.

31. Eine der ersten von ihm ausgesprochenen Pro- phezeiungen, die zwar nicht seine eigene unabhängige Äußerung, sondern die des Engels Moroni ist, die aber dennoch der Welt durch Joseph Smith gegeben wurde, hatte besondern Bezug auf das Buch Mormon, über wel- ches der Engel sagte: „Die Kenntnis, die diese Urkunde enthält, wird zu jeder Nation, jedem Geschlecht, jeder

') 5. Mose 18:22.

Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 25

Sprache und jedem Volke unter dem Himmel gelangen."^) Diese Erklärung wurde vier Jahre vor dem Beginn der Übersetzung und vierzehn Jahre bevor die Ältesten der Kirche ihre Missionsarbeit in fremden Ländern anfingen, gegeben. Seit jener Zeit ist das Buch Mormon in zwölf fremde Sprachen übersetzt worden und in zehn davon wird es gedruckt; und das Werk ist noch im Fortschritt begriffen.

32. Im August 1842, während die Kirche in Illinois noch Verfolgung litt, und als der westliche Teil des Konti- nents wenig und nur als das Gebiet einer fremden Macht bekannt war, prophezeite Joseph Smith, „daß die Heiligen auch weiterhin viel Elend leiden und nach den Felsen- gebirgen getrieben werden würden", und daß, obwohl viele, die damals der Kirche noch Treue gelobten, abfallen, und andere, getreu ihrem Zeugnis, einem Märtyrerschicksal erliegen würden, einige leben würden um „zu helfen, An- siedlungen zu gründen, Städte zu errichten, und diese wür- den sehen, wie die Heiligen ein mächtiges Volk werden mitten in den Felsengebirgen. "2) Die buchstäbliche Er- füllung dieser 1842 geäußerten Prophezeiung und es darf hinzugefügt w'crden, durch eine 1831 vorherangezeigten^) Voraussagung, die eine fünf, die andere sechszehn Jahre vor der Übersiedlung der Kirche nach dem Westen wird in der öffentlichen Geschichte der Ansiedlung und Entwicklung dieser einst so unfreundlichen Gegend be- wiesen. Sogar der Skeptiker und der scharf hervortre- tende Gegner der Kirche erkennen das Wunder der Gründung eines mächtigen Staates in den Tälern der Felsengebirge an.

') „Times and Seasons", Band II, No. 13. ») „Millenial Star", Band XIX, S. 630. ') Lehre u. Bündn. 49:24 25.

26 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

33. Eine höchst merkwürdige Voraussagung über nationale Angelegenheiten wurde am 25. Dezember 1832 von Joseph Smith ausgesprochen; bald darnach wurde sie unter den Mitgliedern der Kirche verbreitet und von den Ältesten gepredigt, aber erst 1851 ist sie im Druck erschienen. 1) Die Offenbarung lautet auszugsweise wie folgt: „Wahrlich, so spricht der Herr betreffs der Kriege, die in Kürze geschehen werden, anfangend mit der Em- pörung Süd-Karolinas, und die schließlich mit dem Tod und Elend vieler Seelen enden werden : Die Tage werden kommen, wo Krieg über alle Völker ausgegossen sein wird, und es soll an jenem Ort anfangen. Denn siehe, die süd- lichen Staaten werden gegen die nördlichen Staaten ent- zweit sein, und die südlichen Staaten werden andere Na- tionen anrufen, selbst die Nation Großbritannien,*** Und es wird geschehen, daß nach vielen Tagen Sklaven, zum Kriege gerüstet und geordnet, sich gegen ihre Herren erheben werden." Jeder der die Geschichte der Vereinig- ten Staaten studiert, ist mit den Tatsachen, die eine voll- kommene Erfüllung dieser erstaunlichen Prophezeiung sogar bis zur kleinsten Einzelheit bilden, bekannt. Im Jahre 1861, mehr als 28 Jahre nachdem die obenerwähnte Voraussagung berichtet wurde, und zehn Jahre nach ihrer Veröffentlichung in England, brach der Bürgerkrieg aus; er fing in Süd-Karolina an. Die entsetzlichen Berichte jenes brudermörderischen Streites haben in trauriger Weise die Voraussagung betreffs „des Todes und Elendes vieler Seelen" bestätigt. Es ist wohl bekannt, daß Sklaven den Süden verließen und in die Armeen des Nordens einge- ordnet wurden, und daß die konföderierten Staaten um die Hilfe Großbritanniens warben. Obwohl kein öffentliches

') Siehe Köstliche Perle, britische Ausgabe von 1851, und „The MiUenial Star", Band XLIX, S. 396. Die Prophezeiung ist jetzt ein Teil der Lehre und Bündnisse; siehe Abschnitt 87.

Einleit.] Der Prophet Joseph Smith. 27

Bündnis zwischen den südlichen Staaten und England zustandekam, gewährte die britische Regierung dem Süden mittelbare Hilfe und starke Begünstigung, und dies in solch einer Weise, daß daraus ernste internationale Ver- wicklungen entstanden. Schiffe wurden zum Vorteil der konföderierten Staaten in britischen Seehäfen gebaut und ausgerüstet; und die Folgen dieser Übertretung der Gesetze der Neutralität kosteten Großbritannien die Summe von 15^ Millionen Dollars, welche Summe beim Genfer Vergleich zum Schlichten der ,, Alabama Ansprüche" den Vereinigten Staaten gewährt wurden. Die konföde- rierten Staaten sandten Bevollmächtigte nach Großbri- tannien und Frankreich. Diese Beamten wurden von dem britischen Dampfer, auf dem sie eingeschifft waren, von Offizieren der Vereinigten Staaten gewaltsam entführt. Diese Tat, welche die Vereinigten Staaten offenkundig eingestehen mußten, drohte eine Zeitlang Krieg zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien herbeizu- führen.

34. Die angeführte durch Joseph Smith gegebene Offenbarung enthält noch andere Prophezeiungen, wovon einige ihre Erfüllung noch erwarten.^) Die angeführten Beweisstücke genügen aber um zu beweisen, daß Joseph Smith ein hervorragender Mensch war wegen seiner Mit- wirkung bei der Erfüllung von Prophezeiungen, die die Vertreter Gottes in frühern Zeiten ausgesprochen hatten, und daß ferner seine eigenen Ansprüche auf den Rang eines Propheten durch und durch berechtigt sind. Aber die Gabe der Prophezeiung, die diesem Elias der letzten Tage so reichlich gegeben war, und die er so frei und doch so unfehlbar ausübte, ist nur eine der vielen geistigen Gaben, die ihn zusammen mit einer großen Anzahl andrer,

») Siehe Lehre u. Bündn. 87:5—7.

28 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

die das Priestertum von ihm empfangen haben, auszeich- neten. Die heiligen Schriften erklären, daß gewisse Zei- chen die Kirche begleiten sollen ; unter ihnen die Gaben : in Zungen zu reden, der Heilung der Kranken, der Er- rettung von drohendem Tode, und Macht und Gewalt über böse Geister.^) Die Ausübung dieser Mächte, deren Ergebnis das ist, was man gemeinhin als Wunder bezeich- net, ist in keiner Weise ein untrüglicher Beweis gött- licher Vollmacht, denn viele wahre Propheten haben kei- ne Wunder getan, dagegen ist es vorgekommen, daß Menschen auf Antrieb böser Geister Wunder vollzogen haben. 2) Jedoch ist der Besitz der durch die Vollziehung von Wundern gezeigten Macht ein notwendiges und aus- geprägtes Kennzeichen der Kirche; und wenn solche Taten bei der Vollziehung heiliger Absichten vollbracht werden, dienen sie als bestätigender Beweis göttlicher Vollmacht. Bei dem Wirken Joseph Smiths und bei dem der Kirche im allgemeinen dürfen wir deshalb erwarten, den be- glaubigten Bericht von Wundern einschließlich der Kund- tuung all der verheißenen Gaben des Geistes zu finden und wir finden ihn auch tatsächlich. Dieses Thema wird aber bei einer anderen Gelegenheit einer näheren Betrach- tung unterzogen. 3)

35. 4. Die Lehren, die Joseph Smith und die heu- tige Kirche lehrt, sind wahr und schriftgemäß. Um diese Behauptung zu beweisen, müssen wir die Hauptlehren der Kirche in besonderer Reihenfolge untersuchen. Die Glaubensartikel geben uns eine geeignete Übersicht über viele Lehren, die zu dem Werk der letzten Tage gehören und im Laufe der folgenden Vorlesungen werden wir mit ihrem Studium beginnen.

») Markus 16:16—18; Lukas 10:19 usw.; Lehre u. Bündn. 87:65—72. 2) 2. Mose 7:11, 22; 8:7, 18; Offenbarung Joh. 13:13— 15; 16:13— 14. ') Siehe Vorlesung über Artikel 7.

Einleit.] Anmerkungen. 29

AnnierkungeD.

1. Die „Glaubensartikel" datieren vom 1. März 1841. Sie bilden einen Teil eines Briefes, den der Prophet Joseph Smith an einen Herrn Went- worth in Chicago schrieb. Die „Artikel" wurden in der Geschichte Joseph Smiths gedruckt (Siehe „Millenial Star", Band XIX, S. 120; auch „Times and Seasons", Band III, S. 709). Wie anderswo erklärt wird, sind die „Artikel" als eine maßgebende Übersicht über ihre Lehren von der Kirche in aller Form angenommen worden.

2. Joseph Smiths frühzeitige Verfoloung, Über die "Verfolgung in seinen jugendlichen Tagen, die von der Zeit der Erwähnung seines Ge- sichtes von dem Vater und dem Sohn herrührte, schrieb der Prophet fol- gendes: „Es hat mich damals, und seither oft, zum Nachdenken gebracht, wie merkwürdig es war, daß ein unbekannter Jüngling, ein wenig über vier- zehn Jahre alt, ein Jüngling, der zudem noch gezwungen war, seinen kärglichen Lebensunterhalt durch tägliche Arbeit zu verdienen, als eine Persönlichkeit erachtet wurde, die bedeutend genug war, um die Aufmerk- samkeit der großen Männer der beliebtesten Sekten in solchem Maße auf sich zu ziehen, daß ein Geist der hitzigsten Verfolgung und Verleumdung in ihnen wach gerufen wurde. Aber sonderbar oder nicht, es war so, und dies war oft die Ursache von schwerem Leid für mich. Nichtsdestoweniger ist es eine Tatsache, daß ich ein Gesicht gehabt habe. Ich habe seither gedacht, daß meine Gefühle denen des Apostels Paulus ähnlich waren, als er r.ich vor dem König Agrippa verteidigte, und das Gesicht erzählte, das er gehabt hatte, nämlich daß er ein Licht sah und eine Stimme hörte; al)er doch glaubten ihm nur wenige. Einige sagten, er sei unehrlich, andere, er sei rasend, und er wurde verspottet und verlästert; aber alles dieses zerstöite die Wirklichkeit des Gesichtes nicht. Er hatte ein Gesicht gesehen und wußte, daß er es gesehen hatte, und alle Verfolgungen unter dem Himmel konnten es nicht anders machen.*** So war es mit mir. Ich hatte wirklich ein Licht gesehen, und in der Mitte jenes Lichtes sah ich zwei Personen, und sie hatten wirklich zu mir gesprochen, oder wenigstens eine derselben hatte es getan; und obgleich ich verfolgt und gehaßt wurde, weil ich sagte, daß ich ein Gesicht gesehen hatte, war es dennoch wahr; und während sie mich verfolgten, verlästerten und fälschlich allerlei tJbels wider mich re- deten, weil ich dieses sagte, wurde ich bewogen, in meinem Herzen zu sagen: Warum mich verfolgen, weil ich die Wahrheit sage? Ich habe wirklich ein Gesicht gesehen, und wer bin ich, daß ich Gott widerstehen kann ?' ' (Köst- liche Perle: Auszüge aus der Geschichte Joseph Smiths, S. 75, 76).

3. Eine Huldiriung für den Propheten Joseph Smith: Während außer der Kirche nur wenige Leute zum. Lobe dieses Propheten der Neuzeit viel zu sagen haben, ist es doch bedeutsam, daß es von dieser Regel einige ehrliche Ausnahmen gibt. Josiah Quincy, ein hervorragender Amerikaner, wurde eine kurze Zeit vor dem Märtyrertum Joseph Smiths mit ihm bekannt. Nachdem erschütternden Ereignis schrieb er: „Es ist gar nicht unwahrscheinlich, daß irgend ein zukünftiges Schulbuch für den Gebrauch noch ungeborener Geschlechter, eine Frage, enthalten könnte wie diese: Welcher geschichtlich bekannte Amerikaner des neunzehnten Jalu-hunderts hat auf das Schicksal seiner Landsleute den stärksten Ein- fluß ausgeübt? Und es ist sehr wohl möglich, daß die Antwort auf diese Frage lauten könnte: Joseph Smith der Mormonprophet, l^nd diese Antwort, so vernunftwidrig sie den meisten Menschen heute scheint.

30 Die Glaubensartikel. [Vorl. I.

kann ihrer Nachkommenschaft eine selbstverständliche Gewißheit werden. Die Geschichte weist Überraschungen und Seltsamkeiten auf, die eben so erstaunlich sind wie diese. Ein Mann, der in diesem Zeitalter des freien Meinungsaustausches eine Religion gegründet hat, der als ein unmittelbar von dem Allmächtigen gesandter Bote angenommen wurde und der heute von Hunderttausenden als solcher anerkannt wird bei solch einem seltenen Menschen ist durch das Bewerfen seiner Erinnerung mit unange- nehmen Ausdrücken nichts anzufangen. *** Die größten Lebensfragen, die die Amerikaner heute bewegen, haben mit diesem Manne und mit dem was er uns hinterlassen hat, zu tun. * * * Brennende Fragen sind es, die diesem kühn anmaßenden Propheten, den ich zu Nauvoo besuchte, einen hervorragenden Platz in der Geschichte dieses Landes geben müssen. Joseph Smith, der ein inspirierter Lehrer zu sein behauptete, trat solchem Mißgeschick, wie es wenigen Menschen auf erlegt wird ; nmtig entgegen, er ge- noß eine kurze Zeit ein Wohlergehen, das wenige Menschen je erreichen, und endlich, dreiundvierzig Tage nachdem ich ihn gesehen hatte, ging er dem Märtyrertod mutig entgegen. Als er sich, um das Blutvergießen zu verhüten, dem Gouverneur Ford gefangen gab, hatte der Prophet eine Vorempfindung von dem ihm bevorstehenden Schicksal. „Ich gehe wie ein Lamm zur Schlachtbank", soll er gesagt haben, „aber ich bin ruhig wie ein Sommermorgen. Ich habe ein Gewissen frei von Unrecht, und werde unschuldig sterben." „Figures of the Past", von Josiah Quincy, S. 376.

4. Das Siegel des Märtyrertums. „Das stärkste Zeugnis der Auf- richtigkeit, das ein Mensch seinen Mitmenschen geben kann der höchste Beweis, daß er in irgend einem angegebenen Fall, die Wahrheit gesprochen hat ist, daß er bis in den Tod darin beharrt und sein Zeugnis mit seinem Blute besiegelt.*** So wichtig war ein solches Zeugnis in den Augen Pauli geworden, daß er schrieb : „Denn wo ein Testament ist, da muß der Tod geschehen des, der das Testament machte. Denn ein Testament wird fest durch den Tod ; es hat noch nicht Kraft, wenn der noch lebt, der es gemacht hat" (Hebräer 9:16 17). Im Lichte dieses Grundsatzes, und wenn man die Wichtigkeit des großen Zeugnisses, das er der Welt gab, in Betracht zieht, braucht man sich nicht darüber zu wundern, daß Joseph Smith auf- gefordert wurde, das breite Siegel seines Märtyrertums seinem Lebenswerke beizufügen. Hätte dieses gefehlt, so hätte womöglich über die Unvoll- kommenheit seines Werkes geklagt werden können, jetzt aber nicht. Seine Würde als Prophet wurde, dadurch daß er unter dem mörderischen Feuer eines Pöbels zu Carthage, im Staate Illinois als Märtyrer fiel, zur vollkom- menen Fülle gebracht." Ältester B. H. Roberts in „A New Witness for God", S. 477 478.

5. Joseph Smith, weitere Hinweise. Zur Kenntnis seiner Lebens- geschichte siehe „The Life of Joseph Smith, the Prophet" von Präsident George Q. Cannon. Siehe auch „Divine Authority, or the Question: Was Joseph Smith Sent of God?" eine Flugschrift von Apostel Orson Pratt; „Joseph Smith's Prophetic Calling", Millcnial Star, Band XLII, S. 164, 187, 195, 227. „Letters from Elder Orson Spencer to Rev. Wm. Crowell; No. 1"; „A New Witness for God". Ältester B. H. Roberts.

6. Joseph Smiths Abstammung. .Joseph Smith war von niederer Herkunft. Seine Eltern und ihre Vorfahren waren Arbeiter, aber ihr Cha- rakter war gottesfürchtig imd ihr Name war imbefleckt. Gegen die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts wanderte Robert Smith, ein kühner Frei-

Einleit.] Anmerkungen. 31

bauer ans England, nach der neuen Welt, dem verheißenen Land aus. Mit seiner Frau Mary siedelte er sich in Essex, Massachusetts an. Die zahlreichen Nachkommen dieser ehrbaren Leute verheirateten sich mit den standhaftesten und fleißigsten Familien Neu Englands. Samuel, der am 26. Januar 1666 geborene Sohn von Robert und Mary, verehelichte sich am 25. Januar 1707 mit Rebekka Curtis. Ihr Sohn, der zweite Samuel, wurde am 26. Januar 1714 geboren; er heiratete Priscilla Gould und war der Vater des am 1. März 1744 geborenen Asael. Asael Smith nahm Mary Duty zur Frau, und ihr Sohn Joseph wurde am 12. Juni 1771 geboren. Am 24. Januar 1796 heiratete Joseph Lucy Mack zu Tunbridge, im Staate Vermont. Sie war am 8. Juli 1776 geboren und war die Tochter von So- lomon und Lydia Mack und die Enkeltochter von Ebenezer Mack." „Ihe Life of Joseph Smith, the Prophet" von George Q. Cannon, Kapitel I. Joseph, der Prophet, war der dritte Sohn und das vierte Kind von Joseph und Lucy (Mack) Smith; er wurde am 23. Dezember 1805 zu Sharon (Vermont) geboren.

7. Die maßflebenden Kirchenwerke. Die Ribel und das Buch Mormon, die boiden ersten maßgebenden Werke der Kirche, sollen in spä- teren Vorlesungen einer nähern Betrachtung unterzogen werden. (Siehe daselbst.) Das Buch der „Lehre und Bündnisse" ist eine Sammlung neuer Offenbarungen, wie sie der Kirche in dieser Dispensation gegeben worden sind. Die „Köstliche Perle" enthält die durch Joseph Smith ge- olfenbarten Gesichte und Schriften Moses, das Buch Abrahams, eine von Joseph Smith vorgenommene Übersetzung aus gewissen alten Papyrus- rollen, und einige der Schriften Joseph Smiths.

8. Die Geschichte der «icderherjiestellten Kirche. Weitere Aus- kunft über das Lebenswerk Joseph Smiths, imd das Wachstum der durch seine Vermittlung wiederhergestellten Kirche Jesu Christi, kann in „The History of the Church of Jesus Christ of Latterday Saints" Salt Lake City, Utah, gefunden werden. Eine kurze und bündige Übersicht über die Kir- chengeschichtc, gibt auch „The Story of Mormonism" von James E. Tal- mage. Liverpool; 1907; Salt Lake City, 1910. (Siehe auch ,,Ein Abriß aus der Geschichte der Kirche Jesu Christi" von Missionar Alfred C. Rees. Der Übersetzer).

32 Die Glaubensartikel. (Vorl. II.

Vorlesung II.

Gott und die Gottheit.

Artikel 1. Wir glauben an Gott den ewigen Vater und an seinen Sohn Jesum Christum und an den Heiligen Geist.

1. Das Dasein Gottes. Da der Glaube an Gott die Grundlage aller religiösen Glaubensbekenntnisse und Ge- bräuche bildet, und da Erkenntnis von den Eigenschaften und von dem Charakter der Gottheit zur verständigen Ausübung des Glaubens an sie notwendig ist, beansprucht dieses Thema den ersten Platz in unserem Studium der Lehren der Kirche.

2. Das Dasein Gottes ist kaum eine Frage der ver- nünftigen Auseinandersetzung; es erfordert auch keine Beweise durch die schwachen Vorführungen der mensch- lichen Denkgesetze, denn die Tatsache vom Dasein Gottes wird von der menschlichen Familie fast ohne Frage aner- kannt, und das Bewußtsein der Abhängigkeit von einer höchsten Macht ist den Menschen eine angeborene Eigen- schaft. Die früheren Schriften haben nach keiner Rich- tung hin den Sinn eines ursprünglichen Beweises des Daseins Gottes, noch sollten sie Entgegnungen auf die Angriffe und Trugschlüsse der Gottesleugnung sein; aus dieser Tatsache dürfen wir folgern, daß die Irrtümer des Zweifels sich erst in einer spätem Zeit, entwickelt haben. Die allgemeine Zustimmung der Menschheit zu dem Dasein Gottes ist zum mindesten eine stark bestätigende Wahr- heit. Es lebt eine kindliche Leidenschaft in der mensch- lichen Natur, die nach dem Himmel loht. Jedes Volk,

Art. 1.] Gott und die Gottheit. 33

jeder Volksstamm, jeder Mensch sehnt sich nach einem Gegenstand der Verehrung. Es liegt in der Natur des Menschen, anzubeten. Die Seele ist unzufrieden bis sie einen Gott findet. Als die Menschen durch Übertretung zum erstenmal in Finsternis inbezug auf den wahren und lebendigen Gott gerieten, stellten sie sich selbst andere Götter auf; und auf diese Weise entstanden die Greuel des Götzendienstes. Und dennoch, so furchtbar diese Gebräuche sind, so bezeugen sogar die abstoßendsten Götzendienste das Dasein Gottes dadurch, daß sie des Menschen ererbte Leidenschaft der Anbetung dartun. Plutarch hat über alte Zustände einsichtsvoll bemerkt: „Suchst du in der ganzen Welt, so kannst du wohl Städte ohne Mauern, ohne Literatur, ohne Könige, ohne Geld finden; aber niemand hat je eine Stadt ohne einen Gott, ohne einen Tempel oder ohne Gebete gesehen." Diese allgemeine Zustimmung zu einem Glauben an das Dasein einer Gottheit ist ein Zeugnis von hohem Rang; und in dieser Beziehung dürfen die Worte des Aristoteles ange- wendet werden: „Was einigen Menschen als wahr er- scheint, ist vielleicht möglich; was den meisten oder allen weisen Menschen als wahr erscheint, ist sehr wohl möglich; das, dem die meisten, ob weise oder unweise, zustimmen, kommt der Wahrheit noch näher, aber das, dem die Men- schen ganz allgemein beistimmen, hat die höchste Glaub- würdigkeit für sich und kommt der bewiesenen Wahrheit so nahe, daß es als lächerliche Vermessenheit und als Eigendünkel, oder als unduldsamer Eigensinn und als Halsstarrigkeit gelten würde, es zu verschreien."^)

3. Die Fülle der Beweise, auf die sich die Menschheit in ihrer Überzeugung von dem Dasein eines allerhöchsten Wesens stützt, kann zur geeigneten Betrachtung in die folgenden drei Klassen eingeteilt werden:

») Siehe Anmerkungen 1, 2 und 3.

34 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.

1. Der Beweis der Geschichte und der Überlieferung.

2. Der durch die Anwendung der menschlichen Ver- nunft gegebene Beweis.

3. Der entscheidende Beweis der unmittelbaren Offen- barung von Gott selbst.

4. 1. Geschichte und Überlieferung. ^Die von den Menschen geschriebene Geschichte und die Überlieferung, wie sie vor der Zeit irgend eines noch vorhandenen Be- richtes von Geschlecht zu Geschlecht übermittelt wurde, beweisen die Wirklichkeit des Daseins der Gottheit und des engverbundenen und persönlichen Umganges zwischen Gott und den Menschen während der ersten Zeiten des menschlichen Erdendaseins. Einer der ältesten bekannten Berichte, die Bibel, bezeichnet Gott als den Schöpfer aller Dinge^) und erklärt überdies, daß er sich unseren ersten irdischen Eltern und auch vielen anderen heiligen Per- sonen in den ersten Tagen der Welt offenbarte. Adam und Eva hörten seine Stimme^) im Garten; und sogar nach ihrer Übertretung fuhren sie fort, Gott anzurufen und ihm Opfer darzubringen. Daraus geht klar hervor, daß sie eine Erkenntnis von Gott mit sich aus dem Garten genom- men hatten. Nach ihrer Austreibung hörten sie ,,die Stimme des Herrn aus der Richtung gegen den Garten Eden", obwohl sie ihn nicht sahen; und er gab ihnen Gebote, die sie befolgten. Dann kam ein Engel zu Adam und der Hei- lige Geist inspirierte den Menschen und gab Zeugnis von dem Vater und dem Sohn. 3)

5. Kain und Abel erfuhren von Gott, sowohl durch die Belehrungen ihrer Eltern als auch durch persönliche Offenbarung. Nach der Annahme des Opfers Abels und der Verwerfung des Opfers Kains, worauf dessen furchtbare

•) 1. Mose 1; siehe auch Köstl. Perle, Moses 2:1. ') 1. Mose 3:8; und Köstl. Perle, Moses 4:14. ») Köstl. Perle, Moses 5:6—9.

Art. 1.] Gott und die Gottheit. 35

Missetat eines Brudermords folgte, redete der Herr mit Kain und dieser antwortete ihm.i) Infolgedessen muß Kain in das Land, wohin er zog, um dort zu wohnen, eine persönliche Kenntnis von Gott aus Eden mit sich genom- men haben, 2) Adam erreichte das Alter von neunhundert und dreißig Jahren, und ihm wurden viele Kinder geboren. Diese unterrichtete er in der Furcht Gottes, und viele von ihnen bekamen unmittelbare Offenbarung. Von der Nach- kommenschaft Adams lebten Seth, Enos, Kenan, Maha- laleel, Jared, Henoch, Methusalah und Lamech, der Vater von Noah, während der Lebenszeit Adams; und jeder stellte ein besonderes Geschlecht dar. Noah wurde nur einhundertsechsundzwanzig Jahre nach dem Tode Adams geboren, lebte überdies mit seinem Vater Lamech beinahe sechshundert Jahre, und wurde ohne Zweifel von ihm in den Überlieferungen betreffs der persönlichen Kundtuungen Gottes, die Lamech aus dem Munde Adams gehört hatte, unterrichtet. Auf dem Weg der unmittel- baren Überlieferung durch Noah und seine Familie be- stand eine Kenntnis von Gott nach der Sintflut weiter fort. Noah stand in unmittelbarer Verbindung mit Gott^) und lebte lang genug, um zehn Geschlechter seiner Nach- kommen zu belehren. Darnach folgte Abraham, der sich ebenfalls unmittelbarer Verbindung mit dem Schöpfer erfreute,*) und nach ihm Isaak und Jakob oder Israel, unter dessen Nachkommen der Herr durcli die Vermittlung Moses große Wunder vollbrachte. Und hätte es auch keine geschrie- benen Berichte gegeben, so hätte die Überlieferung die Kenntnis von Gott dennoch bewahrt und weitergegeben.

') 1. Mose 4:9—16; Köstl. Perle, Moses 5:22; ') 1. Mose 4:16; Köstl. Perle, Moses 5:41. ») 1. Mose 6:13 und das folgende Kapitel. *) 1. Mose 12 und die folgenden Kapitel.

36 Die Glaubensartikel. [Vorl. IL

6. Und wenn die Berichte von den frühesten persön- lichen Verbindungen zwischen Gott und den Menschen mit der Zeit dunkel und deshalb in ihrer Wirkung schwä- cher geworden wären, so hätten sie eben nur vor anderen auf späteren Offenbarungen der göttlichen Persönlichkeit begründeten Überlieferungen weichen müssen. Nicht allein von hinter dem Schleier des Feuers und dem Schirm der Wolken^) tat sich der Herr Mose kund, sondern auch durch unmittelbare Mitteilung von Angesicht zu Ange- sicht, wodurch der erwählte Hohepriester seinen Gott in „seiner Gestalt" schaute. 2) Dieser Bericht der unmittel- baren Verbindung zwischen Mose und Gott, an der das Volk auch teilweise, so weit sein Glaube und seine Rein- heit es zugegeben haben, Teil genommen hatte,^) ist von Israel durch alle Geschlechter der Vergangenheit bewahrt worden. Und von Israel aus haben die Überlieferungen von dem Dasein Gottes sich über die ganze Erde verbreitet, so daß wir Spuren dieser uralten Erkenntnis selbst in den fantastischsten und verkehrtesten Göttersagen der heid- nischen Völker finden.

7. 2. Die menschliche Vernunft, wenn sie sich mit der Beobachtung der Dinge der Natur befaßt, verkündigt mit Kraft das Dasein Gottes. Der Verstand, der mit den ge- schichtlichen Wahrheiten des Daseins Gottes und seiner engen Verwandtschaft mit dem Menschen schon durch- drungen ist, findet in der Natur auf jeder Seite bestäti- gende Beweise ; und sogar dem, der das Zeugnis der Vergan- genheit verwirft und sich anmaßt, sein eigenes Urteil über den allgemeinen Glauben aller Zeitalter zu stellen, müssen die mannigfaltigen Beweise eines Planes in der Natur zusagen. Auf jeden Beobachter muß der Beweis der Ord-

') 2. Mose 3:4; 19:18; 4. Mose 12:5.

•) 4. Mose 12:8; siehe auch Köstl. Perle, Moses 1:1 2.

») 2. Mose 19:9, 11, 17—20.

Art. 1.] Gott und die Gottheit. 37

nung und der Planmäßigkeit in der Schöpfung, ebenso wie die Abwesenheit der überflüssigen Dinge in der Natur, einen Eindruck machen. Er beobachtet die regelmäßige Wiederkehr von Tag und Nacht, wodurch für Menschen, Tiere und Pflanzen abwechselnde Arbeits- und Ruhe- zeiten gewährt werden, die Reihenfolge der Jahreszeiten, von denen jede ihre längere Arbeits- und Erholungszeit hat, die gegenseitige Abhängigkeit des Tier- und Pflanzen- reichs, den Kreislauf des Wassers vom Meer zur Wolke, und von der Wolke zur Erde, wodurch die Fruchtbarkeit des Bodens erhalten wird. In dem Maße wie man in der näheren Untersuchung der Dinge vorschreitet, findet man, daß durch Studium und wissenschaftliche Erforschung, diese Beweise vielfältig vermehrt werden. Der Mensch mag die Gesetze, wodurch die Erde und die mit ihr verbun- denen Welten in ihren Bahnen regiert, und Nebenplaneten den Planeten, und die Planeten der Sonne untergeordnet gehalten werden, kennen lernen; er mag die Wunder der Anatomie der Tiere und Pflanzen, und auch den unüber- trefflichen Innenbau seines eigenen Körpers schauen, und mit solchen, mit jedem Schritt zunehmenden Berufungen auf seine Vernunft, verwandelt sich sein Fragen nach der Entstehung dieses Alls in Bewunderung des Schöpfers, dessen Gegenwart und Kraft so mächtig verkündigt wer- den: und der Beobachter wird zum Anbeter.

8. In der Natur findet man allerorten Beweise des Gesetzes von Ursache und Wirkung; auf jeder Seite sieht man die Verwendung von Mitteln, die dem Endzwecke entsprechen. „Aber derartiges Einrichten", schreibt ein nachdenklicher Schriftsteller, ,, deutet auf Erdenken zu einem gewissen Zwecke an, und das Erdenken ist ein Be- weis der Intelligenz, und die Intelligenz ist das Kennzei- chen des Verstandes, und dieser intelligente Verstand,

38 Die Glaubensartikel. IVorl. IL

der das erstaunliche Weltall schuf, ist Gott."^) Aus der Offenbarung des Entwurfs, das Dasein eines Schöpfers anzuerkennen, zu sagen, daß es einen Urheber in einer Welt voll intelligenten Erdenkens geben müsse, an einen Einrichter zu glauben, wenn das Leben der Menschen von den denkbar vollkommensten Einrichtungen unmittelbar abhängig ist, ist nur die Annahme augenscheinlicher Wahr- heiten, Diese Grundwahrheiten der Natur sollten keinen Beweis erfordern; die Last des Beweises des Nichtseins eines Gottes sollte dem auferlegt werden, der die feierliche Wahrheit in Frage zieht. „Denn ein jeglich Haus wird von jemand bereitet; der aber alles bereitet hat, das ist Gott." So sprach der Apostel in alten Zeiten ;2) und so klar die in diesen Worten ausgedrückte Wahrheit ist, gibt es dennoch Menschen, die vorgeben, an dem Beweis der Vernunft zu zweifeln; und diese verleugnen den Schöpfer ihres eigenen Wesens. Ist es nicht sonderbar, daß hie und da einer, der in dem von der Ameise beim Bauen ihres Hauses gezeigten Einrichtungen, in der Baukunst der Honigscheibe, und in den unzähligen Fällen des wohlge- ordneten Instinkts unter den geringsten der lebenden Dinge einen Beweis der Intelligenz findet, von welcher der Mensch lernen und sich weise zeigen könnte, und dennoch die Wirkung einer Intelligenz in der Erschaf- fung der Welten und in der Bildung des Weltalls in Frage zieht ?3)

9. Das angeborene Bewußtsein bezeugt dem Menschen sein eigenes Sein; seine gewöhnlichen Kräfte der Beobach- tung beweisen das Sein von andern seiner Art und auch von unzähligen Ordnungen organisierter Wesen. Daraus schließt er, daß etwas immer vorhanden gewesen sein

') Cassel's Bible Dictionary. S. 481. ') Paulus im Hebräerbrief, 3:4. ") Siehe Anmerkung 4.

Art. 1.] Gott und die Gottheit. 39

müsse, denn gäbe es eine Zeit, wo nichts dagewesen ist, eine Zeitspanne des Nichts, so hätte das Sein nie anfangen können, denn aus nichts kann nichts hervorkommen. Das ewige Sein des Etwas ist dann eine Tatsache, die nicht in Zweifel gezogen werden kann; und die Frage, die eine Antwort heischt, lautet : Was ist dieses ewige Etwas dieses Sein ohne Anfang und ohne Ende? Der Ungläubige wird vielleicht antworten: ,,Die Naturl Der Stoff hat ewiglich bestanden und das Weltall ist nur eine Kundgebung des Stoffes, der durch auf sie wirkende Kräfte gestaltet und geordnet wurde." Dennoch ist die Natur nicht Gott. Aber der Stoff ist weder lebendig noch tätig; noch ist Kraft intelligent; Leben und unaufhörliche Tätigkeit sind aber gerade die Kennzeichen erschaffener Dinge, und die Wir- kungen einer Intelligenz sind überall vorhanden. Es ist wahr, die Natur ist nicht Gott; und das eine mit dem an- deren zu verwechseln, hieße den Bau für den Baumeister, den Entwurf für den Entwerfenden, den Marmor für den Bildhauer, und das Ding für die erschaffende Kraft halten. Das geordnete Gefüge der Natur ist nur die Offenbarung jener Ordnung, welche Zeugnis von einer lenkenden In- telligenz gibt, und diese Intelligenz ist ewigen Wesens und mit dem Sein selbst gleich ewig. Die Natur selbst ist eine Erklärung eines höheren Wesens, dessen Willen und Ab- sicht sie in all ihren mannigfaltigen Erscheinungen wieder- spiegelt. Über der Natur, und erhabener als sie, regiert der Gott der Natur.

10. Obwohl das Leben oder das „Sein" ewig ist, und folglich für das Sein nie ein Anfang gewesen ist noch ein Ende sein wird, muß, in einem gewissen Sinn, jede Stufe der Gestaltung einen Anfang gehabt haben, und auf jeder Sprosse des Seins, wie sie in allen den unzähligen Ord- nungen und Klassen der erschaffenen Dinge geoffenbart wird, muß es ein erstes gegeben haben, wie es auch ein

40 Die Glaubensartikel. [Vorl. IL

letztes geben wird; obwohl jedes Ende oder jede Vollen- dung in der Natur nur der Anfang einer neuen Stufe in der Entwicklung ist. Um eine mögliche Vorgangsfolge, durch welche die Erde aus einem Wirrwar oder einer ungeord- neten Vorschöpfungswelt in einen bewohnbaren Zustand verwandelt worden ist, zu erläutern, wenn auch nicht zu erklären, hat der menschliche Scharfsinn Theorien er- dacht. Nach diesen Deutungsversuchen war diese Erd- kugel einst ein glühender Ball, auf dem keine der unzäh- ligen Lebensformen, die ihn jetzt bewohnen, hätte leben können. Der Theoretiker muß deshalb einen Anfang im irdischen Leben anerkennen, und ein solcher Anfang ist nur durch die Annahme irgend einer erschaffenden Tat oder einer Beitragung von außerhalb der Erde zu erklären. Erkennt er die Herkunft des Lebens auf Erden von einer anderen und älteren Himmelskugel an, so werden dadurch die Grenzen seiner Forschung nach dem Anfang des leben- den Seins nur ausgedehnt. Denn den Ursprung eines in un- serem Garten wachsenden Rosenstocks damit zu erklären, daß dieser als ein Sprößling eines anderswo wachsenden Rosenstrauchs verpflanzt worden sei, wäre keine Er- klärung auf die Frage nach dem Ursprung der Rosen. Die Wissenschaft nimmt notwendigerweise einen Anfang der lebenden Erscheinungen auf diesem Planeten an und erkennt eine begrenzte Dauer der Erde in ihrem gegen- wärtigen Lauf der fortschreitenden Veränderung; und in dieser Hinsicht ist die Erde eine Darstellung der anderen Himmelskörper im allgemeinen. Dann ist die Unendlich- keit des Seins nicht gewisser als eine Andeutung auf einen ewigen Regierer, als die unendliche Folge der Veränderung, deren jede Stufe sowohl einen Anfang als auch ein Ende hat. Die Entstehung der erschaffenen Dinge, der Anfang eines geordneten Weltalls ist durch die Annahme der von selbst entstandenen Veränderung in dem Urstoff, oder der

Art. 1.] Gott und die Gottheit. 41

zufälligen Wirkung ihrer Eigenschaften, äußerst unerklär- lich.

11. Die menschliche Vernunft, die selbst in weni- ger wichtigen Sachen dem Irren unterworfen ist, vermag ihren Besitzer nicht von sich aus zu einer vollen Er- kenntnis von Gott zu führen. Doch wird ihm ihre An- wendung in seinem Forschen zur Seite stehen und seinen ererbten Naturtrieb zu seinem Schöpfer stärken und be- stätigen.^) ,,Die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott. "2) In der Schrift wird das Wort Tor^) gebraucht, um einen bösen Menschen zu bezeichnen, einen, der seine Weisheit durch einen langen Lauf seiner Missetaten verloren, und auf diese Weise Finsternis statt Licht und Unwissenheit statt Kenntnis in seine Seele eingeführt hat. Durch einen solchen Lebenswandel wird der Geist ver- derbt und unfähig, die feinern Beweisführungen der Natur zu schätzen. Wer absichtlich sündigt, wird für die Stimme der Vernunft in heiligen Dingen taub und verliert das Vor- recht, mit seinem Schöpfer zu verkehren, wodurch er sich des größten Mittels zur Erlangung der Erkenntnis von Gott beraubt.

12. 3. Offenbarung gibt dem Menschen seine voll- kommenste Erkenntnis von Gott. Wir brauchen uns weder völlig auf die fehlbare eigene Urteilskraft noch auf das Zeug- nis anderer zu verlassen, um eine Erkenntnis unseres himm- lischen Vaters zu erhalten, wir können ihn für uns selbst kennen lernen. Die Fälle, wo sich Gott in früheren oder auch in späteren Zeiten seinen Propheten geoffenbart hat, sind so zahlreich, daß es unmöglich ist, hier eine eingehende Betrachtung zu unternehmen. Überdies werden wir bei dem Studium des neunten Glaubensartikels Gelegenheit

•) Siehe Anmerkung 5.

') Psalm 14:1.

») Sprüclie 1:7; 10:21; 14:S

42 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.

haben, viele solche Beispiele zu untersuchen. Hier muß uns also eine kurze Erwähnung genügen. Als Ursache der vielen Überlieferungen über das Dasein und die Persön- lichkeit Gottes haben wir seine Offenbarungen zu Adam und zu andern vorsintflutlichen Patriarchen, dann zu Noah, Abraham, Isaak, Jakob und Mose schon angeführt. Ein in den jüdischen Schriften nur kurz erwähntes Beispiel ist dasjenige des Henoch, des Vaters Methusalahs. Von ihm lesen wir, daß er in einem göttlichen Leben blieb.^) Aus den ,, Schriften Moses", erfahren wir, daß sich der Herr mit besonderer Freude diesem auserwählten Seher offenbarte. 2) Den Verlauf der Vorgänge bis zur Zeit des vorausbestimmten Wirkens Christi im Fleisch, den Plan der Seligkeit durch das Sühnopfer des Eingebornen, und die Ereignisse, die darauf folgen sollten, bis zum jüngsten Gericht, tat Gott ihm kund.

13. Von Mose lesen wir, daß er eine Kundtuung er- hielt von Gott, der zu ihm aus dem brennenden Busch am Berg Horeb sprach und sagte: ,,Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürch- tete sich, Gott anzuschauen. "3) In einer Wolke und mit den schreckenerregenden Begleiterscheinungen von Don- ner und Blitz erschien Gott dem Mose und dem versam- melten Israel auf dem Berge Sinai. „Und der Herr sprach zu ihm : Also sollst du den Kindern Israel sagen : Ihr habt gesehen, daß ich mit euch vom Himmel geredet habe."*) Von einer spätem Erscheinung lesen wir: ,,Da stiegen Mose und Aaron, Nadab und Abihu und siebzig von den Ältesten Israels hinauf und sahen den Gott Israels. Unter

') 1. Mose 5:18 24; siehe auch Judas 14.

») Köstl. Perle, Moses 6, 7.

") 2. Mose 3:6.

♦) 2. Mose 20:18—22.

Art. 1.] Gott und die Gottheit. 43

seinen Füßen war es wie ein schöner Saphir und wie die Gestalt des Himmels, wenn es klar ist."^)

14. Während der Zeit Josuas und der Richter, bis zu den Königen und Propheten, verkündigte der Herr seine Gegenwart und seine Macht, Jesaja sah den Herrn auf seinem Thron in der Mitte einer herrlichen Schar und sprach: „Weh mir, ich vergehe 1 denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen ; denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen Augen. "2)

15. In einer spätem Zeit, als Christus aus dem Wasser der Taufe hervorkam, wurde die Stimme des Vaters ge- hört, wie sie erklärte: ,,Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. "3) Und bei der Verklärung unseres Herrn wiederholte dieselbe Stimme diese feierliche und herrliche Anerkennung .4) Als Stephanus unter den Händen seiner unmenschlichen und fanatischen Landsleute den Märtyrertod erlitt, wurden die Himmel aufgetan, und er sah „die Herrlichkeit Gottes und Jesum stehen zur Rech- ten Gottes."^)

16. Das Buch Mormon ist voll von Fällen des Ver- kehres zwischen Gott und seinem Volke, meistenteils ge- schah es durch Gesichte und durch das Dienen der Engel, aber auch durch unmittelbare Offenbarung seiner götthchen Gegenwart. Wir lesen von einer Kolonie, die unter der Leitung eines in dem Bericht als Jareds Bruder bekannten Mannes den Turm zu Babel verließ und nach der west- lichen Halbkugel wanderte. Bei der Vorbereitung der Reise über das große Wasser, bat der Führer den Herrn,

>) 2. Mose 24:9—10.

») Jesaja 6:1 5.

») Matthäus3:16, 17; Markus 1:11.

*) Matthäus 17:1— 5; Lukas 9:35.

*) Apostelgesch. 7:54— 60.

44 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.

gewisse Steine mit seinem Finger anzurühren, daß sie leuch- tend würden, so daß die Reisenden Licht in ihren Schiffen hätten. Der Herr erhörte diese Bitte, streckte seine Hand aus und rührte die Steine an, wobei sein Finger sichtbar wurde; der Mann war erstaunt zu sehen, daß der Finger einem menschlichen Finger ähnlich war. Der Herr, der an dem Glauben dieses Menschen Wohlgefallen hatte, zeigte sich dem Bruder Jareds und führte ihm vor Augen, daß der Mensch wirklich in dem Ebenbilde des Schöpfers geformt ist.^) Nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt offenbarte sich Christus den auf der westlichen Halb- kugel wohnenden Nephiten. Diesen Schafen der west- lichen Herde zeugte er von seinem Auftrag, den er von seinem Vater erhalten hatte, zeigte die Wunden in seinen Händen und Füßen und in seiner Seite und diente der gläubigen Volksmenge auf mancherlei Art und Weise.^)

17. In der gegenwärtigen Dispensation hat sich Gott geoffenbart und offenbart sich seinem Volke noch. Wir haben schon erwähnt wie Joseph Smith, während er noch ein Jüngling war, durch seinen Glauben und seine auf- richtige Absicht eine Offenbarung der Gegenwart Gottes erhalten und das Vorrecht, sowohl den Vater als auch seinen Sohn Christum zu schauen, genossen hat. 3) Sein Zeugnis über das Dasein Gottes ist weder von der Über- lieferung noch von erklügelter Schlußfolgerung abhängig. Er erklärt der Welt, er wisse, daß Gott und Christus leben, denn er habe ihre Gestalt gesehen und ihre Stimmen gehört. Außer dieser Offenbarung erklären Joseph Smith und sein Mitarbeiter Sidney Rigdon, daß sie am 16. Februar 1832 den Sohn Gottes gesehen und in himmli- schem Gesichte mit ihm gesprochen haben. In der Be-

') Buch Mormon, Ether 3.

') Buch Mormon, 3. Nephi 11 28.

») Siehe Seite 9—11.

Art. 1.] Gott und die Gottheit. 45

Schreibung dieser Offenbarung wird gesagt: „Als wir über diese Dinge nachdachten, berührte der Herr die Augen unsrer Verständnisse, sie wurden geöffnet und die Klarheit des Herrn schien um uns. Wir schauten die Herr- lichkeit des Sohnes zur rechten Hand des Vaters, und uns wurde von seiner Fülle zuteil; und wir sahen die heiligen Engel und die, welche vor seinem Thron verklärt waren und Gott und das Lamm anbeten, die so ihn von Ewigkeit zu Ewigkeit verehren. Und nun, nach den vielen Zeug- nissen, die von ihm gegeben worden sind : dies ist das letzte Zeugnis, welches wir von ihm geben, nämlich daß er lebt; denn wir sahen ihn."^)

18. Noch einmal, und zwar am 3. April 1836 im Tempel zu Kirtland (Ohio), offenbarte sich der Herr Joseph Smith und Oliver Cowdery, die über diese Bege- benheit berichten: „Wir sahen den Herrn auf der Brust- wehr der Kanzel vor uns stehen, und unter seinen Füßen war ein Pflaster von lauterm Golde, in der Farbe wie Bern- stein. Seine Augen waren wie eine Feuerflamme, die Haare seines Hauptes waren weiß wie reiner Schnee, sein Antlitz überleuchtete den Glanz der Sonne, und seine Stimme war wie großes Wasserrauschen, ja die Stimme Jehovahs, welche sprach: Ich bin der Erste und der Letzte; ich bin der, der lebt, der, der erschlagen wurde ; ich bin euer Für- sprecher bei dem Vater."^)

19. Dieses sind ein paar Zeugnisse, die die Tatsache der unmittelbaren Offenbarung von Gott zu den Menschen in alten und neuen Zeiten bestätigen. Das Vorrecht, mit unserem Schöpfer in Verbindung zu stehen, ist nicht auf einen einzelnen Menschen beschränkt. Wahrer Glaube, aufrichtige Absicht, und Reinheit der Seele werden jedem.

') Lehre u. Bündn. 76:11- ») L. u. B. 110:1—4,

46 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.

der die Gabe sucht, die Segnung der Gnade Gottes und das Licht seiner Gegenwart gewährleisten.

20. Die Gottheit: die Dreiheit. Drei Personen, die den vorstehenden Rat des Weltalls bilden, haben sich den Menschen geoffenbart: 1. Gott der ewige Vater; 2. sein Sohn Jesus Christus; und 3. der Heihge Geist. Daß dieses drei körperlich von einander getrennte und verschiedene Wesen sind, wird durch die anerkannten Berichte des gött- lichen Umganges mit den Menschen klar bewiesen. Bei der schon erwähnten Taufe des Erlösers erkannte Jo- hannes das Zeichen des Heiligen Geistes; vor sich sah er Christus im Fleisch, an dem er soeben die heilige Ver- ordnung vollzogen hatte; und er hörte die Stimme des Vaters. 1) Die drei Personen der Gottheit waren anwesend, und jede tat sich auf eine von den andern unterschiedene Weise kund. Der Heiland verhieß seinen Jüngern, daß der Tröster,^) welcher der Heilige Geist ist, ihnen von seinem Vater gesandt werden solle. Hier werden wieder die drei Mitglieder der Gottheit als unter sich verschiedene erwähnt. Bei seinem Märtyrertum wurde Stephanus mit der Kraft eines himmlischen Gesichtes gesegnet und ersah Jesus zur Rechten Gottes stehen. 3) Als Joseph Smith in inbrün- stigem Gebet den Herrn um Weisheit anflehte und ihn um Leitung und Führung in seiner religiösen Bedrängnis bat, sah er den Vater und den Sohn von einem Licht um- geben, das den Glanz der Sonne überstrahlte. Einer von diesen erklärte von dem andern, „Dieser ist mein lieber Sohn, höre ihn,"*) Jedes Mitglied der Dreiheit wird Gott genannt;^) zusammen bilden sie die Gottheit.

') Matthäus 3:16—17; Markus 1:9—11; Lukas 3:21—22. ») Johannes 14:26; 15:26. ') Apostelgesch. 7:55, 56. *) Siehe Seite 10, 11.

') 1. Korinther 8:6; Johannesl:l 14; Matthäus 4:10; 1. Timotheus 3:16; 1. Johannes 5:7; Mosiah 15:1 2.

Art. 1.] Gott und die Gottheit. 47

21. Einheit der Gottheit. i) Die Gottheit ist in den Eigenschaften, Kräften und Absichten ihrer Mitglieder ein Vorbild der Einheit und Einigkeit. Während Jesus auf Erden war,^) und auch als er sich seinen nephitischen Dienern offenbarte,^) hat er von der Einigkeit zwischen ihm und seinem Vater, und wiederum zwischen ihnen und dem Heiligen Geist, wiederholt Zeugnis gegeben. Dieses wird von einigen ausgelegt, als bedeute es, daß der Vater, der Sohn und der Heilige Geist in Wesen und Person ein und derselbe sei, und daß die Namen in Wirklichkeit immer dieselbe Persönlichkeit, nur in verschiedenen Er- scheinungen, vorstellen. Um das Irrtümliche dieser An- sicht zu beweisen, mag vielleicht ein einziges Beispiel genügen: Kurz bevor Christus verraten wurde, betete er für seine Jünger, die Zwölfe und andere Gläubige, daß sie in Einigkeit erhalten werden möchten,*) „daß sie eins seien" wie der Vater und der Sohn eins sind. Es ist ver- nunftwidrig zu glauben, daß Christus wünschte, seine Anhänger möchten ihre Persönlichkeit verlieren und eine Person werden, selbst wenn eine solche den Gesetzen der Natur stracks zuwiderlaufende Veränderung überhaupt möglich gewesen wäre. Christus wünschte, daß alle im Herzen und im Geist und in Absicht eins sein sollten ; denn solcher Art ist die Einheit zwischen ihm und seinem Vater, und auch zwischen ihnen und dem Heiligen Geist.

22. Diese Einheit ist ein Vorbild der Vollkommenheit. Der Sinn irgend eines Mitglieds der Dreiheit ist der Sinn der anderen. Da alle drei mit dem Geiste der Reinheit und Vollkommenheit begreifen, sind sie in ihrer Fähigkeit zu begreifen und zu verstehen gleich. Und da sie von den

*) Siehe Anmerkung 11.

«) Johannes 10:30, 38; 17:11—22.

') 3. Nephi 11:27, 36: 28:10; siehe auch Alma 11:44.

') Johannes 17:11— 21.

48 Die Glaubensartikel. [Vorl. IL

gleichen Grundsätzen unfehlbarer Gerechtigkeit und Unparteilichkeit geleitet werden, würden alle unter den- selben Bedingungen und Umständen in gleicher Weise handeln. Die Einheit der Gottheit, von der die Schrift so reichlich zeugt, deutet weder eine rätselhafte Vereini- gung der Substanz noch eine unnatürliche und deshalb unmögliche Vermischung der Personen an. Vater, Sohn und Heiliger Geist sind in Person und Gestalt eben so ge- trennt als irgend drei Personen im Fleisch. Aber ihre Einheit in Absicht und Wirken ist derart, daß ihre Ver- ordnungen eins sind und ihr Wille, der Wille Gottes ist. Einen zu sehen heißt alle sehen. Darum sagte Christus, als Philippus ihn dringend bat, ihnen den Vater zu zeigen : „So lange bin ich bei euch, und du kennst mich nicht, Philippus? Wer mich sieht, der sieht den Vater; wie sprichst du denn: Zeige uns den Vater? Glaubet mir, daß ich im Vater und der Vater in mir ist; wo nicht, so glaubet mir doch um der Werke willen. "i)

23. Die Persönlichkeit eines jeden Mitglieds der Gott- heit. — Aus den schon gegebenen Beweisen geht klar her- vor, daß der Vater ein persönliches Wesen mit einer be- stimmten Gestalt, mit Körperteilen und geistigen Leiden- schaften ist. Jesus Christus, der, ehe er ins Fleisch kam, im Geiste bei dem Vater^) war, und durch den die Welten erschaffen wurden,^) lebte als Mensch unter den Menschen und hatte alle körperlichen Eigenschaften eines Menschen. Nach seiner Auferstehung erschien er in derselben Gestalt,*) in dieser Gestalt fuhr er gen Himmel;^) und in dieser Gestalt hat er sich auch den Nephiten und neuzeitlichen

0 Johannes 14:9, 11. «) Johannes 17:5.

») Johannes 1:3; Hebräer 1:2; Epheser 3:9; Kolosser 1:16. ♦) Johannes 20:14, 15, 19, 20, 26, 27; 21:1—14; Matthäus 28:9; Lukas 24: 15—31, 36 44.

') Apostelgesch. 1 : 9 11.

Art. 1| Gott und die Gottheit. 49

Propheten geoffenbart. Uns wird versichert, daß Christus im ausdrücklichen Ebenbilde seines Vaters ist,i) nach wel- chem Ebenbild auch der Mensch erschaffen worden ist. 2) Daher wissen wir, daß sowohl der Vater als auch der Sohn in Gestalt und Körperform ein vollkommener Mensch ist. Beide besitzen einen fühlbaren Körper von unendlicher Reinheit und Vollkommenheit und umgeben von erha- bener Herrlichkeit; aber doch bestehen ihre Körper aus Fleisch und Bein, 3)

24. Der Heilige Geist, auch der Geist, der Geist des Herrn,^) der Geist Gottes,^) der Tröster®) und der Geist der Wahrheit') genannt, hat nicht einen Körper von Fleisch und Bein, sondern ist nur eine Person aus Geist. ^) Aber doch wissen wir, daß sich der Geist in Menschengestalt geoffenbart hat.^) In ihrem Umgang mit der Menschheit wirken der Vater und der Sohn vermittels des Dienens des Geistes,^") durch seine Vermittlung wird Erkenntnis mit- geteilt,^!) und durch ihn werden die großen Werke der Schöpfung fortgeführt. 12) j)er Heilige Geist, der Zeuge des Vaters und des Sohnes, 1=^) erklärt den Menschen ihre Eigenschaften und zeugt von den anderen Persönlich- keiten der Gottheit. 1*)

0 Hebräer 1:3; Kolosser 1 :15; 2. Korinther 4:4. ') 1. Mose 1:26—27; Jakobus 3:8—9. ') Lehre u. Bündn. 30:22.

*) 1. Nephi 4:6; 11:8; Mosiah 13:5; Apostelgesch. 2:4; 8:29; 10:19; Römer 8:10, 26; 1. Thessalonicher 5:19.

') Matthäus 3:16; 12:28; 1. Nephi 13:12. ") Johannes 14:16. ') Johannes 15:26; 16:13.

') Lehre u. Bündn. 130 : 22 ; auch die f ünfteVorlesung über Glauben : 2,3. ») 1. Nephi 11:11.

") Nehemia 19:30; Jesaja 42:1; Apostelgesch. 10:19; Alma 12:3; Lehre u. Bündn. 105:36; 97:1.

") Johannes 16:13; 1. Nephi 10:19; Lehre u. Bündn. 35:13; 50:10. '^) 1. Mose 1:2; Hiob 26:13; Psalm 104:30; Lehre u. Bündn. 29:31. ") Johannes 15:26; Apostelgesch. 5:32; 20:23; 1. Korinther 2:11; 12:3; 3. Nephi 11:32.

") Zu einer weiteren Erklärung des Heiligen Geistes, seiner Persön- lichkeit und Eigenschaften, siehe Vorlesung VIH. 3

50 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.

25. Einige der göttlichen Eigenschaften. Gott ist allgegenwärtig: Es gibt keinen Teil des Weltalls, sei er auch noch so entfernt, in den er nicht hinein dringen kann. Durch die Macht des Heiligen Geistes ist die Gottheit zu allen Zeiten in unmittelbarer Verbindung mit allen Dingen. Daher heißt es, daß Gott zur gleichen Zeit aller- orten gegenwärtig ist. Es ist aber unvernünftig, zu glauben, daß die wirkliche Person irgendeines Mitglieds der Gott- heit an mehr als einem Ort zu einer Zeit sein könnte. Got- tes Sinne sind von unendlicher Macht, sein Verstand von unbegrenzter Fähigkeit, sein Auge kann allen Raum er- forschen, und sein Ohr vernimmt jeden Laut; die Macht, sich von einem Ort zum andern zu begeben, ist ihm un- begrenzt, aber immerhin ist es klar, daß seine Person zu einer Zeit an nicht mehr als einem Ort sein kann. Die Persönlichkeit Gottes anerkennend, ist man gezwungen die Tatsache seiner Körperlichkeit anzunehmen. In Wahr- heit kann ein „unkörperhches Wesen", mit welchem sinn- losen Ausdruck einige versucht haben, die Beschaffenheit Gottes zu bezeichnen, nicht bestehen, denn selbst der Ausdruck ist ein Widerspruch der Worte. Wenn Gott eine Gestalt besitzt, muß diese Gestalt notwendigerweise von bestimmtem Maß, und folglich von begrenzter Aus- dehnung im Räume sein. Es ist Gott dann unmöglich, mehr als den einen Raum von solchen Grenzen zu einer Zeit einzunehmen ; und man braucht sich gar nicht darüber zu wundern, wenn man aus der Schrift lernt, daß Gott sich von Ort zu Ort bewegt. Wir lesen in Verbindung mit dem Bericht über den Turmbau zu Babel: „Da fuhr der Herr hernieder, daß er sähe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten. "i) Und wiederum, Gott er- schien Abraham und erklärte, er sei „der allmächtige

') 1. Mose 11;

Art. 1.] Gott und die Gottheit. 51

Gott". Er sprach mit dem Patriarchen und machte einen Bund mit ihm. Dann lesen wir: „Und er hörte auf, mit ihm zu reden. Und Gott fuhr auf von Abraham. "i)

26. Gott ist allwissend. Durch ihn ist der Urstoff gestaltet und geordnet und der Lebenskraft die Richtung gegeben worden. Er ist daher der Schöpfer aller erschaffe- nen Dinge, und „Gott sind alle seine Werke bewußt von der Welt her, "2) Da sie unbegrenzt sind, sind seine Macht und Weisheit dem Menschen unbegreiflich. Da er selbst ewig und vollkommen ist, kann seine Erkenntnis nicht anders als unbegrenzt sein. Um sich selbst ein endloses Wesen zu begreifen, muß er einen unendlichen Verstand haben. Durch die Vermittlung seiner Engel und helfenden Diener ist er in fortwährender Verbindung mit allen Teilen des Weltalls und kann sie persönlich besuchen, wann es ihm beliebt.

27. Gott ist allmächtig. Er wird mit Recht der Allmächtige genannt. In den Kräften, die die Elemente der Erde beherrschen, die die Himmelskörper in ihren Bahnen führen, ja auf allen Seiten kann man die Beweise der göttlichen Allmacht wahrnehmen. Alle diese wirken zusammen für das gemeine Wohl. Es kann keine Grenzen der Macht Gottes geben. Was immer seine Weisheit für angebracht hält, kann und wird er tun. Die Mittel, wo- durch er wirkt, mögen an und für sich nicht von unend- licher Fähigkeit sein, aber sie werden von einer unendlichen Macht geleitet. Die Macht, alles zu vollbringen was er tun will, ist der richtige Begriff von seiner Allmacht.

28. Gott ist gütig, wohlwollend und liebreich, zärtlich, bedächtig und langmütig ; er hat Geduld mit den Schwach- heiten seiner widerspenstigen Kinder. Er ist gerecht,

') 1. Mose 17:1, 22.

') Apostelgesch. 15:18; siehe auch Köstl. Perle, Moses 1:6, 35; 1. Nephi 9:6.

52 Die Glaubensartikel. [Vorl. II

doch im Gericht barmherzig^) und erzeigt allen die gleiche Gnade. Und doch vereinigt er mit diesen sanfteren Eigen- schaften eine Standhaftigkeit im Bestrafen des Un- rechts, die beinahe ein Grimm ist. 2) Er ist eifrig^) für seine eigene Macht und für die Verehrung, die ihm seine Kinder darbringen, oder in anderen Worten, er ist eifrig für die Prinzipien der Wahrheit und Reinheit, für die man nir- gendwo höhere Beispiele findet als in seinen persönlichen Eigenschaften. Dieses Wesen ist der Schöpfer unsres Daseins, und wir dürfen uns ihm als unserm Vater nahen. In dem Maße wie wir von ihm mehr erfahren, wird unser Glaube an ihn wachsen.

29. Abgötterei und Gottesleugnung (Atheismus).

Bei den zahlreichen Beweisen des Daseins Gottes, ein Dasein, an das die Menschheit so allgemein glaubt, scheint der Gottesleugner wenig Grund zu haben, worauf er seinen Unglauben vernünftig gründen und aufrecht erhalten könnte; und in Anbetracht der vielen Beweise des lieb- reichen Wesens, der Eigenschaften und Gesinnung Gottes, sollte wenig Neigung bestehen, sich an falsche und unwür- dige Gegenstände der- Verehrung zu wenden. Dennoch zeigt die Geschichte der Menschen, daß dem Theismus, welcher die Lehre von dem Glauben an und der Aner- kennung von Gott als dem rechtmäßigen Regierer ist, durch viele verschiedene Arten von Gottesleugnung ent- gegentreten wird;*) und auch, daß der Mensch geneigt ist, seinem Ruhm, ein vernünftiges Geschöpf zu sein, zu widersprechen und seine Anbetung vor Götzenal- tären zu verrichten. Die Gottesleugnung ist jedenfalls

') S.Mose 4:31; 2. Chronik 30:9; 2. Mose 34:6; Nehemia 9:17, 31; Psalm 116:5; 103:8; 76:15: Jeremia 32:18; 2. Mose 20:6. ') 2. Mose 20:5; 5. Mose 7:21, 10:17; Psalm 7:11. ») 2. Mose 20:5: 24:14; 5. Mose 4:24; 6:14, 15; Josua 24:19, 20. ') 1. Siehe Anmerkung 6.

Art. 1.] Gott und die Gottheit. 53

eine Entwicklung späterer Zeiten, während die Abgötterei sich als eine der ersten Sünden der Menschheit zeigte. Sogar schon zur Zeit des Auszugs Israels aus Ägypten- land hatte es der Herr für notwendig gehalten, durch Gesetz zu gebieten, ,,Du sollst keine andern Götter neben mir haben. "1) Doch während er diese Worte auf die stei- nernen Tafeln schrieb, verbeugte sich sein Volk vor dem goldenen Kalb, welches es nach dem Vorbild des ägypti- schen Abgotts geformt hatte.

30. Es ist schon erklärt worden, daß der Mensch einen Naturtrieb zur Verehrung besitzt, und daß er einen Gegenstand für seine Anbetung fordert und finden wird. Als der Mensch in die Finsternis fortwährender Übertre- tung fiel und den Schöpfer seines Daseins, seiner Väter Gott, vergaß, suchte er nach andern Göttern, Einige sahen die Sonne als das Urbild des Allerhöchsten an, und vor diesem Himmelskörper warfen sie sich im Anflehen nieder. Andere wählten irdische Erscheinungen für ihre Anbetung; sie bewunderten das Geheimnis des Feuers, und als sie seine wohltätigen Wirkungen erkannten, verehrten sie die Flamme. Einige sahen oder dachten, sie hätten im Wasser das Sinnbild des Reinen und Guten und verrichteten ihre Andachten an fließenden Strömen, Andere, denen die Erhabenheit der emporragenden Berge Ehrfurcht eingeflößt hatte, begaben sich nach diesen Tem- peln der Natur, und anstatt den zu verehren, zu dessen Ehre und durch dessen Macht dieser Altar aufgebaut wurde, beteten sie den Altar an. Eine andere Klasse, die von Ehrfurcht für das Sinnbildliche noch mehr durchdrun- gen war, begehrte künstliche Gegenstände der Anbetung für sich selbst zu erschaffen. Sie machten Götzenbilder und beteten sie an; sie schnitzten seltsame Figuren aus

') 2, Mose 20:3.

54 Die Glaubensartikel. (Vorl. II.

Baumstämmen und meißelten sonderbare Gestalten aus Stein, und vor diesen verbeugten sie sich.^)

,,Ist Gott den Völkern unbekannt, so stellen sie sich Götzen auf."

31. Die Gebräuche der Abgötterei wurden mit der Zeit in einigen ihrer Erscheinungen mit Riten der schauder- haftesten Grausamkeit verbunden, wie die Sitte, Kinder dem Moloch oder unter den Hindus, dem Ganges zu opfern, und wie das allgemeine Gemetzel der Menschen unter druidischer Tyrannei. Die Abgötter, die sich die Mensch- heit aufgestellt hat, sind unbarmherzig, gefühllos und grausam. 2)

32. Wie schon erwähnt, ist Atheismus die Ver- leugnung des Daseins Gottes, in milderer Gestalt viel- leicht auch nur die Nichtachtung der Gottheit. Aber auch der vorgebliche Atheist oder Gottesleugner ist, wie seine gläubigen Mitmenschen, der allgemeinen mensch- lichen Neigung zur Verehrung unterworfen. Und obwohl er sich weigert, den wahren und lebendigen Gott anzuer- kennen, vergöttert er, bewußt oder unbewußt, irgendein Gesetz, einen Gedanken, eine Leidenschaft der mensch- lichen Seele, oder vielleicht irgendein körperliches Ge- schöpf, und zu diesem wendet er sich, um in der Betrach- tung des unwürdigen Gegenstandes einen Anschein des Trostes zu suchen, den der Gläubige im reichlichen Über- fluß vor dem Throne seines Vaters und Gottes findet. Ich bezweifle sehr das Vorhandensein eines Mannes, der durch und durch Atheist ist, der aufrichtig mit fester Überzeugung das Dasein einer allweisen allerhöchsten Macht in seinem Herzen leugnet. Der Begriff eines Gottes ist ein wesentliches Merkmal der menschlichen Seele. Der

*) Siehe Anmerkung 7. ') Siehe Anmerkung 8.

Art. 1.] Gott und die Gottheit. 55

Philosoph anerkennt die Notwendigkeit eines solchen Grundbegriffes in seinen Erklärungen des Seins. Er mag sich von einer öffentlichen Anerkennung eines persönlichen Gottes zurückhalten, doch nimmt er das Dasein einer „regierenden Macht", eines „großen Unbekannten", des „Unerkennbaren", des ,,Unbegrenzbaren", des „Unbe- wußten" an. 0 Mensch des Wissens, obwohl nicht der Weis- heit! Warum verweigerst du die Vorrechte, die das all- mächtige und allwissende Wesen, dem du dein Leben verdankest, und dessen Namen du dennoch nicht aner- kennen willst, dir anbietet? Kein Sterblicher, der dessen Vollkommenheiten und Macht betrachtet, kann sich ihm, ausgenommen in heiliger Scheu und unaussprechlicher Ehrfurcht, nahen. Wenn wir ihn nur als Schöpfer und Gott betrachten, werden wir von diesem Gedanken zur Demut vor ihm geleitet. Aber er hat uns das Vorrecht ge- geben, sich ihm als seine Kinder zu nahen, und ihn mit dem teuren Namen ,, Vater", anzurufen! Und selbst der Gottesleugner fühlt in den ernstern Augenblicken seines Lebens in eben so natürlicher Weise als sich seine Liebe dem Vater, der ihm sterbliches Leben gab, zuwendet, ein Sehnen nach dem geistigen Vater. Der Atheismus von heute ist bei alledem nur eine Art Abgötterei.

33. Sektiererische Begriffe von der Gottheit. Nach- dem die Apostel mit ihrem Priestertum von der Erde ver- trieben worden waren, Offenbarungen aufgehört hatten, und die mit dem Fehlen der göttlichen Vollmacht verbundene Finsternis sich auf die Erde herniedergesenkt hatte, wich die übereinstimmende, einfache und glaubwürdige Lehre von dem Wesen und den Eigenschaften Gottes, wie sie Christus und seine Apostel gelehrt hatten. Dafür er- schienen zahlreiche Meinungen und Lehrsätze der Menschen, von denen viele in ihrem geheimnisvollen Wesen und in- nerem Widerspruch höchst unbegreiflich sind. Im Jahre

56 Die Glaubensartikel. [Vorl. IL

325 berief Kaiser Konstantin ein Konzil nach Nizäa ein, weil er eine Erklärung des christlichen Glaubens für nötig hielt, die als maßgebend betrachtet werden, und die auch dazu dienen könnte, der zunehmenden allgemeinen Un- einigkeit und dem Zwist hinsichtlich des Wesens der Gott- heit und anderer theologischen Fragen Einhalt zu gebieten. Dieses Konzil verdammte einige der damals allgemeinen Theorien, unter anderm auch die Theorie von Arius, die eine getrennte Persönlichkeit für jedes Mitglied der Drei- heit behauptete; es verkündete eine Glaubenslehre, die jetzt als das nizäische Glaubensbekenntnis bekannt ist. Die Erklärung dieser Lehre, die mutmaßlich von Athana- sius verkündet wurde, lautet wie folgt: Wir verehren einen Gott in der Dreieinigkeit und die Dreifaltigkeit in der Einheit, indem wir weder die Personen vermischen noch die Wiesen trennen. Denn es gibt eine Person des Vaters, eine andere des Sohnes und eine andere des Heiligen Geistes. Aber die Gottheit des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes ist nur eine, die Herrlichkeit dieselbe, die Majestät gleich ewig. Wie der Vater ist, so ist der Sohn und so ist der Heilige Geist: der Vater unerschaffen, der Sohn un- erschaffen und der Heilige Geist unerschaffen; der Vater unbegreiflich, der Sohn unbegreiflich und der Heilige Geist unbegreiflich; der Vater ewig, der Sohn ewig und der Heilige Geist ewig. Und doch sind nicht drei Ewige, son- dern ein Ewiger, wie auch nicht drei Unbegreifliche, noch drei Unerschaffene sind, sondern ein Unerschaffener und ein Unbegreiflicher. Ebenso ist der Vater allmächtig, der Sohn allmächtig und der Heilige Geist allmächtig; und doch sind nicht drei Allmächtige, sondern nur ein All- mächtiger. Also der Vater ist Gott, der Sohn ist Gott, und der Heilige Geist ist Gott; und doch sind nicht drei Götter, sondern ein Gott. Es würde schwer sein, mehr

Art. 1.] Anmerkungen. 57

Widersprüche zu ersinnen und in so wenig Worten auszu- drücken, als wir sie hier beisammen finden.

34. Die englische Kirche lehrt die gegenwärtig ortho- doxe Gottesvorstellung wie folgt: „Es ist nur ein lebendi- ger und wahrer Gott, ewig, ohne Körper, Teile oder Leiden- schaften; von unendlicher Macht, Weisheit und Güte." Die in diesen Erklärungen des sektiererischen Glaubens be- hauptete Unkörperlichkeit Gottes ist ganz in Widerspruch mit den Schriften und wird, wie schon durch die erwähnten Anführungen gezeigt worden ist, durch die Offenbarungen der Person und der Eigenschaften Gottes gründlich widerlegt.

35. Wir behaupten, daß das Leugnen der Körper- lichkeit der Person Gottes auch das Leugnen Gottes ist, denn ein Ding ohne Teile kann kein Ganzes sein, und eine unkörperliche Persönlichkeit kann kein Dasein haben.^) Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage wider- spricht der Lehre von einem unbegreiflichen Gott olme „Körper, Teile oder Leidenschaften", als einem Wesen, das unmöglich ein Dasein haben kann, und behauptet ihren Glauben an den wahren und lebendigen Gott der Schrift und Offenbarung, und verkündigt ihre Treue zu ihm.

Anmerkunneu.

1. Der Glaube an einen Gott Ist natürlich. ,,Die große und ur- sprüngliche Wahrheit, daß es einen Gott gibt, hat unter den iMenschen fast ohne Ausnahme und in allen Zeitaltern fortbestanden. Die Heilige Schrift, die auf jedem Blatt von Gott berichtet, und die auf die Empfindungen der Menschheit während einer Zeitspanne von ungefähr viertausend .Jahren hinweist, nimmt daher diese Wahrheit als anerkannt an. Sogar in den frühesten Zeitaltern der Welt findet man keinen ausdrücklicheren Beweis, daß der theoretische oder grübelnde Gottesglaubcn irgendwelche Fürspre- cher hatte; und obwohl es in einer späteren Zeit heißt: Die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott, scheint das Gefühl mehr in ihren Herzen als in ihrem Verstand zu bestehen, und hatte dabei solch einen schwachen Einfluß auf das Denken anderer Menschen, daß die Verfasser der Schrift

') Siehe Anmerkung

58 Die Glaubensartikel. [Vorl. IL

es nicht für notwendig hielten, den Irrtum weder durch formelle Beweis- führung noch durch Berufung auf wunderbare Wirkungen zu bekämpfen. Die Vielgötterei, nicht die Gottesleugnung, war die allgemeine Sünde, und deshalb war es nicht so sehr das Ziel der inspirierten Männer, das Sein des einen Gottes als vielmehr das Nichtsein anderer Götter zu beweisen, seine Autorität aufrecht zu erhalten und seine Gesetze in Kraft zu halten, „zur Ausschließung aller anmaßenden Nebenbuhler.***"

„So klar, vollständig und unwiderleglich sind die Beweise des Daseins Gottes, daß sie in allen Zeitaltern und unter allen Völkern allgemeinen Glauben hervorgerufen haben. Die einzigen Ausnahmen bilden ein paar wilde Völkerstämme einer tiefgesunkenen Rasse, unter denen der Begriff von Gott mit jeder Spur der Zivilisation verschwunden ist, und einige überspannte vorgebliche Pnilosophen, die behaupten, alles, was andere glauben, zu bezweifeln und die selbst die Wahrheit ihrer eigenen Empfin- dungen in Frage stellen; die allgemeine Zustimmung zu dem Dasein eines Gottes könnte als Zeugnis von großem Wert dieser Beweisführung beige- geben werden." Cassel's Biblisches Wörterbuch, Artikel „Gott".

2. nie Wichtigkeit des Glaubens an Gott. „Das Dasein eines allerhöch- sten Wesens ist ohne Zweifel der erhabenste Gedanke, der je in den mensch- lichen Sinn kommen kann, und selbst als wissenschaftliche Frage kann er seinesgleichen nicht haben, denn er nimmt es auf sich, die Ursache aller Ui Sachen, die große Urtatsache in der Philosophie, die letzte und erhabenste Verallgemeinerung der wissenschaftlichen Wahrheit darzulegen. Doch ist dieses noch die bescheidenste Forderung, die er unserem Studium dar- bieten kann, denn er bildet den wahren Grund der Moral, der Tugend und der Religion; er stützt den sozialen Bau und halt seine Teile zusammen; er umfaßt die wichtige Frage der Unsterblichkeit des Menschen und seiner Verantwortlichkeit zu der allerhöchsten Macht, und ist mit seinen schönsten Hoffnungen und höchsten Genüssen unzertrennlich verbunden. Er ist nicht allein eine als Grundlage dienende Wahrheit, sondern er ist der er- habene Mittelpunkt aller anderen Wahrheiten. Von ihm strahlen alle an- deren Wahrheiten der Wissenschaft, der Ethik und der Religion aus. Er ist die Quelle, aus der sie alle entspringen, der Mittelpunkt, in den sie alle zusammenlaufen und die eine erhabene Voraussetzung, von der sie alle Zeugnis geben. An feierlicher Größe und wichtigen Folgen gibt es deshalb nichts Gleichartiges." Dasselbe.

3. Der Glaube an Gott, natürlich und notwendig. Dr. Joseph Le Conte, Professor der Geologie und der Naturgeschichte an der Universität von Kalifornien und ein weltberühmter Gelehrter, hat sich wie folgt ge- äußert: ,,Der Theismus, oder der Glaube an Gott oder an Götter, oder an eine übernatürliche Wirkung irgendeiner Art, die die Erscheinungen um uns beherrscht, ist der eherne Urgrund und die Grundbedingung aller Religion, er ist daher allumfassend, notwendig undauf innerer Anschauung beruhend. Ich werde deshalb nicht versuchen. Beweise für das, das hinter allen Beweisen steht, zu erbringen, denn es ist schon gewisser, als irgend etwas durch irgendeine Beweisführung gewiß gemacht werden kann. Der Grund dieses Glaubens liegt in der Natur des Menschen selbst. Er ist der eigentliche Kern und die Grundlage der Vernunft. Er, und er allein, gibt der Natur Sinn und Bedeutung. Ohne ihn wäre weder Religion noch Wissenschaft noch menschliches Leben möglich. Denn man beobachte, was das ausgeprägte Kennzeichen des Menschen im Verhältnis zu der äußerlichen Natur ist. Dem

Art. 1.] Anmerkungen. 59

Tiere sind die Erscheinungen der Natur nur sinnliche Erscheinungen, der Mensch aber schreitet, und zwar gerade in dem Maße in dem er seine mensch- lichen Sinne gebraucht, unwillkürhch von den Erscheinungen zu ihren Ursachen fort. Dies ist die Folge eines Naturgesetzes und daher unvermeid- lich, aber der Vorgang des Fortschreitens ist bei den kultivierten und un- kultivierten Rassen verschieden. Wenn eine Erscheinung, von der die Ursache nicht sogleich erkannt wird, stattfindet, geht der unkultivierte Mensch mit einem Schritt von den sinnlichen Erscheinungen zu dem Ur- grund; während der kulti\ierte und besonders der wissenschaftlich gebildete Mensch von der Erscheinung durch eine Kette von Ursachen zweiten Grades zu der ersten schreitet. Dieses Gebiet der Ursachen zweiten Grades und dieses allein, ist das Arbeitsfeld der Wissenschaft. Die Wissenschaft könnte wohl bezeichnet werden als das Studium der Art und Weise der Wirkung der Grundursache. Es ist deshalb klar, daß die Anerkennung der Ursachen zweiten Grades den Begriff von dem Dasein Gottes nicht aus- schließen kann. * * * Daher ist der Theismus notwendig und natürlich, und deshalb auch allgemein. Wir könnten ihn, auch wenn wir wollten, nicht los werden. Stoße ihn, wie es viele tun, durch die vordere Türe hinaus, und er wird vielleicht unerkannt durch die hinter Tür zurückkommen. Vertreibe ihn in seinen edleren Gestalten, wie er in der Schrift geoffenbart wird, und er wird in seinen niedrigen Gestalten, vielleicht als Magnetismus, Elektrizität oder Schwerkraft, oder irgend eine andere naturbeherrschende, scheinbar wirksame Kraft, zu dir zurückkehren. In edler oder in niedriger Gestalt wird er ein Gast des menschlichen Herzens werden. Deshalb wiederhole ich: der Gottesglauben bedarf weder des Beweises noch kann er bewiesen werden. Aber in dieser letzten Zeit ist eine starke Neigung vor- handen, für den Gottesglauben (Theismus) die Gestalt des Pantheismus („Pantheismus = Ansicht, daß das Weltall Gott selbst sei". Weigand, Deutsches Wörterbuch, Band II, Seite 363) anzunehmen, wodurch der religiöse Glaube seiner ganzen Kraft über das menschliche Herz beraubt ■wird. Es wird daher notwendig sein, daß ich nicht das Dasein, sondern die Persönlichkeit der Gottheit klarlege.*** Unter einer gewissen Klasse kulti\-ierter Geister, und besonders unter den Wissenschaftern, wird ein zunehmendes Gefühl zuweilen offen geäußert, zuweilen nur unklar empfun- den, daß das, was wir Gott nennen, nur ein allumfassendes, alldurchdringen- des, die Natur belebendes Prinzip sei ein allgemeines Prinzip der Entwick- lung — eine unbewußte, unpersönliche Lebenskraft, unter der das ganze Weltall sich langsam entwickele. Diese Form des Theismus kann vielleicht die Forderungen einer rein spekulativen Philosophie, aber nie die Sehnsucht des menschlichen Herzens befriedigen.*** Die Beweisführung für die Per- sönUchkeit Gottes ist gleichartig den Beweisen der intelligenten Einrich- tung und des intelligenten Entwurfs oder von der Anordnung der Teile zu einem gewissen und intelligenten Zweck abgeleitet. Es wird gewöhnlich das Argument von dem Entwurf genannt. Die Kraft dieses Beweismittels wird sofort von allen Menschen innerlich empfunden, und seine Wirkung ist für jeden einfachen, ehrlichen, von übersinnlichen Spitzfindigkeiten ungeplagten Menschen unwiderstehlich und überwältigend." Prof. Joseph Le Conte, in ,, Religion and Science", S. 12 14.

4, Gott in der Natur. Sir Isaak Newton, einer der genauesten wissenschaftlichen Arbeiter, äußerte sich in einem Brief an seinen Freund Dr. Bentley im Jahre 1692 über das natürliche Weltall wie folgt: „Um

60 Die Glaubensartikel. [Vorl. IL

einen solchen Weltenbau mit all seinen Bewegungen zu erschaffen, war eine Ursache erforderlich, die verstehen und mit einander vergleichen konnte die Masse und Größe des Stoffes der Sonne und der andern Himmels- körper und die von ihnen ausgehende Schwerlcraft, sodann die verschie- denen Entfernungen der Hauptgestirne von der Sonne und die der unter- geordneten Himmelskörper von Saturn, Jupiter und Erde, ferner die Ge- schwindigkeit mit der sich diese Weltkörper um jene Stoffmassen der Zen- tralgestirne drehen könnten. Und alles dies in solch großer Mannigfaltig- keit von Himmelskörpern zu vergleichen und einzurichten, spricht dafür, daß die Ursache weder blind noch zufällig sein konnte, sondern in der Mechanik und Geometrie sehr bewandert war."

5. Natürliehe Hinweise auf ilas Dasein Gottes. „Es ist vielleicht nicht möglich, wenigstens nicht wahrscheinlich, daß Gott mit dem Mikros- kop und Zergliederungsmesser, mit der Probierröhre oder Flasche und mit dem Winkelmesser oder Fernrohr gefunden werden kann ; aber mit solchen Werkzeugen kann der ernste Student nicht verfehlen, eine unsichtbare Kraft, die doch eine Kraft ist, deren Schläge und Bewegungen unverkennbar sind, zu erkennen. Die Ausdehnung unsres Sonnensystems schien dem Menschen einst viel begrenzter zu sein als heute, und die Entdeckung des entferntesten Planeten der Planetengruppen war nur die Folge der Wahr- nehmung einer anziehenden Kraft, die nur diu-ch das Voraussetzen des Daseins eines andern Planeten erklärt werden konnte. Der Astronom, der die bekannten Himmelskörper in ihren Kreisbahnen verfolgte, konnte das Ziehen fühlen, konnte den Faden, der sie von der engeren Bahn zog, sehen. Als er Blatt für Blatt die Berechnungen aufhäufte, sah er den Neptun nicht, aber das Dasein dieses Himmelskörpers wurde deutlich angezeigt, und durch das Beachten der Andeutungen suchte und fand er ihn. Die Theorie allein hätte ihn nie offenbaren können, obwohl die Theorie ohne ihn unvollkommen und unzulänglich war; aber das verwirklichte, durch wissenschaftliche Gedanken angetriebene Suchen führte zu der großen Vorführung. Und was istdieganzeWissenschaftanders als Theorie, wenn sie mit dem praktischen Einfluß des andächtigen Vertrauens auf die Hilfe einer allmächtigen, all- wissenden Macht verglichen wird ? Schätze nicht gering deine wässenschaft- liche Tätigkeit, das Zittern einer Nadel, das den magnetischen Einfluß offenbart, den inneren Naturtrieb, der von einem Leben und einem Leben- spendenden uns zuflüstert, die weit über die menschliche Kraft hinausreichen, sie zu erklären oder zu begreifen! Wenn du unter der Himmelswöl- bung sitzest, und in der tiefsten Stille der Nacht über die Unruhe und das Sehnen, die die Seele nicht unbeachtet lassen können, nachsinnst, kehre dich nach der von diesen Gefühlen angegebenen [lichtung, und mit dem durchdringenden, räum- und zeitaufhebenden Fernglas des Gebets und Glaubens, suche die Quelle dieser alles durchdringenden Kraft." Der Verfasser, in „The Baccalaureate Sermon", Utah University Quarterly, September 1895.

6. Theismus (Gottescjlanbc), Atheismus (Gottesleugnung), usw. Nach dem üblichen Sprachgebrauch, bedeutet Theismus Glauben an Gott die Anerkennung des einen lebendigen und ewigen Wesens, welches sich den Menschen geoffenbart hat. Der Deismus (Gottglaube ohne Offenbarung) schließt einen angeblichen Glauben an Gott in sich, verleugnet aber die Macht der Gottheit, sich zu offenbaren, und glaubt nicht an das Christen- tum. Das Wort wird mit verschiedenen Bedeutungen angewendet, imter

Art. 1.] Anmerkungen. 61

denen die folgenden wichtig sind: 1. Der Glaube an Gott als ein intelligentes und ewiges Wesen, aber die Verleugnung aller göttlichen Fürsorge; 2. der Glaube an Gott und die Verleugnung eines weiteren Standes der Seele; 3. wie von Kant verkündigt wird, die Verleugnung eines persönlichen Gottes, während der Glaube an eine unendliche Kraft behauptet wird, die mit dem Stoff unzertrennlich verbunden ist, und die als die erste große Ursache wirkt. Der Pantheismus (All-Gottglaube) betrachtet Geist und Stoff als etwas, das alles Endliche und Unendliche in sich begreift und nennt dieses allumfassende Sein, Gott. In seiner philosophischen Erscheinung hat der Pantheismus „drei Stammformen mit Abweichungen: 1. der ,, Substanzpantheismus, der die Eigenschaften des Geistes und des Stof- fes, des Gedankens und der Ausdehnung, dem allumfassenden Sein zuschreibt (Lehre Spinozas); 2. der materialistische Pantheismus, der ihm nur die Eigenschaften des Stoffes zuschreibt (Lehre von Strauß); 3. der idealistische Pantheismus, welcher ihm nur das Dasein des Geistes zu- schreibt (Lehre Hegels)." In seiner Lehre schließt der Pantheismus „die auf den Lehrsatz, daß das ganze ungeheure, den Menschen und die Natur einschließende Weltall, nur die immerwechselnde Offenbarung Gottes sei", begründete Verehrung der Natur und der Menschheit, in sich. Der Po- lytheismus ist die Lehre von der Mehrheit der Götter, die gewöhnlich als Verkörperungen der Kräfte oder der Erscheinungen der Natur angesehen werden. Der Monotheismus lehrt, daß es nur einen Gott gäbe. Atheismus ist Gottesleugnung, oder Unglaube inbezug auf das Dasein Gottes. Der dogmatische Atheismus verleugnet das Dasein Gottes, während es der negative Atheismus unbeachtet läßt. Der Unglaube wird zuweilen als gleichbedeutend mit Atheismus bezeichnet, obwohl das Wort eigentlich eine schwächere Art des Glaubens bezeichnet, die sich in Zweifel und Mißtrauen gegenüber religiösen Dingen, in Unglauben gegenüber der Religion der Bibel, und natürlich in der Verwerfung der Lehren des Chris- tentums äußert. Der Agnostizismus behauptet, daß Gott unbekannt und unerkennbar sei, daß sein Dasein weder bewiesen noch widerlegt wer- den könne; weder behauptet noch verleugnet er das Dasein eines persön- lichen Gottes; er ist die Lelire: „Wir Wissens nicht." Siehe Standard Dictionary.

7. AbjjöUische Bräuche im alloemeinen. Die Seele des Menschen, wenn einmal der Verderbtheit hingegeben, ist sehr geneigt, von Gott und seinen Gesetzen abzuweichen. „Daher", sagtBurder, „sind die Altäre und Unholde des heidnischen Altertums und ihre überspannten Einbildungen und abscheulichen Gelage entstanden. Deshalb finden wir bei den Baby- loniern und Arabern die Anbetung der Himmelskörper, die frühsten Arten der Abgötterei, bei den Kanaanitern und Syrern die Anbetung von Baal, Thammus, Magog und der Astai^te, bei den Phöniziern das Opfern der Kinder zur Ehre Molochs, bei den Ägyptern die den Tieren, Vögeln, In- sekten, dem Lauch und den Zwiebeln erwiesenen göttlichen Verehrungen, bei den Persern die dem Feuer dargebrachte religiöse Verehrung, und bei den gebildeten Griechen in ihrem Glaubenssyslem, die Anerkennung von dreißig tausend Göttern. Deshalb finden wir auch heutzutage bei den meisten heidnischen Völkern die tödlichsten Arten von Aberglauben, die grau- samsten und blutigsten Gebräuche und die abstoßendste Zügellosigkeit und Untugend, welche in dem Namen der Religion ausgeübt werden." History of all Religions, S. 12.

62 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.

8. Beispiele gräOllcher Abgötterei. Die Verehrung des Götzen Moloch wird gewöhnlich als ein Beispiel der grausamsten und verabscheu- ungswürdigsten, den Menschen bekannten Abgöttereien angeführt. Moloch, auch Molech, Malcham, Milkom, Baal-melech, usw. genannt, war ein Abgott der Ammoniter und wird wegen seiner grausamen Vorschriften in der Schrift erwähnt (3. Mose 18:21 ; 20:2—5; siehe auch 1. Könige 11 :5, 7, 33; 2. Könige 23:10, 13; Amos 5:26; Zephania 1:5; Jeremia 32:35). Keil imd Delitzsch beschreiben den Abgott als „ein hohles messingenes heizbares Standbild mit dem Kopf eines Stieres und mit ausgestreckten Armen, um die Kinder, die geopfert werden sollten, entgegenzunehmen." Obwohl die Verehrung dieses Abgottes nicht immer ein menschliches Opfer in sich schloß, ist es dennoch sicher, daß solche fürchterliche Gebräuche für diesen abscheulichen Schrein bezeichnend gewesen sind. Die obenerwähnten Verfasser schreiben: „Von der Zeit des Ahas an, wurden Kinder zu Jeru- salem in dem Tale Ben-Hinnom erschlagen und geopfert, in dem sie auf die geheizten Arme gelegt und verbrannt wurden. (2. Könige 23:10; 16:3; 17:17; 21:6; Jeremia 32:35; Hesekiel 16:20 21; 20:31; vergleiche Psalm 106:37 38). Viele maßgebende Gelehrte erklären, daß diesem scheuß- lichen Ungeheuer, schon lange vor der Zeit des Ahas Kinder geopfert wor- den seien. „Das opfern lebender Opfer war vielleicht der Höhepunkt des Greuels bei diesem Götzendienst. Es wird gesagt, daß Tophet, der Ort, wo es zu sehen war, seinen Namen von dem Schlagen der Trommeln be- kommen habe, die gerührt wurden, um das Schreien und Stöhnen derer, die lebendig verbrannt wurden, zu übertönen. Derselbe Ort wurde auch das Tal Hinnom genannt und die fürchterlichen mit ihm verbundenen Ge- danken führten dazu, daß Tophet und Gehenna (,Tal Hinnom') als Namen und Sinnbilder zukünftiger Qual angenommen wurden. Betreffs der oben- erwähnten und anderer Tatsachen siehe „Der Pentateuch" von Keil und Delitzsch, und Cassel's Bible Dictionary.

Nicht viel weniger fürchterlich waren die Gebräuche des absichtlichen Selbstmords unter dem Wagen des Götzen Dschagannath, und das Er- tränken der Kinder in dem heiligen Ganges, wie man es bei den Hindus findet. Nach den Schriften Burders (History of all Religions) wurde das schwere und scheußliche Götzenbild des Dschagannath an festlichen Tagen gewöhnlich auf einen beweglichen, auf Rädern ruhenden Turm aufgesetzt; so aufgestellt wiu-de es von begeisterten Verehrern durch die Straßen ge- zogen. Als sich der Wagen fortbewegte, warfen sich einige der eifrigsten Verehrer unter die Räder, daß sie zermalmt wurden ; und solche Taten wurden „mit dem Freudengeschrei der ^lenge, als die annehmbarsten Opfer, be- grüßt." Derselbe Verfasser beschreibt die Unsitte des Kinderopferns zur Anbetung des heiligen Flusses, wie es in Indien früher Gewohnheit war, wie folgt: „Die Menschen in einigen Teilen Indiens, besonders die Einwohner von Orissa und der östlichen Teile Bengalens, opfern öfters ihre Kinder der Göttin Gunga. Als Ursache für diesen Brauch wird angegeben: Wenn eine Frau lange Zeit verheiratet ist vmd keine Kinder hat, ist es für den Mann oder seine Frau, oder für alle beide üblich, der Göttin Gunga einen Eid abzulegen, daß wenn sie sie mit Kindern segnen werde, werden sie ihr das Erstgeborene opfern. Wenn sie nach diesem Eide Kinder haben, wird das älteste bis zum richtigen Alter, das je nach den Umständen drei, vier, oder mehr Jahre sein mag, erzogen. An einem besondern, für das Baden in irgend einem Teil des Flusses bestimmten Tag, nehmen sie dann das Kind mit sich

Art. 1.] Anmerkungen. 63

und opfern es der Göttin; das Kind wird angespornt weiter und weiter in das Wasser zu gehen, bis es von dem Strom mitgetrieben oder von seinen unmenschlichen Eltern abgestoßen wird." „History of all Religions." S. 745—746.

Die Gebräuche des Druidentums unter den alten Britanniern bieten ein anderes Beispiel dafür, wie die Religion entartet, wenn ihr die bevoll- mächtigte Führung und das Licht der Offenbarung fehlt. Die Druiden bekundeten eine Ehrfurcht vor der Eiche und vollzogen die meisten ihrer seltsamen religiösen Bräuche in heiligen Hainen. Das Darbringen mensch- licher Opfer bildete einen Bestandteil ihrer religiösen Verfassung. Von ihren Tempeln stehen einige heute noch, z. B. Stonehenge on Salisbury Plain, Wiltshire, und andere in Kent. Diese runden geschlossenen Räume, die gegen den Himmel offen waren, wurden Schicksalsringe genannt; etwa in der Mitte eines jeden stand ein Altar (dolmen), worauf die Opfer geopfert wurden. Bei besonderen Gelegenheiten gehörte zu den furchtbaren Zere- monien auch das Lebendigverbrennen vieler Menschen in großen Käfigen von Flechtwerk.

9. Der Immaterialist (einer, der nur an einen unkörperlichen, wesen- losen Gott glaubt D. Ü.) ist ein Gottesleugner. In der Welt gibt es zwei Arten von Gottesleugnern. Die eine verleugnet mit den bestimmtesten Worten das Dasein Gottes; die andere verleugnet sein Dasein in Zeit oder Raum. Eine spricht: „Es gibt keinen Gott"; die andere spricht: „Gott ist ebenso- wenig hier und da, als er jetzt und dann ist." Der Ungläubige spricht: „Gott ist nicht irgendwo." Der Immaterialist spricht: „Gott ist nirgend- wo." Der Ungläubige spricht: „Es gibt keinen solchen Urstoff wie Gott." Der Immaterialist spricht: „Es gibt wolil einen solchen Urstoff wie Gott, aber er ist ohne Teile." Der Gottesleugner sagt: „Es gibt keine sol- che Substanz wie Geist." Der Immaterialist sagt: „Ein Geist, obwohl er lebt und wirkt, nimmt keinen Platz ein und füllt keinen Raum nach der Art und Weise des Stoffes, nicht einmal so viel wie das allerklcinste Sandkörnchen. Der Gottleugner versucht nicht seine Ungläubigkeit zu verstecken; aber der Immaterialist, dessen erklärter Glaube mit jenem auf dasselbe hinauskommt, versucht seinen Unglauben unter dem faden- scheinigen Deckmantel einiger Worte zu verstecken. * * * Der Im- materialist ist ein religiöser Gottleugner. Er unterscheidet sich von den anderen Klassen der Gottleugner nur dadurch, daß er ein unteilbares, un- ausgedehntes Nichts mit den Kräften eines Gottes bekleidet. Die eine Klasse glaubt an keinen Gott ; die andere glaubt nifhts sei Gott, und betet es als solchen an." Orson Pratt, in einer Flugschrift, „Absurdities of Immaterialism," S.U.

10. Der Atheismus ein verbännnisvoUer Glaube. „Während der Schreckensherrschaft wurden die Franzosen von der Nationalversammlung für eine gottesleugnerische Nation erklärt; aber eine kurze Erfahrung überzeugte sie, daß eine Nation von Gottesleugnern nicht lange bestehen kann. Darauf verkündigte Robespierre im Konvent, ,daß der Glaube an das Dasein Gottes notwendig sei für die Grundsätze der Tugend und Sitt- lichkeit, auf denen die Republik gegründet war', und am 7. März erklärten die Volksvertreter, die sich kurz zuvor vor der Göttin der Vernunft verbeugt hatten, einstimmig, daß das französische Volk das Dasein des Allerhöchsten und die Unsterblichkeit der Seele anerkennt." „Historical Lights", S, 280—281 , angeführt von Rev. Charles E. Zittle.

€4 Die Glaubensartikel. [Vorl. II.

11. Die üreihril (Trinität). ,Mornionismus' erklärt seinen unein- geschränkten Glauben an die Gottheit, als die den Vater, den Sohn und den Heiligen Geist einschlieUendc heilige Dreiheit; auch daß jeder dieser drei eine getrennti- iii;d einzflne Person ist, und daß der Vater, wie auch der Sohn, Pine Person aus Geist mit einem unsterblichen Körper, und der Heilige Geist eine Person aus Geist ist. Die Einheit der Gottheit wird in der buch- stäblichen Fülle der biblischen Erklärung angenommen, daß nämlich die drei in Absicht. Plan und Vorgehen einig, in all ihren hehren Eigenschaften gleich, in ihrer heiligen Allwissenheit und Allmacht eins, jedoch in ihrer Persönlichkeit so getrennt und verschieden sind, wie irgend drei Bewohner der P>de. , Mormonismus' behauptet, daß die, die Einheit der Trinität er- klärenden Schrittstellen diese Auffassung erlauben: ja, daß dies in der Tat die natürliche Auslegung ist und daß dieser Begriff in Einklang mit der Vernunft steht." Deutsche Ausgabe von: „Philosophie in Mormonis- mus (vom Verlasser)". S. 4.

Art. 2.] Die Übertretung. 65

Vorlesung III.

Die Übertretung und der Fall Adams.

Artikel 2. Wir glauben, daß alle Menschen für ihre eigenen Sünden gestraft werden und nicht für Adams Übertretung.

Übertretung und ihre Folgen.

1. Der freie Wille des Mensehen. Die Kirche hält dafür und lehrt als eine ausdrückliche Lehre der Schrift, daß der Mensch unter den unveräußerlichen, von seinem göttlichen Vater auf ihn gesiegelten Vorrechten, voll- ständige Freiheit bekommen habe, das Gute oder das Böse im Leben zu wählen, ganz wie er will. Dieses Vorrecht kann nicht mit größerer Sorgfalt geachtet werden, als es Gott selbst achtet. In seinem ganzen Umgang mit den Menschen hat er das sterbliche Geschöpf immer frei wählen und handeln lassen, ohne auch nur den Schein des Zwanges oder der Hinderung, abgesehen von den Ein- flüssen des väterlichen Rats und der liebendenAnweisung.^) Zwar hat er Gebote gegeben und Gesetze aufgestellt, mit denen Verheißungen von Segnungen für den Fall des Ge- horsams, und von schrecklichen Strafen für den Fall der Übertretung verbunden sind ; aber in ihrer Wahl sind die Kinder Gottes ungehindert. In dieser Beziehung ist der Mensch nur insofern weniger frei als die Engel oder die Götter, als er sich selbst mit den Banden der Sünden ge- fesselt und seine Willenskraft und die Macht seiner Seele verloren hat. Der Mensch hat ebensoviel Freiheit, die

') Siehe Anmerkung 1.

Die Glaubensartikel.

[Vorl. III.

Gesetze der Gesundheit, die Forderungen der Natur und die Gebote Gottes, sowohl in zeitlichen als auch in geistigen Dingen, zu übertreten, als ihnen gegenüber Gehorsam zu leisten. In dem einen Fall bringt er die sicheren Strafen auf sich, die zu dem gebrochenen Gesetz gehören ; in dem anderen erlangt er die besonderen Segnungen und die vergrößerte Freiheit, die einen gesetzbeobachtenden Le- benswandel begleiten. Gehorsam zu dem Gesetz ist die Gewohnheit des freien Menschen; nur der Übertreter fürchtet sich vor dem Gesetz, denn er bringt nicht des Gesetzes wegen, das ihn in seiner Freiheit geschützt hätte, sondern wegen seiner Verwerfung des Gesetzes Verlust und Unfreiheit auf sich selbst.

2. Die vorherrschende Eigenschaft der Gerechtigkeit, die als ein Teil des göttlichen Wesens anerkannt wird, ver- bietet den Gedanken, daß dem Menschen Belohnung seiner Rechtschaffenheit und Bestrafung seiner bösen Taten verheißen oder angedroht werden sollte, wenn er nicht die Kraft freier Handlungsweise besäße. Es ist ebensowenig ein Teil des Planes Gottes, die Menschen zu Werken der Rechtschaffenheit zu zwingen, als es seine Absicht ist, es den bösen Mächten zuzulassen, seine Kin- der zum sündigen zu nötigen. In den Tagen Edens wur- den dem ersten Menschen Gebote und Gesetze gegeben ^) mit einer Erklärung der Strafe, die einer Übertretung des Gesetzes folgen würde. Gerechterweise hätte ihm kein Gesetz gegeben werden können, wäre er nicht frei gewesen, nach seinem eigenen Willen zu handeln. ,, Den- noch magst du für dich selbst wählen, denn es ist dir ge- geben; aber bedenke, daß ich es verbiete, "2) sprach Gott der Herr zu Adam. Hinsichtlich seines Umganges mit

1) I.Mose 2:17; Köstl. Perle, Moses 2:27- ») KösU. Perle, Moses 3:17.

Art. 2.] Die Übertretung. 67

dem ersten Patriarchen des Menschengeschlechtes, hat Gott in diesen Tagen erklärt: „Sehet, ich machte, daß er seinen freien Willen haben sollte. "i)

3. Als die Brüder Kain und Abel dem Herrn ihre Opfer darbrachten, wurde der ältere zornig, weil sein Opfer verworfen wurde. Der Herr rechtete dann mit Kain und versuchte, ihm zu lehren, daß er die Folgen seiner Taten, ob gut oder böse, wie er wählen würde, tragen müsse: ,,Wenn du fromm bist, so bist du angenehm; bist du aber nicht fromm, so ruhet die Sünde vor der Tür. "2)

4. Eine Erkenntnis von Gut und Böse ist zum Fort- schritt, den Gott seinen Kindern ermöglicht hat, notwen- dig. Diese Erkenntnis kann tatsächlich am besten erlangt werden durch Erfahrung mit den Gegensätzen des Guten und des Bösen vor Augen; deshalb ist der Mensch unter den Einfluß von guten und bösen Mächten, mit einer Er- kenntnis der Zustände, die ihn umgeben, und mit dem vom Himmel gegebenen Vorrecht für sich selbst zu wählen, auf die Erde gestellt worden. Die Worte des Pro- pheten Lehi über diesen Punkt sind besonders deutlich: ,, Daher gab Gott, der Herr, den Menschen die Macht, für sich selbst zu handeln; aber das wäre unmöglich, es sei denn, daß sie von dem einen oder dem andern angezogen werden.*** Daher sind die Menschen frei nach dem Fleisch, und alle Dinge, welche den Menschen nützlich sind, sind ihnen gegeben. Und es ist ihnen frei gestellt, Freiheit und ewiges Leben durch die große Vermittlung für alle Men- schen zu wählen, oder Gefangenschaft und Tod, nach der Gefangenschaft und Macht des Teufels; denn er trachtet danach, daß alle Menschen elend werden, wie er selbst ist."3)

') Lehre u. Bündn. 29:35. ') 1. Mose 4:7.

') 2. Nephi 2:16, 27; 10:23; siehe auch Alma 3:26; 12:31; 29:4, 5; Helainan 14:30.

68

Die Glaubensartikel.

[Vorl. III.

5. Als Alma, ein andrer nephitischer Prophet, von den Verstorbenen sprach, sagte er, sie wären dahin ge- gangen, ,,um ihren Lohn nach ihren Werken zu empfangen, gleichviel ob sie gut oder böse gewesen waren, und ewige Glückseligkeit oder ewiges Elend zu ernten, nach dem Geiste, welchem zu gehorchen es ihnen lüstete, gleichviel ob gut oder böse. Denn jeder Mensch empfängt seinen Lohn von dem, dem er gehorcht; und dies nach den Wor- ten des Geistes der Weissagung."^)

6. Samuel, der bekehrte Lamanite, auf den der Geist der Propheten gefallen war, ermahnte in folgender Weise seine widerspenstigen Brüder: ,,Nun bedenket, bedenket meine Brüder, daß die, welche umkommen, durch sich selbst umkommen, und die, welche Sünde tun, gegen sich selbst sündigen. Denn sehet, ihr seid frei; ihr dürft frei handeln nach eurem Gefallen, denn Gott hat euch die Erkenntnis gegeben und hat euch frei gemacht; er hat euch befähigt, das Gute vom Bösen zu unterscheiden; er hat euch gestattet, Leben oder Tod zu wählen. "2)

7. Als die Vorschläge für die Erschaffung und Be- völkerung der Erde im Himmel besprochen wurden, trach- tete Satan darnach, den freien Willen des Menschen zu zerstören, indem er die Macht anstrebte, die Menschheit zu zwingen, seinen Willen zu tun. Er versprach dem Vater, durch ein solches Mittel die ganze Menschheit zu er- lösen, sodaß nicht einer verloren gehen sollte.^) Dieser Vorschlag wurde verworfen, und die ursprüngliche Absicht des Vaters überzeugende Einflüsse heilsamer Lehre mit opferndem Beispiel auf die Bewohner der Erde anzu- wenden, und sie dann frei wählen zu lassen wurde an-

1) Alma 3:26—27.

') Helaman 14:30 31.

') Köstl. Perle. Moses 4:1; siehe auch Abraham 3:27-

Art. 2.] ' Die Übertretung. 69

genommen, wobei der eingeborene Sohn als das Haupt- werkzeug für die Ausführung dieses Planes erwählt wurde.

8. Des Mensehen Verantwortlichkeit für seine eigenen Taten ist eben so vollkommen wie seine Freiheit, für sich selbst zu wählen. Die natürliche Folge guter Taten ist die Glückseligkeit; die Folge der bösen ist das Elend; nach unverbrüchlichen Gesetzen folgen diese in dem Leben jedes Menschen. Es gibt einen von Gott vorherbestimm- ten Plan des Gerichts,^) nach dem jeder Mensch, nicht allein für seine Taten sondern auch für seine Worte und die Gedanken seines Herzens, Rechenschaft ablegen muß. „Ich sage euch aber, daß die Menschen müssen Rechen- schaft geben am Jüngsten Gericht von einem jeglichen unnützen Wort, das sie geredet haben. "2) Dieses sind die Worte des Erlösers selbst. „Und denke keiner Arges in seinem Herzen wider seinen Nächsten, und liebt nicht falscheEide ! denn solches alles hasse ich, spricht derHerr."^) Es wurde Johannes dem Offenbarer erlaubt, einige der mit dem Jüngsten Gericht verbundenen Vorgänge im Gesicht kennen zu lernen. Er sagt: ,,Und ich sah die To- ten, beide, groß und klein, stehen vor Gott, und Bücher wurden aufgetan. Und ein ander Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken. Und das Meer gab die Toten, die darinnen waren, und der Tod und die Hölle gaben die Toten, die darinnen waren; und sie wurden gerichtet, ein jeglicher nach seinen Werken."*)

9. Das Gericht Gottes folgt nicht immer den Taten der Menschen auf dem Fuße nach. Gute Taten werden

») Matthäus 10: 15; 11:22; 2. Petrus 2:9; 3:7; 1. Johannes 4:17.

») Matthäus 12:36.

») Sacharja 8:17.

•) Offenbarung Joh. 20:12— 13.

70 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.

vielleicht nicht sofort belohnt werden, und das Böse wird selten auf der Stelle bestraft; dieses stimmt überein mit der göttlichen Weisheit. Wäre es anders eingerichtet, so würde die Probe des persönlichen Wesens und die Prüfung des menschlichen Glaubens, wozu diese Probezeit der Sterblichkeit hauptsächlich eingesetzt worden ist, be- deutend geringer sein. Die Gewißheit unmittelbarer Freude oder unmittelbaren Leids würde die menschlichen Taten beinahe allgemein dahingehend bestimmen, daß das eine erlangt und das andere vermieden werde. Des- halb wird das Gericht verschoben, damit jeder seine Natur im vollsten Maße beweisen kann; der gute Mensch nimmt an Rechtschaffenheit zu, und der Übeltäter hat vor dem großen und schrecklichen Tag Gelegenheit zur Buße und Wiedergutmachung. In einzelnen Fällen ist ein sofortiges Gericht zeitlicher Natur ausgeübt worden; die äußerlichen Folgen weltlicher Segnungen für gute Taten, ^) und Unheil für böse,^) folgten hier unmittelbar den Handlungen. Ob eine derartige Vergeltung den An- sprüchen der Gerechtigkeit ganz und gar Genüge leistet, oder ob noch ein weiteres Gericht nach dieser Welt statt- finden wird, macht nichts aus. Solche Handlungen sind aber in der göttlichen Handhabung eine Ausnahme.

10. Es ist das Vorrecht Jesu Christi^) die Menschen- kinder zu richten, und er wird es so tun, daß seinen eigenen Absichten, die auch die Absichten seines Vaters sind, am besten gedient wird. Johannes berichtet die Worte Christi : „Denn der Vater richtet niemand; sondern alles Gericht hat er dem Sohn gegeben, auf daß sie alle den Sohn ehren,

') Hiob 42:10—17.

') 4. Mose 12:1—2; 10—15; 15:32—36; 16; 21:4—6; I.Samuel 6:19; 2. Sam. 6:6— 7; Apostelgeschichte 5:1—11.

=) Johamies 5:22 27; Apostelgesch. 10:42; 17:31; Römer 2:16; 2. Korinther 5:10; 2. Timotheus 4:1, 8; Lehre u. Bündn. 133:2.

Art. 2.] Die Übertretung. 71

wie sie den Vater ehren. "^) Und als Petrus das Evange- lium dem aufrichtigen Heiden Kornelius auslegte, erklärte er betreffs Jesu Christi, ,,daß er ist verordnet von Gott zum Richter der Lebendigen und der Toten. "2) Über das furchtbare Schicksal der auf den jüngsten Tag zurück- behaltenen Bösen, haben viele Propheten Zeugnis gege- ben.3) Der vorstehende Richter dieses ehrwürdigen Ge- richtshofes hat selbst eine so lebendige und genaue Schil- derung*) gegeben, daß auch nicht der geringste Zweifel bestehen kann, daß jede lebende Seele aufgefordert wer- den wird, den Bericht anzuerkennen und die Folgen seiner Handlungen anzunehmen. Die Worte des Herrn und seiner Propheten sagen unzweifelhaft, daß es bei Gott kein Ansehen der Person gibt,^) und daß ihm irgendeine der Gerechtigkeit fremde Art von Gnade unbekannt ist. Vor diesem Gericht brauchen sich nur die unbußfertigen Bösen zu fürchten; den Rechtschaffenen ist es eine Zeit des Frohlockens. ^)

11. Sünde. Was ist das Wesen der Sünde? Auf diese Frage erwidert der Apostel Johannes: ,,Wer Sünde tut, der tut auch Unrecht, und die Sünde ist das Un- recht."') In der ursprünglichen Sprache der biblischen Urkunden kommen viele Wörter vor, von denen alle den gleichen Gedanken des Widerstands gegenüber dem gött- lichen Willen ausdrücken,^) und für welchen unser einziges Wort Sünde angewandt wird. Da Gott die Verkörperung der Reinheit und Vollkommenheit ist, ist solcher Wider-

') Johannes 5 : 22. ä) Apostelgesch. 10:42.

=) Daniel 7:9; 1. Thessalonicher 1:7 8; 3. Nephi 26:3 5;Lelire u. Bündn. 76:31—49, 103—106.

*) Matthäus 25:31 46; L. u. B. 1:9—12.

') Apostelgesch. 10:34 35; Römer2:ll;Epheser6:9; Kolosser 3:25.

«) 2. Tiraotheus 4:8.

') 1. Johannes 3:4.

') Siehe Anmerkung 2.

72 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.

stand eine Empörung gegen die Grundsätze des Fort- schritts, und ein Annehmen von Gewohnheiten, die zur Erniedrigung führen. Sünde ist irgend ein Zustand, ob in der Unterlassung der geforderten Dinge oder in der Begehung verbotener Taten, der dazu beiträgt die Ent- wicklung der menschlichen Seele zu vereiteln oder hint- anzuhalten. Wie ein rechtschaffener Weg zum Leben führt, so strebt die Sünde nach der Finsternis des zweiten Todes hin. Die Sünde wurde durch den Erzfeind Satan in die Welt eingeführt,^) dennoch geschieht es mit gött- licher Erlaubnis, dai3 der Mensch mit der Sünde in Be- rührung gebracht wird, wodurch er den Gegensatz zwi- schen Gut und Böse kennen lernt,

12. Der sprachlichen Erklärung nach besteht die Sünde in der Übertretung des Gesetzes, und in diesem engen Sinn kann Sünde unabsichtlich oder in Unwissen- heit begangen werden. Jedoch ist es aus der bibli- schen Lehre von der menschlichen Verantwortlichkeit und der unfehlbaren Gerechtigkeit Gottes klar, daß der Mensch in seinen Übertretungen, wie auch in seinen rechtschaffenen Taten nach seiner Fähigkeit, das Gesetz zu begreifen, gerichtet werden wird. Auf den, der mit einem höheren Gesetz nie bekannt geworden ist, sind die Forderungen des Gesetzes in ihrer Fülle nicht anwendbar. Für die in Unkenntnis begangenen Sünden, das heißt, für Gesetze, die in Unwissenheit übertreten worden sind, ist eine Versöhnung im Sühnopfer, das durch das Opfern des Erlösers zustande gebracht wurde, bereitet worden. Sünder dieser Art werden nicht verdammt.

13. Als Nephi den Ureinwohnern der westlichen Halbkugel prophezeite, lehrte er sie diese Lehre: „Wo kein Gesetz gegeben worden ist, da ist keine Strafe; und wo

') Köstl. Perle, Moses 4:4; 1. Mose 3.

Art. 2.] Die Übertretung. 73

keine Strafe ist, da ist keine Verdammung; und wo keine Verdammung ist, da hat die Barmherzigkeit des Heiligen von Israel des Sühnopfers wegen, Anspruch auf sie. Und sie werden durch seine Macht befreit; denn das Sühnopfer ist hinreichend für die Forderungen seiner Gerechtigkeit, für alle, die kein Gesetz empfangen haben, daher sind sie von dem schrecklichen Ungeheuer, dem Tode, der Hölle, dem Teufel und dem Schwefel- und Feuerpfuhl, welches endlose Qualen sind, befreit, und sie sind dem Gott wieder- gegeben, welcher der Heilige von Israel ist, der ihnen den Atem gegeben hat."^) Im Gegensatz zu dem Schicksal der in dieser Weise freigesprochenen Sünder, fügt der Prophet dann hinzu: ,,Aber wehe dem, der das Gesetz hat, der alle Gebote Gottes empfangen hat gleich wie wir, und diesel- ben übertritt, und die Tage seiner Prüfungszeit verschwen- det, denn sein Zustand ist schrecklich. "2) pies steht in strenger Übereinstimmung mit dem, was Paulus an die Römer schreibt: „Welche ohne Gesetz gesündigt haben, die werden auch ohne Gesetz verloren werden ; und welche unter dem Gesetz gesündiget haben, die werden durchs Gesetz verurteilt werden."^) Auch die neuzeitlichen heili- gen Schriften sprechen sich in diesem Sinne aus. Der heutigen Kirche wurde durch Offenbarung gesagt, daß zu denen, die der Segnung der Erlösung teilhaftig werden sollen, auch jene gehören ,,die ohne Gesetz gestorben sind."*) Zu diesen werden die heidnischen Völker gehören, deren Erlösung verheißen wurde mit dem Versprechen, daß „die so kein Gesetz gekannt haben, werden an der ersten Auferstehung teilhaben. "5)

') 2. Nephi 9:25—26.

') 2. Nephi 9:27.

') Rom. 2:12.

») Lehreu.Bündn. 76:72.

') L.u.B. 45:54.

74 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.

14. Strafe für Sünde. Wie die Belohnung für recht- schaffene Taten diesen verdienstvollen Handlungen ent- sprechend ist, so ist auch die vorgeschriebene Strafe dem begangenen Unrecht angemessen. i) Die Strafe wird dem Sünder auferlegt zu erzieherischen und bessernden Zwecken, und zur Unterstützung der Gerechtigkeit. Gott ist weder rachsüchtig, noch begierig, Leiden hervorzurufen; im Ge- genteil, unser Vater kennt jede Pein und läßt solche nur zu segnenden Zwecken anwenden. Die Barmherzigkeit Gottes äußert sich sowohl in der vergeltenden Strafe, die er erlaubt, als auch in den Segnungen des Friedens, die aus seiner Hand kommen. Es lohnt sich kaum, über das ge- naue Wesen des geistigen Leidens als Strafe für Sünde zu grübeln. Ein Vergleich mit körperlichem Schmerz^) wie z. B. mit Feuersqualen in einem Schwefelpfuhl soll nur zeigen, daß der menschliche Sinn nicht imstande ist, die Schwere dieser fürchterlichen Strafen zu begreifen. Die Leiden, die dem furchtbaren Los der Verdammung folgen, sind mehr zu fürchten als irgendwelche rein körperliche Qual; die Sinne, der Geist, die ganze Seele ist verurteilt zu leiden, und die Größe der Qual weiß kein Mensch.

15. Betrachten wir das Wort des Herrn betreffs derer, deren Sünde unverzeihhch ist, deren Übertretung sie über den gegenwärtigen Horizont einer möglichen Versöhnung hinaus getragen hat; also derer, die in ihrer Bosheit so tief gesunken sind, daß sie die Kraft und sogar den Wunsch verloren haben, eine Besserung zu versuchen.-^) ,, Söhne des Verderbens" ist die furchtbare Bezeichnung, unter der sie bekannt sind. Diese sind es, die die Kraft Gottes, nach- dem sie sie kennen gelernt haben, verleugnen; die, die ab-

') Lehre u. Bündn. 76:82—85; 82:21; 104:9; 63:17; 2. Nephi 1:13; »:27; 28:23.

=) L.u.B. 76:36,44; Jakob6:10; Alma 12:16— 17; 3. Nephi 27: 11, 12. =) Siehe L. u. B. 76:26, 32, 43.

Art. 2] Die Übertretung. 75

sichtlich und im Licht der Erkenntnis sündigen; die, die ihr Herz dem Heihgen Geist öffnen, und dann durch dessen Verleugnung den Herrn zu Spott und zur Schande hin- stellen ; die einen Mord begehen, wordurcli sie unschuldiges Blut vergießen;^) diese sind es, von denen der Heiland er- klärte, es wäre besser für sie, daß sie nie geboren wären.-) Diese sollen teilnehmen an der Strafe des Teufels und seiner Engel eine Strafe, so furchtbar, daß, obwohl einigen ein vorübergehender Anblick dieses schrecklichen Bildes gewährt wird,^) diese Kenntnis doch allen vorenthalten wird, außer denen, die diesem schrecklichen Schicksal übergeben werden. Diese Sünder sind die einzigen, über die der zweite Tod Macht hat, ,,ja, wahrlich die einzigen, welche in der eigens von Gott bestimmten Zeit nach der Erduldung seines Grimms nicht erlöst werden sollen."*) 16. Die Dauer der Strafe. Über die Dauer solcher Strafe können wir versichert sein, daß sie der Sünde ge- mäß abgestuft sein wird ; und daß die allgemeine Auslegung biblischer Stellen, wonach jede Strafe für Missetaten un- endlich wäre, ganz falsch ist.^) Groß wie die Wirkung dieses Lebens auf das kommende, und furchtbar wie die Verant- wortung für versäumte Gelegenheiten zur Buße ist, so hält Gott dennoch die Macht in Händen, noch im Jenseits zu vergeben. Und doch spricht die Schrift von ewiger und endloser Strafe. Irgendeine von Gott verordnete Strafe ist ewig, denn er ist ewig,®) Seine Strafordnung ist eine solche der endlosen Strafe, denn sie wird immer als ein für ungehorsame Geister bereiteter Ort oder Zustand be- stehen; doch die Strafe wird in jedem Falle der bereit-

») Lehre u. Bündn. 132:27

') Johannes 17:12; 2. Thessalonicher 2:3; L. u. B. 76:32.

») L.U.B. 76:45— 48.

«) L.u.B. 76:38, 39.

') L. u. B. 19:6— 12; 76:36, 44.

•) L.u.B. 19:10 12.

76 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.

willigen Buße und versuchten Genugtuung ein Ende haben. Und Buße ist in der Geisterwelt nicht unmöglich.^) Doch gibt es, wie schon erwähnt, einige Sünden die so furchtbar sind, daß die sie begleitenden Strafen den Menschen nicht bekannt gemacht sind;^) diese größten Strafen sind für die „Söhne des Verderbens" vorbehalten.

17. Die falsche Lehre, daß die Strafe, mit der die irrenden Seelen heimgesucht werden sollen, und daß jede Verdammung der Sünde wegen von unendlicher Dauer sei, ist eine der verderblichsten Folgen der unerleuchteten Sektiererei. Wer Barmherzigkeit liebt und Gerechtigkeit ehrt, erkennt sie sogleich als einen unbiblischen, unver- nünftigen und abstoßenden Lehrsatz unbefugter und ir- render Kirchen. Zwar steht in der Schrift, als Kennzei- chen des für die Bösen bereiteten Gerichts, von ewigem Brennen, ewiger Verdammung und der Rache des ewigen Feuers ;3) aber in keinem Fall ist die Folgerung, daß der Sünder den Zorn der verletzten Gerechtigkeit für immer und ewig leiden müsse, gerechtfertigt. In einem jeden Falle ist die Strafe, auch ohne diesen hinzugefügten höch- sten Schrecken von der unendlichen Fortdauer, genügend schwer. Der Gerechtigkeit muß Genüge getan werden, aber wenn „der letzte Heller" bezahlt ist, werden die Ge- fängnistüren geöffnet, und der Gefangene wird frei gelassen werden. Aber das Gefängnis bleibt, und das Gesetz, das die Strafe für Missetaten festsetzt, wird nicht aufgehoben werden.

18. So vorherrschend waren die üblen Folgen der trotz ihrer Unwahrheit und trotz ihres Widerspruches mit der Schrift allgemein angenommenen Lehre von der end-

•) 1. Petrus 3:18—20; 4:6; Lehre u. Bündn. 76:73. ') L. u. B. 76:44.

») Matthäus 18:8; 25:41, 46; 2. Thessalonicher 1:9; Markus 3:29; Judas 7.

Art. 2.1 Die Übertretung. 77

losen, für alle Sünder bestimmten Qual, daß ehe noch die Kirche in der gegenwärtigen Dispensation formell orga- nisiert wurde, Gott durch den Propheten Joseph Smith über diese Sache eine Offenbarung gab, in welcher wir le- sen: „Und sicherlich muß jeder Mensch Buße tun oder leiden, denn ich, Gott, bin endlos. Deshalb nehme ich das Urteil nicht zurück, welches ich fällen werde, sondern Elend, Weinen, Wehklagen und Zähneklappen sollen kommen, ja, für die, die zu meiner Linken sind. Dennoch ist es nicht geschrieben, daß jene Qual kein Ende haben sollte, sondern es ist geschrieben endlose Qual. Wiede- rum ist geschrieben ewige Verdammung* * * ; denn ich bin endlos, und die Strafe, die ich erteile, ist endlose Strafe, denn Endlos ist mein Name; deshalb ewige Strafe ist Gottes Strafe; endlose Strafe ist Gottes Strafe. "i)

19. Satan. Wir mußten schon wiederholt den Ur- heber des Bösen unter den Menschen erwähnen. Dieser ist Satan,2) der Widersacher oder Gegner des Herrn, das Haupt aller bösen Geister, auch Teufel^), Beelzebub^) oder der Teufel Obersten, Verderben,^) und Belial«) ge- nannt. Wird über den Fall gesprochen, so werden die sinnbildlichen Bezeichnungen Drache und Schlange'') auf Satan angewendet. Aus dem geoffenbarten Wort^) erfahren wir, daß Satan einmal ein Engel des Lichtes und damals als Luzifer, ein Sohn des Morgens, bekannt war. Aber sein zügelloser Ehrgeiz trieb ihn an, nach der Erlangung der Herrlichkeit und der Macht des Vaters zu trachten, wes- halb er den ungerechten Antrag stellte, die ganze Mensch-

') Offenbarung, gegeben im März 1830; Lehre u. Bündn.

•) Hiob 1:6—22; 2:1—7; Sacharja 3:1—2.

») Matthäus 4:5, 8, 11; 1. Petrus 5:8.

') Matthäus 12:24.

') L.u.B. 76:26.

•) 2. Korinther 6:15.

') Offenbarung Joh. 12:9; 20:2.

•) L.U.B. 76:25— 27.

78 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.

heit durch Zwang zu erlösen. Da dieser Vorschlag nicht angenommen wurde, führte Satan eine Empörung gegen den Vater und den Sohn herbei und zog ein Drittel der Scharen des Himmels in seinen gottlosen Bund.^) Diese empörerischen Geister wurden von dem Himmel ausge- stoßen, und seitdem haben sie, den Trieben ihrer bösen Naturen folgend, versucht, die menschlichen Seelen in ihren eigenen Zustand der Finsternis hineinzuziehen. Diese sind der Teufel und seine Engel. Das Vorrecht des freien Willens, aufrecht erhalten und gerechtfertigt durch den furchtbaren Streit im Himmel, verhütet die Möglich- keit der Anwendung des Zwanges in diesem teuflischen Werk; aber die Kräfte dieser bösen Geister werden bei der Versuchung und Überredung der Menschen bis zur äußer- sten Grenze angewendet. Satan versuchte Eva, das Gesetz Gottes zu übertreten ;2) er war es, der das Geheimnis des Mordes dem Brudermörder Kain mitteilte. 3)

20. Über die Geister, die durch seine Machenschaften verderbt worden sind, übt Satan seine Herrschaft aus. Er ist der erste unter den hinausgeworfenen Engeln und der Urheber des Verderbens derer, die in diesem Leben der Sünde anheimfallen; er sucht durch die Versuchung zur Sünde, die Menschheit in ihren guten Werken zu belästi- gen und zu hindern; es kann dies auch durch Aufbürdung einer Krankheit,*) ja selbst des Todes geschehen. Doch in all diesem bösen Tun kann er nicht weiter gehen als die Übertretungen des Betreffenden ihn gewähren lassen oder die Weisheit Gottes es ihm erlaubt; und zu irgend einer Zeit kann ihm von der höheren Macht Einhalt geboten

>) Lehre u. Bündn. 29:36 37; siehe auch Köstl. Perle Moses 4:3 7; Abraham 3:27 28.

') 1. Mose 3:4—5; und Köstl. Perle, Moses 4:6—11. ') Köstl. Perle, Moses 5:29—33. *) Lukas 13:16; Hiob 1.

Art. 2.] Der Fall Adams. 79

werden. Ja es mögen sogar die Maßnahmen seiner äußer- sten Bosheit der Vollbringung göttlicher Absichten dienst- bar gemacht werden. Die Schriften beweisen uns, daß die Tage der Macht Satans schon gezählt sind^); sein Schicksal ist schon beschlossen, und in der eigens vom Herrn bestimmten Zeit soll er gänzlich überwältigt werden. Während des Tausendjährigen Reiches soll er gebunden, und nach diesen tausend Jahren des gesegneten Friedens, eine kleine Zeit losgelassen werden; dann soll er völlig besiegt und seine Macht über die Kinder Gottes gänzlich zerstört werden.

Der Fall Adams.

21. Unsere ersten Eltern in Eden. ^) Die krönende Tat in dem großen Drama der Schöpfung war die Erschaf- fung des Menschen in dem Ebenbild Gottes, seines geistigen Vaters. 3) Zur Aufnahme des ersten Menschen hatte der Schöpfer eine auserlesene Gegend besonders hergerichtet und mit natürlichen Schönheiten, die das Herz des fürst- lichen Besitzers zu erfreuen bestimmt waren, geschmückt. „Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden^) gegen Morgen und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. "5) Bald nach der Ankunft des Menschen auf Erden erklärte der Herr, es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei^), und schuf ihm eine Gefährtin oder Gehilfin. So wurden Mann und Frau, Adam und seine Gattin Eva, in den Garten gestellt. Ihnen wurde die Herrschaft ,,über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel

») Johannes 12:31; 16:11. ') Offenbarung Joh. 20:1— 10.

ä) Lies 1. Mose, Kapitel 2 und 3; Köstl. Perle, Moses 3 u. 4; Abraham 5:7—21.

«) 1. Mose 1:26; Köstl. Perle, Moses 2:27. ') Siehe Anmerkung 3. •) 1. Mose 2:18, 19.

80 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.

und Über alles Getier, das auf Erden kriecht" gegeben.^) Mit dieser großen Macht waren gewisse besondere Gebote verbunden, von welchen hinsichtlich der Wichtigkeit ,,seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch Untertan"^) das erste war; das zweite, daß sie sich des Essens, oder sogar der Berührung von einem gewissen, mitten im Garten wachsenden Baume, dem Bau- me der Erkenntnis des Guten und Bösen, enthalten sollten, wogegen sie von allen andern Früchten reichlich genießen durften. Die Worte Gottes betreffs dieses Gebotes und der Straf e lauten : ,, Und ich, Gott der Herr, gebot dem Menschen und sagte: Von allen Bäumen des Gartens darfst du reich- lich essen. Aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen, dennoch magst du für dich selbst wählen, denn es ist dir gegeben; aber bedenke, daß ich es verbiete, denn des Tages, da du davon issest, sollst du sicher sterben. "3)

22. Die Versuchung, dieses Gebot zu übertreten, kam bald. Satan stellte sich Eva in dem Garten vor und Gefragte sie, durch den Mund der Schlange sprechend, über die ihnen von Gott gegebenen Gebote betreffs des Baumes der Erkenntnis des Guten und des Bösen. Eva ant- wortete, ihnen sei bei Todesstrafe verboten worden, die Frucht des Baumes auch nur anzurühren. Satan suchte dann das Weib zu betrügen, widersprach dem Wort des Herrn und behauptete, daß der Übertretung der göttlichen Einschärfung nicht der Tod folgen würde, sondern daß im Gegenteil, wenn sie das täten, was der Herr verboten hat, sie und ihr Gemahl wie die Götter werden und wissen würden was gut und was bös ist. Das Weib wurde durch diese Vorspiegelung bezaubert; und da es sie gelüstete.

') 1. Mose 2:18; Köstl. Perle, Moses 3:18, 21—24.

») I.Mose 1:28; Köstl. Perle, Moses 2:28; Abraham 4:28.

>) Köstl. Perle, Moses 3:16 17; siehe auch I.Mose 2:16 11

Art. 2.] Der Fall Adams. 81

die von Satan geschilderten Vorteile zu erlangen, übertrat sie das Gebot des Herrn und von der verbotenen Frucht. Sie fürchtete sich vor dem Bösen nicht, denn es war ihr unbekannt. Dann sagte sie Adam, was sie getan hatte, und redete ihm zu, dasselbe zu tun.

23. Adam befand sich jetzt in einer Lage, in der er gezwungen war, einer der Forderungen Gottes ungehor- sam zu sein. Ihm und seiner Frau war es befohlen worden, sich zu vermehren und die Erde zu füllen. Adam war noch unsterbhch; die Strafe der Sterblichkeit war über Eva gekommen, und in so ungleichem Zustande durften die beiden nicht zusammen bleiben und hätten daher auch nicht die göttliche Forderung erfüllen können. Anderseits, gibt Adam der Forderung seiner Gattin nach, so müßte er ein anderes Gebot übertreten. Mit Überlegung und Weis- heit entschloß er sich, das erste und größere Gebot zu halten ; und deshalb genoß auch er von der am Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen wachsenden Frucht und zwar mit vollem Verständnis für das Wesen seiner Tat. Die Tatsache, daß Adam in dieser Sache einsichtsvoll und mit Überlegung gehandelt hat, wird durch die Schrift bestätigt. In seinem Brief an Timotheus erklärt Paulus: „Adam ward nicht verführt; das Weib aber ward verführt und hat die Übertretung eingeführt."^) Als der Prophet Lehi seinen Söhnen die Schrift auslegte, erklärte er: ,,Adam fiel, damit Menschen würden, und Menschen sind da, daß sie sich erfreuen. "2)

24. Der Baum des Lebens. In Eden gab es noch ei- nen Baum von besondern Kräften; seine Frucht sicherte Leben allen, die davon äßen. Während Adam und Eva in unschuldiger Unsterblichkeit lebten, war ihnen dieser

») 1. Timotheus 2: 14 «) 2. Nephi 2:25.

82 Die Glaubensartikel. (Vorl. III.

Baum nicht verboten, denn die himmlische Frucht war ihnen in ihrem sündlosen Zustand geeignete Speise. Jetzt aber, nachdem sie übertreten hatten, jetzt da der göttliche Ratschluß, der den Tod als ihr Los bestimmte, in Kraft getreten war, war es nicht mehr angebracht, daß ihnen die Frucht des Baumes des Lebens länger erreichbar sein sollte. Sie wurden deshalb aus dem Garten getrieben, und damit nicht der Mensch in einem schuldbeladenen Zustand zurückkehre, bewachten Cherubim mit dem flammenden Schwert den Weg. Durch die Übertretung erlangten unsere ersten Eltern eine Erkenntnis, die durch Erfahrung gewonnene Erkenntnis des Guten und des Bösen, die sie in ihrem Zustand der ursprünglichen Unschuld nicht besessen hatten. Die Folge des Falles hätte nur von übler Wirkung sein können, wären die Ge- fallenen ohne Buße und ohne Versöhnung sogleich wieder in einen Zustand der Unsterblichkeit versetzt worden. In der Verzweiflung, die dem Gewahrwerden der großen über sie gekommenen Veränderung folgte, und in dem Lichte der um einen solchen Preis erlangten Erkenntnis von der Kraft der auf dem Baum des Lebens wachsenden Frucht, wäre es für sie nur natürlich gewesen, die schein- baren Vorteile eines unmittelbaren Entrinnens durch das Essen der himmlischen Frucht zu benützen. Es war aus Barmherzigkeit, daß ihnen die Gelegenheit dazu entzogen wurde.

25. Des Schöpfers Worte über die Notwendigkeit der Verbannung seiner ersten irdischen Kinder aus Eden sind unmißverständlich: „Und Gott der Herr sprach: Siehe, Adam ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich ! Da wies ihn Gott der Herr aus dem Garten Eden, daß er das Feld baute, davon er genommen ist; und

Art. 2.] Der Fall Adams. 83

trieb Adam aus und lagerte vor den Garten Eden die Che- rubim mit dem bloßen, hauenden Schwert, zu bewahren den Weg zu dem Baum des Lebens. "i)

26. Der nephitische Prophet Alma begriff was die Folgen gewesen wären, wenn Adam und seine Gemahlin von dem Baum des Lebens gegessen hätten; er sagt hie- rüber: ,,Nun sehen wir, daß der Mensch wie Gott geworden war, da er Gutes und Böses erkannte; um aber zu verhin- dern, daß er seine Hand ausstrecke, und auch von dem Baum des Lebens nehme und esse und ewig lebe, stellte Gott der Herr Cherubim und das flammende Schwert dahin, damit er nicht von der Frucht genießen sollte. Wir sehen also, daß dem Menschen eine Frist gegönnt wurde, um sich zu bekehren; ja, eine Prüfungszeit, eine Zeit, um Buße zu tun und Gott zu dienen. Denn siehe, wenn Adam sogleich seine Hand ausgestreckt und von dem Baum des Lebens gegessen hätte, würde er nach den Worten Gottes ewig gelebt und keine Frist zur Bekehrung gehabt haben ; auch das Wort Gottes wäre nichtig und der große Er- lösungsplan vereitelt gewesen. "2)

27. Die unmittelbare Folge des Falles war die Ein- führung der Sterblichkeit mit all ihren Schwachheiten an Stelle der Kräfte des ursprünglichen, unsterblichen Zustands. Adam bekam alsbald die Folgen der Übertre- tung zu spüren, denn anstatt der Schönheit und Frucht- barkeit Edens fand er eine unfruchtbare und öde Erde vor, mit einem kahlen Boden. Statt lieblicher und nütz- licher Pflanzen schössen Dornen und Disteln auf; und unter körperlicher Ermüdung und Leiden mußte er mühsam arbeiten, um den Boden zu bebauen, damit er die not- wendigen Speisen erhielt. Auf Eva fiel die Strafe körper- licher Schwäche; die Schmerzen und Sorgen, die seitdem

') 1. Mose 3:22 24; Köstl. Perle, Moses 4:31. ») Buch Mormon, Alma 42:3 5.

84

Die Glaubensartikel.

(Vorl. III.

als das natürliche Los des Weibes angesehen werden, kamen über sie, und sie wurde ihrem Manne Untertan. Da sie das Gefühl ihrer früheren Unschuld verloren hatten, schämten sie sich ihrer Nacktheit, und der Herr machte ihnen Gewänder aus Fellen. Auf den Mann und das Weib wurde die Strafe des geistigen Todes gelegt, denn an dem- selben Tag wurden sie aus Eden verbannt und von der Gegenwart des Herrn ausgeschlossen. Die Schlange, da sie den Absichten Satans gedient hatte, wurde ein Gegen- stand des göttlichen Mißfallens und verurteilt, für immer in dem Staub zu kriechen und unter der Feindschaft zu leiden, die gegen sie, nach dem göttlichen Ratschluß, in die Herzen der Kinder Evas gepflanzt werden sollte.^)

28. Ein Sühnopfer war vorbereitet. Gott ließ seine jetzt sterblichen Kinder aber nicht ohne Hoffnung. Dem Adam gab er andere Gebote und forderte ihn auf, Opfer in dem Namen des eingeborenen Sohnes darzubringen und verhieß ihm und all seinen Nachkommen Erlösung, wenn sie sich den verordneten Bedingungen fügen würden. Die Gelegenheit, durch die Überwindung des Bösen den Lohn des Siegers zu empfangen, wurde unsren Eltern er- klärt, und sie freuten sich darüber. Adam sprach: „Ge- priesen sei der Name meines Gottes, denn wegen meiner Übertretung wurden meine Augen geöffnet, und ich werde in diesem Leben Freude haben und werde wieder im Fleisch Gott schauen." Eva ward erfreut und erklärte: ,,Wäre es nicht unsrer Übertretung wegen, so hätten wir nie Samen erhalten und würden nie Gutes und Böses und die Freude unsrer Erlösung und das ewige Leben, welches Gott allen Gehorsamen gibt, gekannt haben. "2)

29. Der Fall ist nicht durch Zufall gekommen. Es wäre unvernünftig, zu glauben, Adams und Evas Übertre-

') Siehe Anmerkung 4.

») Köstl. Perle, Moses 5:10—11; siehe Anmerkung 6.

Art. 2] Der Fall Adams. 85

tung sei für den Herrn eine Überraschung gewesen. Durch sein unbegrenztes Vorherwissen wußte Gott, was die Folge der Versuchung Satans für Eva sein und was Adam unter den gegebenen Umständen tun werde. Und weiter ist es klar, daß der Fall als ein Mittel vorgesehen war, durch das der Mensch sowohl mit Gutem als auch mit Bösem in Berührung gebracht werden konnte. Dieses sollte dazu führen, daß er aus seinem eigenen freien Willen heraus, entweder das eine oder das andere wählen, und in dieser Weise, durch die Erfahrungen einer sterb- lichen Prüfungszeit, auf die in dem Plan seiner Erschaffung vorgesehene Erhöhung vorbereitet werden könnte: ,,Denn dieses ist mein Werk und meine Herrlichkeit die Unsterb- lichkeit und das ewige Leben des Menschen zu vollbrin- gen,"i) sprach der Herr zu Mose. Es war die Absicht Gottes, den von ihm im Himmel erzeugten Geistern, die Mittel des persönlichen Strebens und die Gelegenheit, nicht allein Seligkeit und Befreiung von dem geistigen Tode sondern auch Erhöhung mit allen den Mächten des ewigen Fortschritts und ewiger Vermehrung zu erlangen, erreichbar zu machen. Deshalb war es notw^endig, daß die geistigen Nachkommen Gottes die Wohnstätte ihrer uranfänghchen Kindheit verlassen, in die Schule der Er- fahrung der Sterblichkeit eintreten, mit dem Bösen in Berührung kommen, ihm widerstreiten, und es entspre- chend den verschiedenen Graden ihres Glaubens und ihrer Kraft überwinden sollten. Adam und Eva hätten nie die Eltern einer sterblichen Nachkommenschaft sein können, wären sie selbst nicht sterblich geworden. Wie schon er- wähnt, war die Sterblichkeit ein notwendiger Teil des göttlichen Planes betreffs der Erde und der für sie bestimm- ten Bewohner, und als ein Mittel, wodurch die Sterblich-

>) Köstl. Perle, Moses 1 : 39 ; siehe Anmerkung

86 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.

keit eingeführt werden könnte, setzte Gott die Stammel- tern des Menschengeschlechts vor ein Gesetz und wußte sehr wohl, daß Übertretung folgen würde.

30. Durch ihren Anteil an dem großen Drama des Falles erfüllte Eva die vorausgesehenen Absichten Gottes ; dennoch war nicht dieses der Grund, weshalb sie von der verbotenen Frucht genoß, sondern, weil sie von den Vor- spiegelungen der Schlange, des bösen Feindes, betrogen worden war, genoß sie mit der Absicht, das göttliche Gebot zu übertreten. Und in dieser Hinsicht förderte auch Satan, als er Eva versuchte, die Absichten des Schöpfers, während es doch sein Vorhaben war, den Plan Gottes zu vereiteln. Uns wird ausdrücklich erklärt : ,,Denn er kannte den Willen Gottes nicht, weshalb er auch die Welt zu ver- nichten suchte."^) Aber sein teuflisches Bestreben war keineswegs der erste Schritt zum Verderben, sondern es trug zu dem Plan der ewigen Erhöhung des Menschen mit bei. Adams Anteil an diesem großen Ereignis war von dem seiner Frau wesentlich verschieden; er wurde nicht betrogen; im Gegenteil, mit Überlegung entschloß er sich, so zu tun wie es Eva verlangte, damit er die Absichten seines Schöpfers betreffs des Menschenge- schlechts, dessen erster Patriarch zu sein er bestimmt war, ausführen könne.

31. Sogar die Übertretungen der Menschen können der Ausführung hoher Absichten dienstbar gemacht werden. Wie später erklärt wird, wurde das Sühnopfer Christi vor Grundlegung der Welt bestimmt,^) doch sind Judas, der den Sohn Gottes verriet und die blutdür- stigen Juden, die ihn kreuzigten, an dem furchtbaren Verbrechen deshalb nicht weniger schuld.

1) Köstl. Perle, Moses 4:6.

') Siehe Vorlesung IV, Seite 91.

Art. 2.) Anmerkungen. 87

32. Es ist allgemeine Gewohnheit der Menschen ge- worden, heftige Vorwürfe gegen die Stammeltern des Men- schengeschlechts zu erheben und sich den wie man annimmt gesegneten Zustand auszumalen, in dem wir leben würden, wenn der Fall nicht eingetreten wäre. Statt dessen haben unsre ersten Eltern Anspruch auf unsere tiefste Dankbarkeit für die ihrer Nachkommenschaft hinterlassene Erbschaft: die Mittel, auf dem Schlachtfeld der Sterblichkeit, Herrlichkeit, Erhöhung und ewiges Leben zu erlangen. Wäre diese Gelegenheit nicht gegeben worden, so wären die Geister der Sprößlinge Gottes in einem Zustand der unschuldigen Kindheit verblieben, sündlos, aber nicht durch eigenes Verdienst; in vernei- nendem Sinne erlöst, nicht von der Sünde, sondern von der Gelegenheit mit der Sünde in Berührung zu kommen; unfähig den Lohn des Sieges zu erlangen, weil von der Teilnahme am Kampf zurückgehalten. Aber wie es jetzt ist, sind sie Erben des Geburtsrechts der Nachkommen- schaft Adams: der Sterblichkeit mit ihren unermeßhchen Möglichkeiten und ihrer gottgegebenen Freiheit im Han- deln. Von Vater Adam haben wir all die Leiden, denen das Fleisch unterworfen ist, geerbt; aber sie sind notwen- digerweise mit der Erkenntnis des Guten und des Bösen verbunden, einer Erkenntnis, durch deren Anwendung die Menschen sogar wie die Götter werden können. i)

Anmerkungen.

1. Der freie Wille ist dem Menschen von Gott gegeben. Das Folgende ist ein Auszug aus einer von Präsident Brigham Young am 5. Juli 1855 gehaltenen Rede. (Siehe „Journal of Discourses", von diesem Tag und „Millenial Star," Band XX, Seite 43). „Was ist die Grundlage der Rechte des Menschen ? Mit der ausdrücklichen Absicht, daß der Mensch ein unab- hängiges Wesen werden sollte, wie es Gott selbst ist, hat der Allmächtige ihn

•) Siehe Anmerkung 5.

88 Die Glaubensartikel. IVorl. III.

ins Leben gerufen und ihm persönliche Freiheit gegeben. Der Mensch ist in dem Ebenbild seines Schöpfers, des großen Urbilds des Menschenge- schlechts, erschaffen, und dieser hat ihm die Grundsätze der Ewigkeit ge- geben, die Unsterblichkeit in ihn gepflanzt und ihm die Freiheit gelassen, zu handeln, wie es ihn gut dünkt für sich selbst zu wählen oder zu verwerfen, ein Heiliger der letzten Tage zu sein oder ein Wesleyscher Methodist der englischen Kirche, der ältesten Tochter der Mutterkirche, der alten Mutter selbst oder ihrer Schwester, der griechischen Kirche, anzugehören, oder ein Ungläubiger zu sein und sich zu keiner Kirche zu bekennen. Wenn das Reich Gottes in Vollkommenheit auf der Erde gegründet und errichtet sein und über alle Völker und Reiche die Oberherrschaft haben wird, wird es die Menschen gleichviel, was sie glauben, was sie bekennen, oder was sie anbeten in der Ausübimg all ihrer Rechte beschützen."

2. Das Wesen der Sünde. Das englische Wort „sin", (und das deut- sche Wort gleichen Ursprungs, Sünde) vereinigt in sich eine große Man- nigfaltigkeit der in der ursprünlichen Sprache vorkommenden Ausdrücke, von denen die buchstäblichen Übersetzungen einander sehr gleichen. So kommen im Alten Testament unter andern die folgenden Ausdrücke vor: settira (in Psalm 101:3), bedeutet „von dem Weg abweichen"; shegagab (3. Mose 4:2; 4. Mose 15:27), „sich betreffs des Weges irren," avon „das Krumme oder das Verkehrte;" avel, „sich von etwas abwenden." Im Neuen Testament finden wir hemartie, „das Verfehlen eines Zieles;" parabasis^ „das Übertreten einer Linie"; parakos, „Ungehorsam zu einer Stimme"; paraptoma, „das Fallen vom Aufrechtstehn" ; agnoema, „Unwissenheit, die nicht zu rechtfertigen ist"; bettema, „nur teilweise maßgebend"; ano- mia, ,,Nichtbeobachtung des Gesetzes"; plemmeleia, „ein Mißklang". Die obenangeführten Erläuterungen sind hauptsächlich von Müller und French genommen. In all diesen Ausdrücken ist das Abweichen von dem Wege Gottes, die durch den Widerstand gegenüber göttlichen Forderungen ver- ursachte Trennung von seiner Gesellschaft, der vorherrschende Sinn. Die Sünde wiu-de von außen eingeführt; sie war nicht ein natürliches Erzeugnis dieser Erde. Der Same des Ungehorsams wurde von dem Erzfeind in Evas Herz gepflanzt; jener Same schlug Wurzeln, und viele derartige Früchte, die wir mit unbedachten Worten Unheil nennen, sind die Folge. Um uns von diesen Dornen und Disteln der Sterblichkeit zu befreien, ist ein Erlöser bereitet worden.

3. Eden. In der hebräischen Sprache, aus der lonser Wort „Eden" stammt, bedeutet dieser Ausdruck etwas besonders liebliches, einen Ort des Angenehmen. Der Ort wird auch „der Garten des Herrn" genannt. Ein besonderer Teil des Landes Eden wurde von dem Herrn als ein Garten hergerichtet ; dieser lag ostwärts in Eden. Nach dem Fall wurden die Eltern des Menschengeschlechts aus dem Garten getrieben, aber doch ist es vernünftig, anzimehmen, daß sie nachher noch in dem Lande oder in der Gegend Edens wohnten. Wir lesen, daß zu einer späteren Zeit, Kain, der erste Mörder, „ging von dem Angesichte des Herrn und wohnte im Lande Nod, jenseit Eden, gegen Morgen" (1. Mose 4:16). Obzwar die christlichen Gelehrten keine übereinstimmende Ansichten über die geographische Lage Edens haben, behaupten die meisten, es habe in Persien gelegen. Jedoch ist es selbst den entschiedensten Vertretern dieser Ansicht unmöglich, irgend- eine auffallende Ähnlichkeit zwischen dieser Gegend und der in der Bibel beschriebenen nachzuweisen. In dieser Sache haben die Heiligen der letzten

f

Art. 2.] Anmerkungen. 89

Tage genauere Kenntnis, denn am 19. Mai 1838 wurde zu Spring Hill, Mo., durch Joseph Smith eine Offenbarung gegeben, in der jener Ort von dem Herrn „Adam-ondi-Ahman" genannt wurde, „weil, wie er sagte, es der Platz ist, auf den Adam kommen wird, sein Volk zu besuchen, oder, auf dem der Alte der Tage sitzen wird, wie durch Daniel den Propheten gesprochen wurde" (L. u. B. 116). Aus einer anderen Offenbarung (L. u. B. 107:52 53) erfahren wir, daß Adam drei Jahre vor seinem Tod diejenigen seiner Söhne, die als Hohepriester eingesetzt worden waren, mit den übrigen seiner recht- schaffenen Nachkommen in das Tal Adam-ondi-Ahman zusammenrief, und ihnen da seine patriarchalischen Segnungen gab. Das Ereignis wurde durch besondere Kundtuungen von dem Herrn ausgezeichnet (Siehe L. u. B. 117:8). In diesen Tagen hat der Herr den genauen Platz des Altars, auf dem Adam nach seiner Austreibung aus dem Garten Opfer dargebracht hat, gezeigt (Contributor, Band "VII, Seite 314). Es gibt keinen verbürgten Bericht, daß das menschliche Geschlecht vor der Sintflut die östliche Halbkugel bewohnt hätte. Die westliche Halbkugel, jetzt die Neue Welt genannt, umfaßt in der Tat die ältesten der bewohnten Gebiete der Erde. Der Westen, nicht der Osten, ist ,,die Wiege der Völker."

4. Die Schlange, da sie die besonderen Absichten Satans unterstützt hatte, empfing, wie schon erwähnt, einen besondern Fluch von dem Herrn. (Siehe 1. Mose 3:13— 15 und die Köstl. Perle, Moses 4:19—21). Dieses Geschöpf wurde mit einem Leben der Erniedrigung bestraft. Sogar vom Standpunkte der Anatomie aus ist die Schlange von erniedrigter Gattung. Obwohl ein Wirbeltier und Glied der höchsten Unterklasse des Tierreichs, fehlt es ihr sogar an äußeren Gliedmaßen und ihre Mittel zur Fortbewegung sind von keiner höheren Ordnung als die des Wurms und der Raupe. In der Heiligen Schrift wird die Schlange als ein Sinnbild der Tücke, der Schlauheit, der List und der Gefahr angewandt.

5. Der Fall notwendig. Präsident John Taylor bespricht in seiner Abhandlung „Mediation and Atonement" (Vermittlung und Sühnopfer) zunächst die Reihe der Geschehnisse, die zum Fall führten und sagt dann (auf S. 135): „So ist es augenscheinlich, daß das Brechen irgendeines Gliedes dieser großen Kette den allumfassenden Plan des Allmächtigen hinsichtlich der Seligkeit und ewigen Erhöhung der Geister die seine Söhne waren gestört hätte. Denn die Erde war ja hauptsächlich für diese seine Söhne erschaffen worden, damit diese durch Unterwerfung unter die Forderungen des diese Dinge regierenden ewigen Grundsatzes und Gesetzes Körper er- halten und damit diese mit dem Geist vereinigten Körper lebendige Seelen werden könnten. Und daß dann diese Seelen, als Söhne Gottes, in seinem Ebenbild erschaffen, durch das Sühnopfer und durch Gehorsam zum Evan- gelium erhöht werden könnten zur Gottheit." ,, Mediation and Atone- ment", S. 135.

6. Wohltätige Folgen des Falles. „Ehre deinen Vater und deine Mutter. Dieses war eins der zehn besonderen Gebote, welche unter einem mächtigen Aufwand an Kraft und Herrlichkeit Gottes dem Volk Israel auf dem Berg Sinai gegeben wiu-den. In den vergangenen Jahrhunderten der Finsternis scheint es für die christliche Welt seine Wichtigkeit verloren zu haben. Sie scheint es nicht zu begreifen, daß auch unseren ersten Eltern Ehre gebührt. Es ist ihr so lange gelehrt worden, daß Adam und Eva große Übertreter gewesen seien, und sie hat getrauert über die Tatsache, daß jene von der verbotenen Frucht genossen und den Tod in die Welt gebracht

90 Die Glaubensartikel. [Vorl. III.

haben. In dem Sündenfall des Menschen spielte der Zufall oder die Überraschung so wenig eine Rolle wie in seiner Erscliaf fung. Wenn es Zufall war, warum war denn Christus schon vor Grundlegung der Welt als ein Sühnopfer für die Sünde ausersehen und vorbereitet worden um den Men- schen den Weg zur Unsterblichkeit zu öffnen? Die Versöhnung Christi wurde notwendig durch den Fall. (Siehe Apostelgesch. 5:31.) Ohne den Fall hätte es kein gebrochenes Gesetz gegeben, und folglich nichts wofür Buße getan werden könnte; und ohne das Sühnopter Cliristi könnte keine Vergebung der Sünde sein. Das Buch Mormon macht diese Sache sehr klar: Wenn nun Adam nicht gesündigt hätte, so würde er nicht gefallen sondern in dem Garten Eden geblieben sein. Und alle erschaffenen Dinge hätten in demselben Zustande bleiben müssen, in dem sie nach ihrer Erschaffung waren, und sie hätten ewig so bleiben müssen und kein Ende gehabt. Und sie würden keine Kinder gehabt haben. Sie wären in einem Zustand der Un- schuld geblieben, ohne Freude zu empfinden, denn sie kannten kein Elend; ohne Gutes zutun, denn sie hätten keine Sünde gekannt (2. Nephi2:22 23). * * Wir, die Kinder Adams, haben kein Recht Beschuldigungen gegen den Patriarchen des Menschengeschlechts zu erheben. Vielmehr sollten wir uns mit ihnen freuen, daß uns durch ihren Fall und durch die Versöh- nung Jesu Christi der Weg des ewigen Lebens geöffnet worden ist." „A Compendium of the Doctrines of the Gospel." F. D. Richards und J. A. Little, S. 3 4.

7. Der Fall vorhergewuDt. „Mormonismus nimmt die Lehre vom Sündenfall und den Bericht von der Übertretung in Eden an, wie er im er- sten Buch Mose geschrieben ist, behauptet aber, daß niemand als Adam selbst für seinen Ungehorsam zur Rechenschaft gezogen werden wird. Die Menschheit im allgemeinen ist vollständig frei von der Verantwortlichkeit für die Erbsünde, und jeder wird sich nur für seine eigenen Übertretungen zu verantworten haben. Der Sündenfall war vorausgesehen vorausbe- stimmt, als ein Mittel, um die notwendigen Verhältnisse der Sterblichkeit zu schaffen und somit war auch der Erlöser schon bestimmt, ehe denn die Welt war. Die allgemeine Erlösung im Sinne der Befreiung von den Fojgen des Sündenfalls wird allen zuteil, ohne daß sie diese suchen, dagegen die per- sönliche Seligkeit oder eine Rettung vor den Folgen der persönlichen Sün- den hat ein jeder selbst durch Glauben und gute Werke, durch die von Christo gewirkte Erlösung, zu erlangen." Der Verfasser, in „Philosophie in Mormonismus". (Deutsche Ausgabe S. 6.) Improvement Era, Band IV, S. 465—466.

Art. 3.] Das Sühnopfer. 91

Vorlesung IV.

Das Sühnopfer und die Seligkeit.

Artikel 3. Wir glauben, daß durch das Sühnopfer Christi die ganze Menschheit sehg werden kann durch Befolgung der Gesetze und Verord- nungen des EvangeUums.

Das Sühnopfer.

1. Das Sühnopfer Christi wird von allen sich zum Christentum bekennenden Religionsgemeinschaften als eine Hauptlehre verkündigt. Der Ausdruck „Sühnopfer" ist so allgemein üblich, und der wesentliche Teil sei- ner Bedeutung wird durchweg so anerkannt, daß Be- griffserklärungen überflüssig erscheinen. Dennoch ist mit dem Gebrauch des Wortes in theologischem Sinne eine besondere Wichtigkeit verbunden. In die Lehre vom Sühn- opfer eingeschlossen ist der Beweis der Göttlichkeit des irdischen Wirkens Christi und der stellvertretenden Natur seines Todes als ein vorherbestimmtes und freiwilliges Opfer, bestimmt und wirksam als eine Versöhnung für die Sünden der Menschheit, wodurch die Seligkeit erreichbar wird.

2. Das Neue Testament, das von den Menschen mit Recht als das Buch von der Mission Christi betrachtet wird, ist ganz durchdrungen von der Lehre der Seligkeit durch das vom Erlöser gebrachte Sühnopfer. Indes kommt das Wort Sühnopfer (englisch „atonement") in der eng- lischen Bibelübersetzung nur ein einzigesmal und in der deutschen überhaupt nicht vor. Nach der Meinung der meisten Bibelkenner wird zudem der Ausdruck in dem

92 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.

einzigen Fall des englischen Wortlautes falsch angewendet. Dieser Fall findet sich in dem Brief des Apostels Paulus an die Römer: „Sondern wir erfreuen uns auch in Gott durch unsern Herrn Jesum Christum, durch welchen wir nun das Sühnopfer empfangen haben." (Im deutschen Text lautet die Stelle: „Sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus, durch wel- chen wir nun die Versöhnung empfangen haben." Der Übersetzer.)!) Die Randbemerkung gibt Versöhnung (englisch ,, reconciliation") statt Sühnopfer (englisch „ato- nement") und im vorhergehenden Vers wird ja auch eine verwandte Form dieses Wortes gebraucht. Eine zusam- menhängende, die volle Übereinstimmung zwischen dem Englischen und dem Griechischen wahrende Übersetzung würde die beiden Verse wie folgt lauten lassen (wie die Stelle in der deutschen Lesart ja lautet): „Denn so wir Gott ver- söhnt sind durch den Tod seines Sohnes, da wir noch Feinde waren, viel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, so wir nun versöhnt sind. Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch Gottes durch unsern Herrn Jesus Christus, durch welchen wir nun die Versöh- nung empfangen haben. "2) Im Alten Testament kommt das Wort Sühnopfer (atonement) wiederholt vor; mit be- merkenswerter Häufigkeit im 2., 3, und 4, Mose, Der Sinn, in dem es hier stets gebraucht wird, ist stets der eines Opfers zur Sühne und gewöhnlich mit dem Tode eines wohlgefälligen Opfers verbunden, wodurch eine Ver- söhnung zwischen Gott und seinen Geschöpfen zustande gebracht wird, ( Diese Ausführungen berühren vornehm- lich die englische Bibel, da das Wort „Sühnopfer" in der deutschen nicht erscheint, sondern immer der Ausdruck „Versöhnung" gebraucht wird. Der Übersetzer,)

•) Römer 5:11,

") Römer 5:10—11,

Art. 3.] Das Sühnopfer. 93

3. Die Zusammensetzung des Wortes in seiner jet- zigen Form deutet diese seine wahre Bedeutung an ; buch- stäblich meint es Sühn-Opfer, ein Opfer, das sühnt, und sühnen bedeutet ,, durch Genugtuung ausgleichen, durch Genugtuung zufriedenstellen." ^) Und dies ist die Bedeu- tung des errettenden Opfers des Erlösers, wodurch er die Übertretung des Falles, durch den der Tod in die Welt gekommen ist, gesühnt, und durch Aussöhnung mit Gott, fähige und wirksame Mittel für des Menschen Wiederkehr in einen Zustand der Unsterblichkeit bereitet hat.

4. Das Wesen des Sühnopfers. Das von Jesus Christus vollbrachte Sühnopfer ist eine notwendige Folge der Übertretung Adams. Wie Gott durch sein unbeschränk- tes Vorherwissen den Fall klar voraussah, ehe Adam auf der Erde war, so auch bereitete des Vaters grenzenlose Barmherzigkeit schon vor der Erschaffung der Welt einen Erlöser für die Menschheit. Durch den Fall haben Adam und Eva die Zustände der Sterblichkeit auf ihre Nach- kommen vererbt; deshalb sind alle von irdischen Eltern gebornen Wesen dem körperlichen Tod unterworfen. Die Vollziehung der Verbannung aus der Gegenwart Gottes war soviel wie ein geistiger Tod; und jene Strafe, mit der unsre ersten Eltern an dem Tage ihrer Übertretung heim- gesucht wurden, ist ebenfalls die gemeinsame Erbschaft der Menschheit geworden. Da diese Strafe durch die Tat eines einzelnen in die Welt kam, würde es offenbar unge- recht sein, die Gesamtheit ewig, also ohne eine Gelegen- heit zur Befreiung darunter leiden zu lassen. Deshalb wurde das verheißene Opfer Jesu Christi als eine Sühne für ein gebrochenes Gesetz verordnet, wodurch die Gerech- tigkeit völlig' zufrieden gestellt werden konnte, und es der Barmherzigkeit möglich wurde, ihren wohltätigen Einfluß

') Welgand, „Deutsches Wörterbuch", unter „sühnen".

94 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.

auf die Seelen der Menschenkinder auszuüben.^) Alle die Einzelheiten des herrlichen Plans, durch den die Seligkeit der Menschen gesichert wird, zu verstehen, mag dem mensch- lichen Verstand nicht möglich sein ; aber sicherlich hat der Mensch aus seinem erfolglosen Bemühen, die erste Ursache der Erscheinungen der Natur zu ergründen, gelernt, daß das Begriffsvermögen seines Verstandes begrenzt ist; und er wird auch eingestehen, daß er seine Ansprüche, ein be- obachtendes und vernünftiges Wesen zu sein, aufgeben müßte, wollte er die Wirkung leugnen, weil er unfähig ist, die Ursache zu erklären.

5. So einfach wie der Plan der Erlösung in seinen allgemeinen Zügen ist, ist er doch in den Einzelheiten dem begrenzten Verstand offenbar ein Geheimnis. Präsi- dent John Taylor hat folgendes geschrieben: „In irgend einer geheimnisvollen, unbegreiflichen Weise nahm Jesus die Verantwortung auf sich, die eigentlich Adam obliegen würde, aber die dennoch nur durch die Vermittlung von Christus selbst und durch das Aufsichnehmen ihrer Trüb- sale und ihrer Verantwortungen und das Tragen ihrer Übertretungen oder Sünden vollbracht werden könnte. In einer uns unbegreiflichen und unerklärlichen Weise trug er die Last der Sünden der ganzen Welt, nicht allein die Adams, sondern auch die seiner Nachkommenschaft. Zur selben Zeit öffnete er das Himmelreich, nicht allein allen Gläubigen und allen, die dem Gesetz Gottes gehor- chen, sondern auch noch mehr als der Hälfte der Mensch- heit, nämlich solchen, die sterben ehe sie die Jahre der Reife erreichen, dazu auch den Heiden, die, da sie ohne Gesetz gestorben sind, auch ohne Gesetz durch seine Ver- mittlung auferstehen werden, und in dieser Weise, ihrer

') Siehe Anmerkung 1.

Art. 3.] Das Sühnopfer. 95

Fähigkeit, ihren Werken und ihrem Wert entsprechend, an den Segnungen seines Sühnopfers teilnehmen werden. "i)

6. Aber wenn unser Begreifen des Plans der Erlösung durch das stellvertretende Opfer Christi in all seinen Teilen auch noch so unvollkommen ist, können wir ihn doch nicht verwerfen, ohne ungläubig zu werden; denn dieser Plan ist die Grundlage aller biblischen Lehre, das wirkliche Wesen der Prophezeiung und der Offenbarung, die hervor- ragendste der dem Menschen von Gott gegebenen Er- klärungen.

7. Das Sühnopfer ein stellvertretendes Opfer. Daß das freiwillige Opfer eines einzelnen Wesens als ein Mittel der Erlösung für den Rest der Menschheit wirken könnte, ist für viele eine Sache des unfaßlichen Wunders. In die- sem wie in andern Dingen, ist die Schrift nur durch den Geist schriftgemäßer Auslegung erklärlich. Die heiligen Schriften alter Zeiten, die Worte neuzeitlicher Propheten, die Überlieferungen der Menschheit, die Gebräuche des Opferns, und sogar die Greuel der heidnischen Abgötte- reien schließen den Begriff eines stellvertretenden Sühn- opfers in sich ein. Niemals hat Gott ein Opfer zurückge- wiesen, das von jemand dargebracht wurde, der bevoll- mächtigt war, es für jene zu tun, die aus irgend einem Grunde nicht imstande waren, die verlangte Dienstleistung selbst zu verrichten. Der Sündenbock^) und das Altar- opfer^) des alten Israel, wenn mit Reue und Zerknirschung geopfert, wurden zur Mäßigung der Sünden des Volkes von dem Herrn angenommen. Es ist interessant zu be- obachten, daß, obwohl die Zeremonien des Opferns einen solch großen und notwendigen Teil der mosaischen Anforde- rungen bildeten, diese Gebräuche doch schon längst vor

•) Präsident John Taylor, „Mediation and Atonement", S. 148- ') 3. Mose 16:20—22. ») 3. Mose 4.

96 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.

der Gründung Israels als ein abgesondertes Volk eingesetzt worden waren ; denn, wie schon bemerkt, wurde das Altar- opfer von Adam dargebracht. i) Das Sinnbild im Opfern der Tiere, als Urbild des großen auf Golgatha folgenden Opfers, wurde also am Anfang der menschlichen Ge- schichte eingesetzt.

8. Die vielen Arten der durch das mosaische Gesetz vorgeschriebenen Opfer unterscheiden sich deutlich als zwei Klassen: blutige und unblutige. Nur Opfer der ersten Art, d.h. solche, die den Tod einschlössen, wurden als Ver- söhnung oder Sühnopfer für Sünde angenommen. Das Opfer mußte rein, gesund und ohne Makel oder Fehl sein. Und so konnte auch für das große Opfer, dessen Wirkungen unbegrenzt sein sollten, nur ein unschuldiges Wesen an- genommen werden. Da Christus das einzige sündlose Wesen auf Erden und der Eingeborne des Vaters war, und vor allem weil er schon in den Himmeln zu dieser Mission ordiniert worden war, war es sein Vorrecht, der Erlöser der Menschheit zu sein. Obwohl mit der Ausübung dieses Vorrechts ein Opfer, dessen Größe der Mensch nicht begreifen kann, verbunden war, brachte Christus das Opfer dennoch gern und freiwillig. Bis ans Ende hatte er die Macht, durch eine einfache Ausübung seiner gött- lichen Kräfte, die Qualen, die ihm seine Verfolger bereite- ten, zu beendigen. 2) In irgend einer Weise, mag diese Weise uns auch unerklärhch sein, nahm Christus die Sünden der Menschheit auf sich. Die Mittel mögen unsrem begrenzten Verstand ein Geheimnis sein, die Wirkungen aber sind unsre Erlösung.

9. Etwas von der Pein, die der Erlöser litt, als er unter dieser Last der Schuld stöhnte, einer Schuld, die für ihn als Urbild der Reinheit, an sich abstoßend gewesen sein

') Siehe Seite 84.

») Matthäus 26:53—54; Johannes 10:17—18.

Art. 3.] Das Sühnopfer. 97

muß, hat er uns in diesen Tagen durch die Worte des Propheten erklärt: „Denn siehe, ich, dein Gott, habe diese Dinge für alle gelitten, daß sie nicht leiden müßten, wenn sie Buße tun; doch wenn sie ihre Sünden nicht bereuen, so müssen sie leiden wie ich, welches Leiden mich, selbst Gott, den größten von allen, der Schmerzen halber erzit- tern machte, so daß ich aus jeder Pore bluten und im Körper und Geiste leiden mußte und wünschte, daß ich den bittern Kelch nicht zu trinken brauchte; dennoch Ehre sei dem Vater, ich trank den Kelch und vollendete meine Vorbereitungen für die Menschenkinder. "i) Weitere Beispiele der Gültigkeit des stellvertretenden Dienstes sind die Verordnungen der Taufe für die Toten,^) wie sie in den apostolischen und jetzigen Zeiten gelehrt wurden, und die Einsetzung anderer Tempelhandlungen^) in der gegenwärtigen Dispensation.

10. Das Opfer Christi war freiwillig und der Liebe ent- sprungen. — Beiläufig haben wir erwähnt, daß Christus gern und freiwillig sein Leben zur Erlösung der Mensch- heit gab. In dem großen Rat der Götter bot er sich selbst als das sühnende Opfer an, das durch die vorhergesehene Übertretung des ersten Menschen notwendig werden würde. Der in diesem frühen Zeitpunkt seiner errettenden Mission gezeigte und ausgeübte freie Wille wurde bis zum letzten Augenblick der qualvollen Erfüllung des angenom- menen Plans beibehalten. Zwar lebte er auf Erden als ein Mensch, ein Mensch in allem was uns berührt in der Ehr- erbietung, die wir für ihn als ein Beispiel des Göttlichen im Menschen fühlen; doch müssen wir uns erinnern, daß er, obwohl von einer sterblichen Mutter geboren, von einem unsterblichen Vater gezeugt wurde. Daher besaß er sowohl

1) Lehre u. Bündn. 19:16—19.

') 1. Korinther 15:29. Siehe Vorlesungen VI und VII.

') L, u. B. 127:4—9; 128.

98 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.

die Fähigkeit, zu sterben wie die Macht, dem Tode Trotz zu bieten. Er gab sein Leben; es wurde ihm nicht genom- men. Achten wir auf den Sinn seiner eigenen Erklärung: „Darum liebet mich mein Vater, daß ich mein Leben lasse, auf daß ich's wiedernehme. Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selber. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wiederzunehmen. "i) Bei einer andern Gelegenheit zeugte Jesus in folgender Weise von sich selbst: ,,Denn wie der Vater das Leben hat in ihm selber, also hat er dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in ihm selber; und hat ihm Macht gegeben, auch das Gericht zu halten, darum daß er des Menschen Sohn ist. "2) Und dann unter den tragischen Szenen des Verrats, als Judas, der ein vorgeblicher Freund und Anhänger ge- wesen war, ihn seinen Verfolgern mit einem verräterischen Kuß übergab, als Petrus aus einer durch gerechten Eifer angetriebenen Unvorsichtigkeit das Schwert zur Vertei- digung des Meisters zog und gebrauchte, sprach der Meister : ,,Oder meinst du, daß ich nicht könnte meinen Vater bitten, daß er mir zuschickte mehr denn zwölf Legionen Engel? Wie würde aber die Schrift erfüllet ? Es muß also gehen. "^) Und so fort bis zum Tode, bezeichnend durch den erster- benden aber dennoch triumphierenden Ruf: ,,Es ist voll- bracht!", hatte der ins Fleisch gekommene Gott die Macht in sich, sich seinen Mördern zu unterwerfen oder, wenn er es gewollt hätte, ihnen zu trotzen.

11. Der ihn durch all die Szenen seiner Mission, von der Zeit seiner uranfänglichen Ordination an bis zu dem Augen- blick der siegreichen Vollendung am Kreuz, inspirierende und stützende Antrieb war zwiefach: einmal, der Wunsch, in der Vollführung der Seligkeit der Menschheit seines

1) Johannes 10:17 18. *) Johannes 5:26 27. ') Matthäus 26:53—54.

Art. 3.] Das Sühnopfer. 99

Vaters Willen zu tun; dann seine Liebe zu den Menschen, um deren Wohlfahrt und Schicksal er sich angenommen hatte. Weit entfernt von rachsüchtigen Gefühlen gegen- über denen, die ihn den Gesetzen Gottes und der Men- schen zum Trotz einem fluchbeladenen Tode überlie- ferten, hatte er bis zum Ende Erbarmen mit ihnen. Noch in der Stunde der äußersten Pein betete er laut : „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!"^) Nicht geringer ist die Liebe des Vaters, der das Opfer des Sohnes annahm und zugab, daß der, den er seinen Geliebten nannte, litt, wie nur ein Gott leiden kann: ,,Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf das alle, die an ihn glauben, nicht verloren wer- den, sondern das ewige Leben haben. Denn Gott hat seinen Sohn nicht gesandt in die Welt, daß er die Welt richte, sondern daß die Welt durch ihn selig werde. "2) Und weiter vernehmen wir die Lehre des Apostels, den Je- sus so lieb hatte: „Daran ist erschienen die Liebe Gottes gegen uns, daß Gott seinen eingebornen Sohn gesandt hat in die Welt, daß wir durch ihn leben sollen l"^)

12. Das Sühnopfer vorherverordnet und vorausge- sagt. — Wie schon bemerkt, wurde der Plan des Vaters, einen Weg für die Erlösung der Menschheit zu eröffnen und es dann allen Menschen zu überlassen, nach ihrer eigenen Wahl zu handeln, von dem Rat im Himmel ange- nommen und gleichzeitig Luzifers Zwangsplan verworfen. Schon in jener weit entfernten Zeit wurde Christus zum Vermittler für alle Menschen ordiniert; sogar , .wurde ein Bündnis zwischen ihm und seinem Vater geschlossen, wonach er es auf sich nahm, die Sünden der Welt auszu- söhnen, und so wurde er, wie schon erwähnt, ein Lamm,

>) Lukas 23:34.

^) Johannes 3:16—17.

') 1. Johannes 4:9.

Die Glaubensartikel.

[Vorl. IV.

das zwar zuvor ersehen ist, ehe der Welt Grund gelegt ward."^) Die Propheten der alten Zeiten, von denen manche schon Hunderte von Jahren vor der Zeit des Kommens Christi im Fleisch lebten, gaben Zeugnis von ihm und von dem großen Werk, das zu tun er ordiniert worden war. Diesen Männern Gottes war gestattet worden, in prophe- tischen Gesichten viele von den mit der irdischen Mission des Erlösers verbundenen Begebenheiten zu schauen, und feierlich gaben sie Zeugnis von den Kundtuungen. In der Tat: das Zeugnis Christi ist der Geist der Prophezeiung, und ohne ihn kann niemand mit Recht beanspruchen, ein Prophet zu sein. Adams Verzweiflung bei seiner Ver- treibung aus Eden wandelte sich in Freude, als er durch Offenbarung von dem Plan der Erlösung, die durch den Sohn Gottes im Fleisch bewirkt werden sollte, erfuhr.^) Dieselben Wahrheiten lehrte der gerechte Henoch, wie sie ihm aus den Himmeln erklärt worden waren .^) Dieses Zeugnis wurde auch von Mose*), Hiob^), David^), Sacharja'), Jesaja^), und Mieha^) abgelegt. Die gleiche Erklärung gab Johannes der Täufer dem Propheten des Höchsten, den Jesus mehr als einen Propheten nannte;^") er war es, der den Erlöser taufte, und der Zeugnis gab von den Worten des Vaters betreffs der Mission des Sohnes und dem sichtbaren Zeichen des Heiligen Geistes.

13. Sollten hinsichtlich der Anwendung solcher Pro- phezeiungen irgendwelche Zweifel bestehen, so haben wir

1) Präsident John Taylor in „Mediation and Atonement", S. 97.

») Siehe Seite 84; Köstl. Perle, Moses 5:9—11.

') Köstl. Perle, Moses 6:51—68.

«) 5. Mose 18:15, 17—19.

') Hiob 19:25—27.

') Psalm 2:1—12.

') Sacharja 9:9; 12:10; 13:6.

") Jesaja 7:14; 9:6 7.

•) Micha 5:2.

») Matthäus 3:11.

Art. 3.] Das Sühnopler. 101

das entscheidende Zeugnis Christi, daß sie sich auf ihn be ziehen. An jenem denkwürdigen Tage, der seiner Auf er" stehung folgte, als er unerkannt mit zweien seiner Jünger auf dem Wege nach Emmaus ging, lehrte er sie die Schrif- ten, die über den Sohn Gottes geschrieben worden waren : ,,Und fing an von Mose und allen Propheten und legte ihnen alle Schriften aus, die von ihm gesagt waren. "i) Ein paar Stunden nachher erschien der Herr den elf Aposteln zu Jerusalem. Er beeinflußte ihr Verständnis, ,,daß sie die Schrift verstanden, und sprach zu ihnen: Also ist's geschrieben, und also mußte Christus leiden", 2) und auf diese Weise bezeugte er, daß er einen vorher- bestimmten Plan erfüllte. Petrus, einer der vertrautesten irdischen Gefährten des Heilandes, spricht von ihm als einem unschuldigen und unbefleckten Lamm, ,,das zwar zuvor ersehen ist, ehe der Welt Grund gelegt ward."^) In seinem Briefe an die Römer schildert Paulus Christus als den einen, ,, welchen Gott hat vorgestellt zu einem Gna- denstuhl durch den Glauben in seinem Blut, damit er die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete in dem, daß er Sünde vergibt, welche bisher geblieben war unter gött- licher Geduld."^) Dieses sind nur wenige von den biblischen Beweisen für die Vorausbestimmung und die Vorordination Christi. Die Schriften des Alten Testaments wie auch die des Neuen^) sind voll von Beweisen für das große Werk des Messias.

14. Die Propheten des Buches Mormon zeichnen sich aus durch ihre vollständigen Zeugnisse über den Messias. Der Reinheit seines Glaubens wegen wurde es Jareds

') Lukas 24:27. ') Lukas 24:45 46. ») 1. Petrus 1:19—20. «) Römer 3:25.

') Siehe Römer 16:25, 26; Epheser 3:9—11; Kolosser 1 : 24— 26 ; 2. Timotheus 1:8 10; Titus 1:2, 3; Offenbarung Johannes 13:8.

102

Die Glaubensartikel.

[Vorl. IV.

Bruder erlaubt, zweiundzwanzig Jahrhunderte vor dem Mittag der Zeit, den Erlöser der Menschheit zu schauen. Es wurde ihm gezeigt, daß der Mensch nach dem Eben- bilde Gottes erschaffen ist; und gleichzeitig erhielt er Be- lehrungen über die Absicht Gottes, daß der Sohn Fleisch annehmen und auf Erden wohnen werde. ^) Beachten wir die persönliche Erklärung des vorordinierten Erlösers diesem Propheten gegenüber: „Siehe, ich bin der, der von der Gründung der Welt an bereitet war, um sein Volk zu erlösen. Siehe, ich bin Jesus Christus; ich bin der Vater und der Sohn. In mir soll das ganze Menschengeschlecht erleuchtet werden, ja ewiglich, und zwar jene, die an mei- nen Namen glauben werden, und sie sollen meine Söhne und meine Töchter werden. "2)

15. Nephi berichtet die Prophezeiung seines Vaters Lehi über das künftige Erscheinen des Sohnes im Fleisch, über seine Taufe, seinen Tod und seine Auferstehung. Diese prophetische Äußerung gibt die genaue Zeit der Geburt des Heilandes an: sechshundert Jahre nach der Auswan- derung Lehis aus Jerusalem. Die Mission Johannes des Täufers wird geschildert, und sogar der Ort der Taufe wird bezeichnet, 3) Kurz nach der Zeit des Gesichts Lehis wurden dieselben Dinge durch den Geist dem Propheten Nephi gezeigt, wie auch viele andre Dinge, wovon er einiges geschrieben hat; aber es wurde ihm verboten, den größern Teil davon zu schreiben, denn ein andrer, der Apostel Johannes, war bestimmt worden, diesen in einem Buch, das einen Teil der Bibel bilden sollte, darzulegen. Aber aus einem Teil seines Berichtes erfahren wir, daß er die Jungfrau Maria in Nazareth zuerst allein und dann gleich darauf mit einem Kind auf dem Arm sah. Der Erklärer

>) Ether .3:13, 14; siehe auch 13:10, 11. ') Ether 3:14; lies auch 8:12. ») 1. Nephi 10:3—11.

Art 3.] Das Sühnopfer. 103

des Gesichtes belehrte ihn, daß das Kindlein das Lamm Gottes, der Sohn des ewigen Vaters sei. Dann sah Nephi, wie der Sohn unter den Menschenkindern wirkte, das Wort verkündigte, die Kranken heilte und viele andre Wunder vollbrachte. Er sah Johannes, den Propheten der Wüste, vor ihm hergehen; er sah, wie der Heiland von Johannes getauft wurde und wie der Heilige Geist mit dem sichtbaren Zeichen einer Taube auf ihn herabkam. Dann sah und prophezeite er, daß zwölf auserwählte Apo- stel in den Dienst des Erlösers treten, daß der Sohn ergriffen und von den Menschen verurteilt und end- lich erschlagen werden würde. Die Zukunft, selbst die Zeit nach der Kreuzigung mit prophetischem Blick durchdrin- gend, schaute Nephi den Kampf der Welt gegen die Apostel des Lammes und schließlich den Sieg der Sache Gottes. i)

16. Jakob, der Bruder Nephis, prophezeite seinen Brüdern, daß Christus im Fleisch unter den Juden er- scheinen und von ihnen gegeißelt und gekreuzigt werden würde. 2) König Benjamin erhob seine Stimme zur Be- kräftigung dieses Zeugnisses und verkündigte seinem Volke die gerechte Herablassung Gottes.^) Dasselbe erklärten auch Abinadi*), Alma^), Amulek^) und Samuel, der lamanitische Prophet.') Die buchstäbliche Erfüllung gibt einen unzweifelhaften Beweis von der Wahrheit dieser Prophezeiungen. Die wunderbaren Zeichen, die die Geburt^) und den Tod Christi andeuteten, wurden alle verwirklicht,^)

siehe auch 2. Nephi 2:3—21; 25:20—27;

') 1. Nephi 11:14—35;

siehe

26

:24.

«) 2. Nephi 6:8—10; 9

:5— 6.

») Mosiah 3:5—27; 4:1

—8.

*) Mosiah 15:6—9; 16.

=) Alma 7:9—14.

«) Alma 11:35—44.

') Helaman 14:2—8.

«) Heiamann 14:2—5; 21—27.

») 3. Nephi 1:5—21; 8:

3—25.

104 Die Glaubensartikel. (Vorl. IV.

und nach seinem Tod und seiner Himmelfahrt, als ihn der Vater der Volksmenge ankündigte, offenbarte sich der Heiland den Nephiten.^)

17. Die alten Schriften sind also deutlich in der Er- klärung, daß Christus auf Erden erschien, um ein vorher- bestimmtes Werk zu tun. Er lebte, litt und starb nach einem Plan, der für die Erlösung der Kinder Adams, selbst ehe die Welt war, in Gerechtigkeit entworfen wurde. Ebenso wichtig und ausdrücklich ist das Wort der neuzeit- lichen Offenbarung, wonach sich der Sohn als Alpha und Omega, den Anfang und das Ende, den Fürsprecher der Menschen bei dem Vater, den Heiland der Welt bezeichnet hat. 2) Aus den vielen in der gegenwärtigen Dispensation über Christus gegebenen Offenbarungen wollen wir nur eine einzige betrachten: „Höret auf die Stimme des Herrn eures Gottes, selbst Alpha und Omega, der Anfang und das Ende, dessen Lauf eine ewige Runde ist, derselbe heute, gestern und immerdar. Ich bin Jesus Christus, der Sohn Gottes, der für die Sünden der Welt gekreuzigt wurde; selbst für so viele als an seinen Namen glauben wollen, daß sie die Söhne Gottes werden mögen, und zwar eins mit mir, wie ich mit dem Vater eins bin und der Vater mit mir eins ist, daß wir eins sein mögen". 2)

18. Die Ausdehnung des Sühnopfers ist unbegrenzt und erstreckt sich in gleicher Weise auf alle Nachkommen Adams. Selbst der Ungläubige und der Heide und das Kind, wenn es stirbt ohne die Jahre des Verstandes erreicht zu halaen, sind durch das Selbstopfer des Heilandes von allen Folgen des Falles erlöst.*) Durch die Schrift wird es ent-

1) 3. Nephi 11:1—17.

') Siehe Lehre u. Bündn. 6:21; 14:9; 18:10—12; 19:1—2, 24; 21:9; 29:1; 33; 34:1—3; 35:1—2; 38:1—5; 39:1—3; 45:3—5; 46:13—14; 76:1—4. 19—24, 68; 93:1—6, 12—17, 38.

ä) L. u. B. 35:1. 2.

*) Siehe Anmerkung 2.

Art. 3.] Das Sühnopfer. 105

scheidend bewiesen, daß die Auferstehung des Körpers einer der Siege ist, die Christus durch sein versöhnendes Opfer errungen hat. Er selbst verkündigte diese ewige Wahrheit: ,,Ich bin die Auferstehung und das Leben. "^) Von allen Menschen ging er zuerst aus dem Grabe hervor und ist ,,der Erstling geworden unter denen, die da schla- fen."2) Die Schrift läßt nicht daran zweifeln, daß die Auf- erstehung allgemein sein wird. Der Heiland verkündigte seinen Jüngern den Anfang dieses Werkes der Befreiung vom Tode mit den Worten: ,, Verwundert euch des nicht. Denn es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden seine Stimme hören, und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übles getan haben, zur Auferstehung des Gerichts;"^) oder wie der letzte Teil dieser Erklärung durch Inspiration in diesen' Tagen übersetzt worden ist : „Die, so Gutes getan haben, in der Auferstehung der Ge- rechten, und die, so Übles getan haben, in der Aufer- stehung der Ungerechten."^)

19. Paulus spricht von der Lehre einer allgemeinen Auferstehung als so gut bewiesen, daß selbst seine Verklä- ger die Wahrheit anerkennen mußten, ,,daß zukünftig sei die Auferstehung der Toten, der Gerechten und der Unge- rechten."^) Bei einer andern Gelegenheit spricht er: „Denn gleichwie sie in Adam alle sterben, also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden."^) Ferner gibt Johannes der Offenbarer Zeugnis von seinem Gesicht inbezug auf die Zukunft: „Und ich sah die Toten, beide, groß und

1) Johannes 11:25.

ä) 1. Korinther 15:20; siehe Apostelgesch. 26:23.

») Johannes 5:28, 29.

♦) Lehre u. Bündn. 76:17.

') Apostelgesch. 24:15.

•) 1. Korinther 15:22.

106 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.

klein, stehen vor Gott. * * * Und das Meer gab die Toten, die darinnen waren, und der Tod und die Hölle gaben die Toten, die darinnen waren. "^) Es ist also klar, daß die Wirkung des Sühnopfers, so weit sie den Sieg über den zeit- lichen oder körperlichen Tod betrifft, das ganze Menschen- geschlecht umfaßt. Ebenso klar ist es, daß die Befreiung von Adams Erbschaft des geistigen Todes oder der Verban- nung aus der Gegenwart Gottes ebenso allgemein sein wird, so daß, wenn irgend ein Mensch seine Seligkeit ver- löre, dieser Verlust ihm selber zuzuschreiben und in kei- ner Weise von dem Fall Adams abhängig wäre. Die Lehre, daß die Gabe der Erlösung durch Christus allen Menschen frei steht, wurde von den Aposteln in alten Zeiten ausdrücklich gelehrt. So spricht Paulus: „Wie nun durch eines Sünde die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, also ist auch durch eines Gerechtigkeit die Rechtfertigung des Lebens über alle Menschen gekommen ."2) Und weiter: ,,Denn es ist *** ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung. "3) Jo- hannes sagte über das Opfer des Erlösers: „Und derselbe ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unsern, sondern auch für die der ganzen Welt."*)

20. Diese großen Wahrheiten wurden auch denNephi- ten gelehrt. Der rechtschaffene König Benjamin predigte von der „Versöhnung, die vor der Erschaffung der Welt bereitet worden ist, für alle, die seit Adams Fall da waren, die da sind und jemals da sein werden bis ans Ende der Welt."^) In der Offenbarung der gegenwärtigen Zeit

') Offenbarung Johannes 20:12, 13.

') Römer 5:18.

=) 1. Timotheus 2:5, 6.

*) 1. Johannes 2:2.

') Mosiah 4:7.

Art. 3.] Das Sühnopfer. 107

lesen wir, daß Christus in die Welt gekommen war, um zu leiden und zu sterben, „damit durch ihn alle errettet werden können, die ihm der Vater in seine Gewalt gegeben hat, und die durch ihn hervorgebracht werden."^)

21. Aber neben dieser allgemeinen Anwendung des Sühnopfers, wodurch alle Menschen von den Folgen der Übertretung Adams, sowohl hinsichtlich des körperhchen Todes als auch hinsichtlich der Befleckung von der ererb- ten Sünde, erlöst sind, gibt es eine besondere Anwendung dieses großen Opfers als Mittel zur Aussöhnung der eigenen Sünden durch den Glauben und die guten Werke des Sünders. Diese doppelte Wirkung des Sühnopfers ist in dem Glaubensartikel, der jetzt erörtert wird, enthalten. Durch die erste Wirkung wird die Befreiung von den sonst furcht- baren Folgen des Falles für alle Menschen in gleicher Weise gesichert; dadurch wird ein Plan der allgemeinen Seligkeit bereitet. Durch die zweite Wirkung wird der Weg zur persönlichen Seligkeit geöffnet, auf dem der Mensch die Vergebung seiner eigenen Sünden erlangen kann. Da diese. Sünden die Folgen persönlicher Taten sind, ist es nur gerecht, die Vergebung dafür von der persönlichen Unterwerfung unter die vorgeschriebenen Verordnungen abhängig zu machen, d. h. von der ,, Befolgung der Gesetze und Verordnungen des Evangeliums".

22. Die allgemeine Wirkung des Sühnopfers, soweit sie sich auf alle, die die Jahre der Verantwortlichkeit und des Verstandes erreicht haben, erstreckt, ist durch die schon angeführten Schriftstellen wohl schon genügend klar gemacht worden. Ihrer Anwendung auf Kinder wer- den wir jetzt unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage lehrt als eine auf die Vernunft, die Gerechtigkeit und die Schrift

') Lehre u. Bündn. 76:42.

108 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.

gegründete Lehre, daß alle Kinder in den Augen Gottes unschuldig sind, daß erst, wenn sie das Alter der persön- lichen Verantwortlichkeit erreichen, die Taufe für sie er- forderhch und angebracht ist, kurz gesagt: daß sie durch das Sühnopfer Christi erlöst w^orden sind. Bis zu einem gewissen Grade werden die Kinder als die Erben der guten und bösen Eigenschaften ihrer Eltern geboren; die Wirkungen der Vererbung lassen sich in der Entwicklung des Charakters leicht erkennen. Gute und böse Neigungen, Segnungen und Flüche werden von Geschlecht zu Ge- schlecht vererbt. Infolge dieser von Gott bestimmten Verordnung, deren Gerechtigkeit durch die erhaltenen Offenbarungen über den Stand der menschlichen Geister in der Präexistenz klar geworden ist, sind die Kinder Adams natürliche Erben der Drangsale der Sterblichkeit; durch das Sühnopfer Christi sind aber alle von dem Fluch dieses gefallenen Zustandes erlöst, die Schuld, die ihnen als Erbschaft zukommt, wird für sie bezahlt, und so wer- den sie frei gelassen. Kinder, die frei von Sünden sterben, sind in den Augen Gottes ganz unschuldig, selbst wenn sie Kinder von Übertretern sind. Im Buch Mormon lesen wir: ,, Kleine Kinder können keine Buße tun, daher ist es eine abscheuhche Bosheit, ihnen die reine Barmherzig- keit vorzuenthalten, denn wegen seiner Barmherzigkeit leben sie alle in ihm.* * * Denn sehet, alle kleinen Kinder und auch solche, die kein Gesetz haben, leben in Christo; denn die Macht der Erlösung kommt zu allen denen, die kein Gesetz haben. "i)

23. In einem Brief an seinen Sohn Moroni drückt der Prophet Mormon seine Überzeugung von der Un- schuld der Kinder in folgenden Worten aus: ,,Höre auf die Worte Christi, deines Erlösers, deines Herrn und deines

•) Moroni 8:19 22.

Art. 3.] Die Seligkeit. 109

Gottes 1 Siehe, ich kam in die Welt, nicht um die Gerechten, sondern um die Sünder zur Buße zu rufen. Die Gesunden brauchen keinen Arzt, aber die Kranken. Also kleine Kinder sind gesund, denn sie können keine Sünde begehen; daher ist der Fluch Adams von ihnen weggenommen in mir, so daß er keine Macht über sie hat. * * * Siehe, ich sage dir: Dieses sollst du lehren, Bekehrung und Taufe derer, die verantwortlich und imstande sind, Sünden zu begehen; ja lehre die Eltern, daß sie sich bekehren und getauft werden und sich wie ihre kleinen Kinder demüti- gen müssen, dann sollen sie alle mit denselben selig werden. Und ihre kleinen Kinder brauchen weder Buße noch Taufe. Siehe, die Taufe ist zur Bekehrung, damit die Gebote für die Vergebung der Sünden erfüllt werden. Aber kleine Kinder leben in Christo von Anbeginn der Welt.**^)

24. In einer durch den Propheten Joseph Smith in diesem Zeitalter gegebenen Offenbarung hat der Herr gesagt: „Doch sehet, ich sage euch, daß kleine Kinder von der Gründung der Welt an durch meinen Eingebornen erlöst worden sind; daher können sie nicht sündigen, denn dem Satan ist keine Macht gegeben, kleine Kinder zu ver- suchen, bis sie anfangen, vor mir verantwortlich zu wer- den."2) Präsident John Taylor gibt Beispiele der Liebe Christi für kleine Kinder und Beweise für den unschul- digen Zustand, in dem diese im Himmel angesehen werden, und sagt dann: „Ohne die Übertretung Adams hätten jene Kinder nicht sein können ; durch das Sühnopfer wer- den sie ohne irgendeine eigene Tat in einen Stand der Seligkeit versetzt. Nach der Meinung der Statistiker würde die Zahl derer, die ihre Seligkeit nur der Ver-

') Moroni 8:8—12.

») Lehre u. Bündn. 29:46, 47.

110 Die Glaubensartikel, [Vorl. IV.

mittlung und Versöhnung des Heilandes zuschreiben kön- nen, mehr als die Hälfte der menschlichen Familie aus- machen."^)

25. Die besondere oder persönliche Wirkung des Sühnopfers macht es allen und jedem möglich, durch die Vermittlung Christi, Lossprechung von der furchtbaren Wirkung der persönlichen Sünden zu erlangen. Aber diese errettende Vermittlung muß durch eigenes Bestre- ben, wie es sich in dem Glauben, in der Buße und in den nachfolgenden Werken der Rechtschaffenheit äußert, angerufen werden. Die Gesetze, durch die persönliche Seligkeit erreichbar ist, sind von Christus vorgeschrieben worden; sein Vorrecht ist es, zu bestimmen, wie die Seg- nungen seines eignen Opfers gehandhabt werden sollen. Alle Menschen bedürfen der Vermittlung des Heilandes, denn alle sind Übertreter. So lehrten die Apostel vor alters : ,, Sie sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollen. "2) Und weiter: ,,So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verführen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. "3) Daß die Erlösung von den Folgen persönlicher Sünden, obwohl sie für alle erhältlich ist, dennoch von persönlicher Anstren- gung abhängt, wird ebenso klar erläutert, wie die Wahr- heit der bedingungslosen Erlösung von den Folgen des Falles. Es ist ein Gericht für alle bestimmt, und alle wer- den ,,nach ihren Werken" gerichtet werden. Der freie Wille des Menschen befähigt ihn, zu wählen oder zu ver- werfen, dem Pfad des Lebens oder der Straße, die zum Ver- derben führt, zu folgen ; es ist nur gerecht, daß er für die Ausübung seiner Freiheit verantwortlich gehalten wird, und daß er die Folgen seiner Taten erntet.

') „Mediation and Atonement", S. 148; siehe Anmerkung 3.

') Römer 3:23.

') 1. Johannes 1:8.

Art. 3.] Die Seligkeit. 111

26. Daher die Gerechtigkeit der biblischen Lehre, daß die Seligkeit dem Menschen nur durch Gehorsam zukommt. „Er ist geworden allen, die ihm gehorsam sind, eine Ursache zur ewigen Seligkeit,''^) sprach Paulus von Christus. Und weiter: , .Welcher (Gott) geben wird einem jeglichen nach seinen Werken: Preis und Ehre und unvergängliches Wesen denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben; aber denen, die da zänkisch sind und der Wahrheit nicht gehorchen, gehorchen aber der Ungerechtigkeit, Ungnade und Zorn; Trübsal und Angst über alle Seelen der Menschen, die da Böses tun, vornehmlich der Juden und auch der Griechen. Preis aber und Ehre und Friede allen denen, die da Gutes tun, vornehmlich den Juden und auch den Griechen. Denn es ist kein Ansehen der Person vor Gott. "2) Diesem können die Worte des auferstandenen Herrn angefügt werden: ,,Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden."^)

27. Beachten wir sodann die Prophezeiungen, die König Benjamin der nephitischen Volksmenge verkün- digte: ,,Das Blut Christi versöhnt auch die Sünden derer, die durch Adams Übertretung gefallen, und die gestorben sind, ohne daß sie den Willen Gottes hinsichtlich ihrer Person wußten, oder die unwißend gesündigt haben. Aber wehe, wehe dem, der da weiß, daß er sich gegen Gott em- pört, denn das Heil kommt zu keinem solchen, ausgenom- men durch Reue und Glauben an den Herrn Jesum Chri- stum."*) Aber wozu weitere Anführungen aus der Schrift, wenn der ganze Sinn der Heiligen Schrift diese Lehre vertei- digt? Ohne Christus kann kein Mensch selig werden;

») Hebräer 5:9. •) Römer 2:6—11. =) Markus 16:16. *) Mosiah 3:11, 12.

112 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.

und die um den Preis der Leiden und des körperlichen Todes Christi bereitete Seligkeit wird nur auf Grund ge- wisser, deutlich bestimmter Bedingungen dargeboten; diese sind in den Worten: „Befolgung der Gesetze und Verordnungen des Evangeliums" kurz zusammengefaßt.

28. Seligkeit und Erhöhung. Allen Menschen wird irgendein Grad der Seligkeit zuteil werden, wenn sie das Recht darauf nicht verwirkt haben. Erhöhung wird nur denen gegeben, die sich durch rührige Arbeit Anspruch auf die barmherzige Freigebigkeit Gottes, wodurch die Erhöhung gegeben wird, erworben haben. Von den Er- lösten werden nicht alle zu .den höheren Herrlichkeiten zugelassen werden ; Belohnungen werden nicht unter Verlet- zung der Gerechtigkeit gegeben; Strafen werden nicht mit Nichtachtung der Ansprüche der Barmherzigkeit ausgemessen werden. Niemand kann in irgendeine Stufe der Herrlichkeiten eingehen, kurzum, keine Seele kann erlöst werden, bis der Gerechtigkeit für das übertretene Gesetz Genüge geleistet worden ist. Unser Glaube an die allgemeine Anwendung des Sühnopfers sagt nicht, daß die ganze Menschheit mit gleichen Gaben der Herr- lichkeit und Macht errettet werden wird. Im Reich Gottes sind viele vorbereitete Stufen der Erhöhung geschaffen für die, die ihrer würdig sind ; in dem Hause unsers Vaters sind viele Wohnungen, in welche nur die, die dafür bereit sind, aufgenommen werden. Die alte sektiererische An- sicht, daß es im Jenseits für die Seelen der Menschen nur zwei Orte den Himmel und die Hölle, mit derselben Herrlichkeit in allen Teilen des einen und mit denselben Schrecken in der ganzen Ausdehnung der andern, geben werde, ist im Lichte der göttlichen Offenbarung gänzlich unhaltbar. Durch das unmittelbare Wort des Herrn er- fahren wir von verschiedenen Stufen der Herrlichkeit.

I

Art. 3.] Die Seligkeit. 113

29. Stufen der Herrlichkeit. Die Offenbarungen Gottes haben die folgenden Hauptreiche oder -stufen der Herrhchkeit, wie sie durch Christus für die Menschen- kinder bereitet worden sind, genau auseinandergesetzt:

I. Die himmlische Herrlichkeit.^) Es gibt einige, die sich bemüht haben, alle Gebote Gottes zu befolgen, die das Zeugnis Christi angenommen und den Heiligen Geist empfangen haben; es sind die, welche Böses über- wunden haben durch gottselige Werke und deshalb zu der höchsten Herrlichkeit berechtigt sind; diese gehören der Kirche des Erstgeborenen an; ihnen hat der Vater alle Dinge gegeben; sie werden zu Königen und Priestern des Allerhöchsten nach der Ordnung Melchizedeks gemacht; sie besitzen himmlische Körper, ,, deren Herrlichkeit die Klarheit der Sonne ist, nämlich die Herrlichkeit Gottes, selbst die höchste aller Herrlichkeiten, von deren Klar- heit die Schrift sagt, ,,der Glanz der Sonne des Firmaments sei ihr Ebenbild," sie werden in der Tat in die himmlische Schar aufgenommen und mit himmlischer Herrlichkeit gekrönt werden, und dadurch werden sie Götter.

II. Die irdische Herrlichkeit. ^) Wir lesen von de- nen, die die Herrlichkeit einer zweiten Stufe empfangen, die von der höchsten Herrlichkeit ebenso verschieden ist ,,wie der Glanz des Mondes von dem Glanz der Sonne am Firmament". Es sind die, die obwohl ehrlich, doch in Dunkelheit waren. Durch Menschenlist verblendet und unfähig, die höhern Gesetze Gottes zu empfangen und zu befolgen, erwiesen sie sich „im Zeugnis Jesu nicht tapfer", und deshalb sind sie nicht zu der Fülle der Herrlichkeit berechtigt.

') Lehxe u. Bündn. 76:50- ') L. u. B. 76:71—80.

114 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.

III. Die unterirdische Herrlichkeit. Wir erfahren von einer noch niedrigem Stufe der Herrlichkeit, die von den höhern Stufen ebenso verschieden ist, wie die Sterne von den glänzendem Himmelskörpern. Diese wird denen gegeben, die das Zeugnis Jesu nicht annahmen, aber doch den Heiligen Geist nicht verleugneten ; die solch ein Leben geführt haben, daß sie von den schwersten Strafen befreit sind, deren Erlösung jedoch bis zur letzten Auferstehung aufgeschoben wird. In der unterirdischen Welt sind unzäh- lige Stufen der Herrlichkeit, vergleichbar mit der ver- schiedenartigen Helle der Sterne.^) Doch werden alle, die irgendeine Stufe der Herrlichkeit empfangen, endlich erlöst werden, und auf sie wird Satan zuletzt keinen An- spruch mehr haben. Diejenigen, denen es erlaubt wurde, sie zu schauen, berichten uns, daß sogar die unterirdische Herr- lichkeit „alle Vorstellungen übertrifft und daß kein Mensch davon weiß, ausgenommen der, dem es Gott geoffenbart hat. "2) Schließlich sind dann noch die da, die jedes An- recht auf die unmittelbare Barmherzigkeit Gottes verloren haben; ihrer Taten wegen werden sie zum ,, Verderben" und seinen Engeln gezählt werden.^)

Anmerkungen.

1. Die Versöhnung bis zur Augenfälligkeit bewiesen. „Es wird oft gefragt: Wie ist es möglich, daß durch das Opfer eines Unschuldigen die Seligkeit für die erworben werden kann, die unter der Gewalt des Todes sind ? Beiläufig bemerkt, sollte es die Menschen nicht so sehr interessieren wie dies möglich ist, als vielmehr ob es eine Tatsache ist ?* * * Auf diese Frage antworten das auf tausend jüdische Altäre gesprengte Blut und der Rauch von Brand opfern, der auf lange Zeit die Himmel verdunkelte; ja, * * * selbst die Götterlehre der heidnischen Völker hält den Gedanken eines Sühnopfers, das für die Menschen dargebracht worden ist oder dargebracht werden soll, fest. Fantastisch, entstellt, verworren, unter dem Schutt

>) Lehre u. Bündn. 76:81 86.

') Abschnitt 76:89—90.

») Siehe Seite 74, 75; auch Vorlesung XXII, Art. 11:26.

I

Art. 3.] Anmerkungen. 115

barbarischen Aberglaubens vergraben mag er sein, aber er ist da. So leicht zu verfolgen, so deutlich zu erkennen ist dieser Zug der heidnischen Götter- sagen, daß einige Scliriftsteller zu beweisen versucht haben, der Plan des Evangeliiuns entstamme der heidnischen Mythologie. Wohingegen Tat- sache ist, daß das Evangelium in den frühesten Zeitaltern verstanden und weit imd breit verkündigt wurde; die Menschen behielten eine Kenntnis jener Grundsätze oder von Teilen davon in ihrer Überlieferung bei, und so entstellt sie jetzt auch sein mögen, so können doch Spuren davon noch fast in allen Gott er lehren der Welt gefunden werden. Die Propheten des jüdischen Volkes antworten bejahend auf jene Frage. Die Schriftsteller des Neuen Testaments machen das Sühnopfer Christi zum Hauptgegen- stand ihrer Reden und Briefe. Das Buch Mormon, als die Stimme eines Volkes eines ganzen Erdteils, dessen Propheten und rechtschaffene Män- ner Gott suchten und fanden, bezeugt dieselbe große Tatsache. Die Offen- barungen Gottes, wie sie durch Joseph Smith gegeben wurden, sind ange- füllt von Stellen, die diese Lehre bestätigen." Roberts, „Outlines of Eccle- siastical History", Abschnitt VIII, 6.

2. Allgemeine und bedingungslose Erlösung von dem Fall. „Wir glauben, daß durch die Leiden, den Tod und das Sühnopfer Jesu Christi die ganze Menschheit ohne Ausnahme, sowohl der Körper als auch der Geist, von der endlosen Verbannvmg und dem ewigen Fluch, denen sie durch Adams Übertretung unterworfen wurde, ganz und gar erlöst werden wird. Wir glauben ferner, daß diese allgemeine Seligkeit und Erlösung des ganzen Menschengeschlechts von der endlosen Strafe der Erbsünde ohne irgend- welche Bedingung erreicht wird, d. h. von ihm wird nicht verlangt, daß es glaube oder Buße tue oder sich taufen lasse, oder irgendetwas andres tue, um von dieser Strafe erlöst zu werden. Ob es gläubig oder ungläubig ist, ob es Buße tut oder verstockt bleibt, ob es getauft oder ungetauft ist, ob es die Gebote hält oder sie übertritt, ob es rechtschaffen oder böse ist: für seine körperliche und auch geistige Erlösung von der Strafe der Über- tretung Adams wird es keinen Unterschied machen. Der rechtschaffenste Mensch, der je auf Erden gelebt hat, und der größte Bösewicht des ganzen Menschengeschlechts: beide wurden unter denselben Fluch getan, ohne irgendeine eigene Übertretung oder Wahl, und in gleicher Weise werden beide ohne irgendwelche Wahl oder Bedingungen ihrerseits von jenem Fluch erlöst werden." Apostel Orson Pratt in „Remarkable Visions",

3. Cluristus, der Urheber unserer Seligkeit. Präsident John Taylor spricht von dem Tode Christi als einem sühnenden Opfer und fügt hinzu: „So wurde der Erlöser Herr der Lage, die Schuld ist bezahlt, die Erlösung vollbracht, das Bündnis erfüllt, der Gerechtigkeit Genüge geleistet, der Wille Gottes getan, und alle Gewalt die Gewalt der Auferstehung, die Gewalt der Erlösimg, die Gewalt der Seligkeit, die Gewalt, Gesetze zur Ausführung und Vollbringxmg dieser Absicht zu geben ist dem Sohn Gottes übergeben.* * * Der Plan, die Einrichtung, der Vertrag, das Bünd- nis wurde vor der Grundlegung der Welt gemacht, eingegangen und ange- nommen; er wiu-de durch Opfer vorbildlich dargestellt und am Kreuz ausgeführt und vollbracht. Deshalb, da er der Vermittler zwischen Gott und den Menschen ist, wird er unumschränkter Machthaber und Führer auf Erden imd im Himmel für Lebende und Tote, über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, soweit sie die mit dieser Erde oder den Himmeln

116 Die Glaubensartikel. [Vorl. IV.

in Zeit oder Ewigkeit verbundnen Menschen betrifft; der Fürst unserer Seligkeit, der Apostel und Hohepriester tuisers Bekenntnisses, der Herr und Spender alles Lebens." „Mediation and Atomnent", Präsident John Taylor, S. 171.

4. Die Versöhnung durch Christus eingeführt. „Der Apostel Paulus faßt die Folgen des Todes und der Auferstehung Christi ziemlich lückenlos zusammen: „Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten und der Erstling geworden unter denen, die da schlafen. Sintemal durch einen Menschen der Tod und durch einen Menschen die Auferstehung der Toten kommt. Denn gleichwie sie in Adam alle sterben, also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden" (1. Korinther 15:20 22). Mit andern Worten: da der Tod diu-ch den Ungehorsam Adams über alle Menschen gekommen ist, so müssen alle durch den Tod und die Auferstehung Christi zu UnsterbUchkeit und ewigem Leben emporgehoben werden. Paulus behauptete auch, daß der letzte Feind, der aufgehoben wird, der Tod ist (Vers 26). Johannes der Offenbarer erklärt, er habe gesehen, daß der Tod und die Hölle in den feurigen Pfuhl geworfen werden (Offenb. 20:14). Die durch Jesum Christum zustande gebrachte Versöhnung bedeutet weiter, daß er den Weg gebahnt hat für die Erlösung der Menschen von ihren eigenen Sünden diu-ch Glauben an die Leiden, den Tod und die Auferste- hung Christi. Der Apostel Paulus drückt dies deutlich aus: „Sie sind all- zumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den sie an Gott haben sollten, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade dxu-ch die Erlösung, so durch Jesum Christum geschehen ist, welchen Gott hat vorgestellt zu seinem Gnadenstuhl durch den Glauben in seinem Blut, damit er die Ge- rechtigkeit, die vor ihm gilt, darbiete in dem, daß er Sünde vergibt, welche bisher geblieben war imter göttlicher Geduld" (Römer 3:23 25). Diese Stellen machen es augenscheinUch, daß die Erlösung vom Tode durch die Leiden Christi für alle Menschen, sowohl für die Bösen als auch für die Rechtschaffenen, für diese Erde und für alle ihre erschaffenen Dinge gilt. Der ganze Sinn der Schrift versichert uns, daß, unbeschadet ihrer per- sönlichen Taten, sie der Auferstehung von den Toten sicher sein können; daß ihnen aber trotzdem nach ihren Werken, seien sie nun gut oder böse, vergolten werden wird, und daß Erlösung von persönlichen Sünden nur durch Befolgung der Gebote des Evangeliums und nur durch ein Leben von guten Werken erworben werden kann. Da die Übertretung Adams in ihren Folgen unbegrenzt ist, so können diese Folgen auch niu- durch eine imbegrenzte Versöhnung abgewendet werden." „Compendium" F. D. Richards und J. A. Uttle, S. 8, 9.

5. Das Sütmopfer notwendig. „In der göttlichen Einrichtung und in dem vom Allmächtigen vorgeschlagenen Plan wurde vorgesehen, daß der Mensch unter ein in sich offenkundig einfaches Gesetz gestellt werden sollte; aber die Prüfung des Gesetzes war von den schwersten Folgen begleitet. Das Halten jenes Gesetzes würde ewiges Leben verbürgen, und die Strafe für die Übertretung des Gesetzes wäre der Tod.* * Wäre das Gesetz nicht gebrochen worden, so wäre der Mensch am Leben geblieben; wäre aber der Mensch dann fähig gewesen, sein Geschlecht fortzupflanzen und dadurch die Absichten Gottes zu erfüllen : Körper für die Geister, die in der Geisterwelt erschaffen worden waren, zu bereiten? Und weiter:

Art. 3.] Anmerkungen. 117

Hätte dann das Bedürfnis nach einem Vermittler bestanden, der als Ver- söhner für die Übertretung dieses Gesetzes handeln sollte, welches, wie es den Umständen nach scheinen würde, bestimmt war, gebrochen zu werden, oder hätte die ewige Vermehrung und Fortdauer des Menschengeschlechts sich fortgesetzt, oder hätte die erhabene Erhöhung des Menschen zu der Gottheit zustandegebracht werden können, ohne das versöhnende Sühn- opfer des Sohnes Gottes?" Mediation and Atonement", Präsident John Taylor, S. 128, 129.

118 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.

Vorlesung V. Glaiibe und Buße.

Artikel 4. Wir glauben, daß die ersten Prinzipien und Verord- nungen des Evangeliums sind: 1. Glaube an den Herrn Jesum Christum, 2. Buße***.

Glaube.

1. Das Wesen des Glaubens. Der vorherrschende Sinn, in dem das Wort Glaube in allen heiligen Schriften ge- braucht wird, ist der des vollen Vertrauens und der vollen Zuversicht zu dem Dasein, den Absichten und den Worten Gottes. Ein solches unbedingtes Vertrauen wird alle Zweifel an den von Gott vollendeten oder verheißenen Dingen vertreiben, selbst wenn sie den gewöhnlichen Sinnen der Sterblichkeit weder augenfällig noch erklärlich sind. Daher die von Paulus gegebene Erklärung über Glauben : „Es ist aber der Glaube eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und nicht zweifeln an dem, das man nicht sieht."^) Es ist klar, daß ein solches Gefühl der Zuver- sicht bei verschiedenen Menschen in verschiedenen Graden vorhanden sein kann. In der Tat kann sich der Glaube offenbaren von dem schwachen Anfangszustand, der nicht viel mehr als bloßes von Unschlüssigkeit und Furcht kaum freies Fürvs^ahrhalten ist, bis zu der Kraft der hart- näckigen Zuversicht, die dem Zweifel und der Vernünftelei Trotz bietet.

2. Fürwahrhalten, Glaube und Kenntnis, obwohl eng verwandt und oftmals als ein und dasselbe angesehen, sind in

') Hebräer 11:1

I

Art. 4.1 Glaube. 119

Wirklichkeit nicht gleichbedeutend. Die Worte Glaube (engl, faith) und Fürwahrhalten (engl, belief) werden zu- weilen als sinnverwandte Ausdrücke gebraucht, aber den- noch hat jedes eine besondere und bestimmte Bedeutung der (englischen) Sprache; obwohl es im früheren Englisch dem Wesen nach keinen Unterschied zwischen ihnen gab, und deshalb die Wörter in den alten Schriften wechsel- weise gebraucht werden. Das bloße Fürwahrhalten mag nur aus verstandesmäßiger Zustimmung bestehen, wäh- rend der Glaube ein Vertrauen und eine Überzeugung umfaßt, die zur Tätigkeit antreibt. Die Autorität der (englischen) Wörterbücher rechtfertigt das Anerkennen eines Unterschieds zwischen den zwei Wörtern, nach dem gegenwärtigen Gebrauch im Englischen; und diese Auto- rität erklärt Fürwahrhalten (eng. belief) als eine einfache Zustimmung zur Wahrheit oder Wirklichkeit von irgend etwas, schließt aber die sittliche Seite der Verantwortlich- keit aus, welche der Glaube in sich begreift. Das Fürwahr- halten ist in einem Sinne untätig nur eine innerliche Zustimmung oder Annahme; der Glaube ist tätig und be- stimmt — ein Vertrauen und eine Zuversicht, die zu Werken führen. Der Glaube an Christum begreift das in sich, was wir von ihm für wahr halten, verbunden mit Vertrauen auf ihn. Man kann keinen Glauben haben, ohne etwas für wahr zu halten, dennoch kann man etwas mit dem Munde bekennen und doch Mangel an Glauben haben. Der Glaube ist das lebhaft anspornende, leben- spendende Fürwahrhalten.

3. Sicher gibt es zwischen den beiden einen großen Unterschied im Grade, selbst wenn keine wesentliche Unterscheidung in der Art anerkannt wird. Wie nachher erklärt werden wird, ist der Glaube an die Gottheit zur Seligkeit notwendig ; er ist in der Tat eine errettende Kraft, die ihren Besitzer auf den Weg der Gottseligkeit führt;

120

Die Glaubensartikel.

[Vorl. V.

ein bloßes Fürwahrhalten des Seins und der Eigen- schaften der Gottheit ist sicher keine solche Kraft. Beach- ten wir die Worte des Apostels Jakobus. i) In seinem all- gemeinen Brief an die Heiligen tadelte er seine Brüder wegen gewisser leerer Bekenntnisse. Dem Sinne nach sagte er: „Ihr seid stolz und zufrieden auf euer Bekennt- nis des Glaubens an Gott; ihr rühmt euch, daß ihr euch von den Götzendienern und den Heiden unterscheidet, weil ihr einen Gott anerkennt; ihr tut wohl, so zu beken- nen und so zu glauben ; aber gedenket, andere tun dasselbe, sogar die Teufel glauben, und zwar so fest, daß sie beim Ge- danken an das Los, das der Glaube ihnen klar macht, zittern. Wie? glauben die Teufel an Christum? Ja, ihr Glaube steigt bis zu einer gewissen Kenntnis, wer er ist und was seinen vergangenen, gegenwärtigen und zu- künftigen Teil in dem göttlichen Plan der menschlichen Existenz und Seligkeit bildet. Erinnern wir uns des Falles des von bösen Geistern besessenen Menschen im Lande der Gadarener, eines Menschen, so schwer gepeinigt, daß er allen, die sich ihm nahten, ein Schrecken war; er konnte weder gezähmt noch gebunden werden; die Leute fürch- teten sich, ihm nahe zu kommen. Als er jedoch Christus sah, lief er zu ihm und betete ihn an, und der böse Geist bat um Barmherzigkeit von selten jenes Rechtschaffenen, den er ,, Jesu, du Sohn Gottes, des Allerhöchsten"^) nannte. Wiederum: in der Synagoge zu Jerusalem flehte ein un- sauberer Geist Christus an, seine Macht nicht anzuwenden, und schrie aus Furcht und Seelenangst: „Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. "3) Weiter wird uns berichtet, daß dem Heiland eine Volksmenge aus Idumäa und von Jerusalem und der Gegend von Tyrus und Sidon nach-

') Siehe Jakobus 2:19.

*) Siehe Markus 5:1—18; auch Matthäus 8:28—34.

») Siehe Markus 1:24.

Art. 4.] Glaube. 121

folgte, worunter sich viele befanden, die von bösen Gei- stern besessen waren; als diese ihn sahen, fielen sie anbetend nieder und riefen aus: ,,Du bist Gottes Sohn!"^) Gab es je einen sterblichen Gläubigen, derein bestimmteres Wissen von Gott und seinem Sohn bekannte, als diese Nachfolger Satans? Der Böse kennt Gott und Christus; er erinnert sich vielleicht noch ein wenig an den Stand, den er einst als ein Sohn des Morgens^) eingenommen hatte; doch mit all dieser Kenntnis ist er immer noch Satan. Weder das Fürwahrhalten noch die höherstehende tat- sächliche Kenntnis kann uns erretten; denn keins von beiden ist Glauben. Das Fürwahrhalten mag ein Er- zeugnis des Sinnes sein, der Glaube ist des Herzens; das Fürwahrhalten ist auf Vernunft gegründet, der Glaube meistenteils auf Empfindung.

4. Oft hören wir sagen, der Glaube sei unvollkommene Kenntnis ; das erste verschwinde, wenn das zweite seinen Platz einnehme; wir wandelten jetzt im Glauben, werden aber eines Tages im Licht der sichern Kenntnis wandeln. In einem Sinne ist dieses wahr, es darf aber nicht vergessen werden, daß Kenntnis ebenso tot und unfruchtbar in guten Werken sein kann, als glaubensloses Fürwahrhalten. Das Bekennen der Teufel, daß Christus der Sohn Gottes ist, war auf Kenntnis gegründet ; doch : die große Wahrheit, die sie wußten, änderte ihre üblen Naturen nicht. Wie verschieden war doch ihr Bekennen des Heilandes von dem des Petrus, der auf des Meisters Frage: ,,Wer sagt denn ihr, daß ich sei?", in fast denselben Worten wie die unsaubern Geister, erwiderte: ,,Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn!"^) Der Glaube des Petrus hatte schon seine lebendige Kraft gezeigt; er hatte Petrus veran-

') Markus 3:8—11.

») Lehre u. Bündn. 76:25—27.

») Matthäus 16:15 16; siehe auch Markus 8:29; Lukas 9:20.

122 Die Glaubensartikd. [Vorl. V.

laßt vieles, das ihm teuer war, zu verlassen, seinem Herrn durch Verfolgung und Leiden nachzufolgen, und die Welt- lichkeit mit all ihren Reizen gegen die aufopfernde Fröm- migkeit, die sein Glaube so wünschenswert machte, zu ver- tauschen. Seine Kenntnis von Gott als dem Vater und dem Sohn als dem Erlöser war vielleicht nicht größer als die der unsauberen Geister; aber wie diese Kenntnis ihnen nur eine weitere Ursache der Verdammung war, war sie ihm ein Mittel zur Seligkeit.

5. Der bloße Besitz der Kenntnis nützt uns zunächst nichts. Eine Erläuterung mag wohl hier er- laubt sein: Während einer Choieraseuche in einer großen Stadt bewies ein wissenschaftlich gebildeter Fach- mann durch chemische und mikroskopische Analysen zu seiner eigenen Befriedigung, daß das Trinkwasser in- fiziert war, und daß dadurch die Ansteckung verbreitet wurde. Er verkündigte diese große Wahrheit in der ganzen Stadt und warnte alle vor dem Gebrauch von un- gekochtem Wasser. Obwohl unfähig, seine Untersuchungs- verfahren zu begreifen und noch weniger imstande, diese für sich selbst zu wiederholen, glaubten viele Leute an seine warnenden Worte, befolgten seine Unterweisungen und entgingen dem Tode, dem ihre sorglosen und ungläu- bigen Mitmenschen erlagen. Ihr Glaube war ein erretten- der Glaube. Die Wahrheit, durch die so viele Leben er- halten wurden, war dem Manne selbst eine Sache des Wissens. Er hatte unter dem Vergrößerungsglas die tod- bringenden Keime in dem Wasser tatsächlich gesehen; er hatte ihre Giftigkeit geprüft; er wußte wovon er sprach. Dennoch: in einem vergeßlichen Augenblick trank er von dem ungereinigten Wasser und starb bald darauf als ein Opfer der Seuche. Obwohl seine Kenntnis vollkommen war, hatte sie ihn nicht gerettet; andere hingegen, deren Vertrauen nur das des Glaubens an die Wahrheit, die er

Art. 4.] Glaube. 123

erklärt hatte, war, entgingen der drohenden Vernichtung. Wahrlich, er hatte Kenntnis, aber war erweise ? Die Kennt- nis ist der Weisheit, was das Fürwahrhalten dem Glauben ist; das eine, eine bloß gedachte Grundlehre, das andere eine lebendige Anwendung. Nicht bloß in dem Besitz, sondern in der richtigen Anwendung der Kenntnis und des Wissens besteht die Weisheit. Über den Vergleich zwischen bloßem gleichgültigem Fürwahrhalten und Glauben darf das gesagt werden, was über Kenntnis und Weisheit ge- sagt worden ist:

„Wissen und Weisheit, weit davon entfernt eins zu sein, haben oft keine Verbindung; * * * Wissen eine Masse roh und nutzlos, der Baustoff mit dem die Weisheit baut bis sie geglättet, und auf den Winkel geprüft, in ihren Platz aufgestellt wird. Belastet, den sie zu bereichern scheint."

6. Die Grundlage des Glaubens. Im religiösen Sinne verstehen wir, wie schon erwähnt, unter Glauben ein lebendiges, inspirierendes Vertrauen auf Gott, und eine Anerkennung seines Willens als unser Gesetz und seiner Worte als unsern Führer im Leben. Glauben ^n Gott ist nur möglich, wenn wir wissen oder wenigstens annehmen, daß Gott lebt, und noch mehr, daß er ein Wesen von würdigem Charakter und würdigen Eigenschaften ist. Die Gründe, worauf der Mensch sein Bekenntnis oder seine Kenntnis von dem Dasein Gottes baut, sind in einer frühern Vorlesung untersucht worden ;^) dabei wur- den auch einige der göttlichen Eigenschaften, wie sie durch den Umgang Gottes mit den Menschen geoffenbart worden sind, angegeben. Da eine Erkenntnis von den Eigen- schaften Gottes zur Ausübung des Glaubens an ihn not- wendig ist, mag eine Wiederholung der Hauptsachen in-

•) Vorlesung 2, Seite 32.

124 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.

bezug auf den Charakter des Allerhöchsten hier am Platze sein. Laßt uns die von dem Propheten Joseph Smith dargebotene Übersicht der Tatsachen annehmen; er gibt auf Grund der Schrift folgende Erklärung über den Charaktern Gottes:

,,1. daß er Gott war ehe denn die Welt erschaffen wurde, und zwar derselbe Gott, der er nach ihrer Erschaf- fung war,

2. daß er gnädig und barmherzig, geduldig und voller Güte ist, und daß er es war von Ewigkeit her und es sein wird in Ewigkeit.

3. daß er sich nicht verändert, daß er derselbe ist von Ewigkeit zu Ewigkeit, derselbe gestern, heute und immer- dar, und daß sein Lauf eine ewige Runde ohne Verän- derung ist.

4. daß er ein Gott der Wahrheit ist, und daß er nicht lügen kann.

5. daß er die Person nicht ansieht, sondern in allerlei Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.

6. daß er Liebe ist."^)

7. Eine Erkenntnis von diesen umfassenden Zügen des göttlichen Wesens wird einen Menschen befähigen, vernünftigen und verständigen Glauben an Gott auszu- üben. Und auf eine solche Erkenntnis von dem Dasein Gottes, der Würdigkeit seines Charakters und der Voll- kommenheit seiner Eigenschaften, ist der Glaube des Men- schen an ihn gegründet. Der Glaube kann also nicht ohne irgendeine Kenntnis ausgeübt werden; doch zeigen sogar die in geistiges Dunkel gehüllten Heiden einige Früchte des Glaubens; sie haben wenigstens die Überzeugung, die aus dem natürlichen Empfinden des Menschen über

») Lehre u. Bündn. Vorlesungen über Glauben, 3:13 18.

Art. 4.] Glaube. 125

eine allerhöchste Macht hervorgeht, welches Empfinden als eine allgemeine Erbschaft der Menschheit beschrieben worden ist. In jeder menschlichen Seele, sogar in der des Wilden, wie begrenzt und unvollkommen seine Seele durch ererbte Finsternis oder durch absichtliches Sündigen ge- worden sein mag, ist irgendein Grund für den Glauben. Jedes Kind Gottes wird mit der seiner Natur innewohnen- den Fähigkeit, zu glauben, geboren; und in irgendeinem Grade sehnen sich alle nach der Kraft und Hilfe, die der Glaube allein geben kann. Wir werden noch vernehmen:

„Daß in allen Zeiten

jedes Menschenherz ist menschlich;

daß sogar in wilden Busen

gibt's Verlangen, Sehnen, Streben

nach dem Guten, das sie nicht fassen!

daß die Hände, schwach und hilflos

umhertastend in dem Dunkel,

Gottes starker Hand vertrauen,

die sie hebt empor und stärkt sie."')

Der Glaube des Heiden mag unvollkommen und schwach sein, denn seine Fähigkeit, die Beweise, von denen der Glaube an Gott abhängt, zu erkennen, ist wohl klein. Während die ersten Einflüsterungen des Glaubens an Gott die Folge der natürlichen Empfindung eines leisen Widerhalls der Lobgesänge, die während des Standes unsrer uranfänglichen Kindheit so allgemein waren, sein mögen, wird die spätere Entwicklung zum größten Teil die Folge vorurteilsfreier und gebetsvoller Untersuchung und Forschung nach Wahrheit sein.

8. Aus zuverlässigem, richtig aufgefaßtem Beweis entspringt der wahre Glaube; aus falschen Beweisgründen kann nur entstellter und übel angebrachter Glauben ent- stehen.2) Unsere Schlußfolgerungen hinsichtlich irgendeiner, der Prüfung unterworfenen Frage, werden wenn wir

') Longfellow.

») Siehe Anmerkung 1.

126 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.

die behaupteten Tatsachen nicht selbst untersuchen können im großen und ganzen durch Zahl und Glaub- würdigkeit der Zeugen bestimmt, und in beiden Fällen durch Bedeutung und Art des erreichbaren Beweises. So unwahrscheinlich uns nun eine Erklärung vorkommt: wird uns ihre Wahrheit durch Zeugen, denen wir ver- trauen, bestätigt, so werden wir sie wenigstens vorläufig als wahr anerkennen. Wenn viele glaubwürdige Zeugen bezeugen, und w^enn überdies sich uns Nebenbeweise durch Tatsachen aus unserer persönlichen Kenntnis von selbst aufdrängen, können wir die Erklärung als bewiesen betrach- ten; obwohl es uns unmöglich wäre, sie auf Grund unsrer persönlichen Kenntnis hin zu bestätigen, bis wir selber ge- sehen und gehört haben, bis ein jeder von uns durch per- sönliche Beobachtung, selbst ein zuständiger Zeuge gewor- den ist. Ein Beispiel: von den Bürgern der Vereinigten Staaten haben vielleicht verhältnismäßig wenige den Sitz der Regierung besucht; die Massen wissen durch persön- liche Anschauung nichts von dem Capitol, dem Haus des Präsidenten und andern Gebäuden von allgemeiner Be- deutung und nationaler Wichtigkeit; sehr wenige sind per- sönlich mit dem Präsidenten, der dort wohnt, zusammen- getroffen. Woher weiß irgend jemand aus dieser Volks- menge, die nicht selbst gesehen hat, etwas von der Stadt Washington, dem Capitol und dem Präsidenten ? Einzig und allein durch das Zeugnis andrer. Es mag w^ohl unter seinen Bekannten einen oder viele geben, die in der Hauptstadt des Landes gewesen sind, und deren Erklärung er als wahr annimmt; sicherlich hat er von denen, die es selbst wissen, gehört oder gelesen. Dann hört er von Gesetzen, die dort entworfen w^erden und von Erlassen, die von dem Haupt- sitz des Reiches herkommen ; sein Forschen in der Schule, sein Gebrauch von Landkarten und Büchern, und viele andre Ereignisse vermehren die Beweise, die bald ent-

Art. 4.] Glaube. 127

scheidend werden. Seine Folgerungen vervielfachen und entwickeln sich zu einer bestimmten Überzeugung. Er erwirbt einen Glauben an das Dasein eines Mittelpunkts der nationalen Regierung und eine Achtung vor den Ge- setzen, die von ihr ausgehen.

9. Lasset uns noch eine Erläuterung anführen: Die Astronomen sagen uns, die Erde sei von derselben Art wie einige Sterne; sie sei ein Himmelskörper einer Plane- tengruppe, die sich in konzentrischen Bahnen um die Sonne drehe; und einige dieser Weltkörper seien um ein vielfaches größer als unsere Erdkugel. Wir mögen in der Art und Weise der Beobachtung und Berechnung der Astronomen nicht bewandert und deshalb also unfähig sein, die Wahrheit dieser Erklärungen selbst zu prüfen; aber wir finden eine solche Masse von Beweisen, die von dem vereinigten Zeugnis jener herrühren, auf deren Er- kenntnis als wissenschaftlich wirkende Fachleute wir Vertrauen gesetzt haben, daß wir die Schlußfolgerungen als völlig bewiesen annehmen.

10. So auch betreffs des Daseins, der Würde und der Eigenschaften Gottes : die Zeugnisse vieler heiligen Männer in alter und neuer Zeit Propheten, deren Glaubwürdig- keit durch die Erfüllung ihrer Voraussagungen festgestellt worden ist sind in zusammengefaßter Erklärung dieser feierlichen Wahrheiten zu uns gekommen, und auf jeder Seite gibt auch die Natur bestätigendes Zeugnis. Solche Beweise zu verwerfen ohne sie zu widerlegen, heißt nichts andres als die am meisten anerkannten Verfahren des Unter- suchens und Forschens, die den Menschen bekannt sind, unbeachtet lassen. Die Entwicklung des Glaubens auf Grund des Beweises wird in den Ereignissen eines gewissen merkwürdigen Pfingstfests erläutert, bei welcher Gelegen- heit Tausende von Juden von dem Vorurteil, Jesus sei ein Betrüger, durchdrungen, das Zeugnis der Apostel

128 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.

hörten und Augenzeugen der begleitenden Zeichen wurden ; dreitausend von ihnen, von der Wahrheit überzeugt, wur- den Jünger des Sohnes Gottes ; ihr Vorurteil machte einem „Fürwahrhalten" Platz, und das ,, Fürwahrhalten" ent- wickelte sich zum Glauben mit seinen begleitenden Werken.^) Die Grundlage des Glaubens an Gott ist also ein aufrich- tiges Fürwahrhalten oder eine Kenntnis von ihm, wie sie durch Beweis und Zeugnis bestätigt und durch ernste, gebetsvolle Forschung geprüft und bewiesen wird.

11. Der Glaube ein Grundsatz der Macht. In seinem weitesten Sinn ist der Glaube die Zuversicht von Din- gen auf die wir hoffen, und nicht zweifeln an den durch unsere Sinne nicht erkennbaren Dingen der Beweggrund, der dieMenschen antreibt, zu entschließen und zu handeln. Ohne seine Ausübung würden wir keine Bemühung, deren Ergebnisse noch zukünftig sind, machen ; ohne den Glauben, im Herbst ernten zu können, würde der Mensch im Früh- ling nicht säen; noch würde er zu bauen versuchen, hätte er kein Vertrauen, den Bau fertig zu bringen und sich da- ran zu erfreuen ; hätte der Schüler keinen Glauben an die Möglichkeit, seinen Studien nachzugehen, so würde er seinen Lehrgang nicht antreten. Also wird uns der Glaube zur Grundlage der Hoffnung, aus der all unser Tun und Trachten, Streben und Vertrauen auf die Zukunft ent- springt. Nimm dem Menschen den Glauben an die Mög- lichkeit irgend eines erwünschten Erfolgs, und du beraubst ihn des Ansporns, zu streben. Er würde seine Hand nicht ausstrecken, zu greifen, wenn er nicht an die Möglichkeit glaubte, das, wonach er sie ausstreckt, zu erlangen. Dieser Grundsatz ist deshalb die antreibende Kraft, durch welche die Menschen nach Vortrefflichkeit ringen, oftmals Unbe- stand und Leiden erdulden, damit sie ihre Absichten zu-

') Siehe Apostelgesch. 2.

Art. 4.] Glaube. 129

Stande bringen. Der Glaube ist das Geheimnis des Strebens, die Seele des Heldenmuts, die bewegende Kraft aller An- strengungen.

12. Die Ausübung des Glaubens ist Gott wohlgefällig, und dadurch kann seine Vermittlung erworben werden. Durch Glauben folgten die Israeliten bei ihrem Auszug aus Ägyptenland ihrem furchtlosen Führer in das Meeresbett, und durch die schützenden Wirkungen Gottes, welche dieser Glaube hervorrief, wurden sie gerettet, während die Ägypter der Vertilgung entgegengingen.^) Mit vollem Vertrauen auf die Unterweisungen und Verheißungen Gottes, belagerten Josua und seine beherzten Nachfolger Jericho; und vor dem Glauben der Belagerer fielen die Mauern jener Sündenstadt, ohne die Anwendung der Sturmböcke oder andrer Kriegsmaschinen.^) Durch die- selbe Kraft erhielt Josua die Hilfe der leuchtenden Himmels- körper bei der Besiegung der Amoriter.^) Paulus führt^) auch Gideon,^) Barack,^) Simson,') Jephthah,^) David,') SamueP") und die Propheten an, ,, welche haben durch den Glauben Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit ge- wirkt, Verheißungen erlangt, der Löwen Rachen ver- stopft, des Feuers Kraft ausgelöscht, sind des Schwertes Schärfe entronnen, sind kräftig geworden aus der Schwachheit." Es war durch Glauben, daß Alma und Amulek aus der Gefangenschaft befreit wurden, als die Gefängnismauern, die sie früher eingeschlos-

») 2. Mose 14:22—29; Hebräer 11:29. *) Josua 6:20; Hebräer 11:30. ») Josua 10:12.

') Hebräer 11:32 34; Lehre u. Bündn., erste Vorlesung über Glau- ben Vers 20.

') Richter 6:11. «) Richter 4:6. ') Richter 13:24. «) Richter 11:1; 12:7. ') 1. Samuel 16:1, 13; 17:45. ") 1. Samuel 1:20; 12:20.

9

130 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.

sen hatten, zerspaltet und niedergerissen wurden.^) Durch Glauben wurden Nephi und Lehi,^) die Söhne Helamans, sogar durch Feuer vor ihren lamanitischen Feinden ge- schützt; doch wurden sie nicht verbrannt; und ein noch größeres Werk wurde in den Herzen ihrer Verfolger zu- stande gebracht, denn sie wurden erleuchtet und nahmen das Zeugnis der Wahrheit an. Durch die Wirkung des Glaubens können selbst die Meereswogen zur Ruhe ge- bracht werden ;3) Bäume sind der Stimme dessen, der durch Glauben gebietet, Untertan;^) Berge können zur Vollbringung gerechter Absichten versetzt werden;^) die Kranken können geheilt werden;^) böse Geister wer- den ausgetrieben;') und die Toten können ins Leben zurückgerufen werden.^) Alle Dinge werden durch den Glauben bewirkt.^)

13. Es könnte aber eingewendet werden, der Glaube an sich sei keine Quelle der Kraft, seine Wirkung sei viel- mehr einer äußerlichen Vermittlung göttlicher Hilfe, die der Glaube bloß erworben habe, zuzuschreiben. Und der Zweifler wird hinzufügen, ein allwissender Gott, der wirk- lich liebevoll und gütig wäre, würde von sich aus handeln und nicht darauf warten, durch Glauben oder Gebet an- gefleht zu werden. Die Heilige Schrift gibt eine ausrei- chende Antwort hierauf, durch ihre vielen Beweise dafür.

') Alma 14:26 29; Lehre u. Bündn., Vorlesungen über Glauben 1:19.

*) Helaman 5:20 52; L. u. B., Vorlesungen über Glauben 1:19. ') Matthäus 8:23—27; Markus 4:36—41; Lukas 8:22—25; Matthäus 14:24—32; Markus 6:47—51; Johannes 6:17—21.

♦) Matthäus 21:17—21; Markus 11:12—13, 20—24; Buch Mormon, Jakob 4:6.

') Matth. 17:20; Mark. 11:23—24; Ether 12:30; Jakob 4:6; L. u. B., Vorlesungen über Glauben 1:19.

n Lukas 13:11; 14:2; 17:11; 22:50; Matth. 8:2, 5. 14, 16, etc.

') Matthäus 8:28; 17:18; Mark. 1:23.

») Lukas 7:11— 16; Job. 11:43 45; I.Könige 17:17—24.

•) Matthäus 17:20; Markus 9:23; Epheser 6:16; 1. Johannes 5:4.

Art. 4.] Glaube. 131

daß der Allmächtige gesetzmäßig wirkt, und daß verän- derliches und launisches Handeln seinem Wesen fremd ist. Wie immer die Gesetze des Himmels entworfen sein mögen: ihre wohltätigen Wirkungen auf die Menschheit sind von dem Glauben und dem Gehorsam der sterblichen Wesen abhängig. Betrachten wir die Besiegung Israels durch die Männer von Ai; ein Gesetz der Rechtschaffenheit war übertreten und verworfene Dinge waren in das Lager des Volkes Gottes eingeführt worden; diese Übertretung machte dem Zufluß der göttlichen Hilfe ein Ende, und erst als sich das Volk wieder geheiligt hatte, wurde auch die Kraft wieder erneu- ert.^) Bei der Verrichtung seiner Wunder unter den Men- schen wurde Christus durch den Glauben oder den Mangel an Glauben des Volkes beeinflußt und bis zu einem gewissen Grade beherrscht. Der gewöhnliche Segen: ,,Dein Glaube hat dir geholfen!", mit dem er die heilende Vermittlung verkündete, ist Beweis dafür. Dann erfahren wir, daß er in seinem eignen Lande kein mächtiges Werk tun konnte, weil er durch den Unglauben des Volkes zurückgehalten wurde. 2)

14. Eine Bedingung des lebendigen Glaubens. Eine notwendige Bedingung zur Ausübung eines lebendigen, wachsenden, erhaltenden Glaubens an Gott ist das Bewußt- sein, daß man wenigstens versucht, den Gesetzen Gottes, wie man sie kennen gelernt hat, gemäß zu leben. Eine Erkenntnis, daß man absichtlich und mutwillig gegen die Wahrheit sündigt, wird einen der Aufrichtigkeit im Gebet und Glauben berauben und einen seinem Vater sicher ent- fremden. Man muß fühlen, daß die Richtung des Lebens- laufs Gott angenehm ist, und daß man mit gehöriger Nach-

•) Josua 7 und 8.

») Matthäus 13:58; Markus 6:5—6.

132 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.

sieht auf menschliche Schwachheit und menschlichen Fehl- tritt, gewissermaßen von dem Herrn anerkannt wird, sonst kann man sich nie mit Vertrauen dem Gnadenthron nähern. Das Bewußtsein ernsten Strebens nach göttlichem Wandeln und Verhalten ist an sich eine Kraft und stärkt seinen Besitzer in der Aufopferung und unter der Ver- folgung und erhält ihn in allen guten Werken. Es war diese Erkenntnis der sichern Verbindung mit Gott, welche die Heiligen in alten Zeiten befähigte, das zu ertragen, was sie ertrugen, obwohl ihre Leiden schrecklich waren. Über sie lesen wir, einige ,,sind zerschlagen und haben keine Erlösung angenommen, auf daß sie die Auferstehung, die besser ist, erlangten. Etliche haben Spott und Geißeln erlitten, dazu Bande und Gefängnis; sie wurden gesteinigt, zerhackt, zerstochen, durchs Schwert getötet; sie sind um- hergegangen in Schafpelzen und Ziegenfellen, mit Mangel, mit Trübsal, mit Ungemach (deren die Welt nicht wert war), und sind im Elend umhergeirrt in den Wüsten, auf den Bergen und in den Klüften und Löchern der Erde."^) Wie in früheren Tagen, so sind auch in der Gegenwart die Heiligen in all ihren Leiden durch die sichere Kenntnis des göttlichen Wohlgefallens erhalten worden; und der Glaube rechtschaffener Menschen ist durch das Bewußt- sein ihrer guten Anstrengungen immer gewachsen.

15. Der Glaube zur Seligkeit notwendig. Da Selig- keit nur durch die Vermittlung und durch das Sühnopfer Christi erreichbar ist, und da dieses auf persönliche Sünde nur dann angewandt wird, wenn die Gesetze der Recht- schaffenheit befolgt werden, so ist der Glaube an Jesum Christum zur Seligkeit unerläßlich. Aber niemand kann an Jesum Christum glauben und zur selben Zeit zweifeln an dem Dasein und der Autorität weder des Vaters noch des

') Hebräer 11:35 38; siehe auch Lehre u. Bündn., Vorlesungen über Glauben 6.

d

Art. 4.] Glaube. 133

Heiligen Geistes ; deshalb ist Glaube an die ganze Gottheit zur Seligkeit notwendig. Paulus erklärt, daß es ohne Glau- ben unmöglich ist, Gott zu gefallen, ,,denn wer zu Gott kommen will, der muß glauben, daß er sei und denen, die ihn suchen, ein Vergelter sein werde. "^) Die heiligen Schrif- ten sind voll von Zusicherungen der Seligkeit für diejenigen, die Glauben an Gott ausüben und die Forderungen, die jener Glaube klar macht, befolgen. Die Worte Christi in dieser Sache sind entscheidend : „Wer da glaubet und ge- tauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden ;"2) und weiter: „Wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Wer dem Sohn nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm. "3) Nach seinem Tode lehrten die Apostel ähnliche Lehren während der ganzen Zeit ihres Wirkens.*) Eine natürliche Folge des festen Glau- bens an die Gottheit ist ein wachsendesVertrauen auf die heiligen Schriften, als das Wort Gottes und auf die Worte und Werke seiner bevollmächtigten Diener, die als die lebenden Mundstücke des Himmels sprechen,

16. Der Glaube eine Gabe Gottes. Obwohl allen erreichbar, die sich fleißig bemühen, ihn zu erlangen, ist der Glaube dennoch eine göttliche Gabe und kann nur von Gott erhalten werden.^) Wie es sich bei einer so un- schätzbaren Perle geziemt, wird der Glaube nur denen gegeben, die durch ihre Aufrichtigkeit zeigen, daß sie sei-

1) Hebräer 11:6.

>) Markus 16:16.

») Johannes 3:36. Siehe auch Johannes 3:15; 4:42; 5:24; 11:^; Galater 2:20; Buch Mormon, 1. Nephi 10:6, 17; 2. Nephi 25:25; 26:8; Enos 1:8; Mosiah 3:17; 3. Nephi 27:19; Helaman 5:9; Lehre u. Bündn. 45:8.

«) Apostelgesch. 2:38; 10:42; 16:31; Römer 10:9; Hebräer 3:19; 11:6; 1. Petrus 1:9; 1. Johannes 3:23; 5:14.

') Matthäus 16:17; .Johannes 6:44, 65; Epheser 2:8; 1. Korinther 12:9; Römer 12:3; Buch Mormon, Moroni 10:11.

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Die Glaubensartikel.

[Vorl. V,

ner würdig sind, und die versprechen, sich an seine Vor- schriften zu halten. Obwohl der Glaube als der erste Grundsatz des Evangeliums Christi bezeichnet wird, und obwohl er in der Tat die Grundlage aller Religion ist, gehen dennoch Aufrichtigkeit der Gesinnung und Demut der Seele, wodurch das Wort Gottes einen Eindruck auf das Herz machen kann, selbst dem Glauben voran.^) Kein Zwang ist notwendig, um Menschen zu einer Er- kenntnis Gottes zu bringen ; doch sobald wir unsre Herzen den Einflüssen der Rechtschaffenheit öffnen, wird uns der zum ewigen Leben führende Glaube von unserm Vater gegeben.

17. Glauben und Werke. Der unstätige Glaube, das heißt ein bloßes gleichgültiges Für wahrhalten, ver- sagt als ein Mittel zur Seligkeit. Diese Wahrheit wurde sowohl von Christus als auch von seinen Apos- teln deutlich gelehrt. Die Kraft, mit der sie verkündigt wurde, weist vielleicht auf die frühe Entwicklung einer höchst verderblichen Lehre hin die der Rechtfertigung durch ,, Glauben allein". Der Heiland lehrte, daß Wer- ke notwendig sind, wenn das Bekenntnis gültig und der Glaube wirksam sein soll. Beachten wir seine Worte: ,,Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr! in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel. "2) „Wer meine Gebote hat und hält sie, der ist es, der mich liebt. Wer mich aber liebt, der wird von meinem Vater geliebt werden, und ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren, "3) Die Beleh- rungen des Apostels Jakobus sind besonders ausdrücklich : ,,Was hilft's, liebe Brüder, so jemand sagt, er habe den Glauben, und hat doch die Werke nicht? Kann auch der

') Siehe Römer 10:17. ') Matthäus 7:21. ») Johannes 14:21,

Art. 4.] Glaube. 135

Glaube ihn selig machen? So aber ein Bruder oder eine Schwester bloß wäre und Mangel hätte der täglichen Nah- rung, und jemand unter euch spräche zu ihnen: Gott berate euch, wärmet euch und sättiget euch! ihr gäbet ihnen aber nicht, was des Leibes Notdurft ist: was hülfe ihnen das? Also auch der Glaube, wenn er nicht Werke hat, ist er tot an ihm selber. Aber es möchte jemand sagen: Du hast den Glauben, und ich habe die Werke; zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, so will ich dir meinen Glauben zeigen aus meinen Werken. "i) Diesen mögen die Worte Johannes hinzugefügt werden: ,,Und an dem merken wir, daß wir ihn kennen, so wir seine Ge- bote halten. Wer da sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in solchem ist keine Wahrheit. Wer aber sein Wort hält, in solchem ist wahr- lich die Liebe Gottes vollkommen. Daran erkennen wir, daß wir in ihm sind. "2)

18. Diesen Belehrungen können viele göttlich ein- gegebene Aussprüche aus den nephitischen Schriften^) und der modernen Offenbarung,*) hinzugefügt werden, die alle die Notwendigkeit der Werke bestätigen und die errettende Wirksamkeit des bloßen Fürwahrhaltens leugnen. Aber trotz des deutlichen Wortes Gottes sind sektiererische Lehren verbreitet worden, daß der Mensch durch Glauben allein die Seligkeit erreichen könne, und daß schon ein bloßes Bekennen des Glaubens dem Sünder die Tore des Himmels öffne.^) Die angeführten heiligen Schrif- ten und das dem Menschen angeborene Gefühl der Gerech- tigkeit widerlegen diese unwahre Lehre gründlich.

1) Jakobus 2:14—18. ') 1. Johannes 2:3 5.

0 Siehe 1. Nephi 15:33; 2. Nephi 29:11; Mosiah 5:15; Ahna 7:27; >:28; 37:32—34; 41:3—5.

*) Das ganze Buch der Lehre u. Bündn. ') Siehe Anmerkung 2.

136

Die Glaubensartikel.

[Vorl. V.

Buße. 19. Das Wesen der Buße. Das Wort Buße wird in der Schrift mit verschiedenen Bedeutungen gebraucht; da Buße aber die Pflicht darstellt, die allen, welche Ver- gebung für ihre Übertretung erhalten möchten, obliegt, deutet es eine göttliche Trauer für Sünde an, die eine Bes- serung des Lebens hervorruft und damit vereint:

1. ein Bewußtsein der Schuld;

2. ein Verlangen, den schädlichen Folgen der Sünde zu entgehen, und

3. einen ernsten Entschluß, die Sünde zu lassen und hinfort Gutes zu vollbringen. Buße ist eine Folge der Zerknirschung der Seele. Diese Zerknirschung ent- springt aus einer tiefen Empfindung der Demut, und diese Empfindung ist wiederum von der Ausübung eines standhaften Glaubens an Gott abhängig. Deshalb ist Buße mit Recht der zweite Grundsatz des Evangeliums; er ist mit dem Glauben eng verbunden und folgt ihm unmittelbar nach. Sobald der Mensch Dasein und Au- torität Gottes anerkannt hat, empfindet er eine Ach- tung vor göttlichen Gesetzen und ein Bewußtsein seiner eigenen Unwürdigkeit. Sein Wunsch, dem Vater, den er so lange vernachläßigt hat, zu gefallen, wird ihn antreiben, die Sünde zu meiden; und dieser Antrieb wird von dem natürlichen und lobenswerten Verlangen des Sünders, den schrecklichen Folgen seiner Widerspenstigkeit wenn möglich zu entgehen, vermehrte Kraft erlangen. Mit dem durch frische Überzeugung inspirierten Eifer wird eine Gelegenheit, die Aufrichtigkeit seines neuentfalteten Glau- bens durch Werke zu zeigen, begehrt, und er wird die Ver- gebung seiner Sünden als die wünschenswerteste aller Segnungen ansehen. Dann wird er lernen, daß diese Gabe der Barmherzigkeit nur unter gewissen besondern Bedin-

Art. 4.] Buße. 137

gungen gegeben wird.^) Der erste Schritt der Sündenver- gebung entgegen besteht darin, daß der Sünder seine Sünden bekennt; der zweite, daß er andern, die gegen ihn gesündigt haben, vergibt, und der dritte, daß er seine Anerkennung des versöhnenden Opfers Christi zeigt, durch das Halten der göttlichen Gesetze.

20. 1. Das Bekennen der Sünden ist notwendig, denn sonst ist die Buße unvollkommen. Der Apostel Johannes sagt uns : „So wir sagen, wir haben keine Sünde, so verfüh- ren wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. So wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Untugend. "2) Wir lesen auch : „Wer seine Missetat leugnet, dem wird es nicht gelingen; wer sie aber bekennt und läßt, der wird Barmherzigkeit erlangen. "3) Und in dieser Dispensation hat der Herr den Heiligen gesagt: ,, Wahrlich, ich sage euch, ich, der Herr, vergebe denen, die ihre Sünden vor mir bekennen und Vergebung erflehen, wenn ihre Sünde nicht zum Tode ist."*) Daß die Buße dieses Werk des Bekennens in sich schließt, wird durch des Herrn eigne Worte gezeigt: „Hierdurch könnt ihr wissen, ob einMensch seine Sünden bereut: sehet er wird sie bekennen und ab- legen, "s)

21. 2. Der Sünder muß bereit sein, andern zu vergeben, wenn er selber Vergebung zu erlangen hofft. Sicher ist seine Reue nur oberflächlich, wenn sein Herz nicht bis zur Nachsicht und Milde gegenüber den Schwachheiten seiner Mitmenschen erweicht wird. Als der Heiland seine Zuhörer beten lehrte, unterwies er sie den Vater anzuflehen :

') Siehe Anmerkung .3.

») 1. Johannes 1 :8 9; siehe auch Psalm 32:5; 38:19; Buch Mormon, Mosiah 26:29—30.

') Sprüche 28:13.

*) Lehre u. Bündn. 64:7.

') L. u.B. 58:43.

138 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.

„Und vergib uns unsere Schulden, wie wir unsern Schuldi- gern vergeben. "1) Er veranlaßte sie nicht, auf Vergebung zu hoffen, wenn sie in ihrem Herzen einander nicht ver- geben hätten: ,,Denn", sagte er, „so ihr den Menschen ihre Fehler vergebet, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben. Wo ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben. "2) Und Vergebung von Mensch zu Mensch muß, um dem Herrn angenehm zu sein, unbegrenzt sein. Auf die Frage des Petrus: ,,Herr, wie oft muß ich denn meinem Bruder, der an mir sündiget, vergeben? Ist's genug siebenmal?", erwiderte der Meister: „Ich sage dir: Nicht siebenmal, sondern siebenzigmal siebenmall", womit er unzweifelhaft lehren wollte, daß der Mensch immer bereit sein müsse, zu vergeben. Bei einer andern Gelegen- heit lehrte er die Jünger und sprach: ,,So dein Bruder an dir sündigt, so strafe ihn; und so es ihn reut, vergib ihm. Und wenn er siebenmal des Tages an dir sündigen würde und siebenmal des Tages wiederkäme zu dir und spräche: Es reut mich! so sollst du ihm vergeben."^)

22. Um die göttliche Absicht, den Menschen mit dem Maß zu messen, mit dem sie ihren Mitmenschen messen,^) weiter zu erläutern, erzählte der Heiland seinen Jüngern das Gleichnis von dem König, dem einer seiner Untertanen eine sehr große Summe Geldes, zehntausend Pfund, schuldig war; als aber der Knecht sich demütigte und um Barmherzigkeit bat, wurde das mitleidige Herz des Königs gerührt, und er erließ seinem Knecht die Schuld. Als dieser aus der Gegenwart des Königs ging, begegnete er einem Mitknecht, der ihm eine geringe Summe

>) Matthäus 6:12; siehe auch Lukas 11:4.

-) Matthäus 6:14—15; Buch Mormon, 3. Nephi 13:14—15.

=) Lukas 17:3 4.

*) Matthäus 7:2; Markus 4:24; Lukas 6:38.

Art. 4. J Buße. 139

schuldig war; die ihm eben erst gezeigte Barmherzigkeit vergessend, griff er seinen Genossen an und warf ihn ins Gefängnis, bis er die Schuld bezahlt habe. Als nun der König das hörte, ließ er den bösen Knecht vor sich bringen, hielt ihm seine Undankbarkeit und Rücksichtslosigkeit vor und überlieferte ihn den Peinigern.^) Der Herr wird nicht auf die Bitten hören, noch eine Gabe eines solchen Menschen annehmen, der Verbitterung gegen andre in seinem Herzen hat: ,, Versöhne dich mit deinem Bruder, und alsdann komm und opfre deine Gabe. "2) In seinem geoffenbarten Wort an die Heiligen in diesen Tagen hat der Herr besondern Nachdruck auf diese notwendige Be- dingung gelegt: ,, Darum sage ich euch, daß ihr einander vergeben sollet, denn wer seinem Bruder seine Übertre- tungen nicht vergibt, derselbe steht gerichtet vor dem Herrn, denn ihm verbleibt die größere Sünde"; und um allen Zweifel betreffs der Personen, welchen der Mensch eigentlich vergeben sollte, zu beseitigen, wird hinzugefügt: „Ich, der Herr, werde vergeben wem ich vergeben will; von euch aber wird gefordert, daß ihr allen Menschen vergebet. "3) 23. 3. Vertrauen auf das Sühnopfer Christi bildet die dritte notwendige Bedingung der Sündenvergebung. Der Name Jesus Christus ist der einzige Name unter dem Him- mel, durch welchen die Menschen errettet werden können ;*) und uns wird gelehrt, unsre Bitten an den Vater in dem Namen des Sohnes darzubringen. Aus dem Munde eines Engels empfing Adam diese Belehrung,^) und in demselben Sinne wurden die Nephiten von dem Heiland persönlich belehrt.^) Aber kein Mensch kann wahrhaftig Glauben an

1) Matthäus 18:23—35.

') Matthäus 5:23—24; 3. Nephi 12:23—24.

») Lehre u. Bündn. 64:9 10.

') Köstl. Perle, Moses 6:52.

<■) Köstl. Perle, Moses 5:6—8.

•) 3. Nephi 27:5—7.

140 Die Glaubensartikel. [Vorl. V.

Christum bekennen und sich gleichzeitig weigern, seine Gebote zu befolgen; deshalb ist Gehorsam zur Vergebung der Sünden notwendig; und der bußfertige Sünder wird eifrig zu erfahren suchen, was von ihm weiter gefordert wird.

24. Wenn Buße ihren Namen verdienen soll, muß sie mehr sein als ein bloßes Eingeständnis der Fehler; sie besteht nicht aus Wehklagen und weitschweifigen Sünden- bekenntnissen, sondern aus dem aufrichtigen Bekennen der Schuld, das von einem Abscheu vor der Sünde begleitet ist und einem festen Entschluß, Genugtuung für die Ver- gangenheit zu leisten und in der Zukunft besser zu tun. Wenn ein solches Bekennen aufrichtig ist, wird es mit jener göttlichen Traurigkeit bezeichnet, die, wie Paulus gesprochen hat, ,, wirkt zur Seligkeit eine Reue, die nie- mand gereut ; die Traurigkeit aber der Welt wirk t d en Tod , "i) Weislich hat der Apostel Orson Pratt gesagt: „Für einen Sünder hätte es keinen Zweck, seine Sünden vor Gott zu bekennen, wenn er nicht entschlossen wäre, sie zu meiden; es würde ihm nichts nützen, traurig zu sein, weil er Unrecht getan hat, es sei denn, er beabsichtige, nicht mehr Unrecht zu tun; es wäre für ihn Torheit vor Gott, zu bekennen, er habe seinen Mitmenschen Schaden zugefügt, wenn er nicht entschlossen wäre, alles, was in seinen Kräften liegt, zu tun um Wiedererstattung zu lei- sten. Also ist die Buße nicht allein ein Bekennen der Sün- den mit einem traurigen, zerknirschten Herzen, sondern ein fester, bestimmter Entschluß, sich von allem bösen Wandel fern zu halten."

25. Buße zur Seligkeit notwendig. Dieser Beweis der Aufrichtigkeit, dieser Anfang eines bessern Lebens wird von allen Bewerbern um Seligkeit gefordert. Zum Erlan-

') 2. Korinther 7:10.

Art. 4.] Buße. 141

gen göttlicher Barmherzigkeit ist Buße ebenso unentbehr- lich wie Glaube; sie muß so umfassend sein wie die Sünde ist. Wo findet man einen vollkommen sündlosen Men- schen? Wohlweishch hat der Prediger der alten Zeiten erklärt: „Denn es ist kein Mensch so gerecht auf Erden, daß er Gutes tue und nicht sündige."^) Wer bedarf denn keiner Vergebung? Wer ist von den Forderungen der Buße frei? Gott hat denen, die aufrichtig Buße tun, Vergebung verheißen ; solchen werden die Vorteile persön- licher Seligkeit durch das Sühnopfer Christi zuteil. Mit zusichernden Verheißungen der Vergebung ermahnt Je- saja in folgender Weise zur Buße: „Suchet den Herrn, solange er zu finden ist; rufet ihn an, solange er nahe ist. Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter seine Gedanken und bekehre sich zum Herrn, so wird er sich sein erbarmen, und zu unserem Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. "2)

26. Der Ruf zur Buße ist in jedem Zeitalter die Bürde der von Gott erleuchteten Lehrer gewesen. Zu diesem Zweck wurde die Stimme des Johannes in der Wüste gehört : ,,Tut Buße, das Himmelreich ist nahe herbeikommen. "3) Und der Heiland folgte mit: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium!"*) denn ,,so ihr euch nicht bessert, werdet ihr alle auch also umkommen."^) So auch verkündigten die Apostel vor alters, daß Gott ,, gebietet allen Menschen an allen Enden, Buße zu tun."^) Und in der gegenwärtigen Dispensation ist das Wort gekommen, ,,Wir wissen, daß

') Prediger 7:20; siehe auch Römer 3:10; 1. Johannes 1:8.

') Jesaja 55:6 7; siehe auch Buch Mormon, 2. Nephi 9:24; Alma 5:31—36, 49—56; 9:12; Lehre u. Bündn. 1:32—33; 19:4; 20:29; 29:44; 133:16.

») Matthäus 3:2.

♦) Markus 1:15.

') Lukas 13:3.

•) Apostelgesch. 17:30.

142

Die Glaubensartikel.

[Vorl. V.

alle Menschen bereuen, an den Namen Jesu Christi glauben * * * müssen, oder sie können nicht im Reiche Gottes selig werden."^)

27. Buße eine Gabe Gottes. Die Buße ist ein Mittel zur Vergebung, und deshalb ist sie eine der großen Gaben Gottes an die Menschen. Sie kann nicht durch gleich- gültiges Bitten erlangt werden; sie ist nicht auf der Straße zu finden; sie ist nicht von der Erde, sondern ein Schatz des Himmels, und wird, obschon mit grenzenloser Großherzigkeit doch mit Gewissenhaftigkeit denen ge- geben, die gute Werke, welche die Gabe der Buße berech- tigen, hervorgebracht haben. 2) Das heißt, alle, die sich auf Buße vorbereiten, werden durch den demütigenden und besänftigenden Einfluß des Heiligen Geistes zu dem tatsächlichen Besitz dieser großen Gabe geführt werden. Als Petrus von seinen Mitarbeitern der Gesetzesübertre- tung beschuldigt wurde, weil er mit Heiden verkehrt habe, erzählte er seinen Zuhörern von den göttlichen Kundtuungen, die er eben erst empfangen hatte; sie glaubten und erklärten: ,,So hat Gott auch den Heiden Buße gegeben zum Leben l"^) In seinem Brief an die Rö- mer, lehrt auch Paulus, daß Buße durch die Güte Gottes komme.*)

28. Buße nicht immer möglich. Die Gabe der Buße wird den Menschen gegeben, wenn sie sich vor dem Herrn demütigen; sie ist das Zeugnis des Geistes in ihren Herzen; hören sie nicht auf den Ermahner, so wird er sie wieder verlassen, denn der Geist Gottes wird nicht immer mit den Menschen rechten. 5) Je mehr die Sünde mit Absicht

') Lehre u. Bündn. 20:29.

») Matthäus 3:7 8; Apostelgesch. 26:20.

') Apostelgesch. 11:18.

•) Römer 2:4; siehe auch 2. Timotheus 2:25.

') 1. Mose 6:3; L. u. B. 1:33.

Art. 4.] Buße. 143

getan wird, desto schwieriger wird die Buße; es ist durch Demut und Zerknirschung des Herzens, daß der Sünder» seinen Glauben an Gott vermehren und die unschätzbare Gabe der Buße von ihm empfangen kann. In dem Maße, wie die Buße hinausgeschoben wird, wird die Fähigkeit, zu bereuen, schwächer; Versäumnis einer Gelegenheit in heiligen Dingen hat Verlust derselben zur Folge. Als der Herr in den ersten Tagen der neu gegründeten Kirche Joseph Smith Gebote gab, sagteer: „Denn ich, der Herr, kann auch nicht mit dem geringsten Grade von Nachsicht auf Sünde herabblicken ; dennoch soll der, der bereut und die Gebote des Herrn befolgt, Vergebung finden ; von dem aber, der nicht bereut, soll das Licht genommen werden, das er schon gehabt hat, denn mein Geist wird nicht immer mit den Menschen rechten, sagt der Herr der Heer- scharen,"^)

29. Buße hier und im Jenseits. Der nephitische Prophet Alma beschrieb die Zeit des irdischen Daseins als einen den Menschen zur Buße gegebenen Prüfungs- stand ;2) dennoch erfahren wir aus den Schriften, daß auch noch hinter dem Schleier der Sterblichkeit unter gewissen Bedingungen Buße möglich ist. In der Zeit zwischen seinem Tod und seiner Auferstehung pre- digte Christus „den Geistern im Gefängnis, die vorzeiten nicht glaubten, da Gott harrte und Geduld hatte zu den Zeiten Noahs."^) Diese Geister besuchte der Sohn, und ihnen predigte er das Evangelium, ,, damit sie nach dem Gesetz der im Fleisch lebenden gerichtet werden möchten ; die, welche das Zeugnis Jesu im Fleische nicht annahmen, es aber später noch empfingen."^)

0 Lehre u. Bündn. 1 :31 33. =) Alma 12:24; 34:32; 42:4. ') 1. Petrus 3:19—20. *) L. u. B. 76:73—74.

Die Glaubensartikel.

[Vorl. V.

30. Doch ist keine Seele berechtigt, ihre Buße ange- , sichts der Langmut und Barmherzigkeit Gottes zu ver- schieben. Wir wissen nicht, unter welchen Bedingungen Buße im Jenseits erreichbar sein wird, aber es ist vernunft- widrig zu glauben, daß die Seele, welche die Gelegenheit zur Buße in diesem Leben wissentlich verworfen hat, es leicht finden werde, dort Buße zu tun. Den Tag der Buße hinauszuschieben,^) heißt soviel wie uns absichtlich in die Gewalt des Widersachers zu begeben. Gleich wie Amulek die Volksmenge in alten Zeiten lehrte und ermahnte: „Denn sehet, dieses Leben ist die Zeit, wo sich die Menschen vorbereiten sollen, ihrem Gott zu begegnen,*** deshalb bitte ich euch, den Tag euerer Bekehrung nicht bis ans Ende hinauszuschieben.*** Wann diese furchtbare Be- drängnis eintritt, dann könnt ihr nicht mehr sagen: Ich will mich bekehren und mich zu meinem Gott wenden. Nein, das könnt ihr nicht sagen, denn derselbe Geist, der zu der Zeit, da ihr dieses Leben verlasset, in euern Kör- pern wohnt, derselbe Geist wird in jener ewigen Welt die Macht haben, in euern Körpern zu wohnen. Denn sehet, wenn ihr den Tag eurer Bekehrung bis zum Tode hinaus- geschoben habt, sehet, dann seid ihr dem Geiste des Teufels untertänig geworden, der euch als sein Eigentum ver- siegelt."^)

Anmerkungen. 1. Ein Beispiel von falschem Glauben. „Als die Europäer ihre Er- forschungen der neuen Welt anfingen, waren die Indianer, die ihnen be- gegneten, über die Kraft und das Sprengvermögen des Schießpulvers sehr erstaunt und stellten viele Fragen über seine Herstellungsweise. Da die Europäer hier eine Gelegenheit erblickten, ihren Reichtum durch Betrug zu vergrößern, zogen sie einen Vorteil aus der Unwissenheit der Wilden und sagten den Indianern, es sei der Same einer in den Ländern, wo sie her kamen, wachsenden Pflanze, und ohne Zweifel würde sie auch in ihrem

1) Alma 34:33. ») Alma 34:32-

Art. 4.] Anmerkungen. 145

Lande gedeihen. Natürlich glaubten die Indianer dieser Erklärung und kauften den angeblichen Samen, wofür sie als Gegenwert eine große Menge Gold gaben. In festem Glauben pflanzten sie den Samen sorgfältig und warteten begierig, daß er aufgehe und eine Pflanze daraus entstehe; aber es geschah nicht. An die Erklärung die ihnen die Europäer gaben, hatten sie geglaubt, aber da diese Erklärungen falsch waren, und da deshalb das Zeugnis, auf welches die Indianer ihren Glauben gegründet hatten, un- richtig war, war ihr Glaube vergebens." Orson Pratt.

2. Der sektiererische Lehrsatz der Rechtfertigung durch Glauben allein hat seit den ersten Tagen des Christentums einen verderblichen Einfluß ausgeübt. Der Gedanke, auf den diese verderbliche Lehre gegründet wurde, war zuerst mit der Lelire einer unbedingten Vorherbestimmung ver- bunden, wonach der Mensch schon zum Voraus entweder zur Vernichtung oder zur gänzlich unverdienten Seligkeit bestimmt sei. Demgemäß lehrte Luther: „Die treffliche, unfehlbare und einzige Vorbereitung für Gnade ist die ewige Gnadenwahl und Vorherbestimmung Gottes." „Seit dem Fall des Menschen ist freier Wille bloß ein eitler Ausdruck." „Ein Mensch, der es sich erdenkt, Gnade zu erlangen wenn er alles tut, was er nur tun kann, fügt Sünde zu Sünde, und ist doppelt schuldig." „Der Mensch, der viele Werke tut, ist nicht gerechtfertigt; sondern der, der ohne Werke, viel Glauben an Christus hat." (Für diese und andre Lehren der sogenannten „Reformation" siehe D'Aubigne, „History of the Reformation", Band I, S. 82, 83, 119, 122.) In Miller's „Church History" (Band IV, S. 514) lesen wir: „Der Punkt, den der Reformator (Luther) in all seinen Werken, Kämp- fen und Gefahren am tiefsten im Herzen hatte, war die Rechtfertigung durch Glauben allein." In folgenden Worten äußert Melanchthon die Lehre Luthers: „Die Rechtfertigung des Menschen vor Gott geht aus dem Glau- ben allein hervor. Dieser Glaube kommt in das Menschenherz durch die Gnade Gottes allein;" und weiter, „Da alle Dinge, die geschehen, nach der göttlichen Vorherbestimmung geschehen, gibt es kein solches Ding wie Freiheit in unserm Willen." (D'Aubigne, Band III, S. 340.) Zwar erklärte sich Luther kräftig gegen und leugnete gewaltig die Verantwortung für diese Ausschweif ungen, zu denen diese Lehre führte, dennoch war er selbst nicht weniger kraftvoll im Verkündigen der Lehre. Beachten wir seine Worte : „Ich, Doktor Martin Luther, unwürdiger Verkündiger des Evangeliums unsres Herrn Jesus Christus, bekenne diesen Artikel, daß der Glaube allein ohne Werke, vor Gott rechtfertige; und ich erkläre, daß er für immer be- stehen und bleiben solle, trotz des Kaisers der Römer, des Kaisers der Türken, des Kaisers der Perser trotz des Papstes und aller Kardinäle, mit den Bischöfen, Priestern, Mönchen und Nonnen trotz Königen, Fürsten und Edelmännern und trotz aller Welt und selbst der Teufel; und daß, wenn sie versuchen, gegen diese Wahrheit zu kämpfen, sie die Feuer der Hölle auf ihre Häupter hernieder ziehen werden. Dieses ist das wahre und heilige Evangelium, und die Erklärung von mir, Doktor Luther, nach den Eingebungen des Heiligen Geistes." (D'Aubigne, Band I, Seite 70.)

Fletscher („End of Religions Controversies", S. 90) erläutert die ver- derbte Ausschweifung, zu welcher diese schädliche Lehre führte, indem er einen ihrer Anhänger beschuldigt, er habe gesagt, „Selbst Ehebruch und Mord schaden den Gott wohlgefälligen Kindern nicht, sondern wirken eher zu ihrem Wohl. Gott sieht keine Sünde in den Gläubigen, welche Sünde sie auch immer begehen mögen. *** Es ist ein höchst verderblicher Fehler

10

146

Die Glaubensartikel.

[Vorl. V.

der Scholastiker, Sünden nach der Tat und nicht nach der Person zu unter- scheiden. Obwohl ich die verurteile, die sagen, lasset uns sündigen, daß Gnade reichlich vorhanden sei, soUen dennoch Ehebruch, Blutschande und Mord mich im großen ganzen heiliger auf Erden und fröhlicher im Himmel machen."

Eine Übersicht über die religiösen Streitfragen des Mittelalters, einschließlich der Lehre Luthers imd andrer von den Gnadenmitteln ist in Roberts „Outlines of Ecclesiastical History" enthalten (Teil 3, Abschnitt 11) auf die der Leser verwiesen sei. Die oben erwähnten Anführungen sind darin einverleibt.

3. Vergebung wird nicht immer sogleich gewährt. „Wegen der Größe der begangenen Sünde, folgt auf Buße nicht immer Vergebung und Wiederherstellung. Zum Beispiel: als Petrus zu den Juden, die Jesum er- schlagen und sein Blut auf sich imd ihre Kinder genommen hatten, predigte, sagte er nicht : „Tut Buße und lasset euch taufen zur Vergebung der Sün- den;" sondern „So tut nun Buße \uid bekehret euch, daß eure Sünden ver- tilgt werden; auf daß da komme die Zeit der Erqmckimg von dem Ange- sicht des Herrn, wenn er senden wird den, der euch jetzt zuvor gepredigt wird, Jesus Christus, welcher muß den Himmel einnehmen bis auf die Zeit, da herwiedergebracht werde alles, was Gott geredet hat durch den Mund aller seiner heiligen Propheten von der Welt an" (Apostelgesch. 3:19—21). Das heißt: tut Buße jetzt und glaubet an Jesus Christus, daß ihr Vergebung empfangen möget, wenn der, den ihr erschlagen habt, in den Tagen der Wiederherstellung aller Dinge wieder kommen und euch die Bedingungen, unter welchen ihr gerettet werden könnt, vorschreiben wird." „Compendium", S. 28.

Art. 4.] Die Taufe. 147

Vorlesung VI.

Die Taufe.

Artikel 4. Wir glauben, daß die ersten Prinzipien und Verord- nungen des Evangeliums sind: » * 3. Taufe durch Untertauchung zur Vergebung der Sünden * * *.

1. Das Wesen der Taufe. Den Heiligen der letzten Tage ist die Wassertaufe das dritte Prinzip und die erste wesentliche Verordnung des Evangeliums. Die Taufe ist das zur Herde Christi führende Tor, die Pforte der Kirche, die zur Einbürgerung in dem Reich Gottes ein- gesetzte Verordnung. Nachdem der Bewerber um Zutritt in die Kirche und das Reich Glauben an den Herrn Jesus Christus erworben und bekannt und seine Sünden aufrich- tig bereut hat, wird mit Recht von ihm gefordert, daß er durch irgendeine äußere Verordnung, die durch Auto- rität als Zeichen oder Sinnbild des neuen Bekenntnisses vorgeschrieben worden ist, einen Beweis für diese geistige Heiligung gebe. Die einführende Verordnung ist die Taufe im Wasser, der die höhere Taufe mit dem Heiligen Geiste folgen soll; und als eine Frucht dieser Tat des Gehorsams wird Vergebung der Sünden gewährt.

2. Wie einfach sind die so eingesetzten Mittel zum Eintritt in die Herde ! Sie sind sowohl dem Ärmsten und Schwächsten als auch dem Reichen und Mächtigen erreich- bar! Welches Sinnbild könnte gegeben werden, das besser als die Taufe im Wasser eine Reinigung von Sünde ausdrückt? Die Taufe ist das Zeichen des Bündnisses, das zwischen dem bußfertigen Sünder und seinem Schöpfer eingegangen wird, daß der Sünder hernach versuchen

148 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.

will, die Gebote Gottes zu beachten. Betreffs dieser Tat- sache hat der Prophet Alma das Volk in Gideon wie folgt ermahnt und unterrichtet: „Ja, ich sage euch: Kommet und fürchtet euch nicht, leget jede Sünde ab, die euch leicht überkommt und zum Verderben führt; ja, kommet hervor und zeigt euerm Gott, daß ihr willig seid, euch von euren Sünden zu bekehren und in einen Bund mit ihm zu treten, um seine Gebote zu halten ; und bezeuget es ihm heute dadurch, daß ihr in das Wasser der Taufe geht."i)

3. Der gedemütigte Sünder, der durch das Geben der guten Gaben Gottes, des Glaubens und der Buße, von seiner Übertretung überzeugt ist, wird irgendwelche Mittel, sich von der in seinen Augen jetzt so abscheulichen Befleckung zu reinigen, hocherfreut begrüßen; er wird wie die von der Rede getroffene Volksmenge an Pfing- sten ausrufen: ,,Was soll ich tun?" Durch die Heilige Schrift oder durch den Mund der berufenen Diener des Herrn kommt zu solchen die antwortende Stimme des Geistes: ,,Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sün- den. "2) Da sie der Zerknirschung der Seele entspringt, ist die Taufe mit Recht die erste Frucht der Buße genannt worden. 3)

4. Die Einsetzung der Taufe erfolgte schon in der Zeit der frühesten Geschichte des Menschengeschlechts. Nach der Austreibung aus dem Garten Eden, als sich der Herr Adam offenbarte, verhieß er dem Patriarchen des Menschen- geschlechts: ,,Wenn du dich zu mir kehren, meiner Stimme gehorchen, glauben und dich von allen deinen Übertre- tungen bekehren und getauft werden willst, und zwar im

') Alma 7:15.

") Apostelgesch. 2:37 38.

») Moroni 8:25.

Art. 4.] Die Taufe. 149

Wasser, im Namen meines eingeborenen Sohnes, der voller Gnade und Wahrheit ist, der Jesus Christus ist, der einzige Name, der unter dem Himmel gegeben werden soll, durch den Seligkeit auf die Kinder der Menschen kommen wird, sollst du die Gabe des Heiligen Geistes empfangen und alle Dinge in seinem Namen bitten; und was ihr auch immer bitten werdet, das soll euch gegeben werden * * *, Und es geschah, als der Herr mit unserm Vater Adam gesprochen hatte, daß Adam zum Herrn schrie, und er wurde von dem Geiste des Herrn aufgehoben und hinabgetragen in das Wasser und unter das Wasser gelegt und wieder aus dem Wasser hervorgebracht. Und so wurde er getauft; und der Geist Gottes kam auf ihn herab, und so wurde er von dem Geiste geboren und belebt in dem inneren Menschen. "i) Henoch verkündigte die Lehre von der Buße und der Taufe und taufte die Menschen, und so viele als diese Belehrungen annahmen und sich den Forderungen des Evangeliums unterwarfen, wurden in den Augen Gottes geheiligt und heilig.

5. Der besondere Zweck der Taufe ist die Aufnahme in die Kirche Christi und Vergebung der Sünden zu er- langen. Bedarf es vieler Worte, um den Wert dieser von Gott eingesetzten Verordnung zu beweisen? Welche größere Gabe könnte den Menschen angeboten werden, als ein bereitstehendes Mittel zur Erlangung der Verge- bung für die Übertretung? Die Gerechtigkeit verbietet allgemeines und bedingungsloses Vergeben begangener Sünden, es sei denn durch Befolgung des verordneten Gesetzes. Aber es sind einfache und wirksame Mittel vor- gesehen worden, wodurch der bußfertige Sünder in ein Bündnis mit Gott eintreten und dieses Bündnis siegeln kann mit einem Zeichen, das Anerkennung im Himmel

>) Köstl. Perle, Moses 6:52—65.

150 Die Glaubensarükel. [Vorl. VI.

fordert, daß er bereit ist, sich den Gesetzen Gottes zu unter- werfen. In dieser Weise bringt er sich in den Bereich der Gnade, unter deren schützendem Einfluß er ewiges Leben erlangen kann.

6. Die biblischen Beweise, daß die Taufe als ein Mittel zur Vergebung der Sünden bestimmt ist, sind zahl- reich. In den Tagen, die dem Wirken des Heilands im Fleische unmittelbar vorausgingen, war Johannes der Täufer der besondere Prediger dieser Lehre; und die Stimme dieses Predigers in der Wüste, welche die Vergebung der Sünden als die Frucht der Gott wohlgefälligen Taufe verkündigte, erregte Jerusalem und widerhallte durch ganz Judäa.^)

7. Als Saulus von Tarsus, ein eifriger Verfolger der Anhänger Christi, auf eine weitere Ausübung eines irre geführten Eifers bedacht, nach Damaskus reiste, empfing er eine besondere Offenbarung der Macht Gottes und wurde durch Zeichen und Wunder bekehrt. Er hörte und antwortete auf die Stimme Christi und wurde dadurch ein besondrer Zeuge seines Herrn. Doch sogar diese unge- wöhnliche Kundgebung der göttlichen Güte war nicht genügend . Durch die ihmgeof f enbarte Herrlichkeit erblindet, gedemütigt und ernst gemacht, und der furchtbaren Tat- sache bewußt, daß er seinen Erlöser verfolgt hatte, rief er in Seelenangst aus, ,,Herr, was willst du, daß ich tun soll?" Er wurde nach Damaskus gewiesen, um dort mehr über den Willen Gottes inbezug auf seine Person zu erfah- ren. Mit Freude empfing er den Boten des Herrn, den frommen Ananias, der ihm diente, sodaß er sein Augenlicht wieder bekam, und der ihn dann die Taufe als ein Mittel zur Erlangung der Vergebung der Sünden lehrte.^)

') Markus 1:4; Lukas 3:3. ') Apostelgesch. 22:1 16.

Art. 4.] Die Taufe. 151

8. Saulus, jetzt als Paulus bekannt, darnach ein Prediger der Gerechtigkeit und ein Apostel des Herrn Jesu Christi, lehrte anderen denselben großen errettenden Grundsatz, daß durch die Taufe im Wasser die Wieder- geburt von der Sünde komme.^) In kraftvollen Worten und von besonderen Beweisen göttlicher Kraft begleitet, erklärte Petrus der bußfertigen Volksmenge dieselbe Lehre. Im Innersten getroffen durch das Aufzählen alles dessen, was sie dem Sohn Gottes angetan hatten, riefen sie aus: „Ihr Männer, liebe Brüder, was sollen wir tun?" Alsbald kam die Antwort mit apostolischer Vollmacht: ,,Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünden. "2)

9. Die Propheten des Buches Mormon gaben der Herde Christi im Westen dasselbe Zeugnis. Denselben Zweck verfolgten die Worte Nephis, des Sohnes Lehis, die er an seine Brüder richtete: ,,Denn das Tor, durch das ihr eingehen sollt, ist Reue und Taufe im Wasser, alsdann kommt die Vergebung eurer Sünden durch Feuer und durch den Heiligen Geist. "3) Wie schon angeführt, so lehrte auch Alma das Volk in Gideon.*) Unmittelbar vor der Ankunft Christi auf Erden ging Nephi, der Enkel Hela- mans, unter seinem Volke umher und taufte zur Buße, und „es wurden viele Sünden vergeben."^) Nephi ordi- nierte Mitarbeiter zu dem Werke, ,, damit alle, die zu ihnen kommen, im Wasser getauft würden; und dies als Beweis und Zeugnis vor Gott und dem Volke, daß sie sich bekehrt und eine Vergebung ihrer Sünden erhalten hät- ten."^) Von Christus beauftragt, fügt Mormon sein eigenes

') Titus 3:5.

') Apostelgesch. 2:36 38; siehe auch 1. Petrus 3:21.

») 2. Nephi 31:17.

*) Alma 7:14 15; siehe Seite 148.

«) 3. Nephi 1:23.

•) 3. Nephi 7:24—26.

152 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.

Zeugnis hinzu und ermahnt das Volk, seine Sünden zu meiden und sich zur Vergebung derselben taufen zu lassen.^)

10. Neuzeitliche Offenbarung über die Taufe und ihren Zweck zeigt, daß der Herr dieser Verordnung heute die nämliche Wichtigkeit zuschreibt wie in frühern Zeiten. Damit der Kirche in der gegenwärtigen Dispensation keine Frage betreffs der Anwendung dieser Lehre entstehe, ist zu unsrer Richtschnur das Prinzip von neuem erklärt, das Gesetz wieder verordnet worden. Die Ältesten der Kirche sind beauftragt, die Vergebung der Sünden, wie sie durch die autorisierte Taufe zu erlangen ist, zu predigen. 2)

11. Würdige Bewerber um die Taufe. Da der Haupt- zweck der Taufe die Aufnahme in die Kirche und die Ver- gebung der Sünden ist, und da dieses nur durch Ausübung des Glaubens an Gott und durch aufrichtige Reue vor ihm geschieht, kann die Taufe gerechterweise nur von denen gefordert werden, die fähig sind, Glauben auszuüben und Buße zu tun.^) In einer im April 1830 durch den Propheten Joseph der Kirche gegebenen Offenbarung er- klärt der Herr ausdrücklich die Bedingungen, unter denen Personen in die Kirche aufgenommen werden können : „Alle, die sich vor Gott demütigen und wünschen, getauft zu werden, und herzutreten mit zerknirschtem Herzen und reumütigem Geist und vor der Kirche bezeugen, daß sie wahrhaftig alle ihre Sünden bereut haben und wilhg sind, den Namen Jesu Christi auf sich zu nehmen; die den Entschluß fassen, ihm bis ans Ende zu dienen und wirk- lich durch ihre Werke bezeugen, daß sie von dem Geiste

•) 3. Nephi 30:2.

«) Lehre u. Bündn. 19:31; 55:2; 68:27; 76:51—52; 84:27, 74.

') Siehe Anmerkung 1.

Art. 4.] Die Taufe. 153

Christi zur Vergebung ihrer Sünden erhalten haben sollen durch die Taufe in die Kirche aufgenommen werden."^)

12. Solche Bedingungen schließen alle aus, die das Alter des Verstandes und der Verantwortlichkeit noch nicht erreicht haben. Durch besondern Befehl hat es der Herr der Kirche verboten, irgend j emand aufzunehmen, der dieses Alter noch nicht erreicht hat.-) Durch Offenbarung hat der Herr acht Jahre als das Alter bezeichnet, in welchem Kinder in der Kirche rechtmäßig getauft werden können; und von den Eltern wird gefordert, ihre Kinder auf die Verordnungen der Kirche vorzubereiten, indem sie ihnen die Lehren des Glaubens, der Buße, der Taufe und der Gabe des Heiligen Geistes lehren. Vernachlässigen sie diese Forderung, wird dies vom Herrn als auf den Häuptern der Eltern ruhende Sünde betrachtet. 3)

13. Die Kindertaufe. Die Heiligen der letzten Tage treten dem Brauch der Kindertaufe scharf entgegen ; sie glauben sogar, daß diese in den Augen Gottes ein Frevel ist. Niemand, der dem Worte Gottes glaubt, kann ein Kind als unrein ansehen. Ein solches unschuldiges Wesen braucht keine Einführung in die Herde, denn es ist nie von ihr entwichen, es braucht keine Vergebung der Sünden, denn es ist sündlos; und sollte es sterben, ehe es von den Sünden der Welt befleckt wird, so wird es ohne Taufe wieder in die Gegenwart Gottes aufgenommen werden. Doch gibt es viele, angeblich christliche Lehrer, welche erklären, daß alle Kinder, da in einer bösen Welt geboren, böse seien, und um vor Gott angenehm zu werden, müßten sie in dem Wasser der Taufe gereinigt werden. Wie furchtbar ist doch diese Lehre ! Das Kind, auf welches der Heiland zeigte als ein Beispiel der Nacheiferung selbst

•) Lehre u. Bündn. 20:3';

2) L. u. B. 20:71.

') L. u. B. 68:25—27.

154 Die Glaubensartikel. . (Vorl. VI.

derer, die das heilige Amt eines Apostels empfangen hatten, ^) des Herrn auserwähltes Vorbild des Him- melreichs; die bevorzugten Geister, deren Engel für immer in der Gegenwart des Vaters stehen und treu alles berichten, was ihren heiligen Pfleglingen getan wird:^) solche Seelen sollen verworfen und der Qual übergeben werden, weil ihre irdischen Hüter es versäumten, sie taufen zu lassen ! Eine derartige Lehre zu verkündigen ist Sünde.

14. Die Geschichte der Kindertaufe ist lehrreich, denn sie wirft Licht auf den Ursprung dieses ungesetzlichen Brauches. Es ist gewiß, daß die Taufe der kleinen Kinder, (englisch pedobaptism, griechisch paidos, Kind, und baptismos, Taufe), weder von dem Heiland noch von seinen Aposteln gelehrt w^urde. Einige weisen auf den Fall hin, wo Christus die kleinen Kinder segnete und jene tadelte, die den Kleinen verbieten wollten, zu ihm zu kommen ;3) sie sagen, es sei dies ein Beweis für die Kindertaufe; aber wie Bischof Jeremy Taylor kurz und bündig erwidert hat: „Aus dem Segnen der Kinder durch Christus zu schließen, daß sie getauft werden sollten, beweist nur daß es an beßren Beweisen mangelt; denn die Schlußfolgerung müßte eigentlich lauten : Christus segnete die Kinder und ließ sie so gehen; er taufte sie also nicht, und deshalb sollen Kinder nicht getauft werden."

15. Es gibt keinen glaubwürdigen Bericht, daß die Kindertaufe während der ersten zwei Jahrhunderte nach Christo vollzogen wurde, und der Brauch wurde jedenfalls nicht vor dem 5. Jahrhundert allgemein üblich; aber von der letzterwähnten Zeit an bis zur Reformation, wurde er von den meisten, sich zum Christentum bekennenden

') Matthäus 18:1—6.

') Matthäus 18:10.

') Matthäus 19:14; Markus 10:13; Lukas 18:15.

Art. 4.] Die Taufe. 155

Kirchen angenommen. Und sogar in jenem dunkeln Zeit- alter erhoben viele religiösen Disputanten ihre Stimmen gegen diesen ruchlosen Brauch.^) Zu Anfang des 16. Jahr- hunderts war eine Sekte unter dem Namen Wiedertäufer (englisch anabaptista, griechisch ana, wieder, und baptizo, taufen) in Deutschland sehr bedeutend geworden. Wegen ihres Widerstands gegen die Ausübung der Kindertaufe unterschied sich diese Sekte von den andern, und von der Forderung, daß alle Mitglieder, die in der Kindheit getauft worden waren, wieder getauft werden sollten, stammt ihr Name her. Diese Glaubensgenossenschaft, gewöhnlich die Baptisten genannt, ist durch Innern Streit sehr zerteilt worden; im allgemeinen aber haben die Baptisten eine Einigkeit des Glaubens im Bekämpfen der Taufe verant- wortungsfreier Kinder beibehalten.

16. Taufe und Beschneidung. Einige Kinder- täufer haben versucht, eine Verwandtschaft zwischen der Taufe und der Beschneidung nachzuweisen. Für diesen Standpunkt gibt es aber keine biblische Berech- tigung. Die Beschneidung wurde als Zeichen des Bündnisses zwischen Gott und seinem erwählten Die- ner Abraham eingesetzt,^) ein Sinnbild, das von der Nachkommenschaft Abrahams als ein Wahrzeichen an- gesehen wurde für ihre Freiheit von der Abgötterei jener Zeiten und für die göttliche Annahme ihres eigenen Volkes. Aber nirgends ist die Beschneidung zum Mittel zur Verge- bung der Sünden gemacht worden. Jene Vorschrift war nur auf das männliche Geschlecht anwendbar; die Taufe hingegen wird beiden Geschlechtern gespendet. Die Be- schneidung war am achten Tag nach der Geburt zu voll- ziehen, auch wenn der Tag auf einen Sabbath fiel.^)

•) Siehe Anmerkung 2. ') 1. Mose 17:1—14. ') Johannes 7:22—23.

156 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.

Unter der Leitung Cyprians, des Bischofes zu Karthago, wurde im 3. Jahrhundert eine Bischofsversammlung ab- gehalten, die feierlich entschied, daß es gefährlich und infolgedessen nicht zu erlauben sei, die Taufe bis zum achten Tage nach der Geburt zu verschieben.

17. Die Kindertaufe wird im Buch Mormon verboten. Aus dieser Tatsache wissen wir, daß unter den Nephiten Streitigkeiten über diesen Punkt entstanden sein müssen. Da Mormon vom Herrn besondere Offenbarung über diese Streitfrage bekommen hatte, schrieb er einen Brief darüber an seinen Sohn Moroni, in welchem er den Brauch der Kindertaufe verurteilt und erklärt, daß irgend jemand, der vermutet, kleine Kinder bedürften der Taufe, in der Galle der Bitterkeit und den Banden der Sünden sei, die Barmherzigkeit Christi verleugne und die Versöhnung durch ihn, und die Macht seiner Erlösung beiseite setze, ^)

18. Die Taufe zur Seligkeit notwendig. Die meisten Beweise inbezug auf den Zweck der Taufe bekunden mit gleicher Kraft, daß die Taufe zur Seligkeit notwendig ist. Denn insofern die Vergebung der Sünden einen be- sondern Zweck der Taufe bildet da keine Seele mit unvergebenen Sünden in dem Reich Gottes selig werden kann ist es klar, daß die Taufe zur Seligkeit notwendig ist. Seligkeit ist dem Menschen unter der Bedingung der Befolgung der Gebote Gottes verheißen; und wie die heiligen Schriften endgültig beweisen, ist die Taufe eines der wichtigsten Gebote. Da Gott die Taufe verlangt, muß der Zweck, wofür sie eingesetzt ist, notwendig sein, denn unser himmlischer Vater geht nicht mit unnötigen Formen um. Die Taufe wird von allen, welche die Jahre der Verantwortlichkeit erreicht haben, verlangt, niemand ist ausgenommen.

^) Moroni 8; lies das ganze Kapitel.

Art. 4.] Die Taufe. 157

19. Selbst Christus, ein Mensch ohne Sünde mitten in einer sündhaften Welt, wurde, „um alle Gerechtigkeit zu erfüllen" getauft ;i) denn solches war der Zweck, wie der Heiland auch selbst dem unschlüssigen Priester erklärte, der, obgleich er sehr eifrig für seine große Mission war, dennoch Einwendungen machte, als ihm geboten wurde, einen, den er als sündlos ansah, zu taufen. Jahrhunderte vor diesem großen Ereignis, als Nephi unter dem Volke in der westlichen Welt prophezeite, weissagte er von der Taufe des Heilandes und erklärte vortrefflich, wie die Gerechtigkeit dadurch erfüllt werden würde: ,,Wenn nun das Lamm Gottes, welches heilig ist, nötig hatte, im Wasser getauft zu werden, um alle Gerechtigkeit zu erfüllen, o, wie viel mehr haben wir, die wir unheilig sind, nötig, ge- tauft zu werden, und zwar im Wasser. "2)

20. Die Worte des Heilandes, welche er sprach als er im Fleische wirkte, erklären, daß die Taufe zur Seligkeit notwendig ist. Ein Oberster der Juden, Nikodemus, kam zu Christus in der Nacht und bekannte sein Vertrauen zu den Belehrungen Christi, den er als einen „Lehrer von Gott gekommen" bezeichnete. Da Christus seinen Glauben sah, lehrte er ihn eins der Hauptgesetze des Himmels und sprach: ,,Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er das Reich Gottes nicht sehen." Eine Frage von Nikodemus rief die wiederholte Erklärung des Heilandes hervor: ,, Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen."^) Es ist gleichsam unbestreitbar, daß die hier zum Eintritt in das Reich als notwendig bezeichnete Wassergeburt die Taufe ist. Über die Stellung Christi zur Taufe erfahren wir weiter,

n Matthäus 3:15. =) 2. Nephi 31:5—8 ') Johannes 3:1 5.

158 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.

daß er die Verordnung von denen, die vorgaben, seine Jünger zu werden, forderte.^) Als er in seinem auferstan- denen Zustand den Elf erschien und ihnen seinen Ab- schiedssegen und letzten Auftrag gab, befahl er ihnen: „Damm gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes ;"2) und über das, was der Taufe folgen sollte lehrte er sie: „Wer da glaubet und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubet, der wird ver- dammt werden. "3)

21. So deutlich auch der Geist dieser Belehrungen und Verheißungen ist, so gibt es dennoch viele, welche, ob- wohl sie vorgeben, die Lehre des Erlösers zu lehren, dem Sinn seiner Belehrungen ausweichen und erklären, da Chris- tus nur sagte ,,Wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden", anstatt „Wer nicht getauft wird, wird verdammt werden", sei die Taufe nach alledem nicht eine Hauptsache, sondern bloß eine Füglichkeit oder eine einfache Genauig- keit in dem Erlösungsplan. Es ist eine Verspottung des Glaubens, vorzugeben an Christus zu glauben und sich dann zu weigern, an seinem Gebot festzuhalten. An das Wort Gottes zu glauben und nicht darnach zu handeln, heißt nur unsere Schuld vergrößern; ein solches Verhalten fügt nur eine Heuchelei zur andern. Sicher wird die volle Strafe, die auf vorsätzlichen Unglauben gesetzt worden ist, auf den angeblich Gläubigen fallen, der sich weigert, dieselben Prinzipien, an die zu glauben er sich rühmt, zu befolgen. Und was kann von der Aufrichtigkeit desjenigen gesagt werden, der es ablehnt, die göttlichen Gebote zu befolgen, weil keine besondern Strafen für den Fall des Ungehorsams vorgesehen seien? Kann die Reue eines

') Johannes 4:1- ') Matthäus 28:1 ») Markus 16:16,

Art. 4.] Die Taufe. 159

solchen aufrichtig sein, wenn er nur aus Furcht vor der Strafe jetzt gehorsam ist? Jedoch sind in der Erklärung dieses Prinzips die Worte des Herrn als Richtschnur für die Heiligen in der gegenwärtigen Dispensation ausführ- licher und genauer: „Und wer da glaubet und getauft wird, der soll selig werden, doch wer nicht glaubet und nicht getauft wird, der soll verdammt werden."^)

22. Dieselbe Lehre von der Notwendigkeit der Taufe wurde von den Jüngern Christi verkündet; besonders von denen, die mit ihm im Dienste unmittelbar verbunden waren. Johannes der Täufer bezeugte, daß er berufen worden war, mit Wasser zu taufen, 2) und inbezug auf die, welche die Lehren des Johannes angenommen haben, er- klärte der Heiland, daß diese, obwohl sie Zöllner waren, den Rat Gottes erfüllten, während die Pharisäer und Schriftgelehrten, die sich weigerten, sich taufen zii lassen, „verachteten Gottes Rat wider sich selbst",^) wodurch sie unzweifelhaft ihr Recht zur Seligkeit verloren haben. Wie schon erwähnt, hatte der vorstehende Apostel, Petrus, für die begierige Volksmenge, welche die Bedingungen der Seligkeit zu wissen wünschte, nur eine Antwort: „Tut Buße und lasse sich ein jeglicher taufen."^)

23. Des Heilandes demütige Unterwerfung unter den Willen seines Vaters, indem er sich taufen ließ obwohl er ohne Sünde war erklärt der Welt kräftiger als alle Worte es tun können, daß niemand von dieser Bedingung ausgenommen sein kann, und daß die Taufe zur Seligkeit unbedingt notwendig ist. Kein Beweis des göttlichen Wohl- wollens, keine Bescherung himmhscher Gaben erläßt dem Menschen die Befolgung dieser und auch andrer Anfor-

») Lehre u. Bündn. 112:29.

') Johannes 1 :33.

") Lukas 7:30.

•) Apostelgesch. 2:38; siehe auch 1. Petrus 3:21.

160 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.

derungen des Evangeliums. Einige Erläuterungen dieser Tatsache sind in Verbindung mit der Erklärung des Zwecks der Taufe angeführt worden. Obwohl es Saulus von Tarsus erlaubt wurde, die Stimme seines Erlösers zu hören, konnte er nur durch das Tor der Taufe durch Wasser und den Heiligen Geist in die Kirche Christi eingehen.^) Nach- her predigte er die Taufe und erklärte, daß wir durch diese Verordnung „Christum anziehen", W'Odurch wir Kinder Gottes werden. Der Hauptmann Kornelius erlangte durch seine Almosen und Gebete Wohlgefallen vor Gott; es kam ein Engel zu ihm und wies ihn an, Petrus kommen zu lassen, der ihm sagen würde, was er tun sollte. Der von dem Herrn auf diese Mission vorbereitete Apostel trat in das Haus des bußfertigen Heiden obwohl er dadurch die jüdische Sitte verletzte und lehrte ihn und seine Familie von Christo Jesu. Als Petrus noch sprach, fiel der Heilige Geist auf seine Zuhörer, also daß sie durch die Gabe der Zungen Zeugnis gaben und Gott priesen. 2) Dennoch be- freite sie das Geschenk solcher großen Gaben in keiner Weise von der Unterwerfung unter das Gesetz der Taufe; Petrus befahl ihnen vielmehr, sich in dem Namen des Herrn taufen zu lassen.

24. Die Diener Christi auf der westlichen Halbkugel waren nicht weniger energisch im Verbreiten der Lehre von der Taufe. Lehi^) und sein Sohn Nephi*) zeugten von der Taufe des Heilandes und auch von der unbedingten Notwendigkeit der Taufe durch Wasser und den Heiligen Geist für alle, die nach der Seligkeit trachten. In treff- licher Weise vergleicht Nephi Buße und Taufe durch Wasser und Geist mit dem Tor, das zur Herde Gottes

•) Apostelgesch. 9:18; 22:1—16. ») Apostelgesch. 10:30 48. ») 1. Nephi 10:7—10. *) 2. Nephi 31:4—14.

Art. 4.] Die Taufe. 161

führt. 1) Alma predigte die Taufe als zur Seligkeit un- erläßlich und forderte das Volk auf, durch die Befolgung dieses Prinzips dem Herrn zu bezeugen, daß es ein Bündnis mit ihm mache, seine Gebote zu halten. Der zweite Alma, der Sohn des ersten, verkündete die Taufe als ein Mittel zur Seligkeit, und weihte Männer, die taufen sollten.^)

25. Während des letzten Jahrhunderts vor der Ge- burt Christi wurde durch das Predigen des Glaubens, der Buße und der Taufe das Werk Gottes unter den Lamaniten angefangen. Ammon erklärte diese Lehre dem König Lamoni und seinem Volke.^) Helaman predigte von der Taufe;*) und wir lesen, daß sich während seines Wirkens weniger als ein halbes Jahrhundert vor dem Kommen Christi auf Erden tausende durch die Taufe der Kirche anschlössen. Genau so predigten die Söhne Helamans,^) und sein Enkel Nephi.^) Diese Taufen wurden in dem Na- men des Messias, der kommen sollte, vollzogen; als aber dieser seine Herde im Westen besuchte, ordnete er an, daß sie in dem Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes getauft werden sollten; und er verlieh zwölf erwählten Dienern die Vollmacht, in dieser Verord- nung zu amtieren') und verhieß allen, die sein Gesetz er- füllen würden und zwar nur solchen die Schätze des Himmels.

26. Beweise dafür, daß der Heiland den getauften Zustand als eine notwendige Bedingung der Mitgliedschaft in seiner Kirche betrachtete, sind reichlich vorhanden; und als er das Abendmahl unter den Nephiten einsetzte.

') 2. Nephi 31:17.

») Mosiah 18:8—17; Alma 5:61, 62; 9:27.

») Alma 19:35.

«) Alma 62:45.

') Helaman 5:14—19.

•) 3. Nepbi 1:23.

') 3. Nephi 11:22—25; 12:1—2.

162 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.

wies er seine Jünger an, es nur denen zu spenden, die richtig getauft worden waren. ^) Weiter wird uns erklärt, daß alle, die getauft wurden, wie es Christus angeordnet hatte, die Kirche Christi genannt wurden.^) Der Ver- heißung des Heilandes getreu, kam der Heilige Geist auf alle, die durch seine ordinierte Autorität getauft wurden; auf diese Weise wurde die höhere Taufe mit Feuer und dem Heiligen Geist der Wassertaufe hinzugefügt,^) und viele von ihnen bekamen wunderbare Kundgebungen des gött- lichen Wohlgefallens und sahen und hörten unaussprech- liche Dinge, die nicht geschrieben werden dürfen. Der Glaube des Volkes zeigte sich in guten Werken,*) in Ge- beten und im Fasten.^) Der Heiland anerkannte dies, in- dem er nochmals erschien und sich diesmal den von ihm zu dem Werke berufenen Jüngern offenbarte und ihnen die frühern Verheißungen wiederholte inbezug auf alle, die auf ihn getauft werden würden; diesem fügte er hinzu, daß, wenn sie bis ans Ende ausharrten, sie am Tage des Gerichts schuldlos gehalten werden sollten.^) Bei dieser Gelegenheit wiederholte er den Befehl, durch dessen Be- folgung Seligkeit verheißen wird: ,, Bekehret euch alle ihr Enden der Erde; kommet zu mir und werdet getauft in meinem Namen, damit ihr durch das Empfangen des Heiligen Geistes geheiligt und am jüngsten Tage flecken- los vor mir stehen möget."')

27. Beinahe 400 Jahre später hören wir dieselbe Ver- kündigung von den Lippen Mormons.^) Und als sein Sohn Moroni, der letzte Vertreter eines einst so mächtigen

') 3. Nephi 18:5, 11, 28—30.

') 3. Nephi 26:21.

«) 3. Nephi 26:17—18; 28:18; 4. Nephi 1:1.

♦) 3. Nephi 26:19—20.

') 3. Nephi 27:1—2.

n 3. Nephi 27:16.

') 3. Nephi 27:20.

») Mormon 7:8 10.

Art. 4.j Die Taufe. 163

Volkes, trauerte, weil seine Verwandtschaft vertilgt war, gab er, was er zu jener Zeit sein letztes Zeugnis der Wahrheit dieser Lehre wähnte;^) und als er dann wider Erwarten am Leben blieb, wendete er sich wieder an das heilige Thema, denn er schätzte den unberechenbaren Wert der Lehre für alle und jeden, der seine Zeilen lesen würde. In Worten, die als seine letzten angesehen werden können, zeugte er von der Taufe durch Wasser und Geist, als dem Weg zur Seligkeit. 2)

28. Und dieses große in alten Zeiten verkündigte Prinzip bleibt auch heute unverändert; es ist Wahrheit und ändert sich nicht. Die Ältesten der heutigen Kirche sind beauftragt worden in beinahe denselben Worten wie die Apostel in alten Zeiten: „Gehet in alle Welt, predigt das Evangelium aller Kreatur, und handelt nach der Vollmacht, die ich euch gegeben habe, taufet in dem Na- men des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes; und wer da glaubet und getauft wird, der soll selig werden und wer nicht glaubet, der soll verdammt werden. "3) Und ferner hören wir das Wort des Herrn durch Joseph den Propheten an die Ältesten der Kirche: ,, Darum, wie ich zu meinen Aposteln sagte, wiederhole ich euch, daß jede Seele, die an eure Worte glaubt und im Wasser zur Vergebung der Sünden getauft wird, den Heiligen Geist

I empfangen soll," Doch ,, wahrlich, wahrlich, ich sage euch, daß die, welche nicht an eure Worte glauben und nicht getauft werden, im Wasser in meinem Namen zur Verge- bung ihrer Sünden, damit sie den Heiligen Geist empfangen möchten, verdammt werden und nicht in meines Vaters Reich, wo der Vater und ich sind, kommen sollen."^) Mit

») Mormon 9:22—23,

») Moroni 6:1 4.

') Lehre u. Bündn, 68:8 9.

«) L. u. B. 84:64, 74; siehe auch 112:28—29.

164 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.

der Befolgung dieser Befehle haben dieÄltesten dieser Kirche fortgefahren, das Evangelium unter den Nationen zu ver- kündigen; und sie predigen, daß Glaube, Buße und Taufe durch Wasser und durch den Heiligen Geist zur Seligkeit notwendig sind.

29. Wir haben nun die unter den Juden, den Nephiten und der Kirche Jesu Christi in diesem Zeitalter allgemeinen Lehren betreffs der Taufe schon untersucht und gefunden, daß die gelehrten Prinzipien immer dieselben sind. In Wirklichkeit sind wir weiter zurück gegangen, selbst zu der frühsten Geschichte des Menschengeschlechts und haben gefunden, daß die Taufe als ein erlösendes Prinzip, durch welches Vergebung und Seligkeit für Adam verheißen wurden, verkündet ward. Niemand hat Ursache auf Selig- keit zu hoffen, es sei denn durch Unterwerfung unter das Gesetz Gottes, von welchem die Taufe ein notwendiger Teil ist.

Anmerkungen.

1. Vorbereitung auf die Taufe. Die Lehre, daß der Taufe eine wirlc- same Vorbereitung vorangehen müsse, wenn sie gültig sein soll, wurde in den Tagen Christi, und in der sogenannten apostolischen und in der unmittelbar darauf folgenden Zeit allgemein gelehrt und ver- standen. Aber nach und nach schwand dieser Glaube dahin, und die Taufe wurde als eine äußere Form angesehen, deren Anwendung, wenn überhaupt, nur wenig von der Wertschätzung und dem Begreifen ihres Zweckes seitens des Täuflings abhänge. Wie im Text der Vorlesung erklärt wird, hat es der Herr für weise gehalten, die Lehre in der gegenwärtigen Dispensation von neuem zu erklären. Was den frühern Glauben betrifft, werden hier ein paar Beweise angeführt:

„In den frühem Zeiten des Christentums wurden Männer und Frauen auf das Bekennen des Glaubens an den Herrn Jesum Cliristum getauft." Canon Farrar.

„Aber da Christus ihnen gebietet, (Mark. 16:15 16) zu lehren, ehe sie taufen, und da er wünscht, daß die Taufe nur den Gläubigen gestattet werde, scheint es, als ob die Taufe nicht richtig vollzogen werde, es sei denn, daß ihr der Glaube vorangehe." * * * In der apostolischen Zeit „wird keiner gefunden, der getauft worden wäre, ohne ein vorhergehendes Bekennen des Glaubens und der Buße." Calvin.

Art. 4.] Anmerkungen. 165

„Ihr werdet nicht zuerst getauft, um erst dann zu beginnen, den Glauben zu empfangen, und ein Verlangen zu haben; sondern wenn ihr getauft werden wollt, macht ihr zuvor euren Willen dem Lehrer bekannt, und mit eurem eigenen Munde macht ihr ein volles Bekenntnis eures Glaubens." Arnobius, ein Religionslehrer, der in der letzten Hälfte des 3. Jahrhunderts schrieb.

„In der ursprünglichen Kirche ging die Belehrung der Taufe voran, und dies geschah in Übereinstimmung mit der Anordnung Jesu Christi: Gehet hin und lehret alle Völker, und taufet sie usw." Saurin (ein fran- zösischer Protestant, 1677 1730).

„In den ersten zwei Jahrhunderten wurde niemand getauft, der nicht im Glauben unterrichtet, mit der Lehre Christi bekannt gemacht und erklärt hatte, sich zu den Gläubigen zu bekennen; und dies wegen jener Worte: Wer da glaubet und getauft wird!" Salmassius (ein französischer Schriftsteller, 1588 1653).

2. Geschichtliche Anmerkungen über die Kindertaufe. „Das Taufen kleiner Kinder war in den ersten zwei Jahrhunderten n. Chr. gänzlich un- bekannt***. Der Brauch der Kindertaufe fing nicht vor dem 3. Jahrhundert nach Christi Gebiu-t an. In den vorhergehenden Jahrhunderten erscheint keine Spur von ihr und sie wurde ohne den Befehl Christi eingeführt." Curcellaeus.

„Es ist sicher, daß Christus die Kindertaufe nicht einsetzte. * * * Wir können auch nicht beweisen, daß die Apostel die Kindertaufe einführten. Aus Stellen, in denen die Taufe einer ganzen Familie erwähnt wird (wie in Apostelgesch. 16:33; 1. Korinther 1 : 16), können wir keine solchen Schlüsse ziehen, denn es müßte erst festgestellt werden, daß es in diesen Familien Kinder gegeben hätte, die noch nicht alt genug waren, das Christentum in einer verständigen Weise anzunehmen; denn das ist der einzige Punkt, um den es sich dreht. * * * Da die Taufe mit einem bewußten Eintritt in die Gemeinschaft der Christen sehr eng verknüpft war, waren Glauben imd Taufe immer eng mit einander verbunden; demnach ist es höchst wahrscheinlich, daß die Taufe nur vollzogen wurde, wo beide vor- handen sein konnten, und ferner, daß der Brauch der Kindertaufe zu dieser (der apostolischen) Zeit unbekannt war. * Daß erst in einer so späten Zeit wie Irenäus (wenigstens nicht früher), eine Spur der Kindertaufe erscheint, daß sie erst während des 3. Jahrhunderts als eine apostolische Überlieferung erkannt wurde, ist eher ein Beweis gegen als für die Anerken- nung ihres apostolischen Ursprungs." Johann Neander (ein deutscher Theologe, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in hohem Ansehen stand).

„Daher lasset sie kommen, wenn sie erwachsen sind, wenn sie verste- hen können, wenn sie gelernt haben, wo sie hinkommen sollen. Lasset sie Christen werden, wenn sie Christum erkennen können." Tertullian (einer der lateinischen „Kirchenväter"; er lebte von 150 bis 220 n. Chr.). Der entschlossene Widerstand Tertullians gegen den Brauch der Kindertaufe wird von Neander angeführt als „ein Beweis, daß sie damals nicht allgemein als eine apostolische Verordnung betrachtet wurde; denn in diesem Falle, hätte er es kaum gewagt, so entschieden dagegen zu reden."

Im ersten Teil des 16. Jahrhunderts erklärte Martin Luther: „Aus den Heiligen Schriften kann nicht bewiesen werden, daß die Kindertaufe von Christus eingesetzt, noch von den ersten Christen nach den Aposteln angefangen wurde."

166 Die Glaubensartikel. [Vorl. VI.

„Unter „tekna" verstellt der Apostel nicht kleine Kinder sondern Nachkommenschaft; in welcher Bedeutung das Wort in vielen Stellen des neuen Testaments vorkommt (siehe unter andern Joh. 8:39). Deshalb scheint es, daß die Beweise für die Taufe kleiner Kinder, die gewöhnlich von dieser Stelle abgeleitet werden, kraftlos und untauglich sind." Lim- borch (ein geborner Holländer und ein Theologe von gutem Ruf; er lebte 1633—1712).

3. Die Taufe notwendin- „Daß die durch das Evangelium vorge- schriebene Taufe zur Seligkeit notwendig ist, wird in den heiligen Schriften ausgiebig bewiesen. Als Christus, die höchste den Menschen bekannte Autorität, mit Nikodemus sprach, erklärte er: „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Es sei denn, daß jemand geboren werde aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen" (Joh. 3:5). Und für so wichtig hielt der Heiland die Taufe, daß, als er zu Johannes kam um ge- tauft zu werden, und Johannes ihm wehrte, er ihm erwiderte: „Laß es jetzt also sein! also gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen." (Matthäus 3:13 15.) Damit lehrte er den Johannes, daß der Mensch ohne die Taufe eine Fülle der Gerechtigkeit, oder die Seligkeit, nicht empfangen könne. Ohne Zweifel verstand der Prophet Nephi, der beinahe 600 Jahre vor der Gebvu-t unsres Heilandes lebte, die Notwendigkeit der Taufe. Er sagte: „Wenn nun das Lamm Gottes, welches heilig ist, nötig hat, im Wasser ge- tauft zu werden, um alle Gerechtigkeit zu erfüllen, o, wie viel mehr haben wir, die wir unheilig sind, nötig getauft zu werden, und zwar im Wasser?" (2. Nephi 31:5). Der Prophet Mormon, der ungefähr 1000 Jahre nach Nephi lebte, lehrte ebenfalls, wie notwendig es ist, daß man dem Beispiel unseres Heilandes folge und getauft werde; und zwar zuerst im Wasser (Mormon 7:10)." Compendium, S. 32. Siehe auch Lehre u. Bündn. 5:16; 68:8; 76:51; 112:29; 128:12; Buch Mormon, 2. Nephi 31:11—17; Alma 5:62; 9:27; 3. Nephi 18:5; 28:18; Mormon 9:29; Moroni 6:1^; 8:4— 22.

Art. 4.] Die Form der Taufe. 167

Vorlesung VII.

Die Taufe. Fortsetzung.

Artikel 4. Wir glauben, daß die ersten Prinzipien und Verord- nungen des Evangeliums sind: * 3. Taufe durch Untertauchung zur Vergebung der Sünden * * *.

Die Form der Taufe,

1. Die Art und Weise der Vollziehung der Taufe ist wichtig. Bei unsrer Betrachtung des Zwecks und der Notwendigkeit der Taufe ist viel von der Wichtigkeit, die der Herr dieser einleitenden Verordnung beilegt, ge- sprochen worden. Es ist natürlich, daß auch die Form der Vollziehung dieser Verordnung genau vorgeschrieben sein sollte. Viele christliche Sekten haben irgendeine fest- stehende Aufnahmeordnung, in der das Wasser als ein notwendiger Bestandteil gebraucht wird. Bei einigen besteht die kirchliche Handlung nur darin, daß der Priester mit dem benetzten Finger die Stirn des Täuflings berührt, oder darin, daß er sein Gesicht mit Wasser begießt oder besprengt, während andere die Untertauchung des ganzen Körpers als erforderlich betrachten. Die Heiligen der letzten Tage behaupten, daß es keine solche Doppelsin- nigkeit betreffs der zulässigen Form der Taufe in der Schrift gibt; und sie erklären kühn ihren Glauben, daß die Untertauchung des Körpers durch einen dazu gehörig bevollmächtigten Diener oder Stellvertreter des Heilan- des, die einzig wahre Form ist. Die Gründe für diesen Glauben mögen zusammen gefaßt werden, wie folgt:

168 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.

1. Die Herleitung und der frühere Gebrauch des Wortes Taufe (englisch, baptism) und anderer Wörter gleicher Abstammung bedeuten Untertauchung.

2. Das Sinnbild der Verordnung wird in keiner anderen Form gewahrt.

3. Die heilige Schrift, das durch den Mund alter und neuzeitlicher Propheten geo|fenbarte Wort Gottes, schreibt Untertauchung als die wahre Form der Taufe vor.

2. 1. Das Wort „Taufe" (englisch baptism) stammt wie von den Sprachforschern allgemein anerkannt wird, von dem griechischen bapto, baptizo ab, und bedeutet buchstäblich ein- oder untertauchen. (Taufen, * * * eigent- lich Bewirkungswort zu tief, wie blenden zu blind, eigent- lich ,, untertauchen", im Gotischen die Übersetzung des griechischen ßamiQeiv (baptizein) „taufen" zu ^ameiv (baptein) „tauchen", und vielleicht von den Goten zu den übrigen Germanen gekommen, wofür spricht, daß die Angelsachsen fulwian „taufen", fulwiht „Taufe" sagen. Weigand, Deutsches Wörterbuch. Der Übersetzer.) Wie es bei jeder lebenden Sprache der Fall ist, können Wörter in der Bedeutung großeÄnderung erfahren ; und eini- ge Schriftsteller behaupten, daß der in Frage gezogene Aus- druck ebenso anwendbar auf Begießung oder Besprengung mit Wasser als auf wirkliche Untertauchung sein könne. Es ist daher interessant, die allgemeine Bedeutung des Wortes in den Tagen Christi zu erforschen; denn da es der Heiland offenbar für unnötig hielt, bei seiner Belehrung über die Taufe die Bedeutung des Wortes in irgendeiner Weise näher zu bestimmen, oder sich darüber weitläufig auszulassen, muß das Wort denen, die seine Belehrungen empfingen, eine sehr genaue Bedeu- tung ausgedrückt haben. Aus dem von den lateinischen und griechischen Autoren^) gemachten Gebrauch des

') Siehe Anmerkung 1.

Art. 4.] Die Form der Taufe. 169

ursprünglichen Wortes ist es klar, daß sie eine wirkliche Untertauchung im Wasser als die einzig richtige Bedeu- tung verstanden. Die heutigen Griechen verstehen unter einer Taufe ein Begräbnis im Wasser, und da sie sich zum Christentum bekennen, üben sie heute noch Untertau- chung als die einzig richtige Form der Taufe aus.^) Bei dieser Art der Beweisführung sollte nicht vergessen werden, daß sprachkundiger Beweis nicht immer ent- scheidend ist. Lasset uns dann zu der Erwägung anderer und stärkerer Gründe übergehen.

3. 2. Das Sinnbild der Taufhandlung wird nur in der Untertauchung verwirklicht. Der Heiland verglich die Taufe mit einer Geburt und erklärte sie für notwendig für das ins Reich Gottes führende Leben. 2) Sicherlich kann niemand sagen, daß eine einfache Besprengung mit Wasser über Gesicht oder Kopf eine Geburt darstelle. Daß Chris- tus als Lehrer der Menschheit so hervorragte, ist nicht zuletzt seiner klaren, bestimmten und kraftvollen Sprache zuzuschreiben. Seine Vergleiche sind immer stark, seine Bilder immer ausdrucksvoll, seine Gleichnisse überzeugend, und ein so unpassender Vergleich, wie er in einer solchen falschen Vorstellung von der Geburt enthalten ist, würde der Darstellungsweise des großen Lehrers durchaus wider- sprechen.

4. Die Taufe ist auch sehr ausdrucksvoll mit einer Auferstehung, die auf ein Begräbnis folgt, verglichen wor- den; und in diesem Sinnbild des körperlichen Todes und der Auferstehung seines Sohnes hat Gott versprochen, Vergebung der Sünden zu geben. Als Paulus an die Römer schrieb, sagte er : „Wisset ihr nicht, daß alle, die wir in Jesum Christum getauft sind, die sind in seinen Tod

'j Siehe Anmerkung 2, ') Joiiannes 3:3 5.

170 Die Glaubensartikel. [Vorl. "VII.

getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf daß, gleichwie Christus ist auf erweckt von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also sollen auch wir in einem neuen Leben wandeln. So wir aber samt ihm gepflanzt werden zu gleichem Tode, so werden wir auch seiner Auferstehung gleich sein. "i) Und wiede- rum schreibt derselbe Apostel: ,, Indem ihr mit ihm be- graben seid durch die Taufe; in welchem ihr auch seid auferstanden durch den Glauben, den Gott wirkt, welcher ihn auf erweckt hat von den Toten. "2) Unter allen Formen der Taufe, versinnbildlicht Untertauchung allein eine Geburt und kennzeichnet den Anfang eines neuen Lebens- laufs, oder stellt den Todesschlummer im Grabe mit dem nachfolgenden Sieg über den Tod dar.

5. 3. Biblisehe Ermächtigungen rechtfertigen keine andere Form als Untertauchung. Christus selbst wurde durch Untertauchung getauft. Wir lesen, daß er nach der heiligen Handlung alsbald herauf stieg aus dem Was- ser."3) Daß die Taufe des Heilandes seinem Vater ange- nehm war, wird durch die der Verordnung unmittelbar folgenden Kundgebungen in dem Herabkommen des Heiligen Geistes und in der Erklärung: „Dies ist mein lieber Sohn, an welchem ich Wohlgefallen habe", reich- lich bewiesen. Johannes, dem seines göttlichen Auftrags wegen der Zuname der Täufer gegeben wurde, taufte im Jordan;^) und bald darauf hören wir von ihm, daß er zu Enon, nahe bei Salim, taufte, ,,denn es war viel Wasser daselbst";^) hätte er durch Besprengung getauft, so hätte ein kleines Quantum Wasser für eine große Volksmenge genügt.

') Römer 6:3—5.

>) Kolosser 2:12.

») Matthäus 3:16—17; Markus 1:10-11

*) Markus 1 : 4 5.

•) Johannes 3:23.

Art. 4.) Die Form der Taufe. 171

6. Wir lesen, daß auf die ziemlich schnelle Bekehrung des mohrenländischen Kämmerers der Königin Kandaze die Taufe folgte. Als sie zusammen in des Mohren Wagen fuhren, predigte Philippus ihm die Lehre Christi. Da er den Worten seines göttlich erleuchteten Lehrers glaubte, wünschte er getauft zu werden, und da Philippus einwilligte, hieß der Kämmerer „den Wagen halten, und stiegen hinab in das Wasser beide, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn . Da sie aber heraufstiegen aus dem Wasser, rückte der Geist des Herrn Philippus hinweg, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich."!) Sicher geht aus diesem Bericht deutlich hervor, daß die von Philippus vollzogene Taufe eine Taufe durch Untertauchung war.

7. Die Weltgeschichte beweist, daß länger als zwei- hundert Jahre n, Chr. Untertauchung die einzige von vorgeblichen Christen allgemein ausgeübte Form der Taufe war; und daß sogar erst am Ende des 13. Jahr- hunderts andere Formen allgemein üblich wurden.^) Ver- drehungen der durch Autorität eingesetzten Verordnungen dürfen erwartet werden, sobald das Vollziehen von Verord- nungen versucht wird, nachdem die dazu gehörende Voll- macht weggenommen worden ist. Solche Verdrehungen werden jedoch immer größer. Verunstaltungen, die von den im Körperbau begründeten Leiden herrühren, ent- wickeln sich nicht in einem Tage. Mit Recht suchen wir daher die vollständigste Nachahmung der richtigen Form der Taufe wie auch irgend einer andern von Christus eingesetzten Verordnung aus der Zeit, die seinem und der Apostel Wirken unmittelbar folgte. Als die Finsternis des Unglaubens stärker wurde, als die von

») Apostelgesch. 8:26—39. ') Siehe Anmerkung 3.

172 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.

Christus gegebene Vollmacht mit seinen zu Tode ge- marterten Dienern von der Erde genommen worden war, tauchten viele Neuerungen auf, und die Würden- träger der verschiedenen Kirchen wurden sich und ihren Anhängern selbst ein Gesetz. Noch im Anfang des 3. Jahr- hunderts entschied der Bischof von Karthago, daß gesund- heitlich schwache Personen annehmbar durch Bespren- gung getauft werden können ; und mit der in dieser Weise gutgeheißenen Gesetzwidrigkeit geriet die richtige Form der Taufe in Ungnade, und unberechtigte von Menschen erdichtete Gebräuche nahmen ihre Stelle ein.

8. Die Taufe bei den Nephlten wurde nur durch Untertauchung vollzogen. Es ist schon erklärt worden, wie die Taufe unter diesem Volke von der Zeit Lehis an bis zu der Zeit Moronis weit und breit gepredigt und ausge- übt wurde. Als der Heiland seinem Volke auf der west- lichen Halbkugel erschien, gab er ihm sehr ausdrückliche Belehrungen über das Verfahren beim Vollziehen dieser Verordnung. Hier sind seine Worte: ,, Wahrlich, ich sage euch: wer durch eure Worte seine Sünden bereut und in meinem Namen getauft zu werden wünscht, den sollt ihr auf diese Weise taufen : sehet, ihr sollt hinabgehen und im Wasser stehen, und in meinem Namen sollt ihr ihn oder sie taufen. Und sehet, dies sind die Worte, die ihr sagen sollt, indem ihr sie bei Namen nennt : Beauftragt von Jesus Christus taufe ich dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Und dann sollt ihr sie im Wasser untertauchen und wieder aus dem Wasser heraus- steigen."^)

9. Die neuzeitliche Taufe, wie sie durch Offenbarung vorgeschrieben worden ist, richtet sich nach demselben Vorbild. Die ersten Taufen in der gegenwärtigen Dispen-

•) 3. Nephi 11:23—27.

Art. 4.] Die Form der Taufe. 173

sation waren die, wo Joseph Smith und Oliver Cowdery einander tauften nach den Unterweisungen des himmli- schen Boten der kein anderer war als Johannes der Täufer aus einer früheren Dispensation, der Vorläufer des Messias, von dem diese die Vollmacht, in dieser heiligen Verordnung zu amtieren, empfangen hatten. Joseph Smith beschreibt das Ereignis wie folgt: „Wir gingen dem- gemäß und wurden getauft. Ich taufte ihn (Oliver Cow- dery) zuerst und nachher taufte er mich. * * * Sogleich nach unserm Hervorkommen aus dem Wasser, nachdem wir getauft waren, empfingen wir große und herrliche Segnungen."

10. In einer im April 1830 gegebenen Offenbarung über die Kirchenverfassung setzte der Herr die genaue Form der Taufe fest, und zwar so wie er es wünscht, daß die Verordnung in der gegenwärtigen Dispensation voll- zogen werde. Er sprach: ,,Die Taufe muß in der folgenden Weise an allen, die Buße tun, vollzogen werden : Der Mann, der von Gott berufen ist und von Jesus Christus Vollmacht hat zu taufen soll mit der Person, die zur Taufe erschienen ist, in das Wasser hinabsteigen und sagen, indem er ihn oder sie beim Namen nennt : Beauftragt von Jesus Christus taufe ich dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen. Darauf soll er ihn oder sie im Wasser untertauchen und wieder aus dem Wasser herauskommen . "i)

11. Der Herr hätte die Worte zu dieser heiligen Hand- lung nicht vorgeschrieben, wenn er ihren Gebrauch nicht wünschte, und deshalb haben die Ältesten und Priester der Kirche Jesu Christi der Heihgen der letzten Tage kein Recht, die Form, die Gott gegeben hat, irgendwie umzu- wandeln, sei es daß sie hinzufügen, auslassen oder abändern.

') Lehre u. Bündn. 20:72—74.

174 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.

Taufe und „Wiedertaufe".

12. Eine Wiederholung der Tauf Verordnung an ein und

demselben Menschen ist unter gewissen besondern Umstän- den zulässig. So z. B., wenn einer, der durch die Taufe in die Kirche aufgenommen worden ist, aus der Kirche austritt oder ausgeschlossen wird und nachher bereut und seinen Stand in der Kirche wieder zu erlangen wünscht, kann er es nur durch die Taufe tun. Dennoch ist dies nur ein Wiederholen der einführenden Verordnung, wie sie zuvor vollzogen wurde. In der Kirche gibt es keine Verordnung der „Wiedertaufe", die sich in Wesen, Form oder Zweck von der anderen Taufe unterschiede; und deshalb ist bei der Vollziehung der Taufe an einer Person, die früher schon einmal getauft worden ist, die Form der Handlung genau dieselbe wie bei der ersten Taufe. Die Ausdrücke, „Ich taufe dich wieder", anstatt „ich taufe dich", und das Hinzufügen von: ,,zur Erneuerung deiner Bündnisse", oder „zur Vergebung deiner Sünden", obwohl diese schon von amtierenden Ältesten und Priestern der Kirche gebraucht worden sind sind nicht berechtigt. Die eigene Vernunft vereinigt sich mit der Stimme der Obrigkeit der Kirche, um irgendwelche unregelmäßige Abweichung von der vom Herrn verordneten Weise zu mißbilligen. Änderungen in den durch göttliche Vollmacht gegebenen Zeremonien können nur durch göttliche Voll- macht erfolgen, und als Richtschnur in diesen Dingen müssen wir uns an diejenigen halten, welche die Schlüssel der Macht in der Kirche besitzen.

13. Eine ,, Wiedertaufe", das ist eine Wiederholung der einfachen Verordnung, wie sie zuerst vollzogen wurde, kann unter besonderen Umständen, die diesen außerge- wöhnlichen Schritt berechtigt erscheinen lassen, gestattet sein. So war es z. B. in den ersten Tagen in Utah. Die Mitglieder waren durch viele Trübsale, durch lange und

I

Art. 4.] Taufe und „Wiedertaufe". 175

mühsame Reisen, die in vielen Fällen ein längeres Hinaus- schieben der Kirchenversammlungen und andrer religiösen Bräuche zur Folge hatten, dorthin gekommen. Da wurde von Präsident Young weislich vorgeschlagen, daß die Mitglieder der Kirche das Zeugnis ihrer Treue zu der Sache Gottes erneuern, indem jedes die Taufe nachsuche. Als dann andre Gesellschaften von Einwandrern ankamen die dieselben langen Reisen und harten Erfahrungen mit all ihren Begleiterscheinungen hinter sich hatten, und da außerdem viele Personen von ausländischen noch unvoll- ständig ausgebauten Gemeinden der Kirche ankamen, alles Umstände die zur Folge hatten, daß der wirkliche Stand der Mitglieder nicht leicht bewiesen werden konnte

wurde auch diesen dieselbe Verordnung einer zweiten Taufe zugelassen. Dennoch war nie beabsichtigt, diesen Gebrauch zu verallgemeinern, geschweige denn, ihn zur bleibenden Regel in der Kirche zu machen. Die Heiligen der letzten Tage sind keine Wiedertäufer.

14. Fälle von ,, Wiedertaufen", die in der Schrift er- wähnt werden, sind sehr selten; und in jedem Falle wird leicht erkannt, daß besondere Umstände vorlagen, welche die Handlung rechtfertigen. So lesen wir, daß Paulus ge- wisse angebliche Jünger zu Ephesus taufte, obwohl sie schon nach der Weise der Taufe des Johannes getauft worden waren. ^) Aber offenbar und mit Recht vermutete der Apostel in diesem Fall, daß die Taufe, von der diese sprachen, von unbefugten Händen vollzogen worden war

oder wenigstens ohne die gehörig vorbereitende Beleh- rung der Täuflinge; denn als er die Wirksamkeit ihrer Taufe prüfte durch die Frage: ,,Habt ihr den heiligen Geist empfangen, da ihr gläubig wurdet?", gaben sie ihm zur Antwort: „Wir haben auch nie gehört, ob ein heiliger

») Apostelgesch. 19:1— 6.

176

Die Glaubensartikel.

[Vorl. VII.

Geist sei." Erstaunt fragte er dann, „Worauf seid ihr denn getauft?", und sie erwiderten ihm: „Auf die Taufe des Johannes." Aber Paulus wußte so gut wie wir, daß Jo- hannes die Taufe der Buße durch Wasser predigte und immer erklärte, daß dies nur eine Vorbereitung auf die höhere Taufe durch Feuer sei, die Christus bringen werde. Deshalb, wegen der zweifelhaften Gültigkeit ihrer Taufe, hatte Paulus die Taufe in dem Namen des Herrn Jesu an diesen zwölf frommen Ephesern vollziehen lassen, und als er hernach seine Hände auf sie legte, empfingen sie den heiligen Geist.

15. Die Taufe, die Christus unter den Nephiten ein- führte,^) war vielfach eine ,, Wiedertaufe", denn wie wir schon bemerkt haben, wurde von der Zeit Lehis an, die Lehre der Taufe unter dem Volke gelehrt und ausgeübt; und sicher war Nephi der erste, dem der Heiland Vollmacht gab, nach seinem Weggang zu taufen, zuvor selbst getauft worden, denn er und seine Mitarbeiter im Dienste des Herrn waren im Erklären der Notwendigkeit der Taufe höchst eifrig gewesen. 2) Doch auch in diesem Falle war jedenfalls viel Ungehörigkeit in der Weise und vielleicht in dem Geist der Vollziehung der Verordnung aufgekom- men; denn als der Heiland genaue Belehrungen über die Form der Taufe gab, tadelte er sie wegen des Geistes der Zwietracht und Uneinigkeit, der betreffs dieser Verord- nung zuvor unter ihnen geherrscht hatte.^) Daher wurde die Taufe dieses Volkes durch eine bevollmächtigte Hand- lung in der von Gott verordneten Weise gültig gemacht.

16. Beiläufig wird unsere Aufmerksamkeit auf die Tatsache gelenkt, daß in diesen Fällen der Wiedertaufe unter den Nephiten, dieselbe Verordnung wie bei der

') 3. Nephi 11:21—28.

') 3. Nephi 7:23—26, usw.

») 3. Nephi 11:27—30.

Art. 4.] Taufe und „Wiedertaufe", 177

ersten Taufe stattgefunden hatte; und dieses durch aus- drückliche Belehrung des Herrn in Verbindung mit einer ergreifenden Warnung vor Uneinigkeit. Warum sollten die Priester in diesen Tagen, die Form dahingehend zu ändern suchen, daß sie dem Fall eines früher getauften Täuflings angepaßt ist?

17. Wiederholte Taufen an derselben Person werden von der Kirche nicht genehmigt. Es ist leicht, in den Irrtum zu geraten, die Taufe, gleichviel wie oft wieder- holt, biete ein bequemes Mittel, Vergebung der Sünden zu erlangen. Ein solcher Glaube arbeitet mehr auf Ent- schuldigung der Sünden hin, als auf ihre Verhütung, weil es so bequem scheint, ihre schädlichen Wirkungen ab- zuwenden. Weder das geschriebene Gesetz Gottes noch die Belehrungen seiner lebenden Priesterschaft bezeichnen die Taufe als ein Mittel zur Vergebung der Sünden für die, welche schon in der Herde Christi sind. Solchen ist die Vergebung aller Sünde wenn sie nicht zum Tode ist auf das Bekennen und Bereuen mit voller Überzeugung des Herzens verheißen ; von solchen ist eine Wiederholung der Taufverordnung nicht verlangt worden, und würden solche wiederholt getauft werden, so würde ihnen in keiner Weise eine Vergebung der Sünden zuteil, es sei denn, sie täten in größter Aufrichtigkeit Buße. Die Schwach- heiten der Sterblichkeit und unsre Neigung zu sündigen führen uns stets zu Übertretungen, aber wenn wir an den Wassern der Taufe ein Bündnis mit dem Herrn machen und nachher suchen, sein Gesetz zu halten, ist er barm- herzig und verzeiht uns unsere kleinen Übertretungen auf Grund unsrer aufrichtigen und wahrhaftigen Reue; und ohne eine solche Reue würde uns die Taufe auch wenn sie noch so oft wiederholt würde nicht helfen.

178 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.

Die Taufe für die Toten.

18. Die Taufe von jedermann verlangt. Die allge- meine Anwendung des Gesetzes der Taufe ist schon betont und die Unterwerfung unter diese Verordnung ist als zur Seligkeit notwendig erklärt worden. Diese Bedingung erstreckt sich auf alle Menschen. Nirgends in der Schrift ist in dieser Beziehung ein Unterschied zwischen den Lebendigen und den Toten gemacht worden. Die Toten sind diejenigen, die als Sterbliche auf Erden gelebt haben; die Lebendigen sind Sterbliche, die noch durch die bestimmte Veränderung, die wir Tod nennen, ge- hen müssen. Alle sind Kinder desselben Vaters; durch die gleiche unfehlbare Gerechtigkeit und dieselbe Vermitt- lung der liebreichen Barmherzigkeit werden alle gerichtet und belohnt oder bestraft werden. Das Sühnopfer Christi ist nicht allein für die wenigen dargebracht worden, die auf Erden lebten, als Christus im Fleische war, noch allein für diejenigen, die nach seinem Tode in dieser Sterblich- keit geboren werden sollten, sondern für alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Bewohner der Erde. Christus ist vom Vater zum Richter verordnet worden, sowohl der Lebendigen als auch der Toten. i) Er ist in glei- cher Weise der Herr der Lebendigen und der Toten^) wie die Menschen von Lebendigen und Toten sprechen denn vor ihm werden sie alle in denselben Stand gesetzt werden; es wird nur eine einzige Klasse geben, ,,denn sie leben ihm alle". 3)

19. Das Evangelium vielen noch unbekannt. Von der großen Zahl der Menschen, die auf Erden gelebt haben, haben nur wenige das Gesetz des Evangeliums gehört und noch weniger haben es befolgt. In der Geschichte der Welt

') \postelgesch. 10:42; 2. Timotheus 4:1; 1. Petrus 4:5.

') Römer 14:9.

n Lukas 20:36, 38.

Art. 4.] Die Taufe für die Toten. 179

hat es lange Perioden geistiger Finsternis gegeben, wo das Evangelium auf Erden nicht gepredigt wurde und kein bevollmächtigter Vertreter des Herrn in den erlösenden Verordnungen des Evangeliums amtierte. Solch einen Zu- stand hat es aber nie gegeben, es sei denn infolge des Un- glaubens und der Widerspenstigkeit der Menschen. Wenn die Menschen die Perlen der Wahrheit beständig in den Schmutz getreten und versucht haben, die Träger der Kleinodien zu erschlagen und zu zerreißen, sind ihnen diese Schätze des Himmels, nicht weniger aus Gerechtigkeit als aus Barmherzigkeit, genommen und vorenthalten worden, bis eine empfänglichere Nachkommenschaft er- weckt werden konnte. Es könnte wohl gefragt werden: Welche Vorsorgen sind in der göttlichen Einrichtung für die mögliche Seligkeit derer, welche in dieser Weise die Anforderungen des Wortes versäumt haben, und derer, welche die Botschaft des Evangeliums nie gehört haben, gemacht worden?

20. Nach gewissen Lehrsätzen, die unter vielen soge- nannten christlichen Glaubens-Gemeinschaften während der geistigen Nacht herrschten, und die heute noch eifrig verkündet werden, soll endlose Strafe oder unermeßliche Wonne, ohne Wechsel in Art und Grad, das Los jeder Seele sein; und das Urteil soll dem Zustande der Seele zur Zeit des körperlichen Todes angemessen sein. Ein sündiges Leben werde daher durch Reue auf dem Sterbebett gänzlich gesühnt, und einem ehrlichen Lebenslauf, wenn nicht durch die Zeremonien der bestehenden Kirchen und Sekten gutgeheißen, werden ohne Hoffnung auf Er- lösung, die Qualen der Hölle folgen. Ein solcher Glaube muß der schrecklichen Ketzerei gleichgestellt werden, welche die Verdammung unschuldiger Kinder verkündigt, die nicht durch die angemaßte menschliche Autorität besprengt worden sind.

180 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.

21. Es ist eine Gotteslästerung, in dieser Weise der göttlichen Natur Laune und Rachgier anzudichten. Nach der Gerechtigkeit Gottes wird keine Seele unter irgend einem Gesetze, das ihr nicht bekannt geworden ist, verdammt werden. Allerdings ist ewige Strafe als das Los der Bösen bestimmt worden, aber die wahre Bedeutung dieses furchtbaren Ausdrucks hat der Herr selbst erklärt r^) ,, Ewige Strafe ist Gottes Strafe; endlose Strafe ist Gottes Strafe", denn „Endlos" und „Ewig" sind unter seinem Namen, und die Wörter beschreiben seine Eigenschaften. Nach der Zeit, die das Bewirken der notwendigen Läute- rung und die Befriedigung der Gerechtigkeit erfordert zu welchen Endzwecken allein die Strafe auferlegt wird wird keine Seele im Gefängnis gehalten, noch in der Qual gelassen werden. Und keiner Seele wird erlaubt werden, in irgendein Reich der Herrlichkeit einzugehen, zu dem sie nicht durch ihren Gehorsam berechtigt ist.

22. Das Evangelium soll den Toten gepredigt werden.

Es ist also klar, daß das Evangelium in der Geisterwelt verkündigt werden muß. Daß ein solches Werk vorgesehen ist, wird durch die Schrift hinreichend bewiesen. Als Petrus die Mission seines Erlösers beschrieb, erklärte er diese Wahrheit wie folgt: „Denn dazu ist auch den Toten das Evangelium verkündigt, auf daß sie gerichtet werden nach dem Menschen am Fleisch, aber im Geist Gott leben. "2) Die Eröffnung dieses Werks unter den Toten geschah durch Christus in der Zeit zwischen seinem Tode und seiner Auferstehung. Als sein Leib im Grabe lag, diente sein Geist den Geistern der Verstorbenen: ,,In demselben ist er auch hingegangen und hat gepredigt den Geistern im Gefängnis, die vorzeiten nicht glaubten, da Gott

•) Siehe Seite 7.5, 76; Lehre u. Bündn. 19:10 12. ') 1. Petrus 4:6.

I

Art. 4.] Die Taufe für die Toten. 181

harrte und Geduld hatte zu den Zeiten Nöahs, da man die Arche zurüstete, in welcher wenige, das ist acht Seelen, gerettet wurden durchs Wasser."^)

23. Andre Schriften vertreten auch den Standpunkt, daß Christus in seinem entkörperten Zustand nicht nach dem Ort, gewöhnlich Himmel genannt, oder dem Wohnplatz seines Vaters ging, sondern daß er unter den Toten, die seines Dienstes sehr bedürftig waren, wirkte. Einer der Verbrecher, der an seiner Seite gekreuzigt wurde, erwarb durch seine Demut von dem sterbenden Erlöser das Versprechen: ,, Heute wirst du mit mir im Paradiese sein. "2) Und drei Tage später erklärte der von den Toten erstandene Heiland der trauernden Magdalena: ,,Ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater. "3)

24. Da es für richtig erachtet wurde, daß das Evan- gelium den zur Zeit Noahs ungehorsamen Geistern gebracht werde, ist es vernünftig anzunehmen, daß die gleichen Gelegenheiten auch andern, die zu verschiedenen Zeiten das Wort verworfen haben, erreichbar gemacht werden sollten . Denn derselbe Geist der Gleichgültigkeit und des Un- gehorsams, der zu der Zeit Noahs charakteristisch war, war zu jeder Zeit vorhanden.^) Und wenn ferner in dem Plane Gottes Vorsorge getroffen wird, für die Erlösung der hart- näckig ungehorsamen Menschen, die in der Tat die Wahr- heit zurückgestoßen haben, können wir dann glauben, daß die noch größere Anzahl der Geister, die das Evangelium nie gehört haben, ewiglich in der Qual gelassen werde? Nein ! Gott hat bestimmt, daß sogar die heidnischen Völker und die, welche kein Gesetz kannten, erlöst werden sollen.^)

1) 1. Petrus 3:18—20.

») Lukas 23:39—43.

») Johannes 20:17.

*) Lukas 17:26.

=•) Lehre u. Bündn. 45:54.

182 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.

Die guten Gaben des Vaters sind nicht auf diesen irdi- schen Wirkungskreis beschränkt, sondern sie werden in Gerechtigkeit durch alle Ewigkeit hindurch gespendet werden. Über alle, die in diesem Leben das Wort Gottes venverfen, werden die hierfür vorgesehenen Strafen kom- men; aber nachdem die Schuld bezahlt ist, werden die Gefängnistüren geöffnet werden, und die Geister, einst mit Leid eingeschlossen, jetzt gedemütigt und geläutert, werden hervorkommen, um an der für ihre Klasse berei- teten Herrlichkeit teilzunehmen.

25. Christi Werk unter den Toten wurde vorausgesagt.

Jahrhunderte vor dem Kommen Christi im Fleische erfreuten sich die Propheten der Erkenntnis, daß die Selig- keit durch Christus sowohl den Toten als auch den Leben- digen gebracht werden würde. Von der Strafe sprechend, die über die Stolzen und Hochmütigen der Erde kommt, erklärte Jesaja: „Daß sie versammelt werden als Gefangene in die Grube und verschlossen werden im Kerker und nach langer Zeit wieder heimgesucht werden."^) Von dem Werk des kommenden Erlösers zeugt derselbe Prophet wie folgt: Er soll ,, öffnen die Augen der Blinden, und die Gefangenen aus dem Gefängnis führen, und die da sitzen in der Finsternis, aus dem Kerker. "2) Und als David, gött- lich erleuchtet, die Erlösung vom Grabe besang, rief er aus: ,, Darum freuet sich mein Herz, und meine Ehre ist fröhlich; auch mein Fleisch wird sicher liegen. Denn du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen und nicht zugeben, daß dein Heiliger verwese. Du tust mir kund den Weg zum Leben; vor dir ist Freude die Fülle und liebliches Wesen zu deiner Rechten ewiglich. "3)

') Jesaja 24:22. ») Jesaja 42:6 1. ') Psalm 16:9—11.

Art. 4.] Die Taufe für die Toten. 183

26. Das Werk der Lebendigen für die Toten. Die

Erlösung der Toten wird in strenger Übereinstimmung mit dem Gesetz Gottes, das in Gerechtigkeit geschrieben und in Barmherzigkeit entworfen wurde, zustande gebracht werden. In gleicher Weise ist es irgend einem Geiste, gleichviel ob im Fleisch oder entkörpert, unmöglich, die Verheißung des ewigen Lebens zu erwerben, wenn er nicht die Gesetze und Verordnungen des Evangeliums befolgt. Und da die Taufe zur Seligkeit der Lebendigen notwendig ist, ist sie auch zur Erlösung der Toten unentbehrlich. Dieses wußten die Heihgen in frühern Zeiten, und deshalb wurde die Lehre von der Taufe für die Toten unter ihnen gelehrt. In einem an die Heiligen zu Korinth geschriebenen Brief erklärte Paulus die Grundsätze der Auferstehung, durch welche die Leiber der Toten aus den Gräbern hervorgehen sollen. „Der Erstling Christus; darnach die Christo angehören", und als Beweis, daß diese Lehre von der Auferstehung in dem Evangelium, wie sie es angenommen und bekannt hatten, mit inbegriffen war, fragte der Apostel: ,,Was ma- chen sonst, die sich taufen lassen über den Toten, so über- haupt die Toten nicht auferstehen? Was lassen sie sich taufen über den Toten ?"^) (In der englischen Bibel heißt es ,,für die Toten" anstatt ,,über den Toten." Auch in der von Van Ess 1859 ausgegebenen Übersetzung lautet diese Stelle: ,,Was machen sonst die, welche um der Toten willen sich taufen lassen, wenn die Toten überhaupt nicht auferstehen? warum lassen sie sich um derselben willen taufen?" Und in der von Dr. Joseph Franz von AUioli aus der Vulgata übersetzten Schrift, lautet sie wie folgt: „Was täten sonst die, welche um der Toten willen sich taufen lassen, wenn es gewiß ist, daß die Toten nicht auf-

') 1. Korinther 15:29.

184 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.

erstehen ? Warum lassen sie sich für dieselben taufen ?" Der Übersetzer.) Diese Worte sind unzweideutig, und daß sie ohne Erklärung oder Bemerkung angeführt werden, läßt darauf schließen, daß die, an die der Brief geschrieben wurde, das Prinzip der Taufe für die Toten verstanden haben.

27. Die Notwendigkeit des stellvertretenden Dienstes, des Werks der Lebendigen für die Toten, liegt darin, daß die Kinder für ihre Vorfahren das tun, was diese nicht selber tun können. Viel und verschieden sind die durch Menschenweisheit entstandenen Auslegungen dieser deut- lichen Worte Pauli. Aber der einfache und ernste Forscher nach Wahrheit versteht ohne weiteres ihren Sinn. Mit den Schlußsätzen des Alten Testaments ver- kündigte Maleachi das große Werk, das während der letzten Tage für die Toten getan werden soll: „Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe denn da komme der große und schreckliche Tag des Herrn. Der soll das Herz der Väter bekehren zu den Kindern und das Herz der Kinder zu ihren Vätern, daß ich nicht komme und das Erdreich mit dem Bann schlage. "i) Bei vielen Bibel- forschern ist der Glaube vorherrschend, daß diese Prophe- zeiung auf die Geburt und das Wirken Johannes des Täu- fers Bezug habe,2) auf dem, wie von dem Engel vorausge- sagt, der Geist und die Kraft des Elias in Wirklichkeit ruhte und blieb ;3) aber wir besitzen keinen Bericht, daß Elia dem Johannes diente; und überdies berechtigen die Ergebnisse des Wirkens Johannes nicht zu der Schluß- folgerung, daß in ihm die Prophezeiungen völlig verwirk- licht worden seien.

0 Maleachi 4:5 6.

-) Matthäus 11:14; 17:11; Markus 9:11; Lukas 1:1';

') Lukas 1:17; Lehre u. Bündn. 27:7.

Art. 4.] Die Taufe für die Toten. 185

28. Die Erfüllung der Prophezeiung Maleachis muß deshalb in eine spätere Zeit fallen. Am 21. September 1823 wurde Joseph Smith^) von einem himmlischen, aus der Gegenwart Gottes gesandten Wesen besucht, welches sich als Moroni vorstellte. Indem er den auser- wählten Jüngling belehrte, führte dieser himmlische Bote die schon erwähnte Prophezeiung Maleachis an; aber seine Worte wichen von der gewöhnlichen Übersetzung der Schrift etwas ab, und waren sicher ausdrucksvoller als diese; die Wiedergabe dieser Stelle durch den Engel lautet: ,,Denn siehe, der Tag kommt, der brennen soll wie ein Ofen, und alle Stolzen, ja und alle, die Böses tun, sollen brennen wie Stoppeln, denn die, welche kom- men, sollen sie verbrennen, sagt der Herr der Heerscha- ren, daß ihnen weder Wurzel noch Zweig bleiben soll. Siehe, ich will euch das Priestertum offenbaren, durch die Hand des Propheten Elia, ehedenn da kommt der große und schreckliche Tag des Herrn. Und er soll in die Herzen der Kinder die den Vätern gemachten Verheißun- gen pflanzen, und die Herzen der Kinder sollen sich zu ihren Vätern kehren; wenn es nicht so wäre, würde die ganze Erde völlig verwüstet werden bei seiner Wieder- kunft."2)

29. In einer am 3. April 1836 im Tempel zu Kirtland Joseph Smith und Oliver Cowdery gegebenen glorreichen Offenbarung, erschien ihnen Elia, der Prophet, der ohne den Tod zu schmecken gen Himmel genommen wurde. Er erklärte ihnen: „Sehet, die Zeit ist völlig da, von der durch den Mund Maleachis gesprochen wurde, der zeugt, daß ehe der große und schreckliche Tag des Herrn kommt, er (Elia) gesandt werden soll, um die Herzen der Väter zu den Kindern zu bekehren und die Kinder zu den Vä-

M Siehe Seite 12.

') Vergleiche mit Maleachi 4:1, 5 und 6.

186 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.

tern, damit das ganze Erdreich nicht mit dem Bann ge- schlagen werde. Deshalb sind die Schlüssel dieser Dispen- sation in eure Hände übergeben worden, und durch dieses könnt ihr wissen, daß der große und schreckliche Tag des Herrn nahe, ja sogar vor der Türe ist."^)

30. Der Väter und der Kinder gegenseitige Abhängig- keit. — Eines der großen, der Lehre der Erlösung für die Toten unterliegenden Prinzipien ist das der gegenseitigen Abhängigkeit der Väter und der Kinder. Wie der Prophet Joseph die Heiligen lehrte,^) würde, wenn es nicht um die Einfügung eines verbindenden Glieds zwischen den verstorbenen Vätern und den lebendigen Kindern wäre, die Erde mit einem Fluch geschlagen werden. Der Plan Gottes bestimmt, daß weder die Kinder noch die Väter allein vollkommen werden können; und die notwendige Verbindung wird durch die Taufe und die damit verbunde- nen Verordnungen für die Toten bewirkt. Die Weise, in der die Herzen der Kinder und die der Väter einander nahegebracht werden, ist durch die erwähnten Anführungen klar gemacht worden. Wenn die Kinder einsehen, daß sie ohne die Hilfe ihrer Vorfahren die Vollkommenheit nicht erreichen können, werden sicher ihre Herzen für die Er- lösung ihrer Toten geöffnet, ihr Glaube entflammt, und die Ausübung guter Werke für dieselben versucht werden. Und die Verstorbenen werden, wenn sie von den unter ihnen wirkenden Dienern des Evangeliums erfahren, daß sie sich auf ihre Kinder als stellvertretende Erlöser verlas- sen müssen, suchen, ihre noch sterbhchen Stellvertreter in diesem Dienste der Liebe mit Glauben und Gebet zu unterstützen.

31. Und somit wird die Liebe, die an sich eine Kraft ist, stärker. Außer den Gemütsbewegungen, die in der

•) Lehre u. Bündn. 110:13 16.

') L. u. B. 128:18; siehe den ganzen Abschnitt und den Abschnitt 127.

Art. 4.] Die Taufe für die Toten. 187

Seele durch die Gegenwart des Göttlichen erregt werden, gibt es wenige Gefühle, die stärker und reiner sind, als die Liebe zur Verwandtschaft. Der Himmel würde nicht alles, was wir wünschen, für uns sein, wäre die Familienliebe dort unbekannt. 1) Die Liebe wird sich dort von ihrer irdischen Urgestalt dadurch unterscheiden, daß sie tiefer, stärker und reiner sein wird. Und in dieser Weise können durch die Barmherzigkeit Gottes seine irrenden, sterb- lichen Kinder, die auf Erden den Namen Christi auf sich genommen haben, bis zu einem gewissen Grade Erlöser im Hause ihrer Väter werden, und dies durch ein stellvertre- tendes, in Demut dargebrachtes Wirken und Opfer, das, wie in der Taufverordnung dargestellt, den Tod, das Be- gräbnis und die Auferstehung des Erlösers versinnbildhcht.

32. Das Werk für die Toten ist zwiefach. Das auf

Erden vollbrachte stellvertretende Werk wäre ohne Er- gänzung und Gegenstück jenseits des Schleiers unvoll- kommen. Ein Missionswerk ist auch dort im Fortschritt begriffen, wodurch die Botschaft des Evangeliums den dahingegangenen Geistern verkündigt wird, welche auf diese Weise von dem auf Erden für sie vollbrachten Werk in Kenntnis gesetzt werden. Welch herrliche Möglichkeiten der Absichten Gottes erblicken wir jetzt! Welch eine Verherrlichung der Barmherzigkeit Gottes durch solche Beweise seiner Liebe! Wie oft sehen wir, anscheinend trotz der Macht des Glaubens und der Segnungen des Priestertums Gottes, Freunde und Geliebte, die wir zu den Besten und Wertesten der Erde rechneten, von dem Todespfeil dahin gestreckt! Doch wer von uns vermag zu sagen, ob nicht die so abgerufenen Geister für das Werk der Erlösung im Jenseits notwendig sind, wo sie

0 Siehe Anmerkung 4.

188 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.

vielleicht das Evangelium ihren Vorfahren verkündigen, während andre aus derselben Familie zum gleichen Behuf auf Erden amtieren?

33. So weit der göttliche Wille geoffenbart worden ist, fordert er, daß die äußerlichen Verordnungen, wie die Taufe im Wasser, das Auflegen der Hände für die Gabe des Heiligen Geistes, und die folgenden höheren Segnungen auf Erden durch einen befugten Stellvertreter für die Verstorbenen verrichtet werden müssen. Der Er- folg solcher Werke soll Gott überlassen werden. Man soll aber nicht vermuten, daß durch diese Verordnungen die Verstorbenen in irgendeiner Weise gezwungen seien, diese Verpflichtung auf sich zu nehmen ; sie werden nicht im geringsten in der Ausübung ihres freien Willens gehin- dert. Nach ihrem Zustande der Demut oder der Feindselig- keit gegen göttliche Dinge werden sie diese annehmen oder verwerfen; aber wenn heilsame Aufklärung und Ein- sicht ihnen ihren wahren Stand zeigt, wird ihnen das auf Erden für sie vollbrachte Werk vom Nutzen sein.

Die Tempel.

34. Tempel oder andre heilige Stätten sind zum Vollziehen dieser heiligen Verordnungen notwendig. Immer wenn eine Organisation der Priesterschaft auf Erden gewesen ist, so hat der Herr die Errichtung von solchen zweckdienlichen Stätten, wo die heiligen Handlungen seiner Kirche vollzogen werden können, gefordert. Und insofern als das Volk dem Herrn damit ein Opfer bringt, gehört es sich, daß ein solcher Bau das Resultat der größten Bemühungen des Volkes ist. In jedem Zeitalter der Welt ist das auserwählte Volk ein tempelbauendes Volk gewesen. Kurz nach der Befreiung der Kinder Israel aus der ägyp- tischen Knechtschaft verlangte der Herr von seinem

Art. 4.] Die Tempel. 189

Volk ein Heiligtum für seinen Namen, und gab dafür den genauen Plan. Obwohl nur ein Zelt, wurde es doch sorg- fältig ausgeführt und eingerichtet, denn die kostbarste Habe des Volkes wurde zu dessen Errichtung verwendet.^) Und der Herr nahm dieses Opfer seines wandernden Volkes an, indem er sich darin offenbarte und seine Herrlichkeit kundtat.2) Nachdem sich das Volk in dem verheißenen Lande niedergelassen hatte, wurde der Stiftshütte ein beständiger Ruheplatz angewiesen ;3) sie wurde des heiligen Zweckes wegen hoch in Ehren gehalten, bis sie durch den Tempel Salomos als des Herrn Heiligtum ersetzt wurde. 35. Dieser Tempel, eines der prachtvollsten Gebäude, welches die Menschen zum geheiligten Dienste je errichte- ten, wurde unter großartigen Feierlichkeiten eingeweiht; aber seine Pracht war von kurzer Dauer, denn innerhalb weniger als vierzig Jahren nach seiner Vollendung, nahm seine Herrlichkeit ab, und schließlich fiel er den Flammen zum Opfer. Nachdem die Juden aus ihrer Gefangenschaft zurückkehrten, wurde der Tempel teilweise wieder herge- stellt, und dank des freundlichen Einflusses von Cyrus und Darius konnte der Tempel Serubabels eingeweiht werden.*) Daß dem Herrn dieses Bestreben seines Volkes, seinem Na- men ein Heiligtum zu erhalten, angenehm war, wird durch den Geist, der die Diener des Tempels, darunter Sacharja, Haggai und Maleachi, beeinflußte, völlig bewiesen. Der Tempel bestand beinahe 500 Jahre; und nur wenige Jahre vor der Geburt des Erlösers wurde seine Wieder- aufbauung von dem verruchten Herodes dem Großen an- gefangen, und der Ausdruck, „der Tempel Herodes", wur- de geschichtlich.^) Zur Zeit der Kreuzigung Christi zerriß

^) 2. Mose 25; 35:22 ') 2. Mose 40:34—38. ») Josua 18:1. ♦) 1. Könige 6:8. ') Esra 1; 3; 6.

190 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.

der Schleier dieses Tempels ;i) und im Jahre 70 n. Chr. wurde die Zerstörung des Gebäudes durch Titus voll- bracht.

36. Neuzeitliche Tempel. Von jener Zeit an bis auf die heutige sind auf der östlichen Halbkugel keine Tempel mehr errichtet worden. Allerdings sind stattliche Gebäude für Gottesdienste gebaut worden, aber ein mächtiger Bau ist nicht notwendigerweise auch ein Tempel. Ein Tempel ist mehr als eine Kirche, ein Versammlungshaus, ein Tabernakel, oder eine Synagoge; er ist eine dem Herrn durch Einweihung besonders bereitete und von ihm aner- kannte Stätte für die Vollziehung der dem heiligen Priester- tum zustehenden Verordnungen. Getreu den Merkmalen des erwählten Volkes Gottes,^) sind die Heiligen der letzten Tage von Anfang an ein tempelbauendes Volk gewesen. Schon einige Monate nach der Gründung der Kirche in der gegenwärtigen Dispensation sprach der Herr von einem Tempel, der gebaut werden sollte. 3) Im Juli 1831 bezeich- nete der Herr einen Ort in Independence, im Staate Missouri, als den Platz eines zukünftigen Tempels;^) aber dieser ist noch nicht gebaut worden, was auch mit dem Tempel zu Far West der Fall ist, dessen Ecksteine am 4. Juli 1838 gelegt und am 26. April 1839 erneuert wurden.

37. In der gegenwärtigen Dispensation sind schon 6 Tempel errichtet und eingeweiht und in j edem von ihnen hei- lige Verordnungen vollzogen worden . Es sind dies die Tempel zu Kirtland, Ohio, Nauvoo, Illinois, St. George, Logan, Manti und Salzseestadt, Utah.^) Als die Heiligen vor dem

>) Matthäus 27:50. =) Lehre u. Bündn. 124:39. ^) L. u. B. 36:8. ') L. u. B. 57:3.

') Die beiden Tempel in Canada und in Hawai sind hier nicht erwähnt, weil sie noch nicht fertig sind. Der tJbersetzer.

Art. 4.] Anmerkungen. 191

wütenden, gottlosen Pöbel nach dem Westen getrieben wurden, sind die Tempel zu Kirtland und Nauvoo verlassen worden, und der Nauvoo-Tempel wurde seitdem zerstört. Die Utah-Tempel sind dem Dienste des Herrn noch er- halten. Die Größe und Erhabenheit des in ihren heiligen Räumen vollbrachten Werkes zeugen von der huldvollen Anerkennung des Herrn, dem sie errichtet wurden, und von der Fortdauer des göttlichen Wohlwollens ihnen und dem Volke gegenüber. In diesen heiligen Räumen ist das Werk für die Erlösung der Toten und die Begabung der Lebendigen in ununterbrochenem Fortschreiten begriffen.

Anmerkunoen.

1. Gebrauch des Wortes „taufen" ia alten Zeiten. Die folgenden Beispiele zeigen die gewöhnliche Bedeutung, die mit dem griechischen Wort, von dem unser Wort „taufen" (englisch baptize) herstammt, ver- bunden ist.') In allen ist der Begriff des Untertauchens deutlich ausge- drückt. — (Für diese und andere Beispiele siehe „Millenial Star", Band XXI, S. 687—688.)

Polybius, ein Geschichtschreiber, der während des 2. Jahrhunderts V. Chr. berühmt war, gebraucht die folgenden Ausdrücke. In der Beschrei- bung einer Seeschlacht zwischen den Karthagern und den Römern an den Ufern Siziliens, schreibt er: „Waren einige durch den Feind hart bedrängt, zogen sie sich vermöge ihres schnellen Fahrens nach dem offenen Meer in Sicherheit zurück; sie kehrten sich dann um und überfielen die von ihren Verfolgern, die den Vorsprung hatten, gaben ihnen wiederholt Schläge und tauften viele ihrer Schiffe". Buch I, Kap. 51.

Derselbe Schriftsteller schildert den Übergang der römischen Sol- daten über den Fluß Trcbia wie folgt: „Als sie an dem Übergang des Flusses Trebia, der wegen des gefallenen Regens sein gewöhnliches Bett überstiegen hatte, ankamen, ging die Infanterie mit Schwierigkeiten hin- durch, und wurde bis zur Brust getauft". Buch III, Kap. 72.

In der Besclireibung einer den römischen Schiffen zu Syracus wider- fahrenen Katastrophe, erklärt Polybius: „Einige wurden umgestürzt, aber die größere Zahl wurde, als ihr Bug von einer Höhe niedergeworfen wurde, getauft und voll Meeres."

Strabo, der zur Zeit Christi lebte, gebrauchte das Wort „getauft" im gleichen Sinne. In folgender Weise beschreibt er ein beim Angeln ge- brauchtes Werkzeug: „Und sollte es ins Meer fallen, ist es nicht verloren.

') Das deutsche Wort „taufen" stammt natürlich nicht aus dem Griechischen sondern ist eine Übersetzung des griechischen Wortes baptizo. Siehe Vorlesung VII, Seite 168. Der Übersetzer.

192 Die Glaubensartikel. [Vorl. VII.

denn es ist aus Eichen- und Kiefernholz zusammengesetzt; so daß, wenn auch das Eichenholz durch sein Gewicht getauft wird, der andere Teil schwimmt und leicht wieder erreichbar ist".

Über das Tragvermögen gewisser salzhaltiger Gewässer berichtet Strabo: „Diese haben den Geschmacli von Salzwasser, aber auch eine andre natürliche Beschaffenheit, denn sogar Leute, die nicht schwimmen können, werden wohl in ihnen nicht getauft werden, sondern auf der Oberfläche schwimmen wie Holz."

Von einem Salzbrunnen in Tatta, schreibt der nämliche Schriftsteller: „So leicht bildet das Wasser eine Schicht auf allem, was darin getauft wird, daß, wenn man einen Reifen von Binsen hineinläßt, man einen Kranz von Salz herausziehen kann."

Über eine Art Pech von dem See Sirbonis erklärend, schreibt Strabo : „Der Natur des Wassers wegen, welches, wie wir erwähnten, derart ist, daß Schwimmen unnötig ist, und wer darauf geht nicht getauft wird, schwimmt dieses auf der Oberfläche."

Als Dio Cassius über die Folgen eines heftigen Sturmes in der Nähe von Rom berichtet, schreibt er: „Die Schiffe, die auf der Tiber waren und die in der Nähe der Stadt imd bis zur Mündung des Flusses vor Anker lagen, wurden getauft".

Derselbe Schriftsteller spricht von dem Schicksal einiger der Soldaten Curios, die vor den Truppen Jubas flohen, wie folgt: „Nicht wenige von diesen Flüchtlingen kamen um; einige wurden bei dem Versuch, die Falir- zeuge zu besteigen, niedergeschlagen, und andere, sogar wenn sie in den Booten waren, wurden durch ihr eigenes Gewicht getauft".

Inbezug auf das Schicksal der Byzantiner, welche der Belagerung zu entfliehen versuchten, indem sie in See gingen, schreibt er: „Wegen der ungewöhnlichen Gewalt des Windes, ^vu^den einige von diesen getauft".

2. Die Taufe bei den Griechen. „Die eingebornen Griechen müssen ihre Muttersprache besser verstehen, als die Fremden, und sie haben das Wort taufen immer so verstanden als bedeute es untertauchen; und von ihrer ersten Annahme des Christentums an bis auf diesen Tag, haben sie deshalb immer durch Untertauchung getauft und taufen noch so". Robinson.

3. Die früheste Form der christlichen Taufe. Die Geschichte bietet genügend Beweise dafür, daß im ersten Jahrhundert nach dem Tode Christi, die Taufe nur durch Untertauchung vollzogen wurde. Tertullian spricht wie folgt von der zu seiner Zeit üblichen Taufhandlung: „Es macht nichts aus ob man in einem Meer oder in einem Teich, in einem Fluß oder in einem Becken, in einem See oder in einem Kanal gewaschen wird; auch gibt es keinen Unterschied zwischen denen, die Johannes im Jordan untertauchte und denen, die Petrus in der Tiber tauchte". * * Wir werden eben im Wasser untergetaucht."

Die folgenden sind nur wenige der beurkundeten Fälle (siehe „Milienial Star", Band XXI, S. 769—770):

Justin der Märtyrer schildert die Handlung wie sie von ihm vollzogen wurde. Zunächst beschreibt er die vorbereitende Prüfung des Täuflings und dann fährt er fort: „Nach diesem werden sie von uns dahin geführt, wo es Wasser gibt, und werden in der neuen Geburt geboren, mit der wir selbst wiedergeboren worden sind. Denn auf den Namen Gottes, des Vaters und Herrn über alles, und Jesu Christi, unsres Erlösers, und des HeiUgen

Art. 4.] Anmerkungen. 193

Geistes wird die Uiitertauchung im Wasser vollzogen, denn der Heiland hat gesagt: es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen".

Von den Bräuchen der früheren Christen sagt Bischof Bennet: ,,Sie führten sie ins Wasser und legten sie im Wasser nieder, wie ein Mensch in das Grab gelegt wird; und dann sagten sie jene Worte: Ich taufe (oder wasche) dich in dem Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes; dann brachten sie sie hervor und es wurden ihnen reine Gewänder angezogen. Daher sind die Ausdrücke entstanden : in den Tod Christi getauft sein durch die Taufe mit ihm in den Tod begraben sein mit Christo erstanden sein und den Herrn Jesum Christum anziehen den alten Menschen ablegen und den neuen anziehen.

„Daß die Apostel diejenigen, die sie tauften, untertauchten, läßt sich nicht bezweifeln * * *. Und daß die alte Kirche ihrem Beispiel folgte, wird durch unzählige Zeugnisse der Kirchenväter sehr klar bewiesen." Vo<>sius.

„Den Menschen, der getauft werden sollte, sozusagen im Wasser be- graben und ihn wieder herausbringen, war ohne Zweifel das allgemeine Ver- fahren in alten Zeiten". Erzbischof Seeker.

,, Untertauchung war die übliche Form in der die Taufe in der frühern Kirche vollzogen wurde * * *. Untertauchung war ohne Zweifel eine allgemein befolgte Art und Weise, in der die Taufe vollzogen wurde, sie ■wurde auch nicht aufgegeben, als die Kindertaufe vorherrschte* * *. Nach und nach nahm die Besprengung ihre Stelle ein, ohne daß die Untertau- chung förmlich aufgegeben wurde". Canon Farrar.

4. Die Väter und die Kinder. ,,Man darf sagen, daß die in unsern Tagen gegebene Offenbarung der Lehre von der Taufe für die Toten einen Wendepunkt in der Geschichte des Menschengeschlechts bedeutet. Als der Prophet Joseph Smith diese Offenbarung erhielt, war der Glaube unter der Christenheit allgemein, daß bei dem Tode das Los der Seele unabänderlich und für alle Ewigkeit bestimmt sei. Würde sie dann nicht mit unendlicher Glückseligkeit belohnt, wäre unendliche Qual ihr Teil, ohne Möglichkeit der Erlösung oder der Änderung. Es wurde allgemein geglaubt welch eine furchtbare, ja scheußliche Lehre, die zur göttlichen Gerechtigkeit in krassem Widerspruch steht! daß die heidnischen Völker, die ohne eine Erkenntnis von dem wahren Gott und der diu-ch seinen Sohn Jesum Chri- stum vollbrachten Erlösung sterben, auf ewig der Hölle übergeben werden würden. Der Glaube über diesen Punkt wird erläutert durch die Antwort eines gewissen Bischofs auf die Frage des Königs der Franken, der im Be- griffe war, sich der Taufe durch die Hand des Bischofs zu unterziehen. Der König war ein Heide, hatte sich aber entschlossen, die Form der Religion, die damals als Christentum bezeichnet wurde, anzunehmen. Der Gedanke liel ihm ein, wenn nun die Taufe zu seiner Seligkeit notwendig ist, was aber dann aus seinen teuern Vorfahren, die als Heiden gestorben waren, geworden sei. Dieser Gedanke verdichtete sich zu einer Frage, die er an den Bischof stellte. Dieser Würdenträger, weniger schlau als viele seines Glau- bens, sagte ihm offen, sie seien in die Hölle gekommen. Dann, bei Thor <Donnergott) will ich mit ihnen dahin fahren ! sagte der König, und weigerte sich daraufhin, die Taufe anzunehmen oder ein Christ zu werden." George Q. Cannon, „Life of Joseph Smith", Seite 510.

13

194

Die Glaubensartikel.

[Vorl. VII.

5. Tempel und heilioe Stätten. „Als der Herr entschlossen für sich selbst eine Nation aus diesem Volke zu machen Israel aus Ägyptenland führte, forderte er das Volk auf, so bald es in sicherer Entfernung von den imiherwohnenden Völkern war, eine Stiftshütte zu bauen, die manch- mal ein Tempel genannt wird, in der er gewisse Verordnungen und Vor- schriften für die Führung und Verehrung des Volkes einsetzen konnte. Am Anfang der Wanderung des Volkes in der Wüste wurde diese Stiftshütte tragbar gebaut, und zwar aus dem kostbarsten und besten dem Volke erlang- baren Material; und einer der Stämme wurde eingesetzt, die Verwaltung über sie und ihr Zubehör zu übernehmen. Dies ist immer die Absicht des Herrn gewesen. Diese Stiftshütte diente dem Volke auf seiner Reise und in dem verheißenen Lande, bis genügender Reichtum den Salomo instand- setzte, auf dem Berge Morijah seitdem der Berg Zion genannt einen prachtvollen Tempel zu bauen, wohin das ganze Israel alljährlich kam, um zu verehren oder der Konferenz beizuwohnen. Der Herr hat uns ge- sagt (Lehre u. Bündn. 124:39), daß seinem Volke immer geboten werde, seinem heiligen Namen Tempel oder heilige Gebäude zu bauen. Dies erklärt uns auch, warimi so viele Tempel auf dem Amerikanischen Kon- tinent errichtet wurden (wie wir im Buch Mormon lesen). Es erklärt auch warum der Prophet Joseph so früh das Anfangen eines Tempels in jedem wichtigen Wohnort der Heiligen lehrte." Compendium, F. D. Richards und J. A. Little, S. 301—302. Schlage nach 2. Mose 25—28; 1. Könige 6—8; Esra 6; 2. Nephi 5:16; imd vergleiche damit Jakob 1:17; 2:2 11; Mosiah 1:18; 2:6 7; Alma 16:13; 23:2; 26:29; Helaman 3:9; 10:8; Lehre u. Bündn. 1:7— 9; 84: 3— 5, 31; 97: 10; 124:29—51, 55. Siehe auch „Temples" J. M. Sjödahl, Salt Lake City, 1892. Siehe „The House of the Lord, a Study of Holy Sanctuaries, Ancient and Modern", von James E. Tal- mage, 1912.

Art. 4.] Der Heilige Geist. 195

Vorlesung VIII.

Der Heilige Geist.

Artikel 4. Wir glauben, daß die ersten Prinzipien und Verordnungen des Evangeliums sind: * * * 4. das Auflegen der Hände für die Gabe des Heiligen Geistes.

1. Der Heilige Geist verheißen. Als Johannes der Täufer in der Wüste Buße und die Taufe im Wasser verkün- digte, verhieß er eine zweite höhere Taufe, die er als aus Feuer und dem Heiligen Geist bestehend bezeichnete. Sie sollte seiner Handlung folgen^) und von dem Mächtigern, dessen Schuhe zu tragen sich Johannes für unwürdig hielt, gespendet werden. Daß der Inhaber dieser höhern Voll- macht kein andrer als Christus war, wird durch den feier- lichen Bericht des Johannes bewiesen: „Siehe, das ist Gottes Lamm * * *. Dieser ist's, von dem ich gesagt habe: Nach mir kommt ein Mann, welcher vor mir gewesen ist ***. Und ich kannte ihn nicht; aber der mich sandte, zu taufen mit Wasser, der sprach zu mir: Auf welchen du sehen wirst den Geist herabfahren und auf ihm bleiben, der ist's, der mit dem Heiligen Geist tauft. "2)

2. Als der Heiland dem Nikodemus^) die Notwendigkeit der Taufe erklärte, blieb er nicht bei der Notwendigkeit einer Wiedergeburt aus Wasser stehen, denn ohne den belebenden Einfluß des Geistes ist diese unvollkommen; aus Wasser und aus Geist geboren zu sein ist der not-

') Matthäus 3:2—3, 11; Markus 1:8; Lukas 3:16.

») Johannes 1:29 33.

-) Johannes 3:3 5. i

196 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIII.

wendige Zustand dessen, der in das Reich kommen will. Viele Stellen, die angeführt wurden, um Zweck und Not- wendigkeit der Taufe zu beweisen, zeigen, daß die Taufe durch Feuer und durch den Heiligen Geist mit der vor- geschriebenen Verordnung der Untertauchung im Wasser eng verbunden ist.

3. Die Unterweisungen Christi an seine Apostel ent- halten "vsäederholte Verheißungen des Kommens des „Trösters" und des ,, Geistes der Wahrheit" ;i) mit diesen ausdrucksvollen Worten wird der Heilige Geist be- zeichnet. Bei seiner letzten Zusammenkunft mit den Apo- steln, kurz bevor er gen Himmel fuhr, wiederholte der Herr diese Zusicherungen einer geistigen Taufe, die bald darauf stattfinden sollte. 2) Die Erfüllung dieses großen Versprechens wurde an der darauffolgenden Pfingsten verwirklicht, als seine Apostel, als sie sich ver- sammelt hatten, mit großer Macht von dem Himmel ausgerüstet^) und mit dem Heiligen Geist erfüllt wurden, so daß wie der Geist ihnen Äußerung verlieh sie in fremden Zungen sprachen. Unter andern Kundgebungen dieser himmlischen Gabe darf die Erscheinung von Feuerflammen, welche gleich Zungen auf jedem ruhte, erwähnt werden. Die in solch wunderbarer Weise an ihnen erfüllte Verheißung wurde von den Aposteln denen gegenüber wiederholt, die ihre Belehrung begehrten. Als Petrus am selben Tage zu den Juden redete, erklärte er: Unter der Bedingung der Gott angenehmen Buße und Taufe „werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes".^)

>) Johannes 14:16 17, 26; 15:26; 16:

") Apostelgesch. 1:5.

") Apostelgesch. 2:1 4.

*) Apostelgesch. 2:38.

Art. 4.] Der Heilige Geist. 197

4. Nicht weniger überzeugend sind die Beweise des Buches Mormon von der Verweihing des Heiligen Geistes auf denen, welche die Anforderungen zur Wassertaufe befolgen. Nephi, der Sohn Lehis, zeugte feierlich von dieser Wahrheit/) wie sie ihm durch die Stimme Gottes bekannt gemacht wurde. Und die Worte des auferstandenen Erlösers an die Nephiten kommen in unbestreitbarer Deutlichkeit und mit zweifelloser Autorität und ver- kündigen die Taufe durch Feuer und durch den Heiligen Geist für alle, welche die vorbereitenden Forderungen erfüllen. 2)

5. Den Heiligen in der Dispensation der Fülle der Zeiten ist dieselbe große Verheißung gemacht worden. ,,Ich wiederhole euch", sprach der Herr, als er zu gewissen Ältesten der Kirche redete, ,,daß jede Seele, die an eure Worte glaubt und im Wasser zur Vergebung der Sünden getauft wird, den Heiligen Geist empfangen soll. "3)

6. Persönlichkeit und Mächte des Heiligen Geistes. Der Heilige Geist ist mit dem Vater und dem Sohn in der Gottheit verbunden. Im Licht der Offenbarung werden wir über die besondere Persönlichkeit des Heiligen Geistes belehrt. Er ist ein mit den Eigenschaften und Mächten der Gottheit begabtes Wesen und nicht bloß ein Ding, eine Kraft oder eine wesenlose Masse. Der Ausdruck „der Heilige Geist" und dessen gewöhnliche sinnverwandte Bezeichnungen ,, Geist Gottes",*) ,, Geist des Herrn", oder einfach „Geist", 5) „Tröster"^) und ,, Geist der Wahrheit"^)

1) 2. Nephi 31:8, 12—14, 17. -) 3. Nephi 11:36; 12:2. =) Lehre u. Bündn. 84:64. «) Matthäus 3:16; 12:28; 1. Nephi 13:12.

=) 1. Neplii 4:6; 11:8; Mosiah 13:5; Apostelgesch. 2:4; 8:29; 10:19; Römer 8:10, 26; 1. Thessalonicher 5:19. «) Johannes 14:16—26; 15:26. ') Johannes 15:26; 16:13.

198 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIII.

kommen in der Schrift mit offenbar verschiedenen Bedeu- tungen vor; in einigen Fällen beziehen sie sich auf die Person Gottes, den Heiligen Geist, und in andern Fällen auf die Macht oder Autorität dieses großen Wesens. Der Zusammenhang solcher Stellen wird zeigen, welche von diesen Bedeutungen gemeint ist.

7. Ohne Zweifel besitzt der Heilige Geist persönliche Kräfte und Empfindungen; diese Eigenschaften sind in ihm vollkommen. So lehrt und leitet er,^) gibt Zeugnis vom Vater und vom Sohn,^) tadelt wegen Sünde^) spricht, befiehlt und beauftragt,*) vertritt den Sünder,^) wird betrübt,^) erforscht und untersucht,') gibt ein 8) und weiß alle Dinge.*) Dies sind nicht bloß bildliche Ausdrücke, sondern deutliche Erklärungen der Eigenschaften und aus- geprägte Kennzeichen dieser erhabenen Persönlichkeit. Daß sich der Heilige Geist in der wahren Form und Gestalt Gottes zeigen kann in dessen Ebenbilde der Mensch geschaffen ist wird durch die wunderbare Unterredung zwischen dem Geiste und Nephi gezeigt, wo er sich diesem Propheten offenbarte, mit ihm von Angesicht zu Angesicht sprach, ihn über sein Verlangen und seinen Glauben befragte und in den Dingen Gottes unterrich- tete. „Ich redete zu ihm", schreibt Nephi, „wie ein Mensch redet; denn ich sah, daß er in der Gestalt eines Menschen war; doch wußte ich, daß es der Geist des Herrn war; und er redete mit mir, wie ein Mensch mit

0 Johannes 14:26; 16:13. n Johannes 15:26. ') Johannes 16:8.

*) Apostelgesch. 10:19; 13:2; Offenbarung Joh. 2:7; 1. Nephi 4:6; 11:2—8.

^) Römer 8:26.

«) Epheser 4:30.

') 1. Korinther 2:4 10.

») Mosiah 3:19.

») Alma 7:13.

Art. 4.] Der Heilige Geist. 199

einem anderen redet". ^) Dennoch besitzt der Heilige Geist nicht einen fühlbaren Körper von Fleisch und Bein, wie der Vater und der Sohn, sondern er ist eine Persönlichkeit aus Geist. 2)

8. Meistenteils entsteht die in unsern menschlichen Begriffen über die Natur des Heiligen Geistes vorhandene Verwirrung aus dem allgemeinen Fehler, daß wir unsre Vorstellungen von seiner Person und von seinen Kräften miteinander vermischen. Es ist klar, daß Ausdrücke wie ,,mit dem Heiligen Geiste erfüllt sein",^) und „daß der Geist auf den Menschen komme" Bezug haben auf die Kräfte und Einflüsse, die von Gott ausgehen und für ihn charakte- ristisch sind, denn in dieser Weise kann der Heilige Geist zu gleicher Zeit auf viele Menschen wirken, auch wenn sie weit auseinander sind; die wirkliche Person des Heiligen Geistes aber kann zu einer Zeit nur an einem Ort sein. Doch lesen wir, daß der Vater und der Sohn in ihren schöpferischen Taten und in ihrem Umgang mit der Menschheit durch die Kraft des Heiligen Geistes wirken.^) Der Heilige Geist darf als der Diener der Gottheit, der die Entschlüsse des allerhöchsten Rates ausführt, angesehen werden.

9. Bei der Ausführung dieser großen Absichten leitet und beherrscht der Heilige Geist die vielen Kräfte der Natur, von denen nur wenige und vielleicht nur solche einer niedrigem Ordnung, obwohl selbst die geringste davon dem Menschen wunderbar erscheint dem mensch- lichen Verstand bis heute bekannt gemacht worden sind.

') 1. Nephi 11:11.

^) Lehre u. Bündn. 130:22.

') Lukas 1:15, 67; 4:1; Apostelgesch. 6:3; 13:9, Alma 36:24; L. u. B. 107:56.

♦) 1. Mose 1:2; Nehemia 9:30; Hiob 26:13; Psalm 104:30; Jesaja 42:1; Apostelgesch. 10:19; 1. Nephi 10:19; Alma 12:3; L. u. B. 105:36; 97:1.

200 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIII.

Schwerkraft, Schall, Hitze, Licht und die noch geheimnis- vollere, scheinbar übernatürliche Kraft der Elektrizität sind nur die gewöhnlichen Diener des Heiligen Geistes in seiner Tätigkeit. Kein ernster Denker, kein aufrichtiger Forscher glaubt, daß er schon alle im Stoff vorhandenen und auf den Stoff wirkenden Kräfte kennen gelernt habe; sogar die wahrgenommenen, ihm noch ganz unerklärlichen Naturerscheinungen übertreffen an Zahl die, für die er selbst nur eine teilweise Erklärung erdacht hat. Es gibt Gott zur Verfügung stehende Kräfte und Mächte, mit welchen verglichen sich Elektrizität, eine von den natür- lichen Kräften, die vom Menschen in irgend einem Grade wahrgenommen und am wenigsten verstanden wird, ver- hält wie das Lastpferd zur Lokomotive, der Fußbote zum Telegraph, das Floß zum Ozeandampfer. Der Mensch hat kaum einen flüchtigen Blick auf das Triebwerk der Schöpfung geworfen; und dennoch haben die wenigen Kräfte, die er kennt, Wunder zustandegebracht, die wohl unglaublich sein würden, wenn nicht ihre tatsächliche Verwirklichung erfolgt wäre. Diese mächtigen und die andern noch größeren Hilfskräfte, die dem Menschen noch unbekannt sind, und viele andere, die dem gegenwärtigen Zustande des menschlichen Verstandes unerkennbar scheinen, bilden nicht den Heiligen Geist, sondern bloß die Mittel, die bestimmt sind, den göttlichen Zwecken zu dienen.

10. Noch feiner, mächtiger und geheimnisvoller als irgendeine oder alle äußern Kräfte der Natur sind die Kräfte, die auf selbstbewußte Lebewesen wirken die Mittel, wodurch Verstand, Herz und Seele des Menschen beeinflußt werden können. In unsrer Unwissenheit über die wahre Natur der elektrischen Energie reden wir von ihr als von einer Flüssigkeit; und in ähnlicher Weise sind die Kräfte, wodurch der Geist beherrscht wird, geistige

Art. 4.] Der Heilige Geist. 201

Flüssigkeiten genannt worden. Die wahre Natur dieser höheren Kräfte ist uns unbekannt, denn die für unsern schwachen menschUchen Verstand so notwendigen Be- dingungen zum Vergleichen und in Einklang bringen, fehlen uns; dennoch werden die Wirkungen von jedermann gespürt. Wie das Leitungsnetz für einen elektrischen Strom nur einen beschränkten Strom weiterleiten kann das Höchstmaß der Kraft wird durch den Widerstand des Konduktors gebraucht und wie einzelne Strom- kreislinien von verschieden abgestufter Leistungsfähig- keit Ströme von wei't verschiedener Stärke übermitteln können, so sind auch menschliche Seelen inbezug auf göttliche Kräfte verschieden aufnahmefähig. Aber wie das Leitungsnetz gereinigt wird und die Hindernisse entfernt werden, so vermindert sich auch der Widerstand gegen die Energie, und die Kräfte tun sich in größrer Vollkommen- heit kund. Durch ähnliche Reinigungsvorgänge können unsere Geister der Lebenskraft, die ein Ausströmen von dem Geiste Gottes ist, empfänglicher gemacht werden. Deshalb wird uns gelehrt, durch Wort und Tat um einen fortwährend zunehmenden Teil des Geistes zu beten, das heißt, um die Kraft des Geistes, die ein Maß der Gnade für uns ist.

11. Die Tätigkeit des Heiligen Geistes in seinem Dienst unter den Menschen wird in der Schrift ausführlich be- schrieben. Er ist ein vom Vater gesandter Lehrer;^) und denen, die zu seiner Belehrung berechtigt sind, wird er alle zum Fortschritt der Seele notwendigen Dinge offen- baren. Durch die Einflüsse des Heiligen Geistes können die Kräfte des menschlichen Verstandes belebt und vergrößert werden, so daß vergangene Dinge wieder in Erinnerung gebracht werden. Er wird allen, die ihm gehorchen, als

1) Johannes 14:26.

202 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIII.

Führer in göttlichen Dingen dienen,^) und jedermann^) im Verhältnis zu seiner Demut und seinem Gehorsam er- leuchten ;3) er wird die Geheimnisse Gottes,*) wenn die so geoffenbarte Kenntnis zu geistigem Wachstum dienen kann, entfalten; er übermittelt den Menschen Kenntnis von Gott;^) heiligt diejenigen, die durch Befolgung der For- derungen des Evangeliums gereinigt worden sind;^) tut alle Dinge kund') und gibt den Menschen Zeugnis von dem Sein und der Unfehlbarkeit des Vaters und des Sohnes.^)

12. Und nicht allein bringt der Heilige Geist die Vergangenheit in Erinnerung und erklärt die Dinge der Gegenwart, sondern seine Kraft äußert sich auch im Prophezeien der zukünftigen Ereignisse: ,,Was zukünftig ist, wird er erklären", erklärte der Heiland den Aposteln, als er das Kommen des Trösters verhieß. Unter dem Einflüsse des Heiligen Geistes weissagte Adam, der erste Prophet dieser Erde, ,,was seinen Nachkommen bis auf die letzte Generation widerfahren werde". ^)

13. Die Kraft des Heiligen Geistes ist also der Geist der Prophezeiung und der Offenbarung; seine Aufgabe ist die Erleuchtung des Verstandes, das Beleben des Denk- vermögens und der Urteilskraft und die Heiligung der Seele.

14. Wem wird der Heilige Geist gegeben? Nicht allen ohne Unterschied! Der Erlöser erklärte den Aposteln vor

') Lehre u. Bündn. 45:57. =) L. u. B. 84:45—47. ») L. u. B. 136:33. «) 1. Nephi 10:19. ') L. u. B. 121:43. «) Alma 13:12. ') L. u. B. 18:18.

») Johannes 15:26; Apostelgesch. 5:32; 20:23; 1. KorinUier 2:11 12:3; 3. Nephi 11:32.

») L. u. B. 107:56.

Art. 4.] Der Heilige Geist. 203

alters: „Und ich will den Vater bitten, und er soll euch einen andern Tröster geben, daß er bei euch bleibe ewiglich : den Geist der Wahrheit, welchen die Welt nicht kann empfangen; denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht. "^) Es ist somit klar, daß der Bewerber gewisse Bedingun- gen erfüllen muß, ehe der Heilige Geist gespendet werden kann, d. h. ehe er ein Recht auf die Begleitung und die Dienste des Geistes bekommen kann. Gott verleiht den Gehorsamen den Heiligen Geist; und die Verleihung dieser Gabe folgt dem Glauben, der Buße und der Taufe im Wasser.

15. Die frühern Apostel verhießen nur denen, welche die Taufe im Wasser zur Vergebung der Sünden erhalten hatten, das Dienen des Heiligen Geistes ;2) Johannes der Täufer gab die Zusicherung des Heiligen Geistes nur denen, die zur Buße getauft waren.^) Der Fall, wo Paulus, wahrscheinlich weil die erste Taufe ungenau und ohne Vollmacht vollzogen worden war, die zwölf Jünger zu Ephesus wiedertaufte,^) ehe er ihnen den Heiligen Geist spendete, ist schon erwähnt worden. Wir lesen von einer merkwürdigen Kundtuung dieser Macht unter dem Volk zu Samarien,^) zu welchem Philippus hingegangen war und den Herrn Jesum verkündigt hatte; die Leute nahmen einmütig sein Zeugnis an und begehrten die Taufe. Dann kamen Petrus und Johannes zu ihnen und durch ihre Vermittlung kam der Heilige Geist auf die Neubekehrten, wohingegen der Geist zuvor auf keinen gefallen war, obwohl alle getauft gewesen waren.

16. Der Heilige Geist wohnt nicht in entweihten und unwürdigen Körpern. Paulus macht die erhabene Er-

1) Johannes 14:16, 17.

=) Apostelgesch. 2:38.

») Matthäus 3:11; Markus 1:8.

') Apostelgesch. 19:1 7; siehe Seite 175.

') Apostelgesch. 8:5 8, 12, 14 17.

204 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIII.

klärung, daß der Leib des Menschen, wenn er mit der Kraft des Heiligen Geistes erfüllt ist, zum Tempel dieses Geistes werde; und der Apostel nennt auch die Strafe, die für das Verunreinigen eines solchen von einer so heiligen Gegenwart geheiligten Baues vorgeschrieben ist.^) Der Glaube an Gott führt zum Bereuen der Sünde, diesem folgt die Taufe im Wasser zur Vergebung der Sünden, und dieser dann die Spendung des Heiligen Geistes, durch dessen Kraft Heiligung und die besondern Gaben Gottes kommen.

17. Eine Ausnahme von der vorgeschriebenen Ordnung zeigt sich bei dem frommen Heiden Kornelius, wo auf ihn und seine Familie der Heilige Geist mit solcher Kraft kam, daß sie zur Verherrlichung Gottes mit neuen Zungen sprachen und dies geschah vor ihrer Taufe. 2) Aber Grund genug für diese Abweichung von der gewöhnlichen Regel ist die Voreingenommenheit, die unter den Juden andern Völkern gegenüber herrschte, und die den Apostel gehindert oder gar von dem Wirken unter den Heiden gänzlich zurückgehalten hätte, wenn der Befehl dazu nicht un- mittelbar vom Herrn gekommen wäre. Wie es war, wurde seine Tat von seinem eigenen Volke laut getadelt; aber er entkräftete ihren Tadel, indem er erzählte, wie ihm von Gott Belehrung wurde und erzählte von dem unleug- baren Beweis des göttlichen Willens, wie er in dem Emp- fangen des Heiligen Geistes von Kornelius und seiner Familie vor der Taufe gezeigt wurde.

18. Auch in einem andern Sinne hat der Heilige Geist oft durch ungetaufte Menschen zum Guten gewirkt. Ein Teil dieses Geistes wird allen Menschen verliehen; denn, wie schon bemerkt, ist der Heilige Geist die Kraft der

') 1. Korinther 3:16. Siehe auch 6:19; 2. Korinther 6:16; Lehre u. Bündn. 9o:35.

^) Apostelgesch. 10.

Art. 4.] Der Heilige Geist. 205

Intelligenz, der weisen Führung, der Entwicklung und des Lebens. Die Kundtuung der Kraft Gottes, wie sie durch die Wirkungen des Geistes klar gemacht wird, sieht man in den Siegen der veredelnden Kunst, in den Er- findungen der wahren Wissenschaft, und in den Ereignissen der Geschichte. Mit all diesem, glaubt vielleicht der sinnliche Verstand, gebe sich Gott nicht unmittelbar ab. Nicht eine Wahrheit ist jemals das Eigentum der Mensch- heit geworden, es sei denn durch die Kraft des großen Geistes, der lebt, damit er den Befehl des Vaters und des Sohnes vollziehe. Und doch wird die wirkliche Gemein- schaft des Heiligen Geistes, das von Gott gegebene Anrecht auf seine Dienste, die heiligende Taufe mit Feuer als ständiger Besitz nur dem gläubigen, bußfertigen, getauften Bewerber um Seligkeit gegeben; und bei all diesen soll diese Gabe bleiben, es sei denn, sie ginge durch Übertretung verloren.

19. Das Spenden des Heiligen Geistes geschieht durch einen mündlichen Segen, der auf den Täufling durch die rechtmäßige Vollmacht desPriestertums ausgesprochen und durch das Auflegen der Hände des amtierenden Mannes oder der amtierenden Männer begleitet wird. Daß dies die von den frühern Aposteln befolgte Weise war, wird durch die jüdischen Schriften bewiesen; daß sie vor alters von den Kirchenvätern ausgeübt wurde, beweist die Geschichte; daß sie das anerkannte Verfahren unter den Nephiten war, wird durch die Berichte im Buche Mormon deutlich gezeigt; und für denselben Brauch in dieser Dispensation ist die Ermächtigung unmittelbar vom Himmel gekommen.

20. Von den im Neuen Testament berichteten Fällen nennen wir die folgenden : Wie schon erwähnt, erteilten Petrus und Johannes den Heiligen Geist denen, die Philippus zu Samarien bekehrte, und die

206 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIII

Verordnung wurde durch Gebet und das Auflegen der Hände vollzogen. i) In derselben Weise verfuhr Paulus mit den Ephesern, die er hatte taufen lassen: „Und da Paulus die Hände auf sie legte, kam der Heilige Geist auf sie, und sie redeten mit Zungen und weissagten. "2) Paulus erwähnt diese Verordnung auch in seiner Ermahnung an Timotheus, die in dieser Weise erteilte Gabe nicht zu vernachlässigen.^) Und wo er die Hauptprinzipien und -Verordnungen der Kirche Christi aufzählt, nennt er auch das auf die Taufe folgende Händeauf legen.*)

21. In folgender Weise flehte Alma die Kraft des Heiligen Geistes herab, um seiner Mitarbeiter willen:^) ,,Er legte seine Hände auf alle, die bei ihm waren; und als er das tat, wurden sie mit dem Heiligen Geiste erfüllt." Der Heiland gab den zwölf erwählten Nephiten Vollmacht, indem er einem nach dem andern die Hand auflegte;^) sie wurden in dieser Weise beauftragt, den Heiligen Geist zu spenden.

22. In dieser Dispensation ist es der Priesterschaft zur Pflicht gemacht worden, „solche, die durch die Taufe in die Kirche gekommen sind, der Schrift gemäß zu kon- firmieren, durch das Auflegen der Hände, zur Taufe mit Feuer und dem Heiligen Geiste".'^) Der Herr hat ver- sprochen, daß der Heilige Geist diesen autorisierten Hand- lungen seiner Diener folgen soll.^) Die Zeremonie des Auflegens der Hände für die Gabe des Heiligen Geistes ist mit der Zeremonie der Konfirmation (Bestätigung) in

•) Apostelgesch. 8:14 17. Lies den Bericht über Simon den Zauberer in diesem Kapitel.

«) Apostelgesch. 19:2^6.

') 2. Timotheus 1:6.

') Hebräer 6:1—2.

') Alma 31:36.

•) 3. Nephi 18:36—37.

') Lehre u. Bündn. 20:41, 43.

«) L. u. B. 35:6; 39:6, 23: 49:11—14.

Art. 4.] Der Heilige Geist. 207

der Kirche verbunden. Der in dem Namen Jesu Christi und kraft seiner Vollmacht amtierende Älteste sagt: „Empfange den Heiligen Geist", und ,,ich konfirmiere (oder bestätige) dich als ein Mitglied der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage''. Selbst diese Worte sind nicht vorgeschrieben, aber ihre Bedeutung sollte bei der Zere- monie ausgedrückt werden; und solchen Worten dürfen noch andere des Segens und der Anrufung wie es der Geist des Herrn dem amtierenden Ältesten eingeben mag hinzugefügt werden. Diese Handlung macht die äußere Form der zur Seligkeit so notwendigen Taufe der Geburt aus Wasser und Geist vollständig.

23. Die Vollmacht, den Heiligen Geist in dieser Weise zu spenden, gehört zum höhern oder melchizedekischen Priestertum,!) die Wassertaufe hingegen darf von einem Priester der aaronischen Ordnung vollzogen werden. 2) Diese Ordnung der Vollmacht, wie sie durch Offen- barung bekannt gemacht worden ist, erklärt, warum Philippus wohl die Befugnis hatte, die Taufe der bekehr- ten Samariter zu vollziehen, aber andre gesandt werden mußten, und zwar solche, die das höhere Priestertum trugen, um ihnen den Heiligen Geist zu erteilen.^)

24. Die Gaben des Geistes. Wie schon erwähnt, besteht das 'besondere Wirken des Heiligen Geistes darin, den Sinn zu erleuchten und zu veredeln, die Seele zu reinigen und zu heiligen, zu guten Werken anzuregen und die Dinge Gottes zu offenbaren. Aber außer diesen all- gemeinen Segnungen gibt es gewisse besondere Aus- stattungen, die mit den Gaben des Heiligen Geistes in Verbindung stehen. So spricht der Heiland: ,,Die Zeichen aber, die da. folgen werden denen, die da glauben, sind die:

') Lehre u. Bündn. 20:38—^3.

^) L. u. B. 20:46, 50.

') Siehe Apostelgesch. 8:5—17.

208 Die Glaubensartikel. [Vorl. VIIL

in meinem Namen werden sie Teufel austreiben, mit neuen Zungen reden, Schlangen vertreiben; und so sie etwas Tödliches trinken, wird's ihnen nicht schaden; auf die Kranken werden sie die Hände legen, so wird's besser mit ihnen werden."^)

25. Diese Gaben des Geistes werden nach der Weisheit Gottes zur Erhöhung seiner Kinder ausgeteilt. Paulus schildert sie wie folgt: ,,Von den geistlichen Gaben aber will ich euch, liebe Brüder, nicht verhalten. * * * Es sind mancherlei Gaben; aber es ist ein Geist. * * * in einem jeglichen erzeigen sich die Gaben des Geistes zum gemeinen Nutzen. Einem wird gegeben durch den Geist, zu reden von der Weisheit; dem andern wird gegeben, zu reden von der Erkenntnis nach demselben Geist; einem andern der Glaube in demselben Geist; einem andern die Gabe, gesund zu machen in demselben Geist; einem andern, Wunder zu tun; einem andern Weissagung; einem andern, Geister zu unterscheiden ; einem andern mancher- lei Sprachen; einem andern, die Sprachen auszulegen. Dies aber alles wirkt derselbe eine Geist, und teilt einem jeglichen seines zu, nach dem er will. "2) Niemand ist ohne irgend eine Gabe des Geistes; ein Mensch kann verschiedene Gaben besitzen.

AnmerkangeiL. 1. Wirkan«) des Heiligen Geistes auf das Indi\iduiiin. Ein erleuchtetes Wesen im Ebenbilde Gottes besitzt alle Glieder, Eigenschaften, Sinne xuid Gefühle, ferner auch Weisheit, Liebe, Macht und Gaben, mit welchen Gott selbst begabt ist. Aber der Mensch besitzt diese in ihrem Anfangszustande, also nur in einem untergeordneten Sinne. In andern Worten : diese Eigen- schaften sind im Entstehen und müssen allmählich entwickelt werden. Sie sind einem Keime gleich, einer Knospe, welche sich allmählich zur Blüte entwickelt imd dann durch den natürlichen Fortschritt die reife Frucht nach ihrer eigenen Art hervorbringen. Die Gabe des Heiligen Geistes paßt sich allen diesen Organen oder Eigenschaften an. Sie belebt alle Verstandesfähigkeiten, vermehrt, vergrößert, erweitert und reinigt alle natürlichen Gefühle und Neigungen, xmd macht sie durch die Gabe der

») Markus 16:17 18; Lehre u. Bündn. 84:65 73.

') 1. Korinther 12: 1 11 ; siehe auch Buch Mormon, Moroni 10:8 18.

Art. 4.] Anmerkungen. 209

Weisheit zu ihrem gesetzlichen Gebrauch geeignet. Sie belebt, entwickelt, veredelt und vervollkommnet alle feinen Empfindungen, Freuden, Genüsse, Verwandtschaftsgefühle und Neigungen unsres Wesens. Sie flößt Tugend, Mildtätigkeit, Güte, Zärtlichkeit, Sanftmut und Liebe ein. Sie entwickelt Schönheit der Person und der Gestalt. Sie führt zu Gesundheit und Kraft, zu Leben und Geselligkeit. Sie entwickelt und belebt alle Fähigkeiten des natürlichen und geistigen Menschen. Sie stärkt und belebt die Nerven. Kurzum, sie ist Mark dem Beine, Freude dem Herzen, Licht dem Auge, Musik dem Ohre, und Leben für das ganze Wesen." Parley P. Pratt, „Schlüssel zur Gottesgelehrtheit'*, S, 61. (1. deutsche Auflage.)

2. Das Aufleflen der Hände. Aus den angeführten Schriftstellen erhellt, daß das übliche Verfahren bei der Spendung des Heiligen Geistes zum Teil in dem Auflegen der Hände von Bevollmächtigten bestand ( Apostel- gesch. 8:17; 9:17; 19:2—6; Alma 31:36; 3. Nephi 18:36—37; Lehre u. Bündn. 20:41). Dasselbe äußere Zeichen kennzeichnet auch andere bevoll- mächtigte Handlungen, z. B. die Ordination zum Priestertum und das Segnen der Kranken. Es ist wahrscheinlich, daß Paulus Bezug nahm auf die Ordination des Timotheus, als er ihn ermahnte: „Laß nicht aus der Acht die Gabe, die dir gegeben ist durch die Weissagung mit Handauflegung der Ältesten" (1. Tim. 4:14). Und wieder, erwecke ,,die Gabe Gottes, die in dir ist, durch die Auflegung meiner Hände" (2. Tim. 1:6). Die erste Ordination zum Priestertum in den letzten Zeiten wurde durch das Auf- legen der Hände von Johannes dem Täufer vollzogen (Lehre u. Bündn. 13). Daß Christus zuweilen die Hände auf die Kranken legte, als er sie heilte, steht fest (Mark. 6:5); und er gab seinen Aposteln eine Verheißung, daß derh bevollmächtigten Auflegen der Hände Heilung folgen werde (Markus 16:15, 18). Dasselbe Versprechen ist in diesen Tagen wiederholt worden (Lelire u. Bündn. 42 : 43 44). Trotz der Wichtigkeit, die diesem Zeichen der Vollmacht beigemessen wird, ist dennoch das Auflegen der Hände bei den vielen Sekten, die sich heutzutage zum Christentum bekennen, eine Seltenheit.

3. Die Wirksamkeit des Heiligen Geistes. Die Mittel, wodurch der Heilige Geist wirkt, sind im wahren Sinne ebensowenig der Heilige Geist in eigener Person als das Licht, die Hitze und die chemisch wirkende Kraft der Sonne die Sonne selbst sind. Der Einfluß, der Geist oder die Kraft des Heiligen Geistes ist eine Kraft der Erleuchtung und des Fortschritts, und diese wird den Menschen im Verhältnis zu ihrer Empfänglichkeit und Würdigkeit gegeben; aber das Anrecht auf die besondern Dienste des dritten Mitglieds der Gottheit kann nur durch Befolgung der vorbereitenden Forderungen des Evangeliums Glaube, Buße und Taufe erlangt werden.

4. Art und Weise der Spendung des Heiligen Geistes. Es sind Fragen aufgetaucht über das genaue Verfahren bei der Konfirmation (Bestä- tigung von Neugetauften) und der Spendung des Heiligen Geistes; be- sonders darüber, ob es angebracht sei zu sagen: „Empfange den Heiligen Geist" oder „Empfange die Gabe des Heiligen Geistes". Da die Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist all die geistigen Gnaden und Gaben insoweit sie vom Menschen verdient und ihm dienlich sind in sich begreift, lehrt die Kirche, daß amtierende Älteste bei dem Konfirmieren der Ge- tauften die Form: „Empfange den Heiligen Geist" gebrauchen sollen.

14

210 Die Glaubensartikel. [Vorl. IX.

Vorlesung IX. Das heilige Abendmahl.

In Verbindung mit Artikel 4.

1. Das Abendmahl. Bei unserm Studium der Prinzipien und Verordnungen des Evangeliums, wie sie im 4. Glaubensartikel aufgezählt werden, beansprucht das heilige Abendmahl^) mit Recht unsere Aufmerksam- keit ; denn das Befolgen dieser Verordnung wird von allen verlangt, die durch Unterwerfung unter die Forderungen des Glaubens, der Buße und der Taufe im Wasser und durch den Heiligen Geist Mitglieder der Kirche geworden sind.

2. Die Einsetzung des Abendmahls unter den Juden. Das Abendmahl nahm seinen Ursprung am Vorabend des Passahfestes, das der Kreuzigung des Heilandes unmittel- bar voranging.-) Bei dieser feierhchen Gelegenheit waren Christus und die Apostel in Jerusalem versammelt und hielten die Feier in einem Saal ab, der auf seinen aus- drücklichen Befehl bereitgestellt worden war. 3) Als Jude scheint Christus den überkommenen Bräuchen seines Volkes immer getreu gewesen zu sein. Gewiß hat er diese Gedenkfeier mit den außergewöhnlichsten Gefühlen angetreten war es doch die letzte ihrer Art, welche sowohl ein zukünftiges Opfer als auch die Gnade Gottes in der Vergangenheit versinnbildlicht hat. Da er die furchtbaren ihm unmittelbar bevorstehenden Erfah-

•) Siehe Anmerkungen 1 und 2. ') Siehe Anmerkung 3. ') Lukas 22:8—13.

Art. 4.] Das heilige Abendmahl. 211

rungen kannte, unterhielt er sich in Seelenqual mit den Zwölfen am Passahtisch und prophezeite seinen Verrat, der bald durch die Vermittlung eines, der da mit ihm aß, vollbracht werden sollte. Da nahm er das Brot, segnete es und gab es seinen Jüngern und sprach: „Nehmet, esset, das ist mein Leib";i) „das tut zu meinem Gedächtnis. "2) Nach diesem nahm er den Kelch, segnete den Inhalt und teilte ihn unter seinen Jüngern aus mit den Worten: „Trinket alle daraus; das ist mein Blut des neuen Testaments, welches vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden. "2) Es ist bedeut- sam zu merken, daß der von Paulus*) über das Abendmahl gegebene Bericht und seine Bedeutung den von den Evangelisten berichteten Beschreibungen so ähnelt, daß er beinahe gleichlautend ist. Die Bezeichnung des Sakra- ments als des Herrn Abendmahl wird außer von Paulus von keinem anderen biblischen Schriftsteller gebraucht.

3. Einsetzung des Abendmahls bei den Nephiten.

Bei seinem Besuch unter den Nephiten, kurz nach seiner Auferstehung, setzte Christus das Abendmahl unter diesem Teil seiner Herde ein. Er bat die Jünger, die er erwählt hatte, ihm Brot und Wein zu bringen; dann nahm er das Brot, brach es, segnete es und gab es den Jüngern mit dem Gebot, davon zu essen und es dann dem Volk auszuteilen. Die Vollmacht, diese Verordnung zu voll- ziehen, versprach er unter dem Volke zu lassen. „Darauf sollt ihr immer achten," sagteer, ,,es so zu tun, wie ich es getan habe. * * * Und dies sollt ihr tun zum Gedächtnis meines Leibes, welchen ich euch gezeigt habe. Und es soll dem Vater ein Zeugnis sein, daß ihr euch immer meiner

•) Matthäus 26:26.

*) Lukas 22:19; siehe auch Markus 14:22-

») Matthäus 26:27—28.

«) 1. Korinther 11:23—25.

212 Die Glaubensartikel. [Vorl. IX.

erinnert. Und wenn ihr immer meiner gedenket, so sollt ihr meinen Geist bei euch haben. "^) Der Wein wurde in derselben Reihenfolge erst den Jüngern, dann von ihnen unter das Volk ausgeteilt. Dies sollte auch ein Teil der bleibenden Ordnung unter dem Volke sein: „Und ihr sollt es tun zum Gedächtnis meines Bluts, welches ich für euch vergossen habe, um dem Vater ein Zeugnis zu geben, daß ihr immer meiner gedenket." Dann folgte eine Wieder- holung der großen Verheißung: „Und wenn ihr immer meiner gedenket, soll mein Geist bei euch sein. "2)

4. Würdige Genießer des Abendmahls. Die gött- lichen Belehrungen über die Heiligkeit dieser Ver- ordnung sind sehr ausführlich; und die daraus folgende Notwendigkeit, gewissenhafte Sorgfalt zu üben, um dieses Mahl nicht unwürdig zu genießen, ist klar. Als Paulus an die Heiligen zu Korinth schrieb, warnte er feierlich vor voreiligem oder unwürdigem Genießen des Abendmahls und erklärte, daß diejenigen, die die heiligen Forderungen übertreten, durch die Strafen der Krankheit und auch des Todes heimgesucht werden. ,,Denn so oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, sollt ihr des Herrn Tod verkündigen, bis daß er kommt. Welcher nun unwürdig von diesem Brot isset oder von dem Kelch des Herrn trinket, der ist schuldig an dem Leib und Blut des Herrn. Der Mensch prüfe aber sich selbst, und also esse er von diesem Brot und trinke von diesem Kelch. Denn welcher unwürdig isset und trinket, der isset und trinket sich selber zum Gericht, damit, daß er nicht unterscheidet den Leib des Herrn. Darum sind auch viele Schwache und Kranke unter euch, und ein gut Teil schlafen."^)

1) 3. Nephi 18:6—7.

') 3. Nephi 18:11.

») 1. Korinther 11:26—30.

Art. 4.] Das heilige Abendmahl. 213

5. Als Jesus die Nephiten belehrte, legte er großen Nachdruck auf die Würdigkeit derer, welche das Abend- mahl genossen; und überdies legte er große Verantwort- lichkeit auf die Beamten der Kirche, deren Pflicht es war, das Abendmahl auszuteilen, daß sie es keinem, den sie als unwürdig kannten, erlauben sollten, an der Verordnung teilzunehmen : ,,Nun sehet, dies ist das Gebot, welches ich euch gebe, daß ihr wissentlich niemand ge- statten sollt, von meinem Leib und Blut unwürdig zu genießen, wenn ihr dieselben austeilet; denn wer von meinem Leib und Blut unwwdig genießt, ißt und trinkt seiner Seele Verdammnis. Wenn ihr daher wisset, daß ein Mensch unwürdig ist, meinen Leib zu essen und mein Blut zu trinken, so sollt ihr es ihm verbieten."^)

6. Das unmittelbare Wort des Herrn an die Heiligen in dieser Dispensation unterweist sie, niemand, der über- treten hat, zu gestatten, das Abendmahl zu genießen, bis Versöhnung herbeigeführt worden ist. Dennoch ist es den Heiligen geboten, weitgehende Langmut gegen ihre irrenden Mitmenschen zu üben, sie nicht aus den Versammlungen auszustoßen, aber doch das Abendmahl sorgfältig von ihnen zurückzuhalten. 2) In unsrer Kirchenverfassung wird die Verantwortlichkeit der Segnung und der Austeilung des Abendmahls den örtlichen Kirchenbeamten auferlegt, und es wird von dem Volke gefordert, sich würdig zu halten, um die heiligen Sinnbilder genießen zu können.

7. Daß man das Abendmahl irgend jemand geben solle, der nicht ein in voller Gemeinschaft stehendes Mit- glied in der Kirche Christi ist: dafür fehlt in der Schrift jede Berechtigung. Auf der östlichen Erdhälfte teilte Christus das Abendmahl nur seinen Aposteln aus ; und wir haben Bericht davon, daß sie es nur denen gaben, die den

•) 3. Nephi 18:28—29.

') Lehre u. Bündn. 46:4. Siehe auch 3. Nephi 18:30.

214 Die Glaubensartikel. [Vorl. IX.

Namen Christi angenommen hatten. Unter seiner west- lichen Herde setzte Christus das Gesetz ein, daß nur die tatsächlichen Mitglieder seiner Kirche davon genießen sollten. Als der Heiland versprach, einen unter ihnen ein- zusetzen, der mit Macht über das Abendmahl amtieren könne, bestimmte er, daß der in dieser Weise Gewählte es dem Volke seiner Kirche allen, die glaubten und auf seinen Namen getauft worden waren austeilen sollte. i) Und zwar nur diejenigen, die so getauft worden waren, wurden die Kirche Christi genannt.^) Seine Belehrungen an die Jünger betreffs des Abendmahls fortsetzend, sagte der Heiland: ,,Dies sollt ihr immer tun denen, die sich be- kehren und in meinem Namen getauft werden. "3)

8. Dasselbe Gesetz besteht heute noch: es sind die Mitglieder der Kirche,^) die ermahnt werden, sich öfters zu versammeln, um das Abendmahl zu genießen; und die Kirche schließt keine Menschen von reifern Jahren in sich ein, die nicht durch die Vollmacht des heiligen Priestertums getauft worden sind.^)

9. Der Zweck des Abendmahls. Aus den schon erwähnten Schriftstellen geht klar hervor, daß das Abend- mahl ausgeteilt wird zur Erinnerung an die Versöhnung durch den Herrn Jesum, wie sie in seinem Leiden und Sterben vollbracht wurde; es ist ein Zeugnis vor Gott, daß wir des um unsertwillen dargebrachten Opfers seines Sohnes eingedenk sind; und daß wir den Namen Christi immer noch bekennen und entschlossen sind, uns stets zu bestreben, seine Gebote zu halten, in der Hoffnung, da- durch immer seinen Geist mit uns zu haben. Das würdige

') 3. Ncphi 18:5.

=>> 2. Nephi 26:21.

') 3. Nephi 18:11.

*) Lehre u. Bündn. 20:

') L. u. B. 20:37.

Art. 4.] Das heilige Abendmahl. 215

Genießen des Abendmahls darf dann angesehen werden als ein Mittel zur Erneuerung unsrer Bündnisse mit dem Herrn, zur Anerkennung der gegenseitigen Gemeinschaft unter den Mitgliedern und zum feierlichen Zeugnis, daß wir unsere Mitgliedschaft in der Kirche Christi behaupten und bekennen. Das Abendmahl ist nicht eingesetzt worden als ein besonderes Mittel, um Vergebung der Sünden zu erhalten, noch zu irgend einem andern besondern Segen, außer zu dem einer Erneurung der Gabe des Heiligen Geistes, die jedoch alle nötigen Segnungen in sich begreift. Wäre das Abendmahl zur Vergebung der Sünden eingesetzt worden, so würde es sicherlich denen nicht entzogen, die einer besondern Vergebung am meisten bedürfen; aber die Teilnahme an dieser Verordnung ist auf diejenigen be- schränkt, deren Gewissen frei ist von schwerem Unrecht, also auf diejenigen, die vor dem Herrn angenehm sind, ja auf diejenigen, die eine besondere Vergebung so wenig notwendig haben, als sie Sterbliche nur haben können.

10. Die Sinnbilder des Abendmahls. Als Christus das Abendmahl unter den Juden und unter den Nephiten einsetzte, gebrauchte er Brot und Wein als die Wahrzeichen seines Leibes und seines Blutes,^) und in dieser Dispen- sation — der Dispensation der Fülle der Zeiten hat er seinen Willen geoffenbart, daß die Heiligen öfters zusammen kommen sollen, um Brot und Wein in dieser erinnern- den Verordnung zu genießen.^) Aber der Herr hat auch gezeigt, daß anstatt Brot und Wein auch andere Formen der Speise und des Tranks gebraucht werden können. Kurz nach der Organisierung der Kirche in der gegenwärtigen Dispensation war der Prophet im Begriff, für das Abendmahl Wein zu kaufen, als ihm ein beson-

') Matthäus 26:27 29; Buch Mormon, 3. Nephi 18:1,8. ») Lehre u. Bündn. 20:75.

216 Die Glaubensartikel. [Vorl. IX.

derer Bote von Gott erschien und die folgenden Belehrungen erteilte: „Denn siehe, ich sage euch, daß es nicht darauf ankommt, was ihr esset oder was ihr trinket, wenn ihr das Abendmahl genießt, so ihr es mit ungeteiltem Sinne zu meiner Ehre tut, und euch vor dem Vater an meinen Leib, der für euch zerschlagen ward, und an mein Blut, welches für die Vergebung eurer Sünden vergossen ward, erinnert. Darum gebe ich euch ein Gebot, daß ihr weder Wein noch starkes Getränk von euren Feinden kaufen sollt, und deswegen sollt ihr von keinem genießen, ausgenommen es sei wiederum unter euch bereitet, selbst in diesem meines Vaters Reich, welches auf Erden gegründet werden soll."^) Auf Grund dieser Ermächtigung teilen die Heiligen der letzten Tage bei ihrem Abendmahl lieber Wasser aus statt Wein, gleichviel ob sie von dessen Reinheit überzeugt sind oder nicht. Jedoch ist in den Gegenden des Kirchen- gebiets, wo Weinberge sind, gewöhnlich Wein gebraucht worden.

11. Die Art und Weise der Segnung und Austeilung des Abendmahles. Bei den Heiligen der letzten Tage ist es gebräuchlich, in allen Gemeinden (Wards) oder regelrecht organisierten Zweiggemeinden der Kirche jeden Sabbath Abendmahls Versammlungen abzuhalten. Die Vollmacht des Priesters der aaronischen Ordnung des Priestertums ist zum Segnen der Wahrzeichen erforder- lich; und natürlich hat auch jeder, der das höhere Priester- tum trägt, die Vollmacht, in dieser Verordnung zu amtieren. Das Brot soll zuerst in kleine Stücke gebrochen und in passenden Behältern auf den Abendmahlstisch gestellt werden ; und dann soll es der Älteste oder Priester gemäß der Unterweisung des Herrn wie folgt segnen : „Er soll knien mit der Gemeinde und den Vater im feierlichen Ge- bet anrufen, indem er sagt:

') Lehre u. Bündn. 27:2 4.

Art. 4.] Das heilige Abendmahl. 217

„0 Gott, du ewiger Vater, wir bitten dich in dem Namen deines Sohnes Jesu Christi, dieses Brot zu segnen und zu heiligen den Seelen aller derer, welche davon genießen, daß sie es essen mögen zum Gedächtnis des Leibes deines Sohnes^ und dir bezeugen, o Gott, du ewiger Vater, daß sie willens sind, den Namen deines Sohnes auf sich zu nehmen und jederzeit seiner zu gedenken und seine Gebote zu halten, die er ihnen gegeben hat, daß sie seinen Geist immer mit sich haben mögen. Amen"^)

12. Nachdem das Brot unter die Versammelten aus- geteilt worden ist an welchem Dienste die Lehrer und Diener unter der Leitung des amtierenden Priesters teil- nehmen dürfen wird der Wein oder das Wasser in folgender Weise geweiht:

„0 Gott, du ewiger Vater, wir bitten dich in dem Namen deines Sohnes Jesu Christi, diesen Wein (oder dieses Wasser) zu segnen und zu heiligen den Seelen aller derer, welche davon trinken, daß sie es tun mögen zum Gedächtnis des Blutes deines Sohnes, welches für sie vergossen wurde; damit sie dir bezeugen mögen, o Gott, du ewiger Vater, daß sie seiner allezeit gedenken, daß sein Geist mit ihnen sein möge. Amen.''^)

13. Die Deutlichkeit der Belehrungen, die der Herr den Heiligen über diese Verordnung gab, läßt keinen Streit zu wegen der Zeremonie; denn sicher kann nie- mand fühlen, wenn er in diesen heiligen Dingen amtiert, daß er die Autorität habe, die Formen, und sei es auch nur durch ein Wort, zu ändern. Wenn je der Herr eine Änderung in dieser Verordnung wünscht, so wird er es ohne Zweifel auf dem von ihm eingesetzten Weg des Priestertums bekanntmachen. Die Berichte der Nephiten beweisen deutlich, daß die Weise der Segnung und Aus-

') Lehre u. Bündn. 20:76 77; vergleiche Buch Mormon, Moroni 4. «) L. u. B. 20:78 79; vergleiche Buch Mormon, Moroni 5.

218 Die Glaubensartikel. [Vorl. IX.

teilung des Abendmahls, wie sie zu jener Zeit gehandhabt wurden,^) dieselbe war wie die, welche zur Richtschnur der Heiligen in der Dispensation der Fülle der Zeiten geoffenbart worden ist.

Anmerkungen.

1. Der Ausdruck „Sakrament" (Gnadenmittel, Heilsspende) wird gewöhnlicli in einem allgemeinen und in einem besondern Sinne gebraucht ; seiner Abstammung nach bedeutet er etwas Heiliges oder eine heilige Zere- monie, und mit dieser Bedeutung wird er von verschiedenen Sekten auf einige Verordnungen ihrer Kirchen angewandt. So sprechen die Prote- stanten von zwei Sakramenten: der Taufe und dem Abendmahl; die Römisch- und Griechisch-Katholischen anerkennen sieben Sakramente die erwähnten zwei, dazu die Firmung (Einsegnung), die Ehe, die Priester- weihe, die Buße und die letzte Ölung. Einige Gruppen innerhalb der Griechischen Kirche sollen die Firmung und die letzte Ölung aus den sieben Sakramenten ausschließen. Mit noch umfassenderer Bedeutung wird das Wort auf irgendeine wunderbare oder geistliche Kundtuung angewandt; in dieser Weise wird es von Bischof Jeremy Taylor gebraucht, wo er spricht: „Gott sandte zuweilen eine Feuersäule und eine Wolkensäule *•• und das Sakrament eines Regenbogens, um sein Volk durch seinen Teil des Kummers zu führen." Insbesondere aber bedeutet das Wort Sakrament das Abend- mahl des Herrn, und mit dieser Bedeutung allein kommt es in der Theologie der Heiligen der letzten Tage vor. Die „Eucharistie"') und „heilige Kom- munion" sind Ausdrücke, die in gewissen Kirchen als sinnverwandt mit dem Sakrament des Herrn Abendmahls gebraucht werden. Von dem Brauch, das Abendmahl, d. h. das Genießen des Abendmahls als Beweis der Mitgliedschaft in den Kirchen anzusehen, und von der Regel, dieses Vorrecht denen vorzuenthalten, die als der Mitgliedschaft unwürdig gehalten werden, stammt der Ausdruck exkommunizieren, wie er auf Entziehung der Gemeinschaft in der Kirche buchstäblich bedeutend „aus der Kom- munion (vom Abendmahl) ausstoßen" angewandt wird.

2. Des Herrn Abendmahl. Wie erwähnt, kommt diese Bezeichnung des Sakraments nur einmal in der Bibel vor. In seinem ersten Brief an die Korinther spricht Paulus von ,,des Herrn Abendmahl" (1. Kor. 11:20). Wahrscheinlich wurde dieser Name gebraucht, weil die heilige Verordnung zum erstenmal zur Zeit des Abendessens vollzogen wiu-de. Es muß daran erinnert werden, daß unter den Juden das Deipnon, oder Abendessen, die Hauptmahlzeit des Tages war, und in Wirklichkeit unserm Mittagessen entsprach.

3. Das Passahfest und das Abendmahl. Das Passahfest war das Hauptfest der alljährlichen Feierlichkeiten der Juden, und sein Name rührte von den Umständen bei seinem Urspnmg her. Als der Herr seine Hand aus- streckte. Israel aus der ägj'ptischen Gefangenschaft zu befreien, tat er

') Moroni 4 und 5.

') Eucharistie = Danksagung, Abendmahlsfeier.

Art. 4.] Anmerkungen. 219

viele Wunder vor Pharao und seinem abgöttischen Haus. Als letzte der zehn furchtbaren Plagen, denen die Ägypter unterlagen, wurde in einer einzigen Nacht der Erstgeborene jeder Familie von dem Tode betroffen. Einem vorhergehenden Befehl gemäß hatten die Israeliten die Pfosten und Stürze ihrer Türeingänge mit dem Blut eines Lammes, das zu diesem Zweck geschlachtet wurde, mit einem Büschel Ysop besprengt. Als der Herr durch das Land zog, ging er an den so bezeichneten Häusern vorüber (2. Mose 12:12 13), während in allen ägyptischen Häusern der Tod ein- kehrte. So stammt der Name Passah (englisch Passover) von pasach, vorübergehen, ab. Das Fleisch des Opferlammes wurde dann in der Eile der Flucht gegessen. Um sie an ihre Befreiung aus der Knechtschaft zu erinnern, verlangte der Herr von den Israeliten eine jährliche Feier dieses Ereignisses, und die Gelegenheit wurde als das „Passahfest", auch „das Fest der un- gesäuerten Brote" bekannt; dieser Name rührt von dem Befehl des Herrn her, daß während der Feier kein Sauerteig In den Häusern des Volkes gefunden werden sollte (2. Mose 12:15). Das Fest sollte Veranlassung geben, die Kinder über das barmherzige Verfahren Gottes mit ihren Vor- fahren zu belehren (2. Mose 12:26, 27). Aber außer seinem erinnernden Zweck wurde das Passahfest dem Volke ein Vorbild des Opfers auf Golgatha. Paulus sagt: „Denn wir haben auch ein Osterlamm, das ist Christus, für uns geopfert" (1. Korinther 5:7). Als Sinnbild des künftigen versöhnenden Todes Christi verlor das Passahfest teilweise seine Bedeutung durch die Kreuzigung und wurde daher durch das Abendmahl aufgehoben. Es gibt viel- leicht keine nähere Verwandtschaft zwischen den zwei Verordnungen als diese. Sicher war das Abendmahl nicht dazu bestimmt, das Passahfest völlig zu ersetzen, denn dieses wurde als ein immer wiederkehrendes Fest eingesetzt: „Ihr sollt diesen Tag haben zum Gedächtnis und sollt ihn feiern dem Herrn zum Fest, ihr xmd alle eure Nachkommen, zur ewigen Weise" (2. Mose 12: 14). 4. Irrtümer betreffs des Abendmahls und seiner Bedeutung und der Weise der Austeilung nahmen in den sich zum Christentum bekennenden Kirchen während der frühern Jahrhunderte des Christentums schnell zu. Sobald die Kraft des Priestertums weg war, entstand viel Streit über die Verordnung, und die Vollziehung des Abendmahls entartete. Religionslehrer suchten die Meinung zu nähren, daß dieser natürlich einfachen imd er- greifenden Verordnung viel Geheimnisvolles anhafte und daß alle, die nicht in voller Gemeinschaft mit der Kirche seien, nicht allein von der Teilnahme an der Verordnung ausgeschlossen werden sollten was auch richtig war sondern auch von dem Vorrecht, den Dienst anzusehen, auf daß die rätsel- hafte Feierlichkeit durch ihre unheilige Gegenwart nicht entweiht werde. Dann entstand die Ketzerei der „Transsubstantiation",') die behauptete, daß die Stoffe des Abendmahls bei der Zeremonie der Weihung ihren natürlichen Charakter als einfaches Brot und Wein verlören, und in Wirk- lichkeit Fleisch und Blut, tatsächlich Teile des gekreuzigten Leibes Christi, würden. Beweisführungen gegen solche Lehren sind zwecklos. Dem folgte die Verehrung der Sinnbilder durch das Volk; es wurde bei der Messe für die Anbetung des Volkes erhoben, das Brot und den Wein als Teile des Körpers Christi anzusehen. Später wurde der Brauch eingeführt, die

') Transsubstantiation = Verwandlung, Brotverwandlung, Abend- mahlswunder.

220 Die Glaubensartikel. [Vorl. IX.

Hälfte des Abendmahls dem Volk vorzuenthalten. Durch die letzterwähnte Neuerung wurde nur das Brot ausgeteilt, denn die kirchliche Lehre ging dahin, daß beides, Leib imd Blut, in irgendeiner geheimnisvollen Weise in einem „Element" dargestellt werde. Sicher ist, daß Christus seine Apostel aufforderte, zu seinem Gedächtnis sowohl zu trinken als auch zu essen.

5. Das Abendmahl nngetauften Kindern ausgeteilt. Es sind Fragen aufgetaucht, ob es richtig sei, Kindern, die das zur Taufe bestimmte Alter noch nicht erreicht haben, das Abendmahl zu geben. Wie wir in einer vorhergehenden Vorlesung angegeben haben (S. 153 156), sind Kinder, die in der Kirche geboren werden, ohne die Taufe Mitglieder, bis sie das Alter der Verantwortlichkeit erreicht haben. Wahrschein- lich gibt es keine Übertretung des Gesetzes, wenn das Abendmahl unter solchen unschuldigen Personen ausgeteilt wird, und da die lebenden Autori- täten der Kirche diesen Brauch verordnet haben, ist die Frage betreffs der Richtigkeit beantwortet. Dennoch sollen Kinder belehrt werden, daß, nachdem sie durch die Taufe und die Konfirmation in der Kirche auf- genommen worden sind, das Genießen des Abendmahls für sie einen großem Wert hat, indem es eine Erneuerung der Bündnisse, die sie an den Gewässern der Taufe machten, bezeichnet.

Art. 5.] Männer von Gott berufen. 221

Vorlesung X. Vollmacht im Amt.

Artikel 5. Wir glauben, daß ein Mann von Gott berufen sein muß durch Offenbarung und durch das Auflegen der Hände derer, welche die Vollmacht dazu haben, das Evangelium zu predigen und in dessen Ver- ordnungen zu amtieren.

Männer von Gott berufen.

1. Biblische Beispiele. Es entspricht ebensosehr den Eingebungen des menschlichen Verstandes als dem Plane der vollkommenen Organisation, welche die Kirche cha- rakterisiert, daß alle, die in den Verordnungen des Evange- liums amtieren, durch die Vollmacht des Himmels berufen und zu ihren heiligen Pflichten beauftragt werden. Die Schrift bestätigt durchaus diese Ansicht ; sie stellt uns eine Reihe Männer vor, deren göttliche Berufung besonders bezeugt wird, und deren mächtige Werke eine größere Kraft als die des Menschen erkennen lassen. Anderseits wird nicht ein einziges Beispiel berichtet, daß, wenn irgend jemand sich selbst die Autorität, in heiligen Dingen zu amtieren, angemaßt hat, Gott doch dessen Handlungen anerkannt hätte.

2. Betrachten wir den Fall Noahs, der inmitten einer bösen Welt „Gnade fand vor dem Herrn". i) Zu ihm sprach der Herr und verkündete sein Mißfallen an den bösen Einwohnern der Erde und das göttliche Vorhaben betreffs der Flut; er unterwies ihn auch im Bauen und Ausstatten der Arche. Daß Noah seinen verderbten Zeit-

1) 1. Mose 6:8.

222 Die Glaubensartikel, [Vorl. X.

genossen das Wort Gottes verkündigte, ist ersichtlich aus des Petrus Erklärung über die Mission Christi in der Geisterwelt daß der Heiland das Evangelium verkün- digte denen, die zu der Zeit der Geduld Gottes in den Tagen Noahs ungehorsam gewesen waren, und die als Folge davon in der Zwischenzeit die Entbehrungen eines Gefängnisses erlitten hatten. i) Sicher kann niemand die göttliche Quelle der Vollmacht Noahs in Frage ziehen, noch die Gerechtigkeit der vergeltenden Strafe, die auf das absichtliche Verwerfen seiner Belehrungen folgte, denn seine Worte waren die Worte Gottes.

3. So war es auch mit Abraham, dem Vater der Gläubigen. Der Herr berief ihn^) und machte ein Bündnis mit ihm für all die Geschlechter seiner Nachkommen- schaft. In gleicher Weise wurde Isaak^) ausgesondert; ebenso Jakob,*) dem der Herr erschien, als er auf seinem Kissen aus Steinen in der Wüste ruhte. Aus dem brennen- den Busch kam die Stimme Gottes zu Mose^) und berief und beauftragte diesen Mann, nach Ägypten zu gehen und das Volk zu befreien, dessen Jammern mit solcher Wirkung vor den Thron des Himmels gekommen war. Um seinem Bruder in diesem großen Werk zu helfen wurde Aaron^) berufen; und später wurden Aaron und seine Söhne') aus der Mitte der Kinder Israel durch göttlichen Befehl erwählt, um im Priesteramt tätig zu sein. Als Mose^) sah, daß seine Tage gezählt waren, bat er den Herrn, einen Nachfolger für sein heiliges Amt zu bestimmen ;

') 1. Petrus 3:19—20.

») 1. Mose 12—25; Köstl, Perle, Buch Abraham.

») 1. Mose 26:2—5.

«) 1. Mose 28:10—15.

') 2. Mose 3:2—10.

») 2. Mose 4:14 16, 27.

') 2. Mose 28:1.

•) 4. Mose 27:15—23.

Art. 5.] Männer von Gott berufen. 223

und durch besondern Befehl wurde Josua, der Sohn Nuns, hierzu auserwählt.

4. Samuel, der solch ein großer Prophet in Israel wurde und beauftragt war, Könige zu weihen, ihnen zu befehlen und sie zu tadeln, Heere zu führen und dem Volk als Mundstück Gottes zu dienen, wurde erwählt und durch die Stimme des Herrn berufen, als er noch ein Knabe war.^) Und derart war die Kraft, die diesem Rufe folgte, daß das ganze Israel von ,,Dan bis gen Beer-Seba" wußte, daß Samuel als ein Prophet Gottes eingesetzt worden war. 2) Die Zeit erlaubt es nicht, die vielen andern mächtigen Männer zu erwähnen, die ihre Kraft von Gott erhielten und deren Geschichte die Ehre, mit welcher der Herr seine auserwählten Diener ansieht, schildert. Man denke nur an das himmlische Gesicht, durch das Jesaja berufen und in den Pflichten seines prophetischen Amtes unterwiesen wurde ;^) an Jeremia, zu welchem das Wort des Herrn in den Tagen Josias kam;^) an den Propheten Hesekiel, der die göttliche Botschaft zum erstenmal in dem Lande der Chaldäer erhielt,^) und später bei andern Gelegen- heiten: an Hosea^) und an alle andern Propheten bis auf Sacharja^) und Maleachi.^)

5. Die Apostel des Herrn wurden in den Tagen seines Wirkens durch seine eigene Stimme berufen; und sicher ist die Vollmacht des Heilandes da sie durch die mäch- tigen Werke des durch Schmerzen und Todesqual voll- brachten Sühnopfers und die bevollmächtigte Erklärung des Vaters zur Zeit der Taufe Christi bestätigt wird

•) 1. Samuel 3:4—14. n 1. Samuel 3:20. ») Jesaja 1:1; 2:1; 6; ') Jeremia 1:2 10. ') Hesekiel 1:1. •) Hosea 1:1. ') Sacharja 1:1. *) Maleachi 1:1.

224 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.

nicht zu bezweifeln. Petrus und sein Bruder Andreas wur- den, als sie ihre Netze in das Meer warfen, mit der Anweisung berufen: „Folget mir nach; ich will euch zu Menschen- fischern machen l"i) und kurz nachdem wurden Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, in gleicher Weise berufen. Und so auch mit all den erwählten Zwölfen, die mit dem Meister wirkten; und den Elfen, die treu geblieben waren, erschien er nach seiner Auferstehung und gab ihnen besondere Aufträge für das Werk seines Reiches. 2) Christus erklärt ausdrücklich, daß er seine Apostel erwählt und zu ihren erhabenen Stellen ordiniert habe.^)

6. In der der irdischen Mission Christi unmittelbar folgenden Zeit wurden die Diener des Evangeliums durch unzweifelhafte Autorität ernannt und geweiht. Selbst Saulus von Tarsus, nachher Paulus der Apostel, der durch wunderbare Zeichen und Kundtuungen bekehrt wurde,^) mußte für das Werk, das der Herr von ihm verlangte, rechtmäßig beauftragt werden; es wird uns berichtet, daß der Heilige Geist zu den Propheten und Lehrern der Kirche zu Antiochien, als sie fasteten, in folgender Weise sprach: ,, Sondert mir aus Barnabas und Saulus zu dem Werke, dazu ich sie berufen habe."^)

7. Eines Mannes Ordination zu einem Amte, wie sie durch biblische Vorgänge gutgeheißen und durch unmittel- bare Offenbarung des Willens Gottes festgesetzt worden ist, soll durch die Gabe der Prophezeiung und das Auflegen der Hände von denen, die die Autorität dazu haben, voll- zogen werden. Unter Prophezeiung wird das Vorrecht, Kundtuungen des göttlichen Willens zu empfangen und

■) Matthäus 4:18—20.

») Matthäus 28:19—20; Markus 16:15.

") Johannes 6:70; 15:16.

*) Apostelgesch. 9.

') Apostelgesch. 13:1—2.

Art. 5.] Männer von Gott berufen. 225

die Kraft, dieselben auszulegen, verstanden. Daß das Auflegen der Hände als ein Teil der Zeremonie üblich ist, wird in einigen der schon erwähnten Fälle erkannt; doch berichtet die Schrift auch von vielen Ordinationen zu Ämtern im Priestertum, ohne eine besondere Erklärung betreffs des Auflegens der Hände oder überhaupt irgend- welche Einzelheiten der Zeremonie anzugeben. Solche Fälle berechtigen aber nicht zu der Folgerung, daß das Auflegen der Hände wirklich nicht vollzogen wurde. Im Lichte neuzeitlicher Offenbarung ist es klar, daß das Auf- legen der Hände eine gewöhnliche Begleiterscheinung der Ordination, wie es auch ein Teil der Zeremonie der kon- firmierenden Segnungen^) und der Spendung des Heiligen Geistes^) w^ar.

8. In dieser Weise kam das Priestertum von Adam durch die Hände der Väter auf Noah herab ;3) Enos wurde von Adam ordiniert, was auch der Fall war mit Mahala- leel, Jared, Henoch und Methusalah. Lamech wurde unter der Hand Seths ordiniert. Noah empfing seine Vollmacht unter der Hand Methusalahs. So kann man das Priestertum, wie es durch die Führung des Geistes der Prophezeiung und unter der Hand des einen auf den andern übertragen wurde, bis auf die Zeit Moses verfolgen. Melchizedek, der diese Vollmacht auf Abraham übertrug, hatte die seine von Noah durch die gerade Linie seiner Väter empfangen. Esaias, ein Zeitgenosse Abrahams, empfing seine Ordination von der Hand Gottes. Unter der Hand Esaias ging das Priestertum auf Gad über, dann durch dieselbe Vermittlung auf Jeremi, Elihu, Caleb

') 1. Mose 48:14 19. Vergleiche 2. Könige 5:11; Matthäus 8:15; Markus 6:5; 16:15—18.

= ) Siehe Vorlesung VIII, Seite 195—209. ') Lehre u. Bündn. 107:40 52.

226 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.

und Jethro, den Priester in Midian, von dem Mose ordiniert wurde. ^) Josua, der Sohn Nuns, wurde, wie es Gott befohlen hatte, durch das Auflegen der Hände von Mose eingesetzt. 2)

9. Zur Zeit der Apostel machten es die Umstände ratsam, in der Kirche besondere Beamte einzusetzen, die für die Armen sorgen und die Verteilung der Vorräte über- wachen sollten. Diese Männer wurden mit Sorgfalt aus- gesucht und durch Gebet und das Auflegen der Hände eingesetzt.^) In gleicher Weise wurde Timotheus ordiniert, wie die ihm von Paulus gegebenen Ermahnungen bezeugen : „Laß nicht außer der Acht die Gabe, die dir gegeben ist durch die Weissagung mit Handauflegung der Ältesten",^) und wiederum: „Erwecke die Gabe Gottes, die in dir ist, durch die Auflegung meiner Hände. "^) Der Herr hat sich durch feierliches Bündnis verpflichtet, die Handlungen seiner autorisierten Diener anzuerkennen. Wem auch immer die Ältesten nach der Taufe Verheißung geben, auf den wird der Heilige Geist kommen.^) Was auch immer die Priesterschaft auf Erden binden oder lösen wird, wird in gleicher Weise im Himmel gebunden oder gelöst werden,') die Kranken, auf welche die Ältesten ihre Hände legen, sollen genesen; 8) und viele andere Zeichen sollen denen folgen, die glauben. Und so eifrig ist der Herr auf die Macht, in seinem Namen zu amtieren, bedacht, daß beim Jüngsten Gericht alle, die seinen Dienern geholfen oder sie verfolgt

') Lehre u. Bündn. 84:6 14.

») 4. Mose 27:18; 5. Mose 34:9.

=) Apostelgesch. 6:1 6.

*) 1. Timotheus 4:14.

') 2. Timotheus 1:6.

•) Apostelgesch. 2:38; 3. Nephi 11:35; 12:2; Lehre u. Bündn. 84:64.

') Matthäus 16:19; Lehre u. Bündn. 1:8; 128:8 11.

') Marl£us 16:15—18.

Art. 5.] Männer von Gott berufen. 227

haben, so belohnt oder bestraft werden sollen, als hätten sie diese Dinge Christus selbst angetan. i)

10. Unbefugtes Amtieren in priesterlichen Diensten ist nicht allein ungültig, sondern auch sehr sündhaft. In sei- nem Umgang mit der Menschheit hat Gott immer das unter seiner Führung eingesetzte Priestertum anerkannt und geehrt; er hat noch nie irgendwelche unbefugte Anmaßung von Vollmacht geduldet. In dem Falle der Empörung Korahs und seiner Gefährten gegen die Autorität des Priestertums, wo sie das Recht, das Priesteramt zu ver- walten, sich unrechtmäßigerweise selbst anmaßten, wird eine furchtbare Belehrung gegeben. Wegen ihrer Sünde suchte sie der Herr schnell heim und machte, daß sich die Erde spaltete und sie mit ihrer ganzen Habe verschlang. 2)

11. Und bedenke die Strafe, die auf Mirjam, die Schwester Moses und eine Prophetin unter dem Volke, kam. 3) Sie und Aaron redeten wider Mose und sprachen: ,, Redet denn der Herr allein durch Mose? Redet er nicht auch durch uns? Und der Herr hörte es."^) Er kam sogleich in einer Wolke hernieder, stand an der Tür der Stiftshütte, verwies ihnen ihre Anmaßung und recht- fertigte die Vollmacht seines erwählten Dieners Mose. Als sich die Wolke von der Stiftshütte verzog, sah man, daß Mirjam vor Aussatz weiß war wie Schnee; und nach dem Gesetz wurde sie aus dem Lager Israels ausgestoßen. Aber auf das ernste Bitten Moses heilte der Herr das Weib, und später wurde ihr erlaubt, zum Volke zurückzukehren.

12. Betrachten wir auch das Los Usas, des Israeliten, den, weil er seine Hand ausstreckte, um die Bundeslade zu

') Matthäus 18:4—6; 25:31 46; Lehre u. Bündn. 75:19—22; 84:88—90.

*) 4. Mose 16. ') 2. Mose 15:21. •) 4. Mose 12.

228 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.

halten, durch den Zorn Gottes ein plötzlicher Tod traf.i) Dieses tat Usa entgegen dem Gesetz, wonach niemand außer den Priestern das heilige Zubehör der Lade anrühren durfte; wir lesen, daß bei Todesstrafe nicht einmal die berufenen Träger des Gefäßes seine heiligen Teile anrühren durften. 2)

13. Denken wir dann an Saul, den König von Israel, der von dem Lande berufen wurde, ein von Gott begünstig- ter Fürst zu werden. Als die Philister zu Michmas gegen Israel geordnet standen, harrte Saul Samuels,^) unter dessen Hand er die königliche Salbung empfangen hatte,*) und an den er sich in den Tagen seiner Demut um Führung gewandt hatte; er bat, daß der Prophet komme und dem Herrn um des Volkes willen Opfer darbringe. Aber Saul über die Verzögerung Samuels ungeduldig und vergessend, daß, obwohl er den Thron einnahm, die Krone trug und das Zepter führte, diese Amtsabzeichen seiner könighchen Macht ihm keinerlei Vorrecht gaben, nicht einmal als Türhüter in dem Hause Gottes zu amtieren bereitete das Brandopfer selbst; und wegen dieses Falles und auch wegen anderer Fälle sündhafter Anmaßung wurde er von Gott verworfen und ein andrer an seiner Stelle erwählt.

14. Ein treffendes Beispiel des göttlichen Eifers für heilige Dienste ist die furchtbare Erfahrung Usias, des Königs von Juda. Als er erst 16 Jahre alt war, wurde er auf den Thron gesetzt, und solange er den Herrn suchte, ließ ihm dieser alles sehr wohlgelingen, so daß sein Name seinen Feinden ein Schrecken wurde. Aber der König ließ in seinem Herzen Stolz aufkommen und gab sich dem Wahn hin, er sei in seiner Eigenschaft als König

') 1. Chronik 13:10.

'■) 4. Mose 4:15.

') 1. Samuel 13:5—14.

•) 1. Samuel 10.

Art. 5.] Männer von Gott berufen, 229

der Höchste von allen. Er ging in den Tempel und ver- suchte auf dem Altar zu räuchern. Über diese gottes- lästerliche Tat empört, verboten es ihm Asarja, der Haupt- priester des Tempels, und mit ihm achtzig Priester, die zu dem König sprachen: ,,Es gebührt dir, Usia, nicht, zu räuchern dem Herrn, sondern den Priestern, Aarons Kindern, die zu räuchern geheiligt sind. Gehe heraus aus dem Heiligtum, denn du vergreifst dich." Über diesen Tadel und Verweis von seinen Untertanen obwohl diese Priester des lebendigen Gottes waren wurde der König sehr zornig, aber sogleich fiel die furchtbare Strafe des Aussatzes auf ihn. Die Zeichen der schrecklichen Krankheit erschienen an seiner Stirn; und jetzt, daß er körperlich ein unreiner Mensch war, trug seine Gegenwart noch mehr dazu bei, den heiligen Ort zu verunreinigen. Und Asarja und seine Mitpriester stießen den König aus dem Tempel; und er, ein heimgesuchtes Wesen, floh von dem Hause des Herrn, um nie wieder jene heiligen Räume zu betreten. Von seiner weitern Strafe lesen wir: ,,Also war Usia, der König, aussätzig bis an seinen Tod und wohnte in einem besondern Hause aussätzig; denn er ward verstoßen vom Hause des Herrn. "i)

15. Eine kräftige Erläuterung der Nutzlosigkeit un- befugter Handlungen oder der bloßen Form der heiligen Verordnungen, wenn die Vollmacht fehlt, wird in dem Neuen Testament in dem Bericht über die sieben Söhne des Skevas gegeben. Diese, gemeinsam mit andern, hatten die von Paulus gezeigte wunderbare Macht gesehen und sich darüber gewundert; denn der Herr hatte Paulus in seinem Apostelamt so gesegnet, daß, durch Berührung mit Taschentüchern und Schürzen, die von ihm geschickt worden waren, die Kranken geheilt und böse Geister

•) 2. Chronik 26.

230 Die Glaubensartikel. (Vorl. X.

ausgetrieben wurden. Die Söhne Skevas, die von dem heiligen Geschichtsschreiber zu den Beschwörern und umherziehenden Juden gerechnet wurden, suchten auch einen bösen Geist auszutreiben: „Wir beschwören euch bei dem Jesus, den Paulus predigt' ' , sagten sie ; aber der böse Geist verspottete sie wegen ihres Mangels an Vollmacht, und rief aus: ,,Jesum kenne ich wohl, und von Paulus weiß ich wohl; wer seid ihr aber?" Dann sprang der besessene Mensch, in dem der böse Geist war, auf sie und überwältigte sie, so daß sie nackt und verwundet von dem Hause flohen.^)

16. Wahre und falsche Lehrer. Keine außer denen, die in gehöriger Weise zu lehren ermächtigt sind, können als wahre Ausleger des Wortes Gottes betrachtet werden. Die Bemerkungen Pauli über die Hohenpriester sind in gleicher Weise auf jedes Amt des Priestertums anwendbar: ,,Und niemand nimmt sich selbst die Ehre, sondern er wird berufen von Gott gleichwie Aaron. "2) Und wie wir schon bemerkt haben, wurde Aaron durch Mose, dem der Herr seinen Willen in dieser Sache offenbarte, berufen. Diese Befugnis, in dem Namen des Herrn zu amtieren, wird nur denen gegeben, die von Gott auserwählt sind; sie ist nicht durch bloßes Bitten zu erhalten, noch ist sie mit Gold zu kaufen. Wir lesen von Simon dem Zauberer, der die von den Aposteln innegehabte Macht begehrte, daß er diesen Dienern Christi Geld anbot und sprach: „Gebt mir auch die Macht, daß, so ich jemand die Hände auflege, derselbe den heiligen Geist empfange." Aber mit gerechtem Unwillen erwiderte ihm Petrus: „Daß du ver- dammt werdest mit deinem Gelde, darum daß du meinst,

') Apostelgesch. 19:13 17. ■) Hebräer 5:4.

Art. 5.] Männer von Gott berufen. 231

Gottes Gabe werde durch Geld erlanget! Du wirst weder Teil noch Anfall haben an diesem Wort; denn dein Herz ist nicht rechtschaffen vor Gott.''^)

17. Den Aposteln vor alters war bekannt, daß sich die Menschen das Vorrecht, in göttlichen Dingen zu am- tieren, anmaßen werden, wodurch sie Diener Satans wür- den. Als Paulus zu denversammelten Ältesten zu Ephesus redete, prophezeite er diese argen Ereignisse und warnte die Hirten der Herde, acht zu haben auf ihre Verwaltung. 2) In einem Brief an Timotheus wiederholte der Apostel diese Prophezeiung ; zum Fleiß im Predigen des Worts ermahnend erklärte er: „Denn es wird eine Zeit sein, da sie die heilsame Lehre nicht leiden werden; sondern nach ihren eigenen Lüsten werden sie ihnen selbst Lehrer aufladen, nach dem ihnen die Ohren jucken, und werden die Ohren von der Wahrheit wenden und sich zu den Fabeln kehren."-'') Die Erklärungen Petri betreffs derselben Sache sind nicht weniger klar. Als er den Heiligen seiner Zeit schrieb, erwähnte er die frühern falschen Propheten und fügte hinzu: ,,Wie auch unter euch sein werden falsche Lehrer, die neben einführen werden verderbliche Sekten und ver- leugnen den Herrn, der sie erkauft hat. * * * Und viele werden nachfolgen ihrem Verderben; um welcher willen wird der Weg der Wahrheit verlästert werden."^)

18. Göttliche Vollmacht in der gegenwärtigen Dispen- sation. — Die Heiligen der letzten Tage behaupten, Vollmacht zu besitzen, in dem Namen Gottes zu amtieren, und daß dieses Vorrecht unter den Händen derer, welche dieselbe Macht in früheren Dispensationen hielten, in dieser Zeit erteilt worden ist. Durch die Schrift kann gezeigt

') Apostelgesch. 8:18—24. ') Apostelgesch. 20:28—30 ') 2. Timotheus 4:2—4. ♦) 2. Petrus 2:1—3.

232 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.

werden, daß die Vollmacht des heiligen Priestertums von der Erde genommen werden sollte, nachdem die alten Apostel erschlagen sein würden; und daß diese notwendiger- weise wieder vom Himmel geoffenbart werden mußte, ehe die Kirche wieder gegründet werden konnte. Am 15. Mai 1829, als Joseph Smith und Oliver Cowdery im ernsten Gebet waren, um Belehrung über die Taufe zur Vergebung der Sünden zu erhalten, von der sie durch die Platten des Buches Mormon Kenntnis erhalten hatten, kam ein Bote in einer Lichtwolke vom Himmel hernieder. Er gab sich als der Johannes, der in alten Zeiten der Täufer genannt wurde, zu erkennen und sagte, er wirke unter der Leitung von Petrus, Jakobus und Johannes, welche die Schlüssel des höhern Priestertums hielten. Der Bote legte seine Hände auf die beiden jungen Männer und stattete sie mit Vollmacht aus, indem er sprach: „Auf euch, meine Mit- knechte, übertrage ich im Namen des Messias das Priester- tum Aarons, das die Schlüssel der Erscheinung von Engeln, des Evangeliums der Buße und der Taufe durch Unter- tauchung zur Vergebung der Sünden hält; und dieses soll nie mehr von der Erde genommen werden, bis die Söhne Levis dem Herrn wieder ein Opfer in Gerechtigkeit dar- bringen."^)

19. Kurze Zeit nach diesem Ereignis erschienen Petrus, Jakobus und Johannes dem Joseph und Oliver, ordi- nierten sie zum höhern oder melchizedekischen Priester- tum und übertrugen auf sie die Schlüssel des Apostelamts, welches diese himmlischen Boten in der frühern Dispen- sation innegehabt und ausgeübt hatten. Diese Ordnung des Priestertums hat Vollmacht über alle Ämter der Kirche und schließt in sich die Macht, die geistigen Dinge zu

') Köstl. Perle, Auszug aus der Geschichte Joseph Smiths, S. 87. Lehre u. Bündn. 13.

Art. 5.] Vorordination und Präexistenz. 233

verwalten;^) infolgedessen wurden durch diesen Besuch alle für die Gründung der Kirche notwendigen Vollmachten und Kräfte auf Erden wiederhergestellt.

20. Niemand ist berechtigt, in irgendwelchen Ver- ordnungen der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage zu amtieren, es sei denn, er sei durch Bevollmächtigte zu dieser Berufung ordiniert worden; es empfängt also keiner das Priestertum, außer unter der Hand eines Menschen, der dieses Priestertum selbst trägt; dieser muß es vorher von andern Bevollmächtigten bekommen haben ; und heute kann jeder Träger des Priestertums seine Voll- macht zurückleiten bis zum Propheten Joseph, der, wie schon erklärt, seine Ordination unter den Händen himm- lischer, mit göttlicher Kraft angetaner Boten empfangen hatte. Daß Männer, die auf Erden zur Vollmacht eines Amtes von Gott berufen worden sind, zu solcher Berufung erwählt worden sein können, sogar schon ehe sie sterbliche Körper angenommen haben, geht aus der Heiligen Schrift hervor. Diese Sache darf in vorliegendem Zusammenhang wohl Aufmerksamkeit beanspruchen; ihre Betrachtung führt uns zu folgendem Gegenstand.

Vorordination und Präexistenz.

21. Vorordination. Während einer wunderbaren Unterredung offenbarte der Herr dem Abraham viele Dinge, die sterblichen Augen gewöhnlich vorenthalten werden. Der Patriarch sagte: ,,Nun hatte der Herr mir, Abraham, die Intelligenzen gezeigt, welche organisiert waren, ehe die Welt war; und unter allen diesen waren viele der Edlen und Großen. Und Gott sah diese Seelen, daß sie gut waren, und er stand mitten unter ihnen und sagte: Diese will ich zu meinen Herrschern machen; denn er stand

») Lehre u. Bündn. 107.

234 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.

unter denen, die Geister waren, und er sah, daß sie gut waren; und er sagte zu mir: „Abraham, du bist einer von ihnen, du warst erwählt, ehe denn du geboren wurdest."^) Dies ist einer der vielen Beweise aus den heiligen Schriften, daß die Geister der Menschen schon vor ihrer irdischen Prüfungszeit lebten : ein Zustand, in dem diese intelligenten Wesen lebten und ihren freien Willen ausübten, ehe sie fleischliche Körper angenommen hatten. Sicher sind also die Naturen, Gemüter und Neigungen der Menschen dem Vater ihrer Geister bekannt, selbst ehe diese in der Sterblichkeit geboren werden; und er braucht nicht zu warten, bis sie ihre Fähigkeiten auf Erden entwickeln und beweisen, ehe sie zu besonderm Wirken in der Erfüllung göttlicher Absichten berufen werden.

22. Beweise dafür, daß Christus selbst vom Anfang an erwählt und ordiniert wurde der Erlöser der Welt zu sein, sind zahlreich vorhanden. Wir lesen von seinem vornehmsten Stand unter den Söhnen Gottes, indem er, um den Willen Gottes zu erfüllen, sich selbst als Opfer anbot.2) Er war es, ,,der zwar zuvor ersehen ist, ehe der Welt Grund gelegt ward. "2)

23. Folgenderweise lehrte Paulus die Lehre von der göttlichen Auserwählung und Vorherbestim.mung : „Denn welche er zuvor ersehehen hat, die hat er auch verordnet, daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes ***. Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen."*) Und wieder: ,,Gott hat sein Volk nicht verstoßen, welches er zuvor ersehen hat. "5)

') KösU. Perle, Abraham 3:22 23; siehe auch Jeremia 1:4 5.

-) Siehe Seite 99.

') 1. Petrus 1:20.

*) Römer 8:29 30.

') Römer 11:2.

Art. 5.] Vorordination und Präexistenz. 235

24. Alma, der nephitische Prophet, sprach von den Priestern, die nach der Ordnung des Sohnes ordiniert worden waren, und fügte hinzu: ,, Dieses nun ist die Weise, nach der sie geweiht wurden, da sie von Gründung der Welt her, nach dem Vorherwissen Gottes, wegen ihres unüber- trefflichen Glaubens und ihrer guten Werke, dazu berufen und vorbereitet worden sind, da es ihnen überlassen wurde, Gutes oder Böses zu wählen; daher, weil sie das Gute gewählt und außerordentlich großen Glauben gezeigt haben, sind sie mit einem heiligen Berufe berufen, ja, mit dem heiligen Berufe, welcher mit und gemäß einer vor- bereitenden Erlösung für solche bereitet war.''^)

25. Vorordination schließt keinen Zwang in sieh ein.

Die Lehre unbedingter Prädestination (Vorherbestimmung), welche die Aufhebung des freien Willens des Menschen zur Folge hätte, ist mit verschiedenen Abänderungen von vielen Sekten vertreten worden. Jedoch sind solche Lehren sowohl durch den Buchstaben als auch durch den Geist der Schrift ganz und gar unberechtigt. Das Vorherwissen Gottes inbezug auf die Natur und die Fähigkeiten seiner Kinder befähigt ihn, das Ende ihrer irdischen Laufbahn selbst von Anfang an vorauszusehen: ,,Gott sind alle seine Werke bewußt von der Welt her. "2) Viele Leute sind veranlaßt worden, dieses Vorherwissen Gottes als eine sichere Prädestination anzusehen, wodurch Seelen ent- weder der Herrlichkeit oder der Verdammung selbst vor ihrer Geburt im Fleisch und ohne Rücksicht auf ihre eigenen Verdienste oder Fehler zugewiesen werden. Diese ketzerische Lehre sucht der Gottheit jede Eigenschaft der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit und der reinen Liebe zu rauben: sie macht den Vater launenhaft und

') Alma 13:3; auch 10, 11. ') Apostelgesch. 15:18.

236 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.

selbstsüchtig, als ob er alle Dinge, ohne sich um die darauf folgenden Leiden der Opfer seiner Ungerechtigkeit zu kümmern, nur zu seiner eigenen Verherrlichung führe und erschaffe. Wie furchtbar, wie widersinnig ist ein solcher Begriff von Gott! Er leitet zu der vernunftwidrigen Schlußfolgerung, daß die bloße Erkenntnis zukünftiger Ereignisse als ein bestimmender Einfluß im Zustande- bringen solcher Begebenheiten wirken müsse. Gottes Er- kenntnis von der geistigen und menschlichen Natur macht es ihm möglich, über die Taten irgendwelcher seiner Kinder unter bekannten Zuständen mit Gewißheit zu urteilen; aber sicher hat eine solche Erkenntnis keinen bestimmenden Einfluß auf das Geschöpf.

26. Ohne Zweifel weiß Gott von einigen Geistern, daß sie nur die Gelegenheit zur Wahl zwischen Gutem und Bösem erwarten, um das Böse zu wählen und ihr eigenes Ver- derben zu vollbringen; diese sind es, von denen Judas spricht, ,,von denen vorzeiten geschrieben ist solches Urteil". 1) Um das Schicksal solcher abzuwenden, müßte ihnen der freie Wille genommen werden; sie können nur durch Zwang erlöst werden; aber Zwang Avird durch die Gesetze des Himmels verboten, und zwar sowohl für die Seligkeit als auch für die Verdammung. Es gibt andere, deren Redlichkeit und Treue in ihrem vormaligen Stand bewiesen worden sind, der Vater weiß wie rückhaltlos ihnen zu vertrauen ist; und viele von ihnen werden sogar in ihrer irdischen Jugend zu besonderem und erhabenem Wirken als auserwählte Diener des Allerhöchsten berufen.

27. Präexistenz der Geister. Die schon angeführten Tatsachen von der Vorordination erbringen den Beweis dafür, daß die Geister der Menschen schon vor dieser irdischen Prüfungszeit ein Dasein gehabt haben. Diese

') Judas 4.

Art. 5-1 Vorordination und Präexistenz. 237

Zeit des Vorherdaseins wird oftmals die Stufe der „uranfänglichen Kindheit" oder „des ersten Standes" genannt. Daß diese Geister als organisierte Intelligen- zen während jenes uranfänglichen Standes gelebt und ihren freien Willen ausgeübt haben, geht aus der Erklärung des Herrn zu Abraham hervor: „Und die, die ihren ersten Stand behalten, sollen mehr erhalten, und die, die ihren ersten Stand nicht behalten, sollen keine Herrlichkeit in dem gleichen Reiche mit denen haben, die ihren ersten Stand behalten haben; und die, die ihren zweiten Stand behalten, sollen Herrlichkeit auf ihren Häuptern vermehrt empfangen, für immer und ewig."^)

28. Kein Christ bezweifelt die Präexistenz des Hei- landes oder seinen Stand als ein Glied der Gottheit, ehe er als der Sohn Marias auf die Erde kam. Die allgemeine Aus- legung, die man den eröffnenden Worten des Evangeliums Johannes gibt, bestätigt die Ansicht von der ur- anfänglichen Gottheit Christi: ,,Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort." Wir lesen weiter: ,,Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns. "2) Die Aussprüche des Erlösers selbst bestätigen diese Wahrheit. Als seine Jünger mit seiner Lehre inbezug auf sich selbst nicht in Übereinstimmung waren, sprach er: „Wie, wenn ihr denn sehen werdet des Menschen Sohn auffahren dahin, da er zuvor war?"^) Bei einer andern Gelegenheit sagte er: „Ich bin vom Vater ausgegangen und gekommen in die Welt; wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater."*) Erfreut über diese deutliche Erklärung, die den Glauben, den sie womöglich im Herzen trugen, bestätigte, erwiderten seine Jünger: ,, Siehe, nun

') Köstl. Perle, Abraham 3:26.

-) Johannes 1:1, 14.

') Johannes 6:62.

*) Johannes 16:28.

238 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.

redest du frei heraus und sagst kein Sprichwort. * * * Darum glauben wir, daß du von Gott ausgegangen bist."^) Den verderbten Juden, die sich ihrer Abstammung von Abraham rühmten und ihre Sünden unter dem schützenden Gewand des großen Patriarchen zu verbergen suchten, sagte der Heiland: ,, Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: „Ehe denn Abraham ward, bin ich. "2) In einem feierlichen Gebet an seinen Vater flehte der Sohn: ,,Und nun verkläre mich du, Vater, bei dir selbst mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war."^) Doch wurde Christus als ein Kind unter Menschen geboren; und wenn seine irdische Geburt die Vereinigung eines schon vorher lebenden unsterblichen Geistes mit einem sterblichen Körper war, so darf man daraus mit Recht schließen, daß dieses auch bei der Geburt eines jeden andern Mitglieds des Menschen- geschlechts der Fall ist.

29. Wir sind aber nicht allein der bloßen Folgerung auf Grund der Gleichartigkeit überlassen; die Schriften lehren deutlich, daß die Geister der Menschen vor ihrer irdischen Geburt Gott bekannt und gezählt waren. Als Mose dem Volke Israel seinen Abschiedsegen erteilte, sang er: „Gedenke der vorigen Zeit***. Da der Aller- höchste die Völker zerteilte und zerstreute der Menschen Kinder, da setzte er die Grenzen der Völker nach der Zahl der Kinder Israel."^) Aus diesem erfahren wir, daß die Erde den Völkern nach der Zahl der Kinder Israel zugeteilt wurde; es ist daher augenscheinlich, daß diese Zahl vor dem Dasein des israelitischen Volkes im Fleisch bekannt war;

') Johannes 16:29 30. ■) Johannes 8:58.

') Johannes 17:5. Siehe auch Buch Mormon, 2. Nephi 9:5; 25:12; Mosiah 3:5; 13:33—34; 15:1. *) 5. Mose 32:7, 8.

Art. 5.] Anmerkungen. 239

dieses wird durch die Annahme eines früheren Daseins, in dem die Geister des zukünftigen Volkes bekannt waren, am leichtesten erklärt.

30. Daher ist in der Zahl oder Ausdehnung der zeit- lichen Schöpfungen Gottes kein Zufall möglich. i) Die Bevölkerung der Erde ist nach der Zahl der Geister, die bestimmt sind, auf dieser Erde fleischliche Körper anzu- nehmen, festgesetzt; wenn diese in der von Gott verord- neten Ordnung und Zeit alle hervorgekommen sind, dann, und nicht eher soll das Ende kommen.

Anmerkitngen.

1. Geistige Schöpfungen. Der Zustand der Präexistenz (Vorher- dasein) ist nicht aUein menschlichen Seelen eigen, sondern alle Dinge der Erde haben ein geistiges Wesen, von welchem der zeitliche Körper nur das Gegen- stück bildet. Wir lesen von der Schöpfung: „Und allerlei Bäume auf dem Felde waren noch nicht auf Erden, und allerlei Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen" (1. Jlose 2:5). Dieses wird in größerer Ausführlich- keit in einer anderen Offenbarung an Mose dargetan; „Und nun siehe, ich sage dir, daß diese die Geschlechter des Himmels und der Erde sind, da sie erschaffen wurden an dem Tage, als ich, Gott der Herr, den Himmel und die Erde machte, und jegliche Pflanze des Feldes, vordem sie in der Erde war, und jegliches Kraut des Feldes, vordem es wuchs. Denn ich, der Herr, erschuf alle Dinge, von denen ich gesprochen habe, geistig, vordem sie irdisch auf der Oberfläche der Erde waren. * » * Und ich, Gott der Herr, hatte alle die Menschenkinder erschaffen; und es war noch kein Mensch da, die Erde zu bebauen, denn im Himmel erschuf ich sie ; und es war noch kein Fleisch auf der Erde, noch im Wasser, noch in der Luft; aber ich, Gott der Herr, sprach und es ging ein Nebel auf von der Erde und bewäßerte den Erdboden. Und ich, Gott der Herr, machte den Menschen von dem Staube der Erde, und blies den Odem des Lebens in seine Nase; und der Mensch wurde eine lebendige Seele, das erste Fleisch auf der Erde, und auch der erste Mensch; nichtsdestoweniger waren alle Dinge vorher erschaffen; aber geistig waren sie erschaffen und gemacht nach meinem Wort." (Köstl. Perle, Moses 3:4—7).

2. Vollmacht von Golt gegeben. ,,Der weitgehendste Beweis, daß Joseph Smith die Vollmacht und Kraft des heiligen Priestertums empfing, liegt in der Tatsache, daß die Werke Johannes des Täufers und Jesu und seiner Apostel wieder auf Erden unter seiner Leitung getan werden. Um die Mächte dieses Priestertums zu bekommen, ist es notwendig, daß Männer die Gesetze und Verordnungen des Evangeliums befolgen. Der Herr ist

') Siehe Anmerkung 1.

240 Die Glaubensartikel. [Vorl. X.

persönlich einigen Männern erschienen und hat ein Bündnis mit ihnen gemacht wie mit Abraham (siehe 1. Mose 12:1 3; 13:14 17). Der Herr hatte auch seine zwölf jüdischen Apostel persönlich berufen und bevoll- mächtigt. So völlig waren sie bevollmächtigt, für ilin zu wirken und in seinem Namen zu handeln, daß er ihnen sagte: „Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf; und wer mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat" (Matth. 10:40). Aber allgemeiner empfangen Männer das Priestertum von den Proplieten und Aposteln Christi. Viele haben es unter den Händen der Apostel der ersten Dispensation des Evangeliums empfangen. Wer es in dieser Dispensation der letzten Tage bekommen hat, hat es von Joseph Smith und Oliver Cowdery empfangen und infolgedessen auf einem gesetzlichen Weg von Gott dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus erhalten. Wer dieses Priestertum bekommen hat, hat ein Bündnis mit Gott gemacht, und er eins mit ihnen. Dies ist augenscheinlich die angenommene Ansicht über diese Sache in der oben angeführten Stelle von Matthäus. Diese Lehre wird in „Lehre und Bündnisse*' noch vollkommener erläutert: „Und auch alle, die dieses Priestertum empfangen, empfangen mich, spricht der Herr. Denn wer meine Diener empfängt, empfängt mich, und wer mich empfängt, der empfängt meinen Vater; und wer meinen Vater empfängt, der empfängt meines Vaters Reich; deshalb soll alles, was mein Vater hat, ihm gegeben werden, und dies ist nach dem Eid und Bunde, der zum Priestertum gehört" (Lehre u. Bündn. 84:35 39). Compendium, F. D. Richards und J. A. Little, S. 67.

3. „Gott sind alle seine Werke bewußt von der Welt her" (Apostel^ gesch. 15 : 18). Die Erkenntnis, die wir vom Anfang der Welt haben, stammt im allgemeinen von der Geschichte über ihre Erscliaffung, wie wir sie linden in der Bibel, im 1. Buch Mose und in der Köstliclien Perle in den Schrif- ten Moses und Abrahams. * * * Diese Schriften machen es klar, daß der Mensch, ehe er auf die Erde kam, in einem geistigen Zustand ein Dasein hatte und auch ebenso augenscheinlich, daß er in jener Präexistenz (Vor- herdascin) seinen freien Willen ausübte. * * * Gott mag Männer in ihrem ersten Stand, oder geistigen Dasein, berufen und erwählt haben, aber ob sie in diesem Leben diesen Beruf annehmen und ihn durch Buße und gute Werke erfüllen werden, ist eine Sache, in der es ihr Vorrecht ist, ihren freien Willen auszuüben. * * * Menschen übten ihren freien Willen aus in ihrem ersten oder geistigen Stand, wie sie es in diesem irdischen tun. Daß der Charakter ihrer Werke in jedem Stande ihr Schicksal in diesem gestaltete, ist augenscheinlich." Compendium, F. D. Richards und J. A. Little, S. 138—140. Siehe auch: Apostelgesch. 2:23; Römer 8:29— .30; 11:2, 28; Jesaja 48:12; 1. Glironik 29:1; Buch Mormon, Alma 13:3—7: Lehre u. Bündn. 84:34, 99.

Art. 6.] Die Kirche in alter und neuer Zeit. 241

Vorlesung XL

Die Kirche und ihre Verfassungs- ordnung.

Artikel 6. Wir glauben an die gleiche Organisation, die in der ur- sprünglichen Kirche bestand, nämlich: Apostel, Propheten, Hirten, Lehrer, Evangelisten usw.

Die Kirche in alter und neuer Zeit.

1. Die ursprüngliche Kirche. Im Verlauf seines irdischen Wirkens gründete Christus seine Kirche auf Erden und setzte in ihr die Beamten ein, die notwendig waren, um die Absichten des Vaters auszuführen. Wie in der letzten Vorlesung bemerkt, wurde jede so eingesetzte Person mit Vollmacht von Gott ausgestattet, um in den Verordnungen ihrer Berufung zu amtieren. Nach der Himmelfahrt Christi wurde dieselbe Organisation weiter- geführt, indem diejenigen, die Vollmacht hatten, andre zu den verschiedenen Ämtern des Priestertums ordinierten. In dieser Weise wurden der Kirche Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten, i) Hohepriester,-) Siebziger,^) Äl- teste,^) Bischöfe,^) Priester,^) Lehrer,') und Diener^) gegeben.

») Epheser 4:11.

= ) Hebräer 5:1—5.

») Lukas 10:1—11.

•) Apostelgesch. 14:23; 15:6; 1. Petrus 5:1.

') 1. Timotheus 3:1; Titus 1:7.

') Offenbarung Joh. 1 : 6.

') Apostelgesch. 13:1.

*) 1. Timotheus 3:8 12.

242 Die Glaubensartikel. t'^'orl. XI.

2. Außer diesen besondern Ämtern im Priestertum gab es noch andre Berufungen mehr zeitlicher Natur, zu denen Männer ebenfalls durch Vollmacht eingesetzt wurden ; dies war z. B. der Fall mit den sieben Männern von gutem Gerücht, die in den Tagen der Apostel erwählt und be- stimmt wurden, den Armen zu dienen, wodurch die Zwölf mehrentlastetwurden und besser auf die besondern Pflichten ihres Amtes achten konnten. i) Diese besondre Berufung erklärt das Wesen der Helfer und Regierer,^) welche in der Kirche bestimmt worden sind, um unter der Leitung der regelmäßigen Beamten des Priestertums im Werk zu helfen.

3. Die so eingesetzten Diener und die Mitglieder, unter denen sie arbeiten, bilden die Kirche Christi, die in vor- trefflicher Weise mit einem vollkommenen Leibe ver- glichen worden ist; die Einzelnen stellen die Glieder dar, wovon jedes seine besondere Verrichtung hat, dennoch wirken alle zusammen für das Wohl des Ganzen. 3) Jedes so festgesetzte Amt, jeder so beauftragte Beamte ist zu der Entwicklung der Kirche und dem Vollbringen des Werkes Gottes notwendig. Eine von Gott gegründete Organisation schließt nichts Überflüssiges in sich : das Auge, das Ohr, die Hand, der Fuß, jedes Glied des Körpers ist zur Symmetrie und zur Vollkommenheit des körperlichen Baues notwendig. In der Kirche kann kein Beamter einem andern mit Recht sagen: ,,Ich bedarf dein nicht."*)

4. Das Vorhandensein dieser Beamten und noch mehr ihr Wirken unter göttlicher Hilfe und Macht darf als ein unterscheidendes Kennzeichen der Kirche in irgend- einem Zeitalter der Welt angesehen werden und als eine

•) Apostelgesch. 6:1 6.

=) 1. Korinther 12:28.

=) 1. Korinther 12:12—27; Römer 12:4—5; Epheser 4:16.

•) 1. Korinther 12:21.

Art. 6.] Die Kirche in alter und neuer Zeit. 243

entscheidende Probe, wodurch die Richtigkeit oder Falschheit irgendeiner Behauptung auf göttliche Vollmacht festgesetzt werden kann. Das Evangelium Christi ist das ewige Evangelium; seine Prinzipien, Gesetze und Verord- nungen und auch die darauf gegründete Kirchenorgani- sation müssen immer dieselben sein. In dem Suchen nach der wahren Kirche muß man sich deshalb nach einer Or- ganisation umsehen, die die in früheren Zeiten eingesetzten Ämter, die Berufungen der Apostel, Propheten, Evange- listen, Hohenpriester, Siebziger, Hirten, Bischöfe, Ältesten, Priester, Lehrer und Diener nicht Männer, die bloß diese Namen tragen, sondern Diener, die ihre Behauptung als Beamte im Dienste des Herrn durch die ihr Wirken beglei- tenden Beweise der Macht und Autorität bestätigen können in sich begreift.

5. Der Abfall von der ursprünglichen Kirche. Die Frage: Sind diese Vollmachten und Kräfte samt den mit ihnen verbundenen Gaben des Geistes von dem aposto- lischen Zeitalter bis zu der Gegenwart unter den Menschen geblieben; kurzum, ist eine Kirche Christi während dieser langen Periode auf Erden gewesen? dürfte wohl in dem Gemüt eines ernsten Forschers auftauchen. Als Antwort erwäge man diese Tatsachen : Seit der dem Wirken der alten Apostel unmittelbar folgenden Zeit und bis in das gegenwärtige Jahrhundert^) hat keine Kirche behaup- tet, unmittelbare Offenbarung von Gott zu erhalten; die vorgeblichen Diener des Evangeliums haben sogar in dem Sinne gelehrt, daß solche Gaben Gottes auf- gehört hätten, daß die Tage der Wunder vorbei seien und daß die Gegenwart für ihre führenden Gesetze von der Vergangenheit gänzlich abhängig sei. Eine ohne weiteres verständliche Erklärung der Geschichte zeigt,

') Dieses Buch wurde im Jahre 1890 verfaßt, also im neunzehnten Jahrhundert. Der Übersetzer.

244 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.

daß es eine große Abweichung von dem Wege der Seligkeit, wie er von dem Heiland aufgestellt worden ist, einen allgemeinen Abfall von der Kirche Christi, gegeben hat.i) Kaum war die Kirche von dem Heiland, dessen Namen sie trägt, organisiert, als sich schon die Mächte der Finsternis zum Kampf gegen die organisierte Körper- schaft aufgestellt hatten. Sogar schon in den Tagen Christi wurde gegen die Jünger bitterlich Verfolgung geführt; unter den Juden anfangend und zuerst gegen den Meister selbst und dann gegen seine wenigen ihm nahe- stehenden Gefährten umgab diese Flut der Widersetzung jeden bekannten Anhänger des Heilandes, daß sogar der Name Christ ein Epitheton des Hohns wurde.

6. Aber im ersten Viertel des vierten Jahrhunderts änderte sich die Haltung des Heidentums dem Chri- stentum gegenüber, und zwar durch die Bekehrung Konstantins des Großen, unter dessen Schutz der Christen- glaube in Gunst kam, ja sogar zur Staatsreligion erhoben wurde. Was für ein Bekenntnis, was für eine Religion war es aber nun geworden ! Seine Einfachheit war verschwun- den ; ernste Hingebung und sich selbst opfernde Aufrichtig- keit waren den Dienern der Kirche nicht mehr eigen; diese vorgeblichen Anhänger des demütigen Propheten von Nazareth, diese sich selbst so nennenden Gefährten des sanftmütigen und niedern Jesu, diese sich laut verkünden- den Freunde des „Mannes der Schmerzen" lebten in Ver- hältnissen, die in sonderbarem Widerspruch zu dem Leben ihres großen Vorbildes standen. Man trachtete nach den Kirchenämtern wegen der sie begleitenden Auszeichnung und Ehren und Reichtümer; die Diener des Evangeliums ahmten das Wesen der weltlichen Behörden nach ; Bischöfe

') Siehe Anmerkungen 1 und 2. Siehe „The Great Apostacy, Consi- dered in the Light of Scriptural and Secular History", von James E. Tal- madge, Salt Lake City 1909.

Art. 6.] Die Kirche in alter und neuer Zeit. 245

strebten nach dem Pomp der Fürsten, Erzbischöfe lebten wie Könige und Päpste wie Kaiser. Mit diesen unerlaubten und unbiblischen Neugestaltungen kamen auch viele Ab- änderungen in den Verordnungen der sogenannten Kirche vor; die Verordnung der Taufe wurde verkehrt, das Abend- mahl wurde verändert, der öffentliche Gottesdienst wurde eine Schaustellung der Kunst; Menschen wurden heilig gesprochen, Märtyrer wurden zu Gegenständen der An- betung erhoben, Gotteslästerung nahm zu, indem Männer ohne Vollmacht die Vorrechte Gottes auszuüben ver- suchten und andere zu den Ämtern, die noch dazu geist- lichegenannt wurden, beriefen. Zeiten der Finsternis kamen über die Erde; die Macht Satans schien die allerhöchste zu sein.

7. Für eine besondere Erwägung der Beweise eines allgemeinen Abfalls von der Kirche Christi muß der Studierende die Religionsgeschichte zu Rate ziehen. Obwohl nur wenige dieser Schriftsteller die Tatsache des Abfalls anerkennen, so weisen doch die geschicht- lichen Ereignisse, die sie berichten, auf diese furcht- bare Wahrheit hin. Seit den Tagen der Apostel bis beinahe zum Schluß des zehnten Jahrhunderts können wir eine sich immer ändernde Form der Kirchenorganisation wahr- nehmen, bis diese in der letzterwähnten Zeit mit der von dem Heiland gegründeten Kirche nur noch wenig Ähnlich- keit hatte. Dieser Abfall wird von einigen Geschichts- schreibern anerkannt, und wie wir später sehen werden, wurde er durch bevollmächtigte Prophezeiung deutlich vorausgesagt.

8. John Wesley, der Gründer einer bedeutenden Reli- gionsgemeinschaft, lehrte, daß die kennzeichnenden Gaben des Heiligen Geistes nicht mehr in der Kirche seien, denn wegen der Unwürdigkeit vorgeblicher Christen die er sogar als Heiden mit einer toten Form der Gottesverehrung

246 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.

bezeichnete seien sie weggenommen worden^.) In der Homilie der anglikanischen Kirche lesen wir über die „Gefahren der Abgötterei", daß Laien und Geistliche, Gelehrte und Ungelehrte, Männer und Frauen und Kinder aus jedem Alter, jeder Sekte und jedem Stand selbst der ganzen Christenheit zugleich unter der abscheulichsten Abgötterei begraben gewesen sind, und dies für eine Zeit von achthundert Jahren oder mehr. Doktor Milner, der Verfasser eines erschöpfenden Werkes über die kirchliche Geschichte, erkennt einen erbärmlichen Zustand der Kirche in dem zehnten Jahrhundert an und findet in diesem traurigen Stand eine Erfüllung biblischer Voraussagungen.

9. Dieser große Abfall wurde vorausgesagt. Durch sein unbegrenztes Vorherwissen sah Gott von Anfang an diesen Abfall von der Wahrheit voraus, und durch göttliche Eingebung äußerten die alten Propheten feierliche War- nungen vor den kommenden Gefahren. SicherUch schaute Jesaja die Zeit der geistigen Finsternis, als er verkündigte: ,,Das Land ist entheiligt von seinen Einwohnern; denn sie übertreten das Gesetz und ändern die Gebote und lassen fahren den ewigen Bund."-) Und wie ergreifend ist die Verkündigung Jeremias: ,,Denn mein Volk tut eine zwiefache Sünde: mich, die lebendige Quelle, verlassen sie und machen sich hie und da ausgehauene Brunnen, die doch löcherig sind und kein Wasser geben. "3)

10. Die schon angeführten*) Prophezeiungen der Apostel betreffs der falschen Lehrer, die die Herde bald beunruhigen würden, verkünden den dann schnell heran- nahenden Abfall. Paulus warnte die Heiligen zu Thessalo-

1) John Wesleys Werke, VII, S. 26 27. Siehe Anmerkung 4, welche der Vorlesung XII in Verbindung mit Artikel 7, „Geistige Gaben", Seite 284, folgt.

= ) Jesaja 24:5.

') Jereraia 2:13.

*) Siehe Seite 230, 231.

I

Art. 6.] Die Kirche in alter und neuer Zeit. 247

nich, daß sie sich nicht von denen täuschen lassen sollten, die predigten, das zweite Kommen Christi sei nahe : „Denn", schrieb der Apostel, ,,er kommt nicht, es sei denn, daß zuvor der Abfall komme und offenbar werde der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens, der da ist der Wider- sacher und sich überhebt über alles, was Gott oder Gottes- dienst heißt, also daß er sich setzt in den Tempel Gottes als ein Gott und gibt sich aus, er sei Gott."i) Dieser Abfall hat sogar zur Zeit der Apostel angefangen: ,,So sind nun viele Widerchristen geworden", 2) schrieb Jo- hannes. Und in dem Brief an die Galater erklärte Paulus, ,,daß etliche sind, die euch verwirren und wollen das Evan- gelium Christi verkehren". =')

11. Nicht weniger entscheidend sind die in dem Buche Mormon enthaltenen Prophezeiungen betreffs dieses großen Abfalls. Nephi, der Sohn Lehis, prophezeite die Unter- drückung der nordamerikanischen Indianer durch die Heiden und erklärte, daß das Volk, abgewichen von den Verordnungen des Hauses Gottes, zu dieser Zeit in seinem Stolz erhoben sein würde; zwar würde es sich viele Kirchen bauen, aber doch würde es in diesen mit Eifer- sucht, Uneinigkeit, Haß und seine eigene Weisheit lehren und die Macht und die Wunder Gottes verleugnen.*)

12. Wiederherstellung der Kirche. Laut der schon erwähnten Tatsachen ist es augenscheinlich, daß die Kirche wirklich von der Erde vertrieben worden war. In den dem Wirken Christi unmittelbar folgenden ersten zehn Jahr- hunderten ging die Vollmacht des Priestertums unter den Menschen verloren, und keine menschliche Macht konnte

') 2. Thessalonicher 2:3 4. ") 1. Johannes 2:18. ») Galater 1:7.

«) 2. Nephi 26:19—22; siehe auch 27:1; 28:3, 6; 29:3; 1. Nephi 13:5; 22:22—23.

248 Die Glaubensartikel. [Vorl. XL

sie wiederherstellen. Aber in seiner Barmherzigkeit sorgte der Herr für die Wiederherstellung seiner Kirche in den letzten Tagen, und zwar zum letztenmal. Die alten Pro- pheten sahen diese Zeit der erneuerten Erleuchtung voraus und sangen in freudigen Tönen von ihrem Kommen. i) Es ist schon erklärt worden, daß der Herr durch Joseph Smith, der zusammen mit Oliver Cowdery im Jahre 1829 unter der Hand Johannes des Täufers das aaronische Priestertum und später unter den Händen der früheren Apostel Petrus, Jakobus und Johannes das melchizedekische Priestertum empfing, diese Wiederherstellung zustande- gebracht hat. Kraft der so gegebenen Vollmacht ist die Kirche mit ihrer ganzen früheren Vollkommenheit wieder organisiert worden und die Menschheit erfreut sich wieder der unschätzbaren Vorrechte auf den Rat Gottes. Die Heiligen der letzten Tage verkündigen ihren hohen An- spruch auf die wahre Kirchenorganisation, die der von Christo unter den Juden eingesetzten Organisation in allen wesentlichen Dingen gleich ist; dieses Volk der letzten Tage behauptet, das Priestertum des Allmächtigen zu besitzen, die Vollmacht, im Namen Gottes zu amtieren, welche Vollmacht sowohl im Himmel als auch auf Erden Anerkennung fordert. Wir wollen nun die Organisation der Priesterschaft, wie sie heutzutage besteht, betrachten.

Der Verwaltungsplan der wiederhergestellten Kirche.

13. Ordnungen und Ämter im Priestertum. Die

Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage anerkennt zwei Ordnungen des Priestertums : die geringere, genannt die aaronische, und die höhere, bekannt als die melchi- zedekische Ordnung. Das aaronische Priestertum ist nach

') Daniel 2: 44 45; 7:27; Matthäus 24:14; Offenbarung Johannes 14:6—8.

Art. 6.] Organisation der Kirche. 249

Aaron genannt, der dem Propheten Mose als Wortführer beigegeben wurde, um unter seiner Leitung in der Ausfüh- rung der Absichten Gottes betreffs Israels zu amtieren. i) Deshalb wird es zuweilen das geringere Priestertum geheißen ; aber obwohl geringer, ist es weder niedrig noch unbedeutend. Als Israel in der Wüste wanderte, wurden Aaron und seine Söhne durch Prophezeigung berufen und zu den Pflichten des Priesteramts eingesetzt.-)

14. Zu einer spätem Zeit der Geschichte Israels er- wählte der Herr den Stamm Levi, um Aaron in den priester- lichen Tätigkeiten zu helfen. Die besondere Pflicht der Leviten war, das Geräte zu bewahren und den Dienst in der Stiftshütte zu verrichten. Die in dieser Weise vom j^errn erwählten Leviten sollten die Stelle der Erstgebornen für alle Stämme einnehmen ; diese hatte der Herr für seinen Dienst beansprucht von der Zeit der letzten furchtbaren Plage in Ägypten an, als der Erstgeborene in jedem ägyptischen Hause erschlagen wurde, während der älteste in jedem israelitischen Hause geheiligt und erhalten wurde.^) Der den Leviten so gegebene Auftrag wird zuweilen das levüische Priestertum genannt;*) es sollte als eine Zugabe zu dem Priestertum Aarons, aber nicht als die höchsten priesterlichen Vollmachten in sich begreifend, angesehen werden. Das aaronische Priestertum, wie es in dieser Dispensation auf Erden wiederhergestellt wurde, schließt die levitische Ordnung in sich ein.^) Dieses Priestertum besitzt die Schlüssel der Erscheinung von Engeln, die Vollmacht in den äußern Verordnungen, dem Buchstaben des Evangeliums, zu amtieren;^) es umfaßt die Ämter des

>) 2. Mose 4:14—16.

-) 2. Mose 28:1.

») 4. Mose 3:12—1?), 39. 41—45, 50—51.

*) Hebräer 7:11.

^) Lehre u. Bündn. 107:1.

«) Lehre u. Bündn. 107:20.

250 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.

Dieners (Diakons), Lehrers und Priesters; die Schlüssel des Präsidiums hält die Bischofschaft.

15. Das höhere oder melchizedekische Priestertum ist nach dem König von Salem, einem großen Hohenpriester Gottes, genannt;^) ,,vor seiner Zeit wurde es das heilige Priestertum nach der Ordnung des Sohnes Gottes genannt; aber aus Ehrfurcht vor dem Namen des höchsten Wesens, und um seine zu häufige Wiederholung zu vermeiden, nannte die Kirche in der alten Zeit jenes Priester- tum nach Melchizedek."^) Dieses Priestertum hält das Vorrecht des Präsidiums in allen Ämtern der Kirche; seine besondern Aufgaben bestehen in der Verwaltung geistiger Dinge, denn es umfaßt die Schlüssel zu allen geistigen Segnungen der Kirche, das Vorrecht, „die Himme* für sich offen zu haben, mit der allgemeinen Versammlung und Kirche des Erstgebornen zu verkehren und sich der Gemeinschaft und Gegenwart Gottes, des Vaters, und Jesus, des Mittlers des neuen Bundes, zu erfreuen. "3) Die besondern Ämter des melchizedekischen Priestertums sind die eines Apostels, Patriarchen oder Evangelisten, Hoheur priesters, Siebzigers und Ältesten. Götthche Offenbarung hat die Pflichten jeder dieser Berufungen genau bestimmt; und dieselbe hohe Autorität hat die Einsetzung präsi- dierender Beamten angeordnet, die aus der Mitte derer hervorgehen, oder von denen bestimmt werden, die zu den verschiedenen Ämtern in den beiden Priestertümern or- diniert worden sind.*)

16. Besondere Pflichten des Priestertums. Das Amt eines Dieners (Diakons) ist das erste oder niedrigste im aaronischen Priestertum. Die Pflichten dieser Berufung

') 1. Mose 14:18; Hebräer 7:1— i: ') Lehre u. Bündn. 107:2 4. ») L. u. B. 107:8, 18—19. ') L. u. B. 107:21.

Art. 6.] Organisation der Kirche. 251

sind meistens zeitlicher Natur und betreffen die Be- sorgungen für die Versammlungshäuser und die Bequem- lichkeit der Zuhörer. Aber der Diener kann auch auf- gefordert werden, dem Lehrer in allen Dingen in seiner Arbeit zu helfen.^) Zwölf Diener bilden ein Kollegium;-) über eine solche Körperschaft soll ein Präsident mit Räten, die aus ihrer Zahl erwählt werden, präsidieren.

17. Die Lehrer sind örtliche Beamte, deren Tätigkeit darin besteht, die Heiligen zu besuchen, sie auf ihre Pflichten aufmerksam zu machen und durch ihr bestän- diges Wirken die Kirche zu stärken. Sie sollen zusehen, daß es keine Sünde in der Gemeinde gibt, daß die Mit- glieder keine bösen Gefühle gegeneinander hegen, sondern daß alle das Gesetz Gottes betreffs ihrer Kirchenpflichten beachten. Wenn kein Priester oder höherer Beamter an- wesend ist, dürfen sie die Leitung der Versammlung über- nehmen. Werden sie in gehöriger Weise beauftragt, so dürfen die Lehrer, ebenso wie die Diener, das Wort Gottes predigen ; sie haben aber keine Vollmacht, in irgend welchen geistigen Verordnungen, wie z. B. im Taufen, im Segnen des Abendmahls oder im Auflegen der Hände selbständig zu amtieren.^) Vierundzwanzig Lehrer bilden ein Kolle- gium; aus einer solchen Körperschaft sollen ein Präsident mit Räten erwählt werden.

18. Die Priester sind bestimmt, zu predigen, zu lehren, die Schrift auszulegen, zu taufen, das Abendmahl zu

•) Lehre u. Bündn. 20:57; 107:85.

^) Kollegium (engl. Quorum). Dieses Wort hat unter den Heiligen der letzten Tage eine besondere Bedeutung gewonnen. Es be- zeichnet nicht allein eine Mehrheit oder eine solche Zahl der Mitglieder einer organisierten Körperscliaft, wie sie zum rechtmäßigen Handeln er- forderlich ist, sondern die organisierte Körperscliaft selbst. Die Kirche betrachtet ein Kollegium, „als einen Rat oder eine organisierte Körper- schaft der Priesterschaft", zum Beispiel ein Kollegium der Ältesten, das Kollegium der Zwölf Apostel usw. (Siehe Meyers Konversationslexikon.)

') L. u. B. 20:53—59; 107:86.

252 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.

segnen, und die Mitglieder in ihren Wohnungen zu besuchen und sie zum Fleiß zu ermahnen. Wenn gehörig bevollmäch- tigt darf der Priester Diener, Lehrer und andere Priester ordinieren; und er darf aufgefordert werden, dem Ältesten in seiner Arbeit zu helfen. Ein Kollegium der Priester umfaßt achtundvierzig Mitglieder; einer solchen Organi- sation soll ein Bischof vorstehen.

19. Die Ältesten sind bevollmächtigt, in allen und jeden mit den Ämtern des niedern Priestertums verbundenen Obliegenheiten zu amtieren; außerdem dürfen sie andere Älteste ordinieren, Täuflinge, die richtig getauft worden sind, als Mitglieder der Kirche konfirmieren (bestätigen) und auf sie den Heiligen Geist übertragen. Diese Beamten haben Vollmacht, Kinder in der Kirche zu segnen und allen Versammlungen vorzustehen und sie zu leiten, wie sie vom Heiligen Geist geführt werden. i) Der Älteste darf an Stelle eines Hohenpriesters amtieren, wenn kein solcher anwesend ist. Sechsundneunzig Älteste bilden ein Kolle- gium; drei von diesen bilden dessen Präsidentschaft.^)

20. Die Siebziger sind reisende Prediger, ordiniert, um das Evangelium unter den Völkern der Erde zu ver- kündigen, „zuerst den Heiden und dann den Juden." In diesem erhabenen Dienste sollen sie unter der Leitung der Apostel wirken. 3) Ein vollständiges Kollegium besteht aus siebzig Mitgliedern einschließlich sieben Präsidenten.

21. Die Hohenpriester, wenn sie in gehöriger Weise angewiesen werden, sind ausgestattet mit Macht, in allen Verordnungen und Segnungen der Kirche zu amtieren. Wie die Siebziger können auch sie reisen und d^n Völkern der Erde das Evangelium bringen, aber zu dieser Pflicht sind sie nicht besonders berufen; ihre eigentliche Berufung

') Lelire u. Bündn. 20:38—45, 70; 107:11—12.

=) L. u. B. 107:89.

=) L. u. B. 107:34—35, 97—98.

Art. 6.] Organisation der Kirche. 253

ist die des ständigen Präsidiums. Die Hohenpriester irgend eines Pfahles der Kirche dürfen zu einem Kollegium organi- siert werden, und dies ohne eine Beschränkung der Zahl; um einem solchen Kollegium vorzustehen, werden drei der Mitglieder als Präsident mit Räten erwählt.^)

22. Die Patriarchen oder Evantjelistcn sind mit der be- sondern Pflicht beauftragt, die Kirche zu segnen. Selbstver- ständlich haben sie auch Autorität, in andern Verordnungen zu amtieren. Es gibt einen Patriarchen der ganzen Kirche mit allgemeiner Oberaufsicht über die ganze Körperschaft; er hält die Schlüssel des patriarchalischen Amtes, und ihm ist die Verheißung gegeben worden, ,,daß, wen er segnet, der soll gesegnet sein, und wem immer er flucht, der soll verflucht sein; das, was er auf Erden bindet, soll auch im Himmel gebunden sein, und das, was er auf Erden lösen wird, soll auch im Himmel gelöst sein."-)

23. Betreffs der patriarchalischen Vollmacht hat der Herr gesagt: „Die Ordnung dieses Priestertums wurde versiegelt, um von Vater auf Sohn herabgehändigt zu werden und gehört rechtmäßig den buchstäblichen Nach- kommen des auserwählten Samens, dem die Verheißungen gemacht worden sind. Diese Ordnung wurde in den Tagen Adams eingeführt und kam durch die Stammlinie * * * herab. "3) Aber außer diesem Amt der allgemeinen pa- triarchalischen Macht gibt es örtliche Patriarchen, die in den Zweigen der Kirche eingesetzt werden; aber alle sind dem Rat und der Führung des „Patriarchen der Kirche" untergeordnet; doch besitzen sie in ihrem Gebiete dieselben Vorrechte, die jenem für die ganze Kirche zu- stehen. Es ist den zwölf Aposteln zur Pflicht gemacht worden, in allen großen Zweigen der Kirche Evangelisten

») Lehre u. Bündn. 107:10; 124:134- ') L. u. B. 124:92—93. ') L. u. B. 107:40—57.

254 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.

oder Patriarchen zu ordinieren; die Wahl soll durch Offenbarung erfolgen.^)

24. Die Apostel sind berufen, besondre Zeugen des Namens Christi in der ganzen Welt zu sein;^) sie sind bevollmächtigt, die Kirche aufzubauen und zu organisieren ; und sie dürfen in allen und jeder heiligen Verordnung amtieren. Sie sollen unter den Heiligen reisen und wo immer sie hinkommen, die Angelegenheiten der Kirche regeln aber besonders da, wo es keine vollkommene örtliche Organisation gibt. Sie sind ermächtigt, Patriarchen und andere Beamten in dem Priestertum, wie. sie durch den Geist Gottes geführt werden mögen, zu ordinieren. 3)

25. Präsidentschaften und Kollegien (Räte, Aus- schüsse). — Das geoffenbarte Wort Gottes hat die Ein- setzung von präsidierenden Beamten verordnet, ,,die aus der Mitte derer hervorgehen, oder von denen bestimmt werden, die zu den verschiedenen Ämtern in den beiden Priestertümern ordiniert worden sind".*) Im Einklang mit den vorherrschenden alle seine Werke kennzeichnenden Grundsätzen der Ordnung hat der Herr verordnet, daß die Träger seines Priestertums in Körperschaften vereinigt werden sollen, um ihnen zu helfen, besser mit den Pflichten ihres Amtes bekannt zu werden. Einige dieser Kollegien sind allgemein in ihrem Umfang und ihrer Vollmacht; andere sind örtlich in ihrer Befugnis. Alle bevollmächtigten Kollegien und alle präsidierenden Beamten sollen durch die Stimme derer, denen vorzustehen sie bestimmt worden sind, in ihren verschiedenen Stellen bestätigt werden. Also werden örtliche Beamte von den örtlichen Verbänden bestätigt und die allgemeinen Vorgesetzten von der zu einer

>) Lehre u. Bündn. 107:39.

=) L. u. B. 107:23.

') L. u. B. 107:39, 58; 20:38 44.

•) L. u. B. 107:21.

Art. 6.] Organisation der Kirclie. 255

Hauptversammlung (Konferenz) versammelten Kirche. Die Konferenzen der Kirche werden halbjährlich abge- halten, bei welcher Gelegenheit die Namen aller Haupt- beamten dem Volke zur Abstimmung vorgelegt werden. In gleicher Weise werden die Vorgesetzten der Pfähle und Bezirke bei den örtlichen Konferenzen, die zu diesen und andern Zwecken abgehalten werden, durch Abstimmung bestätigt. Und so wird in allen Organisationen der Kirche der Grundsatz der allgemeinen Zustimmung beachtet.

26. Die Erste Präsidentschaft bildet das präsidierende Kollegium der Kirche. Durch göttliche Anordnung wird von den Mitgliedern der Hohenpriesterschaft ein Präsident bestimmt, der der ganzen Kirche vorsteht. Er ist als Präsident der Hohenpriesterschaft der Kirche, oder als der vorstehende Hohepriester über die Hohepriesterschaft der Kirche bekannt.^) Er ist berufen, „ein Seher, Offenbarer, Übersetzer und Prophet zu sein, im Besitz aller Gaben Gottes, die er (Gott) dem Haupt der Kirche verleiht". 2) Sein Amt hat der Herr mit dem Amte des alten Mose, der Israel als Gottes Sprachrohr diente, verglichen. In seinen erhabenen Pflichten in der Kirche wird diesem vorstehenden Hohenpriester von zwei anderen, die dasselbe Priestertum tragen, geholfen, und diese drei Hohenpriester wenn sie in gehöriger Weise bestimmt und ordiniert worden sind, und wenn sie durch das Vertrauen, den Glauben und das Gebet der Kirche unterstützt werden „bilden das Kollegium der Präsidentschaft der Kirche".^)

27. Das Kollegium der zwölf Apostel. Zwölf Männer, die das Apostelamt tragen und in gehöriger Weise organi- siert sind, bilden das Kollegium der Apostel. Diese hat der

') Lehre u. Bündn. 107:64 68. =) L. u. B. 107:91—92. ') L. u. B. 107:22.

256 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.

Herr als die zwölf reisenden Räte bezeichnet ;i) sie bilden den reisenden vorstehenden Hohen Rat, der unter der Leitung der Ersten Präsidentschaft in allen Teilen der Welt amtiert. Sie bilden ein Kollegium, dessen einstimmige Entschlüsse an Macht und Geltung gleichbedeutend sind mit den Entschlüssen der Ersten Präsidentschaft.^) Wenn das Kollegium der Ersten Präsidentschaft durch den Tod oder die Unfähigkeit des Präsidenten aufgelöst wird, geht die leitende Vollmacht der Regierung sogleich auf das Kollegium der zwölf Apostel, welches die Ernennung der Präsidentschaft vornimmt, zurück. Es kann vorkommen, und gegenwärtig ist es so, daß es Apostel gibt, die nicht Mitglieder dieses Kollegiums der Zwölfe sind; aber diese können keinen Platz in den Sitzungen des Kollegiums beanspruchen.

28. Das vorstehende Kollegium der Siebziger. Das erste Kollegium der Siebziger bildet eine Körperschaft, deren einstimmige Entschlüsse gleichbindend sind, wie die Entschlüsse der zwölf Apostel. Viele solcher Kollegien der Siebziger können in der Kirche notwendig werden; un- gefähr 170 solcher Organisationen sind schon zustande gebracht worden; jedem Kollegium stehen sieben Präsi- denten vor. Aber die sieben Präsidenten des ersten Kolle- giums der Siebziger präsidieren über alle andern Kollegien und ihre Präsidenten.^)

29. Die vorstehende Bisehofsehaft, wie sie gegenwärtig zusammengesetzt ist, besteht aus dem vorstehenden Bischof der Kirche und seinen zwei Räten. Dieses Kollegium hält die Oberaufsicht über die Pflichten andrer Bischöfe in der Kirche und aller das aaronische Priestertum betreffenden Organi- sationen. Der älteste lebende Vertreter unter den Söhnen

•) Lehre u. Bündn. 107:23, 33.

'•) L. u. B. 107:24.

») L. u. B. 107:25—26, 34, 93—97.

Art. 6.] Organisation der Kirche. 257

Aarons, wenn er in allen Hinsichten würdig und geeignet ist, ist zu diesem Amt der Präsidentschaft berechtigt; er muß von der Ersten Präsidentschaft der Kirche bestimmt und ordiniert werden.^) Wird ein solcher buchstäblicher Nachkomme Aarons gefunden und ordiniert, so darf er ohne Räte wirken, nur wenn er im Verhör eines Präsi- denten der Hohenpriesterschaft zu Gericht sitzt, dann sollen ihm zwölf Hohepriester beigegeben werden. 2) Aber wenn es an einem dazu geeigneten unmittelbaren Abkömm- ling Aarons fehlt, darf ein Hoherpriester des melchizedeki- schen Priestertums von der Ersten Präsidentschaft der Kirche zu dem Amt des vorstehenden Bischofs berufen und eingesetzt werden; zwei andre, als seine Räte richtig ordinierte Hohepriester, sollen ihm helfen.^)

30. örtliche Organisationen der Priestersehalt. Wo die Heiligen ständig wohnhaft sind, werden ,, Pfähle Zions" organisiert; jeder Pfahl umfaßt eine Anzahl Wards (Ge- meinden) oder Zweiggemeinden. Über jeden Pfahl wird eine Pfahlpräsidentschaft gesetzt, bestehend aus einem Präsidenten und zwei Räten, die Hohepriester sind und in gehöriger Weise erwählt und in dieses Amt eingesetzt worden sind. In gerichtlichen Obliegenheiten wird der Pfahlpräsidentschaft von dem Ständigen Hohen Rat, der aus zwölf zu diesem Amte erwählten und ordinierten Hohenpriestern besteht, geholfen. Diesem Rat steht die Pfahlpräsidentschaft vor, und er bildet die höchste richter- liche Behörde des Pfahles.

31. Die Präsidenten der Pfähle und die Bischöfe der Gemeinden werden mit Recht als die Hirten der Herde angesehen; ihre Pflichten sind ohne Zweifel den Pflichten der Hirten in frühern Zeiten ähnlich. Wie schon be-

') Lehre u. Bündn. 68:18—20. ') L u. B. 107:82—83. ') L. u. B. 68:19.

258 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.

schrieben, sind die Hohenpriester und Ältesten in jedem Pfahle in Kollegien organisiert, die Hohenpriester ohne Beschränkung der Zahl; die Ältesten, je nachdem es ihre Zahl erlaubt, bilden ein oder mehrere Kollegien, wovon jedes aus sechsundneunzig Mitgliedern besteht. Es werden auch Patriarchen eingesetzt, um in ihrem heiligen Amte unter dem Volke des Pfahles zu wirken.

32. Eine Ward-Bisehofsehaft wird in jeder vollständig organisierten Ward der Kirche eingesetzt. Diese Körper- schaft besteht gewöhnlich aus drei Hohenpriestern, die als Bischof und Räte eingesetzt werden. Wird aber ein buchstäblicher Abkömmling Aarons zu der Bischofschaft berufen, so ist es sein Recht wie in dem Falle des vorstehenden Bischofs erklärt wurde ohne Räte zu wirken. Der Bischof hat die Oberaufsicht über die Kol- legien der niederen Priesterschaft in seiner Gemeinde ; auch über die Träger des höhern Priestertums als Mitglieder seiner Gemeinde; aber über die Kollegien der melchizedeki- schen Priesterschaft, die als solche in seinem Gebiet bestehen, hat er kein unmittelbares Präsidium. Als ein vorstehender Hoherpriester präsidiert er mit Recht über seine ganze Ward. Die Wardorganisation schließt in sich die Kollegien der Priester, Lehrer und Diener eins oder mehrere von jedem, je nach ihrer zahlenmäßigen Größe.

33. Helfer in der Verwaltung. Außer diesen ein- gesetzten Behörden und Ämtern im Priestertum gibt es eine Anzahl untergeordneter oder besonderer Organisa- tionen, die unter dem Volke zu Erziehungs- und Wohl- tätigkeitszwecken eingesetzt worden sind. Unter diesen sind die folgenden von solcher Wichtigkeit, daß sie besondere Erwähnung fordern.

1. Die Primarv ereine. Diese sorgen für die mo- ralische Belehrung und Erziehung der jungen Kinder.

Art. 6.] Organisation der Kirche. 259

2. Die Vereine zur gemeinsamen Fortbildung. Diese begreifen in sich nach den Geschlechtern getrennte Organisationen und sind für die Ausbildung und Erziehung der Jugend in Sachen von allgemeiner und religiöser Bedeutung bestimmt. Unterricht wird erteilt in Theologie, Literatur und Geschichte, Wissenschaft und Kunst, in den Gesetzen der Gesundheit und in vielen andern Zweigen nützlicher Kenntnis.

3. Die Sonntagschulen begreifen in sich abgestufte Klassen zum Studium der heiligen Schriften und zur Ausbildung in der Theologie, in moralischen und religiösen Pflichten, und in der Ordnung der Kirche. Obwohl ur- sprünglich für die Jugend bestimmt, stehen die Sonntag- schulen nunmehr allen offen.

4. Die Kirchenschulen. Diese Bildungsanstalten sorgen sowohl für den weltlichen wie auch für den religiösen Unterricht und erstrecken sich vom „Kindergarten" bis zur Hochschule.

5. Die Religionsklassen. In diesen wird klassen- weise Unterricht in der Theologie und Religion erteilt; er wird als Nachtrag und Ergänzung zu den gänzlich weltlichen Belehrungen der religionsfreien Schulen geboten.

6. Die Frauenhilfsvereine. Diese bestehen aus Frauen, deren freiwillig auf sich genommene Pflichten die Sorge für die Armen und die Linderung der Leiden der Kranken umfassen.

34. Die meisten dieser Hilfsorganisationen sind in jeder Ward (Gemeinde) vorhanden. Sie werden alle, mit Ausnahme der Kirch chenschulen, die gewöhnlich zu den Pfahleinrichtungen oder solchen von allgemei- nerer Bedeutung zählen, zu der vollständigen Ausrü- stung irgend einer Ward als notwendig betrachtet. Beamte werden bestimmt, den verschiedenen Organi- sationen in jeder Ward vorzustehen; und obwohl solche

260 Die Glaubensartikel. [Vorl. XI.

Beamten in einem allgemeinen Sinn den örtlichen Vor- gesetzten in der Priesterschaft untertänig sind, halten sie sich für die genaue Unterweisung in Plan und Art ihrer besondern Tätigkeit an die Pfahl- und Haupt- vorstände der besondern Organisationen. Dem Grund- satz der gemeinsamen Zustimmung gemäß, der die Kirche im allgemeinen kennzeichnet, werden die Beamten der Hilfsverbände obwohl sie von den eingesetzten Behörden der Priesterschaft oder wenigstens mit ihrer Zustimmung ernannt werden durch die Stimme der Mitglieder in der Orts- oder Hauptvereinigung, in der sie zu dienen bestimmt sind, eingesetzt und aufrecht erhalten.

Anmerkungen.

1. Entartnng der Gottesverehrung mit dem Abfall verbunden. Daß

die Formen der Verehrung verkehrt wurden, während sich viele heidnische Einflüsse und Bräuche einschlichen, als das Priestertum nach der aposto- lischen Zeit von der Erde verschwand, darf nach den Berichten der Ge- schichte vernunftgemäß angenommen werden. Mosheim, ein berühmter Fachmann der kirchlichen Geschichte, hat betreffs der heidnischen Ein- führungen während des vierten Jahrhunderts folgendes zu sagen : „Mit nur geringen Veränderungen führten die christlichen Bischöfe jene Gebräuche und Verordnungen, mit welchen die Griechen, Römer und andre Völker früher ihre Frömmigkeit und Verehrung ihren Abgöttern kund getan hatten, in die christliche Verehrung ein. Denn sie vermuteten, das Volk werde das Christentum eher annehmen, wenn es sähe, daß die von seinen Vätern überkommenen Gebräuche noch unverändert unter den Christen blieben, und daß Christus und die Märtyrer in derselben Weise verehrt würden wie früher seine Götter. Selbstverständlich gab es zu diesen Zeiten wenig Unterschied zwischen der öffentlichen Verehrung der Christen und der der Griechen und Römer. Gleicherweise waren vorhanden: prachtvolle Ge- wänder, Bischofsmützen, Stirnreifen, Wachskerzen, Bischofsstäbe, Festzüge und Bittgänge, Bilder, Bildsäulen, goldene und silberne Vasen, und unzählige andere Dinge."

Über die Form der vorgeblich christlichen Verehrung im fünften Jahrhundert spricht derselbe Gewährsmann: „Überall nahm die öffentliche Verehrung eine eher für die Schau und die Befriedigung des Auges ein- gerichtete Form an. Um die Ehrfurcht des Volkes vor der geistlichen Ordnxmg zu vermehren, wurden die priesterliclien Gewänder mit verschiede- nen Verzierungen versehen.*** An einigen Orten wurde bestimmt, das Lob Gottes solle Tag und Nacht ständig gesungen werden; die Sänger folgten

Art. 6.] Anmerkungen. 261

einander ohne Unterbrechung; als ob der Allerhöchste Gefallen an dem Getöse und dem Lärm und an den Schmeicheleien der Menschen hätte. Die Pracht der Tempel kannte keine Grenzen. Herrliche Bildsäulen wuiden darin aufgestellt; * * * das Bild der Jungfrau Maria mit dem Kinde auf ihrem Arm nahm dabei den hervorragendsten Platz ein."

2. Der frühe Anfang des Abfalls. Orson Pratt, ein Apostel des gegenwärtigen Zeitalters, hat über den frühen Abfall von den allein gültigen Bräuchen der Kirche folgendes geschrieben: ,,Der große Abfall der christ- lichen Kirche fing im ersten Jahrhundert an, während noch göttlich er- leuchtete Apostel und Propheten in ihrer Mitte waren ; deshalb zählte Paulus kurz vor seinem Märtyrertum eine große Zahl auf, ,die sich gestoßen und am Glauben Schiffbruch gelitten haben' ; und die sich haben , umgewandt zu unnützem Geschwätz*; die gelehrt haben, ,die Auferstehung sei schon geschehen', und ,acht hätten auf die Fabeln und Geschlechtsregister, die kein Ende haben' ; und die da haben .die Seuche der Fragen und Wortkriege, aus welchen entspringt Neid, Hader. Lästerung, böser Argwohn, Schulge- zänke solcher Menschen, die zerrüttete Sinne haben und derWahrheit beraubt sind, die da meinen, Gottseligkeit sei ein Gewerbe'. Dieser Abfall war so allgemein geworden, daß Paulus dem Timotheus erklärte: ,daß sich von ihm gewandt haben alle, die in Asien sind' ; weiter sagt er: ,In meiner ersten Verantwortung stand mir niemand bei, sondern sie verließen mich alle'; und er erklärt zudem, daß ,es sind viele freche und unnütze Schwätzer und Verführer', die .lehren, das nicht taugt, um schändlichen Gewinns willen'. Jedenfalls gaben diese Abgefallenen vor, selu- rechtschaffen zu sein, denn der Apostel spricht: ,Sie sagen, sie erkennen Gott; aber mit den Werken verleugnen sie es, sintemal sie es sind, an welchen Gott Greuel hat, und gehorchen nicht und sind zu allem guten Werk untüchtig.*"

3. Das Gesetz des Priesterlums. Daß die Macht des Priestertums im Geist der Geduld und Liebe und nicht im Widerstand gegen den freien Willen der Menschen ausgeübt werden sollte, geht aus vielen Schriften, und auch aus folgender, klar hervor: „Siehe, viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt. Und warum sind sie nicht auserwählt ? Weil ihre Herzen so sehr auf die Dinge dieser Welt gerichtet sind, um die Ehre der Menschen zu erlangen, daß sie diese eine Aufgabe nicht lernen: Daß die Rechte des Priestertums mit den Mächten des Himmels unzertrennlich ver- bunden sind, und daß die Mächte des Himmels nicht anders kontrolliert noch gebraucht werden können, als nur durch die Prinzipien der Rechtschaffen- heit. Daß sie uns übertragen werden können, ist wahr, doch wenn wir es unternehmen, unsre Sünden zuzudecken, oder unsrer Eitelkeit oder unsrem Ehrgeiz zu fröhnen, oder Einfluß, Herrschaft oder Zwang über die Seelen der Menschen in irgendwelchem Grade von Ungerechtigkeit auszuüben, siehe, dann werden sich die Himmel entziehen, der Geist des Herrn ist betrübt, und wenn er gewichen ist.amen zum Priestertum oder der Vollmacht jenes Mannes. Siehe, ehe er es gewahr wird, ist er sich selbst überlassen, gegen den Stachel zu stoßen, die Heiligen zu verfolgen und gegen Gott zu streiten. Wir haben durch traurige Erfahrung gelernt, daß es in der Natur und Neigung beinahe aller Menschen liegt, sobald als sie ein wenig Autorität empfangen, wie sie vermuten, sie sogleich anfangen, ungerechte Herrschaft auszuüben. Folglich sind viele berufen und nur wenige auserwählt. Keine Macht und kein Einfluß können oder sollten kraft des Priestertums auf andre Weise unterhalten werden, als nur durch Überredung, Langmütigkeit,

262 Die. Glaubensartikel. [Vorl. XI.

Sanftmut, Demut und durch unverstellte Liebe, durch Güte und wahre Erkenntnis, welche die Seele viel entwickeln, ohne Heuchelei und ohne Arglist, zuweilen mit Schärfe zurechtweisend, wenn vom Heiligen Geiste getrieben, nachher aber mit einer Kundgebung von größerer Liebe gegenüber dem, der zurechtgewiesen wurde, damit er dich nicht als seinen Feind be- trachten möge, und damit er wisse, daß deine Treue stärker ist als die Bande des Todes. Laß dein Inneres mit Barmherzigkeit gegen alle Menschen erfüllt sein und gegen den Haushalt des Glaubens, und laß Tugend unab- lässig deine Gedanken umgeben; dann wird dein Vertrauen in der Gegenwart Gottes stark sein, und die Lehre des Priestertums wird auf deiner Seele ruhen wie der Tau des Himmels. Der Heilige Geist soll dein immerwährender Begleiter sein, und dein Szepter ein unwandelbares, von Rechtschaffenheit und Wahrheit, und deine Herrschaft eine unvergängliche Herrschaft, und es soll dir ohne Zwang für immer und ewig zukommen." Lehre u. Bündn. 121:34 46.

Art. 7.J Geistige Gaben. 263

Vorlesung XII. Geistige Gaben.

Artikel 7. Wir glauben an die Gabe der Zungen, Prophezeiung, Offenbarung, Gesichte, Heilung, Auslegung der Zungen usw.

1. Geistige Gaben ein Merkmal der Kirche. Es ist

schon bewiesen worden, daß jeder, der mit Recht in den Verordnungen des Evangeliums amtieren will, durch die Kraft und Vollmacht des Himmels zu seinen erhabenen Pf hebten beauftragt werden muß. Wenn so von Gott ausgestattet, werden diesen Dienern Beweise des Wohl- wollens des Meisters nicht fehlen; denn es ist für den Umgang Gottes mit seinem Volke stets bezeichnend gewesen, daß er seine Kraft kundtut durch die Bescherung einer Fülle von veredelnden Gnaden, welche mit Recht Gaben des Geistes genannt werden. Diese werden manch- mal in einer von der gewöhnlichen Ordnung der Dinge so verschiedenen Weise gezeigt, daß sie als wunderbar und übernatürhch bezeichnet werden. In dieser Weise hatte sich der Herr in den früheren Zeiten der Geschichte bekannt gemacht ; und von den Tagen Adams an bis zur Gegenwart sind die Propheten Gottes im allgemeinen mit solcher Kraft ausgestattet gewesen. Wenn je das Priestertum durch eine organisierte Kirche auf Erden gewirkt hat, sind die Mitglieder der Herde durch den Besitz dieser Gnaden in der Kirche in ihrem Glauben gestärkt und auf andere verwandte Art und Weise gesegnet worden. Wir können das Dasein dieser geistigen Kräfte als ein ausgeprägtes Merkmal der wahren Kirche ansehen. Wo sie nicht sind, da wirkt auch das Priestertum Gottes nicht.

264 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.

2. ]\Iormon^) erklärt feierlich, daß die Tage der Wunder für die Kirche nicht vorbei seien, solange es noch einen Menschen auf Erden gäbe, der gerettet werden soll. „Denn", sagt er, ,, durch Glauben werden Wunder getan, und durch Glauben erscheinen Engel und dienen den Menschen; daher wehe den Menschenkindern, wenn diese Dinge aufgehört haben! denn es ist Unglaubens halber, und alles ist vergebens." Und Moroni, an der Schwelle des Grabes stehend, legt ein freies Zeugnis ab, daß die Gaben und Gnaden des Geistes nie aufhören werden, solange die Welt steht, außer infolge menschlichen Un- glaubens.2)

3. Man vernehme die Worte dieses Propheten, die er an diejenigen richtet, „die die Offenbarungen Gottes leugnen und sagen: Sie haben aufgehört, und es gibt jetzt weder Offenbarungen noch Prophezeiungen, weder geistige Gaben noch die Gabe der Heilung, weder die Gabe in mancherlei Sprachen zu reden noch dieselben auszulegen. Sehet, ich sage euch: Wer diese Dinge leugnet, kennt nicht das Evangelium Christi; ja, er hat die Schriften nicht gelesen oder nicht verstanden. Denn lesen wir nicht, daß Gott derselbe ist, gestern, heute, morgen und immerdar, und daß in ihm kein Wandel noch Schatten der Veränder- lichkeit ist? Nun, wenn ihr euch einen wandelbaren Gott vorgestellt habt, in welchem Schatten der Veränderlichkeit sind, dann habt ihr euch einen Gott vorgestellt, der kein Gott der Wunder ist. Aber sehet, ich will euch einen Gott der Wunder zeigen, den Gott Abrahams, den Gott Isaaks und den Gott Jakobs; und es ist derselbe Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat und alle Dinge, die darinnen enthalten sind."^)

') Moroni 7:35 37.

>) Moroni 10:19; 23 ^27.

•) Mormon 9:7 11.

Art. 7.] Geistige Gaben. 265

4. Das Wesen der geistigen Gaben. Die hier er- wähnten Gaben sind hauptsächUch Ausstattungen der Kraft und Vollmacht, durch welche die Absichten Gottes ausgeführt werden, zuweilen mit begleitenden Umständen,, die übernatürlich zu sein scheinen. Durch solche können die Kranken geheilt und böse Einflüsse und die Geister der Finsternis überwunden werden. Obwohl demütig und schwach, können die Heiligen in neuen und fremden Zungen ihre Zeugnisse verkünden und auch sonstwie das Lob Gottes aussprechen; andre können diese Worte auslegen. Der schwache menschliche Verstand kann durch die himm- lische Einwirkung von geistigem Gesicht und gesegneten Träumen belebt werden. Unmittelbare Verbindung mit der Quelle aller Weisheit kann hergestellt und die Offen- barungen des göttlichen Willens können erhalten werden.

5. Diese Gaben sind vom Herrn denen verheißen, die an seinen Namen glauben^); sie sollen dem Gehorsam zu den Anforderungen des Evangeliums folgen. Den Gläubigen sollen sie zur Ermutigung und als Antrieb zu höhrer Gemeinschaft mit dem Geiste dienen.*) Sie werden nicht als Zeichen gegeben, um fleischliche Neugier oder eine krankhafte Sucht nach dem Wunderbaren zu befrie- digen. Durch Kundtuungen des Wunderbaren sind Menschen zu dem Lichte geführt worden ; aber Ereignisse in ihrem Leben zeigen, daß es entweder solche sind, die auch in irgendeiner anderen Weise die Wahrheit gefunden hätten, oder die Zeichen haben nur oberflächlich auf sie gewirkt, und sobald das Ungewöhnliche des neuen Gefühls sich erschöpft hat, wandern sie wieder in die Finsternis, der sie für eine Zeit entronnen waren. Wunder sind ur- sprünglich nicht dazu bestimmt, die Macht Gottes zu beweisen auf alle Fälle sind sie nicht dazu notwendig;

») Markus 16:16; Lehre u. Bündn. 84:64—73.

») Matthäus 12:38—39; 16:1 4; Markus 8: 11— 12; Lukas 11 : 16— 30.

266 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.

die einfachem Begebenheiten, die gewöhnlichem Werke der Erschaffung tun das. Aber zu dem Herzen, welches durch das Zeugnis der Wahrheit schon erweicht und gereinigt worden, zu dem Gemüt, welches durch die Kraft des Geistes erleuchtet worden und sich des gehorsamen Dienstes in den Forderungen des Evangeliums bewußt ist, kommt die Stimme der Wunder mit der erfreuenden Kunde von dem unwandelbaren, ja vermehrten Wohlgefallen eines liebenden Vaters, mit neuen und reichlicheren Beweisen der Großherzigkeit eines allbarmherzigen Gottes.^)

6. Doch selbst dem Ungläubigen sollte das Zeugnis der Wunder wenigstens als Beweismittel, das die Untersuchung der Kraft, durch welche diese Taten Zu- standekommen, begünstigt einleuchten; in solchen Fällen sind die Wunder wie ,,eine laute Stimme zu denen, die schwer hören". Der Zweck der geistigen Gaben in der Kirche wird in einer Offenbarung des Herrn durch Joseph Smith ausführlich dargelegt: ,, Darum hütet euch, auf daß ihr nicht verführt werdet; und damit das nicht geschehe, strebet ernstlich nach den besten Gaben, und bedenket stets, weshalb sie gegeben werden ; denn wahrlich, ich sage euch, daß sie zum Wohl derer gegeben werden, welche mich lieben und alle meine Gebote halten, und für die, die sich bemühen, so zu handeln; daß alle gesegnet werden mögen, die nach mir forschen und von mir bitten, und die es nicht tun um eines Zeichens willen, damit sie ihre eigenen Begierden befriedigen."-)

7. Wunder werden gewöhnlich als übernatürliche Begebenheiten angesehen, die im Gegensatz zu den Natur- gesetzen stattfinden. Eine solche Vorstellung ist offenbar irrtümlich, denn die Gesetze der Natur sind unverbrüch-

') Siehe Anmerkung 6. ') Lehre u. Bündn. 46:8-

Art. 7.] Geistige Gaben. 267

lieh. Dennoch, da das menschliche Verständnis für diese Gesetze bestenfalls unvollkommen ist, können Vorfälle, die mit dem natürlichen Gesetz streng im Einklang stehen, als ihm widersprechend erscheinen. Die ganze Natur ist auf Planmäßigkeit und Ordnung gegründet; aber wie die Gesetze der Menschen, so sind auch die Gesetze der Natur abgestuft. Die Anwendung eines höhern Gesetzes in irgend einem besondern Fall zerstört nicht die Wirksamkeit noch die Gültigkeit eines niederen ; das niedere Gesetz ist nachher ebenso anwendbar auf den Fall, wofür es entworfen wur- de, als zuvor. Zum Beispiel : die menschliche Gesellschaft hat ein Gesetz eingeführt, das irgendeinem Menschen bei schweren Strafen verbietet, das Eigentum eines andern weg- zunehmen, doch manchmal enteignen die Vollstrecker des Gesetzes zwangsweise das Eigentum ihrer Mitmenschen, wenn gegen sie ein Urteil vorliegt; und solche Taten werden getan, um der Gerechtigkeit Genüge zu leisten nicht um sie zu verletzen. Jehovah gebot: „Du sollst nicht töten", und die Menschheit hat das Gesetz wieder in Kraft gesetzt, und Strafen für die Übertretung desselben vor- geschrieben. Die heilige Geschichte bezeugt aber, daß der Gesetzgeber selbst in gewissen Fällen seinen Dienern direkt geboten hat, die Gerechtigkeit zu rechtfertigen durch das Nehmen menschlichen Lebens, Der Richter, der das Todesurteil über einen überführten Mörder ausspricht, und der Henker, der diesen furchtbaren Auftrag ausführt, handeln nicht in Widerspruch zu dem Gesetz „Du sollst nicht töten", sondern geradezu in Unterstützung dieses Gebotes.

8. Mit einigen Prinzipien, wodurch die Kräfte der Natur wirken, sind wir gewissermaßen bekannt und bei ihrer Betrachtung staunen wir nicht mehr, obwohl tieferes Nachdenken zeigen kann, daß selbst der gewöhnlichste Vorfall wunderbar und sonderbar ist. Aber irgend eine

268 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.

außergewöhnliche Begebenheit wird als wunderbar, über- natürlich, oder gar unnatürlich erklärt, und wir werden mehr oder weniger von Ehrfurcht ergriffen.^) Als der Prophet Elisa verursachte, daß die Axt aut dem Fluß schwamm, 2) zog er durch die Ausübung der Vollmacht des Priestertums eine der Schwerkraft überlegene Kraft zu Hilfe. Ohne Zweifel war das Eisen schwerer als das Wasser; doch durch die Wirkung jener höhern Kraft wurde es gestützt, es hing, oder es wurde auf eine andre Weise, wie von einer menschlichen Hand, auf der Oberfläche gehalten, oder als ob es durch anhängende Schwimmer genügende Schwimmkraft bekommen hätte.

9. Der Wein besteht gewöhnlich etwa zu vier Fünfteln aus Wasser; der Rest ist eine Verschiedenheit chemischer Zusammensetzungen, deren Grundstoffe in der Luft und im Erdboden reichlich vorhanden sind. Die gewöhnliche Weise was wir die natürliche Weise nennen wodurch diese Elemente in die richtige Zusammensetzung gebracht werden, ist, die Traube zu pflanzen und die Rebe zu pflegen, bis die Frucht soweit ist, ihren Saft der Weinpresse zu geben. Aber durch die Ausübung einer nicht gänzlich in der menschlichen Macht stehenden Kraft, rief der Heiland bei der Hochzeit zu Kana^) diese Stoffe zusammen, und brachte eine chemische Verwandlung in den Wasserkrügen zustande, deren Ergebnis reiner Wein war. So auch als die Volksmengen gespeist wurden: das Brot und die Fische vermehrten sich unter seiner priesterlichen Hand und seinem bevollmächtigten Segen an Gehalt, als ob die Zeiten von Jahren für ihren Wuchs nach der von uns als natürlich angesehenen Ordnung verbracht worden wären. Bei der Heilung der Aussätzigen, der Gicht-

') Siehe Anmerkung 1. ') 2. Könige 6:5—7. =) Johannes 2:1 11.

Art. 7.] Geistige Gaben. 269

brüchigen, und der Gebrechlichen wurden die zerrütteten Körperteile wieder in ihren normalen und gesunden Zu- stand gebracht; die in den Zellengeweben als Gift wir- kenden Unreinheiten wurden entfernt durch schnellere und wirksamere Mittel als die, welche von der Wirkung der Drogen und Arzneien abhängig sind.

10. Kein ernster Beobachter, kein urteilsfähiges Gemüt kann das Vorhandensein von Intelligenzen und Organismen, welche die menschlichen Sinne nicht wahrnehmen, be- zweifeln. Diese Welt scheint nur die zeitliche Verkörperung von geistigen Dingen zu sein. Der Schöpfer hat uns gesagt, er habe alle Dinge geistig geschaffen, ehe sie zeitlich gemacht wurden.^) Die Blumen, die auf Erden blühen und verwelken, sind vielleicht dort oben durch unvergängliche Blüten von überirdischer Schönheit und erquickendem Duft dargestellt. Der Mensch ist in dem Ebenbilde Gottes gestaltet worden; sein Geist, obwohl durch schädliche Gewohnheiten verdunkelt und geschwächt, ist dennoch ein zwar gefallenes Urbild unsterblichen Denkens und göttlicher Vernunft. Und obwohl der Raum, der in Denken, Verlangen und Tun das Menschliche von dem Göttlichen trennt, so weit ist als der Raum zwischen Meer und Himmel denn so hoch wie die Sterne über der Erde sind, so sind die Wege Gottes höher denn die der Menschen können wir doch eine strenge Ähnlichkeit zwischen dem Geistigen und dem Zeitlichen wahrnehmen. Als die Augen des Dieners des Elisa geöffnet wurden, sah er die Heer- scharen der himmlischen Streiter, die die Berge um Dothan deckten Fußsoldaten, Reiter und Kriegswagen, die zum Kampf gegen die Syrer gerüstet waren. 2) Dürfen wir nicht glauben, daß als Israel Jericho umringte,^) der Fürst

') Siehe Anmerkung 1, Seite 239. ') 2. Könige 6:13—18. ') Josua 6.

270 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.

Über das Heer des Herrn^) und sein himmliches Gefolge da waren, und daß die Mauern umgestürzt wurden von den Kräften dieser Engel, die durch den Glauben und Gehorsam des menschlichen Heeres unterstützt wurden?

11. Einige der neuesten und größten Errungenschaften der Menschen in der Benutzung der Kräfte der Natur sind den Zuständen der geistigen Wirkung sehr ähnlich. Auf eine Entfernung von hundert Meilen das Ticken einer Uhr zu zählen; in gewöhnlichem Ton zu sprechen und über das ganze weite Land gehört zu werden ; von einer Halb- kugel aus zu funken und auf der andern verstanden zu werden, obwohl die Meere zwischen ihnen rollen und brausen; den Blitz in unsere Häuser zu bringen und ihn als Feuer und Fackel dienen zu lassen ; sind dieses nicht Wunder? Ihre Möghchkeit wäre vor ihrer wirklichen Vollendung nicht für glaubhaft gehalten worden. Der Präsi- dent der Republik, auf dem Regierungsstuhl in der Haupt- stadt des Reiches sitzend, spricht mit allen Teilen, selbst mit dem fernsten Punkt dieses großen Landes; und wenn die Batterien und Drähte in Ordnung und die Beamten zuverlässig sind, wird er über jede wichtige Bewegung im Lande genau unterrichtet. Durch eine Ordnung des gegen- seitigen Verkehrs, die in ihrer Wirkung und Anwendung erstaunlich vollkommen ist, sind die Kugeln des Weltalls in gleicher Weise tatsächlich miteinander verbunden. Diese und unzählige andere Wunder der Schöpfung werden in strenger Übereinstimmung mit den Gesetzen der Natur, welche die Gesetze Gottes sind, vollbracht. Nun aber müssen wir zurückkommen zu einer weiteren Betrachtung der besondern Kundgebungen der geistigen Gaben in der Kirche.

') Josua 5:13—14.

Art. 7.] Geistige Gaben. 271

12. Eine vollständige Aufzählung der Gaben des Geistes

kann von dem Menschen nicht gemacht werden, so unzählig, so weitreichend sind des Vaters Gaben für seine Kinder. Jedoch sind die gewöhnlichem dieser geistigen Kund- gebungen von göttlich erleuchteten Verfassern der Heiligen Schrift und durch das sichere Wort der Offenbarung genau angegeben worden. Paulus an die Heiligen zu Korinth,i) und Moroni,^) seinen letzten Mahnruf an die Lamaniten schreibend, und die Stimme des Herrn an das Volk seiner Kirche in dieser Dispensation^) bezeichnen viele der großen Gaben des Geistes. Aus diesen Schriften erfahren wir, daß jeder Mensch irgend eine Gabe von Gott empfangen hat; aber bei der großen Mannigfaltigkeit der Gaben bekommen nicht alle Menschen die gleichen. ,, Einigen ist es gegeben durch den Heiligen Geist dieVerschiedenheit der Spendungen zu erkennen, * * * Und wiederum ist es einigen gegeben, durch den Heiligen Geist die Verschiedenheiten der Wirkungen zu erkennen, ob sie von Gott sind, daß die Kundgebungen des Geistes jedermann gegeben werden mögen, daraus Nutzen zu ziehen. Und abermals sage ich euch: einigen ist durch den Geist des Herrn das Wort der Weisheit gegeben worden ; andern das Wort der Erkenntnis, damit alle belehrt werden können, selbst weise zu werden und Erkenntnis zu erlangen. Ja, einigen ist es gegeben, daß sie Glauben haben, geheilt zu werden, und andern der Glaube, zuheilen; oder einigen ist es gegeben, Wunder zu tun, andern zu prophezeien, andern Geister zu unter- scheiden; einigen wiederum in fremden Zungen zu reden, und andern dagegen die Zungen auszulegen; alle diese Gaben aber kommen von Gott zu Nutz und Frommen der Menschenkinder."*)

') 1. Korinther 12:4—11.

») Moroni 10:7—19.

=) Letire u. Bündn. 46:8—29.

*) L. u. B. 46:11—26; siehe auch 1. Korinther 12:4—11.

272 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.

13. Die Gabe der Zungen und der Auslegung der Zungen. Die Gabe der Zungen bildete eine der ersten wunderbaren Kundtuungen des Heiligen Geistes bei den alten Aposteln. Sie wurde vom Heiland mit eingeschlossen, als er die besonderen Zeichen erwähnte, die bestimmt waren, den Gläubigen zu folgen. „In meinem Namen", sagte er, „werden sie mit neuen Zungen reden. "^) Die schnelle Erfüllung dieser Verheißung durch die Apostel selbst wurde am folgenden Pfingstfest verwirklicht, als sie da sie sich an einem Ort versammelt hatten mit dem Heiligen Geist erfüllt wurden und anfingen in fremden Zungen zu reden.-) Als die Tür des Evangeliums den Heiden zuerst geöffnet wurde, erfreuten sich die Bekehrten des Heiligen Geistes, der auf sie gefallen war, und der ihnen Äußerung in Zungen gab. 3) Diese und andere Gaben taten sich auch unter gewissen Jüngern zu Ephesus*) kund, als sie den Heiligen Geist empfingen. In unserer Zeit wird diese Gabe, die den Heiligen wieder verheißen worden ist, öfters ausgeübt. Ihre Hauptanwendung liegt mehr im Aussprechen von Lob als im Unterricht und Predigen; dies stimmt überein mit der Lehre Pauli: „Denn der mit Zungen redet, der redet nicht den Menschen, sondern Gott."^) Eine außergewöhnhche Kundgebung dieser Gabe erfolgte bei der schon erwähnten Bekehrung der Juden an Pfingsten, als die Apostel zur Volksmenge sprachen und von all den verschiedenen Anwesenden verstanden wurden ; denn jeder Zuhörer vernahm ihre Belehrungen in seiner eigenen Sprache.^) Aber diese besondere Gabe stand hier mit höheren Ausstattungen der Kraft in Verbindung; die

•) Markus 16:17, 18. -) Apostelgesch. 2:4. ') Apostelgesch. 10:46. *) Apostelgesch. 19:6. ') 1. Korinther 14:2. '> Apostelgesch. 2:6 12.

Art. 7] Geistige Gaben. 273

Gelegenheit war eine des Unterrichts, der Ermahnung und der Prophezeiung. Die Gabe der Auslegung der Zungen kann derjenige, der mit Zungen redet, besitzen, obwohl es allgemeiner ist, daß die zwei Gaben von zwei verschiedenen Personen ausgeübt werden.

14. Die Gabe der Heilung wurde zur Zeit des Heilandes und seiner Apostel allgemein ausgeübt; fürwahr, die Heilungen bildeten bei weitem den größten Teil der damals vollbrachten Wunder. Durch bevollmächtigtes Wirken wurden den Blinden die Augen geöffnet, die Stummen redeten, die Tauben hörten, die Lahmen hüpften vor Freude, leidende Menschen, durch Gebrechlichkeiten ge- beugt, wurden wieder aufgerichtet und genaßen zur Jugendkraft, die Gichtbrüchigen wurden gesund gemacht, Aussätzige wurden gereinigt, Hinfälligkeit wurde ver- bannt und Fieber gestillt. In dieser Dispensation der Fülle der Zeiten besitzt die Kirche diese Kraft und sie äußert sich unter den Heiligen öfters. Tausende von Empfängern derselben können Zeugnis geben von der Erfüllung der Verheißung des Herrn, daß, wenn seine Diener die Hände auf die Kranken legen, diese genesen werden.^)

15. Die übliche Art und Weise der Segnung der Kranken besteht im Auflegen der Hände derer, welche die erforderliche Vollmacht des Priestertums besitzen; dies stimmt überein mit den Unterweisungen des Heilands in frühern Tagen^) und entspricht auch der göttlichen Offen- barung in unsrer Zeit. 3) Diesem Teil der Verordnung geht gewöhnlich eine Salbung mit zuvor geweihtem Öl voran. Die Heiligen der letzten Tage bekennen sich zu dem Rat, den Jakobus vor alters gab:*) ,,Ist jemand krank, der rufe

') Markus 16:17, 18; siehe auch Lehre u. Bündn. 84:68. ') Siehe ') und auch Jakobus 5:14—15. ») L. u. B. 42:43^44. *) Jakobus 5:14 15.

274 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.

ZU sich die Ältesten von der Gemeinde und lasse sie über sich beten und salben mit Öl in dem Namen des Herrn. Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und so er hat Sünden getan, werden sie ihm vergeben sein."

16. Obwohl die Vollmacht, die Kranken zu segnen, den Ältesten der Kirche ganz allgemein gehört, besitzen einige diese Gabe in einem außergewöhnlichen Maße, denn sie haben sie als eine besondre Gabe des Geistes empfangen. Eine andre Gabe, mit dieser verwandt, ist die Kraft, den Glauben auszuüben, geheilt zu werden,^) die sich in ver- schiedenen Graden äußert. Nicht immer folgen den Segnungen der Ältesten unmittelbare Heilungen ; es mag erlaubt werden, daß die Kranken im Körper leiden womöglich um göttliche Absichten zu verwirkHchen ;2) und in der vom Herrn bestimmten Zeit müssen seine Kinder den körperlichen Tod durchmachen. Aber man befolge den Rat Gottes bei der Segnung der Kranken: wenn sie dann genesen, leben sie dem Herrn; ferner wird die ver- sichernde Verheißung hinzugefügt, daß die, welche unter solchen Umständen sterben, dem Herrn sterben. 3)

17. Gesichte und Träume waren in jeder Dispensation des Priestertums ein Mittel der Verbindung zwischen Gott und seinen Kindern. Im allgemeinen werden Gesichte den wachen Sinnen geoffenbart, während Träume im Schlaf gegeben werden. Im Gesicht aber kann derart auf die Sinne gewirkt werden, daß der Mensch fast bewußtlos wird oder wenigstens gewöhnliche Vorkommnisse vergißt, während er die himmlische Kundgebung wahrnehmen kann. In früheren Dispensationen teilte der Herr die

1) Lehre u. Bündn. 46:19- 42:48 51 ; siehe auch Apostelgesch. 14:9; Matthäus 8:10; 9:28—29.

*) Denken wir z. B. an Hiob. ») L. u. B. 42:44 16.

Art. 7.] Geistige Gaben. 275

Ereignisse der Zukunft selbst bis auf das letzte Geschlecht durch Träume und Gesichte häufig mit, und offenbarte sie so oftmals seinen Propheten. Von den unzähligen Fällen wollen wir nur einige wenige anführen. Betrachten wir den Fall mit Henoch,^) mit dem der Herr von Angesicht zu Angesicht sprach und ihm das Schicksal der mensch- lichen Familie bis zu und nach dem zweiten Kommen des Heilandes zeigte. Wegen seiner Rechtschaffenheit wurde der Bruder Jareds^) von Gott so gesegnet, daß ihm alle Einwohner der Erde, sowohl die, die schon gelebt hatten, als auch die, die folgen sollten, gezeigt wurden. Dem Propheten Mose wurde der Wille Gottes mit der sichtbaren Kundgebung von Feuer bekannt gemacht. 3) Durch Träume bekam Lehi seine Unterweisungen, Jerusalem zu verlassen;*) und bei vielen spätem Gelegenheiten stand der Herr durch Gesichte und Träume mit diesem Patri- archen der westlichen Welt in Verbindung. Die Propheten des Alten Testaments wurden im allgemeinen ebenso begünstigt; z. B. Jakob, der Vater des ganzen Israels ;5) Hiob der Mann der Geduld in Trübsal;^) Jeremia,') Hesekiel,8) Daniel,^) Habakuk,!») Sacharja.^i)

18. Die Dispensation Christi und seiner Apostel war durch gleiche Kundgebungen gekennzeichnet. Die Geburt Johannes des Täufers wurde seinem Vater vorausgesagt,

') Köstl. Perle, Moses 6:27—39.

') Ether 3.

') 2. Moses 3:2.

«) 2. Nephi 2:2—4.

') 1. Mose 46:2.

•) Hiob 4:12—21.

') Jeremia 1:11 16.

') Hesekiel 1; 2:9—10; 3:22—23; 8; 27:1—10 usw.

») Daniel 7 und 8. '•) Habakuk 2:2—3. ") Sacharja 1:8—11, 18—21; 2:1—2; 4; 5; 6:1—8.

276 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.

während er priesterliche Verrichtungen vollzog.^) Joseph, mit der Jungfrau Maria verlobt, bekam durch den Besuch eines Engels^) die Kunde von Christus, der noch geboren werden sollte; und bei späteren Gelegenheiten bekam er Warnungen und Unterweisungen in Träumen betreffs der Wohlfahrt des heiligen Kindes.^) Als die Weisen von ihrer Wallfahrt der Verehrung zurückkehrten, wurden sie durch Träume vor den hinterlistigen Absichten des Herodes gewarnt.^) In einem Gesichte wurde dem Saulus von Tarsus der Bote gezeigt, den ihm der Herr entgegenzu- schicken beabsichtigte, um in den Verordnungen des Priestertums zu amtieren,^) und andere Gesichte folgten ihm.^) Durch ein Gesicht wurde Petrus auf das Wirken unter den Heiden vorbereitet;') und Johannes wurde in dieser Hinsicht von Gott so begünstigt, daß das ganze Buch der Offenbarung von diesem Bericht angefüllt ist. 19. Die meisten in den Schriften berichteten Gesichte und Träume sind dem auserwählten Volke durch das dienende Priestertum gegeben worden ; es gibt aber außer- gewöhnliche Fälle solcher Kundgebungen an einige, die zu der Zeit noch nicht in die Herde eingetreten waren. Dies war z. B, der Fall mit Saulus und Kornelius; aber in diesen Fällen bereiteten die göttlichen Kundgebungen die Bekehrung unmittelbar vor. Träume von besondrer Be- deutung wurden Pharaoh,^) Nebukadnezar^) und andern gegeben ; aber es bedurfte einer höheren Macht als die ihrige, um sie auszulegen; und Joseph und Daniel wurden berufen,

') Lukas 1:5 22.

") Matthäus 1:20.

») Matthäus 2:13, 19, 22.

-) Matthäus 2:12.

') Apostelgesch. 9:12.

•) Apostelgesch. 16:9; 18:9—10; 22:17—21.

') Apostelgesch. 10:10—16; 11:5—10.

*) 1. Mose 41 ; siehe andere Fälle in 1. Mose 41.

•) Daniel 2.

Art. 7.] Geistige Gaben. 277

diesen Dienst zu versehen. Der dem Soldaten der Midianiter gegebene Traum und die Deutung von seinem Gefährten,^) die den Sieg Gideons anzeigte, waren wahre Kund- gebungen, ebenso auch der Traum der Frau des Pilatus,^) wodurch sie die Unschuld des verklagten Christus erfuhr. 20. Die Gabe der Prophezeiung macht ihren Besitzer zu einem Propheten buchstäblich zu einem, der für einen andern redet; besonders aber zu einem, der für Gott redet. 3) Sie wird von Paulus als eine der begehrens- wertesten geistigen Gaben bezeichnet, und ihr Hervorragen über die Gabe der Zungen behandelt er ausführlich.*) Prophezeien heißt: das Wort Gottes und die Erklärung seines Willens empfangen und dem Volke verkündigen. Die Funktion der Voraussagung, die oft als das einzige Wesentliche der Prophezeiung angesehen wird, ist nur eines der vielen Merkmale dieser von Gott gegebenen Macht. Der Prophet kann sich ebensoviel mit der Vergangen- heit abgeben, als mit der Gegenwart oder der Zukunft; er kann seine Gabe ausüben sowohl in der Belehrung durch das Licht und die Erfahrung vergangener Ereignisse als auch im Voraussagen von Ereignissen. Die Propheten Gottes haben bei ihm immer in besondrer Gunst gestanden, da sie stets bevorrechtet waren, seinen Willen und seine Absichten zu erfahren, sogar wurde die Verheißung gegeben, daß der Herr nichts tun werde, es sei denn, er offenbare seine verborgenen Absichten seinen Dienern, den Propheten.^) Also stehen auserwählte Mundstücke als Vermittler zwischen Gott und den Menschen und ver- wenden sich für oder gegen sie.^)

') Richter 7:13—14. ') Matthäus 27:19. ') Siehe Anmerliung 2. «) 1. Korinther 14:1—9. ') Arnos 3:7.

') 1. Könige 18:36—37; Römer 11:2—3; Jakobus 5:16 18; Offen- barung Joh. 11:6.

278 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.

21. Es ist keine besondre Ordination zum Priestertum notwendig, damit ein Mensch die Gabe der Prophezeiung empfange. Träger der melchizedekischen Ordnung, Adam, Noah, Mose und viele andre waren wahrlich Propheten, aber ebenso waren es auch viele, die nur die aaronischen Verrichtungen allein ausübten, wie z. B. die meisten Priester des Alten Testaments nach der Zeit Moses, und dann Johannes der Täufer. i) Die Dienste der Prophetinnen Mirjam^) und Debora^) zeigen, daß auch Frauen diese Gabe besitzen können. Zur Zeit Samuels wurden die Propheten zu einer besondern Ordnung organisiert, zur Förderung des Studiums und der Fortbildung.*)

22. In der gegenwärtigen Dispensation erfreut man sich dieser gr.oßen Gabe in einer Fülle, der Fülle irgend einer vorhergehenden Zeit gleich. Der Wille des Herrn inbezug auf die gegenwärtigen Pflichten wird seinem Volke durch den Mund der Propheten bekannt gemacht, und Ereignisse von großer Wichtigkeit werden vorausgesagt.^) Die bloße Tatsache, daß die Kirche heute da ist und stetig zunimmt, ist ein unbestreitbares Zeugnis der Macht und Zuverlässig- keit neuzeitlicher Prophezeiung. Die Heiligen der letzten Tage bilden eine Körperschaft, die Hunderttausende zählt, die Zeugnis geben von den Wirkungen dieser einen großen Gabe Gottes.

23. Offenbarung ist der Weg, auf dem der Wille Gottes den Menschen unmittelbar und in seiner Fülle erklärt wird. Unter Umständen, die den Absichten Gottes am besten passen, im Schlafe durch Träume oder durch Gesichte in wachendem Zustand, durch Stimmen ohne sichtbare Er-

') Matthäus 11:8—10.

■) 2. Mose 15:20.

') Richter 4:4.

') Siehe Anmerkung 3.

^) Lehre u. Bündn. 1:4;

Art. 7.] Geistige Gaben. 279

scheinungen oder durch die tatsächliche sichtbare Offen- barung der Gegenwart des Heiligen macht Gott sein Vorhaben bekannt und beauftragt seine auserwählten Gefäße, die so mitgeteilten heiligen Botschaften weiter- zugeben. Unter dem Einfluß der Erleuchtung oder ihrer mächtigern Kundgebung, der Offenbarung, wird das Gemüt des Menschen erleuchtet und seine Kraft zum Vollbringen von Wundern im Werk des menschlichen Fortschritts geweckt; mit einem Funken von dem himmlischen Altar berührt, nährt er das heilige Feuer in seiner Seele und teilt es andern mit, je nachdem er dazu geleitet wird. Dies ist der Weg, auf dem der Wille Gottes übermittelt wird. Die Worte desjenigen, der durch Offenbarung in ihrer höchsten Form spricht, sind nicht seine eigenen ; sie sind die Worte Gottes selbst; das menschliche Sprachrohr ist nur der vertraute Ubermittler dieser himmlischen Botschaften. Mit dem bevollmächtigten ,,So spricht der Herr!" übergibt der Offenbarer die seiner Sorge anvertraute Last.

24. Wenn der Herr seinen Dienern Offenbarung gibt, verfährt er streng nach den Grundsätzen der Ordnung und der Angemessenheit. Obwohl es das Vorrecht jedes Menschen ist, so zu leben, daß er diese Gabe in den An- gelegenheiten seiner besondern Berufung verdient, sollen nur diejenigen, die zu den Ämtern der Präsidentschaft berufen und ordiniert werden. Offenbarer für das ganze Volk sein. Inbezug auf den Präsidenten der Kirche damals als folgende Offenbarung gegeben wurde, war es der Prophet Joseph Smith sagte der Herr zu den Ältesten der Kirche: ,,Und das sollt ihr für bestimmt wissen: wenn er in mir verbleibt, ist kein anderer für euch berufen, Gebote und Offenbarungen zu empfangen, bis er hinweggenommen wird, * * * Und das soll ein Gesetz unter euch sein, daß ihr nicht die Lehren von irgend jemand, der zu euch kommen wird, als Offenbarung und

280 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.

Gebote aufnehmt; und ich gebe es euch, damit ihr nicht betrogen werdet, und damit ihr wissen möget, daß sie nicht von mir sind,"^)

25. Das Zeugnis der Wunder. Die Verheißung des Heilandes in früheren Tagen^) sowohl als in der gegen- wärtigen Dispensation^) geht ausdrücklich dahin, daß gewisse Gaben des Geistes den Gläubigen als Zeichen der göttlichen Gunst folgen sollen. Der Besitz und die Aus- übung solcher Gaben können somit als wesentliche Merk- male der Kirche Christi betrachtet werden.*) Trotzdem sind wir nicht berechtigt, das Zeugnis der Wunder als unfehlbaren Beweis der Vollmacht vom Himmel an- zusehen, denn die heiligen Schriften bestätigen zur Genüge, daß auch geistige Mächte niederer Art Wunder gewirkt haben und fortfahren werden es zu tun, so daß viele, denen es an Einsicht mangelt, getäuscht werden. Wenn Wunder als ein untrüglicher Beweis der göttlichen Macht angenommen werden, haben die Zauberer Ägyptenlands durch die Wunder, die sie in ihrer Widersetzlichkeit gegen den zur Befreiung Israels verordneten Plan vollbrachten, ebensoviel Anspruch auf unsere Beachtung wie Mose.^) In einem Gesicht sah Johannes der Offenbarer eine böse Macht große Wunder wirken sogar Feuer vom Himmel fallen lassend wodurch viele verleitet wurden.^) Wiederum sah er drei unsaubere Geister, die, wie er wußte, „Geister der Teufel" waren, „die taten Zeichen".')

26. In Verbindung mit vorstehendem betrachte man die Voraussagimg des Heilandes: „Denn es werden falsche Christi und falsche Propheten aufstehen und

') Lehre u. Bündn. 43:3, 5 6.

») Markus 16:17—18.

') L. u. B. 84:65—75.

♦) Siehe Anmerkungen 4 und 5.

») 2. Mose 7 bis 9.

M Offenbarung Joh. 13:11—18.

') Offenbanmg Joh. 16:13—14.

Art. 7.] Geistige Gaben, 281

große Zeichen und Wunder tun, daß verführet werden in den Irrtum (wo es möglich wäre) auch die Auserwähl- ten."^) Die Unzulänglichkeit der Wunder als Beweis der Rechtschaffenheit wird in einer Äußerung Jesu Christi über die Ereignisse des großen Gerichts erklärt: „Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr, Herr! haben wir nicht in deinem Namen geweissagt, haben wir nicht in deinem Namen Teufel ausgetrieben, haben wir nicht in deinem Namen viele Taten getan? Dann werde ich ihnen bekennen: Ich habe euch noch nie erkannt; weichet alle von mir, ihr Übeltäter !"2) Die Juden, an die diese Belehrungen gerichtet waren, wußten, daß Wunder auch durch böse Mächte gewirkt werden konnten, denn sie beschuldigten Christus, er tue seine Wunder durch die Macht Beelzebubs, der Teufel Obersten. 3)

27. Wäre das Vollbringen von Wundern ein sicheres Kennzeichen des heiligen Priestertums, so müßten wir das Zeugnis wunderbarer Kundgebungen in Verbindung mit dem Werke jedes Propheten und jedes bevollmächtigten Dieners des Herrn erwarten. Doch finden wir bei Sacharja, Maleachi und andern Propheten der alten Zeit keinen Bericht über Wunder, im Gegenteil, von Johannes dem Täufer, den Christus für mehr als einen Propheten erklärte^) wurde deutlich gesagt, daß er keine Wunder tat;^) nichts- destoweniger heißt es, daß die ungläubigen Juden durch Verwerfung der Lehre Johannes des Täufers den Rat Gottes wider ihre eigenen Seelen verachteten.*) Um als Zeugnis der Wahrheit gelten zu können, müssen Wunder im Namen Christi und zu seiner Ehre, zur Förderung des

») Matthäus 24:24.

*) Matthäus 7:22—23.

') Matthäus 12:22—30; Markus 3:22; Lukas 11:15.

*) Matthäus 11:9.

») Johannes 10:41.

•) Lukas 7:30.

282 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.

Plans der Seligkeit vollbracht werden. Wie erklärt wurde, werden sie nicht gegeben, um die Neugierigen und Lüsternen zu befriedigen, auch nicht als ein Mittel um den, der sie voll- bracht hat, berühmt zu machen. Diese Gaben des wahren Geistes werden zur Unterstützung der Botschaft vom Himmel und zur Bestätigung der mit Vollmacht gespro- chenen Worte gegeben.

28. Nachahmungen geistiger Gaben. Die schon an- geführten Beweise wunderbarer Taten durch andre Mächte als die von Gott, und die Voraussagungen in der Schrift betreffs solcher trügerischen Kundgebungen in den letzten Tagen sollten uns eine Warnung vor falschen Nach- ahmungen der Gaben des Heiligen Geistes sein. Satan hat gezeigt, daß er ein vollendeter Meister in der Nachahmung ist; die beklagenswertesten seiner Siege sind seinem Vor- spiegeln des Guten zuzuschreiben, wodurch die Einsichts- losen in seine Knechtschaft gerieten. Wir wollen nicht durch den Gedanken irregeleitet werden, daß irgendeine Tat, deren unmittelbare Folge wohltuend zu sein scheint, notwendigerweise an ständigem Glück fruchtbar sei. Es kann sogar den finstern Endzwecken des Erzfeindes dienen, sein Spiel mit dem menschlichen Gefühl für Gutes, bis zur Heilung des Körpers und dem anscheinenden Widerstand gegen den Tod zu treiben.

29. Der Wiederherstellung des Priestertums auf Erden in diesem Zeitalter der Welt folgte ein außergewöhnlich schnelles Zunehmen der Irrlehren des Spiritismus,^) wo- durch viele verleitet worden sind, ihr Vertrauen auf Satans Gegenstück der ewigen Kraft Gottes zu setzen. Die Ent- wicklung der Gabe der Heilung in der Kirche heutzutage wird von Heilungen durch Glauben und ihren unzähligen Abänderungen in einem Grade nachgeahmt, der mit dem

') Spiritismus = Geisterglaube, oder besser: Geisterschwindel, Tisch- klojpferei usw. D. tJ.

Art. 7.] Geistige Gaben. ' 283

Grade vergleichbar ist, in dem die Zauberer die Wunder Moses nachahmten. Für den, dem wunderbare Zeichen allein genügen, wird das Nachgeahmte ebenso genügen wie das Echte. Die Seele aber, die das Wunder seinem wahren Wesen nach nur als einen Teil des Planes Christi ansieht, das nur dann als bestimmtes Unterscheidungs- zeichen von Wert ist, wenn es mit vielen andern Merkmalen der Kirche verbunden ist, wird nicht getäuscht werden. 30. Geistige Gaben in der Kirche heutzutage. Die Heiligen der letzten Tage behaupten, innerhalb der Kirche alle Zeichen zu besitzen, die den Gläubigen verheißen wurden. Sie verweisen auf die nicht in Frage zu stellenden Zeugnisse Tausender, die mit unmittelbaren und persön- lichen Kundgebungen himmlischer Kraft gesegnet worden sind; auf die einst Blinden und Tauben, Lahmen und körperlich Schwachen, die durch ihren Glauben und das Amtieren der Priesterschaft von ihren Gebrechlichkeiten befreit worden sind ; auf Unzählige, die in ihnen natürlich fremden Zungen ihren Zeugnissen Ausdruck verliehen haben, oder die durch eine merkwürdige Gewandtheit in fremden Sprachen den Besitz dieser Gabe bewiesen haben, wenn eine solche zu der Erfüllung ihrer Pflichten als Prediger des Wortes Gottes notwendig war; auf viele andre, die sich des Verkehrs mit himmlischen Wesen erfreut haben ; auf noch andre, die in Worten, welche eine schleunige Bestätigung in ihrer buchstäblichen Erfüllung gefunden, prophezeit haben; und auf die Kirche selbst, deren Wachstum geleitet worden ist durch die Stimme ihres göttlichen Führers, wie es durch die Gabe der Offen- barung bekannt gemacht wurde.^)

*) Siehe Anmerkung 7.

284 Die Glaubensartikel. [Vorl. XII.

Anmerknngen.

1. Ein scheinbares Wunder. Vor mehreren Jahren besuchte ein bekannter deutscher Gelehrter, Herr Werner Siemens, die PjTamide zu Gizeh, und von zwei arabischen Führern begleitet, stieg er auf ihren Gipfel. Er bemerkte, daß die Luft- und Witterungsverhältnisse für elektrische Kundgebvmgen sehr günstig waren. Er befestigte einen großen Messingknopf an einer leeren Kürbisflasche in den Händen eines der Araber, dann stellte er seine Fingerknöchel in eine kurze Entfernung von dem Knopfe und zog eine Reihe leuchtender Funken davon, die natürlicherweise von dem krachenden, dem elektrischen Entladen eigentümlichen Knallen begleitet wiu-den. Die Führer sahen diese Äußerung übernatürlicher Kräfte mit Erstaunen und Schrecken an, die den Höhepunkt erreichten, als ihr Meister seinen Stab über seinen Kopf streckte und der Stock von schönem St. Elmsfeuer überdeckt wurde. Dieser Anblick war mehr, als die aber- gläubischen Beduinen ertragen konnten; sie zitterten vor einem Zauberer, der mit Blitz und Feuer spielen konnte wie mit einem Spielzeug, und der den Donner im kleinen in seiner Rocktasche trug; so flohen sie mit gefähr- licher Überstürzung die Treppen hinunter und verschwanden bald in der Wüste.

2. Der Ausdruck „Prophet" erscheint in der englischen Bibel als die Übersetzung einer Zahl alter Ausdrücke, von welchen nabhi (hebräisch) „sprudeln wie ein Bnmnen" bedeutet, der gewöhnlichste ist. Ein andres der m-sprünglichen Wörter ist rheo (griechisch), es bedeutet „fließen", und durch Abstammung, „heraussprechen", „äußern", „erklären". Ein Prophet ist also ein Mensch, dem die Worte einer höheren Autorität entströmen. Von Aaron wird gesprochen als von einem Propheten oder Wortführer unter Mose (2. Mose 7:1); aber in dem gewöhnlichen Sinn ist der Prophet der Vertreter Gottes. Mit der Berufimg eines Propheten ist die eines Sehers sehr eng verbunden; zwar vor der Zeit Samuels war die allgemeine Benennung des Orakels Gottes „Seher": „Denn die man jetzt Propheten heißt, die hieß man vorzeiten Seher" (1. Samuel 9:9). Dem Seher wiu-de erlaubt, die Gesichte Gottes zu sehen; dem Propheten, die in dieser Weise erfahrenen Wahrheiten zu verkünden ; die zwei Berufungen wurden gewöhnlich in demselben Mann vereinigt. Mit dem Propheten und dem Seher stand der Herr gewölinlich in Träumen und Gesichten in Ver- bindung; aber eine Ausnahme von dieser Regel wurde bei Mose gemacht, der so getreu und so groß in allen guten Dingen war, daß der Herr die gewöhnhchen Mittel ablegte und sich seinem Diener von Angesicht zu Angesicht offenbarte. (4. Mose 12:6 8.)

3. Die Propheten organisiert. Das Prophetenamt bestand unter den Menschen schon in den frühsten Zeiten der Geschichte. Adam war ein Prophet (Lehre u. Bündn. 107:53 56); ebenso Henoch (Judas 14; Köstl. Perle, Moses 6:26 27), Noah (1. Mose 6, 7; Köstl. Perle, Moses 8:19, 23—24; 2. Petrus 2:5), Abraham (1. Mose 20:7); Mose (5. Mose 34:10), und eine große Zahl andrer, die zu gleicher imd spätrer Zeit amtierten. Samuel, der vor den Augen des ganzen Israels als ein Prophet des Herrn eingesetzt wurde (1. Samuel 3:19—20), organisierte die Propheten in einen Verein zum aUgemeinen Unterricht und gemeinsamer Erbauung. Er gründete Schulen für die Propheten, theologische Bildungsanstalten, wo Männer in den Dingen heiliger Ämter ausgebildet wurden; die Schüler

Art. 7.] Anmerkungen. 285

wurden gewöhnlich „die Kinder der Propheten" genannt (1. Könige 20:35; 2. Könige 2:3, 5, 7; 4:1. 38; 9:1). Solche Schulen wurden zu Rama (1. Sa- muel 19:19—24), Bethel (2. Könige 2:3), Jericho (2. Könige 2:5), Gilgal (2. Könige 4:38) eingerichtet. Die Mitglieder scheinen wie ein Verein zusammen gelebt zu haben (2. Könige 6:1 4). In der gegenwärtigen Dispensation wurde eine ähnliche Organisation unter der Leitung des Propheten Joseph Smith zustande gebracht; diese bekam ebenfalls den Namen „die Schule der Propheten".

4. Die Abnahme geistiger Gaben in frühem Tagen wird von vielen maßgebenden Schriftstellern der Kirchengeschichte und der christlichen Lehre anerkannt. Als ein Beispiel dieser Art Zeugnisse von dem Schwinden geistiger Gaben in der abgefallenen Kirche, dürfen die folgenden Worte John Wesleys angeführt werden: „Es scheint nicht, daß diese außerordent- lichen Gaben des Heiligen Geistes länger als 200 oder 300 Jahre in der Kirche allgemein gewesen sind. Wir hören selten von ihnen nach jener verderbenbringenden Zeit, als Kaiser Konstantin sich einen Christen nannte, um aus eitler Einfcildmig die christliche Sache dadurch zu fördern, und Reich- tum, Macht und Ehre auf die Christen im allgemeinen und auf die christUche Geistlichkeit im besondern häufte. Von diesei Zeit an hörten sie fast gänzUch auf; sehr wenige derartige Fälle wurden gefunden. Die Ursache dafür bestand nicht, wie angenommen worden ist, darin, daß es für sie keine Veranlassung mehr gegeben habe, weil die ganze Welt christUch geworden war. Dies ist ein erbärmlicher Irrtum ; nicht der zwanzigste Teil waren damals dem Namen nach Christen. Die walu-e Ursache dafür war, daß die Liebe in vielen in fast allen sogenannten Christen erkaltet war. Die Christen hatten nicht mehr von dem Geiste Christi als die übrigen Heiden. Des Menschen Sohn, käme er dazu, seine Kirche zu untersuchen, würde Glauben auf der Erde kaum finden können. Dies war der wahre Grund, warum die außerordent- lichen Gaben des Heiligen Geistes nicht länger in der christlichen Kirche zu finden waren: weil die Christen wieder Heiden geworden waren, und nur noch eine tote Form hatten." Wesley's Works, VII, 89; 26 27.

5. Sektiererische Ansichten von der Fortdauer oder Abnahme der geistigen Gaben. „Protestantische Schriftsteller bestehen darauf, das Zeitalter der Wunder sei mit dem 4. oder 5. Jahrhundert zu Ende gegangen, imd nach dieser Zeit dürften die außerordentlichen Gaben des Heiligen Geistes nicht mehr erwartet werden. Anderseits behaupten die katholischen Schriftsteller, die Kraft, Wunder zu vollziehen, habe in der Kirche fort- bestanden, doch jene geistigen Kundgebungen, die sie nach dem 4. und 5. Jahrhundert beschreiben, haben einen Anstrich von Erdichtung seitens der Priester und kindischer Gläubigkeit von selten des Volkes; oder auch das, was man als wunderbar vorbringt, entspricht nicht der Kraft und Würde jener geistigen Kundgebungen, von denen Zeuge zu sein, die ur- sprüngliche Kirche gewohnt war. Die dem Gebeine und andern heiligen Überresten der MärtjTer und Heiligen zugeschriebenen Kräfte und Wunder sind kindisch im Vergleich zu den Heilungen durch das Salben mit öl und das Auflegen der Hände; im Vergleich mit Zungenreden, Auslegungen der Zungen, Prophezeiungen, Offenbarimgen, Austreibimg von Teufeln im Namen Jesu Christi, ganz zu schweigen von den Gaben des Glaubens, der Weisheit, der Erkenntnis, der Unterscheidung von Geistern usw., die in den Tagen der Apostel in der K'rche allgemein waren (1. Korinther 12:8-10). Es gibt weder in der Schrift noch in der Vernunft etwas, das uns ver-

286 Die Glaubensarükel. [Vorl. XII.

anlassen könnte zu glauben, diese Gaben sollten aufhören. Dennoch wird von den heutigen Christen eingewendet um das Fehlen dieser geistigen Gaben unter ihnen zu erklären diese außerordentlichen Gaben des Heiligen Geistes seien nur bestimmt gewesen, die Verkündigung des Evan- geliums während der ersten Jahrhunderte zu begleiten, bis die Kirche ohne sie vonvärts kommen könnte, und dann sollten sie abgeschafft werden. Es genügt, hierüber zu bemerken, daß dies ganz und gar auf menschlicher Annahme beruht und keine Berechtigung durch die Schrift oder richtige Vernunft findet; es beweist, daß die Menschen die Religion Jesu Christi so weit geändert hatten, daß sie zur Form der Gottseligkeit wurde, ohne ihre Kraft zu besitzen." Ältester B. H. Roberts, „Outlines of Ecclesiastical History", part II, soc. V. 6 8.

6. Wunder eine Hilfe zu geistioem Wachstum. Über die Äußerung Pauli betreff des Aufhörens gewisser geistiger Gaben (1. Korinther 13) schreibt der Apostel Orson Pratt u. a. was folgt: „Die Kirche in ihrem kämpfenden imd unvollkommenen Zustand im Vergleich mit ihrem sieg- reichen unvergänglichen und vollkommenen Zustand wird (in dem 11. Vers) durch die zwei sehr verschiedenen Stände der Kindheit und der Mannheit dargestellt. ,Da ich ein Kind war,' sagt Paulus, ,da redete ich wie ein Kind und war klug wie ein Kind und hatte kindische Anschläge; da ich aber ein Mann ward, tat ich ab, was kindisch war.' In den verschiedenen Stufen der Ausbildung von der Kindheit bis zur Mannheit werden gewisse unentbehr- liche Regeln und Risse und genaue Werkzeuge für den Gebrauch und den Nutzen des Schülers angewandt, daß er sich eine richtige Kenntnis von den Wissenschaften aneigne, und in seinen Studien vollständig unterrichtet werde. Nachdem die Grundsätze einmal erlernt sind, imd der Schüler in jedem Fach der Ausbildung vollkommen tinterrichtet worden ist, kann er viele seiner Landkarten, seiner Tafeln, seiner Weltkugeln, seiner Bücher, seiner Skizzen usw. entbehren, denn wie kindische Dinge, sind sie nicht län- ger notwendig; solange seine Ausbildung noch nicht vollständig war, waren sie nützUch, um die erwünschte Kenntnis zu geben, aber nun, da sie ihren Zweck erfüllt haben, braucht er ihre Hilfe nicht mehr. * * * So ist es auch in der Kirche inbezug auf geistige Gaben. Solange sie in diesem Daseins- zustande ist, wird sie als ein Kind dargestellt; Prophezeiung, Offen- barungen, Zungenreden imd andere geistige Gaben sind die Mittel zur Ausbildung. Ebensowenig als der Chemiker in seinen Forschungen voll- ständig imterrichtet werden könnte, wenn ihm die zu seinen Versuchen notwendigen Vorrichtungen entzogen wären, kann das Kind, oder die Kirche, ohne die Hilfe dieser Gaben als Mittel in ihrer Ausbildung vervoU- komnmet werden. Wie der Chemiker sein Laboratorium zu Experimenten braucht, solange es imentdeckte Wahrheiten inbezug auf die Grundstoffe und Zusammensetzungen unserer Erdkugel gibt, so braucht auch die Kirche das große Laboratoriimi der geistigen Kenntnis nämlich Offenbarung und Prophezeiung solange ihr Wissen Stückwerk ist. * * * Gleichwie ein Mensch als Kind wie ein Kind redet, wie ein Kind versteht und kindische Anschläge hat, also ist auch das Wissen der Kirche auf dieser Stufe des Daseins Stückwerk; aber wie ein Kind, wenn es zum Manne wird, das Kindische abtut, also wird auch die Kirche, wie sie durch die Hilfe sol- cher kindischer Dinge wie ,das Stückwerk Weissagung', ,das Stückwerk Wissen' und ,das Stückwerk Erkenntnis' zu einem vollkommenen Menschen in Christo wird, diese Dinge ablegen ; das Stückwerk soll dann aufgehoben

Art. 7.] Anmerkungen. 287

werden oder sich mit der größeren Fülle der Erkenntnis, die dort herrscht, verschmelzen. ' „Divine Authenticity of the Book of Mormon", 1, 15.

Aber keine dieser Gaben wird abgeschafft werden, solange Grund für ihre Ausübung fortbesteht. Daß dies die Überzeugung des Apostels Orson Pratt war, dessen Worte oben angeführt werden, geht aus den folgenden Äußerungen desselben Meisters klar hervor: „Das Quälen diu-ch Teufel, die Verwirrung der Zungen, tödliche Gifte und Krankheit sind alles Flüche, die durch die Bosheit der Menschen in die Welt gekommen sind. Die Segnungen des Evangeliums sind gegeben, um diesen Flüchen entgegen- zuwirken. Deshalb, solange diese Flüche fortbestehen, sind auch die verheißenen Zeichen (Markus 16:16 18; Lehre u. Bündn. 84:65 72) notwendig, um die üblen Folgen jener zu verhindern. Hätte Jesus nicht beabsichtigt, daß die Segnungen inbezug auf die Zeit so weitreichend und unbegrenzt wie die Flüche selbst sein sollten, so hätte er in seinem Worte etwas in diesem Sinne angedeutet. Aber wenn er eine allumfassende Ver- heißung gewisser Kräfte macht, um es in der ganzen Welt jedem Men- schen, der an das Evangelium glaubt, zu ermöglichen, gewisse Flüche, die der Bosheit wegen auf die Menschen vererbt worden sind, zu überwinden, wäre es die reinste Art von Unglauben, die verheißene Segnung für unnötig zu halten, solange als die Flüche unter den Menschen so reichlich vor- handen sind.

7. Neuzeitliehe Kundgebungen. Die amtlich und beiläufig heraus- gegebenen Werke der Kirche sind voll von Fällen der wimderbaren Kund- gebungen während der gegenwärtigen Dispensation. Eine ganze Anzahl beglaubigter Berichte von solchen Fällen finden sich in Orson Pratt „Divine Authenticity of the Book of Mormon", Kapitel V; B. H. Roberts „A New Witness for God", Kapitel 18.

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288 Die Glaubensarükel. [Vorl. XIII.

Vorlesung XIII. Die Bibel.

Artikel 8. Wir glauben an die Bibel als das Wort Gottes, soweit sie richtig übersetzt ist ***.

1. Unsere Anerkennung der Bibel. Die Kirclie Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage anerkennt die Bibel als das erste und hervorragendste ihrer maßgebenden Lehrbücher und stellt sie unter den Büchern, die als ihre geschriebenen Führer in Sachen des Glaubens und der Lehre erklärt worden sind, an die vornehmste Stelle. Die Ehrerbietung und die Heiligkeit, womit die Heiligen der letzten Tage die Bibel betrachten, gleichen dem Bekenntnis der christlichen Glaubensgemeinschaften im allgemeinen. Sie unterscheiden sich von diesen nur dadurch, daß sie noch gewisse andere Schriften als maßgebend und heilig anerkennen, die jedoch mit der Bibel im Einklang stehen und ihre Tatsachen und Lehren unterstützen und bekräf- tigen. Es gilt daher auch nicht, eine besondere „Mormonen- Behandlung" der Bibel darzustellen. Die geschichtlichen und sonstigen Begebenheiten, auf denen der allgemeine Christenglaube an die Bibel beruht, werden von den Heiligen der letzten Tage ebenso vorbehaltlos angenommen, wie von den Mitgliedern irgend einer andern Glaubensgemein- schaft, und in der Buchstäblichkeit der Auslegung übertrifft diese Kirche wahrscheinlich alle andern.

2. Nichtsdestoweniger macht die Kirche einen Vor- behalt für den Fall einer fehlerhaften Übersetzung, die als eine Folge menschlicher Unfähigkeit entstehen kann.

Art. 8.] Die Bibel. 289

Aber selbst mit dieser Vorsichtsmaßregel stehen wir nicht allein, denn bibelkundige Gelehrte geben allgemein das Vorhandensein solcher Fehler von denen manche ganz augenscheinlich sind zu. Die Heiligen der letzten Tage glauben, daß die Urschriften das Wort Gottes an die Men- schen darstellen; und soweit diese Urschriften richtig übersetzt worden sind, werden die Übersetzungen als gleichberechtigt und -verpflichtend betrachtet. Indessen beansprucht z. B. die Englische Bibel nur eine durch menschhche Weisheit zustandegekommene Übersetzung zu sein; zu ihrer Bearbeitung wurden die gelehrtesten Männer herangezogen und doch ist bis heute keine ein- zige Ausgabe veröffentlicht worden, in der selbst der Un- gelehrte keine Irrtümer wahrzunehmen vermochte. Ein unparteiischer Untersucher hat jedoch mehr Veranlassung, sich über die verhältnismäßig geringe Anzahl der Irrtümer zu wundern, als darüber, daß Fehler überhaupt vorkom- men.

3. Eine absolut zuverlässige Übersetzung der Bibel gibt es nicht und kann es nicht geben, es sei denn, sie werde durch die Gabe der Übersetzung als eine Gabe des Heiligen Geistes zustandegebracht. Der Übersetzer muß den Geist des Propheten besitzen, wenn er die Worte des Propheten in eine andere Sprache übertragen will, und menschliche Weisheit führt nicht zu diesem Besitz. Lesen wir daher die Bibel mit Ehrerbietung und mit andächtiger Sorgfalt, stets nach dem Lichte des Geistes suchend, damit wir unterscheiden können zwischen der göttlichen Wahr- heit und den menschlichen Fehlern.

4. Der Name ,, Bibel". Im gegenwärtigen Sprach- gebrauch bezeichnet das Wort ,, Bibel" die Sammlung heiliger Schriften, die auch als die jüdischen Schriften bekannt sind, und die einen Bericht von dem Verkehr und dem Umgang Gottes mit der menschlichen Familie geben,

19

290 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.

einen Bericht, der sich mit Ausnahme der vorsintflut- lichen Ereignisse ganz auf die östliche Hälfte der Erde be- schränkt. Das Wort „Bibel", obschon in der Form eine Einzahl, ist die deutsche Wiedergabe einer griechischen Mehrzahl, ,,Biblia", was buchstäblich ,,die Bücher" be- deutet. Der Gebrauch des Wortes kam wahrscheinlich im vierten Jahrhundert n. Chr. auf, wo Chrysostomus^) diesen Ausdruck zur Bezeichnung der urkundlichen Bü- cher gebrauchte, die damals von den griechischen Christen als maßgebend anerkannt wurden. Zu beachten ist, daß bei allen ursprünglichen Anwendungen des Wortes „Bibel" der Begriff einer Sammlung von Büchern vorherrschte. Die heiligen Schriften, so wie sie heute uns vorliegen, wurden aus den einzelnen Schriften vieler, zeitlich weit von einander getrennter Verfasser zusammengestellt. Aus der auffallenden gegenseitigen Übereinstimmung, sowie aus der Einheitlichkeit des Geistes, der in allen diesen Schöpfungen waltet, läßt sich mancher kräftige Beweis für ihre Echtheit anführen.

5. Das Wort „Biblia" wurde also im Griechischen mit einer besondern Bedeutung ausgestattet, indem es die „Bücher" bezeichnete, oder richtiger gesagt die ,, hei- ligen Bücher", um so die heiligen Schriften von allen an- dern Schriften zu unterscheiden. Bald wurde der Ausdruck auch in der lateinischen Sprache geläufig, worin er anfangs in seinem besondern, richtigen Sinne gebraucht wurde. Durch den Gebrauch im Lateinischen kam es aber dazu,

möglicherweise im dreizehnten Jahrhundert ■, daß das Wort mehr und mehr als ein Hauptwort in der Einzahl

„das Buch" betrachtet wurde. Diese Abweichung von der Bedeutung der Mehrzahl, welche mit dem Aus- druck in der griechischen Ursprache unauflöslich verknüpft

') Siehe Anmerkung 1.

Art. 8.] Die Bibel. 291

war, führte zu dem allgemeinen Irrtum, daß die Bibel von Anfang an ein einheitliches, fertiges Buch gewesen sei. Daher stoßen wir auch öfters auf die vermeintliche Ablei- tung des Wortes aus dem griechischen „Biblos" (Einzahl) ,,das Buch" bedeutend was aber nach dem Urteil der meisten Autoritäten auf einer überlieferten falschen Auffassung beruht. Man könnte denken, die Herkunft eines Wortes sei nur von geringer Bedeutung, jedoch ge- rade in diesem Fall muß die ursprüngliche Form und die erste Anwendung eines uns heute so geläufigen Titels, wie derjenige der Heiligen Schrift, von lehrreichem Interesse sein, nicht zuletzt deshalb, weil dadurch ein gewisses Licht auf die Zusammenstellung des Buches in seine gegenwärtige Form fällt.

6. Es ist augenscheinlich, daß der Name , »Bibel" kein biblischer Ausdruck ist; seine Anwendung, um damit die jüdischen Schriften zu bezeichnen, steht völlig außer- halb dieser Schriften selbst. Nach seiner frühesten An- wendung, welche in die nachapostolische Zeit fällt, sollten damit alle, oder doch die meisten der alt- und neutesta- mentlichen Bücher bezeichnet werden. Vor der Zeit Christi waren die Bücher des Alten Testaments unter keinem zusammenfassenden Namen bekannt. Man unter- schied sie in gewisse Gruppen wie:

1. den Pentateuch oder die fünf Bücher Mose,

2. die Propheten, und

3. die Hagiographa, welche alle die heiligen Urkunden umfaßte, die in den andern Gruppen nicht ent- halten waren.

Wir können nun die einzelnen Teile der Bibel besser betrachten , wenn wir die Hauptgruppen getrennt behandeln . Durch das irdische Wirken des Heilandes ist eine sehr natürliche Zweiteilung der biblischen Urkunden zustande- gekommen. Die geschriebenen Erzeugnisse des vorchrist-

292 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.

lichen Zeitalters wurden unter dem Namen „Der Alte Bund" bekannt, diejenigen aus den Tagen des Heilandes und den unmittelbar darauffolgenden Jahren unter der Bezeichnung „Der Neue Bund''.^) Der Ausdruck „Testa- ment" kam erst nach und nach in Gebrauch, bis sich die Titel „Altes" - und „Neues Testament" schließlich allge- mein einbürgerten.

Das Alte Testament.

7. Seine Entstehung und sein Wachstum. Zur Zeit des irdischen Wirkens unsers Herrn und Meisters waren die Juden im Besitze gewisser Schriften, welche sie als bindende Richtschnur des Glaubens und der Lehre betrach- teten. Hinsichtlich der Echtheit dieser Werke kann wohl jeder Zweifel als ausgeschlossen gelten, denn sie wurden sowohl von Christus als auch von den Aposteln häufig angeführt und dabei als „Die Schrift" bezeichnet.^) Der Heiland besonders verweist auf dieselben unter ihren an- erkannten Gruppenbezeichnungen „Das Gesetz Moses", „Die Propheten" und „Die Psalmen". 3) Von den Büchern, die zur Zeit Christi vom Volk als heilig anerkannt wurden, wird manchmal auch gesprochen als von den jüdischen Kirchengesetzbüchern (dem Kanon). Der heut- zutage allgemein gebräuchliche Ausdruck „Kanon" deutet nicht nur auf bloß glaubwürdige oder bindende, ja nicht einmal auf lediglich inspirierte Bücher hin, sondern auf solche Bücher, die als bevollmächtigte, verpflichtende Führer in Sachen des Glaubensbekenntnisses und der Lebensführung anerkannt wurden.

') 1. Korinther 11:25; siehe auch Jereinia 31:31. ») Johannes 5:39; Apostelgesch. 17:11. ») Lukas 24:44.

Art. 8.] Das alte Testament. 293

Der Ausdruck ist in seiner Ableitung lehrreich. Das griechische Original „Kanon" bezeichnete eine straff- gespannte Meßschnur, daher auch die Bedeutung als eines anerkannten Maßstabes, einer festen Regel, eines Prüf- steines, sowohl in moralischen wie in materiellen Ange- legenheiten.

8. Über die Entstehung der jüdischen Kirchengesetz- bücher lesen wir, daß Mose den ersten Teil davon das Gesetz schrieb. Er vertraute ihn der Obhut der Priester und der Leviten an mit dem Gebot, ihn in der Bundeslade^) aufzubewahren als ein Zeugnis gegen Israel, für den Fall der Übertretung. In der Voraussicht, daß eines Tages ein König über Israel herrschen würde, ordnete Mose dann weiter an, daß sich der Herrscher eine Abschrift des Gesetzes zu seiner persönlichen Richtschnur anfertigen lassen sollte. 2) Josua, der Nachfolger Moses, ebenfalls ein Führer und Gesetzgeber des Volkes, schrieb weiteres über den Verkehr Gottes mit den Menschen und über göttliche Vorschriften nieder. Seine Schrift fügte er offen- bar dem von Mose niedergeschriebenen Gesetz an.^) Etwa drei und ein halbes Jahrhundert nach Mose, als die Theo- kratie (Gottesregierung) der Monarchie Platz gemacht hatte, schrieb Samuel, der bewährte Prophet des Herrn, von dieser Änderung ,,in ein Buch und legte es vor den Herrn". Wir sehen, wie auf diese Weise das Gesetz Moses durch die nachfolgenden maßgebenden Urkunden erweitert wurde. Auch geht aus den Schriften des Propheten Jesaja hervor, daß das Volk Zutritt zu dem „Buche des Herrn" hatte, ermahnte doch der Prophet die Israeliten, darin

') 5. Mose 31:9, 24 26. ») 5. Mose 17:18. ') Josua 24:26. ♦) 1. Samuel 10:25.

294 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.

ZU lesen und zu forschen!^) Es ist also augenscheinlich, daß das Volk zur Zeit des Propheten Jesaja in Sachen des Glaubens und des Lebens eine geschriebene Richtschnur besaß.

9. Nahezu vierhundert Jahre später, (im Jahre 640 630 V. Chr.) als der gerechte König Josia den Thron Judas eines Bruchstückes des zerteilten Israels einnahm, fand der Hohepriester Hilkia, der Vater des Propheten Jeremia, im Tempel ,,das Buch der Gesetze des Herrn",^) welches von den Königen gelesen wurde. ^) In den Tagen Esras im fünften Jahrhundert v. Chr. erlaubte sodann ein Erlaß des Königs Cyrus dem gefangenen Volk Juda dem Überbleibsel des einst so mächtigen und geeinigten Israels nach Jerusalem zurückzukehren,*) um dort den Tempel des Herrn wieder aufzubauen und zwar in Über- einstimmung mit dem in den Händen Esras sich befind- lichen Gesetz des Herrn.^) Daraus dürfen wir schließen, daß das geschriebene Gesetz damals bekannt war. Esra ist es auch, dem allgemein das Verdienst zugeschrieben wird, die Bücher des Alten Testamentes, soweit sie zu seiner Zeit schon abgeschlossen vorlagen, zusammengestellt zu haben, wobei er ihnen seine eigenen Schriften anfügte.^) Bei dieser Arbeit waren ihm wahrscheinlich Nehemia und die Mitglieder der Großen Synagoge ein Rat von 120 jüdischen Gelehrten behilflich.') Von dem Buche Nehemia, das eine Fortsetzung des von Esra angefangenen geschichtlichen Berichtes darstellt, wird angenommen.

») Jesaja 34:16,

=>) 2. Chronik 34:14—15; siehe auch 5. Mose 31:26, ») 2. Könige 22. *) Esra 1:1—3. ') Siehe Esra 7:12—14. ") Das Buch Esra,

') Diese geschichtliche Mitteilung wird in gewissen Büchern der Apokryphen gemacht, siehe 2. Buch Esra.

Art. 8.1 Das alte Testament. 295

daß es von dem Propheten, dessen Namen es trägt, wenig- stens teilweise noch zu Lebzeiten Esras geschrieben wurde. Ein Jahrhundert später fügte sodann noch Maleachi, der letzte bedeutende Prophet vor der Eröffnung der Dispen- sation Christi, seinen Bericht hinzu und vollendete und be- schloß die Reihe der vorchristlichen Kirchenbücher mit einer prophetischen Verheißung des Messias, der einen neuen und ewigen Bund aufrichten werde, ^)

10. So ist es offenbar, daß sich das Alte Testament durch die sich folgenden Schriften von bevollmächtigten und inspirierten Schreibern von Mose bis auf Maleachi ver- größerte und daß seine Sammlung ein natürlicher und fort- schreitender Vorgang war, wobei jeder neue Zusatz mit den vorherigen Schriften zusammen aufbewahrt, oder, wie die Schrift es nennt, ,,vor den Herrn gelegt" wurde. Ohne Zweifel waren den Juden noch viele andere Bücher bekannt, die in unserm gegenwärtigen Alten Te- stament gar nicht enthalten sind : Hinweisungen auf solche finden sich in der Heiligen Schrift selbst genügend, um zu beweisen, daß manche dieser außerkanonischen Ur- kunden als sehr glaubwürdig und echt anerkannt wur- den. Hierüber soll aber in Verbindung mit den Apokry- phen noch etwas gesagt werden. Die in den Jüngern Bü- chern zahlreich enthaltenen Hinweise auf die altern, sowie die vielen Anführungen des Alten Testamentes im Neuen, beweisen die anerkannte kirchengesetzliche Gültigkeit der alttestamentlichen Bücher. Etwa zweihundertunddreißig Anführungen oder direkte Hinweise sind vermerkt worden, ohne die vielen Hunderte von weniger direkten Anspie- lungen,

11. Die Sprache des Alten Testamentes. Es ist höchst wahrscheinlich, man kann vielleicht sagen fest-

') Maleachi

296 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.

stehend, daß beinahe alle Bücher des Alten Testamentes ursprünglich in hebräischer Sprache geschrieben wurden. Es gibt zwar Gelehrte, welche Anhaltspunkte dafür ge- funden haben wollen, daß kleine Teile der Bücher Esra, Daniel und Jeremia in der chaldäischen Sprache geschrie- ben worden sind, aber das Vorherrschen des Hebräischen als Sprache der Urschriften hat dem Alten Testament seine allgemeine Bezeichnung als der „hebräische" oder „jüdische" Schriftkanon gegeben. Von dem Pentateuch sind zwei Übertragungen anerkannt worden : die eigentlich hebräische und die samaritische;^) diese, mit den ältesten Schriftzeichen des Hebräischen, wurde von den Samaritern aufbewahrt, die bekanntlich mit den Juden in fortwäh- render Feindschaft lebten.

12. Die Septuaginta. Wenn wir die „Peschito" oder älteste syrische Übertragung des Alten Testamentes als von ge- ringerer Wichtigkeit übergehen, erkennen wir als die erste bedeutende Übersetzung des hebräischen Kanons die, die unter dem Namen Septuaginta bekannt ist. 2) Es ist dies jene griechische Übertragung des Alten Testaments, die auf Veranlassung eines ägyptischen Herrschers wahr- scheinlich Ptolemäus Philadelphus etwa ums Jahr 286 V. Chr. zustandekam. Der Name Septuaginta deutet auf die Zahl siebzig hin. Es wird gesagt, diese Bezeichnung sei auf den Umstand zurückzuführen, daß die Übersetzung von 72 Ältesten rund 70 besorgt worden sei; andere Überlieferungen wollen den Grund darin sehen, daß die Arbeit einen Zeitraum von siebzig oder zweiundsiebzig Tagen beanspruchte; wieder andere führen den Namen darauf zurück, daß diese Übersetzung die Genehmigung und Bestätigung des jüdischen Kirchenrates, des Sanhe-

') Siehe Anmerkung 2. *) Siehe Anmerkung 3.

Art. 8.] Das alte Testament. 297

drins, welcher sich aus 72 Mitgliedern zusammensetzte, erhalten habe. Sicher ist, daß die Septuaginta, die manch- mal auch mit der Ziffer LXX bezeichnet wird, zur Zeit des irdischen Wirkens Christi unter den Juden die gebräuch- lichste Übersetzung war und vom Heiland und seinen Aposteln bei ihren Hinweisen auf die alttestamentlichen Bücher benutzt wurde. Die Septuaginta wird als die zuverlässigste der alten Übersetzungen betrachtet und ist in unserer Zeit von der griechischkatholischen und von andern Kirchen des Ostens angenommen worden. Es ist erwiesen, daß das Alte Testament seit ungefähr dreihundert Jahren vor Christo in der hebräischen und in der griechi- schen Sprache im Gebrauch war. Diese Verdoppelung hat sich als wirksamer Schutz gegen Veränderungen des Wortlautes erwiesen.

13. Die gegenwärtige Sammlung anerkennt neun- unddreißig Bücher des Alten Testamentes. Ursprünghch erschienen diese als zweiundzwanzig zusammengefaßte Bücher, entsprechend den zweiundzwanzig Buchstaben des hebräischen Alphabets. Die neununddreißig Bücher, wie sie heute uns vorliegen, können sachgemäß in folgende Gruppen eingeteilt werden:

1. Der Pentateuch oder die Gesetzbücher ... 5

2. Die geschichtlichen Bücher 12

3. Die poetischen Bücher 5

4. Die Bücher der Propheten 17

14. 1, Die „Gesetzbücher". Die ersten fünf Bü- cher der Bibel erscheinen unter dem Sammelnamen ,,Der Pentateuch", (pente = fünf, teuxos Buch). Sie waren den alten Juden als die ,,Thorah" oder als ,, Das Gesetz" bekannt. Ihre Verfasserschaft wird von der Überlieferung dem Propheten Mose zugeschrieben,^) daher auch der an-

») Esra 6:18; 7:6; Nehemia 8:1; Johannes

298 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.

dere, allgemein gebräuchliche Name „Die fünf Bücher Mose". Sie geben, wenn auch nur in abgekürzter Form, die Geschichte der Menschheit von der Schöpfung bis zur Sintflut und von Noah bis auf Israel wieder, dann einen ausführlichen Bericht von dem auserwählten Volk während seiner ägyptischen Knechtschaft und weiter von der vier Jahrzehnte dauernden Wanderung des Volkes in der Wüste bis zu seiner Lagerung an den fernen Ufern des Jordans.

15. 2. Die geschichtlichen Bücher, zwölf an der Zahl, umfassen die folgenden: Josua, Richter, Ruth, 1. und 2. Samuel, 1. und 2. Könige, 1. und 2. Chronik, Esra, Nehe- mia und Esther. Sie berichten über die Geschichte der Israeliten, wie diese in das Land der Verheißung einzogen, und ihre daran anschließende Laufbahn durch drei be- stimmte Zeitabschnitte hindurch während ihres Bestehens als ein Volk: 1. als eine Nation unter der Gottesherrschaft (Theokratie), mit einer Behörde von Richtern, alle Teile des Volkes durch die Bande der Religion und Blutsver- wandtschaft zusammengehalten, 2. als eine Monarchie, zunächst ein geeinigtes Reich, später eine Nation, die in sich selbst uneins wurde, 3. als ein teilweise unterjochtes und besiegtes Volk, dessen Unabhängigkeit nach dem Gut- dünken seiner Besieger beschränkt wurde.

16. 3. Die fünf poetischen Bücher. Das Buch Hiob, die Psalmen, die Sprüche Salomos, der Prediger Salomo, das Hohelied Salomos. Häufig wird von ihnen auch als von den ,, Lehrbüchern" gesprochen. Die griechische Be- zeichnung „Hagiographa" (Hagios=heilig, grapha=etwas Geschriebenes) ist heute noch im Gebrauch.^) Diese Bücher

») Wie schon erwähnt versteht man unter der Bezeichnung Hagio- grapha heilige Schriften allgemein die fünf poetischen Bücher des Alten Testaments. Einige Gelehrte dehnen diese Liste jedoch auf alle Bücher aus, die im Talmud als Hagiographa genannt werden, nämhch: Buth, Chro- nik, Esra, Nehemia, Esther, Hiob, Psalmen, Sprüche, Prediger, Hohes Lied Salomos, Klagelieder des Jeremias und Daniel.

Art. 8.] Das alte Testament. 299

stammen aus weit auseinanderliegenden Zeitaltern. Ihr enger Zusammenhang in der Bibel ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß sie allgemein als Wegleitung für die Gottesdienste und Andachten in den jüdischen Kirchen dienten.

17. 4. Die prophetischen Bücher umfassen die fünf größern Werke der Propheten Jesaja, Jeremia (mit seinen Klageliedern), Hesekiel und Daniel, die gewöhnlich als die Bücher der ,, großen Propheten" bekannt sind. Dazu kommen die zwölf kleineren Schriften der Propheten Hosea, Joel, Amos, Obadja, Jona, Micha, Nahum, Haba- kuk, Zephania, Haggai, Sacharja und Maleachi der sogenannten ,, kleinen Propheten". In diesen propheti- schen Büchern haben wir das gewichtige Wort des Herrn an sein Volk in der Zeit vor, während und nach der Ge- fangenschaft und in ermutigenden, tröstenden, warnenden, und strafenden Worten, je nachdem es der Zustand des Volkes verlangte.!)

18. Die Apokryphen. Die Apokryphen umschließen eine Anzahl Bücher, deren kirchliche Rechtsgültigkeit zweifelhaft ist, obschon sie zu Zeiten hoch geschätzt wur- den. So sind sie z.B. der Septuaginta beigegeben worden und eine Zeitlang wurde ihnen von den alexandrinischen Juden Anerkennung gezollt. Wegen ihrer zweifelhaften Herkunft wurde ihnen jedoch nie allgemeine Anerkennung zuteil. Im Neuen Testament werden sie auch nirgends angeführt. Die Bezeichnung „apokryphisch" (= geheim, verschwiegen) wurde zuerst von Hieronymus auf diese Bücher angewandt, „denn" sagte er, ,,die Kirche liest sie als Muster für das tägliche Leben und als eine Unterwei- sung in Sitte und Gebrauch, aber sie benützt sie nicht, um damit irgend einen Lehrsatz zu begründen". Die römisch-

') Siehe Anmerkung 4.

300 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII,

katholische Kirche erklärt, die Apokryphen als heilige Schrift anzuerkennen, da das Konzil von Trient (1546) einen dahingehenden Beschluß gefaßt hat; dessen unge- achtet dürfte aber auch unter den Autoritäten dieser Kirche noch immer ein gewisser Zweifel hinsichtlich der kirchlichen Rechtsgültigkeit dieser Bücher bestehen. In der Kirchenverfassung der Englischen Kirche lautet der sechste Artikel inbezug auf die rechtgläubigen Ansichten der Kirche über Bedeutung und Zweck der Heiligen Schrift nachdem zuerst die als kanonisch betrachteten Bücher des Alten Testaments aufgezählt werden wie folgt : „Und die andern Bücher wie auch Hieronymus sagt werden von der Kirche gelesen als Muster für das tägliche Leben und als Unterweisung in Sitte und Gebrauch, aber sie werden nicht benützt, um damit irgendeine Lehre zu ver- teidigen; zu diesen Büchern zählen die folgenden: das dritte Buch Esra, das vierte Buch Esra, das Buch Tobias, das Buch Judith, Stücke zu Esther, die Weisheit Salomos, das Buch Jesus, (des Sohnes Sirachs), das Buch Baruchs des Propheten, der Gesang der drei Männer im Feuerofen, die Geschichte von Susanna und Daniel, vom Drachen zu Babel, das Gebet Manasses, das erste Buch der Makka- bäer, das zweite Buch der Makkabäer."

Das Neue Testament.

19. Seine Entstehung und seine Echtheit. Seit der letzten Hälfte des vierten Jahrhunderts unserer gegen- wärtigen Zeitrechnung ist kaum eine einzige gewichtige Frage hinsichtlich der Echtheit der Bücher des Neuen Testamentes, so wie wir sie heutzutage haben, aufgeworfen worden. Seit dieser Zeit ist das Neue Testament bis auf den heutigen Tag von allen erklärten Christen als eine Sammlung unzweifelhafter heiliger Schriften angenom-

Art. 8.] Das neue Testament. 301

men worden, i) Im vierten Jahrhundert waren von den Büchern des Neuen Testamentes, wie wir es heute besitzen, mehrere Verzeichnisse im Umlauf. Von diesen seien er- wähnt: die Verzeichnisse des Athanasius, des Epiphanias, des Hieronymus, des Rufinus und des Augustinus von Hippo und die von dem dritten Konzil zu Karthago be- kannt gegebene Liste. Diesen könnten noch vier andere hinzugefügt werden, welche sich von ihnen dadurch unter- scheiden, daß sie in drei Fällen die Offenbarung Johannes, und in einem Fall den Hebräerbrief weglassen.

20. Die Fülle der Beweise für die Bildung des Neuen Testaments ist eine Folge der Christen Verfolgungen jener Zeit. Die Unterdrückungsmaßnahmen des römischen Kaisers Diokletian zu Beginn des vierten Jahrhunderts waren nicht allein gegen die Christen persönlich und als eine Sekte gerichtet, sondern gleichermaßen auch gegen ihre Schriften, welche der fanatische und grausame Herr- scher zu vernichten suchte. Es wurde dabei den Personen, welche die heiligen Bücher, die ihrer Obhut anvertraut worden waren, den Römern auslieferten, eine etwas mildere Behandlung zugesichert, und es waren nicht wenige, die diese Gelegenheit benützten, um ihr Leben zu retten. Als später die Härte der Verfolgung nachließ, suchten die Gemeinden jene Mitglieder zur Rechenschaft zu ziehen, die durch Herausgabe der heiligen Schriften bewiesen hatten, daß sie in ihrer Treue zum Glauben schwach geworden waren; diese wurden alle als Verräter mit dem Kirchen- banne belegt. Da viele der Bücher, die auf die erwähnte Weise unter Androhung der Todesstrafe ausgeliefert wor- den waren, nicht allgemein als heilig anerkannt wurden, war zunächst die wichtigste Frage die, darüber zu ent- scheiden, gerade welche Bücher von so allgemein aner-

') Siehe die Anmerkungen 5 und 6.

302 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.

kannter Heiligkeit waren, daß ihre Auslieferung einen Menschen zum Verräter machte. i) Wir finden daher auch, daß Eusebius die Bücher der messianischen und aposto- lischen Zeit in zwei Gruppen teilte: 1. in solche von aner- kannter kirchlicher Gesetzeskraft, nämlich die Evangelien, die Briefe des Paulus, die Apostelgeschichte, den ersten Johannes- und den ersten Petrusbrief und wahrscheinlich auch die Offenbarung des Johannes; 2, in solcne von be- strittener Echtheit und Verpflichtung, nämlich den Brief des Jakobus, den zweiten Petrusbrief, den zweiten und den dritten Brief des Johannes, und den Brief des Judas. Diesen beiden Gruppen fügte er eine dritte an, welche die Bücher umfaßte, deren Unechtheit allgemein zugegeben wurde. 2)

21. Wie schon erwähnt, gibt das von Anathasius etwa um die Mitte des vierten Jahrhunderts veröffent- lichte Verzeichnis die Zusammensetzung des Neuen Testaments, wie wir es heute haben. Zu jener Zeit scheinen alle Zweifel an der Richtigkeit dieser Zusammenfassung aufgehört zu haben. Wir bemerken deshalb auch die all- gemeine Anerkennung des Neuen Testaments seitens aller Bekenner des Christentums, sowohl in Rom, wie auch in Ägypten, Afrika, Syrien, Kleinasien und Gallien. Das Zeugnis des Origenes, der im dritten Jahrhundert in hohem Ansehen stand, sowie das des Tertullians, der im zweiten Jahrhundert lebte, wurde von nachfolgenden Schriftstellern geprüft und endgültig als zugunsten der Echtheit der Evan- gelien und der apostolischen Schriften erklärt. Jedes Buch wurde auf seinen eigenen Wert hin geprüft und alle durch allgemeine Zustimmung als für die Kirche verpflichtend und bindend angenommen.

•) Siehe Tregelle's „Historie Evidence of the Origin Books of the New Testament, S. 12.

*) Siehe Eusebius „Kirchengeschichte" III, 25.

Art. 8.] Das neue Testament. 303

22. Sollte es je nötig sein, noch weiter zurückzugehen, so können wir auch das Zeugnis des Irenaeus, in der Kir- chengeschichte als Bischof von Lyon besonders hervorge- hoben, anführen. Er lebte in der letzten Hälfte des zweiten Jahrhunderts und ist als ein Schüler des Polykarpus be- kannt, der mit dem Apostel Johannes persönlich befreun- det war. Seine umfangreichen Schriften bestätigen die Echtheit der meisten neutestamentlichen Bücher und er- klären genau ihre Herkunft und Verfasserschaft, wie sie heute noch anerkannt werden. Diesem Zeugnis kann man das der Heiligen in Gallien anfügen, die an ihre Leidens- genossen in Asien schrieben und dabei viele Anführungen aus den Evangelien, aus den Briefen der Apostel und aus der Offenbarung des Johannes machen,^) ferner die Er- klärungen des Bischofs Miletus von Sardes, welcher den Osten bereiste, um zu entscheiden, welches die kanoni- schen Bücher seien, namentlich hinsichtlich des Alten Testamentes, 2) weiter das ernste Bekenntnis des Justinus, des Märtyrers, welcher durch seine gründlichen und ge- lehrten Forschungen zur Annahme des Christentums ge- führt wurde und für seine Überzeugung den Märtyrer- tod erlitt. Außer diesen persönlichen Zeugnissen haben wir solche von kirchlichen Konzilien und amtlichen Körper- schaften, von denen die Frage der Echtheit geprüft und entschieden wurde. In dieser Beziehung sei erwähnt das Konzil von Nicäa, 325 n. Chr,, das Konzil von Laodizea, 363 n. Chr., das Konzil von Hippo, 393 n. Chr., das dritte und sechste Konzil von Carthago, 397 und 419 n. Chr,

23. Seit dem zuletzt genannten Zeitpunkt hat kein Streit mehr über die Echtheit des Neuen Testamentes viel Aufmerksamkeit beansprucht. Ohne Zweifel ist die

•) Siehe Eusebius, Buch IV, =) Eusebius IV, 26.

304 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.

Gegenwart bereits ein zu später Zeitpunkt und die trennende Entfernung zu groß geworden, um die Wiederaufnahme der Frage zu unterstützen. Das Neue Testament muß als das angenommen werden, was es zu sein behauptet. Mögen vielleicht auch viele kostbare Teile desselben unterdrückt worden oder verloren gegangen sein und anderseits sich einige Verfälschungen des heiligen Wortlautes eingeschli- chen haben oder Irrtümer und Fehler durch die Nachlässig- keit und Unfähigkeit der Menschen entstanden sein, das Buch als Ganzes muß als echt und glaubwürdig und als ein notwendiger Bestandteil der Heiligen Schrift aner- kannt werden. 1)

24. Die Einteilung des Neuen Testaments. Das Neue Testament enthält 27 Bücher, welche gruppiert werden können

1. in 5 geschichtliche,

2. in 21 belehrende und

3. in 1 prophetisches Buch.

25. 1. Die geschichtliehen Bücher umfassen die vier Evangelien und die Apostelgeschichte. Von den Verfassern dieser Werke wird gesprochen als von den Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Dem Lukas wird auch die Abfassung der Apostelgeschichte zugeschrieben.

26. 2. Zu den belehrenden (Lehr-) Büchern zäh- len die Briefe der Apostel. Wir können sie einteilen 1. in die Briefe des Apostels Paulus, a) seine Briefe über Gesetz und Evangelium, an die Römer, Korinther, Galater, Epheser, Philipper, Kolosser und Thessalonicher und an die Hebräer, b) seine seelsorgersichen Schreiben an Timo- theus, Titus und Philemon; 2, in die allgemeinen Briefe der Apostel Petrus, Johannes, Jakobus und Judas.

») Vergl. Johannes 5:39.

I

Art. 8.] Die Bibel als ein Ganzes. 305

27. 3. Die prophetischen Werke bestehen aus der Offenbarung des Johannes, die auch als die Apolcalypse bekannt ist.

Die Bibel als ein Ganzes.

28. Die ersten Übersetzungen der Bibel. Im Laufe der Zeit sind viele Übersetzungen des Alten- und des zusammen- gefaßten Alten und Neuen Testamentes erschienen. Den hebräischen Wortlaut mit der samari tischen Verdoppelung des Pentateuchs, sowie die griechische Übersetzung oder die Septuaginta (LXX) haben wir bereits erwähnt. Durch- gesehene und verbesserte Übertragungen wetteiferten zum Beginn der christlichen Zeitrechnung mit der Sep- tuaginta. Dann erschien je eine Ausgabe von Theodosius, Aquilla und Symmachus. Eine der ersten Übersetzungen ins Lateinische war die sogenannte „Italienische Über- setzung", die wahrscheinlich im zweiten Jahrhundert n. Chr. entstand. Sie wurde später verbessert und ergänzt und ist seitdem als die „Vulgata" bekannt. Von der Kir- che Roms wird sie heute noch als die maßgebende Lesart anerkannt. Sie enthält das Alte und das Neue Testament.

29. Neuere Übersetzungen in englischer Sprache sind seit Beginn des 13. Jahrhunderts mehrere veröffentlicht worden, einige unvollständig, andere als vollständig abge- schlossene Ausgaben. Etwa ums Jahr 1380 legte Wycliffe «ine aus der Vulgata übertragene englische Übersetzung des Neuen Testamentes vor, das Alte Testament kam später hinzu. Ungefähr im Jahre 1525 erschien Tyndales Über- setzung des Neuen Testaments, sie ist nachher in Cover- dales Bibel aufgenommen worden, welche im Jahre 1535 gedruckt wurde und welche die erste Übersetzung der gan- zen Bibel darstellte; Matthews Bibel stammt aus dem Jahre 1537; Tavaners Bibel aus 1539 und Cranmers Große Bibel aus dem gleichen Jahre. Im Jahre 1560 erschien die Genfer Bibel, 1568 die Bischofs Bibel, die erste

20

306 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIIL

englische, die in Kapitel und Verse eingeteilt war. Im Jahre 1611 kam die sogenannte maßgebende englische Bibelüber- setzung heraus die „King James (König Jakobs)" Übersetzung. Es ist dies eine neue, auf Veranlassung des Königs Jakob von 47 Gelehrten besorgte Übertragung des Alten und Neuen Testaments aus dem Hebräischen und Griechischen. Sie hat alle frühern englischen Ausgaben überflüssig gemacht und ist die heutzutage bei den englisch sprechenden Protestanten gebräuchlichste Übersetzung. Aber selbst dieser jüngsten und angeblich besten Bibel- übersetzung konnten viele und gewichtige Fehler nachge- wiesen werden. Im Jahre 1885 erschien deshalb eine durch- gesehene und verbesserte Auflage, die jedoch noch nicht allgemeine Anerkennung gefunden hat.

30. Die Echtheit und Glaubwürdigkeit der Bibel. Wie interessant und lehrreich diese geschichtlichen und lite- rarischen Angaben über die jüdischen Schriften auch immer sein mögen : sie sind der Frage der Glaubwürdigkeit der Bücher untergeordnet. Gerade weil wir diese, zusam- men mit der übrigen christlichen Welt, als das Wort Gottes hinnehmen, geziemt es uns, nach der Glaubwürdigkeit der Werke zu forschen, die in so großem Maße die Grundlage unseres Glaubens bilden. Alle von der Bibel selbst geliefer- ten Beweise, ihre Sprache, ihre geschichtlichen Angaben, ihr Zusammenhang und die gegenseitige Übereinstimmung ihres Inhaltes, unterstützen vereint ihren Anspruch auf Glaubwürdigkeit als die tatsächlichen Werke der Verfasser, denen die einzelnen Bücher zugeschrieben werden. In einer großen Zahl von Fällen kann der biblische Bericht leicht mit der zeitgenößischen Weltgeschichte verglichen werden, namentlich auf dem Gebiete der Lebensbeschrei- bung und Abstammungsgeschichte. In allen diesen Fällen läßt sich genaue Übereinstimmung feststellen.^) Weitere

*) Siehe Anmerkung 7.

Art.S.J Die Bibel als ein Ganzes. 307

Beweisgründe liegen in dem Persönlichen, wie es von jedem Schreiber beibehalten und gepflegt wird und sich in einer bemerkenswerten Mannigfaltigkeit der Schreibweise äußert, während anderseits eine sich über das Ganze erstreckende Einheitlichkeit des Geistes die durch alle Zeiten der Ver- mehrung der Urkunden erhaltene Mitwirkung eines füh- renden Einflusses offenbar erscheinen läßt. Dieser über- ragende Einfluß kann nichts Geringeres sein als das Licht der Inspiration, welche auf alle wirkte, die als Werkzeuge in der Hand Gottes das Buch der Bücher schrieben. Tra- dition, zeitgenössische Weltgeschichte, literarische Zerglie- derung und neben und über allem der Prüfstein andächtiger Untersuchung und wahrheitssuchender Erforschung ver- einigen sich, um die Glaubwürdigkeit, Wahrheit und Echt- heit dieses wunderbaren Buches zu beweisen, welches den Weg zeigt, der die Menschen in die Gegenwart Gottes zu- rückführt.

31. Das Zeugnis des Buches Mormon für die Bibel. Wie im achten Glaubensartikel, welchen wir eben behan- deln, erklärt wird, anerkennen die Heiligen der letzten Tage das Buch Mormon als einen Band heiliger Schriften, welcher ebenso wie die Bibel das Wort Gottes enthält. Das Buch Mormon selbst werden wir in der nächsten Vor- lesung eingehend behandeln. Es mag jedoch nicht unange- bracht sein, schon hier auf die Beweise aufmerksam zu machen, welches dieses Buch für die Glaubwürdigkeit der Bibel und ihrer allgemeinen Vollständigkeit in ihrer jet- zigen Gestalt liefert. Nach dem Bericht des Buches Mor- mon verließ der Prophet Lehi mit seiner Familie und eini- gen andern auf Befehl Gottes die Stadt Jerusalem etwa ums Jahr 600 v. Chr. im ersten Jahre der Regierung des Königs Zedekia. Bevor die Ausw^anderer ihrem Heimat- land für immer Lebewohl sagten, sicherten sie sich gewisse urkundliche Berichte, die auf Messingplatten eingraviert

308 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.

waren. Unter diesen Urkunden befand sich eine Ge- schichte der Juden, sowie einige der heiligen Schriften, die damals als gesetzmäßig betrachtet wurden.

32. Lehi prüfte die Urkunden, welche auf den Messing- platten eingraviert waren: „Und er sah, daß sie die fünf Bücher Mose enthielten, welche einen Bericht von der Erschaffung der Welt, sowie auch von Adam und Eva, unsern ersten Eltern , gaben ;* * * ebenfalls die Weissagungen der heiligen Propheten, vom Anfang an bis zum Beginn der Regierung Zedekias; und auch viele Prophezeiungen, welche aus dem Munde Jeremias gekommen waren. "^) Dieser direkte Hinweis auf den Pentateuch und gewisse jüdische Propheten ist wertvoll als ein von außen kommen- der Beweis für die Echtheit und Glaubwürdigkeit jener Teile der biblischen Urkunden.

33. Nephi, der Sohn Lehis, erfuhr in einem Gesicht etwas von den künftigen Absichten Gottes hinsichtlich der menschlichen Familie. Er sah, wie ein Buch von großem Werte, welches das Wort Gottes und die Bündnisse des Herrn mit Israel enthielt, von den Juden auf die Heiden kam. 2) Es wird weiter erzählt, daß die Kolonie Lehis, welche, wie wir sehen werden, über die großen Ge- wässer nach der westlichen Halbkugel kam, wo sie sich niederließ und später zu einem großen mächtigen Volk wurde, gewohnt war, die auf den Platten eingegrabenen heiligen Berichte zu lesen und daß darüber hinaus ihre Schrei- ber lange Anführungen aus ihnen ihren eigenen Berichten ein verleibten. 3) Soviel über die Anerkennung, welche das Buch Mormon der Bibel zollt, oder wenigstens jenem Teil der jüdischen Schriften, der zu der Zeit, als Lehis auswan- dernde Kolonie, während der Amtstätigkeit Jeremias, Jerusalem verließ, fertiggestellt war.

') 1. Ncphi 5:10—13.

•) Siehe 1. Nephi 13:21—23.

») 1. Nephi 20—21; 2. Nephi 7—8; 12—24.

Art. 8.] Anmerkungen. 309

34. Aber diese Stimme aus der westlichen Welt schweigt auch nicht hinsichtlich d er neutestamentlichen Schriften. In prophetischen Gesichten sahen viele der nephitischen Leh- rer das irdische Wirken Christi in der Mitte der Zeiten voraus und überlieferten uns so Prophezeiungen über die Hauptereignisse des Lebens und des Sterbens Christi mit überraschender Treue in vielen Einzelheiten. Ein solches Zeugnis wird uns überliefert von Nephi^), von Benjamin,^) der zugleich Prophet und König war, von Abinadi,^) von Samuel,*) dem bekehrten Lamaniten und manchen andern. Als Ergänzung dieser und vieler sonstiger Prophezeiungen über die Mission Christi, welche alle mit dem neutestament- lichen Bericht über ihre Erfüllung übereinstimmen, gibt uns das Buch Mormon noch einen Bericht über die Tätig- keit des auferstandenen Erlösers unter dem nephitischen Volk, während welcher er bei ihnen seine Kirche gründete nach dem im Neuen Testament aufgezeichneten Muster; darüber hinaus gab er ihnen viele Belehrungen, die mit denen, welche er den Juden im Osten gab, beinahe wört- lich übereinstimmen.^)

Anmerkungen. 1. Johannes Chrysostomus, einer der griechischen „Kirchenväter", stand in der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts in hohem Ansehen; er war Patriarch von Konstantinopel, wurde jedoch kurz vor seinem im Jahre 407 eingetretenen Tod abgesetzt und verbannt. Seine Anwendung des Ausdruckes „Biblia" zur Bezeichnung des Schrift-Kanons *) gehört

1) 1. Nephi 10:4—5; 11— 13. Kapitel; 14. Kapitel; 2. Nephi 9:5; 10:3; 25:26; 26:24.

') Mosiah, 3. Kap. 4:3.

») Mosiah Kapitel 13—16.

*) Helaman 14:12.

') 3. Nephi 9. 26. Kapitel; vergl. im Neuen Testament mit Mat- thäus 5. 7. Kapitel, im Alten Testament mit Jesaja Kapitel 54 und Maleachi, Kapitel 3 und 4.

*) „Kanon" = die Bücher, die die inspirierte Heilige Sclvift bilden und die bei Festsetzung der Glaubenslehren als Richtschnur dienen, weil man ihnen einen höhern Ursprung und eine vollgültige Beweiskraft beilegt.

D.U.

310 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.

zu den frühesten dieser Art, die noch aufgefunden \\-urden. Er ermahnte sein Volk, sich die Reichtümer der inspirierten Schrift zu eigen zu machen, mit folgenden Worten: ,, Höret, ich bitte euch, alle die ihr noch im sterb- lichen Leben seid, kauft BibUa, das Heilmittel für die Seele." Von den Judenchristen sagte er: „Sie haben die Biblia, aber wir haben die Schätze der Biblia, sie haben die Buchstaben, wir aber haben die Buchstaben und das Verständnis."

2. Die samarilisehe Absrhriit des Pentateuchs. In seinen wert- vollen Vorlesungen über biblische Themen macht der Älteste David McKenzie unter Hinweis auf die Schriften Hornes folgende Bemerkungen: „Neun- hundert und siebzig Jahre vor Christi Geburt wurde das Reich Israel in z^^ei Königreiche geteilt. Beide behielten das gleiche Gesetzbuch bei. Die z^vischen ihnen herrschende Eifersucht ließ weder eine Veränderung noch eine Vermehrung des Gesetzes zu. Nachdem Israel nach Assyrien wegge- führt worden war, ergriffen andere Völker Besitz von Samarien. Sie er- hielten den Pentateuch (2. Könige 17:26 28). Die Sprache war hebräisch oder phönizisch, wogegen die jüdischen Abschriften in die chaldäische ge- ändert wurden, Verfälschungen oder Veränderungen erwiesen sich so als unausführbar, weshalb auch der Wortlaut beinahe ein und derselbe blieb."

3. Übersetzunaen der Bibel oder von Teilen derselben. Die Sep- tuaiiinla: „Verschiedene Ansichten wurden geäußert, um den Namen „Septuaginta" zu erklären. Einigesagen, Ptolemäus Philadelphus habe von Eleasar, dem Hohenpriester, eine Abschrift der hebräischen Schrift gefor- dert, dazu von jedem Stamm sechs gelehrte, für die Übersetzung ins Grie- chische zuständige Juden, (zusammen also zweiundsiebzig). Diese wurden auf der Insel Pharos eingesperrt imd dort vollendeten sie in zweiundsiebzig Tagen ihr Werk. Währenddem sie es zum Niederschreiben vorsagten, schrieb es Demetrius Phalerus, der Hauptbibliothekar des Königs, ab. Diese Er- klärung wird jedoch heute nur mehr als eine Fabel betrachtet. Andere geben an, diese gleichen L'bersetzer hätten, nachdem jeder für sich in eine Zelle eingeschlossen worden war, je eine Übersetzung niedergeschrieben und so außerordentlich hätten ihre Arbeiten in Wort und Geist überein- gestimmt, daß darin ein Beweis für die Inspiration durch den heiligen Geist erblickt worden sei. Diese Ansicht ist ebenfalls als zu überspannt abge- lehnt worden. Es ist gut möglich, daß zweiundsiebzig Verfasser mit der Übersetzung beschäftigt waren, doch ist es wahrscheinlicher, daß sie ihren Kamen „Septuaginta" dem umstand verdankt, daß der jüdische Sanhedrin, der aus zweiundsiebzig Personen bestand, sie genehmigte. Einige halten dafür, daß sie zu verschiedenen Zeiten ausgeführt worden sei. Hörne be- zeichnet es als höchst wahrscheinlich, daß diese Übersetzung während der gemeinsamen Regierung des Ptolemäus Lagus und seines Sohnes Phila- delphus etwa ums Jahr 285 oder 286 vor Christi Geburt zustande kam. "

Die Vuljjata. ,,Es gab eine sehr alte Übersetzimg der Bibel aus der Septuaginta ins Lateinische, von wem und wann ist unbekannt. Sie war zu der Zeit des Hieronymus allgemein im Gebrauch und wurde die Itala oder die Italienische Übei-setzung genannt. Etwa gegen das Ende des \ierten Jalirhunderts begann Hieronymus eine neue Übersetzung aus dem hebräischen Text ins Lateinische, die er Stück für Stück fertigstellte. Sie fand schließlich die Genehmigung des Papstes Gregor I. und ist seit dem siebten .Jahrhundert immer im Gebrauch gewesen. Die gegenwärtige Vul- gata, von dem Konzil zu Trient im 16. Jahrhundert als maßgebend erklärt.

Art. 8.] Anmerkungen. 311

ist die alte italienische Übersetzung, durchgesehen und verbessert durch die Richtigstellungen von Hieronymus und andern; sie ist die einzige von der römischen Kirche zugelassene."

Die bereehlijite Übersetzung (in englischer Sprache). „Da an der Hampton-Court-Konfercnz im Jahre 1603 gegen die „Bishops Bible" ge- wisse Einwendungen erhoben wTjrden, ordnete König Jakob I. eine neue Übersetzung an. Zu diesem Zweck wurden siebenundvierzig Personen, die wegen ihrer Frömmigkeit und biblischen Gelehrsamkeit bekannt waren, gewählt und in sechs Ausschüsse vereinigt, von denen je zwei in Oxford, Cambridge und Westminster zusammentraten. Jedem Ausschuß wurde ein bestimmter Teil der Heiligen Schrift übertragen. Sie begannen ihre Arbeit im Jahre 1607 und das Ganze wurde vollendet und dem Druck übergeben im Jahre 1611. Dies wird die „Authorized English Version", (Berechtigte Englische Übersetzung) genannt und ist die, die sich heute im Gebrauch befindet." „Analysis of Scripture History" von Pinnock, S. 3, 5, (6. Ausgabe).

4. Die prophetischen Bücher des Alten Testamentes sind mit wenig oder gar keiner Rücksicht auf ihre Zeitfolge angeordnet. Nach dem Um- fang der einzelnen Bücher hat man eben die gröfJten zuerst genommen. Nach der Zeit ihrer Entstehung würde sich wahrscheinlich folgende Reihen- folge ergeben : Jona, Joel, Amos, Hosea, Jesaja, Micha, Nahum, Zephania, alle diese Propheten vor der Gefangenschaft dann folgen Jeremia, Haba- kuk, Hesekiel und Daniel, die während der Gefangenschaft, und schließ- lich Haggai, Sacharja und Maleachi, die nach der Rückkehr der Juden aus der Gefangenschaft schrieben.

5. Handsehriltliehe Abschriften des Neuen Testaments. Drei neu- testamentliche handschriftliche Abschriften, die heute noch vorhanden sind, werden als echt betrachtet. Sie sind bekannt als die „Vatikanische" (heute in Rom), die „Alexandrinische" (in London) und die „Sinaitische" (jetzt In der Bibliothek zu St. Petersburg). Die letzte, die sinaitische, wird als die älteste der vorhandenen Abschriften des Neuen Testamentes angesehen. Die Urschrift wurde im Jahre 1859 im Archiv eines Klosters auf dem Berge Sinai endeckt, daher der Name. Aufgefunden wurde sie von Tischendorf und befindet sich jetzt in einer Bibliothek zu St. Petersburg.

6. Über die, Echtheit von Teilen des Neuen Testaments. Als Ent- gegnung auf die Einwendungen von Ivritikern wegen der Echtheit und Rechtsgültigkeit gewisser Bücher des Neuen Testaments kann die nach- stehende Reihe von Zeugnissen betrachtet werden. Die Auszüge werden hier dargeboten, wie sie von dem Ältesten David McKenzie zusammen- getragen und von ihm in seinen lehrreichen Vorlesungen über die Bibel benutzt worden sind.

I. Die vier Evangelien.

1. Matthäus. Papias, Bischof von Hierapolis, war ein Zuhörer des Apostels Johannes. Hinsichtlich des Matthäus-Evangeliums führt ihn Eusebius an und läßt ihn sagen: „Matthäus stellte die heiligen Worte in hebräischer Sprache zusammen und jeder legte sie aus so gut et konnte." <Eusebius, Kirchengeschichte, III., 39.)

2, Markus. Auch von dem Evangelium des Markus sagt Papias: „Markus schrieb, nachdem er der Ausleger des Petrus geworden war, alles, wessen er sich erinnerte, genau nieder, ohne jedoch die Reihenfolge einzu-

312 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.

halten, weder von dem, was Christus gesprochen, noch von dem, was er getan hatte. Denn er hörte den Herrn nicht selbst, sondern er begleitete später den Apostel Petrus, der seine Belehrungen den Bedürfnissen seiner Zuhörer anpaßte, aber nicht die Absicht hatte, einen zusammenhängenden Bericht der Weissagungen oder Reden des Herrn zu geben." (Bischof Lightfoots Translations in der „Contemporary Review", August 1875.)

3. Lakas. Innere Übereinstimmung der beiden Werke zeigt, daß das Evangelium Lukas imd die Apostelgeschichte von dem gleichen Ver fasser herrühren. Paulus spricht von Lukas als von einem Arzt. Dr. Hobart veröffentlichte im Jahre 1882 in London eine Abhandlung über „die Medi- zinische Sprache des Evangelisten Lukas" und hebt das häufige Vorkommen von medizinischen Ausdrücken in den Schriften Lukas hervor, die sich in allen Teilen des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte finden. Selbst M. Renan macht ein ähnliches Zugeständnis; er sagt nämlich: „Ein Punkt ist außer allem Zweifel: die Tatsache, daß die Apostelgeschichte von demselben Verfasser stammt wie das dritte Evangelium und daß sie eine Fortsetzung dieses Evangeliums ist. Niemand braucht sich bei dem Be- weis für diese Behauptung aufzuhalten, denn sie wurde niemals ernstlich bestritten. Die Vorrede am Anfang der beiden Werke, die Widmung der- selben an Theophilus, die vollendete Ähnlichkeit in der Schreibart und den Gedanken liefern für diesen Punkt genügende Belege." „Eine zweite Be- hauptung geht dahin, daß der Verfasser der Apostelgeschichte ein Jünger des Apostels Paulus war, der diesen auf einem beträchtlichen Teil seiner Reisen begleitete." (M. Renan, „Die Apostel", siehe die Vorrede.)

4. Johannes. ,,Irenäus, ums Jahr 177 n. Chr. Bischof von Lyon, ein Schüler des Polycarp, der im Jahre 155 oder 156 den Märtyrertod erlitt, er- zählt in einem Briefe an einen Mitschüler von dem, was er Polycarp hatte sagen hören über seinen Umgang mit Johannes und mit den übrigen, die den Herrn gesehen hatten, sowie über den Herrn selbst, seine Wunder- taten und seine Lehren. Alles dies erzählt er in Übereinstimmung mit den Heiligen Scliriften." (Eusebius, Kirchengeschichte V, 20.) Daß Irenäus mit den „Heiligen Schriften" Matthäus, Markus, Lukas und Johannes meinte, geht aus dem Wortlaut hervor. Abgesehen davon macht er mit Nachdruck geltend, „nicht nur, daß bloß die vier Evangelien von Anbeginn weitergegeben wurden, sondern, daß es auch nach dem Wesen der Dinge nicht mehr und nicht weniger als \ier geben konnte. Es gibt vier Teile der Erde und vier Hauptwinde und die Kirche muß deshalb, da sie auf der Erde aufgerichtet und ihr ebenbürtig zu sein bestimmt ist, auf vier Evangelien gestützt sein wie auf vier Säulen." (Contemporary Review, August 1876, Seite 413.) (Die von Irenäus aufgestellte, erzwungene Ähnlichkeit z^n- schen den vier Evangelien und den vier Winden usw. entbehrt natürlich jeder Begründung und seine Anwendung erscheint buchstäblich albern und widersinnig. Nichtsdestoweniger liefert die Tatsache, daß er sie anführt, einen Beweis dafür, daß die vier Evangelien in seinen Tagen anerkannt wurden. J. E. T.)

//. Die Paulinischen Briefe. Die folgenden Auszüge aus den Kritiken von Tübinger Sachverstän- digen über die paulinischen Briefe sind lehrreich.

DeWette sagt, in seiner Einführung zu den „Büchern des Neuen Testamentes", (123, a): „Die Briefe des Paulus tragen das Kennzeichen

Art. 8.] Anmerkungen. 313

seines mächtigen Geistes. Die meisten von ilinen sind, was ilire Echtlieit anlangt, über jeden Widerspruch erhaben; sie bilden den festen Kern der Bücher des Neuen Testamentes."

Baur sagt in seinem „Apostel Paulus" (1,8): „Nicht nur ist niemals ein Verdacht hinsichtlich der Echtheit dieser Briefe laut geworden, sondern sie tragen auch so unbestreitbar das Siegel paulinischen Ursprungs, daß man nicht verstehen kann, aus welchem Grunde Kritiker jemals irgendeine Einwendung dagegen erheben könnten."

Weizsäker schreibt (Apostol. Zeitalter, 1866, S. 190): „Die Briefe an die Galatcr imd Korinther stammen ohne Zweifel von der Hand des Apostels; auch der Brief an die Römer stammt unbestreitbar von seiner Hand." Holtzmann sagt, („Einleitung ins Neue Testament" S. 224): „Diese vier Briefe sind die ,,Paulina Homologoumena" (Bücher, die allgemein aner- kannt werden) in der neuzeitlichen Anerkennung des Wortes. Mit Bezug auf sie können wir den von Paley gegenüber den Freidenkern seiner Zeit erbrachten Beweis der Echtheit betrachten."

M. Renan drückt sich in den „Evangelien" (S. 40, 41) wie folgt aus: „Die Briefe des Apostels Paulus haben einen unvergleichlichen Vorteil in dieser Geschichte nämlich ihre unbedingte Echtheit." Von den Briefen an die Korinther, Galater und Römer spricht Renan als „unbestreitbar und unbestritten" und fügt hinzu: „Die strengsten Kritiker, wie zum Beispiel Christ. Baur, anerkennen sie ohne jeden Vorbehalt."

7. Altertumskundllc-he Beweise, die die Bibel bestätigen. Prof. A. H. Sayce, Magister, faßt seine lehrreichen Abhandlungen über das Zeugnis der alten Baudenkmäler wie folgt zusammen : „Die kritischen Einwendungen gegen die Wahrheit des Alten Testamentes, einst der Rüstkammer der griechischen und lateinischen Schriftsteller entnommen, können nie wieder erhoben werden. Sie sind ein für allemal angegriffen und geschlagen worden. Die Entgegnung auf sie ist von den Papyrus, Ziegeln und Steinen, von den Gräbern des alten Ägyptens, den Wällen Babylons und den zerfalle- nen Palästen der assyrischen Könige gekommen."

8. Vcrlorengefiangene heilige Schriften. Diejenigen, die die Lehre von fortlaufender Offenbarung zwischen Gott und seiner Kirche mit der Begründung bekämpfen, daß die Bibel als eine Sammlung heiliger Schriften vollständig sei, und daß angebliche Offenbarungen, die in derselben nicht gefunden werden, deshalb unecht sein müssen, können mit Nutzen Kenntnis nehmen von den vielen Büchern, die in der Bibel nicht enthalten sind, obschon sie in dieser erwähnt werden, und zwar allgemein in solcher Weise, daß kein Zweifel darüber bestehen kann, daß sie als kirchengesetzlich be- trachtet wurden. Von diesen außerbiblischen Schriften seien die folgenden genannt; einige von ihnen sind heute noch vorhanden, werden aber zu den apokryphischen gezählt, die meisten dagegen sind heute unbekannt. Wir lesen von dem „Buch des Bundes" (2. Mose 24:7); „Buch von den Kriegen des Herrn" (4. Mose 21:14); „Buch des Frommen" (Josua 10:13); „Buch der Rechte" (1. Samuel 10:25); „Buch Henoch" (Judas 14); „Chronik von Salomo" (1. Könige 11:41); „Geschichten des Propheten Nathan" und „Geschichten Gads, des Schauers" (1. Chronik 29:29); „Prophezeiungen des Ahias von Silo" und die „Gesichte Jeddis, des Schauers" (2. Chronik 9:29); „Geschichten Semajas, des Propheten" (2. Chronik 12:15); „Historie des Propheten Iddo" (2. Chronik 13:22); „Geschichten Jehus" (2. Chronik 20 :34); die „Taten des Usias, geschrieben von dem Propheten Jesaja, dem

314 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIII.

Sohne Amoz" (2. Chronik 26:22); „Geschichten der Schauer" (2. Chronik 33:19); ein verlorengegangener Brief des Apostels Paulus an die Konrinther <1. Korinther 5:9); ein verlorengegangener Brief an die Epheser (Epheser 3:3); ein verlorengegangener Brief an die Kolosser, geschrieben aus Lao- dizea (Kolosser 4:16); ein verlorengegangener Brief des Apostels Judas <Jud. 3); die „Reden von den Geschichten", die in Imkas 1:1 erwähnt sind. IJibelübersetzunflen. „Übersetzungen der Bibel wurden sofort nötig, als das Hebräische aufhörte, lebende Sprache zu sein, und die Juden in der griechischen Welt zerstreut waren, noch mehr, als das Christentum zu den Völkern nichtgriechischer Zunge drang. * * * Für die Erforschung der Urgestalt aller Teile der Bibel kommen nur die erstem in Betracht, so die griechische Übersetzung des Alten Testaments, welche unter dem Namen Septuaginta weltberühmt geworden ist, und die chaldäische (Targum); so in Bezug auf das Alte und Neue Testament die syrischen Übersetzungen, besonders die erst nach 200 entstandene Peschito; ferner die lateinischen, deren ältere Gestalt, gewöhnlich Itala genannt, in das 2. Jahrhundert hinaufreicht, während die spätere, die sogen. Vulgata, erst von Hieronymus herrührt. Auch ägyptische, äthiopische, arabische, persische, armenische, gotische, georgische, slawonische Übersetzungen entstanden; einige der- selben sind schon mehr oder weniger mittelbare, d. h. von Septuaginta, Peschito, Itala oder Vulgata abhängige Übersetzungen. Letzteres gilt namentlich von den mancherlei Versuchen des mittelalterlichen Abend- landes. * * * Ohne einheitliche Aufsicht seitens der kirchlichen Behörden erschienen die deutschen Bibeln an den verschiedensten Orten, jede mit ihren eigentümlichen Druckfehlern und sonstigen Änderungen, wie solche teils die Errungenschaften der Wissenschaft, teils die fortschi-eitende Veränderung der deutschen Sprache für das Verständnis in Kirche, Schule und Haus nötig zu machen schienen. Die Geschichte der deut- schen Bibelübersetzung Luthers von 1517—34 gab der Hamburger Haupt- pastor J. M. Goeze aus dem Nachlaß von J. G. Palm heraus (Halle 1772). Bis 1581 wird diese Geschichte geführt von G. W. Panzer (Nürn- berg 1783). Weitere Beiträge lieferten Heinr. Schott (,, Geschichte der deutschen Bibelübersetzung", Leipzig 1835), G. W. Hopf („Würdigung der Lutherschen Bibelverdeutschung mit Rücksicht auf ältere und neuere Übersetzungen", Nürnberg 1847) und Wilib. Grimm (,, Kurzgefaßte Ge- schichte der lutherischen Bibelübersetzung bis zur Gegenwart", Jena 1884). Den ersten Anstoß zu einer gründlichen Revision des Textes auf Grund der gewonnenen Einsicht in seine Geschichte gab der Stuttgarter Kirchentag 1857; die maßgebenden Grundsätze stellte 1863 die Eisenacher Konferenz fest, und 1865 68 wurde das Neue Testament in drei Lesungen durch den Germanisten G. K. Fromman und zehn sachkundige Theologen in der Weise behandelt, daß die Auswahl unter den Varianten mit Rücksicht auf den Grundtext erfolgte, die wenigen Stellen aber, an deren Verbesserung nach dem Grundtext man sich heranzutreten getraute, möglichst aus dem Sprachschatz der Lutherbibel erneuert wurden. In demselben Jahre, als die Cansteinsche Anstalt erstmalig das revidierte Neue Testament heraus- gab (1870), erklärte sich die Konferenz für die Ausdehnung der Revision auch auf das Alte Testament; 1883 erschien die ,,Probebiber', die revidierte Bibel Halle 1892. * * * Auch die Katholiken folgten dem gegebenen Beispiel. Die neuerdings gebrauchtesten Übersetzungen sind die von Leander van (1807 u. ö.) und die autorisierte Übersetzimg von Allioli (Nürnberg 1830 34 u. ö.,6Bde.). („Meyers Konversationslexikon unter Bibelübersetzungen.")

D.U.

Art. 8. 1 Das Buch Mormon.

Vorlesung XIV.

Das Buch Mormon.

Artikel 8. * * * Wir glauben auch an das Buch Mormon als das Wort Gottes.

Beschreibung und Herkunft.

1. Was ist das Buch Mormon? Die Ansprüche, die für das Buch Mormon gemacht werden, gehen dahin, daß es ein göttlich inspirierter Bericht ist, verfaßt von den Propheten der alten Völker, die das amerikanische Fest- land jahrhundertelang vor und nach Christi Geburt be- wohnten. Dieser Bericht ist in unserm Zeitalter durch die Gabe und auf besondern Auftrag Gottes übersetzt worden. Der berufene und inspirierte Übersetzer dieser heiligen Schrift, durch dessen Mitwirkung sie der Welt in einer lebenden Sprache übergeben wurde, ist Joseph Smith, dessen erstes Bekanntwerden mit den Platten schon in der ersten Vorlesung erwähnt wurde. ^) Wie dort erklärt wird, erhielt Joseph Smith am 21. September 1823 als Antwort auf sein inbrünstiges Gebet den Besuch eines Engels, welcher sich als der Engel Moroni vorstellte. Nachfolgende Offenbarungen ließen ihn als den letzten einer langen Reihe von Propheten erkennen, deren übersetzte Schriften das jetzige Buch Mormon darstellen. Er war es, der die alten Berichte abgeschlossen und der Erde zur Aufbewah- rung anvertraut hatte; und durch seine Vermittlung kamen sie auch in die Hände des Propheten der Neuzeit, dessen Ubersetzungswerk heute vor uns liegt.

') Siehe Seite 12 und 20.

316 Die Glaubensarükel, [Vorl. XIV.

2. Bei seinem ersten Besuch offenbarte der Engel Moroni dem Propheten Joseph Smith das Vorhandensein eines Berichtes, der auf goldenen Platten eingraviert am Abhang eines Hügels in der Nähe von Josephs Heim ver- graben liege. Dieser Hügel, der dem einen der alten Völker als Cumorah, dem andern als Ramah bekannt war, liegt nahe bei Palmyra, in der Grafschaft Wayne im Staate New-York. In einem Gesicht wurde Joseph der genaue Ort, an dem sich die Platten befanden, gezeigt, sodaß er ihn am darauffolgenden Tage leicht aufzufinden vermochte. Josephs Erzählung von der Kundmachung der Platten durch Moroni lautet wie folgt:

„Er sagte, es ist ein Buch aufbewahrt, auf goldenen Platten geschrieben, welches einen Bericht gibt, von den früheren Einwohnern dieses Landes und dem Ursprung, von dem sie gekommen sind. Er sagte auch, daß die Fülle des ewigen Evangeliums darin enthalten ist, wie es von dem Heiland den ehemaligen Einwohnern gegeben wurde. Auch, daß zwei Steine in silbernen Bogen und diese Steine an ein Brustschild befestigt, bildeten das, was als der Urim und Thummim bekannt ist mit den Platten aufbewahrt sind, und daß es der Besitz und Gebrauch dieser Steine gewesen ist, was in alten oder früheren Zeiten Seher machte ; und daß Gott sie für den Zweck der Übersetzung "des Buches bereitet hat."^)

3. Joseph fand an der bezeichneten Stelle des Hügels Cumorah einen großen Stein; unter diesem befand sich ein Kasten, ebenfalls aus Stein. Mit Hilfe eines Hebeisens hob er den Deckel des Kastens und gewahrte sodann die Platten und die Brustplatte mit dem Urim und Thummim, wie sie der Engel beschrieben hatte. Als er den Inhalt des Kastens herausnehmen wollte, erschien ihm Moroni wie-

*) Siehe Köstliche Perle, Seite 78.

Art. 8.] Das Buch Mormon. 317

derum und verbot ihm, die heiligen Sachen zu dieser Zeit zu sich zu nehmen. Vier Jahre, sagte er, müßten vergehen, ehe sie seiner Obhut anvertraut werden könnten. In- zwischen solle Joseph diesen Ort alljährlich aufsuchen. Der jugendliche Offenbarer tat dieses und erhielt jedesmal weitere Belehrungen über den urkundlichen Bericht und die Absichten Gottes mit demselben. Am 22. September 1827 empfing Joseph von dem Engel Moroni die Platten und den Urim und Thummim nebst der Brustplatte. Er wurde angewiesen, dieselben mit großer Sorgfalt zu ver- wahren, wobei ihm verheißen wurde, daß die Platten un- beschädigt in seinen Händen erhalten werden würden, wenn er zu ihrem Schutze alle seine Kräfte einsetze. Nach Vollendung der tjbersetzungsarbeit werde Moroni ihn wieder besuchen und die Platten in Empfang nehmen.

4. Der Grund für die Mahnung des Engels zur Sorg- falt bei der Aufbewahrung der Platten sollte bald offenbar werden. Dreimal wurde Joseph angefallen, als er sich mit den heiligen Urkunden auf der kurzen Wanderung nach Hause befand. Göttliche Hilfe setzte ihn jedoch instand, seinen Angreifern zu widerstehen, sodaß er schließlich mit den unbeschädigten Platten und den übrigen Sachen sein Heim erreichte. Diese Überfälle bildeten jedoch nur den Anfang einer ebenso unbarmherzigen wie hartnäckigen Verfolgung, die von der Macht des Bösen gegen ihn geführt wurde, solange er im Besitze der Platten war. Die Neuig- keit, daß er goldene Platten besitze, verbreitete sich rasch und zahlreiche und heftige Versuche wurden unternom- men, um ihm diese zu entreißen; sie wurden ihm jedoch er- halten. Langsam und unter vielen Hindernissen, wie sie einerseits die Verfolgung und anderseits seine Armut diese nötigte ihn für seinen Unterhalt mit eigenen Händen zu arbeiten und ließ ihm für die übertragene Arbeit wenig

318 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.

freie Zeit mit sich brachten, fuhr Joseph mit der Überset- zung fort, und im Jahre 1830 wurde das Buch Mormon zum erstenmal veröffentlicht.

5. Das Titelblatt des Buches Mormon. Die beste Antwort auf die Frage: Was ist das Buch Mormon? gibt uns das Titelblatt des Buches. Wir lesen da: „Dieses Buch ist eine Abkürzung der Urkunde des Volkes Nephi und auch der Lamaniten an die Lamaniten, einen Überrest vom Hause Israel, und auch an die Juden und Heiden Geschrieben auf Befehl und durch den Geist der Weissagung und Offen- barung — Geschrieben und versiegelt und für den Herrn aufbewahrt, damit diese Urkunden nicht verloren gehen, sondern durch die Gabe und Macht Gottes ans Licht kommen sollten, um verdolmetscht zu werden. Von Mo- ronis Hand versiegelt und für den Herrn aufbewahrt, um durch die Heiden zur rechten Zeit hervorzukommen, die Übersetzung derselben aber durch die Gabe Gottes.

Ebenfalls ein abgekürzter Bericht dem Buche Ether entnommen, welches eine Urkunde des Volkes Jared ist, das zu der Zeit zerstreut wurde, als der Herr die Spra- chen der Völker verwirrte, während sie einen Turm bauten, um gen Himmel zu steigen. Die Bestimmung dieser Ur- kunde ist es, dem Überrest des Hauses Israel zu zeigen, welch große Dinge der Herr für ihre Väter getan hat; daß sie die Bündnisse des Herrn erkennen mögen, damit sie nicht auf ewig verstoßen seien und um die Juden und Heiden zu überzeugen, daß Jesus der Christus, der ewige Gott ist, der sich allen Völkern offenbart.

Sollten nun Fehler hierin vorkommen, rühren sie von Menschen her. Daher verdammet nicht die Werke Gottes, auf daß ihr ohne Makel vor dem Richterstuhl Christi befunden werdet."

Dieses mit dem Titel vereinigte Vorwort ist eine Über- setzung von dem letzten Blatte des Buches und wurde

Art. 8.] Das Buch Mormon, 319

wahrscheinlich von Moroni geschrieben, der, wie schon erwähnt wurde, das Buch in früheren Tagen versiegelte und verbarg.^)

6. Die Hauptteile des Buches. Aus dem Titelblatt ist ersichtlich, daß wir es im Buch Mormon mit zwei großen Völkern zu tun haben, welche in Amerika als die Nach- kommen kleiner, auf göttliches Geheiß aus Asien hinüber- gekommener Kolonien blühten und gediehen. Diese kön- nen wir sachgemäß als die Nephiten und die Jarediten behandeln.

7. Das Nephitische Volk war zeitlich genommen das spätere und inbezug auf den Umfang und die Vollständig- keit seiner Urkunden auch das wichtigere der beiden. Die Vorfahren dieses Volkes wurden im Jahre 600 v. Chr. von Lehi, einem jüdischen Propheten aus dem Stamm Manasse, von Jerusalem weggeführt. Seine eigentliche Familie umfaßte, als sie die Stadt verließ, seine Frau Sariah und seine Söhne Laman, Lemuel, Sam und Nephi. Im späteren Verlauf der Geschichte werden auch Töchter erwähnt, aber es wird nicht gesagt, ob irgendwelche von diesen schon vor dem Auszug aus Jerusalem geboren wurden. Außer seiner eigenen Familie gehörten zu Lehis Kolonie noch Zoram und Ishmael; der letzte ist ein Israelite aus dem Stamme Ephraim. Ishmael und seine Familie schlös- sen sich Lehi in der Wüste an und seine Nachkommen wurden dem Volk, von welchem wir sprechen, zugezählt. Die Kolonie reiste zunächst ungefähr in der Richtung nach Südosten, indem sie sich nahe der Küste des Roten Meeres hielt; dann änderte sie ihren Lauf und zog nach Osten durch die Halbinsel Arabien. Dort an der Küste des Ara- bischen Meeres baute sie ein Schiff, rüstete es aus und vertraute sich darin der göttlichen Obhut zur Überfahrt

') Siehe Anmerkung 1.

320 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.

Über die See an. Ihre Reise brachte sie weiter ostwärts, über den Indischen Ozean und schließlich über den süd- lichen Stillen Ozean an die Westküste Südamerikas, wo sie möglicherweise in der Nähe der heutigen Stadt Valparaiso in Chile landete (590 v. Chr.).

8. Die Leute siedelten sich an in dem Lande, das für sie das Land der Verheißung war. Viele Kinder wurden ihnen geboren und im Laufe weniger Generationen hatte eine zahlreiche Nachkommenschaft von dem Lande Besitz genommen. Nach Lehis Tod kam es zu einer Spaltung, dergestalt, daß sich ein Teil des Volkes Nephi der recht- mäßigerweise zum Prophetenamt bestimmt war zu sei- nem Führer erkor, während die übrigen Laman, den älte- sten Sohn Lehis, zu ihrem Führer ausriefen. Von da an war das geteilte Volk als die Nephiten und die Lamaniten bekannt. Zu Zeiten unterhielten sie ziemlich freundliche Beziehungen zu einander, im allgemeinen aber bekämpften sie sich, denn die Lamaniten bekundeten gegen ihre nephi- tischen Verwandten unversöhnlichen Haß und Feindschaft. Die Nephiten machten Fortschritte in den Künsten der Zivilisation, bauten große Städte und errichteten blühende Gemeinwesen ; doch fielen sie oft in Übertretungen, und der Herr züchtigte sie, indem er ihren Feinden gestattete, sie zu besiegen. Mit der Zeit breiteten sie sich nach Nor- den aus und besiedelten den nördlichen Teil Südamerikas; später überschritten sie den Isthmus und dehnten ihr Ge- biet auf den südlichen, zentralen und östlichen Teil der heutigen Vereinigten Staaten von Nordamerika aus. Die Lamaniten fielen, während sie an Zahl zunahmen, unter den Fluch der Finsternis. Sie wurden dunkel an Haut- farbe und niedrig an Geist, vergaßen den Gott ihrer Väter, führten ein wildes Nomadenleben und kamen in jenen ge- fallenen Zustand hinunter, in welchem die amerikanischen Indianer ihre buchstäblichen Nachkommen von de-

Art. 8.] Das Buch Mormon. 321

nen gefunden wurden, die den westlichen Erdteil in einer viel spätem Zeit entdeckten.

9. Die letzten Kämpfe zwischen Nephiten und Lamaniten spielten sich ab in der Nähe des Hügels Cumorah, im heutigen Staate New- York; ums Jahr 400 n. Chr. führten sie zur völligen Vernichtung der Nephiten. Der letzte dieses Volkes war Moroni; er wanderte von Ort zu Ort, um sich in Sicherheit zu bringen und erwartete täglich den Tod von den siegreichen Lamaniten, die die gänzliche Ausrottung ihrer weißen Blutsverwandten beschlossen hatten. Moroni schrieb den Schlußteil des Buches Mormon, verbarg die Urkunden in dem Hügel Cumorah und starb bald darauf. Es war dies derselbe Moroni, der in dieser Dispensation als ein auferstandenes Wesen die Berichte dem Propheten Joseph Smith übergab.

10. Die Jarediten. Von den zwei Völkern, deren Geschichte das Buch Mormon erzählt, war das erste nach der Zeitfolge das Volk Jareds, welches seinem Führer vom Turm zu Babel aus der Sprachen Verwirrung hinweg folgte. Seine Geschichte wurde von Ether auf 24 goldene Platten geschrieben. Ether war der letzte ihrer Propheten; er sah voraus, daß das Volk seiner Bosheit wegen vernichtet werden würde, weshalb er die geschichtlichen Platten ver- barg. Sie wurden später, im Jahre 123 v. Chr., von einer Expedition, welche der nephitische König Limhi ausgesandt hatte, aufgefunden. Der auf diesen Platten enthaltene Bericht wurde nachher von Mormon abgekürzt und in zu- sammengezogener Form dem Buch Mormon beigegeben. Er erscheint in der neuzeitlichen Übersetzung als das Buch Ether.

11. Der erste und größte Prophet der Jarediten wird in dem Bericht, den wir besitzen, nicht mit Namen genannt; er ist nur als der Bruder Jareds bekannt. Von dem Volke selbst erfahren wir, daß inmitten der Verwirrung Babylons

21

322

Die Glaubensartikel.

[Vorl. XIV.

Jared und sein Bruder den Herrn anflehten, er möge sie vor dem drohenden Fluch erretten. Ihr Gebet wurde er- hört. Der Herr führte sie mit einer zahlreichen Gesellschaft, als sie von der Befleckung des Götzendienstes frei war, von ihren bisherigen Heimstätten fort und versprach ihnen, daß er sie in ein Land bringen wolle, welches vor allen Ländern auserwählt sei. Der Verlauf ihrer Wanderung ist nicht genau angegeben. Wir lesen nur, daß sie den Ozean erreichten, dort acht Schiffe bauten und sich darin auf das große Wasser begaben. Diese Fahrzeuge waren klein und innen dunkel, der Herr machte jedoch gewisse Steine leuchtend, welche den eingeschlossenen Reisenden Licht gaben. Nach einer Reise von 344 Tagen landete die Kolonie an der westlichen Küste Nordamerikas, wahr- scheinlich an einer Stelle, die südlich des Golfes von Kali- fornien und nördlich vom Isthmus von Panama liegt.

12. Hier wurden sie ein blühendes Volk; da sie sich aber mit der Zeit Innern Streitigkeiten hingaben, spalteten sie sich in Parteien, welche einander bekämpften, bis schheßlich das ganze Volk vernichtet ward. Diese Zer- störung, welche in der Nähe des Hügels Ramah der nachher den Nephiten als der Hügel Cumorah bekannt war ihren Abschluß fand, fiel wahrscheinlich in die Zeit, als Lehi in Südamerika landete etwa ums Jahr 590 v. Chr. Der letzte Vertreter dieses unglücklichen Geschlechts war Coriantumr, ihr früherer König, von dem der Prophet Ether geweissagt hatte, daß er alle seine Untertanen über- leben werde, um zu sehen, wie ein anderes Volk von dem Land Besitz ergreifen werde. Diese Prophezeiung ging in Erfüllung, denn der König des ausgerotteten Volkes kam auf seiner einsamen Wanderung in eine Gegend, welche von dem Volke Mulek bewohnt wurde, einem Volk, von dem hier als von der dritten ausgewanderten Kolonie gesprochen werden soll.

Art. 8.] Das Buch Mormon. 323

13. Von Mulek wird uns gesagt, daß er ein Sohn Zedekias, des Königs von Juda, war und ein Kind noch, als seine Brüder einen gewaltsamen Tod und sein Vater grausame Qualen unter dem König von Babylon erlitten.^) Elf Jahre nach Lehis Abreise von Jerusalem wurde noch eine Kolonie von der Stadt weggeführt, unter welcher sich auch Mulek befand. Sein Name ist auch auf das Volk übergegangen vielleicht wegen seines anerkann- ten Rechts auf die Führerschaft vermöge seiner Abstam- mung. Der Bericht des Buches Mormon über Mulek und sein Volk ist spärlich. Wir erfahren jedoch, daß die Kolonie über die Gewässer gebracht wurde zu einer Landungsstelle auf dem nördlichen Teil des Festlandes. Die Nachkommen dieser Kolonie wurden unter Mosiah von den Nephiten entdeckt. Sie waren zahlreich geworden ; da sie aber keine heiligen Schriften zu ihrer Richtschnur hatten, waren sie in einen Zustand geistiger Verfinsterung geraten. Sie schlössen sich den Nephiten an, und ihre Geschichte ist mit derjenigen dieses größern Volkes verschmolzen. 2) Die Nephiten nannten Nordamerika das „Land Mulek".

Die alten Platten und die neuzeitliche Übersetzung.

14. Die Platten des Buches Mormon, wie sie von dem

Engel Moroni dem Propheten Joseph Smith übergeben wurden, waren nach der Beschreibung des Propheten der Neuzeit von Gold und einheitlich in der Form ungefähr 18 cm in der Breite und 20 cm in der Länge, in der Dicke etwas geringer als ein gewöhnliches Blatt Zinn. Sie wurden durch drei Ringe zusammengehalten, welche an einer Seite des Buches durch die Blätter liefen. Insgesamt bildeten sie ein Buch ungefähr 15 cm dick; jedoch wurde

1) Siehe 2. Könige 25 : 7. ') Omni 1 : 12—19.

324 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.

nicht alles übersetzt, weil ein Teil versiegelt war. Auf bei- den Seiten der Platten waren schöne kleine Schriftzeichen eingegraben, welche von solchen, die sie prüften, als seltenes Kunstwerk bezeichnet wurden und das Aussehen alter Herkunft hatten.

15. Im Titelblatt des Buches Mormon sind dreierlei Platten erwähnt, nämlich:

I. Die Platten Nephis, von denen gezeigt werden wird, daß zwei Klassen vorhanden waren:

a) die größern Platten,

b) die kleinern Platten.

II. Die Platten Mormons, welche eine Abkürzung der Platten Nephis enthielten, mit Beigaben von Mor- mon und seinem Sohne Moroni. III. Die Platten Ethers, welche, wie wir gesehen haben, die Geschichte der Jarediten enthielten. Außer diesen dreien kann noch eine andere Sorte von Platten angeführt werden, die in dem Buch Mormon er- wähnt ist, nämlich:

IV. Die Messingplatten Labans, welche von dem Volke Lehis aus Jerusalem mitgebracht wurden ; sie enthiel- ten die Stammbäume und die jüdischen Schriften, von welchen in den nephitischen Urkunden viele Aus- züge erscheinen.

Wir haben nun eingehend die Platten Nephis und die Abkürzung Mormons zu betrachten.

16. Die Platten Nephis werden so genannt, weil Nephi der Sohn Lehis, diese Platten anlegte und den Bericht be- gann. Diese Platten waren zwiefacher Art^) und können unterschieden werden als die „größern" und die „klei- nern Platten". Nephi begann seine Arbeit als Geschichts-

») 1. Nephi 9; 19:1—5; 2. Nephi 5:30; Jakob 1:1 1; Worte Mormons 1 : 3 7.

Art. 8.] Das Buch Mormon, 325

Schreiber indem er einen geschichtlichen Bericht von sei- nem Volk von der Zeit an, da sein Vater Lehi die Stadt Jerusalem verließ, auf die goldenen Platten eingravierte. Dieser Bericht erzählt die Geschichte ihrer Wanderungen, ihres Gedeihens und ihrer Trübsale und der Regierungen ihrer Könige und die der Kriege und Zwistigkeiten des Volkes. Der Bericht trägt den Charakter einer Weltge- schichte. Diese Platten wurden von einem Geschichts- schreiber an den andern weitergegeben durch alle Ge- schlechter des nephitischen Volkes hindurch, so daß der Bericht zu der Zeit, da Mormon ihn abkürzte, einen Zeit- raum von ungefähr 1000 Jahren umfaßte, er fängt an mit dem Jahre 600 v. Chr., da Lehi von Jerusalem auszog. Obschon diese Platten den Namen ihres Verfertigers tragen der zugleich auch der erste Schreiber war , so ist doch jeder gesonderte Bestandteil unter dem Namen seines eigenen Verfassers bekannt, so daß der ganze Be- richt aus vielen getrennten Büchern zusammengesetzt ist.

17. Auf Befehl des Herrn verfertigte der Prophet Nephi noch andere Platten, worauf er insbesondere die religiöse Geschichte seines Volkes aufzeichnete, und nur solche Fälle anders gearteter Ereignisse anführte, wie sie zum richtigen Verständnis der Erzählung notwendig schie- nen. , »Dennoch habe ich vom Herrn ein Gebot erhalten", sagt Nephi, ,, diese Tafeln für einen besondern Zweck zu machen, um einen Bericht von dem Wirken meines Volkes zu schreiben. "1) Der Zweck dieser doppelten geschichtli- chen Berichterstattung war Nephi unbekannt, es war ihm genug, daß der Herr die Arbeit verlangte; es wird noch ge- zeigt werden, daß sie einem weisen Zweck diente.

18. Mormons Abkürzung. Im Laufe der Zeit gelangten die Urkunden, die im gleichen Verhältnis wie die Geschichte

») 1. Nephi 9:,^.

326 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.

des Volkes gewachsen waren, in die Hände Mormons.^) Er unternahm es, von den umfangreichen Werken eine Ab- kürzung auf Platten niederzuschreiben, welche er mit eigener Hand verfertigt hatte. 2) Auf diese Weise ist ein mehr bündiger und in Stil, Sprache und Behandlung des Stoffes mehr einheitlicher Bericht zustandegekommen, als es wahrscheinlich der Fall gewesen wäre bei den verschiedenen Schriften der vielen Verfasser, die zu der großen Geschichte während ihres tausendjährigen Wachstums beigetragen haben. Mormon anerkennt und bezeugt die Inspiration Gottes, welche ihn veranlaßte, diese große Arbeit zu unter- nehmen.^) Bei der Abfassung dieser gekürzten Geschichte wahrte Mormon die Teilung des Berichtes in verschiedenen Büchern, nach der Anordnung der Originalurkunden; so finden wir die Bücher Nephis, das Buch Alma, das Buch Helaman usw. vor, obschon die Sprache jedenfalls diejenige Mormons ist, ausgenommen die wörtlichen Anführungen aus den Platten Nephis, die in der Tat zahlreich sind. 19. Als Mormon im Verlaufe seiner Abkürzung die Zeit des Königs Benjamin erreichte, machte der betref- fende Bericht auf Nephis kleinern Platten einen tiefen Eindruck auf ihn, der Bericht von dem Umgang Gottes mit den Menschen während eines Zeitraumes von etwa vier Jahrhunderten, d. h. von der Zeit des Auszuges Lehis aus Jerusalem bis zu dem König Benjamin. Diese Schil- derung, die so viele Prophezeiungen über die Mission des Heilandes enthielt, wurde von Mormon mit mehr als gewöhnlicher Anteilnahme betrachtet. Er versuchte nicht, bloß einen Auszug davon zu machen, sondern er schloß die Originale in seine eigene Abkürzung der größern Platten mit ein und machte so aus den zwei Büchern ein

') Worte Mormons 1:11; Mormon 1 : 1- ') 3. Nephi 5:8—11. ») 3. Nephi 5 : 14—19.

Art, 8.] Das Buch Mormon. 327

Buch. Der von Mormon zusammengestellte Bericht ent- hielt somit eine doppelte Schilderung über die Nachkom- menschaft Lehis für die Dauer der ersten vier Jahrhunderte ihrer Geschichte: die kurze weltliche Geschichte, als Auszug aus den größern Platten und den vollständigen Wortlaut der kleinern Platten. Mit ernsten Worten und mit einem Nachdruck, welchen spätere Geschehnisse als be- gründet erwiesen, zeugt Mormon von der verborgenen Weisheit des göttlichen Planes dieser Verdoppelung: ,, Dieses tue ich zu einem weisen Zwecke, denn so flüstert es mir der Geist des Herrn zu, welcher in mir ist. Ich weiß zwar nicht alle Dinge, aber der Herr weiß alles was da kommt; daher wirkt er in mir, nach seinem Willen zu tun."i)

20. Des Herrn Absicht. Der Zweck, den der Herr im Auge hatte, als er die von Mormon und auch von Nephi'^) bezeugte Verfertigung und Erhaltung der kleinern Platten anordnete, ist durch gewisse Umstände in dieser Dispen- sation, welche mit der Übersetzung des Werkes zusammen- hängen, offenbar geworden. Als der Prophet Joseph Smith die Übersetzung des ersten Teiles der Schriften Mormons fertiggestellt hatte, wurde ihm das Manuskript auf unrechte Art abgewonnen, und zwar durch Martin Harris, dem er sich in gewissem Grade für die finanzielle Hilfe bei der Veröffentlichung des Buches verpflichtet fühlte. Dieses Manuskript, im ganzen 116 Seiten, erhielt Joseph niemals wieder zurück. Es fiel durch die dunklen Machenschaften der bösen Macht in die Hände der Feinde, welche unver- züglich einen niederträchtigen Plan entwarfen, um Joseph Smith lächerlich zu machen und die Absichten Gottes zu vereiteln. Dieses schändliche Vorhaben zielte dahin, zu warten bis Joseph den abhandengekommenen Teil

') Worte Mormons 1 : 7. ») 1. Nephi 9:5.

328 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.

nochmals übersetzt hätte, worauf das Manuskript, welches inzwischen so geändert wurde, daß es genau das Gegen- teil des wahren Berichtes sagte, hervorgebracht werden sollte als Beweis dafür, daß Joseph Smith unfähig sei, ein und dieselbe Stelle zweimal gleichlautend zu übersetzen; die Weisheit des Herrn ließ jedoch den bösen Plan zuschan- den werden.

21. Nachdem Gott den Propheten gezüchtigt hatte, indem er ihm die Gabe der Übersetzung eine Zeitlang ent- zog, wie auch die heiligen Urkunden dies wegen der Unachtsamkeit, mit welcher er die Schriften in unheilige Hände gelangen ließ , war der Herr seinem reumütigen Diener wieder gnädig und offenbarte ihm die Absichten seiner Feinde.^) Zur gleichen Zeit zeigte er ihm, wie alle diese bösen Machenschaften zunichte gemacht werden sollten. Joseph wurde zu diesem Zwecke angewiesen, die nochmalige Übersetzung desjenigen Teiles der Abkürzung Mormons, der gestohlen worden war, zu unterlassen. Statt dessen sollte er den Bericht über dieselben Ereignisse von den Platten Nephis übersetzen von jenen kleinern Platten, welche Mormon seiner eigenen Abkürzung ein- verleibt hatte. Die auf diese Weise gewonnene Überset- zung wurde deshalb als der Bericht Nephis veröffentlicht und nicht als die Schrift Mormons; von den Teilen, von de- nen das gestohlene Manuskript genommen war, wurde somit keine zweite Übersetzung angefertigt.

22. Die Übersetzung des Buches Mormon kam durch die Macht Gottes zustande, wie sie sich in der Erteilung der Gabe der Offenbarung kund gibt. Das Buch will nicht von der Weisheit und Gelehrsamkeit der Menschen abhängig sein; sein Übersetzer war nicht gelehrt in der Sprachforschung, seine Befähigung war vielmehr von einer

') Lehre u. Bündn., Abschnitt 10.

Art. 8.] Das Buch Mormon. 329

sehr verschiedenen und weit wirksamem Art. Mit den Platten erhielt Joseph von dem Engel Moroni noch andere heilige Kostbarkeiten einschließlich einer Brustplatte, welcher der Urim und Thummim^) beigegeben war die Nephiten nannten ihn den „Ausleger" , und mit seiner Hilfe war er imstande, die alten Urkunden in eine neu- zeitUche Sprache zu übertragen. Die Einzelheiten der Über- setzung sind nicht verbürgt berichtet worden, mit Aus- nahme der Feststellung, daß der Übersetzer mit Hilfe der Instrumente die eingegrabenen Schriftzeichen prüfte und dann dem Schreiber die englischen Sätze diktierte,-

23. Joseph begann seine Arbeit, indem er geduldig eine Anzahl Schriftzeichen abschrieb und dann einigen so vorbereiteten Seiten die Übersetzung beifügte. Martin Harris, der erste Gehilfe des Propheten bei dieser Arbeit, erhielt die Erlaubnis, einige dieser Abschriften zu sich zu nehmen zu dem Zweck, dieselben einigen Männern zur Prüfung zu unterbreiten, welche auf dem Gebiet der alten Sprachen bewandert waren. Er legte eine Anzahl Blätter dem Professor Charles Anthon von der „Columbia-Univer- sität" vor, welcher nach sorgfältiger Prüfung bezeugte, daß die Schriftzeichen im allgemeinen von altägyptischer Art seien und daß die entsprechende Übersetzung richtig scheine. Als er hörte, wie die alten Urkunden in den Be- sitz Joseph Smiths gelangten, ersuchte der Professor Herrn Harris, ihm das Buch mit den Urschriften zur Prü- fung zu überbringen; als er dann erfuhr, daß ein Teil des Buches versiegelt ist, bemerkte er: ,,Ich kann ein versie- geltes Buch nicht lesen!" So erfüllte dieser Mann unbe- wußt die Prophezeiung Jesajas inbezug auf das Hervor- kommen des Buches: ,,Daß euch aller Propheten Gesichte

') Lehre u. Bündn. 10: 1; H: 1; 130: 8—9; Mosiah 8: 13—19; Ether 3: 23— 28.

330

Die Glaubensartikel.

[Vorl. XIV.

sein werden wie die Worte eines versiegelten Buches, welches man gäbe einem, der lesen kann, und spräche: Lies doch das! und er spräche: Ich kann nicht, denn es ist versiegelt.!) Ein anderer Sprachforscher, Dr. Mitchell von New-York, gab, nachdem er die Schriftzeichen ge- prüft hatte, über sie ein Zeugnis, das in allen wesentlichen Punkten mit dem des Professors Anthon übereinstimmt. 24. Die Zusammensetzung des Buches Mormon. Das Buch Mormon umfaßt fünfzehn verschiedene Teile, sogenannte Bücher, die nach den Namen ihrer Hauptverfasser unter- schieden werden. Von diesen sind die ersten sechs Bücher wortgetreue Übersetzungen von entsprechenden Teilen der kleinern Platten Nephis, nämlich; das 1. und 2. Buch Nephi, die Bücher Jakob, Enos, Jarom und Omni. Der Hauptteil des Buches vom Buch Mosiah bis Mormon, Kapitel 7 ist die Übersetzung von Mormons Abkürzung der größern Platten Nephis. Zwischen den Büchern Ja- rom und Mosiah erscheinen die ,, Worte Mormons" und ver- binden den Bericht Nephis, wie er auf den kleinern Platten verzeichnet ist mit Mormons Auszug aus den größern Platten für den nachfolgenden Zeitraum. Die Worte Mor- mons können als eine kurze Erklärung der vorangehenden Teile und als Vorwort für die nachfolgenden angesehen werden. Der letzte Teil des Buches Mormon, vom Beginn des 8. Kapitels Mormon bis zum Schluß ist in der Sprache Moronis, des Sohnes Mormons geschrieben, der zunächst den Bericht seines Vaters fertigstellte und dann einen Aus- zug aus Platten anfügte, welche die Urkunden der Jare- diten enthielten; dieser Auszug erscheint als das Buch Ether.2)

25. Als Moroni schrieb, stand er allein als der einzige überlebende Vertreter seines Volkes. Der letzte

») Jesaja 29: 11. ») Siehe Seite 321.

Art. 8.] Das Buch Mormon. 331

der fürchterlichen Kriege zwischen den Nephiten und den Lamaniten hatte die völlige Vernichtung des nephitischen Volkes zur Folge. Moroni glaubte, sein Auszug aus dem Buche Ether werde seine letzte literarische Arbeit sein, als er aber bei der Beendigung dieses Unternehmens wunderbarerweise noch am Leben war, fügte er die Teile an, die als das Buch Moroni bekannt sind; es sind dies Angaben über die Zeremonien der Ordination, der Taufe, der Austeilung des heiligen Abendmahles usw. und gewisse Äußerungen und Briefe seines Vaters.

Die Echtheit des Buches Mormon.

26. Dem ernsthaften Prüfer des Buches Mormon wird es bei seiner Untersuchung am meisten um die Zuverläßig- keit des erhabenen Berichtes zu tun sein. Dieses Thema kann von zwei Gesichtspunkten aus betrachtet werden und zwar

1. von dem der Echtheit des Buches Mormon, d. h. von dem Erbringen des Beweises, daß das Buch das ist, was es vorgibt zu sein eine wirkliche Übersetzung alter Urkunden und

2. von der Glaubwürdigkeit der Urschriften, wie sie von Innern und äußern Beweisen gezeigt wird.

27. DieEehtheit des Buches Mormon wird einem jeden offenbar werden, der die Umstände seines Hervorkommens einer vorurteilsfreien Prüfung unterzieht. Die vielen so- genannten Theorien über seinen Ursprung sind im allge- meinen zu unhaltbar und zu albern, als daß sie eine ernst- liche Beachtung verdienten. Torheiten, wie sie von vorurteilsvollen Gegnern des Werkes Gottes vorgebracht werden, um das Buch Mormon als das Produkt eines einzelnen Verfassers hinzustellen, oder als ein von Men- schen abgekartetes, betrügerisches Werk, oder in irgend-

332 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.

einer Weise als eine Zusammenstellung der Neuzeit, finden ihre Widerlegung in sich selbst. i) Die Heiligkeit der Platten verbot ihre Schaustellung zum Befriedigen persönlicher Neugierde, jedoch wurden sie von einer Anzahl ehrenhafter Männer geprüft, und diese Zeugen haben der Welt ihr feierliches Zeugnis inbezug auf die von ihnen festgestellten Tatsachen gegeben. Im Juni 1829 gingen die Prophezei- ungen betreffs der drei Zeugen, welche das im Buch Mormon enthaltene Wort Gottes bestätigen sollten,^) in Erfüllung. Durch die Kundgebung der göttlichen Macht wurde die Echtheit der Urkunden drei Männern kundgetan, und ihr Zeugnis ist allen Ausgaben des Buches beigegeben. 28. Die Aussage der drei Zeugen. Allen Völkern, Ge- schlechtern, Sprachen und Leuten, zu denen dieses Werk gelangen wird, sei kundgetan, daß wir durch die Gnade Gottes, des Vaters und unsers Herrn Jesu Christi die Tafeln, die diese Urkunde enthalten, gesehen haben. Dieselbe ist eine Urkunde des Volkes Nephi und auch ihrer Brüder, der Lamaniten, wie auch des Volkes Jared, die von dem Turm, von welchem geredet worden ist, kamen, und wir wissen, daß sie durch Gottes Gabe und Macht übersetzt worden sind, denn seine Stimme hat es uns erklärt; daher wissen wir mit Bestimmtheit, daß das Werk wahr ist. Wir bezeugen, daß wir die Gravierungen, die auf den Platten sind, gesehen haben, und durch Gottes, nicht durch mensch- liche Macht, sind sie uns gezeigt worden. Wir erklären mit ernsthaften Worten, daß ein Engel Gottes vom Himmel herniederkam, die Platten brachte, und sie vor unsern Au- gen niederlegte, so daß wir sie mit den Gravierungen darauf gesehen und betrachtet haben. Wir wissen, daß wir dieses allein durch die Gnade Gottes, des Vaters, und unsres Herrn

•) Siehe Anmerkung 2.

') 2. Nephi 11:3; 27:12—13. Ether 5:3 i; siehe auch Lehre u. Bündn. 5:11— 15; 17:1— 9.

Art. 8.] Das Buch Mormon. 333

Jesu Christi sahen und bezeugen, daß diese Dinge wahr sind. Es ist wunderbar in unsern Augen, doch befahl uns die Stimme des Herrn, daß wir darüber zeugen sollten. Um daher den Befehlen Gottes zu gehorchen, geben wir Zeugnis von diesen Dingen. Wir wissen auch, wenn wir in Christo getreu sind, so werden wir unsere Gewänder von dem Blute aller Menschen rein waschen und ohne Makel vor dem Richterstuhl Christi stehen und werden ewig mit ihm in dem Himmel wohnen. Ehre sei dem Vater und dem Sohne, und dem Heiligen Geiste, welches ein Gott ist.

Oliver Cowdery, David Whitmer, Martin Harris.

29. Dieses Zeugnis ist von keinem der Zeugen, deren Namen die Unterschriften nennen,^) je widerrufen oder auch nur abgeändert worden, obschon sie alle der Kirche den Rücken kehrten und gegenüber Joseph Smith Gefühle hegten, die sich beinahe bis zum Haß steigerten. Bis ans Ende ihrer Tage hielten sie ihre feierliche Erklärung von dem Besuche eines Engels und von dem Zeugnis, das in ihre Herzen gepflanzt worden war, aufrecht. Kurz nachdem die drei Männer die Platten in Augenschein ge- nommen hatten, wurde weitern acht Personen erlaubt, die altertümlichen Berichte zu sehen und mit ihren Händen anzufassen. Auch damit ging eine Prophezeiung in Erfül- lung, denn es wurde schon vor alters gesagt, daß Gott neben den dreien ,,noch mehr Zeugen senden werde^)" deren Zeugnis dem der drei angefügt werden sollte. Vermut- lich war es im Juli 1829 als Joseph die Platten den acht Männern, deren Namen der nachstehenden Erklärung beigegeben sind, zeigte.

') Siehe Anmerkung 3. •) 2. Nephi 11:3.

334 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.

30. Die Aussage der acht Zeugen. Allen Völkern, Geschlechtern, Sprachen und Leuten, zu denen dieses Werk gelangen wird, sei kundgetan, daß Joseph Smith jun., der Übersetzer dieses Werkes, uns die Platten, von denen gesprochen worden ist, und welche wie Gold aussa- hen, gezeigt hat. Soviele Platten wie genannter Smith über- setzte, haben wir mit unsern Händen angefaßt, und auch die Gravierungen darauf gesehen; alle diese haben ein alter- tümliches Aussehen und sind sonderbar gearbeitet. Und dieses bezeugen wir mit ernsthaften Worten, daß genannter Smith sie uns gezeigt hat, denn wir haben dieselben ge- sehen und angefaßt und wissen mit Sicherheit, daß genann- ter Smith die Platten hat, von denen wir geredet haben. Wir geben der Welt unsere Namen, um ihr als Zeugnis von dem, was wir gesehen haben, zu dienen. Wir lügen nicht und rufen Gott zum Zeugen an.

Christian Whitmer, Hiram Page,

Jakob Whitmer, Joseph Smith sen.,

Peter Whitmer jun., Hyrum Smith,

John Whitmer, Samuel H. Smith.

31. Drei dieser acht Zeugen starben außerhalb der Kirche, jedoch wurde von keinem bekannt, daß er jemals sein Zeugnis von dem Buch Mormon ver- leugnet hätte. ^) Hier sind also Beweise verschiedener Art für die Echtheit des Buches. Gelehrte Sprachkun- dige bezeichnen die Schriftzeichen als echt. Elf Män- ner von ehrenhaftem Rufe beschwören feierlich, daß sie die Platten gesehen haben. Und die Natur des Buches selbst unterstützt die Behauptung, daß es nichts mehr und nichts weniger ist, als die Übersetzung alter Urkunden und Berichte. 2)

') Siehe Anmerkung 4. ') Siehe Anmerkung 5.

Art. 8.] Anmerkungen. 335

Anmerkungen.

1. Das Titelblatt des Buches Mormon. „Ich wünsche hier zu er- wähnen, daß das Titelblatt des Buches Mormon eine wörtliche Übersetzung der linken Seite des allerletzten Blattes der Sammlung von Büchern oder Platten ist, wovon die Urkunden übersetzt worden sind die Sprache des Ganzen verläuft wie alles hebräisch geschriebene im allgemeinen verläuft und daß die genannte Titelseite in keiner Weise eine Zusammenstellung der Neuzeit ist, weder von mir noch von irgend einem andern Menschen, der in dieser Dispensation lebt oder gelebt hat." Joseph Smith.

2. Theorien über den Ursprunji des Buches Mormon. Die Spanl- dinfl-Gesehlchte. Der wahre Bericht von der Herkunft des Buches Mor- mon wurde von der Öffentlichkeit im allgemeinen verworfen; diese über- nahm damit die Verantwortlichkeit, den Ursprung des Buches in irgend einer andern vernünftigen Weise zu erklären. Viele haltlose Meinungen und Vermutungen, die zumeist auf der unglaubwürdigen Annahme beruhen, das Buch sei das Werk eines einzelnen Verfassers, wurden vorgebracht. Von diesen ist die berühmteste und in der Tat die einzige, die lange genug in öffentlicher Gunst verblieb, um besprochen zu werden, die sogenannte „Spaulding Story". Salomon Spaulding, ein Geistlicher von Amity, Pennsylvanien, schrieb einen Roman, dem kein anderer Titel als die„Manus- cript Story" verliehen worden war. Zwanzig Jahre nach dem Tode des Verfassers machte ein von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage Abgefallener, ein gewisser Hurlburt, bekannt, Spauldings Roman gleiche dem Buch Mormon; er sprach zugleich seine Überzeugung aus, daß das von Joseph Smith der Welt übergebene Buch nichts anderes sei, als der abgeänderte und erweiterte Roman Spauldings. Das Spauldingsche Manuskript war eine Zeitlang verloren und beim Fehlen eines gegenteiligen Beweises melirten sich die Erzählungen von der Ähnlichkeit der beiden Werke. Aber ein glücklicher Zufall brachte das verlorene Manuskript im Jahre 1884 wieder ans Tageslicht. Präsident James H. Fairchild von der Oberlin-Universität in Ohio und sein literarischer Freund, ein Herr Rice, fanden die Urschrift beim Durchsuchen einer Sammlung alter Schriften, die Herr Rice käuflich erworben hatte. Die Herren stellten einen sorgfäl- tigen Vergleich zwischen dem Manuskript und dem Buche Mormon an. Lediglich von dem Wunsche beseelt, der Wahrheit zu dienen, veröffentlich- ten sie das Ergebnis. Präsident James H. Fairchild ließ am 5. Februar 1885 im „New- York Observer" einen Artikel erscheinen, in welchem er sagt:

„Die Theorie, daß das Buch Mormon aus dem sagenhaften Manu- skript von Salomon Spaulding entstanden sei, muß jedenfalls aufgegeben werden***. Herr Rice, ich selbst und andere verglichen es (das Spaulding- sche Manuskript) mit dem Buche Mormon und entdeckten keine Ähnlich- keit zwischen den beiden***. Es muß eine andere Erklärung des Buches Mormon gefunden werden, falls eine solche verlangt wird."

Das Manuskript wurde der Bibliothek der Oberlin-Universität ein- verleibt, wo es sich heute noch befindet. Noch immer wird aber das Mär- chen von dem „gefundenen Manuskript", wie Spauldings Geschichte später genannt wurde, gelegentlich in den Dienst der hitzigen „Mormonen"- Gegner gez^vungen, und zwar von Leuten, von denen wir gutmütigerweise annelimen wollen, daß sie die von Präsident Fairchild ans Licht gebrachte

.336

Die Glaubensartikel.

[Vorl. XIV.

Tatsache nicht kennen. Ein Brief neuern Datums, den derselbe Herr als Antwort auf eine diesbezügliche Anfrage geschrieben hat, wurde am 3. November 1898 im „Millennial Star", Liverpool, veröffentlicht; er lautet:

ObcrUn CoUege, Ohio,

17. Oktober 1895.

J. R. Hindley, Esq.

Werter Herr!

Wir haben in unserer Bibliothek die Urschrift von Salomon Spaulding, die fraglos echt ist.

Ich fand sie im Jahre 1884 im Besitz von Herrn L. L. Rice, in Honolulu auf den Hawai - Inseln. Er war früher Staatsdrucker in Columbus, Ohio, und vorher Herausgeber einer Zeitung in Painesville. Sein Vorgänger besuchte Frau Spaulding und erhielt von ihr das Manuskript. Es lag vierzig oder mehr Jahre imter seinen alten Schriften und kam beim Suchen nach Dokumenten über Antisklavcrei zum Vorschein.

Diese Urschrift ist von verschiedenen Männern aus Conneaut, O., unterschrieben, denen sie Spaulding vorgelesen hatte und diese wußten, daß sie die seine war. Niemand, der sie sieht, wird ihre Echtheit in Frage stellen. Das Manuskript wurde wenigstens zweimal abgedruckt einmal von den Mormonen in Salt Lake City und einmal von den josephitischen Mormonen in Iowa. Die Mormonen in Utah erhielten die Abschrift von Herrn Rice in Honolulu und die Josephiten bekamen sie, nachdem sie in meinen Besitz gelangt war.

Die Urschrift ist nicht das Original des Buches Mormon.

Ihr ergebener

Jas. H. Fairchüd.

Gedruckte Exemplare des ,, Gefundenen Manuskripts" sind erhält- lich und jeder Beteiligte kann selbst prüfen. Für weitere Mitteilimgen ver- weisen wir auf „The Myth of the Manuscript found" vom Ältesten George Reynolds in Salt Lake City; Whitney's „History of Utah", Band I, S. 46 56 ; George Reynolds Einleitung zu der Geschichte, wie sie von der „Deseret News" im Jahre 1886 in der Salzsecstadt veröffentlicht wurde, sowie auf die Geschichte selbst. Siehe ferner drei Artikel von Präsident Joseph E. Smith in der „Improvement Era", Band III, Seite 241, 377, 451.

3. Die drei Zeagen. Oliver Cowdery, geboren zu Wells, Rutland Co., Vermont, im Oktober 1805, getauft am 15. Mai 1829, starb am 3. März 1850 zu Richmond, Mo.

David Whitmer, geboren bei Harrisburg, Fa. am 7. Januar 1805, ge- tauft im Juni 1829, von der Kirche ausgeschlossen am 13. April 1838, starb zu Richmond am 25. Januar 1888.

Martin Harris, geboren in Easttown, Saratoga Co. New- York, am 18. Mai 1783, wurde im Jahre 1830 getauft, zog nach Utah im August 1870 und starb zu Clarkstown, Cache Co. Utah, am 10. Juli 1875.

4. Die acht Zeugen. Ciiristian Wliitmer, geboren am 18. Januar 1798, getauft am 11. April 1830, starb in voller Gemeinschaft mit der Kirche zu Clay County, Missouri, am 27. November 1835. Er war Peter Whitmers ältester Sohn.

Art. 8] Anmerkungen. 337

Jakob Whitmer, Peter Whitmers z%veiter Sohn, geboren am 27. Ja- nuar 1800 in Pennsylvania, am 11. April 1830 getauft, starb am 21. April 1856 nachdem er sich vorher von der Kirche zurückgezogen hatte.

Peter Whitmer jim., geboren am 27. Januar 1809, war Peter Whit- mers fünfter Sohn; er wurde getauft im Juni 1829 und starb am 22. Sep- tember 1836 als ein treues Mitglied der Kirche, in oder bei Liberty, Clay County, Missouri.

John Whitmer, Peter Whitmers dritter Sohn, wurde am 27. August 1802 geboren, im Juni 1829 getauft, am 10. März 1838 von der Kirche aus- geschlossen und starb in Far West, Missouri, am 11. Juli 1878.

Dyrum Page, geboren im Jahre 1800, zu Vermont, wurde am 11. April 1830 getauft, zog sich im Jahre 1838 von der Kirche zurück und starb am 12. August 1852 zu Ray County, Missouri.

Joseph Smith sen., der Vater des Propheten, wurde am 12. Juli 1771 in Topsfield, Essex Co., Mass. geboren, am 6. April 1830 getauft, und am 18. Dezember 1838 zum Patriarchen der Kirche ordiniert. Er starb in voller Gemeinschaft mit der Kirche in Nauvoo, Dl., am 14. September 1840.

Hyrum Smith, Joseph Smiths sen., zweiter Sohn, geboren am 9. Februar 1800 zu Tunbridge, Vermont, wurde im Juni 1829 getauft, am 7. November 1837 in die Erste Präsidentschaft der Kirche gewählt, am 19. Januar 1841 zum Patriarchen der Kirche berufen, und erlitt mit seinem Bruder, dem Propheten, am 27. Juni 1844 zu Carthage, 111., den Märlyrer- tod.

Samuel Harrison Smith, wurde am 13. März 1808 als Joseph Smiths sen., vierter Sohn zu Tunbridge, Vermt. geboren, am 15. Mai 1829 getauft; er starb am 30. Juli 1844.

5. Die Übereinstimmung des Buches Mormon mit andern entspre- chenden Wahrheiten. „Wenn man den geschichtlichen Teil des Buches mit dem wenigen, was aus andern Quellen über die Geschichte des alten Amerika bekannt wurde, vergleicht, wird man viele Beweise für die Wahr- heit des Buches Mormon finden. Dagegen wird man unter all den Über- resten des Altertums nicht eine Tatsache entdecken, die den geschichtlichen Wahrheiten des Buches Mormon entgegensteht. Wird der prophetische Teil dieses wunderbaren Buches mit den prophetischen Angaben der Bibel verglichen, so wird man darin \iple Beweise für die Wahrheit des Buches Mormon finden. Obschon das Buch Mormon viele Prophezeiungen über die Ereignisse der letzten Tage enthält, über die uns die Bibel nichts wissen läßt, so findet sich doch in der Bibel nichts, das dem Buch Mormon auch mu- im geringsten widerspricht. Vergleicht man den lehrhaften Teil des Buches Mormon mit den Lehren der Bibel, so wird sich dieselbe vollkommene Übereinstimmung wie bei den prophetischen Teilen der beiden Bücher her- ausstellen. Obschon viele Punkte der Lehre Christi im Buch Mormon weit klarer und bestimmter behandelt werden als in der Bibel, und obschon jenes Buch viele geoffenbarte Dinge enthält inbezug auf die verschiedenen Lehren, die wir aus der Bibel nie hätten voll und ganz erfahren können, so ist doch in den beiden heiligen Büchern nicht der kleinste Bruchteil einer Lehre enthalten, der sich widersprechen, oder der nicht mit den andern über- einstimmen würde. Werden die verschiedenen Bücher, die zusammenge- stellt das Buch Mormon ausmachen, sorgfältig mit einander verglichen,

22

338 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIV.

so wird weder in Geschichte noch in Prophezeiung noch in Lehre irgend ein Widerspruch gefunden werden Icönnen. Vergleichen wir die geschicht- lichen, prophetischen und lehrhaften Teile des Buches Mormon mit den großen Wahrheiten aus Wissenschaft und Natur, so \sird sich auch hier kein Widerspruch, keine Torheit und nichts Unvernünftiges finden. Es besteht somit zwischen den im Buch Mormon geoffenbarten großen Wahr- heiten und allen andern bekannten Wahrheiten, seien sie nun religiös, ge- schichtlich oder %\issenschaftlich, die vollkommenste Ubercinstimmmig." Apostel Orson Pratt in „Der göttliche Ursprung des Buches Mormon". Seite 56.

Art. 8.] Das Buch Mormon. 339

Vorlesung XV. Das Buch Mormon (Fortsetzung).

Artikel 8. * * Wir glauben auch an das Buch Mormon als das Wort Gottes.

Die Echtheit des Buches Mormon.

1. Seine göttliche Herkunft bildet den wichtigsten Teil unserer Betrachtung über das Buch Mormon. Dieses Thema ist für jeden ernsthaften Sucher nach den Wegen Gottes, für jeden aufrichtigen Wahrheitssucher von le- bendigem Interesse. Als ein Buch, das behauptet eine neue Heilige Schrift zu sein soweit die gegenwärtige Dispensation in Betracht kommt , ein Buch, das Pro- phezeiungen und Offenbarungen enthalten will, die bisher in der Theologie nicht anerkannt waren, ein Buch, das der Welt von einem vergangenen Volke eine Botschaft bringt, geschrieben auf göttlichen Befehl und durch den Geist der Prophezeiung und Offenbarung, als solches ist das Buch Mormon berechtigt, gründlichste und unparteiischste Prü- fung zu erwarten. Mehr als das: nicht allein verdient das Buch Mormon eine derartige Beachtung, sondern es be- ansprucht und fordert dieselbe; denn sicherlich kann nie- mand, der vorgibt auch nur den gewöhnlichsten Glauben an die Macht und Autorität Gottes zu haben, mit Gleich- gültigkeit die Verkündung einer neuen Offenbarung ent- gegennehmen, die das Siegel der göttlichen Autorität auf- weist. Die Frage der göttlichen Herkunft des Buches Mormon ist deshalb eine Frage, die die ganze Welt angeht.

340 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

2. Die Heiligen der letzten Tage gründen ihren Glau- ben an die Echtheit und Glaubwürdigkeit des Buches auf folgende Beweise: I. Die allgemeine Übereinstimmung des Buches Mormon

mit der Bibel. II, Die Erfüllungen alter Prophezeiungen, die durch das

Hervorkommen des Buches Mormon verwirklicht

worden sind. III. Die strenge Einheitlichkeit und Übereinstimmung

des Buches Mormon mit sich selbst.

IV. Die offenkundige Wahrheit der darin enthaltenen Prophezeiungen .

Diesen Beweisen können noch gewisse von außen kommende angefügt werden, als da sind:

V. Die starken bestätigenden Beweise, welche die neu- zeitlichen Entdeckungen auf dem Gebiete der Alter- tumsforschung und Völkerkunde geliefert haben.

I. Das Buch Mormon und die Bibel.

3. Die nephitischen und jüdischen Schriften stimmen in allen Punkten der Überlieferung, der Geschichte, der Lehre und der Prophezeiung, welche die beiden Berichte gemeinsam behandeln, überein. Diese beiden Bände von Heiligen Schriften wurden auf zwei entgegengesetzten Erdhälften unter Bedingungen und Verhältnissen erstellt, die sehr verschieden waren; und doch besteht zwischen beiden eine überraschende Harmonie, wodurch die göttliche Inspiration in beiden Werken bestätigt wird. Das Buch Mormon enthält eine Anzahl Anführungen aus den jüdischen Schriften wovon eine Abschrift als ein Teil des auf die Platten Labans eingravierten Berichtes, soweit als er fertiggestellt war zur Zeit des Aus- zuges Lehis aus Jerusalem, nach dem westlichen Erd-

Art. 8.] Das Buch Mormon. 341

teil hinübergenommen wurde. In solchen Fällen besteht kein wesentlicher Unterschied zwischen dem Wortlaut der Bibel und dem des Buches Mormon ausgenommen da, wo die Wahrscheinlichkeit eines Irrtums in der Übersetzung vorliegt, was gewöhnlich aus den Widersprüchen und dem Mangel an Klarheit des biblischen Textes hervorgeht. Es gibt indessen zahlreiche kleinere Verschiedenheiten in den entsprechenden Teilen der beiden Bände, und in solchen Fällen ergibt eine Prüfung meist eine überlegene Klarheit und Deutlichkeit der nephitischen Schrift.

4. Bei einer sorgfältigen Vergleichung von Prophe- zeiungen der Bibel mit entsprechenden des Buches Mormon, wie z. B. über die Geburt, das irdische Wirken, den Kreuzestod und das zweite Kommen Christi, oder solche, die sich auf die Zerstreuung und die darauffolgende Samm- lung Israels, oder auf die Gründung Zions und die Wieder- erbauung Jerusalems in den letzten Tagen beziehen, wird man feststellen können, daß der eine Bericht den andern bestätigt. Gewiß, es ist wahr: in dem einen Buch finden sich viele Prophezeiungen, die in den andern nicht enthalten sind, aber in keinem Falle ließe sich zwischen beiden ein Widerspruch oder eine Unvereinbarkeit feststellen. Die gleiche Übereinstimmung ist zwischen den lehrhaften Teilen der beiden Schriftbände beobachtet worden.

5. Über die Übereinstimmung des Buches Mormon mit der Bibel und über andere Vergleichsmaßstäbe hat der Apostel Orson Pratt folgende kräftige und wahre Worte geschrieben: „Wenn die Wunder des einen Buches mit denen des andern verglichen werden, so kann an den Wun- dern, die das Buch Mormon berichtet, nichts gefunden wer- den, was schwerer zu glauben wäre, als das, was die Bibel über Wunder berichtet. Vergleichen wir die prophetischen, die geschichtlichen und die lehrhaften Teile des Buches Mormon mit den Wahrheiten aus der Natur und der Wis-

342 Die Glaubensartikel. IVorl. XV.

senschaft, so finden wir keine Widersprüche, keine Sinn- losigkeiten und nichts Unvernünftiges. Die vollständigste Harmonie besteht deshalb zwischen den im Buch Mor- mon geoffenbarten großen Wahrheiten und allen andern bekannten Wahrheiten seien sie nun religiös, geschichtlich oder wissenschaftlich. "1)

IL Alte Prophezeiungen über das Buch Mormon.

6. Durch das Hervorkommen des Buches Mormon sind alte Prophezeiungen buchstäblich erfüllt worden. Einer der frühesten prophetischen Aussprüche, die sich unmittelbar auf dieses Thema beziehen, ist der des vor- sintflutlichen Propheten Henoch, dem der Herr seine Pläne für alle kommenden Zeiten offenbarte. Als Henoch im Verlaufe seines Gesichts die nach der Himmelfahrt Christi einsetzende Verderbtheit der Menschen mitansehen mußte, schrie er zu Gott: ,, Wirst du nicht wieder auf die Erde kommen?" Und der Herr sagte zu Henoch: „So wahr ich lebe, werde ich in den letzten Tagen kommen.*** Und der Tag soll kommen, daß die Erde ruhen soll, aber vor jenem Tage sollen die Himmel verfinstert werden, und ein Schleier der Finsternis soll die Erde bedecken; und die Himmel sollen beben, und auch die Erde; und große Trüb- sale sollen unter den Menschenkindern sein; aber mein Volk werde ich erhalten. Und Gerechtigkeit will ich herab- senden aus dem Himmel, und Wahrheit will ich aus der Erde hervorsenden, um von meinem Eingeborenen Zeugnis zu geben.*** Gerechtigkeit und Wahrheit will ich die Erde überschwemmen lassen wie eine Flut, um meine Auserwähl-

^) „Divine Authenticity of the Book of Mormon". Orson Pratts Werke, S. 236 (Utah-Ausg. 1891).

Art. 8.] Das Buch Mormon. 343

ten von den vier Teilen der Erde zu sammeln, an einen Ort, den ich bereiten werde.^)

Die Heiligen der letzten Tage betrachten das Hervor- kommen des Buches Mormon zusammen mit der Wieder- herstellung des Priestertums durch das unmittelbare Mit- wirken himmlischer Boten als eine Erfüllung dieser und ähnlicher Prophezeiungen, die in der Bibel enthalten sind.

7. Biblisehe Prophezeiungen und ihre Erfüllung. David, der seine Psalmen über tausend Jahre vor der „Mitte der Zeiten" sang, bezeugt, ,,daß Treue aus der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue. "2) Gleiches wird von Jesaja^) gesagt, Hesekiel*) sah in einem Gesicht das Zusammenkommen des Holzes Juda und des Holzes Joseph, womit, wie die Heiligen der letzten Tage betonen, die Bibel und das Buch Mormon gemeint sind. Diese eben erwähnte Stelle lautet in den Worten Hesekiels wie folgt: „Und des Herrn Wort geschah zu mir und sprach: Du Menschen- kind, nimm dir ein Holz und schreibe darauf: Des Juda und der Kinder Israel, seine Zugetanen. Und nimm noch ein Holz und schreibe darauf: Des Joseph, nämlich das Holz Ephraims, und des "ganzen Hauses Israel, seiner Zu- getanen. Und tue eines zum andern zusammen, daß es ein Holz werde in deiner Hand."

8. Wenn wir uns erinnern, wie in alten Zeiten Bücher angefertigt wurden, indem man auf lange Pergament- streifen schrieb und sie auf einen Stab oder ein Holz auf- wickelte, so wird der Gebrauch des Wortes ,,Holz" für „Buch" sofort einleuchten. 5) Zur Zeit dieser Prophezeiung waren die Israeliten in zwei Völker geteilt, von denen das

0 Köstliche Perle, Moses 7:59—62. ») Psalm 85:11—12. ') Jesaja 45:8.

') Hesekiel 37, besonders die Verse 15 20. ') Siehe auch den entsprechenden Gebrauch des Wortes Jeremia, Kapitel 36.

344 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

eine als das Volk Juda, das andere als das Volk Israel oder Ephraim bekannt war. Darüber, daß hier auf die Urkunden Judas und Josephs Bezug genommen wird, kann nur ein geringer Zweifel bestehen.^) Die nephitische Na- tion umfaßte nun, wie wir gesehen haben, die Nachkom- men Lehis vom Stamm Manasse, sodann diejenigen Ish- maels, eines Ephraimiten und endlich diejenigen Zorams, dessen Abstammung nicht näher bezeichnet wird. Die Nephiten waren also Nachkommen vom Stamme Josephs und ihre Urkunden, oder ihr ,,Holz", sind durch das Buch Mormon ebenso wahrhaftig dargestellt, wie das „Holz Juda" durch die Bibel.

9. Daß das Hervorkommen des Buches Mormon un- mittelbar durch die Macht Gottes bewirkt werden sollte, geht aus der Erklärung hervor, welche der Herr über das Gesicht Hesekiels gibt. Er sagt darin : „Siehe, ich will das Holz Josephs nehm.en, *** und will sie zu dem Holz Judas tun". 2) Aus der Vorhersagung eines Ereignisses, das un- mittelbar darauf folgen sollte, nämlich der Sammlung der israelitischen Stämme aus den Völkern, unter die sie zer- streut worden waren, 3) ist sodann klar ersichtlich, daß diese Vereinigung der beiden urkundlichen Berichte ein Merkmal der letzten Tage sein sollte. Ein Vergleich mit andern Prophezeiungen über die Sammlung Israels wird zweifelsfrei ergeben, daß dieses große Ereignis in den letzten Tagen als eine Vorbereitung auf das zweite Kommen Christi stattfinden muß.^)

10. Wenden wir uns nun wieder den Schriften Jesajas zu, so finden wir, daß der Prophet die Drohungen des

1) Vergl. Lehis Prophezeiung seinem Sohne Joseph gegenüber, 2. Nephi 3:12.

') Heseliiel 37:19.

') Vers 21.

*) Siehe Vorlesung XVIII „Die Sammlung Israels" in Verbindung mit Artikel 10.

Art. 8.] Das Buch Mormon. 345

Herrn gegen Ariel, oder Jerusalem, „die Stadt des Lagers David" verkündigt. Ariel sollte geängstigt, traurig und voll Jammer werden. Der Prophet bezieht sich aber dann auf ein Volk, das von den Juden, die Jerusalem bewohnten, verschieden ist, denn er stellt mit diesem einen Vergleich an, indem er sagt: „Und es soll dir ergehen wie Ariel." Über das Schicksal, das diesem andern Volk bestimmt war, lesen wir: „Alsdann sollst du erniedrigt werden und aus der Erde reden und aus dem Staube mit deiner Rede mur- meln, daß deine Stimme sei wie eines Zauberers aus der Erde und deine Rede aus dem Staube wisple."^)

11. Über die Erfüllung dieser und der damit ver- bundenen Prophezeiungen hat ein Apostel dieser Tage geschrieben: „Diese Vorhersagung Jesajas konnte sich nicht auf Ariel, d.h. Jerusalem, beziehen, denn ihre Worte sind nicht „aus dem Staube" oder aus „der Erde" gekom- men, sondern sie bezieht sich auf die Überbleibsel Josephs, die in Amerika vor mehr als 1400 Jahren vernichtet wur- den. Das Buch Mormon beschreibt ihren Untergang und er war in der Tat groß und schrecklich. Bei der Kreuzigung Christi wurde „die Menge der Tyrannen" wie Jesaja prophe- zeite, „wie wehende Spreu", und es geschah dies, wie er weiter vorhersagte, „plötzlich und unversehens". Dieses Überbleibsel Josephs wurde in seinem Jammer und seiner Zerstörung wie Ariel. Wie die römische Armee Ariel be- lagerte und Not und Verzweiflung über sie brachte, so brachten die sich bekämpfenden Völker des alten Amerika die schrecklichste Zerstörung über einander. Deshalb konnte der Herr, als er von diesem Ereignis sprach.

0 Jesaja 29:4; lies Vers 1 6.

346 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

mit der größten Berechtigung erklären: „Er soll mir sein wie Ariel" .1)

12. Jesajas genaue Vorhersagung, daß das so ernied- rigte Volk „aus der Erde reden" und seine Sprache „aus dem Staube murmeln" sollte, wurde buchstäblich erfüllt in der Art und Weise, wie das Buch Mormon hervorgekom- men ist. Dessen Originale wurden aus der Erde genommen und die Stimme der urkundlichen Berichte ist gleich jener, die aus dem Staube spricht. Als Fortsetzung derselben Prophezeiung lesen wir: „Daß euch aller Propheten Gesichte sein werden wie die Worte eines versiegelten Buches, welches man gäbe einem, der lesen kann, und sprä- che : Lies doch das ! Und er spräche : Ich kann nicht, denn es ist versiegelt; oder gleich als wenn mans gäbe dem, der nicht lesen kann, und spräche: ,,nun lies doch dasl und er spräche: Ich kann nicht lesen". 2) Wir behaupten, daß diese Prophezeiung ihre Erfüllung gefunden hat, als die von den Platten genommene Abschrift die „Worte des Buches", nicht das Buch selbst dem gelehrten Professor Anthon vorgelegt wurde, dessen Antwort sich beinahe wörtlich mit dem prophetischen Wortlaut deckt^) und ferner dadurch, daß das Buch selbst dem ungelehrten Jüngling Joseph Smith übergeben wurde.

III. Übereinstimmung von Stil und Stoff im Buche Mormon.

13. Die Zusammensetzung und die innere Überein- stimmung des Buches Mormon unterstützen den Glauben an seine göttliche Herkunft. Die einzelnen Teile weisen

') Orson Pratt, „Divine Authenticity of the Book of Mormon", S. 293/94, Utah-Ausg. 1891.

Für Einzelheiten über die Erfüllung eines Teiles der Prophezeiung wird auf 3. Nephi, Kapitel 8 9 verwiesen.

=) Jesaja 29:11—12.

') Siehe Seite 329.

Art. 8.] Das Buch Mormon. 347

das Merkmal auf, daß sie zu verschiedenen Zeiten und unter außerordentlich verschiedenartigen Umständen geschrie- ben wurden. Die Schreibweise in den Bestandteilen des Buches stimmt überein mit den Zeiten und Umständen ihrer Entstehung und Abfassung. Die Teile, die von den Platten übersetzt wurden, welche Mormons Abkürzung darstellen, enthalten zahlreiche Einschaltungen, Erklä- rungen und Erläuterungen dieses Verfassers. In den sechs Büchern jedoch, die, wie schon besprochen wurde, den wörtlichen Bericht von den kleinen Platten Nephis aus- machen, sind keine solche Einschaltungen enthalten. Das Buch stimmt in allen Teilen genau mit sich selbst überein. Keine Widersprüche, keine Unvereinbarkeiten haben sich feststellen lassen.

14. Eine bemerkenswerte Verschiedenheit der Sehreib- weise kennzeichnet die verschiedenen Teile. ) Was über die verschiedenen Arten von Platten, die die eigenthchen Urkunden des Buches Mormon bilden, gesagt w^urde, zeigt, daß das Buch die zusammengestellten Schriften einer langen Reihe von inspirierten Schreibern darstellt, die sich über einen Zeitraum von tausend Jahren erstrecken die frühere Zeit des Volkes Jared nicht mitgerechnet. Einheitlichkeit der Schreibweise kann unter solchen Um- ständen nicht erwartet werden; ja, es wäre für das Buch geradezu fatal gewesen, wenn sie sich hätte feststellen lassen.

IV. Das Buch Mormon wird durch die Erfüllung der darin enthaltenen Prophe- zeiungen bestätigt.

15. Das Buch Mormon enthält zahlreiche und bedeu- tungsvolle Prophezeiungen. Zu den entscheidensten Be- weisen für die Göttlichkeit des Buches gehören die, welche

') Siehe Anmerkung 1.

348 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

uns die offenkundige Wahrheit seiner Prophezeiungen liefert. Prophezeiungen lassen sich am besten im Lichte ihrer eigenen Erfüllung prüfen. Die im Buche Mormon enthaltenen Vorhersagungen können eingeteilt werden:

1. in Prophezeiungen für die Zeit, über welche sich das Buch selbst erstreckt, deren Erfüllung im Buche be- richtet wird, und

2. in solche, die über diese Zeit hinausgehen.

16. Prophezeiungen der erstgenannten Art, d. h. solche, deren Erfüllung noch im Buche Mormon selbst berichtet wird, sind als Beweismittel für die Göttlichkeit des Werkes von geringem Wert, denn wäre das Buch nach einem ab- gekarteten menschlichen Plane geschrieben worden, so hätte sowohl Vorhersagung wie Erfüllung mit gleicher Sorgfalt und gleichem Scharfsinn vorgesehen werden können. Dennoch wird dem forschenden und gewissen- haften Leser die Echtheit des Buches offenkundig sein. Auch müssen die Berichte von der buchstäb- lichen Erfüllung der zahlreichen und verschiedenartigen Prophezeiungen über das damals noch zukünftige Schick- sal des Volkes, die Einzelheiten der Geburt und des Todes Christi und seiner Erscheinung in auferstandenem Zu- stande vermöge ihrer Genauigkeit und Übereinstimmung mächtig für die Inspiration und Göttlichkeit der Urkunden sprechen,

17. Prophezeiungen anderer Art, nämlich solche, die sich auf eine Zeit beziehen, die für den Schreiber noch in der fernsten Zukunft lag, finden sich viele und ausführ- liche. Manche von ihnen haben besondern Bezug auf die letzten Tage, die Dispensation der Fülle der Zeiten und von diesen sind schon mehrere buchstäblich in Erfül- lung gegangen, andere sind in der Verwirklichung begriffen, während wieder andere ihre Erfüllung erwarten unter Umständen und Zuständen, denen wir uns mit raschen

Art. 8.] Das Buch Mormon. 349

Schritten nähern. Zu den bemerkenswertesten Vorhersa- gungen des Buches Mormon, hinsichtlich der letzten Dis- pensation, gehören jene, die sein eigenes Hervorkommen und die Wirkung seiner Veröffentlichung auf die Mensch- heit betreffen. Die biblische Prophezeiung Hesekiels von dem Zusammenlegen der „Hölzer" oder Urkunden Judas und Ephraims hat bereits Erwähnung gefunden. Betrachten wir nun jene Verheißung, die dem nach Ägypten verkauften Joseph zuteil wurde, wie sie von Lehi seinem Sohne Joseph gegenüber wiederholt wurde, eine Weis- sagung, welche die Prophezeiung über das Buch mit der- jenigen des Sehers verknüpft, durch dessen Vermittlung das Wunder zustande gebracht werden soll: ,,Aber einen Seher will ich aus der Frucht deiner Lenden erwecken ; und ihm werde ich Macht geben, mein Wort auf die Nach- kommen deiner Lenden zu bringen ; nicht bloß um mein Wort unter sie zu bringen, sagt der Herr, sondern die Macht, sie von der Wahrheit meines Wortes, welches schon unter ihnen sein wird, zu überzeugen. Daher werden deine Nachkommen und auch die Nachkommen Judas schreiben, und was von deinen Nachkommen und von den Nachkommen Judas geschrieben ist, soll zusammen wachsen, um die falschen Lehren zuschanden zu machen, um Streitigkeiten zu beseitigen, um den Frieden unter deiner Nachkommenschaft zu gründen und sie in den letzten Tagen zur Erkenntnis ihrer Väter und meiner Bündnisse zu führen, spricht der Herr. Und aus Schwachheit soll er stark gemacht werden an dem Tage, wo mein Werk unter meinem ganzen Volke beginnen wird, um dich, o Haus Israel, wieder herzustellen, spricht der Herr."i)

Wie diese prophetischen Äußerungen durch das Her-

») 2. Nephi 3:11—13.

350 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

vorkommen des Buches Mormon durch Joseph Smith buchstäblich in Erfüllung gegangen sind, liegt klar zu Tage.

18. Dem Propheten Nephi zeigte der Herr die Wirkung der neuen Veröffentlichung und erklärte, daß in den Tagen der Sammlung Israels, also offenbar in den Tagen der Fülle der Zeiten, wie uns die jüdischen Schriften bezeugen die Worte der Nephiten der Welt gegeben werden sollten und „fortzischen werden bis an die Enden der Erde, als ein Panier" für das Haus Israel; daß dann die Heiden, ihre Verpflichtung gegenüber den Juden, von denen sie doch die Bibel erhielten die Bibel, an die sie großen Glauben zu haben vorgaben vergessend, diesen Teil des Bundesvolkes schmähen und verfolgen und die neue heilige Schrift verwerfen werden mit den Worten: ,,Eine Bibel, eine Bibel, wir haben 6ine Bibel und es kann keine andere Bibel mehr geben. "i) Ist das nicht der Kern der sinnlosen Einwendungen, die die ungläubige Welt gegen das Buch Mormon vorbringt, daß nämlich das Buch null und nichtig sein müsse, weil neue Offenbarungen nicht mehr erwartet werden dürfen?

19. In alter Zeit waren nun zwei Zeugen erforderlich, um die Wahrheit irgend einer Behauptung zu begründen und darum sagt der Herr von dem zwiefachen Bericht, welcher von ihm zeugen solle: „Weshalb murret ihr, weil ihr mehr von meinem Worte erhalten sollt? Wisset ihr nicht, daß das Zeugnis zweier Völker euch ein Beweis ist, daß ich Gott bin, daß ich mich eines Volkes sowohl wie des andern erinnere ? Daher rede ich dieselben Worte, zu einer Nation sowohl, wie zu der andern. Und wenn die zwei Nationen zusammengehen werden, dann wird das Zeugnis beider Nationen auch zusammengehen. "2)

>) 2. Nephi 29 : 3 ; lies das ganze Kapitel. «) Vers 8.

Art. 8.] Das Buch Mormon. 351

20. Mit diesen Weissagungen von dem vereinten Zeug- nis der jüdischen und nephitischen Schriften ist eine andere Prophezeiung verbunden, deren Erfüllung von den Heiligen der letzten Tage heute mit Sehnsucht erwartet wird: weitere heilige Schriften werden verheißen. Beachten wir das folgende Wort Gottes: „Daher, weil ihr eine Bibel habt, braucht ihr nicht zu vermuten, daß sie alle meine Worte enthalte, noch braucht ihr zu glauben, daß ich nicht noch mehr habe schreiben lassen, *** denn sehet, ich werde zu den Juden reden, und sie werden es schreiben, und ich werde auch zu den Nephiten sprechen, und sie werden es auch schreiben ; und ich werde auch zu den anderen Stäm- men des Hauses Israel, die ich hinweggeführt habe, reden, und sie werden es schreiben; und ich werde zu allen Völ- kern der Erde reden, und sie werden es schreiben. Und es wird geschehen, daß die Juden die Worte der Nephiten haben; und die Nephiten werden die Worte der Juden haben; und die Nephiten und die Juden werden die Worte der verlorenen Stämme Israels haben ; und die verlorenen Stämme Israels werden die Worte der Nephiten und der Juden haben. "^)

V. Bestätigende Beweise für das Buch

Mormon, die durch Entdeckungen der Neuzeit

zutage gefördert wurden.

21. Die Archäologie und Ethnologie Amerikas liefern uns wertvolle bestätigende Beweise zur Unterstützung der Angaben des Buches Mormon. Diese Wissenschaften sind zugegebenermaßen außerstande, den Ursprung der einge- borenen amerikanischen Menschenrassen in irgendwie ent- scheidender Weise zu erklären. Doch haben Forschungen auf diesen Gebieten einige Ergebnisse gezeitigt, die ziem-

1) Verse 10, 12 und 13.

352 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

lieh ausschlaggebend sind, und mit den wichtigsten davon steht der Bericht des Buches Mormon im allgemeinen im Einklang. Zu den hervorragendsten Entdeckungen hin- sichtlich Amerikas gehören die folgenden: I. Amerika war schon in sehr alter Zeit, jedenfalls bald

nach dem Bau des Turmes zu Babel bewohnt. II. Dieser Erdteil wurde von verschiedenen, aufeinander

folgenden Völkern, und zwar von wenigstens zwei

Klassen oder Rassen in weit auseinander liegenden

Zeiträumen bevölkert.

III. Die Ureinwohner Amerikas kamen aus dem Osten, wahrscheinlich von Asien her ; die spätere Rasse, d. h. diejenige der zweiten Periode sind, wenn nicht selbst Israeliten, doch mit diesen nahe verwandt gewesen.

IV. Die heute noch lebenden eingeborenen Rassen Amerikas sind alle desselben Ursprungs.

22. Aus dem bereits gegebenen Überblick über seinen geschichtlichen Teil geht hervor, daß diese Entdeckungen von dem Buche Mormon voll und ganz bestätigt werden. Es wird darin gesagt:

I. Daß Amerika von den Jarediten bevölkert wurde, welche geradeswegs von dem Turmbau zu Babel kamen.

II. Daß die Jarediten das Land etwa 1850 Jahre lang bewohnten und daß sie sich während dieser Zeit über einen großen Teil Nord- und Südamerikas ausdehnten; daß ungefähr zur Zeit ihrer Ausrottung (etwa 590 Jahre vor Christi Geburt) Lehi mit seiner Kolonie nach dem west- lichen Erdteil kam, wo sich diese zu den beiden großen Völkern der Nephiten und Lamaniten entwickelte, von de- nen das Volk Nephi ums Jahr 385 n. Chr. nahezu 1000 Jahre nach Lehis Ankunft ausgerottet wurde, während das Volk Lamans in verwahrlostem Zustande fortbestand und heutzutage als die Indianerstämme bekannt ist.

Art. 8.] Das Buch Mormon. 353

III. Daß Lehi, Ishmael und Zoram, die Stammväter derNephiten und derLamaniten, ganz unzweifelhaft Israe- liten waren, Lehi von dem Stamme Manasse und Ishmael vom Stamme Ephraim, und daß die Kolonie unmittelbar von Jerusalem von Asien her kam.

IV. Daß die noch lebenden indianischen Stämme sämtlich unmittelbare Nachkommen Lehis und seiner Kolonie sind, und daß sie deshalb von Männern abstammen, die alle aus dem Hause Israel sind.

Prüfen wir nun die Beweise für diese Punkte, die uns die Forscher liefern von denen die meisten nichts vom Buche Mormon wußten und von denen kein einziger dieses Buch als echt anerkannte. i)

23. I. Über die sehr weit zurückliegende Zeit, in wel- cher Amerika bevölkert wurde. Eine anerkannte Autorität auf dem Gebiete der amerikanischen Altertumsforschung gibt folgende Beweise und Schlußfolgerungen: „Eine der Künste, die den Erbauern des Turmes zu Babel bekannt waren, ist die Verfertigung von Ziegelsteinen. Diese Kunst war auch dem Volke bekannt, das die Bauwerke hier im Westen errichtete. Die Kenntnis des Kupfers war dem Volke, das die Ebene von Shinear bewohnte, eigen, denn Noah muß sie vermittelt haben, weil er noch 150 (350) Jahre lang nach der Sintflut unter ihnen lebte. Kupfer war auch den vorsintflutlichen Menschen bekannt. Ferner kannten die Ersteller der Bauwerke auf dem westlichen

') Bemerkung: Anerkennung. Viele der hier folgenden Anführungen, wie sie in Verbindung mit den, das Buch Mormon unterstützenden außer- biblischen Beweisen erwähnt werden, sind von Verfassern aus unserm Volke gesammelt worden, so besonders vom Ältesten George Reynolds (wir verweisen auf seine Vorlesungen, die da, wo aus ihnen Anführungen gebraucht werden, namentlich aufgeführt sind); siehe auch eine Reihe von Aufsätzen unter der Überschrift „American Antiquities" im „Millenial Star" Liverpool, Bd. 21, von Moses Thatcher (siehe auch eine Folge von Aufsätzen über „The Di\ine CTrigin of the Book of Mormon im „Contributor", Salt Lake City) und vom Ältesten Edwin F. Parry (1. Traktat „Ein Prophet der letzten Tage"), Liverpool 1898.

23

354 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

Erdteil das Kupfer. Eisen war den vorsintflutlichen Men- schen bekannt. Es war auch den Ureinwohnern Amerikas bekannt. Offenbar hatten sie aber nur wenig Eisen, denn nur an sehr wenigen Stellen ist es an ihren Gebäuden wahrgenommen worden. Gerade hieraus ziehen wir den Schluß, daß sie kurz nach der Zerstreuung der Völker in dieses Land kamen. "i)

24. In seiner ,, Antwort auf die amtliche Anfrage hin- sichtlich der Ureinwohner Amerikas" zieht Lowry inbezug auf die Bevölkerung des westlichen Erdteiles den Schluß, „daß die erste Niederlassung kurz nach der Verwirrung der Sprachen beim Turmbau zu Babel erfolgt sei. "2)

25. Professor Watermann zu Boston sagt von den Vorfahren der amerikanischen Indianer: ,,Wann und wo- her kamen sie? Albert Galatin, einer der gründlichsten Sprachforscher unserer Zeit folgert, daß, soweit die Sprache einen Schluß zuläßt, die Einwanderung nicht lange nach der Zerstreuung der menschlichen Familie erfolgt sein müsse. "3)

26. Pritchard bemerkt über die Ureinwohner Amerikas: „Der Anfang ihrer Existenz als eine getrennte, abgesonderte Rasse muß jedenfalls in jene Zeit zurück- verlegt werden, in der sich die Bewohner der alten Welt in verschiedene Völker teilten, und jeder Teil der mensch- lichen Familie seine Ursprache und -Eigenart erhielt."*)

27. Ixtilxochitl, ein eingeborener mexikanischer Ver- fasser, ,, bestimmt als Zeitpunkt der ersten Einwanderung in Amerika etwa das Jahr 2000 vor Christi Geburt; dies

') Priest, „American Antiquities", 1834, S. 219.

=) Schoolcraft's „Ethmological Researches"' (Völkerkundliche Unter- suchungen), Band III (1853).

') Auszug aus einem Vortrag von Prof. Watermann, gehalten in Bristol, England, 1849, angeführt von Edwin 'F. Parry in seinem Traktat „A Prophet of Latter Days" (Liverpool 1898).

*) Pritchard ,, National History of Man" (London, 1845).

Art. 8.] Das Buch Mormon. 355

steht durchaus im Einklang mit dem im Buch Mormon angegebenen, denn in diesem wird bestimmt erklärt, daß die Einwanderung zur Zeit der Zerstreung erfolgt ist, als Gott in seinem Zorn die Menschen über die ganze Erde zerstreute. "1) ,,Auf die Anführungen Ixtilxochitls hin- weisend, wird gesagt, daß zwischen der Schöpfung und der Sintflut ein Zeitraum von 1716 Jahren liege. Moses setzt ihn auf 1656 Jahre fest; es besteht also ein Unterschied von nur 60 Jahren. 2) Sie stimmen genau überein in der Zahl der Ellen, mit welcher angegeben wird, wie hoch das Wasser die höchsten Berge überflutete. Eine solche Über- einstimmung kann nur zu einer Schlußfolgerung führen: Die beiden Berichte haben denselben Ursprung."^)

28. Professor Short führt von Clavigero folgendes an : ,,Die Chiapanesen sind die ersten Ansiedler der neuen Welt gewesen wenn wir ihren Überlieferungen Glauben schenken dürfen. Sie sagen, Votan, der Enkel des ehrwür- digen alten Mannes, der die große Arche baute, um sich und seine Familie vor der großen Flut zu retten, sei mit ei- nepi von jenen, die es unternahmen, jenes große Bauwerk zu errichten, welches in den Himmel reichen sollte, auf den ausdrücklichen Befehl des Herrn, dieses Land zu be- völkern, hierher gekommen. Sie sagen ferner, das erste Volk sei von Norden her gekommen und habe sich ge- trennt, als es bei Soconusco anlangte, von wo einige nach Nikaragua gegangen, währenddem die andern in Chiapas verblieben seien. "^)

29. II. Über die in alter Zeit erfolgte Besiedlung Ame- rikas durch verschiedene Völker. Hervorragende Kenner

') Moses Thatcher, „Contributor", Bd. II, S.227, Salt Lake Cy. 1881.

^) Siehe Anmerkung 2.

") Moses Thatcher „Contributor", Bd. IL, S. 228.

*) John T. Short, ,, North Americans of Antiquity" (Das Nordamerika des Altertums), Seite 204, (Harper Bros. New- York), 2. Aufl. 1888, siehe auch „Contributor", (Salt Lake City, Bd. II, S. 259).

356 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

amerikanischer Altertümer haben erklärt, zwei ganz be- stimmte Klassen der Menschheit von einigen werden sie als besondere Rassen bezeichnet hätten in früherer Zeit den westlichen Erdteil bevölkert. Professor F. W. Putnam^) geht noch weiter und behauptet, die eine dieser alten Rassen habe sich von Norden, die andere von Süden her ausgebreitet. Dieses stimmt wiederum mit dem Buch Mormon überein, das die Besitzergreifung des amerikani- schen Landes durch die Jarediten und später durch die Nephiten schildert, von welchen die ersten sich zunächst in Nordamerika, die letzten dagegen in Südamerika nieder- ließen. H. C. Walsh erzählt in einem Aufsatz „Copan, a city of the dead"^) überschrieben viele interessante Einzelheiten von den Ausgrabungen und andern Nach- forschungen, welche Gordon mit Hilfe der Peabody-Ex- pedition vorgenommen hat und fügt hinzu: ,, Alles dies weist auf aufeinanderfolgende Perioden der Besiedlung hin, für die übrigens noch andere Beweise vorliegen. "3) 30. III. Über die Annahme, daß wenigstens ein Teil der Ureinwohner Amerikas aus dem Osten, jedenfalls v^ Asien her, kam, und israelitischer Herkunft war. Bestä- tigende Beweise für die Annahme, daß die Ureinwohner Amerikas von den Völkern der östlichen Halbkugel ab- stammen, finden sich in der Übereinstimmung oder Ähn- lichkeit der Berichte und Überlieferungen beider Welt- teile und zwar inbezug auf die Schöpfung, die Sintflut, und andere große Ereignisse der Menschheitsgeschichte. Boturini*), der von den meisten Schreibern, die über die

0 Putnam ,,Prehistorie Remains in the Ohio Valley" Centm-y Ma- gazine, März 1890.

') Siehe Harper's Weekly (New- York), Oktober 1897, Artikel von Henry C. Walsh.

') Sielie Anmerkung 3.

*) Chevalier Boturini: er verwandte mehrere Jahre auf die Erfor- schung der Altertümer Mexikos und Zentralamerikas und sammelte viele wertvolle Urkunden, von denen ihm allerdings die meisten von den Spaniern geraubt wurden ; er veröffentlichte 1746 ein Werk über seine Untersuchungen.

Art, 8.] Das Buch Mormon. 357

amerikanischen Altertümer geschrieben haben, angeführt wird, sagt: ,,Es gibt kein heidnisches Volk, das mit solcher Bestimmtheit die großen Ereignisse der Urzeit berichtet, wie die Indianer es tun. Sie geben uns einen Bericht von der Erschaffung der Welt, der Sintflut,^) der Verwir- rung der Sprachen beim Turmbau zu Babel, und von allen andern Geschehnissen der alten Welt, dazu von den großen Wanderungen, die ihr Volk in Asien zurücklegte und be- zeichnen die einzelnen Jahre derselben. In den sieben Conejos (Kaninchen) erzählen sie uns von der großen Finsternis, die beim Tode unseres Herrn Jesu eintrat".

31. Ähnliche Beweise einer gemeinsamen Quelle der Überlieferungen des Ostens und des Westens hinsicht- lich der großen Geschehnisse der Urzeit liefern uns die Schriften des bereits erwähnten Prof. Short, ferner die Werke Baldwins,^) Clavigeros,^) Kingsboroughs,*) Saha- guns,^) Prescotts,^) Schoolcrafts,') Squires,^) Adairs^) und anderer. 1°)

32. Professor Short fügt sein Zeugnis über die Beweise hinzu, daß die Ureinwohner Amerikas ihren Ursprung in der alten Welt haben, gibt aber zu, nicht imstande zu sein, zu entscheiden, wann und woher sie nach diesem Erd- teil kamen. 11) Der bereits angeführte Prof. Waterman sagt: „Dieses Volk konnte nicht in Afrika erschaffen wor- den sein, denn dessen Bewohner sind denjenigen Amerikas

') Siehe Anmerkung 4.

^) Baldwin „Ancient America" (Harper Bros., New-York 1871). ') Clavigero, angeführt von Prof. Short in „North Americans of Antiquity".

*) Lord Kingsborough, „Mexican Antiquities" (1830 37).

^) Bernardo de Sahagun, „Historia Universal de Nueva Espana."

») W. H. Prescott, „Conquest of Mexico" (s. S. 463 464).

') Schoolcraft, „Ethnological Researches" (1851) Bd. I.

*) Squiers, „Antiquities of the State of New- York" 1851.

•) Adair. „History of the American Indians", London 1775. '») Siehe Bancrafts, „Native Races" etc. Bd. Ill und V; Donnelly's „Atlantis" p. 391 (1882).

") John P. Short, North Americans of Antiquity (1888).

358 Die Glaubensarükel. [Vorl. XV.

ganz unähnlich, auch nicht in Europa, wo überhaupt kein Urvolk war, das sich mit dem amerikanischen verglei- chen ließe; man kann beim Suchen nach der Herkunft der alten Amerikaner nur nach Asien ausschauen."^)

33. Es ist festgestellt worden, daß die Stämme der Ureinwohner Amerikas die Gewohnheit hatten, unter ge- wissen Umständen die Verordnung der Beschneidung,^) der Taufe und der Tieropferung^) zu vollziehen. Ein spa- nischer Schriftsteller namens Herera, der vor etwa drei- hundert Jahren lebte, führt aus, daß bei den Ureinwoh- nern Yukatans die Taufe unter einem Namen bekannt war, der soviel bedeutete wie „von neuem geboren werden."^)

34. Eine so bemerkenswerte Ähnlichkeit zwischen den Völkern der alten und denen der neuen Welt läßt sich aber nicht nur bei den Sitten, den Gebräuchen und den Überlieferungen inbezug auf die vorchristliche Zeit feststellen. Lange vor der Ankunft der christlichen Ent- decker Amerikas im späten Mittelalter waren viele Über- lieferungen und gewisse Erzählungen über den vorherbe- stimmten Christus und seinen erlösenden Tod unter den Rassen der Eingeborenen im Umlauf. Tatsächlich fanden auch die katholischen Priester, als sie mit den Spaniern zuerst nach Mexiko kamen, bereits eine Erkenntnis von Christus und der Gottheit vor, die so sehr den Lehren der rechtgläubigen Christenheit entsprach, daß die Priester unfähig eine andere Erklärung dafür zu finden die Theo- rie aufbrachten, der Satan habe den Eingeborenen dieses Landes eine Nachahmung des Evangeliums gebracht, um

') Auszug aus einem Vortrag von Prof. Watermann, gehalten zu Bristol, England 1849, angeführt in einem Traktat von Edwin F. Parry, „A Prophet of Latter Days", Liverpool 1898.

*) Lord Kingsborough.

') Donnelly's Atlantis, S. 144.

*) Tractat, „A Prophet of Latter Days" von Edwin F. Parry, S. 106.

Art. 8.] Das Buch Mormon. 359

das Volk damit zu betrügen. Eine andere Theorie ging dahin, der Apostel Thomas habe den westlichen Erdteil besucht und hier das Evangelium Jesu Christi gepredigt.^)

35. Lord Kingsborough bezieht sich in seinem umfas- senden und grundlegenden Werk auf ein Manuskript von Las Casas, einem spanischen Bischof, von Chiapa, eine Handschrift, die im Kloster von St. Dominik aufbewahrt wird. Der Bischof erwähnt darin, daß bei den Eingeborenen von Yukatan eine sehr genaue Erkenntnis von der Gott- heit festgestellt worden sei. Einer der Missionare des Bischofs schrieb, „er habe einen Häuptling getroffen, der ihm sagte, sie glaubten an einen Gott, der im Himmel wohnt, sogar an Vater, Sohn und Heiligen Geist. Der Vater werde Yeona, der Sohn von einer Jungfrau, namens Chibirias geboren Bahab und der Heilige Geist Euach genannt. Bahab, der Sohn, sei von Eupuro, der ihn geißelte und ihm eine Dornenkrone aufs Haupt drückte, mit ausgestreckten Armen auf einen Holzbalken genagelt worden. Der auf diese Weise getötete sei aber nach drei Tagen ins Leben zurückgekommen, und gen Himmel ge- fahren, wo er bei dem Vater wohne. Unmittelbar darauf sei Euach, als Kaufmann verkleidet, mit vielen kostbaren Dingen erschienen, um jeden, der es wollte, reichlich mit göttlichen Gaben und Kräften zu füllen. "2)

36. Rosales bestätigt, daß die Chileaner eine Über- lieferung haben, wonach ihre Vorväter von einer wunder- baren Persönlichkeit, voller Gnade und Macht, besucht worden seien, einem Manne, der viele Wunder unter ihnen getan und sie von dem Schöpfer aller Dinge, der inmitten verherrlichter Scharen im Himmel wohne, unterrichtet

1) Siehe Präsident John Taylor's „Mediation und Atonement" S. 201.

*) Kingsborough's ,.Antlqultis of Mexico".

360 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

habe.i) Prescott nimmt auf die Tatsache Bezug, daß die den Spanier Cortez begleitenden Katholiken gefunden haben, daß bei den Eingeborenen von Mexiko und Zentral- amerika das Kreuz allgemein bekannt war. Außer diesem Zeichen eines gewissen Glaubens an Christus beobachteten die Reisenden mit Erstaunen eine Zeremonie, die mit dem Abendmahl große Ähnlichkeit hatte. Sie sahen wie die Priester der Azteken einen Kuchen bücken aus Mehl, das sie mit Blut vermengten, ihn segneten und unter das Volk verteilten, das ihn „unter Zeichen der Demütigung und Trauer und dabei erklärte, es sei das Fleisch Gottes".2)

37. Die Mexikaner anerkennen in Quetzalcoatl einen Gott. Der überlieferte Bericht von seinem Leben und Ster- ben ist der Geschichte Christi so ähnlich, sagt Präsident Taylor, „daß wir zu keinem andern Schluß kommen kön- nen, als daß Quetzalcoatl und Jesus Christus ein und die- selbe Person sind. "3) Lord Kingsborough spricht von einem Bilde, das den Quetzalcoatl darstellt ,,in der Haltung einer gekreuzigten Person, mit Nägelmalen in Händen und Füßen, ohne jedoch tatsächlich an einem Kreuze zu han- gen". Der gleiche Forscher sagt weiter: „Die 73. Platte des Borgian Manuskripts ist die bemerkenswerteste von allen. Auf ihr wird Quetzalcoatl nicht nur als ein auf einem Kreuz in griechischer Form Gekreuzigter dargestellt, sondern auch seine Grablegung und sein Hinuntersteigen in die Hölle ist in einer sehr merkwürdigen Art und Weise abge- bildet." Und weiter: ,,Die Mexikaner glauben, Quetzal- coatl habe menschliche Natur auf sich genommen, habe teilgehabt an all den Schwachheiten der Menschen, sei

1) Rosales ,. History of Chile" siehe Präs. Taylors, „Mediation und Atonement", S. 202.

^) Prescott „Conquest of Mexico", S. 465.

^) „Mediation and Atonement", S. 201 ; siehe Anmerkung 5.

Art. 8.] Das Buch Mormon. 361

auch nicht vor Leid, Schmerz und vor dem Tod bewahrt geblieben, welches er aber alles freiwillig erduldete, um da- mit die Sünden der Menschen zu sühnen. "i)

38. Die Quelle dieser Erkenntnis von Christus und der Gottheit die zu finden den katholischen Einwanderern viel Kopfzerbrechens machte und sie veranlaßte, weit daneben treffende unhaltbare Theorien aufzustellen liegt für den Kenner des Buches Mormon klar zu Tage. Wir erfahren aus dieser heiligen Schrift, daß die Vorfahren der eingeborenen amerikanischen Rassen Jahrhunderte lang vor der Geburt Christi im Lichte unmittelbarer Offen- barung lebten, welches durch berufene Propheten zu ihnen kam und ihnen die Pläne Gottes inbezug auf die Erlösung der Menschheit offenbarte und daß darüber hinaus der auferstandene Heiland selbst ihnen diente und seine Kirche mit all ihren wesentlichen Verordnungen unter ihnen gründete. Das Volk ist in einen Zustand geistigen Verfalls geraten; viele seiner Überlieferungen sind arg verzerrt und entstellt durch Vermischung mit Aberglauben und menschlichen Einbildungen aber der Ursprung ihrer Erkenntnis ist klar als göttlich zu erkennen.

39. IV. Über den gemeinsamen Ursprung der eingebo- renen Rassen Amerikas. Daß die vielen Stämme und Zweige der Indianer und anderer „eingeborener Rassen" Amerikas eine gemeinsame Abstammung besitzen, wird allgemein zu- gegeben. Diese Überzeugung gründet sich auf die offen- kundige und nahe Verwandtschaft in Sprache, Über- lieferung und Sitte. ,, Lewis H. Morgan findet einen Beweis für die gemeinsame Abstammung der Ureinwohner Amerikas in ihrer ,, Blutsverwandtschaft und Verschwä- gerung". Er sagt: ,,Die indianischen Völker vom atlan- tischen Ozean bis in die Felsengebirge und vom Eismeer

') Lord Kingsborough „Antiquities of Mexiko" ; siehe die Anführungen von Präsident John Taylor, „Mediation und Atonement", S. 202.

362 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

bis zum Golf von Mexiko mit Ausnahme der Eskimo befolgen die gleiche Ordnung. In ihrer allgemeinen Form wie in ihren Einzelheiten ist sie ausgearbeitet und verschiedenartig, aber wenn auch bei verschie- denen Stämmen Abw^eichungen von der Einheitlichkeit der Grundform vorkommen, so sind doch die wesentlichen Bestandteile überall dieselben. Diese Einheit in den wich- tigen Merkmalen eines eigenartigen Systems zeigt, daß sie jedem Stamme aus gemeinsamer Urquelle überliefert ist. Dies liefert uns den bis jetzt stärksten Beweis für die Ein- heit des Ursprunges der indianischen Völker innerhalb der genannten Länder."^)

40. Baldwin führt ferner Bradfords Zusammenstellung der Schlußfolgerungen hinsichtlich der Herkunft und der Kennzeichen der alten Amerikaner an, worunter wir er- wähnt finden: ,,Daß sie alle eines Ursprungs sind. Zweige derselben Rasse, mit gleichen Sitten und Gebräuchen. "2) Adair schreibt: ,,Alle die verschiedenen indianischen Völ- kerstämme scheinen einer Abstammung zusein" und führt zur Unterstützung dieser Schlußfolgerung eine ganze Anzahl von Beweisen an für die Übereinstimmung in Spra- che, Sitten und Gebräuchen, religiösen Verordnungen, Handhabung der Gerichtsbarkeit usw.^)

41. Die geschriebene Sprache der Ureinwohner Ame- rikas. Diesen weltlichen oder außerbiblischen Beweisen für die Glaubwürdigkeit des Buches Mormon könnte noch die Tatsache angefügt werden, daß die Urkunden auch mit den jüngsten Entdeckungen inbezug auf die geschriebene Sprache dieser Völker im Einklang stehen. Der Prophet Nephi erwähnt, daß er seinen Bericht auf den Platten in

') \ Baldwin's „Ancient America", S. 56; siehe die Anführungen von ') / Schlußfolgerungen hinsichtlich der Eigentümlichkeiten der Ein- geborenen Amerikas von Bradford (im gleichen Werk).

') Adair's „Historj' of the American Indians", London, 1775.

Art. 8.] Das Buch Mormon, 363

der „Sprache der Ägypter"^) abgefaßt habe, und es wird uns außerdem gesagt, daß auch die Messingplatten Labans in der gleichen Sprache beschrieben waren. 2) Mormon, der die umfangreichen Schriften seiner Vorgänger abkürzte und die Platten anfertigte, von denen die neuzeitliche Übersetzung genommen ist, benutzte ebenfalls ägyptische Schriftzeichen, Sein Sohn Moroni, der den Bericht voll- endete, stellt diese Tatsache fest. Moroni nahm indessen zwischen den zu seiner Zeit beschriebenen Platten und den altern einen gewissen Unterschied in der Sprache wahr; er schrieb diese Veränderung dem natürlichen Einfluß der Zeit zu und spricht von seinem eigenen Bericht wie auch von demjenigen seines Vaters Mormon als in ,, verbesser- tem Ägyptisch geschrieben, "3)

41. Beachten wir nun das Zeugnis des Dr. Le Plon- geon gelegentlich der Bekanntgabe seiner Entdeckung eines heiligen Alphabetes bei den Mayas in Zentralamerika, von dem er erklärt, daß es eigentlich sei wie das ägyptische Alphabet. Er stellt fest, daß der Aufbau der heiligen Sprache der Mayas mit dem des Ägyptischen große Ähn- lichkeit hat und gibt kühn seiner Überzeugung Ausdruck, daß die beiden Völker ihre geschriebene Sprache aus ein und derselben Quelle ableiten.*) Eine andere maßgebende Persönlichkeit sagt: ,,Der Altertumsforscher muß diese Tatsache ins Auge fassen und festhalten angesichts der Beweise für das Vorhandensein zweier großer Zweige der Hieroglyphensprache, die beide eine starke Ähnlichkeit mit der ägyptischen zeigen und von ihnen unterschieden sind durch völlig amerikanische Schriftzeichen, "^)

') 1. Nephi 1:2. ') Mosiah 1:4. ») Mormon 9:32.

*) Dr. August Le Plongeon, in „Review of Reviews" Juli 1895. ') Quarterly Review" Oktober 1836, gekürzt ersciiienen im „Millenial Star" Bd. 21, S. 467.

364 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

43. Das Ägyptische ist aber nicht die einzige östliche Sprache, die auf den Überresten amerikanischer Alter- tümer gefunden wird. Das Hebräische erscheint in dieser Verbindung mit wenigstens ebensolcher Bedeutung. Daß die hebräische Sprache von den Nachkommen Lehis be- nutzt wurde, ist insofern sehr natürlich, als diese aus dem Hause Israel stammten und geradeswegs von Jerusalem nach dem westlichen Erdteil kamen. Daß die Fähigkeit, in dieser Sprache zu lesen und zu schreiben, bei den Nephiten bis zur Zeit ihrer Ausrottung vorhanden war, geht klar hervor aus der Feststellung Moronis inbezug auf die beim Beschreiben der Platten benutzte Sprache: „Nun sehet, wir haben diese Urkunden nach unserer Kenntnis in den Hieroglyphen geschrieben, welche unter uns die verbesser- ten ägyptischen genannt werden, die uns überliefert und von uns nach unserer Sprachweise verändert worden sind. Wären unsere Platten hinreichend groß gewesen, so hätten wir in hebräischer Schrift geschrieben, aber das Hebräische ist auch von uns verändert worden. "i)

44. Die folgenden Fälle sind einer lehrreichen Zu- sammenstellung entnommen, die Ältester George Rey- nolds^) verfaßt hat. Verschiedene ältere spanische Schrift- steller behaupten, die Eingeborenen gewisser Teile des Landes hätten ein verdorbenes Hebräisch gesprochen. Las Casas bestätigt dies hinsichtlich der Bewohner der Insel Haiti. Lafitu schrieb eine geschichthche Abhandlung, worin er den Standpunkt vertritt, die Caribbee- Sprache sei ganz und gar hebräisch. Isaak Nasci, ein gelehrter Jude von Surinam, sagt von der Sprache des Volkes von Guyana, „daß alle ihre Hauptwörter hebräisch seien." Spanische Geschichtsschreiber verzeichnen die frühen Entdeckungen von hebräischen Schriftzeichen auf dem

1) Mormon 9:32—33.

») Reynolds Vorlesung „Die Sprache des Buches Mormon".

Art. 8.] Das Buch Mormon. 365

westlichen Festland. Malventa sagt, die Spanier hätten Grabsteine der Eingeborenen von St. Michael ausgegraben, die verschiedene alte hebräische Inschriften trugen.

45. Bei all diesem Geschriebenen sind Schriftzeichen und Sprache der alten Form des Hebräischen ähnlich und zeigen keine jener Selbstlaute, und Endungsbuchstaben, die nach der Rückkehr der Juden aus der babylonischen Gefangenschaft in das Hebräische des östlichen Erdteils eingeführt wurden. Dies steht im Einklang mit der Tat- sache, daß Lehi und seine Begleiter Jerusalem kurz vor der Wegführung des Volkes in die Gefangenschaft und somit auch vor der Einführung jener Änderungen der geschrie- benen Sprache verließen.

46. Noch ein anderer Prüfstein. Der Leser des Buches Mormon möge sich aber mit solchen Beweisen der gött- lichen Glaubwürdigkeit dieses Buches wie sie hier angeführt wurden, nicht zufrieden geben. Es ist ein sichereres und wirk- sameres Mittel verheißen worden, um sich von der Wahrheit oder Falschheit dieses wunderbaren Berichtes zu überzeu- gen. Wie andere heilige Schriften, muß auch das Buch Mormon durch den Geist der Schrift verstanden werden, und dieser ist nur als eine Gabe von Gott erhältlich. Aber diese Gabe, unschätzbar wie sie ist, ist allen denen verheißen, welche nach ihr trachten. Wir wollen daher allen und je- dem den Rat Moronis, des letzten Mitarbeiters an diesem Buche, empfehlen, des vereinsamten Schreibers, der das Buch versiegelte und später als ein Engel die heiligen Urkunden wieder hervorbrachte:

„Und wenn ihr diese Dinge empfangen werdet, wollte ich euch ermahnen, daß ihr Gott, den ewigen Vater, im Na- men Christi fraget, ob diese Dinge nicht wahr sind; und wenn ihr mit einem aufrichtigen Herzen fragen werdet, mit festem Vorsatze, mit Glauben an Christum, so wird

366 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

er euch die Wahrheit derselben durch die Macht des Hei- ligen Geistes offenbaren. Und durch die Macht des Heiligen Geistes könnt ihr die Wahrheit von allen Dingen wissen. "i)

Anmerkungen.

1. Die Verschiedenheit der sprachlichen Sehreibweise im Buch Mor- mon. — „Zwischen der sprachlichen Schreibweise Nephis und einiger früherer Propheten und derjenigen Mormons und Moronis besteht ein aus- geprägter Unterschied. Mormon und sein Sohn schrieben In unmittelbarer Form und gebrauchten weniger Worte, um ihre Gedanken auszudrücken, als es bei den frühern Schreibern der Fall war. Ihre Art zu schreiben ist wohl für die meisten Leser angenehmer und gefälliger. Enos, der Sohn Jakobs, hat ebenso seine ganz besondere Schreibart. Bemerkenswert ist auch die andere Tatsache, daß da, wo in der Abkürzung Mormons Original- berichte oder Abhandlungen, wie z. B. der Bericht Limhls, die Predigten Almas, Amuleks usw. und die Briefe Helamans und anderer eingeschaltet werden, Worte und Ausdrücke gebraucht werden, die sonst nirgends im Buch Mormon vorkommen. Die Verschiedenheit der Schreibweise, des Ausdruckes und Wortschatzes ist ein sehr erfreuliches, zufälliges Zeichen für die Wahrheit der für das Buch Mormon gemachten Behauptungen, daß es eine Zusammenstellung der Werke von vielen Schreibern ist." Aus „Vorlesungen über das Buch Mormon" vom Ältesten George Rey- nolds. —

2. Die mexikanische Zeitbestimmung der Sintflut. Von dem Zeit- pimkt der Sintflut, den der mexikanische Verfasser Ixtilxochitl angibt, sagt Ältester George Reynolds: „Es besteht eine bemerkenswerte Über- einstimmung ZNVischen der Ausgabe dieses Schriftstellers und dem ersten Buch Mose. In der Zeit vom Sündenlall bis zur Flut besteht ein Unterschied von nur 60, vielleicht auch von mu- 5 Jahren, wenn die folgende Feststellung des Buches der Lehre und Bündnisse hinsichthch Henochs die Zeitrechnung verlängert: „Und er sah den Herrn und wandelte mit ihm und war stets vor seinem Angesicht; und er wandelte mit Gott 365 Jahre und war 430 Jahre alt, als er von der Erde hinweggeführt wurde" (L. u. B. 107:49). Die gleiche Angabe findet sich in der Köstlichen Perle, Moses 7:67. „Vorlesungen über äußere Beweise für das Buch Mormon" vom Ältesten George Reynolds.

3. Alte Zivilisation in Amerika. „Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß in diesem Lande (Zentral-Amerika imd Mexiko) einst eine Zivilisation blühte, die höher entwickelt war, als irgend eine von den spanischen Eroberern bei ihrer Ankunft vorgefundene. Bei weitem die bedeutendste Arbeit unter den Überresten der alten Mayas-Zivilisation ist von dem Peabody-Museum der Havard-Universität geleistet worden in einer Reihe von Expeditionen nach der begrabenen Stadt, die heute den Namen Copan (in spanisch Honduras) führt. In einem schönen Tal, nahe dem

») Moroni 10:4 5.

Art. 8.] Anmerkungen. 367

Grenzgebiet von Guatemala, liegt, umgeben von jäh aufsteigenden Bergen, bewässert von einem, sich durch diese hindurch vsandenden Fluß, die alters- graue Stadt, versunken in den Schlaf der Jahrhunderte. Die Ruinen von Copan, obschon in einem vorgeschrittenem Zustande des Verfalls als die- jenigen der Maya-Städte Yucatans, haben mit diesen eine allgemeine Ähn- lichkeit in der Gestaltung der Bauwerke und in der Bildhauerarbeit, wäh- rend die Schriftzeichen der Inschriften im wesentlichen die gleichen sind. Es scheint daher, daß Copan eine Stadt der Mayas war; trifft dies zu, so muß es eine ihrer ältesten Ansiedlungen gewesen sein, die in Verfall geriet, lange bevor die Städte Yucatans ihre Blüte erreichten. Die Zivilisation der Mayas war von derjenigen der Azteken oder mexikanischen völlig ver- schieden; sie war eine ältere imd auch viel höher entwickelte Zivilisation." Henry C. Walsh in seinem Artikel „Copan, die Totenstadt", Harpers Weekly, Oktober 1897.

Baldwin faßt die von Bradford veröffentlichten Schlußfolgerimgen inbezug auf die alten Bewohner Nordamerikas in seinem wertvollen Werk „Ancient America" folgendermaßen zusammen:

„sie hatten alle den gleichen Ursprung, waren Abkömmlinge der- selbe Rasse, und hatten gleiche Sitten und Gebräuche;"

„sie waren zahlreich und nahmen einen großen Teil des Landes ein;"

„sie hatten eine bedeutende Höhe der Zi^^lisation erreicht, lebten in großen Gemeinwesen beisammen und bewohnten ausgedehnte Städte;"

„sie kannten den Gebrauch verschiedener Metalle wie Blei, Kupfer, Gold und Silber und verstanden wahrscheinlich auch die Kimst, sie zu ver- arbeiten;"

„sie betrieben die Bildhauerkunst in Stein und benutzten dieses Material manchmal zum Errichten ihrer Bauten;"

„sie hatten Kenntnis von der Wölbung ziu-ücktretender Treppen, von der Töpferkunst, der geschmackvollen Anfertigung von Urnen und Gerätschaften nach den Grundsätzen chemischer Zusammensetzung, und von der Kunst des Ziegelbrennens;"

„sie beuteten Salzquellen aus und bereiteten Salz;"

„sie waren ein ackerbautreibendes Volk und lebten unter dem Ein- fluß und Schutz regelrechter Verwaltungsformen;"

,,sie hatten ein bestimmtes Religionssystem und eine Götterlehre, verknüpft mit der Astronomie, die zusammen mit ihrer Schwesterwissen- schaft, der Geometrie, in den Händen der Priester ruhte;"

„sie waren in der Kunst des Festungsbaues bewandert;"

„der Zeitpunkt ihrer ersten Ansiedlung in den Vereinigten Staaten von Nordamerika liegt sehr weit ziu-ück und die einzigen Andeutungen über ihre Herkunft, die aus der Lage ihrer zerfallenen Bauwerke entnom- men werden können, weisen auf Mexiko hin." Baldwin, „Ancient America" Seite 56.

4. Amerikanische tHjerlieternugen über die Sintflut. Don Francisco Munoz de la Vega, der Bischof jener Diözese (Chiapas) bezeugt in der Vorrede zu seiner „Diocesan Constitutions", daß ein altes Manuskript der frühern Indianer jener Provinz, welche die Kunst des Schreibens ge- lernt hatten, sich in seinem Archiv befinde, eine alte Urkunde, welche die fortgesetzte Überlieferung beibehält, daß der Vater und Gründer ihres Volkes Teponaliuale genannt wurde, was „Herr des ausgehöhlten Stückes Holz" bedeutet, daß dieser bei dem Bau der großen Mauer zugegen war

368 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV.

(so nannten sie den Turm zu Babel) und mit eigenen Augen die Verwirrung der Sprachen sah, nach welchem Ereignis ihm Gott, der Schöpfer, befahl, in diese fernen Länder zu gehen und sie unter die Menschheit zu verteilen." Lord Kingsborough, „Mexican Antiquities", Band VIII, Seite 25.

„In der Geschichte der Toltecs wird gesagt, daß dieses Zeitalter und die erste Welt, wie sie sie nannten, 1716 Jahre dauerte; daß die Menschen durch schreckliche Regengüsse und Blitze vom Himmel vernichtet wurden und sogar das ganze Land, oime irgendwelche Ausnahme, selbst die höchsten Berge 15 cubits (caxtolmolatli) vom Wasser bedeckt und überschwemmt wurden; hier fügten sie nun des weitern Fabeln darüber an, \sic sich das Menschengeschlecht von den wenigen, die der Zerstörung in einem „Toptli- petlocali" entgangen waren, vermehrte, daß dieses Wort etwa eine Bedeu- tung hatte wie „verschlossener Kasten" und wie dann, nachdem die Men- schen sich vermehrt hatten, sie einen selu- hohen „Zacuali" errichteten, der heute ein Turm von sehr großer Höhe sei, um sich in demselben in Sicher- heit zu bringen, wenn auch die zweite Welt (Zeit) zerstört werden sollte. Ilire Sprachen wurden aber unversehens verwirrt, sie waren nicht mehr imstande, einander zu verstehen und gingen nach verschiedenen Teilen der Erde auseinander." Siehe das oben angeführte Buch von Kings- borough, Band IX, Seite 321.

Von den Überlieferungen Amerikas sind die mexikanischen die wich- tigsten, denn sie scheinen endgültig bestimmt worden zu sein durch sym- bolische und gedächtniskünstlerische Malereien, bevor irgendeine Fühlung- nahme mit den Europäern bestand. Nach diesen Überlieferungen war der Noah der mexikanischen Sintflut Coxox, von andern auch Teocipactli oder Tezpi genannt. Er hatte sich mit seiner Gattin Xochiquetzal in einer Barke, nach andern Lesarten auf einem Floß aus Zypressenholz (Cypressus disticha), gerettet. Malereien, welche die Flut von Coxcox darstellen, sind bei den Azteken, Mizteken, Zopoteken, Tlascalteken und Mechoacanesen entdeckt worden. Die Überlieferung der letztern ist noch genauer in Über- einstimmung mit der Geschichte, wie wir sie im ersten Buch Mose und aus chaldäischen Quellen haben. Sie erzählt, wie Tezpi sich in einem geräumigen Schiffe einschiffte, zusammen mit seiner Gattin, seinen Kindern und ver- schiedenen Tieren und mit Korn, welches zur Ernährung der Menschen nötig war. Als der große Gott Tezcatlipoca beschloß, daß die Wasser zu- rückgehen sollten, sandte Tezpi einen Geier aus der Arche hinaus. Der Vogel, der sich von Leichnamen und Überresten aller Art ernährte, mit denen die Erde bedeckt war, kehrte nicht zurück. Tezpi sandte andere Vögel aus, von denen nur der Kolibri zurückkam, mit einem belaubten Zweig im Schnabel. Als dann Tezpi sah, daß das Land anfing, bewohnbar zu werden, verheß er seine Barke auf dem Berge Colhuacan." Donnelly's „Atlantis", Seite 99.

„Die ÜberUeferung von einer „Flut" war der ausgemachte Glaube, in der einen oder andern Form, der am meisten zivilisierten Völker der alten Welt, sowie der Ureinwohner der neuen. Die Azteken verbanden damit einige besondere Umstände von mehr willkürlichem Charakter, die den Berichten des Ostens gleichen. Sie glaubten, daß zwei Personen die Flut überlebten, ein Mann namens Coxcox, und seine Gattin. Ihre Köpfe werden in alten Malereien dargestellt zusammen mit einem Boot, am Fuße eines Berges im Wasser schwimmend. Eine Taube ist ebenfalls darauf abgebildet mit einem hieroglyphischen Sinnbild der Sprache im

Art. 8.] Anmerkungen. 369

Schnabel, das sie den Kindern des Coxcox, die stumm geboren sind, über- gibt. Das benaciibarte Volk Michoacan, das die gleiche Hochebene in den Anden bewohnte, hatte eine noch weitergehende Überlieferung, nämlich die, daß ein Schiff, in welchem Tezpi, ihr Noah, entkam, mit verschiedenen Arten von Tieren und Vögeln gefüllt war. Nach einiger Zeit wurde ein Geier ausgesandt, der sich jedoch von den toten Körpern der Riesen nährte, die auf der Erde lagen als die Wasser zurückgingen. Der kleine Kolibri, „Huitzitzilin", wurde dann hinausgeschickt, und kehrte mit einem Zweig im Schnabel zurück. Die Gleichartigkeit dieser Berichte mit den hebräi- schen und chaldäischen Erzählungen ist in die Augen springend." Pres- cott, „Conquest of Mexico", Seite 463, 464.

5. Mexikanische Überlieferungen vom Heiland. „Die Geschichte des Lebens des mexikanischen Gottes Quetzalcoatl ist derjenigen des Heilandes sehr ähnlich, so sehr, daß wir tatsächlich zu keinem andern Schluß kommen können, als daß Quetzalcoatl und Christus ein und dasselbe Wesen sind. Die Geschichte des ersten ist jedoch aus den unreinen lamanitischen Quellen zu uns heruntergekommen, wodurch die ursprünglichen Ereignisse und die Lehren des Heilandes arg entstellt und verzerrt wurden. Von diesem Gott sagt Humboldt: „Wie überraschend wirkt es, zu finden, daß die Mexikaner, die doch, wie es scheint, mit der Lehre von der Seelenwanderung nicht be- kannt waren, an die Fleischwerdung des einzigen Sohnes des allerhöchsten Gottes-Tomacateuctii - glauben! Bei der mexikanischen Götterlehre, die von keinem andern Sohn Gottes als nur von Quetzalcoatl spricht ge- boren von Chimelman, der Jungfrau von Tula (ohne menschliches Zutun allein durch den Odem Gottes, worin wohl sein Wort und sein Wille ver- sinnbildlicht wird, daß es Chimelman von einem himmlischen Boten ver- kündigt wurde, welchen Gott sandte, ihm mitzuteilen, daß sie einen Sohn gebären werde muß angenommen werden, daß dieser Sohn Quetzalcoatl ist, der einzige Sohn, von dem überhaupt gesprochen vsird. Andere Au- toren könnten angeführt werden, um zu zeigen, daß die Mexikaner glaubten, dieser Quetzalcoatl sei sowohl Gott als Mensch, ferner daß er vor seiner Fleischwerdung von Ewigkeit her gewesen sei, daß er der Schöpfer der Welt und der Menschen sei, vom Himmel herabstieg, um die Welt durch die Erduldung des Leidens zu erlösen und zu bessern und daß er schließlich als König von Tula für die Sünden der Menschen gekreuzigt wurde usw., wie dies in den Überlieferungen von Yucatan klar zum Ausdruck kommt und auch in den mexikanischen Malereien rätselhaft dargestellt wird." Präsident John Taylor, „Mediation and Atonement", S. 201.

6. Überreste der hebräischen Sprache bei den Indianerstämmen. „Es wird behauptet, daß solche Überbleibsel in den religiösen Liedern und Zeremonien vieler Stämme oft vorkommen. Eine ganze Anzahl Ver- fasser, die die Stämme Nordamerikas besuchten oder unter ihnen wohn- ten, geben an, die Worte Yehovah, Yah, Ale, und Halleluja bestimmt ge- hört zu haben. Lact und Escarbotus versichern, daß sie die südamerika- nischen Indianer das heilige Wort Halleluja oft wiederholen hörten." George Reynolds, „Language of the Book of Mormon".

370

Die Glaubensartikel.

[Vorl. XVI.

Vorlesung XVI.

Offenbarung in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft.

Artikel 9. Wir glauben alles, was Gott geoffenbart hat, alles, was er jetzt offenbart, und wir glauben, daß er noch viel große und wich- tige Dinge offenbaren wird inbezug auf das Reich Gottes.

1. Was ist Offenbarung? In theologischem Sinne bedeutet der Ausdruck „Offenbarung" die Bekanntma- chung göttlicher Wahrheit durch himmlische Vermittlung. Das griechische Wort „Apocalypsis", das unserm Wort „Offenbarung" entspricht, drückt das Aufdecken oder Enthüllen dessen aus, das ganz oder teilweise verborgen war, oder auch das Wegziehen eines Schleiers. Mit der verdeutschten Form des griechischen Ausdruckes „Apo- kalypse" wird manchmal jene besondere, dem Apostel Johannes auf der Insel Patmos zuteil gewordene Offenba- rung bezeichnet, die das letzte Buch in unserm heutigen Neuen Testament bildet. Göttliche Offenbarung kann, wie aus zahlreichen Beispielen aus der Schrift erhellt, im Enthüllen oder Erklären göttlicher Eigenschaften be- stehen, oder auch in einer Bekanntmachung des göttlichen Willens in menschlichen Angelegenheiten.

2. Manchmal wird dem Worte Inspiration eine Be- deutung beigelegt, die der der Offenbarung gleichkommt, obschon Inspiration durch seinen Ursprung und seine erste Anwendung eine ganz bestimmte eigene Bedeutung besaß. Inspirieren heißt wörtlich , .durch den Geist beleben". Ein Mensch ist inspiriert, wenn er unter dem Einfluß einer

Art. 9.] Offenbarung. 371

andern als seiner eigenen Kraft steht. Göttliche Inspi- ration kann man als eine leisere und weniger umfassende Kundgebung des himmlischen Einflusses auf einen Men- schen betrachten, als es bei einer Offenbarung der Fall ist. Der Unterschied zwischen den beiden besteht mithin mehr in einer Verschiedenheit des Grades, als in einer solchen des Wesens und der Natur der Sache. Bei keinem der bei- den leitenden Vorgänge nimmt der Herr dem Menschen seine Handlungsfreiheit oder seine Persönlichkeit, i) Dies erhellt namentlich aus den bemerkenswerten Eigenheiten der Schreibweise, die für die verschiedenen Bücher der Heiligen Schrift bezeichnend sind. Bei der Erteilung einer Offenbarung wird jedoch auf dem menschlichen Empfänger der gottgegebenen Botschaft ein mehr unmittelbarer Ein- fluß ausgeübt, als bei der schwächern, deshalb aber nicht weniger göttlichen Wirkung der Inspiration.

3. Die Unmittelbarkeit und Klarheit, mit der Gott mit den Menschen in Verbindung treten kann, richtet sich nach der Reinheit und allgemeinen Befähigung der betref- fenden Person. Der eine ist vielleicht nur für die Inspi- ration in ihrer niedern und einfachem Form empfänglich, der andere dagegen kann für diese Kraft so sehr empfind- lich und empfänglich sein, daß er unmittelbare Offenba- rungen zu empfangen vermag, wobei sich dann dieser höhere Einfluß selbst wiederum in verschiedenen Graden und in völligerer oder geringerer Enthüllung der göttlichen Persönlichkeit kundgibt. Beachten wir, was der Herr zu Aaron und Mirjam sagte, als sie sich einer unehrerbie- tigen Haltung gegenüber Mose, dem erwählten Offenbarer, schuldig machten: ,,Da kam der Herr hernieder in der Wolkensäule und trat in der Hütte Tür und rief Aaron und Mirjam; und die gingen beide hinaus. Und

•) Siehe Anmerkung 1 und 3.

372 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.

er sprach: Höret meine Worte: Ist jemand unter euch ein Prophet des Herrn, dem will ich mich kundmachen in einem Gesicht oder will mit ihm reden in einem Traum. Aber nicht also mein Knecht Mose, der in meinem ganzen Hause treu ist. Mündlich rede ich mit ihm, und er sieht den Herrn in seiner Gestalt, nicht durch dunkle Worte oder Gleich- nisse."i)

4. Wir haben gesehen, daß zu den ausschlaggebend- sten Beweisen des Daseins eines höchsten Wesens der- jenige gehört, den uns die unmittelbare Offenbarung von Gott selbst liefert, und daß ferner eine gewisse Erkenntnis von den Eigenschaften und der Persönlichkeit Gottes nötig ist, um einen wirksamen Glauben an ihn ausüben zu können. Wir können ein Wesen, dessen Dasein für uns nur eine Sache der Ungewißheit und bloßen Vermutung ist, nur unzulänglich verehren. Sollen wir unserm Schöpfer unbedingt vertrauen und ihn lieben, so müssen wir zuvor etwas von ihm wissen. Zwar wird der Schleier der Sterb- lichkeit mit seinem ganzen undurchdringlichen Dunkel das Licht der göttlichen Gegenwart vor dem sündenbe- deckten Menschenherzen verschließen ; der trennende Vor- hang kann indessen weggezogen werden, sodaß das himm- lische Licht die Seele des Rechtschaffenen erleuchtet. Das lauschende Ohr, harmonisch gestimmt auf die Töne der himmlischen Musik, hat die Stimme Gottes, die seine Persönlichkeit und seinen Willen verkündigt, gehört, das von dem Staube oder der Verblendung der Sünde ge- reinigte Auge, lauter und einfältig in seinem Suchen nach Wahrheit, hat die Hand Gottes sichtbarlich wahrgenom- men, — der durch Ergebung in den göttlichen Willen und durch Demut gehörig gereinigten Seele sind die Pläne Gottes geoffenbart worden.

i) 4. Mose 12:5—8.

Art. 9.] Offenbarung. 373

5. Offenbarung ist das Mittel, wodurch Gott mit den Menschen verkehrt. Wir kennen keine Zeit, in der ein bevollmächtigter Diener Gottes auf Erden gewesen wäre, ohne daß ihm der Herr seinen Willen inbezug auf das Volk kundgemacht hätte. Es wurde schon gezeigt, daß kein Mensch von sich aus, d. h. auf Grund seiner eigenen Veran- lassung, die Ehre und Würde des geistlichen Amtes auf sich nehmen kann. Ein bevollmächtigter Diener des Evan- geliums muß ,,von Gott berufen sein durch Offenbarung und durch das Auflegen der Hände derer, die göttliche Vollmacht dazu haben" und diejenigen, die „göttliche Vollmacht dazu haben" müssen auf gleiche Weise dazu berufen worden sein. Ist der Erwählte in dieser Weise beauftragt worden, so spricht er, wenn er das Evangelium predigt und in dessen Verordnungen amtiert, kraft einer höhern Machtbefugnis als seiner eigenen, und er kann so für das Volk zum Propheten werden. Der Herr hat seine auf diese Weise auserkorenen Diener jederzeit anerkannt und geehrt; er hat ihr Amt im Verhältnis zu ihrer eigenen Würdigkeit erweitert, indem er sie zu lebendigen Orakeln seines Willens machte. Diese Wahrheit hat für alle Dis- pensationen des Werks Gottes Geltung gehabt.

6. Es ist das Vorrecht des heiligen Priestertums, mit den Himmeln in Verbindung zu treten und unmittelbar den Willen Gottes kennen zu lernen. Diese Verbindung kann durch Traum oder Gesicht, durch den Besuch von Engeln, oder durch die höhere Gabe des Umgangs mit dem Herrn von Angesicht zu Angesicht Zustandekommen. i) Die inspirierten Aussprüche von Männern, welche sprechen, getrieben vom heiligen Geist, werden für das Volk zur „Heiligen Schrift". 2) Gott hat verheißen, daß er insbe- sondere das Mittel der Offenbarung anerkennen werde,

') Siehe Seite 41 45 und Vorlesung XII. ») Lehre u. Bündn. 68:4.

374 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.

um seinen Willen und seine Absichten der Menschheit kund zu tun. „Denn der Herr, Herr tut nichts, er offenbare denn sein Geheimnis den Propheten, seinen Knechten, "i) Nicht alle Menschen können die Stellung eines besondern Propheten erlangen: „Das Geheimnis des Herrn ist unter denen, die ihn fürchten ; und seinen Bund läßt er sie wissen. "^j Solche Männer sind Offenbarer der Wahrheit, bevorrech- tigte Ratgeber und Freunde Gottes. 3)

7. Offenbarung in früherer Zeit. Dem großen Patriar- chen Adam, dem die Schlüssel der ersten Dispensation übergeben worden waren, offenbarte Gott seinen Willen und gab ihm Gebote.^) Adam verkehrte in dem Zustande kindlicher Unschuld, in dem er vor dem Sündenfall lebte, unmittelbar mit Gott. Der Mensch wurde jedoch infolge seiner Übertretung aus dem Garten Eden vertrieben. Er nahm aber eine gewisse Erinnerung an seinen frühern glücklichen Zustand mit sich, so z.. B. eine persönliche Gewißheit von dem Dasein und den Eigenschaften seines Schöpfers. Während er unter der vorausgesagten und an ihm erfüllten Strafe im Schweiße seines Angesichtes die Erde bebaute, um sein tägliches Brot zu gewinnen, fuhr er fort, den Herrn anzurufen. Eines Tages, als Adam und seine Gattin Eva beteten und arbeiteten, „hörten sie die Stimme des Herrn, aus der Richtung gegen den Garten Eden, zu ihnen sprechend, und sie sahen ihn nicht, denn sie waren von seiner Gegenwart ausgeschlossen, und er gab ihnen Gebote."^)

8. Die Patriarchen, die nach Adam kamen, wurden in verschiedenem Grade mit der Gabe der Offenbarung ge-

M Arnos 3:7; siehe auch 1. Nepiai 22:2. ') Psalm 25:14. ') Johannes 15:14 15.

') 1. Mose 2:15—20; Köstl. Perle, Moses 3:16, 17. *) Köstl. Perle, Moses 5:4 5; siehe auch Lehre u. Bündn., Vorlesung über- Glauben 2:19—25.

Art. 8.] OfTenbarung. 375

segnet. Henoch, der siebte in absteigender Linie, wurde in besonderm Maße damit ausgestattet. Wir erfahren aus dem Alten Testament daß Henoch „in einem gött- lichen Leben blieb" und daß ihn Gott, als er ein Alter von 365 Jahren erreicht hatte, zu sich nahm, ,,und er ward nicht mehr gesehen",^) Aus dem Neuen Testament^) erfahren wir etwas mehr über sein Wirken und in der „Köstlichen Perle" wird uns von dem Verkehr des Herrn mit diesem auserwählten Seher ein noch vollständigerer Bericht gegeben. =^) Nicht nur der Plan der Erlösung wurde ihm geoffenbart, sondern auch die. zukünftige Geschichte der Menschheit bis hinunter zur „Mitte der Zeiten" und von da an über das Tausendjährige Reich zum Jüngsten Ge- richt. — Dem Noah offenbarte Gott seine Absichten über die drohende Sintflut. Durch seine prophetische Stimme wurde das Volk gewarnt und zur Buße gerufen. Es verwarf und verachtete die mahnende Botschaft und kam infolgedessen in seinen Sünden um. Mit Abraham richtete der Herr seinen Bund auf und offenhalte ihm den Verlauf der Schöpfungsereignisse.^) Der Bund mit Abra- ham wurde auch auf Isaak und Jakob bestätigt.

9. Durch Offenbarung wurde Mose von Gott beauf- tragt, Israel aus der Knechtschaft zu führen. Aus dem brennenden Busch erging die Stimme des Herrn an den auserwählten Mann: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. "5) Während all der bewegten Auftritte zwischen Mose und Pharao setzte der Herr seine Offenbarungen an seinen Diener fort und dieser erschien im Glänze dieser göttlichen Begabung dem heidnischen König gegenüber als wahrhaf-

1) 1. Mose 5:18—24.

») Judas 14.

') Köstl. Perle, Moses Kap. 6 und 7.

*) 1. Mose, Kapitel 17 und 18; Köstl. Perle, Buch Abrahams.

') 2. Mose 3:2—6.

376 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.

tiger Gott.i) Und auch während der vierzigjährigen be- schwerhchen Wanderung durch die Wüste hörte der Herr nicht auf, seinen auserwählten Diener anzuerkennen. So können wir der Spur der Offenbarer folgen Männern, die, jeder zu seiner Zeit, als Vermittler zwischen Gott und dem Volke standen, aus der göttlichen Quelle Belehrun- gen erhielten und sie an das Volk weitergaben von Mose zu Josua, dann durch die Reihe der Richter auf David und Salomo bis hinunter auf Johannes den Täufer, den unmittelbaren Vorläufer des Messias.

10. Christus war selbst ein Offenbarer. Ungeachtet seiner persönlichen Autorität, und obgleich er schon zu- vor ein Gott gewesen und es immer noch war, erklärte Christus doch, als er als Mensch unter den Menschen lebte, daß sein Werk das eines größern, das Werk dessen ist, der ihn gesandt hat, und von dem er Belehrungen und Gebote empfängt. Beachten wir seine Worte „Denn ich habe nicht von mir selber geredet; sondern der Vater, der mich gesandt hat, der hat mir ein Gebot gegeben, was ich tun und reden soll. Und ich weiß, daß sein Gebot ist das ewige Leben. Darum, was ich rede, das rede ich also, wie mir der Vater gesagt hat. "2) Ferner: „Ich kann nichts von mir selber tun. Wie ich höre, so richte ich, und mein Gericht ist recht; denn ich suche nicht meinen Willen, sondern des Vaters Willen, der mich gesandt hat."^) Und nochmals: „Die Worte, die ich zu euch rede, die rede ich nicht von mir selbst. Der Vater aber, der in mir wohnt, der tut die Werke;*** und also tue ich, wie mir der Vater geboten hat."*)

') 2. Mose 4:16; 7:1. ') Johannes 12:49 50. ") Johannes 5:30. •) Johannes 14:10, 31.

Art. 9.] Offenbarung. 377

11. Auch die Apostel, denen nach dem Scheiden ihres Herrn und Meisters die Verantwortung für die Kirche zufiel, blickten zum Himmel um Beistand und Leitung. Von dort erwarteten und erhielten sie das Wort der Offen- barung, das sie in ihrem hohen Amt leiten und führen sollte. Paulus schrieb an die Korinther: „Uns aber hat es Gott geoffenbart durch seinen Geist; denn der Geist er- forscht alle Dinge, auch die Tiefen der Gottheit. Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, ohne der Geist des Menschen, der in ihm ist? Also auch weiß niemand, was in Gott ist, ohne der Geist Gottes. Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, daß wir wissen können, was uns von Gott ge- geben ist."i)

12. Der Apostel Johannes erklärte ebenfalls, daß das Buch, das in besonderm Sinne als die ,, Offenbarung" be- kannt ist, nicht durch seine eigene Weisheit zustandekam, sondern, daß sie ist ,,die Offenbarung Jesu Christi, die ihm Gott gegeben hat, seinen Knechten zu zeigen, was in der Kürze geschehen soll; und er hat sie gedeutet und gesandt durch seinen Engel zu seinem Knecht Johannes. "2) ^.^

13. Fortdauernde Offenbarung ist notwendig. Die

Tatsache, daß Gott von Adams Zeiten an bis auf Johannes den Offenbarer die Angelegenheiten seines Volkes in per- sönlicher Gemeinschaft mit seinen Dienern leitete, ist aus den heiligen Schriften klar und deutlich ersichtlich. Als das geschriebene Wort die aufgezeichneten Offenbarun- gen, die zuvorgegeben worden waren mit der Zeit zunahm, wurde es für das Volk zum Gesetz, aber zu keiner Zeit wurde dies als genügend erachtet. Während die Offen- barungen der Vergangenheit als Führer für das Volk stets

') 1. Korinther 2 : 10—12. ») Offenbarung Joh. 1:1.

378 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.

unentbehrlich gewesen sind indem sie den Plan und die Absichten Gottes für besondere Verhältnisse vor Augen führten können sie doch nicht allgemein und unmittel- bar auf die Verhältnisse nachfolgender Zeiten angewandt werden. Viele der geoffenbarten Gesetze sind von all- gemeiner Geltung für alle Menschen zu allen Zeiten, so z.B. die Gebote „Du sollst nicht stehlen" „Du sollst nicht töten" „Du sollst nicht falsches Zeugnis reden" und andere Vorschriften, die sich auf die Pflichten des Menschen ge- genüber seinen Mitmenschen beziehen, Gebote, von denen die meisten so offenkundig gerecht sind, daß sie von dem menschlichen Gewissen ohne weiteres gebilligt werden, auch ohne den direkten göttlichen Befehl hierzu. Andere Gesetze mögen in ihrer Anwendung gleichartig sein, leiten jedoch ihre Gültigkeit als göttliche Verordnungen von der Tatsache ab, daß sie von maßgebender Stelle als solche besonders eingesetzt wurden. Als ein Beispiel dieser Art kann das Gebot über die Heiligung des Sonntags betrachtet werden, oder die Notwendigkeit der Taufe als ein Mittel zur Vergebung der Sünden, oder die Verordnungen des Händeauflegens, des Abendmahles usw. Dazu wurden uns dann noch Offenbarungen andrer Art überliefert, und zwar solche, die gegeben worden sind, um den Umständen besonderer Zeiten gerecht zu werden. Diese können als besondere, den Verhältnissen entsprechende Offenbarun- gen angesehen werden, z. B. das Gebot an Noah : eine Arche zu bauen und das Volk zu warnen; das Gebot an Abraham : sein Heimatland zu verlassen und nach einem fremden Lande zu ziehen ; der Befehl an Mose und durch ihn an das ganze Volk Israel inbezug auf den Auszug aus Ägypten; die dem Propheten Lehi gewordene Offen- barung, worin ihm geboten wurde, mit seiner Familie die Stadt Jerusalem zu verlassen ; die Offenbarung, die ihrer Reise durch die Wüste die Richtung wies, den Bau eines

Art. 9.] Offenbarung. 379

Schiffes veranlaßte und sie schließlich über das große Wasser nach einem andern Erdteil führte.

14. Es ist nicht nur vernunftwidrig, sondern es wider- spricht auch ganz und gar unserer Vorstellung von der unveränderlichen Gerechtigkeit Gottes, zu glauben, er werde in der einen Dispensation seine Kirche mit fortlau- fenden Offenbarungen seines Willens segnen und in der andern die Kirche, die doch seinen Namen trägt, sich selbst überlassen, um so gut es eben gehen mag, nach den Gesetzen eines vergangenen Zeitalters zu leben. Wohl ist es wahr, daß infolge eines Abfalles die Vollmacht des Priestertums eine Zeitlang von der Erde weggenommen wurde, sodaß sich das Volk in einem Zustand geistiger Finsternis befand, und ihm die Fenster des Himmels ver- schlossen waren, aber in solchen Zeiten hat Gott keine der irdischen Kirchen als die seine anerkannt. Und kein Prophet hat alsdann mit Vollmacht erklärt: ,,So spricht der Herr!"

15. Zur Unterstützung der Lehre, daß fortlaufende Offenbarung, die den jeweiligen Zeitumständen angepaßt ist, ein Kennzeichen darstellt für den Umgang Gottes mit seinem Volk, können wir die Tatsache anführen, daß Gesetze gegeben worden sind, welche aufgehoben wurden, sobald eine höhere Stufe des göttlichen Planes erreicht war. So war z. B. das Gesetz Mose^) für das Volk Israel streng verbindlich während der Zeit vom Auszug aus Ägypten bis zur Geburt Christi, aber seine Aufhebung wurde von dem Heiland selbst verkündigt^) und dafür ein höheres Gesetz, als das der ,, fleischlichen Gebote", das „der Übertretung wegen eingeführt worden war", gegeben.

16. Aus den angeführten Schriftstellen und zahlrei- chen andern Versicherungen der Heiligen Schrift geht

') 2. Mose 21 ; 3. Mose ') Matthäus 5: 17 48.

380 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.

klar hervor, daß fortwährende Offenbarung stets ein Merkmal der wahren Kirche gewesen ist. Es ist ebenso klar, daß für die Kirche, in einem organisierten Zustand auf der Erde, auch heute Offenbarung unentbehrlich ist. Wenn ein Mensch von Gott berufen sein muß „durch Offen- barung",i) damit er mit Vollmacht das Evangelium ver- kündigen und in dessen Verordnungen amtieren kann, so ist offenkundig, daß beim Fehlen direkter Offenbarung, die Kirche ohne bevollmächtigte Diener bleiben und in- folgedessen absterben würde. Die Propheten und Patriar- chen vor alters, die Richter und die Priester und jeder bevollmächtigte Diener von Adam an bis zu Maleachi wurden durch unmittelbare Offenbarung, wie sie sich durch das besondere Wort Prophezeiung kundtat, berufen. Dies war genau so der Fall mit Johannes dem Täufer,^) mit Christus^) selbst, mit seinen Aposteln und den unter- geordneten Beamten*) der Kirche, solange eine von Gott anerkannte Organisation auf Erden verblieb. Ohne die Gabe fortlaufender Offenbarung kann es keine bevoll- mächtigte Amtstätigkeit auf Erden geben und ohne rechtmäßig beauftragte Beamte kann keine Kirche Christi bestehen.

17. Offenbarung ist für die Kirche unentbehrlich, nicht allein zur richtigen Berufung und Einsetzung ihrer Diener, sondern auch zur Anweisung und Leitung dieser Diener in ihrer Amtstätigkeit: die Grundsätze der Er- lösung mit Vollmacht zu lehren, das Volk zu ermahnen, zu ermutigen und wenn nötig zu tadeln und ihm durch Prophezeiungen den Willen Gottes inbezug auf seine Kirche für die Gegenwart und die Zukunft zu verkündigen.

') Siehe Vorlesung X, Seite 221.

^) Lukas 1:13—18.

') Johannes 15: Apostelgeschichte 1:12 26.

*) Apostelgeschichte 20:28; 1. Timotheus 4:14; Titus 1:5.

Art. 9.] Offenbarung. 381

Die Verheißung der Seligkeit ist weder durch Zeit noch durch Ort noch durch Person begrenzt. So lehrte wenig- stens Petrus am Pfingsttage, als er der Menge verkündigte, daß auch sie zu dieser Segnung berufen sei: „Denn euer und eurer Kinder ist diese Verheißung" sprach er, „und aller, die ferne sind, welche Gott, unser Herr, herzurufen wird."^) Die Seligkeit mit allen Gaben Gottes war yor alters sowohl für die Juden wie für die Griechen, ,,es ist aller zumal ein Herr, reich über alle, die ihn anrufen. "2)

18. Einwendungen angeblieh aus der Heiligen Schrift. Die Gegner der Lehre von der fortlaufenden Offenbarung führen unter grober Verdrehung der Bedeutung gewisse Schriftstellen an, um damit ihre Ketzerei zu unter- stützen. Zu diesen Stellen gehören die nachstehend an- geführten. Die Worte des Offenbarers Johannes, mit denen er sein Buch beschließt, lauten: ,,Ich bezeuge allen, die da hören die Worte der Weissagung in diesem Buch: So jemand dazusetzet, so wird Gott zusetzen auf ihn die Plagen, die in diesem Buche geschrieben stehen. Und so je- mand davontut von den Worten des Buchs dieser Weis- sagung, so wird Gott abtun sein Teil vom Holz des Lebens und von der heiligen Stadt, davon in diesem Buch geschrieben ist."^)

Diese Stelle auf die Bibel anzuwenden, so wie diese späterhin zusammengestellt wurde, ist völlig ungerecht- fertigt, denn als Johannes dies niederschrieb, wußte er sicherlich nichts davon, daß sein Buch dereinst den Schluß- teil einer Zusammenstellung bilden würde, wie wir sie heute in unserer Bibel besitzen. Johannes hatte seine eigenen Worte im Auge, die ihm durch Offen- barung gegeben worden und die infolgedessen heilig

*) Apostelgeschichte 2:39.

2) Römer 10:12; Galater3:28; Kolosser 3:11.

') Offenbarung Joh. 22:18 19; Lehre u. Bünndn. Abscbn. 20:35.

382 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.

waren; diese zu verändern, sei es durch Weglassung oder Hinzufügung, würde gleichbedeutend sein mit dem Ab- ändern des Wortes Gottes. Irgend einen andern Teil des Wortes Gottes abzuändern wäre eine genau so große Sünde. Aber auch hiervon abgesehen, ist in dieser Schriftstelle nicht das geringste davon gesagt, daß der Herr nicht auch voH dem darin geoffenbarten Wort wegnehmen oder dazu tun dürfe; gesagt wird nur, daß kein Mensch den Bericht ungestraft ändern könne.

19. Ein ähnliches Verbot, das göttliche Wort abzu- ändern, wurde von Mose^) ausgesprochen, und zwar 1500 Jahre früher als Johannes das erwähnte niederschrieb, aber ebenfalls mit einer ähnlich beschränkten Geltung. Ein anderer Einwand gegen die Möglichkeit der Offenbarung in unsern Tagen, gründet sich angeblich auf das Wort des Paulus von den Schriften, die uns unterweisen können zur Seligkeit, 2) das er an Timotheus schrieb: „Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtig- keit, daß ein Mensch Gottes sei vollkommen, zu allem guten Werk geschickt. "3) In der gleichen Absicht wird auch des Paulus Bemerkung gegenüber den Ältesten zu Ephesus angeführt. Die Stelle lautet: ,,Ihr wisset, ***wie ich nichts verhalten habe, das da nützlich ist, daß ichs euch nicht verkündigt hätte und euch gelehrt öffentlich und sonderlich, *** denn ich habe euch nichts verhalten, daß ich nicht verkündigt hätte all den Rat Gottes."*) Es wird gesagt, daß wenn die Heilige Schrift, die er kannte, genügt, um Timotheus zur „Seligkeit zu unterweisen und einen Menschen Gottes vollkommen zu allen guten

') 5. Mose 4:2; 12:32. ') 2. Timotheus 3:15. ») 2. Timotheus 3:16— 17. ♦) Apostelgesch. 20:18 27.

I

Art. 9.] Offenbarung. 383

Werken geschicktzu machen", dann genüge dieselbe Heilige Schrift auch für alle andern Menschen bis an der Zeiten Ende. Desgleichen: Wenn die den Ältesten der Ephe- ser verkündigte Lehre „all den Rat Gottes" darstellt, so sei kein weiterer Rat mehr zu erwarten. Als Antwort hierauf genügt es wohl, zu sagen, daß die Gegner beständiger Offenbarungen, welche ihren schriftwidrigen Standpunkt mit der erzwungenen Auslegung solcher Stellen verteidigen möchten, wollten sie ihre eigene Lehre selbst befolgen gezwungen wären, alle nach diesen Aussprüchen Pauli von den Aposteln noch gegebenen Offenbarungen einschließlich der Offenbarung Johannes zu verwerfen.

20. Ebenso albern ist die Behauptung : Christi letztes Wort am Kreuz ,,es ist vollbracht" bedeute das Ende aller Offenbarung. Wir sehen gerade denselben Jesus, wie er nachher als auferstandener Herr sich selbst seinen Aposteln offenbart und ihnen weitere Offenbarungen verheißt,^) und ihnen verspricht, sie zu begleiten bis an das Ende der Welt. 2) Aber auch davon abgesehen: Wären die Worte des Gekreuzigten mit dieser Absicht gesprochen worden, so müßten die Apostel, die ihr Leben lang durch Offenbarung lehrten, als Betrüger betrachtet werden.

21. Um den Bannfluch zu rechtfertigen, mit dem die Gegner heutiger Offenbarung die zu verfolgen suchen, die an den fortdauernden Zufluß des Wortes Gottes an seine Kirche glauben, wird auch die nachstehende Prophe- zeiung des Sacharja angeführt. „Zu der Zeit, spricht der Herr Zebaoth, will ich der Götzen Namen ausrotten aus dem Lande, daß man ihrer nicht mehr gedenken soll; dazu will ich auch die Propheten und unreinen Geister aus dem Lande treiben; daß es also gehen soll: wenn je-

') Lukas 24:49.

») Matthäus 28:20; siehe auch Markus 16:20.

384 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.

mand weiter weissagt, sollen sein Vater und seine Mutter, die ihn gezeuget haben, zu ihm sagen : Du sollst nicht leben, denn du redest Falsches im Namen des Herrn ; und werden also Vater und Mutter, die ihn gezeuget haben, ihn zer- stechen wenn er weissaget. Denn es soll zu der Zeit ge- schehen, daß die Propheten mit Schanden bestehen mit ihren Gesichten, wenn sie weissagen, "i)

Die Zeit, von der hier gesprochen wird, scheint noch in der Zukunft zu liegen; soviel aber ist sicher, daß die „Götzen" und die , »unreinen Geister" noch Einfluß haben, und ferner ist Tatsache, daß die hier erwähnten „Pro- pheten" falsche sind, angedeutet durch Sacharjas Gleich- stellung mit den Götzen und unreinen Geistern.

22. Derartige Versuche, wie sie unter Verdrehung der Bedeutung der angeführten Schriftstellen unternommen werden, um der Lehre von der fortlaufenden Offenbarung entgegenzutreten, erweisen sich als jämmerlich und erfolglos. Sie tragen ihre Widerlegung an der eigenen Stirn und lassen die Wahrheit unberührt : daß nämlich der Glaube an neu- zeitliche Offenbarung durchaus vernünftig und streng schriftgemäß ist. 2)

23. Neuzeitliche Offenbarung. Im Lichte unserer Er- kenntnis von der Beständigkeit fortlaufender Offenbarung als einem wesentlichen Merkmal der Kirche, ist es ebenso vernünftig, heute nach neuen Offenbarungen auszuschauen, wie an das Vorhandensein dieser Gabe in alten Zeiten zu glauben. „Wo keine Weissagung ist, wird das Volk wild und wüst"^) wurde vor alters erklärt und gewiß ist es am Platze in „Weissagung" auch Offenbarung einzu- schließen, denn diese letzte Gabe wird oft durch Träume und Weissagung bezeichnet. Dennoch sind die sogenannten

') Sacharja 13:2 4. ") Siehe Anmerkung 2. ») Sprüche 29:18.

Art. 9.] Offenbarung. 385

christlichen Sekten trotz der ausgiebigsten und deut- lichsten Beweise und Zeugnisse aus der Heiligen Schrift einig in der Behauptung, daß mit den Aposteln, oder sogar schon vorher, die Offenbarungen aufgehört hätten, daß weitere Gemeinschaft mit den Himmeln unnötig, und etwas derartiges zu erwarten, schriftwidrig sei. Indem die sonst uneinigen Sekten des Tages diesen Standpunkt vertreten, befinden sie sich auf dem gleichen Wege wie die Ungläu- bigen früherer Zeiten. Die abtrünnigen Juden verwarfen den Heiland, weil er mit neuen Offenbarungen zu ihnen kam. Hatten sie nicht Mose und die Propheten als Füh- rer? Wen brauchten sie sonst noch? Sie prahlten öffent- lich: „Wir sind Moses Jünger" und fügten hinzu ,,Wir wissen, daß Gott mit Mose geredet hat; von wannen aber dieser ist, wissen wir nicht. "i)

24. Die Heilige Schrift, weit davon entfernt, ein Aufhören der Offenbarungen für die letzten Tage vorherzu- sagen, erklärt im Gegenteil die Fortdauer dieser Gabe unter dem Volk des Herrn. Johannes der Offenbarer sah voraus, daß in den letzten Tagen das Evangelium durch einen Engel wiedergebracht werden sollte: ,,Und ich sah einen Engel fliegen, mitten durch den Himmel, der hatte ein ewiges Evangelium zu verkünden denen, die auf Erden wohnen, und allen Heiden und Geschlechtern und Spra- chen und Völkern". 2) Er wußte außerdem, daß man in den letzten Tagen die Stimme Gottes vernehmen sollte, wie sie das Volk des Herrn aus Babylon nach einem Ort der Sicherheit ruft: ,,Und ich hörte eine andere Stimme vom Himmel, die sprach: Gehet aus von ihr, mein Volk, daß ihr nicht teilhaftig werdet ihrer Sünden, auf daß ihr nicht empfanget von ihren Plagen. "3)

>) Johannes 9:28 29. «) Offenb. Joh. 14:6. ») Offenb. Joh. 18:4.

25

386 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV I.

25. Das Buch Mormon ist nicht weniger deutlich in sei- ner Feststellung, daß in den letzten Tagen unmittelbare Offenbarung als eine Segnung auf der Kirche ruhen werde. Es sei nur auf die durch Ether den Jarediten gegebene Pro- phezeiung hingewiesen ; aus ihrem Zusammenhang geht her- vor, daß unter der Zeit, von der gesprochen wird, die letzte Dispensation zu verstehen ist. ,,An dem Tage, da sie (die Heiden) ihren Glauben an mich bewähren werden, so wie Jareds Bruder es getan hat, sagt der Herr, so daß sie in mir geheiligt werden, dann werde ich ihnen die Dinge verkündigen, welche Jareds Bruder sah, ja sogar ihnen alle Offenbarungen enthüllen, sagt Jesus Christus, der Sohn Gottes, der Vater der Himmel und der Erde und aller Dinge, die darin enthalten sind. *** Wer aber diese Dinge glaubt, welche ich geredet habe, dem will ich die Offenbarungen meines Geistes verleihen, und er soll erkennen und Zeug- nis davon geben. "i)

26. Lehi führt anläßlich der Belehrung seiner Söhne eine Prophezeiung Josephs, des Sohnes Jakobs an, die uns in der Zusammenstellung von Büchern, welche wir als die Bibel kennen, nicht berichtet wird. Sie hat insbeson- dere Bezug auf das Werk Josephs, des Propheten unserer Tage. „Ja, Joseph sagte wirklich: So spricht der Herr zu mir: Einen auserwählten Seher will ich aus der Frucht deiner Lenden erwecken; und er soll unter der Frucht deiner Lenden hoch geschätzt werden. Und ihm werde ich Befehl geben, daß er ein Werk für die Frucht deiner Lenden, seine Brüder, tue, welches einen großen Wert für sie haben wird, um sie zu der Erkenntnis der Bündnisse zu bringen, die ich mit deinen Vätern gemacht habe". 2)

27. Nephi, der Sohn Lehis, sprach durch Prophezeiung von den letzten Tagen, wo viele Heiden ein Zeugnis

') Ether 4:7, 11. ») 2. Nephi 3:7.

Art. 9.] Offenbarung. 387

von Jesus Christus erhalten würden, mit vielen Zeichen und wunderbaren Kundgebungen „und daß er sich durch die Macht des Heiligen Geistes allen denen, welche an ihn glauben, offenbart, ja, allen Nationen, Sprachen und Völ- kern, indem er mächtige Wahrzeichen, Zeichen und Wun- der unter den Menschenkindern verrichtet, ihrem Glauben gemäß. Aber sehet, ich prophezeie euch über die letzten Tage, über die Tage, an welchen Gott, der Herr, diese Dinge auf die Menschenkinder bringen wird."^)

28. Der gleiche Prophet erteilt den Ungläubigen der letzten Tage einen scharfen Verweis und sagt das Hervor- kommen weiterer heiliger Schriften voraus: „Und es wird geschehen, daß Gott, der Herr, unter euch die Worte eines Buches bringen wird, und es werden die Worte derer sein, die geschlummert haben. Und das Buch wird versiegelt sein, und in dem Buch wird eine Offenbarung von Gott, von Anfang bis zum Ende der Welt sein. "2)

29. Als der Heiland zu den Nephiten redete, wieder- holte er die Prophezeiungen Maleachis inbezug auf die Offenbarung, die vor dem zweiten Kommen Christi durch den Propheten Elia gegeben werden sollte: ,, Siehe, ich will euch senden den Propheten Elia, ehe denn da komme der große und schreckliche Tag des Herrn. Der soll das Herz der Väter bekehren zu den Kindern und das Herz der Kin- der zu ihren Vätern, daß ich nicht komme und das Erd- reich mit dem Bann schlage". 3)

30. Durch Offenbarungen in unseren Tagen hat der Herr seine frühern Verheißungen bestätigt und erfüllt und hat insbesondere jene getadelt, die seinen Mund ver- schließen und sein Volk ihm entfremden möchten.

i) 2. Nephi 26:13—14. «) 2. Nephi 27:6—7.

') 3. Nephi 25:5 6; siehe auch Maleachi 4:5 6; Seite 13, 184 186 dieses Buches, und für die Erfüllung Lehre u. Bündn. 110:13.

388 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI.

Heute vernehmen wir seine Stimme: ,,***um der Welt zu beweisen, daß die Heilige Schrift wahr ist, und daß Gott auch in diesem Zeitalter und Geschlechte Menschen mit seinem Geiste erfüllt und sie, ebenso wie früher, zu seinem heiligen Werke beruft; und dadurch zeigt, daß er gestern, heute und in alle Ewigkeit derselbe Gott ist."i)

31. Offenbarungen in der Zukunft. Es ist angesichts der dargelegten Tatsache, daß Offenbarungen von Gott zu den Menschen stets ein Kennzeichen der Kirche Christi gewesen sind und auch immer sein werden, nur vernünftig, daß wir mit Vertrauen das Kommen weiterer Botschaften vom Himmel erwarten, selbst bis zum Ende der mensch- lichen Prüfungszeit auf Erden. Die Kirche ist heute eben- sosehr auf den Felsen der Offenbarung gegründet und wird es auch in Zukunft sein, wie es zu der Zeit der Fall war, als Christus dem Apostel Petrus jene prophetische Seg- nung erteilte, die ihn befähigte, von der Götthchkeit seines Herrn und Meisters zu zeugen. 2) Gegenwärtige Offenbarung sagt noch eben so klar, wie die früherer Tage, zukünftige Kundgebungen Gottes voraus, die auf diesem Wege erfolgen sollen. 3) Der Band heiliger Schriften ist noch nicht abgeschlossen, viele Zeilen, viele Vorschriften sollen noch hinzugetan werden Offenbarungen, die alles was bis jetzt überliefert wurde, an Bedeutung und glor- reicher Fülle überragen sollen, werden der Kirche noch gegeben und der Welt verkündigt werden.

32. Was für einen Schatten einer Rechtfertigung oder einen Schein einer Übereinstimmung kann der Mensch für sichin Anspruch nehmen, wenn er die Macht und die Absicht

>) Lehre u. Bündn. 20:11—12; siehe auch l.rll; 11:25; 20:26—28; 35:8; 42:61; 50:35; 59:4; 70:3, und das ganze Buch als Beweis für die Fortdauer der Offenbarung an die Kirche heutzutage.

=) Matthäus 16:16—19; Markus 8:27—30; Lukas 9:18—20; Johan- nes 6:69.

') L. u. B. 20:35; 35:8 und die vorhin angeführten Stellen aus L.u. B.

Art. 9.] Anmerkungen. 389

Gottes, sich selbst und seinen Willen heutzutage ebenso wie früher zu offenbaren, leugnet? Auf jedem menschli- chen Wissens- und Tätigkeitsgebiet, in allem und jedem, worin er sich selbst zu verherrlichen sucht, ist der Mensch stolz auf die erreichten Möglichkeiten der Erweiterung und des Wachstums, nur in der göttlichen Wissenschaft, der Theologie, hält er den Fortschritt für unmöglich und Verbesserung für verboten. Gegen solches ketzerisches und gotteslästerliches Leugnen göttlicher Vorrechte und Macht verkündet der Herr seinen Beschluß mit Worten von schrecklicher Bedeutung: „Wehe dem, der da sagen wird : Wir haben das Wort Gottes erhalten und wir brauchen nichts mehr von demselben, denn wir haben genug."^) ,, Verleugne nicht den Geist der Offenbarung, noch den Geist der Weissagung, denn wehe dem, der diese Dinge verleugnet. "2)

Anmerkungen.

1. Freiheit bei der Inspiration. Über die Freiheit des Handelns bei den unter dem Einfluß der Inspiration stehenden Menschen hat Faussett folgendes zu sagen: „Inspiration nimmt den Schreibern ihre Eigenart nicht, ebensowenig wie die inspirierten Lehrer der ursprünglichen Kirche beim Prophezeien bloß mechanische Werkzeuge waren (1. Kor. 14:32). „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit!" (2. Korinter 3:17). Ihr Wille wurde eins mit dem Willen Gottes, sein Geist wirkte auf ihren Geist, sodaß ihre Persönlichkeit in dem Bereiche seiner Inspiration vollen Spielraum hatte. Soweit es sich um religiöse Wahrheiten handelt, sind die gesammelten heiligen Schriften alle einheitlich, dagegen ist bei andern Dingen ihre Ab- fassung handgreiflich ebenso verschieden und mannigfaltig wie die Verfasser selbst. Die Verschiedenartigkeit ist menschlich, die Einheitlichkeit göttlich. Wären die vier Evangelisten bloß Maschinen gewesen, welche die gleichen Ereignisse in derselben Reihenfolge mit denselben Worten erzählten, so hätten sie aufgehört, von einander unabhängige Zeugen zu sein. Gerade ihre Verschiedenartigkeit, (d. h. ihre scheinbare Verschiedenheit) widerlegt eine geheime gegenseitige Abmachung. *** Die geringen Abweichungen in

1) 2. Nephi 28:29,30; siehe auch 29:6—12. =) Lehre u. Bündn. 11:25.

390 Die Glaubensartikel. [Vorl. XV I.

den zehn Geboten zwischen 2. Mose 20 und ihrer Wiederholung in 5. Mose 5, ebenso in Psalm 18 gegenüber 2. Samuel 22, ferner in Psalm 14 gegenüber Psalm 53 und in den Anführungen des Alten Testaments von denen im Neuen (Anführungen, die manchmal der Septuaginta entnommen sind, welche von dem Hebräischen abweicht) beweisen die geistgezeugte Unabhängig- keit der heiligen Schreiber, die unter göttlicher Leitung und Genehmigung bei verschiedenen Gelegenheiten und unter verschiedenen Gesichtspunkten die gleichen Wahrheiten darstellten, wovon einer den andern ergänzte." Bible Cyclopedia. A. R. Faussett, Seite 308.

2. Die Lehre von keiner weitern Olfenbarunn Ist neu und falsch. „Die Geschichte des Volkes Gottes zeigt vom frühesten Beginn an, daß fortwährende Offenbarung der einzige Weg war, auf dem die Menschen alle ihre Pflichten oder den Willen Gottes erfahren konnten. Niemals waren die Heiligen Gottes der Meinung, daß die den vergangenen Geschlech- tern erteilten Offenbarungen genügten, um sie in jede gegenwärtige Pflicht einzuweihen. Eine Lehre, die neue Offenbarungen verwirft, ist eine neue Lehre, im zweiten Jahrhundert nach Christus vom Teufel und seinen Hel- fershelfern erfunden. Es ist dies eine Lehre, die zu allem, was die Heiligen aller Zeiten glaubten und wessen sie sich erfreuten, in krassem Wider- spruch steht. Nun kann aber eine Lelire, die viertausend Jahre alt ist, nur von göttlicher Autorität abgeschafft und eine neue dafür eingesetzt werden. Was somit die Lehre von der Notwendigkeit fortlaufender Offenbarung an- belangt, so ist dies eine Lehre, an welche die Heiligen stets geglaiibt haben; es sollte von niemand verlangt werden, die Notwendigkeit der Fortsetzung einer solchen Lehre zu beweisen. Wäre es eine neue, der Welt bisher völlig unbekannte Lehre, so würde es erforderlich sein, ihre göttliche Herkunft zu beweisen. Da es sich aber nur um die Fortsetzung einer alten Lehre handelt, die bereits vor Tausenden von Jahren eingeführt wurde, und an die zu glauben und sich ihrer zu erfreuen die Heiligen niemals aufgehört haben, käme es der größten Anmaßung gleich, diese Lehre in unserm späten Zeitalter in Frage zu stellen. Es scheint daher fast überflüssig, die Not- wendigkeit ihrer Fortsetzung beweisen zu wollen. Dagegen haben alle Menschen das Recht, die Verleugner neuer Offenbarungen der letzten sieb- zehnhundert Jahre alle ziu" Rechenschaft zu ziehen, und sie aufzufordern, ihre gewichtigen Gründe und Beweisstücke für das Brechen der so lang bestehenden Ordnung des Himmels und für die Einführung einer neuen, von der alten so ganz verschiedenen Lehre vorzulegen- Wenn sie wünschen, daß man ihrer neuen Lehre glauben soll, so mögen sie uns zunächst beweisen, daß sie göttlichen Ursprungs ist; andernfalls sind alle Menschen berechtigt, sie zu verwerfen und bei der alten Lehre zu bleiben." Orson Pratt, „Di- vine Authenticity of the Book of Mormon", I (2), Seite 15, 16.

3. Inspiration ein sicherer Führer. Inspiration ist erklärt worden als „die wirkende Kraft des Heiligen Geistes, in welchem Grade oder auf welche Weise sie auch tätig sei; eine Kraft, von der geleitet die göttlich berufenen Diener durch das Wort des Mundes seinen Willen feierlich ver- kündigt, oder die verschiedenen Teile der Bibel geschrieben haben". Unter „vollkommener Inspiration" verstehen wir, daß diese Kraft so vollständig und restlos angewandt wurde, daß dadurch die Lehren der heiligen Schreiber im buchstäblichen Sinne zu den Lehren Gottes wurden, die von ihm aus- gingen, tatsächlich seinem Sinn Ausdruck verliehen und die Genehmigung göttlicher Autorität aufwiesen. Unter wörtlicher (wortgemäßer) Inspi-

Art. 9.] Anmerkungen. 391

ration verstehen wir, daß diese Kraft niclit damit erschöpft war, den Schrei- bern die Dinge der Heiligen Schrift einzuflüstern, und es dann ihnen zu überlassen, das auf übernatürlichem Wege erhaltene in ihrer eigenen Form und auf eine ausschließlich menschliche Art weiterzugeben, sondern daß ihnen auch Beistand geleistet wurde und sie geleitet und geführt wurden auch in der Weitergabe der erhaltenen Wahrheit. *** Wenn die Lehre von ,, vollkommener" und ,, wörtlicher" Inspiration den Mißverständnissen und dem Mißverstehen entzogen wird, das ihr so oft entgegengebracht wird, so können von keinem Standpunkt aus Einwendungen gegen sie erhoben werden. Sie stimmt dann mit jenen Schlußfolgerungen überein, zu denen die neuzeitlichen Gelehrten inbezug auf das Wort Gottes gekommen sind; denn das Gefasel der ,, höhern Kritik" ist wenig mehr als die Grillen lau- nischer, eigenmächtiger Einfälle, und es ist sehr zu bedauern, daß sie mit einer gänzlich unverdienten Achtung beehrt und so schnell den wertvollen und kostbaren Ergebnissen der echten Kritik an die Seite gestellt wurden. Diese letztern Ergebnisse weisen in mehrfacher Hinsicht auf die vollkom- mene Inspiration hin, nur muß die Lehre selbst richtig, d. h. dahingehend verstanden werden, daß sie nur auf den allein haltbaren und vernunftge- mäßen Grund anwendbar ist, auf den die Autorität der kanonischen Schrif- ten sicher gestellt werden kann." Casells Bible Dictionary, S. 559, 561. 4. ,,Ist es unvernünftig oder unphilosophisch, auf diese Weise mehr Licht und Erkenntnis zu erwarten? Sollte Beligion die einzige Abteilung menschlichen Denkens und Schaffens sein, in welcher ein Fortschritt un- möglich ist? Was würde man von einem Chemiker, einem Astronomen, einem Geologen sagen, der erklärte, es sei keine weitere Entdeckung auf diesen Gebieten der Wissenschaft möglich und die Studenten brauchten nur die Bücher der frühern Gelehrten zu studieren und nur längst bekannte Grundsätze anzuwenden, denn Neues könnte nicht mehr entdeckt werden. Ist nicht die Haupttriebfeder zur Forschung und Untersuchung die Über- zeugung, daß es für Erkenntnis und Weisheit kein Ende gibt? Nach der Lehre des ,,Morraonismus" kommt alle Weisheit von Gott, und Intelligenz ist der Glanz seiner Herrlichkeit; somit hat der Mensch bei weitem noch nicht alles gelernt, was von ihm und seinen Wegen zu lernen ist. Wir halten dafür, daß die Lehre von der Notwendigkeit fortwährender Offenbarung ebenso philosophisch und wissenschaftlich wie biblisch ist." Der Verfasser von „Philosophie in Mormonismus", S. 8.

392 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVI I.

Vorlesung XVII. Die Zerstreuung Israels.

Artikel 10. "Wir glauben an die buchstäbliche Versammlung Israels und an die Wiederherstellung der zehn Stämme* * *.

1. Israel. Unter dem Namen Israel verstand man ur- sprünglich einen Menschen, dem der Herr eine Bitte er- füllen mußte, einen ,, Kämpfer Gottes", einen, der mit Gott gerungen hatte, einen ,, Fürst Gottes". Dies sind einige der gebräuchlichsten Übertragungen ins Deutsche. Der Name erscheint in der Heiligen Schrift zuerst als ein Titel, den der Herr dem Patriarchen Jakob gab, als dieser in seiner Entschlossenheit, sich von dem himmlischen Be- sucher in der Wüste eine Segnung zu sichern, siegreich blieb. Darauf erhielt Jakob die Verheißung: „Du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft und bist obgelegen."^) Wir lesen dann weiter : „Und Gott erschien Jakob abermals, nachdem er aus Mesopotamien gekommen war, und seg- nete ihn und sprach zu ihm: Du heißt Jakob; aber du sollst nicht mehr Jakob heißen, sondern Israel sollst du heißen. Und also heißt man ihn Israel. "2)

2. Indessen erfuhr die zugleich als Name und als Titel zusammengefaßte Bezeichnung, die unter so feierlichen Umständen erteilt worden war, bald eine weitergehende Anwendung, und im Laufe der Zeiten wurde sie zur Bezeich- nung der gesamten Nachkommenschaft Abrahams durch

') 1. Mose 32:29 (28). ») 1. Mose 35:9—10.

Art. 10.] Die Zerstreuung Israels. 393

Isaak und Jakob/) mit denen der Herr einen Bund gemacht hatte, daß durch sie und ihre Nachkommen alle Völker der Erde gesegnet werden sollten.^) Der Name eines einzelnen Patriarchen wurde so zum Namen eines ganzen Volkes, dessen zwölf Stämme sich des Titels „Israeliten" oder „Kinder Israel" erfreuten. Unter diesem Namen waren sie in den dunklen Tagen der ägyptischen Knechtschaft bekannt,^) dann während der vier Jahrzehnte ihres Aus- zuges und ihrer Wanderung nach dem verheißenen Land*) und weiterhin, während der Zeit ihres Bestehens als ein mächtiges Volk unter der Regierung der Richter und noch später als eine geeinigte Nation unter Saul, David und Salomo, die zusammen hundertundzwanzig Jahre lang regierten.^)

3. Nach dem Tode Salomos etwa ums Jahr 975 vor Christus wurde das Königreich geteilt. Der Stamm Juda und ein Teil des Stammes Benjamin anerkannten Rehabeam, den Sohn und Nachfolger Salomos, als ihren König, während der übrige Teil des Volkes, gewöhnlich die zehn Stämme genannt, sich gegen Rehabeam empörte und so den Zusammenhang mit dem Hause Davids zerriß. Diese zehn Stämme wählten sich Jerobeam zu ihrem König. Die unter Jerobeam vereinigten Stämme behielten den Namen „Reich Israel" bei, wenngleich sie auch unter der Bezeichnung Ephraim^) bekannt waren (nach dem vornehm- sten ihrer Stämme). Dagegen wurden Rehabeam und seine Untertanen das „Reich Juda" geheißen. Etwa zweihundert- fünfzig Jahre lang bestanden diese beiden Reiche getrennt

') 1. Samuel 25:1; Jesaja 48:1; Römer 9:4; 11:1.

^) 1. Mose 12:1—3; 17:1—8; 26:3 4; 28:13—15.

') 2. Mose 1:1, 7; 9:6—7; 12:3 usw.

*) 2. Mose 12:35, 40; 13:19; 15:1; 35:20, 30; 3. Mose 1:2; 4. Mose 20:1, 19, 24 usw.

') Siehe die vielen Anmerkungen im Buch der Richter, im 1 . und 2. Samuel und in 1. und 2. Könige.

«) Jesaja 11:13; 17:3; Hesckiel 37:16—22; Hosea 4:17.

394 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVII.

nebeneinander. Später (721 v. Chr.) wurde die Unab- hängigkeit des Reiches Israels vernichtet und das Volk selbst von den Assyrern unter Salmanasser in die Gefangen- schaft geführt. Das Reich Juda bestand über ein Jahr- hundert länger, es wurde ihm aber dann von Nebukad- nezar, der es in die babylonische Gefangenschaft führte, ein Ende gemacht. Ungefähr siebzig Jahre verblieb das Volk in der Gefangenschaft eine Tatsache, die mit einer Prophezeiung des Propheten Jeremia^) im Einklang stand. Endlich erweichte der Herr die Herzen der regierenden Könige, und unter dem Perserkönig Cyrus begann das Werk der Befreiung. Den Hebräern wurde gestattet, nach Judäa zurückzukehren und in Jerusalem den Tempel des Herrn wieder aufzubauen.

4. Das Volk, alsdann gewöhnlich Hebräer oder Juden genannt,^) behielt als seinen nationalen Namen die Bezeichnung Israel bei, obschon es kaum noch zwei voll- ständige Stämme von den zwölfen umfaßte. Der Name Israel, der auf diese Weise von dem Überrest eines einst mächtigen Volkes mit lobenswertem Stolze weitergeführt wurde, wurde später in bildlichem Sinne auf die Auser- wählten Gottes angewandt, die in der Kirche Christi ver- einigt waren^) und in diesem Sinne wird er noch heute ge- braucht. Das Volk Israel, wie wir ihm in der Geschichte zuerst begegnen, war ein geeinigtes Volk. Damit wir die tatsächliche Bedeutung der Sammlung verstehen, auf die sich der zehnte Glaubensartikel bezieht, müssen wir zuerst die Wegführung und die Zerstreuung betrachten, der das Volk unterworfen wurde. Die heiligen Schriften enthalten eine Fülle von Prophezeiungen über diese Zer- streuung Israels. Bibel und Weltgeschichte geben vereint Zeugnis von der Erfüllung dieser Prophezeiungen.

') Jeremia 25:11—12; 29:10. ') Siehe Anmerkungen 1 und 2. ») Römer 9:6; Galater 6:16.

Art. 10.] Die Zerstreuung Israels. 395

5. Die Zerstreuung Israels vorhergesagt. Es ist gesagt worden, daß „wenn eine vollständige Geschichte des Hauses Israel geschrieben werden sollte, würde es eine Geschichte der Weltgeschichte sein, d. h. der Schlüssel zu der Weltgeschichte der letzten zwanzig Jahrhunderte."^) Die Berechtigung dieser starken Behauptung findet man in der Tatsache, daß die Israeliten so völlig unter die verschiedenen Völker zerstreut worden sind, daß diesem Volke in dem Aufschwung und in der Entwicklung beinahe jedes großen Teiles der menschlichen Familie ein wichtiger Platz zukommt. Dieses Werk der Zerstreuung ging schrittweise vor sich und erstreckte sich über einen Zeitraum von Jahrtausenden. Von den ersten Propheten des auserwählten Volkes wurde sie vorausgesehen; die geistigen Führer jeder Generation sowohl vor, wie auch unmittelbar nach der messianischen Zeit sagten die Zerstreuung des Volkes als unausbleibliche Folge seiner wachsenden Verderbtheit voraus, oder sie bezogen sich auf die Erfüllung früherer Prophezeiungen der Zer- streuung, die damals schon eine Tatsache war und sagten eine weitere, vollständigere Wegführung des Vol- kes voraus.

6. Biblische Prophezeiungen. Während der müh- seligen Wanderung des Volkes Israel von Ägypten, wo sie wie im Hause der Knechtschaft gelebt hatten, nach Ka- naan, dem Lande der Verheißung, gab ihm der Herr eine Reihe von Gesetzen und setzte zu seiner Regierung in zeitlichen wie in geistigen Angelegenheiten gewisse Ver- ordnungen ein. Er stellte ihnen Segnungen vor Augen, die die unbewaffnete menschliche Fassungskraft über- stiegen, machte sie aber von ihrem Gehorsam zu den Ge- setzen der Rechtschaffenheit und von der Ergebenheit

1) Compendium S. 85 (Ausgabe von 1884).

396 Die Glaubensarükel. [Vorl. XVII.

gegenüber Jehovah als ihrem Gott und König abhängig. Im Gegensatz zu diesem Bild gesegneten Gedeihens schilderte der Herr mit erschreckender Deutlichkeit und herzzerreißenden Einzelheiten den Zustand elender Ver- worfenheit und schwerer Leiden, der über sie kommen würde, falls sie den Pfad der Tugend verlassen und die sündhaften Gewohnheiten der heidnischen Völker anneh- men sollten, mit denen sie es zu tun bekommen würden. Die dunkelsten Teile dieses gräßlichen Bildes waren die- jenigen, in denen der drohende nationale Zusammenbruch und die Zerstreuung des Volkes unter solche, die Gott nicht kannten, geschildert wurde. Dieses größte Unglück sollte sie aber erst treffen, nachdem sich die weniger harten Züchtigungen als erfolglos erwiesen hätten.^)

7. Als die auf den Auszug aus Ägypten folgende Wan- derung ihrem Ende entgegenging und die Israeliten sich anschickten, den Jordan zu überschreiten und das ver- heißene Land in Besitz zu nehmen, als Mose, der Patriarch, Gesetzgeber und Prophet, den Berg Nebo bestieg, von wo aus er das schöne Land erblicken und dann sterben sollte, wiederholte er die Schilderung der einander gegenüber- gestellten Segnungen und Flüche, welche die Vertrags- bedingungen für den Bund Gottes mit dem Volke darstellten. „Der Herr wird dich vor deinen Feinden schlagen",^) wurde ihnen gesagt, und weiter: „Der Herr wird dich und deinen König, den du über dich gesetzt hast, treiben unter ein Volk, das du nicht kennst, noch deine Väter; und wirst daselbst dienen andern Göttern: Holz und Steinen. Und wirst ein Scheusal und ein Sprichwort und Spott sein unter allen- Völkern, dahin dich der Herr getrieben hat."3) Und noch weiter: ,,Der Herr wird ein Volk über

1) Lies die verhängnisvollen Prophezeiungen in 3. Mose 26:14 33. ») 5. Mose 28:25. ») Verse 36 37.

Art. 10.] Die Zerstreuung Israels. 397

dich schicken von ferne, von der Welt Ende, wie ein Adler fliegt, dessen Sprache du nicht verstehst, ein freches Volk, das nicht ansieht die Person des Alten noch schont der Jünglinge. 1) * * * Denn der Herr wird dich zerstreuen unter alle Völker von einem Ende der Welt bis ans andere; und wirst daselbst andern Göttern dienen, die du nicht kennst noch deine Väter: Holz und Steinen. "2)

8. Aus dem weitern Bericht der Heiligen Schrift geht hervor, daß sich Israel für das Böse entschied, dadurch der Segnungen verlustig ging, und sich den Fluch zuzog. Als der Sohn des sündigen Jerobeams todkrank war, schickte der heimgesuchte König sein Weib verkleidet zu Ahia, dem blinden Propheten in Israel, um ihn über das dem Kinde bevorstehende Schicksal zu befragen. Der Pro- phet, über die körperliche Blindheit seines hohen Alters hinaussehend, sagte den Tod des Kindes und den Sturz des Hauses Jerobeam voraus, und erklärte ferner: „Und der Herr wird Israel schlagen, gleich wie das Rohr im Was- ser bewegt wird, und wird Israel ausreißen aus diesem guten Lande, das er ihren Vätern gegeben hat, und wird sie zerstreuen, jenseit des Stromes, darum daß sie ihre Ascherabilder gemacht haben, den Herrn zu erzürnen. "3)

9. Durch Jesaja rechtfertigt der Herr sein Gericht über das Volk, indem er das Volk mit einem unfruchtbaren Weinberg vergleicht,*) der trotz schützendem Hag und bester Pflege statt edlen Trauben nur Herlinge hervor- brachte und deshalb zu nichts besserm taugte, als verwüstet zu werden. „Darum", fährt der Herr fort, ,,wird mein Volk müssen weggeführt werden unversehens".*) Aber noch mehr Trübsale sollten folgen, vor denen das Volk

') Verse 49—50. ») Vers 64. ') 1. Könige 14:15. *) Jesaja 5:1 7. ') Vers 13.

398 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVII.

gewarnt wurde, damit es sich nicht gänzlich von dem Gott seiner Väter abwende. „Was wollt ihr tun am Tage der Heimsuchung und des Unglücks, das von ferne kommt? Zu wem wollt ihr fliehen um Hilfe ?"i) Der Prophet lenkt die Aufmerksamkeit seines irrenden Volkes auf die Tat- sache, daß seine Trübsale von dem Herrn kommen : ,,Wer hat Jakob übergeben zu plündern und Israel den Räubern ? Hat's nicht der Herr getan, an dem wir gesündigt haben, und sie wollten auf seinen Wegen nicht wandeln und ge- horchten seinem Gesetz nicht? Darum hat er über sie ausgeschüttet den Grimm seines Zorns und eine Kriegs- macht."2)

10. Nach der Wegführung Ephraims, oder wie die besondere Bezeichnung lautet, des Reiches Israel, bedurfte aber das Volk Juda noch weitere Ermahnungen und Drohungen. Jeremia brachte ihnen das traurige Los ihrer Brüder in Erinnerung^) und schließlich sagte der Herr infolge ihrer andauernden und zunehmenden Ver- derbtheit: ,,ünd will euch von meinem Angesichte weg- werfen, wie ich weggeworfen habe alle eure Brüder, den ganzen Samen Ephraims."*) Ihr Land sollte verwüstet werden, alle Städte Judas der Plünderung^) anheimfallen und das Volk unter alle Nationen der Erde zerstreut werden.^) Auch andere Propheten'^) offenbarten des Herrn Wort, das Wort seines Zornes und ernster Mahnung. ,, Ich will*** das Haus Israel unter allen Heiden sichten lassen, gleichwie man mit einem Sieb sichtet;" und

1) Jesaja 10:3.

n Jesaja 42:24—25.

=) Jeremia 7:12.

♦) Jeremia 7:15.

') Jeremia 9:11; 10:22.

•) Jeremia 35:17.

') Hesekiel 20:23; 22:15; 34:6; 36:19; Arnos 7:17; 9:9; Micha 3:12.

Art. 10.] Die Zerstreuung Israels. 399

weiter:^) „Ich will sie unter die Völker säen, daß sie mein gedenken in fernen Landen. "2)

11. Prophezeiungen im Buch Mormon. Die Urkun- den, die von jenem Teil des Hauses Israel geführt wurden, der ums Jahr 600 vor Christus Jerusalem verließ und seinen Weg nach der westlichen Halbkugel nahm, enthalten viele Hinweise auf die Zerstreuung, die bereits stattgefun- den hatte, und auf jene Fortsetzung der Zerstreuung, die für die Schreiber des Buches Mormon noch in der Zukunft lag. Im Verlauf ihrer Reise an die Küste verkündigte Lehi, als er sich mit seiner Familie und andern Be- gleitern im Tale Lemuel an den Ufern des Roten Meeres lagerte, was er durch Offenbarung über den ,, zukünftigen Abfall der Juden im Unglauben", über die Kreuzigung des Heilandes und über ,,die Zerstreuung jener über die ganze Erde" erfahren hatte. 3) Er vergleicht Israel mit einem Ölbaum,^) dessen Zweige abgehauen und zerstreut werden sollten und anerkennt den Auszug seiner Kolonie und ihre Reise in die weite Ferne als einen Teil der all- gemeinen Zerstreuung. 5) Nephi, der Sohn Lehis, sah ebenfalls die Zerstreuung des Bundesvolkes Gottes voraus und fügte sein Zeugnis hierüber dem seines Vaters an.^) Er sah ferner, daß die Nachkommenschaft seiner Brüder, die in der Folge als die Lamaniten bekannt waren, ihres Unglaubens wegen gezüchtigt, von den Heiden unterjocht und vor ihnen zerstreut werden sollte.') Das prophetische Gesicht zeigte ihm außerdem das Hervorkommen heiliger Urkunden andere als die damals bekannten ,,um die

') Arnos 9:9.

*) Sacharja 10:9.

") 1. Nephi 10:11—12.

♦) Vers 12; 15:12—13; siehe auch Jakob Kap. 4 und 5.

') 1. Nephi 10:13.

') 1. Nephi 14:14.

') 1. Nephi 13:11—14.

400 Die GlaubensarükeL [Vorl. XVII.

Heiden und das Überbleibsel der Nachkommen meiner Brüder^) und auch die Juden, welche über den ganzen Erdkreis zerstreut waren, zu überzeugen". 2)

12. Nach ihrer Ankunft im verheißenen Land erhielt die von Lehi geführte Kolonie weitere Belehrungen über die Zerstreuung Israels. Der von Xephi angeführte Pro- phet Zenos^) hatte den Unglauben des Volkes Israels vor- hergesagt, als dessen Folge diese Bundeskinder Gottes „im Fleische wandeln und umkommen und von allen Völkern gehaßt und verspottet werde^ sollten".*) Die Brüder Nephis, die dieser Lehre ungläubig gegenüber- standen, fragten, ob die Dinge, von denen er gesprochen hatte, in geistigem Sinne oder mehr buchstäblich eintreffen werden. Sie wurden belehrt, ,,daß das Haus Israel früher oder später über die ganze Erde, unter alle Völker zerstreut werden wird"; und weiter, unter Hinweis auf die damals schon zustandegekommene Zerstreuung „der größte Teil aller Stänmae ist weggeführt, und sie sind hie und da auf den Inseln des Meeres zerstreut worden".^) Hiezu sagt dann Xephi auf dem Wege der Offenbarung über die noch kommende weitere Zerstreuung, daß den Heiden Macht gegeben werden würde über das Volk Israel, ,,und durch sie soU unsere Nachkommenschaft zerstreut werden."^) Obgleich zwischen ihrer Heimat und dem Lande, zu dem sie auf so wunderbare Weise geführt worden waren, €in Ozean lag, erfuhren doch die Kinder Lehis durch Offen- barung aus dem Munde Jakobs, Nephis Bruder, von der Gefangennahme der Juden, die sie in Jerusalem zurück-

^i Jener Teil der Nachkommenschaft Lehis, der späterhin als die

niten bekannt war.

') 1. Nephi 13:39.

'• Siehe Anm erkling 3.

'j 1. Nephi 19:12—14.

•) 1. Nephi 22:1— i.

') 1. Nephi 22:7.

Art. lO.j Die Zerstreuung Israels. 401

gelassen hatten. i) Nephi erzählte ihnen dann mehr von den Trübsalen, die ihrer Vaterstadt^) drohten und von einer weitern Zerstreuung ihrer jüdischen Verwandten."^)

13. Die Lamaniten, ein Teil der Kolonie Lehis, sollten ebenfalls vertrieben und zerstreut werden. Als Zeugnis hierfür können wir die Worte Samuels, eines Propheten dieses gedemütigten Volkes, anführen.^) Nephi, der dritte Prophet dieses Namens, ein Enkel Helamans, betont mit Nachdruck die Zerstreuung seines Volkes und erklärt, ,, deine Wohnplätze sollen öde werden. "5) Jesus selbst verweist, als er nach seiner Auferstehung unter diesem Teil seiner Herde auf der westlichen Halbkugel wirkte, ernstlich auf das Überbleibsel des auserwählten Samens, ,,das seines Unglaubens wegen auf der Erde zerstreut werden wird." 6)

14. Aus diesen Hinweisungen geht klar hervor, daß die Begleiter Lehis, einschließlich seiner eigenen Familie, und Zorams') zusammen mit Ihsmael^) und dessen Familie, von denen die mächtigen Völker der Nephiten die ihrer Un- treue wegen ausgerottet wurden und der Lamaniten die, gegenwärtig als die amerikanischen Indianer bekannt, bis auf den heutigen Tag ein trübseliges Dasein führten abstammen, durch Offenbarung Kenntnis erhielten von der Zerstreuung ihrer früheren Mitbürger in Palästina und von ihrem eigenen sichern Schicksal, das als Folge ihres Ungehorsams gegen die Gesetze Gottes über sie herein- brechen würde. Wir haben gesagt, die Versetzung Lehis

n 2. Nephi 6:8.

^) 2. Nephi 25:14 15.

») Vers 15.

'-) Helaman 15:12.

<■) 3. Nephi 10:7.

'=) 3. Nephi 16:4.

') 1. Nephi 4:20—26, 30—37.

«) 1. Nephi 7:2—6, 19, 22; 16:7.

402 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVII.

und seiner Begleiter von der östlichen nach der westlichen Halbkugel war selbst ein Teil der allgemeinen Zerstreuung. Man sollte sich hierbei daran erinnern, daß noch eine andere jüdische Kolonie, die etwa elf Jahre nach dem Weg- gang Lehis von Jerusalem aufbrach nach der westlichen Halbkugel hinüberkam. Diese zweite Kolonie wurde von Mulek geführt, einem Sohne Zedekias, des letzten Königs von Juda; sie verließ Jerusalem unmittelbar nach der Eroberung der Stadt durch Nebukadnezar, etwa im Jahre 588 vor Christi Geburt. i)

15. Die Erfüllung dieser Prophezeiungen. Die heiligen Schriften, wie auch andere, für die der Anspruch auf direkte Offenbarung nicht erhoben wird, berichten die buchstäbliche Erfüllung dieser Prophezeiungen von der Vertreibung des Hauses Israel. Die Teilung des Reiches in die beiden getrennten Königreiche Juda und Israel führte zum Zusammenbruch beider. In dem Maße, wie die Außerachtlassung der Gesetze ihrer Vorväter im Volke zunahm, wurde ihren Feinden erlaubt, über sie zu triumphieren. Nach vielen kleinern Verlusten in ver- schiedenen Kriegen wurde dem Reich Israel etwa ums Jahr 721 vor Christus von den Assyrern eine überwältigende Niederlage beigebracht. Wir lesen, daß Salmanasser, König von Assyrien, Samaria, die dritte und letzte Hauptstadt des Landes,^) belagerte und daß nach drei Jahren die Stadt von Sargon, dem Nachfolger Salma- nassers, genommen wurde. Das Volk Israel wurde in die Gefangenschaft weggeführt und unter die Städte der

») Omni 1 : 14—19 ; Mosiah 25 : 2 4 ; Alma 22 : 30—32 ; Helaman 6:10; 8:21; Seite 323.

') Die erste Hauptstadt des Reiches Israel war Sichern (1. Könige 12:25); später wurde Thirza die Hauptstadt; sie war wegen ihrer Schönheit berühmt (1. Könige 14:17; 15:33; 16:8, 17, 23. Hohes Lied Salomos 6:4) und schließlich wurde Samaria die Residenz (1. Könige 16:24).

Art. 10.] Die Zerstreuung Israels. 403

Meder verteilt. i) So wurde erfüllt, was Ahia dem Weibe Jerobeams vorhergesagt hatte: „Israel wird zerstreut werden, jenseit des Stromes", 2) wahrscheinlich war es der Euphrat und von dieser Zeit an sind die zehn Stämme der Weltgeschichte vollständig verlorengegangen.

16. Das traurige Ende des Reiches Israel äußerte seine Wirkung auf das Volk Juda in einer teilweisen Er- weckung für das Gefühl ihres eigenen drohenden Schick- sales. Hiskia regierte 29 Jahre lang als König und erwies sich als eine glänzende Ausnahme gegenüber einer Reihe von schlechten Herrschern, die ihm vorausgegangen waren. Von ihm wird uns gesagt, daß, ,,er tat, was dem Herrn wohlgefiel". ^) Während seiner Regierung fielen die Assyrer unter Sanherib in das Land, aber die Hilfe des Herrn wurde dem Volke wenigstens bis zu einem gewissen Grade wieder gewährt und Hiskia rief seine Untertanen zum Vertrauen auf den Herrn auf, ermahnte sie, Mut zu fassen und den assyrischen König samt seinen Herrscharen nicht zu fürch- ten; „denn", sagte dieser rechtschaffene Fürst, „es ist ein Größerer mit uns als mit ihm. Mit ihm ist ein fleisch- licher Arm, mit uns aber ist der Herr, unser Gott, daß er uns helfe, und führe unsern Streit."*) Das assyrische Heer wurde auf wunderbare Weise vernichtet.^) Hiskia starb jedoch, undManasse folgte ihm auf den Thron. Dieser König tat was dem Herrn übel gefiel^) und die Verderbt- heit des Volkes dauerte mehr als ein halbes Jahrhun- dert an, lediglich durch die gute Regierung eines recht- schaffenen Königs Namens Josia unterbrochen.'')

') 2. Könige 17:5—6; 18:9—11.

») 1. Könige 14:15.

') 2. Könige 18:1—3; 2. Chronik 29:1— 11.

«) 2. Clironik 32:7—8.

s) 2. Chronik 32:21—22.

•) 2. Chronik 33:1—10; 2. Könige 21:1—9.

') 2. Könige 22:1, 2; 2. Chronik 34:1, 2.

404 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVII.

17. Als Zedekia den Thron innehatte, belagerte Nebukadnezar, der König von Babylon, Jerusalem,^) nahm die Stadt ums Jahr 588 v. Chr., führte bald nachher das Volk gefangen nach Babylon und machte auf diese Weise dem Reich Juda tatsächlich ein Ende. Das Volk wurde unter die Städte Asiens verteilt und seufzte beinahe siebzig^) Jahre unter den Wechselfällen der Ge- fangenschaft, bis ihnen der Perserkönig Cyrus, der sich die Babylonier unterworfen hatte, die Erlaubnis zur Rück- kehr nach Jerusalem gab. Ein großer Teil der Juden be- nutzte diese Gelegenheit; es blieben aber auch viele im Lande ihrer Gefangenschaft zurück. Die, die zurückkehr- ten und ernstlich bestrebt waren, sich auf dem Boden ihrer frühern Macht wieder aufzurichten, wurden aber niemals wieder ein wirklich unabhängiges Volk. Sie wurden von Syrien und Ägypten angegriffen, und später wurden sie dem römischen Reich tributpflichtig, in welcher Abhängig- keit sie sich auch befanden, als Christus unter ihnen wirkte.

18. Indes fehlte der Prophezeiung des Jeremia immer noch die restlose Erfüllung. Die Zeit erwies jedoch, daß nicht ein Wort unerfüllt bleiben sollte. ,,Das ganze Juda ist rein weggeführet",^) so lautete die Prophezeiung. Eine aufrührerische Bewegung mußte den römischen Landes- herren den Scheingrund abgeben für eine schreckliche Züchtigung, die mit der Zerstörung Jerusalems, im Jahre 71 n. Chr. ihren Höhepunkt erreichte. Nach sechsmona- tiger Belagerung unter Titus, dem Sohne des Kaisers Vespasianus, fiel die Stadt in die Hände der Feinde. Der berühmte Geschichtsschreiber Josephus, dem wir unser Wissen von den Einzelheiten des Kampfes verdanken, war zu dieser Zeit selbst ein Bewohner Galiläas und wurde

1) 2. Könige 25:1—3; 2. Chronik 36:17. ») Siehe Seite 393—395. ") Jeremia 13:19.

Art. 10. Die Zerstreuung Israels. 405

mit andern Juden gefangen nach Rom weggeführt. Aus seinem Bericht erfahren wir, daß mehr als eine Million Juden durch die Hungersnot, die die Belagerung mit sich brachte, ihr Leben verloren. Eine größere Zahl wurde als Sklaven verkauft und ungezählte Scharen wurden in die Verbannung getrieben. Die Stadt wurde vollständig zer- stört und der Tempelplatz beim Suchen nach Schätzen von den Römern umgepflügt: so buchstäblich wurden die Worte Christi erfüllt: ,,Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. "^)

19. Seit der Zerstörung Jerusalems und der Ausrot- tung ihres Staates sind die Juden als ruhelose Wanderer über die Erde gegangen, ausgestoßen von den Nationen, ein Volk ohne Land, eine Nation ohne Heimat. Die Pro- phezeiung, die Amos vor alters ausgesprochen hatte, erfüllte sich ebenfalls buchstäblich : in der Tat, die Juden mußten sich sichten lassen unter den Völkern „gleichwie man mit einem Sieb sichtet''.^) Vergessen wir jedoch nicht, daß in Verbindung mit diesen Vorhersagungen das Ver- sprechen gegeben wurde: ,, Kein Körnlein soll auf die Erde fallen".

20. Die verlorenen Stämme. Es wurde schon erwähnt, daß bei der Trennung der Israeliten nach dem Tode Sa- lomos zehn Stämme sich als ein unabhängiges Königreich einrichteten. Dieses Reich, das Reich Israel, ging für die Weltgeschichte mit der assyrischen Gefangenschaft etwa im Jahre 721 v. Chr. zu Ende. Das Volk wurde nach Assyrien weggeführt und verschwand später so völlig von dem Schauplatz der Geschichte, daß man jetzt von ihm als von den ,, Verlorenen Stämmen" spricht. Sie schei- nen Assyrien verlassen zu haben, und wenn uns auch über ihr schließliches Schicksal und ihren gegenwärtigen Aufent-

') Matthäus 24:1 2; siehe auch Lukas 19:44. ") Amos 9:9.

406 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVII.

haltsort bestimmte Mitteilungen fehlen, so sind doch zahl- reiche Beweise dafür vorhanden, daß ihre Wanderung sie nordwärts führte. i) Des Herrn Wort durch Jeremia hat verheißen, daß dieses Volk wiedergebracht werden soll ,,aus dem Lande der Mitternacht". 2) Und eine ähnliche Erklärung ist durch göttliche Offenbarung im Laufe der gegenwärtigen Dispensation erfolgt, 2)

21. In den Büchern Esra, die zwar nicht alle zu den kirchengesetzlichen Schriften der Bibel gezählt werden, sondern als apokryphisch bekannt sind, finden wir Hin- weise auf die nordwärts gerichtete Wanderung der zehn Stämme, eine Wanderung, die sie gemäß einem vorgefaßten Plane unternahmen, um den Heiden zu entrinnen ,,in eine ferne Gegend, wo noch kein Geschlecht der Menschen wohnte, auf daß sie daselbst ihr Gesetz halten könnten, das sie in ihrem Lande nicht hatten halten können."*) Der gleiche Verfasser teilt uns auch mit, daß sie über ein und ein halbes Jahr nach den nördlichen Ländern zogen, er sagt uns aber auch, daß viele im Lande ihrer Ge- fangenschaft zurückblieben.

22. Während ' der auferstandene Christus unter den Nephiten auf der westlichen Halbkugel wirkte, erwähnte er besonders die ,, andern Stämme aus dem Hause Israel, die der Vater aus ihrem Lande weggeführt hatte". ^) Ferner sprach er von ihnen als von den ,, andern Schafen, die nicht aus diesem Stalle sind, noch aus dem Land Jerusalem, noch aus der Umgegend, wo er gelehrt habe",^) Christus

') Jeremia 3:12.

") Jeremia 16:15; 23:8; 31:8.

') Lehre u. Bündn. 133:26 27.

*) 2. Esra 13; siehe Anmerkung 4.

6) 3. Xephi 15:15.

•) 3. Nephi 16:1.

Art. 10.] Anmerkungen. 407

verkündigte ein Gebot seines Vaters, wonach er sich auch diesen andern Schafen offenbaren sollte. Der jetzige Aufenthaltsort der verlorenen Stämme ist nicht genau ge- offenbart worden.

Anmerkungen.

1. Hebräer. „Sem wird der Vater aller Kinder von Eber" genannt, wie Harn der Vater Kanaans genannt wird. Die Hebräer und Kanaaniter kamen oft mit einander in Berührung und zeigten die jeweiligen Eigen- schaften der Semiten und Hamiten. Der Ausdruck „Hebräer" wird so abgeleitet von „Eber" (I.Mose 10:21, verglichen mit 4. Mose 24:24). Bible Cyclopedia von Faussett.

Der Verfasser des Artikels „Hebräer" in Cassells biblischem Wörter- buch bezweifelt die Beweise, die für die Ableitung des Wortes Hebräer von „Eber" oder „Heber" vorgebracht werden und sagt: „Alles was wir mit Bestimmtheit bestätigen können, ist, daß der Ausdruck auf Abraham und die Nachkommen Jakobs im allgemeinen angewandt wird. Die mit dem Wort verbundene Bedeutung, zusammen mit seinem dunkeln Ursprung genügt als Erklärung für die mannigfachen darüber angestellten Vermu- tungen und Betrachtungen. Es mag noch hinzugefügt werden, daß einige Gelehrte den Namen ,, Hebräer" ein wenig geändert auch auf den Denk- mälern Ägyptens gefunden haben. Wenn diese Beobachtung erwiesen ist, wird sie auch deshalb von Wert sein, weil damit gezeigt werden kann, daß wenn die Ägypter Joseph einen Hebräer nannten, sie die von ihnen all- gemein angenommene Bezeichnung gebraucht haben."

2. Juden. Der Ausdruck bedeutet eigentlich ein „Mann aus Juda", oder ein „Nachkomme Judas". Das Wort wurde dann aber auch auf alle angewandt, die sonst als Hebräer bezeichnet wurden. Es scheint erst lange nach der Empörung Jerobeams und der zehn Stämme in Gebrauch gekom- men zu sein. Solange das Königreich Juda bestand, wurde es natür- lich zur Bezeichnung der Bürger dieses Reiches gebraucht (2. Könige 16:6, 25 : 25), jedoch kommt es in diesem Sinne nur selten vor. Nach der Gefangen- schaft nahm es die erweiterte Bedeutung an, die es heute hat. Es ist von den Übriggebliebenen sämtlicher Stämme angenommen worden und war der eine Name unter dem die Nachkommen Jakobs in der ganzen alten Welt bekannt waren; sicherlich war er weit bekannter als der Ausdruck „Hebräer". Er erscheint in den Büchern Esras, Nchemias, Daniels, Esthers usw., findet sich in den Apokryphen und allgemein auch bei Josephus und im Neuen Testament." Cassells Biblisches Wörterbuch.

„Unter der Gottesherrschaft waren sie als die „Hebräer" bekannt, unter der Monarchie als die „Israeliten", und unter der Fremdherrschaft als die „Juden". Ihre heutigen Vertreter nennen sich selbst Hebräer in Rasse und Sprache, Israeliten in Religion und Juden im Sinne beider." Standard Dictionary.

3. Zenos. „Ein hebräischer Prophet, der oft von den nephitischen Dienern Gottes angeführt wird. Alles was uns von seiner persönlichen Geschichte gesagt wird, ist, daß er erschlagen wurde, weil er von dem, was Gott ihm geoffenbart hatte, mutig Zeugnis gab. Daß er ein Mann war, den

408 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVII.

der Herr in außergewöhnlicher Weise mit dem Geist der Prophezeiung gesegnet hatte, ersieht man aus dem wunderbaren und fast unvergleich- lichen Gleichnis von dem Weinberg, das von Jakob (Jakob, Kapitel 5) ausführlich \^iedergegeben wird. Seine Prophezeiimgen werden ferner ange- führt von Nephi (1. Nephi 19:10, 12, 16.), Alma (Alma 33:3, 13—15), Amulek (Alma 34:7), Samuel, dem Lamaniten (Helaman 15:11), und Mormon (3. Nephi 10:16). Wörterbuch des Buches Mormon, vom Ältesten George Reynolds.

4. Die Wanderuna der verlorenen Stämme. Esra, dessen Bücher wie in der Vorlesung bereits gesagt wurde zu den Apokryphen gezählt werden, beschreibt ein Gesicht in dessen Verlaufe die zehn Stämme folgen- dermaßen erv^ähnt werden : ,,Dies sind die zehn Stämme, welche weggeführt wurden aus ihrem I>ande in den Tagen Hoseas, welchen Salmanasser, König der Assyrer. als Gefangenen weggeführt hat, und brachte sie über den Fluß und führte sie in ein andres Land. Sie selber aber haben sich diesen Rat gegeben, daß sie die Menge der Völker verließen, und in eine ferne Gegend wanderten, wo noch kein Geschlecht der ^Menschen wohnte, auf daß sie daselbst ihr Gesetz halten könnten, das sie in ihrem Lande nicht hatten halten können. Sie gingen aber durch den engen Weg des Flusses Euphrat hinein, denn es machte ihnen der Höchste ein Zeichen, und ließ das Wasser des Flusses still stehen, bis daß sie hinüber waren. Denn durch diese Gegend war ein langer Weg von einem und einem halben Jahre, und sie hieß Askari Kararavin. Und sie wohnten daselbst bis zu den letzten Tagen, und wenn sie jetzt wieder kommen wollen, wird der Höchste das Wasser des Flusses stillstehen lassen, daß sie herüber können." 2. Esra 13:40 47.—

Über die Wanderung der zehn Stämme nach Norden sagt Ältester George Rej-nolds in seinem kleinen W^erk „Sind wir von Israel?": „Sie beschlossen, nach einem Lande zu ziehen, wo noch „kein Geschlecht der Menschen wolmte", auf daß sie von allen verunreinigenden Einflüßen rein würden. Dieses Land war nur im Norden zu finden. Das südliche Asien war bereits der Sitz einer verhältnismäßig alten Zivilisation. Im nördlichen Afrika blühte Ägypten, und das südliche Europa füllte sich zusehends mit den künftigen Herrschern der Welt. Sie hatten daher keine andere Wahl, als sich nach Norden zu wenden. Jedoch war der erste Teil ihrer Reise nicht nordwärts gerichtet. Nach dem Bericht Esras scheinen sie zunächst die Richtung nach ihrer alten Heimat eingeschlagen zu haben; es ist ja auch möglich, daß sie ursprünglich mit der Absicht aufbrachen, dorthin zurück zu kehren, möglich auch, daß sie, um die Assyrer zu täuschen, Kanaan zu zogen, und als sie den Euphrat überschritten hatten und außer Gefahr seitens der medischen und persischen Horden waren, ihre Richtung änderten imd ihre Wanderung in der Richtung des Polarsternes fortsetzten. Esra stellt fest, daß sie den Euphrat an einer schmalen Stelle überschritten, und daß der Herr die Wasser ziu^ückhielt, bis sie auf dem jenseitigen Ufer waren. Diese Stelle am Euphrat mußte sich notwendigenveise in seinem obern Teil befinden, denn weiter südlich wäre es für ihre Zwecke zu weit entfernt gewesen. Der obere Lauf des Euphrats liegt zwischen hohen Bergen. In der Nähe des Dorfes Pastash stürzt der Fluß durch eine Schlucht melir als 1000 Fuß hoch hinunter und so enge treten hier die Ufer zusammen, daß sie den Fluß überbrücken. Kurz nachher betritt der Fluß die Ebene Mesopotamiens. Wie genau entspricht dieser Teil des Flusses dem von Esra beschriebenen engen Weg, auf dem die Israeliten den Fluß überschritten!"

Art. 10.] Die Sammlung Israels. 409

Vorlesung XVIII. Die Sammlung Israels.

Art. 10. Wir glauben an die buchstäbliche Sammlung Israels und an die Wiederherstellung der zehn Stämme * * *.

1. Die Sammlung vorhergesagt. So schrecklich auch die infolge seiner Verstocktheit und seiner Sünden über das Haus Israel beschlossene Züchtigung war, die zur Auflösung des Reiches und seiner tatsächhchen Verstoßung aus der Gunst des Herrn führte, so furchtbar die Dro- hungen desjenigen, dem es gefallen hatte, die Israeliten sein Volk zu heißen während all der Leiden und Ent- behrungen die sie als Verstoßene hinnehmen mußten unter den fremden Völkern, die nie aufgehört haben, sie zu ver- folgen, zu verhöhnen und schimpflich zu behandeln, als ihr bloßer Name schon ein Spottname und Sprichwort war, stets sind sie aufrecht erhalten worden durch das bestimmte Wort der göttlichen Verheißung, daß ein Tag glorreicher Erlösung und segensreicher Wiederherstellung ihrer warte. Mit den Flüchen, unter denen sie stöhnten und sich ver- zehrten, waren Zusicherungen von Segnungen verbunden. Aus dem Herzen des Volkes wie aus der Seele ihres mäch- tigen Königs ist am Tage seiner allerdings verdienten Leiden ein Gesang tränenvoller Freude emporgestiegen: „Du wirst meine Seele nicht in der Hölle lassen".^) Die Leiden Israels sind nur eine notwendige Züchtigung durch einen betrübten, aber immer liebenden Vater gewesen.

») Psalm 16:10; Apostelgesch. 2:27.

410 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.

der mit diesen wirksamen Mitteln eine Reinigung seiner sündenbefleckten Kinder beabsichtigte. Diese seine Ab- sicht hatte er ihnen, als er sie so heimsuchte, freimütig kund getan, und in seinen Strafen haben sie seine Liebe ge- sehen: „Denn welchen der Herr lieb hat, den züchtigt er",^) und „wohl dem, den du, Herr, züchtigst". 2)

2. Ob auch von den Menschen geschlagen und verfolgt, und später zum großen Teil für die übrige Welt verloren, so ist Israel doch nie seinem Vater verlorengegangen. Er weiß, wohin sie geführt oder vertrieben worden sind. Noch schlägt sein Herz für sie in väterlicher Liebe. Sicher- lich wird er sie zu seiner Zeit und auf vorherbestimmte Weise hervorbringen in einen Zustand göttlicher Gunst und Macht, wie es seinem auserwählten Bundesvolk zu- kommt. Trotz ihrer Sünden und der Trübsale, die sie über sich selber bringen würden, hat der Herr gesagt: „Auch wenn sie schon in der Feinde Land sind, habe ich sie gleichwohl nicht verworfen und ekelt mich ihrer nicht also, daß es mit ihnen aus sein sollte und mein Bund mit ihnen sollte nicht mehr gelten; denn ich bin der Herr, ihr Gott. "3) So vollständig wie die Zerstreuung, so vollständig soll auch die Sammlung Israels werden.

3. Biblische Prophezeiungen über die Sammlung Israels. Wir haben einige der biblischen Prophezeiungen der Zerstreuung Israels geprüft; in allen Fällen war mit dem Fluch die Segnung etwaiger Wiederherstellung ver- knüpft. Unter den ersten Prophezeiungen dieser Art hören wir, wie der Herr erklärt: ,,Wenn du, Israel, dich bekehrest zu dem Herrn, deinem Gott, daß du seiner Stimme gehorchest, du und deine Kinder, von ganzem

') Hebräer 12:6.

*) Psalm 94:12; siehe auch Sprüche 3:12; Jakobus 1:12; Offen- barung Joh. 3:19.

= ) 3. Mose 26:44; siehe auch 5. Mose 4:27 31.

Art. 10.] Die Sammlung Israels. 411

Herzen und von ganzer Seele, in allem, was ich dir heute gebiete, so wird der Herr, dein Gott, dein Gefängnis wen- den und sich deiner erbarmen und wird dich wieder ver- sammeln aus allen Völkern, dahin dich der Herr, dein Gott, verstreuet hat. Wenn du bis an der Himmel Ende ver- stoßen wärest, so wird dich doch der Herr, dein Gott, von dort sammeln und dich von dort holen und wird dich in das Land bringen, das deine Väter besessen haben, und wirst es einnehmen, und er wird dir Gutes tun und dich mehren über deine Väter. "i)

4. Nehemia bittet unter Fasten und Gebet, der Herr möge sich seiner Verheißung der Wiederherstellung er- innern, wenn sich das Volk wieder der Rechtschaffenheit zuwende. 2) Jesaja spricht in bestimmten Worten von der sichern Rückkehr und Wiedervereinigung des zerstreuten Israels und sagt: „Und der Herr wird zu der Zeit zum an- dernmal seine Hand ausstrecken, daß er das übrige seines Volkes erwerbe, so übriggeblieben ist von Assur, Ägypten, Pathros, Mohrenland, Elam, Sinear, Hamath und von den Inseln des Meeres, und wird ein Panier unter die Heiden aufwerfen und zusammenbringen die Verjagten Israels und die Zerstreueten aus Juda zuhauf führen von den vier Enden des Erdreiches.**^)

5. Die Wiederherstellung soll vollständig werden: ein einiges Reich soll entstehen, nicht mehr zwei geteilte Königreiche in gegenseitiger Feindschaft, denn „der Neid wider Ephraim wird aufhören, und die Feinde Judas wer- den ausgerottet werden, daß Ephraim nicht neide den Juda und Juda nicht sei wider Ephraim.***) Mit den Worten eines liebenden Vaters spricht der Herr von seinem Um-

1) 5. Mose 30:2—5.

') Nehemia 1:9.

») Jesaja 11:11—12.

*) Vers 13; siehe auch Hesekiel 37:21.

412 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.

gang mit Israel und verklärt dessen Betrübnis mit Verhei- ßungen : „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen ; aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen; aber mit ewiger Gnade will ich mich dein erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser."^)

6. Jeremia gibt eine erschreckende Aufzählung der Sün- den des Volkes und der Strafen, die ihnen auf dem Fuße folgen würden und verkündet dann den Willen und die Absicht Gottes inbezug auf die darauffolgende Erlösung: ,, Darum siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, daß man nicht mehr sagen wird : So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israel aus Ägyptenland geführet hat! sondern: So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israel geführt hat aus dem Lande der Mitternacht und aus allen Ländern, dahin er sie verstoßen hatte! Denn ich will sie wieder- bringen in das Land, das ich ihren Vätern gegeben habe. Siehe, ich will viel Fischer aussenden, spricht der Herr, die sollen sie fischen ; und darnach will ich viel Jäger aus- senden, die sollen sie fangen auf allen Bergen und auf allen Hügeln und in allen Steinritzen."^)*** Und weiter: „Siehe, ich will sie aus dem Lande der Mitternacht bringen und will sie sammeln aus den Enden der Erde * * * Höret, ihr Heiden, des Herrn Wort und verkündigts fern in die Inseln und sprecht: Der Israel zerstreuet hat, der wirds auch wieder sammeln und wird sie hüten wie ein Hirte seine Herde. Denn der Herr wird Jakob erlösen und von der Hand des Mächtigen erretten. Und sie werden kom- men und auf der Höhe zu Zion jauchzen und werden zu den Gaben des Herrn laufen. "3)

») Jesaja 54:7 8. ») Jeremia 16:12—16. ») Jeremia 31:7 8, 10-

Art. 10.] Die Sammlung Israels. 413

7. „Abtrünnige Israel", „Verstockte Juda" sind die Worte, mit denen der Herr seine treulosen Kinder tadelt; dann befiehlt er dem Propheten und spricht: ,,Gehe hin und rufe diese Worte gegen die Mitternacht und sprich: „Kehre wieder, du abtrünnige Israel, spricht der Herr, so will ich mein Antlitz nicht gegen euch verstellen. Denn ich bin barmherzig, spricht der Herr, und will nicht ewig- lich zürnen. Allein erkenne deine Missetat, daß du wider den Herrn, deinen Gott, gesündigt hast und bist hin und wieder gelaufen zu den fremden Göttern unter allen grünen Bäumen und habt meiner Stimme nicht gehorcht, spricht der Herr. Bekehret euch, ihr abtrünnigen Kinder, spricht der Herr; denn ich will euch mir vertrauen und will euch holen, einen aus einer Stadt und zwei aus einem Geschlecht, und will euch bringen gen Zion und will euch Hirten geben nach meinem Herzen, die euch weiden sollen mit Lehre und Weisheit. Und es soll geschehen, wenn ihr gewachsen seid und euer viel geworden sind im Lande, so soll man, spricht der Herr, zur selben Zeit nicht mehr sagen von der Bundeslade des Herrn, auch ihrer nicht mehr gedenken noch davon predigen noch nach ihr fragen, und sie wird nicht wieder gemacht werden; sondern zur selben Zeit wird man Jerusalem heißen ,Des Herrn Thron', und wer- den sich dahin sammeln alle Heiden um des Namens des Herrn willen zu Jerusalem und werden nicht mehr wandeln nach den Gedanken ihres bösen Herzens. Zu der Zeit wird das Haus Juda gehen zum Haus Israel, und sie werden miteinander kommen von Mitternacht in das Land, das ich euern Vätern zum Erbe gegeben habe."^)

8. Dem Propheten Hesekiel offenbarte der Herr ebenfalls den Plan der Wiederherstellung Israels: ,,So spricht der Herr, Herr : Siehe, ich will die Kinder Israel

•) Jeremia 3:12—18; siehe auch 23:8; 29:13, 14; 30:3; 32:37.

414 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.

holen aus den Heiden, dahin sie gezogen sind, und will sie allenthalben sammeln und will sie wieder in ihr Land bringen und will ein Volk aus ihnen machen im Lande auf den Bergen Israels, und sie sollen allesamt einen König haben und sollen nicht mehr zwei Völker noch in zwei Königreiche geteilt sein."i)

9. Daß die Wiedererrichtung des Reiches Israel von Dauer sein soll, geht klar aus den durch Amos gegebenen Offenbarungen hervor, in denen wir lesen, daß der Herr sagt: „Denn ich will das Gefängnis meines Volkes Israel wenden, daß sie sollen die wüsten Städte bauen und be- wohnen, Weinberge pflanzen und Wein davon trinken, Gärten machen und Früchte daraus essen. Denn ich will sie in ihr Land pflanzen, daß sie nicht mehr aus ihrem Land ausgerottet werden, das ich ihnen gegeben habe, spricht der Herr, dein Gott. "2)

10. Als passenden Abschluß unserer Auswahl bibli- scher Prophezeiungen lassen wir die Worte Jesu Christi folgen, die er gesprochen, als er noch unter den Menschen wohnte: ,,Und er wird senden seine Engel mit hellen Po- saunen, und sie werden sammeln seine Auserwählten von den vier Winden, von einem Ende des Himmels zu dem andern. "3)

11. Prophezeiungen in dem Buch Mormon. Die Sammlung Israels nahm die Aufmerksamkeit vieler Prophe- ten in Anspruch, deren Lehren im Buch Mormon verzeich- net sind. Mit diesem Buch sind uns auch eine ganze Anzahl unmittelbarer Offenbarungen über diese Sache erhalten geblieben. Wir haben Lehis Gespräch im Tale Lemuel bereits angeführt, worin dieser Patriarch und Prophet das Haus Israel mit einem Ölbaum vergleicht, dessen

') Hesekiel37:21— 22;sieheauchll:17;20:34— 42;28:25;34:11,31. «) Amos 9:14 15. ') Matthäus 24:31.

I

Art. 10.] Die Sammlung Israels. 415

Zweige abgehauen und zerstreut werden sollten. Nun können wir auch seine Prophezeiungen inbezug auf das Wiedereinpflanzen der Zweige hinzufügen. Er lehrte, daß „nachdem Israel zerstreut sein werde, sollte es wieder zusammengeführt werden ; oder endlich, nachdem die Hei- den das Evangelium in Vollkommenheit empfangen hätten, dann sollten die natürlichen Zweige des Ölbaums oder der Rest des Hauses Israel eingepfropft werden, oder zu der Erkenntnis des wahren Messias, ihres Herrn und Er- lösers, gelangen. "1)

12. Nephi führt die Worte des Propheten Zenos-) an und betont nachdrücklich, daß Israel, wenn es durch Leiden gereinigt ist, wieder vor den Herrn in Gunst kommen sollte, und daß sie dann von den vier Enden der Erde ge- sammelt und auf den Inseln des Meeres in Erinnerung ge- bracht werden sollen. 3) Jakob, der Bruder Nephis, bezeugte die Wahrheit der Prophezeiungen des Zenos und bezeich- nete die Zeit der Sammlung als ein Merkmal der letzten Tage. Seine Worte lauten: ,,An dem Tage, da der Herr seine Hand wieder ausstrecken wird, zum zweitenmal sein Volk zu erlangen, wird es die Zeit sein, ja selbst das letztemal, wann die Diener des Herrn in seiner Macht aus- gehen werden, um seinen Weinberg zu pflegen und zu be- schneiden, und nach diesem kommt das Ende bald."^)

13. Eine der umfassendsten Prophezeiungen über die Wiederbringung der Juden ist die folgende von Nephi: „Die Juden sollen unter alle Völker zerstreut, und Babylon soll zerstört werden; und die Juden werden durch andere Nationen zerstreut werden. Und nachdem dies geschehen ist, und Gott, der Herr, sie durch andere Völker gezüchtigt

») Siehe Anmerkung 3, Seite 407.

') 1. Nephi 10:14; siehe auch Jakob 5.

') l.Nephil9:16; siehe auch 1. Nephi 22: 11, 12, 25; 2. Nephi 6: 8— 11.

«) Jakob 6:2.

416 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.

hat, durch viele Geschlechter ja selbst von Geschlecht zu Geschlecht, bis sie überzeugt sein werden, an Christum, den Sohn Gottes, und an die Versöhnung zu glauben, welche für alle Menschen unendlich ist; wenn nun der Tag kommen wird, da sie an Christum glauben werden, und den Vater in seinem Namen mit aufrichtigem Herzen und rei- nen Händen anbeten und auf keinen andern Messias warten wollen, dann, zu der Zeit, wird der Tag kommen, daß es notwendig sein wird, daß sie allen diesen Dingen glauben. Dann wird der Herr zum zweitenmal seine Hand ausstreck- ken, um sein Volk von dem verlorenen und gefallenen Zustande zu retten, und wird beginnen ein wunderbares Werk und ein Wunder unter den Menschenkindern aufzu- richten."i)

14. Nephi erläuterte die Worte Jesajas, die Leiden und den darauffolgenden Triumph des Volkes Israel be- treffend, nennt dann die Bedingungen, unter welchen ihre Sammlung zustande kommen sollte, und sagt von Gott: „Daß er durch den Mund seiner heiligen Propheten zu den Juden geredet hat, selbst von Anfang an, von Geschlecht zu Geschlecht, bis die Zeit kommt, wo sie der wahren Kirche und Flerde Gottes wiedergegeben werden sollen, wo sie in das Land ihrer Erbschaft vereinigt und zurück- geführt werden und in alle ihnen verheißenen Länder ein- gesetzt werden sollen. "2)

15. Aus diesen und vielen andern Schriftstellen ist klar ersichtlich, daß die Zeit der Rückkehr der Juden be- stimmt wird durch ihre Anerkennung Christi als ihren Herrn. Wann diese Zeit kommt, sollen sie in das Land ihrer Väter versammelt werden, und die Heiden sind dazu ausersehen, einen großen und ehrenvollen Anteil an dem

») 2. Nephi 25:15—17.

») 2. Nephi 9:2: siehe auch 1. Nephi 15:19; 19:13—16; 2. Nephi 25:16, 17, 20; 3. Nephi 5:21—26; 21:26—29; 29:1—8; Mormon 5:14.

Art. 10.] Die Sammlung Israels. 417

Werke der Sammlung zu nehmen. So bezeugen uns die Worte Nephis: „Aber sehet, so spricht Gott, der Herr: Wann der Tag kommt, daß sie an mich glauben werden, daß ich der Christus bin, dann habe ich mit ihren Vätern einen Bund gemacht, daß sie im Fleische auf der Erde in den Ländern ihres Erbteils wieder eingesetzt werden sollen. Und es wird sich begeben, daß sie nach ihrer langen Zerstreuung wieder versammelt und von den Inseln der See und den vier Teilen der Erde zurückgeführt werden; und die Völker der Heiden werden in meinen Augen groß sein, spricht Gott, dieweil sie dieselben in die Länder ihres Erbteils zurückführen. Ja, die Könige der Heiden sollen ihre Pflegeväter sein und deren Königinnen ihre Pflege- mütter; die Versprechungen des Herrn an die Heiden sind groß, denn er hat geredet, und wer kann es widerlegen ?"i) 16. Die Unterstützung, welche die Heiden den Juden und dem Überbleibsel des Hauses Israel bei ihren Vorbe- reitungen angedeihen lassen werden, wird von verschie- denen Propheten des Buches Mormon bestätigt. Darüber hinaus werden die Segnungen, welche sie auf diese Weise erlangen können, im einzelnen beschrieben.^) Eine einzige Anführung muß für unsern augenblicklichen Zweck ge- nügen. Es ist die Erklärung des auferstandenen Herrn während seiner kurzen Wirksamkeit unter den Nephiten: „Aber wenn sie sich bekehren, auf meine Worte hören, und ihre Herzen nicht Verstecken wollen, dann will ich meine Kirche unter ihnen gründen, und sie sollen in den Bund aufgenommen und unter diese, die Überbleibsel Jakobs, gerechnet werden, denen ich dieses Land als Erb- teil gegeben habe ; und sie sollen meinem Volke, dem Über- bleibsel Jakobs, und auch allen, die vom Hause Israel

>) 2. Nephi 10:7—9; 30:7; siehe auch Jesaja 49:23; 3. Nephi 5:26; 20:29.

') 2. Nephi 21:21—27; Ether 13:8—10.

27

418 _ Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.

kommen werden, helfen, eine Stadt zu bauen, welche das Neue Jerusalem genannt werden soll; und dann sollen sie meinem Volke, welches im ganzen Lande zerstreut ist, hel- fen, sich ins Neue Jerusalem zu versammeln. Dann wird die Macht des Himmels unter sie herabkommen, und ich werde auch in ihrer Mitte sein. An dem Tage, wann dieses Evan- gelium unter dem Überbleibsel dieses Volkes gepredigt wird, soll das Werk des Vaters beginnen. Wahrlich, ich sage euch: An jenem Tage wird das Werk unter allen Zerstreuten meines Volkes anfangen, ja selbst unter den verlorenen Stämmen, welche der Vater, aus Jerusalem hinweggeführt hat. Ja, das Werk des Vaters wird unter allen Zerstreuten meines Volkes anfangen, um den Weg zu bereiten, auf welchen sie zu mir gelangen, und damit sie den Vater in meinem Namen anrufen können. Ja, und dann, mit dem Vater, soll das Werk unter allen Nationen anfangen, um den Weg zu bereiten, wodurch sein Volk zum Land seines Erbteils heimgeführt werden soll,"^)

17. Neuzeitliehe Offenbarungen über die Sammlung Israels. Für die genaue, buchstäbliche Erfüllung der Prophezeiungen hinsichtlich der Zerstreuung Israels haben wir ausgiebige Beweise gefunden. Die Prophezeiungen über die Sammlung sind bis jetzt nur teilweise erfüllt worden. Zwar hat das Werk der Zusammenbringung einen guten Anfang genommen und ist heute in stetem Fortschritt begriffen; seine Vollendung aber liegt noch in der Zukunft. Es ist daher zu verstehen, wenn man auch in neuzeitlichen heiligen Schriften nach Offenbarungen und Prophezeiungen über diese Sache ausschaut, gerade wie in heiligen Schriften früherer Zeiten. Der Herr hat in dieser Dispensation zu den Ältesten seiner Kirche gesprochen, dabei den Zweck der Sammlung des Volkes,

») 3. Nephi 21:22—28.

Art. 10.] Die Sammlung Israels. 419

„wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel"!) erklärt und hinzugefügt: „Und ihr seid berufen, die Sammlung meiner Auserwählten zustande zu bringen, denn meine Auserwählten hören meine Stimme und verhärten ihre Herzen nicht; deshalb ist die Verordnung vom Vater aus- gegangen, daß sie in einem Platze auf die Oberfläche dieses Landes versammelt werden sollten, um ihre Herzen vor- zubereiten, und in allen Dingen vorbereitet zu sein, auf den Tag, wann Trübsale und Zerstörung auf die Gottlosen ge- sandt werden soll."^)

18. Hören wir weiter, wie der Herr dem Volk seiner Kirche nicht allein die Sammlung vorhersagt, sondern ihm auch bekannt gibt, daß die Stunde der Sammlung gekommen sei. „Darum bereite dich, bereite dich, o mein Volk, heilige dich, versammle dich, o du Volk meiner Kirche * * *. Ja wahrlich, wiederum sage ich euch, daß die Zeit gekommen ist, da die Stimme des Herrn an euch ergeht, von Babylon auszugehen; sammelt euch aus den Völkern, von den vier Winden von einem Ende des Him- mels bis zu dem andern. "3)

19. Umfang und Zweck der Sammlung. Einige der bereits angeführten Prophezeiungen beziehen sich beson- ders auf die Wiederherstellung der zehn Stämme, andere weisen auf die Rückkehr des Volkes Juda nach dem Lande ihres Erbteiles hin, wieder andere haben Bezug auf die Wiederaufrichtung Israels im allgemeinen, ohne besondere Stämme oder andere Teile zu erwähnen, währenddem endlich viele Stellen in den Offenbarungen unserer Zeit von der Sammlung der Heiligen handeln, die sich der

•) Offenbarung, gegeben im Jahre 1830; Lehre u. Bündn. Abschn. 29:2; siehe auch Abschnitt 10:65; 43:24.

') L. u. B. 29:7—8; siehe auch 31:8; 33:6; 38:31; 133:7; 45:25; 77:14; 84:2.

=) L. u. B. 133:4— 7.

420 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.

wiederhergestellten Kirche Jesu Christi angeschlossen haben. Der Plan der Sammlung umfaßt augenscheinlich:

1. Die Rückkehr der Juden nach Jerusalem,

2. Die Wiederherstellung der zehn Stämme,

3. Das Sammeln des Volkes Israel aus den Völkern der Erde nach dem Lande Zion.

20. Diese Dreiteilung haben wir nur der Bequem- lichkeit halber vorgenommen, sie hat keinen Bezug auf die Reihenfolge, in welcher das Werk vollbracht werden soll. Der zuletzt genannte Teil stellt das heutige große Werk der Kirche dar, obschon damit auch die Beihilfe bei der Wiederherstellung der verlorenen Stämme verknüpft ist. Durch die im Kirtland-Tempel gegebene Offenbarung ist uns bekannt geworden, daß der Auftrag und die Vollmacht zu diesem Werk feierlich der Kirche übertragen worden sind. Und durch wen anders sollte diese Vollmacht wohl gebracht werden als durch den, der sie durch göttlichen Auf- trag in einer früheren Dispensation des geeinigten Israels erhalten hatte? Mose, welcher der Hauptvertreter des Volkes Israels war, als der Herr seine Hand zum erstenmal ausstreckte, um sein Volk in das Land seines Erbteils zu führen, ist persönlich gekommen und hat der Kirche der letzten Tage die Vollmacht übertragen, dieses Werk auszuführen, nun da der Herr „seine Hand abermals aus- streckt" um sein Volk zu befreien.

21. Joseph Smith und Oliver Cowdery, von denen jeder rechtmäßig zum Apostelamt ordiniert worden war, zeugen von der ihnen gewordenen Kundgebung mit fol- genden Worten: ,, Nachdem dieses Gesicht geschlossen war, wurden uns die Himmel wieder geöffnet: Mose erschien, und übergab uns die Schlüssel zur Sammlung Israels von den vier Teilen der Erde, und der Herbeiführung der

b

Art. 10.] Die Sammlung Israels. 421

zehn Stämme von den Nordländern. "i) Die Wichtigkeit dieses Werkes, das so von der Kirche verlangt wird, ist in einer spätem Offenbarung nachdrücklich hervorgehoben worden, wobei der Herr folgendes Gebot gab: „Sendet die Ältesten meiner Kirche aus zu den Völkern, welche ferne wohnen, auf die Inseln des Meeres; schicket sie nach frem- den Ländern, fordert alle Völker auf, zuerst die Heiden, und alsdann die Juden. Und sehet, dies soll ihr Ruf und die Stimme des Herrn an alle Völker sein : Gehet hin nach dem Lande Zion. * * * Lasset darum die, die unter den Hei- den sind, nach Zion fliehen, und die aus Juda, nach Jeru- salem zu den Bergen des Hauses des Herrn. Gehet aus von den Völkern, selbst aus Babylon, aus der Mitte der Gottlosigkeit, welches das geistige Babylon ist."^)

22. Der letzte Satz der eben angeführten Stelle be- zeichnet den Zweck, wozu das Werk der Sammlung der Heiligen aus den Völkern der Erde angeordnet ist. Der Herr möchte, daß sein Volk sich von den Sünden der Welt trennt und das geistige Babylon verläßt, damit sie die Wege Gottes kennen lernen und ihm umso besser dienen können. Johannes der Offenbarer sah in einem Gesicht das Schick- sal der sündigen Welt voraus, als er auf der Insel Patmos in der Verbannung lebte. Ein Engel kam vom Himmel, „und er schrie aus Macht mit großer Stimme und sprach: Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon, die große, und eine Behausung der Teufel geworden und ein Behältnis aller unreinen Geister und ein Behältnis aller unreinen und verhaßten Vögel. * * * Und ich hörte eine andere Stimme vom Himmel, die sprach: Gehet aus von ihr, mein Volk, daß ihr nicht teilhaftig werdet ihrer Sünden, auf daß ihr

') Lehre u. Bündn. 110:11. ') L. u. B. 133:8— 9, 12—14.

422 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.

nicht empfanget etwas von ihren Plagen I Denn ihre Sün- den reichen bis in den Himmel, und Gott denkt an ihren Frevel."!)

23. Der Glauben der Heiligen der letzten Tage lehrt, daß an dem Tage des gerechten Zornes des Herrn, in Zion Sicherheit sein wird. Die Wichtigkeit, welche die Heiligen der letzten Tage dem Werke der Sammlung beimessen, und die Treue, mit der sie der Pflicht gerecht zu werden suchen, die ihnen durch göttliche Vollmacht auferlegt wurde, nämlich die Welt vor den drohenden Gefahren, wie sie in dem Gesicht des Offenbarers geschildert werden, zu warnen, wird zur Genüge bewiesen durch die große Ausdehnung ihrer Missionsarbeit, wie sie gegenwärtig von diesem Volke betrieben wird. 2)

24. Israel ein auserwähltes Volk. Es ist augenschein- lich, daß der Herr auf sein Volk Israel seine besten Seg- nungen beschlossen hat. 3) Mit Abraham, dem großen Stammvater dieses Volkes, trat Gott in einen Bund und sagte: „Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. "^) Dies sollte ein ewiger Bund sein.^) Er wurde auf Isaak^) bestätigt und später auch auf Jakob'), der Israel genannt wurde. Die Verheißung einer zahlreichen Nachkommenschaft, unter welcher viele vom königlichen Rang sein würden, ist buchstäblich in Erfüllung gegangen. Nicht weniger sicher

') Offenbarung Job. 18:2, 4 5.

') Siehe Anmerkung 1.

') Siehe Anmerkung 2.

*) 1. Mose 12:1 3; siehe auch Galater 3:14, 16.

') 1. Mose 17:6—8.

«) 1. Mose 26:3 t.

') 1. Mose 35:11—12.

Art. 10.] Die Sammlung Israels. 423

ist die Verwirklichung des zweiten Teiles der Verheißung, daß nämlich in und durch Abrahams Nachkommenschaft alle Völker der Erde gesegnet werden sollen. Denn infolge einer weltweiten Zerstreuung haben sich die Kinder Is- rael mit den Völkern der Erde vermischt und das Blut des auserwählten Samens hat sich mit dem aller Völker vermengt.^) Heute nun, am Tag der Sammlung, da der Herr sein Volk wieder zusammenbringt, um es zu ehren und zu segnen, mehr als die Welt zu geben vermag, nimmt jedes Volk mit dem Blute Israels in den Adern seiner Glieder an den Segnungen teil.

25. Es gibt jedoch noch einen schlagenderen Beweis für die Segnungen, die durch das Haus Israel allen Völ- kern zugute gekommen sind. Ist nicht der im Fleisch ge- borene Erlöser aus dem Stamm Abrahams hervorgegangen ? Sicherlich erstrecken sich die Segnungen dieser göttlichen Geburt nicht nur auf die Völker und Familien der Erde im großen und ganzen, sondern auf jeden einzelnen Sterb- lichen im besondern.

26. Die Wiederherstellung der zehn Stämme. Aus

den behandelten Schriftstellen geht klar hervor, daß wenn auch viele, die zu den zehn Stämmen gehörten, unter die Völker der Erde zerstreut wurden, doch eine, die Beibe- haltung des ursprünglichen Namens rechtfertigende Zahl als ein Ganzes weggeführt wurde, die an einem bestimmten Orte fortbestehen, wo sie der Herr verborgen hält. Ihnen zu dienen, besuchte sie Christus nach seinem bereits er- wähnten Besuch bei den Nephiten.^) Ihre Rückkehr bildet einen sehr wesentlichen Teil der Sammlung, die für die Dispensation der Fülle der Zeiten kennzeichnend ist.

') Siehe Anmerkung 3. ») Seite 406, 407.

424 Die Glaubensartikel. [Vori. XVIII.

27. Den bereits angeführten Schriftstellen, die sich auf ihre Rückkehr beziehen, sollte die nachstehende an- gefügt werden. Von diesem Bestandteil des Werkes Gottes in den letzten Tagen wird uns gesagt: „Und die, die in den nördlichen Ländern sind, werden vor dem Herrn in Er- innerung kommen, und ihre Propheten werden seine Stimme hören, und sie werden sich nicht länger zurückhalten, werden die Felsen schlagen, und das Eis wird vor ihrer Gegenwart herabfließen. Und ein Weg wird in der Mitte der großen Tiefe gebahnt werden. Ihre Feinde werden ih- nen zur Beute werden, und in der unfruchtbaren Wüste werden Quellen lebendigen Wassers entstehen, und die ausgetrocknete Erde wird nicht länger ein durstiges Land sein. Und sie werden ihre reichen Schätze meinen Dienern, den Kindern Ephraims, hervorbringen. Und die Grenzen der ewigen Hügel werden vor ihrer Gegenwart zittern. Und alsdann werden sie niederfallen und mit Herrlichkeit gekrönt werden, nämlich in Zion, durch die Hände der Diener des Herrn, nämlich der Kinder Ephraims; und sie sollen mit ewigen Freudengesängen erfüllt werden. Sehet, dies ist der Segen des ewigen Gottes auf die Stämme Israels und die größere Segnung auf das Haupt Ephraims und seiner Genossen. "i)

28. Bei der ausdrücklichen und wiederholten Erklä- rung, daß die zehn Stämme bei ihrer Rückkehr aus dem Norden nach Zion geführt werden sollen, um dort Segnun- gen aus den Händen einiger der Kinder Ephraims zu emp- fangen, die also notwendigerweise zuvor selbst dort ver- sammelt werden müssen, ist es klar, daß zuerst Zion ge- baut werden muß. In unserer nächsten Vorlesung wenden wir nun unsere Aufmerksamkeit der Gründung Zions zu.

») Lehre u. Bündn. 133:26 34.

Art. 10.] Anmerkungen. 425

Anmerkungen.

1. Die Sammlung nunmehr Im Fortscbreiten begriffen. Die Heiligen der letzten Tage errichten in den Tälern der Felsengebirge Pfähle Zions und bringen auf diese Weise die Prophezeiungen der alten Propheten in Erfüllung. Jesaja hat geschrieben: „Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher denn alle Berge, und über alle Hügel erhaben werden, und werden alle Heiden dazu laufen und viele Völker hingehen und sagen: Kommt, laßt uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen! Denn von Zion wird das Gesetz ausgehen, und des Herrn Wort von Jerusalem" (Jes. 2:2 3). Es ist bemerkenswert, wie genau die Heiligen der letzten Tage die Ausdrücke in dieser Prophezeiung erfüllen: 1. Sie bauen auf den Höhen der Berge Tempel des Herrn, sodaß das Haus des Herrn tatsächlich da ist, wo Jesaja es gesehen hat. 2. Die Heiligen, die in diesem Werke tätig sind, sind Leute, die fast aus allen Völkern unter dem Himmel sich sammelten, sodaß „alle Völker fliehen zu dem Hause des Herrn", auf den Gipfeln der Berge. 3. Die Menschen, die in fernen Ländern das Evangelium annehmen, sagen voller Freude zu ihren Ver- wandten und Freunden: „Kommt, laßt uns auf den Berg des Herrn gehen, zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre seine Wege und wir wandeln auf seinen Steigen!" Robert's „Outlines of Ecclessiastical History", Seite 409.

2. Israel ein auservvähltes Volk. Die dem Patriarchen Abraham gegebene Verheißung, daß er zu einem großen Volke werden solle, hat darin ihre Erfüllung gefunden, daß sein auserwählter .Same 1500 Jahre lang das Land Palästina als solches besessen hat. Sie wird von neuem in Erfüllung gehen, wenn sie dereinst für immer als ein Volk in jenem Lande wohnen werden. Die Geschichte der östlichen Erdhälfte während der 2000 Jahre zwischen der Berufung Abrahams und der Zerstörung Jerusalems durch die Römer ist Zeuge dafür, daß jedes Reich, welches gegen Israel kämpfte, oder das dieses Volk in irgend einer Weise unterdrückte, von dem Schau- platz der Geschichte verschwand. Die Zeit wird das gleiche allgemeine Ergebnis für den Zeitraimi von der Zerstörung Jerusalems bis zum Tausend- jährigen Reich kundtun. Der Prophet Jesaja spricht von der Zeit, da der Herr Israel wieder gnädig sein werde und sagt: „Siehe, sie sollen zu Spott imd Schanden werden alle, die dir gram sind; sie sollen werden wie nichts; imd die Leute, die mit dir hadern, sollen umkommen." ,,Und ich will deine Schinder speisen mit ihrem eigenen Fleisch, und sie sollen von ihrem eigenen Blut wie von süßem Wein trunken werden." „Siehe, ich nehme den Taumelkelch von deiner Hand samt den Hefen des Kelches meines Grimms; du sollst ihn nicht mehr trinken, sondern ich will ihn deinen Schindern in die Hand geben, die zu deiner Seele sprachen: Bücke dich, daß wir drüber- hin gehen, und mache deinen Rücken zur Erde und wie eine Gasse, daß man drüberhin laufe." (Jes. 41:11; 49:26; 51:22, 23.) „A Compen- dium of the Doctrines of the Gospel" von den Ältesten Franklin D. Richards und James A. Little, Seite 246—247.

3. Israel unter den verschiedenen Völkern. ,,Wenn wir bedenken, daß 32 Jahrhunderte vergangen sind, seitdem die Feinde Israels die Israe- liten im Lande Kanaan unterdrückten, daß diese während eines Drittels der Zeit, während der sie als ein Volk dieses Land inne hatten, mehr oder

426 Die Glaubensartikel. [Vorl. XVIII.

weniger in der Knechtschalt ilirer Feinde lebten, daß siebenhundert Jahre vor dem Kommen Christi die zeiin Stämme über das westliche Asien zer- streut wurden, und daß wir keinen Bericht haben, wonach bis heute irgend welche von ihnen in das Land ihrer Väter zurückgekehrt wären, daß nahezu sechshundert Jahre vor Christus die babylonische Gefangenschaft erfolgte und daß gemäß dem Buch Esther nur ein kleiner Teil der Juden zurück- kehrte, währenddem die meisten auf die 127 Pro%inzen des persischen Reiches verteilt wurden, daß Asien der Bienenkorb war, von welchem jene Nomadeustämme ausschwärmten, die Europa überrannten, daß bei der Zerstörung Jerusalems durch die Römer die Juden über die ganze damals be- kannte Welt zerstreut wurden; wenn wir uns dies alles vor Augen halten, dann dürfen wir wohl die Frage stellen: „Stellt Israel heute nicht einen großen Teil der menschlichen Familie dar?" ,, Compendium", von den Ältesten F. D. Richards und James A. Little, S. 90.

Art. 10.] Zion. 427

Vorlesung XIX.

Zion.

Artikel 10. Wir glauben, * * * daß Zion auf dem amerikanischen Kontinent aufgebaut werden wird * * *.

1. Zwei Sammelplätze. Von den Stellen, die wir in Verbindung mit der Zerstreuung und der darauffolgenden Wiedervereinigung Israels angeführt haben, beziehen sich einige auf Jerusalem, das wieder aufgerichtet wird, andere auf Zion, das erbaut werden soll. Gewiß, der zuletzt ge- nannte Name wird in vielen Fällen als ein gleichbedeutendes Wort für Jerusalem gebraucht und zwar der Tatsache we- gen, daß ein gewisser Hügel innerhalb des alten Jerusalems im besondern Sinne als ,,Zion" oder „Berg Zion" bekannt war; der Name eines Teiles wird ja oft bildlich gebraucht, wenn man das Ganze zu bezeichnen wünscht. Je- doch wird in andern Stellen die besondere, bestimmte Bedeutung für jeden einzelnen der beiden Ausdrücke klar hervorgehoben. Der Prophet Micha, der im siebten Jahrhundert vor der Geburt Christi im Volke wirkte ,,voll Kraft und Geistes des Herrn, voll Rechts und Stärke"^) sagte die Zerstörung Jerusalems und des damit verbunde- nen Zions voraus, wonach Jerusalem „zum Steinhaufen werden" und Zion „wie ein Acker gepflügt" werden sollte.^) Dann verkündigt er einen neuen Zustand, der in den letz- ten Tagen bestehen soll, zu einer Zeit da ,,ein anderer Berg, darauf des Herrn Haus ist" erstehen werde und dieser

') Micha 3:8.

^) Micha 3:12; siehe auch Seite 404, 405 in diesem Buch.

428 Die Glaubensarükel. IVorl. XIX.

wird Zion genannt.^) Die beiden Plätze werden in der Offenbarung gesondert erwähnt: „Denn aus Zion wird das Gesetz ausgehen und des Herrn Wort aus Jerusalem". 2)

2. Joel fügt diesem sein eigenes Zeugnis an inbezug auf die zwei Orte, von denen aus der Herr sein Volk re- gieren wird: ,,Und der Herr wird aus Zion brüllen und aus Jerusalem seine Stimme lassen hören". ^) Zephania stimmt über den Triumph Israels einen Gesang an und wendet sich an die Töchter der beiden: „Jauchze, du Tochter Zion ! Rufe, Israel ! Freue dich und sei fröhlich von ganzem Herzen, du Tochter Jerusalem!"^) Dann prophezeit der Prophet für jeden der beiden Plätze besonders: „Zur selben Zeit wird man sprechen zu Jerusalem: Fürchte dich nicht! und zu Zion: Laß deine Hände nicht laß wer- den!"^) Der Prophet Sacharja verzeichnet den Willen Gottes mit folgenden Worten: „Und der Herr wird Zion wieder trösten und wird Jerusalem wieder erwählen."')

3. Wann das Volk des Hauses Jakob bereit sein wird, den Erlöser als ihren rechtmäßigen König zu emp- fangen, wann die zerstreuten Schafe Israels durch Leiden und Trübsale demütig genug geworden sind, ihrem Hirten zu folgen, dann in der Tat wird er kommen, um unter ihnen zu regieren. Dann wird ein buchstäbliches Königreich aufgerichtet werden, weit wie die Welt, mit dem König der Könige auf dem Thron und die zwei Hauptstädte des mächtigen Reiches werden Jerusalem auf der östlichen und Zion auf der westlichen Halbkugel sein. Jesaja spricht von der Herrlichkeit des Reiches Christi in den letzten Tagen und schreibt je gesondert Zion und Jerusalem die

') Micha 4:1.

») Micha 4:2; Jesaja 2:2—3.

») Joel 4:16.

«) Zephanja 3:14.

») Vers 16.

•) Sacharja 1:17; siehe auch 2:7 12.

Art. 10.] Zion. 429

Segnungen des Triumphes zu:^) „Zion, du Predigerin, steig auf einen hohen Berg; Jerusalem, du Predigerin, hebe deine Stimme auf mit Macht, hebe auf und fürchte dich nicht; sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gottl"^) 4. Der Name Zion wird mit verschiedener, ganz be- stimmter Bedeutung gebraucht. Seiner Herkunft nach bedeutet das Wort ,,Zion", oder wie die Griechen schreiben, „Sion" wahrscheinlich „leuchtend", „glorreich", „hell", „klar", „sonnig". Diese mehr allgemeine Bedeutung ist jedoch verloren gegangen zu Gunsten einer tiefern, leben- digem, die sich das Wort als ein Name oder Titel erworben hat. Wie schon erwähnt, wurde ein besonderer Hügel innerhalb Jerusalems Zion genannt. Als David seinen Sieg über die Jebusiter errang, gewann er die ,,Burg Zion" und nannte sie Davids Stadt.^) Zion war also der Name eines Ortes und ist wie folgt angewendet worden :

1. auf den Hügel oder Berg Zion selbst, und durch Er- weiterung der Bedeutung auch auf Jerusalem.

2. auf den Ort ,,für den Berg des Hauses des Herrn", das nach Michas Prophezeiung in den letzten Tagen erbaut werden soll, unterschieden von Jerusalem.

Diesen können wir eine weitere Anwendung des Namens beifügen, wie sie uns durch moderne Offenbarung bekannt geworden ist:

3. auf die heilige Stadt, die Henoch, der siebte von Adam, gegründet hat; diese wurde von ihm Zion genannt,*)

4. Noch ein anderer Gebrauch des Ausdruckes ist zu be- achten, ein mehr bildlicher, wonach die Kirche Gottes ebenfalls Zion genannt wird, das nach des Herrn eigener Auslegung die „Reinen im Herzen" bedeutet.^)

•) Jesaja 4:3 4.

») Jesaja 40:9.

») 2 Samuel 5:6 7; siehe auch 1. Könige 2:10 und 8:1.

•) KösU. Perle, Moses 7: 18—21.

') Lehre u. Bündn. 97:21.

430 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIX.

5. Jerusalem. Als passende Einführung in unsere Untersuchung über das Neue Zion, das, wie wir sehen werden, auf dem westlichen Kontinent noch erbaut werden soll, können wir kurz die Geschichte und das Schicksal Jerusalems,^) des Zions der östlichen Halbkugel, betrachten. Von dem Wort Jerusalem wird allgemein angenommen, daß es seiner Abstammung entsprechend die ,,Ansiedlung" oder die „Stadt des Friedens" bedeute. Wir begegnen ihm zum erstenmal als Salem, dem Wohnort Melchizedeks, des Hohenpriesters und Königs, dem Abraham im neun- zehnten Jahrhundert vor Christus seinen Zehnten bezahlte. 2) Eine direkte Feststellung der Gleichheit Salems und Jerusalems finden wir bei Josephus.^) Wie schon erwähnt, wurde die Stadt durch David den Jebusitern entrissen,*) etwa im Jahre 1048 vor Christus. Während der Regie- rungszeit Davids und Salomos erwarb die Stadt als Haupt- stadt des ungeteilten Israels großen Ruhm wegen ihres Reichtums, ihrer Schönheit und ihrer Macht. Ihre Haupt- sehenswürdigkeit war der wundervolle Tempel Salomos, der den Berg Moriah krönte.^) Nach der Teilung des Rei- ches blieb Jerusalem die Hauptstadt des kleinern König- reiches Juda.

6. Von den vielen Wechselfällen, die ihr das Kriegs- schicksal beschieden hat,®) seien nur die folgenden er- wähnt: Die Zerstörung der Stadt und die Wegführung ihrer J^inwohner in die Sklaverei durch Nebukadnezar in den Jahren 588 und 585 vor Christus;') ihre Wiederer-

') Siehe Anmerkung 1. «) I.Mose 14:18—20. ") Ant. of the Jecos I. Kap. X. •) 2. Samuel 5:6 7. ») 1. Könige 5 8; 2. Chronik 2—7.

') l.Königel4:25;2. Königel4:13— 14;25;2.Chronikl2:2— 5;36:14 bis 21 ; Jeremia 39 : 5 8.

») Jeremia 52:12—15.

I

Art. 10.] Zion. 431

bauung nach Beendigung der babylonischen Gefangen- schaft^) (etwa 515 vor Christi Geburt); ihre endgültige Vernichtung bei der Ausrottung des jüdischen Reiches durch die Römer, 70 71 nach Christus. Nach ihrer Bedeu- tung und in der Liebe der Juden war die Stadt tatsächlich das Herz Judäas, und in der Verehrung der Christen ist sie stets mit Heiligkeit bekleidet gewesen. In der irdischen Mission des Erlösers nahm sie einen wichtigen Platz ein und war der Schauplatz seines Todes, seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt. Des Heilandes Achtung für die Hauptstadt seines Volkes steht außer Zweifel. Er verbot, daß irgend jemand bei ihr schwören sollte „denn sie ist des großen Königs Stadt"^) und ihrer Sünden wegen weinte er über sie wie ein Vater über ein verirrtes Kind. 3)

7. Aber wie groß auch Jerusalems Vergangenheit war, größer noch wird ihre Zukunft sein. Von neuem soll sie zum Sitz des Königs werden, des Königs der Könige, und ewige Herrlichkeit ist ihm zugesichert.

8. Das Zion der letzten Tage; das Neue Jerusalem. Die biblischen Erklärungen hinsichtlich des Zions der letzten Tage, zum Unterschied von dem alten oder wieder- erbauten Jerusalem des Ostens, schweigen sich über die geographische Lage dieser zweiten und modernen Haupt- stadt des Reiches Christi aus. Indessen erfahren wir aus der Bibel doch einiges über die Bodenbeschaffenheit des Landstriches, worauf Zion gebaut werden soll. So be- schreibt Micha, nachdem er die Verwüstung des Berges Zion und Jerusalems im allgemeinen vorhersagt, im Gegensatz hierzu das neue Zion, wo das Haus des Herrn in den letzten Tagen erbaut werden wird. Seine Worte lauten: „In den letzten Tagen aber wird der Berg, darauf

') Esra 1 3; Nehemia 2.

») Matthäus 5: 35; siehe auch Psalm 48:2; 87:3.

=) Matthäus 23:37; Lukas 13:34.

432 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIX.

des Herrn Haus ist, fest stehen, höher denn alle Berge, und über die Hügel erhaben sein, und die Völker werden dazu laufen, und viele Heiden werden gehen und sagen: Kommt, laßt uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und zum Hause des Gottes Jakobs, daß er uns lehre seine Wege und wir auf seiner Straße wandeln ! Denn aus Zion wird das Gesetz ausgehen und des Herrn Wort aus Jeru- salem."i)

Die Prophezeiung Jesajas spricht sich über den ge- birgigen Charakter des Landes des neuzeitlichen Zions^) ebenso klar aus, und weiterhin versichert uns dieser Pro- phet, daß nur rechtschaffene Menschen imstande sein werden, inmitten der stolzen Pracht dieses neuen Wohn- ortes zu leben und von diesem selbst sagt er: „Der wird in der Höhe wohnen, und Felsen werden seine Feste und Schutz sein," und fügt hinzu, daß das Land in weiter Ferne liege.^) In einer andern Stelle nennt er einen Sam- melpunkt „jenseit der Wasser des Mohrenlands" und „auf den Bergen", wo der Herr „ein Panier aufwerfen wird" für die Welt.*)

10. Die Lehren des Buches Morpion und die Offen- barungen der gegenwärtigen Dispensation über das Zion der letzten Tage stimmen zwar mit dem biblischen Bericht in der allgemeinen Schilderung der Lage und der Herr- lichkeit der Stadt überein, aber doch sind sie ausführlicher hinsichtlich ihrer geographischen Lage. In diesen Schrif- ten werden die Namen Zion und Neues Jerusalem für «in und dasselbe gebraucht, die letzte Bezeichnung zu Ehren des östlichen Jerusalems, Johannes der Offen- barer sah in einem Gesicht ein Neues Jerusalem als Kenn-

M Micha 4:1—2. ') Jesaja 2:2 3. ») Jesaja 33:15—17. ') Jesaja 18:1 3.

Art. 10.] Zion. 433

zeichen der letzten Tage.^) Ether, ein Prophet der Jaredi- ten, ein Volk das jahrhundertelang Teile Nordamerikas bewohnte, ehe Lehi und seine Begleiter dorthin kamen^) sagte die Gründung des Neuen Jerusalems auf dem ame- rikanischen Kontinent voraus und betonte den Unterschied zwischen dieser Stadt und dem alten Jerusalem.

11. Moroni, ein nephitischer Prophet, sagt in seiner Abkürzung der Schriften Ethers von diesem, daß er hin- sichtlich des Landes Nordamerika sah, „daß es der Ort des Neuen Jerusalem wäre, welches vom Himmel herab- kommen und das Heiligtum des Herrn sein würde. Sehet, Ether sah die Tage Christi und sprach von einem Neuen Jerusalems auf diesem Lande; und er sprach auch von dem Hause Israel und über das Jerusalem, von welchem Lehi kommen würde : nachdem es zerstört wäre, sollte es wieder dem Herrn als eine heilige Stadt erbaut werden ; deshalb konnte es nicht ein Neues Jerusalem sein, denn es war vor alten Zeiten gewesen, aber es sollte wieder aufgebaut und eine heilige Stadt des Herrn werden; und es sollte dem Hause Israel erbaut werden. Und daß ein Neues Jerusalem in diesem Lande aufgebaut werden sollte, für die Überbleibsel der Nachkommen Josephs, für welches ein Vorbild gewesen ist. Denn so wie Joseph seinen Vater nach Ägyptenland hinabbrachte, und er dort starb, so hat der Herr einen Überrest der Nachkommen Josephs vom Lande Jerusalem geführt, damit er ihnen gnädig sein möchte, und sie nicht umkämen, gleich wie er dem Vater Josephs gnädig gewesen war, damit er nicht umkäme. Daher sollen die Überbleibsel des Hauses Josephs auf dieses Land gebaut werden, und es soll ein Land ihres Eigentums sein; und sie sollen dem Herrn eine heilige

') Offenbarung Joh. 21:2. =) Siehe Seite 321.

434 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIX.

Stadt bauen, ebenso wie das alte Jerusalem; und sie sollen nicht mehr verwirrt werden bis das Ende kommt, wann die Erde vergehen wird."^)

12. Jesus Christus besuchte die Nephiten in Amerika bald nach seiner Auferstehung und sagte im Verlaufe seiner Belehrungen: ,,Und siehe, dieses Volk will ich in diesem Lande gründen, bis der Bund, welchen ich mit euerm Vater Jakob gemacht habe, erfüllt sein wird, und es soll ein Neues Jerusalem werden. Und die Mächte des Him- mels sollen mitten unter diesem Volke sein. Ja ich will selber mitten unter euch sein. "2) Weiter prophezeit unser Heiland wie wir schon in der vorhergehenden Vorlesung auseinandergesetzt haben^) daß die Heiden, wenn sie ihre Sünden bereuen und ihre Herzen nicht verstocken, in diesen Bund mit eingeschlossen werden und die Erlaub- nis erhalten sollen, bei dem Aufbau des Neuen Jerusalems mitzuwirken.*)

13. Ether, der Jaredite, und Johannes, der Offenbarer, die durch sechs Jahrhunderte von einander getrennt und auf entgegengesetzten Erdhälften prophezeiten, sahen das Neue Jerusalem vom Himmel herabkommen, ,, bereitet", sagt der jüdische Prophet, „als eine geschmückte Braut ihrem Manne". 5) Wir haben schon von dem Zion Henochs gesprochen, 6) einer Stadt, einst auf dem nordamerikani- schen Festlande gelegen, deren Bewohner so rechtschaffen waren, daß auch sie Zion genannt wurden, „denn sie waren eines Herzens und eines Sinnes."") Sie wurden mit ihrem patriarchalischen Führer von der Erde entrückt.

») Buch Mormon, Ether 13:3 8.

») 3. Nephi 20:22.

•) Siehe Seite 417, 418.

*) 3. Nephi 21:22—24.

>) Offenbarung Joh. 21:2.

') Seite 429.

') KösU. Perle, Moses 7:18,

Art. 10.] Zion. 435

wie wir lesen: „Und es geschah, daß Zion nicht mehr war, denn Gott nahm es in seinen eigenen Busen auf; und von da an ging die Sage aus: Zion ist geflohen."^) Vor diesem Ereignis jedoch hatte der Herr Henoch die göttlichen Absichten hinsichtlich des Menschengeschlechts bis zum Ende der Zeiten kundgetan. Große Ereignisse sollen die letzten Tage kennzeichnen. Die Auserwählten werden von den vier Teilen der Erde gesammelt werden, nach einem Ort, der für sie bereitet ist. Der Tempel des Herrn wird dort erbaut und der Ort soll „Zion, ein Neues Jerusalem" genannt werden. Alsdann sollen Henoch und sein Volk zur Erde zurückkehren und die versammelten Auserwähl- ten an dem heiligen Ort treffen.

14. Wir haben gesehen, daß die Anwendung der Namen Zion und Neues Jerusalem wechselseitig ist; des weitern, daß sowohl rechtschaffene Menschen wie auch heilige Orte Zion genannt werden. Denn nach dem beson- dern Wort des Herrn bedeutet Zion für ihn die „Reinen im Herzen. "2) Die Kirche lehrt, daß das Zion, wie es Jo- hannes und der Prophet Ether vom Himmel herabkommen sahen, die Rückkehr des erhöhten Henoch und seines gerechten Volkes darstellt und daß das Zion oder das Volk Henoch und das Zion der Neuzeit oder die auf dem westlichen Kontinent versammelten Heiligen ein Volk werden sollen.

15. Daß Zion auf dem westlichen Erdteil erbaut werden soll, kommt in den Prophezeiungen des Buches Mormon deutlich zum Ausdruck. Der genaue Ort jedoch ist erst nach der Wiederherstellung des Priestertums in der gegenwärtigen Dispensation geoffenbart worden. Im Jahre 1831 gebot der Herr den Ältesten seiner Kirche: , .Ziehet

») KösU. Perle, Moses 7:69; Lehre u. Bündn. 38:4; 45:11—12; 84:99—100.

*) L. u. B. 97:21; Köstl. Perle, Moses 7:18; auch L. u. B. 84:100.

436 Die Glaubensartikel. [Vorl. XIX.

aus von den östlichen Ländern, versammelt euch, ihr Äl- testen meiner Kirche, gehet hin in die westlichen Länder, fordert die Bewohner zur Buße auf, und insofern als sie be- reuen, errichtet meinem Namen Gemeinden; und mit einem Herz und Sinn sammelt eure Reichtümer zusammen, um euch ein Erbteil zu kaufen, das euch späterhin noch ge- zeigt werden soll. Es soll ein Neues Jerusalem genannt werden, ein Land des Friedens, eine Zufluchtstätte und eine Stadt der Sicherheit für die Heiligen des Allerhöch- sten Gottes; die Herrlichkeit des Herrn wird dort sein und der Schrecken des Herrn wird auch dort sein, so daß die Bösen nicht hinkommen werden, und es soll Zion ge- nannt werden. "1)

16. Spätere Offenbarungen riefen die Ältesten der Kirche nach dem westlichen Missouri^) zusammen und be- zeichneten diesen Bezirk als das Land, das für die Samm- lung der Heiligen erwählt und gesegnet sei.^) „Deshalb ist es das Land der Verheißung und der Ort für die Stadt Zion".*) Die Stadt Independence wird als der Zentral- punkt genannt, der Platz für den Tempel bezeichnet und den Heiligen der Rat gegeben, dort Land anzukaufen, „daß sie es für ein ewiges Erbteil erlangen möchten".^) Der so bestimmte Tempelplatz wurde am 3. August 1831 von dem Propheten Joseph Smith und seinen Mitverbun- denen im Priestertum feierlich geweiht.^) Die ganze Um- gegend wurde ebenfalls geweiht, damit sie ein Sammelplatz für das Volk Gottes sein möge.

17. Dies ist also der Glaube der Heiligen der letzten Tage und so lauten die Lehren der Kirche. Der Plan für

>) Lehre u. Bündn. 45:64 67; lies ferner die Verse 68 71.

») L. u. B. 52:2 3; siehe Anmerkung 2.

») L. u. B. 57:1— 2.

') Vers 2.

<■) Vers 4, 5.

*) Siehe Anmerkung 3.

Art. 10.] Zion. 437

den Aufbau Zions ist noch nicht vollendet worden. Den Heiligen wurde nicht gestattet, das Land, das ihnen als ewiges Besitztum verheißen worden war, sofort in Besitz zu nehmen. Wie zwischen der Zeit, wo der Herr vor alters dem Volke Israel das Land Kanaan als Erbteil verheißen hat und ihrem Einzug in das gelobte Land, Jahre verstrichen, Jahre arbeitsamer und mühevoller Vorarbeitung des Volkes auf die Zeit der Erfüllung so wird auch in diesen letzten Tagen die göttliche Absicht und der göttliche Plan noch zurückgehalten, damit sich das Volk heilige für die große Gabe und für die größere Verantwortlichkeit, die damit verknüpft ist. Inzwischen sammeln sich die, die aufrichtigen Herzens sind, in den Tälern der Felsengebir- ge; und hier auf den Höhen der Berge, ,, höher denn alle Berge", sind Tempel errichtet worden und alle Nationen fliehen nach diesem Lande. Jedoch wird Zion dereinst auf dem auserwählten Platz erbauet werden, „sie soll nicht aus ihrem Platz gecückt werden" und die Reinen im Herzen werden sicherlich zurückkehren „mit Gesängen ewiger Freude", um die öden Plätze Zions aufzubauen. i)

18. Das gesammelte Israel kann jedoch nicht auf einen einzigen ,, Zentralpunkt", oder auf die unmittelbar angrenzende Gegend beschränkt werden. Weitere Sammel- orte sind bestimmt worden und werden noch bestimmt werden, und diese werden „Pfähle Zions" genannt. 2) In den von den Heiligen bewohnten Gegenden sind viele Pfähle Zions gegründet worden, welche zu dauernden Niederlassungen ausersehen sind, und dorthin werden die, die aus den Würdigen bestimmt werden, gehen, ihr Erb- teil zu empfangen. Zion soll gezüchtigt werden, doch

>) Lehre u. Bündn. 101:17—18; siehe auch 101:43, 74, 75; 103:1, 11, 13, 15; 105:1, 2, 9, 13, 16, 34; 109:47; 136:18. ») L. u B. 101:21; siehe Seite 257.

438 Die Glaubensartikel. fVorl. XIX.

nur für eine kleine Zeit,^) und dann wird die Zeit ihrer Erlösung kommen.

19. Diese Zeit wird von Gott festgesetzt werden; sie wird aber doch auch mitbestimmt durch die Glaubens- treue seines Volkes. Des Volkes Leichtfertigkeit veranlaßte den Herrn, zuzuwarten, denn er sagt: „Deshalb, infolge der Übertretung meines Volkes, ist es ratsam, daß meine Äl- testen auf die Erlösung Zions eine kleine Zeit warten sollen. "2) Und weiter: ,,Zion soll in meiner eigens bestimm- ten Zeit erlöst werden. "3) Aber die Zeit der Segnungen des Herrn für sein Volk hängt von diesem ab. Schon im Jahre 1834 erhielt die Kirche die folgenden Worte des Herrn: ,, Wahrlich, ich sage euch, wäre es nicht der Über- tretungen meines Volkes wegen, *** so könnten sie selbst jetzt schon erlöst sein."*)

Anmerkungen.

1. Jerusalem. Die Stadt hat zu verschiedenen Zeiten verschiedene Namen geführt; selbst in der Bibel hat sie verschdedene Bezeichnungen. Salem (1. Mose 14:18), hieß sie vielleicht zu der Zeit Melchizedeks und in Psalm 76:2 wird sie bestimmt so genannt. Jesaja (29:1, 7), nennt sie Ariel. Jebus, oder Jebusi, die Stadt der Jebusiter, war ihr Name in den Tagen Josuas und der Bichter (Josua 15:8; 18:16, 28; Bichter 19:10, 11). Dieser Name blieb bis zur Zeit Davids in Gebrauch (1. Chron. 11:4, 5). Einige glaubten, Jerusalem sei selbst eine verschlechterte Form von Jebus- Salem, doch ist dies eine Annahme, die von den Tatsachen nicht unter- stützt wird. Jerusalem wird auch „Die Stadt Davids" genannt, ferner „Die Stadt Judas", „Die Heilige Stadt", „Die Stadt Gottes ', (2. Könige 14:20; 2. Chron. 25:28; Nehemia 11:18; Psalm 87:3). Heutzutage wird sie in den meisten Ländern des Ostens „el Kuds" d. i. „Die Heilige" ge- heißen. Keine Stadt der Welt hat je ehrendere Titel erhalten; selbst unser Heiland nannte sie „Die Stadt des großen Königs". Biblisches Wörter- buch, Cassell und Co. , Seite 600.

1) Lehre u. Bündn. 100:13. *) L. u. B. 105:9; auch 136:31. ») L. u. B. 136:18. *) L. u. B. 105:1—2.

Art. 10.] Anmerkungen. 439

2. Die Gründung Zions in Missouri. „*** Eine als die Colesville- Gemeinde bekannte Vereinigung von Heiligen, die frülier in Colesville, Broom County, New- York, gewohnt hatten, langten in Missouri an, und da sie Auftrag erhalten hatten, Land rings um Zion zu kaufen, sicherten sie sich ein Stück Land in einer fruchtbaren Prärie, etwa 10 12 Meilen westlich von Independense, nicht weit von der heutigen Stadt Kansas entfernt. Am 2. August (1831), am Vorabend der Weihung des Tempel- platzes, wurde in der Niederlassung der Colesville-Heiligen der erste Balken eines Hauses für die Gründung Zions gelegt. Der Balken wurde von zwölf Männern getragen, zu Ehren der zwölf Stämme Israels, und Ältester Rig- don segnete und weihte das Land Zion für die Sammlung der Heiligen." „Outlines of Ecclesiastical History", von B. H. Roberts, Seite 352.

3. Der Tempelplatz in Independence, Jackson County, Missouri. „Folgt man der Straße westwärts des Court-House, eine schwache halbe Meile, so gelangt man auf den Gipfel einer die Umgebung belierrschenden Höhe, deren Abhang nach Süden und Westen jäh abfällt, nach Norden und Osten jedoch nur ganz allmählich. *** Dies ist der Tempelplatz. Hier war es, wo am 3. August 1831 Joseph Smith, Sidney Rigdon, Edward Partridge, W. W. Phelps, Oliver Cowdery, Martin Harris, .Joseph Coe imd eine andere Person, deren Namen ich nicht erfahren konnte, (im ganzen waren es nämlich acht) Männer an denen der Herr sein Wohlgefallen hatte zusammen kamen, um diesen Ort als den Tempelplatz in Zion zu weihen. Der 78. Psalm wurde gelesen; alsdann weihte der Prophet Joseph den Ort, an dem ein Tempel erbaut werden soll, auf dem die Herrlichkeit Gottes ruhen wird. Ja, der große Gott hat es so beschlossen und gesagt: „Denn wahrlich, dieses Geschlecht soll nicht gänzlich vergehen bis dem Herrn ein Haus gebaut werden ^vird, und eine Wolke soll darauf ruhen, welche selbst die Herrlichkeit Gottes sein soll, die das Haus erfüllen wird. *** Und die Söhne Moses und auch die Söhne Aarons, sollen eine angenehme Gabe und ein Opfer darbringen im Hause des Herrn, welches Haus dem Herrn in diesem Geschlecht auf dem geheiligten Platz, den ich bestimmt habe, gebaut werden wird." (Lehre und Bündnisse 84:5, 31). Ältester B. H. Roberts, „Missouri Persecutions". Siehe „The House of the Lord", von James E. Talmage, Kap. 5.

440 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.

Vorlesung XX. Die Regierung Christi auf Erden.

Artikel 10. „Wir glauben, *** daß Christus persönlich auf der Erde regieren wird ***.

1. Das erste und das zweite Kommen Christi. Die Ge- burt Christi im Fleisch, sein dreiunddreißigjähriges Leben unter Sterblichen, seine Amtstätigkeit und sein Leben und Sterben werden ganz allgemein als erhärtete geschichtliche Tatsachen anerkannt. Nicht allein die Urkunden und die Schriften, die von der Christenheit als heilig und inspiriert betrachtet werden, zeugen von diesen Tatsachen, sondern auch die von Menschen verfaßte Geschichte, die im Gegen- satz zu jener die Weltgeschichte genannt wird, stimmt im allgemeinen mit dem biblischen Bericht überein. Selbst die, die die Lehre von der Göttlichkeit Jesu Christi ver- werfen, und solche, die ihn als Erlöser ablehnen, anerkennen die geschichtliche Tatsache seines wunderbaren Lebens und geben den unberechenbaren Einfluß seiner Lehre und seines Beispiels auf die menschliche Familie zu.

2. In der ,, Mitte der Zeiten" wurde Christus auf dieser Erde geboren, in niedrigen Verhältnissen, in der Tat im Verborgenen für alle, ausgenommen für jene getreuen Gläubigen, die des zu erwartenden Ereignisses harrten. Sein Kommen war von Anbeginn des menschlichen Da- seins durch all die Jahrhunderte hindurch verkündigt worden. Jeder Prophet Gottes hatte Zeugnis gegeben von den großen Ereignissen, die seine Geburt kennzeich- nen sollten; jedes mit seiner Geburt, seinem Leben und

Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 441

Sterben, seiner siegreichen Auferstehung und schließlichen Herrlichkeit als König, Herr und Gott verknüpfte wichtige Ereignis war vorhergesagt worden; selbst Einzelheiten und nähere Umstände wurden mit großer Genauigkeit geschildert. Juda und Israel waren ermahnt worden, sich auf das Kommen des Gesalbten^) vorzubereiten und doch als er zu den Seinen kam, nahmen sie ihn nicht auf! Verfolgt und verhöhnt schritt er den dornigen Pfad der Pfhcht, ,,ein Mensch, vertraut mit Kummer und Leid" und schließlich, verdammt von seinem Volk, das nach der Gewalt einer fremden Macht schrie, um seinen teuflischen Plan zur Vernichtung seines Herrn auszuführen, erlitt er den Tod eines Verbrechers.

3. Menschlichem Ermessen mußte es scheinen, als ob die göttliche Mission Jesu Christi zunichte gemacht, sein Werk vereitelt und die Macht der Finsternis siegreich geblieben sei. Blind, taub und verhärteten Herzens waren die, die sich sträubten, den Zweck der Mission Jesu Christi zu hören, zu sehen und zu begreifen. Ähnlich verfinstert sind die, welche die prophetischen Beweise seines zweiten Kommens verwerfen, die, die versäumen, die Zeichen der Zeit zu beachten und zu lesen, obschon sie erklären, daß dieses schreckliche und zugleich herrliche Ereignis nahe bevorsteht. Christus hat sowohl vor wie nach seinem Tode sein bestimmtes Wiedererscheinen auf der Erde prophezeit, und heute harren seine getreuen Nachfolger der Zeit der herrlichen Erfüllung. Die Flammenzeichen der Zeit stehen am Himmel und von neuem ertönt der inspirierte Ruf in seiner ganzen Gewichtigkeit: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!"

4. Das zweite Kommen Christi vorhergesagt. Die Zeichen seiner Wiederkunft beschrieben. Biblische Pro-

>) Siehe Anmerkung 1.

442 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.

phezeiungen. Die Propheten des Alten Bundes und des Buches Mormon, die in der vorchristlichen Zeit lehrten und schrieben, hatten über das zweite Kommen Christi wenig zu sagen; wenig in der Tat, wenn man es mit den zahlreichen und ausführlichen Prophezeiungen über sein erstes Kommen vergleicht. Als sie am Horizont der Zukunft spähten und mit prophetischer Kraft die Geschichte der himmlischen Sphäre lasen, ward ihr Auge von der Pracht der Mittagssonne geblendet und nur wenig sahen sie von dem herrlichen jenseitigen Licht, dessen Größe und Glanz durch die Nebel der zeitlichen Entfernung ver- schleiert waren. Einige wenige jedoch schauten seine Strahlen und zeugten davon, wie wir aus den nachstehen- den Schriftstellen ersehen können: ,, Unser Gott kommt und schweiget nicht. Freßend Feuer geht vor ihm her und um ihn her ein großes Wetter."^) Diese verzehrenden und stürmischen Umstände waren keine Begleiterscheinungen bei der Geburt des Kindes von Bethlehem.

5. Jesaja ruft aus: „Saget den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Sehet, euer Gott, der kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen. "2) Abgesehen davon, daß diese Zustände bei dem ersten Kommen Christi nicht vorhanden waren, zeigt auch der Zusammenhang der Worte des Propheten, daß er dabei die letzten Tage im Auge hatte, die Zeit der Wiederherstellung, den Tag der ,, Erlösten des Herrn" und des Triumphes Zions.^) Ferner sagt Jesaja: ,,Denn siehe, der Herr, Herr kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen. Siehe, sein Lohn ist bei ihm, und seine Vergel- tung ist vor ihm."^)

>) Psalm 50:3. =) Jesaja 35:4. ') Verse 5 10. ♦) Jesaja 40:10.

Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 443

6. Der Prophet Henoch, der zwanzig Jahrhunderte vor denen lebte, deren Worte oben angeführt sind, sprach mit großer Kraft über denselben Gegenstand. Seine Be- lehrungen erscheinen in der Bibel nicht unter seinem eige- nen Namen, obschon Judas, ein neutestamenthcher Ver- fasser, sie anführt. 1) Aus dem Buch Moses in der , .Köst- lichen Perle" erfahren wir über die dem Propheten Henoch gegebenen Offenbarungen folgendes: „Und der Herr sagte zu Henoch : so wahr ich lebe, ebenso werde ich in den letz- ten Tagen kommen; in den Tagen der Gottlosigkeit und Rache, um den Eid zu erfüllen, den ich dir inbetreff der Kinder Noahs gegeben habe. "2)

7. Jesus belehrte seine Jünger, daß seine Mission im Fleische nur von kurzer Dauer sein könne, daß er jedoch nochmals zur Erde kommen werde. Wir sehen, wie ihn die Jünger in folgender Weise fragten: ,,Sage uns, wann wird das geschehen? Und welches wird das Zeichen sein deiner Zukunft und des Endes der Welt?"^) In seiner Ant- wort auf diese Frage zählte der Herr viele von den Zeichen der letzten Tage auf; als das letzte und größte davon er- wähnte er das folgende: ,,Und es wird gepredigt werden das Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zu einem Zeugnis über alle Völker, und dann wird das Ende kom- men."^) Mit großer Deutlichkeit sprach er von der Verderbt- heit, in welcher die Menschheit beharrt hatte, selbst bis an den Vorabend der Sintflut und bis auf den Tag der schreck- lichen Zerstörung der Städte Sodom und Gomorra und fügte dann hinzu: „Auf diese Weise wirds auch gehen an dem Tag, wenn des Menschen Sohn soll offenbart werden."^)

') Judas 14—15.

") Köstl. Perle, Moses 7:

=) Matthäus 24:3.

') Vers 14.

') Lukas 17:26—30.

444 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.

8. Eine weitere Prophezeiung unseres Herrn über sein zweites Kommen lautet wie folgt. Seine Aufzählung der Zeichen, durch die das Herannahen des Ereignisses erkannt werden kann, ist so bedeutungsvoll, daß wir die Beschrei- bung im Wortlaut lesen sollten: ,,Sie (die Jünger) fragten ihn aber und sprachen: Meister, wann soll das werden? und welches ist das Zeichen, wann das geschehen wird? Er aber sprach: Sehet zu, lasset euch nicht verführen. Denn viele werden kommen in meinem Namen und sagen, ich sei es, und: die Zeit ist herbeigekommen. Folget ihnen nicht nach ! Wenn ihr aber hören werdet von Kriegen und Empörungen, so entsetzet euch nicht. Denn solches muß zuvor geschehen; aber das Ende ist noch nicht so bald da. Da sprach er zu ihnen: Ein Volk wird sich erheben wider das andere und ein Reich wider das andere, und es werden geschehen große Erdbeben hin und wieder, teure Zeit und Pestilenz; auch werden Schrecknisse und große Zeichen vom Himmel geschehen. Aber vor diesem allem werden sie die Hände an euch legen und euch verfolgen und werden euch überantworten in ihre Schulen und Ge- fängnisse und vor Könige und Fürsten ziehen um meines Namens willen. Das wird aber euch widerfahren zu einem Zeugnis. So nehmet nun zu Herzen, daß ihr nicht sorget, wie ihr euch verantworten sollt. Denn ich will euch Mund und Weisheit geben, welcher nicht sollen widersprechen können noch widerstehen alle eure Widersacher. Ihr wer- det aber überantwortet werden von den Eltern, Brüdern, Gefreunden und Freunden; und sie werden euer etliche töten. Und ihr werdet gehaßt sein von jedermann um mei- nes Namens willen. *** Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen ; und auf Erden wird den Leuten bange sein, und sie werden zagen, und das Meer und die Wasserwogen werden brausen, und die Menschen werden verschmachten vor Furcht und vor Warten der

ä

Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 445

Dinge, die kommen sollen auf Erden ; denn auch der Him- mel Kräfte werden sich bewegen. Und alsdann werden sie sehen des Menschen Sohn kommen in der Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu ge- schehen, so sehet auf und erhebet eure Häupter, darum daß sich eure Erlösung naht."^)

9. Ferner sagt der Herr mit warnender Stimme: „Wer sich aber mein und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, des wird sich auch des Menschen Sohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen En- geln."2)

10. Als die Jünger bei der Himmelfahrt Christi stan- den und zum Himmel hinaufsahen, wo eine Wolke ihren auferstandenen Herrn verborgen hatte, bemerkten sie zwei himmlische Boten, die zu ihnen sagten: „Ihr Männer von Galiläa, was stehet ihr und seht gen Himmel? Dieser Jesus, welcher von euch ist aufgenommen gen Himmel, wird kommen, wie ihr ihn gesehen habt gen Himmel fah- ren."3) Paulus belehrte die Gemeinden über das zweite Kommen Christi und schilderte die Herrlichkeit seiner Wiederkunft.^) Das gleiche taten auch die andern Apostel.^)

11. Unter den im Buche Mormon enthaltenen Prophe- zeiungen über denselben Gegenstand finden wir Christi eigene Belehrungen zu einer Zeit, als er in auferstandenem Zustand unter den Nephiten wirkte. Er erklärte der ver- sammelten Menge viele Dinge ,, sogar von Anfang an bis zu der Zeit, wo er in seiner Herrlichkeit kommen werde." 6)

») Lukas 21:7 28; siehe auch Markus 13:14 26, Offenbarung Joh. 6:12—17.

») Markus 8:38.

') Apostelgeschichte 1:11.

') 1. Thessalonicher 4:16; 2. Thessal. 1 : 7 8; Hebräer 9:28.

M I.Petrus 4:13; 1. Johannes 2:28; 3:2.

•) 3. Nephi 26:3.

446 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.

Als er den drei Jüngern ihren Herzenswunsch erfüllte, nämlich, daß sie im Fleische erhalten bleiben sollten, um ihr Lehramt fortzusetzen, sagte er zu ihnen: „Denn ihr sollt * * * leben, um alle Werke des Vaters mit den Men- schenkindern zu sehen, selbst bis alle Dinge nach dem Willen des Vaters erfüllt sein werden, wenn ich in meiner Herrlichkeit komme, mit den Kräften des Himmels. "i)

12. Das Wort der neuzeitlichen Offenbarung über die sichere Wiederkunft des Erlösers lautet nicht weniger bestimmt. Dienern des Herrn, die einen besondern Auftrag erhalten hatten, wurden Belehrungen gegeben in folgen- dem Sinne: „Darum seid getreu, betet ohne Unterlaß, habt eure Lampen geschmückt und angezündet und Öl mit euch,2) damit ihr bereit seiet, wenn der Bräutigam kommt. Denn siehe, wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ich komme schnell. "3) Ferner wurde die folgende Offenba- rung gegeben ; „Du bist berufen * * * deine Stimme lang und laut wie mit einem Posaunenschall zu erheben und einem verkehrten und verstockten Geschlecht Buße zuzurufen, damit der Weg des Herrn für seine Ankunft bereitet werde. Denn siehe, wahrlich, wahrlich, ich sage dir, die Zeit ist nahe herbeigekommen, wann ich in einer Wolke mit Macht und großer Herrlichkeit erscheinen werde. "^)

13. In einer Offenbarung, gegeben am 7. März 1831 an das Volk der Kirche, spricht der Herr von den Zeichen seiner Wiederkunft und ermahnt zum Fleiß und zur Wachsamkeit. Beachten wir seine Worte: ,,Ihr sehet die Feigenbäume mit euern Augen, und wenn sie anfangen auszuschlagen und ihre Blätter noch zart sind, saget ihr, daß der Sommer nahe bei der Hand ist. Gerade so soll es an

1) 3. Nephi 28:7; siehe auch Vers 8.

») Eine Anspielung auf das Gleichnis von den zehn Jungfrauen ; siehe Matth. 25:1— 13.

=) Lehre u. Bündn. 33:17 18. *) L. u. B. 34:6—7.

Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 447

jenem Tage sein, wann sie alle diese Dinge sehen werden; dann sollen sie wissen, daß die Stunde nahe ist. Und es soll geschehen, daß wer mich fürchtet, auf den großen Tag des Herrn warten wird, nämlich auf die Zeichen der Ankunft des Menschensohnes. Und sie sollen Zeichen und Wunder sehen, welche sich oben am Himmel und unten auf der Erde kundtun werden, und sie sollen Blut, Feuer und Rauchdampf erblicken. Ja, ehe der Tag des Herrn kommt, wird die Sonne verfinstert werden, der Mond wird sich in Blut verwandeln und Sterne werden vom Himmel fallen. Zu der Zeit soll der Überrest an diesem Ort ver- sammelt werden; und dann mögen sie mich erwarten, denn siehe, ich werde kommen und man wird mich in den Wol- ken des Himmels sehen, angetan mit Macht und Herrlich- keit, mit allen heiligen Engeln. Wer mich aber nicht er- wartet, der soll abgeschnitten werden. "i)

14. Das ganz bestimmte Merkmal der neuzeitlichen Offenbarungen über das zweite Kommen unseres Herrn ist die nachdrücklich betonte und oft wiederholte Ver- sicherung, daß das Ereignis nahe vor der Tür stehe.^) Der Warnungsruf lautet: ,, Bereitet euch, bereitet euch auf das was da kommen soll, denn der Herr ist nahe!" An Stelle des Rufes eines einzelnen Mannes in der Wüste zu Judäa hört man heute die Stimme von Tausenden, die mit Vollmacht die Völker warnen und sie auffordern, Buße zu tun und zu ihrer Sicherheit nach Zion zu fliehen. Die Blätter des Feigenbaumes schlagen aus; die Zeichen am Himmel und auf Erden mehren sich: sicherlich ist der große und schreckliche Tag des Herrn nahe!

15. Die genaue Zeit des zweiten Kommens Christi ist den Menschen nicht bekanntgegeben worden, aber indem

>) Lehre u. Bündn. 45:37 44; siehe auch Verse 74 und 75. *) Siehe die zahlreichen Hinweisungen in Verbindung mit L. Abscim. 1.

448 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.

wir die Zeichen der Zeit verstehen lernen, die Entwick- lung des Werkes Gottes unter den Völkern der Erde verfolgen, und die rasche Erfüllung der bezeichnenden Prophezeiungen beobachten, können wir die fortschrei- tende Klarheit des herannahenden Ereignisses wahr- nehmen, ,,aber die Stunde und den Tag weiß kein Mensch, auch nicht die Engel im Himmel, noch sollen sie es wissen, bis daß er kommt. "i) Sein Kommen wird eine Überraschung sein für alle, die seine Warnungen ver- worfen und es unterlassen haben, zu wachen. Für die Bösen wird das Kommen des Tages des Herrn sein wie „ein Dieb in der Nacht". 2) ,, Darum wachet; denn ihr wisset weder Tag noch Stunde, in welcher des Menschen Sohn kommen wird. "3)

16. Die Regierung Christi. Das Reich Gottes. Wir ha- ben gesehen, daß dem Wort heiliger Propheten gemäß, alter wie neuzeitlicher, Christus im buchstäblichen Sinne des Wortes kommen und sich so in den letzten Tagen in Person kundtun wird. Er wird unter seinen Heiligen wohnen: ,,Ja, ich will selbst mitten unter euch sein",^) erklärte er dem Volk auf dem amerikanischen Kontinent, als er ihm versprach, es in dem Lande des Neuen Jerusalems aufrichten zu wollen. Ähnliche Versicherungen wurden durch die Propheten des Ostens^) gegeben. Während dieses zukünf- tigen Wirkens unter seinen versammelten Heiligen wird Christus zugleich ihr Gott und ihr König sein. Seine Re- gierung soll eine vollkommene Theokratie werden; die Gesetze der Gerechtigkeit sind dann das Gesetzbuch und

') Lehre u. Bündn. 49:7. ») 2. Petrus 3:10; 1. Thessalonischer 5:2.

') Matthäus 25:13; siehe auch 24:42, 44; Markus 13:33, 35; Lukas 12:40.

♦) 3. Nephi 20:22; siehe auch 21:25.

') Hesekiel 37:26—27; Sacharja 2:10—11; 8:3; 2. Korinther 6:16.

Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 449

die Aufsicht wird von einer Autorität ausgeübt, die nicht bestritten wird, weil sie unbestreitbar ist.

17. Die Heiligen Schriften sind angefüllt mit Darle- gungen, daß der Herr dereinst über sein Volk regieren wird. Zu diesem Ende sang Mose vor den Scharen Israels nach ihrem wunderbaren Durchgang durch das Rote Meer: „Der Herr wird König sein immer und ewig".i) Und von dem Psalmisten ertönt das Echo: ,,Der Herr ist König immer und ewig". 2) Jeremia nennt ihn einen „ewigen König, vor dessen Zorn die Erde bebt und dessen Dro- hungen die Heiden nicht ertragen können. "3) Nebukad- nezar, durch sein trauriges Schicksal gedemütigt, freute sich, den König des Himmels ehren zu dürfen und rief aus : „Und sein Reich, ist ein ewiges Reich, und seine Herr- schaft währet für und für".*)

18. Selbst das auserwählte Volk Israel war nicht immer willig, Gott als seinen König anzuerkennen. Er- innern wir uns, wie sie den gesalbten Propheten und Rich- ter Samuel zurückwiesen, weil er ,,zu alt" sei eine armselige Ausrede, denn der ,,älte Mann" wirkte noch mit Macht unter ihnen 35 Jahre über diesen Zeitpunkt hinaus und wie sie nach einem König riefen, der über sie herrschen solle, daß sie wären wie andere Völker.*) Beach- ten wir sodann die eindrucksvollen Worte, mit denen der Herr das Gebet Samuels beantwortet und ferner, mit wel- cher Betrübnis er dem Wunsche des Volkes willfahrt: „Gehorche der Stimme des Volks in allem, was sie zu dir gesagt haben; denn sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, daß ich nicht soll König über sie sein."^) Aber

') 2. Mose 15:18.

=) Psalm 10:16; siehe auch 29:10; 145:13; 146:10.

») Jeremia 10:10.

') Daniel 3:33; siehe 4:31.

') 1. Samuel 8:5.

•) Vers 7; siehe auch 10:19; Hosea 13:10 11.

450 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.

der Herr wird nicht für immer von seinem Volke verwor- fen werden. Zu der bestimmten Zeit wird er mit Macht und großer Herrlichkeit kommen und seine rechtmäßige Stellung als bevollmächtigter König der Erde einnehmen.

19. Daniel legte den Traum Nebukadnezars aus und sprach von den vielen Königreichen und Teilen von Königreichen, die entstehen sollten und fügte hinzu: „Aber zur Zeit solcher Königreiche wird der Gott des Him- mels ein Königreich aufrichten, das nimmermehr zerstöret wird ; und sein Königreich wird auf kein ander Volk kom- men. Es wird alle diese Königreiche zermalmen und ver- stören; aber es wird ewiglich bleiben. "i) Über den Umfang des zu gründenden Königreiches erklärte der gleiche Pro- phet: „Aber das Reich, Gewalt und Macht unter dem ganzen Himmel wird dem heiligen Volk des Höchsten ge- geben werden, des Reich ewig ist, und alle Gewalt wird ihm dienen und gehorchen. "2)

20. Micha spricht von der Wiederherstellung Judas und Israels in den letzten Tagen und prophezeit: „Der Herr wird König über sie sein auf dem Berge Zion von nun an bis in Ewigkeit. "3) In seiner Verkündigung zu Maria sagt der Engel von dem noch nicht geborenen Christus: „Er wird ein König sein über das Haus Jakob ewiglich, und seines Königreichs wird kein Ende sein."^) In seinem Gesicht auf der Insel Patmos sah der Offenbarer Johannes die glorreiche Vollendung und allgemeine Anerkennung dieses ewigen Königs: ,,Und der siebte Engel posaunte: und es wurden große Stimmen im Himmel, die sprachen: Es sind die Reiche der Welt unseres Herrn und seines Christus geworden, und er wird regieren von Ewigkeit zu

M Daniel 2:44.

') Daniel 7:27.

') Micha 4:7; siehe auch Jesaja 24:23.

*) Lukas 1:33.

Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 451

Ewigkeit."^) Auch die neuzeitlichen Offenbarungen sind reich an Beweisen für die herannahende Herrlichkeit der Gerechtigkeit mit Christus als König. So lesen wir: ,,Der Herr aber wird über seine Heiligen Macht haben und wird in ihrer Mitte regieren. "2) „Denn in der von mir bestimmten Zeit werde ich über die Erde im Gerichte kommen, mein Volk aber wird erlöst werden und mit mir auf Erden regieren."^)

21. Das Reich Gottes und die Kirche. Im Evan- gelium Matthäus erscheint häufig der Ausdruck „das Himmelreich", währenddem in den Büchern der andern Evangelisten und in den apostolischen Briefen der Aus- druck „das Reich Gottes", ,,das Reich Christi" oder einfach „das Reich" vorkommt. Es ist klar, daß diese verschie- denen Ausdrücke unterschiedslos gebraucht werden kön- nen, ohne daß dadurch die wahre Bedeutung beeinträch- tigt würde. Der Ausdruck „Reich" wird jedoch in mehr als in einem Sinn gebraucht. Eine sorgfältige Beachtung des jeweiligen Zusammenhangs im Text kann notwendig werden, wenn man die Absicht des Verfassers richtig ver- stehen will. Die zwei häufigsten Anwendungen sind: 1. ein Ausdruck, der gleichbedeutend ist mit „die Kirche", und der sich auf die Nachfolger Christi bezieht, ohne Un- terscheidung hinsichtlich ihrer geistigen oder zeitlichen Organisation, 2. die Bezeichnung des buchstäblichen Kö- nigreiches, über das Christus in den letzten Tagen auf Er- den regieren wird.

22. Wenn wir das Reich in dem letzten und mehr all- gemeinen Sinne betrachten, so muß die Kirche als ein Teil desselben angesehen werden. Sie ist in der Tat ein wich- tiger Bestandteil davon, denn sie ist der Keim, aus dem sich

1) Offenbarung Joh. 11:15.

2) Lehren. Bündn. 1:36. =) L. u. B. 43:29; 84:119.

452 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.

das Reich entwickelt, und das eigentliche Herz der voll- endeten Organisation. Die Kirche hat bestanden, und besteht auch heute, in organisierter Form ohne das Reich als eine sichtbar vorhandene Macht mit irdischer Maght- befugnis in der Welt; das Reich Gottes jedoch kann ohne die Kirche nicht aufrecht erhalten bleiben.

23. In den neuzeitlichen Offenbarungen werden die Ausdrücke ,, Reich Gottes" und ,, Himmelreich" manchmal in bestimmtem, besonderm Sinne gebraucht, wobei die erste Bezeichnung auf die Kirche und die andere auf das tatsächliche Königreich angewandt wird, welches alle jetzt bestehenden nationalen Reiche überschatten und in sich vereinigen wird. In diesem Sinne ist das Reich Gottes in diesen letzten Tagen bereits aufgerichtet worden. Sein Anfang in und für diese gegenwärtige Dispensation bestand darin, daß die Kirche auf ihrer bleibenden und auf der Grundlage der letzten Tage errichtet worden ist. Dies stimmt überein mit unserer Ansicht von der Kirche als lebenswichtiger Teil des Reiches im allgemeinen. Die Kräfte und die Vollmachten, die der Kirche übergeben worden sind, sind somit die Schlüssel des Reiches. Diese Bedeutung kommt auch in der folgenden Offenbarung an die Kirche klar zum Ausdruck: „Die Schlüssel des Himmelreichs sind Menschen auf Erden übergeben worden, und von da soll das Evangelium bis an die Enden der Erde ausgehen, wie der Stein, der ohne Hände^) vom Berge losgerißen wurde, herabrollen wird, bis er die ganze Erde erfüllt hat. * * * Rufet den Herrn an, daß sein Reich über die Erde ausgehen möge, und daß deren Bewohner es em- pfangen und auf den künftigen Tag vorbereitet werden, wo des Menschen Sohn vom Himmel herniederkommen wird, angetan mit dem Glanz seiner Herrlichkeit, um dem Reiche

') Hinweis auf die Auslegung, die Daniel dem Traiune Nebukadnezars gab; siehe Daniel 2:34, 44.

Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 453

Gottes, das auf Erden errichtet ist, entgegenzukommen. Darum möge das Reich Gottes ausgehen, daß das Himmel- reich komme, und du, o Gott, im Himmel wie auch auf Er- den verherrlichet werdest, und deine Feinde dir Untertan gemacht werden ; denn dein ist die Ehre, Macht und Herr- lichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen."^)

24. Bei seiner glorreichen Wiederkunft wird Christus von den Scharen der Gerechten begleitet werden, die schon vorher von der Erde abgeschieden sind. Und die Heiligen, die dann noch auf Erden leben werden, sollen verwandelt und aufgehoben werden, ihm zu begegnen und mit ihm herabzusteigen als Teilnehmer an seiner Herrlichkeit. 2) Ferner werden mit ihm kommen Henoch und seine Ge- meinde der Reinen im Herzen. 3) Dann wird eine Ver- einigung zustande kommen mit dem Reich Gottes, oder mit dem Teil des Himmelreichs, der zuvor als Kirche Jesu Christi auf Erden gegründet worden war. So wird das Reich auf Erden eins sein mit dem des Himmels. Als- dann wird des Herrn eigenes Gebet, das er allen denen, die zu Gott beten, als Muster gab, völlig verwirklicht wer- den: „Dein Reich komme, dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel."*)

25. Die oft besprochene Frage: Ist das Reich Gottes schon auf Erden, oder sollen wir auf seine Errichtung war- ten bis zur Zeit des zweiten Kommens Christi, des Königs? kann bejaht oder auch verneint werden, je nach dem Sinn, in welchem der Ausdruck „Reich" aufgefaßt wird. Das Reich Gottes, das gleichbedeutend ist mit der Kirche Christi, ist sicherlich schon aufgerichtet worden. Seine Geschichte ist diejenige der Kirche in den letzten Tagen,

') Lehre u. Bündn. 65:2, 5 6. ») L. u. B. 88:91—98. ') Siehe Seite 429, 434, 435. •) Matthäus 6:10; Lukas 11:2.

454 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.

seine Beamten haben einen göttlichen Auftrag, ihre Voll- macht ist die des heiligen Priestertums. Sie nehmen für sich eine Vollmacht in Anspruch, die geistig ist, gleichzeitig ist sie aber auch zeitlich : soweit es sich um die Mitglieder der kirchlichen Körperschaft handelt, d. h. der Kirche oder des Reiches Gottes, wie man es nennen mag; sie ver- suchen nicht, und beanspruchen auch nicht, die Rechte bestehender weltlicher Regierungen einzuschränken, an- zugreifen, oder ihnen in irgend einer Weise entgegenzu- treten, geschweige denn, Nationen zu unterdrücken oder eine Nebenregierung und ein ihnen eifersüchtiges System der weltlichen Herrschaft und Aufsicht einzusetzen. Das Himmelreich, das die Kirche in sich schließt, und das alle Nationen umfaßt, wird mit Macht und großer Herrlichkeit aufgerichtet werden, wenn der triumphierende König mit seinem himmlischen Gefolge erscheint, um persönlich zu regieren auf der Erde, die er mit dem Opfer seines ei- genen Lebens erlöst hat,

26. Wie wir gesehen haben, umfaßt das Himmelreich mehr als die Kirche. Den ehrbaren und rechtschaffenen unter den Menschen wird Schutz gewährt werden und ferner alle die Vorrechte des Bürgerrechts unter dem vollkommenen Regierungssystem, das von Jesus Christus selbst gehand- habt werden wird ; und zwar wird dies ihr glückliches Los sein, ob sie nun tatsächlich Mitglieder der Kirche sind oder nicht, Gesetzesübertreter und Menschen mit unreinen Herzen werden ihrer Sünde gemäß von den Gerichten der Zerstörung betroffen werden. Diejenigen aber, die in Übereinstimmung mit der Wahrheit leben, wie sie sie an- zunehmen und zu begreifen fähig waren, werden sich der vollkommensten Freiheit erfreuen, unter dem gütigen, wohltuenden und heilsamen Einfluß einer vollkommenen Regierung. Die besondern Vorrechte und Segnungen, die mit der Kirche verknüpft sind, das Recht, das Priestertum

Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 455

ZU halten, und es auszuüben mit seinen unbegrenzten Möglichkeiten und ewigen Mächten, werden wie heute so auch dereinst nur für diejenigen sein, die in den Bund eintreten und einen Teil der Kirche des Erlösers aus- machen werden.

27. Das Millennium. (Das Tausendjährige Reich.) In Verbindung mit den biblischen Angaben über die Regie- rung Christi auf Erden wird oft ein Zeitraum von tausend Jahren erwähnt. Wenn wir diese auch nicht als eine Zeit- grenze für das Bestehen seines Königreiches ansehen kön- nen, oder als einen Maßstab für die Dauer seiner Herrschaft und Macht auf Erden, so sind wir doch zu dem Glauben berechtigt, daß die tausend Jahre, die unmittelbar auf die Gründung des Reiches folgen, in ganz besonderer Weise gekennzeichnet werden sollen, sodaß sie sowohl von der vorhergehenden als auch von der nachfolgenden Zeit bestimmt unterschieden werden. Die Sammlung Israels und die Gründung eines irdischen Zions sollen als Vorbe- reitungen seines zweiten Kommens erfolgen. Seine An- kunft soll gekennzeichnet werden durch eine vorausgehende Vernichtung der Bösen und die Eröffnung eines Zeitalters des Friedens. Johannes der Offenbarer sah die Seelen der Märtyrer und anderer gerechter Menschen, wie sie in Macht und Herrlichkeit mit Christus lebten und regierten tausend Jahre. 1) Zu Beginn dieses Zeitalters soll Satan ge- bunden werden, „daß er nicht mehr verführen sollte die Heiden, bis daß vollendet würden tausend Jahre. "2) Ein gewisser Teil der Toten soll nicht wieder lebendig werden bis daß die tausend Jahre vorüber sind,^) währenddem die Gerechten „Priester Gottes und Christi sein und mit ihm regieren werden tausend Jahre."*) Unter den ältesten

1) Offenbarung Joh. 20:4; siehe auch Vers 6. ») Offenbarung Joh. 20:2—3. =■) Vers 5. ♦) Vers 6.

456 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.

Offenbarungen über das Millennium findet sich diejenige, die dem Henoch gegeben wurde: „Und es geschah, daß Henoch den Tag der Wiederkunft des Menschensohnes in den letzten Tagen sah, um für die Dauer von eintausend Jahren in Gerechtigkeit auf der Erde zu wohnen, "i)

28. Es ist klar, daß es sich beim Millennium um einen ganz bestimmten Zeitraum handelt, dessen Anfang und dessen Ende wichtige Ereignisse aufweisen und durch des- sen ganzen Verlauf ein Zustand ungewöhnlicher Segnungen herrschen wird. Es wird ein sabbatliches Zeitalter sein^) eintausend Jahre des Friedens. Die Feindschaft zwischen Mensch und Tier soll aufhören, die Wildheit und das Gift der tierischen Schöpfung weggenommen werden^) und die Liebe soll die Herrschaft führen.^) Ein ganz neuer Zustand der Dinge wird geschaffen werden, wie es der Herr in sei- nem Wort an Jesaja angekündigt hat: „Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, daß man der vorigen nicht mehr gedenken wird noch sie zu Herzen nehmen".^)

29. Über den Zustand des Friedens, des Gedeihens und der Dauer des menschlichen Lebens, welcher diesem Zeitraum eigen sein wird, lesen wir: „Es sollen nicht mehr dasein Kinder, die nur etliche Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen; sondern die Knaben sollen hun- dert Jahre alt sterben und die Sünder hundert Jahre alt verflucht werden. Sie werden Häuser bauen und bewoh- nen; sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Sie sollen nicht bauen, was ein andrer bewohne, und nicht pflanzen, was ein andrer esse. Denn die Tage

') Köstl. Perle, Moses 7:65.

') Siehe Anmerkung 2.

') Jesaja 11:9; 65:25.

*) Siehe Anmerkung 3 und 4.

') Jesaja 65:17.

Art. 10.] Die Regierung Christi auf Erden. 457

meines Volkes werden sein wie die Tage eines Baumes; und das Werk ihrer Hände wird alt werden bei meinen Auserwählten. Sie sollen nicht umsonst arbeiten noch unzeitige Geburt gebären ; denn sie sind der Same der Ge- segneten des Herrn und ihre Nachkommen mit ihnen. Und es soll geschehen, ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören. Wolf und Lamm sollen weiden zugleich, der Löwe wird Stroh essen wie ein Rind, und die Schlange soll Erde essen. Sie werden nicht schaden noch verderben auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der Herr."^)

30. Daß auch heute wiederum die Stimme des Herrn zu hören ist, welche die gleichen prophetischen Wahr- heiten verkündigt, geht aus den, der Kirche in der jetzigen Dispensation gegebenen Offenbarungen hervor, in denen das Millennium erwähnt wird. 2) Im Jahre 1831 richtete der Herr sein Wort an die Ältesten seiner Kirche und sagte: „Denn das große Tausendjährige Reich, von dem ich durch den Mund meiner Diener gesprochen habe, wird kommen. Und Satan wird gebunden werden, darnach wird er wieder frei werden und eine kleine Weile wieder Gewalt haben, dann aber kommt das Ende der Erde. "3) Bei einer andern Gelegenheit wurden die folgenden Worte gesprochen : „Denn ich will mich mit Macht und großer Herrlichkeit vom Himmel mit allen meinen Heerscharen offenbaren und in Gerechtigkeit mit den Menschen auf Erden tausend Jahre wohnen, und die Gottlosen sollen nicht bestehen. *** Und wiederum, wahrlich, wahrlich, ich sage euch, wenn die tausend Jahre beendigt sind und die Menschen wieder anfangen werden, Gott zu leugnen, dann werde ich

') Jesaja 65:20—25.

') Lehre u. Bündn. 63:49—51.

») L. u. B. 43:30—31.

458 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.

die Erde nur eine kurze Zeit verschonen: das Ende wird kommen. "1)

31. Das Millennium soll also den Ereignissen voran- gehen, die in der biblischen Ausdrucksweise als das „Ende der Welt" dargestellt sind. Während jenes Zeitalters werden alle Verhältnisse und Zustände der Gerechtigkeit zugeneigt sein. Die Macht Satans wird zurückgehalten werden und die Menschen, bis zu einem gewissen Grad von der Versuchung erlöst, werden eifrig im Dienste ihres re- gierenden Herrn wirken. Aber trotzdem wird die Sünde nicht gänzlich ausgeschaltet, noch wird der Tod endgültig verbannt sein, obschon die Kinder leben werden bis sie ihre Reife im Fleisch erreicht haben, und dann „in einem Augen- blick" in den Zustand der Unsterblichkeit verwandelt werden mögen. 2) Sterbliche und unsterbliche Wesen werden die Erde bewohnen und die Gemeinschaft mit den himmlischen Mächten wird allgemein sein. Die Heiligen der letzten Tage glauben, daß sie während dieses Zeitalters das Vorrecht genießen dürfen, das stellvertretende Werk für die Toten fortzuführen, das einen so wichtigen und aus- geprägten Bestandteil ihrer Pflichten darstellt,^) und daß ferner die Leichtigkeit des unmittelbaren Verkehrs mit den himmlischen Mächten sie instand setzen wird, dieser Liebes- arbeit ohne Hindernis obzuliegen. Sind diese tausend Jahre vorüber, dann wird Satan seine Macht wieder be- anspruchen und die, die alsdann nicht zu den Reinen im Herzen zählen, werden seinem Einfluß erliegen. Aber die auf solche Weise von dem „Fürsten, der in der Luft herr- schet" wiedererlangte Freiheit wird nur von kurzer Dauer sein. Rasch wird sein endgültiges Schicksal über ihn hereinbrechen und mit ihm werden alle diejenigen, die sein

') Lehre u. Bündn. 29:11, 22—23. ') L. u. B. 63:50—51. ») Siehe Seite 178—191.

Art. 10.] Anmerkungen. 459

eigen sind, der Strafe verfallen, welche endlos ist. Dann wird die Erde in ihren himmlischen Zustand übergehen und zu einem geeigneten Wohnplatz für die verherrlich- ten Söhne und Töchter unseres Gottes werden.

Anmerkungen.

1. Der Gesalbte. Der offizielle Name des Erlösers der Menschheit ist „Christus", während „Jesus", oder auf hebräisch Josua, „Heiland", sein natürlicher Name ist. Christus heißt „der Gesalbte ', von ,,chrio", salben. In früheren Dispensationen wurden Priester, Könige und Propheten in der Weise in ihr Amt eingesetzt, daß ihr Haupt mit geheiligtem Öl ge- salbt wurde. Die Verordnung wurde von dem anerkannten Diener Jehovahs ausgeführt und war ein äußeres Zeichen dafür, daß ihre Einsetzung in das Amt direkt auf Gott selbst zurückzuführen war, als der Quelle aller Voll- macht, da er, wenigstens im alten Bund, in besonderer Weise auch der Herrscher über sein Volk war. Das öl, das bei der Weihung der Priester und bei der Salbung des Tabernakels und heiliger Gefäße verwendet wurde, war eine besondere Zubereitung aus Myrrhen, Zimt, Kalmus, und Kassia (2. Moses 30:23 25). Den Juden wurde unter Todesstrafe ver- boten, diese Zubereitung für den Körper zu gebrauchen, oder sie auch nur nachzumachen. Sie war ohne Zweifel dazu bestimmt, die Gaben und Kräfte des Heiligen Geistes zu versinnbildlichen." Cassels Biblisches Wörter- buch, Seite 257.

2. Das siebt© Jahrtausend. „Wie bei den Israeliten jedes siebte Jahr ein Freijalir war, so soll auch das siebte Jahrtausend der Welt ein Sabbattag sein." Faussetts Bible Cyclopedia, Seite 685. „Darum ist noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes" oder wie es in andern Übersetzungen für „Ruhe" heißt: das „Halten eines Sabbattages." Hebräer 4:9.

3. Der Friede des Tausendjährigen Reichs. „Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen und die Parder bei den Böcken liegen. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden auf der Weide gehen, daß ihre Jungen bei einander liegen; und Löwen werden Stroh essen wie die Ochsen. Und ein Säugling wird seine Lust haben am Loch der Otter, und ein Entwöhnter wird seine Hand stecken in die Höhle des Basilisken. Man wird nirgend Schaden tim noch verderben auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt." (Jesaja 11:6 9; siehe auch 65:25.)

460 Die Glaubensartikel. [Vorl. XX.

4, Die Erde vor, nährend und nach dem Tausendjährigen Reich.

Von drei verschiedenen Zuständen der Erde vrird in den heiligen Schriften gesprochen: dem gegenwärtigen, in welchem jedes und alles was zu ihr gehört durch eine Veränderung gehen muß, die wir Tod nennen, dann der Zustfind der Erde im Tausendjährigen Reich, in welchem sie geheiligt sein wird als ein Wohnplatz reinerer Intelligenzen, von denen ein Teil sterblich imd ein Teil unsterblich sein wird, imd schließlich der himmlische Zustand, von dem im 21. und 22. Kapitel der Offenbarung Johannes gesprochen wird, und der ein Zustand des ewigen Lebens sein \\-ird." „Compendium", von den .\ltesten F. D. Richards imd James A. I.ittle, S. 202.

Die Erneuerung der Erde. 461

Vorlesung XXI. Erneuerung und Auferstehung.

Artikel 10. Wir glauben * * * daß die Erde erneuert werden und ihre paradiesische Herrlichkeit erhalten wird.

Die Erneuerung der Erde.

1. Die Erde unter dem Fluch. Die gesegneten Zustände, die auf der Erde herrschen und unter welchen die Menschen während des tausendjährigen Zeitraumes leben werden, sind so verschieden von allem, was uns die Weltgeschichte lehrt und was uns unsere tägliche Erfahrung bestätigt, daß sie die Kraft des menschlichen Begreifens beinahe übersteigen. Eine sich über die ganze Erde erstreckende Herrschaft der Gerechtigkeit ist dem gefallenen Menschen- geschlecht bis auf den heutigen Tag unbekannt geblieben. So ausgeprägt ist der weltweite Fluch gewesen, so groß die Macht des Versuchers, so erbittert der selbstsüchtige, gottlose Kampf zwischen Mensch und Mensch und zwischen Volk und Volk, so allgemein die Feindschaft der tie- rischen Schöpfung, sowohl unter sich wie gegenüber dem Wesen, welches, obschon in einem gefallenen Zustande, doch immer noch kraft göttlichen Auftrages das Recht zur Herrschaft über das Tierreich inne hatte, so ergiebig war der Erdboden im Hervorbringen von Dornen, Disteln und giftigem Unkraut, daß uns die Schilderung des Gar- tens Eden wie eine Geschichte aus einer andern Welt anmutet, aus einer Sphäre, die auf einer viel höhern Da- seinsstufe steht, gar nicht zu vergleichen mit unserm trau- rigen Zustande. Und doch erfahren wir, daß Eden in der

462 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.

Tat ein charakteristisches Merkmal unseres eigenen Pla- neten war und daß die Erde dazu bestimmt ist, ein himm- lischer Wohnplatz zu werden geeignet zum Aufent- haltsort für die höchsten Intelligenzen. Bei all seiner Pracht stellt das Millennium doch nur eine weiter vorge- schrittene Stufe der Vorbereitung dar, durch welche die Erde und ihre Bewohner der vorherbestimmten Vollkom- menheit entgegengehen.

2. Die Erneuerung der Erde. Der Ausdruck „Erneu- erung" (Wiedergeburt) (aus dem Griechischen, „palin- genesia" übersetzt, was soviel bedeutet wie „eine neue Geburt" oder genauer „einer, der nochmals geboren wird"), erscheint im Neuen Testament zweimal,^) während andere Ausdrücke von gleicher Bedeutung in vielen Stellen vor- kommen. Immerhin werden diese Ausdrücke gewöhnlich auf die Erneuerung der Seele des Menschen durch die geistige Geburt angewandt, durch welche die Seligkeit erreichbar wird. Zwar läßt die Art und Weise, wie der Herr die Bezeichnung anwendet, wo er von der zukünftigen Herrlichkeit spricht, die er seinen Aposteln zusichert, die Möglichkeit offen, daß damit die Verjüngung der ganzen Erde mit ihren Bewohnern und deren Einrichtungen in Verbindung mit dem Tausendjährigen Reich gemeint ist: ,, Wahrlich, ich sage euch: Ihr, die ihr mir seid nachge- folgt, werdet in der Wiedergeburt, da des Menschen Sohn wird sitzen auf dem Stuhl seiner Herrlichkeit, auch sitzen auf zwölf Stühlen und richten die zwölf Geschlechter Israels". 2)

3. Eine Zeit der Wiederherstellung wurde vorherge- sagt. Beachten wir die Worte des Apostels Petrus an das Volk, das in der Halle Salomons zusammengekommen war und sich über die wunderbare Heilung des lahmen

') Matthäus 19:28; Titus 3:5. ') Matthäus 19:28.

Art. 10.] Die Erneuerung der Erde. 463

Bettlers am schönen Tor verwunderte: „So tut nun Buße und bekehret euch, daß eure Sünden vertilgt werden; auf daß da komme die Zeit der Erquickung von dem Ange- sichte des Herrn, wenn er senden wird den, der euch jetzt zuvor gepredigt wird, Jesus Christus, welcher muß den Him- mel einnehmen bis auf die Zeit, da herwiedergebracht werde alles, was Gott geredet hat durch den Mund aller seiner heiligen Propheten von der Welt an."^)

4. Daß der Übergang zu einem der Vollkommenheit näher stehenden Stand der Dinge sowohl für die ganze Natur wie für das Menschengeschlecht vorgesehen ist, geht aus den Belehrungen des Apostels Paulus hervor, wie sie uns in seinem Briefe an die Römer überliefert wer- den: „Denn auch die Kreatur frei werden wird von dem Dienst des vergänglichen Wesens zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß alle Kreatur sehnet sich mit uns und ängstet sich noch immerdar. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir haben des Geistes Erstlinge, sehnen uns auch bei uns selbst nach der Kindschaft und warten auf unsers Leibes Erlösung. "2)

5. Das Werk der Erneuerung hat bereits angefangen. Als notwendiges vorhergehendes Ereignis, durch das der Fluch, der sonst die Erde treffen würde, verhütet werden kann, sollte der Prophet Elia mit den Schlüsseln und der Vollmacht zu einem großen Werke zur Erde kommen. Von diesem Ereignis sagte der Herr, als es noch in der Zu- kunft lag: „Siehe, ich will euch senden den Propheten Eha, ehe denn da komme der große und schreckliche Tag des Herrn. Der soll das Herz der Väter bekehren zu den Kindern und das Herz der Kinder zu ihren Vätern, daß ich nicht komme und das Erdreich mit dem Bann schlage. "3)

») Apostelgeschichte 3:19 23.

») Römer 8:21—23.

') Maleachi 4 : 5 6 ; siehe auch 3. Nephi 25.

464 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.

6. Die Heiligen der letzten Tage erklären mit ernsten Worten, daß diese Prophezeiung darin ihre buchstäbliche Erfüllung gefunden hat, daß am 3. April 1836 der Prophet Elia in dem eben eingeweihten Tempel zu Kirtland (Ohio) den Propheten Joseph Smith und Oliver Cowdery besuchte, seine Mission, wie sie von Maleachi vorhergesagt ist, be- kanntgab und die Schlüssel zu diesem Werke der letzten Dispensation der Kirche übertrug, damit das Werk der Wiederherstellung in Angriff genommen werden könne und außerdem zum Zeichen, „daß der große und schreck- liche Tag des Herrn nahe ist, ja selbst vor der Türe steht. "^) Dieser Prozeß der Erneuerung wird sich über das ganze Tausendjährige Reich erstrecken. Die menschliche Gesell- schaft wird gereinigt werden, die Völker werden im Frieden leben, Kriege sollen aufhören und die Wildheit der Tiere soll weggenommen werden. Die Erde, die bis zu einem gewissen Grade dem Fluche des Falles entronnen sein wird, wird dem Landmann unbegrenzte Ernten darbringen ; der ganze Planet soll erlöst werden.

7. Die letzten Stufen dieser Erneuerung der Natur werden erst erreicht werden, nachdem das Millennium seinen gesegneten Verlauf genommen hat. Der Offenbarer Johannes beschreibt die Ereignisse, die nach Vollendung der tausend Jahre eintreten werden und sagt dabei : „Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde vergingen, und das Meer ist nicht mehr. *** Und ich hörte eine große Stimme von dem Stuhl, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein ; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Ge-

0 Lehre u. Bündn. 110:14 16; siehe auch Seite 185, 186 dieses Buches.

Art. 10.] Die Erneuerung der Erde. 465

schrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen."^) Eine ähnliche Prophezeiung stammt von Ether, dem Jarediten, der sechshundert Jahre vor Christi Geburt lebte. „Und es wird ein neuer Himmel und eine neue Erde sein, und diese werden den alten gleich sein, nur daß die alten vergangen und alle Dinge neu geworden sind. "2) Dieses Ereignis soll, wie aus dem Zusammenhang hervorgeht, auf die Szenen des Millenniums folgen.

8. In unserm Zeitalter sprach der Herr im Jahre 1830: „Wenn die tausend Jahre beendigt sind und die Menschen wiederum anfangen werden, Gott zu leugnen, dann werde ich die Erde nur eine kurze Zeit verschonen: Das Ende wird kommen, und Himmel und Erde werden verzehrt werden und vergehen, und es wird ein neuer Himmel und eine neue Erde sein. Denn alle alten Dinge werden ver- gehen, und alle Dinge sollen neu werden, selbst der Himmel und die Erde und die ganze Fülle derselben, Menschen und Tiere, die Vögel des Himmels und die Fische des Meeres. Und nicht ein Haar, noch Stäubchen soll verloren gehen, denn es ist das Werk meiner Hand".^)

9. In Übereinstimmung mit den heiligen Schriften muß die Erde eine dem Tod ähnliche Veränderung durch- machen und dann erneuert werden, in einer Weise, die man mit einer Auferstehung vergleichen kann. Hinweise auf das Schmelzen der Elemente durch Feuer und auf das Verbrennen und Vergehen der Erde, wie sie in vielen von uns schon angeführten Schriftstellen vorkommen, deuten auf den Tod hin; die neue Erde, in Wirklichkeit der er- neuerte oder wiederhergestellte Planet, der daraus ent- stehen soll, läßt sich mit einem auferstandenen Lebewesen vergleichen. Diese Veränderung ist auch mit einer Ver-

•) Offenbarung Job. 21:1, 3 i. ') Bucb Mormon, Ether 18:9. ') Lehre u. Bündn. 29:22 25.

466 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXL

klärungi) verglichen worden. Jedes erschaffene Ding wurde zu einem gewissen Zweck gemacht und jedes Ding, das das Maß seiner Erschaffung erfüllt, soll höher steigen auf der Stufenleiter des Fortschritts, sei es nun ein Atom oder eine Welt, ein Tierchen oder ein Mensch der ein unmittelbarer und buchstäblicher Sprößling der Gottheit ist. Da wo der Herr von den Graden der Herrlichkeit spricht, die für seine Schöpfungen vorgesehen sind, und von den Gesetzen der Erneuerung und Heiligung in einer Offenbarung vom Jahre 1832 spricht er deutlich von dem herannahenden Tod und der darauffolgenden Wieder- belebung der Erde. Seine Worte lauten: ,,Und wiederum, wahrlich ich sage euch: Die Erde hält das Gesetz eines himmlischen Reiches, denn sie erfüllt den Zweck ihrer Erschaffung und übertritt das Gesetz nicht. Deshalb wird sie geheiligt werden: ja, obgleich sie sterben wird, so wird sie doch wieder belebt werden und in der Macht bleiben, durch welche sie belebt wurde, und die Gerechten werden sie ererben. "2)

10. Im Verlaufe des Millenniums wird die Erde, wäh- rend sie sich auf ihre völlige Veränderung vorbereitet, sowohl von sterblichen wie von unsterblichen Wesen be- wohnt werden. Wenn jedoch die Erneuerung vollendet ist, werden ihre Bewohner auch dem Tod nicht mehr unterworfen sein. Dann wird der Erlöser „das Reich vor den Vater bringen und es ihm makellos übergeben und sagen: „Ich habe überwunden. "3) Bevor aber der Sieg auf diese Weise errungen und der Triumph gesichert ist, müssen die Feinde der Gerechtigkeit besiegt werden; der letzte Feind, den es zu überwinden gilt, ist der Tod. So spricht der Apostel Paulus: ,, Darnach das Ende, wenn er

•) Lehre u. Bündn. 63:20 21. •) L. u. B. 88:25—26. ') L. u. B. 76:107.

Art. 10.] Die Erneuerung der Erde. 467

das Reich Gott und dem Vater überantworten wird, wenn er aufheben wird alle Herrschaft und alle Obrigkeit und Gewalt. Er muß aber herrschen, bis daß er alle seine Feinde unter seine Füße lege. Der letzte Feind, der auf- gehoben wird, ist der Tod. Denn er hat ihm alles unter seine Füße getan. Wenn er aber sagt, daß es alles Untertan sei, ists offenbar, daß ausgenommen ist, der ihm alles untergetan hat. Wenn aber alles ihm Untertan sein wird, alsdann wird auch der Sohn selbst Untertan sein dem, der ihm alles untergetan hat, auf daß Gott sei alles in allem. "^)

11. Die folgende bruchstückartige Beschreibung der Erde in ihrem unsterblichen Zustand ist vom Propheten Joseph Smith in dieser Dispensation gegeben worden: „Diese Erde wird in ihrem verklärten und unsterblichen Zustande wie ein Kristall gemacht werden und ihren Bewohnern ein Urim und Thummin sein,^) wodurch alle Dinge, welche zu einem geringern Reiche gehören, oder alle Reiche einer niederem Ordnung, denen, welche darauf wohnen, offenbar sein werden ; und diese Erde wird Christi sein. "3)

12. Mangel an wissenschaftliehen Beweisen. Es sind Versuche gemacht worden, eine Übereinstimmung zu zeigen zwischen den Lehren der Wissenschaft, inbezug auf die Bestimmung der Erde, und den biblischen Pro- phezeiungen hinsichtlich der vorgesehenen Erneuerung unseres Planeten, durch die er zu einem geeigneten Wohn- platz für unsterbliche Wesen werden wird. Ohne auf die Einzelheiten dieser angeblich gegenseitigen Unterstüt- zung zwischen der Wissenschaft und dem geoffenbarten Wort einzugehen, möge es genügen, festzustellen, daß

') 1. Korinther 15:24 28.

») Siehe Seite 329.

') Lehre u. Bündn. 130:9.

468 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.

dieser sogenannte Beweis unzulänglich ist, und daß sich die Wissenschaft über den vorliegenden Gegenstand in Wirklichkeit ausschweigt. Der Geologe betrachtet diese Erde als einen Körper, der sich in einem Prozeß fortwäh- render Veränderung befindet, und dessen Oberfläche aus einer ungleichartigen Masse fragmentarischen Materials besteht. Er liest in ihrer Geschichte, die er auf ihren ver- steinerten Blättern aufgezeichnet findet, die Geschichte vergangener Entwicklungen durch viele aufeinander folgende Stufen des Fortschritts hindurch, von denen jede den Erdball zum Wohnsitz des Menschen geeigneter macht. Er ist Augenzeuge der Arbeit der aufbauenden und der zerstörenden Kräfte, die jetzt am Werke sind: Länder- massen, die der verflachenden Wirkung von Wasser und Luft nachgeben, und die durch ihren Abbau das Material liefern für andere Gebilde, die jetzt erst in der Entstehung begriffen sind. Er beobachtet, wie dies alles die allgemeine Wirkung hat, die Oberfläche der Erde durch das Ernie- drigen der Berge und das Erhöhen der Täler auszugleichen. Auf der andern Seite sieht er vulkanische Kräfte an der Arbeit, wie sie die Ungleichheiten der Ebene durch heftige Ausbrüche und durch Erhöhungen der Erdrinde zu steigern suchen. Er gibt seine Unfähigkeit zu, aus den Beobach- tungen der Gegenwart und aus seinen Schlußfolgerungen inbezug auf die Vergangenheit der Erde auch nur ihre wahrscheinliche Zukunft voraussagen zu können. Seine Anstrengungen, den Ursprung der Erde darzulegen, oder ihre Bestimmung festzusetzen, sind so erfolglos gewesen, daß er den Versuch, diese Fragen zu lösen, aufgegeben hat. Die aufsehenerregende Äußerung eines maßgebenden Fachmannes dieser Wissenschaft ist in unserer Zeit sprich- wörtlich geworden: ,,Die Geologie bietet uns keine Spuren eines Anfangs und keine Aussichten auf ein Ende."^)

') James Hutton.

Art. 10.] Die Erneuerung der Erde. 469

13. Der Astronom, der die verschiedenen Verhält- nisse und Zustände anderer Welten erforscht, mag nach dem Gesetz der Ähnlichkeit oder Gleichförmigkeit ver- suchen, das vermutliche Schicksal unserer eigenen Welt zu erfahren. Mit einem großartig verbesserten Sehvermö- gen späht er in den Raum und erblickt innerhalb der Pla- netengruppe, zu der unsere Erde gehört, Sphären, die eine große Vielgestaltigkeit der Entwicklung zeigen einige noch in ihrem feurigen Zustande, die zu einem Wohnplatz für Wesen unserer Art ungeeignet erscheinen, andere in einem Zustand, der der Erde ziemlich ähnlich ist, andere wieder, die scheinbar alt und leblos sind. Von den mächtigen Pla- netengruppen jenseits der verhältnismäßig kleinen Gesell- schaft, die unter der Herrschaft unserer Sonne steht, weiß er nichts als etwa das Dasein solcher Zentralgestirne. Nirgends aber hat er eine himmlische Welt entdeckt. Können wir auch nur annehmen, sterbliche Augen vermöchten etwas derartiges wahrzunehmen, selbst wenn es innerhalb der Grenzen ihres Sehvermögens läge, Grenzen, die nur von der räumlichen Entfernung gezogen werden?

14. Die Worte des Dichters lauten:

Nicht denke, daß dem Himmel

Zuschauer fehlten,

und daß es Gott

an Lob und Preis gebräche,

wenn keine Menschen wären.

Millionen geistger Wesen

wandeln auf Erden,

ungesehen wenn wir wachen,

ungesehen wenn wir schlafen. Wenn dieser Gedanke auf Wahrheit beruht was die christliche Seele kaum bezweifeln wird können wir ebensowohl an das Dasein andrer Welten glauben, als an solche, deren Gebilde so grob sind, daß sie für unser geschwächtes Auge sichtbar sind. Ich wiederhole: Hin-

470 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.

sichtlich des geoffenbarten Wortes über die Erneuerung der Erde und die Erlangung einer himmlischen Herrlich- keit seitens unseres Planeten, hat uns die Wissenschaft nichts zu bieten, weder als Zustimmung noch als Wider- spruch. Laßt uns aber deswegen die Wissenschaft nicht verkleinern oder die Arbeit ihrer Anhänger herabsetzen. Keiner weiß besser, wie viel wir nicht wissen, als der wahre Wissenschafter.

Die Auferstehung des Körpers.

15. Die Auferstehung von den Toten. Eng verknüpft und in Übereinstimmung mit der vorherbestimmten Ver- jüngung der Erde, wodurch der Planet von seinem gegen- wärtigen traurigen und gefallenen Zustand in den Stand der verherrlichten Vollkommenheit übergehen wird, ist die Auferstehung der Körper aller jener Lebewesen, die auf der Erde ihr Dasein gehabt haben. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage lehrt die Lehre von der buch- stäblichen Auferstehung, die tatsächliche Wiedervereini- gung der abgeschiedenen Geister mit dem fleischlichen Körper, mit dem sie während ihrer irdischen Prüfungs- zeit angetan waren. Die Kirche glaubt ferner an eine Ver- wandlung von der Sterblichkeit in die Unsterblichkeit bei einigen, die zur Zeit des großen Übergangs noch im Fleische leben, und die wegen ihrer persönlichen Gerechtig- keit von dem Todesschlummer im Grabe verschont werden. Mit solchen Lehren unterscheidet sich die Kirche indessen nicht wesentlich von den meisten christlichen Sekten, ausgenommen vielleicht in der Buchstäblichkeit der kör- perlichen Auferstehung, wie sie sie lehrt, und in ihrem Glau- ben hinsichtlich der Natur des Auferstehungszustandes. Die Bibel ist angefüllt mit Beweisen von der Wiederbele- bung der Toten. Die menschliche Erkenntnis von der

Art. 10.] Die Auferstehung des Körpers. 471

Auferstehung beruht jedoch ganz und gar auf Offenbarung. Daher haben heidnische Völker von einem tatsächlichen Hervorkommen der Toten zu neuem Leben keine Kennt- nis.^)

16. Wenn wir die Lehre von einer Auferstehung an- nehmen, müssen wir uns gänzlich vom Glauben leiten lassen. Glaube wird jedoch von vielen Offenbarungen unterstützt, die in unzweideutiger und sicherer Art und Weise gegeben wurden. Die Wissenschaft, das Ergebnis der menschlichen Forschung, vermag uns nicht irgend ei- nen Beweis für ein solches Ereignis in der Geschichte der lebenden Dinge zu liefern, und die Menschen haben vergeb- lich versucht, in der Natur etwas gleichartiges zu finden. Gewiß, es sind Vergleiche angestellt worden, Bilder wurden gebraucht, und Ähnlichkeiten in diesen Dienst gezwungen, um in der Natur gewisse Gegenstände zu zeigen, oder Ähn- lichkeiten mit der unsterblich machenden Veränderung, der die christliche Seele mit unerschütterlichem Vertrauen entgegensieht. Aber alle solche Sprachgebilde und Verglei- che sind fehlerhaft und unvollkommen in ihrer Anwendung und unwahr in ihrer angeblichen Gleichartigkeit.

17. Die Wiederkehr des Frühlings nach dem tod- ähnlichen Schlummer des Winters, das Verwandeln der krabbelnden Raupe in die leichenähnliche Larve, und das darauffolgende Hervorkommen des beschwingten Schmet- terlings, das Entstehen eines lebendigen Vogels aus der grabähnlichen Absonderung im Ei diese und andere natürliche Entwicklungsvorgänge sind zum erläutern der Auferstehung gebraucht worden. Jede derselben ist fehlerhaft und unvollständig; denn in keinem solchen Falle der Wiedererweckung war ein tatsächlicher Tod ein- getreten. Wenn der Baum abgestorben ist, wird er sein

») Siehe Anmerkung 1.

472 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXL

Blätterdach auch mit der Rückkehr des Frühlings nicht wieder erhalten; ist die Puppe in der Larve gestorben, oder der Lebenskeim im Ei getötet, so wird kein Schmetter- ling oder Vogel daraus hervorgehen. Wenn wir solchen bildlichen Erläuterungen nachhängen, ohne die äußerste Vorsicht walten zu lassen, so sind wir leicht geneigt, den Gedanken zu hegen, der zur Auferstehung bestimmte Körper sei nicht wirklich tot, und deshalb sei die Wieder- belebung, die darauffolgen soll, nicht das, als was es das geoffenbarte Wort Gottes erklärt. Die Beobachtung zeigt, daß die Trennung des Geistes von dem Körper, denselben als eine leblose Masse zurückläßt, die nicht länger imstande ist, dem physischen und chemischen Auflösungsprozeß zu widerstehen. Der Körper, verlassen von seinem unsterb- lichen Bewohner, ist buchstäblich tot. Er löst sich in seine natürlichen Bestandteile auf und der Stoff, aus dem er besteht, tritt von neuem in den allgemeinen Kreislauf der Materie ein. Jedoch, die Auferstehung von den Toten ist eine feststehende Tatsache! Der Glaube derer, die in das Wort der geoffenbarten Wahrheit ihr Vertrauen setzen, wird gerechtfertigt^) und der göttliche Beschluß voll und ganz in die Tat umgesetzt werden.

18. Prophezeiungen über die Auferstehung. Die

schließliche Überwindung des Todes ist von den Prophe- ten in den vergangenen Dispensationen der Weltgeschichte vorhergesehen und vorhergesagt worden. Einige von ihnen zeugten im besondern von Christi Sieg über das Grab, andere haben mehr bei der Auferstehung im allgemeinen verweilt. Hiob, der Mann der Geduld in Trübsalen, sang selbst in seinen Schmerzen mit freudiger Stimme: „Aber ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und er wird mich hernach aus der Erde auf erwecken. Und werde darnach mit dieser

•) Siehe Anmerkung 2.

Art. 10.] Die Auferstehung des Körpers. 473

meiner Haut umgeben werden und werde in meinem Fleisch Gott sehen. "1) —Henoch, dem der Herr seinen Erlösungs- plan für die Menschheit kundtat, sah die Auferstehung Christi, das Hervorkommen der Gerechten mit ihm und die darauffolgende Auferstehung aller Menschen im Geiste voraus. 2)

19. Nephi bezeugte seinen Brüdern, daß der Tod des Erlösers eine vorherbestimmte Notwendigkeit ist, vorher- bestimmt, damit die Auferstehung von den Toten für die Menschheit zustandegebracht werde. Seine Worte lauten : „Ebenso wie der Tod über alle Menschen ergangen ist, um den barmherzigen Zweck des großen Schöpfers zu er- füllen, so ist es notwendig, daß eine Kraft der Auferste- hung sei, und die Auferstehung muß infolge des Falles der Menschen kommen, und der Fall ist durch Übertretung gekommen; und weil die Menschen gefallen sind, wurden sie von dem Angesichte des Herrn verstoßen.*** Und der geistige Tod, von dem ich geredet habe, welcher gei- stige Tod die Hölle ist, wird seine Toten auch herausgeben ; also müssen Tod und Hölle ihre Toten herausgeben, und die Hölle ihre gefangenen Geister, und das Grab seine ge- fangenen Körper; und die Körper und Geister der Menschen werden wieder zusammen hergestellt werden durch die Macht der Auferstehung des Heiligen von Israel. 0 wie groß ist der Plan unseres Gottes! Denn anderseits muß das Paradies Gottes die Geister der Gerechten, und das Grab die Körper der Gerechten herausgeben; und Geist und Körper werden wieder zusammen hergestellt, und alle Menschen werden unverweslich und unsterblich sein und sind lebendige Seelen, welche dieselbe Erkenntnis haben

») Hiob 19:25—26; siehe auch Jesaja 26:19; Hesekiel 37:11—14; Hosea 13:14.

=) Köstliche Perle, Moses 7:56 57.

474 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.

wie wir im Fleische, nur daß unsere Erkenntnis alsdann vollkommen sein wird."^)

20. Samuel, der lamanitische Prophet prophezeite die Geburt, die Amtstätigkeit, den Tod und die Aufer- stehung des Heilandes und erklärte die sich daraus erge- bende Auferstehung der Menschheit: „Denn sehet, er muß gewiß sterben, damit Seligkeit komme, ja, es geziemt ihm und es tut not, daß er sterbe, um die Auferstehung der Toten zu bewirken, daß dadurch die Menschen in die Gegenwart des Herrn gebracht werden. Ja, sehet, dieser Tod bringt die Auferstehung zuwege und erlöst die ganze Menschheit vom ersten Tode von jenem geistigen Tode; denn das ganze Menschengeschlecht, da es durch Adams Fall von dem Angesichte des Herrn verstoßen wurde, wird sowohl in zeitlichen als in geistigen Dingen als tot ange- sehen. Aber sehet, die Auferstehung Christi erlöst die Menschen, ja, die ganze Menschheit, und bringt sie zurück in die Gegenwart des Herrn. "2)

21. Das Neue Testament liefert uns ausgiebige Be- weise dafür, daß die Lehre von der Auferstehung während der Zeit der irdischen Mission Christi und der darauffol- genden apostolischen Zeit ganz allgemein verstanden wurde. 3) Der Meister selbst verkündigte diese Lehre. In seiner Antwort an die scheinheiligen Sadduzäer*) sagte er: „Habt ihr aber nicht gelesen von der Toten Aufer- stehung, was euch gesagt ist von Gott, da er spricht: .Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs?' Gott aber ist nicht ein Gott der Toten, sondern

1) 2. Nephi 9:6, 12—13.

*) Helaman 14:15 17; siehe auch Mosiah 15:20 24 und Alma 40:2, 16.

') Matthäus 14:1—2; Johannes 11:24. *) Siehe Anmerkung 3.

Art. 10.] Die Auferstehung des Körpers. 475

der Lebendigen."^) Zu den Juden, die ihm seiner Taten und seiner Lehre wegen nach dem Leben trachteten, sprach er: , .Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubet dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, daß die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören ; und die sie hören werden, die werden leben. "2)

22. Daß Christus den Zweck seines herannahenden Martyriums und der Auferstehung, die darauf folgen sollte, durchaus begriffen hatte, geht zur Genüge aus seinen eige- nen Äußerungen hervor, die er tat, als er noch im Fleische lebte. Zu Nikodemus sagte er : ,,Und wie Mose in der Wüste eine Schlange erhöhet hat, also muß des Menschen Sohn er- höhet werden, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht ver- loren werden, sondern das ewige Leben haben, "^) Und der Maria, die den Tod ihres Bruders Lazarus beweinte, er- klärte er: ,,Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubet, der wird leben, ob er gleich stürbe."*) Von seiner eigenen Auferstehung prophezeite er häufig und bezeichnete dabei die Zeit, wo er im Grabe ruhen werde. ^)

23. Zwei allgemeine Auferstehungen werden in den heiligen Schriften erwähnt ; sie können als die erste und die letzte oder als die Auferstehung der Gerechten und die Auferstehung der Ungerechten bezeichnet werden. Die erste wurde durch die Auferstehung Christi eröffnet; un- mittelbar auf diese folgend, kamen viele der verstorbenen Heiligen aus ihren Gräbern hervor. Eine Fortsetzung hier-

') Matthäus 22:31 32; siehe auch Lukas 14:14.

») Johannes 5:24 25; siehe auch Vers 21, und 11:23 ^25.

') Johannes 3:14 15.

*) Johannes 11:25.

') Matthäus 12:40; 16:21; 17:23; 20:19.

476 Die Glaubensartikel, [Vorl. XXI.

von ist jetzt im Gange^) und wird in allgemeiner Weise in Verbindung mit der Wiederkunft Christi erfolgen, wird also den Beginn des Tausendjährigen Reiches kennzeich- nen. Die letzte Auferstehung wird bis zum Ende des Tausendjährigen Friedens aufgeschoben werden und in Verbindung mit dem jüngsten Gericht zustande kommen.

24. Die erste Auferstehung. Die Auferstehung Christi und die, die unmittelbar darauf folgte. Die Tatsachen von der Auferstehung Christi von den Toten werden durch eine solche Reihe von Beweisen aus den heiligen Schriften be- zeugt, daß kein Zweifel an ihrer Wirklichkeit in dem Ge- müte irgend eines an die inspirierten Urkunden Gläubi- gen Platz finden kann. Zu den Frauen, die in der Frühe zur Gruft kamen, sagte der Engel, der den Stein von dem Eingang des Grabes gewälzt hatte: ,,Er ist nicht hier, denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat."^) Nachher zeigte sich der Herr^) während der vierzig Tage, die zwi- schen seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt lagen, vielen.*)

Bald nach der Himmelfahrt tat er sich den Nephiten auf der westlichen Erdhälfte kund, wie bereits früher in einem andern Zusammenhang erwähnt wurde.^) Wie wir sehen werden, hörten auch die Apostel nicht auf, von der Wirklichkeit der Auferstehung ihres Herrn zu zeugen; dabei unterließen sie es nicht, auch die zukünftige Auf- erstehungen zu verkündigen.

1) Bemerke die Tatsache, daß Moroni, der letzte nephitische Prophet, der im ersten Viertel des fünften Jahrhunderts nach Christus starb, als ein auferstandenes Wesen im Jahre 1823 dem Propheten Joseph Smith erschien (siehe Seite 12 14).

^) Matthäus 28:6.

3) Matthäus 28:9, 16; Markus 16:14; Lukas 24:13— 31; 34; Johannes 20:14—17, 19; 26; 21:1 4; 1. Korinther 15:5— 8.

*) Luk. 24:49 51; Apostelgeschichte 1 : 1 11.

') Siehe Seite 44.

Art. lO.J Die Auferstehung des Körpers. 477

25. Christus, der „Erstling unter denen, die da schla- fen,"^) war der erste Mensch, der mit einem unsterblich gemachten Körper aus dem Grabe hervorkommen sollte; wir lesen aber, daß bald nachher viele von den Heiligen aus ihren Gräbern gingen : „Und die Gräber taten sich auf, und standen auf viele Leiber der Heiligen, die da schliefen, und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen."^)

26. Alma, der nephitische Prophet, dessen Schriften beinahe ein Jahrhundert vor der Geburt Christi entstanden sind, verstand klar, daß vor der Auferstehung Christi keine Auferstehung stattfinden würde, denn er sagte: ,, Siehe, ich sage dir: Es wird keine Auferstehung sein: oder, um mit andern Worten zu reden, dieses Sterbliche zieht kein Unsterbliches an, diese Verwesung keine Unverweslich- keit bis nach der Erscheinung Christi. "2) Außerdem sah er eine allgemeine Auferstehung voraus, die, wie aus dem Zusammenhang der eben angeführten Schriftstelle deutlich hervorgeht,*) in Verbindung mit der Auferstehung Jesu Christi von den Toten erfolgen sollte. Inspirierte Männer unter den Nephiten sprachen von dem Tod und der Auf- erstehung Christi^) sogar während der Zeit seines tatsäch- lichen Wirkens im Fleisch, und ihre Lehren fanden eine rasche Bestätigung durch das Erscheinen des auferstan- denen Herrn unter ihnen, ^) wie es von ihren früheren Pro- pheten vorhergesagt worden war.')

n 1. Korinther 15: 20. 23, siehe auch Apostelgescliichte 26: 23; Kolosser 1:18; Offenbarung Joh. 1:5. 2) Matthäus 27:52—53. ') Alma 40:2. *) Alma 40:16. 6) 3. Nephi 6:20. «) 3. Nephi 11. ») 1. Nephi 12:6; 2. Nephi 26:1, 9. Alma 16:20; 3. Nephi 11:12.

478 Die Glaubensartikel. (Vorl. XXI.

27. In diesen letzten Tagen hat sich der Herr wiede- rum kundgetan und die Tatsache seines Todes und seiner Auferstehung verkündigt: „Denn sehet, der Herr, euer Erlöser, erlitt den Tod im Fleische; deshalb erduldete er den Schmerz aller Menschen, daß alle Buße tun und zu ihm kommen möchten. Und er ist wieder von den Toten auferstanden, daß er unter den Bedingungen der Buße alle Menschen zu sich bringen möchte."^)

28. Die Auferstehung zur Zeit des zweiten Kommens Christi. Wir sehen, daß unmittelbar nachdem Christus die Erde verlassen hatte, die Apostel, denen nunmehr die direkte Verantwortlichkeit für die Kirche zufiel, die Lehre von einer zukünftigen und allgemeinen Auferstehung pre- digten. Dieser Punkt scheint überhaupt ein wesentlicher Bestandteil ihrer Belehrungen gewesen zu sein, denn er war der besondere Vorwand für die Beschwerde der Sad- duzäer, welche die Apostel sogar noch innerhalb der ge- heiligten Grenzen des Tempels verfolgten, und die es „ver- droß, daß sie das Volk lehrten und verkündigten an Jesu die Auferstehung von den Toten". 2) Paulus erregte Är- gernis mit dem Eifer, mit dem er die zukünftige Aufer- stehung predigte; ein Beispiel hierfür ist sein Streit mit ge- wissen Philosophen aus der Schule der Epikurer und Stoiker, in dessen Verlauf einige von ihnen sagten: „Was will dieser Lotterbube sagen? Etliche aber: Es siebet, als wolle er neue Götter verkündigen. (Das machte, er hatte das Evangelium Jesu Christi und von der Auferstehung ihnen verkündigt.)"^) Die Besprechung wurde auf dem Areopag oder Marshügel fortgesetzt, wo Paulus das Evan- gelium von dem wahren und lebendigen Gott einschließlicti

») Lehre u. Bündn. 18:11 12.

') Apostelgeschichte 4:2; siehe auch Matthäus 22:23, Apostelgeschichte 23 : 8.

') Apostelgeschichte 17:18.

Art. 10.] Die Auferstehung des Körpers. 479

der Lehre von der Auferstehung predigte. „Da sie hörten die Auferstehung der Toten, da hatten etliche ihren Spott, et- liche aber sprachen : Wir wollen dich davon weiter hören. "^) Die gleiche Wahrheit verkündigte er auch dem Felix, dem Landpfleger von Judäa,^) und als er in Ketten ge- schlagen vor dem König Agrippa stand, fragte er, als hätte er es mit der schwersten Beschuldigung zu tun: ,, Warum wird das für unglaublich bei euch geachtet, daß Gott Tote auferweckt?"^)

29. Die Auferstehung scheint ein Lieblingsthema des Apostels Paulus gewesen zu sein. In seinen Briefen an die Heiligen räumt er ihr einen hervorragenden Platz ein.^) Von ihm lernen wir denn auch, daß bei der Aufer- stehung eine gewisse Reihenfolge eingehalten werden soll: „Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten und der Erstling geworden unter denen, die da schlafen. Sintemal durch einen Menschen der Tod und durch einen Menschen die Auferstehung der Toten kommt. Denn gleich- wie sie in Adam alle sterben, also werden sie in Christo alle lebendig gemacht werden. Ein jeglicher aber in seiner Ordnung: Der Erstling Christus; darnach die Christo angehören, wenn er kommen wird."°)

30. Es wird ausdrücklich festgestellt, daß zur Zeit der herrlichen Wiederkunft Christi viele Gräber ihre Toten herausgeben werden, und die Gerechten, die im Grabe ruhen, werden mit vielen, die dann noch nicht gestorben sind, aufgehoben werden, dem Herrn entgegen. Paulus schreibt an die Thessalonicher : „Also wird Gott auch, die da entschlafen sind, durch Jesum mit ihm führen.***

') Vers 32.

*) Apostelgeschichte 24:15. ') Apostelgeschichte 26:8.

*) Römer 6:5; 8:11; 1. Korinther 15; 2. Kor. 4:14; Philipper 3 : 21 ; Kolosser3:4; 1. Thessalonicher 4:14; Hebräer 6:2.

^) 1. Korinther 15:20 23; studiere das ganze Kapitel!

480 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.

Denn er selbst, der Herr, wird mit einem Feldgeschrei und der Stimme des Erzengels und mit der Posaune Gottes herniederkommen vom Himmel, und die Toten in Christo werden auferstehen zuerst. Darnach wir, die wir leben und überbleiben, werden zugleich mit ihnen hingerückt werden in den Wolken dem Herrn entgegen in der Luft."i)

31. Zu den drei nephitischen Jüngern, welche um die gleiche Segnung baten wie Johannes, der geliebte Apostel, sprach Christus: „Und ihr werdet nie die Schmerzen des Todes erleiden, aber wenn ich in meiner Herrlichkeit komme, sollt ihr in einem Augenblick von der Sterblich- keit zu der Unsterblichkeit verwandelt werden. "2)

32. Auf dem Wege der Offenbarung spricht der Herr in diesen letzten Tagen: ,,Denn siehe, ich werde kommen und man wird mich in den Wolken des Himmels sehen, angetan mit Macht und Herrlichkeit, mit allen heiligen Engeln ; wer mich aber nicht erwartet, der soll abgeschnit- ten werden. Aber ehe der Arm des Herrn herabkommen soll, wird ein Engel seine Posaune erschallen lassen, und die Heiligen, die entschlafen gewesen sind, werden hervor- kommen, mir entgegen in den Wolken! "3) Von den vielen Zeichen und Wundern, welche das glorreiche Kommen des Herrn kennzeichnen werden, sind uns folgende teilweise geschildert: „Und das Angesicht des Herrn wird entschlei- ert sein; und die Heiligen, welche auf der Erde und am Leben sind, werden verwandelt und aufgehoben werden, ihm zu begegnen. Und diejenigen, welche in ihren Gräbern geschlummert haben, werden hervorkommen, denn ihre Gräber werden geöffnet, und sie werden auch aufgehoben werden, ihm in der Mitte der Säule des Himmels zu begeg- nen: Sie sind in Christo, die ersten Früchte diejenigen.

') 1. Thessalonicher4:14 17.

') 3. Nephi 28:8.

') Lehre u. Bündn. 45:44 45.

Art. 10.] Die Auferstehung des Körpers. 481

die mit ihm zuerst herniedersteigen werden und die, die auf der Erde und in ihren Gräbern sind, die zuerst aufgehoben werden, ihm zu begegnen. "i)

33. Dieses sind einige jener Herrlichkeiten, die mit der ersten Auferstehung verbunden sind, an welcher nur die Gerechten teilhaben werden. Die Gemeinde der Ge- rechten wird aber auch alle jene umfassen, welche treu in Übereinstimmung mit den Gesetzen Gottes gelebt haben, soweit sie ihnen bekannt geworden waren, dazu Kinder, die in ihrer Unschuld gestorben sind und ferner selbst jene Gerechte aus den heidnischen Völkern, die mehr oder we- niger in Dunkelheit gelebt, obschon sie nach Licht getrach- tet haben, und in Unwissenheit gestorben sind.^) Diese Lehre ist durch moderne Offenbarung erklärt worden : „Der Heiden Völker sollen dann erlöset werden, und die, so kein Gesetz gekannt haben, werden an der ersten Auferstehung teilhaben. "3) Das Millennium soll also mit einer glorrei- chen Befreiung der Gerechten von der Macht des Todes eröff- net werden. Von dieser Gemeinde der Erlösten steht ge- schrieben: „Selig ist der und heilig, der teilhat an der ersten Auferstehung. Über solche hat der andere Tod keine Macht; sondern sie werden Priester Gottes und Christi sein und mit ihm regieren tausend Jahre. "^)

34. Die letzte Auferstehung. ,,Die andern Toten aber wurden nicht wieder lebendig, bis daß tausend Jahre vollendet wurden."^) So spricht der Offenbarer Johannes, nachdem er die herrrlichen Segnungen der Gerechten be- schrieben hatte, die an der ersten Auferstehung teilhaben. Die Unwürdigen werden vor das Gericht zur Verurteilung

') Lehre u. Bündn. 88:95 98.

') Siehe Anmerkung 4.

») L. u. B. 45:54; siehe auch Hesekiel 36:23-24; 37:28; 39:7, 21, 23.

*) Offenbarung Joh. 20:6.

') Offenbarung Joh. 20:5.

482 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.

gerufen werden, wenn die erneuerte Welt zur Übergabe an den Vater bereit ist.^)

35. Der Unterschied zwischen denen, die einen ge- sicherten Anteil an der ersten Auferstehung haben werden und denen, deren Los es ist, auf das jüngste Gericht zu warten, ist groß und wird in den heiligen Schriften nirgends abgeschwächt. Es ist uns gesagt worden, daß es uns ge- ziemt, den Verlust unserer Lieben, die wir durch den Tod verloren haben, zu beweinen, „und hauptsächlich derer, die keine Hoffnung auf eine glorreiche Auferstehung haben. "2) Heutzutage kann man die Stimme des Allmächtigen als ernste Warnung vernehmen : ,, Höret, denn siehe, der große Tag des Herrn ist nahe zur Hand. Denn der Tag kommt, an dem der Herr seine Stimme von dem Himmel ertönen lassen wird; die Himmel werden beben und die Erde wird zittern, ja die Posaune Gottes wird lang und laut erschallen und zu den schlummerndem Völkern rufen: Ihr Heiligen, stehet auf und lebet; ihr Sünder aber wartet und schlum- mert, bis daß ich wiederum rufen werde l"^)

36. Das Gesicht von der Schlußszene beschreibt Johannes, der Offenbarer, wie folgt: „Und ich sah die Toten, beide, groß und klein, stehen vor Gott, und Bücher wurden aufgetan. Und ein ander Buch ward aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach der Schrift in den Büchern, nach ihren Werken."-*) Diese Stufe kennzeichnet die Vollendung des Auferstehungswerkes. Wie die heiligen Schriften ent- scheidend beweisen, wird die Auferstehung allgemein sein; wohl ist es wahr, daß die Toten in einer gewissen Reihen- folge hervorkommen, je nach dem sie für die erste oder

1) Siehe Anmerkung 5.

') Lehre u. Bündn. 42:45.

=) 1,. u. B. 43:17—18.

') Offenbarung Joh. 20:12 13.

Art. 10.) Die Auferstehung des Körpers. 483

letzte Auferstehung vorbereitet sind, aber jeder einzelne, der im Fleisch gewohnt hat, wird seinen Körper wieder erlangen und in ihm gerichtet werden.

37. In seiner Schilderung der buchstäblichen und all- gemeinen Auferstehung ist das Buch Mormon klar und bestimmt: „Nun gibt es einen Tod, welcher ein zeitlicher Tod genannt wird; und der Tod Christi wird die Bande dieses zeitlichen Todes lösen, daß alle von diesem zeitlichen Tode auferstehen werden. Geist und Körper sollen in ihrer vollkommenen Form wieder vereinigt werden ; Glieder so- wohl als auch Gelenke werden in gehöriger Form wiederher- gestellt werden, ebenso wie wir zu dieser Zeit sind; und wir werden dahin gelangen mit demselben Bewußtsein, welches wir jetzt haben, und mit klarer Erinnerung aller unsrer Schuld vor Gott zu stehen. Diese Wiederherstellung wird mit allen stattfinden, mit Alten und Jungen, mit Leib- eigenen und Freien, mit Mann und Weib, mit dem Bösen und mit dem Rechtschaffenen; und nicht ein Haar ihres Hauptes soll von ihnen verloren gehen, sondern alle Dinge werden in ihrer vollkommenen Form wiederhergestellt werden, so wie es jetzt oder im Körper ist, und werden ge- bracht und vor den Richterstuhl Christi, den Sohn, und Gott, den Vater, und den Heiligen Geist gestellt werden, welches ein ewiger Gott ist, um nach ihren Werken gerichtet zu werden, ob sie gut oder böse gewesen sind. Sehet, jetzt habe ich euch vom Tode des sterblichen Körpers und auch von seiner Auferstehung geredet. Ich sage euch, daß diese sterblichen Körper zu unsterblichen Körpern erhoben werden, das heißt, vom Tode, selbst vom ersten Tode zum Leben. "1)

38. Beachten wir auch die folgenden, dem Buche Mormon entnommenen Worte: „Und durch die Erlösung,

0 Alma 11:42 45.

484 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.

die durch Jesum Christum zustande gebracht wurde, sind die Menschen wieder vor das Angesicht des Herrn zurück- gebracht; ja, dadurch sind sie alle erlöst worden, weil der Tod Christi die Auferstehung bewirkt, welches eine Erlösung von einem endlosen Todesschlafe zuwegebringt, aus welchem Schlafe alle Menschen durch die Macht Gottes erweckt werden sollen, wenn die Posaune erschallen wird; und dann, befreit und erlöst von diesen ewigen Todes- banden, welches ein zeitlicher Tod ist, sollen sie, groß und klein, hervorkommen und vor seinen Schranken stehen. Nach diesem kommt das Gericht des Heiligen über sie; und dann kommt die Zeit, wann der, welcher unrein ist, hinfort unrein bleiben wird, wann der Recht- schaffene hinfort rechtschaffen, der Glückliche hinfort glücklich, und der Unglückliche hinfort unglücklich blei- ben wird."^)

39. Soweit hat das Wort der geoffenbarten Wahr- heit unsere Erkenntnis von der Bestimmung der Kinder Gottes erweitert. Über die Erneuerung der Erde und das jüngste Gericht über die Gerechten und Ungerechten hinaus wissen wir wenig mehr, als daß ein Plan des ewigen Fortschritts vorgesehen ist.

Anmerkungen.

1. Die Unwissenheit der Heiden inbezug auf eine Auferstehiuifl.

In Verbindung mit der Feststellung, daß menschliches Wissen von der Auferstehung auf Offenbarung zurückzuführen ist, dürfte folgendes von Interesse sein: „Was immer heidnische Philosophen über die Unsterblich- keit der menschlichen Seele vermutet haben mögen, und dabei selbst zu- geben, daß diese Tatsache das Ergebnis eigenen Nachdenkens darstellt und nicht im geringsten der Überlieferung zuzuschreiben ist, so ist doch soviel sicher, daß sie nie bis zu der Lehre von einer körperlichen Auferstehung durchgedrvmgen sind. Plinius zählt die Dinge auf, die zu tun nicht einmal in der Macht Gottes lägen, und nennt dann diese zwei besonders: Die Ausstattung der sterblichen Seele mit Unsterblichkeit und das Zurück- rufen des Verstorbenen aus dem Grabe (II C, VII). Einer ähnlichen

1) Mormon 9:13—14.

Art. lO.J Anmerkungen. 485

Ansicht gibtÄschylus in den „Eumeniden" (Seite 647, 648) Ausdruck. Das Letzte, das sie diu-ch ihr Nachdenken und Grübeln erreichten, war eine Vorstellung von der möglichen Fortdauer des Lebens über das Grab hinaus in irgendwelchen neuen Formen und Verhältnissen. Dies war aber auch alles. Die Auferstehung im biblischen Sinne des Wortes haben sie sich nie- mals ausgedacht." Gasseis Biblisches Wörterbuch, Seite 936.

2. Allgemeiner Glaube an die Aulersl^hunjj. „Dieses noch in der Zukimft liegende große Ereignis ist ähnlich der Lehre von der Aufer- stehung Christi so durch und durch eine Grundwahrheit, daß es nie eine Zeit gegeben hat, in der es nicht einen Artikel des christlichen Glaubens- bekenntnisses gebildet hätte. Der einzige Unterschied z\vischen den alten Bekenntnissen und imsern eigenen ist der, daß in diesen gesagt wird: die „Auferstehung des liörpers", während es in jenen stets heißt „Auferstehung des Fleisches". Als Grund für die alte Ausdrucksweise gibt Jerome an, daß, da es auch geistige Körper gibt, einige vielleicht geneigt wären, eine Auferstehimg des Körpers anzunehmen, in einem Sinne, der die wirk- liche Auferstehung des Fleisches leugnen würde." Cassels Biblisches Wörterbuch, Seite 935.

3. Die Sadrtuzäer werden, wo sie im Neuen Testament erwähnt sind, gewöhnlich als Gegner der Pharisäer hingestellt. Diese beiden Klassen bildeten zur Zeit Christi die einflußreichsten Sekten unter den Juden. Sie wichen in vielen grundlegenden Dingen des Glaubens und Lebens von einan- der ab, so z. B. in der Präexistenz der Geister, der Wirklichkeit geistiger Strafe und zukünftiger Vergeltung für die Sünde, der Notwendigkeit der Selbstverleugnung im persönlichen Leben, der Unsterblichkeit der Seele und der Auferstehung von den Toten. Dieses alles wiu-de von den Phari- säern bejaht, von den Sadduzäern dagegen verneint. Josephus sagt: „Die Lehre der Sadduzäer geht dahin, daß Seele und Körper zusammen zugrimde gehen. Das Gesetz ist alles, um das sie sich bekümmern." Diese Sekte be- stand hauptsächlich aus aristokratischen Mitgliedern. Die Sadduzäer sind hier besonders erwähnt worden, wegen ihres entschiedenen Widerspruchs gegen die Lehre von der Auferstehung, die sie durch anmaßende Voraus- setzungen zu bekämpfen oder durch lächerlich machen herabzusetzen ver- suchten. — Cassels Biblisches Wörterbuch enthält folgendes: ,,Im Evange- lium Johannes werden die Sadduzäer nie erwähnt; die einzige Gelegenheit, bei der im Evangelium Lukas und Markus von ihnen gesprochen wird, ist die, worauf sich auch Matthäus bezieht, als sie versuchten, die Lehre von der Auferstehung lächerUch zu machen, indem sie den Herrn um seine Meinung fragten, welchem Manne eine Frau in der zukünftigen Welt angehören würde, die schon in dieser Welt verschiedenen andern angetraut gewesen sei. (Matth. 22:23— 32; Mark. 12:18— 27; Lukas 20:27— 38.) Ihre Frage ging von der Annahme aus, daß das levitische Gesetz, wie es von Mose eingeführt wurde (5. Mose 25:5 6) darauf hindeute, daß der jüdische Ge- setzgeber keine Auferstehung von den Toten im Auge hatte. Die Antwort imseres Herrn und Meisters klärte diese Frage auf, bestätigte die Aufer- stehung von den Toten und bejahte das Vorhandensein von Engeln, das die Sadduzäer ebenfalls verneinten. (Matth. 22:30; Markus 12:25; Lukas 20:35 36.) Gleichzeitig führte er den göttlichen Ausspruch an: „Ich bin der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs" (2. Mose 3:6, 15, 16), und zog als Schlußfolgerung daraus einen Beweis, nicht nur für die Unsterblichkeit, sondern ebensosehr auch für die Auferstehung. Die

486 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXI.

angeführten Worte müssen von unserm Herrn und Meister dahin gedeutet worden sein, daß die Patriarchen, als Beteiligte im Bund, immer noch in einem Zustande bewußter Verbindung mit Gott standen.

4. Die Heiden in der ei-sten Auferstetiung. Die Feststellung, daß die verstorbenen Heiden an der ersten Auferstehung teilhaben sollen, wird durch die Heilige Sclirift und durch etwas Nachdenken über den Grundsatz wirklicher Gerechtiglieit, wonach die Menschen gerichtet werden sollen, unterstützt. Der Mensch wird für unschuldig oder schuldig genommen je nach seinen Taten, wie sie im Lichte des Gesetzes, imter welchem er zu leben hatte, sich darstellen. Es ist mit unserer Vorstellung von einem ge- rechten Gott unvereinbar, zu glauben, daß er imstande sein könnte, irgend einen Menschen zu verdammen wegen der Nichterfüllung eines Gesetzes, von dem er keine Kenntnis hatte. Trotzdem werden die Gesetze der Kirche selbst im Falle derer, die in Finsternis und Unwissenheit gesündigt haben, nicht ausgeschaltet, doch ist es vernünftig zu glauben, daß der Plan der Erlösung solchen niedrigen Seelen eine Gelegenheit bieten werde, die Ge- setze Gottes kennen zu lernen. Sicherlich wird dann, in dem Maße, in dem sie diese Gesetze kennen lernen, Gehorsam von ihnen verlangt werden, wenn sie nicht bestraft werden wollen. Achten wir besonders auf die fol- genden Stellen, welche im Ansciüuß an den Text der Vorlesung gegeben werden: „Wenn kein Gesetz gegen die Sünden der Menschen wäre, was könnte die Gerechtigkeit oder die Barmherzigkeit tun, da sie keinen An- spruch auf die Kreatur haben würde?" (Alma 42:21).

„Daher hat er ein Gesetz gegeben, aber wo kein Gesetz gegeben worden ist, da ist auch keine Strafe; und wo keine Strafe ist, da ist auh keine Ver- dammung ; und wenn keine Verdammung ist, dann hat die Barmherzigkeit des Heiligen von Israel wegen der Versöhnimg auf sie Anspruch. Und sie werden durch seine Macht befreit" (2. Nephi 9:25).

„Und überdem sage ich euch, daß die Zeit kommen wird, wo die Er- kenntnis eines Heilands durch alle Nationen, Völker, Geschlechter und Sprachen verbreitet sein wird. Sehet nun, wann jene Zeit kommt, dann wird niemand, ausgenommen kleine Kinder, oime Tadel vor Gott befunden werden, imd das nur durch Reue und Glauben an den Namen Gottes, des allmächtigen Herrn." (Mosiah 3:20 und 21; siehe auch Helaman 15: 14—15.)

5. Der Zwischenzostand der Seele. Das Paradies. Der Zustand der Geister der Menschen zwischen dem Tod und der Auferstehung ist ein Gegenstand von großem Interesse, über den viel gesprochen und geschrieben worden ist. Die heiligen Schriften beweisen, daß der Mensch zur Zeit seines letzten Gerichts vor den Schranken Gottes stehen wird, angetan mit einem auferstandenen Körper, und zwar oime Rücksicht auf seinen Zustand der Reinheit oder der Schuld. Wälu-enddem die entkörperten Geister auf die Zeit ihres Hervorkommens warten, befinden sie sich in einem Zwischen- stand der Glückseligkeit, der Ruhe, oder auch des Leidens und der peini- genden Ungewißheit, je nach den Werken ihrer Sterblichkeit. Der Prophet Alma sagt: „Was nun den Zustand der Seele zwischen dem Tode und der Auferstehung anbelangt, siehe ein Engel hat es mir kundgetan, daß die Geister aller Menschen, sobald sie diesen sterblichen Körper verlassen haben, ja, die Geister aller Menschen, seien sie gut oder böse, zu dem Gott, der ilinen das Leben gegeben hat, heimgeführt werden. Dann wird es ge- schehen, daß die Geister der Rechtschaffenen in einen Ort der Glücksehg-

Art. 10.] Anmerkungen. 487

keit aufgenommen werden, welcher Paradies genannt wird, in einen Ort der Ruhe und des Friedens, wo sie von ihren Beschwerden und allen ihren Leiden und Sorgen ausruhen werden. Dann werden die Geister der Bösen, welche schlecht sind, in die äußerste Finsternis hinausgeworfen werden denn diese haben keinen Teil vom Geist des Herrn, weil sie lieber böse als gute Werke wählten; dalier ist der Geist des Teufels bei ihnen ein- gedrungen und hat von ihrem Hause Besitz genommen da wird Weinen, Wehklagen und Zähneknirschen sein; und dies ihrer eigenen Bosheit halber, da sie nach dem Willen des Teufels gefangen gehalten werden. Dies ist nun der Zustand der Geister der Bösen, ja, ein Zustand der Finsternis in schrecklicher, fürchterlicher Erwartung des Feuereifers des göttlichen Zornes über sie. Und so verbleiben sie in diesem Zustand bis zum Tag ihrer Auferstehung, sowie auch anderseits die Rechtschaffenen bis dahin das Paradies bewohnen werden" (Alma 40:11 14).

Hinweise auf das Paradies als einen Ort, wo die gerechten Geister der Auferstehung harren, finden sich auch in 2. Nephi 9:13, auch bei einem spätem Propheten gleichen Namens (4. Nephi 14) und in Moroni 10:34. Erwähnungen im Neuen Testament bezeugen dasselbe (Lukas 23:43; 2. Korinther 12:4; Offenbarung 2:7). Das Paradies ist also nicht der Ort der letzten Herrlichkeit; für diese war der Schacher, der mit Christus starb, gewiß nicht vorbereitet, doch können wir anderseits nicht an der Er- füllung der Verheißung unseres Herrn und Meisters zweifeln, daß der reuige Verbrecher an jenem Tage mit ihm im Paradiese sein sollte und außerdem beweist die Äußerung des auferstandenen Heilandes der Maria Magdalena gegenüber, drei Tage später daß er bis zu dieser Zeit noch nicht auf- gefahren war „zu seinem Vater und euerm Vater", daß er vielmehr die Zwischenzeit im Paradies verbJ-acht hatte.

Das Wort Paradies bedeutet durch seine Ableitung (über das Grie- chische aus dem Persischen) soviel wie einen Lustplatz.

488 Die- Glaubensartikel. [Vorl. XXII.

Vorlesung XXII.

Religiöse Freiheit und Duldsamkeit.

Artikel 11. Wir erheben Anspruch auf das Recht, den Allmäch- tigen Gott zu verehren nach den Eingebungen unseres Gewissens und ge- statten allen Menschen dasselbe Recht, mögen sie verehren wie, wo oder was sie wollen.

1. Das Recht des Mensehen auf Freiheit in der Ver- ehrung. — Die Heiligen der letzten Tage verkünden ihr vorbehaltloses Einstehen für die Grundsätze der religiösen Freiheit und Duldsamkeit. Die Freiheit, Gott zu verehren nach den Eingebungen des Gewissens, beanspruchen sie als ein angeborenes, unveräußerliches Recht der Mensch- heit. Die inspirierten Urheber der Verfassungsurkunde unserer (der amerikanischen) nationalen Unabhängigkeit erklären es als selbstverständliche Wahrheit, daß das all- gemeine Geburtsrecht der Menschheit jedem Menschen das Recht auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück gibt. Glück ist aber etwas fremdes, Freiheit ein leeres Wort, und das Leben nur eine Enttäuschung für den, dem das Recht auf Freiheit in der Anbetung verweigert wird. Niemand, der für die Gottheit ein Gefühl der Ehrfurcht empfindet, und der ein Gefühl für die Pflicht gegenüber dieser göttlichen Macht hat, kann glücklich sein, wenn er in der Ausübung der höchsten Pflichten seines Daseins eingeschränkt wird. Könnte ein Mensch, selbst wenn er in einem Palaste wohnte, umgeben von allen Bequem- lichkeiten des Lebens und jedweder Erleichterung für geistige Genüsse, glücklich sein, wenn er von der Ver- bindung mit dem Wesen, das er am meisten liebt, abge-

Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 489

schnitten wäre? Wer seinen göttlichen Vater kennen ge- lernt hat, dem ist Freiheit in der Verehrung teurer als das Leben selbst.

2. Was ist Verehrung? (Englisch „Worship"). Die Ableitung dieses Ausdruckes legt uns die Antwort in den Mund. Das Wort kommt als buchstäblicher Abkömmling eines angelsächsischen Wortpaares zu uns, Weorth (würdig) und scipe, die alte Form von ship, = Stand, oder Zustand und drückt den Gedanken eines „würdigen Standes" aus. Die Verehrung, deren einer fähig ist, hängt ab von seinem Begriff von der Würdigkeit des Ge- genstandes seiner Verehrung. Eines Menschen Fähigkeit, zu verehren, ist ein Maßstab für seinen Begriff von der Gottheit. Je völliger die Bekanntschaft, desto inniger die Verbindung zwischen dem Verehrer und seiner Gottheit, desto vollkommener und aufrichtiger auch seine Ehrer- bietung. Wenn wir von einem Menschen sagen bildhch gesprochen er sei ein Verehrer des Wahren, Guten und Schönen, so bezeugen wir damit, daß er einen tiefern und vollständigem Begriff von dem Wert des Gegenstandes seiner Bewunderung besitzt, als ein andrer, den sein Ge- wissen nicht dazu führt, diese veredelnden Eigenschaften zu verehren.

3. Der Mensch wird also Gott verehren nach seinen Vorstellungen von den göttlichen Eigenschaften und Kräf- ten. Diese Vorstellungen nähern sich den richtigen ent- sprechend dem geistigen Licht, das er empfangen hat. Wahre Verehrung ist da unmöglich, wo keine Liebe oder Ehrfurcht für die betreffende Person oder Sache vorhanden ist. Diese Verehrung mag auf einer falschen Grundlage beruhen, die Anbetung eine Art Götzendienst und der Ge- genstand der Verehrung in Wirklichkeit unwürdig sein, von dem Andächtigen selbst muß jedoch gesagt werden, daß er verehrt, wenn ihm das Gewissen sein Idol mit den

490 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.

Eigenschaften der Verehrung ausstattet. Wir haben von „wahrer Verehrung" gesprochen. Dieser Ausdruck ist eigentlich ein Pleonasmus. Verehrung ist, wie schon be- tont wurde, die tiefempfundene Bewunderung, die als Folge einer aufrichtigen Vorstellung von der Würdigkeit des verehrten Gegenstandes dargebracht wird. Irgend eine Kundgebung der Verehrung, die einem niedrigeren Grund als diesem entspricht, ist nur ein Zerrbild der Ver- ehrung. Man nenne das meinetwegen , »falsche Verehrung", aber man vergesse nicht, daß Verehrung naturnotwendig wahr ist. Der Ausdruck erfordert kein Eigenschaftswort, um seine Bedeutung zu erweitern oder seine Echtheit zu bezeugen. Verehrung ist keine Formsache, ebensowenig wie das Gebet. Sie besteht weder in Haltung noch in Gebärde, weder in Zeremonien noch in äußerlichen Glaubensbe- kenntnissen. Die tiefste Verehrung kann ohne irgendeine der künstlichen Beigaben des zeremoniellen Kirchendienstes dargebracht werden : der Stein in der Wüste wird dann zum Altar, die Gipfel der ewigen Berge zu Tempelzinnen, das weite Himmelsgewölbe zum erhabensten Dom.

4. Der Mensch ist in seinem Herzen ein niedrigeres Muster dessen, was er verehrt. Der Wilde, der keinen größern Triumph kennt, als den blutigen Sieg über den Feind, der Gewalttätigkeit und körperliche Kraft als die wünschenswertesten Eigenschaften seiner Rasse betrachtet, und der Vergeltung und Rache für die süßesten Genüsse des Lebens hält, wird sicherlich auch seiner Gottheit solche Eigenschaften zuschreiben und seine tiefste Verehrung durch Opfern von Blut darbringen. Alle die empörenden Unsitten des heidnischen Götzendienstes lassen sich auf verkehrte und teuflische Begriffe von der menschlichen Größe zurückführen. Diese falschen Vorstellungen spie- geln sich wieder in den selbstverfertigten, scheußlichen, teuflisch anmutenden Götzen. Auf der andern Seite wird

Art. 11.1 Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 491

der Mensch, dessen erleuchtete Seele den Einfluß der reinen unbefleckten Liebe empfangen hat, seinem Gott die Eigen- schaften der Milde, Güte und Zuneigung beilegen und in seinem Herzen sagen: ,,Gott ist Liebe". Nur der, der ein richtiges Verständnis für die Herrlichkeit und Verantwort- lichkeit der Elternschaft erworben hat, kann mit Einsicht die Anrede des Sohnes im Gebet nachsprechen: ,, Unser Vater". Erkenntnis ist deshalb zur Verehrung notwendig. In Unwissenheit kann der Mensch Gott nicht richtig dienen. Je größer seine Erkenntnis von der göttlichen Persönlich- keit ist, desto völliger und wahrer wird auch seine Ver- ehrung sein. Er vermag den Vater und den, welchen er gesandt hat, Jesum Christum, zu erkennen und diese Er- kenntnis ist dem Menschen Bürgschaft für das ewige Leben. 5. Verehrung ist freiwillige Huldigung der Seele. Ein Mensch mag unter äußerm Zwang oder aus Heuchelei in unaufrichtiger Weise alle äußerlichen Zeremonien einer feststehenden Form der Verehrung mitmachen, er mag die Worte vorgeschriebener Gebete sprechen, seine Lippen mögen ein Glaubensbekenntnis hersagen und doch sind seine Bemühungen unter diesen Umständen nur eine Ver- höhnung der Verehrung, und ihr zu fröhnen ist Sünde. Unser Vater wünscht weder widerwillige Huldigung noch erzwungenes Lob. Die äußere Form der Verehrung ist dem Herrn nur angenehm, wenn sie von einer einsichts- vollen Ergebenheit erfüllt ist, und sie ist nur von Nutzen als Hilfe für die geistige Hingebung, welche zur Gemein- schaft mit der Gottheit führt. Das gesprochene Gebet ist nur leerer Schall, wenn es weniger ist als das Inhaltsver- zeichnis zu dem Buch der aufrichtigen Wünsche der Seele. Mitteilungen an den Gnadenthron müssen den Stempel der Aufrichtigkeit tragen, wenn sie ihren hohen Bestim- mungsort erreichen sollen, Die am meisten zu wünschende Form der Verehrung ist die, die auf dem rückhaltlosen Ge-

492 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.

horsam gegenüber den Gesetzen Gottes, so wie der Ver- ehrende ihren Zweck erkannt hat, beruht.

6. Religiöse Unduldsamkeit. Die Kirche hält dafür, daß das Recht, nach den Eingebungen des Gewissens zu verehren, dem Menschen von einer Autorität übertragen wurde, die höher ist als irgend eine auf Erden, und daß deshalb keine irdische Macht berechtigt ist, der Ausübung dieses Rechts entgegenzutreten. Die Heiligen der letzten Tage erkennen die verfassungsmäßigen Vorkehrungen, durch welche die religiöse Freiheit innerhalb unseres eige- nen (des amerikanischen) Volkes öffentlich geschützt wird, und wonach ,, niemals ein Gesetz erlassen werden darf in- bezug auf die Gründung einer Religion oder die freie Aus- übung derselben",^) als inspiriert an. Sie glauben ferner vertrauensvoll, daß mit der zunehmenden Aufklärung in der Welt eine ähnliche Bürgschaft für jedes Volk erreicht werden wird.

Unduldsamkeit ist für jeden wahren Fortschritt in jedem Zeitalter das größte Hindernis gewesen. Unter dem schwarzen Mantel eines verkehrten, mißleiteten Eifers für die Religion haben christliche Völker prahlend mit ihrer Zivilisation und angebliche Diener des Evangeliums die Blätter der Weltgeschichte mit Berichten von ruchlosen Taten der Verfolgung befleckt, die den Himmel weinen machen könnten. In dieser Hinsicht sollte die sogenannte Christenheit ihr Haupt in Scham und Schande selbst vor der Duldsamkeit der heidnischen Völker verbergen. Rom, obschon anmaßend und übermütig und als die Herrin der Welt sich ausgebend, verbürgte den besiegten Na- tionen das Recht der freien Verehrung, und verlangte von ihnen nur, daß sie sich in der Ausübung dieser Freiheit der Belästigung anderer oder unter sich enthalten sollten.

') Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika, I. Amen- dement.

Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 493

7. Als jedoch das Evangelium Jesu Christi auf die Erde gegeben worden war, fingen seine ergebenen Anhän- ger sogleich und später seine mehr anmaßenden doch weniger aufrichtigen Verfechter an, sich als so heilig und vortrefflich zu betrachten, daß alle, die einen andern Glauben und ein andres Bekenntnis als sie hatten, der Beachtung völlig unwürdig gehalten wurden. Ja, selbst lange vor der Ankunft des Lehrers der Liebe, wähnte sich Israel im Bewußtsein des göttlich begünstigten Bundes, unter dem sie blühten und gediehen, so sicher auf hoher Stufe stehend, daß alle, die nicht zum auserwählten Samen gehörten, als unwürdig betrachtet wurden. In seiner Amtstätigkeit unter den Juden sah Christus mit mitlei- dender Betrübnis die geistigen und intellektuellen Ketten der damaligen Zeit und verkündigte das erlösende Wort : „Die Wahrheit wird euch frei machen I"^) Hierüber er- zürnten sich diese selbstgerechten Kinder des Bundes und erklärten prahlend: ,,Wir sind Abrahams Samen, sind nie- mals jemandes Knechte gewesen; wie sprichst du denn: Ihr sollt frei werden ?" Darauf tadelte sie der Herr ihrer Scheinheiligkeit wegen und sagte: „Ich weiß wohl, daß ihr Abrahams Kinder seid, aber ihr sucht mich zu töten, denn meine Rede fängt nicht bei euch. "2)

8. Man braucht sich eigentlich nicht sehr zu wundern über die Tatsache, daß die ersten Christen in ihrem Eifer für den neuen Glauben, auf den sie getauft, und nachdem sie eben erst von abgöttischen Sitten und heidnischem Aberglauben bekehrt worden waren, sich über die übrige Menschheit, die noch im Dunkeln saß, erhaben wähnten. Selbst Johannes, heute als der Apostel der Liebe bekannt, vom Heiland jedoch zusammen mit seinem Bruder Jakobus

i) Johannes 8:32.

') Johannes 8 : 32 45 ; siehe auch Matthäus 3 : 9.

494 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.

mit dem Beinamen Bnehargem, das heißt Donnerskinder,i) belegt, war unduldsam und empfindlieh gegenüber denen, die nicht den gleichen Weg gingen wie er. Mehr als einmal mußte er von seinem Herrn und Meister zurecht gewiesen werden. Beachten wir z.B. den folgenden Vorfall: „Jo- hannes aber antwortete ihm und sprach: Meister, wir sahen einen, der trieb Teufel in deinem Namen aus, welcher uns nicht nachfolget; und wir verbotens ihm, darum daß er uns nicht nachfolgt. Jesus aber sprach: Ihr sollts ihm nicht verbieten. Denn es ist niemand, der eine Tat tue in meinem Namen und möge bald übel von mir reden. Wer nicht wider uns ist, der ist für uns. Wer aber euch tränkt mit einem Becher Wassers in meinem Namen, darum daß ihr Christo angehört, wahrlich, ich sage euch: Es wird ihm nicht unvergolten bleiben. "2) Und noch- mals, während die Apostel Jakobus und Johannes mit dem Herrn durch Samaria reisten, entrüsteten sie sich über die Gleichgültigkeit, welche die Samariter ihrem Meister ge- genüber an den Tag legten. Sie baten um die Erlaubnis, Feuer vom Himmel fallen lassen zu dürfen, welches die Ungläubigen verzehren sollte. Ihr rachsüchtiger Wunsch wurde jedoch vom Herrn sofort getadelt mit den Worten: „Wisset ihr nicht, welches Geistes Kinder ihr seid ? Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, der Menschen Seelen zu verderben, sondern zu erhalten."^)

9. Unduldsamkeit ist schriftwidrig. Die Lehren unseres Herrn und Meisters atmen den Geist der Nachsicht und Liebe selbst seinen Feinden gegenüber. Auch wenn er sie nicht gut- heißen konnte, so duldete er doch die Gebräuche der Heiden bei ihrem Götzendienst, die Samariter mit ihrem Gemisch von jüdischen und heidnischen Sitten und Gebräuchen,

») Markus 3:17.

') Markus 9:38 41 ; siehe auch Lukas 9:49 50 und vergleiche damit 4. Mose 11:27—29.

') Lukas 9:51 56; siehe auch Johannes 3:17 und 12:47.

Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 495

die üppigen Sadduzäer und die gesetzesgebundenen Pha- risäer. Haß wurde nicht begünstigt, selbst gegenüber seinen Feinden nicht. Seine Belehrungen lauten: „Liebet eure Feinde; segnet, die euch fluchen; tut wohl denen, die euch hassen; bittet für die, so euch beleidigen und ver- folgen; auf daß ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel; denn er läßt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und läßtregnen über Gerechte und Ungerechte. "i) Den Zwölfen wurde geboten, jedes Haus, worin sie um Obdach baten, mit ihren Segnungen zu bedenken. Gewiß, wenn das Volk sie und ihre Botschaft verwarf, mußte die Vergeltung dafür folgen, aber diese Heimsuchung infolge des Fluches wurde als ein göttliches Vorrecht für den Tag des Gerichts aufbehalten. In seinem Gleichnis von dem Unkraut unter dem Weizen lehrte Christus dieselbe Nachsicht. Die voreiligen Diener wollten das Unkraut unverzüglich ausrotten, es wurde ihnen jedoch verboten, damit sie nicht auch den Weizen ausrissen, und sie wur- den auf die Ernte vertröstet, zu welcher Zeit eine Tren- nung vorgenommen werden würde. 2)

10. Trotz dem vorherrschenden Geiste der Liebe und der Duldsamkeit, der die Lehren des Heilandes und seiner Apostel durchdringt, sind Versuche gemacht worden, aus den heiligen Schriften Rechtfertigungen der Unduldsam- keit und Verfolgung herzuleiten.^) Den scharfen Worten, die Paulus an die Galater richtet, ist eine Bedeutung bei- gelegt worden, die dem Geist, durch den jene hervorge- rufen wurden, völlig fremd ist. Paulus warnt einfach die Heiligen vor falschen Lehrern und sagt: „Wie wir jetzt gesagt haben, so sagen wir auch abermals: So jemand euch Evangelium anders prediget, denn das ihr empfangen

') Matthäus 5:44 45. ») Matthäus 13:24—30. •) Siehe Anmerkung 1.

496 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.

habt, der sei verflucht."^) Mit einer solchen Äußerung suchen sich selbsternannte Diener Christi, die, wenn man die ganze Wahrheit betrachten wollte, vielleicht selbst Lehren predigen, die den Vorschriften des Apostels zuwider- laufen, zu rechtfertigen; dabei vergessen sie aber, daß „Rache und Vergeltung des Herrn sind. "2)

11. Die Absicht, von der sich Johannes leiten ließ, als er der auserwählten Frau einen Rat erteilte, ist eben- falls entstellt worden, und seine Belehrungen zu einem Schlupfwinkel für Verfolger und Scheinheilige gemacht worden. Der Apostel warnt sie vor den Dienern des Anti- christen, die eifrig ihre Ketzereien ausstreuten, und schreibt dann: ,,So jemand zu euch kommt und bringt diese Lehre nicht, den nehmet nicht ins Haus, und grüßet ihn auch nicht. Denn wer ihn grüßt, der macht sich teil- haftig seiner bösen Werke. "3) Keine gerechte Auslegung kann diese Worte so darstellen, als ob damit Unduldsam- keit, Verfolgung und Haß gutgeheißen würden.

12. Die wahre Meinung des Apostels ist mit Klarheit und Deutlichkeit von einem berühmten Schriftsteller un- serer Tage auseinandergesetzt worden, der „die engherzige Unduldsamkeit eines unwissenden Dogmatismus" beklagt und dann sagt: ,, Der Apostel der Liebe hätte das Beste seiner eigenen Lehre Lügen strafen müssen, hätte er be- wußterweise eine grimmige Unduldsamkeit freisprechen, ja sogar anspornen wollen. *** Doch unterstützt dieser zufällige Ausspruch in dem kurzen Briefe des Johannes diese groben Verdrehungen durchaus nicht. Was Johan- nes wirklich meint und wirklich sagt, ist etwas ganz anderes. Falsche Lehrer trieben ihr Unwesen, die unter dem Vorwand, sie seien Christen, dem Wesen Christi alles raubten, was

1) Galater 1:9; auch Vers 8.

») 5. Mose 32:35; Psalm 94:1; Römer 12:19; Hebräer 10:30.

') 2. Johannes 10—11.

Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 497

ihm seine Wirksamkeit zur Erlösung und seine Bedeutung hinsichtlich der Fleischwerdung gab. Diese falschen Lehrer reisten wie andere christliche Missionare von Stadt zu Stadt und bei dem Fehlen von öffentlichen Herbergen wurden sie in die Häuser der zum Christentum bekehrten aufgenommen. Die gläubige Frau, an die Johannes schreibt, wird gewarnt, daß, wenn sie ihre Gastfreundschaft diesen gefährlichen Sendboten anbietet, welche die Hauptwahr- heit des Christentums zerstörten, sie damit eine öffentliche Unterstützung derselben zum Ausdruck bringt, und daß sie, indem sie dies tut, und ihnen ihre besten Wünsche darbietet, einen unmittelbaren Anteil hat an dem Unheil, das jene anrichten. Das ist gesunder Menschenverstand. Von Lieblosigkeit ist nicht das geringste dabei. Niemand ist verpflichtet, die Verbreitung von Lehren, die er als irrtümlich inbezug auf den wichtigsten Punkt seines eigenen Glaubens betrachtet, zu fördern. Noch viel weniger wäre das recht gewesen in einer Zeit, in der die christlichen Gemeinden so schwach und so klein waren. Aber dies so auszulegen, wie es zu allen Zeiten mehr oder weniger aus- gelegt worden ist es in eine Art Befehl zu verkehren, die kleinen Unterschiede in religiösen Meinungen aufzu- bauschen und die zu verfolgen, deren Ansichten von den unsrigen abweichen also unsere Meinung zu dem ent- scheidenden Prüfstein der Ketzerei zu machen und mit Cornelius -a- Lapide zu sagen: ,, dieser Vers verdammt alle Unterhaltungen, allen Verkehr und allen Umgang mit Ketzern" das heißt die Schrift im Lichte der Parteilich- keit und geistigen Selbstgerechtigkeit auslegen, anstatt sie im Lichte heiliger Liebe zu lesen. "^)

13. Duldsamkeit heißt nicht Billigung. Die mensch- liche Schwachheit, in Gedanken und Taten von einer

1) Canon Farrar „Die ersten Tage der Christenheit" S. 587, 588.

32

498 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.

Übertreibung in die andere zu fallen, findet nirgends schlagendere Beispiele, als sie der Umgang des Menschen mit seinem Nebenmenschen in Sachen der Religion dar- bietet. Auf der einen Seite ist er schnell geneigt, den Glauben der andern nicht nur als geringer als seinen eige- nen, sondern auch als seiner Achtung durchaus unwürdig zu betrachten. Auf der andern Seite geht er soweit, zu glauben, daß alle Sekten in ihren Behauptungen und Leh- ren gleichermaßen gerechtfertigt sind, und daß es deshalb in Religionssachen keine bestimmte Ordnung gäbe. Für den Heiligen der letzten Tage ist es in keiner Weise unver- einbar, kühn seine Überzeugung zu verkünden, daß seine eigene Kirche, die vom Herrn angenommene, die einzige, zur Bezeichnung ,,die Kirche Jesu Christi" berechtigte und die alleinige Inhaberin des ewigen Priestertums in diesem Zeitalter ist, und doch anderseits Andersgläubigen bereitwillig freundliche Behandlung zuteil werden zu lassen und die Aufrichtigkeit der Gesinnung anzuerkennen bei jeder Seele oder Sekte, die aufrichtig und ehrlich Christum bekennt, oder die auch nur eine Achtung vor der Wahrheit hat und den aufrichtigen Wunsch kundgibt, in Überein- stimmung mit dem empfangenen Licht zu handeln. Meine Treue zu der Kirche meiner Wahl ist gegründet auf die Überzeugung von der Gültigkeit und Echtheit ihres An- spruches auf Unterscheidung als die eine und einzige Kirche, die das gottgegebene Vorrecht der Autorität inne hat; nichtsdestoweniger halte ich auch die andern, die Sekten, für aufrichtig, bis sie mir das Gegenteil bewei- sen, und ich bin bereit, sie in ihren Rechten zu ver- teidigen.

14. Joseph Smith, der erste Prophet der letzten Dis- pensation, erklärte einst, als er gewisse Brüder wegen ihrer Unduldsamkeit gegen den von andern Gemeinschaften ge- hegten Glauben zurechtwies, daß selbst Götzenanbeter in

Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 499

ihrer Verehrung geschützt werden sollten; es sei zwar gege- benenfalls die ausdrückliche Pflicht jedes Christen, seine Be- mühungen der Erleuchtung solcher verdunkelter Gemüter zuzuwenden, jedoch wäre er nicht gerechtfertigt, wollte er selbst dem Heiden das Recht auf Anbetung gewaltsam ent- ziehen. In den heiligen Augen Gottes ist Götzendienst eine der abscheulichsten Sünden und doch ist er duldsam gegen- über dem, der ihn nicht kennt und der dem angeborenen In- stinkt nach Verehrung dadurch folgt, daß er seine Huldi- gung einem Baum oder einem Stein darbringt. Schrecklich wie die Sünde der götzendienerischen Verehrung für den ist, der Licht empfangen hat, so mag sie doch für den Wilden die aufrichtigste Anbetung darstellen, deren er fähig ist. Dazu hat auch, wie wir schon in einer früheren Vorlesung^) auseinandergesetzt haben, die Stimme des Ewigen erklärt, daß die Heiden, die kein Gesetz kannten, an der ersten Auferstehung teilhaben sollen.

15. Welche Rechtfertigung kann der Mensch für seine Unduldsamkeit gegenüber seinen Mitmenschen finden, wenn Gott, der über jede Sünde betrübt ist, eine so ausge- prägte Nachsicht übt ? Die freie Wahl der menschlichen Seele ist selbst der Gottheit heilig:

„0 wisse, jede Seel' ist frei,

zu wählen zwischen Tod und Leben;

daß jeder ungezwungen sei,

hat freien Willen Gott gegeben.

Zwar segnet Gott, der Herr, mit Licht,

mit Liebe, Weisheit deine Pfade,

zur Wahrheit zwingen will er nicht,

so unerschöpflich seine Gnade."

16. Der Mensch ist für seine Handlungen streng ver- antwortlich. Die unbeschränkte Freisinnigkeit und Duld-

') Siehe Seite 73.

500 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.

samkeit, mit der die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage andere Glaubensbekenntnisse betrachtet, und die Lehre der Kirche von der Gewißheit der schließ- lichen Erlösung aller Menschen mit Ausnahme der we- nigen, die so tief gefallen sind, daß sie die unverzeihliche Sünde begangen haben und dadurch Söhne des Verderbens geworden sind, könnte die irrtümliche Schlußfolgerung nahe legen, wir glaubten, daß alle so erlösten zu gleichen Mächten, gleichen Vorrechten, und gleichen Herrlichkeiten in den Himmel unseres Vaters zugelassen würden. Weit davon entfernt verkündet die Kirche die Lehre von vielen verschiedenartigen Graden der Herrlichkeit, welche die Erlösten in genauer Übereinstimmung mit ihren persön- lichen Verdiensten einnehmen werden.^) Wir glauben an keinen allgemeinen Plan einer summarischen Vergebung oder Belohnung, wodurch Sünder großen und kleinen Grades von den Früchten ihrer Taten losgesprochen werden, während die Gerechten den Himmel als gemein- samen Wohnplatz erlangen sollen, wobei alle im gleichem Maße verherrlicht werden. Wie schon erwähnt, sollen die Heiden, deren Sünden solche der Unwissenheit sind, mit den Gerechten an der ersten Auferstehung hervor- kommen; dies meint aber nicht, daß diese Kinder der niedern Rassen dieselbe Herrlichkeit erlangen sollen, die für die Starken, Tapfern und Getreuen in der Sache Gottes auf Erden vorgesehen ist.

17. Unser Zustand in der künftigen Welt wird genau die Folge des Lebens sein, das wir in diesem Prüfungs- zustand geführt haben, wie wir ja auch im Lichte der ge- offenbarten Wahrheit über unsere Präexistenz erfahren haben,2) daß unser jetziger Zustand von der Treue bestimmt wurde, mit welcher wir unsern ersten Stand behielten.

■) Siehe Seite 112—114. '-) Siehe Seite 233— 238.

Art. ll.[ Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 501

Die heiligen Schriften erklären zu wiederholten Malen, daß der Mensch die natürlichen Früchte seiner Taten im Fleische ernten werde, mögen diese nun gut oder bös sein. Nach der wirkungsvollen Sprache, in welcher der Vater seine schwachen Kinder ermutigt und warnt, wird ein jeder nach seinen Werken belohnt oder bestraft werden. i) In der Ewigkeit wird der Mensch sich erfreuen oder auch Ekel empfinden an den „Früchten seiner eigenen Hand- lungen",

18. Grade der Herrlichkeit. In den Lehren Christi wird angedeutet, daß die Vorrechte und Herrlichkeiten des Himmels den verschiedenartigen Fähigkeiten oder der Würdigkeit entsprechend abgestuft sind. Zu seinen Jüngern sprach er: ,,In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenns nicht so wäre, so wollte ich zu euch sagen : Ich gehe hin,. euch die Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, so will ich wieder- kommen und euch zu mir nehmen, auf daß ihr seid, wo ich bin. "2)

19. Dieser Ausspruch wird von Paulus ergänzt, der von den abgestuften Herrlichkeiten der Auferstehung wie folgt spricht: ,,Und es sind himmhsche Körper und ir- dische Körper; aber eine andere Herrlichkeit haben die himmlischen und eine andere die irdischen. Eine andere Klarheit hat die Sonne, eine andere Klarheit hat der Mond, und eine andere Klarheit haben die Sterne; denn ein Stern übertrifft den andern an Klarheit. Also auch die Auferstehung der Toten. "3)

20. Eine umfassendere Kenntnis dieser Sache ist uns in der gegenwärtigen Dispensation zuteil geworden. Aus

») Hiob 34:11; Psalm 62:13; Jeremia 17:10; 32:19; Matthäus 16:27; Römer 2:6—12; 14:12; 1. Korinther 3:8; 2. Korinther 5:10; Offenbarung Job. 2:23; 20:12; 22:12.

') Johannes 14:1 3.

') 1. Korinther 15:40—42.

502 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII.

einer im Jahre 1832 gegebenen Offenbarung^) erfahren wir folgendes : Drei große Reiche oder Herrlichkeiten sind als zukünftige Wohnplätze des Menschengeschlechts fest- gesetzt. Sie werden bezeichnet als „das himmlische", „das irdische" und „das unterirdische" Reich. Weit unter dem letzten und niedrigsten derselben ist der für die Söhne des Verderbens vorbereitete Stand der ewigen Strafe.

21. Die himmlische Herrlichkeit ist für die vorge- sehen, die die höchsten Ehren des Himmels verdienen. In der angeführten Offenbarung lesen wir von ihnen: „Es sind die, welche das Zeugnis Jesu annahmen, an seinen Namen glaubten und nach der Art seiner Grablegung getauft, nämlich in seinem Namen im Wasser begraben wurden, und zwar dem von ihm gegebenen Gebot ge- mäß, daß sie durch das Halten der Gebote von allen ihren Sünden gewaschen und gereinigt werden und den Heiligen Geist empfangen mögen durch das Auflegen der Hände von einem, der zu diesem Amt ordiniert und gesiegelt worden ist. Es sind die, welche durch Glauben überwinden und durch den Heiligen Geist der Verheißung versiegelt worden sind, welchen der Vater ausgießt über die, so recht- schaffen und treu sind. Sie sind die, welche die Kirche des Erstgebornen ausmachen. Sie sind die, in deren Hände der Vater alle Dinge gegeben hat. Sie sind die, welche Priester und Könige sind, die von seiner Fülle und Herrlichkeit erhalten haben und Priester des Allerhöch- sten sind nach der Ordnung Melchizedeks, welche Ord- nung wiederum nach der Ordnung Henochs war, nach der Ordnung des eingebornen Sohnes. Darum, wie auch ge- schrieben steht, sind sie Götter, nämlich die Söhne Gottes; darum gehören ihnen alle Dinge, ob Leben oder Tod; die Dinge, der Gegenwart oder der Zukunft.

') Lehre u. Bündn., Abschn.

Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 503

Alles gehört ihnen und sie sind Christi und Christus ist Gottes. * * * Diese werden immer und ewiglich in der Gegenwart Gottes und seines Christi wohnen. Sie sind die, welche er mit sich bringen wird, wann er kommen wird in den Wolken des Himmels, um auf Erden über sein Volk zu regieren. Sie sind die, welche an der ersten Auferstehung teilhaben werden ; sie sind die, welche an der Auferstehung der Gerechten hervorkommen werden. *** Sie sind die, welche rechtschaff ene Menschen waren, vollkommen gemacht durch Jesum Christum, den Vermittler des neuen Bundes, durch ihn, welcher diese vollkommene Sühne durch das Vergießen seines Blutes zustandegebracht hat. Sie sind die, deren Körper himm- lisch sind, deren Herrlichkeit die Klarheit der Sonne ist, nämlich die Herrlichkeit Gottes, selbst die höchste aller Herrlichkeiten, von deren Klarheit die Schrift sagt: der Glanz der Sonne des Firmaments sei ihr Ebenbild."^)

22. Die irdische Herrlichkeit. Diese, die nächst nie- drige Stufe, wird vielen zuteil werden, deren Werke nicht die höchsten Belohnungen verdienen. Wir lesen von ihnen: ,,Das sind die, welche die irdische Herrlichkeit besitzen, welche von der Herrlichkeit der Kirche des Erst- gebornen, die die Fülle des Vaters empfangen hat, in eben dem Grade verschieden ist, wie der Glanz des Mondes von dem Glanz der Sonne im Firmament verschieden ist. Siehe, dazu gehören die, welche ohne Gesetz gestorben sind, und ebenfalls die Geister der Menschen, die im Gefängnis be- halten wurden und zu welchen der Sohn hinabstieg und ihnen das Evangelium predigte, damit sie nach dem Ge- setze der im Fleisch lebenden gerichtet werden möchten ; die, welche das Zeugnis Jesu im Fleische nicht annahmen, es aber später noch empfingen. Das sind die, welche ehr-

') Lehre u. Bündn. 76:51—70.

504

Die Glaubensartikel.

[Vorl. XXII.

bare Leute auf Erden waren, aber durch Menschenlist ver- blendet wurden. Sie sind die, welche von seiner Herrlich- keit empfangen, aber nicht von seiner Fülle. Sie sind die, welche die Gegenwart des Sohnes, aber nicht die Fülle des Vaters empfangen; deshalb sind sie irdische Körper,' nicht aber himmlische und sind in Herrlichkeit verschie- den, wie der Mond von der Sonne verschieden ist-. Sie sind die, welche im Zeugnis Jesu nicht tapfer gewesen sind, darum werden sie nicht die Krone über das Reich unseres Gottes erhalten. "1)

23. Die unterirdische Herrlichkeit. Die Offenbarung fährt fort: „Und wiederum schauten wir und sahen die Herrlichkeit der unterirdischen Welt, welche Klarheit geringer ist in dem Grade, wie die Klarheit der Sterne von der Herrlichkeit des Mondes im Firmamente verschieden ist. Sie sind die, welche weder das Evangelium Christi noch das Zeugnis Jesu annahmen. Sie sind die, welche den Heiligen Geist nicht leugnen. Sie sind die, welche zur Hölle hinunter geworfen sind, und die nicht aus der Macht des Teufels erlöst werden als bis zur letzten Auferstehung, bis der Herr, nämlich Christus, das Lamm, sein Werk beendet haben wird. "2) Wir erfahren weiter, daß die Glieder dieses Reiches unter sich wieder abgestuft sein sollen, indem sie die unerleuchteten unter den verschie- denen sich widersprechenden Sekten und Parteien der Men- schen und Sünder aller Arten umfassen, deren Vergehen nicht ganz verderbender Natur sind. „Und die Herrlichkeit derer der unterirdischen Klarheit ist eine besondere, wie es auch die Klarheit der Sterne ist, denn gleichwie ein Stern von dem andern an Klarheit verschieden ist, so ist in der unterirdischen Welt einer von dem andern an Klar- heit verschieden, denn sie sind die, welche von Paulo, von

0 Lehre u. Bund. 76:71—79. ») L. u. B. 76:81—86.

Art. 11.] Religiöse Freilieit und Duldsamlceit. 505

Apollo und von Kephas sind. Sie sind die, welche sagen, einige gehören dem, andere jenem an, einige Christo,, einige Johannes, einige Moses, einige Elias, einige Isaias, einige dem Jesaja und andere dem Henoch die aber weder das Evangelium noch das Zeugnis Jesu noch das der Propheten noch den ewigen Bund annahmen, "i) Offen- bar wird ein beträchtlicher Teil der menschlichen Familie die Herrlichkeiten, die über das unterirdische Reich hin- ausgehen, nicht erreichen, denn es wird uns gesagt: „Aber siehe, wir sahen die Klarheit und die Bewohner der unterirdischen Welt und daß sie zahllos waren wie die Sterne am Firmament oder wie der Sand am Meeres- ufer."2) Es sind die, welche nicht gänzlich verworfen werden; ein jedes ihrer Verdienste wird berücksichtigt werden: „Denn sie sollen gerichtet werden nach ihren Werken, und jeder Mensch wird seinen eigenen Werken gemäß seinen eigenen Platz empfangen in den Wohnungen, die bereitet sind. Und sie werden auch Diener des Allerhöch- sten sein, aber wo Gott und Christus sind, dahin können sie nie kommen durch Welten ohne Ende. "3)

24. Die Reiche in ihren Beziehungen zu einander.

Die drei Reiche von sehr verschiedenartiger Herrlichkeit sind für sich selbst wieder nach einem geordneten Plan der Abstufung organisiert. Wir haben gesehen, daß das unterirdische Reich eine Unmenge von Unterabtei- lungen umfaßt; es wird uns gesagt, daß dies auch bei dem himmlischen Reich der Fall ist,*) und wir dürfen hieraus ferner den Schluß ziehen, daß auch im irdischen Reich ein ähnlicher Zustand besteht. Auf diese Weise ist für die zahllose Verschiedenheit der Verdienste und der Wür-

>) Verse 98—101.

>) Vers 109.

') Lehre u. Bündn. 76:111—112.

') L. u. B. 131:1; siehe auch 2. Korinther 12:1 4.

506

Die Glaubensartikel.

[Vorl. XXII.

digkeit der Menschen eine Unendlichkeit von abgestuften Herrlichkeiten vorgesehen. Das himmlische Reich wird vorzugsweise beehrt werden durch die Gegenwart des Vaters und des Sohnes. i) Dem irdischen Reich wird ge- dient werden durch das nächst höhere, aber ohne eine Fülle der Herrlichkeit. Das unterirdische ward durch die Dienst- leistungen des irdischen verwaltet werden, durch „Engel, welche bestimmtsind, vermittelnde Geister für sie zu sein. "2)

25. Obschon uns direkte Offenbarungen fehlen, wo- durch allein eine sichere Kenntnis von der Sache erworben werden könnte, ist es doch vernünftig, zu glauben, daß in Übereinstimmung mit dem göttlichen Plan des ewigen Fortschrittes das Fortschreiten von Stufe zu Stufe inner- halb irgendeines Reiches und auch von Reich zu Reich vorgesehen ist. Wenn aber die Inhaber einer niedrigeren Herrlichkeit befähigt werden, vorwärts zu schreiten, so werden sicherlich auch die Intelligenzen der höhern Klassen in ihrem Fortschritt nicht aufgehalten sein ; daraus können wir schließen, daß die Reiche unseres Gottes stets durch Abstufungen und Grade gekennzeichnet sein werden. Die Ewigkeit ist fortschreitend. Vollkommenheit ist nur ein verhältnismäßiger Begriff; der wesentliche Bestandteil in Gottes lebendigen Zwecken ist die damit verbundene Macht der ewigen Vermehrung und des ewigen Fortschritts.

26. Die Söhne des Verderbens. Wir hören dann noch von einer andern Klasse von Seelen, deren Sünden solcher- art sind, daß es für sie gegenwärtig nicht möglich ist Erlösung zu erlangen. Diese werden Söhne des Verderbens genannt, Kinder des gefallenen Engels, der einst ein Sohn des Morgens war, nun aber als Luzifer oder Verderben bekannt ist. 3) Es sind dies diejenigen.

') Lehre u. Bündn. 76: ») L. u. B. 76:86, 88. ') L. u. B. 76:25—27.

Art. 11.] Religiöse Freiheit und Duldsamkeit. 507

welche die Wahrheit mit Füßen getreten haben im vollen Licht ihrer Erkenntnis; solche, die, nachdem sie ein Zeugnis von Christus haben und durch den Heiligen Geist begabt worden sind, dann diesen verleugnen und die Macht Gottes verhöhnen, den Herrn wiederum kreuzigen und ihn zur offenen Schande ausstellen. Diese, die unver- zeihliche Sünde, kann nur von denen begangen werden, welche die Erkenntnis und die heilige Überzeugung von der Wahrheit erhalten haben, gegen weiche sie sich alsdann empören. Ihre Sünde ist mit dem Verrat Luzifers vergleich- bar, durch welchen er die Macht und Herrlichkeit seines Gottes an sich zu reißen suchte. Über diese und ihr schreck- liches Los hat der Allmächtige gesprochen: ,,Ich sage, es wäre besser für sie, wenn sie nie geboren worden wären ; denn sie sind Schalen des Zornes, verurteilt, den Zorn Gottes in Ewigkeit zu dulden, in Gemeinschaft mit dem Teufel und seinen Engeln, von denen ich gesagt habe, daß für sie keine Vergebung ist, weder in dieser noch in der zu- künftigen Welt. * * * Sie aber werden in die ewige Strafe hinweggehen, welche eine Strafe ohne Ende ist, eine ewig dauernde Strafe, zu regieren mit dem Teufel und seinen Engeln, wo ihr Wurm nicht stirbt noch das Feuer erlischt, worin ihre Qual besteht. Ihr Ende noch ihren Ort noch ihre Pein weiß kein Mensch, weder war es geoffenbart noch ist es noch wird es den Menschen geoffenbart werden, ausgenommen denen, die daran teil- haben: Dessenungeachtet aber zeige ich, der Herr, sie vielen im Gesicht, aber ich entrücke sie ihnen sogleich wieder; darum verstehen sie das Ende, die Weite, die Höhe, die Tiefe und das Elend derselben nicht, auch kein andrer Mensch, ausgenommen, wer zu dieser Verdammnis be- stimmt ist."^)

•) Lehre u. Bündn. 76:31 48; siehe auch Hebräer 6:4 6; Alma 39:6 und für weitere Himveisungen siehe Seite 74 u. 75 dieses Buches.

508 Die Glaubensarükel. [Vorl. XXII.

27. Die Lehren der Kirche, wie sie das Verhältnis der irdischen Prüfungszeit zu dem zukünftigen Stand erläutern und die persönliche Verantwortlichkeit und Handlungs- freiheit des Menschen auseinandersetzen, sind gewiß klar und deutlich genug. Die Kirche betont, daß, angesichts der schrecklichen Verantwortung, unter der er als unbe- schränkter Leiter seines Geschickes steht, jeder Mensch frei sein muß und auch frei ist, in allen Dingen zu wählen : von dem Leben, das zu der himmlischen Heimat zurück- führt, bis zu der Laufbahn, die im Elend des Verderbens endet. Freiheit in der Verehrung oder in der Verweige- rung der Verehrung ist ein gottgegebenes Recht.

Anmerkungen.

1. Unduldsamkeit in der heutigen Christenheit. „Es muß ausge- sprochen werden obschon ich es nur mit tiefster Betrübnis sage, daß die Icalte Ausscliließlichkeit der Pharisäer, die verbitternde Unnatibarkeit imd der Hochmut selbstgefälliger Theologen und die anmaßende Unfehl- barkeit halbgebildeter Frömmler stets der Fluch des Christentums gewesen sind." „Sie haben dem Wort Gottes menschlichen Sinn gegeben, ja, be- sonders menscMichen Sinn dem weitherzigsten Wort Gottes. Dann suchten sie diesen dem Menschen unter Androhung von Feuer und Fluch, von Tod und Verbannung, aufzuzwingen. Und so luden sie die schreckliche Schuld auf sich, der Menschheit die Religion in einer falschen abstoßenden Weise dargeboten zu haben. Soll der theologische Haß auch weiterhin der ge- rechten Verachtung der Welt Nahrung geben? Ist dieser Haß Haß in seiner bittersten, grausamsten Form etwa als die gesetzmäßige, selbst- verständliche Frucht der Religion der Liebe zu betrachten? Sollen religiöse Meinungen und Anschauungen denn nie von dem Geist des Friedens ge- tragen sein? Sollen religiöse Fragen denn immer die stärkste Abneigung imd die schrecklichste Zerklüftung hervorrufen? Soll die Welt für alle Zeiten in ihrer Meinung bestärkt werden, daß theologische Parteigänger weniger wahrhaftig, weniger offenherzig, weniger hochgesinnt, weniger ehrenhaft sind, als selbst die Parteigänger in politischen und sozialen An- gelegenheiten, die doch keinen Anspruch auf die Pflicht zvir Liebe erheben ? Sollen die sogenannten religiösen „Kämpen" für immer sein was sie heute sind: die rücksichtslosesten, unbilligsten und widerwärtigsten Streiter? Nun wohl, sie können es bleiben! Aber mit viel weniger Schaden für die Sache der Religion, wenn sie auf den Luxus verzichten „die Schrift für ihre eigenen Zwecke auszulegen und zu mißbrauchen!" Canon Farrar, „The Early Days of Christianity", Seite 584 585.

Art. 11.] . Anmerkungen, 509

2. Duldsamkeit. „Mormonismus" erlaubt keine Bedingungen oder Beschränkungen, sondern jeder Bewohner der Erde, zu dem Erlösung kommen soll, muß den Gesetzen und Verordnungen des Evangeliums Folge leisten. Es wird kein Unterschied gemacht zwischen zivilisierten und heid- nischen Nationen, zwischen Leuten von höherer und niederer Bildung, oder zwischen Lebendigen und Toten. Kein menschliches Wesen, das die Jahre der Selbstverantwortlichkeit im Fleische erreicht hat, kann Erlösung im Beiche Gottes erwarten, bis es den Geboten Christi, des Erlösers der Welt, Folge geleistet hat. Aber während sich „INIormonismus" so bestimmt und entschieden zeigt, so ist er doch nicht ausschließend. Er behauptet nicht, daß alle, welche unterlassen haben, das Evangelium des ewigen Lebens an- zunehmen und ihm zu gehorchen, für ewig verdammt werden. Trotz ihrer kühnen Erklärung, die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage sei die einzige Trägerin des heiligen Priestertums, lehrt und verlangt die Kirche doch die größte Duldsamkeit für alle Personen und Gemeinschaf- ten, die vorgeben, Gerechtigkeit zu üben, denn jedermann wird für das Gute, das er tut, nach dem Maße seiner geistigen Erkenntnis belohnt. Und wegen solch hoher Lehren, bei so großer Duldsamkeit, wurde diese Kirche der Unverträglichkeit beschuldigt! Doch sollte dabei nicht außer acht gelassen werden, daß Duldsamkeit nicht Übereinstimmung bedeutet. Ich kann mit allen meiner Seele zu Gebot stehenden Kräften glauben, daß ich recht habe und mein Nachbar sich inbezug auf irgend eine Sache im Irrtum befindet, und doch gibt mir diese Überzeugung noch nicht das geringste Becht, ihn in der Ausübung seines freien Willens zu hindern. Die einzigen Grenzen der Freiheit einer Person sind da, wo die Freiheit eines andern beginnt oder die Bechte des Volkes in Betracht kommen. Gott selbst hält die Freiheit der menschUchen Seele heilig und unverletzlich. „Mormonismus" besteht darauf, daß kein Mensch und auch keine Nation das Becht hat, irgend jemand, und sei er ein Heide, gewaltsam zu verhindern, seinen Gott anzu- beten. Obgleich Götzendienst von den frühesten Zeiten an, von dem Bann göttlicher Ungnade getroffen worden ist, so kann er doch in dem finstem Sinn die aufrichtigste Ehrfurcht darstellen, deren die Person fähig ist; diese sollte besser belehrt, aber nie gezwungen werden. Diese Lehre läßt Gnade unter Zurücksetzung der Gerechtigkeit nicht zu, sondern jedes Vergehen, wie auch jede Unterlassungssünde, wird seine Wunde oder Narbe hinterlassen. In der ewigen Zukunft wird für jede Seele ein ihrem Verdienste und geistigen Bildungsgrad angemessener Platz getunden werden." „Philosophie in .Mormonismus', von James E. Talmage", Seite 12 und 13.

510 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.

Vorlesung XXIII.

Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen.

Artikel 12. Wir glauben daran, Königen, Präsidenten, Herrschern und Magistraten untertänig zu sein, den Gesetzen zu geliorclien, sie zu eliren und zu unterstützen.

1. Es ist nur vernünftig, von einem Volke, das sich zu dem Evangelium Jesu Christi bekennt, und das die Mitgliedschaft in der einzig anerkannten und göttlich be- vollmächtigten Kirche beansprucht, es ist nur vernünftig, sagen wir, von diesen Leuten zu erwarten, daß sie die Tu- genden, die ihnen ihre Vorschriften einschärfen, auch in die Tat umsetzen. Gewiß, wir werden selbst bei denen, die die weitgehendsten und berechtigsten Ansprüche auf Rechtgläubigkeit machen, vergebens nach Vollkommen- heit ausschauen; aber wir haben das Recht, in ihrem Glau- bensbekenntnis genügende Forderungen hinsichtlich einer allgemein gutgeheißenen Lebensweise zu erwarten, und in ihrem Leben ernste und aufrichtige Bemühungen, um eine praktische Verwirklichung ihres Bekenntnisses zu sehen. Religion, wenn sie von Nutzen und überhaupt der Annahme wert sein soll, muß auf das Leben und auf die zeitlichen Angelegenheiten ihrer Anhänger von heilsamem Einfluß sein. Neben andern Tugenden sollte die Kirche in ihren Lehren besonders ein gesetzunterstützendes Verhalten betonen, und die Leute sollten die Wirkungen solcher Vorschriften in ihrer Vortrefflichkeit, als Bürger des Volkes und als Persönlichkeiten in dem Gemeinwesen, in dem sie wohnen, zeigen.

Art. 12.] Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 511

2. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage hat nachdrücldiche Erklärungen über ihren Glauben und ihre Vorschriften hinsichtlich der Pflichten ihrer Mit- glieder den Landes-Gesetzen gegenüber herausgegeben, und sie verteidigt ihren Standpunkt in dieser Sache auf Grund besonderer Offenbarungen aus alter und neuer Zeit. Überdies vertraut dieses Volk darauf, daß, wenn dereinst die wahre Geschichte seiner Entstehung und seines Fort- schritts als festgefügte Körperschaft religiöser Verehrer geschrieben wird, auch die Treue und die patriotische Ergebenheit der Mitglieder dem Vaterlande gegenüber von der Welt im allgemeinen, ebenso gerechtfertigt und ge- priesen werden, wie heute schon ihre Tugenden von den wenigen vorurteilsfreien Untersuchern, die in aufrichtiger Absicht die Geschichte dieser eigenartigen Organisation studiert haben, anerkannt werden.

3. Gehorsam gegenüber der Autorität durch die Heilige Schrift eingeschärft. Im patriarchalischen Zeitalter, als das Familienoberhaupt tatsächlich die richterliche und königliche Macht über seinen Haushalt inne hatte, wurden die Autorität und die Rechte der Familie geachtet. Be- trachten wir z. B. den Fall mit der Hagar, die die zweite Frau Abrahams und die Dienstmagd Sarais war. Eifer- sucht und andere böse Gefühle waren zwischen Hagar und ihrer Herrin Sarai, der altern Gattin des Patriarchen, ent- standen. Abraham hörte der Klage Sarais zu, anerkannte deren Autorität über Hagar, die, obschon auch Abrahams Frau, immer noch die Magd Sarais war, und sagte: „Siehe, deine Magd ist unter deiner Gewalt, tue mit ihr, wie dirs gefällt." Als dann Sarai hart mit ihr verfuhr, floh Hagar in die Wüste, wo ihr ein Engel des Herrn erschien und sie mit folgenden Worten anredete: ,, Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her, und wo willst du hin ? Sie sprach : Ich bin von meiner Frau Sarai geflohen. Und der Engel des

512 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.

Herrn sprach zu ihr : Kehre wieder um zu deiner Frau und demütige dich unter ihre Hand."^) Man beachte hier, wie der himmlische Botschafter die Autorität Sarais über die ihr unterstellte Magd anerkannte, obschon dieser die Ehre dfes Frauenstandes in der Familie zuteil geworden war.

4. Die bereitwillige Unterwerfung Isaaks unter den Willen seines Vaters, die bis zum Opfern seines Lebens^) auf dem Altar des Blutopfers ging, ist ein Beweis für die Heiligkeit, mit der die Autorität des Familienoberhauptes betrachtet wurde. Es könnte scheinen, und es wurde ja auch tatsächlich behauptet, die Forderung, die der Herr als Prüfstein des Glaubens an Abraham stellte, das Leben seines Sohnes als Opfer darzubringen, sei eine Verletzung bereits bestehender Gesetze gewesen, und widerspreche daher einer gleichmäßigen, beständigen Regierung, Diese Behauptung nimmt sich armselig aus, wenn man bedenkt, daß das patriarchalische Oberhaupt die unbedingte Auto- rität über die Glieder seines Haushaltes inne hatte, eine Machtbefugnis, die sich sogar auf das Urteil über Leben und Tod erstreckte. 3)

5. In den Tagen des Auszuges aus Ägypten, als Israel eine theokratische Regierungsform hatte, gab der Herr als Richtschnur für sein auserwähltes Volk verschiedene Gesetze und Gebote. Eines derselben lautet: ,,Den Göt- tern sollst du nicht fluchen, und den Obersten in deinem Volk sollst du nicht lästern."*) Nach göttlicher An- leitung wurden Richter gewählt, die die Machtbefugnis in Israel ausübten. Als Mose später die Gebote Gottes wiederholte, befahl er dem Volk: „Richter und Amtleute

1) 1. Mose 16:1—9. =) 1. Mose 22:1—10. =) Siehe 1. Mose 38:24.

*) 2. Mose 22:27 (28); das Wort „Göttern" in dieser Stelle wurde von «inigen tJbcrsetzern auch mit „Richtern" übersetzt.

Art. 12.] Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 513

sollst du dir setzen in allen deinen Toren, die dir der Herr, dein Gott, geben wird unter deinen Stämmen, daß sie das Volk richten mit rechtem Gericht. "i)

6. Als das Volk der unmittelbaren Aufsicht Gottes müde war und nach einem König verlangte, entsprach der Herr diesem Wunsche und stattete den neuen Herrscher vermittels einer heiligen Salbung^) mit Autorität aus, David anerkannte, obschon er selbst bereits zum Nachfol- ger Sauls gesalbt worden war, die Heiligkeit der Person des Königs und machte sich bittere Vorwürfe, weil er bei einer Gelegenheit den Mantel des Monarchen verstümmelt hatte. Gewiß, Saul trachtete damals dem David nach dem Leben und dieser suchte lediglich ein Mittel, um zu zeigen, daß er nicht die Absicht habe, seinen königlichen Feind zu töten, aber dennoch lesen wir: „Aber darnach schlug ihm sein Herz, daß er den Zipfel Sauls hatte abgeschnitten, und er sprach zu seinen Männern : Das lasse der Herr ferne von mir sein, daß ich das tun sollte und meine Hand legen an meinen Herrn, den Gesalbten des Herrn; denn er ist der Gesalbte des Herrn. "^)

7. Beachten wir ferner die folgenden Ermahnungen des Alten Testamentes: „Mein Kind, fürchte den Herrn und den König I"'^) „Halte das Wort des Königs und den Eid Gottes!"^) , .Fluche dem König nicht in deinem Herzen!"^)

8. Das Beispiel Christi und seiner Apostel. In seinem irdischen Wirken anerkannte unser Heiland stets die be- stehende weltliche Macht; obschon diese Regierungsge- walt durch grausame Eroberung erlangt worden war und

>) 5. Mose 16:18; siehe auch 1:16; 1. Chronik 23:4; 26:29.

») 1. Samuel 8:6 7, 22; 9:15—16; 10:1.

') 1. Samuel 24:10; siehe auch 26:9—12, 16.

*) Sprüche 24:21.

*) Prediger 8:2.

«) Prediger 10:20.

33

514 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.

in ungerechter Weise ausgeübt wurde. Als der Steuer- erheber die von einem fremden König verlangte Steuer forderte, veranlaßte Christus obgleich er persönlich gegen die Ungerechtigkeit des Verlangens Einspruch erhob doch die Entrichtung der Abgabe; ja, er rief sogar einen wunderbaren Umstand zu Hilfe, wodurch das Geld be- zahlt werden konnte. An Petrus stellte er die Frage: ,,Was dünkt dich, Simon? Von wem nehmen die Könige auf Erden den Zoll oder Zins ? Von ihren Kindern oder von den Fremden ? Da sprach zu ihm Petrus : Von den Frem- den. Jesus sprach zu ihm: So sind die Kinder frei. Auf daß aber wir sie nicht ärgern, so gehe hin an das Meer und wirf den Angel, und den ersten Fisch, der herauffährt, den nimm; und wenn du seinen Mund auftust, wirst du einen Stater finden; den nimm und gib ihnen für mich und dich."i)

9. Auf Betreiben gewisser niederträchtiger Pharisäer wurde ein verräterischer Plan geschmiedet, um Christus als einen Empörer gegen die regierende Gewalt hinzustellen. Sie suchten ihn mit der heuchlerischen Frage: „Meister * * * ists recht, daß man dem Kaiser Zins gebe?" zu fangen. Seine Antwort war eine unzweideutige Bestätigung der Unterwerfung unter die Landesgesetze. Er erwiderte nämhch seinen Ausfragern: ,, Weiset mir die Zinsmünze! Und sie reichten ihm einen Groschen dar. Und er sprach zu ihnen: Wes ist das Bild und die Überschrift? Sie spra- chen zu ihm: Des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!"2)

10. In all den ernsten und tragischen Umständen seines Verhörs und seiner Verurteilung beobachtete Chri- stus ein gesetzmäßiges Verhalten, selbst gegenüber dem

») Matthäus 17:24—27.

') Matthäus 22:15—21; auch Markus 12:13—17; Lukas 20:20—25.

Art. 12.] Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 515

Hohenpriester und dem Hohen Rat, die seinen Tod be- schlossen hatten. Diese Beamten, so unwürdig sie auch waren, hatten nichtsdestoweniger eine gewisse Macht- befugnis und verfügten immer noch über eine gewisse Gerichtsbarkeit, sowohl in weltlichen als auch in geistlichen Angelegenheiten. Als er vor Kaiphas stand, beladen mit Schimpf und Schande und beschuldigt von falschen Zeugen, bewahrte er ein würdevolles Schweigen. Die Frage des Hohenpriesters ,, Antwortest du nichts zu dem, was diese wider dich zeugen?" würdigte er keiner Antwort. Dann fuhr aber der Hohepriester fort: „Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagest, ob du seiest Christus, der Sohn Gottes. "i) Auf diese feierliche, mit amtlicher Autorität ausgesprochene Be- schwörung gab der Heiland unverzüglich eine Antwort und anerkannte auf diese Weise das Amt des Hohenprie- sters, so unwürdig der Mann auch war.

11. Eine ähnliche Achtung vor dem Amt des Hohen- priesters legte Paulus an den Tag, als er als Gefangener vor dem Gerichtshof stand. Seine Ausführungen miß- fielen dem Hohenpriester, der denen, die nahe bei Paulus standen, sofort den Befehl gab, ihn auf den Mund zu schla- gen.2) Dies erzürnte den Apostel und er rief: „Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand! Sitzest du, mich zu richten nach dem Gesetz, und heißest mich schlagen wider das Gesetz? Die aber umherstanden, sprachen: Schiltst du den Hohenpriester Gottes? Und Paulus sprach: Liebe Brüder, ich wußte es nicht, daß er der Hohepriester ist. Denn es steht geschrieben: Dem Obersten deines Volkes sollst du nicht fluchen. "3)

') Matth. 26:57— 64; Markus 14:55—62.

') Siehe Anmerkung 1.

•) Apostelgeschichte 23:1 5.

516 Die Glaubensartikel. [Vorl.XXIIl.

12. Die Lehren der Apostel. Paulus schreibt an Titus, den er auf Kreta zurückgelassen hatte, um über die dortige Gemeinde zu wachen, warnt ihn vor den Schwachheiten seiner Herde und ermahnt ihn, diese zu einem ordent- lichen, gesetzentsprechenden Leben anzuhalten: „Erin- nere sie, daß sie den Fürsten und der Obrigkeit Untertan und gehorsam seien, zu allem guten Werk bereit seien. "i) In einer andern Stelle betont Paulus mit Nachdruck die Pflicht der Heiligen gegenüber der staatlichen Gewalt, da diese Machtbefugnis von Gott eingesetzt sei. Er er- läutert die Notwendigkeit einer weltlichen Regierung und das Bedürfnis für Beamte mit Vollmacht, deren Macht nur von Übeltätern gefürchtet werden müsse. Er bezeichnet die staatlichen Beamten als Diener Gottes und rechtfer- tigt die Steuererhebung des Staates mit einer Ermahnung an die Heiligen, ihre bezüglichen Abgaben zu entrichten.

13. Seine Worte, die an die Gemeinde zu Rom ge- richtet sind, lauten wie folgt: ,, Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun der Obrigkeit wider- setzet, der widerstrebet Gottes Ordnung; die aber wider- streben, werden über sich ein Urteil empfangen. Denn die Gewaltigen sind nicht den guten Werken, sondern den bösen zu fürchten. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, so wirst du Lob von ihr haben. Denn sie ist Gottes Dienerin dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich ; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst : sie ist Gottes Dienerin, eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut. Darum ists not, Untertan zu sein, nicht allein um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen. Derhalben müßt ihr auch Schoß geben; denn sie

1) Titus 3:1.

Art. 12.] Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 517

sind Gottes Diener, die solchen Schutz sollen handhaben. So gebet nun jedermann, was ihr schuldig seid : Schoß, dem der Schoß gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt."^)

14. In einem Brief an Timotheus lehrt Paulus, daß in die Gebete der Heiligen die Könige und die staatlichen Obrigkeiten eingeschlossen werden sollten und fügt hinzu, diese Fürbitte sei Gott wohlgefällig, „So ermahne ich nun, daß man vor allen Dingen zuerst tue Bitte, Gebet, Für- bitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und für alle Obrigkeit, auf daß wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit. Denn solches ist gut und angenehm vor Gott, unserm Heiland."2)

15. Die Pflicht des bereitwilligen Gehorsams gegen- über der Autorität wird in den Briefen an die Epheser und Kolosser eingehend behandelt, wobei Vergleiche mit dem gesellschaftlichen und häuslichen Leben angestellt werden. Den Frauen wird gelehrt, ihren Männern Unter- tan zu sein, denn „der Mann ist des Weibes Haupt, gleich- wie auch Christus das Haupt ist der Gemeinde." Jedoch ist diese Pflicht in der Familie eine gegenseitige, weshalb die Männer über die Art und Weise, in der diese Macht- befugnis ausgeübt werden sollte, belehrt werden. Kinder sollen ihren Eltern gehorchen, indessen werden die Eltern davor gewarnt, ihre Kinder zu beleidigen oder ihnen An- stoß zu geben. Den Knechten wird gesagt, ihren Herren willige und ernsthafte Dienste zu leisten und in allen Dingen die höhere Autorität anzuerkennen. Den Herren wird ihre Pflicht gegenüber ihren Dienern eingeschärft und gesagt, von Drohungen und harter Behandlung ab-

') Römer 13:1—7. 2) 1. Timotheus 2:1-

518 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.

zusehen und sich immer daran zu erinnern, daß sie der- einst vor einem Herrn, der größer ist als sie. Rede und Ant- wort stehen müssen. i)

16. Da wo Petrus von der Heiligkeit spricht, mit der die staatliche Gewalt angesehen werden sollte,^) ist er nicht weniger eindringlich als Paulus. Er ermahnt die Heiligen mit folgenden Worten: ,,Seid Untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem Könige, als dem Obersten, oder den Hauptleuten, als die von ihm gesandt sind zur Rache über die Übeltäter und zu Lobe den From- men. Denn das ist der Wille Gottes, daß ihr mit Wohltun verstopfet die Unwissenheit der törichten Menschen, als die Freien und nicht, als hättet ihr die Freiheit zum Deckel der Bosheit, sondern als die Knechte Gottes. Tut Ehre jedermann, habt die Brüder lieb; fürchtet Gott, ehret den König!"»)

17. Diese allgemeinen Regeln inbezug auf die Unter- werfung unter die Autorität wendet er in ähnlicher Weise wie Paulus auf die Verhältnisse des häuslichen Lebens an. Diener sollten gehorsam sein, selbst wenn ihre Herren streng und hart sind : ,,Denn das ist Gnade, so jemand um des Gewissens willen zu Gott das Übel verträgt und leidet das Unrecht. Denn was ist das für ein Ruhm, so ihr um Missetat willen Streiche leidet ? Aber wenn ihr um Wohl- tat willen leidet und erduldet, das ist Gnade bei Gott."^) Desgleichen sollten die Frauen, auch wenn ihre Männer eines andern Glaubens seien, sich nicht selbst rühmen und der Autorität Trotz bieten, sondern Untertan sein und ed- lere und wirkungsvollere Mittel anwenden, um die, deren Namen sie tragen, zu beeinflussen.^) Er weist auf das Ge-

') Epheser 5:22—23; 6:1—9; Kolosser 3:18—22; 4:1. ') Siehe Anmerkung 2. 3) 1. Petrus 2:13—17. *) Verse 19—20. «) 1. Petrus 3:1—7.

Art. 12.] Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 519

rieht hin, das über alle kommen werde und nennt als ge- eignete Wesen für die Verdammnis „allermeist aber die, so da wandeln nach dem Fleisch in der unreinen Lust, und die Herrschaft verachten, frech, eigensinnig, nicht er- zittern, die Majestäten zu lästern. "i)

18. Es bestanden ohne Zweifel triftige Gründe für diese deutlichen und wiederholten Ratschläge gegen den Geist der Empörung, mit denen die Apostel vor alters die Kirche zu leiten und zu kräftigen suchten. Die Heiligen freuten sich über das Zeugnis von der Wahrheit, das in ihren Herzen Wurzel gefaßt hatte über jene Wahrheit, die sie frei machen sollte und es wäre für sie nur natür- lich gewesen, alle andern für geringer zu achten, als sich selbst und sich gegen die Macht der Menschen aufzulehnen zu Gunsten ihrer Ergebenheit gegenüber einer höhern Macht. Es lag beständig die Gefahr nahe, daß ihr Eifer sie zu anmaßenden Handlungen verleiten könnte, die dann einen Vorwand wenn nicht einen Grund abgeben könnten für die Angriffe ihrer Verfolger, von denen sie sogleich als Gesetzesübertreter und Anstifter von Empö- rungen hingestellt worden wären. Selbst eine nur wider- willige Ergebenheit in die bürgerliche Machtbefugnis wäre, angesichts des Argwohnes, mit dem die neue Sekte von ihren heidnischen Zeitgenossen betrachtet wurde, für sie schließlich nur unklug gewesen. Deshalb ließen ihre inspirierten Führer ihre Stimme erschallen und gaben zeitgemäße Ratschläge zur Demut und Ergebung. Es gab aber damals, wie übrigens zu jeder Zeit, gewichtigere Gründe als politische, für die Unterwerfung unter die ein- gesetzten Gewalten: diese Forderung ist ebensosehr das Gesetz Gottes wie das der Menschen. Regierungen sind für das menschliche Dasein notwendig, sie werden aner-

1) 2. Petrus 2:10.

520 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXII I.

kannt, ja sogar gegeben von dem Herrn, und sein Volk ist verpflichtet, sie zu unterstützen.

19. Das Buch Mormon enthält hinsichtlich der Pflich- ten des Volkes, den Landesgesetzen gegenüber gehorsam zu sein, ausgiebige Belehrungen. Da jedoch die staatliche und die kirchliche Autorität gewöhnlich vereinigt, der König oder der Hauptrichter also zugleich auch Hoher- priester war, finden sich verhältnismäßig wenig Ermah- nungen zur Unterstützung der staatlichen Autorität in dem Sinne einer Unterscheidung derselben vom Priester- tum. Von der Zeit Nephis, dem Sohne Lehis, bis zum Tode Mosiahs, d. h. während einer Periode von annähernd fünf- hundert Jahren, w^urden die Nephiten in ununterbrochener Reihenfolge von Königen regiert. Während der übrigen Zeit ihrer beurkundeten Geschichte mehr denn fünf- hundert Jahre regierten Richter das Volk, die von die- sem selbst gewählt wurden. Unter beiden Regierungs- formen wurden die staatlichen Gesetze streng eingehalten, die Macht des Staates ergänzt und verstärkt durch die der Kirche. Die Heiligkeit, mit der die Gesetze betrachtet wurden, wird durch das Urteil veranschaulicht, das Alma über Nehor, einen Mörder und Verteidiger des Aufruhrs und Paffentruges, fällte: „Du bist verurteilt zu sterben", sagte der Richter, ,,nach dem Gesetze, welches uns von Mosiah, unserm letzten König gegeben worden ist; diese Gesetze sind von diesem Volke angenommen worden, darum muß sich dies Volk an das Gesetz halten."^)

20. Neuzeitliche Offenbarung verlangt von den Hei- ligen in der gegenwärtigen Dispensation strikte Unter- werfung unter die staatlichen Gesetze. In einer Mitteilung an die Kirche, datiert vom 1. August 1831, sagt der Herr: „Niemand breche die Gesetze des Landes, denn der, wel-

Art. 12.] Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 521

eher die Gebote Gottes hält, braucht die Gesetze des Lan- des nicht zu brechen. Darum seid der Obrigkeit untrrtan, die Gewalt über euch hat, bis der regieren wird, dessen Recht es ist, zu regieren, und er alle seine Feinde unter seine Füße getan haben wird."^) Zu einem spätem Zeit- punkt, nämlich am 6. August 1833, erhob der Herr in dieser Sache nochmals seine Stimme und sprach: „Und nun, wahrlich, ich sage euch, inbezug auf die Landesgesetze: Es ist mein Wille, daß mein Volk acht haben soll, alles zu tun, was ich ihm gebiete. Das Gesetz des Landes, das der Verfassung gemäß ist, und in der Aufrechterhaltung von Rechten und Privilegien das Prinzip der Freiheit unter- stützt, gehört allen Menschen an und ist vor mir gerecht- fertigt. Deshalb rechtfertige ich, der Herr, euch und eure Brüder meiner Kirche jenem Gesetze, welches das verfas- sungsmäßige Gesetz des Landes ist, freundlich gesinnt zu sein. "2)

21. Die folgende Frage ist oft an die Kirche und an einzelne Mitglieder gerichtet worden: Angenommen, die von Menschen aufgestellten Gesetze würden den Geboten des geoffenbarten Wort Gottes widersprechen, welcher dieser beiden Autoritäten wären dann die Mitglieder zum Gehorsam verpflichtet? Hierauf kann die Ant- wort mit den Worten Christi gegeben werden : Es ist Pflicht des Volkes, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist. Das Himmelreich als eine irdische Macht mit einem regierenden König, der eine unmittelbare und persönliche Machtbefugnis in zeitlichen Dingen ausübt, ist bis heute noch nicht auf Erden aufgerichtet worden; die Gemeinden der Kirche und deren Mitglieder sind den verschiedenen Regierungen unterworfen, in deren Macht- bereich sie sich befinden. Heute, bei der verhältnismäßig

■) Lehre u. Bündn. 58:21—22. ') L. u. B. 98:4—6.

522 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.

großen Erleuchtung und Freiheit, ist wenig Grund dafür vorhanden, irgend einen direkten Zusammenstoß mit den Rechten der privaten Verehrung und des persönhchen Gottesdienstes zu befürchten. Bei zivilisierten Völkern wird den Bürgern gestattet, zu beten und dieses Recht wird durch ein gewissermaßen allgemeines Gesetz der Mensch- heit geschützt. Keine ernstlich bestrebte Seele ist von der Verbindung mit ihrem Gott abgeschnitten, und auf diesem offenstehenden Weg kann Hilfe vor den bedrückenden Gesetzen und Linderung der Not von der Macht erbeten werden, welche die Völker überwacht.

22. Im Vertrauen darauf, daß die Macht der Vorse- hung zu Gunsten religiöser Freiheit wirken wird, sollten sich die Heiligen den Gesetzen ihres Landes fügen. Dessen- ungeachtet sollten sie als Bürger und Untertanen ihrer verschiedenen Regierungen in jeder angebrachten Weise dafür eintreten, daß ihnen und allen Menschen das kost- bare Gut persönlicher Freiheit in religiösen Angelegen- heiten gesichert wird. Es wird nicht von ihnen verlangt, daß sie den ungesetzhchen Druck gesetzloser Verfolger, oder die Folgen ungerechter Gesetzgebung, ohne Wider- spruch hinnehmen und dulden ; aber ihr Widerspruch soll auf gesetzliche und maßvolle Weise geltend gemacht werden. Die Heiligen der letzten Tage haben der Welt eine prak- tische Darlegung jener Lehre gegeben, daß es besser sei, Böses zu erdulden, als durch rein menschliche Empörung gegenüber ungerechter Autorität Unrecht zu tun. Wenn durch eine derartige Unterwerfung unter die Gesetze des Landes und im Falle daß diese Gesetze ungerecht und der menschlichen Freiheit zuwider sind, die Heiligen verhindert werden, das ihnen von Gott aufgetragene Werk zu tun, so werden sie für die Unmöglichkeit, nach dem höhern Gesetz zu handeln, nicht verantwortlich gemacht. Das uns gegebene Wort des Herrn erläutert unmißverständlich die

Art. 12. J Gehorsam gegenüber den Landesgesetzen. 523

Pflicht und die Stellung des Volkes in einem solchen Wider- streit: „Wahrlich, wahrlich ich sage euch: wenn ich irgend welchen der Menschensöhne ein Gebot gebe, in meinem Namen ein Werk zu tun, und jene Menschensöhne gehen daran mit all ihrer Kraft und allem, was sie haben, jenes Werk auszurichten und lassen in ihrem Fleiß nicht nach, und ihre Feinde kommen über sie und hindern sie an der Ausführung jenes Werkes, sehet, dann geziemt es mir, jenes Werk nicht mehr von jenen Menschensöhnen zu verlangen, sondern ihre Opfer anzunehmen ; und die Gott- losigkeit und Übertretung meiner heiligen Gesetze und Gebote will ich an denen heimsuchen, welche mein Werk hinderten bis ins dritte und vierte Glied, solange sie mich hassen und nicht Buße tun, spricht Gott, der Herr".^)

23. Ein Beispiel einer derartigen Ausschaltung des göttlichen Gesetzes ist die Maßnahme der Kirche hinsicht- lich der Vielehe. Diese Einrichtung war auf Grund einer direkten Offenbarung^) ins Leben gerufen worden. Viele von denen, die sie befolgten, fühlten, daß ihnen von Gott befohlen wurde, so zu handeln. In den ersten zehn Jahren nach Einführung der Vielehe als kirchliche Verordnung in Utah, wurde kein Gesetz erlassen, das dieser Sitte wider- sprach. Zu Anfang des Jahres 1862 wurden jedoch bundes- staatliche Gesetzentwürfe ausgearbeitet, welche die Ver- ordnung für ungesetzlich erklärten und auf ihre Befolgung Strafen setzte. Die Kirche vertrat den Standpunkt, daß diese Erlaße verfassungswidrig und deshalb ungültig seien, zumal weil sie jenen Vorbehalt in der Verfassungsurkunde des Landes verletzten, welcher der Regierung das Recht verweigert, Gesetze über die Einrichtung religiöser Gemein- schaften oder zum Verbot der freien Ausübung der Religion

i) Lelire u. Bündn. 124:49 50; siehe Anmerkung 3. =) L. u. B. 132.

524 Die Glaubensartikel [Vorl. XXIII.

ZU erlassen.^) Wiederholte Berufungen wurden eingelegt, sodaß die Sache bis an die letzte Instanz, den Bundes- gerichtshof, gelangte und schließlich wurde die endgültige Entscheidung dahin ausgesprochen, daß die Gesetze gegen die Vielehe verfassungsgemäß seien und daher zu Recht beständen. Die Kirche ließ daraufhin durch ihren ersten Beamten die Ausführung der Vielehe einstellen und gab diese Maßnahme der Mitwelt bekannt, indem sie gleich- zeitig in feierlicher Weise die Veranwortung für diese Än- derung dem Staat auferlegte, durch dessen Gesetze die Verzichtleistung erzwungen worden war. Diese Maßnahme ist durch eine ausdrückliche Willenserklärung der zu einer Konferenz versammelten Kirche gutgeheißen und bestätigt worden. 2)

24. Was die Kirche heute lehrt. Vielleicht kann man keine bessere Zusammenfassung der Lehren der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage über ihr Verhält- nis zur staatlichen Macht und die den Gesetzen des Landes gebührende Achtung geben, als das entsprechende von Joseph Smith verfaßte Glaubensbekenntnis, das dem Buch der Lehre und Bündnisse einverleibt wurde einem der maßgebenden Kirchenbücher, die durch Abstimmung von der Kirche als ihre anerkannten Führer in Glau- ben und Lehre und Lebensführung angenommen wurden. 3) Es lautet wie folgt:

Über Regierungen und Gesetze im allgemeinen.

1. Wir glauben, daß Regierungen von Gott zum Nut- zen der Menschheit eingerichtet worden sind, und daß er die Menschen für ihre Handlungen inbezug auf dieselben

') Artikel I der „Amendments to the Constitution of the United Slates."

-) Siehe Anmerkung 4. ') Lehre u. Bündn. 134.

Art. 12.] Regierungen und Gesetze im allgemeinen. 525

verantwortlich hält, sei es im Geben von Gesetzen oder in der Ausführung derselben zum Nutz und Frommen und zur Sicherheit der Gesellschaft.

2. Wir glauben, daß keine Regierung in Frieden bestehen kann, wenn nicht Gesetze gegeben und un- antastbar gehalten werden, die jeder Person Gewissens- freiheit, Eigentumsrechte und Schutz des Lebens zu- sichern.

3. Wir glauben, daß alle Regierungen notwendiger- weise Zivilbeamter und Magistrate bedürfen, um ihre Gesetze zu vollziehen, und daß solche, die das Gesetz in Unparteilichkeit und Gerechtigkeit ausüben, gesucht und durch die Stimme des Volks (wenn in einer Republik) oder durch den Willen des Souverains aufrecht erhalten werden sollten.

4. Wir glauben, daß die Religion von Gott eingesetzt ist und daß die Menschen ihm, und ihm allein, für ihre Ausübung verantwortlich sind, es sei denn, ihre reli- giösen Meinungen treiben sie an, in die Rechte und Frei- heiten andrer einzugreifen . Ferner glauben wir, daß mensch- liche Gesetze kein Recht haben in der Vorschreibung von Kultusbestimmungen, um die Gewissensfreiheit zu be- schränken; und daß Magistrate Verbrechen in Schranken halten, doch nie das Gewissen einschränken, die Schul- digen bestrafen, doch nie die Freiheit des Geistes unter- drücken sollten.

5. Wir glauben, daß alle Menschen verpflichtet sind, die entsprechenden Regierungen, unter denen si»^ leben, zu unterstützen, wenn sie in ihren angeborenen und unveräußerlichen Rechten durch die Gesetze solcher Re- gierungen beschützt werden; daß Aufstand und Empö- rung solcher beschützter Bürger ihren Vergehen gemäß be- straft werden sollten ; und daß alle Regierungen ein Recht haben, solche Gesetze zu erlassen, welche nach ihrem

526 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.

Urteil am besten geeignet sind, das öffentliche Interesse zu sichern, gleichzeitig jedoch die Freiheit des Gewissens heilig zu halten.

6. Wir glauben, daß jedermann in seiner Stellung geachtet werden sollte, Beamte und Magistrate als solche, da sie zum Schutz der Unschuldigen und zur Bestrafung der Schuldigen eingesetzt worden sind ; und daß alle Men- schen den Gesetzen Achtung und Unterwerfung schuldig sind, da sonst Friede und Eintracht durch Anarchie und Schreckensherrschaft verdrängt werden würden. Mensch- liche Gesetze sind zu dem ausdrücklichen Zweck eingesetzt, unsere Interessen als Individuen und Nationen zu regulieren, zwischen Mensch und Mensch, und göttliche Gesetze sind vom Himmel gegeben, Regeln über unsere geistlichen Ange- legenheiten für Glauben und Verehrung vorzuschreiben, für deren Beobachtung der Mensch seinem Schöpfer ver- antwortlich ist.

7. Wir glauben, daß Gesetzgeber, Staaten und Re- gierungen ein Recht haben und verpflichtet sind, Gesetze zum Schutz aller Bürger in der freien Ausübung ihres re- ligiösen Glaubens zu erlassen ; doch glauben wir nicht, daß sie, in Gerechtigkeit, ein Recht haben, Bürger dieses Vor- rechts zu berauben oder sie in ihren Meinungen zu beschrän- ken, solange sie den Gesetzen des Landes Achtung und Aufmerksamkeit zeigen und solange ihre religiösen Mei- nungen Aufruhr und Empörung nicht rechtfertigen.

8. Wir glauben, daß das Begehen von Verbrechen nach ihrer Natur bestraft werden sollte; daß ISIord, Hoch- verrat, Raub, Diebstahl und die Störung des allgemeinen Friedens in jeder Beziehung nach ihrer Kriminalität und ihrer Tendenz, Böses unter den Menschen anzustiften, von den Regierungen, wo die Vergehen ausgeübt wurden, bestraft werden sollten; und daß alle für die öffentliche

Art. 12.] Regierungen und Gesetze im allgemeinen. 527

Ruhe und Sicherheit nach ihren Fähigkeiten mitwirken sollten, sodaß Übertreter guter Gesetze bestraft werden.

9. Wir glauben, daß es nicht recht ist, religiöse Ein- flüße mit Regierungen zu verbinden, wodurch eine reli- giöse Gesellschaft begünstigt, während eine andere in ihren geistlichen Rechten beschränkt wird, und ihren Mitglie- dern die persönlichen Rechte als Bürger versagt werden.

10. Wir glauben, daß alle religiösen Gesellschaften ein Recht haben, ihre Mitglieder für unpassendes Betragen nach den Regeln und Vorschriften solcher Gesellschaften zur Rechenschaft zu ziehen, vorausgesetzt, daß solche Handlungen nur das religiöse Gemeinschaftsrecht be- rühren; doch glauben wir nicht, daß irgendeine religiöse Gesellschaft Autorität hat, Leute zu verhören, wo es sich um Eigentum oder Leben handelt, oder von ihnen die Güter dieser Welt zu nehmen, oder sie in Leibes- oder Lebensgefahr zu setzen, oder körperliche Be- strafung zu erteilen; sie können sie nur von ihrer Kirche ausschließen, und ihnen ihre Gemeinschaft entziehen.

IL Wir glauben, daß Menschen die Zivilgesetze um Abhülfe anrufen sollen für alles Unrecht und für alle Be- schwerden, womit persönliche Mißhandlung aufgebürdet oder das Recht von Eigentum und Ruf verletzt wird, so- fern solche Gesetze existieren, die dieselben beschützen werden ; ferner glauben wir, daß alle Menschen gerechtfer- tigt sind, sich selbst, ihre Freunde, und deren Eigentum und die Regierung, gegen ungesetzliche Anfälle und Ein- griffe aller Personen zu verteidigen, namentlich in Zeiten der Not, in denen plötzliche Abhilfe von den Gesetzen nicht erwartet noch Hilfe gewährt werden kann.

12. Wir glauben, daß es gerecht ist, das Evangelium den Nationen der Erde zu predigen und die Rechtschaffe- nen zu warnen, sich von den Verderbtheiten der Welt zu retten; doch halten wir es nicht für recht, uns mit Leib-

528 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIII.

eigenen einzulassen, weder ihnen das Evangelium zu pre- digen, noch sie zu taufen, gegen den Wunsch und Willen ihrer Herren, noch sie zu behelligen, oder sie im gering- sten zu beeinflußen oder zu veranlassen mit ihrer Lage in diesem Leben unzufrieden zu sein, und dabei das Leben von Menschen zu gefährden; wir glauben, daß solches Einmischen ungesetzlich und ungerecht ist und dem Frieden jeder Regierung, welche menschliche Wesen in Leibeigenschaft zu halten erlaubt, gefährlich ist."

Anmerkungen.

1. Pauli und Christi Verliöhnung. Siehe Apostelgeschichte 23:1 5. ,,Der Apostel hatte kaum den ersten Satz seiner Verteidigungsrede gespro- chen, alsAnanias in schändlicher Ungesetzlichkeit den Gerichtsdienern befahl, ihn auf den Mund zu schlagen. Empört durch eine so offenkimdige Ver- höhnung, eine so unwürdige Schmähung, flammte das natürliche, chole- rische Temperament des Apostels Paulus zu jenem plötzlichen Zorn auf, der zwar beherrscht werden sollte, den wir jedoch bei einem wahrhaft edlen Charakter nur ungern vermissen möchten. Kein Charakter kann voll- kommen sein, der nicht obschon an und für sich durchaus großmütig und versöhnlich einen tiefsitzenden Unwillen und das Gefühl gerechten Zornes gegenüber unerträglichem Unrecht hegt und pflegt. „Gott wird dich schlagen, du getünchte Wand!" rief er aus auf den brennenden Schlag hin, „Sitzest du, mich zu richten nach dem Gesetz, und heißest mich schlagen wider das Gesetz?" Die Sprache ist ihrer Heftigkeit wegen als unange- bracht kritisiert worden; man verglich sie zu ihrem Nachteil mit der von Christus bei seinem Verhör vor dem Gericht seiner Feinde an den Tag ge- legten Sanftmut (Johannes 18:19 23). „Wo", fragt Jerome, „ist jene Geduld des Heilandes, der wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt, ohne den Mund zu öffnen den Schlagenden so milde fragt: „Habe ich übel geredet, so beweise es, daß es böse sei; habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich?" Wir verkleinern den Apostel nicht, wir verkünden nur die Herrlichkeit Gottes, der, im Fleische leidend, siegreich Unrecht und Fehler der Menschen beherrscht. Es ist jedoch nicht nötig, den Leser daran zu erinnern, daß Christus nicht nur ein- oder zweimal seinen gerechten Zorn walten ließ, und Scheinliciligkeit und Unverschämtheit mit einem Schlag seines heiligen Ingiimms niederschlug, Die Umstehenden scheinen über die Unerschrockenheit des Apostels bestürzt gewesen zu sein, denn sie sagten zu ihm : „Schiltst du den Hohenpriester Gottes ?" Die Erregung Pauli hatte sich in dem einen Ausbruch Luft gemacht; auf der Stelle ent- schuldigte er sich mit ausgesuchter Höflichkeit und Selbstbeherrschung. „Liebe Brüder" sagte er, „ich wußte es nicht, daß er der Hohepriester

Art. 12.] Anmerkungen. 529

ist" und fügte hinzu, daß wenn er es gewußt hätte, würde er ihn nicht mit dem Schimpfnamen „getünchte Wand" angesprochen haben, denn er achtete die Vorsclirift der Heiligen Schrift und handelte darnach : „Dem Obersten deines Volks sollst du nicht fluchen." Farrar, „The Life and Work of St. Paul", Seite 539—540.

2. Die Belehrungen des Petrus hinsichtlich der Unterwerfung unter die Landesgesetze. Eine besondere Pflicht der Christen jener Tage be- stand darin, den staatlichen Regierungen in allen gesetzmäßigen Dingen die schuldige Achtung zu erweisen. Wohl kann es Gelegenheit geben keiner wußte dies besser als der Apostel, der selbst ein würdiges Beispiel von Un- gehorsam gegenüber unberechtigtem Verlangen hinterlassen hat (Apostelge- schichte 4:19, 31; 5:28 32, 39 42) daß wir Gott mehr gehorchen müssen als den Menschen. Solche Fälle bilden jedoch im gewöhnlichen Verlauf des Lebens die Ausnahme. In der Regel, und als Ganzes betrachtet, befindet sich auch das menschliche Gesetz auf der Seite der göttlichen Ord- nung und es hat deshalb von wem es auch gehandhabt werden möge Anspruch auf Gehorsam und Nachachtung. So sehr bediu"ften die Christen jener Tage dieser Ermahnung, daß diese gleich nachdrücklich von Johannes (Johannes 19:11) wie auch von Petrus und Paulus selbst erhoben wurde. Nötiger als je war sie in einer Zeit, in welcher in Judäa gefährliche Empö- rungen ihrem Höhepunkt zutrieben, in einer Zeit, in welcher die Herzen der Juden in der ganzen Welt entbrannten in flammenden Zorn und Haß über die Greueltaten eines tyrannischen Götzendienstes, in einer Zeit, da die Christen beschuldigt wurden, daß sie „den ganzen Erdkreis erregten" (Apostelgeschichte 17:6), in einer Zeit, da irgend ein armer, den Qualen des Märtyrertodes verfallener Christensklave leicht hätte der Erregung seiner Seele Luft verschaffen können, durch einen Ausbruch apokalyptischer Androhung plötzlicher Strafgerichte wegen der Verbrechen des finstern Babylons, in einer Zeit, in welcher die Heiden in ihrer müden Verachtung irgendeine Prophezeiung über den letzten Weltenbrand willkürlich als eine aufrührerische und mordbrennerische Drohung auslegen konnten und in der schon die Christen Roms die Marter aus eben demselben Grunde der Ver- folgung durch Nero erduldeten. Unterwerfung war deshalb die Haupt- pflicht für alle, die den Heiden keinen Anstoß geben wollten und die die Kirche davor zu retten wünschten, daß sie von irgendeinem Ausbruch des Unwillens verschlungen wurde, welcher selbst den vernünftigen und duld- samen Heiden gegenüber als eine politische Notwendigkeit gerechtfertigt werden konnte. Deshalb „Seid Untertan," sagt der Apostel, „aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem Könige, als dem Obersten (der Name König wurde von den Kaisern in den Provinzen häufig geführt), oder den Hauptleuten, als die von ihm gesandt sind zur Rache über die Übeltäter und zu Lobe den Frommen. Denn das ist der Wille Gottes, daß ihr mit Wohltun verstopfet die Unwissenheit der törichten Menschen, als die Freien, und nicht, als hättet ihr die Freiheit zum Deckel der Bosheit, sondern als die Knechte Gottes. Tut Ehre jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehret den König!" (Siehe 1. Petrus 2:13 17). Farrar, „Early Days of Christianity", S. 89 90.

3. Das Gesetz Gottes und das Gesetz der Mensehen. Die Lehre der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage über die Pflicht ihrer Mitglieder zum Gehorsam gegenüber den Gesetzen des Landes, in dem sie leben, ist umfassender und bestinunter als die vieler andrer christlicher

34

530 Die Glaubensartikel. [Vorl.XXlII.

Sekten. Im Januar 1899 veröffentlichte eine Vereinigung der freien evan- gelischen Kirchen Englands offiziell eine „allgemeine Darlegung des Glau- bens in Form eines neuen Katechismus". Bei Behandlung des Verhält- nisses zwischen Kirche und Staat erscheinen die folgenden Fragen und Antw orten :

36. Frage: „Was ist eine freie Kirche?"

Antwort: „Eine Kirche, die einzig und allein Christus als ihr Haupt anerkennt und die deshalb ihr Recht ausübt, ihre Gesetze ohne Be- schränkung oder Kontrolle durch den Staat auszulegen und handzu- haben."

37. Frage: „Was ist die Pflicht der Kirche gegenüber dem Staat? ' Antwort: „Alle Gesetze des Landes zu halten, ausgenommen solche,

die den Lehren Christi zuwiderlaufen."

Nach dem Bericht, des mit der Herausgabe des Werkes beauftragten Ausschußes, „stellt der Katechismus direkt oder indirekt das Glaubens- bekenntnis von nicht weniger, wahrscheinlich aber mehr als 60 Millionen bewußten Christen in allen Teilen der Welt dar."

4. Das Aufhören der mehrfachen Ehe. Die offizielle Maßnahme, mit der die Verordnvmg der mehrfachen Ehe unter den Heiligen der letzten Tage abgeschafft wurde, bestand darin, daß die zu einer Konferenz versam- melte Kirche eine von dem Präsidenten der Kirche erlassene Kundmachung annahm. Die Sprache der Urkunde kennzeichnet den gesetzachtenden Charakter des Volkes und der Kirche, wie besonders aus folgendem Satz erhellt: „Da vom Kongreß Gesetze erlassen worden sind, welche die mehr- fache Ehe verbieten, Gesetze, die von dem obersten Gerichtshof als verfas- svmgsgemäß erklärt wurden, tue ich, Präs. Wilford Woodruff, hiermit meinen Willen kund, mich diesen Gesetzen zu unterwerfen und bei den Mitgliedern der Kirche, welcher ich vorstehe, meinen Einfluß dahin geltend zu machen, daß auch sie das gleiche tun." Im Laufe einer Predigt, die immittelbar auf die Verkündigung des Manifestes folgte, sagte Präsident Woodruff von der getroffenen Maßnahme: „Ich habe meine Pflicht getan und die Nation, von welcher wir einen Teil bilden, muß verantwortlich sein für das, was hinsichtUch dieses Prinzipes (nämlich der Vielehe) getan worden ist."

I

Art. 13.] Praktische Religion. 531

Vorlesung XXIV. Praktische Religion.

Artikel 13. Wir glauben daran, ehrlich, getreu, keusch, wohl- tätig und tugendhaft zu sein und allen Menschen Gutes zu tun ; in der Tat möchten wir sagen, daß wir der Ermahnung Pauli folgen : Wir glauben alles, wir hoffen alles; wir haben ^^eles ertragen und hoffen fähig zu sein, alles zu ertragen. Wo etwas Tugendhaftes, Liebenswürdiges oder von gutem Rufe oder Lobenswertes ist, trachten ^ir nach diesen Dingen.

1. Religion des täglichen Lebens. In diesem Glau- bensartikel erklären die Heiligen der letzten Tage ihr Be- kenntnis zu einer Religion der Tat, zu einer Religion, die nicht nur im Bekenntnis zu geistigen Dingen besteht, nicht bloß im Glauben an ein Jenseits oder an die Erbsünde, an einen zukünftigen Himmel oder eine zukünftige Hölle, sondern vor allem in der treuen Erfüllung der täglichen Pflichten, wobei Selbstachtung, Liebe zu den Mitmenschen und Ergebung in den Willen Gottes die leitenden Grund- sätze sind. Religion ohne Moral, Ansprucherhebung auf Frömmigkeit ohne Nächstenliebe, Mitgliedschaft in der Kirche ohne eine entsprechende Verantwortlichkeit des einzelnen hinsichtlich seines Lebenswandels, sind weiter nichts als „tönendes Erz und klingende Schellen", Lärm ohne Musik, leere Worte ohne den Geist des Gebets. ,,Ein reiner und unbefleckter Gottesdienst vor Gott, dem Vater, ist der : die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen und sich von der Welt unbefleckt erhalten. "i) Ehrlichkeit der Gesinnung, Lauterkeit des Charakters, persönliche Reinheit, unbedingte Freiheit des Gewissens,

') Jakobus 1:27.

532 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.

Bereitwilligkeit, allen Menschen, selbst dem Feind, reines Wohlwollen entgegenzubringen dieses sind einige Früchte, woran die Religion Christi erkannt werden kann, und die an Wichtigkeit und Wert das Verkündigen bloßer Lehrsätze und das Vortragen bloßer Theorien weit hinter sich lassen. Aber auch Erkenntriis von Dingen, die über das Zeitliche hinausgehen, und Belehrungen in geistigen Angelegenheiten Belehrungen, die nicht auf dem Sande schwacher menschlicher Hypothesen sondern auf göttlicher Offenbarung beruhen kennzeichnen die wahre Kirche. 2. Die Reichhaltigkeit unsres Glaubens muß jedem auf- fallen, der die von der Kirche gelehrten Grundsätze ernst- lich untersucht, und noch mehr dem, der vorurteilsfrei ihre Wirkung auf den Lebenswandel beobachtet, wel- cher den Heiligen der letzten Tage eigen ist. Inner- halb der Kirche gibt es Raum für alle Wahrheiten für irgend etwas, das lobenswert, tugendhaft, liebenswert oder von gutem Rufe ist. Die Freiheit und Weitherzigkeit, mit der die Kirche andere Glaubensbekenntnisse betrach- tet, die Ernsthaftigkeit ihrer Lehre, daß Gott kein Anseher der Person ist, sondern daß er alle Menschen nach ihren Taten richten wird, die Breite und Tiefe ihrer Begriffe von dem Zustand der Unsterblichkeit und den Graden ewi- ger Herrlichkeit, die die Aufrichtigen aller Völker, Geschlech- ter und Kirchen erwartet, gleichviel ob heidnisch oder christ- lich, ob erleuchtet oder verdunkelt, alles dies ist schon in frühern Vorlesungen behandelt worden. Wir haben weiter gesehen, daß sein Glaube dieses Volk vorwärts bringt, sogar über die Grenze aller bis jetzt geoffenbarten Wahr- heit hinaus, und daß er es lehrt, mit unerschütterlichem Vertrauen weitern' Offenbarungen entgegenzusehen, vermehrten Wahrheiten, Herrlichkeiten, größer, als sie je geoffenbart worden sind Ewigkeiten der Macht, Herr- schaft und des Fortschritts, zu hoch für die jetzige

Art. 13.] Praktische Religion. 533

Fassungskraft des menschlichen Geistes und für die Emp- fänglichkeit der Seele. Wir glauben an einen Gott, der selbst vorwärts schreitet, dessen Majestät Intelligenz ist, dessen Vollkommenheit in ewigem Fortschritt besteht, dessen fortschreitendes unaufhörliches Werk der Schöp- fung zwar ,, beendigt ist, aber doch für immer von neuem beginnt",^) an ein Wesen, das seinen erhöhten Stand erreicht hat auf einem Wege, auf dem jetzt seine Kinder vorwärts schreiten dürfen, an ein Wesen, dessen Herr- lichkeit es ist, ihr Erbteil mit ihnen zu teilen. Ungeachtet des Widerspruches aller anderen Sekten und angesichts der direkten Beschuldigung der Gotteslästerung verkündet die Kirche die ewige Wahrheit: Wie der Mensch jetzt ist, so war einst Gott, und wie Gott jetzt ist, so kann der Mensch einmal werden". Mit einer solchen Zukunft vor sich kann der Mensch wohl sein Herz dem Strom der Offenbarung aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft öffnen und in der Tat sollten wir imstande sein, von jedem erleuchteten Kind Gottes zu sagen: ,,Es verträgt alles, es glaubt alles, es hofft alles, es duldet alles. "2) Bei der Behandlung der im vorliegenden Artikel niedergelegten Glaubenserklärung ergeben sich als dazu gehörend viele Themen über Or- ganisation, Vorschriften, Gebote und Gebräuche der Kir- che. Von diesen wollen wir die folgenden einer nähern Betrachtung unterziehen.

3. Wohltätigkeit. Wohltätigkeit gründet sich auf die Liebe zum Mitmenschen. Sie umfaßt, obwohl sie diese weit übertrifft, Mildtätigkeit in dem Sinne, in dem dieses Wort heute gebraucht wird. Von dem göttlichen Lehrer wurde sie gleich nach der Liebe zu Gott genannt. Einmal kamen gewisse Pharisäer zu Christus und versuchten ihn mit Fragen über die Lehre, in der Hoffnung, ihn in

») Bryant.

") 1. Korinther 13:7.

534 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.

Widersprüche verstricken zu können, um ihn dann als Übertreter des Gesetzes zu brandmarken. Ihr Sprecher war ein Schriftgelehrter, und nun beachte man seine Frage und die Antwort des Heilandes: ,, Meister, wel- ches ist das vornehmste Gebot im Gesetz? Jesus aber sprach zu ihm: Du sollst lieben Gott, deinen Herrn, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Ge- müte. Dies ist das vornehmste und größte Gebot. Das an- dere aber ist ihm gleich : Du sollst deinen Nächsten lieben als dich selbst. In diesen zwei Geboten hanget das ganze Gesetz und die Propheten. "i) Diese zwei Gebote, von welchen hier als vom ersten und zweiten gesprochen wird, sind so eng mit einander verknüpft, daß sie tatsächlich nur eines sind, und zwar dies eine: ,,Du sollst lieben". Wer eines von beiden hält, hält beide, denn ohne Liebe für un- sern Nächsten ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Daher schrieb Johannes, der Apostel der Liebe: ,,Ihr Lieben, lasset uns untereinander liebhaben ; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebhat, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebhat, der kennt Gott nicht, denn Gott ist die Liebe. * * * So jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasset seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, wie kann er Gott lieben, den er nicht sieht? Und dies Gebot haben wir von ihm, daß, wer Gott liebt, daß der auch seinen Bruder liebe, "2)

4. Aber vielleicht finden sich die ergreifendsten und erhabensten apostolischen Worte über die erlösende Liebe in dem Briefe des Apostels Paulus an die Korinther.^) In der englischen Bibelübersetzung wird die Tugend, die allen wunderbaren Gaben des Geistes überlegen ist, und

0 Matthäus 22:36 40; siehe auch Lukas 10:25—27.

») 1. Johannes 4:7—8, 20—21.

=) 1. Korinther 13; siehe auch Alma 34:28 29; Mosiah 4:16 24.

Art. 13.] Praktische Religion. 535

die weiter bestehen wird, auch wenn alle andern schon ver- gangen sein werden, als ,, Mildtätigkeit" bezeichnet, das ur- sprüngliche Wort bedeutet jedoch (wie Lutherübersetzt hat) „Liebe". Sicherlich dachte auch Paulus an etwas Größeres und Erhabeneres als bloß an das Almosengeben, wie ja aus seiner Ausdrucksweise klar ersichtlich ist: ,,Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe, * * * und hätte der Liebe nicht, so wäre mirs nichts nütze. "i) Mag ein Mensch auch mit Engelzungen reden, mag er die Macht haben, zu prophezeien, die größte der gewöhnlichen Gaben mag er in der Erkenntnis bewandert sein und alle Geheimnisse verstehen, mag sein Glaube ihn befähigen. Berge zu versetzen, und mag er alles, was er hat, selbst sein Leben dahingehen ohne Liebe wäre es nichts. Mild- tätigkeit, oder Almosengeben, auch wenn es aus dem auf- richtigsten Grunde, frei von jedem Wunsch nach Lob und jeder Hoffnung auf Vergeltung geschieht, ist doch nur eine schwache Kundgebung jener Liebe, wodurch dem Menschen sein Nächster so lieb wird, wie er selbst, jener Liebe die langmütig ist, die andere nicht neidet, die den Eigennutz und die Selbstsucht unterdrückt, und die sich der Wahr- heit erfreut. Wenn das „Vollkommene" kommt, sollen die Gaben, die als Bruchstücke gegeben worden sind, abgelöst werden : das Vollkommene wird dann das Unvoll- kommene ersetzen. Die Kraft der Heilung wird dann auf- hören, denn Krankheiten wird es nicht mehr geben, Zungen und Auslegung von Zungen werden überflüssig sein, weil man nur noch eine einzige, reine Sprache sprechen wird, das Austreiben der Teufel und die Kraft gegen tödliches Gift werden nicht länger mehr nötig sein, denn die Zustände im Himmel werden sie überflüssig machen. Die Liebe aber, die reine göttliche Liebe, wird nie entbehr-

1) 1. Korinther 13:

536 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.

lieh werden, inmitten der verherrlichten Scharen wird sie thronen, angetan mit all der Herrlichkeit und Pracht ihrer himmlischen Heimat. "i) Will der Mensch das ewige Leben erlangen, so darf er die Pflicht zur Liebe nicht ver- nachlässigen, denn die ,, Liebe ist des Gesetzes Erfüllung."^)

5. Wohltätigkeit von der Kirche geübt. Die Kirche von heute kann auf eine erstaunliche, schon geleistete und noch im Fortschritt begriffene Arbeit im Dienste der Wohltätigkeit hinweisen. Eines der herrlichsten Denk- mäler ihres Werkes stellt die Missionsarbeit dar, die stets ein bezeichnender Grundzug ihres Wesens war. Aus keinem andern Grunde als aus reiner Liebe zur Menschheit und aus dem Wunsche, die Gebote Gottes in dieser Hinsicht zu erfüllen, sendet die Kirche Jahr für Jahr Hunderte von Missionaren aus, um der Welt das Evangelium vom ewigen Leben zu verkündigen. Unzählige dieser Getreuen werden verspottet, verhöhnt und beschimpft von solchen, denen sie zu nützen suchten und nicht wenige besiegelten als Märtyrer ihr Werk und ihr Zeugnis mit ihrem Leben. Die Mildtätigkeit, die sich im Spenden äußerer Güter offenbart, wird von der Kirche nicht vernachlässigt. In der Tat wird diese Form der Wohltätigkeit jedem Heiligen der letzten Tage als eine heilige Pflicht eingeschärft. Wäh- rend vom Einzelnen verlangt wird, daß er von seiner Habe, seinen persönlichen Verhältnissen entsprechend, den Bedürftigen mitteilt, hat sich innerhalb der Kirche ein Wohltätigkeitsplan ausgebildet, von dem einzelne Züge unsere besondere Beachtung verdienen.

6. Freiwillige Gaben. Es ist für die Kirche und für das Volk Gottes stets bezeichnend gewesen, daß sie es auf sich nahmen, für die Armen zu sorgen, wenn solche unter ihnen waren. Zu diesem Zwecke, und um einen

») Orson Pratt, „Divine Authenticity of the Book of Mormon 1, 15 16. ') Römer 13:10; siehe auch Galater 5:14; 1. Petrus 4:8.

Art. 13.] Praktische Religion. 537

Geist der Freigebigkeit, Freundlichkeit und Wohltätig- keit zu pflegen, sind von denen, die erklären, nach den Gesetzen Gottes leben zu wollen, freiwillige Gaben und Geschenke erbeten worden. Heute wird in der Kirche bei der Versorgung der Armen nach einem geordneten Plan verfahren. So besteht fast in allen Gemeinden eine Ver- einigung der Frauen, bekannt als der „Frauenhilfsverein".^) Es gehört zu seiner Arbeit, aus dem Gemeinwesen und von den Kirchenmitgliedern im allgemeinen Beiträge in Geld und anderm Gut, besonders aber in Dingen des täglichen Lebens einzusammeln und unter der Leitung der örtlichen Beamten, des Priestertums, an die Bedürftigen zu vertei- len. Der Frauenhilfs verein arbeitet ebenfalls nach einem bestimmten Plan, wonach er die Häuser der Betrübten und Bekümmerten regelmäßig besucht, im Haushalt, in der Kinder- und Krankenpflege hilfreich beispringt, in Todesfällen und sonstigen Heimsuchungen Trost und Unterstützung bringt, und überhaupt in jeder möglichen Weise, Not und Leid zu lindern versucht. Die segensreiche Tätigkeit dieses Hilfsvereins hat die Bewunderung vieler gewonnen, die sonst keine Verbindung mit der Kirche haben wollen. Die Arbeitsweise und Methode der Frauen- hilfsvereine werden jetzt auch von andern Wohltätigkeits- vereinen befolgt und in den Vereinigten Staaten von Nord- amerika hat sich diese Organisation nationale Würde und Rang erworben.

7. Die Fastopfer bilden noch einen allgemeinern Plan der Wohltätigkeit. Die Kirche lehrt die Wirksamkeit des anhaltenden Gebets und des regelmäßigen Fastens als ein Mittel, jene Demut zu erlangen, die dazu dienlich ist, das göttliche Wohlgefallen zu gewinnen. Einen monat- lichen Fasttag hat die Kirche festgesetzt. Viele Jahre

') Siehe Seite 259

538 Die Glaubensartikel. (Vorl. XXIV.

hindurch war es der erste Donnerstag des Monats. Später wurde, in der Absicht, ein allgemeineres Besuchen der Fastversammlung herbeizuführen, eine vorteilhafte Ände- rung getroffen, und heute wird der erste Sonntag im Monat diesem Zweck geweiht. Von den Heiligen wird erwartet, daß sie ihre Aufrichtigkeit im Fasten kundtun, indem sie an diesem Tage ein Opfer zum Nutzen der Armen geben, und auf Grund allgemeiner Einwilligung wird wenigstens der Gegenwert ge\\1inscht, der durch das Ausfallen der Mahlzeiten der fastenden Familien entsteht. Diese Fast- opfer können in Geld, in Lebensmitteln oder in andern sonst nützlichen Waren und Gegenständen bestehen. Sie wer- den von der Bischofschaft oder deren Vertretern entgegen- genommen und von diesen unter die würdigen Armen der Ward oder der Gemeinde verteilt. Auf diesem und auf zahlreichen andern Wegen teilen die Heiligen von ihrem Hab und Gut den Bedürftigen mit, eingedenk dessen, daß die Armen unter ihnen die Armen des Herrn sein können, und daß, unbekümmert um die Würdigkeit des Empfän- gers, Not und Elend gelindert werden müssen. Das Volk glaubt, daß die Harmonie seines Gebets zu einem Miß- klang wird, wenn die Klagen der Armen sein Flehen vor den Thron des Allerhöchsten begleiten.

8. Der Zehnte. Die Kirche anerkennt auch heute die Lehre vom Bezahlen des Zehnten eine Lehre, die inbezug auf ihre allgemeinen Verordnungen derjenigen, die vor alters gelehrt und befolgt wurde, ähnlich ist. Bevor wir das Verfahren, das heute in dieser Sache geübt wird, einer nähern Betrachtung unterziehen, wollen wir die frü- here Weise des Zehntenzahlens kurz streifen. Der Zehnte ist, wie dies schon der Name sagt, der zehnte Teil und es scheint, als ob in frühern Zeiten dieser Teil des persönlichen Besitzes als eine Schuld dem Herrn gegenüber angesehen wurde. Die Einführung des Zehnten läßt sich weiter als

Art. 13.] Praktische Religion. 539

bis in die mosaische Dispensation zurückverfolgen, denn wir finden, daß sowohl Abraham wie auch Jakob ihren Zehnten bezahlt haben. Als Abraham aus siegreicher Schlacht heimkehrte, ging ihm Melchizedek, der König von Salem und ,, Priester Gottes des Höchsten," ent- gegen, und Abraham, dessen priesterliche Autorität aner- kennend, gab ihm „den Zehnten von allem". i) Jakob leistete dem Herrn ein freiwilliges Gelübde, daß er ihm den Zehnten geben wolle von allem, was in seinen Besitz gelangen werde. 2)

9. Die mosaischen Vorschriften hinsichtlich der For- derung des Zehnten sind klar und unmißverständlich: „Alle Zehnten im Lande, von Samen des Landes und von Früchten der Bäume, sind des Herrn und sollen dem Herrn heilig sein. * * * Und alle Zehnten von Rindern und Scha- fen, von allem, was unter dem Hirtenstabe geht, das ist ein heiliger Zehnt dem Herrn. "2) Der Zehnte war zu bezahlen wie er gerade kam, d. h. ohne das Gute oder das Schlechte auszusuchen. Unter gewissen Umständen konnte man jedoch seinen Zehnten wieder einlösen, indem man den Gegenwert dafür in anderer Form bezahlte, nur mußte man in solchen Fällen ein Fünftel des Zehnten hinzugeben. Von allem Eigentum in Israel mußte den Leviten der Zehnte übergeben werden ; er bildete ihr Erbteil als Anerkennung ihres Dienstes und ihrer Arbeit in der Stiftshütte. Die Leviten ihrerseits mußten von dem, was sie erhielten, auch den Zehnten geben, und dieser Zehnte vom Zehnten war an die Priester*) abzuführen. Weiter wurde ein Zehnten von den Israeliten verlangt zur Verwendung an ihren be- stimmten Festtagen.^) Es ist augenscheinlich, daß,

') 1. Mose 14:18 20; siehe auch Hebräer 7:1 3, 5; und Alma 13:13—16.

0 1. Mose 28:22.

») 3. Mose 27:30—34.

«) 4. Mose 18:21—28.

') 5. Mose 12:5—17; 14:22—23.

540 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.

wenn auch für die Vernachlässigung des Zehntengesetzes keine bestimmte Strafe berichtet wird, doch die genaue Befolgung dieses Gebots als eine heilige Pflicht betrachtet wurde. Im Verlaufe der Reformation die von Hiskia durchgeführt wurde, bekundete das Volk seine Buße und bezahlte sofort seinen Zehnten ;^) und so reichlich gaben sie, daß schließlich großer Überfluß vorhanden war. Als Hiskia dies gewahrte, fragte er nach der Herkunft dieser Fülle : „Und Asarja, der Priester, der Vornehmste im Hause Zadok, sprach zu ihm: Seit der Zeit, da man angefangen hat, die Hebe zu bringen ins Haus des Herrn, haben wir gegessen und sind satt geworden, und ist noch viel übrig- geblieben; denn der Herr hat sein Volk gesegnet, darum ist dieser Haufe übriggeblieben. "2) Auch Nehemia ließ es sich angelegen sein, das Bezahlen des Zehnten bei seinem Volke zu regeln, 3) und sowohl Arnos*) wie Maleachi^) ta- delte das Volk wegen der Vernachläßigung dieser Pflicht. Durch den zuletzt genannten Propheten klagte der Herr sein Volk an, daß es ihn betrogen habe, verhieß ihm aber auch unvergleichliche Segnungen, wenn es zum Gehorsam zurückkehre: ,,Ists recht, daß ein Mensch Gott täuscht, wie ihr mich täuschet? So sprecht ihr: , Womit täuschen wir dich?' Am Zehnten und Hebopfer! Darum seid ihr auch verflucht, daß euch alles unter den Händen zerrinnt, denn ihr täuscht mich allesamt. Bringet aber die Zehnten ganz in mein Kornhaus, auf daß in meinem Hause Speise sei, und prüfet mich hierin, spricht der Herr Zebaoth, ob ich euch nicht des Himmels Fenster auf tun werde und Segen herabschütten die Fülle. "^) Als der Heiland nach seiner

») 2. Chronik 31:5—6.

') 2. Chronik 31:10.

') Nehemia 10:37 (38); 12:44.

*) Arnos 4:4.

-) Maleachi 3:10.

') Maleachi 3:8 10; siehe auch 3. Nephi 24:7-

Art. 13.1 Praktische Religion. 541

Auferstehung die Nephiten besuchte, erzählte er ihnen von den Worten Maleachis und wiederholte den angeführten Ausspruch des jüdischen Propheten. i) Dagegen waren die Pharisäer zur Zeit Christi beim Zehntengeben übertrieben peinlich und kleinlich und vernachlässigten darüber „die wichtigern Dinge des Gesetzes", und deshalb wurden sie von unserm Herrn und Meister nachdrücklich zurechtge- wiesen. 2)

10. In der gegenwärtigen Dispensation ist dem Ge- setz des Zehnten ein sehr wichtiger Platz eingeräumt worden. Besondere Segnungen sind für ein getreuliches Halten dieses Gebots verheißen. Die Gegenwart ist vom Herrn ,,Ein Opfertag und ein Tag für den Zehnten seines Volkes" genannt worden, „denn wer den Zehnten gibt, wird nicht zerstört werden". 3) Seine Forderung in dieser Sache an das Volk hat der Herr deutlich auseinan- dergesetzt in einer Offenbarung, gegeben durch den Pro- pheten Joseph Smith am 8. Juli 1838.*)

11. Weihung und Verwaltersehaft. Das Gesetz des Zehnten, wie es heute von der Kirche gelehrt und aner- kanntermaßen auch befolgt wird, ist trotz allem doch nur ein niedrigeres Gesetz. Der Herr gab es wegen der mensch- lichen Schwachheit, der Selbstsucht, des Geizes und der Gewinnsucht, welche die Heiligen daran hinderten, die höhern Grundsätze, wonach sie nach dem Willen des Herrn eigentlich leben sollten, zu befolgen. Zur Bezahlung des Zehnten wurden besondere Forderungen erst durch eine Offenbarung vom Jahre 1838 aufgestellt; schon sieben Jahre vorher war die Stimme des Herrn inbezug auf Weihung und Verwaltersehaft^) gehört worden, wonach

») 3. Nephi 24:7—10.

') Matthäus 23:23; Lukas 11:42.

') Lehre u. Bündn. 64 : 23 24 ; siehe auch 85 :

') L. u. B. 119.

») L. u. B. 42:71.

542 Die Glaubensartikel [Vorl. XXIV.

ein jeder all sein Hab und Gut, zusammen mit seiner Zeit, seinen Talenten und körperlichen und geistigen Gaben in den Dienst des Herrn stellen sollte, damit sie da gebraucht werden könnten, wo es gerade nottat. Indessen war auch dies nichts neues. Der gegenwärtigen Dispensation ist das Gesetz der Weihung lediglich als eine Wiederverord- nung gegeben worden. Es wurde schon im Altertum aner- kannt und mit Segen befolgt. i) Aber selbst zu der Zeit der Apostel war die Lehre von der Weihung des Eigentums und des gemeinsamen Eigentumsrechtes etwas altes. Schon 34 Jahrhunderte vor dieser Zeit lebten der Patriarch He- noch und sein Volk nach diesem Grundsatz, und zwar mit solchem Erfolg, daß ,,der Herr kam und unter seinem Volk wohnte. * * * Und der Herr nannte sein Volk Zion, weil sie eines Herzens und eines Sinnes waren, und es waren keine Armen unter ihnen. "2) In jedem der ange- führten Fälle sowohl bei dem Volk von Henoch als auch in der ersten Zeit des christlichen Zeitalters, erfahren wir von der Einigkeit in Zweck und Absicht und der da- raus für das Volk, das in dieser Gesellschaftsordnung lebte, entsprungenen Macht: ,,sie waren eines Herzens und eines Sinnes". Durch die so erlangte geistige Kraft waren die Apostel imstande, viele mächtige Taten zu vollbringen^) und von Henoch und seinem Volke lesen wir, daß der Herr sie zu sich nahm.*)

12. Das Volk, von dem uns das Buch Mormon berichtet, erreichte ebenfatls diesen gesegneten Stand der Gleichheit, und zwar mit demselben Ergebnis. Die Jünger, die Chri- stus persönlich berufen hatte, lehrten mit Macht; „und sie hatten alle Dinge gemeinsam untereinander, und jeder-

') Apostelgeschichte 4:32, 34 35; siehe auch 2:44 46. ') Köstl. Perle, Moses 7:16 18. *) Apostelgeschichte 2:43. *) Siehe Seite 434, 435,

Art. 13.] Praktische Religion. 543

mann handelte rechtschaffen mit seinem Nächsten. "i) Weiter lesen wir von einer allgemeinen Bekehrung des Volkes, wodurch dieses den Zustand eines idealen Friedens erlangte. „Und es gab keine Zwistigkeiten und Streitig- keiten unter ihnen. * * * Sie hatten alle Dinge unterei- nander in Gemeinschaft; daher gab es weder Reiche noch Arme, weder Sklaven noch Freie, sondern sie waren alle frei gemacht und Teilnehmer der himmlischen Gabe. "2) Sie waren dermaßen gesegnet, daß der Prophet von ihnen sagte: „Und gewiß konnte es kein glücklicheres Volk unter allen von Gott erschaffenen Völkern geben. "3) Nachdem aber dieser glückliche Zustand nahezu zwei Jahrhunderte geherrscht hatte, gab das Volk leider dem Stolz und Hoch- mut Raum; einige ergaben sich der Gewohnheit, kostbare Schmucksachen zu tragen; dann weigerten sie sich, ihr Hab und Gut weiterhin in Gemeinschaft zu haben, und als- bald entstanden verschiedene Klassen unter ihnen; es bildeten sich gegenseitig widersprechende Sekten, und nun ging es auf der Bahn des Verderbens mit schnellen Schritten bergab, bis es schließlich zur völligen Ausrottung des nephitischen Volkes kam.*)

13. Vervvalterschaft in der Kirche heutzutage. Der Kirche ist auch in diesen Tagen ein Plan der Vereinigung und Gemeinsamkeit geoffenbart worden. Dieser Plan ist bekannt als die ,, Ordnung Henochs"^) oder die ,, Vereinigte Ordnung"^) und gründet sich auf das Gesetz der Weihung. Wie schon erwähnt, zeigte es sich in den ersten Tagen der neuzeitlichen Kirche, daß das Volk im allgemeinen nicht imstande war, dieses Gesetz in seiner Vollkommenheit

1) 3. Nephi 26:19,

2) 4. Nephi 1:2—3. ') Vers 16.

') Vers 24 ff.

') Lehre u. Bündn. 78.

«) L. u. B. 104:48.

544 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.

ZU halten. Infolgedessen wurde das niederere Gesetz des Zehnten gegeben. Die Heiligen erwarten aber voll Ver- trauen den Tag, da sie nicht nur ein Zehntel ihres Vermö- gens, sondern alles, was sie haben und alles was sie sind, dem Dienste ihres Gottes weihen können, den Tag, da keiner von dem „Meinigen" und dem ,,Deinigen" sprechen wird, sondern alle Dinge werden allen gemeinsam und dem Herrn gehören.

14. In dieser Erwartung hängen sie jedoch keinem unbestimmten, haltlosen Traum von einer Gütergemein- schaft nach, die die persönliche Verantwortlichkeit unter- gräbt oder es dem Müßiggänger gestattet, auf Kosten des Arbeitsamen und Haushälterischen zu schmarotzen. Es ist vielmehr ein ruhiges, festes Vertrauen darauf, daß nach der von Gott gutgeheißenen Gesellschaftsordnung jeder über die seiner Sorgfalt anvertrauten Pfunde ein Haus- halter sein wird zwar in völliger Handlungsfreiheit, aber doch auch mit dem bestimmten Bewußtsein, daß man von ihm Rechenschaft über seine Verwalterschaft fordern wird. Soweit der Plan dieser zukünftigen Organisation schon geoffenbart ist, ist vorgesehen, daß jede Person, die an dieser Ordnung teilnimmt, alles was sie besitzt, sei es wenig oder viel, dem Herrn weiht und der Kirche über ihr Eigentum einen Kaufbrief gibt mit einem Bunde, der nicht gebrochen werden kann.^) Die Person, die auf diese Weise alles was sie hat, hingegeben hat, soll zu einem Ver- walter gemacht werden über einen Teil des Kircheneigen- tums, und zwar im Verhältnis zu ihrer Fähigkeit, dieses Gut in Gebrauch zu nehmen.

Die verschiedenen Stufen und Grade der Beschäf- tigung werden auch weiterhin bestehen; es wird Arbeiter geben, deren Fähigkeit sie am besten zu all-*

') Lehre u. Bündn. 42:

Art. 13.] Praktische Religion. 545

gemeinen Verrichtungen geeignet erscheinen läßt, dazu Leiter und Vorsteher, die bewiesen haben, daß sie fähig sind, zu leiten und anzuordnen. Es wird Menschen geben, die der Sache Gottes am besten mit der Feder und andere, die ihr am besten mit dem Pflug dienen kön- nen; Ingenieure und Mechaniker, Handwerker und Künst- ler, Landwirte und Gelehrte, Lehrer, Professoren und Schriftsteller usw., sie alle werden, soweit sich dieser Grundsatz verwirklichen läßt, auf dem Gebiete ihrer Wahl arbeiten, aber von jedem wird verlangt werden, daß er arbeitet und zwar an dem Ort und auf eine solche Art und Weise, daß er mit seiner Arbeit der Allgemeinheit die größten Dienste leistet. Seine Verwalterschaft wird ihm durch eine geschriebene Urkunde verbrieft, und solange er seiner Pflicht getreulich nachkommt, kann sie ihm nie- mand nehmen. 1)

Von dem Ertrag seiner Arbeit behält jeder soviel, wie er für seinen eigenen Unterhalt und den seiner Familie braucht; der Überschuß wird an die Kirche abgegeben und ist für allgemeine und öffentliche Zwecke und zur Unterstützung solcher bestimmt, die etwa unver- schuldet in Not geraten sollten. 2) Über einen weitern Ver- wendungszweck lesen wir: ,,Alle Kinder haben Anspruch auf ihre Eltern für ihren Unterhalt, bis sie ihre Mündigkeit erreicht haben; und nachher haben sie Anspruch auf die Kirche, oder in andern Worten, auf das Vorratshaus des Herrn, wenn ihre Eltern nicht die Mittel haben, ihnen Erb- teile zu geben. Und das Vorratshaus soll durch die freiwilli- gen Gaben der Kirche erhalten werden, und Witwen und die Waisen sowie auch die Armen sollen unterstützt werden."^)

1) I^ehre u. Bündn. 51: ») L. u. B. 42:32—35. -) L. u. B. 83:4—6.

546 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.

Irgendein getreuer Verwalter, der weitere Mittel für den Fortschritt seines Werkes benötigt, kann diese aus der allgemeinen Schatzkammer beanspruchen, er wird aber seinerseits wieder für die Verwendung derselben, d. h. für seine Verwalterschaft verantwortlich gemacht werden.^) Allen sollen die gleichen Rechte gesichert sein. Der Herr sagt: „Und ihr sollt gleich sein, oder in andern Worten, ihr sollt gleiche Ansprüche auf das Eigentum haben, zum Nutzen der Handhabung der Angelegenheiten eurer Ver- waltungen, jedermann nach seinen Bedürfnissen, insofern als seine Ansprüche gerecht sind. Und dies alles zum Nut- zen der Kirche des lebendigen Gottes, daß jedermann seine Talente vermehren und weitere Talente gewinnen möge, ja selbst hundertfältig in das Vorratshaus des Herrn zu legen, daß es das allgemeine Eigentum der ganzen Kirche werde. "^)

15. Handlungsfreiheit wird einem jeden zugesichert werden; erweist sich einer als ungetreu, so wird mit ihm nach den vorgeschriebenen Bestimmungen der Kirchen- ordnung verfahren werden. Eine entsprechende Macht- befugnis der Selbstverwaltung wird von den verschiedenen Pfählen oder andern Teilen der Kirche ausgeübt werden, von welchen jeder unabhängige Vollmacht über sein eigenes Vorratshaus und seine Verwaltungsgeschäfte besitzen wird;3) jedoch werden auch diese alle wieder dem Haupt- vorstand der Kirche unterstellt sein. Unter einer solchen Ordnung, wie sie hier nur kurz erläutert werden konnte, wird nur der Faule und Müßiggänger zu leiden haben, und dieser wird den Folgen seiner Trägheit und Nachlässig- keit sicher nicht entgehen. Über ihn hat der Allmächtige bereits einen Beschluß erlassen. Wir lesen in den Offenba-

') Lehre u. Bündn. 104:70—77. ') L. u. B. 82:17—18. ») L. u. B. 51:10—13, 18.

Art. 13.] Praktische Religion. 547

rungen: ,,Du sollst nicht träge sein, denn wer da träge ist, soll nicht des Arbeiters Brot essen noch dessen Gewand tragen. "1) „Jedermann soll in allen Dingen fleißig sein; und der Müßiggänger soll keinen Platz in der Kirche haben, es sei denn, er tue Buße und bessere sich. "2) „Und die Einwohner Zions sollen auch ihrer Arbeiten gedenken, insofern als sie bestimmt sind, zu arbeiten, in aller Treue; denn der Müßiggänger soll vor dem Herrn in Erwähnung gebracht werden. "3)

16. Die gesellschaftliche Ordnung der Heiligen. An- gesichts der heute herrschenden Zustände sozialer Unruhe, der lauten Proteste gegen die bestehenden Verhältnisse, die zu einer mehr und mehr ungleichmäßigem Verteilung des Reichtums führen durch die zunehmende Verar- mung der Armen werden die Reichen immer reicher; die Hand der Unterdrückung lastet schwer, sehr schwerer auf den Massen, woraus die Unzufriedenheit mit den Regie- rungen und das nur halb gedämpfte Feuer des Anarchis- mus entstanden ist, das sich fast in jedem Volk erkennen läßt, können wir da nicht Trost und Hoffnung finden in den göttlichen Verheißungen eines bessern Planes, der ohne Zwang und Gewalt eine natürliche Gleichberechtigung erstrebt, dem Reichtum die Waffe der Herrschaft nimmt, den Bedrückten und Armen aufhilft*) und jedem Menschen eine Gelegenheit geben will, in jenem Bereich, der ihm an- gemessen ist, zu leben und zu arbeiten ? Auch von der Tyrannei des Reichtums werden die Menschen wie von jeder andern Form der Unterdrückung durch die Wahr- heit befreit werden. Um an dieser Freiheit teilnehmen zu können, muß die Menschheit die Selbstsucht unterdrücken, die einer der mächtigsten Feinde der Göttlichkeit ist.

1) Lehre u. Bündn. 42:42; siehe auch 60:13; 75:3.

») L. u. B. 75:29.

=) L. u. B. 68:30; siehe auch 88:124.

') L. u. B. 42:39.

548 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.

17. Die Kirche lehrt heute die Notwendigkeit einer mit den Gesetzen des Landes übereinstimmenden Gesell- schaftsordnung. Sie lehrt ferner die Heilighaltung der Einrichtung und des Bundes der Ehe, als notwendig für die Erhaltung der Gesellschaft, die Erfüllung der göttlichen Gesetze hinsichtlich der Fortdauer der menschlichen Fa- milie und die Wichtigkeit strengster persönlicher Reinheit.

18. Die Ehe. Die heiligen Schriften enthalten zahl- reiche und ausführliche Belehrungen über die Notwendig- keit der Ehe. Der Herr sagte: ,,Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei. "i) Diese weitgreifende und bedeutungs- volle Erklärung wurde unmittelbar nachdem Adam in den Garten Eden versetzt worden war, gegeben, Eva wurde ihm beigegeben und der Mensch anerkannte die Notwendigkeit einer dauernden Verbindung der Geschlech- ter in der Ehe mit den Worten: „Darum wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen, und sie werden sein ein Fleisch. "2) Keines der Geschlech- ter ist für sich selbst ein vollständiges Ebenbild Gottes. Über die Erschaffung des menschlichen Geschlechtes lesen wir: „Und Gott schuf den Menschen ihm zum Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn ; und schuf sie einen Mann und ein Weib. "3) Der Zweck dieser zwiefachen Erschaffung wird im nächsten Vers der heiligen Geschichte erklärt: „Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde."^) Ein solches Gebot wäre sinnlos und nichtssagend gewesen, wäre es nur einem Geschlecht gegeben worden, denn nur durch die Vereinigung beider Geschlechter ist die Fortpflanzung der Art möglich. Wie unbedeutend würde uns die Herr-

') 1. Mose 2:18.

') Vers 24.

') 1. Mose 1:27; siehe auch 5:2.

*) 1. Mose 1:28; siehe auch 9:1, 7; 3. Mose 26:5

Art. 13.] Praktische ReUgion. 549

lichkeit und Majestät des Menschen erscheinen ohne die Macht zur Erhaltung seiner Art 1 Wie wenig kann von einer einzelnen Person in der engbegrenzten Spanne eines ver- gänglichen Daseins vollbracht werden!

19. Wie erhaben die Errungenschaften eines wahr- haft großen Mannes auch immer sein mögen, - der Höhe- punkt seines Erbes liegt in der Möglichkeit, Sprößlinge seines eigenen Wesens zu hinterlassen, die möglicherweise den Triumph ihres Vorfahren fortsetzen können ; und wenn dies schon bei uns Sterblichen inbezug auf die Dinge dieser Erde wahr ist, wie über alle Begriffe erhaben muß dann die Macht ewiger Vermehrung sein, wie sie sich uns im Lichte der geoffenbarten Wahrheit über den endlosen Fortschritt des künftigen Standes zeigt. Wahrlich, es zeugt von der Weisheit des Apostels, wenn er spricht: ,,Doch ist weder der Mann ohne das Weib, noch das Weib ohne den Mann in dem Herrn. "i)

20. Die Heiligen der letzten Tage nehmen die Lehre an, daß die Ehe ehrlich^) gehalten werden soll. Sie fordern, daß alle in die Ehe eintreten, die nicht durch körperliche oder durch sonst irgendeine Unfähigkeit verhindert sind, die geheiligte Verantwortlichkeit des Ehestandes auf sich zu nehmen. Sie betrachten es als das Geburtsrecht eines jeden würdigen Mannes, bevorrechtet und verpflichtet zu sein, an der Spitze einer Familie zu stehen, der Vater einer Nachkommenschaft zu werden, die vermöge der Segnungen Gottes vielleicht niemals erlöschen kann. Ebenso stark betonen sie das Recht jeder würdigen Frau, Gattin und Mutter in der Familie der Menschheit zu sein. Trotz der Einfachheit, Vernünftigkeit und Natürlichkeit dieser Grundsätze sind nun unter der Menschheit falsche Lehrer aufgestanden, die die abscheuliche Lehre verkün-

») 1. Korinther 11:11. ') Hebräer 13:4.

550 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.

digten, die Ehe sei bloß eine fleischliche Notwendigkeit, die dem Menschen noch als eine Eigentümlichkeit seiner gefallenen Natur anhafte und ferner, daß Ehelosig- keit das Kennzeichen eines erhabenem Standes sei und den reinen Augen Gottes wohlgefälliger erscheine. Von diesen falschen Lehrern hat der Herr in diesen Tagen gesagt: „Wer die Ehe verbietet, ist nicht von Gott berufen, denn die Ehe ist von Gott für den Menschen eingesetzt, * * * auf daß die Erde den Zweck ihrer Erschaffung erfüllen möchte und mit dem Maß des Menschen erfüllet werde, laut seiner Erschaffung, ehe die Welt gemacht war."i)

21. Die himmlische Ehe. Die Ehe, wie sie von den

Heiligen der letzten Tage betrachtet wird, ist von Gott eingesetzt worden und zu einer ewigen Verbindung der Geschlechter bestimmt. Diesem Volk ist sie nicht bloß ein vorübergehender Vertrag, der nur auf Erden in Kraft bleiben soll, während der Dauer des sterblichen Daseins der Parteien, sondern eine ernste, feierliche Vereinbarung, die sich über das Grab hinaus erstreckt. Durch die voll- kommene Verordnung der Eheschließung, wie sie die Kirche vorschreibt, werden Mann und Frau unter Bund und Pflichten gegenseitiger Treue gestellt, nicht bloß „bis der Tod euch scheidet", sondern „für Zeit und alle Ewig- keit". Ein Vertrag, der so weit reicht wie dieser, der sich nicht nur auf Zeit, sondern auch in das Gebiet des Jenseits hinüber erstreckt, erfordert zu seiner Giltigkeit eine Voll- macht, die höher ist als eine irdische. Eine solche Voll- macht stellt das heilige Priestertum dar, das ewig ist, weil Gott es gegeben hat. Irgend eine Kraft, die geringer ist als diese mag sie für dieses Leben vielleicht auch von Wirkung sein ist sicherlich null und nichtig inbezug auf den Zustand der menschlichen Seele jenseit des Grabes.

1) Lehre u Bündn. 49:15—17.

Art. 13.] Praktische Religion. 551

So hat denn auch der Herr gesprochen : „Alle Bündnisse, Verträge, Verpflichtungen, Verbindlichkeiten, Eide, Ge- lübde, Handlungen, Verbindungen, Vereinigungen oder Erwartungen, die nicht durch den Heiligen Geist der Ver- heißunggemacht und eingegangen und für beides, sowohl für die Zeit wie auch für alle Ewigkeit, versiegelt sind, durch einen der dazu gesalbt ist, und zwar am Allerheiligsten , durch Offenbarung und Gebot, durch Vermittlung meines Ge- salbten, den ich bestimmt habe, auf Erden diese Macht zu halten, * * * haben keine Gültigkeit, Kraft oder Wirk- samkeit in und nach der Auferstehung von den Toten; denn alle Verträge, welche nicht auf diese Weise gemacht werden, haben ein Ende, wenn die Menschen tot sind."^) Hinsichtlich der Anwendung des Grundsatzes ,, irdische Vollmacht für irdische Dinge und himmlische Vollmacht für die Dinge jenseit des Grabes" auf die geheiligten Verbin- dungen der Ehe, fährt die Offenbarung fort : „Deshalb, wenn ein Mann ein Weib in der Welt heiratet, und er heiratet sie nicht durch mich, oder durch mein Wort, und er macht mit ihr ein Bündnis, solange er in der Welt ist, und sie mit ihm, so hat ihr Bund und ihre Ehe keine Gültigkeit, wenn sie tot und aus der Welt sind ; deshalb sind sie durch kein Gesetz gebunden, sobald sie aus der Welt sind. Darum, wenn sie aus der Welt sind, werden sie weder heiraten noch in die Ehe gegeben, sondern sie sind bestimmt zu Engeln im Himmel, welche Engel amtierende Diener sind, um de- nen zu dienen, die einer weit größern, einer unübertreff- lichen und einer ewigen Herrlichkeit würdig sind. Denn diese Engel blieben nicht in meinem Gesetz, deshalb können sie nicht erhöht werden, sondern sie bleiben getrennt und ledig, ohne Erhöhung in ihrem erlösten Zustande bis in

') Lehre u. Bündn. 132:7.

552 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.

alle Ewigkeit, und sie sind von da an nicht Götter, sondern Engel Gottes für immer und ewig."i)

22. Diese Ordnung des heiligen Ehestandes, die Bünd- nisse für Zeit und Ewigkeit umfaßt, ist im besondern als „himmlische Ehe" bekannt, denn sie ist die Ordnung der Ehe, die in der himmlischen Welt besteht. Zu der heiligen Verordnung der himmlischen Ehe werden nur solche Mit- glieder der Kirche zugelassen, die sich als würdige Teil- nehmer an den Segnungen des Hauses Gottes erwiesen haben; denn diese Verordnung, vereint mit andern, die für alle Ewigkeit gültig sein sollen, muß in Tempeln vollzogen werden, die für diesen heiligen Dienst erbaut und geweiht worden sind. 2) Werden solchen Eltern Kinder geboren, so sind sie auf natürliche Weise Erben des Priestertums, „Bundeskinder" wie sie genannt werden. Es bedarf keiner förmlichen Adoption oder Siegelung, um ihnen ihren Platz unter der Nachkommenschaft der Verheißung zu sichern. Die Kirche genehmigt aber auch Eheschließungen, die lediglich für diese Erdenzeit geschlossen werden und be- stätigt sie durch das Priestertum dies für solche, die nicht in die Tempel des Herrn zugelassen werden, oder die frei- willig die niedrigere oder zeitliche Verordnung der Ehe vorziehen.

23. Die ungesetzliche Vereinigung der Geschlechter zählt der Herr zu den abscheulichsten Sünden. Die Kirche betrachtet auch heute persönliche Reinheit in geschlecht- licher Hinsicht als eine unerläßliche Bedingung der Mit- gliedschaft. Die Belehrungen des nephitischen Propheten Alma über die Größe der Vergehen gegen Tugend und Sit- tenreinheit werden von den Heiligen der letzten Tage ohne jeden Vorbehalt angenommen; sie lauten wie folgt: „Weißt du nicht, mein Sohn, daß dies in den Augen des Herrn

') Lehre u. Bündn. 132:15 17. ■') L. u. B. 124:30 40.

Art. 13.] Praktische Religion. 553

ein Greuel ist, ja, greulicher, als alle andern Sünden, es sei denn das Vergießen unschuldigen Blutes oder die Ver- leugnung des Heiligen Geistes I"^) Das Gebot „Du sollst nicht ehebrechen", das einst unter Donner und Blitz auf dem Berge Sinai von Gottes eigenem Finger geschrieben wurde, ist in diesen letzten Tagen als eine ganz besondere Ermahnung erneuert und für den Übertreter die Strafe des Ausschlusses vorgeschrieben worden.^) Darüber hinaus betrachtet der Herr das geringste Streben nach geschlechtlicher Sünde als unvereinbar mit dem Be- kenntnis derer, die den heiligen Geist erhalten haben; hat er doch erklärt : „Wer ein Weib ansieht, sie zu begehren, oder wenn irgend jemand in seinem Herzen Ehebruch treibt, der soll den Geist nicht behalten, sondern den Glauben verleugnen". 3)

24. Die Heiligkeit des Körpers. Die Kirche empfiehlt ihren Mitgliedern, ein jeder möge seinen Körper als ,, Tempel Gottes"^) betrachten, dem daher seine Reinheit und Heiligkeit erhalten bleiben müsse. Es wird jedem gelehrt, daß der Geist des Herrn nicht in unreinen Tempeln wohnt, und daß infolgedessen von jedem einzelnen verlangt wird, in Übereinstimmung mit den Gesetzen der Gesundheit, die einen Teil der Gesetze Gottes darstellen, zu leben. Als besondere Richtschnur für seine Heiligen hat der Herr seinem Volke ein ,,Wort der Weisheit"^) geoffenbart. Darin wird ihnen geraten, nur gesunde Speisen zu essen, sich starker und heißer Getränke und jeder Art von Reiz- mitteln und berauschender und betäubender Stoffe zu enthalten. Fleisch nur sparsam zu genießen, und in jeder Hinsicht einen gesunden körperlichen Zustand

') Alma 39:5.

•) Lehre u. Bündn. 42:24, 80—83; 63:16—17.

') L. u. B. 63:16; siehe auch 42:23.

') 1. Korinther 3: 16; siehe auch 6: 19; 2. Korinther 6:16; L.u.B. 93:35.

*) L. u. B. 89; der ganze Abschnitt ist zu lesen!

554 Die Glaubensartikel. [Vorl. XXIV.

ZU unterhalten. Unter der Bedingung des Gehorsams zu diesen Ratschlägen ist den Heiligen versprochen worden, daß alle, ,,die sich dieser Reden erinnern und sie halten und in Gehorsam zu den Greboten wandeln, Gesund- heit empfangen sollen in ihrem Nabel, und Mark in ihren Knochen. Und sollen Weisheit und große Schätze der Er- kenntnis finden, ja selbst verborgene Schätze. Und sie sollen rennen und nicht müde werden, laufen und nicht schwach werden. Und ich, der Herr, gebe ihnen eine Ver- heißung, daß der zerstörende Engel an ihnen, wie einst an den Kindern Israel vorübergehen, und sie nicht erschlagen soll."i)

Anmerkungen.

1. Liebe ist des Gesetzes Erfüllung. ,,Der Apostel Petrus sagt: „Vor allen Dingen aber habt untereinander eine inbrünstige Liebe" (1. Petr. 4:8>. Vor allen Dingen! Und Johannes geht noch weiter: „Gott ist Liebe" (1. Johannes 4:8). Sie werden sich auch des tiefen Ausspruches Pauli erinnern: „Liebe ist des Gesetzes Erfüllung" (Römer 13:10, Galater 5:14). Haben Sie wohl je darüber nachgedacht, was er damit eigentlich meinte? In jenen Tagen bahnten sich die Menschen den Weg zum Himmel durch das Halten der zehn Gebote und der hundertzehn andern Gebote, die sie aus ihnen abgeleitet hatten. Cliristus sagte, ich will euch einen ein- fachem Weg zeigen. Wenn ihr dieses eine tut, werdet ihr jene hun- dertzehn andern Dinge tun, ohne jemals daran zu denken. Wenn Sie Liebe haben, werden Sie unbewußt das ganze Gesetz erfüllen. * * Neh- men Sie irgend eines der zehn Gebote. „Du sollst keine andern Götter neben mir haben!" Wenn ein Mensch Gott liebt, werden Sie dann wünschen, ihm dieses zu sagen ? Die Liebe ist die Erfüllung dieses Gesetzes. „Miß- brauche seinen Namen nicht." Würde er auch nur im Traum daran denken, jemals seinen Namen zu mißbrauchen, wenn er ihn lieb hätte? „Gedenke des Sabbattages, daß du ihn heiligest". Würde ein solcher Mensch nicht froh sein, von sieben Tagen einen zu haben, den er inniger dem Gegenstand seiner Zuneigung weihen könnte? Die Liebe wird alle diese Gesetze gegenüber Gott erfüllen. Und dasselbe wäre der Fall, wenn der Mensch die Menschen lieben würde. Sicherlich dächten Sie dann nie daran, ihm zu sagen, er solle Vater und Mutter ehren; er könnte ja nicht anders! Es wäre widersinnig, ihm zu sagen, er solle nicht töten, und Sie würden ihn geradezu verhöhnen, wenn Sie ihm sagten, er solle nicht stehlen wie

>) Lehre u. Bündn. 89:18—21.

Art. 13.] Anmerkungen, 555

könnte er die bestehlen, die er liebt! Es wäre auch überflüssig, ihn zu bitten, gegenüber seinem Nächsten nicht falsches Zeugnis zu geben. Wenn er ihn lieb hätte, würde dies das letzte sein, das er täte. Sie würden ihn auch niemals ermahnen, nicht zu begehren was seines Nächsten ist. Er wollte viel lieber, daß dies er an seiner Stelle besäße. In dieser Weise ist „Liebe des Gesetzes Erfüllung". Drummond, „Das Größte in der Welt".

2. Des Menschen Verhältnis zu Gott. „Mormonismus" lehrt auch die tatsächliche und wirkliche Verwandtschaft wie Vater und Kind zwischen dem Schöpfer und dem Menschen nicht im bildlichen Sinne, in welchem z. B. eine Maschine das Kind ihres Verfertigers genannt werden kann, nicht die Stellung einer Ware zum Fabrikanten, sondern eine Verbindung, wie zwischen Vater und Sprößling. Die Behauptung mag wohl kühn er- scheinen, daß des Menschen Geist als Abkömmling Gottes, und der irdische, doch auch im Ebenbild Gottes geschaffene Körper, sogar in dem gefallenen Zustand, immer noch Eigenschaften, Neigungen und Kräfte besitzt, welche, wenn auch noch unentwickelt, doch auf seine mehr als königliche Abstam- mung hinweisen und auch so ausgebildet werden können, um ihn schon in dieser Sterblichkeit in einem gewissen Maße Gott ähnlich zu machen.

,,Aber , Mormonismus' geht noch weiter: In übereinstünmung mit dem unverletzlichen Gesetz der organischen Natur, daß Gleiches Gleiches her- vorbringt, und daß die Vermehrung und die Fortpflanzung der Arten nach dem Grundsatz ,, Jedes in seiner Art" erfolgen muß, wonach das Kind den frühem Zustand seiner Eltern erreichen kann, so ist auch der Mensch in seiner Sterblichkeit ein Gott im Keimzustand. Wie weit in der Zukimft es auch sein mag und wie\iele Ewgkeiten darüber hingehen mögen, bevor ein sterblicher Mensch den Rang und die Heihgkeit der Gottheit erreichen kann, so trägt der Menscli doch eine solche Möglichkeit in sich, vsie eine kriechende Raupe oder die scheinbar tote Puppe, wenn sie nicht zerstört wird, die Gewißheit hat, ein herrlicher SchmetterUng zu werden.

,, .Mormonismus' erklärt, daß die Natur sowohl auf Erden wie im Him- mel nach planmäßiger Entwicklung höher strebt ! Ja, der ewige Vater selbst ist im Fortschritt begriffen, obgleich seine Vollkommenheit so vollständig ist, daß sie für Menschen unbegreifUcii ist, so besitzt sie doch die Eigenschaft, wahrer Vollkommenheit, sich e%vig zu erweitern. Wenn daher in der fernen Zukunft, jenseit des Horizonts der Ewigkeiten, ein Mensch zum göttlichen Stand gelangt, so wird damit nicht gesagt, daß er dann dem Gott, den wir anbeten, gleich sein wird, noch ^^^^d er je die Geister, welche ihm voraus sind, überholen. Wenn man dieses behaupten wollte, so wäre das so\nel als zu sagen, es gäbe nach einer gewissen Stufe keinen Fortschritt mehr und Fortschritt wäre die Eigenschaft niederer Geschöpfe imd geringerer Zwecke. Wir glauben, daß es mehr als tönendes Erz oder klingende Schellen bedeutet, wenn Christus seine Nachfolger ermahnt: Darum sollt ihr voll- kommen sein, gleichwie euer Vater im Himmel vollkommen ist." „Phi- losophie in Mormonismus"; der Verfasser, (Seite 5 f.).

I

Anhang.

Vorbemerkung. Im Hinblick auf den ausdrücklichen Wunsch der obersten Kirchenbehörden auf deren Anordnung hin das vorliegende Werk veröffentlicht wird daß die „Vorlesungen über die Glaubensartikel" als Textbuch und Nachschlagewerk in den verschiedenen theologischen Organisationen der Kirche Verwendung finden möchten, sei hiermit den Klassen eine Reihe von Fragen und Aufgaben für die Wiederholung an die Hand gegeben.

Vorlesung I.

Einleitung.

1. Was versteht man unter Theologie? (Erläutere 1. die Ableitung des Wortes, 2. den Umfang dieser Wissenschaft.)

2. Vergleiche Theologie mit Religion.

3. Erläutere die „Glaubensartikel". (Zeige 1. die nähern Umstände ihrer Entstehung, 2. ihre Wiederannahme durch die Kirche, 3. ihre not- wendige UnVollständigkeit als eine Darstellung unseres Glaubens.)

4. Nenne die maßgebenden Lehrbücher (Standardwerke) der Kirche.

5. Stelle die hauptsächlichsten Ereignisse und Umstände fest, die mit Joseph Smiths Elternhaus, Geburt und Jugend verknüpft sind.

6. Beschreibe die Umstände bei Josephs andächtigem Forschen nach Wahrheit.

7. Beschreibe das erste Gesicht.

8. Welcher Hauptbestandteil der sektiererischen Lehre hinsichtlich der Persönlichkeit Gottes und seines Sohnes Jesus Christus wurde durch diese Erscheinung widerlegt?

9. Wie wurde Josephs Bericht über sein Gesicht von den damaligen Sektenpredigern aufgenommen ?

10. Beschreibe den Besuch Moronis bei Joseph Smith. (Nenne 1. das Datum, 2. die wichtigsten Botschaften, die der Engel brachte.)

11. Beschreibe die Wiederlierstcllung der Kirche in der gegenwärtigen Dispensation durch die Tätigkeit Joseph Smiths.

12. Erzähle die nähern Umstände des Märtyrertodes Josephs und Hyrums. (L. u. B. Abschn. 135.)

13. Zeige die Wichtigkeit der göttlichen Berufung Josephs im Hin- bUck auf die Ansprüche der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage.

558 Die Glaubensartikel.

14. Zähle die Beweise göttlicher Autorität in dem von Joseph Smith vollbrachten Werlc auf.

15. Führe Beispiele dafür an, wie in seinem Werk alte Prophezeiungen in Erfüllung gingen.

16. Zeige die göttliche Quelle von Josephs Smiths Vollmacht im Priestertum.

17. Zeige die Berechtigung der Behauptung, daß er ein wahrer Prophet Gottes war. (Erwähne 1. den Prüfstein, den der Herr zur Erkennung seiner Propheten gegeben hat, 2. nenne Fälle wichtiger Prophezeiungen Josephs Smiths, die bereits in Erfüllung gegangen sind.)

Vorlesung II, Artikel 1. Gott und die Gottheit.

1. Zeige, daß die Ausübung des Glaubens abhängig ist von einer Kenntnis des Daseins Gottes.

2. Wiederhole, was du über den allgemeinen Glauben der Menschheit an das Dasein Gottes weißt.

3. Zähle die Tatsachen auf, worauf sich unser Glauben an das Dasein eines Gottes gründet.

4. Nenne entsprechende Tatsachen aus der menschlichen Geschichte und Überlieferung.

5. Zeige, wie man durch Anwendung der Vernunft zu der gleichen Schlußfolgerung kommt.

6. Gib Beweise von göttlicher Offenbarung. (1. Fälle aus der Bibel,

2. aus dem Buch Mormon, 3. Beispiele aus neuzeitlicher Offenbarung.)

7. Zeige, daß die Gottheit eine Dreieinigkeit ist.

8. Was verstehst du unter den biblischen Erklärungen, daß die Gott- heit „eins" ist?

9. Gib Beweise von der Persönlichkeit eines jeden Gliedes der Gott- heit (führe Schriftstellen an).

10. Zähle die wichtigsten göttlichen Eigenschaften, wie sie in der Schrift bezeugt werden, auf.

11. Erläutere: 1. Götzendienst, 2. Atheismus (Gottesleugnung),

3. Theismus (Gottesglauben) in ihren verschiedenen Formen.

12. Zeige, daß der Glaube an Gott für das menschliche Gemüt na- türlich und notwendig ist. (Siehe Seite 58 63.)

13. In welchem Sinne unterstützt der Götzendienst der heidnischen Völker den Glauben an das Dasein eines Gottes?

14. Zeige die enge Verbindung zwischen Atheismus und Imma- terialismus.

Vorlesung III, Artikel 2. Die Übertretung.

1. Führe aus den heiligen Schriften die hauptsächlichsten Beweise an für den freien Willen des Menschen. (Nenne Tatsachen aus jedem einzelnen kirchlichen Lehrbuch.)

Rückblick. 559

2. Zeige, daß es nur gerecht ist, den Menschen angesichts seines Rechtes auf freie Wahl auch für seine Handlungen verantwortlich zu halten.

3. Was ist „Sünde" ? (Vergleiche absichtliche Sünde mit solcher, die in Unwissenheit begangen wird; 7eige an Hand der Schrift, wie nach dem göttUchen Plan mit diesen beiden Klassen verfahren wird).

4. Zeige, daß die Bestrafung der Sünde von Gott eingesetzt wor- den ist.

5. Gib einen kurzen Abriß über die Lehre der Heiligen Schrift von der Dauer der Strafe im Jenseits.

6. Führe aus der Heiligen Schrift Beweise an für die Persönlichkeit des Satans. (1. seine frühere Stellung im Himmel, 2. sein Titel vor seinem Fall, 3. seine Ausstoßung aus dem Himmel, 4. seine jetzige Widersetzlich- keit gegen die Pläne Gottes, 5. sein vorhergesagtes Schicksal.)

Der Sündßnfall.

7. Beschreibe den Zustand und die Verhältnisse unserer ersten Eltern im Garten Eden.

8. Welche wichtigen Gebote wurden ihnen vom Herrn gegeben?

9. Gib den Bericht der Heiligen Schrift über die Versuchung Evas durch den Satan.

10. Zeige, daß Adam Natur und Folgen seiner Handlung wohl verstand, als er von der verbotenen Frucht nahm.

11. Was ist bekannt über den Baum des Lebens im Garten Eden?

12. Zeige, daß nach der Übertretung unserer ersten Eltern ihre Ver- bannung aus dem Garten Eden notwendig war.

13. Welches war die unmittelbare Folge des Sündenfalles?

14. Führe aus den heiligen Schriften Beweise an, daß der Fall not- wendig und vorherbestimmt war.

15. Zeige, daß dieses irdische Dasein mit seiner Sterblichkeit ein segensreiches Erbe für das Menschengeschlecht ist.

16. Gib eine Darstellung der Lehre von einem Sühnopfer, wie sie un- serm Vater Adam nach dem Sündenfall verkündigt wurde.

17. Beschreibe die Freude Adams und Evas, als sie die Folgen des Falles kennen lernten und von der vorgesehenen Erlösung Kenntnis er- hielten.

Vorlesung IV, Artikel 3.

Erlösung und Seligkeit.

1. Erläutere „Sühnopfer, Sühne" in ihrer biblischen Anwendung.

2. Stelle fest, was du über die Natur des Sühnopfers weißt.

3. Zeige, daß das Sühnopfer eine notwendige Folge des Sündenfalles war.

4. Was ist mit dem „stellvertretenden Opfer" gemeint?

5. Zeige, daß das Sühnopfer Christi 1. stellvertretend, 2. freiwillig und 3. aus Liebe zu der Menschheit gebracht wurde.

6. Führe aus der Heiligen Schrift Beweise an (aus jedem kirchlichen Lehrbuch) daß das Sühnopfer vorherbestimmt und vorhergesagt war.

560 Die Glaubensartikel.

7. Zeige 1. den allgemeinen, 2. den persönlichen Nutzen des Sühn- opfers.

8. Erläutere 1. „Seligkeit", 2. Erhöhung.

9. Nenne die Grade der Herrlichkeit, wie sie von Gott geoffenbart wurden.

10. Gib aus den heiligen Schriften eine zusammenfassende Beschrei- bung: 1. des himmlischen Reiches, 2. der irdischen, 3. der unterirdischen Herrlichkeit.

Vorlesung V, Artikel 4. Glaube.

1. Erläutere die Natur des Glaubens.

2. Erkläre die Ausdrücke „glauben", ,, für wahr halten", „erkennen".

3. Nenne Beispiele aus den heiligen Schriften von einem Glauben an Christum, welcher keine errettende (seligrnachende) Kraft hatte.

4. Was hältst du für die notwendige Grundlage des Glaubens?

5. Gib die Zusammenstellung Joseph Smiths von Tatsachen inbezug auf den Charakter und die Eigenschaften Gottes.

6. Zeige, wie ans falschen Voraussetzungen ein irregeleiteter Glaube entstehen kann.

7. Was ist gemeint mit der Feststellung, daß der Glaube ein Prinzip der Macht ist? (Führe Fälle aus den heiligen Schriften an.)

8. Beweise, daß Glauben zur Seligkeit notwendig ist.

9. Zeige an Hand der Schrift, daß der Glaube eine Gabe Gottes ist.

10. Zeige, daß der Glaube, um wirksam zu sein, von guten Werken begleitet sein muß.

Buße.

11. Was ist mit wahrer Buße gemeint?

12. Beschreibe die Bedingungen und Umstände, unter denen Verge- bung der Sünden verheißen ist.

13. Beweise, daß Buße zur Seligkeit notwendig ist.

14. Zeige, daß Buße eine Gabe Gottes ist.

15. Wie kann man diese Gabe verlieren oder verwirken?

16. Was für Tatsachen sprechen dafür, daß Buße auch im Jenseits möglich ist?

17. Gib eine Zusammenfassung der Belehrungen Amuleks über die Gefahr des Aufschiebens der Buße.

Vorlesung VI und VII; Artikel 4. Taufe.

1. Erzähle, was dir über die frühesten Offenbanmgen Gottes hin- sichtlich der Taufe bekannt ist.

2. Welches ist der besondere Zweck der Taufe? (Führe Beweise an: 1. aus der Bibel, 2. aus dem Buch Mormon, 3. aus den neuzeitüchen Offen- banmgen.)

Rückblick. 561

3. Wer ist \A-ürdig getauft zu werden?

4. Zeige, daß die Kindertaufe schriftwidrig ist: 1. daß die Bibel diese Unsitte nicht unterstützt, 2. daß das Buch Mormon sowie die neuen Offenbarungen sie verbieten.

5. Gib einen kurzen Bericht über die geschichtliche Entstehung der Kindertaufe.

6. Erkläre „Pädobaptisten" (Anhänger der Kindertaufe) und „Ana- baptisten" (Wiedertäufer).

7. Beweise mit Tatsachen aus der Schrift, daß die Taufe zur Seligkeit notwendig ist: 1. aus der Bibel, 2. aus dem Buch Mormon, 3. aus der Lehre und Bündnisse.

8. Warum war die Taufe Christi notwendig?

9. Gib eine Zusammenfassung der Gründe, weshalb die Heiligen der letzten Tage glauben, daß Untertauchung die einzig richtige Form der Taufe ist.

10. Zeige, welche Beweise hierfür die Ableitung und der frühere Gebrauch des griechischen Wortes „Baptisma" liefern.

11. Zeige, wie das der Taufe zu Grunde liegende Sinnbild am besten diuch Untertauchung gewahrt wird.

12. Nenne Tatsachen aus der Schrift und der Weltgeschichte zmn Beweise dafür, daß Untertauchung die einzige vom Herrn anerkannte Form der Taufe ist.

13. Wiederhole die geoffenbarte Formel für die Taufe: 1. bei den Nephiten, 2. in der jetzigen Dispensation.

14. Unter welchen Umständen kann die Taufe an ein und derselben Person wiederholt vollzogen werden?

15. Gib Beispiele von derartig wiederholten Taufen, die in den heiligen Schriften erw'ähnt werden, sowie solche, die in der jetzigen Dispensation genehmigt wurden, imd erläutere gleichzeitig, wann ausnahmsweise solche Wiederholungen der Taufe vorkommen können.

16. Zeige, daß ein öfteres Wiederholen der Taufe an ein und demselben Mitglied nicht wichtig ist.

17. Zeige die Notwendigkeit der Taufe für die Toten.

18. Welche Beweise haben wir dafür, daß das Evangelium auch den Toten gepredigt wird?

19. Führe aus der Heiligen Schrift Prophezeiungen über das Wirken Christi unter den Toten an.

20. Beweise, daß das stellvertretende Werk der Lebenden für die Toten für diese letzten Tage vorhergesagt wiu-de.

21. Zeige, daß die Vollmacht zu dieser Arbeit der Kirche bereits gegeben worden ist.

22. Erläutere die doppelte Natur dieses stellvertretenden Werkes für die Toten.

23. Was ist ein Tempel?

24. Gib einen kurzen Bericht über die Tempel aus früherer Zeit, die vom Herrn angenommen wurden.

25. Beschreibe das Werk des Tempelbaues, das in dieser Dispensation von der Kirche schon vollbracht worden ist.

562 Die Glaubensarükel.

Vorlesung VIII, Artikel 4. Der HeiUge Geist.

1. Führe hinsichtlich der Sendung des Heiligen Geistes biblische Verheißungen an.

2. Gib hierzu andere Beweise aus den heiligen Schriften: 1. aus dem Buch Mormon, 2. aus den Offenbarungen der Neuzeit, und zeige an Hand derselben, daß der Heilige Geist solchen zuteil werden soll, die auf die richtige Art und Weise getauft worden sind.

3. Nenne die hauptsächlichsten Namen und Titel unter denen der Heilige Geist in der Sclirift erscheint.

4. Welches ist die besondere Mission des Heiligen Geistes als ein GUed der Gottheit?

5. Beweise aus der Schrift, daß der Heilige Geist eine Person ist.

6. Beschreibe die Tätiglieit des Heiligen Geistes in seinem Wirken unter den Menschen.

7. Wem ist der Heilige Geist versprochen?

8. Nenne Fälle aus der Wirksamkeit des Heiligen Geistes bei auf- richtigen Gläubigen, die noch nicht getauft waren ; erkläre solche Ausnahmen.

9. Beschreibe die Verordnung der Erteilung des Heiligen Geistes an solchen, die getauft worden sind.

10. Zeige, daß bevollmächtigtes Händeauflegen in früheren Zeiten ein vsichtiger Bestandteil dieser Verordnung war.

11. Welchem Priestertum ist die Vollmacht, den Heiligen Geist zu spenden, vorbehalten? Beweise dieses aus der Schrift.

12. Zeige, daß das Auflegen der Hände von solchen, die göttliche Vollmacht dazu haben, auch für andere Verordnungen der Kirche bezeich- nend ist.

13. Was versteht man unter den Gaben des Geistes?

Vorlesung IX; in Verbindung mit Artikel 4. Das Abendmahl.

1. Erkläre de'n Ausdruck „Sakrament" in seinem allgemeinen und besondern Gebrauch.

2. Beschreibe die Einsetzung des heiUgen Abendmahles 1. bei den Juden, 2. bei den Nephiten.

3. Wer ist ein würdiger Empfänger des heiligen Abendmahles?

4. Führe aus der HeiUgen Schrift Warnungen an: 1. vor dem imwür- digen Genuß des heiligen Abendmahles, 2. vor der Verabreichung des Abendmahles an Un\%-ürdige.

5. Welches ist der Zweck des heiligen Abendmahles?

6. Was verabreichte Jesus Christus als Sinnbilder seines Fleisches und Blutes?

7. In%viefern ist die Kirche heute gerechtfertigt, wenn sie unter ge- wissen Umständen Wasser anstatt Wein verabreicht?

8. Wiederhole die vorgeschriebenen Gebete für die Segnung (1. des Brotes, 2. des Weines oder Wassers).

Rückblick. 563

9, Welcher Grad im Pricstertum ist zur Segnung des heiligen Abend- mahles erforderlich?

10. Welche Verwandtschaft besteht zwischen dem heiligen Abendmalil und dem jüdischen Passah?

Vorlesung X, Artikel 5. Vollmacht im geistlichen Amt.

1. Führe aus der Heiligen Schrift Beispiele an, wie Männer durch Offenbarung oder durch persönliche Mitwirkung Gottes von Gott berufen wurden: 1. vor der „Mitte der Zeiten", 2. in den Tagen Christi, 3. in der apostolischen Zeit, 4. in der Dispensation der Fülle der Zeiten.

2. Wie wird das Priestertum übertragen?

3. Nenne die bedeutendsten Träger des Priestertums von Adam bis auf Mose.

4. Führe Fälle an, woraus hervorgeht, daß Gott eigenmächtige Hand- lungen und solche ohne Autorität nicht anerkennt. Beschreibe namentlich die besondern Umstände in folgenden Fällen: 1. Korah und seine Rotte, 2. Miriam und Aaron, 3. Usa, 4. Usia, 5. die Söhne Skevas.

5. Führe aus der Heiligen Schrift Prophezeiungen an dafür, daß falsche Lehrer aufstehen werden.

G. Beweise das Vorhandensein des Priestertums in der heutigen Kirche.

7. Gib einen Bericht über die Wiederbringung 1. des aaronischen, 2. des melchizedekischen Priestertums.

Vorherbestimmunfi und Präexistenz.

8. Auf welche Weise wurde die Tatsache einer Vorordination dem Abraham kundgemacht.

9. Gib aus der Schrift Beweise dafür, daß Christus zum voraus zum Erlöser der Welt bestimmt war.

' 10. Führe andere Schriftstellen an, die die Lehre von der Vorherbe- stimmung unterstützen: ]. aus dem Neuen Testament, 2. aus dem Buch Mormon.

11. Zeige, daß Vorordination den freien Willen des Menschen nicht hemmt.

12. Führe aus den heiligen Schriften Beweise an für das Vorherdasein (Präexistenz) der Geister.

Vorlesung XI, Artikel 6. Die Organisation und Verwaltung der Kirche.

1. Was ist die Kirche ? (Unterstütze deine Erläuterungen mit Schrift- stellenV

2. Was versteht man unter der „ursprünglichen Kirche".

3. Welche Beweise hast du dafür, daß ein allgemeiner Abfall von der ursprünglichen Kirche stattgefunden hat?

564 Die Glaubensartikel.

4. Beweise aus den heiligen Schriften, daß dieser Abfall vorhergesagt worden war. Führe Tatsachen an: 1. aus dem Alten, 2. aus dem Neuen Testament, 3. aus dem Buch Mormon.

5. 'Zeige, daß auch die Wiederherstellung der Kirche vorhergesagt war.

6. Was versteht man unter „Priestertum".

7. Nenne die Haupteinteilungen des Priestertums, wie sie geoffen- bart wurden.

8. Welche Verwandtschaft besteht zwischen dem aaronischen und dem le^'itischen Priestertum?

9. Nenne die besondern Ämter im aaronischen Priestertum der Reihe nach mit einer Erläuterung der besondern Pflichten und der Vollmacht jedes einzelnen Amtes.

10. Nenne die besondern Ämter im melchizedekischen Priestertum und beschreibe die Vollmacht und die Pflichten jedes einzelnen.

11. Beschreibe die Zusammensetzung und Vollmacht eines jeden der folgenden präsidierenden Kollegien: 1. die Erste Präsidentschaft, 2. das Kollegium der zwölf Apostel, 3. das präsidierende Kollegium der Siebziger, 4. die präsidierende Bischofschaft.

12. Erkläre, was man unter ,, Zweiggemeinde", „Ward", „Pfahl" versteht, so wie diese Bezeichnungen auf einzelne Teile der Kirche ange- wandt werden.

13. Erläutere die Zusammensetzung, die Vollmacht und die beson- dern Pflichten: 1. der Pfahlpräsidentschaft, 2. des stehenden Hohen Rates, 3. der Bischofschaft einer Ward, 4. einer Gemeindepräsidentschaft, 5. der Präsidentschaft einer Zv.eiggemcinde.

14. Welche Stufe im Priestertum müssen die Glieder der unter 3. genannten präsidierenden Behörde innehaben?

15. Erkläre die Bezeichnung ,, Kollegium" ( Quorum) in dem besondern Sinne, in welchem sie bei den Heiligen der letzten Tage gebraucht wird.

16. Was ist ein Patriarch ? 1. Erkläre in Verbindung damit den Titel „Evangelist". 2. Zeige wie sich die Nachfolgeschaft im Amte des präsi- dierenden Patriarchen von den andern Ämtern und Berufungen unter- scheidet (Siehe auch Stern 1918, Seite 357 f).

17. Nenne die Hilfsvereinigungen, die als „Hilfe der Verwaltung" innerhalb der Kirche bestehen.

18. Erläutere die besondern Aufgaben einer jeden von ihnen (wie sie auf Seite 258 u. 259 aufgezählt sind).

19. Zeige wie das Prinzip der allgemeinen Zustimmung bei Beru- fungen zu Ämtern innerhalb der Kirche durchgeführt wird.

Vorlesung XII; Artikel 7. Geistige Gaben.

1. Zeige, daß das Vorhandensein von geistigen Gaben für das Priester- tum stets charakteristisch gewesen ist.

2. Gib aus der Schrift Beweise dafür, daß solche Gaben in der Kirche immer zu finden sein werden.

3. Was ist ein „Wunder" ?

4. Warimi werden Wunder manchmal als übernatürliche Gescheh- nisse bezeichnet?

Rückblick. 565

5. Zu welchem Zwecke tun sich in der Kirche geistige Gaben kund ?

6. Zeige, daß wunderbare Kundgebungen keine unfehlbaren Kenn- zeichen für die Tätigkeit des Priestertumes sind.

7. Nenne die in der Schrift einzeln aufgeführten geistigen Gaben.

8. Beschreibe die übliche Kundgebung, die jeder der folgenden Gaben charakteristisch ist, und führe für jede einzelne entsprechende Scliriftstellen an: 1. die Gabe der Zungen und der Auslegung der Zungen, 2. die Gabe der Heilung und die Gabe durch Glauben geheilt zu werden, 3. Gesichte, 4 Träume, 5. Prophezeiung, 6. Offenbarung.

9. Führe aus der Schrift die Verheißungen an, daß denen, die da glauben, gewisse Zeichen und Gaben folgen werden.

10. Führe Beispiele an, in denen Wunder auch von bösen Mächten zustandegebracht worden sind.

11. Führe die Prophezeiungen des Offenbarers Johannes an, inbezug auf solche Nachahmungen der geistigen Gaben, wie sie für das Werk des Herrn in den letzten Tagen kennzeichnend sein sollen.

12. Was sagte Christus über Zeichen und Wunder, welche von bösen Menschen vollbracht werden?

13. Welche Beweise sind dir dafür bekannt, daß auch in der heutigen Kirche geistige Gaben vorhanden sind?

Vorlesung XIII; Artikel 8. Die Bibel.

1. Welche Stellung nimmt die Bibel unter den maßgebenden Lehr- büchern der Kirche ein?

2. Welche Vorbehalte macht die Kirche inbezug auf die neuzeitlichen Übersetzungen der Bibel bei der Annahme derselben als das unveränderte Wort Gottes?

3. Erkläre den Namen „Bibel": 1. Zeige die Ableitung des Wortes, 2. seine jetzige Anwendung.

4. Zeige, daß die Einteilung der Bibel in das Alte und das neue Testa- ment natürlich und sinngemäß ist.

5. Erkläre den Ausdruck „Schrift-Kanon" wie er auf die Bibel ange- wandt wird.

6. Erläutere mit Hinweisungen auf Schriftstellen das Wachstum des Alten Testamentes von INIose bis auf Maleachi.

7. Was ist dir bekannt über die Sprache, in welcher das Alte Testa- ment ursprünglich geschrieben wurde?

8. Was ist die Septuaginta ? (1. erläutere die Bedeutung des Aus- druckes, 2. beschreibe die Entstehung des Buches.)

9. Nenne die Einteilung der Büclier des Alten Testamentes in seiner gegenwärtigen Gestalt.

10. Welche Klassen der alttestamentlichen Bücher wurden in den Tagen des Heilandes anerkannt?

11. Was ist der Pentateuch? (Gib 1. eine Erklärung des Ausdruckes, 2. zähle die Bücher auf, welche er umfaßt, 3. wiederhole, was du über die Verfasser derselben zu sagen weißt, 4. gib einen Bericht über die Abschrif- ten oder Übersetzungen, welche davon im Besitze der alten Juden und der Samariter waren.)

566 Die Glaubensartikel.

12. Xenne die geschichtlichen Bücher der Reihenfolge nach.

13. Nenne die poetischen Bücher (Erkläre in Verbindung damit den Ausdruck „Hagiographa").

14. Nenne die Bücher der Propheten (1. nach der Reihenfolge, wie sie in der heutigen Bibelausgabe erscheinen, 2. nach der Zeit ihrer Ent- stehung).

15. Was versteht man unter den „Apokrj'phen".

16. Was ist das Neue Testament?

17. Nenne aus der geschichtlichen Erforschung die hauptsächhchsten Beweise für die Echtheit des Neuen Testamentes.

18. Nenne Namen und Anordnung der Bücher des Neuen Testamentes.

19. Was ist die Vulgata?

20. Nenne die ^^^chtigsten neuzeitlichen Übersetzungen der Bibel.

21. Nenne die Tatsachen, die den Glauben an die Echtheit und Glaub- würdigkeit der Bibel unterstützen.

22. Lege die hauptsächlichsten Beweise aus dem Buch Mormon dar, welche für die Glaubwürdigkeit und die Echtheit der Bibel sprechen.

23. Nenne die wichtigen Schlußfolgerungen hinsichtlich der Echtheit der Heiligen Schrift, zu welclien die Bibel- Gelehrten gekommen sind.

24. Gib die hauptsäcliliclasten biblischen Hinweisungen auf solche heilige Schriften, die in der Bibel selbst nicht enthalten sind.

Vorlesung XIV, Artikel 8. Das Buch Mormoa.

1. Was ist das Buch Mormon?

2. Wie erhielt die Welt Kenntnis von diesen alten Urkunden?

3. Was ist dem Titelblatt des Buches Mormon zu entnehmen inbezug auf die Nationen und Völker, deren Geschichte das Buch erzählt?

4. Welches war nach dem Buche Mormon die erste Nation, die sich auf dem amerilianischen Festlande niederließ?

5. Gib einen Bericht über Lehis Kolonie und ilu-e Wanderung von Jerusalem nach Amerika; stelle fest: 1. den götthchen Auftrag an I-ehi, sein Vaterland zu verlassen, 2. den Zeitpunkt dieses Ereignisses, 3. die Richtung und den Verlauf ihrer Wanderung durch Asien, 4. die Reise über den stillen Ozean und 5. die Gegend, wo in Amerika die Landung erfolgte.

6. Beschreibe die Entstehung der Nepliiten und der Lamaniten.

7. Wer waren die Jareditcn? (1. Warum wurden sie so genannt?

2. wann und wie sie nach Amerika ausgewandert sind; 3. kurze Darstellung ihrer Geschichte.)

8. Wie kam es dazu, daß der jareditische Bericht den nepliitischen Berichten einverleibt wurde?

9. Was ist von Mulek und seinem Volke bekannt?

10. Nenne die verschiedenen Platten auf die im Buch Mormon hin- gewiesen wird: 1. im Titelblatt des Buclies, 2. im Buche selbst.

11. Erwäline was von den Platten Nephis bekannt ist: 1. ihre Ent- stehung, 2. die „größern" Platten, zum Unterschied von den „kleinern",

3. auf welche Weise die Berichte sich vergrößerten.

12. Was versteht man unter Mormons Abkürzung der Platten Nephis ?

Rückblick. 567

13. Welche der Platten Nephis hat Mormon seiner eigenen Abkür- zung einverleibt?

14. Welchen großen Zweck verfolgte der Herr mit der Verdoppelung eines Teiles der Urkunden?

15. Beschreibe die nähern Umstände, die dazu führten, daß Joseph Smith in den Besitz der Platten gelangte. (1. die erste Mitteilung, die er über das Vorliandensein der Platten erhielt; 2. erzähle was sich zugetragen hat als er sie zum erstenmal erblickte; 3. die vierjährige Prüfungs- und Vorbereitungszeit; 5. die Erlangung der Platten.)

16. Welche andere heilige Gegenstände waren außer den Platten vergraben ?

17. Was ist der Urim und Thummim?

18. Welchen Dienst leisteten diese Instrumente bei der Übersetzung ?

19. Beschreibe die Umstände, welche mit der Übersetzung und Ver- öffentlichung des Werkes zusammenhängen. (1. Die Schwierigkeiten, welche der Arbeit bereitet wurden, 2. das Datum der Veröffentlichung des Buches.)

20. Welches Zeugnis gab der Gelehrte über die Schriftzeichen eines Teiles der Urkunden?

21. Fasse die Tatsachen, welche für die Echtheit des Buches Mormon sprechen, zusammen. (Zeige den Unterschied zwischen den Begriffen „Echtheit" und „Glaubwürdigkeit".)

22. Wer waren die drei Männer, welche die Echtheit des Buches Mormon bezeugten? Gib einen Überblick über ihr Zeugnis.

23. Nenne die acht Zeugen. Was bezeugen sie?

24. Was versteht man unter der sogenannten Spaulding-Erzählung" über die Entstehung des Buches Mormon? Zeige wie albern diese Er- klärung über den Ursprung des Buches ist.

25. Erläutere die Anordnung der verschiedenen Teile des Buches Mormon.

Vorlesung XV, Artikel 8. Die Echtheit des Buches Mormon.

1. Zähle die Beweise für die Echtheit des Buches Mormon auf.

2. Zeige, daß sich Bibel und Buch Mormon in den Dingen, die sie gemeinsam behandeln, gegenseitig bestätigen.

3. Erläutere, wie durch das Hervorkommen des Buches Mormon alte Prophezeiungen in Erfüllung gegangen sind: 1. Prophezeiungen aus der Köstlichen Perle, 2. alttestamentliche Prophezeiungen, namentlich solche von Jesaja und Hesekiel.

4. Gib eine Darlegung von dem, was du über die innere Übereinstim- mung der Schreibweise mit dem Inhalt des Buches Mormon weißt.

5. Gib Beispiele aus dem Buch Mormon von Prophezeiungen, deren Erfüllung darin selbst berichtet wird.

6. Erwähne Prophezeiungen aus dem Buche Mormon, deren Erfüllung sich nach dem Abschluß dieser Urkunden zugetragen hat.

7. Was weißt du von Prophezeiungen aus dem Buche Mormon, die noch ihrer Erfüllung harren?

568 Die Glaubensartikel.

8. Stelle die hauptsächlichsten Ergebnisse der gegenwärtigen For- schungen und Untersuchungen zusammen, mit denen sich das Bucli Mormon im Einlilang befindet.

9. Erwähne Tatsachen, die dafür sprechen, daß Amerika schon in sehr früher Zeit bewohnt war. (1. führe die Schlußfolgenmgen der Forscher an; 2. vergleiche sie mit dem Berichte des Buches Mormon.)

10. Gib die hauptsächlichsten Beweise für die aufeinander folgende Besiedelung Amerikas durch zwei verschiedene Völker in früher Zeit und bestätige deine Ausführungen mit dem Bericht des Buches Mormon.

11. Wiederliole die wichtigsten Sclilußfolgerimgen der wissenschaft- lichen Forscher hinsichtlich des asiatischen Ursprunges der Ureinwohner Amerikas.

12. Fasse die Beweise, welche für iliren israelitischen Ursprung spre- chen, zusammen.

13. Gib eine allgemeine Darlegung der Überlieferungen der ameri- kanischen Eingeborenen inbezug auf 1. die Sündflut, 2. die Göttlicl.keit Christi und auf seine Kreuzigung.

14. Zeige die Ähnlichkeit z\\-isclien gewissen religiösen Zeremonien, die sowohl von den Juden wie auch von den amerikanischen Eingeborenen befolgt werden.

13. Welche Beweise haben ^^■ir neben dem Buch Mormon dafüi-, daß alle amerikanischen „Rassen" einen gemeinsamen Ursprung haben?

16. Bestätige die vorstehenden Schlußfolgerungen (11 15) mit den Berichten des Buches Mormon.

17. Was ist bekannt von den imter den Nephiten gebräuchlichen Schriftsprachen? Welche Sprache wiu-de auf den Platten Nephis und den Platten Mormons angewandt ?

18. Welche anderen Tatsaclien abgesehen vom Buch Mormon sprechen dafür, daß den Ureinwohnern Amerikas die ägyptische Sprache bekannt war?

19. Gib Tatsaclien über die Erhaltung von Überresten der hebräischen Sprache unter den eingeborenen Stämmen Amerikas.

20. Welchen Prüfstein für die Echtlieit des Buches Mormon gibt der letzte Schreiber des Buches?

Vorlesung XVI; Artikel 9. Offenbarung in der Vergangenheit, der Gegemvart und der Zukunft.

1. W^as ist Offenbarung ? Vergleiche Offenbarung mit Inspiration.

2. Zeige, daß Offenbarung die von Gott gewählte Form ist, um durch das Priestertum mit dem Menschengeschlechte in Verbindimg zu treten.

3. Was ist belsannt von den Offenbarungen Gottes: 1. an Adam, 2. an Henoch, 3. an Noah, 4. an Abraham, 5. an Isaak, 6. an Jakob, 7. an Mose?

4. Nenne Beispiele göttliclier Offenbarung an andere alttestament- liche Propheten.

5. Zeige, daß auch Christus ein Offenbarer war, als er unter den Menschen lebte.

6. Nenne aus der Heiligen Schrift Tatsachen, die beweisen, daß den Aposteln vor alters Offenbarungen gegeben ^^'urden.

Rückblick. 569

7. Zeige, daß die Lelire von der Notwendigkeit fortlaufender Offen- barung vernunftgemäß ist.

8. Zeige, daß sie schriitgemäß ist.

9. Zeige, daß fortlaufende Offenbarung stets ein Kennzeichen für die Tätigkeit des Priestertums gewesen ist.

10. Nenne die hauptsächlichsten, angeblich der Heiligen Schrift ent- nommenen Einwendungen gegen die Lehre von der Notwendigkeit fort- laufender Offenbarung. Zeige wie unbiblisch diese Einwendungen sind.

11. Nenne besondere Schriftstellen, welche voraussagen, daß Offen- bai^ung ein Kennzeichen für die wahre Kirche in der letzten Dispensation sein werde. (1. aus der Bibel, 2. aus dem Buche Mormon.)

12. Nenne solche Stellen aus den neuzeitlichen Offenbarungen, Fülire an, was der Herr verheißen hat, als er in dieser letzten Dispensation die ununterbrochene Fortdauer der Offenbarung für die Kirche bestätigt hat,

13. Zeige, wie vernünftig es ist, noch zukünftige Offenbarungen zu erwarten.

14. Zeige, daß die Lehre von dem Aufhören weiterer Offenbarung verhältnismäßig neu und auch schriftwidrig ist.

1.5. Zeige, daß die Inspiration den Menschen seiner Handlungsfreiheit und seiner Persönlichkeit nicht beraubt.

Vorlesung XVII; Artikel 10, Die Zerstreuung Israels.

1. Erkläre den Namen „Israer*. (1. Der Ursprung des Wortes, 2. die Erteilung dieses Titels an Jakob, 3. seine Anwendung als eine Bezeichnung der Nachkommenschaft Jakobs, 4. als ein Name für das eine Königreich nach Trennung der Nation, 5. als ein Sammelname für das auserwählte Volk Gottes.)

2. Gib eine allgemeine Übersicht über die Geschichte der Israeliten von dem Zeitpunkt an, da Jakob den Namen Israel erhielt, bis zur Zeit ihres ersten Königs.

3. Gib einen tJberblick über die Geschichte Israels als eine geeinte Nation unter der Herrschaft von Königen.

4. Stelle die nähern Umstände fest, unter denen sich die Teilung der Nation vollzog.

5. Erzähle kurz die Geschichte des Reiches Juda nach der Teilung des Volkes.

6. Desgleichen die Geschichte des Reiches Israel. Unter welchem andern Namen ist dieser Teil des Volkes auch noch bekannt?

7. Erkläre die Bezeichnungen „Hebräer" und „Juden".

U, Zeige, daß die Zerstreuung Israels von ihren Propheten schon in sehr früher Zeit vorausgesagt wurde.

9. Unter welchen Umständen sollte die Zerstreuung eintreten?

10. Führe an, was das Buch ?.Iormon über die Zerstreuung Israels vorhersagt. Erwähne besonders die Prophezeiung des Zenos. Wer war Zenos ?

570 Die Glaubensartikel.

11. Nenne geschichtliche Tatsachen über die Erfüllung dieser Pro- phezeiungen der Zerstreuung, soweit wie es das Reich Juda anlangt. Wel- chen Anteil hatte Nebukadnezar an dem Werke der Zerstreuung? Zu welcher Zeit trat sie ein ? Gib einen Bericht über die babylonische Gefan- genschaft. Auf welclie Weise trug Titus sein Teil zur Zerstreuung Judas bei ?

13. Zähle geschichtliche Tatsachen auf inbezug auf die Erfüllung von Prophezeiungen über die Zerstreuung Israels. In welcher Weise trugen Salmanasser und Sanherib zur Zerstreuung bei? Zu welcher Zeit? Zeige wie buchstäblich die Prophezeiung Ahias in Erfüllung ging.

14. Erläutere den Ausdruck „Die verlorenen zehn Stämme".

15. Was ist von der Wanderung der verlorenen Stämme bekannt?

Vorlesung XVIII; Artikel 11.

Die Sammlung Israels.

1. Führe biblische Verheißimgen an von der Sammlung Israels, die mit denen von seiner Zerstreuung verbunden sind, namentlich solche: 1. von Mose, 2. von Nehemia, 3. von Jesaja, 4. von Jeremia, 5. von Hesekiel, 6. von Arnos.

2. Gib die Prophezeiungen des Buches Mormon hinsichtlich der Sammlimg Israels \\ieder, besonders diejenigen: 1. von Lehi, 2. von sei- nem Sohne Nephi, 3. von Christus im Laufe seines Wirkens unter den Nephiten.

3. Führe aus den neuzeitlichen Of f enbarunge a diejenigen über die Sammlung Israels an.

4. Was schließt der Plan der Sammlung Israels in den letzten Tagen in sich?

5. Zeige, daß die Vollmacht zur Durchführung des Werkes der Samm- lung der Kirche in dieser Dispensation erteilt worden ist.

6. Welches ist der Zweck der Sammlung?

7. Gib einen Bericht von dem Werke der Sammlung, wie es gegen- wärtig im Fortschreiten begriffen ist.

8. In welcher Hinsicht ist das Volk Israel ein auserwähltes Volk?

9. Zeige, wie durch die Zerstreuung Israels die dem Abraham gegebene Verheißung, daß durch seine Nachkommen alle Völker der Erde gesegnet werden sollen, in Erfüllung gegangen ist.

10. Nenne eine andere Tatsache aus der Erfüllung dieser Prophe- zeiung, und zwar eine solche, die sich auf die irdische Abstammimg Christi gründet.

11. Führe aus der Heiligen Schrift Prophezeiungen an, welche auf die Wiederherstellung der zehn Stänmne Bezug haben.

12. Zeige, daß die Gründung Zions der Wiederbringung der zehn Stämme vorangehen muß.

Vorlesung XIX; Artikel 10. Zion.

1. Zeige aus den heiligen Schriften, daß für die letzte Dispensation zwei Sammelplätze eingerichtet werden sollen.

2. Erläutere „Zion". (1. Die Bedeutung des Ausdruckes, 2. seine ver- schiedenen Anwendungen.)

Rückblick. 571

3. Gib eine Übersicht der Geschichte Jerusalems von ilirer ersten Erwähnung in der Schrift bis zu ihrer Zerstörung durch die Römer.

4. Führe aus den heiligen Schriften Verheißungen an, welche sich auf die zukünftige Herrlichkeit Zions beziehen.

5. Erläutere die Anwendung des Ausdruckes „Neues Jerusalem".

6. Beweise aus dem Buche Mormon und aus den neuzeitliclien Offen- barungen, daß das Zion auf dem westlichen Festlande und das Neue Je- rusalem ein und dasselbe sind.

7. Führe an, daß Christus den Nephiten vorhergesagt hat, daß das Neue Jerusalem auf der westlichen Halbkugel erbaut werden soll.

8. Erwähne was Ether, der Jaredite, hinsichtlich der Gründung des Neuen Jerusalems propliezeite.

9. Was versteht man unter dem Zion Henochs? (1. Gib einen Über- blick über die Geschichte dieses Volkes; 2. Führe die Verheißungen über die Rückkehr Henochs und seines Volkes an.)

10. Was ist durch nei^eitliche Offenbarungen inbezug auf die geo- graphische Lage Zions oder des Neuen Jerusalems bekannt geworden?

11. Was versteht man unter „Pfählen Zions"?

12. Unter welchen Zuständen gilt die Zeit für die Erlösung Zions für gekommen ?

Vorlesung XX; Artikel 10. Die Regierung Christi auf Erden.

1. Vergleiche die Verhältnisse beim ersten Kommen Christi mit den vorausgesagten Zuständen bei seiner Wiederkunft.

2. Führe die Prophezeiungen der heiligen Schriften inbezug auf das zweite Kommen Christi an mit den, dieses Ereignis verkündenden Zeichen und Begleiterscheinungen. (1. aus der Bibel, 2. aus dem Buch Mormon, 3. aus neuzeitlichen Offenbarungen.)

3. Aus welchen Tatsachen kann man schließen, daß die vorherge- sagte Wiederkunft Christi nahe bevorsteht?

4. Was weiß man von dem Zeitpunkt seines zweiten Kommens?

5. Zeige aus den heiligen Schriften, daß Christus als Herrscher auf Erden regieren wird.

6. Gib eine Darlegung des Verhältnisses zwischen dem Reiche Gottes und der Kirche Jesu Christi.

7. Zeige, in welchem bestimmten, ausdrücklichen Sinne in den neu- zeitlichen Offenbarungen vom Reich Gottes und vom Himmelreich ge- sprochen wird.

8. Was wird bei der Aufrichtung des Gottesreiches auf Erden die Lage der aufrichtigen und ehrenhaften Menschen sein, die dann noch nicht Mitglieder der Kirche Jesu Christi sind?

9. Was ist das Millenium (das Tausendjährige Reich) ?

10. Führe aus den heiligen Schriften Beweise an für deinen Glauben an Zustände und Verhältnisse, wie sie während des Tausendjährigen Reiches auf Erden herrschen sollen.

11. In welcher Lage wird sich Satan während und nach dem Tausendjährigen Reich befinden?

572 Die Glaubensartikel.

Vorlesung XXI; Artikel 10. Erneuerung und Auferstehung.

1. Erläutere die Feststellung, daß die Erde unter einem Fluche ist.

2. Was ist mit der vorhergesagten Erneuerung der Erde gemeint?

3. Wann wrd diese Veränderung vollendet sein?

4. Was ist über den zukünftigen Zustand der Erde in ihrem erneuerten Stand bekannt?

5. Welche Stellung nimmt die Wissenschaft ein inbezug auf die Er- neuenmg der Erde?

6. Was ist mit der Aulerstehimg des Körpers gemeint?

7. Was lehrt die Kirche hinsichtlich der Buchstäblich keit der Auf- erstehung ?

8. Auf was gründet sich unser Glaube an die Auferstehung?

9. Führe Tatsachen aus den heiligen Schriften an, welche den Glauben an die Auferstehung unterstützen. (1. aus dem Alten Testament, 2. aus dem Neuen Testament, 3. aus dem Buch Mormon, 4. aus neuzeitlichen Offen- barungen.)

10. Nenne die in der Schrift erwähnten allgemeinen Aulerstehungen.

11. Wie wurde die erste Auferstehung eingeleitet imd eröffnet?

12. Gib einen Bericht von der Auferstehung der Gerechten, die un- mittelbar nach der Auferstehung Christi stattfand.

13. Führe die Prophezeiungen des Buches Mormon an über die Auf- erstehung Christi und die der Gerechten, die unmittelbar nach ihm aufer- standen sind.

14. Gib einen Auszug aus den Lehren der alten Apostel hinsichtlich der Auferstehung anläßlich des zweiten Kommens Christi.

13. Führe über dieselbe Sache neuzeitliche Offenbarungen an.

16. Vergleiche die in den heiligen Schriften enthaltenen Beschrei- bungen der ersten Auferstehung oder der Auferstehung der Gerechten mit den Beschreibungen der zweiten oder der Auferstehung der Ungerechten.

Iß. Zeige, daß die Auferstehung allgemein sein wird und sich sowohl auf die Rechtschaffenen wie auf die Bösen erstreckt.

17. Was wird das Schicksal der Heiden sein in der Auferstehung? Bekräftige deine Antwort mit Stellen aus den heiligen Schriften.

18. Was ist bekannt von dem Zustand der Seele z\vischen dem Tod und der Auferstehung?

19. Erläutere „Paradies". Zeige, daß das Paradies nicht der Ort der endaültiaen Herrlichkeit ist.

Vorlesung XXII; Artikel 11. Religiöse Freilieit und Duldsamkeit.

1. Was ist Gottesdienst? was Gottesverehrung?

2. Zeige, daß die Fähigkeit des Menschen, Gott richtig zu dienen, ein Maßstab ist für seine Erkenntnis von den Eigenschaften und Kräften Gottes.

3. Zeige, daß ein Gottesdienst, um gültig zu sein, aus dem freien Willen des Menschen hervorgehen muß.

Rückblick. 573.

4. Erläutere das Recht des Menschen auf persönliche Freiheit des Menschen in seiner Gottesverehrung.

5. Bespreche die Unduldsamkeit in religiösen Dingen, die die frühern und auch noch die neueren Zeiten kennzeichnet.

0. Zeige, daß Unduldsamkeit schriftw-idrig ist.

7. Zeige, daß Duldsamkeit nicht notwendigerweise gleichbedeutend sein muß mit Anerkennung oder Annahme einer Lehre.

ö. Zeige, daß der Mensch, nachdem er frei wählen kann, gerechter- weise auch für seine Handlungen verantwortlich gemacht \vird.

9. Erkläre die Bedeutung des Ausspruches Christi „in meines Vaters Hause sind viele Wohnungen".

10. Wieviele Reiche oder Grade der Herrlichkeit werden in dem geoffenbarten Worte Gottes genannt?

11. Welche Menschen sind der himmlischen Herrlichkeit würdig?

12. Für welche Menschen ist die irdische Herrlichkeit vorgesehen?

13. Wer wird in die unterirdische Herrlichkeit eingehen müssen?

14. Was ist bekannt über die Abstufungen der Herrlichkeit innerhalb eines jeden der drei Reiche?

15. Wer sind die Söhne des Verderbens? Was ist über ihr Schicksal bekannt ?

Vorlesung XXIII; Artikel 12. Gehorsam gegenüber den Gesetzen des Landes.

1. Was lehrt die Kirche über die Pflichten ihrer Mitglieder gegenüber den Gesetzen des Staates?

2. Führe aus dem Alten Testament Fälle an, worin göttliche Ermah- nungen »md Genehmigung hinsichtlich weltlicher Gesetze zu Tage treten.

3. Erwähne solche Beispiele aus dem Leben des Heilandes.

4. Was lehrten die Apostel vor alters hinsichtlich der Beobachtung der Landesgesetze durch die Mitglieder der Kirche?

a. Führe aus den neuzeitlichen Offenbarungen das Wort des Herrn an inbezug auf die Stellung der Kirchenmitglieder zu den weltlichen Re- gierungen, unter welchen sie leben.

6. Was sagt der Herr hinsichtlich seines Gerichtes über die, die von ihren Feinden an der genauen Befolgung seiner Gebote verhindert werden?

7. Führe ein Beispiel aus diesen Tagen an, wie die Kirche unter dem Druck des staatlichen Gesetzes von der Befolgung eines göttlichen Gebotes abgesehen hat.

8. Zeige, daß Gott die weltliche Autorität, als für die Regierung der Menschheit notwendig, anerkennt, und daß deshalb den Beamten des Staates Gehorsam geleistet werden soll.

9. Fasse die von Joseph Smith verfaßten und von der Kirche ange- nommenen Erklärungen inbezug auf die Pflichten der Mitglieder gegenüber den Landesgesetzen zusammen.

Vorlesung XXIV; Artikel 13. Praktische Religion.

1. Wiederhole des Apostels Jakobus Erklärung eines reinen Gottes- dienstes.

2. Zeige, daß Religion keine theologische Formsache ist, sondern die praktische Anwendung erkannter Rechtsgrundsätze.

574 Die Glaubensartikel.

3. Was lehrt die Kirche über die Verwandtschaft des Menschen mit Gott?

4. Zeige, daß Wohltätigkeit von der Heiligen Schrift eingeschärft wird. (Nenne 1. Fälle aus den Lehren des Heilandes, 2. solche von den Aposteln, 3. solche aus neuzeitlichen Offenbarungen.)

5. Nenne die von der Kirche heutzutage für wohltätige Zwecke vor- gesehenen Mittel und Wege.

6. Erläutere den heutigen Kirchenplan; 1. für freiwillige Opfer, 2. für Fastopfer als eine Form der ersten.

7. Bespreche die Vorteile der Beobachtung eines Fasttages und der Spendung von Fastopfern durch die Kirchenmitglieder.

8. Was ist der „Zehnte".

9. Führe biblische Autoritäten an für das Halten des Gesetzes des Zehnten in alter Zeit.

10. Erwähne die Forderungen, die durch neuzeitliche Offenbarung für den Zehnten des Volkes in unserer Zeit erhoben worden sind.

11. Was ist gemeint mit Weihung und Verwalterschaft?

12. Nenne Beispiele aus der Heiligen Schrift, wo das Volk Gottes in vereinigter Ordnung gelebt hat. (Führe Stellen an: 1. aus der Bibel, 2. aus dem Buch Mormon, 3. aus der Köstlichen Perle.)

13. Erläutere die vereinigte Ordnung oder die Ordnung Henochs, wie sie die neuzeitlichen Offenbarungen für die Kirche vorsehen.

14. Zeige, daß auch in der vereinigten Ordnung die persönliche Frei- heit des Einzelnen gewahrt bleibt.

15. Führe Fälle aus den heiligen Schriften an, worin der Herr die Trägen tadelt.

16. Was lehrt die Kirche über die Schicklichkeit und die Notwendigkeit der Ehe?

17. Was sagen die Offenbarungen des Herrn über die, welche die Ehe verbieten?

18. Was versteht man unter „Himmlischer (Ewiger) Ehe" ?

19. Zeige, daß die Vollmacht des Priestertums notwendig ist, um einen Bund zu schließen, welcher noch nach dem Tod der Vertragsparteien Gültigkeit haben soll.

20. Was lehrt die Kirche über die Größe der Sünde der ungesetz- lichen Vereinigung der Geschlechter ? Führe in Verbindung damit die dies- bezüglichen Erklärungen des Propheten Alma an.

21. Stelle die in der Offenbarung, genannt das „Wort der Weisheit", getroffene Vorsorge fest.

NAMEN- UND SACHVERZEICHNIS.

(Die Ziffern bedeuten die Seitenzahlen.)

Aaron. Die buchstäblichen Nach- kommen des 257.

Aaronische Priestertum. Das 248 f; in dieser Dispensation wieder- hergestellt 22, 232.

Abendmahl 210; Irrtümer hinsichtlich des s 219; würdige Genießer des s 212, 220; Sinnbilder des s 215; Einsetzung des s bei den Juden 210 f und bei den Nephiten 211 ; Segnung und Austeilung des s 216 f; der Ausdruck Sakra- ment 218; das Passahfest und das 218; Zweck des s 214.

Abfall von der ursprünglichen Kirche. Der 243; Entartung der Gottes- verehrung mit dem - verbunden 260; der frühe Beginn des s 261 ; der vorausgesagt 246.

Abgötterei und Gottesleugnung 52.

Abgöttische Bräuche im allgemeinen 61.

Abnalime der geistigen Gaben in früheren Tagen 285.

Adam zuerst unsterblich 81 ; s An- teil am Sündenfall 81, 86; der Fall s 79.

Ägyptische Sprache unter den Ur- einwohnern Amerikas 363.

Allgegenwart Gottes 50.

Allgemeine Auferstehungen. Zwei 475.

Allgemeine Seligkeit 107.

Allmacht Gottes 51.

Allwissenheit Gottes 51.

Alten amerikanischen Völker. Über- lieferungen der 353 ff, 367 ; Sprache der 362, 364, 369.

Alte Prophezeiungen inbezug auf das Buch Mormon 342.

Alte Testament. Das 292; Ursprung und allmähliches Wachstum 292 ff ; die lu-sprüngliche Sprache des- selben 295; die Gesetzbücher oder der Pentateuch 297; die ge- schichtliclien Bücher 298, die prophetischen Bücher 299, 311; die fünf poetischen Bücher 298; die Septuaginta 296.

Alte Zivilisation in Amerika 366.

Ältesten. Die 252; Kollegium der 252.

Amerikas allmähliche Besiedelung 353 ff.

Amerikanische Indianer (Lamaniten) 361 ; Überlieferungen über die Sintflut 367.

Amerikanische Völker 355 f; die Ur- einwohner asiatischen Ursprungs 356; gemeinsamer Ursprung aller n 361 ; israelitischer Ursprung der n 356.

Amt. Das geistliche 248; Vollmacht zum 221, 239; Ordination zum 224.

Amtsgehilfen 226, 258.

Amtsverrichtungen, mit Vollmacht 221, ohne Vollmacht 227.

Anerkennung der Bibel. Unsere 288.

Apokryphische Bücher 299.

Apostelamt 254; das Kollegium der Zwölfe 255.

Archäologische Beweise für die Bibel

313; und Ehtnologische Beweise für das Buch Mormon 351.

Art und Weise der Taufe 167.

Atheismus und Götzendienst 52; Er- klärung des 54; ein verhäng- nisvoller Glaube 63; und Im-

576

Namen- und Sachverzeichnis.

materialismus 63. Atheismus und Theismus 52, 60. Auferstehung des Körpers 470; die

eröffnet 475; die erste 476;

von den Toten 470; die Heiden in der ersten 486; die letzte 481 ; die Christi und die, die unmittelbar darauf folgte 476; allgemeiner Glaube an die 485 ; die vorhergesagt 472; die beim zweiten Kommen Christi 478; die Unwissenheit der Heiden inbezug auf die 484 ; Mangel an wissenschaftlichen Beweisen über die 467.

Auferstehungen. Zwei allgemeine (die der Gerechten und der Ungerech- ten) 475.

Aufhören der Vielehe. Das 523, 530.

Auflegung der Hände beim Vollzug von Verordnungen 209, 225.

Auserwähltes Volk (Israel) 422, 425.

.Auslegung der Zungen. Gabe der 272.

Äußerliche Beweise für das Buch Mormon 351 ff.

Autorität in der gegenwärtigen Dis- pensation. Göttliche 231 ; in der Amtstätigkeit 221.

Autorität staatlicher Gesetze 510.

Baum der Erkenntnis des Guten und

des Bösen 80. Baum des Lebens 81. Beamte. Präsidierende 250. Bekennen der Sünde ist notwendig

137. Beschneidung und Taufe 155. Besitzergreifung und Bevölkerung

Amerikas. Frühe 353. Beweise aus der Altertumskunde für

die Bibel 313. Beweise aus der Altertums- und

Völkerkunde für das Buch Mor- mon 351. Beweise für das Buch Mormon durch

Entdeckungen der Neuzeit zutage

gefördert 351. Beweise unterstützen den Glauben;

zuverlässige 125. Bewerber um die Taufe. Würdige 152. Bibel. Die 288 ; das erste maßgebende

Kirchenbuch 6, 31; der Name der 289; unsre Anerkennung der 288; Glaubwürdigkeit und Echtheit der 306; Zeugnis des Buches Mormon für die 307; Übertragungen und Übersetzun- gen der 305, 310, 314. Bischof. Der präsidierende 256 f ; der

einer Gemeinde 258. Bischofschaft der ganzen Kirche.

Die präsidierende 256; der Ge- meinde 258. Buch Mormon 315; Glaubwürdigkeit des es 331, 339; bibhsche Prophezeihungen inbezug auf das

343 ; das Hervorkommen des

es 20 ; das verglichen mit

der Bibel 307, 340; Zusammen- setzung und Einteilung des es 330; die innere Übereinstimmung

des es 346 ; im enthaltene

Prophezeihungen 347; Hauptteile des es 319; äußere Beweise für das 351; Echtheit der Platten des es 12, 324; Pro- phezeihungen über das 342 ;

Spaulding Geschichte über das

335 ; das Zeugnis von Augenzeu- gen über das 332 ff ; Theorien

über das 335; Titelblatt des es— 318; Übersetzungen des —es— 15, 328 f.

Bündnisse (Ehe) für Zeit und Ewig- keit 550.

Bürgerkrieg von Joseph Smith vor- hergesagt 26.

Buße zur Seligkeit notwendig 140;

eine Gabe Gottes 142; hier und im Jenseits 76, 143; das Wesen der 136; nicht immer möglich 142; nicht hinaus- schieben 144.

Christus der Gesalbte 459; Sühn- opfer Christi, siehe daselbst; Kirche Christi 451 ; das erste Kommen Christi 440; sein zweites Kommen 441 ; die Zeit seines zweiten Kommens 445; Christi Mission in der Geisterwelt 180; die Regierung Christi auf Erden

Namen- und Sachverzeichnis.

577

440; die Auferstehung Christi 476;

der Urheber unsrer Seeligkeit 115.

Dasein Gottes. Das 32.

Dauer der Strafe 75.

Diakons (Diener). Das Amt eines 250.

Dispensation der Sammlung 18;

der Fülle der Zeiten 21. Dreieinigkeit. Die 46, 64. Druidische Opferungen 63. Duldsamkeit. Religiöse Freiheit und

488, 492, 498, 508 f; heißt

nicht Billigung und Annahme

497 f.

Echtheit und Glaubwürdigkeit der Bibel 306; und von Teilen des Neuen Testaments 311 ; - und

des Buches Älormon 331, 339. Eden. Der Garten 79, 88.

Ehe. Die 548; himmlische 550;

Aufhören der Vielehe 523, 530. Eigenschaften Gottes 50, 124. Eingestehen der Sünde notwendig,

um Vergebung zu erlangen 137. Einheit (Einigkeit) der Gottheit 47;

ein Vorbild der Vollkommen- heit 47.

Einsetzung ins geistliche Amt 224;

des Abendmahles bei den Juden 210, bei den Nephiten 211 ;

der Taufe 148.

Elia überträgt die Vollmacht für die

Ausführung des stellvertretenden

Werkes für die Toten 17 f, 23,

185. Elias überträgt die Dispensation des

Evangeliums Abrahams 23. Englischen Kirche von der Gottheit.

Die Lehre der 57. Entartung der Gottesverehrung mit

dem Abfall verbunden 260. Erde vor, während und nach dem

Tausendjährigen Reich. Die 460;

Erneuerung der 462; die

unter dem Fluch 461. Erhöhung und Seligkeit 112. Erkenntnis mit Glauben verglichen

119. Erlösung von dem Fall. Allgemeine

luid bedingungslose 115; siehe auch Sühnopfer Christi.

Erneuerung der Erde 462; und Auferstehung 461.

Erste Präsidentschaft 255.

Ethnologie und Archäologie unter- stützen die Echtheit des Buches Mormon 351.

Eva 79; s Versuchung 80.

Evangelisten oder Patriarchen 253.

Evangelium soll den Toten gepredigt werden. Das 180; wiederher- gestellt 6 ff, 17; vielen noch unbekannt 179.

Ewige Bündnisse 551.

Fairchild, James H. über die Spaul- ding- Geschichte 336.

Fall, siehe „Sündenfall".

Falsche Lehrer früher angekündigt 230 f.

Fastopfer 537.

Fasttags. Einhaltung des 537.

Fehlende, in der Bibel erwähnte heilige Schriften 313.

Folge des Falles. Die unmittelbare 83, 89.

Form der Taufe 167 f.

Fortbildungsvereine 259.

Fortlaufenden Offenbarungen. Die Lelu-e von 377, 390; Einwen- dungen gegen diese Lehre angeb- lich biblisch 381.

Frauenhilfsvereine 259.

Freier Wille des INIenschen 65, 87.

Freiheit in der Verehrung 488.

Freiwillige Opfer 536.

Friede des Tausendjährigen Reiches. Der 459.

Frühere Besitzergreifung und Be- völkerung Amerikas 353.

Fürwahrhalten, Glauben, Erkenntnis 118 f.

Gabe der Heiligung 273, der Pro- phezeihung 277, der Offenba- rung 278, der Zungen und der Auslegung der Zungen 272, der Gesichte und der Träiune 274 f.

Gabe Gottes. Der Glaube eine 37

578

Namen- und Sachverzeichnis.

133; Buße eine 142.

Gaben des Geistes. Die 207, 263; kennzeichnend für die Kirche 263; Abnahme der dem Abfall eigen 285; bestehen in der heutigen Kirche 283; unvollstän- dige Aufzählung einzelner 271, 283; Nachahmung der 282; neuzeitliche Kundgebungen der 287; das Wesen der 265.

Garten Eden 79, 88.

Gebote unter den Reliquen der alten Amerikaner aufgefunden. Die zehn 358, 364.

Gehorsam den Gesetzen des Landes gegenüber 510.

Geist. Heiliger, siehe der „Heilige Geist".

Geistige Schöpfung 239.

Geistlichen Amt. Vollmacht im 221 ; Ordination zum 224.

Gemeinde-Bischofschaft 258.

Gemeindeorganisation und die Beam- ten derselben 257, 259.

Genugtuung für begangene Sünden 140.

Gericht folgt nicht immer sofort 69 f ; —Sache Christi 70.

Gesalbte (Christus). Der 459.

Geschichte und Überlieferung unter- stützen die Beweise des Daseins Gottes 34 ff; der wiederher- gestellten Kirche 31.

Geschichtsbücher des Alten Testa- ments 298, des Neuen Testaments 304.

Geschlechter. Ungesetzliche Ver- einigung der 552.

Geschriebene Sprache der alten Ame- rikaner 362.

Gesetze des Landes. Unterwerfung unter die 510—530; Priester- tums 261.

Gesichte und Träume 274 f.

Glauben an Gott natürlich 57 und notwendig 58.

Glauben 118; eine Voraussetzung und Bedingung des s 131; ver- glichen mit Erkenntnis und mit Fürwahrhalten 118 f; not- wendig zur Seligkeit 32; Grund-

lage des s 123 f; eine Gabe Gottes 133; die Lehre von der Rechtfertigung durch allein 134, 145; das Wesen des s 118 Beispiele von irregeleitetem 144; ein Machtprinzlep 128

ohne Werke unvollständig 134 145; von Tatsachen unter stützt 125 f; Reichhaltigkeit uns res Glaubens 532.

Glaube, Erkenntnis, Fürwahrhalten 118 f.

Glaubensartikel. Die 5; Entstehung der 5, 29; von neuem be- stätigt 5.

Glaubensbekenntnis. Das nizäische 56.

Glaubwürdigkeit und Echtheit der Bibel 306, des Buches Mormon 331, 339, der göttlichen Mission Joseph Smiths 7, 16.

Glieder der Gottheit. Persönlich- keit der 48.

Gott berufen. Männer von 221; des Menschen Verhältnis zu 555.

Gottesglaubens. Die Arten des 33 f, 60 f.

Gottes Eigenschaften 50, 124; Glau- ben an Gott natürlich 32, 57 und notwendig 33, 58; Wichtigkeit des Glaubens an Gott 58; Dasein 32; Beweise dafür aus Geschichte und Überlieferung 34, 60; Be- weise der Vernunft 36; die Offen- barung als Beweis 41 ; Beweise der Natur 37 ; natürliche Anzeichen für das Dasein 37; Persönlichkeit

48.

Gottesleugnung. Abgötterei und 52.

Gottheit. Die Persönlichkeit eines jeden Ghedes der 48; die eine Dreieinigkeit 46; Einheit (Einig- keit) der 47; die sektierer- ischen Ansichten von der 55.

Göttlicher Ursprung des Buches Mormon 339.

Gott und die Gottheit 33.

Götzendienst. Beispiele von schreck- lichem 54.

Götzendienst und Gottesleugnung 52.

Grade der Herrlichkeit 113, 501, 505.

Namen- und Sachverzeichnis.

579

Griechen. Die Taufe bei den 192. Grundsatz der gemeinsamen Zu- stimmung 260.

Hagiographa 291, 298.

Händeauflegen beim Vollzug von Verordnungen 209, 224.

Hebräer 407.

Hebräische Sprache bei den Nacli- kömmüngen der amerikanischen Ureinwohner. Überreste der n 364, 369.

Heiden in der ersten Auferstehung 486.

Heiden in Unwissenheit 484.

Heilige Geist. Der 195; Übertragung des n es 205 ff, 209; seine Wirkung auf die Menschen 208, 209; Ausnahme bei der Verlei- hung des n es 204; Gaben des n es, siehe daselbst; die Tätig- keit des n es 201 ; Persönlich- keit und Mächte des n es 49,

197; der versprochen 195;

biblische Namen des n es 49; wem der erteilt wird 203 ff.

Heiligkeit des menschlichen Körpers 553.

Heiligung. Gabe der 273.

Helfer in der Kirchenverwaltung 226, 258.

Henochs. Die Ordnung 542, 543, das Zion 429.

Herrlichkeit. Grade der 113, 501, 505; himmhsche 113, 502; irdische 113, 503; unterirdische 114, 504.

Himmelreich. Das 451.

Himmliche Ehe. Die 550.

Himmhche Herrlichkeit 113, 502.

Hirten 257.

Hohenpriesters. Das Amt eines 252; das Kollegium derselben 252; der präsidierende Hohepriester 255.

Hohen Priestertums. Der Präsident des 253, 255.

Hohe Rat. Der stehende (stationäre) 257 ; der reisende (das Kolle- gium der zwölf Apostel) 254.

Höheres Priestertum, siehe Melchize- dekisches Priestertum.

Huldi^ng für den Propheten Joseph Smith. Eine 29.

Immaterialismus und Atheismus 63.

Indianer (amerikanische, Lamaniten) 352, 361.

Individuelle Seligkeit 107—110.

Inspiration und Offenbarung 370, 390; ein sicherer Führer.

Irdische Herrlichkeit 113, 503.

Israel 392; ein auserwähltes Volk 422, 425; Zerstreuung s 392 ff, 397; unter den verschie- denen Völkern 397 f, 402, 408, 425; Sammlung s 409; Samm- lung — s nunmehr im Fortschreiten begriffen 21, 419, 425.

Jahrtausend. Das siebte 459.

Jarediten 321.

Jerusalem. Das neue - 431 ; Ge- schichte — s 430, 431, 438.

Johannes der Täufer überträgt das aaronische Priestertum 22, 232.

Joseph Smith. Der Prophet 6; Gött- lichkeit der Mission s 16; s Vollmacht 22; s Gesicht 10 f; s Eltern und Jugend 7, 30; besucht von Moroni 12. 315; verfolgt 11 f, 29; ein wahrer Prophet 7, 24; eine Huldigung für den Propheten 29; Märtyrer- tum s 15, 30; Hinweisungen auf das Leben s 30 f; s For- schen nach Wahrheit 8 f, erstes lautes Gebet 10.

Juda. Das Königreich 393.

Juden 407; das Abendmahl bei den - 210.

Kenntnis von Gott notwendig 1.

Kinder in den Augen Gottes un- schuldig 107 110.

Kindertaufe 108 f, 153, 154, 156; Geschichte der 154, 165; im Buch Mormon verboten 156.

Kinder und Väter von einander ab- hängig 186, 193.

Kirche Christi. Die 451.

Kirche. Der Abfall von der ursprüng- lichen 243, vorhergesagt 246;

580

Namen- und Sachverzeichnis.

die ursprüngliche 241. '

Kirche der letzten Tage. Die 241, 248.

Kirche Englands von der Gottheit. Die Lehre der 57.

Kirchenbücher. Die maßgebenden 6.

lürchenorganisation 248 ; Wieder- herstellung der 247.

Kirchenschulen 259.

Kirche und Reich Gottes 451.

Klassen. Religions— 259.

Kollegium 251.

Kollegien. Organisierte (251 ff) : Leh- rer 251, Diakone 251, Priester 252, Älteste 252, Siebziger 252, Hohenpriester 253; der Ersten Präsidentschaft 255; der zwölf Apostel 254, 255.

Kommen Ciiristi. Das erste und das zweite 440; Zeit des zweiten s— 445.

Körpers. Heiligkeit des menschlichen 553.

Lamaniten 318, 320, 352.

Landesgesetzen. Gehorsam gegen- über den 510.

Lebens. Der Baum des 81.

Lehrbücher des Neuen Testaments 304.

Lehrer (Grad im aaronischen Priester- tum) 251.

Lehrern gewarnt. Vor falschen 231.

Letzte Auferstehung 481.

Levitisches Priestertum 249.

Liebe. Nächstenliebe und Wohl- tätigkeit 535, 554, 555. ^

Luther, Martin über Rechtfertigung durch Glauben allein 145.

Macht. Der Glaube ein Grundsatz

der 128. Männer von Gott berufen 221. Martin Luther über Rechtfertigimg

durch Glauben allein 145. --«i Märtyrertod Joseph Smiths 15, 30. Mayas. Die heilige Sprache der 363. Jlelchizedekisches Priestertum 248,

250; dessen Wiederherstellung 23,

232. ^lenschen. Freier Wille des 65, 87 ;

Verantwortlichkeit des 69, 499f. Mexikanische Überlieferungen vom

Heiland 369; von der Sintflut

366. Mildtätigkeit und Liebe 535, 554,

555. Millennium 455, 459. Moloch. Schreckliche Verehrung des

62. Mormon. Das Buch, siehe „Buch

Mormon". Moroni besucht Joseph Smith. Der

Engel 12—14, 315. Mose überträgt auf .Joseph Smith

seine Vollmacht 19, 23, 420.

Nachahmimg geistiger Gaben 282.

Nachfolgerecht im patriarchalischen Amt 253.

Name „Bibel". Der 289.

Natur. Gott in der 59.

Natürliche Beweise für das Dasein Gottes 37, 59, 60.

Natürlichkeit des Glaubens an Gott 58.

Nephiten 318 320, 352; Taufe bei den 172 (176); das Abendmahl bei den eingesetzt 211; die von Christus besucht 172, 311.

Neues Jerusalem (Zion) 431.

Neue Testament. Das 300; Echtheit und Entstehung des n s 300; Einteilung des n s 304; die belehrenden Bücher des n s 304; die geschichtlichen Bücher des n s 304; die propheti- schen Bücher des n s 305.

Neuzeitliche Offenbarungen 384.

Nizäer. Die Sekte der 56.

Notwendigkeit des Glaubens an Gott 58.

Offenbarung 370; Johannes 377; für die Kirche unentbehrlich 380; in früherer Zeit 374; fort- dauernde — 377, 390; angeblich biblisch begründete Einwendun- gen gegen die Lelire der fort- dauernden Offenbarung 381 ; Gabe der 278 ; das Mittel, wodurch Gott mit den Menschen verkehrt

Niunen- und Sachverzeichnis

581

43, 373; und Inspiration 370, 390; neuzeitliche 44, 384; in der Zukunft 388; unter- stützt den Glauben an Gott 41.

Opfer. Fast 537; freiwillige 536; und Zehnten 538.

Ordination zum geistlichen Amt 224.

Ordnung Henochs 543; en und Ämter im Priestertum 248, (253); gesellschaftliche Ordnung der Hei- ligen 547.

Organisationen der Priesterschaft. Örtliche 257, 259.

Paradies 486.

Passahfest und Abendmahl 218.

Patriarchalichen Amt. Nachfolge- recht im 253.

Patriarchen oder Evangelisten 253. Ordnung der 253.

Pentateuch 291, 297; die samari- tische Abschrift des s 310.

Persönlichkeiten der Gottheit 48; des HeiUgen Geistes 49, 197.

Persönliche Seligkeit 107, 110.

Petrus, Jakobus und Johannes über- tragen das melchizedekische Prie- stertum 232.

Pfähle Zions 257.

Pfahlpräsidentschaft 257.

Pflichten des Priestertums. Beson- dere 250.

Platten des Buches Mormon 12, 323;

Nephis 324; Mormons 324;

Eters 324, Messingplatten La- bans 324.

Poetische Bücher des Alten Testa- mentes 298.

Präexistens der Geister 236.

Praktische Religion 531.

Präsidentschaft. Die Erste 255; im Priestertum 254; des Pfahles 257; en und Kollegien 254; des Hohen Priestertums 255; ten und Kollegien 254.

Präsidierende Bischofschaft 256.

Präsidierendes Kollegium der Sieb- ziger 256.

Priester (Grad im aaronischen Prie- stertum) 251.

Priestertum. Aaronisches 248; Or-

ganisation des s innerhalb der Gemeinde 257; Levitisches 249; Melchizedekisches 248; Kollegien ( Quorums) des s 251 ; die Ordnung des s 248; die Wiederbringung des s 248; be- sondere Pflichten im 250.

Primär- Vereine 258.

Prophet. Anwendung und Gebrauch des Ausdruckes 284.

Prophetenschule 284.

Propheten vor alters organisiert 284.

Prophetische Bücher, des Alten Te- staments 299; des Neuen Testa- ments 305.

Prophezeiung inbezug auf das Buch Mormon 342; bibliche über das Buch Mormon 373; Gabe der 277.

Prüfstein. Ein guter 365.

Quoriun (siehe Kollegium); beson- derer Gebrauch dieses Ausdruckes 251.

Rassen Amerikas. Gemeinsamer Ur- sprung der 361.

Rat. Der reisende Hohe 256; der stehende (stationäre) 257.

Räte : der Ersten Präsidentschaft 255, der präsidierenden Bischofschaft 256, der Pfahlpräsidentschaft 257, der Ward-Bischofschaft 258, der verschiedenen Kollegien ( Quorums 251 ff.

Rechtfertigung durch Glauben allein 134, 145.

Regierung Christi auf Erden. Die 410, 448.

Regierungen. Gehorsam gegenüber den weltlichen 510 530; und

Gesetze im allgemeinen 524 ff.

Reich Gottes 448 und Kirche Christi 451; Israel 393, 451, Christi 451, das Tausendjährige 455, Juda 353.

Reichhaltigkeit unsres Glaubens 532.

Reise der zehn Stämme 408.

Religion. Praktische 531 ; Religion des täglichen Lebens 531.

Religionsklassen 259.

582

Namen- und Sachverzeichnis.

Religion. Theologie und 4. Religiöse Freiheit und Duldsamkeit

488, 509 ; Unduldsamkeit 492 f,

508.

Saduzäer 485.

Sammlung Israels 409; Umfang und Zweck der 419; Neuzeitliche Offenbarungen über die 418; zwei Sammelplätze vorgesehen 427 ;

findet gegenwärtig statt 425;

vorausgesagt 409 ff.

Satan 68, 77, 458; s Macht be- schränkt 78 f.

Seele. Zwischenzustand der 486.

Sekte der Nizäer 56.

Sektiererische Ansichten von der Gottheit 55; von der Fort- dauer oder Abnahme der geistigen Gaben 285.

Seligkeit. Allgemeine 107, persönliche

107, 110; und Erhöhmig 112. Septuaginta. Die 296, 310. Siebziger. Die 252 ; Kollegium der

252, 256.

Siegel des Märtyrertodes. Das 30.

Sintflut. Mexikanische Zeitbestim- mung der 366.

Smith, Joseph, siehe „Joseph Smith"..

Söhne des Verderbens. Die 74, 76, 506.

Sonntagschulen. Die 259.

Spaulding-Erzählung und Buch Mor- mon 335.

Sprache der Ureinwohner Amerikas. Die 362, 364, 369; in der die Platten des Buches ^lormon ver- faßt sind 362; die Ursprache des alten Testaments 295.

Sühnopfer Christi. Das 91 ; Bedeu- tung des Wortes 91 ; Antrieb zur Vollbringung des s 98 f; unmittelbare Folge des Sünden- falles 83, 93; Vertrauen auf das notwendig zur Seligkeit 116 f, 139; Umfang des 104;

vorherbestimmt und vorher- gesagt 84, 99; allgemeine Wir- kung des 107; die besondere oder persönliche Wirkung des

sllO; das Wesen des s 93; die Stellvertrung des s bewiesen mit Zeugnissen 114; ein stell- vertretendes Opfer 95; war freiwillig 96 f.

Sünde 71; das Wesen der 71, 88; Begehen von 72; in Un- wissenheit begangen 72 f ; Ver- gebung für 140; Strafe für 74; unverzeihliche 74.

Sündenbekenntnis notwendig zur Er- langung von Vergebung 137.

Sündenfall. Der 65, 79; vorherbe- stimmt und notwendig 84, 89 f; unnüttelbare Folgen des s 83, 89.

Schlange. Verfluchung der 84, 89.

Schöpfung. Geistige 239.

Schreibweise im Buch Mormon 366.

Schriften, die in der Bibel zwar er- wähnt, heute jedoch unauffind- bar sind. Heilige 313.

Schriftsprache der Ureinwohner Ame- rikas 362 ff.

Schulen der Kirche 258; Sonntagschu- len 259; Schule der Propheten 284.

Staatlichen Gesetzen. Gehorsam ge- genüber den 510, 530.

Stammeltern. Vorwürfe gegen die 87 ; haben Anspruch auf Dank- barkeit 87; Zustand wenn unsere nicht gesündigt hätten 87.

Stämme Israels. Die zehn verlorenen 393, 405, 408.

„Standard Werke" (maßgebende Lehrbücher) der Kirche 6, 31.

Stellvertretende Natur des Sühn- opfers 95, 97, 114.

Strafe für Sünde 74 ; die Dauer der 75; ,, endlose", ,, ewige" 75, 77.

Stufen der Herrlichkeit 113, 501.

Tatsachen, die den Glauben an einen Gott unterstützen 123 ff.

Taufe. Die 147, 168; bei den Grie- chen 192, bei den Nephiten 172, bei den ersten Christen 192; zur Seligkeit notwendig 156, 106; und Beschneidung 155; die Ein- setzung der 148;die in unserer Zeit 172; würdige Bewerber um

Namen- und Sachverzeichnis.

583

die Taufe 152, 164; für die Toten 178; die Kindertaufe 109, 153, 154, 156; Bedeutung und erste Anwendung des Wortes 154, 168, 191 ; die Form der Taufe 167, 170; das Wesen der 147; Vor- bereitung auf die 152, 164; Zweclc der 149, 157; die „Wie- dertaufe" 174; wiederliolte an ein und demselben Mitglied 177 : von jedermann verlangt 156, 178; das Sinnbild der 169.

Tausendjähriges Reich (Millennium) 455, 459; die Erde vor, während und nach dem Tausendjährigen Reich 460.

Tempel. Alte und neuzeitliche 188 ff, 194; Platz in Independence 439.

Testament. Das Alte und das Neue siehe „Altes" und „Neues" Te- stament.

Theismus, Atheismus usw. 60 f.

Theologie 2; der Umfang der 3 f ; Wichtigkeit des Studiums der 1; und Religion 4; theologische Walirheiten mit andern verglichen 3 f.

Theorien über die Herkunft und den Ursprung des Buches Mormon 335.

Titelblatt des Buches Mormon 318, 335.

Toten. Taufe für die 178; die Mission Christi unter den 143, 181 ; den soll das Evangelium gepredigt werden 180; das stellvertretende Werk für die 183, 187. Die Auferstehung von den 470.

lYadition und Geschichte unterstüt- zen den Glauben an einen Gott 34.

Traditionen inbezug auf den Heiland. Mexikanische 369; der Urein- wohner Amerikas bestätigen das Buch Mormon 367 369.

Träume und Gesichte 274.

Übereinstimmung des Buches Mor- mon mit andern Wahrheiten 337, 346.

Überlieferungen der Nachkommen

der Ureinwohner Amerikas 367; mexikanische vom Heiland 369.

Überheferungen und Geschichte unter- stützen den Glauben an einen Gott 34 f.

Übersetzung des Buches Mormon 328.

Übersetzungen des alten Testamentes 296; der Bibel 296, 305, 314.

Übertretung 65.

Unbefugtes Amtieren 227.

Unduldsamkeit. Religiöse 492 f, 508.

Ungesetzliche Vereinigung der Ge- schlechter 552.

Unkörperlichkeitslehre und Gottes- leugnung 57.

Unkörperliches Wesen kann nicht bestehen 50, 57.

Unschuld der Kinder 107 109.

Unterirdische Herrlichkeit 114, 504.

Untertauchung die richtige Form der Taufe 167 f.

Unterwerfung unter die Gesetze des Landes 510.

Unverzeihliche Sünde 74.

Urim und Thummim 13.

Ursprüngliche Kirche 241 ; Abfall von der n 243.

Ursprung des Buches Mormon. Theo- rien über den 335 ; Göttlicher 339.

Vätei* und Kinder auf einander an- gewiesen 186, 193.

Vater und Sohn in Gestalt und Kör- perform vollkommene Menschen 49.

Verantwortlichkeit des Menschen 69.

Verderbens. Söhne des 74, 506.

Verehrung 489; Freiheit in der 488 f.

Verein. Frauenhilfs 259; Fort- bildungs 259.

Vereine zur gemeinsamen Fortbil- dung 259.

Vereinigte Ordnung 543.

Vereinigung der Geschlechter. Un- gesetzliche 552.

Verfluchung der Schlange 89.

Verfolgung Joseph Smiths 12, 29.

Vergeben. Andern ihre Fehler 137.

Vergebung der Sünden wird nicht

584

Namen- und Sachverzeichnis.

immer sogleich gewährt 146.

Vermißte, aber in der Bibel erwähnte heilige Schriften 313.

Vernunft unterstützt den Glauben an einen Gott. Die 36.

Versöhnung bewiesen 114; durch Christus eingeführt 116.

Versuchung. Evas 80.

Verwalterschaft und Weihung 543.

Verwaltung. Helfer in der 258.

Verwaltungsplan der wiederherge- stellten Kirche 248.

Vielehe. Das Aufhören der 523, 530.

Vollmacht in der jetzigen Dispen- sation. Göttliche 231 ; im geistlichen Amt 221 ; von Gott gegeben 239.

Von Gott berufen. Männer 221.

Vorordination (Vorherbestimmung) 233 ; bedeutet nicht Zwang 235.

Vorordination und Präexistenz 233.

Vulgata. Die 310.

Wahl. Freie 67.

Wanderung der verlorenen zehn Stämme 408.

Ward-Bischofscliaft 258.

Weihung und Verwalterschaft 541 ff.

Werke. Die maßgebenden Kirchen- ( Standard-Werke) 6, 31.

Wichtigkeit des Glaubens an Gott. Die 58; des Studiums 1.

Wiederherstellung der Kirche. Die 15, 247; der zehn Stämme 423; des Evangeliums 6 ff, 17 ; des Priestertums 248; Jeru- salems 19.

Wiederholungen in den Unterrichts- klassen. Übungen für die 557.

Wiederkunft Christi 441 ff.

Wiedertaufe 174; Fälle von Wieder- taufen in der Schrift erwähnt 175; Wiederholte Taufen an denselben Personen 177.

Wille des Menschen. Der freie 65, 87.

Wirkungen des Sündenfalles 83, 89.

Wohltätigkeit 533 ff.

Wort der Weisheit 553.

Wunder 28, 266; eine Hilfe im geistigen Wachstum 286; ein Zeugnis, das sich auf ein grün- det, nicht unfehlbar 28, 281; von bösen Mächten vollbracht 281 ; ein scheinbares 284.

Zehn Gebote unter den Reliquen der Ureinwohner Amerikas gefunden. Die 358, 364.

Zehn Stämme. Die Wanderung der verlorenen 19, 408; Wiederher- stellung der 423.

Zehnten 538; das Gesetz des n 541.

Zeit des zweiten Kommens Christi. Die genaue 447 f.

Zenos 407.

Zeugen für das Buch Mormon 332; Zeugnisse von dreien 332 f, 336; das Zeugnis der acht Zeugen 334, 337; Bemerkungen über die 336 f.

Zeugnis, das sich auf Wunder gründet, nicht unfehlbar. Ein 280 f.

Zeugnis des Buches Mormon für die Bibel 307 ; der Wunder 280.

Zion 427 ; der Name 429 ; Gründung s in Missouri 19, 439; He- nochs 429 ; , das neue Jerusalem 431.

Zivilisation in Amerika. Alte 366.

Zukünftige Offenbarungen sind noch zu erwarten 388, 390 f.

Zungen. Gabe der 272; Auslegung der 272.

Zwang zu Werken der Rechtschaffen- heit 66, zum sündigen 66, 68, 78.

Zweck der Taufe 149.

Zwischenzustand der Seele (Paradies) 486.

Zwölfe 255.

Harold B Lee Library

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