■^ IC UNS! UNSERER

ZEIT

EINE CHRONIK DES /

äX/a^dernen Künstlebens.,

i^r-jr

'^J!W^ffllffj,MaMlllllillJW.Uik<.||J,I.J^U>jtli

-^'J^ 5-^.

'f^k

^t\r

-K^^t£yy^M^

^n>i7~

m

^BssiaSs

DIE

KUNST UNSERER ZEIT

EINE CHRONIK

DES

MODERNEN KUNSTLEBENS.

-Ci O

s o

C Q_

I

MÜNCHEN FRANZ HANFSTAENGL

ALLE RECHTE VORBEHALTEN

5

KGL. HOF- UND UNIVER8ITÄTS-BUCHDRCCKEREI DR. C. WOLF & SOHN.

Inhalts -Angabe.

-<3— e^

1900. II. HALBBAND.

Literarischer Theil.

Seite

Heilnieyer, Alexander. Münchener Jahres-

Ausstellungen 1900 113

.«elte

Heil mey er, Alexander. Ueber deutsche Plastik 157

Vollbilder.

Seite

Münchener Jahres- Ausstellungen 1900.

Bredt, F. M. Eva und Maria 132

Defregger, F. v. Tiroler 120

Eisenhut, F. Theetrinker in Samarkand . . 136

Firle, W. Unter blühenden Blumen .... 116

Jvanovits, P. Furor teutonicus 152

Kaulbach, F. A, v. Das Spielzeug .... 120

Lenbach, F. v. Fräulein Seh 128

Löwith, W. Im Vorzimmer des Ministers . . 136

Müller-Kurzwelly, K. Fallende Blätter . . 116

Petersen, H. Auf hoher See ...... 148

Rau, E. Nach der Pürsch 154

Ritzberger, A. Abendklänge 152

Rupprecht, T. Frauenbildniss 144

Schmutzler, L. Quadrille . 144

Schuster-Woldan, R. Odi profanum 128

Seifert, A. Der Hesperiden goldene Aepfel . 132

Stuck, F. Dionysos 154

Thoma, H. Frühlingsmärchen 148

Seite Ueber deutsche Plastik.

Begas, R. Venus und Amor 208

Flossmann, J. Beethoven 188

Hähnel, E. Aus dem Bacchuszuge .... 172

Hildebrand, A Der Kugelspieler .... 180

Klinger, M. Kauernde 216

Maison, R. Statue Otto 1 216

Rauch, Ch. Viktoria 164

Rietschel, E. Goethe und Schiller .... 172 Schadow, G. Grabmal des jungen Grafen

Alexander v. d. Mark 164

Schilling, J. Der Morgen 176

Die Nacht 180

Schwanthaler, L. v. Brunnenfigur .... 200

Siemering, R. Germania-Denkmal in Leipzig 176

Stuck, F. Die Amazone 188

Thorwaldsen, B. Adonis 160

Tag und Nacht 160

Wagmüller, M. Das Grabmal des Künstlers 208

Widnmann, M. v. Antikes Relief .... 200

Textbilder.

Münchener Jahres

Seite

Beggrow-Hartmann, O. Fische ..... 126

Black, Andrew. Im alten Schottland .... 140

Bios, Carl. Schwarzwälderin 117

Burger, Anton. Tuchgaden 132

Diez, Julius. In arte libertas 153

Eichler, R. M. Gewitter im Frühling . . . 121

Heugeruch 135

Erdtelt, M. Mädchenbildniss 131

Erler, Fritz, Die Pest ......... 134

Exter, Julius. Eine Ueberraschung .... 127

Fink, August. Novemberabend 125

Georgi, Walther. Kartoffelernte 133

-Ausstellungen 1900.

Seite

Hahn, Hermann. Christus 154

Haider, Karl. Abendlandschaft mit heimkehr- endem Ritter 147

Herterich, Johann. Der Erlöser 130

Heyden, Hubert von. Kampf 146

Hoch, Franz. Landstrasse 116

Hofner, J. B. Schafe 120

Jank, Angelo. Heidi! 145

Kaiser, Richard. Alter Steinbruch bei Kuf stein 141 Kaulbach, F. A. v. Prinzregent Luitpold von

Bayern 115

Keller, F. Bildniss des Grossherzogs von Baden 123

Seite

Klinger, Max. Schlafende 152

Tänzerinnen 155

Kunz, Adam. Stillleben 137

Laing, James. Hafen in Dordrecht .... 136

Laurenti, Cesare. Hirtenleben 129

Lucius, Sebastian. Römischer Fries . . . . 113

Marr, Carl. Dämmerung 120

Messerschmitt, P. F". Vor dem goldenen

Löwen 128

Münzer, Adolf. Arbeit und Luxus . . . . 124

Netzer, Hubert. Orpheus-Brunnen .... 150

Oppler, Alexander. Porträtbüste 143

Palazios,E. Grabmal einer vornehmen Spanierin 156

Seite-

Propheter, Otto. Bildniss der Frau Junker . 138

Samberger, L. Bildnisstudie 148

Schaefer, Phil. O. Ständchen 119

Schmitzberger, J. Aus unseren Bergen . . 126

Schreuer, Wilhelm. Reconstruirte Stadtansicht 128

Schulz, Helene Damenbildniss 124

Schuster- Wold an, Raffael. Porträt I. Höh.

der Herzogin von Mecklenburg. . , . 118

Spence, H. Landschaft ........ 139

Taschner. Rauhbein 149

Wirth, Anna Marie. In der Apotheke . . . 122

Zerritsch, F'ritz. Bruckner-Denkmal . , . 151

Zumbusch, L, v. Greis und Kind .... 146

Ueber deutsehe Plastik.

Antike Plastiken: Grabmal (Doppelporträt) . 157

Das Peristil eines pompejanischen Hauses 158

ZweiGrabmäler vom attischen Friedhof 161 163

Ansicht aus einem pompejanischen Hause

mit einer Porträt-Herme 159

Gräberstrasse vom attischen Friedhofe vor dem Tipylon in Athen 160

Römisches Grabmal 164

Begas, R. Merkur und Psyche 208

Adolf Menzel 209

Schillerdenkmal in Berlin 210

Brugger, F. Cheiron lehrt Achill das Saitenspiel 206

Flossmann, J. Büste 197

Zwei Reliefs vom Bismarck-Thurm am Starnbergersee 198

Eine Mutter 199

Hautmann, K. Königin Elisabeth von Böhmen 205

Hähne 1, E. Aus dem Bacchuszuge . . . . 176

Leukothea lehrt dem kleinen Bacchus das Tanzen 177

Entwurf zu einem Standbilde Raffaels . 178 Hildebrand, A. Hirtenknabe 187

Der Flötenspieler 188

Porträt 190

Trinkender Knabe 191

Kain und Abel 192

Weibliche Figur 193

Hudler, A. Der Schnitter 219

Bildnissbüste 217 218

Adam 218

Kurz, E. Relief zum Geiger- Schauenburg-

Denkmal in Lahr 194

Bildniss 195

Porträt 197

Maison,R. Herold v. Reichstagsgebäude in Berlin 211

Brunnen in Fürth 212

Brunnen in Bremen 213

Der Philosoph 214

Netzer, H. Giebelfigur am Justizpalast . . . 220

Netzer, H. Brunnenfigur . 220

Entwurf für ein Denkmal 220

Rauch, Christian. Max Joseph-Denkmal . . 169

Goethe im Hausrock 171

Standbild des Philosophen Immanuel Kant 172 Rietschel, E. Lessingstatue ........ 173

Das Standbild Luthers 174

Büste des Bildhauers Rauch 175

Seffner, K. Max Klinger 214

Königin Carola von Sachsen 215

Zwei Bildnissbüsten 216

Schadow, Gottfried. Studie zu einem Relief

am Zietendenkmal 166

Entwurf zu einem Denkmal Friedrich des Grossen 167

Standbild des General Zieten . . . . 168 Schilling, J. Der Krieg. Statue am Nieder- wald-Denkmal 183

Kriegerdenkmal in Hamburg (\'order- und Rückansicht) 184 185

Schwanenmädchen 186

Relief vom Niederwald-Denkmal . . . 189 Schwanthaler, L. v. Melusine 202

Drei Grazien 203

Grabrelief 203

Entwurf: Johann Wilhelm 1 204

Entwurf: Velasquez 204

Siemering, R. Krieg 179

Relief zum Einzug der siegreichen Truppen

in Beriin 180

Washington-Denkmal 181

Relief zum Gräfe-Denkmal in Berlin . . 182 Stuck, Franz. Verwundeter Centaur .... 200

Der Athlet. (Vor- und Rückansicht) . . 201 Thorwaldsen, Bertel. Aus dem Alexanderzuge 165 Wagmüller, M. Barmherzigkeit 207

Selbstporträt, Oelgemälde 208

Widnmann, M. v. Stein werf ender Krieger . 206

Grabrelief 206

Seöasiian J.ii

Römischer Fries

ÜBER DIE

Münchener Jahres-Ausstellungen 1900

VON

ALEXANDER HEILMEYER

Eigentlich bieten Ausstellungen, wo ein Bild neben dem andern hängt und jedes eine andere Art hat, keinen Genuss, und ein so feinfühliger Künstler, wie Anselm Feuerbach war, hatte ein Recht zu sagen, Ausstellungen gleichen Jahrmärkten, worauf Dutzende von Drehorgeln spielen und jede eine andere Melodie. Für Werke, die eine in sich ruhende eigene Welt darstellen, macht sich dies besonders störend geltend. Man hat in neuerer Zeit angefangen, einen anderen Standpunkt einzunehmen und auf eine einigermassen künstlerische Umgebung der Bilder Werth zu legen, womit allerdings noch nicht jener ideale Zustand erreicht ist, dass Jeder eine gerade seiner Kunst angepasste Umgebung bekommt, ein Verhältniss, wie es sich nur einige unabhängige Künstler Englands geschaffen haben, indem sie im eigenen Hause ihre Werke ausstellten. Bei uns sind die Ausstellungen nothwendige Veranstaltungen, deren Ausfall als Kunstmarkt für die Künstler ein empfindliches Manquo bedeuten müsste. Sie gleichen, wie Einer treffend sagte, einer Börse, die Künstler und Kunstliebhaber unterrichtet, wie die künstlerischen Strömungen und Werthe stehen.

Die Münchener Ausstellungen erfreuen sich eines besonderen Zuspruchs, sie weisen immer eine Fülle künstlerischer Qualitäten auf und selbst im heurigen Jahre, wo die Ausstellung schlecht vom Auslande beschickt wurde und viele Heimischen in Paris ausstellten, kommt dies zur Geltung. München ist immer noch die künstlerische Centrale von Deutschland. Es müssen starke Quellen der Anregung zum künstlerischen Schaffen im hiesigen Boden vorhanden sein und das gemüthliche

II 16

114 DIE KUNST UNSERER ZEIT

Stillleben muss wohl auch dazu beitragen, dieses Schaffen zu begünstigen und die Künstler festzuhalten. Denn am Strande der Spree werden grosse Anstrengungen gemacht, die politische und wirthschaftliche Metropole des Reiches auch zum künstlerischen Mittelpunkt Deutschlands emporzubrino-en , indem man mit Aufwand glänzender Mittel der modernen Kunst einen Nährboden bereiten will.

Eine besondere Eigenart künstlerisch individueller Auffassung äussert sich sowohl in alten wie modernen Werken. Noch sehr beliebt sind Darstellungen, wie sie sich aus dem Zusammenleben mit Land und Leuten ergeben. Von der einst so prunkenden Höhe des Sittenbildes, an welche Namen wie Defregger, Dietz, Spitzweg und andere erinnern, ist nur noch ein matter Abglanz vorhanden, charakteristischer Weise hält sich die Neigung zu solchen Darstellungen hier bis heute. Auch die Neigung zu altmeisterlichen Reminiscenzen hält sich hier länger als anderswo, und als Correktiv stehen sie in unumschränkten Ansehen, was jedoch die Münchener Künstler nie gehindert hat, mit seltenem Geschick den modernen Bewegungen zu folgen und das entwickeltere, malerische Gefühl für Licht und Raum auf ihre eigene Kunst zu übertragen. So lässt sich beobachten, wie sich des öfteren urbayerische Naturlaute mit verfeinerten Symbolizismen mischen, und überhaupt begegnet man nicht selten eigenthümlichen Erscheinungen, die zum materiellen, schweren Charakter der Münchener Kunst eine ungemein vornehme geistige Note hinzufügen.

Die heurige Jahresausstellung birgt Kollektivausstellungen Glasgower Künstler, der Italiener, der Karlsruher Künstlergenossenschaft und des Künstlerbundes, ausserdem sind Werke von Mitgliedern der Stuttgarter Kunstgenossenschaft vorhanden.

Unter den einheimischen Gruppen fehlt die Secession, die im eigenen Hause ausstellt, dagegen ist die Luitpoldgruppe und die «Scholle» mit interessanten Werken beschickt.

Bei Betrachtung und Besprechung der einzelnen Kunstwerke wollen wir von dem beliebten, aber oft einseitig geübten Einschachtelungsverfahren nach Historien, Genre, Sittenbildern u. s. w. absehen, desto mehr aber der Bedeutung der künstlerischen Schöpfungen nach der Art und Weise ihrer besonderen Empfindung und ihrer besonderen künstlerischen Absichten gerecht zu werden versuchen.

Der Text musste rasch geschrieben werden, und es ist „daher leicht möglich, dass Manches übersehen wurde, wie auf einer Eahrt mit dem Schnellzuge durch ein schönes Stück Land mancher schöne Punkt, manches idyllische Plätzchen übersehen wird, das den gemächlich einherwandernden Beschauer zum Verweilen einladet. Wer die Ausstellung selbst besucht, wird darum noch manche Entdeckerfreude ungeschmälert geniessen.

Die Luitpoldgruppe weist immer gute künstlerische Qualitäten auf, wenn sie auch heuer gegen das Vorjahr in ihrer Gesammterscheinung weniger hervortritt. Wir treffen hier Werke an, welche die modernen Errungenschaften in der Malerei dem Publikum mundgerechter zu machen verstehen als die Secession, Maler, die das Plein-Air, den Impressionismus und Neuidealismus und den malerischen Stil, wie er von England ausging, in allgemein giltige, schöne Form zu fassen suchen. Tüchtiges, geschultes Können und innige vertraute Naturanschauung zeigt sich in den meisten Bildern und macht sie für den Beschauer genussreich, lieb und werth. Malerische Experimente, Studien und Materialien des künstlerischen Schaffens sind thunlichst zurückgehalten, dagegen ist das Fertige, Abgeklärte.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

115

Reife in den Vordergrund gerückt. Diesen Zug hat überhaupt die ganze Ausstellung mit der Luitpold- gruppe gemeinsam. Und wie sich in Folge der vielfach verschiedenen Art der Maler ein weites, umfangreiches Stoffgebiet in der Darstellung erschliesst, so zeigt sich andrerseits gerade in den ersten Werken der Ausstellung eine Kunst, die auf das engste individuell begrenzt ist, und doch in ihrer idealen Tendenz den breiten und weiten Horizont unserer reifen geistigen Kultur umschliesst, die von der realen Welt wenig mehr als die animalen Formen entlehnt und den seelischen, eigentlichen

Gehalt der Dinge

wiederzugeben vermag.

Wenn man von dem jetzt durch

Vorhänge so hübsch getheilten Wandelgang aus, der die linksseitige Hälfte der Aus- stellung durch- schneidet, durch die Thüröffnung in den Mittelsaal

der Luitpold- gruppe blickt, in

dem Raffael Schuster- Wol- dan's Bild «Odi profanum volgus et arceo» Auf- stellung gefunden hat, so erscheint es wie eine licht- umflossene Apo- theose von hoher

Fritz Aug. V. Kanlbach: Prinzregent Luitpold von Bayern

malerischerSchön

heit.

Dieser Maler hat

das Bedürfniss,

sich seine eigene

Welt 7,urecht zu

machen , eine

Welt, die ein

Stockwerk über

der realen sich

aufbaut. Aus dieser Anschau- untj heraus muss man den Kreis vornehmer Men- schen, die auf dem Bilde ver- sammelt sind, zu verstehen suchen. Das Bild stellt eine Landschaft dar, in

deren Hinter- grund man eine brennende Burg erblickt. Spricht sich hier drama-

tisch bewegtes Leben aus, so öffnet sich nach der rechten Seite hin eine beruhigende Aussicht in's Grüne. Mitten im Bilde ragt ein Krieger in Wehr und Waffen über zwei Frauen. Lieblich sitzt die Eine in kleidsamer Tracht in der Landschaft und ruhig hingelagert in unverhüllter Schönheit die Andere, die eine Harfe umfasst hält. Wir empfinden das Bild in dem Sinne: Der Krieger hält von dem zarten Geschlechte der P'rauen des Lebens feindliche Gewalten ab. Es ist ein Kreis feinen Lebensgenusses und geselliger geistiger Kultur, in dem er ausruht, wenn er einhält im Thatensturm.

16*

116

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Die bekleidete Dame mit den sprechende Gebärden zeigt sich als eine Vertreterin solch feiner Kultur während man die nackte Gestalt, die in plastischer Ruhe und Schönheit dargestellt ist als eine malerische Verklärung des Ewigschönen in der Natur auffassen kann.

Natürlich wird es nicht an Stimmen fehlen, die, weil das Bild einen Hymnus auf die Schönheit darstellt, weil es schön ist in des Wortes eigentlichster Bedeutung, einen unverständigen Lärm erheben. Aber wer von Natur aus eine Empfindung für Rhythmus und Wohllaut, wer Geschmack an verfeinerten

J^'ranz Hoch: Landstrasse

Formen und Sitten, überhaupt an reifer abgeklärter Kultur mitbringt, der wird den persönlichen Stil, der daraus spricht, gewiss nachfühlen. Man muss sich doch allgemach wieder daran gewöhnen, die Kunst nicht nur in Formen nüchterner Wiedergabe des gewöhnlichen Lebens, sondern als Schmuck für dies Leben zu betrachten. Das Schöne in der Natur liegt doch tief in ihrem ganzen Sein und Wesen begründet, wenn es sich auch nicht dem ersten Blicke zeigt, so dass es feine Geister und Gemüiher immer wieder reizen muss, es daraus hervorzuholen und in eigene Fassung zu bringen,

WalLllur Flrie piiix.

C'opyri^t 1900 bj Frani llKiiraUeogl

Unter blühenden Blumen

K. MQIIiT-Klirintllj (.iiix.

t'hol. K. H»ti(al«euKl, Unuutiei

Fallende Blätter

DIE KUNST UNSERER ZEIT

117

ein Anspruch, den die Naturalisten mit grosser Betonung immer für sich geltend machen, in anderer Form aber nicht gelten lassen wollen. Mir Jenen, der die Aufgabe der Kunst darin sieht, Dinge aus dem Leben in eine ideale Form zu übersetzen, wer einen Kultus der Schönheit feiert, für den hat dieses Bild Zungen, die ihm viel sagen, der erlebt bei seinem Anblick innerlich eine grosse Freudigkeit und es ist ihm so, als wenn ihn ein Duft, ein Klang berührte aus einer vertrauten Welt. Dieses Bild ist wie Musik, die durch das Auge geht.

Was für eine siegbewusste , strahlende Schönheit geht von den Frauen im Bilde aus! Es sind adelige Naturen , Aristokratinnen des Lebens. Aus jeder Haltung und Gebärde spricht eine schöne Seele. Was für ein herrlich Augen- paar schimmert unter dem lichtbeschatteten Hute der sitzenden Dame hervor! Gedämpfte, ver- haltene Lebenslust und sinnige Weltfreude, eine sensible Seele verrathen sie. Weiche schwellende Akkorde tönen durch das Bild, mit denen sich ernstere Klänge mischen. In dieser malerischen Vereinigung von Elementen der Natur und Kultur liegt die Poesie des Bildes, wie sie freier, eigenthümlicher und persönlicher nur noch auf Böcklin'schen und Klinger'schen Bildern vorkommt.

Ein solches Bild kann nur unter dem Einflüsse einer reifen Kultur gemalt werden. Es weist auf Urahnen wie Rubens und die grossen Italiener zurück, in deren Schöpfungen zum ersten Mal der ganze Gehalt der geistigen Kultur ihrer Zeit zum Ausdruck kommt. In der Weise einer freien malerischen Dichtung, die Kostümliches und Nacktes, Naheliegendes und Fernes mit einander verwebt, haben solche Darstellungen in Giorgone ihren Vorläufer. Schon bei ihm finden wir die gleiche malerische Ungezwungenheit der Anordnung, durchsättigt mit durchgeistigter malerischer Empfindung. Wer auch mit dem Problem und dem Inhalte, den der Maler auf seine eigene Weise in das Bild gelegt und in edlen Formen gelöst hat, sich nicht auseinander zu setzen vermag, aber im Banne der grossen malerischen Schönheiten desselben steht, der widerstrebe ihnen nicht und freue sich an einer Schöpfung, die aus der Fülle inneren Lebens heraus geschaffen und gebildet worden ist.

Derselbe Maler, der die weibliche Psyche so zu deuten vermag, ist selbstverständlich ein guter Bildnissmaler der Frauen und Schilderer ihrer körperlichen und seelischen Schönheiten. Schon

Carl Bios: Schwarzwälderin

118

DIE KUNST UNSERER ZEIT

im vorigen Jahre trat er hier mit einer Anzahl ausgezeichneter Bildnisse hervor. Heuer weist das Bildniss Ihrer Hoheit der Herzogin von Mecklenburg wieder gleich vorzügliche malerische und psychologische Qualitäten auf. Solche von Natur aus vornehme Erscheinungen kommen der künst- lerischen Auffassung des Malers von selbst entgegen. Sie erleichtern und gestatten ihm eine charakteristische Wiedergabe ihrer Persönlichkeit. So gibt das Bild ein beseeltes Repräsentations- bildniss, beseelt durch die vornehme Erscheinung der Dargestellten, die in der Lebendigkeit und Eigenart ihres Wesens mit malerischer Noblesse und Freiheit wiedergegeben ist.

Marr zeigt sich in seinen Bildnissen und Studien als eine durchaus eigenartige und selbst- ständige Persönlichkeit. Er geht darin immer wieder neuen malerischen Problemen nach, und sucht sie in der Art und Weise der englischen Maler zu lösen. An Fülle, Kraft und Reinheit des malerischen Tones stehen seine Bilder hoch über der Mittellinie malerischer Leist- ungen. Welche Stimmung er- zeupft nicht das kleine Bildchen «Dämmerung». Es ist ein rau- schender, koloristischer Akkord von grell-gelben, grünen, sanften verdämmernden und verschwe- benden Tönen. Die so fein in den Raum komponirte Figur ist der bildliche Ausdruck in diesem Farbenrhythmus und Farbengedicht, sie klingt mit ihren fahlen grauen Tönen herr- lich zu dem Dämmerschein in

Raff. Schuster- Woldan: Porträt I. Höh. d. Herzogin von Mecklenburg

der Landschaft. Man muss über viel malerisches Wissen und Können unbeschränkt verfügen, um so viel Stimmung auf einen so engen Raum zusammen drängen zu können. Eine Studie, eine Porträt- zeichnung von Marr ist immer musterhaft, korrekt, richtig, lebendig in der Zeichnung und mit emem sicheren künstlerischen Gefühl für Raumgestaltung ausgeführt. Wie breitet die sitzende Mädchenfigur sich aus und wächst im Räume, höchst lebensvoll und völlig ungezwungen in ihrer natüriichen Harmonie! Mit ganz wenig Mitteln, nur mit den Hauptlinien ist das Organische des Körpers bezeichnet, ist das

DIE KUNST UNSERER ZEIT

119

Phil. Otto Schaefer: Ständchen

Bild auf grauer Pappe fixirt, ist diese wieder als Lokalton benützt, und mit Weiss und einigen Fleischtönen gehöht, so dass ein lebendiger, malerischer Eindruck entsteht.

Marr steht mit der Natur in fortwährendem innigen Verkehr und naht sich ihren Erscheinungen immer auf neuen Wegen. Nur in ihr Inneres ist er nicht gedrungen, ihre Psyche blieb ihm fremd. So leicht er den äusseren Eindruck eines Objektes aufs Feinste festzuhalten weiss, so schwer wird es ihm, dessen individuelles Leben in denselben Eindruck zu bannen. Er schafft von Aussen nach Innen, nicht von Innen nach Aussen. Seine Arbeiten nöthigen Jedem Achtung ab durch die Strenge und Reinheit ihres Strebens, durch ihre malerische Fülle. Er bleibt darin nirgends auf halbem Weg stehen, jeder Eindruck ist für ihn ein Problem, an dem er festhält, den er studirt, bis er ihn durch und durch kennt, so dass er künstlerisch gelöst als fertiges Bild heraus kommt. Darum muss man seine Bilder verehren, um dieses Ernstes der Arbeit willen. Marr kennt und will nichts Halbes, was er uns gibt, ist eine volle, reife Frucht seines künstlerischen Schaffens, seiner reichen künstlerischen Erfahrung und Kenntnisse.

Knirr, der ihm im malerischen Streben verwandt ist, beherrscht das malerische Können nicht mit der unumschränkten Freiheit und vor Allem nicht mit dem malerischen Geschmack, der Marr auszeichnet. Der unangenehme, abstossende Eindruck des Porträts eines Herrn mit Degen muss ganz auf Kosten des Malers gesetzt werden.

Im «Ständchen«, einer Schöpfung von Philipp Otto Schäfer, kündigt sich ein Maler an, der abseits von den ausgetretenen Wegen einen Gang in's Grüne unternimmt, um dies in voll- kommen freier Weise mit den Gestalten seiner Phantasie zu bevölkern. Diese Selbstständigkeit

120

DIE KUNST UNSERER ZEIT

1

1

c

■|

1

W

1

1

p

B

fc[^

^

^1

^^Kf .

*i

'^'''$f

'^

1

P

i

^

jl

H|Pr^ '

^ .

1

1

IP

I

1

i

i

^^^^^^^ Jfr--^A

Carl Mary: I^ämmerung

verdient um so grössere Beachtung, als wir die originalen Talente immer schmerzlicher vermissen, die den Muth haben, abseits der grossen Heerde auf einem stillen Eilande sich häuslich einzurichten und sich selber zu genügen. Philipp Otto Schäfer gehört, wenn man von seinem modernen Farben- empfinden absieht, in die Aera Rottmann's, Genelli's, er sympathisirt mit Carstens und Cornelius, liebt Schwind und Feuer- bach, ist seiner ganzen Art und Weise nach einer der Maler, die man als «Komponisten» zu bezeichnen pflegt und die die Generation von 1890 abzuthun sich vornahm. Seither ward man diesen Malern wieder gerechter, hat sogar schon da und dort wieder ano;e- fangen, sie liebevoll von einem künstlerischen Standpunkt aus betrachten und verstehen zu lernen; ein grosser Theil rückt natürlich nach wie vor von ihnen ab, wie der Hund von einem Glas Wein; es riecht und schmeckt nicht für ihn. Der Grund hiezu ist sehr natürlich und einleuchtend, diese Bilder übersetzen eben die realen Erscheinungen des Lebens in eine künstlerische Form. Sie zu geniessen, dazu gehören künstlerische Sinne, wie sie Hildebrand in seinem Problem der Form herbei wünscht. Die Freude an der sinnlichen Erscheinung der Form, die Zartheit und Energie der Umrisse spielt in Schaf er 's Bildern die Hauptrolle, oft ent- steht ihretwegen ein wogender,

schwebender , schwimmender, tanzender Rhythmus von Linien. Wie bei oben genannten Meistern verbindet sich bei ihm mit dem Gefühl für schöne Linie und Form ein geistiges Element, eine übersetzende, künstlerische Anschauung des Lebens, wie jene Meister tummelt er sich mit Vorliebe im klassischen Alter- thum. Daran erinnern sein «Pro- metheus«, sein «Kampf« u. s. w. y. ^. jj,^,,,, Schafe

F. vuD Dglic^tf«r ^iux

l'boi, b\ Haut«u«uicl, Uuuoban

Tiroler

V. A. von Kuiilhach lAux

Copj-rlgtat 1900 hj Fratii H*tira(««aitl

Das Spielzeug

DIE KUNST UNSERER ZEIT

121

R, M. Eichler: Gewitter im P'rühlins

Er bevölkert seine Bilder mit Centauren und Lapithen, mit Göttern und Helden, mit Liebes- göttern und bacchantischem Gesinde. In der Farbe wirken seine Bilder ruhig wie Gobelins. Der Maler liebt es, feine, silberne, grau-blaue und violette Töne anzuschlagen. In hohen Hallen, festlichen Sälen wären seine Bilder ein vornehmer Schmuck der Wände. In einer Zeit, die solchen Schmuck verschmäht, sieht ein Talent seiner Art sich genöthigt, Bilder grossen Stiles in kleinem Format auszugeben, ein Missstand, für den es leider keine Lösung gibt, so lange der Ruf «gebt uns Wände!« ungehört verhallt. Auf poetischem Gebiete hat diese Kunst ein Analogon in Konrad Ferdinand Meyer' s Dichtungen, wie sie ungefähr in solchen Versen hervortritt:

«Aufsteigt der Strahl und fallend giesst Er voll der Marmorschale Rund, Die, sich verschleiernd, überfliesst In einer zweiten Schale Grund;

Die zweite gibt, sie wird zu reich, Der dritten wallend ihre Fluth, Und jede nimmt und gibt zugleich Und strömt und ruht.»

Fritz August v. Kaulbach's «F"rauenbildnisse» sind schön. Er versteht es, jenes reizende Lächeln, das einen rosigen Mund und eine schimmernde Reihe perlengleicher Zähne zeigt, im Bilde

II i;

122

DIE KUNST UNSERER ZEIT

neu zu schaffen, und zwar auf malerisch vorzügliche Art, mit einem Können, wie es nur Wenigen für solch' vergnügliche Arbeit zur Verfügung steht. Er weiss seinen Mädchen und Frauen einen neckischen Zug in den Mundwinkel zu legen, bald übermüthig herausfordernd, bald süss schmollend, bald wieder voll trotzigen Ernstes. Endlich kann er feucht schimmernde Augen mit einem Anflug von Melancholie malen, der unwiderstehlich wirkt. Die ganze Skala von Ausdrücken verschiedener Empfindungen beherrscht er und bedient sich ihrer mit virtuoser Meisterschaft. Er weiss das Weib zu schildern,

dass es begehrlich wirkt, er gar- nirt es mit allem graziösen Tand, zeiet es in aller Nonchalance, deren eine Weltdame fähig ist und durch sie sich so anziehend macht. Er malt die Damen reizend, die Kinder als steckten Amoretten, von alten Meistern -gemalt, in modernen Kostümen. Aber wenn seine Frauen und Mädchen auch hübsch, graziös, geschmeidig und chic sind, überhaupt immer schön und begehrenswerth erscheinen, so wird ihr Eindruck doch manchmal abgeschwächt durch allzu geringe Betonung des Charakters; alles konzentrirt sich auf ihre äussere Erscheinung, und so sind sie gewiss im Leben nicht immer, vielleicht sind sie manchmal so in der Gesell- schaft oder in einem momentanen Affekt.

Fritz August v. Kaulbach ist ein geistreicher Maler, er weiss die malerischen Effekte und Mittel genau seinem Objekte anzupassen. Aber diese Effekte und Mittel sehen aus, als wären sie von den alten Meistern auch schon gebraucht worden.

Wir sind verwöhnt darin, wir wollen Mittel und Ausdruck mit jedem Objekt wechseln sehen. Vielleicht leitet sich diese Anschauung von der problematischen Art des künstlerischen Schaffens her, die die Secession so sehr in Schwung brachte. Aber man kann auf den Schultern der Alten stehen und die Tradition doch in freier Weise mit Geschick und Geschmack auf die Stoffe der Gegenwart anwenden, und erst so entsteht der grosse Künstler. «Der Regent« ist ein prächtiges Bildniss, die Dame in Weiss mit der rothen Schleife entzückend, der Adlerjäger ein Muster in Zeichnung und

Anna-Marie Wirt/t: In der Apotheke

DIE KUNST UNSERER ZEIT

123

Ton. Die ganze Reihe älterer Sachen, die Kaulbach gebracht hat, um ein möglichst übersichtliches Bild seines Schaffens zu geben, zeigt durchwegs seinen feinen und gebildeten Geschmack und sein grosses Können. Ja Manches, wie der Frauenkopf im runden Medaillon, vermag um seines stimmungsvollen Ausdrucks willen dauernd zu fesseln. Weniger entspricht es der künstlerischen Art Kaulbach's, wenn er als Porträtist einem energischen Männercharakter gegenüber steht. Das Bildniss des Herrn Possart wird Niemand befriedigen, der das Original kennt, der in dessen lebendigen, energischen Zügen gelesen hat. Es nützt auch nichts, dass der Herr gerade in einer Rolle agirt, die ihm sanft zu Gesichte steht, der Eindruck bleibt trotzdem unsfe- nügend. Gross und geschmackvoll, raffinirt, kapriziös, lebendig und prickelnd ist Kaulbach in seinen Skizzen. Er hat davon zwei Proben gesandt, wovon besonders die eine mit den tanzenden nackten Frauen- gestalten voll sprühenden Lebens und spielender Bewegung ist, sie steht in der farbiofen Haltung und Komposition einem alten Meister wirklich nahe, ohne sich an einen bestimmten anzulehnen. In dieser Hinsicht in solchem Aus- druck ist Kaulbach o-anz er selbst.

o

Hier können wir aufrichtig sein reiches Talent, seinen auserlesenen Geschmack, seine ausgezeichnete Geschicklichkeit bewundern. Leider wird auch dafür keine Gelegenheit geboten, dass er diesen Theil seiner Begabung im Dienste grös- serer Aufträge bethäti^en könnte.

Ferdinand Keller: Uildniss des Grossherzogs von LJadci:

Die Akten über Lenbach's Kunst .sind bereits geschlossen, sie ruhen wie die über einen alten Meister zum Theil schon in kunstgeschichtlichen Archiven. Aber der Maler lebt und schafft immer noch wie einer der Allerjüngsten, er besitzt in hohem Maasse die Fähigkeit, in seinen Schöpfungen sich jung zu erhalten, und stellt sich in vielen neuen Bildern immer neue malerische Probleme. Lenbach interessirt immer. Er gewinnt seinen Objekten stets einen lebendigen Ausdruck ab; die Psyche des Menschen ist ja so vielgestaltig und unerschöpflich an verschiedenen Erscheinungen. Die Kunst des Porträtirens ist die lebendigste, die allzeit von jedem Formalismus sich am freiesten

17*

124

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Adolf Miimer: Arbeit und Luxus

hält, die beständig von der Natur genährt, angeregt und fortgebildet wird. Die Darstellung neuer Menschen ergibt auch für den Maler jederzeit neue Probleme. Neuerdings versucht Lenbach Jedem in seiner eigenen Art gerecht zu werden; er stellt nicht nur dar, wie der Porträtirte die Welt anschaut, er sucht ihn auch in seiner ganzen charakteristischen Haltung festzuhalten.

In dem köstlichen Bilde eines alten Herrn, der die Linke auf die Brust gelegt hält, fand dies Streben beredten Ausdruck. Auch in der Farbe ist das Bild frisch, es gibt die gesunde, rosige Gesichtsfarbe treffend wieder; die Modellirung des Kopfes scheint kräftiger, als man sie sonst von dem Maler zu sehen gewohnt ist. Koloristisch wird er in seinen Bildern immer noch vornehmer

und feinfühliger, und wenn er in ihnen die Farbenskala

altmeisterlicher Gallerie- töne spielen lässt, so wirken sie in ihrer har- monischen Abgeklärtheit

immer gehaltener und stimmungsvoller als viele Versuche der Modernen,

die durch Buntheit und Unruhe verletzen. Ein Kenner der Farbe und ihrer positiven Wirkungen versteht er es wie Wenige, mit Wenigem dem Bilde eine farbige Haltung zu geben. Und nicht nur

Helene Schulz: Damenbildniss

durch die eminente Kennt- niss der Alten allein kann diese Kunst erworben sein, sie wird zum cruten Theil

o

auch von der Beobachtung der Natur, des Wechsels ihrer Licht- und Farbener- scheinungen, derKenntniss ihrer Werthe für die ma- lerische Darstellung her- rühren. Durch seine Art, die Augen in verschiedener Beleuchtung zu malen, so dass sie in Farbe und Aus- druckverändert erscheinen, weiss er einen ungewöhn- lich lebendigen Effekt her-

vorzurufen, in fein beachteten Momenten das Spiegelbild der Seele hervor zu zaubern. Die Model- lirung von Augen und Mundpartien ist so lebendig, dass man meinen könnte, das Leben zucke darin. An dem Porträt einer Dame mit reichem Schmuck im Kleid, mit Geschmeide um den Hals und in den Haaren mag der Maler selber seine Freude gehabt haben, diese bunten, schillernden.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

125

flimmernden, glitzernden Dingerchen zu malen. Aber eine so vergnügliche Aufgabe dem Maler solche Schmuckstücke bieten müssen, er ordnet sie mit diskretem Geschmack dem malerischen Haupteindruck, dem Kopfe, unter. Die Dame mit dem dunklen weichen Haar, das sich so stimmungsvoll von dem trüben, neutralen Hintergrund abhebt, ist mit Liebe und einem Aufwand von grossem Können gemalt, es berührt wie ein Gedicht des Malers auf diese schönen Haare. Auch das Gesicht ist schön, eine südliche, subtile Schönheit mit blassgelbem Teint zeigt sich darin. Die Augen sind wie die der Gazelle und von tiefschwarzen, weichen, sammtenen Wimpern überschattet, ein feines Köpfchen baut

sich auf leichtem

geschmeidigen Halse auf wie eine köstliche Bekrön- ung auf schlankem Schafte. Es gelingt

Lenbach nicht immer, das spezi- fisch Weibliche einer Erscheinung so zu treffen, dies- mal hat er es ver- mocht, ohne Härte, ohne Pose , ohne

besonderen Ac- cent , sanft und weich, graziös und

elegant wie die Erscheinung selbst sein muss. Sehr interessiren werden die Gemälde, durch die der Maler uns

in seine Familie hineinsehen lässt. Fein und köstlich hat er sich selbst als Maler charakter- isirt auf dem Bilde mit dem Jüngsten auf dem Arm. Das

eine Malerauge kneift er zu , wie um den allgemeinen Eindruck eines Ob- jektes zu erfassen, das andere bohrt sich scharf, spitz, stechend darin ein, deutlich ist da- mit der malerische

Beobachter und der Psychologe ge- kennzeichnet.

Es ist nicht leicht, mit Bildnisarbeiten,

wenn sie auch noch so gute malerische Qualitäten aufweisen, direkt neben Lenbach zu stehen. Aber trotzdem thut sich noch Einiges hervor, das malerisch sehr anziehend und vor Allem in der Charakteristik interessant und erschöpfend ist. So ist ein Studienkopf «Tiroler» von Franz V. Defregger unter die Porträts, die eine ganze Rasse kennzeichnen, zu rechnen. Wir haben in letzter Zeit selten eine an malerischen Feinheiten so vorzügliche Schöpfung des Meisters gesehen. Warm, satt, leuchtend in prächtiger Tonschönheit, auch in den Schattenpartien, lebendig in der Zeichnung und kraftvoll und weich in der Modellirung, stellt es ein individuell tirolerisches Stück Leben dar. Hier ist Defregger ganz der grosse Defregger, der mit Liebe das Leben eines

Aug. Fink: Novemberabend

126

DIE KUNST UNSERER ZEIT

y. Sc/imiizberg-er: Aus unseren Bergen

kernigen Volksthums darstellt und dessen Name damit verknüpft bleibt für immer.

Die Porträts, die der Karlsruher Otto Propheter ausgestellt hat, entbehren der eigenwüchsigen Art in der Auffassung und P'arbengebung und stehen auch hinter den vorjährigen zurück. Ein Mädchenbildniss von Tini Rupprecht, in freudigen, hellen, blonden Tönen, und das Bildniss des Malers R. Seh. W. von Helene Schulz .sind malerisch anziehende Leistungen, besonders das Letztere ist auch in der Charakteristik sehr gut. Ein Doppelbildniss in eigenthüm- Hchem Stil, aber von bewusstgr Originalität und Sinn für künstlerische Wirkung gibt Albert Welti. Er hat viel Empfindung für das Liebe und Kleine, und es hängen sich ihm bei einer ernsten Naturbetrachtung tausend kleine Dinge an, die alle einen

eigenen Reiz auf sein poetisches Gemüth ausüben. Daran muss man sich erinnern, wenn man das Doppelbildniss in einer gemalten Umrahmung verstehen will, die ähnlich den Krügen und Geschirren der Biedermeierzeit mit allerlei schnurrigem Krimskrams verziert ist. Der Gedanke , die Porträts in einer Architektur mit lieblicher Aussicht auf ein Stück deutscher Landschaft zu geben, ist vortrefflich, und der Maler hat es verstanden, durch geschickte Anordnung der Farbenwerte das Nahe und Ferne darin zum Ausdruck zu bringen. Der Maler zeichnet eigentlich mit der Farbe und bringt durch eine Art Technik, die an die Emailmalerei gemahnt, grosse und farbige Wirkungen zu Stande. Man freut sich in diesem Werke an -

der Liebe und Innigkeit der Naturbetrachtung, freilich äussert sich der Maler darin manchmal noch kleinlich und verschnörkelt. Die Art, ein Bildniss mit allen Details in einfacher Anschauung und strenger Sachlicheit wieder- zugeben, erinnert an Holbein, wie Welti auch in der Art und Weise der Komposition an alte Ueberlieferungen sich anschliesst. o. Beggro-iv-Hartma,.,,: Fische

DIE KUNST UNSERER ZEIT

127

In der Art, Kunst aus dem Eigenen zu schöpfen, ist Welti wahlverwandt mit den Kollegen der «Scholle».

Die eanze Reihe von Werken von Lenbach, Kaulbach bis Schuster-Woldan bilden für sich einen geschlossenen Ring. Alle diese Werke zeichnet eine Reife in der künstlerischen Auffassung und Anschauung aus, diese Maler sehen in der Harmonie der Farben, Linien und Formen die künst- lerische Wirkung eines Bildes. Der in künstlerische Form gebrachte Wirklichkeitseindruck gilt ihnen als Aufgabe, die sie Kraft ihrer individuellen Eigenart auf verschiedenen Wegen und mit verschiedenen

yii/ii/s Exler: Eine t'eberraschuiig

Mitteln zu lösen suchen. Sie stützen sich auf die Tradition und achten sie, ohne jedoch in ihren Fesseln zu liegen. Man möchte ihre Werke, ähnlich denen der alten Meister, in einem prachtvollen Palaste untergebracht wissen, in einem Palaste mit Gärten, die die südliche Sonne liebkost und dunkle Cypressen umschatten, wo in lauschigen Gängen kühle, hoheitsvolle Marmorbilder schimmern. Und denkt man sich dazu einen Ausblick durch der Lauben hochgewölbte Bogen in's Freie, in die belebte Landschaft, auf Landstrassen, auf der eine bunt zusammengewürfelte Gesellschaft sich tummelt, so sind wir damit unmittelbar in die Welt Exters eingeführt. In seinen Bildern fluthet das gewöhnliche Leben mit seinem tollen, ungeschlachten Humor, den Götter und Helden fliehen, und wenn Exter

128

DIE KUNST UNSERER ZEIT

P. F. Messerschmitt: Vor dem güldenen Löwen

versucht, ein Stück Romantik in diese Alltagswelt zu bringen, so geschieht das in absichtlich plumper Weise, wie das Bild «Eine Ueberraschung» zeigt, wo Nymphen vor Bauernlümmeln erschreckt fliehen. Auf einem andern Bilde, in dem Bauern mit übergeschulterten Sensen vom Tagwerk heimziehen, erzeugen die Farben ein Concert, das wie Blechmusik wirkt. Es ist eine glühend sinnliche, kraftvolle Malerei voll derber Effekte. Das Malenkönnen versteht sich bei Exter von selbst, er ist immer vollsaftig in der Farbe, und manchmal hat sie einen Schmelz, um dessentwillen man die psychische Ungeschlachtheit in den Bildern hinnimmt.

Die «Scholle» nennt sich eine Vereinigung junger Künstler, deren hervorragende Kräfte als

Zeichner in der «Jugend» und im «Simplicissimus» bekannt sind. Sie streben eine Kunst aus dem Eigenen an. Gleich der erste Eintritt in den Saal, der erste Rundblick und die Musterung der ausgestellten W^erke macht auf uns den Eindruck, sie stehen auf eigener Scholle. Die Ar- beiten sind auffällig und können ihre Herkunft von der dekora- tiven Illustrationskunst nicht ver-

Wüh. Schrcner: Reconstruirte Stadtansicht leugnen. Wie ein vergrÖSSertCr

Franz ron Lenbach (>lni.

Phot. K. H«nf*taeQ^I, Unnatieii

Fräulein Seh.

s

D

c

c

O u

'S O

DIE KUNST UNSERER ZEIT

129

Oscar Laurenii: liirtenleben

Ausschnitt aus der «Jugend» sieht sich Walther Georgi's «Kartoffelernte» an, wie eine zu einem Gobelin verarbeitete Illustration aus dem Simplicissimus wirkt Münz er 's dekorativer Fries «Arbeit und Luxus». Bemerkenswerth ist darin der künstlerische Sinn und das Streben nach Raumeestaltuno-. Dekorative Grösse hat Erler's «Pest». Mit wenig Linien wird eine weite Räum- lichkeit geschaffen in der menschenleeren, öden Strasse, durch die ein Schwärm Aasvögel flattert und die Pest schreitet. Auch die beiden Flügelbilder entwickeln sich gut in architektonischem Rahmen. Das eine stellt den Karneval des Lebens dar, in der sich die exaltirte Lebenslust einer Zeit äussert, in der ein grosses Sterben herrscht, das andere gibt die Kehrseite dazu, die bis zum Fieberparoxismus erhitzte religiöse Phantasie, die so erschreckenden Ausdruck in den Geisselbrüdem gefunden hat. Bei solchen Darstellungen verlangen wir nach der psychologischen Seite hin einen vertieften Ausdruck, diesen aber vermag das Bild nicht zu geben. So gut der Eindruck der verödeten Stadt erreicht ist, so viel Stimmung davon ausgeht, die Personifikation der Pest wirkt doch zu dekorativ, wächst in ihrer phantastischen Kostümirung über einen bizarren äusserlichen Effekt nicht hinaus, und schafft in uns Erinnerungen an die kindliche Vorstellung eines Indianerhäupdings auf dem Kriegspfad. Wir sollen ein Bild dieser Gottesgeissel sehen, die ungeheures Grauen umschwebt, aber das Bild ist nicht stark

II 18

130

DIE KUNST UiNSERER ZEIT

genug, diese Empfindung in uns zu erzeugen. Bei den Büssern ist wieder die Stimmung vollkommen gegeben, in dem Idol, das vom Schimmer der Kerzen umflirrt ist, aber die büssenden nackten Kerle im Vordergrund scheinen wieder zu wenig charakterisirt. So setzt auch in dem Karneval eine rauschende Farbenouvertüre ein, und es stören den Gang; des leidenschaftlich beflüorelten Rhvth- mus' plumpe Unfertigkeiten. Es geht ein grosser Zug, ein Streben nach dekorativem Stil wie ein leidenschaftlich' Stammeln durch das Bild, aber es fehlt ein Theil jener geistigen Kraft, die den Stoff .durchdringt, der sich eben mit malerischen Mitteln allein nicht bewältigen lässt. Erler ist noch mit zwei Bildnissen vertreten, wovon das eines jüngeren Herrn mit schwarzem Hut und hellem Ueberzieher auf heller Wandfläche durch die nüchterne Wiedergabe des wahr- o-enommenen Natureindruckes auffällt. Doch ist es in seiner monochromischen I'^arben- gebung wirkungsvoll. Es sind nur die charakteristischen Hauptlinien der Person festgehalten und durch sie die Formen gekennzeichnet und modellirt. Erler besitzt als Porträtist einen Sinn für das Charakteristische einer Persönlichkeit, aber er ist auch hier kein Psychologe. Seine Bildnisse haben sachlich malerische Werthe, aber durch die Empfindung gewinnt man keine Beziehungen zu ihnen.

Stimmungsmaler ist Eichler in seinen Bildern «Heugeruch» und «Gewitter im Frühling». Glücklich hat er den Stoff seinem Temperamente angepasst, hat ein Stück Natur herausgesucht, mit deissen Bearbeitung sein Empfinden sich deckt. Mag im PVühling der Strand am Meere, der fellartig mit üppigem Pflanzenwuchs überzogen ist, von dem sonderbare blaue Blumen aufsprossen, den das Licht liebkost und den dunkle Wolkenschatten verdüstern, Wahrheit oder Dichtung sein, es ist einerlei, es wohnt diesem Bilde die Kraft inne, Sümmung zu erwecken, und das ist genug. Das schon erwähnte Bild von Georgi sollte mehr Erdgeruch haben, es ist zu lyrisch weich und für eine Kartoffelernte in Arkadien sind die Bauern und Gäule darauf doch zu Dachauerisch. P2in Element von Segantini s Kunst würde es köstlich würzen wie eine flaue Suppe etwas Salz.

Nach diesen Malern, die Farben- und Formgedanken in eigenem grossen Stil auszusprechen suchen, kommen jene des Lebens, der umgebenden realen Welt. Sie suchen in ihren Sujets, die

yoh. Herierich: Der Erlöser

DIE KUNST UNSERER ZEIT

131

sie der Gegenwart oder Vergangenheit entnehmen, die modernen Farbenprobleme in Anwendung zu bringen. Ihr Gebiet ist ein ungeheuer weites und umfangreiches. Einige, wie Eisenhut, stellen das Leben im Orient dar, als wären sie geborene Türken oder Araber, Andere bewegen sich in der Vergangenheit, als hätten sie sich lebenslänglich darin aufgehalten, und ziehen die artigsten und interessantesten Dinge hervor. Simm, Löwith und Seiler, unsere Meissonier's, sind die Haupt- vertreter dieser Richtung. Wieder Andere, wie Schmutzler, suchen mit Vorliebe die eleganten Salons der Empire- und Rokokozeit auf und geben beispielsweise in einer Tanzprobe ein geistreiches, prickelndes Farbenkonzert. Wieder Andere schauen sich in der alltäglichen Umgebung, in Haus und Hof, in Garten, Küche und Keller, auf der Strasse, in der Kirche, im Wirthshause, in den Bibliotheken, Boudoirs, Arbeitszimmern und Werkstätten um und suchen die Menschen in ihrer gemüthlichen häus- lichen Ruhe, bei ihren Geschäften, in Freud und Leid, auf. Unter ihnen finden sich die Arbeiter des Pinsels, die minutiös und präzis ausgeführten Bildchen stellen Wunderwerke malerischen Fleisses dar. Unter ihnen finden sich auch die Poeten des Pinsels, Schilderer idyllischer Verhältnisse und Zustände und intimer Stimmungen, unter denen München einst an Spitzweg einen klassischen Vertreter hatte. Einige haben eine glückliche Hand, wenn sie alte Zeiten lebendig heraufbeschwören, wenn ihnen auch nicht die originelle Empfindung und das grosse malerische Können o-eo-eben ist, das die W^erke von Dietz auszeichnet und für alle Zeit schätzbar macht. Etwas vom Geiste dieser Maler ist in jeder Münchener Ausstellung vorhanden. In seiner eigfenartigen Bedeutuno- geschwächt und heruntergekommen ist das Bauembild, wie es einst in DefresfSfer und Leibl seinen Höhepunkt erreichte.

Den vornehmen, künstlerischen Charakter, der dem Sittenbild, wie es aus dem Umgang mit Land und Leuten erwuchs, unter den Alt- münchener Meistern eigen war, hat es bei den schwächlichen Epigonen eingebüsst. Das Malen nur um des Malens willen, wie es die Secession einführte, hat diesen originellen Charakter zersetzt und Viele in das internationale Malvirtuosenthum hineintredränoft. Messer- Schmitt 's Darstellungen aus dem klein- städtsischen Leben der Versfanofenheit werden durch seine Art der malerischen Stimmungf

M. Erdielt: Mädchenbildniss

verweichlicht und verlieren dadurch die der Natur des Dargestellten eigenthümliche W^ürze. Kempff's Bild «Belauschung», anziehend durch sein Motiv und die Delikatesse der malerischen

18»

132

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Anton Burger: Tucligaden

Darstellung, ist doch nicht ganz frei von Effekthascherei, und lediglich der malerische Vortrag hält es über das Niveau ähnlicher Darstellungfen. Anziehend durch ein fein grestimmtes Interieur mit zwei hübschen Mädchen darin sind Ritzberger's «Abendklänge».

An Lindenschmidt und seine Schule gemahnt Gebhardt mit seinem Bilde «Hämon ersticht sich an der Leiche der Antigene». Diese Gattung von Historienbildern ist jetzt nahezu ausgestorben, in der Modelle in Theaterkostümen antike Helden und Könige, Feldherrn und Krieger, rauhe Lands- knechte und asketische Mönche je nach Bedarf der Historie mit mehr oder weniger Geschick agirten. Iwanowitz' Bild «Furor teutonicus» zeigt, dass trotzdem an eine Wiederbelebung dieses Genre's gedacht werden kann, wenn nur wie hier mit Energie der Stoff durchempfunden und ausreichend malerisches Können vorhanden ist. Das Bild stellt einen der vielen Kämpfe zwischen Germanen und Römern dar. Beim Frühroth, das durch den nebelumwogten Tannenwald scheint, wo auf feuchten sumpfigen Wegen eine römische Kohorte dahinzieht, brechen überraschend wie ein Wetterstrahl die Waldessöhne hervor. Der unwiderstehliche Anprall gegen die festgestaute Masse der Römer ist klar gestaltet. Die malerische Stimmung ist dem formalen Ausdruck untergeordnet und doch vereinigen sich beide zu einer für solchen Stoff günstigen Wirkung. Nicht jeder hätte den Muth, auf einem so weit zurückliegenden historischen Theater Schlachten grossen Stiles in Scene zu setzen.

Bios, Hartmann und Firle bilden ein modernes Künstlertrio. Ihnen ist der Stoff, das Gegenständliche im Bilde, nur eine Unterlage für malerische Probleme. Liebenswürdig wie Firle mit seinem Mädchen unter blühenden Blumen, feinfühlend wie Hartmann in seiner Frau Aventiure,

Der Hesperiden goldene Aepfel

DIE KUNST UNSERER ZEIT

133

der kleinen Strickerin und Schafhirtin, emst und volltönig; im Kolorit wie Bios mit seiner Schwarz- wälderin, bilden diese drei sehr anziehende Erscheinungen in selbständiger malerischer Haltung. Sie beschränken sich thunlichst auf den malerischen Eindruck, ohne die Frische der Erscheinung, wie sie uns im Leben entzückt, durch malerische Marotten zu entstellen, die uns Matiegzeck's Bilder vielfach zeigen.

Eisenhut ist zuviel Maler, um im Stoff allein aufzugehen. Seine Orientbilder sind gluth- und stimmungsvolle Farbensymphonien. Die Wollust des Malens hat ihn zu diesem Stoffgebiet gedrängt, darin ihm die köstlichsten malerischen Offenbarungen wurden. Die koloristische Empfindung bestimmt den Inhalt seiner Bilder. Er greift seine Stoffe auf, wo er sie gerade findet, wo sein Malerauge gereizt wird, sie aufnimmt und sie gestaltet. «Die Theegesellschaft in Samarkand» und «Sindon, Gefängniss in Bochara« sind dafür charakteristisch.

Muther signalisirte 1892 die Schotten mit poetischen F"anfarenklängen , heute hätte er dies nicht mehr nöthig, sie sind Andere geworden. Ihre einst so kühnen und glühenden Farbenphantasien sind verblasst, ihre Stimmungsmalerei ist nüchterner geworden, die rauschenden Farbentöne von ihnen sind verklungen und nur einen schwachen Abglanz gibt Spence in seinem Bilde «Nach Sonnen- untercfanof». Was sie in hervorragendem Masse immer noch besitzen, ist die Fähisjkeit, mit der sie Luft und Wasser malen. Nicht leicht liegt in andern Landschaften so viel Stimmung in der Luft, wogt eine solche Atmosphäre. Die Bilder geben in der That darin den Eindruck wieder, wie Muther die landschafdichen Reize Schottlands schildert: «Der Himmel ist fast immer bewölkt, die Wolken

Walther Georffi: Kartoffelernte

134

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Fritz Erler: Die Pest

hängen niedrig an den Bergen, und was zwischen Erde und Aether wogt, erscheint wie von weichem Schleier umhüllt, der selbst die stärksten Farbenspiele durch eine F'üUe zarter Tonübergänge verbindet. Während im Norden die klare durchsichtige Luft in fast brutalem Realismus alle Einzelheiten in frischen Farben abzeichnet, liegt es hier wie ein grosses, tiefes Geheimniss über der ganzen Natur.« Alles ist Tonsymphonie, Alles Stimmung und Poesie in den Stunden der Dämmerung, wie es sich in dem Bilde von Downie «An der Fürth» ausspricht. Alles ist helle, duftige Eleganz in der Frühjahrs- landschaft von Macnee, aber «die schwellenden Farbenakkorde, voll, tief und rund wie Orgelklang, mächtig erregte lyrische Stimmungen in Farben« finden wir bei ihnen nicht mehr, auf den gluthvollen sinnlichen Farbenrausch ist grosse Ernüchterung gefolgt, nach den Sonntagsfreuden ist Werktags- stimmung eingekehrt. Nirgends zeigt sich deutlicher der Verfall als in Kay's Bildern. Die Stimmung darauf ist eine künstliche, die Malerei schwer und roh, die Zeichnung haltlos und lotterig.

In der Luitpoldgruppe hängen ein Paar Landschaften von Baer, der die früheren Bestrebungen der Schotten aufgenommen zu haben und in seiner eigenen Weise fortzusetzen scheint. Seine grosse Landschaft gibt eine Stimmung wieder, wie sie im Herbst öfter auf unserer Hochebene beobachtet werden kann, wenn Alles in Gluth und Farben getaucht ist, wenn Himmel und Erde im feurigen Wiederschein der untergehenden Sonne leuchten. Es ist ein Bild von rauschendem, dekorativem Wohlklang, dem dieselbe malerische Empfindung zu Grunde liegt, die Kunz zum Maler von Stillleben prunkender Seide, glänzender Metallgefässe, überhaupt zum Schilderer aller glänzenden, schimmernden Gegenstände macht.

In der Gruppe der Venetianer gibt sich ein anderes Streben kund, Fragiacomo ist der Modernste unter ihnen, und mit grossem, einfachem Empfinden ausgestattet. Er sucht nicht, wie die meisten seiner Landsleute, den Leuten zu gefallen und aufzufallen, sondern malt nur, was er schlicht empfindet und künstlerisch zum Ausdruck bringen kann. Seine Frühlingslandschaft mit grünenden Wiesen, blauen, verschleierten Lüften, die mit dem Duft junger blühender Pfirsichbäume sich verschmelzen, ist von einer süssen, zarten, bestrickenden Harmonie. Das Motiv ist so einfach

DIE KUNST UNSERER ZEIT

135

wie nur denkbar, eine Wiese, die ein schnurgerader Bach durchschneidet und die mit jungen Stämmchen bepflanzt ist.

Laurent! besingt in einem Hilde die Poesie des Hirtenlebens, sein «Gleichniss«, das in duftenden, zarten Farben gemah ist, lässt in dem grossen Format das starke persönliche Empfinden nicht ganz zur Geltung kommen. Die Poesie des Intimen verflüchtet sich in quadratmetergrossen Bildern zu sehr. Pictor ist ein echter Italiener mit all' den Fehlern und Verkehrtheiten und dem romantischen Schönheitsgefühl, das Talenten seiner Rasse so häufig eigen ist. Mit dem Bilde «Die verdorbene Quelle» zollt er der Sensationsmalerei seinen Tribut, wenngleich die Stimmung darin von künstlerischem Empfinden zeugt. Er hat auch für die beiden anderen Bilder «Venedig bei Nacht»

und «orientalische Landschaft» gleiche

Stimmung, der Mondschein der ita- lienischen Nacht, in dem Venedig so romantisch aussieht. Der andere italien- ische Saal zeigt seine gewöhnliche Physio- gnomie, Bilder, wie

sie als Verkaufs- waaren für die Frem- den, als Erinner- ungen an Italien, ge- malt werden, immer

dieselben Motive, und man würde es nicht einmal merken,

R. M. Ekhler: Heusjeriicli

wenn die Waaren ein- mal auch nicht aus- gewechselt würden. Neuerdings hat sich Urban auf die

italienische Land- schaft verlegt und ihr wieder etwas von ihrem grossen Stil und Charakter ab- gewonnen. Urban

sollte etwas von Rottmann's Kunst- charakter haben, um dem Stil der süd- lichen Landschaft grossen Ausdruck zu geben. Maler- isch vermag er sie

stimmungsvoll zu interpretiren. In diesem Bestreben zeigt er sich in eigenthümlichem Gegensatz zu Fragiacomo, der, im Sinne der Modernen ein Realist, die Poesie öder, einfacher Gegenden malt, während hingegen der Deutsche in romantischem Sinne die schöne italienische Landschaft aufsucht und darstellt.

Ueber die Bestrebungen der Künstler der Landschaftsmalerei zu schreiben, ist nicht leicht. Es herrschen darin so vielerlei Standpunkte und spricht so Vielerlei auf unsere Sinne und Empfindungen, ohne dass wir uns beim ersten Eindruck klar darüber werden und nach den verschiedenen Wirkungen zu unterscheiden vermögen, in welcher Weise eine Schöpfung zu uns spricht, ob ihr Eindruck ein nachhaltiger ist oder nur dem flüchtigen Beschauer zu genügen vermag, ohne eine dauernde Betrachtung auszuhalten und unser Empfinden zu nähren. Das Auge, die Sehstärke, die Empfindlichkeit für Ein-

136

DIE KUNST UNSERER ZEIT

drücke muss bei dem Maler, besonders bei dem der Landschaften, wo es hauptsächlich auf Raum- gestaltung und Reiz der P'arbe ankommt, eine grosse Rolle spielen und seine persönliche Auffassung ungemein beeinflussen. Es scheint nun doch zu weit gegangen, wenn man eine Erscheinung wie die des Impressionismus mit Kurzsichtigkeit zusammenbringt. Das Streben nach Verdichtung aller Einzel- heiten zu grossen Massen, die Neigung zur Silhouette, entspricht doch dem Bedürfniss, in die künst- lerische Darstellung der Landschaft einen grossen Charakter, etwas Monumentales, Grosszügiges zu bringen, und dies Bedürfnis hängt mit dem wieder erwachten Sinn für dekorative Kunst zusammen. Andrerseits mag freilich eine Besonderheit des künstlerischen Sehens, wie das stereoskopische Sehen, dem Laien bei Betrachtung eines solchen Bildes gar nicht auffallen, wie er ja auch den Positivismus, durch den Alles wie im photographischen Apparat wiedergegeben erscheint, für wahr ansieht und solche Naturtreue ohne künstlerische Uebersetzung bewundert. Die Bilder von Müller-Kurzwelly sind so gemalt, auch Fink und Palmie lassen sich von solchen Eindrücken leiten, die sie dann nur in eine dis- kretere, malerische Stimmung tauchen. Als eine eigene Art Stimmungs- landschaft hat sich die frei kompo- nirte, wie sie in Böcklin ihren klassischen Vertreter hat, entwickelt. Sie beruht auf künstlerischen Grund- prinzipien der Raumgestaltung, die aber durch das persönliche Empfinden in freiester Weise erweitert und belebt werden. In F"erdinand Keller's «Hain des Poseidon», in Kanoldt's «Diana», Hollmann's «Abschied» und «Jungbrunnen» spiegeln sich diese Bestrebungen wieder, nur mit einem theatralischen , pathetischen Ausdruck, der den Mangel vertieften Naturgefühls nicht zu ersetzen ver- mag. In der künstlerischen Gestalt- ung eines gewonnenen Naturein- druckes sehen die Landschafter, die dem Karlsruher Künstlerbund ange- hören, ihre Aufgabe. Die Erde, selbst das einfachste Stück Natur, ist für .sie schön, wenn es Stimmung 5^«;«« g. z«,»^.- Hafen in Dordrecht

ß

CB

u 05

s

OD

CO

t;.

C

0)

W LOwitb pinx.

F. Uaufstaengl, UQaobeo

Im Vorzimmer des Ministers

DIE KUNvST UNSERER ZEIT

137

Adam Knm: Stillleben

beseelt, die das Gefühl des Weiten , Räumlichen erweckt. Eine Ebene, ein paar Bäume darauf, eine weiche, wogende Atmosphäre darüber, räumlich klar ausgedrückt, so dass mit wenig Orientirungslinien das Ge- fühl für's Räumliche erweckt wird. Ein Waldsaum, mit grosser, massiger Silhouette der Bäume , weite Felder, die vom Horizont begrenzt werden, gibt ihnen Stoff zu ihren Bildern. Die Farbe hilft wie in der Natur das Räumliche ausdrücken, sie treibt zurück, sie nähert und modellirt die Gegenstände. Sie erscheint auf den Bildern von Vo 1 k m a n n « Vorfrühlingstag » und «Waldsaum» wirklich als Aetherblau, saftiges Wiesengrrün und in duftigen Fernen wie ein Hauch, der verschwebt. Diese Maler lieben keine Modellirung durch starke Kontraste von Licht

und Schatten , ihre Bilder sind hell wie das Tageslicht , das draussen die Gegenstände umfluthet, verschärft und verschleiert, Licht und Luft bewirken die feinsten Unterschiede, heben, vertiefen, weiten, modelliren jede Bewegung der Landschaft. In dieser Hinsicht bietet Schönleber's «Hochwasser am Städtchen» zarte Effekte. Die üble Seite dieses Strebens zeigt sich in Kampmann's Versuchen. Die obengenannten Künstler streben auch ein Relief der Landschaft an, in dem der Natureindruck gefasst ist, ebenso wie Strützel mit seinem «Abend am Bach» und «Im Hochmoor». Nur verleitet ihn dieses Streben zu stärkeren Uebertreibungen. Das Suchen nach Vereinfachung des Natureindruckes hat zu einer künstlerischen Auffassung geführt, in der man die Landschaft nicht als etwas Räumliches fasste, sondern auf den Flächeneindruck hinarbeitete und in der die Farbe ähnlich wie bei Teppichen zur Wirkung kommt. Manche haben das Ornamentale der Landschaft in I'arbe und Linie so hervor- zuheben gesucht, dass die Feinheit des Natureindruckes, die Atmosphäre als Stimmungsträger in ihrer eigenen Weise nicht mehr zur Geltung kommt. Man hat mit einer gewissen Gesichtsrohheit farbige und ornamentale Eindrücke zu sehr auf dekorative Wirkung hin g-esteig-ert. Die T'arbe wirkt

11 19

138

DIE KUNST UNSERER ZEIT

dann schwer und arbeitet nicht mehr an der Klärung der räumlichen Verhältnisse mit. Beispiele dafür gibt Franz Hoch in seinen heurigen Landschaften. Poetischer Stimmungsausdruck beseelt Bürgel's «Abendlandschaft». Die Werke der Stuttgarter decken sich in ihrem künstlerischen Bestreben mit dem des Karlsruher Künstlerbundes. Thoma, der mit drei Bildern auftritt, ist auch in allen anderen der jungen Karlsruher Landschafter gegenwärtig, sein Einfluss ist unverkennbar. Stimmung erwecken durch schöne Aussichten, durch räumliche Darstellungen, Stimmung

schaffen durch ornamentale Flächenbilder, Stimmung überhaupt heisst die Signatur, unter der die moderne Landschaftsmalerei steht. Wir haben hier noch Einiges anzuführen, das sich nach Art und Charakter mit dem Vorausgeschickten verknüpfen lässt. Von Petersen ein paar Seestücke mit trefflich beobachteter und gemalter Stimmung; von Olga Beggrow-Hartmann ein Stillleben und von Pirie-Glasgow ein prächtiges Hühnerpaar mit Küchlein. Ferner müssen wir noch auf eine Erscheinung in der Stutt- garter Kunstgenossenschaft hinweisen , die ihr eine eieenartio-e künstlerische Note ver- leiht, es ist Kalckreuth's Kunst; für seine Eigenart und grosse Auffassung der Natur spricht neben einer Landschaft am deutlichsten das Bild einer alten Frau, die ausruhend und nachdenklich im Freien sitzt. Mit den einfachsten Mitteln ist das Einfachste und Nothwendigste , der ganze innere und äussere Gehalt der Erscheinung in monu- mentalen Umrissen und F"ormengebung ge- geben. Man glaubt, eine plastische Figur von Meunier in ihrer charakteristischen Silhouette festgrehalten zu sehen. Es ist an dem Bilde maltechnisch Nichts zu bewundem als

^i''^^^!' '

r

r

Otto Propheter: Bildniss der Frau Junker

seine grosse Einfachheit, die sich mit dem Empfindungsausdruck deckt. Das Bild erinnert an ein Fresco im Lapidarstil.

Kalckreuth hat sonst immer in der Secession ausgestellt, er würde auch heuer unter den lärmenden Farbensymphonikern durch seine herbe Grösse weit mehr wirken und auffallen.

Auch Keller gehört mit seinem Bilde «Arbeiter in einem Steinbruch» hieher. Es ist ein Freilichtbild im besten Sinne: Schwarze Schatten und grelle Lichter fehlen darin ganz und doch sind

DIE KUNST UNSERER ZEIT

139

alle Gegenstände kräftig modellirt. Es ist Licht, Luft und Raum darin, und Nahes und Fernes durch malerische Töne charakterisirt. Ein solches Werk setzt viel zielbewusstes, zeichnerisches und maler- isches Können voraus; man darf es nur mit andern Bildern, die in ähnlicher Weise einen Vorgang im Freien darstellen, die aber durch das Streben nach Stimmung unwahr und manierirt erscheinen, vergleichen, um den treuen Wirklichkeitssinn und die feinen Grade malerischer Wahrnehmung, die Keller's Bild aufweisen, schätzen und würdigen zu können.

//. Spence: Liuidschaft

Ein eigenartiges Schmuckstück ist der Ausstellung in Herkomers Prunkschild mit Email- malerei «Der Triumph der Stunde» einverleibt. Was das Menschenherz zu jeder Stunde bewegen mag, wird hier in einem Gleichniss malerisch ausgedrückt. Es wird erzählt, Herkomer habe diese Technik der Emailmalerei neu erfunden und gestaltet. Wer sich mit dieser Art der Technik nicht befreunden kann, wird doch der künstlerischen Geschicklichkeit, die daraus spricht, seine Anerkennung nicht versagen können. Die Bilder sind von einer Klarheit in der Zeichnung und Schönheit der Farben , dass sie wirklich als Kleinodien , als Edelsteine im Bild erscheinen und einer kostbaren

19»

140

DIE KUNST UNSERER ZEIT

A/idrezi' Black: Im alten Scliottland

Fassung auch würdig sind. Nur hat Herkomer die Fassung nicht gleichwertig mit den Bildern gestahet und das ornamentale Beiwerk nicht plastisch klar und zierlich genug gebildet. Es ist dies eine Forderung, die schon durch die Art und das Wesen des Metalls bedingt wird. Wir Kultur- menschen können uns nicht mit der Naivität eines Neuseeländers an ungebildeten Massen blinkenden Metalles ergötzen.

Die Secessionen sind aus der Vereinigung solcher Elemente der Künstlerschaft entstanden, die erfolgreich aus einem geistigen Rassenkampf hervorgingen und sich kräftig und selbständig genug zur Gründung neuer Künstlerrepubliken fühlten. Sie gewannen die Sympathie und Unterstützung aller künstlerisch Gebildeten durch die grossen und breit angelegten Prinzipien, auf denen sie fussten. Ihr Programm durfte nicht mit der Parole vom Malen um des Malens willen erledigt sein, sondern es musste darüber hinaus auf ein grösseres Ziel weisen, auf ein Ziel, das die Hebung und F'örderung allgemeiner künsderischer Bildung in sich schloss. An die Stelle der begrifflichen und abstrakten Anschauungen, die früher alles beherrschten, sollen Anschauungen treten, die die natürliche Empfindung und Vorstellung des Menschen nähren und bilden. Es fragt" sich nun, haben die Secessionen bis

DIE KUNST UNSERER ZEIT

141

heute an diesen hohen Prinzipien festgehalten, und ist es ihnen gelungen, der-Pflege der künstlerischen Kultur mit Erfolg obzuliegen, und wie haben sie diese Aufgabe erfüllt?

Um die Fahne der Secession schaarte sich anfangs Alles, was jung und kräftig war und künst- lerischem Fortschritt huldigte. Ihre republikanische Verfassung erlaubte Jedem, mit seiner eigenen Ansicht und mit seinem eigenen Empfinden hervorzutreten. Das Individuelle galt als der tiefe Born, der unerschöpflich immer neue Lebenselemente der neuen Kunst zuführen sollte. Dabei zeigte sich aber, dass das Individuelle bei allen Menschen nur in aufgespeicherten Eindrücken und der Erfahrung von aussen, in der Fähigkeit, Ererbtes und Ueberkommenes zu übernehmen, zu verarbeiten und weiterzubilden, bestehe, kurz, dass der moderne Mensch nur ein Summe des von Ahnen, Grossvätern und Vätern Ererbten sei. Er versucht nun mit seinem Empfinden den veränderten Anschauungen der Gegenwart nachzukommen, indem er es in ein neues Gewand kleidet. Aber nur wenige hervorragend organisirte, mit tiefer Empfindung und künstlerischer Bildung ausgestattete Naturen machten wirklich einen Schritt vorwärts, dem grossen Ziele zu, eine moderne Kunst zu schaffen, in der der ganze geistige Gehalt unserer Zeit zum Ausdruck kommt. Wenn man gesagt hat, diese Kunst erschlösse das Leben in viel weiterem und tieferem Umfang als jede frühere Periode es erschloss, so bezieht sich das nur auf die Werke derer, die ausserhalb aller X'ereinigung auf einsamer, stolzer

Riclianl Kaiser: .\lter Steinbrucli bei Kiifstein

142 DIE KUNST UNSERER ZEIT

Höhe allein stehen. Denn das Verhältniss der mitderen Kräfte zu den führenden Geistern kann erst wieder in fruchtbringende Wechselbeziehung treten, wenn die moderne Kunst eine allgemeine Form für ihre Anschauung gefunden hat, in welcher die persönHche Kraft des Einzelnen ausmündet. Vorder- hand muss man das Individuelle eher als das Element betrachten, das die schwächeren Talente in die Aera des Malvirtuosenthums hineintrieb. Diese Talente verfallen leicht dem Geiste der Nachahmung, sie sehen ihre Aufgabe darin, sich so auszudrücken, wie es anderswo gerade Mode ist und wie führende Meister sich äussern. Sie sollten nur nicht so überhandnehmen, dass sie die charakteristische Erscheinung einer Societät ausmachen, die sich die Pflege künstlerischer Reinkulturen zum Ziel gesetzt hat.

Die Wollust des Malens hat Vielen den Kopf genommen und das Rückgrat geschwächt, ihre Farbenoffenbarungen sind diffuse Träume und ihre Zeichnung ist haltlos und schlotterig. Talent und Genialität zeigt sich zwar in vielen Werken, aber verbunden mit einer künstlerischen Unkultur und Geschmacklosigkeit, die oft brutal wirkt. Künstlerische Kultur und Geschmack sind eben Dinge, die sich nicht erwerben lassen, wenn man sie nicht von Haus aus hat. Und die secessionistische Erziehung , die auf künstlerische Bildung hinarbeiten sollte , ist nicht im Stande , auf -diese Grund- elemente Werth und Nachdruck zu legen. Auch damit wird im Prinzip ihr ernstes Programm verletzt und geschädigt. Anschauliche, bildliche Vorstellungen, menschliche Empfindungen erweckt man nicht allein mit Farbenkonzerten, Farbensymphonieen, ohne dass nicht der Grund des Rhythmus, der Wohllaut der einzelnen Töne tieferem Empfinden entspringt, einen Halt, eine Organisation hat, die nur rein geistiger Natur sein kann. Viele Werke aber erfüllen diese Forderung nicht, sie haben kein Gefüge, keine Organisation, weder eine räumliche, noch eine geistige. Die malerische Epidermis einer Schöpfung- kann der Anschauung auf die Dauer nicht genügen, die dekorative Wirkung allein thut es nicht, das Plächenbild vermag nicht so anzuregen, wie eine schöne Aussicht, an die sich menschliche Empfindungen anspinnen.

Es will uns scheinen, dass die heurige Ausstellung nicht zu den inhaltsvollsten zählt, und dass das eigentliche, secessionisdsche Prinzip nicht voll darin zum Ausdruck kommt. Das mit Geschmack durchgeführte Milieu der Säle, in denen die Bilder mit Rücksicht auf ihre Färbung eingeordnet sind, so dass eine vornehme, geschlossene Gesammthaltung erzielt wird, verleiht dieser Ausstellung ein einnehmenderes Aussehen als der des Glaspalastes.

Für das Figurenbild, wie es uns in der Secession entgegentritt, ist die malerische Gestaltung massgebend. Es kommt dabei nur auf eine Harmonie der F"arben, selten auf die der linearen An- ordnung an. Wohl kann man einen malerischen Eindruck, das Zusammenstellen von P""arbflecken zu einem Ganzen zum Ausgangspunkt für ein Bild machen und durch neue Motive, neue Akkorde aus der Natur beständig bereichern, aber diese Eindrücke sind nur malerische Notizen, Rohmaterialien, aus denen ein Bild erst bereitet werden muss. Es befriedigt beim Figurenbild nicht und ebensowenig bei der Landschaft, wenn wir malerische Tonwerthe in harmonischer Skala heruntergemalt sehen. Es genügt nicht, wenn man lediglich einen malerischen Eindruck festhält, wir wollen vielmehr auch einen charakteristischen Ausdruck allgemein menschlicher Empfindungen darin ausgesprochen finden. Charakteristisch mit all' seinen guten und schlechten Eigenschaften für diese Richtung ist Ribot's Bild

DIE KUNST UNSERER ZEIT

143

«Die Sänger». Nur ist dieses Bild mit einem Verständniss für Form gemalt, das keines der übrigen annähernd erreicht. Ribot könnte darin auch Ribera heissen. Die gleiche Saftigkeit und Tiefe des Tones, die gleiche realistische Kraft wahrer Darstellung! Aber durch den Mangel einer klaren Komposition büsst das Bild viel von seinen altmeisterlichen Vorzügen ein. Nicht in der feinen Ueber- einstimmung der Töne allein liegt der organische Zusammenhang, die künstlerische Gestaltung eines Bildes, sondern vornehmlich in der räumlichen Einteilung. Durch diese erhält ein Wirklichkeitseindruck für unser Auge erst seine eigentliche Fassung und Wirkung. Uhde's grosses Bild «Ruhepause im Atelier» ist auf reine Farbenkomposition angelegt. Die räumliche Anordnung bestimmen lediglich r'arbenwerthe, je nachdem der Farbe die Eigenschaft innewohnt, nah oder ferne, klärend oder ver-

dichtend zu wirken. Jedoch dieses malerische Problem ist nicht einwandfrei gelöst. Die Farben sind allzu grau und verstaubt, sie wirken und spielen nicht auf die ihm sonst eigene, feine Weise in- und durcheinander. Auch als Schilderung geht diese Modell- pause, wie es eigentlich heissen sollte, über ähnliche anekdo- tische Bilder nicht hinaus. Da steht ein alter Mann mit einem Ausdruck, der deutlich sagt: für heute habe ich genug Modell gestanden. Eine junge Frau, mit dem Kind auf dem

Alexander Opplcr: Portratbü.ste

Arm, betrachtet neugierig die Leinwand, worauf sie gemalt ist. Während dessen balgren sich im Hintergrunde ein paar weitere Kinder, die vorher noch als Engel agirten, wie die an den Kleidern befes- tigten Papierflügel zeigen. Als malerischer Vorwurf ist diese Scene immerhin reizvoll, wenn auch die Malerei diesmal keine befriedigende Lösung ergibt. Slevogt's Bild vom ver- lorenen Sohn ist ein Werk, das man um seiner maler- ischen Vorzüge willen schätzen mag; aber die malerischen

QuaHtäten allein schaffen auch hier kein gutes Bild, besonders wenn ein Stoff gegeben ist, den menschliches und künstlerisches Empfinden einfach und gross zu gestalten vermag, wie ihn die alten Meister in so poetischer Weise gestaltet haben.

Habermann's Bilder, in denen die gleiche Dame nun schon in einem Dutzend Auflagen erschienen ist, bekommen, wenn sie auch auf malerisch geistreiche Art immer neu pointirt sind, nun doch einen unangenehmen Beigeschmack. Es liegt in der ganzen Art des malerischen Vortrags etwas, das dem natürlichen Geschmack widerstrebt.

Geschmack ist ja bekanntlich eine höchst persönliche Sache. Wir möchten hier eine kleine Geschichte erzählen, in welcher ein besonderes Geschmacksphänomen auftritt, das vielleicht mit vielen hypermodernen Erscheinungen idendsch ist. Es Hess sich einmal ein modemer Literat zur Vesperzeit Häring und Kaffee auftischen und behandelte den Fisch als Kaffeebrod, mischte ihn stückweise unter das Getränke und löffelte Beides aus einer Schale.

144 DIE KUNST UNSERER ZEIT

Wenn wir Bilder von Habermann sehen, müssen wir uns immer dieser Geschichte erinnern. Und doch entwickelt Habermann einen so raffinirt vornehmen Geschmack, dass wir ihn am liebsten in Parallele mit Schuster-Woldan setzen möchten. Der Unterschied liegt nur darin, dass bei Letzterem natürliches Feingefühl und feine Empfindung vorwaltet, dagegen bei Ersterem meist nur Haut-goüt.

Als eine Mittellinie, die zwischen beiden hindurchführt, lässt sich Klein's Malerei annehmen. Er gibt in seinen Damenporträts die reale Erscheinung. Es geht ein gesunder, sinnlicher Zug durch diese Malerei, der von Habermann's Raffinement, wie von Schuster-Woldan's Sensibilität gleich weit absteht.

Auf englische Art schildert Oppler in seinem Bilde «Musik» die vornehme Gesellschaft Englands. Eine Dame in Weiss und ein Kind in Weiss heben sich von einem nur in gedämpfterem Lichte scheinenden Hintergrunde ab. Diese Malerei verräth deutlich englische Einflüsse, Aber Oppler ist dieser Art viel näher getreten als auf den Bildern in der Ausstellung 1898. Er o-elangte in dieser Manier zu einem sehr selbständigem A.usdruck. Während sich damals die reale Erscheinung in seinen Bildern schemenhaft verflüchtigte , hält er sie in den jetzigen Darstellungen trotz aller Zartheit der Modellirung doch plastisch fest. Gerade in dem Kontrast körperlich bestimmt hervortretender Formen und der Gewandtheile , die in zarten malerischen Tönen diese überfliessen, liegt ein besonderer Reiz der Darstellung. Oppler ist noch mit einem Bilde vertreten, das ihn auf einem anderen Gebiete zeigt. In einen alterthümlich , bürgerlich behaglichen Raum mit altem, g-rünem Getäfel , das in den Tiefen warm aufleuchtet , scheint durch ein hohes , in viele kleine Scheiben getheiltes Fenster die Sonne und malt bunte Flecken auf den Boden , streift auch eine Schüssel rothwangiger Aepfel, die eine alte würdige Matrone, am Fenster sitzend, abschält. Dabei steht ein junges Mädchen, von weichem Lichte umfangen und von ein paar Sonnenstrahlen geliebkost und angeglüht. Das Ganze ist so warm behaglich, zeigt eine so bürgerliche, anheimelnde Umgebung, dass man sich ordentlich wohl darin fühlen kann. Diese Scene gibt in ihrer Art ein Genrebildchen, wie Pieter de Hooch sie malte, der in die Sonnenstrahlen, die durch solche Scheiben fielen, verliebt war, und sie athmet die ruhige, glückliche Atmosphäre, die Chardin so meisterhaft wiederzugeben verstand. Ist er malerisch auch nicht auf der Höhe dieser Meister, so zeigt sich darin doch ein Talent, das auf eine selbständige freie Weise jene Wege in die köstlich stillen Winkel gefunden hat, die ein Malerauge immer entzücken werden. Ja durch die Kunst, die so Gegensätzliches umfasst, die die vornehme Sphäre des Salons in so diskreter Weise malt und zugleich in dem schlichten Still- leben aufzugehen weiss, unterscheidet sich dieser Maler von vielen modernen Kollegen auf beachtens- werthe Weise.

Da vorher von englischen Einflüssen die Rede war, möchten wir hier gleich eines Bildchens gedenken, das die englische Kunst, wenn auch nur im Kleinen, doch gut repräsentirt. Es i.st dies «Die Wahrsagerin» von Robert Bell. Diese Maler haben nie die Schönheit aus den Augen verloren, immer ist sie ihnen als ein himmlisches Mädchen in Wald und Flur, im Haus und in der Gesellschaft begegnet. Wie auch in Opplers Bilder etwas von jenem vornehmen Wesen über- gegangen ist, so zeigt es sich hier in einer übersetzteren romantischen Weise. Aber es ist dieselbe

Tinl Ruiii;i;.c:i: ^iui,.

Pbot. K. B4af»uwogl, llQaeb«a

Frauenb ild niss

ü

OS

0

DIE KUNST UNSERER ZEIT

145

Angela yank: Heidi!

Rasse, dieselbe Diskretion in der Haltung, dieselbe natürliche Feinheit in der Bewegung und im Ausdruck der Empfindungen von Gesicht und Händen. Stets das Schöne vor Augen, haben diese Meister immer die goldene Mittellinie eingehalten und in ihren grossen Schöpfungen sich in mystische Regionen erhoben, in die kein Staub der grauen Alltagswelt dringt. Es ist ein Bild von Höcker hier, das auch an Mystizismus streift, aber es ist keine tiefe Offenbarung einer verzückten Seele darin, sondern nur malerisch raffinirtes Empfinden.

Eine sinnliche Malerphantasie, die im Sehnen und Suchen nach neuer Schönheit .sich verzehrt, kann in der Produktion leicht negativen Erfolg haben. Aber je mehr gesunde und natürliche Vorstellungskraft einem innewohnt, desto weniger wird er von diesem geistigen Prozesse angegriffen und erschüttert werden. Stuck hat keine Anlage zu solchem Zehrfieber, wenn seine Farben- symphonien auch manchmal diffus erscheinen und ein verschobenes Bild zeigen, wie die heurige Wiederholung des «bösen Gewissens». Auch unter seinen Porträts verräth nur das des Afrika- reisenden Eugen Wolff die feste Hand und den Farbensinn des Künstlers. Vielleicht lässt er sich doch durch den Beifall der Menge und unkritischer Schwarmgeister zu viel aus seinem Schöpferfrieden aufjagen und gibt Schöpfungen, die er noch nicht au.sgereift hat, allzu leicht weg.

Hierl-Deronco's Kostümbildniss ist von starker dekorativer Wirkung und schön gemalt.

Wenn wir von Porträtkunst sprechen, so bezeichnen wir damit im weitesten Sinne alle Werke, in denen ein Wirklichkeitseindruck so gewahrt und wiedergegeben ist, dass wir darin jedes Objekt nach seiner Herkunft und Rasse zu erkennen vermögen. Dieser Zug der modernen Kunst erklärt sich aus dem innigen Anschluss an die Natur. Es liegt bereits ein wissenschafdicher Zug darin, die Oberfläche eines Objekts aufs Getreueste in F"arbe und Form wiederzugeben. Diese Richtung hat einen Positivismus erzeugt, der auf einen sehr engen Darstellungskreis sich beschränkt. Wenn aller-

11 20

146

DIE KUNST UNSERER ZEIT

L. V. Zumbusch: Greis unu Ki.ii

clings diese Anschauung in liebevolle Be- trachtung aufgeht, wenn das Empfinden mit der Oberfläche zugleich das Lebens- gefühl des Ganzen übermittelt, dann wird daraus ein Segen für die künstlerische Produktion erwachsen. Dann kommt zu dem gewissenhaften, fleissigen Abschreiben der Natur ein Zug von menschlicher Grösse, die mit gleicher Liebe alles um- fasst. Ein solcher Zug der Naturbetracht- unor wohnte Se^antini inne. Es ist

o o

rührend zu sehen, mit welcher Liebe er eine Ziege, die ihr Junges säugt, gemalt hat. Seine Kunst wächst aus der Erde und ragt in die reinen Lüfte wie die Berofe auf seinen Bildern. Sie ist eine Frucht, so goldeswerth wie das Korn, so nahrhaft wie das Brod, das daraus gebacken wird. Es ist eine Kunst der Empfindung, die Samen ausstreut, mögen herrliche Blumen und Blüthen oder erden- schwere Früchte daraus hervorgehen. Solche Meister sollen wie Patriarchen und Heilitje in den Secessionen verehrt werden.

Ein älteres bekanntes Bild von Liebermann versetzt uns mitten in ein Altmännerhaus, in einen Garten mit warmer sonniger Beleuchtung. Die alten Leute sonnen sich, und in jedem Antlitz steht seine Geschichte. Liebermann hat seitdem wenig- solche Bilder gemalt , das Suchen und Experimentiren mit malerischen Wirkungen hat diese treue Bildnisskunst in seinen späteren Werken verdrängt. Ein Doppelbildniss von Anetsberger stellt einen Pferdekopf mit seinem Wärter dar. Das Bild verräth allzusehr den photographischen Ausschnitt. Mit welch' kühner und starker Empfindung griff einst Velasquez solche Stoffe in ihrer ganzen Erscheinung auf und übertrug sie auf die Bild- fläche, stellte Ross und Reiter ruhig in die bewölkte Landschaft oder lebendig bewegt in eine stimmungs- volle silbergraue Atmosphäre! Aber es wäre un- gerecht , vor einem solchen Bilde treuen Arbeits- fleisses und Vertiefung in die Natur sich solchen Reminiscenzen zu sehr hinzugeben, es stecken nur künstlerische Qualitäten darin, die dazu verleiten, sich kühnerer und grösserer TÄSL<g^ zu erinnern. Man ver- muthet, Anetsberger hätte nach dieser Seite hin mehr auszugeben.

Haben wir uns durch diese Erscheinungen ver-

o

leiten lassen, weiter abzuschweifen und die Bildniss- kunst als ein grosses allgemeines Gebiet aufzufassen, so führt uns Samberger mit seinen Porträts auf ihr Hubert v. Heyden: Kampi

DIE KUNST UNSERER ZEIT

147

vornehmstes Gebiet, die Einzeldarstellung des Menschen, zurück. Man kann darin einerseits rein von malerischen Gesichtspunkten ausgehen und mit lebendiger Empfindung den momentanen Eindruck festhalten, und andererseits kann man von diesem bis zu einem gewissen Grade abstrahiren und durch das Medium der Empfindung in das Innere einer Erscheinung einzudringen versuchen, wie dies Lenbach thut. Erstere Art ist die Sambergers. Schnell, fast gewaltthätig reproducirt er den malerischen Eindruck auf die Bildfläche. Indem er sich müht, das flüchtige Erscheinungs- bild festzuhalten, mit malerischer Furie dieses auf die Leinwand zu bringen, kommen neben grossen malerischen Feinheiten, wie sie nur die Stimmung des Augenblickes ergibt, auch viel Unruhe und nervöse Unsicherheiten zum Ausdruck. Alles ist wie auf einen Hieb heruntergesäbelt, sei es getroffen oder gefehlt. Damit im Zusammenhang steht auch die Klarheit, Flüssigkeit und Leuchtkraft der malerischen Töne, der frische lebendige Eindruck, den wir empfinden, wenn wir auch ein plasti-

scheres Gefüge, eine feste Organisation in der Gestaltung ent- behren müssen.

Bei den Land- schaften der Seces- sion treten dieselben Prinzipien , die wir schon oben bespro- chen haben, in Er- scheinung;Stimmung erwecken durch or- namentale Form und Farbe und Stimmung-

Karl Haider: Abendlandschaft mit heimkehrendem Ritter

geben durch schöne Aussichten! Aus- schnitte aus der Natur, bei denen die Wirkung nur auf ein paar farbigen Ac- centen Hegt , die nach Art eines Ta- peten-Musters an- regen, gibt es hier viele. Sie haben für den Maler viel sachliches Interesse, sie bieten malerische

Werthe, aber wir können sie nur als Stoffe und Materialien auffassen, denen die künstlerische Gestaltung, die Zubereitung für unsere Sinne fehlt. Wir lieben schöne Aussichten, schöne Punkte, idyllische Plätzchen, die menschliche Empfindungen anregen. Dem Deutschen erweckt die Landschaft Gefühl und Stimmung, er liebt landschaftliche Bilder, die seine Brust weiten, die ihn zu fröhlicher, andächtiger Betrachtung und feierlicher Erhebung stimmen. Er verbindet damit ein Stück Romantik, uralt sind die Vorstellungen, die Dichtung und Landschaft mit einander verweben und diese mit Gestalten und Fabelwesen bevölkern. Böcklin vertritt diesen Zug auf's Ureigenste. Die Landschaft als orna- mentales Flächenbild ist ein Ausdruck, der unserem Empfinden fem liegt, der uns nimmermehr genügen kann. Wir wollen Landschaften, an die poetische Betrachtung und Stimmung sich anknüpft, Land- schaften, die in stiller Beschaulichkeit genossen werden können, die unsern Schönheitssinn anregen und nähren. Haider's Abendlandschaft besitzt eine Stimmung in diesem Sinne. Es ist eine echt deutsche, contemplative Naturbetrachtung, wie sie U bland beseelte. Ein Abend ist es in den Vor- - feierlich ernst ragen dunkle Fichtenwälder in die lichte Atmosphäre, und der Horizont wird

bergen

20*

148

DIE KUNST UNSERER ZEIT

vielzackig besäumt von bläulich schimmernder Bergkette. Die Luft ist sanft geröthet und alle Gegenstände schimmern in hellem, goldigen Ton, sind von einer prächtigen Klarheit, Vornehmheit und Reinheit. Das Motiv ist ein ganz einfaches, ein Stück Wiese und Wald mit schöner Fernsicht, und um auf deutsche Art der Stimmung romantischeren Ausdruck zu geben, hat der Maler darin einen heimkehrenden Kreuzzugritter, dem von waldigen Höhen seine Burg entgegenschimmert, hineingemalt. Ein solches Bild mag sehr mühsam und nachdenklich geschaffen worden sein, mit fast Holbein'scher Schärfe und Sachlichkeit sind alle Gegenstände darin behandelt.

Die landschaftliche Stimmung auf eine reizende Art zu beleben, indem er an ein köstlich idyl- lisches Plätzchen ein naives Liebes- pärchen setzt, das thut Hengeler in seinem Bilde «Auslug«.

Nach der dekorativen Seite hin wirken die Landschaften von Vinnen und Overbeck, man kann sie wohl in prächtige, vor- nehme Räume denken. Auch wären Besie's Bild »Der Dorfbach» und Flad's «Herbstabend» stimmungs- volle Schmuckstücke für die Wände eines Wohnraumes. Von präch- tiger, englischer Vornehmheit ist die Flusslandschaft von Cameron. Es sind Bilder, die eine beständige Anziehungskraft auf unsere Phan- tasie auszuüben vermögen, die man wie gute Hausmusik daheim immer um sich haben und ge- messen möchte. Feine landschaft- liche Zeichnungen gibt Meyer- Basel und Angelo Jank in den Ansichten von Rothenburg an der Tauber. Auf grauem Papier, das als Lokalton wirksam mit einigen Farben gehöht ist, hat er mit weichen, breiten Bleistrichen diesen Ansichten einen ungemein male- rischen Ausdruck zu geben gewusst. Mit merklicher Liebe und Freude ist er in den Charakter des Ganzen eingedrungen, und das ist so goldechte Poesie und verklärt dies alte Nest wie die Sonne, die da und dort in einem Fenster spiegelt, die alte Ziegeldächer erglühen lässt und einen Thurmknopf festlich funkeln macht.

Z.. Samberger: Bildnissstudie

<0

0) 0

3 <

Frühlingsmärchen

DIE KUNST UNSERER ZEIT

149

Einem plastischen Werke stehen die meisten Betrachter fremd gegenüber, es erweckt keine Empfindungen in ihnen. So sehr unser Auge empfänglich geworden ist für malerische Eindrücke, so sehr der Sinn für malerische Stimmung geweckt ist, so empfinden wir doch nicht die Reize der plastischen Eorm. Formgefühl und I-'ormempfindung scheint noch gering entwickelt. Allerdings fehlt es in der Plastik bei uns auch an Werken, welche beides wirksam anzuregen und zu nähren vermögen. Das plastische Werk, wie es bei uns im Allgemeinen auftritt, entbehrt nicht nur der künstlerischen Fassung des Natureindruckes, sondern ist auch im Ausdruck der Empfindungen gekünstelt. Sehr bezeichnend dafür sind die Plastiken, die in Stein, Holz oder Bronze gedacht, immer in der Manier der .Stuck -Technik ausgeführt er- scheinen. Diese Manier gibt jede Form in barbarischer Weise als einen rohen Wirkungs- eindruck wieder. Dass das Publikum diese Dinge immer noch als Plastik hinnimmt und bewundert , beweist ebenfalls seine Empfind- ungslosigkeit gegen edlere Erscheinungen. Vielleicht ist die Plastik in solche Aus- drucksformen verfallen, weil sie so lange vom Leben isolirt war. Erst die Werke der Gegenwart verrathen wieder einen Anschluss an gegebene Situationen und bestimmte Ver- hältnisse und Oertlichkeiten. Die Plastik war immer eine Kunst, die sich im Zusammen- hang mit bedingten Verhältnissen, im An- schluss an architektonische Werke gross und vielseitig entwickelt hat. Nur ein Theil der Bildnerei, wie die Porträt- und Kleinplastik, ist an keine bestimmten Verhältnisse gebunden, dagegen ein Grabmal oder Denkmal erhält erst Werth und Bedeutung- im Zusammenhang- mit seiner Umgebung. So vermögen wir uns

kein bestimmtes Urtheil über eine Erscheinung zu bilden, wie das Brückner -Denkmal von Zerritsch, indem hier die Hauptsache, die örtliche Umgebung, aus der das Ganze herauswachsen soll, fehlt. Wir wissen nicht, ist die Schöpfung darin lebensfähig und ihre Existenz begründet oder hat der Schöpfer unter Nichtachtung der gegebenen Situation nicht der räumlichen , sondern nur der künsderischen Ausgestaltung des Stoffes Ausdruck gegeben, indem er das anmuthige Motiv eines den Gefeierten bekränzenden Genius' zu einem effectvollen Dekorationsstück verar- beitet hat. Solche Schöpfungen lassen uns bedenken, dass sie in malerischer Gestaltung viel mehr Stimmung erregen und verbreiten könnten. In der Malerei ist es eben um vieles leichter,

Taschner : Rauhbein

150

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Hubert Hetzer: Ürpheus-Hrunnen

ein solches Motiv auszudrücken und wenn auch nicht tiefe, so doch angenehme Empfindungen zu erwecken.

Stimmung erweckt und übermittelt auf's Beste eine andere plastische Schöpfung der Ausstellung, die man sich allerdings auch in bestimmten örtlichen Verhältnissen zu denken hat. Man dürfte den Orpheusbrunnen von Netzer nur ins Freie stellen unter eine Gruppe alter Bäume in einem stillen, lauschigen Parke, in welcher Umgebung diese idyllische Welt für sich uns noch deutlicher fühlbar würde. In der architektonisch-bildnerischen Fassung eines Brunnens ist in freier, selbständiger Weise dem Motiv des lyraspielenden Orpheus inmitten von Thieren des Waldes Ausdruck gegeben. Netzer entwickelt in solchen Darstellungen eine besonders reiche Produktion. Alle diese Gebilde sind ursprünglich empfunden, mit poetischer Phantasie und männlicher Schöpferkraft gezeugt. Dieser Brunnen ist schön und einnehmend durch seinen freien F"luss der Linien und stimmungsvoll durch den beseelten Ausdruck der F'ormen, wenn auch nicht so frei in dem Rhythmus der Form und Bewegxing wie die Brunnenschöpfungen der Renaissance und des Barock.

Wenn man in neuerer Zeit versucht hat, wie in den alten Vorbildern das architektonische Element in der Conception solcher Schöpfungen hervorzukehren, so darf darum die freie bildnerische Gestaltung nicht zurückgesetzt werden. Denn diese ist es, welche in jeder Situation nicht nur in dekorativer Hinsicht wirksam wird, sondern ihr erst einen tieferen poetischen Ausdruck verleiht. Dass beides ver- einigt so selten auftritt und so selten Werke hervorgehen, die neben den alten bestehen können, hängt mit dem Missstand zusammen, dass Architekt und Bildhauer getrennt wirken. Es ist das eine Misere, die die deutsche Plasdk schon das ganze Jahrhundert hindurch bei allen grösseren Unter- nehmungen schwer und tief geschädigt hat. Immer scheiterten die Plastiker bei Lösung solcher Probleme an dieser Klippe. Keiner hat dies so richtig erkannt wie Hildebrand, der in seinem

DIE KUNST UNSERER ZEIT

151

«Problem der Form» eine Lösung durch Anschluss an die Tradition vorschlägt und anstrebt. Ihre Formen, mit neuem Geiste gefüllt, d. h. mit unserem Empfinden durchdrungen, müsste das Programm der künftigen Plastik bilden.

In welcher Weise die Plastik als eine in's räumlich Grosse gehende, frei schaffende und sich frei bewegende Kunst durch die Ungunst der jeweiligen Verhältnisse in's Kleine beschränkt und gedrückt wird, zeigen die sogenannten Statuetten. Manchmal sind freilich solche Statuetten trotz ihrer räumlichen Beschränkung grosse Schöpfungen und lassen erkennen, dass ihr Schöpfer eine F"ülle des Lebens in diesen kleinen F'iguren zu concentriren vermag. Sie gelten wie Umsatzwerthe eines grossen Kapitals, das in solcher F'orm mehr Zinsen trägt. Heuer finden wir zwar keine so über- raschende kleine Grössen, aber es fallen doch kleine, bescheidene Arbeiten durch die originelle Art der Erscheinung auf, wie z. B. Taschners «Rauhbein». Auch vieles andere ist so nett und ansprechend wie Kurzwaaren, die im Bazar dem Vorübergehenden so orefällig- erscheinen.

Mit der Grabmalsplastik ist der modernen Bildnerei ein weites Arbeitsfeld gegeben, in dem eine F'ülle künstlerisch neuer Momente der Gestaltung harrt. Man erinnere sich, in welch feiner Weise die Antike hierin schon die Wege und Ziele zu einer reichen künst- lerischen Bethätigung gewiesen hat. Die Aus- stellung weist nur ein paar Erscheinungen auf, die zeigen, dass diese Art nur hie und da von Liebhabern eine Pflege erfährt, so Christ's Gruppe «Der Trost» und Eloy Palazios' Grabmal einer vornehmen Spanierin; dieses zeichnet sich aus durch seinen freien selbst- ständigen Charakter in der Ausführung.

Wie das individuelle Empfinden, wenn es von keinen künstlerisch tieferen Absichten ee- läutert und durchdrungen ist, unharmonisch, bizarr, verschoben wirkt, zeigen Gasteiger's Arbeiten. Künstlerische Erziehung und natür- licher Takt bringen geschmackvolle Schöpf- ungen hervor, und man wird sich ihnen nicht verschliessen können, wenn sie auch keine be^ sonders tiefe Persönlichkeit verrathen , so gre- winnen uns die Werke von Nachahmern und Kopisten, wie sie die Renaissancezeit viele her- j^ri^z Zenitsch: Bnukner-Denkmai

152

DIE KUNST UNSERER ZEIT

vorgebracht hat, durch künstlerische Durchschnittsqualität, Verständnis der Form und Beherrschung aller lechnischen Ausdrucksmittel Achtung ab. Ja selbst die Werke des Barock , wo die Willkür und Unnatur des Empfindens anfing Herr zu werden über edle Regungen und einfachen, massvollen grossen Ausdruck, zeichnen sich immer noch durch traditionelle künstlerische Fassung aus, welche selbst gröbere Ungezwungenheiten veredelt erscheinen lässt. Dadurch wirkt diese barocke Weise doch nie verletzend auf künstlerische Sinne wie in Gasteiger's «Prometheus», bei dessen Anblick wir an eine kleine Bühne erinnert werden, auf der ein leidender Heros durch einen kleinlichen brutalen

Alax Kliager: Schlafende

Charakter karrikirt wird. Das Erhabene schlägt in's Lächerliche um. Durch Humor versucht Gas teiger zu wirken in seiner Brunnenfigur «Wasserscheu». Er betritt damit neuerdings einen Vergleichsweg, den er schon vor Jahren mit seinem Brunnenbuberl eingeschlagen hat, um damit die Gunst des Publikums zu gewinnen. Auch diese Absicht, durch Witz die P^merstehenden und Gleichgiltigen für künstlerische Produktion zu interessiren , wäre im Prinzip nicht von der Hand zu weisen. Inwiefern ein plastisches Werk sich eignet, diese Rolle zu übernehmen, das kommt lediglich auf die Art der künstlerischen Gestaltung an. Künsderischem Takt und Gefühl steht es allein zu,

o

'S

o

+-> 0)

o

u

3

D3

c

DIE KUNST UNSERER ZEIT

153

^\

L

yii/iiis Vicz: In arte libenas

das Mögliche und Unmögliche durch die Art der Gestaltung für unsere Vorstellung angenehm und wahrscheinlich zu machen.

Es kann einem gefallen, auf absonderliche Art alte Probleme durch ein neues Darstellungs- verfahren zu lösen zu versuchen. Klinger thut dies in mehreren Werken und auf verschiedene Weise. In seiner «Leda» und seinem Relief «Schlafend» folgt er alten Prinzipien der bildnerischen Gestaltung, wie sie uns auch durch Hildebrand wieder näher gerückt wurden, nämlich durch den Prozess des aus dem Steine Herausbildens, ein Bildwerk auf die natürlichste Art wachsen und sich entwickeln zu sehen, bis der ursprüngliche Steinraum aufgehoben und sozusagen in lebendige Formen auf- gegangen ist. Dieses stufenweise Herausbilden zeigt sich deutlich in dem Relief der Schlafenden, und weiter vorgeschritten in dem der Leda. Im ersteren schlafen wirklich die Formen noch im Steine gebunden, im letzteren sind sie befreit und zu vollem Leben entwickelt. In den «Tänzerinnen» schafft der Künstler nach Art altrömischer kleiner Bronzen ein zierliches Schmuckstück fürs Haus. Die Büste «Assenjeff», die aus verschiedenfarbigem Marmor und kostbaren Steinen zusammengesetzt ist, ist ein Versuch, nach Art der Antike durch solche Zusammensetzung eine erhöhte dekorative Wirkung zu erreichen. Es kann durch solche Kontraste , wenn das Objekt an bestimmte Oertlich- keiten gebunden ist, eine harmonische Gesammtwirkung wohl erzielt werden, vermag aber in dieser Aufstellung, trotz einzelner Schönheiten, uns nicht anzusprechen. Bei der so eigenartigen persönlichen Auffassung des Künstlers, der in ganz freier Weise über das Gewöhnliche hinwegschreitet, überrascht es doch, wenn er die Fundamente der bildnerischen Gestaltung nicht in Acht nimmt, wo diese unbedingt beim ganzen Eindruck mitsprechen und von Bedeutung sind. Die Existenz der kauernden Marmorfigur beruht auf einem Fundament, das in einer bestimmten Form zum Ausdruck kommen muss, denn das Kauern und Niedergedrücktsein findet seinen festen Stand und Rückhalt auf der Erde. Diese muss darum in einer künstlerisch orgranischen Form, in einer Plinthe , oregfeben sein, und als solche künstlerische Form sind die Messingkugeln, die die Figur stützen und in ihrer Lage erhalten, nicht hinzunehmen. Die Schönheit einer Arbeit leitet sich von dem harmonischen Zusammen-

II 21

154

DIE KUNST UNSERER ZEIT

klingen aller Theile her, und so gut in einem musikalischen Gefüge kein Misston den ganzen Eindruck stört, so schädigt eine Missform die Schönheit einer solchen Arbeit. Man muss annehmen, dass Klinger's farbig gehaltene Werke in ein bestimmtes Milieu hineingedacht sind; dass sie in einer anderen Umgebung nur schwer zur Wirkung kommen, sieht man an der gegenwärtigen Aufstellung. In gegebene Verhältnisse, in eine die bildnerische Auffassung bestimmende architektonische Umgebung sind die beiden Figuren von Kurz «Weberei« und «Spinnerei« gedacht. Erinnert auch die ganze Weise der Formengebung und Behandlung an antike Vorbilder, so ermangeln diese Figuren trotz dieser, äusseren weitläufigen Verwandtschaft nicht des selbständigen eigenen Ausdruckes, der modernem Schönheitsgefühl durchaus ent- spricht. Besonders spricht im Ausdruck der Köpfe so viel Zartes und Edles uns an, und verräth so viel Bildung und edle Herkunft, dass wir, um ähnliche Erscheinungen zu er- mitteln, weit zurück blicken müssen. Sie verrathen neben feinem künstlerischen Ge- schmack eine geschulte und geübte Hand in der Bear- beitung des Materials, w^ie sie sonst selten bei uns zu finden ist. Dieser Künstler empfing seine Ausbildung in Italien und ist auch sonst mit gross und einfach aufgefassten plastisch durchgebildeten Porträt - Re - liefs von deutschen Dichtern, Denkern und Künstlern her- vorgetreten.

Herrn. Hahn: Christus

Eine Arbeit, die durch gute, plastische Conception auffällt, aber durch eine Ge- schmacklosigkeit unästhetisch wirkt, ist «Der schweigende Mann» von W'ildt. Der Künstler hat durch eine Ma- rotte, indem er die schöne Wirkung des Steines durch einen Ueberzug von Lack schädigte, den guten Eindruck seiner Arbeit abgfeschwächt.

Mangelnde seelische Em- pfindung und Durchdrii.gung des Stoffes schädigt auch die formal tüchtige Arbeit «Christus« von Hahn. Sie zeigt auch deutlich, dass die Anregung von Donatello herkommt, ohne dass jedoch Hahn wie jener durch eine innere Veranlassune zu solcher

Darstellung gedrängt wurde. Des Künstlers Stärke liegt auf einem ganz andern Schaffens gebiet, das auch seinem formalen Empfinden besser zusagt. Darauf weisen die Plaketten und Medaillen hin, die er brachte. Sie sind in Auffassung, feiner Durchbildung und verständnissvollem Eingehen auf den Bronzecharakter vorzüMich.

Als eine formal tüchtige Leistung ist hinzunehmen «Perseus», eine Brunnenfigur von Gosen. Auch Kiefer's «Susanna» ist eine Figur von entschieden seltenen plastischen Qualitäten hinsichtlich der Conception und des Ausdruckes.

Wohl die künstlerisch anregendste und feinste Art der bildnerischen Thätigkeit, in der Kräfte

o

(0

u :3

DL

u <D T3

ü CO

2

Krnni Stuck i'itix.

Phot. P. HkoriuetiKl, MOnob«!)

Dyonisos

DIE KUNST UNSERER ZEIT

155

der Beobachtung und Empfindung aufs Beste entfaltet werden können, ist die Porträtplastik. Aller- dines steht sie noch weit hinter der Porträtmalerei zurück. Selten treffen wir in öffentlichen Anstalten oder gar Privaträumen gute Büsten an. Vielleicht geniesst diese Art der Bildnerei so geringe Aufmerk- samkeit und Pflege, weil nur durch die vielfach todte Art der Uebersetzung Lebendiger in Gyps- Köpfe kein Zutrauen zu dieser Darstellung gefasst wird. Hierin fehlt es aber nur an Darstellern,

die die zuckende Lebendigkeit und Fülle des Lebens auszudrücken vermögen.

Man denke nur an

Alax Klimrer: Tänzerinnen

die Porträts eines Donatello und man wird fühlen, welche Reize einem plastischen Bildniss inne wohnen können. Nur eine ähnliche Erscheinung braucht aufzutreten, um auch diesen Zweig der plastischen Kunst wieder erblühen zu lassen. Und vielleicht ist eine solche schon bereit aufzutreten. Uns sind Bildnissbüsten im Albertinum zu Dresden bekannt, welche die Forderungen, die wir an das plastische Porträt stellen, hinsichtlich der lebendigen Auffassung und Durchbildung, vollständig erfüllen. Hier in beiden Ausstellungen vermögen wir ausser Hildebrand und Roemer keine Erscheinung

21*

156

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Palazios: Grabmal einer vornehmen Spanerin

aufzuzeichnen, die dem Zuge der Zeit hierin Folge zu leisten und ihren Forder- ungen gerecht zu werden vermöchte.

Wenn wir auf beide Ausstellungen zurückschauen und ihr Gesammtbild in's Auge fassen, so ergibt sich eine Fülle von Erscheinungen , unter denen Einige ganz bestimmte originale 7.ügQ aufweisen. Mit Stolz erfüllt es uns, auf die Höhe hinweisen zu können, die die Bildniss- malerei in Lenbach und Kaulbach erreicht hat, auf die hervorragende malerische Dichtung Schuster-Woldans «Odi profanum . . .». Femer bieten uns eine Anzahl von Werken künstlerische Werthe von fruchtbarer allgemeiner Bedeutung im Sinne einer künstlerischen Kultur. Wir haben in der Ausstellung der Secession in einem vornehm abgerundeten Gesammtbild einzelne Schöpfungen bedeutender und starker Individualitäten, neben viel Licht aber auch viel Schatten.

Alles in Allem eine Fülle von Früchten künstlerischen Fleisses und Genies, eine Fülle nahr- hafter Stoffe für unsere Phantasie, und als Gegengewicht gegen das Eindringen der abstrakten Geistesrichtung in unsere Vorstellung, als Gegengewicht gegen die so allseitig geübte Verstandes- bildung bedarf es der Fülle an Werken der Form und der Empfindung. Wir möchten mit Konrad

Ferdinand Meyers Worten schliessen:

„Das Herz, auch es bedarf des Ueberflusses, Genug kann nie und nimmermehr genügen!"

K^

R: Akmsi \\IS( Kn^ilOilSMCVLÖ-^' ANTLSl JA

SM IV.S'Al iy\MV.V \D\'AA' MAC,.SA\.\p\K\fM l'l-plVTIA'

iOkva'.

t

Ueber Deutsche Plastik

VON

ALEXANDER HEILMEYER

Woran mag es liegen, dass die plastische Kunst, der doch ein so glücklich beschränktes Schaffens- gebiet angewiesen ist, die so eingehend, wie keine andere, sich mit der Einzeldarstellung des Menschen und den vornehmen Geschöpfen der Natur sich befasst, dass eine solche Kunst in unserer Zeit so wenig Liebhaber findet und so wenig Theilnahme und Verständniss begegnet? Die Werke des Bildhauers erschliessen sich uncjleich schwerer dem Aupfe des Beschauers, als die an einschmeichelnden Reizen reicheren Schöpfungen des Malers, weil sie ein viel umfassenderes, allseitiges Studium erfordern, bei dem allein dem noch ungeübten Blick erst das Mitempfinden und Verständniss für alle ihre Schönheiten aufgeht. Dazu kommt, dass wir Germanen im Allgemeinen auch keinen so stark ausgebildeten Formensinn besitzen, wie die heutigen Romanen und die Kultur- völker des Alterthums. Um so mehr sollten wir eben darnach streben, diesen Mangel auszubleichen, indem wir auch in unsere alltägliche Umgebung plastische Kunstwerke versetzen, die unser Empfinden anregen und unseren Geschmack bilden; das heisst eine innigere Verbindung von Kunst und Leben

anstreben, wie solche in den Zeiten hoher Kultur im Alterthum und der Renaissance bestanden hat.

u 22

158

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Das Peristil eines pompejanischen Hauses

Welch' herrliches Vorbild gibt uns da die geschmackvolle Ausschmückung eines alten pom- pejanischen Hauses. Vornehm- lich war es das Peristil des- selben, das je nach Neigung und Reichthum des Besitzers mit Werken der plastischen Kunst ausgeschmückt war. Zwischen den marmornen Säulen des Wandelganges und im Garten waren Figuren, Hermen und Büsten aus Stein und Bronze aufgestellt. Zumeist waren diese Bronze- figuren Theile eines grossen Wasserwerkes; darauf weisen schon Darstellungen, wie die des Faunes mit dem Schlauche, dem Wasser entströmt, der Kinder mit allerlei Geflügel, aus deren Schnabel ein Rohr hervorragt, hin. Es mag von der Säulenhalle aus ein ergötzlicher Anblick gewesen sein, dem Spiele der kühlenden Wasser zuzusehen, und prächtig mag im Scheine der italienischen Sonne der leuchtende Marmor der Säulen und Statuen , das Grün der Ziergewächse und die Gluth der bunten Blumen gewirkt haben.

Die Vorliebe für schmucke Höfe innerhalb des Hauses mit Garten und Blumen hat auch das späte Mittelalter, hauptsächlich dann die Renaissance und Barockzeit, übernommen. Auch die Neuzeit würde gut thun, anstatt mit langweiligen Monumenten, durch Anbringung solcher Anlagen von Brunnen und Statuen reizvolle Strassenbilder zu schaffen.

Ein anderer Zweig der plastischen Kunst, die Porträtbildnerei , erfuhr durch die Alten gleich grosse Pflege, indem sie Hermen mit dem Bildniss des Hausvaters im Atrium ihrer Häuser aufstellen Hessen. Eine beigegebene Abbildung zeigt eine solche Herme am Eingange eines Gemaches. Diese schöne Sitte verdiente erneuert zu werden; denn eine Büste, in Marmor oder Bronze ausgeführt, bildet eine dauernde Erinnerung und einen vornehmen Schmuck des Raumes. Unsere Zeit jedoch versteht sich nur schwer dazu; das beklagte schon Goethe seiner Zeit, indem er schrieb: Nicht weniger haben selbst wohlhabende, ja reiche Personen Bedenken, hundert bis zweihundert Dukaten an eine Marmor- büste zu wenden, da es doch das Unschätzbarste ist, was sie ihrer Nachkommenschaft überliefern können. Und wenn er in dem Aufsatze, «Vorschläge, den Künstlern Arbeit zu verschaffen«, den Punkt anführt, «Pflicht, die Bildhauerkunst zu erhalten, welches vorzüglich durch's Porträt geschehen kann«, so hat er damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Denn durch gute Porträts wird die Plastik auf die Höhe in ihrer Ausübung gebracht, und in den Zeiten, in welchen gute Porträts gebildet wurden, waren auch die anderen Leistungen dieser Kunst hervorragende.

Neben solchen Werken der hohen Kunst barg das pompejanlsche Haus auch sonst noch herrliche Schaustücke an Kleinplastiken, als Gefässe, Leuchter und Kandelaber. Alles, Möbel, Geräthe, Geschirre, Schmuck, das zum Gebrauche im täglichen Leben diente, veredelte die Kunst. Ein erhöhtes,

DIE KUNST UNSERER ZEIT

159

vornehmes Lebensofefühl kommt hierin zum Ausdruck. Welche Beschränkunof, selbst Nüchternheit, tritt in unserer täglichen Umgebung zu Tage. Gegenwärtig macht man Anleihen bei allen Kultur- nationen des Alterthums und der Neuzeit, um einen neuen Stil in's deutsche Haus zu bringen. Manchmal erwecken diese Gebilde wahre Stilbegriffsverwirrungen, eine Art paranoia aesthetica. Unter den vielen Erscheinungen, die diese Bewegung zu Tage fördert, tritt besonders eine hervor, in welcher das moderne Empfinden dem antiken sich wieder nähert, nämlich der Todtenkult: die Sitte, die Gräber der Abgeschiedenen mit aller Kunst zu schmücken. Vorläufig vollzieht sich dieses Streben, hierin die modernen Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, in imposanten architektonischen Entwürfen, die im unbegrenzten Räume der Gedanken ungehindert sich ausbreiten können, die aber in Wirklichkeit bei der Kostspieligkeit der Begräbnissstätten noch gute Weile zur Ausführung

haben werden. Um so mehr wird durch das Vorgehen der A rchitekten der Bild- hauer angeregt wer- den, seine schöpfer- ische Kraft einem Ge- biete zuzuwenden, auf dem seine Kunst so wie keine andere zu wirken im Stande ist. Eine hier bei- g-eo-ebene Abbildung: zeigt die Gräber- strasse des attischen Friedhofes vor dem Dipylon in Athen. Der Reichthum an

Ansicht aus einem pompejanischen Hause mit einer Porträt-Ker.ne

mannigfaltigen und originalen Formen einzelner Denkmale lässt den Mangel an künstlerischer Aus- gestaltung unserer Friedhöfe stark em- pfinden. In den bild- nerischen Darstell- ungen auf diesen Malen, es sind meist Scenen aus dem Leben darauf abge- bildet, zeigt sich wie- der das sinnige, dem Leben zugewandte künstlerische Em- pfinden derGriechen.

Es ist dagegen leicht zu bemerken, wie die chrisdiche Symbolik grosse Langweiligkeit auf unseren Friedhöfen verbreitet hat. Wir sehen dies an der geistlosen Art, in der immer wieder Symbole als Anker, Kreuz und Herzen, Inschriften, Bücher und Palmenzweige wiederkehren. Auch in den allegorischen P'iguren der trauernden, weinenden, verheissenden , tröstenden Genien und Kinder- gestalten offenbart sich ein so konventionelles Empfinden, dass es wirkliches Empfinden abstösst. Wie feinfühlig zeigt sich auch hierin der Grieche, der selbst in den einfachen Malen dieses schlicht und gross mit erhabener Würde gestaltet hat. Auch bieten sie in anderer Hinsicht starke Anregungen, sie zeigen nämlich, vrie man mit den anspruchlosesten Mitteln doch monumentale Wirkungen erzielen kann. Mit wenigen Formen, aber mit grossem Formgefühl ist der Steinblock

Gerade in dieser Einfachheit

22»

ZU einem architektonischen und bildnerischen Denkmale zugferichtet

O

160

DIE KUNST UNSERER ZEIT

liegt ein bestrickender Reiz und nicht zum wenigsten das Geheimniss der grossen Wirkung. Bei uns wird zumeist der Natur des Materials wenig nachgegeben, mit Zwang und Künstlichkeit der Stein gegliedert, wodurch er immer mehr der Würde seiner Bestimmung entrückt wird. Wir begegnen oft wahren Orgien von Geschmackslosigkeit, die das Protzenthum aufführen lässt und die die künstlerische Unfähigkeit nicht zu verdecken verstehen. Nach den vorhandenen Ansichten von Denkmalen des Alterthums muss man sich auch bei den Malen, die handwerksmässig wie unsere Grabsteine hergestellt wurden, den Geschmack des Publikums und der Künstler so geläutert und vollkommen denken, als man heut zu Tage überhaupt ahnt. Italien, das auf eine grosse Tradition sich stützen kann, hat in der künstlerischen Ausgestaltung seiner Friedhöfe manches Bedeutende aufzuweisen. In

tiräberstrasse vom attischen Friedhofe vor dem Tvsvlori in Athen

der That müsste so die moderne Plastik ohne die hemmenden Fesseln und beschränkten Bestimmungen, die sie in ihrer Entfaltung auf dem Gebiete der Monumentalbildnerei hemmen , in diesen Aufgaben auf die freie Höhe der Kunst erhoben werden. Damit würde auch den sonst trost- und brodlosen Idealplastikern neue Ziele und ein ergiebiges Arbeitsfeld eröffnet. Ihre Kunst fände im Anschluss an die Gestalten des wirklichen Lebens eine I-^ülle von Beziehungen und könnte wahrhaft idealisiren, ohne in der bisher so beliebten Weise sich an schematische Abstraktionen zu halten. In der Dar- stellung des Menschen, den Gehalt des Menschen, die menschlichen Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, wo könnten diese herrlicher, inniger zur Geltung gebracht werden, als in den Denk- malen der Erinnerung an das Leben.

Wenn wir uns jetzt auch wieder an die Antike anlehnen, so geschieht es doch mit einem

Ü

03

ß

CO

CS h

DIE KUNST UNSERER ZEIT

161

Rückhalt an unser eio^enes Empfinden, in der sachgemässen Erkenntniss und Nutzbarmachung der grossen plastischen Werthe, die in ihren Werken liegen. Das Studium der Antike hat in mancher Hinsicht gute I-'rüchte gezeitigt, aber ein lebensfähiges Geschlecht ist aus der Verbindung, die das deutsche Empfinden mit dem klassischen Geiste einging, noch nicht hervorgegangen. Die Darstellung des Menschen, als das vomehmste Objekt der antiken Kunst, ist in der klassizistischen Zeit rein formell nach antiken Schematas aufgefasst worden; nur Wenige versuchten den Gehalt des Menschen zu charakterisiren. Die Liebe zur blossen I'^orm, zu äusserlicher, wohlgefälliger Schönheit, in der man das klassische Ideal erblickte, überwog das strenge Streben, in vollkommener Weise wahr zu

sein, Form und Charakter über- einstimmend zu bilden. Man hielt sich an eine Uebersetzung der Natur, indem man sie durch die eriechische Brille anschaute, statt an die Natur selber. Geisttödtender Formalismus, unwahre Empfindung waren die Folgen.

Damals, da die deutschen Plastiker den ersten Einfluss dieser ewig jungen Kunst erfuhren, war es der Griechen -Geist, der sie daraus anwehte und dem sie willig sich selbst zum Opfer brachten. Der erste Priester, der ihm opferte, war der vom Geiste des Griechen- thums erfüllte Gelehrte Winkel- mann. Heutzutage wird er viel als Sündenbock für die Fehler seiner Nachahmer hingestellt. Der von poetischer Begeisterung Er- füllte übersah, dass nicht auf dem

(jrabmal vom attischen Friedhof

Wege der Anempfindung eines fremden Geistes, durch blosse Nachahmung seiner W^erke, unter Hintansetzung des eigenen Em- pfindens und der Tradition eine neue Kunst erblühen könne; er war nicht allein diesem Irrthume unterworfen, die besten Geister der Nation haben ihn darin be- stärkt.

Manche Rezepte, die Goethe den bildenden Künstlern ver- schrieben hat, sind nicht minder schädlich gewesen; wenn man über- haupt in Hinsicht auf die damalige, nur auf blosse «Dekoration» be- schränkte Kunst von einer Schä- digung deutscher Plastik sprechen kann? Dortmals wie heute leisteten uns die Kenntniss der antiken Werke, die Erfahrungen, die wir aus ihrem plastischen Stil ziehen

können, gute Dienste. Und diese Lehren in die That umzusetzen und sie somit erst eigentlich aus- zudrücken, war einem Manne beschieden, der ausschliesslich durch eigene Empfindung auf die sinnliche Schönheit der Form «das klassische Ideal» hingewiesen wurde. Bertel Thorwaldsen war damit berufen, den unmittelbarsten Ausdruck für das künsderische Streben seiner Zeit zu geben. Er lebte und schuf sozusagen zeitlos Bilder einer schönen Sinnenwelt, die seinen Zeitgenossen als Werke des Griecheneeistes erschienen. Sein Einfluss war unermesslich. Dafür ist der Eindruck, den Rauch und Rietschel, ersterer noch in reiferen Jahren, empfingen, bezeichnend. In einem Briefe Rauch's an Rietschel, wo von Thorwaldsen's Schaffen und von seinen W^erken in Rom die Rede ist, kommen

162

DIE KUNST UNSERER ZEIT

die Worte vor: «Aus dieser kurzen Andeutung werden Sie sehen, wie es um den Muth des Künstlers steht, der in diesem grossen, vielseitig erleuchteten Spiegel (nämlich Thorwaldsen), nur seine eigene Unzulänglichkeit vergleichend, sein Nichts erblickt.»

Die Antwort Rietschel's ist sowohl für Thorwaldsen's Charakteristik, als für Rietschel's Empfindung so bezeichnend, dass wir nicht unterlassen können, sie umständlich hier wiederzugeben; sie lautet: «Es mag wohl ein belehrender, Bewunderung erregender Genuss sein, in Thorwaldsen's Atelier herum zu wandern, und man mag nicht anders als mit hoher Verehrung für den Meister dasselbe verlassen. Doch wenn auch wie dieser mit spielender Leichtigkeit und jugendlicher Frische die schönsten, mannigfaltigsten Gestalten und Formen hervor zaubert, welche die Sinne ergreifen, die Augen entzücken, wenn er allerdings auf die höchste geistige Weise ganz Herr in diesem Gebiete herrscht, mögen aber doch auch andere sein, die, wenn auch vielleicht weniger mit dieser glänzenden Leichtigkeit begabt, wohl aber mit männlichem Ernst, gründlicher Tiefe und

beharrlichem Willen die höchste Meisterschaft erworben, welche viele Freuden des Lebens hingeben, um Werke zu schaffen, die mit den schönen Formen nicht bloss das Kennerauge ergötzen, sondern, was noch weit mehr ist, die vom Volke begriffen werden, es erheben, erfreuen, versittlichen, begeistern und nur dadurch erhält ein Kunstwerk die wahre Autorität! Diese, meine ich, mögen wohl würdig einem Talente wie Thorwaldsen zur Seite stehen, ja sie mögen fast ich behaupte es vom christlichen und sittlichen Standpunkte aus betrachtet, noch eine Stufe höher stehen. Möge meine Ansicht eine unzulängliche genannt werden, es schreckt mich nicht ab, ich behaupte dennoch, sie ist eine wahre.»

Dieses Bekenntniss enthält das ganze Programm Rietschels und bezeichnet einen Mangel in Thorwaldsen's Kunst, nämlich den Mangel an Vertiefung der Empfindung und eigenthümlichem Charakter überhaupt. Eine andere als die sinnliche Wahrnehmung, das Gefühl für Form lag in Thorwaldsen's Kunst nicht, aber gerade damit hat er auch das Wesentlichste für seine Zeit geschaffen, denn mit der Empfindung konnte er das Prinzip eines plastischen Stiles nicht so konsequent durchführen, als -er es mit eminentem , I'^ormensinn begabt, that. Man sieht in seinen Statuen, wie in dem Adonis in der Münchener Glyptothek, das Bestreben, nach Art der Antiken zu wirken, kein Glied zu individualisiren; so erscheint der Adonis als das Urbild eines schönen, weichen Jünglingskörpers, bei dem der Kopf auch nur ein schöner Theil des Ganzen ist. Die Köpfe seiner Idealstatuen weisen alle den Ausdruck schöner Theil- Crabmai vom attischen Friedhof nahmslosigkeit auf; sie erfüllen in vollstem Maasse, was die Wissen-

DIE KUNST UNSERER ZEIT

163

Schaft des Schönen jedem Kunstwerke zu Grunde gele<^t wissen will, ein angenehmes Gefühl zu erwecken. Ein Reflex dieser Kunst ist noch in jenem vagen Schönheitsideal wahrzunehmen, das in den handwerksmässigen Kunstwaaren Jedermann gefällig erscheint.

Es wäre dies im Sinne der künsderischen Bildung allerdings eine Errungenschaft. Thorwaldsen's

Grabmal vom attischen Friedhof

Rundbilder von Morgen und Nacht, in denen die plastische Strenge des Reliefs durch die Anmuth der Formen gemildert erscheint, sind Gemeingut aller Nationen geworden. Als ein Meister der Plastik hat er die Form mit I'ülle vorgetragen, aber eng begrenzt erscheint seine Kunst, sobald sie das Gebiet zeitloser, um nicht zu sagen charakterloser, Idealdarstellungen verlassen muss. Im Porträt

164

DIE KUNST UNSERER ZEIT

wie in den Denkmalen historischer Persönlichkeiten hat er wenig Gutes geleistet. Nicht einmal das Beste davon, die Reiterstatue Maximilians I. in München, mag uns darüber täuschen. Wir können davor nicht warm werden, es bleiben immer nur Schematas, aus denen nichts herauszulesen ist. Der Jubel und Enthusiasmus, der jede Gabe aus seiner Hand begleitete, ist uns Nachlebenden kaum mehr begreiflich. Als das Grabmal des Herzogs von Leuchtenberg in der Michaelskirche zu München aufgestellt werden sollte, legte König Ludwig I. auf die Anwesenheit des Kün.stlers einen solchen Werth , dass sein Nichterscheinen mit 8000 Gulden Abzug am Honorar geahndet werden sollte. Natürlich zog Thorwaldsen vor, selber zu erscheinen, die Reise von Rom nach München war darum lohnend genug. Wie ein Fürst wurde er empfangen und geehrt. Thorwaldsen's Leben war das eines glücklichen Künstlers, eine Schaar begeisterter Schüler umgab ihn und trug seinen Ruhm durch alle Lande, Könige ehrten ihn, überhäuft war er mit Aufträgen, als ein Glück empfand man es, Werke aus seiner Hand zu erlangen, und glücklich war auch sein Ende; bei einer Vor- stellung im k. Hoftheater in Kopenhagen ereilte ihn der Tod am 24. März 1844.

Wie immer der einze seinen Stempel aufprägt, wie es dagegen ist, mit einer anderen als der herr- schenden Ansicht hervor zu treten, das bringt uns Schadow's Lebensgang in's Bewusstsein. Er zeigt uns, wie ein Geist, der stark und original genug erscheint, wenn ihm erst aus der Enge beschränkter Verhältnisse heraus eine völlig neue und überwäl- tigende Anschauung zu Theil wird, sich gänzlich dieser überlässt und erst später wieder dazu kommt, sein Selbst zu begründen. Schadow, der sich in den Jahren 1785, 86 und 87 in Ita- lien aufhielt, berichtet

GOTTFRIED SCHADOW 1764— 1850

ne, überlegene Mann in jedem Fache menschlicher Thätigkeit seiner Zeit durch ihn angereiht ein Heer von Nachahmern entsteht und wie schwer

über die Eindrücke, die er dort empfangen, fol- gendermaassen : «Als ich in Florenz ankam und dort die kolossalen Werke von Michel Angelo und Giovanni di Bologna auf offenem Platze erblickte, überlief mich ein eiskalter Schauer. Dies war die erste und heftigste Er- schütterung , welche die Bewunderung über die Schönheiten der Kunst in mir erregte. Beim An- blick der vielen Antiken fühlte ich die Entfer- nung, in welcher ich da- von abstand, aber zu- gleich auch die reine Wollust, die mir der

i-IN.\W VI';., ■■:'. --',»,-,: \ I, n v\.t,. , ■,.,,:■ f: ^t-i'lTV'

I^J^i^S

^-m

Römisches Grabmal

ChrlNtltD Rsuoh soulp.

Pbot. y. HanhtMDgl, UaoeheD

Victoria

Qotirrled Sebado« loulp.

Phot. F. HurauenKl, UOnohM

Grabmal des jungen Grafen Alexander von der Mark

DIE KUNST UNSERER ZEIT

l(»5

Weg- dahin zu gelangen, darbieten müsse.» In der ersten Arbeit Schadow's, die er, aus Italien zurückgekehrt, übernahm, in dem Denkmal des jung verstorbenen Grafen von der Mark, mischen sich Züge solch' italienischen und antiken Einflusses mit der dem vorigen Jahrhundert eigenen Kunst- weise. Manches in der Anordnung verräth deutlich den Zeitgeschmack, der abgeklärt und gross durch eine bedeutendere Ansicht gehoben erscheint. Frei und selbständig hat er das klassische Motiv, die Parzen, darin verwertet, und nicht leicht wird uns in den Werken der Klassizisten eine lebhaftere Auffassung dieses Vorwurfes entgegentreten. In einem Vortrage, den er wahrscheinlich um 1792 nach seiner Reise gehalten hat, die er nach Stockholm und Petersburg unternahm, um die Herstellung grosser Bildwerke in Erz kennen zu lernen (ein Verfahren, das zu Schadow's Zeiten in Deutschland verloren gegangen war), äussert er unter Anderem auch seine Kunstansicht und Auffassung über solche Denkmale (es handelte sich um die Herstellung des Denkmals für PViedrich den Grossen) folgendermaassen: «Wenn Ehrfurcht und Bewunderung die Beweggründe sind, warum man ein Monument errichtet, wenn der Held selbst gross ist, so denkt sich ihn der Künstler auch gerade als ein simples Porträt. Es bedarf dann keiner fremden Hülle, um ihn gross und ehrwürdig scheinen zu machen, und das Gewand, welches er trug, mochte es sein wie es wollte, wird durch den Helden geheiligt.»

Bertel Tlior-jjaldsen: Aus dem Alexaiiderzuge

Schadow gibt dieser Anschauung in der Figur des General Zielen Ausdruck. Er stellt ihn als Feldherrn dar, der ruhig überlegend an einem Baumstamm lehnt; das Kostüm ist naturgetreu und gewissenhaft ist auf alle Einzelheiten der Uniform und Bewaffnung eingegangen, ohne in dem Maasse unruhig zu wirken wie die realistischen Darstellungen unserer Tage. Aber am Schönsten zeigt sich Schadow's grosszügiger Realismus, man wäre versucht zu sagen idealer Realismus, in den Reliefs, die Szenen aus dem Leben Zieten's darstellen. In den Rötheizeichnungen, die er wohl als Studium der plastischen Arbeit zu Grunde legte, überrascht vor Allem die malerische Art des Vortrages, die Kühnheit der Wiedergabe des individuellen Lebens von Ross, Reiter und Landschaft. In seinen Zeichnungen, er hat deren viele (theils als Skizzen zu seinen Werken, theils als selbständige Aus- führungen) angefertigt, offenbart sich mehr als in den plastischen Arbeiten das reiche Talent Schadow's. In der Art der Auffassung mancher Objekte, in der geläufigen malerischen Technik der Ausführung hängt er auf's Engste noch mit der Kunst des vorigen Jahrhunderts zusammen , deren Anschauung und Empfindung auch lebhaft in nebenstehendem Entwurf zu einem Denkmal Friedrich des Grossen

(1797 entstanden) zum Ausdruck gelangt. In auffallend grotesken Formen gehalten, veran-

u 23

166

DIE .KUNST UNSERER ZEIT

Gottfried Schadoiv: Studie zu einem Relief am Zictendenkmal (Rötheizeichnung)

schaulicht es deutlich den Geschmack jener Zeit an spektakulirenden Dekorationsstücken. In der stofflichen Behandlung erinnert auch die reizvolle Porträtgruppe der beiden lieb- reizenden Prinzessinen aus dem Hause Mecklen- burg (der späteren Königin Louise und ihrer Schwester) daran. Als eine der reifsten Arbeiten jener Zeit ist die aus dem Schlafe erwachende sogenannte «Nymphe Salamacis» anzusehen. Seine Absicht war, damit das Bild einer Wollust athmenden, schön gebildeten Sterblichen zu geben. Trotz allem Naturalis- mus der Darstellung des Körpers ist der Kopf idealisirt und antiken Vorbildern nachgebildet.

Dass er derartige Arbeiten als die dem Künstler förderlichsten auffasste, spricht er in der Bemerkung aus: «solche nicht bestellte, sondern aus innerem Behagen entsprungene Arbeiten sollten wohl immer den Umfang der Fähigkeiten eines Künstlers zeigen, jedoch müssen hierzu manche Begünstigungen kommen: ,, Gesundheit, nicht Broderwerb, ein gutes Modell und häusliches Glück".» Das ist die Kundgebung eines Künstlers, der nach freier Ausbildung strebte und seine Kräfte an dem Ideal aller plastischen Darstellung, am Nackten, messen wollte. Die Gelegenheit, dieses zu beobachten und darstellen zu können, ist freilich in einem so behosten und dazu prüden Zeitalter wie das unsrige imtner eine Seltenheit. Hören wir weiter, was er über Thorwaldsen bei der Gelejjenheit sajjt: «Durch die Natur verführt, wird man nicht, wie Thorwaldsen, in einer Imitation des Idealstils der Antike verbleiben, sondern seine Originalität darbieten.» Es war eine eigenthümliche Fügung, die gerade dem so eigenwilligen Schadow widerfuhr, der überall darauf bedacht war, in seinen Arbeiten seinen Charakter auszuprägen, ein Werk herzustellen, das Eigenart und Charakter ganz verleugnet. Auch Schadow verfiel in eine Art Imitation des Idealstils der Antike, und der ihn dazu verführte und hinleitete, war Goethe.

In jeder Phase der Entwicklung des Blücher-Denkmales für Rostock sehen wir vor dem übermächtigen Einfluss dieses souveränen Beherrschers der Geister Schadow's Ansichten zurück- weichen, überall zeigt sich gegen besseres Wissen das ängsdiche Bestreben, die diktirte dichterische Auffassung einzuhalten. So entstand der Fürst Blücher als Herakles, so steht der Marschall Vorwärts, mit der Löwenhaut und dem Chiton angethan, ausgestattet mit preussischem Feldherrnstab und Husaren- säbel in Mitten einer deutschen Stadt. Die idealen Neisfuno-en Schadow's im Verein mit Goethe'schen

o o

Kunstansichten haben ein Werk geschaffen , in dem die klassizistischen Forderungen konsequent gelöst erschienen. Uns erscheint heut zu Tage dieses Werk nicht anders, als eine Verirrung, bei der wir uns nur ungern des Meisters, des Zieten und des alten Dessauers erinnern mögen.

Wie manche bedeutende Künstler schon vor ihm, wandte auch Schadow sein Augenmerk

DIE KUNST UNSERER ZEIT

167

auf die Verhältnisse, die Proportionen des menschlichen Körpers, deren Kenntniss dem Schaffen des Künstlers so dienlich ist. Er hat darüber ein Werk, «Polyclet», verfasst, das im Jahre 1835 in Berlin erschienen ist. Bei den Einsichten des Künstlers und Erfahrungen, die darin niedergelegt sind, bei der gründlichen Bearbeitung, die sie erfahren haben, ist es zu verwundem, dass das Buch in Künstlerwerkstätten so selten ist. Mit Zuhilfnahme neuerer P'orschungen und des modernen Maasses müsste es auch heute jederzeit dienlich und brauchbar sein. Schadow hat sein ganzes Leben lang Materialien dazu gesammelt, und es umfasst alle Altersstufen mit besonderer Rücksicht auf das Wachsthum des Schädels und die Nationalphysiognomien. Dieser Theil dürfte bei dem jetzigen Stande der Anthropologie allerdings überholt sein. In diesen schriftlichen Werken, zumal in seinen Vorträgen und Kunstansichten, lernen wir in ihm einen scharfen Beobachter, einen klaren gesunden Verstand , sein künstlerisches Empfinden kennen , wobei auch interessante Streiflichter auf Kunst und Zeitgenossen fallen. Diese Schriften mit ihrer scharfen, schlagenden Charakteristik bilden einen werthvollen, kunstgeschichtlichen Bestand und einen Uebergang zu ganz modernen Kunstansichten.

CHRISTIAN DANIEL RAUCH 1777—1857

Aus dem eigenartigen, tief in der Tradition noch wurzelnden Schadow vermochte der Klassizismus sich keinen Träger zu bilden. Dazu brauchte es einer empfindsameren, weicheren Natur, deren Konsistenz geeignet war, diese Vorstellung aufzunehmen und der Stammeseigenart angemessen zu verarbeiten. Wir haben schon Eingangs bei Thorwaldsen darauf hingewiesen, mit welchem Enthusiasmus Rauch diesen verehrte, man kann sagen bis zur Selbstentäusserung. Denn der Meister hatte zu jener Zeit, als er den erwähnten römischen Brief an Rietschel schrieb, in dem er sich gegen Thorwaldsen verkleinerte, schon in den Statuen der Feldherrn aus dem Befreiungskriege das Reifste und Eigenthümlichste geschaffen, was im Sinne klassizistischer Monumentalbildnerei damals hervorge- bracht wurde. Der Bildungsgang dieses Künstlers ist für die Elastizität und die Zähigkeit im Ausbilden künstlerischer Fähigkeiten ganz besonders bemerkens- werth. Früh in einer Bildhauerwerkstätte sich selbst überlassen, in der nach Art des vorigen Jahrhunderts handwerksmässig gearbeitet wurde, wurde er aus Familienrücksichten Kammerdiener, eine Periode und ein Stand, der manchen modernen Kunstschriftstellern zu taktlosen Aeusserungen Anlass gab. Während dieser Zeit benützte Rauch seine Musestunden eifrig zu seiner künstlerischen, wie allgemeinen Ausbildung; wir wissen, dass er dortmals die Propyläen hielt und las. Er hat also schon im Anfang seines künsderischen

Gottfried Schadow: Entwurf zu einem Denkmal Friedrich des Grossen

23*

16S

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Strebens mit den Kunstansichten Goethe's sympathisirt. Geschadet hat ihm das nicht, seine künstlerischen Sinne wuchsen und gediehen vortrefflich bei der Nahrung mit klassischer Milch. Man vergleiche nur, wie er später in dichterisch allegorischer Weise die Reliefbilder am Scharnhorst- und Bülow-Denkmal ausgestaltet hat. Nach Vollendung seines ersten Werkes, der Grabstatue der Königin Louise in Charlotten- burg, in dem wir zwar heute nicht mehr das bedeutende Kunstwerk zu erkennen vermögen, als das es

den Zeitgenossen erschien, war seine künstlerische Zu- kunft entschieden und ge- sichert. Er wurde nach Berlin gerufen und bei seinen ohne- hin guten, durch das mit Bei- fall aufgenommene Werk be- stärkten Beziehungen zum Hofe gewann er bald für die Entwicklung der Kunst in Berlin die orrossartig^e Be- deutung, in der er uns als der Begründer der nord- deutschen Plastikerschule er- scheint, einer Schule, deren Fundamente so breit und sicher angelegt sind, dass ein stattlicher Bau, der noch nicht abgeschlossen ist, sich darauf begründen konnte. An Auf- trägen mangelte es damals nicht. Die Kriegszeiten waren vorüber und damit auch die den Künsten des Friedens feindliche Gewalten gebannt. Die grossen Heerführer jener Zeit sollten verherrlicht, ihr Geist und Bild der Nachwelt

Goiifr. Schado

Standbild des General Ziethen

erhalten werden. Es begann für Rauch eine äusserst frucht- bare Periode des Schaffens mit der Ausführung dieser Denkmäler. Bestrebt, vor Allem den Geist, den sinnen- den , Thaten vollbringenden, den energischen preussischen Soldatengeist in Scharnhorst, Bülow, Gneisenau, York und Blücher zum Ausdruck zu bringen, schuf er das äussere Bild von innen heraus; und wenn er dem Drange, der Intuition nachgebend, den Ge- stalten einen Pathos und patriotischen Schwung leiht, der vielleicht manchem dieser Männer im wirklichen nüch- ternen Leben fem gelegen ist, so sucht er damit dem gei- stigen Bild jener Helden einer bewegten Zeit gerecht zu werden. In der Darstellung huldigt er mit Takt einem verfeinerten Realismus, der überall die tieferen Absichten des Künstlers hervorhebt. Mit

diesen Statuen hat er einen Denkmaltypus für unsere monumentale Bildnerei geschaffen, der als giltiger Canon selbst für unsere Zeit noch wirksam besteht. Als eine Weiterbildung darüber hinaus sind die zahlreichen modernen Denkmäler nicht zu betrachten, sie lehnen sich in ihrer Konception vollständig an diese Vorbilder an, und ihr oft ungeläuterter, durch keine künstlerisch tiefere Empfindung beseelter Realismus ist nur von schlechterer plastischer Wirkung als Rauch's klassischer. Ein ganz

DIE KUNST UNSERER ZEIT

169

vorzügliches Stilgefühl entwickelte Rauch im Zusammengehen von Figur und Sockel. Indem er diesen bildnerisch gestaltete, die Erzflächen vielfach belebte, findet er nicht nur äusserlich den rechten Uebergang zu den architektonischen F'ormen, sondern setzt auch diese Formen zu den Dargestellten in lebendige Beziehungen. Man hat nicht Unrecht, ihn mit Thorwaldsen als einen Meister des Reliefs zu verehren.

Bei der Herstellung so vieler Erzdenkmale machte sich nun ein Uebelstand bemerkbar, der die deutschen Bildner der klassischen Periode oft und schwer geschädigt hat, der Mangel an tüchtigen, kenntnissvollen Erzgiessern. Schon mit der Ausführung des Max Joseph -Denkmales für München begann für Rauch eine Reihe ununterbrochener Sorgen, Aergernisse und Qualen, die ihm oft alle Freude beim Anblick der arg zerschundenen und misshandelten Arbeit nahmen. Er wandte all' seinen Einfluss auf, bessere Erzgiesser heran zu ziehen. Auf seine Veranlassung entstanden

die königliche Erzgiesserei und die Ciseleurschule in Berlin. Auch des bekannten Erzgiessers Stigl- mayer, der durch Rauch haupt- sächlich zur Weiterbildung und Vervollkommnung dieser Technik veranlasst wurde und unter dessen Nefifen Miller die Münchener Erz- giesserei grossen Aufschwung ge- nommen hat, ist hier zu gedenken. Rauch's Biograph, Egger, der in fünf Bänden erschöpflich und ausführlich Rauch's Persönlich- keit und Lebenswerk behandelte, dessen Darstellungen im letzten polemischen Theil leider nicht

Christ. Rauch: Max Joseph-Denkmal

leidenschaftslos gegenüber der modernen Kunst geblieben sind, dem wir viele vorzügliche An- regungen verdanken, sagt am Schlüsse seiner Ausführung-en über diese Bemühungen des Meisters: «Die Geschichte des Erzgusses in Deutschland bleibt dauernd mit seinem Namen ver- bunden.»

Es dürfte bekannt sein, dass im Auftrage König Ludwig's I. von Bayern Leo von Klenze sich öfters bemühte, Rauch, dieses glanzvolle Gestirn am damaligen Kunsthimmel Deutschlands , für

München Zugewinnen. Aber Rauch war für den goldigen Käfig nicht zu haben; ausserdem war er Preusse und seine Werkstatt in Berlin seine Heimat. Schwer entschloss sich König Ludwigf auf die Bedingung im Vertrage wegen Rauch's Lieferungen von Statuen in die Walhalla, auf die für ihn härteste, einzugehen, die ausdrückte, dass Rauch diese Arbeiten auch in Berlin anfertigen könne. Die Munificenz des grossen Mäcenaten hat aber damit Rauch's reifste und schönste Schöpfungen auf dem Gebiete der Idealplastik die Viktorien, ermöglicht. Diese Siegesgöttinnen, die antiken Niken, welche er auf Münzen eifrig und nicht ohne Nutzen studirt hat, sind in allen Phasen der Empfindungen, des Erwartens, des Begrüssens, des Entgegeneilens , der Bekrönung des Kämpfers und der nach- denkenden Ruhe des opfervollen Sieges, dargestellt. Wohl ist in diesen Gestalten eine Eleganz der Form, eine Freiheit und Anmuth in der Bewegung entfaltet, wie wir sie meist nur in den Werken unserer westlichen Nachbarn zu sehen gewohnt sind, aber vor Allem ist darin auch eine Feinheit der

170 DIE KUNST UNSERER ZEIT

Empfindung, ein Formenadel, der sie uns als die reifste Frucht des Klassizismus erscheinen lassen, wahlverwandt mit den klassischen Schöpfungen Goethe's. Wie sehr er übrigens, der Künstler, nach dem Herzen Goethe's war, zeigt uns der ebenfalls sorgfältig und übersichtlich zusammengestellte Briefwechsel von Egger Rauch und Goethe. In einer kleinen Statuette «Goethe im Hausrock» besitzen wir von der Hand Rauch's eines der kostbarsten Goethebildnisse. Ein eigenthümliches Geschick waltete aber über allen seinen Projekten zur Ausführung einer monumentalen Statue; wir haben von seiner Hand kein Denkmal des Dichters, an dem er mit so viel Liebe und Verehrung hing. - In klassischem Sinne hat Rauch die zahlreichen Grabdenkmale, die er zu allen Zeiten seines Schaffens ausführte, gestaltet. Als eine interessante Reminiscenz an die Denkmale vom attischen Friedhofe, vor dem Dipylon in Athen, könnte man das Grabmal der Gräfin Itzenplitz auffassen und das Relief vom Grabmal Niebuhr in Bonn.

Ganz besonders aber sei auf die Grabstatue Friedrich Wilhelm's III. in Charlottenburg hingewiesen, die sowohl in der Auffassung wie Ausführung einen bedeutenden Fortschritt gegenüber der Luisenstatue bezeichnet. Das ist überhaupt ein Merkwürdiges in Rauch's Bildung, wie er immer aufwärts steigt, immer fertiger wird, um zuletzt als Greis mit der kraftvollsten That, dem Friedrich- Monument, seine Lebensarbeit zu krönen. Und noch darüber hinaus in seinem Kant ein immer junges Werk zu schaffen, ein Werk, dessen geistvoller Realismus das Ziel der nächsten Generationen bildet.

Die Aufstellung eines Denkmales für Friedrich den Grossen bildet im Programm zweier preussischer Könige ein ständiges Projekt, bis es unter der Regierung Friedrich Wilhelm's IV. zur Ausführung gelangte. Schon Schadow's Lehrmeister, Tassaert, machte einen Entwurf im Auftrage der Armee. Als Friedrich der Grosse davon erfuhr, war seine Ansicht: «Dass es eine schickliche Sitte sei, nicht während des Lebens, sondern nach dem Tode, dem Feldherrn ein Denkmal zu errichten.» Unter Friedrich II. wurde die Angelegenheit wieder aufgegriffen; der König wollte das Denkmal seines grossen Ahnherrn »auf seine Kosten ausgeführt wissen» und Schadow die Angelegenheit überlassen. Der machte im Auftrag der Regierung zum Studium des Erzgusses die schon erwähnte Reise nach Stockholm und Petersburg, eine zweite nach Paris musste wegen der dort ausgebrochenen Unruhen unterbleiben. Dann kam wieder eine Stockung in die Sache; mittlerweile starb Friedrich IL, und erst unter Friedrich Wilhelm III. nahm man das Projekt mit Eifer wieder auf, bis sich, wie Schadow erzählt, «Begebenheiten erreigneten, wo Kunstgegenstände Nebendinge wurden», die Freiheitskriege begannen. Im Jahre 1830 erhielt dann der Architekt Schinkel den Auftrag, einen Entwurf für das Friedrichsdenkmal einzureichen und an Rauch die Weisung ergehen zu lassen, Skizzen dafür anzufertigen. Bis 1839 war die Wahl des Königs noch nicht erfolgt, endlich fand ein Projekt seine Genehmigung, und am 8. Dezember 1839 bekam Rauch den definitiven Auftrag zur Ausführung, gewiss eine lange Vorgeschichte. Von da ab beginnt für den 62jährigen eine Zeit voll Anstrengung und Arbeit, reich an Prüfungen und Mühseligkeiten aber auch an Erhebung und freudigem Bewusstsein. In seinem Briefwechsel mit Riet seh el spiegeln sich diese wechselnden Stimmungen. «Wie dem Geschäftsreisenden schreibt er an Rietschel am 23. Januar 1850 gerade die letzte Meile ihm das Ziel als unerreichbar vor die Seele bringt, so ist mir zu Muthe.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

171

Ich zähle die Stunden, arbeite auch. Aber das Nichterreichte jedes Abends macht mir unghickliche Nächte.» ....

Aber er hat das Ziel erreicht. Am iii. Jahrestage der Thronbesteigung Friedrich des Grossen, am 31. Mai 1851 wurde das Denkmal enthüllt. «Ein Glanzpunkt wie Alexander Humboldt dem Künstler schreibt in dieser elenden, schlaffen, sumpfartigen, frivolen, charakterlosen Zeit, das Ihren Namen unsterb- lich macht.» Es haben in neuerer Zeit Rauch's Werke von Seiten mancher modernen Kunst- schriftsteller manche ungerechte Beurtheilung erfahren. Doch wohl nur der oberflächliche Beobachter wird sich den das Streben Rauch's verwerfenden Urtheilen anschliessen können. Im Sinne des Klassizismus hat er die Plastik auf die Höhe monumentaler Anschauung er- hoben. Erfüllt von dem klassizistischen Ideal «der Antike» vermochte er in der monu- mentalen Darstellung des modernen Menschen sich nicht davon zu emanzipiren. Gründlich verachtete er Hut, Rock und Stiefel als nicht zu solchen Darstellungen würdige Objekte. Für die plastische Auffassung der Persönlich- keit, wie sie im Leben geht und steht, hatte er Empfindung, aber er war nicht unbefangen genug, diese durchzudrücken. Wenn es Rauch gelang, für seine Empfindungen bündige For- meln zu schaffen, seine Kunst in ein gewisses Verhältniss, allerdings kühler Abstraktion, zur Natur zu bringen, so verloren sich seine Nach- ahmer gar bald in einen todten Formalismus.

Christian Rauch: Goethe im Hausrock

ERNST RIETSCHEL 1804— 186 1

Grosse Hoffnungen setzte Rauch auf den begabten, selbständigen Rietschel. Jung, unver- dorben, weich und bildungsfähig kam dieses Talent in seine Hände. Er hoffte in ihm eine der stärksten Säulen seiner künstlerischen Tradition heranzubilden. Das Experiment gelang nicht vollständig

172

DIE KUNST UNSERER ZEIT

in Rietschel's Natur sass tief ein spezifisch deutsches Element, das gemüthvolle Empfinden, dass sich in den klassizistischen Formeln nur schwerfällig bewegen lernte.

Bedeutsam im Sinne moderner Empfindung und Kunstanschauung »ind seine schüchternen Versuche, vor Allem im Porträt eine intimere Naturanschauung und Auffassung anzustreben. Bei all' dem gelangt doch Rietschel in seinen Hauptwerken, Lessing und Luther, über Rauch hinaus, wohl zu grrösserer künstlerischer Freiheit der Anordnuno- aber nicht vollends zu freier Entwicklung seiner ganzen Individualität. Wenn nicht gerade die gewisse Beschränkung, die in seinen Werken zu Tage

tritt, auch auf das Engste mit seiner künstlerischen Entwick- lung zusammenhängt. Das Leben eines bedeutenden Künstlers ist ein Stück Kunst- geschichte. In Rietschel's Kunst ist ein religiöser Zug, nicht im Sinne der modernen Auffassung, sondern in der Weise des romantischen Glau- bens- und Kunstideals. Daher seine Neigung zu biblischen und christlichen Motiven. Das hat er von den Nazarenern, die auf diesen Hang seines Gemüthes von demselben Ein- fluss waren, wie auf j^udwig Richter. Er hat überhaupt mit diesem Manches ge- mein. Beide entsprossen dem gleichen Boden, haben etwas Verwandtes in der Erziehung, den harten Erfahrungen der Jugendjahre, in Beiden auch

Chrisiian liaucli: Standbild des Philosophen Im. Kant

der Zug tiefer Religiosität, ein gewisses Zusammenziehen und Beschränken auf Ver- innerlichung. Bei Richter die göttliche Mitgift eines wunder- baren kindlichen Humors, der über seine Schöpfungen eine warme, behagliche Stimmung breitet, und dessen Ernst in sinniger Zartheit zum Aus- druck kam. Rietschel, in mancher Hinsicht ähnlich ver- anlagt, wählte die Bildnerei zum Lebenslauf, die damals noch keineswegs sich in Bahnen bewegte, die dem deutschen Empfinden ähnlichen Ausdruck zu verleihen im Stande waren. Rietschel's Empfinden erfuhr darum auch zu allererst eine fast krampfhafte Umstülpung nach der klassischen Mode. Man weiss aus seinen Jugend- erinnerungen, dass ihm an-

fänglich bei Rauch in Berlin gar nicht wohl war. Dass er viel besser nach der Natur und seiner eigenen Eingebung zeichnete, als nach klassischem Muster modellirte. Auch dass er die Antike nicht so hoch schätzte, als sein Meister, dessen Bestreben war, durch diese Brille die Natur ansehen zu lernen. Rietschel musste entschieden erst einen langjährigen, oft gewaltsamen Umwandlungsprozess durch- machen, ehe er der formenstrenge Plastiker wurde, als den wir ihn in seinen späteren Werken kennen, und als welcher er den Stolz und die Hoffnung Rauch's erweckte, in ihm den Wahrer und Mehrer seiner Schule, den stärksten Träger ihrer Tradition zu sehen.

N (fl

O O OS

CQ S

(D TJ (0

Rrnst RIeisOhel ■oulp.

Phot. r. HanfsuMgl, UaDObeo

Goethe- und Schiller-Denkmal in "Weimar

DIE KUNST UNSERER ZEIT

173

In der That ist die Freundschaft, Fürsorge und Anhänglichkeit, die er Rietschel jeder Zeit bezeugte, ausserordentlich. Rauch scheint an dem consequenten, richtig und tief empfindenden Rietschel eine starke Stütze und Anregung gehabt zu haben. Die öftere Verschiedenartigkeit ihrer künstlerischen Ansichten that dem guten Verhältnisse im Einvernehmen keinen Abbruch. Als Rietschel's erste bildnerische That wird das Standbild des Lessing in Braunschweig bezeichnet. «Ich will ihn ohne Mantel machen. Lessing suchte im Leben nie etwas zu bemänteln», mit diesen Worten ging Rietschel daran, ein unumgängliches Garderobestück der Rauch'schen Monumentalbildnerei abzuthun. Aesthetiker

haben in dem Streite für und ' wider viele Federn stumpf ge- schrieben. Heutzutage sehen wir an vielen Standbildern, dass man ganz gute Wirkungen mit und ohne Mantel erzielt hat. Auch die Lessingstatue von Rietschel kann man sich nimmer anders denken. Im Gegen- theil ist gerade das Kostüm, das er trägt, statuarisch sehr dank- bar und von bester Wirkung. In der Büste wie im Standbilde hat Rietschel des Mannes Geist glücklich ausge- prägt. Sein Lessing und R a u c h ' s Kant

M. Hietsc.hel: Lessingstatue

sind Leistungen , in denen einem mass- vollen Realismus die Wege gewiesen sind. In einer anderen Aufgabe , die beide grosse Bildner beschäf- tigte, bei der Rauch zur Anwendung des Zeitkostümes sich nicht entschliessen konnte, wiewohl er es des öfteren glücklich beim Friedrichsdenkmal und so prächtig bei seiner Kant -Statue angewen- det hat, ist Rietschel erfolgfreich mit seinem Prinzip durchgedrun- gen. Dieser Goethe und vor Allem Schiller, nach Rietschel's Auf- fassung , wird Einem

unter den zahlreichen Statuen der beiden Dichter immer sympathisch erscheinen. Beim ersten Anblick des Doppeldenkmales werden wir uns sofort der Gegensätze in der äusseren und inneren Erscheinung der Beiden bewusst. Die geistige Majestät Goethe's in der imponirenden, würdevollen Haltung des Welt- und Hofmannes, in der schon ein Stück Geheimrath im ganzen Aeusseren zur Geltung kommt, und daneben die schlichte bürgerliche Erscheinung Schiller's in einem Moment, in dem die Kraft künstlerischer Intuition, die ihm die Brust weitet und hebt, kommt hier plastisch zum Ausdruck. Auch der ominöse Westenknopf fehlt nicht, der schon manchen ästhetischen

Polemiker beschäftigte.

II 24

174

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Eine Schöpfung, in welcher der ganze RIetschel mit all' seiner Empfindung zum Durchbruch kam, ist auch seine letzte - die Bekrönung seines Lebenswerkes gewesen! Das Lutherdenkmal in Worms. Ein Werk, das man an den Anfang seines Schaffens gestellt sehen möchte, wenn man bedenkt, was bei Rietschel's Neigung zu wahr- haftiger Charakterisirung für die Entwicklung deutscher Plastik hätte folgen müssen. Dass er sich nicht über Hals und Kopf in einen radikalen Naturalismus, der oft noch cha- rakterloser als die klassizistischen Schemen wirkt, hineingestürzt hätte, ist dieser Arbeiten nach anzunehmen. Das Wormser Denkmal fasst die Reformation in all' ihren geistigen Trägern und wehrhaften Stützen zusammen. Gleichsam eine Symphonie in Erz und Steinen gedichtet, deren Grundmodus monu- mental in dem gewaltigen Träger des Refor- mationsgedankens, in der Gestalt des Luther, zum Ausdruck gelangt, der dasteht fest und unerschütterlich, die Faust auf der Bibel, als

der Mann der Ueberzeugung und der That. Von Rietschel selber rührt nur noch die Hauptfigur

her; als sie im Gipsguss vollendet war, konnte man ihr zu Füssen den todten Meister aufbahren.

Seine Schüler haben das Werk, in das Rietschel seine ganze Kraft zu setzen gewillt war, vollends

ausgebaut.

B. Rietschel: Das Standbild Luthers

ERNST JULIUS HÄHNEL 1811— 1891.

, •• Man könnte der Dresdener Schule ganz gut ein Janusgesicht zudenken, in dem die eine Seite Rietschel's, die andere Hähnel's Typus aufweist. In der That ist von vornherein eine gründliche Verschiedenheit beider Kunstcharaktere wahrzunehmen. In Hähnel's erster grosser Arbeit kommt das gleich zum Ausdruck. Für die Attika des Dresdener Hoftheaters schuf er einen Bacchuszug, eine Folge von Scenen, in denen alle Grade bacchischer Lust und Trunkenheit nicht mit ursprünglich genialer Gewalt (gleich Ruben'scher Naturanschauung), sondern in wohlkomponirten Reliefdarstell- ungen, in dekorativ wirksamen, rhythmisch bewegten Gruppen dargestellt sind. Oft liegt eine malerische Unruhe in der Häufung der Körper und in den Licht- und Schattenwirkungen, die dadurch hervor- gerufen werden; hingegen erreichen wieder andere Partien des umfangreichen Werkes die vornehme

DIE KUNST UNSERER ZEIT

175

plastische Wirkung des antiken Reliefstils. Man fühlt förmlich das Anwachsen, Ausbreiten und völlige Hineinleben des Künstlers in eine Aufgabe, die seinem Empfinden wohl am nächsten stand, und an der er am unmittelbarsten Theil genommen zu haben scheint. Pur die charakteristische Darstellung bedeutender Persönlichkeiten, wie Michel Angelo in den biblischen Gestalten am Museum in Dresden, fehlt es ihm an Tiefe der Auffassung, an Durchdringung der geistigen Individualität. Nicht selten kokettirt er mit einem Anschein von Ernst und verfällt dabei in Affektion und leere Pose. Am Besten gelangen ihm Darstellungen von andken Mythen und .Stoffe, bei denen er mit seiner lebhaft sinnlichen Phantasie sich ganz der bildnerischen Freude an der körperlichen Erscheinung und dem Spiele der Linien hingeben konnte. So hat er, trotzdem er zahlreiche Schüler und Nachahmer gefunden hat , einen Ausdruck , einen Stil , in dem er seine eigenen Empfindungen charakteristisch ausgesprochen hätte, nicht geschaffen, in ihm zeigt sich deutlich die Misere der deutschen Plastik, die sich an die Stoff- und Formenwelt aller grossen Kunstepochen anlehnt und doch selten etwas Grosses, Eigenes schafft. Auch Hähnel erweist sich, ohne tiefere Eigenart, gewandt darin, Motive des christlich romantischen und des klassischen Kunstideals in einem gefälligen, sinnlichen und darum so allgemein verständlichen Schönheitsideal vorzutragen.

Rietschel und Rauch standen in engem Verhältniss zu ihren Schülern und übten hauptsächlich durch ihre Thätigkeit in der Werkstätte einen grossen und nachhaltigen Einfluss aus; sie erinnern hierin an die Meister des Mittelalters. Die guten Folgen für die künstlerische Bildung sind unverkennbar. Handwerkliche Geschicklichkeit und künsderische Tradition bleibt so erhalten. Mehr wie durch akademischen Unterricht entwickelt sich ein inniges Verhältniss zwischen Meister und Schüler in der Werkstätte. Die unmittelbare Theilnahme an dessen Schaffen, die Uebernahme eines Theils der Verantwortung für das Gelintjen eines g-rossen Ganzen, die künstlerische Freude, einen Theil seines Selbst in dieser Arbeit nieder- gelegt zu haben, erweckt und fördert von Anfang an all' die Erfahrungen , Kenntnisse und Geschicklichkeiten , die die Ausführung eines plastischen Kunstwerkes bedingen und die in der Schule nie erworben werden können. Dem Plastiker thut Praxis noth. Man kann dagegen einwenden, Talent sei die Hauptsache und wer künstlerische Em- pfindung besässe, wird dieselbe unter allen Umständen durchdrücken, die Technik erlernen und sich ihrer nach der Art seiner Empfindung bedienen. Wer aber weiss, dass die Bildhauerei eine Kunst ist, die gerade wegen der handwerklichen Vorbereitungen, wie Rauch sagte, mit Aerger anfängt und mit Verdruss aufhört, dem sei wohl- gerathen, wenn er, eh' er sich ihrer bedient, vorher die noth- wendigen Handfertigkeiten und Sinn für den praktischen

E. Rietschel: Büste

lli..

is Rauch

24*

176

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Theil in einer Werkstätte erwirbt. Mancher Aufwand von Kraft und Geduld ist erforderlich, ehe der Plastiker zur Ausführung eines Werkes schreiten kann. Hat er sich zur Auffassung eines Gegen- standes durchgerungen, so baut er gewöhnlich nach einer kleinen Skizze desselben das Objekt in beabsichtigter Grösse in nasser Erde auf, ein Material, das wegen der Eisengerüste, die zum Tragen der Thonmassen erforderlich sind, nicht erhalten werden kann. Es muss darum die Arbeit in Gips umgeformt werden, und in diesem zerbrechlichen Material, das zudem die Seele des Kunstwerkes todt und stumpf erscheinen lässt, bleibt es zumeist, wegen der Kostspieligkeit der Ausführung grösserer plastischer Werke in Stein und Bronze. In unserer Zeit, wem nicht gerade ein monumentaler Auftrag zufällt, müsste eigentlich die erste Sorge des unbegüterten Künstlers sein, für die Ausführung

-£. Hähnel: Aus dem Bacchuszuge

seiner Modelle einen Gönner zu suchen; im gewöhnlichen Falle beginnt er seine Arbeit mit der Aussichtslosigkeit des Idealisten, der strebend hofft und hoffend strebt. Trotzdem produziren die Akademien fortwährend junge Künstler, ja unterstützen vielfach die pure Talentlosigkeit und schicken sie anspruchsvoll in's Leben hinaus. Was bietet ihnen dieses? Zwar will das Glück Manchem wohl, während es den Meisten bei dem durch die Schule verschuldeten Mangel an praktischer Geschicklichkeit kaum das bescheidenste Auskommen gewährt. Die auffallende Erscheinung, dass für die Ausführung künstlerischer Arbeiten in Stein, Holz und Bronze tüchtige Kräfte selten sind, wird wohl auch mit dieser akademischen Erziehung zusammenhängen. Schon zu Schadow 's Zeiten war den einheimischen Bildhauern die Kunst, den Stein zu formen, abhanden gekommen. Rauch musste im Anfange seiner Thätigkeit geeignete Leute hiefür aus Italien mitbringen, wie auch heute noch zumeist Italiener als

^^

J.ilia. SüliÜliiit; .^culi).

n...i. K. H.iiWsUuii^l, Miui.l,

Der Morg en

It. Sicniering «ciiTp,

G 1-' r M 1

m n I in Le i i)z i ri

DIE KUNST UNSERER ZEIT

177

am unterrichtetsten in diesem Fache gelten. Auch dem Kunsthandwerk gehen so viele Kräfte verloren. Die soziale Stellung solcher, die sich zur freien Entfaltung ihrer Kräfte nicht durchzuringen vermochten, ist meist eine unglückliche. Der eben erwähnte Schadow war als Akademiedirektor bekannt wegen der strengen Wahl in der Aufnahme von Schülern; für gegenwärtige Verhältnisse wäre eine solche wieder von Vortheil für das Ansehen dieser Kunst.

Neben Persönlichkeiten von allgemeiner und hoher künstlerischer Bildung fehlt es unter den Vertretern der Plastik nicht an Erscheinungen von ärmlicher Beschränktheit und Ignoranz allen anderen Gebieten geistigen Lebens gegenüber. Rohheit der künstlerischen Empfindung gilt vielfach als künstlerische Freiheit. Wirklich bedeutende, selbständige Erscheinungen sind selten, tiefere Bedeutung, seelischen Ausdruck weisen nur wenige Werke auf. Der Tross der Nachahmer erfüllt zumeist mit

E, Häknel: Leukothea lehrt dem kleinen Bacchus das Tanzen

ihrer Waare die plastische Abtheilung der Kunstausstellungen, ihnen das sattsam bekannte Gepräge

verleihend. Diese Erscheinungen haben es zumeist zu Wege gebracht, dass man der plastischen

Kunst von heute so wenig Achtung entgegenbringt.

Alt und Jung, Gross und Klein,

Grässliches Gelichter:

Niemand will ein Schuster sein,

Jedermann ein Dichter.

(Goethe)

Die unvergleichlichen Meisterwerke der Antike haben auf die Plastiker der klassizistischen Periode einen unerhörten Einfluss ausgeübt. Sie begannen mit der mechanischen Nachahmung der antiken Formen ohne nach der Ursache und den Bedingungen dieser Ausdrucksweise zu forschen und selbe in sachlicher Weise sich zurechtzulegen. Nicht weniger als die Form trug der gegen- ständliche Inhalt des Kunstwerkes und seine allgemeine Bedeutung, die es durch ihn für die klassisch

178

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Gebildeten erhielt, dazu bei, diese Bewegung zu einer so umgestaltenden zu machen. Gewiss verschuldete diese Auffassung auch, dass der Plastik ihre natürlichen allgemeinen Aufgaben, nämlich als eine monumentale Raumkunst zu wirken, aus dem Gesichtskreis schwand und man sie immer mehr in einsamen Rundbildern von abstrakter Idealität verlor. Die Antike wurde in dieser Hinsicht ganz missverstanden, indem man gerade ihre Bezugnahme auf das Allgemeine verkannte, ihre Ausdrucks- weise nicht als eine harmonische Kunstanschauung von tieferer Bedeutung ansah; denn die Antike wollte doch nichts als eine künstlerische Auffassung der Natur mit den einfachsten Mitteln wieder- geben. Die Klassizisten aber sahen in dieser Darstellung unkünstlerischer Weise nur Mittel zu dem Zweck , klassischen Motiven Ausdruck zu verleihen ; dass die Form Selbstzweck sei und als solche an sich Vorstellungen erwecke, das wurde nur Wenigen aus Anschauung der antiken Werke klar. Erst in unseren Tagen hat Hildebrand wieder ausgesprochen: mit der Form als Selbstzweck sei eine Einheit für die künstlerische Darstellung gegeben , in welcher auch das persönliche Empfinden ausmünden und so Allgemeingut werden kann; diese Bedeutung der antiken Kunst kam den Klassizisten nur unklar zum Bewusstsein.

Doch strebte in jener Zeit Rauch im Sinne des antiken Ideals die Verallgemeinerung indivi- dueller Züge in's Grosse an; er neigte daher weniger der beob- achtenden, empfindsamen Seite seiner Kunst zu als der nach schöpferischer Gestaltung strebenden, in der das persönliche Empfinden in monumentalen Formen aufgeht.

Weniger gross angelegte Talente, die als Nachfolger ängstlich beflissen waren, in des Meisters Fusstapfen zu gehen, ohne sein Schrittmass einhalten zu können, seine künstlerischen Ideen zu durchdringen und sie neuen Zielen zuzuführen, verfielen darum bald in geistioser Nachahmung einem schematischen Formalismus. Besonders übel zeigt sich das in den Porträts jener Zeit, die wie todtgeboren erscheinen, und denen wir nicht das geringste Inter- esse mehr abzugewinnen vermögen. Man wendet sich als Künsder nicht ungestraft von der Natur ab. Diese vornehmste Seite der modernen plastischen Kunst wieder zu neuem Leben zu erwecken und darin sich wieder der Tradition anzuschliessen, war späteren Künstlern vorbehalten, die allerdings dann auch durch eine mate- riell stoffliche, sogenannte «malerische» Behandlung unreine Ele- mente in die plastische Darstellung brachten. Starkes individuelles Empfinden bethätigte auch Schadow, der hierin noch ganz in der Tradition wurzelte , in anregendem Verkehr mit der Natur stand und damit starkes Talent zur Charakteristik der Erschein- ungen entwickelte. In dieser Weise steht er Rauchs Kunst, die Entwurf zu einem Standbilde Raffaeis vorzüglich in's Grosse, Allgemeine geht, gegenüber. Auch durch

DIE KUNST UNSERER ZEIT

179

Rietschel und Hähnel wurde das Inhalt- liche in der Darstellung immer mehr her- ausgearbeitet, insbesondere durch ersteren, der mit starkem Gefühl für den seelischen Ausdruck , mit sozusagen religiösem Em- pfinden begabt war, während Hähnel sinn- lich stoffliches Empfinden leitete, jener also mehr im Ausdruck , dieser in der Form die plastische Kunst weiterzubilden sich be- strebte; beide aber gingen zu sehr in der inhaltlichen gegenständlichen Vorstellung auf, ohne für ihr eigenstes Empfinden vollkom- menen Ausdruck zu finden. So trug auch das starke Einzelempfinden bei, die plastische Kunst aus ihrem Zusammenhang mit der Tradition zu reissen, ohne sie im Sinne der Antike grossen allgemeinen Zielen zuzu- führen. Das Gefühl, dass die bildnerisch monumentalen Aufgaben darin ihre Lösung suchen müssten, wenn anders sie auf die Vorstellung gross und erhaben wirken sollen, leitete auch Rauch, indem er sich mühte, dafür einen bildnerischen Ausdruck zu suchen, den man doch nur mit Zuhilfenahme raum- gewaltiger wirksamer Darstellungsmittel, mit Hilfe der Architektur , zustande bringen kann. Wir bemerken von Anfang an das Hereindringen des architektonischen Elementes in die bildnerische Gestaltung, daraus erwuchs in unserer Zeit, da der Bildhauer ein schlechter Architekt und dieser ein oft mangelhafter Formverständiger ist, ein Kompromiss, der in den modernen Denk- malen so charakterlose Früchte zeitigt.

Auch die Werke der Nachfolger Rauch's, Rietschel's und Hähnel's, als deren hervor- ragendste Vertreter in unserer Zeit Siemering und Schilling gelten, leiden unter diesem Missstand, für den es keine andere Lösung gibt, als dass man sich die universelle Bildung der alten Meister aneignet und die reinen plastischen Stilgesetze strikte befolgt. Wieder einmal, wie schon zu Rauch's Zeiten, wurde der Genius der vaterländischen Künstler durch die Thaten der Nation beflügelt, das vornehmste Streben Siemering's und Schilling's ist darauf gerichtet, dem Geiste jener Thaten bildnerischen Ausdruck zu verleihen; ihre stärkste Triebfeder ist also die Empfindung, sie wollen die idealen Strömungen der Zeit in Formen kleiden.

R. Siemeriii^i : Krieg

180

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Indem sie sich der Träger der wirklichen wie idealen Stimmungen im bildnerischen Ausdruck bemächtigten, verliehen sie ihren Werken durch die Anziehungskraft der dargestellten Objekte eine Bedeutung, die ihnen im wirklichen Falle, als künstlerische Gestaltungen, nicht immer zukommen würde.

Diese Kraft der gegenständlichen Anregung ist es auch, die Siemering's wie Schilling's Darstellung der Germania uns so nahe bringt. Bei jenem ist es ein Heldenweib, das kühn mit dem über die Schulter gelegten Schwerte einherschreitet, voll Hoheit des Geistes und weiblicher Majestät. Bei Schilling's volksthümlicher Darstellung ist es das Hervorheben des echt Weiblichen im ganzen Ausdrucke wie in jeglicher Bewegung, denn so wie sie mit freudigem Stolze die Krone, den köst- lichen Preis, erhebt, fraulich anmuthig und stolz zugleich, zeigt sich darin das Ideal der deutschen Frau, und so ist diese Erscheinung schnell volksthümlich geworden und hat in unzähligen Abbild- ungen ihren Weg in's deutsche Haus gefunden.

Der Volksstimmung in bewegten Zeiten beredten Ausdruck zu geben, ist auch Siemering in der Darstellung eines Frieses, der den Sockel einer Germania umgab, die zu Ehren der einziehenden

Truppen 1871 in Berlin aufgestellt wurde, ge- lungen. Bei Betrachtung solcher Werke, in denen die künstlerische Empfin- dung unmittelbaren Aus- druck findet, wird man das Inhaltliche immer als einen bedeutenden Fak- tor zur Beseelung der bildnerischen Darstellung ansehen müssen, wie bei

r ;>.

.A^

'^^

den Reliefen zum Gräfe- denkmal in Berlin , die in der Art und Weise altitalienischer farbig gla- sirter Terracotta herge-

/\ ■y^'^'~^'^£^L\i'\'^>^ stellt wurden. Sie zeigen l^i ■■■*"\ Wv-Tr fr-** einen Zup- von Kranken.

einen Zug von Kranken, die zu dem berühmten '..;J Augenarzt pilgern, und einen Zug Geheilter, die

R. Siemering : Relief zum Einzug der siegreichen Truppen in Berlin

von ihm abziehen. Es liegt auch ein entschie- denes Verdienst Siemering's darin, bei der Monotonie in der Ausführung unserer Denkmäler auf diese wirksame Technik hingewiesen zu haben.

Siemering bewegt sich vielfach in der plastisch unreinen Art der Nachklassizisten, die durch eine freiere, gegenständlich stoffliche Behandlung die klassizistische Trockenheit zu beleben suchten. Die Eigenschaften des weichen Thones , die beim Modelliren zu weicher lockerer Formbehandlung Anlass geben, werden in der plastischen Gestaltung oft in einer Weise zum Vortrag benützt, die, wie in der Darstellung eines Kriegers, direkt an die Formengebung des Barock erinnert. Es liegt hierin eine Erscheinung vor, die durch die ganze Zeit geht und nicht zum wenigsten durch die Flüchtigkeit der Ausführung in meist minderwerthigen Materialien, da die Werke vorübergehenden dekorativen Zwecken dienen sollen, bedingt wird. Vielleicht auch dadurch veranlasst, drängt das künstlerische Empfinden die Darstellung nach der stofflich gegenständlichen Behandlung hin, die für das Auge gewisse Reize bietet, oft aber eine Belebung des Gegenstandes auf Kosten der plastischen Erscheinung ist.

3

Q

■Ivtis. 8ohlUiiig «oiii[>i

Die Nacht

DIE KUNST UNSERER ZEIT

181

Auch in Schilling's Werken wird uns das fühlbar. In vielen seiner Gruppen tritt die Technik des Modellirens so auf, dass wir annehmen könnten, sie wären Terracotten. Viel trägt zu dieser Behandlung auch das persönliche Empfinden bei. Rhythmus in Form und Linie und ein weiches lyrisches Empfinden bilden die Grundzüge. Die Formen fliessen weich ineinander und die Linien runden sich anmuthig zum Ganzen. Voll und reif sind die Körperformen , in schöngeschwungenen Linien umwallt und begrenzt sie der Faltenwurf. Nirgends eine Härte, kein eherner Ausdruck, alles ist Anmuth, Hingebung, liebliches Empfinden. Ganz von selber ergibt sich daraus seine Kunst, die anmuthige, beseelte Weiblichkeit und holdselige Kindlichkeit zu gestalten. Gleich in seinen ersten Arbeiten, die durch das Studium klassischer Werke geläutert und herangereift sind, kommt seine Eigenart zum Ausdruck. Deutsch romantisches Fühlen einigt sich mit klassischer Form. In den

R. Siemeriag: Washington-Denkmal

Gruppen «Morgen Tag, Abend Nacht» ist der deutsche weltweite und innige Idealismus in verschiedenen Phasen wiedergegeben.

Offenbar sind diese Gruppen unter starkem Einflüsse antiker und italienischer Werke entstanden. Und wenn man heutzutage so oft hört, eine Italienreise sei nur mehr ein unter- geordneter Abschnitt im Leben eines Künstlers, so beweisen diese Arbeiten, wenn auch schon um 1860 entstanden, das Gegentheil. Trotz der inneren Umkehr zum Germanismus ward der Einfluss dieser künstlerisch befruchtenden und belebenden Schönheitssonne immer fortwirken. Nach wie vor werden in des Nordländers Seele, die von ihren Strahlen getroffen wird, wundersame Regungen erwachen, werden Formen und Gestalten seine Phantasie bevölkern, wie sie vordem aus Eigenem

nimmermehr ihm entgegentraten. Die ursprüngliche schaffende Kraft unserer Phantasie ergänzt sich

n 25

}82

DIE KUNST UNSERER ZEIT

\

v^.

■,.;'.V-

\^

R. Siemeriitff: Relief zum Gräfe-Denkmal ia IJerlin

aus dieser für uns idealen Gestaltenwelt. Der deutsche Bildner hat wenig Anlage und Neigung, aus den antiken Werken Form und Stil sich nur zu Nutzen zu machen, vielmehr sind es innere Beziehungen, die ihn mit dieser Welt der Schönheit verknüpfen. So sehr man auch von einer Seite darauf ausgeht, die Wirkung des Kunstwerkes auf unser Empfinden nur in der Harmonie der Raum- gestaltung anzunehmen, so liegt es doch zu sehr in unserer Eigenart, auch darin eine Seele zu suchen. Wir werden uns durch das Raumgebilde, es mag formal noch so einnehmend und wirkungsvoll sein, nicht ganz befriedigt fühlen, empfinden wir doch selbst beim Anblick der Antiken eine gewisse Kälte, die erst weicht, wenn wir ihre Formen mit unserem Empfinden erfüllen.

Die plastischen , sachlichen Werthe , die in diesen Werken liegen , in ihrem ganzen Umfange und Bedeutung darzuthun und sie neuerdings nach dieser Seite hin wieder aufzuschliessen, vollbrachte Hildebrand. Bei einer Thätigkeit, wie die der Bildhauerkunst, die gleicherweise Kräfte der Wahr- nehmung- wie Vorstellung: erheischt, an welcher darum künstlerische Intuition und sachliche Ueber- legung gleichen Antheil haben, wird der denkende Künstler, geleitet durch Beobachtung und Erfahrung, erkennen, dass der künstlerischen Anschauung gewisse Gesetze zu Grunde liegen. Indem er diesen nachgeht, entdeckt er zugleich in den vorzüglichsten Werken alter und neuer Zeit dieselben Grundlagen und erkennt diese als die Ursachen ihrer wunderbaren Wirkung. Und wenn er auf die Alten zurückgeht, führt er uns nicht gleich den Klassizisten in den engen Kreis der gegenständlichen Vorstellung zurück, sondern zeigt uns, dass ihre künstlerischen Anschauungen immer Giltigkeit haben werden, dass durch sie die künstlerische Gabe für uns erst zubereitet und geniessbar wird.

Von einer Verwandtschaft seiner eigenen Werke mit den Antiken und den Schöpfungen der Renaissance kann nur insofern die Rede sein, als er jene in ähnlicher Art wie diese künstlerisch gestaltet hat. Gleich seinem Vorgänger Rauch ist ihm die Antike ein Korrektiv; er steht aber

DIE KUNST UNSERER ZEIT

183

in einem noch innigeren Verhältniss zur Natur als dieser und bereichert seine Kunst mit einer Fülle neuer Formen. Wenn jetzt wieder, angeregt durch diese Zeitströmung, Künstler, wie Hildebrand, sich mit erhöhtem künstlerischen Interesse den Werken der Antike und Renaissance zuwenden, so treten sie zu dieser Kunst in viel nähere und lebensvollere Beziehungen, als die Nachahmer zu Anfang dieses Jahrhunderts. Dieser Künstler bringt uns in einen engeren Zusammenhang mit jener Kunst als die Klassizisten , und entfernt uns davon wieder, indem er die Grundlagen aller Kunst zeigt, deren Besitz allein zu wahrer Selbständigkeit führt.

Hildebrand entwickelte seine Kunst und Kunstanschauungen, die ihn in bewussten Gegensatz zu den vielfach unklaren modernen Bestrebungen bringen, in Italien vorzugsweise durch das Studium der Antike und der italienischen Renaissance. Jedenfalls wurde er durch den grossen plastischen

Schaft abzulegen

Stil, der ihm in jenen Werken entgegentrat, an- geregt , sich in das Pro- blem der Form zu ver- tiefen, das Prinzip der künstlerischen Gestaltung- jener Werke zu erfor- schen und sich selber über die Natur des künst- lerischen Sehens Rechen- Aus

diesen Studien heraus er- wuchs ihm die Anschau- ung, dass das künstler- ische Prinzip auf den Kopf gestellt worden sei, indem seine Existenz nicht in der künstlerischen Fass- ung vom Räume ange- nommen werde, sondern in einem persönlichen In- halte, den der Künstler selbst hineinlegt. Nicht durch formale Gestalt- ung, nicht durch künstler-

ische Zubereitung sollen Empfindungen und Vor- stellungen im Beschauer hervorgerufen , sondern durch eine möglichst ge- treue Wiedergabe einer natürlichen Bewegung und Ausdruckgeste dieselben veranlasst werden.

Hildebrand bemerkt, dass die werthvollste Eigenschaft des Kunst- werkes, seine eigentliche bildende, die Phantasie anregende Kraft, die ihm als Darstellung von Raum und Form innewohnt, durch das Unterschieben persönlicher Vorstellun- gen im Ausdrucke un- klar werde und den Be- schauer, der in der Bildung der eigenen Vorstellung beeinträch- tigt wird, nicht befriedigt. Hildebrand vertritt mit dieser Anschauung nachdrücklich den Standpunkt, den die Tradition und der natürliche Wirkungskreis den Künsten und besonders der Plastik anweisen, nämlich nach Art der antiken Bildwerke möglichst einfache klare Wirkungen hervorzubringen und damit der

25*

^^p

^^

^^^^v

;j|

^

.^^^^^^^^H

^^1^^

'^'^

I^J

^^^^^^^^B^^

^K -^1

H^^H

^HlhT

V v^^l

^^^^1

B^ - J

i ^vSsc ^^^^^1

^^^^H

i ( /'

i^

^1

R;4'4^,'^ r

Wb 1

^^H

^W| m X'IIA' ^

'^«" ^rs ~"*^^^^^B

H

^^^^^^^B ^H^^-' ü^^^^L

1

HK&I

5^. Sc/ii/liiii'- : Der Krieg. Statue am Niederxvakl-Ucnkmal

184

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Bethätigung der Phantasie , dem Vorstellungsvermögen auch auf die einfachste Art und Weise zu genügen. Er fasst die Wirkung des Kunstwerkes als eine Folge seiner künstlerischen Fassung vom Räume auf und hält die Selbständigkeit der künstlerischen Schöpfung, als eines Gebildes, das nach organischen Gesetzen für sich besteht, gegenüber dem Inhalte, der ihm vom Künstler zugelegt wird, aufrecht. Nicht das Motiv oder die Handlung will er als Quelle der ästhetischen Anregung angesehen wissen, sondern die Form als künstlerische Gestaltung des Raumes. Daher bezeichnet er diese als Grundelement der bildnerischen Darstellung, und die Belebung der F"orm durch das subjektive Empfinden als eine später daraus erwachsene Erweiterung des Darstellungsvermögens. Dass diese Prinzipien, die früher durch die Tradition von Werkstätte auf Werkstätte vererbt wurden, so gänzlich vernachlässigt und sogar theilweise verloren scheinen, beklagt er, indem er sagt: «Vergleichen wir

nach all' diesem die frühere Zeit mit der unserigen, so ist es eine zweifellose Thatsache , dass die Logik der anschaulichen Vorstellungen weit höher entwickelt war, und dass darin das Uebergewicht der früheren Zeit in der bildenden Kunst be- gründet ist.«

Indem er in seinem Buche, «Das Problem der Form», sich bemüht, die Grundbegriffe des künstlerischen Sehens festzustellen, alle die ein- zelnen Faktoren anzuführen, die die künstlerischen Anschauungen und Vorstellungen hervorrufen, und indem er versucht, das Wesen derselben klarzu- legen, bleibt sein Blick doch immer auf das Grosse, das Ganze oenchtet, er dozirt nicht wie ein über- eifrieer Gelehrter, der vor lauter Bäumen den Wald nicht sieht, sondern wie ein Mann, der die Sachlage klar vor Äugten hat und sie darum auch andern klarmachen will. Der gedankenreiche Inhalt des Büchleins enthält auch ein Kapitel über die Form als Funktions- ausdruck, damit bezeichnet der Verfasser das Vermögen, durch die Form körperliche und seeliche Empfindungen auszudrücken, und da diese bei ihm erst in zweiter Linie in Betracht kommen, nämlich wenn die persönliche Empfindung des Künstlers nicht Selbstzweck ist und sich den Gesetzen der künstlerischen Gestaltung unterordnet, so wird er mit diesem Theil seiner Ausführungen unter den Künstlern, die von starkem persönlichen Empfinden beherrscht werden, Anstoss und Widerspruch erregen. Diese werden ein Kunstwerk nicht als die Folge logischer Vorstellungen sich denken können, indem man es nicht wie ein wissenschaftliches Werk mit dem Verstände untersucht und begreift, sondern als ein Ganzes, das aus innigem Naturempfinden heraus entstanden, mit empfin- dender Seele wahrzunehmen sei. Sie werden auf sein eigenes künstlerisches Schaffen hinweisen,

y. Schilling-: Kriegerdenkmal in Hamburg

DIE KUNST UNSERER ZEIT

185

auf alle jene Werke, in denen das freie künstlerische Empfinden, ja selbst sensible Stimmungen die prächtigsten und ausdrucksvollsten Formen angenommen haben.

Hildebrand verkennt auch keineswegs die Berechtigung, den grossen Antheil, den die Em- pfindung am Entstehen des Kunstwerkes hat; er weiss wohl, dass sie es ist, die die Beziehungen zum Leben und zur Natur vermittelt, das Kunstwerk mit reichem Lebensgefühle durchdringt und ihm erhöhten Ausdruck verleiht. Er erkennt aber auch klar in dem Vorherrschen persönlicher Empfindungen, in der subjektiven Willkür die Gefahr, welche der künstlerischen, vorwegs der plastischen Darstellung droht. Der Wahrheit, der nackten Wirklichkeit, stellt er die höhere Einheit des geläuterten Kunstwerkes gegenüber. Er sucht, von objektiver Anschauung getragen, das Bleibende, das wahrhaft Bestehende aus der flüchtigen Erscheinung der Dinge loszulösen und es in idealer Darstellung zu befestigen. Je mehr es dem Künstler gelingt, solche Momente aus der zeitlichen Erscheinung herauszuarbeiten, desto grösseren Werth wird sein Werk besitzen, es sei nun aus der harmo- nischen Empfindung herausgeschaffen oder mit ziel- bewusstem starken Willen zur Darstellung gebracht. Hildebrand hat versucht, sein Problem der künstlerischen Darstellung aus den natürlichen Ge- setzen der Wahrnehmung und Vorstellung abzuleiten und diesen Prozess mit der Darstellung selber, mit der bildnerischen Thätigkeit in Stein, aufs Engste zu verknüpfen. Sein Problem der Form muss als eine sehr werthvolle Kundgebung bezeichnet werden, die auf der Tradition fusst und durch eine unbe- dingte Sachlichkeit sich auszeichnet, wenngleich gerade die Gesetzmässigkeit des Aufbaues dem Künsder oft befremdlich scheint. Wie förderlich aber auch der künstlerischen Arbeit das logische

künstlerische Denken sein kann, und wie die feinste künstlerische Empfindung sich darum unge- hindert an der Arbeit betheiligt, zeigen viele vortreffliche Werke dieses Bildhauers, den die engere Künstlergemeinde für den Wolf in der Heerdc hält.

Wir müssen uns Hildebrand's Kunst als eine, die in der Gestaltung in's räumlich Grosse geht, vorstellen, die monumentale Wirkungen hervorzubringen sucht, indem sie sich aufs Innigste mit der Architektur verbindet, und als eine Kunst, die im begrenzten Räume, im plastischen Bildwerk, eine Fülle des Lebens entfaltet und die feinsten Empfindungen hervorzurufen weiss. Wenn wir von dieser zu jener fortschreiten, wird uns seine künstlerische Eigenart, die vielfachen Beziehungen seiner verschiedenen Kräfte zu einander vertrauter werden. Hildebrand, der Bildhauer, verfolgt in manchen seiner plastischen Arbeiten genau die Ziele, die er in seinem Problem der Form ausgesteckt

y. Sciilltng': Kriegerdenkmal in Hamburg

186

DIE KUNST UNSERER ZEIT

e^S

hat, so dass wir. eine Darstellung wie «Der Kugelspieler« als ein Beispiel und Vorbild dafür annehmen können. Es zeigt sich hierin auch die A^orliebe des Plastikers für die Darstellung des nackten Körpers, und wie die antiken Bildner in solcher Darstellung sich nie genug thun konnten, so sehen wir auch die Plastiker späterer Zeiten sich begeistert der Darstellung des Nackten zuwenden, das als das erstrebenswertheste Ziel, als Prüfstein alles künstlerischen Könnens immer Geltung haben wird. Mag hier in diesem Falle die Beobachtung eines kugelwerfenden Jünglings die Anregung zu der Schöpfung gegeben haben, oder das Motiv eine freie Erfindung des Künstlers sein, das spielt hier weiters keine Rolle. Dem Künstler war es jedenfalls darum zu thun, uns die Schönheit eines nackten jugendlichen Körpers in einem für das Auge wohlgeordneten Bilde darzustellen. Sein Anblick gewährt dem Schauenden ähnliche Freude, wie die klare ruhige Schönheit einer griechischen Statue. Mit plastischer Anschaulichkeit ist die Bewegung des Körpers festgehalten, die Figur bietet eine bestimmte Ansicht, wirkt seitwärts gesehen von der P'erne wie ein Hochrelief und erinnert darin im Prinzip an die griechischen Plastiken. Deutlich hilft uns diese Figur auch den Vorgang des freien Herausbildens aus dem Stein zu ver- gegenwärtigen, so wie ihn der Künstler geschildert hat. Er geht von einer Bildvorstellung aus (wie er auch behauptet, dass die Plastik aus der Zeich- nung entstanden wäre), er zeichnet eine klare be- stimmte Ansicht der Figur, sagen wir, die als Haupt- ansicht zu gelten hat, auf

die Steinfläche. Nachdem er diese Fläche bestimmt

hat.

unc

zwar so ,

dass

'y. Schilling: Schwanenmädchen

der vorhandene Block nach jeder Richtung hin mög- lichst ausgenützt und für die Anlage des Bildes ver- werthet werde, löst er das Bild Schichte um Schichte vom Steinraum los, dass alle Punkte, die in gleicher Fläche liegen, gleichmässig

vom Stein auch befreit werden; so rückt das Bild immer als ein einheitliches Flächenbild etappen- weise vor, und es ergibt sich so ein Darstellungsprozess , der der Vorstellung ungemein zusagt, diese schreitet sozusagen immer gleicherweise mit der Arbeit fort. Ein sehr anschaulich gedachtes Bild davon entwirft Michel Angelo, er sagt: «Man müsse sich das Bild (ein plastisches natürlich) wie im Wasser Hegend vorstellen, welches man allmählich immer mehr ablässt, so dass die Figur immer mehr an die Oberfläche tritt, bis sie eanz. freilieet.»

Auch die historische Entwicklung der Plastik lässt auf den gleichen Entstehungsprozess schliessen, zeigen doch die ägyptischen Bildwerke, der Reliefanschauung gemäss, zuerst nur eine vertiefte Zeichnung und dann im weiteren Fortschreiten und Entwickeln des bildnerischen Sinnes alle Phasen des aus dem Steine Herausbildens, und bis zuletzt haftet ihnen noch sozusagen die letzte Vorstellungs- schichte hinten an, gleich einer Schale, in der das noch unentwickelte Leben der Form schlummert. Nach Hildebrand's Ansicht ist die Thätigkeit des freien Herausbildens aus dem Stein eine wahrhaft bildnerische und zugleich auch die, welche der künsderischen Vorstellung, weil ihr analog.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

187

am zusagendsten ist; die künstlerische Raumgestaltung wird hier in natürlichster Weise gleich vor ihre eigentliche Aufgabe gestellt, und das künstlerische Gebilde, das so aus dem gegebenen Räume, dem Stein, erwächst, wird uns im vollsten Masse auch als Raumgebilde ästhetisch befriedigen.

Hildebrand wirft, indem er von den Vortheilen dieser Technik spricht, einen missbilligenden Seitenblick auf das Modelliren in Thon, wenn er auch zugibt, dass dasselbe für den Lernenden, «den Formensucher», das tauglichste Material bleibe. Er sagt unter Anderem: «Wenn wir bedenken, dass unsere Phantasie mit dem Darstellungsakt sich formt, so lässt sich leicht erkennen, wie verschieden das freie Aushauen aus dem Stein auf die Phantasie wirken muss, im Gegensatz zum Modelliren in Thon». Und hauptsächlich ist ihm dabei wichtig, dass beim Modelliren kein Anlass zur Raumvorstellung, wie es der Steinkörper biete, vorhanden ist. Indem man ein P2isengerüst mit Thon bekleidet und so nach und nach zu einem Bilde ent- wickelt, gehe man nicht von einer im allgemeinen gegebenen Raum- vorstellung aus, sondern von einer nur gegenständlichen, sagen wir, das echt bildnerische Prinzip der Raumgestaltung kommt dabei we- niger in Betracht, weil keine be- stimmende Anre*^uno- dazu pfe- geben wird.

Man merkt dieses Fehlen der Raumvorstellung am besten, wenn modellirte Gruppen in Stein über- tragen werden, der Unterschied gegen die, welche vom Künstler in Stein gedacht und gedichtet sind, ist in der That ein auffallender. Die Hildebrand 'sehen Steinbilder erwecken das Gefühl , als hätten sie sich im Stein entwickelt, wären darin gewachsen und hätten sich im vorhandenen Räume ausgebreitet.

Es ist natürlich, dass es nur eines Hinweises und Vorbildes eines solchen Meisters bedurfte,

um viele Irrende und Lernbegierige auf einen Weg zu führen, an dessen Ende als erstrebenswerthes Ziel die hohe Kunst der Alten einladend winkte. Mit Lust und Eifer stürzten sich Viele in eine hastende Thätigkeit; den Stein zu bearbeiten, das harte Material zu bewältigen, es bildsam und

A. lii/ilebrand: Hiitenknabe

188

DIE KUNST UNSERER ZEIT

gefügig machen zu können, galt Vielen als eine Hauptsache , und es wurde anfänglich gar nicht darauf geachtet, dass auch hier nur die Hand am besten durch ein feines Gefühl für Form und Ausdruck zu guten Werken geleitet werde.

Der Meister, der zu solchem Thun und Treiben Anlass gab, hätte allerdings auch hierin am besten zum Vorbilde pfenommen werden können.

Ein Künstler, wie Hildebrand, der vorwiegend von objektiven künsderischen Anschauungen geleitet wird, der mit Zielbewusstsein ein Bild aus der Natur künstlerisch zu gestalten weiss, der wird jeden Eindruck, den er daraus entnimmt, diesem künstlerischen Gestaltungsprozesse zuerst unter- werfen und in grossen Zügen das Geschaute wiedergeben, sein Objekt vor Allem auf die Werthe der plastischen Erscheinung hin prüfen und diese, ohne Rücksicht auf einen besonderen Ausdruck,

zur Darstellung bringen. Hilde- brand neigt mehr nach der schöpferisch gestaltenden Seite seiner Kunst, als nach der beob- achtenden, Viele seiner Porträt- büsten sind ähnlich den Antiken aufgefasst, und die Auffassung gibt wenig Acht auf das Besondere des Persönlichen, gibt weniger eine Charakteristik des Wesens der Dargestellten als nur eine getreue typische Wiedergabe seiner Züge. Bei dieser streng sachlichen Weise, die vor Allem bestrebt ist, formal richtig und plastisch wirksam zu sein, werden aber wieder manche Merkmale innerlichen Lebens, die

als pure Form nur wenig wirken, übergangen; in solchen liegt aber oft wiederum gerade das Leben- dige , Packende , Tiefcharakter- istische einer Erscheinung. Viele von Hildebrand 's Büsten wirken darum auch völlig objektiv auf den Beschauer. Wir verstehen voll- kommen ihre Bedeutung, wenn sie in der Verbindung mit architek- tonischen Gliedern, als Hermen in einer monumentalen Gedächtniss- halle Aufstellung finden würden. Und doch ist diese Art wieder nur eine Spielart des künstlerischen Schaffens dieses merkwürdigen Mannes; wir begegnen auch auf diesem Gebiete verblüffenden Ausnahmen und sehen ihn in einem stets wechselnden Verhältnisse seiner Auffassung zur Natur stehen, je nachdem er's für seinen bestimmten Zweck angemessen erachtet. So zeigt er uns in der Büste einer alten Dame eine Feinheit der Naturauffassung, ein so lebendiges Empfinden und Durchbilden der plastischen Form, dass er auch hierin unter den modernen Werken nicht viele seinesgleichen hat und den Meistern der Renaissance direkt an die Seite gestellt werden darf. In den Bildnissbüsten jener Zeit strebte auch eine solche F"einheit der Beobachtung des Lebens und ein so inniges Formengefühl nach Ausdruck. Die Büste der alten Dame, die ganz absichtslos, wie in gewohnter Bewegung die Hände über der Taille ineinandergefaltet hält, könnte so wie sie sich zeigt, auch ganz gut von Donatello herrühren.

Mit ebensolcher Innigkeit des Ausdruckes konzentrirter Empfindung hat er auch die Bronce- figur eines den Saft der Traube aus einer Schale schlürfenden Knaben eebildet.

A. Hildebrand: Der Flötenspieler

l'hot. r. HsafaUeugi, UDnohcu

Beethoven

Kram Stuck HOtiI|i

Die A in ; I / o n .

DIE KUNST UNSERER ZEIT

189

Hier zeigt er sich der letzten und höchsten Ausdrucksniittel seiner Kunst, einen Moment reiner Empfindungsthätigkeit darzustellen, vollkommen mächtig, er versteht es, die P'orm als Funktions- ausdruck, wie er es nennt, mit kräftigem Lebensgefühl zu durchdringen und plastisch vollkommen zu gestalten. Der Knabe, der aus einer Schale den Saft der Traube schlürft, während er eine andere noch begierig an sich hält, gibt sich ganz der köstlichen Empfindung der Stillung des Durstes hin; von dieser Empfindung wird die ganze Bewegung des jugendlichen Körpers beherrscht, der mit all' seinen charakteristischen Merkmalen aus der Natur getreulich wahrgenommen und gebildet ist. In seiner Behandlung als Broncebild ist er mustergriltig^.

Mit ähnlichen künstlerischen Sinnen haben die Meister der Renaissance die Natur erfasst, hat

y. Schilling: Relief vom Niederwald-Denkmal

Donatello in verschiedenen Darstellungen des jugendlichen Johannes ähnlich ursprünglich empfundene Bildwerke, nur noch ursprünglicher und naiver zum Ausdruck gebracht.

Eine köstliche Idylle hat der Meister in dem Bilde eines schlafenden Hirtenknaben mit bildnerischer Energie aus einem Marmorblocke erstehen lassen. Auf seinem erhöhten Wächtersitze ist er eingeschlafen, und ungezwungen ruhen die jugendlichen Glieder aus. Es ist der tiefe, friedsame Schlaf, wie er die Jugend umfängt, und das Gesicht des Knaben spiegelt eine heitere, ruhige Seele wieder, ohne jeglichen Zwang oder Trübung.

Auch in diesem Bilde ofi'enbart sich des Künstlers Vermögen, feine und feinste Empfindungen zum Ausdruck zu bringen, und wir bemerken nicht ohne Ueberraschung, wie der Mann des strengen Willens und bildnerischer Energie, der nach den tiefsten Gesetzen der künstlerischen Gestaltung eifrig forscht, der künstlerische Disziplinen übt, der mit dem Senkblei und Richtscheit in der Hand

II 26

190

DIE KUNST UNSERER ZEIT

prüfend in seiner Werkstätte einhergeht, auf dass auch alles nach der rechten Seite gefügt und geformt werde, wenn derselbe Mann sich mit voller Inbrunst künstlerischen Empfindungen hingibt und mit Liebe auch das Zartgefühlte ausführt. Und der denkende Künstler, der so fühlt, erkennt die grosse Gefahr, die in dem Vorwalten der Empfindung für die formale künstlerische Gestaltung liegt, und indem er sich derselben bewusst ist, mahnt er, das dunkle Gebiet achtsam zu betreten und sich vor allem über die Darstellung als ein künstlerisches Gebilde für sich Klarheit zu verschaffen, ehe man sich dem Ausdruck der Empfindung überlässt.

Mit all' der Klarheit und Gründlichkeit, die Hildebrand's Schaffen, seine theoretischen Beob- achtungen und Ausführungen auszeichnen, hat er auch die Grundlagen des Reliefs klargelegt und von der griechischen Reliefdarstellung abgeleitet. Dieses stellt er als Grundform dar, gegenüber den späteren und jetzigen Bestrebungen, die seine ursprüngliche Gestalt entstellen. Der gewöhnlichen Anschauunpf ist das Wesen des Reliefs von Münzen am oreläufifjsten , und eine weitverbreitete Vor- Stellung sieht im Hochrelief nur einen Durchschnitt von einem runden Körper. Das Relief ist aber etwas ganz anderes, strebt in ^ der Fläche

es ist eine Formel des ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^_ sich auszubreiten und

Sehens ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^| zu machen»

uns er- ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^M das

das ^^^^^^^^r^ ^^^^^^^^^^H Einheit

liehe einheit- ^^^^^^^T ^^^^^^^H lerische Darstellung, es

liehen Bildfläche dar- ^^^^^H ^^^^^^H ihr harmonischer

gestellt zu sehen; das ^^^^^^A 'TH0f0 %Mlht ^^^^^^^| Ausdruck. «Es

Auge empfängt hiemit ^^^^^^^| y . ^^^^^^^H uns sicheres

die Wohlthat der ge- ^^^^^■1 ^% ^^^^^^H Verhältniss als Schau-

einten Wahrnehmung ^^^^^^H ■■ ^^^^^^^^ä ende zur Natur. Die

der Höhe, Breite und ^^^^^^^^ ^^^^^^^^H allgemeinen Gesetze

Tiefe. Es wirkt, wie ^^^^^ ^^^^^B unseres Verhältnisses

Hildebrand im Bei- ^H "^^fe»,«^ ^^| zum sichtbaren Raum

spiel anführt, wie ein ^^| ^^M werden durch sie in

Körper, der zwischen ^H ^^1 der Kunst erst fest-

zwei Glasplatten sich ^H ^H gehalten, und durch

ausbreitet, so dass ^H ^H sie wird die Natur erst

man von ihm einen ^^| ^^| für unsere Gesichts-

vollständigen Bildein- ^H ^H Vorstellung geschaffen,

druck gewinnt. «Die ^H ^H So formt sich gleich-

sozusagen ^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^H sam Vorstell-

^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^■^^^^^^^1 das Gefäss,

gleichem Tiefen- S^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^H^^H das der Künsder

masse, und jede Form A. //i/dedraad: Porträt gleichsam die Natur

DIE KUNST UNSERER ZEIT

191

schöpft und fasst.» Die Bedeutung der Reliefauffassung für die künstlerische Darstell- ung überhaupt lässt sich am besten mit Hilde- brand's Worten im Folgenden erläutern.

«Wenn wir in un- serer Zeit so häufiof die Beobachtung machen, dass Vorstellungen von Vorgängen anstatt in Reliefdarstellung ihren natürlichen Ausdruck zu finden, barbarischer Weise als Rundplastik zur Darstellung kom- men, so hängt das zum Theil damit zu- sammen, dass zu Re- lief- Darstellungen fast gar keine Gelegenheit mehr gegeben ist. Denken wir an die vielen Denkmäler, an Kirchenwände und an- dere Bauten sich an-

A. Hildebfand: Trinkender Knabe

lehnend, an Tempel, Triumphbögen etc., wie sie frühere Zeiten zei- gen, so ist diese Pla- stik viel reicher als die freistehende Rund- plastik. Heutzutage ist diese ganze Plastik nahezu ausgestorben, unter Plastik denkt sich der moderne Mensch nur noch runde Fi- guren, die in der Mitte eines Platzes stehen. Diese unglück- lichen Monumente sind fast die einzige Bühne, auf der der Bildhauer seine Phantasie aus- leben darf, und indem er seine Idee nicht opfern will , kommt er zu einer künstler- isch unmöglichen Form. Dass dem so ist, ist wohl dem Umstände zuzuschreiben, dass die künstlerische Form für

eine solche Aufgabe von Laien, den sogenannten Comite's, vorgeschrieben wird, anstatt dass gerade in dieser Gestaltung die wichtigste Arbeit des Künstlers gesehen wird. Es ist das ein unglaublicher Zustand. Was würde man sagen, wenn einem Dichter oder Musiker nur eine Form für die künst- lerische Konzeption vorgeschrieben würde und man ihm nur erlaubte, in die vorgeschriebenen Scenen sogenannte Motive einzufügen! Welche unsägliche Armuth, welch' ewiges Einerlei zeigen desshalb die heutigen Monumente! Wenn man die Anzahl von Standbildern, die in den letzten 20 Jahren in Europa erstanden sind, nebeneinander stellen würde, welche Masse von Plastik, die sich abmüht, irgend etwas Neues zu geben, und sich in dem Bann der isolirten Rundplastik unglücklich krümmt und windet, weil ihr jeder Anschluss an Architektur, an irgend eine Situation verboten ist.

Das, was aber der Kunst immer neues

26*

wie in Einzelhaft verbannt die reine Sträflingsarbeit!

192

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Leben zuführt und sie immer freudig macht, ist die neue Situation. Die gegebene Natursituation zu einer künstlerischen Gestalt weiter zu formen , führt immer zu Neuem innerhalb der künstler- ischen Gesetze.»

In der klassizistischen Zeit sind da und dort schüchterne Versuche gemacht worden, die Schönheit des Reliefstiles an Hausfagaden, in Darstellungen des betreffenden Handels oder Gewerbes des Hausvaters, wieder zur Anwendung und Geltung zu bringen, allein die moderne Bauart der Häuser, die fortwährende Unterbrechung der Fagaden durch Fenster hat wohl diesen hoffnungsvollen Anfängen ein frühes Ende bereitet. Doch könnte, abgesehen von den Miethskasernen, in sonstigen privaten Bauten und vor Allem den öffentlichen Staats- und Industriebauten eine Nutzanwendung

daraus gezogen werden, zu- dem wohlfeiles, dauerhaftes und schönes Steinmaterial nicht er- mangelt.

Damit sind wir auf dem Ge- biete der Architektur angelangt. Architektur und Plastik sind zwei Künste, die von Natur aus leicht ineinander übergehen, indem sie ähnlichen Prinzipien der Dar- stellung unterworfen sind , sich aufs Beste gegenseitig unter- stützen und eine der anderen Wirkung erhöht. Im Alterthum war das Verhältniss zwischen Architektur und Plastik ein durchaus harmonisches. In allen Kunstepochen bis an die Schwelle des neunzehnten Jahrhunderts hat die Tradition als vornehmstes Gesetz aufgestellt, die bildnerische Darstellung von der gegebenen Situation, von der Raumgestaltung abhängig zu machen. Hiemit waren die Bedingungen gegeben, auf denen eine bisher unerreichte monumentale Plastik, eine Raumkunst grossen Stils, sich ent- wickeln konnte.

Hildebrand besitzt gleich den alten Meistern jenen architektonischen Sinn im hohen Masse, und als ein ausgezeichnetes Beispiel dafür ist seine reifste Schöpfung nach dieser Seite hin, der Witteisbacher Brunnen in München. Er ist der gegebenen Situation vorzüglich angepasst; durch diese Gestaltung erhält der Platz erst eine eigendiche Ansicht, wir empfinden ihn als ein Gesehenes, als Bildeindruck, durch seine Gestaltung wird in unserer Vorstellung erst die räumliche Beschaffenheit des Platzes erweckt und wir vermögen uns darnach zu orientiren.

A. Hildebrand: Kain und Abel

DIE KUNST UNSERER ZEIT

193

Es ist ein Werk, hinter dem das Persönliche ganz in der Grösse des monumentalen Aus- druckes aufgeht und so durch die Gestaltung doch machtvoll zum Bewusstsein dringt. Die bildnerische Ausführung erscheint dem architektonischen Prinzip der Raumgestaltung untergeordnet, die Glieder- ungen und Einschnitte sind darnach bedacht, das Terrain erscheint so modellirt. Und doch tritt uns im Einzelnen eine Fülle von Pormen, ein Reichthum an dekorativem omamentalem Beiwerk entgegen, die wirksam an der Hauptvorstellung mitarbeiten. So mannigfach und köstlich ist der Schmuck der Wandung des oberen Bassins, die dasselbe mit dem unteren verbindet und mit allerhand schwim- mendem , kriechendem Gethier belebt wird ; von unsagbarem Reize und Stimmungsgehalt sind die

herrlichen Masken am Schaft der grossen Brunnenschale, sie er- innern an Böcklinische Phantasie- schöpfungen; eine Fülle von Ener- gie und Kraft drängt sich in der Gruppe des Felsblock schleudern- den Reiters auf wildem Rosse, an antike Formenfülle und ruhige plastische Schönheit gemahnt die Gruppe des Stieres mit der Jung- frau. Vielfach wird diese künst- lerische Schöpfung in ihrer räum- lichen Anlage und Zusammenge- hörigkeit, die doch so deutlich ausgedrückt ist, missverstanden. Besonders die Massigkeit der beiden Gruppen, welche das Ganze mit Nachdruck abschliessen, geben zu allerlei Urtheil und verdrehten Meinungen Anlass. Da man sich den eanzen Orgranismus des Auf- baues nicht klar werden lässt, so

gfl^H^^ :

^^^^hI^^^j^I

K^^^ ,^^

w

,1: ~j|

HpH

,fyj , . ; < ^^\*^^^M

^^»2^9

J^^^B^tbU^ S^^^^^H

^■^

^^^^H^^r^ '^M

r 1

hmamm'

^mä

A. llildebrand: Weibliche Figur

gelangt man auch nicht zum Ver- ständniss seiner einzelnen Glieder. Allerdings ist bei den »Vielzu- vielen» ästhetisches Gefühl und Denken nur mangelhaft entwickelt, und schlechte \ orbilder sorgen be- ständig dafür , dass dieses nach der falschen Seite hin verbildet wird; so kam der Schöpfer des Brunnens , indem er sein Werk von künstlerischen Gesichtspunkten aus gestaltete, in die seltsame Lage, sich in einer Weise auszu- drücken, die für die Vorstellung der Meisten ungewöhnlich ist. Und doch kommt Hildebrand's Kunst dem natürlichen Bedürfniss des Menschen nach dem Schönen in der einfachsten Weise entgegen; gleich den alten , ewig jungen Werken der Griechen sucht er das Allgemeine, das Immergiltige

in jeder Erscheinung festzuhalten und ihm plastischen Ausdruck zu verleihen.

In Hildebrand erstand uns ein Künsder, dessen Schaffen von festem Willen zu bestimmten Zielen geleitet wird, der das bildnerische Gestalten dem Chaos der Empfindungen gegenüber als ein gesetzmässiges auffasst, als eine Form, in welche die Naturerscheinungen gefasst und für unser Auge und Vorstellung- erst oreniessbar gemacht werden. Sein «Problem der Form« ist in diesem Sinne eine reformatorische That, und wenn er darin Disziplinen aufstellt, die er als Grundelemente der künstlerischen Darstellung erkennt, so geschieht das mit klarer Einsicht in das Wesen seiner Kunst und auf der Grundlage der Tradition, die die künstlerischen Erfahrungen von Jahrtausenden in ihren

194

DIE KUNST UNSERER ZEIT

E. Kurz: Relief zum Geiger-Schauenburg-Denkmal in Lahr

Resultaten zusammenfasst. Von einer Beschränkung des subjektiven Vermögens innerhalb der künst- lerischen Gestaltung kann darum keine Rede sein; sein Vorwurf richtet sich gegen die Willkür der Gestaltung persönlicher Empfindungen, die im Ausdruck der künstlerischen Fassung entbehren. Darum dringt er darauf, die Darstellung nicht allein von dem gegenständlichen Inhalt des Objektes abhängig zu machen, sondern diese vor Allem als eine räumliche Erscheinung in bestimmten Formen zum Ausdruck zu bringen. Aehnlich wie man in der Malerei angefangen hat, eine Sache rein um des malerischen Ausdruckes willen darzustellen, so ist auch die Plastik um der rein plastischen Erscheinung willen zu betreiben. Die Wege und Ziele zu dieser Kunst hat er durch das Wort und die vorbildliche That gewiesen.

Einer, der wohl am Engsten in seiner Art und Weise sich an die künstlerischen Prinzipien Hildebrand's angeschlossen hat, ist Erwin Kurz, ein stillschaffender thätiger Künstler, der in vor- nehmer Zurückhaltung sich wenig um die jeweiligen künstlerischen Strömungen des Tages zu kümmern scheint. Die Porträtreliefs, die er von bedeutenden Männern geschaffen hat, haben aber den Beifall der Kenner in hohem Masse erworben. Auch dieser Künstler bildete sich zumeist in Italien, dort lernte er Hildebrand kennen, an dessen künstlerischer Thätigkeit er theilnahm und dessen Anschau- ungen er sich anschloss; gleich diesem empfing er von der Antike und der italienischen Renaissance starke Anregungen, gleich diesem unterwirft er sein persönliches Empfinden der Gesetzmässigkeit einer strengen künstlerischen Gestaltung und bewegt sich darin oft mit grosser Anmuth, wie ein reizender Fries mit Kindern zeig-t.

Vorzugsweise liegt aber die Stärke seiner künstlerischen Begabung auf dem Gebiete des Porträtreliefs; in ihrer Sachlichkeit und Treue in der grossen Formenwiedergabe mischen sich klassische Elemente mit solchen, die ihre Herkunft in Holbein' scher Naturanschauung finden könnten. Die plastische Strenge dieser Reliefs und ihr monumentaler Charakter eignen sie besonders für Grab- male, und als eines der gelungensten, die der Künsüer ausführte, mag jenes auf einem Münchener

DIE KUNST UNSERER ZEIT

195

Friedhofe gelten, das in der Form einer Stele vom attischen Friedhofe in Athen dem berühmten Archäologen Brunn errichtet wurde. Einen überaus vornehmen, von feinster Empfindung getragenen Eindruck hat der Künstler in dem herrlichen Relief der K. v. S. erreicht. Die Bildnisse des Dichters Paul Heyse, des Gelehrten Helmholtz, des Musikdirektors Levi, sie alle finden ihre Bedeutung in der Klarheit des plastischen Ausdruckes, in dem schlichten Eingehen auf die Charakteristik der Dar- gestellten, die in massvoller Weise objektiv begrenzt wird und sich darum in Verbindung mit der Architektur für öffentliche Denkmale so vorzüglich eignet. Wir möchten sie zusammen mit Hilde- brand's Kunst als klassisch bezeichnen. Was sie jedoch von den klassizistischen Porträts bedeutend unterscheidet , ist die Grösse der Naturanschauung und der lebendige Sinn , der darin anspricht. Des Künstlers abgeklärte Anschauungen und reife Begabung zeigt sich auch in der Darstellung eines Werkes zu einem Grabmale für Geiger-Schauenburg in Lahr. Seine Meisterschaft in der Führung des Meisseis, seine Erfahrung und Kenntnisse in der Behandlung des Marmors machen ihn zum geschätzten Theilnehmer an Hildebrand's grösseren Arbeiten. Gegenwärtig kann der Künstler dieses bei uns immer noch sehr seltene Können im Dienste eines öffentlichen Auftrages zur besten Anwendung bringen.

Am Stambergersee wurde dem Andenken des grossen deutschen Kanzlers Bismarck ein Thurm errichtet, und die, die dieses Mal errichteten und es mit prächtigem Bildwerk ausschmückten, stehen mit ihrer künstlerischen Gesinnung im Bereiche von Hildebrand's Kunstanschauungen. Besonders Flossmann der Bildhauer hat in der Ausschmückung des Thurmes mit Reliefen diese im Sinne Hildebrand's gestaltet. Wir bemerken, wie diese vorbildliche Thätigkeit von einem sehr begabten Künstler erfasst und in seiner eigenen Art und Weise fortgebildet wurde, so wie es Verhältnisse und Umstände erheischten. In solcher Weise konzentrirt sich in diesen Reliefen, die ihrem Inhalte nach alle in sinnige Beziehungen zu dem Wahrzeichen treten, eine Fülle des Lebens, die in unge- bundener Weise als Gruppen oder Rundplastik gar nie so anschaulich hätte zur Wirkung und klarer Vorstellung gelangen können. Reichlich sprudelt wie aus langver- haltener Quelle eine Fülle von Gestalten und künstler- ischen Formen, die, wenn auch oft archaistisch gröblich die feinere Durchbildung und Ausführung vermissen lassen, doch im Prinzip als ein wertvoller Beitrag zu der im Auf- schwung begriffenen modernen Bildhauerei aufzufassen sind. Ein Zweig echter deutscher plastischer Kunst setzt hier frische Knospen an. Die ornamentale Bildnerei, das werk- thätige Leben des freien Herausmeisselns, wie es die Situation gerade bietet, das ist seit dem Mittelalter in tiefem Schlaf gelegen, bis in der rührigen Gegenwart jetzt da und dort klingende Hammerschläge es wieder in's ^- ^«rz: BUdniss

196 DIE KUNST UNSERER ZEIT

Leben rufen, um das Ehrenmal eines grossen Mannes schmücken zu helfen. Schon in der ersten Gruppe des jungen Bildhauers, die sich im Besitze des bayerischen Staates in der Glyptothek, zu München befindet, zeigt dieses gestaltungskräftige Talent Neigung zu strengem, plastischem Stil, nicht in der Behandlung der Formen, die weich und flüssig ist, sondern in der Art der Komposition, wie sie Hildebrand liebt, auf möglichste Ausnützung des Steinraumes, zu dringen. Der Erfolg, den diese Erstlingsarbeit einbrachte, gab dem Künstler Veranlassung, nach dieser Seite hin seinen plastischen Sinn weiter auszubilden.

Er unternahm mehrere Reisen nach Italien und erwarb sich dort in dem eingehenden Studium der Antiken und Renaissance -Werke neue Kenntnisse vom Wesen der plastischen Form; diese Studien ergaben auch für ihn die Veranlassung, sich weiter in Hildebrand 's Probleme zu vertiefen und dessen künstlerische Anschauungen immer mehr seiner Individualität angemessen und zu eigen zu machen. Mit Zielbewusstsein strebt er nach immer grösserer Klarheit der P^orm , wofür besonders seine Porträtbüsten Zeugniss ablegen. Ganz besonders versteht er es, darin dem kindlichen Wesen beredten Ausdruck abzugewinnen. Der Einfluss der frühen Meister der Renaissance , besonders Donatello's, ist in seinen Arbeiten nach den italienischen Reisen unverkennbar. Wie sehr plastisch er empfindet und gestaltet, zeigt sich am Besten in der Büste Beethovens in der Nische, zugleich erweckt dieses Bild durch die Art der künstlerischen Gestaltung Stimmung und Empfindung im Beschauer. Aus einem Blocke herausgemeisselt, vertieft sich der Stein zu beiden Seiten des mächtigen Hauptes zu einer Nische. In einer Fläche ist das Bild festgehalten, die ganze Anordnung zwingt so den Beschauer, seinen Standpunkt vorne dem Gesicht gegenüber einzunehmen, unserer Vorstellung bemächtiget sich so der ero-reifende Eindruck dieses im Tode mit erhabener Ruhe wirkenden Antlitzes. Denn ohne jegliches Dazuthun, als die ornamental bewegten Haare, hat der Künstler dieses Werk frei nach der bekannten Todtenmaske gestaltet und durch die künstlerische Gestaltung so tiefe Wirkungen erreicht.

Die Bildhauer können jetzt zu ihrem Erstaunen oft die Wahrnehmung machen, dass die plastischen Werke, die aus den Händen der Maler hervorgehen, gerade um ihrer plastischen Eigen- schaften willen den schätzenswerthesten Erzeugnissen ihrer Kunst an die Seite zu stellen sind. Worin liegt dieses begründet? Offenbar in dem grösseren Können der Maler, in der durch die -Zeichnung erworbenen Formenkenntniss! Während der Maler in jahrelangem Studium sein Verständniss der Formen beständig durch Zeichnen bereichert, gewährt der Studiengang, den der Bildhauer meist nimmt, selten in so reichem Masse jene Anregungen, die ihn in einem beständigen unmittelbaren Verhältniss zur Natur erhalten. .' '

Das Erstaunen wächst, wenn wir die Maler nicht nur Reliefe, die ja der Art und Weise seiner künstlerischen Auffassung am nächsten liegen, formen sehen, sondern auch Rundplastik mit grösstem Verständiss der Form von ihnen durchgeführt werden.

Letztere, echt bildnerische Eigenschaften besitzt in hohem Grade Franz Stuck, der Maler. Klinger werden wir unter einem anderen Gesichtspunkte, gleichfalls später in der Reihe modemer Bildhauer auf eine eigene Art thätig sehen. Wer von Stuck je eine Zeichnung gesehen hat, weiss,

DIE KUNST UNSERER ZEIT

197

wie er mit grossem Verständ- niss die Form beherrscht, wie er diese im Raum geschickt entfaltet und welche Fülle ro- busten Lebens sich darin konzen- trirt. Diese bildnerische Kraft in ihm hat jedenfalls durch das Studium der Antike, vielleicht nicht zum wenigsten durch pom- pejanische Kleinplastik, starke Anregungen erhalten und bei seinem lebendigen Trieb der Nachahmung in seiner für alles Kräftige, Bewegte leicht erreg- baren Phantasie ähnliche Bilder und Vorstellungen wachgerufen. Diese lebendige Empfind- ung für alles Bewegte , das

E, Kurz: Porträt

sich in einer kräftigen Formen- sprache ausspricht , verbindet sich mit einem sicheren deko- rativem Raum- und Stilgefühl am schönsten in der Kompo- sition der Amazone. Ross und Reiterin sind gleichsam ver- wachsen in der wilden Lust der Bewegung, die ihr Lebens- element zu sein scheint. Die bildnerische Energie spielt so- zusagen darin ein graziöses Spiel, in dem wir aber alle Aeusserungen eines ungewöhn- lichen Talents vollauf zu be- wundern Gelegenheit haben. In dem sicher gelösten Pr.oblem des mit grossem Geschick aus-

geführten horizontalen Aufbaues von Sockel und Gruppe, in der Behandlung als Broncebild, der strengen und doch rhythmisch bewegten Komposition darf man Anregungen von Hildebrand's Kunst vermuthen. Als ein Werk von äusserlich ähnlicher Komposition, aber nicht in solcher Eleganz des

Aufbaues und weniger flüssig in dem Rhythmus der Linien ist «Der verwundete Centaur«, welcher auch trotz des gegen- ständlichen, packenden Inhaltes nicht die gleiche Anregung auf unsere Vorstellung auszuüben vermag. UmsomehrhatStuck's plastische Erstlingsarbeit , mit der er an die Oeffentlichkeit trat, «Der Athlet», allgemeinen Beifall bei Kennern und Kunst- freudigen hervorgerufen. In der Darstellung gewaltiger Kraft-

y, F'lossninnn: Büste

entfaltung liegt immer etwas Bestrickendes, die Stärke re- spektirt man, und das Kunst- werk, das für unsere Vorstell- ung einen solchen Vorgang wirksam verkörpert, wird da- rum anziehend; die Kunstleist- untr wirkt auf naive Gemüther als ein ähnliches Meisterstück. Stuck der Maler vollbringt es, und bei seinem P'ormengefühl und Können wird er uns und die Plastiker noch öfter durch seine Arbeiten überraschen.

Ehe Hildebrand mit seinen Bestrebungen auftrat und unsere Plastik wieder auf den Weg der Tradition führte, war diese Kunst unter den Händen der Nachahmer Rauch, Rietschel und Hähnel im Absterben. Eine unendliche Oede und Langeweile geht von den Werken dieser Periode

n 27

198

DIE KUNST UNSERER ZEIT

y. Flossmann : Relief vom Bismarck-Thurm am Starnbergersee

des Anschlusses an die Antike beigefügt , da er eigentlich das Ziel, das den Bildhauern damals dunkel vorschwebte, erst klar erfasst und fest- gestellt hat. Es erscheint uns sein Streben als ein Ende, indem er als der letzte grosse Epigone der nachklassischen Zeit die Plastik wieder mit der Antike verknüpft, und als ein Anfang, da er uns wieder zur Tradition zurückführte, die nun ihre frucht- baren Wirkuno en fort und fort zu äussern beeinnt. Während die deutschen Bildhauer in den Jahren 1860 70 von den romantischen Höhen

aus, in der sich die Bildhauer abquälten, in abgelebten Formen etwas Neues zu sasjen. Ursprünglich hatten auch diese Nachahmer nur die antike Form finden wollen, und erst später verloren sie sich darin, diese zum Ausdruck inhaltlicher Vorstellungen zu machen , ein Streben, das auch wieder in unserer Zeit im Neu-Idealismus sich bemerkbar macht.

Wir haben Hildebrand und seine Richt- ung, ungeachtet der Entwicklungen, die die Plastik dazwischen durchmachte, jener Periode

■_.•-* '~^' .' , ., - -.:

. •'»-.""'

'/* ■* '^ W^^ *

£^^&\ .. .

WSI'W".**!^ ;U.

p

'"^smis^'^'^

y. Plossmann : Relief vom Bismarck-TIiurin am Starnbergersee

y. Flossmann: Eine Mutter

F. Stuck: Verwundeter Centaur

|j. V. Scbwiinthulcr sanii'

Brunnenfigur

(0

cc

C <

DIE KUNST UNSERER ZEIT

201

herunter den grossen Sprung mitten hinein in's naturalistische Fahrwasser machten, durchlief die französische Plastik in natürlicher Folge nach der Nachahmung der Antike die Nachahmung der Renaissance. Bald machte sich dort ein leichtes Aufblühen der Plastik bemerkbar.

Nach der grossen Erkältung, die sich die deutsche Plastik bei der missverstandenen An- näherung an den antiken Pol geholt hatte, wen- dete man sich wieder mehr den Erscheinungen des Lebens zu. An der Hand der Schwester Malerei wurde die sieche Plastik zum Urquell des Lebendigschönen, zur Natur zurückgeführt. Mit der Liebe und dem Enthusiasmus poetischer Pantheisten verehrten und umschwärmten die

F. Stuck: Der Athlet

Maler die Natur als Führerin und Leiterin, und folgten ihr auch die Begabteren unter den Bildhauern, Wag- müUer in München, Tilgner in Wien und Begas in Berlin. Diese sahen die Natur mit den Augen der Maler an, die lebendige Erscheinung, die strenge Form von Licht und Luft umflossen. Daher bildeten sie eine Form der Darstellung aus, die sozusagen eine malerische Wirkungsform ist. Sie achteten wenig

/•■. Stuck: Der Athlet

202

DIE KUNST UNSERER ZEIT

darauf, dass die Form als solche sozusagen räumliche Funktionen erfülle und dadurch für unsere Vorstellung vom Räume nahrhafte Anregungen biete. In ihrem Bestreben nach freierer lockerer Durchbildung der Form , nach malerischen Wirkungen hin wurden sie unterstützt in der retro- spektiven Richtung, die die Zeit nahm, in der bereits die Werke der Spätrenaissance, des Barock

anfingen, die Künstler anzuregen. Die Früchte dieser Entwicklung können wir noch überall in dem plastischen dekorativen Schmuck an den Hausfagaden aus jener Zeit erkennen, die meist aus schlechtem billigen Material hergestellt sind.

Es ist dieser Schmuck eine Art Schau- gericht für den gewöhnlichen Geschmack, und unkünstlerische Spekulanten, die Stucka- teure, offerirten ihn der künsderischen Kultur aus der Volksküche. Für unsere Phan- tasie haben diese Gerichte keine Nährwerthe, und man beginnt jetzt wieder im Sinne der Alten statt dieser klotzigen Dekorationen die Flächen in schönem glatten Verputz aus- zuführen und höchstens mit einem tapeten- artigen Muster, mit Flachornamenten zu schmücken.

In dieser naturalistischen Richtung lagen von Anfang an die Keime zu extremen künstlerischen Anschauungen und Bestreb- ungen, die die normalen Wirkungen der Form im Ausdrucke zu überbieten und steigern suchten. Diese Bestrebungen mussten nicht nur eine von der Tradition immer weiter abweichende Richtung er- geben, sondern auch sich in einem künst- lerischen Positivismus und in einer idea- listisch symbolischen Weise äussern. Bevor wir jedoch auf alle diese Richtungen eingehen und sie verfolgen, müssen wir noch in Betracht ziehen, wie sich die Plastik in München äusserte.

Man spricht im Allgemeinen von einer Münchener Schule auch in der Plastik, obwohl das Wort Schule nur für die Malerei zutreffend ist, denn die Bildhauer dortselbst unterscheiden sich in ihren Werken keineswegs von den übrigen der klassizistischen und romantischen Periode in

L. V. Sch-ivanthaler: Melusine

DIE KUNST UNSERER ZEIT

203

Deutschland. Der bedeutendste ist hier Ludwig Schwanthaler, 1802 1848, der in seinem ganzen Streben durchaus Romantiker war und dem Mittelalter zuneigte. Seine künstlerische Schwungkraft erlahmte, je mehr er sich dem klassischen Ideal, der Antike, nähern und nach dieser Richtung

Reliefe schon in der Komposition häufig schwülstig und un- ruhig, so wirken sie ausgeführt durch nur mangelhaft ge- schulte Arbeiter, die die Intentionen des Künstlers oft miss- verstanden, noch viel roher. Sie zeigen uns zugleich, dass den Bildhauern jener Zeit die Bedeutung der Antike als einer

hin empfinden sollte. König Ludwig I. Hess seine Bauten mit reichem plasti- schen Schmuck ver- sehen und über- trug Schwanthaler diese Arbeiten, die bei der Ueberhast- ung und Müchtig- keit der Ausführung arge Mängel in der Formengebung auf- weisen. Erscheinen solche Gruppen und

L. V. Sclfwanthaler : Drei (irazien

raumgestaltenden Kunst, die monumentale Wirkungen ausübt, noch nicht zum Bewusstsein gekommen war, oder dass sie diese in ihren einfachen Grundprinzipien nicht erkannt und auch der Form nicht mächtig gewesen sind. In einer Jugendarbeit Schwanthalers, dem Herkulesschild, den er nach

einer Beschreibung Hesiods bil- dete, kommt sein schöpferisches Talent noch klar und ungetrübt zum Ausdruck: wir können hier den Reichthum und die Gestalt- unofskraft seiner Phantasie auf- richtig bewundern und uns an der Schönheit der Ausführung, an der Liebe und Sorgfalt, mit der alle Gegenstände, Menschen, Thiere und Landschaft abge- bildet sind, ergötzen und er- freuen. Ganz aus dem Eigenen schöpfte er, wenn er einen Humpen formte und mit irgend einem Gebilde aus einer alten Mär und Sage schmückte. In

L. V. Schvjanthaler : Grabrelief

einem Tafelaufsatz, den er für König Maximilian II. von Bayern anfertigte, hat er die Nibelungen- sage zum Gegenstand seiner Darstellung gemacht, und wir sehen darauf alle Helden des Liedes und manche Episode daraus plastisch verdichtet und gestaltet. In solchen Dingen schuf er Bilder in einer köst- lichen altdeutschen Art. Und mit diesen Arbeiten hat er sicher auf das einheimische Kunst- gewerbe einen wohlthätigen Ein- fluss ausgeübt und manchem Meister darin starke Anregung gegeben. Bei seiner Vorliebe

204

DIE KUNST UNSERER ZEIT

L. V. Sch-vanthaler' s Entwurf: Velasquez

für das Mittelalter und seinem Sammeleifer für mittelalterliche Gegen- stände hat er jedenfalls auch der antiquarischen Richtung und Neigung für das Altdeutsche in München, die sich in der Ausstattung vieler Bierstuben dort spiegelt, Vorschub geleistet.

In dem Münchener Schwanthaler-Museum befindet sich eine Figur, die der Katalog als «Elisabeth, die stolze und hochherzige Königin von Böhmen, Gemahlin Johanns von Luxemburg, Mutter Karls IV.» bezeichnet. Die Statue wurde in Erz für die böhmische Ruhmeshalle ausgeführt. Die Figur stellt eine liebreizende Frauen- erscheinung dar und ist darin etwas von dem feinen poetischen Em- pfinden der Romantik verkörpert. Ob die Anregung oder der Entwurf hiezu von Schwanthal er herrührt, ist uns nicht bekannt, ausge- führt wurde sie von einem Schüler desselben, von Hautmann, der in Florenz lebte und starb. Es sollen gerade die besten Figuren, die sich in diesem Museum befinden, meist von talentvollen Schülern, wie Brugger und Widnmann, ausgeführt sein. Schwanthal er selbst lernen wir am besten in seinen Skizzen kennen, die alle Merk- male seiner reichen Phantasie und seines schöpferischen bildsamen

Empfindens wiederspiegeln, während viele der ausgeführten grossen Arbeiten Phase um Phase diese

Merkmale abstreiften und zu leeren schematischen Gestalten

sich verflüchtigten.

Max Widnmann, 1812 1895, wird auch als ein Schüler

Schwanthaler's bezeichnet, was wohl nur für die erste Periode

seiner Entwicklung zutreffend ist, da er sich später in Rom weiter- bildete. Er zeigt uns in vielen seiner Gruppen meist mytho- logischen Inhalts mehr Formvollendung, aber auch falsches

Pathos und gedrechselte Posen. So macht sich in der Gruppe

«Herakles reicht Psyche den Trank der Unsterblichkeit dar» die

Vermischung von Formelementen der Antike und solchen, die

aus der Anschauung der Natur gezogen sind , in unangenehmer

Weise geltend. Es scheint damals bei allen, die antiker Form

sich näherten, das Streben vorgeherrscht zu haben, durch reich- liche aufgequollene Muskulatur bei den Männern und durch die

E'ülle entsprechender Weichtheile bei den Frauen angenehme

Empfindungen anzuregen und dabei den Formensinn zu nähren

und zu stärken. Es ist dieses Streben ein durchaus künstlerisches,

nur sollten die Eormen feinfühliger durchgebildet und mit tieferer

Empfindung durchdrungen sein. Doch ragen auch aus dieser Johann wiiheim i.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

205

Zeit einige Gestalten herüber, die von plastischem Empfinden eingegeben wurden und die jenen ge- wissen steinernen Charakter aufweisen, als wären die Züge des Lebens unter dem Anhauch des bildnerischen Geistes erstarrt und hätten feste Form angenommen. Wir erinnern dabei an die vier sitzenden Figuren auf der Freitreppe zur Staatsbibliothek.

Von einer ehrlichen und tiefen Begeisterung für das klassische Ideal scheint Friedrich Brugger, 1815 1870, erfüllt gewesen zusein.

K. Hautmann: Königin Elisabeth von Möhmeii

M. X'. W'idnmanii : Steiiiw ofrcntlcr Krieger

Man möchte ihn wegen seiner Vorliebe für Motive sozu.sagen aus einer zeitlosen idealen Welt und seiner tüchtigen verständnissvollen Beherrschung des nackten Körpers den Genelli unter den da- maligen Bildhauern nennen.

Seine grosse Gruppe «Dädalos unterweist Ikaros im Fliegen» fesselt auch neben der for- malen Durchbildung durch den Ausdruck inniger Empfindung.

Als ein echt plastisch gedachtes, anschauliches

Bild erscheint die Gruppe «Cheiron lehrt Achill

das Saitenspiel».

n 28

206

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Johann Halbig, 1814 1882, genoss einst bei seinen Zeitgenossen einigen Ruhm als Thier- bildhauer, aber die nachkommende Generation hat ihn schon wieder unbarmherzig zerpflückt. Sein

bekanntestes Werk ist die Siegesgöttin mit dem Löwenge- spann auf dem soge- nannten Siegesthor in München. Seine Löwen, um derent- willen er berühmt war, erscheinen uns heutzutage als sehr zahme hausbackene Pudel. Nur einem ungeschulten Auge kann der Mangel an Studium des thier- ischen Charakters, die Flüchtigkeit der Beobachtung, sowie

M. Wtdnmann: Grabrelief

das mangelhafte V^er- ständniss für den thierischen Organis- mus, das in einer rohen Formengeb- ung sich zeigt, ganz verborgen bleiben.

Die Werke der Münchener Plastiker leiden zumeist unter derselben Schwäche, dem Mangel an bild- nerischer Energie, feinem Formenge- fühl und Gewissen- haftigkeit der Aus- führung.

Konrad Knoll,

1829 1899, erfreut uns in seinem Fischbrunnen auf dem Marienplatze zu München durch eine volksthümliche Schöpfung, wie sie im Mittelalter häufig war, er hat, mit verwandtem Empfinden aus- gestattet, das Problem frei und selbständig- zu lösen versucht. Auch in der Durchbildung zeigt sich eine individuelle Formen- sprache , und ist bei der Behand- lung jeglichen Details auf die Aus- führung in Bronze Rücksicht ge- nommen.

Trotz der Fülle von Anreg- ungen, die das lebhafte Kunst- schaffen in München zur Zeit Ludwig L bot, erwiesen sich die Verhältnisse für einen bedeutenden Künstler, der nach freier Ausge- staltung seiner Kräfte strebte, als

F. Bruffger: Cheiron lehrt Achill das Saitenspiel Ungünstig; eS ist bekannt, dasS

DIE KUNST UNSERER ZEIT

207

Rauch, der eine klare Einsicht in das dortige Treiben hatte, das Anerbieten König Ludwigs I., nach München überzusiedeln, ausschlug. Erst nach dieser Periode entwuchs diesem Boden ein Talent, das die Entwicklung der Plastik weiter förderte und in neue Bahnen leitete.

Michael Wagmüller, 1829 81, ein Schüler Widnmanns, leitete die naturalistische Bewegung ein. Widnmann soll ihm in seiner Eigenschaft als Professor der Akademie der bildenden Künste die Befähigung zum Bildhauer abgesprochen haben, ein Eall, der uns bei der Betrachtung des Lebenslaufes einzelner bedeutender Künstler, die die Tradition durchbrachen und das Alte stürzen halfen, öfter entgegentritt. Wagmüller hat übrigens während .seiner akademischen Studienjahre die Antike eifrig studirt, was auch aus der Betrachtung seiner späteren Werke herauszulesen ist; doch stand er mit seinem eigenthümlichen Natur- empfinden mehr auf der Seite der naturali- stischen Richtung, wie sie den Malern bereits geläufig war. Makart, Lenbach, Seitz und Anderen stand er nahe, sie waren jeden- falls in ihrer Art nicht ohne Einfluss auf seine künstlerischen Anschauungen. Wag- müller soll auch mehrere Jahre für Kunst- händler Genrebildchen gemalt und kurz vor seinem Tode sich noch mit dem Gedanken, ein grosses Bild zu malen, beschäftigt haben. Das hier beieeeebene Bildniss ist ein Selbst- porträt und zeigt ihn in seinen thatkräftigsten Jahren. Es zeigt auch die Art wie er malte und weist denselben lebensvollen Zug in der Darstellung auf, der seine plastischen Bild- nisse so schätzbar macht. Diese hat er durch seine Auffassung- so wirksam umge-

M. Wagmiiller : Harmherzigkoit

Staltet, dass gleich seine ersten Arbeiten berechtigtes Aufsehen erregten. An Stelle der bisher üblichen ausdruckslosen P^ormengebung trat nun ein plastisches Bild, das durch eine malerische Auffassung anziehend erschien. Die weiche flotte Behandlung, wie sie der Thon beim Modelliren zulässt, begünstigte diesen Ausdruck, allerdings oft auch auf Kosten der Form. Da der Künstler von der malerischen Anschauung ausging, gab er mehr eine blosse Wirkungsform, die er durch lebhafte Geberden und Gesten noch zu steigern suchte , wenn auch diese Art der Darstellung mit der Natur des Objektes nicht immer übereinstimmte. Ebenso wurde durch dieses Hinarbeiten auf einen Effekt die Form zu sehr zerpflückt und aufgelöst, eine Wahrnehmung, die wir sehr leicht

28*

208

DIE KUNST UNSERER ZEIT

M. Wagmi'iller: Sclbstporträt

machen können, wenn solche Büsten im Freien aufgestellt sind, wo sie dem allgemeinen Räume gegenüber als Raumgebilde nicht zur Geltung gelangen. \\\ Innenräumen erweisen sie sich immer

sehr wirkungsvoll, und wir gerathen hier leicht in den Bann dieser subjektiven künstlerischen Schöpfungen.

Wagmüller hat zu jeder Zeit seines Schaffens, da er mit Leichtigkeit und grosser Geschicklichkeit zu arbeiten vermochte, viele dekorative Figuren geschaffen, die alle den Stempel seines eigenthümlichen Empfindens tragen und eine ungemein kecke frische Art besonders in der stofflichen Behandlung von Gewändern und Haaren zeigen. Er muss bei dieser Gelegenheit früh die Werke der Zopf- und der Barockbildhauer wahrgenommen und studirt haben, wie er solche auch hier von dem kurfürstlichen Hofstatuarius Johann Anton Boos unter den Augen hatte. Für des.sjsn Porträt- Büste, die sein Grabmal auf dem alten südlichen Friedhof in München schmückt, legte er eine grosse Verehrung an den Tag. Gleich den Bildhauern dieses Stils hatte er auch eine besondere Vorliebe und Empfindung für die runden vollen Kindergestalten, eine Neigung, die in vielen bekannten Genre -Gruppen Au.sdruck gefunden hat. Bei all' seiner reichen vielseitigen Thätigkeit reifte in der Stille ein Werk heran, eine Gruppe, die als Grabmal gedacht war. Es ist anzunehmen, dass er diese Arbeit frei für sich begonnen hat, um seiner Stimmung und Empfindung vollen Ausdruck zu geben und im vertrauten liebe- vollen Umgang mit der Natur seine Kräfte zu mehren und zu stärken. Die Gruppe stellt eine sitzende mächtige Frauengestalt dar auf einem an den Ecken von beflügelten Sphinxgestalten getragenen Sarkophag, der rechte Arm hält eine aufgestützte Schrifttafel und die Linke legt einen Palmenzweig auf die Deck- platte nieder. Wie eingenistet im faltigen Gewände unter dem Arm, der die Schrifttafel hält, zeigt sich ein liebliches Kind in der Fülle der ersten Jugend, sorglos ruhend wie an der Brust der Mutter und spielend eine Rose entblätternd. Von tiefer Empfindung ist die weibliche Gestalt beseelt und mit feinem Gefühl für den Rhythmus der P'ormen dargestellt, Die Strenge der Form hat hingebende Anmuth bezwungen: es liegt etwas Weiches, sozusagen Melodisches, l'ühliges in allen Frauengestalten Wagmüller's, ganz besonders aber in dieser. Wagmüller hat, als er dieses Werk schuf, schon seine Reisen nach England unternommen, und es ist anzunehmen, dass er die herrlichen weiblichen lagernden Figuren

R. Begas: Merkur und Psyche

R. Uegai« Moulp.

i'tioi. K. tlktifviactigi, MiiDOhcD

Venus und Amor

Das Grabmal des Künstlers

DIE KUNST UNSERER ZEIT

209

vom Parthenonfries eingehend studirt hat. Denn dieses Werk setzt eine genaue Bekanntschaft mit jenen Werken voraus, seine Figur erinnert in der Art der Behandlung der Gewänder, in der grossen einfachen Formengebung, die auf alle naturalistischen Effekte verzichtet, direkt daran. In seinem sonstigen Bestreben, den weichen Schmelz der Haut nachzubilden, zu dem den Kün.stler sein malerisches sinnliches Empfinden hinleitete und auch der weiche geschmeidige Modellirthon bei der Darstellung weicher Formen verführt, in diesem Streben kommt bereits ein Element in Wagmüller's Kunst zum Vorschein, das später in den Werken des Franzosen Rodin so charakteristisch hervor- tritt. Am schärfsten zeigt sich unseres Künstlers Eigenart am Liebigdenkmal in München, es gibt ein getreues Bild seines Strebens und zeigt bei allen glänzenden Vorzügen auch die Mängel, die der ganzen Richtung anhaften.

Wagmüller war eine starke und lebhaft empfindende Künstlernatur, und in seinem jähen Drange, die Plastik nach seiner Art umzubilden und sich oreg-en Alles rückhaltslos zu äussern, was seinem Empfinden entgegenstrebte, durch dieses Streben mag sein Auftreten und Durch- brechen für ihn mit vielen Wehen verbunden gewesen sein. Die alte Thatsache vom Vorwärts- drängen der lebendigen Kraft und dem zähen Beharren der trägen Masse tritt uns öfter bei Betrachtung des Lebenslaufes eines genialen Mannes entgegen. Wird diese Masse aus ihrem Sumpfe aufgerüttelt und in ihren Interessen durch eine sachliche aber strenge Kritik ge- schädigft, so wird sie o-efährlich wie ein Schwärm aufgejagter Wespen, die blindwüthig über den Gegner herfallen und ihn durch die Unzahl

ihrer Stiche töten. Pecht erzählt in seiner Geschichte der Münchener Kunst des neunzehnten Jahrhunderts, dass Wagmüller durch seine Thätigkeit als Jury-Mitglied der Münchener Jahres- ausstellung von 1879, welchem Amte er mit mehr Wahrhaftigkeit als Schonung und Klugheit vorstand, sich den Grimm und Hass der Zurückgesetzten derart auf sich gezogen habe, dass ihm die gemeinsten und ehrenrührigsten Beschuldigungen nicht erspart blieben. Das nahm er sich so zu Herzen, dass ihn ein Leberleiden vor der Zeit dahinraffte.

Ein anderer Münchener Bildhauer, Lorenz Gedon, 1843 1883, dessen vielseitiges Schaffen uns deutlich in dem Palais und der Galerie des Grafen Schack entgegentritt, die er erbaut und mit Skulpturen geschmückt hat, gehört auch dieser Richtung an, die er besonders nach der Seite des Kunstgewerbes hin gepflogen und ausgebildet hat. Das Weiche , Schwammige der Form-

/?. Begas: Adolf Menzel

210

DIE KUNST UNSERER ZEIT

ükB^

behandlung tritt in seinen plastischen Werken nocli auffallender hervor, aber ebenso eine ursprüngliche lebendige Gestaltungskraft und kecke, flotte Behand- lung. Es muss eine fröhliche , anregende Zeit des künstlerischen Schaffens in München gewesen sein, als diese Künstler hier so vielseitig thätig waren, und das Kunstgewerbe anfing aufzublühen.

Einen ähnlichen Entwicklungsgang wie in München hat die Plastik im Norden, in Berlin, genommen. Begas hat sie dort eingeleitet und weitergeführt. Dieser Künstler ging aus der Rauch -Schule hervor, in der er jedoch nur kurze Zeit zubrachte, um sich bald nach Italien zu wenden, wo er im Umgang mit bedeutenden Malern, wie Böcklin, Eeuerbach, Lenbach, seine Naturanschauung bildete , die ähnlich der Wagmüller's von der malerischen Beobachtung ausging. Als Maler hat er auch in den Porträts, die er zu verschiedenen Zeiten seines Schaffens bemalt hat, ein innigeres Naturgefühl, als in manchen seiner plastischen Bildnisse zum Ausdruck gebracht. Denn oft zeigt der Realismus, der hier hervortritt, eine starke Neigung zu bedenklichen Effekten , die statt der lebendigen Erscheinung eine leere , wenn auch wirkungsvolle Maske wiedergeben. Begas hatte das Glück, einer Zeit anzugehören, die die Künstler reichlich mit Aufträgen bedachte , da eben die ersten Früchte des vaterländischen Wohlstandes heranreiften. Und er hatte auch das Glück , einem Kreis hervorragender Menschen menschlich nahe treten und künstlerisch erfassen zu können. Von diesen Gestalten, Bismarck, Moltke, Kaiser Wilhelm und Kaiser F"riedrich, hat er in lebendiger Weise, mit grosser Treue gegen die Natur, lebensvolle Abbilder geschaffen, die durch die gleichzeitigen geistvollen Bildnisse Lenbach's ergänzt und vertieft werden. Als seine hervorragendste Schöpfung ist die Porträtbüste von Adolph Menzel hinzunehmen. Begas ist kein Bildniss mehr so gelungen wie dieses, in dem das ganze Sein und Wesen eines Mannes in so vollendeter künstlerischer Weise zum Ausdruck kommt. Es scheint, als wären unter dem Einfluss der kleinen Excellenz alle Kräfte des Künsders eewachsen, so dass ihm gelang, ein bedeutendes Bild der Natur in bedeutender Weise festzuhalten.

Begas hat auch in der Grabmalsplasdk manches treffliche Werk gebildet und dieses Gebiet durch mancherlei Motive bereichert. Seine schönste Schöpfung auf diesem Gebiet, das Modell zum Strousberg' sehen Grabmal, vereinigt klassische Anmuth und Würde mit vollendeter Form. Frei von allzu malerischen Momenten, sind die einzelnen Theile mit grossem edlen F'ormeng-efühl durcheebildet, es erscheint uns als eine kösdiche Frucht seines römischen Aufenthaltes. Ein ähnlicher Rhythmus

/i". Bebras: Schillerdenknial in Heilin

DIE KUNST UNSERER ZEIT

211

beherrscht auch noch einige der weiblichen [""iguren am Schlossbrunnen, obwohl die Komposition schon an arrangirte Gruppen, sogenannte lebende Bilder, gemahnt. Auch das Kaiser Wilhelm-Denkmal mit seiner unerquicklichen Häufung von allerlei Motiven erscheint uns wie ein Ausstattungsstück mit Koulisseneffekten.

Von Anfang an tritt in Begas' Empfinden die Neigung zur künstlerischen Phrase hervor und bringt manches Werk um eine würdige einfache monumentale Wirkung. Dazu kommt noch der

/?. Maisott ; 1 lerold vom Reichstagsgebäude in Berlin

Schlendrian in der Ausführung, die sogenannte malerische Behandlung, was sein Biograph Alfred Gotthold Meyer so schön ausdrückt, wenn er von den Löwengruppen an diesem Denkmal spricht, «Ihre kunsthistorische Eigenart beruht auf ihrer Naturwahrheit.»

Man wird das Lebenswerk, wie es in der Monographie vorliegt, mit gemischten Gefühlen betrachten, vereinzelte Werke leuchten daraus hervor, wie von den Strahlen der untergehenden antiken Schönheitssonne getroffen, andere berühren uns wenig angenehm und überlassen uns unklare wogende, miteinander streitende Empfindungen.

212

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Begas neigt mehr nach der beobachtenden als der schöpferisch gestaltenden Seite seiner Kunst hin, daher in Porträts eine gewisse Stärke liegt, aber offenbare Mängel und Schwächen zeigt, sobald er räumlich grosse monumentale Wirkungen hervorzubringen bestrebt ist. Ein Werk, das Begas schon in seiner frühen Zeit geschaffen hat, zeigt den Charakter ernster Monumentalität und den Ausdruck glücklich nachempfundener innerer Grösse. Wir meinen die Schillerstatue, die 1872 in Berlin enthüllt wurde.

Begas hat zahlreiche Schüler herangezogen, geleitet und gefördert, welche dann später, nachdem sie selbstbewusst und selbständig geworden, meist ihre eigenen Wege gingen. Kraus, der lange bei Begas arbeitete, und Felderhoff sind die hervorragendsten.

R, Maison: Brunnen in Fürth

Merkwürdig erscheint es, wie die Anhänger der Begas'schen Richtung in neuerer Zeit von dem entgegengesetzten Pole nämlich Hildebrand angezogen werden. Bei näherem Nachdenken wird man jedoch für diese Erscheinung die inneren Ursachen finden. Jene, die mit Vorliebe im Begas'schen Kunstcharakter sich bewegten, mausern sich jetzt und zeigen Hildebrand'sche Form- ansätze, sobald sie an grössere Aufgaben, die für das Freie bestimmt sind, herantreten müssen. Denn für die ernste Wirkung im Freien reicht die blosse Wirkungsform, wie sie bei künstlich venti- lirter Beleuchtung im Atelier entsteht, nicht aus. Diese Form stellt selbst schon eine vom realen Ihatbestand stark abstrahirte Wirkungsform dar, die dem allgemeinen Räume ^eg-enüber als ein

DIE KUNST UNSERER ZEIT

213

eigenes Raumbild nicht bestehen kann und so gleichsam darin zerfliesst und aufgelöst wird. Das Geheimniss der Wirkung der antiken Plastik in jeder Situation beruht zum grössten Theil auf der Fülle thatsächlichen P'ormenmaterials , das darin enthalten ist, und auf der rechten Würdigung der besonderen Umstände und Verhältnisse, denen ein Bildwerk im Freien ausgesetzt ist.

In der Richtung Begas und Wagmüller lag auch der Anlass zu einem anderen Streben. Nämlich sie begünstigte die künstlerische Anschauung, die von der Photographie und dem Natur- abguss geleitet wird, indem sie gleich diesen, die Erscheinung jedes Objektes, die Struktur der Oberfläche genau nachzubilden bemüht ist. Es durfte nur ein Künstler auftreten, der die naturalistische

Richtung konsequent bis zum Endziel verfolgte, wie Maison gethan hat. Dieser Künstler hat in seiner Art, sich der Natur anzuschliessen, etwas vom Geiste Menzel's. Gleich diesem entwickelt er in seinen Arbeiten einen grossen Reichthum an Motiven und verfügt in seinem Fache über eine ähnliche bewunderungs- würdige Geschicklichkeit, die Natur in ihren schnell- sten Bewegungen zu ver- folgen und nachzubilden. So hat er auch viele neue Bewegungsmotive daraus hervorgeholt, ob-

/?. Maison: Brunnen in Bremen

gleich nur wenige sich für die plastische Dar- stellung unbedingt er- halten lassen. Wir ver- weisen damit auf seine bekanntesten Werke in dieser Art: auf den Neger, der von einem Tiger überfallen wird, und auf jene Gruppe im Münchener Kunstverein, die einen Neger darstellt, der auf einem Esel reitet, der ihn abzuwerfen sucht. Mit einer unge- mein scharfen Beobacht- ungsgabe ausgerüstet, in allen technischen Fertig- keiten gewandt , wäre dieser Bildner im Stande,

Szenen aus dem vielgestaltigen zuckenden Leben, ähnlich wie Menzel sie malerisch dargestellt hat, auch in der Plastik auszuführen. Ein Streben, das zum Unternehmen von plastischen Panoramas führen könnte. Gegenwärtig arbeitet der Künstler an einem Denkmal für Kaiser Friedrich, das in Berlin aufgestellt wird. Er nähert sich darin einer einfacheren grösseren Naturanschauung, und das Modell lässt auf eine ernste, monumentale Wirkung schliessen. Vielleicht hat der Künstler bei seiner Neigung zum Naturalismus in positivistischer Form starke Anregungen von den modernen Franzosen und Belgiern und nicht zum wenigsten von dem Wiener Thierbildhauer Strasser erhalten, mit dem er auch die Neigung zur Polychromie gemein hat.

Ursprünglich kam die Polychromie sehr häufig bei Statuen für Innenräume zur Anwendung.

Die assyrischen und egyptischen Tempelbilder waren vielfach bunt bemalt, besonders die aus Holz

n 29

214

DIE KUNST UNSERER ZEIT

A'. Miiisoii: Der I'liilosoph

geschnitzten. Bei der polychromen Behandlung von Stein- figuren wird man auf bestimmte künstlerische Absichten, wie auf das Hervorheben aus der Umgebung, auf die Betonung und Aufklärung der F'ormenwirkung u. a. m., zu schliessen haben. Und wir sehen ausserdem bei den Griechen neben farbig gehaltenen Bildwerken solche auftreten, die aus ver- schiedenem Material, wie Holz, Elfenbein und Gold, oder Bronze, Marmor und kostbaren Steinen zusammengesetzt waren. Man darf auch hier annehmen , dass diesem Ver- fahren bestimmte Absichten zu Grunde lagen: nämlich die Reize und Eigenthümlichkeiten, die sich aus der Beschaffenheit der verschiedenen Materialien ergeben, unter künstlerischen Gesichtspunkten in einen bestimmten Zusammenhang und Wirkung zu bringen. Die Anregung, die solche 'Bildwerke in dem mystischen Halbdunkel der Tempel auf die erregte Phantasie ausübten, mag eine poetisch sehr wirk- same gewesen sein. In der künstlerischen Aus- gestaltung der Kirchen im Mittelalter beo^egrnet

uns Aehnliches. Die Be- malung der Holzstatuen war allgemein üblich, auch bemalte man sie in einem naturalistischen Sinne; jedoch vor Allem macht sich die Absicht bemerklich, die Figuren in einen Zusammenhang mit ihrer Umgebung zu bringen. Auch die Bemalung von Stein- figuren kommt vor. Die Farbe tritt in einem gewissen Ver- hältniss und Abhängigkeit zur Umgebung auf, daher meistens bei Statuen für Innenräume; selten erstreckt sie sich auf Edel- material, wie Marmor, Bronze etc. Wird doch selbst die schöne Struktur des Edelholzes, wie Eichen, Nussbaum, Ceder etc. im ursprünglichen Charakter zu erhalten gesucht. Die Farbe ist nie Selbstzweck, wie bei Maison's und Strasser's Figuren, wo sie als naturgetreue farbige Bemalung auftritt.

Erscheint doch selbst die Farbe in der Natur meist in einem Zusammenhang mit einem ähnlich gestimmten Milieu, und einzelne stark farbige Gegenstände erscheinen uns auffällig und unnatürlich, wenn sie daraus losgelöst sind. Aehnlich wirkt

A". Seffncr: Max Klinger

DIE KUNST UNSERER ZEIT

215

auch eine farbige Plastik auf Ausstellungen auf uns; wir empfinden sie mit einem gewissen Miss- behagfen als «jrobe Täuschung^,

Mehr an das alte Verfahren, aus verschiedenfarbigen Materialien ein plastisches Bild zusammen- zufügen, lehnt sich Klinger an. Der geniale Radirer, der sich mit Lust und Eifer in der Plastik versucht, unternimmt mit seiner nervösen modernen Seele und ganz persönlichem Geschmacke, Bildwerke zu gestalten, in denen er etwas von dem Abglanz des farbigen Lebens erhaschen und einige Züee dieses ewig^ wechselvollen Phänomen in Stein bannen will. Schwebt ihm dabei das Bild einer von hoher künsderischer Kultur beherrschten Welt vor, ähnlich jener, die er in seinem Inneren hegt und trägt, wo solche Bildwerke inmitten einer seltsamen Pracht Aufstellung finden könnten.^ Wer weiss es? Uns muthen sie an wie Probleme einer sehn- süchtitj nach Schönheit strebenden verofeistieten Sinnen- weit. Seltsam mischen sich darin Züge scheinbaren Anschlusses an alte Traditionen mit den Neigungen und Launen eines schrankenlosen Individualismus. Bald ringt in diesen Schöpfungen ein leidenschaftlich' Stammeln nach Ausdruck tiefer persönlicher Empfindungen, bald bekundet sich darin ein bewusstes Streben, quellende Lebensformen zu Gebilden von hoher Schönheit zu gestalten, bald aber auch ein Hinarbeiten auf möglichst eigenthümliche Wirkungen, die sich verlieren in tech- nischen Problemen. Wir mögen an vielen seiner Schöpf- ungen herrliche Einzelformen bewundern, aber ähnlich wie bei der Betrachtunsf von Werken Rodin's befriedig-t uns nicht das Ganze als ein harmonisches Gebilde , und selten überkommt uns davor die Ruhe der Befriedigung, in der ein Kunstwerk ganz in eine ruhige, stille Em- pfindung aufgeht. Es gibt eine Form des künstlerischen Sehens und getreuen Nachbildens der Natur, die man

mit Positivismus bezeichnete. Diese Art Erscheinung finden wir unter den Porträtisten öfter, die im fortwährenden Umgang mit der Natur stehen und sich einer objektiven Auffassung befleissigen.

Seffner sucht in seinen Werken den Eindruck möglichster Naturwahrheit zu erreichen, seine Bildnissbüsten sind von ähnlicher Wirkung wie eine photographische Wiedergabe. Durch eine geschickte stoffliche Behandlung steigert er noch den lebendigen Ausdruck, der ohne künstlerische Uebersetzung doch jenes gewisse Etwas in der Wiedergabe des Objektes festhält, was mit «sprechend ähnlich» bezeichnet wird. Seine Porträts bestechen den Beschauer durch Treue und Ausführlichkeit in der Nachbildung des Lebens. Er erscheint uns in seinem ganzen Streben auch als einei der modernen Sucher nach einem plastischen Ideal.

Das Streben nach möglichster Naturtreue hat auch noch eine künstlerische Form der Dar-

29«

A". Seffner: Königin Carola von Sachsen

216

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Stellung gezeitigt, bei der der Künstler weniger von dem Problem der künstler- ischen Formgestaltung aus- geht, als von seinem per- sönlichen Empfinden, von dem Eindruck, den ihm dieses übermittelt. Wie der Künstler der Form ein ent- stehendes Bildwerk auf die Anregfuncf zur Formvor- Stellung hin prüft, so der Künstler der Empfindung sein Werk auf den Gehalt zur seelischen Anregung hin. Die Form an und für sich ist ihm gleichgültig,

K. Seffner: Bildnissbüste

wenn .sie nicht Empfind- ungen hervorruft.

Die I'orm, als ein über- setztes Bild aus der Natur, will den Beschauer zu räum- lichen Vorstellungen an- regen und durch diese Em- pfindungen erwecken, unser Künstler will in erster Linie nur durch die F"orm seel- ische Schwingungen über- mitteln. Er unterwirft das nüchterne Erscheinunofsbild den mannig-fachsten Modu- lationen und Stimmungen. Wie die Sprache im Aus- druck sich dem Gefühl an-

passt, so der Empfindung die Form. Es steht somit "diese künsderische Ausdrucksweise im Gegensatze zu dem Positivismus, wie er in Maison und Strasser seine Vertreter hat, und sie unter-

scheidet sich von Hildebrand's Richtung wie Form und Em- pfindung unter sich. Dass dieses Problem der Empfind- ung immer Antheil an der künst- lerischen Gestaltung nimmt und diese stark beeinflusst, erkennen wir an der künstlerischen Ström- ung der Gegenwart.

In August Hudler's Wer- ken äussert sich diese Richtung auf eine entschiedene und kräf- tige Weise. Er bildete sich auf der Münchener Akademie, die aber wenig Antheil an seiner

K. Seffner: Bildnissbüste

Entwicklung hat. Aus dieser Zeit erhielt sich nur eine aller- dings sehr merkwürdige Arbeit. Der Künstler nannte die Figur «Ismael«. Sein eigenthümliches tiefes Empfinden drückt sich hier bereits durch und äussert sich, wenn auch noch in unklarer Weise. Von dem Professor der Bildhauerschule wurde die Arbeit als nicht plastisch bezeichnet. Hu dl er trat zur Malerei über, nicht dieses Urtheils wegen, nicht auch, weil ihm das Selbst-

vertrauen mangelte, auf dem einmal beschrittenen Wege weiter zu gehen, sondern in der Absicht, sein Können durch Zeichnen und Malen nach der Natur noch besser zu schulen. Einige Jahre später waren von ihm auf der Berliner grossen Kunstausstellung zwei Büsten von Münchener Malern zu sehen, die durch ihre lebendige Wiedergabe des Persönlichen in der Bestimmtheit der Charak-

M klms'i soiilp.

I'tioi . K ilaiitttiaeiltcl, UUii.:>it:ri

Kauernde.

H, kInUoi) RCulp

V. HKiifHtaeagr, Unucheo

Statue O tto I.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

217

terisirung und durch ihre feine Durchbildung berechtigtes Aufsehen erregten. Professor G. Treu hat sie für das l<gl. Skulpturenmuseum in Dresden erworben. Indem der Künstler in die Büste hineinlegt, was er aus dem Objekt herausfühlt, kommt ein gewisser realistischer Zug (wenn man will idealistisch) in fesselndster Weise zur Wirkung. Die Behandlung und Auffassung ergibt eine Art malerischer Wirkungsform, wie sie Wagmüller anstrebte und wie sie Rodin zum Theil eiffenthümlich ist.

In der Bronzefigur «Adam» kommt des Künstlers Streben und Empfinden besonders gut zum Ausdruck. Er stellt Adam als einen Jüngling dar, der mit reger Wissbegierde eine Blume entfaltet.

A. Hudler: Bildnissbüste

Er zeigt sich in einem Zustande vollkommenen Unberührtseins von aller Bewusstheit, wie ein grosses Kind, das staunend in die Welt tritt und sie mit jedem neuen Schritte erst entdeckt. In einer kindlich wissbegierigen Regung gewinnt er Fühlung mit dem Räthsel der ewig schaffenden schöpfer- ischen Natur, das ihm in der Gestalt einer Blume entgegentritt. Diese Figur stellt gleichsam in rührendster Weise das Streben des Künstlers, das Suchen nach Ausdruck seiner tiefsten Gefühle dar. Gleich Adam steht er auf der Erde, in köstlicher Unbewusstheit, inmitten einer unkünstlerischen Welt löst sich all' sein Sinnen, all' sein Denken in Gefühl und Empfindungen auf

Die objektive formale Richtung Hildebrand's und diese ganz subjektive persönliche, die sich

218

DIE KUNST UNSERER ZEIT

A. Iludler: Hildnissbüste

in Hudler's Kunst äussert, werden immer die zwei Pole sein, nach denen das künstlerische Schaffen

hinneigt und angezogen wird. Sie sind trotz ihrer Verschiedenheit doch unlöslich miteinander verknüpft

durch die Folge von Elementen, welche die künstlerische Wahrnehmung und Empfindung, Anschauung und Vorstellung ausmachen. Nur in der Art der künstlerischen Gestaltung äussern sie sich verschieden, ihre Wirkung bleibt eine ähn- liche. In der Plastik der Gegenwart flutet die künstlerische Strömung von einem Pol zum andern.

Wir müssen hier noch einer anderen Thätigkeit ge- denken, welche in bester Weise das Interesse und Verständniss für die plastische Kunst zu erwecken im Stande ist, weil sie überall einfach und liebenswürdig auftritt, auf Strassen und Plätzen , an Bauten und Grabmalen. Sie kommt dem natürlichen Schönheitsgefühl entgegen, durch anmuthige oder kräftige Fülle der Form und durch den Rhythmus schön

empfundener Linien. Sie bildet jederzeit den Genuss- und Au.sgangspunkt der Liebe zu den schönen

Künsten. Sie will im Grunde dasselbe, was Hildebrand gross

und bedeutend in massvolle Strenge einkleidet und anstrebt, nur

lässt die Art, in der sie Hubert Netzer vertritt, den individuellen

Kräften mehr Spielraum.

Netzer's phantasievolle Kunst zeigt sich am schönsten in

seinen Brunnenschöpfungen, in der Gruppe auf einem Münchener

Platz , wo ein Triton mit einer Schlange spielt , die Wasser auf

ihn herabspeit. Femer in dem herrlichen Narziss-Brunnen , der

vom bayerischen Staat erworben, im Hofe des neuen National- museums aufgestellt ist. Und weiterhin in dem Orpheus-Brunnen,

der die heurige Jahresausstellung im Glaspalast schmückte. Diese

Brunnenschöpfungen gemahnen in ihrer poetischen Erfindung und

in den reizvollen Formen an köstliche Brunnenbilder, wie wir sie

in alten prächtigen .Städten noch überall finden. Dieser Künstler

hat sich auch in dekorativen Gruppen zum Schmucke für Bauten

hervorgethan. In dieser Hinsicht sind von Bedeutung die grosse

Grupi)e in Stein auf der Würzburger Universität «Prometheus als

Lirhtbringer» , ein Motiv, das zu geistvollen Deutungen über die

Reaktion Anlass uab und viel besprochen wurde. Von ausser-

onlcntlirher .Schönheit sind die edlen Frauengestalten am Münchener

Jiisiizpalast. Netzer erweist sich in all' diesen Schöpfungen als ein originaler Künstler; in der

1-ülIe der Motive äussert sich der Reichthum seiner Phantasie und Gestaltungskraft, den er in kräftig

A. Hudler: Adam

DIE KUNST UNSERER ZEIT

219

anrecrenden Gebilden fort und fort kundgibt. Wir nähern uns bei der Betrachtung von Netzer's Kunstcharakter wieder den am Eingang ausgesprochenen Wünschen und ausgesteckten Zielen, dass die deutsche Plastik wie die antike in's Leben treten und als eine monumentale Raumkunst im Freien, wie als eine schmückende im Hause zur Geltung kommen möge

Wir haben ein Stück Entwicklungsgeschichte unserer Plastik seit Anfang des neunzehnten Jahrhunderts vorgeführt und konnten bemerken, wie diese Kunst vom Stamme der Tradition abzweigte und ihr das rechte Gedeihen ermangelte ; wie sie , ähnlich einer Treibhauspflanze , in den Ateliers der Bildhauer verkümmerte. Wie diese in kleinen Statuetten grosse bildnerische Vorstell- ungen und Empfindungen auszudrücken sich abmühten, da die natürlichen Bedingungen für die Plastik,

A. Htidler: Der Schnitter

im räumlich Grossen sich auszubreiten, fehlten. Wie aber trotzdem durch diese Arbeiten im Stillen ein Zug inniger Vertiefung und lebensvoller Empfindung in diese Kunst kam , der ihr bisher fremd gewesen, oder vielmehr seit der Frührenaissance abhanden gekommen war. Jetzt, da sie aus der Enge der Ateliers heraus wieder in's Freie, aus kleinen beschränkten Darstellungen ins räumlich Grosse gehen kann , von abstrakten Anschauungen zu lebendigen Vorstellungen fortgeschritten ist, jetzt kommt auch der künstlerischen Darstellung die Vertiefung des Empfindens, die Bereicherung der Form zu Gute. Wo könnten alle die Schätze herrlicher zur Anwendung kommen, als in den plastischen Schöpfungen im Hause, im Freien, auf Strassen und Plätzen und unseren Friedhöfen, überhaupt im engen Anschluss an unsere tägliche Umgebung, wie es im Alterthum der Fall war? Air die Kräfte , wie wir sie einzeln kennen gelernt , in Bewegung zu setzen , all' die tiefen

220

DIE KUNST UNSERER ZEIT

Quellen, die vorhanden sind, in's Leben hinüber zu leiten, dies bildet die Aufgabe der Kunstfreudigen, der Förderer und Unterstützer der Künste. Ein Füllhorn schöner Gaben ist bereit, auszuströmen und unser Leben zu schmücken. Unterstütze und fördere man die Künste auf die rechte Art, ent- locke man dem Künstler die edelsten und besten Früchte ohne Hebel und Schraubstöcke, ohne Pressen und Blutegel anzulegen, auf eine vornehme menschliche Weise, mit wahrer Antheilnahme

//. Netzer: Giebelfigur am Justizpalast

//. Netzer: Brunnenfigur

und warmem Mitempfinden an seiner stillschaffenden, schöpferisch bildenden Thä- tigkeit.

Wir sind mit unseren Betrachtungen bis mitten in eine fröhlich schaffende Gegenwart hineingerathen, da am alten Stamme der Tradition manches frische Reis angeschoben hat; wir können nicht Allen zumal unsere Aufmerksamkeit zu- wenden und haben daher

//. Netzer: Entwurf für ein Denkmal

gende, an dem sich der frische Trieb zu äussern beginnt, aufmerksam ge- macht. Wir gedenken später in weiterer F"olge aus der jungen Pflanz- schule deutscher Plastik noch mit manchem blüthen- vollen Zweig unsere Blätter zu schmücken.

Flüchtig traten uns im künstlerischen Leben der Gegenwart Erscheinungen entofeg^en , in denen wir manche Probleme , die uns

nur auf das Zunächstlie-

hier beschäftigt, in harmonischer Weise gelöst sahen und die zu mancher Deutung Anlass geben

können, welche Wege die deutsche Plastik noch gehen wird, ehe sie sich selbständig zu äussern beginnt.

VZ^CxV.

>')

a-Är"--^-

^vm:^

•m^

N 3

K86 Bd. 11 Halb. 2

■y'i

^'

:4,-^

jcs^':Ä'r:ä '^

Die Kunst unserer Zeit

>^'\l. -^ PLEASE DO NOT REMOVE

^^^ CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET

UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY

-^^^

<4

/i

#^

-/ vj

am

i':^'

■i^.cl^

■->%>? ?^

;>-

u_yic

.