KUNST

UNSERER

ZEIT

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UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY

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CANADA COUNCIL SPECIAL GRANT

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Hl STORY OF ART

DIE

KUNST UNSERER ZEIT.

EINE CHRONIK

DES

MODERNEN KUNSTLEBENS.

IV. JAHRGANG (1892—93.) I. HALBBAND.

MÜNCHEN FRANZ HANFSTAENGL.

ALLE RECHTE VORBEHALTEN.

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JÜN 2o 19/0

5^S/Ty OF TO^

E. MÜHLTHALER'i KGL. HOF-BUCH- UND KUNSTDRUCKEREI, MÜNCHEN.

INHALTS-ANGABE.

.A. VI fs ä -t z e.

Seite

Bernstein, Max, Schlangenspiel 79

Ebers, Georg, Der Abschiedskuss von Lorenz

Alma-Tadema 11

Leopold Carl Müller 57

Gurlitt, Cornelius, Die amerikanische Malerei in

Europa 21

Helferich, Hermann, Radiiungen und Bilder des

Freiherrn L. von Gleichen-Russwurm ... 82

Seite

Rosmer, Ernst, Medusa 90

Spier, A., Hermann Kaulbach i

Spiro, Dr. Friedrich, Italienische Musikbriefe . 13

Unsere Bilder 18

Walt her, Ferd., Unkritische Künstlerportraits:

III. Thure F"reiherr von Cederström .... 101

Zimmern, Helen, George Frederick Watts . . 92

^V^olltoilcier.

Seite

Alma-Tadema, L., Der Abschiedskuss .... 12

Bokelmann, Ch. L., Eine Testaments- Abfassung 110

Bracht, Eugen, Die Klause 20

Brütt, Ferd., Die Entscheidung 86

Cederström, Th. von, Quartett 102

Chase, W. M., Meditation 28

Dewing, Thomas W., Musik 32

Galofre yGimenez, B., Heimkehr vom Feste 102

Gaugengigl. J. M., Concert 48

Gut herz, Carl, Der Grabesengel 32

Hartwich, H., Märzschnee 28

Hassam, Childe, Die 5. Avenue in New -York

im Schnee

Seite

Haug, Rob., Spaziergang 1 10

Henner, J. J., Mädchen aus dem Oberelsass . . 98

Kaulbach, Hermann, Das Ende vom Lied . . 4

Knaus, Ludwig, Katzenfreundin 18

Koehler, R., Portrait 40

Lenbach, F. von, Schlangenspiel 82

Malczewski, J., Letzte Etappe . , . .^ . 94

Marr, C, Sommernachmittag 44

Meyer -Mainz, P., Hubertustag 106

Müller, Leop. Carl, Palmenzweigverkäuferin auf

einem arabischen Friedhofe zu Kairo ... 60

Mädchen aus Kairo. Trauernde Wittwe 64

Messe zu Tanta 68

Seite

Müller, Leop. Carl, Markt in Desuk. Moschee

des heiligen Ibrahim zu Desuk 72

Orangenverkäuferin 74

Mariettes Haus in Sakkara. Kameel-

markt. Damm im Delta zur Zeit der

Ueberschwemmung 78

Oppler, E., Träumerei 86

Peck, Orrin, Stiefmütterchen 5^

Seite

Pötzelbergcr, Robert, Fränkische Landschaft 8

Pradilla, F., Seebad an der adriatischen Küste 16

Rolshoven, J,, Meditation 54

Stuck, Franz, Medusa go

Ulrich, Charles J., Idyll in Sotto-Marina .... 24

Vonnoh, R. W., Klatschrosen 52

Wen gl ein, J., Kinderfriedhof 94

Whist 1er, J. M. N, Träumend 24

TTe X 1 13 i 1 d e 1-.

Seite

Bridgman, F. A., Das Negerfest zu Blidah . . 41

Bunker, Portrait der Mrs. Bunker 29

Cederström, Th. von, Studien und Skizzen loi

102 103 104 105 106 107

Chase, William Merrit, Eine Parkszene .... 53 Dewing, W. Thomas, Bildnis der Mrs. Stanford

White . . . . 40

Gleichen-Russwurm, L. von, Studien und

Skizzen 82 83 84 85 86 87 88 89

Hitchcock, George, Mutterglück ....... 47

Innes, George, Landschaft 45

Jones, Francis C, Ich spiele nicht mehr . . 51 Kaulbach, Hermann, Studien und Skizzen 2 3

4 5 6 7 8 9 10 13 18 19 20

Seite

Kengon Cox, Bildnis des Bildhauers Aug. H.

Gaudens 23

Mac Ewen, Walter, Allerseelentag 25

Mos 1er, Henry, Der Kesselflicker 38

Müller, Leo]>. Carl, Studien und Skizzen 58 59

6i 62 63 64 65 6] 68 69 71 73 74 75

1(> 77 78

Part(5n, Ernest, Im Mai 49

Portrait des Malers Leopold Carl Müller .... 57

Thaycr, Abbot H., Männliches Bildnis .... 33

Tryon, Dvvight William, Tagesanbruch .... 31 Weeks, Edwin Lord, Die Elephanten des Maha-

rajah in Jehorc 43

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So oft ich einem grösseren Publitcum einen Maler, I einen wahren Künstler, mit Worten darstellen soll, kämpfe ich mit der Ueberwindung des Gefühls, dass ich einer halben Sache diene. Nur die Hoffnung, dass das gesprochene Wort, nun gar, wenn es von anziehenden und beweisführenden Illustrationen unterstützt wird, da und dort zur näheren Betrachtung der Gemälde des Künstlers und ihrer Reproduktionen veranlasst, belebt den Willen zu reden, wo man zeigen möchte. «Sehen Sie», sollte man sagen, nicht «hören Sie! »

Bei Hermann Kaulbach bleibt die Aufgabe der Vermittlung und Anregung nicht in dieser Einseitigkeit stecken. Das Anschauungsmaterial ist vorausgegangen. Viele kennen einen kleineren oder grösseren Theil seiner so verbreiteten und geschätzten Werke, aber doch nur

einen Theil! Da liegt der Vortheil und die Gefahr. Viele beurtheilen ihn eben nur nach dem populär Ge- wordenen und ahnen Nichts von dem ganzen Umfang seiner künstlerischen Individualität. Von ihm ist viel zu sehen und viel zu hören! Er malt aus dem Vollen eines reichen , durch glückliche Umstände mit den mannigfaltigsten und feinsten Eindrücken genährten Lebens!

Ist er doch der Sohn, der einzige Sohn von Wilhelm von Kaulbach, von jenem genialen Künstler, der mit seiner gemalten Geschichtsschreibung, mit seinen Goethe-Ilhastrationen , mit seiner Satire seine Zeit auf das Stärkste beeindruckte, ich dürfte wohl sagen, beherrschte! Heute in der merkwürdigen Phase des künstlerischen «jüngsten» Gerichts, aus nur allzu menschlichen Menschengruppen zusammengesetzt, ver-

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

kleinert man die Verdienste dieses bedeutenden Mannes und scheint gründlich zu vergessen, dass er in der organischen Entwicklungsgeschichte der deutschen Malerei ein Bahnbrecher war, ohne den der deutsche Maler von heute noch ein schönes Stück Weges vor sich hätte. Er, Wilhelm von Kaulbach, war eben auch

Aus dieser Sphäre , die ein solcher Geist schuf und belebte, in der täglich hervorragende Menschen verkehrten und gute Gespräche geführt wurden, er- wuchs Hermann Kaulbach. Nicht in einer den Wissenskram in den Mittelpunkt stellenden Schulluft wurde sein Geist wach, nein, in einem Hause, in dem

der Sohn seiner Zeit. Das rhetorische Pathos seiner gefühlt, gedacht, geplaudert, gelacht wurde, in dem ein Kunst weckte die damaligen Geister zu einer begeisterten glücklicher Gatte seiner schönen Frau die Leiden seiner

Betrachtungsweise und gabdem schulhaften, trockenen Bildungs- wesen eine schwungvollere An- schauung. Die Wilhelm Kaul- bach'schen Bilder waren es, die zu jener Zeit die leicht in den Vernunft - Egoismus verfallende deutsche Familie wieder für das Grössere des Menschenlebens zu interessiren wussten. Wo heute noch Menschen , die auf dem Entwicklungs - und Kunststand- punkt jener Jahre stehen, seine Bilder kennen lernen, wirken sie ebenso stark wie damals. Eine Reise durch die Zimmer gebil- deter Provinzler beweist das.

Unter den akademischen Falten der Wilhelm Kaulbach- sehen Gestalten pulsirt wohl auch ein gutgesehenes menschliches Leben, oft versteckt, oft fast erdrückt von der Komposition und der überreichen Absicht, aber es ist da!

Wilhelm von Kaulbachs rc- flektirende und spiritualistische Bilder täuschen über sein eigent- liches Wesen. An der Staffelei strebte sein vulkanischer Geist nach einer konzentrirten Weltsprache. In seinem Familienleben trat sein warmes Interesse an der Natur, wie an den Menschen im Kleinen und im Grossen kräftig zu Tage. Man braucht nur wenige Briefe an seine Frau und seine Kinder zu lesen, um zu wissen, welch' ein gefühlvoller Mensch er war, wie gern er mit den Noth- leidenden theilte , wie lustig er mit den Kindern scherzte, und dass er mit den Philistern nichts ge- mein haben wollte.

Kindheit und Jugend erzählte, und die Huldigungen der Liebe zu ihr bis in die Zeit der grauen Haare fortsetzte, in einem Garten, den der besitzfrohe Künstler seine «Kirche» nannte, an dessen Blumen und Vögeln er zärtlich hing , unter den Augen eines Vaters, der jedem Kinde an dessen Namenstag die unbeschränkteste Verfügfreiheit über Küchenzettel und Zeiteintheilung liess. So lenkte W. von Kaulbach , ein Gärtner von Neigung, auch die Entwicklung seiner Kinder mit gärtnerischer Weisheit.

Sie sollten ein freies Wachs- thum geniessen und auf den Ruf ihrer inneren Natur warten. Selbst die Wunderwerke Hermanns, die verschiedensten, merkwürdigsten Gedichte, die derselbe als sechs- jähriger Junge verfasste, veran- lassten ihn zu keiner Spezial- pflege.

Der Vater liess Alles, was Triebkraft hatte, unbeirrt gross werden und meinte zuversichtlich von seinem Sohne : « Der wird gut ! »

Als der Anspruch einer schärferen Schuldisziplin laut wurde, schickte er ihn in ein Weinheimer Pensionat. Die welligen Hügelketten der Bergstrasse wirkten wohl stärker auf den Geist des Knaben, als die Aufgaben der Grammatik , aber , er lernte. Später kam er von dort auf das Gymnasium nach Nürnberg, in das Haus seines Schwagers Kreling, des verdienten Direktors der Kunstgewerbeschule. Nürnberg, das romantische Nürn- berg, mit seinen Gässchen, Thorbögen, Winkeln, Thürmen

Hermann Kaulbach. Studie,

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Hermann Kaulbach. Studie.

und Brunnen, das lockt Bilder in das Auge, hilft sinnen und dichten und stimmt die junge Seele zum Lieben 1 Dort entdeckte der Jüngling sein Herz und das rechte «andere» und Hermann Kaulbach ist einer der wenigen Glücklichen, die mit dem ersten Liebesglück ihr Lebensglück gründeten.

Im Kreise Krelings setzten sich die Kunsteindrücke seiner Kindheit fort und mit der entschiedenen Absicht Mediziner zu werden, zeichnete er doch da und dort was Auge und Geist beschäftigte. In München trat er als Student der Medizin ein und hörte Jolly, Liebig und andere Autoritäten. Diese Wissenschaft, welche der Humanität ein so breites, unmittelbares Gebiet, täglich Mittel und Wege zum Bethätigen der Menschenliebe gibt und in das Studium der Naturwissenschaft voll einführt, schien den Bedürfnissen seines Wesens zu entsprechen.

Aber, der geerbte, in der Tiefe eingesessene Künstlergeist rüstete sich zum Appell, die Kämpfe zwischen Malen und Mediziniren erwachten , beunruhigten , tobten. . . . Die Studien- köpfe, die Hermann Kaulbach zur selben Zeit in dem Atelier seines Vaters malte, gelangen, aber der väterliche Meister scheute vor dem entscheidenden Wort. Piloty, kein Geringerer, sprach es aus, als konfliktbefreiender, kategorischer Imperativ erklang sein Befehl :

« Du m u s s t Maler werden I »

Piloty nahm ihn unter den freiesten Bedingungen als Schüler auf, verfolgte mit dem intensivsten Antheil die vielversprechende Entwicklung, welche mit jeder neuen Arbeit die Berechtigung der Piloty'schen Initiative bestätigte.

Der Vater selbst stellte dem Sohne die Aufgabe, sich sein Heimathsrecht und sein Heimathsgut zu ermalen. Das erste in dieser Hoffnung ausgestellte Bild Hermann Kaulbachs , ein gut gezeichnetes, fein getöntes Stillleben, verkaufte sich sofort und zwar für ein hundert baare Gulden. Der Jubel des Anfängers war gross, und als er eben seinen Triumph dem Vater mittheilen wollte, findet er denselben vor dem von ihm erworbenen Gemälde sitzend, wie er sein Kaufobjekt lächelnd prüft . . .

Das erste grosse Bild, mit welchem Hermann Kaulbach vor die Oeflentlichkeit trat, war «Der sterbende Mozart».

Es bewies innerhalb der schulgerechten Komposition ein erstaunlich schnell erwachsenes Können, und noch viel mehr: ein Auftauchen feiner, individueller Details, ein Sich-nicht-genügenlassen an der historischen Scenerie, ein Streben nach wahrheitsgetreuer Darstellung , ein seelisches Eindringen in die seelischen Vorgänge.

Und in dieser Richtung sollte sich Hermann Kaulbachs ganze grosse Stärke entwickeln. Es entstand eine grosse Wechselwirkung zwischen der Bereicherung seines so schön angelegten Geisteslebens und seiner künstlerischen Ausdrucksweise. Er stellte an sich selbst

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

die Ansprüche eines kritil<befähig- ten Elitemenschen, dem nicht das eine oder das andere Bruchtheil des Erstrebten genügte, der nicht für das Bravo des Marktes arbei- tete, sondern seinem hohen Ziele nah und näher kommen wollte. Er sah neben dem Malerischen auch das Innerliche, das Bedeut- ungsvolle der Situation und zählt heute in gesteigerter und gereifter Kraft zu den Bekennern der Drei- einigkeitslehre von der Farbe-, Form- und Gedankenschönheit eines Gemäldes.

Sein Vorjahren in der Berliner Ausstellung mit grossem allgemei- nem Beifall aufgenommenes Bild: «Die Krönung der heiligen Elisabeth durch Friedrich II, in der Deutsch-Ordenskirche in Marburg» ist ein grosser

Zeuge der Hermann Kaulbach'schen Kunst. Gerade dieses Bild, in seinem Stoff uns scheinbar so fern stehend, zeigt in deutlicher Weise seine Kraft, das Historische menschlich näher zu rücken.

Im Mittelpunkte des grossen Bildes steht der Sarg, auf dem die heilige Elisabeth im Ordensgewande auf- gebahrt liegt. Vor dem Sarge knieen ihre Töchter, neben ihnen steht der Kaiser mit dem Sohne und hält eine kostbare Krone auf ihr todtes Haupt. «Da ich Dich auf dieser Erde nicht als Kaiserin krönen konnte, so will ich Dich doch mit dieser Krone als eine ewige Königin in Gottes Reich ehren » . Ein Son- nenstrahl fällt von den hohen Bogen- fenstern des Domes auf diese Gruppe, der ganze Raum,

llermaini Kaulbach, Studie.

Hermann Kaulbach. Studie.

den eine bunte Menge füllt, ist weit und hell , Farben- und Stimmungsakkorde packen den Beschauer.

Nur dieses Bild, das Eigen- Üium der Stadt Wiesbaden wurde, sei in dieser Ausführlichkeit be- schrieben ; es ist insofern typisch für alle historischen Bilder Her- mann Kaulbachs, weil es trotz seines Figurenreichthums jeden Einzelnen individualisirt und zu einem Bilde für sich gestaltet. Die Priester, die Nonnen, die sin- genden Klosterkinder, die Fürsten, Alle auf diesem Gemälde würden als Einzelbilder wirken. Ein inter- essantes Detail, das die Freunde des zu früh verstorbenen Dichters wehmüthig berühren wird, ist ,die Thatsache, dass Karl Stieler zu der Figur des Kaiser Friedrich Modell stand, er, eine typische Deutschengestalt.

Hermann Kaulbachs künstlerisches Produktions- vermögen ist ungemein ergiebig. Die jüngsten zwei Jahrzehnte hat er enorm und vielseitig gearbeitet. Zu den beliebtesten Opern und zu einem Theil der Gustav Freytag'schen Werke lieferte er phantasiereiche, fein gestimmte Illustrationen; er betheiligte sich an der Konkurrenz für ein Friesgemälde des grossen Berliner

Rathhauses, und lieh in diesen Entwürfen der Geschichte von

der Einigung Deutschlands als ein begeistert Mitfühlen- der pathetische, ju- belnde Gestalten in sinnreicher Zusam- menstellung ; er gab in den achtziger Jah- ren einen Cyclus Narrentypen heraus, eine lustige Reihe entzückender, humo- ristischer Gruppen ;

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

die gesammten Blätter gingen sofort in Privatbesitz über, die Reproduktionen sind weit über Deutschland hinaus verbreitet.

Die deutsche Familie, diese grosse staatbildende Gemeinschaft, die

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Originalge-

zum guten keine mälde kaufen kann, sie kennt ihren Hermann Kaulbach. Seine Bilder wenden sich an die natür- liche Schönheits- freude des Auges, an die natürlichen Gefühle des mensch- lichen Herzens. Die Anmuth und Poesie, mit welcher er die Ereignisse glück- hcher und unglück- hcherLiebe darstellt, machen ihn zum oft herbeigeholten Illu- strator gefühlvoller Beziehungen. Zu jungen, gefahrlosen Liebesfreuden und

Liebesschmerzen spricht das Bild Margarethen's «Jetzt ist er hinaus in die weite Welt»; Ent- täuschte betrachten sich die schöne Kol- legin, welche dem weltflüchtigen Ein- siedler im Walde die warnende Lehre ab- nimmt: «Lass ab, lass ab von der

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Hermann Kaulbach. Studie.

welcher das Kind aus der Höhe bringt und mit der Weisung «Von Gott» jungen Eltern an 's F"enster klopft, wer kennt ihn nicht? Er ist das edle, ganz ebenso populär gewordene Pendant zu dem Wilhelm

von Kaulbach'schen

^.— , ,. '"~ "'"'^ *2^ Gott»! und

hat geschmackvoller Weise den Storch auf das Gebiet des Scherzes gedrängt.

Dieser Engel mit dem Kinde, der Schutzengel und der Weih- nachtsengel von H. Kaulbach sind erlesene , herzliche

Familienbilder, welche durch ihren sinnvollen Inhalt schon derart Eigen- thum der Allgemein- heit geworden sind, dass die verschieden- sten Besitzer den Maler nicht kennen,

namenlos, wie ein gutes, allgemein ge- liebtes und gesun- genes Lied! Mit diesen Schöpfungen hat H. Kaulbach, unbewusst, wie alle echten Poeten , ei- genthch einen Akt der Gerechtigkeit geübt. Er hat seine feine Kunst in den Dienst einer grossen Zukunftsträgerin, der Kinderphantasie,

Lieb!» und oben bei den Thurmfalken im Zwinger, da gestellt und in mittelbarer Weise von den selbst so

wird ein holdseliges Beispiel gegeben , da singt frohe, reich genossenen Schönheitseindrücken seiner glücklichen

einige Liebe ihr Nest- und Festduett ! Kindheit wieder Schönheitssamen in die Kindersphäre

Und nach den lieblichen Momenten aus dem Liebes- gesandt. Wie mancher unter den kleinen Leuten hat

frühhng die Bilder aus dem Liebessommer! Den Engel, sich wohl schon bei diesen Engeln seine poetischen

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

/{ermann Kaulbach. Studie aus Capri.

Träume und seinen stärkeren Drang zum Schönen geholt. Der wahre Künstler unter- schätzt solche Zu- kunfts - Sämannsarbeit nicht.

Neben seiner bil- derreichen Welt, der welthchen und himmli- schen, mit ihrem Gros- sen und Kleinen schil- dert H. Kaulbach auch mit Vorliebe in leben- digen, pointirten Scenen und feinen Lichtern das Kloster- leben. Da lehrt eine Nonne in freigewählter mütterlicher Pflicht die Kleinen, dort füttert ein Mönch ein herrenloses Findelkind, da öffnet ein in der Kutte Gefan- gener mitfühlend einem Vogel den Käfig, der Kollege flieht nicht, er will nicht befreit sein und sein Helfer simulirt und seufzt «Verschmähte Freiheit»! Und einanderes Bild zeigt eine Nonne in einsamer Zelle, die mit weh- müthiger Sehnsucht in die Ferne schaut und sucht, was Andere fahren lassen, «O Freiheit!» Jedes H. Kaulbach'sche Blatt schlägt einen dichterischen Text an, jedes bietet auch dem einfachsten, schönheitsfrohen Gefühlsmenschen, dessen Auge nicht für die Feinheiten der malerischen Qualitäten geschult ist, einen Reiz, eine Anregung zur Mitempfindung.

Für alle Freunde einer veredelten Darstellungsweise war das H. Kaulbach'sche Bild, «Die Opferkerzen», ein Anziehungspunkt der vorjährigen Ausstellung. Seine harmonische, einfache Farbengebung, seine kräftige Be- leuchtung, sein rührender Inhalt fanden einstimmige Bewunderung. Der sofortige Verkauf versteckt es nun im Privatbesitz, die Reproduktionen erhalten es im Ge- dächtniss eines weiten Kreises.

Das diesjährige Ausstellungsgemälde H. Kaulbachs, «Das Ende vom Liede», zeichnete sich durch die- selben Vorzüge in Zeichnung, Farbe und Beleuchtung aus, es dringt wie die Töne eines wehmüthig auf- seufzenden Ave Maria zu Herzen. Seine fromme Sängerin

steht schon nah an dem Himmel, an den sie glaubt, und nimmt ihr «inneres» Leiden mit hinüber.

Dieses Gemälde beweist aufs « Neueste » , dass die Schönheitsvorstellung Hermann Kaulbachs nicht vor der impressionistischen Helle der neuen Malart zerstiebt, sondern auch im «neuen» Lichte lebendig und lebe- fähig bleibt. Es wurde von dem kunstsinnigen Gross- herzog von Oldenburg erworben.

Ja, wer in der Kaulbachstrasse an die Atelierthüre Hermann Kaulbachs klopft und aufgemacht be- kommt, der findet kaum einen Bildervorrath , aber immer etwas auf der Staffelei, was den Maler selbst gefangen hält und gemalt werden mussl

Es ist unmöglich , die ganze Reihe seiner Werke aufzuzählen. Wohl über hundert sind schon Zeugen seiner mannigfaltigen, sicheren, bescheidenen Kunst. Der Bezeichnung « bescheiden » möchte ich den stärksten Nachdruck geben, Hermann Kaulbach füllt dieses viel gemissbrauchte Eigenschaftswort als Mensch und Künstler mit seinem vollen Goldwerthe aus! -t-

Barrengold I Im Verkehre nicht giltig und nicht nützlich, aber Gold! Er bescheidet sich that- sächlich in selbst ungerechter Weise. Er kann viel mehr als er herausgiebt, steckt sich zum Theil selbst die Bescheiden- heitsgrenze, zum Theil steckt sie ihm die Zeit, die er so fleissig aus- braucht und die nie reicht. Er kann modernst malen und in seinem ge- heimsten Atelier- Kämmerlein sind Bilder verborgen, die mancher Schot- tenkenner ruhig den Schotten und an- dere , die mancher Sezessionist Uhde zuschreiben würde. Das hat er nach- gemacht und es ist

ein Kunststück seiner vielgewand-

Hermann Kaulback. Studie aus Capri.

DIE KUNST UNSERER ZEri",

Hermann Kaulbacli. Studie aus Capri,

ten Technik. Aber er hat eigene, kräftige Ideen, gewinnt die künstlerische Macht über sie und hoffent- lich erstehen sie bald in Freilichthelle. Er besitzt als moderner Mensch, der Herz hat, dessen Geistes- leben aus den günstigsten Faktoren der Vererbung, des Milieus und der Erziehung heraus gebildet wurde, ein grosses Interessegebiet, auf dem keine Phrase, keine Parteiphrase und keine Renommirphrase, wuchert. Un- kraut könnte nur der Botaniker entdecken, welcher die märchenhaft schöne, hoch aufstrebende Pflanze des Idealismus, die so viel Kraft aufbraucht und so selten Früchte bringt, zu jener Sorte rechnet.

Hermann Kaulbach kann auch Proletarier mit dem Heiligenschein des Märtyrerthums malen, er hat jetzt eine Skizze fertig: ein Junge sitzt in einer öden Kammer an einem Krankenbett, da ist das ganze Grau des Dach- stubenelends malerisch ausgedrückt. Er hat vermöge seiner Vielseitigkeit ein weites Feld vor sich und ist zu jung an Jahren und im Geiste, zu ernst denkend und zu ernst strebend, als dass er sein Malgebiet nicht erweitern sollte.

Seine feinen Portraite sind nur im engsten Kreise bekannt. Die weitere Welt kennt ihn bis jetzt haupt- sächlich nur als malenden Dichter ; lyrisch und legendär erzählte er ihr die liebenswürdigsten , harmonischsten Geschichten in klangvollen, süssen Reimen.

Die reizenden Skizzen in diesem Hefte, die aus einer der verborgenen Mappen des Künstlers hervor- geholt sind, erzählen, wie lieblich seine ersten Ent- stehungsideen in die Erscheinung treten. Die Fee in der Mondsichel, welche Sterne streut, die Nonne in der Waldeinsamkeit und in der Kirchenstille, die Gestalt, welche mit Lampe und Kranz in die Gruft steigt, welche liederhafte Lyrik, aber auf der Höhe eines unserer ersten Liederdichters !

Aus dem Kreise dieser Phantasien führen die Por- traitskizzen , diese schwarzäugigen Köpfchen in die Capreser Sonne. Das sind Typen, typisch und charakte- ristisch wiedergegeben, wie sie um Soldi in allen Blick- arten betteln I

Die humoristischen Blätter, der Schornsteinfeger auf des Daches Zinne mit seiner neuesten Nachricht vom Schatz, «ich mag Dich nimmer», der Ständchensänger, dessen Guitarre mit dem hohen C seiner Kehle und seiner Seele zu wachsen scheint, der Fastnachts- clown, der ihrenFächer findet, der Amor, der

den alten Kutscher ein- schläfert und die Lieben- den hübsch

langsam fährt, die Kin- dergruppe hinter dem Briefcouvert- verschlag,das Amorl , das als modern- ster unter den modernen Hermann Katäbach. Studie aus CaprL

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Strebern sich an den Luftballon hängt, der Carneval- brief bogen, sind das nicht erlesene Zeugen eines geistvollen, liebenswürdigen Humors?

Die beigegebenen Illustrationen stellen meine An- erkennung auf die Probe, und ich glaube, sie werden mir Zustimmungen in Menge einbringen , indem sie gefallen, nie ermüden, sondern anziehen, anregen und lieb gewonnen werden. Der sinnvolle Briefbogen «Dem Glücklichen schlägt keine Stunde», die Fee mit den sing- enden Kindern und der Engel, der eben als Weltkind auf dem Blitz zug einer Sternschnuppe angereist [ kommt, das sind Boten eines reichen Künstler-Geistes !

Es giebt Parteileute, welche behaupten , Hermann Kaulbach gehöre einer «älteren, früheren» Schule an.

Zum Glück ist es eine Un- möglichkeit, die Kunst durch Partei- gesetze zu tyrannisiren. Sic braucht viele und vielerlei Köpfe und wird vielseitig bleiben, wie laut auch die Einseitigen um die Herrschaft schreien mögen. Sie ist der Spiegel des Lebens und so tausendfach verschiedenartig die Lebensgestaltungen sind, so tau- sendfach verschiedenartig dürfen auch ihre Nach-Schöpfer sein!

Warum will man gerade auf dem Gebiete der Malerei Barrikaden bauen und Die, welche dahinter bleiben möchten, nicht gelten lassen.'' Ein müssiges Beginnen, das kein Gelingen krönen wird.

Wer möchte, weil er Tristan und Isolde mit Be- geisterung hört , die Schubert'schen Lieder entbehren ? Ja, wer möchte diese überhaupt an irgend etwas Neuestes opfern? Niemand, der ihre ganze Anmuth und ihre ganze Seelentiefe je empfunden hat!

Etwas von dem unvergänglichen Reiz der Schubert- schen Lieder liegt in den Hermann Kaulbach'schen Bildern. Man muss ihn sehen und fühlen!

So klar Hermann Kaulbach in seiner Ideenführung ist, so wenig reizt ihn der Kampf- und Vertheidigungs-

Hermann Kaulbach. Studie aus Capri.

Standpunkt. Das Gerauf um eine Tagesansicht, um Mein- ungen, die ein meist unverkennbarer Egoismus treibt und peitscht, geht seiner vornehmen Natur entgegen. Seine Wesens-Einheit, die ihn immer wieder zum Malen zwingt und seinen Geist auf beständige, künstlerische Bethätig- ung und Klärung hindrängt, lässt ihn den Tages- kampf nur aus der Ferne betrachten. Die Arbeit selbst schliesst seine Erholung in sich und charakteristisch für ihn ist bei seinem grossen Talent zur Geselligkeit, bei all den ehrenden Sympathien,

; die er geniesst, seine zunehmende

Vorliebe für einen engeren Kreis, charakteristisch insoferne, als es in seiner Art liegt, einer Erkennt- niss die logische That folgen zu lassen.

Vor Jahren baute er sich auf einer Höhe am Schliersee ein wirk- lich liebliches, ländliches Haus, Luginsland genannt. Als ihm die schöne Lage und der Klang seines Namens zu viel Fremdes über seine Schwelle führte, malte er in neckischer Laune als Leit- und Leidmotiv über die Haus- thüre den nicht sehr einladenden Spruch :

«Wir wollen hier nicht gasten, nur rasten!»

Die liebe Welt nahm ihm diese Aufrichtigkeit übel, aber seine guten Freunde wussten, auf wen der Spruch gemacht war.

Nun steht indirekt dasselbe dort:

Friede! Friede!

Diesen Schatz trägt er mit den Seinen selbst ins Haus. Alles , was den inneren Frieden stören könnte, Ruhmsucht und wie sonst die Feinde heissen, kennt dieser Künstler nicht; mit dem gesunden Katzen- jammer, der zwischen glücklichen Schaffensperioden liegt, wird er tapfer fertig; was von Aussen kommt und ihn angreift, behandelt er mit Würde und Kraft, wo es sich wehren heisst, mit schmerzbekämpfender Philo- sophie, wo es sich ums Stillhalten handelt. Er hat unversiegbare Erfrischungsquellen in der Familie , in

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R. Poctzelbirser pinx.

Phot. r. BkuriUenfl. Haneb*o

Fränkische Landschaft.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Hermann Kaulback. Studie.

der Natur, in seinem Empfindungsreichthum! Das Leben hat es bisher so gut mit ihm gemeint: Ein Kaulbach- kind, dann selbst «Einer!»

Jedes liebe Mal, wenn ich solche Menschen schildere, komme ich in die Gefahr der Indiskretion, weil ich die Phrase verachte und die Beweise liebe. Ich möchte genau erzählen dürfen , mit wie lauten Thaten der besondere Mann in der Kaulbachstrassc die hier von ihm behaupteten Eigenschaften schon bewiesen hat, und welche schöne Menschlichkeit hinter, besser gesagt, i n diesem Künstlerthum steckt.

Aus diesen Beweggründen verrathe ich einen Brief- passus von ihm, der sich um die Rechtsfrage der neuesten Kunst dreht; er lautet:

« Wenn ich mitkämpfe , (und jeder Ueberzeugungs- treue thut das) so geschehe das von mir aus mit dem Pinsel, nicht mit der Feder. Das ist mein Handwerks- zeug, ein anderes giebts für mich nicht, und mit diesem will ich auch fUrderhin mein Glaubensbekenntniss nieder- schreiben , in der stillen Hoffnung , dass auch Andere dasselbe mit mir beten werden. Das kann ich aber sagen, dass ich den für einen Blinden und Thörichten halte, der ohne rechts noch links zu sehen, seinen Weg des Schaffens verfolgt. Es ist thöricht, einen schmalen holperigen Fusswcg, der nicht parallel mit dem unseren läuft, als falsch und verfehlt zu bezeichnen. Auch dieser kann Reize bieten , die uns bisher unbekannt waren. Ich glaube Der, der es ernst mit seiner Kunst meint, der nicht nur nach alten Rezepten arbeiten will, soll stets die Augen offen halten, denn er kann und wird überall lernen. Sei es Knaus, Stuck, Uhde, Thoma, Menzel , Jeder wendet in seiner Kunstsprache Worte, Wendungen und Systeme an, die nur ihm eigen sind, und die für Jeden von uns von Interesse und Wcrth sein können, wenn wir dieselben auch ganz, ganz anders verwerthen als sich diese Künstler denken mögen. »

Hermann Kaulbach steht in den Jahren voller Schaffenskraft und hat das grosse Vermögen, dem Neuen, das ihn anregt, kritisch und sichtend nachzugehen, ohne der Eigenartigkeit seiner Individualität Eintrag zu thun. Sein bewegtes, aufnahmfähiges Geistesleben erzeugt immer frische Kräfte, neue Pläne und in der Freilicht- helle der künstlerischen Wahrhaftigkeit giebts ein ge-

sundes Wachs- thum. Die Liebe macht erfinder- isch — und Her- mann Kaulbach

liebt seine Kunst !

In dem schönen Münchner

Hermann Kaulbach. Studie.

10

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Rathhause liegt das sogenannte goldene Buch. Als Hermann Kaulbach im Jahre 1890 aufgefordert wurde ein Blatt einzuzeichnen, stellte er die Mal-Kunst in einer symbolischen, lorbeerbekränzten Gestalt dar, Palette und Pinsel in der Hand. Auf dem naturalistischen Piedestal eines Bierfässchens streckt sich das Münchner Kindel, das goldene Buch unter dem Arm, zu ihr empor und reicht ihr mit den gelobenden Worten: In alle Ewigkeit! Amen! den Mund zum verbindenden Kusse, eine entzückende, innige Darstellung von Münchens Ver- hältniss zur Malerei.

Auch Hermann Kaulbachs Liebe zur Malkunst ist zärtlich, hingebend, einheitlich. So oft man ihn auch schon, auf seine hervorragende dichterische Begabung hinweisend, zur zeitweisen Schriftstellerei, also zurTheilung

der Kraft bereden wollte, nein, alle seine geistigen Elemente streben nur zu ihr, auch er betet und schwört: In alle Ewigkeit! Amen!

Und er hält Wort. Sein Schwur ist vielverheissend für die Zukunft !

So schlicsst dieser Versuch eines Bildes, welches den hoffentlich kleineren Theil eines Künstlerlebens schildern wollte, mit zwei Worten, aber diese liesse ich gerne von Hermann Kaulbach illustriren, jeder Buch- stabe eine Amorette mit einem verhängten Bild, ernst, gemüthlich, tragisch, schelmisch keck, ja, auch satirisch, im Ausdruck den Inhalt der kommenden, verhüllten Bilder andeutend und die von indiskreten Engeln ge- tragene Botschaft hiesse :

Fortsetzung folgt!

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Der Abschiedskuss von L. Alma-Tadema.

VON

GEORG EBERS.

Wie viel Schönes doch ein so kleines Bild um- fassen kann! Nicht viel breiter ist es als meine Hand und nur um die Hälfte länger.*) Dennoch giebt es auf diesem beschränkten Räume gar Verschiedenes zu sehen : Figürliches, Architektonisches, Landschaftliches , und voll und ganz widerfährt jedem Motive sein Recht.

«Ein Abschiedskuss» nennt Alma Tadema selbst sein Bild, und es muss so heissen.

Der Maler ist kein Erzähler, doch die fluchtige Handlung, die er hier zum Stillstand zwang, führt den Dichter in Versuchung, sie neu in Bewegung zu setzen, ihr eine Vergangenheit zu schenken, sie in die Zukunft fortzuspinnen , kurz dies Gemälde zu einer Szene aus der Novelle zu machen, die es ihm bei jeder neuen Betrachtung eingehender erzählt.

Schön und interessant genug ist sicherlich Alles, was sich auf diesem kleinen Räume zusammendrängt, um es poetisch zu verwerthen. Doch der Leser dieser Zeitschrift will nicht wissen, was der Dichter an ein Gemälde knüpfte. Es genügt ihm, die Schönheit des Dargestellten zu geniessen und sich Rechenschaft über den Vorgang zu geben, zu dessen Zeugen das Bild ihn macht.

Dieser Vorgang bedarf eigentlich keiner Erklärung ; denn Tadema steht an der Spitze der Maler, die beim Denken nicht nur mit Farben, sondern auch mit klaren Vorstellungen arbeiten.

«Der Abschiedskuss» versetzt uns an eine der Buchten des Mittelmeeres , etwa an die des alten Neopolis. Der bärtige Mann, dessen Büste auf der Marmorherme links steht, besitzt eine stattliche Villa am Strande. Er ist reich mit Gütern gesegnet; denn

*) Es misst 26,5 : 13,75 cm.

schon im Atrium seines Landhauses tritt der Fuss auf schön geglätteten Marmor, und ein feiner Mosaikrand umgibt das Bassin in Mitten des Estrichs. Ueber der Thür hängt ein schwerer syrischer Teppich, und es fehlt in der Villa auch nicht an Sklaven. Der köst- lichste Besitz des Hausherrn ist indess die holdselige Gattin mit dem röthlich schimmernden Goldhaar und das Töchterchen, das sie ihm schenkte.

Die Eltern der anmuthig in der Blüthe weiblicher Schönheit prangenden Mutter wohnen wohl an einer anderen Stelle der Bucht, vielleicht in Herculanum, und die junge Frau will sie besuchen. Der Sklave hat bereits den rechten Flügel der Thür zurückgeschlagen. Dadurch ist es dem Blicke vergönnt , ins Freie zu schauen. Auf der Strasse wartet der Wagen. Der junge Lenker hält das Ross fest am Zügel, und die Schaffnerin, die die Herrin begleiten soll, sitzt schon in dem leichten Fuhrwerk und schaut ungeduldig nach ihr aus. Sie wird bald erscheinen, und es gilt nur noch von dem Töchterchen, das sie zurücklässt, Abschied nehmen. Die beiden haben einander lieb ! Wie die Zwölfjährige mit dem schwarzen Haarschmuck zu der schönen blonden Mutter aufstrebt und sie umhalst, wie innig die junge Frau das Kind an sich zieht und ihm die Stirn über dem hellen Auge küsst, das so liebevoll und als wolle es sagen : « vergiss mich nicht ! » das ihre sucht.

Die Tochter bleibt gewiss nicht freiwillig zurück; denn auch sie besucht die Grosseltern gern. Dazu lockt Alles ins Freie. Die Sonne scheint draussen so schön, und das Meer glänzt in so köstlichen Azurfarben wie der Himmel, der sich in seiner leicht gekräuselten Fläche spiegelt. Schon bevor der Sklave das Atrium geöffnet hatte, war sein wolkenlos lichtes Blau durch die breiten offenen Maschen des Gitterwerkes über dem Thore ge- drungen.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Dies Licht ist uns wohl vertraut. So wirkt es in Süd -Italien unter freiem Himmel, und es ist von dem sogenannten « Atelierlicht » so weit entfernt wie auf Fromentins gleichfalls älteren Motiven aus dem Orient. Für Alma Tadema scheint uns überhaupt das sogenannte « Freilicht » nichts Neues zu sein. Schon vor vier Lustren sah ich von ihm im hellsten Glanz der Mittags- sonne des südlichen Europa leuchtende Ufer und Gartenszenen. Sie wirkten damals überraschend, weil andere es noch nicht gewagt hatten, eine so starke Lichtwirkung mit gleich rücksichtsloser Treue wieder- zugeben.

«Treue» ist überhaupt die vornehmste Eigenschaft unseres Meisters. Ich kenne nichts von ihm, was gegen sie verstiesse. Und wenn sie ihn dennoch in keinem Fall über die Grenzen des Schönen hinausführt, die für ihn die der Kunst sind, so sichert ihn davor der angeborene Geschmack, den er in der vornehmsten der Schulen zur Ausbildung brachte. Bei dem griechischen Alterthum ging er in die Lehre, und er gehört zu den Sonntagskindern, denen es gestattet ist, in dem erhabenen Tempel der hellenischen Kunst ihren Genius von Ange- sicht zu Angesicht zu schauen. Darum wachsen ihm aus seinem Herrschaftsgebiete die meisten und schönsten Stoffe entgegen.

Die Forderung, dass wer solch ein Motiv aus ver- gangener Zeit behandeln will, nichts geben darf, was in ihr nicht zu den herrschenden Gedanken, Gefühlen und Gewohnheiten, zu den bekannten und gebrauchten Gegen- ständen gehörte, finden wir wie auf jedem Alma Tadema 'sehen Gemälde, so auch auf dem «Abschieds- kusse» erfüllt. Um dahin zu gelangen, genügt es frei- lich nicht Kostümwerke zu studiren, und eine Reise an das Mittelmeer zu machen; es erfordert vielmehr eine tiefe Vertrautheit mit dem Lokal und ein liebevolles Mitleben mit der Gesellschaft der zu behandelnden Epoche. Jene hat Alma Tadema sich durch rastlosen, von warmer Neigung beflügelten Fleiss ejworben, zu diesem, dem Mitleben, drängt ihn ein starker congenialer Zug mit der Antike. So ist denn das Alterthum gleichsam seine künst- lerische Gegenwart geworden, und von allen Zeitgenossen möchte ich keinen lieber «einen Griechen» nennen als ihn, der sich auch im Nebel der Themsestadt das

sonnige Gemüth, den Aufschwung der Seele, ein durstiges Schönheitsverlangen und den liebevollsten Zusammenhang mit der Natur, kurz die vornehmsten Eigenschaften des hellenischen Wesens bewahrte.

Deswegen stellen seine Bilder auch nicht nur Szenen aus dem heidnischen Griechenland oder Rom dar, sie sind vielmehr griechisch oder römisch. Das gilt auch von dem unseren. Wenn einer der verschütteten Be- wohner Pompejis aus der Asche zu neuem Leben er- stünde, er würde nichts darauf finden, was ihm nicht vertraut wäre, was er nicht als möglich in seiner Zeit anerkennen müsste.

Der tief unterrichtete Archäolog Alma Tadema begeht keine Irrthümer, sein Griechenthum bewahrt ihn aber auch vor dem Missgriff, die für die Zeit in die er sein Bild verlegte charakteristischen Dinge mit pedan- tischem Gelehrtenstolz zu weit in den Vordergrund zu rücken. Auf unserem Gemälde will das archäologische Beiwerk erst aufgesucht werden.

Man solL kein Buch zur Hand nehmen , das man nicht zweimal lesen könnte und keinem Bilde in seiner Nähe einen Platz einräumen, das man nicht oft mit dem gleichen Genuss betrachten möchte. Dies kleine Meister- werk, auf dem sich ein so freundliches Stück Menschen- leben mit dem Ausblick in eine der heitersten Stätten der Natur harmonisch verbindet, hat zwölf Jahre lang die Probe bestanden. Mit jedem Winter, in dem ich den Himmel Neapels mit sonniger Bläue durch die Oeff- nungen über der Thür des Atriums in der Villa bei Neopolis auch in mein Zimmer leuchten sah, hat es mir grössere Freude bereitet.

Mit der Bemerkung, wie viel Schönes solch ein kleines Bild umfassen kann, beginnen diese Zeilen. Ich schliesse sie mit der Wahrnehmung, wie viel Liebes es auf engem Raum zu vereinen vermag. Die junge Mutter trägt die Züge der reich begabten schönen Frau, die der Künstler sein eigen nennt; ihr Kind stellt des Meisters Tochter Ane dar, die Büste auf der Herme aber zeigt Lorenz Alma Tademas eigene Züge. Was ihm das Theuerstc ist, führte er auf diesem Gemälde zusammen. Es steht auch meinem Herzen nahe, und darum liebe ich den Abschiedskuss so sehr, wie ich ihn bewundere.

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L. Alma-1 aücma pinx

Phot. P. HanftUAiicl, MQnehen.

Der Absehiedskuss.

ITALIENISCHE MUSIKERBRIEFE.

VON

DR- FRIEDRICH SPIRO.

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ffermann Kaulbach, Studie,

Die Publikationen von Musikerbriefen sind sich in den letzten Jahrzehnten schnell gefolgt. Wie in allen wissenschaftlichen Disziplinen hatte auch hier Deutschland den Anfang gemacht; bald schloss sich Frankreich an, und es ist begreiflich, dass Italien wieder einmal in der Reihe der führenden Mächte nicht fehlen will, sondern auf sein reiches Material loswirthschaftet. Aber der Zweck ist im Norden und Süden nicht der gleiche. Während dort die musikhistorischen Studien allmäh- lich zur Blüthe gedeihen und sich denen über die bildende Kurst an die Seite stellen, haben sie hier noch kaum begonnen. Italien hat der modernen Welt die

Formen und Mittel der Musik, ja so zu sagen die Musik selbst, so weit sie Kunst ist, gegeben, aber Italien be- sitzt weder ein Buch noch einen Lehrstuhl für Musik- geschichte. Wenn die Briefe der deutschen Meister er- scheinen, denkt der Herausgeber zunächst an das wichtige Hilfsmittel, das er damit der Wissenschaft an die Hand giebt ; der Gelehrte weiss, wie viel neue Aufschlüsse ihm bevorstehen, wie viele Fragen im einzelnen ihrer Lösung entgegen gehen. Der italienische Herausgeber will sein Publikum unterhalten, will die Neugier, mit der wir uns gewohnheitsmässig in das Privatleben der grossen Männer einmischen, annähernd befriedigen, mit einem Wort, eine Künstlerindividualität unmittelbar vorführen , dass sie als solche wirke. So haben denn die'Briefe Donizettis, welche die Uniotie cooperativa editrice in Rom soeben zum ersten Male der Oeffentlichkeit übergiebt, einen An- spruch auf Beachtung überall da, wo man sich für italienische Musik interessirt ; und das thut man ja aller Orten, selbst in Deutschland, dessen Prinzipat gerade in musikalischer Beziehung endlich von allen einsichtigen Bewohnern unseres Planeten anerkannt ist. Das vorlaute Geschrei derer, welche seit dem Durchdringen Wagners das Ende der Oper gekommen meinten, ist gegenüber den Thatsachen und Wagners eigenen Aeusserungen verstummt. Man gewöhnt sich allmählich daran, dass Wagner der Welt noch etwas zu schaffen übrig gelassen hat; und so lange Derjenige sich nicht findet, der es leistet, muss man sich wohl oder übel mit den An- deutungen der Vorgänger begnügen. Eine stilistische Hauptsache mag das Verhältnis andeuten: Wagner ver- half dem dramatischen Accent zur Alleinherrschaft, aber er unterdrückte die gesungene Cantilene; so lange wir also das deutsche Drama und den italienischen Canto nicht vereint geniessen können, suchen wir sie getrennt auf, ohne das eine über dem anderen zu vernachlässigen. Es sind vier Italiener, welche für Deutschland so weit in Betracht kommen, dass man ihre Werke als zur Kultur unserer Zeit gehörig ansehen kann, Rossini, Bellini, Donizetti und Verdi. Die Briefe des letzteren entziehen sich einstweilen noch der Publikation, wie denn seine Charakte- ristik im ganzen erst dann versucht werden darf, wenn er

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

sein letztes Wort gesprochen haben wird ; allerdings dürfte sich dann diese Biographie von der seiner Landsleute merklich unterscheiden, denn er ist der einzige, welcher sich energisch an das Ausland anschloss und daher mit den europäischen Strömungen des Jahrhunderts Schritt hielt. Dagegen tritt Bellini in völlige Indifferenz zurück; der weichliche Sicilianer hatte nicht einmal das Feuer seines Himmelsstriches im Blute, und nachdem seine Persönlichkeit lange Zeit nur durch den Spott Heines bekannt gewesen war, gaben die wenigen, in die Zeitungen gekommenen Briefe nur e i n bemerkenswerthes Detail : der Mann sprach von dem Effekt seiner Instrumentation, was ungefähr so viel bedeutet, wie wenn einer unserer Nazarener sich seines Colorites rühmen wollte. Ganz anders schon Rossini. Dieser König der Faune, der raffinirte Lebemann, der sich mit der Kunst nur so lange abgab, wie er sie brauchte und selbst bei seinen glühendsten Verehrern mehr durch die Bonmots zündete als durch die Opern von ihm konnte man etwas er- warten. Wirklich sind aus seinem «Epistolario» wenigstens einige frappante Züge zu entnehmen. Zunächst unter- scheidet er sich von seinen meisten Fachgenossen da- durch, dass er seine Muttersprache tadellos, ja sogar mit Gewandtheit schreibt. Sein Styl ist fliessend, seine Ausdrucksweise natürlich und fehlerfrei. Man sieht auf den ersten Blick, dass man es mit einem vernünftigen Menschen zu thun hat. Nicht minder unterscheidet ihn von seinen Kollegen die Fähigkeit, sich auch für andere Komponisten zu interessiren ; er gehört nicht zu denen, welche im Bewusstsein, selber Noten zu schreiben, jeden der dasselbe wagt wie ein verirrtes Schaf ansehen. Er nimmt Stellung zu den Zeitgenossen und vermag es sogar sich mit einigen von ihnen anzufreunden. Er sucht Mercadante und Donizetti gute Aemter zu ver- schaffen, freilich nicht ohne sich mit dem ersteren wegen seiner Unfolgsamkeit zu überwerfen. Er berichtet theil- nehmend über Bellinis Leichenbegängnis, freilich durch eine leichte Indisposition verhindert, bei dem schlechten Wetter persönlich zu erscheinen. Er zeigt sich aufrichtig dankbar gegen Pacini, der ihm so nachdrücklich bei der Instrumentation geholfen hatte. Er liebt von Herzen den bei canto, und richtet noch 1866 an seinen ama- tissimo Pio IX. ein Gesuch um Zulassung der Frauen zu gemischten Chören in der Kirche. Ja, er hat sich einiger- massen mit den Klassikern beschäftigt und ist so weit gekommen, sich über die Musik und ihre neueste Ent-

wickelung eine Ansicht zu bilden. Diese Ansicht ist es eben, welche der Welt aufbewahrt zu werden verdient. Er schreibt am 1 2 . Februar 1 8 1 7 an Leopold Cicognara unter anderem :

« Hier, mein lieber Leopold, hast Du meine Ideen über die gegenwärtigen Musikzustände. Seitdem das Klavier um fünf Tasten bereichert worden ist, habe ich erklärt, dass sich in dieser Kunst, die damals auf ihren Höhepunkt ge- langt war, ein unheilvoller Umschwung vorbereite. Denn die Erfahrung hat gezeigt, wenn man das Beste übertreffen will, kommt man zum Schlimmsten. Schon Haydn hat die Reinheit des Geschmackes zu verderben begonnen, mit all den seltsamen Accorden, künstlichen Uebergängen und gewagten Neuerungen, die er in seine Kompositionen einführte ; aber immerhin bewahrte er so viel von der Grazie der Vorzeit, dass seine Verirrungen verzeihlich erscheinen können. Indes nach ihm kamen Gramer und schliesslich gar Beethoven, die mit ihren Musikstücken ohne jede Einheit und Natürlichkeit, ihrer Menge von Bizarrerie und Willkür den Geschmack vollends verdarben. Gleich- zeitig setzte Mayr im Theater an Stelle der einfa,chen und vornehmen Weisen eines Sarti, Pa'i'siello und Cimarosa seine genialen, aber fehlerhaften Harmonien, indem die singende Oberstimme durch den Schwall der Begleitung erstickt wird, und an die neue deutsche Schule schlössen sich alle die jungen Operncomponisten an.» Es folgen einige Bemerkungen über die berühmtesten Sänger, unter denen die Catalani als Beweis dafür citirt wird, dass nichts jammervoll genug sei, um nicht noch die Möglichkeit einer Verschlimmerung zuzulassen. Dann heisst es weiter:

« Seitdem wurde der Takt, ein so wesentlicher Be- standtheil der Musik, ohne welchen die Melodie unver- ständlich bleibt und die Harmonie in Unordnung verfällt, von den Sängern nachlässig und gewaltsam behandelt. Sie überraschen, statt zu rühren, und während in der guten Zeit die Orchesterspieler sich bemühten, mit ihren Instrumenten zu singen, suchen jetzt die Sänger mit ihren Stimmen zu spielen. Aber die Menge klatscht solchem ganz elenden Stile zu und macht aus der Musik, was die Jesuiten aus der Dicht- und Redekunst machten, als sie Lucan dem Vergil und Seneca dem Cicero vorzogen. Dies sind meine Anschauungen, und offen gestanden, scheint mir wenig Hoffnung vor- handen , dass die göttliche Kunst aus ihrem jetzigen Elend ohne gänzliche Umwälzung der socialen Verhält- nisse herauskomme. Du siehst, das Heilmittel wäre schlimmer als das Leiden. Lebe wohl.»

DIE KUNST UNSER KR ZEIT.

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Das Dokument ist kostbar, der wichtigste Brief, den wir von Rossini besitzen, jeder Satz bezeichnend. Grundzug ist die Klage um die gute alte Zeit; der schüchternste aller deutschen Autoren wird bereits als verhängnisvoller Neuerer hingestellt, eine Erweiterung des technischen Könnens als Gefahr empfunden, Beet- hoven aber als der Gipfel aller Barbarei perhorrescirt. Die Vorwürfe sind Willkür, Eigenart und das gegen jeden Neuerer von den Reaktionären wiederholte Hervortreten des Orchesters gegen die Singstimmen. Das Ideal ist die alte Armuth und Regelmässigkeit; um angeerbte Regeln handelt es sich, «die Keiner soll verletzen», damit sich in der Kunst nur um Gottes willen nichts weiter entwickele, keine Gewalt das häusliche Behagen unterbreche. Das Philisterium, wie es im Buche steht, hat diesen Brief eingegeben ; und sein Verfasser war nicht etwa in jenes würdige Alter eingetreten, dem man das Philisterium allenfalls verzeiht, sondern er stand im Beginne seiner Thätigkeit, an der Schwelle des eigentlichen Lebens, in jener Periode, wo der trägste Mensch, geschweige denn ein Künstler, den Kopf von Umsturzplänen voll hat. Dieser Mensch war als Philister geboren. Wohl meinte er es ernst mit seiner Sache, und am Schlüsse kommt er zu demselben Resultat, das so vielen ernsteren Männern aufgegangen ist, wenn sie die Sklavenstellung der Musik und die Unfähigkeit des Publi- kums sich ewig gleich bleiben sahen. Aber der schleunige Zusatz, das Heilmittel wäre schlimmer als das Uebel, zeigt am deutlichsten, welchen Rang die Kunst bei dem Philister einnimmt, dessen Hauptsorge die Erhaltung der häuslichen Bequemlichkeit bleibt. Man begreift, dass er sich von der Musik zurückzog, als sie ihm die nöthigen Mittel zu einer Pariser Existenz abgeworfen hatte, und dass in seinen späteren Briefen weniger von Theater und Gesang als von Salami und Gorgonzola die Rede ist. Die Zeitgenossen erhoben diesen Satyr zum Olympier, und selbst Richard Wagner, dem diese olympische Heiterkeit so lange geschadet hat, lieferte in seiner « Erinnerung an Rossini » wieder einmal ein Beispiel seiner vielverkannten kindlichen Gutmüthigkeit. Die Nachwelt ist etwas strenger gewesen; sie hat gefunden, dass Behagen und Regelmässigkeit, Taktstrenge und jene «Reinheit des Geschmacks, welche ausschliesslich in Italien wohnt», mit der Hoheit der Kunst recht wenig zu thun haben. Sie hat nur einem Werke Rossinis das Leben gegönnt ; die harmlose Farce, zu welcher Beaumarchais'

unverwüstlicher und keineswegs harmloser «Barbier von Sevilla» zurechtgestutzt wurde, vertrug die ungetrübte Heiterkeit der altfränkischen Salonmusik. Hier hatte das Philisterium keine Gelegenheit üppig zu werden, und so zeigte es einen Augenblick seine gute Seite, die welt- männische Liebenswürdigkeit.

Völlig anders tritt uns Donizetti als Mensch wie als Künstler entgegen. Bei ihm ist alles einheitlich ; man mag diese Natur einseitig, ja beschränkt und schwächlich finden, sie ist konsequent, und weniger als je braucht man hier den Menschen vom Künstler zu trennen. Er lebte vom ersten Erwachen des JUnglingsgeistes bis zum letzten Athemzuge nur der Kunst und zwar, wenn man genauer zusieht, nur seiner Kunst im allerstrengsten Sinne. Bei Rossini sehen wir eine starke Negation, scheinbar den Kampf eines Stiles gegen den andern, in Wahrheit den Kampf der Ideenlosigkeit gegen die Idee; bei Donizetti stets nur ein Positives, ein Hindrängen auf einen Punkt, eine Betonung desselben Wesens. So kommt es, dass Rossini in allen seinen Lebensphasen durch eine Manifestation charakterisirt wird, deren Heraus- gabe seinen Biographien zur Ergänzung dient. Donizetti pflegte dagegen überhaupt keine Manifeste zu erlassen, seine Briefe gehören alle zusammen, keiner ist wichtiger als der andere, keiner für sich oder im Auszuge mittheil- bar ; dafür aber giebt dieses Ensemble seine volle Persön- lichkeit, so dass sie eine Biographie geradezu ersetzen. Was man über Donizetti wissen will und wissen muss, lernt man aus diesem Bändchen, und man lernt es schneller als aus irgend einer erzählenden Bearbeitung. Man sieht seine musikalische Ausbildung einseitig aber rapid sich voll- ziehen , man sieht seine Entwickelung durch allerlei Stellungen, die ihn mehr oder weniger kalt lassen, seinen Taumel von einem Siege und einem Triumph zum andern, sieht seine Art zu schaffen, zu empfinden und zu denken, sieht vor allem seine Reizbarkeit, welche genährt durch eine rückhaltlose Hingabe an den Strudel des gross- städtischen Treibens seinen tragischen Untergang zur Folge haben musste. Diese Lebendigkeit , mit der er sich tummelt , die Frische , mit der er jeden Eindruck empfängt , verhindert auch , dass die Leetüre dieser Briefe langweilig wird, obgleich ihr sachlicher Inhalt im Grunde ein recht bescheidener ist. Wieder und wieder handelt es sich um Bestellungen und Verträge, Proben und Aufführungen, Hofgesellschaft und Theaterklatsch; unzählige Male kehrt die Situation wieder, dass der

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Komponist durch die Unpünktlichkeit der Textlieferanten in peinliche Verlegenheit geräth, sein Wort dem Director dennoch um jeden Preis halten will und so in unglaublich kurzer Zeit Unsummen von Musik zu Tage fördert. Uns ist es ja schliesslich gleichgiltig, ob eine Oper Fiasco macht oder nicht, ob ihn der König von Neapel zum Konservatoriumsdirector, der Kaiser von Oesterreich zum Kapellmeister ernennt oder nicht, ob ihn das Institut de France auszeichnet, der Chauvinismus verfolgt oder Victor Hugo aus Eifersucht über sein literarisches Eigen- thum geschäftlich schädigt. Ja selbst der Schmerz über den Tod der Gattin während der Cholera oder die Freude über einen türkischen Orden für neue Militärmärsche entlocken uns kaum mehr als ein flüchtiges Interesse. Die biederen Herausgeber der Sammlung allerdings preisen in ihren Einleitungs- und Begleithymnen diese Züge als etwas göttliches und erschütterndes ; aber mit ihrer Rührung beweisen sie nur, dass die schmachtende Sentimentalität allmählich den Weg über die Alpen gefunden hat wie das Biertrinken und das Spazieren- gehen. Solche Ergüsse könnte sich die Unione coopera- tiva editrice getrost ersparen ; die Briefe sprechen für sich selbst. Sie zeigen ganz im Gegensatze zu denen Rossinis eine kindliche Natur, die niemandem etwas thut und sich um niemanden recht kümmert. Wendet sie einmal den Blick bestimmt auf ein Objekt, so erkennt sie es auch, und man kann einer treffenden Bemerkung sicher sein. Aber das geschieht selten, z. B. bei Er- scheinungen wie Meyerbeer und Liszt, und dann halb apathisch, wie im Traume; unbewusst geht sie durch's Leben, ohne klare Erkenntniss ihrer Umgebung wie ihres eieenen Innern. Daher auch die oft kindischen Redens- arten, die knabenhafte Ausgelassenheit, die man aus Mozarts Briefen kennt ; die Aehnlichkeit mit Mozart tritt auch sonst hervor, und die Unterschiede beider Er- scheinungen erklären sich vielmehr aus der Erziehung als aus dem Charakter. Oft würde man nach der Sprache glauben, den ungebildetsten Musikanten vor sich zu haben, wenn nicht wieder andere Stellen eine ent- schiedene Sprachroutine bewiesen. Die bösesten Knittel- reime wechseln mit eleganten Gedichten, und man ver- steht, wie dieser Mensch die Texte, die er französisch komponirte, italienisch übersetzen konnte oder um- gekehrt. Seine Stellung zu den Textdichtern ist aber am überraschendsten. Man erwartet bei einem Italiener dieser Zeit, noch dazu bei einem solchen Engros-

komponisten, eine absolute Gleichgiltigkeit gegen den Inhalt; denn darin liegt der Hauptunterschied zwischen den deutschen und italienischen Meistern, dass jene Dramen schaffen wollen, diese dagegen Arien und Finales, also Musiksätze, bei denen man vor lauter Canto vom Text so gut wie nichts vernimmt. Donizetti war gewiss ein echter Italiener, der von seinen Romanzen und Duetten nicht anders spricht, als ein Pianist von seinen Rondeaux und Variationen; er schreibt für Sänger und Freunde schönen Gesanges ; aber unbewusst arbeitet in ihm doch der Dramatiker. Häufig weist er einen Text zurück, und zwar stets aus inneren Gründen; ja er, der fortwährend berühmte Schauspiele zu Opernlibretti umgemodelt werden sah und selbst mit einer derartigen Herrichtung von V. Hugos Lucrezia Borgia ungeheueres Aufsehen erregte, lehnte so manches Drama, manchen Roman ab, der damals die Gemüther beherrschte. Unter den letzteren befand sich auch Bulwers Rienzi, derselbe den nachher Wagner mit so viel Begeisterung in Angriff nahm. Auch in diesen Intentionen Donizettis lag sichtlich etwas unbewusstes; im tiefsten Grunde seiner Seele, da wo ihm jene Melodien erstehen , die bis heute populär geblieben sind, wohnt auch ein Ringen nach Ausdruck, nach Poesie, nach Idee, alles das was die Handwerksmusiker nicht verstehen und so ausdauernd verfolgen. Die Behauptung ist berech- tigt, dass auf diesem Grundzuge zum grossen Theile der Erfolg und, was mehr ist, der bleibende Werth der Donizetti'schen Musik beruht. In Deutschland gehört heutzutage vielleicht etwas Muth dazu, überhaupt von einem bleibenden Werthe dieser Musik zu sprechen : dort herrscht nun einmal die Wagnerpartei zum Heile unserer Kultur und Politik hat sie die Gegner endlich überwunden und sie negirt in übertriebenem Eifer die italienische Musik, am meisten vielleicht diesen Donizetti, den Wagner selbst gern für breit und altmodisch erklärte. Ja es bedurfte nicht erst Wagners zu diesem Verdikt; ein ausser- deutscher und in jeder Hinsicht unparteiischer Beurtheiler, Gustave Flaubert , hat in einem Roman und zwar in seinem glänzendsten Werke gerade die Lucia gewählt, um durch Beschreibung eines Opernabends das schablonen- hafte und sinnlose unseres Musiktreibens zu persifliren. Aber weder dem einen noch dem anderen ist es ge- lungen, eben diese Lucia todt zu kriegen; sie hält sich nach wie vor, und diejenigen Freunde der Wagner'schen Kunst, welche aus ihrem Empfinden keine Parteisache gemacht haben, kann man mit derselben Begeisterung das

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berühmte, von Liszt arrangirte Des-dur-sextett geniessen sehen, wie etwa ein Ensemble aus dem Lohengrin. Damit nicht genug: eine Fähigkeit muss ihm die Geschichte lassen, welche ihn über alle italienischen und die meisten übrigen Theaterkomponisten erhebt und welche sich noch jetzt in ihrer ganzen Folgenschwere zeigt : er hat es ver- mocht, den ernsten und den heitern Stil auf der Bühne gleichmässig walten zu lassen, während uns Rossini immer nur als Komiker und der um so viel tiefere Verdi immer nur als Tragiker gelten wird. Das Thema gewährt ja ungeheure Ausblicke; bedenkt man, dass Sokrates der erste Mensch war, welcher, unter allgemeinem Widerspruch selbst seiner ergebensten Schüler, die Schöpfung von Lustspielen und Trauer- spielen durch einen Dichter für möglich erklärte, und dass zwei Jahrtausende vergehen mussten, bis Shakespeare diese Prophezeiung erfüllte, dann wird man jeden Künstler mit Achtung nennen, der sie irgendwie von neuem wahr zu machen wusste. Richard Wagner gehört zu diesen wenigen ; sein Antipode, der Schöpfer des Don Pas- quale und Elisire (Taviore nicht minder. Beiden gebührt ihr Platz im Kunstleben der Gegenwart, ohne dass sie in Parallele gesetzt werden sollen, und es ist sehr zu be- zweifeln, ob die Zukunft im Stande sein wird, den einen ohne den andern zu eliminiren.

Die blosse Thatsache, dass es anging, Donizetti bei Betrachtung seiner Briefe in einem Athcm mit Wagner zu nennen, zeigt ihre eminente Bedeutung. Alles, was sie uns für die Natur ihres Verfassers lehren, alle jene Charakterzüge von der höchsten Inspiration bis zur nied- rigsten Spielerei, verrathen das eine: das Genie. Es ist ein Künstler, welcher schafft, ohne zu ahnen, wie und was er .schafft. Eine Oper nach der andern entsteht, ihr Autor lebt nur für sie ; dennoch ist dieses Interesse nur ein mattes, als ob eine durchsichtige aber unzerstör- bare Wand ihn von jenen trennte. Er komponirt, wie er lebt, eilig und doch halb im Schlafe. Seine Werke fesseln ihn halb, nichts fesselt ihn sonst; worin lebt dieser Mensch ganz? Nirgends; die Erscheinung ist ein Räthsel, jenes Räthsel, welches durch das Wort Genie stets von neuem gelöst und wieder gestellt wird. Auch hier darf an die Aehnlichkeit mit Mozart erinnert werden; doch sind Mozarts Briefe nicht die einzigen, welche eine Ana- logie bieten. Ist es denn mit Schumanns, Webers, ja selbst

mit Beethovens Briefen wesentlich anders? Finden wir nicht dieselbe Verlorenheit, dieselbe Unsicherheit gegen- über der äusseren Welt, denselben ungleichen Kampf von zwei inneren Mächten, die sich nie fassen können? Ja , vielfach stimmen selbst die Aeusserlichkeiten überein. Schumann schafft und schafft, aber im Momente der Voll- endung steht er seinem Werke fremder gegenüber als der phlegmatischeste Tagesmensch, als der erbittertste Geg- ner; denn der Gegner nimmt Stellung zu dem Werke, der Schöpfer kann es nicht, denn er weiss nicht was es ist. Und Beethoven, der gewaltigste unter ihnen allen, der Riese, vor dessen Erscheinung eine ganze Civilisation erbebt, dessen michelangeleske Faust zertrümmert wo sie nur anpackt , um aus den Trümmern Kolosse, und aus den Kolossen eine neue Welt zu fügen ach , mitten unter den hehrsten Emanationen seines Geistes, in Briefen, die wie seine Adagios rühren und erheben , verfällt er plötzlich in eine Art von Albernheiten, dass man die Selbstkarrikatur nicht als komisch, ja nicht einmal lächer- lich, sondern nur erbärmlich empfindet. Es ist das Kains- zeichen des Genies, das alle diese unheimlichen Gestalten an der Stirne tragen; das Genie das in ihnen sitzt und Werke erzeugt, hat ihrer Menschlichkeit die Kraft aus- gesogen, so dass nur der leere Schemen eines Menschen übrig bleibt zu einem menschenunwürdigen Dasein. Aber Wagner? und Berlioz? Gewiss geht bei dem französi- schen Farbenmeister alles höchst klar und korrekt zu, selbst wenn er haufenweise Inkorrektheiten an einander reiht um desto sicherer Sensation zu machen. Ja, wer seine Schriften und Briefe liest, wird eher einen geist- reichen Abenteurer als einen echten Künstler vor sich zu haben glauben ; und sollten dem die Partituren wirk- lich Unrecht geben ? Das Wagnerkapitel ist natürlich so leicht nicht zu erledigen; aber die Zeit dürfte nicht allzu ferne mehr sein , wo die Analyse der Dramen bestätigt, was die Briefe sehr offen aussagen, nämlich dass er grosse weite Strecken seiner Werke ausarbeitete nicht wie ein Dichter, sondern wie sein Kommentator, nicht wie ein Künstler, sondern wie ein Philosoph. Er beobachtete sich zum Glück nicht immer, denn das Genie beobachtet überhaupt nicht. Dass aber der arme Donizetti, den so viele für einen Faiseur ausgeben, viel- mehr unter die wirklichen Genies gehört, das zeigen dem aufmerksamen Beobachter seine Briefe.

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UNSERE BILDER.

In einer Berliner Kunst- handlung war unlängst ein Bild von Francisco de Pradilla ausgestellt. Vor dem Bilde stand lange Zeit ganz vertieft in alle Einzelheiten ein älterer Herr von ~'^*''^°^ sehr kurzem Kör- per mit schwerem Kopf und auf die Brust niederge- drücktem Kinn. Es war Adolf Menzel. Der

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Hermann Kaulbach. Studie. sei schon

Öfter wieder- gekommen und habe immer lange vor diesem Bilde sinnend verweilt. Ich trat auch an das Bild heran. Der deutsche Meister schüttelte den Kopf und brummte etwas vor sich hin :

«Der hat Augen, der hat Augen!! Der sieht so scharf» Menzel suchte sichtlich nach einem Ver- gleich — «der sieht so scharf, wie ich!»

Wir führen unseren Lesern eine Wiedergabe von Pradillas kleinem Bilde «Seebad» vor. Der spanische, meist in Rom lebende Meister, welcher oft auf gewaltiger Leinwand in lebensgrossen Gestalten sich erging, liebt jetzt die kleinsten Formate. An der Behandlung des lockeren Strandkieses auf unserem Bildchen sieht man, dass er mit breitem Pinsel zu malen weiss. Das Ganze erweckt aber keineswegs den Eindruck des Spitzen, Mühseligen, Loupenhaften. Doch ist bei aller Breite des Vortrages jede Kleinigkeit im Bilde sicher und klar gegeben. Man sehe zum Beispiel die drei Paar nach dem Klang der Ziehharmonika und der Guitarre tanzenden Schiffer- mädchen: Welcher Schwung in der Bewegung 1 Wie fest packt die Hand der Einen die Schulter der Andern I

Und das ganze zwischen den acht italienisch sorglos erbauten Hütten, an den rasch aufgeschlagenen Tischen lachende, trinkende, schwatzende Badepublikum in seiner eleganten Ungenirtheit, der Blick auf's tiefblaue Meer und auf die ihm eben Entsteigenden, dieses ganze keines- wegs an die langweiligen Modebäder Ostende, Trouvillc oder Brighton mahnende, sondern noch unbefangene lustige Treiben. AU' dies ist mit einer erstaunlichen Schärfe erfasst und mit einer Kraft des Sonnentones durchgeführt, die schier einzig in ihrer Art sind.

Lustig flattert die italienische Fahne über den belebten Strand hinaus, der endlosen See zu.

Hermann Kautbach. Studie

Ludwig Entui plox.

J'i.n! K H inf-tii-U/l.

Katzen fr eundin.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Hermann Kaiäbach. Studie.

Unser Ludwig Knaus nennt eines seiner jüngsten Werke «Die Katzenfreundin». Das Bildchen ist zweifel- los Portrait : Die weitstehenden, etwas geschlitzten Augen, das kecke Naschen, den kunstgerechten, lächelnden Mund und das keineswegs klassische aber herzige Rund des Lockenköpfchens erfindet man nicht, malt man nicht, ohne es in der Natur gesehen zu haben. Sie strickt, die anmuthige Kleine, und die gefleckte, auf ihrem Schooss liegende Katze schnurrt dazu. Der Meister aber verglich beim Skizziren das Charakteristische der beiden Köpfe und er fand, wie bei dem einschmeichelnden Mädchen, bei der Katze weitstehende, etwas geschlitzte Augen, ein keckes Naschen, ein feines, reinliches Mäulchen und kugelrundes Köpfchen. Und er mag wohl gelächelt haben, indem er der Katzenfreundin im Bild die Katze in den Schooss legte.

Auf der letzten Münchener internationalen Aus- stellung erregte R. Pötzelbergers «Thallandschaft» grosses Aufsehen. Man war von dem Künstler fein ge- stimmte, tiefempfundene figürliche Arbeiten gewöhnt, man wusste wohl, dass er seine Gestalten in eine landschaftliche Umgebung zu stellen wusste, die das ergänzende Wider- spiel der sie bewegenden Stimmungen bildete. Aber eine so farbentiefe , ernste und sinnige Landschaft war aus Pötzelbergers Werkstatt noch nicht hervorgegangen. Es scheint fast, als habe die Kunst des Hans Thoma, diese frische, einfache Naturaufiassung auf ihn befruch- tend gewirkt. Denn so wenig sein Bild einem Thoma ähnelt, so sehr ist es von der sinnigen Tiefe der Natur- beobachtung beherrscht, welche den Frankfurter Künstler so eigenartig von anderen Meistern unterscheidet.

Es ist Abend und die Gegend liegt schon in dämmerndem Zwielicht. Pötzelberger schaut vom Hügel- rande zur Mühle in's Thal hinab, auf die mit Wiesen, Feldern, Busch bestandenen Lehnen, auf die Auen am Bach, auf die Heuernte, in welcher man den letzten Wagen einzubringen sich müht, und die zum-Stall heimziehenden Gänse. Es ist keine « romantische » Gegend, keine solche, welche der Tourist «malerisch», oder, wenn er sich

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DIE KUiNST UNSERER ZEIT.

Hermann Kaulbach. Studie.

besonders kunstgebildet erweisen will, «pitoresk» nennt es ist nur ein Blick in deutsches Land, ein eindringlicher, liebe- voller Blick, dem ein echter Meister Dauer und Nachdruck zu geben verstand.

In einem seiner geistvollen Briefe sagt Karl Stauffer-Bern : «Es giebt nur eine Kunst, nämlich die, welche hervorgebracht wird durch die Freude an der Natur und die nichts weiter sucht, als diesem Gefühl Ausdruck zu geben » Pötzelberger hat diese eine Kunst . . .

Der Berliner Akademieprofessor Eugen Brachlist im vorigen Jahre wieder einmal tief unten im Orient herumgeritten, um am todten Meere und in Baalbeck, in Syrien und Palästina nach jenen Gegenden zu suchen, welche ihn besonders maler- isch anregen: Wilde Berggruppen, gewaltige Steinmassen, eine ernste, feierliche Felseneinöde oder die unerfassbare Weite einer Wüste, der See das sind die Dinge, in welchen sein Pinsel schwelgt. Es ist noch ein Zug der Kunst des alten Schirmer oder Lessings in ihm. ' .

Er wirkt durch Stimmungen auf das Gemüth, durch scharf hingestellte Gegen- sätze auf den Verstand. So in unserem Bilde «Die Klause».

Die Wohnung des Eremiten ist prachtvoll gewählt. Ein schmaler Weg, den er sich selbst baute, führt zu einer Schlucht im gewaltigen Felsen. Der manns- hohe Steindamm, der über dem jähen Abhänge aufgeführt wurde, schützt den Alten und seinen kleinen Vorhof vor dem wildesten Anprall des Sturmes. Durch eine schlichte Mauer ist unter dem überhängenden Felsen die Klause abgeschlossen. Ein Kreuz ziert die Thüre. Dort, unter dem Schutz der überhangenden Felsenmassen, sitzt der Alte trocken und sicher. Riesenhaft thürmt sich das Felscndach über seine Lagerstätte. Von unten, vom Meeresufer herauf aber schlängelt die üppige Kleinwelt des Südens in Blumen und Sträuchern ihr buntes Netz empor, jeden Vorsprung, jede handvoll fruchtbare Erde benützend, um den starren Fels zu schmücken, an dessen Fuss die See sich in blauer Weite dehnt.

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Hermann Kaulbach. Studie

Ka^en Brftcht pinx.

Pbol. f. BanrsUMBl, MQnchrn.

Die Klause.

DIE AMERIKANISCHE MALEREI IN EUROPA.

(MIT BERÜCKSICHTIGUNG DKR MÜNCHKNER AUSSTELLUNG 1S92.)

Von

CORNELIUS GURLITT.

An einem Junitage des Jahres 1760 rollte ein feierlicher Zug von dreissig schweren Pracht- - wagen die Rampe zum Kapitol hinauf. Es waren die Mitglieder der berühmten und vornehmen Gesellschaft der Dilettanten, das ganze kunstgelehrte und kunstsinnige Rom , welches einem jungen Maler das Geleit gab, um ihm die damals vor Allen hoch ge- feierte Statue der alten Kunst, den Apoll von Belvedere, zu zeigen oder richtiger , um ihn selbst zu beobachten, welchen Eindruck wohl das kostbare Werk griechischer Meisterschaft auf den Jüngling ausübe !

Das schmale, schlanke Männchen von nun zweiund- zvvanzig Jahren, welches, leicht in Verlegenheit gebracht, roth wurde wie ein Mädchen, machte keineswegs seiner selbst willen den Eindruck, als sei es von so besonderer Bedeutung. Das Einzige, was ihn von seinen Be- gleitern unterschied, war die Einfachheit seiner schwarzen Kleidung, die fremdartig hässliche Form seines Hutes, die Schlichtheit seiner Erscheinung. Der junge Mann war vor wenig Tagen in Livorno auf einem geraden Weges von Nordamerika kommenden Schiff gelandet. Er hatte wenig Empfehlungen mitgebracht, aber die Kunde von der Ankunft des Jünglings hatte sich merkwürdig schnell verbreitet. Benjamin West , der Sohn eines Quäkers und Penn'schen Kolonisten, war ja «drüben» schon eine bekannte Persönlichkeit. Er hatte vor vier Jahren in Philadelphia und New- York Bildnisse zu malen begonnen, nachdem er in der unmittelbaren Nähe der Indianer gemeinsam mit den von seinem Vater aus christlicher Liebe in Freiheit gesetzten Sklaven auf- gewachsen war. Es galt als ein Wunder, dass in solcher Umgebung künstlerische Begabung zu Tage ge-

treten sei. Und wenn West gleich für fünfzig Mark ein Bildnis und für hundert ein solches in ganzer Figur lieferte, so war er doch einer der ersten Künstler, den die neue Welt gebar. Diesen kennen zu lernen, reizte die römischen Kenner. Nicht seine malerischen Leistungen empfahlen ihn vor Anderen, sondern der Sagenkreis, der sich um ihn gebildet hatte

Man hörte von dem wilden Leben , weiches seine Jugend umtobte, von Kämpfen mit den Indianern, von dem an den Zug des Germanicus in den Teutoburger Wald mahnenden Begraben der Reste des Braddock'schcn Heeres, welche ihn zur bildlichen Darstellung angeregt hatte, von seinem Versuche , dort hinten in den fernen Wäldern des Westens ein Bild vom Tode des Sokrates zu entwerfen. Man erwäge wohl, welche Gedanken- verbindungen dies für die Römer bot : Der Kenner der grossen Stoiker des Westens, der Mohikaner und Dclawaren, malt den Stoiker der Griechen! Es schien, als stelle dieser Mann aus dem schlicht frommen, streng sittlichen Kreise der Quäker den Anfang einer Kunst- verjüngung dar; als bringe dieser Jüngling das ersehnte Neue, er der Künstler wurde, obgleich ihm erst die Ge- meinde das Malen hatte gestatten müssen. Denn dies galt ihr als weltlicher Tand, der aber doch wohl nicht gottlos sein könne, wenn Gott einem der Ihren so viel Kraft dazu verliehen habe. Man muss eben bedenken, dass kurz vorher der junge Jean Jacques Rousseau sich im Sinne von Fox und Penn in seinem « Discours sur les arts et sciences » dahin geäussert hatte, Kunst und Wissenschaft brächten keineswegs eine Verbesserung der Sitten mit sich ; dass das eben erschienene Buch « La nouvelie Hcloise» damals die gebildete Welt tief erregte.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

in welchem Rousseau die Rückkehr zur Schlichtheit eines Naturzustandes, die Ueberlegenheit der Unver- bildeten über die Träger der alternden Kultur zu predigen begann gerade in diesem Augenblick trat den Männern, welche sich als Vertreter eines über zwei- tausendjährigen Geisteslebens, als Herren auf dem alt- heiligen römischen Kunstboden fühlten, der Jüngling aus der neuen Welt entgegen: Die Zukunft meldete sich an den Thoren der Vergangenheit!

Deshalb war man so gespannt auf den jungen Amerikaner. Der blinde Cardinal Albani betastete ihn körperlich, nachdem er sich vorher neugierig erkundigt hatte, ob er schwarz oder weiss sei. Geistig betastete ihn ganz Rom. Wie wird er sein, wie wird auf ihn das Höchste wirken was die Kunst je geleistet hat? So frisch und durch Schulen unverdorben als dieser, kam nicht leicht ein Künstler an die Tiber!

Der Quäker war aber trotz seiner jungen Jahre und seines schüchternen Aussehens ein formgewandter Mann, der sich zu beherrschen wusste und mit der Be- dächtigkeit seiner Glaubensgenossen sich wohl hütete, als thöricht zu erscheinen. Jedenfalls schlug er den ihn bevormundenden gelehrten Herren ein Wippchen, als er sein Examen zu bestehen hatte. Diese drängten sich rings um ihn, neugierig seine Mienen erforschend, als die Statue des Apoll plötzlich vor ihm enthüllt wurde. Mit freudigem Erstaunen rief er aus: «Mein Gott, ein Mohikaner Krieger!» und hatte damit gerade Das getroffen, was viele von Jenen zu hören wünschten. Andere schüttelten freilich den Kopf zu diesem Vergleich , bis ihn West mildernd erklärte: er habe oft pfeilschiessende Indianer- helden in dieser Stellung gesehen. Nun war man aber auch allgemein befriedigt von dem Eindruck. Denn man lebte in der Zeit der beginnenden Sentimentalität, in der das Ferne an Zeit und Raum als das Bessere, Glücklichere zu preisen beliebt war: Der zweitausend Jahre alte Gott erschien dem fremden Jüngling wie ein zweitausend Meilen entfernter Wilder aus jenem Stamme, der doch « bessere Menschen » zeitigte. Es war sein Ausspruch ein Vorgreifen der bald darauf durch Jean Jacques Rousseaus «Emile» verkündeten und von aller Welt mit Begeisterung erfassten Erkenntnis, dass allein die einfache Natur die wahre Schönheit und die schöne Wahrheit in sich berge. Der Quäker aus dem neu entdeckten, von europäischer Verbildung unbeleckten fernen Westen hatte es verkündet: Die wilden Mohawks

gleichen dem Apoll von Belvedere! Dort wandelte also die göttliche Vollendung in klassischer Nacktheit auf Erden, dort im neu erschlossenen Lande der Einfachheit und Natürlichkeit!

So führte sich durch West Amerika in die euro- päische Kunst ein.

Freilich so ganz Neuland für die Kunst, wie man in Rom glaubte, war damals die westliche Küste des Oceans doch nicht. Was der englische Stich schon damals leistete, was von Holland ausgeführt wurde, führten schon die Schiffe über das Meer. Schon hatte die schottische Einwanderung einige Künstler mitge- bracht. Das älteste, als « drüben » entstandene bekannte Kunstwerk dürfte die Zeichnung in Sepia sein, welche der seit 171 5 in Perth Amboy N.J. wirkende Maler John Watson schuf: Es ist eine Venus mit dem Cupido, also wahrlich kein geistig auf amerikanischem Boden erblühtes Erzeugnis. Ein anderer Schotte, John Smybert, brachte die Kopie eines Van Dyck , die er in Italien gemacht hatte, 1728 mit über das Meer. Nicht seine eigenen Bildnisse, sondern dieses des Kardinal Bentivoglio kann man den Quell nennen, von welchem die Kunst der Vereinigten Staaten ausging. Zwei der bedeutendsten ihrer Künstler, John Trumbull und Washington Alls ton, leiten auf die Anregungen, welche von diesem farbenkräftigen Bilde ausgingen, zurück, dass sie selbst in der Malerei vorwärts kamen. Henry Bembridge hatte bei Mengs und Battoni studirt, ehe er in die neue Welt fuhr.

Freilich bot das Land drüben zunächst noch harten Boden für die Kunst. Robert Feke hatte um seiner sündigen Kunstliebe willen schwere Kämpfe mit seinen Glaubensgenossen, den Quäkern, zu bestehen, bis er abenteuernd in spanische Lande auswanderte. Aber er wusste seine Zeitgenossen im Bilde festzuhalten mit tüchtigem , nüchternem Ernst , und es war immerhin ein erfreulicher Zug, dass die Malerei auf das That- sächliche, auf den lebenden Menschen hingewiesen, und von den Kolonisten das Bildnis der «Venus mit dem Cupido » vorgezogen wurde. Denn das Bildniss bildet das Rückgrat aller echten Kunst!

West wusste sich bald in Italien noch auf andere Weise als blos durch sein Amerikanerthum eine Stellung zu machen. Sein erstes in Rom gemaltes und ohne seinen Namen ausgestelltes Bild gefiel so, dass man es anfangs für einen Rafael Mengs hielt. Man muss wissen, was

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Kengon Cox. Bildnis des Bildhauers Aug. H. Gaudens.

das hiess: Mengs, der damals die Villa des Cardinal Albani ausmalte, galt, obgleich er selbst erst einige Dreissig zählte, für einen der ersten Meister aller Zeiten, um dessen Werke sich die Fürsten und Reichen stritten. Er war Direktor der Kunst-Akademie auf dem Kapitol. Als es bekannt wurde, der junge Amerikaner habe das Werk geschaffen , erfasste fast ganz Italien ein Rausch der Begeisterung. Die sonst so verzopften Akademien von Parma, Bologna, Florenz machten den Jüngling zu ihrem Mitglied; der König von England, damals noch Herr der Kolonien, bewilligte ihm durch seinen römi- schen Gesandten weitgehenden Kredit. Man begann auf sein Urtheil zu hören und er durfte es wagen, Michel Angelos Gestalten für unwahrscheinlich zu erklären , ja man freute sich mehr für Rafael als für West, als dieser erklärte, dass ihm jenes Werke täglich mehr als sehens- werth , natürlich und vornehm erschienen. Die neue Welt trat stolzen Schrittes in die Kunst ein !

Im Jahre 1763 ging West nach London. Es war damals dort zweifellos der heisseste Boden für Künstler

in Europa. Denn die englische Malerei hatte plötzlich ihren stolzen Lauf begonnen. Freilich der erste An- sturm war vorüber. Hogarth war schon den Siebzigen nahe, er hatte eben sein Buch über die Schönheitslinie als den Auszug seines ganzen künstlerischen Denkens herausgegeben. Der Kritiker der Weltsitten, der Swift unter den Malern, hatte nun alle Hände voll zu thun, sich der Kritiker seiner Ansichten zu erwehren. In seinem letzten grossen Werke, der jetzt im Saone-Museum in London befindlichen Reihe von vier Bildern « Die Wahl » , waren die Farben schon sehr grau , der so be- liebte « opake » Ton der Holländer schon sehr gläsern, der Aufbau, ja selbst die Perspektive nicht ohne Mängel. Schon lange empfand man in London das Sinken von Hogarths Stern. Reynolds stand zwar auf der Höhe seiner Kunst wohl als der grösste Maler der Zeit , aber er schuf nur Bildnisse und hatte es aufgegeben, Geschichts- bilder zu malen, obgleich diese für die höchste Leistung der Kunst gehalten wurden; Gainsborough lebte noch in Bath als ein in seinem Werth unerkannter

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Landschafter; Wilson, sein Vorbild im Erfassen der leblosen Natur, der ijrosse Stilist im Sinne Claude Lorrains unter den Engländern, fand bei seinen Lands- leuten keinen Anklang, so dass er dem Elende nahe war es fehlte England augenblicklich an einer führen- den Kraft. Nachdem es mit dem überderben Realismus Hogarths begonnen hatte, mit einer Kunst, welche vor Allem im unerbittlich wahren , ja übertriebenen Aus- druck selbst des Hässlichsten ihr Ziel sah , die aber dieses unkünstlerischer Weise für sittliche Zwecke dienst- bar machen wollte, war es in Reynolds und Wilson einer reinen Schönheit zugefallen, einem starken Streben zu idealisiren, die Natur über sich selbst in Ton und Zeich- nung zu erheben. Der Reichthum und die geistige Höhe des Landes, das eben auch in der philosophischen Fortbildung des freiheitlichen Gedankens und in der dichterischen Durchgeistigung der Sittlichkeitsbestreb- ungen die Führung in Europa in die Hand genommen hatte, auf Frankreich vorzugsweise politisch, auf Deutsch- land dichterisch anregend zu wirken begann, bot den besten Boden für einen neuen künstlerischen Geist. Damals war der letzte Widerstand der Jacobiten gebrochen, hatte in Amerika, wo die Franzosen unterlegen waren, das Ringen noch nicht begonnen, weitete sich der ost- indische Besitz Grossbritanniens und mit diesem trotz der grossen Staatsschuld der Unternehmungsgeist und der Wohlstand des Landes. Die politischen Kämpfe unter Georg III., das Hereinziehen der Volksmassen in das öffentliche Leben, der tiefgehende nationale Schwung, all' diese Zeichen einer starken wohlthätigen Erregung des Volksgeistes führten die Hauptstadt Englands immer mehr an die Spitze der europäischen Kunststätten,

Auch in London schaffte sich West in raschem Anlauf einen vollen Sieg. Heute ist er freilich auch dort für die Menge fast verschollen und von den Kunst- gelehrten vernachlässigt. Während man jetzt auch in Paris und in Deutschland immer mehr die Grösse Reynolds und Gainsboroughs , Romneys und Raeburns und aller der englischen Bildnismaler aus der Zeit des Swift und Walter Scott, des Pitt und Wellington er- kennen lernt, fällt nur wenig Ruhm auf den Amerikaner. Aber seine Zeitgenossen sparten mit diesem nicht, L^nd sie thaten sehr wohl daran, denn West brachte that- sächlich Neues und Eigenartiges nach London, Zwar seine Farbe war so klassisch akademisch, wie man sie nur immer damals in Rom sich aneignen konnte. Es

ist jene Farbe, welche Goethe in seinen späteren Jahren, als auch er ihrer fahlen Buntheit satt geworden war, « nebulistisch » nannte. Der englische Maler Haydon nannte sie Ziegelstaub, unerfreulich für Einbildung und Herz ; der Rammbär im Hafen von Portsmouth , sagte er, könne ebenso gut malen als West! Und ein neuerer englischer Kunsthi.storiker nennt ihn den König der Mittelmässigkeit, einen durch und durch handwerks- mässigen, akademischen Mann , der den Rezepten der Rococokunst folge, und sie anwende, wie die Köchin die ihrigen am Herde.

Damals, als er in London auftrat, war man anderer Meinung, Die kalten, hellen, dünnen Töne, in welchen er malte, wirkten überraschend gegenüber der malerisch viel feineren aber tiefen, saucigen Farbe des Reynolds und der harten, gläsernen des Hogarth, Sein erstes in London gemaltes Bild « Pylades und Orestes als Geissein vor Iphigenia gebracht», jetzt in der Londoner National- gallerie wahrlich kein «amerikanischer» Vorwurf zeigt alle Eigenschaften jener Schule, welche wir als die des David zu bezeichnen uns gewöhnt haben. Es ist ein David vor David, sauber gezeichnet, mit einem dem klassischen Relief abgelauschten Schönheitsgefühl für die Linie, einer der Auffassung der Zeit entsprechenden, sinnig weichen Behandlung antiker Gegenstände, einem zwar seichten, aber in der Gesammtstimmung des be- ginnenden «iEmpire» höchst passenden hellen Ton der Färbung.

Und so ist denn West , wie mir scheint, einer der ersten Vertreter des abgeklärten Klassizismus, während gleichzeitig in Mengs und Battoni die Barockkunst, in Grenze und Reynolds das Rococo noch mitspricht. Er steht auf einer Stufe mit den englischen Architekten Adams, welche ja auch zuerst, früher als die Franzosen, den Stil schufen, den wir fälschlich «Empire» nennen, weil er erst dreissig Jahre später durch die Franzosen des Kaiserreichs bei uns zum herrschenden gemacht wurde.

Dieser Klassizismus ist freilich so wenig echt antik, als es etwa der des Palladio oder Schinkel war. Er ent- wickelte sich aus Vorhandenem. Die Gesetze des Auf- baues in seinen Schöpfungen mahnen an die Meister der Renaissance, ihre mechanische Durchführung mehr noch an Lebrun. Aber von diesen Gesetzen haben auch die Deutschen der Folgezeit sich beherrschen lassen. Man lege einmal einen Stich nach Lebrun, nach West, nach Cornelius und nach Kaulbach neben einander.

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DIR KUNST UNSERER ZEIT.

Man wird bald erkennen , dass Cornelius zwar die stärkste Persönlichkeit, dass aber seine apokalyptischen Reiter aus denselben Anschauungen über künstlerischen Aufbau hervorgingen wie Wests «Tod auf dem weissen Ross->, welches 1817 entstand; man wird ferner sehen, dass all' die ungezählten Geschichts- und Heiligenbilder, welche der Amerikaner während seiner langen Thätigkeit in London schuf, mit den Werken Kaulbachs eine ausserordentliche geistige Verwandtschaft besitzen nur mit dem Unterschied, dass West früher da war als Kaulbach. Auch das äussere Leben der vier Maler verlief ent- sprechend ihrem geist- igen Werthe. Corne- lius, der tiefste und grösste unter ihnen hatte sein Leben lang Kämpfe, die drei seich- teren und der Welt sich anbequemenden kann- ten den Kampf nur als den raschen Uebergapg zum Siege. Sie waren die Lieblinge ihrer Zeit, ihnen huldigten die Grossen, jubelte die Menge zu. Bei Jenem überwog die Stärke und Eigenart des Mannes, er forderte Unterord- nung vom Geschmack

der Beschauer. Diese wussten meisterhaft ihre Zeit idealistisch darzustellen , bis zu einem gewissen Grade realistisch wahr zu erscheinen und doch etwas darzu- bieten, was sich über die für platt gehaltene Wirk- lichkeit erhob. Indem sie ihre Gestalten systematisch ordneten, ihren Figuren eine mit dem antiken Kanon ab- gemessene Musterform gaben , die Farbe im Einzelnen leidlich richtig, im Ganzen aber nach dekorativen Gesetzen umgestimmt anordneten , erschienen sie den Zeitgenossen wahr und schön zugleich , als vollendeter

Walter Mac Eiven. Allerseelentag,

Ausdruck der nach Schönheit ringenden Welt. Nur leider erkannte regelmässig die nachfolgende Zeit, dass die Wahrheit nicht ganz wahr und die Schönheit nicht ganz aus der Zeit selbst geboren, sondern entlehnt war und feierte daher Lebrun wie West wie Kaulbach nicht mehr als Schöpfer einer neuen, sondern im besten Fall als Fortbildner der alten Renaissancekunst. Ja, zu- meist folgte bitterer Hohn dem über- schwänglichen Lobe 1 Allen dreien war emeinsam , dass sie vorzugsweise durch den Inhalt ihrer Bilder wirk- ten, nicht durch die rein künstlerischen Eigen- schaften. Sie verstan- den ihre Zeit und wuss- ten, was dieser behagte. Gerade in der Sicher- heit des Gefühles für das « Aktuelle » liegt ein gut Theil ihrer Be- liebtheit. Sie wussten in der Kunst wie im Leben sich in die Welt zu schicken , wie sie diese nun einmal vor- fanden. Wie Lebrun und Kaulbach wurde auch West Präsident der Akademie. Alle drei waren wie berufen zum Herrschen über die Kunst, da ihre Ge- dankenwelt eine durch- aus auf das Gegenständliche gerichtete war. Auch West war eine kalte , verständige , betriebsame Natur. Schnell war er bei Hofe eingeführt und heimisch ge- worden. Je mehr er stieg, desto mehr erschien er bei vollendeten Hofsitten doch als der einfache Quäker. Lehrte ihn sein Bekenntnis äussere Bescheidenheit, so wuchs tief im Inneren sein Stolz. Die Geistlichkeit wendete sich dem frommen Manne zu, der Erzbischof von York warf sich zu seinem Beschützer auf. Es war damals die Zeit jener Kunstfreunde, die man in Paris «donneurs des

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

id^es» nannte. Weil man den Inhalt im Kunstwerk über Alles schätzte, glaubte man mit einem guten Ge- danken dem Künstler ein grosses Geschenk zu machen, an seiner Arbeit den wichtigsten Antheil zu haben. Der König forderte von West den «Abschied des Regulus von Rom » : West überstürzte sich in Entzücken über diesen Gedanken,

Er selbst aber ging doch seine eigenen Wege. Lange Zeit nach seinem Tode pries der Genremaler Leslie ein Bild, welches West in seiner Heimath gemalt hatte. Es stellte seine Familie dar. Der sauer- töpfische, langweilige aber ehrliche Vater, die klein- liche, beschränkte aber brave Schwägerin, der Bruder mit dem etwas pfäffisch gekniffenen Gesicht, das hilflose Kind beider, der Maler selbst als feiner Mann, mit gepuderten Locken, Spitzenhemd, Palette, der mit vornehm gefälligem Lächeln auf die feierlich trocken zur Schau gestellte Gruppe schaut AU' das hat einen Zug von unbefangener Wahrhaftigkeit, der den Hochton und die gespreizte Würdigkeit der grossen Geschichts- bilder weit überragt.

Diese Wahrhaftigkeit aber gelegentlich auch in's Geschichtsbild hineingetragen zu haben, das ist das eigene Verdienst Wests. Das wäre vielleicht zu seiner Zeit einem Europäer in gleicher Weise nicht möglich ge- wesen.

Bei besonders feierlicher Gelegenheit, bei Eröffnung der seither so bedeutungsvoll gewordenen königlichen Akademie der Künste zu London im Dezember 1768, stellte West sein berühmtestes Bild aus: «Der Tod des General Wolfe in der Schlacht bei Quebeck» (13. Sept. 1759). Schon während des Malens war ein Streit mit Reynolds ausgebrochen, welcher forderte, bei einem so erhabenen Gegenstand müsse die erhabenste künstler- ische Form gewählt werden, müsse also Wolfe und seine Umgebung in antikem Gewände geschildert werden. Solche Fragen gaben, wenn einmal aufgeworfen, endloses Wasser auf die Mühlen der Kunstfreunde. West blieb bei seinem Vorsatze, den sterbenden Helden und seine Soldaten so zu malen wie sie waren, mit all' den für ächte Schönheit damals als unwürdig geltenden , auf einem erhabenen Bilde als lächerlich wirkend verschrieenen Ein- zelheiten ihrer Kleidung und Ausrüstung. Er mochte sich abermals bei Lebrun und dessen Schilderung der Schlachten Ludwigs XIV. Muth geholt haben. Aber der amerikanische Quäker überragte den in Rom ge-

bildeten Franzosen ganz erheblich an Kraft des Real- ismus. Es entstand hier wirklich eines jener Bilder aus der Tagesgeschichte von wahrheitlicher Absicht, wie wir sie fälschlich als die Erfindung des Horace Vernet und der Maler der napoleonischen Zeit ansehen. Wieder er- weist sich in einem Gebiet des Kunstschaffens, welchem bisher Frankreich als die frühere Heimath galt, England als Führer oder vielleicht gar Amerika!

Noch kennt bei uns fast Jedermann das West'sche Bild in dem Stiche von Woollet, welches die Zeit- genossen mit Jubel als eines der grössten Werke aller Kunst aufnahmen. Zwar hat der Aufbau noch die Gebundenheit der klassisch-historischen Schule, aber der Ernst mit dem der Realismus durchgeführt wurde , ist erstaunlich. Das Bild hat sich in seiner Wirkung nun durch fast anderthalb Jahrhunderte erhalten es wird für alle Zeiten seinen Werth behaupten , wie es denn von Reynolds vom ersten Tage an als Vorbote einer Revolution in der Kunst bezeichnet wurde.

Noch einen Kampf focht West siegreich durch. Er hatte den Quäkern sein Recht abgerungen, Maler zu werden, seine Gottesgaben für die Kunst zu ver- werthen: er rang ferner der englischen Hochkirche das Recht ab , diese Gaben auch für sie zu ver- werthen, indem er somit den kunstfeindlichen Geist des Puritanismus besiegen half. Die Briten sollten ihm dauernd dankbar dafür sein. Er war es, der durch den König die Frage aufwerfen Hess , ob das Aus- malen der Kirchen, wie man bisher zumeist behauptete, gegen deren Würde und gegen den Ernst der Religion sei; und sein Einfluss bewirkte es, dass die Bischöfe diese Frage verneinten. So konnte er denn in achtund- zwanzig Bildern die heilige Geschichte für die Kirche darstellen und fast eine halbe Million Mark dafür einstreichen.

Dem Gange der geistigen Entwicklung Europas mit feinem Gefühl für deren Walten vorauszugreifen das verstand West ganz vortrefflich. Als die Romantik aus den düstern Bergen Schottlands nach London herab- stieg, als Spensers Ritterromane aufs Neue die Geister zu bewegen begannen, Macpherson den Ossian heraus- gab. Bums den Naturton der schottischen Berge zu Versen ausgestaltete, war er gleich dabei, der neuern Richtung bildliche P'orm zu geben. Die «Einführung eines Bischofs», «Den Ritter Bayard», «Die Höhle der Verzweiflung» (nach Spensers «Ritter vom rothen

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Kreuz») sind romantische, rein auf die Gemüthsstimmung berechnete Schauerscenen , welche sich von den An- fängen deutscher Romantik nur durch das frühere Er- scheinen auszeichnen.

West ist nach all' dem nicht etwa ein Künstler ersten Ranges. Er selbst freilich hielt sich dafür, er betrachtete sich als das Gefäss göttlicher Sendung, als ein geheiligtes Wesen, als den Gründer und Führer der englischen Kunst und einer neuen Kunst überhaupt. Nur in Napoleon sah er einen Mann , mit dem er sich zu messen habe. War doch auch sein Leben ununter- brochener Erfolg : Stellte es doch ihn, den Quäker und Republikaner, trotz aller kriegerischen Wirren zwischen alter und neuer Heimath, an einen glänzenden Hof, seit 1792 an die Spitze der Akademie und verschaffte es doch dem am 11. März 1820 Verstorbenen ein ehren- volles Grab in der Ruhmeshalle Grossbritaniens , im

St. Paulsdome.

* *

*

Als Jüngling hatte West seine alte Heimath ver- lassen, ein halbes Jahrhundert in seiner neuen gewirkt. Man würde die in ihm wirkende, von drüben stammende Anregung, das Amerikanische in seinem Wesen, nicht hoch einzuschätzen geneigt sein, hätte sich nicht neben ihm ein zweiter Künstler unter gleichen Verhältnissen ähnlich entwickelt: John Singleton Copley.

Copley ist in seiner Entwicklung amerikanischer als West. Er lebte als geschätzter Maler in Boston und gab im Jahre 1760, dem dreiundzwanzigsten seines Lebens, in welchem West nach Italien übersetzte, sein Jahreseinkommen schon auf 6,300 Mark unseren Geldes der Steuerbehörde an. Unterrichtet hatte ihn wohl sein Stiefvater, der sehr unbedeutende Schabkunst -Stecher Peter Pelham, denn schon mit sechs Jahren begann er in kalten, grauen Tönen mit unbeholfener Hand Bild- nisse zu malen. Das meiste von dem , was der junge Künstler konnte, war aus ihm selbst hervorgekommen. Es stellt also in einer gewissen Reinheit den Höhepunkt des eigenen Kunstschaffens der nordamerikanischen Kolonien dar. Bis zu seinem dreissigsten Jahre sendete Copley seine Werke nach London zur Ausstellung, bis deren Erfolg ihn endlich ermuthigte, selbst Europa zu besuchen und der Drang nach Fortbildung ihn veranlasste, 1774 England und Italien zu bereisen. Im Jahr 1775 Hess er sich in London nieder und wurde hier bald ein gesuchter Maler der vornehmen Welt, der er selbst gesellschaftlich immer

näher trat. Sein Sohn ist sogar als Lord Kanzler Lynd- hurst zu den höchsten Ehren emporgestiegen.

In der Londoner Nationalgallerie befinden sich zwei der Hauptwerke des Künstlers: cDer Tod der Grafen von Chatham», d. h. jener Vorgang, als am 7. April 1778 William Pitt, Graf von Chatham, mitten in seiner Rede gegen die Besteuerung der amerikanischen Kolonisten tödtlich erkrankte; und «Der Tod des Major Pierson», der im Augenblick der siegreichen Entscheidung im Kampf von St. Heliers, Jersey, am 6. Jan. 1781 von den Franzosen erschossen wurde. Die Bilder wurden 1780 und 1783 vollendet. Ich nenne diese Daten, um zu zeigen, dass auch Copley «aktuell » zu sein bemüht war im Gegen- satz zu den von der damaligen europäischen Kunst mit Vorliebe betriebenen Versuchen die « Alten » immer wieder auf's Neue zu beleben.

Auch David hat ja in ähnlicher Weise Tages- ereignisse darzustellen versucht freilich später, zu einer Zeit, in welcher die Stiche nach West und Copley schon in den Händen aller Welt, also wohl auch in seinen waren. Aber David hat sich nie von der klassischen Regel so weit frei machen können, als eben Copley in seinen ausgedehnten Werken, figurenreichen, lebhaft be- wegten Bildern von 2,5 zu 3,4 Meter Grösse that. Dazu hat dieser keineswegs die dünne, spitze Farbe des Empire, wie sie West nie ganz abzulegen vermochte. In seinem « Tod Chathams » ist auf die wohl sechszig, meist Perücken tragenden Köpfe der Lords ein kräftiges Licht ge- worfen, sind die tiefgefärbten Wände des Raumes, die Purpurmäntel mit starkem, von Titian und Reynolds beeinflusstem Ton gemalt. Man sieht die Absicht, den tagesgeschichtlichen Gegenstand mit der Farbe der besten Kunstzeiten zu versöhnen, die Errungenschaften des eng- lischen Bildnisses für das Massengemälde zu verwerthen. In dem anderen Bilde fällt die rein illustrative Absicht, das Fehlen alles beziehungsweisen Beiwerkes auf Da ist weder falscher Pathos und theatermässiges Helden- thum, da fliegen keine Genien in der Luft herum und lagern keine Flussgötter in den Ecken. Es ist das Ganze das, was man bei uns in den fünfziger Jahren noch mit einem Beigeschmack von Tadel als «historisches Genre > und damit als eine Neuerung bezeichnete.

Nun ist aber eins zu beachten : Ausser bei den beiden Amerikanern findet diese bildnisartige Auffassung der Zeitgeschichte in England weder bei den Einheimischen noch bei den zahlreich zuwandernden Meistern gleiche

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Pflege. Der Schweizer Heinrich Füssli war wohl ein tiefer Romantiker, ein Verehrer Shakespeares, in seinen märchenartigen mehr als in seinen geschichtlichen Werken. Seine Zeit realistisch zu schildern lag ihm aber völlig fern, ja er wies den Gedanken als unedel, unkünst- lerisch von sich ab. Der Frankfurter Johann Zoffany und die Oesterreicherin Angelica Kauffmann, der Strassburger Philipp Johann von Lauterburg (Loutherbourg). sie alle halten sich innerhalb der Grenzen einer stilvollen Naturnachahmung und sobald es sich um Werke der Einbildungskraft han- delt — innerhalb jener des klassischen Gedanken- kreises. Nicht minder James Barry, dessen Kunst selten von dem ihr heimischen Olymp auf englischen Boden herabsteigt. Die Kraft des brittischen Kunst- schaffens liegt im Bildnis: Von den kostbaren Werken Reynolds , Gainsboroughs , Raeburns und Romneys ging eine tiefgreifende Anregung aus. Es ist kein Zu- fall, dass die Sybille der in England zur inneren Vollend- ung gelangten Angelica Kauffmann sich in der Dresdner Gallerie neben den höchsten Meisterwerken als rein malerische Leistung besser als das meiste Spätere zu be- haupten vermag 1 Wenn unsere Aesthetiker die Zeit, in welcher Houdons und Schadows Büsten entstanden, Graff, Vogel und die Kauffmann Bildnisse malten , die Kunst in London zu so hoher Vollendung gelangte, die Vaugier- Lebrun in Paris mit Grenze wetteiferten, jetzt als die Zeit des tiefsten « Verfalles » der Kunst bezeichnen, so mag man nicht allzusehr erstaunen, wenn eine kommende, den Schwerpunkt der Malerei in das Malen verlegende Aesthetik, die Tage des Cornelius mit diesem viel niiss- brauchten Worte belegen wird.

Dass die frische Auffassung der Bilder aus der Tages- geschichte gerade in Amerika ihren Boden hat, das be- weisst am klarsten das Schaffen des John Trumbull, der mit 19 Jahren in die Armee eintrat, jedoch fünf Jahre später, 1780, in London in Wests Werkstätte eintrat und dann gemeinsam mit John Blake White bis 1817 das Capitol von Washington mit grossen , die Thatcn des Krieges verherrlichenden Bildern schmückte. Diese be- kunden ganz die kräftige, realistische Zeichnung und den gesunden Blick für die Wirkung der thatsächlichen Vorgänge, welche Wests bessere Arbeiten auszeichnen. Das ist meines Wissens selbst von amerikanischen Kunst- historikern nicht genügend hervorgehoben worden. Die Heldenthaten der französischen Könige vollführten diese

und ihre Nachahmer nicht selbst: Die Schlachtenbilder jener Zeit sind daher kalt, sobald sie aus der Dar- stellung Wouvermann'scher Plänkeleien zur Vorführung grosser geschichtlicher Ereignisse werden. In Amerika tritt das Volk in Krieg und Frieden in Mitthätigkeit. Die Menschen sind nicht mehr blos Staffage für einen « göttlichen » Helden , sie wirken wie im Leben so im Bilde selbstthätig mit. Wie bei den Holländern aus der Zeit ihrer Freiheitskriege entsteht aus der Wieder- gabe vieler zu gemeinsamen Handeln Verbundener eine achtere tiefere Art des Geschichtsbildes. Und auch drüben , wie in Holland , waren es die Bildnismaler, waren es Gilbert Stuart, Charles Wilson Peale, Joseph Wright und Trumbull, welche dem in den Fernen klassischer Götterlehre herumschwankenden Europa einen starken Realismus entgegenhielten. Frei- lich ist ausser in Stichen wenig oder nichts von dem, was damals in New-York , Boston und Washington ge- malt wurde, nach Europa gelangt.

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Die amerikanische Rückwanderung nach England hat mit West und Copley noch nicht abgeschlossen. West wurde nach Reynolds Tod Präsident der Akademie, zu deren Gründern er gehört hatte, Copley Akademiker und Mitglied der vornehmen Gesellschaft Londons, ob- gleich damals der Befreiungskrieg in Amerika wüthete und eine für die englische Macht bedenkliche Bot- schaft nach der andern über das Meer nach London drang. Die Politik schied damals selbst im, dem öffent- lichen Leben früh erschlossenen England die Menschen noch weniger als heute. Der Krieg unterbrach zwar die geistigen Verbindungen des Muttervolkes mit seinen in den Westen ent.sendeten , sich befreienden Kolo- nisten, aber er zerstörte sie nicht. Dafür waren in der Kunst zwei Männer lebendige Beispiele, welche gewisser- massen die Ueberlieferung der West'schen Anregungen darstellen, Newton und Leslie.

Gilbert Steward Newton kam als 26 Jähriger nach London, in jenem Jahre 1820, in welchem West starb. Er lebte nur 1 5 Jahre in der britischen Hauptstadt, fand aber Zeit, in diesen ein für ihre Kunstaufifassung höchst bezeichnender Künstler zu werden , nicht nur durch seine Bildnisse, sondern namentlich durch seine Sittenschilderungen. In diesen nahm er sich ein damals fiir sehr veraltet geltendes Vorbild: Dem Watteau suchte er nachzustreben. Man bedenke wohl : Der Mann der neuen

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Welt suchte rückwärts anzuknüpfen an eine Zeit, welche man selbst in Paris und sonst überall als eine zopfige, jammervolle zu verhöhnen gewohnt war. Es bewährt sich hierbei die Erkenntnis, dass der Aussenstehende , dem Kampfplatze Entrückte besser Werth und Unwerth der Ringenden zu würdigen vermag, als die sich bekämpfen- den Gegner selbst. Newton blieb der freie Blick für die Schönheit des Rococo in einer Zeit, in der es die Maler des festländischen Europa fast für eine Beleidigung hielten, wenn man von ihnen Beifall für Watteau forderte. Nun erreichte zwar Newton sein Vorbild nur in bescheidenem Maass: Seine Farbe ist viel zu schwer, seine Anmuth hat viel zu viel vom Spiess- bürgerthum der Biedermännerzeit, zu viel von Reitstiefeln und Cylinderhüten. Aber Bilder wie der dem Dow nach- empfundene « Fensterflügel » , « Capitain Macheath » das etwa einem Terbourgh entsprechen soll u. a. m. zeigen, dass in England und drüben in Amerika die Absicht bestand, die malerischen Errungenschaften des 17. und 18. Jahrhunderts nicht einfach in's Wasser zu werfen, sondern sich die Kunstfähigkeiten zu erhalten, welche jene Zeiten so überreich besassen.

Und neben der Form ist der Inhalt der Bilder Newtons bemerkenswerth : «Cordelia pflegt den König Lear», eine Gruppe, als sei sie unmittelbar Nachbildung einer Aufführung auf der Bühne, alle Personen in schöner Stellung, schöner Kleidung, dem Beschauer angenehm sichtbar zugewendet; die Zeit rühmte das tiefe Gefühl, mit dem der Arzt den Puls des Königs fühlt. Oder «Der Vikar of Wakefield und seine Familie», ein Bild, gestellt wie eine Familienphotographie, durchsichtig bis zur Gläsernheit in der Komposition, mit einem hübschen Alten, hübscheren Töchtern und viel Beiwerk an Blumen, Bibeln, Lauten und Gethier. Oder der « Prinz von Spanien besucht Catalina» nach Gil Blas; «Jorrick und die Hand- schuhhändlerin » nach Sterne und dergleichen Werke mehr , die zumeist der Literatur entnommen und nach dem Theater empfunden sind. Schon Reynolds malte gern Mrs. Sheridan als heil. Cecilia oder Miss Pott als Thais, Miss Hart als Bacchantin oder Mrs. Abington alsRoxalana; das heis.st, er malte lieber Menschen in der Verkleidung, so dass sie etwas anderes darstellen als sie sind; oder richtiger, er Hess sich gerne durch schauspiele- rische Leistung die Idealisirung scheinbar real vorführen, um im Darstellen des Idealen realistisch bleiben zu können. Daraus entwickelte sich eine wahre Lust für das kom-

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ßunker. Portrait der Mrs. Bunker.

mende «aufgeklärte» Zeitalter, durch die Dichter sich die Räthsel des Lebens erläutern, durch den Schauspieler sie sich vorleben und dann durch den Maler das Ergebniss verewigen zu lassen und zwar eines nach dem andern, so da.ss der Maler nicht Sohn der Natur wurde, sondern deren Urenkel. Die durchaus literarische Zeit schuf eine literarische Kunst.

Air diese Eigenschaften sind nicht besondere Merk- male Newtons. Er ist einer der Besten dieser Richtung, doch hebt er sich aus der gleichzeitigen englischen Kunst nicht allzu scharf hervor. Als ächter Amerikaner greift er nur fest zu und wirkt frisch im Vorderkampf der Meinungen, so dass ihm das Gefallen der Menge sein Bemühen reichlich belohnt.

Ungleich bedeutender war Newtons Landsmann Charles Robert Leslie, der neben David Wilkie lange Zeit als der gefeiertste Sittenmaler Englands galt, bis erst der jüngste Umschwung des britischen Ge- .schmackes seine Werke entwerthetc. Solche Wande- lungen drücken sich in London am beweiskräftigsten in Zahlen aus: Von Leslies Bilder, die bis an seinen Tod heran er starb 1859 mit etwa 8 10,000 Mark unseres Geldes gezahlt wurden, brachte cDie Erbin» 1863 26,500 Mark, 1886 aber blos 5800 Mark, «Sancho

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Pansa in den Zimmern der Herzogin» 1874 i 5,000 Mark, 1888 jedoch 3150 Mark. Trotzdem würde ich den Be- sitzern seiner Schöpfungen nicht rathen, die Arbeiten zu verschleudern. Die besseren Zeiten für Leslie werden vielleicht wieder kommen!

Denn er war ganz zweifellos eine kräftige Persönlich- keit. Freilich steht es mit seinem Amerikanerthum nicht eben stark. Sein Vater war aus Amerika nach England heimgekehrt, so dass London Leslies Geburtsstadt wurde. In seinem fünften Jahr kam er nach Philadelphia, in seinem lyten begann er wieder an der Londoner Aka- demie, noch unter Wests Direktion, zu studiren; im sgsten (1833) folgte er einem Ruf an die Kunstschule zu Westpoint über den Ocean , aber nach Jahresfrist kehrte er von Amerika wieder nach England zurück, um die Vereinig- ten Staaten nie wieder zu sehen. In Lebensgewohn- heiten und Kunstanschauungen war er Engländer geworden, und sein Ringen vollzog sich innerhalb der London be- wegenden Gedanken.

An ihm äusserte sich zum ersten Mal der Einfluss deutschen Geistes auf einen amerikanischen Künstler. Füssli war der Lehrer an der Londoner Akademie, dem er am meisten zu verdanken hatte. Vielleicht findet sich einmal Gelegenheit, von diesem höchst merkwürdigen Künstler eingehender zu sprechen, dessen Namen man in allen britischen Kunstbüchern aus der ersten Hälfte des Jahrhunderts unzählige Male mit billigem Spott über seine schlechte Aussprache des Englischen, aber doch mit einer herzlichen Bewun- derung seiner knorrigen Kernnatur genannt findet. Von ihm stammt das weise Wort, welches die Erfolge seiner Schule erklärt: «Kunst müsse gelernt, nicht gelehrt werden». Er war einer von Jenen, die Individualitäten erkennen und zu pflegen wissen. Ob er gleich sich .selbst am liebsten in phantastischen Welten und romantischen Fernen bewegte, ist sein Unterricht doch der Ausgangs- punkt des englischen Genre und der englischen Kolo- ristik geworden. Ausser Leslie nannten sich Wilkie und Mulready seine Schüler, also jene Männer, welche den Uebergang von den letzten Ausläufern der nieder- ländischen zur deutschen Genremalerei bilden. Es ist wohl kein Zufall, dass im Empfangszimmer unseres Ludwig Knaus die Stiche nach Wilkies besten Bildern hängen I Jenen Künstlern, welche das deutsche Volk in dem Geiste schilderten, in welchem es Immermann, Auer- bach, Gustav Freytag und Fritz Reuter beschrieben,

gehen die Maler unmittelbar voraus, welche das englische Volk mit den Augen des Walter Scott und Dickens betrachteten.

Leslie folgte mehr dem Scott: Er malte englische Geschichte und Vorgänge aus der Weltliteratur mit leichtem Humor, oder malte den Don Quixote mit so eifrigem Bemühen nach Wahrheit, dass alle seine Spanier, ebenso wie die F"ranzosen aus seinen Scenen nach Moliere, zu Briten wurden. Man rühmte seinen Bildern grossen Verstand nach, ferner Leben und unübertreffliche Sicher- heit im Neubilden dichterischer Gestalten. Es ist sehr lehr- reich, dies Urtheil mit seinen Werken zu vergleichen. Seine Individualisirung hatte ihre Stärke darin, dass er die ge- schichtlichen Gestalten seinen Zeitgenossen geistig nahe führte. Er zeigte, dass das Leben früherer Jahrhunderte in seinem innersten Wesen dem heutigen verwandt sei. Das hat allen guten Leuten bisher immer aufs Neue Freude bereitet. Es ist doch zu interessant, aus Ebers zu lernen, dass schon die alten Aegypter die Liebe kannten ! Der fleissig herbeigetragene äussere Tand von Kleidungen und Geräth , Bildnisähnlichkeit und geschichtlichen An- knüpfungen, macht dem ersten Blick das Alter der Vor- führungen glaubhaft: sie erscheinen erstaunlich echt! Der innere Drang zur Unechtheit , die unwillkürlich in das geschichtliche Bild einschleichende Modernität ist es aber, die dem Kunstwerke den unmittelbaren Reiz giebt. Der Reiz verschwindet mit der Zeit mehr und mehr; die Bilder des Leslie missfallen jetzt, weil sie gestern modern waren, also heute unmodern sind. Erst wenn sie so unmodern sein werden, dass an den Kampf unserer Zeit gegen das Theatralische der Genremalerei kein Mensch mehr denkt, werden sie als höchst ergötz- liche Zeitbilder, freilich nicht aus den Tagen des Cervantes oder Moliere, sondern aus den des Leslie wieder Geltung erhalten. Eine Frau von Geschmack trägt alten, aber nicht veralteten Schmuck. Diesen lässt sie für ihre Tochter liegen , bis er alt wird. Einst werden Leslies Bilder für eben so echt als Werke von 1830 oder 1840 gelten , wie sie einst für echt im Geiste früherer Jahr- hunderte genommen wurden.

Es war eine idealistische Kunst, welche Leslie ver- trat und doch eine solche, die im Lande des Idealismus, in Deutschland, zu ihrer Zeil kein Ansehen genoss. Zwar sind Stiche nach seinen Arbeiten in gewaltiger Zahl bei uns verbreitet gewesen und in mancher klein- städtischen Wirthsstube und in vielen Bürgerwohnungen

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findet man sie noch heute, ohne dass Jemand danach frage, wer der Meister des «englischen Stiches» sei. Leslie suchte die Natur zu verschönen, obgleich er viel derbe Karrikatur schuf. Er ahnte etwas von jener Schön-

heit, die in der Eigenart liegt.

Hogarth hatte der eng-

lischen Kunst hierfür den Blick geöffnet. Auch Leslies Figuren galten für «rein der Natur abgelauscht, doch

sich umsehen. Dort finden sie es geschickt gruppirt zum Kampf gegen eine neue Weltanschauung, dort können sie auch sehen, wie der Kampf endet, welcher jetzt die deutschen Geister bewegt. Denn neben dem etwa an unseren Carl Becker mahnenden Leslie stand Wilkie, der englische Knaus; neben Etty, dem englischen Makart, Eastlake, der englische Piloty; neben Stanfield,

Lhvight William Tryon. Tagesanbruch.

mit aristokratischem Sinn». Er besass eine «reiche und harmonische Farbe», schuf «klare, nie überfüllte Kom- positionen » , wusste « Licht und Schatten meisterhaft zu vertheilen» und beherrschte vor Allem das «Clair obscur». Auf dies legte er das Schwergewicht. Als zu Ende der vierziger Jahre der Sturm losbrach, welcher England den Prärafaelitismus brachte, stand er, seit 1851 Lehrer an der Kunstakademie in London, im Vorderkampf gegen die neue «Sekte». Er hielt 1855 Vorträge und veröffentlichte sie darauf im Druck, um der Kunst jene Gesetze des Clair obscur zu erhalten, die ihm als ihr höchstes Besitzthum galten. Denn die verschwindend feinen Schwankungen im Tone seien schwerer zu finden, als richtige Linien des Zeichners. Ich empfehle das Buch «A Handbook for Young Painters» jenen Leuten, welche nach Rüstzeug gegen die moderne Kunst

dem englischen Achenbach , Landseer, der unvergleich- liche englische Thiermaler. Alle diese waren Meister von ernstem Streben , von her\'orragendem Können, Männer, welche der Nation behagten und deren junge Gegner von dieser mit Abscheu als Frevler und Unfähige verworfen wurden. Und doch siegte der neue Realismus gegen alle Feinheiten des Clair obscur, das die jungen Streber kecklich als « braune Sauce » zu verhöhnen wagten! Und es ist nicht ohne Witz, dass es diesmal ein Amerikaner war, der das Veraltende mit aus alter

Kunst entlehnten Gründen und Beispielen vertheidigte.

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Lange Jahre trennte der Ocean die Kunstbestreb- ungen der beiden Welttheile, ohne dass die immer zahl- reicher ihn kreuzenden Schiffe starke geistige Anregungen hinüber und herüber getragen hätten. Von dem was

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z. B. Washington Allston, der «amerikanische Titian», ein Schüler Wests, Anfang dieses Jahrhunderts schuf, haben wir Europäer nur eine mittelbare Kennt- nis. Die Abbildungen lassen eine in sich begründete starke Kraft vermuthen. Die Zeichnung ist schön und gross, die dargestellten Gedanken sind einfach und tief. Eine fremdartige Derbheit liegt über den Gestalten. Es ist vielleicht in diesen Werken, wie in den zu Anfang des Jahrhunderts drüben entstehenden Bildnissen ein Zug zu origineller Entfaltung zu finden. Jedenfalls hat Allston die Seelen der Besten seiner Heimath mit grosser Kraft zu erfassen verstanden, so dass es sich wohl der Mühe lohnte, den Wurzeln und den Blüthen seines Schaffens nachzugehen. Aber über das Meer herüber reichte seine Kraft nicht.

Ein zweiter Künstler von amerikanischer Eigenart, Bass Otis, der sich vom Lithographen zum gefeierten Bildnismaler emporschwang, bildete drüben eine eigene Schule aus der Peter Frederick Rother mel als kraftvolle Erscheinung hervorragt. Neben ihm ver- trat Thomas Prichard Rossiter die romantische Richtung im Geschichts- und Heiligenbild ; Thomas S u 1 1 y , dessen Schulung noch unmittelbar auf West zurück- greift, zugleich das Bildnisfach. Loring Charles E 1 1 i o t , TrumbuUs Schüler, der Miniaturenmaler Edward William West haben sich jenseits des grossen Meeres einen Namen gemacht, ohne dass er sich für uns

Europäer seinem Werthe nach abschätzen Hesse.

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Mit Allstons Tode (1843) scheint auch seine Richtung in den Vereinigten Staaten auf die Geister zu wirken aufgehört zu haben. Es vollzog sich vielmehr eine Art Rückfall des amerikanischen Schaffens in gewohnte Geleise. Die Kunstart Wests fand nämlich durch einen Deutschen erneute Anregung: durch Emmanuel Leutze. Wie der Quäker die Malerei der Vereinigten Staaten mit der Londoner Akademie verknüpft hatte, so fesselte sie Leutze an die Düsseldorfer Schule. Die deutschen Maler der rheinischen Akademie haben es durch Jahrzehnte wohlthätig empfunden, dass ihr Schaffen den Yankees am meisten behagte. Düsseldorf wurde bis in die sechziger Jahre der beliebteste Markt für den überseeischen Kunsthandel.

Leutze war kein Pfadfinder in der Kunst, aber doch eine bedeutende Künstlererscheinung. Deutscher, Württemberger, von Geburt, früh nach Amerika ge-

kommen, hatte er dort seine malerische Begabung ent- deckt, so dass er fast noch als Knabe eine um- fassende Thätigkeit auf der Leinwand entwickelte. «Ein Indianer, der in die untergehende Sonne blickt», war sein erstes grösseres Bild. Der beschaulich be- deutungsreiche Gegenstand: ein untergehender Volks- stamm und vor ihm das Abendroth ! das war Düssel- dorfer Geist ehe Leutze nach Düsseldorf ging (1841). Dort am altheimischen Rheine, unter Lessings Leitung, entwickelte er sich mit erstaunlicher Geschwindigkeit. Er malte mit Vorliebe die Geschichte seiner neuen Heimat : Columbus , Washington, Scenen aus der Normannischen Besetzung und den Freiheitskriegen und malte sie mit dem vollen, tiefen Einzeltone, welcher der Schule des Schadow und Lessing, in der ganzen gedanken- schwangeren Zeit der Düsseldorfer Geschichtskunst üblich war. Und innerhalb der Schule haben ihn wenige übertroffen; ja ihm ist es wohl gelungen, das Werk zu schaffen , welches aus ihr die weiteste Ver- breitung und die längste Dauer erlangte: «Washington über den Delaware setzend». Die sichere Ruhe des Helden inmitten des wilden Eisgangs, die psychologische Vertiefung in dessen Wesen, die malerische Kraft, die in der Steigerung der Einzelfarbe sich kundgiebt, die Geschlossenheit der Komposition , haben dem Werk einen ebenso ehrenvollen Platz erobert, wie es die männliche Lebensführung des Künstlers unter seinen Genossen im alten und neuen Vaterlande that. War er doch der Gründer des Düsseldorfer «Malkasten» und einer der Anreger für das Zusammentreten der « Deutschen Kunstgenossenschaft » . Er brachte somit etwas von dem frischen Geist der Selbsthilfe mit über das Meer nach dem aus der Bevormundung sich heraussehnenden Deutsch- land herüber, während er nach Amerika die hohe Schaffenslust trug, welche damals am Rhein blühte.

Vergleicht man seine Bilder mit jenen der Ameri- kaner, welche in England zu Ansehen gekommen waren, namentlich auf den Stichen , so zeigt sich eine tief gehende innere Verwandtschaft. Man würde manch- mal einen Entwurf des Leutze mit einem solchen des Copley verwechseln können : Dieselbe Auffassung des Geschichtlichen ; dasselbe Bestreben , die Nebendinge richtig zu geben, aber ihre realistische Erscheinung durch klassische Form und eine über die Wirklichkeit hinaus gesteigerte, verschönte Farbe zu mildern ; dieselbe Art nicht nur durch das Kunstwerk als solches, sondern

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Der Grabesengel.

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durch dessen Inhalt auf das Gemüth der Menschen wirken zu wollen; dieselbe Absicht, durch die Darstel- lung grosser Thaten das Vaterlandsgefühl zu stärken und die Begeisterung aller Edelgesinnten zu erwecken. Der Deutsche ist der jüngere, aber er ist kein Nach- ahmer der Londoner, höchst wahrscheinlich kannte er West und Copley nur wenig und fühlte er sich von ihnen trotz aller in- neren Verwandtschaft nicht eben angezogen. Denn es ist die Eigenart aller Künstler, dass sie das un- mittelbar vor ihnen Ent- standene, aus dessen Ein- fluss sie sich erst mit Mühe lossreissen mussten, am bittersten hassen, gleichviel ob dieser Ein- fluss thatsächlich völlig überwunden ist oder nicht. Wenigstens erinnere ich mich, selten die Lebens- schilderung eines bedeu- tenden Künstlers gelesen zu haben , welche nicht beginnt mit einer Verur- theilung jener Kunst, aus der er hervorging! Jene sentimentalnaturalistische Naturanschauung kam auch

keineswegs unmittelbar aus England nach Düsseldorf, sondern' auf dem Umwege über Paris; sie stellt die erste Stufe des Sieges der französischen Romantik über die deutsche dar. Gerard, Gericault, Delacroix, Delaroche, Wappers, Gallait sprechen aus ihr. Deutsch ist an ihr nur die psychologische Vertiefung.

Leutzes Einfluss auf Amerika war ein sehr grosser. Eine ganze Schaar amerikanischer Kunstbeflissencr folgte ihm nach Düsseldorf. Der schon genannte Rot- hermel gehört zu ihnen. Edwin White vervoll- kommnete, nachdem er in Paris und Florenz studirt hatte, dort 1869 75 seine Studien, um später in seiner Heimath historische Bilder in der deutsch-sentimentalen Auffassung zu schaffen; Henry Peter Gray schuf in ähnlicher Richtung tüchtige akademische Werke;

Abbat H. 'l'hayer. Männliches Bildnis

einem heimischen Kritiker lockt freilich das Wort « Amerikanische Schule » auf dem Täfelchen ihrer Rahmen nur ein Lächeln ab, er hält sie kurzweg für deutsch; William Henry Powell malte im gleichen Sinne die Rotunde des Kapitols in Washington aus; Thomas Bachanan Read verband die Farbe der

Düsseldorfer mit einer po- etisch weichen Empfindung ; und J. B. Irwing, ein un- mittelbarer Schüler Leutzes folgte mit Geschick , doch bescheidener Selbstständ- igkeit den Bahnen seines Lehrers. Auch bei ihm greift das Genre schon mächtig in die Geschichts- malerei hinein; ebenso wie bei Eastman Johnson und Richard Caton Woodville; bei dem in England geborenen , in Paris bei Paul Meyerheim gebildeten Thomas Hill ; bei Daniel Huntington; bei dem Elsässer Chri- stian Schussele, der, obgleich Schüler Yvons und Delaroches, doch so- wenig wie sein Pariser Landsmann Brion seine Mutternation verleugnete. Manche der Arbeiten dieser Künstler ist im Stich zu uns herübergekommen, doch würde es schwer sein, in Europa nur aus diesen Hilfsmitteln sich sein Bild ihres Wesens zu machen.

In zwei acht amerikanischen Genremalem, in William Morris Hunt, der bis 1846 in Düsseldorf die Bild- hauerei .studirte , dann aber sich dem Couture in Paris und endlich dem Millet und der Schule von Barbison anschloss, sowie in dem, englische Anregungen verarbei- tenden William Sydney Mount offenbart sich dann die Hefreiung der nordamerikani.schen Kunst von

deutscher Vormundschaft.

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Um die Mitte des Jahrhunderts überragte Deutsch- land Frankreich ganz erheblich in der Landschaftsmalerei^

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Während in Paris selbst bis in die fünfziger Jahre eine kalte formaHstische , von Claude Lorrain abhängige Naturbehandlung an der Akademie gelehrt und von den hervorragenden Künstlern geübt wurde, begannen die feineren Beobachter der Luftwirkungen erst in der Folgezeit sich Boden unter den Künstlern zu schaffen. Der deutschen Landschaft aber, wie sie damals in stilistischer Form Rottmann und Preller, mit einem Hauch von Sentimentalität Schirmer und Lessing und in kräftig fortschreitendem Realismus, Dahl, Morgenstern, Gurlitt, Achenbach, Schleich u. A. pflegten, konnte nur die englische sich ebenbürtig gegenüber stellen. Aber jen- seits des Kanales waren die leitenden Meister bereits im Niedergehen: Turner starb 1851, Constable 1837, Callcott 1844, Collins 1847, Müller 1845, Bonington 1828. Nach grossartigen Leistungen war in London ein Still- stand eingetreten. Es ist daher nicht zu verwundern, dass auch in diesem Kunstgebiet die findigen , Europa von der Ferne mit prüfender Klugheit zu vorsichtiger Wahl überblickenden Amerikaner den Deutschen sich vorzugsweise anschlössen.

Die Ueberführung der Düsseldorfer Auffa.ssung der Landschaftsmaler erfolgte hauptsächlich durch zwei deutsche Meister: Paul Weber und Albert Bier- stadt.

Weber hielt sich von seinem 25. Jahre an, 1848 bis 1858 in Amerika auf. Später kehrte er nach Europa zurück, ohne dass er, wie es scheint, sich als Ameri- kaner gefühlt hätte. Aber es war ihm doch sichtlich gelungen, die Augen der Kunstfreunde auf die deutsche Malerei zu lenken.

Bierstadt machte dagegen den umgekehrten Weg. In Düsseldorf geboren, als Kind mit seinen Eltern nach Amerika ausgewandert, bezog er 1853 bis 1857 die Düsseldorfer Akademie, kehrte wiederholt nach Europa zurück, blieb aber in Amerika sesshaft. Sein Arbeits- gebiet und der Schwerpunkt seines Lebens liegt also drüben in den Vereinigten Staaten.

Bierstadts Bilder haben seiner Zeit, namentlich auf der Pariser Ausstellung von 1 867 , grosses Aufsehen erregt. Er hatte in Düsseldorf scharf und sicher zeichnen gelernt und besass ein klares Auge für das Eigenartige der Naturerscheinung. Es ist daher kein Zufall, dass das Ethnographische ihn in der Landschaft anzog. Er reiste in den Westen und brachte von dort die ge- wissenhaftesten Wiedergaben der gewaltigen Bergmassen

und riesigen Bäume, der endlosen Wiesenflächen mit ihren Büffelheerden , meisterhafte Darstellungen des Landes, die bei aller Genauigkeit in der Wiedergabe doch die ordnende Künstlerhand nicht verläugneten. Der Ton war etwas spitz, im Sonnenlicht etwas gelb, die Malweise manchmal glatt. Aber trotzdem errangen die Bilder in den sechziger Jahren sehr grosse Erfolge, die sich freilich nicht wiederholten, als Bierstadt 1891 wieder mit mehreren grossen Werken in Europa auftrat. Seine Kunst ist zwar die alte geblieben: In einem Museum würden sich seine Arbeiten neben Jugendwerken Andreas Achenbachs sehr wohl gehalten haben, aber die Zeit ist inzwischen fortgeschritten und die ruhige Beschau- lichkeit, die Vielseitigkeit, welche aus seinen Bildern spricht, einer nervösen Schärfe und Unmittelbarkeit des Beobachtens gewichen.

Die Amerikaner, welche selbst von der Düsseldorfer Landschaftsmalerei ausgingen, haben zumeist jenen Um- schwung früh mitgemacht. Maler wie John B. Bristol scheinen mir, nach den Nachbildungen ihrer Bilder, die ich sah, einer der deutschen verwandten Richtung zu huldigen. Nicht minder ist dies der Fall mit dem in Deutschland bekannter gewordenen, meist in Mexico lebenden Frede rick Edwin Church, wenn ich mich gleich nicht erinnere, Bilder von ihm in europäischen Ausstellungen gesehen zu haben. Wohl aber sah man in der Nachbildung Landschaften mit starken Effekten, Ansichten des Chimborasso, des tropischen Mondlichtes in Mexiko, aus Palästina und der Havanna, stets mit der Absicht ausser durch die rein künstlerische Bildwirkung noch durch den Gegenstand anzuziehen. Weit verbreitet ist der Stich nach seinem, im Edinburgher-Museum häng- enden & Niagarafall », der seine Art auf's Klarste versinn- bildlicht. John Frederick Kensett, obgleich in England gebildet und Sanford R. Gifford waren ihm verwandt, der Erstere stärker als Kolorist, der Letztere ein Maler von Lichterscheinungen und Ansichten aus aller Herren Länder. Ein Holländer Albert van Beest, der in den 40er Jahren nach New-York kam, war ihr Lehrer, ebenso wie des die arktischen Land- schaften bevorzugenden William Badfort.

James M. Hart ging 1851 nach Düsseldorf in Schirmers Schule und schuf seitdem fein empfundene Waldbilder mit Vieh, von denen ich in englischen Zeit- ungen manchmal Abbildungen sah. Aehnlich arbeitete sein älterer Bruder William Hart, der in England

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seine Schule gemacht hatte und wohl auch einigen An- theil an der auf malerische Verfeinerung mehr als auf weiche Stimmung gerichteten Bestrebungen seines Bruders gewann. Worthington Whittredge, seit 1850 Andreas Achenbachs Schüler, gehört derselben Richtung an , wusste jedoch bereits seine Heimat und deren Bewohner mit der anfangs fremdartig erscheinenden deutschen Auffassung zu versöhnen. Otto Grund man, Lehrer an der Kunstschule zu Boston, wirkte in gleicher Weise.

James Fairman, wie jene Brüder Hart, Schotte von Geburt, wenn gleich von schwedischen Eltern ab- stammend , unterstützte die Richtung , welche von den grossen englischen Aquarellisten De Wint und Cox ausging. Von England her kam auch die Neigung, die Radierung zum Ausdruck der Kunstempfindungen zu wählen. So findet man an deutschen Schaufenstern oft Radirungen nach Hamilton Hamilton, schöne, fein gefühlte Ausblicke über einen Waldweg auf ferne Hütten oder an einem Bache entlang auf die Wiesengründe. William Morgans Radirungen sind gern gesehene Gäste in unseren Sammlungen , Proben einer starken Empfindung für Lichtwirkung. Als bedeutende Kraft tritt Edward Moran uns entgegen, Engländer von Geburt, doch Schüler Paul Webers, später in London und Paris thätig, ebenso seine Brüder Peter und Thomas bei denen immer stärker die englische von Turner ausgehende Auffassung hervortritt.

Was ich sonst an Nachbildungen nach den Werken amerikanischer Landschafter aus den sechziger und sieb- ziger Jahren sah, zeigte zumeist als Hauptverdienst der dort blühenden Schule : Warmen sonnigen Ton , geschickte Gruppirung der Massen, reiche Gegenständlichkeit ent- weder in Fernblicken auf als schön und merkwürdig be- rühmte Gegenden oder in anmuthigen Einblicken in das Kleinleben der Hügel- und Uferlandschaften der Vereinigten Staaten: John W. Casilear, Albert F. Bellows, Alfred T. Bricher, Eugene Benson, Edward Gay, ein Schüler Schirmers aus dessen Karlsruher Zeit, John Adam Parker, George Loring Brown, eine Art amerikanischer Claude, William Stanley Haseltyne, Charles Temple Dix, Jervis Mc Entee, der Maler tiefgestimmter Naturausblicke, Asher Brown Durand fielen mir auf, ohne dass ich ohne genauere Sachkenntnis ihr Wesen durch das Wort auch nur annähernd zu umschreiben oder ohne dass ich sie

von den sonst auftauchenden Künstlererscheinungen ihrem Werthe nach abzuschätzen vermöchte. Denn gewiss giebt es drüben noch manchen tüchtigen Meister, der uns Europäern unbekannt blieb. Sehen wir doch hier wenig oder nichts selbst von jenem Manne, der als eigentlicher Anreger der Richtung gilt, von Thomas Cole, der von Claude Lorrain, Salvator Rosa und Poussin ausgehend , selbständig zur Behandlung ameri- kanischer Landschaften gelangte, und in den White Mountains New Hamphires oder den Catskills am Hudson eine der neuen Welt eigenartige, idealer Auf- fassung zugängliche Natur entdeckte.

Die eigeijtlichen Seemaler, welche in Amerika zur Geltung kamen, knüpfen an Holland an: A. van Beest gilt als ihr Lehrer; die beiden Brüder de Haas aus Rotterdam setzten die Schule fort; Harry Chase, dessen Seestücke drüben sehr beliebt sind, studirte in den siebziger Jahren unter Mesdag und später in München unter Kaulbach; Kruseman van Elten, der 1864 sich in New-York niederliess, brachte dahin die feinere Beobachtung der Stimmung, den breiteren Vortrag, die Neigung für düstere, in Halbtönen wirkende Beleuchtungen.

In dem Zusammenströmen verschiedener Richtungen dürften die Skandinavier nicht fehlen: John E. C. Petersen kam kurz nach Elten in New-York an und führte dorthin die kräftig vorwärts strebende Richtung seiner dänischen Heimath ein; Alexander H. Wyant, Amerikaner von Geburt, wurde in den sechziger Jahren Schüler von Hans Gude in Karlsruhe. Die Münchner Ausstellung von 1892 brachte ein feines Bild von ihm, einen Blick in grünes Gelände und über einen Streifen Wald ganz im Geist der grossen Gruppe von Malern, welche so lange Deutschland, England und Skandinavien mit ihrem auf zeichnerischer Vollendung und malerischer Gründlichkeit beruhenden Realismus entzückten.

Freilich ist dieser schon wesentlich anders geartet als jener der alten Düsseldorfer Landschaft : Die Stim- mungswerthe überwiegen bedeutend diejenigen der gegenständlichen Komposition. Es handelt sich viel weniger darum eine Gegend darzu.stellen , als einen Be- leuchtungston festzuhalten. Die jetzt in Amerika vor- herrschende Schule holte sich bei den Franzosen in Barbison die Anregung: Mit unverkennbarer Deut- lichkeit lehrt uns der Umschwung in Amerika , dass wir zu lange uns mit der in den vierziger Jahren er-

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oberten leitenden Stelle in der Kunst selbstzufrieden be- gnügten und dass es den französischen Landschaftern gelang, uns auf einige Jahrzehnte aus der Führerrolle herauszudrängen.

Ganz hat freilich der deutsche Einfluss bis heute in Amerika nie nachgelassen. Zum Beispiel zeigen die Landschaften eines Schülers von D i e z in München, Charles Henry Miller, deutlich noch heute ihre geistige Herkunft. Auch seit er aufhörte Alpenmühlen und das Dachauer Moos zu malen, suchte er drüben im alten Sinne malerische Gegenstände: Die «alte Mühle bei Springfield , Long Island » , welche er in den sieb- ziger Jahren darstellte, konnte ebenso gut auf dem alten Kontinent zwischen Buchen am Weiher klappern. Es deckt sich diese Richtung mit der vorzugsweise von

England beeinflussten.

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Den breitesten Boden in der amerikanischen Kunst gewann die Genremalerei, in der sich wieder englische mit deutschen Einflüssen kreuzten. Und zwar sind es hier die jüngeren Künstler, die mit Eifer an der deutschen Kunst hangen.

Da ist ein feiner Beobachter, Robert Köhler, der zwar in Hamburg geboren ist , doch von seinem vierten bis 2 3ten Jahre in Milwaukee lebte, ein Schüler von Loefftz und Defregger. Obgleich er 1883 und 1888 die amerikanische Ausstellung in München leitete , hat er jetzt selbst seine Bilder der deutschen Abtheilung eingefügt, der er nach seiner ganzen Schaffensart an- gehört. Selbst das feine Frauenbild, welches er zur Ausstellung brachte , scheint mehr in der Absicht ge- schaffen, genrehaft von einem edlen, anmuthigen Weibe zu erzählen, die sinnend vor sich hinschaut, und die intimen Töne im Licht und Halbschatten zu studiren, als um das kräftige Profil portraitmässig festzuhalten.

Als ich, meiner Gewohnheit gemäss, ohne den Katalog nach Namen und Wohnort der Künstler zu befragen, meine Notizen über die Werke der Ameri- kaner in der Münchner Ausstellung machte, bemerkte ich zu « Hartnäckig 1 » von Louis Charles Möller: «Nach der Tiefe des braunen Tones, der redlich charakte- risirten Zeichnung, der Fülle von Nebendingen und der Art, wie der Vorgang, ein Streit zwischen zwei Spiess- bürgern am Tische der Wohnstube, geschildert ist, scheint das Bild von einem Düsseldorfer, etwa von einem Ge- nossen Fagerlins zu sein». Ich hatte mich geirrt, der

junge, in New-York geborene und dort lebende Künstler ist ein Schüler des Münchener Meisters Feodor Dietz.

Nicht minder mahnen die zierlichen, sauber und feinfühlig durchgebildeten Kleinbilder des in München gebildeten, seit etwa 12 Jahren in Boston lebenden Ignaz Marcel Gaugengigl an unseren Simm, Löwith oder Ehrentraut und über diese hinaus ein wenig an Meissonnier. «Die erste Aufführung» nennt er eines seiner Bildchen in München, «Das Duell» das zweite. Beide legen den Schwerpunkt in die feine psychologische Beobachtung; es sind Kabinetstücke für den Fein- schmecker, der sich nicht gern einen Zug in der Charakteristik des jungen begeisterten Musikers, seines eifrigen alten Begleiters, der Schaar kunstsinniger Hörer entgehen lässt.

Zwei Deutschamerikaner, beide noch jüngere Männer, sind jetzt im Begriff mit kräftiger Hand das sich lockernde Band zwischen dem alten Vaterland und dem neuen durch künstlerische Thaten aufs neue anzuziehen, Ulrich und Marr.

Charles Fred. Ulrich, New Yorker von Geburt, gehört im Wesentlichen noch zu uns , obgleich der junge Künstler, dessen Wirken diesmal das Zusammen- kommen der schönen amerikanischen Abtheilung der Münchener Ausstellung vorzugsweise zu danken ist, nachdem er bei Loefftz und Lindenschniit studirte, längere Zeit in Holland und Venedig lebte. Das beweist sein feines , liebenswürdiges Bild « Idyll in Sotto Marino». Ist es italienisch in Haltung und Ton, dieses Bild, wie es italienisch im Gegenstande ist? Ge- wiss, man könnte es für ein Bruderwerk von Zezzos, Nono, Tito oder sonst einem der Meister Venedigs halten. Aber man wird auch an die Oesterreicher Cecil van Haanen, Franz Rüben und den allzu- stark in Schönheit arbeitenden Eugen Blaas erinnert. Und die Engländer William Logsdail, Henry Woods, der Russe Roussoff , der Amerikaner Charles Gifford Dyer, der 1871 in München .studierte, alle diese gehören auch in diesen Reigen. Der Ursprung der internationalen Schule liegt einestheils in der maler- ischen Kraft der Lagunenstadt selbst. Neben den Niederlanden ist sie zu allen Zeiten Heimath des Kolor- ismus gewesen : Hier herrscht die Farbe , oben an der Nordsee der Ton ! Aber die eigentlichen Entdecker der modernen venetianischen Farbe , jenes wohlausge- glichenen feinen Spieles zwischen dem Goldton Titians

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und dem Silberton des Canaletto sind, wenn ich recht sehe, Deutsche: Der Leipziger Karl Werner, der Vater deutscher Aquarelltechnik , und nach ihm der Wiener Ludwig Passini.

Von diesen hängt Ulrich allem Anschein nach in seiner ganzen malerischen Art ab. Selbst bei seinem Oclbilde glaubt man an der Feinheit und Weichheit der Uebergänge, am milden Glanz der Farbe, an der vor- nehmen Gehaltcnheit des Gesammttones die Herkunft vom Aquarell zu verspüren. Der junge Meister be- währt sich als ächter, schnell in die Sachlage einge- führter, umsichtiger Amerikaner, indem er mit sicherer Hand dort eingreift, wo der Weg nach Vorwärts weist. Er ist an nationale Eigenart noch weniger gebunden als die in Venedig lebenden Europäer, er bewegt sich völlig frei in dem selbstgewählten Elemente.

Anders ist es mit Karl Marr. Seit dieser feine Künstler in seinen « Flagellanten » jenes grosse Historien- bild geschaffen hatte, durch welches man lange Zeit in München glaubte, sich in die Kunstgeschichte ein- führen zu müssen, ein Bild, welches gewaltiges Können und ernsteste Studien verrieth, ist Marr in dem hastigen Vorwärts innerhalb der Münchener Schule stets als mit an der Spitze des Fortschrittes wandelnd erschienen. Seine Schilderung unserer nationalen Schmach in dem tiefen, ernsten Bilde «Deutschland 1806» hat ihn als einen der Unseren seinem ganzen Empfinden nach erkennen lassen , als einen Mann von deutscher Innigkeit des Gefühles. Es ist durchaus bezeichend, dass ein mit deutschem Kunstwesen so eng verflochtener Mann wie der Kritiker Pecht, gerade Marr für den bedeutendsten amerikanischen Maler erklärte: Er ist eben der dem deutschen Kunstgelehrten am nächsten stehende!

Dann kamen die Schilderungen aus der Bieder- meierzeit, aus dem Freiheitskriege und dieses Jahr in München «Ein Sommertag», ein deutsches Familien- leben: Mädchen, Mütter, Kinder, Hühner im Garten, unter der Laube. Aber die eigentliche Absicht all' dieser Bilder ist es nicht , die weichen Saiten des Deutschthums anzuschlagen, die Thränendrüse in Pflicht zu nehmen. Marr ist's münchnerisch und amerikanisch modern um die Farbe zu thun, um Ton und Licht- wirkung , um den Glanz der im Blättergrün spielenden Sonne, um das Spiel der Lichtflecke auf dem Boden, auf den menschlichen Gestalten. Und mit grosser Kraft setzt er seine Absicht durch: Es blitzert auf dem Bilde

von durchbrechenden Glanzlichtern, die von grünen Reflexen eingehüllten anmuthigen Frauen und Mädchen schimmern in dieser bewegten Lichtmasse. Wer mit Maleraugen sehen gelernt hat, erkennt die Kühnheit der Leistung, neben die verhältnismässig geringen Schwank- ungen der Lokaltöne solche Blender zu setzen und doch die künstlerische Einheit des Ganzen festzuhalten !

Ihm nahe steht der wieder in München gebildete Orrin Peck, der durch sein vor drei Jahren ausge- stelltes Bild «Von ihm» so rasch die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Denn sicher und frisch hatte er die Hellmalerei erfasst, Tüchtiges in ihr geleistet und da- bei eine hübsche Amerikanerin in das weissliche Grün des sonnendurchleuchteten Gartens gestellt. Nach dem System der Schule braucht ein Bild um schön zu sein, nicht etwas in der Natur Schönes darzustellen. Es kann ein hässlicher alter Mann den Gegenstand eines köstlichen Bildes abgeben. Dies zu beweisen , plagte man sich redlich. Dem Amerikaner kam's weniger auf das System als auf die Wirkung seines Bildes an. Er malte seine anmuthige Landsmännin , die Parteien durch ihr niedliches, im hellsten Licht strahlendes Ge- sichtchen versöhnend. Und er malte jetzt wieder ein holländisches Kind mitten unter Blumen im Schatten einer Kastanie sitzend kein Kampfbild , doch eines welches sich Freunde wirbt!

Die Mitte zwischen Genre und Landschaft hält zu- nächst Hermann Hart wich inne. Bald .schildert er ein Gespann Ochsen auf frischem Blachfeld, bald Bleicherinnen auf sonniger Wiese, bald Italien mit seinen warmen Stimmungen, bald wie in seinem letzten Bild eine beschneite Märzlandschaft, durch die ein Viehhändler mit seinem Hunde auf schlickeriger Strasse hingeht der schwere graue Wolkenhimmel lastet über der stillen Ebene, der angeschwollene Fluss zieht gurgelnd dahin !

Es siedelte sich in neuerer Zeit wieder ein ganzes Malergeschlecht in München an: R. Gross hat sich den Genremalern eingereiht, William A. Leigh stellt sogar unter den Münchnern mit aus, denen er sich seit einiger Zeit ebenso wie der auch auf der Kupferplatte ge- fällige Sion Wenban, der Historienmaler Hermann Urban und A. V. Renouf Whelpley mit seinem sehr beachtenswerthen Frauenbildnis anschloss.

Es zeigt sich in diesen Vorgängen deutlich der Erfolg von Münchens entschiedenem Eintreten für den

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Henry Mosler. Der Kesselflicker

Fortschritt in der Kunst: Die Amerikaner, welche in Schaaren vor vierzig Jahren nach Düsseldorf, vor zwanzig nach München kamen, dann aber nach Paris abschwenkten, beginnen wieder an der Isar sich heimisch zu machen. Die deutsche Genremalerei, überhaupt die starke Seite unserer älteren Kunst, ragt weit in das ameri- kanische Schaffen hinein. Die Münchener Ausstellung zeigte eine Reihe von Namen in dieser Richtung schaff- ender Künstler, denen man die deutsche Abkunft an- zuhören glaubt: Mosler, Gutherz, Thayer, Rols- hoven. Aber so ganz ohne Weiteres dürfen wir diese nicht für uns in Anspruch nehmen, wie ja überhaupt die Lage der Kunst und die Irrgänge ihrer Entwicklung nirgends schwerer zu klären zu sein scheinen, als in jener grossen Republik drüben: Sie stellt noch ein frisch gepflügtes, offenes Feld dar, in welchem Samen aller Arten Nahrung und Gedeihen finden.

Man kann deutlich bei den amerikanischen Figuren- malern , wie bei den Landschaftern ein langsames Ab- schwenken von Deutschland bemerken zu Gunsten einer Annäherung an Frankreich. Dieser Umschwung voll- zog sich etwa in der Mitte der sechziger Jahre und wurde durch unsere Siege von 1870/71 nicht aufge- halten. Die Amerikaner kamen wahrlich nicht in das Gebiet des Deutschen Bundes aus besonderer Hoch- achtung für die Bewohner und Verhältnisse seiner sechs- unddreissig Staaten und wurden durch unsere Einigung nicht verdrängt; sondern sie kamen, weil sie, Europa von fern übersehend, den Werth der Kunstschulen am besten abzuwägen vermochten, unbeeinflusst von euro- päisch nationalen Anschauungen. Sie gingen eben ein- fach dorthin, wo sie am meisten zu lernen hofften. Kaulbach und Piloty zogen sie lange Zeit an. Da- mals genoss Deutschland die Früchte einer ruhmvollen

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Kunstentwicklung. Das hohe geistige Walten des Cor- nelius wirkte mächtig nach, vielfach zogen strebende Künstler damals München allen anderen Kunststädten vor. Deutschlands Kunstruhm überflügelte ganz jenen Englands und Italiens. Die auf höchste malerische Voll- endung dringende romantische Schule Frankreichs stand noch aliein in Europa, abgesondert. Aber das jüngere Künstiergeschlecht empfand den Deutschen gegenüber bald überall , da.ss diese die zeichnerische Schule des Cornelius abzulösen bestimmt sei. An den Akademien, wo die Selbstgefälligkeit in veraltenden Sy.stemen stets behäbig den Thron und die Köpfe einnimmt , begriff man dies zuletzt. Dort hielt man fest an der Ueber- lieferung, auch seitdem sie immer inhaltsärmer wurde. Man kann deutlich verfolgen , dass die amerikanischen Maler, welche vorzugsweise München als Studienort wählten , ihre letzte Ausbitdung in Paris anstrebten, namentlich seit sie die Deutschen selbst in hellen Schaaren nach Paris wandern sahen. Piloty war als Lehrer auch in New- York und Boston hoch gefeiert, aber wenn man von ihm die Technik des Malens er- lernt hatte, suchte man in Paris die künstlerische Voll- endung. Da die Deutschen selbst zumeist so verfuhren, so kann man es den Ausländern nicht verargen. Diese gaben zunächst den Akademikern der Ecole des beaux arts, den Trägern der von David ausgehenden strengen Schulung den Vorzug. Sehr früh aber erkannten die Amerikaner den höheren VVerth der Stimmungsmalerei: Corot fand zunächst in New-York und Boston begeisterte Aufnahme, die Hellmalerei unter den Söhnen der Ver- einigten Staaten eifrige Verfechter.

Ein einflussreicher Führer schon in seiner Eigen- schaft als Lehrer an der New -Yorker Kunstschule scheint nach dieser Richtung Lemuel Everett VVil- warth gewesen zu .sein, der 1859 1863 bei Kaulbach stuflirte und dann bis 1867 bei Gcröme arbeitete. Ihm folgte eine grosse Reihe später berühmt gewordener Künstler gerade in die Werkstätte dieses Künstlers, denn dieser übertraf hinsichtlich des .< Raffinements» in der Farbe selbst jene Pariser, welche \ on den Deutschen vorzugsweise als Lehrer aufgesucht wurden, den Couture oder Glayre.

Einen ähnlichen Weg schlug Henry M Osler ein , einer der in Deutschland am besten bekannten Amerikaner. Deut.schen Kunstfreunden werden zu- nächst die Bilder : « Die letzten Momente » aus der

vorjährigen Berliner und «Der Kesselflicker» von der diesjährigen Münchener Ausstellung in bester Erinn- erung sein. Sein « Herbstfest ^ , welches man in München 1888 sah und manches tüchtige Werk, welches hier und dort erschien, lassen die Richtung des Künstlers deutlich erkennen. Prüft man Mo.slers Bilder darauf hin , was an ihnen amerikanisch, was deutsch und was französisch sei, -SO wird man zunächst nicht eben sehr viel mehr von der Nachwirkung seiner Jugendbildung spüren. New -Yorker von Geburt, früh nach Cincinnati und Nashville verzogen, erwuchs er im kunstarmen Westen, angeregt nur durch die örtlichen Grös.sen. Nachdem er als Zeichner den Secessionskrieg mitgemacht, und sich als Ilhustrator bethätigt hatte , kam er dreiundzwanzig- jährig nach Düsseldorf zu Mücke und Kindler. Das war ein etwas jäher Uebergang aus der rauhesten Wirk- lichkeit in eine sehr sanfte, abgeglättete Welt. Bald verwechselte daher auch Mosler seine Lehrstätte: Er ging nach Paris in das vielbesuchte Atelier von Hebert, in dem er namentlich mit den vorwärtsstrebenden jungen Engländern zusammentraf Dann lebte er mehrere Jahre in seiner Heimath, bis er 1874 abermals nach Deutschland und zwar nach München zu Piloty und dann 1877 wieder nach Paris ging, wo er seitdem sich heimisch machte.

In der psychologischen Auffassung des Menschen verräth Mosler die deutsche Anschauung. Ohne die Vorarbeit von Knaus, Vautier und der ganzen deutschen, auch für Frankreich bestimmenden Genreschule hätte der nun etwa fünfzigjährige Künstler nicht seine jetzige Richtung. Die liebenswürdige Versenkung in das Leben der verschiedenen Stände ist durchaus germanisches F>btheil , welches wir mit den Engländern und Skan- dinaviern zu theilen haben: Wilkic, CoUins dort, Mar- strand in Kopenhagen waren die Anreger für uns ebeaso -sehr, wie Chodowiecki und Ludwig Richter. So i.st denn auch der «Kesselflicker» im Grunde nichts an- deres als ein gutes deutsches Genrebild , auch wenn es von einem Amerikaner in Paris gemalt ist. i Die letzten Momente» mahnten an die Düsseldorfer Schule, sie stehen etwa Brütt oder Bokelmann nahe. Nur in dem tief gewählten Ton und in der farbigen Behandlung erkennt man die Nachwirkung von Breton und anderen Franzosen, welche in der keltischen Bretagne, in den vlämisch germanischen Landen ein darstellensw-erthes Volksthum suchten : Denn das romanische Frankreich bot ihnen ein .solches nicht.

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IV. 7'/wmas Dewing. Bildnis der Mr5. Stanford White.

Auch bei Carl Gut herz, einem Schweizer von Geburt, der aber schon 1851 als Knabe nach Amerika kam, täuscht der Name. Er schreibt sich drüben «Guthers» und wird daher wohl «Gössers» ausge- sprochen. Er studirte 1868 bei Cabasson und Pils in Paris, später, wie es scheint mit besonderer Vorliebe, in Brüssel bei Stallaert und in Antwerpen bei Robert. 1873 nach Amerika zurückgekehrt, machte er sich namentlich um das Museum zu St. Louis verdient, trat aber 1884 wieder in Paris in Julians Werkstätte ein und lebt jetzt dort seiner eigenartigen, koloristisch glänzen- den, mit spitzem Pinsel vorgetragenen Kunst. Wir können den Mann keineswegs national für uns in An- spruch nehmen. Im Gegentheil : Es bekundet sich in ihm wieder die Bevorzugung der Franzosen selbst bei uns Stammverwandten.

Wie Leutze und Bierstadt die Wegbahner für die deutsche Kunst waren, so scheinen Franzosen diesen Umschwung zu Gunsten von Paris in Amerika selbst her- beigeführt zu haben: So ein Schüler des Ingres, Pierre

Chasserieau; ein aus Lyon stammender, von 1844 bis 1870 aber in New-York thätiger Schüler des Dela- roche, der Landschafter Frangois Regis Gignon; und der schon genannte, einer alten Hugenotten-Familie entstammende As her Brown Durand, den man drüben als einen der Väter der heimischen Landschaftsmalerei feiert. Welche Wege diese Männer gewiesen haben, erkennt man aus den Werkstätten, welche von nun an die jungen , aus den Vereinigten Staaten herüber- kommenden Maler bevorzugen : Es sind jene der grossen Koloristen Geröme, Bonat und Carolus Duran.

Es war sehr lehrreich , in München die dort aus- gestellten Arbeiten der französischen Meister mit jenen ihrer amerikanischen Schüler zu vergleichen. Da war das farbenprächtige, tief gestimmte, mit vollendeter Sauber- keit bis ins letzte Ornament durchgeführte «Türkische Frauenbad» von Gerome. Die Schönheit in der Dar- stellung der Fliesen, des Marmors, des Beiwerkes, die Weichheit und Durchbildung der nackten Frauenkörper, der entschiedene Zug zum Sinnlichen, ein Zug, der durch ernstes Studium geregelt, wahrlich nichts Verwerfliches in sich hat; aber die trotz alles feinen, den Raum durch- ziehenden Duftes doch etwas harte , auf Betonung der Einzelwerthe begründete Färbung zeigen den Franzosen, den Meister aus Napoleonischer Zeit, jener Zeit einer überfeinerten Romantik , welche weniger die Gemüther bewegen, als die im Tagesgetriebe abgestumpften Nerven in den Tiefen aufpeitschen sollte. In den Jahren, in welchen amerikanische Künstler wie Bridgman, Moore, Weeks, Cox Kenyon, Pickneil, Stewart und Andere bei Geröme studirten, war diese Richtung der französischen Kunst noch die in Paris fast allein herrschende. Die Landschafter der Schule von Fon- tainebleau und Barbizon, der gewaltig anregende, aber grosssprecherische und deshalb uin so mehr \'erhöhnte Courbet , die vielverlachten ersten Versuche der Hell- malerei hatten noch keinen Boden bei den Künstlern gefunden. Es entzückte Paris vor Allem die technische Meisterschaft, die eigentliche Kunst des Malens, welche von den Romantikern den italienischen Grossmeistern abgelauscht und von Künstlern zweiten Ranges, wie Couture, Glayre, Lefebvre, Bouguereau zu einem sicheren Besitzstande der Pariser Schule gemacht worden war. Und dann lockte der prickelnde Geist, der vom Napo- leonischen Paris ausging, dies Leben auf dem Vulkan, dies frohe tolle Treiben im Angesicht des Untergangs,

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Porträt.

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welches sich in der Kunst in Darstellungen der Freuden des Lebens oder der diesen entgejjentretenden schreck- lichen Ereignisse äusserte. Derselbe Geröine, welcher mit Vorliebe Sklavinnen auf dem Markt und Phryne vor den Richtern darstellte, malte den Marschall Ney, der im Festungsgraben zusammengebrochen liegen bleibt, während die Mannschaften, welche das Stand-

Hierin liegt schon eine Art Programm, äussert sich der in Paris mächtig werdende Zug nach engerer Ver- bindung mit dem eigentlichen Volksthum. Man war die grossen Schauervorstellungen und die prickelnde Sinnlichkeit müde, man ging hinaus aus Paris, auf das Land, wo die grossen Erneuerer der französischen Kunst eben damals ihre wunderbaren Entdeckungen im Reiche

/. /I. Briagman. Das Negerfest zu Clidah.

recht an ihm vollzogen , theilnahmlos abziehen : Grau- samkeit war ja jederzeit das letzte Vergnügen der sinnlich Ermüdenden.

Ein so fein beanlagter Künstler wie Frederick Arthur Bridgman musste bald die Schwäche an der Kunst seines Meisters merken. Zwei Jahre nach- dem er 1866 in dessen Atelier eingetreten war, führte er, obgleich er erst die Zwanziger kaum überschritten hatte , Bilder aus , welche schon im Gegenstand eine Abschwenkung von seinem Lehrer darstellten. Er malte zunächst vorzugsweise die Bretagne und ihre Bewohner.

der Stimmung machten. Und als dann Vielen und so- mit auch Bridgman des Malens von Bauern aus der Normandie und aus den Pyrenäen zu viel wurde, als sie sahen , dass ihre verfeinerte Natur sich nicht Tür diese Aufgabe eigne da war es der Orient, der sie alle mächtig lockte, dort wo Pracht und Einfachheit, Schönheit und Grausamkeit, sanfte Stimmung und wilder Ernst, glänzencle Farbe und blendendes Licht so eng beisammen stehen, wo das Volksthum wenigstens für uns europäisch Gebildete ein wunderbarer Hauch des Dichterischen umzieht; aus Schmutz und Elend der

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Reichthum an Ton, aus verkommenen Sitten der Glanz früherer Tage, aus versinkenden Städten höchste künst- lerische Pracht hervorspricht.

Und dorthin wendeten sich auch die Amerikaner. Bridgman hat sich Aegypten und Nordafrika zur künstler- ischen Heimat gewählt. Seine Bilder sind in Deutsch- land verhältnissmässig oft au.sgestellt worden. Auf der Berliner Ausstellung von i8gi waren deren allein fünf, in München ist er ein gern gesehener, regelmässig er- scheinender Gast, unsere illustrirten Zeitungen bedienen sich gern seiner Meisterschaft. Unter der Hand des Ameri- kaners hat sich Gerömes Schule gewandelt. Bridgman ist heller im Ton, klarer in der Farbe, weisser im Licht. Die Entdeckungen der Jüngeren, der Hellmaler, haben ihn nicht ganz für sie bekehrt, aber er hat von ihnen viel aufgenommen. Ja in seinem Bilde «Das Fest des Propheten zu Blidah» liegt in dem Spiel mit dem Weiss der die Frauen umhüllenden Tücher, des Marmors und des Stuckes der Baulichkeiten als Gegensatz zum Ton der Abendluft, der brennenden Lichter und der dunklen Hautfarbe der südlichen Frauen der eigentliche künstlerische Vorwurf In dem « Negerfest zu Blidah » tritt neben dem Zug zum ethnographisch Genauen noch die im Ganzen nicht völlig zur Wirkung gelangende Buntheit hervor; und in dem nebenbei vorgeführten «Opfer der Tugend», jener in drei Bildern dargestellten Erzählung vom Ueberfall einer Harems-Schönen durch einen lüsternen Mörder, erkennt man, dass auch die alte Neigung zu Geröme'schen Vorwürfen doch noch nicht ganz überwunden ist.

Eben.so ist die Vorliebe für das Topographische, Bildnis-sartige noch bei den Schülern Gerömes stark. Wenn uns Bridgman gewissenhaft die Orte nennt, die er darstellt Orte, deren Dasein ihm nur die ge- lehrten Geographen oder Orientreisende nachzuprüfen vermögen so ist auch dies wieder eine Art Programm. Man sieht , dass er noch im Sinn der alten Schule den Gegenstand bevorzugt, dass es ihm nicht lediglich auf die Darstellung eines Natureindruckes , sondern auch vorzugsweise auf den sachlichen Inhalt ankommt.

In gleicher Weise schafft der 1849 i" Boston ge- borene Edwin Lord Weeks, der, nachdem er bei Geröme und Bonnat seine Studien gemacht hatte, Bridg- man nach Nordafrika folgte , ihn aber bald , Indien zu- strebend, weit hinter sich liess. Auch in seinen Bildern, deren in Berlin und München mehrere zu sehen waren.

tritt die sonnenhelle Oricntmalerci mächtig hervor. In vielen Arbeiten wird man an den Russen Wereschtschawin gemahnt , erscheint Weeks gewissermassen als dessen Eideshelfer, indem er die glanzvolle Wirkung weis.sen Lichts in weissen Marmortempeln, wie in jenem von Walkeshwur bei Bombay, mit ähnlicher Kraft des Sonnen- tones schildert und dazu all das Flimmern der reichen Farben auf den Gewändern, auf der blanken braunen Haut der Menschen, auf den bunten Behängen und Gefiedern der Thiere. Ein echtes Sonnenbild dieser Art, so recht der Beweis, wie weit man es in der Darstellung tropischen Lichtes zu bringen vermag, sind die « Elefanten des Maharajah in Jehore».

Ein dritter Gcröme-Schüler, Harry Humphrey Moore, hat, ehe er zur selbständigen Künstlerschaft gelangte, eine zweite Lehrzeit durchgemacht, die starken Einfluss auf ihn ausübte Er war in Spanien und später in Rom Schüler des Fortuny. Bei seinen kecken, farben- frohen, bei höchster Buntheit doch einheitlichen Bildern, mit Vorliebe Darstellungen aus Japan , kommt ihm die scharfe, geistreiche, zugespitzte Art des grossen Führers der modernen Spanier und Römer ausserordentlich zu statten : Ein so keckes Roth , ein so blitzendes Gelb hat eben nur die Schule Fortunysl

Den umgekehrten Weg, von den Spaniern zu Geröme wanderte Julius L. Stewart, der im ver- flossenen Jahre in Berlin trefflich vertreten war. In die Werkstätte des Zamagois und des Madrazo führte ihn die genaue Kenntniss der Malweise des Fortuny: Ist doch Stewarts Vater der glückliche Besitzer einer Reihe der besten Werke des Spaniers. Die Farbenfreudigkeit der Bilder des jungen Meisters erklärt sich trefflich aus diesem Zusammentreffen: Die ausgeglichene Kraft des farbigen Tones dankt er der Schule Gerömes; die heitere Buntheit den spanischen Anregungen; und die innere Vornehmheit seiner Gestalten, der freie Anstand, welcher sie beseelt, ist sein eigenstes Gut oder das seiner amerikanischen Herkunft.

Auch Kenyon Cox studirte bei Geröme, nach- dem er vorher Carolus Duran nahe gestanden hatte. Schon als 26jähriger kehrte er 1882 nach New York zurück. Das ist vielleicht der Grund, dass er sich von dem übermächtigen Einfluss der Franzosen frei machte, welcher in seinen ersten, venetianischen Studien noch vorherrschte. Jetzt erscheint er eher den Engländern verwandt. Sein «Abend», eine wundervoll gezeichnete

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und gemalte, eigenartig stilisirte Frauengestait vor einer titianisch tiefen Baumgruppe , darf sich vielleicht der geistigen Pathenschaft von Sir Frederick Leighton rühmen, während in dem prächtigen Bildniss dos berühmten ameri- kanischen Bildhauers A. St. Gaudens die freie, selb- ständige Richtung kräftig sich äussert! Man sehe, wie prächtig der Kopf auf der grauen Wand steht, selbst in grauen Tönen schlicht hingemalt, und wie intim die modellirende Hand gezeichnet ist: In dieser Arbeit

ausserordentlich Bonnat als Maler starker Lichtwirkungen, kräftig geschlossener Tonkompositionen auf seine Zeit Einfluss nahm, der begreift auch, dass die Amerikaner, stets bereit, in den Vorderkampf des Schaffens zu treten, ihn gerne zum Lehrer wählten. Frank Hill Smith, Albert Po well Ryder, Charles Gardley Turner. William Anderson Coffin und gewiss noch viele andere ältere unter seinen Schülern leben und wirken jetzt in den Vereinigten Staaten. George Innes,

Etiviin I.orJ iVetks. Die Klephanten des Maharajali in Jeliore.

steckt etwas Besonderes, Amerikanisches, dem zu be- gegnen dem aufmerksamen Beschauer eine Freude .sein wird. Abbot Henderson Thayer, der ausser von Gerome noch von dem international gewordenen Hol- steiner Heinrich Lehmann angeregt, anfangs Genrebilder malte, aber bald von dem «Kind mit der Katze» zur « Leda mit dem Schwan » und endlich ganz von der Lyrik zur Realistik überging, hat in Amerika auch eine bemerkenswerthe Ruhe des Tones und Breite des Vor- trages sich angeeignet , die seine beiden in München ausgestellten Bildnisse als Werke von kräftiger Eigenart, als amerikanisch erscheinen Hessen.

Wer sich des Aufsehens erinnert, welches zu Ende der sechziger Jahre und in der Folgezeit Bonnats Bild- nisse erregten, namentlich sein «Thiers», wer weiss, wie

des ausgezeichneten New- Yorker Landschafters 1854 in Paris geborener Sohn, ein tüchtiger Thiermaler, gehört auch in diesen Kreis. Andere verliessen Paris nicht auf die Dauer: So Walter Gay, welcher, seit er 1876 in Bonnats Werkstatt eintrat und Paris nur zu Studienzwecken verliess; Charles Sprague Pearce. welcher 1873, 22 Jahre alt, sich dem Meister anver- traute und seitdem als einer der feinsten Künstler der amerikani.schen Kolonie an der Seine lebt. Beide, zu den fortgeschrittensten Hellmalern gehörig, waren wohl vortrefflich in Berlin , nicht aber in München vertreten. Nicht blos um den Vorwurf mangelnder Höflichkeit gegen Frauen von mir abzuwenden, nenne ich gleich hier drei in Paris lebende Malerinnen : die an männlicher Breite des Vortrages mit der Polin

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Bielinska und der Holländerin Schwartze wetteifernde Anna Elizabeth Klumpke und Lucy Lee Robb ins, welche durch ihr in Berlin ausgestelltes Selbstbildniss den Männern bewies , dass man ein vor- nehmes und anmuthiges Mädchen bleiben kann, selbst wenn man eine sehr ernst zu nehmende Malerin wurde; und den Frauen, dass man mit vollster Hingebung sich einem Berufe widmen und doch dabei in schönster Weiblichkeit sich erhalten kann ; und endlich Emma Chadwick, die, so viel ich weiss, Schwedin von Geburt, schon zu Anfang der achtziger Jahre bei Robert-Fleury und Cazin studirte und seither Werke von sicherer Meisterschaft zur Schau brachte.

Alle diese, sowie die jüngeren Mitglieder der amerikanischen Malergesellschaft in Paris machten sich früh von Geröme und Bonnat frei, geführt von einem ihrer grössten Talente John Singer Sargent. Sargent ist in Florenz 1856 geboren und Schüler des Carolus Duran in Paris. Seine Bedeutung liegt in der erstaun- lichen Thatkraft, mit der er die impressionistischen Bestrebungen der siebziger Jahre vertrat, hierin neben Bastien-Lepage einer der glänzendsten Vertreter der Hellmalerei werdend.

Das Programm dieser Maler ist tausendfältig be- sprochen! Es heisst für sie, die Welt sei herrlich überall, der zu malende Gegenstand daher gleichgiltig, wenn nur die Natur in ihrer vollen Wahrheit getroffen werde. Der Kampf gegen veraltende Ideale führte sie bis zur grausamsten Entschiedenheit im Realismus. Aber Eines verklärte ihre Bilder: das Licht, die strahlende Sonne. Die Wirkungskraft der Farbe durch sie wurde erstaunlich gesteigert, die Empfindung für die zarten Halbtöne so verfeinert, dass man der schweren Schatten der alten Malerei nicht mehr bedurfte. In der geringen Tonver- schiedenheit zwischen höchstem Licht und tiefstem Dunkel im Bilde offenbart sich die Feinheit des maler- ischen Empfindens, eine andere, künstlerischere Art jener «Beschränkung», in welcher doch die Aesthetiker so lange die Vorbedingung der Schönheit erblickten. Man mu.ss ein Bild wie Pearces «Schäferin», George Hitchcocks «Mutterglück?, Walter Mc Ewens «Allerseelentag», Sargent Kendalls «Milchhänd- lerin», man muss ferner die prächtigen Arbeiten des diesmal in München nicht vertretenen Gari M elchers auf diese Werthe hin prüfen, um den Malern gerecht zu werden. Es ist da eine Anspannung des malerischen

Auges, eine Vorsicht in der Wahl des Tones, eine Zart- heit in der Empfindung für die koloristischen Werthe, wie sie vor der unserigcn kaum eine andere Zeit besass. Und gerade in den Werken , welche die an alten acsthetischen Werthen Hängenden am stärksten ab- schrecken, tritt die ausserordentliche Steigerung des malerischen Könnens oft am deutlichsten hervor.

Zwei Bilder seien nach dieser Richtung hervor- gehoben , ausgedehnte Leinwandflächen , welche in München viel besprochen wurden: Alexander Harrisons «Badende» und William T. Dannats « Spanierinnen ».

Von Harrison soll später noch weiter die Rede sein. Hier gilt es die Werthe eines Bildes abzuwägen, welches einen grünlichgelben Abendhimmel, eine fast bewegungs- lose grüngelbe Meeresfläche und in dieser einige nackte, ganz von grüngelben Reflexen umspielte Frauen dar- bietet : Viele Quadratmeter Fläche, in welchen nur das Haar und die Augen der Frauen einen etwas tieferen Ton haben, sonst fast ein Einerlei oder doch so beschei- dene Schwankungen in der Farbe, dass der ungewohntere Blick ihrer kaum sich bewusst wird. Und trotzdem oder besser wegen dem : welche Tiefe der Perspektive, welche Klarheit in der Raumgestaltung, welche endlose Fülle feiner sich durchdringender Reflexe, welche Wahrheit und welch' tiefes aus dieser hervordringendes Gefühl der Ruhe und des Wohlseins!

Dannat hat es erreicht, dass seine Arbeit wohl die am häufigsten genannte der Münchener Ausstellung war. Aber neunundneunzig von hundert Besuchern be- zeichneten es einfach als das «scheusslichste» aller Bilder. Es ist ja eine Eigenthümlichkeit der meisten braven Leute , dass sie sich besonders freuen , etwas gefunden zu haben , worüber sie sich von Grund der Seele entrüsten können. So war es hier, vor Dannats Bild: Eine Anzahl aufgeregter, geschminkter Spanier- innen sitzt aut einer Bank an der Wand , von elek- trischem Licht beleuchtet. Alle Farben sind durch dieses Licht ebenso verzerrt, wie die Leiber der zweifel- haften Schönheiten , alle Glieder umspielt von wunder- lichen , immer in ein violettes , weissliches Roth über- gehenden Farbenmischungen. Beobachtet ist das Bild aber mit ausserordentlicher Schärfe und gemalt, in leichtem Auftrag alla prima gemalt , dass einem ge- radezu die Haare zu Berge stehen , wie vor einem .schreckhaften Wunder 1

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Mit einer gewissen Sicherheit kann man annehmen, dass dieses Bild von der grössten Mehrzahl europäischer Aufnahme-Juroren würde abgelehnt werden. Wie man in Amerika darüber denkt, weiss ich nicht. Diesseits des Oceans ist es nur in München und Paris möglich. Dannat ist kein Anfänger mehr: Jetzt ein Mann nahe den Vierzigern , hat er einst an der Akademie in München seine Studien begonnen und lebt nun in Paris. Dort hat man ihn mit Ehren aufgenommen und eine Lehrstelle an der Kunstschule überwiesen: Es ist eben wunderbar, wie «dem ein sin Uhl is, wat dem annern sin Nachtigall is. » Ich erzählte einem deutschen Akademieprofessor vor dem Bilde, dass es von einem seiner Kollegen in Paris stamme : Er sah mich lange an , ob ich scherze dann ging er schwei- gend und den Kopf schüttelnd weiter.

Schon vor einem anderen Bild hatte er mir nicht recht glauben wollen , dass meine Freude eine unge- heuchelte sei , vor je- nem von Robert William V o n n o h : Ein Blick über ein Feld blühenden Mohnes, in dem ein Kind herum- spielt , dahinter eine

Wiese, etwas Wald, ein Hof; Alles im bläulichen Sonnenlicht spielend, eine grosse- Bildfläche. Er wollte nicht einmal zugestehen, dass es meisterhaft gemalt sei! Es lohnte sich aber das Mohnfeld genau anzu- sehen: Ein Mosaik in Oelfarbe; das völlig reine Roth steht in breiten Haufen unmittelbar aus der Tube auf die Leinwand aufgedrückt da, die blaugrünen Blätter stehen in breiten Flächen daneben. Zwischen beiden Farbenklumpen sieht man bis zu einem Centimeter breit die blanke weisse Leinwand. Diese Amerikaner scheuen sich wenigstens nicht, mit aller älteren Technik zu brechen und zu thun, was ihnen nöthig scheint, um die erstaunliche Lichtwirkung zu schaffen , welche sie anstreben. Ist dies Streben ein falsches nun dann ist selten auf Fehlwegen mit solcher Kühnheit gewandelt worden I

Charles Edmond Tarbeil, gleich Vonnoh «drüben» lebend, nimmt eine ähnliche Richtung ein. Ihm ist's darum zu thun, wechselnde Beleuchtungen im Antlitz des Menschen zu zeigen: Und da wird der Kopf ihm kurzweg zum Versuchsfeld für koloristische Kontraste selbst ein hübscher Mädchenkopf: «Ein Opal» und «Ein Amethyst» nennt er seine wuchtig durchgeführten Studien nach dem Ton des sie um- spielenden Lichtes.

Minder auffallend, malerisch aber von hohem Werth, sind die Bilder des unlängst von Paris nach New-York übergesiedelten Childe Hassam: Die Arbeit «Das Blumenmädchen , eine Erinnerung an Paris » ist so viel mehr französisch als die ausgezeichnete Darstellung

der « 5. Avenue im

George Innes. Landschaft,

Schnee » , dass man sehr wohl erkennt, der kräftigere Ton sei das, was die neue Welt dem Künstler hinzu- brachte. In Emil Carlsens Stillleben sieht man die französ- ische Schulung deut- licher. Es könnte das Bild für einen VoUon gelten. G. D. F. Brush und D e n n i s M. Bun- ker neigen auch in ihrer Kunst Pariser An- regungen zu. Eugene Vail datirt seine fein em- pfundene Darstellung des Themselebens im Nebel so- gar französisch, mit «Londres».

Henry Muhrmann, zumeist in München gebildet, jetzt in London lebend, verzichtet mit seinen düsteren Klippen bei Hastings in noch höherem Grade auf das Zeichnerische der Naturdarstellung; und wenn er gleich sein Bild nach einem bestimmten Landschafts- ort benennt, ist's ihm doch nicht um das Landschafts- bildniss, sondern lediglich um koloristische Werthe zu thun. In den beiden anderen Bildern, welche er nach München brachte, erinnert die «dämmernde Tiefe, der .schwermüthige Ernst zumeist an L'Hermittes pracht- volle Werke.

Eine grosse Hinneigung zu Mesdag zeigt das Bild von H. W. Ranger «Flusslandschaft», während sich in

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

den « Gebäuden im Madisonsquare-Garten » Rauch und Nebel, elektrisches und Gaslicht mit einem Schimmer von Tag zu einer fein beobachteten Gesammtstimmung meisterhaft vereinen. Aehnlich neigt Alexander van Laer, wohl selbst Niederländer, obgleich seine Aus- bildung sich ganz in New-York vollzog, zu den graueren Tönen der holländischen Malerei hinüber; mischen sich in William Henry Howe, in Hugh Bolton Jones, von dem ich Bilder aus der Bretagne gesehen zu haben mich entsinne, der also wohl selbst in Paris geschult wurde; in Horatio Walker, in Francis C. Jones mit seinem prächtig gemalten an Tadema erinnernden Interieur, die amerikanische Feinheit der Naturempfindung mit den aus Europa und besonders aus Frankreich über das Meer hinübergreifenden Anregungen. Dieselben zeigen sich bei einem Künstler, dessen Ausbildung, so viel ich weiss, sich ganz in seinem Wohnort New-York vollzog, bei John Francis Murphy aus dessen reizendem Landschaftsbilde, einer Hütte am schilfigen See im tiefsten Walde, man ersöhen kann, dass auch am Hudson Luft und Licht ihre wunderbaren Schleier um die dämmernde Erde breiten, genau so wie im Walde von Barbizon und an den Ufern der Seine.

In diesen Bildern macht sich bereits eine gewisse Sonderung von der Kunst geltend, welche in Paris vor- herrscht. Sichtlich beruht diese nicht auf zufälligen Eigenschaften der amerikanischen Landschaft.

Auf der Münchener Ausstellung machten die Werke von George Innes in New-York eine sehr starke Wirkung. Sein «Sonnenaufgang» wurde mit einer Medaille ausgezeichnet. Das schon 1888 gemalte Bild, ein paar dürre Bäume über einer Haide, ein zerrissener tiefblauer Himmel, aus dem tiefroth die Sonne hervorbricht, ein paar rothe Flecken als Staffage : Dies einfache Werk machte den Eindruck einer farbengewaltigen Ton- dichtung. Es trat den europäischen Künstlern hier eine stark eigenartige Persönlichkeit entgegen , und dies ist's wohl, was sie zumeist an dem Werke anzog. Daneben hatte der Künstler einen «Wintermorgen» vorgeführt, eine Art Vorfrühling vor dem Ergrünen der Natur, in dem das Braun der Bäume und Sträucher sich mildert und durch die Reste des Schnees unter dem bereits wärmenden Himmel eine Ahnung künftigen Sprossens hervorlugt. Und dann einen «Stillen Tag» ein Paar Bäume am See, in der Dämmerung, mächtig vorgetragen, als gälten dem Maler die Formen der

Natur nur als das Mittel um an ihnen das Spiel der fein abgewogenen Farben zu schildern. Es spricht aus diesen Bildern eine ganz veränderte Auffassung dessen, was malerisch sei. Die Menschen im Bilde sind ihrem Schöpfer nicht «Staffage» im Sinn der alten Land- schafterei, Personen, welche zur Erklärung des Gegen- ständlichen dienen sollen , sondern Mittel ein paar leb- hafter Töne auf der von prächtigen Lichtblicken durch- furchten Leinwand anzubringen, welche, mit einer rück- sichtslos breiten Weise gemalt, von Wirkung strotzt: . Man sehe , wie die düsteren Bäume auf der warm grauen Wolke stehen!

Es giebt Künstler und es hat deren besonders in Deutschland sehr grosse gegeben welche in der Natur unter der Farbe , unter dem Ton zunächst die Form sehen. Sie führte die wachsende Erkenntniss ihrer Stellung zur Natur immer mehr dahin , von der Farbe ganz abzusehen und in der reinen, völlig des Tonspieles entzogenen Form den Höhepunkt der Kunst zu erblicken. Ein ganzes Volk, die Hellenen, wahrlich nicht das Kleinste in künstlerischen Dingen , baute auf diesem Empfinden seine stolze Kunst auf.

Bei einem Maler wie Innes, erscheint das volle Gegentheil. Er strebt der reinen Farbe, dem reinen Tone zu. Ihm wird das Landschaftsbild zur Ton- symphonie. Ob die einzelnen Gegenstände Form haben, ob sie für die Beschauer deutlich erkennbar sind das kümmert ihn wenig. Er ist zu einer philo- sophischen Abklärung in der Kunst gelangt, die jener an Entschiedenheit entspricht, welche die rein plastisch empfundene , weisse Statue für die vollendetste Form der Kunst hält. Und er ist in Amerika sichtlich nicht der einzige seiner Anschauung.

Der Umschwung im Geschmack der Amerikaner kam gegen Ende der siebziger Jahre scharf zum Aus- druck. Er stellt sich treff"lich dar in dem Urtheil, welches zwei Landschafter über Corot fällten. Jervis Mc. Entee, Mitglied der alten, wesentlich von Düsseldorf beeinflussten Schule, fand des französischen Meisters Bilder, deren es drüben sehr viele gibt, nach- lässig und unfertig, nicht Landschaften, sondern Ge- spenster von Landschaften, Werke der gehetzten französischen Schaffensweise, des Dranges, sich durch Sonderbarkeit auszuzeichnen. Innes aber fasste seine Stellung zur Kunst merkwürdig pantheistisch. Er will nicht seine Person in das Mittel der Kunst stellen,

DIE KUNS'l' UNSERER ZEIT.

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George Hitchcock. Mutterglück.

sondern betrachtet Gott als ihren Ausgangspunkt; die ganze Kraft des ächten Künstlers sei darauf zu richten, dass er im Kunstwerk verschwinde, dass er die Natur allein und in dieser Gott darstelle. Ihm ist die Kunst Gebet ; Wahrheit und Schönheit sind ihm Gottes- Darstellung. Beide aber gehen aus der Hingabe seiner selbst hervor. « Ich gebe keinen Pfifferling » , sagt er, «für einen künstlerischen Gedanken, der nicht darstellt, was ich fühle. Ich will nur den Eindruck auf Andere übertragen, den ein Gegenstand auf mich machte. Ein Kunstwerk soll nicht belehren, erbauen, sittlich heben es soll das Gemüth erregen. Diese Erregung mag sein welcher Art sie will. Die wahre Schönheit be- ruht auf der Schönheit und Stärke dieser Gefühls- erregung. Wer sie erreicht, der hat das Höchste ge- leistet. Zu wenig kann ebenso stören, wie zu viel. Ein Bild mag noch so gut gemalt, noch so realistisch sein es braucht darum noch kein gutes Bild zu sein. Hierin überragt Corot z. B. den Meissonier. Dieser hat eine

wissenschaftliche, jener eine dichterische Wahrheit, dieser ist analytisch, jener aesthetisch».

So zeigt Innes die amerikanische Kunst auf dem Wege der Schule von Barbizon. Erst als diese Bewegung die jüngeren Amerikaner erfasst hatte, konnte sie sich auf weitere Kreise erstrecken. Wyatt Eaton war es, der ihr nach aussen sichtbaren Ausdruck gab. Noch Schüler Leutze's, doch zugleich des Amerikaners Edwin White und später des Bildnismalers J. O. Eaton, dann aber durch Turner angeregt und von Millet als Freund behandelt, kam er nach Amerika mit dem Kraftgefühl zurück, endlich den rechten Weg gefunden zu haben. Ein unbedeutender Vorgang gab die Veranlassung, dass die beiden Schulen kampflustig sich entgegentraten. Die National Academy of Arts sah schon lange die « nachlässigen und unfertigen » Bilder der aus Barbizon Heimkehrenden ungern in ihren anderen Idealen geweihten Hallen. Sie traf eine Bestimmung , um die Beschickung in ihre Ausstellung

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

durch solche Werke zu beschränken, indem sie be- schloss, jedem ihrer MitgHeder zunächst acht laufende Fuss Wand der Ausstellungssäle zur Verfügung zu stellen. Am i. Juni 1877 gründete, durch diesen Schritt äusserlich veranlasst, Eaton mit dem in Deutschland gebildeten Genremaler Walter Shirlaw, mit der Malerin Helena de Kay Gilder und dem Bildhauer Augustus St. Gaudens die «Society of American Artists». Sie erklärte sich und den neuen Kunstverein als streng modern. Die Form dieser Er- klärung ist sehr bezeichnend : Sie seien , sagten die Mitglieder der schnell sich vergrössernden Genossen- schaft, zwar Verehrer der alten Meister, aber sie wollen Front machen gegen Jene , deren Bewunderung ein- seitig gerichtet sei auf Lambinet, Bouguereau, Cabanel, Delaroche und Meyer von Bremen.

Eine lehrreiche Zusammenstellung! Also die Jung- Amerikaner bekämpften den französischen Classicismus und das deutsche Genre, die Korrektheit und die Süss- lichkeit, die rein formale Schönheit und die Gemüths- verzärtelung 1

Ausser auf Innes richtete sich in der Münchener Ausstellung die Aufmerksamkeit Jener, die amerikanischer Kunst näher treten wollten, vorzugsweise auf das Bild von W i n s 1 o w Homer, auf « Märzwinde >; : Unter grauem Himmel eine weisslich blaue Ferne und davor eine grau- braune Ackerhalde; darauf ein paar Sträuche das Ganze eigentlich in drei Tönen gehalten, einfach und doch eindringlich dargestellt. Homer vertritt in seiner ganzen Art so recht eigentlich das Amerikanerthum. Seine Ausbildung erlangte der den Sechzigern sich nähernde Bostoner durch jenen John La Farge, der die grossartige figurale Kunst des Washington Allston fortsetzte und sie mit William Morris Hunt auf den Weg der Selbständigkeit lenkte. Es ist kein Zufall, dass La Farge als einer der ersten auf die japanische Kunst als auf eine auch für uns vor- bildliche hinwies. Als ein Maler sentimentaler Kriegs- bilder beginnend und als solcher sich den Beifall seiner Landsleute erringend, trat Homer schon 1867 mit Er- folg in Paris auf, ehe er selbst nach Europa ging, mehr um dort die Alten, als um die Modernen zu Studiren; denn in sich war er damals bereits fertig. «Sein Stil i.st frei, kühn und gross», sagte ein englischer Kritiker schon in den siebziger Jahren, «realistisch und geht gerade zu aufs Ziel. Seine Werke behalten etwas

von der in freier Natur gemachten Skizze, sind sie doch thatsächlich im Sonnenlicht, im Freien gemalt, in der unmittelbaren Anschauung der Natur». «Es steckt», erklärt jener weiter, «so viel vornehme Schlichtheit, Ruhe und Nüchternheit in ihnen, dass man den Reichthum an Gefühl und die Feinheit der Empfindung dankbar auch bei der Schwäche der Beziehung der F"arbe zum Gedanken hinnehmen müsse » : Der alte Vorwurf gegen die Freilichtmalerei, als deren erster und eigenartigster Vertreter Homer in Amerika gelten muss.

Was ihn seinen Landsleuten aber besonders em- pfiehlt, ist, dass er Amerika und die Amerikaner malt. Seine Negerstudien, seine Darstellung von Land und Leuten , die Verschmelzung des Bodens mit dem auf ihm heimischen Menschenschlage lässt ihn den Patrioten der Vereinigten Staaten in besonderem Sinne als den Ihrigen erscheinen.

Tritt in Homer eine durch die Besuche in Paris verstärkte innere Verwandtschaft mit den modernen Franzosen deutlich zu Tage, so noch mehr bei Dwjght William Tryon, dessen «Dezember» die Münchener Preisrichter die grosse goldene Medaille zuerkannten. Der im Anfang der Vierziger stehende Künstler, seit 1885 Direktor der Hartfort-Kunstschule, ist selbst that- sächlich in Paris bei Daubigny in die Lehre gegangen, nachdem Louis Jacquesson de la Chevreure und Guillemet ihn zu Anfang der siebziger Jahre vorgebildet hatten. Sein zartes Bildchen «Aufgehender Mond» hat denn auch alle Merkmale der Schule von Barbizon, den feinen blaugrünen Ton der Landschaft , den zarten Hauch des hinscheidenden Abendrothes , ja selbst den Heuschober wie ein Millet ; während der « Tagesanbruch » , ein Blick über den See auf eine noch in Nacht liegende Stadt, ganz in der derben, gesunden und doch tief empfundenen Malweise seines Lehrers gehalten ist. Die selbstständige Kraft des Amerikaners kommt im «Dezember» klar zum Durchbruch: Die Luft ist grau, durchzogen von gelblichen Lichtstreifen ; der dunkle Wald am Horizont, die grauen Brachfelder, das schilfige Moor im Vordergrund sind die Gegenstände, über die die malerisch feinen Werthe sich ausbreiten; das Ganze erscheint als ein Ausblick in eine kühle, ernste Natur, aber als der Ausblick eines auf's Aeusserste für Stimmungwerthe geschärften Auges.

Mit besonderer Aufmerksamkeit habe ich Julian Alden Weir « Wachsende Schatten » betrachtet. Trägt

G o o

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der junge Künstler doch einen in Amerika weit bekannten Namen: Robert Walter Weir gilt drüben als einer der ersten Historienmaler im Sinne der Engländer. Es hat auf die beginnende Laufbahn des 1824 in Florenz und Rom gebildeten Künstlers schon einen gewissen Glanz geworfen, dass er der Nachfolger Leslies an der Kunstschule zu Westpoint wurde, einen Glanz, den er

Ein Künstler wie J. Appleton Brown, dessen Arbeiten in den siebziger Jahren im Pariser Salon Aufsehen machten, beweist, dass Amerika mit am frühesten verstand, wo Daubigny, Millet, Duprc hinaus wollten. Peter Moran, der ausgezeichnete amerikanische Thiermaler, schwenkte früh von Landseer zu Rosa Bonheur und Troyon hinüber und von diesem zu der immer mehr auf Stimmung hin-

Ernest Part(f.n. Im Mai.

durch eigene Arbeiten und durch seinen Einfluss auf die amerikanische Kunst wesentlich erhöhte. Aber wie sein älterer Sohn John Ferguson Weir, der namentlich als Genremaler geschätzt ist, selbst mit derFeder für Millets Kunst eintrat, ging Julian Alden nach Paris und wendete sich, wenn er gleich Geromes Schüler wurde, der Stimm- ungsmalerei zu. Sein Bild ein eine Anhöhe zwischen Wiesen hinaufführender Weg und ein paar gegen die Luft stehende Bäume sonst nichts sind an Stimm- ungswerth einem Cazin gleichzusetzen.

Wir haben es hier also mit einer in den Vereinigten Staaten längst heimisch gewordenen Kunstweise zu thun.

drängenden Art seiner Brüder Edward und Thomas; George Bernard Butler, einst Coutures Schüler, folgte dem Vorgange seiner Landsleute in's Gebiet der lyrischen Dichtung mit der Farbe. Es geht also durch die ganze moderne amerikanische Kunst jener Zug in der Natur weniger Form als Farbe, weniger Gegenstände als Stimmung zu sehen. Aber den vollen Ton für diese Richtung fand erst ein in England lebender Amerikaner: James Abbott Mc Neil Whistler.

Es wird, ehe wir diesem ausserordentlichen Manne uns widmen, nöthig sein, die Vorbedingungen seines Schaffens kennen zu lernen. Whistler ist zwar in Amerika geboren

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

als der Sohn eines hervorragenden, vielfach mit Hahn- bauten in Russland beschäftigten Ingenieurs. Früh aber kam er nach Europa , studirte in Paris unter Glayre, dem glatten Koloristen, und ging dann nach London, der Heimstätte seiner eigentlichen Lebensarbeit.

Als er dorthin kam, fand er nicht eben viel Ameri- kaner unter den tüchigeren Künstlern vor. Seit Newtons und Leslies Tode hatte sich die Sachlage in England so völlig geändert, dass dies nicht eigentlich zu ver- wundern war. Der deutsche Einfluss war hier mächtig geworden, der strenge historische Sinn, wie er aus Cornelius und Overbeck spricht, hatte hier Wurzel ge- schlagen. Die Monumentalkunst wenigstens war deutsch beeinflusst: Dyce, Eastlake, der Präsident der Aka- demie, Armitage kamen nach München und Berlin, um bei Kaulbach die Freskotechnik zu erlernen. Der Prinzregent Albert lenkte mit Ziclbewusstsein und Sach- kenntniss die Aufmerksamkeit auf das Kunstleben seiner deutschen Heimat, auf die Gegenständlichkeit, die Ge- dankentiefe der Cornelianischen Schule. Diese Art des künstlerischen Geistes war völlig dem entgegengesetzt, was die Amerikaner anstrebten. Es bildete sich zwar in den Vereinigten Staaten eine kleine Gruppe der sogenannten Praeraphaeliten , von deren Kunst wir in München in Albert P. Ryders «Pegasus» eine Probe sahen. Aber es bot das Bildchen nicht genug, um zu erkennen, ob die Naivetät echt sei, welche bei unbe- holfener Komposition und stumpfer Farbe doch be- achtenswerth aus ihm hervorsprach.

Unter den in England lebenden Amerikanern nehmen meines Wissens neben Whistler nur der Historienmaler George Henry Boughton und die Landschafter Ernest Parton und C. W. Wyllie eine hervor- ragende Stellung ein. Boughton ist zwar in England geboren, doch erst mit 19 Jahren aus Amerika dahin zurückgekehrt, war seit 1860 Schüler von Fr^re in Paris. Wie Bridgman und mancher andere amerikanische Künstler jener Zeit, begann er mit seiner dortigen Lauf- bahn mit Bildern aus dem Landleben aus der Bretagne. Nach England zurückgekehrt, malte er mit Vorliebe Szenen aus Shakespeare in fein empfundenen Land- schaften mit eifrigem Bestreben, die Gestalten in weiten Raum zu stellen, die Luftwirkung zu vergegenwärtigen. Boughton geniesst als Kolorist in London die höchsten Ehren, sie werden ihm auch als feinem Beobachter der menschlichen Eigenthümlichkeiten und einem dichterisch

empfindenden Manne mit Recht zuerkannt. Der leicht bläuliche Ton , der durch seine zarten Schöpfungen zieht , die zeichnerische Sicherheit und nicht zum ge- ringsten Grade die Wahl seiner Gegenstände machen ihn an beiden Ufern der grossen See beliebt. Aber das eigentlich Amerikanische tritt an ihm kaum er- kennbar hervor.

Ernest Partan , über welchen das « Art Journal » in letzter Nummer ausführlich berichtete, hat die feine, liebenswürdige Beobachtungsweise des über Englands Grenzen kaum bekannten , aber darum nicht zu unter- schätzenden Birket Foster zu seiner Kunstreise angeregt. Er ist in Grossbritanien zu der festen, klaren Darstellungsweise gekommen, die ihn jetzt neben David Murray und Vicat Cole zu einem der beliebtesten Londoner Landschafter machte. Er strebt die Feinheit des Tones auch bei durchgeführter Darstellung inne zu halten und wenn er gleich ein paar Weiden am Bach und ein Birkenholz im Abenddämmern grossen Fem- blicken, ruhige Stimmung bewegter Natur vorzieht, so ist er doch englisch genug, um immer sich fest an das Gegenständliche zu halten.

Mehr ist dies noch bei Wyllie der Fall, dem gleich Boughton schon längst in London zu akademischen Ehren gelangten Seemaler. Seine in hellem klarem Ton gehaltenen Bilder, so jene Darstellung der « Flottenschau zu Spithead » am 4. August 1 889 durch unseren Kaiser, ziehen immer auf die Schilderung thatsächlicher Vorgänge, oft sogar auf die bildnisartige Darstellung eines bestimmten Schiffes hinaus. Und wenn auch gelegentlich fantastische Gegenstände, allerhand Seemärchen, fliegende Holländer und Ausblicke aus der Taucherkammer auf den See- grund seine Werkstätte verlassen, so wird das immer ganz glaubwürdig erzählt, bleibt Wyllie doch immer der aufs Sachliche gestellte Künstler.

Anders mit Whistler, der, obgleich auch er schon seit Jahrzehnten mitten im britischen Kunst- leben steht, doch eine ganz scharf umgrenzte Einzel- gestalt darstellt.

Es war sehr lehrreich , dies Jahr in München neben Whistlers reifen Arbeiten das Bild c Träumend > zu sehen, welches unverkennbar einer früheren Zeit angehört und es zu vergleichen mit seinen besten Werken: Dem schon 1873 entstandenen Bildniss des Carlyle und dem Hauptwerk dieses Jahres, jenem seiner Mutter. Der Ton der älteren Arbeit ist sehr

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Francis C. Jones. Ich spiele nicht mehr.

eigenartig, namentlich zeigt das Weiss einen Stich in's Röthlichgelbe, der mich darauf schiiessen lässt, dass von allen Künstlern der grosse englische Farbendenker George Frederick Watts auf Whistler den grössten Einfluss hatte. Jedenfalls spürt man an dem Werke nichts von französischen Künsten , von der Art des Glayre. Watts wird zu den englischen Praeraphaeliten gerechnet. Aber diese sind ihrem Ursprünge nach vor- wiegend Realisten der Zeichnung, Männer, welche das Erschaute mit möglichster Genauigkeit, genau bis zur letzten Rippe des Blumenblattes , bis zu jedem Faden des Gewebes darstellen wollten. Das hat Watts nie beabsichtigt. Ihm ist das Bild eine symphonische Farbendichtung, er ist einer der frühesten unter den modernen Lyrikern des Kolorits. Wenige haben ihn anfangs verstanden, aber bei den Künstlern wächst sein Ansehen Zusehens. Als sein gewaltiges Bild

«Hoffnung» vor einigen Jahren in München ausgestellt wurde, musste das Wort seines Eigners, Sir Leighton, es sei dessen herrlichster Besitz, ihm erst die Achtung schaffen , welche es verdient , aber den deutschen Kritikern nicht abzugewinnen vermochte. Heute würde man es schon um seiner selbst willen zu schätzen wissen. Whistler stand früh den Praeraphaeliten nahe. Er war es, der in dem kostbaren Wohnhause des Mr. Ley- land das berühmte « Pfauenaugenzimmer » ausmalte , in welchem die herrlichsten Werke der Schule und ihrer Vorgänger aus dem 1 5. Jahrhundert bis vor Kurzem vereinigt waren. Und doch ist er es wieder , der gegen den ästhetischen Vertreter jener Schule , gegen John Ruskin, den entscheidenden, dessen Einfluss nach so glänzenden Erfolgen brechenden Angriff machte, der zu- erst ein neues System in die englische Kunst brachte, ein neues Gefühl für das, was malerisch, was künstlerisch sei.

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Whistler, der, je mehr ich die Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst kennen lerne, desto mehr mir als einer der wichtigsten Merksteine einer neuen Zeit er- scheint, hat sich wiederholt als ein entschiedener Gegner dessen ausgesprochen, was Ruskin Realismus nannte, gegen das rücksichtslose Wiedergeben der Gottesnatur so wie sie ist, ohne Auswahl, ohne Verschönerungs- versuche, in der Meinung, die Natur biete stets und allein das Gute, Schöne. Auch hierin folgte Whistler den Anschauungen Watts, welcher erklärt hatte, wahre Natur sei in unserer verfeinerten und verderbten Welt nicht zu finden, müsse daher vom Künstler erst neu geschaffen werden.

«Die Natur», sagte Whistler, «birgt in Farbe und Form den Inhalt aller möglichen Bilder in sich, wie der Schlüssel der Noten alle Musik.»

« Aber des Künstlers Beruf ist es » , fährt er fort, «diesen Inhalt mit Verstand aufzulesen, zu wählen, zu verbinden , damit er das Schöne schaffe wie der Musiker die Noten vereint und Accorde bildet, aus dem Missklang ruhmreiche Harmonien hervorfördert. »

Selbst dass die Natur immer ein richtiges Bild gebe, selbst dies nennt er eine im künstlerischen Sinne völlig irrige Behauptung. «Die Natur ist so selten richtig, dass man meist sagen kann, Natur sei gewöhnlich falsch: das heisst, die Beschaffenheit der Dinge, welche den vollendeten, eines Bildes würdigen Einklang her- vorbringen soll, begegnet uns sehr selten; sie ist keineswegs gemein. Es gelingt der Natur selten , ein Bild zu schaffen. »

Nach alledem scheint es, als wenn Whistler zur alten idealistischen Schule zurückzukehren gedenke. Seine Schilderung eines unmalerischen Naturanblicks erscheint wie ein Angriff auf die englischen Landschafter des Praeraphaelismus, wie zum Beispiel der treffliche John Brett einer ist.

« Die Sonne brennt», sagt er, « der Wind weht vom Osten, der Himmel ist wolkenlos und alle Dinge .stehen fest umrissen da, wie aus Eisen. Die Fenster des Cristall- palastes erkennt man deutlich von allen Theilen Londons aus , die Sonntags-Spaziergänger freuen sich des herr- lichen Tages und der Maler geht abseits und schliesst die Augen.»

«Wie selten der Künstlerblick verstanden und wie gehorsam das Zufällige in der Natur als das Erhabene genommen wird, das mag man an der unbeschränkten.

täglich erneuten Bewunderung für den unbedeutendsten (a very foolish) Sonnenuntergang erkennen. Die Grösse eines schneebedeckten Gebirges verliert sich mit der Klarheit: Aber es ist der Spass des Bergfexes, wo- möglich von unten den Besteiger auf der Spitze zu erkennen : Den Wun.sch zu sehen, blos um zu sehen, will die Menge befriedigt haben ; daher ihre Freude am Detail ! »

«Doch wenn der Abendduft die Ufer dichterisch umschleiert und die kleinen Häuschen sich in einem weichen Nebel verlieren, die niederen Schornsteine wie Glockenthürme, die Speicher wie Paläste in die Nacht emporwachsen, die ganze Stadt mit dem Himmel ver- knüpft und Geisterland vor uns eröffnet wird dann eilen die Spaziergänger heim, der Arbeiter wie der Gebildete, der Reiche und der Vergnügungssüchtige hören auf zu verstehen, weil sie aufhören genau zu sehen. Die Natur aber, welche nun in Tönen zu uns redet, bringt ihr schönstes Lied dem Künstler allein dar, ihrem Sohn und Meister ihrem Sohn, weil sie ihn liebt, und ihrem Meister, weil er sie kennt. »

« Für ihn sind ihre Geheimnisse entwirrt , füi' ihn ist ihre Unterweisung nach und nach eine klare ge- worden. Er sieht auf ihre Blumen nicht durchs Ver- grösserungsglas , um botanische Beobachtungen zu machen, sondern mit dem Blicke eines, der in ihr die feine Auswahl glänzender Farben und leuchtender Töne erkennt, Anregungen künftiger Harmonien. »

« Er giebt sich nicht zwecklosem , gedankenlosem Nachahmen jedes Grashalmes hin, sondern er lernt aus der gestreckten Kurve eines kleinen Blattes, dem straffen kleinen Stiel, wie Anmuth und Würde sich eint, Stärke die Zartheit vermehrt, damit endlich ein wahrhaft ge- schmackvolles Kunstwerk entstehe. » *)

*) «That elegance shall be theresult», sagt Whistler. Was ist Elegance? Sicher nicht das, was das Wort ursprünglich in sentimen- talem Sinne bedeutet, die Fähigkeit, elegischen Stimmungen sich zu er- schliessen, elegische Dichterwerke zu schaffen oder zu verstehen. Sicher auch nicht, was wir unter Eleganz verstehen, und was nicht viel mehr ist, als das Geschick, sich gut anzuziehen und die gesellschaftliche Form gut zu wahren. Soll Eleganz das Ergebniss der Kunst sein, oder Nettigkeit, Zierlichkeit, Feinheit, Geschmack? Diese Worte alle übersetzen nicht, was Whistler will. Ich wüsste ein Wort, welches es tbäte : Hübschheit. Freilich ist der Begriff hübsch bei uns heruntergekommen dahin, dass er soviel gilt wie «fast schön». Das Wort stammt von c höfisch > und bezeichnete einst Alles, was den Stätten höchster Bildung angemessen war. Unsere demokratisirende Zeit wird allerdings nicht zugeben wollen, dass alle Kunst, um echt zu sein, höfisch, aristokratisch werden müsse!

DIR KUNST UNSERER ZEIT.

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« In dem gelben Flügel eines Schmetterlings mit seinen zarten Orange-Flecken sieht er vor sich stolze Hallen in reinem Gold mit ihren schlanken safranfarbigen Pfeilern. Er ist durch sie darüber belehrt, wie die zarte Zeichnung hoch oben an der Mauer in den feinen gelb- lichen Tönen und am Sockel in solchen von schwerer Färbung gehalten werden muss. »

«Hier findet er die Zartheit und findet liebliche Winke für seine eigenen Gestaltungen; und auf diese

stehen ihm bei und staunen und erkennen, wie viel weiter die Schönheit der Venus von Milo als jene ihrer eigenen Eva reicht!»

Das sagte Whistler vor einer ausgewählten eng- lischen Gesellschaft im Jahre 1885. Viel früher schon hatte er es malerisch empfunden und ausgedrückt. In der für die englische Kunst so bemerkensvverthen Gros- venor-Exhibition von 1877, jenem ersten Auftreten einer neuen Kunst neben dem der veraltenden Akademie, er-

William Merrit Chase, Eine Parkszene.

Art wird die Natur zu seiner Quelle und ist sie ihm stets zu Diensten. Alles Unwürdige weist er von sich. »

« In seinem Hirn klärt sich der verfeinerte Duft der Gedanken ab, welcher von den Göttern ausging und die sie ihm hinterliessen, damit er sie zu Ende führe (which they left him to carry out). ^

«Lasst ihn ihr Werk vollenden! Er wird jenes wunderbare Ding erzeugen, welches man ein Meister- werk nennt. Dies übertrifft in seiner Vollendung alles das, was jene in der Natur ersannen. Und die Götter

schien der Meister schon in seinen wunderbaren Werken: « Nachtstück in Schwarz und Gold » ; oder * Harmonie in Blau und Silber»; oder «Arrangement in Braun»; ;( Variation in Fleischton und Grün». Und das sind dann Bildni.sse von Menschen oder Landschaften oder ein Stück Architektur irgend etwas Körperliches aus der Natur als Unterlage für die mit erstaunlicher Fein- heit empfundene Stimmung. In der Farbe, oder richtiger im Ton liegt die Kraft des Malers. Es ist kein Zufall, dass er ein Meister der Aetzkunst geworden ist, in der er mit einigen Linien und völliger Beherrschung des

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DIE KUNST UNSERER ZEH'.

Tones in höchster Abklärung eine Welt von Licht, von Stimmung, von Poesie auszudrücken vermag.

Und da muss man denn sehen, welcher Ernst und welche Kraft in Whistlers Malerei durch die vorwiegend symphonische Auffassung der Farbenwerthe kam. Das, was in den Arbeiten von Miilet und Daubigny noch gebunden und vorbereitend auftritt, nämlich die rein dichterische, die Natur frei ausgestaltende Auffassung der Beleuchtungswerthe, das wird bei ihm beabsichtigtes, klar gewolltes Künstlerthum. Namentlich im Bildniss wird er zu einem der grössten Künstler. Als ich in Glasgow, aus den Werkstätten der jungen schottischen Maler kommend , in einer Ausstellung vor Whistlers wunderbar tiefes und mächtiges Bildnis des Carlyle trat da begriff ich die Begeisterung jener für den Amerikaner und erklärte sich mir mit einem Hlicke, wie tiefgehend dessen Einfluss auf das moderne Schaffen ist. Er hat den Realismus gebrochen, das heisst, er hat die Maler davon abgebracht nur die Natur zu malen, die Wahrheit zum Selbstzweck zu erheben. Er ist dabei aber das vollendete Erzeugniss der realistischen Schule. Ohne diese , ohne die kühnste , klarste , sicherste Los- reissung von aller alten Kunst wären er und sein Schaffen nie und nimmer möglich gewesen. Aber er hat die gefundenen koloristischen Werthe frei zu ver- wenden gelernt. Seine Bilder sind losgelöst von aller zeichnerischen Auffassung, sind rein malerisch geworden. Hierin geht er weiter als Rembrandt, an dem er vor Allem liebt, dass er «das Schöne in allen Lagen und Zeiten suchte und fand, dass er Grösse und vornehme Würde im Amsterdamer Juden viertel sah und nicht klagte, dass dort keine Griechen wohnen. » Die alten Schulen sahen den Gegenstand und gaben ihm ein koloristisches Kleid: Whistler sieht die Farbe und legt ihr einen Gegenstand unter. Die Menschen , von welchen er ein Bild gibt, erscheinen ihm als Farbengruppen, nicht als Linienzusammenstellungen. Er malt die Tonwirkung, die sie in ihm erwecken und trifft sie dadurch sicherer als mancher brave Zeichner. Denn wir erkennen den Menschen von ferne nicht an den Einzelheiten seines Gesichts, sondern an den Massenverhältnissen in seinem Kopf, seinem Körper. Das wusste und sprach schon zu Ende des vorigen Jahrhunderts der deutsche Bildhauer Schadow aus. Später vergass man diese Wahrheit und . hat es mit dem Niedergang der Bildnissplastik büssen müssen, die im Kleinen genau, im Grossen unwahr wurde.

Es ist etwas Gewaltsames in Whistlers Auftreten. Mit Kopfschütteln sieht der altgläubige Kunstfreund de.ssen «Schmierereien»; da er den Faden der Umrisslinie nicht findet, vermisst er die Zeichnung; er sieht nicht die Bewegung im Bild, und wenn ihm schon recht ist, dass bei einem bewegten Rad das Blitzen der Speichen ge- malt wird, nicht etwa die Erscheinungsform, welche die Momentphotographie hervorbringt, so muss der Mensch nach seiner Meinung im Bilde doch still stehen. Hat er's doch in zahllosen langweiligen Sitzungen beim Portrait- malen an sich selbst schaudernd erfahren. Aber der koloristisch Gestimmte sieht gerade in der Bewegung den entscheidenden Fluss der Linien, die ächte Leben- digkeit der Erscheinung. Er will den Menschen, nicht seine Salzsäule. Der Mensch zeigt ja sein Leben durch Bewegung! Und Bewegung äussert sich im Verschwimmen des Umrisses. Die Speichen eines Wagens müssen blitzen , soll er als fahrend erscheinen, der Mensch muss sich bewegend im Bilde erscheinen, soll er leben! das ist Whistlers malerische Logik.,

Im Ton hat Whistler längst die hellen Kampffarben aufgegeben. Er sucht Tiefe in der Farbe, Farbe in der Tiefe. Die Feinheit der koloristischen Abstufungen seiner Bilder ist ausserordentlich. Durch das ganze neueste Kunstschaffen geht, nachdem das Erstaunen über die Lichtentdeckungen der Franzosen überwunden ist , ein Streben koloristischer Art. Man blickt in das Halb- dunkel und sucht in ihm die gesteigerte Farbe. Man kämpft um neue für die Malerei zu erobernde Reiche in der Natur. Die Schatten sind nicht schwarz, sie sind nur voller im Ton; das Licht ist wohl in der Sonne weiss, aber es gibt im Waldesdunkel, im Mondschein, im dämmernden Räume auch ein Licht, welches leuch- tend farbig ist. Dies Licht entzückt den Amerikaner, dies lässt er um die leicht bewegten, in ihren Umriss- linien daher verfliessenden Gestalten spielen. Das ist neue Kunst, eine Kunst ohne geschichtliche Vorgänger. Mögen sie kommende Zeiten achten oder verwerfen, diese Kunst gehört rein der unsrigen an ; das was wir so lange in Europa ersehnten, ein Schaffen lediglich mit dem Blick nach vorwärts, ohne stilistische Hintergedanken, ohne Umsehen nach weit entlegenen Vorbildern hier haben wir es in starken männlichen Zügen vor uns. Die Zeit der Nachahmerei ist durch den Naturalismus überwunden, dieser beginnt kräftig zum Stil sich zu ent- wickeln: Es gibt einen Stil unserer Zeit!

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Zur Theilnahme an dem Marsch in die neue Weit der Kunst haben die Amerikaner sich sofort muthig entschlossen. In ihm äussert sich geradezu der Kern ihrer Kraft. Es ist lehrreich, ihre Vorführungen auf den Weltausstellungen zu verfolgen. Im Jahre 1855 waren sie noch unfähig zu selbständigem Auftreten, 1867 füllten sie einen massigen Raum nur zum Theil, 1878 begannen sie Aufsehen zu erregen, 1889 war ihr Saal einer der beliebtesten in Paris. Damals wog noch der Ton der Holländer in diesem vor, wie ihn Hitchcock vertrat. Dieser hatte kurz vorher mit einem Bilde grossen Erfolg gehabt, das ein junges Weib inmitten einer Tulpen- anpflanzung darstellte, in dem also die Ueberwältigung der grösstmöglichen Farbenbuntheit durch den Sonnenton aufs Programm geschrieben erschien. Er war eben mit Gari Melchers in Holland gewesen und hatte M es dag beim Malen fleissig über die Schulter gesehen. Dort hatten sie gelernt, was ihnen vorher weder in der Londoner Southkensington - Schule , noch im Atelier Julians in Paris gesagt worden war, dass Holland das harmonischste aller Länder der Welt sei, nie hart in Sonne oder Schatten, immer ein Bild hinsichtlich der köstlichen, alle Gegensätze mildernden Harmonie des Tones. Und sie malten Holland : Dünen und holländische Frauen, das Land in seiner durchaus nicht «pittoresken» Natur, sie malten es anders wie Andreas Achenbach, nicht Seestürme, alte Hafenbauten und gewaltige Wolken- ballen, sondern mit dem Blick auf die Düne, auf die geradlinige, abwechslungsarme Ferne : denn nicht der Gegenstand beschäftigte ihre Phantasie, sondern das Licht, die Sonnennebel, der silberne Ton durchfeuchteter Meeresluft.

Und dann, als Melchers «Lootsen» 1890 in Berlin auftauchten, da zeigte sich mir, dass auch unter den in Holland angeregten Amerikanern die Erkenntniss durch- gebrochen sei, der weisse Sonnenton sei nicht der allein malenswerthe. Da war eine Feinheit der blaugrünen Reflexe in dem von ihm geschilderten, farbig ausge- statteten Raum, welche zeigte, dass hier ein mit feinsten Organen ausgestatteter Mann auf rechter Fährte sei.

Nicht minder tritt dies bei Sargent hervor. Der Rivale des Bastien-Lepage in der rücksichtslosen Wieder- gabe weissen Lichts, der Künstler, welcher einst als Hellmaler den Sturm der Entrüstungs-Eifrigen auf sich lenkte, dessen Bilder voll waren von kecker Kampf- stimmung, der dann in der Ueberwältigung der Farbe

durch den Ton schwelgte, er ist so still und ruhig geworden wie ein «Alter». Es wird vielleicht deutsche Ae.sthetiker lachen machen aber es ist aus dem Munde dieser Maler selbst wiederholt bekundet: Sie lieben vor Allem Sandro Botticelli ! Auch sie halten sich, wie Overbeck und Rossetti, wie Hippolyt Flandrin und Puvis de Chavanne für « Praeraphaeliten » , das heisst für Leute, welche mit ihrer Kunst dort beginnen, wo Rafael begann, nicht dort, wo dieser endete. Von der reinen Unbefangenheit aus ging der göttliche Urbinate seinen Weg wir folgen seinem Geiste, indem wir unserer Zeit und Natur gemäss ebenso selbständig einen anderen gehen 1 So etwa lautet ihr malerisches Glaubensbekenntniss. Vor einigen Jahren noch galt es, seine Berechtigung zu vertheidigen, jetzt gilt es schon, zu zeigen, welche Früchte es zu bringen vermag. Und seit der « Goldton » der Altai glücklich überwunden und die « Schönheit » der Zeichnung hinfällig geworden ist, beginnt die un- mittelbare Wahrheit in Farbe und .'\usdruck wieder sich zu einer stilistischen Verfeinerung abzuklären, die in der Schönheit und Tiefe des Tones sich gipfelt.

In Alexander Harrisons ausgezeichnetem Bilde «Sumpf» spielt dieser neue Ton in hoher Feinheit und mächtiger Kraft um Waid und Bach, Schilf und gurgelnde Wasserwirbel. W. Thomas Dewing, einst ein Schüler Boulangers und Lefebvres, lässt in seinem schönen Bildniss einer jungen Dame die gleiche malerische Richtung erkennen. Mehr noch spielt sie um sein wunderbar feines Bild «Musik». Ich möchte glauben, dass Dewing der Schotten Orchardson und Sir Fettes Douglas Werke studirt habe , ehe er dies auf kleiner Fläche merkwürdig raumgrosse Gemälde schuf Denn diese cigenthümliche Kunst sah ich kaum bei Anderen so hoch entwickelt. Aber zu deren koloristischer Feinheit brachte der New- Yorker Künstler noch eine berückende Kraft, einen Vollklang des Tones, der spezifisch ameri- kanisch zu sein scheint. In Berlin sah man ein Bildniss von Marr in entzückender Tontiefe es war noch fast das einzige Bild dieser Art in der letzten Ausstellung und wurde von Wenigen verstanden und gewürdigt. Mächtig wirkte auch des in Cincinati und 1879 in der Schule des Duvaneck in Florenz gebildeten Julius Rolshovens «Ave Maria» : Ein Mädchen hingesunken in dämmernder Anbetung , oder sein « Dogenpalast in Chioggia». Was doch Verschiedene im gleichen Land sehen.? Ulrich die Sonne, die bunte Vielfarbigkeit, die

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UIE KUNST UNSERER ZEIT,

blitzernde Fröhlichkeit der Lichtspiele; Rolshoven den Ton , mächtige grüne , blaue Reflexströme , dunkelen, feierhchen Ernst! Und beide sind Realisten! Und beide sind voll Stil!

Als der stärkste Genosse des Whistler stellt sich aber auf der Münchener Ausstellung William Merrit Chase dar. Chase war 1872 bis 1878 Schüler Pilotys und hat eine Anzahl Bilder gemalt , denen man diese Eigenschaft sehr deutlich anmerkt. Was er jetzt schafft, seitdem er in New- York lebt , zeigt ihn völlig aus der alten Lehre herausgewachsen. Da ist eine Feinheit der Empfindung für Tonwerthe, eine Klarheit in dem fest erstrebten Ziel, eine Intimität für das Erfassen der Be- wegung, eine durchaus eigenartige Kraft der Farben- gebung, welche deutlich lehrt, dass es da drüben in Amerika doch Leute giebt , die ihre eigenen Wege wandern, unbekümmert um jene, welche in Europa eingeschlagen werden.

Wie bei den meisten dieser modernen Künstler ver- lieren sich hier ganz die alten Gattungsbegriffe, welche man sich einst abtheilte. Ist Chase Genremaler.' Wohl schuf er einst ein Bild, « der Hofnarr » , welches ihn als solchen im deutschen Sinne erkennen lässt. Aber bald folgten Landschaften und Bildnisse, Darstellungen aus

allen malerischen Gebieten. Was der Maler sieht, muss er auch malen können, heisst eben die Losung ! Und Chase sowohl als seine Freunde können es : Wer in München das kleine Bildniss «Meditation» sah, wer in die bunte, sichere und doch so wohl abgewogene Dar- stellung sich gründlich vertiefte, wer dann die Parkscene daneben hielt, der sieht, dass hier die Kunst zu einer hohen Abrundung gelangte, dass sie eine vollendete ist, wenn anders Vollendung in der Kunst das Erreichen

des vorgesteckten Zieles heisst.

* * *

Mit Achtung folgen wir den Vorgängen in den Vereinigten Staaten von Nordamerika. In der Kunst herrscht zwar ununterbrochener Kampf. Sie ist ein Ringen ohne Ende, ohne Hoffnung auf endgiltige Siege. Dafür gewährt sie aber die Freude , dass man sich in ihr an fremden Thaten neidlos zu erheben vermag.

Es wäre Thorheit, zu sagen, die Amerikaner seien im Begriff, Europa zu überflügeln. Sie sind aber im Begriff, neben Europa selbständig und eigenartig sich zu entwickeln. Das ist für sie und für uns das Wichtigere. Mögen sie das Bild der Weltkunst immer reicher ge- stalten helfen, indem sie mehr und mehr die Kraft zum Fortschreiten in sich selbst suchen!

V

©

S

Leopold Carl Müller.

EIN KÜNSTLERBILDNIS NACH ERINNERUNGEN UND BRIEFEN

VON

GEORG EBExRS.

Leopold Carl Müller.

Die Kunst spricht eine eigene, der ganzen Mensch- heit verständliche Sprache. Sie wendet sich nicht an ein Volk, sondern an die ganze der Kultur erschlossene Welt. Die Würdigung des einzelnen Künstlers ist aber oft genug von gewissen äusseren Grenzen umhegt, wenn unsere Zeit des Verkehrs diese auch recht weit zu ziehen pflegt.

Als es vor wenigen Monaten hiess, Leopold Carl Müller sei todt, empfand in Wien und in Oesterreich, was nur ein offenes Auge und Herz für die Kunst be- sitzt, die Schwere dieses Verlustes. Auch noch in München, wo er mancherlei ausgestellt und ihm eines seiner Gemälde die goldene Medaille errungen hatte, beklagten ihn viele ; in Norddeutschland war er dagegen

nur den Kunstgenossen und Freunden bekannt gewesen. Das grössere Publikum, das von seinem zu frühen Ende hörte , wusste mit seinem Namen nur selten eine feste Vorstellung zu verbinden ; denn es hatte meistentheils nur Zeichnungen von ihm gesehen , die , mit anderen vermischt, in dem gleichen Werke erschienen waren, und es gibt ja da der «Müller» viele.

Aber auch in seiner Heimath Wien waren die ausser- halb der Kreise der Maler stehenden Kunstfreunde nur selten dazu gekommen, sich an einer seiner Schöpfungen zu erfreuen. Wohl besitzt die k. k. Akademie in dem grossen « Markt in Kairo » eines der besonders in kolo- ristischer Hinsicht voUendesten Gemälde Müllers, und sein letztes, ein arabischer Gaukler, ward für den Baron Königswarter (gleichfalls in Wien) gemalt; in den Aus- stellungen pflegte man jedoch vergebens nach einem seiner Werke zu suchen. So kam es, dass er auch in der Heimath weniger allgemein bekannt wurde als irgend ein anderer Meister, dessen Gemälde auf den Welt- ausstellungen die höchsten Ehren und auf dem Markte die ansehnlichsten Preise errangen. Er hat das auch selbst gefühlt und bedauert; da aber Oesterreich und Deutschland in der äusseren Werthschätzung seiner Gemälde weit hinter England zurückblieben, musste er ihm die meisten überlassen. Von der Zeit seiner vollen Reife an war es besonders der Kunsthändler Wallis, der schon auf die halbvollendeten Schöpfungen Müllers die Hand legte und sie dann nach London führte, wo sie meistentheils die Häuser reicher Privatleute dem Blicke der Kunstfreunde entziehen.

Die Mehrzahl der Bilder aus den Meisterjahren des Verstorbenen behandelt morgenländische Stoffe, und sie fanden unter den Engländern, die in näherer Fühlung mit dem Orient stehen als jede andere Nation, eine um so höhere Werthschätzung, je glücklicher Müller jede Regung des ihm tief vertrauten orientalischen Lebens

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

wiederzugeben verstand. Die Kunstkenner in Grossbritannien sahen in ihm vielleicht den vorzüg- lichsten Orientmaler unserer Zeit, und wer die Blätter studiert, die hier wiedergegeben werden sollen und sich dazu in das Wiener Ge- mälde des uns beschäftigenden Künstlers « Markt in Kairo » ver- senkt, der wird ihnen Recht geben müssen.

Doch es ging mit Müller nicht nur ein grosser Meister auf einem interessanten Gebiete der Malerei , sondern auch ein Mensch dahin, in dem sich die besten Eigenschaften des Mannes vereinten. Sie gewannen ihm Herz und Geist der Freunde und wurden geadelt von der seltenen Gabe, die die Unsterblichen nur den Edelsten unter ihren Lieblingen gewähren : jenes menschliche und doch göttliche , schwer zu ver- kennende und noch schwerer

definirbare Etwas, das den genialen von dem talentvollen Menschen und Künstler unterscheidet.

Die Gemälde des Freundes einer kritischen Würdig- ung zu unterziehen, steht mir nicht zu. Ne sutor supra crepidam ! Andere , Berufenere , reichten ihm längst den Lorbeer, und eine spätere Zeit wird, denke ich, dem bescheidenen Meister, dessen Gesamtthätigkeit zu überblicken so schwer ist, eine noch höhere Stelluncf unter den Malern seiner Epoche anweisen.

Den Bildern, für deren mustergiltige Reproduktion der Herausgeber Sorge trug, überlasse ich es, für den Künstler Leopold Carl Müller das Wort zu führen. Was den Menschen angeht, bleibt es mir erspart, mich durch eine eingehende Würdigung seiner Eigenschaften dem Verdachte auszusetzen, dass es nur der Freund sei, der hier am Grabe des Freundes Weihrauch ver- brennt; denn auch die mitzutheilenden Abschnitte aus den theils an die Seinen, theils an mich gerichteten Briefen werden dem Leser gestatten, sich eine Vorstellung von dem inneren Sein und Wesen ihres Schreibers zu bilden.

Ausgestopftes Krokodil Hauses in

Die einzige Stelle, an der sich unseres Wissens viele (einige vierzig) ausgeführte Kompositionen Müllers zusammenfinden sie beziehen sich grösstentheils auf das Voll<sleben am Nil ist das bei Eduard Hallbcrger erschienene Prachtwerk « Aegypten in Bild und Wort » , wozu ich den Text schrieb.

Ihm danke ich die Bekannt- schaft mit dem Wiener Künstler, und auf dies Werk bezieht sich ein grosser Theil des Inhaltes der an mich gerichteten Briefe. Es ist darum nöthig, ihm und seiner Ent- stehung einige Worte zu widmen. Die hervorragendsten Maler in Deutschland und Oesterreich ich nenne nur Gustav Richter, Gentz, von Lenbach, Makart sowie meine englischen Freunde L. Alma Tadema und Frank Dillon hatten mir Beiträge ver- sprochen oder gegeben. Unter Tausenden von Skizzen und Bildern in jeder Ausführungsart hatte ich zu wählen, und doch fehlte eine lange Reihe von Darstellungen der wichtigsten Szenen aus dem morgenländischen Leben , ohne die das Werk , das nur Originale der berufensten Maler bringen sollte, unvoll- ständig geblieben wäre. Da galt es Aus- hilfe schafien und einen Künstler an den Nil schicken, von dem wir erwarten durften, dass er das Bestellte in unserem Sinne , das heisst in künstlerischer Vollendung herstellen werde.

Ich wusste auch schon wen; denn im

«TT. . o ^ Phantasiecemälde eines arabischen

Wmteri875 76 waren ,. , 7 j -.-, ,- „■

' ^ ' Künstlers über der Thür eines Kaflee-

Makart , \. Lenbach, hauses in Kairo.

über der Thüre eines Kairo.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Gnauth, Huber und Leop. Carl Müller zusam- men in Kairo gewesen , und was mir von Arbeiten des Letztgenann- ten aus jener Zeit zu Ge- sicht

men war, zeichnete sich

durch die höchste Treue

gekom-

Vater und Sohn.

fand sich damals in Venedig, und obgleich er sich gegen- über einem der besten Kunsthändler verpflichtet hatte das Bild, woran er malte, bis im Oktober fertig zu stellen, enthielt seine Antwort auf meine Anfrage doch die Erklärung, dass er bereit sei in unserm Auftrag nach Aegypten zu gehen.

Er war mir noch nicht persönlich begegnet, doch sein Brief steigerte mein Verlangen nach seiner Bekannt- schaft. Ich gebrauchte eben die Quellen des Württem- berger Wildbad , und da es mir darum unmöglich war Müller in Venedig aufzusuchen, schlug ich ihm vor, ent- weder in dem grünen Schwarzwaldthale oder in Nürn- berg , das ich auf der Heimreise nach Leipzig ohnehin berühren musste, mit mir zusammenzutreffen.

Nachdem er mir auseinandergesetzt, wie es sich mit in der überall dem begonnenen Bilde und dem Kunsthändler verhalte, eigenartigen schliesst er den ersten Brief:

Auffassung und die ernsteste Sorgfalt in der Wieder- « Während ich hier schreibe , bin ich an der

gäbe aus. Seine Bilder aus dem Kairener Volksleben schwierigen Arbeit des Sichentschliessens.

waren ausser mehreren Gentz'schen die ersten, die mir «Soll ich das Bild erst fertig machen, wenn ich aus

völlig genügten und die besonders auch die Hand eines Egypten wieder zurück bin?

vollendeten Zeichners verriethen. Ich hatte nur

wenige gesehen, doch jedes bewies, dass ihr

Schöpfer den Orient durch und durch verstehe

und dass sein Können genüge , aus jedem ihm

zusagenden Motiv ein Kunstwerk zu gestalten. Ich verdankte die Kenntnis dieser Arbeiten

dem Architekten Gnauth, der eben zum Direktor

der Nürnberger Kunstgewerbeschule berufen

worden war. Diesen ideenreichen, feinsinnigen

Künstler hatte Eduard Hallberger gewonnen,

um die Wiedergabe des Bildermaterials in Holz-

.schnitt 'ZU leiten. Keiner durfte als vollendet

in die Druckerei gehen , dem er nicht das

« Placet » gegeben , und der Verleger hatte

später oft genug den Kopf zu schütteln, wenn

für das Laienauge recht wohl gelungene

« Stöcke J durchstrichen oder mit der Be- merkung « Holzhackerei » nach Stuttgart zu- rückgesandt wurden. Trotzdem machte dieser

wahrhaft grosse Geschäftsmann nicht einmal den

Versuch, einen der Verurtheilten zu retten.

Gnauth bezeichnete die Idee, Müller zu

gewinnen , als « die glücklichste unter allen

denkbaren», und Ed. Hallberger ertheilte mir

die Vollmacht mit ihm zu verhandeln. Er be- Schwarzer Hausknecht, der die europäische Herrin auf den Markt begleitet.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

«Soll ich einpacken, nach Wildbad oder Nürnberg kommen, um dann gleich weiter nach Kairo zu reisen? Uf! Wer mir das sagen könnte!

« Das Knöpfezählen ist auch nicht die beste Me- thode, um zu einem vernünftigen Entschlüsse zu kommen in ernsten Fragen.

«Mein Verstand sagt mir: Bleibe so lange in Venedig, bis du das Bild fertig gebracht hast, und sollte das auch bis Mitte Oktober dauern. Du bist ietzt im Zuge mit dieser Arbeit, und da es ein venetianisches Bild i.st, so ist es Dir doch leichter dasselbe in Venedig zu vollenden statt in Wien , wohin du ankommst, die Einbildung voll, übervoll von den ägyptischen Ein- drücken !

«Doch, haben Sie schon einen wirklich Verliebten kennen gelernt, der seinem Verstand folgen würde ?

«Mein Herz, das zieht mich nach Kairo!

« Ich komme entweder nach Wildbad oder nach Nürnberg. Was ist Ihnen lieber ? »

Ich wählte Nürnberg; denn der Schluss des Briefes enthielt den Satz, dass Müller auch den «lieben sym- pathischen Gnauth » gern wiedersehen möchte.

Leider wurde dieser durch etwas Unaufschiebbares abgehalten, zu uns zu stossen : seine Vermählung. Aber Müller kam , und wir verlebten mit einander unvergess- liche Tage in der ehrwürdigen, mir schon früh so lieben Dürerstadt.

Es war im Anfang des September 1877. Müller stand damals in der Blüthe der Manneskraft; denn er zählte dreiundvierzig Jahre ; bei der ihm eigenen Leb- haftigkeit und jugendlichen Frische war man indes versucht, ihn für einen mittleren Dreissiger zu halten. Den hoch gewachsenen, damals noch etwas knochigen und beweglichen Körper krönte ein Kopf, den man unter vielen bemerkt haben würde; nichts in seinem Aeusseren hätte aber genöthigt, den Künstler in ihm zu erkennen; denn er trug das Haar kurz geschnitten, und das rasirte wohlgebildete Antlitz zierte nur ein schlichter blonder Schnurrbart. Und doch 1 Welchem anderen Stande hätte dieser Mann mit den jeden Augen- blick neu belebten Zügen, auf denen fröhlicher Humor mit sinnigem Ernste so schnell wechselten , angehören sollen .' Die Stirn, die sich wulstig über der Nasenwurzel erhob, um dann als glatte, faltenlose Fläche aufzusteigen, hätte veranlassen können, ihn für einen denkenden Ge- lehrten zu halten, dafür aber trieb an Mund und Nase

der Schelm zu fröhlich , ja bisweilen ausgelassen sein Spiel.

Und dem Aussehen entsprach das gesamte Wesen des neuen Freundes. Meine P'rau begleitete mich, und während wir uns bei Tisch, im Wagen oder wenn die Verabredung über das von ihm zu Schaffende zum Stillstand gekommen war , daheim unterhielten , riss uns seine Heiterkeit so unwiderstehlich mit fort , dass uns oft genug die Thränen über die Wangen liefen. Beim Gespräch über ernste Gegen-stände und die Aufgabe, der er sich zu unterziehen gedachte , zogen sich dagegen die Muskeln auf dem Stirnhügel über der Nase zusammen, und bald gelassen, bald schwungvoll bewies er dann, mit wie reifer Ueberlegung er durchdacht hatte, was ihm zu leisten oblag, wie ernst er es mit der Kunst nahm, wie strenge An- forderungen er an sich selbst stellte und über welche Fülle von Kenntnissen er gebot. Schon am zweiten Tage Hess er uns auch in sein Inneres schauen, und ein wie tiefes Gemüthsleben offenbarte sich uns, wenn er von den trefflichen verstorbenen Eltern und lieben Schwestern erzählte.

Diese gestatten mir nach seinem Tode Theil zu haben an ihrem Schmerz und ergänzten in zuvorkommender Weise, was ich von dem Freunde zu wissen begehrte, theils durch werthvolle Notizen , theils durch bezeich- nende Schreiben. Zu diesen Quellen gesellt sich die grosse Zahl der schon erwähnten an mich gerichteten Briefe.

Halte ich das Alles mit den persönlichen Erinner- ungen an Müller und seine Werke zusammen , so er- gibt sich daraus ein Künstler- und Menschenbild , wie es freundlicher und ernster, arbeitsvoller und fröhlicher, bewegter und gesammelter , unermüdlicher in dem Streben nach immer höherer Entfaltung der ihm ver- liehenen Kräfte, liebreicher und williger zu fördern und zu beglücken kaum gedacht werden kann.

Leopold Carl Müller war ein Oesterreicher, und doch darf auch Sachsen ihn den seinen nennen ; denn er wurde zu Dresden geboren. Freilich gab die Mutter ihm nur auf einer Reise, die sie 1834 unternahm, in dieser Stadt das Leben. Der Vater war in Wien heimisch, und dort verbrachte der Knabe denn auch die gesammte Kindheit und Lehrzeit. Schon auf der Realschule, die er dort absolvirte, machte sich sein Talent in über- raschender Weise geltend. Jede Mussestunde widmete er dem Zeichnen , und früh schon brachte er es zu

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Leop. C«rl Illlar

rhot. K. Uanfflttengt, HQadMB.

Palmenzweigverkäuferin auf einem arabischen Friedhofe

zu Kairo. Alles ist eitel!

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I.euclitlnirm auf Ras et-Tin am Eingange des Hafens von Alexandria. Vom Schiffe aus gezeichnet.

Aus dem Trtimmergebiete des alten Alexandrien.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

solcher Fertigkeit, dass ihm der Vater gestatten konnte, ihm bei der Arbeit in seinem lithographischen Atelier behilflich zu sein. Als er später auf dem Technikum studirte, und dem Vater die lithographische Ausführung des artistischen Theiles von Tschudis Werk über Peru übertragen worden war, machte es dem Sohne Freude, daran mitzuhelfen. Dabei trat hohe seine Begabung in so augenfälliger Weise zu Tage, dass ihm gestattet wurde, das Technikum zu verlassen und dem heissen Seelendrange zu folgen, sich mit voller Kraft der Kunst zu widmen.

Blaas war damals nach Wien gekommen, zog in dasselbe Haus, das die MüUer's bewohnten, und vom achtzehnten Jahre an ward Leopold Carl sein Schüler. Mit dem zwanzigsten trat er dann in die Meisterklasse, die der ältere Rüben leitete.

In einem seiner Briefe schreibt er, dass er bei seinem Eintritt in ^ die Akademie schon recht gut gezeichnet habe. Er bekennt, dass er den Lehrern vieles verdanke, dass aber «das eigene Ausschauen, das Leben, das Sichs- sauerwerdenlassen auf eigenen Füssen und die Erkennt- niss dessen, was Kunst sei», ihm doch das Beste gegeben.

Vor mir liegt ein Blatt mit tabellarisch geordneten Notizen, die er, schon im Angesicht des Todes, nieder- schrieb , und dessen Benutzung mir seine Schwestern gestatteten. Es kann von grosser Wichtigkeit für den Kunsthistoriker werden ; denn er führte darauf gleichsam das Facit seines Lebens zusammen. Es lehrt, was er in jedem Jahre schuf, wo er sich aufhielt, was das Leben ihm an bedeutsamen Ereignissen brachte. Leider ist es mir hier versagt, ihm Schritt für Schritt zu folgen, es geht aber aus jenen Aufzeichnungen hervor, wie mächtig ihn, den auf Reisen geborenen, das Wanderblut anfänglich von einer Stadt der österreichischen Monarchie in die

Strassenhunde.

Tugendprobe in der Moschee des Anir.

Nur wer sich zwischen den Säulen hindurchdrängen kann, darf auf das Paradies hoAen.

andere zog , wie er bald in Ungarn , bald in Böhmen, bald in Steiermark und am liebsten und häufigsten in Venedig die Staffelei aufstellte. Sie gestatten uns seinen Reisen durch Oesterreich und Italien und seinen Fahrten über das Meer nach Aegypten zu folgen, und staunend ersehen wir daraus, wie zahlreiche und grundverschiedene Stoffe seine Kunst sich zur Ausführung wählte.

Als zweiundzwanzigjähriger, lehrt das Gedenkblatt, ergab er sich den ersten landschaftlichen Studien, und im nämlichen Jahre zog er über München und Dresden nach Venedig, um dort einen Stoff zu behandeln , der vom Landschaftlichen wahrlich weit genug abliegt ; denn er vollendete das Gemälde « Friedrich der Schöne im Kerker». 1857 copirt er in Venedig alte Meister. 1860 verliert er die geliebte Mutter, und in den folgenden beiden Jahren finden wir ihn in Ungarn und sehen ihn Genrebilder malen, wie: «Bettelnde Zigeuner», «Fischende Knaben», «Mädchen mit Enten».

1862 ward ihm auch der treffliche Vater entrissen, ein hochgebildeter kunstverständiger Mann. Die an ihn

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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gerichteten Briefe athmen die wärmste Liebe und bc- Studium, dass in diesem einzigen Jalire keine selbständige

weisen, wie schön der Sohn auf sein Verständnis rechnen Arbeit von ihm entstand.

durfte. Der junge Künstler berichtet ihm alles, von den Nach der Heimkehr fühlte er, dass die Vcrpflich-

erstaunlich billigen Preisen, die er in den kleinen un- tungen. die ihn an den Figaro banden, ihn doch zu

garischen Städten für Essen und Wohnung zahlt, bis zu viele Stunden kosteten, die der Malerei hätten gewidmet

den politischen Wahrnehmungen , die er mit Humor, werden sollen , und so entsagte er denn dem reichen

aber auch mit scharf satirischer Missbilligung wiedergibt, und sicheren Gewinn und begann das alte Wander-

Schon vor dem Ende des durch die letzte schwere Krankheit an jeder eigenen Thätigkeit verhinderten Vaters lässt er sich fest in der Burggasse zu Wien nieder und nimmt die Sorge für die Familie auf sich. Er widmet sich dort einer Auf- gabe, die ihm nicht nur viel einbringt, sondern , wie er mir selbst mit- theilte, seiner zeich- nerischen Fertigkeit ausserordentlich zu gute kommt. Das Witzblatt Figaro hatte ihn zum Illus- trator gewonnen, und es ist mir von

Fellachenfrau mit ihrem Kinde auf dem Trilmmergebiete von Alexandria.

leben von Neuem. Besonders gern er- zählte er von den Wintern, die er von 1870 an mit dem trefflichen Pet- tenkofen im Palazzo Rezonico zu Vene- dig verlebte. Ein schönes von Liebe und neidloser An- erkennung gewo- benes Band ver- einte die Freunde. Sie lernten von ein- ander, und Müller vollendete damals eine Reihe der verschiedenartigsten Gemälde. Von Ve- nedig aus bereiste er auch das übrige Italien. Im Winter 1872 kam er bis nach Sicilicn. Auf

Wienern versichert worden, dass man , so lange Müller all diesen Wanderungen blieb er im engsten Zusammen-

an diesem Blatte thätig war, von Nummer zu Nummer hang mit den Schwestern daheim, und es ist rührend

seine mit dem frischesten Humor erdachten und künst- zu sehen, wie eingehend er sie in den an sie gerichteten

lerisch ausgeführten Bilder begierig erwartet habe. Briefen an allem theil nehmen lässt, was ihm begegnet

Doch so bequem diese Thätigkeit ihm auch zu leben und ihm die Seele bewegt , obgleich die schon damals

gestattete, Hess er sich doch keineswegs an ihr genügen, empfindlichen Augen ihm viel zu schaffen machen und

Er malte vielmehr fleissig, und ausser zahlreichen Portraits das Schreiben sie angreift.

zu denen ihm auch hervorragende Persönlichkeiten Ich kann mir nicht versagen wenigstens von einem sassen , schuf der Vielseitige auch Gemälde wie das dieser Briefe eine Stelle mitzutheilen. Sie gibt ein tref- einer Ueberschwemmung und einer Prozession. Dazu fendes Bild des empfänglichen Künstlers, dem es ge- fand er Zeit zu allerlei Reisen. 1867 ging er nach geben ist, was ihm begegnet, nicht nur mit Stift und Paris , und wie fruchtbringend ihm der Aufenthalt da- Farben , sondern auch in Worten anschaulich zur Dar- selbst wurde, weiss ich von ihm selbst. Er ergab sich Stellung zu bringen. Dabei fühlt man heraus, dass er dort von Neuem mit so ausschliesslichem Eifer dem sich an ein junges geliebtes Wesen wendet, dem er.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Verkäufer von gepressten Datteln.

während er es an der eigenen Freude theilnehmen lässt, auch die Vorstellung zu bereichern trachtet. Spätere Briefe werden zeigen, dass es nur das Gemüth ist, dem dies Schreiben den naiv freundlichen Ausdruck verdankt.

«Du wirst bereits aus meinem Briefe an Eduard vernommen haben», schreibt er am 17. Dec. 1872 der jüngsten Schwester aus Palermo, «dass es mir ausge- zeichnet gut geht, dass ich überglücklich bin, hier zu sein und dass ich auch bereits zu arbeiten begonnen habe. Ich möchte Dir gern all die schönen Gegenden und Dinge schildern, die ich auf meiner Reise nach Sicilien gesehen habe, müsste jedoch dazu einen Brief schreiben, der so dick werden möchte, dass man ihn auf der Post gar nicht mehr annehmen würde. . . .

«Es wird Dich interessiren, dass ich den Vesuv be- stiegen habe, und da wenige Reisende diese anstrengende Tour unternehmen, so will ich hier Einiges zum Besten geben:

« Du hast auf Gemälden den Vesuv schon oft abge- bildet gesehen und weisst, dass er ein ziemlich bedeu- tender Berg ist, von dessen Spitze eine Rauchwolke aufsteigt.

cSo sieht man ihn von Neapel aus, wenn man am Hafen dieser Stadt spazieren geht. In der lachenden Natur Neapels steht dieser Gottseibeiuns und sieht so

aus der Ferne von duftigem Aethcr umgeben, mit dem silbenveissen Wölkchen an der Spitze gar nicht bös- artig aus.

«Kommt man diesem Berge jedoch näher, dann gewinnt er ein ganz anderes Au.ssehen. Ernst, schreck- lich, fürchterlich diabolisch ist der Eindruck, den er dann macht. »

Das Bergansteigen über die Lavaschichten hin über- gehe ich, obgleich seine Beschreibung den meisten, die ihr vorangingen, an lebendiger Anschaulichkeit nicht nachsteht.

« Endlich » , fährt er fort , « ist die Spitze erreicht.

«Man steht athemlos, schweisstriefend , todtmüde am Kraterrande, und dort wird Jeder für den Augenblick auf all diese Beschwerden vergessen, vor dem Schau- spiele, das sich hier vor seinen Augen entrollt.

«Aus dem Kraterrande ragen weise Felsen herauf Schwefelgeruch erfüllt die Luft. Dünne weisse Rauch- wolken entsteigen ohne Unterbrechung der Tiefe , und dort und da schlagen Flammen aus der Asche und zwischen den F"elsspalten hervor

« Und wendest Du diesem fürchterlich grossartigen Schauspiele den Rücken , so siehst Du hinaus auf den

mmW:

Iläniller mit unbenennl)aren Waaren.

n.

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Mädchen aus Kairo.

(iileistiftzeichnung.)

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Leop. Carl Müller.

Phat r. Hsnfs<ft«nff), Manchta.

Trauernde Witwe.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

65

Golf von Neapel, so siehst Du das herrliche blaue Meer oder ins Freie, Sie werden sich an meine Seite denken

mit den schönen Inseln Capri, Ischia und Procida, das und mich hier anfeuern, dort mir abwinken können.»

herrliche Sorrento in der Ferne. Ausgebreitet liegt hier Darauf unterrichtet er mich über den Lauf der Schiflfe,

vor Dir die herrlichste lieblichste Landschaft mit der macht den vortrefflichen Vorschlag, unsere Briefe zu

üppigsten Vegetation. nummeriren, damit der Verlust des einen oder anderen

« Es ist ein nicht zu schildernder Contrast für das festgestellt werden könne, und spricht endlich die frohe

Auge, von dem rauchenden, schwarzen, giftige Schwefel- Erwartung aus, dass bei diesem geistigen Beisammensein

dünste aushauchenden Krater hinweg in dieses Paradies hinab- zuschauen. »

Sicilien, der Aetna, besonders Syracus wurden in ähnlicher Weise beschrieben. Wie lieb muss er die gehabt haben, denen er mitten im Genüsse und der Arbeit einen so grossen Theil seiner Zeit widmet, um sie an dem Schönen mit Theil nehmen zu lassen, das ihm selbst die Seele bewegt!

Die an mich gerichteten Briefe sind in einem anderen Tone gehalten. Der Mann wendet sich in ihnen an den Mann, mit dem er ein wichtiges Interesse theilt, den er über seine Thätig- keit auf dem Laufenden zu er- halten hat und dem er zu zeigen wünscht, wie er sich zu gewissen Fragen stellt, die jener in seinen Schreiben berührte.

Während eines ganzen Win- ters wechselten wir allwöchentlich Briefe: Nachdem wir in Nürnberg Rath gehalten hatten, machte er den Vorschlag, mit Hilfe dieser Correspondenz unseren inneren Zusammenhang lebendig zu er- halten. «Nur so», schreibt er am 28. September 1877 ihnen zu gestatten, darin Ateliers einzurichten. Es war aus Venedig, « werde ich meine Pflicht gegen Sie recht das ehrwürdige Mamlukenschloss, worin der Vicekönig das erfüllen können, werden Sie von meiner Sendung das Licht der Welt erblickt hatte. Was Künstler binnen haben, was Sie erwarten. Ich melde Ihnen, was mir Kurzem aus Nichts hervorzuzaubern vermögen, sollte sich an Stoffen begegnet und was ich zu zeichnen gedenke, hier erweisen ; denn in wenigen Tagen verwandelten Müller Sie sprechen sich darüber aus und geben mir beiläufig und Makart leere Säle in kleine Heim.stätten der Kunst, die zu wissen, was Ihnen Neues in den Sinn kam. So wird das Entzücken der Besucher erweckten. Was sie vor- die Gemeinsamkeit der Arbeit gewahrt. Mir wird es sein, fanden, kam freilich ihrer dekorativen Aufgabe aufs als gingen oder ritten Sie mit mir durch die Stadt Beste entgegen; denn die Fussböden waren tin den

^c- -"-- -

Saugbrunnen in Kairo.

des Schrift.stellers und Illustrators etwas Rechtes zu Stande kommen werde. «Von manchem, wovon mir drüben (in Aegypten) die ersten Noten ans Ohr klingen, pfeifen Sie mir die ganze Melodie herüber, ich weiss es. »

Das Alles sagte mir aufs Beste zu, und es hat sich be- währt.

Er war kein Neuling im Morgenlande; denn er hatte schon 1873 Smyrna und Konstantinopel und in den drei folgenden Wintern Aegypten bereist und sich dort längere Zeit aufgehalten. Als besonders fruchtbringend und genussreich bezeichnet er den von 1875 76, denermitLenbach, Makart, Huber und Gnauth in Kairo verlebte. Der entthronte Chediw Ismael , dessen guter Wille, sich förderlich zu erweisen, nie versagte, wo er von Männern in Anspruch genommen wurde, die man ihm als Koryphäen der europäischen Wissenschaft oder Kunst bezeichnet hatte, war gern bereit gewesen, ihnen einen arabi- schen Palast zu überlassen und

10

06

DIE KUNST UNSP:RER ZEIT.

schönsten Marmormosaiken ausgeführt» und von dem Saale, den er sich zur Werkstätte wählte, konnte Müller seiner Schwester Mali am 18. Dec. 1875 schreiben:

«Ich habe mir einen Raum ganz reizend dekorirt. Die Wände und der Plafond sind mit Holzschnitzereien bedeckt, die 200 Jahre alt sind, und nun habe ich 9 Teppiche gekauft und einige Einrichtungsgegenstände. Ich habe viel ausgegeben, komme mir aber jetzt dafür wie ein Pascha vor.

« Makarts Atelier ist beinahe so gross , wie jenes, das er in Wien hat. Er richtete es prachtvoll her

«Niemand ausser uns wohnt jetzt in dem Palaste. Wir haben uns eine Menge Diener aufgenommen, auch einen Portier (einen schönen braunen Abyssinier), denn wir haben auch eine grosse Verantwortung, dass an dem Hause nichts geschieht. Dieser Tage gehe ich zum Polizeidirektor del Negro, den ich gut kenne, und werde einen Wachposten verlangen, der immer vor dem Thore zu stehen hat.

« Es macht , wie Du Dir denken kannst, kein ge- ringes Aufheben unter den Arabern, dass vier Europäer Herren dieses Palastes sind. Das Wetter hier ist immer herrlich , immer Sonnenschein bei wolkenlosem Himmel. Hier gibt es, Gott sei Dank, keinen Schnee! Es überläuft mich gruselig, und ich fühle eine Gänsehaut über meinem Körper, wenn ich an Wien denke. Ich weiss nicht, was geschehen müsste , damit ich wieder einmal einen Winter in Wien zubrächte ! »

Müller hatte eben mehrere Jahre hintereinander den Dunst mit jenem Nilwasser gelöscht, das Champoliion « den Champagner unter den Wassern » nennt, und das in jedem, der es trinkt, unauslöschliche Sehnsucht nach Aegypten wach erhalten soll. Seiner nervösen Natur that die Wärme der Palmenzone wohl, sein Auge und Gemüth hatten sich dem Zauber des Morgenlandes ge- öffnet, und er war tiefer als viele andere in das Leben der muslimischen Bevölkerung Aegyptens eingedrungen, weil er es wie wenige verstand , auch den gemeinen Mann an sich zu ziehen. Der ihm eigene Sprachsinn hatte ihn verhältnissmässig schnell dahin geführt, arabisch zu verstehen und mit denen zu reden, deren Thun und Treiben, deren Land undL^mgebung er zum Gegenstand seines Studiums und zum Objekt seiner Kunstübung gemacht hatte. Was schön oder charakteristisch ist im Orient , entging ihm so wenig wie das Ergötzliche. So hat wohl kein Maler vor ihm die Schmiererei eines seiner

arabischen CoUegen über der Thür eines Kaffeehauses, das ausgestopfte Krokodil, das der Aberglaube über den Eingang eines alten Gebäudes hängte oder ähnliches wiederzugeben für werth der Mühe gefunden. Und der Oelhändler mit seinem rachitischen Jungen, der schwarze Hausknecht der seiner Herrin, einer europäischen Dame folgt, und aufgeblasen ihre Haltung nachahmt !

Der erste Brief, den ich aus Alexandrien von ihm erhielt, ward am 12. Oktober 1877 geschrieben. Ihm folgten andere vom 20., 28., 31. Oktober, 9., 17., 22., 28. November etc. aus Kairo. So treu hielt er an unserer Verabredung fest, so ernst war es dem Illustrator darum zu thun, mit dem Schriftsteller in engem Zusammenhang zu bleiben.

Als er am 12. Oktober 1877 in Alexandrien ein- traf, fand er die lange Reihe von Stoffen noch nicht vor, die ich auf seinen Wunsch dorthin gesandt hatte und die ihm zwei Tage später zuging. Das beweist die folgende Stelle aus seinem ersten Briefe:

«Vor einer Stunde hier angekommen, machte ich mich gleich daran, Ihnen zu .schreiben. Den heutigen und morgenden Tag werde ich vorerst benützen, um die kleinen Illustrationen für die erste Lieferung zu skizzieren. Den Leuchtthurm ihabe ich gleich vom Dampfer aus gezeichnet. Am Sonntag gehe ich nach Kairo und führe dort die mitgebrachten Skizzen aus. . . .

« Ich erwarte nun von Ihnen, v. Freund, dass Sie mich in Kairo baldigst mit Aufgaben überschütten. . . .

« Ich bitte Sie also, mir recht bald eine recht grosse Anzahl von jenen Bildermotiven, die Sie wünschen, be- kannt zu geben, damit ich in der Lage bin, jede Gelegen- heit, die sich mir darin bietet, gleich am Schöpfe fassen zu können. Was mir an interessanten Dingen, die sich gut illustrieren lassen, auffällt, werde ich dann auch Ihnen mittheilen.

«Entschuldigen Sie dies konfuse Geschreibsel. Es tanzt mir der Boden unter den Füssen, als ob ich noch auf dem Schiffe wäre, und die bunten Eindrücke aut der Fahrt durch die Stadt in's Hotel haben mich ganz betrunken gemacht vor Freude. ^

Kairo, 20. Oktober 1877. «Ich bin nun in Ordnung, mein Atelier ist eingerichtet, und die Arbeit kann los- gehen. Zwei Zeichnungen habe ich bereits beendigt, und zwar den Leuchtthurm von Alexandrien und eine andere, die Sie gewiss werden brauchen können. Ich habe nämlich ein malerisches Stück der alten Ring-

ÜIK KUNST UNSERER ZEIT.

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mauer des antiken Alexandrien gefunden und die an Ort und Stelle entworfene Skizze getreu hier ausgeführt. » Dies schöne Blatt machte mir grosse Freude, denn CS stellte etwas Interessantes dar, das noch keinen Maler zur Nachbildung gereizt hatte.

In seinem Schreiben vom 28. Oktober geht er auf meine Gedanken über die für das alte Alexan- drien herzustellenden Illu- strationen ein. Er hatte es abgelehnt, sie herzustellen und mir am 30. September von Venedig aus darüber geschrieben : « Die meisten Illustrationen für das alte Alexandrien werden Zeich- nungen sein, bei welchen es sich darum handelt, dass derjenige , welcher sie ausführt, das alt- griechische und zum Theil das ägyptische Kostüm so wie die Architektur jener Zeit genau kennt. Ich habe nie etwas in dieser Richtung gemacht habe es mit gutem Willen und guter Absicht ver- sucht , und gesehen dass ich es nicht treffe. Ich h^be mich in Aegypten nur um die jetzige dort hausende arabische Welt gekümmert, die ich durch und durch kenne, und da glaube ich, wäre es weit besser, wenn Sie die Zeichnungen für das alte

Alexandrien einem andern übertrügen , der dieser Aut- gabe besser gewachsen ist als ich. »

Diesem Wunsche war ich sogleich nachgekommen, indem ich mich an Ferdinand Keller in Karlsruhe ge- wandt hatte, von dem ich wusste, wie wohl er sich mit dem Leben, dem Kostüm und der Architektur des

Ziehbrunnen in Kairo.

hellenischen Alterthums bekannt gemacht habe. Er sagte zu, und Müller, dem für unser Werk nichts gut genug war, und der Einwand gegen die Mitwirkung manches wohlberufenen Meisters erhoben hatte, schrieb

darüber : « Dass Herr Keller die Illustrationen zum antiken Alexandrien ausführen wird , freut mich ; es war dieses eine glückliche Wahl.»

In meinem folgenden Briefe hatte ich einer Verschlimmerung meines Befindens erwähnt. Da- rauf bezieht sich der An- fang des folgenden Briefes vom 31. Oktober:

«Wenn man, 1. P'reund, noch so viel Humor hat, wie Sie ihn in Ihrem letzten Schreiben an mich zeigten, dann kann das Uebel ja nicht tief stecken, und in dieser meiner Hoffnung freue ich mich auf den Tag, an dem wir einmal zusammen herumlaufen werden. In Kairo , in Wien oder gar Leipzig es ist ja einerlei wo! Ueberall wird es schön, vorausgesetzt , dass wir etwas in uns mitbringen, das erheitern und beleben kann ....

Mein Hausherr führt einen wohl versehenen Keller auf Ihre bal- dige und vollständige Ge- nesung trinke ich öfters mit Bircher, der Ihre Werke kennt etc. manch volles gutes Glas.

«Die Zeichnung «Rast der Meccapilgerkarawane auf der Abbasieh», die eine lange und reiche Erzählung ist, betrachte ich als die weitaus beste Arbeit, die ich für das Werk bis jetzt gemacht habe. Mit einer der

10*

68

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Nilmesser.

notirten Send- ungen schicke ich Ihnen dann die Fortsetz- ung dieser Er- zählung, näm- lich die Schil- U|' i derung jener Theile des aus- gedehnten La- gers, auf denen man die Zelte des Führers der Karawane sieht , ferner die Tragbahre, in welcher der Teppich einge- schlossen ist, die militärische Eskorte etc. Während des dreitägigen La- gers der Kara- wane auf dem Abbasiech war

ich natürlicherweise immer unter den Pilgern. Auf frischer Anschauung beruhen auch der Dattelverkäufer, die Brunnenbilder, das Bad (ein reizendes Motiv) und die Händler mit den Waaren, für weiche ich keinen Namen weiss.

Ich sah in alle seine Töpfe , doch ich blieb so klug wie vorher.

Sie werden an den Zeichnungen sehen , welch grosser Unterschied zwischen den Sachen ist , die man im Atelier aus der Erinnerung zeichnet, und jenen , zu denen man an Ort und Stelle die Studien machen kann. »

Leider ist der zweite Theil des köstlichen Lager- bildes nie vollendet worden ; denn schon im nächsten Briefe sah sich Müller zu schreiben gezwungen :

«Acht Tage musste ich aussetzen mit dem Zeichnen, weil ich wieder Augenentzündung hatte.

Es ist noch der alte Katarrh aus Venedig, an dem ich leide.

Um mich zu heilen , ging ich in die Wüste und

brachte sechs Tage in Helwan *) zu. Ich befinde danach mich besser. Von dort aus machte ich eines Tages einen Ausflug nach den Apisgräbern. Ich habe eine Skizze von denselben und von Mariettes Haus gemacht.

«Als ich nach Sakkara ritt von Helwan aus und auf dem Damme, der zur Wüste führt, mich dem Wege näherte, der zur Stufenpyramide führt, sah ich ein Bild, das ergreifend schön war.

« Mit gellendem Schreien lief ein Mädchen von etwa i6 Jahren mir entgegen, das die Hände hoch in die Luft hielt und in denselben ihren Schleier flattern lie.ss. Die schmerzlichen Ausrufe des Mädchens gingen mir sehr zu Herzen, und ich ahnte gleich, dass der Aermsten etwas Trauriges begegnet sein müsse. Und so war es auch. Als das hübsche Kind mir näher und näher kam, da vernahm ich die Worte, die es ausrief: Mein Bruder ist tot , mein Bruder ist tot ! Ohne mich zu beachten, flog die Arme an mir vorbei, immer den Schleier mit beiden Händen hoch in der Luft haltend.

« Bald daraufbrachten zwei Männer den todten Bruder. Es war ein hübscher Knabe, der vor wenigen Momenten noch gelebt haben muss; es waren selbst seine Hände noch warm.

« Ich versichere Sie, dass mir dies Bild unvergcss- lich bleiben wird, so schön war es. Die schöne Silhouette des Mädchens, die ernste Gruppe mit dem Todten mit dem prächtigen Hintergrunde, der starren, leuchtenden Wüste nämlich, war aussergewöhnlich packend.

« Das Bild werde ich einmal malen , oder will es mindestens versuchen. 1>

Es ist leider, so viel ich weiss und aus seinen Aufzeich- nungen ersehe, nie zur Ausführung gekommen. In ähnlicher Weise ergreifend ist aber das Bild der trauernden Witwe, die mit einem hohen Palmenwedel im Arm, der, wie kummer- voll, die Spitze nach vorne neigt, auf dem Grabe des verstor- benen Gatten seiner gedenkt. Wer die arabischen Fried- höfe kennt, wird sich nicht wundern, dass ein warmempfin- dender Künstler, ein Kolorist wie Müller, sich gerne daran wagte, sie und ihre Besucher wiederzugeben. Vielleicht das schönste von allen Blättern, die wir dem Verstorbenen ver-

*) Das Helwan, wo Müller Heilung suchte, ist ein kräftiges Schwefel- bad auf dem östlichen Nilufer, wenige Meilen südlich von Kairo. Es liegt in der zum Fuss des arabischen Gebirges gehörenden WUste und ist jetzt ein bequem eingerichteter Bade- und Luftkurort. Kranz Pascha, ein Nassauer, der trelTliche Architekt des Chedlw, ist der Schöpfer der stattlichen dort entstandenen Hauten. 1877 halte der Sacfase Dr. Reil und der Schlesier Dr. Sachs erst eben angefangc-n es in .\ufnahme zu bringen. Ein kleines sauberes deutsches Gasthaus « zum Waldesel undPfifficus t, das eine muntere Gesellschaft unserer Landsleute so benannt hatte, nahm die Europäer auf.

I.eop. Carl Müller-

rhot. r. H>nrilaen|l. XlmcbMl

Messe zu Tanta.

(Delta.)

DIE KUNS r UNSERER ZEIT.

60

Die Apisgräber in Sakkara.

danken , zeigt einen solchen und die Verkäuferin von Palmenzweigen, die sich mit einem Kunden unterhält. Die Handbewegung, die das arabische «Wer kann's ändern» oder das salomonische «Alles ist eitel» begleitet, ist mit unvergleichlichem Feingefühl getroffen.

Am 9. Nov. 1877 schreibt Müller:

«Das, was Sie in Ihrem Schreiben VI von den so- genannten Genies sagen, stimmt ganz mit meinen An- schauungen überein. Ich habe z. B. noch keinen Maler kennen gelernt, der von Bedeutung gewesen wäre, und doch zu jener Gattung mit den «struppigen Haaren und ungewaschenen Hemden» gehört hätte. Die jetzt lebenden grossen Künstler Europas sind beinahe durchgehend fein- gebildete Menschen, die den äusseren Formen unserer Gesellschaft Rechnung tragen.

«Ich gehöre z. B. sogar zu denen, die eine Art Miss- trauen in die Befähigung aller jener setzen, die in ihrem Aeusseren sich absichtlich von den anderen Menschen- kindern unterscheiden wollen. Und Ihre Anschauung über die Bedeutung des Fleisses theile ich ebenfalls. Wenn ich meinen Wirkungskreis an der k. k. Akademie antreten werde, wird es eine meiner Hauptbestrebungen

sein, meine Schüler zu rastloser Thätigkeit anzu- halten. Besonders in den bildenden Künsten ist Vi einlachen von grosser Bedeutung. In den bildenden Künsten spielt die Fertigkeit in der Technik eine unglaublich grosse Rolle. Neben der Technik ist es dann der Geschmack, der aus- schlaggebend ist. Nun frage ich Sie aber, ob Sie glauben, dass die Menschen schon mit gutem Geschmack auf die Welt kommen? Grössere oder geringere Anlage zur Ausbildung bringt man mit; guter Geschmack wird aber zum grösseren Theile erworben durch Arbeit, rastlose Arbeit.

«Es ist eine Thatsache, dass der grössere Theil aller schon an der Akademie bewunderten Talente gewöhnlich verschwindet von der Weltschau- bühne, während sehr, sehr viele gegenwärtig als bedeutende Künstler auf derselben wirken, die während ihrer Schülerzeit als Ochsen ohne Talent verspottet und verlacht wurden. Der so berühmt gewordene Overbeck wurde von drei Akademieen fortgeschickt als gänzlich talentlos. Der Pole Mateiko wurde weder in Wien noch in München beachtet. « Eine ganze Reihe von Studenten an der Akademie in Wien , die ich seiner Zeit beneidete,

mit deren Arbeiten die damaligen Professoren grosses

Wesen trieben und von denen man erwartete, dass sie

die alten Meister übertreffen würden, sind heute spurlos

verschwunden.

«Ganz verschwindend klein ist die Zahl der alten

und der modernen

grossen Künstler,

die von Hause

aus reich gewesen

wären. Alle waren

sie arme Teufel,

die durch uner- müdlichen Fleiss

und Arbeit sich :^0

das Leben fristen mussten. Der

Zwang zur Arbeit

ist die beste

Schule für das

Talent. Es plagt

sich selten Einer,

der es nicht nöthig Gazelle.

70

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

hat; daher kommt ein vom Hause aus reicher Maler nur selten zu jener Vollkommenheit in der Technik, welche die Ausführung bedeutender künstlerischer Auf- gaben ermöglicht.

«Es ist dies ein Thema, das mich sehr interessirt, und ich schwatze da fort, ohne zu bedenken.

Kairo, 17. Nov. 1877.

« Gestern erhielt ich Ihren Brief und es freut mich zu vernehmen, dass Ihnen die Arbeiten Alma Tademas so sehr gefallen. Es zeigt dies, dass Sie Geschmack haben, denn Tadema ist ein durch und durch origineller, echter und tüchtiger Künstler. »

In dem folgenden Briefe spricht sich Müller auch über die Reproduktion seiner Bilder aus. Er hatte .schon mit Gnauth darüber verhandelt.

«Mir ist nämlich immer leid», fährt er von Kairo aus am 22. Nov. 1877 fort, «wenn ich gut Geschriebenes lese und verdammt werde auf jeder Seite schlechte Bilder anschauen zu müssen. Ich war einmal viel strenger in meinem Urtheile , als ich es heute bin (es kommt dies glaube ich daher, dass man je mehr man leistet, desto besser beurtheilen kann, wie schwierig es ist. Vor- treffliches zu machen) und ging so weit zu behaupten, dass wenn in einem Werke die Illustrationen schlecht waren, auch der Text nicht gut sein könne. Ich nahm an, dass ein guter Schriftsteller so viel Geschmack haben müsse, dass er schlechte Illustrationen nicht dulden könne und ich legte ein derartiges Buch immer weg ohne es zu lesen.

«Ein gut geschriebenes aber schlecht illustrirtes Buch macht mir denselben widerlichen Eindruck wie z. B. eine schlecht kolorirte Photographie eines Portraits.

«Es gibt nicht leicht etwas Widerlicheres als so eine kolorirte Photographie, welche im Grunde die absolute Wahrheit in Form , Linie und Beleuchtung zeigt und obenauf mit der Lüge in Farben prangt. An Hallbergers Stelle hätte ich die Illustrationen mittels Heliotypie her- zustellen gesucht, wie im Journal l'Art.

«Ich bin sehr neugierig auf die nächsten Schnitt- proben. Am besten sind geschnitten der Wechsler und der Läufer, und darum scheue ich nun jetzt die Mühe nicht, all meine Zeichnungen nur mit der Feder auszu=^ führen, so wie es jene beiden waren. Es kosten mich diese Federzeichnungen viel mehr Zeit, doch ich erwarte mir ein günstiges Resultat, wenn man darauf dringt, dass diese Zeichnungen facsimile geschnitten werden. Bei

einer Federzeichnung hat der Xylograph gar keine Aus- rede, dass er die.ses oder jenes nicht klar gesehen hätte. Hier gilt es eben jeden Strich wieder nachzuschneiden.

«Mit diesem Briefe sende ich auch des Beduinen Morgen gebet, eine Zeichnung, die ich auch einmal malen werde, weil ich glaube, dass mir die andachtsvolle Stimmung in derselben gelungen ist. Selbst das Kameel ist andächtig. »

So verhält es sich in der That; ich sah aber aus dieser Zeichnung kein Gemälde entstehen. « DenWechsler » , dessen Schnitt ihn befriedigte, führte er aber in Oel aus, und dieses herrliche Bild wurde im Glaspalaste zu München mit der goldenen Medaille gekrönt.

Wegen der Reproduktion seiner Arbeiten schreibt er auf einen besonderen Zettel : « Meiner Zeichnungen braucheich mich nicht zu schämen, Ihr Text» (es folgt das Lob desselben) . . . «und so müssen wir Schulter an Schulter durchsetzen, dass alles aufgeboten werde, damit der Schnitt nichts verderbe. Auch Gnauth wird helfen. Ed. Hallberger ist ein Verleger, der es ernster nimmt als andere und einen kleinen Schaden ertragen kann. Da muss verworfen und vernichtet werden, was nicht die Nummer i verdient. Die muss auch das ganze Werk noch erwerben. »

Kairo, 30. Nov. 1877. «Habe Schreiben VIII er- halten , und hoffentlich erhielten Sie auch inzwischen meinen wöchentlichen Schreibebrief. Sie können mit Sicherheit auf meine Briefe rechnen ; denn was ich ver- spreche, das halte ich . . Ich habe zur Abwechs- lungf wieder ein bischen Augenleiden, So oft ich zu lange des Abends lese, ist der Teufel wieder los. Nun habe ich mir vorgenommen bei Lampenlicht gar nichts mehr zu lesen. . . .

« Dr. Reil und Sachs lassen Sie bestens grüssen . . . In Helwan lernte ich einen weiteren Doktor kennen, der kein uninteressanter Mensch ist. *j P> betreibt in Helwan etwas, was für Aegypten eigentlich neu ist. Er sucht und gräbt nämlich nach Geräthschaften aus der Steinzeit. Seine Sammlung ist sehr interessant und reich. Er hat an mindestens 1000 Stück Messer, Lanzenspitzen, Sägen u. s. w. Die Sägen sind merkwürdig gut ge- macht, bewundernswerth. Aller Orten, wo er diese

*) Er meint den Dr. Mook. Dr. Reil hatte schon früher eine schöne Sammlung dieser Art angelegt. Auch die Franzosen Hainy, Arcelin und Lenormant wiesen lange bevor MuUer am Nil war, auf eine Steinzeit in Aegypten.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Feuersteingeräthe findet, gibt es auch immer eine gute Ausbeute an Knochen aller möglichen Thiergatt-

ungen

« Dass Sie mich um meinen Aufenthalt be- neiden , begreife ich voll- kommen. Heute war es tüchtig heiss, und vor zwei Monaten hätten wir zu- sammen ohne Feuer im Ofen und ohne die Reibung der Geister erbärmlich in Nürnberg gefroren. Dass es Gnauth in dem kalten Norden so geduldig aus- hält, ist mir ein Räthsel. Ich werde ja vielleicht auch in Wien Schnee und Eis ertragen müssen, aber wie ungeduldig ich dabei sein werde , weiss ich schon im Voraus. Das ist auch gut; denn wenn der bekannte Faden reisst, werde ich wieder frei.

Gärtnerbursclie mit Bouquet am 'l'iirban.

worden , der eigentlich .schon den Namen der kalten verdiente. Wo es warm ist, ist meine eigent- liche Heimat.»

Kairo, 7. Dez. 1877. « Vor einigen Tagen wurde hier ein Wohlthätigkeits- Bazar zum Besten der verwundeten Türken im Esbekije-Garten abgehalten. Der Garten war schön dekorirt. Die schönsten Damen hatten verschiedene Buden, worin sie alles Mög- gliche und Unmögliche ver- kauften. Je schöner die Dame, desto gefährlicher war es begreiflicherweise bei ihr einzukaufen. Uns armen Männern wurde mit allen erdenklichen Schmeicheleien das Geld aus den Taschen geholt, und ich möchte wetten, dass manche Dame, um nur mit recht vielem Gelde

Dann sage ich den Eisbären gute Nacht und den Krokodilen und meinen lieben Kameelen, zu denen ich gehöre, guten Morgen. Ich bin glaube ich aus Ver- sehen in dem Theile der gemä.ssigten Zone geboren

vor dem Comite erscheinen zu können , ihren Kunden Dinge versprach , die sie dann ihres Mannes wegen nicht wird haben einhalten können. Der Vizekönig war splendid , bezahlte jede Blume, die ihm gegeben

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. r^:fi^>^>r;~:^^^^i5^fel^r^':

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Beduinenzelt.

72

DIE KUNST UNSERER ZEIT

wurde, mit i 5 Pfund Sterling, und bekam recht viele Blumen. Die Haremsdamen coquettierten reizend aus ihren Equipagen. Zu verkaufen hatten sie jedoch nichts. Die Armen würden sich gewiss auch gern so manchem der anwesenden Männer als Wohlthäterinnen erwiesen haben.

«Noch eine Bemerkung erlaube ich mir über das beiliegende Bild. Ich hörte es « Pyramidenbeduinen ;> nennen*). Da erlaube ich mir die Bemerkung, dass dieser Titel nicht passend wäre. Die Beduinen bei den Pyramiden haben ein anderes Costüm, lagern nicht im Freien und besitzen keine Kameele. Auch ist die Distanz, in welcher die Gruppe der Lagernden auf dem Bilde von den Pyramiden entfernt ist, sehr bedeutend. Das Original, das ich vor mehr als fünf Monaten in London verkaufte , dankt seine Entstehung einem Spaziergange bei den Pyramiden. Ich sah nämlich bei Gelegenheit dieses Spazierganges am Rande der Wüste eine Karawane lagern mit vielen Kameelen, Zelten u. s. w. Die Leute waren meistens Zigeuner und Beduinen aus der Libyschen Wüste. Beim Malen des Bildes konvenirte es mir besser, auch im Vordergrunde, wo in der Natur bereits bebauter Boden war, ebenfalls Wüstenterrain zu machen. In London war das Bild mit dem Titel : «Caravane en repos» ausgestellt. »

Der folgende Brief bezieht sich auf meinen Roman « Homo sum » den ich ihm gesandt hatte. Die ein- gehende kunsthistorische Betrachtung, die er enthält, wäre wohl werth, hier mitgetheilt zu werden, doch ver- bietet das der uns bewilligte Raum.

Aus unseres Künstlers Brief vom 18. Jan. 1877 ent- nehme ich die folgenden Sätze : « Was das Kapitel Be- wunderung angeht, so vertheidigen Sie Ihre Position mit Waffen der die meinigen nicht gewachsen sind. Mit Worten verstehe ich schlecht zu fechten, und ich lasse Sie also auf dem verlorenen Posten.

« Ich habe von der Kunst einen so hohen Begrift, dass ich mich nicht einmal zu den Künstlern rechne. Ein einfach bürgerlicher Maler bin ich, der sein täglich Brod mit dem Malerhandwerk verdient. Es gibt in ganz Europa nur 10 oder 12 Künstler mehr oder weniger geschickte Maler aber einige Tausende. Auch der von Ihnen bewunderte ... ist nur ein Handwerker. Alma Tadema z. B. einer der hochbegnadeten, ein Künstler.

*) Man hatte es in Stuttgart so bezeichnet.

« Da steht vor mir ein grosses Bild. Ich möchte das Farbengaudium des Orients auf ihm nur einiger- massen treffen und zur Anschauung bringen. Glauben Sie, ich brächte es zu wege? Jeden Tag der letzten Zeit, den ich am Bilde arbeitete . entspricht es weniger den Anforderungen, die ich an das.selbe stelle, und so leide ich nun schon seit geraumer Zeit an einem un- erträglichen moralischen Katzenjammer. Ich bin in einem Zustande , in welchem man selbst das was man kann , zu können bezweifelt. Ich werde darum auch vielleicht eine Einladung zu einer kleinen Erholungs- reise, die mir der ältere (Heinrich) Brugsch gemacht hat, annehmen. »

Gerade dieses sich nie an der eigenen Leistung Genügenlassen , dies Verzweifeln an dem eigenen in Wirklichkeit erstaunlichen Können charakterisirt den bescheidenen Müller als den grossen Künstler, der er war. Wer das Gemälde kennt, das ihn in eine so ver- zweifelte Stimmung versetzte es ist das der Wiener Akademie der wird meiner Meinung beipflichten, dass es wenigen gelang, das « Farbengaudium des Orients •» , das Müller zum Ausdruck zu bringen begehrte, auch nur halb so glücklich wiederzugeben.

Später am 7. Februar 1878 schreibt er in Bezug auf das nämliche Bild : « Die Politik und die Unzu- friedenheit über meine Malerei verstimmen mich sehr. Um so mehr bin ich verstimmt, als mir an meinem Bilde gerade das nicht gelingen will , worin eigentlich mein Können besteht. Sowohl aus eigener Erfahrung als durch meine kunstverständigen Freunde weiss ich, dass meine Stärke nicht in der Zeichnung und Composition (sie r), sondern in der Farbe besteht. Gut gezeichnete und komponirte Bilder existiren viele von Gerome, doch gut gemalte, ich will sagen, kolori.stisch gute, gibt es meines Wissens gar keine. Fromentin hat die Farbe des Orients getroffen, doch er gab eben nur kleine Landschaften init Staffagen. Mein Ehrgeiz bestand aber darin, ein grosses figurenreiches Bild zu schaffen, das auch den Farbenzauber des Orients wiedergeben sollte. Ach, um das schwache Fleisch!»

Am 15. Februar (Kairo) sagt er unter anderm: « Einen guten Brief zu schreiben halte ich für schwierig. Ein Brief soll ja keine Abhandlung sein , sondern soll auf 3 oder 4 Seiten recht viel sagen. Von den vielen Freunden und Bekannten, die mir schrieben, treffen es nur wenige, gute Briefe zu schreiben, obwohl sie sonst

Markt in Desuk.

(Delta.)

I.«>l>. t;>tl Malier,

PbM. r. UM>bU>llcl. MAMti«.

Moschee des heiligen Ibrahim zu Desuk.

(Delta.)

Eine Strasse von Tanta während der Messe.

Wahrsagerei aus der Hand. Der Fragende driickl die innere Handfläche auf Brodleig ab.

74

DIE KUNST UNSERER ZEIT,

ganz ausgezeichnet mit der Feder umzugehen wissen. » Dann geht er wieder auf die Holzschnitte über :

«Es thut mir wohl», sagt er, «dass ich Ihnen nun schon zweimal von guten Schnitten berichten kann, denn nur zu oft habe ich Ihnen etwas vorjammern müssen. « Bilder sind die Bücher der Ungelehrigen » hat der heilige Augustin gesagt, und er hatte sehr Recht. Mit welcher Leidenschaft studiren Kinder nicht Bilder- bücher I

« Und wir Erwachsenen, sehen wir, sobald wir ein illustrirtes Werk in die Hand bekommen, nicht auch immer zuerst alle Bilder drinnen an.? Und verderben wir uns nicht um etwas die Lust das Buch zu lesen, wenn uns die Illustrationen nicht gefallen haben.' Und darum habe ich von jeher die Anschauung gehabt, dass ein Buch sich immer besser repräsentirt, wenn es nicht, als wenn es schlecht oder auch nur mittelmässig illustrirt wird. So wie der Text zu dem Werke, so müssen auch die Bilder werden, müssen Sehnsucht nach dem Zauber- lande erwecken. . . . Bei einem Werke, das mich nicht interessirt, hätte ich überhaupt nicht mitgethan. Nun ich aber mitthue, erlaube ich mir immer offen und schonungslos die Meinung zu sagen, und das verübeln Sie mir ja gewiss nicht. . . . Fahren Sie fort mein Sekundant und Mitkämpfer zu sein, und es wird schon so, dass man F"reude daran haben kann. »

Einige vierzig Bilder hatte er für unser « Aegypten » vollendet, nun aber verhinderte ihn die Berufung an die Wiener Akademie, als deren Direktor er starb, und ein Augenleiden einstweilen weiter für uns zu schaffen. Er empfahl das noch Fehlende von Huber herstellen zu lassen. Zu unserer Freude willigte dieser ausgezeichnete Künstler ein, und auch die von ihm hergestellten Bilder sind Zierden des Werkes; denn es vereint sich in ihnen treffliches Können mit genauer Kenntnis des morgenländischen Lebens.

Der Zustand der Sehkraft Müllers war ein wahrhaft beklagenswerther geworden, und dass er trotzdem so Vieles und Schönes auch noch später vollenden konnte, ist den ihm am nächsten Stehenden kaum fasslich erschienen.

Am 22. Februar schreibt er darüber aus Kairo:

« Wie gerne gäbe ich Ihnen einen Theil meiner Schenkelkraft, wenn Sie mir dafür etwas von der Kraft Ihrer Augen ablassen möchten. Der (kleinen) Schrift Ihrer Briefe sieht man die beneiden.swerthen Augen an,

Kalleeliaub. (^FcUerzeicIinung.)

über die Sie verfügen. Während ich jetzt schreibe, sitzen doppelte Augengläser auf meiner Nase. Wie mich diese beiden Krüppel von Augen bei meinen Arbeiten hindern , davon machen Sie sich keinen Begriff. Bei kleinen Dingen, die ich male oder zeichne, ist's mehr meine Hand, welche sieht, als meine Augen. Hätte ich nicht eine .so empfindsame Faust, so wäre ich unmöglich als Maler. Und diese elend konstruirten Augen sind nun seit langer Zeit zum Ueberflusse noch krank.

« Geht es besser damit und bin ich in Wien , will ich gerne wieder die frühere Thätigkeit für das Pracht- werk entwickeln. Ausser meinem grossen Bilde habe ich hier noch einige Studien für zwei mir von Wallis in London bestellte Bilder zu machen.»

Diesen Kun.sthändler erwähnt er oft in seinen spä- teren Briefen als eines verständnisvollen, ihm persönlich sympathischen und auch aufsein, des Künstlers Interesse bedachten Herrn.

Wie schwer er, mit solchen Aufgaben im Sinne, das Augenleiden trug, geht aus jedem der folgenden Schreiben

L«op. CftrI Müller.

f kot. r. Banhumcl, ■•■rkH.

Orangen Verkäuferin.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Ein Kopte.

(Christlicher Nachkomme der allen Aegyptcr.)

hervor. Wer da hört , dass er in einem Winter etliche vierzig Zeichnungen, unter denen sich auch viele aufs Sorgfältigste ausgeführte Compositionen befinden und daneben noch mehrere grössere Gemälde vollendete, wird es kaum glauben, dass er langsam arbeitete.

Dies zu begreifen fällt doppelt schwer , wenn man bedenkt, dass er während jenes Winters keineswegs fort- während sesshaft in Kairo blieb, sondern ausser mancher Fahrt zu den Pyramiden und dem Aufenthalt in Hei wan auch einer Reise in das Delta mehrere Tage widmete. Wäh-

rend derselben entwarf er zwei schöne Bilder, die den Markt und die Moschee des Ibrahim zu Desuk darstellen, eine figurenreiche Scene aus der Messe zu Tanta, das Beduinenzelt und den Damm zur Zeit der Ueber- schwemmung, eine seiner stimmungsvollsten und wahrsten Arbeiten.

Auf meine Bitte hatte er .sich nach Tanta, einer grossen Handels- und Wallfahrtstadt im Delta, begeben, wo sich auf den drei Messen, die zu Ehren des hoch- angesehenen arabischen Heiligen Sejjid el-Bedawi ab-

11«

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

gehalten wurden, bis an eine halbe Million von Muslimen zusammen finden.

Wenigstens ein Theil des munteren Briefes, den er nach seiner Heimkehr von dort aus Kairo an mich richtete, mag hier mitgetheilt werden. « Viele Grüsse von dem Apotheker Friedrich aus Tanta» schreibt er. « Er denkt Ihrer Anwesenheit in Tanta als eines Festes bei seinem einsamen Fasten. Ein charmanter junger Mann. Dazu wie mancher Apotheker ein Naturforscher, der mit den geübten Händen manches besser erkennt als der stolze Gelehrte vom Fach es mit den Augen fertig bringt. Sie hatten Recht , mich nach Tanta zu schicken. Ich habe Brauer- und Förster-, Philo- logen- und Friseur- congresse gesehen, dass aber auch die Priesterinnen der

Venus Kongresse abhalten, erfuhr ich erst hier. Sie haben gewiss auch darin recht gesehen. Die alte Festlust von Bubastis übertrug sich auf das nahe Tanta. Dank für die Stelle aus dem Herodot. Und das ist ein Treiben. Man möchte sich loo Augen mehr, und hätte man sechs Paar Ohren, acht weniger wünschen. Aber die Augen haben so viel zu thun, dass die anderen Sinne ohnehin abgesetzt sind. Eine hübsche Zigeunerin merkte, dass ich sie zeichnete und schlug die Hände vor das Gesicht. Ich versprach ihr eine Menge Geld, wenn sie mir still stehen wolle, aber sie wies es unbändig zurück. Für die Hälfte hätte sie mir mit dem besten Danke Alles gegeben, was sie sonst nur zu vergeben hat. So mächtig ist das Vorurtheil. Oder ist es Aberglaube oder der Koran? Aber was ist diesen Zigeunerinnen Religion? Ich hörte sagen, sie wären nicht einmal rechte Anhänger des Propheten. Ein Reisebeschreiber erzählt*), er habe arabische

Fischauktion zu San. (Tanii )

♦) Es ist der Däne Niebuhr.

Mädchen im Bade überrascht. Die Mädchen hätten laut aufgekreischt und den Hinterkopf schamhaft in die Handmuscheln versteckt. Das müssen sie so machen, nachdem sie gewohnt sind diesen Theil des Kopfes ängstlich mit dem Schleier zu verbergen. Eine Europäerin hätte wie die Venus von Medici zuerst den Busen versteckt. . . . Die Araberinnen sind doch kon- sequenter als unsere Balldamen d

Das Bild nach Seite 68 zeigt eine Strasse von Tanta während der Messe. Die schönen und vornehmen Armbe- wegungen der ägyp- tischen Frauen , an denen Müller so grosse Freude hatte, finde ich auf diesem Bilde bei der Zucker- rohrverkäuferin, der Krugträgerin und Gauklerin wieder. Auch jede andere Figur verdankt der lebendigen Anschau- ung die Entstehung, doch wurde das Bild ganz anders, als er anfänglich beabsichtigt hatte.

«Es ist mir nicht gegeben, » schreibt er am i 5. Sept. 1 878 aus Wien , « bei dem Vorwurfe zu einem Bilde, und sei es auch noch so wohl und sorgfaltig erwogen, zu bleiben. Bei der endgültigen Ausführung meiner Skizzen verfalle ich immer ins Aendern, in ein Aendem ohne Ende. Meine Veränderungswuth geht dann so weit, dass es passieren kann, dass sich mir aus einem Mekka- pilgerzug eine Ansicht Venedigs oder eine Glet.'-cherland- schaft entwickelt, und so möglicherweise auch umgekehrt. Ich habe jetzt für sechs Bilder Kompositionsskizzen fertig gebracht. Lauter Darstellungen aus dem ägypt- ischen Volksleben , Bestellungen für London. Wenn mir das Ministerium den Urlaub zu einem Ausflug nach Kairo nicht gewährt, um den ich es ersuchte, so male ich an den Bildern in Folge Studienmangels für ver- schiedene Typen u. s. w. mindestens ein Jahr, während ich im günstigen Falle, das heisst nach einem Abstecher nach Kairo, in fünf Monaten fertig werden kann. . .

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Andere Briefe lehren, wie gewissenhaft und eifrig er seine Schüler*) zu fördern bestrebt war. Es machte ihn glücklich, einige unter ihnen zu besitzen, deren Talent und Fleiss ihnen ein schnelles und erfolgreiches Fortschreiten gestattete. Mit den Kollegen stand er in angenehmer Beziehung. Einmal schreibt er:

« Makart ist nun auch Profes.sor an der Akademie und übernimmt während der Zeit meiner Abwesenheit die Leitung meiner Schüler. Makart spricht nicht und kann auch nicht sprechen ; aber malen kann er wie

In einem dieser Schreiben (1878) gibt er seinem Verdruss über die Annäherung Deutschlands an Russland Ausdruck. Daran knüpft sich der folgende Satz des auf sein deutsches Blut stolzen Mannes, der auch in vielen Briefen ausspricht, wie herzlich er sein öster- reichisches Vaterland liebt.

«Kurz nach der Schlacht bei Königgrätz>, schreibt er, « als die Preussen schon vor Wien standen, da unter- nahm ich und mehrere Freunde von mir das Wagnis, in Wien einen deutschen Verein zu gründen. Es war

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^

Ein Zigeunerzelt.

wenige. Er bringt seine Gedanken auf keine andere Weise gut zur Anschauung als mit dem Pinsel. Wer aus Makarts Reden auf die Bedeutung dieses Mannes schliessen wollte , der würde ~ sich gröblich täuschen.»

Müller verstand es dagegen, seinen Gedanken auch in Worten Ausdruck zu geben. Das beweisen besonders die späteren Briefe, in denen er über sehr verschiedene Dinge redet; nicht selten auch über Politik.

Diejenigen, auf die er das meiste hielt, waren Bacher, Delug, Dragon, Hirschl, Jovanowitz, Krämmer, Novak, Ottenfeld, Rothaug, Tötzelberger, Swoboda, Tichy, Wilda, Wenzel, Zimmermann, die Prinzessin M. A. Reuss VII. und seine Schwestern Marie und Bertha Müller.

ein rein politischer Verein, und die Tendenz desselben eine rein deutsche. Wir wurden damals viel von den Journalen und den spezifischen Wienern angefeindet, ja wir wurden geradezu des Hochverrathes denunzirt. Nichts konnte uns einschüchtern, und der Verein wuchs und wurde mächtiger und mächtiger. Eine grosse und mächtige Zeitung verdankte ihr Entstehen diesem Vereine. Es ist die «Deutsche Zeitung». Unser Jubel über die deutschen Siege in Frankreich war ein unermesslicher. s Was aber dann eintrat, will ihm nicht mehr gefallen. Er empfand eine starke Abneigung gegen Russland und hielt Oesterreich für den natürlichen Verbündeten Deutschlands. Diese beiden wünschte er Schulter an Schulter und Hand in Hand zu sehen und ist auch

12

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

noch Zeuge des Deutsch-österreichischen Bündnisses geworden.

Aber seine Briefe enthielten keineswegs nur ernste Betrachtungen. Oft fordert der dem daseinsfrohen Künstler eigene Humor munter sein Recht, und zwar nicht nur in Worten, sondern auch mit der Zeichenfeder. Einmal bemerkt er, dass Menschen , die lange mit bestimmten Gattungen von Thieren verkehrten , ihnen mit der Zeit ähnlich würden. So sei ihm ein wunder- licher Kauz begegnet, der sich daran ergötzt habe, ver- krüppelte Karpfen zu sammeln und endlich selbst mit einer Karpfenschnute « gesegnet » worden sei. Einer der Halbneger, die seine Dromedare bedienten, sehe jetzt selbst aus wie ein Kameel, und dazu zeichnete er mir den Kameelkopf und daneben den jenes Mannes. Dies heitere Bildchen war so charakteristisch, dass ich es in meinem « Aegypten » wiedergeben liess. Ein anderes mal schildert er, wie er sich von Erkältungen kurire, indem er in « die Burg » gehe und sich auf den billigsten Stehplatz in einem dicken Ueber- zieher unter die Menge mische. Da gerathe er in eine heilsame Tran- spiration und gewöhnlich verlasse er das Haus im Zustand der Genesung. Sein Brief aus Tanta ward auch in heiterer Stimmung geschrieben. Ein zoologischer Freund hatte ihn ge- beten, ihm in Aegypten Affengehirne zu schaffen. Nun schreibt er in einem Brief an die Schwestern (Kairo, den 30. April 1875), sie möchten dem Gelehrten sagen , es sei wohl mög-

Das Kammel und sein Doppelgänger

lieh solche zu bekommen, «es sei mir aber zu um- ständlich, Affen zu kaufen, um sie umzubringen, ihrer Gehirne wegen. Aber ich will ihm ein Negergehirn senden. Mohren werden hier täglich hin etc.» ....

Es ist ein echter Künstler, ein denkender, pflicht- treuer, kenntnissreicher, heiterer, durch und durch sympathischer Mensch, der mir aus diesen Briefen entgegenschaut. Die an die Schwestern gewähren Einblick in sein tiefes liebevolles Gemüth. Sein Tod riss in ihr Leben eine unausfüUbare Lücke. Die Kunst beklagt in Leopold Carl Müller einen ihrer edelsten und berufensten Jünger. Wenn von seinen Werken dem Vaterlande nur wenige erhalten blieben, so trägt er daran, wie gesagt, keine Schuld.

Die diese Zeilen begleitenden Bilder sollen mehr derselben zusammenführen, als je auf einer deutschen oder österreichischen Ausstellung zu sehen waren.

Die Reproduktionsweise, die der Herausgeber wählte, ist diejenige, welche der Verstorbene selbst für die Wiedergabe seiner sorgfältig ausgeführten Blätter vorgeschlagen hatte.

Ich schulde Müller viele genuss- reiche Stunden und wünsche mich dankbar dafür zu erweisen, indem ich das Bild seiner in jeder Hin- sicht hervorragenden und liebens- werthen Persönlichkeit samt einem Theil derjenigen seiner Werke, die er im Dienste eines auch mir werthen Zweckes schuf, einem grossen Kreis von Kunstfreunden zeige.

'^Wl^^

Mariettes Haus in Sakkara.

^^

Kameelmarkt.

Leop. Carl Müller.

Pliot. ¥. flanfstaaocl. Httncbeo.

Damm im Delta zur Zeit der Uebersehwemmung.

SCHLANGENSPIEL.

SKIZZE

VON

MAX BERNSTEIN.

I ine Schlangenbändigerin hatte in der Stadt ihre Künste gezeigt. Ein Meistermaler hielt das Bild fest : das Weib , nackt beinahe, das Haupt zurückgebeugt, ausgestreckt den vom Thiere umwundenen Arm ihr Auge begegnend dem Auge der Schlange.

«Ja, so sind sie» sagte der Graf, als die Rede auf das Bild kam. «Sie können's nicht lassen, mit den Schlangen zu spielen. Eva hat damit angefangen und noch das letzte Weib, eh' die Erde einfriert, wird das alte Schlangenspiel treiben. »

Er sah dabei die Baronin an, die ihm den Thee reichte. Ihr Mann lächelte vergnügt, ohne besonderen Grund wie gewöhnlich, sein breites, gutmüthiges Lächeln. «Ja, so sind sie» sprach er nach.

Sie -Streifte mit einem flüchtigen Blick den Maler, der wortlos in seine Tasse starrte. « Was meinen Sie? » frug sie.

Er sah empor. Sein junges Gesicht röthete sich ein wenig. « Ja . . . ich weiss nicht viel von ...» Er verstummte.

Jetzt lächelte die Baronin. « Sie müssen mehr in die Welt, gehen, das Leben kennen lernen. Ein Künstler muss Alles kennen, nicht?»

«Ja . . . ich weiss nicht ...» brachte er zögernd hervor. Aber seine Blicke glitten über ihre schwarzen Haare, ihre zierlich schlanke Figur und blieben haften in ihren Augen.

« Die Baronin ist eine gute Lehrerin » , sagte der Graf.

«Nicht für Jeden » , entgegnete sie mit einem feind- seligen Blick auf den Grafen.

« Nous verrons » , sagte dieser.

Der gute Baron lächelte wieder ohne besonderen Grund.

«Und Marier» frug er sich auf dem Heimwege. Vor ihm stand die holde Gestalt seiner Braut: das Mädchen , das seiner wartete , daheim in dem kleinen Städtchen, wo sie miteinander aufgewachsen waren als Nachbarskinder, bis er auszog, fort in die grössere Stadt. Da wollte er die Kunst lernen, für sich und die Geliebte eine Zukunft bauen. Deswegen hatten sie sich getrennt vorher aber, aus Herzenstiefen, Treue ein- ander gelobt. Und er wusste, dass eher ihr Leben brechen würde als ihr Schwur, dass er ihr Ein und Alles war. Mancherlei Frauen und Mädchen waren ihm begegnet, aber Mariens unschuldig schönes Bild hatte in seiner Seele gewohnt; da war kein Raum für die Versuchung. Mit heisser Arbeit rang er um die Kunst und dabei klang es immer in ihm , in die Gegenwart herüber aus kommender Zeit, wie eine leise sommerliche Musik: «Marie! Marie!»

So brachte er sich rasch empor. Sein neuestes Bild machte Aufsehen, man sprach von ihm, suchte ihn. lud ihn ein. Er ging, fast widerwillig, denn ihm lag nichts an der Gesellschaft ; aber wohlmeinende PVeunde erklärten ihm, dass er sich nicht selbst im Wege stehen dürfe, dass er Rücksichten nehmen müsse, die Leute nicht kränken solle So war er auch in das Haus der Baronin gekommen.

Es ruhte in ihm wie ein Vorgefühl der Welt, so dass nicht leicht irgend etwas ihn befremdete. Er be- sass eine schnell entscheidende Empfindung, womit er in Menschen und Dinge sich hineinfühlte. Er sah bald : der Baron war ein unbedeutender Mensch, der Graf ein feiner Egoist von klugen Formen. Und die Baronin? « Eine kokette Frau » , hatte er sich gesagt, « weiter nichts».

Doch hie und da ein Blick, eine Geberde, ein Wort fiel ihm auf, zog ihn an, schien etwas Tieferes zu ver-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

rathen. Er begann, sie eigenthümlich zu finden, merk- würdig, räthselhaft. Er nahm sich vor aus rein künstlerischem Interesse, meinte er sie zu beobachten. Und so, leise, ganz leise, hatte ihr Bild sich in ihm fest- gewachsen und immer stärker, alles andere verdrängend,

von ihm Besitz genommen.

* * *

Als er an diesem Abende nach Hause kam, fand er einen Brief. Mariens Handschrift. Sonst waren ihm diese Briefe eine ersehnte Freude, mit eiliger Hand hatte er sie geöffnet, langsam sie durchgekostet; aus jedem Wort hatte ihr gerader Sinn, ihr gutes Herz, ihre reine Neigung zu ihm gesprochen. Nun setzte er sich hin, den uneröffneten Brief in der Hand , um an Marie zu denken. Ja, er wollte sich einmal zwingen, an sie, nur an sie zu denken. Aber nicht mehr wie eine Freude, nur noch wie einen Vorwurf empfand er diesen Ge- danken — und wie ein Hindernis. Das Bild erblasste bald und ein anderes, mit lebendigen Farben, trat an seine Stelle.

In einem matthellen Gesichte seltsame Augen. Es liegt über ihnen wie schieiernder Dämmer, unbestimmt, verbergend. Doch manchmal plötzlich zieht es sich enthüllend hinweg und ein dämonischer Strahl trifft heraus. Jenes Meisterbild kam ihm wieder in den Sinn : die Bändigerin , der haftende und haltende Blick des kühnen, starren Auges, in das alles Leben sich ge- flüchtet hat und das die Schlange bezwingt.

In ihren Blicken aber schauernd dachte er daran

erschien bisweilen nicht nur Herrschaft, sondern eine sanfte, schmeichelnd werbende Gewalt. Als ob sie

nun ja: als ob sie ihn liebe! Wenn es möglich wäre wenn sie jemals sein werden könnte, nur ein Mal, nur ein einziges Mal 1 Ein heisser Strom des Ver- langens überfluthete ihn. Er glaubte zu ersticken.

Er sprang auf, trat an's Fenster und sah in die kommende Nacht hinaus. Jetzt erst merkte er, dass er Mariens Brief noch nicht geöffnet hatte. Als hätt' es Jemand beobachtet , so erschrak er. Es überkam ihn wie Scham. Er schüttelte sich, dehnte sich stolz: «Noch bin ich mein eigener Herr ! » Aber es war ihm, als sei

ein Netz über ihn geworfen, unentwirrbar, unentrinnbar.

*

Sie dachte sich nichts Böses dabei. Sie spielte, wie Kinder spielen, ohne Zweck und Absicht, des Spielens willen, Sie nahm ihn, weil er ihr gefiel. Es war so

etwas Unberührtes in ihm das lockte sie, es zu kennen zu besitzen und zu zerstören. Ihre kleinen Hände mussten immer ein Spielzeug haben. War das eine zerbrochen

ein anderes.

» *

*

Im Atelier. Er hatte Pinsel und Palette weggelegt. Sie sass in dem grossen altprächtigen Lehnstuhl. Die unter- gehende Sonne strömte durch das hohe F"enster herein.

Er sprach nicht, denn er fühlte, dass er jetzt die Lippen nicht öffnen dürfe, wenn er sich nicht verrathen wollte. Sein Herz war übervoll, sein ganzes Wesen gespannt bis zum Aeussersten, die verhaltene Leiden- schaft raste in seinem Innern und rüttelte, wie eine gefangene Bestie an den Gittern des Käfigs.

«Nun . . . Sie .sind heute nicht sehr unterhaltend", sagte sie. Die Stimme kam zu ihm durch den Dämmer wie schmeichelnder Flötenton in der Nacht. Berauschende Musik durch die Stille.

Als er keine Antwort gab, fing sie an, leise zu singen. Er stand unbewegt, lauschend. Seine schweren Athemzüge waren fast hörbar. Plötzlich ging ihr leises Singen in ein stilles fröhliches Lachen über, das ihn zu verspotten, herauszufordern und zugleich zu liebkosen schien.

« Gnädige Frau » sagte er mit hebender Brust

dann brach er ab.

Mit zärtlichem Spott tönte es zurück : « Gnädiger Herr ? »

Es war finster geworden. Er sah nur noch die Umrisse ihrer Gestalt, glaubte ihre Augen durch das Dunkel leuchten zu fühlen. Da stürzte er zu ihren Füssen, sie hauchte «endlich», er zog sie an sich. Die

Sonne war untergegangen.

* *

*

Zwei Monate. Heimliches Glück. Sie genoss er schwärmte. Weit von ihm lag Alles, was bis dahin der Besitz seiner Seele gewesen war. Er lachte über die Ideale, die er gehegt hatte. Idealer Träume, thörichte Träume ! Hier war die heisse Wirklichkeit, War sie gut oder schlimm.- Er frug nicht. Gab es eine Zukunft? Er frug nicht. Gegenwart war alles, Glück, Leidenschaft, Rausch. Wenn ihr Blick auf ihm haftete, so forschte er nicht weiter. Er war in ihrem Bann.

Und dann kam der Tag, wo sie, harmlos wie ein Kind, das Spielzeug zerbrach.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Sie suchte mit gleichgültiger Neugier im Atelier herum und fand im Winkel einer Schublade eine Photo- graphie. Früher einmal hatte er seiner Braut erwähnt. Sie errieth sogleich.

«Ah, sieh mal, das ist sie wohl?»

«Wer?* frug er zurück, ohne hinzusehen.

« Deine Braut ? »

«Jaj das ist sie», erwiderte er. Nur ein flüchtiges Erschüttern in seiner von der Leidenschaft hartgeglühten Seele. « Gieb » sagte er dann. Er nahm ihr das Bild aus der Hand und wollte es zerreissen.

Sie hielt seine Hand auf. «Aber warum denn ? »

« Es ist ja doch aus ! » sagte er.

« Aus ? Was ? »

«; Meine Verlobung ist längst aufgelöst , selbstver- ständlich — »

Aber warum denn ? »

Sie sprach die Frage ganz ruhig. Es traf ihn wie ein Schlag.

«Warum?» wiederholte er. «Du glaubst doch nicht, dass ich jetzt noch »

« Aber warum nicht ? »

« Du ! T> schrie es aus ihm heraus.

«Ich sage ja nicht, dass du sie in vier Wochen heirathen sollst. Später! In einem halben Jahr, in einem Jahr immer wird es zwischen uns doch nicht t)

Er fasste ihre Hand mit einem verzweifelten Druck.

« Du thust mir weh » , sagte sie. « Was fällt dir denn ein ? Lass mich los 1 »

Er- schleuderte ihre Hand von sich. «Geh!»

Sie wollte etwas erwidern « Geh! »

er wiederholte aber:

Als sie nach Hause kam, fand sie den Baron und den Grafen Karten spielend.

« Sie sind rasch gegangen, Baronin ? » sagte der Graf. « Sie sehen ein wenig echauffirt aus. Oder eine Gemüthsbewegung ? »

« Sie rathen vortrefflich » , erwiderte sie. « Mein Compliment! »

«Es ist das erste Mal, dass Sie mich anerkennen», sagte der Graf. « Aber ich habe es ja gewusst. t>

Sie sah den Grafen freundlich an. «Ja, Sie sind ein kluger Mann. Sie können errathen und schweigen. »

«Gewiss», sagte er.

Der Baron lächelte ohne besonderen Grund.

Und von Neuem begann das Spiel.

* *

*

Unterdess sass der Maler in seinem Atelier, vor ihrem Bilde. Er starrte hinein: «Ist es möglich?» Es zog an ihm vorüber, wie alles geschehen war und was er besessen und verloren. Er fühlte es: die Jugend seiner Seele war dahin. Der reine frohe Glaube war todt, der Frühlingsglaube an Liebe und Glück, Schön- heit und Kunst , das Weib, das Ideal. Eine verwelkte Blüthe das war alles.

Einen Augenblick dachte er daran, aus dem Leben zu gehen. Dann sagte er sich: «Wozu? Das wäre Unsinn. Alles ist Unsinn. »

Und aus seinem entgötterten Herzen kam ein bitteres Lachen, als seine Gedanken auf jenen ersten Abend zurückgingen, wo es begonnen hatte, und er des Wortes sich erinnerte: Schlangenspiel

-7fy

13*

Radirungen und Bilder

DES

FREIHERRN L. VON GLEICHEN-RUSSWURM.

VON

HERMANN HELFER ICH.

M-:

ran gestatte , dass wir zur Eröffnung einige Gieichen'sche Scenen zu skizziren suchen. . . . Kissingen 1882. Ein Flüsschen mit Win- dungen, niedriges Buschwerk auf der einen Seite , ein Baum auf der andern Seite legt seine Aeste herüber, vorne ist eine Grasscholle mit etwas Schilf, hier ist ein Kahn im Abstossen begriffen, dessen Schiffer die Stange hält und uns anblickt, während sein Gesell das Netz mit den Fischen aufzieht, barfuss , da er bereit ist , in die Fluth zu springen. Hinten schliessen eine Wiese mit niedrigem Buschwerk, danach niedrige Hügel die Scenerie ab : es ist der Stoff in einer Radirung niedergelegt, aber man ahnt sehr kräftige, entschiedene, deutliche Farben, eine durch Wucht und Natürlichkeit, wie sie die engli- schen Landschafter ausgezeichnet hat, hervorstechende Individualität. ...

Ein Hirt, dessen Schafe im Mittelgrund halten, vom Rücken gesehen , in einer Landschaft im Höhenformat, in die rechts die Ausläufer eines Busches hineinragen, vorne ein weisser belaubter Stamm sich erhebt, dem am Rand eines Wässerchens zwei starke und hohe Bäume mit mehr Astwerk als Blatterschmuck folgen. Der Hirt steht in der Mitte. Er wirkt ganz einfach, doch voller Empfindung. (Dies Thema hat der Künstler auch in einem Oelbilde behandelt.) Die Empfindung der Scene ist einfach, deutsch und eigenthümlich. Sie zeigt eine Anschauung der Landschaft in dichterischem Sinne, fast pathetisch stark und doch ländlich. Ein kräftiges Wehen der Luft dringt zu uns, Athem der Gesundheit ; es ist, wie wenn ein Gutsbesitzer dichtet, der auf seinem Grund und Boden Augen hat, den poetischen Stoff zu sehen , ihn formt und ihm nur das unumgäng-

lich Nöthige von Abänderung angedeihen lässt. welches die Kunstform verlangt. . . Dies ist ein Pastorale. . . . Später als diese Arbeit enstandene Werke in Oel haben nun eine noch feinere Tönung aufzuweisen, noch mehr Helligkeit, dabei Weichheit, und Brio , mehr, man möchte sagen, Jugend und Frische der Mache. Sie entwickeln das Bild dieses Meisters auch nach der

Uci Ki&äingen.

!■■ ■. Ml Lsiil.i.;!,.

t'{ii>t- I- Il:thf4t4en-4l, MiknclKi

Sehlangenspiel.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

83

Richtung des für Maler interessanten Theiles hin, der Künstler hat sich technisch interessanter ausgebildet, und jetzt schreitet er auch darin an der Spitze unseres Vorwärtsgehens, wie er bezüglich des Inhaltes, bezüg- lich der Vollstän- digkeit des Gebo- tenen auf die innere Bedeutung hin, be- züglich der Zusam- menfassung eines Landschaftscharak- ters, in der Coni- position und der Durchseelung und Einheitlichkeit im- mer weit vor den Dutzendmalern ge- standen hatte.

Und dann, wenn er den im Tech- nischen brillanten, aber in der lyr- ischen Veranlagung schwächeren meist- genannten Malern der « neueren Rich- tung » früher im Technischen unter- legen gewesen, aber sie, als er noch naiv war, durch seine Natürlichkeit und Perspnlichkeit um Haupteslänge überragte , so ist er ihnen jetzt auch im Technischen, innerhalb des land- schaftlichen Ge- bietes, an die Seite gerückt.

hinter der Rasenhöhe schickt seinen Rauch in die

Luft. . . .

Um ein Jahr früher und man bemerkt das auch

ist ein Blatt, über ein Motiv aus Bonnland in Weimar

ausgeführt , ent- standen , welches eine Landstrasse zeigt, rechts einige Bäume und ein Haus , auf dem Weg zwei Kühe, links, die Höhe hinauf den Schäfer- burschen. der sich von der Luft ab- setzt , mit seinen Schafen.

Im Hintergrunde der Chaussee wer- den zwei Kühe weitergeführt.

Dies Blatt ist noch mehr zeich- nerisch , während das vorher be- sprochene schon recht radirungsge- mäss getönt war. Das Blatt von 1 877 zeichnet , erzählt und erinnert an die deutsche Behand- lung voll zierlicher Details und erfreu- lich in seiner Fülle von Beobachtetem und Zusammcnge-

Der Schäfer.

tragenem. Es ist noch ohne das Be- streben, die Natur in dem Verhältniss

Rein idyllisch muthete noch ein sehr liebenswürdiges ihrer Töne nachzuahmen; das fällt ganz fort wie Blatt von 1878 an. Ein Schäfer geht, von .seiner Heerde auch bei Ludwig Richter. (Immerhin ist das Blatt gefolgt, zum Bachrand nieder; Steine sind über den schon ein guter Anfang und zeigte auch für eine Art, Bach als Brückcheh gelegt; Weiden und andere die Gleichen später gar nicht mehr pflegen mochte, Bäume sprossen aus der Niederung. Ein Dorfhäuschen viele natürliche Veranlagung.)

Motiv aus Bonnland von 1S77.

Eine Erzählung wie dieses Blatt, in der Behandlung auf Ton hin indessen bereits den Fortschritt von 1878 (der uns etwas französisches zu haben scheint) mit einer mehr der deutschen Anschauung gemässen Bildabrundung combinirend, ist das Blatt von 1 879 : der Ausgang eines Waldes, in Breitenformat, wo wir in die freiwerdende, vor uns blauende Lichtung hinausblicken, von welcher sich die Silhouetten zweier Personen im Walde, die auf einem Wagen den Weg nach aussen mitten durch den Wald fahren, absetzen.

Wie weit dann von solchen Blättern der wenn auch bereits malerischen, doch frühen Entwicklung die gesteigerten, von genialem Schwung und Erfindung ersten Ranges zeugenden Blätter verschieden sind, aus des Künstlers jetzigen Blüthejahren, unter ihnen das zwischen deutschen Arbeiten ganz unvergleichliche Blatt: «Auf der Weide», wo auf einer Wiese, die in Wenigem charakterisirt ist, eine Kuh, fressend, von einer Menschen- gestalt in mächtiger Anstrengung zurückgezerrt dar-

gestellt, eine prächtige, monumentale Gruppe ergibt, bei aller im höchsten Grad unvorgesehenen, malerischen Wirkung, das im Einzelnen zu verfolgen, wird nur dem möglich, der diese Blätter der jetzigen Blüthejahre in Originalen vor sich liegen hat denn die Kühnheit ihrer Behandlung ermöglicht nicht, sie auf photomecha- nischem Wege für unsere Leser zu reproduciren.

Gleichfalls ausserordentlich, ein Vorgang in wunder- voll schillerndem Lichte mit höchster Feinheit ausgeführt, ist eine Frau im Korn, hinten Hügel; ein Blatt, für das wir gleichwerthige Mitbewerber vergeblich in deutschen Ateliers suchen würden. Es gibt keine radirten Land- schaftsbilder von deutschen Meistern unserer Zeit, die mit diesen Blättern in Vergleich kommen könnten. Sie sind an Schwung und echt malerischer Behandlung unter allen deutschen Landschaftsradirungen unserer Zeit unerreicht. (Unsere Abbildung hier gibt von der Original- radirung kaum so viel wie von einem glänzenden Orchesterstück ein matter Klavierauszug geben würde.)

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Prachtvoll in der Empfindung, im Ensemble, in Kraft und Männlichkeit des Tones ist auch jenes Blatt aus gleicher Epoche, wo das Licht, das über dem Hügel auflebt und sich rundet, die Luft und die drei Bäume ernst und gross sind, eine enorme, einfache Kraft liegt in dem Original dieser Radirung, auf welcher rechts ein Schäfer mit seinem Hunde Wache haltend ausblickt und von dessen Wiedergabe in unserm Heft

in den Bäumen über dem Wasser: die Vögel glauben wir zu hören in dem Baumschlag vor der hellen Luft (ohne dass ein Vogel gezeichnet ist) , so wie wir das Wasser schwanken und fluthen sehen.

Das « Brücke bei Kissingen t> bezeichnete Blatt zeigt sehr starkes Licht, und die Personen auf der Brücke bewegen sich, tummeln sich im Lichte ; unter ihnen sehen wir unter dem Brückenbogen hindurch in

Aus dem Walde von Fontainebleau.

wir dasselbe wie vom zuvor besprochenen Blatte sagen müssen. .Bei dem « Park von Charlottenburg » benannten ausgezeichneten Blatte des genialen Künstlers, ist ein eigenthümliches Fluthen und Wallen und Reflectiren in Laub und Wasser das Excellente, hinten sieht man Gras und Ferne, vorne zwei Männer an dem Rande des Wassers hingehend, unter den Bäumen, die in ihrem impressionistischen Ausdrucke Leben, Luft und Beweg- ung haben. Es ist dies Blatt eines der schönsten und kühnsten des Künstlers. Das Wasser wechselt Farben und Schatten vor unseren erstaunten Blicken, welche gewähnt hatten, dass solche Wechsel empfinden zu lassen, nur die lebendige Natur selbst, nicht aber die Kunst vermöchte; das Wasser lebt ganz merkwürdig fascinirend ; und dann ist noch ein Klingen und Singen

die helle Weite und kräftig hebt sich ringsum das Laub der Bäume von der starkgefärbten, mit leuchtenden Wolken durchsetzten Luft ab.

Eine andere Arbeit giebt die haarscharfe, klarkalte Wirkung einer Baumlandschaft mit viel Zweigen in der Luft.

Eine andere Landschaft hat weichen , < tonigen > Charakter und hat als Staflage Rinder, die mitten im Bilde, in glücklichster Composition, von zwei Männern in einer Hügelfurche dahingeführt werden , nach oben vom Hügel, nach unten von Baumschatten, Baumschlag eines Gesträuches und dazwischen einem in Absätzen niederfliessenden Wasserlauf umgeben.

Ein allerliebstes Blatt aus dem Jahre 1878, das uns schon ein .so günstiges Ergebniss zeigte, bringt die

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Darstellung eines Wasserrandes mit zwei Kühen und einer Figur, das Wasser spiegelt sie und die Luft, rechts und links sind Weiden und niedriges Buschwerk ; es ist eine allerliebste, jugendliche Arbeit, und eine mit allen Eftecten des « Hell- dunkels » behandelte Landschaft aus Fon- tainebleau lässt da- gegen die Erinnerung zu jenen grossen Mei- stern, die wir die Maler von 1830 nennen, zu- rückgehen, jenen Class- ikern der modernen Landschaft, zu denen auch Millet gehörte, der der ländlichen Figur insonderheit so machtvollen und grossen Ausdruck ver- liehen hat. Wie ein Millet, für die Radir- ung verändert , dem- nach in jenes Weich- Melancholisch - Traum- hafte gezogen, das für Radirung ein so pass- endes Bette ist und in der Oelmalerei be- sonders der neueren Schule der Holländer ihren Reiz und Werth gegeben hat, wirkt auf uns das Blatt Gleichens, das eine Frau mit einem Korb zeigt, die einen Weg in nur ange- deutetem Terrain, den

Kopf zu Boden gesenkt, dahingeht einen endlosen Weg, mühselig, traumhaft als technisches Stück be- trachtet eine Radirung von viel «Sammt» im Ton, sehr weich, sehr musikalisch tonschön. Es ist das Traurige des Gegenstandes wohl gewahrt, doch in richtiger Er- kenntniss der Dinse dieser Stoff zu keinem anderen

Landschaft aus Bonnland.

Endzwecke behandelt worden, als zur Ausbeutung eines rein malerischen Gedankens, zur Gewinnung eigenartiger Licht- und Schattenreize. . . .

Es zeigt sich auch hier die natürliche Grundlage aller Schöpf- ungen Gleichens; wohl ist er durch die «Meister» hindurchge- gangen, hat Corot wohl verstanden, hat Duprc gesehen , hat sich für Millet enthusiasmirt : aber wie der Saft in den Stämmen steigt, auf ganz natürliche Weise ist die Poesie der Natur ihm sichtbar und freier und immer freier von ihm gestaltet worden, bis er jetzt so frei und selbständig dasteht, die zahm und mühselig schaftenden deutschen Landschafter der Schule, und mit ihrem Studienfleisse und ihrer gebundenen Hin- gabe an das Modell auch die nur feinen,

« geschmackvollen » Meister seiner Richtung als ein souveräner, die Natur neugestaltender Künstler, überragend.

Jugendfrisch und grossartig ist jetzt das Schaffen dieses Meisters.

In seinen neuesten Arbeiten in Oel, in diesen Arbeiten, in denen meistens nichts das Motiv giebt, als ein Fltwas von Frische, welches durch ein Gelände geht, oder ein Grün, das entzückt, ist eine köstliche Unbefangenheit und wirk- liche Versenkung in die Naturschönheit in einfach ländlicher Gestalt und mit diesen Arbeiten, die

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Studie zum Schäfer.

unerhört neu , weil voll der natürlichsten Frische sind, erinnert uns, ohne dass wir das genauer erklären könnten, Herr von Gleichen an manches Gedicht von Detlev' von Liliencron. Z. B. :

Ueber das Knicktlior mich lehnend,

Pendelt lässig mein Stock

In den übereinander gelegten Händen

So dicht steh'n mir die nächsten Aehren

Des bald sensendurchsurrten Roggenfeldes,

Dass sie die Stirn mir kitzeln.

Schon bräunen sie sich;

Hell doch sticht ihre Farbe ab

Gegen den grünen Heckenzaun,

Gegen den umgrenzenden Wall,

Den rother Mohn,

£laue Kaiserblumen,

Gelber Löwenzahn,

Weisse Camillen

In bunter Malerei

Prächtig Uberflochten haben. (Wahrlich, ein reizender Kranz Für das grosse Kornviereck ; Dankbar gewunden Dem künftigen Segen.) Wie still es ist ; ^ Wie die Lerche jubelt. Wie die scheue Wiesenralle schnarrt. Friede, deine Himmelsfahne Hängt breit und ruhig Uebcr meinem Haupte.

Man müsste das ganze Buch der Gedichte aber abschreiben. Es sind nicht im mindesten Aehnlichkeiten im einzelnen, aber die Naturstimmung, die so sehr viel näher der Natur als früher gekommene Naturfreude verbinden für uns diese Gedichte und diese Bilder; bei beiden lag für die Autoren das höchste Gefühl, die höchste Wonne in der Natur; in der Natur zwischen einer Hecke und einem Fliederbu,sche, bei blühenden Apfelbäumen, bei rothen und blauen Blumen; unter dem Sommerhimmel, in der morgenlichten Luft fühlen sie sich wohl:

Der Hahn kräht wieder und ich lausch' im Garten . . .

.\uf Wiesen dampft und wogt und zieht der Xebel

Und hüllt mich ein und lässt mich wieder los,

Und steigt und zischt sich von der Sonne frei.

Erathmend holt die Brust sich klare Ströme.

(Im stark betliauten Netze tlickt die Spinne,)

Und hundert Lerchen, mit gespreizten Schwänzchen,

EntschUtteln ihren Flügeln Nacht und Reif,

Der kecken Trillerkehlchen Tirili

Dem frischen Wandrer um die Mütze schmetternd.

Und die Poesien über das Getreide ! Dieses ganz neue Jauchzen über die Schönheit des Ackers ! Des Feldes ! Der starken Farben ! Es ist etwas ganz Neues.

Aber lassen wir den Vergleich mit einem Dichter der neuesten Zeit und wenden uns einer sehr schönen Recension eines der wenigen verständnissvollen Kunst- kritiker über Gleichen zu, welche folgendermassen lautet:

Nur der Maler kommt auf die Nachwelt mit seinen Werken, dessen Arbeit die Kraft innewohnt, ihn denen als einen Bekannten vorzustellen, die gar nichts von ihm wissen. Sie empfinden im Anblicke .-meiner Werke, das ist Blut von unserm Blute, Bein von unserem. Es genügt bei einem Kunstwerke nicht blos die ästhetische Befriedigung, unsere eigene Existenz muss eine gewisse Vermehrung aus ihm ziehen. Man muss sich sagen, es würde eine Lücke in uns entstehen, wenn dieses Werk fehlte. Ich kenne einen Maler (hier ist Herr von Gleichen

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Fränkische Landschaft.

gemeint), der die Gabe besitzt, das festzuhalten, was den Blick fesselt, wenn er über den gleichgiltigen Wechsel sanfter Höhen und Senkungen hinfliegt, die den Charakter Thüringens ausmachen. Die dort herrschende Mischung von Feld und Wald giebt er wieder, im Frühling, im Sommer, im Herbste, in den letzten Tagen des Herbstes, als ginge und stände man da und genösse die Frische und die Einsamkeit der Gegend. Er verleiht all diesen

Dingen Sprache. Er weiss sie in Radirungen und Aquarellen ebenso flüchtig niederzuschrei- ben, wie man selber flüchtig ihrer geniesst. Es wäre ein Verlust, wenn ich diese Blätter nicht unter den Augen gehabt hätte.

Sie enthalten nur das was ich nenne, aber ver- mehren meine Anschau- ungen. Sie machen mich reicher . . . Herman Grimm schreibt das ein weites schönes Ur- theil über einen Maler, dessen Schaffen ihm nur unter einem bestimmten Gesichtswinkel , unter diesem wundervoll aber, verständlich geworden.

So müssen wir nun Gleichen als einen historisch Gewordenen auffassen , der für die Aelteren Impressionen, nur Impressionen , und für Strebende einer jün- geren Generation viel- leicht auch nur Impres- sionen , doch dadurch für sie alles was in der Kunst nur erreicht werden kann, erreichte. Sein Schaffen stellt sich als ein durch und durch gesundes dar. So wird nicht in der Schule gearbeitet, auf den Academien so arbeitet der Liebhaber.

Die schönsten Sensationen der Natur aufnehmen, das Frischeste vom Frühling einfangen, mit aller Poesie im Geist in kräftigsten Accenten es ausdrücken , leiden- schaftlich skizzirend ! Die Welt der Farben enthusiastisch umfassen ! Nach Regeln nicht und nicht nach Conven- tionen gehen . . . Die Frische der Natur ... in Impro-

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visationen, muss man sagen ... in freier Herrschaft über das Gebiet; ohne Kleinlichkeit, ohne Modelltreiie doch grandios charaktcrisirend. Und stylvoll in seiner Weise, sogar mit « Componiren » , mit «dichterischem» Zug aber ganz, ganz anders als früher. Eine freie, rurale Dichtung!

Von der blumigen Frische seines Colorites vermögen wir nun den Lesern keine An- schauung zu ge- ben ; wie er z. B. in neuester Zeit die Landschaft des Goethe- Gar- tenhauses üppig, satt , wie aus der Natur her- vorgegangen, ge- malt und dann den Morgennebel über ihren Vor- dergrund legte und einige Nym- phen in ihm auftauchen lässt;

selbst von den Londschaftsstudie.

Radirungen konnten wir einige, die wir gerne gebracht hätten, nicht wiedergeben, aus technischen Gründen, weil es für solchen Druck , wie den dieser Zeit- schrift, nicht möglich war. Genüge es, zu sagen, dass der Pinselstrich Gleichens von einer Breite und Freiheit ist , die beide nur hervorgegangen sein können aus der angespanntesten fleissigen Uebung in den

früheren Jahren, und dass der Rhythmus seiner Werke wohl von Anfang an in ihm geruht haben muss unbe- wusst früher, und erst allmähHch seinem Besitzer zu Händen , der erst allmählich auf die Stimmen in seinem Innern zu hören ge- wagt . weil er zu bescheiden war, um an sein Genie zu tilauben.

Frau im Korn.

Medusa.

(ZU DEM BILDE VON FRANZ STUCK.)

L)er Erde Könige

Ziehen aus

Mit schüttelnden Lanzen

Zum letzten Kampf.

Kommen aus schwarz

Ummauerten Städten,

Aus grünen Thälern,

Aus grauen Wüsten,

Von zackigen Felsen

Und schaumweisser Meerfluth.

Alle gerüstet

In klirrendes Erzgold,

Alle gestirnet

Mit finsterem

Ahnen des Todes.

»

Morgenröthlicher Rauch der Nebel, Blasse schauernde Dämmerwinde Matten, feuchten Die goldenen Helme, Die silbernen Schilde, Die stählernen Schwerter. Und über Wolken, Menschenunsichtbar Schweiget ein fremder. Ein weisser Fremdling Mit Friedensaug' Und gekreuzigten Armen.

* *

*

Aber noch stehet Hoch auf dem Berge Götterflammend Pallas Athene, Umpanzert die Brust, Geschildet den Arm Mit schrecklichem Schild, Der das Entsetzen

Geschändeter Schönheit, Das schlangenumlockte Entsetzte Entsetzen Mit steinernden Augen In Mitten trägt Das Haupt der Medusa.

Erdröhnend die Felsen

Von dumpfgleichem Schlachtschritt

Der Männergeschlechter,

Luftstille verscheuchend.

Anrasend in's bläuliche

Frühgold des Himmels,

Ein tausendgezeugter

Krachender Schrei,

Erstdonner des Kampfes.

Blutfunkelnde Waffen

Entstreben den Händen,

Blutströmende Leiber

Besäen die Erde,

Und Sterbende morden

Den nebengefall'nen

Noch röchelnden Feind,

Wuthtrunken vom ehernen

Jauchzen der Pallas.

*

Näher durch sonnenlos

Traurige Wolken

Einsam wandert der Gott.

Nahe naht er

Der goldenen Göttin,

Festgeerzt

Die blutenden Hände

Am Rumpfe des Kreuzes,

Das er dahinschleppt

Auf leidengehagerten Schultern.

Nimmer gesehen

Ist ihr dies Antlitz,

Schwach und gewaltig,

Pliut. F. HubUlDtl, NQnrhn.

Medusa.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Dornenbekront. Ihr, die rückschauend Vergangnes durchleuchtet, Ihr, der vorschauend Zukünftiges hellet,

Ist er ein Fremder.

* »

Feindliche Furcht

Erbebt ihr die Glieder,

Und weitschattenden

Wurfes die Lanze

Schwingt sie entgegen

Der wehrlosen Demuth.

Wehe! Sein Athem

Verwehet den Erzschaft,

Wie Herbstwind zum Sande

Ein dürrendes Blatt schwächt,

Wehe! Sein Blick

Reisst den Helm

Ihr vom Haupte,

Wehe! Er löset

Vom Kreuze die Hände,

Wehe! Ein Tropfen

Gekreuzigten Blutes

Rinnt von den Händen,

Todsegnend

Der zitternde Tropfen

Er trifft und erschlägt

Die helmnackte Stirne.

Und schwer in die trotzenden Kniee gebrochen. Erblindend zum Nachttod Hebt sterbend die Göttin Hoch über den Scheitel Das Antlitz der Gorgo.

* Da schweiget die Erdschiacht.

Gebannet zum Schauen

Die reissenden Kämpfer.

Es steinern die Lippen,

Es steinern die Augen,

Es steinern die Schwerter

In steinernen Händen,

Es steinert das Blut

In steinernen Wunden,

Es steinern die Todten

In steinerner Stille.

* *

*

Aber hinweg

Durch die sonnebeströmten Freudigen Wolken Leuchtet der Fremde. Schreckenlos trägt er In heiligen Händen Gekehret zum eig'nen Erlösenden Herzen Das Haupt der Medusa.

Ernst Rosmer.

George Frederick Watts

VON

HELEN ZIMMERN.

In mancherlei Hinsicht ist die Stellung des englischen Malers George Frederick Watts, des Altmeisters der - englischen Künstlerschaft, eine ganz eigenartige zu nennen. Er hat keiner einzigen englischen Schule Etwas zu verdanken, und er hat auch keine eigene Schule gegründet, obwohl er allerdings von bedeutendem Ein- fluss für die zeitgenössische Kunst in England gewesen ist. Dieser Einfluss war jedoch mehr ein indirecter und hat hauptsächlich dazu gedient, den Glauben an die edlen Aufgaben der Kunst zu fördern und auf die erhabenen Ziele derselben hinzuweisen. Das lange, von eifriger Arbeit ausgefüllte Leben dieses Künstlers ist ein beständiges, unwandelbares Festhalten an den hohen Idealen der Kunst; in seiner schönen und seltenen Ueberzeugungstreue hat er sich nie durch die gerade herrschende Mode oder Geschmacksrichtung beirren lassen , wie er auch auf pecuniären Lohn und welt- liche Ehren nie den geringsten Werth gelegt hat. Und dabei ist seine Laufbahn eine glänzende zu nennen, denn kein anderer Künstler in England hat eine Stellung von so eminenter Bedeutung unter gleich allgemeiner An- erkennung inne, trotz der immerhin getheilten Meinungen über seinen Stil und der Ungleichheit seiner Erfolge. Auch hat unter den lebenden englischen Künstlern kaum einer sich auf so vielen Gebieten ausgezeichnet. In der Fresco- und Wandmalerei, in Andachts- und Heiligen- bildern, allegorischen und historischen Gemälden, Land- schaften und Thierdarstellungen , im Portraitiren und in der Bildhauerkunst hat Watts sich versucht und viel geleistet; und seine besten Werke stehen so hoch, dass sie voraussichtlich für alle Zeit einen hohen Rang be- haupten werden.

Mr. Watts ist ein Maler, der, obwohl in einem Zeitalter des Luxus und der Ruhelosigkeit geboren, die

einsame Höhe einer strengen Richtung anstrebt. Er wünscht nichts Geringeres, als was Dante und Milton, Tizian und Phidias wollten. Alle Achtung vor seinem Ehrgeiz. «This high man, aiming at a million, niisses a Unit» sagt Browning; und dieses «Zielen nach einer Million, mag auch ein Einer verfehlt werden», dieses durch Nichts zu entmuthigende Streben nach dem Höchsten und Besten kennzeichnet die Stellungnahme Watts' unter unseren lebenden Malern. Er ist Idealist durch und durch , das ganze Schaffen seines Lebens beruht auf Grundsätzen, die einen entschiedenen Gegen- .satz zu den Theorien bilden, dass in der Kunst Nichts auf das Motiv , dagegen Alles auf die Behandlung ankomme; dass technische Vortrefflichkeit, naturgetreue Nachahmung der Effecte des Lichts , der Gewebe und sonstiger Stoffe an und für sich als künst- lerischer Zweck gelten könne oder doch als ge- nügende Berechtigung für die Wahl eines völlig un- würdigen oder unbedeutenden Gegenstandes zu erachten sei. Obwohl Watts die Vorzüge offen anerkennt, welche Werke dieser Richtung insofern bieten, als sie leichter bei dem Beschauer Verständniss finden, so flössen ihm derartige Geschicklichkeitsproben doch nur so wenig Bewunderung oder Respect ein, wie das Nachahmen von Naturlauten in einem Musikstück; glänzend ge- lungene Imitationen die Frucht, welche den Vogel anlockt, der den Sclaven täuschende Vorhang haben niemals Reiz für ihn gehabt. An seinen Kunstschöpfungen ist das Vorherrschende die Idee. Er hat seine Kunst mehr im Sinne des Dichters als des Malers aufgefasst. Seine Technik ist eine breite und einfache, bei grosser Kraft der Zeichnung und Composition nebst hohem Ver- ständniss für Wahl und Vertheilung der Farben. Nach seiner ausgesprochenen Ansicht, von der er niemals ab-

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weicht, kann eine wirklich grosse und auf die Dauer erfolgreiche Kunst nur sein: «Die Darlegung irgend eines wichtigen Grundsatzes von geistiger oder materieller Bedeutung, die Illustration einer grossen Wahrheit, die Erläuterung dessen, was im Buche der Natur steht».

Gegen Mr. Watts' Entwürfe ist oft der Einwand erhoben worden, dass sie mehr ein literarisches als ein künstlerisches Interesse erwecken. Der Maler würde diese Bemerkung vermuthlich nicht für unbegründet halten, aber keinen Tadel darin finden.

In der Verborgenheit seines grossen Ateliers im Little Holland House zieht Mr. Watts gleich einer Zauberspinne rings um sich her das glänzende Gewebe seiner emsig schaffenden Phantasie. Klatsch sowohl wie Schmeicheleien der «Kunstwelt» sind ihm völlig gleich- giltig. Für Ausstellungen arbeitet er nicht; er malt bald an diesem , bald an jenem Bilde , und wenn die Zeit der Ausstellung da ist, holt man ihm ab, was er gerade fertig hat. Nichts was in Künstlerkreisen vor- geht, tritt an ihn heran, er weiss nicht, ob er verstanden wird oder nicht. Seine Werke sind da, für Jeden, der Augen hat und sehen will.

Mr. Watts, der 1820 in London geboren ist, be- suchte die Kunstschule der Royal Academy, worüber er indessen kurz und bündig sagt: «da ich dort keine Belehrung fand, ging ich bald nicht mehr hin». Zu jener Zeit lag die Kunst, mit Ausnahme der Bildniss- und Genremalerei, in England arg darnieder. In Folge seiner entschiedenen Neigung zur Plastik trat Watts in das Atelier des Bildhauers Behnes ein. Hier pflegte er dem Künstler zuzusehen , eine andere Art von Be- lehrung erhielt er nicht. Die Antiken der Elgin-Samm- lung haben ihn von Anfang an entzückt, und seinem Studium dieser vollkommenen Werke des Phidias sind die grössten Erzeugnisse Watts' zuzuschreiben. Unter dem Einfluss dieser erhabenen Meisterwerke arbeitete der Jüngling bis 1 847, in welchem Jahre er zwei Porträts und ein Gemälde «Der verwundete Reiher» genannt, in der Kgl. Academie aus.stellte; ein interessantes Erstlings- werk , welches nach mehr denn fünfzig Jahren seinen Weg in das Atelier deS Künstlers zurückgefunden hat. Die Leiden, denen die Thiere ausgesetzt sind, die ent- weder in der Freiheit unseren Jagdflinten zum Ziel dienen oder zahm Sclavendienste für uns thun, haben auf Watts stets ergreifend gewirkt. Und von dieser Stimmung zeugt das kleine, dem jungen Kunstschüler vortrefflich gelungene

Bild der graziöse Vogel mit dem silbergrauen Ge- fieder, die Federn gesträubt und blutig, der zuckend am Boden liegt, während aus der Ferne der flotte Jäger zu Pferd herbeieilt, um seine Beute zu holen. Sein Mitleid mit der Thierwelt hat der Künstler als Greis vor zwei Jahren auch durch ein seiner sonstigen Manier nicht entsprechendes Bild zum Ausdruck gebracht, das freilich als Kunstwerk nicht .sehr bedeutende « Das Ende eines Lebens voll harter ungelohnter Mühen». (A patient life of unrewarded toil). Hier soll durch die Gestalt eines erbärmlichen zusammengebrochenen Ar- beitsgaules das Elend der beklagenswerthen Thiere geschildert werden, die zur Sclaverei verdammt sind. Im Jahr 1842 ereignete es sich, dass die englische Regierung, um die Befähigung der einheimischen Künstler zur Frescomalerei im Hinblick auf die innere Ausschmückung der neu erbauten Parlamentshäuser zu prüfen, ein Preis- au.sschreiben für Cartons erliess. Einen von den drei ersten Preisen im Betrage von 300 Pfund Sterling bekam Watts für seine Composition: «Caractacus, im Triumph durch die Strassen Roms geführt». Dieses Jugendwerk ist nicht mehr vorhanden, der Entwurf ist verkauft worden und später, in Stücke geschnitten , in den einzelnen Theilen zur Verwerthung gekommen.

Mit dem erhaltenen Geld ging Watts nach Italien, wo er sich mehrere Jahre aufhielt und in Rom, Florenz und Venedig die alten Meister studirte. Aus den Werken von Tizian, Tintoretto, Giorgione und Michel Angelo, wie aus den Kunstschätzen des griechischen Alterthums, gewann er die Belehrung, deren er bedurfte, und die er an den Lebenden vermisste. Diese Alten waren in der That für einen Künstler von so eigenthümlicher Begabung und Gemüthsanlage die einzig annehmbaren Lehrer.

Sein mit Entschiedenheit verfolgtes Streben galt stets der edelsten Formenschönheit mit seelischem Ge- halt und einer Wiedergabe des harmonischen Farben- reichthums, den die Natur besitzt. Zu den oben genannten Führern zog ihn eine Art seelischer Ver- wandtschaft, die ihn antrieb, ihren Spuren zu folgen, ihren Geist und ihre Methoden in sich aufzunehmen. Aber er ist ein Mann von einer zu stark ausgeprägten Individualität, um nur Nachahmer sein zu können ; daher sind seine Compositionen zwar von ähnlicher Art wie seine Vorbilder, jedoch gänzlich original in Auffassung und Behandlung. Charakteristisch ist Mr. Watts eine

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DIE KUNST UNSERER ZEIT,

gewisse, dem nordischen Geiste eigene Strenge, eine Herbheit, welche seinen südlichen Meistern fehlt; so- dann jenes Vorherrschen der Idee, das man bei erfolg- reichen Künstlern so äusserst selten findet, und vor Allem jene tief traurige Anschauungsweise, welche die geistige Signatur unseres Jahrhunderts bildet. Erinnert er uns in mancher Hinsicht an Tintoretto, diesen, durch die dramatische Wirksamkeit seiner Kunstschöpfungen so mächtigen Sittenprediger, so ergibt andererseits eine sorgfältige Untersuchung seiner Kunst, dass dieselbe ebensowohl heidnische wie christliche Elemente aufweist und dabei etwas vom deutschen Mysticismus angehaucht ist. Er gleicht Kaulbach , neigt jedoch mehr zum Mysteriösen , als dieser.

Nach seiner Heimkehr aus Italien gewann Mr. Watts wiederum einen vom Staat ertheilten Preis, 500 Pfund Sterling, für ein Oelgemälde: «Alfred, die Sachsen anfeuernd, die Landung der Dänen zu verhindern». Dieses Werk und noch ein anderes, «Echo», sind von der Nation angekauft worden und hängen in den Vor- sälen des Oberhauses, wo sich auch ein später aus- geführtes Frescogemälde von ihm befindet, dessen Motiv Spenser's « Fairy Queen » (Feenkönigin) entnommen ist, «The Rod Gross Knight» (St. Georg, den Drachen besiegend) , eine durch Kühnheit der Zeichnung und grosse Reinheit der Farbenwirkung ausgezeichnete Com- position.

So weit hat es dem ehrgeizigen jungen Künstler nicht an öffentlicher Anerkennung gefehlt, und trotzdem währte es dann noch zwanzig Jahre, bis er zum ausser- ordentlichen Mitglied (Associate) der Kgl. Academie erwählt wurde. Die Ehre der Mitgliedschaft wurde nämlich, gemäss den Vorschriften dieses Instituts früher nur solchen Künstlern gewährt, welche sich vorher durch Namenseintragung darum beworben hatten ; hierzu aber war Mr. Watts, der Vieles an dem Regime der Gesellschaft offen missbilligte, durchaus nicht zu be- wegen gewesen ; und er stellte auch viele Jahre lang Nichts in der Academie aus. Als endlich im Jahre 1 867 die besagte Vorschrift beseitigt war, wurde Mr. Watts sofort zum ausserordentlichen und im darauf folgenden Jahr zum ordentlichen Mitglied (Academician) erwählt.

Keinerlei äussere Wechselfälle konnten seine Energie vermindern oder ihn im geringsten von seinen hohen Zielen ablenken, die Nichts mit persönlichem Streber- thum gemein haben. Ohne sich um jeweilige Zeit-

strömungen zu bekümmern, folgte er seinen eigenen künstlerischen Ideen. Die beiden Kunstgattungen, in denen er am meisten Beifall erntete, sind die Allegorie und die Portraitmalerei. Die Vorliebe für abstracte Begriffe ist bei ihm mit einer ausserordentlich regen Phantasie und einer stark- ausgeprägten Individualität verbunden , und durch letztere Eigenschaft gelingt es ihm auch, die rein menschlichen Sympathien zu erwecken. Schon im Jahre 1847 gab er seine Bevorzugung alle- gorischer Darstellungen in seinem Academiegemälde «Die Illusionen des Lebens» zu erkennen, welches uns den menschlichen Lebensgang vorführt. Schöne Traum- gestalten schweben über einem Golf, der sich an der Grenze des Daseins aufthut. Zu ihren Füssen liegen die zertrümmerten Embleme der Grösse und Macht, und auf einem schmalen Streifen Erde, der einen tiefen Ab- grund überragt, sind die noch nicht zerstörten Illusionen sichtbar der Ruhm in Gestalt eines geharnischten Ritters, welcher der Seifenblase eines glänzenden Namens nachjagt; die Liebe als ein sich umschlingendes Paar; die Gelehrsamkeit durch einen im Dämmerlicht über Handschriften gebückten Greis und die unschuldige Lebenskraft durch ein Kind verkörpert, das nach einem Schmetterling hascht.

Obwohl die allegorischen Entwürfe Watts' niemals Illustrationen zu irgend einer Erzählung sein sollen, sondern für sich bestehende malerische Schilderungen sind, welche die lichten und dunklen Seiten des mensch- lichen Lebens versinnbildlichen , so kommt es doch zuweilen vor, dass seine Motive für die dem Maler zu Gebote stehenden Darstellungsmittel zu complicirt erscheinen. Daraus erklärt sich zum Theil die schon erwähnte Ungleichheit seiner Erfolge auf diesem Gebiet. Anziehend sind seine Werke jedoch stets insofern, als in ihnen die ernste Geistesrichtung des Künstlers zur Geltung kommt, der mehr nach Adel der Formen, als nach sinnlicher Schönheit strebt, der lieber das Harmo- nische als das nur Schöne wiedergibt. Um Mr. Watts' Bilder richtig zu würdigen, muss man sich sagen , dass sie nicht allein zu dem Zweck gemalt sind, das Auge zu erfreuen, wenn sie auch durch schöne Farben- gebung und Zeichnung diese Wirkung fast überall erzielen. Was sie jedoch von dem denkenden Beschauer verlangen, ist, dass derselbe in sein eigenes Herz blicken und so die moralische , intellectuelle und meta- physische Idee des Künstlers erkennen soll , der bei

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seinen Schöpfungen eben auf die höhere Empfänglichkeit, das intellectuelle Verständniss beim Publicum rechnet. Und je nach dem Grade, in welchem der Beschauer der Werke Watts' dieser Bedingung entspricht, wird er die- selben zu beurtheilen und zu würdigen wissen.

Man hat gegen seine allegorischen Bilder einge- wandt , dass ihr Sinn oft nicht unmittelbar und rasch genug zu erfassen sei , wie z. B. in « Dedicated to all the churches» (Allen Kirchen gewidmet). Allerdings ist dies wahr, aber ist es ein Fehler.- Nach Professor Ruskin's Ausspruch wird es keinem Autor, der über eine grosse Sittenlehre schreiben will, darauf ankommen, dieselbe nur in platter Deutlichkeit aufzustellen, damit Jeder auf den ersten Blick, ohne Nachdenken, darüber im Klaren ist, um das Gelesene sofort wieder zu ver- gessen und sich dann mit etwas Anderem zu beschäftigen. Der Verfasser wird es vielmehr vorziehen, seine Ideen nicht so ganz unverhüllt hervortreten zu lassen, so dass dieselben sich Denen, welche sie gern ergründen wollen, durch die Bemühung des Denkens besser einprägen. Wenn dies bei Büchern zutrifft, warum nicht auch bei Gemälden.' Unstreitig sollte ein Bild, das nur gemalt ist, um die Sinne zu erfreuen, Jeden sofort erkennen lassen, was sein Titel besagt. Vorausgesetzt, dass die Malerei überhaupt berechtigt ist, philosophische Belehrung oder geistige Bildung zu vermitteln, so kann bei einem Gemälde idealer Tendenz diejenige Behandlungsweise nicht tadelns- werth sein, welche der Maler für die beste hält.

In «Zeit und Vergessenheit >■ (Time and Oblivion) eine andere seiner Allegorien hat Mr. Watts die colossalen Idealgestalten über dem Erdball in den Lüften, zwischen den Himmelskörpern des Tages und der Nacht schwebend, dargestellt. Die «Zeit», durch den Typus unbesiegbarer Männlichkeit und Jugendkraft verkörpert, und die «Vergessenheit», mit gesenktem Haupt und niedergeschlagenen Augen, den Mantel weit aus- einander gebreitet, sieht man Beide auf dem Wege zum Grabe schnell dahin eilen. Die Figuren sind von monumen- taler Wirkung, ausdrucksvoll in Haltung und Form. Der Künstler hat für die « Zeit » eine originelle und edle Ge- stalt erfunden, er führt sie uns nicht als den abgezehrten, grimmigen Greis mit der spärlichen Stirnlocke vor.

Das Bild «Time, Death and Judgement» (die Zeit, der Tod und das jüngste Gericht), zeigt uns eine Gruppe colossaler Figuren , die im Aetherraum feierlich dahin- schreiten. Der «Tod», eine majestätische weibliche

Gestalt, in silberweLsse Gewänder gehüllt, trägt eine Menge Blumen und Blätter; die <Zeit> ist, wie in dem vorerwähnten Bild, als Verkörperung unerschütterlicher Kraft dargestellt, und das «Gericht», eine schwebende Figur, fährt mit ausgestreckten Armen, ein feuriges Schwert schwingend, aus der Höhe niederwärts. Auch den Tod stellt Watts in anderer, als der allgemein üblichen Weise dar. Seine Gestalt des Todes ist ein grosses, in Weiss gekleidetes Weib mit hohlwangigem, fahlem Antlitz und eingesunkenen Augen. Alle diese alle- gorischen Figuren tragen einen monumentalen Charakter. Mr. Watts' Göttergestalten fehlt es nie an Würde und Hoheit, sie scheinen die Vorstellung der Allmacht zu erwecken. Sein Sinn für die Plastik leitet ihn bei seinen symbolischen Darstellungen und äussert sich in dem einfach erhabenen Stil , in welchem er das Uebersinn- liche nur durch einen mehr als natürlichen Grad von Kraft und Ruhe zur Anschauung bringt. Da.ss seine Compositionen solcher Art nur dem Geschmack einer kleinen Minorität des Publicums zusagen, ist selbst- verständlich. Für diesen Maler jedoch exi.stirt die Er- wägung von Angebot und Nachfrage überhaupt nicht Er ist der Ansicht, dass es in des Künstlers Macht steht, sich selbst die Nachfrage zu schaffen, indem er seine feinere Beobachtungsgabe vorhandenen Begriffen zuwendet , diese dann in einer neuen Fassung , dem Ergebniss seiner persönlichen Studien, wiedergibt und so die Phantasie des Beschauers durch malerische Ge- staltung schöner poetischer Darstellungen bereichert. Der poetisch philosophische Hang, welcher Watts inne- wohnt, bekundet sich in allen seinen Werken, und er hat es aber- und abermals bewiesen, dass die allegorische Kunst noch lebensfähig ist. Freilich kann nicht be- stritten werden, dass ihre Motive ausser Fühlung mit unserer Zeit stehen. Au.sgenommen des Malers « Love and Death» (Die Liebe und der Tod), das den Geist der letzten Dezennien des 19. Jahrhunderts athmet, besitzen seine Werke einen streng didactischen Charakter, der nicht mit der allgemein herrschenden Denkweise harmonirt. Mit « Liebe und Tod » hat Watts vielleicht die höchste Popularität errungen, die je einem seiner Gemälde zu Theil geworden ist. Das Motiv ist ebenso einfach, wie die Idee eine glückliche war, und wir finden in diesem Werke die besten Seiten seines Schöpfers aufs Höchste zur Geltung gebracht. Die Liebe, durch eine knaben- hafte Gestalt mit hellen Flügeln versinnbildlicht, trachtet

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dem Tode den Eintritt in ein Haus zu wehren. Der Entwurf wie die Behandlungsweise sind ausserordentlich wirksam. Der «Tod», eine imposante Figur, deren verhülltes Haupt gesenkt und vom Beschauer abgewandt ist, während sie mit emporgehaltenem Arm ruhig und keines Widerstandes achtend geradewegs vordringt, be- kundet in allen diesen Zügen eine durch Nichts zu besiegende und ohne Anstrengung geübte Macht und Stärke, wozu die Geberde der anmuthigen, in ihrer Zärtlichkeit nicht minder ausdrucksvollen «Liebe», des verzweifelt kämpfenden Knaben, . einen ergreifenden Gegensatz bildet, wie er seine äusserste Kraft daran setzt, die feindliche Gewalt zum Zurückweichen zu bringen, die nur zu bald siegen wird, worauf schon die geknickten Federn seiner Flügel deuten, wie die fallenden Blätter und welken Rosen vor dem von ihm beschirmten Portal. Wahl und Anordnung der Farben sind gleich vorzüglich bei diesem Bilde, das auch den dargestellten Vorgang in einer so ergreifenden Weise zum Ausdruck bringt, wie es selten bei Motiven dieser Art gelingt.

Den «Tod» als weibliche Person hat Watts uns noch in einem andern bedeutenden Kunstwerk vorgeführt, genannt «Der Todesengel », der hier als eine Herrscherin auf dem Throne gemalt ist. Das Gemälde ist gross- artig , von monumentaler Erhabenheit und poesievoller Auffassung. Sein « Liebe und Leben » , obwohl nicht ganz so packend in der Wirkung, ist eine Composition von hoher Feinheit , durchaus zart in Stimmung und Behandlung. Hier ist der Liebesgott nicht als ein Kind , sondern als der erwachsene Eros der Griechen dargestellt; er erscheint als Schutzgeist des Lebens, einer halb erwachsenen , schüchtern und furchtsam auf- tretenden Mädchengestalt, die im Begriffe ist, einen rauhen, felsigen Bergpfad hinan zu steigen. Die sanfte und gedämpfte Farbenstimmung ist in subtiler Weise dem Motiv angepasst und daher absichtlich in weichen Tönen gehalten. «Fata Morgana», ein ebenfalls viel bewundertes Gemälde, dessen Motiv der Künstler Bojardo's « Orlando Innamorato » entnommen hat, stellt die fliegende nackte Gestalt der «Gelegenheit» dar, wie sie sich der Verfolgung des ihr nachjagenden Ritters entzieht. Die Fee kann nur an der Stirnlocke erfasst werden, und er greift vergebens nach ihrem luftig weissen Schleier, als sie an ihm vorüberschwebt. Mit dem linken erhobenen Arm verbirgt sie zur Hälfte ihr liebliches, spöttisches Antlitz, während der Wind ihre

leichten , blonden Locken emporstreift. Die lebhafte, schwingende Bewegung der jugendlichen Gestalt bringt den Begriff der Illusion in äusserst wirkungsvoller Art zur An.schauung. Die weissen, feingeformten Glieder heben sich schön von dem reich schattirten Laubwerk im Hintergrunde ab, und dieses sowohl, wie der dunkle Harnisch und das wettergebräunte , geröthete Antlitz des mit nutzlosem Ungestüm durch das Dickicht dringenden Ritters erinnern in ihrer Farbenpracht an die alten venezianischen Meister. Wie ersichtlich, ist bei den besten der allegorischen Gemälde Watt's eine Erläuterung überflüssig oder doch kaum erforderlich. Besonders in dem zuletzt erwähnten Bilde ist die Idee so lebendig erfasst und durch die Composition so klar zum Ausdruck gebracht, wie es besser bei keiner Dar- stellung irgend einer ganz alltäglichen Situation aus der Wirklichkeit gelingen kann.

Ein diesem Motiv verwandtes Sujet ist « Mi.schief » (Unheil), worin die verhängnissvolle Macht der irdischen Liebe symbolisirt ist. Ein, in der ersten Kraft stolzer Männlichkeit stehender Jüngling die Figur der «jungen Menschheit » , ist bethört von der Leidenschaft, die im Gewände der Liebe erscheint, und sieht sich nun, an- statt der Rosen, die er zu finden gehofft, von einem Dornengestrüpp umgeben. Ihm zu Füssen ist Amors Pfeil, der zu kurz gezielt war, im Boden stecken ge- blieben. Noch halb widerstrebend beugt er den Nacken unter das Joch seiner Besiegerin. Sich ihrer Führung überlassend, wird er ein Opfer des ..Unheils», der be- rückenden Zauberin mit den flatternden Locken , dem falschen Lächeln und dem Blendwerk gaukelnden Scheins. Und immer tiefer in das Dornendickicht geräth der willenlose Gefangene , der sich blindlings in sein Ver- derben führen lässt. In der Behandlung des landschaft- lichen Hintergrundes , der Berge und Wälder verräth Watts den starken Einfluss der italienischen Meister, welche er in dieser , wie jeder anderen Gattung der Malerei für die besten Führer hält.

Auf dem Gebiet der religiösen Kunst bevorzugt er die erhabenen Motive aus der alten hebräischen Ueber- lieferung, und er hat gar manchen finsteren Gegenstand aus dem alten Testament mit Erfolg zur Darstellung gebracht. Seltsamer Weise zeigt er sich verhältniss- mässig schwach in den wenigen Fällen, wo er seine Inspirationen aus den christlichen Religionsquellen schöpfte. In seinem Ehrgeiz hat er sich nicht immer

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den Schranken gebeugt, die dem menschlichen Streben naturgemäss gezogen sind. Zu einer Zeit hegte er den Plan, in einem Cyclus von Fresken die Geschichte der Welt darzustellen, und diese Gemälde sollten die Wände eines eigens für den Zweck entworfenen Gebäudes schmücken. In dem ersten Bilde «Chaos» beabsichtigte der Künstler den Vorgang symbolisch zu veranschau- lichen, -wie unser Planet aus dem chaotischen Zustand in den der Ordnung übergeht. Ueber die Unmöglichkeit, diesen Plan im Ganzen durchzuführen, werden wohl die meisten Urtheile übereinstimmen, und Mr. Watts selber ist dahin gelangt, ihn als einen Traum zu betrachten. Diesem Traume aber ist manches Gute zu danken, da einige der erfolgreichsten Entwürfe des Künstlers von ihm ursprünglich für den projectirten Cyclus bestimmt gewesen sind. Als bewundernsvverth sind darunter die- jenigen zu nennen, welche die Geschichte der Eva dar- stellen, «Die Schöpfung», < Die Versuchung», und «Die Reue». «Der Tod Abel's» ist unstreitig eine mächtige Composition von schwungvoller Zeichnung und breiter Darstellungsweise. Kain, über die leblose Gestalt seines Opfers gebeugt, fühlt schon die unerträgliche Wucht des ihn treffenden Strafgerichts , welches durch über- natürliche Wesen symbolisirt ist, die mit zur Rache aus- gestreckten Armen in der Höhe über ihm sichtbar sind. «Der Tod Kain's», auf welchem Bilde Asrael zu dem gebeugten, ermatteten Riesen als Engel der Erlösung kommt, ist ein Werk von so finsterem Gepräge, dass zu seiner vollen Würdigung eine Seelenstimmung und ein geistiger Standpunkt gehören, wonach beim modernen Publicum auszuschauen fast ein hoffnungsloses Beginnen sein dürfte. «Esau» ist eine einfache, aber wirkungs- volle .Darstellung der Gestalt des wilden israelitischen Waidmannes. Das Motiv der Sündfluth hat Watts wieder- holt und mit wechselndem Erfolg behandelt. Besondere Beachtung fanden «Die Rückkehr der Taube zur Arche Noah's» und «Die Taube, die nicht wiederkam » und beide Bilder das eine war 1869, das andere 1882 ausgestellt sind höchst originelle Schöpfungen, die nicht leicht vergessen werden können. In der See- malerei sucht Mr. Watts die Wirkung stets nur durch die Wiedergabe des Eindrucks zu erzielen , den das weite grosse Element in seiner einfachen Erhabenheit gewährt. In den beiden genannten Werken ist es ihm gelungen, den an sich dürftigen Vorgang eigenartig an- ziehend und lebendig darzustellen.

Höher strebend, doch minder glücklich war er mit seinem Gemälde neueren Datums « Der Sündfluth 4 ister Tag > , worin er den Anfang vom Ende der Fluth schildert und die gewaltige Kraft zur Anschauung bringen will, mit welcher Licht und Hitze, die Dunkelheit verscheuchend und die Wa.ssermengen in Dunst und Nebel auflösend, der erstorbenen Natur neues Leben einflössen.

Watts, der die Ansicht hegt, dass die idealistische Malerei gleich der Musik eine Kunst ist, deren Publi- cum die Fähigkeit besitzen muss, den Intentionen des Künstlers zu folgen, beansprucht eine Erweiterung der Grenzen , innerhalb welcher die Malkunst ihre Motive zu suchen pflegt. Ein Bild, worin er diesen Anspruch geltend macht, führt den Titel: «Das Innerste in uns» (The Dweller in the innermost). Kraft und Bedeutsam- keit sind diesem Versuch, den inneren Protest der Seele gegen das Böse zu versinnbildlichen, nicht abzu- sprechen. Das seltsame Bild mit dem mystischen, be- flügelten Kopf, dem das Himmelslicht von der Stirn strahlt, dessen durchbohrende Augen die hinter falschem Schein verborgene Wahrheit erkennen, mit der den Ein- druck des Geheimnis-svollen, Ueberirdischen erhöhenden trüben Farbenstimmung unterscheidet sich zwar von den übrigen Werken Watts' insofern es nur ein Phantasie- gebilde darstellt, ist aber trotzdem höchst charakteristisch für die Gemüthsrichtung dieses Malers.

Auch auf dem Gebiet der Romantik und der Mythologie hat er sich versucht. Sein schönstes Werk ist die ungemein dramatisch wirkende Composition «Orpheus und Eurydice». Der Künstler hat für sein Bild den Moment gewählt, da Orpheus, nachdem er sich umgeblickt hat, Eurydice gewahrt, wie sie erbleichend zu Boden sinkt, um wieder vom Hades verschlungen zu werden. Wir sehen die eine Gestalt, ganz Leiden Schaft und Energie, in den Farben des warmpulsirenden Lebens, die andere dahingegen in hülfloser Haltung und von der Blässe des Todes überhaucht. Voll poetischer Empfindung sind auch die Darstellungen von « Ariadne » und «Endymion». In der Scene, wie sich die entzückte Göttin im Mäanderthal über den schlafenden Hirten beugt, finden wir durch die Haltung ihres Körpers und den Silberschimmer ihrer Gewänder sowohl die Sichel- form des Mondes, wie das weisse Licht desselben an- gedeutet.

Manche seiner Lieblingsmotive liebt Watts wiederholt zu variiren. Sehr häufig sucht er düstere und traurige

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Sujets zur Darstellung zu bringen, und für solche besitzt er unstreitig eine besonders hohe Gabe des Ausdrucks. Die intensive Tragik seines «Paolo und Francesca von Rimini » ist nicht zu übertreffen. Ohne den idealen, poetischen Geist, von dem die Composition durchdrungen ist, würde dieselbe eine qualvolle Wirkung auf den Be- schauer üben. Die Gestalten des verlorenen Liebes- paares schweben, in wallende Gewänder von bläulichem Weiss gehüllt und kraftlos an einander geschmiegt, in mitten der fahlen Schatten der Hölle dahin , und die ewige Tragödie ihres durch sündige Liebe verwirkten Lebens prägt sich in ihren Zügen aus, deren Schönheit eine geisterhafte eine Schönheit des Todes ist. Die Vorstellung des Lebens im Tode, der ewigen Qual und Hoffnungslosigkeit , durchdringt dieses ganze in echt Dante'schem Geist empfundene und schön componirte Gemälde. In Watts' «Paolo und Francesca» ist die malerische Verwerthu.ng eines dichterischen Motives in so selten hohem Grade gelungen , dass die Vision des Poeten und die Auffassung des Malers sich vollständig decken. Die weinerliche Sentimentalität Ary Scheffer's und die theatralischen Attitüden in den Dore'schen Illustrationen sind gleich weit entfernt von der strengen, selbst im Ausdruck der Leidenschaft bewahrten Ruhe des grossen Italieners. Auf diesem Bilde aber sehen wir, was Dante's Geist erblickte.

Als Darsteller des schmutzigen Elends, der gemeinen und hässlichen Seiten des modernen Lebens ist Watts nicht in seinem Element. Er steht ihnen zu fern, daher fehlt ihm für die ergreifenden Momente, welche sie bieten, die rechte Sympathie. Trotzdem hat er sich mehrmals in dieser Richtung versucht.

Ist nun Watts auch halb und halb zu den träumerisch beanlagten Naturen zu zählen, so lässt er sich doch keineswegs gänzlich von der Phantasie beherrschen, was besonders aus seinen Darstellungen lebender Menschen zu ersehen ist. Und so hat er denn auch in keinem Fach so viele Erfolge zu verzeichnen, als in der Portrait- malerei. Natürlich ist sein Stil sämmtlichen neuen und neuesten Richtungen auf dem Gebiet der Bildnissmalerei, besonders den Ideen der modernen französischen Schule, direct entgegengesetzt. Dies zeigt sich auch in der Nüchternheit seiner Farbenstimmung , seiner Vorliebe für die gedämpften Töne, seiner Abneigung gegen Alles, was darauf berechnet erscheint, in's Auge zu fallen. Sodann weiss er die Kraft, welche in der Beschränkung

liegt, sehr wohl zu schätzen und mit feinem Verständniss anzuwenden. Grundsätzlich hält er sich als Portrait- maler nicht an den flüchtigen Moment oder das rein Aeusserliche. Ihm ist es nicht um die sogenannte realistische Wahrheit, die auch der Photograph erzielt, und eben so wenig um coloristische Geschicklichkeits- proben in der Wiedergabe der Stoffe und Farbenreize zu thun. Er will vor Allem das Wesen der Persönlich- keit erkennen und festhalten. Durch seine künstlerische Divinationsgabe, verbunden mit seiner technischen Meister- schaft, gelingt ihm dies vortrefflich, und am besten, wenn er Menschen von hoher geistiger Bedeutung zu malen hat. Sind seine Modelle weniger charakteristisch, so zeigt er sich, wo ihnen selbst ein anziehendes Aeussere nicht abzusprechen ist, oft unvortheilhafter und lässt in Bezug auf die Aehnlichkeit zu wünschen. Aber glücklicherweise haben gerade diesem Künstler, dessen Specialität gleichsam die Wiedergabe der Seele ist, sehr viele geistig hervorragende Männer seiner Zeit gesessen. Eine Sammlung dieser interessanten Portraits, welche er in seinem Atelier aufbewahrt und der englischen Nation zum Vermächtniss bestimmt hat, wird nicht allein einen künstlerischen, sondern auch einen historischen Werth behalten. Zu den von ihm gemalten berühmten Engländern gehören um mit den Dichtern zu beginnen Tennyson , Browning , Swinburne , Rosetti , Morris Matthew Arnold, Henry Taylor; unter den Schriftstellern und Gelehrten befinden sich Carlyle, Stuart Mill, Lecky, Leslie Stephen; zu den Staatsmännern zählen Gladstone, Dilke, der Herzog von Argyle, die Lords Salisbury, Shaftsbury, Lyndhurst und Sherbrooke; die hohe Geist- lichkeit sehen wir durch Dean Stanley, Cardinal Manning, Dr. Martineau vertreten, und von den Malern sind Burne Jones und Watts selber zu erwähnen. Fürwahr eine stattliche Liste! Und bei jedem Einzelnen ist seine specielle Geistesgabe als Hauptmoment der Aehnlichkeit behandelt. Dieses Hervorheben der intellectuellen Eigenart, deren Ausdruck manchen auf der höchsten Stufe der Technik stehenden Malern entgeht, ist eben von wesentlicher Bedeutung für die Aehnlichkeit eines Bildnisses, und zwar weit mehr, als naturge- treue Detailausführung ; denn diese betrifft häufig das Nebensächliche und Zufällige , schliesst aber eine falsche Auffassung des Wesentlichen nicht aus, ja, bedingt eine solche sogar, wo sie in unmotivirter Weise hervortritt.

J, J. Henner piiix.

Phot. P. H*nf«t«»nfl, Manchen.

Mädchen aus dem Oberelsass.

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Watts' technische Vorzüge in der Bildnissmalerei sind kräftige Pinselführung, meisterhafte Beherrschung der gedämpften Farben, vortreffliche Modellirung und in der Behandlung der Formen des Antlitzes eine sub- tile Verschmelzung der Licht- und Schattentöne. Macht sich auch zuweilen der Einfluss der alten venezianischen Portraitmaler bei ihm geltend, so hat er sich doch im Ganzen auf diesem, wie auf den übrigen Gebieten seiner Kunst einen frischen, ihm selbständig eigenen Stil be- wahrt, der in seltener Weise von Manier frei ist und stets charakteristisch wirkt. Sein vor 25 Jahren ge- maltes Bildniss Joachim's, genannt « A lamplight study», berührt sogar fast verblüffend durch die Schärfe des geistigen Ausdrucks und die Lebenstreue der Züge. In den weiblichen Portraits erreicht Watts nicht immer den Höhepunkt seines Könnens, es sei denn, dass sein Modell im hohen Grade interessant ist, wie z. B. Miss Tennant, die jetzige Gattin des Afrikareisenden Stanley. Aber keines von seinen Portraits verleugnet den Meister in der Erkenntniss der Menschenseele, jedes einzelne bekundet nicht nur die Kunst eines grossen Malers, sondern auch die Kraft eines hervorragenden Denkers. Es sind ganz aussergewöhnliche Fähigkeiten des Ver- standes, wie des Gemüthes, welche diesem Manne mit so vielen ganz verschieden gearteten Geistern höchsten Ranges Fühlung geben. Unter allen diesen, die intellec- tuellen Kräfte im Leben der Nation vertretenden Zeit- genossen , die Watts gemalt hat, ist kein Einziger, bei dem es ihm nicht gelungen wäre, genau den Grundton zu treffen.

Den Landschaften Watts' habe ich keine eingehende Besprechung gewidmet, wenngleich er auch manchen schönen Erfolg in dieser Kunstgattung erzielt hat. In- dessen ist er auf diesem Gebiet verhältnissmässig weniger thätig gewesen und hat sich mehr darauf be- schränkt, die Natur als Umgebung seiner menschlichen und übersinnlichen Gestalten zu verwerthen. Es giebt jedoch kein Fach der Malkunst, in welchem er sich nicht versucht und mehr oder minder ausgezeichnet hätte. Als ein grosser Verehrer der Frescomalerei hat er mehr als irgend ein Anderer gethan, um diese Kunst in England einzubürgern, obwohl die Ungunst des Climas für dieselbe ein grosses, wenn nicht gar verhängniss- volles Hinderniss bildet. Unter diesem schädlichen Ein- fluss haben die F'resken im Westminster-Palast bedeu- tend gelitten. Einmal erbot sich der Künstler, nur

gegen Erstattung des Herstellungs- Materials die grosse Halle des Euston- Bahnhofes mit Wandgemälden zu schmücken. Dieser Plan ist indessen nie zur Ausführung gelangt, was kaum zu beklagen ist, in Anbetracht der ungeschützten Lage des Raumes und der daraus folgen- den Gefahr für die projectirte Malerei. Er folgt der Methode und Anleitung Cennini's, und seine in Privat- häusern befindlichen Fresken, welche vor Gas und Feuchtigkeit geschützt sind , haben sich in gutem Zu- stande erhalten. Die grosse Speisehalle für die Juristen von Lincolns Inn weist eines der anerkannt besten Frescogemälde von Watts auf, sein «The School of Legislature«. Das ausserordentlich schöne Werk, welches an der nördlichen Wand, deren ganze Fläche es ein- nimmt, vortrefflich zur Geltung kommt, erinnert etwas an Raphael's « Schule von Athen » und führt uns die grössten Gesetzgeber der Welt von Moses bis Eduard I. vor. Die dreissig Colossal - Figuren sind in höchst wirkungsvoller Gruppirung auf drei Stufenreihen ver- theilt. Des Künstlers glänzende Gabe für Zeichnung und Composition, seine edle und breite Darstellungs- weise finden wir hier in einer Kunstgattung bewährt, von welcher England bisher nur wenige und zwar nicht hervorragende Leistungen besitzt. Hoffentlich bleibt dieses Werk lange von dem verderblichen Einfluss der Zeit verschont.

Watts erachtet das Erlernen dieser Art Malerei von hoher Wichtigkeit für die Ausbildung eines Kunst- schülers, und er wird nicht müde, private und öfiTent- liche Corporationen auf die dringende Nothwendigkeit hinzuweisen , dass zum Studium nach dieser Richtung hin möglichst viel Gelegenheit geschafft werde. Der wolkenschwere Himmel Englands indessen und die zer- störenden Wirkungen der unbeständigen Temperatur daselbst sind nicht ermuthigend für eine Thätigkeit, deren Ergebniss nur selten bei genügendem Licht ge- sehen wird und bald nach der Vollendung der Zerstörung anheim fällt.

Dass Watts auch der Bildhauerkunst viel Studium gewidmet hat, davon zeugen nicht nur seine Leistungen als Maler, sondern auch die Proben seines Könnens in der Plastik selbst. Unter seinen Sculpturen zählt zu den bedeutendsten die grosse, in Bronce ausgeführte Reitergruppe für das dem Begründer der Familie des Herzogs von Westminster , Hugh Lupus , errichtete Denkmal in Chester. Auch die Cathedrale in Lichfield

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birgt ein von Watts modellirtes Denkmal, und seine Büste der sterbenden Ciytia ist ein Bildwerk, das einen hohen Grad von Begabung und Feingefühl für die plastische Kunst verräth.

In England sind die Künstler mehr als in anderen Ländern auf Erfolge beim Privatpublicum angewiesen. Dass hieraus in künstlerischer Hinsicht manche Nach- theile erwachsen, liegt auf der Hand, aber die Erfahrung lehrt auch anderentheils, dass die englische Regierung, wo sie Staatshilfe verfügt hat, nur in den seltensten Fällen so glücklich inspirirt gewesen ist, wie s. Z. bei dem jungen Watts. Sonst pflegt sie oft die bedenklichsten Fehler in dieser Beziehung zu machen. Die Kunst blüht in England nur als exotische Pflanze. Mr. Watts, der von dem Wunsche beseelt ist, sie als ein Gut von nationaler Bedeutung betrachtet zu wissen, hat ein schönes Beispiel von patriotischer Gesinnung gegeben, um dieses Ziel fördern zu helfen. Im Jahre 1886 machte er eine An- zahl seiner berühmtesten Gemälde der englischen Nation zum Geschenk, der er auch die Sammlung als Erbschaft bestimmt hat, welche sich in seinem Atelier befindet.

Nicht ohne Interesse dürfte ein Blick auf Watts' Technik sein , denn auch hierin zeigt er sich ebenso originell und zielbewusst , wie in seinen Entwürfen. Seine Methode besteht darin , die Farben mosaikartig eine neben die andere, zu setzen, anstatt zu unterlegen und zu übermalen. An den Umrissen mischt er natür- lich, aber nie trägt er helle Farben über dunklere auf. Er vermeidet es thunlichst, Weiss mit transparenten Farben zu- vermischen , und wählt lieber solche , deren Substanz mehr durchsichtig als körperlich ist. Er glaubt, dass sein bis auf den Grund transparent ge- haltener Farbenauftrag mit der Zeit an Glanz gewinnen und dann gleich dem leuchtenden Colorit der Glasmalerei wirken wird. Bei den Farben selbst legt er auf Schön- heit derselben grossen Werth, und er nimmt sie voll und trocken, mit nur sehr wenig Bindemittel. Für die Richtigkeit seiner Ansicht dürfte die Thatsache sprechen, dass einige seiner Bilder, die vor bald einem halben Jahrhundert gemalt sind, an Frische des Colorits, ohne dass er seitdem irgend etwas dazu gethan hat, die meisten seiner neueren Gemälde weit übertreffen. Die Farben scheinen sogar förmlich von innen heraus zu leuchten, was einen wunderbar schönen Effect ergibt.

Von Mr. Watts' Privatleben ist wenig zu berichten, er lebt fast nur in seiner Kunst und für dieselbe. Als

er schon im reiferen Alter stand , verheirathete er sich und beging den Fehler, ein ganz junges Mädchen, bei- nahe noch ein Kind, zu erwählen. Bedrückt von dem Ernst ihres Gatten , für dessen Streben es ihr an Ver- ständniss mangelte, und der seinen Malereien mehr Auf- merksamkeit zuwenden mochte als ihr, spielte sie ihm eine Menge toller, im Grunde freilich nur kindischer Streiche , die den ernsten Mann fast zur Verzweiflung trieben, bis sie selbst in Verzweiflung gerathen davon lief. Sie wurde eine berühmte Schauspielerin, die beste, welche die englische Bühne zur Zeit besitzt, Henry Irving's Mitgenossin bei allen seinen dramatischen Unternehmungen die gefeierte Ellen Terr>'. Erst nach langen Jahren hat sich Mr. Watt entschlossen, ihren wiederholten Gesuchen um Scheidung nachzu- geben. Und vor zwei Jahren ist er, trotz seines Alters, eine neue Heirath eingegangen, ebenfalls mit einer Dame, die bei weitem jünger ist als er. Eine passendere Ehe scheint es dieses Mal indessen zu sein, wenigstens in Bezug auf das beiderseitige Temperament.

Sein Heim befindet sich noch heute, wo er es vor vielen Jahren aufgeschlagen hat im Little Holland House , einer Art Filiale jenes berühmten , grossen Holland House des kunstliebenden Lord Holland, welcher einer der wärmsten Freunde Mr. Watts' gewesen ist. Hier hat der Künstler eine grosse und schöne Gemälde- galerie für sich eingerichtet, wo die bedeutendsten seiner Bilder hängen. Diese Galerie hält er in dankenswerther Liebenswürdigkeit für die Sonnabend- und Sonntag- nachmittage dem Publicum geöffnet, er selbst aber ist dann niemals dort zu finden. Ueberhaupt zieht er sich mit fast peinlicher Beflissenheit in sein Privatleben zu- rück, er will von der Welt nur in den Werken gekannt sein, welche er für sie geschaffen hat.

Dass die Nachwelt stets die zeitgenössischen Kunst- urtheile umstösst, ist eine nachgerade sprichwörtlich gewordene Weisheit. Trotzdem dürfte Mr. Watts, nach seinen besten Schöpfungen und seinem künstlerischen Lebensgang zu schliessen, als einer von Denen zu be- zeichnen sein, «welchen», wie ein treffender Aussprvich besagt, < ein bleibender Sieg gewährt ist ; die, ob Realisten oder Idealisten, stets mit Sicherheit durchdringen, und deren Werke den Streit der Schulen überdauern werden » . Dieser Maler ist in der That einer von den wenigen lebenden Künstlern, die während ihrer ganzen Laufbahn ihren erwählten Zielen treu geblieben sind.

UNKRITISCHE KUNSTLERPORTRAITS

VON

FRED. WALTHER.

III.

THURE FREIHERR VON CEDERSTRÖM.

Seit Ende der Siebzigerjahre sind bei allen I Münchener Au-sstellungsgelegenheiten, im «Glas- palast » und im Kunstverein, Thure von Ceder- ströms Genrebilder gerne und oft gesehen worden. Meist kleinen Formats, erfreuten sie schon von jeher durch die unendliche Sorgfalt und Liebe der Aus- führung, durch die Reinheit ihrer Zeichnung und die Gewissenhaftigkeit, mit der Stoffe und stilllebende Einzelheiten bis zum Eindruck greifbarer Plastik darauf durchgebildet waren. Meist waren es Kostümbildchen und Klosterszenen, die wir hier von Cederströms Hand gesehen haben ; vielfach einzelne Cavaliere in den reichen und malerischen Trachten des 17. Jahrhunderts, oder Gruppen zechender oder studirender Mönche in den faltigen Kutten verschiedener Orden. Der Gegen- stand stets einfach und für sich selbst redend , die Köpfe lebendig und charakteristisch und Alles merk- würdig ^scharf gesehen, mit offenen, ehrlichen Augen gesehen. Der Künstler hat nie versucht, die Dinge so aufzufassen, wie es eine herrschende Kunstrichtung opportun erscheinen Hess, sondern er hat vollkommen seinen eigenen klaren Augen vertraut. Und die Ehr- lichsten in der Kunst sind doch die Besten nicht als ob alle Ehrlichen immer gut wären! Aber sie sind es sicherlich öfter als Die, die Konzessionen machen und die geschmeidigen Kammerherren der Fürstin Mode.

Thure von Cederström ist geboren am 25. Juni 1843 auf dem Gute seiner Eltern Aryd in der Provinz Smaland in Schweden als der Jüngste von fünf Ge- schwistern. Seines Vaters , den er schon im fünften

Lebensjahre verlor, erinnert sich der Künstler, wie er erzählt, so gut wie gar nicht; jener war Cavallerieoberst und nur das bunte militärische Gepränge bei seinem Begräbnis blieb seinem Sohne im Gedächtnis und ist heute dessen erste und lebhafteste Erinnerung aus der Kinderzeit.

Von einem Hauslehrer aus geistlichem Stande er- hielt Cederström seine erste Erziehung, dabei sicherlich

Th. von Cederström. « Schach matt. »

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Alles eher als künstlerische Anleitung oder auch nur Anregung erhaltend. Früh bekommener Anregung hatte er überhaupt seine späteren künstlerischen Neigungen nicht zu danken. Im Elternhause gab es weder Kunst- pflege noch Bilderschmuck , noch irgend welch sonst- iges Kunstwerk, wodurch ein latent vorhandener Maler- sinn geweckt werden konnte; nur die Mutter unseres Künstlers hatte früher, der zu Beginn des Jahrhunderts herrschenden Mode der Blumenmalerei folgend, die Pinsel geführt und merkliches Talent dabei verrathen ; ein Moment, das doch vielleicht nicht zu unterschätzen ist. Moderne Physiologen behaupten ja, dass bei den über- wiegend meisten Künstlern sich eine hereditäre Veran- lagung bei sorgfältiger Forschung nachweisen lassen müsse. Sonst war in Cederström's Elternhaus von Kunst, wie gesagt, wenig die Rede. Seine Einrichtung war in dem hervorragend nüchternen Stil vom Anfang unseres Säkulums gehalten; von Geschwistern zeigte Niemand irgend welche Anlagen künstlerischer Art.

Und trotz der mangelnden Anregung zeigte sich des kleinen Mannes künstlerische Ader früh genug. Er war ein sehr lebhaftes Kind und nicht leicht zum Stillsitzen zu bringen. Da pflegte ihm denn, wenn er gar zu lebendig wurde, seine Mutter einen Bleistift und ein Stück Papier zuzuschieben , und man erzählte ihm später, dass dieses Mittel die beabsichtigte Wirkung selten oder nie verfehlte.

Seltsamerweise entstand inmitten der nüchternen Umgebung in dem Knaben eine unerklärliche aber leidenschaftliche Liebhaberei für Alterthümer, während seine Altersgenossen Eier und Schmetterlinge, Stahl- federn, Käfer oder Siegelabdrücke sammelten, trug er sich alterthümliche Objekte aller Art zusammen. Das trug ihm der Sport war damals in Schweden noch nicht so verbreitet, wie er es heute allenthalben ist Spott und Neckereien von allen Seiten ein und er musste sich den Spitznamen «Lumpensammler» gefallen lassen. Ueber seine ersten Schuljahre weiss Thure von Ceder- ström nicht viel Interessantes zu berichten und sie zeigten grosse Aehnlichkeit mit denen anderer Jungen. An die Zukunft und das «Werden» dachte er nicht viel und die meisten Lehrgegenstände erweckten in ihm nicht mehr, als das übliche Interesse. Nur die Zeichen- stunde! Und hätten seine damaligen Lehrer selbst was Besseres gekannt, so, meinte er, würden sie ihm wohl auch was Besseres gelehrt haben , als geschmacklose

Th. von Cederströin. Aus dem Schlosse Tidö in Schweden.

Vorlagen in Strichmanier zu kopiren. Zum Klassen- ersten hat er es nie gebracht, das ist nachgewiesen. Auch kein Unglück ! Unter den Menschen , die was Rechtes oder was Besonderes erreicht haben im Leben, ist selten Einer, den in der Schulzeit die Würde eines « Primus » schmückte.

Auch Künstlerträume haben damals den Knaben nicht begeistert. Und als die Jahre kamen, wo es galt, sich für einen bestimmten Beruf zu entscheiden , da meinte er, sonderbar genug, dass er nur als Marine- ofilzier sein Lebensglück finden könne. Er hatte, im Lande geboren und erzogen, nie das Meer gesehen, und ihm selbst war später räthselhaft, wie er zu der Idee kam, ein Seeheld werden zu wollen. In Wahrheit war's kaum ein Räthsel. Auch bei uns Festländern träumt jeder wackere Junge von kühner Seefahrt und allerhand nautischen Abenteuern , und Thure Ceder- ström's Grossvater war überdies Generaladmiral der schwedischen Marine gewesen , hatte tapfer für sein Vaterland gefochten und seine Enkelkinder hatten oft

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B- Galofie j Gimcuei pinx.

Heimkehr vom Feste.

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genug im Elternhaus von seinen Thaten und Erlebnissen erzählen hören. Ja die Vererbung ! Zunächst kam der Jüngling, der noch nicht 15 Jahre zählte, in eine Stockholmer Erziehungsanstalt, um für das Cadetten- corps , wo jenes

Alter als nächste

Eintrittsbedingung galt, vorbereitet zu werden.

Nach ziemlich kurzer Zeit gab unser Seeheld den Gedanken, Marine- ' offizier zu werden, wieder auf; die Kauffahrtei reizte ihn mehr und er wollte nun künftig als Kapitän eines flotten Handels- schiffes die Meere durchschweifen.

Dies Verlangen wurde ihm zu sei- nem Glücke je- doch rundweg ab- geschlagen. Das gab seinen nau- tischen Liebhabe- reien einen schwe- ren Stoss. Den Rest aber gab ihnen seine erste Seereise mit der dabei gekosteten Seekrankheit. Alle Marine und See- fahrerei der Erde war ihm nun auf immer verleidet.

Er trat in's Cadettencorps ohne sonderliche Lust für's militärische Fach und verbrachte dort manches Jahr nutzlos, wie er selbt meint, aber, wer kann das sagen. Die Beschäftigung mit den Büchern, vor Allem

schuf er sich selbst viel freie Zeit und die wandte er dann in seiner Weise an : zum Zeichnen von Album- blättern, Landkarten, zum linearen Zeichnen von Block- häusern, Brücken und anderen Architekturwerken, von

Festungen ja in Ermanglung von et- was Besserem von Kanonen - Lafetten und dergleichen. Alles, was Zeich- nen hiess, war seine Lust und er hat sei- nen Kameraden oft damit ausgeholfen. Die Liebe zur Kunst war in der Brust des Jünglings wach geworden.

Es war damals seine grösste Freu- de , wenn er nun Sonntags irgend ein Maler- Atelier in Stockholm be- suchen durfte und die Leute vor ihren Staffeleien sah.

Selbst einmal ein Maler zu werden, daran dachte er noch nicht. Aber die Kunst freute ihn. Und so ging er einmal cha- rakteristisch genug zu einem Maler und bestellte sich ein Oelbild , wozu er das Thema an- gab: es sollte Ca- detten darstellen, die in kleinem Handschlitten fahren, und er selbst wollte mit einigen Freunden in einem solchen Schlitten abkonterfeit sein. Recht ernsthaft ist die.ser Auftrag wohl nicht aufgefasst worden. Denn das Auswendiglernen, war nicht seine Sache und mit jener Maler hat das bestellte Bild nie fertig gestellt dem Examen stand er .stets auf gespanntem Fusse. So und wohl auch nie angefangen.

Th. von Ceäerstroin. Das sogenannte c Herrenhaus» Kloster Maulbronn.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Th. von Cederström. Die Sakristei in der Stadtkirche zu Rudolstadt.

Auch die Cadettenjahre gingen vorbei, ohne dass Cederström trotz aller Liebe zum Zeichnen und Malen eine ernsthafte und bestimmende künstlerische Anregung erhalten hätte und so trat er denn nach absolvirter Schule in das Leibgarderegiment zu Pferd ein. 1869 bis 1870 nahm er einjährigen Urlaub nach Paris und dort erhielt er einen Einblick in das Leben und Treiben, das Ringen und Streben der Künstler, sah verschiedene Ateliers, lernte einen Beruf näher kennen, zu dem er sich fiir's Erste noch nicht ganz heran wagte aber als Dilettant wurde er in diesem Jahre bereits Schüler bei Salmson.

Das glückhche Jahr verging und er wurde wieder Soldat, kehrte nach Schweden zurück und erhielt ein Kommando zur Offiziersreitschule, wobei er mit den übrigen Kameraden auf einem Schlosse auf dem Lande in herrlicher Lage einquartirt wurde. Sie hatten dort Pferde zuzureiten, Hufbeschlag zu studieren, zu fechten u. s. w. und im Uebrigen viel freie Zeit. Diese benützte er denn in aller Stille, seinem alten unbezwinglichen

Hange zu folgen, zu zeichnen und zu aquarelliren. Und dort erhielt der künftige Maler seinen ersten künst- lerischen Auftrag, auf den er nicht wenig stolz war. Der Chef der Equitation bat ihn eines Tages, für eine neuerbaute Stallung den Entwurf zu einer Wetterfahne zu machen. Sie erhielt die Form eines springenden Gaules: ob sie sich nocli im Winde dreht?

Auf dem Lande, im Verkehr mit der Natur, ent- stand im Herzen des jungen Mannes immer dringender die Sehnsucht nach anderer, nach künstlerischer Be- schäftigung. Als die Offiziere nun gar nach Stockholm zurückkehrten, wurde ihm der eintönige Garni.sonsdienst vollends zum Ueberdruss. Er schrieb seiner Mutter, die über den abermaligen Berufswechsel nicht wenig erschrak, dass er Maler werden wolle. Die Mutter rief brieflich seinen früheren Vormund, einen hohen Beamten, zu Hilfe, dem wankelmüthigen Sohne in's Gewissen zu reden. Dieser that auch sein Bestes in diesem Sinne aber umsonst! Da ging denn der Vormund zu einem Maler E. Lundgren hiess er und war zu seiner

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Zeit als Aquarellist in England sehr geschätzt und trug diesem die Sache vor. Zuletzt fragte er ihn, ob der junge Renegat auch genügend Talent besässe. Das könne er noch nicht entscheiden, meinte er, da er von Cederström bisher keine selbständige Arbeit gesehen. Aber das könne er sagen: «Wenn er Maler werden will , so wird er Maler werden, dann nützt Ihnen alles nichts, -n

Das gab nun den Ausschlag und alle Be- kehrungsversuche und Einwendun- gen von Mutter und Exvormund verstummten hin- fort. Thure von Cederström ver- langte und er- hielt seinen Ab- schied.

Leicht wurde es dem ange- henden Künstler von seiner übri- gen Familie ge- rade nicht ge- macht. Ein wah- rer Sturm brach los gegen seinen Entschluss , jetzt Künstler zu wer- den. Eine ältere

Dame der Familie ging in ihrer Entrüstung sogar so weit, dass sie sagte, unser Mann sei «ein Schand- fleck für die Familie, da er ein entehrendes Handwerk ergriffen hätte». Er hat ihre Worte noch frisch im Gedächtnisse und es möchte ihm wohl Spass machen, wenn die würdige Dame diese Zeilen zu Gesicht be- käme.

Cederström ging nun zu Lundgren , zunächst um ihm zu danken für den bestimmenden Einfluss, den er auf sein Leben gewonnen, dann aber auch, um an ihn die Frage zu richten, was jetzt zu thun sei. Seine

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7/5. von Ceders/röm. Aus Überlingen.

Sehnsucht war Italien, das Land der Sehnsucht für alle jungen Künstler, wie überhaupt für Alle, deren Herzen in lebhafterem Tempo .schlagen. <Da thun Sie recht !> meinte Jener, «Bleiben Sie aber auf der Durchreise ein paar Jahre in Deutschland». Und der Andere fuhr nach Düsseldorf, um dort Jemanden zu finden, bei dem

er sich im Aqua- rellmalen weiter ausbilden konnte. Man lachte ihn aus. Sie sagten: « Aquarellmalen in Deutschland

das geben Sie nur gleich auf! j

So ging er denn zu dem bekannten Histo- rienmaler Albert Baur zu Aachen (geboren 13. Juli 1835) und fragte, ob er nicht des- sen Schüler wer- den könne.

« Zeigen Sie mir einmal Et- was, was Sie ge- macht haben .' »

< Ich habe noch nichts ge- macht » , musste der junge Mann antworten , wo- Cederström stand Er trat übrigens

rüber der Andere sichtlich erschrak, damals in seinem 28. Lebensjahre, nichtsdestoweniger zu Albert Baur in die Schule, erst als Schüler und dann als Freund.

Im Jahre 1872 wurde Baur zum Professor an der grossherzoglichen Akademie in Weimar ernannt, und sein Schüler Cederström folgte ihm in die ehrwürdige Musen- stadt. Albert Baur war ein eminenter Lehrer und legte seine Befähigung zu seinem hohen Berufe namentlich durch Eines an den Tag: er Hess seine Schüler ihre eigenen Wege gehen. Wer deutsche Akademieverhält-

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Tli. von Cederström. Der ehemalige Kaiserbnmnen in Ueberlingen.

nisse kennt, weiss, was das sagen will. Viele, viele Talente sind getödtet , sind erstickt worden durch das vorherrschende Bestreben der Professoren, ihre Schüler in den Bann der eigenen sub- jektiven Anschauungsweise zu zwingen ; manchem Talente ist dadurch die Kunst überhaupt verleidet worden und die waren noch fast am Besten daran! Denn ein grosser Theil der Anderen ist in blöder Nachahmung verflacht oder hat erst nach schweren Kämpfen den Staub der Aka- demie wieder von sich abgeschüttelt. Nur die Berufensten wahrten ihre Persönlichkeit und die hatten sich genug darum zu plagen. Doch das führt weit ab !

Von Weimar aus unternahm der junge schwedische Maler, denn das war Ceder- ström nun aus einem Seefahrer und einem Reilcrsmann endlich geworden, seine erste Studienreise und zwar nach den malerischen Klosterruinen von Maulbronn und dem erz-

bischöflichen Palais in Bruchsal. Bald folgten dieser Reise andere, grössere, nach Italien, an die lieblichen Gestade des Bodensees, zurück in's Vaterland nach Schweden u. s. w. Im Jahre 1876 trieb das Heimweh den Freund und Lehrer Professor Baur heim ins Rheinland, er ging nach Düsseldorf zurück.

Thure von Cederström zog 1877 nach München, wo so viele nicht deutsche Künstler eine liebe und geliebte Heimath gefunden haben.

Als er im Herbst 1871 vom elterlichen Hause Abschied nahm, hatte er der Mutter versprechen müssen, nach fünf Jahren sein erstes Bild nach Hause schicken zu müssen. Es ward ihm die Freude, dieses Versprechen schon im dritten Jahre einlösen zu können. Er schickte 1874 ein Bild, von dem er .selbst sehr bescheiden spricht, als Probe dessen, was er erreicht, in die Heimath und das Bild hatte dort schönen Er- folg. Der beste Erfolg aber mag für den Künstler darin bestanden haben, dass sich von jenem Tage an seine Mutter mit seinem Schicksale und seiner Berufs- wahl aussöhnte.

Seitdem hat sich sein Kün-stlerleben glatt abge- sponnen.

Er war stets der Fleissigsten Einer von dem

Zeitpunkte an, da er seiner Neigung folgen und dem

selbstgewählten Lebensziele näher treten durfte. So

folgte Bild auf Bild es ist nachgerade eine stattliche

Th. von Ceiierslröm. (Erste Studie.) Das Refektorium des Cistercienserklosters Maulbronn.

P, M«y>r'M«ini pinx.

Phot. 1*. IUnr«U*n|l, Kflnrhen

Hubertustag.

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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Zahl geworden und sie haben sich alle der besten Auf- nahme erfreut.

«Und nun male ich halt so weiten», sagt Thure von Cederström, die schlichte Erzähhuig seiner Lebens- geschichte beschliessend.

Keine wilddramatische Künstlerbiographie, aber ein schönes, erfreuliches, gesundes Bild einer künstlerischen Entwicklung. Kein wolkenstürmendes Talent aber eine warmherzige, begeisterte, ehrliche Malernatur, die wohl nicht wie «Flammenwahnsinn den Beruf» spürte, aber doch wie einen heiligen, unwiderstehlichen Drang, dem sie folgte, was auch entgegenstand , sobald er er- kannt war.

Der vorstehenden Betrachtung sind Nachbildungen von Cederström's Studien beigefügt, die erkennen lassen, mit wie durchdringendem Blick, mit wie eingehendem Fleiss und mit wie sicherer Hand er seine geliebte Arbeit that. Auch gegenständlich sind die ehrwürdigen, zum Theil hochoriginellen Architekturbilder reizvoll genug. Schildern sie doch Ergebnisse einer Kultur, die unserer heimischen unendlich nahe verwandt ist.

Am meisten bekannt ist Cederström , wie gesagt, wohl dem grossen Publikum durch seine liebenswürdigen und humorvollen Schilderungen aus dem Klosterleben.

Sein Stoffgebiet ist hiebei mit dem Eduard Grützner's ziemlich identisch, wenn er auch durchaus nicht zu den Nachahmern dieses Künstlers gehört. Er schildert uns seine behäbigen Klosterherren beim Weinglase und in der Bibliothek, musizierend, beim Biliardspiel, im Kreise lustiger gebetener oder ungebetener Gäste, am Schach- brett, am grossen Globus der Klosterbücherei studirend, oder über den weltlichen Scherzen der t Fliegenden Blatten schmunzelnd kurz in allen möglichen Phasen klösterlichen Stilllebens. Neben den schon erwähnten Kostümfiguren hat der Künstler übrigens auch eine Anzahl gelungener bäuerlicher Typen aus seiner zweiten Heimath im Bayerlande gemalt. Durchdringender Fleiss, Reinheit der Zeichnung und Klarheit der Farbe sind immer die Signatur seiner Bilder gewesen.

Wiederholt und im letztvergangenen Sommer hatte die Münchener « Internationale » nicht zum Wenigsten seiner Mühewaltung das Zustandekommen einer hoch- interessanten «schwedischen Abtheilung» zu danken. Leute, die mit ihm zusammen dabei thätig waren, rühmen die vornehme, gerechte Art seines Urtheils, das nicht nach künstlerischen Konfessionen fragt, son- dern Alles schätzt und Allem wohl will, was gut was Kunst ist.

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Th. von Cedtrttröm. Aus der MUnsterkirche zu Ueberlingen.

UNSERE BILDER.

Wer am Inhalte den Werth eines Bildes misst, dem könnte man wohl aus der Reihe unserer Darbietungen einen ganz anmuthigen Roman erzählen, einen solchen, der durch mehrere Geschlechter hindurch reicht, aus dem verschiedene Maler ein Kapitel illustrirten, Einer ohne vom Anderen etwas zu wissen.

Er beginnt vor mehr als hundert Jahren, dieser Roman unserer Illustrationen. Der Sohn Kaiser Franz I., Erzherzog Maximilian Franz Xaver von Oesterreich, sitzt auf dem alten Throne der Erzbischöfe und Kurfürsten von Köln. Er hat heute viel Gäste. Aus Frankreich sind des armen gefangenen Königs Ludwig des XVI. Brüder herüber gekommen. Das ganze Rheinland ist voller Emigranten, vornehme Herren mit sehr vornehmen und das heisst soviel wie sehr schlechten Sitten, die das ihnen unersetzliche Paris, soweit es an ihnen ist, auf deutsche Erde zu versetzen streben. Fest folgt auf Fest und die deutschen Kirchenfürsten halten es für ihre Pflicht , den Franzosen zu zeigen , dass bei ihnen noch jene Zucht und Ordnung herrsche, welche in Paris die schreckliche Revolution zerstörte, dass hier noch der Fürst, der Herr als die von Gott eingesetzte Behörde das Recht habe , durch reichliches Ausgeben , durch Prachtentfaltung das in den Truhen seiner Bürger faulende Geld in's Rollen zu bringen und diesem am Glanz des Auftretens Achtung vor der Majestät des Fürsten zu lehren.

Draussen im Forst ist ein Hirsch gehetzt worden und schon meldete ein Bote im Schlosshof zu Brühl, dass soeben dem niedergebrochenen Wild das Halali geblasen sei. Es gilt sich zu beeilen. Die Diener in altmodischer, ihnen selbst nicht ganz gewohnter Gala tragen hastig die eben fertig gewordenen Schaugerichte auf die Tafel: den riesigen Aufsatz aus Konfekt, den drei Mann kaum bewältigen, die grosse Fruchtschale, den Schweinskopf auf leckerer Pastete , die Puten im vollen Federschmuck , die kostbaren Geschirre aus Höchster Porzellan, schwitzend, ängstlich, ihre kost- bare Last zu beschädigen, gehetzt durch den groben Koch, ziehen sie dahin.

Erst vor Kurzem ist Schloss Brühl fertig geworden ; eine der prunkvollsten Anlagen in Deutschland, zeitlich aber eine der letzten dieser Art. An anderen Orten be- gann man schon an Stelle dieses strotzenden Prunkes die Zierlichkeit, .statt des Reichsthums die vornehme Ein- fachheit zu bevorzugen hier an den geistlichen Höfen hielt man aber mit Absicht am Alten, an den Formen jener besseren Zeit, in welcher noch nicht das freche «Menschenrecht» der Pariser an die Füstenhöfe zu pochen wagte.

Und ^ie niedlichen kleinen Frauen und Mädchen aus dem Städtchen Brühl , die sich neugierig in das Schloss einschlichen, staunen nicht mehr über die barocke Prachtentfaltung, sondern lachen und kichern über die schwitzende Schaar der sonst so faulen kur- fürstlichen Hofdiener, sehr respektlos, sichtlich ange- kränkelt von der bösen Luft, welche von Westen, die Seelen vergiftend, in's Rheinland weht.

Aber bald kamen die höchsten Herrschaften , die jungen vornehmen geistlichen Herren von höchstem Adel , die weltlichen Kavaliere , die ausgelassenen französischen Gäste : das Kichern verstummt und mit weit aufgerissenen Augen sehen die Frauen dieser prunkenden Welt zu , die ihre lärmenden Feste feiert, uneingedenk des furchtbaren Mahnens seines Endes, der Heereszüge, deren Führer mit verächtlichem Lächeln gegen den verhöhnten Feind marschirten und die dann so kleinmuth, geschlagen von einer zusammengelaufenen Bande Undi.sciplinirter, zurückgekehrt waren. Der wilde Strudel der Lust erfasst auch sie und auf die Stunde der Freude, des Stolzes über die Werbungen des vor- nehmen Kavaliers folgen Monate, Jahre der Trauer: O war ich nie in's Schloss gegangen!

Das Alles stellt uns P. Meyer- Mainz anschaulich in seinem Bilde « Hubertusessen » dar.

Der Kurfürst war verjagt, das Erzbisthum säcu- larLsirt, die Pracht des Hofes zerstoben. Der grcsse Soldatenkaiser und seine Heere waren über den Rhein

DIE KUNST UNSERER ZEIT.

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gezogen , Schlachtenlärm hatte die Welt erschüttert. Die als Befreier Begrüssten hatten mit harter Gewalt die Macht an .sich geri.ssen , man erkannte wohl dank- bar an, was sie an Freiheit dem Rhein gebracht haben, aber es waren fremde Mächte, die auf deut.schem Boden hausten. Und endlich war Friede geworden, die Heere waren aus dem besiegten Frankreich zu- rückgekehrt. Zwanzig Jahre sind seit der Kurfürsten- Zeit vergangen.

Das Töchterchen einer jener Städterinnen, die so keck und doch so scheu auf die so unendlich hoch erhabene vornehme Welt des Hofes schauten, wandelt an schönem Sommertage durch die gelben Kornfelder dem Buchen- walde zu. Die Lerchen schlagen, wohlige Wärme liegt über der goldigen Weite. Und wieder naht sich ein Kavalier dem jungen Mädchen, ein Mann im schlichten Kleid des Bürgers , das sie jetzt alle mit ein klein wenig aftektirtem Gleichheitssinne tragen, er nimmt ihr zuerst höflich das Umschlagtuch ab , begleitet sie des Weges in ernstem, etwas geziert klingendem, blumenreichen Gespräch 1 Denn er hat t Werthers Leiden» gelesen und Schiller klingt in seinem Herzen wieder, die hohen Klänge des Liedes von Menschen- würde, von Gleichheit aller Edlen, von Beseitigung der Unterschiede zwischen hoch und niedrig durch die Liebe haben in ihm Widerhall gefunden.

Und er fasst ihre Hand, sie sagt zögernd, hoffend und fürchtend zugleich ihr lispelndes «Ja!»

Man sehe als Beleg: R. Haug's treffliches Bild

t Spaziergang. »

* *

*

Die Frühlingsträume der Nation, das Hoffen auf eine. Zeit des Friedens und Glückes, der ausgleichenden Liebe und Freiheit schwanden dahin. Der kühne Streich des Kavaliers, die Namenlose aus dem rheinischen Städtchen zu heirathen, zerbrach sein Verhältnis zur ganzen P'amilie. In Kampf und Sorge verzehrten sich die ersten Jahre ihrer Ehe, die Jahre, die dem Glücke mehr als andere geweiht sein sollten.

Nun liegt sie schon lang in geweihter Erde. Mächtige Bäume sind an ihrem Grabe emporge- wachsen, über dessen prunkendes Denkmal der Epheu wuchert, bis hinüber auf die Seite jenes Gottesackers, in welchem die Kinder ihre letzte Ruhe finden. Und wieder ist ein heller Sommertag, hell und leuchtend zieht ein Gewölk auf, das Grün hat eben seine volle

Kraft erhalten , es summen die Käfer um Grab und Kreuz, um die Kränze über den Tod hinaus sorgender Liebe.

Das ist J. Wenglein's «Kinderfriedhof.»

Den Zwiespalt, weichen die Verhältnisse in diese im Auflodern einer weichen allgemeinen Menschenliebe entstandene Ehe hineinbringen , endete auch der Tod nicht. Der junge Kavalier hatte sein Unrecht nach Wunsch der Seinen gut gemacht und als Alternder eine sehr junge Dame von Geburt an die Stelle der Ge- schiedenen gestellt. Wohl hatte die-se vom Schloss der Väter Besitz ergriffen, aber das Herz hatte sie nicht einzunehmen verstanden. Kalt und fremd standen sich die beiden gegenüber. Mit Missgunst sieht die neue Herrin das Heranblühen der Tochter, des letzten Liebespfandes der Geschiedenen, der zu spät erblühten Sehnsucht ihrer Ehe. Doppelt feindlich war die neue Mutter ihr gesinnt, weil ihr selbst das Glück versagt ist, ein eigen Kind auf dem Schooss zu wiegen. In dem jungen Weibe aber herrschte der Geist der Jugendzeit ihres Vaters, der Geist des Auflehnens gegen das die Geister und die Thaten regelnde Herkommen, des Hingebens seiner selbst als Kaufpreis nicht nur für Vortheil und Gewinn, für Geld, Namen und Ehre sondern als Kaufpreis für einen ganzen Menschen, für sein Herz wie für sein Hirn! Und so sind sie sich entfremdet, der vornehme Vater und die heissblütige Tochter. Sie ist mit dem jungen, feurigen, für Freiheit erglühenden Polen in die Weite gezogen und sie hat ihm die Flinte in die Hand gegeben, als das nationale Verzweifiungs- ringen gegen russische Übermacht begann.

Ja, sie hatte in den harten Kampf mit Frauenlist ein- gegriffen. Sie hatte Briefschaften vermittelt, Waffen gekauft, heimliche Botschaft getragen. Oft waren in ihrer Wohnung ernst blickende Männer zusammengekommen zu heimlicher Tagung. Aber endlich hatte man die Verschwörung entdeckt. Sie sass auf der Anklagebank, sorgend um den heranwachsenden Sohn, die noch kind- liche Tochter. Der alte, brave Rechtsanwalt hatte wahrlich das Seine gethan , um die Richter für sie zu gewinnen. Nun naht die c Stunde der Entscheidung». Die Schuld liegt klar vor, ist auch nicht geleugnet, die «feindliche Handlung gegen befreundete Staaten > wird mit Festungshaft bis zu vielen Jahren bestraft.

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DIE KUNST UNSERER ZEIT.

Werden die Richter Milderungsgründe zugestehen? Der Präsident blickt ernst und doch mitleidig auf die Ver- urtheilte: Was bringt er für ein Geschick in seiner Aktenmappe?

Man frage F. Brütt's Bild selbst um die Antwort.

* *

*

Tief einschneidend wirkte der Urtheilsspruch. Im Schloss des alten Vaters war der Bruch ein vollständiger. Die junge Stiefmutter triumphirte innerlich, sie hatte in ihren Klagen über die Tochter aus unedlem Blut Recht behalten : nur Schande hatte sie dem Hause ge- bracht , eine verurtheilte Revolutionärin. Die unver- heirathete Schwester des alten Herrn, eine Jungfrau von untadeligen Grundsätzen, streng, hart, unliebenswürdig, aber formvoll und adelsstolz, war ihre Verbündete ge- worden. Man hatte erreicht , dass die Entartete ent- erbt werde.

Und Jahre der Unbefriedigung und der kalten Vor- nehmheit waren über das Schloss hingezogen. Den alten Herrn fröstelte in seinem warmen Hauspelz. Die Zeit des Sterbens nahte.

Wem sollte das Erbe zufallen? Der Gattin allein, der Schwester? Und nach diesen? Er schaute sorgen- voll vor sich hin. Ja dort draussen blühten ihm zwei Enkelkinder, weit in der Ferne, unter fremden Namen. Könnte er sie nur einmal sehen ! Er schluchzt leise. Schlimme Nachricht ist gekommen. Seine einzige Tochter todt, der Enkel in seiner neuen Heimath in politische Processe verquickt, voll Eifer den Vater, der auf dem Felde der Ehre fiel, und die beschimpfte Mutter zu rächen.

Der war schon draussen im fernen Sibirien. Er sitzt auf der elenden harten Pritsche der «Letzten Etappe», ehe die neue furchtbare Heimath der «Ver- schickten» erreicht ist und denkt zurück in die Ferne. Der Grossmutter und Mutter Blondhaar ist noch so leidlich gepflegt, aber die Kleider nahen schon dem Verfall. Neben ihm stirbt ein braver Junge, der ihnen bei ihren Sitzungen Botendienste geleistet nichts mehr! und der nun seine Gefälligkeiten mit endlosen Strapazen und mit dem Tode zahlen muss. Ein mit- leidiger Leidensgenosse hält ihm das Kreuz, das er auf der Brust trägt, vor die brechenden Augen! Elend ringsum, der todesähnliche Schlaf der Übermüdung lässt zwar die Meisten augenblicklich nichts von ihm spüren, aber in wenigen Stunden kommt der harte

Befehl zum Aufbruch, und in Lumpen, mit zerrissenen Schuhen geht es weiter ....

Mit furchtbarer Kraft des Ausdruckes schildert Malczewski diese «Letzte Etappc».

* »

*

Sicher im wohnlichen Heim, dämmernd sitzt die Schwester. Noch trauernd um die Mutter, beklagt sie auch des Bruders Geschick. Sie allein in äusserem Glück, eines wackeren Mannes sicher geborgene treue Gattin. Seit sie die Mutter hinausbegleitet hatte auf den Kirchhof, wo auch die Grossmutter lag, unter das einst prunkende, jetzt vom Epheu überwucherte Grab seit ihr die kurze Depesche eines Freundes gemeldet, dass man den Bruder gefangen genommen, da fühlte auch sie sich so allein, trotz des Gatten, trotz der beiden Kinder. Und vor ihr liegt ein Brief von fremder Hand, ein geschäfts- mässiges Schreiben im Juristenstil, welches sie auf das Rheinische Schloss ladet, da der alte Freiherr sein Testament in Gegenwart seiner Erben zu machen wünsche.

Und die Geschichte ihrer Mutter, ihrer Grossmutter geht im Dämmerlichte an ihren Augen vorüber. Zweier Frauen, denen das alte Schloss und sein stolzer Herr nur Sorge und Noth brachten, und die doch Beide so glühend geliebt hatten.

E. Oppler zeigt uns diese «Träumerei».

* *

Sie aber hat entschlossen sich aufgemacht, ihre Kinder wohlverpackt mit auf den Weg genommen, be- gleitet von der Mahnung des Gatten , auf ihn zu ver- trauen und sich nichts zu vergeben. Aber so vornehm hatte sie sich das alte Haus doch nicht gedacht und so gütig blickend, so aus der eigenen Mutter freundlich grauen Augen schauend, hatte sie sich den Grossvater nicht vorgestellt. Ihr Trotz brach vor seinem Alter und seine Strenge vor ihrer warmherzigen Schönheit. Und die fremde Grossmama, wie die weisslockige Tante .sassen sehr steif, sehr stumm dabei, der Herr Justizrath hatte sehr viel am Entwurf des Testamentes zu ändern und zu schreiben und den beiden scheuen Kleinen wurde zum -Ä.rger der Zeuginnen sehr viel vermacht. Der alte Herr nahm den Urenkel auf seinen Schooss und küsste ihn herzlich :

« Herr Justizrath , könnte ich diesem Knaben nicht auch unseren alten Namen vererben, damit mein Ge- schlecht nicht mit mir ende?»

Das lese ich aus L. Bockelmanns «Testament» heraus. ■^'■

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^ Die Kunst unserer Zeit

K86 Bd. 4 Halb.l

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