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EINE CHRONIK

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MÜNCHEN FRANZ HANFSTAENGL

ALLE RECHTE VORBEHALTEN

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ü. FRANZ'SCHE H. B. HOF-BUCHDRUCKEREl (G.EMIL MAYER), MÜNCHEN

Inhalts-Angabe

1903. I. HALBBAND

Literarischer Teil

B r e d t , E. W. Der Teufel in der bildenden Kunst Brosch, L. Cesare Laurenti

Seite 1

97

Heilmeyer, A. Über Kleinmalerei . . Ostini, Fritz von. Anselm Feuerbach

Seite

05 21

Vollbilder

Bredt, F. M. Sirenen

Buchbinder, S. Ein Grübler . . . . Diez, Wilh. von. Excellenz auf Reisen Feuerbach, Anselm. St. Antonius . .

Ricordo di Tivoli

Hafis

Dante

Madonna

Pietä

Seite

17

. 73

. 89 5

. 24

. 25

. 28

. 29

. 36

Im Frühling 37

Musizierende Frauen 44

Urteil des Paris 45

Medea 48

Ein Traum 49

Die Amazonenschlacht 56

Titanenkampf 57

Grützner, Ed. Versuchung des Antonius . 9

Harburg er, Edm. Ein alter Schäker . . 93

Kem^ndy, J. Der Feigling 88

Klinger, Max. Christi Höllenfahrt . . . . Kricheldorf, H. G. Blumenzauber . . . .

Kronberger, C. Der Raucher

Laurenti, Cesare. Studienkopf . . . .

Erster Zweifel

Präludium

Antike Vision

Nymphea

Hirtenleben

Löwith, W. Disputation

Santi, Raffaello, und Giulio Romano.

Der Sündenfall

Schleich, Rob. Aufsteigendes Gewitter . . Schmitz, Ernst. Die beiden Alten . . . Seiler, C. Im Repli

Münchhausen

Simm, Franz. Besuch in der Loge . . . Teniers, David, der Jüngere. Versuchung

des heil. Antonius

Seite

4

69

68

100

101

104

105

112

113

80

16 92 72 81 85 84

8

Textbilder

Buonarroti, Michelangelo. Der Sünden- fäll und die Austreibung aus dem Paradies

Callot, Jacques. Die Versuchung des heil. Antonius

Cranach, Lucas, der Ältere (Kopie nach Hieronymus Bosch). Das Paradies (Teilstück eines Flügelaltars)

Cristus, Petrus. Teilstück aus „Das jüngste Gericht"

Feuerbach, Anselm. Geflügelter Genius . Selbstbildnis

Seite

20 21 23

Spielende Kinder 24

Seite

Feuerbach, Anselm. Handzeichnung . . 25

Rückwärts stürzende Amazone (Studie) . 26

Sterbende Amazone (Studie) 27

Studienkopf (Handzeichnung) .... 27

Kleine Lautenspielerin (Handzeichnung) . 28

Handzeichnungen 29

Iphigenie 30

Medea 31

Medea (Entwurf) 32

Iphigenie (Studie) 33

Frühlingsidylle 34

Tod des Pietro Aretino 35

Seite

Feuerbach, Anselm. Melancholie, Studie

(später in „Medea's Traum" verwertet) 37

Maria mit der Leiche Jesu (Entwurf) . . 38

Brunnenszene (Skizze) 39

Olceanide (Studie) 41

Prometheus und die Nereiden .... 43

Nereus und Oi^eanide (Studie) .... 44

Gefesseiter Prometheus (Studie) ... 45

Orpheus und Eurydike 47

Maria (Studie zur „Pietä") 49

Skizze . 50

Italienisches Mädchen 51

Jugendliches Selbstbildnis 52

Gaea 53

Uranus 53

Familienidylle 55

Alkibiades (Studie) 56

Porto d' Anzio (Meerstudie) 57

Drei Amazonen im Angriff (Studie) . . 59

Romeo und Julia 60

Venus im Muschelwagen (Studie) ... 61

Studienkopf mit Epheulaub (Hand-

zeichnung) 63

Bestattung 64

Goes, Hugo van der. Der Sündenfall . . 3 Götz, Ferdinand. Die Versuchung des heil.

Antonius 16

Harburger, E. Vier Skizzen 89, 90

Vier Skizzen und eine Zeichnung aus den

„Fliegenden Blättern" 91

Selbstbildnis 92

Zwei Zeichnungen aus den „Fliegenden

Blättern" 92, 93

Klinger, Max. Adam und Eva und Tod und

Teufel 10

Salome 11

Kricheldorf, H. G. Schmetterlinge ... 67

Tulpen 68

Fruchtstück 69

Kronberger, C. Zu spät entdeckter Einbruch 70

Politiker 71

Ein lustiger Schwabe 72

Überwiesen (Aus der Zeit der Patrimonial-

gerichte) 73

Laurent!, Cesare. Liebesgeschichten . . 99

^- Auf steinigem Wege 100

Die Sünde 101

Liebeleien in Chioggia 102

~ Fallende Blätter 102

Nahendes Gewitter 103

Cal^ra (Die Keiferin) 104

Seite

Laurenti, Cesare. Notturno 105

Knabenbildnis 106

Bildnis der Frau M 107

Der Sohn Gabriele d'Annunzio's . . . 107

Metamorphose 108

Winternachtstraum 109

Die Parzen 110

Neues Blühen 111

Enttäuschte Seelen 112

Finis 113

Die Lebensbrücke (Jugend) U4

Die Lebensbrücke (Alter) 115

Der Rosenstock 116

Löwith, W. Skizze 74

Reminiscenzen (Bildanlage) 75

Ein interessantes Blatt 76

Der Aufschneider 77

Studie 78

Skizze 79

Meister mit dem Zeichen L C Z. Die Ver- suchung Christi 4

Michelangelo, siehe Buonarroti. Rops, F^licien. La femme et la folie dominant

le monde 17

Les diables froids 19

Schleich, Rob. Ölstudie 93

Markt in Erding 94

Markttag in einem oberbayrischen Ge-

birgsdorf 95

Vor dem Wirtshaus 95

Ölstudie 96

Schongauer, Martin. Die Versuchung des

heil. Antonius 5

Seiler, C. Bibliothek 80

Hirschpark bei Nymphenburg .... 81

Seitenaltar in Fürstenfeldbruck .... 82

Johanniskirche in München 83

„Ein Sperling in der Hand ist besser als

zehn Tauben auf dem Dache" ... 84 Simm, Franz. Studie zu einer Illustration

für die „Fliegenden Blätter" 65

Bildnis meiner Jüngsten 85

Studie zu einer Illustration für die

„Fliegenden Blätter" 86

Studie 87

Studie zu dem Bilde „Musikpause" . . 87

Porträtstudie 88

Stuck, Franz. Die Sünde 12

Sirene 13

Thoma, Hans. Versuchung Christi in der

Wüste 14

G^'SS^^Ö^

Der Teufel in der bildenden Kunst

VON

E. W. BREDT.

11 |ie Frage, „Wie die Künstler den Teufel dargestellt", darf zunächst für eine höchst müssige ^^ gelten. All' die hunderttausend Teufel, die wir von Kindheit an gemalt und gemeisselt vor uns gesehen haben und die wir immer wieder sehen auf Darstellungen der Hölle und der Vor- hölle und des jüngsten Gerichts, haben uns des Teufels Bild unauslöschlich eingeprägt. Der Teufel mag mit oder ohne Flügel, bärtig oder unbärtig, fast menschlich oder wie ein tierisches Monstrum dargestellt werden. Alt und lung kennt ihn doch nach all den heiligen und profanen Bildern.

Nicht also durch bestimmte Einzelheiten ist des Teufels Bild uns bekannt, sondern durch sein ganzes Aussehen. Es ist uns in Fleisch und Blut übergegangen, dass dem Teufel, vom frühen Mittelalter ab bis heute, wesentlich zu eigen eine möglichst abschreckende, naturwidrige, ja oft ekelerregende Hässlichkeit.

Da uns eingeprägt worden ist, dass alles Böse hässlich sei, so finden wir sein hässliches Äussere selbstverständlich. Doch sobald wir uns lebendig vergegenwärtigen, in welch' ver- führerisch-schönem Bilde an uns das Böse im Leben herantritt, berührt uns die Thatsache, dass die Kunst das Böse so durchaus hässlich gebildet, überraschend und widersinnig.

Gewiss würde es nicht so viel Böses, so unzählige Sünder und so viel schönere Sünder- innen auf Gottes schöner Welt geben, wenn nicht gerade die Sünde für diese der Inbegriff allen Reizes gewesen wäre. Hat jener grosse Kirchenhistoriker nicht Recht, der da sagte: ,,Die Welt- geschichte würde langweilig sein ohne die Kämpfe, welche alle die Sünde zum Hintergrunde haben. Grosse Zeiten und Charaktere sind bedingt durch Sünde und Not."?

Lockt denn etwa den gemeinsten Verbrecher etwas anderes als gleissendes Gold oder irgend ein Schatz, durch den er sich irgend etwas für seine Vorstellung Begehrenswertes erwerben kann? Ganz ähnlich verlockend ist die Vorstellung von all' den kleinen Sünden des alltäglichen Lebens, wie von den völkermordenden Sünden gigantesker Verbrecher. Den Einen lockt der perlende Wein im Pokale, um Vergessenheit und wieder Vergessenheit zu schlürfen, während die Ubergewaltig- Ehrgeizigen aber unter den Menschen wie den Völkern kalt über Tausende und Abertausende wegschreiten, um zu dem ihnen hoch erscheinenden Ziele zu gelangen.

XIV 1

2 DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Mag den Entarteten immerhin das Widerliche zur Sünde locicen das sind Ausnahmen, und in merkwürdiger Kongruenz steht also nur die naturwidrige Sünde mit der naturwidrigen, aber landläufigen Gestalt des Teufels.

Wo anders sonst stimmt unsere Teufelsgestalt mit der leibhaftigen Sünde überein?

Wie war es übrigens beim ersten Sündenfall, beim Sündenfall kurzweg?

Zum Reiz des Verbotenen kam noch ein Versprechen der Schlange, wie es, für Intellektuelle wenigstens, verführerischer nicht gedacht werden kann. ,,lhr werdet sein wie Gott." Und vom Baume heisst es: ,,Eva fand, dass der Baum lieblich anzusehen, dass es ein lustiger Baum sei."

Nicht länger ist hier ,, aller Laster Anfängen" und Bildern nachzuspüren. An der Thatsache lässt sich ja doch nichts ändern, dass die Kunst Jahrhunderte lang das Böse so hässlich als möglich dargestellt hat.

Wir wären ohne Weiteres nun berechtigt, diese Thatsache als einen ungeheuerlichen Irrtum gerade der Künstler aufzufassen, wenn wir nur nicht etwas sehr Wichtiges bei dieser Kritik vergessen hätten.

Es ist zu erinnern, dass in fast allen Bildern, wo der Teufel so abschreckend, so wider- wärtig dargestellt ist, er ein ganz anderes Amt ausübt als das des Versuchers. Im Verhältnis jedenfalls zu der unzählbaren Menge von Teufelsdarstellungen im Mittelalter tritt der Teufel nur ganz selten als Versucher auf, häufiger ist er dargestellt als das Böse, das dem Guten unterliegt, am allermeisten aber ist der Teufel im Mittelalter Henker und Scherge und Nachrichter der himmlischen Justiz, der Kaiser und Papst, Bürger, Bauer und Edelmann am grossen Seil in der Hölle feuerspeienden Rachen treibt.

Nichts wäre also verkehrter, als des strafenden Teufels hässliche Gestalt absurd zu nennen. Ganz im Gegenteil darf man es als ein glänzendes Zeichen mittelalterlicher Kultur bezeichnen, dass deren Künstler die Funktion des Höllenschergen so deutlich auszudrücken wussten. Treff- licher wenigstens ist dies, sein besonderes Amt, vorher wie nachher nicht zum Ausdruck ge- kommen, denn wir sehen es ihm an, auch wenn er nicht mit Enterhaken und Stacheln bewaffnet ist oder die Sünder in der Hölle rotflüssigem Pfuhl mit Kröten und Schlangen und Skorpionen traktiert.

Nur deshalb wohl erfreuen sich des Henkerteufels lustige Nachkommen in unsern Witz- blättern derselben Popularität noch, wie seine grimmigen Vorfahren kerngesunde, volkstümliche Gestalten waren.

Des Teufels Bild entsprach übrigens ganz der uns nun kindlich anmutenden Vorstellung, dass des höllischen Nachrichters Gestalt ebensoviel hässlicher als der irdische Henker sein müsse, der in der That und Vorstellung des Mittelalters stets ein Abscheu erregendes Individium war.

Wie auch immer die Entstehung und Ausbildung der Teufelsgestalt zu erklären sein mag: missverstandene Fragmente antiker Kunst mögen seine phantastische Ausbildung unterstützt haben der hässliche und ganz besonders der als Henker charakterisierte Teufe! ist eine ureigenste, künstlerische Schöpfung des Mittelalters.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Alle Völker des Mittelalters bildeten ihn so, alle Völker behalten diese Gestalt als veränderlichen Typus bei wo der Teufel eben Strafer sein soll. Nur wurde er nirgends so gern und so massenhaft dargestellt wie im düsteren Norden.

Zwar sind gerade von Italiens Künstlern höllische Darstellungen von monumentalem Geiste ge- schaffen, der grossen Dichtung verwandt oder auch folgend, aber es ist doch bezeichnend, dass die grössten italienischen Meister nicht solche höllischen Versammlungen darzustellen versucht haben wie die nordischen Künstler, die des Themas nicht müde wurden. Wohl gibt es zu denken, dass gerade die Meister der grössten italien- ischen Darstellungen dieser Art im Campo Santo zu Pisa oder im Chiostro verde von Sta. Maria Novella zu Florenz so lange namenlos geblieben sind. Unter Italiens grossen Künstlern früherer Jahrhunderte würden wir viele nennen können, die das Thema etwa gar das der Apokalypse niemals dargestellt haben, unter den nordischen nur sehr wenige.

Die Italiener hatten eben den für uns unerbringlichen Vorteil, Vollerben antiker Schön- heit und Monumentalität zu sein. So mochte sich wohl von Anfang an der hässliche Teufel leichter im Norden heimisch fühlen, während Engel und Aphroditen und himmlisch schöne Frauen immer noch auf Italiens Fluren lust- wandelten.

Ganz anders verhält es sich mit der Dar- stellung der Versuchung in der mittelalter- lichen und der ihr folgenden Kunst. Hier zeigt ""'" '"" '''"' """'■ ^'' Sündenfall. sich' ein grosses Unvermögen, die Schwäche, der

absurde Fehler mittelalterlicher Kultur und Kunst. Wie konnte nur der Teufel auch als Versucher fast immer ebenso abschreckend gestaltet werden wie als Henker? Wenn der Text mancher Legende dazu sehr eindrucksvoll aufforderte, so hätte doch gerade der Reichtum an legend- arischen und biblischen Versuchungsgeschichten frühzeitig zur Darstellung schöner Versucher und Versucherinnen anregen müssen, zumal in vielen Fällen von menschlich anziehenden Versuchungen der Heiligen die Rede ist. Von welch' schönen Schilderungen sind viele der Legenden erfüllt, die die Versuchung eines Heiligen erzählen. In welches Heiligen Leben spielte keine Versuchung?

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Gottfried Keller schrieb einmal: „Wer keine bitteren Erfahrungen und kein Leid kennt, der hat keine Malice, und wer keine Malice hat, bekommt nicht den Teufel in den Leib, und wer diesen nicht hat, kann nichts Kernhaftes arbeiten". Nicht weit davon steht die Anschauung jener Kirchenlehrer, jener Schriftsteller und Poeten, die die Legenden der Heiligen vor vielen hundert Jahren verfassten. Rückhaltslos müssen wir es bewundern, dass die Kirche gerade dem Leben der am meisten verehrten Heiligen durch des Teufels Anfechtungen die nötige schwarze Folie zu

geben wusste. Sicherlich hätten der /^li heilige Antonius, der heilige Benedikt, der heilige Franziskus und so viele andere verehrungswürdige Heilige nicht diesen Nimbus auch bei den grossen Volksmassen erlangt, wenn ihr ganzes Leben einem Wandern durch ein ab- geschiedenes blumiges Thal des Friedens gliche. So wurde selbst Christus drei- mal versucht und auch Gautama Buddha hatte unter einem Feigenbaume Seeien- kämpfe mit Gestalten dämonischer Art zu bestehen, welche Mara der Böse, der Dämon der Leidenschaften, gegen ihn gesandt.

Keines Heiligen Versuchungen hat die Kunst bis hinein in unsere Zeit lieber dargestellt als die des heiligen Antonius. Das mag an der phantasievollen Schilderung von Ort und Art der Versuchung des Heiligen liegen. Da wird sehr fesselnd erzählt, wie der heilige Antonius, nachdem er der Welt Eitelkeit gesehen, an den Ufern des Nils in den unterirdischen

Meister mit dem Zeichen LCZ. Die Versuchung Christi.

Gelassen eines verfallenen Schlosses Ruhe im Gebet suchte. Der dumpfige, düstere Ort war erfüllt von Schlangen und allerlei widrigem Getier. Da nahte sich ihm einst, gerade als der Sonne Strahlen in den Keller hinabfielen, die Göttin des Ruhms und der Weltehre.

Die frühesten Darstellungen sehen von dieser Handlung und Schilderung ab der Heilige allein und der Teufel, die genügten den Künstlern anfangs zur Darstellung der Versuchung, deren ausführliche Wiedergabe im Bilde ohnedies ein entwickelteres künstlerisches Können voraussetzte. Das wunderbarste von diesen Antoniusbildern ist Martin Schongauer's Stich mit dem heiligen

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Max Klinger rad.

I'llot. F. Hanfstacii)»!,

Christi Höllenfahrt

A. Feuerbach pinx.

Phot. F. Hanfstaengl, Münclien

St. Antonius

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Antonius in den Lüften. Wie packend und geistreich ist die Komposition des Ganzen was sind das für lebensvolle Teufelsgestalten ! Und doch sind es weder Menschen noch Amphibien, nicht Fische, nicht Säugetiere und nicht Vögel. Es sind Geschöpfe einer Welt des ewigen Hin und Her.

Und doch ist dieser Stich für uns keine Versuchung des heiligen Antonius. So schlägt und erschrickt uns nicht, so faucht und speit uns nicht die Sünde an, der wir erst unter- liegen sollen. Wir dürfen den Stich ruhig die Gewissens- qualen des heiligen Antonius nennen, denn das ändert nichts an unserer Bewunderung für diese künstlerische Schöpfung, die nach dem Namen nichts fragt, der ihr gegeben oder beigelegt wird.

Was von diesem Versuch- ungsbilde gilt, gilt von der grossen Mehrzahl aller Versuchungsbilder. Der hässliche Teufel ist uns kein Versucher.

Es ist nun merkwürdig, dass trotz dieses für uns em- pfindlichen inneren Widerspruchs in Gestalt und Bedeutung gerade der weitere Verfolg dieser Teufels- und Versuchungsbilder von gros- sem künstlerischem und kunst- historischem Reize ist. Der mittel- alterliche Teufel hat zwar recht lange' und oft zu recht unpassen- der Zeit seine alte Gestalt be-

Martin Schonganer. Die Versuchung des heil. Antonius.

wahrt, aber fast er allein ist von seinen Zeitgenossen entwicklungsfähig geblieben und auffallend frisch und lebensvoll führt gerade er uns durch Gefilde der Kunst, die uns jetzt gar nahe liegen.

Sehr bald schleicht sich in diese Bilder der Versuchung des heiligen Antonius ein satirischer Zug.

Die Bilder des Hieronymus Bosch, des Jan Mandijn spotten über die Narretei weltlicher Lüste und machen die Gestalt des Teufels selbst lächerlich. Es ist derselbe geistige Wandel, der

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

sich in der Metamorpiiose von der i<irchiich ernsten Mysterie zum derben Fastnachtssciiwank voll- zog. Aber während dieser literarische Wandel zur plumpen, klobigen Bauernzote fiJhrte, führt die Kunstgeschichte der Versuchungsbilder nicht nur recht eigentlich zu einer neuen Gattung von Bildern der Landschaft, die durchaus auf Luft und Farbenwiedergabe ausgeht sondern auch zu ungewöhnlich witzigen und geistvollen Künstlern wie Callot, die noch viel grösser zu achten sind, als ihre Radierungen und Bilder uns jetzt noch sind, wenn man an jene stumpf- sinnigste Allegoristerei denkt, in die die deutsche Kunst des 17. Jahrhunderts verfiel.

Bosch, ein Zeitgenosse des Sebastian Brant, des Thomas Murner, des Geiler von Keisers- berg, ist zwar noch Moralist. Sein Heuwagen, eine wunderbar herrliche Allegorie auf das Wort: ,. Alles Fleisch ist wie Heu", sein Garten der Lüste, seine Versuchungsbilder zeigen alle das Wesen dieser Welt zwischen Sündenfall und Hölle. Bosch liesse sich mit den grossen Satirikern, etwa Swift und Rabelais, vergleichen; sein Spott und seine Moral ist lustig-derb-grotesk, aber nicht schal und plump. Spaniens düsterer König Philipp 11. war ein besonderer Freund von Bosch's

Bildern. In seinen letzten Stunden noch soll er vor diesen Aus- geburten eines nordischen Geistes Zerstreuung und Erbauung ge- funden haben.

Auch bei den Brueghel und Teniers deuten die närrischsten Gebilde von tierischen, menschlichen und unorganischen Zusammen- setzungen die Narrheit der Welt und der Sünde an, die der Heilige im Geiste vor sich sehen mochte, als ihm die Göttin des Weltruhms ihren galligen Becher darbot. Ob nun die Schilderung des Ortes der Versuchung des Heiligen, oder ob nur das erweiterte künstlerische Sehen und Vermögen die Maler dazu trieb, aus dem reinfigürlichen Bilde ein wunderbar belebtes Landschaftsbild zu machen, ist gleich- gültig — jedenfalls waren sie es, die auf's intensivste die Aufgabe zu erfassen wussten, an deren Erfüllung gerade die Kunst unserer Zeit arbeitet : die malerische Erfassung von Luft und Farbe.

Die Bosch, Brueghel, Teniers, Callot verhelfen überdies durch eine neue Erfassung der Teufels- und Versuchungsbilder der künstler- ischen Befreiung von enger Illustration zum vollen Recht. Der Text der Legende wurde rein künstlerisch möglichst verwertet. Der Ge- danke wurde ein anderer die Melodie nur blieb.

Trotz aller Bewunderung für diese grossen Meister, dürfen wir lachen über den tollen Mummenschanz, der merkwürdiger Weise den Heiligen immer noch ernsthaft dreinschauen lässt. Diese Schreck- gespenster mögen uns oft berühren wie Maskenfeste der Hölle oder wie

Lucas Cranach d. A.

(Kopie nach Hieronymus Bosch) „amerikanische Exccntriqucs" j es ist wohl richtiger, als dass wir an-

Das Paradies

(Teilstück eines Fiiigeiaitars). nehmen, wie einige Gelehrte bereits versucht haben: jedes närrische

DIK KUNST UNSERER ZEIT.

Mühelangehi Biionarroti. Der Siindenfall und die Austreibung aus dem Paradies.

Phantasiegebild bedeute hier eine ganz bestimmte Sünde oder illustriere ein moralisches Gedicht jener Zeit. So schaffen wirklich nicht Künstler wie Bosch und Brueghel und Callot, die durch eigene Erfassung eines keineswegs neuen Themas bewiesen, wie viel Eigenes sie trotz aller mög- lichen Belesenheit zu geben wussten. Sie waren es ja gerade, die neue geistige, neue künstler- ische Bahnen eröffneten der alte Teufel hinderte sie nicht daran. Nur kleine Geister illustrieren selbst einen grossen Inhalt knechtisch und kleinlich, während der echte Künstler aus einer Hand voll weggeworfenen Lehms eine neue Welt zu bilden vermag.

Die Wiedergabe von Luft und Licht und Farbe, das war das künstlerisch Neue in diesen Bildern. Gewiss war auch ebenso, wie der nun satirische Inhalt der Spukgestalten, deren Gestaltung eine neue, denn während die früheren mehr drolligste Phantasien eines Naturforschers aller Reiche zu sein scheinen, muten uns die Teufel und Dämonen und Kobolde von Bosch bis Callot wie die Fieberphantasien eines verrückt gewordenen Ingenieurs an. Die Zeit war ja ganz dazu angethan, die Geister in der Erfindung von allerlei Kriegsmaschinen zu überhitzen. Doch diese Spukgestalten sagen es jedem Unbefangenen, dass sie trotz der neuen und schier unglaublichen Variation nicht das bemerkenswert Neue in diesen Versuchungsbildern sind, sondern dass sie am Ende einer langen Entwicklungsgeschichte der Fabelwesen stehen.

Thatsächlich sind sie späte Abkömmlinge, in Geist und Gestalt, von jenen improvisierten, fratzenhaften Randzeichnungen in Handschriften schon des 10. Jahrhunderts und all den spuk- haften Phantasiegebilden aus Stein und Holz in und an unseren Domen. Alle gehören sie der vielgearteten Familie des Teufels an. Aber was ursprünglich nur ein grotesker Einfall, eine Reminiszenz des Schreckens war, wurde durch die Kirche zum Teufel adoptiert, um dann wieder zur exzentrischen Groteske freiesten Spotts zu werden.

Es ist, als ob des Teufels Gestalt selbst zu der Zeit, als sie ganz in den Dienst der Kirche eingestellt wurde, nicht ihre Abstammung aus spontanen Phantasiegebilden des Schreckens ver-

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

leugnen konnte. Jedenfalls ist es auffallend, dass der Teufel nie als völlig selbständiges Kunstwerk, etwa als Statue (es müsste denn hiezu die Statue der Frau Welt gezählt werden) gebildet wurde und dass recht eigentlich das „Kunstgewerbe" im weitesten Sinn Hauptanteil an der Schöpfung der Teufelsgestalten des Mittelalters hat. Beim modernen Teufel ist auch dieses anders.

Nach Art, Form und Vorkommen, nach Vorbild, Inhalt wie Tendenz grundverschieden vom grässlichen, mittelalterlichen Teufel ist das Bild des Bösen im frühen Christentum.

Das reine Christentum wollte nichts wissen von Bildern des Todes und der Sünde. Es entlehnte nicht die Gestalt des Paus, um ein Bild des Schreckens zu schaffen. Es schuf Symbole des Erbarmens und der Freiheit, nicht des Verdammens und der Furcht. Wie es den hässlichen Anblick des blutigen Leichnams am Kreuze Christi scheute und statt dessen nur über dem Kreuze das Brustbild Christi erscheinen Hess, wie es Abstand nahm, die Martyrien seiner ersten An- hänger in der schlächterhaften Weise des späteren Mittelalters darzustellen, so erinnerte es mild und geistvoll durch ein Alpha und Omega oder durch das Buch des Lebens und des Todes, das in den Händen Gott Vaters ruht, an Tod und Sünde, an den Tod als der Sünde Sold. Wie sehr unterscheiden sich gar die frühesten Bilder des jüngsten Gerichts von den gleichen Bildern des

Jacques Callot. Die Versuchung des heil. Antonius.

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Ed. Grützner piiix.

Copyright 18% by Franz Hanfstaenf;!

Versuchung des Antonius

DIE KUNST UNSERER ZEIT. 9

Mittelalters und der späteren Zeit. Während diese fast undenkbar sind ohne ein Abführen und Verstössen der Verdammten in der Hölle brennenden Rachen, erinnert auf frühchristlichen Dar- stellungen der thronende Gott Vater auf dem Regenbogen an das Weltgericht. Neben ihm sitzen die Apostel oder die Evangelisten. Erde und Meer liegen in der von der Antike her bekannten Gestalt ruhig zu seinen Füssen. Achtfach beflügelte Cherubim stehen ihm zur Seite.

Oder in noch ansprechenderer Form wird das grosse Weltgericht durch des Gleichnisses Bild von Christus, der die Schafe von den Böcken trennt, angedeutet, oder wohl auch durch die reizende Parabel von den klugen und thörichten Jungfrauen. Keine Vergeltung wird ausgesprochen, nichts sollte schrecken und strafen. Man möchte fast meinen, es könne nicht dieselbe Kirche sein, die ursprünglich so zu erheben wusste und dann Entarteten wie Geängstigten beständig mit dem Teufel drohte.

Aber auch hier schon zeigt sich, wie sehr verschieden der Teufel im Buche vom Teufel in der Kunst ist, denn im Dogma war bereits im fünften Jahrhundert des Teufels Gestalt fixiert.

Bekannt ist ja, dass etwa in der gleichen Zeit bei Teufelsaustreibungen das Böse als kleine unbeflügelte Gestalt dargestellt wurde und dass die byzantinische Kunst unsern überaus monströsen Teufel nicht kannte, sondern mehr riesenhafte, barbarische Gestalten dafür wählte.

Allen Ländern, Völkern, Zeiten und Religionen scheint ein Bild des Bösen gemein zu sein es ist das Bild der Schlange.

Das allerfrüheste Symbol des Bösen in der christlichen Kunst ist die Schlange. Auf christ- lichen Lampen der ersten Jahrhunderte finden wir häufig ihr Bild in diesem Sinne.

Freilich ist sofort an der Schlange zwiefache Bedeutung zu erinnern, in fast allen Religionen ist sie oder ihr Bruder, der Drache der unnahbare Wächter. In der griechischen Kunst ist die Schlange der geheimnisvolle Kraftspender aller chthonischen Gottheiten. Und wer heute eine Schlange um seinen Finger trägt, wer eine Schlange im Wappen führt, dem kann sie nichts Mächtigeres bedeuten als die Schlange der Gäa oder des Aesculap oder des Apollo oder der Athene und aller Heroen, und sie möge ihn schützen wie der Meduse schlangenumschlungenes Haupt.

Während der Drache der Wächter der heiligsten Güter der Chinesen ist, wird in unserer heiligen Schrift Drache und Satan für denselben Begriff gebraucht also ist es ganz selbst- verständlich gewesen, in der Schlange das Böse an sich zu sehen. Wir dürfen annehmen, dass auch hier rein seelische Wirkungen der Natur auf den Menschen, die durch der Künstler Macht die intensivste Gestaltung erfahren, die Ursache sind, dass die Schlange als das universelle und ewige Bild des Bösen gilt.

Die Kirche sah ja auch im Löwen das Bild der Sünde, gleichzeitig aber auch das Bild der Kirche selbst. Daher die vielen säulentragenden Löwen vor den Portalen unserer romanischen Kirchen. Wem sind diese Löwen aber als Bild der Kirche geläufig? Muss dagegen

XIV 2

10

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Max KUnijer. Adam und Eva und Tod unil Teufel.

erst trockene Gelehrsamkeit dem Kinde erklären, dass der Drache da oder die Schlange dort nichts anderes bedeuten kann als die unheimliche Macht des Bösen ?

Es muss also einen tiefliegenden Grund haben, dass allen die Schlange so mächtig erscheint, als ein so mächtiges Bild der Sünde. Und dieser Grund wird wohl nirgends anders zu suchen sein als in der Schlange selbst.

Kein Tier hat die Menschen je so fasziniert wie die Schlange.

Weshalb? Erklären können wir es nicht, aber sehr vieles in ihrer Gestalt und Lebensweise macht es uns verständlich.

Ihr Vorkommen in allen Zonen, die Pole ausgenommen, macht sie schon zum universellen Tiere, zumal alles, wodurch sie unser Auge fesselt, in allen Familien und Arten das Gleiche bleibt.

Unheimlich sind ihre schnellen Bewegungen. Spannend wirkt die rätselhaft sichere Auf- lösung selbst eines ganzen Knäuels von Schlangen. Geräuschlos ist ihr Kommen wie Verschwinden. Obwohl sie auf dem Bauche kriecht wie der elendeste Wurm, liegt zweifellos etwas Vornehmes in ihren Bewegungen. Sie ist die Königin der Kriechtiere. Still, wie ihre Bewegungen, geht scheinbar ihr Leben dahin. Zischen ist ihre Sprache, dem Austreten heisser Dämpfe vergleichbar. Der Hals fehlt ihr oder er verschwindet im Verhältnis zum langen schlanken Körper. Und doch, wie stolz trägt sie ihr Haupt, wenn sie, eleganter als jeder Fisch, über des Wassers Spiegel dahin- gleitet. Wie wenig Phantasie braucht es, ihr ein Krönchen aufzusetzen.

„Und es ist kein Kopf so listig als der Schlangen Kopf", heisst es im Buche Sirach. Das Auge ist wohl das Faszinierendste in ihrer faszinierenden Erscheinung. Die Griechen nannten die Schlange nicht anders als die Sehende, während der Römer und unsere Bezeichnung nur das Erbärmlichste an ihr trifft.

Das Auge des erdgeborendsten Tieres, der Schlange, ist an Schärfe nur dem des Adlers vergleichbar, des Königs der Lüfte. Ihr durchdringender Blick macht sie, wie kein anderes Tier,

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

11

zum Wächter grosser Schätze, die der Erde anvertraut, ihrer Mutter. Ohne ihren Rachen zu öffnen, vermag sie ihre gespaltene Zunge weit hinausschiessen zu lassen. Das scheint allein den Drachen- und Teufelsbildnern entgangen zu sein.

Aber wie vieles von ihrer Natur hat weiter Seele und Phantasie der Menschen und Völker beschäftigt, musste sie um so mehr beschäftigen, je feinere Empfinder oder Beobachter sie waren.

Das Abwerfen der Haut, das wunderbarer wirken musste als etwa die Befreiung des Schmet- terlings aus seiner Larve. Das Verschlingen der Beute, die weit grösser sein kann als der Umfang desKopfes und Leibes derSchlange. Ihr kaltes Blut, ihr Winterschlaf, ihre völlige Erstarrung im trop- ischen Sommer und der Begleit- zustand monatelanger Bedürfnis- losigkeit ! Wie muss das alles und noch manches Andere, was hier nicht erwähnt werden kann, dazu geführt haben, in ihr ein Tier zu sehen von unheimlicher, übergewaltiger Macht ein Tier, das ausserhalb oder über den Naturgesetzen steht !

Und wie prächtig erscheint selbst die schmuckloseste Schlange nur durch ihre Glätte. Wie wunder- bar ist oft ihre Zeichnung und Farbenpracht und sie hat doch nicht des Paradiesvogels Gefieder.

Je länger wir uns in die Beobachtung der Schlange ver- tiefen, um so erklärlicher wird uns

ihre symbolische Bedeutung, um so wahrscheinlicher die Annahme, dass die seelischen Wirkungen ihres Anblickes auf alle Menschen sie zur Vertreterin einer fabelhaften, geheimnisvollen und deshalb vorzugsweise bösen Macht bildeten. Denn wenn schon im 8. Jahrhundert der hl. Johannes Damascenus eine Abhandlung über die fliegenden Drachen schrieb, so bezeichnet dies doch nur die Anfänge der symbolischen Ausbeutung seitens der Kirche, nicht aber erst die Anfänge der

Ma.r Klii/fjer. Saloine.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

fabelhaften Wirkung der Schlange auf die menschliche Seele. Und wenn andrerseits vermutet werden könnte, dass die Schlange deshalb so häufig dargestellt wird, weil ihre Form leichter wieder- zugeben ist, als die eines jeden anderen Tieres, so widerspricht dieser Vermutung die ober- flächlichste wie die genaue Übersicht der primitiven Ornamentik. Denn, wo die Schlange in diesen geometrischen und zwar oft recht komplizierten Ornamenten vorkommt, scheint man deutlich an sie als das Symbol einer unheimlichen Macht gedacht zu haben.

So würde das Thema von der Schlange in der Kunst nur durch eine vollständige Kunst- geschichte erschöpft werden können. Wie unzählig ist doch schon die Verwendung der Schlange in verschiedenem Sinne in der christlichen Kunst.

Beim Ritter St. Georg ist der Drache der grimmige Wächter der Königstochter wie gleichzeitig wohl auch das Bild des Heidentums. St. Michael besiegt in Gestalt des Drachens das Böse. Die Zahl der Heiligen aber, zu deren „Attri- but" die Schlange geworden, ist gar nicht so leicht festzustellen. Selten fehlt die Schlange unter früheren Kreuz- igungsbildern als die Schlange, „der das Weib den Kopf zertreten". Unter Maria's Füssen liegt sie deshalb noch häufiger. Graziös erinnerte an dieses erste Evangelium die Kunst des 18. Jahr- hunderts. Da steht das Christkind wie ein Prinz auf der Weltkugel, um die sich die Schlange des Paradieses windet. Aber noch längst nicht ist hiermit die Erinnerung an all' jene christlichen Kunstwerke mit einer symbolischen Schlange erschöpft. Als Schlänglein entweicht das Gift, das die Heiden in den Kelch St. Johannis geschüttet hatten. Auch wäre an die Bilder der schlangen- würgenden Prudentia und merkwürdiger Weise an Personifikationen der Tugenden wie der Laster zu erinnern. Schliesslich hätte man aber wie einer, der den Franz Stuck. Die Sünde. Wald vor Bäumcn nicht sieht die

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Schlange am Baume des Paradieses vergessen. Schon beim flüchtigen Überschauen der Bilder des Sünden- falles fällt nun eine Erscheinung merkwürdig in's Auge. Nur beim Sündenfall zeigt sich ungemein früh und anhaltend die künstlerische Tendenz, der Schlange etwas Verführerisches, Verlockendes zu geben, was wir ja bei allen Versuchungsbildern bisher vermissten. Ohne einen zierlichen Putz, ein Krönchen oder einen Aufsatz von Pfauenfedern ist die Schlange am Baume des Paradieses selten. Wie Eva schon auf frühchristlichen Sarko- phagen und anderen Denkmälern, bei aller Nacktheit im übrigen, modisch und reich geschmückt erscheint, so ist ihr an instinktiver Kenntnis, den sinnlichen Reiz zu steigern, die Schlange im Baume gewachsen. Ver- lockend sind beide schon auf Gläsern des 4. Jahrhunderts dargestellt, wo häufig die Schlange ihr Haupt ein- schmeichelnd an Eva's Hüfte schmiegt. Nur wenige Künstler bilden die Schlange am Baume des Lebens hässlich. Hat doch selbst das vierfüssige, wieselartige Schlangentier bei Hugo van der Goes einen noch ganz acceptablen weiblichen Kopf. Besonders reizvoll sind jene Sündenfallbilder, auf denen die Schlange eines Weibes unschuldig dreinschauenden Kopf oder einer Jungfrau zarten Oberkörper erhalten hat, um mit ge- winnender Gebärde den Apfel darzubieten.

Zwischen Frauenrechtlerinnen und Verteidigern der Schönheit der Schlange könnte diese auffallende künstlerische Erscheinung in den Sündenfallbildern Veranlassung zu lebhaften Diskussionen geben.

Weshalb hat hier den meisten Künstlern nicht das Bild der Schlange genügt? War es für die

Meisten zu schwierig, der Schlange faszinierendes Wesen in ihrer natürlichen Gestalt wieder- zugeben ? Das Bewusstsein hiervon mag immerhin vorhanden gewesen sein, stärker und ent- scheidend war aber sehr wahrscheinlich die Empfindung der Künstler, dass die Natur des Bösen nicht so einfach sei, als dass es bei diesem entscheidendsten aller Sündenfälle genüge, nur der Schlange natürliches Bild herzunehmen.

Das Böse ist fabelhaft und nur Zusammensetzungen verschiedener Organismen zu einem Lebewesen sind eigentlich fabelhaft. So wurde die Schlange hier zum Weib mit Schlangen-

Fraiis Stuck, biiciu-.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Hans Thoiiia. Versuchung Christi in der Wüste.

schweif und dort zum Drachen, wie auch der menschliche Teufel wenigstens Fledermausflügel be- kam, wenn er nicht als Kon- glomerat aller Tiergattungen er- scheint. Auf diese rein mensch- liche Empfindung darf es zurück- geführt werden, dass es wohl keinen Mythos, keine Religion gibt, deren rätselhafte Mächte nicht auch fabelhaft gedacht oder gebildet wurden.

Der Fabelwesen phantast- ischer Reigen, der stumm durch die Jahrtausende zieht, zeigt uns, dass auch unser Teufel um so

monströser werden musste, je mehr die Vorstellung von seiner Macht, der Schrecken vor ihm sich steigerte oder gesteigert werden sollte. Die Höllengestalten aber eines Callot deuten be- reits einen Umwandlungsprozess zu einfacherer und furchtloserer Auffassung an.

Werden und Wandel dieser Anschauung spielt sich in jedes kleinen Menschen nichtig Dasein innerhalb einiger Jahre ab, während er der Kunst nur von Jahrhunderten abzulesen ist. Das Kind nennt jedes fremde, wilde Tier ohne weiteres ein böses. Vor jedem vermummten, ja vor jedem fremden Menschen fürchtet es sich als vor einem bösen.

Dann verlacht der junge Mensch den Mummenschanz, er belustigt und erfreut sich an den Karikaturen. Schliesslich sehen wir aber das Böse in jedem alltäglichen Gesicht und wir fürchten das Böse in dieser Gestalt erst recht und bekämpfen es besser, als das Kind es vermag in jenen ihm rätselhaft erscheinenden Gestalten.

Wenn wir nun hier in der Kunst noch kaum dem Teufel begegnet sind, der so gebildet ist, wie ihn das gereiftere Alter tagtäglich sieht, dann sind wir wohl auch noch nicht zu einer Entwicklungs- stufe der Kunst gekommen, die dem Mannesalter gliche.

Wie steht es nun mit dem Teufel in unserer heutigen Kunst?

Hören wir nicht immer und sehen wir nicht so häufig, wie mannhaft sich unsere Kunst von allen antiquarischen Überlieferungen freimacht, wie sie die Dinge so zu bilden sich bemüht, wie sie die Welt und das Leben, das ihr gehört, anschaut? Ist das keine Phrase, dann muss sich auch auf diesem entlegenen Gebiete, wo man eine Neuerung zunächst nicht erwarten wird, ein grosser Wandel vollzogen haben. Wie bilden denn die Künstler unserer Zeit das Böse?

Sie bilden es von einigen knechtischen Kleingeistern abgesehen nicht mehr monströs. Auch den Henkerteufel werden wir ausser in witzigen Karikaturen kaum mehr finden. Was aber

DIE KUNST UNSERER ZEIT. 15

auffallender als dieses: die Künstler unserer Zeit bilden den Teufel häufiger, wenn nicht ganz allein, als Weib, denn als Mann. Mithin hat in unserer Zeit der Teufel Gestalt wie Beruf wie Geschlecht gewechselt.

Die grosse Sünde, die Sünde, die die Welt beherrscht und dem Tode unserer Welt nur eine kleine Zeitspanne vorausgehen kann, die bilden unsere besten Künstler nicht als strafendes Monstrum, sondern wie ein verführerisches Weib von ,, teuflischer" Schöne. Weshalb denn auch manche Künstler unserer Zeit in der trügerisch lockenden Sirene den Teufel gemalt haben.

Freilich, die Zahl der Teufelsbilder ist in unserer Zeit im Vergleich insbesondere zur Kunst des Mittelalters äusserst gering. Das ist um so bemerkenswerter, als auffallender Weise nur gerade solche Künstler dem uralten Bösen eine neue, packende Gestalt zu geben wussten, die auch sonst in ganz besonders hohem Rufe stehen.

Nur an drei Künstler, die der Sünde ganze Macht in völlig neue Bilder zu bannen wussten, soll hier erinnert werden : Felicien Rops, Max Klinger, Franz Stuck. Lässt schon deren Werk den grossen Wandel, den Wandel zum Grossen in der Kunst erkennen, so kann wohl nichts deutlicher als dieser Künstler Teufelsbilder uns vergegenwärtigen, welch eine Welt der Vorstellung und der Gestaltung zwischen dem Teufel und der Kunst des Mittelalters und dem Bösen und der Kunst unserer Zeit liegt.

Am bekanntesten sind Stuck' s düstere und doch so farbenleuchtende Bilder der Sünde. Das mag daran liegen, dass Stuck der sinnlich kräftigste, sinnlich ansprechendste Bildner der Sünde ist. Vor allen Dingen ist der Inhalt seiner Bilder fast für Jedermann plausibel, was viel weniger von Klinger's Allegorien, bei weitem nicht von Rops' genialen und gefährlichen Schöpfungen gilt. Stuck malt das böse Gewissen in Furien, die einen Mörder verfolgen, die Sinnlichkeit in der tötenden Umarmung einer Sphinx, die Sünde oder die Wollust oder der Leidenschaften ganze Gewalt als Sirene oder als nackendes Weib, das uns mit den Augen blendet, während eine mächtige kalte Schlange den glühenden Leib fester und fester umschlingt.

Die Schlange spielt in Stuck's Bildern der Sünde eine grosse Rolle, aber sie spielt sie natürlich und tragisch wie Hamlet, obwohl ihr Auge hier noch mehr leuchtet, als wenn uns die aus dem nassen Element und der Dunkelheit sich erhebende Schlange schreckt. Stuck's stark kontrastisch wirkender Kolorismus macht es vielleicht zum ersten Male der Kunst möglich, der Schlange ohne alle unnatürlichen Zuthaten, mit aller Deutlichkeit, den ganzen Reiz des furcht- baren Geheimnisses einer anderen Macht uns zuflüstern zu lassen.

Klinger steht zwischen Stuck und Rops. Zweifellos ist Klinger herber und tiefer. Stuck wirkt malerischer. Es fragt sich überdies, ob so bitterernste Gedanken, wie Klinger und Rops sie uns offenbaren, im grossen Bilde nicht unerträglich auf uns wirken müssten. So mag es dem Gepräge dieser beiden Künstlerindividualitäten besondere Schärfe und Schönheit verleihen, dass der Maler Stuck besser den Reiz der Sünde, der Griffelkünstler und Bildhauer Klinger aber in gewaltigerer Form die Sünde selbst, d. h. nicht die Wollust, die jetzt die Sünde gebären wird, sondern die ewig den Tod gebärende Sünde zu bilden weiss.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

So ein Monument der Sünde ist Klinger's Salome. So monumental hat noch Niemand die Sünde in eines Weibes schier alltäglich pikanten Zügen erfasst. Das ist nicht die und die Sünde, nicht die Sünde von gestern und heute, sondern die Macht, die die Welt angebetet hat und anbeten wird, um immer wieder dem Leben einen neuen Reiz abzugewinnen für einen Preis von Tausenden von Opfern.

Dekadent und moros sind dieser Salome Züge, ein Bild der römischen Gesellschaft, in der sie lebte. Wie krystallisiert und in monumentaler Einfachheit hat Klinger in dieser einen zier- lichen Halbfigur dasselbe auszudrücken gewusst wie Oskar Wilde in seinem figurenreichen Drama. Es ist eine Salome voll grausamster Perversität des Lebens.

Stuck malte. Klinger meisselte zum ersten Male die Sünde in einem selbständigen Kunst- werke. Rops aber hat in seinem ganzen Lebenswerke alles das künstlerisch zu krystallisieren vermocht, was zum mindesten das ganze nordische Geistes- und Empfindungsleben unserer Zeit vom Bösen und seiner Gestalt hält. Denn Rops steht als Flamländer zu sehr zwischen der romanischen und germanischen Rasse, als dass das Urteil der Franzosen, die in seinen teuflischen Schöpfungen einen spezifisch französischen, lustigen, galanten, zu Satire und Komik geneigten Gehalt rühmen, ohne weiteres als zutreffend bezeichnet werden könnte. Gewiss mag sehr Vieles in seinen Bildern voll prickelnden Humors sein, der Grundcharakter ist doch unwidersprechlich ein tiefernster und moralischer. Barbey d'Aurevilly sagt in der Vorrede zu seinen Romanen „Les Diaboliques" folgendes: „Wie schon ihr Titel „Die Teuflischen" besagt, erheben sie nicht den Anspruch, ein Andachtsbuch, eine „Nachfolge Christi" zu sein. . . . Und dennoch sind sie von einem christlich denkenden Moralisten geschrieben, der aber seine Ehre dareinsetzt, ehrliche, wenn auch sehr kühne Beobachtungen wiederzugeben, und er glaubt das ist so seine Poetik dass die kraftvollen Maler alles malen kön- nen und dass ihre Bilder hinlänglich moralisch sind, wenn sie tragisch sind und Abscheu erwecken vor den Dingen, die sie darstellen. Unmoral- isch sind nur die Lauen und die un- gläubigen Spötter. Ich glaube kaum, dass es Jemanden gibt, der, nachdem er die „Teuflischen" gelesen, Lust hätte, es ihnen nachzuthun."

Wer die „Teuflischen" des Rops sich recht anschaut, der wird auch ihn nicht als einen Zeichner des galanten Paris, sondern als einen ganz gran- diosen Pessimisten beurteilen. Sein

grosser Landsmann Karl Huysmans Ferdinand Götz. Die Versuchung des heil. Antonius.

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F. M. Bredt pinx.

Phot. F. HaiiMauiiKl, Münchcri

Sirenen

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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gibt dieser Anschauung recht. Wie grausam ist docii Rops' Phantastilc in seinen Vignetten und Illustrationen, die schon deshalb bewundernswerte Kunstschöpfungen sind, weil sie nicht illustrieren, sondern Verwandtes in Eigenem zu krystallisieren wissen. Zu Peladan's „Vice supreme", zu Hannon's

Felicien Rops. La femme et la folie dominant le monde.

(Mit Genehmigung von Gustave Pellet, fiditeur d'estampes in Paris, 9 Quai Voltaire.)

„Rimes de joie", zu Verlaine's Liedern, zu Mallarme's „la grande Lyre", zu Uzanne's „Son altesse la femme", zu Barbey d'Aurevilly's „Les Diaboliques", zu Peladan's „Initiation sentimentale" hat Rops Bilder der Sünde hinzugefügt, wie sie in diesem Rahmen, d. h. als Illustrationen oder Titel, geistvoller und künstlerisch werteigener nicht gedacht werden können.

XIV 3

18 DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Wie neu ist aber auch Rops in den selbständigen Bildern der Sünde. Wie neu und unserem Geiste entsprechend hat er das alte Thema der Versuchung des heiligen Antonius darzustellen gewusst und gewagt. In diesen Bildern ist er der Alle fesselnde Künstler und Moralist. Das gilt gerade von Bildern, die gegenständlich in die Rubrik „Genre" gehörten. Wie gierig-stupid,, heuchlerisch schmunzelnd stieren seine Trappisten in den grossen Folianten von „Sodom's Zerstörung". Rops' berühmtes Bild „Der Klatsch" würde gegenständlich in das Illustrationsgebiet der „Gartenlaube" passen. Sechs alte und junge Klatschbasen sitzen da beieinander, die ältere erzählt „die alte Geschichte". Sünde ist das Thema. Sechsmal spiegelt sich die immer variierte Lust an der Sünde in Gesicht wie Haltung dieser köstlichen Banausen ab. Wie knapp ist der Witz, wie knapp erwogen der künstlerische Ausdruck!

Rops' ganzes Werk fast ist eine so scharfe und witzige Moralpredigt, wie sie die Welt in moralisch entarteten Zeiten zwar schon gehört, aber noch nie in so künstlerischer Darstellung gesehen hat. Wie künstlerisch reif und vollhaltig, von welch tiefem Ernst die Teufelsbilder eines Rops erfüllt sind, das zeigt ein Vergleich mit ähnlichen Bildern Sascha Schneider's. Wie hohl und theatralisch müssen den modernen Menschen Schneider's Sündenbilder mit ihrer billigen, aufdringlichen Allegoristik, ihrer verspäteten Phantastik berühren. Rops, der zu früh Verstorbene, war ein Mensch von ungewöhnlichen Kenntnissen, ein Künstler ungewöhnlichen Könnens und Empfindens. Freilich, seine Schöpfungen sind durchaus nichts für Philister, sie sind für das Volk unbrauchbarer als Kaviar.

Benno Rüttenauer hat in einem sehr feinsinnigen Essai*) an Octave Uzanne erinnert, der Rops den Enkel Rabelais' nennt. Rüttenauer vergleicht überdies mit Recht die künstlerische Sprache der Rops'schen Teufeleien mit der Sprache der Apokalypse. „An ungeheuerlicher und schauerlicher Phantasie stehen sie (die Rops'schen Bilder) ihr nicht nach und in rücksichtslosem Cynismus lassen sie die Bibel weit hinter sich." Zweifellos ist der Geist der Rops'schen Teufel jenen mächtigen alten Phantasien und Dichtungen verwandt.

Um so auffallender ist nur, dass erst die Kunst unserer Zeit eine so neue und schliess- lich so gewaltig einfache Form gefunden hat, die der uralt bösen Vorstellung wirklich entspricht.

Diese unleugbare Thatsache darf uns unsere Zeit wunderbar und ausserordentlich vorkommen lassen. Rops, weit mehr als Klinger und Stuck, ist ein ganz ausserordentlicher Neugestalter gewesen. Freilich müssen wir vermuten und zugeben, dass dieser grosse Wandel in der künstler- ischen Darstellung des Bösen sich nicht auf einmal vollzogen hat. Vereinzelte Vorläufer dieser künstlerischen Auffassung finden sich schon längst in der Kunst.

Also nicht auf einmal ist der Henkerteufel ein Verführer, ist aus dem tierischen ein menschlicher Teufel geworden. Doch so grausam und unerbittlich, so tief und herb, wie gerade bei Rops, ist vor diesem noch nie die Sünde künstlerisch gebildet worden.

Es gehört zweifellos eine grosse Reife des Menschengeschlechtes dazu, eine solche Bildung zu ermöglichen, und es gehört nicht nur grosser Mut dazu, das Böse endlich einmal so zu ge-

♦) In „Symbolische Kunst" Strassburg, Heitz 1900, siehe auch „La Piume" No. 172 vom 15. Juni 18% (Illustrierter Katalog der Werke Rops).

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stalten, wie es durch die Jahrtausende nur zu erdenken gewagt wurde. Es setzt überdies ein grosses, sehr verfeinertes künstlerisches Darstellungsvermögen voraus, insbesondere das Vermögen dazu, alles Stoffliche, alles Seelische ohne weiteres darstellen zu können. Rops und Klinger und Stuck erheben sich keck über des Dichters Rezept: „Male die Wollust, doch male den Teufel dazu". Sie malen die Wollust, indem sie den Tod, und sie malen den Tod, indem sie die Sünde malen.

Auffallend nur, dass unsere heutige Kunst die Sünde fast nur im Weibe sieht! Spielt da gar die Frauenfrage herein ? Oder ist es die Furcht vor dem Weibe? Und wie kommt es, dass die sexuelle Frage auch beim Thema Teufel gegenwärtig eine so herr- schende ist?

Das vermag unsere Zeit uns nicht zu sagen. Uns genügt die Thatsache, dass die ethische Kraft der Verurteilung, die im neuen Teufelsbilde zum Ausdruck kommt, eine grössere ist denn je.

Es zeigt sich, dass wir keinem Jahrhundert ferner sind als dem unkünstlerischsten sieb- zehnten Jahrhundert mit der schwerfälligen und stumpfsinn- igen Fülle plattester, ausgeklügel- ter, stummer Symbolik,

Felicien Rops. Les diables froids.

(Mit Genehmigung von Gustave Pellet, fiditeur d'estampes in Paris, 9 Quai Voltaire.)

Jakob Burckhardt spricht einmal die Vermutung aus, dass der Weg vom Schrecklichen durch das Komische zuletzt zum Schönen führe.

Die Kunstgeschichte des nordischen Teufels bestätigt diese Vermutung.

Uns erinnert die nun menschlich gebildete, freilich nicht in „reiner Schönheit" gebildete Sünde an den menschlich und heiter gebildeten Pan in der letzten Phase griechischer Kunst und hellenischen Geistes. Aber es ist doch ein gewaltiger Unterschied zwischen beiden künstlerischen Verkörperungen. Der zierlich gestaltete Pan mit seinen koketten spitzen Ohrchen war doch zur

20 DIE KUNST UNSERER ZEIT.

fast nichtssagenden, beliebten Genrefigur geworden. Es war nichts mehr von einem Halbgott in ihm. Freilich auch unser Teufel scheint seine alte Religion vergessen zu haben er ist keine kirchliche Figur mehr, sondern er ist menschlich, vielleicht für manchen allzumenschlich geworden. Daran ist nichts zu ändern, was diese Menschwerdung nun auch für den vollzogenen Wandel religiöser oder geistiger Anschauung bedeuten möge.

Viel bedeutet sie ganz gewiss, aber ganz etwas anderes als der schliesslich menschlich gebildete Pan der sinkenden hellenischen Kultur. Der letzte Pan war frivol und gehaltlos ge- worden, indem er zum Menschen wurde.

Unsere Künstler aber fassen den ganzen mächtigen, grausigen Sinn der Sünde fester zu- sammen als je und stellen sie in schaudernder Nacktheit herber und packender und ernster dar, als sie noch die Jahrtausende zu bilden gewagt.

So steht der Teufel, wie ihn die Künstler unserer Tage bilden, nicht am Ende einer Zivilisation und nicht am Ende einer Kunst. Seine Moral ist packender denn je und bildet eine Höhe, von der eine neue Welt sich zeigt.

Petrus Cristus. Teilstück aus „Das jüngste Gericht".

Anselm Feuerbach

W

VON

FRITZ VON OSTINI.

öher gestrebt, reiner gewollt, von schönerer Begeisterung geglüht,

. . als Anselm Feuerbach, hat kein Maler des neunzehnten lahr-

y / hunderts ! In unerschöpflicher Fülle quollen die Bilder aus

, seiner Phantasie, mit grosszügiger Gestaltungskraft bannte er

X^ sie auf seine Leinwand, reich und fruchtbar im Schaffen, aber

, i auch voll strenger Selbstzucht, nie sich genügend, ein Priester

der idealen Schönheit und stark im persönlichen Ausdruck seiner Kunst dabei. So vielgespalten und widersprechend heute in Sachen der Malerei die Meinungen Derer sich gegenüberstehen, ^'^^ welche sachverständig heissen über ihn ist nur eine Stimme

N3tf^ hohen Lobes, die ihn unter die Höchsten seiner Zunft einreiht.

Und doch ist Anselm Feuerbach für das deutsche Volk auch heute nicht viel mehr als ein wohlklingender, achtunggebietender Name, mit dem auch von den Gebildeten nur einen kleinen Teil innigere geistige Beziehungen, tieferes Verständnis verbinden. Im Grossen und Ganzen ist er sein Leben lang ein Einsamer gewesen und es ward ihm nicht ein- mal das bittersüsse Glück posthumer Anerkennung im verdienten Masse. Es ward ihm immer nur Achtung, hohe, bedingungslose Achtung, aber keine hingerissene Bewunderung zu Teil. Woran das liegen mag? Die Antwort ist nicht ganz leicht, wenigstens was den Anteil der Mitwelt angeht. Was Feuerbach selbst mit dieser Mitwelt in Zwiespalt setzte, liegt freilich klar am Tag; über keines anderen grossen Künstlers Leben und innere Entwicklung vielleicht liegt so wertvolles und erschöpfendes Material vor wie über das seinige, hat er uns doch in seinem, dann pietätvoll über- arbeiteten und ergänzten „Vermächtnis" über seine Meinungen und Erlebnisse reiche, tiefgründige Aufschlüsse gegeben. Aber was hat ihm die Gunst des Publikums so hartnäckig ferngehalten? Viel- leicht war er einer von den grossen Geistern, deren Unglück es ist, nicht in ihre Zeit, vielleicht auch nicht in ihr Land zu passen. Er stand zwischen den zwei grossen künstlerischen Bewegungen des Jahrhunderts, der klassizistischen und der realistischen, um Worte zu gebrauchen, welche das Wesen jener Strömungen zwar nicht decken, aber doch andeuten. Den Kindern der Zeit, die ihn

XIV 4

22 DIE KUNST UNSERER ZEIT.

gebar, war er ein ungestümer Neuerer, der Epoche der färb- und lebenslosen Nazarenermalerei ein kühner, allzu üppiger Kolorist sie verstanden ihn nicht. Und dann vollzog sich der grosse Um- schwung in der deutschen Malerei, das leidenschaftliche Hindrängen zur Natur, die Abwendung vom Pathetischen, und die Zeit, die über ihn hinweggegangen zu sein glaubte, verstand ihn wieder nicht zuerst noch nicht und dann nicht mehr! Der Sinn für das Feierliche, für die schöne Gebärde, für das volltönige Rauschen grosser Farbenharmonien war den Deutschen abhanden ge- kommen. Und der düstere Ernst, der, ein Widerschein von des Künstlers wenig glücklicher Seele, in seinen Formen und Farben war, entsprach auch nicht dem Geschmacke der Zeit, ebensowenig das vornehme Hellenentum Feuerbach's ; dass er neben und nach so vielen unechten Hellenen in der Kunst ein echter war, ist nicht so leicht zu erkennen gewesen. Seine Stoffwelt trägt wohl mit die grösste Schuld daran, dass er nicht voll gewürdigt wurde. Die deutsche Kunst war ja mit Antike übersättigt, übersättigt durch die kalte Monotonie und die naturfremde Farbenarmut der Akademiker, ob sie nun malten oder den Meissel führten. Bei Feuerbach war nun freilich das heisses, pulsierendes Leben, was bei jenen überschminkter Tod gewesen ist. Aber das, was man so den Geschmack einer Zeit nennt, fragt nicht nach solchen Unterschieden ! Warum war Anselm Feuerbach auch gerade in Deutschland geboren ! Warum nicht in England, wo er neben seinen Zeit- genossen Gabriel Charles Dante Rossetti und Burne-Jones, die er an Wucht und Temperament der Begabung, wenn auch nicht an verfeinertem Geschmack um mehr als Haupteslänge überragt, wohl als Stern ersten Ranges wäre gefeiert worden !

Auch rein Menschliches mag seinen Teil haben daran, dass er äusserlich nicht den Platz in der Kunstwelt einnahm, der ihm gebührte. Der Verbitterte verbitterte wieder. Er erkannte wenig Fremdes an, vor allem wenig in der deutschen Kunst und glaubte nur einem Dank zu schulden, dem Franzosen Couture, in dessen Schule er seinen Weg gefunden. Sein Urteil war, auch wo es treffend war, hart und schroff. So ist nun freilich das Urteil der meisten, nicht hin- reichend anerkannten Künstler von stark ausgesprochener Persönlichkeit, und auch unter den Lebenden und Anerkannten ist eine ganze Anzahl solcher, die meist ebenso sicher über das Ziel hinaustreffen, wie einst Feuerbach ; man denke nur an Lenbach, an Begas, an Menzel. Man er- innere sich, wie unbarmherzig ein Böcklin oft die Besten abthat und dann doch wieder gewandte Routiniers lobte. Es ist das eben ein Künstlerrecht: wer an sich selber glaubt, lässt das so leicht nicht gelten, was ihm zuwider ist. Und alle Härte in Anselm Feuerbach's Urteilen und alle Schwer- mut, die auf seiner Seele lastete, ist begreiflich, wenn man seine innere Entwicklung mit ihren grossen Linien und mit ihrer herben Tragik verstehen gelernt, wenn man erkannt hat, mit welch titanischem Willen er emporgestrebt, wie ihm das Grösste eben gross genug und er dem Grössten dann doch nicht gewachsen war. Mit Grausamkeit und Hohn sieht das Publikum zu, wenn sich ein Genius abquält an solchen Dingen und erliegt, mit Wollust legt es die Finger an jene Stellen, wo auch der Gigant verwundbar gewesen, und mit kindischer Freude rechnet es ihm jedes Misslingen nach. Der deutsche Kunstphilister kennt kein ruhiges Ablehnen einer Sache, die ihm nicht gefällig und geläufig ist, er kennt hier nur Hass und Hohn. Was mag da im Busen eines Grossen vorgehen, der

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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sein Bestes gethan hat, und dem jener Hass und Hohn entgegengrinst, wo er jauchzenden Beifall erwarten durfte. Ein Feuerbach war auch da gross, wo seinem Wollen kein volles Gelingen ent- sprach. Gegen seine „Amazonenschlacht" lässt sich gewiss manches sagen, aber wer sie tadelt, tadle sie mit dem Hut in der Hand. Und wie hat man sie damals empfangen, diese Amazonen- schlacht, als er sie nach fünfzehnjährigem heissem Ringen vollendet hatte, wie hat man sie in

Anselm Feuerbach. Selbstbildnis.

Wien empfangen und anderswo ! Ich kann das Vestibül des Münchener Glaspalastes kaum betreten, ohne mit dem Blick hoch oben im Eisengerüst der Mittelhalle die Stelle zu suchen, wo man das Bild 1876 totgehängt hatte noch einmal: das Bild, in dem ein Feuerbach sein Bestes zu geben geglaubt. Über die Wiener Aufnahme möge er selber reden. Er hatte das Bild und etliche Wochen später die zweite Version des Gastmahls des Plato im Wiener Künstlerhaus aus- gestellt. Und nun schreibt er:

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

AiiNcliu Feiicrhaili. Spielende Kinder.

,,Es brach ein Sturm über mich los, der mich wenigstens über die Bedeutung der Bilder beruhigen konnte. Ich setzte mich nicht zu Tische, ohne Spott- und Hohn-Kritiken, ohne Kari- katuren — leider waren sie immer schlecht! neben meinem Couvert zu finden, und ich legte mich nicht zu Bett, ohne von den Dachtraufen meine Niederlagen erzählen zu hören. Man sagte mir, dass vom Professor bis zum Hausknecht herab sich alle über mein schlechtes Bild lustig machten!" In München hatten sie ihm, als er 1876 die Amazonenschlacht und das erwähnte „Symposion" ausgestellt, sogar die grosse goldene Medaille verliehen, aber nicht für eines der grossen Bilder, sondern für einen zehn oder mehr Jahre alten Studienkopf, der mit ausgestellt worden war. Der Schlag ist vielleicht bitterer vom Künstler empfunden worden, als jede andere banausische Rohheit, die er erfuhr. Es gibt etwas, das für den Genius noch grausamer sein kann, als der Pöbel das ist eine perfide Koterie von Berufsgenossen.

Mit jedem grossen Werke, das sich von seiner Seele losrang denn Geister, wie der Anselm Feuerbach's bringen ihre Kinder mit Schmerzen zur Welt! hatte sich das gleiche Spiel wiederholt, mit wenig Variationen. Er brachte immer anderes, als man von ihm erwartete oder wünschte, Kompromisse kannte er nicht Ablehnung und Kränkung war meist die Antwort. So hatte ihn grollende Schwermut nie verlassen, ein Ding, das er schon mit dem Sinn für das Schöne vom Vater ererbt, der auch eine schwermütige Natur gewesen ist. Und dieser melancholische Grundzug seines Wesens geht durch sein Schaffen, spricht aus der dunklen Harmonie seiner Farben, aus den Mienen der Menschen, die er schildert. Richard Muther charakterisiert ihn meisterlich, wenn er schreibt: „Diese müde Resignation scheint dann auch aus seinen Bildern zu sprechen. Keiner von den Alten hatte diese moderne Melancholie, diesen Hauch von Schwermut, der über

Aiiscim l*'o«erbacli piiix.

Phot. F. Hanfstaciigl, Miiiichcii

Ricordo di Tivoli

CO

Dii£ KUNST UNSERER ZEIT.

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Feuerbach's Arbeiten brütet. Schon die jungen Frauen um Dante sind von jener Trauer erfüllt, die mitunter am Abend schwüler Sommertage die Jugend überkommt, wenn eine Vorausahnung der Vergänglichkeit der Dinge sie anfliegt. Es ist, als würden diese Gestalten alle einst in's Kloster gehen, oder wie Iphigenie einsam am Ufer eines Meeres sitzen, über das keine Schiffe für sie heranfahren. Und es ist gewiss kein Zufall, dass gerade Iphigenie sich des Künstlers so bemächtigte, dass er immer von neuem ansetzte, ihr Gestalt zu geben, und dass neben sie später Medea trat als Verkörperung noch höherer Verlassenheit, die des Künstlers Seele erfüllte. Die Kolchierin, die fröstelnd am Ufer des Meeres sitzt, von den Gefühlen der Verlassenheit durchschauert; des Agamemnon Tochter, die das Land der Griechen mit der Seele sucht, vor ihr ein endloses Meer, weit und grau, wie die Sehnsucht das ist der vereinsamte Feuerbach selbst, der gleich Hölderlin, dem Werther Griechenlands, in ein traumhaftes Hellas wie in glückliche Gestade flüchtet, um Ruhe zu finden für die kranke Seele. Sein Gastmahl des Plato hat nicht jene übermütige Sinnlichkeit, die Mischung von Esprit und Üppigkeit, von Mass und Unmass, die das athenische Leben unter Perikles kennzeichnet, auch nicht die olympische Heiterkeit, mit der Raffael den Stoff geschildert hätte. Ein Hauch mönchischer Askese liegt, jede Freude dämpfend, darüber. Diese Griechen haben die Schmerzen gekostet, die das Christentum in die Welt gebracht!"

Das Wort ist trefflich, und der Zwie- spalt von Hellenentum und Nazarener- strenge, der durch Feuerbach's Kunst sich verfolgen lässt, mag nicht nur ihm selber so manche tiefe Wirrnis gebracht haben, sondern auch daran mit eine Hauptschuld tragen, dass ihn seine Mitwelt nicht ver- stand und vielleicht seine Nachwelt ihn nie verstehen wird. Auch der Hellene Böcklin ist lange unerkannt geblieben; aber endlich musste die sonnige Heiterkeit und Freiheit seines künstlerischen Wesens auch die Leute aus Philisterland gewinnen, die olympische Ruhe und Stetigkeit, mit der er seinen Weg ging, allen Widerstand der stumpfen Welt besiegen. Feuerbach's Kunst war nicht heiter, im ganzen war sie ernst, wie sein Leben, das Leben eines Mannes, der Schweres erfuhr und alles doppelt schwer nahm, der das ihm gethane Unrecht nicht mit kühler Überlegenheit sieghaft abschüt- telte, sondern mit brennenden Schmerzen Ausc/w Fcm-ibdiii. Hanctzcicimung

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

bis auf die Neige durchkostete. Es war ihm freilich ein ungeheuerliches Mass von Unrecht zu- gemessen worden und alle luden sie ihr Teil auf seine gefolterte Seele ab, Schaupöbel und Kollegen, Mäcene und Widersacher vom Schlage des Herrn Karl Friedrich Lessing, Kunstmalers und Galeriedirektors in Karlsruhe I

Warum sich die Nachwelt immer noch so kühl zu Anselm Feuerbach verhält? Als er 1880 starb, war eine Kunstanschauung allgemein geworden, die sich der seinigen fast diametral gegenüber stellte. Er war einst ein wagemutiger Neuerer als Kolorist gewesen nun nannte man das kaum mehr Farbe, was seine Zeitgenossen einst als tollkühne Ausschweifungen des Kolorits betrachtet hatten. Seine feierliche Art, sein heroischer, an der Antike, wie an den Meistern der Renaissance gebildeter Stil passte schlecht in das Zeitalter des Pleinair und des Paysage intime. Die Reaktion gegen

die alte Gedanken-, Geschichts- und Anekdotenmalerei war ein- getreten und man hatte kein Organ mehr für den stark literarischen dramatischen Zug, der wohl ein Hauptkennzeichen des Feuerbach'schen Stils bildet. Er war ein grosser Maler, gewiss, aber, und zwar in des Wortes vollster Bedeutung, auch ein grosser Poet, und an der Schönheitsfreude in seinem Schaffen hat der Poet vielleicht oft mehr Anteil als der Maler. Den Eindruck empfängt man unmittelbar vor seinen Bildern, liest man aber das, was er selber über ihr Entstehen, über die Erlebnisse seiner Seele in Schaffenswehen schreibt , so findet man erst recht, wie sehr in ihm die Idee übermächtig war, die dichterische Idee und nicht der malerische, nicht der farbige Gedanke, wie zum Bei- spiel bei Böcklin. Das sei nicht als Vorhalt gegen seine Kunst

Anselm Feuerbach. Rückwärts stürzende Amazone (Studie). gesagt, Sondern nur als eine

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Ansehii Feiteibacli . Sterbende Amazone (Studie).

Sie erschlösse ihm Schätze an Schön-

Ericlärung für das Verhalten seiner Zeit gegen ihn. Was der Maler nicht unmittelbar nach den lebendigen Ein- drücken der Natur empfunden, das wirkt als Gemälde nicht unmittelbar auf den Beschauer, namentlich nicht in einer Zeit, die verlernt hat, in Bildern tiefere Ge- danken zu suchen. Die Gegenwart, die, allen Seiten- sprüngen der Mode zum Trotz, eine Zeit des Neuidealis- mus in der Kunst ist, würde einem Feuerbach zweifellos eher gerecht werden, und wenn man jetzt, eventuell in zwei Jahren an seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag, eine umfassende Ausstellung Feuerbach'scher Gemälde aus allen Schaffensperioden zu stände brächte, sie würde einen glänzenden Erfolg haben und bedeutete nicht nur einen Akt der Gerechtigkeit, sondern auch einen enormen kulturellen Gewinn für das deutsche Volk heit, die man fast neue heissen könnte, und lehrte es, in einem grossen Künstler auch einen grossen Menschen bewundern und ehren. Und jeder grosse Mensch, jeder Vertreter einer reinen und idealen Gesinnung ist schon durch sich selber, von seinem Wert als Schöpfer ganz ab- gesehen, ein Glück für seine Nation!

Es ist uns vergönnt, Feuerbach's Lebensschicksale und den Gang seiner inneren Entwicklung aus zwei Büchern kennen zu lernen, die da über jede Frage den sichersten und gründlichsten Aufschluss geben : aus seinen eigenen Aufzeichnungen, die er gegen Ende der siebziger Jahre des

19. Jahrhunderts gemacht hat und die, wie erwähnt, unter dem Titel „Ein Vermächtnis" bekannt sind, und aus dem Buche des Julius Allgeyer: „Anselm Feuerbach. Sein Leben und seine Kunst". Allgeyer hat die schweren römischen Sturmjahre Feuer- bach's als teilnehmender und thatkräftiger Freund mit diesem durchlebt und das künstlerische Wollen und Werden des Malers mit einer Liebe und Sorgfalt ver- folgt, wie sie so oft noch kein Biograph an die Ge- schichte seines Helden gewendet hat. Im Verein mit Henriette Feuerbach, der grossherzigen opfermutigen Stiefmutter des Künstlers, welcher dieser Unendliches verdankt, hat Allgeyer aus Briefen und anderem das Material in vollkommenster Weise ergänzt und seinem erschöpfenden Buche ist in der Hauptsache alles that- Anschii FcHcrhKch. Studienkopf (Handzeichnung). sachliche Material für das Folgende entnommen.

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Ansclm Feiicrhdrh. Kleine Latitcnspielerin (Handzeichnung).

Anselm Feuerbach stammt aus einer Familie, die sich seit Generationen schon durch hervorragende Leistungen auf allen Gebieten des Geisteslebens aus- gezeichnet hatte. Der Grossvater Paul Johann Anselm Ritter von Feuerbach (geb. 1 775) war ein berijhmter Rechts- gelehrter und bayerischer Staatsmann ; der Vater, Anselm Feuerbach, Archäo- loge von Ruf, Verfasser des einst viel- genannten „Vatikanischen Apoll", dessen Brüder Karl als Mathematiker, Ludwig als Philosoph, Eduard als Jurist und Friedrich als Philologe und Orientalist ausgezeichnet. Anselm Feuerbach, der Vater, war eine vornehme Gelehrten- natur, stark dichterisch veranlagt, em- pfindlich und phantasiereich, ein Mensch, geboren, um unglücklich zu sein. Er hatte erst Theologe werden wollen, sich von dieser Idee nach schweren Kämpfen wieder losgemacht und dann den klass- ischen Wissenschaften zugewendet. Er heiratete eine Frau, die er leidenschaft- lich liebte und bald nach Anselm's Geburt

wieder verlor. In Henriette Heydenreich, der zweiten Gemahlin des Vaters, erhielt Anselm dann eine Stiefmutter, welche ihm die echte Mutter vollkommen ersetzte, ja weit über ihre Pflicht hinaus in hingebender selbstloser Liebe sein ganzes Leben und Geschick begleitet hat. Der Vater war erst Gymnasiallehrer in Speyer, 1836 kam er als Professor der Philologie und Altertumskunde an die Universität nach Freiburg i. B. Ein paar Jahre später ward sein Lebenswunsch erfüllt, eine Reise nach Italien, der heissersehnten Stätte klassischer Kunst, ward ihm ermöglicht, aber er kam zurück „als ein ziemlich stiller Mann", mit reicher Ausbeute an Erinnerungen, Kenntnissen und Eindrücken zwar, aber nicht mit starkem Aufschwung der Energie und dem Mut zu neuen Flügen. Im Hause Feuerbach war ein schönes Familienleben, an vielseitigen Eindrücken für die Kinder reich. Es wurde viel gute Musik gemacht, was dauernd in des Künstlers Wesen seine Spuren hinterliess, und der Knabe empfing von des Vaters Sammlungen an Münzen, Abgüssen und Stichen die ersten Offenbarungen der Kunst. Er selbst stellt fest, dass durch diese Sammlungen „das Fundament für seine spätere künstlerische Richtung gelegt wurde." Trotz aller Liebe zwischen

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Phot. V. HantstaettKl. München

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Eltern und Kindern war aber nicht eitel Glück im Hause. Des Vaters Nervenverstimmung lag stets als drohende Wolke über allen und in diesem Zustand in der Kinderzeit mögen auch wohl die Wurzeln von Anselm Feuer- bach's Neigung zur Schwermut zu suchen sein. Früh zeichnete er „auf alle irgend hab- haften weissen, grauen, blauen oder gelben Papierstücke mit Kreide oder Kohle" und hatte „den Kopf voller Bilder". Mit zwölf Jahren etwa entwarf er mit „unnennbarer Wonne" einen lebensgrossen schlafenden Barbarossa, auch modellierte er auf's kühnste, und alle Schränke im Elternhause waren mit seinen gelben Lehmgeschöpfen gekrönt. Er besuchte das Gymnasium nicht eben mit Lust. Der Zeichnungsprofessor sprach ihm rundweg alles und jedes Talent ab ; nach Vorlagen schulmässig zu arbeiten, machte ihm natür- lich auch keine Freude. Fünf Jahre lang ging es mit dem Studieren noch an, dann meldete sich der Beruf des Künstlers mit Macht. Ein Gutachten Schadow's in Düsseldorf lautete: „Der junge Feuerbach könne nichts anderes werden als Maler und möge sofort kommen" und der Jüngling wusste es bei seinem Vater endlich durchzusetzen, dass er, noch nicht sechzehn Jahre alt, an die Düsseldorfer Akademie geschickt wurde.

In der rheinischen Kunststadt blieb Anselm Feuerbach von 1845 1848. Schadow hatte ihm seine Gunst zugewandt und offenbarte sie mit mehr guter Meinung als pädagogischer Einsicht dadurch, dass er den Schüler zunächst in seinem eigenen Atelier hielt und Handlangerdienste thun, Pinsel waschen und Farben kaufen Hess. Das war noch schlimmer als der Antikensaal. im Winter auf das Jahr 1846 machte er seine ersten Malversuche und durfte Nebendinge in Schadow'schen Gemälden ausführen, die Orden im Bildnisse eines Generals u. s. w. Da war nicht eben viel zu lernen und vor allem nichts, was die Begeisterung eines schaffenslustigen jungen Mannes anfeuern konnte. Trotz alledem war er „in dieser akademischen Zeit grenzenlos fleissig und von einer unbehaglichen Gewissenhaftigkeit". Manche tiefe Verstimmung kam über ihn, die in seinen Briefen Ausdruck fand, aber sein Glaube an die Kunst blieb unverrückt. Und an manchen Guten schloss er sich an: mit Knaus teilte er zuletzt ein Atelier, mit Rethel war er befreundet.

Anncliit Fenerbach. Iphigenie.

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Die unfruchtbare Arbeit an der Akademie Hess ihm dabei doch noch reichlich Zeit, sich in gestaltenreichen Kompositionen auszuleben. Sein Biograph verzeichnet eine Serie von zwölf Bleistiftzeichnungen zu Shakespeare's „Sturm" und noch etliche Porträts, Selbst- bildnisse und kleine Bildchen, die in seiner Düsseldorfer Studienzeit entstanden sind.

Nach drei Jahren hatte er Düsseldorf gründlich satt und wäre am liebsten nach Antwerpen oder Paris gefahren, um weiter zu studieren, aber die Düsseldorfer Aka- demiker, Lessing voran, waren dagegen und der Vater, durch seines Sohnes bisherige Erfolge nicht befriedigt, stimmte ihnen bei. So wurde der Jüngling nach München ge- schickt, das er im „tollen Jahr" betrat. Es war nicht eben ein glücklicher Gedanke. Der kalte Klassizismus der Cornelianischen Schule, der bei den Nachfolgern des grossen Cor- nelius immer mehr in Manieriertheit und falsches Pathos ausgeartet war, sagte Feuer- bach durchaus nicht zu. Ihm war es um das Malen zu thun, und das Malen hielt man damals in München nahezu für etwas Unanständiges. So war er nur dem Namen nach Schüler der Akademie, die er kaum mit Augen sah. Fleissig war er auf eigene Faust, komponierte, kopierte Rubens und begann einen lebensgrossen „Bacchus", ein Bild, das ihm lange schon als Quälgeist im Kopf gespukt. Aber, mit so grosser Freude er an die Arbeit ging, Enttäuschung und Missstimmung kamen hinterher. In der Zeit, da der werdende Künstler am nötigsten weisen Rat und sachkundige Führung gebraucht hätte, fehlten ihm diese so gut wie ganz. Das Handwerk war ihm nicht gelehrt. Entmutigt schreibt er: „Das Arbeiten wird mir doch schwerer, als ich geglaubt habe. Es ist doch ein grosser Schritt vom Denken und Vor- stellen bis zum Machen mit den Händen!" Und einmal, von einer schönen Gebirgstour zurück- gekommen, sah er seinen Bacchus wieder, erschrak förmlich über ihn, riss das Bild von der Leinwand und zerschnitt es. Dann begann er, schnell wieder zu neuem Schaffen munter, eine Gruppe lebensgrosser Amoretten, welche den kleinen Pan entführen. Aber immer mehr sah er ein, dass in München für ihn nichts zu holen war; Cornelius hatte ihn bitter enttäuscht; Schorn fand er „über die Massen hässlich", angezogen hat ihn im neuen Athen Ludwigs 1. keiner. Mit

Anscliu Fe II e ihm h. Medea.

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allen Kräften strebte er wieder fort nach Paris oder Antwerpen, und nach letzter Stadt verzog er denn auch im Frühjahr 1850. Hier, in Belgien, wo Louis Gallait damals sein berühmtes Bild „Die Brüsseler Schützengilde an den Leichen Egmont's und Horn's" schuf und überhaupt das vorhanden war, was Feuerbach in Düsseldorf und München vergeblich gesucht hatte, malerische Tradition, ging er mit gefestigtem Mute an die Arbeit, studierte streng nach der Natur und kam vorwärts. Die frische und befreiende Luft einer grossen Kunstströmung wehte freilich auch dort nicht, und er schrieb: „Es wurden keine aussergewöhnlichen Leistungen hervorgebracht, nur war es ein reges, praktisches Naturstreben, entfernt von allem Schwindel, welches wohlthätig wirkte; für mich eine Brücke, die mir von leichtsinniger Phantasterei zu wirklichem Studium den Weg zeigte, die richtige Vorbereitung für Paris". Er malte einen „Betenden Mönch", eine „Junge Hexe auf dem Wege zum Scheiterhaufen", ein Bild „Die Kirchenräuber", das verschollen ist. Feuerbach hat sein Antwerpener Jahr nüchtern und praktisch als notwendige Lehrzeit betrachtet, eine tiefergehende Sehnsucht hat es nicht in ihm gestillt, die strebte eben nach Paris hin. Und im Frühjahr 1851 reiste er nach der Stadt der ewigen Jugend ab, unter trüben Umständen. Der Vater, zu dessen Gemütsleiden sich unheilbares körperliches Siechtum gesellt hatte, lag schwer krank zu Hause. Anselm fand starke und fruchtbare Anregung hier auf allen Wegen; vor der göttlichen Frau von Milo geriet er „in Erschütterung, wie noch nie in seinem

Leben", er sah mit Bewunderung die Werke der Troyon, Rousseau, Delacroix, Decamps, die besten seiner Antwerpener Freunde fand er in Paris wieder. Im September traf ihn ein schwerer Schlag er verlor seinen Vater. Trotz allen Kummers und Heim- wehs war sein Schaffensdrang lebendiger als je, und er begann im Herbst noch, seinen „Hafis in der Schenke" zu malen, das erste Bild, das seine volle Be- deutung offenbaren sollte. Das Bild schildert er selber in einem Weihnachtsbrief dieses Jahres, den er an die Mutter schickte: „Mein Hafis in orientalischem Kostüm lächelt selig von Liebe und Wein und schreibt eine Ghaselen an die Mauer. Er ist rührend arm, denn seine Kleider sind abgetragen und zerrissen, aber zu jedem genialen Loch sieht der echte Dichter heraus. Die Zuhörer in Entzückung, Aiusdm Fcncibaih. Medea (Entwurf). Üppiges Blumen- Und Rankenwerk und die

AiiseUn Feueibarh. Ipiiigenie (Studie).

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Aiiselin FeHerbach. Frühlingsidylle.

ganze Glut der sinkenden Sonne!" Einen Erfolg brachte das Bild freilich nicht und die akademischen Kreise wie das deutsche, an süssliche Romantik gewöhnte Publikum lehnten es ab. Es ist 24 Jahre in der Welt herumgefahren, bis es einen Käufer fand. In künstlerischer Beziehung sah Feuer- bach an der Seine alle seine Träume er- füllt, er hielt diesen Aufenthalt selbst für den Wendepunkt seines Künstlerlebens, das Fundament seiner künstlerischen Bildung. Aber seine äusseren Lebensumstände waren wenig erfreulich geworden, die Mittel reichten kaum zum Nötigsten trotz des Opfermutes der Mutter. Er studierte wohl fleissig bei Couture, dessen „Römer der Verfallzeit" ihn begeistert hatten, aber die Mittel zu selbständiger Thätigkeit, zur Realisierung seiner künstlerischen Pläne waren knapp. Zuletzt führte der Unstern ein Wesen in

seinen Gesichtskreis, dessen bestrickendem Einfluss er widerstandslos verfiel. Er sah selbst, dass er in den Netzen dieses Weibes zu Grunde gehen müsse, und rettete sich durch die Flucht in die Arme der Mutter. Sie hatte, wie immer, für ihn Trost und Verständnis und keine Vorwürfe, dafür aber die Frage: „Anselm, was gedenkst Du zu beginnen?" So zog er denn 1854 nach Karlsruhe, mietete sich einen grossen Gartensaal und schuf ihn in ein Atelier um, in welchem er bald mit unheimlicher Produktivität zu schaffen anhub, die Studien der Couture-Schule verwertend. Er malte einen Kinderfries für das Grossherzogliche Schloss, eine „Versuchung des Antonius" sehr kühn für Zeit und Ort! und seinen „Tod des Pietro Aretino". Die „Versuchung" sollte nach Paris zur Ausstellung geschickt werden, aber man „nahm Anstand, des Gegenstandes wegen". In seinem Unmut überschmierte es_der Maler und zerriss es dann in tausend Stücke. Der „Tod des Pietro Aretino" sollte für die Galerie angekauft werden, aber Missgunst und Unverständnis hintertrieben dies, trotz des Wohlwollens des Akademiedirektors Schirmer. Immer wieder haftete sich mit seltsamer Beharrlichkeit solcherlei Missgeschick an Feuerbach's Schaffen. Endlich schien es aber ein wenig heller werden zu wollen um ihn : Der Grossherzog schickte ihn nach Venedig, um die ,,Assunta" des Tizian zu kopieren, und mit Viktor von Scheffel, der ihm indessen zum Freunde und Leidensgenossen in der Philisteratmosphäre von Karlsruhe! geworden, reiste er am 4. Juni 1855 nach Venedig ab. Im übrigen hatte er in Karlsruhe eine ganze Anzahl von Bildern fertig gebracht 28 Ölbilder in diesem einen Jahr, wie sein Biograph Allgeyer feststellt.

Anseim FcueibuvU. Tod des Piciro Aretiiio.

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darunter eine Grablegung, eine Schenkenszene, zwei Zigeunerinnen, Gartenszenen ver- schiedener Art, badende Nymphen, eine Bacchantin, ein Blumenmädchen, Mädchen mit einem toten Vogel und etliche Bildnisse.

Begeistert von der Kunst der grossen Venetianer, die er nun kennen lernte, und mit wahrem Feuereifer warf sich der Maler in Venedig auf seine Aufgabe und kopierte Tizian's Meisterwerk in viel grösserem Formate, als von ihm verlangt worden war, unbekümmert um die kleinliche, infam bureaukratische Art, mit der man ihn behofmeisterte und kontrollierte. Die Kopie fand zwar ungeteilte Bewunderung, aber man behandelte den jungen Künstler von oben herab immer noch mit geheim- und hofrätlicher Arroganz. Die Hoffnung auf ein Stipendium zerschlug sich und die Widmung eines Bildes „Poesie", das er aus Dankbarkeit für den Grossherzog gemalt, wurde in beleidigendster Weise entgegengenommen. Mit dem Gesicht gegen die Mauer stellte man das Bild in eine dunkle Requisitenkammer der Residenz und erklärte, die Arbeit beweise Rückschritte des Künstlers. Sie war freilich nicht einwandfrei, aber wohl immer noch besser als eine Menge aner- kannter und respektabel honorierter Hofmalerei.

Feuerbach beschloss nun, auf eigene Faust in Italien zu bleiben, und ging zunächst, arm wie eine Kirchenmaus, nach Florenz (Mai 1856). Zur Rückkehr fehlten ihm ohnedies die Mittel. Neue, herrliche Anregungen schenkte ihm die Kunst der italienischen Meister und ein neuer Wende- punkt seines Lebens war da. Über seinen ersten Besuch in dem Juwel der Uffizien, der Tribuna, möge er selbst wieder das Wort haben. Er schreibt in dem merkwürdig klaren, knappen und plastischen Stil, der seinen Aufzeichnungen so hohen dichterischen Wert leiht: „In später Nach- mittagsstunde betrat ich die Tribuna. Da war eine Empfindung über mich gekommen, die man in der Bibel mit dem Wort Offenbarung zu bezeichnen pflegt. Die Vergangenheit war ausgelöscht, die modernen Franzosen wurden Spachtelmaler und mein künftiger Weg stand klar und sonnig vor mir". In Florenz war er von Mai bis September und hat dort nur Eindrücke aufgenommen, kein Bild vollendet. Die Blumenstadt am Arno war für ihn nur eine Übergangsstation für Rom, wohin es ihn mächtig drängte. Er durchlebte auch da eine Zeit bitterer Not und schwerer Enttäuschungen, aber es ward ihm doch auch das Glück zu schaffen, Bildern Gestalt zu geben, die längst in seiner Seele feststanden, und sich zu berauschen am Born jener Herrlichkeiten von Natur und Kunst, nach welchen seine schönheitstrunkene Seele dürstete. Wäre es Feuerbach vergönnt gewesen, in Rom ohne Sorgen, innen und aussen frei, sich zu entfalten, so hätte sein Wesen wohl sich so gestaltet, dass ihm sein Volk heute jubelnde Anerkennung zollen würde, statt der etwas kühlen Hochachtung, die ihm geworden ist. Aber der Schatten, der vom ersten Anfang über seinem Schicksal lag, blieb ihm verzweifelt treu.

Ober des Malers ersten römischen Aufenthalt berichtet der Kupferstecher Hermann Allgeyer, der sich ihm dort in Freundschaft anschloss, Ausführliches. Feuerbach malte diesen und Reinhold Begas und wurde mit Böcklin befreundet. Böcklin, Begas, Feuerbach und Allgeyer bildeten zusammen ein Gesangsquartett und hatten fröhlichen geselligen Verkehr. Meister Arnold hat grossen Eindruck auf Feuerbach gemacht. „Ich muss von vorne beginnen!" rief dieser nach dem ersten

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Aiise/iii Fcucrhcich. Melancholie, Studie

(Später in „Medea's Traum" verwertet).

Besuch in Böcklin's Studio aus. „Und dieser Künstler lebt seit vielen Jahren hier in Rom, in tiefer Not, wie ich höre. Niemand weiss oder spricht von ihm und erst nach Monaten meines Hierseins erfuhr ich von seiner Existenz! Darf ich unter solchen Umständen für mich etwas Besseres er- warten?" — Dass Feuerbach trotz dieser leidenschaftlichen Bewunderung für den Meister und trotz des Verkehrs mit diesem und trotz so mancher Berührungspunkte der beiderseitigen Kunstanschauung und Stoff- welt nicht auch als Maler stärker unter den Einfluss Böcklin's geraten ist, mag merk- würdig sein, spricht aber sehr für die starke Selbständigkeit und tiefgegründete Eigenart unseres Künstlers. Als Böcklin bald darauf aus Rom schied, sagte er zu Feuerbach : „Sie werden's in Rom nicht durchfechten; denken Sie an mich!" Er hat Recht behalten.

Feuerbach war bald mitten im fruchtbarsten Schaffen und sein kleines Atelier füllte sich mit Entwürfen und Bildern. Sein erstes bedeutendes Werk war sein „Dante, mit edlen Frauen lustwandelnd", der jetzt die Gemäldegalerie in Karlsruhe schmückt und das Bild fand in der römischen Kunstwelt grosse Anerkennung, wenn auch zunächst keinen Käufer. Aber es verschaffte ihm wenigstens einen Auftrag. Herr Wedekind aus Hannover bestellte nach der Skizze, die er im Atelier gesehen, ein „Kinderständchen", und der Ertrag dieses Bildes kam dem armen Maler sehr gelegen. Den „Dante" kaufte erst, nachdem das Bild 1859 in Paris gewesen und hoffnungslos totgehängt worden war, der Grossherzog von Baden für seine Privatgemächer. Die Karlsruher Galeriekommission hatte auf das Veto Lessing's hin den Ankauf einstimmig abgelehnt, und Feuerbach war durch die Mitteilung dieses Beschlusses geradezu niedergeschmettert worden. Um so mehr erhob ihn die andere Nachricht vom Ankauf des Dantebildes durch den Grossherzog. „Nun haben mir die guten Frauen meines Dante mit ihren Schleppen doch den Weg reingekehrt," sagte er zu einem Freunde.

Ein paar seiner schönsten Bilder entstanden nun, vor allem die beiden Kinderfriese, eine Wiederholung des „Ständchens" nämlich und die „Balgenden Buben", Werke voll Anmut, voll weichen Liebreizes und farbig dekorativer Pracht. Auch der Humor, sonst wohl kein treuer Gefährte Feuerbach's, kam hier zu seinem Recht. 1860 malte er die Madonna mit dem Christus-

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kinde, von musizierenden Engeln umgeben (in der Dresdener Galerie). 1862 erst war die Pietä vollendet, das reifste und edelste Werk aus Feuerbach's römischer Zeit; der Entwurf zu diesem Bilde war aber schon ein paar Jahre früher gemacht worden. Feuerbach sah auf den Stufen der Peterskirche eine Frau vom Lande liegen, schlafend oder weinend, und sofort erwuchs ihm das Motiv zu einem Bilde. Er zeichnete das Weib und den Leichnam Christi und später auch noch die drei anderen Frauen dazu. So entstand das Gemälde, das später eine Perle der Schackgalerie wurde. Graf Schack meint: „Schwerlich hat unsere Zeit noch ein anderes Bild hervorgebracht,

Auselm Feuerhaih. Maria mit der Leiclie Jesu (Entwurf).

"aus dem die Sonne der grossen italienischen Kunst so rein zurückstrahlt." Auch die erste Skizze zur „Amazonenschlacht" und zum „Gastmahl des Plato" stammt aus jener Zeit, dem Frühling des Jahres 1860. Dann ward die erste der Iphigenien gemalt, eine Gestalt, in der Feuerbach so recht das eigentlichste Wesen seiner Seele, trauernde Sehnsucht, zu verkörpern sucht : „Es war ein Moment der Anschauung und das Bild war geboren," schreibt er, „nicht Euripideisch, auch nicht Goetheisch, sondern einfach Iphigenie am Meeresstrande sitzend und allerdings das Land der Griechen mit der Seele suchend. Was sollte sie auch anderes thun?" Bei einem Besuche in der Heimat fand Feuerbach seine Karlsruher Gegner wieder rüstig an der Arbeit. Der An-

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kauf der „Madonna" ward hintertrieben, wie so manches andere, und auch in Weimar, wo Begas und Böci<lin ihr mögliches für ihn thaten, scheiterte der Ankauf der Kinderfriese. Wohl zog ihn die Heimat stark an und die Liebe zu Mutter und Schwester hielt ihn fest, aber er fühlte sich als Künstler hier doch allzuwenig wohl. Noch einmal versuchte er es mit München, fand aber hier kein passendes Atelier und so sah ihn der Schluss des Jahres 1860 wieder in Rom. Mit schmalen Mitteln kehrte er zurück. Er konnte vorderhand aber doch nur hier leben, obwohl sein langer römischer Aufenthalt eine Zeit fortwährenden passiven Widerstandes gegen moderne Ober-

Aiiselin Ft'ucihach. Brunnenszene (Skizze).

flächlichkeit und Existenzsorgen für ihn gewesen ist. Damals trat er der schönen Nanna näher, die sieben Jahre lang in seiner Kunst wie in seinem Leben eine ernste und bedeutsame Rolle gespielt hat. Ihr Gesicht kehrt auf vielen seiner Bilder wieder und er scheint sich, wie Schack schreibt, die Schönheit lange nicht anders als mit diesen Zügen gedacht haben zu können. Der Maler liebte die Römerin heiss und leidenschaftlich und würde sich für immer mit ihr verbunden haben, wäre damals in Rom eine Scheidung und Wiedervereinigung Nanna war verheiratet! möglich gewesen. Das Verhältnis wurde schliesslich zum grossen Schmerze des Künstlers durch die Schuld der Frau gelöst, die nicht selbstlos genug war, auf äusseren Glanz und Ehrgeiz zu Gunsten einer Liebe zu verzichten. Auch das Modell zur „Iphigenie" war Nanna und der

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Umstand hatte ebenfalls Anteil an den Misserfolgen des edlen, gehaltvollen Werkes ; man verübelte dem Maler sein Verhältnis zu jener Frau.

Das Iphigenienmotiv hatte den Künstler schon lange beschäftigt , in mannigfacher Weise hatte er das Problem schon angefasst und vielerlei Entwürfe gefertigt. Von jener ersten „Iphigenie", die er in edler Ruhe, am Meeresstrand sitzend, das Haupt dunkel beschattet auf lichterem Himmel, darstellte, war er selbst vollauf befriedigt. Er nannte das Bild das grösste und beste, das er je gemalt hatte, und sagte mit gutem Recht in Bezug auf diese Arbeit: „Meine Kunst ist ohne Sentimentalität!" Auch die Vollendung der „Pietä", dieses eigenartig tiefen und abgeklärten Werkes, gewährte ihm volle innere Befriedigung und mit dem von der Bescheidenheit der Kleinen freien Selbstbewusst- sein, das, ein Korrelat seines hohen und reinen Strebens, in seiner Seele war, schrieb er darüber: „Die Pietä ist ein schönes Werk. Meine über den Christus hingeworfene Madonna ergreift mich selbst". Dass Feuerbach, der im Schaffen und Werden wahrlich Selbstzucht genug gezeigt hat, auch einem schwer und heiss erkämpften Gelingen gegenüber die Fähigkeit besass, sich seiner Schöpfung zu freuen, das hat vielleicht sein bestes Glück bedeutet und ihn einigermassen für die Stumpfheit seiner Zeitgenossen entschädigt. Im übrigen begann er gerade um die Entstehungs- zeit der „Pietä" doch auch Anerkennung in etwas breiteren Kreisen zu finden, und namentlich wandte sich ihm ein Mäcen zu, dessen Hilfe ja wohl nicht von verschwenderischer Liberalität, aber frucht- bar und ausreichend war, Graf damals allerdings noch Baron von Schack! Auf einer Aus- stellung in Köln sah dieser den „Dante" Feuerbach's und war von des Künstlers Werk in so hohem Grade hingerissen, dass er für die übrige Ausstellung kaum noch Sinn hatte. Das Bild war schon verkauft, sonst hätte er es erworben. Er erkundigte sich nach dem Künstler, dessen Name ihm vollständig unbekannt war, und erfuhr, dass dieser in gedrücktester Lage in Rom lebte. So wurde, wie er in seinem Buche „Meine Gemäldesammlung" erzählt, sein Wunsch, Bilder des jungen Malers zu erwerben, zunächst in den schöneren Wunsch verwandelt, ihn mit neuer Schaffensfreudigkeit zu erfüllen und ihm zu verdienter Anerkennung zu verhelfen. Schack kaufte zunächst die beiden zuletzt vollendeten und nach Deutschland gesandten Bilder Feuerbach's, den „Garten des Ariost" und das „Porträt einer Römerin", der Nanna, und hierauf die „Pietä". Damit waren die Verhältnisse des Malers natürlich sofort auch wesentlich gebessert, und mit Begeisterung machte er sich an neues Schaffen und seine nächsten Jahre wurden eminent fruchtbar an bedeutenden Werken. Vier Jahre dauerten seine Bezieh- ungen zu Schack, der nach und nach zwölf seiner Bilder erwarb. Gleichzeitig mit der „Pietä", welche der Baron übrigens erst auf die eindringliche Verwendung von Feuerbach's Stiefmutter kaufte, sandte ihm dieser eine Anzahl von Entwürfen zu und Schack „bezeichnete", wie er sich etwas vorsichtig ausdrückt, „die schönsten darunter als ihm zur Ausführung erwünscht". Be- stimmte Bestellungen scheint er also nicht gewagt zu haben!

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Aiiseliii Feuerbach. Okeanide (Studie).

Schack kam im Frühjahr 1864 selbst nach Rom, um dem Künstler nälier zu treten, brachte täglich genussreiche Stunden zu in dessen Atelier an der Via So. Claudio, sah jene Bilder der Vollendung entgegen reifen und Hess sich von Feuerbach's widrigen Schicksalen und der Minier- arbeit der akademischen Banausen in der deutschen Heimat erzählen. Zunächst wurde unter Schack's Augen neben anderen schönen Werken, wie dem später nach München verkauften Bilde „Romeo und Julia", die „Francesca von Rimini" fertig, eine Darstellung der Szene, wo Francesca und Paolo Malatesta zusammen in dem Buche von Lanzelot und Ginevra lesen und bis zu dem Moment gelangt sind, von dem Francesca im Inferno zu Dante sagt: „An jenem Tage lasen wir nicht weiter". Schack, der die Komposition dieses Bildes besonders lobt und eindring- lich gegen den Vorwurf verteidigt, diese Francesca sei nicht temperamentvoll genug, erliielt ein paar Monate später dann die „Gruppe musizierender Kinder, von einer Nymphe belauscht" und dann die „Badenden Kinder", an welchen der Besitzer das kalte bläuliche Kolorit rügt, dabei Feuerbach's Virtuosität in der Auffassung der Kindernatur rückhaltslos an- erkennend. „Er hat ihr das sorgfältigste Studium gewidmet und erzählte mir selbst, wie jahrelang sein Atelier fast täglich mit solchen Kleinen bevölkert gewesen sei." Eine „Madonna mit dem Kinde", Wiederholung des Dresdener Bildes, befriedigte Schack wegen des Kopfes der Gottes- mutter, die ihm in der Zeichnung viel besser gefallen hatte, weit weniger. Dann kam die „Laura in der Kirche zu Avignon" an die Reihe, die Schack ebenfalls erwarb eine „Laura im Park", im gleichen Jahre gemalt, fand einen anderen Besitzer. Das erstere Laurabild hat den Künstler von allen Gemälden der Schackgalerie am meisten Zeit und Mühe gekostet. Es schildert den Moment, da Petrarca in der Kirche zum ersten Male seine künftige Herzenskönigin erblickt. Im Winter 1866 fand Schack den Maler in Rom mit dem Entwürfe zur „Amazonenschlacht"

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bereits eingehend beschäftigt, und Feuerbach hatte wohl gehofft, sein Mäcen werde ihm zur Realisierung seines Lieblingstrauins, zur Ausführung dieses Kolossalgemäldes durch die Bestellung dieses Bildes helfen. Dieser aber lehnte ab und bestellte dafür eine Anzahl kleinerer Gemälde, äderen Entwürfe er in des Künstlers Mappen vorfand. Ein wenig schulmeisterlich führt Schack in seinem Buche die Gründe aus, warum er Feuerbach's Streben nach Bethätigung in Monumental- kunst nicht unterstützt, und ein wenig schulmeisterlich, wie er sich in seinem ganzen Mäcenaten- tum gezeigt hat, mag er diese Gründe auch dem Künstler dargelegt haben, denn „sie fanden keinen Eingang bei ihm". Die kleineren Aufträge lehnte der Künstler freilich nicht ab, wie man begreifen wird, und malte zunächst den „Hafis am Brunnen", der seinen Besteller vollauf entzückte. Unserem heutigen Empfinden dürfte der „Hafis in der Schenke", der herber, freudiger und realistischer ist, vielleicht näher liegen. Der Hafis des zweiten Bildes könnte wohl auch einen anderen Poeten der Vorzeit darstellen und auf einer kleinen Wiederholung des Bildes ist er auch „Märchenerzähler" getauft. Jener erste Hafis aber ist die Gestalt, wie sie uns nach den Daumer'schen Nachdichtungen in der Phantasie vorschwebt. Ein Werk des vor- nehmsten und grössten Feuerbach'schen Stils ist die „Römische Fa m i 1 i e n sze n e", die Schack gleichfalls im Jahre 1866 erwarb: eine stolze, stattliche Römerin mit vier kleinen Kindern am Rande eines antiken, bildgeschmückten Brunnens oder Denksteines sitzend. Der landschaft- liche Rahmen des Bildes ist eminent reich und bedeutungsvoll, die Stimmung des Ganzen echt Feuerbachisch ernst, eine Stimmung der Sehnsucht. Die Sehnsucht ist ja überhaupt die Seele der ganzen Feuerbach'schen Kunst. Das letzte der Bilder, welche der Meister für Schack 1868 gemalt, die „Idylle von Tivoli", wie es dieser, „Ricordo di Tivoli", wie es der Autor genannt hat, ist eigentlich nur eine Kopie eines Gemäldes, das im Jahre vorher vollendet und von Dr. C. Fiedler f in München erworben wurde. Allgeyer stellt fest, dass die Kopie an Feinheit der Durchbildung und Reiz des Ausdruckes das Original nicht erreichte. Man kann, nebenbei gesagt, nur finden, dass in solchen Fällen den Bestellern Recht geschieht, wie auch den Leuten Recht geschah, die bei einem Böcklin Wiederholungen der „Toteninsel", des „Schweigens im Walde" und der „Villa am Meere" bestellten und nicht Gleichwertiges bekamen! Solches Ver- langen heisst immer Frevel an einem Talent, wenn es fruchtbar genug ist, wieder neues hervor- zubringen in unversiegbarer Fülle, wie ein Böcklin oder Feuerbach ! Die Kleinen schreiben sich ja ohnehin selbst immer wieder ab!

In der letzten Zeit des Verkehrs von Schack und Feuerbach mag dieser unter dem Zwange schon stark gelitten haben, den die Wünsche und Meinungen des ersteren auf ihn ausübten. Schack selbst erzählt nichts davon, und der Maler spricht in seinen Briefen mit Achtung von dem Baron, mit Befriedigung von den gestellten Aufgaben. Aber es drängte ihn immer mehr zur Gestaltung eines Projektes grossen Stils, das seine Seele beschäftigte, seines „Gastmahls des Plato". Die Idee war folgende: In Plato's Hause sind, den Sieg seines Freundes, des Tragödiendichters Agathon zu feiern, die Freunde versammelt, darunter Sokrates, Aristoteles, Eryximachus, Phädrus und Glaukon. Während sie nach dem Mahl in sinnvollen und heiteren Wechselreden sich ergehen über die Natur

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des mächtigsten und herrlichsten der Götter, des Eros, erscheint, von nächtlichem Gelage heim- kehrend, mit bacchischem Gefolge der wein- und lustberauschte Alkibiades. Er kommt, den Dichter zu bekränzen, der ihm gastlichen Willkomm bietet. Feuerbach hätte das Bild gern für Schack gemalt und bot es ihm in einem Briefe an; ohne Erfolg! Da entschloss sich Feuerbach trotz seiner nicht weniger als glänzenden Lage Schack'sche Künstlerhonorare waren nicht allzu üppig, wie man weiss ! das grosse Werk auf eigene Faust durchzuführen und sich gleichzeitig seine künstlerische Freiheit zu retten. Denn Schack, der seinem Schützling die Kraft, grosse, figurenreiche Kom-

Aiiseliii Feucrhcu-h. Nereus und Okeanide (Studie).

Positionen durchzuführen, nicht zutraute, wollte ihn durch seine Aufträge gewaltsam in dem enger umgrenzten Gebiete lyrisch-poetischer Stoffe zurückhalten, die er dem Talente des Malers ent- sprechender glaubte und bei der Zusammenstellung seiner Galerie bevorzugte. Vielleicht war er damit sogar nicht im Unrecht. In den grossen Kompositionen Feuerbach's ist das Wollen mächtiger als das Vollbringen. Hält man z. B. gegen seine „Amazonenschlacht" die kleine Rubens'sche Be- arbeitung des gleichen Stoffes, die in der Münchener Pinakothek hängt, so erscheint das moderne Werk unendlich ärmer an wahrem Leben und Bewegung, so sehen wir hier Gedankenarbeit und abgewogene Komposition, wo dort ein unmittelbares Temperament, hinreissender Rhythmus die Ge-

Aiiscini Keiiorbath piiix.

Plint. F. liaiifstaLMi^l. Miinciuti

Musizierende Frauen

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stalten bewegt. Aber das Immerhöherstreben war tief in Feuerbach's künstlerischer Natur begründet und wer sein wahrer Mäcen sein wollte, durfte ihn nicht darin aufhalten, sondern musste ihn, war's auch gegen die eigene Überzeugung, fördern. Nun konnte freilich Schack ebensowenig aus seiner eigenen Haut heraus als sein Maler und wenn seine Beziehungen zu diesem nun auch ein Ende fanden, sein Verdienst, ihn aus der schlimmsten Bedrängnis befreit zu haben, bleibt darum doch bestehen, ebenso wie sein Verdienst um Böcklin und um Lenbach. Schack hat auch nach der Entfremdung mit Anselm Feuerbach seine Meinung über diesen nicht modifiziert und ihn bis zu

Anselm Feuerbach. Gefesselter Prometheus (Studie).

dessen Tode verehrt. Bitter beklagt er den Mangel an Anerkennung, welchen dieser Genius er- fahren, bitter ruft er aus, nachdem er das Atelier des Hingeschiedenen noch einmal betreten : „Wie viel herrliche Früchte würde dieses reiche Talent noch seinem Vaterlande getragen haben, wenn letzteres ihm das günstige Terrain zu seinem vollen Gedeihen gewährt hätte!"

Im Mai 1867 begann der Maler mit der Aufzeichnung des „Gastmahls des Plato" das „Symposion" nennt er es in seinem Briefe , im Oktober bezog er sein neues Atelier und begann zu malen, am 2. Dezember war die Untermalung, am 10. April 1869 das Bild vollendet, eine Riesenleinwand, 2,20 Meter hoch und 6 "2 Meter breit. Die achtzehn Gestalten des Bildes

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sind überlebensgross. In scharfem, packendem Gegensatz stehen die beiden Gruppen zu einander, die lebensfrohe, sinnenwarme, bewegte Schar der Bacchanten und die auch an der Festtafel ruhig und nüchtern gebliebene Gesellschaft der Philosophen, deren gemessene Würde auch in Linien und Farbe ihren Ausdruck findet. Genau im Mittelpunkt des Bildes steht der Dichter Agathon, dem trunkenen Alkibiades die Schale bietend. Die Mehrzahl der Philosophen hat von den frohen Eindringlingen überhaupt noch keine Notiz genommen, ganz besonders der prächtig charakterisierte Sokrates kehrt ihnen nichtachtend den Rücken zu. So stellt der Künstler der genussfrohen Sinnen- welt des klassischen Altertums den strengen Ernst ihrer Geisteshelden gegenüber und verleiht damit dem weltbewegenden Gegensatz von Sinnen- und Geistesleben der Menschheit überhaupt künstlerisch monumentalen Ausdruck. Das Bild wurde in München ausgestellt, erntete aber weit mehr Widerspruch als Anerkennung, namentlich um seiner Farbe willen. Man fand den kühlgrauen Ton, auf den es gestimmt war, fahl und manieriert, und bezeichnend genug ist es, dass man es in der Abteilung für Kartons unterbrachte. Dafür fand es aber schnell eine Käuferin. Ein Fräulein Rohrs aus Hannover, selbst Malerin, erwarb es. In Hannover freilich war es vergessen und begraben, bis es im Jahre 1890 um 45,000 Mark für die Karlsruher Galerie gekauft wurde. Noch mehr die Wirkung eines Kartons hat die zweite Darstellung des „Symposion" aus dem Jahre 1873, die von einem gemalten Rahmen umzogen und überhaupt mehr dekorativ gedacht ist. Sie würde sich trefflich als Vorbild für einen Gobelin eignen und ist noch strenger, klassizistischer, wenn man so sagen darf, in ihren Linien, aber auch voller und reicher in der Komposition und Farbe. Das Ganze ist sozusagen „weiter getrieben" zu weit getrieben vielleicht, zu sehr durch- dacht und abgeklärt, zu reich an schöner Gebärde. War Feuerbach vier Jahre nach Vollendung der ersten Version nicht mehr völlig mit dieser einverstanden sein Biograph Allgeyer verneint dies entschieden , oder drückte es ihn, dass das Werk in dem weltentlegenen Hannover so ganz den Augen der Mitwelt entrückt war? Es gehörte ein horrender Wagemut dazu, dies Bild zum zweiten Male zu malen und eine Arbeitsfreudigkeit ohne gleichen. Fünf Mappen Handzeichnungen, 200 Blatt, hatte er im Februar 1870 fertig, als er das Bild begann, und als er an's Malen ging schrieb er: „Ich brenne vor lichter Begeisterung". Sie ist fast ein psychologisches Rätsel, die Begeisterung dieser künstlerischen Vollnatur angesichts einer solchen, schon einmal mit gewaltiger Anstrengung bewältigten Aufgabe. Dazu malte er gleichzeitig an seiner „Amazonenschlacht" und anderen Bildern. Sieht man dem Ringen dieses Mannes zu, so möchte man manchmal sich zu dem Paradoxon versucht fühlen: Der Künstler Feuerbach war noch grösser als sein Werk.

Im Jahre 1868 hatte er mit der Reihe seiner Medea-Darstellungen begonnen und eine „Medea auf der Flucht" geschaffen, die, wie das zweite Symposion, heute die Berliner Nationalgalerie schmückt. Seine bedeutendste „Medea" ist wohl die, welche Ludwig II. für die Münchener Pinakothek ankaufte. Man sagt, der Anblick von Ristori als Medea habe den Gedanken zu dem Medea-Cyklus in ihm wachgerufen ; von Theatralik hat er sich in seiner Ausführung freilich auf's glücklichste freigehalten, und er gestaltete das Bild dieses gewaltigen Frauentypus durchaus auf seine selbständige Weise, ruhevoll und monumental, auch in Schmerz und Leidenschaft. Seine

Aiischii Fi'iicihavh. Orpheus und Eiiryciike.

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verschiedenen Darstellungen der Medea sind nicht als ebensoviele Einzelversuche zur malerischen Bewältigung dieser Gestalt anzusehen, er hat vielmehr von Anfang an daran gedacht, das Schicksal von Jason's verlassener Geliebten als Folge von Bildern darzustellen. 1869 schreibt er: „Medea vor der That, Medea nach der That, Medea auf der Flucht am nächtlichen Meeresstrande, Medea als liebende Mutter, als mörderische Furie, im Schlaf, im Wachen, in Reue und Leid! Das ist nun wieder ein Gegenstand, in den ich mich sozusagen verbissen habe, von dem ich nicht los- komme." So entstand jene „Medea auf der Flucht", die „Medea am Meeresstrande" (1870). die „Medea mit dem Dolche" (1871), „Medea an der Urne" (1872). Eine Reihe von Entwürfen zeigt Medea in anderen Stellungen, mit dem Kinde auf dem Schosse, schlafend, stehend, beim Kindermord, Medea flüchtend in Nacht und Sturm am Meeresufer. Das Münchener Bild der Medea ist vielleicht Feuerbach's populärstes Bild geworden und so wohlbekannt, dass hier nicht viel mehr darüber zu sagen ist. An Schwung und Reinheit der Linie wird es von keinem anderen Werke des Meisters in Schatten gestellt und es atmet mehr als irgend ein Werk jener früheren, vorfeuer- bachischen, durch ihr Streben nach klassischem Formenadel gekennzeichneten Epoche wahrhaft den Geist klassischer Kunst.

In der Zeit nach seinem Bruche mit Schack wenn man anders dieses stillschweigende Auseinandergehen einen Bruch nennen kann hat der Maler übrigens neben den grossen Werken noch eine ganze Reihe kleinerer Bilder hervorgebracht, die nicht übersehen werden dürfen. Aus dem Jahre 1867 stammt die schöne Familienszene, die unter dem Namen „Der Mandoline- spieler" bekannt ist: ein junges Weib mit ihrem Säugling auf dem Schoss, das dem Liede eines Lautenspielers zuhört. Das Kind hat ziemlich genau die Stellung des Kindes, das die Frau der „Römischen Familienszene" auf dem Schosse hält und auch die Mutter gleicht jener andern Gestalt, nur ist die Figur beim Knie vom Rahmen abgeschnitten. Der Lautenspieler ist Feuerbach selbst und die Frau ist Nanna, die er damals immer wieder malte. Fls ist höchst kennzeichnend für die Idealität von Feuerbach's künstlerischer Gesinnung, dass allen diesen Bildern seiner Geliebten, ob er sie nun als Iphigenie oder einfach als Studienkopf, als „Poesie", als „Lucrezia", als „Virginia", als „Francesca", „Julia" und „Laura" malte, kein besonderer sinnlicher Liebreiz gegeben ist, kein Zeichen, dass der Maler in der schönen Frau anderes sah als ein Modell von klassisch edlem Profil. Sie ist immer ernst, würdig, feierlich, kalt sogar nur die Lauscherin auf dem Bilde „Der Mandolinenspieler" blickt ein wenig freundlicher. Von 1860—1867 hat er, wenn er Frauen malte, fast nur die Nanna gemalt. Da Feuerbach überdies besonders das Profil bevorzugte bei diesen Darstellungen, kann eine gewisse Monotonie dieser Köpfe nicht geleugnet werden. Mit dem Jahre 1867 verschwand die schöne Römerin aus seinem Leben und von da ab hiess zunächst, wie Allgeyer berichtet, sein Lieblingsmodell Lucia Brunacci.

Der Bilderkatalog Feuerbach'scher Werke nennt aus dem Jahre 1867 neben jenem „Mandolinen- spieler", der „Familienszene" und dem schon erwähnten „Ricordo di Tivoli" auch noch ein „Mädchen mit Kind am Meeresstrand" es ist der Strand von Porto d' Anzio, der auch für die Münchener Medea den Hintergrund gegeben. Später behandelte der Maler das Bild in grösserem Formate

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Ein Traum

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Anselm Fetierhaili. Maria (Studie zur „Pletä").

und veränderte noch einmal und verwandelte dabei das von vorne gesehene Mädchen in eine hohe schlanke Frauengestalt von der stolzen Haltung einer Romagnolin. Sie balanciert ein Wasser- gefäss in Schulterhöhe auf der Linken und blickt freundlich auf das nackte Kind nieder, das, im Sande kauernd, eine Muschel gefunden hat. Das Bild ist licht und freudig, wie nur wenige Werke Anselm Feuerbach's. Die in der Öffentlichkeit so gut wie gar nicht bekannt gewordene erste Version des Motives hat diesem übrigens eine wenigstens in seiner Lebensgeschichte einzig dastehende Genugthuung gebracht. Der Besteller bezahlte ihn, über das Werk entzückt, mit einem weit über das Ausbedungene hinausgehenden Betrag. Das Jahr 1868 war wieder besonders

fruchtbar, brachte es doch neben der „Idylle von Tivoli" für Schack das schöne ernste Bild der „Bianca Capello", die „Lesbia mit dem Vogel", zu welcher er durch seines Freundes Theodor Heyse Catullübersetzung angeregt worden sein mag, die „Zwei Damen im Grünen", die heute Professor Reinhold Begas in Berlin gehören, ein „Ständchen", das im gleichen Besitz ist, „Amazonen auf der Wolfsjagd" (Besitzer Herr von Heyl in Darmstadt), und die beiden heiteren Gartenszenen „Im Frühling" und „Frühlingsbild". Gleichzeitig malte er sein erstes Symposion eine Produktionskraft, die schon an's Rätselhafte grenzt. Dabei waren Feuerbach's Formate meist sehr stattlich. In den beiden letztgenannten Werken hat er dort vier, hier sechs Frauen in leichten Gewändern aus seiner Zeit musizierend in heitere Gartenlandschaft zusammen- gebracht, von denen jede auf ihre eigene Art an der musikalischen Unterhaltung Teil nimmt. Der Ausdruck gedankenverlorenen Träumens, der Sehnsucht, überwiegt auch hier auf den Gesichtern. Mit dem letzteren Bilde hatte Feuerbach wiederum wenig Glück. Es war so ganz anders, wie alles, was er bisher gebracht und man wusste wieder einmal in der Heimat nicht recht, was man aus ihm machen sollte. Der deutsche Philister verzeiht bekanntlich dem Künstler alles, Nichtskönnen, Verlogenheit, Intriguen und Streberei, alles, alles eher als eine Originalität, der er nicht zu folgen vermag. Er, der sonst der Kunst gegenüber so kalt und reserviert bleibt, weiss dann, wenn man ihm mit solchen Dingen kommt, zu hassen und wie! Im Jahre des „Symposion" 1869 wurde ausser diesem Werke, wie sich begreifen lässt, nur ein grösseres Bild noch fertig, dessen der Künstler schon in einem Briefe 1867 Erwähnung thut, „Orpheus und Eurydike in der Unterwelt". Bei einer Privataufführung von Gluck's „Orpheus" konzipierte er die Gruppe, ein Werk von sehr strengem Stil und absichtlicher Ausserachtlassung der Farbe. Riesengross, fast den ganzen Rahmen füllend, schreiten die beiden Figuren dahin, Orpheus, die

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Leier im Arm, mit fast hastigem Drängen, Eurydiice traumwandelnd und schwer, wie im magnet- ischen Schlaf. Hell ergiesst sich über die Gestalten schon das Licht der Oberwelt, der sie entgegenschreiten. Hat der Beschauer den etwas befremdlichen Eindruck der grossen Masse lichter Gewänder überwunden, welche den Hauptteil der Fläche ausfüllt, so findet er in der Bewegung der beiden und im Ausdruck ihrer Gesichter tiefen Gehalt und erkennt, dass auch dieses Bild nichts weniger als leer ist! Die Seele dieses Werkes ist Rhythmus, ist Musik, alles Kleine und Zufällige ist daraus verbannt. Während des Schaffens schrieb der Maler nach Hause: „Der Orpheus wird seiner musikalischen Erzeugung hoffentlich Ehre machen!"

Feuerbach sass übrigens während dieser Jahre nicht ausschliesslich in Rom fest, er fuhr wiederholt zwischen Heidelberg, wo jetzt die Mutter lebte, und der ewigen Stadt hin und her. Seine Verhältnisse gestatteten ihm dies nun schon eher. 1866 kam es zu einer kleinen Rundreise durch Norddeutschland, mächtig aufgeregt im Innern durch den Sieg Preussens in diesem Jahre. Er erhoffte, dass das erstarkte Preussen auch in der Kunst nun eine Führerrolle übernehmen werde, ja er dachte, umsomehr als ihm Reinhold Begas mit offenen Armen entgegenkam, allen Ernstes an eine Übersiedelung nach Berlin. Der Gedanke scheiterte zunächst wieder einmal an der Unmöglichkeit, ein passendes Atelier aufzutreiben. Dann sah er Dresden und dessen reiche Kunst- schätze und kam nach München, um seine Werke bei Schack wieder zu sehen und womöglich

Anselm Feuerbach . Skizze.

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sein Verhältnis zu diesem wieder in irgend einer Weise in's reine zu bringen. Dabei war wohl die Hoffnung im Spiel, Schack werde nun doch das „Gastmahl" bestellen. Die kleineren Werke bei Schack befriedigten ihn nicht, eine „würdigere Aufgabe sollte ihm helfen, aus dieser Genre- manier heraus zu kommen". Jene Hoffnung zerschlug sich und er kehrte nach Rom zurück, um

Ansehii Feuerbach. Italienisches Mädchen.

hier jene Reihe grosser Werke zu schaffen, die so recht eigentlich seinen Ruhm begründet hat, die Medeen, das „Gastmahl", das „Urteil des Paris". Das letztere Bild, so wenig Beziehungen es gegenständlich zur Medeatragödie hat, hängt in seinem Entstehen innig mit dem Werden der Münchener Medea zusammen und hat überdies auch ein ganz ähnliches Format. Mit dem Medeen- cyklus hatte er sich an ein seltsames, in seiner ästhetischen Existenzberechtigung vielleicht nicht

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einmal ganz unfragliches Unternehmen gewagt, und es mochten wohl schwere und aufreibende Kämpfe in ihm getobt haben, bis er sich sagen konnte, dass die „abgeklärte, die wirkliche, grosse Medea jetzt auf der Leinwand stand". Am „Urteil des Paris" malte er sich die Seele wieder

Auschii FciK'ihdch. jugendliches Selbstbildnis.

gesund, fast mühelos schaffend, heiterer als je. Lassen wir ihn über das Werden dieses Bildes wieder selbst sprechen: „Das heiterste Bild, welches ich in meinem Leben gemalt habe, ist das Seiten- oder Gegenstück zur Medea. Woher wohin weiss ich nicht recht zu sagen. Aus der Pistole geschossen, ein plötzlicher Einfall, geschichtslos, absichtslos, ohne mühseliges Studium,

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aus meinem Kopfe auf die Leinwand geflossen, ein sanfter, warmer Strom, unmittelbar und ungesucht. Ich hatte mich über die Aufnahme meiner Medea in Baden gegrämt; daraus ist in gesundem Rücicschlag das Urteil des Paris entstanden, welches meine gute Laune so gründlich hergestellt hat, dass ich auf lange Zeit gefeit bin. Mir will es vorkommen, als sei das Bild unwiderstehlich; andere werden es unausstehlich finden". Ahnungsvolles Gemüt! Auf der Berliner Ausstellung „Letzter Saal, oberstes Stockwerk" hängte man ihm die „Medea", wie das „Urteil

Aiisa/iii Fctteilimli. Gaea.

Aii.seliJi Feiierhdch. Uranus.

des Paris" wieder einmal tot. Grenzenlose Müdigkeit, unüberwindlichen Ekel meldet der Künstler in einem Briefe an seine Mutter, in welchem er ihr das Schicksal seiner Bilder mitteilt. Er hatte in dem Parisurteil in mehr als einem Sinne Neues gewagt, üppigere Gestaltenfülle, reichere und freudigere Komposition als je, und zum ersten Male seit jener Versuchung des Antonius die Dar- stellung nackter Frauenschönheit. Das liebe Vaterland fiel nun gerade wegen seiner Darstellung des Nackten über ihn her, so keusch und hoheitsvoll er die edlen Leiber der Aphrodite und Hera auch gebildet hat. Es war ihm nun einmal in der Wiege gesungen, dass seine Zeit nicht mit ihm Schritt halten und ihn gerade da am schwersten verkennen sollte, wo er stolz und freudig sein Bestes that !

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Im gleichen Jahre mit dem Parisurteil hatte er seine zweite Iphigenie begonnen, die 1871 fertig wurde. Er hatte sich von dem Bilde viel versprochen und schreibt darüber in Aus- drücken schwärmerischer Vaterzärtlichkeit nach Hause. Nach unserem heutigen Empfinden ist das Bild vielleicht mehr gemalt, als irgend ein anderes Werk Feuerbach's vorher damals erschreckte seine „Farbarmut" selbst die Freunde, als es in der Heimat ankam. Sein Biograph Allgeyer meint^ was aus dem neuen Bilde sprach, sei nicht verklärte Sehnsucht, nicht das reine, die Seele befreiende und erhebende Werk der Kunst, sondern der herzbeängstigende bildliche Ausdruck seines eigenen Heimwehs gewesen, das sich bei ihm zu verzehrender Krankhaftigkeit gesteigert hatte. Eine Hoff- nung, als Lehrer an die Karlsruher Kunstschule berufen zu werden, wurde gerade im Augen- blicke der Vollendung dieser Iphigenie wieder einmal zu Wasser. Die Hoffnung hatte ihn heiss erregt und die Enttäuschung war doppelt schwer, da er gleichzeitig mit den Nachrichten, dass nichts aus ihr werden sollte, auch noch erfuhr, dass man in Karlsruhe einstimmig den Ankauf seiner Medea abgelehnt habe. Vielleicht half die leidenschaftliche Anteilnahme an den Geschicken des Vaterlandes ihm über die Schwere dieser neuen Erfahrungen weg. Er blieb damals in Deutsch- land, bis der Tag von Sedan den Krieg so gut wie entschieden hatte, und kehrte erst dann nach Rom zurück. Zwei Monate, nachdem er auch noch die Bitternisse seiner Aufnahme in Berlin ver- wunden hatte, war er mitten in Arbeiten grössten Stiles begriffen er hatte sein zweites „Gast- mahl" und die „Amazonenschlacht" begonnen. Feuerbach besass, von vorübergehenden Stimm- ungen abgesehen, einen unverwüstlichen Glauben an seine Kunst; das will aber bei ihm durchaus nicht eine kritiklose Affenliebe für das Geschaffene bedeuten. Im Gegenteil! War ein Misserfolg verwunden, so suchte er ihn stets aus Unzulänglichkeiten des betreffenden Werkes zu erklären. Aber er begann mit frohem Mut und stolzer Zuversicht Neues oder das Alte von vorne. Glaubte er, Schweres nicht bewältigt zu haben, so machte er sich ruhig an noch Schwereres!

Vom zweiten „Gastmahl" war schon die Rede und der knappe Raum dieses Heftes gestattet leider ein tieferes Eingehen auf die interessante Genesis dieses Werkes nicht, die eines der fesselnd- sten Kapitel der „Psychologie des künstlerischen Schaffens" bedeutet. Das „Gastmahl" ist bekannt- lich heute eine der Zierden der Berliner Nationalgalerie. Wie wir sahen, war der Gedanke an die „Amazonenschlacht" in Feuerbach schon ziemlich früh lebendig geworden, ein Gedanke, der gerade gross genug für den himmelstürmenden Drang des genialen Idealisten war, anderseits aber doch in manchem über die Grenze seines Vermögens hinausreichte. Erst 1870, zehn Jahre nach dem ersten Entwurf, machte er sich an die Ausführung der gewaltigen Aufgabe, gewaltig auch in den räumlichen Ausmassen. Das Bild ist sieben Meter breit und fast vier Meter hoch. Mit der Schaffens- kraft, welche die wahrhaft grosse Begeisterung verleiht, stürzte er sich in die Arbeit und brauchte, um die ziemlich weltgehende Untermalung fertig zu stellen, nicht mehr als vierzig Tage. Am Schluss

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dieser Leistung fühlte er sich, wie er selber sagt, so frisch wie am Tage des Beginnes. Bis die letzten Retouchen fertig waren, neigte allerdings das Jahr 1873 schon seinem Ende zu. Als die dem Bilde zu Grunde liegende, künstlerische Absicht bezeichnet Feuerbach selber das Streben nach dem Ausdruck der höchsten plastischen Formenschönheit und dies Streben wird dem Beschauer

Anseltn Feuerbach. Familienidylle.

beim ersten Blick auf das Gemälde deutlich. Sogar zu sehr! Damit erklärt sich vielleicht der ganze Misserfolg des Bildes, dass es eben nicht in erster Linie malerisch gedacht ist. Es ist eine Komposition aus durchaus schönen plastischen Posen, eine Komposition, die mit mächtigem Schwung der Linien und grossartigem Rhythmus durchgeführt ist, aber bis zu einem gewissen Grade doch immer eine Vereinigung bedeutsamer Einzelmomente bleibt. Darum ist trotz dieses Linienschwunges

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Anselm Feuerbach. Alkibiades (Sludie).

keine wahre Bewegung in Feuerbach's „Amazonen- schlacht", die Gruppen wiri<en, als seien sie mitten in wildester Aktion erstarrt. Das war in der Zeit des beginnenden Realismus ein Fehler, den man nicht mehr verzieh dreissig Jahre früher hätte die Welt vielleicht staunend vor einem Werke gestanden, das so viel klassische Formenschönheit aufwies freilich hätte sie sich damals gleichzeitig vor dieser Fülle nackter Menschenleiber entsetzt. Feuerbach hatte wieder einmal das Unglück, mit seiner Zeit nicht eins zu sein. Er hatte sich in Rom allzusehr an den Werken der grossen Italiener berauscht, Michelangelo war der Pate seiner „Amazonen- schlacht." Der Einfluss dieses Grössten geht in Feuerbach's Bild bis zu direkten Reminiszenzen. Die nackte Amazone, die in der Mitte des Bildes mit aufgezogenem Bein auf ihren Tüchern liegt seltsam, diese wohlgeordneten Draperien im Getümmel einer Schlacht! hat genau die Pose von Buonarroti's „Nacht am Grabmal des Giuliano". Überhaupt hatte Feuerbach eine besondere Vorliebe für diese vier Figuren aus dem Medizäergrabmal mit ihren aufgezogenen Schenkeln. Sie kehren auch in den Zwickelfiguren der kleinen Münchener Titanomachie wieder, wo die mähn- lichen Figuren ,,Der Tag" und ,,Der Abend" unverkennbar verwendet sind.

Angesichts der Gestalten von Feuerbach's „Amazonenschlacht" möchte man sich fragen, ob der Künstler nicht überhaupt mehr zum Plastiker als zum Maler geboren war. Man könnte die ganze Komposition von den Hintergrundfiguren abgesehen, die weit malerischer empfunden sind unmittelbar in's Relief übersetzen und es würden Gruppen von prachtvoller Plastik ent- stehen. Die grossen Werke Feuerbach's sind, wie gesagt, überhaupt meist nicht aus der farbigen Impression heraus geboren, sondern Kinder des Stils in der Reflexion. Er besass koloristisches Talent genug, um den Kompositionen ein harmonisches Kolorit zu verleihen, aber die Harmonie der Farbe besteht für sich.

Die Harmonie der Farbe mit der Form, die das Wesen des wahrhaft Malerischen bedingt, bestand für ihn nur in untergeordnetem Masse. Irgendwie hat das Feuerbach sehr wohl selbst gefühlt, wie man aus folgendem Satze seines „Vermächtnisses" trotz der Bitterkeit gegen den herrschenden Geschmack, die durchklingt, wohl herausfühlen mag: „In meiner Kunst war ich bis jetzt zu einfach, wie ich jetzt wohl einsehe. Daran ist die fortwährende Stilübung Schuld, das Unwesentliche fortzulassen ; dann die Einsamkeit in Italien, wo Himmel und Meer glänzen und die Seidenmanufakturen erst in zweiter Linie stehen; endlich die Gegenstände meiner Bilder selbst, bei welchen die menschliche Form wichtiger erschien, als die besten Schneiderkünste."

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Man sieht: hier ist ziemlich genau gesagt, was Feuerbach von seiner Zeit trennte. Schlimm für die Zeit! Aber alle Schuld hatte nicht sie allein!

Wer übrigens eingehender sich darüber unterrichten will, bis zu welchem Grade Feuerbach die Form beherrschte, der betrachte seine Handzeichnungen, von denen eine prächtige Auswahl im Franz Hanfstaengl'schen Verlage erschienen ist und zwar in Facsimilereproduktionen, die kaum das kundigste Auge vom Original wegzuerkennen vermag. Es sind Akte und Studien- köpfe darunter auch in diesem Heft finden sich zahlreiche reproduziert , die vollkommen ebenbürtig neben den Handzeichnungen der grössten Alten stehen, Blätter von einer Wucht und herben Kraft der Linie, die mehr als irgend etwas, was Feuerbach gemalt hat, den Anteil des deutschen Blutes an diesem Künstlertemperament verraten. Die Handzeichnung ist ja überhaupt die unmittelbarste, intimste Arbeit, die der Maler schafft, bei ihr ist „der Weg vom Auge zur Hand" immer noch der kürzeste, während beim Malen stets noch allerlei technische Überlegungen da- zwischen liegen. Manche der Feuerbach'schen Zeichnungen stempeln ihn für sich allein schon zum grossen Künstler.

Die „Amazonenschlacht" und das zweite „Gastmahl" wurden zunächst im Wiener Künstlerhause aber nicht gleichzeitig! ausgestellt. Feuerbach hatte 1872 eine Professur an der dortigen Akademie erhalten, hatte sich ein Jahr Frist ausbedungen zur Vollendung seiner grossen Arbeiten und war dann 1873, im Jahr der Weltausstellung, in die Donaustadt übergesiedelt, die Brust neu von Hoffnungen geschwellt. Die Aufnahme, die er fand, war verhältnismässig kühl. Nur Sem per, Hansen und Zumbusch und Johannes Brahms waren ihm mit Freundschaft und Verständnis entgegengekommen. Der Erfolg der „Amazonenschlacht" im Künstlerhause, wo kurz vorher Makart's „Catarina Cornaro" Triumphe gefeiert, war Hohn und Spott ohne Mass! Zum offenen Miss- erfolg kamen heimliche Kabalen von selten verschiedener künstlerischer Cliquen, die auf Makart, Rahl und Canon schworen! Trotz alledem hielt man an amtlicher Stelle treu zu ihm; die hohe künstlerische Kultur, die er im Gegensatze zu manchen Grössen des Tages zeigte, bewirkte, dass man trotz jenes Fiasko den Glauben an ihn behielt. Auch seine Schüler hielten treu zu ihm und seine Lehrthätigkeit machte ihm viel Freude. Jene beglückten ihn durch eine Vertrauenskundgebung, als die grosse Hetze gegen ihn losgebrochen war, und darin fand er einen starken moralischen Rückhalt. Nicht ganz so feindselig, wie die „Amazonenschlacht", nahm man das „Gastmahl" auf. Die Erfolge seiner Schüler entschuldigten ihn für vieles; die Klasse Feuerbach hatte auf der Akademie den Sieg über alle anderen Klassen davongetragen, was seine Stellung sehr befestigte. Er erhielt nun auch einen Monumentalauftrag, um den er sich eifrig beworben allerdings musste er ihn etwa um die Hälfte des geforderten Honorars ausführen. Es handelte sich um die Deckengemälde im glyptischen Saal der Wiener Akademie. Er ging an diese Arbeit unter schweren materiellen Wider- wärtigkeiten, musste er doch fast alles, was er einnahm, wieder hergeben zur Abzahlung erhaltener Vorschüsse, die ihm die Fertigstellung der letzten grossen Werke in Rom ermöglicht hatten. Dazu warf ihn 1876 ein Gelenkrheumatismus und eine schwere Lungenentzündung, die er sich beim Begräbnis Führich's zugezogen, auf's Krankenlager, todkrank fuhr er nach Heidelberg zur Mutter,

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Anseliit Feiierhaili. Drei Amazonen im y\ngriif (Studie).

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und da die Ärzte das Wiener Klima als höchst gefährlich für ihn erklärten, musste er seine Ent- hebung von seinem Amte nachsuchen und kam nicht wieder in die Kaiserstadt an der schönen

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Ansehn Feuerbach. Romeo und Julia.

blauen Donau zurück, trotzdem er seine Deckenbilder, auf die er schon Vorschüsse empfangen, in der Hauptsache erst noch zu vollenden hatte. Er siedelte im Sommer 1876 nach Nürn- berg über, eine Professur an der Kunstschule zu übernehmen ; ehe es zu letzterem kam, unter-

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nahm er aber noch eine letzte Romfahrt und Hess sich dann vorübergehend in Venedig nieder. Hier malte er zunächst sein „Kaiser Ludwig-Bild", d. h. die Szene, wie Kaiser Ludwig der Bayer den Nürnberger Kaufherren Privilegien erteilt. Das Bild, zur Ausschmückung eines Sitzungs- saales im Justizpalast bestimmt und dort, wenn auch in wenig günstiger Umgebung aufgestellt, ist friesartig, 8 Meter lang und 2,40 Meter hoch, das einzige richtige Historienbild, das unter Feuerbach's Pinsel entstand, und das einzige seiner grösseren Werke, das einem strikten Auftrag entsprach. Trotz der Trivialität und Beschränktheit des Auftrages, gab er auch hier, was er hatte, und lieh der Komposition wahre monumentale Grösse. Dass trotzdem das Bild in der Reihe Feuerbach'scher Werke keine erste Rolle spielen kann, versteht sich wohl von selbst. In Venedig entstand auch ferner „Das Konzert", die auch in diesem Heft wiedergegebene Gruppe musizierender Frauen ; das Bild ist nicht ganz vollendet. Die unglückliche Musikergesellschaft, sechs Personen, die ihm als Modelle gedient hatten, ertranken Mann und Weib bei einer Fahrt nach dem Lido, und der erschütterte Künstler vermochte es nicht über sich, an dem Bilde weiter zu arbeiten. Nach einer kurzen Sommerruhe in Bassano machte er sich an die Ausführung des grossen „Titanen- sturzes" als Deckenbild für jenen Saal der Akademie in Wien. Vier kleinere Gemälde für diesen Zweck, Prometheus, Venus Anadyomene, Uranus und Gaea, Gestalten von grossem, michelangeleskem Stil hatte er schon 1875 begonnen. Auch der „Titanensturz" entstand unter grossen materiellen

Aitselm Feueihuch. Venus im Muschelwagen (Studie).

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Schwierigkeiten. Er brauchte einen dreissig Fuss hohen Raum, den er nur unter grossen Opfern, durch Herausnahme eines Plafonds und Verbindung zweier Stockwerke, herstellen konnte. Aber mit unverwüstlichem Mute machte er sich an die Arbeit und mit dem Optimismus seines nie er- schütterten Selbstvertrauens schrieb er schon im Herbst im Frühjahr hatte er begonnen , er habe „einen direkten Sprung in's Paradies gethan", es gehe rapid und ausgezeichnet, alle An- strengung werde durch das eminente Gelingen und die Freude an der Sache reichlich gelohnt. Die Mitwelt lohnte ihm die Anstrengung allerdings wieder in der gewohnten Weise. In Wien wurde das Werk an der niedrigen Decke eines Musiksaales ungünstig angebracht, da der Bau der Akademie noch nicht weit genug vorgeschritten war, und so dem Urteil der Menge preisgegeben. Auch in München, wo Feuerbach's Bilder 1876 so kunstreich im Glaspalast zu Schanden gehängt worden waren, wurde der ,, Titanensturz" gleichzeitig mit der ,,Medea" in einem Separatraum auf- gestellt, aber vertikal, nicht als Deckengemälde, als welches er erst seine volle Wirkung gezeigt hätte. Trotzdem fand das Werk wenigstens in kleinem Kreise grossen Erfolg, und seine Verehrer schickten ihm eine Sendung Lorbeerkränze, was in so überraschte und rührte, dass er sich der Thränen nicht erwehren konnte.

Inzwischen gab Feuerbach's von Natur an schwache Gesundheit immer mehr zu Besorgnissen Anlass. Er flüchtete im Herbst 1879 vor der Kälte wieder nach dem Süden, nach Venedig, und mietete sich ein kleines Atelier. Lebensmut und Arbeitslust waren ihm fast vergangen, schwere Schuldenlast drückte ihn. Er hatte fast 20,000 Mark Schulden in einem Jahre bezahlt. Einen letzten Lichtblick bildete der Ankauf des Medeabildes durch König Ludwig 11., den die Mutter durchgesetzt hatte.

Dem König von Bayern verdankte Feuerbach überhaupt so manche Aufmunterung; auch einen Orden hatte ihm jener zugesandt, zwei Jahre vorher. Feuerbach trug ihn freilich nie, nahm ihn aber doch als freundliches Wahrzeichen freudig auf.

Ein Brief des Künstlers an seine Mutter vom 27. November 1879 sagt zwar noch nichts von neuer Arbeit, aber er spricht doch wieder von der Zukunft. Den für Wien mit Uranus, Venus und Gaea angefangenen, aber wieder abbestellten Prometheus hoffte er zu einem mächtigen Galerie- stück auszugestalten. Es kam anders. Am 4. Januar 1880 fand man ihn tot in seinem Bette ein Herzschlag hatte seinem Wirken ein Ziel gesetzt seinem Wirken und seinen Enttäuschungen. Denn eine lückenlose Kette von solchen war sein Leben. Man sprach irrtümlich davon, er hätte sich selbst den Tod gegeben. Zu begreifen wäre es freilich gewesen ! Aber die Autopsie durch die Ärzte stellte den Herzschlag fest.

Und damit der Tragik dieses Künstlerlebens nicht die letzte tragikomische Pointe fehle, gestaltete man sein Leichenbegängnis die sterblichen Reste Feuerbach's wurden nach der Heimat überführt in Nürnberg zu einem Triumph des Toten. Tausende wallfahrteten nach dem Sankt Johannis-Friedhofe hinaus, wo man ihm, nahe an Dürer's Ruhestätte, sein Grab gegraben. Musik, Reden und Kränze in Mengen, Abordnungen aller Akademien, Leute, die Banner, Palmen und Fackeln trugen! Die beiden Bürgermeister fehlten nicht. Poetische Grüsse wurden ihm nachgerufen, über

Kai!

Ansehn Fcnerhmli . Studienkopf mit Epheuiaub (Handzeichnung).

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

dem Grab erhob sich ein barocker Baldachin von Pflanzengrün. Und zuletzt sangen sie ihm einen Scheidegruss, der mit den Worten anhebt:

„Über den Sternen, da wird es einst tagen, Da wird Dein Hoffen, Dein Sefinen gestillt!"

Ein später Trost!

Feuerbach hatte sich früher einmal ein Grab auf der schönen kleinen Insel Isea geträumt und sich selber die Grabschrift verfasst:

Hier liegt Anselm Feuerbach, Der im Leben manches malte. Fern vom Vaterlande ach Das ihn immer schlecht bezahlte!

Aiiscliii Fencrbuclt. Bestattung.

ÜBER Kleinmalerei

VON

A. HEILMEYER.

Ber Impressionismus hat auf dem Gebiete der Malerei grosse ""\r^r Umwandlungen hervorgerufen; ganz neue und eigenartige Phänomene in Licht und Luft wurden entdeckt, insbesondere durch die Landschaftsmalerei eine Menge Probleme erschlossen. Wie nunmehr die Bilder immer heller und heller wurden und leuchtende frische Farben an Stelle der schwärzlichen brandigen Töne traten, ward mit der veränderten Anschauung auch die Ausdrucksweise, die Technik vielfach eine andere. Die moderne Kunst gründete sich vorzugsweise auf das Experimentieren mit Farben. Die Maler arbeiteten zumeist im Freien, um die immer wechselnden Licht- und Lufteindrücke zu den verschiedenen Tages- zeiten festzuhalten. Diese Methode bedurfte keiner langen Vor- bereitungen wie die Arbeitsweise im Atelier; es handelte sich hier vor allem darum, mit schnellem Blick und geübter Hand das Gesehene zu fixieren. Von malerischer Kultur war aller- dings in diesen Studien wenig zu verspüren. Ganz anders war es aber um die Kleinmalerei bestellt, die technische Virtuosität,

lange Erfahrung und Übung, sowie die richtige Anwendung bestimmter künstlerischer Prinzipien zur Voraussetzung hat. Auf diesem Gebiete konnten also die neuen Anschauungen nur bedingt zur Geltung kommen, und da sie der Natur der Sache nach hier ganz langsam durchdrangen, kam die Kleinmalerei in den Verruf eines rückständigen und abgelebten Kunstzweiges. Man that ihr bitter Unrecht, denn die Moderne hatte als ihren vornehmsten Grundsatz festgelegt, das Malen um des Malens willen zu betreiben. Zwar schätzte man wegen ihrer Auffassung und Technik die Werke eines Meissonier, in Fortuny's Bildern bewunderte man das erstaunliche Können, das Publikum verstand die holbeinische Art Leibl's, respektierte die Schärfe der Beobachtung und die

XIV 10

Franz Shmn. Studie zu einer Illustration für die „Fliegenden Blätter"

66 DIE KUNST UNSERER ZEIT

Exaktheit der Arbeit in Menzel's Schöpfungen und zollte der Virtuosität eines Trübner Anerkennung. Sie alle hatten ja die Probleme der modernen Malerei vorbereitet oder selber bereits zu lösen versucht. Die heutigen Kleinmaler wissen die neuesten Resultate innerhalb der Grenzen, welche ihrer Kunst gesteckt sind, wohl zu verwerten, obgleich die Übertragung mancher Anschauungen, z. B. des Pleinairismus, auf ihr Gebiet mit nicht geringen Schwierigkeiten verknüpft ist. Denn die Ausdrucksmittel, deren sich der Grossmaler zur Erreichung gewisser koloristischer Wirkungen bedient, müssen hier wesentlich modifiziert werden. Jener rechnet mit Wirkungen, die erst bei einem gewissen Abstand vom Bilde zur Geltung kommen ; dieser muss für die Nahbetrachtung alles auf einen möglichst beschränkten Raum konzentrieren, er muss mehr auf den Ausdruck als auf den Eindruck hinarbeiten. Ihre Beobachtung ist in erster Linie auf eine genaue charakteristische Wiedergabe der Objekte gerichtet; sie nimmt noch die Lupe zu Hilfe, um in alle Details einzu- dringen. Dieses Streben birgt in sich eine Klippe, an der viele scheitern, nämlich die, ausführlich und peinlich in der Darstellung bis in das kleinste hinein zu sein, ohne kleinlich zu werden. Ein Werk der Kleinmalerei soll von den Vorzügen, welche die Schönheit eines Budes im grossen Mass- stabe ausmachen, nichts entbehren. Die Bilder eines Mieris, Ter Borch, Wouwerman, Brouwer wurden in kunstliebenden Zeiten nicht weniger geschätzt als die eines Tizian und Rubens. Soll der Geist der Malerei ein anderer sein, wenn er aus den Fingerspitzen eines Kleinmalers quillt oder wenn er die Hand eines Grossmalers führt? Das Stoffgebiet der Kleinmalerei ist ein fast unbeschränktes, es umfasst so ziemlich alle Gattungen, nämlich Porträt, Genre, Geschichtsbild, Landschaft und Stilleben. Die folgende Schilderung wird sich auf eine Gruppe meist einheimischer Maler beziehen, die diese Arten alle vertreten.

Zunächst zeigt sich in diesem Zw^eige der Malerei eine entschiedene Neigung zur Dar- stellung intimen Kleinlebens in der Natur. Ein Bildchen in der vorjährigen Glaspalastausstellung war dafür bezeichnend. Man sah einen Gnomen, der mitten im Grünen seine Staffelei aufgestellt hatte und einen Frosch, der auf einem grossen Pilz sass, porträtierte. Ringsum zeigt sich viel- gestaltiges Leben und Weben. Die Sonne sendet ihre glühenden Pfeile in diese dämmerige Welt und streift da eine Blume, dort ein vergilbtes Blatt, macht einen Tautropfen funkeln und lässt die Flügel eines Insekts erglänzen. In diesen Mikrokosmus versenkt sich ein Malerauge wie das KRlCHELDORF's mit Vorliebe. Seine Blumenstücke sind zarten lyrischen Gedichten zu vergleichen.

Ein anderer ist KRONBERGER. Er malt Charakterköpfe auf eine Fläche, gewöhnlich 13 17, mit der naiven Freude an der farbigen Erscheinung, mit dem Realitätsgefühl und dem Fleisse der Ausführung, die auch die Werke altdeutscher Meister auszeichnen. Sowohl in der Wahl der Stoffe als auch in der Art der Ausführung ist ihm ERNST SCHMITZ verwandt.

Kapriziösere und ausgesuchte malerische Pikanterien bieten das Trio SIMM, SEILER, LÖWITH. Es ist die Welt des Rokoko mit seiner prunkvollen Entfaltung von Glanz und Pracht, die ihr malerisches Empfinden anregt und befruchtet. In ihren Bildern schimmert und funkelt es von Lüstern, von geschliffenem Glas, Geschmeide, Waffen, Uniformen, von vergoldeten Möbeln, schillernder Seide und anderen Stoffen mit tiefen, satten Farben. Einige dieser Künstler sind auch

DIK KUNST UNSERER ZEIT

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als Illustratoren thätig und neigen daher gerne zur Wiedergabe pointierter Schilderungen. Sie lieben Sujets, in denen sich ein Stück Kultur- und Sittengeschichte wiederspiegelt. Mit Vorliebe behandeln sie Episoden aus dem Leben berühmter Staatsmänner, Feldherren, Philosophen und Dichter, Nicht selten verbinden sie mit der Gabe glänzender malerischer Darstellung die Behandlung einiger

//. 0. Kl irhchhii f. Sclimetti,'rlinji;e

interessanter psychologischer Momente. Besonders BUCHBINDER scheint seine Stoffe so zu wählen, dass mit einer prunkenden Erscheinung auch immer ein gegenständlich anziehendes Motiv verbunden ist. Hinsichtlich der koloristischen Ausführung ist all diesen ein Zug gemeinsam: sie suchen vor allem nach Originalität im Ausseren, die im Kostüm oder auch in Geste und Bewegung

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

//. 6f. Kricheldorf. Tulpen

irgendwie hervortritt. Koloristisch arbeiten sie die Strui<tur der Gegenstände so be- stimmt wie möglich heraus, selbst bis zu einer gewissen Härte auf Kosten der Gesamtstimmung. Es blieb WILHELM von DIEZ und HARBURGER vorbehalten, in ihren Bildern das rein Malerische der Erscheinungen zum Ausgangspunkt ihrer Gestaltung zu machen. Indem sie auf niederländische Vorbilder zurückgingen und diese fleissig studierten, fanden sie auch bald eine eigene Ausdrucksweise. Harburger, der feine Zeichner, hat sich ganz im Anschlüsse an die Tradition ent- wickelt, obwohl er in seiner Art durchaus neu und eigenartig ist. Seine Bilder sind durch ihre tonig und saftig klare Farb- gebung den alten Meistern ähnlich. Da- durch unterscheidet er sich wesentlich von den übrigen. Auf ROBERT SCHLEICH hat das Pleinairmalen einen gewissen Einfluss ausgeübt. In seinen Miniaturlandschaften weht freie Luft und flutet helles sonniges Tageslicht.

Manchem Besucher der zweiten Münchener Jahresausstellung von 1890 mag ein Bildchen aufgefallen sein, das Schmetterlinge auf dem Deckel einer Zigarrenschachtel aufgespiesst darstellte. Ein alter Witz, hiess es in einer Kritik, aber vorzüglich gemalt. KRICHELDORF hatte in der That mit ausserordentlichem Geschick das Ganze komponiert und im Detail bis auf das feinste ausgeführt, sodass ein Entomologe mit der Lupe die Genauigkeit der Wiedergabe hätte prüfen können. Mit dem Auge des Naturforschers hatte der Maler die Besonderheiten in Bildung und Struktur der Tiere beobachtet und studiert. Diese positivistische Anschauung, die sich auf einen kleinen Kreis der Nachachmung beschränkt, muss in der Darstellung doch auf eine harmonische Gesamtwirkung hinarbeiten, weil sich das Auge sonst in der Fülle der Einzelheiten verlieren würde. Durch ein geschicktes Arrangement der Farben soll diese Einheit erzielt werden. Der Künstler muss aus der Natur die einzelnen Eindrücke sammeln, das weithin Zerstreute zusammenlesen, auswählen und ordnen, auf die Art etwa, wie man einen Blumenstrauss bindet. Wir fühlen dabei auf's neue das Treffende des Vergleiches in Schiller's Versen :

„Die Auswahl einer Biumenflur

Mit weiser Zahl in einen Strauss gebunden

So trat die erste Kunst aus der Natur;

Jetzt wurden Sträusse schon in einen Kranz gewunden."

C. Kronberj^cr pinx.

riiot. 1". liuiifstaengl, München

Der Ra uch er

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Aber nicht allein Geschmaclc und Geschick sind notwendig zu solchen Aufgaben, alle die künstlerischen Fähigkeiten, die das Übertragen der Eindrücke auf die Bildfläche erfordern, müssen dabei in angestrengter Arbeit bethätigt werden. Bei einer Darstellung wie dem Blumenstück muss der Künstler stets in innigem Kontakt mit der Natur stehen ; es gehört eine grosse Beobachtungs- gabe und Artenkenntnis dazu, von so vielen an Farben und Formen verschiedenen Pflanzen das Typische wiederzugeben und dabei doch das Besondere nicht über die allgemeine Erscheinung hervorzuheben. Wiesenblumen, Gräser und Pensees hat er zu einem farbensprühenden Bouquet vereinigt, dessen koloristischer Reiz noch erhöht wird durch die perlenden Tautropfen, die schillernden Falter und die in prächtigen Farben leuchtenden winzigen Käfer. Das Auge des naiven Beschauers wird durch diese Harmonie entzückt und durch die Ausführung selbst der Botaniker befriedigt. Kricheldorf hatte 1897 in Wiesbaden mehrere Werke dieser Art ausgestellt. Eine Kritik sagt darüber: „Von Kricheldorf in München sind einige Blumen- und Fruchtstilleben mit Insekten zu sehen, Bilder von ausnehmender Feinheit. Zwar muten sie den Kenner anfangs etwas kleinlich, etwas ausgepinxelt an, und jede kecke, sichere Breite der Pinselführung mangelt ihnen, aber sie sind, wie bei manchen altniederländischen Kleinmeistern des Stillebens, mit einer so eingehenden Liebe durchgeführt, dass man Ursache hat, diese liebevolle Versenkung in die Natur zugleich mit dem Fleiss des Künstlers zu bewundern. Dabei wirken die dargestellten Blumen und Früchte äusserst stofflich. Die Tautropfen auf den Blättern glaubt man fortwischen zu können, und die Farben, zumal bei dem Bilde mit den sammetartigen Stiefmütterchen, sind von einem ausser- ordentlichen Schmelz und eminenter Leuchtkraft ..."

Ein anderer Kritiker vergleicht die Werke Kricheldorf's mit denen des berühmten fran- zösischen Meisters Antoine Vollon. In einem einheit- lichen, warmen goldigen Tone ist ein kleines Fruchtstilleben hingezaubert. Dieses volle Zusammenklingen der Farben haben hauptsächlich seine in letzter Zeit entstandenen grös- seren- Bilder. Es sind meist Arrangements von altertüm- lichen kostbaren Gefässen, Gläsern, Krügen, Schüsseln, Platten u. s. w. im Verein mit köstlichen Tafelfreuden. Die Ausführung, obwohl genau und eingehend, ist immer fliessend und malerisch, die // g. KrichcMinf. Fruchtstück

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Wirkung prächtig und dekorativ. Seine Gemälde sind wie Gobelins als vornehme Zier in festlich geschmückten Räumen zu denken.

Kleinmaler sind aber häufig auch Feinmaler. Bei ihrem Streben, die Objekte möglichst getreu und präzis wiederzugeben, eignen sie sich meist eine sorgfältige, saubere Maltechnik an. Eine gewisse Glätte des Vortrages ist die natürliche Folge. Die Kabinettstücke eines Balthasar Denner sind darum berühmt geworden. Bekannt sind ja die Bildnisse der beiden Alten in der Münchener Pinakothek. Wie ist hier das Stoffliche des Pelzes und Sammets, die Struktur der weichen rosigen Haut, die eingehende Detaillierung bis auf den Bartflaum im Gesichte des alten Mannes durchgebildet! Die ganze Ausführung zeugt von einer ausserordentlichen Subtilität und einer virtuosen Pinselführung. Dabei ist der Eindruck doch gross gesehen und durchaus malerisch gefühlt. Das Geschlecht der Denner ist noch nicht ausgestorben, es blüht heute noch. Kronberger, Kricheldorf und Schmitz gehören zu diesem Stamme. Ihre Art und Weise erhält sich, weil eine bestimmte Naturanschauung dahinter steckt. Aber welche Modifikationen erlitt sie bis jetzt? Unsere Zeit vermochte ja keine künstlerische Tradition rein zu erhalten.

KRONBERGER hat früher Genrebilder gemalt, wie sie eben in der Zeit von 1874 bis 1880

in München vielfach entstanden. Friedrich Recht in seiner Geschichte der Münchener Kunst zählt ihn einfach unter die Humoristen ein weites Fach ! Seinen früheren Bildern liegt meist ein novellistisches Sujet , zu Grunde, das er mit fein beobachteten Zügen auszuschmücken verstand. Auch ist das Milieu, in dem sich der Vorgang abspielt, meist so glücklich gewählt, dass seinen Bildern nicht selten ein Reiz inne- wohnt, wie wir ihn sonst nur bei Spitz- weg gewohnt sind. Ein Bildchen dieser Art, „Der zu spät entdeckte Einbruch", gibt die Schilderung eines nächtlicher- weile dem Laden einer Putzmamsell ab- gestatteten Besuches. Ein anderes Werk stellt eine Gerichtsszene aus der Zeit der Patrimonialgerichtsbarkeit dar. Es ist ein altertümlicher Raum mit mächtigem Ofen, davor die Anklagebank, im Vordergrunde das Auditorium, hinter den Schranken der hohe Gerichtshof. Eben ist der Hauptzeuge c. Kn„i/wri/,'r. Zu spät eiitdecktur Finbnich aufgerufen worden, ein Moment der höchsten

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C. Kniiihcim-r. Politiker

Spannung ist eingetreten, indem

derselbe das vorgewiesene cor- pus delicti, einen derben Stock,

als dem Angeklagten zugehörig

erkennt. Damit ist der Delin- quent, der zerknirscht auf der

Ofenbank neben dem Büttel

sitzt, überwiesen. Neben der

treffenden Charakteristik in den

verschiedenen Typen und der

Komposition im ganzen, welche

an die Sittenbilder von En-

huber erinnert, war es hier

bereits die äusserst fleissige

Durchbildung des Details, die

auffiel. Man erkannte darin

schon den künftigen Kleinmaler.

Die Schärfe der Beobachtung, die Realität in der Wiedergabe des Stofflichen und ein gewisses

Zuspitzen der Eigentümlichkeiten der äusseren Erscheinung, alle diese Eigenschaften zeigten

sich hier entwickelt. Dazu kam noch eine sichere exakte Zeichnung, sublime Farbgebung und das Bestreben möglichster Konzentration der malerischen Wirkung. Alle Faktoren , welche die Kunst des Kleinmalers ausmachen, waren somit gegeben. Als Autodidakt suchte er sich seinen Weg selber und durch unermüdliche Ausdauer und genaue Einsicht in das künstlerische Wesen seines Faches gewann er alle die wertvollen Erfahrungen der Technik, die wir in seinen Bildern bewundern. Er malt mit Vorliebe auf kleine Holztäfelchen, lässt sie jahrelang lagern, wie der Liebhaber Wein und Zigarren, und präpariert dann den Malgrund sehr sorgfältig. Auch seine Farben reibt er selber und versetzt sie mit eigenen Malmitteln. Mit derselben Gründlichkeit, mit der er seine Vorbereitungen trifft und das Ganze fertigstellt, sucht er auch bei der Ausführung die möglichste Realität der Erscheinung zu erreichen. Er malt keinen Strich ohne Modell. Besonders liebt er schöne Kostüme, und an diesen ist ihm schlechterdings alles interessant, vom Hosenknopf bis zur schöngemusterten Halsbinde aus Seide. Er behandelt mit demselben eingehenden Interesse das Gewebe eines Stoffes, wie die Bildung und den Ausdruck des Gesichtes. Seine Bildchen geben daher im wahrsten Sinne Charaktertypen, Bildnisse von ganz bestimmten Personen, mit deren Art er gut vertraut ist. Meist gehören sie kleinbürgerlichen oder bäuerischen Verhältnissen an ; man trifft solche Gesichter, wie sie Kronberger malt, am häufigsten in kleinen Provinzstädten. Da ist ein wohlsituierter alter Bauer, der behäbig seinen Schoppen trinkt und oft von Witz und Laune sprüht, dort sieht man den Wirt zum „goldenen Stern" oder zum ,, roten Ochsen", der seine Pfeife schmaucht, oder auch Hochwürden im Sammetkäpplein auf dem ergrauten Haar, ganz der gute

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

Hirte seiner Gemeinde. Weil diese glatte saubere Malerei dem Auge so wohlgefällig er- scheint und das Sujet jeder- mann anzieht, ist es wohl be- greiflich, dass dieses Fach viele Anhänger zählt.

Die Genremaler suchen das Leben von der sonnigsten Seite zu zeigen ; bei ihnen sind die Menschen zumeist gesellig, liebenswürdig und aufgelegt zu harmlosen Scherzen. Junge Bur- schen mit frischem keckem Ge- sicht, schmucke Mädchen im Sonntagsstaat, schäkernde Lie- bespaare und muntere Kinder- gestalten bilden die Gesellschaft, in der sich ERNST SCHMITZ am liebsten bewegt. Das Leben muss ihn in die glücklichste Laune versetzen, denn er teilt seinen Bildern etwas von seiner eigenen Stimmung mit. Er ging einen ähnlichen Weg wie Kronberger und malte Genrebilder nach der bekannten Münchener Art; jetzt ist er fast ausschliesslich als Kleinmaler thätig. In der vorjährigen Glaspalastausstellung konnte man von ihm ein Bildchen sehen, das eine muntere frische Alte darstellt im Begriff, ihre Kaffeeschale zu leeren. Das Motiv ist ein wenig konventionell, aber in seiner Art gut vorgetragen. Auch war es dem Maler nicht so sehr um dieses ansprechende liebe Gesicht zu thun, als um die überaus kostbare buntfarbige Tracht. Selbst wenn er dem Ausdruck des Gesichtes alle Sorgfalt zuwandte, konnte er doch seine Fertigkeit daran nicht so hervortreten lassen, als wenn er sich in der Ausführung z. B. der goldgestickten Haube erging. Diese hat er gleichsam zu dem glänzenden Mittelpunkte seiner Darstellung gemacht. Jeden Faden kann das mit der Lupe bewaffnete Auge verfolgen; die Edelsteine, womit die Gold- haube besetzt ist, sind in einen Kranz winziger Perlen gefasst und doch funkeln und schimmern sie in aller Pracht. Ich glaube, der Künstler ist wochenlang bei der Ausführung dieses Stückes thätig gewesen. Mit nicht geringerem Fleisse ist das übrige behandelt, der kostbare Seidenstoff des Mieders mit den herrlichsten Farben und die schwarzen Bänder der Haube. Was ist mehr zu

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C. K/o)ibcii/cr. Ein lustiger Schwabe

Ernst Schmitz piiix.

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Die beiden Alten

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bewundern, die Kunstfertigkeit des Malers oder der täuschende Anblick, den er durch seine Arbeit bietet? Welche Mühe, Farbteilchen um Farbteilchen mit sicherem Pinsel auf die Leinwand zu setzen! Die Hand muss dabei mit dem Auge gehen wie bei einem guten Schützen.

Indem die Kleinmaler so in ständigem Verkehr mit der Natur ihre Beobachtungsgabe schärften, mussten sie doch bei dem Streben, dem Wirklichen der Erscheinung möglichst nahe zu kommen, in der Form zugleich den Ausdruck eines lebendigen Organismus empfinden und

C. Kitiiibcijjcr. Überwiesen (Aus der Zeit der Patrinionialgerichte)

daher der formellen Ausgestaltung immer grössere Sorgfalt zuwenden; in BUCHBlNDER's Gemälde „Ein Grübler" spricht nicht allein das Motiv als solches, vielmehr ist es die koloristische Behandlung des ganzen Raumes, welche die Stimmung erweckt, in die wir den jungen Gelehrten versunken sehen. Er erreicht dadurch eine Wirkung, die das Auge befriedigt und zugleich die Vorstellung lebhaft anregt. Diese Anschauung kann man als einen Übergang zu künstlerischer Behandlung von novellistisch belebten Szenen und Vorgängen betrachten, wie sie LÖWITH, SEILER

XIV II

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

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und SIMM, jeder in einer anderen Weise, geben. Sie sind ihrem Empfinden nach Kulturhistorikern zu vergleichen.

Schauen wir uns einmal im Atelier eines solchen Künstlers um. Die Wände sind mit alter- tümlicher Vertäfelung bekleidet, ein kostbarer Gobelin, Spiegel in reichgeschnitzten vergoldeten Rahmen, ein prächtiger Kamin, Fenster mit lichten runden Scheiben vervollständigen den reichen Eindruck. Das Mobiliar besteht aus schmalen Sophas mit geschweiften Lehnen, krummbeinigen Stühlen mit kostbaren Seidenstoffen überzogen, zierlichen Schränkchen mit eingelegter Arbeit aus Silber und Schildpatt und Pfeilertischchen mit Intarsien. Darauf stehen allerhand Nippsachen, wertvolles Porzellan aus Sevres und Meissen, ein Planetarium, Globen und Bücher mit reich verzierten Einbänden. Unter den Bildern finden wir einige interessante alte Kupfer oder gar einen wertvollen Potter oder Watteau. Ein Kleinmaler, der eine bestimmte Epoche kultiviert, ist gewöhnlich reich eingerichtet und hat meist mehrere ineinandergehende Räume mit wechselndem Licht und verschiedener Ausstattung. Je nachdem er einen Vorgang darstellen will, wird er gezwungen, bald einfachere, bald reichere Staffage zu verwenden. Er muss vor allem dem Studium des Interieurs die grösste Aufmerksamkeit zuwenden. Sein Atelier gleicht einer Bühne, die er wie ein geschickter

Regisseur nach Bedürfnis verändert. Noch schwieriger ist es, die Räume mit Gestalten zu er- füllen, die ganz nach der Sitte und Mode eines längstvergangenen Zeitalters sich bewegen, handeln, leiden und lieben. Doch das allgemein Mensch- liche bleibt in allen Nuancen des Ausdrucks im wesentlichen gleich; ein Künstler mit starkem Empfinden wird jeder Epoche das Gepräge seines individuellen Fühlens und Denkens geben. Daher wird ihm auch eine vertiefte Bildung, ein weiterer Gesichtskreis zu gute kommen. Er lebt gewisser- massen in einer aus den Resten einer längst ver- gangenen Zeit aufgebauten Welt. Wie der Ge- lehrte in seiner Bibliothek muss er die eingehend- sten Detailstudien machen. Das Kostüm, in dem sich unsere Vorfahren bewegten, war nicht weniger reich und mannigfaltig ausstaffiert als der Hausrat. Das Studium des Kostüms ist für die künstler- ische Darstellung eines längst entschwundenen Zeitalters unerlässlich, denn das rein Malerische der Erscheinung ist damit eng verknüpft. Die reiche bunte Tracht der früheren Geschlechter, ir. iMirith. Skizze welche jedem Individuum ein originelles Gepräge

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verlieh, ist gerade der Hauptfaktor, der die Maler bestimmt, sich dieser oder jener Epoche zuzu- wenden. Neben dem altmodischen Hausrat besitzt daher der Kieinmaler gewöhnlich auch noch eine Kostümsammlung, die nicht minder merkwürdig ist.

Möbel und Kleider haben ihre Schicksale; sie erzählen dem Eingeweihten ein Stück Geschichte. In hohen Glasschränken werden die Reste einstiger stolzer Pracht verwahrt. Hier das Prunkgewand eines Höflings aus kostbarer Seide, dort das scharlachrote Kleid eines Kardinals, dann das zoll- dicke Lederwams aus Elenhaut, das einst ein schwedischer Kriegsmann getragen, weiter Uniformen einer bunt zusammengewürfelten Soldateska des 17. Jahrhunderts, Hüte, Kappen, Stiefel, Schuhe,

U'. Liiwith. Rcniiniscenzen (Bildanlage)

vom zierlichen bestickten Pantoffel einer Courtisane bis zu den schweren rindsledernen Kanonen eines Kuriers, daneben noch Strümpfe, Bänder, Handschuhe, Fächer, Stöcke u. s. w., im ganzen ein kunterbuntes Durcheinander, mit grosser Mühe und vielen Kosten aus aller Herren Länder zusammengetragen. Das meiste stammt aus den grossen Weltstädten, wo im mächtigen Strudel des Lebens die merkwürdigsten Dinge längst versunkener Geschlechter wieder an die Oberfläche emporgetrieben werden.

Von unseren Künstlern bewegen sich Löwith und Seiler, mit grösster Detailkenntnis ausge- rüstet, in der Periode des Rokoko, Simm mit Anmut und Grazie in der Epoche des Direktoriums und des Empire, ohne jedoch ausschliesslich dieses Feld zu bebauen. Simm und besonders Seiler

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

nehmen das malerisch Anziehende überall auf, wo es sich findet, in der Gesellschaft, im Ballsaale, in Cafes und Restaurants. Sie wissen auch dem modernen Menschen im Zusammenhange mit stimmungsvollen Interieurs malerische Reize abzugewinnen.

LOWITH ist vor allem in dem an originellen Erscheinungen so reichen 18. Jahrhundert zu Hause und hat sich in diese Ära vollständig eingelebt. Bald gibt er eine Gruppe aus der distinguierten Gesellschaft, bald das diplomatische Korps im Vorzimmer eines allmächtigen Ministers, oder er führt uns auf die Amtsstube eines Richters oder Advokaten und schildert das behagliche

Leben der Kleinbürger in der Kneipe. Besonders figurenreiche Kompositionen gibt er nicht, mit Vorliebe macht er eine Gruppe, die sich für irgend etwas lebhaft interessiert, zum Mittelpunkt des Bildes und stattet das einzelne mit fein beobachte- ten, treffenden Charakterzügen aus. Die Modelle, die er zu seinen Bildern benützt, sind mehr als Statisten , mit ausgewählten Garderobestücken umhängt, sie dienen ihm nicht allein als Korrektiv, er sucht mit feinem Verständnis in ihnen Typen zu entdecken, welche schon in ihrer ganzen Er- scheinung sich dem Milieu anzupassen vermögen, in das er sie hineinstellt. Darum kommen einem auch seine Darstellungen durchaus natürlich und überzeugend vor. Wir glauben Menschen des 18. Jahrhunderts vor uns zu sehen. „Neue Send- ung" ist ein Bildchen betitelt, das Löwith Ver- anlassung gab, eine Menge malerischer Antiqui- täten zu einem hübschen Motiv zu arrangieren. Da ist eine Kiste voll Raritäten angekommen, Harnische, Vasen, ziselierte Platten und Prunk- gefässe und als das kostbarste Stück die Marmor- statue einer koketten Venus. Die Liebhaber und Kenner in Perücke und Kniehose sind um dieses Werk versammelt und prüfen und bewundern es von allen Seiten. „Das Liebhaberkonzert" zeigt uns in glücklichster Weise die Stimmung der Zeit, die den Dilettantismus in der Musik aufblühen sah. „Disputation" heisst ein anderes Werk, das einen Kardinal in seiner prächtigen roten Kleidung zeigt, wie er mit gelehrten Herren eine subtile Streitfrage abwickelt. Auch hier ist der Vorgang lebhaft und anregend geschildert und alles und jedes Detail mit grosser Hingebung und malerischer Delikatesse ausgeführt, die Komposition wie bei einem grossen Historienbilde behandelt; die Figuren sind geschickt in den Raum gestellt, man sieht, dass die Luft dazwischen spielt. Die Verteilung von Licht und Schatten ist im malerischen

W. Löivitti. Ein interessantes Blatt

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Sinne sorgfältig abgewogen, die Zeichnung überaus bestimmt und exakt. Bei all der liebevollen und eingehenden Behandlung des Details darf dieses doch nie störend hervortreten, sondern die Eindrücke müssen sich zu einem harmonischen Ganzen vereinigen. Löwith's Bildchen zeigen eine klare prächtige Tonfülle, und er erreicht mit seiner Zusammenstellung der Farben immer einen vollen Akkord. Im kleinen Rahmen entfaltet sich eine glänzende bunte Welt. Manchmal weiss er mit ein paar Tönen, die in reicher Nuancierung abgestimmt sind, exquisite koloristische Wirkungen zu erzielen. Besonders pikant wirken seine Skizzen und Interieurstudien. Darin erkennen wir vor- züglich den geschmackvollen Künstler und brillanten Techniker. Bei solchen Eigen- schaften erscheint es uns ganz natürlich, dass er hauptsächlich die an schillernden und glänzenden Kontrasten so reiche Welt des Rokoko zu seiner Domäne erwählt hat. Es ist sicher nicht der Stoff allein, der die Aufmerksamkeit der modernen Maler zuerst auf die Periode des Rokoko lenkte, wenngleich bei Menzel die Vorliebe für dieses Milieu durch das patriotische Interesse an der Ära Friedrichs des Grossen geweckt und durch die historische Richtung der ganzen Zeit der malerische Esprit angeregt wurde. Die Objektivität und Zu- verlässigkeit seiner Naturanschauung über- traf an Sachlichkeit und Treue der Wieder- gabe alles auf diesem Gebiete bisher Ge- botene. Nicht zum wenigsten ist es der Nachwirkung dieser Methode zuzuschreiben, dass sich die Künstler in einer früheren Epoche so richtig und sicher bewegen lernten wie in der gegenwärtigen. Menzel's

Naturanschauung ist in ihrer Schärfe und ihrem eindringenden Studium des Details auch für die deutsche Kleinmalerei von grossem Einfluss gewesen ; er hat den Blick für das Ansprechende in unserer nächsten Umgebung geschärft und dadurch auch auf das moderne Leben hingewiesen. Seine beispiellose Vielseitigkeit Hess ihn überall, auf Schritt und Tritt neue Motive finden. Die bürgerliche Gesellschaft, das Militär, prunkvolle Feste, feierliche Aufzüge, das Volk bei seiner Müsse und bei seiner Arbeit, die Darstellung von allerlei Räumlichkeiten, die weiten Hallen moderner Fabriken und die duftigen Interieurs reizvoller Barockkirchen, alles und jedes interessiert ihn und hat in ihm einen gewandten Darsteller gefunden. Es ist klar, dass die mächtigen Anregungen,

W. JJiwil//. Der Aufschneider

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DIE KUNST UNSERER ZEIT

die von diesem Meister auf fast alle Gebiete der Malerei ausgingen, vielfach auf fruchtbaren Boden fielen und ihm überall Nachfolger erstanden.

Auch in der Kleinmalerei findet sich für diese Richtung ein Interpret in KARL SEILER. Nicht dass Menzel als solcher für ihn irgendwie vorbildlich gewesen wäre, Seiler folgte dem all- gemeinen Zuge, den die Moderne nach dieser Richtung nahm. Doch lassen sich bei genauerer Betrachtung auch manche verwandte Züge entdecken, vor allem in dem Streben nach möglichster Objektivität und Realität. Seiler möchte die Erscheinungen im Räume möglichst präzis und naturgetreu wiedergeben ; er gibt sich nicht mit blossen malerischen Effekten, die oft nur durch zufällige technische Manipulationen entstehen, zufrieden. Ausserdem pflegt er auch nicht wie so viele andere ein Steckenpferd zu reiten und ein beliebtes Sujet zu einer einträglichen Domäne zu machen, sondern er ist so vielseitig als möglich thätig. So ist es zu verstehen, dass er nach und nach von Schilderungen aus der Zeit des dreissigjährigen Krieges zum Rokoko und schliesslich zum modernen Leben kam. Mit Menzel teilt er auch die Vorliebe für Friedrich den Grossen und

er hat versucht, neben seinem grossen Vorgänger den alten Fritz mit seiner nächsten Umgebung in einigen Werken zu behandeln, wie er auch gegen- wärtig wieder mit einer Episode aus dem sieben- jährigen Kriege beschäftigt ist. Aus diesem Be- streben heraus erwuchsen Bilder wie: Friedrich der Grosse auf Reisen, Friedrich der Grosse im Walde von Parchwitz u. s. w.

Es scheint, dass man sich in Deutschland das 18. Jahrhundert ohne diese so bedeutungs- volle Figur nicht denken kann. In Malerei, Poesie und Geschichte, überall tritt sie uns entgegen. Diesem Kreise gehören ausserdem noch Schöpf- ungen wie „Episode aus der Verhaftung Voltaire's zu Frankfurt a. M." und der „Vertrag im Haag" an. Die an interessanten historischen Persönlich- keiten und Vorgängen so reiche Zeit bietet in allen Schichten prächtige Originale. Was hat z. B. nicht Chodowiecki alles geschildert! Auch Seiler wendet sich gern ähnlichen Kreisen zu, betreten wir mit ihm die Offizin einer Apotheke, wo sich die kleinbürgerliche Hautevolee amüsiert, oder eine jener behaglichen Kneipen, in deren Atmosphäre immer einige wunderliche Käuze ge- w.Löwitir Studie deihen.

DIE KUNST UNSERER ZEIT

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Besondere Sorgfalt verwendet Seiler auf die Behandlung des Innen- raumes. Die dämmerigen Werkstätten in ihrer malerischen Stimmung, die modernen Restaurants u. s. w. haben in ihm einen exakten Schilderer gefunden. Besonders scheint ihn aber das Spiel des Lichtes, der Reiz, der den prächtigen Räumen der Barock- und Rokokokirchen eigen ist, anzuziehen. Auch hierin ist er Menzel ähnlich. Mit eigener Gründ- lichkeit hat er dazu eingehende architek- tonische Studien gemacht; zahllos sind die Farbenskizzen, die er nach der Natur aufnahm. Bald erscheinen darin diese Räumlichkeiten sonnig und licht, hell und freundlich, bald dämmerig leuchtend in Glanz und Pracht. Das Interieur im nächsten Heft gibt eine Ansicht aus der Johanniskirche in München.

Schon bei seinen Bildern aus der Zeit des dreissigjährigen Krieges

bevorzugt Seiler das Soldatenleben. Auch seine Schilderungen aus dem Leben Friedrichs des Grossen gehören in dieses Gebiet. Und selbst in der Wiedergabe des modernen Lebens wird Seiler's Schaffen am nachhaltigsten davon angeregt. So gelang ihm mit dem Bilde „Gefährliche Situation" ein prächtiger malerischer Wurf. Hier wie nicht minder in dem sorgfältig ausgeführten „Im Repli" sehen wir den Künstler auch mit den Problemen der Freilichtmalerei vollkommen ver- traut. Seine Darstellung verliert dabei nichts an Schärfe und Deutlichkeit, er ist den Gefahren des Pleinairismus entgangen, sein Kolorit ist nie kreidig und farblos geworden. Eine von diesen seinen bekanntesten Leistungen ist das Reiterbildnis des Prinzen Arnulf, das auf der internationalen Ausstellung 1890 im Glaspalast mit der zweiten Medaille ausgezeichnet wurde. „Das Ganze ist seiner Bestimmung entsprechend durch und durch militärisch gehalten, die Einzelheiten der Uniform sind mit unbeschreiblicher Genauigkeit studiert und ausgeführt. Und dabei fehlt es doch wahrlich nicht an Luft in dem Bilde; die dunkel gegen den lichten Himmel abstechende Reiterfigur steht merkwürdig plastisch in der feuchtgrauen Atmosphäre, die für unser München und damit auch für den Exerzierplatz ganz charakteristisch ist." So urteilt ein damaliger Berichterstatter über das Werk. Was er hierin hervorhebt, die feine Behandlung von Licht und Luft, ist auch heute noch in Seiler's Bildern eine überaus schätzenswerte Eigenschaft. Er ist nie in den gewöhnlichen

W. LiiwHli. Skizze

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Fehler der Kleinmaler verfallen, nämlich durch die allzu tüftelige Ausführung des Details trocken und hart zu werden. Er wird nicht müde, gerade den atmosphärischen Erscheinungen im Räume in ihrem Einflüsse auf die Farbgebung seine stete Aufmerksamkeit zuzuwenden. Ein jedes Bild zeigt ihn mit neuen malerischen Problemen beschäftigt.

Wie sich Löwith und Seiler in die Epoche des Rokoko eingelebt haben und das längst Entschwundene als gegenwärtig vorstellen, dass wir das Motiv selbst lebhaft mitempfinden, so hat uns SIMM durch seine Bilder das Empire wieder näher gebracht. Was sich aber davon in all seinen Schöpfungen wiederspiegelt, ist ein Stück seiner persönlichen liebenswürdigen Natur. Keinem der anderen ist solche Anmut des Ausdruckes eigen ; es fehlt nämlich den Werken aller anderen die Schilderung des Weiblichen, ein Element, das Simm's Kunst einen besonderen Zauber verleiht. All den Werken wie „Die Musikpause", „Ungelegener Besuch", „Unterm Lindenbaum", „Besuch in der Loge" haftet der gleiche Reiz an. Auch der radikalste Gegner des Gegenständlichen wird zugeben müssen, die Frauen und Mädchen, wie sie Simm malt, verdienen um ihrer selbst willen dargestellt zu werden.

Ernst ist das Leben, heiter die Kunst. Eine angeborene Freudigkeit scheint das Schaffen des Künstlers zu beseelen; die Grazie, welche seinen Bildern anhaftet, wirkt als der natürliche Ausdruck. Wer sein Atelier betritt, weiss augenblicklich, hier hat die Wiege so vieler Bilder gestanden, aus denen das gesellschaftliche und familiäre Leben des Empire spricht. Wohin der Blick streift, begegnet er bekannten Dingen, so einem Spinett mit eingelegter Arbeit, Stühlen mit steifen oder geschwungenen Lehnen; auf einem Tischchen steht eine Pendule mit Säulen von

Alabaster oder auch eine Statuette ä la grecque u. s. w. Noch manche Kästen sind mit Urväterhausrat voll- gestopft. All diese mannigfachen Gegenstände ge- winnen Leben und Bedeutung unter seinen Händen. Was vom Alter längst mit Staub bedeckt ist, lebt durch seinen Pinsel zu neuer Pracht auf.

Simm versteht sich gleich den alten niederländ- ischen Kleinmeistern auf das malerische Arrangement des Interieurs; er weiss die Lichtquellen des Bildes so geschickt anzubringen, dass lebhafte Kontraste von Licht und Schatten entstehen, wobei Möbel, Stoffe etc. in Farbe und Form äusserst ansprechend wirken. Zuweilen ist ein solcher Gegenstand, wie auf dem Bilde „Un- gelegener Besuch" die seidene Decke auf dem Schosse der Schönen, das Grundmotiv für die farbige Haltung der ganzen Umgebung. In der malerischen Wieder- gabe und Behandlung von Stoffen, besonders der in c. Seiler. Bibliothek mattem Glänze schimmernden Seide, ist Simm Meister.

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Auch bei dem „Besuch in der Loge" ist der l<oloristische Reiz des im Lampenlicht fest- lich erstrahlenden Raumes und der reichen Toiletten für den Maler der Ausgangspunkt. Dass er das Motiv im gegenständlichen Sinne durch einen Vorgang zu beleben wusste, ist ein Ver- dienst für sich.

Der Beschauer wird auf diese Weise gefesselt und angezogen ; der malerische Ausdruck muss sich aber immer mit dem Gegenständlichen decken. In Simm's Bildern erscheint das Ver- gangene als eine neubeseelte, lebendig anmutende Gegenwart. Diese ist uns so vertraut und bekannt, da die Stoffe zumeist dem alltäglichen Kreise des häuslichen Lebens entnommen sind. Nicht selten führt er uns aber auch in grössere Gesellschaft, in die Salons des Direktoriums oder in

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C. >iciler. Hirschpark bei N)'iTipiicnburjr

eine Soiree vornehmer Musikliebhaber. Das glänzende heitere Bild einer solchen, in vielfache Gruppen geteilten Versammlung bietet ihm reichliche Gelegenheit, seine Kunst in bestem Lichte zu zeigen. Simm beherrscht jeden Stoff und jedes Motiv, gleichviel, ob er den Raum nur mit einigen Figuren belebt und ein paar Töne aus der ganzen Skala auswählt, oder ob er Gestalt an Gestalt zu rhythmisch bewegten Gruppen häuft und Glanz und Fülle an Tönen und Farben aus seiner Palette hervorzaubert. Sein Vortrag ist leicht und fliessend, seine Komposition räumlich wohl abgemessen und überlegt in allen Teilen, das Spiel von Licht und Schatten sorgfältig abgewogen, die Farb- gebung zart, doch frisch und immer harmonisch. Trotz der Durchbildung im kleinen und kleinsten bleibt sein Blick doch stets auf das grosse Ganze gerichtet, er verliert sich nicht in's Mikroskopische, sondern strebt immer auf breiter Basis eine volle koloristische Gesamtstimmung an. Die eingehende

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Behandlung des Details entspricht nicht allein seiner malerischen Auffassung, es steckt vielmehr auch noch eine spezielle zeichnerische Begabung dahinter. Eine Zeichnung von Simm ist etvt'as ungemein reizvolles. Der scharfe bestimmte Strich, feingefühlte Umrisse und die satte Tiefe und Breite der Schatten lassen den Stoff und die Farbe der Gegenstände empfinden. Wenn man seine sichere eingehende Charakteristik, welche allen Gegenständen die gleiche Aufmerksamkeit zuwendet, den Fleiss und die Geduld der Ausführung in Betracht zieht, dann ist er wohl den Kleinmalern zuzurechnen; sonst aber hat er mit der blossen Emsigkeit eines modernen Gerard Dou und der Ausführlichkeit der Abkömmlinge eines Balthasar Denner nicht viel gemein, denn Simm hat früher auch sehr grosse Bilder gemalt. Seine frische thätige Gestaltungskraft, die Beweglichkeit seiner Phantasie und die Leichtigkeit seiner kunstgeübten Hand befähigten ihn in erster Linie für eine Spezialität moderner Kunstgattung, nämlich zur Ausführung eines Dioramas, worin das Leben und Treiben in einem Harem geschildert wurde. Sein Aufenthalt in Tiflis im Kaukasus bot ihm reichlich Stoff zu derartigen Studien und Skizzen. Auch in diesen bewundern wir vor allem die Schärfe und Feinheit der Beobachtung und die Bestimmtheit und Sicherheit in der Wiedergabe eines Eindruckes. Wir sehen, dass er sich vermöge seiner natürlichen Anpassungsfähigkeit auf allen möglichen Gebieten der Malerei bewegt hat; er ist im besten Sinne des Wortes ein moderner

Künstler und doch immer im Grunde derselbe, eine schaffensfreudige liebens- würdige Frohnatur. Ein Hauch davon ist auch auf alle seine Schöpfungen über- gegangen ; von ihnen strahlt Licht und Wärme eines sonnigen Daseins aus und sie erfreuen uns als vornehmer Schmuck in harmonischer Umgebung.

Mit einem Hinweis auf KEMENDY's Bild „Der Feigling", das stofflich dem Kreise der Kleinmaler Löwith, Seiler, Simm angehört, sei diese Richtung verlassen. Sie wurde vielfach ein Tummelplatz für malerische Akrobaten oder für unfähige Nachtreter, die den Mangel an maler- ischem Können vergebens durch ein ge- fälliges Sujet zu verdecken suchten. Nicht zum wenigsten wurde dadurch die An- schauung hervorgerufen, die Kleinmalerei sei eine Kunst, darin weniger malerisches Ingenium als Sesshaftigkeit und Hand-

C. Seiler. Seitenaltar in Fürstenteldbruck werksfleiss ZUm Ziele führen.

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Ein Maler von heutzutage kann selten ganz in der Welt seiner Vorstellung aufgehen, er muss sich mit seiner Produktion an ein grosses internationales Pub- likum wenden. Die Kenner spüren nach Spezialitäten und wissen sie auch zu finden; im allgemeinen hat aber ein Künstler wenig Aus- sicht, entdeckt zu werden, wenn er nicht durch irgend eine Eigen- heit die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken weiss. Daher ist der Stoff, das Motiv für die Ent- wicklung der modernen Malerei von grosser Bedeutung geworden. Ein Kunstsalon macht immer den Eindruck eines Treibhauses, in dem aus verschiedenen Spezies wiederum neue Spielarten ge- züchtet werden. Was Wunder, wenn die neuen Triebe nach und nach schwächlicher und kraftloser werden ! Die Malerei früherer Zeiten ist dagegen ein ursprüng- liches, üppig wucherndes Gewächs. Sie erfuhr nicht immer diese aufmerksame Pflege und Über- wachung, man überliess sie ihren Trieben ; sie wuchs in voller Freiheit auf. Bildung und raffinierte Kultur hatten sie noch nicht so verfeinert, dass nicht Natur in all ihren Regungen darin zu ver- spüren wäre. Eine gewisse zudringliche Stärke der Empfindung spricht aus jedem Bilde und jeder Eindruck ist voll und sinnlich. Das lyrische Element fehlt durchaus nicht, aber es beherrscht nicht die Produktion in dem Masse wie heute. Jeder Gegenstand im Bilde spricht durch Farbe und Form in seiner ganzen eigentümlichen Ausdrucksstärke. Was für eine getreue, sichere, deut- liche Gegenwart steht in den Schöpfungen der alten Meister vor uns da! Sie sahen den Himmel in strahlender Bläue erglänzen, die Erde ergrünen und blühen ; mit echter Malerfreude schilderten sie unsere Vorfahren in ihren farbenprächtigen Kostümen. Wenn wir auf unsere Kleidung und das gleichförmige öffentliche Leben und Treiben sehen, begreifen wir wohl, warum so viele in fern- abgelegene Zeiten fliehen und dort ihre Stoffe holen. Unendlich viel haben die gelernt, welche verständig genug waren, bei den alten Meistern in die Schule zu gehen. Es ist nicht zu viel

C. Seiler. Johanniskirche in .Münclien

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behauptet, wenn man sagt, dass jeder eigenartig bedeutende Künstler, der zur Natur in ein persönliches Verhältnis ge- treten ist, diese durch die Brille der Alten sehen lernte. Gerade in der Kleinmalerei war stets ein gewisser Zusammenhang mit der Tradition vorhanden, da der Technik des Malens immer besondere Aufmerksam- keit zugewendet werden musste. WILHELM von DIEZ und EDMUND HARBURGER stehen auf den Schultern der Alten und fühlen doch lebendig mit der Gegenwart, da sie wie wenige in ihrem Ausdrucke individuell sind. Besonders ist Diez durch- aus subjektiv, kapriziös und geistreich in jedem Pinselstrich. Er weiss allem, auch den unscheinbarsten Dingen malerische Qualitäten abzugewinnen. Wie er aus vielen, unendlich vielen Farbflecken einen prächtigen harmonischen Gesamteindruck entwickelt, daran erkennen wir am besten seinen angeborenen malerischen Sinn. Das ist kein mühsam zusammengetragenes Werk, wobei etwa das Gegenständliche das Ganze wie ein Reif das Fass zusammenhalten muss, alles ist vielmehr aus einer Anschauung heraus entstanden. Das Motiv dient ihm nur dazu, seine koloristischen Empfindungen in allen Nuancen spielen zu lassen. Wie Leibl sich der Darstellung des Landvolkes zuwandte, da er hier in der Schilderung ihrer malerischen Tracht und Umgebung den Reichtum seiner Palette entfalten konnte, so behandelt Diez aus ähn- lichem Bedürfnis heraus das Mittelalter. Bekannt sind ja seine fahrenden Gesellen, Strauchdiebe. Marodeure und sein Bettelvolk aller Art, nicht minder aber auch seine so ausgezeichnet be- handelten Pferde. Hierin ist Diez Spezialist. Er malt das Pferd um der malerischen Erscheinung willen, schlecht und recht mit ausgesprochenen individuellen Zügen. Durch seine Kunst erhalten sie aber doch ein überaus prächtiges und vornehmes Gepräge. Wie Sammet schimmert die Haut im weichen Glanz und Spiel des Lichtes. Diese Wirkung ist eine Folge der technischen Feinheit seiner Malerei, die äusserst angenehm auf das Auge wirkt und dadurch sympathische Empfindungen erregt.

C. Seiler. „Ein Sperling in der Hand ist besser als zelin Tauigen auf dem Dache"

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Besuch in der Loge

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Diez hat auf dem Gebiete der Kleinmalerei sicher anregend gewirkt, trotzdem seine An- schauungen das Resultat einer eigenartigen individuellen Anlage sind.

Die alten niederländischen Kleinmeister malten mitunter eine wenig distinguierte Gesellschaft in sehr obskuren Räumlichkeiten, aber sie verstanden es, aus diesem Milieu heraus pikante und reizvolle Stücke für das Auge des Liebhabers zu schaffen. Ob ein Maler in seinen Motiven in abstrakter Idealität sich ergeht oder ob er die Dinge der realen Welt zum Vorwurfe nimmt, ist einerlei, wenn er nur den Stoff dazu benützt, reizvolle Bilder zu schaffen. Der Gegenstand, welcher Art er auch immer ist, wird durch die künstlerische Gestaltung geläutert. Durch den Arbeitsprozess wird er von allem nebensächlichen Beiwerk und jeder Art von Zusätzen befreit und in die Sphäre rein sachlicher Anschauung emporgehoben. Denn in der Natur der Gegenstände liegt weder der Begriff rein oder unrein, schön oder hässlich, anmutig und liebenswürdig, abstossend und schrecklich, erst unsere Empfindung und Vorstellung macht sie so scheinen. Es fehlt in der bildenden Kunst nicht an Obscönitäten und Seltsamkeiten und doch lässt sie eine entsprechende Darstellung uns nicht in diesem Sinne empfinden, so wenig als vollkommene Schönheit und seelischer Reiz des Aus- druckes beim ruhigen Beschauer eine andere als objektive Teilnahme erregt. Wilhelm Bode erzählt in seinem Buche „Goethe's Ästhetik" eine charakteristische Geschichte: „An einem kalten Wintermorgen 1803 trat ein schöner und liebenswürdiger Jüngling in die weimarische Samm- lung, noch ehe die Zimmer geheizt waren. Von allen Bildern zog ihn die Caritas von Lionardo da Vinci in einer vortrefflichen Kopie von Riepenhausen am stärksten an. Die süsse Traurigkeit des Mundes, das Schmachtende der Augen, die sanfte, gleichsam bittende Neigung des Hauptes sprachen zu ihm. Der Jüngling schaute sich um: er war allein mit dem Bilde! Und da konnte er sich nicht enthalten, einen Kuss auf das Glas des Rahmens zu drücken, gerade über den süssen Mund der Caritas! Es sah ja niemand!"

Das Gegenständliche soll uns anziehen und in- teressieren, aber nicht irritieren und Illusionen erwecken, die von der realen künstlerischen Erscheinung des Ge- mäldes, von seinen Farbharmonien und sonstigen Vor- zügen ablenken. Zeigt sich eine vertraute bekannte Welt im Bilde, so ist das ein grosser Vorteil, weil sich der Beschauer viel rascher in das Kunstwerk einfühlt. Darin waren besonders die Niederländer Meister, bei denen wir auch viel Derbes und Alltägliches finden.

Vor allem verstand es Adriaen Brouwer, aus dem Leben des niederen Volkes , wie es sich in Franz Sinmi. Bildnis meiner jüngsten

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öffentlichen Schenken und Herbergen abspielte, viel ergötzliche Motive für die Malerei heraus- zugreifen. Aber obwohl er, eine subjektiv empfindende temperamentvolle Natur, an den Vorgängen selbst Anteil genommen zu haben scheint, lässt er doch die Trivialität derselben vollständig ver- gessen durch seine malerisch so ausserordentlich geistreiche Schilderung. Sein Genie gestaltet selbst Szenen wie jene, da der Vater sich um sein Kind bemüht in Geschäften, die man sonst willig Kinderfrauen und Mägden überlässt, zu einem malerischen Sujet ersten Ranges. Groteske Gestalten sind in seinen Bildern genug enthalten, und doch vermitteln sie immer die reinen Freuden, die einem aus der beschaulichen Betrachtung von Kunstwerken erstehen. Wir fühlen augenblicklich,

welche Lust am Malen ihn erfüllt hat, wie sein un- gewöhnliches Genie sofort das Künstlerische in jedem Vorwurfe hervortreten lässt. Sehen, Vorstellen und Gestalten ist bei ihm ein einheitlicher Prozess, daher wirken seine Bilder so unmittelbar. Brouwer ist der freieste Künstler im rein malerischen Ausdrucke. Es ist ganz natürlich, dass man in der Zeit, wo die Malerei sich mit Eifer koloristischen Bestreb- ungen zuwandte, auf diesen Meister wie überhaupt auf die Niederländer zurückging.

Auch EDMUND HARBURGER hat sie fleissig studiert. Das Milieu, das er in seinen Darstell- ungen bevorzugt, ist ein ähnliches. Allein er empfindet als ein moderner Mensch mit kühler Objektivität und sachlicher Schärfe der Beobachtung. „Wenn man die Wirtshausbilder, die Raufer, Trinker und Würfler, die Bauerntänze und Schlägereien Brouwer's, Ostade's und Teniers' betrachtet, wird man das Gefühl nicht los, dass ihre Maler auch zugleich mitzechende und mitwirkende Personen in diesen burlesken Szenen gewesen sind, und die Chronisten der holländischen Kunst haben auch diese Empfindung zum Nachteil ihrer malenden Helden weidlich ausgebeutet. Vor ähnlichen Bildern Harburger's hingegen, vor seinen einsamen und Gesellschaftstrinkern, vor seinen Rauchern und Kartenspielern, vor seinen Bierverzapfern und Weinschenken nimmt man wahr, dass der Maler mit kühler Gelassenheit und mit unbeeinflusster Aufnahmefähigkeit über seinen Modellen stand. Wenn ihn bei seinen Studien eine Leidenschaft beseelt hat, so war es die, alle Linien, Fältchen, Runzeln und Warzen der Haut, welche durch das jeweilige Mienenspiel seiner Originale in Bewegung gesetzt werden, mit peinlicher Sorgfalt auch auf die gemalten Abbilder zu übertragen. In diesem Bestreben spitzt sich sein Pinsel fast zu der Feinheit des Zeichenstiftes zu, und hier kam ihm die grosse Übung zu statten, welche er sich im

Franz Siiinii. Studie zu einer Illustration für die „Fliegenden Blätter*

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Franz St'iini/. Studie

Zeichnen angeeignet hatte." Der Zeichner Harburger ist nicht zum wenigsten durch die grosse Verbreitung der „Fliegenden Blätter" weitum bekannt geworden. Man kennt seinen Strich, seinen scharfen Blick für das Charakteristische einer Erscheinung. Er gibt den malerischen Eindruck mit aller Frische wieder; das Detail ist ungemein stofflich gefühlt und die eigenartige Struktur der Haut, Haare und Gewandung sind trefflich behandelt. Man sehe daraufhin nur den Studienkopf des alten Mannes mit dem Cylinder an, oder die beiden Arbeiter, von denen der eine heftig auf den anderen einredet. Er führt solche Zeichnungen meist mit Kohle aus. Dieses Verfahren entspricht am besten seiner Anschauung, die im Grund immer die malerische Erscheinung festhält. Gewandt und sicher zeichnet er das Wesentliche schon durch einen leichten Umriss. Die Studie eines Mannes, der auf- merksam durch seine Brille äugt, lässt die Lebendigkeit seiner Beobachtung und die Treffsicherheit seiner Hand bewundern. In der feingefühlten Kontur zeigt sich auch sein entwickeltes Formgefühl. Als erfahrener Zeichner weiss er, welche Bedeutung der Umrisslinie zukommt, da sie allein einen lebensvollen Eindruck vermittelt. Harburger begnügt sich oft mit einfachen Notizen, versteht aber trefflich, alle Besonder- heiten in Haar- und Barttracht, Schnitt der Kleidung und Art der Kopfbedeckung anzudeuten. Dabei betont er das Originelle der äusseren Erscheinung ziemlich stark, und durch dieses be- stimmte Hervorheben eigentümlicher Züge erreicht er jene Wirk- ung, die wir eine humoristische nennen. Vergleichsweise sehe man daraufhin nur die beiden Zeichnungen mit den scheltenden Bauern und den disputierenden Arbeitern an. Die Schärfe der Beobachtung ist in seinen Ölbildern, die in rascher Folge neben /

seinen Zeichnungen entstehen, zu einem fast lyrischen Ausdruck gemildert. Der Künstler, der so pointiert zu charakterisieren versteht, liebt es, in feingefühlten Stimmungsbildern sich zu er- y gehen, in „Sorgenvoll" und „Stilles Glück" dient ihm die Dar- stellung des Raumes als Ausdruck seiner Empfindungen.

Wir glauben, die Stube der alten Frau, die in Leid ver- sunken in ihrem Sorgenstuhl sitzt, habe Anteil an ihrer Betrübnis und ihrem Kummer. Fahles Licht durchzittert das kahle nüch- terne Gemach. Ganz andere Gefühle erweckt das Spiel von Licht und Schatten in dem „Stilles Glück" benannten Gemälde. Fmiiz Siinw. Studie zu dem Bilde

, Musikpause'

In diesen beiden Stücken erweist sich Harburger als ein Meister (Veriag von Kranz Hanistacngi, München)

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in der Schilderung dämmeriger Innenräume. Das Licht dringt nur durch kleine niedrige Fenster herein, wird durch den verschieden- artig abgeteilten Raum vielfach gebrochen und umwebt jeden Gegenstand wie ein feiner duftiger Schleier. Lichtschwingungen in allen Abstufungen und Nuancen von fast farblosen kühlen grauen Tönen bis zu den intensiven Färbungen des Helldunkels lässt er in seinen Bildern spielen. Kein greller Lichtstrahl, keine undurchsichtigen dunklen Schatten , keine gleissenden prangenden Farben, überhaupt keine starken Kontraste und effektvollen Wirkungen, immer nur ein weicher angenehmer Akkord von zart ab- gestimmten Tönen umschmeichelt das Auge. Eine behagliche wohlige Atmosphäre durchweht die Kneipen, Keller und Wirt- schaften, in denen die bekannten Gestalten öfters auftauchen. Da sitzt z. B. in einem dumpfen Keller, eingekeilt zwischen zwei mächtigen Fässern, ein feister Mann, dem stillen Suff ergeben. Hier ist alles vertreten, was einem bayerischen Bierkeller seine ausgesprochene, eigenartige Physiognomie gibt. Ebenso vertraut ist Harburger mit dem gesamten Inventar. Er schildert mit Vorliebe Räumlichkeiten mit primitiver Ausstattung, so die bekannten langen Bänke, auf denen die ziemlich Angeheiterten immer näher der Ecke zu rücken. Es finden sich auch die massiven eichenen Tische, mit breiten Fussleisten versehen, und die charakteristischen dreibeinigen Stühle, die bei schweren Raufereien oft eine bedeutsame Rolle spielen. Das ist im allgemeinen der immer wiederkehrende Hintergrund, die Bühne, auf der die dicken Wirte, beschaulich veranlagte Schenkkellner, dralle Kellnerinnen, die stillen und lauten Zecher, politisierende Handwerker oder Bauern in bunter Abwechslung auftreten.

Neben dem rein Koloristischen interessiert dabei auch das Gegenständliche; es erscheint als das Medium, durch das der malerische Eindruck spricht. In Harburger's Schöpfungen ist es nicht gerade die Unmittelbarkeit des Ausdruckes, wie sie geradezu packend in Brouwer's Bildern hervor- tritt, so dass auf den naiven Beschauer der Inhalt stärker wirkt als die Form, sondern hier ist es das feinentwickelte malerische Problem, in dem der Inhalt ohne Rest aufgeht. Der Stoff durch- dringt das Ganze, geradeso wie ein Stück Zucker ein Glas Wasser. Es ist eine Harmonie, eine Einheit, was sich dem Auge darstellt: ein behaglicher Schlemmer beim vollen Kruge, ein alter Schäker und eine lustige Dirne, ein verkommenes Subjekt, morsch und mürbe in seinem ganzen

Franz Slinui. Porträtstudie

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K. Harhiirijcr. Skizze

Äussern, ein Schankwirt neben dem Fasse u. s. w. Man hat bei Harburger in einzelnen Besprechungen auch vorzüg- licli auf das psychologische Moment in seinen Darstellungen hingewiesen und gesagt, er wäre ein Humorist. Georg Fuchs hat darüber in der allgemeinen Kunstchronik in einem Aufsatz ausgeführt: „Von den drei grossen Humoristen der Gegenwart ist Harburger bei weitem der ernsteste. Rascher wie bei Wilhelm Busch und Oberländer folgt bei der Betrachtung seiner Produktion auf die überraschende Heiterkeit des ersten Eindruckes eine seltsam ernste Be- wegtheit. Wohl sind sie alle komisch, diese dummpfiffigen Bauernschädel, diese Protzenfratzen und verschmissenen Bier- studenten, diese seichten Modefexen und frechen Stromer, diese sarkastischen „Pfälzer Krischer" und diese gemüt- lichen „Weinschnutten" ; wohl geben sie uns Grund zum Lachen, wenn der Künstler sie in ihrer Wahrheit aus dem Strome der raschflutenden Erscheinung emporhebt. Sie wirken komisch, weil wir sie für sich erblicken, ausgelöst aus der Verkettung der bedingenden Kräfte und ihrer Weiterwirkungen, weil sie uns unvermittelt, plötzlich, ganz ohne verwischenden Kommentar, ohne ablenkende Umgebung vor Augen stehen." Fuchs sucht an der Hand der Schopenhauer'schen Definition des Humors den Nachweis zu bringen, dass auch Harburger's Humor einer tiefernsten Betrachtung entspringe. Damit lässt sich wohl das subjektive Element bei ihm erklären, nicht aber das objektive der künstler- ischen Darstellung.

Um darauf hinzuweisen, muss man den Zeichner Harburger mit Ober- länder und Steub vergleichen. Man wird dann, wenn es überhaupt möglich ist, zu einem viel eingehenderen Ver- ständnisse des Humors in der bildenden Kunst gelangen.

Kehren wir zu dem Maler Har- burger zurück, der in seinem Schaffen Schenken und allerhand obskure Räume bevorzugt , da er hier die seinem K- Unihnni,,-. Skizze

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E. Harhii I- jie r . Skizze

Geschmacke zusagenden malerischen Qualitäten findet. Und wenn auch in seinen Bildern vielfach ähnliche Sujets wieder- kehren, wie sie die alten Niederländer zur Darstellung an- geregt haben , die es vorzüglich verstanden, aus dem Kompost einer faulen Gesellschaft die delikatesten Spargeln für die Gourmands zu ziehen, so erscheint bei ihm doch alles von einem ganz anderen Standpunkt aus betrachtet. Technisch sind seine Bilder bis aufs äusserste vollendet ; nirgends zeigt sich dem Auge ein toter Punkt, die ganze Malfläche ist durch das Spiel von Licht und Schatten und den zarten Reiz der Farbe belebt. Nirgends wirkt sie materiell und schwer; es ist vielmehr eine mit feinfühliger Empfindung durchgeführte Harmonie von Tönen in allen Nuancen und Abstufungen. Er ist ein Meister in der Ver- wendung von kühlem Grau, gebrochenem Weiss und leuchtendem durchsättigtem Schwarz; seine Skala ist nicht reich, aber immer vornehm und er versteht sie trefflich zu spielen. Ebenso ist der Schauplatz, auf dem Harburger seine bekannten Gestalten vorführt, ein kleines Stück Welt aus dem gewöhnlichen Leben, allein er weiss jede Situation anziehend und frisch zu gestalten, das triviale Alltägliche ersteht in seiner Kunst zu immer neuem und verjüngtem Dasein.

Es lässt sich leicht nachweisen, dass die Kleinmalerei im grossen Ganzen stofflich und inhaltlich nicht allzuweit über die durch die Tradition gewiesenen Wege hinausgegangen ist; vielleicht am ehesten ist sie in den kleinen Kabinettstücken der Landschaftsmalerei an neuere Probleme herangetreten. Zwar hat schon Wouwerman Ansichten des flachen Landes gemalt und sie mit allerlei koloristisch reizvollen Staffagen belebt. Auch hier sehen wir zuweilen einen Kriegsmann vor der Schenke, Fuhrleute, Pferde u. s. w. Und was hat auf diesem Gebiete nicht auch schon der alte Pieter Brueghel gemalt!

ROBERT SCHLEICH ist, angeregt durch Wilhelm von Diez, im Verlaufe seiner malerischen Entwicklung folgerichtig von den alten Niederländern ausgegangen ; er hat sich aber auch ebenso gut die Resultate der modernen Freilicht- malerei zu Nutzen gemacht. Allein er hat nicht bloss experimentiert, was viele für die Hauptsache halten, sondern wenn er als ein begabter Landschaftsmaler den atmos- phärischen Erscheinungen gespannte Aufmerksamkeit zu- wendet, so thut er dies mit dem geübten Auge des

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K. Ilciihidner. Skizze

E. Harbxrgcr. Vier Skizzen und eine Zeiciiniing aus den .Fliegenden Blättern"

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E. Jliirliitruer. Selbstbikinis

erfahrenen Künstlers, der fleissig Ein- drücke in der Natur sammelt, um sich mit um so grösserer Freiheit dennoch von seiner eigenen Vorstellung leiten zu lassen; er benützt die Natur nur als Korrektiv. Im übrigen erfindet er seine Landschaften oder reproduziert und ge- staltet vielmehr das irgendwo gesehene und empfangene Eindrucksbild. Trotz- dem ist in seinen Bildchen, die so frisch und unmittelbar wirken, vielleicht kein Strich im Freien gemalt und dennoch z. B. der Charakter der Hochebene mit ihren eigentümlichen Luftströmungen und Wolkenbildungen, sowie das Terrain und die Vegetation durchaus richtig be- obachtet und geschildert. Es liegen eben diesem Schaffen sorgfältige Studien und stets erneute Beobachtungen zu Grunde. Man merkt es seinen Arbeiten an, dass der Maler stets Fühlung mit der Natur behält. In der That durchzieht er als Jäger bei Wind und Wetter, bei Regen und Sonnenschein das Land. Einer seiner bekanntesten Vorwürfe zeigt eine

Ebene; weit schweift der Blick über die im bläulichen Duft verschwimmende Ferne. Am Horizont sieht man den auf- ragenden Kirchturm oder etliche weissgetünchte Giebel einer Ortschaft. Sengende Hitze brütet über der weiten Fläche. Es ist die Zeit der Heuernte, fleissige Hände rühren sich. Hoch beladen steht der Wagen. Unterdessen haben sich bleifarbene Wolken am Horizont aufgetürmt, ein Gewitter ist im Anzug. Schleich ist durch dieses Motiv bekannt ge- worden und er hat es ungezählte Male in immer neuen Variationen gemalt. Seine leichte , geübte Hand lassen be- sonders die beiden hier als Illustration beigegebenen 01- studien erkennen; sie wirken wie geistreiche Improvisationen.

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K. Jfii rhu liier. Aus den .Fliegenden Blättern"

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Resümieren wir zum Schluss die An- schauungsweise der Kleinmalerei nochmals kurz, so finden wir, dass sie sich in ihren konsequenten Vertretern zu einer positiv- istischen Wiedergabe der Eindrücke bekennt. Sie will die Natur so getreu wie möglich darstellen , überhaupt den Anschein des Wirklichen erwecken; reine Nachahm- ung ist ihr Ziel. An der Hand der Objekte sucht der Maler den Gegenstand mit aller Ausführlichkeit wiederzugeben er imitiert ihn sozusagen. Vorzugsweise beschäftigen ihn Vorwürfe der unbelebten Natur; er stellt Geräte, Gefässe u. a. m. zu Stilleben zu- sammen. Ist es der Reiz der malerischen Erscheinung, die ihn dabei fesselt, so sind es nicht weniger auch die interessanten Details, die seinen Fleiss zu möglichster Naturtreue anspornen. Das gewissenhafte Eingehen auf das Kleine und Kleinste ent- springt der Nahbetrachtung, die auf jede

Impression verzichtet; der Kleinmaler sieht scharf und betont die Einzelheiten, er beabsichtigt mehr sein Objekt zu beschreiben, als einen allgemeinen malerischen Eindruck davon zu geben. Nicht selten sehen wir, dass er es mit stereoskopischer Schärfe und Genauigkeit darstellt. Bei solch intensiver Beobachtung und solch fleissigem Studium entwickelt sich naturgemäss eine künstler- ische Anschauung, welche darauf ausgeht, die eigentümlichen Merkmale jeder Erscheinung in ihrer

vollen optischen Stärke festzuhalten. Wenn sich diese Betrachtungsweise vorzüglich der Darstellung des Menschen in allen möglichen Situationen und Zu- ständen zuwendet, so entwickelt sich im Maler der Charakteristiker. Kronberger's Kunst bietet ein Beispiel hiefür. Die Darstellung kann sich darauf beschränken, gewisse Äusserüchkeiten, originale Züge, z. B. in der Bewegung und in der Formbildung des Individuums oder auch in der Kleidung festzuhalten. Ist der Künstler nur nach dieser Seite hin veranlagt, so besteht die Gefahr für ihn, sich in seinen Motiven /•;. iiarimriivr. Aus den „Fliegenden Blättern" ZU wiederholen Und in Manier zu verfallen. Bei aus-

lioh. Schleich. Ülstudie

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gedehnterem Beobachtungsgebiet und bei tiefer gehender Charakterisierung wird sich der Kleinmaler nicht nur auf vereinzelte Erscheinungen beschränken, sondern sein Interesse einem grösseren Kreise zuwenden und in der Schilderung des gesellschaftlichen und öffentlichen Lehens seiner eigenen Zeit oder auch einer entfernteren Periode Stoff zu neuen Aufgaben finden. Beim Studium eines reicheren Milieus ergibt sich leicht Anlass zur Erfindung koloristisch reizvoller Szenerien, in denen sich bei umfassender Welt- und Menschenkenntnis zugleich eine Menge feinpointierter hervor- stechender Züge anbringen lässt. Auf diese Weise entsteht das novellistische Genre.

Simm, Seiler und Löwith bewegen sich darin mit Grazie und Anmut. Mit Kenntnis und Geschick weiss der künstlerische Esprit interessante und anziehende Sujets koloristisch einnehmend und fesselnd zu gestalten. Wieviel nach dieser Richtung hin Einflüsse auswärtiger berühmter

Roh. Schleich. Markt in Erding

Maler, wie Meissonier u. a. m., und von den einheimischen Spitzweg und Wilhelm von Diez ver- mittelt haben, ist gar nicht abzusehen. Aber auch den obengenannten gebührt das entschiedene Verdienst, das Stoffgebiet der Kleinmalerei um neue originale Züge bereichert zu haben.

Wenn nun bei der Gabe eindringender Beobachtung und bei scharfem Charakterisierungs- vermögen eine ganz eigenartige individuelle Anschauungsweise sozusagen zwischen den Gegenstand und eine nüchterne Objektivität tritt, so entsteht nicht selten ein Produkt, das wir ein humoristisches nennen. Insofern als andauernde Konzentration, tieferes Studium des Objektes und Neigung zu allzu positivistischer Wiedergabe des Gesehenen mit der Vorstellungs- und Darstellungsweise des Kleinmalers zusammenfällt, darf man die humoristische Darstellung auch dem Gebiete der Klein- malerei zuweisen, obwohl sie durch ihre Naivität und Tiefe der Empfindung und die Simplizität des Ausdruckes darüber hinausgeht.

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Die Abkunft der Kleinmaler von den mittelalterlichen Kalligraphen und Miniaturmalern ist in den Feinmalern des Rokoko noch recht deutlich zu erkennen; sie haben unnachahmliche Meister-

Riih. Schleich. Markttag in einem oberbayrischen Gebirgsdorf

werke von seltener Harmonie und eigenartigem Schmelz der Farbe geschaffen. Bis zu dieser Periode hat die Kleinmalerei an ihren technischen Überlieferungen festgehalten und ihre Meisterschaft in einer aufs

h'iib. Schlüicli. Vor dem Wirtsiiaus

höchste verfeinerten technischen Virtuosität gesehen. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts, als man die Tradition nahezu vergessen hatte, waren es fast ausschliesslich Kleinmaler, welche die ganze Technik

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bewahrten und beherrschten. Auch ihnen boten zunächst die niederländischen Meisterwerl<e eine bekömmliche Nahrung.

Man liebt es in der Zunft, die Kleinmalerei hintan zu stellen. Aber wir brauchen nach all den Ausführungen wohl nicht zu wiederholen, dass dieser Kunstzweig mit jedem anderen einen Vergleich aushalten kann.

Der Kleinmaler darf mit dem Dichter sagen: „Mein Glas ist nicht gross, aber ich trinke doch aus meinem eigenen Glase".

Ruh. Sclileicli. Olstudie

Cesare Laurenti

VON

L. BROSCH.

Ben aus aller Herren Ländern über die Alpen gekommenen Fremden, der von Italiens tief- blauem Himmel träumend, ihn nicht immer findet, der an der Blütenpracht des Frühlings und am Farbenspiel des Herbstes das Auge erquickt, die Galerien abläuft, die Sehenswürdigkeiten bewundert oder bekrittelt, den reizt es selten, sich um die Leistung der modernen Kunst in dem gesegneten Lande zu kümmern. Und das ist ihm wahrhaftig nicht zu verargen. Denn wie in der schönen Literatur die Strömung seit geraumer Zeit aus dem hohen Norden, aus Norwegen und Russland, mit den stärksten Impulsen hervorbricht, so hat Italien in der bildenden Kunst seinen tonangebenden Einfluss verloren. Wer hier nach neuen Talenten sucht, die zwar überall sehr rar sind, findet sich zumeist enttäuscht. Der Eisenbahnverkehr bringt wohl Hochzeitspaare, ver- gnügte Touristen ins Land ; auch ernste Gelehrte, die wie Maulwürfe in den Archiven herumgraben, aber Italiens Import an Geistesprodukten ist ein spärlicher. Und doch könnten die Völker so viel von einander lernen oder, durch üble Beispiele gewitzigt, vieles auch verlernen. Das Fremde wäre freilich hier wie anderwärts nicht so ohne weiteres als gangbare Münze aufzunehmen ; es müsste als Rohstoff behandelt, verarbeitet, umgeprägt werden. Man erkennt daran Schwäche und Kraft, es ist ein Massstab allgemeinen oder wenigstens allgemein kursierenden Wertes. Man kann sich des- halb den Maler, von äusserst seltenen Ausnahmen abgesehen, von den herrschenden Kunst- strömungen der Gegenwart beeinflusst denken. An diesem Einfluss gebricht es hier, so dass alles, was anspornt oder enthusiasmiert, zu einem Schattengebilde verblasst, während das Bleibende im Wandel der Zeiten die Routine ist. In vielen italienischen Ausstellungen, die ich durchgemacht habe, konnte ich keinen jungen Nachwuchs entdecken. Den schlimmsten Übeln abzuhelfen, war man in den Venezianer internationalen Ausstellungen und der letzten dekorativen von Turin bestrebt; aber es fehlt auch an einem kauflustigen Publikum, an kunstliebenden und kunst- verständigen Gönnern. Alles dies erwogen, ist es begreiflich, dass den Malern die Begeisterung erlahmt. Manche versuchen, frische Eindrücke aus München oder Paris in die Heimat zu bringen, wie es in Deutschland Gepflogenheit junger Künstler ist, nach Italien zu pilgern, um ihr Schauen und Können zu schärfen. Möge diese beiderseitige Wanderlust auch die rechten Früchte tragen!

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Ich will einen italienischen Maler der Gegenwart dem deutschen Publikum vorführen : Cesare Laurenti, dem vielleicht dauerndes Interesse abzugewinnen ist.

Laurenti wurde zu Mesola bei Ferrara, einem Landsitz der Este, wohin sie auf Jagden zu gehen pflegten, im Jahre 1854 geboren. Als Kind tummelte er sich in dem an geschichtlichen Reminiszenzen so reichen Ferrara herum der Stadt, wo einst der erste Pulsschlag modernen Lebens sich regte und jetzt nur Ode und Verlassenheit herrschen. Die breiten, einst von glanzvoll, jetzt traurig aussehenden Palästen umsäumten Strassen, das düstere Schloss der Este, der herrliche in echtem Renaissancestil gehaltene Glockenturm des Doms: alles erinnert an Tage des Glanzes und des Schreckens, die Spuren hinterliessen, welche in totem Stein und ewig lebendigem Kunst- werk zu uns sprechen. Hier dichteten Ariost und Tasso, malten Cosimo Tura, Piero della Francesca, Dosso Dossi; hier blutete Parisina, seufzten die Brüder Herzog Alfonsens, des Gemahls der Lucrezia Borgia im Kerker; hier war alles sprühende Lust, Freuden und Leiden die Fülle, Schau- gepränge ohne Ende, Heiterkeit und Frohsinn, die freilich zuweilen von entsetzlichen, nicht bloss gespielten, sondern erlebten Tragödien unterbrochen wurden. Und jetzt begegnet man in Gassen und auf Plätzen wenig Fussgängern, seltener noch einem Wagen. Ferrara bietet heutzutage einen trostlosen Anblick; es herrscht da lautlose Stille, nur unterbrochen durch den Widerhall von Schritten und das Rauschen der Blätter auf den Bäumen längs der Alleen, welche vom Stadtthor zu den öffentlichen Gärten führen. Die Stadt ist wie ausgestorben, siecht altersschwach dahin und lässt die Hoffnung ihres Wiederaufblühens nur schwer aufkommen.

Wie es möglich war, dass in einer Stadt, die kindlichem Sinne so wenig Anregung bietet, schon in früher Jugend der Hang zur Kunst bei Laurenti sich kund gab, wird vielen ein Rätsel bleiben. Er sah einst Kupferstechern bei der Arbeit zu und dies erweckte in ihm sofort die Lust, es ihnen gleichzuthun. In Padua, wohin er bald übersiedelte, waren seine besten Freunde Zimmermaler. Während diese an Wänden und Decken ihre groben Pinsel führten, zeichnete er Köpfe, wo immer er nur konnte. In einem herrschaftlichen Hause, in das er die Leute oft zur Arbeit begleitete, trieb er sein Wesen, das endlich die Aufmerksamkeit des damaligen Kunsthistorikers Selvatico weckte, der ihn dem Grafen Ferri empfahl. Laurenti sollte nach dem Willen dieses glücklich gewonnenen Mäcens Kupferstecher werden ; denn man hegte die Absicht, in Padua eine xylographische Schule zu gründen. Bald musste aber der Jüngling einen schweren Kampf mit seinen Gönnern bestehen : er wollte um jeden Preis Maler werden. Die Jugend ist stürmisch gesinnt, enthusiastisch angelegt und manches, das von ihr erstrebt wird, überzeugt oft ernste gewiegte Männer, trotz der vielen Ent- täuschungen, die sie erlebt haben. Laurenti siegte und wurde zu seiner weiteren Ausbildung nach Florenz geschickt. Er kehrte der alten Universitätsstadt den Rücken und zog nach dem Arno voller Zukunftspläne. Hier auf der Akademie lehrte der pedantische Ciaramfi, bei welchem Meister der zugereiste Schüler es beinahe fünf Jahre aushielt. Dann aber gingen ihm die Augen auf und er merkte, dass man in Florenz nicht Kolorist werden konnte. Man sah dort die Farbe oft falsch, stets konventionell. Zur weiteren Ausbildung begab sich Laurenti nach Neapel, wo der hochbegabte Domenico Morelli nicht nur ein gediegener Maler, sondern auch der Mann war, junge Herzen durch

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seine flammenden Worte zu entzünden. Des weiteren führten Laurenti's Wege nach Venedig, welche Stadt ihn so bezauberte, dass er sie zu seinem ständigen Wohnsitz wählte und auch jetzt noch freudenfroh hier schafft und waltet.

Venedig ist für so manche Künstlernatur die blaue Blume der Romantik, es gleicht einer vornehmen Schönheit, welche unnahbar bleibt und eben deshalb vielleicht die Herzen mit unver- siegbarer Sehnsucht erfüllt. Auch wenn die Tage düster sind, vom matten Licht beschienen, ver-

Cc'tiiii-r Ij((iirciiti. Liebesgeschichten

schmilzt in der Lagunenstadt alles in koloristisch höchst wirksames Farbenspiel, zu malerischem Duft. Die feuchte Grundstimmung ist nicht schwer und dumpf, sondern transparent, wie hin- gehaucht, das sensitive Auge erquickend, die Sinne reizend zu zart gehaltenen Effekten.

Die neapolitanische Schule, die zumeist frivol und leer in der Färbe war, hatte auf Laurenti noch nicht ihre ganze Wirkung eingebüsst ; doch er musste binnen kurzem, auch ohne seinen Willen, der venezianischen Genremalerei sich zuwenden ; so forderte es unbedingt das kauflustige Publikum. Seine Bilder fingen denn auch an, reissend Abgang zu finden. Venedig war in jener Zeit förmlich eine Goldgrube für die Maler. Die Kunsthändler aus England hatten es zu ihrer

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CcfKirc Loineiiti. Auf steinigem Wege

Bezugsquelle gemacht, aus der sie mit vollen Händen schöpften, was nur zu fassen und zu greifen war. Es entwickelte sich ein lebhafter Ausfuhrhandel von Kunstwerken ; selbst die mittelmässigsten Maler konnten dabei pros- perieren oder wenigstens ihren täglichen Lebensbedarf decken.

Der Aquarellist Ludwig Passini, ein behaglicher Erzähler venezianischen Lebens, der naiven Knabenköpfen, Prozessionen und anderen Volksszenen, in spitzpinseliger Manier aufgefasst, Reiz verleiht voller Pikanterie und heller Auffassung; dann van Haanen, der bei liebevollem Eingehen auf's Detail die Grösse der Anschauung der Natur nie verleugnet und stets unverwandten Blicks sein Ziel im Auge behält, auf Zeichnung und Farbe genau berechneten Wert legt; ferner der vorzügliche Giacomo Favretto, der eminente Kolorist und Volksschildercr ersten Ranges (siehe meine Monographie über ihn in der „Kunst unserer Zeit" 1902 Lieferung 3): dies waren in Venedig die tonangebenden Maler, die Elite, um welche, wie um einen Bienenstock, die grosse Schar anderer schwärmte. Laurenti pflegte derzeit auch das novellistische Genre, und ich will vorerst seine in dasselbe schlagenden Werke betrachten und mich fragen, wie viel freies, originelles Anschauungsvermögen er auf diesem Felde entfaltet hat.

Das Bild, welches er „Liebesgeschichten" betitelt, zeigt uns ein echt venezianisches Interieur: weiss getünchte Mauer, an der ein Vogelhaus, ein Piazetta-Stich und allerlei Kram hängen; in dem Räume sitzen sechs schmucke Perleneinfasserinnen um einen schwarzgelockten Fischer in der Runde; sie verschlingen ihn mehr mit den Augen, als ihm zuzuhören, nur eines der Mädchen brütet wehmütig vor sich hin. Wenn auch die Geschichte, welche er vorträgt, nicht besonders interessant und dezent sein mag, die Schönen machen sich darüber keine Skrupel. Die weniger schamhaften zeigen ihren entblössten, vollen runden Vorderarm, sind kokett gekämmt, mit Blumen im Haar und in bunter Volkstracht. Man ahnt, dass sie im Augenblick die bösesten Rivalinnen werden könnten! Ich weiss nicht, weshalb ich, dieses Bild beschauend, unwillkürlich an das Urteil des Paris erinnert werde. Allerdings teilt der junge Fant diesmal, anstatt des Apfels, feurigen roten Wein aus, den er in einem auf respektablen Inhalt deutenden Kruge neben sich stehen hat.

Auf einem anderen Bilde ,, Amüsante Lektüre", welches dieselbe Auffassungsweise verrät, sitzen sechs Frauenzimmer um einen Tisch, auf dem der charakteristische Weinkrug auch nicht fehlt. Die eine, in Vorderansicht, gesund, drall, mit nettem Köpfchen, worauf kecke Locken sich schmiegen, liest den andern vor. Die heikle Lektüre scheint spannend zu sein. Wie man in diesem Bilde, zum Unterschied des eben beschriebenen sieht, verstehen die Venezianerinnen auch allein, ohne Mann sich ganz famos zu unterhalten und dann überraschen wir sie wirklich bei voller

Cesare Laurenti piiix-

Phol. f. Hanislaengl, München

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Intimität. Ein anmutiges Bildchen ist „Das Blindekuhspiel". Laurent! versetzt die Szene nach einem Wäscheraum und zeigt sich hier zum erstenmal flotter und vertrauter als ehedem in der Schilderung von Gruppen. Doch bei diesen seinen Anfängen ist an ihm noch nichts Besonderes zu entdecken: er ist noch immer zu farbig, hat noch keinen vornehmen Ton, keine eigenartige Pinselführung.

Mit solcher Art von Genrebildern musste er freilich auf's grosse Publikum Rücksicht nehmen; es acquirierte damals nur geschmeidige, bunt gekleidete, flott hingemalte Venezianerinnen, die dem

Ccftarc l^cnirciiti. Die Sünde

Beschauer verführerisch und gefallsüchtig aus dem Rahmen entgegenblicken; deshalb darf man solchen Bildern gegenüber nicht nach dem echten Laurenti suchen denn die Kunst geht nach Brot!

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Das Jahr 1892 brachte eine entscheidende Wendung in Laurenti's Kunstentwicklung. Mit dem Bilde „Die Sünde" ringt er sichtlich nach einer neuen Technik und will den harmlosen Novel- lettenton sich aus dem Gesichtskreis rücken. Auch die Linie ist an diesem Bilde malerischer aufgefasst, die Farbe fällt durch ihre Buntheit nicht mehr dem Auge auf, ein gewisser psycho- logischer Zug macht sich geltend. Das gefährliche Gebiet der Seelenmalerei, auf dem es ihm mehr oder weniger gelang, pflegt er von da an sorgsam. Und mit diesem Streben scheitern viele

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an einer verderbenbringenden Klippe ; denn Seelenzustände in Werlcen der bildenden Künste wiederzugeben, ist immer eine schwere Sache: Darsteller und Beschauer empfinden sie verschieden ; die Zustände kommen, gehen und schwinden dahin, ohne dass man sich Rechenschaft geben kann über die Gründe ihrer Erscheinung und ihres Vergehens. Selbst das Modell ist nicht stets in derselben Fassung, es muss mehr oder weniger den Künstler beeinflussen. Doch Laurenti bezweckt

Cesarc IjKii rciiti. Liebeleien in Chioggia

nicht nur. Psychologisches auf seiner Leinwand festzubannen, sondern ist stets bestrebt, einen Gedanken seinen Bildern aufzuprägen oder, ich will es frei heraussagen, zu unterlegen. So bewegt er sich nicht immer innerhalb der Grenzen, die schon Lessing im Laokoon der Malerei vorgezeichnet hat. Dass er hiebei das Undarstellbare vorsichtig vermeidet, versteht sich von selbst; aber dass es trotzdem hier und da sich eindrängt oder, richtiger gesagt, dem Beschauer unwillkürlich in den Sinn kommt, ist gleichfalls unleugbar.

Die Frau aus Chioggia auf dem Bilde „Die Sünde", die in einem Fischernest bei Venedig vegetiert, im Begriffe ist, mit hochemporgehaltenen Armen das Kopftuch umzuschlagen und barfuss daherläuft, wird dem auf der See segelnden Gatten schwerlich treu bleiben. Zwischen einem Schlammhaufen und ihr steht die männliche Gestalt, Nebenfigur im Bilde, aber wichtig zur Erläuterung der Idee. Die erotische Begierde wird von dieser Nebengestalt auf das Fischerweib ausstrahlen und ihre verheerende Wirkung üben. Das sagt der Maler nicht, aber wer es aus

dem Bilde herausliest, ist kaum des Irrtums zu zeihen.

In „Frons Animi Interpres" stellt uns der Künstler eine üppige Blondine vor, so eine Art von reuiger Magdalena. Das Mädchen kniet in einer Kirche vor dem Kruzifix, mit verschlungenen Händen, die das Antlitz bedecken. Auf ihrem runden kräftigen Pulsgelenke glänzt ein goldenes massives Armband. Jammerschade, dass sie ihr Gesicht, das manch Indiskreter gern sehen möchte, verhüllt inbrünstig scheint ihr Gebet, obwohl man merkt, dass dieses Ci'.^arc lAiiiiciiti. Fallende Blätter Volkskind keine ständige Kirchenbesucherin

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ist. Im Vordergrund hockt eine Alte an einer Gruft, den unzertrennlichen Rosenkranz in der Hand, der echte Typus von Venezianer Gewohnheitsbeterinnen. Rückwärts eine vornehme Dame, schwarz gekleidet, mit Muff. Das Bild entbehrt nicht einer starken koloristischen Wirkung, doch ist es etwas inhaltslos in der Form.

Viel bedeutender ist das Gemälde „Nahendes Gewitter", welches hier reproduziert wird. Der Bilderausschnitt ist in moderner geschlossener Linie gefasst, dunkel im Ton, zugleich aber warm abgestumpft. In der Luft schwebt ein Gewitter, welches in den Herzen der drei Figuren sich wiederspiegelt. Auf einer Brücke schreitet ein Mädchen aus dem Volke, sich nervös an der Marmorbrüstung stützend, wie wenn ihr der Atem fehlte; jeder Muskel im Gesicht erzittert von wilder Eifersucht, da der einstige Geliebte einer anderen den Hof macht. Ihre junonische Gestalt steckt in gewählter Volkstoilette, sie trägt sogar ein Mauve-Fichu mit einer Rose an der Brust; lose umflattert das helle Umhängetuch ihre Ge- stalt. Ordinär, fast armselig ist hingegen ihre Rivalin angethan, die einen Wassereimer in der Hand trägt und ihr nachblickt, ja, es liegt etwas Klassenantagonismus in beiden! Und er, der Gelbschnabel, man merkt es ihm an, in welcher Verlegenheit er sich befindet; nichts- destoweniger schielt er der schönen Maid schuld- bewusst nach mit funkelndem Auge. Es ist eine intime Volksszene, voll spontaner Beobachtungs- gabe, voll ungezwungener Frische.

Überhaupt ist Laurenti mehr als alles andere ein Frauenmaler; selten begegnet man bei ihm Männern, und meistens ist es nur einer, der um das Mädchen wirbt, welches den Mittel- punkt der Situation bildet, sodass die Psyche des Weibes dadurch mehr in Evidenz gebracht

und ihr Seelenzustand blossgelegt wird. Ein Genrebild, wo er das am besten erreicht, ist das eben beschriebene „Nahende Gewitter". Aber auch wenn kein Mann dabei ist, so lässt sich's ahnen, dass dieser hinter den Coulissen versteckt lauert und oft mehr als Spielzeug oder angenehmer Gesellschafter vom zarten Geschlecht aufgefasst wird. Trotzdem also die männliche Person als Nebensache erscheint, so ist sie, in den Hintergrund gesetzt, doch immer bereit einzuspringen. Ein

Cesarc Laurenti. Nahendes Gewitter

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Beispiel dafür bietet das eigentümliciie Bildchen „Liebeleien in Chioggia", wo der Bursche in bestimmter Entfernung zwei in eigenartige weisse Umhängetücher gekleideten hübschen Mädchen folgt.

Cesare Lauiciiti. Cal^ra (Die Keiferin)

Ein recht stimmungsvolles Bild hat Laurenti mit seinem „Fallende Blätter" geschaffen. Die Mache ist an diesem breit und solid, die Farbe pastos; Klarheit der Abstufung das vorspringende

Cesare Laurciiti pmx.

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Merkmal. Eine weibliche Figur schreitet in einer Herbstlandschaft; vergilbte Blätter rauschen von den Bäumen, die Natur liegt gleichsam im Halbschlummer. Das rosa gekleidete Mädchen wandelt, im Profil gesehen, mit auf dem Rücken gekreuzten Armen; ihre schmerzlich sinnenden Züge, die bleiche Wange, alles verrät, dass es keine von Liebesträumen befangene Jungfrau, sondern eine schwer leidende ist, die, sobald der strenge Winter einzieht, selbst dahinnicken wird wie die absterbende Vegetation. Solche melancholische Profile malt Laurenti mit Vorliebe, zuweilen fügt er auch psychisch-neurotische Merkmale hinzu, die das Gemütsleben zu gewisser phantastischer Erregbarkeit steigern. Die Linie der „Fallenden Blätter" ist einfach; die weibliche Gestalt ohne herumflatternde Gewänder, wie der Maler sie sonst liebt, was hier natürlich aus der Stimmung herausreissen würde.

Man trifft auf solche Gewänder, an denen Laurenti seine Freude hat, auch in dem Bilde „Caldra". Das unübersetzbare venezianische Wort „Calära" bezeichnet jene cholerischen, keifenden Frauenzimmer, die in engen Calle's ihr Wesen treiben. Klatsch und Aufbrausen ist für sie eine Bagatelle, ja Bedürfnis geworden, verleumderische Flegelhaftigkeit die Devise dieser Naturkinder. Laurenti stellt sie uns als eine schlanke Venezianerin dar, als wenn er sagen wollte, dass in diesen der Geist von Zanksucht in weit höherem Grade herrscht, als bei phlegmatischen, voluminösen Weibern, die ihm einen Dämpfer aufsetzten. Herausfordernd stützt sich im Bilde die Frau mit einer Hand auf die Brüstung, die andere Hand an die Hüfte stemmend, während sie mit den Lippen eine Rose hält. Manche haben dem Maler einen Vorwurf wegen der hier nach allen Windrichtungen flatternden Kleider gemacht gewiss ist dies meteorologisch nicht richtig, aber artistisch genommen, behält der Künstler recht. Er wollte durch die Grösse der Linie eine dekorative Wirkung erzielen. Da ihn übrigens seine Modelle mehr ihrem psychologischen Gehalte nach, als in der äusseren Forrh interessieren, finden wir bei ihm zuweilen Ver- stösse gegen Zeichnung und Modellation, tote Stellen, die inhaltlos erscheinen mögen.

Jungfrauen, die Blumen pflegen, sie pflücken oder wie träumend über Strassen und Brücken schreiten, lieben oder hassen und dergleichen mehr, hat Laurenti die Fülle geschaffen. Auch malt er gern hübsche Frauenköpfe, von denen er es schon auf die Hundert an Zahl gebracht hat. Eines unserer Cesarc Laurent/. Xoitnmo

XIV 15

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Vollbilder reproduziert ein wirksames blondes Antlitz mit zauberhaften hellblauen Meeraugen ; matt im Ton, zart im Inkarnat und mollig weich modelliert. Bei diesen wie bei den meisten seiner Köpfe benützt er das Pastell, dessen Farben sich so angenehm unter der Fingerspitze verreiben lassen und besonders geeignet sind, weiche Übergänge des Frauenkörpers zu charakterisieren, eine Sache, die sich nur mühsam mit Ölfarben erreichen lässt. Übrigens hat Laurenti seit dem Jahre 1890 die Öltuben aus seiner Palette verbannt; er benützt eine von ihm zubereitete Tempera, die Email besitzt, porös ist und mit welcher man bei jeder Technik das Auslangen finden

kann. Sein „Notturno", Kniestück, ist aber noch mit Ölfarben gemalt. Ein Mädchen sitzt, eine mit grellgrünem Schirm bedeckte Petroleumlampe im Rücken, vor einem aufgeschlagenen Buch, das Kinn in die Hand gestützt und blickt den Beschauer an. Das Ganze ist mehr als Beleuchtungsproblem aufgefasst.

Hier darf auch nicht unterlassen werden, der Porträts des Künstlers zu erwähnen. Das Kniestück des liebenswürdigen, blondlockigen Buben, welcher von einem dunkelgrünen Hintergrunde absticht, ist ganz altmeisterlich behandelt, nicht mittels eines durch Asphalt erzielten Eiffektes, sondern in Einfachheit der Auffassung und pastoser Modellierung. Ebenso zeigt sich das „Porträt der Frau M.", die in ausgeschnittener grellroter Taille etwas Antikes besitzt; es ist sanft im Ton und hübsch arrangiert: der volle Haarwuchs, die mandelförmigen, sinnlich dreinschauenden stahl- grauen Augen haben etwas ungemein Anziehendes, beinahe Voluptiöses, das einem wie prickelndes Parfüm vorkommt. Ein anderes Bildnis, den Sohn d'Annunzio's darstellend, gibt das Modell im Profil, welches sich scharf und wirksam von einem warmgrünen Hintergrund abhebt.

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Cesare Lmireiit/. Knabenbildnis

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Mit seinen drei „Parzen" (1891) scheint Laurenti einer realistischen Malerei sich zuzuwenden. Allein der Schein ist, wie in so manchen Fällen, ein trügerischer. „Die Parzen" sind robust in vierzehn Tagen hingemalt, breit, flott, mit satten Farbentönen und gesunder Modellierung, auch nichts Übernatürliches, ausser den Grenzen der Wirklichkeit Liegendes lässt sich daraus schliessen. Trotzdem wollte der Künstler mit diesem Werke etwas Symbolisches versinnlichen. Die drei Figuren, zwei alte Frauen und ein Mädchen, sämtlich im Alltagskleide, rufen die antike Sage

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Cesiiic Laurent/'. Bildnis der Frau M.

in Erinnerung. Das Mädchen hat ein wehmutsvolles Aus- sehen, eingefallene Augen, welche von violetten Rändern umgeben sind; mit müder Hand muss sie den von den zwei Alten fortgesponnenen Faden durchschneiden. Gut gelöst ist die Verkürzung der Schenkel bei allen drei en fage sitzenden Gestalten. Die mittlere Alte trägt einen abgeschabten blauen Kittel, die andere ein gelbes Kopf- tuch, das Mädchen ist ganz schwarz gekleidet. Eine gelbe Blume, die neben ihr auf der Bank in dem Glase steckt, mahnt an den grünen blühenden Lenz, den süssen

Zauber unter freiem Sonnenschein in lauer Frühlingsluft. Man glaubt, sie zerschneide unwillig und trostlos den unaufhörlich gesponnenen Faden, sie habe ein warmes Herz, das in bebender Brust ihr nicht Ruhe gönnt. Und man ist überzeugt, sie werde, die erste, von ihrem Sitz auf- springen ! Die Mehrzahl der Beschauer mag das Bild in der Art deuten ; aber Laurenti's Absicht ist mit dieser Deutung nicht ganz getroffen. Wie er sagt, inspirierte ihn Heine's Gedicht „Morphine", das mit den Versen endet:

Gut ist der Schlaf, der Tod ist besser freilich Das Beste wäre, nie geboren sein. Die zwei alten Frauen sollen das Symbol des traurig dahinsinkenden Lebens darstellen, die junge Gestalt hingegen den Tod, der nach dem Nichtgeborensein das zweithöchste Gut bedeute.

Dem finsteren Probleme des Daseins grübelt weiter der Meister nach. Sein Pastell „Metamorphose", in grauwarmem Ton, legt wieder die Nichtigkeit irdischer Existenz bloss. Eine weibliche Figur weh- mütigen Profils mit langwallendem Haar ist einem Totenschädel gegenübergestellt gleich der Blume, die, in einer Vase vor ihr prangend, sich bald entblättern und hinwelken wird. So verrauscht das Leben ein paar Atemzüge und es ist dahin. Wie eine Novelle Allan Poe's mutet Laurenti's „Winternachtstraum" an. Eine Katze wird von dem Lichte einer Laterne fasziniert, mit zurückgezogenen Ohren, zu Berge stehenden Haaren ihres Felles grinst das Tier dem in weisses Leinen gehüllten Cf'sr/rc Ltiiin-iiti. Der Sühn Gabriele d'Annimzio's Phantom entgegen. Wer ist der Herr der

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Cesare LaurenU. Metamorphose

Nacht, scheint die Katze zu fragen, ich oder du, Mensch ?

Selbst im Genrebild sucht er jetzt vorwiegend leidenschaftlicher Erregung Ausdruck zu geben. Unter anderem hat er mit seinem oft wiederholten Bilde: „Auf steinigem Weg" eine Frau dargestellt, die, einer Sünde bewusst, flieht; das Kind, dessen Kopf mit weissem Häubchen umhüllt ist, presst sie unter braunem Um- hängetuch an ihre Brust. Die Intonation ist gegen Abend genommen, am Horizont schimmert ein fett mit dem Pinsel hingestrichener leuchtender Strich, nach welchem das Weib zu streben scheint. Spärliche dunkelgrüne Bäume im Hintergrund; der Wind tobt, er scheint der kräftig Einherschreitenden feindlich gestimmt und grollend färbt sich der Himmel. Gewisse Beziehungen zwischen den Naturerscheinungen und der Stimmung der Verstossenen drängen sich dem Beschauer auf. Es soll kein Rührbild mit sentimentalem Geflimmer sein, welches der Künstler mit diesem Werk und späteren bezweckt, sondern er strebt, konkrete Zustände blosszulegen, die sich aus den Tiefen der Seele entwickeln, sich äusserlich durch heftigen Gang und konvulsive Gesichtszüge kundgeben.

Gefällig löst uns Laurenti in seinem Motiv „Erster Zweifel" ein heikles Thema mit grösstem Anstand. Ein jugendliches Wesen, das trivial „Backfisch" genannt wird, rudert in" den ruhigen Gewässern eines herrschaftlichen Parkes. Es kommt an einer Ledagruppe mit dem Schwan vorbei und scheint Erbarmen zu fühlen mit dem armen Weibchen, welches so unsanft vom Schwan umschlungen wird. Allein Leda lächelt wollüstig und in der Seele des Mädchens wird schliesslich ein ganz anderes Gefühl als Mitleid rege. Aus der Ferne schwimmt ein lebend gehaltener Schwan daher, der das holde Fräulein bald erreichen dürfte! Dies in Tempera und Pastell ausgeführte transparente Bild befindet sich in der Nationalgalerie zu Rom.

Laurenti's „Präludium" ist, auch technisch genommen, vielleicht sein solidestes Werk. Er untermalt beinahe reliefartig auf einem zinkweiss präparierten Grund, ohne viel auf Farbentöne zu achten, setzt hierauf, da seine Tempera, die, zu einer steinharten Masse verhärtend, nicht springt, mit Lasuren ein, wie es die alten Meister zu thun pflegten. Dadurch erzielt er in Schatten und Licht geheimnisvollen Reiz. Dies Verfahren ist nicht so einfach, wie es zu sein scheint; am besten wissen die Maler, dass es schwer ist, in solcher Weise etwas herauszubringen. Auch besitzen sie nicht das Material, welches Laurenti jahrelang studiert hat und worüber er nun verfügt. Seine Pinselführung kommt zuweilen erfreulich prima hingemalt zur Evidenz: Kobaltblau, Kadmium- gelb, Zinnober werden keck, ohne verrieben zu werden, oft nebeneinander angebracht und ver- schmelzen trotzdem. Sein Wahlspruch, sich an die Natur zu halten, solange sie eine dekorative Linie aufkommen lässt, ist im „Präludium" sicher gelöst; denn es liegt mehr als jener einzige Zug in dem Bilde. Unter den Gewändern der in ein spezifisches Venezianer Milieu gestellten, im

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Profil gesehenen, schön einherschreitenden Mädchengestalt sitzen Muskel und Nerv. Sie scheint dem in schwarzen Überrock gekleideten, die Pfeife schmauchenden Lastträger gewogen, denn sie steht fast auf dem Punkte, die Theerose ihm als Liebespfand entgegen zu werfen. Das Werk lässt unfraglich einen Fortschritt erkennen; es verrät gesunden Formsinn, hält sich frei von nebeligem Herumtasten und eitlem Faseln mit purer Stimmung.

Bevor ich dem Schlüsse zueile, muss ich auf die früheren, dem „Präludium" vorher- gegangenen Werke des Meisters zurückgreifen. Sein Schaffen streift in diesen an eine frei

Ct'tifOf iMuroiti. WintL-rnüclitslraum

reflektierende Idealkunst, seine allegorischen Darstellungen wollen in's Moderne gezogene Gedanken erläutern. Freilich versiegt ihm zuweilen die Kraft, welche der Erscheinungswelt den von ihm beabsichtigten lyrischen Schwung verleihen und den Beschauer wie eine Offenbarung göttlicher Inspiration fesseln würde.

„Neues Blühen" (im Besitz der modernen Venezianer Kunstgalerie) ist eine Art von drei Grazien in moderner Auffassung; früher stellte man sie gewöhnlich mehr oder weniger in Modell- stellung; Laurenti hingegen sucht seine Frauenakte bewegt darzustellen. Das Licht ist helltönig über die Szene ausgebreitet: eine Wiese mit rosa und gelben Blumen, die aus frischem Gras her-

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voi'winken, und mit blühenden Bäumen, im Hintergrund ein kleiner See gelinde bewegt, kurz ein Frühlingsbild, auf dem drei Mädchen in lichtem, allzu hellem Inkarnat sich rhythmisch gruppieren. Er malte noch einmal ein ähnliches Bild „Antike Vision", wo der Hintergrund dunkel belaubt ist und bewegtere Gestalten als die früheren sich plastisch ausnehmen, sodass der Oberteil der Körper scharf beleuchtet wird. Besonders die Schöne rechts mit flatterndem wildem Haar ist in ihrer Bewegung gelungen; die ganze Gruppe zeigt die schwellenden Körper der drei nackten Frauen in Liebesreigen, umgeben von freier, duftender Lenzesluft. Das Bild will die goldene

Cesarc Lauiciili. Die Parzen

Zeit hellenischen Altertums symbolisieren und wird in Gegensatz gestellt zu dem andern „Enttäuschte Seelen", wo drei Mädchen die Müdigkeit und Qual modernen Lebens wider- spiegeln; sie kauern in düsterem luftlosem Raum hin, kein besseres Los erwartend als vielleicht den Tod, zu dem sie früher oder später Zuflucht nehmen werden; bis dahin vergehen ihnen die bitteren Stunden und Tage voll Kümmernis und Angst. Das im Bilde angebrachte Kohlen- becken motiviert den Schlussakt des Dramas. An beiden Werken ist der Kontrast zwischen dem Freilicht und der dunklen, schwülen Atmosphäre angedeutet: ja, das grosse Ethos des Lebens ist der Schmerz ....

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Laurenti's „Nymphe" (moderne Venezianer Kunstgalerie) gibt den Begriff verlassenster Einsamkeit; jene sumpfigen grauen Gewässer mit ihren weissen Wasserrosen und tiefen Reflexen, die D'Annunzio so meisterhaft beschreibt, werden vom Künstler malerisch empfunden. Wie

Cesaic iMurcnti. Neues Blühen

Gespenster wachsen dunkel belaubte Eichen aus dem Morast: der Satyr, welcher der Jungfrau Gewalt anthun wollte, flieht, seiner Schuld bewusst, von dannen. Man sieht deutlich, wie die Wässer, welche der Durchschreitende aufwirbelt, sich bald wieder zusammenschliessen werden und wie bewegungslos der bleiche Leib der weiblichen Gestalt dahinschwimmt. Die Wirkung des Bildes ist fast ganz mit Lasuren erzielt; deshalb besitzen oft kalte Töne Wärme und Schmelz; der

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Farbenauftrag ist pastos, nicht ohne Email. Grünhell in Intonation wirkt das Pastell „Hirten- leben": in ganzer Figur stehend, bläst ein an einen Baumstamm gelehnter Hirte die Flöte; die Aufmerksamkeit des Beschauers ist auf die im Vordergrund einherschreitende weibliche Halb- figur gelenkt.

Cesare Laurenti. Enttäuschte Seelen

Viele Maler haben schon der sogenannten „Lebensbrücke" künstlerischen Ausdruck verliehen, wie Walter Grane, der den Verlauf des Lebens von der Wiege bis zum Grab versinnbildlicht. Laurenti dagegen lässt in seinem Diptychon, trotz der zwei in Vordergrund gestellten Kinder, die irdische Wanderung von jener schönen Zeit der ersten Liebe anfangen der Zeit, in welcher das Herz den Himmel offen sieht, und das Bild endet mit der Entsagung, dem hoffnungslosen Dahinsinken. Links zeigt der Meister jauchzende Mädchen, geschmückt mit bunten Blumen im Haar, die auf einer Holztreppe, welche über einen Venezianer Kanal geworfen ist, hinaufstürmen zu einer mit

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Laub und kleinen farbigen Lampions bekränzten Thüre, wo ein Jüngling ihrer harrt; ein zweiter herzt schon das Mädchen seiner Wahl, die voller Wollust ihr Gesicht verzieht. Das Frühlingsbrausen der Liebe ist in lustigen Farbenakkorden ausgedrückt. Bei Laurenti, der Gegensätze zu lösen sucht, führt die Linie in seiner zweiten Tafel vom Eingang einer Kirche hernieder, welche mit der vorigen Holztreppe geschickt in Einklang gebracht ist. Hier ist die steinerne Treppe, über welcher Gras wuchert, halb verfallen ; von ihr herab steigen vom

Ccsare Laiireiiti. Die Lebensbrücke (Jugend)

Alter gebrochene Wesen, die an der Schwelle des Todes halten ; mit zitternden Händen stützt sich die eine, sehr wirksame Figur auf Stock und Brustlehne. Fröstelnde Mädchen, arme Mütter, trostlos aussehende Witwen versinnbildlichen enttäuschte Seelen, über die das Elend der Zeit nicht nur leise hinweggestreift ist es hat tiefe Furchen in ihre müden Gesichtszüge gegraben. Diese Schar Elender hat die Nichtigkeit des Lebens durchkostet, während die Mädchen im früheren Teil die Freuden des Augenblicks in vollen Zügen geniessen. Der tragische Moment des Diptychons ist, wie es dem Sujet entsprach, in dunklen Farbentönen gehalten. Das lateinische Motto beider Bilder klingt nicht umsonst: Celeres gaudentibus horae Aflictis lentae.

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Laurenti's Wirksamkeit erstreckt sich nicht allein auf die Malerei, er versuchte sich auch in der Architektur. Die Entwürfe des in Bälde neu zu errichtenden venezianischen Fischmarktes, welcher den jetzigen abscheulichen Eisenhallenbau ersetzen soll, wurden von ihm und dem Archi- tekten Rupolo gemeinschaftlich ausgearbeitet. Sie sind im gotischen Stil gefasst, lehnen sich ihrem Grundcharakter nach an die Bauwerke auf Bildern Carpaccio's, Gentile Bellini's und Diana's, welche Maler den älteren Chronisten der Dogenstadt gleichzusetzen sind, wenngleich sie mit dem

Cesaic Ijaiiieiüi. Die Lebensbrücke (Alter)

Pinsel, nicht mit der Feder wirkten. Das Projekt brachte es zu einem anmutigen Linienschwung, der sich dem Milieu, so weit man nach den Plänen urteilen kann, sinnreich anpasst. Loggien, schlanke Säulen, darunter Laubgänge, die an jene des Dogenpalastes mahnen, auswärts angebaute Treppen, sodass im ganzen der zum Ton der Stadt passende Geist des Mittelalters einen umfängt. Dieser Fischmarkt wird gleich dem alten zum Abbruch verurteilten sich bis zum Kanal Grande erstrecken.

Es wurde versucht, Cesare Laurenti's Künstlerlaufbahn in kurzen Zügen zu schildern. Nicht alles, was seinem langjährigen Schaffen entsprossen ist, kann man als Muster der Vollendung gelten lassen, aber unbestreitbar ist, dass der Meister unermüdlich nach Hohem gestrebt und im

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Ringen und Kämpfen manchen Preis davongetragen hat. Er steht gewiss mit reger Empfindung den modernen Bestrebungen gegenüber, fiJhlt deutlich den Punlct, wohin neue Bahnen führen. Und er schlägt diese nicht mit verbundenen Augen ein, sondern will ihnen folgen, ohne seine individuelle Auffassung zu opfern. Das ehrt den Künstler und lässt die Verheissung aufkommen, dass er in Zukunft, seinem Streben getreu, sicheren Schrittes auf dem Wege verharren wird, der abseits von Künsteleien zur wahren und echten Kunst führt.

Cesarc Lanroiti. Der Rosenstock

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